Dieſe wenigen Gedichte brauchen kei - ner weitlaͤuftigen Vorrede. Ein großer Theil derſelben iſt nicht neu, ſondern ſchon ſeit einiger Zeit gedruckt. Es ſind die lyri - ſchen Gedichte, die in den zweyen erſten Buͤ - chern dieſer Sammlung enthalten ſind, meh - rentheils vor fuͤnf Jahren bereits von einem beruͤhmten Freunde zum Drucke befoͤrdert, itzo aber nochmals ſorgfaͤltig durch ſehen, und vieles daran geaͤndert, wo nicht verbeſſert wor - den. Jm dritten und vierten Buche befin - den ſich diejenigen Lieder, welche die lyriſche Muſe erſt nach jener Sammlung gedichtet hat. Sie ſind in der Ordnung verfertiget worden, wie ſie hier ſtehen.
Der Sieg des Liebesgottes hat ebenfalls ſchon im abgewichenen Jahre die Preſſe ver - laſſen; da hingegen die vier angehangnen Briefe ſich zum erſtenmal der oͤffentlichen Critik darſtellen.
Es iſt gar kein Zweifel, daß ohngeachtet aller angewandten Muͤhe noch ſehr viel an allen dieſen Stuͤcken mit Grunde getadelt werden koͤnne. Die ausbeſſernde Hand des Dichters ſelbſt iſt mehr aus Muͤdigkeit, als) (2inin der ſtolzen Einbildung, daß nunmehr al - les vollkommen ſey, zuruͤckgezogen worden.
Da uͤbrigens der deutſche Parnaß mit ſich ſelbſt uneinig und in gewiſſe Secten getren - net iſt: ſo kann kein heutiger Dichter ſich ei - nen gewiſſen und allgemeinen Beyfall verſpre - chen. Er wird allezeit von einigen getadelt werden, bloß weil er von andern gelobet wird. Es koͤnnte leicht kommen, daß dieſe Gedichte noch ein haͤrteres Schickſal zu ge - warten haͤtten, und vielleicht dem Dichter aus dem Petronius zugeruffen wuͤrde:‘Adoleſcens, ſermonem habes non publici ſaporis. ’
Sollte er aber bloß deswegen mit ſeinen Meinungen, in Sachen, die den guten Ge - ſchmack betreffen, geheuchelt haben, weil ſie von den Grundſaͤtzen anderer angeſehenen Kunſtrichter abgehen?
Wie er ſich ſelbſt der im Reiche der Wiſ - ſenſchaften hergebrachten Freyheit, ſeine Ge - danken offenherzig herauszuſagen, mit Be - ſcheidenheit bedienet hat: ſo wird es ihm auch nicht znwider ſeyn, wenn andere ſich ei - ner gleichen Freyheit gegen ihn ſelbſt gebrau - chen. Er wird ſich zu belehren ſuchen, wo er Unterricht findet; und wo er dieſen nicht findet, wenigſtens zu ſchweigen wiſſen.
Jnn -Jn der Poſchiſchen Buchhandlung, iſt neu zu finden: Der Freund, 1ter Band, in gros Octav, koſt 1. Rthl. 2. gute Groſchen. Wird woͤchentlich mit ei - nem Bogen fortgeſetzet.
Hn. von Hagendorns, Fabeln und Erzaͤhlungen in 8. 1753. vor 8. gute Groſchen.
Siehe Oeuvres de Clement Marot, chanſon 24.
D 2Die52Lyriſche GedichteAber, ohne Scherz! die hieſigen Gegenden ſind die ange - nehmſten, die man ſehen kann. Der Fruͤhling iſt nir -N 5gend202Briefe. gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie reden auch vom Fruͤhling? Sie, die im Rauch einer engen Stadt eingeſchloſſen leben, und die Stimme der Nachti - gall nur bey den Poeten hoͤren? Jn Staͤdten, glauben Sie mir, iſt nur ein halber Fruͤhling: der Hauch der We - ſte iſt daſelbſt nur halb ſo lieblich, und die Bluhmen la - chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man die Schoͤnheiten der Natur bloß dem Nahmen nach. Nur auf dem Lande kennet, fuͤhlet und genießet man ſie: und ich kann, ohne zu luͤgen, ſagen, daß ich auf dem Lande bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht wenig Laͤrm verurſachet.
Dergleichen†Siehe Gebete eines Freygeiſts, eines Chriſten und eines guten Koͤnigs. Gedanken ſchleichen, wenn ich mich der hohen poetiſchen Sprache, ich der ich unpoetiſch bin, be - dienen darf, ſelbſt in meinem geheimſten Herzen zu - weilen herum, bey meinen einſamen Spaziergaͤngen, wo alles um mich herum lachet. Was fuͤr entzuͤckende Spa - tziergaͤnge! Hier verlohnt ſichs doch der Muͤhe, daß ich meine verwoͤhnten Fuͤſſe ermuͤde. Sie ſollten nur ſehen, wie ich laufe, ich, den ſie oft faul geſcholten haben, weil ich Jhnen auf ihren Tagereiſen durch meiſt unangenehme Oerter zu folgen, keine Luſt hatte! Hier bieten die ange - nehmſten Scenen der Natur ſich mir ſelbſt und unge - ſucht an.
Aber dieſe arme Muſe hat ſich ganz aus dem Odem gere - det: ſie keichet fuͤr Muͤdigkeit, und wuͤnſchet, auszuru - hen. Bis zu ihrer baldigen Wiederherſtellung, will ich ihnen nur in der alltaͤglichen Sprache ſagen, daß mir auf dieſer angenehmen Hartenburg ein Abentheuer zugeſtoſſen, welches meine bisherige Vermuthung beſtaͤtiget hat, daß ein ſo reizender Berg auch in andern Abſichten merkwuͤr - dig ſeyn muͤßte. Die alten gefuͤrſteten Grafen von Hen - neberg ſollen ein Bergſchloß daſelbſt gehabt haben; und noch bey Lebzeiten des letzten Herzogs Sachſen-Roͤmhil - diſcher Linie iſt ein Luſt - oder Trink-Ort hier geſtanden, von welchem nichts mehr uͤbrig iſt, als ein ſchoͤner Felſen - Keller und ein tiefer Brunnen. Sie muͤſſen, wenn ſie uͤberhaupt von den Alterthuͤmern hieſiger Stadt, wider Vermuthen, ein mehreres wiſſen wollen, gewiſſe gelehrte Werkchen nachſchlagen, welche niemand lieſt. Als ich ohnweit ermeldten Kellers meinen melancholiſchen Gedan - cken nachhieng, noͤthigte mich ein ploͤtzlich einbrechender Sturm hinein zu fluͤchten, bis der Regen voruͤber waͤre. Kaum war ich einige Schritte von dem Eingang abge - kommen, als ich durch die Erſcheinung eines ehrwuͤrdi - gen Alten, der mich ihm folgen hieß, erſchrecket wurde.
Jch wuͤnſchte nunmehr von ganzem Herzen, aus dieſen nnterirdiſchen Wohnungen je eher, je beſſer loszukommen: denn mit leeren Faͤſſern und mit leeren Glaͤſern iſt mir niemals viel gedient geweſen. Aber meine Beſtuͤrzung ſtieg aufs hoͤchſte, als mein Kellermeiſter mich wieder anredete. Der Sturm, ſprach er, welcher dich in dieſen Keller genoͤthiget, o Sterblicher! iſt nicht von ungefehr entſtanden. Ein Gnome, der in dieſem Berge ſich auf - haͤlt, hat ihn veranſtaltet, weil er dich zu ſprechen ver - langet. Er hat mit Vergnuͤgen bemerket, daß du die ſchoͤne Hartenburg beſonders liebſt, und beym Spatzie -ren209Briefe. rengehen dieſelbe nicht leicht uͤbergeheſt. Er hat geglaubt, daß du vor dieſem Beſuch um ſo weniger erzittern wuͤr - deſt, da du aus den cabbaliſtiſchen Briefen eines witzigen Marquis, mit derer Durchleſung du einige Zeit her be - ſchaͤftiget geweſen, eine richtigere Kenntniß der Geiſter aller Arten geſchoͤpfet haͤtteſt. Jch werde dich zu ihm fuͤhren: folge mir! Jch laͤugne nicht, wertheſter Freund, daß ich dieſes unerwarteten Beſuches gern uͤberhoben ge - weſen waͤre.
Jch habe auch, die Wahrheit zu ſagen, eben nicht viel ruͤhmliches von den Herren Gnomen gehoͤrt: ſie ſollen et - was boshaft und uͤberhaupt ſchlechte Chriſten ſeyn. Aber ich war einmal in den Haͤnden des Staͤrkern: ich muſte der Gewalt weichen, und folgte meinem Fuͤhrer, wohin er mich leitete.
Dieſer unhoͤfliche Spaß des Gnomen verdroß mich. Ei - ne Sprache dieſer Art, die nur der großen Welt natuͤrlich laͤßt, ſchien mir in dem Munde eines kleinen Gnomen un - verſchaͤmt zu ſeyn; und ich weis nicht, was ich ihm wuͤr - de geantwortet haben, wenn er mich haͤtte reden laſſen. Wie nun? fuhr er fort; wird die gewuͤnſchte Ruhe in Roͤmhild auf den Fluͤgeln eines erfreulichen Concluſi (weil dieſes doch dermalen ein Modewort, auch bey den Bau - ern, iſt) bald zuruͤckkommen? Sollen wuͤrklich die Buͤr - ger dieſes Ortes die gluͤckliche Gelegenheit bald verlieren, ihre politiſchen Einſichten zum Wohl ihres Vaterlandes, bey einem Krug Bier, in den Schenken auszukramen? Jch daͤchte nicht! Nein! Es waͤre mir auch eben nicht angenehm. Mein Hof wuͤrde doch in kuͤnftiger Zeit kei - nen ſo ſtarken Zufluß mehr bekommen, als in dieſen Zei - ten der Unordnung geſchehen koͤnnen.
Kurz, aller Unflath des menſchlichen Geſchlechts fließet in dieſen traurigen Gruͤften zuſammen; ein ieder zu ſeiner beſtimmten Strafe. Sind dir, ſetzte der Gnome mit ſeiner gewoͤhnlichen poſſenhaften Art hinzu, dergleichen Leute, die ich einſtens hier zu ſehen hoffen darf, an dem Orte deines itzigen Aufenthaltes bekannt? Welche ſind es? Luſtig! erzehle mir was! Biſt du denn gar nicht aufge - weckt? nicht boshaft? Jch erwiederte verdruͤßlich, daßich213Briefe. ich wohl wetten duͤrfte, dergleichen Menſchen, die ihm lieb waͤren, wuͤrden hier gar nicht anzutreffen ſeyn. Wenn ſie es aber auch waͤren, ſo moͤchte ich ſie nicht ſehen: ſie wuͤrden mich nur traurig machen; und ich lachte lieber. Roͤmhild waͤre gut genug: nur verdroͤſſe mich der unter die Einwohner ausgegangene Rottengeiſt, welcher die gute Geſellſchaft ſelten und die Freude ſchuͤch - tern machte.
Sterben? und um eines ſproͤden Maͤdchens willen? un - terbrach mich der unverſchaͤmte Gnome: o ſey des - wegen unbeſorgt! Jch habe in dieſem meinen unterir - diſchen Aufenthalt noch keinen Selbſtmoͤrder dieſer Art geſehen; und vermuthe auch nicht, jemals einen ſolchen zu ſehen. Die Schoͤnen und ihre Liebhaber haben ſeit undenklichen Jahren einander ihr Wort gegeben, weder durch eine uͤbertriebene Strenge dergleichen ſuͤndliche Ge - waltthaͤtigkeiten zu veranlaſſen, noch bey unvermutheter Haͤr - te ſich zu entleiben: alles aber, was, dieſem zuwider, dann und wann geſagt, oder geſchrieben wuͤrde, ſollte als ein unverbuͤndliches Compliment angeſehen werden.
Jch konnte mich des Lachens ohnmoͤglich enthalten, da ich einen Gnomen mit der zuverſichtlichen Mine eines Adonis ſprechen hoͤrte. Jch glaubte, einen unbaͤrtigen Helden zu hoͤren, welcher der aufmerkſamen Mama die Heldentha - ten erzehlet, die ſein Arm in der Schlacht bey Mollwitz verrichtet, wo er am erſten die Flucht genommen. Aber der Gnome bezahlte mich fuͤr mein Lachen. Alles, was ich bisher geſagt habe, ſprach er mit vieler Ernſthaftigkeit zu mir, hilft dir nichts, mein Freund! Jch kenne dich nun: du wirſt ſo wenig jemals ein gluͤcklicher Liebhaber, als ein großer Mann werden. Wer nur ehrlich, niemals unverſchaͤmt iſt, und mit guter Art weder zu betruͤgen, noch der Welt Wind zu verkaufen weis, erſcheint ſehr ſel - ten in einer glaͤnzenden Geſtalt. Wer dieſes wuͤnſchet, ſoll billig alle erforderliche Eigenſchaften beſitzen, um unter andern Umſtaͤnden auf einem Rad ſterben zu koͤnnen. Du biſt zu nichts nuͤtze. Jch ſchaͤme mich der großen Abſichten, die ich zu deinem Gluͤcke gehabt habe. JchO 4hatte216Briefe. hatte dir die ehrenvolle Stelle meines Hauspoeten zuge - dacht: weil doch mein Affe anfaͤngt, alt zu werden. Du haſt dein Gluͤck verſcherzet. Gehe hin, und erhenke dich?
Jch fand mich voll Erſtaunen wieder an eben dem Ein - gange des Kellers, wo ich vor meinem wunderbaren Ge - ſichte geweſen war. Niemand wollte auf meine Nach - frage von einem Sturm wiſſen. Die Luft, ſagte man mir, waͤre dieſen ganzen Nachmittag beſtaͤndig ſo heiter geweſen, als ſie noch waͤre: nicht das geringſte Woͤlkchen haͤtte ſich an dem blauen Himmel blicken laſſen. Jch waͤre beynahe boͤſe geworden. Jch hielt alle Leute fuͤr blind, und alle Leute hielten mich fuͤr betrunken. Jch troͤſtete mich endlich, als ein Poet; und rief mit einer Art von Entzuͤckung aus:
Jch ſchließe unter der angenemen Hoffnung, werthe - ſter Freund, daß ich nun bald das Vergnuͤgen haben werde, ſie wieder zu umarmen. Sie werden es mit mir wuͤnſchen, wenigſtens aus Furcht, daß Sie bey mei - ner laͤngern Abweſenheit leichte noch einmal mit einem poetiſchen Brief heimgeſuchet werden moͤchten. Abſit Omen! Jch bin ꝛc.
Wenn dieſe Nachrichten wahr ſind; ſo kann ich kaum zweifeln, daß nicht dieſes fatale Wort: Ehe, alle Un - ordnungen erregen ſollte, wegen derer zu unſern eiſernen Zeiten das Reich der Liebe beruͤchtiget iſt. Dieſes Wort muß allein Urſache ſeyn, daß die Gluͤckſeeligkeit unſerer heutigen Liebhaber ſo tief unter der Gluͤckſeeligkeit jener verliebten Gnidier ſich erniedriget findet, wofern anders der gnidiſche Geſchichtſchreiber uns nicht hintergangen hat. Er ſagt viel von Liebe; nicht ein Wort aber vonEhe.219Briefe. Ehe. Gleichwohl iſt der letzte Wunſch aller Liebenden, mit dem geliebten Gegenſtande aufs genaueſte vereiniget zu werden: und was iſt Ehe anders, als dieſe genaueſte Verbindung derſelben? Warum ſind nun ihre guͤldnen Tage insgemein diejenigen, da ſie ihres letzten Wunſches noch nicht gewaͤhret worden? Sie haben auf ſolche Wei - ſe, wertheſter Freund, das Gute von dem Eheſtande ſchon gekoſtet, da ſie Braͤutigam geweſen, und ohnfehl - bar die wohlhergebrachten Rechte eines Braͤutigams nicht verſchlafen haben, aber doch kein Ehmann geworden ſind. Jn was fuͤr ſeltſame Vorſtellungen ſtuͤrzet mich dieſer Ge - danke?
Ohne Scherz! Sobald ein liebendes Paar aus den Haͤn - den der freyen Liebe in Hymens Haͤnde kommt; ſo ver - ſchwindet Amor mit allem, was ihn reizend macht: Gra - zien und Freuden und die Begierden, die noch angeneh - mer, als die Freuden, ſind, werden nicht mehr gefun -den,221Briefe. den, und ihre Staͤte kennet man nicht mehr. Der zaͤrt - liche Geſang verſtummet, und ſtatt deſſen erſchallen ſchwermuͤthige Klagen und Seufzer andrer Art, als die in den Armen der Wolluſt gehoͤret werden. Wie viele hoͤre ich den Tag, da ſie zu ihrer ewigen Sklaverey ein - geweihet worden, verwuͤnſchen, und wie wenige denſel - ben ſeegnen! B ** und Booth ſind unter dieſen weni - gen. Denn wie man von Megaͤren und Meſſalinen hoͤrt, ſo lieſt man auch von Pamelen und Amalien. Aber ich finde doch dieſen Unterſchied hiebey: die leztern kommen in den Romanen vor, die erſtern ſind hingegen wirklich, in dieſer unſrer beſten Welt wirklich geweſen; und mich duͤnket, dieſer Unterſchied ſey betraͤchtlich.
Wen muͤſſen ſolche Betrachtungen nicht furchtſam ma - chen? Und wie ſehr muß dieſe Beſorgniß durch die Nach - richt wachſen, die Sie mir, mein liebſter Freund, von Jhrem eigenen mislungenen Verſuch ertheilen? Gewiß, Jhre Begebenheit iſt ſonderbar und einem Roman nicht unaͤhnlich. Nichts kommt mit dabey wunderlicher fuͤr als die abentheuerliche Vaterliebe des Vaters Jhrer Schoͤ - nen, der nicht wiſſen will, daß die Frau Vater undMut -223Briefe. Mutter verlaſſen und einem Mann anhangen ſoll, auch deswegen Maͤnninn heißt. Wie? Orpheus hat mit ſei - ner Leyer, die vermuthlich lange nicht ſo reizend, als die Jhrige, geklungen, ſeine Geliebte dem Teufel ſelbſt ab - locken koͤnnen? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen moͤgen, Jhre Verlobte den Armen eines uͤbertriebenen from - men Eigenſinns zu entreiſſen? Dieſer einige Umſtand macht Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieſes anbelanget, daß Sie von einem Maͤdchen ſich betruͤgen laſſen, und ſolches fuͤr eine Goͤttinn gehalten, hernach aber als einen Menſchen, gleich denen uͤbrigen Kindern der verderblichen Eva, befunden haben: liebſter Freund, das iſt ganz begreiflich. Wer wird nicht auf dieſe Art betrogen.
Das muͤſſen herrliche Lieder werden, die ich nach dieſem Plane ſinge. Ob ſie jemand leſen werde, das iſt eine andere Frage. Sie werden eine ganz neue Gattung der Lieder ausmachen, oder doch unmittelbar auf die feyerli - chen Geſaͤnge der platoniſchen Liebhaber folgen, um die es immer ſo finſter und melancholiſch ausſieht. Sie ha - ben, wenn man ihren hohen Worten glaubt, kein groͤſ - ſers Vergnuͤgen, als ihre Thraͤnen; und wuͤrden zeitle - bens Thoren geblieben ſeyn, wenn ſie nicht zu gutemGluͤ -225Briefe. Gluͤcke geliebet haͤtten. Jhre Maͤdchen machen ſie nicht bloß artig und geſittet; ſondern zu Weiſen, Menſchen - freunden und guten Buͤrgern, ja mit der Zeit gar zu Se - raphim. Das iſt viel!
Da inzwiſchen eine Hauptbeſchwerlichkeit der Ehen zu ſeyn ſcheinet, daß ihre Vergnuͤgungen in kurzer Zeit matt und froſtig werden: ſo will ich Jhnen, zu kuͤnftig beliebi - gem Gebrauch, ein beſonderes Huͤlfsmittel wider dieſe Plage nicht vorenthalten, das ich in einem alten unge - druckten griechiſchen Buche gefunden habe. Ein alter A - thenienſer hat ſich zwar durch unvorſichtigen Gebrauchdeſſel -227Briefe. deſſelben Schaden gethan; aber der Misbrauch hebet niemals den wahren Gebrauch auf. Sie wiſſen die ſpar - taniſche Policey-Ordnung, die einem jungen Ehemanne nicht erlaubte, bey ſeiner Gattinn anders, als in geheim und verſtohlen, einzugehen. Wie? Sie gaͤhnen bey dem Worte: Sparta, und erwarten eine alte Geſchichte? Sie rufen wohl gar aus:
Machen Sie mich nicht boͤſe! Jch moͤchte ſonſt Luſt be - kommen, Sie mit jenem Kutſcher zu vergleichen, der ſei - nen gnaͤdigen Herrn vor einiger Zeit durch ein hieſiges Amts-Dorf fuhr. Der Herr bemerkte daſelbſt ein an - geſchlagenes Kayſerliches Patent; und erſterer ward ab - geordnet, zu ſehen, was es waͤre. Er gieng hin. Das erſte, was ihm in die Augen fiel, war in dem Kayſerli - chen Titel das Wort: Jeruſalem. Sogleich gieng erP 2wieder228Briefe. wieder weg zu ſeinen Pferden, ohne weiter zu leſen, ohne was zu ſagen. Nun! rief ſein Herr ihm zu; was iſts? was giebts neues, Hanns? Nichts! ‒ ‒ Wie? nichts? ‒ ‒ Nein! nichts! es iſt eine alte Hiſtorie von Jeruſalem! ant - wortete der Kutſcher froſtig, und fuhr immer ſeiner We - ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha - be es verſprochen? Aber ‒ ‒ Sie werden meine Erzehlung dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten Einwuͤrfe ganz auſſer meiner Faſſung gekommen. Als ein anderer Fontaine,
wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien - ſer die Gewohnheit gehabt, ſein artiges Weibchen auf ſpartaniſch zu lieben; und durch unbehutſame Entde - ckung dieſes Geheimniſſes einen luͤſternen Freund veran - laſſet habe, ihn mittelſt dieſer Mummerey zum Hahnrey zu machen. Denn es iſt ein allzugroßes Kuͤnſteln, wie in allen Sachen, alſo inſonderheit im Eheſtande gefaͤhr - lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la - chende Anmuth des Fruͤhlings dem fruchtbarn Herbſt ge - ben zu wollen, ſich einfallen laͤßt. Mit wie vielem Ver - gnuͤgen wuͤrde ich mit Jhnen uͤber dieſe und tauſend an - dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer guͤtigen Einladung mich gebrauchen und Sie beſuchen koͤnnte! Aber das hie - ſige Commiſſions-Geſchaͤft iſt geendiget; und ich werde zu Haus erwartet. Morgen reiſe ich von hier ab. Jch verharre ꝛc.
Wie? Sie haben meinen Nahmen auf dem Parnaß gehoͤrt? Jch ſoll daſelbſt nicht ganz unbekannt, nicht ganz auſſer Achtung ſeyn? So zuverlaͤſ - ſig Jhre Nachrichten von einem Orte, wo ſie einen ſo hohen Platz behaupten, mir mit Recht ſcheinen muͤſſen, ſo kann ich doch dieſe nur fuͤr einen freundſchaftlichen Scherz anſehen. Wie koͤnnte ich eine Parthey auf dem deutſchen Parnaß haben, da hier alles durch Cabalen zugeht, und ich hingegen ein Feind aller ſolchen kleinen Rottie - rungen bin? Jnzwiſchen hat Jhre ſinnreiche Dichtung mich ungemein ergetzet. Weil ich den ganzen Tag uͤber damit beſchaͤftiget geweſen; ſo iſt meine Seele ſelbſt im Schlafe damit fortgefahren, hat dasjenige, was ich zu verſchiedenen Zeiten und ſtuͤckweiſe gedacht, in eine be - ſondere Vorſtellung zuſammengehaͤnget, und folgenden Traum gebildet.
Jch betrachtete dieſe beeden großen Maͤnner mit einer ſo ehrerbietigen Aufmerkſamkeit, daß ich lange Zeit den Laͤrm nicht bemerkte, welcher immer mehr um mich herum an - wuchs. Eine Menge Leute, die ich alle fuͤr deutſche er kannte, waren in den Tempel eingedrungen; aber durchzwey237Briefe. zwey verſchiedene Thore, welche, wie ich hernach zu er - fahren Gelegenheit hatte, auch zu verſchiedenen Wegen leiteten. Der eine, welcher der gebahnteſte ſchien, duͤf - tete von den lieblichſten Bluhmen aller Arten. Diejeni - gen, die auf demſelben in den Tempel kamen, raͤucherten insgemein den ehrwuͤrdigſten Dichtern Griechenlands, Roms und Frankreichs, und beſungen ihr Lob, wenigſtens in einem verſtaͤndlichen Deutſch und unter dem Getoͤne des Reims. Hingegen die uͤbrigen, die auf dem andern Pfade wandelten, der ſehr rauh und uͤberhaupt nicht eben der luſtigſte zu ſeyn ſchien, verſchwendeten allen ihren Weihrauch bey einer dem Homer gegenuͤberſtehenden brittiſchen Statue von ſchwarzem Marmor: ſie ſungen ihm zu Ehren uraniſche Lobgeſaͤnge voll Olymp und zu gleicher Zeit voll mizraimiſcher Finſterniß, in ſeltſamen Versarten, die ſie mit gewißen griechiſchen Nahmen guͤtig beehrten.
Jmmittelſt naͤherte ſich mir eine Weibsperſon von ernſt - haftem, ſtrengem Anſehen, und mit einem blendend weis - ſen Kleid angethan. Sie redete mich liebreich an. Jch habe mit Vergnuͤgen geſehen, waren ihre Worte, auf welche dieſer heiligen Denkmaale deine vorzuͤgliche Auf - merkſamkeit gefallen iſt. (*)Ils ſe moquent de moi qui plein de ma lecture, Vais par-tout prechant l’art de la ſimple Nature. Malheureux, je m’attache à ce goût ancien. Oeuvres divers. de Mr. de la Fontaine T. I. Jch billige deine Wahl, welche von den herrſchenden Vorurtheilen dieſer Zeit nicht hingeriſſen worden. Jch ſelbſt will dich durch dieſes Heiligthum begleiten: ich will dir die Vornehmſten dei - nes Volkes zeigen, die, nebſt andern, auf dem von Opitz gebahnten Wege beharret, und ſich eine Stelle bey den Lieblingen der Muſen erworben haben.
Aber in dieſen Tagen, fuhr meine Begleiterinn fort, faͤngt jener ſo ſchoͤne und ſichre Pfad von neuem an, zu verwil - dern. Der engliſche Witz ſcheinet auf den deutſchen Par - naß eben ſo vielen Einfluß zu haben, als die engliſchen Krieges-Heere und Schaͤtze auf das Gleichgewichte von Europa: London iſt, was Paris geweſen. Und wer muß die brittiſche Muſe nicht verehren, die von einem goͤttlichen Feuer begeiſtert, mit ungeſtuͤmem, aber oft regelloſem Fluge ſich in Hoͤhen, wohin ihr niemand folgen kann, ſchwinget, ob ſie gleich auch nicht ſelten um dieun -241Briefe. unfruchtbarn Klippen des froſtigen Schwulſtes flattert! Jhre Schoͤnheiten ſind ungemein; aber ihre Fehler nicht minder. Denn der Britte haͤlt in keiner Sache Maaß: ſein Feuer reiſſet ihn hin, und er gefaͤllt auch ſelbſt in ſei - nen Ausſchweifungen. Aber iſt der Deutſche zu entſchul - digen, der bey ſeinem angebohrnen Phlegma ſich zwin - get, ausgelaſſen hitzig zu thun, und mit kaltem Blute zu raſen? Die engliſche Art zu ſchreiben iſt wie die engliſche Regiments-Verfaſſung: ſie ſind beyde gut; aber nur fuͤr engliſche Koͤpfe. Aus dieſer Urſache haben die kluͤgern Deutſchen ſich niemals einfallen laſſen, die Engelaͤnder durchgehends zu ihrem Muſter zu nehmen: ſie haben al - lein ihre ſtarke, ihre gedankenreiche und koͤrnichte Art zu dichten nachgeahmet. Dieß ſind wahre Schoͤnheiten, Schoͤnheiten fuͤr alle Zeiten und alle Voͤlker. Eine be - hutſame Nachahmung derſelben iſt dem deutſchen Parnaß ſchon nuͤtzlich geweſen, und haͤtte noch nuͤtzlicher werden koͤnnen, wenn nicht ſo viele andere einer gleichen Maͤſſi - gung vergeſſen haͤtten.
Unter dieſen Reden hatte ſich das Getuͤmmel im Tempel dermaſſen vermehret, daß meine Gefaͤhrtinn und ich ein - ander nicht mehr verſtunden, und endlich von dem ein - dringenden Schwarm ganz von einander geriſſen wurden. Jch243Briefe. Jch ſah, wie alles dieſes Volk, bis auf wenige Perſo - nen, die bey den Dichtern des Alterthums ruhig ſtunden, ſich in zween Haufen getheilet, ieder derſelben aber ſeinen Liebling hatte, deſſen marmorne Statue ſie bey Milton oder Virgilen aufzurichten ſuchten, und von andern ſich daran verhindert ſahen. Jeder Theil hatte gewiſſe pa - pierne Poſaunen zu ſeinem Dienſte, die mit einem lau - ten, oft beſchwerlichen Gekreiſche vor dem Bilde hergien - gen; indeß ihnen die Gegenparthey mit kleinen hellen Stu - tzer-Pfeifchen antwortete. Jch hoͤrte hoͤhniſch lachen und mit unter auch ſchimpfen: ja einige warfen ſogar mit Kothe nach dem Helden des Gegentheils; und dieſe ſchienen wohl eifrige, doch nicht eben die fuͤrchterlichſten Feinde zu ſeyn. Jndeſſen wuchs der Streit, und das Getoͤſe nahm uͤberhand.
Als eine glaͤnzende Erſcheinung eine ploͤtzliche Stille verur - ſachte. Jch ſah den Gott des guten Geſchmacks auf einer leuchtenden Wolke und ſo, wie ihn Voltaire geſehen, in den Tempel kommen. Seine heitre Stirne war mit den Lorbeern des Maro, mit dem Epheu des Horaz und mit Anakreons Roſen umkraͤnzet; und ſeine ganze Geſtalt lachte von ungeſchminkter, doch ruͤhrender Anmuth. Er ſprach; und ſeine Worte waren ſuͤſſer, als die Toͤne der harmoniſchen Leyer:
Dieſe lange Rede wuͤrde vielleicht noch laͤnger und noch entſcheidender fuͤr die ſtreitenden Theile geworden ſeyn; wenn nicht das Getuͤmmel derer, die mit derſelben ſchlecht zufrieden waren, den Gott unterbrochen und mich ſelbſtQ 4auf -248Briefe. aufgewecket haͤtte. Jn der That! ein langer Traum! werden Sie ſagen. Vielleicht haben die langen Winter - naͤchte denſelben ſo lange gemacht. Vielleicht hat auch der Traum der ſchoͤnen Mirzoza, den ich in einer der wi - tzigſten Schriften des juͤngern Crebillon vor dem Schla - fengehen geleſen, meine Phantaſie zu einem ſo langen und critiſchen Traum vorbereitet. Er ſey inzwiſchen ſo gut oder ſo ſchlecht, als er wolle, ſo habe ich Jhnen denſelben erzehlen wollen. Jch bin mit ehrerbietiger Hochach - tung ꝛc.
Nuͤrnberg, gedruckt bey Joh. Joſeph Fleiſchmain.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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