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Einleitung zu der Vernunfft-Lehre /
Worinnen durch eine leichte / und allen vernuͤnfftigen Menſchen / waſerley Standes oder Geſchlechts ſie ſeyn / verſtaͤndliche Manier der Weg gezeiget wird / ohne die Syllogiſticâ das wahre / wahrſcheinliche und falſche von einander zu entſcheiden / und neue Warheiten zu erfinden. Nebſt einer Vorrede Jn welcher der Autor ſein Vorhaben deutlicher erklaͤret / und die Urſachen anzeiget / warum er dem Autori Speciminis Logicæ Claubergianæ nicht antworten werde.
Halle /Gedruckt beyChriſtoph Salfelden/ Churfuͤrſtl. Brandenb. Hoff-und Regierungs Buchdr. 1691.

An Seine Magnificenz Herrn Buͤrgemeiſter ADRIAN Stegern / Jn Leipzig.

Hoch -
Hoch-Edler / Magnifice, Hochgeehrteſter Herr und Patron.

GEgenwaͤrtige Einlei - tungzu der Vernunfft - Lehre iſt meine letzte Schrifft die ich zu Leip - zig verfertiget; maſſen denn allhier in Halle nicht mehr als das letzte Capitel darzu gemacht worden; weßwe -gengen ich auch dafuͤr gehalten / daß ich nichts unfoͤrmliches begehen wuͤrde / wenn ich gleichſam an ſtatt des letzten Abſchiedes aus meinem Vaterlande daſſelbige ie - mand aus dieſer beruͤhmten Stadt zu - ſchriebe. Bey dieſer Bewandniß aber habe ich nicht lange nachdencken doͤrffen / an wem ich meine Zuſchrifft abgehen laſ - ſen ſolte. Es hat Eure Magnificenz ehedeſſen gegen meinen ſeeligen Vater Dero beſtaͤndiges Patrocinium und hoch - ſchaͤtzbare Freundſchafft bey vielfaͤltiger Gelegenheit bezeuget. Und wiewohl ich damahls in meiner Jugend zimlich ohn - faͤhig geweſen / die rechte Weißheit von der Namengelahrheit zu entſcheiden; ſo kan ich doch nicht laͤugnen / daß ich nicht all - bereit fuͤr vielen Jahren beobachtet haͤt - te / daß Eure Magnificenz unter die ſehr kleine Zahl hochgelehrter Leute zu rechnen waͤre / die dieſen Titel in der That verdienen / ob Sie gleich denſelben durch Erkauffung der darzu gehoͤrigen Wuͤrden nicht affectiren. Und wuͤrde ich gewißlich dieſen Satz recht auszufuͤh -* 3renren gnugſame materie zu einem voͤlligen Panegyrico haben / wenn nicht mein temperament und inclination mich zu dieſer Schreibart gantz ungeſchickt ge - macht haͤtte. Jch will alſo nur dieſes ſagen / daß in Eurer Magnificenz Hochwerthen Perſon ich allezeit einen rechtſchaffenen Weltweiſen / einen voꝛtreflichen FCtum, und einen unge - meinen Gottesgelahrten veneriret. Jch verſtehe aber durch einen rechtſchaf - fenen Weltweiſen einen Mann / der einen ſcharffſinnigen und penetranten Verſtand hat / und allezeit juſt und buͤn - dig raiſoniret: Der in dem allgemeinen und hoͤchſtnoͤthigen Inſtrument aller Wiſſenſchafften / ich meine in der Hiſto - rie, wohl erfahren iſt; Der von ſeiner Selbſterkaͤntniß ſeine Philoſophie an - faͤngt / und durch die Daͤmpffung der Gemuͤths-Bewegungen ſein hoͤchſtes Gut / die innerliche Gemuͤths-Ruhe ſich zu verſchaffen bemuͤhet iſt; Der nach die - ſem die Boßheit der Welt kennet / unddurchdurch eine taͤgliche / und auff unbetrieg - liche Regeln ſich gruͤndende Erfahrung allen Menſchen mit denen Er converſi - ret / wenn ſie auch noch ſo ſehr diſſimuli - ren / biß in das innerſte ihrer Gedancken penetriret, und dieſe Seine Wiſſenſchafft zu Nutzen des gemeinen Beſten / und zu Abwendung des gemeinen Schadens an - zuwenden weiß: der geſchickt iſt / eine ſei - nem Genio und Stande gemaͤße profeſ - ſion zu erkieſen / und die darzu gehoͤrige / und / ſeine Tugend deſto nachdruͤcklicher blicken zu laſſen / noͤthige Guͤter des Gluͤcks rechtmaͤßig zu erwerben / die er - worbenen zu erhalten / und zu vermeh - ren / und beyde nach der Richtſchnur der geſunden Vernunfft unter die Beduͤrff - tigen auszutheilen gelernet hat. Ja end - lich der alles ſein Thun und Laſſen dar - nach einrichtet / daß man in denenſelben ein rechtmaͤßiges decorum, ohne wel - ches alle Philoſophie eitel und eine bloſ - ſe Pedanterey ſeyn wuͤrde / handgreiff - lich ſpuͤhren koͤnne. Einen vortreffli - chen JCtum nenne ich denjenigen / der* 4nichtnicht nur in der Rechts-Gelartheit dieſes begriffen / was zur Endſcheidung der privat controverſien und zu adminiſtri - rung der heilſamen Juſtiz in denenſelben noͤthig iſt / ſondern auch der capabel iſt / die Streitigkeiten der Majeſtaͤten nach denen Grund-Geſetzen des natuͤrlichen rnd Voͤlcker-Rechts / ſo wohl auch des Juris Publici zu beurtheilen. Und end - lich / ſo halte ich unmaßgeblich dafuͤr / daß dieſer alleine den Titel eines ungemei - nen Gottesgelehrten verdiene / der ohne dem Vorurtheil einer ihme von Jugend auff beygebrachten Einbildung nach der Jhm von GOTT verliehenen Erkentniß lediglich aus der goͤttlichen Offenbahrung der heiligen Schrifft und aus der unverfaͤlſchten Kirchen-Hiſtorie ſo wohl des Alten als Neuen Bundes / ohne Anſehung menſchlicher autoritaͤt und tradition, die uͤberall im Schwang gehenden Maͤngel des heutigen Chri - ſtenthumbs wohl und deutlich verſtehet / und verſichert iſt / daß der Grund des wahren Chriſtenthumbs in nichts an -ders /ders / als in der Liebe GOttes / und in auffrichtiger Liebe aller Menſchen / ſie moͤgen ſeyn von was Religion ſie wol - len / fuͤhrnehmlich aber in gebuͤhrender Hochachtung frommer / d. i. friedfertiger und GOttes Ehre nicht in hochmuͤthi - gen und eigennuͤtzigen Zanck-Haͤndeln ſuchender Chriſten beſtehe. Wiewohl ich nun bey dieſer Bewandniß ſchon eine geraume Zeit hero Gelegenheit geſucht / in genauere Kundſchafft eines ſo vor - trefflichen / und bey dieſen letzten Zeiten ſo raren Mannes zu gerathen; So ha - be ich doch dieſelbige nur fuͤr etlichen we - nigen Jahren finden koͤnnen. Es war beynahe umb dieſelbige Zeit / als Eure Magnificenz ſich wegen der / der Stadt Leipzig durch alle Staffeln der Ehren-Aembter ſo viele Jahr her erwie - ſenen nachdruͤcklichen und ungemeinen Dienſte / in etwas belohnet ſahe. Jch meine: als das Vaterland ſeine Schuld eines theils abzutragen Eurer Magni - ficenz mit allgemeinen Vergnuͤgen der* 5gan -gantzen Stadt die hoͤchſie Wuͤrde des Buͤrgemeiſter-Ambts aufftruge. Nichts deſtoweniger habe ich nicht Urſach uͤber dieſen Verzug mich in geringſten zu be - klagen / indem Eure Magnificenz, an ſtatt daß ich zufrieden geweſen / wenn Sie ſo wohl wegen Jhres Standes als Alters / und der daſſelbige begleiten - den allezeit hochzuvenerirenden Weiß - heit / mich als einen Clienten oder Sohn tractiret haͤtte; ohne meinen geringſten Verdienſt mich mit einer ſolchen Freund - ſchafft beehret / als wenn Derſelben in allen dieſen Stuͤcken ich gleich geweſen waͤre. Und gewiß ich habe durch Eurer Magnificenz Gutheit zu erſt den recht - ſchaffenen Unterſcheid zwiſchen einer Freundſchafft die keinen andern End - zweck hat / als eine ehrliche Vergnuͤgung des Gemuͤths / und zwiſchen den gemei - nen Verbindungen / die einig und allein auff den Eigennutz abzielen / klar und deutlich erkennen lernen. Ein Patron thue einen Clienten ſo viel guts als erwol -wolle / ſo gehet es doch insgemein nicht anders her / als daß der Patron hierin - nen ja ſo wohl und oͤffters noch mehr ſei - nen Eigennutz durch den Clienten zu befoͤdern ſucht / als dieſer vielleicht von jenen zu hoffen hat. Alleine ſo wenig Eure Magnificenz auch den gerin - ſten Dienſt zu Erwartung einiges Nu - tzens von mir iemahls benoͤthiget gewe - ſen / ſo offentlich war mein Zuſtand ſchon ſo beſchaffen / daß vielleicht iederman be - greiffen kunte / daß uͤber das Verlangen aus Eurer Magniſiceez hoͤchſt ange - nehmen converſation etwas gutes zu lernen / ich kein anders Abſehen auch auff meiner Seiten haben kunte. Denn ob ſchon nicht zu laͤugnen / daß Eure Ma - gnificenz vermoͤgend genug geweſen / diejenigen die Derer Huͤlffe beduͤrffig empor zu heben; So hatte doch eines Theils mein Vaterland ſchon damahls mir nicht verbluͤmt / ſondern ziemlich deutlich zu erkennen gegeben / daß es mei - ner Dienſte niemahls vonnoͤthen habenwuͤr -wuͤrde / und daß meine um die rechtſchaf - fene Erforſchung der Warheit und wah - ren Froͤmmigkeit allzugenaue Sorge ſich mit ſeinem Staats-Intereſſe nicht com - portirete; Anders theils aber hatte ich vermittelſt Goͤttlicher Gnade die Eitel - keit der menſchlichen Ehre / und die War - heit des bekandten Spruchs: Non ſit al - terius qui ſuus eſſe poteſt, allbereit all - zuwohl erkennet / daß ich wider meine Erkentniß wuͤrde gehandelt haben / wenn ich einige Ehrenſtelle daſelbſt haͤtte affe - ctiren wollen. Am allermeiſten aber hat Eure Magnificenz Dero ohn - interesſirte Affection zu der Zeit bezeu - get / als meine zuvor heimliche Feinde mich oͤffentlich zu verfolgen angefangen / und / ſo viel es an ihnen geweſen / den gar - aus mit mir zu machen getrachtet. Deñ ob ſchon die Kuppel und der Anhang mei - ner Verfolger nicht wenig von meinen guten Freunden ſchuͤchtern zu machen vermoͤgend geweſen / ſo habe ich doch al - lezeit zu meiner Beſchaͤmung erfahren inuͤſſen / daß Eure Magnificenz ſowohlwohl in privat-als oͤffentlichen conver - ſationen durchgehends das beſte von mir geredet / und meine unſchuldigen actio - nes juſtificiret / auch ſolcher geſtalt / wie - wohl ohne Dero intention meine Wider - ſacher nicht wenig mortificiret. Zu ge - ſchweigen / daß Selbige bey der fuͤr ei - niger Zeit mit mir erfolgten mutation, bey der ich die Wercke Goͤttlicher Vorſe - hung allenhalben geſpuͤhret / durch Dero vielguͤltige recommendation mir nicht wenig Gnade Hoher Perſonen zugewen - det. Wannenhero meine Obligenheit in Mangel anderer Gelegenheiten erfor - dert / zum wenigſten in Zuſchreibung die - ſes meinen geringen Buchs / die mir biß - hiro erzeigte vielfaͤltige Freundſchafft oͤf - fentlich zu ruͤhmen / und Eurer Ma - gnificenz mich als einen danckbegie - rigen Schuldener darzuſtellen. Wie - wohl ich nicht laͤugnen kan / daß bey die - ſer Zuſchrifft ich auch zugleich ein ziemli - ches Abſehen auff meinen eigenen Vor - theil gehabt. Meine Feinde haben ei -nigenige Jahr her ſo wohl in ihren Hand - Brieffen als in oͤffentlichen Paſquillen mich als ein Monſtrum auszuſchreyen ſich bemuͤhet / daß ich in meinem Vater - lande bey iederman verhaſt / und kein ehrlicher Mann mir mit Freundſchafft zugethan waͤre. Wiewohl nun dieſes ein offenbahrer Ungrund iſt / und wenn ich Ruhmraͤthig waͤre / ich vielleicht ja ſo viel Vornehme und beruͤhmte Leute haͤt - te finden wollen / die mir auff meine biß - her edirte Schrifften / oder auch auff dieſe Vernunfft-Lehre Epiſtolas Gratu - latorias, Epigrammata, Sonnete u. d. g. haͤtten machen ſollen / als immermehr vor denen herrlichen operibus und opu - ſculis meiner Herren Widerſacher zu le - ſen ſind / hiernechſt auch durch GOttes Gnade bey zugeſtoſſener Noht es mir an auffrichtigen Freunden / die mir treu - lich beygeſtanden / nie gemangelt; So halte ich doch gaͤntzlich dafuͤr / daß wenn auch niemand in gantz Leipzig / als al - leine Eure Magnificenz waͤre / dermichmich unter die Zahl ſeiner auffrichtigen Diener rechnete / dennoch der æſtim und die Gnade / welche Selbige durch Dero meriten bey unzehlichen beruͤhmten ſo wohl inlaͤndiſchen als auslaͤndiſchen Leu - ten / und ſelbſt bey den Goͤttern dieſer Welt ſich erworben / meine Feinde al - lenthalben Luͤgen ſtraffen wuͤrde. Ja ich zweiffele nicht / es werden dieſe bey Erblickung dieſer Zuſchrifft nicht wenig grißgramen / indem ihr eigenes Gewiſ - ſen ihnen vorhalten wird / daß mir die - ſer oͤffentliche Ruhm von der Freund - ſchafft eines Mannes / deſſen treueſte und unermuͤdeſte Vorſorge fuͤr das rechte Wohlſeyn des Vaterlandes Seinen Nah - m[e]n unſterblich machen wird / mir mehr Vortheil bringen moͤchte / als die Feindſchafft ihrer insgeſamt / derer Raſerey ſich mit ihren Todte endigen muß / und denen Nachkommen nichts als ein Andencken einer Pedantiſchen Heu - cheley nach ſich laſſen kan / mir bißher durch GOttes Gnade hat ſchaden koͤn -nen.koͤnnen. Derowegen erſuche Eure Magnificenz ich gehorſamſt / dieſe meine Zuſchrifft nicht unguͤtig auffzu - nehmen / und mit fernerer Wohlgewo - genheit mir zugethan zu verbleiben / als

Eurer Hoch-Edlen Magnificenz auffrich[ti]gſten Diener Chriſtian Thomas /
[1]

Vorrede / An die ſtudirende Jugend.

Jnnhalt.

1. Des bißherigen Vorſchlags Erlenterung. 2. Was in der erſten Stunde gelehret werden ſoll. 3. Von Mißbrauch des nachſchreibens / und derer Collegio - rum MSS. 4. Warum der Autor ſeine Philoſophie und zwar in Deutſcher Sprache druͤcken zu laſſen ge - ſonnen. 5. Mißbrauch / daß man alle terminos te - chnicos deutſch geben will. 6. Ein Exempel hier - von aus einer deutſchen Logic. 7. Von der andern Stunde. Ob es rathſam Collegia gratuita zu halten. 8. Von einer abſonderlichen Stunde wegen der Lehre de præjudiciis. 9. Hiſtorie deſſen / was dem Autori, mit dem Autore Speciminis Logicæ Carteſianæ bege - anet. 10. des Autoris 4. hypotheſes von der Philo - ſophia Carteſiana, und warumb er dem Autori ſpecimi - nis nicht antworten werde. 11. 12. 13. 14. 15. Etliche Fehler des Autoris ſpeciminis, die in ſelnen erſten vier Bogen anzutreffen. 16. Das Abſehen gegenwaͤrtiger Vernunfft-Lehre.

1.

JCh habe unlaͤngſt in einem deutſchen Programmate einen Vorſchlag gethan / wie ich einen jungen Menſchen / der ſich ernſtlich fuͤrgeſetzet / GOtt und der Welt dermahleins in vita civili recht - ſchaffen zu dienen / und als ein honnêt und galantAhom -2Vorrede. homme zu leben / binnen dreyen Jahrfriſt in der Philoſophie und ſingulis Juriſprudentiæ par - tibus zu informiren geſonnen ſey. So habe ich auch zu Ende deſſelbigen gedacht / daß ich hierzu taͤglich zwey Stunden anwenden / und ſo viel das honorarium betrifft / mich dergeſtalt gegen meine Auditores bezeugen wolte / daß die Armen umb - ſonſt / die mitlern vermoͤgens ſind / gegen ein billi - ges accommodiret werden ſolten / die uͤbrigen a - ber denen GOTT Reichtum beſcheret / durch ein raiſonnable, jedoch beliebte Danckbarkeit ihren æſtim und Hochachtung gegen die ſtudia wuͤrden bezeugen koͤnnen. Nachdem nun hierauff un - terſchiedene ſich zu dieſem Collegio bey mir angegeben / bin ich bemuͤhet geweſen / wie ich ſie nach meinen Verſprechen alle und jede vergnuͤ - gen moͤchte; ich habe aber gleichwohl bedacht / daß die Ungleichheit des honorarii fuͤr gleiche Arbeit gar leicht bey meinem Auditoribus Verdruß erwecken / und zu einigen Wieder - willen gegen mich / und unterſich ſelbſt Anlaß geben koͤnte; zumahlen / da man zwar das Ar - muth noch wohl von dem Vermoͤgen wuͤrde zu entſcheiden wiſſen; das mitlere Vermoͤgen a - ber von dem Reichthum zu erkennen wuͤrde ſehr ſchwer werden / indem die eigene Geſtaͤnd - nuͤß des letztern von jungen Leuten bey itziger Welt / da man lieber das Geld / ich will nichtſagen3Vorrede. ſagen an die exercitia, ſondern an den Wein - Keller und compagnie als auff collegia wendet / nicht zuhoffen / uud die generoſitaͤt / die bey alten Leuten nicht gar zuhaͤuffig anzutref - fen iſt / bey der Jugend durchgehends nicht præ - ſumiret werden darff; andere inconvenien - tien zugeſchweigen. Wannenhero ich mich nach einigen uͤberlegen reſolviret / die Sache auff folgende Weiſe anzugreiffen.

2. Zu der einen Stunde dieſes Collegii werde ich jedermann zulaſſen / er ſey arm oder reich / mitlern oder groſſen Vermoͤgens / der nu - merus mag ſeyn ſo wenig oder ſo groß als er will / weil ich in derſelbigen bloß zu diſcuriren geſonnen bin. Jch werde fuͤr dieſe Stunde durchgehends ein billiches / und zwiſchen denn Hohen und Niedrigen temperirtes honora - rium fordern; mit denenjenigen aber / die ſo unvermoͤgen ſind / daß ſie ſolches nicht geben koͤnnen / werde ich nicht anfangen zu handeln / o - der qvid pro quo zunehmen / ſondern / wenn ſie mir dieſes ihr Unvermoͤgen / wie noͤthig / be - ſcheinigen werden / will ich ſie fuͤr arm paßiren / und ihnen mein collegium umbſonſt zubeſu - chen zulaſſen. Damit es auch nicht das An - ſehen gewinnen moͤge / ob ſuchte ich junge Leute /A 2mit4Vorrede. mit groſſen promeſſen, die ich nicht erfuͤllen koͤnte / an mich zu locken / als will ich einen jeden davon ſelbſt urtheilen laſſen / und ſo wohl in der erſten / als in der andern Stunde / niemand ad - ſtringiren / daß er dieſen curſum gantz hinaus zuhalten ſich verbindlich machen ſolte / ſondern ich werde einen jeden freyſtellen / nach Verflieſ - ſung halbjaͤhriger Friſt / von Anfang dieſes col - legii biß zu Ende / nach Gefallen ab und zuzu - treten. Jn dieſer Stunde aber / werde ich nichts als theſin, oder dasjenige / was ausge - gruͤndeten und offenbahrten Urſachen zu Erfor - ſchung der Warheit / einem tugendhafften und weltklugen Leben gehoͤret / lehren / und weiſen / wie durch eine nothwendige connexion im - mer eine Warheit mit der andern verknuͤpfft wird / und wie man aus rechtſchaffener Erkaͤnt - nuͤß der Warheit und des Guten allen Zweiffel / ſo wieder dieſelbe fuͤrgebracht werden koͤnte / mit leichter Muͤhe zu wiederlegen vermoͤgend ſey. Dannenhero werde ich in dieſer Stunde von keiner antitheſi etwas erwehnen / und weder wieder die Ariſtotelicos noch Carteſianer, o - der wieder andere / denen Philoſophia Secta - ria beliebet / diſputiren ſondern meinen Zuhoͤ - rern die nackende Warheit / wie ſie an ſich ſelbſtiſt /5Vorrede. iſt / vorſtellen / auch zu dieſem Ende zu Bewei - ſung meiner Lehr-Saͤtze mich nichts anders als der einem jeden von ihnen eingepflantzten Ver - nunfft bedienen / keines weges aber mit der Au - toritaͤt / derer die etwa ſolches vor mir gelehret / pochen / weil ich ſonſten das præjudicium au - toritatis humanæ, das fuͤr andern die Jugend an Erkaͤntnuͤß der Warheit hindert / nimmer - mehr wuͤrde in einen mercklichen Grad aus - rotten koͤnnen. Gleich wie ich aber mich fleißig bemuͤhen werde / daß in dieſer Stunde alle nothwendige Stuͤcke (partes neceſſariæ) zu der ihnen von mir verſprochenen Gelahrheit meinen Zuhoͤrern beygebracht werden koͤnne / alſo wolte ich auch gerne die zu jeden ſtudio ge - hoͤrige attention bey ihnen durch etwas er - wecken / oder vielmehr dieſelbige befoͤrdern und erleichtern.

3. Durch bloſſes zuhoͤren eines diſcurſes eine doctrin vollſtaͤndig zufaſſen / iſt faſt mo - raliter unmoͤglich / theils weil an gehoͤriger Auffmerckſamkeit uns gar oͤffters frembde Ge - dancken hindern; theils / weil doch unſer Ge - daͤchtnuͤß ſo geartet iſt / daß / wenn es keine ſub - ſidia zum Grunde hat / es die connexion der Warheiten und Lehren gar leicht wieder ausA 3der6Vorrede. der acht laͤßt. Nun pflegen ſich wohl junge Leute gemeiniglich dadurch zu helffen / daß ſie in denen Collegiis den diſcurs ihrer Lehrer von Wort zu Wort nachſchreiben / und dadurch ih - rer Gedaͤchtnuͤß durch fleißiges uͤberleſen gu - ten Nutzen zu ſchaffen wiſſen / und will ich auch dieſes nachſchreiben uͤberhaupt nicht tadeln. Gleichwohl habe ich durch eine langwierige Er - fahrung ſo wohl deſſen / was ich ehe deſſen an - dern nachgeſchrieben / als deſſen / was mir von andern nachgeſchrieben worden / ſehr viel Miß - braͤuche dabey angemercket / die ich bey meinen Auditoribus gerne vermeiden wolte / welche mehrentheils daher zu ruͤhren ſcheinen / weil der Menſchliche Verſtand alſo beſchaffen iſt / daß er auff zwey euſerliche Dinge zugleich mit glei - cher att[e]ntion nicht wohl acht geben kan / und dannenhero / wenn er ſich ſolches zuthun forci - ret / gar ſelten etwas taugliches zu wege bringt. Einer / ſo nachſchreibet / muß nicht alleine auff das / was geſagt wird / acht haben / ſondern auch auff das / was er ſchreibet / weil es doch in waͤh - renden nachſchreiben unmoͤglich iſt / in dem Au - genblick / da etwas geredet wird / ſolches auf das Papier zu ſetzen; und alſo iſt es gar leichte ge - ſchehen / daß er ein Wort fuͤr das andere hoͤret /oder7Vorrede. oder ſchreibet. Es iſt mir unzehlig mahl mit meinen Auditoribus ſo ergangen / daß wenn ich etliche unter ihnen angemercket / die fuͤr an - dern fleißig nachgeſchrieben / und ich mir von ihnen ihre Arbeit zeigen laſſen / daß ich in die - ſer ihrer Nachſchrifft Dinge gefunden / die mir die Zeit meines Lebens nicht in Sinn gekom̃en zu lehren / unerachtet ich unter denen beyden Maͤngeln eines Lehrers der Dunckelheit / und tavtologie, aus guter intention eine Sache recht deutliche zu ſagen / mehr mit dieſen letztern als mit jenen behafft bin. Aber hieraus ent - ſtehet ſo wohl einem Zuhoͤrer / als einem Lehrer ein mercklicher Schaden: Ein Zuhoͤrer / weil er auff ſein MStum als auff das jenige / was die Lehrer geſagt / bauet / druͤckt ſich eine irrige / und mit dem vorhergehenden oder nachfolgen - den gantz nicht uͤbereinſtim̃ende Lehre ein / und muß ſolcher geſtalt nothwendig confus werden Seinem Lehrer thut er dieſerwegen Schaden / weil er bey andern Leuten ihm in Verdacht bringet / als ob er ſo thoͤricht Zeug / als dieſer nachgeſchrieben / dociret habe. Geſetzt aber / daß alles recht nachgeſchrieben / und durch con - ferirung ihrer etlicher der diſcurs eines Leh - rers vollkommen excipiret wuͤrde; ſo will ichA 4itzo8Vorrede. itzo davon nicht erwehnen / daß derjenige / ſo nachſchreibet / ſich doppelte Muͤh machet / und bey nahe des Nutzes / denn vox viva in der in - formation hat ſich beraubet. Man frage jemand / der ein judicium hat / und welcher zum Exempel / einer Predigt attent zugehoͤret hat / den Jnnhalt derſelben / ob er ihr nicht beſ - ſer wird herzu erzehlen wiſſen / als der / der die - ſelbe von Wort zu Wort nachzuſchreiben ſich angelegen ſeyn laſſen / wenn er nicht zuvor ſein nachgeſchriebenes wieder uͤberlieſet. Denn jener giebt bey ſeiner auffmerckſamen Zuhoͤ - rung auff die Sache ſelbſt achtung / dieſer aber hat in waͤhrenden nachſchreiben mit denen Worten gnung zu thun. So wird man auch hiernaͤchſt dieſen Mißbrauch bey vielen Studie - renden antreffen / daß man alle ohnnoͤtige Wor - te / und unſtreitige Dinge / die weder zu Erfor - ſchung einer verborgenen Warheit / oder zu Erweiſung und Herleitung derſelben dienen / (derer ſich aber ein Lehrender nicht allerdings entbrechen kan) mit nieder ſchreibet / oder die - jenigen die ſchon bey dem Autore, der erklaͤh - ret wird / gedruckt ſeyn und fuͤr der Naſen lie - gen; da man doch nur das vornehmſte auffzei - chen ſolte / das Gedaͤchtnuͤß zu ſubleviren / undwas9Vorrede. was uns vordieſen zweiffelhafft geſchienen / o - der uns unbekand geweſen / damit wir demſel - bigen hernach deſtobeſſer nachzudencken Anlei - tung uͤberkaͤmen. Zum Exempel / wie viel mahl findet man in einem Collegio MSS. fol - gende formulas. Heſternâ lectione diſſe - ruimus de &c. nunc vero pergendum ad &c. Autoris præſens Caput habet ſex paragraphos, in qvorum primo proponit definitionem --- quæ ita ſona &c. Hæc de definitione ſufficiant, pergimus ad di - viſionem &c. Craſtina die ob hoc vel il - lud impedimentum non potero pergere. u. ſ. w. Aber dieſes moͤchte noch endlich hin - gehen / wenn nur nicht bey der gleichen nachge - ſchriebenen Collegiis ein noch viel groͤſſerer Mißbrauch pflegte gemein zu werden / man ſetzt gemeiniglich zu einem ſandigten Grunde / daß / wenn man das verſtehe / was der Lehrer bey Erklaͤhrung dieſer oder jener diſciplin vor - geſagt / man auch gelehrt genung ſeyn / und ſich umb nichts mehr werde bekuͤmmern duͤrffen. Und wenn man dannenhero einmahl den diſ - curs nachgeſchrieben / und / wenn es hoch koͤm̃t / einmahl wieder uͤberleſen / ſo meinet man / man doͤrffe der Sache nun weiter nicht nachdencken /A 5ſon -10Vorrede. ſondern habe allbereit einen vortrefflichen Schatz durch ſein Collegium MSS. erhalten / den man ſo dann gemeiniglich biß auff beduͤrf - fenden Fall hinleget / und nicht weiter anſiehet. Andere aber / die nicht ſelbſt nachſchreiben / ſon - dern entweder andern die Abſchrifft des diſcur - ſes bezahlen / oder von denen / die fleißig heiſſen / denſelben ſelbſt abcopiren / nehmen dadurch zum oͤfftern Gelegenheit / auch wohl wenn die noͤhtigſten doctrinen fuͤrkommen / das colle - gium aus Faulheit / oder allzugroſſer Geſel - ligkeit zu verſaͤumen / indem Sie ſich bereden / es werde ihnen dieſe Verſaͤumnuͤß wenig ſcha - den / weil ſie doch den diſcurs von andern er - halten koͤnten. Und bedencken alſo nicht / daß ſie nicht nur ſich den groͤſten Schaden hiedurch erweiſen / ſondern auch wieder ihrer Eltern gut - gemeinte intention groͤblich ſuͤndigen / die / wenn es damit genung waͤre / daß man colle - gia MSC. in der Lade haͤtte / oder dieſelbige durch leſen ſich in den Kopff zu bringen trach - tete / warhafftig nicht ſo groſſe Sorge und Ko - ſten uͤber ſich nehmen wuͤrden / ſondern wuͤrden vielmehr die Collegia MSC. mit geringen Gelde an ſich handeln / und ihren Kindern zur Meſſe oder heiligen Chriſt verehren. Mit ei -nem11Vorrede. nem Worte / die muͤndliche information eines Lehrmeiſters giebt der Lehre bey unerfahrnen Leuten gleichſam das Leben / und hat die auff - merckſame Zuhoͤrung derſelben fuͤr dem aller - fleißigſten nachſchreiben oder Leſung deſſen / was gelehret wird / einen unzehlichen Vortheil. Und wird mir dannenhero ein jeder Gelehrter leicht zugeben / daß kein beqvemer Mittel ſey / den Zu - hoͤrer bey gehoͤriger attention zu erhalten / und demnach auch ſein Gedaͤchtnuͤß zu erleich - tern / als / wenn der Doctor den Kern und den Grund von ſeiner Lehre kurtz und dergeſtalt / daß nicht leichte ein Wort vergebens geſetzt ſey / ſeinen Zuhoͤrern zuvorher mittheilet; dieſe her - nachmahls ſolches zuvorhero uͤberleſen / bey dem diſcurs auff die Erklaͤhrung deſſelbigen genau auffmercken / und nach der lection bey jedem Worte ſich der Erklaͤhrung erinnern / und was ihnen an auffmerckſamſten und wuͤr - digſten duͤncket / mit wenig Worten auffzeich - nen / oder auch wohl bey waͤhrender lection, ſolche Sachen / mit zwey verlohrnen Worten / oder anderen willkuͤhrlichen Zeichen / zu kuͤnffti - ger repetition bemercken.

4. Derowegen hab auch ich mir vorgenom - men / den Kern meiner Philoſophie auff daskuͤrtze -12Vorrede. kuͤrtzeſte als moͤglich iſt zu entwerffen / und die theſin bey allen diſciplinen, die ich in dem programmate zu lehren verſprochen / ohne Beruͤhrung der irrigen Meinung meinen Auditoribus zum Gebrauch beſagter erſten Stunde zu communiciren. Nun iſt es wohl an dem / daß ſolches nur haͤtte per dicta - ta in calamum, oder durch vorherige Ver - goͤnſtigung abzuſchreiben geſchehen koͤnnen; ich habe aber dennoch aus vielfaͤltigen Urſachen fuͤr rathſamer geachtet / dieſe meine Lehr-Saͤtze druͤcken zu laſſen / damit ich fuͤr meine Audito - res und mich die Zeit ſo auf das dictiren und excipiren gehet / erſpahren moͤchte / und damit meine Wiederwaͤrtigen erkennen koͤnten / wie ich meine Lehre der allgemeinen cenſur zu un - ter werffen keinen Scheu trage / und alſo ferner - weit meine Lehr-Saͤtze als ſchaͤdliche Dinge zu ſchmaͤhen abſtehen moͤchten. So habe ich auch meine vielfaͤltige und bedenckliche Urſa - chen / warumb ich dieſe meine Philoſophie und Lehre in Teutſcher Sprache heraus gehen laſſe / unter welchen eine von denen vornehmſten iſt / daß ich in der That erweiſen moͤge / daß die Sprachen und derer Wiſſenſchafft zwar ein weſendliches Stuͤcke ſey / die jenigen die in an -dern13Vorrede. dern Sprachen geſchrieben zuverſtehen / und in Sachen / die von der autoritt einer gewiſſen Schrifft dependiren / nicht wohl unterlaſſen werden ſolte / dergleichen ich doch hier zu tra - ctiren nicht Vorhabens bin; aber daß in Sa - chen / die durch die / allen nationen auff gemei - ne Arteingepflantzte Vernunfft / erkennet wer - den die Erkaͤntnuͤß auslaͤndiſcher Sprachen gar nicht von noͤthen ſey. Die Weltweißhei[t]iſt ſo leichte / daß dieſelbige von allen Leuten / ſie moͤgen ſeyn / von was fuͤr Stande oder Ge - ſchlecht ſie wollen / begriffen werden kan. So ſchrieben auch nicht die Griechiſchen Philo - ſophi Hebræiſch / noch die Roͤmiſchen Grie - chiſch; ſondern ein jeder gebraucht ſich ſeiner: Mutter-Sprache. Die Frantzoſen wiſſen ſich dieſes Vortheils heut zu Tage ſehr wohl zu bedienen. Warumb ſollen denn wir Teut - ſchen ſtets waͤhrend von andern uns wegen die - ſes Vortheils auslachen laſſen / als ob die Phi - loſophie und Gelahrheit nicht in unſerer Sprache vorgetragen werden koͤnte. Daß dieſe Schreib-Art vor dieſen nicht gebraucht worden / oder von andern verworffen wird / iſt wohl die Urſach / weil man gemeinet / oder noch ſich heredet / als wenn Ariſtoteles, Thomas,Sco -14Vorrede. Scotus, Carteſius, Gaſſendus u. ſ. w. der Probierſtein der Warheit waͤren. Denn wenn dieſes iſt / ſo kan es wohl nicht fehlen / man muß der Sprachen kuͤndig ſeyn / in welchen die - ſe gelehrte Leute geſchrieben haben. Wenn man aber beſorgt iſt / was Ariſtoteles und Carteſius haͤtten lehren ſollen / und nicht was ſie gelehret / oder ihre Meinung geweſen / ſo hat man auch dieſer ihrer Sprache nicht von noͤ - then: wiewohl ich dißfalß die Sprachen Wiſ - ſenſchafft gantz nicht verwerffe / ſondern dieſelbe vielmehr fuͤr eine groſſe Zierrath eines weiſen und gelehrten Mannes paſſiren laſſe.

5. So weiß ich auch wohl / daß von etlichen wenigen / die bißhero einerley Zweck mit mir gehabt / darinnen nicht wenig verſtoſſen wor - den / daß ſie die Kunſt-Woͤrter alle in die deut - ſche Sprache uͤberſetzen wollen / wodurch ſie entweder ein Gelaͤchter oder eine Verdrieß - lichkeit bey dem Leſer erwecket: Wenn aus - laͤndiſche Sachen zu uns uͤberkommen / ſo kom - men auch bey denen meiſten auslaͤndiſche Nahmen mit / und naturaliſiren ſich gleich - ſam in unſerer Sprache. Und wuͤrde man dem jenigen ſehr ſpotten / der dißfals bey ſei - ner Sprache ſo aberglaͤubiſch halten / und alleſolche15Vorrede. ſolche Woͤrter verdeutſchen wolte. Jch rede viel vernehmlicher / wenn ich ſpraͤche / dieſes Frauen-Zimmer traͤgt eine groſſe fon - tange, als wenn ich ſagte: Sie traͤgt einen groſſen gegoſſenen Engel auff dem Kopffe. Ebener maſſen iſt es auch mit denen Kuͤnſten und Wiſſenſchafften bewand / derer Lehren von andern Voͤlckern auff uns gepflantzt worden. Wer in des Ciceronis Schrifften bewandert iſt / wird ſich entſinnen daß in philoſophiſchen Dingen er zum oͤfftern Griechiſche Woͤrter / die er nicht wohl lateiniſch geben koͤnnen / behal - ten / ob er gleich ſonſten der vornehmſte derer lateiniſchen Scribenten iſt. Ein Teutſcher Fechtmeiſter thut deßwegen ſeiner Sprache keinen Schimpff an / wenn er von Primen, Secunden, Tertien und Quarten redet / und derjenige wuͤrde von jederman fuͤr einen Tho - ren gehalten werden / oder wohl gar die Ge - fahr eines proceſſus ausſtehen muͤſſen / der einen Muſicanten einen Spielmann nen - nen / und von ihm an ſtatt einer courante ſimple einen einfaͤltigen oder einfachen Schritt-Lauff begehren ſolte. Es iſt aber nichts deſtoweniger auch nicht zu leugnen / daß unterſchiedene Kunſt-Woͤrter in deutſcheSprache16Vorrede. Sprache uͤberſetzt / und durch oͤfftern Gebrauch Gelehrter Leute in ſchwang gebracht worden / derer man ſich zu ſchaͤmen heut zu Tage nicht fernern Urſache hat. Dannenhero muß man hierinnen ſeinen natuͤrlichen Verſtand brau - chen / daß man die Mittel-Straſſe gehe / und weder allzuſehr affectire, auslaͤndiſche Woͤr - ter in eine Sprache zu miſchen / noch auch alle Kunſt-Woͤrter in die Sprache / darinnen man ſchreibet / uͤberſetzen wolle. Der Gebrauch und die Deutlichkeit muß wohl allemahl deſ - ſen / ſo etwas ſchreibet / ſeine vornehmſte Richt - ſchnur ſeyn. Dannenhero / gleichwie ich mich nicht entbrechen werde zu weilen vom dem Selbſtaͤndigen Weſen / von dem Gegen - ſtand eines Dinges / von dem Stoff deſſelbi - gen und ſo weiter zu reden; Alſo werde ich mich doch vieleicht oͤffters der ſubſtanz, des Objecti der materie u. ſ. w. bedienen; aber niemahls werde ich Unterlage an ſtatt Sub - jecti, oder die Zeuge-Mutter aller Dinge / an ſtatt Natur brauchen.

6. Jch erinnere mich hierbey einer deut - ſchen Logic die anno 1621. zu Coͤthen ge - druckt iſt / und den Titul hat: Kurtzer Be - griff der Verſtand Lehre zu der Lehr-Art. An17Vorrede. Jn dieſer hat der Verfertiger alle terminos technicos deutſch geben wollen / welches oͤffters ſo anmuthig und tunckel heraus koͤm̃t / daß man ſich des Lachens unmoͤglich enthal - ten kan. Jch will nur itzo das vornehmſte in Geſtalt eines kurtzen Brieffs / den ein Sohn an ſeinen Vater geſchrieben / den Leſer zugefal - len vorſtellen. Geliebter Vater: Jch habe nun nach angewendeten ſauren Fleiß die Verſtand - Lehre gelernet / und habe zu deſſen Beweiß ohn - laͤngſt oͤffentlich eine aus die ſer Lehre hergenom - mene Streit-Schrifft als ein Beantworter vertheidiget: Unſers Nachbars Soͤhne ſind Ge - gen-Setzer geweſen; der aͤlteſte hat folgende Fragen auffgeworffen: 1. Ob der Menſch eine un - terſte Art ſey / und ob er nicht vielmehr zu denen Geſchlechten oder doch zum wenigſten zu denen untergeordneten Arten gehoͤre. 2. Was die Urſache ſey daß alleine die Menſchen und etliche Thiere nicht aber alle Dinge eigentliche einzele waͤren. 3. Ob das rernuͤnfftliche in der Be - ſchreibung des Menſchen ein theilender oder artmachender Unterſcheid ſey. 4. Ob Va - ter und Sohn zu dem Orden des Selbſtaͤndi - gen oder des Gegenblicks gehoͤre. 5. Ob der Froſt und Hitze wiederwaͤrtig oder benehm - lich entgegen geſetzte waͤren. Er wolte ſich zwar auch zu denen Nachorden wenden / und aus denenſelben die Weiſen des foͤrdern undBhin -18Vorrede. hintern unterſuchen: Weil aber in deſſen die Stunde verfloſſen war / uͤbergab er ſeinen juͤn - gern Bruder die Lampe / der dem Stoff von denen Ausſpruͤchen mit ſeinen Gegenſaͤtzen be - ruͤhrete. Er machte mir viel zuthun / denn er wolte behaupten / daß die Unterlage manchmahl weitlaͤufftiger ſeyn koͤnte / als das ausgeſagte / daß der bedingte Ausſpruch beſſer waͤre / als der einfache / und der maßhabende deutlicher als der nicht maßhabende / ingleichen / daß ein allgemeiner bejahender Ausſpruch allezeit ſchlecht umbgewendet werden koͤnte; Die weil er aber oͤffters Schluß-Reden von vier Enden machte / das mittlere Ende zuweilen in den Be - ſchluß einmiſchte / auch manchmahl Schluß-Re - den fuͤrbrachte / die in der erſten Geſtalt ſeyn ſol - ten / und doch zu keiner Weiſe gerechnet werden koͤnten / auch oͤfters der kleinere Fuͤrſatz verneinend war; anderer vielfaͤltiger Betrugs-Schluͤſſe / derer er ſich durchgehends bedienete / zugeſchwei - gen / ſo habe ich ihn dergeſtalt mit Auffloͤſungen / Grundſaͤtzen / Eintheilungen / Anfuͤgungen und Begraͤntzungen zuruͤck getrieben / daß nicht allein alle Zuhoͤrer wohl mit mir zufrieden gewe - ſen / ſondern auch mein Herr Vorſitzer mich durch eine oͤffentliche Lobrede meinen andern Mitſchuͤ - lern zu einem Muſter vorgeſtellet. Jch habe hin - wiederumb zu Bezeugung meiner Danckbarkeit / ihn bey ſeinem ohnlaͤngſt erſchienenen Nahmens - Tage nicht alleine mit beykommenden aus lauterſechß -19Vorrede. ſechß-fuͤßigten Dichtlingen beſtehenden Hel - dengedichte angebunden / in welchen ich umb de - ſto beſſeren Anſehens willen mich der Freyheit / an - ſtatt des letztẽ langkurtzkurtzen und langkurtzen Fuſſes zweyer langlangen zu ſechß mahlen bedie - net / ſondern auch mit 4. Lauten 2. Kniegeigen und ſechß Hertzens-Schluͤſſeln ein angenehmes Nachtſpiel zugebracht / bey welchen mein Bru - der einen fuͤnff-ſtuffichten deutſchen finge - richten Geſang abgeſungen / viel tauſend Leute aber / ſo wohl auff offener Straſſen bey brennen - den Kertzen / als rundherumb durch die Hage - leuchter mit groſſer Andacht zugehoͤret. Der Jnhalt dieſes Brieffs iſt nicht zuverwerffen / ſo ſind auch in demſelben viel termini techni - ci verdeutſcht / die nunmehro in dem deutſchen uͤblich ſind. Es ſetze ſich aber einer von de - nen Studierenden druͤber / und ſehe / wie ſauer es ihn wegen des meiſten unvernehmlichen Deutſchen werden wird / denſelben zu uͤberſe - tzen / ob er gleich ſeine Vernunfft-Lehre gar wol innen hat. Aber ich muß wieder in die Ord - nung kommen / und nachdem ich von der erſten Stunde meines Collegii zur gnuͤge geredet / auch ferner von der andern Erwaͤhnung thun.

7. Der Unterſcheid der Erkaͤntnuͤß der Warheit und des Falſchen / iſt unter andern auch folgender / daß / wer die Warheit recht er -B 2kennet /20Vorrede. kennet / nicht nothwendig einen abſonderlichen Unterricht brauche / irrige Meinungen zu wie - derlegen / aber wer gleich eine oder die andere irrige Meinung erkennet / der iſt deßhalben nicht alſobald der Warheit maͤchtig. Denn die Warheit iſt einerley / und alſo die Richt - ſchnur / die uns das Falſche zumeiden lehret / aber eine Warheit kan wohl hundert ihr ent - gegen geſetzte Jrrthuͤmer haben / dieweil ſie alle von der Warheit abfuͤhren / uns dieſelbige nicht weiſen. Wer bey drey oder vier Schei - dewegen die rechte Straſſe weiß / bekuͤmmert ſich nicht / wohin die anderen Wege leiten / aber wer ſchon / weiß daß unter vieren ein Weg nicht an den beſtimmten Ort fuͤhret / der weiß dennoch nicht alsbald / welches unter denen uͤbrigen dreyen der rechte Weg ſey. Wer alſo bey der erſten Stunde / meines Collegii, die / wie er - meldet / auch fuͤr Arme und die von mittlern Vermoͤgen ſind / eingerichtet iſt / auffmerckſam und fleißig ſeyn / und dem / ſo er gehoͤret zu hau - ſe fleißig nachdencken wird / der wird verhof - fentlich ſich damit begnuͤgen laſſen koͤnnen / und weder eines examinis, noch einer Erklaͤhrung der ander ſeitigen Meinung beduͤrffen. Gleich - wohl iſt die Jugend nachlaͤßig / und will es ſichnicht21Vorrede. nicht allemahl ein wenig ſauer werden laſſen / abſonderlich aber diejenigen / denen GOtt fuͤr andern Mittel beſcheret. Jch will dannen - hero auch dieſen nach meinen Vermoͤgen un - ter die Arme greiffen / und in der andern Stun - de mit ihnen (1.) durch ein continuirliches examen repetiren / was ſie in der erſten Stunde gehoͤret haben. (2.) Sie / wenn ſie mir unrecht antworten / glimpflich auff den rechten Weg weiſen / und ihnen den Urſprung ihres Fehlers zeigen. (3.) Jhre Zweiffel und ob - jectiones anhoͤren / und dieſelbige benehmen. (4.) Jhnen zu Bekraͤfftigung der Warheit / ſelbſten dubia machen / und dieſe ihnen zube - antworten fuͤrlegen / (5.) die Autores diſſen - tientes ihnen kuͤrtzlich erzehlen / und den Ur - ſprung gegenſeitiger Meinung mehrentheils mit erwehnen. Aber ſie werden ſich auch nicht mißfallen laſſen / mir dieſe Stunde abſonderlich / und zwar um ein merckliches theurer als die er - ſte Stunde zubezahlen / in anſehen / wegen des continuirlichen examinis ich eine gar gerin - ge Zahl in derſelben werde accommodiren koͤnnen. Wiewohl ich dennoch das honora - rium dergeſtalt temperiren will / daß wenn gleich jemand das gantze Collegium die dreyB 3Jahr22Vorrede. Jahr uͤber abzuwarten Luſt hat / und alle beyde Stunden beſuchen wil / ihm das honorarium dennoch nicht viel hoͤher komme / als mir von meinen privatiſten, die die Jurisprudentz ohne die Philoſophie durchgehoͤret / und mit denen ich ordentlich nur zwey Jahr / und des tages eine Stunde zugebracht / nun etliche Jahr hero mit guten Willen gegeben worden. De - nen aber dieſe Stunde zu theuer fallen moͤchte / die doͤrffen nur bey der erſten deſto fleißiger ſeyn / und ein wenig mehr Muͤhe an ſtatt des Gel - des drauff anwenden. Jch wolte zwar wuͤn - ſchen / daß mein eigen Vermoͤgen ſo beſchaffen waͤre / daß ich meine wenige Wiſſenſchafft allen Studierenden umbſonſt beybringen koͤnte / ich wolte gewiß denen alten Philoſophen an Be - gierde / ſie ohne entgelt zu unterweiſen / nichts nachgeben. Aber ſo hat es GOtt gefallen / daß ich mich durch das / ſo ich gelernet habe / ſuſtentiren ſoll. Die alten Philoſophi hat - ten gut machen; Sie hatten zum theil ſelbſten ein gutes Vermoͤgen; zum theil erhielten ſie von der Freygebigkeit groſſer Herren auff ein - mahl mehr / als wir in vielen Jahren mit Col - legiis, fuͤr uns bringen koͤnnen. Und wer da ein anſehnliches Landgut / dort etliche tauſendThaler23Vorrede. Thaler Gnadengelder / wie ſie / verehrt bekoͤm̃t / kan wohl mit froͤlichen Muthe collegia gra - tuita halten. Aber dieſe Mode iſt ſchon vor - laͤngſt abkommen / und heut zu Tage duͤrffen wir uns fuͤr dergleichen Verſuchungen nicht leichte fuͤrchten. Uber dieſes ſo ſtaͤnde es auch noch dahin / ob es rathſam waͤre der ſtudirenden Jugend / heut zu Tage viel collegia gratis zu - halten. Es iſt ein alt Spruͤchwort: Quotidia - na & Vulgaria vileſcunt. Die menſchliche Hochachtung ſiehet ſelten die Nutzbarkeit eines Dinges in Formirung des Werths davon an / ſondern ſie urtheilet von der Hochachtung aus der Raritaͤt der Dinge / und aus anderer ihrer / nicht allemahl wohlgegruͤndeten Einbildung. Das edle Getraͤide / ohne welches wir ein elen - des Leben fuͤhren wuͤrden / wird bey wohlfeiler Zeit wohl mit Fuͤſſen getreten / und eine ſchnoͤde Perle / die an den Ort ihres Urſprungs um Kinder-Puppen iſt gegeben worden / wird als was ſonderliches geachtet. Einer buntfarbi - gen Tulipanen-Zwiebel wird / wenn ſie unge - mein iſt / wohl umb 800. Guͤlden bezahlet / weñ aber alle Gaͤrten damit prangen / kan man fuͤr einen Groſchen ihrer viel damit erhandeln. Die unverſtaͤndige Jugend denckt / wenn einB 4Leh -24Vorrede. Lehrer ſich ſeiner Arbeit nicht bezahlen laͤßt / es wende auch derſelbe nicht groſſen Fleiß an / und aus dieſer irrigen Meinung ſtehen die audito - ria publica zum oͤffter leer / da man doch in Gegentheil zu mehrenmahlen fleißiger præ - meditiret / wenn man vermuthen muß / daß Leute von allerhand judicio, Zuhoͤrer werden abgeben / als wenn man verſichert iſt / daß die / die uns unſere Arbeit bezahlen / wie offte ge - ſchiehet / gute Leute ſeyn / die fuͤnffe fuͤr eine ge - rade Zahl annehmen.

8. Nichts deſtoweniger aber / damit auch in dieſem Stuͤck ich nicht von einen extremo in das andere fallen moͤge / ſo wil ich quoad do - ctrinam antitheſeos dieſes temperament brauchen / und woͤchentlich zweymal (wie ich auch ſolches allbereit angefangẽ) die hochnoͤthige doctrin de Præjudiciis oder von denen Vor - urtheilen / die uns an der Erforſchung der Warheit hindern / ohne einigen Entgelt fuͤr jedermann leſen. Carteſius iſt deshalben billich zu loben / daß er in dieſen letzten Zeiten der erſte geweſen / der auf die Beobachtung ſol - cher Vorurtheil gedrungen / und waͤre zu wuͤn - ſchen / daß er die Art und Natur derſelbigen et - was genauer unterſucht haͤtte / maſſen er dieCapa -25Vorrede. Capacitaͤt hierzu allerdings gehabt / und wenn dieſes geſchehen waͤre / ſo wuͤrde er aus groſſer Begierde ein oder das andere Vorurtheil zu meiden / mit in ein anders unvermerckt gefal - len ſeyn. Es iſt nicht genung / daß ich etliche Præjudicia nur Exempelsweiſe erkenne / ſon - dern ich muß zu foͤrderſt mir einen genauen und deutlichen Concept von denen Vorur - theilen uͤberhaupt machen / weil eines ſo wohl als das andere mich von der Warheit ableitet. Alſo iſt mein Vorhaben / nach dem ich bißher in Beſchreibung der Vorurtheile mich einige Zeit aufzuhalten habe / und bey dieſer gar deut - lich gewieſen / warum Cartheſius, da er bey dieſen Concept ſo zu ſagen nur eine Haarbreit gefehlet / dennoch ſeiner Philoſophie dadurch / (ich wil nicht ſagen in der Phyſic) als welcher eben nicht viel dadurch zum Præjudiz geſche - hen) ſondern in ponendo primo veritatis criterno, und in der Grundlage zu der Mo - rale hauptſaͤchlich ſich geſchadet: Daß ich kuͤnf - tig die Hauptquelle aller Vorurtheile ſu - chen / und aus derſelben hernach die unterſchie - dene herflieſſende Baͤchlein / die uns in Erfor - ſchung der Warheit in allen Diſciplinen und Wiſſenſchafften hindern / leiten wolle. WannB 5dieſes26Vorrede. dieſes geſchehen / wil ich meinen Zuhoͤrern die Remedia die Zuhemmung dieſer ſchaͤdlichen Dinge dienlich ſind / vorſtellen / auch zugleich die Bewegungs-Urſachen / ſolche je eher je beſſer zuergreiffen / ihnen vorlegen / und die Klei - nigkeit derer hierbey vorfallenden Veꝛdrießlig - keiten erweiſen / welche viel Leute / die die Vor - urtheile wohl erkennen / dennoch von Daͤmpf - fung derſelben abhalten / wie etwan die Herrlig - keit einer Artzney einen Krancken von deren Ge - brauch abzuhalten pfleget. Wann dieſes ge - ſchehen / wil ich die Diſciplinen nacheinander durchgehen / und bey jeder gemeine Vorur - theile anmercken / die entweder von denen al - ten oder neuen Philoſophis in denenſelben fuͤr unſtreitbare Warheiten ſind ausgegeben / und ſie dadurch veranlaſſet worden / immer weiter und weiter von der Warheit ſich zu entfernen. So dann wil ich mich zu denen præjudiciis, die in dem menſchlichen Leben gemein ſind / und taͤglich in demſelben vorkommen / wenden / und dieſelben nach Unterſcheid aller Staͤnde / die unter denen Menſchen gebraͤuchlich ſind / be -[t]rachten / u ſ. w. Der Endzweck dieſer Stun - den beſtehet darinnen / daß durch dieſe Erwe - gung die Begierde bey der ſtudierenden Jugendver -27Vorrede. vergroͤſſert werde / ſich von dem elenden Joch der Ungewißheit oder verlarvten Gelahrheit loß zureiſſen / und daß hernach dieſelbigen durch Erkaͤntnuͤs derer primorum falſorum bey jeder Diſciplin geſchickt werden / die antithe - ſes Diſſentientium auf gantz leichte Weiſe zu wiederlegen / maſſen denn wenn das πρῶτον ψεύδος einer irrigen Lehre niedergeriſſen iſt / die daraus flieſſenden Concluſiones von ſich ſelbſt nachfallen. Wiewohl ich nicht leugnen kan / daß es mit dieſen Stunden etwas langſam um - gehen werde / weil / ob ſchon meines wiſſens niemand ex profeſſo von dieſer Materie ge - ſchrieben / dennoch dieſelbige ſo fertil iſt / daß ich nicht alleine die gantzen drey Jahre uͤber / ſo lan - ge ſich der Lauff meines gantzes Collegii erſtre - cket / ſondern noch eine viel laͤngere Zeit genung Vorrath zu diſcuriren vor mir finden werde. Weßhalben ich auch das noͤthigſte von dieſer Doctrin in gegenwertigen Begriff der Ver - nunfft-Lehre in einen abſonderlichen Capitel entwerffen werde / von welchen Begriff ich noch etwas weniges zu ſagen habe.

9. Es ſind ja Logicken genung in oͤffentli - chen Schrifften / und wenn ich mir nichts an - ders vorgeſetzet haͤtte / als die ſelbe ab zucopiren /wuͤrde28Vorrede. wuͤrde ich es ſelbſt fuͤr eine unnoͤthige Muͤhe er - kennen. Jch habe aber allbereit fuͤr dem Jah - re in meiner Introductione ad Philoſophi - am aulicam, oder de Prudentia cogitandi & ratiocinandi die Fehler / ſo ich bey denen ge - meinen Logicken angemerckt / und die Zweiffel / die mir bey der Carteſianer Jhrer vorgefal - len / treulich und ausfuͤhrlich entdeckt / auch hin und wieder den Weg gezeiget / die Warheit oh - ne Gefahr zuerforſchen. Jch habe daſelbſt in der Vorrede jederman gebethen / daß wenn ich uͤberverhoffen ſelbſt von der Warheit abgewi - chen waͤre / man mir einen Gefallen thun wuͤr - de / wenn man mir ſolches zeigete. Nun kan ich nicht leugnen / daß ſich unter denen Herren Carteſianis bald jemand gefunden / der ſich erklaͤret / dieſes zu præſtiren. Denn mein Buch ware kaum durch den Druck verfertigt / und ich diſputirete eben privatim uͤber ſelbiges / umdeſto eher hinter die Warheit zu kommen / ſo wurden unterſchiedene Zettel ausgeſtreuet / auf welchen folgender Titul zu befinden war: Jo - hannis Claubergii Specimen Logicæ Carteſianæ, ſeu modus Philoſophandi; Ubi certa Carteſianorum veritatem inve - niendi via oſtenditur, & in quibusdamnovæ29Vorrede. novæ introductionis in Philoſophiam Aulicam veritas examinatur. Studio Pau - li Michaelis Rhegenii: Jch muß bekennen / daß mir dieſer Titul etwas wunderlich voꝛkam / denn ich konte mir nicht einbilden / wie Johan - nes Claubergius, der nicht mehr in Leben waͤre / meine Introduction haͤtte examini - ren koͤnnen / und ich wuſte nicht / was ich fuͤr ein Opus aus dieſen Specimine Logicæ Car - teſianæ machen ſolte / nachdem ich des Clau - bergii ſeine ausfuͤhrliche Logicam Carte - ſianam ſchon laͤngſt geleſen hatte / und es fuͤr was ungewoͤhnliches hielte / daß man ein Spe - cimen von einem Buche erſt / nachdem ſelbiges ſchon lange in Druck geweſen / heraus geben ſolte. So konte ich es auch nicht fuͤr einen Extract aus des Claubergii Logic halten / theils weil unter einem Specimine und einen Extract ein mercklicher Unterſcheid iſt / theils auch / weil der Titul auf dieſe Art vielmehr Spe - cimen Logicæ Claubergianæ haͤtte heiſſen muͤſſen. Jch muthmaſſete endlich wohl / daß die præcepta dieſer Logic aus dem Clauber - gio wuͤrden hergenommen ſeyn / und daß der Unterzeichnete anderer Autor dabey wuͤrde Gelegenheit genommen haben / wider mich zudiſpu -30Vorrede. diſputiren; Aber ich war doch begierig die Urſache zu erforſchen / warum er mir durch di - vulgirung dieſes Titels gleichſam ein ſchrifft - lich Cartel inſinuiren ließ / da er doch Gele - genheit hatte / mit mir muͤndlich uͤber meine Meynung zu conferiren / indem in meinen damahligen Diſputationen ich jedermann / der wider meine Lehre was zu ſagen hatte / ad - mittirte / und wie es jederman bewuſt / allezeit beſcheiden tractirte; auch je ſchaͤrffer die Op - ponenten waren / je lieber mir derſelben An - ſpruch zu ſeyn pflegte. Jch konte keine ande - re raiſon conjecturiren / als daß der Autor / weil er nach der Phraſi des damahligen Titels mich wegen meines Buchs examiniren wolte / gemuthmaſſet / er doͤrffte in der Qualitaͤt eines Examinatoris von miꝛ nicht ſo bald ange - nommen werden / bevor er ſich hierzu gnung - ſam habilitiret haͤtte. Jedoch / dem mochte ſeyn wie ihm wolte / weil ich eben jedweder die Freyheit gar gerne lieſſe einen Weg wider mich zu diſputiren zu wehlen / welcher ihn beliebte / ſo war ich auch zu dieſem Examine bereit / und haͤtte es lieber alſobald mit dem Titel des Buchs gehabt. Aber es ſey nun / daß mein Examinator mir dieſe Fertigkeit nicht zuge -trauet /31Vorrede. trauet / oder daß er mir ſonſten ex liberalitate eine voͤllige Saͤchſiſche Friſt mit einigen Dila - tionibus einraͤumen wollen / ſo kame dieſes Specimen erſt nach vier oder fuͤnff Monden nach Diſtribuirung des Titels an das Tage - Licht. Es wurden auch die einzelen Bogen / die bey dem Drucker nach Anleitung des Symboli Kayſers Auguſti verfertiget worden / ſo heimlich gehalten / daß ich / wie gerne ich bey Zeiten meines Jrrthums mich wolte entnehmen laſſen / eine gute Zeit davon nichts zu ſehen bekommen konte / maſſen es ſcharff ver - boten war / kein Exemplar wegzugeben. Und koͤnte es ſeyn / daß ſich vielleicht der Autor be - fahret haͤtte / ich moͤchte / wenn ich ſein examen ſo geſchwind zu ſehen kriegte / mit meiner Ant - wort etwa eher fertig ſeyn / als er mit ſeinen Fragſtuͤcken. Doch ſchaffte mir endlich ein guter Freund noch ziemlich zeitig die erſten vier Bogen / welche ich ſehr begierig und mit gutem Bedacht geleſen / auch mir zu deſtobeſſerer Nachricht excerpta daraus gemacht: Aus welchen ich aber ſo viel geſehen / daß ich keiner weitern Curioſitaͤt die folgenden Bogen zu le - ſen wuͤrde vonnoͤthen haben / weil ich ſchon aus dieſen Specimine Speciminis, klar und deut -lich32Vorrede. lich erkennete / daß dieſes das Buch nicht ſey noch werden wuͤrde / daß zu dem divulgirten Titel gehoͤrete / und daß / weil in demſelben mei - ne Introduction weder examiniret / noch mit einigen Grunde angefochten wuͤrde / ich auch nicht wuͤrde vonnoͤthen haben / mich wider den Autorem zu defendiren.

10. Denn 1. hatte ich zwar in meiner In - troduction wie auch allezeit anderswo hono - rificè von dem Carteſio ſentiret / und halte ihn noch fuͤr einen ſehr gelehrten Mann / dem wir es nicht genung verdancken koͤnnen / daß er an - gefangen die Welt aus dem dienſtbahren Joch der Scholaſtiſchen Philoſophie loß zureiſſen / aber ich hatte ihn deßwegen etlicher præjudi - ciorum bezuͤchtiget / daß er in Erforſchung der Warheit 2. â particulari ad univerſale ge - ſchloſſen: Senſus me aliquoties fefelle - runt, ergo me ſemper fallere poſſunt, oder / wenn er es gleich anders geben wolte er - go in ſenſibus non poſſum invenire cer - titudinem; zumahlen dieſer modus argu - mentandi auch ſein eigen Principium um - ſtoͤſſt / maſſen nicht nur nach ihm die Senſio ei - ne Art von denen Gedancken iſt / ſondern auch wuͤrcklich / wenn ich zum Exempel dencke / einvier -33Vorrede. viereckter Thurm ſey rund / entweder nicht der enſerliche Sinn / ſondern die Gedancke von dem Thurm / oder doch zum wenigſten die Gedan - cke ſo wohl als der euſerliche Sinn mich hin - tergehet / und ich alſo ebenfals ſchlieſſen koͤnte: Si cogitatio aliquoties me fefellit, ergo in cogitatione non poſſum in venire certitu - dinem. 3. Daß gleichwie aus dieſem præ - judicio ein anderes entſtehet / daß nemlich der Concept von denen Gedancken (weil ich der - ſelben vergewiſſert waͤre / da ich von allen ſinnli - chen Coͤrpern abſtrahirte) keinen Concept von einigen Coͤrper inferirte, und folgbar in demſelben der Menſch erkennen muͤſſe / daß die Seele ein Geiſt ſey / ja daß das Weſen eines Geiſtes in denen Gedancken beſtehe / da ich doch theils aus Carteſii Beſchreibung ſelbſt von der Gedancke / theils aus einer andern viel aus - fuͤhrlichern / die ich in meinen Buch de pru - dentia ratiocinandi nach dem innerlichen Beyfall eines jeden Menſchen geſetzt / gar klar und deutlich dargethan / daß kein Menſch nach ſeiner Vernunfft ſich einigen Gedancken ein - bilden kan / weñ er nicht vielfaͤltige conceptus von Coͤrpern mit einmiſcht. So habe ich auch 4. darinne von Carteſio diſſentiret /Cwenn34Vorrede. wenn ich behauptet / daß der Menſch kein einig ſelbſtaͤndiges Weſen klar und deutlich erkenne - te / ſondern daß alle ſeine Wiſſenſchafft von der Erkaͤntnuͤß derer Zufaͤlle oder accidentium herruͤhrete / aus welchen er hernach allezeit ei - ne dunckele oder confuſe impreſſion ſich von der Subſtantz ſelbſt mache. Wenn nun der Autor Speciminis mir mit ſeinem Examine rechtſchaffen haͤtte auf die Haube greiffen wollẽ / haͤtte er in dieſen vier Puncten mich recht atta - quiren / und mir dieſelben darnieder legen ſol - len; So habe ich auch in der Vorrede meiner Introduction proteſtiret und gebeten / daß ſich niemand mit mir einlaſſen moͤchte / der nicht in der Hiſtoria Philoſophica wohlerfahren waͤre / und die hypotheſes ſo wol derer alten als neuen Philoſophen wohl inne haͤtte / wie - drigenfals wuͤrde er ſich es nicht ver - drieſſen laſſen / wenn ich ſeine objectiones mit ſtillſchweigen uͤbergienge. Weil ich nun die - ſes alles weder in denen vier erſten Bogen / noch in dem uͤbrigen Werck / als ſelbiges heraus kommen / gewahr werden koͤnnen / wird mir der Autor Speciminis nicht verdencken / daß ich bißher ihm nicht geantwortet / noch kuͤnfftig ant - worten werde / weil doch alle unſer Streit innichts35Vorrede. nichts / als bloſſen Wiederſprechungen beſtehen wuͤrde. Damit auch weder er noch der Leſer dafuͤr halten duͤrffe / als ob dieſe meine Entſchul - digung nur ein prætext waͤre / damit ich ent - weder einen Hochmuth oder ungeziemende Verachtung / oder ein Unvermoͤgen zu ant - worten bedecken wolte / ſo hoffe ich / es ſollen fol - gende kurtze Anmerckungen / die ich bald an - fangs bey Durchleſung der erſten vier Bogen aufgezeichnet / die Urſachen / die ich jetzo angefuͤh - ret / gnungſam beſcheinigen.

11. Jn erſten Capitel p. 6. ſagt er / er wolle beſcheiden unterſuchen / was Jhn in meinen Buche mißfiele / in welchen er auch mir in vielen beypflichtete. Daß er ſich die Be - ſcheidenheit fuͤrgeſetzt / iſt ſehr gut / und wil ich auch glauben / daß er zu dem Ende ſeinen zu an - fangs divulgirten Titel hernachmahls bey pu - blicirung ſeines ſpeciminis etwas geaͤndert / und anſtatt des odioſen Worts: examina - tur, ſetzen laſſen paucis expenditur. Jch kan auch wohl leiden / daß er unterſucht / was Jhm in meinen Buche Mißfalle / wenn es aber nur bey dem bloſſen anzeigen des mißfallens beru - hen wird / ſo wird er ſelbſt erkennen / daß das an - zeigen meines Mißfallens keine UnterſuchungC 2der36Vorrede. der Warheit / die ſein Titel verſpricht / inferire. p. 7. gedencket er unter andern / daß er glaube / es waͤren mir die Grundſaͤtze der Carteſia - niſchen Philoſophie zur gnuͤge bekant / welches ich mit Danck acceptirre, alſo dem jenigen keinen Glauben beymeſſen will / was ei - nige von ſeinem damahligen Patronen von ihm ausgeſprengt / als wenn er dieſes veraͤchtliche Urtheil von mir gefaͤllet / daß ich die Carteſia - niſche Philoſophie gar nicht verſtaͤnde. Jch verſichere ihn auch in Gegentheil / daß ich von Jhm glaube / daß er ein guter Carteſianer ſey / deꝛ nicht bloß etliche Meynungen aus dem Car - teſio erſchnapt / ſondern der die Carteſianiſche Philoſophie ſo zu ſagen in ſuccum & ſan - guinem convertiret hat / und von dem ich ſol - cher geſtalt einen geziemenden æſtim, wie von allen Carteſianis mache / auch gar wohl haͤt - te leiden koͤnnen / wenn er zu defenſion ſeiner Secte meine Philoſophie rechtſchaffen ange - griffen haͤtte. p. 8. conteſtiret er / daß er mir durch ſeine contradiction nicht zu inſultir en vorhabens ſey. Es iſt mir auch dieſes lieb / wenn nur die proteſtation mit der That uͤber - einkoͤm̃t. Aber ich acceptire hierbey / daß er bald anfangs mir nur zu contradici ren ſich fuͤr -genom -37Vorrede. genommen / welches abermals weder fuͤr ein Examen, noch pro expenſione veritatis paſſiren kan. Wenn er ſeinen Titel recht conform ſeinen Buche haͤtte machen wollen / haͤtte er ſetzen ſollen & novæ introductio - ni &c. contradicitur, oder & quid in nova introductione diſpliceat, indicatur. Aber ſo haͤtte vielleicht der Titel dem Leſer nicht das Maul ſo waͤſſerig gemacht. Daß er ferner p. 9. erwehnet / es werde mir nicht mißfal - len / daß er ſich die Freyheit genom̃en von mir zu diſſentiren, da iſt er nicht irrig / weil dieſes einen jeden freyſtehet / daß er aber zugleich wider diejenigen proteſtiret / die mit Schmaͤhungen oder calumnien wider ihn ſtreiten wolten / daran hat er mir unrecht ge - than / wenn er ſich deſſen bey mir befahret / maſ - ſen ich Jhm dann gegenwaͤrtig ohne Schmaͤ - hung anzeige / warum ich mit Jhm nicht ſtrei - ten wolle.

12. Bey dem 2. Capitel theilet er p. 15. ſeq. n. 19. ſeqq. die Logicam carteſianam in 4. Theile ein / nemlich in Partem Geneti - cam, & Analyticam, und ein jedes von die - ſen beyden wiederum in zwey Stuͤcke / recht wie Claubergius in ſeiner Logic thut / welcherC 3auch38Vorrede. auch nach dieſer Eintheilung hernach ſeine Lo - gic vollfuͤhret. Aber unſer Autor haͤlt dafuͤr / Claubergius (wiewohl er ſeines Nahmens nicht erwehnet) habe darinnen mentem Carte - ſii nicht recht aſſequi ret / weil pars Analyti - ca von des Carteſii inſtituto gantz entfernet geweſen waͤre / als der ſich nicht vorgenommen haͤtte / von andern etwas zu lernen (p. 16. n. 29.) auch der andere Theil partis Geneticæ hieher nicht gehoͤre / weil Carteſius nicht vorgenom - men haͤtte / andere zu informiren (ib. n. 30. 31. ) wannenhero er auch nur den erſten Theil par - tis Geneticæ tractiren wolte / jedoch / weil die - ſer der Grund der uͤbrigen drey Stuͤcke waͤre / ſo wolle er doch weiſen / wie man denſelben bey denen uͤbrigen Dingen mit gebrauchen ſolle. Nun wil ich hier Claubergium nicht defen - diren / oder unterſuchen / ob der Autor ſeinen verſprechen nachgekommen ſey / und in folgen - den den uſum primæ partis in denen uͤbrigen gewieſen habe / ſondern ich mercke nur daraus / daß / wei er hier in dem Hauptwerck von Clau - bergio abweicht / und zwar / ohne daß er ſolches dem Leſer mit deutlichen Worten ſage / er nicht fein ingenuè gehandelt habe / und alſo das Werck gantz nicht dem Titel ſeines Buchsgemaͤß39Vorrede. gemaͤß ſey / maſſen denn auch ein jeder / der die - ſe ſeine Logic mit des Claubergii und an - derer Carteſianer Schrifften conferiret - gar leichtlich finden wird / daß / gleichwie von Claubergii Logic kaum der ſechßte Theil in dieſen ſpecimine anzutreffen / alſo ein gut Theil uͤber die Helffte dieſes ſpeciminis man vergebens in Claubergio ſuchen werde / ſon - dern befinden / daß es dem de la Forge, Raéo, der Logic der Herren des Port Royal, oder (wie Baillet den Autor davon angiebt) den le Bon abgeborget ſey. Jch will zwar den Autorem Speciminis dieſerwegen nicht als einen plagiarium angeben / oder ihn eines do - li mali beſchuldigen / ſondern ich will das aller - dinges als fraudem piam paßiren laſſen / daß man bey dem Verleger des Speciminis ge - ſagt / es ſey deßwegen auff dem Titel der Nah - me des Claubergii geſetzt worden / weil dieſer ein beruffener Carteſianer waͤre / und man ſich befahret / das Specimen moͤchte nicht ſo wohl abgehen / wenn der Autor Speciminis als noch unbekant ſeinen Nahmen alleine hin - ſetzte; Jedoch wird der Autor mir dieſes zu gute halten / daß ich auch umb dieſer Urſache willen bedencken trage / mich mit ihm einzu -C 4laſſen /40Vorrede. laſſen / denn ich mag gerne mit Leuten zu thun haben / die fein gerade heraus mir die Warheit ſagen / wiewohl ich ihm doch dißfalls hiebey dancke / daß er ſeinen Nahmen gegen mich mel - den wollen / und nicht ſo ex inſidiis, wie ande - re / wieder mich geſchrieben. Jn denen Con - ſectariis bey dieſen cap. 2. laͤßt es ſich der Au - tor ſehr angelegen ſeyn / darzuthun / daß ich ei - ne groſſe Unfoͤrmligkeit begangen haͤtte / daß ich in meiner Introd. cap. 4. die Logic ad prudentiam referiret, weßhalben er alle argu - menta die man wieder dieſe Weynung fuͤr - bringen koͤnte / und zwar meiſtentheils ex prin - cipiis Philoſophiæ Ariſtotelicæ zuſam̃en ſucht / auch hernach zu Ende des Capitels p. 23. mir den Rath giebt / daß ich lieber meine Logic per artem aut ſcientiam haͤtte beſchrei - ben ſollen / und wenn ich das gethan haͤtte / ſo waͤre meine definition ſonſt vortrefflich. Er nennet ſie egregiam definitionem, und ſagt in fine: Cætera benè ſe habent, nun be - dancke ich mich zwar fuͤr dieſe guͤtige cenſur; aber ich gebe dem Autori ſelbſten zu erwegen / ob er es Urſache gehabt / an dieſen Ort ſich nicht / ſo wohl die Perſon eines examinatoris, als die qualitaͤt eines præceptoris oder præſi -dis41Vorrede. dis, der ein argument oder eine diſputation corrigiret / ſo ungebeten heraus zu nehmen. Denn (1.) ſehe ich aus allen Umbſtaͤnden / daß der Autor die objectiones die er mir macht / oder die hypotheſes ſectæ, ex qua ob - jectiones petitæ ſunt, ſelbſten nicht verſtehet / ſondern vielleicht dieſelbigen ſich von einem guten Freund hat beytragen laſſen / und her - nach mit ſeinen additionibus wiewohl mit wenig judicio vermehret und verbeſſert. Die - ſes ſpuͤhre ich daraus / wenn er pag. 20. §. 44. den terminum Philoſophiæ rationales & Theo - reticæ ſynonymicè braucht / da doch bekant daß die diviſio der Stoicker / Philoſophiæ in rationalem, naturalem & moralem, und die Ariſtoteliſche in Theoreticam & Practicam gantz und gar von einander ent - ſchieden ſey / und rationalis Philoſophia gar nicht fuͤr Synonymum Theoreticæ paßi - ren koͤnne / auch ſolches der Autor Specimi - nis zur Noht aus dem 2. Cap. meiner Intro - duction §. 8. ſeqq. haͤtte erlernen koͤnnen. So zeigt dieſes auch eine groſſe ignorantiam Philoſophiæ communis an (aus welcher er mich attaquiret) wenn er §. 51. p. 21. die ter - minos artis & ſcièntiæ ſynonymicè braucht /C 5ſon -42Vorrede. ſonderlich de Philoſophia morali, auff wel - che ſich doch ſchwerlich einer von beyden ſchickt / und ſcheinet alſo daraus / daß er die diviſionem communem habituum intellectualium gar nicht innen habe muͤſſe. Aber er haͤtte (2.) aller dieſer objectionum wieder mich entbehren koͤnnen / wenn er nur betrachten wol - len / was ich in meiner introd. §. 71. ſeq. cap. 2. geſchrieben / und wenn er nur einen von meinen auditoribus haͤtte gefragt / was ich daſelbſt durch das alibi verſtaͤnde / ſo wuͤrde man ihn auff das 1. Buch meiner inſtit. Juris divini c. 1. verwieſen / und er ſo dann aus dieſen bey - den locis erſehen haben / daß mir ſeine obje - ctiones, die er wieder mich macht / nicht unbe - wuſt geweſen / ſondern ſchon daſelbſt zur gnuͤge beantwortet worden. Aber ſo ſcheinets wohl / daß es wahr ſey / was man mich von ihm be - richtet / daß / als nach publicirung ſeines Ti - tels ihn ein guter Freund gewarnet / er ſolle mein Buch etwas attent leſen / er demſelbigen zur Antwort gegeben; Er wolle es nicht ſo gut achten / daß er es thaͤte.

13. Bey dieſer Bewandnuͤß aber kan der Autor Speciminis leicht gedencken / was ich muͤſte gedacht haben / als ich ſein III. Capitel deSectis34[43]Vorrede. Sectis veterum Philoſophorum geleſen. Fuͤr das erſte ſahe ich nicht / zu was Ende er die - ſes Capitel in ſeine Logicam Carteſianam geſetzt. Claubergius noch einiger Carteſia - ner haͤtte ſonſt dergleichen gethan. So ſchickte ſich auch dieſes fuͤr ihn nicht / als der ſo offte proteſtiret, daß er ein purer Carteſianer ſey / und mit der Philoſophia Eclectica nichts zuthun habe. Mir aber war dieſes Capitel in meiner Introduction noͤthig / weil ich Philoſophiam Eclecticam inculcire. Dannenhero meinete ich / es waͤre dieſer Ur - ſachen halben geſchehen / weil ich / wie obgedacht / in meiner Vorrede gebeten / daß niemand wie - der mich ſchreiben ſolle / der in Hiſtoria Phi - loſophica nicht verſiret waͤre / oder daß er eine Fehler zeigen wolte / die ich in meinen ca - pite begangen / zumahl da er bald anfangs die erſten paragraphos, ſonderlich quintum, wieder den Anfang meines capitis 1. §. 4. ſchie - ne geſetzt zu haben. Nichts deſtoweniger lieſſe mir die klare und deutliche Erkaͤntnuͤß / die ich mir von ſeiner capacitè aus ſeinem objectio - nibus de prudentia gemacht hatte / nicht zu / daß ich mir einbilden koͤnte / daß dieſes Capitel auff ſeinem Beete gewachſen / oder nur vonihm44Vorrede. ihm ex Hiſtoria antiqua colligiret waͤre. Weil ich dann befunde / daß er in fine capitis, wie wohl nur mit 2. Worten Clarisſimum Raéum allegirte, lieſſe ich dieſes ſeine opera bey einem guten Freunde hohlen / und fande nach wenigen durchblaͤttern zu letzt p. 721. ſeq. eine diſſertation des Raéi de ſapientia Ve - terum, welche / nachdem ich ſie mit dem Au - tore Speciminis conferiret hatte / ſahe ich / daß dieſes ſein caput 3. von dem §. 2. p. 24. an biß auff den §. 109. p. 48. aus dem Raéo von Wort zu Wort abcopiret ſey / auſſer daß der Autor Speciminis eines und das andere was ihm zu ſeinen Zweck nicht gedienet / und doch beym Raéo zu finden / uͤbergangen / und manchmahl ordinem verborum etwas ge - aͤndert: als zum Exempel: Weñ Raèus ſpricht quibus veritatem cœperunt ac veram ſcientiam quærere & comprehendere ex parte, ſo ſagt der Autor Speciminis, qui - bus veritatem ac veram ſcientiam cœpe - runt quærere & ex parte comprehende - re, u. ſ. w. Bey dieſer Bewandnuͤß aber ha - be ich ſchlieſſen muͤſſen daß der Autor Speci - minis wohl ſonſten in der Hiſtoria Philoſo - phica wenig erfahren ſeyn muͤſſe / weil er / daRaéus45Vorrede. Raeus eines und das andere geſetzt / daß un - wahrſcheinlich iſt / ſo gar ohne einige Anmer - ckung oder Aenderung ſeinem ſpecimini ein - verleibet / bloß weil er geſehen / daß die Ausar - beitung des Raéi ſich zu ſeinen Zweck / den er gehabt wieder mich zu ſchreiben / vortrefflich geſchickt. Als / wenn bald anfangs Raéus geſetzet / daß man den Urſprung der Philoſo - phie nicht von Anfang der Welt / ſondern von denen Periodis, die der Autor Speciminis §. 13. ſeq. p. 25. anfuͤhret / anrechnen ſolte / ſo iſt dieſes dem Autori Speciminis gefunden geweſen / weil ich in Cap. 1. §. 4. ſeqq. und in Cap. 2. §. 1. ſeqq. die Philoſophie und die Sectas von Anfang der Welt hergeleitet / wie - wohl man aus dem wenigen / was ich daſelbſt angefuͤhret / dasjenige was Raéus weitlaͤufftig von dieſer Frage diſputiret, d. diſſert. pag. 723. uſque ad p. 732. wiederlegen und beant - worten kan / abſonderlich aber iſt dasjenige / was der Autor Speciminis daraus excerpiret, quod non omnes homines natura ſcire deſiderent, quod non omnis veritas ſit Philoſophiæ propria, quod veritas arti - um à veritate Philoſophica diſcerni de - beat, u. ſ. w. entweder gantz falſch / oder uͤberſchlieſ -46Vorrede. ſchlieſſend / oder laͤufft auff einen bloſſen Wort - Streit aus. So iſt auch dasjenige / was der Autor Speciminis aus Raéo n. 57. p. 36. von Socrate referiret, als wenn dieſem die Urſach des Ubels und deren Spaltungen / die unter ſeinen Zuhoͤrern nach ſeinem Todte ent - ſtanden / zuzuſchreiben ſey / ſehr harte / und iſt ei - ne Anzeigung / daß Raéus (denn von dem Au - tore Speciminis will ich nicht ſagen) die herr - lichen teſtimonia der Alten / ſo wohl Heyden als Chriſten von Socrate, abſonderlich aber des Xenophontis Buch de memorabili - bus Socratis nicht muͤſſe geleſen haben / ge - ſchweige denn / daß er ſich umb des Socratis Le - bens-Lauff und Lehre (welche heut zu Tage Charpentier aus denen alten Scribenten mit Fleiß zuſammen gezogen) ſolle genau be - kuͤmmert haben. Endlich ſo halte ich das vom Raéo fuͤr eine affectirte Unwiſſenheit / wenn er vorgegeben / daß die Eclectici wenig von denen Pyrrhoniis und Scepticis differir - ten / welches wiewohl es offenbahr falſch iſt / und aus dem / was ich Cap. 1. §. 36. item §. 90. ſeqq. geſetzet habe / beantwortet wer - den koͤnnen / ſo hat es doch der Autor Spe - ciminis n. 70. p. 38. mit beyden Haͤnden er -griffen /47Vorrede. griffen / weil er ſich fuͤrgenommen / auf die Philoſophiam Eclecticam ſehr unguͤtig zu ſprechen. Aber dieſes mag von denen Excer[-]ptis Raéi genung ſeyn / denn wir muͤſſen nun - mehr ſehen / wie der Autor Speciminis wei - ter fortfahre / Raéus handelt in ſeiner Diſſer - tation de Sapientia Veterum, von denen fuͤrnehmſten Secten derer Griechiſchen Philo - ſophen, und derſelben Zuſtand / wie er allbe - reit vor Chriſti Geburt geweſen. Unſer Au - tor aber / nachdem er beym Raéo nichts mehr zu excerpiren gefunden / continuiret p. 48. §. 110. folgender Geſtalt: Weil Ariſtoteles der Vorgaͤnger derer folgenden Philoſophen geweſen / ſonderlich derer Scholaſticorum, ſo koͤn - ne man leicht ſchlieſſen / daß dieſe es nicht beſſer ge - macht / als ihre irrigen Vorgaͤnger / dannenhero ſey es ohnnoͤthig / daß er alle und jede durchlauffe und ſie examinire / zumahl da er geſehen / daß ich allbereit in meiner Introduction ad Philoſophi - am Aulicam ſolches zur gnuͤge gethan. Ob hier der Autor Speciminis dieſe connexion bey geſchieden Leuten werde als einen dolum bo - num entſchuldigen koͤnnen / gebe ich dem Leſer anheim. Denn (1.) was ware es wohl zu ſei - nem Zweck noͤthig / derer alten Griechiſchen Philoſophen ſectas zu erzehlen? haͤtte es(2.) nicht48Vorrede. (2.) nicht vielmehr Nutzen gehabt / die neuern Secten zuerzehlen / umb die Vortreffligkeit der Carteſianiſchen Lehre darzuthun / (3.) ware denn Ariſtoteles bald anfangs unter denen Chriſten der Vorgaͤnger derer Philoſophen, und wo laͤßt denn der Autor den langwieri - gen Flor der Platoniſchen Philoſophie bey denen Vaͤtern der erſten Kirchen / (4.) wenn er deßhalben nicht fuͤr noͤthig haͤlt / von denen Philoſophiſchen Sectis bey denen Chriſten was ausfuͤhrliches zugedencken / weil ich es ſchon zur gnuͤge gethan / ſo muß er ja ſelbſt ge - ſtehbn / daß ſeine excerpta, die er aus Raeo gemacht / unnoͤhtig geweſen; Denu ich habe auch von denen Sectis Græcorum ja ſo aus - fuͤhrlich referiret als Raéus, zumal wenn man das 2. Capitel meiner Introduction zu dem er - ſten Capitel mit conferiren will. Oder warum weiſet er mir in denen conſectariis nicht / wor - innen es Raéus beſſer getroffen habe / als ich. Solte ſich nun wohl bey dieſer Bewandnuͤß der Autor Speciminis nicht ein wenig ſchaͤmen / wenn aus dem / was ich angefuͤhret / ein jeder Leſer gar deutlich erkennen kan / daß er die Le - ctores tacitè bereden wollen daß dieſe Diſſer - tatio de Sectis Veterum ſeine Arbeit ſey / unddaß49Vorrede. daß er dieſelbe auch ad ſequentia tempora continuiren koͤnte / wenn er nur wolte / da doch in gegentheil gantz wahrſcheinlich / daß er ger - ne weiter continuiren wollen / wenn es Jhm nur in ſeinem Vermoͤgen geweſen / oder wenn Raéus nur weiter cotinnuiret haͤtte. Zumal wenn man erweget das / was der Autor Spe - ciminis a §. III. biß zu ende dieſes Capitels p. 52. ferner geſchrieben von denen Urſachen / warum die alten Secten der Warheit verfeh - let haͤtten / daß / ſage ich / dieſes alles wiederum aus beſagter Diſſertation des Raéi, p. 730. 731. 732. ausgeſchrieben ſey. Jn denen con - ſectariis zu den 3. Capitel diſputirter n. 7. & ſeqq. p. 54. ſeq. wider die Philoſophiam Eclecticam recht cavillatoriè, weil er ſub no - mine Philoſophiæ Eclecticæ eine Philoſo - phie verſtehet die zu vertheidigen denen Phi - loſophis Eclecticis nie in den Sinn gekom - men. Und wenn er nur haͤtte leſen wollen / was ich in meiner Introduction cap. 1. §. 90. ad finem capitis de Philoſophia Eclectica & ejus præſtantia præſectaria angefuͤh - ret haͤtte / wuͤrde er ſo unfoͤrmlich Zeug / und / daß daſelbſt ſchon beantwortet iſt / nicht fuͤr gebracht haben. Und damit er nicht meine / alsD50Vorrede. ob ich / von dem er eine uͤbele præſumption hat / weil ich die Carteſianiſche principia ve - ritatis nicht fuͤr zulaͤnglich halte / die Philoſo - phiam Eclecticam alleine defendirte; ſo wil ich ihn auf des grundgelehrten Profeſſoris zu Altorff / des Herrn Sturmii, der des Car - teſii Philoſophie verhoffentlich ſo wohl inne hat / als der Autor Speciminis, auch den Car - teſium wieder ſeine unzeitigen Veraͤchter nach - druͤcklich verdefendiret / ſeine gantze Diſſer - tation de Philoſophia Eclectica verweiſen / als woraus ich meine itzo allegirte § §os ex - cerpiret habe / wie ich ſolches nicht alleine mei - nen Auditoribus in explication meiner In - troduction angezeiget / ſondern auch §. 91. verbis & ab aliis jam demonſtratum eſt & §. 93. verbis: & ex Profeſſoribus Alt - dorffinis Sturmium, darauff gezielet. Daß aber der Autor Speciminis meinet / er wolle mich mit dem dilemmate p. 55. n. 12. & 13. fangen / daran betruͤgt er ſich mercklich. Denn anfangs irret er ſehr / wenn er ſpricht: ich gaͤbe meine Introduction ohne Zweiffel pro vera & certiſſima aus. Ein anders wird ihn mei - ne præfation weiſen / als woraus er erſehen wird / daß ich ſie ſo lange fuͤr wahr halte / biß mirein51Vorrede. ein anderer einen Jrrthum zeiget; daß ich ſie aber deßwegen nicht pro certiſſima ausgebe / ſondern gantz offenbahr meine menſchliche Schwachheit / die mich zu einigen Jrrthum haͤt - te verleiten koͤnnen / bekenne. So verlange ich auch nicht von meinen Auditoribus, daß ſie meine Sectarii werden ſollen / weil ich meine Philoſophie fuͤr wahr halte / ſondern ich will / daß ſie mir folgen ſollen / wenn ſie die Warheit derſelben ſo erkennen werden / als ich: daferne ſie aber ſehen / und ſehr deutlich ſpuͤreten / daß ich gefehlet haͤtte / ſo inculcire ich ihnen taͤglich / daß ſie alsdenn meine Meynung ſollen fahren laſſen / gleichwie ich ſelbſt in einen und andern meine Meynung endere / wenn eine reiffere meditation mir meine Jrrthuͤmer zuerkennen giebet: Wenn ferner der Autor Speciminis p. 55. n. 14. fortfaͤhret: Sed inquies, ſaltem Car - teſius non eſt ſeqvendus, ut qui ratiocinandi arte mininè fuerit inſtructus, â præjudiciis præte - reà nimium & parum ſibi cavens, nimius et - iam ac aliqvatenus faſtuoſus veterum Philoſo - phorum contemptor videatur, ſo ſpuͤre ich wohl / daß er abermals wieder mich diſputiren wolle / weil ich mich entſinne / daß dieſe ange - fuͤhrte Worte zum Theil aus meinem § 75. cap. 1. Introd. hergenommen ſind; Aber erD 2gehet52Vorrede. gehet auch hier nicht aufrichtig mit mir um. Denn 1. wo wird er mir jemals dieſe propoſi - tion: Saltem Carteſius non eſt ſequendus in meinem Schrifften weiſen koͤnnen. Meine Auditores wiſſen am beſten / daß ich von Car - teſio allezeit honorificè ſentire; Meine Introduction ſagt ſelbſten / daß ich ſeine Phy - ſic recommendire: Warum verknuͤfft deñ der Autor Speciminis dieſe odiöſe theſin, die mir nie in Sinn kommen mit denen andern Worten? 2. Warum excerpiret er aus dem 75. §. eben nur dasjenige / was ich an Carteſio deſideriret? und laͤſſet auſſen / daß ich daſelbſt geſagt / quod Carteſius fuerit vir judicio naturali & ingenio maxime pollens, & veritatis cupidus, libertatis philoſophan - di amantiſſimus, & cum adverſariis ſuis placidiſſime diſputaverit, ac ita exem - plum præbuerit Politici modeſtiſſimi & humaniſſimi. Ja (3) warum laͤſſt der Au - tor in denen defectibus, die ich an dem Carte - ſio bemerckt / meine Worte nicht / wie er ſie fin - det / und warum ſetzt er: ratiocinandi arte minime inſtructus: da ich doch nur geſagt htte: non probè inſtructus. Aber dem ſey allen wie ihm wolle / ich habe mein judiciumvon53Vorrede. von Carteſio in folgenden / fuͤrnemlich cap. 3. §. 12. ſeq. item Cap. 6. §. 16. ſeqq. erwieſen. Dieſes haͤtte er refutiren ſollen / anſtatt / daß er des Carteſii ſcripta und ſonderlich ſein Buch de methodo more magis oratorio, als ſecundum artem ratiocinandi biß zu ende dieſes Capitels heraus ſtreicht / und die an - dern Logicken verachtet / welches mich dannen - hero alles nichts angehet / wenn er auch gleich p. 58. n. 22. meine Prudentiam ratiocinandi ohne Zweiffel mir ein Exempel ſeiner p. 6. & 8. verſprochenen modeſte zu geben) unter die Dinge rechnet / quæ marite ſuo nauci ba - bentur.

14. Beym vierten Capitel tadelt er mich p. 66. ſeqq. daß ich die probation des Carte - ſii de diſtinctione mentis & corporis, & quod conceptus mentis non involvat conceptum corporis nicht paſſi ren laſſen wolte. Meine Urſachẽ / warum dieſes letzte nicht thun kan / ſon - dern gaͤntzlich dafuͤr halte / daß der concept, den wir uns natuͤrlicher weiſe von denen Ge - dancken machen / auch nach des Carteſii Be - ſchreibung ſelbſt / allezeit auf den concept eines coͤrperlichen Weſens reflectire / habe ich weit - laͤufftig angezeiget cap. 3. meiner Introd. §. 27. D 3ſeqq. 54Vorrede. ſeqq. und haͤtte mir wohlgefallen ſollen / wenn der Autor Speciminis der p. 66. 67. 68. 69. in dieſem Stuͤck wieder mich ſchreibet / und etli - che mal quod conceptus cogitationis non involvat conceptum corporis wiederho - let / doch nur eine eintzige raiſon von denen meinigen angefuͤhret haͤtte / geſchweige denn / daß er dieſelbe beantwortet. Und alſo wird er mir wieder verzeihen / wenn ich mich auf das Gewaͤſche d. p. 66. ſeqq. nicht einlaſſe / weil es in bloſſer contradiction beſtehet / und zweiffels ohne aus Claubergio oder einen andern Car - tefianer absque judicio ausgeſchrieben iſt. Und dennoch denckt der Autor Speciminis, er habe es ſehr wohl ausgerichtet / wenn er p. 70. n. 18. mir manifeſtos errores de homine bey - miſſet. Eben an denſelben Ort muß die be - kante definitio hominis, quod ſit animal rationale herhalten / als wieder welche er gantz eyffrig à n. 19. d. p. 70. biß ad n. 43. p. 76. diſputirete / und doch zugleich ſich anſtellet / als wenn mich dieſes Gekeiffe alles angienge / wenn er anfaͤnget: Neque hominem tam obſcura & imperfecta definitione definiviſſet, [au - tor Introd. ) ut diceret, hominem eſſe ani - mal rationale. Jch habe anfangs abermalnichtgewuſt /55Vorrede. gewuſt / was ich daraus machen ſolte / weil ich nirgends dieſe definition in meinem Buche fuͤr eine vollkommene und deutliche definition ausgegeben. Meine Worte ſind cap. 3. §. 2. Ho - mo quis? Eſt animal rationale. At hoc quid? De eo nobis altius videndum, tan - quam de re vel communiter neglecta vel erroneò tradita. Und nachdem ich hier - von in folgenden ausfuͤhrlich meine Meynung erwehnet / ſage ich ausdruͤcklich §. 21. p. 80. Hominem perſpicue aliter definire non poſſum, quam quod ſit ſubſtantia corporea loco motiva & facultate cogi - tandi prædita. Weil mir aber die objectio - nes, die der Autor Speciminis vorbringt / ex lectione Carteſianorum bekant waren / und ich allbereit an ihnen gewohnet war / daß er die Carteſianer ſo ſehr liebete / daß er auch nicht gerne ihre Worte enderte / ſo habe ich ſo lange in dem Claubergio nachgeſucht / biß ich gefun - den / daß er abermals uͤber 3. Blat de verbo ad verbum ex part. 4. Logicæ Claubergi - anæ cap. 7. §. 56. usque ad 61. p. 294. ſeqq. Edit. Sulzbac. de ann. 1685. ausgeſchrieben / wiewohl ich ihm dieſes nicht als was unrechtes vorwerffe / denn der Titel ſeines ſpeciminisD 4giebt56Vorrede. giebt ihm dieſe Freyheit / wenn er es doch aber uur mit einer mica judicii gethan haͤtte / Clau - bergius diſputiret daſelbſt wieder die Peri - pateticos insgemein / der Autor Speciminis diſputiret wider mich / und alſo haͤtte er auch die Worte des Claubergii temperiren ſollen / daß ſie ſich auff mich ſchickten. Nun ſehe man a - ber n. 26. p. 71. die in parentheſi geſetzte Worte an (buic enim cognitionem tribuunt illius definitionis autores) die er / wie recht / auch bey dem Claubergio antreffen wird; auff mich aber reimen ſie ſich / wie eine Fauſt auf ein Auge / weil ich denen beſtiis cognitionem und ſenſum denegire §. 9. & 11. d. cap. 3. Wiewohl der Autor Speciminis laufft groſſe Gefahr / wenn er aus denen Buͤchern / da er ausſchreibet / etwas aͤndern oder aus - laſſen will / daß man flugs nicht weiß / was er habenwill / auch er ſelbſt nicht / ſo gar man - gelt es ihn an der Secunda Petri. z. e. Wenn Claubergius d. l. §. 61. pag. 297. ſpricht; Quomodo tertiæ conditioni ſatisfacit u - ſitata hominis definitio? Reſp. An defi - nitio aliqua ſit adæquata inductione co - gnoſcitur, ſi, de quocunque dicitur defi - nitū, de eodem etiam definitio dicatur, &vice57Vorrede. vice verſa? Ratione hujus conditionis nihil deeſt hominis definitioni. Sed nec deeſſet quicquam, ſi animal ridendi fa - cultate pollens definiretur, quam tamen definitionem approbaret nemo, quia aperte incurrit in præcepta Log. 1. 102. Der Autor Speciminis aber hat dieſes auf folgende weiſe in ſein Buch eingetragen. Neque tertiæ conditioni uſitata illa hominis definitio ſatisfacit. Definitio enim debet eſſe adæqvata defin to. Hoc unum ſit, in - ductione cognoſcitur, ut ſi, de quocunque dicitur definitum, de eo etiam definitio di - catur & vice verſa. Ratione hujus condi - tionis nibil deeſt hominis definitioni. Fa - teor, ſed nec ſi animal ridendi facultate pol - lens definiretur, quicquam deeſſet, quam ta - men definitionem nemo probaret. Vid. Log. Clauberg. 1. §. 102. hat man wohl iemahln einen Autorem unbedachtſamer excerpi - ren ſehen / daß man ſententias apertè con - tradictorias ſo offenbar und ſo bald auff ein - ander ſetzet. Darvon will ich itzo nichts ge - dencken / daß / weil er ja Logicam Clauber - gii zu ende allegiren wollen / er ſich bey dem Leſer wegen des bonæ fidei ſchlecht recom - mendiren werde / daß er nicht den rechten locum, woraus er die geſamten § § os geſchrie -D 5ben /58Vorrede. ben / ſondern einen andern / der nur etwas we - niges von dieſer materie beruͤhret / allegiret. Nun leugne ich zwar nicht / daß doch gleichwol unter denen objectionibus des Claubergii etliche enthalten ſind / die meine definitionem hominis mit treffen; aber ſie ſind offte allbe - reit von denen Ariſtotelicis beantwortet wor - den / daß ich fuͤr ſehr ohnnoͤthig halte / dieſerwe - gen das Papier anzufuͤllen. Der Autor Spe - ciminis darff nur ſeine Commilitones fra - gen / die ein Jahr die Philoſophie durch gehoͤ - ret haben / ſie werden ihm gar leicht dieſe ſcru - pel benehmen. Bey dieſer Bewandnuͤß ſolte ſich wohl ein jeder wundern / wie der Autor das Hertze gehabt / und ſich unternommen / ich will nicht ſagen / wieder andere zu ſchreiben / ſon - dern nur in genere unter ein Buch ſeinen Nahmen zu ſetzen. Aber der Autor Speci - minis faͤngt vielmehr an / ſich ſelbſt uͤber mei - ne Kuͤhnheit zu verwundern / und decidirt nun rechtſchaffen pro autoritate. Secundum, ſagt er in 5. cap. p. 79. quod conſiderari VOLO eſt, nos illam ſubſtantiam quæ cogitat; ſive IDEM CUM EXTENSA, quam corpus appel - lamus, ſivè abeâ diverſa ſit, citius cognoſcere, magisque certos eſſe de ejus exiſtentia & eſ -ſentia,59Vorrede. ſentia, quam de corpore & ſubſtantia extenſa. (Benè eſt, quod Noſter talia VULT, nam eruditus Carteſianus nunquam dixit: ſubſtantiam quæ idem eſt cum corpore, citius cognoſci quam corpus. Num enim IDEM citius cognoſcitur SE IPSO? ſed Noſter pergit:) Qvæ veritas adeò clara eſt, ut mir er à Doctiſſ. Autore In - trod. in Philoſ. Aul. in controverſiam vocari eam potuiſſe. Es heiſſet hier wohl recht: Miri Mir antur &c. Jch wundere mich gantz nicht druͤber / denn ich habe in meiner Intro - duction cap. 3. meine Urſachen gnugſam ge - ſetzt / die vielleicht kraͤfftiger ſeyn als Carteſii ſeine / wenn er in Anfang ſeines methodi dieſe klare Warheit / daß er Haͤnde und Fuͤſſe habe / in Zweiffel gezogen. Alleine der Autor Spe - cimis wird nein darzu ſagen / denn er will die Leute bereden / quod ſuo jure id fecerit Carte - ſius. Fragſt du QUO JURE, ſo antwortet er / quia placuit ipſi, dum ſolidam ſapientiam me - ditaretur, omnes opiniones veteres, etſi pro - babiles, ut falſas tamen eſſe ad tempus abdi - candas &c. etiam de rebus ſenſibilib 9 &c. quia à ſomno vigiliam diſtinguere haud poterat &c. igi - tur patet etiam ipſum eo tem pore jure de - corpore proprio dubitare pot uiſſe. vidnoſtr. 60Vorrede. noſtr. p. 82. & 83. in conſectariis. Jch entſinne mich / daß dieſes des Carteſii ſeine ei - gene Worte ſeyn. Aber ich will itzo nur mit dem Autore Speciminis zuthun haben. Weñ er kuͤnfftig auch Specimen Ethicæ Clau - bergianæ ſchreibẽ wird / ſo wird wohl propri - um beneplacitum das hauptfundament juſtitiæ & juris werden. Das iſt eben / was ich in meiner Introduct an Carteſio getadelt / daß er bey dieſer dubitation de corpore nichts anders als ſein beneplacitum hat fuͤr - bringen koͤnnen / und die ſchlechte Entſchuldi - gung / daß er à ſomno vigihã nicht hat unter - ſcheiden koͤnnen. Denn gleichwie dieſes ein haupt præjudicium iſt / daß er dahero / weil ein traumender oͤffters irret und meinet er wache / auch geſchloſſen / es koͤnne ein wachender auch irren / daß er ſich gewiß perſuadire, er - ſchlaffe; alſo habe ich ihm in meiner Introd. p. 77. wegen ſeines Placuit entgegen geſetzt / daß ein Scepticus, wenn er wieder ihn diſpu - tirt, ſich eben das Placuit werde bedienen / und ſagen / es gefiele ihn auch zu zweiffeln / daß er gedencke / und daß dannenhero er eben ſo ein ſtarck Jus fuͤr ſeine Meinung habe / als Car - teſius fuͤr die ſeinige. Dieſe meine inſtantzaber61Vorrede. aber hat der Autor Speciminis einmahl be - antworten wollen / weil er zu allem Gluͤck et - was in des Carteſii Text gefunden / daß er paucis verbis mutatis wieder mich retor - quiren koͤnnen. Drumb ſpricht er p. 84. Patet etiam, quam nulla ſpecie opponatur, eadem fictione, qua Carteſius fingebat, ſe non habere corpus, poſſit etiam fingi quod non cogitet. Nam revera fingat, quod, vult & quantum vult, nunquam tamen fingere po - terit, quod eo ipſo, quo fingit non fingat, & ſic non cogitet atque adeò non ſit &c. Die - ſe replic des Carteſii iſt mir nichts neues; a - ber ich wolte / das Carteſius da waͤre / und ant - wortete mir auff meine duplic: Jch nehme dieſe diſputation des Carteſii wieder die Scepticos an / und diſputire nunmehro aus eben dem fundament wieder ihn / wenn er in ſeinen methodo inquirendi veritatem ex beneplacito fingiret, er haͤtte keinen Coͤrper: Denn ich ſage eben auch ſo. Nam revera fingat Carteſius, quod vult, & quantum vult, nunquam tamen fingere poterit, quod eo ipſo quo fingit reverà non ha - beat corpus; oder daß ich des Carteſii Wor - ten und hypotheſi noch naͤher kom̃e / nun - quam tamen fingere poterit, quod eoipſo62Vorrede. ipſo quo fingit, non fingat, & ſic non in glandula pineali alicujus rei conſcius ſit, atque adeò non corpus habeat. Was meint der Autor Speciminis hiervon? Er kan alle Carteſianer durchleſen und verſu - chen / ob er aus einem einigen ſo viel ſuccurs bringen kan / daraus er wieder mich triplicire. Aber vielleicht wird er ſagen / ich habe das Recht nicht wieder Carteſium, was Carteſius wie - der die Scepticos hat / oder ich verſtaͤnde die Philoſophie nicht. Denn dergleichen re - ſponſiones ſind bey ihm nichts neues / und treffen wir eine ſolche eadem p. 84. bey ihm an. Patet etiam, ſpricht er / objectionem eo - rum, qui ajunt, corporis noſtri notitiam priorem, aut ſaltem æquè claram & evi - dentem eſſe, quam mentis noſtræ, nul - lo fundamento niti. Und wenn weiter je - mand fragen wolte: Unde vero hoc patet, darff unſer Autor Speciminis gantz nicht lange umb eine Antwort bekuͤmmert ſeyn / ſondern nimmt ſie gleich aus der Lufft. O - mnes enim, qui ita judicant, manifeſte produnt, ſe nunquam legitimo modo & or - dine philoſophatos fuiſſe, nec unquam ſatis accuratè mentem à corpore diſtinxiſſe, das iſt auff gut deutſch ſo viel geſagt / ſe nunquam vo -luiſſe63Vorrede. luiſſe beneplacito Carteſii ſubjicere. p. 89. ſeq. diſputirt der Autor wieder mich / daß ich an ſtatt der Propoſition: Ego cogito, Ergo ſum mit de - nen Peripateticis das Impoſſibile eſt idem ſi - mul eſſe & non eſſe pro primo principio aus - gegeben / denn er hat da zweiffels ohne einen Carteſianer gefunden / den er ausſchreiben koͤnnen. Jch wolte aber wuͤnſchen / daß er ei - nen angetroffen haͤtte / der ihm was ſuppedi - tiret, mit welchem er die bekante diſtinction inter primum cognitum & primum principium, als welche alle ſeine objectiones bombardiret, haͤtte unterminiren koͤnnen. Zuletzt will er p. 92. doch diejenigen abfinden / die da ſagen / als wenn Carteſius die Platoni - ſche Philoſophie wieder auffgewaͤrmet haͤtte. Jch weiß wohl / daß dieſes Carteſius nicht ge - ſtehen wollen / und daß einige differentz unter der Platoniſchen und der Carteſianiſchen ſey / wannenhero ich auch in meiner Introd. p. 35. geſetzt / daß die Carteſianiſche ſecta media inter Platoniſmum & Scepticiſmum ſey / und mich ſolcher geſtalt dieſe diſputatio des Autoris Speciminis nicht angehet / jedoch wird er ſo gut ſeyn / und zulaſſen / daß ich ihm des Raéi Wort fuͤrlege ex diſſertatione de for - ma ſubſtantiali & anima hominis, p. m. 473.64Vorrede. 473. ſeq. Noſtra ſententia eſt, hominem anima & corpore conſtare, quæ duæ ſubſtantiæ ſint intimæ unitæ inter ſe &c. hominis vero, ut ex his compoſitus eſt, nullam eſſe formam præter unionem iſtam, qua anima mancipata corpo - ri eſt, in plerisque functionibus ſuis &c. Huic proximè accedit platonis ſententia, hominem nihil aliud quam animam eſſe, utentem cor - pore, ubi homo denominatur à potiore par - te ſua & corpus non juxta ſed intrà animam ponitur, ut inſtrumentum, & domicilium & carcer quoque, in quo frui ſatis non poſſit li - bertate ſua & verum hominem referre. Quæ fa - cilè tolerari & in meliorem partem accipi poſ - ſunt, maxime ſi cogitemus, ſic quoque homi - nem in ſacra ſcriptura conſiderari &c. A Plato - nis & noſtra ſententia adhuc longius recedunt &c. Mich duͤnckt / aus dieſen Worten des Raèi konte man gar leicht das jenige umbſtoſ - ſen / was Autor Speciminis p. 92. pro offen - denda differentia inter Carteſii & Plato - nis dogmata anfuͤhren will. Und ich will nicht hoffen / daß der Autor ſo kuͤhne ſeyn wer - de / daß er uns dieſen locum des Raéi nicht wolle paßiren laſſen / nachdem er uns das gan - tze caput 3. de Veterum Philoſophorum ſecta aus dem Raéo als ein glaubwuͤrdiges Evangelium hergebetet. Das letzte arca - num, das der Autor zu Ende des V. Capi -tels65Vorrede. tels p. 94. ſetzet / geſtehe ich gar gerne / daß ich es nicht verſtehe / wenn er ſpricht: Qua ratione demonſtratur corpus non poſſe cogi - tare? Reſp. Hac ratione: Omne id, quod poteſt cogitare, eſt mens ſive vocatur mens, ſed cum mens & corpus realiter diſtinguantur, nullum corpus eſt mens &c. Dieſes iſt eine ſehr kuͤnſtliche demon - ſtration, denn ich kan auch daraus demon - ſtriren / quod homo non poſſit cogitare, quia homo & mens realiter diſtingvun - tur (differunt ſiquidem definitione) nul - lus homo eſt mens, quare etiam nullus homo cogitare poteſt. Ja aus dem prin - cipio dieſer demonſtration will ich demon - ſtriren / daß der Menſch weder hoͤrt noch ſieht / quia auris audit & oculus videt, und was mehr fuͤr dergleichen herrliche Dinge aus die - ſer demonſtration koͤnnen hergeleitet wer - den.

15. Dieſes ſind alſo meine wenigen An - merckungen uͤber die erſten 4. Bogen des Au - toris Speciminis, aus welchen verhoffentlich der Leſer meine Urſachen erkennen wird / war - umb ich mich mit ihm / ehe und bevor er dieEPhilo -66Vorrede. Philoſophie beſſer lerne / und anfange ultra verba derer Carteſianorum, daraus er ſein Buch zuſammen getragen / etwas zu verſtehen nicht einlaſſen koͤnne / denn in dem folgenden iſt ebenfalls nichts als bloſſe contradictiones wieder meine aſſertiones, aber keine einige Beantwortung meiner oberwehnten dubio - rum und hypotheſium, auſſer daß er zuwei - len mich etwas grober tractiret / als in denen 4. erſten Bogen geſchehen / auch mir gefaͤhrliche Meinungen andichtet / als z. e. wenn er p. 101. unter meinen errores zehlet: quod mens ſit materialis, und p. 102. quod anima natu - ra ſua non ſit immortalis. Dahin auch die - ſe ſpitzige Worte zielen / die er p. 133. ſetzet: Mi - rum certè eſt, licet omnes homines de - ſiderent eſſe immortales, inveniritamen viros, qvi bellum apertum immortali - tati ſuarum mentium indicant. Wenn ich nicht rechtſchaffen Mitleiden mit des Au - toris elenden Zuſtand quoad intellectum & voluntatem haͤtte / ſo wuͤſte ich wohl / was ſich auf dergleichen calumnien gehoͤrete. Er weiſe mir doch / wo ich immortalitati ani - mi bellum inferire / oder aſſerire, animamnon67Vorrede. non eſſe immaterialem aut immorta - lem. Das ſage ich wohl / ex ratione ſola neſcio, qvod anima ſit immaterialis & immortalis. Aber ich daͤchte unter dieſen beyden waͤre ja noch wohl ein mercklicher Un - terſchied. Wenn einer zu dem Autore ſpraͤ - che: Er wiſſe zwar nicht gewiß / ob er aus guter intention ſich zu uns gewendet / er glaͤu - be es aber doch: wolte wohl der Autor ihn beſchuldigen / er haͤtte ihm eine ſchlimme inten - tion beygemeſſen / oder ſeiner guten intention bellum inferirt? Aber gnung hiervon. Jch verzeihe dem Autori die uͤbele intention, die er gehabt / wieder mich zu ſchreiben / und gleich wie mir es leyd iſt / daß er bey denen / ſo er da - durch cour machen wollen / ſeinen Zweck nicht nach Willen erreicht / auch der ihm dar - aus eingebildete Nutzen noch kuͤnfftig aus - bleiben moͤchte / alſo kan er ſich verſichern / daß ich nie ermangeln werde / ihm / wenn er es von mir verlanget / nach vermoͤgen gutes zuthun / und daß ich ihn aus gutem auffrichtigen Hertzen vermahne das bekante Symbolum: Fide, ſed cui vide, kuͤnfftig beſſer zu practiciren / auch warne / daß er ferner nicht eher ſich an an -E 2dern68Vorrede. dern machen wolle / biß er erſt ſein Vermoͤgen beſſer unterſucht habe. Sinihil eſt pronun - ciandum, niſi quod clare & diſtinctè fu - erit cognitum, profectò, nihil temerè erit ſuſcipiendum, ſi non prius clarè & diſtinctè id te effecturum cognoveris.

16. Wiewohl aber dißfalls ich mit Grund der Warheit ſagen kan / daß ſo wohl in beſa - gten Specimine Logicæ Carteſianæ, als in denen uͤber meine Introduction angeſtelle - ten diſputationibus ich nichts gefunden oder gehoͤrt / daß mich in meinen daſelbſt gelegten principiis zu wancken haͤtte vermoͤgen koͤn - nen / ſo iſt doch bey gegenwaͤrtiger Vernunfft - Lehre meine intention nicht / beſagte meine Introduction in das Teutſche zu uͤberſetzen / ſondern wer dieſe mit jener conferiren wird / wird gar leichte befinden / daß viel in der Ver - nunfft-Lehre enthalten ſey / das in der Intro - duction nicht anzutreffen / noch mehr aber in die Introduction zu finden / daß ich hier zu der Vernunfft-Lehre nicht gebracht / welches alles aus folgenden Urſachen herruͤhret / weil ich in der Introduction nicht ſo wohl die Er - forſchung der Warheit / als die Erkaͤntnuͤsderer69Vorrede. derer gemeinen Jrrthuͤmer habe / wollen zu er - kennen geben / auf dieſelbe ſolchergeſtalt mehr fuͤr die Lehrenden als Lernenden geſchrieben / wie ich allbereit damahlen in der Vorrede mich erklaͤhret. Aber itzo bin ich / wie oben erwehnet / bloß umb die theſin beſorgt / und will meinen Zuhoͤrern zu gute weiſen / wie im - mer eine Warheit aus der andern hergeleitet werden ſoll / und zwar ſolchergeſtalt / daß ſie das - jenige / was ich weitlaͤufftig dabey diſcuriren werde / deſto beſſer mercken koͤnnen. Sol - chergeſtalt aber wird das gantze Werckgen mehr kurtzen ſummarien aͤhnlich ſeyn / als ei - nem ausfuͤhrlichen tractat, und faſt aus nichts anders / als aus hypotheſibus, definitioni - bus, axiomatibus, propoſitionibus und obſervationibus beſtehen / wiewohl ich / umb meinen Zuhoͤrern / die Luſt nicht zu vermin - dern / nicht jedes von dieſen claſſen à part tractiren / ſondern mit Fleiß die axiomata, definitiones, obſervationes u. ſ. w. mit ein - ander vermiſchen will / doch alſo / daß die me - thode dadurch nicht confus gemacht werde / ſondern leichte und naturell bleibe. Und weil ich meine Auditores gerne von dem præ -E 3judicio70Vorrede. judicio autoritatis gantz abwenden und da - hin diſponiren wolte / daß ſie bloß auff die Sache ſelbſt ſaͤhen / als werde ich umb dieſer Urſache willen gar ſelten autores allegiren / es waͤre denn / daß ich mich umb kuͤrtze willen auff andere bezoͤge / die mir ſpecial materie recht nach meiner Meinung tractiret haͤtten. Jedoch koͤnnen ſich meine Zuhoͤrer verſichern / daß ich meine Vernunfft-Lehre / weder aus zwoͤlff Logicken zuſammen geſchrieben / und die dreyzehende draus gemacht / noch die allegi - rung der Autorum unterlaſſen habe / umb dadurch ein plagium zubegehen / und die an - dern Leuten gebuͤhrende Ehre mir zuzuſchrei - ben. Was jenes anlanget / ſo habe ich etliche Jahre darauff meditiret / eher ich mir dißfalls was neues zu ſchreiben unterſtanden. Jch habe zu foͤrderſt quoad hiſtoriam Philoſophicam Ciceronis quæſt. Academicas, Vosſium, Hornium und meines S. Vaters hierzu dien - liche Schrifften / ſo wohl die MSS. als gedruck - ten fleißig durchgeſehen / quoad Philoſophi - am Stoicam ſeine diſſertationes varias, Senecam, Lipſium, und Scioppium; quo - ad Epicuream Laërtium und Gaſſendumge -71Vorrede. geleſen; quoad Platonicam aber mir Plato - nem ſelbſt Maximum Tyrium und andere bekant gemacht / auch des Schefferi ſein ge - lehrtes Buch de Philoſophia Italica mit at - tention durchleſen. Von denen neuen habe ich ſonderlich Petrum Ramum, und etliche von ſeinen aſſeclis und adverſariis durch - ſucht / und Carteſii Buch de methodo, wie auch ſeine meditationes nebſt denen obje - ctionibus mit guten Bedacht meditiret. Die Logic des Port Royal, hat mir in vie - len wohlgefallen / wiewohl ich auch viel ohn - noͤhtige ſubtilitaͤten darinnen angetroffen / die Carteſio (nach deſſen hypotheſibus ſie ſon - ſten eingerichtet iſt) ſchwerlich gefallen wuͤrden. Claubergii methode hat mir wohl angeſtan - den / aber das judicium in der Ausarbeitung habe ich oͤffters ziemlich vermiſſet. So habe ich auch ohnlaͤngſt ein klein Frantzoͤſiſch Buͤchlein von ohngefehr 13. Bogen zu geſichte bekom̃en / welches zu Paris 1678. in 12. gedruckt wor - den und folgenden Titel hat. Eſſay de Lo - giqve, contenant les principes des ſcien - ſes, & la maniere de s’en ſervir pour fai - re de bons raiſonnemens, in welchen ichE 4viel72Vorrede. viel gute Anmerckungen gefunden / die ich biß - her bey andern nicht beobachtet. Von denn Logicken / die nach der Peripatetiſchen Lehr - Art eingerichtet ſind / habe ich nebſt meines Seel. Vaters quæſtionibus Logicis, und dem / was ich in collegiis auff Academien gehoͤret Jungii Logicam Hamburgenſem mit conferiret / auch des Herrn Weiſens zu Sittau ſeine Logic, in welcher er allbereit einen und den andern defect zu emendiren angefangen / mit guten Vergnuͤgen durchle - ſen. Andere Autores, die mir eben nicht ſo einfallen / anitzo zugeſchweigen. Dieſe alle nun habe ich nicht gebraucht / daß ich aus ih - ren centonibus meine Vernunfft-Lehre o - der Introductionem ad Philoſophiam Aulicam bauen wolte / ſondern nachdem ich bald bey dieſen bald bey einem andern gute und zweiffelhaffte Dinge angetroffen / habe ich mir einen gewiſſen Grund geſucht / aus wel - chen ich nicht alleine alle Zweiffel beantworten / ſondern auch ſolches andern Leuten deutlich beybringen moͤchte / hernachmahls aber durch Anleitung deſſen / was ich bey andern gefun - den / der Sachen immer mehr und mehr nach -geſon -73Vorrede. geſonnen / entweder dadurch meine Grund - Regeln bekraͤfftiget / oder die gemeiniglich un - terlaſſenen doctrinen / zu ſuppliren dahero Anlaß genommen. Und hoffe ich nicht / daß man mir mit Warheit werde zeugen koͤnnen / daß ich hier oder da gantze Plaͤtze aus andern autoribus geſchrieben habe / ja wenn iemand der hiſtoriæ philoſophicæ kuͤndig iſt / der wird gar leicht erkennen / daß zwar eines oder das andere / dieſer oder jener Secte nahe kom - me / aber doch allezeit mit meinen Lehr-Saͤtzen genung verknuͤpfft ſey / und daß dieſelbigen ſon - derlich die Mittel-Straſſe zwiſchen der gemei - nen und Carteſianiſchen Logic gehe / oder / nach denen alten Secten, daß ſie zwiſchen de - nen Platoniſchen principiis ratiocinandi, und denen fundamenten der Stoicker des E - picuri und Ariſtotelis, die dißfalls auf ge - wiſſe maſſe fuͤr einen Mann ſtunden / den Mittelweg beobachte. Habe ichs nun wohl getroffen / und das gemeine beſte einen Nu - tzen daraus zu hoffen / ſo gehoͤret Gott dafuͤr die Ehre. Habe ich geirret / ſo bin ich allezeit er - boͤthig / meine Jrrthuͤmer / da ſie mir gezeiget werden / zu aͤndern / und hoffe ich / man werdeE 5mit74Vorrede. mit mir zu frieden ſeyn koͤnnen / wenn ich in Anſehen deſſen / was in meinen Saͤtzen mit an - deren Philoſophen uͤberein zukommen ſchei - nen wird / conteſtire / daß ich ſolcher geſtalt mei - ne gantze Philoſophie mit ihnen theilen wol - le / daß ich mir die bloſſen Fehler / die ich hier - innen begangen / ihnen aber alles gute / das man in meinem Buche antreffen wird / zu - eignen wolle.

Der
75

Der Vernunfft-Lehre I. Hauptſtuͤck. Von der Gelahrheit insgemein.

Jnnhalt.

Beſchreibung der Gelahrheit. § 1. Derſelben ſind alle Menſchen faͤhig. §. 2. Waͤren auch vor dem Fall alle gelehrt geweſen §. 3. Nach dem Fall aber ſind ſie theils gelehrt / theils ungelehrt. §. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Was ein gelehrter Mann ſey. §. 10. 11. Nach dem Fall koͤnnen nicht alle Lente gelehrt ſeyn. §. 12. jedoch ſollen dieſe auch nicht gar ignoranten ſeyn. §. 13. 14 Zwey Lichter zu Erlangung der Gelahrheit: das na - tuͤrliche und uͤbernatuͤrliche. §. 15. 16. 17. Wie weit die Sprachen Wiſſenſchafft zur Gelahrheit von noͤ - then. §. 18. 19. 20. Gottes Gelahrheit: Weltweißheit. §. 21. 22. Die Vernunfft-Lehre und hiſtorie zwey ge - meine inſtrumente der Gottes-Gelahrheit und Welt - Weißheit. §. 23. biß §. 33. Bey der Vernunfft-Lehre hat man ſich nach meinen Lehren umbzuthun. §. 34. 35. Deſſen und des Lehrlings requiſita, §. 36. 37. Etliche Aumerckungen. §. 38. biß zum Ende.

1.

DJe Gelahrheit iſt eine Erkaͤntnuͤß / durch welche ein Menſch geſchickt gemacht wird das wahre von denfalſchen761. Hauptſtuͤck von derfalſchen / das gute von dem boͤſen wohl zu unterſcheiden / und deſſen gegruͤndete wah - re / oder nach Gelegenheit wahrſcheinliche Urſachen zu geben / umb dadurch ſein ei - genes als auch anderer Menſchen in ge - meinen Leben und Wandel zeitliche und ewige Wohlfarth zu befoͤrdern.

2. Sie hat ihren Sitz im Verſtande des Menſchen / und weil dieſer allen Menſchen gemein iſt / als ſind auch alle Menſchen faͤhig die Gelahrheit zu erlangen / ob gleich die we - nigſten wegen vieler Urſachen dieſelbige nicht beſitzen.

3. Zwar in dem Stande der Unſchuld / in welchem der Menſch keine Unvollkommen - heit hatte / waͤren wol alle Leute gelehrt gewe - ſen / ja ſie haͤtten wahrſcheinlich nicht einmal hierinnen einige Unterweiſung von andern bedurfft.

4. Aber nachdem durch den Suͤnden - Fall der Verſtand gar ſehr verfinſtert wor - den / und man ſolcher Geſtalt durch unter - ſchiedene muͤhſame Mittel denſelben zuer - leuchten vonnoͤthen gehabt / iſt der Unterſcheid zwiſchen denen Gelehrten und Ungelehrten entſtanden.

5. Nach77Gelahrheit insgemein.

5. Nach der Geburt iſt ein jedweder Menſch / wes ſtandes er ſey / gantz unwiſſend / ſo gar / daß wenn er in dieſem Zuſtande von de - nen Menſchen abgeſondert auferzogen wer - den ſolte / wuͤrde er ja ſo wenig / wo nicht weni - ger Vernunfft von ſich ſpuͤhren laſſen / als manche Beſtien.

6. Wenn er aber durch gute Aufer ziehung / converſation mit andern Leuten / Leſung gu - ter Buͤcher / eigne Erfahrung / und reiffes Nachſinnen / zufoͤrderſt aber durch die Gnade Gottes die Wolcken ſeiner Unwiſſenheit ver - treibet / kan er endlich zu dem hohen Grad der Weißheit / der in dieſem Leben erhalten werden kan / gelangen / maſſen denn unter de - nen Heyden dißfalls Socrates, Plato und ſo weiter / unter denen Rechtglaͤubigen aber Jo - ſeph, Salomon, &c. fuͤr andern beruͤhmt geweſen.

7. Zwiſchen dieſem Grad der hoͤchſten menſchlichen Weißheit / und den unterſten Grad der hoͤchſten Unwiſſenheit / ſind unzeh - lich viel mittlere Stuffen / die nach Gelegen - heit bald zu der Gelahrheit / bald zu der Un - gelahrheit gerechnet werden.

8. Denn781. Hauptſtuͤck von der

8. Denn ſo ſchwer es iſt zu ſagen / das wie vielſte Korn aus einer Hand voll einen Hauf - fen mache / ſo ſchwer iſt es auch zu determi - niren / durch welchen Grad der Wiſſenſchafft man aus einem ungelehrten Menſchen ein rechtſchaffener Gelehrter werde.

9. Dannenhero darf man ſich auch nicht wundern / daß oͤfters den Nahmen gelehrter Leute diejenigen mißbrauchen / die nichts we - niger ſind / oder daß man die Gelahrheit nach Titeln und Ehren-Aemtern ausmißt.

10. Jch halte den vor einen gelehrten Mann / der etliche wenige Wahrheiten ge - wiß weiß / die er zum gemeinen Nutzen an - wenden / und daraus in allerhand Wiſ - ſenſchafften andere Warheiten wieder herleiten kan / im uͤbrigen aber das gemei - ne Spruͤchwort rechtſchaffen verſtehet / daß die Welt von leeren Wahne angefuͤllet ſey / und ſo wohl ſeine Warheiten / als den leeren Wahn der Welt andern gar leichte und deutlich kan vor Augen ſtellen.

11. Jedoch muß ein ſolcher taͤglich fortfah - ren ſeinen Verſtand auszubeſſern / weil es taͤglich Gelegenheit haben wird / neue War - heiten zu entdecken / und neue Vor-Urtheile /die79Gelahrheit insgemein. die an Erforſchung der Warheit hinderlich ſeyn / theils bey ſich ſelbſt / theils bey andern zu entdecken.

12. Wiewol nun die Gelahrheit den Men - ſchen aus ſeiner Unvollkommenheit heraus reiſſet / und dannenhero billich alle Menſchen ſich bemuͤhen ſolten / gelehrt zu werden / ſo laͤſſet doch der Zuſtand der menſchlichen Ge - ſellſchafft nach dem Fall ſolches nicht zu / weil der Unterſcheid der Staͤnde denen mei - ſten ſo viel zu thun giebt / daß ſie die Zeit / ſo zu Erlangung der Gelahrheit erfordert wird / dem gemeinen Weſen zum beſten zu was an - dern anwenden muͤſſen.

13. Jedoch ſollen ſich auch dieſe bemuͤhen / daß ihre Ungelahrheit doch fuͤr keine grobe Unwiſſenheit gehalten werden koͤnne / und ſolcher Geſtalt durch taͤgliche Erfahrung und Rachfragung der Gelehrten / ſo viel erkennen / daß ſie ihres Orts nach ihrem Stande ſo viel moͤglich / die gemeine und ihre eigene Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern koͤnnen / ob ſie gleich von andern Staͤnden keine Wiſſenſchafft ha - ben / auch von den Jhrigen nicht eben deutliche Rechenſchafft zu geben wiſſen.

14. Die Ubrigen aber / die Muſſe undGe -801. Hauptſtuͤck von derGelegenheit haben / ihren Verſtand genauer auszubeſſern / ſolten / ob ſie gleich nicht pro - feſſion von der Gelahrheit machen / dennoch ſich ſo viel moͤglich bemuͤhen / uͤber den Zuſtand der Erſten zu erheben / daß / ob ſie gleich nicht fuͤr Gelahrte paſſiren koͤnnen / dennoch auch nicht ungelehrt genennet werden moͤgen.

15. Wenn ſie aber von der Gelahrheit profeſſion machen / muͤſſen ſie zufoͤrderſt wol erwegen / daß ihnen GOtt in dieſem Leben zwey ſonderbare Lichte uͤberlaſſen / ihren ver - finſterten Verſtand zu erleuchten / und die - ſelbigen wol zu unterſcheiden wiſſen.

16. Das eine iſt das natuͤrliche Licht oder der Verſtand ſelbſt / wodurch der Menſch ver - moͤgend iſt / aus natuͤrlichen Kraͤfften von de - nen ſinnlichen und irrdiſchen Dingen ſich einen wahren und deutlichen concept zu machen / zu Nutzen dieſes zeitlichen Lebens.

17. Das andere iſt ein uͤbernatuͤrliches / und das von Goͤttlicher Offenbahrung ent - ſtehet / durch welches der Menſch die Goͤttli - che Geheimnuͤſſe / ſo ihn zu einem kuͤnfftigen Leben fuͤhren / ſo viel als ſeine gegenwaͤrtige Unvollkommenheit zulaͤſſt / erkennet.

18. Dieſe Goͤttliche Offenbahrung / gleich -wie81Gelahrheit ingemein. wie ſie in der heiligen Schrifft enthalten iſt; alſo muß auch einer / der hierinnen recht geleh - ret ſeyn will / die Sprachen ſo wol Altes als Neues Teſtaments wol innen haben.

19. Aber zu Brauchung des natuͤrlichen Lichts / ſind keine frembde Sprachen eben nothwendig / ſondern man kan ſich deſſen auch ohne dieſelben bedienen / es moͤgen nun Man - nes - oder Weibes-Perſonen / Junge oder Al - te / Arme oder Reiche ſeyn.

20. Jedoch iſt es in ſo weit beſſer / wenn man frembder Sprachen maͤchtig iſt / daß man durch Leſung anderer gelehrten Leute / die in denenſelben Sprachen geſchrieben / Gelegen - heit nehme von Dingen / ſo nicht taͤglich denen Sinnen fuͤrfallen / einige Erkaͤnntnuͤß zu erlangen / oder auch ſonſten durch eine und an - dere Anmerckung / an die man ſonſt nicht ge - dacht haͤtte / der Erkaͤnntnuͤß der Dinge weiter nachzudencken / weil doch viel Augen mehr ſehen / als zwey.

21. Die Erkantnuͤß ſo aus der heiligen Schrifft entſtehet / wird Gottes Gelahr - heit / die aber ſo aus der menſchlichen Ver - nunfft herruͤhret / Welt-Weißheit genen - net. Und wenn der Menſch nach dieſer oderFjener821. Hauptſtuͤck von derjener ſein Leben anſtellet / ſo heiſſets ein Tu - gendhaff[t]es oder Gottesfoͤrchtiges Leben.

22. Die Gottes-Gelahrheit iſt bey dieſer Schrifft nicht meines Vorhabens / weil ich mich noch ſelbſt einen Schuͤler darinnen erken - ne / ſondern mein Zweck iſt / die zu einem tu - gendhafften und begluͤckten Leben in dieſer Welt fuͤhrende Welt-Weißheit fuͤrzuſtellen.

23. Ob aber ſchon die Gottes-Gelahrheit aus einer Offenbahrung herruͤhret / die Welt - Weisheit aber aus der innerlichen Vernunfft hergeleitet wird / ſo kan doch jene nicht gaͤntz - lich ohne die menſchliche Vernunfft ſeyn / dieſe aber præſupponiret auch zuweilen wo nicht ei - ne Goͤttliche / doch menſchl. Offenbahrung.

24. Denn die Gottes-Geheimnuͤſſe ſind zwar uͤber den menſchlichen Verſtand / aber ſie ſind nicht demſelbigen zuwider / ſon - dern GOtt hat in ſeinem heiligen Wort / ſich ſo viel moͤglich nach uns Menſchen accom - modiret / und redet ſolchergeſtalt mit uns als ein Menſch / der zugleich GOtt der HErr iſt.

25. Was ferner die Welt-Weißheit be - trifft / die uͤber die creaturen raiſoniret / ſo iſt unſtreitig / daß dieſelbige ſich nicht allein uͤber gegenwaͤrtige / ſondern guten Theils uͤberent -83Gelahrheit insgemein. entfernete oder vergangene Dinge erſtrecke / uͤber welche ſie aber ſolcher geſtalt nichts ver - nuͤnfftiges ſchlieſſen kan / wenn ſie nicht zum wenigſten einige hiſtori ſche Relation præ - ſupponiret.

26. Dannenhero ſind die Vernunfft - Lehre und die hiſtorie zwey Inſtrumente, die ſo wol der Gottes-Gelahrheit als Welt - Weißheit gemein ſind / jedoch mit dieſem merk - lichen Unterſcheid.

27. Die Welt-Weißheit braucht die Ver - nunfft-Lehre als den Grund ihrer gantzen Wiſſenſchafft / und præſupponiret nur die aus der Offenbahrung herruͤhrende hiſtori - ſchen Relationes als poſtulata und hypo - theſes, ihre Kunſt daran auszuuͤben / wan - nenhero auch dieſelbe nicht hauptſaͤchlich be - kuͤmmert iſt / ob die hiſtorie aus Goͤttlicher oder menſchlicher Offenbahrung entſtanden.

28. Aber bey der Gottesgelahrheit iſt die Goͤttliche Offenbahrung der ſtetswaͤhrende Grund / nach welcher ein Gottes-Gelahrten nicht allein die von dem Menſchen herruͤhren - de hiſtorie richtet / ſondern auch die Vernunfft zufoͤrderſt angewoͤhnet / daß ſie nicht ſich un - terfange mit ihren Vernunfft-Schluͤſſen dieF 2Goͤtt -841. Hauptſtuͤck von derGoͤttlichen Geheimnuͤſſe auszumeſſen / ſon - dern den Verſtand in uͤbernatuͤrlichen Din - gen unter den Glauben gefangen nehme.

29. Und ſolcher Geſtalt braucht man bey der Gottes-Gelahrheit die Vernunfft-Leh - re nicht als ein Mittel die Goͤttliche Offen - bahrungen zu begreiffen / als worzu eine Goͤtt - liche Erleuchtung allerdings erfordert wird / jedoch eine ſolche / wie unſere Kirche dieſelbe zu erklaͤren pflegt / die nicht auf eine Enthu - ſiaſterey hinaus laͤufft.

30. Sondern man braucht die Vernunfft - Lehre nur darzu / daß man ſeinen Verſtand dadurch fein von allen præjudiciis ſaubere / ihme die irrigen Vernunfft. Schluͤſſe und Fol - gerungen uͤberhaupt zu erkennen gebe / auch angewehnt / daß er ſich fuͤr Sophiſtiſchen und cavillatoriſchen interpretationen huͤte.

31. Denn wenn GOtt in ſeinem Wort mit uns redet / ſo hat er ſich nicht nach ſolchen Leuten accommodiret / die ihre Vernunfft in der Verwirrung laſſen / und mit unzehli - chen Vor-Urtheilen / die ſie an Begreiffung Goͤttlicher Geheimnuͤſſe hindern / umgeben ſind / ſondern nach ſolchen / die in ihrem Ver - ſtand dißfalls gnug geſaubert haben. Dennjenen85Gelahrheit insgemein. jenen iſt freylich die heilige Schrifft ſchwer zu verſtehen / und werden dadurch verwirret / al - leine weil ſie eben ungelehrige und leichtfertige oder Sophiſtiſche Leute ſeyn / ſo geſchiehet ſolches durch ihre eigene Schuld / und gera - then ihnen ſelbſt zur Verdammnuͤß.

32. So hat auch Gottes Geiſt ſich zwar oͤffters ſolcher Leute bedienet / die in menſchli - cher Weißheit nicht gelehrt geweſen / wan - nenhero auch der ſtylus der heiligen Schrifft nach Unterſcheid dieſer Leute ungleich iſt; aber es ſind doch alles Leute geweſen / die ihren na - tuͤrlichen Verſtand nicht mißbraucht haben.

33. Solchergeſtalt nun darff man ſich nicht wundern / wenn man ſiehet / daß Got - tes-Gelehrte oͤffters hauptſaͤchlich von der Vernunfft-Lehre / von der Auslegung uͤberhaupt / u. ſ. w. geſchrieben / da ſolches zu keinem andern Ende geſchehen / als die Rechtglaͤubigen zu warnen / daß ſie ſich fuͤr ir - riger Sophiſterey deſto beſſer huͤten ſollen / oder die Unrechtglaͤubigen zu uͤberweiſen / daß ſie die Vernunfft-Lehre dißfalls gemißbraucht.

34. So muß auch hiernaͤchſt ein Lehr-be - gieriger dieſes bald Anfangs wohl betrachten / ſonderlich der zu der Welt-Weißheit (als vonF 3wel -861. Hauptſtuͤck von derwelcher wir fuͤrnemlich handeln) Luſt hat / daß ob ſchon die innerliche Vernunfft ſelbſt vermoͤgend iſt / die Vorurtheilte vermittelſt eigener Kraͤffte zu vertreiben / er dennoch bey Anfang ſeines Studirens nicht ſelbſt alleine Hand anlege / ſondern ſich um einen Lehrer / der ihn leite / bekuͤmmere.

35. Denn ſonſten muß es faſt nothwendig geſchehen / daß er ſich in denen Vorurtheilen mehr ein-als auswickelt. Jch werde zu ſei - ner Zeit ausfuͤhrlicher hievon handeln. Jtzo wird es genung ſeyn / wenn ich dieſen Satz mit einem Gleichnuͤß von einem Menſchen / der zum Exempel viel Scheid-Wege fuͤr ſich hat / von welchen nur einer zu dem verlangten Ort weiſet / erklaͤren werde.

36. Er muß aber in Erkieſung eines Leh - rers nicht ſo wol um deſſen groſſen Ruhm von eigener Gelahrheit bekuͤmmert ſeyn / als vielmehr erforſchen / ob er dabey deutlich / ge - treu und freundlich ſey / als welches die drey Haupt-Tugenden eines Lehrmeiſters ſind.

37. Hergegen auf ſeiner Seite muß ein Lehrling eine Kindliche Furcht und hertzli - ches Vertrauen zu ſeinem Lehrmeiſter ha - ben / zufoͤrderſt auf das / was er hoͤret / attentſeyn /87Gelahrheit insgemein. ſeyn / ſich nicht ohnnoͤthige und aus Mißtrau - en herruͤhrende Scrupel machen / jedoch aber / da er einigen Zweiffel bey ſich befaͤnde / oder des Lehrers Meinung nicht recht gefaſſet haͤt - te / ihn alſobald / ehe der Mißverſtand und Zweiffel einwurtzelt / denſelben entdecken und zu rathe ziehen.

30. Aus dem was wir bißhero angefuͤhret / werden verhoffentlich folgende kurtze Anmer - ckungen erhellen / und keines ferneren Be - weiſes vonnoͤthen haben. (1.) Dieſes iſt keine Gelahrheit zu nennen / die weder in dem menſchlichen Leben einigen Nutzen ſchaffet / noch zur Seeligkeit anfuͤhret.

39. (2.) Viel Sprachen wiſſen / iſt der ge - ringſte Theil der Gelahrheit.

40. (3.) Zur Gelahrheit braucht man keines abſonderlichen Beruffs.

41. (4.) Weibes-Perſonen ſind der Ge - lahrheit ſo wohl faͤhig / als Manns-Per - ſonen.

42. (5.) Viel wiſſen macht nicht eben ei - nen gelehrten Mann.

43. (6.) Der iſt nicht gelehrt / der es in der That nicht erweiſen kan.

F 4(44.)882. Hauptſtuͤck von der

44. (7.) Der iſt nicht gelehrt / der das na - tuͤrliche und uͤbernatuͤrliche Licht unter - einander wirfft.

Das 2. Hauptſtuͤck. Von der Vernunfft-Lehre inſonderheit.

Jnnhalt.

Was die Vernunfft-Lehre ſey. n. 1. Sie gehet allein den Menſchen an. n. 2. Von dem Unterſcheid der natuͤrli - chen Vernunfft-Lehre / und der die aus der Unte wel - ſung herruͤhret. n. 3. 4. 5. 6. 7. Jn gleichen Logicæ do - centis & utentis. n. 8. 9. 10. Unterſcheid zwiſchen der Vernunfft-Lehre und der Grammatic und Rece - Kunſt. n. 11. Die Erkaͤninuͤs der Wahrheit iſt der fuͤrnehmſte Zweck der Vernunfft-Lehre n. 12. und ver - diente dieſen Nahmen nicht / wenn ſie dieſes nicht leh - rete. n. 13. Ein anders iſt der Warheit nachforſchen / ein anders / ſie erforſchen. n. 14. Die Vernunfft-Leh - re lehret auch das wahrſcheinliche von dem unſtreitig wahren zuerkennen n. 15. Eintheilung der Ver - nunfft-Lehre. n. 16. 17. 18.

1.

DJe Vernunfft-Lehre iſt eine Lehre / die die Menſchen unterweiſet / wie ſie ihre Vernunfft / das iſt / ihre Gedanckenuͤber -89Vernunfft-Lehre inſonderheit. uͤberhaupt in Erkaͤntnuͤs der Warheit / in waſerley Theilen der Gelahrheit es auch ſeyn moͤge / recht gebrauchen / und andern Menſchen damit dienen ſollen.

2. Die Vernunfft-Lehre gehet die Men - ſchen an / und keine andere Creaturen / weil keine andere Creaturen eine Vernunfft ha - ben. Denn die Vernunfft iſt nichts anders / als ein Vermoͤgen der menſchlichen Seele.

3. Dieſe Lehre iſt in der Vernunfft des Menſchen ſelbſt gegruͤndet / und alſo von GOtt dem menſchlichen Geſchlecht ſelbſten von Natur eingegeben. Bey welcher Be - wan[d]nuͤß denn es keiner abſonderlichen Lehre brauchen wuͤrde / wenn des Menſchen Zu - ſtand in dieſem Leben nicht ſo beſchaffen waͤre / daß von Jugend auf das natuͤrliche Licht der Vernunfft durch vielfaͤltige Urſachen verdun - ckelt wuͤrde.

4. Jndem von Jugend auf denen kleinen Kindern / deren Verſtand noch nicht bekraͤffti - get iſt / das Wahre von dem Falſchen zu ent - ſcheiden / viel falſche Einbildungen fuͤr war - hafftige imprimiret werden / welche falſche impreſſiones ſich ſo lange mehren / biß bey heranwachſenden Alter der Menſch geſchicktF 5wird /902. Hauptſtuͤck von derwird / die begangenen Fehler zu erkennen / und wieder auszubeſſern.

5. Dannenhero lehret auch die Vernunfft - Lehre nichts Ubernatuͤrliches / ſondern ſie weiſet nur an / wie man die Vernunfft der Natur nach recht gebrauchen ſolle / oder viel - mehr / wie man die Verduncklungen des na - tuͤrlichen Lichts loß werden ſolle.

6. Wannenhero nicht zu verwundern iſt / daß bey manchen Menſchen das natuͤrliche Licht ſo ſtarck iſt / daß es ſelbſten faͤhig iſt / ohne darzu kommende Unterweiſung die duͤſtern Wolcken der Jrrthuͤmer zu zertheilen.

7. Jedoch iſt deß halben die Unterweiſung nicht zu verwerffen / weil die Exempel der - gleichen Leuterar ſind / und durch dazu kom - mende Unterweiſung andern die Sache noch einmal ſo leichte gemacht wird.

8. Es weiſet aber dieſe Lehre nur / wie man die Vernunfft uͤberhaupt gebrauchen ſolle / in waſerley Theilen der Gelahrheit es auch ſeyn moͤge / weil wir allbereit erwehnet / daß die Vernunfft-Lehre ein gemein Inſtrument der Gelahrheit ſey.

9. Und alſo wuͤrde ſie dieſen Namen mit nichten verdienen / wenn man ſie nicht in allenStuͤ -91Vernunfft-Lehre inſonderheit. Stuͤcken der Gelahrheit nuͤtzen koͤnte / denn das iſt kein Werckzeug / daß ich nicht zu was anders gebrauchen kan.

10. Alſo ſoll nun die Vernunfft-Lehre Haupt-Regeln geben die Warheit zu erken - nen / die uͤberall genutzt werden koͤnnen. Aber die Applicirung dieſer Regeln zu dieſen oder jenen Stuͤcke der Gelahrheit uͤberlaͤſſt die Vernunfft-Lehre andern Diſciplinen.

11. Die Warheit iſt der Zweck der Ver - nunfft-Lehre. Und ſolchergeſtalt iſt ſie von der Grammatic und von der Rede-Kunſt entſchieden / weil jene nur anweiſet / wie man ſeine Gedancken ohne Anſehung auf die War - heit durch die Rede an den Tag geben ſolte / die - ſe aber / wie man durch eine zierliche Rede an - dere Leute zu etwas / es ſey nun wahr oder nicht / bereden ſolle.

12. Es hat aber die Vernunfft-Lehre zu ih - rem fuͤrnehmſten Zweck die Erkaͤntnuͤß der Warheit / weil dahin alle Theile der Ver - nunfft-Lehre / jedoch auf unterſchiedene Wei - ſe / zielen.

13. Und wuͤrde alſo den Namen der Ver - nunfft-Lehre mit nichten meritiren / wenn ſie den Menſchen nur lehrete / wie er die allbe -reit922. Haupt-Stuͤck von derreit erkannte Warheit ausſprechen / oder an - dern fuͤrtragen / oder wie der Menſch von Dingen / die er gar nicht verſtuͤnde / etwas or - dentlich herplaudern ſolte.

14. Uber dieſes muß man auch die Nach - forſchung der Warheit nicht mit der Erſor - ſchung oder wuͤrcklichen Erkaͤntnuͤß derſelbi - gen vermiſchen. Denn es iſt nicht genung / daß die Vernunfft-Lehre dem Menſchen wei - ſe / wie er die Warheit nachjagen ſolle. Sie muß ihm auch die Mittel zeigen / durch welche er dieſelbe erhalten koͤnne.

15. Dieweil aber die Schwachheit des menſchlichen Verſtandes dergeſtalt beſchaffen iſt / daß es ohnmoͤglich iſt / alle Warheiten genau und deutlich zu erkennen / oder derer Warheiten / die ein Menſch weiß / gewiß ver - ſichert zu ſeyn / als iſt genung / wenn die Ver - nunfft-Lehre nur zeiget / wie man das unſtrei - tig wahre / von dem unſtreitigen falſchen entſcheiden / im uͤbrigen aber in denen andern Dingen erkennen ſolte / ob bey denenſelben ei - ne Wahrſcheinlichkeit / und in was fuͤr einem Grad anzutreffen ſey / und wie weit der menſch - liche Verſtand mit ſeiner Wiſſenſchafft darin - ne zunehmen koͤnne.

16. So93Vernunfft-Lehre inſonderheit.

16. So muß auch die Vernunfft-Lehre nicht allein einen Menſchen fuͤr ſich unter - richten / wie er Warheiten erlangen / ſondern ſie muß auch zeigen / wie er dem menſchlichen Ge - ſchlecht daraus dienen ſolle. Denn die Ver - nunfft-Lehre iſt nicht alleine ein inſtrument der Gelahrheit / ſondern auch das erſte und noͤhtigſte Stuͤck derſelben.

17. Dannenhero kan dieſelbe fuͤglich in zwey Theile eingetheilet werden / in denen er - ſten uͤberhaupt von der menſchlichen Ver - nunfft von der Warheit / von denen erſten Ken - zeichen und Grund-Regeln der Warheit / von denen unterſcheidenen Dingen / an welchen die Vernunfft die Warheit erforſchen kan / von denen Mitteln zu Erforſchung unerkanter Warheiten zu gelangen / von der methode und Ordnung / deren man ſich dißfalls zubedie - nen hat / u. ſ. w. gehandelt wird.

18. Der andere Theil betrachtet inſon - derheit / wie man ſich verhalten ſolle / wenn man 1. fuͤr ſich die Warheit erforſchen / 2. die erkante Warheit andern beybringen; 3. anderer Leute Meinungen verſtehen / 4. von denenſelben ju - diciren, und 5. ſie wiederlegen will.

Das94Das 3. Hauptſtuͤck von der

Das 3. Hauptſtuͤck. Von der Menſchl. Vernunfft und derſelben unterſchiede - nen Wirckungen.

Jnnhalt.

Man muß zufoͤrderſt wiſſen / was der Menſch ſey. n. 1. Und wie er fuͤrnemlich von den beſtien entſchieden werden muͤſſe. n. 2. 3. 4. Dieſer Unterſcheid iſt hauptſaͤchlich / weder euſerlich in der glatten Haut des Menſchen n. 5. 6. in ſeinen Haͤnden. n. 7. in dem Angeſichte n. 8. 9. in ſeinen auffgerichteten Gange. n. 10. noch in denen innerlichen Theilen des menſchlichen Leibes zu ſuchen iſt. n. 11. 12. 13. ſondern in denen Reden und Gedancken. n. 14. 15. 16. Nothwendigkeit der Be - trachtung von dem Weſen der Gedancken. n. 17. 18. 19. und derer deutlichen Beſchreibung. n. 20. Ein jeder kan nur von ſeinen Gedancken Rechenſchafft ge - ben. n. 21. Beſchreibung der Gedancken. n. 22. 23. Sie beſtehen in einer innerlichen Rede. n. 24. Die der Menſch mit ſich ſelbſt haͤlt n. 25. Von denen Bil - dungen. n. 26. Die von denen euſerlichen Coͤrpern eingedruckt ſind. n. 27. 28. Sie gehen in dem Gehirne vor. n. 29. Euſerliche und innerliche Sinne des Men - ſchen. n. 30. 31. 32. Der gemeine Verſtand dieſer Eintheilung. n. 33. 34. Die Gedancken des Menſchen ſind vel paffiones vel actiones. n. 35. 36. 37. Genauere Anmerckungen von der Reſidentz der Gedancken in dem menſchlichen Gehirne. n. 38. 39. 40. 41. Die Thierehaben95Menſchl. Vern. u. deren Wirckung. haben gantz keine Gedancken / oder innerliche Re - de von denen enſerlichen Dingen. n. 42. biß. 53. Die Thiere ſehen und hoͤren ei[g]en[t]lich nicht. n. 54. Sie traͤumen nicht. n. 55. Sie haben kein Gedaͤchtnuͤß. n. 56. Die Thiere haben einen innerlichen directo - rem ihrer Gedancken. n. 57. 58. Wir wiſſen aber nicht eigentlich was es ſey. n. 59. Beſchreibung des Men - ſchen. n. 60. Deſſen Leib und Seele. n. 61. 62. 63. Unterſcheid zwiſchen der Seelen Verſtand und Wil - len. n. 64. 65. 66. 67. 68. Die Wuͤrckungen des Ver - ſtandes. n. 69. koͤnnen nicht wohl der Ordnung nach determiniret werden. n. 70. Sie ſind entweder zweif - felhafftig oder ohne Zweiffel. n. 71. 72. 73. 74. Sie ha - ben I. mit enſerlichen Dingen zu thun. n. 75. entwe - der an fuͤr ſich ſelbſt n. 76. 77. 78. oder in conferirung mit andern n. 79. 80. 81. 82. II. mit innerlichen / d. i. mit abſtractionibus. n. 83. als mit welchem das Ge - daͤchtnuͤß. n. 84. die phantaſie n. 85. und die Ver - nunfft oder ratiotinatio. n. 86. zu ſchaffen hat / welche letztern entweder auff das vorhergehende oder zu - kuͤnfftige zielet. n. 87. Unterſchiedene Benennungen der Wirckungen des Verſtandes n. 88. Was eine kla - re n. 89. und dunckele n. 90. handgreiffliche n. 91. und ſubtile n. 92. Erkaͤntnuͤß heiſſe. n. 93. Eine con - fuſe und diſtincte Erkaͤntnuͤß. n. 94. 95. 96. 97. Eine wahre / falſche / gewiſſe und ungewiſſe Erkaͤntnuͤß. n. 98.

1.

WEnn der Menſch nicht weiß / worinnen ſeine Vernunfft beſtehet / wie will er dieſelbe brauchen die Warheit zu erforſchen. Wie will er aber wiſſen / was ſeine Vernunfft ſey / wen er nicht vorher weiß / was er der gan - tze Menſch ſey.

2. Er96Das 3. Hauptſtuͤck von der

2. Er iſt etwas / das iſt kein Zweiffel; Er iſt eine Creatur ſeines Schoͤpffers der Geburt und Sterben unterworffen / das zeiget ihm die taͤgliche Erfahrung. So darff man ſich auch nicht befahren / daß man ihn mit denen Engeln vermiſchen werde. Denn von die - ſen weiß die Vernunfft ohne dem nichts / ſon - dern ſie glaubet hierinnen der heiligen Schrifft / ob ſie gleich keine klahre Erkaͤntnuͤß von denen Engeln hat.

3. So wird man auch nicht leichte den Men - ſchen mit denen himmliſchen Coͤrpern / als Sonnen Mond und Sternen in eine Claſſe ſetzen / vielweniger mit denen Baͤumen / Stei - nen / Metallen / Mineralien und andern der - gleichen Dingen vermiſchen. Alſo bleiben alleine die Thiere uͤbrig / als welche unter al - len Creaturen / die umb uns ſind / dem Men - ſchen am naͤchſten kommen / ſo gar / daß auch et - liche / als die Affen / bey denen / die nicht genau ſich in acht nehmen / fuͤr halbe Menſchen paßi - ren koͤnnen.

4. Derowegen muͤſſen wir uns hier etwas laͤnger auffhalten / und den Unterſcheid / der zwi - ſchen denen Menſchen und Beſtien iſt / etwas genauer unterſuchen / umb uns deſtomehr zuver -97Menſchl. Vern. u. deren Wirckung. verſichern / daß die Vernunfft-Lehre fuͤr den Menſchen alleine gehoͤre.

5. Es iſt wahr / die euſerliche Geſtalt des Menſchen iſt etwas anders beſchaffen / als an - dere Thiere. Denn andere Thiere / ob ſie gleich einen Kopff Haut und Knochen / einen Bauch und Beine haben / ſo iſt doch der Menſch mit einer glatten Haut begabet / da die Thie - re hingegen mit ihren haarichten Fellen u. ſ. w. umbgeben ſind.

6. Aber es giebt auch haarichte Menſchen und z. Exempel nackende Huͤndgen / und die - ſes giebt dem Menſchen keine prærogatio fuͤr denen Thieren / ſondern iſt deſto ſchlim̃er fuͤr ihn.

7. Jedoch haben die Menſchen Haͤnde / mit denen ſie allerhand Dinge verrichten koͤnnen. Aber die Affen und Meerkatzen haben Pfoten / die denen Haͤnden der Menſchen ſehr nahe kom - men / und wie wenn der Menſch deßwegen mit denen Haͤnden begabet waͤre / weil ihm ſonſt andere Gliedmaſſen oder Waffen mangeln ſich wieder euſerliche Gewalt zu vertheydigen / damit ſonſt andere Thiere von Natur verſe - hen ſind.

8. Die Thiere von einerley Art haben or - dentlich einerley Bildung an ihren Kopffe. GAber98Das 3. Hauptſtuͤck von derAber das Angeſicht des Menſchen aͤnder[t]ſich ſo unendlich / daß unter etlichen Millionen Menſchen nicht zwey werden gefunden wer - den / die einander dißfalls rechtſchaffen gleichen.

9. Dieſes iſt etwas. Aber vielleicht iſt es deßhalben geſchehen / damit ein Menſch / der mehrentheils an denen uͤbrigen Theilen des Lei - bes bekleidet iſt / von dem andern koͤnne ent - ſchieden werden / und die Thiere haben andere Kennzeichen an ihren Leibern. So bleibt auch ein Hund eine Beſtie / wenn gleich zum Exempel alle Hunde an denen Koͤpffen anders gebildet waͤren / der Sirenen anitzo zugeſchwei - gen.

10. Aber der Menſch gehet auffgerich - tet / und die Thiere ſehen auff die Erde. Aber thut der Menſch dieſes von Natur oder aus Gewohnheit? und kan man Thiere / als Hun - de und Affen nicht auch angewoͤhnen / daß ſie auffgerichts einhergehen?

11. Laſt uns demnach das Uhrwerck des Leibes der Menſchen und Thiere / gleichſam zergliedern / und innwendig hinein ſchauen. Denn die euſerliche Geſtalt wird es alleine nicht thun / indem alle Beſtien / ſo viel dieſe be - trifft / gleichfalls von einander entſchieden ſind.

12. Aber99Menſchl. Vern. u. deren Wirckung.

12. Aber inwendig findeſt du ſo wohl an Thieren als Menſchen Gehirne / Hertz / Lun - gen / Leber / Eingeweide / Blut / Pulß-und Sennadern u. ſ. w.

13. Sprichſt du gleich / es haͤtte der Menſch nach proportion mehr Gehirne als ein Och - ſe / ſein Blut ſey mehr und waͤrmer als an - dere Thiere / die Sennadern ſeyn anders ge - ordnet / als in andern Thieren / das Zwerch - fell ſey mit dem Hertzbaͤndel gleichſam verei - niget u. ſ. w. ſo wird man dir entgegen ſetzen / daß auch eine Beſtie / was die innerſte Theile betrifft / nicht durchgehends ſo beſchaffen ſey / als die andere; und ein anderer wird vielleicht wollen obſerviret haben / daß ein Eſel nach proportion mehr Gehirne habe / als ein Menſche.

14. Nun wohl dann / vieleicht wiſſen die Thiere ſelbſten den Unterſcheid beſſer / der zwi - ſchen ihnen iſt und dir. Derowegen frage dieſelben.

15. Aber du haͤlteſt dieſes fuͤr thoͤricht / denn ſagſt du / die Thiere koͤnnen nicht mit mir re - den. Es iſt wahr / auch die Affen koͤnnen nicht. Siehe / da haſt du vielleicht den begehrten Un - terſcheid.

G 216. Doch100Das 3. Haupſtuͤck von der

16. Doch die Papegoye reden auch. Du irreſt dich. Die Rede iſt eine Anzeigung der menſchlichen Gedancken / und ſind dieſe beyde ſtets waͤhrend mit einander verknuͤpfft / weßwegen auch die Gedancken von denen Al - ten ſind eine innerliche Rede genennet wor - den. Aber ein Papegoy braucht ſich nur ei - nerley Lauts mit der Rede des Menſchen / und ſchreyet denſelben ohne Verſtand her.

17. Ach / ſprichſt du / nun weiß ichs / worin - nen der Unterſcheid des Menſchen und der Thiere beſtehet. Die Thiere eſſen / trincken / zeugen / wachſen / wachen / ſchlaffen / ſehen / hoͤren / riechen / ſchmecken / fuͤhlen / begreiffen / traͤu - men / und erinnern ſich wie die Menſchen; aber ſie gedencken und reden nicht / ſondern dieſes koͤmmt denen Menſchen alleine zu.

18. Eile nicht zu ſehr mein Freund / ſonſt wirſt du weniger als zu vor wiſſen. Mein / ſage mir / warumb ſprichſt du / wenn du in tief - fen Gedancken u. ſ. w. biſt / du habeſt dieſe und jene Koſtbarkeit in einen Gemach nicht geſe - hen / da dir dieſelbe doch fuͤr der Naſe gelegen / oder du habeſt nicht geſehen / was das Frauen - zimmer / mit der du doch uͤber eine Stunde converſiret haſt / fuͤr Kleider angehabt.

19. Du101Menſchl. Vern. u. deren Wirckung.

19. Du giebſt zur Antwort / du habeſt nicht daran gedacht / weil du deine Gedancken wo anders gehabt. Jch nehme es an. So ſieheſt du demnach und hoͤreſt nicht / wenn du nicht dran denckſt. Und du ſprichſt doch / die Thie - re ſehen / hoͤreten u. ſ. w. und koͤnten doch nicht gedencken / laſt uns zuvor ein wenig genauer beſehen / was die Gedancken des Menſchen ſeyn.

20. Wenn die Gedancken auſſer uns waͤ - ren / wolten wir uns uͤber die Beſchreibung nicht ſehr bekuͤmmern / ſondern ich wolte dir dieſelbige nur zeigen / als wie ich dir etwan ei - nen Loͤwen / oder Triangel oder eine Bewe - gung zeige. Aber ſo ſtecken ſie in uns drin - nen / und wir koͤnnen auch nicht einmahl ver - mittelſt der anatomie darzu kom̃en. Dem - nach iſt es noͤthig / daß wir einander von unſern Gedancken eine deutliche Beſchreibung geben / damit wir nicht in der Blindheit herumb tap - pen.

21. Jch weiß aber meine Gedancken an be - ſten / und du die deinigen. Dannenhero kan auch ich dir beſſer beſchreiben wie ich dencke / als wie du gedenckeſt / und du hingegen kanſt mir von deinen Gedancken die beſte Rechen -G 3ſchafft102Das 3. Hauptſtuͤck von derſchafft geben. Wenn wir nun dieſes werden gegeneinander halten / und mit anderen Leuten ihren Gedancken conferiren / ſoll es nicht feh - len / wir wollen entweder eine rechte Beſchrei - bung der Gedancken heraus bringen / oder ver - gewiſſert werden / daß ein Menſch anders ge - dencke / als der andere. Wohlan ich will hierzu den Anfang machen.

22. Wenn ich gedencke / ſo rede ich allezeit innerlich mit mir ſelbſt von denen Bil - dungen / die durch die Bewegung der eu - ſerlichen Coͤrper / vermittelſt der anderen Gliedmaſſen dem Gehirne eingedruckt ſind / und wenn ich drauff ſchweren ſolte / ſo iſt eine innerliche Empfindligkeit bey mir / daß auch dieſe meine innerliche Rede nirgends an - ders / als in meinen Gehirne / vorgehe.

23. Denckſt du nun auff eine andere Wei - ſe / ſo wirſt du mich ſehr verbinden / wenn du mir ſolches ſageſt / oder nur ein eintzig Exempel geben wirſt einer Gedancke / die nicht auff dieſe Art eingerichtet iſt. Wo aber nicht / ſo laß uns nur die Worte meiner Beſchreibung noch ein wenig genauer betrachten.

24. Jch habe einer innerlichen Rede er - wehnet / und habe bißher noch keine angetrof -fen /103Menſchl. Vern. u. deren Wirckung. fen / der nicht bey ſeinen Gedancken die Em - pfindligkeit bey ſich gehabt / die er hat / wenn ein anderer mit ihn redet. Es iſt wahr / Kinder und von Natur taube Leute koͤnnen nicht mit ſich ſelbſt reden. Aber frage doch auch ein Kind / und einen ſolchen tauben Menſchen / was es damahls gedacht habe oder noch dencke? Und mit was fuͤr Gruͤnden / die den Stich hal - ten / wilſt du einen einzigen Menſchen bereden / daß dergleichen Leute gedencken. Sie ſind ja wohl Menſchen / aber du haſt noch nicht er - wieſen / daß ein Menſch allezeit gedencken muͤſſe.

25. Dieſe innerliche Reden halte ich mit mir ſelbſten. Jch der ich hier fuͤr dir ſtehe mit Haut und Haaren / Fleiſch und Beine / und alles was in und an mir iſt.

26. Jch rede mit mir ſelbſt von denen Bil - dungen. Durch dieſe verſtehe alle Eindru - ckungen der euſerlichen Coͤrper oder derſelben Eigenſchafften und Bewegungen in unſer Ge - hirne; Sie moͤgen nun vermittelſt der Augen oder der Ohren / oder der Naſe / oder der Zun - ge / oder anderer Gliedmaſſen und denen da - bey befindlichen Sennadern / die alle in dem Gehirne zuſammen kommen / daſelbſt einge - druckt werden. Und alſo verſtehe ich uͤberG 4die104Das 3. Hauptſtuͤck von derdie Bildung der euſerlichen Geſtalt / auch die Bildung des Klangs / des Geruchs / u. ſ. w.

27. Was das Gefuͤhle betrifft / ſo leugne ich nicht / daß daßelbe durch alle Gliedmaſſen des menſchlichen Leibes zerſtreuet ſey / und alſo auch durch die coͤrperliche Bewegung derer innerlichen Gliedmaſſen / das Gehirne beruͤhre. Dannenhero wenn ich in vorigen §. der eu - ſerlichen Coͤrper gedacht habe / ſo verſtehe nicht eben diejenigen / die auſſer dem gantzen Menſchen ſeyn / ſondern alle diejenigen / die außer dem Gehirne des Menſchen ſeyn.

28. Und alſo begreiffe ich unter den Ge - fuͤhle auch etliche ungemeine Arten der Em - pfindligkeiten / die von andern als ein abſon - derlicher Sinn betrachtet werden / als den Hun - ger / Durſt / tactum venereum u. d. g.

29. Dieſe innerliche Rede aber empfinde ich / daß ſie in meinen Gehirne vorgehe / nicht in dem Hertzen noch in einem andern Theile des menſchlichen Leibes. Denn ich fuͤhle gar eigen / daß ich in dem obern Theile des Haupts wo das Gehirne liegt / gedencke / wiewohl dieſe Empfindligkeit viel ſubtiler iſt / als die andern / die unmittelbar von Bewegung der euſerlichen Coͤrper herruͤhren / und beſtehet dieſe Empfind -ligkeit105Menſchl. Vern. u. deren Wirckung. ligkeit in nichts anders / als daß ich bedencke / daß ich gedencke / oder nach dem Stylo der Car - teſianer in conſcientia.

30. Dannenhero ſind die menſchlichen Sinn - ligkeiten (ſenſus) etliche euſerlich die andern innerlich.

31. Die euſerlichen ſind / wenn des Men - ſchen Gehirne unmittelbar / durch die euſerli - chen Coͤrper geruͤhret wird / wenn er ſiehet / hoͤ - ret / riechet / ſchmaͤcket / fuͤhlet / Hunger / Durſt / Kuͤtzelung / und Schmertzen oder die Gemuͤths - Regungen empfindet u. ſ. w.

32. Der innerliche iſt / wenn ihm die ein - gedruckten Bildungen wieder vorkommen / und wenn er mit wiſſend iſt / was er geden - cket.

33. Aber huͤte dich / daß du dieſe Eintheilung der Sinne nicht vermiſcheſt / mit der gemeinen Bedeutung. Denn was man insgemein euſerliche Sinne nennet / das ſind nichts an - ders als die euſerlichen Gliedmaſſen des menſchlichen Leibes / dergleichen auch bey denen Coͤrpern der Beſtien anzutreffen ſind. Dieſe aber haben gar keine wuͤrckliche Sinnligkeit / als welche niemahls ohne eine Erkaͤntnuͤß / und folgends ohne Gedancken ſeyn kan.

G 534. Was106Das 3. Hauptſtuͤck von der

34. Was aber die gemeinen innerlichen Sinne betrifft / davon iſt der erſte / nemlich der gemeine Sinn (ſenſus communis) nichts anders als mein euſerlicher Sinn / die phan - taſie und Gedaͤchtnuͤß aber gehoͤren theils zu dem innerlichen Sinne / theils zu denen thaͤ - tigen Gedancken.

35. Denn die Gedancken des Menſchens ſind entweder leidende / oder thaͤtig (pasſio - nes vel actiones.)

36. Die Paſſiones ſind nichts anders / als die itzt erzehlte Sinnligkeiten.

37. Die Actiones ſind / wenn der Menſch dasjenige / was er geſehen / gehoͤret / u. ſ. w. mit Willen bedenckt / wenn er rechnet / miſſet / zu - ſammen ſetzet / von einander ſondert / wenn er dichtet / wenn er ſich etwas zu thun reſol - viret.

38. Es iſt aber das Gehirne groß / und wird gemeiniglich in cerebrum & cerebellum eingetheilet. Nun kan ich dir zwar eben ſo ge - wiß nicht ſagen / an welchen Orthe des Ge - hirns eben der Menſch gedencke. Doch wei - ſet es wohl der Augenſchein / daß es ohnmoͤglich ſey / daß der Menſch alle Gedancken in glan - dula pineali verrichte.

39. Je -107Menſchl. Vern. u. deren Wirckung.

39. Jedoch duͤnckt mir wahrſcheinlicher zu ſeyn / daß die Gedancken mehr in cerebro als in cerebello geſchehen / wenn nun ein jeder auff ſeine eigene Empfindligkeit / die er davon hat / attendiren will.

40. Ja ich halte dafuͤr / wenn es moͤglich waͤre / daß man die kleinen Coͤrpergen daraus das Gehirne zuſammen geſetzt iſt / vermoͤge des Geſichts oder der microſcopiorum recht genau betrachten koͤnte / man ſo wohl bey denen Menſchen als bey dem Vieh die Eindruckun - gen der Bildungen des Geſichts wuͤrde in et - was erkennen koͤnnen.

41. Oder / wenn es moͤglich waͤre / daß ein Menſch beym Leben bliebe / wenn man ihm ſeine Hirnſchale abſeegte; wuͤrde man auch et - was von der Bewegung / die zu der Zeit / wenn der Menſch gedenckt oder meditiret in dem Gehirne vorgehet (wenn anders dieſelbe nicht auch gar zu ſubtil waͤre) erkennen koͤnnen.

42. Nachdem wir alſo die Gedancken der Menſchen genauer betrachtet / ſo ſieheſt du / daß die Thiere weil ſie nicht gedencken / keine eu - ſerliche Rede verſtehen / nicht innerlich mit ſich ſelbſten reden / keine erkaͤntnuͤß von etwas ha - ben / nichts bedencken / dichten / rechnen / meſ -ſen /108Das 3. Hauptſtuͤck von derſen / zuſammen ſetzen / nichts von einander ſon - dern / nichts wollen.

43. Die Eindruckungen geſchehen wohl in ihr Gehirne durch die Augen / Ohren und anderer Gliedmaſſen ihres Coͤrpers / aber ſie reden davon nicht innerlich mit ſich / wie der Menſch / denn ſie verſtehen keine euſer - liche Rede.

44. Und ob wohl ein Hund / wenn gewiſſe Worte geredet werden / auch etwas gewiſſes zu thun pfleget / ſo verſtehet er doch die Worte nicht / ſondern thut das aus bloſſer Gewohn - heit / maſſen denn / wenn er zum Exempel auf Zuruffung ſeines Herren: ſuch / ſuch / ver - lohren / der weggeſchmiſſenen Sache nachzu - gehen pflegt / eben das thun wuͤrde / ſo man ihm dazu angewehnen wuͤrde / weñ man ruffte / bleib da.

45. Wenn der Hund vor einen Pruͤgel laͤufft / oder bey Zeigung einer Suppe darzu laͤufft / gedenckt er ſo wenig an das / was er thut / als ein Menſch wenn er faͤllt / daß er die Haͤn - de vorwirfft / oder wenn der Magen leer iſt / und bey dem Tiſche in tieffen Gedancken / den - ſelben fuͤllet.

46. Be -109Menſchl. Vern. u. deren Wirckung.

46. Betrachte nur die Augen eines jeden Thieres / ja auch eines Affens / der dem Men - ſchen am naͤheſten koͤmt: Sie ſehen gantz todt und tum̃ aus. Siehe aber die Augen eines Menſchen an / du findeſt nicht alleine vielmehr Lebhafftigkeit drinnen / ſondern man ſiehet es ihme auch oͤffters an Augen an / daß er geden - cket / weil man daraus erkennet / was er ge - dencket.

47. Ja ſprichſt du / die Thiere koͤnnen doch gleichwohl viel Kuͤnſte / wie ſolten ſie denn gantz ohne Gedancken ſeyn. Das iſt aber gleichwohl nicht ohnmoͤglich. Ein guter Lau - teniſt zum Exempel ſpielet oͤffters / wenn er ſeine Gedancken wo anders hat / die artigſten Stuͤckgen weg / ohne daß er dran denckt. Und alſo ſieheſt du / daß es nicht ohnmoͤglich ſey etwas kuͤnſtliches zu treiben / ohne daß man dran denckt.

48. Aber du faͤhreſt fort; die Erlernung der Kuͤnſte koͤnnen doch nicht ohne Gedan - cken ſeyn. Denn wenn ein Menſch nicht attent ſey / werde er die Zeit ſeines Lebens nichts lernen; und folglich wuͤrden auch die Thiere bey Erlernung der Kuͤnſte muͤſſen attent ſeyn.

49. Hier110Das 3. Haupſtuͤck von der

49. Hier muſt du erſt bedencken / daß der Menſch auch oͤffters ohne attention was lerne: wenn ihm nehmlich ein Ding durch oͤfftere Wiederhohlung vermittelſt der euſerlichen Gliedmaſſen in das Gehirne ein gedruckt wird. Alſo wenn man etliche Tage auf denen Bauer - Kirmeſſen geweſen / wird man befinden / daß die offt wiederhohlten Bauerſtuͤckgen in dem Gehirne ſo feſte hafften / daß man ſie etliche Ta - ge nicht wieder loß werden kan.

50. Alſo lernen auch die Voͤgel z. e. ſin - gen / wenn man durch offte Wiederhohlung der Floͤthe ihnen das Stuͤckgen / das ſie lernen ſol - len / eindruckt.

51. Jn uͤbrigen aber was die jenigen Sa - chen anlanget / die ein Menſch mit attention erlernet / muß bey denen Thieren die offt wieder - hohlte Gewohnheit die Stelle der attention vertreten / maſſen du dich dann einer gantz an - dern Lehrart bey einem Thiere als bey einem Menſchen bedienen muſt.

52. Bey der Unterweiſung eines Men - ſchen / thut die Rede das vornehmſte; aber re - de einen Thiere vor / was du wilſt / wenn du nicht durch andere Mittel ihnen die Kunſt / die es lernen ſoll / beybringſt / wirſt du wenig aus -richten.111Menſchl. Vern. u. deren Wirckung. richten. Dieſe Mittel aber werden dir ſelbſt zu erkennen geben / daß das Thier bey der Er - lernung keine Gedancken brauche.

53. Die manier, mit welcher jener vor al - ters ſeinem Eſel tantzen lehrete / iſt bekant / und auff was maſſe man heut zu Tage denen Pfer - den und Hunden die Schulen beybringe / be - kraͤfftigen das / was ich geſagt.

54. So folget auch aus dieſen / daß die Thie - re zwar nach gemeiner Redens-Art ſehen und hoͤren / ſo ferne dieſe Dinge von denen Ein - druckungen in das Gehirne gebraucht wer - den / aber eigentlich darvon zu reden ſehen und hoͤren ſie nicht / denn es mangelt ihnen der ſen - ſus communis, der nichts anders iſt als die Gedancke / daß ich ſehe und hoͤre.

55. Die Thiere koͤnnen auch nicht traͤumen denn die Traͤume ſind Gedancken. Und wenn ein Thier in Schlaffe bellet / oder ſonſten was vornimmet / gehet es auff gleiche Art zu / als wie mit denen Nachtgaͤngern / die des Morgens nicht wiſſen / was ſie gethan.

56. Am aller unglaublichſten aber iſt es / daß die Thiere ein Gedaͤchtnuͤß haben ſolten. Denn wie wilſt du dir ein Gedaͤchtnuͤß ohne Gedancken einbilden.

57. Je -112Das 3. Haupſtuͤck von der

57. Jedoch iſt es auch nicht wahrſcheinlich / daß die Bewegung der Thiere bloß von der Bewegung der euſerlichen Coͤrper herruͤhre / und gantz keine innerliche Urſache habe. Denn es ſind gar zu viel Verrichtungen der Beſtien die einen innerlichen directorem anzei - gen.

58. Jch will dir nur ein eintzig Exempel geben. Es ware ein Affe / den vexirte ſein Herr mit einem Stock / indem er ſich ſtellte / als wolte er ihm auff die rechte Seite ſchlagen und wenn der Affe parirte, traff er ihn auff die lincke / der Affe gabe zuletzt ſeinem Herrn nicht mehr auff den Stock / ſondern allezeit auff die Augen achtung.

59. Was aber dieſes fuͤr ein innerlich We - ſen ſey / weiß man ſo genau nicht / ſo wenig / als dieß innerliche Weſen anderer Dinge.

60. Nun wollen wir uns wohl getrauen den Menſchen zubeſchreiben. Der Menſch iſt ein coͤrperliches Weſen / welches ſich bewegen und gedencken kan.

61. Er beſtehet aus zwey Haupttheilen / deren der eine ihme mit den Thieren gemein iſt / der anderer aber ihm von denenſelben ent - ſcheidet / nemlich Leib und Seele.

62. Der113Menſchl. Vern. und deren Wirck.

62. Der Leib iſt das Theil / das ſich bewe - gen / und die Seele der Theil / das dencken kan;

63. Weiter kan ich von des Menſchen See - le nicht ſagen / wie unten mit mehrern ſoll erklaͤ - ret werden.

64. So viel aber die Gedancken des Men - ſchen betrifft / beſtehen dieſelbigen in zwey unter - ſchiedenen Arten / in dem Verſtand und dem Willen.

65. Der Verſtand wird auch ſonſten Ver - nunfft genennet / wie wir ſolche hier gebrau - chen / wiewol durch das Wort Vernunfft auch ſo wol der Verſtand als Wille begriffen wird / und dadurch alle Gedancken verſtan - den werden.

66. Der Verſtand und Wille ſind meh - rentheils miteinander vergeſellſchafftet / dan - nenhero muß ich ſie wol und geſchickt vonein - ander entſcheiden.

67. Jnsgemein ſagt man / daß in dem Verſtand die leidenden Gedancken der menſchlichen Seelen beſtuͤnden / in dem Willen aber das Thun derſelben / und auf dieſe Weiſe wuͤrden wir am deutlichſten ſagen / daß der Verſtand blos in denen Sinnlichkeiten oderHEm -114Das 3. Hauptſtuͤck von derEmpfindlichkeiten beſtuͤnde / wie wir ſolches oben erklaͤret haben / die uͤbrigen Gedancken aber alle gehoͤreten zu dem Willen. Und ſol - chergeſtalt gehoͤrete auch zu dem Willen / wenn ich was meditiren will.

68. Aber dieſe Meinung iſt nicht accurat, weil die Vernunfft des Menſchen auch viel thut / und der menſchliche Wille auch viel lei - det Dannenhero iſt der andre Unterſcheid beſſer / der Verſtand des Menſchen iſt das Thun oder Leiden der Seelen / ſoferne dieſelbe das Weſen oder Beſchaffenheit der Dinge be - trachtet und erkennet. Der Wille aber iſt das Thun oder Leiden der Seele / ſoferne die - ſelbe etwas durch Bewegung der euſerlichen Gliedmaſſen zu thun gedencket. Und auf dieſe Weiſe gehoͤret die Reſolution des Men - ſchen von vergangenen und abweſenden Din - gen / etwas nachzudencken / zu dem Verſtande.

69. Von dem Willen des Menſchen wer - den wir an einem andern Ort weitlaͤufftiger handeln. Was aber den Verſtand betrifft / iſt noͤthig / noch etwas von deſſen Wirckungen zu melden.

70. Und zwar wollen wir uns nicht bemuͤ - hen zu erforſchen ob zwey / drey oder vierope -115Menſchl. Vern. und deren Wirck. operationes mentis ſeyn / und worinnen dieſelbigen beſtehen? Denn alle die Meinun - gen von dieſer Frage (auch unſere eigene / die wir bisher vertheidiget) ſind undeutlich / und vielen ſcrupulis unterworffen / haben auch keinen andern Nutzen / als die gemeine metho - de der Vernunfft-Lehre zu juſtificiren. Weil wir uns aber derſelben nicht bedienen / koͤnnen wir ſie am eheſten entbehren.

71. Die Wirckungen des menſchlichen Verſtandes / in Anſehen der euſerlichen Din - ge / ſind entweder zweiffelhafftig / oder ohne Zweiffel. Bey denen zweiffelhafftigen fra - get ein Menſche allezeit nach etwas.

72. Aber bey denen kein Zweiffel iſt / dieſel - bigen bejahen etwas von einer Sache / oder verneinen etwas davon.

73. Die Zweiffelhafftigen præſuppo - niren eine Unvollkommenheit des Menſchen in ſeinen gegenwaͤrtigen Zuſtande; aber ſie ſind doch gleichſam ein nothwendig Ubel / weil man ohne ſie nicht leichte zu einer gewiſſen Er - kaͤntnuͤß der Warheit kommen kan.

74. Die aber ohne Zweiffel ſind / ſind zu - weilen Zeichen einiger Vollkommenheit im ge - genwaͤrtigen Leben / zuweilen auch einer groſſen Unvollkommenheit.

H 275.116Das 3. Hauptſtuͤck von der

75. Ferner ſo gehen die Wirckungen der menſchlichen Vernunfft entweder auf ein eu - ſerlich Ding an und fuͤr ſich ſelbſt / oder in Be - trachtung uud conferirung mit andern Dingen.

76. An und fuͤr ſich ſelbſt betrachtet man etwas entweder nach ſeinem Seyn oder exi - ſtenz, oder nach ſeinem Weſen / Beſchaffen - heit / oder eſſenz.

77. Bey beyden betrachtet man entweder das gantze Ding uͤberhaupt / oder eintzelen nach ſeinen Theilen und Stuͤcken.

78. Zu der exiſtenz gehoͤret die Frage Ob? Wenn? und Wo? Zu dem Weſen / die Frage: Welcher geſtalt / und was maſſen?

79. Wenn der Verſtand ein euſerlich Ding mit dem andern conferiret / und beyde als gegenwaͤrtig betrachtet / ſo zehlet er ent - weder dieſelben / oder miſſet ſie gegen einander ab / das iſt / er ſuchet entweder einige Gleichfoͤr - migkeit / oder den Unterſcheid zwiſchen ihnen.

80. Hieher gehoͤren die Fragen: Wie viel? Wie groß? Wie gleich?

81 Wenn er aber das eine als gegenwaͤr - tig / das andere aber als vergangen oder zu - kuͤnfftig anſiehet / ſo betrachtet er entweder derDin -117Menſchl. Vern. und deren Wirck. Dinge Bewegung / oder ihre Dauerung / oder ihren Urſprung / oder ihre Wuͤrckung.

82. Hieher gehoͤren die Fragen: Woher? Wohin? Woraus? Zu was Ende?

83. Bey allen dieſen Erkaͤntnuͤſſen werden dem menſchlichen Gehirne / wie oben gedacht / Bildungen eingedruckt / welche ſo ferne der menſchliche Verſtand damit innerlich zu thun hat / abſtractiones genennet werden.

84. Und zwar / ſo betrachtet er entweder die - ſe abſtractiones, wie ſie an und vor ſich ſelbſt bey Gegenwaͤrtigkeit der euſerlichen Dinge ihm eingedruckt worden. Dieſe innnerliche Wuͤrckung wird gemeiniglich Gedaͤchtnuͤß genennet.

85. Oder er ſetzt ſie nach ſeinem Gefallen zuſammen / oder ſondert ſie von einander / und macht gleichſam neue abſtractiones davon. Dieſes heiſt phantaſia, imagination, oder Einbildungs-Krafft.

86. Wenn er aber aus den erkannten ab - ſtractionibus bisher unerkannte Dinge her - vor ſucht / ſo heiſt dieſe Wirckung des Verſtan - des / rechnen / ſchlieſſen / raiſonniren: com - putare, rationari.

H 387. Und118Das 3. Hauptſtuͤck von der

87. Und dieſer Schluß forſchet entweder das Vergangene den Urſprung und die Urſa - che eines Dinges / oder er rechnet das Zukuͤnff - tige / die Wuͤrckungen / und Erfolgungen deſ - ſelbigen aus.

88 Nach Unterſcheid derer itzo erzehlten Wuͤrckungen des Verſtandes / oder die Er - kaͤntnuͤſſen deſſelbigen / erlangen dieſelbe auch unterſchiedene Nahmen. Denn bald werden ſie klar oder dunckel / bald handgreifflich oder ſubtil, bald confus oder diſtinct ge - nennt.

89. Eine klare Erkaͤntnuͤß iſt diejenige / wenn dem Verſtand etwas durch die euſerli - chen Sinne durch eine ſtarcke Bewegung bey - gebracht wird / wenn nemlich die Sache denen Sinnen nahe iſt.

90. Eine dunckele Erkaͤntnuͤß iſt dieſe / wenn die Sache von denen Sinnen entweder gantz entfernet iſt / oder doch dieſelben auf ſchwa - che Art beruͤhret.

91. Eine handgreiffliche (augenſcheinli - che) Erkaͤntnuͤß (cognitio craſſa) iſt / wenn man dasjenige / was man erkennet / einem an - dern wieder ſo deutlich beybringen kan / als wenn es ihm fuͤr den Augen laͤge / oder wennman119Menſchl. Vern. und deren Wirck. man es ihm wuͤrcklich fuͤr die Sinne leget / daß er es begreiffen kan.

92. Eine ſubtile Erkaͤntnuͤß iſt / die ich ei - nem andern nicht ſo deutlich beybringen kan.

93. Alſo iſt zwiſchen der klaren und hand - greifflichen / ingleichen zwiſchen der dunckeln und ſubtilen Erkaͤntnuͤß wol kein groͤſſerer Un - terſcheid / als daß die Begreiffungen der Dinge in Anſehen unſerer ſelbſt klar und dunckel / aber in Anſehen anderer handgreifflich und ſubtil ge - nennet werden / wiewol in denen gemeinen Redens-Arten dieſe beyden Benennungen offt miteinander vermiſcht werden.

94. Eine confuſe und diſtincte Erkaͤnt - nuͤß aber wird entweder von einem Dinge / oder von vielen geſagt.

95. Von einem Dinge iſt diejenige Er - kaͤntnuͤß confus, wenn ich das gantze uͤber - haupt begreiffe / und die ander iſt diſtinct, wenn ich die Theile des gantzen betrachte. Und je mehr ich die Theile eines Dinges von einander unterſcheide / je diſtincter iſt meine Erkaͤnt - nuͤß.

96. Wenn ich aber unterſchiedene Dinge miteinander vermiſche / ſo heiſſt dieſer concept auch confus. Je genauer ich aber dieſelbenH 4von -120Das 4. Hauptſtuͤck von denenvoneinander zu entſcheiden weiß / je diſtincter iſt mein concept.

97. Huͤte dich / daß du dieſe letzten Benen - nungen[nicht] mit denen erſten vermiſcheſt / denn es kan daraus groſſe Hindernuͤß in Erforſchung der Warheit entſtehen.

98. Aber huͤte dich auch um eben dieſer Ur - ſache willen / daß du mit obigen Benennungen nicht die confundireſt / wenn eine Erkaͤntnuͤß wahr oder falſch / gewiß oder ungewiß ge - nennet wird. Denn dieſe Benennungen ruͤhren aus einem gantz andern fundament her / maſſen aus dem Capitel von der Warheit zur Gnuͤge erhellen wird.

Das 4. Hauptſtuͤck. Von denen Kunſt-Wortern / derer man ſich bey der Ver - ſtand-Lehre und derer Ausuͤbung zu bedienen pfleget.

Jnnhalt.

Was Kunſt-Woͤrter heiſſen §. 1. Die Kunſt-Woͤrter der Vernunfft-Lehre §. 2. ſollen noch von dem Capitul von der Warheit §. 3. jedoch nur die vornehmſten e@ -klaͤret121Kunſt-Woͤrtern der Vern. Lehre. klaͤret werden. §. 5. Ens §. 6. Non-ens §. 7. Ens potentiale, rationis, reale §. 8. Unterſchied zwiſchen ente rationis und non-ente §. 9. Eſſentia & Exiſten - tia §. 10. 11. 12. 13. 14. Eſſentiale & Accidontale. §. 15. 16. 17. Individuum §. 18. Species, Genus §. 19. Differentia §. 20. Ens reale vel Deus vel Creatura. §. 21. Subſtantia §. 22. 24. Accidens §. 23. Attribu - tum, Modus. §. 25. Coͤrperligkeit und Bewegung - Thun und Leiden §. 26. Totum §. 27. Situs, Figu - ra, Menſura. §. 28. 29. 30. 31. Bewegung und Ruhe §. 32. 33. Qvalitates ſenſiles §. 34. Flieſſende §. 35. und beſtehende Subſtanzen §. 36. Weiche und harte §. 37. Lockern und dichte §. 38. Schwere und leichte. §. 39. 40. Den Ori. Continens & Contentum §. 41. Die Zeit / die Zahl. §. 42. Lebendige und todte ſub - ſtanzen. §. 43. Steine / Metallen / Pflantzen §. 44. Beſtien und Menſchen §. 45. Ens naturale ſuperna - turale, morale, artificiale §. 46. Ens rationis. §. 47. Logicum §. 48. Factum Mathematicum §. 49. Hiſto - ricum, Poeticum, Morale §. 50. Die vier cauſæ §. 51. Die materiæ §. 52. Die Form §. 53. Die cauſa effi - ciens phyſica §. 54. und moralis §. 55. Subjectum, Adjunctum §. 56. 57. Andere Kunſt-Woͤrter §. 58. Kunſt-Woͤrter der H. Schrifft: Geiſt / Engel / Ewig - keit / ꝛc. §. 59. Subſtantia infinita §. 60. Definitum Mathematicum iſt ein non-ens §. 61.

1.

DEr Menſch giebet ſeine Gedancken durch Worte zu verſtehen / dieſe aber be - deuten entweder ſolche Dinge / die taͤglich in ge - meinen Weſen und allen Staͤnden vorkom - men / oder ſie bedeuten Sachen / die PerſonenH 5ſo122Das 4. Hauptſtuͤck von denenſo in einem gewiſſen Stande leben / eigen ſind / und werden Kunſt-Woͤrter genennet / wenn dieſer Stand eine ſonderbare Geſchicklichkeit oder Gelahrheit des Menſchen inferiret.

2. Gleichwie nun eine jede Wiſſenſchafft ih - re abſonderlichen Kunſt-Woͤrter hat / alſo hat das allgemeine Inſtrument der Gelahrheit die Vernunfft-Lehre ſolche Woͤrter / die nicht allein in derſelben gebraucht werden / ſondern auch in allen diſciplinen pflegen fuͤrzukom - men.

3. Und von dieſem iſt billich / daß man noch fuͤr Abhandlung der Warheit und derer Erfor - ſchung etwas rede / weil dieſelbe zwar an ſich ſelbſt nichts contribuiren / einige nutzbare Warheit zu finden / aber doch derer Dunckel - heit oder Zweydeutigkeit zu vielen abwegen An - leitung geben kan.

4. Denn die Warheit ruͤhret her aus Er - kaͤntnuͤß des Weſens der Dinge / die Kunſt - Woͤrter aber von denen wir reden / ſind nichts anders als gewiſſe concepte und abſtractio - nes, die ſich ein Menſch von dem Weſen aller Dinge macht.

6. Dieſe Kunſt-Woͤrter nun pflegen ins - gemein von denen Gelehrten in der heutigenMeta -123Kunſt-Woͤrtern der Vernunfft-Lehre. Metaphyſic auch zum Theil in der Logic ſelbſt in dem Tractat de primâ mentis ope - ratione erklaͤret zu werden. Wir wollen nur die vornehmſten und noͤthigſten kuͤrtz - lich anfuͤhren / und ſonderlich dieſe / von derer genauen Betrachtung die Meidung gemeiner Jrrthuͤmer in etwas dependiret.

6. Das alleroberſte und gemeineſte Kunſt - Wort iſt Ens oder Aliqvid ein Ding / We - ſen / oder Etwas / durch welches ich alles / was auſſer dem Menſchen oder in demſelbigen / und in ſeinen Gedancken geweſen iſt / noch iſt / und kuͤnfftig ſeyn wird / verſtehe.

7. Jhm wird entgegen geſetzt; Nihil & non-ens: Nichts das iſt / was nie und nirgend geweſen noch ſeyn wird / auch nicht ſeyn kan.

8. Dasjenige Ding / dergleichen ſchon ge - weſen iſt und kuͤnfftig wieder ſeyn wird / wird Ens potentiale genennet; das in des Men - ſchen Gedancken alleine iſt / heiſſe ich ens ratio - nis, und was wuͤrcklich auſſer des Menſchen iſt / heiſſt ens reale.

9. Alſo iſt nun Ens rationis und non-ens, gantz unterſchieden. Denn der Menſch denckt allezeit etwas / und kan nicht nichts ge - dencken.

10. Von124Das 4. Hauptſtuͤck von denen

10. Von einem jedweden ente reali ſagt man / daß es ein Weſen (eſſentiam) habe / und daß es ſey (qvod exiſtat.)

11. Die exiſtenz eines Dinges nenne ich dasjenige / dadurch der Menſch empfindet / daß ein Ding etwas ſey / oder dadurch des Men - ſchen ſeine Sinne uͤberhaupt geruͤhret werden.

12. Das Weſen eines Dinges aber nenne ich die Beſchaffenheit deſſelbigen / oder die Art und Weiſe (modum) mit dem ein Ding em - pfunden wird.

13. Die Exiſtenz aller Dinge iſt einerley / aber das Weſen der Dinge iſt ſo vielfaͤltig als viele Dinge ſeyn.

14. Ferner ſo hat ein jedes Ding nur ein ei - nig unveraͤnderliches Haupt-Weſen / aber ſo viel exiſtentias als faſt Augenblicke ſeyn / die aber gar fuͤglich zu drey Haupt-Claſſen gebracht werden koͤnnen / dem vergangenen Sein / dem gegenwaͤrtigen und dem zukuͤnfftigen.

15. Jch ſage ein Haupt-Weſen. Denn die Beſchaffenheit eines Dinges iſt entweder weſentlich oder zufaͤllig.

16. Die weſentliche Beſchaffenheit oder das Hauptweſen Eſſentia ſtrictè dicta vel Eſſentiale iſt diejenige Beſchaffenheit / durchwel -125Kunſt-Woͤrtern der Vern-Lehre. welche der Menſch begreifft / daß dieſes Ding præciſè dieſes und kein anders ſey / und ohne welches er auf die Frage / was ein Ding ſey / nicht antworten kan.

17. Die zufaͤllige Beſchaffenheit / mo - dus rei accidentalis iſt die Beſchaffenheit ei - nes Dinges / die dieſem Dinge kein beſonders Weſen gibt / ſondern in dieſem Dinge ſich ver - aͤndern kan / wiewol dieſe Veraͤnderung / derer modorum accidentalium doch nicht ſo viel - faͤltig iſt / als derer exiſtentiarum.

18. Das Hauptweſen eines Dinges iſt ent - weder in einem eintzelen Dinge / welches auch deßwegen individuum genennet wird.

19. Oder es iſt in vielen individuis gemein / und heiſt Species. Wenn aber die individua die ein gemein Weſen haben / von unterſchiede - nen ſpeciebus ſeyn / ſo heiſſt dieſes gemeine Weſen Genus, oder eſſentia generica.

20. Wiederum wenn die Dinge gegen an - dere / die ein unterſchiedenes Weſen haben / be - trachtet werden / ſo heiſſt das Weſen eines jeden Differentia, und dieſe iſt ſolchergeſtalt vel ge - nerica, vel ſpecifica, vel individuifica.

21. Ein jedes Ding / auſſer des Menſchen Gedancken (Ens reale) iſt entweder ein ur -ſpruͤng -126Das 4. Hauptſtuͤck von denenſpruͤngliches Ding / von dem alle andern ih - ren Urſprung haben / und welches von ſich ſelbſt iſt / oder es iſt ein Ding / das von dieſem ur - ſpruͤnglichen Weſen herruͤhret. Jenes heiſſt mit einem Wort Gott / dieſes aber ein Ge - ſchoͤpffe oder Creatur.

22. Ob nun wol alle Geſchoͤpffe von Gott herkommen / ſo beſtehet doch ein jedwedes / ſofer - ne es ein entzelen iſt / fuͤr ſich ſelbſt / und wird in dieſem Anſehen ſo wol als Gott eine ſubſtanz oder ſelbſtaͤndiges Weſen genennet.

23. Unter denen Creaturen iſt eine jede ſub - ſtanz mit vielen Beſchaffenheiten begabt / die fuͤr ſich ſelbſt nicht beſtehen koͤnnen / ſondern in dem ſelbſtaͤndigen Weſen gleichſam ſtecken / ihm ankleben / und ihm vereiniger ſeyn / oder von ihm herruͤhren und es beruͤhren / dieſe Be - ſchaffenheiten werden accidentia oder Zufaͤlle genennet / welche man nicht mit denen Zufaͤllen vermiſchen muß / von denen wir oben n. 17. ge - redet haben.

24. So heiſt demnach ein Selbſtaͤndiges Weſen dasjenige / das fuͤr ſich beſtehet / das iſt / das keinem andern anklebet / und in welchem viel Beſchaffenheiten oder acci - dentia vereiniget ſind / oder von ihm her - ruͤhren.

25. Die127Kunſt-Woͤrtern der Vern. Lehre.

25. Die Beſchaffenheiten aber / die von der ſubſtanz dependiren / nennet man in regard derſelben ent weder ein attributum, wenn nem - lich dadurch das Hauptweſen dieſer ſubſtanz fuͤr einer andern erkennet wird / oder modum (in ſpecie) wenn es von der ſubſtanz ihrem Weſen ohne derſelben Verletzung entfernet ſeyn kan.

26. Ferner ſo beſtehen die Beſchaffenhei - ten der Geſchoͤpffe / ſoferne dieſelbigen von der menſchlichen Vernunfft begriffen werden koͤn - nen / entweder in der Coͤrperligkeit der ſub - ſtanzen / oder in ihrer Bewegung: Jene klebt gleichſam denen ſubſtanzen an / dieſe aber ruͤhret von ihnen her / und beruͤhret ſie hin - wiederum / wird auch ſolchergeſtalt bald ein Thun bald ein Leiden genennet.

27. Die Coͤrperligkeit / corporeitas ei - ner ſubſtanz beſtehet darinnen / daß ſie ein to - tum oder etwas gantzes ſey / das iſt / daß ſie mehr als einen Theil habe.

28. Sie wird aber dieſer Theile halber mit unterſchiedenen Nahmen beleget / nachdem die - ſelbigen gegen einander oder gegen andern ſub - ſtantien gehalten werden.

29. Haͤlt man die Theile einer ſubſtanzſelbſt128Das 4. Hauptſtuͤck von denenſelbſt gegen einander / ſo nennet man es ſitum oder poſitur am.

30. Und wenn die poſituræ einer ſubſtanz mit der poſitur der andern conferiret werden / ſo nennet man es figuram.

31. Wenn man aber die Vielheit oder We - nigkeit der Theile einer ſubſtanz gegen die Theile der andern haͤlt / ſo nennet man es Men - ſur am die Maſſe / die Groͤſſe oder Kleinigkeit einer ſubſtanz.

32. Die Bewegung einer ſubſtanz heiſſt dasjenige / Krafft welcher dieſelbe von dem Menſchen mit denen Sinnen begriffen wird.

33. Wenn nun bey dieſer Bewegung die ſubſtanz ihren Ort oder ſitum veraͤndert / ſo heiſſt es motus ſimpliciter oder eine Be - wegung in ſpecie. Veraͤndert ſie aber ih - ren Ort oder ſitum nicht / ſo heiſſt es die Ruhe der ſubſtanz.

34. Aus dem Unterſchied dieſer Bewegun - gen und der Coͤrperligkeiten einer ſubſtanz ruͤhren alle conceptè von Farben / von Klan - ge / von Geruch / von Geſchmack und von der Hitze oder Kaͤlte / Trockene oder Feuchte / der ſubſtanzen her.

35. Die129Kunſt-Woͤrtern der Vern. Lehre.

35. Die ſubſtanzen werden entweder flieſ - ſend oder beſtehend / fluidæ vel conſiſten - tes genennet. Flieſſend ſind ſie / wenn man ihre Theile / daraus ſie beſtehen / durch eine ſchlechte Beruͤhrung von einander ſepariren kan / doch dergeſtalt / daß die abgeſonderten Theile alſobald / und gleichſam von ſelbſt ſich wieder vereinigen / wenn ſie einander nur ein wenig beruͤhren.

36. Beſtehend aber heiſſen ſie / wenn ſie mit einiger Muͤhe von einander geſondert werden.

37. Wenn aber die Theile der ſubſtanzen in ihrer poſitur koͤnnen geaͤndert werden / heiſ - ſen ſie weich / wenn es mit leichter Muͤhe zuge - het / und dieſen ſetzet man hart entgegen.

38. Mit keinen von beyden Redens-Arten muß man dieſe vermiſchen / wenn die ſub - ſtanzen locker oder dichte (raræ & denſæ) genennet werden / denn das nennet man locker / wenn die Theile der ſubſtanzen nicht genau aneinander haͤngen / dichte aber / wenn ſie ge - nau miteinander vereinigt ſeyn / wiewol dieſe Redens-Arten mehrentheils von ſubſtantiis conſiſtentibus geſagt werden.

J39. Als130Das 4. Hauptſtuͤck von denen

39. Als wie auch die Schwere und Leich - te / welche in denen ſubſtantiis conſiſtenti - bus gleichſam mit der Lockerheit und Dichte vereiniget ſind / maſſen in Lockern eine ſub - ſtanz iſt / in Leichten pflegt ſie auch zu ſeyn / und je dichter ſie iſt / je ſchwerer iſt ſie auch.

40. Es heiſſen aber diejenigen ſchwer / die andere ſubſtanzen / die ſie beruͤhren / harte druͤ - cken / und von ihrem Ort zu vertreiben ſuchen / die ſolches nicht thun / heiſſen leichte.

41. Die flieſſenden ſubſtantien umgeben die conſiſtentes, ja ſie umgeben ſich ſelbſten untereinander allenthalben / und die unmittel - bare Umgebung nennet man den Ort derer / die umgeben werden. Wenn aber eine ſub - ſtantia conſiſtens flieſſende oder andere conſiſtentes in ſich begreifft / nennet man jene continens, dieſe aber contenta.

42. Wenn man die exiſtentias einer je - den ſubſtanz zuſammen haͤlt / wird ſolches die Zeit genennet / wenn man aber die individua zuſammen ſetzt / und voneinander ſondert / heiſt es numerus die Zahl.

43. Die ſubſtanzen ſind guten Theils le - bendig oder todt. Lebendig werden ſie ge - nennet / wenn ſie ſichdurch einen innerlichenTrieb131Kunſt-Woͤrtern der Vern. Lehre. Trieb bewegen. Todt / wenn dieſer innerliche Trieb aufhoͤret / ſeine Wirckung zu thun.

44. Dieſe Bewegung geſchiehet entweder ohne Veraͤnderung des Orts / durch bloſſen Wachsthum / und zwar entweder alleine un - ter der Erden / wie bey denen Steinen / Me - tallen und Mineralien / oder auch uͤber der - ſelbigen bey denen Pflantzen und Baͤumen.

45. Oder ſie geſchiehet mit Veraͤnderung des Orts / entweder ohne Erkaͤntnuͤß / als wie bey denen Beſtien / oder mit Erkaͤntnuͤß / wie bey denen Menſchen.

46. Die Dinge / von denen wir bisher ge - redet / und welche von GOtt herruͤhren / heiſ - ſen Entia natur alia, natuͤrliche Dinge / Gott ſelbſt aber iſt Ens ſupernatur ale, oder ein Uber - natuͤrliches. Was von menſchlichen Verſtand herruͤhret / nennet man Entia moralia, ſoferne ſein Thun und Laſſen mit denen Geſetzen uͤber - ein koͤmmt oder nicht / oder Entia artificialia, ſoferne daſſelbige denen natuͤrlichen Dingen nachahmet.

47. Aber wir muͤſſen auch derer Entium ra - tionis nicht vergeſſen / die in des Menſchen Verſtand einig und alleine ihr Weſen haben. Dieſe ſind nichts anders als die eingedrucktenJ 2ſche -132Das 4. Hauptſtuͤck von denenſchemata oder Ideæ von denen wuͤrcklichen Dingen / und derer Zuſammenſetzung oder Ab - ſonderung / die vermittelſt des Verſtandes ge - ſchehen.

48. Wenn der Verſtand die gleichen ideas zuſammen fuͤgt / und die ungleichen von einan - der ſondert / und ein jedes gleichſam an ſeinen gehoͤrigen Ort bringet / ſo nennet man es Ens rationis Logicum vel Metaphyſicum.

49. So ferne er aber von denen eingedruck - ten ſchematibus entweder eine mixtur macht / oder eine ideam in gewiſſe Theile ab - ſondert / ſo kan man es Ens rationis fictum nen - nen / wenn der Verſtand mit denen ideis figu - rarum vel motuum zu thun hat / daferne er aber mit denen ideis numeri, temporis, und menſuræ beſchaͤfftiget iſt / wird es Ens rationis matbematicum genennet.

50. Endlich wenn der Verſtand abſonder - lich mit denen ſchematibus des menſchlichen Thuns umgehet / und daſſelbige in eine gewiſſe Ordnung bringet / ſo betrachtet er entweder wie es ſich verhalten; dieſes heiſſet Ens ra - tionis Hiſtoricum, oder wie es ſich haͤtte ver - halten koͤnnen / woraus Ens rationis Poëticument -133Kunſt-Woͤrternder Vern. Lehre. entſtehet / oder wie es ſich verhalten ſollen / ſo nennet manes Ens rationis morale.

51. Von denen Dingen / abſonderlich aber von denen Geſchoͤpffen / pflegt man vier cauſis zu ſagen / die materie, die form, die cauſam efficientem, und den Nutzen oder Zweck der - ſelben.

52. Die materie nennet man die kleinen Tbeilgen der Coͤrperligkeit einer ſubſtanz, aus welchen dieſelbe zuſammen geſetzt iſt.

53. Die Form aber iſt die Vereinigung und gleichſam der Leim / welche dieſe kleinen Theile zuſammen haͤlt / daß ſie ein gantzes machen.

54. Die cauſa efficiens wird genennet / durch derer Bewegung etwas in einem andern Dinge gethan oder gewuͤrcket wird / und iſt insgemein cauſa efficiens phyſica.

55. Soferne aber dieſe Wuͤrckung ein Menſch mit Wiſſen und Willen verrichtet / es ſey mittelbar oder unmittelbar / oder wenn man ihm dieſelbe ſonſt imputiret / ſo nenne ich ihn cauſam moralem.

56. So pfleget man auch zum offtern die Kunſt-Woͤrter ſubjecti & adjuncti von denenJ 3Din -134Das 4. Hauptſtuͤck von denenDingen zu brauchen / wiewol dieſelbigen auf vielerley Weiſe genommen werden.

57. Hauptſaͤchlich nennet man die ſubſtanz ſubjectum, und die accidentia adjuncta, und heiſſt ſolchergeſtalt ſubjectum dasjenige / dem andere Dinge gleichſam ankleben / und adjun - ctum, was in einem andern dergeſtalt ſteckt / daß es ohne daſſelbe nichts iſt.

58. Die andern Kunſt-Woͤrter der Ver - nunfft-Lehre koͤnnen aus andern Logicis oder Metaphyſicis hergehohlet werden. Die kuͤr - tzeſten und deutlichſten ſind wol hierinnen fuͤr einen / der ſich ad vitam civilem appliciren will / die beſten. Jch habe mich bey meines ſeel. Vaters Logic und Metaphyſic in die - ſem Stuͤck nicht uͤbel befunden.

59. Jedoch muß man zu der Vernunfft - Lehre die terminos nicht rechnen / die die Ver - nunfft nicht begreifft / und von denen der Menſch blos aus Goͤttlicher revelation ſich einen dunckelen concept machet: Dannen - hero habe ich nichts von Geiſte / von Engeln / von der Ewigkeit / von infinito, u. ſ. w. gere - det. Denn alle dieſe concepte muß ein Ge - lehrter aus der H. Schrifft herhohlen.

60. Und135Kunſt-Woͤrtern der Vern. Lehre.

60. Und zwar ſo viel das infinitum anlan - get / ſo glaube ich wohl / daß unter denen ſub - ſtanzen GOtt alleine infinitus heiſſe / und uͤber meinen Verſtand ſey / als welcher ſeine Graͤntzen hat.

61. Was aber qvantitatem infinitam oder infinitum mathematicum betrifft / ſo iſt wohl dieſelbe nirgends / weder in denen enti - bus realibus, noch in denen entibus rationis, ſondern ein bloſſes Wort / das nichts bedeutet / und nichts nutzet / als blos die Unwiſſenheit un - ſers Verſtandes oder den Mangel unſerer Kraͤffte damit zu bemaͤnteln.

Das 5. Hauptſtuͤck Von der Warheit / Und derer unterſchiedenen Arten.

Jnnhalt.

Warhafftigkeit. n. 1. 2. Ob etwas wahr ſey, n. 3. 4. 5. Exempel unſtreitiger Warheiten. n. 6. 7. 8. 9. War - umb das Exempel ausgelaſſen worden / daß der Menſch gedencke. n. 10. 11. und warumb man zwey - erley Art Exempel gegeben. n. 12. Beſchreibung derJ 4War -136Das 5. Hauptſtuͤck von der WarheitWarheit. n. 13. Beſchaffenheit der Ubereinſtim - mung des Verſtandes mit denen euſerlichen Dingen. n. 14. 15. 16. Das Falſche. n. 17. Jrrthum und Ge - dichte. n. 18. Schuld des Jrrthumbs iſt mehr bey dem Verſtande. n. 19. Das Wahre iſt zweyerley n. 20. Uuſtreitig wahr. n. 21 und wahrſcheinlich. n. 22. Die Urſache dieſes Unterſchieds iſt am Verſtande des Menſchen. n. 23. Unerweißliche Wachen. n. 24. de - monſtrable. n. 25. und probable Dinge. n. 26. Ge - gen einander Haltung des unſtreitig wahren mit dem wahrſcheinlichen. n. 27. 28. 29. 30. Gleiche Betrach - tungen wegen des falſchen. n. 31. 32. 33. 34. 35. Wie unerkante Dinge von den wahren und falſchen un - terſchieden. n. 36. 37. 38. 39. 40. 41. Das Wahre und Falſche iſt nicht in bloſſen Worten n. 42. 43. 44. noch in bloſſen Gedancken. n. 45. 46. gehet auch die no[n]entia nicht an. n. 47. und kan weder von denen terminis ſimplicibus n. 48. noch von denen qvæſtionibus geſagt werden. n. 49.

1.

DUrch die Warheit wird allhier nicht die Warhafftigkeit verſtanden / welches eine Sitten-Tugend iſt / ſondern eine innerli - che Beyſtimmung des Menſchen / daß ſich etwas ſo verhalte / als er gedencket.

2. Aber dieſer concept von der Warheit iſt noch zu weitlaͤufftig. Denn dieſer inner - liche Beyfall findet ſich auch zuweilen bey de - nen / die einer falſchen Meinung / oder einer Schein-Warheit beypflichten. Demnachmuͤſſen137und derſelben unterſchiedenen Arten. muͤſſen wir die Warheit beſſer kennen lernen / wenn wir Haupt-Regeln / dieſelbe zu erforſchen / betrachten wollen.

3. Aber vielleicht iſt dieſelbige nicht in der Welt / und ein eiteler Wahn derer / die ſich Ge - lehrte nennen: Oder ſie iſt fuͤr dem Menſchen ſo verborgen / daß er ſie nicht finden kan. Und wie viel tauſend Jahr haben die Gelehrten darum geſtritten / und doch noch nicht ſich verei - nigen koͤnnen / wer ſie gefunden.

4. Aber die Schuld iſt nicht an der War - heit / ſondern an der Hartnaͤckigkeit oder præ - cipitanz derer Philofophen.

5. Deine eigene Gedancken werden dich uͤberzeigen / daß etwas wahr ſey / und wenn du dieſes gegen mich leugnen wilſt / ſo iſt alle unſere Intention vergebens / denn dieſe Pro - poſition, daß etwas wahr ſey / kan durch nichts als den gemeinen Beyfall aller vernuͤnff - tigen Menſchen / und eines jeden ſeiner eigenen Verſicherung / behauptet werden.

6. Wir werden aͤber das Weſen der War - heit deſto deutlicher erkennen / wenn wir zuvor - her um etliche Exempel unſtreitiger Warhei - ten uns vergleichen.

J 5Zum138Das 5. Hauptſt. von der Warheit

Zum Exempel: Dieſer Thurm iſt vier - eckigt / dieſer Stock iſt ger ade / wir wachen itzo alle beyde. Wir haben Haͤnde und Fuͤſſe. Der Schnee ſtehet weiß und nicht ſchwartz. Die Auſtern / die wir geſtern aſſen / waren keine Schoͤps-Keulen: Wenn du die Hand ins Feuer haͤltſt / ſo thut dir es wehe. Wenn du traurig biſt / ſo biſt du nicht luſtig / u. ſ. w.

8. Jch will dir noch eine andere Art von Exempeln fuͤrſtellen: Es iſt ohnmoͤglich / daß etwas zugleich ſey und nicht ſey. Vier und drey iſt ſieben. Das Gantze iſt groͤſ - ſer als das Halbe. Drey Winckel eines Dreyangels gelten ſo viel / als zwey gleiche Winckel. Wenn der Eſel ein Menſch waͤre / ſo waͤre er vernuͤnfftig. Ja / wenn er vernuͤnfftig waͤre / ſo waͤre er kein Eſel mehr / u. ſ. w.

9. Daferne dir aber unter dieſen Exem - peln eines gewiſſer vorkoͤmmt als das andere / ſo waͤhle dir nur aus jedweder Art eines. Biſt du aber ſo unverſchaͤmt und laͤugneſt ſie alle / oder wenn du nur ſo unverſchaͤmt biſt / daß du dir nur ein eintziges falſch zu ſeyn einbildeſt /und139und derſelben unterſchiedenen Arten. und mit Ernſt daran zweiffelſt / ſo iſt es am be - ſten / daß wir uns von einander begeben.

10. Jch haͤtte auch wohl unter die Exempel ſetzen koͤnnen: Daß wir beyde gedencken. Aber ich habe es mit Fleiß unterlaſſen. Denn du wuͤrdeſt mit keiner groͤſſern Unverſcham - heit dieſes Exempel als jene leugnen.

11. Und wie viel kluge Leute ſind / die andere bereden wollen / daß ſie jezuweilen an nichts ge - dencken. Ja es iſt gar offenbarlich wahr / daß der Menſch nicht allezeit gedencke.

12. Jch habe aber begehret / du ſolteſt aus jeden von beyderley Arten / dir ein Exempel waͤhlen / damit / wenn du nun auf die eine claſſe reflectireſt / du das Weſen der Warheit nicht enger einſchrencketeſt / als es waͤre / wie aus dem folgenden Capitul erhellen wird.

13. Denn die Warheit iſt nichts anders als eine Ubereinſtimmung der menſchlichen Gedancken / und die Beſchaffenheit der Dinge auſſer denen Gedancken.

14. Hier muſt du aber nicht fragen / ob der Verſtand mit denen Dingen / oder die Dinge mitdem Verſtande uͤberein kommen muͤſten / ſondern dieſe harmonie iſt ſo beſchaffen / daß keines des andern ſonderliche Richtſchnur iſt /ſon -140Das 5. Hauptſt. von der Warheitſondern die harmonie von beyden zugleich præſupponiret wird / auſſer daß die euſerli - chen Dinge gleichſam den Anfang zu derſel - ben machen.

15. Denn die Dinge ſind ſo beſchaffen / daß ſie von dem Menſchen begriffen werden koͤn - nen / und der Verſtand iſt ſo beſchaffen / daß er die euſerlichen Dinge begreiffen kan.

16. Die euſerlichen Dinge ruͤhren die Empfindligkeit des menſchlichen Verſtandes. Dieſer aber betrachtet dieſe Beruͤhrungen / theilet ſie ab / und ſetzt ſie zuſammen / ſondert ſie voneinander / und haͤlt ſie gegeneinander.

17. Wenn aber zwiſchen denen euſerli - chen Dingen und denen Gedancken keine harmonie iſt / ſo entſtehet daraus das Fal - ſche / oder das nicht wahr iſt.

18. Giebt man nun daſſelbige aus ernſtli - cher Meinung fuͤr wahr aus / ſo nennet man es einen Jrrthum; laͤſſt man es aber fuͤr eine bloſſe Wuͤrckung des Verſtandes paſſiren / ſo nennet man es eine fiction oder Gedichte.

19. Ob aber gleich bey dem Falſchen ſo wohl die euſerlichen Dinge mit denen Gedancken / als die Gedancken mit denen euſerlichen Din - gen nicht uͤberein kommen / ſo iſt doch dieSchuld141und derſelben unterſchiedenen Arten. Schuld des Jrrthums mehr bey dem Ver - ſtande des Menſchen / als bey denen euſerli - chen Dingen / wiewol durch die euſerlichen Dinge Entfernung zum Exempel die Unbe - dachtſamkeit des Verſtandes offte zu irren An - laß nimmt.

20. Das Wahre aber iſt entweder un - ſtreitig wahr / oder wahrſcheinlich.

21. Unſtreitig wahr iſt dasjenige / von deſſen Ubereinſtimmung ein jeder erwachſener Menſch / mit dem wir umgehen / nebſt uns in - nerlich vergewiſſert iſt / wenn wir ihm nur un - ſere Gedancken durch deutliche Worte haben zu erkennen gegeben.

22. Wahrſcheinlich iſt / wenn dieſer inner - liche Beyfall mit einigem Zweiffel / daß die Sache ſich anders verhalten koͤnte / vergeſell - ſchafftet iſt.

23. Dieſe unterſchiedene Arten des Wah - ren ruͤhren nicht ſo wol von denen euſerlichen Dingen / als von der unterſchiedenen Be - ſchaffenheit der menſchlichen Vernunfft her. Denn die euſerlichen Dinge ſind in ihrem We - ſen allezeit einerley; Aber der Verſtand des Menſchen iſt / wiewol durch ihre eigene Schuld /nicht142Das 5. Hauptſt. von der Warheitnicht gleich faͤhig / die Warheiten von denen Din - gen zu faſſen.

24. Und alſo ſind etliche Dinge / die des geringſten Beweiſes nicht brauchen / oder bewieſen werden koͤnnen / weil nichts war - hafftigers zu finden iſt / ſondern von allen Men - ſchen / wenn ſie gleich noch ſo einfaͤltig ſeyn / als - bald verſtanden werden: Als daß wir beyde itzo wachen / daß zweymal dreye ſechſe machen.

25. Manche aber koͤnnen bewieſen wer - den durch etwas klaͤrers: Als daß die drey Winckel des Dreyangels ſo viel austra - gen / als zwey gleiche Winckel: Und wenn daraus eine unſtreitige Warheit entſtehet / ſo heiſſt man dieſen Beweiß eine Demonſtration.

26. Wenn aber der Beweiß nicht klar ge - nung iſt / daß die innerliche Vergewiſſerung darauf folgen kan / ſo iſt es eine bloſſe probabili - taͤt. Z. E. Daß die Warheit in zweyer Zeugen Auſſage beſtehe.

27. Hieraus folget (1.) Daß aus wahr - ſcheinlichen Dingen zuweilen unſtreitig wahre werden koͤnnen / zuweilen auch nicht.

28. (2.) Daß wohl etwas unſtreltig wahr ſeyn koͤnne / das doch nur fuͤr wahr -ſchein -143und derſelben unterſchiedenen Arten. ſcheinlich / oder wohl gar fuͤr falſch gehalten wird / wegen Mangel der Menſchen z. e. daß die Erd-Kugel rund iſt.

29. (3.) Daß manches Falſche oder Wahrſcheinliche aus gleichen Mangel fuͤr unſtreitig wahr gehalten werde z. e. qvod non dentur antipodes.

30. (4.) Daß viel unſtreitige Warhei - ten von etlichen Menſchen erkannt werden / von etlichen aber nur fuͤr wahrſcheinlich we - gen Unwiſſenheit des Beweiſes erkannt wer - den / z. e. daß der Menſch ohne menſchliche Geſellſchafft ungluͤcklich ſey.

31. Wie wir bisher das Wahre eingethei - let haben / alſo iſt auch das Falſche entweder unſtreitig falſch / oder nur mit einiger Wahr - ſcheinligkeit vergeſellſchafftet.

32. Unſtreitig falſch iſt / von deſſen dis - harmonie mit denen Dingen abermal jedwe - der Menſch durch deutliche Worte kanverge - wiſſert werden.

33. Wahrſcheinlich falſch iſt dasjenige / wenn man bey dieſen Beyfall erkennet / daß die Sache endlich auch wahr ſeyn koͤnne.

34. Ebenmaͤſſig ſo ſind in Anſehung des menſchlichen Verſtandes / etliche Dinge ſofalſch /144Das 5. Hauptſt. von der Warheitfalſch / daß ſie keines Beweiſes brauchen; als daß ich keine Haͤnde und Fuͤſſe habe / daß ein Dreyangel viereckigt ſey; etliche koͤn - nen falſch zu ſeyn klaͤrlich demonſtrir et wer - den; als daß 2. Winckel eines Dreyangels 2. gleiche Winckel austragen / daß die Thiere gedencken / etliche aber nur mit pro - babeln conjecturen z. e. Daß die Sonne um die Erdeherum lauffe.

35. So haben auch die n. 27. ſeqq. ange - zogenen vier concluſiones wiederum mutatis mutandis hier ſtatt.

36. Alle Dinge unter denen eine harmo - nie und disharmonie ſeyn kan / muͤſſen eine proportion zuſammen haben / und gleichſam von gleicher capacit aͤt ſeyn; und præſuppo - niren auch eine Gegeneinanderhaltung / daß man von der harmonie oder disharmo - nie judiciren koͤnne. Denn wenn ſie gar nicht in einen tertio zuſammen kommen / und von gantz ungleicher capacitaͤt ſeyn / oder wenn man ſie nicht gegen einander halten kan / ſo iſt weder harmonie noch diſharmonie dar - zwiſchen.

37. Alſo iſt zwiſchen denen Farben und dem Klange / zwiſchen dieſen beyden und demGe -145und deren unterſchiedenen Arten. Geruch / eigentlich weder eine harmonie noch disharmonie. Alſo iſt zwiſchen zweyen Farben von einerley Hauptcouleur zwiſchen zweyen Violinen u. ſ. w. davon ich von der einen nichts weiß oder doch abweſend iſt / eigentlich weder Ubereinſtimmung noch Unterſchied.

38. Ebenmaͤßig giebt es auch Dinge / die man weder fuͤr wahr noch falſch ausgeben kan / entweder weil ſie gar unterſchiedener Na - tur mit der capacitaͤt unſers Verſtandes ſeyn / deßhalben weil ſie wegen ihrer gar zu groſſen Kleinigkeit keine ſenſible impres - ſion drein machen koͤnnen / als die particulæ minutisſimæ materiæ, oder weil ſie wegen der uͤbermaͤßigen Groͤſſe in unſern kleinen Ver - ſtand nicht gantz eingedruckt werden koͤnnen / als uͤbernatuͤrliche geiſtliche und Goͤttliche Dinge.

39. Oder weil wegen ihrer Abweſen - heit man ſie mit dem Verſtand nicht conte - riren kan / als abermals uͤbernatuͤrliche und viel natuͤrliche Dinge / die von uns allzuweit entfernet ſind.

40. Dieſe nun / ſo ferne ſie in ſolcher Be - trachtung bleiben / heiſſen unbekandte oderKuner -146Das 5. Hauptſt. von der Warheitunerkandte Dinge / und ſind alſo in anſehen unſers Verſtandes weder wahr noch falſch / weil ſo wohl zu wahren als falſchen einige Er - kaͤntnuͤß erfordert wird.

41. Sie koͤnnen aber wohl nach Gelegen - heit wahr / wahrſcheinlich und falſch wer - den / wenn ſie bekant werden / das iſt / wenn ſie entweder auffhoͤren abweſend zu ſeyn / oder wenn per revelationem uns etwas davon beygebracht wird / aber alsdenn ſind ſie nicht mehr ignotæ.

42. Aus obigen allen folget (1) daß bloſſe Worte / ſo ferne ſie nicht weiter als bloſſe Worte betrachtet / und auff die Dinge / die ſie bedeuten oder andere euſerliche Dinge nicht referiret werden / weder falſch noch wahr ſeyn / aber in applicirung zu beyden geſchickt ſeyn. Denn die Worte gelten ex arbitrio hominum, nicht ex natura.

43. Alſo wenn ich das Wort Menſch ohne anſehen auff einigen Menſchen / oder den Laut oder die Figur / die es macht / wenn es aus - geſprochen oder geſchrieben wird / oder der - gleichen etwas fuͤr mir nehme / iſt es weder wahr noch falſch. u. ſ. w.

44. Ja147und deren unterſchiedenen Arten.

44. Ja wenn ich gleich ſage: der Schnee ſey ſchwartz / ſo kan doch dieſe Rede wohl wahr ſeyn / wenn ich mich erklaͤhre / daß durch das Wort Schnee ich dasjenige verſtuͤnde / was andere Dinte heiſſen.

45. (2) So folget ebenmaͤßig daraus / daß die Gedancken des Menſchen ohne re - lation auf etwas anders an und fuͤr ſich ſelbſt gleichergeſtalt weder wahr noch falſch ſeyn / ſondern / in Betrachtung gegen etwas anders beydes zu werden geſchickt ſeyn.

46. Alſo wenn ich mit meinem Gemuͤthe ſechſe formire, oder chimæram, iſt dieſes we - der wahr noch falſch: Es wird aber beydes / wenn ich gedencke / daß ſechſe 2. mahl dreye ſey / oder daß ſechſe 3. mahl 2. ſey / daß chi - mæra als ein Gedancke in meinen Kopffe ſtecke / oder daß chimæra auſſer meinen Ge - dancken etwas ſey.

47. (3) Daß wenn ich meine Gedancken auf ein non ens richte / und von demſelben et - was bejahe und verneine / daß ich ſolcher Ge - ſtalt vielmehr nichts gedencke / als daß ich was wahres oder was falſches gedencken ſolte. Denn ein non ens, wie wir es oben beſchrieben haben / z. e. ein unvernuͤnfftigerK 2Menſch148Das 5. H. von der Warheit &c. Menſch / eine kalte Glut iſt weder in unſern Verſtande noch auſſer demſelben / ſondern ein bloſſes gar nichts bedeutendes Wort / das ſich alſo weder zur harmonie noch diſharmo - nie ſchickt / und weder wahr noch falſch werden kan.

48. (4) Daß weil jede harmonie eine relation, dieſe aber allezeit zwey Dinge er - fordert / daß eigentlich zu reden in conceptu termini ſimplicis weder veritas noch falſi - tas ſey / ſondern daß beyde zum wenigſten ei - ne propoſition erfordern.

49. (5) Daß von denen zweiffelhaffti - gen Gedancken oder qvæſtionibus animi keine Warheit oder Falſchheit geſagt werden koͤnne / ſondern bloß von denen unzweiffel - hafften / die etwas bejahen oder verneinen. Denn jene haben allezeit pro objecto eine unerkante Sache.

Das149Das 6. H. von denen erſten &c.

Das 6. Haupſtuͤck. Von denen erſten und unbe - weißlichen Warheiten / ingleichen de primis veritatis criteriis & principiis.

Jnnhalt.

Continuation n. 1. 2. Eine Grundwarheit muß unerweiſt - lich ſeyn n. 3. 4. General concept von primo princi - pio, n. 5. es muß eine univerſal propoſition ſeyn. n. 6. 7. 8. Unterſcheid zwiſchen denen erſten Warheiten und primis principiis n. 9. Es iſt nur ein einziges pri - mum principium n. 10. biß 16. der Begriff aller War - heiten n. 17. welches aus der deſinition der Warheit hergenommen werden muß / n. 18. 19. nehmlich: Was mit der Menſchlichen Vernunfft uͤbereinſtimmet iſt wahr &c. n. 20. Das iſt was mit denen Sinnen und ideis uͤbereinſtimmet n. 21. 22. Unterſcheid zwiſchen denen Sinnen und ideis n. 23. 24. 25. Was der Menſchliche Verſtand durch die Sinne erkennet / das iſt wahr n. 26. Ob die Sinne betruͤgen koͤnnen n. 27. Wer die Warheit erforſchen will / muß geſund an Lei - be n. 28. und Gemuͤthe ſeyn / n. 29. Er muß au[ch]wa - chen n. 30. welche reqviſita uͤberhaupt auch bey denen ideis zu beobachten n. 31. der Schlaff hindert an Er - kaͤntnuͤß aller Warheiten n. 32. Die Raſerey zu weile[n]nur an wenigen n. 33. Die Ungeſundheit des Leibes al - lezeit nur an etlichen n. 34. Nutzen dieſer Anmer - ckungen n. 35. 36. 37. 38. was von denen diſputationi - bus der blinden von den Farben zu halten ſey. n. 39. Ein jeder Menſch weiß gewiß / wenn er geſund iſt / undK 3wachet150Das 6. Haupſtuͤck von denenwachet n. 40. 41. 42. 43. Derinnerliche Sinn betruͤ - get niemahlen n. 44. Bey denen euſerlichen truͤgen auch die Bildungen nicht. n. 45. 46. Daß man aber dieſelben zuweilen denen Sachen ſelbſt zu ſchreibet / iſt die Schuld bey denen thaͤtlichen Gedancken. n. 47. 48. 49. Bey der Erkaͤntnuͤß der Sinnen n. 50. muͤſ - ſen die objecta in debitâ diſtantiâ ſeyn. n. 51. biß 55. Das medium muß lichte und nicht zu duͤcke ſeyn / auch durch gehoͤrige Bewegung die Bildungen zu uns brin - gen n. 56. Von denen ſubſtantzen muß man nicht mit einen Sinn alleine judiciren / n. 57. auch nicht eben mit allen fuͤnffen n. 58. Unterſchiedener Nutzender Sinne nach Unterſcheid der ſubſtantzen n. 59. Veraͤnderlig - keit derer Senſoriorum n. 60. 61. 62. des Geſichts und Gehoͤrs n. 63. 64. 65. des Geruchs / Geſchmacks / Ge - fuͤhles n. 66. 67. 68. Nutzen dieſer Anmerckung in Er - forſchung der Warheit n. 69. 70. Von derer idearum Verknuͤpffung mit denen Sinnen n. 71. Mercklicher Unterſcheid zwiſchen denen Sinnen und ideis n. 72. 73. 74. 75. Ohne ideis waͤre der Menſch nicht Menſch n. 76. 77. Ohne Sinnen haͤtte er keine ideas. n. 78. 79. Ideæ oder abſtractiones n. 80. koͤnnen nicht fuͤg - lich eingetheilet werden n. 81. 82. Ideæ qvantitatum ſind die deutlichſten n. 83. 84. und unter denenſelben ideæ numeri n. 85. Prima idea de individuo eſt, eſſe unum n. 86. Die Dunckelbelt der Vernunfftlehre und anderer diſciplinen kan fuͤglich ex arithmeticis erklaͤh - ret werden n. 87. 88. 89. Aus denen numeris oder der Algebra koͤnnen nicht alle diſciplinen, ſonderlich aber die Phyſici und Philoſophia Practica nicht hergeleitet werden n. 90. biß 97. Was von dem dicto: Eſſentiæ rerum ſunt ſieut numeri zu halten. n. 98. 99. Was mit denen ideis uͤbereinkommet / iſt wahr n. 100. Ideæ und definitiones ſind eines n. 101. Dieſe propoſitio iſt unerwelßlich n. 102. Falſche ideæ ruͤhren von dem boͤſen Willen und præjudiciis her n. 103. 104. Jnvielen151erſten und unbeweißlichen Warh. vielen ideis iſt das Menſchliche Geſchlecht einig n. 105. Urſache warum ein ſo groſſer Streit unter denen phi - loſophis de definitionibus iſt n. 106. Die ideæ ſind nicht etlichen Menſchen eigen n. 107. 108. 09. Primum principium kan nicht in ſpecies eingetheilet werden n. 110. Principia lecundo prima n. 111. 1 2. 113. Princi - pium primum practicum iſt ſecundò primum. n. 114.

1.

NAchdem aus vorigen Hauptſtuͤck erhel - let / daß Warheiten und zwar von un - terſchiedenen Gattungen ſeyn / unter wel - chen die unſtreitigen Warheiten billich den Vorzug erhalten / und fuͤrnehmlich zur Ver - nunff[t]lehre gehoͤren / auch gleichſam der Pro - bierſtein ſeyn / an welchen die Warheiten - berhaupt geſtrichen werden / als muͤſſen wir dieſelbigen etwas genauer betrachten.

2. Und zwar weil die unſtreitigen War - heiten theils keines Beweiſes von noͤthen haben / theils aber aus andern hergeleitet wer - den / als ſcheinet es zwar / ob doͤrfften wir uns um jene nicht groß bekuͤmmern / oder dieſelbi - ge als was ſonderliches in unſerer Vernunfft - Lehre weitlaͤufftig tractiren / weil kein Menſch an denenſelben zweiffelt / dieweil aber bey denen erweißlichen Warheiten man ſich fuͤr allen Dingen um den Grund bekuͤmmernK 4muß /152Das 6. Hauptſtuͤck von denenmuß / aus welchen andere Warheiten herge - lei[t]et werden / ſo iſt zum wenigſten noͤthig zu erforſchen / ob wir denſelben nicht etwan aus denen unerweißlichen herhohlen muͤſſen.

3. Was aus etwas anders erwieſen wird / muß mit demſelbigen eine Vereinigung ha - ben / und wenn dieſes wieder aus was anders erwieſen werden ſoll / muß man eben der - gleichen Vereinigung præſupponiren.

4. So folget nun daraus / daß eine War - heit mit der andern verknuͤpfft iſt / und daß ſo lange als eine Warheit durch eine andere erwieſen wird jene der Hauptgrund oder Qvell nicht genennet werden moͤge / ſondern aller - dings eine Grundwarheit unerweißlich ſeyn muͤſte.

5. Dieſe Grundwarheit wird von denen Philoſophis primum principium genen - net / und kan alſo noch zur Zeit beſchrieben wer - den / daß es eine unerweißliche Warheit ſey / aus welcher andere Warheiten herge - leitet werden. Dieweil aber von dieſen pri - mo principio groſſer Streit unter ihnen ent - ſtanden / muͤſſen wir deſto behutlamer in deſſen Erforſchung ergehen.

6. Wir haben in vorigen Capitel vielExem -153erſten und unbeweißlichen Warh. Exempel ſolcher unerweißlicher Warheiten erzehlet / zum Exempel: daß dieſes ein Hund / dieſer Turm viereckigt / zweymahl dreye ſechſe ſeyn.

7. Aber dieſe koͤnnen noch nicht pro pri - mis principiis paßiren / weil ſie alle eintzele oder particulares propoſitiones ſeyn / aus de - nen man keine Warheit herleiten kan.

8. Dannenhero gehoͤret zu denen primis principiis, daß ſie univerſal propoſitiones ſeyn / damit man andere Warheiten daraus herleiten koͤnne.

9. Und ſolchergeſtalt kan man einen Un - terſcheid zwiſchen denen erſten Warheiten und denen primis principiis machen. Alle prima principia ſind erſte Warheiten / aber nicht alle erſte Warheiten ſind prima prin - cipia. Jene ſind auch propoſitiones par - ticulares, dieſe univerſales, aus jenen wer - den dieſe formirt, jene fallen eher in dem Menſchlichen Verſtand / und wecken dieſe gleichſam darinnen auff.

10. Jch will noch mehr ſagen / jene koͤnnen deßhalben nicht prima principia ſeyn / weil derſelben unzehlig ſind / das primum princi - pium aber muß nur ein einiges ſeyn.

K 511. Denn154Das 6. Hauptſtuͤck von denen

11. Denn ein Menſch hat nur einen eini - gen Verſtand / und der Verſtand / der bey al - len Menſchen iſt / iſt nicht unterſchiedenes / ſon - dern eines Weſens.

12. Dannenhero beſcheidet man ſich zwar / daß ſonſten das Wort primus auch von vie - len auf gewiſſe Maſſe prædiciret werden koͤn - ne / alleine bey dem primo principio verita - tis bedeutet es nur ein einziges.

13. Denn wenn auch nur zwey principia prima waͤren / ſo haͤtten dieſelbigen entweder eine Verknuͤpffung mit einander / oder keine.

14. Waͤren ſie durch das dritte mit einan - der verknuͤpfft / ſo waͤre das dritte principi - um prius, und folglich koͤnten dieſe beyden nicht prima genennet werden.

15. Waͤren ſie nicht verknuͤpfft / ſo muͤſte folgen / daß der Menſchliche Verſtand nicht einerley waͤre / ſondern zweyerley unterſchie - denes Licht von ſich wuͤrffe / welches abſurd iſt.

16. Ja es muͤſte folgen / daß Warheit nicht Warheit waͤre / weil zwey wiederwaͤr - tige Dinge keine harmonie machen koͤnnen.

17. Wie mag aber nun dieſe propoſitio prima wohl heiſſen. Wir wollen die phi -loſo -155erſten und unbeweißlichen Warh. loſophos wacker darum zancken laſſen / und unſers Orts ohne Anſtoß fortgehen. Es kan nicht fehlen / das primum principium muß ein Begriff aller Warheiten ſeyn.

18. So muß ich demnach ſolches nothwen - dig aus der definition der Warheit herneh - men / denn wenn dieſe nicht alle Warheiten begreiffe / waͤre es keine definition.

19. So pfleget man auch in Mathematicis aus denen definitionibus rerum alle axio - mata herzuleiten.

20. Solchergeſtalt aber heiſt dieſes pri - mum principium ſo: Was mit des Men - ſchen Vernunfft uͤbereinſtimmet / das iſt wahr / und was des Menſchen Vernunfft zu wieder iſt / das iſt falſch.

21. Ja ſprichſt du / das habe ich laͤngſt ge - wuſt / aber ich wolte gerne wiſſen / worinnen denn dieſe Ubereinſtimmung beſtuͤnde / und al - ſo iſt dieſes primum principium fuͤr mich viel zu dunckel / weil ich noch nicht weiß / ob das wahre dasjenige ſey / das mit denen Sinnen / oder das / welches mit denen ideis des Ver - ſtandes uͤbereinkommet.

22. Mein lieber Freund / du biſt an dieſer Dunckelheit ſelbſt ſchuld / weil du die Sinnenund156Das 6. Hauptſtuͤck von denenund ideas durch die Heydniſche philoſophie verfuͤhret einander entgegen ſetzeſt / da ſie doch beyde zu dem Menſchlichen Verſtand gehoͤ - ren / und alſo die Warheit ſo wohl mit de - nen Sinnen / als mit denen ideis uͤber ein - kommen muß.

23. Denn die Sinnen ſind die leidenden Gedancken / die ideæ aber die thaͤtigen Ge - dancken des Verſtandes.

24. Jene haben unmittelbar mit denen individuis zu thun / dieſe mit denen univer - ſalibus.

25. Jene ſind der Anfang aller Menſch - lichen Erkaͤntnuͤß / dieſe aber folgen auff jene. Jene ruͤhren ſich bald Anfangs bey denen kleinen Kindern / und ſind mehrentheils ie gantze Lebenszeit durch einerley / auſſer daß ſie bey herannahenden Alter natuͤrlicher Weiſe abnehmen / dieſe aber erregen ſich erſt eine gute Zeit hernach / und veraͤndern ſich zu ei - ner Verbeſſerung bey Wachßthum der Jah - re / zum wenigſten ſolte dieſe Verbeſſerung geſchehen.

26. Alſo nun begreifft dieſes primum principium zwey propoſitiones in ſich / o - der es wird vielmehr in dieſelbige reſolviret. Die157erſten und unbeweißlichen Warh. Die erſte heiſt: Was der Menſchliche Ver - ſtand durch die Sinne erkennet / das iſt wahr / und was denen Sinnen zu wieder iſt / das iſt falſch.

27. Dieweil aber es offte geſchiehet / daß das - jenige / was durch die Sinne vorgeſtellet wird / ſich in der That anders verhaͤlt z. e. ein Ste - ckel der in Waſſer k[a]um ſcheinet / da er doch gerade iſt / als muͤſſen wir dieſe Regel etwas deutlicher erklaͤhren / damit wir nicht auff die Meinung gerathen / als ob die Sinne auch den Menſchen betroͤgen / oder betruͤgen koͤnten.

28. Derowegen præſupponiren wir / daß der Menſch / der die Warheit unterſuchen will / geſunden Leibes ſey / das iſt / daß die euſerlichen Gliedmaſſen / die zu denen Sinn - ligkeiten gehoͤren / in dem natuͤrlichen Zuſtand ſeyn / in welchen ſie ſich bey andern Menſchen befinden.

29. Zum 2. daß er auch einen geſunden Verſtand habe / und weder raſend / noch ſon - ſten verruckt in Gemuͤthe ſey.

30. Zum 3. daß er wache und nicht ſchlaffe.

31. Dieſe drey reqviſita gehoͤren ſo wohl zu Erkaͤntnuͤß der Warheit / die vermittelſtderen158Das 6. Hauptſtuͤck von denenderen Sinnen / als der / die durch die thaͤtli - chen Gedancken erhalten und ausgeuͤbet wird / denn ein Blinder / Raſender / Schlaffender rai - ſonniret nicht allein von individuis, ſondern auch von abweſenden univerſalibus uͤbel.

32. Jedoch iſt unter dieſen dreyen reqvi - ſitis ein mercklicher Unterſcheid. Der Schlaff hindert mich natuͤrlicher Weiſe an Erkaͤntnuͤß aller Warheiten / weil nehmlich der Anfang aller Erkaͤntnuͤß / ich meine / das Geſicht / Gehoͤr und Gefuͤhl durch denſelben verſchloſſen werden. Und es ſey nun / daß der Schlaff ohne Traͤume iſt / ſo gedenckt der Menſch weder was wahres noch falſches / o - der daß er mit Traͤumen vergeſellſchafft ſey / fo weiſet es einem jeden ſein eigen Gewiſſen / wenn er erwacht iſt / daß dieſelbigen entweder gantz falſch / oder doch durch und durch mit fal - ſchen vermiſchte Dinge vorgeſtellet haben.

33. Bey raſenden und verruckten Leuten ſind die innerlichen theils des Gehirnes mehr verderbet / verruckt als die euſerlichen Gliedma - ſen / und obgleich mehrentheils dadurch die im - preſſiones der euſerlichen Gliedmaſſen gantz gehindert werden / ſo geſchiehet es doch zuwei - len / daß dieſe innerliche Verwirrung nur eineein -159erſten und unbeweißlichen Warh. eintzige propoſition beruͤhret / in uͤbrigen aber der patient den Gebrauch ſeines Verſtandes hat / z. e. wenn ſich einer eingebildet / er ſey von Glaſe / habe Froͤſche in Leibe / habe ein groß Gewaͤchſe an der Raſe / er ſey ein maͤchtiger Potentate u. ſ. w.

14. Aber was die Ungeſundheit der euſer - lichen Gliedmaſſen anlanget / ſo iſt dieſelbige allezeit ſo beſchaffen / daß ſie uns an Erkaͤnt - nuͤß der Warheit nur zum theil hindert z. e. den Blinden an Erkaͤntnuͤß der Farben / den Tauben an Unterſcheidung des Klangs u. ſ. w. Denn wenn alle ſinnliche und euſerliche Glied - maſſen verdorben waͤren / ja wenn nur ein Menſche von Natur blind und taub waͤre / wuͤrden wir uns gar keinen deutlichen con - cept von ihm machen koͤnnen / daß er ein Menſche ſey.

35. Aus dieſen folget / daß man einen ſchlaffenden / ſo lange als er ſchlaͤfft / die Warheit nicht beybringen koͤnne.

36. Auch einen raſenden nicht / wenn der gantz verruckt iſt / ehe das innerliche impe - dimentum durch Arzeney gehoben wird.

37. Aber wenn er ſich durch eine wunder - liche phantaſie nur eine falſche propoſitionimpri -160Das 6. Hauptſtuͤck von denenimprimiret hat / kan man ihm wohl dieſelbe per impreſſionem contrariæ phantaſiæ exſenſuum evidentia mediante aliqva ra - tiocinatione benehmen / wenn man z. e. ihm einbildet / die Froͤſche waͤren per fæces von ihm gangen / wenn man ihn ſo lange ſchlaͤgt / biß er empfindet / daß er nicht von Glaſe ſey ꝛc.

38. So kan man auch einen / der nur ein einig lædir tes ſenſorium hat gar leicht convin - ciren / daß er entweder gar keinen concept von dem objecto deſſelbigen ſenſorii habe / als z. e. ein Blinder von der Farbe / oder ei - nen Jrrigen / z. e. ein Gelbſuͤchtiger / einer der den Schnupffen hat.

39. Jch weiß wohl / daß von Natur blin - de de coloribus und zwar cum laude diſpu - tiret haben / aber deßwegen folgt nicht / daß ſie einen warhafftigen concept de coloribus gehabt haͤtten / denn ich bin verſichert / daß wenn dieſe Blinde gleich nach vollbrachter diſputation ſehend worden waͤren / ſie nicht eine einige vorgelegte Farbe wuͤrden haben nennen koͤnnen / ſondern es iſt vielmehr ein indicium, daß die Philoſophie, aus welcher dieſe Blinden diſputiret / eine blinde philoſo - phie oder meri ſine mente ſoni geweſen ſey.

40. Ja161erſten und unbeweißlichen Warh.

40. Ja ſprift du / wer verſichert mich aber dieſer Warheit / daß ich geſund bin und wa - che. Jch habe gleichwohl offte im Traume gemeinet / daß ich wachete / alſo kan ich mich auch itzo wohl triegen.

41. Gewiß / wenn du deinen eigenen Sin - nen und deiner innerlichen Vergewiſſerung nicht trauen willſt / ſo kan ich dir nicht helffen / weil dieſes præſuppoſitum unter die un - erweißlichen Warheiten mit gehoͤret.

42. Dein Einwurff aber iſt ſehr unver - nuͤnfftig. Denn du ſolteſt daraus nur ſo viel ſchluͤſſen / daß ein traumender Menſch das criterium veritatis nicht zubrauchen wiſſe / und ſiehe nur / wie du dich ſelbſt ſchlaͤgſt.

43. Denn antworte mir doch / woher weiſt du denn / daß dich dein Traum betrogen hat / wenn er dir vorſtellete / daß du wacheteſt / war es nicht das folgende wachen / daß dich dieſes Jrrthums uͤberzeugete?

44. Wenn wir nun dieſes præſupponi - ret haben / ſo iſt ferner zu wiſſen / daß der in - nerliche Sinn / wie wir oben denſelben be - ſchrieben haben / den Menſchen niemahls / auch nur wahrſcheinlich / betrogen habe.

45. Was aber die euſerlichen SinneL(nach162Das 6. Hauptſtuͤck von denen(nach unſerer Beſchreibung) betrifft / muͤſſen wir zufoͤrderſt die Bildungen oder ſchema - ta mit denen Sachen ſelbſt / davon ſie for - miret werden / nicht vermiſchen:

46. Die Bildungen / das iſt die Bewe - gungen oder Eindruͤckungen in unſer Gehir - ne truͤgen uns niemahlen. Alſo iſt z. e. es warhafftig wahr / daß uns etwas in denen Oh - ren klinget / daß ein viereckter Thurm von fer - ne rund ſcheinet / daß der im Waſſer ſteckende gerade Stecken krum ſcheinet / daß ein zaͤrtli - cher Menſch durch eine kleine harte Beruͤh - rung groſſe Schmertzen empfindet / daß ein Stein oder eine von Wachs zubereitete Frucht wie eine natuͤrliche ſcheinen u. ſ. w.

47. Aber was die Sachen ſelbſt anlan - get / geſchiehet es zuweilen / daß dieſe Bildun - gen ſich nicht in der That an ihnen verhalten / wie wir es uns einbilden / oder nicht von ver Urſachen herruͤhren / die wir uns bereden / wie aus denen itzo angefuͤhrten Exempeln gar leichte kan abgenommen werden.

48. Jedoch muß man deßwegen die Schuld nicht denen Sinnen geben / ſondern ſie liegtviel -163erſten und unbeweißlichen Warh. vielmehr an der præcipitanz unſerer thaͤtli - chen Gedancken und des judicii.

49. Denn ich werde eben dieſes meines Jrrthums durch die leidenden Gedancken oder die Sinnligkeiten uͤberwieſen.

50. Damit alſo deſto deutlicher werde / was man durch die Erkaͤntnuͤß derer Sinnen verſtehe / muß ein jeder Menſch folgende Stuͤcke in acht nehmen.

51. Die Sache / die ich vermittelſt der Sin - ne begreiffen will / muß in debita diſtantia ſeyn.

52. Jch kan aber debitam diſtantiam nicht anders beſchreiben / als daß die Sache nicht zu weit und nicht zu nahe von mir ſeyn muͤſſe / in puncto kan ich dieſelbige nicht ſetzen / ſondern ein jeder muß ſie bey ſich ſelbſt abnehmen / theils / weil die Sinne nicht alle ei - nerley diſtantz haben / theils weil ein Menſch auch in anſehen eines einigen Sinnes eine an - dere diſtantz erfordert / als der andere.

53. Denn bey dem Gefuͤhl und Ge - ſchmack muͤſſen die ſubſtantzen / von denen die Erkaͤntnuͤß enſtehen ſoll / gantz an das ſenſo - rium applicirt werden / aber bey dem Ge - ruch / Gehoͤre / und Geſichte / koͤnnen dieſel -L 2ben164Das 6. Hauptſtuͤck von denenben in weiterer diſtantz / und unter dieſen drey - en Sinnen immer bey einem weiter als bey dem andern erkennet werden.

54. Dieweil auch ein Menſch ein ſubtiler oder ſchaͤrffer Geſicht / Gehoͤr / Geruch / u ſ. w. hat als der andere / ſo erfordert auch der eine nothwendig eine naͤhere diſtantz derer obje - ctorum, als der andere.

55. Jedoch iſt auch bey dieſen drey letzten Sinnen allezeit zu Erlangung einer deutli - chen Erkaͤntnuͤß an beſten / wenn die objecta ſo nahe ſind / als moͤglich / und es die ſen - ſoria ertragen koͤnnen.

56. Hiernaͤchſt / weil bey dem Geſicht / Ge - hoͤr und Geruch ordentlich einige Lufft zwi - ſchen dem ſenſorio und dem objecto iſt / durch derer Bewegung die ſchemata zu dem ſenſorio gebracht werden / welche auch deß - wegen medium ſentiendi pflegt genennet zu werden / ſo iſt auch noͤthig / daß dieſelbige ihre ordentliche Beſchaffenheit erhalte / das iſt / daß ſie genung Licht habe / nicht zu dicke ſey / und die ſchemata durch eine wiedrige Bewe - gung nicht von uns wegfuͤhre.

57. Nachdem auch GOtt einer jeden ſub - ſtantz viel accidentia, die durch die Sinne be -griffen165erſten und unbeweißlichen Warh. griffen werden koͤnnen / dem Menſchen aber mehr als einen Sinn dieſelbigen zu begreif - fen mitgetheilet / ſo folget nothwendig / daß in dijudicirung einer ſubſtantz von der ande - ren er Menſch nicht mit einen Sinn allei - ne zuplumpen muͤſſe / ſondern alle Sinne / durch welche er dieſelbige zuvor begriffen / brauchen muͤſſe / weil er ſonſt gar leichte einen Jrrthum begehen kan.

58. Jedoch kan man auch hierinnen keine gewiſſe Regul in puncto geben / ſondern man muß es eines jeden eigener Erfahrung an - heim ſtellen. Denn gleich wie ſich der Men - ſche offte betruͤget / wenn er eine ſubſtantz nur vermittelſt eines einigen Sinnes erkennen will / alſo werden zu allen nicht eben alle fuͤnff Sinne erfordert / ſondern manchmahl ſind zwey genung / manchmahl werden mehr er - fordert.

59. Ja nach Unterſcheid der ſubſtantzen giebt ein Sinn fuͤr dem andern bald mehre - re / bald weniger Erkaͤntnuͤß. Bey den Steinen und Metallen thut das Geſicht und Gefuͤhl das meiſte / bey denen Pflantzen der Geruch / bey denen Fruͤchten der Geſchmack / bey denen Thieren das Gehoͤr / und dieL 3Men -166Das 6. Haupſtuͤck von denenMenſchen unter einander zu entſcheiden das Geſicht.

60. endlich muß auch dieſes wohl beobach - tet werden / daß die ſenſoria, in Vorſtellung der Dinge nach Unterſcheid derer Sinne ein Ding nicht allen Menſchen oder nicht zu aller Zeit auff gleiche Art vorſtellen.

61. Wiewol ſolches nicht alſo zu verſtehen iſt / als ob das ſenſorium eines Menſchen dem andern eine Sache gantz wieder waͤrtig und entgegen geſetzt eindrucke / denn ſonſten wuͤrde man gar keine gemeine Regeln von der Warheit geben koͤnnen / ſondern eines jeden ſeiner Einbildung dieſelbe anheim ſtellen muͤſſen.

62. Sondern ein ſenſorium iſt in gewiſ - ſen Faͤllen mehr Verenderungen unter - worffen / als das andere / oder bey einem Men - ſchen mehr als dem andern.

63. Zwar was das Geſichte betrifft / wird man dieſe Veraͤnderung faſt gar nicht gewahr. Denn was einem roth ſcheinet / ſcheinet allen Menſchen roth / und die Sache die uns z. e. einmahl roth geſchienen / wenn nicht eine Ver - aͤnderung in ihr ſelbſt / oder in der Lufft vorge - gangen / ſcheinet uns niemahlen anders.

64. So167erſten und unbeweißlichen Warh.

64. So iſt es auch ebenmaͤßig mit dem Klange beſchaffen / denn was dem einen holl klinget / das klinget dem andern nicht fa, und niemand wird den Klang einer Trompete mit dem Klang einer Violine vermiſchen.

65. Ja was des einem Auge und Gehoͤr ſchaͤdlich iſt / das iſt durchgehends auch dem Auge und Gehoͤre des andern ſchaͤdlich.

66. Bey dem Geruch aber iſt ſchon einige Veraͤnderung zu ſpuͤren. Denn ob gleich niemand leichte den Geruch einer Roſe / Lilie / und Nelcke mit einander vermiſchen / oder bey jungen Jahren ſich davon eine andere im - presſion als im Alter machen wird / ſo iſt doch dieſes nicht zu leugnen / daß ein Geruch einem Menſchen zu wieder ſey / dem andern nicht / oder dieſen wohl gar vergnuͤge / oder daß einem in Alter ein Geruch zu wieder werde / den man in der Jugend wohl ertragen koͤn - nen.

67. Mit dem Geſchmack gehen noch mehr Veraͤnderungen vor / dannenhero das gemeine Sprichwort entſtanden: De guſti - bus non eſt diſputandum.

68. Und die meiſten variationes findet man bey dem Gefuͤhle / was einem warm iſt /L 4iſt168Das 6. Hauptſtuͤck von deneniſt dem andern kalt / was einem glatt oder weich iſt / iſt dem andern rauch oder harte u. ſ. w.

69. Dieſe obſervation hat in Erkaͤntniß der Warheit ihren doppelten Nutzen; (1) daß wir die Kentnuͤſſe / die von einem Din - ge genommen werden / nicht dem Dinge ſelbſt zu ſchreiben / wenn ſie ohne Veraͤn - derungen des Dinges / vermittelſt der Sinne ſich auch bey uns veraͤndern / z. e. die Waͤrme Kaͤlte.

70. (2) Daß wir bey denen veraͤnder - lichen concep ten keine abſolutam propoſitio - nem machen / ſondern relativam. Nicht: dieſe Speiſe ſchmeckt allen Leuten allezeit gut / ſondern: Sie ſchmeckt mir itzo gut / u. ſ. w.

71. Aber wir muͤſſen auch nunmehro von denen ideis reden / welche die andere Helffte gleichſam des Menſchlichen Verſtandes / und zwar der fuͤrnehmſte Theil deſſelbigen ſind. Jedoch iſt zwiſchen ihnen und denen Sinn - ligkeiten eine ſolche Verknuͤpffung / daß ohne einer von denenſelbigen ich mir nichts ver - nuͤnfftiges von der andern einbilden kan.

72. Die Sinne ſtellen mir lauter indi - vidua vor / und es iſt kein Zweiffel / daß ſo viel individua mir verkommen / auch ſo viel Ein -druckun -169erſten und unbeweißlichen Warh. druckungen in mein Gehirne geſchehen / und der Verſtand des Menſchen ſo viel refle - xiones daruͤber mache.

73. Nun aber hat ein jeder Menſch das Vermoͤgen / einjedwedes Ding in tauſend klei - ne Theile mit ſeinen Gedancken zu theilen / und dieſe Theile gegen einander ſo wohl auch das gantze mit tauſend andern gantzen / und die Theile jenes mit dieſer ihren Theilen zu con - feri ren.

74. Dieſe Theilung und Zuſammenſe - tzung kan von denen Sinnen nicht herruͤhren / weil dieſe lauter individua ohne einige Ord - nung / und zwar jedes gantz vorſtellen.

75. Dannenhero muß dieſe Theilung und combinirung nothwendig ein actus purus der Gedancken ſeyn / der durch die ſchlechte Eindruckung nicht geruͤhret wird / wie die lei - denden Gedancken / ſondern der theils vorhe - ro in dem Vermoͤgen des Menſchen geweſen (welches er mit denen ſinnlichen und leiden - den Gedancken gemein hat) theils auch nach geſchehener Eindruͤckung nicht wieder Wil - len gleichſam / (wie die reflexion) ſondern aus einiger Willkuͤhr des Menſchen entſtehet.

76. Dieweil aber dieſe Eintheilung undL 5Zuſam -170Das 6. Hauptſtuͤck von denenZuſammenhaltung das complement des Menſchlichen Verſtandes und Willens iſt / ſo wuͤrde der Menſch nicht Menſch ſeyn / wenn er dieſe potentiam nicht beſaͤſſe / ſon - dern nur die Macht haͤtte uͤber die gegenwaͤr - tigen individua zu reflectiren / ja es wuͤrde ihm die reflexion und apprehenſion nicht viel nutzen / wenn er dieſe letzte potentiam nicht haͤtte.

77. (Und alſo wuͤrde ein Thier doch nicht fuͤr vernuͤnfftig gehalten werden koͤnnen / wenn es gleich uͤber die res ſenſibus impreſſas reflectirte.)

78. Nichts deſto weniger aber koͤnte er auch die thaͤtlichen Gedancken nicht ausuͤ - ben / wenn ihm nicht per ſenſus conceptus in - dividuorum waͤren imprimiret worden. Denn wie wolte er ein gantzes in Theile ein - theilen / wenn er kein gantzes haͤtte / wie wolte er ein individuum mit dem andern confe - riren / oder ſie ordnen / wenn er nicht ſchon con - ceptum individuorum haͤtte.

79. Derowegen præſupponiren die thaͤt - lichen Gedancken allezeit leidende / und iſt ſo ferne das gemeine dictum zu erklaͤhren / Nibil eſt in intellectu, qvod non prius fuerit in ſenſu.

80. Al -171erſten und unbeweißlichen Warh.

80. Alles nun / was zu dieſen thaͤtigen Ge - dancken des Verſtandes gehoͤret / kanſt du ideas oder abſtractiones, oder wie du fonſt willſt / nennen.

81. Dieweil aber die Eintheilung eines gantzen in unzehlige Stuͤcke / und die Zuſam - menhaltung mit unzehligen (das iſt ungewiſ - ſen) Dingen geſchehen kan / als kan man auch die doctrin de ideis uͤberhaupt nicht eben ſo deutlich erklaͤhren / oder gewiſſe Eintheilun - gen davon machen.

82. Wolte man dieſelbigen nach dem Un - terſcheid derer entium, die wir in 4. Capitel gegeben / eintheilen / koͤnnen wir es geſchehen laſ - ſen / jedoch wollen wir damit niemand nichts vorgeſchrieben haben.

83. Jedoch iſt kein Zweiffel / daß unter al - len ideis keine deutlicher ſind / als die ideæ qvantitatis, nehmlich numeri, menſuræ & temporis.

84. Denn dieſe erregen ſich auch bey de - nen Kindern in erſten Jahren dergeſtalt / daß ſie faͤhig ſeyn aus denenſelben zu raiſoniren und andere Warheiten herzuleiten. Die ideæ ſubſtantiarum aber / qvalitatum, motuum u. ſ. w. erregen ſich zwar auch bey ihnen / dochgehet172Das 6. Hauptſtuͤck von denengehet es mit combination und diviſion der - ſelben ſehr ſchwer zu.

85. Ferner unter dieſen dreyen ſind keine deutlicher als die ideæ numeri, ja es werden auch die ideæ menſuræ & temporis da - durch reſolviret / maſſen dann auch pun - ctum und momentum am deutlichſten per unitatem concipiret wird.

86. Und vielleicht koͤm̃t dieſes daher / weil die idea prima de individuo qvolibet dieſe ſcheinet zu ſeyn / qvod ſit unum, aus welchen hernach der conceptus totius folget. Denn omne totum eſt unum, u. ſ. w.

87. Dannenhero haben diejenigen nicht unfuͤglich gehandelt / die die Dunckelbeiten der Vernunfft-Lehre aus der Rechenkunſt zu erklaͤhren geſucht / und rationalitatem ho - minis eine Rechenſchafftligkeit uͤberſetzet / denn man ſoll allezeit dunckele Dinge mit deutlichen erklaͤhren.

88. Ja es iſt kein Zweiffel / daß diejenigen / die in denen ideis mathematicis und ſonder - lich arithmeticis geuͤbet ſind / nicht alleine ei - nen groſſen Vortheil fuͤr andern haben / in de - nen andern diſciplinen fuͤr ſich etwas zu thun / ſondern auch ihnen die Schwierigkeit /die173erſten und unbeweißlichen Warh. die in andern diſplinen fuͤrkoͤmmt / durch Gleichnuͤße ex arithmeticis gar leichte ge - macht werden kan.

89. Maſſen wir denn ſelbſt allhier das - jenige / was wir oben von der Verknuͤpffung der leidenden und thaͤtigen Gedancken erweh - net / aus der arithmetic illuſtriren koͤnnen. Die ſinnlichen Gedancken ſind unitates, die die ideen numeriren addiren und ſubtra - hiren. Gleichwie nun unitas nicht nume - rus iſt / ſondern initium numeri & qvaſi fun - damentum, und alſo ohne beyden Arithme - tica nicht ſeyn kan / alſo kan auch die Ver - nunfft nicht ohne leidende oder thaͤtige Ge - dancken ſeyn.

90. Jedoch muß man deßhalben nicht meinen / als ob alle Wiſſenſchafften aus der doctrin de numeris tanqvam concluſiones ex primo principio hergeleitet werden muͤſten oder koͤnten.

91. Oder als wenn die Algebra der Grund zu allen Wiſſenſchafften waͤre / daß wer in derſelbigen wohl beſchlagen ſey / auch die fundamente zur Phyſic oder Mo - rale habe / und die zweiffelhafften Fragen in denenſelben dadurch auffloͤſen koͤnne.

92. Denn174Das 6. Hauptſtuͤck von denen

92. Denn ſonſten wuͤrde man die argu - menta illuſtrantia mit denen probantibus trefflich vermiſchen / und wieder die Regel groͤblich anſtoſſen / ſimilia non probant, ſed illuſtrant.

93. Gott hat denen Menſchen mehr als einen Sinn gegeben die euſerlichen Dinge mit zu concipiren / alſo ſind auch vielerley ideæ, die der Menſch uͤber viel concipirten Dinge machen kan.

94. Gleichwie nun unter denen euſerli - chen Gliedmaſſen zwar das Auge das vor - nehmſte iſt / und vermoͤge deſſelbigen eine Sache an deutlichſten / ja die ſubſtantz ſelbſt / ſo weit dieſelbige von denen Siñen kan begrif - fen werden / oder die Coͤrperligkeit derſelben als ihr attributum, erkennet wird / da die an - dern Sinne als das Gehoͤre / Geruch / Ge - ſchmack / u. ſ. w. bloß mit denen Bewegungen der ſubſtantzen und denen accidentibus ſtrictè dictis zuthun haben / gleichwohl aber vermittels deſſelbigen weder der Klang / noch der Geruch / noch der Geſchmack / noch die qvalitates tactiles denen Gedancken præ - ſentiret werden.

95. Alſo iſt es auch mit denen ideis nu -mero -175erſten und unbeweißlichen Warh. merorum bewant / daß zwar durch dieſelbe das - jenige / was zur Coͤrperligkeit der producir - ten ſubſtantz gehoͤret / fuͤglich und juſt demon - ſtriret werden kan / aber daraus doch die ideæ motuum oder die productio ſubſtantiæ nicht her bewieſen werden koͤnne.

96. Die connexion dieſes Satzes iſt da - hero deſto deutlicher zu verſtehen / weil das Auge oder die reflexio der Gedancken uͤber die geſchehene Dinge bey dem Menſchen inſtar poſtulatorum iſt / ohne welche er ei - nen dunckeln oder gar keinen concept von denen numeris und menſuris ſich wuͤrde ma - chen koͤnnen.

97. Zum wenigſten moͤchte ich wohl wiſ - ſen / was ein von natur blinder ſich fuͤr eine ideam von einen Triangel / von einer linic und puncte machte / und ob ſie mit derſelben idee uͤbereinkaͤme / die er ſich hernach formi - rete, wenn er ſehend worden waͤre.

98. Wannenhero das gemeine axioma, Eſſentiæ rerum ſunt ſicut numeri, zwar in ſo weit / wann es Gleichnuͤßweiſe redet / ange - nommen werden muß / wenn es aber auf einen Grund zur demonſtration in allen Din - gen zielet / wie es Plato, Pythagoras, und diealten176Das 6. Hauptſtuͤck von denenalten Ægyptier ſcheinen angenommen zu ha - ben / iſt es wieder oder doch zum wenigſten - ber die Vernunfft.

99. Weßwegen auch dieſe Philoſophi alle ihre philoſophie per numeros als das groͤſte Geheimnuͤß tractiret / und guten theils ad ſacra appliciret haben.

100. So iſt demnach die andere haupt propoſition, die in dem primo principio ſteckt / folgende. Was mit denen ideis, die der Menſchliche Verſtand von denen in die Sinne imprimir ten Dingen macht / - bereinkoͤmmt / das iſt wahr / und was ih - nen zu wieder iſt / das iſt falſch.

101. Dieſen Satz wird niemand leugnen / wenn er nur bedenckt / daß die ideæ, wie wir ſolche bißher beſchrieben / nichts anders ſind oder ſeyn koͤnnen / als definitiones rerum.

102. Und wenn er auch dieſen Satz leug - nete / oder deſſen Beweiß forderte / wuͤrden wir uns nicht mit ihm einlaſſen / weil dieſe pro - poſition ja ſo unerweißlich iſt / als die erſte.

103. Die groͤſte Schwuͤrigkeit ſcheinet dar - innen zu beſtehen / daß die Menſchen zu wei - len ja oͤffters ſich ſo gar wunderliche und falſche ideen von einen Dinge machen / undſolcher -177erſten und unbeweißlichen Warh. ſolchergeſtalt die ideen den Menſchen zu be - truͤgen ſcheinen / folglich auch aus denenſelben kein primum principium veritatis genom - men werden kan.

104. Aber hierauff iſt kuͤrtzlich zu antwor - ten / daß dieſes wieder unſere propoſition nicht ſtreite / daß die Menſchen meiſtentheils ſich falſche definitiones rerum & ideas machen / dafuͤr kan der Menſchliche Verſtand oder das natuͤrliche Liecht nicht / ſondern ihr boͤſer Wille / mit welchen ſie muthwillig aus Liebe zu denen in der Jugend gefaſten præ - judiciis, die der Urſprung alles Jrrthums ſeyn / ihren Verſtand verdunckeln / und die falſchen ideas pro genuinis achten / ja wol vorſetzlich dieſelbigen haͤuffen / wovon in fol - genden mit mehrern.

105. Jtzo wird genung ſeyn / wenn ein er - wachſener Menſch (als fuͤr welche unſere Ver - nunfft-Lehre geſchrieben iſt) erweget / daß gleichwohl unzehlich viel ideæ oder abſtra - ctiones ſeyn / darinnen das Menſchliche Geſchlecht einig iſt / als die idée eines Tri - angels / der Farbe / des Hundes / der Bewe - gung / der Hitze / des Klanges / u. ſ. w. maſſen dann / wenn der Menſch dieſelbigen nicht be -Mſaͤſſe /178Das 6. Hauptſtuͤck von denenſaͤſſe / wuͤrde er keinen Triangel von einen vier - eck / die rothe Farbe nicht von der blauen / den Hund nicht von der Katze / die unterſchiedenen Schulen die z. e. ein Pferd macht / die Em - pfindligkeit des Feuers nicht von der Em - pfindligkeit des Eiſes / den Thon einer Trom - pete nicht von dem Thon einer Laute accu - rat unterſcheiden koͤnnen.

106. Er muß ſich aber nicht irren laſſen / daß gleichwohl jederzeit ſo ein groſſer Streit unter denen Philoſophis de definitionibus re - rum und ſonderlich der meiſten von mir ange - fuͤhrten Exempel / geweſen und noch ſey. Denn meine folgende Lehre wird ihm zeugen / daß dieſes alles daher entſtanden / daß die philoſophie die irrige Meinung geheget / als wenn idea und definitio rei zwey un - terſchiedene Dinge waͤren / und die definitio ideam, die doch eine unerweißliche Warheit iſt / beweiſen muͤſſe / oder daß ſie die ideas durch definitiones bey ſolchen Leuten erwecken wollen / die die Sache / von welcher die idea gemacht wird / niemahlen vermittelſt der Sin - ne begriffen haben.

107. Ja er muß ſich auch ferner huͤten / daß er ex dictis nicht etwan ſchlieſſe / als ob dieideæ,179erſten und unbeweißlichen Warh. ideæ, von denen unſer axioma redet / theils dem Menſchlichen Geſchlecht gemein / theils aber etlichen Menſchen eigen waͤren. Denn obgleich dieſe Eintheilung / ſo ferne ſie de actu ſecundo redet / erduldet werden koͤnte / ſo wuͤrde ſie doch in dieſen Verſtande wenig Nutzen haben.

108. Wenn man ſie aber de potentia ver - ſtuͤnde / wuͤrde ſie hauptlaͤchlich falſch ſeyn / weil ſo dann die nur etlichen Menſchen eigene ideæ nichts anders als irrige Meinungen hieſſen.

109. Welches auch daraus erhellet. Die eigenen ſo genanten ideæ ſind vielerley und einander zu wieder. Nun iſt die Warheit aber allezeit nur einerley / und alſo muͤſſe nothwendig von denen eigenen ideis eine / wo nicht alle beyde / falſch ſeyn.

110. Endlich nachdem wir auch oben er - wieſen / daß das primum principium ratioci - nandi nur eines ſeyn koͤnne / ſo folget noth - wendig / daß wir daſſelbige nicht in ſpecies eintheilen koͤnnen.

111. Und ob man ſchon insgemein von de - nen principiis primò primis & ſecundò pri -M 2mis180Das 6. Hauptſtuͤck von denen &c. mis viel zu ſagen pfleget / ſo iſt doch dieſes nicht pro diviſione reali anzunehmen.

112. Denn das principium primò pri - mum gehoͤret nur hieher zu der Vernunfft - Lehre. Die ſecundò prima ſind nichts an - ders als ideæ generalisſimæ, uͤber welche man in einer jedweden ſpecial diſciplin in der philoſophie nicht kommen kan / die aber doch als concluſiones unſers primi princi - pii betrachtet werden muͤſſen.

113. Dannenhero ſind dieſer principio - rum ſecundò primorum ſo viel / als ſpe - cial diſciplinen in der Philoſophie ſind.

114. Woraus gantz offenbahr folget / daß das primum principium practicum, mit wel - chen die philoſophia practica zu thun hat / ein principium ſecundò primum ſeyn muͤſſe / und alſo principium primò primum in theoreticum & practicum nicht eingethei - let werden koͤnte / worvon an ſeinen Ort ein mehrers.

Das181Das 7. Hauptſtuͤck von denen &c.

Das 7. Hauptſtuͤck. Von denen andern unſtreiti - gen Warheiten / die durch die erſten principia erwieſen werden / und von der Demonſtration.

Jnnhalt.

Das primum principium wird ſchlecht weg verſtanden. n. 1. Mit ihm ſind die andern Warheiten verknuͤpfft. n. 2. Ein Menſch braucht in anſehen ſein ſelbſt keines Be - weiſes der Warheit n. 3. 4. ſondern in regard ande - rer n. 5. Sie moͤgen ſeyn wer ſie wollen n. 6. 7. wenn er nehmlich macht / daß die andern die Warheit auch er - kennen n. 8. Beſchreibung des Beweiſes n. 9. Der - ſelbe muß den andern nicht durch euſerliche Gewalt zwingen n. 10. Was allhier verknuͤpffen heiſſe n. 11. Es iſt ein Gleichnuͤß-Wort n. 12. von einer Kette her - genommen n. 13. nicht aber wie dieſelben insgemein pflegen zu ſeyn / n. 14. wie die alten Philoſophi es etwa moͤgen gebraucht haben / n. 15. ſondern von einer Kette die einen Hauptring hat / an dem zwey andere / und an deren jedem wieder zwey oder drey andere haͤngen n. 16. wie an denen Stammbaͤumen n. 17. Warum in vorigen Capitel nebſt dem Hauptringe (A) auch die bey - den erſten Ringe (B) & (C) mit erklaͤhret worden n. 18. 19. 20. 21. Der Beweiß iſt entweder eine Weiſung (Oſtenſio) oder Erweiſung (Demonſtratio) n. 22. Die Oſtenſio n. 23. iſt keine Kunſt n. 24. 25. Dahin gehoͤren alle res ſenſiles n. 26. und hat nicht mehr als einen Grad n. 27. Was fuͤr Fehler hierbey zu meiden n. 28. 29. 30. Wegen der Demonſtration n. 31. ſtreiten die Philoſophi n. 32. 33. Der erſte Grad iſt nicht ſchwerM 3n. 34.182Das 7. Hauptſtuͤck von denenn. 34. und wird auch von Ungelehrten begriffen n. 35. aber die andern Grade ſind deſto ſchwerer n. 36. Doch draucht es hierzu mehr eines Handgriffs als groſſen Ge - lahrheit n. 37. 38. Dieſer Handgriff wird vergebens in der Arithmetic n. 39. 40. oder bey andern Leuten geſucht n. 41. 42. 43. welches mit einen Exempel erklaͤh - ret wird. n. 44. Regeln die bey der Demonſtration zu beobachten n. 45. Erſtlich in auſehen des Demon - ſtrirenden. Demonſtrire nicht / was du nicht verſte eſt n. 46. Das iſt / wenn du nicht die connexion der Sa - che mit dem primo principio n. 47. und mit allen mit - leren Gelencken innen haſt. n. 48. Was hierbey in acht zu nedmen n. 49. 50. 51. 52. Probe der Gewißheit n. 53. 54. Zum andern was dem betrifft / dem man die Sache demonſtriret n. 55. wenn er (1) eine wiedrige Meinung hat n. 56. Man muß die Worte ſeiner de - finitionum nicht cavilliren n. 57. (2) wenn ihm die Sache gantz unbekant iſt n. 58. 59. Jn demonſtratio - nibus muß man nicht unnuͤtzliche Dinge vornehmen n. 60. oder ſich bemuͤhen zu demonſtriren / was nicht de - monſtriret werden kan n. 61. Nutzen dieſer einfaͤltigen Lehre. n. 62. 63.

1.

DAs primum principium, von dem wir in vorhergehenden Capitel geredet / wird nebſt denen beyden propoſitionibus, in wel - che es reſolviret worden / ſchlecht weg ver - ſtanden / und nicht erwieſen / denn es koͤnte nicht erwieſen werden. Intelligitur, non probatur.

2. Nun aber begreifft es alle Warheiten unter ſich / das iſt / alle Warheiten ſind mit ihmver -183andern unſtreitigen Warheiten. verknuͤpfft. Und alſo iſt kein Zweiffel / daß wenn ich die andern Warheiten begreiffen will / ich zugleich dererſelben Verknuͤpffung / die ſie mit dem primo principio haben / be - greiffen muͤſſen.

3. So braucht es dannenhero in anſehen meiner ſelbſt / wenn ich anders mich von de - nen haupt præjudiciis geſaubert habe / und in natuͤrlichen Dingen nichts / als was mit meinen Sinnen und ideis verknuͤpfft iſt / fuͤr unſtreitig wahr halte / keines Beweiſes von dieſen andern Warheiten / ſondern ſie werden in anſehen meiner eben ſo wohl vverſtanden / (intelliguntur non probantur) wie jene.

4. Denn wenn ich die connexion nicht begreiffe / ſoll ich die Sache nicht fuͤr wahr halten / begreiffe ich ſie aber / ſo braucht es in anſehen meiner keines Beweiſes.

5. Aber in anſehen anderer / denen dieſe Verknuͤpffung unbekant iſt / kan wohl von mir die Erkaͤntnuͤß dieſer Warheit durch gewiſſe Vorſtellungen er wecket werden.

6. Denn obgleich alles / was eines Men - ſchen Verſtand zu erkennen faͤhig iſt / auch der andere erkennen kan / ſo hat doch der andere dieſe Erkaͤntnuͤß nicht alſobald wuͤrcklich.

M 47. Jn -184Das 7. Hauptſtuͤck von denen

7. Jngleichen ob ſchon ein Menſch in der That mehr Warheiten wuͤrcklich erkennet als der andere / ja ob es ſchon mit einem lang - ſamer zugehet als mit dem andern / ihm die unerkanten Warheiten beyzubringen / ſo muß man doch nicht meinen / als ob an der capaci - taͤt des Verſtandes die Schuld waͤre / ſondern es ruͤhret ſolches von andern impedimentis her.

8. Wenn nun die Erkaͤntnuͤß der vor un - bekanten Warheit / bey einen andern erwecket worden / daß er ſie ſo wohl verſtehet als ich / ſo ſagt man / man habe ſolche Warheit bewie - ſen.

9. Du ſiebeſt aber aus dieſen allen / daß der Beweiß (probatio) nichts anders ſey / als die Darthuung / wie eine Warheit mit dem primo principio verknuͤpfft ſey.

10. Und verſtehet ſich alſo von ſich ſelbſt / daß du zu dieſer Darthuung dich nicht deiner autori taͤt bedienen / ſondern zufoͤrderſt des an - dern ſeinen Verſtand durch freundliche Art ruͤhren muͤſſeſt / daß er ſich ſeines ſelbſt eigenen Vermoͤgens bediene / und alle impedimenta beyſeite ſchaffe.

11. Da -185andern unſtreitigen Warheiten.

11. Damit aber bald anfangs dir die bey Beſchreibung des Beweiſes gebrauchte Ver - knuͤpffung keinen Anlaß zu fehlen gebe / ſo muſt du dieſes Wort etwas deutlicher verſte - hen.

12. Daran iſt kein Zweiffel / daß es nicht in eigenen Verſtande genom̃en werde. Denn alles / was wir von unſerer Seelen einander zuerkennen geben / wird Gleichnuͤß-Weiſe vorgebracht.

13. So bilde dir demnach eine Kette ein von vielen Gelencken / da immer eines mit dem andern verknuͤpfſt iſt.

14. Aber huͤte dich / daß du dir nicht eine Kette einbildeſt / da immer ein Glied mit einen andern / und dieſes wieder mit einen andern vereinigt iſt / es moͤge nun das letzte mit dem erſten wieder vereiniget ſeyn / wie in einer Hals-Kette / oder moͤge unvereinigt eine gleiche Linie machen / wie etwan eine Schnur Perlen.

15. Denn aus dieſer impreſſion ſcheinet / als ob viel von denen alten Philoſophis An - laß zu unterſchiedenen Jrthuͤmern genom̃en / ſonderlich die / welche das axioma: Eſſentia rerum ſunt ſicut numeri gar zu ſubtiel aus - gruͤblen wollen.

M 516.186Das 7. Hauptſtuͤck von denen

16. Sondern bilde dir eine ſolche Kette ein / an der ein Hauptglied iſt / an welchen die andern alle haͤngen / und zwar alſo / daß an ei - nem Gliede nicht eines / ſondern nach Gele - genheit drey / viere u. ſ. w. zum wenigſten aber doch zwey andere Glieder angehenck[t]ſeyn / wie etwan in arbore conſangvinitatis der ſtipes communis eine Perſon iſt / deme wir auch denen perſonis intermediis nach Unterſchied zwey / drey und mehr Kinder an - gefuͤgt werden.

17. Gleichwie ich nun in Außrechnung der Verwandſchafft nichts mehr thue als die ge - nerationes, durch welche die Grade mit ein - ander verknuͤpfft werden / darzuthun / und da - bey allemahl einen communem ſtipitem haben muß / alſo brauche ich auch in Erwei - ſung derer andern Warheiten nichts / als daß ich die connexion derſelben mit dem primo principio als gleichſam dem Hauptgliede zeuge.

18. Ja weil es keines groſſen außrechnens braucht / wenn nur zwey Gelencke aneinan - der haͤngen / oder wenn ich in computatione graduum Vater und Sohn computire, ſondern dieſe erſte connexion ja ſo ge -ſchwind187andern unſtreitigen Warheiten. ſchwind von mir begriffen wird / als die res connexæ ſelbſt.

19. Als hat es auch keines Beweiſes ge - braucht / darzuthun / daß in dem primo prin - cipio (A) oder in der Ubereinſtimmung mit der Vernunfft / zwey andere principia, die Ubereinſtimmung nehmlich mit denen ſenſio - nibus (B) und ideis (C) ſtaͤcken / oder als - bald unmittelbahr damit verknuͤpfft waͤren / ſondern wir haben eben deßwegen dieſe beyde principia mit in vorigen Capitel abgehandelt. Denn wer eins zehlen kan / kan auch zwey zehlen.

20. So haſt du dennoch allbereit in vori - gen Capitel den Hauptring (A) nebſt denen zweyen Ringen / die am allererſten mit demſel - ben verknuͤpfft ſeyn. (B) (C)

21. Was aber ferner vermittelſt dieſer bey - den Glieder dem Hauptglied angehangen wird / das heiſt eigentlich bewieſen.

22. Dieſer Beweiß aber iſt zweyerley / denn es werden entweder die andern unerkanten Warheiten nur ſchlecht weg gewieſen (O - ſtenduntur) oder werden erwieſen (de - monſtrantur).

23. Die Oſtenſio iſt nichts anders / alsein188Das 7. Hauptſtuͤck von denenein Beweiß / das etwas unmittelbahr mit denen Sinnligkeiten / oder dem Ringe (B) verknuͤpfft ſey.

24. Und alſo iſt die Oſtenſio auff ſeiten des Zeigenden keine Kunſt / und auff ſeiten des Begreiffenden keine Muͤhe: Denn das muͤſte ein tummer Menſch ſeyn / der nicht dreye ordnen oder zehlen koͤnte.

25. Dannenhero ſind auch dieſes Beweiſes alsbald kleine Kinder faͤhig / als welche an nichts zweiffeln / was man ihnen per eviden - tiam ſenſuum vorleget / auch alſobald falſche Meinungen per evidentiam ſenſuum zu wiederlegen wiſſen.

26. Demnach ſo gehoͤren zu dieſen Be - weißthum alle Warheiten / die unmittelbahr per ſenſiones koͤnnen erkant werden / welche nichts anders als lauter ſubſumtiones ſind / die zu dem principio (B) als Majore pro - poſitione gehoͤren.

27. Alſo ſind auch an dieſer Seite wenig Grade zuhoffen / indem (B) an (A) haͤnget / die andern Ringe aber alle miteinander / derer doch unzehlig ſind / an den Ring (B) unmit - telbar und gleichſam neben einander zu haͤn - gen ſind.

28. Das189andern unſtreitigen Warh.

28. Das eintzige / was noch hiervon zu mer - cken iſt / wird darinnen beſtehen / daß du den gemeinen Fehler vermeideſt / und dich nicht bemuͤheſt Sachen an dieſen Ring zu haͤn - gen / die ſich weder an den Ring (B) noch (C) ſchicken / oder die Warheiten / die zu dem Ring (B) gehoͤren / den andern ver - mittelſt des Ringes (C) zu weiſen.

29. Jch will dir dieſes gar deutlich zu be - greiffen / aus tauſend Dingen / darvon klug ſeinwollende Leute ſich vergebens zancken / o - der maceriren / nur etliche wenige geben / z. e. du ſprichſt die Oliven ſchmeckten gut / und giebſt dem andern eine zu koſten / der ſie aus - ſpeyet / und ſich vermaledeyet ſie ſchmeckten uͤbel. Jhr werdet in Ewigkeit mit einander ſtreiten. Denn dieſe propoſition, die Oli - ven ſchmecken gut / ſchickt ſich weder an den Ring (B) noch (C). Aber wenn du ſprichſt: ſie ſchmecken dir gut / ſo betruͤgſt du dich nicht / denn es iſt gewiß / daß dieſe propoſi - tion in deinen Verſtande mit dem Ring (B) gleichſam verknuͤpfft iſt / als wie die propo - ſition: daß ſie dem andern bitter ſchme - cken / in des andern ſeinen Verſtand mit der propoſition (B) ebenmaͤßig verknuͤpfft iſt. Die190Das 7. Hauptſtuͤck von denenDie Urſache haben wir in vorhergehenden Capitel angezeigt.

20. Ferner: du ſolſt einen beſchreiben / wie ein Elephante oder Cajus ausſehe. Halte ihn zehen Jahr ein collegium druͤber / und beſchreibe ihn von einem Glied zu dem an - dern / ja reſolvire ihn alle Aedergen / und ver - ſuche hernach / ob nicht ein klein Kind das ein wohlgemahlt Bild von einem Elephanten oder das contrefait von Cajo eine viertel Stunde genau betrachtet / eher das Original davon wird erkennen koͤnnen / als der erſte. Denn dieſe propoſition gehoͤret an den Ring (B) und du haſt ſie ihm vermittelſt des Rin - ges (C) beybringen wollen.

31. Die Demonſtration aber iſt ein Be - weiß / daß etwas mit denen ideis oder defi - nitionibus rerum oder mit dem Ringe (C) verknuͤpfft ſey.

32. Und dieſe Demonſtration iſt das po - mum Eridos umb welche ſich die Gelehr - ten ſo ſehr zancken / nicht allein was die praxin derſelben / ſondern auch was die theo - rie betrifft. Wir wollen uns befleiſſen dieſe in wenigen Anmerckungen zu erklaͤhren.

33. Die Urſache / warum man die Lehrevon191andern unſtreitigen Warh. von der Demonſtration ſo ſchwer gemacht / ſcheinet deßhalben entſtanden zu ſeyn / weil in Oſtenſione nur ein Gelencke iſt / an welches hernach alle dahin gehoͤrige concluſiones appliciret werden / aber in Demonſtratio - ne ſind unzehlige Gelencke / die nicht alle unmittelbahr an den Ring (C) verknuͤpfft ſind / ſondern vermittelſt 2. 3. ja 10. und mehr andern Gelencken.

34. Nun iſts wohl leicht die concluſion, die unmittelbahr an den Ring (C) angehan - gen wird / einem zu zeigen / und braucht ſo we - nig Gelahrheit / als die oſtenſion, aber die vermittelſt 10. oder 12. Gelencke mit derſel - ben vereinigt iſt / darzu braucht es einiger Nachricht.

35. Zum Exempel: das weiß ein Bauer / wenn er einen Menſchen ſiehet / daß ein Menſch und kein Hund iſt / u. ſ. w. Denn die idèe, durch welche eine gantze ſubſtantz mit der andern gantzen verglichen / oder von derſelben entſchieden iſt / wird unmittelbar an den Ring (C) angehaͤngt: Denn das iſt am erſten und leichteſten / daß der Menſch von denen reflexionibus de individuis in ſen - ſus incurrentibus eine ideam ſpeciei ſeupluri -192Das 7. Hauptſtuͤck von denenpluribus individuis communem formirt, weiche er hernach auff alle individua, die er zuvor nicht geſehen / appliciren / und folglich dieſe individua von denen individuis diver - ſæ ſpeciei entſcheiden kan.

36. Aber frage einen Ungelehrten / ja fra - ge auch die / die ſich Gelehrte nennen / durch was eigentlich der Menſch von einem Hunde unterſchieden werde / oder was fuͤr ein Unter - ſcheid inter ſubſtantiam & accidens, inter al - bedinem & rubedinem, inter actionem ho - minis juſtam & injuſtam &c. ſey / und hoͤre nur / wie ſie entweder gar nichts / oder doch gantz wiederſinniſch antworten werden / weil ſie die demonſtration nicht verſtehen / oder vielmehr nicht verſtehen wollen.

37. Jch habe geſagt / es brauche zu derglei - chen demonſtration nicht eine Gelahrheit: denn ein Ungelehrter kan dieſelbe ſo leicht be - greiffen als ein / dem Titel nach / Gelehrter / ja er wuͤrde ſie von ſich ſelbſt begreiffen koͤn - nen / wenn er nur ein klein wenig attention und Gedult haͤtte. Aber weil dieſe beyden reqviſita gar rar ſeyn / ſo braucht man nur eine wenige Nachricht als einen Handgriff dazu / durch welchen man geſchwinder fortge -hen /193andern unſtreitigen Warh. hen / und wenn man ſich verirret / leichte wie - der auff den Weg kommen kan.

38. Jch will dir ein klar Exempel oder vielmehr ein Gleichnuͤß geben 1. 2. 3. 4. zeh - len / dieſe vier Zahlen addiren / ſubtrahiren / multipliciren / und dividiren kan ein Kind von 3. Jahren begreiffen. Nun beziehen ſich alle myſteria Arithmetices auff ſo geringe und ſchlechte fundamenta, und koͤnnen dar - aus deduciret werden: Gleichwohl weil denen Menſchen die Muͤhe und Gedult man - gelt / ihren Verſtand ſelbſt wuͤrcken zu laſſen / hilfft ihnen der Rechenmeiſter / und zeigt ihnen einige Vortheil und Handgriffe / durch das einmahl eins / die Logorythmos, die Algebram u. ſ. w.

39. Ja / ſprichſt du / das iſt eben / was ich verlange / ich wolte gerne die Logorythmos wiſſen und die Algebram koͤnnen / durch wel - che ich alles demonſtriren koͤnte / und war - umb iſt kein Gelehrter / der ſo viel Chriſtliche Liebe erwieſe / und ſolche Handgriffe anderen Gelehrten zum beſten ausrechnete.

40. Aber du haſt vergeſſen / daß ich oben allbereit erwieſen habe / daß man durch die Algebram propriè dictam andere Warhei -Nten194Das 7. Hauptſtuͤck von denenten / als die ſich auff die qvantitates beziehen / nicht ausrechnen koͤnne.

41. Ja was hilfft es dich / daß ſo viel Ge - lehrte ſolche Handgriffe in denen diſciplinis, fuͤrnehmlich aber in practicis verfertigt ha - ben. Denn es iſt daran kein Mangel / ſon - dern du haſt derer mehr als du brauchſt. Wo weiſt du aber / welches die rechten ſeyn.

42. Jch mercke wohl / daß du urgireſt / daß dir es eben daran mangele / weil du keine gewiſſe general Handgriffe haͤtteſt / nach welcher du die demonſtrationes in denen ſpecial diſciplinen abmeſſen koͤnteſt / und deß - wegen ſuchſt du dieſelben mit ſo groſſer Muͤ - he und Arbeit.

43. Mich dauret deines elenden Zuſtan - des / der ja ſo erbaͤrmlich iſt / als deſſen / der ſein Pferd ſuchte / und drauff ſaſſe. Du ar - mer Menſch / du ſuchſt die regulas demon - ſtrandi auſſer dir / beym Ariſtotele, Car - teſio, Gaſſendo, Malebranche, &c. &c. und ſo lange du ſie nicht bey dir ſelbſten ſuchſt / wirſt du ſie nimmermehr finden.

44. Mein ſage mir / wie wolteſt du es machen / wenn 20. Rechenmeiſter unterſchie - dene und wiederwaͤrtige einmahl eins oderLogo -195andern unſtreitigen Warheiten. Logorythmos oder Algebras geſchrieben haͤt - ren / und ein jeder von ihnen ſeine Anhaͤnger haͤtte / die dich alle außlachten / wenn du dich unterſtehen wolteſt / das rechte Einmahleins von dir ſelber zu ſuchen? Jch glaube du wuͤr - deſt ſie alle lachen laſſen / und dich gewiß ver - ſichern / daß z. e. 3. mahl 8. 24. waͤren / ob ſchon alle die andern ſonſt uneinigen Rechen - meiſter darinnen einig waͤren / und wieder dich aſſerirten / daß 3. mahl 8. 23. außtrage.

45. Nun wohl dann / ſo laſſe doch auch alle Philoſophos de demonſtratione ſchreiben / was ſie wollen / und das Werck noch ſo bund - ſcheckigt machen / und hoͤre mich nur / ob ich nicht ad analogiam der unſtreitigen verita - tum arithmeticarum die Regulas demon - ſtrandi bey dir erwecken kan.

46. Demonſtrire nicht / eher du ſelbſt weiſt / was du demonſtri ren willſt / oder die Sache ſelbſt recht wohl verſteheſt. Denn wuͤrdeſt du mich nicht auslachen / wenn ich die ſpecies ſimplices arithmetices nicht wuͤſte / oder wenn ich ſchon dieſe perfect kennete / haͤtte aber die Algebram nicht wohl begrif - fen / und ich wolte mich doch unterſtehen / dirN 2die196Das 7. Hauptſtuͤck von denendie Algebram zu lehren / weil ſie ex ſpecie - bus ſimplicisſimis kan hergeleitet werden.

47. Nun verſteheſt du aber die Sache ſelbſt nicht wohl / wenn du nicht weiſt / wie dieſelbige mit dem primo principio in dei - ner Vernunfft connectirt iſt / ob es gleich par hazard kom̃en kan / daß die Sache wahr iſt / z. e. wenn einer ſagt 3. mahl 777. ſey 2331. und hat es bloß von hoͤren ſagen.

48. Du kanſt die Sache nicht vor con - nex halten mit dem primo principio, wenn du nicht alle Gliedergen / die dazwiſchen ſeyn / kenneſt / und auch weiſt wie dieſelbi - gen aneinander haͤngen / z. e. du weiſt nicht daß 3. mahl 777. 2331. außtraͤgt / wenn du nicht weiſt daß 3. mahl 700. 2100. mache / daß drey - mahl 70. 210. außtrage / daß 3. mahl 7. 21. mache / und daß alle dieſe Sachen eben ſo ge - wiß miteinander vereinigt ſeyn / als wenn ich ſage 2. mahl 1. iſt 2. oder 1. mahl 2. iſt 2. oder 1. und 1. iſt 2.

49. Dannenhero weil wir oben erwehnet haben / daß die ideæ und definitiones eins ſeyn / und alſo folglich bey jeder demonſtra - tion ich wiſſen muß / wie eine definition mit der andern verknuͤpfft ſey / ſo muß ich mich ge -wiß197andern unſtreitigen Warh. wiß verſichern / daß ich die Warheit von keiner propoſition begreiffe / wenn ich nicht weiß / daß das ſubjectum mit dem prædicato ſo ge - wiß vereinigt ſey / als 3. mahl 70. mit 210.

50. Dieſes kan ich aber nicht wiſſen / wenn ich nicht das ſubjectum und prædicatum zu beſchreiben weiß. Und die definitiones ſubjecti und prædicati weiß ich wiederum nicht / wenn ich nicht verſtehe und verſichert bin / was fuͤr eine idee durch jedes Wort / das ich in der definition des ſubjecti und prædicati gebraucht habe / geruͤhret werde.

51. Und wenn ich befinde / daß dieſe idee noch mit einer andern connectirt, und in ihrer definition noch nicht den Ring (C) beruͤhret / oder mir die ultimam abſtractionem, die ich nicht weiter eintheilen kan / vorſtellet / ſo muß ich dieſelbigen / vermittelſt neuer idea - rum oder definitionum ſo lange ſuchen / biß ich dahin gelange.

52. Wenn dir das Gleichnuͤß exarithme - ticis zu dunckel iſt / ſo brauche ein anders à computatione graduum z. e. wenn du er - weiſen willſt / daß Titius und Sempronius in gradu 8. lineæ collateralis æqvalis vel inæqvalis mit einander verwandt waͤren &c.

N 353. Die -198Das 7. Hauptſtuͤck von denen

53. Dieweil aber es offte geſchieht / daß ein Menſch in dieſer Pruͤffung ſich ſelbſt hinter ge - het / gleichwie es wohl geſchehen kan / daß ein guter Rechenmeiſter ein Exempel unrecht rechnet / ob er es ſchon 2. oder 3. mahl uͤberſe - hen / ſo iſt kein beſſer Mittel / als daß du dich wohl probireſt / ob deine demonſtration richtig ſey.

54. Gleichwie nun in der arithmetic un - ter allen Proben die beſte iſt / und die faſt ohnmoͤglich truͤgen kan / wenn ihrer zwey oder dreye ein Exempel außrechnen / und die Sum - me gegeneinander halten / alſo iſt auch die ſi - cherſte Probe in der demonſtration, weñ ein Menſch mit andern der demonſtration nicht unerfahren / die ſeinige conferiret / und wenn ihm dieſelbigen eines Jrrthums beſchuldigen / den er nicht alsbald benehmen kan / wieder von fornen mit ihnen anfaͤngt / biß die Sum̃e oder die demonſtratio bey allen dreyen uͤbereinſtimmet.

55. Haſt du es nun bey dir ſo weit gebracht / ſo darffſt du keine Regeln / dieſe deine Wiſſen - ſchafften in andern zu demonſtriren / ſondern du weiſeſt ihm nur und erzehleſt ihm / wie die ideæ bey dir connectiret ſeyn. Aber dergemei -199andern unſtreitigen Warheiten. gemeinen Jrrthuͤmer halber reflectire nur auff dieſe wenige Anmerckungen.

56. Hat derjenige / den du etwas demon - ſtriren willſt / eine wiedrige Meinung von der Sache / laß ihn dir dieſelbe nur herſagen und weiſen / wie er die ideas und definitiones miteinander connecti ret / ſo wirſt du gar leichte den Fehler ſpuͤren / und ihm weiſen koͤn - nen / daß er eine falſche ideé (die er nicht ſelb - ſten gewuͤrckt / ſondern von einem andern fuͤr wahr angenommen) fuͤr eine wahre paßiren laſſen / indem er ſelbſt begreiffen wird / daß die - ſe mit andern nicht connectiret.

57. Aber binde ihn / wenn er dir ſeine ideas mit definitionibus erklaͤhret / nicht an die Worte / wormit du ſonſten gegen andere dieſe ideam zubeſchreiben gewohnet wareſt / wenn du nur gewiß biſt / daß ihr in denen ideis ſelbſt einig ſeyd / z. e. was verſchlaͤgt dir es / ob dir der andere ſeine Rechnung mit Rechenpfennigen zeiget / oder mit Ziffern / ob er V. oder 5. IX. oder 9. ſchreibet / ob er in der computation ſeiner Verwandſchafft ſeinen Vater Titium oder Sempronium nennet.

58. Jſt ihm aber die Sache / die du ihn de - monſtriren willſt / unbekant / ſo laß dich nichtN 4begnuͤ -200Das 7. Hauptſtuͤck von denenbegnuͤgen / daß du ihm nur die definition des ſubjecti und prædicati giebſt / und er dieſel - ben wahr zu ſeyn glaͤubet / ſondern du muſt ihm dieſe definitiones ſo lange reſolviren / biß du ihm eine bekante idee damit ruͤh - reſt / und dieſelben ſo anhaͤngeſt / daß ihm nicht der geringſte Zweiffel uͤbrig bleibt / z. e. es iſt nicht gnung / wenn ich ſpreche: Titius und Cajus ſind verwandt in gradu qvarto lineæ æqvalis, denn ihre Vaͤter wahren in gradu tertio, wenn der andere nicht weiß / ob dieſe letzte aſſertio wahr ſey.

59. Haſt du ihm aber einmahl eine bekante idee geruͤhret / ſo darffſt du nicht eben von derſelben biß zu der erſten gehen / weil die Sache ſchon ſo gut / als demonſtrirt iſt / z. e. wenn du ſagſt / des Titii Großvater ſey - vius geweſen / und des Caji Großvater Sem - pronius, und der andere weiß ſchon / daß - vius und Sempronius Geſchwiſter Kinder geweſen / ſo darffſt du ihn nicht eben biß auff des Mævii und Sempronii Großvater als communem ſtipitem fuͤhren.

60. Jn uͤbrigen muſt du aus dem erſten Hauptſtuͤck hieher appliciren / daß du in de - monſtrationibus nicht hoͤher geheſt / als esnuͤtze201andern unſtreitigen Warh. nuͤtze iſt / oder Sachen demonſtriren willſt / die nichts nuͤtze ſeyn / z. e. was nuͤtzt es / daß ich einen Scherff in 100000. Theilgen theile / oder daß ich eine Zahl von 40. Ellen lang aus - ſpreche.

61. Letzlichen / ſo huͤte dich deſto mehr / je oͤffter dawieder angeſtoſſen wird / daß du nichts demonſtriren wolleſt / was nicht demon - ſtriret werden kan. Denn es iſt eben ſo laͤcherlich / als weñ du außrechnen wolteſt / wie weit ein jeder von einer Roſen rieche / wenn ihrer 17. in der Stube ſeyn / oder wie nahe Cajus und ſein Hund mit einander verwand waͤren.

62. Siehe / dieſes iſt meine gantze Wiſſen - ſchafft de demonſtratione. Und ſie mag dir ſo liederlich vorkommen als ſie will / weil du lauter gemeine Dinge darinnen antriffſt / dar - an niemand zweiffelt / und nichts von denen gewohnten ſubtilitaͤten darinnen findeſt / ſo ſtehet doch augenſcheinlich zuerweiſen / daß ich mit dieſer Einfallt weiter kommen will / als du mit deinen ſubtilitaͤten / ja dieſen Weg ſind alle Gelehrten gegangen / die ſich auf Ra - tionem & Experientiam gegruͤndet und noch gruͤnden.

N 563. Alſo202Das 8. Hauptſt. von denen erſten

63. Alſo darffſt du dir auch kuͤnfftig / ſo wohl in dieſen parte generali, als in denen ſpecialibus, nichts neues verſprechen / ſon - dern was nun folgen wird / ſind nichts als Con - cluſiones aus dieſen erſten 7. Capiteln.

Das 8. Hauptſtuͤck. Von denen erſten und andern unſtreitigen Unwarheiten.

Jnnhalt.

Unwarheit oder das Falſche n. 1. Primum principium die - ſelbe zuerkennen n. 2. die andern Unwarheiten / n. 3. Oſtenſio und Demonſtratio derſelben n. 4. Warum die doctrin de falſo ſo kurtz ſey n. 5. Etliche Anmer - ckungen n. 6. Die Erkaͤntnuͤß des Wahren g[i]ebt die Erkaͤntnuͤß des Falſchen / aber das Wahre und Falſche iſt dennoch unterſchieden n. 7. 8. 9. 10. Ein anders iſt wahr oder falſch ſeyn / ein anders das Wahre oder Falſche erkennen. n. 11. 12. 13. Die Unwarheit iſt gar nichts. n. 14. Viel vernuͤnfftige und ſonſt kluge Men - ſchen halten nichts fuͤr etwas n. 15. 16. Ein anders iſt; begreiffen daß etwas falſch ſey / ein anders das Falſche begreiffen n. 17. 18. 19. Non entis nulla ſunt prædicata n. 20. 21. Wer das Falſche erkennet / erkennet darumb nicht eben das Wahre. n. 22. 23. 24. 25. Nothwendig - keit dieſer Anmerckung n. 26. Das Falſche wird da - durch nicht erkennet / wenn man die connexion eines Satzes mit dem primo principio nicht begreiffet n. 27. 28. 29. 30. Die demonſtration einer Unwarheit ſoll zufoͤrderſt dem irrenden geſchehen n. 31. Vier Anmer - ckungen hieruͤber n. 32. 33. 34. 35. und derer Nutzen[n.]36.

Der203und andern unſtreitigen Unwarh.

1.

DEr Warheit iſt die Unwarheit entge - gen geſetzt / oder das Falſche / von deſſen Eintheilung und Beſchreibung wir allbe - reit oben in 5. Capitel geredet haben.

2. Das primum principium die unſtreiti - gen Unwarheiten zuerkennen / haben wir gleichfals in 6. Capitel n. 20. 26. und 100. mit gewieſen.

3. So iſt demnach auch leichte zuermeſſen / daß die andern unſtreitigen Unwarheiten diejenigen ſeyn / wenn ich gewiß verſichert bin / daß eine aſſertion an die erſten principia co - gnoſcendarum veritatum nicht gehangen werden koͤnne / ſondern denenſelben ſchnur - ſtracks zu wiederſey.

4. Und braucht alſo in anſehen meiner die Sache keines fernern Beweiſes / wenn ich a - ber einen andern die falſchen Meinungen / die er heget / zu erkennen geben will / muß ſolches gleichfals vel per oſtenſionem geſchehen / vel per demonſtrationem, daß die Sache ohnmoͤg - lich mit dem Ring (B) oder (C) verknuͤpfft werden koͤnne / alles nach Anleitung des vor - hergehenden Capitels.

5. Die -204Das 8. Hauptſt. von denen erſten

5. Dieſes iſt alſo alles dasjenige / was wir von denen erſten und andern Unwarheiten fuͤr Grund-Lehren zu geben haben / denn wer die Warheit erkennet / erkennet auch die Un - warheit / oder das Falſche.

6. Aber deßwegen laſſe dich nicht verdrieſ - ſen / daß wir ein abſonderlich Capitel von de - nen Unwarheiten gemacht haben / denn wir wollen aus der bißherigen Lehre etliche noͤthi - ge Anmerckungen hieher ſetzen / theils in dem / was wir oben geſetzt haben / uns deſto mehr zu befeſtigen / theils fuͤr gemeine Jrrthuͤmern uns deſto eher zu huͤten.

7. Jch habe geſagt / wer das Wahre erken - net / erkennet auch das Falſche / aber huͤte dich / daß du nicht das Wahre und Falſche mit einander vermiſcheſt. Jch will dir ein E - xempel geben: wer den rechten einigen Weg zu einer Stadt erkennet / der erkennet zugleich / daß alle andere Wege Abwege ſeyn / aber deß - wegen iſt der rechte Weg und der Abweg nicht eins.

8. Ja ſprichſt du / daß iſt ja aber gleichwohl wahr / daß das Falſche falſch iſt / und alſo iſt doch etwas falſch und wahr zugleich.

9. Aber du irreſt dich ſehr / denn es folgetnur205und andern unſtreitigen Unwarh. nur daraus / daß du eine wahre Erkaͤntnuͤß von eines andern ſeiner falſchen Meinung haſt / nicht aber daß das Falſche wahr / oder das Wahre falſch ſey.

10. Die Erkaͤntnuͤß des rechten Weges verſichert dich / daß der Abweg ein Abweg ſey / ob ihn gleich der andere vor den rechten Weg ausgiebet / alleine deß wegen iſt der Abweg und der Weg nicht eins.

11. Zu mehrerer Erleuterung kanſt du ei - nen Unterſcheid machen unter wahr oder falſch ſeyn / und unter dem erkennen / daß etwas wahr oder falſch ſey: Es iſt allezeit wahr / daß eine circulatio ſangvinis ſey / und das Gegemheil allezeit falſch / ob gleich fuͤr einiger Zeit jenes fuͤr falſch und dieſes fuͤr wahr gehal - ten worden.

12. Das wahr ſein inferirt die habitu - dinem derer euſerlichen Dinge und der Ge - dancken eines Menſchen mit dem Verſtande / der allen Menſchen gegeben iſt.

13. Wenn nun dieſe habitudo von jed - weden in actum deduciret wird / ſo erkennet man auch das wahre.

14. Und alſo iſt eigentlich die Warheit o - der Unwarheit eben ſo unterſchieden / als ensreale206Das 8. Hauptſt. von denen erſtenreale atqve actuale, & non ens. Denn die Warheit iſt warhafftig etwas / und die Unwarheit iſt gar nichts.

15. Ey ſprichſt du / wie kan das ſeyn? Wenn die Unwarheit oder das Falſche gar nichts waͤ - re / ſo wuͤrden ja ſo viel kluge Leute das Fal - ſche nicht einen Augenblick fuͤr wahr halten koͤnnen / und alſo waͤre mein Tage kein Jrr - thum in der Welt / als unter unmuͤndigen Kindern oder offenbahren Narren. Denn wer wolte ſich / zum Exempel / bereden / daß er einen Menſchen ſaͤhe / wenn kein Menſch da waͤre / oder hundert Thaler bekommen haͤtte / wenn ihm der andere eine leere Hand gegeben.

16. Mein lieber Freund / dieſes iſt alles gar wohl moͤglich. Denn ich will dir nicht zu Gemuͤthe fuͤhren / daß man groſſe Leute bere - den koͤnne / daß ein Menſch gegenwaͤrtig ſey / ob ſie gleich nichts ſehen / ja daß in gemeinen Leben die kluͤgſten Leute oͤffters eiteln Wind fuͤr baar Geld annehmen / giebt es doch viel gelehrte Gecken / die ſich feſte bereden / ſie haͤt - ten einen conceptum de nibilo oder non ente, und dieſes waͤre wuͤrcklich in ihrer Vernunfft / und nennen es deßwegen ens rationis im - posſibile.

17. Denn207und andern unſtreitigen Unwarh.

17. Denn eben dieſe Leute confundiren dieſe zwey phraſes mit einander: begreiffen daß etwas falſch ſey / und das Falſche be - greiffen.

18. Jenes iſt nichts anders / als begreiffen / daß ein Subjectum und Prædicatum, die beyde unter die Entia gehoͤren / ſich nicht zu - ſammen ſchicken / und mit einander vereiniget werden koͤnnen / als z. e. die propoſition Holtz iſt Eiſen vel vice verſa erkennet der Verſtand / daß ſie falſch ſey / aber er hat deß - wegen keinen concept de non ente, weil ſo wohl Holtz und Eiſen etwas iſt.

19. Dieſes aber heiſt zwey terminos, die ſich nicht zuſammen ſchicken als vereinigt be - greiffen wollen / oder als wenn ſie ein Subje - ctum oder prædicatum abgeben koͤnten / als z. e. ein hoͤltzern Eiſen / Homo irrationalis, &c.

20. Aber dieſer Fehler iſt gar leichte zu e - vitiren / wenn man nur bedencket / was uͤberal gelehret wird: Non entis nulla ſunt prædi - cata. Deme beygefuͤgt werden kan / daß von allen dem / was man gedencket / etwas prædi - ciret werden kan.

21. Will dich aber ein Sophiſte mace -riren /208Das 8. Hauptſt. von denen erſtrnriren / und viel Exempel geben / daß man von einem non ente etwas prædiciren koͤnne / ſo darffſt du dir eben den Kopff nicht druͤber zu - brechen / ſondern du kanſt mit weniger atten - tion befinden / daß alles da hinaus laͤufft / als wenn man in arithmeticis zu ſagen pflegt / 1. mahl 0. iſt 0. oder 0. und 0. iſt 0.

22. Aber wir muͤſſen weiter gehen / wenn ich geſagt habe / daß wer das Wahre erkenne / erkenne auch das Falſche / ſo muſt du dich fer - ner huͤten / daß du nicht ſchlieſſeſt / derjenige / der das Falſche erkennet / wiſſe auch das Wahre. Denn es iſt unter dieſen beyden ein groſſer Unterſcheid.

23. Wenn ich den einigen rechten Weg weiß / ſo weiß ich / daß die andern alle Abwege ſeyn / und wenn ihrer hundert waͤren; Aber wenn ich unter hundert Wegen gleich erken - ne / daß ihrer 98. Abwege ſeyn / ſo weiß ich deß - halben doch nicht / welches unter denen uͤbri - gen zweyen der rechte Weg ſey / geſchweige denn / wenn ich unter denen hundert Wegen nur einen einigen Abweg erkennete.

24. Und alſo iſt es auch mit der Warheit beſchaffen / als welche nur eine iſt / da hingegen tauſend Unwarheiten ſind.

25. Jch209und andern unſtreitigen Unwarh.

25. Jch geſchweige / daß ohne dem in den Schulen inculciret wird / daß man die pro - poſitiones univerſales affirmantes nicht ſimpliciter convertiren ſolle.

26. Doch darffſt du dieſe Erinnerung nicht fuͤr vergebens halten / denn es iſt nichts ge - meiner / als daß Gelehrte in ihren Streit - Schrifften den Hauptſchnitzer wieder die ge - dachte Regel de converſione faſt taͤglich be - gehen / und vermeinen ein groſſes erjaget zu haben / wenn ſie nur erweiſen / daß ihr Ge - gner unrecht habe.

27. Jch habe hiernechſt oben erwehnet / daß in Erkaͤntnuͤß unſtreitiger Unwarheiten / ich gewiß verſichert ſeyn muͤſte / daß dieſel - bigen mit dem primo principio nicht uͤber - einkaͤmen. So muß ich nun ebenmaͤßig nicht alſo ſchlieſſen / daß ich unſtreitige Unwarhei - ten ſo dann alsbald erkennete / wenn ich nicht gewiß verſichert waͤre / daß dieſelbigen mit dem primo principio uͤbereinkaͤmen. Denn unter dieſen beyden iſt ein groſſer Un - terſcheid.

28. Z. e. ich weiß gewiß / daß ein Loͤwe kein Menſch ſeyn koͤnne / daß ein Triangel kein Viereck ſey. Aber ich bin nicht gewiß verſi -Ochert210Das 8. Hauptſt. von denen erſtenchert / ob in denen Beſtien ein intrinſecum movens ſey oder nicht.

29. Und alſo erkenne ich / daß es eine Un - warheit ſey / wenn jemand jenes bejahen wol - te / aber von dieſen kan ich keines fuͤr wahr oder falſch halten / ſondern fuͤr unbekant.

30. Ebenmaͤßig iſt wohl wahr / qvod o - mnis cognitio clara & diſtincta ſit vera, aber es iſt falſch / qvod omnis cognitio non clara & non diſtincta ſit falſa.

31. Endlich habe ich auch erwehnet / daß die demonſtratio falſitatis zufoͤrderſt dem - jenigen geſchehen ſolle / der dieſelbige heger. Woraus unterſchiedene Anmerckungen zu - nehmen ſind.

32. (1) Daß man die demonſtrationes bey denen nicht von noͤthen hat / die allbereit die Warheit erkennen.

33. (2) Daß in anſehen derer / die die fun - damenta der Warheit gar nicht verſtehen / ſondern nach denen præjudiciis urtheilen / keine Falſchheit demonſtriren koͤnne / ehe man ihnen die fundamenta demonſtrandi beyge - bracht habe.

34. (3) Daß ſich keiner ruͤhmen koͤnne / er habe den andern eine Unwarheit de -mon -211und andern unſtreitigen Unwarh. monſtriret / wenn dieſer ſolches nicht er - kenne.

35. (4) Daß wenn man deutlich erken - net / daß dem andern an Erkaͤntnuͤß ſeines Jr - thums ſein eigener Wille hindert / man ſich gar nicht weiter mit ihm einlaſſen ſolle.

36. Wie viel unnoͤthig Gezaͤncke wuͤrde nach bleiben / wenn man wieder dieſe Anmer - ckungen nicht taͤglich anſtieſſe.

Das 9. Hauptſtuͤck. Von denen unerkanten Dingen. De incognito.

Jnnhalt.

Das unerkante n. 1. wird auff zweyerley Art genommen n. 2. I. in anſehen aller Menſchen n. 3. bedeutet es Dinge / n. 4. von welchen der Verſtand nicht weiß / ob ſie wahr oder falſch ſind. n. 5. weil er nicht weiß was ſie ſeyn / n. 6. und ſind alſo mitten inne. n. 7. Hieher gehoͤret die natuͤrliche Wiſſenſchafft von GOtt / n. 8. 9. 10. 11. Solche Dinge ſind Goͤttlich und uͤbernatuͤrlich / n. 12. Noch unbekanter aber ſind dem Menſchlichen Ver - ſtande die Engel / als von welchen er gar nicht weiß / ob ſie ſeyn / n. 13. 14. 15. 16. 17. und kan alſo denenſelben nicht einmahl einen Nahmen geben n. 18. noch præter - naturale à ſupernaturali unterſcheiden n. 19. ſondern uͤberlaͤſt beydes dem uͤbernatuͤrlichen Licht n. 20. II. in anſehen etlicher Menſchen n. 21. welches entwederO 2an212Das 9. Hauptſtuͤckan ſich ſelbſt wahr oder falſch iſt / n. 22. 23. oder keines von beyden n. 24. aber es iſt doch ein natuͤrlich Ding / n. 25. Das uͤbernatuͤrliche und natuͤrliche Unerkandte iſt zwiſchen dem Wahren und Falſchen n. 26. aber je - nes in puncto und unbeweglich n. 27. Dieſes in lati - tudine und beweglich n. 28. nehmlich entweder war - ſcheinlich oder unwarſcheinlich n. 29.

1.

WJr haben bißher zum oͤfftern unerkan - ter oder unbekante Dinge erwehnet / auch dieſelben allbereit oben in 5. Capitel n. 38. ſeq. uͤberhaupt beſchrieben und gezeiget / aber es iſt nun Zeit / daß wir dieſelben etwas genauer betrachten.

2. Das unerkante wird auff zweyerley Art genennet / entweder in anſehen der ge - ſambten Menſchlichen Vernunfft / oder in Betrachtung etlicher Menſchen.

3. Jn der erſten Bedeutung begreifft es ſolche Dinge / die alle vernuͤnfftige Menſchen / ſo ferne ihr Verſtand als ein natuͤrlich Liecht betrachtet wird / nicht wiſſen / noch wiſſen koͤn - nen / ob ſie wahr oder falſch ſeyn.

4. Jch ſage es waͤren Dinge / und alſo ſind ſie etwas. Denn wenn ſie gar nichts waͤren / ſo wuͤſte der Menſch gewiß / daß ſie hauptſaͤch -lich213von denen unerkanten Dingen. lich falſch waͤren / weil das Falſch / wie wir ge - ſagt haben in der That nichts iſt.

5. Und gleichwohl ſage ich doch / daß der Verſtand nicht wiſſen koͤnne / ob ſie wahr oder falſch waͤren; Aber wie koͤmmt dieſes mit dem vorhergehenden uͤberein. Weiß der Menſch gewiß / daß ſie etwas ſeyn / ſo weiß er auch gewiß / daß ſie wahr ſeyn.

6. Alleine hierauff iſt leichte zu antworten; Dieſes weiß zwar der Menſchliche Verſtand wohl / daß ſie etwas ſeyn / aber was ſie ſeyn / das kan er nicht wiſſen.

7. Drum iſt zwiſchen dem wahren / fal - ſchen / und den unerkanten Dingen ein ſol - cher Unterſcheid / als zwiſchen dem nothwen - digen / unmoͤglichen / und moͤglichen. Das iſt / ſie ſind gleichſam zwiſchen den Wahren und Falſchen als zweyen einander hauptſaͤch - lich entgegen geſetzten mitten inne.

8. Daß ſolche unerkante Dinge wuͤrcklich ſind / oder daß es eine dergleichen Art giebet / weiß der Menſchliche Verſtand gewiß. Denn er weiß ja / daß ein GOtt iſt / nehmlich eine cauſa prima, von welcher alle Dinge / die er vermittelſt der Sinnen gewiß begreifft / her - kommen / und welche dieſelbe ſtets waͤhrend er -O 3haͤlt /214Das 9. Hauptſtuͤckhaͤlt / wie zu ſeiner Zeit deutlich erklaͤhret wer - den ſoll.

9. Aber er erkennet auch zugleich / daß die - ſer concept von Gott nothwendig ſehr con - fus und dunckel ſeyn muͤſſe / und mehr auff exiſtentiam Dei, als auff deſſen Weſen ziele.

10. Ja wenn er nur aus dieſen confu - ſen conceptu exiſtentiæ den Unterſchied zwiſchen ſeinen Verſtand und dieſer cauſa prima genau erweget / ſo erkennet er zugleich / daß es unmoͤglich ſey das Weſen GOttes mit dem Verſtande zu begreiffen / und daß alles dasjenige / wenn er ſeinen Verſtand pouſſiret / daß er mehr Warheiten von Got - tes Weſen erforſchen ſolle dahinaus lauffe / daß er zwar unterſchiedenes ſagen kan / was Gott nicht ſey / aber niemahls weiter / was GOtt ſey.

11. Mit einen Wort / er ſiehet / daß er durch alle dergleichen Redensarten keine einige Un - warheit erfunden / ſondern daß dieſelbige nichts anders ſind als Dinge / die ſchon in den conceptu de exiſtentia Dei ſtacken.

12. Dannenhero folget nun unſtreitig / daß der Menſchliche Verſtand die unbekanten Dinge von dieſer Claſſe nicht deutlicher nen -nen215von denen unerkanten Dingen. nen koͤnne / als uͤbernatuͤrliche und Goͤttliche Dinge / gleichwie alles Falſche wieder na - tuͤrlich iſt.

13. Alleine nechſt dieſer Art iſt noch eine andere Art von Sachen / die zwiſchen denen Goͤttlichen und Menſchlichen gleichſam zwi - ſchen inne ſind / von denen die Vernunfft gar nichts weiß / ob ſie ſeyn oder was ſie ſeyn / ſon - dern was ſie davon hat / iſt alles einer Offen - bahrung zuzuſchreiben.

14. Dieſe nennen die Chriſten Engel / die Heyden intelligentias, dæmones, faunos, Satyros &c.

15. Und alſo ſind dieſe gantz offenbahr von denen vorigen unterſchieden / daß die Ver - nunfft nicht einmahl von der exiſtenz dieſer Dinge etwas unſtreitig wahres weiß / oder wiſſen kan / ob er gleich ſo viel gewiß iſt / daß ihre exiſtenz moͤglich ſey.

16. Denn ich moͤchte das Argument wohl hoͤren / durch welches ein Menſch aus der bloſſen Vernunfft convinciret werden te / daß Engel waͤren / wenn er ſich nicht auff eine uͤbernatuͤrliche revelation oder Menſch - liche autoritaͤt gruͤndet / aber beydes von dieſen macht keine philoſophiſche unſtreitige War - heit.

O 417. Und216Das 9. Hauptſtuͤck

17. Und was die Heyden davon gewuſt haben / haben ſie alles aus einer uͤbernatuͤrli - chen Wiſſenſchafft haben koͤnnen / oder ſie ha - ben ſich Menſchliche autoritaͤt darzu bereden laſſen.

18. So kan demnach die Vernunfft dieſen Dingen nicht einmahl einen Nahmen geben / weil ſie gar nichts davon weiß.

19. Und ob ſchon etliche Gelehrte viel von den Unterſcheid inter præternaturalia & ſu - pernaturalia zuſagen wiſſen / ſo kan doch die Menſchliche Vernunfft / wenn ſie ſich ſelbſt gelaſſen iſt / denſelben nicht verſtehen.

20. Sondern ſie thut an beſten / daß ſie alle dieſe Dinge dem uͤbernatuͤrlichē Licht uͤberlaͤſt.

21. Was ferner die andere Bedeutun - gen unerkanter Dinge anlanget / die etliche Menſchen allein betreffen / ſo iſt kein Zweif - fel / daß dieſelbige anderen Menſchen bekant / das iſt / von ihnen fuͤr wahr oder falſch gehal - ten werden muͤſſen.

22. Dieweil aber aus der Meinung etli - cher Menſchen / wie wir offters erwehnet / das Wahre und Falſche ſelbſt nicht zu urtheilen iſt / ſondern nach dem Verſtande aller Men - ſchen muß gemeſſen werden / alſo iſt auch dieſesuner -217von denen unerkanten Dingen. unerkanten zwar manchmahl / aber nicht alle - zeit wahr oder falſch.

23. Wahr oder falſch iſt es / wenn es an - dern Menſchen / denen es zuvor unbekant iſt / kan wahr oder falſch zu ſeyn erwieſen werden / und in dieſen Gebrauch iſt wegen der unvoll - kommenen Natur des Menſchen alles Wah - re oder Falſche erſtlich unerkant.

24. Es iſt weder wahr noch falſch / wenn keiner dem andern ſolches nach Anleitung der obigen Regeln erweiſen kan / z. e. daß die Erde herum lauffe / daß eins / zwey / drey oder vier Elemente ſeyn u. ſ. w.

25. Wir koͤnnen dieſes zu deſto beſſern Un - terſcheid des unbekanten aus der erſten Claſſe / nehmlich des uͤbernatuͤrlichen / ein natuͤrli - ches unerkantes nennen.

26. Beyde kommen darinnen uͤberein / daß ſie gleichſam mitten zwiſchen den Wah - ren und Falſchen ſeyn.

27. Aber darinnen iſt der Unterſcheid / daß in uͤber natuͤrlichen Dingen der Verſtand das unbekante gar nicht bewegen kan / daß es dem Wahren oder Falſchen naͤher trete / und alſo beſtehet es gleichſam in puncto, und iſt unbeweglich.

O 528. Aber218Das 10. Hauptſt. von wahrſcheinl.

28. Aber das natuͤrliche Unbekante kan von dem Menſchlichen Verſtand beweget wer - den / daß es dem Wahren oder Falſchen etwas naͤher komme / und alſo hat es eine gar ſenſible latitudinem.

29. Koͤmmt es dem Wahren naͤher als dem Falſchen / ſo heiſt es wahrſcheinlich / koͤm̃t es aber den Falſchen naͤher / ſo heiſt es unwar - ſcheinlich. Und dieſe Art verdienet eine viel genauere Betrachtung.

Das 10. Hauptſtuͤck. Von wahrſcheinlichen und unwahrſcheinlichen Dingen / & de locis Dialecticis.

Jnnhalt.

Das wahrſcheinliche wird ſo weitlaͤufftig genommen / daß es das Wahre und Falſche unter ſich begreifft / n. 1. 2. 3. Was ſich nehmlich ein jeder wahr zu ſeyn einbildet n. 4. Mundus regitur opinionibus n. 5. dieſes Wahrſcheinli - che gehoͤret zu denen Jrthuͤmern n. 6. Und gehoͤret hieher nicht. n. 7. Die Lehꝛe von der Wahrſcheinlig - keit mit dem Gleichnuͤſſe von einer Wage erklaͤret n. 8. biß 15. Man muß ſich wohl in acht nehmen / daß man ſich nicht einbilde / unerforſchliche Dinge deutlich zu begreiffen n. 16. oder offenbahrlich wahre fuͤr Unwar - ſcheinlich n. 17. oder ſehr zweiffelhaffte fuͤr warſchein - lich halte / n. 18. Regeln von Erkaͤntnuͤß der Wahr -ſchein -219und unwahrſcheinlichen Dingen. ſcheinligkeit n. 19. Man muß zufoͤrderſt ſehen / ob et - was wahr oder falſch ſey n. 20. Zwey criteria der Wahr - ſcheinligkeit n. 21. das I. eines andern Erfahrung n. 22. der mich nicht betruͤgen will und ſich nicht betrogen hat n. 23. Nachdem das Vertrauen oder die Furcht zu ihm groͤſſer iſt / nachdem koͤmmt mir auch die Sache wahr - ſcheinlich fuͤr oder nicht n. 24. 25. Hierbey iſt zumer - cken n. 26. daß Menſchliche autoritaͤt niemahls un - ſtreitige Warheiten verurſache n. 27. daß das Zeug - nuͤß der meiſten oder gelehrteſten hier nicht in groſſe conſideration kommen koͤnne / n. 28. biß 32. Alte und neue teſtimonia n. 33. 34. Die Autoritaͤt eines Fuͤr - ſtens thut bey der Wahrſcheinligkeit nicht viel n. 35. 36. 37. 38. aber die Erkantnuͤß der Menſchen kan hier guten Nutzen ſchaffen / n. 39. Die man in der Politic lernet n. 40. Einem Kuͤnſtler ſoll man in ſeiner Kunſt Glauben zuſtellen n. 41. 42. Einen ſehenden Zeugen glaubt man mehr als einen hoͤrenden n. 43. oder der die Sache von andern gehoͤret hat. n. 44. Was viel Menſchen / die mit einander keine Abreden nehmen koͤnnen zugleich bezeugen / iſt ſehr wahrſcheinlich n. 45. 46. 47. Wo von alle Scribenten einer Zeit ſtille ſchwei - gen / iſt unwahrſcheinlich. n. 48. 49. 50. II. Conceptus zufaͤlliger Dinge. n. 51. 52. die bey vielen anzutreffen ſeyn / machen eine Wahrſcheinligkeit n. 53. und ſind der propoſitioni univerſali am naͤheſien n. 54. 55. bey we - nigen aber oder nur einen eine Unwahrſcheinligkeit n. 56. 57. Ob es muͤglich ſey / daß ein Menſch ideas verè univerſales haben koͤnne / n. 58. ſeq. Unterſcheid zw@ - ſchen denen ideis und conceptibus veroſimilibus n. 59. biß 69. Anmerckung uͤber den Beweiß der concluſio - num in wahrſcheinlichen Sachen n. 70. biß 74. Eine qvaſi demonſtration n. 75. Regel von gantz unerkan - ten Dingen n. 76. 77. Nichtigkeit der gemeinen Loco - rum Dialecticorum. n. 78. 79.

1. Das220Das 10. Hauptſt. von wahrſcheinl.

1.

DAs Wahrſcheinliche und Unwahr - ſcheinliche wird entweder von wahren oder falſchen Sachen / oder von ſolchen / die Zwiſchen den Wahren und Falſchen in Mit -[t]el ſind / geſagt.

2. Denn weil die Menſchen ſich nicht alle[b]efleißigen das Wahre von dem Wahrſchein - lichen und Falſchen zu unterſcheiden / kan es leichte geſchehen / daß man wahre Dinge nur fuͤr wahrſcheinlich oder falſch / Wahrſcheinli - che fuͤr wahr oder falſch / und falſch fuͤr wahr - ſcheinlich oder wahr haͤlt.

3. Z. e. wenn man ſeinen præceptoribus zugefallen glaubet / daß die drey Winckel des Trinangels zwey gleiche Winckel austragen / wenn man ſich beredet / der Menſch koͤnne nicht in ſich ſelbſt das groͤſte Vergnuͤgen fin - den / wenn man behauptet / es ſey unſtreitig / o - der es ſey unmoͤglich / daß die Erde ſich bewege / und die Sonne ſtille ſtehe / wenn man glaubet daß die Beſtien innerliche Sinne haͤtten / wenn man ſich beredet / man muͤſſe die Welt - weißheit und die heilige Schrifft unter ein - ander miſchen.

4. Und221und unwahrſcheinlichen Dingen.

4. Und ſolcher Geſtalt waͤre alles dasjeni - ge wahrſcheinlich / was ſich ein jeder Menſch / der keine Grund-Regeln der Warheit weiß / wahr oder falſch zu ſeyn einbildet / es moͤge nun ſonſten mit der gemeinen Vernunfft uͤber - einkommen oder nicht.

5. Von dieſer Wahrſcheinligkeit redet das gemeine Sprichwort: Mundus regitur opi - nionibus.

6. Aber dieſe gehet uns nichts an / weil dieſe Meinungen nichts anders ſind / als Jrr - thuͤmer oder doch aus Jrrthuͤmern herge - leitet ſind.

7. Wir aber wollen von wahrſcheinlichen Dingen reden / bey welchen der Menſche in ſei - ner Meinung nicht irret / ſondern der Menſch - liche Verſtand wohl erkennet / daß es eine bloſſe Meinung ſey / die er zu keiner Ge - wißheit bringen koͤnne / und in deſſen Anſe - hen unerkant bleibe.

8. Jch habe dieſe Wahrſcheinligkeit in vor - hergehenden Capitel mit einen beweglichen punct verglichen / vielleicht kanſt du dir ſolches deutlicher einbilden mit einem Zuͤngelgen in der Wage.

9. Jn Goͤttlichen Dingen ſoll der Menſch -liche222Das 10. Hauptſt. von wahrſcheinl. liche Verſtand unbeweglich ſeyn / und weder zur rechten noch zur lincken weichen / weil alle Bewegung / die der Menſchliche Verſtand dißfals fuͤr ſich und ohne dem uͤber natuͤrlichen Licht thut / gefaͤhrlich iſt.

10. Aber in natuͤrlichen unerkanten Din - gen ſoll er ſo viel als moͤglich / ſich bewegen nach Anleitung des Gewichts / das ihm zum Er - kaͤntnuͤß des Wahren oder Falſchen fuͤhret / wie das Zuͤngelgen einer Wage in deren ei - ner Schale nur ein ſchwer Gewichte lieget / ſich alsbald nur alleine auff dieſelbige Seite richtet.

11. Es geſchiehet aber oͤffters / daß man in beyde Schalen ungleiche Gewichte leget / und ſolcher Geſtalt beweget ſich das Zuͤnglein auff beyden Seiten / biß es endlich auff der Seite / allwo das ſchwerſte Gewichte iſt / zu ruhen pfleget / aber doch lange ſo weit ſich nicht uͤberleget / als wenn auff derſelben Seite das Gewichte nur allein gelegen waͤre.

12. Und wann gleiche Gewichte in beyde Schalen geleget werden / ſo beweget ſich das Zuͤnglein in auffziehen auf beyde Seiten / biß es mitten inne ſtehen bleibet.

13. Und waͤre dannenhero eine abſurdeWage /223und unwahrſcheinlichen Dingen. Wage / wenn das Zuͤnglein ſich auff die ande - re Seite bewegte / wo kein Gewichte laͤge / oder auf der Seite ſtehen bliebe / wo das leichteſte laͤge / oder nicht mitten innen ſtehen bliebe / weñ die Gewichte gleich waͤren.

14. Alſo ſoll es auch mit dem Menſchli - chen Verſtand beſchaffen ſeyn / ſiehet er / daß er in denen Sachen / in welchen er die Erkaͤnt - nuͤß der Warheit ſuchet / und doch zu keiner demonſtration gelangen kan / ſondern auff beyden Theilen vernuͤnfftige Urſachen findet / ſo muß er dieſelbige wohl erwegen / und nach Beſchaffenheit der Uberwegung auff dieſel - bige Seite incliniren / und dieſelbe fuͤr wahr - ſcheinlich oder dem Wahren naͤher / die wie - derwaͤrtige Meinung aber fuͤr unwahr - ſcheinlich oder den Falſchen naͤher achten.

15. Siehet er aber / daß ſie gleich ſeyn / ſo muß er dafuͤr halten / daß die Sache weder unwahrſcheinlich noch wahrſcheinlich ſey / ſon - dern unerkant bleibe.

16. Erweget er aber dieſes nicht wohl / ſondern uͤbereilet ſich / ſo kan es leichte geſche - hen / daß er ſich in Dingen / die er fuͤr unerkant halten ſoll / ſich niemahls zur Ruhe begiebt / ſon - dern dieſelbe mehr und mehr auszuforſchenſich224Das 10. Hauptſt. von warſcheinl. ſich angelegen ſeyn laͤſt / als z. e. die deutliche Erkaͤntnuͤß und production aller ſubſtan - tzen.

17. Oder etwas fuͤr unwahrſcheinlich haͤlt / das doch gantz offenbahr iſt. Alſo wenn man jemand fragt: ob man gewiß beweiſen koͤnne / daß zwey oder mehr Menſchen in der Welt waͤren / deren einer præciſè ſo viel Haare hat als der andere? wird faſt einjeder / der die Sache nicht wohl uͤberleget / heraus plumpen / und ſagen / es ſey ohnmoͤglich / da er doch des Gegentheils gar leichte convincirt werden kan.

18. Oder aber etwas fuͤr wahrſcheinlich haͤlt / daß ſehr groſſen Zweiffel noch unter - worffen iſt / z. e. wenn man fraget: ob mehr Augen oder Haare in der Welt ſind / pflegt man gemeiniglich dieſes zu behaupten / weil z. e. ein Menſch oder Thier nur 2. Augen / aber viel 100. oder 1000. Haare hat / da doch ein groſſer Zweiffel daran entſtehet / wenn man be - dencket / wie viel millionen Voͤgel / Fiſche und andere Thiere in der Welt ſind / die keine Haa - re und doch Augen haben.

19. Damit man nun auch in Erkaͤntnuͤß des Wahrſcheinlichen nicht anſtoſſe / iſt noͤthig /daß22[225]und unwahrſcheinlichen Dingen. daß dißfals gleichmaͤßige Regeln gegeben werden / wie in Erkaͤntnuͤß des unſtreitig Wah - ren und Falſchen.

20. Derowegen muß man zu foͤrderſt in Betrachtung einer propoſition bedacht ſeyn / ob man dieſelbige oder derſelbigen con - tradictoriam entweder per modum oſten - ſionis oder demonſtrationis obbeſchriebe - ner maſſen behaupten koͤnne / denn wenn die - ſes angehet / ſo wuͤrde man der Sachen zu we - nig thun / wenn man ſie fuͤr wahrſcheinlich oder unwahrſcheinlich halten wolte / weil ſie wahr oder falſch iſt.

21. Will aber dieſes nicht angeben / ſondern ich befinde / daß die Sache nicht unmoͤglich ſey / ſo muß ich die criteria ſuchen / die denen eige - nen ſenſionibus und ideis an naͤchſten kom̃en / deren das eine ſenſio vel experientia aliena, das andere aber ein ſolcher eigener concept iſt / der nicht zur definition eines Dinges gehoͤ - ret / gleichwohl aber bey etlichen individuis anzutreffen iſt.

22. Ein Menſch kan ohnmoͤglich / ich will nicht ſagen alle individua, ſondern nur alle Arten der ſubſtantzen zu denen Sinnligkei - ten hringen / und wenn er tauſend Jahr lebte /Paber226Das 10. Hauptſt. von wahrſcheinl. aber was dem einem Menſchen an Gelegen - heit abgehet / das kan ein anderer / und deſſen Mangel wieder ein anderer in etwas erſetzen / und weil der Verſtand des Menſchen ſeinem Weſen nach bey einem iſt / wie bey dem andern / ſo iſt kein Zweiffel nicht / daß dasjenige / was ein anderer durch die experienz nach de - nen Grund-Regeln erkennet hat / eben ſo wahr ſey / als wenn ich es ſelbſt erfahren haͤtte.

23. Aber daran ſtoͤſt ſich es gar ſehr / daß ich verſichert werde / ob denn der andere auch die Sache ſo gruͤndlich erfahren habe / als er vorgiebet. Denn es kan gar leichte ſeyn / daß mich derſelbe mit ſeinen Worten betruͤ - gen will / oder daß er ſich ſelbſten aus Unacht - ſamkeit betrogen hat.

24. Und alſo erkenne ich wohl ſo viel / daß dasjenige / was der andere vorgiebet / wahr ſeyn koͤnte / aber ich habe auch zugleich Urſach mich zu befahren / daß es koͤñe nicht war ſeyn.

25. Nachdem nun das Vertrauen oder die Furcht ſtaͤrcker iſt / nachdem iſt die Sache auch warſcheinlich oder unwahrſcheinlich.

26. Alleine ich ſpuͤre wohl / daß du gerne wiſſen wolteſt / nach was fuͤr einer Richtſchnurdu227und unwahrſcheinlichen Dingen. du dieſes Vertrauen und Furcht abmeſſen ſolteſt / damit du nicht das wahrſcheinliche und unwahrſcheinliche mit einander vermiſcheteſt.

27. Fuͤr allen Dingen muſt du feſte ſetzen / daß alles von Menſchlicher autoritaͤt her - ruͤhret / deſſen innerliche Verſicherung du nicht empfindeſt kanſt / niemahlen eine unſtreitige Warheit zu wege bringen koͤnne / und wenn gleich die gantze Welt dich deſſen bereden wolte.

28. Hiernechſt aber muſt du auch dieſes nicht einmahl ohne Unterſcheid fuͤr warſchein - lich halten / was von denen meiſten oder de - nen weiſeſten / kluͤgeſten / und gelehrteſten fuͤr wahr ausgegeben wird / und das fuͤr un - wahrſcheinlich / was die wenigſten / oder ge - meine Leute fuͤr wahr ausgeben wird.

29. Denn zu geſchweigen / daß ohne dem allezeit die meiſten nicht die weiſeſten ſeyn / ſo ſind faſt mehr oder doch ja nicht weniger all - gemeine Jrrthuͤmer / als abſonderliche.

30. Die weiſeſten und gelehrteſten aber ſind gar ſchwerlich zuerkennen / wenn ich nicht ſelbſten in einen groſſen Grad ſchon weiſe bin.

31. Zugeſchweigen / daß zu Erweckung ei - ner Wahrſcheinligkeit bey mir bey dem ande - ren / deſſen Zeugnuͤß ich Glauben zuſtellen ſoll /P 2mehr228Das 10. Hauptſt. von warſcheinl. mehr Fleiß und Warhafftigkeit / als Gelahr - heit und Weißheit erfordert wird.

32. Maſſen denn / wie erwehnet / anderer Leute Zeugnuͤß ich in rebus Experientiæ & ſenſionibus ſubjectis mich zur Wahr - ſcheinligkeit bedienen ſoll / nicht aber in Er - weckung derer idearum von denen Dingen / die ich per Experientiam gepruͤffet habe / oder fuͤglich pruͤffen kan.

33. So thut auch das Alterthum der Zeu - gen / oder die Neuligkeit derſelben / oder die continuation derer Zeugnuͤſſe nichts zur Sa - che / denn viel grobe Jrrthuͤmer haben lange gedauret / und die alten Zeugen ſind vor dieſen neu geweſen / gleich wie die neuen auch alt wer - den koͤnnen.

34. Jedoch iſt das nicht zu leugnen / daß / weil allhier von denen Senſionibus die Fra - ge iſt denen alten autoribus von denen Din - gen / die zu ihrer Zeit geweſen mehr Glau - ben beygemeſſen wird / denen neuen aber von denen heutigen.

35. Wolteſt du nun gleich von dem Stand der Menſchen hier eine Norm nehmen / und unter Fuͤrſten und Unterthanen / oder ein gemeines und privat Zeugnuͤß einen Un -terſcheid229und unwahrſcheinlichen Dingen. terſcheid machen / ſo ſchickt ſich doch auch dieſes ſehr uͤbel fuͤr die Vernunfft-Lehre.

36. Denn es koͤnnen auch Fuͤrſten ſich ſelbſt und andere betruͤgen / und gleichwie die ar - chiva einander oͤffters zu wieder ſind / alſo ſchi - cken ſie ſich zur Richtſchnur der Wahrſchein - ligkeit und Unwahrſcheinligkeit hier gar nicht.

37. Jch weiß ja wohl / daß die archive voͤl - lig beweiſes / die Geſetze der Richtſchnur der Unterthanen ſeyn / in zweyer oder dreyer Zeugen Munde die Warheit beſtehe / u. ſ. w.

38. Aber ich weiß auch / daß die Geſetze nicht die Richtſchnur des Verſtandes / ſondern des Willens ſind / und daß ein groſſer Unter - ſcheid inter veroſimile Logicum & Politicum, oder deutlicher zureden / unter wahrſcheinlich ſeyn / und fuͤr wahrſcheinlich muͤſſen gehal - ten werden / muͤſſe gemacht werden.

39. Und alſo wird man hierinnen das mei - ſte eines jeden ſeiner Klugheit anheim ſtellen muͤſſen / die aus Erkaͤntnuͤß anderer Men - ſchen entſtehet / denn daraus kan er leichte ab - nehmen / ob von denen teſtantibus, es moͤgen nun derer wenig oder viel ſeyn / das Vermoͤ - gen und Willen wahr zu ſagen ſtarck oder we - nig zu præſumiren ſeyn.

P 340. A -230Das 10. Hauptſt. von warſcheinl.

40. Aber dieſes lernet man in der Politic und practicirung der Welt / auch durch lange converſation.

41. Gleichwohl aber pfleget man insge - mein die præſumtion von dem Vermoͤgen daher zunehmen / wenn einer in einer gewiſſen Sache erfahren und beruffen iſt / von dem Willen aber / wenn er kein intereſſe dabey hat. Und ſcheinet die bekante Regel hierauff ihr Abſehen gerichtet zu haben / daß man ei - nem Kuͤnſtler (das iſt einen / der in waßerley W[i]ſſenſchafft es wolle / geuͤbt iſt) in ſeiner Kunſt Glauben zuſtellen muͤſſe.

42. Wiewohl auch dieſe Regel vielen Ab - faͤllen unterworffen iſt / indem nicht allein zum oͤfftern die Kuͤnſtler interreſſirt ſeyn / ſondern auch heut zu Tage ein jeder Schlingel den Titel eines Kuͤnſtlers ſich gar leichte zu wege bringen kan.

43. Sonſten iſt wohl kein Zweiffel / daß man auch bey Erwegung der experientz an - derer Leute betrachten muß / ob ſie auch alle zu einer Sache gehoͤrige Sinne oder doch die noͤthigſten adhibiret / und hierauff zielet die gemeine Regel / daß man einen ſehenden Zeugen mehr Glauben zuſtelle / als einenhoͤren -231und unwahrſcheinlichen Dingen. hoͤrenden (nehmlich in Sachen / die mehr durch das Geſicht als das Gehoͤr erkant werden.)

44. Oder wenn man per teſtem auri - tum den verſtehet / der de auditu alieno depo - nirt, ſo iſt kein Zweiffel / daß auch die ſtaͤrckſte Wahrſcheinligkeit alleit ſich immer mehr und mehr verliere / je durch mehr Mittels-Perſo - nen das teſtimonium experientiæ auf mich gebracht worden.

45. Damit aber gleichwohl zum wenigſten eine gute Regel von der aus Menſchlichen Zeugnuͤß herruͤhrenden Wahrſcheinligkeit an die Hand gegeben werde / ſo ſcheinet dieſe gantz offenbahr zu ſeyn: Wenn zwey oder drey Menſchen von einer Sache / die unmittel - bar ab experientia dependirt, zu gleicher Zeit ein Zeugnuͤß ablegen / und zu erwei - ſen iſt / daß ſie miteinander keine Abrede nehmen koͤnnen / ſo iſt die Sache in dem hoͤchſten Grad warſcheinlich / und der War - heit am naͤheſten.

46. Denn die Warheit iſt nur eine / die Luͤgen aber vielfaͤltig / und iſt dannenhero faſt nicht moͤglich / daß zwey oder drey Leute uͤber - einſtimmen / und doch luͤgen ſolten.

P 447. De -232Das 10. Hauptſt. von warſcheinl.

47. Derowegen auch / je mehr Leute ein dergleichen Zeugnuͤß ablegen / je warſchein - licher wird es.

48. Dieſem iſt ein anderer Grundſatz von dem unwahrſcheinlichen entgegen geſetzt. Worvon alle Scribenten einer Zeit da et - was merckwuͤrdiges geweſen oder fuͤr - gangen ſeyn ſoll / ſtillſchweigen / das wird fuͤr ſehr unwarſcheinlich gehalten.

49. Und ſolchergeſtalt iſt es falſch / daß man kein argumentum negativum ab auto - toritate humana hernehmen koͤnne.

50. Gleichwohl iſt nicht zu leugnen / daß dieſe Regel nicht in einen ſo groſſen Grad ſchlieſſe als die vorige.

51. Aber wir muͤſſen nun auch das andere criterium der Wahrſcheinligkeit beleuchten / dieſes habe ich einen eigenen concept genen - net / der nicht von allen / aber doch von etlichen individuis hergenommen wird / es ſey nun von vielen oder von wenigen.

52. Dieſer concept iſt nicht anders als conceptus accidentium, die der eſſentz entge - gen geſetzt ſeyn. Denn weil derer etliche ſo beſchaffen ſind / daß ſie bey vielen individuis, die unter einer idee begriffen / ſind angetrof -fen233und unwahrſcheinlichen Dingen. fen werden / ſo wird in Zweiffel geſchloſſen / daß ſie auch bey denen andern ſich befinden laſſen / biß man das Gegentheil behauptet.

53. Und alſo entſtehet daraus eine War - ſcheinligkeit / weil es ſehr wahrſcheinlich iſt / daß ein individuum eine ſoche Natur habe als viel andere / aber es iſt doch nicht unſtreitig wahr / weil mich mein concept zugleich ver - ſichert / daß die Sache von der die Rede iſt / ohne Verletzung des Weſens doch ſich anders verhalten koͤnne

54. Denn es iſt kein Zweiffel / daß die pro - poſition, die mehrentheils eintrifft der pro - poſitioni univerſali, die nichts anders als ei - ne idee iſt / zwar am nechſten komme / aber gleichwohl bleibt ſie particularis, wenn man nur eine inſtantz darauff geben kan.

55. Alſo wuͤrde in Zweiffel davor gehal - ten / daß alle Raben ſchwartz ſind / daß alle Menſchen zwey Fuͤſſe haben u. ſ. w.

56. Jemehr nun individua ſeyn / bey denen der concept verificirt werden kan / je wahrſcheinlicher iſt derſelbe / und je we - niger dieſelben ſeyn / je unwahrſcheinlicher laͤſt ſich derſelbe bey andern præſumiren.

57. Am unwahrſcheinlichſten iſts / wennP 5man234Das 10. Hauptſt. von warſcheinl. man von einem einigen individuo auff an - dere ſchlieſſet / weil 1. der 0. oder nichts am nechſten iſt / und oben haben wir geſagt / daß das Falſche nichts ſey.

58. Aber hier wirffſt du ein: Wie ſoll ich denn ideas oder abſtractiones univerſa - liter veras, von denen abſtractionibus ve - roſimilibus entſcheiden? Alle propoſitio - nes univerſales werden von den individuis abſtrahirt, und gleichſam in inductionem reſolvirt. Nun haſt du aber oben ſelbſt ge - ſagt / daß ein Menſch ohnmoͤglich alle indi - vidua zu denen Sinnligkeiten bringen koͤn - ne / und alſo wird kein Menſch veras ideas beſitzen / ſondern lauter propoſitiones vero - ſimiles.

59. Dieſer Einwurff iſt nicht zu verach - ten / denn er iſt ſehr wahrſcheinlich / aber er iſt doch nicht unſtreitig wahr / weil dich dein eigen Gewiſſen eines andern uͤberzeigen ſoll. Jſts nicht wahr? du haſt alsbald in deiner zarten Jugend dir ein gewiſſen concept, von einem Menſchen / von einem Hunde / Katze &c. von dem Klange / von der Farbe / von Roſen-Ge - ruch u. ſ. w. gemacht / ob du gleich ſehr wenig individua, von einem jeden vermittelſt derSin -235und unwahrſcheinlichen Dingen. Sinnen betrachtet / denn du haſt vermoͤge die - ſes concepts alle neuen individua alsbald dahin zu ordiniren gewuſt / daß nehmlich die - ſes ein Menſch / jenes ein Hund / Katze / Klang / Farbe / Roſen-Geruch u. ſ. w. ſey.

60. Wenn du aber z. e. einen Soldaten ge - ſehen / denn die Beine weggeſchoſſen gewe - ſen / haſt du alſobald geurtheilet / daß dieſes ein Menſch ſey / dem die Beine mangeln: und wenn man dir einen weiſſen Raben zeigen wuͤrde / wuͤrdeſt du nach genauer Betrachtung ſelbſt ſagen / daß es ein weiſſer Rabe ſey.

61. Du wuͤrdeſt aber nimmermehr ein Kalb / das reden konte / oder eine menſchliche Mißgeburt / die keinen Kopff haͤtte / oder die keine Augen und Ohren haͤtte / fuͤr einen Menſchen halten.

62. Und alſo ſieheſt du ſelbſten / daß du von dir ſelbſt und deiner innerlichen Vergewiſſe - rung den Unterſcheid zwiſchen denen ideis und conceptibus veroſimilibus hernehmen muſt.

63. So kan es nun nicht fehlen / dn muſt auch die Beantwortung auff deine obje - ction deutlich begreiffen koͤnnen.

64. Die idee wird von etlichen wenigen individuis nur geruͤhret / und nicht erſt perin -236Das 10. Hauptſt. von warſcheinl. inductionem formiret / ſondern ſie iſt dem Vermoͤgen nach alſobald in der Seele / und wird durch die Senſionem gleichſam nur auf - geweckt.

65. Der conceptus veroſimilis aber wird durch eine induction ex multis individuis wuͤrcklich formiret, und entſtehet ex pluri - bus ſenſionibus, wannenhero er auch ohne eine gute oder lange Erfahrung nicht ſeyn kan.

66. Die idee wird bey einem andern per inductionem veram nicht erwecket / ſondern bekraͤfftiget / und dargethan / daß alle andere Menſchen ſolche ideas haben / wie er / und iſt hier die bekante Formul: nec poteſt dari dis - ſimile exemplum, unſtreitig wahr.

67. Aber der conceptus veroſimilis wird durch eine induction dem andern nicht ſo wol erwieſen / als durch die induction verſucht / ob er dawieder etwas zuſagen habe / wannen - hero die Formul: nec poteſt &c. allezeit cum metu contrarii vorgebracht / und der andere angehoͤret werden muß / ob er ein diſſimile exemplum zuſagen habe.

68. Und alſo dienet die experientia alio - rum niemahlen dazu / daß eine idee in dem an - dern deſtruiret werde / aber in rebus vero -ſimili -237und unwarſcheinlichen Dingen. ſimilibus, dient ſie manchmahl die veroſimi - litudinem zu vergroͤſſer / manchmahl zu ver - ringern.

69. Wolteſt du dir die Sache durch ein Gleichnuͤß deutlicher imprimiren / und haſt etwas weniges in der Geometrie gethan / ſo wirſt du dich entſinnen / was fuͤr ein groſſer Unterſcheid darunter ſey / wenn man eine Sa - che mechanicè darthut / oder ſie Geometricè demonſtriret. Denn jenes geſchiehet ex ve - roſimilibus, dieſes ex ideis.

70. Dieſes ſind alſo die erſten Grund - Regeln in doctrina de veroſimili: Mit de - nen concluſionibus aber / ſo daraus herge - leitet werden / hat es eben die Bewandnuͤß und faſt einerley obſervationes, wie wir in dem 7. Capitel von der demonſtration erinnert haben / weßhalb wir uns auch hierbey nicht auffhalten wollen.

71. Nur wollen wir dieſes wenige anmer - cken / daß aller Beweiß nur wahrſcheinlich ſey / wenn der Grund deſſelben in Experien - tia aliorum, oder conceptu ex inductione orto fundirt iſt / obgleich die Verknuͤpffung der erwieſenen concluſion mit dieſen Grun - de durch lauter propoſitiones univerſalesgeſche -238Das 10. Hauptſt. von warſcheinl. geſchehen / die aus denen conceptibus vero - ſimilibus entſtanden. Denn die conceptus veroſimiles koͤnnen ſo feſte mit einander verknuͤpfft werden / als die warhafftigen ideen.

72. Jedoch geſchiehet ſolches nicht alle - mahl / ſondern es gruͤnden ſich zum oͤfftern die propoſitiones intermediæ, aus denen eine con - cluſion hergeleitet wird / auch nur in expe - rientia aliorum, oder einer qvaſi indu - ction.

73. Je mehr nun dergleichen propoſi - tiones intermediæ ſind / je lockerer iſt die concluſion mit dem Grunde der veroſimi - litudinum verknuͤpfft / und je mehr partici - pirt ein ſolcher Beweiß von der Natur einer bloſſen Wahrſcheinligkeit / oder je weiter ent - fernet er ſich von denen unſtreitigen Wahr - heiten.

74. Und alſo iſt ein wahrſcheinlicher Be - weiß / wie er n. 71. beſchrieben worden / der de - monſtration am allernaͤheſten / weßwegen er auch von etlichen zur demonſtration mit gerechnet wird.

75. Wir wollen uns deßhalben mit nie - mand in einen Wort-Streit einlaſſen / ſondernes239und unwahrſcheinlichen Dingen. es gilt uns einerley / wenn man dergleichen Beweiß demonſtrationem ſecundariam, qvaſi demonſtrationem, oder demonſtrationem by - potheticam nennen wolte.

76. Endlich wenn der Menſchliche Ver - ſtand erkennet / daß in der Natur etwas ſey / deſſen deutlichen concept, was es ſey / oder woher es entſtehe / er weder mit ſeinen eige - nen noch anderen Leuten Sinnligkeiten / noch vermoͤge derer warhafftigen oder qvaſi ideen erreichen kan / muß er es weder vor warſchein - lich noch unwarſcheinlich halten / ſondern ſei - nen Verſtand mitten inne ſtehen / und dabey als unerkanten Dingen ruhen laſſen.

77. Zum Exempel das Weſen einer ſub - ſtantz / die Darthuung des Weſens der Ele - mente / u. ſ. w.

78. Und dieſes wenige halten wir dafuͤr in der Lehre von der Wahrſcheinligkeit merck - wuͤrdig zu ſeyn / obſchon insgemein die alten und neuen Philoſophi viel Weſens von de - nen Locis Topicis oder Dialecticis machen / und die Lernende mit vielen Regeln und maxi - men uͤberhaͤuffen.

79. Aber gleichwie ich ſchon anderswo ge - wieſen / daß unter denenſelben regulæ de -mon -240Das 11. H. von denen unterſchied. monſtrandi und regulæ dialecticæ wie Kraut und Ruͤben untereinander geworffen ſind / alſo hat auch allbereit Clauberg in ſei - ner Logic die Wichtigkeit dieſer Locorum kurtz und gut geruͤhret.

Das 11 Hauptſtuͤck. Von denen unterſchiedenen Claſſen der Dinge / aus welcher von der Erkaͤntnuͤß unſtreitiger oder wahr - ſcheinlicher Warheiten zu urtheilen iſt. De objecto demonſtrationis & probabilitatis.

Jnnhalt.

Connexion n. 1. 2. Die Oinge / von denen ein Menſch eine wahre Erkaͤntnuͤß verlangt ſind I. auſſer ihm n. 3. Die - ſe ſind theils gegenwaͤrtig / theils vergangen / theils zu - kuͤnfftig n. 4. Die gegenwaͤrtigen werden entweder den vergaugenen und znkuͤnfftigen oder den abweſenden entgegen geſetzt n. 5. von abweſenden Dingen iſt die Erkaͤntnuͤß nur wahrſcheinlich oder doch dunckel und confus n. 6. biß II. Von gegenwaͤrtigen und nahen entſiehet eine klare und deutliche Erkaͤntnuͤß. n. 12. wenn dieſelben dauerhafft ſeyn / denn ſonſt iſt die Er - kaͤutnuͤß nicht deutlich n. 13. biß 17. ingleichen wenn ſie enſerlich oder zur Euſerligkeit gebracht worden ſind n. 18. Vergangene und zukuͤnfftige Dinge werden nur wayrſchelnlich oder dunckel und confus erkennet / n. 19. 20. 21. 22. und derſelben Erkaͤntnuͤß nach der Erkaͤntnuͤßgegen -241Claſſen wahrer u. warſcheinl. Dinge. gegenwaͤrtiger Dinge gerichtet / n. 21. Von der ſubſtantz hat der Menſchliche Verſtand zwar eine gewiſſe / aber keine klare und deutliche Erkaͤntnuͤß. n. 24. biß 28. Un - ter denen accidentibus n. 29. begreifft er die Coͤrper - ligkeit mit einer klaren und deutlichen Erkaͤntnuͤß / n. 30. biß 33. Die Bewegung aber begreifft er wohl klar aber nicht allemahl deutlich. n. 34. biß 37. Zanck unter denen Philoſophen de definitione motus n. 38. die ac - cidentia und nicht die ſubſtantzen koͤnnen demonſtriret und ad oſtenſionem gebracht werden / n. 39. 40. Die Lehren de motu koͤnnen nicht allemahl demonſtriret werden / n. 41. weßwegen die Lehren de eorporeitate fuͤr jenen einen Vortheil haben n. 42. Demonſtratio - nes qvantitatum actionum & paſſionum n. 43. Wie es mit Erkaͤntnuͤß der qvalitatum n. 44. biß 47. Was der Menſch fuͤr eine Erkaͤntnuͤß von denen 4. cauſis ha - be / n. 48. von der Materte / n. 49. von der Form / n. 50. von der cauſa efficiente n. 51. biß 54. von dem Fine, n. 56. und denen Wtrckungen der ſubſtantzen n. 57. 58. 59. Von der ſubſtantia ſpirituali weiß die Menſchliche Vernunfft nichts n. 60. 61. 62. Von denen Elementis und deren numero 63. ſo wohl auch von denen meteo - ris hat ſie eine wahrſcheinliche und dunckele Erkaͤntnuͤß n. 64. Unterſcheid zwiſchen der Erkaͤntnuͤß der erdenen Coͤrper / n. 65. 66. der waͤſſerigten n. 67. 78. des Feuers n. 69. der Lufft n. 70. der himmliſchen Coͤrper n. 71. Unnoͤthiger Zanck der Philoſophen hieruͤber / n. 72. Wahrſcheinligkeit / daß die Steine und Metallen ſo wohl leben als die Pflantzen / n. 73. Ungewiſſe Er - kaͤntnuͤß von dem Weſen der Steine / Pflantzen n. 74. und Beſtien n. 75. II Der Menſch ſelbſt hiervon hat er die allergewiſſeſten und meiſten Warheiten n. 76. Er kan vermittelſt der wenigen Erkaͤntnuͤß enſerlicher Dinge unzehliche Warheiten erfinden / n. 77. 78. und dadurch Entia artificialia zu wege bringen n. 79. Nu - tzen der entium fictorum in Erforſchung der WarheitQn. 80242Das 11. H. von denen unterſchied. n. 80. Er hat von ſeinen Weſen mehr Erkaͤntnuͤß als von dem Weſen anderer Dinge n. 81. 82. hierdurch er - kennet er ſeinen Endzweck / n. 83. deſſen Richtſchnur / n. 84. und ſeine Gluͤckſeeligkeit / n. 85. Er weiß ſeine ei - gene Gedancken beſſer als ein anderer. n. 86. Er erken - net des andern ſeine Gedancken n. 87. Er kennet ei - nen andern beſſer als dieſer ſich ſelbſt / n. 88. zu Befoͤr - derung Menſchlicher Gluͤckſeeligkeit. n. 89.

I.

NAchdem wir alſo das Wahre / Falſche / Unerkante / und Wahrſcheinliche be - trachtet / gleichwohlaber oben Erwehnung ge - than / daß die Vernunfft-Lehre ein Grund aller natuͤrlicher Wiſſenſchafften ſeyn ſolle / wird es nicht undienlich ſeyn / etwas genauer zu beleuchten / in was fuͤr Dingen denn ein Menſch nach der bloſſen Vernunfft zu unſtrei - tigen Warheiten gelangen koͤnne / und worin - nen er ſich nur mit bloſſen Wahrſcheinligkei - ten muͤſſe begnuͤgen laſſen.

2. Hierbey aber wird es keiner groſſen ſub - tilitaͤt gebrauchen / ſondern es wird nur von noͤthen ſeyn / daß wir die Lehre des fuͤnfften und der folgenden Capitel gegen das dritte und vierte halten.

3. Nehmlich alles / worinnen ein Menſch die Erkaͤntnuͤß der Warheit ſucht / das iſt ent -weder243Claſſen warer u. warſcheinl. Dingeweder ein Weſen / das auſſer ihm ſeine Selb - ſtaͤndigkeit hat / oder er iſt es ſelbſt.

4. Bey euſerlichen ſubſtantzen muß er zu - foͤrderſt beobachten / daß dieſelben entweder gegenwaͤrtig oder vergangen / oder zu - kuͤnfftig ſind.

5. Aller Anfang unſerer Erkaͤntnuͤß ge - ſchiehet durch gegenwaͤrtige Dinge / ja ſie wird auch durch dieſelbigen taͤglich erhalten / aber ſie werden auff zweyerley Art genom̃en / (1.) in weitlaͤufftigen Gebrauch / ſo ferne die - ſelbigen itzo etwas ſind / ob der Menſch gleich von denenſelben en fernet iſt / und alſo begreif - fen ſie auch abweſende Dinge unter ſich (2.) in engern Verſtande / ſo ferne ſie itzo etwas und dem Menſchen nahe ſind / und werden ſolchergeſtalt den abweſenden entgegen geſetzt

6. Von abweſenden Dingen koͤnnen wir niemahlen unſtreitige Warheiten vermittels einer klaren und deutlichen Erkaͤntnuͤß be - greiffen / ſondern alles / was wir davon bejahen / iſt entweder nur wahrſcheinlich oder doch ſehr dunckel und confus.

7. Denn wir koͤnnen vermittelſt der Sin - ne dieſelbigen nicht begreiffen / weil alle Sinn - ligkeiten eine Gegenwart erfordern / und alſoQ 2koͤnnen244Das 11. Hſt. von denen unterſchied. koͤnnen wir auch von ihren Weſen uns keine ideas machen / weil die ideæ de rerum eſſen - tiis allezeit per ſenſiones geruͤhret werden muͤſſen.

8. Derowegen laͤufft aller Urſprung der natuͤrlichen Erkaͤntnuͤß / die wir von dem We - ſen ſolcher Sachen haben / auff das Zeugnuͤß anderer Menſchen hinaus / welches nichts mehr als eine Wahrſcheinligkeit wuͤrcken kan.

9. Zwar iſt es nicht zu leugnen / daß man zuweilen per ratiocinationem von etlichen Dingen / die denen Sinnligkeiten nicht unter - worffen ſind / eine unſtreitige Warheit erhalten koͤnne / aber ſie iſt doch zum weniſten ſehr dun - ckel und confus, oder ſie gehet nicht ſo wohl auf das Weſen ſolcher Dinge / ſondern auff ihre bloſſe exiſtentz.

10. Wir haben hiervon in dem 9. Capitel allbereit die natuͤrliche Erkaͤntnuͤß Gottes zum Exempel dargeſtellet. Aber wir koͤnnen auch derer vielfaͤltige aus denen natuͤrlichen Dingen herfuͤrſuchen.

11. Zum Exempel wenn ein Stein durch das Fenſter in die Stube faͤllet / ſo erkenne ich gewiß / daß der Stein nicht von ſich ſelbſt her - ein gefallen / aber ich weiß darum nicht was dasetwas245Claſſen warer u. warſcheinl. Dinge. etwas ſey / dadurch die Bewegung des Stei - nes hergeruͤhret / geſchweige denn / daß ich eine klare oder recht deutliche Erkaͤntnuͤß von dem Weſen deſſelbigen haben ſolte.

12. So muß demnach eine Sache / von der ich mir eine gewiſſe klare und deutliche Er - kaͤntnuͤß machen ſoll / gegenwaͤrtig und nahe ſeyn / und je naͤher ſie iſt / je vollkommener kan auch die Menſchliche Erkaͤntnuͤß werden. Je - doch muß dasjenige allhier wiederholet wer - det / was wir im 6. Capitel n. 51. ſeqq. erin - nert haben.

13. Jedoch muͤſſen wir auch der Dauer - hafftigkeit gegenwaͤrtiger Dinge nicht ver - geſſen. Denn dieſelbige iſt entweder kurtz und augenblicklich / oder dauret einige gerau - me Zeit.

14. Zu einer klaren Erkaͤntnuͤß iſt jene zwar genung / aber nicht zu einer deutlichen / ſondern dieſe erfordert eine gar merckliche und langwierige Dauerung.

15. Alſo erkenneſt du wohl gewiß und klaͤr - lich den Blitz / und das Gemaͤhlde / daß dir ei - ner einen kleinen Augenblick zeiget / aber du haſt keine deutliche Erkaͤntnuͤß davon.

16. Denn dein Verſtand begreifft in einenQ 3Augen -246Das 11. H. von denen unterſchied. Augenblick / daß ein gegenwaͤrtig Ding etwas oder ein gantzes ſey / aber durch die Betrach - tung der Theile deſſelben zu einer deutlichen Erkaͤntnuͤß zugelangen / dazu gehoͤret eine gute Zeit.

17. Je dauerhaffter alſo die Gegenwaͤr - tigkeit eines Dinges iſt / je deutlicher kan die Erkaͤntnuͤß deſſelben werden / und je geſchwin - der dieſelbe vergehet / je confuſer iſt auch die - ſelbe.

18. Mit der Gegenwart der Dinge hat die Euſerligkeit derſelbigen eine ziemliche Ver - wandnuͤß / weil dieſelbige an klaͤreſten erken - net wird / auch das innerliche nicht eher klar und deutlich begriffen werden kan / wenn es nicht zu einer Euſerligkeit gebracht wird / ſon - dern anderer Geſtalt allezeit nur warſchein - lich oder confus und dunckel erkennet wird / und alſo eben ſo viel iſt / als wenn es abweſend waͤre.

19. Was wir bißher von Erkaͤntnuͤß der abweſenden Dinge erinnert haben / das muß noch mehr bey denen vergangenen und zu - kuͤnfftigen verſtanden werden / denn dieſe ſind mehr als abweſend.

20. Derowegen koͤnnen vergangene undzukuͤnff -247Claſſen waren u. warſcheinl. Dinge. zukuͤnfftige Dinge nur warſcheinlich oder doch nur mit einer confuſen und dunckelen Erkaͤntnuͤß qvoad exiſtentiam begriffen werden.

21. Dann was der Menſch von den We - ſen des vergangenen gewiß und deutlich ver - ſtehet / das iſt nicht anders als eine Erinne - rung ſolcher Dinge / die er zuvorher als gegen - waͤrtig allbereit begriffen.

21. Dieweil auch zukuͤnfftige Dinge nie - mahls gegenwaͤrtig geweſen ſeyn / und der Menſch ſich ſolchergeſtallt derſelbigen nicht er - innern kan / ſo hat er auch von denenſelben nie - mahlen natuͤrlicher Weiſe eine gewiſſe Er - kaͤntnuͤß.

23. Und muß alſo auch in Erwegung der warſcheinlichen Dinge das Vergangene und Zukuͤnfftige nach dem Gegenwaͤrtigen ge - richtet werden / daß man jenes fuͤr wahrſchein - lich haͤlt / wann es mit dieſen uͤbereinkom̃t / und unwahrſcheinlich / wenn es dieſen zu wieder iſt.

24. Aber nunmehro muͤſſen wir erwegen / wie weit die Menſchliche Erkaͤntnuͤß an de - nen gegenwaͤrtigen Dingen ſich ereigene. Der Menſch erkennet wohl / und weiß gewiß / daß das gegenwaͤrtige Ding etwas ſey / ja erQ 4erken -248Das 11. H. von denen unterſchied. erkennet auch / daß es dem Weſen nach eine ſubſtantz ſey / alleine er hat keine klare und deutliche Erkaͤntnuͤß von keiner ſubſtantz.

25. Er weiß wohl / daß die ſubſtantz der accidentium ihr ſubjectum ſey / und die ac - cidentia in der ſubſtantz ſtecken als adjuncta, und alſo die ſubſtantz und accidentia zwey - erley ſeyn / aber er hat doch davon nur eine confuſe und dunckele / nicht aber eine klare und deutliche Erkaͤntnuͤß.

26. Denn er erkennet das Weſen aller ſub - ſtantien aus dererſelben attributis, welche unter denen accidentibus die vornehmſten ſeyn / und alſo erkennet er die ſubſtanz nicht durch ſich ſelbſt.

27. Die Erkaͤntnuͤß der ſubſtantzen kan nicht klar ſeyn / denn das Weſen jeder ſub - ſtantz iſt innerlich / nemlich die Unreinigung der accidentium, und kan alſo nicht ad evi - dentiam ſenſuum gebracht werden / das eu - ſerliche aber gehoͤret ad accidentia.

28. Sie kan ferner nicht deutlich ſeyn / denn ich concipire mir eine jede ſubſtantz als ein unum oder totum indiviſum, und ein jedes gantzes als eine ſubſtantz. Aber eine deutliche Erkaͤntnuͤß hat mit denen Theilendes249Claſſen waren u. warſcheinl. Dinge. des gantzen zu thun / und von denen Theilen hat der Menſch keine andere Erkaͤntnuͤß als von denen accidentibus, nehmlich daß ſie in gan - tzen als in einen ſubjecto ſtecken / und auſſer demſelben keine Theile mehr ſeyn.

29. Ferner was die accidentia betrifft / ſo haben wir oben geſagt / daß dieſelbigen zu zweyen Claſſen gebracht werden koͤnnen / zur Coͤrperligkeit und Bewegung. Jenes iſt das attributum der ſubſtantzen oder ihr es - ſentiale, dieſe der modus derſelben oder ac - cidens prædicabile.

30. Was die Coͤrperligkeit betrifft / ſo weiß der Menſch gewiß was ſie ſey / ja er hat auch eine klare und deutliche Erkaͤntnuͤß da - von.

31. Eine klare Erkaͤntnuͤß hat er von der Coͤrperligkeit der ſubſtantzen / weil er dieſel - bige vermittelſt der Sinnen begreiffen kan / und weil alles / was die Sinne unmittelbahr ruͤhret / was Coͤrperliches iſt.

32. Eine deutliche Erkaͤntnuͤß aber hat er davon / weil er die Coͤrperligkeit als das Weſen des gantzen (totalitatem) wieder in Theile eintheilen kan / nehmlich in longitudinem, la - titudinem & profunditatem, und die lon -Q 5gitu -250Das 11. H. von denen unterſchied. gitudinem in puncta, und alſo die ſubſtantz als ein unum und totum diviſibile be - trachtet.

33. Jedoch muß er ſich damit nicht bereden / daß er auch eine klare und deutliche Erkaͤnt - nuͤß des Coͤrpers habe. Denn der Coͤrper iſt die ſubſtantz / der Coͤrperligkeit aber das ac - cidens.

34. Was die Bewegung anbelanget / ſo hat abermahls der Menſch eine gewiſſe und klare Erkaͤntnuͤß davon / aber nicht allemahl eine deutliche.

35. Die Erkaͤntnuͤß der Bewegung iſt klar / weil er ſo wohl die Ruhe / als den motum lo - calem vermittelſt der Sinne begreifft.

36. Aber ſie iſt nicht allemahl deutlich / weil zuweilen die Bewegung ſo geſchwinde iſt / ſo wohl in der Ruhe als in dem motu locali, daß man ſie nicht in gewiſſe Theile abſondern kan / und alſo die zu der deutlichen Erkaͤntnuͤß gehoͤrige Dauerhafftigkeit nicht hat.

37. Z. e. wenn der Pfeil von Bogen ge - ſchoſſen wird / wenn der auff etwas geworffe - ne Stein in centro reflexionis ruhet.

38. Und alſo iſt ſich nicht zu verwundern / daß man mit der genauen Beſchreibung derBewe -251Claſſen warer u. warſcheinl. Dinge. Bewegung nicht uͤbereinkom̃en kan / da doch von der Erkaͤntnuͤß der Bewegung ſelbſt kein Streit iſt / denn es iſt mit allen Dingen derer Erkaͤntnuͤß klar und nicht deutlich iſt / ſo be - wand.

39. Aus dem / was wir bißher von der Er - kaͤntnuͤß derer ſubſtantzen und der acciden - tium erwehnet haben / folget / daß zwar alle demonſtrationes ein ſelbſtaͤndiges Weſen præſupponiren / von deme etwas demon - ſtriret wird / aber daß eigentlich die ſubſtanz nicht demonſtriret wird / ſondern die acci - dentia. Und ebenmaͤßig iſt es auch mit der oſtenſion beſchaffen.

40. Denn es gehoͤret zur oſtenſion eine klare / zur demonſtration aber eine deutli - che Erkaͤntnuͤß / derer keine von einer ſub - ſtantz / ſo ferne ſie von denen accidentibus præſcindirt wird / wie obgemeldet / geſagt werden kan.

41. Und hieraus ſo folget ferner / daß die Lehren de corporeitate & motu beyde ad oſtenſionem, dieſe letzte aber nicht allezeit ad de - monſtrationem koͤnne gebracht werden.

42. Alſo haben die Lehren ſo à corporeitate dependiren / fuͤr denen / ſo von dem motu her - geleitet werden / einen mercklichen Vortheil.

43. Ja252Das 11. H. von denen unterſchied.

43. Ja alle demonſtrationes lauffen ſol - chergeſtalt auff corporeitates oder motus hin - aus / deren jene insgemein qvantitates genen - net / dieſe aber in actiones & pasſiones reſol - viret werden.

44. Was auch die qvalitates belangt / ſo koͤnnen diejenigen / die mehr à corporeitate ſubſtantiæ als à motu participiren / an be - ſten demonſtriret werden / als figura und ſitus.

45. Und diejenigen ſind ſchon viel duncke - ler / die mehr von einer geſchwinden und ſub - tilen Bewegung herruͤhren als die Farben / die Hitze und Kaͤlte &c.

46. Aber mit dem Klange gehet es leich - ter her / weil die Bewegung hierbey viel ſen - ſibler und langſamer iſt.

47. Der Geruch und Geſchmack aber wird von jeden Menſchen fuͤr ſich wohl klar und deutlich mehrentheils erkennet / aber er kan andern nicht allemahl demonſtriret werden / weil die organa dißfals bey den Menſchen ſehr variren.

48. Nun iſt noch uͤbrig / daß wir betrachten was die vier cauſæ, die von denen ſubſtantzen geſagt werden / in Betrachtung der Warheit und Warſcheinligkeit fuͤr Nutzen ſchaffen.

49. Die253Claſſen warer u. warſcheinl. Dinge

49. Die Materie iſt gegenwaͤrtig / und wird vermittelſt der Euſerligkeit erkant / alſo hat man davon eine gewiſſe klare und deut - liche Erkaͤntnuͤß.

50. Die Form aber / oder die Vereini - gung der Theile in der ſubſtantz iſt verborgen und innerlich / und alſo iſt die Erkaͤntnuͤß da - von ſehr dunckel oder nur wahrſcheinlich.

51. Die efficiens iſt auſſer dem Weſen der ſubſtantz / und kan nicht beſſer erkennet und erwieſen werden / als wenn die Bewegung der - ſelben gegenwaͤrtig und langſam iſt. Wenn ſie aber unter die vergangenen Dinge gerech - net wird / iſt ihre Erkaͤntnuͤß nur warſcheinlich.

52. Und je weiter dannenhero die Frage von dem Urſprung der Dinge getrieben wird / je confuſer und dunckeler wird auch die Er - kaͤntnuͤß davon.

53. Welches auch von der urſpruͤnglichen Materie wegen gleicher Urſachen zu verſte - hen iſt.

54. Daß eine cauſa efficiens prima ſey / weiß der Menſch gewiß / und alſo weiß er auch gewiß / daß eine materia prima ſey.

55. Aber ſo wenig er weiß / worinnen das Weſen dieſer cauſæ efficientis primæ be -ſtehe /254Das 11. H. von denen unterſchied. ſtehe / ſo wenig begreifft er auch das Weſen der materiæ primæ.

56. Der finis oder die Endurſache der ſubſtantzen dependiret von dem Willen des Schoͤpffers her. Und weil der Menſch von jener ſo viel die euſerlichen ſubſtantzen anlan - get / keine natuͤrliche gewiſſe Erkaͤntnuͤß hat / ſo iſt auch die Erkaͤntnuͤß von denen finibus nur wahrſcheinlich.

57. Wolte man auch gleich ſagen / daß die fines rerum in ihren Wuͤrckungen oder effe - ctibus und in dem Nutzen / den ſie den Men - ſchen leiſteten / beſtuͤnden / ſo wuͤrde man doch dadurch unſern Satz nicht umſtoſſen.

58. Denn zugeſchweigen / daß es ſehr war - ſcheinlich / daß der Menſchliche Nutz nicht der vornehmſte Zweck aller andern Geſchoͤpf - fe ſey / ſo hat auch der Menſch keine Erkaͤntnuͤß von dem Nutzen / der ihn durch euſerliche ſub - ſtantzen wiederfaͤhret / als per experientiam aliorum vel inductionem, die beyderſeits nur eine Wahrſcheinligkeit wuͤrcken.

59. So iſt es auch mit den Wuͤrckungen der ſubſtantien nicht anders beſchaffen. Denn ſie ſind ſo vielerley Verenderungen unterworffen / daß ſie zu keiner demonſtra -tion255Claſſen warer u. warſcheinl. Dingetion gebracht werden koͤnnen / ja ſie ſind auch uͤber dieſes / ſo ferne ſie zu denen finibus der - ſelben gerechnet werden ſolten / noch zukuͤnff - tig / und gehoͤren alſo auch in dieſen Anſehen nur zu einer wahrſcheinlichen Erkaͤntnuͤß.

60. Die Eintheilung der ſubſtantien, gleich wie ſie von denen accidentibus herge - nommen werden muß / alſo faͤllet die gemeine diſtinction inter ſpiritualem & corpoream, ſo lange wir nach der bloſſen Vernunfft gehen / von ſich ſelbſt hinweg.

61. Denn wenn die Coͤrperligkeit das at - tributum ſubſtantiæ iſt / ſo kan ſich der Ver - ſtand keinen concept de ſpiritu machen.

62. Ja es haben die Philoſophi ſelbſt ent - weder geſtanden / daß ſie nur wuͤſten / worinnen das Weſen eines Geiſtes nicht beſtehe / oder die das Weſen des Geiſtes haben bejahen wei - ſen exprimiren wollen / haben in ihren Lehr - Saͤtze handgreiffliche præjudicia begangen.

63. Ferner wenn die ſubſtantia corpora rea in ſimplicem & mixtam eingetheilet wird / ſo gehoͤret die ſubſtantia ſimplex, die man Elementum nennet / zu denen Dingen / die der Menſch ſeinen Verſtande noch eher fuͤr un - warſcheinlich als fuͤr unſtreitig war haltenmuß /256Das 11. H. von denen unterſchied. muß / geſchweige denn / daß er etwas gewiſſes de numero elementorum wiſſen ſolte / denn er begreifft die Elemente weder vermittelſt der Sinnligkeiten / noch durch ideas, ja er empfin - det vielmehr / daß alle Coͤrper / die er ſiehet und begreiffet / gemiſchet ſeyn.

64. Und weil er bey allen eine vollkom - mene mixtur empfindet / auch gar bald erken - net / daß er von denen meteoris zwar viel war - ſcheinliche Dinge / aber nichts gewiſſes ſagen koͤnne / als entbehret er auch gar leichte der Eintheilung der ſubſtantien in imperfectè & perfectè mixtas, und haͤlt ſich lieber zu dieſen letzten allein.

65. Jedoch ob er gleich das Feuer / Lufft / Waſſer und Erde nicht fuͤr Elemente halten / vielweniger das Weſen eines jeden auffs deut - lichſte begreiffen kan / ſo giebt ihm doch der Unterſcheid dieſer vier Dinge Gelegenheit / die Unvollkommenheit ſeiner Wiſſenſchafft in Betrachtung derſelbigen gegeneinander zu halten.

66. Von denen erdenen Coͤrpern kan der Menſch noch die gewiſſeſten / klaͤreſten und deutlichſten Erkaͤntnuͤſſen haben / weil er bey Betrachtung derſelben vieler Warheiten ſowohl257Claſſen wahrer u. warſcheinl. Dinge. wohl durch die Sinne / als durch die ideas ver - ſichert wird.

67. Die Erkaͤntnuͤß der Waſſers iſt ſchon dunckeler / weil daſſelbige wegen der continu - irlichen Fließigkeit nicht beſtaͤndig gegenwaͤr - tig bleibet / auch die Theile deſſelbigen ſich gar zu geſchwind wieder mit dem gantzen vereini - gen / auch gar zu gleichfoͤrmig ſind.

68. Ja es hat der Menſchliche Verſtand nicht einmahl eine klare Erkaͤntnuͤß von der ſubſtanz des Waſſers / theils weil er niemahl das geſamte Waſſer vermittelſt der Sinnen begreifft / theils weil er das Waſſer allezeit vermittelſt irrdiſcher Coͤrper faſſen und umge - ben muß / wenn er es betrachten will / ſondern er begreifft die Selbſtaͤndigkeit deſſelbigen gantz dunckel per ideas.

69. Noch dunckeler aber iſt die Erkaͤnt - nuͤß von dem Feuer / weil die Bewegung deſ - ſelbigen gar zu geſchwind und vehement iſt / auch durch nichts auffgehalten werden kan wie das Waſſer / ja der menſchliche Verſtand mag in Ewigkeit raiſonniren / ſo wird er doch nicht gewiß begreiffen / wie es zu gehe / daß ein Funcke durch den Stahl und Feuerſtein fuͤr - gebracht werde.

R70. Und258Das 11. H. von denen unterſchied.

70. Und weil die Lufft noch ſubtiler iſt als das Feuer / ſo iſt auch die Erkaͤntnuͤß davon noch dunckeler / weil ihre Bewegung oͤffters gar durch keinen Sinne empfunden wird / ob ſie gleich nahe um uns iſt / und unſere ſenſoria ſtetswaͤhrend beruͤhret.

71. Was wollen wir den ſolchergeſtalt uns vieler unſtreitigen Warheiten von denen himmliſchen Coͤrpern / von der Sonne und Sternen / de æthere de lumine u. ſ. w. be - ruͤhmen / da alle dieſe Dinge noch viel flieſſen - der ſubtiler / und von uns weit entferneter ſind als die Lufft / Feuer und Waſſer.

72. Wir laſſen dannenhero die Philoſo - phos um die gewiſſe Erkaͤntnuͤß dieſer Din - ge mit einander zancken / ſo lange ſie wollen / und ſtellen zwiſchen ihren Schrifften faſt keine andere Vergleichung an / als z. e. zwiſchen der Aramene, dem Amadis / dem Kaͤyſer Octa - vianus u. ſ. w. bey deren keinen man bekuͤm - mert iſt / wer was Wahres oder Falſches ge - ſchrieben habe / ſondern welches Buch an wahrſcheinlichſten ſey / welches unſere Ge - muͤther beluſtige / und nuͤtzlich angewendet werden koͤnne / und welches hinwiederum un - ter die alten Weiber Maͤhrlein gerechnet werden muͤſſe.

73. Dan -259Claſſen warer u. warſcheinl. Dinge

73. Dannenhero wollen wir uns wieder zu denen erdenen Coͤrpern wenden / und geſtehen unſere Unwißheit / daß wir nicht gewiß begreif - fen koͤnnen / ob unter denenſelben ſolche Coͤr - per ſind / die niemahlen leben / ja wir halten vielmehr wahrſcheinlicher zu ſeyn / daß die Steine / Metallen und Mineralien unter der Erden ſo wohl wachſen / als die Pflan - tzen und Baͤume uͤber der Erden.

74. Das meiſte ja faſt alles / was wir von beyden (Pflantzen und Steinen &c.) verſte - hen / iſt nur wahrſcheinlich und ungewiß / und wenn wir mit unſerer Vernunfft tauſend Jahr daruͤber ſpeculirten.

75. Und ob wir ſchon von denen Thieren / als die unſern Weſen naͤher kommen / noch mehrere gewiſſe Erkaͤntnuͤß haben / ſo iſt doch auch dieſelbige ſo geringe und wenig / daß nach proportion gegen 100000. Wahrſchein - ligkeiten kaum eine unſtreitige Warheit kan rorgebracht werden.

76. Alſo ſind wir nun wieder an den Men - ſchen ſelbſt kommen. Dieſer / wenn er die Er - kaͤntnuͤß / die er von ſich ſelbſt haben kan / gegen die Warheiten / die er von andern Dingen zu erlangen ſucht / haͤlt / befindet er / daß gleichwieR 2der260Das 11. Hſt. von denen unterſchied. der Grund aller Warheiten in ihm ſelbſt lie - get / alſo auch er von ſich ſelbſt die allerge - wiſſeſten und meiſten Warheiten haben koͤnne.

77. Zwar wenn er ſich betrachtet / daß er ein Weſen hat / welches mit denen ſubſtantzen auſſer ihn eine Gemeinſchafft hat / befindet er / daß er dißfalls keine klare und deutlichere Er - kaͤntnuͤß von ſich ſelbſt hat / als von anderen irdiſchen ſubſtantzen / oder zum wenigſten doch von den Thieren.

78. Aber auch dieſer Erkaͤntnuͤß ſey nun ſo wenig als ſie wolle / ſo befindet doch ein je - der bey ſich / daß er vermittelſt derer idearum de corporeitate & motu ſubſtantiarum viel und unzehlich andere Warheiten her - leiten und erfinden koͤnne.

79. Derer etliche ihm immer mehr und mehr zu deutlicher Erkaͤntnuͤß der euſerlichen Dinge anfuͤhren / etliche aber Anleitung ge - ben / vermittelſt dererſelben als unſtreitiger Warheiten kuͤnſtliche Dinge auſſer ſich / die denen Geſchoͤpffen Gottes nachahmen / zuver - fertigen.

80. Ja ob er ſchon weiß / daß in denen enti - bus rationis fictis keine Warheit ſey / ſoweiß261Claſſen waren u. warſcheinl. Ding. weiß er doch auch / daß er dieſelbe gebrauchen koͤnne / unſtreitige Warheiten dadurch zu er - klaͤhren / und vermittelſt derer entium ficto - rum dieſe ſich und andern deſto beſſer und an - nehmlicher zu imprimiren.

81. Ferner / ob er ſchon nicht weiß / was ſeine Seele ſey / die in ihm gedencket / ſo weiß er doch gewiß / was die Gedancken ſeyn / die in ihm von der Seele gewuͤrckt werden / maſſen er davon eine klare und deutliche Erkaͤntnuͤß hat. Ja er weiß auch per modum ideæ, daß die Gedancken bey allen Menſchen eben das Weſen haben / das ſie bey ihm haben.

82. Wordurch er vergewiſſert wird / daß er mehr Erkaͤntnuͤß von der Menſchlichen Na - tur habe / als von allen andern ſubſtantzen / weil er von keiner (auch von der beſtien) ih - ren innerlichen Weſen ſo viel erkennet / als von dem ſeinigen.

83. Und dieſe Erkaͤntnuͤß fuͤhret ihm zu noch einer weiteren Vollkommenheit / daß / da er aus Mangel des Erkaͤntnuͤſſes der inner - lichen Form in denen anderen ſubſtantien ih - ren Endzweck und ihre Wuͤrckungen nur wahrſcheinlich begriffe / er ſeinen EndzweckR 3und262Das 11. H. von denen unterſchied. und ſein Thun und Laffen gantz gewiß und unſtreitig wiſſen kan.

84. Denn er erkennet gantz gewiß die Richtſchnur deſſelbigen / als die ihm GOtt in die Gedancken oder ins Hertz geſchrieben (wie ihm die Richtſchnur anderer Dinge ver - borgen iſt) und wenn er ſein Thun und Laſſen / deſſen er Meiſter iſt / darnach einrichtet / ſo weiß er / daß er ihn erhalten habe / wie er denn auch weiß / daß er denſelben (ſo viel er durch die Philoſophie davon erkennet) erhalten koͤnne.

85. Woraus weiter folget / daß er ſeine groͤſte (zeitliche) Gluͤckſeeligkeit klar und deutlich begreifft / auch zugleich gewiß weiß / daß es in ſeinem Vermoͤgen ſtehe dieſelbe zu erhalten.

86. Betrachtet er aber ſein eigen indivi - duum, ſo weiß er / daß er ſich / wann er nur ſei - nen Verſtand recht brauchen will beſſer und gewiſſer wiſſe / als ein anderer.

87. Ja er weiß / daß ob gleich ſein Verſtand nicht ſo beſchaffen iſt / daß er ſeine oder eines andern innerliches Weſen des Leibes durch unſtreitige Warheiten oder durch ſehr wahr - ſcheinliche Gruͤnde erkennen ſolte / er dennochvermoͤ -263Claſſen warer u. warſcheinl. Dinge. vermoͤgend ſey / des andern ſeine Gedancken / wenn er auch noch ſo ſehre dieſelben zu ver - bergen ſucht / mit einen ſolchen Grad der Wahrſcheinligkeit / die unſtreitigen War - heiten an naͤchſten koͤmmt / groͤſten theils zu erkennen.

88. Er weiß / daß wenn er ſich ſelbſten recht hat kennen lernen / er einen andern / der ſich darinnen nicht geuͤbet / beſſer und gewiſſer kennet / als dieſer ſich ſelbſt.

89. Endlich ſo weiß er / daß er durch dieſe Wiſſenſchafft ſeines und eines anderen Nu - tzen zu wege bringen / ſeines und eines andern Schaden verhuͤten / und mit einem Wort die allgemeine Menſchliche Gluͤckſeeligkeit be - foͤrdern koͤnne.

Das 12. Hauptſtuͤck. Von denen Mitteln / auch der Art und Weiſe neue Warhei - ten zuerfinden.

Jnnhalt.

Connexion n. 1. 2. Was neue Warheiten ſeyn / n. 3. 4. 5. 6. Dieſelbigen werden durch die natuͤrliche Wuͤrckung des wohl eingerichteten Verſtandes erfunden / n. 7. 8. Ver - gebene Muͤhe der Philoſophen, neu Warheiten durchR 4die264Das 12. Hauptſtuͤckdie Syllogiſtic zu erfinden / und die doctrin deinventio - ne medii, n. 9. 10. 11. ingleichen durch die Streitigkei - ten de methodo n. 12. Urſprung dieſes alles / n. 13. 14. 15. 16. Unmoͤgligkeit durch die Syllogiſtic, neue War - heiten zu erfinden / n. 17. 18. 19. 20. Syllogiſmus iſt eine eitele Art allbereit erkante Warheiten vorzubringen / n. 21. 22. 23. 24. Unfoͤrmligkeit der Lehren de inventio - ne medii, n. 25. biß 30. Unnoͤthiger Streit de metho - do n. 31. Eine einige Rege[l]de methodo, n. 32. 33. 34. Ohnmaßgebliche Regein bey Erfindung neuer War - heiten zu gebrauchen / n. 35. (1) daß man einmahl die Buͤcher bey Seite legen ſolle / n. 36. (2) daß man durch eigene Erfahrung etwas erfinden ſolle n. 37. 38. (3) daß man definitiones mache und (4) die ideas divi - dire, n. 39. Mit drey Worten / Experire, Defini, Divi - de, n. 40. Wegen der Experientz giebt es nicht viel Schwierigkeiten / n. 41. aber wohl wegen der definition und diviſion n. 42. an welche ſich doch wenig zu kehren / n. 43. Signa damit der Menſch die individua benen - net / n. 44. und die univerſalia, n. 45. nehmlich nomina n. 46. definitiones nominales n. 47. und reales, n. 48. dererſelben vornehmſtes reqviſitum, die Deutligkeit / n. 49, wozu eine attention von noͤthen n. 50. Bey der diviſion braucht es ſolcher Geſtalt keine neue Anmer - ckung / n. 51. als daß man nicht zu viel und nicht zu we - nig Theile mache n. 52. in uͤbrigen ſo viel und zu offte man will / n. 53. 54. Bey beyden muß man keine duncke - le und zweydeutigen Worte gebrauchen n. 55. Ferne - re conferirung derer concepten n. 56. Principia, axio - mata, propoſitiones n. 57. oder Concluſiones, n. 58. zu unſtreitigen Warheiten ſchicken ſich propoſitiones categoricæ beſſer / und zu denen warſcheinlichen hypo - theticæ, n. 59, 60, Die hypotheticæ ſchicken ſich auch zu dem falſchen / n. 61. Hypotheſes ſchicken ſich nicht zum Grund unſtreitiger Warheiten n. 62. aber wohl poſtulata n. 63. Nutz derer hypotheſium bey war -ſchein -265von Erfindung neuer Warh. ſcheinlichen Dingen n. 64. 65. und bey falſchen in de - ductione ad abſurdum, n. 66. Deductio ad abſurdum hilfft nichts zu Beredung der Warbeiten n. 67. Ex fal - ſis nunqvam ſeqvitur verum n. 68. Unterſchiedener Nutzen er propoſitionum affirmativarum & negativa - rum, n. 69. derer univerſalium particularium, indefini - tarum, ſingularium, n. 70. ingleichen derer modalium. n. 71.

1.

WJr haben in dem andern Capitel geſagt / daß die Vernunfft-Lehre weiſen ſolle / wie man nicht alleine der Warheit nachjagen / ſondern auch dieſelbe finden ſolle / und zwar in waßerley diſciplinen es ſeyn moͤge.

2. Dannenhero iſt es nicht genug / daß wir in vorhergehenden Capitel gewieſen haben / in was fuͤr Dingen ein Menſch unſtreitige Warheiten oder Wahrſcheinligkeiten finden koͤnne / wenn wir nicht auch weiſen / wie er ſie finden ſolle.

3. Was er aber dergeſtalt findet / das heiſ - ſen neue Warheiten / denn die alten War - heiten weiß er nunmehr ſchon / nehmlich die prima fundamenta & principia, und dero - wegen darf er dieſelben nicht ſuchen / weil er ſie ſchon gefunden.

4. Jedoch muß er nicht meinen / daß er gantz andere Warheiten in dieſer SuchungR 5antref -266Das 12. Hauptſtuͤckantreffen werde / oder daß er dieſe Warheiten auſſer ſich ſelbſt ſuchen muͤſte / denn wenn die - ſes waͤre / ſo waͤren die prima principia, die wir oben muͤhſam erklaͤret haben / nicht prima principia.

5. Und es iſt nichts neues / daß ich dasjeni - ge ſuche / was ich ſchon beſitze / weil dergleichen offt bey denen vorzugehen pfleget / die eine weitlaͤufftig / Bibliothec beſitzen / oder ſich die - ſelbige ohnlaͤngſt erkaufft haben.

6. Die neuen Warheiten ſind nichts an - ders als neue concluſiones, die aus denen ex primis principiis allbereit hergeleiteten concluſionibus wieder hergeleitet werden / und wiederum andere concluſiones hervor - bringen.

7. Derowegen darffſt du gantz nicht be - kuͤmmert ſeyn / wie es zugehen werde / daß du neue Warheiten erfindeſt / oder durch was fuͤr ein Mittel und methode du darzu ge - gelangen werdeſt / ſondern nachdem du in dei - nen Verſtand die prima principia einmahl feſte geſetzt / ſo laß dieſelbige nur wuͤrcken / und habe Gedult darbey / ſo wirſt du neue War - heiten genung haben.

8. Jſts nicht wahr / wenn du ein Canin -gen267von Erfindung neuer Warh. gen Gehecke haben willſt / ſo darffſt du dir nur ein Paͤrgen kauffen / und dieſelben ſich belauf - fen / und die jungen Caningen wiederum ihrer Natur nachfolgen laſſen. Jn weniger Zeit wirſt du ihrer mehr haben / als ein anderer / der noch ſo tieff meditiret / wie er per artem chymicam oder die Regel detri junge Canin - gen zu wegen bringen werde.

9. Jch ſpuͤre wohl / daß dir dieſe meine Leh - re gantz nicht anſtehet / und du ſolteſt wohl meinen / daß ich ſchwermte / oder daß ich dich fuͤr einen Gecken hielte.

10. Denn ſagſt du: Wenn die Kunſt neue Warheiten zu erfinden ſo laͤppiſch und ſol leich - te waͤre / warum haͤtten ſich dann die Gelehr - ten bißher ſo ſehr bemuͤhet und bemuͤheten ſich noch / dieſe Kunſt der gelehrten Welt bey - zubringen.

11. Jch habe nun zwey Jahr nichs gethan / als mich in der doctrinâ ſyllogiſtica geuͤbet / ich habe nach dieſen ein gantzes Jahr mit ſau - ren Schweiß in der doctrin, de inventione medii termini, die die Spoͤtter pontem aſi - norum nennen / ſtudiret, ja ich habe ſelbſten profundisſimè meditirt, wie man auff eine galante und polite Art etwas de inventionemedii268Das 12. Hauptſtuͤckmedii ſchreiben moͤchte / und meine Muͤhe iſt doch vergebens geweſen / und ich kan mich nicht ruͤhmen / daß ich nur einige unerkante War - heit damit haͤtte finden koͤnnen.

12. Ja ich habe gantze volumina de me - tbodo geleſen / und bin doch noch ſo klug als zuvor.

13. Jch weiß nicht / mein Freund / ob ich mich uͤber dich erbarmen / oder erzuͤrnen ſoll. So viel weiß ich wohl / daß du mir und dir viel edle Zeit verderbeſt / ohne Noth dieſes Capitel lang zumachen / daran ich ſonſt ſchon haͤtte auf - hoͤren koͤnnen.

14. Haſt du ſchon vergeſſen / was wir oben eroͤrtert haben / daß alle Menſchen der Ge - labrheit faͤhig ſeyn / daß die Vernunfft-Lehre nichts uͤbernatuͤrliches lehren / ſondern nur weiſen ſolle / wie wir nach der allgemeinen Natur unſere Vernunfft brauchen muͤſſen / daß die Kunſt der Natur nachahmen muͤſſe / ja daß die Warheit nichts anders ſey / als eine Ubereinſtimmung der euſerlichen Dinge mit der Menſchlichen Vernunfft / u. ſ. w.

15. Haͤtten die Gelehrten nicht den be - truͤglichen Wahn gefolget / als wenn gemeine Leute der Gelahrheit nicht faͤhig waͤren / alswenn269von Erfindung neuer Warh. wenn die Logica artificialis gleichwohl zwi - ſchen einen Doctor und einen Handwercks - mann einen Unterſcheid machen muͤſte / als wenn die Kunſt die Natur uͤbertreffen ſolte / ja als wenn die Warheit nur eine Uberein - ſtimmung mit gelehrter Leute ihren Gedan - cken waͤre / ſo haͤtten ſie ſich dieſe vergebene Muͤhe ſo viel hundert Jahre durch nicht ge - macht.

16. Wie wolteſt du dich bezeigen / wenn die Gelehrten auf die Thorheit geriethen / und wolten ſich bemuͤhen / eine Kunſt zuerfinden / wie ſie auf eine beſondere Art / dadurch ſie von denen Bauern und Handwercksleuten unter - ſchieden werden koͤnten / Kinder zeigen moͤch - ten? Nun iſt aber die Erfindung der War - heit dem Menſchen eben ſo natuͤrlich / als das Kinderzeugen / nur daß dieſes letzte nicht mit ſo viel gemeinen Jrrthuͤmern verdunckelt iſt / als jenes.

17. Jch glaube dir es ja wohl / daß du mit der doctrina Syllogiſtica keine neue Warhei - ten erfinden werdeſt / ſondern daß ſolcherge - ſtalt die Warheit allezeit der finis externus der Vernunfft-Lehre bleiben werde.

18 Denn mein / was haͤlteſt du wohl vonjenen270Das 12. Hauptſtuͤckjenen Kerl / der ſich verſchwure / er wolte nicht eher ins Waſſer kommen / biß er ſchwimmen koͤnte? Alſo verſchweren ſich viel Gelehrte / ſie wolten nicht eher die diſciplin, welche de primis principiis handelt / anſehen / biß ſie ver - mittelſt der Syllogiſtica haͤtten gelernet neue Warheiten erfinden.

19. Jſt es nicht wahr / es mag ein Syllo - giſmus Categoricus oder Hypotheticus, oder eine Inductio oder ein Sorites u. ſ. w. in forma noch ſo richtig ſeyn / ſo koͤnnen doch alle propoſitiones deſſelbigen in Grunde falſch ſeyn.

20. Und wiederum kan ein Syllogiſmus in forma gantz nichts taugen / und doch alle drey propoſitiones deſſelbigen wahr ſeyn.

21. Mache mir doch einen Syllogiſmum, wenn du nicht drey terminos oder eine pro - poſition und dererſelben ration haſt. Alſo ſieheſt du / daß du die Warheit eher haben muſt / eher du einen Syllogiſmum machen kanſt / und daß der Syllogiſmus kein Mittel zu Er - findung der Warheit / ſondern nur eine Mode ſey / die erfundene Warheit in Ordnung zu - bringen oder zu zieren.

22. Und zwar eine ſolche Mode / die mehrin271von Erfindung neuer Warh. in der eitelen Thorheit der Menſchen / als in der Natur ihr Fundament hat.

23. Derowegen gemahneſt du mich mit dei - ner Syllogiſtica nicht anders / als die Apote - cker mit der zierlichen Beſchreibung ihrer[Buͤchſen] / und kuͤnſtlichen Beſchneidung derer Zettelgen / auf welche der Titel der außgetheil - ten Artzneyen geſchrieben iſt / wiewohl dieſe viel geſcheider ſeyn / als du und deine Meiſter.

24. Denn wo haſt du wohl gehoͤrt / daß ein Apotecker ſeinen Geſellen weiß gemacht haͤt - te / daß ſie vermittelſt der Erlernung / wie ſie die Buͤchſen beſchrieben / oder die Pappiergen ſchneiden muͤſten / die Artzneyen kennen und præpariren lernen ſolten / da doch an einer Buͤchſe / darinnen moſchus gelegen / die in - ſcription von Teuffels-Dreck / und darinnen Gifft gelegen / die inſcription von Mithridat melden koͤnnen / oder da die Zierath der Pap - piergen mehr vanitaͤt als Klugheit andeutet.

25. Aber haſt du wohl jemahls etwas un - foͤrmlichers vornehmen koͤnnen / als dich zu bemuͤhen de inventione medii gewiſſe Grund - Regeln zu erfinden / oder vermittelſt der alten hinter neue Warheiten zukommen.

26. Heiſt das nicht um einen Wagen be -ſorgt272Das 12. Hauptſtuͤckſorgt ſeyn / ehe man weiß / ob man zu Waſſer oder zu Lande fahren ſoll / oder aber / wenn man ſchon an einen Orte iſt / erſt zu meditiren / wie man hinkommen ſolle.

27. Die Erfindung neuer Warheiten iſt die Erfindung neuer concluſionum aus alten und ſchon bekanten mediis terminis, und du willſt die medios terminos zu denen conclu - ſionibus erfinden.

28. Wenn du die concluſion ſchon haſt / ſo muſt du auch nothwendig den medium ter - minum haben / haſt du ſie aber nicht / ſo ſuchſt du den medium terminum vergebens.

29. Ja wolteſt du gleich fuͤrwenden / daß du durch die concluſion keine cogitationem determinatam ſondern dubiam oder qvæ - ſtionem verſteheſt / die vermittelſt des medii ter - mini determiniret, und zu der concluſion werden ſolte / ſo wirſt du doch auch dadurch die Nichtigkeit deines Vorhabens nicht entſchul - digen koͤnnen.

30. Dieſe determination kan nicht an - ders geſchehen / als wenn du ſieheſt / ob und wie die Eroͤrterung der Frage an die prima prin - cipia gehangen / und mit denenſelben ver - knuͤpfft werden moͤge. Haſt du nun deineprima273von Erfindung neuer Warh. prima principia wohl eingerichtet / ſo wirſt du die concluſiones gar leicht dran haͤngen koͤnnen / und keine Lehre de inventione me - dii brauchen / haſt du aber dieſelbe in deinen Kopff nicht auffgeraͤumet / ſo wird alle dein meditiren de inventione medii ſo eitel ſeyn / als wenn dn einen pontem aſinorum bauen / und denſelben an den einen extremo mit Steckenadeln feſte machen wolteſt / denn es iſt kein Zweiffel / es wuͤrden deine armen E - ſel alle erſauffen.

31. Und was endlich die eitelen Grillen de methodo ſyntheticâ und analytica, u. ſ. w. betrifft / ſo iſt es eben damit bewand / als wenn zwey Zaͤncker an einer Taffel ſaͤſſen / und ſtrit - ten mit einander / ob es beſſer waͤre / daß man den erſten Schnitt in den Fluͤgel / oder in die Keule / von unten hinauff / oder von oben herunter / auf der rechten oder lincken Seite thaͤte / und die andern Gaͤſte verſuchten alle dieſe Arten an denen auffgetragenen Huͤ - nern / und verzehreten ſie / weil dieſe ſich druͤ - ber zanckten.

32. Es iſt eine einige Regel de methodo. Ordne eine Erweiſung oder Erfindung der Warheit wie du willſt / mache es nur nicht ungeſchickt und laͤcherlich.

S33. Das274Das 12. Hauptſtuͤck

33. Das iſt / fange allezeit von leichte - ſten und bekanteſten an / nicht aber von den ſchwereſten oder dunckelſten / denn man ſuchet das Licht nicht mit dem verborgenen / ſondern das Verborgene mit dem Lichte / und ein Kind weiß / daß es tolle werde heraus kom̃en / wenn man einen Ubelthaͤter erſt zu Pulver verbren - nen / darnach koͤpffen / nach dieſen haͤngen / und endlich den Staupbeſen geben wolte.

34. Und alſo ſey du auch ſo gut / und un - terſtehe dich nicht qvæſtiones intricatas zu reſolviren oder concluſiones remotas an die principia zu haͤngen / eher du concluſiones propinqvas gelernet haſt ex principiis her - aus zubringen / nnd darinnen geuͤbet biſt. Denn ſonſten wird man dich eben ſo auslachen / als wenn einer radicem cubicam extrahi - ren wolte / der nur ein wenig addiren und ſubtrahiren koͤnte / oder ſich manu propria uͤber die duplicationem cubi machen wolte / der kaum die ſpecies triangulorum ver - ſtuͤnde.

35. Aber ich mercke wohl / du willſt mich noch nicht ſo guten Kauffs davon laſſen / ſon - dern begereſt inſtaͤndig / ich ſolte dir doch nur in etwas Anleitung geben / wie du aus denenprin -275von Erfindung neuer Warh. principiis neue concluſiones herausbringen ſolteſt. Denn die Schwerigkeit die man dir bißher dieſerwegen gemacht / hat dich ſo furcht - ſam gemacht / fuͤr dich ſelbſt etwas zuverſuchen / als ein klein Kind / daß ſich aus Furcht zu fal - len bey allbereit ſtarcken Schenckeln nicht ge - trauet alleine zu gehen / weil man es gewehnet hatte zu gaͤngeln und zufuͤhren.

36. Nun wohl dann / ſo muß ich dir auch ſolche lectiones geben / wie einem ſolchen Kinde. 1. Lege den Zaum und den Lauff - wagen beyſeite / das iſt: verlaſſe dich auff die Huͤlffe anderer Leute nicht mehr / und lege einmahl die Buͤcher aus welchen du bißher gewohnet geweſen neue Warhei - ten zuſammlen / beyſeit.

37. 2. Halte dich anfangs biß du ein recht Vertrauen zu dir ſelbſt kriegſt / an der Wand oder an denen Baͤncken an / und hutſche ſo von dir ſelbſt fort. Das iſt: Erfahre vermit - telſt der euſerlichen Sinnen in natuͤrli - chen Dingen auſſer dir immer mehr und mehr die zuvor unbekante unſtreitige Warheiten / die du an den Ring (B) haͤngen oder per evidentiam ſenſuum begreiffen kanſt / wodurch du deines eigenen Vermoͤgens immer mehr und mehr verſichert wirſt.

S 238. 3.276Das 12. Hauptſtuͤck

38. 3. Stehe alleine ohne anhalten. Das iſt: betrachte die concluſiones die du per ſen - ſiones erhalten haſt / und ſuche bey dem ſubjecto und prædicato derſelben definitio - nes und ideas.

39. 4. Nun gehe weiter fort wohin und wie weit du willſt / das iſt: Reſolvire die defi - nitiones oder die gantzen ideas in ihre Theile / und dieſe wiederum in andere Theile / ſo weit es angehet und du von noͤthen haſt.

40. Willſt du die gantze Kunſt in drey Worte faſſen / Experire, Defini, Divide.

41. Aber nun iſt abermals eine neue Noth fuͤrhanden. Denn mir duͤnckt / du biſt noch nicht hiermit zu frieden. Mit der Experienz moͤchte es endlich nicht viel zu bedeuten haben / theils / weil dieſelbe nicht vielen Zweiffeln un - terworffen ſcheinet / theils weil wir allbereit o - ben in 6. Capitel ſo viel als noͤthig geweſen / hiervon Unterweiſung gethan. Ja es iſt eben bey denen adultis die experientz zu Er - findung neuer Warheiten mehr uͤberfluͤßig als noͤthig / weil ſie von Jugend auf ſchon gnug experientias haben / und die Zeit ihres Lebens gnung zuthun finden / wenn ſie die -ſelbi -277von Erfindung neuer Warh. ſelbigen zum definitionibus & diviſioni - bus bringen wollen. Alſo wenn die Kinder lange genung gegaͤngelt worden / brauchen ſie nicht eben ſich an den Waͤnden anzuhalten.

42. Alleine die definition und diviſion macht dir das Hertze ſchwer. Denn du fin - deſt von dieſen ſo vielfaͤltige / dunckele / und un - terſchiedene Regeln bey denen philoſophis von guter und accurater Verfertigung der - ſelbig[e]n / daß du nicht weiſt / zu welchen du dich halten ſolſt.

43. Lieber kehre dich an nichts / und binde dich in definitionibus nicht an die Worte / noch die ſubtilen Regeln / denn die defini - tiones ſind nichts anders als ſigna derer Ge - dancken von denen conceptibus univerſa - libus.

44. Denn wenn du in denen Gedancken individua betrachteſt / ſo magſt du dieſelben nennen wie du wilſt / aber dieſes ſignum nen - net man keine definition nicht einmahl no - minalem, ſondern nur nomen oder einen Nahmen. Und du kanſt von keinen indi - viduo keine definition machen / weil du von denſelben keine conceptus diſtinctos aus - ſprechen kanſt. Eine rechte definition aberS 3ſoll278Das 12. Hauptſtuͤckconceptus diſtinctos haben. Zugeſchwei - gen daß eine jede definition eine propoſi - tion iſt / in einer ieden propoſition aber muß das Prædicatum ein univerſale ſeyn.

45. Die Signa de rebus univerſalibus ſind entweder nomina, oder definitiones nomi - nales, oder reales.

46. Die nomina ſtellen das univerſale als ein totum indiviſum vor / und ſtehen zwar auch / was die Erforſchung der Warheit be - trifft / in eines jeden Willkuͤhre / auſſer daß ei - nem die Sitten-Lehre verbindet von dem ge - meinen oder gewoͤhnlichen Gebrauch nicht ohne Urſach abzuweichen / worvon zu ſeiner Zeit mit mehrern.

47. Die definitio nominalis oder deſcrip - tio ſtellet das univerſale fuͤr als ein totum cum aliis utcunqve collatum aut in par - tes utcunqve diviſibile: Und weil derglei - chen diviſiones und collationes unzehlich ſeyn koͤnnen / ſo ſtehet wiederum in eines jeden Willkuͤhr dieſelbe ſo oder ſo anzuſtellen.

48. Die definitio realis oder definitio ſtrictè dicta, die eigentlich hujus loci iſt / ſtel - let das univerſale fuͤr als ein totum cum a - liis totis proximioribus collatum, & in par -tes279von Erfindung neuer Warh. tes præcipuas diviſibile. Und iſt zwar ſol - chergeſtalt ſo willkuͤhrlich nicht als die vorigen ſigna, jedoch iſt auch denen Worten nach niemand eingeſchrenckt / ſondern man darff derer viel oder wenig / dieſe oder jene brau - chen / wenn nur die definition fein deutlich iſt.

49. Alsdenn aber iſt ſie deutlich / wenn die vornehmſien Theile eines gantzen alle - ſamt darinnen erwehnet werden. Dieſe a - ber ſind die vornehmſten / durch welche ein Ding mit einem andern das ihm am naͤchſten iſt entweder eine Gemeinſchafft hat / oder von demſelben eigentlich entſchieden iſt.

50. Hierzu aber iſt nichts mehr noͤthig / als daß man ſich nicht uͤbereile / ſondern mitrecht - ſchaffener attention die tota an ſich ſelbſt be - trachte / und gegen andere halte.

51. Und alſo ſieheſt du allbereit ſelbſten / daß du in anſehen der diviſion keiner neuen Regel gewaͤrtig ſeyn darffſt / denn die diviſion und definition ſind ſo mit einander ver - knuͤpfft / daß du keine definiton haben kanſt / wenn du nicht zuvor das gantze in gewiſſe Theile abſonderſt / und mit einem andern univerſali das unter einem com -S 4mun280Das 12. Hauptſtuͤckmuni genere iſt / conſiderireſt / und du kanſt keine genus in ſpecies wol eintheilen / wenn du nicht zugleich auf die definitiones derſelben reflecti reſt.

52. Denn wenn ich dir gleich ſagen wolte / du ſoltcſt nicht mehr oder weniger Stuͤcke bey jeder Eintheilung machen / als du in gan - tzen haͤtteſt / ſo wuͤrde ich mich doch befahren muͤſſen / daß du mir dieſe Lehre wenig dancken wuͤrdeſt / weil ich dir ſo dann eine groſſe Nach - laͤßigkeit / ja in anſehen des erſten gar eine groſ - ſe Thorheit zutrauen wuͤrde.

53. Jn uͤbrigen aber mache ſo viel Theile als du wilſt / und binde dich eben nicht alle - mahl an zwey / wiewohl die Eintheilung die allemahl in zwey Theile geſchieht / darzu noͤ - thig iſt / wenn du die eingetheilten Theile wie - derum als neue gantze definitione reali be - ſchreiben / und ihre Ubereinſtimmung und Un - terſcheid mit und von dem nechſten Theilen zei - gen oder concipiren willſt.

54. Theile auch die erſten Theile ſo offte du willſt / und es angehet wieder in an - dere ab. Denn je oͤffter du mit denen Ein - theilungen fortgeheſt / je mehr kriegſt du neue Warheiten.

55. Je -281von Erfindung neuer Warh.

55. Jedoch brauche ſo wohl in der defini - tion als diviſion deutliche / und wo es nur moͤglich iſt / gewoͤhnliche und gemeine Wor - te. Und wo ein zweiffelhafftes oder dunckeles Wort darinnen vorkoͤmmt / ſo erklaͤre es als - bald mit einer neuen definition, und ſo wei - ter fort / biß du ad primas ideas koͤmmſt / die keine weitere definition zulaſſen / oder doch zu ſolchen ſecundis, die allbereit bekant ſind.

56. Hiernechſt ſteht dir es frey / wenn du noch mehr neue Warheiten erfinden willſt / daß du ein totum mit einem toto remotiori, und einen Theil des gantzen mit einem parte remotiori oder mit einem parte eines andern gantzen conferireſt. Denn du wirſt auch auf dieſe Art immer neue Warheiten erlan - gen.

57. Dieſe Warheiten nun mit Nahmen zu unterſcheiden / magſt du fuͤr Titel gebrau - chen wie du willſt. Doch wird es nicht un - foͤrmlich ſeyn / wenn du die Warheiten / die aus der definition des gantzen unmittelbar flieſſen / und ſo ferne dieſelbe mit dem definito reciprociret und convertirt wird / principia, die aus der diviſion oder Betrachtung der Theile hergeleitet werden / Axiomata, undS 5die282Das 12. Hauptſtuͤckdie endlich ex collatione reliqva entſtehen / propoſitiones nenneſt.

58. Jedoch fange dieſer Benennung hal - ber / mit niemand keinen Streit an / weßwe - gen du auch die letzte Claſſe kanſt Concluſiones nennen / weil / wie bekant in Logicis alle beſte - hende Gedancken propoſitiones genennet werden.

59. Was bißher von Erfindung neuer Warheiten gemeldet worden / das kanſt du al - les auch in Erfindung neuer Warſcheinlig - keiten anwenden / wenn du nur darinnen einen Unterſcheid machſt. Zu denen unſtreitigen Warheiten ſchicken ſich propoſitiones cate - goricæ beſſer / und zu denen Wahrſcheinlig - keiten propoſitiones bypotheticæ.

60. Deßwegen haben wir auch oben die Darthuung hoͤchſtwarſcheinlicher Dinge de - monſtrationem hypotheticam genennet.

61. Ja es kan auch das Falſche bypotheticè eine gute connexion haben / wie aus dem ge - meinen Exempel; ſiaſinus volat, habet pen - nas erhellet.

62. Dannenhero muß man ſich wohl huͤ - ten / daß man zum Grund unſtreitiger War - heiten keine bypotheſes lege / denn ſonſt koͤnteman283von Erfindung neuer Warh. man keinen rechtſchaffenen Unterſcheid zwi - ſchen denen unſtreitigen Warheiten und de - nen Wahrſcheinligkeiten / ja auch dem Fal - ſchen ſelbſt machen.

63. Man muß aber hierbey die Poſtulata und Hypotbcſes nicht miteinander vermiſchen. Denn die poſtulata ſind veritates primæ in - demonſtrabiles, die allerdings zu unſtreiti - ger Warheiten Grund erfordert werden.

64. Ja es hat auch die Hypotheſis einen andern Nutzen in anſehen wahrſcheinlicher Dinge / einen andern in anſehen der falſchen.

65. Bey jenen braucht man ſie fuͤrnehm - lich zuerkennen / welche Wahrſcheinligkeit / der andern vorzuziehen ſey / aus welcher nem - lich die meiſten concluſiones koͤnnen herge - leitet werden / oder die bey denen meiſten indi - viduis eintrifft.

66. Bey dieſen aber braucht man ſie ad hominem zu diſputiren und die falſche Mei - nung eines abſurdi zu convinciren.

67. Weil aber / wie oben erwehnet / doch unter der cognitione veri & cognitione falſi ein mercklicher Unterſcheid iſt / muß man ſich wohl in acht nehmen / daß man nicht da - vor haͤlt man habe per deductionem ad ab -ſurdum284Das 12. Hauptſtuͤckſurdum den andern die Warheit unſerer Meinung uͤberzeiget / weil wir ihn nur die Falſchheit ſeiner Meinung baben zu erkennen geben. Nun iſt aber zwiſchen den Wahren und Falſchen das ignotum als ein tertium intermedium.

68. Gleichergeſtalt kan ich zwar nicht ſagen / qvod ex veris aliqvando ſeqvatur falſum. Aber das / was wir nur itzo de hypotheſi erwehnet lehret uns / qvod ex falſis qvandoqve poſſit ſeqvi verum.

69. Nicht weniger iſt zwiſchen den pro - poſitionibus affirmativis & negativis ein groſſer Unterſcheid. Mit denen negativis erkennen wir das Falſche und Unwarſcheinli - che / mit denen affirmativis die Warheiten und das Warſcheinliche. Denn der Grund aller Warheiten und Waricheinligkeiten ſind propoſitiones affirmativæ, und die ſenſio - nes nnd ideæ, ingleichen experientia alie - na & conceptus accidentialis gehoͤren alle zu denen affirmationibus.

70. Ferner ſo gehoͤren die propoſitiones univerſales zu denen ideis, die ſingulares mei - ſtentheils zu denen ſenſionibus, die indefinitaund285von Erfindung der Warh. und particulares zu denen Warſcheinligkei - ten.

71. Wie dann auch unter denen modali - bus der modus Neceſſe zu denen unſtreitigen Warheiten / das Contingens zu denen War - ſcheinligken / das poſſibile zu denen unwar - ſcheinligkeiten und das impoſſibile zu denen unſtreitigen Unwarheiten / da jemand Luſt da - zu hat / gebracht werden koͤnnen.

Das 13. Hauptſtuͤck. Von denen Jrrthuͤmern und deren Urſprung.

Jnnhalt.

Connexion n. 1. Nothwendinkeit dieſes Capitels n. 2. und was bey denen ſcriptoribus, dißfals zu erinnern ſey - n. 3. Abermahlige Betrachtung der Natur des Men - ſchen n. 4. des Menſchen Zuſtand viel elender als der Beſtien n. 5. was den Leib betrifft n. 6. Auch der Seele nach kan der Menſch ohne anderer Menſchen huͤlffe nicht gedencken n. 7. und begrelfft eher was an - dere Leute von dem Weſen der Dinge gedencken / als er ſelbſt n. 8. die ſolcher geſtalt ſein natuͤrliches ver - moͤgen zu gedencken gleichſam anfeuren n. 9. und ihm die ſigna ſeiner concepte ſuppeditiren muͤſſen n. 10. Die er doch Anfangs von denen Dingen ſelbſt nicht wohl zu unterſcheiden weiß n. 11. Vortheil der Beſtien fuͤr denen Menſchen in nachtrachtung des guten und Meydung des boͤſen n. 12. 13. Weswegen bey demMen286Das 13. Hauptſtuͤck von denenMenſchen auch andere Leute die Erkaͤntnuͤß des guten und boͤſen erwecken muͤſſen n 14. und keine principia connata moralia wuͤrcklich bey ihm anzutreffen ſind / n. 15. Obligation der Menſchen und ſonderlich der Eltern / denen Kindern die Erkaͤntnuͤß der Warheit bey zubringen n. 16. Gegen-Obligation der Kinder das was ihnen geſagt wird fuͤr warſcheinlich anzuneh - men n. 17. Vorzug der Eitern vor andern Menſchen n. 18. Exempel etlicher weniger unſtreitiger Warhel - ten die ſich bald bey den Kindern ereignen. n. 19. Die Kinder muͤſſen das / was ihnen geſagt wird / nicht fuͤr unſtreitig wahr annehmen n. 20. Fehler ſo allenthal - ben hierwieder begangen werden verurſachen die Jrr - thuͤmer n. 21. Die erwachſenen Menſchen koͤnnen oder wollen denen Kindern nicht allemahl die Warheit beybringeu n. 22. auch die Eltern n. 23. 24. Ja was die Eltern gut machen / verderben die andern wieder n. 25. Denen die Kinder mehr trauen als den Eltern n. 26. Man lehret denen Kindern / das ſie das was man ihnen ſagt / fuͤr unſtreitig wahr halten muͤſſen / n. 27. Die Kinder haben eine groͤſſere Begierde etwas zu erkennen als die erwachſenen Menſchen n. 28. 29. Aber ihre meditation bierbey taugt nicht viel n. 30. Weil die groͤſſe ihrer Begierde ihnen keine attention zulaͤſt n. 31 ſondern eine Ubereilung wuͤrcket / die von einer Ungedult herruͤhret n. 32. Ubereilung bey denen Sinnligkeiten n. 33. ideis n. 34. raiſonirung n. 35. Erforſchung neuer Warheiten n. 36. Vorurtheile und præjudicia woher ſie den Nahmen haben n. 37. Was ſie ſind n. 38. Unterſcheld zwiſchen den præjudiciis und andern Jrrthuͤmern n. 39. Jhr Hauptqvell iſt die Leichtglaͤubigkeit n. 40. Zweyhaupt-præjudicia: Das Vorurtheil menſchlicher autoritaͤt / und das Vorur - theil der Ubereilung n. 41. deren Zuſammenhaltung n. 42. in Betrachtung ihres Urſprungs n. 43. 44. al - ters n. 45. und Tauerhafftigkeit n. 46. Das præjudici -um287Jrrthuͤmern und deren Urſprnngum autoritatis kan man ſehr ſchwerlich loß werden num. 46 biß 51. Es wird durch das præjudicium præ - cipitantiæ beſeſtiget n. 52. und befeſtiget dieſes eben - fals n. 53. Der Menſch ſchleppet ſich mit dieſen bey - den præjudiciis auch in ſeinem zunehmenden Alter n. 54. 55. theils wegen der augewehnten Ubereilung n. 56. theils weil dieſe præjudicia von denen Gelehr - ten gewaltig vertheydiget werden: n. 57. Der Ur - ſprung derer abſonderlichen præjudiciorum der Ge - lehrten / n. 58. iſt der Ehrgeitz n. 59. Wodurch das præjudicium autoritatis gleichſam ſein Leben er - haͤlt n. 60.

1.

WJr haben bißhero von Erkaͤntnuͤß des wahren / falſchen und warſcheinli - chen / wie auch von Erfindung neuer Warheiten genung geredet. Wir haben aber oben gedacht / daß ein Jrrthum heiſſe / wenn man das falſche wahr zu ſeyn glaube / oder das unwahrſcheinliche fuͤr wahrſcheinlich halte. Ja wir haben oͤffters vieler allgemeiner Jrr - thuͤmer erwehnet / und oben geſagt / daß die Menſchen muthwillig aus Liebe zu denen præ - judiciis ihren Verſtand verdunckelten. Alſo iſt nun nichts mehr uͤbrig / als daß wir von der - gleichen gemeinen Jrrthuͤmern und deren Urſprung etwas deutlicher reden.

2. Denn weil die Warheit und Warſchein - ligkeit / ja die gantze Vernunfft-Lehreauff ſoleichte288Das 13. Hauptſtuͤck von denenleichte Regeln gegruͤndet iſt / als wir ſolches dar - gethan / auch die Erfindung neuer Warheiten mehr Auffmerckſamkeit als ſonderlichen Witz erfodert / ſo verdienet die Unterſuchung von den Urſprung der gemeinen Jrrthuͤmer / denen die ſo genannten Gelehrten ja ſo wohl / und zu - weilen noch mehr beypflichten / als die Unge - lehrten / allerdings eine genaue Betrachtung / umb zu ſehen / was die Urſache ſey / daß die Menſchen / die ohne Muͤhe die Warheit beſitzen ſolten / derſelben ſo gar vielfaͤltig verfehlen / und daß ſonderlich diejenigen / die andere von denen Jrrthuͤmern zu der War - heit fuͤhren ſolten / oͤffters am tieffſten darinnen ſtecken.

3. Ja es wird unſere Muͤhe dißfalls weder vergebens noch unangenehm ſeyn / weil die Gelehrten entweder gar nichts von dieſer Sa - che in ihren Schrifften hinterlaſſen / oder die wenigen / bey denen man hiervon etwas findet / theils ſolche noͤthige doctrin uur uͤberhaupt und obenhin tractiret, und alſo wegendieſer Nachlaͤßigkeit aus allzugroſſer Begierde die Jrthuͤmer zu meiden / am eheſten in dieſelben verfallen / theis hiervon ſehr confus und ohne accurater Ordnung tractiret; theils neuerund289Jrrthuͤmern und deren Urſprung. und dunckeler Woͤrter / die die Sache ver - druͤßlich machen / ſich bedienet; theils aber mehr umb ſpecificir ung etlicher allge - meiner Jrrthuͤmer / als um Erforſchung de - rer Haupt-Quellen / oder doch nur um den Ur - ſprung der Jrrthuͤmer in der Religion nach Anleitung der heiligen Schrifft beſorgt ge - weſen / zu geſchweigen / daß auch etliche von denen / die von dieſer materie geſchrieben / von andern Gelehrten vor Atheiſt en pflegen aus - geſchrien zu werden.

4. Wir werden aber nichts fuͤglicher hier - innen ſchaffen koͤnnen / als wenn wir die Na - tur des Menſchen von Jugend auff wie - derum in Betrachtung ziehen / damit wir ge - wahr werden / zu welcher Zeit denn die Jrr - thuͤmer bey denſelben anheben.

5. Obſchon der Menſch eine viel vollkom - menere Creatur iſt als die unvernuͤnfftigen Thiere; ſo iſt doch offenbahr / daß in gewiſſer maſſe ſein Zuſtand in ſeiner zarten Jugend mit groͤſſern Elende uͤmbgeben ſey als de - rer Beſtien.

6. Denn viele unvernuͤnfftige Thiere ſind alſobald nach der Geburt in der Vollkom - menheit / daß zur Noth / auch ohne ZuthuungTan -290Das 13. Hauptſtuͤck von denenanderer Thiere ihres Geſchlechts ſie ſich wuͤr - den hinbringen und ihre Nahrung ſuchen koͤnnen. Aber die Menſchen-Kinder wuͤrden verderben und umkommen / wenn nicht ande - re Menſchen nach ihrer Geburt ſich ihrer an - naͤhmen / ſie mit Nahrung und Speiſe ver - ſaͤhen / ihre Gliedmaſſen zum Gehen ange - woͤhneten. ꝛc.

7. Ja die Seele ſelbſt kan ſich ohne Zu - thuung anderer Menſchen ſo zu ſagen nicht fort helffen. Und wir erkennen wohl / daß ſie bey denen kleinen Kindern etwas thun muͤſſe; aber ehe ſie reden / oder zum wenigſten ande - rer Menſchen Reden verſtehen / koͤnnen wir nicht ſagen / daß ſie gedencken / weil wir oben behauptet / daß die Gedancken in einer inner - lichen Rede beſtehen / welche innerliche Rede eine euſſerliche Rede præſupponiret.

8. Dieweil aber die euſſerliche Rede eine Anzeigung iſt der Gedancken anderer Men - ſchen / ſo folget daraus nothwendig / Daß die Kinder erſt begreiffen / was andere Men - ſchen von den Weſen der Dinge geden - cken / ehe ſie ſelbſt davon eigentlich zu reden et - was gedencken / oder daß in der zarten Ju - gend die Gedancken der Kinder von dem We -ſen291Jrrthuͤmern und deren Urſprung. ſen der Dinge ſich nach denen Gedancken anderer Menſchen richten.

9. Den ob wir gleich gerne zugeben / daß in der menſchlichen Seele ein natuͤrliches Vermoͤgen ſey zu gedencken. und das wahre von dem falſchen zu entſcheiden / ſo wuͤrde doch ſolches Vermoͤgen ihm nichts nuͤtzen / wenn es nicht durch Huͤlffe anderer Menſchen ange - feuret wuͤrde: und man ſtelle ſich nur einen Menſchen vor / der in der Wildniß von ſei - ner Geburt an / auch in die 20. Jahr ſich auff - gehalten / und daſelbſt unter den wilden Thie - ren gelebet haͤtte / ob man begreiffen koͤnne / daß deſſelben Seele in Erkaͤntniß der Warheit merckliche Wuͤrckungen habe vollfuͤhren koͤn - nen.

10. Dannenhero iſt es zwar an dem / daß die kleinen Kinder bey Erblickung anderer crea - turen einige dunckele concepte ſich von de - nenſelben machen / aber ſie haben das Vermoͤ - gen nicht / dieſe concepte vor ſich ſelbſt von andern concepten durch gewiſſe Zeichen zu entſcheiden / ſondern ſie begreiffen es nach denen ſignis die ſie hoͤren / daß ſie ihnen von andern Menſchen gegeben werden: undfra -T 2gen292Das 13. Hauptſtuͤck von denengen dannenhero allezeit bey Erblickung einer Sache: Was iſt das?

11. Daraus pflegt ferner zu geſchehen / daß die Kinder noch nicht faͤhig ſind die ſigna von denen Gedancken oder von denen euſſerli - chen Dingen ſelbſt zu entſcheiden / ſondern ſie glaͤuben / daß das ſignum und das Weſen das es bedeutet / eines ſey. Z. e. das Wort: Pferd / Menſch / Eſel / ſey die Idea des Pfer - des ꝛc.

12. Ferner / gleich wie alle Wiſſenſchafft dem Menſchen gegeben iſt / ſeinen warhaffti - gen Nutzen zu befoͤrdern / und ſeinen Schaden zu verhuͤten; alſo iſt es leider mit dem Men - ſchen ſo bewandt / daß / wie die beſtien von Na - tur das was ihnen ſchaͤdlich iſt / meiden / und dem was ihnen nutzet / nachtrachten / der Menſch in ſeiner Kindheit das boͤſe von dem guten nicht zu entſcheiden weiß.

13. Ein junges Pferdt / wenn es Berg - unter gehet / oder uͤber einen Graben gehen ſoll / gehet ſehr langſam / und richtet die Be - wegung ſeines Leibes darnach ein / daß es nicht faͤllt. Das Vieh ſcheuet gemeiniglich das Feuer / und iſt wenig Gelegenheit unterworf - fen ſich ſelbſt zu verletzen: Aber die Kinderlauf -293Jrrthuͤmern und deren Urſprung. lauffen ordentlich tollkuͤhne zu; Ja ſie halten bey denen erſten Faͤllen nicht einmahl die Haͤnde vor; ſie ſcheuen ſich nicht fuͤr dem Feu - er / biß ſie ſich gebrandt haben; Sie thun ſich ſelbſt Schaden an / wenn man ſpitzige oder ſchneidende Sachen ihnen in die Haͤnde giebet u. ſ. w.

14. Dannenhero erfodert abermahl die hoͤch - ſte Nothwendigkeit / daß in dieſer zarten Ju - gend durch andere Menſchen die concepte der Kinder von guten und boͤſen excitiret werden; nicht alleine was den Leib und deſ - ſen Unterhaltung betrifft / ſondern auch noch vielmehr was die Guͤter der Seelen / und ſonderlich was das bonum morale anlan - get.

15. Denn was man insgemein de princi - piis moralibꝰ connatis zu ſchwatzen pfleget / laſſen wir zwar ietzo in ſeinem Werth und Un - werth beruhen; Jedoch wuͤrde es ſehr thoͤricht gehandelt ſeyn / wenn man glauben wolte / daß die kleinen Kinder von ſelbſt die Wiſſenſchafft derer principiorum moralium wuͤrcklich und in der That beſaͤſſen / da man doch taͤglich ſiehet / daß ihr meiſtes Thun und laſſen nicht alleine denen Grund-Regeln der Morale zu -T 3wider294Das 13. Hauptſtuͤck von denenwider iſt; ſondern auch gnugſam zu verſtehen giebt / daß ſie nicht einmahl pon denen terminis, die man bey denen principiis moralibus zum ſubjecto und prædicato brauchen muß / eine ideam oder deutlichen concept haben.

16. Derowegen lieget theils insgemein an - dern Menſchen / theils aber abſonderlich de - nen Eltern ob / nicht nur ſich zu huͤten / daß denen Kindern nichts falſches von Erkaͤntniß des Weſens der Dinge / und fuͤrnehmlich des guten boͤſen beygebꝛacht weꝛde / ſondern auch hauptſaͤchlich ſich dahin zu bearbeiten / daß die Erkentniß der Warheit und des guten bey ihnen taͤglich mehr zunehme und befeſtiget werde.

17. Wiederum kan es nicht fehlen / es muͤſ - ſen die Kinder in dieſer zarten Jugend / und ſo lange ihr Verſtand noch nicht reiff iſt / das wahre von dem falſchen und das boͤſe von dem guten ſelbſt zu entſcheiden / gleichfals ſchuldig ſeyn / dasjenige was ihnen von andern Men - ſchen / und ſonderlich von ihren Eltern / oder denen ſolches von ihren Eltern auffgetragen worden / dißfalls geſaget wird / ſo lange wahr zu ſeyn glauben / oder vielmehr ſo lange als wahrſcheinlich annehmen. Denn ohnedieſe295Jrrthuͤmern und deren Urſprung. dieſe obligation der Kinder wuͤrde die obliga - tion der erwachſenen Menſchen und der El - tern vergebens ſeyn / und ihren effect nicht er - reichen.

18. Ja weil denen Eltern die ſchwereſte Laſt auff dem Halſe lieget / ihre Kinder in die - ſem Stuͤcke wohl auff zu erziehen; als erfor - dert die Vernunfft / daß wenn andere Men - ſchen denen Kindern eine widrige Meinung von Erkentniß der Warheit und des guten imprimiren wolleu / als die Eltern / oder die / an welche die Eltern die Kinder gewieſen / ge - than haben / die Kinder ſo dann dieſen letztern mehr Glauben beymeſſen ſollen / als jenen.

19. Denn in dieſen zarten Jahren iſt der Verſtand gantz ungeſchickt das wahre oder fal - ſche von ſich ſelbſt zu entſcheiden / auſſer daß man ſiehet / daß man ein Kind nicht bereden koͤnne daß etwas zugleich ſey oder nicht ſey; daß es dieſes und zugleich ein anders ſeyl; daß das gantze nicht groͤſſer ſey als ſein Theil / und was dergleichen wenige unſtreiti - ge Lehrſaͤtze mehr ſeyn / die ſich bey denen Kin - dern ſo bald ereignen / als ſie ihren Verſtand nur in etwasan den Tag geben koͤnnen.

20. Gleichwohl iſt es noͤthig / daß wier die -T 4ſe296Das 13. Hauptſtuͤck von denenſe obligation der Kinder nicht weiter erſtre - cken / als dieſelbige gehet. Denn ſie will nicht mehr ſagen / als daß die Kinder dasjenige was ihnen die Eltern u. ſ. w. beybringen / nur ſo lange fuͤr wahrſcheinlich halten / biß ihr Verſtand ſelbſt reiff wird die Warheit zu un - terſuchen; nicht aber / daß ſie glauben / daß ſol - ches unſtreitig wahr ſey / vielweniger / daß ſie ſich ſolches taͤglich iemehr und mehr bere - den. Denn wir haben oben verhoffentlich ge - nugſam erwieſen / daß die euſſerliche Verſiche - rung von andern Menſchen / ohne unſerer eige - nen innerlichen Vergewiſſerung / nach Gele - genheit der Umſtaͤnde zwar eine Wahrſchein - ligkeit / niemahls aber eine unſtreitige Wahr - heit zuwege bringen koͤnne.

21. Wenn dannenhero der Zuſtand des menſchlichen Geſchlechts zulieſe: daß eines Theils die Eltern oder andere Menſchen de - nen Kindern die wahre Errkaͤntniß des We - ſens der Dinge und des guten beybraͤchten; anders theils die Kinder alles das was ihnen von verſtaͤndigen Leuten geſagt wird / fuͤr be - kant annaͤhmen / auch ihren Eltern und Præ - ceptoribus mehr glaubten als andern / die ſie von der Lehre dieſer abzufuͤhren trachten / oderdoch297Jrrthuͤmern und deren Urſprung. doch zum wenigſten daßjenige / was ſie in der Jugend von andern begriffen / nur fuͤr wahr - ſcheinlich hielten / und ſich ſolches nicht als un - ſtreitige wahre Dinge imprimirteu / ſo wuͤr - den vielleicht gar keine oder wenig Jrrthuͤmer in der Welt ſeyn. Alleine nachdem leider! durchgehends die menſchliche Geſellſchafft ſo verderbet iſt / daß faſt uͤberall in allen dieſen Stuͤcken das Gegentheil beobachtet wird / darff man ſich nicht wundern / daß alles voller Jrr - thuͤmer wimmelt / und daß ſolcher geſtalt / de - nen Kindern nebſt etlichen wenigen War - heiten viel million en Jrrthuͤmer nothwen - dig beygebracht werden muͤſſen.

22. Denu anfaͤnglich iſt es ausgemacht / daß / weil die erwachſenen Menſchen / die mit denen Kindern umgehen / ſelbſten groſſe Maͤn - gel entweder am Verſtande oder am Willen haben / ſo wollen ſie auch nicht / oder koͤnnen zum wenigſten nicht / wenn ſie gleich gerne wolten / denen Kindern Warheiten beybrin - gen / ſondern ſie ſuchen vielmehr ihnen ihre ei - gene Jrrthuͤmer theilhafftig zu machen / oder bereden ſie etwas falſches aus Schertz / oder ih - rer zu ſpotten / u. ſ. w.

23. Ja die Eltern ſelbſt begehen in dieſemT 5Stuͤck298Das 13. Hauptſtuͤck von denenStuͤck gleiche Fehler / indem unter ſo viel tau - ſend Eltern die meiſten die Warheit ſelbſt nicht erkennen / ſondern in den præjudiciis biß an den Hals ſtecken. Wie ſolte nun ein Blin - der dem andern den Weg weiſen.

24. Und wie offte geſchiehets / daß die El - tern den Kindern was imprimiren, daß ſie ſelbſt wohl wiſſen / daß es nicht wahr ſey / und dennoch die Kinder dergleichen bereden / ent - weder mit ihnen zu ſpielen / oder aber mehren - theils zwar zu einem guten Abſehen / welches aber doch / wenn man es genau beſiehet / ein thoͤrichtes Mittel iſt darzu zu gelangen. z. e. Die Fabeln von dem heillgen Chriſt; viel eite - le perſvaſiones die gebraucht werden / der Kinder ihre affecten zu beſaͤnffeigen u. ſ. w.

25. Geſetzt aber / der weiſeſte Mann bemuͤ - hete ſich ſeine Kinder dergeſtalt auffzuerziehen / daß er ihnen nichts als eitel Warheiten / deren ihr Verſtand faͤhig iſt / beybraͤchte / (welches doch eine conditio iſt / die unter 10000. Menſchen kaum ein einig mahl zu hoffen iſt /) wie iſt es moͤglich / daß ein ſolcher weiſer Mann ſtetig um ſeine Kinder iſt / und alſo abwehret / daß / ich will nicht ſagen / durch ſein Weib / ſon - dern durch ſein Geſinde und durch andereMen -299Jrrthuͤmern und deren Urſprung. Menſchen / abfonderlich aber durch die Spiel - Cameraden / an ſtatt derer von ihm erler - neten Warheiten / ſie nicht mit falſchen Thor - heiten angefuͤllet werden.

26. Zumahlen da es wegen der denen Kin - dern von Jugend auff anklebenden inclina - tion zu den bloſſen Sinnligkeiten und Muͤſ - ſiggang / leider durchgehends ſo beſchaffen iſt / daß ſie dem Geſinde und ihres gleichen muth - willigen Kindern / die gemeiniglich ihren Sinnligkeiten und Muͤßiggang ſchmeicheln / mehr glauben / als denen Eltern / und folglich dieſe boͤſe Geſellſchafft in einem Augenblick der Erkentniß der Warheit mehr ſchaden thut / als der Eltern[und] Præceptoren ihre gute In - formation in langer Zeit Nutzen geſchaf - fet.

27. Endlich giebt es die taͤgliche Erfah - rung / daß ſo wohl die Eltern zu Hauſe / als die Præceptores in denen Schulen gemeini - glich denen Kindern das hoͤchſtſchaͤdliche prin - cipium beybringen / und durch alle Mittel und Wege daſſelbige befeſtigen / daß ſie die ih - nen in der Jugend beygebrachte Erkentniß nicht ad interim fuͤr wahrſcheinlich anneh - men / ſondern fuͤr unſtreitig wahr und in -fal -330[300]Das 13. Hauptſtuͤck von denenfallibel, ja gar fuͤr Glaubens-Articulhal - ten ſolten; und iſt nichts neues / daß man unter uns wohl gar des vierdten Geboths hierzu mißbrauchet.

28. Dieſes iſt nun der Zuſtand der Kinder in Anſehen der Erkaͤntniß der Warheit / ſo ferne ihnen dieſelbige von andern Menſchen bey - gebracht wird /. Wir muͤſſen aber auch ein wenig noch erwegen / auff was Art die Kinder fuͤr ſich ſelbſt die Warheit zu erforſchen be - gierig ſind / und zu dieſem Ende raiſoniren; Denn ob gleich / wie obgedacht / die Seele der Kinder noch nicht faͤhig iſt / von ſelbſt das wahre und falſche zu entſcheiden; ſo laͤſt ſich doch auch in der Jugend eine groſſe Begierde unbe - kandte Dinge zu wiſſen / und theils vermit - telſt der Sinnligkeit / theils auch vermittelſt eigenen Nachdenckens darhinter zu kommen ſpuͤhren. Und gewiß die kleinen Kinder ſind in dieſem Stuͤck noch curieuſ er als erwachſene Menſchen.

29. Denn ſie haben mehr Zeit darzu als erwachſene Menſchen einer Sache nachzuden - cken / indem ſie mit keinen Geſchaͤfften uͤber - haͤufft ſind / und die natuͤrliche Luſt / die ein ie - der Menſch bey ſich empfindet / wenn er etwasbißher301Jrrthuͤmern und deren Urſpung. bißher unbekandtes zu wiſſen kriegt / treibet die Kinder um ſo viel ſtaͤrcker an / vermittelſt der Sinnligkeiten etwas zu erfahren / weil ihnen wegen ihrer wenigen Wiſſenſchafft nnd Er - fahrung faſt alles unbekandt und alſo neu iſt.

30. Wenn demnach die Kinder bey dieſer ihrer eigenen Curioſitaͤt und meditation. diejenigen Umſtaͤnde beobachteten / die wir oben weitlaͤufftig erklaͤret / als wir von denen erſten und unſtreitigen Warheiten gehandelt; So wuͤrden ſie auch durch dieſelbige zu keinen neu - en Jrrthuͤmern verfuͤhret werden; dieweil ſie aber allbereit / wie erwehnet / durch beybrin - gung anderer Leute mit vielen Jrrthuͤmern - berhaͤuffet ſind / und alſo der Grund ihrer Wiſſenſchaffe nichts tauget; ſo iſt leichte zu er - achten / daß die darauff gebaute meditation oder experienz gleichfalls vielen Jrthuͤmern unterworffen ſeyn muͤſſe.

31. Denn weil die Begierde etwas unbe - kandtes zu wiſſen bey den Kindern mit einen ſtarcken Trieb ſich ereignet / ſo laͤſt die ſelbi - ge ihnen die bey Erkentniß der Warheit hoͤchſt noͤthige / aber eine ſonderliche Gemuͤths-Ru - he erfordernde attention und genaue Be -trach -302Das 13. Hauptſtuͤck von denentrachtung derer Umſtaͤnde bey denen vorfal - lenden Sinnligkeiten / ſo wohl auch die genaue Unterſuchung / wie man die rechten ideas von denen conceptibus veroſimilibus ent - ſcheiden ſolle / nicht zu.

32. Dannenhero findet man durchgehends bey denen Kindern eine merckliche Uberei - lung in ihren eigenen experienzen und rai - ſonirungen / welches aus nichts anders her - ruͤhret / als aus einer ihre Begierde unbekant - te Warheiten zu erforſchen begleitenden Un - gedult. Denn gleich wie jene ſie zwar inſti - giret / zu dieſen guten endzweck zu gelangen / alſo hindert ſie doch dieſe / daß ſie derer hier zu dien - lichen Mittel ſich faſt durchgehends nicht bedie - nen / und alſo auch faſt nimmer beſagten ſco - pum erhalten.

33. Denn dieſe Ungedult verurſachet / daß ſie bey denen vorfallenden Sinnligkeiten von einer Sache eher urtheilen / eher dieſelbige zu gehoͤriger diſtanz gebracht worden / daß ſie die Bildungen / die ſich in unſern Gehirne ein - druͤcken / oder den Schein der Sache / mit der Sache ſelbſt oder deren Urſache vermiſchen / daß ſie von Sachen urtheilen / darvon ſie nur durch einen Sinn einige Bildungen erhalten /ehe303Jrrthuͤmern und deren Urſprung. ehe und bevor ſie mit denen andern Sinnen auch das Weſen derſelben gepruͤfet / das ſie bey denen Sinnligkeiten / die nicht allen Men - ſchen gemein ſind / oder da ſich die ſenſoria. eines einigen Menſchen offte zu aͤndern pfle - gen / gar zu abſolut von einer Sache urthei - len u. ſ. w.

34. Sie verurſachet ferner / daß ſie oͤffters conceptus rerum accidentales, die bey vielen (oder auch wohl die bey wenigen) individuis zu finden ſind / fuͤr rechte ideas annehmen.

35. Sie verurſachet / daß in Herleitung oder Erkentniß derer Warhriten / ſo von denen pri - mis principiis etwas entfernet ſind / ſie eine propoſition mit der andern vermiſchen / fuͤr gleichguͤltig annehmen / die dergleichen nicht ſind / oder dieſelben umbkehren / die nicht convertiret werden koͤnnen; oder die Urſachen / ſo ihnen am erſten beyfallen / ohne Unterſuchung ob ſie was taugen oder nicht / an - nehmen / und nicht betrachten / ob ſie mit un - ſtreitigen Warheiten verknuͤpfft werden koͤn - nen.

36. Zu geſchweigen / daß eben dieſe unge - dultige Begierde in Erforſchung neuer War - heiten / oͤffters die Menſchen von Jugendauff304Das 13. Hauptſtuͤck von denenauff antreibet / verbotene und unzulaͤßige Sinnligkeiten zu begreiffen / und das Boͤſe mehr als das Gute zu erkennen / oder allzu ſubtil en / unnoͤthigen / auch wohl verbote - nen Wiſſenſchafften nachzutrachten / und darzu zu gelangen / ſich entweder laͤcherlicher / o - der ebenmaͤßig unfertiger Mittel zu bedienen.

37. Aus dieſen / was wir bißher geſagt ha - ben / werden gar leicht die Urſpruͤnge und Haupt-Quellen aller Jrrthuͤmer zu er - kennen ſeyn. Sie werden insgemein præju - dicia oder vorurtheile genennet / theils weil dieſelbe bey den Menſchen alsbald ſich ereig - nen / ehe ſein Verſtand und judicium noch recht reiff iſt / theils / weil vermittelſt derſelben der Menſch aus Unbedachtſamkeit eher urthei - let / als er die Sache gehoͤrig gepruͤfet.

38. Dannenhero ſind die præjudicia und Vor-Urtheile nichts anders als falſche Mei - nungen die uns von Erkentniß der War - heit abfuͤhren / welche ſich der Menſch oh - ne Urſache wahr zu ſeyn beredet / entwe - der / weil er aus Leichtglaͤubigkeit von an - dern / deren autorit aͤt er getrauet / deſſen beredet worden / oder weil er aus Unge -dult305Jrrthuͤmern und deren Urſprung. dult und darauff erfolgter Ubeꝛeilung ſich deſſen ſelbſt beredet:

39. Daß die præjudicia uns von der Er - kentniß der Warheit abfuͤhren / das haben ſie mit allen falſchen Meinungen gemein / darinnen aber iſt der Unterſcheid / daß bey denen præjudi - ciis die Urſache / darauff ſie ſich gruͤnden / gantz keine nothwendige connexion mit dergleichen Jrthuͤmern hat / und alſo fuͤr keine Urſache zu hal - ten iſt / da doch in andern / aus dergleichen præju - diciis hergeleiteten falſchen Meinungen zum we - nigſten eine nothwendige connexion zwiſchen dem Jrrthum und præjudicio ſeyn kan. Die præjudicia ſind der Quell aller falſchen Mei - nungen / die uͤbrigen Jrrthuͤmer ſind die daraus flieſſenden Baͤchlein.

40. Der Hauptquell aller præjudiciorum. iſt der elende Zuſtand des Verſtandes der Menſchen in ſeiner Jugend / und die demſelben anklebende Leichtglaͤubigkeit / durch welche er ſich was falſches geſchwinde bereden laͤſt / oder ſelbſt beredet.

41. Und weil dieſe eitele Beredung theils auſſer dem Menſchen von andern herruͤhret / theils in ihm ſelbſt verborgen iſt / ſo entſtehen da - hero zwey allgemeine Haupt præjudicia denen man alle Jrrthuͤmer / die auff der Welt ſeyn / zu - ſchreiben kan / davon wir das eine das Vorur - theil menſchlicher autoriiaͤt / das andere aber das Vornurtheil der Ubereilung neñen wollen.

U42. Wie306Daß 13. Haupſtuͤck von denen

42. Wie es mit beyden in der Jugend hergehe / haben wir allbereit in vorigen gnugſam betrach - tet / ietzo wollen wir nur dieſe beyden Bruñquellen alles Ubels noch ein wenig gegen einander con - feriren.

43. Jenes / das præjudicium autoritatis, ruͤhret aus einer unvernuͤnfftigen Liebe gegen an - dere Menſchen her / und wird zuweilen durch ei - ne eingedruckte Furcht / daß uns nichts Ubels wiederfahre / bekraͤfftiget.

44. Dieſes aber / das præjudicium pracipitan - tia. ruͤhret aus einer unvernuͤnfftigen Selbſt - liebe zn unſerer Gemachligkeit her / unſerer Nach - laͤßigkeit und Ungedult zu ſchmeicheln und ihnen ſanffte zu thun / wird auf gleiche weiſe durch ei - ne unzeitige Scham oder faulheit bekraͤfftiget.

45. Jenes iſt aͤlter als dieſes / und dannenhero tieffer eingewurtzelt. Denn wir glauben an - dern Leuten eher als wir ſelbſt zu raiſoniren an - fangen.

46. Alſo folget auch daraus / daß man dieſes e - her loß werden kan / als jenes / wiewohl dieſer Satz auch aus dem erſten Uuterſchied erwieſen werden kan.

47. Denn weil das præjudicium autoritatis ſich fuͤrnehmlich in einer unvernuͤnfftigen Liebe anderer Menſchen gruͤndet / die præcipitanz aber mehr auff eine unvernuͤnfftige Selbſtliebe zielet; ſo haͤnget auch jenes dem Menſchen feſter an / als dieſes; maſſen wir dann ſchon zu ſeiner Zeit dieſespara -307Jrrthuͤmern und deren Urſprung. paradoxum gar ausfuͤhrlich beweiſen wollen / daß die unvernuͤnfftige Liebe gegen andere Dinge allezeit ſtaͤrcker iſt / als die unver - nuͤnfftige Eigenliebe.

48. Z. e. Ein Menſch der aus præcipitanz einen viereckten Thurm fuͤr rund; einen geraden Ste - cken fuͤr krumm / u. ſ. w. angeſehen / erkennet ſei - nen Jrrthum[durch] augenſcheinliche Erwei - ſung gar leichte / ja wenn er einen uͤbel zuſam̃en - hengenden Schluß gemacht / kan man ihn ohne ſonderliche Muͤhe dahin bringen / daß er ſeine U - bereilung erkenne.

49. Aber[wenn] einer einmahl aus Thoͤrichter Liebe zu menſchlicher autorit aͤt eine falſche Mei - nung eingeſogen / iſt dieſelbe ſo ſchwer wieder loß zu werden / daß oͤffters die ſonſt kluͤgſten Leute nicht dran wollen / den Jrthum zu erkennen / ob ſie gleich die Wiederlegung deſſelben nicht beant - worten koͤnnen / ſondern liebkoſen demſelbigen / wenn ſie nicht weiter koͤnnen / daß ſie ſich bereden / es ſey der Mangel an ihrem Verſtande und wuͤrden die / von denen ſie ihre Meinuung her - haben / dieſelben ſchon beſſer vertheidigen koͤñen.

50. Ja wie oͤffters hoͤret man dieſe unvernuͤnff - tige Reden: Jch will mit dieſen vornehmen Manne lieber irren / als mit einen andern Menſchen der Warheit bey pflichten; oder: Jch werde mich dieſes nicht bereden laſſen / wenn auch gleich meine An en mich eines andern verſicherten.

U 2Zu308Das 13. Hauptſtuͤck von denen

51. Zu geſchweigen / daß viel tauſend Exem - pel koͤnten angefuͤhret werden derer / die viel eher um anderer Menſchen irrige Meinung ihr Leben gelaſſen / als derer die umb diejenigen / derer Urſprung von ihnen ſelbſt hergeruͤhret / viel gelitten haͤtten.

52. Wiewohl nun dieſe beyden Haupt-præ - judicia dergeſtalt dem Weſen nach unterſchie - den ſind / ſo ſind ſie doch mehrentheils in der That mit einander in denen Menſchen vereiniget / und biethen einander huͤlffliche Hand; denn das præ - judicium autoritatis wird nachgehends bey dem Menſchen taͤglich durch eine groſſe præcipitanz befeſtiget / indem er theils taͤglich ſiehet / daß ihn die menſchliche autoritaͤt betrieget / und doch in denen meiſten / was er wahr zu ſeyn glaͤubet / ſich auff ſelbige gruͤndet; theils aber auch aus denen in menſchlicher autoritaͤt ſich gruͤndenden irrigen Meinungen / zum oͤfftern durch nachlaͤßige præci - pitanz immer neue Jrrthuͤmer vorbringet.

53. Hinwiederum hilfft das præjudicium auto - ritatis auch die præcipitanz nicht wenig ſtaͤrcken / in Anſehung daß die Ubereilung und die daraus herruͤhrende Jrrthuͤmer vielen Menſchen gemein ſind / und alſo indem ein Blinder dem andern den Weg weiſen will / einer ſo wohl von der Warheit abweichet als der andere / und beyde doch eben deßhalben / weil ſie ſehen / daß ihre Meinungen von vielen vertheydiget weꝛden / auch ſich beꝛeden / daß ſie deßhalben in der allen Menſchen gemeinen Vernunfft gegruͤndet waͤren.

54. Und309Jrrthuͤmern und deren Urſprung.

54. Und mit dieſen beyden Haupt-præjudi - ciis muß ſich nicht alleine der Menſch in ſeiner zarten Jugend / und ſo lange ſein Verſtand nicht reiff iſt / ſchleppen / ſondern es iſt zu beklagen / daß auch bey erfolgter Reiffe der menſchlichen Ver - nunfft dieſelben faſt die gantze Lebens-Zeit den Menſchen dergeſtalt tyranniſiren / daß alle Jrr - thuͤmer / und auch alles daraus entſtehende Boͤſe einig und allein dieſen beyden Quellen zugeſchrie - ben werden kan.

55. Die Urſache aber / warumb die Men - ſchen in dem Alter / da ſie ſich von dieſer ſclave - rey gar leicht befreyen koͤnten / doch ſo muthwillig allergroͤſten theils darunter verharren / iſt aber - mahls theils die Nachlaͤßigkeit / theils die un - vernuͤnfftige Liebe.

56. Wer ſich aus den Jrrthuͤmern heraus reiſ - ſen will / muß doch zum wenigſten anfaͤnglich es ſich laſſen ſaueꝛ werden / ehe er bey ſich eine recht - ſehaffene attention erwecket. Aber die lange Gewonheit zu der præcipitanz ſtellet ihm dieſes Werck ja ſo unmuͤglich vor / als denen Land - Bettlern die Arbeit.

57. Jedoch contribuiren wohl diejenigen / die uns in dieſem Stuͤck mit guten exempeln vorgehen / und uns zu Ablegung derer Jrrthuͤmer anmahnen ſolten / das meiſte darzu / denn an ſtatt / daß wir hierzu fleißig ſolten angetrieben werden / ſo finden wir leider faſt allenthalben niemand / der es thut / aber wohl tauſend / die uns alle Augen -blick310Das 13. Hauptſtuͤck von denenblick in die Ohren ruffen / daß wir uns von der Meinung des Ehrwuͤrdigen Alterthumbs nicht ſolten laſſen abwendig machen / daß wir alle Neuerungen aͤrger als dir Peſt meiden ſol - ten; oder die diejenigen / die entweder die præju - dicia ſelbſt ablegen / oder andere ſolches zu thun erinnern woilen / theils mit guten Worten und Geſchencken / theils mit harten Bedrohungen und Verfolgungen davon abwendig zu machen / ſich euſſerſt laſſen angelegen ſeyn.

58. Gleichwie wir nun bißhero die allen Menſchen ge - meine præjudicia gruͤndlich unterſucht haben / und aber am Tage iſt / daß biejenigen ſo ſich Gelehrte nennen / vielmehr Thorhelten und Jrrthuͤmern unterworffen ſind / als die Menſchen / die in andern Staͤnden leben; als ſolten wir hillich auch etwas beſehen / was denn der Urſprung dieſes Ubels ſey. Jedoch weil dieſes ohne die Hiſtoriam Philoſophicam nicht wohl geſchehen kan / und wir von der - ſelben ancerswo ausfuͤhrlicher zu reden uns fuͤrgenommen haben; als wollen wir auch dieſe Betrachtung biß dahin verſchleben.

59. Jndeſſen kanſtu dieſes wenige dir nur zu einen kleinen Vorſchmack dienen laſſen / daß der Urſprung dieſes Ubels der Ehrgeitz und die Herrſchſucht ſey / aus welchen der Haupt Jrrthum hergefloſſen / daß die Weiſen und Ge - lebrten von andern Menſchen gantz unterſchieden waͤren / alſo auch gantz andere Grund-Regeln zu raiſoniren / als an - dere gemeine Leute haben muͤſten.

60. Zum wenigſten kanſtu aus dieſem kurtzer Satz gar leicht abnehmen / daß hier durch das præjudicium autoritatis gleichſam ſein Leben erhalten / und ohne Austilguugdieſes Haupt Jrrhumbs auch das præjudicium autoritatis unter denen Menſchen nicht ausgerottet werden koͤnne.

ENDE.

Erinnerung des Autoris an den Leſer.

Jch habe die Vernunfft-Lehre in dem 2. Cap. n. 17. in zwey Theil eingetheilet / und gegen - waͤrtiges iſt nur der pars generalis davon. Jch bin aber aus folgenden Urſachen bewogen worden / denſelben inſtehende Leipziger Neue - Jahrs-Meſſe zu publiciren. Es iſt am verwi - chenen Michaelis ein Jahr verfloſſen / als ich die - ſe Vernunfft-Lehre in Leipzig zu verfertigen und daruͤber zu leſen angefangen; Jch hatte mir auch feſte fuͤrgeſetzt an vergangener Oſtermeſſe dieſel - be voͤllig heraus zu geben / maſſen denn allbereit menſe Februario dieſes Jahrs der pars gene - ralis biß auff das letzte Capitel abſolviret und gedrucketwar. Alleine die Welt-bekante Ver - druͤßligkeit / die mich genoͤthiget / mich aus meinem Vaterlande zubegeben / hat verurſacht / daß auch mein damahliges gutes Vorhaben biß itzo inter - rumpiret worden. Wannenhero / weil ſolcher - geſtalt die Sache in einen gantz andern Stand gerathen / als ich in dem zu Leipzig publicirten Programmate und in dem Anfang der Vorre - de allhier dieſelbe vorgetragen; im uͤbrigen aber dasjenige / was ich in beſagter Vorrede wider den Autorem Speciminis Logicæ Claubergianæ weitlaͤufftig erinnert / ziemlich alt werden wuͤr - de / wenn es biß auff kuͤnfftige Oſter-Meße ver - ſparet werden ſolte; und endlich von auswerti -gengen Orten unterſchiedene Nachfrage darnach geſchehen; Als wird der Leſer vorietzo mit dieſem parte generali zufrieden ſeyn / und wenn mich GOtt geſund laͤſt / auf kuͤnfftige Oſter-Meße den partem ſpecialem, wie ich denſelben d. cap. 2. n. 18. entworffen / nebſt der Einleitung zu der Hi - ßorie und einen general diſeurs uͤber die Philoſo - phi ſchen diſciplinen gewaͤrtig ſeyn. Denn die Erkentniß Goͤttlicher Guͤte und die hohe Gnade meines Genaͤdigſten Chur-Fuͤrſtens und Herrns machet mich hoffen / kuͤnfftig in einen ſolchen Zuſtande leben zu koͤnnen / daß ich der Erforſchung und Lehre der Warheit frey und ohne Furcht obliegen / und mich der ſtudieren - den Jugend gantz und gar widmen / auch durch publicir[ung] der geſamten Grundſaͤtze meiner Lehre der gantzen erbaren und verſtaͤndigen Welt darthun moͤge / theils daß ich nichts ge - faͤhrliches oder was der Kirche oder dem Staat ſchaͤdlich waͤre / profitire, theils auch / daß die ehedeſſen zu Leipzig und nunmehr auch hier zu Halle von mir publicirten Programmata der ſtudierenden Jugend nichts verſprochen / was ich mir nicht rechtſchaffen und ehrlich zu halten getrauete. Lebe wohl.

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About this transcription

TextEinleitung zu der Vernunfft-Lehre
Author Christian Thomasius
Extent332 images; 53920 tokens; 8151 types; 378209 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationEinleitung zu der Vernunfft-Lehre Christian Thomasius. . [8] Bl., 310 S., [1] Bl. SalfeldHalle (Saale)1691.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Vb 641Dig: http://diglib.hab.de/drucke/vb-641/start.htm

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Vb 641
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