PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Belphegor, oder die wahrſcheinlichſte Geſchichte unter der Sonne.
Of all Animals of Prey, Man is the only ſo - ciable one. Every one of us preys upon his Neighbour, and yet we herd together. (GAY. )
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Zweyter Band.
Leipzig,bey Siegfried Lebrecht Cruſius.1776.
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Sechſtes Buch.

A 2[4][5]

Der Bewegungsgrund, warum Belphe - gor von ſeinem Patrone die Erlaub - niß erhielt, ihn bis nach Abißinien zu be - gleiten, war nicht der loͤblichſte: er wagte den Unterhalt auf der Reiſe an ihn, um dieſe Auslage dort tauſendfach durch ihn wieder zu gewinnen. Einer von den Va - ſallen des großen Neguz, die bloß das Ceri - moniell der Huldigung verrichteten, aber ihm keinen Gehorſam leiſteten, der Koͤnig von Niemeamaye, hatte ein Projekt un - ter der Hand, daß das Projekt aller Pro - jekte genennt zu werden verdient. Er konnte es nicht erdulden, daß einer ſeiner Nach - barn ein einziges Koͤrnlein Gold außer ihm beſaß, und weil durch ſein Land nur ein einziger Fluß gieng, der Goldkoͤrner bey ſich fuͤhrte, die er doch ungemein liebte, ſo wollte er es veranſtalten, daß alle Goldkoͤrner ſei - ner Nachbarn in ſein Gebiet gebracht wer - den, und ſie keine bekommen ſollten. Er ließ deswegen den Fluß an der Graͤnze ſeinesA 3Gebiets6Gebiets mit einer ſtandhaften dreyfachen Mauer verdaͤmmen, und leitete ihn in un - zaͤhlbaren Kanaͤlen in ſeinem Lande herum; da er aber doch nothwendig endlich einmal ihn einen Ausgang wieder geben mußte, wenn er ſein Reich nicht zu einer offenbaren See machen wollte, ſo ließ er in einiger Entfernung von ſeinem Ausfluſſe in das be - nachbarte Gebiet, von Weite zu Weite tau - ſend immer feinre Netze, von dem ſtaͤrkſten Baſte geflochten, vorziehen, die das unnuͤtze Waſſer durchließen und den Sand mit den koſtbaren Goldkoͤrnern zuruͤckhielten. Das Projekt wurde zwar ausgefuͤhrt, hatte aber einen ſo ſchlechten Erfolg, daß der Fluß ent - weder die Netze zerriß, oder ſich daneben einen heimlichen Ausgang grub, oder gar die Wohnungen der Einwohner durch Ueber - ſchwemmungen verwuͤſtete. Ob man ihm gleich alles das vorſtellte, ſo glaubte er es doch vor großer Herzensfreude nicht und triumphirte bey jeder Handvoll Goldkoͤrner, die man ihm in ſeinen Schatz lieferte, daß er bald der einzige gluͤckliche Beſitzer des Goldes, und ſeine Nachbarn ganz entbloͤßt davon ſeyn wuͤrden: nichts ſchlug ſeineWonne7Wonne ſo ſehr nieder, als daß er ſich nicht des Fluſſes von ſeiner Quelle an bemeiſtern konnte und ſo viele Koͤrner vor ihm ſchon fremde Haͤnde bereicherten. Dieſer widrige Gedanke brachte ihn eines Tages auf den tollen Anſchlag, den Fluß von der Quelle weg mit einem ungeheuren Umſchweife durch eine Sandwuͤſte in ſein Gebiet zu leiten, ohne daß er ein fremdes beruͤhren ſollte: doch ſehr bald, obgleich mit dem bitterſten Widerwillen, verließ er dieſe ausſchweifende Idee und begnuͤgte ſich, von der Nothwen - digkeit gezwungen, mit dem Antheile, den er ſeinen Nachbarn abſchnitt, die den Fluß von ihm empfiengen.

Demungeachtet bemerkte er zu ſeinem Leid - weſen, daß fuͤr die Lebensmittel, die ſein Land nicht hinlaͤnglich lieferte und die Ein - wohner doch fuͤr unentbehrlich zu ihrem Da - ſeyn hielten, ein mittelmaͤßiger Theil von ſeinem Golde wieder zu den Nachbarn uͤber - gieng, die ihnen mit den fehlenden Beduͤrf - niſſen aushalfen: er verbot dieſen Handel: die Einwohner beſchwerten ſich uͤber Man - gel, und er gab den Befehl, daß kuͤnftig, um keines fremden Zuſchuſſes zu beduͤrfen,A 4jeder8jeder Einwohner des Tags nur einmal eſſen ſollte.

Alle dieſe Anſtalten waren noch nicht hin - reichend, dem Golde jeden Ausgang zu ver - wehren: der Menſch hat Grillen; das Frem - de gefaͤllt ihm, weil es fremd iſt, und er wuͤnſcht es zu beſitzen: auch fuͤr dieſe Ein - faͤlle fluͤchtete noch eine ziemliche Menge Gol - des uͤber ſeine Graͤnzen. Sogleich verbot er den Einwohnern dergleichen Einfaͤlle auf immer und ewig, und wer ſich derſelben nicht enthalten konnte, mußte ſich von ihm das verlangte Fremde einhandeln: er gab ihnen fuͤr das Gold, das der fremden Waare beſtimmt war, innlaͤndiſche Kleinigkeiten, und gebot ihnen bey Vermeidung einer ſtar - ken Strafe, ſich einzubilden, daß es die ver - langten fremden Koſtbarkeiten waͤren: er verkaufte ihnen die Zaͤhne von wilden Katzen, und befahl ihnen zu glauben, daß es Ele - phantenzaͤhne waͤren, getrocknetes Schweins - blut mußte ſtatt des Zibeths, und Haaſen - felle ſtatt der Pantherhaͤute dienen. Damit aber die fremden Originalwaaren ſich nicht unvermerkt einſchleichen und heimlich etwas von ſeinem Golde herausziehen moͤchten, ſozog9zog er eine Mauer um ſein Land, beſetzte ſie mit ſtreitbaren Maͤnnern, die jedem, der ſei - nem Verbote zuwiderhandelte, hundert Ru - thenſtreiche auf den bloßen Ruͤcken ſtehen - des Fußes mittheilen und ihn aus ſeinen Graͤnzen verjagen mußten.

Nachdem er durch dergleichen Veranſtal - tungen ſeine Goldbegierde zum Nachtheile der Nachbarn geſaͤttigt hatte, ſo konnte er es eben ſo wenig dulden, daß jemand außer ihm in ſeinem Lande dieſes herrliche Metall beſaß. Er ſann auf Mittel, auch dieſen Vorrath, wo nicht ganz, doch zur Haͤlfte in ſeinen Schatz zu leiten. Da ſeine Unter - thanen mit allen ihren Habſeligkeiten ſein Eigenthum waren, ſo maßte er ſich das Monopolium aller ihrer Beduͤrfniſſe an: von ihm mußten ſie ſelbſt die Fruͤchte kau - fen, die ſie durch ihren Fleis auf ihrem Grund und Boden gezeugt hatten; ſie muß - ten ihm ſogar fuͤr den Durchgang der Luft durch ihre Lunge einen Zoll bezahlen, bis er endlich alles Gold in ſeinem Palaſte aufge - haͤuft, und die Einwohner zu einem Laſtviehe gemacht hatte, dem er das Futter umſonſt gab, weil ſie es ihm nicht mehr abkaufenA 5konn -10konnten. Das ganze Land war Eine große Familie, deſſen Hausvater der Regent vor - ſtellte, der ſein ſaͤmmtliches Geſinde mit den Fruͤchten des Landes naͤhrte, keine Auflagen, keine Taxen erhob, weil es in die gluͤckliche Situation gekommen war, daß niemand mehr etwas geben konnte.

Alle Kanaͤle des Reichthums auf der Ober - flaͤche der Erde waren verſiegt, oder doch ſo bekannt, daß ſie ihm keine beſondre Freude machen konnten. Er wollte auch die Einge - weide des Erdbodens pluͤndern: nur fehlte es ihm an Leuten, die die Kunſt verſtunden, der Erde ihre Schaͤtze abzunehmen. In die - ſer Hinſicht ließ er aus allen Gegenden Kuͤnſtler von dieſer Art zu ſich einladen, und that ihnen Verſprechungen, die jeden anlocken mußten, ſich dafuͤr auszugeben.

Von allen dieſen Umſtaͤnden hatte Bel - phegors Patron genaue Nachricht, und war feſt entſchloſſen, ſie nicht ungenutzt zu laßen. So bald ſeine Geſchaͤfte in Abißinien verrich - tet waren, begab er ſich mit Belphegorn auf den Weg nach Niemeamaye, in deſ - ſen Nachbarſchaft er vormals ſchon einen Handel getrieben und eben bey dieſer Gele -genheit11genheit die vorhergehenden Nachrichten von dem Koͤnige jenes Landes geſammelt hatte. Auf der Reiſe dahin offenbarte er erſt Bel - phegorn ſeinen Anſchlag. Wir wollen, ſagte er ihm, uns fuͤr die erfahrenſten Berg - maͤnner ausgeben, dadurch das Vertrauen des Koͤnigs gewinnen, unter der Hand ſeine im Herzen mißvergnuͤgten Unterthanen auf unſre Seite bringen, den geizigen Barbaren umbringen, und uns in ſeine aufgehaͤuften Schaͤtze theilen: im Grunde aber was er weislich in petto behielt ſollte Belphegor fuͤr ſeine Abſicht nur zur Maſchine dienen, auf die er, wenn der Streich mis - laͤnge, alle Strafbarkeit laden, und die er nach einer gluͤcklichen Ausfuͤhrung ohne, oder mit einer kleinen Vergeltung ſich vom Halſe ſchaffen koͤnnte. Belphegor erſchrak: kaum merkte dies ſein Gefaͤhrte, als er ſich ſeine Beſtuͤrzung zu Nutze machte, und ihn mit dem grauſamſten Tode bedrohte, wenn er ſich nicht zu dem Vorſchlage bequemen wollte: Belphegor ſtraͤubte ſich lange. Wohl! ſo verhungre hier in der Wuͤſte! ſprach jener, und machte eine Bewegung zum Abmarſche. Selbſtliebe, Rechtſchaffen -heit,12heit, Abſcheu gegen eine ſo grauſe That, wie ein Mord, ſtritten mit dem wildeſten Auf - ruhre in dem verlegnen Belphegor: er wollte ihn zuruͤckrufen, er ſetzte einen Fuß bedaͤcht - lich vorwaͤrts und zog ihn haſtig wieder zu - ruͤck; er aͤchzte, er zitterte, er ſann, und endlich eilte er dem boͤſen Manne nach, um ihm ſeine Huͤlfe zu verſprechen, ob er gleich bey ſich den feſten Vorſatz hatte, nicht Einen Finger zu einem Morde anzulegen: nur aus Liebe zur Selbſterhaltung that er ihm dies verſtellte Verſprechen, und war willens, ſich lieber einer Verraͤtherey gegen dieſen Boͤſe - wicht, als einer Mordthat ſchuldig zu machen. Der Liſtige, um ſich ihn deſto feſter zu ver - binden, ſchlug anfangs ſein Anerbieten aus, und verſicherte, daß er einen ſolchen feigen Undankbaren nicht zu einer Unternehmung zulaſſen wuͤrde, fuͤr die er von einem ſo ſchlechten Werkzeuge alles fuͤrchten muͤßte. Belphegor wurde aͤngſtlich, die Qual des Verhungerns ſtellte ſich ihm in der fuͤrchter - lichſten Schwaͤrze vor, er ſetzte in ihn, be - ſchwor ihn und erhielt endlich, doch als eine Freundſchaft, die Erlaubniß, an der moͤrdriſchen That einen ruͤhmlichen Antheilzu neh -13zu nehmen. Belphegor wuͤnſchte nur durch dieſe Einwilligung mit ihm in bevoͤlkerte Ge - genden gebracht zu werden, um alsdenn ſich ſeiner Geſellſchaft, ohne Hungersnoth, heim - lich entziehen zu koͤnnen. Auch dieſer An - ſchlag wurde ihm vereitelt: die Wuͤſte dauerte bis an die Mauer, die die Graͤnze von Nie - meamaye bezeichnete, und er mußte wi - der ſeinen Willen an die Betruͤgerey Hand anlegen.

Noch immer hoffte er ſeinem Gefaͤhrten entwiſchen zu koͤnnen, ſo ſehr ihn dieſer auch beobachtete und aus Furcht vor Verraͤthe - rey faſt nicht von der Seite ließ. Sie wur - den nach der Gewohnheit des Landes dem Koͤnige hinter einem Schirme vorgeſtellt, der ihren profanen Augen ſeine geheiligte Perſon verdeckte und nur ſeine Stimme durchließ. Belphegors Gefaͤhrte verſtund die Sprache des Landes, und jener mußte daher ein ſtummer Zuhoͤrer ſeyn. In acht Tagen war es ſchon ſo weit gekommen, daß ſie der Koͤ - nig unter die Zahl der Auserwaͤhlten erhub, denen es vergoͤnnt iſt, ohne Schirm mit ihm zu ſprechen: doch bey ſolchen Unterredun - gen wußte es Belphegors Geſellſchafterjedesmal14jedesmal dahin einzuleiten, daß er dieſer Ehre allein genoß, und Belphegor in einem verſchloßnen Zimmer zu Hauſe bleiben mußte, weil ſeine Treue durch verſchiedene bedenk - liche Aeußerungen zu verdaͤchtig geworden war, um ihn bey dem Vorhaben eine ſpie - lende Perſon ſeyn zu laſſen, oder ſich voͤllig von ihm zu trennen.

Der kritiſche Tag ruͤckte heran, an wel - chem der Koͤnig von dem Gefaͤhrten des Bel - phegors mit einem Dolche aufgeopfert wer - den ſollte. Laͤnger konnte er den Gedanken nicht ertragen, der Mitbewußte einer ſo na - hen ſchrecklichen That zu ſeyn: er arbeitete ſich aus ſeiner Gefangenſchaft heraus, be - gab ſich in den koͤniglichen Palaſt, wo er auf das vorgewieſene Zeichen, daß er unter die Vertrauten des Koͤniges gehoͤre, zu ihm eingelaſſen wurde und ihm die drohende Lebensgefahr eroͤffnete. Sobald er in den Saal trat, machte ihn die Phyſiognomie des Koͤnigs ſtutzig: ſie ſchien ihm ſo bekannte Zuͤge zu haben, die nur durch Zeit und Zu - faͤlle verdunkelt waren, daß er den unbe - weglichſten Blick auf ſie heftete. Die naͤm - liche Aufmerkſamkeit verwandte auch derKoͤnig15Koͤnig auf Belphegorn, und uͤber der wechſel - ſeitigen unaufhoͤrlichen Betrachtung vergaßen ſie lange, daß ſie zuſammengekommen wa - ren, um ſich zu ſprechen. Belphegor ließ in der Verwirrung ſich einen europaͤiſchen Ausruf entfahren, den der Koͤnig in der naͤmlichen Sprache beantwortete, und ſehr bald war es entwickelt, daß auf dem nie - meamayiſchen Thron der Herr Medar - dus, Magiſter der Philoſophie und freyen Kuͤnſte, ſein beſter Freund, ſaß. Sie be - willkommten und freuten ſich einige Zeit, worauf Belphegor ſeinem wiedergefundenen Freunde die Abſicht ſeines Beſuchs bekannt machte; man kehrte ſogleich Anſtalten vor, dem gefaͤhrlichen Streiche zuvorzukommen, ſetzte den boshaften Unternehmer deſſelben gefangen, beſtrafte ihn und that andre ſo alltaͤgliche Sachen, daß ich mich ſchaͤme, eine darunter zu beruͤhren.

Nachdem man ſich hinlaͤnglich uͤber das Unvermuthete dieſer Zuſammenkunft gewun - dert hatte, ſo fand ſich bey beyden die Neu - begierde ein, zu wiſſen, wie ſie moͤglich war. Belphegor that ſeinem koͤniglichen Freunde ſeiner Seits bald voͤllige Genuͤge und dankteBihm16ihm beſonders mit vieler Ruͤhrung fuͤr die Befreyung vom Tode, die er ihm zu Se - gelmeſſe unter dem Charakter eines heili - gen Thiers haͤtte angedeihen laſſen.

Siehſt du, Bruͤderchen! unterbrach ihn Medardus, davon weiß ich Dir kein Wort; in meinem Leben bin ich nicht in das Ding Selenmeſſe, oder wie Du es nennſt gekommen. Da ich von euch weggeriſſen wurde

Um des Himmels willen! wie gieng das zu?

Wie das zugieng, Bruͤderchen? Das mußte eine Hexerey oder eine andre Teufe - ley ſeyn. Da ich ſo mitten unter euch ſtehe, war mirs auf einmal, als wenn mir leiſe ein Strick um den Leib geſchlungen wuͤrde, und ſiehſt Du, Bruͤderchen? in der Minute hieng ich Dir in einem Walde an einer hohen Stange, zu welcher ſie mich, wie ich hernach gewahr wurde, mit einem ſtarken Seile und einer Rolle hinauſgezogen hatten. Kurze Zeit darauf wurde ich herabgelaſſen, um dem Loͤwen vorgeſetzt zu werden, den Fromal ku - rirte: doch was denkſt Du wohl, Bruͤder - chen? Das naͤrriſche Thier ließ ſich beymir17mir nieder, belekte mich, wie Fromaln, von der Stirn bis zum Kinne, und bruͤllte ſo freudig, als wenn er ſeinen leiblichen Bru - der in mir angetroffen haͤtte, legte die ge - heilte Klaue auf mich und behandelte mich recht freundſchaftlich. Die Prieſter wurden ſtutzig, hielten mich fuͤr ein beſondres Ge - ſchoͤpf und glaubten gar, daß die Seele ei - nes nahen Anverwandten aus der Familie des Loͤwen auf ihrer Wanderung in mir her - berge: denn anders konnten ſie ſich die glimpfliche Begegnung des Thieres nicht er - klaͤren, als daß er ſich ſcheue, die Banden des Bluts in mir zu verletzen. Die Leute muͤſſen eine Kolonie von den Aegyptern ſeyn, oder ihren Glauben an die Seelenwande - rung in Aegypten geholt haben: wer Luſt hat mag das unterſuchen, genug, mir ſchafte die Seelenwanderung herrlichen Nu - tzen. Sie thaten mir die Ehre an, mich als ein heiliges Thier zu bewirthen, und weil ich doch aͤuſſerlich die Menſchenfigur hatte, ſo gab man mir menſchliche Nahrung und einen eignen Stall gleich neben meinem vermeinten Blutsfreunde.

B 2Nicht18

Nicht lange, nachdem ich dieſe Wuͤrde zu bekleiden angefangen hatte, entſtund Krieg, und weil das Koͤnigreich, wo ich mit mei - nen uͤbrigen heiligen Kameraden lebte, das einzige heidniſche war, ſo hielten es die ma - hometaniſchen Feinde deſſelben fuͤr ihre erſte Pflicht, alle Spuren des heidniſchen Got - tesdienſtes zu vernichten; und die Reihe traf vor allen Dingen zuerſt uns heilige Thie - re. Als man meine europaͤiſche Abkunft aus meiner Geſichtsfarbe ſchloß, ſo nahm man mich voller Freuden in Triumphe mit ſich fort*)Dies war vermuthlich einer von den Koͤnigen, die mit aller Gewalt eine weiße Geſandſchaft aus dem Norden haben wollten.: doch mein Trupp wurde von den Feinden zerſtreut, man ließ mich zuruͤck, und ich entfloh den ſchwarzen Barbaren.

Ich irrte herum und ſtieß auf eine Kara - vane, die nach Nigritien gieng. Es waren Europaͤer dabey, die mich verſtunden; ich bat um Aufnahme und erlangte ſie. Was ſollſt du in Nigritien, unter den kohlſchwar - zen Kreaturen? dachte ich. Siehſt Du, Bruͤ - derchen? ich wußte aus einer alten Geogra - phie, daß weiter herunter die Goldkuͤſteliegt:19liegt: wo es Gold giebt, glaubte ich gewiß einen Europaͤer, wenigſtens einen Spanier anzutreffen. Ich wußte auch, daß die edel - denkenden Englaͤnder hier ein Monopolium mit ihren Nebenmenſchen treiben; wenn alſo alles fehl gieng, hofte ich wenigſtens mit einer Ladung dieſer Waare nach Amerika und von da nach Europa zu ſchiffen, oder wie ich ſonſt dahin kommen moͤchte. In dieſer Meinung, Bruͤderchen, ſuche und finde ich eine Gelegenheit, wie ich ſie wuͤnſchte. Die Abreiſe verzoͤgerte ſich, und indeſſen machte ich eine Bekanntſchaft, die mich ganz davon zuruͤckzog.

Dem Manne, der mich nach Europa tranſportiren wollte, war durch ſeinen Ab - geordneten, die den Einkauf beſorgten, von den ſchwarzen Toͤchtern des Landes eine zugefuͤhrt worden, die in ihrer pechſchwar - zen Haut ſo ſchoͤn war, als jede europaͤiſche Venus von dem glaͤnzendſten Marmor. Das Geſicht war zwar etwas afrikaniſch; aber ihre runden fleiſchichten Arme, ihr luxuri - render Buſen, ihre vollen Huͤften, das Bruͤderchen, alles, alles war ſchoͤn an ihr. Ihr Herr hatte die keuſcheſten Abſichten vonB 3der20der Welt auf ſie; er fuͤhlte nicht ein Fuͤnk - chen Liebe zu ihr, ſondern ſie gefiel ihm, weil ihm ihre Perſon mit allen ihren Schoͤnheiten ein baares Kapital zu ſeyn ſchien, das er in Amerika mit reichen Intereſſen durch ihren Verkauf haben wollte. Deswegen enthielt er ſich aller unerlaubten Begierden gegen ſie, weil er fuͤr ſie und daher auch fuͤr ſeinen Vortheil gefaͤhrliche Folgen davon beſorgte. Er unterrichtete ſie ſelbſt in Franzoͤſiſchen und Engliſchen, worinne es ihm aber nicht ſonderlich gluͤckte, weil ihm ſeine Geſchaͤfte ſo vielfaͤltig daran verhinderten: er uͤber - gab ſie meiner Unterweiſung. Sie wußte wenig von den beiden Sprachen, die ſie ler - nen ſollte, aber doch zur Liebe und zur Er - zaͤhlung ihrer Geſchichte genug. Bruͤder - chen, ſeitdem meine Frau von Gottes Erd - boden weg iſt, habe ich kein einziges Maͤd - chen ſo lieb gehabt, als die allerliebſte nied - liche Zaninny. Bruͤderchen, fuͤhle einmal, wie mir das Herz pocht, indem ich ſie nen - ne! Sie merkte wohl, ohne daß ichs ihr ſagte, daß eine Revolution in meinem Herze vorgehn mußte, wenn ich ſie ſah; und daß es unter ihrer ſchwarzen Bruſt eben ſo zu -gehn21gehn mochte, das ſagte ihr aufrichtiges Ge - ſicht und Auge ohne Huͤlfe der Zunge: dem guten Geſchoͤpfe ſtiegen gleich alle Empfin - dungen in die Mine, und wer ihr Geſicht buchſtabirte, buchſtabirte ihr Herz. Sie hatte ein Paar zaͤrtliche funkelnde Augen, die ſie uͤber der platten Naſe ſo verliebt herum - waͤlzte, daß ich mannichmal mir nach dem Pulſe fuͤhlte, ob ich noch athmete, oder von ihnen verſteinert waͤre. Ich wußte ſchon, daß ſie ihren Eltern geſtohlen worden war, und ſie ſagte mir durch Geberden und mit ihrem Bischen Franzoͤſiſch, daß ſie ihr Land nicht gern verließe, und ſagte mir noch oben drein daß ſie mich von Herzen lieb haͤtte, bat mich, ſie wieder zu ihren Eltern zu bringen, und bat mich ſo, daß ich dachte: Nun, ſo biſt du doch mit deiner guten Za - ninny wahrhaftig faſt ſo gluͤcklich als mit deiner verſtorbenen Frau, und wenn dich ihre Eltern zum Schwiegerſohne annehmen und ſich nicht daran ſtoßen wollten, daß ich ſo haͤßlich weiß bin ja, ich bliebe mit mei - ner Zaninny in ihrer Huͤtte und wuͤrde ein Afrikaner, aͤß, traͤnk, ſchlief, ſpielte mit ihr, jagte, ſammelte Datteln fuͤr ſie, huͤte -B 4te das22te das Vieh mit ihr, oder was es ſonſt hier zu Lande zu thun giebt: die afrikaniſche Sonne wuͤrde ia wohl mit der Zeit einen huͤbſchen Neger aus mir machen. Kurz in meinem Herze war ſie ſchon voͤllig meine zweyte Frau. Endlich kamen zu ihren Bit - ten gar Thraͤnen, ſo recht aus der Empfin - dung herausgeweinte Thraͤnen, daß ich al - ter Narr neben ihr ſaß und eine nach der andern unter die ihrigen auf ihren Schoos fallen ließ. Sie ſchlang ihre Negerarme um meinen Hals, und waͤhrend der Umar - mung troͤpfelte eine Thraͤne auf meinen lin - ken Backen Bruͤderchen, die brannte! die brannte, daß mir die Waͤrme bis zur Zehe herunter lief; ich ſchwitzte, das Herz klopfte, alle meine fuͤnf Sinne waren in Bewegung, und in meinem Kopfe gieng es ſo verwirrt her, wie in der Welt alles unter und uͤber einander! Ich konnte nicht anders, ich mußte ihr verſprechen, ſie von dem Sklavenhaͤndler zu erretten. Was fuͤr eine Freude, als ſie das hoͤrte! wie unſin - nig ſprang und huͤpfte ſie, und fiel mir um den Hals, um die Kniee, druͤckte mir die Hand, ſtreichelte mir die Backen, daß ichwie23wie ein alberner Toͤlpel da ſtand, unbeweg - lich, und nicht wußte, daß ich ſtand, nicht einmal, daß ich exiſtirte. Des Nachts marſchirten wir aus. Ich wollte ſie, aus Mitleid zu ihren Fuͤſſen, auf die Schultern nehmen: aber ehe ichs konnte, faßte ſie mich in der Mitte, nahm mich auf ihren Ruͤcken und galopierte, wie ein Rennthier, mit mir davon, ſo lange, ohne Aufhoͤren, ſo ſehr ich auch bat auszuruhen, bis ſie mit ihrem africaniſchen Accente rief: Je meurs! und entkraͤftet mit mir in den Sand niederfiel. Kein Tropfen Waſſer, keine menſchliche Huͤlfe, nichts war bey der Hand. Ich aͤng - ſtigte mich, ich lief um ſie herum, ich faßte ihre Hand, ich fuͤhlte an ihr Herz, ob es noch ſchlug, ich bat ſie nur ein Wort zu ſpre - chen: umſonſt ſie ſchlief vor Mattigkeit ein. Schlafe ſanft, ſagte ich, aber erwache mir nur wieder! Ich ſetzte mich neben ſie und faͤchelte ihr das Geſicht. Ja, Maͤd - chen, wenn du mir nicht wieder erwachſt! dachte ich immer; aber ſie ſeufzte, und nun war ich froh; ich faͤchelte bis ſie endlich er - wachte; ſo muͤde ich war, konnte ich doch vor Sorge und Angſt kein Auge zu thun. B 5Hun -24Hungernd und durſtend wanderten wir von neuem durch lange Sandfelder, kamen dem Ufer zufallsweiſe nahe, wollten es nicht wie - der verlaſſen, und verließen es doch wider unſern Willen. Bruͤderchen, nichts war ge - wiſſer als unſer Tod; und mir giengen die Augen ſchon uͤber, wenn ich nur daran dachte, wer wohl zuerſt ſterben wuͤrde: was ſollte aus meiner gutherzigen Zaninny wer - den, wenn ich vor ihr aus dem Leben muͤß - te; und wenn ſie vorangieng daran konnte ich gar nicht denken. Ploͤtzlich, da wir mit der groͤßten Angſt kaͤmpften, kamen wir an Huͤtten: wir waren im Lande der Maladellaſitten. Wir fanden wieder Dat - teln, und ich hielt mit meiner Zaninny die erſte frohe Mahlzeit: wir labten uns, wa - ren zuſammen froͤlich und giengen tiefer ins Land. Auf einer Ebne, die mit gruͤnen ein - zelnen Straͤuchen und Palmbaͤumen beſetzt war, ſaß an einem Fluͤßchen, das ſich viel - faͤltig auf dem Platze herumſchlaͤngelte, ein Kreis von nackten Damen, die auf den kreuz - weis untergeſchlagenen Fuͤſſen mit einer Feier - lichkeit und Ernſthaftigkeit da ſaßen, als wenn ſie uͤber die Staatsangelegenheiten des ma -ladella -25ladellaſittiſchen Reichs rathſchlagten. Ue - ber ihre Schultern hiengen ungeheure Ma - ſchinen von Fleiſche, deren eigentliche Be - ſchaffenheit ich anfaͤnglich nicht zu erklaͤren wußte; allein bey naͤherer Bekanntſchaft fand ich, daß es die Bruͤſte dieſer Damen waren, die hier zu Lande zu einer ſolchen Groͤße anwachſen, daß man ſie uͤber die Schultern wirft: auf welcher Geſtikulation die vornehmſte Grazie der daſigen Frauen - zimmer liegt, weswegen viele, die beſon - ders gefallen wollen, ſich oft ſo kuͤnſtliche Bewegungen zu geben wiſſen, daß jene ſchoͤ - nen Auswuͤchſe von den Achſeln herunter - fallen muͤſſen, worauf man ſie mit einer ſo annehmlichen reizenden Nachlaͤſſigkeit zu - ruͤckwirft, wie mein ehemaliger Superin - tendent die Knoten an ſeiner Alongenperu - cke. Um den Kreis herum huͤpften und ſprangen eine Menge Meerkatzen von einer beſondern Art. Bruͤderchen, die luſtigſten Thierchen, die ich geſehn habe! Sie ſpran - gen den Franenzimmern auf den Ruͤcken, knippen ſie in die Ohren, guckten ihnen durch die Arme, biſſen ſie in die Backen, ſchlugen Burzelbaͤume uͤber ſie weg, ſetztenſich26ſich auf die Schultern und graueten ihnen mit den Tatzen ſehr lieblich die Koͤpfe, kitzelten ſie, balgten ſich mit einander und ſpielten tauſend andre kurzweilige Poſſen, welche von den ern - ſten da ſitzen den Frauenzimmern, die außer dem den Mund zu keinem Worte oͤffneten, mit der luſtigſten Laune belacht wurden. Die drollichten Thierchen hatten von der Natur am Ende des Ruͤckens ein glattes polirtes Horn, wie der Spiegel auf den Ruͤcken ei - nes Hirſchkaͤfers, nur vielmal groͤßer, das voͤllig die Dienſte eines Spiegels verrichtete. Nie war das Geſicht dieſer Damen heitrer und ihre Mine froͤlicher, als wenn jene Luſtigmacher ihnen ihre Spiegel zukehrten, worinne ſie ihre ganze Figur in der ſchoͤn - ſten Miniatur erblickten, ſo verſchoͤnert, daß ich ſelbſt, als ich mich einſt darinne beſah, von meiner Geſtalt begeiſtert wurde, ob ſie gleich in Natur nicht ſonderlich begeiſternd iſt; und die liſtigen Kreaturen ſprangen alle Mal mit einer ſolchen Wendung, daß eine aus dem Kreiſe ihr liebes Ich in dem Spie - gel zu ihrer großen Herzensfreude erblickte, worauf derjenige, der ihr dieſe Luſt gemacht hatte, einen ſanften Schlag mit ihrer rech -ten27ten Bruſt empfieng, um ſie alsdann mit ei - ner zierlichen Grazie wieder uͤber die Achſeln werfen zu koͤnnen. Da war noch nicht Be - wundernswuͤrdiges genug. Ein Theil von dieſen Meerkatzen bediente die Nymphen ſo ordentlich und regelmaͤßig, als vernuͤnftige Menſchen nur haͤtten thun koͤnnen. Sie reichten ihnen in Cocosſchalen Erfriſchungen, ſie vertrieben die Fliegen von ihren Schoͤn - heiten, die vom Kopfe bis auf die Fuͤße mit einem roͤthlichen Safte uͤbertuͤncht waren, ſie dienten ſtatt der Pferde, wenn ſie von einem Orte zum andern wollten, und wenn ſie weiter nichts thaten, giengen ſie wenig - ſtens auf den zween Hinterfuͤſſen neben ih - nen mit ſehr niedlichen Grimaſſen her. Ich wollte mich nicht vor dieſer Geſellſchaft voruͤber wagen, und gleichwohl konnten wir doch keinen Umweg nehmen, um ſie zu ver - meiden. Endlich faßte ich meine Zaninny bey der Hand und gieng mit ihr auf ſie zu. Man ſah uns an, lachte und ſchwieg. Die Meerkatzen bedienten uns mit Cocusſafte, und wir ließen uns hinter dem Kreiſe, ein jedes auf ſeine gewoͤhnliche Art zu ſitzen, nie - der. Nicht lange waͤhrte es, als die Meer -katzen28katzen ihr Spiel um meine Zaninny trieben; ſie kehrten ihr den Spiegel ſo oft und ſo vielfaͤltig zu, daß das Maͤdchen mit ihrem ganzen Geſichte in Freundlichkeit und Wohl - gefallen zu zerfließen ſchien. Was iſt Dir denn, Zaninny? fragte ich etliche Mal und ſchuͤttelte ſie bey der Hand, als wenn ich ſie aus dem Traume erwecken wollte, in welchem ſie verſenkt ſchien. Ich fragte noch einmal, und Bruͤderchen! ploͤzlich ſezte ſie ſich auf eine Meerkatze und trabte davon. Ich gerieth vor Schmerz und Schrecken außer mir; ich lief ihr nach, ich rufte: um - ſonſt! ſie galopirte friſch hinweg und war mir in kurzer Zeit ganz aus den Augen. Ich wußte nicht, ob ich uͤber ſie weinen oder zuͤrnen ſollte. Ich wollte vor Unwillen allen Meerkatzen ihre verdammten Spiegel ausrei - ßen, die doch einzig daran ſchuld waren; ich ſeufzte und ſchmaͤhte, ich aͤchzte und tobte, warf mich auf den Boden und machte mei - ner Beklemmung durch einen Strom von Thraͤnen Luft. Indem ich, vertieft in mei - nen Schmerz, dort liege, und die Augen aufſchlage Bruͤderchen, ſo hat mich die ganze Geſellſchaft umringt, und lacht! und29und lacht! daß einer jeden zwo Meerkatzen die Huͤften halten mußten. Ich lachte mit: Du weißt, Bruͤderchen, ein ſroͤliches Geſicht macht das meinige gleich zu ſeinem Gefaͤhr - ten: ich mußte lachen, ob ich gleich vor Schmerz halb verruͤckt war. Denkſt Du wohl, Bruͤderchen? das brachte mich in ihre Gunſt. Ich mußte in der Mitte ſitzen bleiben: die Meerkatzen lagerten ſich hinter den Damen, und dieſe lachten uͤber jede Bewegung, jede Mine, die ich machte, uͤber meine Art zu ſitzen, und machten ſich uͤberhaupt auf meine Unkoſten ſo luſtig, tur - lepinirten mich bisweilen, um das Gelaͤch - ter zu ſchaͤrfen, ſtießen, warfen mich, ließen ihre Meerkatzen auf mir herumſpringen, um uͤber mich zu ſpotten, wenn mir eine einen loſen Streich ſpielte: kurz, ich ſchien mir in meinen Augen eine erbarmenswuͤrdige Figur, weil ich eine laͤcherliche abgeben mußte.

Ja, Freund, unterbrach ihn Belphegor, Du haſt Recht. Aber welch ein trauriger Beweis von der Neigung des Menſchen zum Unterdruͤcken! Fromal, wenn Du es hoͤrteſt, wuͤrdeſt Du nicht ſagen? wo der Menſchnicht30nicht mit ehernen Waffen, nicht in der That unterdruͤckt, da thut er es mit der Lunge, in der Einbildung, durch die Vorſtellung ſich ſo lange andre unter ſich zu denken, als er uͤber ſie lacht. Menſch! Menſch!

Ach, Bruͤderchen, die Erniedrigung war mein Gluͤck auf einige Zeit

Belph. Daran zweifle ich gar nicht Weißt du noch, was du mir einſt ſagteſt? Gegen Kreaturen unter ſich iſt der Menſch guͤtig, gerecht, mitleidig, wenn ſein Vortheil nicht in den Weg tritt, nur uͤber und neben ſich iſt ihm alles verhaßt.

Medardus uͤbergieng dieſe Erinnerung mit einem erroͤthenden Stillſchweigen und fuhr in ſeiner Erzaͤhlung mit dem Tone fort, wie ein Menſch, der ſich bey einer Satyre getroffen fuͤhlt. Ja, Bruͤderchen, ſie war mein Gluͤck, ſagte er. Sie luden mich durch ihre Winke ein, ihnen zu folgen; weil ich fuͤr meinen Appetit dabey zu gewinnen hofte, nahm ich die Einladung ohne Beden - ken an: die ganze Geſellſchaft ritt mit ſittſa - men Ernſte auf ihren großen Meerkatzen fort, und ich hatte die Ehre ihnen zu Fuſſe nach - zuſpatzieren.

Nach31

Nach unſrer Ankunft in eine Huͤtte von Baumaͤſten wurde die Tafel von Meerkatzen beſetzt, die in dieſer Gegend alle haͤusliche und galante Verrichtungen unter Haͤnden haben, und ſehr fruͤhzeitig dazu abgerichtet werden. Sie lernen ihre Wiſſenſchaften ſo ſchnell, daß in einem Jahre eine Meerkatze den hoͤchſten Grad ihrer Vollkommenheit er - reicht. Siehſt Du, Bruͤderchen? es wurde viel aufgetragen, von wenigem gegeſſen, und nichts fuͤllte uur eine Viertelelle Hunger in meinem Magen aus. Man ſpielte nur mit dem Eſſen; und ich hatte Luſt, im voͤlli - gen Ernſte damit zu verfahren. Man lach - te abermals uͤber mich; und da man ſich uͤberdruͤßig gelacht hatte, ſahe man mich mit keinem Blicke mehr an. Ich wurde aus der Huͤtte verwieſen, mußte eine ziemliche Strecke von dem Schlafgemache meiner Goͤnnerinnen in einer kleinen Kabane ſchla - fen und mich mit Seilen von Baſt feſt an - binden laſſen; vermuthlich damit ſie ungeſtoͤrt[u] nd ſicher fuͤr meinen naͤchtlichen Ueberfaͤllen ſchlafen koͤnnen, dachte ich: aber es mußte wohl nur eine Cerimonie ſeyn; denn mit jeder Viertelſtunde bekam ich vonCeiner32einer meiner uͤberfirnißten Damen einen Be - ſuch, der mich keine Minute ruhig ſchlum - mern ließ, ſo ſehr meine ermuͤdeten Lebens - geiſter der Erhohlung bedurften. Ich ward ungeduldig, riß mich von meinen Banden los, ergriff die Muthwillige, die mich eben beunruhigte, um ſie aus meinem Schlafge - mache hinauszuwerfen: ſie ſchrie Gewalt, und aus ihren aͤngſtlichen Geberden konnte ich ſchließen, daß ſie ihren herbeyeilenden Schweſtern meine That als einen Anfall auf ihre Tugend abmalen mochte, ob ſie gleich vorher mehrere auf die meinige gethan hatte. Sie ſchrieen, laͤrmten und tobten alle, ſtei - nigten mich, hezten ein ganzes Regiment Meerkatzen auf mich los, die mich mit ihren Tatzen elendiglich zerkratzten. Ich ertrug mein Schickſal mit Geduld; aber den Tag darauf wurde ich ausgelacht! Bruͤderchen, ausgelacht, bis zur aͤrgſten Beſchaͤmung! Ich forſchte nach meiner Zaninny, ich lief allenthalben herum, ſie aufzuſuchen; ich fand ſie nirgends: ich war untroͤſtlich, doch wurde ich bald durch ein laͤcherliches Schau - ſpiel wieder aufgemuntert. Die Meerkatzen haben das feinſte Gefuͤhl der Ehre: Neidund33und Vorzugsſucht beherrſchen ſie ganz. Tages vorher hatte einer das Gluͤck gehabt, daß uͤber ſeine Kapriolen der Zirkel am lau - teſten und haͤufigſten gelacht hatte: alle uͤbrigen wurden neidiſch und verſengten ihm mit einem Feuerbrande im Schlafe ſei - nen Spiegel auf dem Ruͤcken: weil er aus einer harten fuͤhlloſen Haut beſteht, ſo wird er es nicht eher inne, bis der Brand die Hinterkeulen ſchon zu verwuͤſten anfaͤngt. Das arme Geſchoͤpf hinkte traurig herum und mußte mit ſeinen Schmerzen der Geſell - ſchaft oben drein zur Kurzweile dienen, die ſich in ein ausgeſchuͤttetes Gelaͤchter uͤber ſeinen Zuſtand ergoß, das zunahm, je mehr ſeine Kameraden ihn neckten und quaͤlten. Die ganze Erklaͤrung des Vorfalles theilte mir eine von den rothen Nymphen durch ihre kuͤnſtliche Geberdenſprache mit: denn ſie waren insgeſamt geborne Pantomimen - ſpielerinnen und ſprachen deswegen ſelten anders als durch Minen und Geſtikulationen. Durch eben dieſen Weg erhielt ich auch die Eroͤffnung, daß in dieſem Diſtrikte nichts als lauter Frauenzimmer mit ihren bedienenden und zeitverkuͤrzenden Meerkatzen wohnten,C 2und34und daß ſie bey andern Beduͤrfniſſen der Natur ihre Maͤnner aus einem nahgelegnen Gebirge zu ſich beriefen, die dort das Land fuͤr ihren beyderſeitigen Unterhalt bauen und Schminke fuͤr die Koͤrper ihrer Damen ſammeln mußten. Lange konnte ich in dem Lande nicht mehr ausdauern; unter lauter Meerkatzen bekoͤmmt man leicht Langeweile; auch ich wurde den ſchoͤnen Bewohnerin - nen des Landes beſchwerlich, weil ihnen alles ſo alltaͤglich an mir geworden war, daß ſie nicht mehr uͤber mich lachen konnten. Der ganze Himmelsſtrich war mir verhaßt, weil er meine geliebte Zaninny ohne mich beſaß: ich nahm meinen Abſchied, und diejenige Dame, die ich in der erſten Nacht zu einem keuſchen Geſchrey genoͤthigt hatte, und die mir ſeitdem gewogner als alle andre war, gab mir mit dem langen Nagel ihres Dau - mens, die ſie dort zu der anſehnlichſten Groͤße anwachſen laſſen, zum Andenken ihrer Ge - wogenheit einen Schnitt auf den rechten Backen, wovon du noch bis itzt die Narbe ſiehſt. Alle Mannsperſonen mußten ſich in dieſer weiblichen Republik mit einem ſolchen Schnitte zeichnen laſſen, zum Beweiſe, daßſie35ſie diejenige Schoͤne, von welcher ſie ihn em - pfiengen, als Sklaven unter ſich gebracht hat; und wenn man der Meerkatzen uͤber - druͤßig iſt, ſo iſt es die einzige Zeitverkuͤr - zung unter ihnen, einander die Schnitte vorzuzaͤhlen, mit welchen eine jede ihre ver - meinten Sklaven gebrandmahlt hat. Ich begab mich auf den Weg und wandelte langſam mit trauriger Beklemmung von dem Orte, wo ich meine beſte Zaninny zuruͤckließ. Doch, dachte ich, wer weiß, wozu dies gut iſt, daß du ſie verlieren muß - teſt? Vielleicht ach, wer kann ſich alles Boͤſe denken, dem ich dadurch entkommen bin, und alles Gute, das ich moͤglicher Weiſe dadurch erlangen kann? Wer weiß, wozu es gut iſt? Mit dieſem Gedanken beruhigte ich mich auf meinem Marſche und kam mit ihnen zu den Emunkis, einem elenden Volke, das unter dem abſcheulich - ſten Regimente lebte. Ihr Herr war der geilſte, geizigſte, grauſamſte Tyrann der Erde. Meine Ankunft fiel auf einen Tag, wo alles in der groͤßten Feierlichkeit war. Der neue Deſpot hatte den Thron beſtiegen und nach dem daſigen Staatsrechte ſeinen uͤbrigen zweyC 3und36und ſiebzig Bruͤdern goldne Stricke zugeſchickt, an welchen ſich ein jeder mit eigner Hand aufhaͤngen mußte: das ganze Volk lief einer Gallerie zu, wo ſie alle nach der Rang - ordnung des Alters an ihren goldnen Stri - cken ſchwebten, und der tumme Poͤbel fro - lockte uͤber dieſe erſten Opfer, die der Deſpot ſeiner Tyranncy gebracht hatte. Ich habe mich lange Zeit an ſeinem Hofe aufgehalten, und ihm muß ich mein Koͤnigreich Nie - meamaye verdanken. Medardus ſeufzte ein wenig bey dieſer Stelle und fuhr ſogleich wieder fort. Der dicke Goͤtze ſaß unauf - hoͤrlich in einer dichten Wolke von Wohlge - ruͤchen, die ihm alle Sinne ſo ſehr benebel - ten, daß er nie zu ſich ſelbſt kam: unauf - hoͤrlich mußte ein Haufen Gold und eine von ſeinen Weibern zu ſeinen Fuͤßen liegen. Seine Leibwache beſtand bloß aus Weibern, die nie eine maͤnnliche Seele zu ihm ließen: die hoͤchſten Stellen des Landes waren zwar mit Maͤnnern beſetzt, allein die oberſten Be - fehlshaberinnen der Leibwache hatten in allen Rathsverſammlungen die ausſchlagen - den Stimmen, und jene mußten nur vor - tragen und vollſtrecken, was dieſe geboten. Alle37Alle Maͤdchen von den erſten Augenblicken des Lebens waren im ganzen Reiche ſeine Leibeignen: die Vornehmern und Reichern hatten ſich des Rechts bemaͤchtigt, ſeine Leibwache auszumachen, und die Gemeinen oder Armen wurden in ſein Serail nach dem Maaße ihrer Schoͤnheit gewaͤhlt, und die Haͤßlichen im Namen des Koͤnigs an die Liebhaber oͤffentlich verkauft. Der Deſpot hatte eine ſo unſinnige Liebe zum Golde, daß er nicht ſchlafen konnte, wenn nicht einige Haufen neben ſeinem Lager aufgeſchuͤt - tet lagen.

Alſo war er dein Lehrmeiſter? unterbrach ihn Belphegor etwas bitter.

Der gute Medardus erſchrak: er wollte ſeine Erzaͤhlung fortſetzen, und die Bitterkeit der Frage nicht zu fuͤhlen ſcheinen; allein Belphegor faßte ihn ſtaͤrker und ließ ihn nicht durchwiſchen. Er malte ihm mit den friſcheſten Pinſelzuͤgen, doch mit etwas Galle vermiſcht, den Neid und die Unter - druͤckung vor, die er, als der ſonſt treuher - zige wohldenkende Medardus, als Beherr - ſcher von Niemeamaye gegen ſeine Nach - barn und Unterthanen ausgeuͤbt hatte. C 4Dem38Dem Monarchen wurde bange; er raͤuſperte ſich, er ruͤckte ſich auf ſeinem Sitze hin und wieder, er wußte nicht, ob und was er reden ſollte, bald ſchien er ſich entſchuldigen, bald anklagen zu wollen, waͤhrend deſſen ſein Moraliſt unaufhoͤrlich fortfuhr, mit aller Staͤrke ſeiner Beredſamkeit ſein eingeſchlaͤ - fertes gutes Herz aufzuwecken. Bruͤder - chen, ſprach er endlich, ich bitte Dich, ſchweig! Du machſt mir ſo baͤnglich ums Herze, daß ich heute noch lieber zu einem Glaſe friſchen Apfelwein mit Dir zuruͤckgehn, als hier eine Minute laͤnger befehlen moͤchte. Du uͤbertreibſt!

Nicht Einen Strich in dem Gemaͤlde uͤbertreibe ich, antwortete Belphegor, und ließ den Strom ſeiner Geſezpredigt von neuem hervorbrechen.

Was biſt Du denn beſſer? ſchloß Belphe - gor; worinne beſſer als der wilde Deſpot, an deſſen Hofe du deinen Geiz lernteſt? Weniger grauſam, aber der naͤmliche Un - terdruͤcker.

Sein Freund fiel ihm um den Hals, erbot ſich alles geſammelte Gold unter ſeine Nachbarn auszutheilen, allen ſeinen Skla -ven39ven das Ihrige wieder zu erſtatten, wie der geringſte unter ihnen zu leben, ſeine ganze Macht niederzulegen, mit ihm zu einem Kruge Apfelwein zuruͤckzuwandern und ſo viel Gutes zu thun, als er koͤnnte. Bel - phegor war mit ſeiner Reue zufrieden und fragte ihn, um ihre Aufrichtigkeit zu verſu - chen, welchen Tag er alle dieſe Verſprechun - gen erfuͤllen wuͤrde. Er ſtuzte ein wenig uͤber die Frage, doch ſetzte er lebhaft hinzu: Morgendes Tages! Belphegor nahm ſeine Hand darauf an und brach die Materie ab, doch ſein Freund kehrte oft zu ihr wieder zuruͤck. Bruͤderchen, ſagte er, es iſt ein verzweifelt ſchweres Ding, allein Herr von ſeinem Willen zu ſeyn und lauter Gutes zu thun. Sonſt, wenn ich einem armen dur - ſtigen Manne einen Trunk Apfelwein reichte, wuͤnſchte ich immer: o wer dich doch auf einen Thron ſetzte, daß du die Leute gluͤckli - cher machen koͤnnteſt! Jaͤmmerlich iſt doch die Armuth, daß man nicht mehr fuͤr den armen Nebenmenſchen thun kann, als ihm hoͤchſtens auf ein Paar Minuten den Durſt loͤſchen oder den Hunger ſtillen! wenn ich reich, wenn ich maͤchtig waͤre keinC 5Menſch40Menſch auf Gottes Erdboden, ſo weit nur mein Auge reichte, ſollte mir Zeitlebens hun - gern oder durſten. Bruͤderchen, ich hab es erfahren. Ich habe ſonſt mit meinem Kruge Apfelwein Mehrern Gutes gethan, als itzt mit meinem Golde. Das boͤſe Men - ſchenherz! Fromal ſagte mir wohl, ich ſollte nicht ſchwoͤren, ich wuͤrde einen Meineid begehn; ich habe ihn begangen. Aber, Bruͤderchen, nicht ein Troͤpfchen Menſchen - blut klebt an meinem Gewiſſen. Siehſt Du? ich fand an dem gelben Unrathe ſo vie - len Gefallen, ich wollte gern viel und immer mehr haben, ich nahm es, wo es zu bekom - men war: ich habe doch wenigſtens nie - manden Leides gethan. Wenn man ſo bloß ſich ſelbſt, ſeine Begierden und ſeine Macht zu Rathe zu ziehn braucht, da laͤßt man leicht die Zuͤgel ſchießen: doch Du, Belphe - gor, Du ſollſt in Zukunft mein einziger Rath - geber ſeyn.

Belphegor fand bey dieſer Erklaͤrung fuͤr ſeine moraliſirende Laune eine herrliche Aus - ſicht und nahm deswegen den Vorſchlag zur Mitregentſchaft mit Freuden an; und ſeitdieſem41dieſem Augenblicke theilten ſie Macht und Anſehn mit einander.

Den erſten und zweyten Tag that Belphe - gor ernſtliche Erinnerungen wegen der ver - ſprochnen Wiedererſtattung, und es fauden ſich tauſend Entſchuldigungen und Verhin - derungen: Belphegor drang alsdann weni - ger ernſtlich, ſeltner und endlich gar nicht mehr darauf; tadelte alle getroffne Anſtalten als unbillig, unfreundlich, unterdruͤckend, und behielt ſie bey: es blieb alles, wie es war, und ſtatt daß ſonſt alles Gold aufge - haͤuft wurde, ließ er etwas mehr von den geſammelten Schaͤtzen in den Umlauf kom - men, damit das Volk wieder die Ingredien - zen zu zwo Mahlzeiten kaufen konnte. Unter ſeinen Leidenſchaften war die Liebe zum Golde ſchwaͤcher als bey ſeinem Mitre - genten: er war freygebig und ermahnte auch dieſen es zu ſeyn: aber deſto heftiger war ſein Ehrgeiz: allmaͤhlich vermehrte er die Ehrenbezeugungen, die er von ſeinem Volke foderte, und wenn er nicht reich zu ſeyn wuͤnſchte, ſo wollte er angebetet ſeyn, ohne zu fuͤhlen, daß es auch eine Unter - druͤckung giebt, die dem Menſchen ſeineWuͤrde42Wuͤrde nimmt und ihn zum kriechenden Sklaven macht. Genug, der weiſe Mora - liſt wurde zum Unterdruͤcker, haßte und liebte die Menſchen nach ihrer groͤßern oder geringern Kunſt zu ſchmeicheln und ſich zu demuͤthigen, der Kriechendſte, der Hinge - worfenſte war ihm der Beſte, und man mußte kriechen oder leiden eine Alterna - tive, die dem voͤlligen Zwange gleich iſt!

Inzwiſchen waren die benachbarten E - munkis von ihrer Sklaverey ſo uͤbermaͤßig niedergedruͤckt worden, daß ihr betaͤubtes Gefuͤhl rege wurde; ſie empfanden, daß ſie Menſchen waren, ſtuͤrzten ihren Tyrannen von dem Throne, ermordeten die Leibwache, die bisher den Meiſter geſpielt hatte, wie vorhin der Koͤnig von Niemeamaye er - zaͤhlte, und da Faktionen unter ihnen ent - ſtunden, vertrieb eine die andre, welche itzt mit dem wuͤtendſten Ungeſtuͤme in das Reich einbrachen, deſſen Herrſchaft Belphegor und Medardus theilten. Der Sturm drang mit einer unglaublichen Schnelligkeit bis zur Hauptſtadt, alles gerieth in Verwirrung und Unordnung, man ſetzte ſich zur Gegen - wehr, und niemand wußte, warum manange -43angegriffen wurde. Die beyden Regenten, die nicht ſonderlich kriegeriſchen Muth be - ſaßen, hielten es fuͤr das heilſamſte, ſich mit der Flucht dem Ungewitter zu entziehn. Belphegor verſorgte alle Taſchen von dem aufgehaͤuften Golde und entkam gluͤcklich: doch Medardus, der ſich zu reichlich damit verſehen wollte, zauderte ſo lange bis die Burg umringt wurde, die die aufgebrach - ten Vertriebnen einnahmen, pluͤnderten und anſteckten.

Belphegor entkam wohl, aber der Sturm folgte ihm nach. Seine vorigen Untertha - nen, die Niemeamayen, waren von den Emunkis vertrieben, jene brauchten einen andern Platz, ſie vertrieben die naͤchſten Voͤl - ker, deren ſie maͤchtig werden konnten, und man vertrieb und ward vertrieben, ſo lange bis zwey Voͤlker vernuͤnftig genug waren, ſich unter Einem Himmel neben einander in Friede zu vertragen.

Von dem Tumulte wurde Belphegor mit fortgeriſſen, machte ſich aber gluͤcklich davon loß, und nahm ſeinen Weg allein nach Aegyp - ten, wo er bey einem europaͤiſchen Kauf - manne ſein rohes Gold in Geld umſetzte undſich44ſich ſehr in ſeine Gunſt empfahl, weil er ſich nach ſeinem Verlangen nur die Haͤlfte des Werthes dafuͤr bezahlen ließ. Er verſprach ihm fuͤr hoͤfliche Worte und einen maͤßigen Vortheil ſeinen Schutz und ſeine Geſellſchaft, in welcher er nach Aſien uͤbergieng. Weil der Werth ſeines Goldes nicht lange mehr aushalten zu wollen ſchien, ſo bot er ſeinem Beſchuͤtzer ſeine Dienſte an, der ſie nicht ausſchlug und ihm in kurzer Zeit einen Auf - trag nach Perſien gab, wo er gewiſſe Hand - lungsgeſchaͤfte fuͤr ihn beſorgen ſollte.

Seine Reiſe gieng gluͤcklich und ohne wi - drige Zufaͤlle von ſtatten bis zu ſeiner Annaͤ - herung an die perſiſchen Graͤnzen. Bey der Geſellſchaft, mit welcher er reiſte, befanden ſich einige Aliden,*)Eine von den mahomedaniſchen Sekten. die zu jeder Zeit des Tags, wenn es die Geſetze ihrer Religion foderten, ſeitwaͤrts giengen, um ihr Gebet einſam zu verrichten. Belphegor ward von der Innbrunſt, mit welcher er ſie es ver - richten ſah, wenn er ſie belauſchte, ſo ent - zuͤckt, daß er nur eine Ueberredung und ein Meſſer brauchte, um ſich auf der Stelle be -ſchneiden45ſchneiden zu laſſen und ein Juͤnger des Ma - homed und Ali zu werden. Er gewann die Leute lieb, unterredete ſich oft mit ihnen uͤber ihren Glauben und bewies ihnen ſehr viel Guͤte, welche ſie ihm reichlich erwieder - ten. Die Freundſchaft war geknuͤpſt, und er erſuchte ſie ſogar, ihn einen Zeugen ihres Gebets ſeyn zu laſſen, welches ſie ihm be - willigten: doch bediente er ſich dieſer Er - laubniß mit vieler Beſcheidenheit, und nie gebrauchte er ſie, ohne daß das Feuer ihrer Andacht ihn zu einem Kniefalle und zur Verei - nigung ſeiner Innbrunſt mit der ihrigen hin - riß. Aber warum nennt man nur dieſe Leute Unglaͤubige? dachte er oft bey ſich ſelbſt; ſie, die mit den feurigſten Regungen Gott verehren, deren ein Chriſt nicht faͤhiger ſeyn kann? Kann ein Herz, das zu einer ſo ruͤhrenden Erhebung von ſeinem Schoͤpfer begeiſtert wird, das Herz eines Unglaͤubigen ſeyn? Mag er doch den Mahomed, den Ali oder Abubecker fuͤr große Menſchen halten, mag er ſich doch ein Stuͤckchen von ſeinem Fleiſche verſchneiden laſſen, mag er doch nach Mekka oder nach Bagdad ſein Ge - ſicht bey dem Gebete kehren: wenn ſein Herznur46nur zu Gott gekehrt iſt, gilt jenes nicht alles gleich? O daß doch die Menſchen keine Gelegenheit entwiſchen ließen, ſich zu ent - zweyen, ſich zu trennen, ſich zu haſſen, zu verfolgen, ſich zu ſchlagen, wuͤrgen, morden! Ja, Fromal, Recht hatteſt du: die Menſchen vereinigten ſich, um ſich zu tren - nen. Konnten ſie nicht alle in ſtiller Ein - tracht auf dieſem weiten Erdenkreiſe ſich nie - derwerfen und das ewige Weſen mit der vollen ſtarken Empfindung anbeten, die es verdient? Konnten ſie die Welt nicht einen allgemeinen friedſamen Tempel ſeyn laſſen, wo Millionen Menſchen, Nationen und Voͤl - ker in unuͤberſehlicher Weite mit vereintem Gefuͤhle ihren Dank zu dem Allguͤtigen em - porſandten, der ſie faͤhig machte, ihm zu danken? Konnte es nicht dem einen gleich - guͤltig ſeyn, ob ſein Nachbar das Geſicht nach Oſten oder Weſten kehrte, ob er ſich im Staube waͤlzte oder auf den Knieen lag, ſich dabey die Haut blutig rizte oder das ſchoͤnſte Feſtkleid anzog, die Haͤnde erhub oder ſenkte, ein flammendes Opfer zu ſeiner Andacht hinzuthat, oder ſein Herz nur flam - men ließ? Und ſollte es nicht vielleicht demSchoͤpfer47Schoͤpfer und alſo auch dem Menſchen gleich - guͤltig ſeyn muͤſſen, ob der Hoͤchſte, der Groͤßte, deſſen Begriff unſer Gedanke doch niemals umfaßt, in dem Wurme, dem Stier, der rohen Misgeburt, der ungebil - deten Phantaſie, im Stein, Holze, Metall oder in der bloßen Idee, als Tien, Jeho - vah, Jupiter angebetet wird? Sollte dies nicht vielleicht ſeyn? Wenn ſo viele Tau - ſende durch einen unvermeidlichen Zuſam - menhang von Urſachen unter die Stufe der Erleuchtung, der Aufklaͤrung des Verſtan - des hinabgeſtoßen werden, ſollte der Ewige ihre Empfindung verſchmaͤhen, die ſie ihm in einem Bilde opfern, das ihre ſchwache Vernunft und wilde Phantaſie nicht anders zu ſchaffen vermochten? Sollte er ſie darum verſchmaͤhn, weil er ſie durch eine Reihe von Begebenheiten zu tumm bleiben oder werden ließ, um ſich zu den Begriffen eines chriſtlichen Philoſophen zu erheben? Im Grunde, bey genauerer Unterſu - chung war es nicht der Peruaner aus eigner Wahl, der ſeinen Schoͤpfer in der Sonne fand und das Blut ſeiner eignen Kinder zu ihr empor dampfen ließ, nicht der Mexikaner,Dder48der ſich an dem geopferten Fleiſche ſeiner Feinde labte nein, eine lange Reihe von nicht ſelbſt gewaͤhlten Urſachen ga - ben den Erkenntuißkraͤften dieſer Voͤlker eine ſolche Wendung, drangen ihnen ſolche Ideen in einem ſolchen Lichte auf, daß ſie ſich ih - ren Gott ſo und nicht anders, ſeine Vereh - rung ſo und nicht anders denken konnten: ihre Begriffe vom Guten und Boͤſen, von Recht und Billigkeit bildete das Schickſal, nicht ſie. Sie deswegen ſtrafen, weil ihr Geiſt zu ſchwach war, ſich durch aufge - drungne Irrthuͤmer hindurchzuarbeiten, hieße das nicht einen Menſchen mit Stricken und Feſſeln allmaͤhlich auf den Boden niederziehn und ihn zuͤchtigen, daß er nicht gerade ſteht? Hieße das nicht einen Bucklichen peitſchen, weil er ſeine verwachſne Bruſt nicht gerade ausdehnt? Und gleichwohl unterſtan - den ſich es Sterbliche, dem Richter der Welt dies Verfahren zuzuſchreiben, ja ſogar es an der Stelle des Richters der Welt zu thun! Gewiß, die Menſchen ſammelten ſich, um ſich zu trennen, um zu kriegen, und weil es ihrem Neide und ihrer Vorzugsſucht an hinlaͤnglichen Platze fehlte, ſo peitſchenſie49ſie ſich auch herum, weil der Zufall in dem Kopfe des einen die Ideen anders geordnet hatte, als in dem Gehirne des andern: o Unſinn! und oft zankte man ſich oben drein nur deswegen, weil der eine etwas weniger einfaͤltiges glaubte als der andre. Eine Sekte, wo die dogmatiſche Sucht kein Herze nagt und ſeinen Leidenſchaften zum Lanzen - traͤger dient wo iſt eine ſolche, ſie iſt mir willkommen! ſie iſt mir die beſte! Freund, rief er dem Aliden zu, der ſich eben naͤherte, Freund! wenn alle Juͤnger des Ali mit ſolcher Inbrunſt beten wie Du, ſo wer - de ich noch heute ihr Bruder! Wenn ſie ſich ſelbſt ſo lieben, wie ihren Gott, ſo ſchneide mir ein Stuͤck Haut ab, ritze mir die Ba - cken, bade mich, oder mache eine Cerimo - nie, wie du willſt, um mich zu deiner Sekte einzuweihen, oder mich zu zeichnen, daß ich zu ihr gehoͤre! genug, ich will der Genoſſe deines Bekenntniſſes ſeyn und unter Menſchen leben, die ſich weniger haſſen als andre: denn daß ſie ſich mehr lieben ſoll - ten, das fodre ich von Menſchen nicht.

Der Alide erſtaunte uͤber den Eifer, mit welchem er dieſe Anrede hielt, und war imD 2Begriffe,50Begriffe, ihm ſeine Freude daruͤber auszu - druͤcken, als eine Stimme aus dem Geſtraͤu - che hervorbruͤllte: Du Verworfner, der du die heilige Sonna*)Bey den Mahometanern dasjenige, was bey den Katholiken die Tradition iſt. verachteſt, und den triegeriſchen Ali uͤber den erhabnen Abube - cker ſetzeſt, ſtirb von meinen Haͤnden, Un - glaͤubiger! Sogleich durchrennte ein her - vorſtuͤrzender Mann ſchaͤumend mit einem Spieße den betaͤubten erſchrocknen Aliden, daß er leblos auf den Fleck niederſank, den kurz vorher ſein Knie in dem Feuer ſeines Gebetes gedruͤckt hatte. Blut! ſetzte der Moͤrder hinzu, gottloſes Blut! fließe zur Ehre des großen Propheten und ſeiner recht - maͤßigen Nachfolger!

Belphegor war von Schrecken und Er - ſtaunen einige Zeit uͤberwaͤltigt, doch bald kehrte ſein Muth und ſeine Faſſung zuruͤck, und er ſprang auf, den Tod ſeines Gefehr - ten zu raͤchen: allein er war ohne Waffen, und ſein Gegner verwundete ihn mit der naͤm - lichen Wuth, womit er jenen durchbohrt hatte; doch nicht toͤdtlich. Als Belphegorvon51von dem Stoße niedergeſtuͤrzt war und in der Ohnmacht von dem Sonniten fuͤr todt gehalten wurde, ſo begab ſich dieſer hinweg, nachdem er vorher in einem lauten Gebete dem großen Propheten und ſeinem Nachfol - ger Abubecker zu Gemuͤthe fuͤhrte, was fuͤr eine wichtige Verbindlichkeit er ihnen durch die Ermordung dieſer beiden Unglaͤubigen auferlegt, und was fuͤr einen vorzuͤglichen Anſpruch er ſich auf die ſchoͤnſte Huri des Paradieſes erworben habe. Sein Reli - gionseifer war geſaͤttigt, und nach einer ſo verdienſtlichen Handlung gieng er an ſeine Berufsarbeit zuruͤck und pluͤnderte mit ſeinen Geſellen die Karavane, zu welcher Belphe - gor gehoͤrte: denn er war ein Raͤuber vom Handwerke.

Belphegor lag ohne Beſonnenheit in ſei - nem Blute und erwachte nur, um ſeine Ent - kraͤftung zu fuͤhlen: er ſah ſich um, er rief, ſo ſtark er vermochte; alle menſchliche Huͤlfe war von ihm fern. In einem ſo troſtloſen Zuſtande war Geduld das einzige Uebrige, ihm die Erſchoͤpfung ſeiner Lebensgeiſter zu erleichtern; Er war vor Mattigkeit in einen Schlummer verfallen, aus welchem ihn derD 3Ruf52Ruf einer Stimme erweckte. Er ſchlug die Augen auf und wurde einen Mann gewahr, der ihn arabiſch anredete. So wenig er auch von der Sprache wußte, ſo konnte er doch ſeine Begebenheit und ſein Verlangen nach Huͤlfe darinne ausdruͤcken. Der Ara - ber machte ſogleich die großmuͤthige Anſtalt ihn fortzuſchaffen, und ließ ihn auf ein Ka - meel laden, daß er kurz vorher nebſt etlichen andern einer reiſenden Karavane abgenom - men hatte, wobey er ſeinen Leuten den Be - fehl gab, den Verwundeten in ſein Schloß zu bringen und bis zu ſeiner Ankunft gehoͤ - rig zu pflegen. Der Mitleidige war, wie man leicht merkt, gleichfalls ein Raͤuber von Profeſſion, kam in einigen Wochen auf ſein Schloß zuruͤck und fand Belphegorn von ſeinen Wunden geheilt. Er war ſo edelmuͤthig, jeden Dank von ſich abzuleh - nen, und bot ihm Wohnung und Tafel auf ſo lange Zeit an, als ihm beliebte. Bel - phegor wurde von Dankbarkeit uͤber eine ſolche Begegnung um ſo viel lebhafter ge - ruͤhrt, weil die uͤble Behandlung, die er bisher von den Menſchen in verſchiedenen Welttheilen erdulden mußte, das menſchli -che53che Geſchlecht in ſeinen Augen ſo erniedrigt hatte, daß er eine ſolche Denkungsart von einem Mitgliede deſſelben gar nicht mehr er - wartete. Der Raͤuber ſchenkte ihm eins von den ſchoͤnen Kleidern, die er mit ſeiner lezten Beute erobert hatte, gab ihm verſchie - dene andre Koſtbarkeiten und ließ ihm nicht die mindeſte Bequemlichkeit mangeln.

Belphegor wurde durch dieſen freygebi - gen Raͤuber mit dem Menſchen um vieles wieder ausgeſoͤhnt: nur blieb es ihm ein unaufloͤsliches Raͤzel, das oft ſein Nachſin - nen deſchaͤftigte, wie man ſo vortreflich und ſo ſchlecht zu gleicher Zeit handeln, zu glei - cher Zeit ſo gutdenkend und ein Raͤuber ſeyn koͤnne. Da er keine befriedigende Erklaͤ - rung dieſes Phaͤnomens zu finden im Stan - de war, ſo wandte er ſich an ſeinen Wohl - thaͤter ſelbſt und legte ihm die große Frage vor, deren Beantwortung ihm ſo ſchwer fiel. Der Araber war ungemein erſtaunt, daß er ſo fragen konnte, und verſicherte, daß er nicht begreife, warum jene beiden Dinge nicht beyſammen ſeyn ſollten, da das eine ſowohl wie das andre, eine gute wohlanſtaͤndige Sache waͤre. Gaſtfrey,D 4ſagte54ſagte er, ſind meine Voreltern vom Anfan - ge her geweſen: der Menſch war in ihren Mauren ihr geheiligter, unverletzlicher Freund, und außer denſelben jederzeit ihr Feind. Der weiſe Allah*)Das hoͤchfte Weſen. theilte ſeine Guͤter unter ſeine Kinder aus; wer keine Portion davon be - kam, muß ſie ſich verſchaffen, oder darben. Ich wage mein Leben, um eine zu erhal - ten: mein Gegner wage das ſeinige, um ſeine zu behalten: wohlan! der Tapferſte iſt der Beſitzer. Der Elende, der Arme, der Kranke, der ſich nicht in den Streit mengen und Wohlſeyn und Bequemlichkeit erkaͤmpfen kann, muß der Sklave des Maͤch - tigern ſeyn, oder von ſeinem Wohlthaten leben. Jeder rechtſchaffne Araber haͤtte Dich in ſein Haus, wie in eine Freyſtaͤtte aufge - nommen, weil Du ihrer bedurfteſt; Du warſt zu elend, mein Sklave zu ſeyn: ich mußte alſo dein Wohlthaͤter werden; und ſo lange Du in meinem Bezirke wohnſt, hoͤre ich nie auf, dies zu ſeyn: Du biſt der Sohn meiner Familie.

Aber55

Aber außer demſelben dein Gegner, un - terbrach ihn Belphegor, den Du pluͤnderſt, oder zum Sklaven erniedrigſt?

Nicht anders? Ich und meine Familie ſind zu Einem Koͤrper vereinigt: was nicht mit dieſem Bande an mich geknuͤpft wird, iſt Feind. Denkt ihr unter euerm Himmel anders?

Allerdings? Ungeſtoͤrt genießt jeder den Antheil von Gluͤck, den ihm der Zufall zu - warf: Geſetze und Henker ſind ſeine Waͤch - ter.

Und Niemand raubt dem andern einen Pfennig? Einer darbt, wenn der andre ſich fuͤttert, ohne ſich mit ſeinen Faͤuſten etwas zu erkaͤmpfen?

Nein, wir kaͤmpfen nicht mit Faͤuſten, ſondern leider! mit unſerm Verſtande wir betriegen.

Betriegen? Elende feige Kreaturen! der liſtigſte Haufe hat bey Euch alſo das Ober - gewicht? Fi!

Der Maͤchtige, der Große genießt ſeinen Ueberfluß ſorgenlos; denn er iſt auf allen Seiten verſchanzt: der Arme genießt das Brod ſeines Schweißes eben ſo ruhig;D 5 Man -56 Mangel ſchuͤtzt ihn wieder Bevortheilung: der ganze uͤbrige Haufe iſt im Krieg verwi - ckelt, und der Hinterliſtigſte iſt der gluͤck - lichſte Sieger.

Was fuͤr jaͤmmerliche Kreaturen ihr ſeyd! die niedertraͤchtigſten Raͤuber des Erdbodens! Jede Beute iſt bey uns der Preis der Tapfer - keit, jede bey euch ein Denkmal einer nie - drigen Seele. Trenne mein Haupt ſogleich von meinen Schultern, wenn Ein Betrug darinne gebruͤtet worden iſt! Was ich bin, wurde ich durch mich ſelbſt, durch meinen Muth.

Belphegor war wahrhaftig am Ende ſei - ner Diſputirkuuſt, und der zuruͤckgebliebene Grad von Abneigung gegen den Menſchen ließ ihn auch keine ſonderliche Muͤhe neh - men, etwas fuͤr die polizierten Raͤube - reyen zu ſagen: er ſchwieg mit einem Seuf - zer und gab den Grundſaͤtzen des Arabers Recht.

Eine ſo angenehme Ruhe ſtoͤrte nichts als der Einfall eines benachbarten Raͤubers in das Schloß, wo ſie Belphegor genoß. Die - ſer Held hatte in Erfahrung gebracht, daß Belphegors Goͤnner bey dem letzten Meiſter -ſtreiche57ſtreiche, den er ſpielte, zwo der herrlichſten cirkaßiſchen Schoͤnheiten in ſeine Gewalt bekommen hatte. Ein ſolcher Preis war es wohl werth, daß man ſein Leben einmal daran wagte: die Liebe ſetzte ſeiner Tapfer - keit den Sporn in die Seite, und er zog mit ſeiner ganzen Mannſchaft aus, jene zwo Nymphen entweder in ſeine Haͤnde zu bekommen, oder ſie wenigſtens ihrem gegen - waͤrtigen uͤbergluͤcklichen Beſitzer zu entreiſ - ſen, ſollte es auch durch den Tod geſchehen muͤſſen. Er ruͤckte an, uͤberraſchte ſeinen Gegner, der ſich nicht in der mindeſten Be - reitſchaft befand und ſich ſchon ergeben mußte, ehe er ſich zur Wehre ſtellen konnte. Der Feind begnuͤgte ſich, alle Oerter zu durch - ſuchen, wo er die verlangten Schaͤtze ver - muthete, und ward nicht wenig ungehal - ten, da ihm allenthalben ſein Wunſch fehl - ſchlug. Er erhielt zwar die Nachricht, daß der uͤberwundne Herr des Schloſſes, den ſein Alter uͤber die Begierden der Liebe ſchon ziemlich hinwegſetzte, die ſchoͤnen Cir - kaßierinnen nach ihrer Erbeutung ſogleich in Geld verwandelt habe: allein da er dies bey ſeiner jugendlichen Lebhaftigkeit nichtbegrei -58begreifen konnte, ſo erklaͤrte er es ſchlecht - weg fuͤr eine Erdichtung, ſtellte ſeine Nach - forſchung noch etliche Mal an und fand jedesmal nichts. Um aber doch ſeinen Gang und ſeine hintergangne Hoffnung be - zahlt zu machen, nahm er dem Ueberwund - nen ſeine Slaven und eine Auswahl von ſeinen beſten Habſeligkeiten mit ſich hinweg, das Uebrige nebſt dem Schloſſe ſteckte er in Brand, und war ſo großmuͤthig, und gab Belphegorn und ſeinem Wohlthaͤter, weil er ſie beyde zu nichts anzuwenden wußte, die Freyheit und voͤllige Erlaubniß, alles Gluͤck in der ganzen weiten Welt aufzuſuchen.

Sie giengen beyde mit einander fort, und es war ſchwer zu unterſcheiden, welcher von ihnen eigentlich den Verluſt erlitten hatte. Sie nahmen ihren Weg nach der Landſchaft Diarbek und fanden ſie bey ihrem erſten Eintritte mit Empoͤrung und Blute uͤber - ſchwemmt. Kaum hatten ſie ein Dorf er - reicht, als ſie ſchon mit dem Schwerdte in der Hand auf ihr Gewiſſen befragt wurden, ob ſie ſich zu Dubors oder Miſnars, oder Abimals, oder Ahubals, oder desSul -59Sultans Amurat Parthey hielten. Zu derjenigen, die das meiſte Recht fuͤr ſich hat, oder lieber zu keiner, antwortete Belphegor. Ich kenne weder Amuraten, noch Duborn, noch die du mir nennſt; es herrſche uͤber Diar - bek, wer kann oder will! Da ein Tuͤrke keine andre als lakoniſche poſitive Antwort an - nimmt, ſo wurde die Frage noch einmal und zwar peremtoriſch gethan, und um ihn zu einer beſtimmten Antwort deſto ſchneller anzutreiben, ſchwangen die Examinanten ihre Saͤbel uͤber ihren Koͤpfen und hielten ſich zum Hiebe bereit. Jede entſcheidende Antwort konnte ihnen den Tod bringen, und jede Verzoͤgerung brachte ihn gewiß: ſie waͤhlten blindlings ihre Parthey und trafen gluͤcklicher Weiſe diejenige, zu welcher die Fragenden ſich bekannten. Dieſe vortheil - hafte Wahl errettete ſie vom Untergange: man ließ ihnen die Freyheit, in Diarbek zu exiſtiren, und bekuͤmmerte ſich weiter nicht um ſie. Bey dem Fortgange ihrer Reiſe ge - ſchah ihnen von Zeit zu Zeit die naͤmliche An - frage, und der Zufall, auch zuweilen Liſt half ihnen jedesmal aus der Gefahr! Um ſich ihr aber nicht laͤnger auszuſetzen, be -ſchloſſen60ſchloſſen ſie ein Land mit dem eheſten zu ver - laſſen, wo die Neutralitaͤt ſchlechterdings unerlaubt war. An den Graͤnzen erfuhren ſie, daß Miſnar alle ſeine Nebenbuhler be - ſieget, ermordet und ſich auf drey Wochen die Herrſchaft uͤber Diarbek errungen hatte, nach deren Verlaufe der Sultan Amurat fuͤr gut befand, ihn vom Throne heruntertreiben und ſtranguliren zu laſſen, nebſt allen denje - nigen, die die kurze Gnade ſeiner Regierung erhoben hatte.

Sieben -[61]

Siebentes Buch.

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Einem Blutbade entgiengen ſie, um in ein andres zu gerathen: bey dem erſten Schritte, den ſie auf perſiſchen Boden ſetzten, kamen ihnen ſchon blutige Stroͤme entgegen: je weiter ſie ihr Weg fuͤhrte, deſto mehr haͤuften ſich die Spuren des Mordes und der Grauſamkeit, und zuletzt gelangten ſie an einen graͤßlichen Wahlplatz, wo Schaa - ren uͤber einander geſtuͤrzter Leichname in graͤßlichen Haufen, mit getoͤdteten Kameelen und Maulthieren vermiſcht, lagen. Belphe - gor fuhr mit Entſetzen vor dem ſchrecklichen Anblicke zuruͤck, und ſein Gefaͤhrte zitterte eben ſo ſehr vor Furcht und Grauen, und beyde ſtanden lange in einem ſtummen Erſtaunen.

Bald aber machte die Furcht der Neube - gierde Platz: ſie verlangten außerordentlich, die Urſache zu wiſſen, die Menſchen zu einem ſo unmenſchlichen Todtſchlage berechtigt ha - ben konnte: demungeachtet zog ſie die Be - ſorgniß, in die naͤmlichen unbarmherzigenEHaͤnde64Haͤnde zu verfallen, bey jedem Tritte zuruͤck. Sie faßten aber dennoch Muth, ſetzten ihre Wanderſchaft fort und fanden hin und wie - der halblebende Todte, aber nirgends einen voͤllig Lebendigen. Was ſoll das? rief Belphegor. Sind das Anſtalten, die menſch - liche Gattung in dieſen Gegenden auszurot - ten? Eine ſo ausgeſuchte Begierde hat doch keiner der beruͤhmteſten Tollkoͤpfe noch gehabt. Wohlan, Freund! wir wollen weiter drin - gen! Werden wir unter dem allgemeinen Ruine begraben, was ſchadets? Wir athmen die verpeſtete Luft dieſes Erdkreiſes nicht mehr, deren kleinſtes Theilchen durch den Hauch eines Unmenſchen entweiht, durch die Lunge eines Barbaren gegangen iſt. Gewinn iſt ein ſolcher Verluſt.

Sie ſetzten ihren Weg noch einige Tage fort und trafen nichts mehr als die vorher - gehenden Gegenſtaͤnde an Beweiſe der Unmenſchlichkeit genug, aber keinen Men - ſchen. Endlich wurden ſie gewahr, daß die Einwohner aus den Doͤrfern nur gefluͤchtet waren und einzeln mit bedaͤchtlicher Schuͤch - ternheit aus den Waͤldern zu ihren Wohnun - gen zuruͤckkamen. Sie forſchten ſo langebis65bis ſie erfuhren, daß vor einigen Tagen eine ſchoͤne Europaͤerinn in dem Harem des großen Koͤniges von Perſien gefuͤhrt worden ſey: eine Karavane von Reiſenden war dem Zuge begegnet, und da ſie ungluͤckſeliger Weiſe ihm nicht ausweichen konnte, ſo hat - ten ſich die Evnuchen einen Weg mit dem Schwerdte durch ſie gebahnt. Das naͤm - liche Schickſal betraf alle, die die Unvorſich - tigkeit oder das Ungluͤck hatten, ſich auf dem Wege finden zu laſſen: der kluͤgere Theil war aus den Wohnungen, die an der Straße lagen, gefluͤchtet, um nicht durch einen unbedachtſamen Blick auf eine ver - ſchleierte Schoͤnheit das Leben zu verwirken.

Belphegor haͤtte gern dem großen Sohne des Himmels fuͤr dieſe Barbarey den Kopf abgeſchlagen, wenn er bey der Hand gewe - ſen waͤre, und machte verſchiedene Anmer - kungen in ſeinem Tone daruͤber, die bey andern, als ſklaviſchen erſtorbnen Gemuͤ - thern, einen foͤrmlichen Aufruhr veranlaßt haͤtten. Wenn es aber gleich nicht dieſe Wirkung that, ſo fuͤhlten doch ſeine Zuhoͤrer einen gewiſſen Schwung in ſeiner Denkungs - art und ſeiner Beredſamkeit, welcher ſieE 2dunkel66dunkel uͤberredete, daß er keiner vom gemei - nen Haufen, ſondern ein Weiſer ſeyn muͤſſe, weswegen ſie ihm riethen, die Bekanntſchaft eines gewiſſen Derwiſches zu machen, der in einer voͤlligen Einſamkeit lebte und ihnen unter dem Namen des Derwiſches in den Bergen bekannt ſey. Sie ſetzten hinzu, jedermann, der ihn geſprochen, ſey voller Bewundrung und Ehrfurcht zuruͤckgekom - men und habe verſichert, daß ſein Mund von einem unerſchoͤpflichen Strome von Weisheit und heilſamen Lehren uͤberfließe.

Eine ſolche Nachricht war fuͤr Belphegors Begierde ein Sporn: kaum konnte er ſie endigen laſſen, als er um einen Wegweiſer bat, der ihn zu dem gluͤcklichen Orte fuͤhren ſollte, wo er einen Menſchen zu finden hoffte. Sein Gefaͤhrte, deſſen Durſt nach Weisheit nicht ſo heftig brannte, warnte ihn ſehr eifrig, ſein Leben und das wenige gerettete Geld nicht der Treuloſigkeit dieſer Boͤſewichter anzuvertrauen, die ihn in un - wegſame Gebirge fuͤhren und in den erſten Abgrund ſtuͤrzen wuͤrden. So ſehr er ihm mit ſeiner arabiſchen Beredſamkeit zuſetzte, und ſo ſtark er ſeine Warnung mit Gruͤndenunter -67unterſtuͤtzte, ſo blieb doch Belphegor in ſei - nem Vorſatze unbeweglich: eben ſo unbe - weglich blieb auch der Araber in dem ſeini - gen, und trennte ſich von ſeinem Gefaͤhrten, um wieder in ſein Vaterland zuruͤckzukehren, wo man nach ſeiner Meinung viel edelmuͤ - thiger ſtiehlt und raubt als irgendwo.

Belphegor kletterte nebſt ſeinem Wegwei - ſer mit ſeinem gewoͤhnlichen Ungeſtuͤme uͤber Felſenſpitzen, ſteinichte unſichre Wege, ſchluͤ - pfrige hervorragende Stuͤcken Stein, wo ein einziger Fehltritt in unabſehbare Tiefen ſtuͤrzte, wo den herabfallenden Millionen hervorſtehende Spitzen erwarteten, um ihn zu zermalmen, durch ſtechendes Geſtraͤuch von Wacholdern, die einen kleinen ver - ſchlungnen Wald bildeten, uͤber Waſſerfaͤlle, uͤber Schnee, Eis und faſt durch die Wol - ken, um zu dem Derwiſche der Berge zu gelangen. Nachdem ſie drey Tage mit dem hoͤchſtmuͤhſamen Wege gekaͤmpft hatten, ſo wurde er ſelbſt ein wenig mißtrauiſch gegen ſeinen Fuͤhrer: doch druͤckte die Hitze ſeiner Erwartung und die Groͤße der gehofften Freuden bald jeden Argwohn nieder; er beruhigte ſich damit, daß er dem WegweiſerE 3alles68alles bey ſich habende Geld uͤbergab und ihn verſicherte, daß der ganze Schatz ſein wer - den ſollte, wenn er ihn durch Verkuͤrzung des Weges nur etliche Stunden fruͤher zu dem weiſen Derwiſche zu bringen wuͤßte: der Andre nahm es mit Dankbarkeit an und verſprach ſein Verlangen ſo ſehr als moͤglich zu erfuͤllen. Auch fanden ſie ſich beym An - bruche des Tages auf einem Felſenruͤcken, von welchem ſie eine ſchoͤne muntre lachende Ebne uͤberſahen, die durch den Anblick ſchon ihnen die ausgeſtandnen Beſchwerlich - keiten hinlaͤnglich verguͤtete. Belphegors Herz ſchlug vor Entzuͤcken, als er die Woh - nung des Derwiſches durch ein duͤnnes Palmwaͤldchen hervorſchimmern ſah: gern haͤtte er mit Einem Sprunge die heilige Schwelle betreten: jedes Lufttheilchen, das er einhauchte, ſchien ihm reiner und heili - ger zu ſeyn.

Wenn die Muſen gegen einen Proſaiſten nicht etwas ſproͤde waͤren, ſo rief ich ſie mit lautem Schreyen um ihren Beyſtand bey der Schilderung eines der ſchoͤnſten Thaͤler an; aber ſo muß ein armer Verfaſſer in ungebundner Rede die Sache allein beſtreiten. Will69Will indeſſen eine ſich herablaſſen, meinen Pinſel zu fuͤhren, ſo greife ſie zu!

Die ganze Flaͤche des beynahe eyfoͤrmi - gen Thales war ringsum von Bergen um - ſchloſſen, die ſich amphiteatermaͤßig in man - nichfaltigen Abſaͤtzen erhuben: hier ſteilte ſich eine ſchneeweiße Felſenſpitze, wie ein Thurm, in die Hoͤhe, hinter ihr dehnte ein brauner Berg den langen Ruͤcken weg, und hoͤher als beyde verlor ſich eine Menge zackichter graͤulicher Gebirge mit ungleichen Hoͤhen am Horizonte: dort hiengen Felſen - ſtuͤcken in der Luft, die nur Einen Stoß zu brauchen ſchienen, um herabzuſtuͤrzen, neben ihnen bedeckte ein duͤſtres Strauchwerk den phantaſtiſch gekruͤmmten Berg, der ſich mit einer Menge kahler Beugungen und Hoͤlun - gen endigte, und die breitſten weitſchim - mernden Haͤupter entfernter Gebirge daruͤber emporſteigen ließ: bald ſtuͤrzte ſich ein klei - ner Bach beynahe haͤngend an einer Felſen - wand herab, verſchwand, brach eine weite Strecke davon wie ein brauſender ſchaͤumen - der Bach aus dem Felſen hervor, flog uͤber ausgehoͤlte ſchwebende Steine hinweg und wurde von einem Schlunde gierig verſchlun -E 4gen,70gen, um nie in dieſer Gegend wieder zu erſcheinen: bald ſtieg eine allmaͤhliche ſchief - gedehnte beraſete Anwand bequem in die Hoͤhe und thuͤrmte ſich ploͤtzlich in unzaͤhli - che Hoͤhen, die ſich gleichſam wetteifernd uͤber einander erhuben, hier nackt, dort in einem Mantel von gelbgruͤnem Geſtraͤuche, bald aus Pyramiden, bald als umgeſtuͤrzte Kegel, hinter welchen eine weißgraue Ko - lonnade vom majeſtaͤtiſchen Felſen den Ge - ſichtskreis begraͤnzten und weitgedehnt in ungleicher Groͤße allmaͤhlich verſchwanden. Die Seite, von welcher ſie in die Ebne hinabſtiegen, war ein hoher platter Berg, der an ſich ſchon die Ausſicht beſchloß, mit einem Cedernwalde bedeckt, durch welchen ſie hindurchwandern mußten, und kaum waren ſie heraus ſiehe! ſo ſtund, wie hinter einem eroͤffneten Vorhange das ganze ſchoͤne Thal, in ſeine vielfaͤltigen Waͤlle von Gebuͤrgen und Felſenwaͤnden, wie ſie vorhin gemalt worden ſind, eingezaͤunt, mit etli - chen kleinen ſchmalen Waſſerkanaͤlen durch - zogen, mit einzeln Bucketen von Obſibaͤu - men, lichten und dunkelgruͤnen Buͤſchchen, beynahe regelmaͤßigen Pflanzungen, friſch -gearbei -71gearbeitetem Acker, bluͤhenden kriechenden und aufgeſtengelten Gewaͤchſen, Gruppen von Citronenbaͤumen mit goldnen blinken - den Fruͤchten, zerſtreuten kleinen Huͤttchen gleichſam beſtreut kurz, das herrlichſte lachendſte Moſaik der Natur vor ihren Augen.

Belphegor war uͤberraſcht, betaͤubt, uͤber - waͤltigt, hingeriſſen, er ſtaunte, er war ſei - ner Sinnen nicht maͤchtig; er warf ſich vor Begeiſterung auf die Erde und kuͤßte den Boden, als den Eingang zu einem Heilig - thume. So bald ſeine Empfindungen we - niger gewaltſam wurden, ſo beſahe er die Gegend um ſich mit unerſaͤttlicher Begierde, ſahe und hatte nie genug geſehn. Sein Fuͤh - rer ermahnte ihn zur Eilfertigkeit, wenn er noch vor Abend bey dem Derwiſche anlan - gen wollte, weil ſeine Wohnung faſt an dem andern Ende des Thales liege und noch viele Stunden erfodre, wenn ſie gleich ihre Schritte verdoppeln wollten. Belphegor riß ſich, wie - wohl mit einigem Widerſtande, von dem entzuͤckenden Anblicke los, um einem noch entzuͤckendern zuzueilen.

Kaum waren ſie die langgedehute An - hoͤhe hinuntergeſtiegen, als ſie ein krumm -E 5laufen -72laufender Gang einlud, durch einen kleinen dunkeln Hain zu wandeln, an deſſen Ende ſich zwo vierfache Reihen von Pomeranzen - baͤumen anſchloſſen, die dahinterliegende Saatfelder von Mais durch die Zwiſchen - raͤume der Staͤmme durchſchimmern ließen. Am Ende derſelben fanden ſie etliche Huͤtten von Baumzweigen, doch ohne Bewohner. Belphegorn befremdete dieſe Entweichung, und er ward um ſo viel neugieriger, die Be - wohner aufzuſuchen. Sie giengen in der Folge uͤber verſchiedene kleine Kanaͤle, die mit Obſtbaͤumen eingefaßt waren, durch kurze ganz natuͤrliche Wildniſſe von Ahorn - baͤumen, durch Felder mit funkelnden Kuͤr - biſſen, Melonen und andern lachenden Fruͤch - ten. Schoͤner, als alles, war der Zugang zu der Wohnung des Weiſen: Reihen Maul - beerbaͤume, um die ſich die herrlichſten Wein - reben mit halbreifen roͤthlichen lang herab - haͤngenden Trauben ſchlangen; hinter ihnen Beete mit Gartenfruͤchten, beſonders Melo - nen; darauf Pfirſchbaͤume mit rothſchim - mernden ſamtnen Fruͤchten beladen, Abri - koſenbaͤume mit Reichthume uͤberſchuͤttet; die ganze Scene ſchloſſen vier erhabne Zy -preſſen,73preſſen, die uͤber dem laͤchelnden Kolorite der Fruchtbaͤume mit ihrem melancholiſchen Gruͤn in vier Spitzen emporſtiegen und un - ter ihre Zweige die Wohnung des Derwiſches gleichſam wie unter Fluͤgel nahmen. Der ehrwuͤrdige Alte ſaß mit zwo Toͤchtern in perſiſcher Kleidung auf einem Steine vor ſeiner Wohnung und ſchaute mit entbloͤß - tem Haupte nach der Sonne hin, die eben hinter dem gegenuͤber ſtehenden Berge ver - ſinken wollte.

Belphegor hatte ihn kaum in der Ferne erblickt, als er mit ſeiner Haſtigkeit auf ihn zuflog ſich ihm zu Fuͤßen warf und mit der feurigſten Innbrunſt ſeine Kniee umfaßte. Der Alte hub ihn laͤchelnd auf und noͤthigte ihn durch ein freundliches Zeichen, ſich neben ihm niederzuſetzen. Das Gefuͤhl einer ge - genwaͤrtigen Gottheit koͤnnte kaum feuriger und mehr uͤberwaͤltigend ſeyn, als Belphe - gors Empfindungen: er war ſich ſeines Da - ſeyns nicht bewußt, ein Schwarm ununter - ſchiedner Vorſtellungen und glaͤnzender Bil - dern ſchwebten um ſeine betaͤubte Seele, und eben ſo viele verwickelte Gefuͤhle fuhren durch ſein Herz. Lange ſaß er, ſo außerſich74ſich geſetzt, neben dem Alten, der den in - nerlichen Tumult in ſeiner Mine las und darum ihn geruͤhrt bey der Hand faßte, ohne ſein Stillſchweigen zu unterbrechen. Endlich machte ſein Gaſt den Anfang: er ſchuͤttete ihm in einem Strome von perſi - ſchen Worten ſein Herz aus, die aber mei - ſtens halberſtickt und abgeriſſen hervorka - men, weil er der Sprache zu wenig maͤch - tig war, als daß ſeine Empfindungen und Gedanken die Gelaͤufigkeit der Zunge nicht uͤbereilen ſollten. Der Derwiſch bat ihn, von ſeinem Wege auszuruhn und alsdenn ein kleines Mahl mit ihm im Mondſcheine einzunehmen. Belphegorn uͤberlief ein ſuͤßer Schauer, als er dieſes hoͤrte, und er begab ſich hinweg.

Die aͤlteſte von den beyden Toͤchtern fuͤhrte ihn in ein Kabinet, wo ſie ihm ein reinliches Lager von Blaͤttern mit einer Decke von einem orieutaliſchen Halbtuche zu ſeiner Ruhe anbot und zu ihrem Vater zuruͤckkehrte. So ermattet er war, ſo hatten doch die vor - hergehenden heftigen Empfindungen ſeine Nerven zu ſehr angeſpannt, als daß der Schlaf ſie haͤtte uͤberwaͤltigen ſollen. Er lagvoller75voller Gedanken in einem oft unterbrochnen Schlummer, und konnte endlich ſeinem Ver - langen nach dem Geſpraͤche des Derwiſches nicht mehr widerſtehen: er ſprang auf und gieng zu ihm.

Waͤhrend der Mahlzeit entwickelte es ſich bald, daß der vermeinte Derwiſch ein Euro - paͤer war. Ein Europaͤer! rief Belphe - gor voll Freuden: und aus welchem Lande? Aus Frankreich, antwortete jener und ſeufzte. Aus Frankreich, das mich mit vielen ſeiner Soͤhne undankbar ausſtieß. Ich bin der Bruder der ungluͤcklichen Markiſinn von E. Der Markiſinn von E.! unterbrach ihn Bel - phegor. Der ungluͤcklichen Markiſinn, die die graͤulichen Tuͤrken in vier Stuͤcken ſpal - teten, daß ſie großmuͤthig den Prinzen Amurat bey ſich aufgenommen hatte! Ein Zug ihres Charakters! die gute Schwe - ſter! ſagte der Alte. Freund! erzaͤhle mir die Geſchichte, daß ich hoͤre und in meinen weißen Bart dazu weine.

Belphegor gehorchte ihm; und ſein Zuhoͤ - rer hoͤrte ihre widrigen Schickſale mit ge - ruͤhrter Aufmerkſamkeit, erhub bey dem Ende der Erzaͤhlung ſeine Augen gen Himmel, in -deſſen76deſſen ihm etliche Thraͤnen die Wangen heruntertroͤpfelten: dieſe, ſprach er, weih ich dir!

Aber, fieng Belphegor nach einer kleinen Pauſe an, wie konnte dich, ehrwuͤrdiger Va - ter, deine Flucht in dieſe himmliſche Einſie - deley, ſo weit von deinem Vaterlande fuͤh - ren? Du floheſt Frankreich.

Um einer Urſache willen, unterbrach ihn der Alte lebhaft, die die Menſchheit mit ewigen Flecken brandmalt Flecken, die keine Thraͤnen auswaſchen koͤnnen. Wir wurden Opfer der Ruhmſucht eines ſtolzen Monarchen,*)Ludwig des 14. des eingewurzelten Vorur - theils, politiſcher Raͤnke und des Privat - haſſes; und wurden, nach dem oͤffentli - chen Vorwande, der Religion, der Recht - glaͤubigkeit geopfert. Ich floh nach Deutſch - land mit einigen meiner vertriebnen Mitbruͤ - der, um es zu bereichern und poliren zu helfen. Ich floh, aber mein Herz blieb in Frankreich, oder es irrte vielmehr mit mei - ner S ** herum: denn unmoͤglich konnte ihre Liebe ſie in einem Lande zuruͤckbleiben laſſen, das ihren zaͤrtlichen Freund verſtoſſenhatte.77hatte. Ich lebte indeſſen nur zur Haͤlfte: ich bin von jeher ein Geſchoͤpf geweſen, das mehr in der Imagination als in der Wirklichkeit lebte, gluͤcklich und un - gluͤcklich war. Meine verlaßne Liebe er - zeugte bald mit Huͤlfe meiner Einbildungs - kraft eine Melancholie in mir, die mich von aller Geſellſchaft entfernte: ich lebte, dachte und fuͤhlte in der tiefſinnigſten Einſamkeit, und ich dachte nichts, als meine S **, und fuͤhlte nichts als meine Liebe. Geſchaͤfte und andre Verbindungen zwangen mich haͤu - fig, meine Einſiedeley zu verlaſſen: ich that es mit Widerwillen, mit dem groͤßten Wi - derwillen, weil keine andre S ** in der ganzen ſchimmernden Geſellſchaft, in wel - cher ich, wie ein Geſpenſt, taͤglich herum - wanderte, anzutreffen war: keine, auch nicht die ſchoͤnſte, auch nicht die bewun - dertſte bewegte den Perpendickel meines Her - zens nur um eine Sekunde ſchneller: alles waren mir ſteife unnatuͤrliche Kreaturen, die den Mangel des natuͤrlichen Reizes durch Kunſt und Anſtand erſetzen wollten, aber ihn fuͤr mein Gefuͤhl unendlich wenig erſetz - ten, durch den falſchen Anſtrich nur deſtomehr78mehr vermiſſen ließen; mein Herz fand nir - gends anziehende Kraft und allenthalben Widrigkeiten. Je weniger mein Gefuͤhl gleichſam ausgefuͤllt wurde, deſto mehr ver - ſtaͤrkte es ſich! und zuletzt war gar nichts mehr uͤbrig, das nicht, ſo zu ſagen, wie ein leichter Span auf einem Weltmeere, dar - auf geſchwommen haͤtte: gar nichts druͤckte ſich ihm ein. Geſchwind zerriß ich alle Ban - den, die mich an die Menſchen feſſelten, und floh eine Geſellſchaft, wo ich allzeit Ge - legenheit zum Misvergnuͤgen fand, weil kein Vergnuͤgen meinen Foderungen gleich kam.

Nicht lange nach dieſer Entfernung von den Menſchen that ich einſtmals eine kurze Ausflucht in die Geſellſchaft: ich fand ein Maͤdchen, das gleich bey dem erſten Anbli - cke eine mehr als magnetiſche Kraft fuͤr alle meine Sinne hatte. Mein Gefuͤhl, das in meiner einſamen Periode mit der Einbil - dungskraft in genauere Vertraulichkeit gera - then war, erhob ſich ploͤzlich zu einer ſolchen Staͤrke, daß ich mir ſelbſt ſagte: ich habe ſie gefunden! Ein Maͤdchen voll der ſuͤßeſten Naifetaͤt, mit der aufrichtigſten Mi - ne, die mit der Zunge und dem Herze inEiner79Einer vollkommnen Harmonie ſtund, ohne Zwang, ohne ſtudierte Hoͤflichkeit, ohne ga - lante Grimaſſen, voll Natur, voll der un - ſchuldigſten Natur, ohne glaͤnzenden Wiz, aber mit einem feinen Verſtande und den geſundeſten Grundſaͤtzen geziert alle dieſe Zuͤge leuchteten mir auf einmal mit vereinig - ter Kraft in die Augen. Mein Herz wankte, alle meine Kraͤfte bis zu den innerſten wur - den erſchuͤttert, meine Empfindungen vom Grunde aufgewiegelt, mein Kopf ſchwindel - te, die Augen wurden truͤbe, ich ſchwaͤrmte, ich ſchwatzte wie im Phantaſieren des hitzi - gen Fiebers, ich taumelte und ſank durch eine geheime Veranſtaltung des Schick - ſals an ihren Buſen, an den Buſen des Maͤdchens, das jenen Tumult in mir erregte. O edler Freund! mein altes Herz ſchlaͤgt noch itzt hurtiger, wenn ich an das Erwachen gedenke, das auf jenen Fall erfolgte. Das unſchuldige Maͤdchen ent - ſagte aus natuͤrlichem Mitleide allen Fode - rungen des Wohlſtandes und ließ mich an ihrem Buſen liegen, trieb alle zuruͤck, die mich von ihr reißen wollten. Er ruhet hier ſanft, ſprach ſie mit dem naifſten Tone derFGuther -80Gutherzigkeit: er liege, bis er wieder er - wacht. Alles ſagte ſie, ohne zu wiſſen, daß ſie das brennbarſte Herz an das ihrige druͤckte und ein Feuer einſaugen ließ, das nie die Vernunft wieder loͤſchen wuͤrde. Ich lag an ſie gelehnt; und an ſie gelehnt, er - wachte ich. Himmel! welche Empfindung, als ich um mich blickte! als ich bey meiner erſten Bewegung mit ihrem Blicke zuſam - mentraf! Ich war nicht mehr mein: ſie ver - ſtund meine Verwirrung, wollte ſie min - dern und vermehrte ſie. Endlich ermannte ich mich; ich ſprang auf und gieng hinweg.

Das gute Maͤdchen merkte genau, daß ſie die Urſache meiner Unruhe und meiner Entfernung war: aber ungluͤcklich, daß die - ſe Bemerkung ſie ſelbſt in die ſchrecklichſte Un - ruhe ſtuͤrzen mußte! Sie war ſchon verlobt: das iſt mit Einem Worte alles geſagt. Mei - ne natuͤrliche Melancholie wuchs zu der hoͤch - ſten Staͤrke an, ohne daß ich das Hinder - niß meiner Liebe wußte: alles war mir ſchwarz: ich quaͤlte mich mit ſelbſtgeſchaff - nen Schwierigkeiten; ich marterte mich mit Kummer, daß ich zu dem Beſitze meiner Ge - liebten nicht gelangem konnte, ohne michim81im mindeſten erkundigt zu haben, ob ihr Beſitz unmoͤglich oder ſchwer zu erlangen ſey. Sie war arm, und eine kleine Ueberlegung waͤre zureichend geweſen, meine traurigen eingebildeten Schwierigkeiten zu zerſtreuen; allein mein ſchwermuͤthiges Gefuͤhl ergoͤtzte mich: die Vernunft wuͤrde mir meine Gluͤck - ſeligkeit geraubt haben, wenn ſie es wegraͤ - ſonnirt haͤtte. Oft genug unterbrachen es meine Geſchaͤfte, auf die ich zuͤrnte, und die ich doch gut abwarten mußte, wenn ich nicht an meinem Einkommen leiden wollte. Gott! dachte ich oft in meinen einſa - men Stunden, warum ordneteſt du deine Welt ſo an, daß tauſend geſchmackloſe Geſchaͤf - te, Millionen mit der Empfindung nicht zu - ſammenhaͤngende Dinge den Menſchen im Wirbel herumdrehen, daß elende Berufsar - beiten die Zahl der Stunden verringern muͤſ - ſen, die er in dem ſuͤßeſten Schlummer des Gefuͤhls und der Einbildung vertraͤumen koͤnnte? Freund! haſt Du nie einen Mangel in Deinem Leben empfunden, der jede fuͤhlende Seele unvermeidlich treffen muß? Die Natur hat eine unendliche Menge Anlaͤſſe zur Empfindung in die WeltF 2aus -82ausgeſtreut, aber zu einzeln ausgeſtreut, jeder Menſch trift auf ſeinem Wege nur ſel - ten einen an: der große Haufe, deſſen Ge - fuͤhl vom Sorgen und Geſchaͤften zuſam - men gepreßt iſt, vermißt nichts; er laͤßt ſo - gar die aufſtoßenden Veranlaßungen vor - uͤbergehn, ohne daß eine ſich an ſeinem Herze einhaͤngt, und es auf ſich zieht: aber der Mann, bey dem Gefuͤhl alle ſeine uͤbrigen Kraͤfte uͤberwiegt, bey dem ſich, ſo zu ſagen, alles in Empfindung aufloͤſt, was ſoll der thun, wenn er allenthalben Saͤttigung ſucht, wenn er ſeine Gluͤckſeligkeit gern haufenweiſe verſchlingen moͤchte, und ſie ihm doch nur gleichſam in einzelnen Biſſen zugezaͤhlt wird: muß ein ſolcher nicht bey der gegenwaͤrti - gen Einrichtung der Welt einbuͤßen? Konnte die Natur unſern Planeten und ſeinen Be - wohner nicht ſo anlegen, daß er, mit weni - gem, mit dem Nothduͤrftigen zufrieden, ſeine Beduͤrfniſſe niemals erweiterte, niemals in die tolle Geſchaͤftigkeit ſich hineinwarf, zu welcher ihn itzt unzaͤhlige, unvermeidliche Nothwendigkeiten hinreißen? Waͤre die Welt gleich weniger thaͤtig, weniger lebhaft ge - worden, waͤre ſie nicht dafuͤr gluͤcklicher? Was83Was nuͤtzt es, daß itzt jedermann eilfertig nach ſeinem Vortheile laͤuft, rennt und an - dre wegſtoͤßt? Nimmt man dieſe ungluͤckliche Geſchaͤftigkeit der Welt, dieſe Mutter ſo un - zaͤhlbarer Uebel hinweg, muͤſſen nicht als - dann alle die unſeligen Leidenſchaften weg - fallen, die itzt Menſchen von Menſchen tren - nen und ſelbſt den empfindenden Zuſchauer dieſes allgemeinen Kampfjagens der Welt das Leben verbittern? Die Menſchheit iſt ge - wiß nichts dadurch gebeſſert, daß ſie ſich zu den gegenwaͤrtigen Bequemlichkeiten und dem Ueberfluſſe der Europaͤer emporarbeitete, daß man nicht mehr Eicheln, ſondern die man - nichfaltigen Schmierereyen der Mundkoͤche genießt, daß man nicht mehr auf Stroh, fondern Matratzen oder Federbetten ſchlaͤft, daß man ſtatt des klaren Bachs in einen franzoͤſiſchen oder venetianiſchen Spiegel ſieht: gewiß im Grunde nichts gebeſſert, nichts gluͤcklicher! Alles hierinne beſtimmt die Gewohnheit: dieſe machte es, daß vormals engliſche Lords auf einem Schnee - ballen ſo ſanft ruhten, als itzt ein engliſcher Zaͤrtling auf dem ſeidnen Kopfkuͤſſen. Nach meinem Wunſche und meiner EinbildungF 3ſollte84ſollte der Menſch mitten auf ſeinem Wege zur Verfeinerung ſtehen bleiben, wenn er auch gleich nicht auf der ganz unterſten ewig ſeyn wollte: die Materialien der Geſchaͤftig - keit und der Begierden, die ihn itzt herum - treiben, ſollte vor ihm verborgen und er ein ruhiger ſanfter Hirte, hoͤchſtens ein Ackers - mann bleiben: die Erde waͤre nicht zu enge fuͤr die Beybehaltung dieſer Lebensart gewe - ſen, wenn nur die Menſchen nicht die tollen Begierden beſeſſen haͤtte, uͤber und neben einander her zu kriechen: und Freund! bey jener geringen mittelmaͤßigen Geſchaͤftigkeit ſein Leben unter dem Schatten der Empfin - dung ohne Politik, ohne Oekonomie, Ju - risprudenz, Handel und andre Vervollkom - mungen, die den Menſchen zum kalten fuͤhl - loſen Geſchoͤpfe, leer von Imagination und Empfindung machen, ordentlich und ruhig hinwandeln, welch ein Gluͤck! Welch eine Herrlichkeit, wenn ich damals fuͤr mich und meine Lucie die Erde ſo haͤtte umſchaffen koͤnnen! Wahr iſt es, ich haͤtte getraͤumt: aber ſuͤßer Traum iſt doch beſſer als bittres Wachen. Meine Geſchaͤfte verbitterten mir wirklich mein Leben außerordentlich: ſie ſtoͤr -ten85ten meine Melancholie und wurden von mei - ner Melancholie geſtoͤrt; und am Ende mei - nes Haͤrmens erfuhr ich, daß Lucie verlobt und gar verheirathet war, daß ſie an einen der veraͤchtlichſten Maͤnner des Landes ver - heirathet war. Welch ein Donnerſchlag fuͤr einen truͤbſinnigen Liebhaber! Ich em - pfieng taͤglich die ſchrecklichſten Nachrichten von ſeinem Betragen gegen ſie. Der Un - menſch, das unſinnigſte Geſchoͤpf des Erd - bodens, das gar nicht aus der Hand Got - tes gegangen ſeyn kann, quaͤlte ſie aus Ei - ferſucht und zuletzt aus bloßem tyranniſchen Muthwillen: er merkte, daß auf dem Bo - den ihres Herzens eine Zuneigung lag, die durch die aufgezwungene eheliche Pflicht nur niedergedruͤckt, aber nicht getoͤdtet war: er merkte dies blos, weil ſeine angeborne Ei - ferſucht; oder vielleicht das Bewußtſeyn ſei - nes Mangels am Verdienſt ihn vorausſetzen hieß, daß ſie ihn nicht ganz und jeden an - dern mehr lieben muͤßte. Ohne die minde - ſte Veranlaſſung zu dieſem Argwohne behan - delte er ſie, als wenn er voͤllig bewieſen waͤre. Er foderte eine Bedienung von ihr, die er kaum der niedrigſten Magd zumuthen konn -F 4te:86te: ſie mußte ihn auf ſeinen Befehl die Spei - ſen auftragen, auf ſeinen Befehl faſten oder eſſen, ihn ankleiden und ausziehn, und die ſchlechteſten Dienſte verrichten, indeſſen daß die Aufwaͤrterinn, die im Muͤßiggange zu - ſah, von ihm geliebkoſt wurde und die Rechte der Frau genoß. Der Barbar wollte ſich an ſeiner unſchuldigen Ehefrau auf dieſe Art, gleichſam wie durch Repreſſalien, raͤchen; und da ſie ohnmaͤchtig, empfindlich, zaͤrt - lich und ſchwach zum Wiederſtande war, ſo verdoppelte der Unbarmherzige ſeine Mar - tern, jemehr er wahrnahm, daß ſie dadurch niedergeſchlagen und gekraͤnkt wurde. Sie kam in die Wochen, ſie wurde gefaͤhrlich krank; und waͤhrend, daß ſie nach Troſte und Wartung ſchmachtete, hetzte der Boͤſe - wicht Dachſe mit ſeinen Hunden im Hauſe, ließ ſeine Pferde im Hofe unter ihren Fen - ſtern herumfuͤhren und dazu trommeln, des Nachts, oder wenn ſie ſonſt ſchlummerte, ploͤzlich Toͤpfe oder Flaſchen vor ihrem Zim - mer entzweyſchlagen, oder ein andres hefti - ges Geraͤuſch erregen, das ſie aufwecken mußte. kurz, er marterte ſie auf alle er - ſinnliche Weiſe und ſtudierte darauf, ſie nichtallein87allein zu quaͤlen, ſondern jede Qual noch mit einer Bitterkeit zu begleiten, die ſtaͤrker als die Qual ſelbſt ſchmerzte. Er nahm ihr das Kind und uͤbergab es ſremden Haͤnden, wo ſie es ohne die aͤngſtlichſte Beſorgniß nicht wiſſen konnte, da es unter den ihrigen die beſte Erziehung, den nuͤtzlichſten Unter - richt haͤtte genießen koͤnnen. Sie bat, ſie flehte auf den Knieen: der Tyrann lachte. Sie fiel ihm um den Hals, ſie badete ſein Geſicht mit Thraͤnen, ſie beſchwor ihn bey der Wohlfahrt ſeines Kindes, bey ſeiner eignen Gluͤckſeligkeit, ſie nicht von ihrem eignen Herze zu trennen, das allzeit mit ihrem Kinde an Einem Platze wohnte. Der tuͤckiſche Boͤſewicht verbarg die Empfindung, die ihm eine ſolche Bitte wider ſeinen Willen aufdrang: er verließ ſie, gab zwar Befehl, ihr das Kind zu uͤberliefern, wiederrief ihn aber gleich, ehe es noch gebracht wurde. Seine Launen waren gewiß die einzigen un - ter dem Himmel: er war ihr beſtaͤndiges Spiel und wurde von ihnen von einer Ent - ſchließung zur andern herumgeworfen; ehe er eine ausfuͤhrte, riß ihn eine andere hin, ſo eine dritte, und nach einem weiten ZirkelF 5kam88kam er wieder auf den erſten Fleck. So gieng es ihm hier: ſeine Tochter blieb in den Haͤnden, denen er ſie zu ihrer Verwahr - loſung anvertraut hatte, und ihre Mutter eine betruͤbte, ungetroͤſtete Mutter.

Von allen dieſen Drangſeligkeiten em - pfieng ich Nachricht, ſo wie ſie geſchahen; und was denkſt Du, das ich thun ſollte, Freund?

Dem Henker den Kopf zerbrechen! rief Belphegor und ſtampfte, ihn erwuͤrgen, und mit dem ungluͤcklichen Schlachtopfer auf dem Arme davon fliehn!

Nein, Freund meines Herzens, ſo haſtig war ich nicht: ich nahm allen empfindlich - ſten Antheil an ihrem Unſtern und graͤmte mich in Stillen fuͤr ſie, da ich weiter nichts vermochte. Mein Kummer wollte mich toͤd - ten: die Liebe ſpornte mich an, die Ungluͤck - liche zu erloͤſen, aber Muthloſigkeit ſchraͤnkte meine Ueberlegung und meine Kraͤfte ein: ich Feiger erloͤſte ſie nicht.

Himmel! konnteſt du mich nicht rufen? fuhr Belphegor haſtig, wie aus einem Trau - me, empor.

Der89

Der Derwiſch ſah ihn laͤchelnd an. Ed - ler Mann! wo ſollte ich dich ſuchen? fragte er mit gefaͤlliger Freundlichkeit.

Belphegor beſann ſich und merkte, daß ihm die Schwaͤrmerey ſeiner Einbildungs - kraft den Streich geſpielt hatte, ihn einen ſolchen Anachroniſmus begehen zu laſſen. Nun, ſo fahre fort! ſprach er erroͤthend.

Beſter Freund, ſagte der Derwiſch nach einer Pauſe, dieſer einzige Zug macht dich mir theuer. O haͤtte ich dich damals gekannt, haͤtteſt du damals mit deinem Feuer meinen erloſchnen Muth wieder anzuͤnden koͤnnen, wie gluͤcklich waͤre ich geweſen! ich waͤre nicht die Speiſe eines heimlichen Grams geworden! Doch das Schickſal half ſchnell: der Tyrann ſpannte ſeine Fol - ter ſo ſtark an, daß alle Erduldung und Ge - laſſenheit zerreiſſen mußte. Da alle ſeine Erfindungskraft im Quaͤlen erſchoͤpft ſchien, ſo gab ihm eine wolluͤſtige Laune den tollen Gedanken ein, ſie nackt ſehen zu wollen. Er gebot ihr, ſich auszukleiden, und vor ſeinem und etlicher Freunde Angeſicht wie er es nannte à la grecque zu tanzen. Sie wiederſetzte ſich, ſie ſtritt, ſie focht: um -ſonſt!90ſonſt! ſie wurde uͤberwaͤltigt: man riß ihr die Kleider ab, man entbloͤßte ſie, und ſie, die leidende Unſchuldige, ſtand, wie die Bild - ſaͤule der Geduld auf einem Monumente, mit bethraͤntem Geſichte und verſteinertem Blicke da, um den Hoͤhnereyen der Unſinnigen zum Ziele zu dienen. Sie gieng verwildert hin - weg und gerieth in eine Verruͤckung, von welcher ſie, bis an ihren Tod, zuweilen Ruͤckfaͤlle ſpuͤrte. Zween Tage lang irrte ſie zerſtreut und ohne Beſonnenheit im Hauſe herum, ſeufzte und ſprach kein Wort; end - lich warf ſie in einem Anfalle von Raſerey in der Nacht verzweiflungsvoll alle Bande der Mutterliebe von ſich, vergaß ſich ſelbſt und entfloh, ohne bemerkt zu werden. Doch bey aller Verwirrung fuͤhrte ihr das Ge - daͤchtniß mein Andenken zuruͤck: ſie fuͤhlte in ſich ſelbſt, daß ſie ehmals fuͤr mich em - pfunden: ihre verungluͤckte Liebe ſuchte in der meinigen Troſt, und ſie floh zu mir. In dem eutſetzlichſten Zuſtande der Verwil - derung, mit herumhaͤngenden Haaren, ro - then aufgeſchwollnen Augenliedern, in offner flatternder Kleidung, mit bloßen Fuͤßen kam ſie in dem fuͤrchterlichſten Regenwetter einesAbends91Abends auf meine Stube, als ich tief[ſi] nnig uͤber Mittel, ſie zu retten, nachdachte. Sie fiel auf die Kniee, ſie flehte mich um meinen Beyſtand an: ich erkannte ſie nicht, ſo ſehr war ſie entſtellt, und ſo wenig ließ mich die Betaͤubung des Schreckens meine Sinne ge - brauchen. Sie ſtuͤrmte, wie unſinnig, auf mich los; und noch kannte ich ſie nicht, bis ſie ihren Namen nennte, bis ſie an meine Liebe mich erinnerte da erwachte ich, aber nur wenige Augenblicke, um deſto laͤn - ger mit allen meinen Kraͤften niederzuſinken. Ihr Bild erſchuͤtterte mich bis in das Mark; in einer todtenaͤhnlichen Fuͤhlloſigkeit ſaß ich da: ich glaube, wir waͤren zu Monu - menten unſers eignen Kummers verſteinert, wenn uns nicht mein Nachbar, der neben meiner Stube wohnte und uͤber die Stille, die ſo ploͤtzlich das lauteſte Wehklagen un - terbrach, erſtaunt war, durch ſeine Dazwi - ſchenkunft getrennt haͤtte. Er hatte Kalt - bluͤtigkeit genug, unſrer Sinnloſigkeit durch geſunde Ueberlegung zu Huͤlfe zu kommen: er ſchlug der ungluͤcklichen Entlaufnen einen Zufluchtsort vor, wo ſie weder Mann noch Geſetze wiederfinden ſollten.

Es ge -92

Es geſchah; und ich beſchloß, mich von meinen laͤftigen Geſchaͤften loszureißen, mein Vermoͤgen heimlich aus dem Lande zu brin - gen und mich in einer hinlaͤnglich ſichern Entfernung mit ihr niederzulaſſen: ich waͤre nicht ſtark genug geweſen, ein ſolches Pro - jekt zu bewerkſtelligen, aber mein Freund unterſtuͤtzte mich. In einiger Zeit war alles vorbereitet, der Tag beſtimmt, und ich eilte, meinen Anſchlag ins Werk zu ſetzen. Ich komme in das Haus, wo ich ſie abholen ſollte, und wohin ich, ſeit ihrem Eintritte darein, nicht gehen durfte; ich finde ſie vol - ler Erwartung und Zittern in den Armen eines Frauenzimmers, die vor Verwundrung oder Schrecken zuſammenfuhr, als ich hin - eintrat. Meine Aufmerkſamkeit war auf mein Vorhaben zu ſehr geheftet, um ſie mehr als ſluͤchtig zu uͤberſehn: ich bot mei - ner Lucie ſchon die Hand, um mit ihr fort - zugehn, als mir ihre bisherige Beſchuͤtzerinn die andre ergriff, und in der Sprache mei - nes Vaterlandes mir die Geſchichte meines Lebens und meiner Liebe bis zu meiner Flucht aus Frankreich erzaͤhlte, und zuletzt mich fragte, ob ich mich dazu bekennen wollte. Ich93Ich erſtaunte, daß ſie alles dies wiſſen konnte, und noch mehr, als ich in ihr meine S ** fand. Guͤtiger Gott! welche Begebenheit! Zu einer Zeit ſie wieder zu finden, wo mein Herz ſchon ganz an ein andres geknuͤpft war! Die Liebe zu ihr war zwar durch die Laͤnge der Zeit verdunkelt, aber ihr Andenken kehrte doch ſtark genug in mich zuruͤck, um mich in einen Streit mit mir ſelbſt zu verſetzen. Ohne Anſtand ſprach ſie mich, da ſie meine Verlegenheit gewahr wurde, von meiner erſten Verbindung frey und kam mit mir uͤberein, meine Liebe in Freundſchaft zu ver - wandeln, die Alter und Zeit bey ihr von der ehemaligen Waͤrme zu einer kaͤltern Geſetzt - heit herbeygebracht haͤtten. Sie begleitete uns eine kleine Strecke; in kurzem war ich mit meiner Lucie an Ort und Stelle und gleich darauf ihr Mann.

Ich hatte die Verwegenheit, in mein Va - terland nach einiger Zeit zuruͤckzugehn, mich um Gelder zu bewerben, die ich dort zuruͤck - gelaſſen und in den Haͤnden meiner Anver - wandten glaubte: doch wie betrog ich mich! Der Sturm der Verfolgung hatte aufgehoͤrt zu wuͤten, aber ſie wuͤtete noch durch dieGeſetze.94Geſetze. Allenthalben fand ich noch Spu - ren der Unmenſchlichkeit, allenthalben hoͤrte ich die vergangnen Graͤuel noch erzaͤhlen, bald im triumphirenden, bald im klagenden Tone. Meine Mitbruͤder, die ſich noch heimlich dort aufhielten, zogen mich mit aller Muͤhe von dem Anſuchen um mein Ruͤckgelaßnes ab; aber ſie konnten mich nicht zuruͤckhalten. Ich erlangte nichts und brachte mich durch meine Zudringlich - keit ins Gefaͤngniß. Meine Frau und meine beyden Toͤchter, die mir itzt das Alter und die Einſamkeit verſuͤßen, befanden ſich in der klaͤglichſten Lage: ſie mußten ſich im Verborgnen bey einem meiner gutherzigen Anverwandten aufhalten, der mit der Gri - maſſe ein Katholik und im Herzen der auf - richtigſte Hugenott war, und mich der Will - kuͤhr einer blinden zelotiſchen Juſtiz uͤberlaſ - ſen, oder ſich entdecken und mit mir zugleich dem Aberglauben aufopfern wollte. Guͤtiger Gott! wie wir litten! wie ich in meinem Kerker ſeufzte! Ich war ſchon beynahe von mei - nem Schmerze aufgezehrt und troͤſtete mich mit meinem nahen Ende, ich war ſchon gegen alle Vorſtellungen von den kuͤnftigenUngluͤck -95Ungluͤckſeligkeiten meiner Familie abgehaͤrtet, als ich ploͤtzlich die entſetzlichſte Nachricht er - hielt, daß meine Frau und Kinder in dem Gefaͤngniſſe neben mir ſchmachteten. Auf ein - mal ſtuͤrzten alle meine ſchlafenden Empfin - dungen, wie ein Donnerwetter, uͤber mich her und warfen Beſonnenheit, Leben und alle Kraͤfte darnieder: ohnmaͤchtig lag ich da, und mein Waͤrter hielt mich fuͤr todt.

Als ich wieder zu mir zuruͤckkam, ver - langte ich nichts ſo angelegentlich, als meine Familie ein einziges Mal zu umarmen und dann zu ſterben: dieſe Guͤte war zu groß, um ſie mir nicht zu verweigern: meine grauſamen Richter ſchlugen ſie nicht allein ab, ſondern ſetzten ſogar die grauſame Be - dingung hinzu, daß ich, um ſie nur zu ſehn, um nicht ſie und mich auf ewig den Ketten zu uͤberliefern, in vier und zwanzig Stun - den das Bekenntniß meiner Vaͤter abſchwoͤ - ren und in den Schoos der Kirche, dieſer verfolgenden Kirche, als in den Schoos einer Mutter zuruͤckgehn muͤßte. Alles ſetzte mir zu, eine Heucheley zu begehn, um einer Grauſamkeit auszuweichen. Ich uͤberlegteGund96und uͤberlegte, kaͤmpfte und ſtritt mit mir ſelbſt. Guͤtiger Gott! rief ich endlich und ſank auf meine Kniee, konnteſt du den Menſchen ſo ſchaffen, daß nothwendig einer mit dem andern nicht gleichfoͤrmig denken mußte, und daß doch gleichwohl jeder ſich fuͤr den einzigen Beſitzer der Wahrheit hielt, konnteſt du zulaſſen, daß einer den andern zu ſeiner Meynung zwingen wollte; warum ſollteſt du es mir als ein Verbrechen anrech - nen, wenn ich den Geſetzen deiner Einrich - tung folge, wenn ich, der Schwaͤchre, dem Staͤrkern mich unterwerfe und in die Anord - nung fuͤge, die von Ewigkeit her in deiner Welt geherrſcht hat daß der Schwaͤchre Unrecht behielt, thun und ſelbſt glauben mußte, was der Staͤrkre zu glauben gebot. Glauben kann ich nicht: aber um drey Menſchen aus einem martervollen Leben zu erloͤſen, um ſie nicht ewig in Banden ſeufzen zu laſſen, um ſie der Gluͤckſeligkeit faͤhiger zu machen, wozu du doch jedes Geſchoͤpf auf dieſe Erde, nach unſrer aller Gefuͤhle, geſetzt haben willſt kann ich nicht um ſolcher edlen Endzwecke willen, die dein eig - ner Wille ſeyn und deine Billigung habenmuͤſſen,97muͤſſen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen, thun als wenn ich das Joch ſeiner Meynung annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein - ſicht nach ſeyn muß? Nach den naͤmlichen Geſetzen der Natur, die meine Seele befolgt, wenn ſie meine Meynung fuͤr wahr erkennt, handelt auch die ſeinige, wenn ſie der ihri - gen anhaͤngt: du haſt uns einmal ſo ange - legt, daß unſer Glaube von erlernten Vor - urtheilen, Leidenſchaften, unmerkbaren Nei - gungen und Trieben, wie eine Marionette, regiert werden ſoll, was kann ich dafuͤr, daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und meine Feinde zur Rechten? Noch mehr! was kann ich dafuͤr, daß meine Gegner die Staͤrke haben, mich nach ihrer Rich - tung hinzureiſſen oder zu wuͤrgen? Ich ſchwoͤre: wer von uns beyden Recht hat, weißt du nur, du Richter der Welt: du willſt es nicht unmittelbar entſcheiden; ich bleibe alſo bey der Wahrheit, die mir die Nothwendigkeit des Schickſals als Wahrheit aufgedrungen hat, und entſage ihr mit dem Munde, weil ebendieſelbe Nothwendigkeit der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt. Wohl! mein Meineid muß das edelſte WerkG 2ſeyn;98ſeyn; denn es rettet drey zur Gluͤckſeligkeit beſtimmte Geſchoͤpfe vom Elende.

Und du ſchwurſt? fragte Belphegor.

Ja, ich that es! und mein Gewiſſen hat mir noch nie einen Vorwurf daruͤber ge - macht: ich glaube, ich that die nuͤtzlichſte, die beſte That. Sie machte mich und meine Familie frey, ſie brachte uns der Moͤglich - keit, nicht ungluͤcklich zu ſeyn, naͤher: was konnte ich mehr? daß meine Abſicht nicht erreicht wurde, daß wir einem Un - gluͤcke entgiengen, um in ein andres zu fal - len, war das meine Schuld?

Und, guter Mann, noch kamſt du nicht zur Ruhe? unterbrach ihn Belphegor.

Nein, ich wurde herumgetrieben. Der Glaube der Europaͤer war damals in einer allgemeinen Gaͤhrung: niemand glaubte als was er mußte, und wenige glaubten, was ſie bekannten. Nirgends konnte man neu - tral ſeyn: allenthalben wurde man in den Krieg verwickelt. Meine Melancholie er - neuerte ſich: die duͤſtre Vorſtellung, daß ich, ein Geſchoͤpf, das ſich dem Engel gleich duͤnkte, nicht die Gluͤckſeligkeit des niedrig - ſten Inſekts genießen ſollte, daß meine Bruͤ -der99der um mich herum ſich zerfleiſchten, erwuͤrg - ten, elend machten, daß ſie, wie Raubthiere, einander aufrieben, eins der entſchloßne Feind des andern war und nur Gelegenhei - ten, untriftige Gelegenheiten ablauerte, um die Feindſchaft in Thaͤtlichkeit ausbrechen zu laſſen die noch ſchwaͤrzere Vorſtel - lung, daß dies der ewige Lauf der Menſch - heit geweſen war, womit ſich tauſend andre Ideen vergeſellſchafteten, die mir dieſes Leben und unſern ganzen Planeten wild, oͤde, duͤſter, neblicht abmalten ein Ge - maͤlde, das nicht bloß in meiner Einbil - dungskraft wohnte, ſondern das ich in der Wirklichkeit um mich, hinter und vor mir erblickte, ſo bald ich nur Einen Blick aus mir ſelbſt that! alle dieſe melancholi - ſchen Gedanken machten meine laͤngſtgefaßte Neigung zur Einſamkeit wirkſam: ich be - ſchloß, außer der Welt zu ſeyn, bloß in meiner Einbildungskraft zu exiſtiren, fuͤr mich und meine Familie zu leben. Ich un - ternahm mit einem Kaufmanne, der Ge - ſchaͤfte in Perſien hatte, die Reiſe, ſuchte den abgelegenſten Winkel und ſuchte ſo lange, bis ich dieſen Plaz fand, wo meinG 3Haupt100Haupt grau geworden und meine Schlaͤfe eingeſunken ſind. Mein Gefaͤhrte war un - gluͤcklich in ſeinen Geſchaͤften, wurde gepluͤn - dert, entfloh mit Muͤhe den Haͤnden der Barbaren, die ihn zerſtuͤcken wollten, fluchte der Welt und begab ſich mit zween ſeiner Gefaͤhrten zu meiner Geſellſchaft. Wir haben dieſen Platz angebauet, bepflanzt, wir haben uns in kleine Geſellſchaften getheilt; wir haben gluͤcklich, ruhig und im Frieden zuſammen gelebt, weil wir klein an Anzahl und unſre Nahrung hinreichend war: aber fuͤrchterliche Ausſicht, wenn dieſer kleine Trupp zu einer Groͤße anwachſen ſollte, die den Eigennutz anfachen und die ſchoͤne Ruhe dieſes Winkels in eine kriegeriſche Scene verwandeln wuͤrde! Aber vielleicht ſehe ich noch ſelbſt den Tod dieſen ganzen Schau - platz leer machen, und dann moͤge ein an - drer tugendhafter Trupp ihn finden und be - wohnen, aber nie zu einem Volke werden! Freund! ich habe es dahin gebracht, wohin ich wuͤnſchte: ich habe mir in meinem Kopfe den Menſchen zu den Vollkommenheiten eines hoͤhern Geiſtes erhoben, ich ließ ihn in dieſer gluͤcklichen Illuſion mit den Ge -ſchoͤpfen101ſchoͤpfen der hoͤchſten Ordnung wetteifern, ich liebte dieſe Idee, ward ſtolz darauf und war gluͤcklich. Um in dieſer Welt ſich zu freuen, daß man ein Menſch iſt, um ſich und ſeinem Geſchlechte Wuͤrde zu geben, um auf ſeine Natur ſtolz zu ſeyn, muß man ſich illudiren: man muß die Augen ver - ſchließen, keinen Blick außer ſich thun, und dann in ſuͤßen Schwaͤrmereyen dahintraͤu - men. Itzt, da meine ganze Seele von ih - rer Hoͤhe und anſchauenden Kraft herunter - geſunken iſt, itzt will ſie nicht mehr traͤumen: aber wohl mir! ich werde bald zu einem an - dern Traume hinuͤberſchlummern.

O edler Mann! unterbrach ihn Belphe - gor; ich habe ebenfalls in deinem Traume gelegen, aber das Schickſal und Akante verſcheuchten ihn; und ſeitdem habe ich ge - ſehen! geſehen und gelitten! Ich miſchte mich in das Gedraͤnge und

Und du bekamſt Wunden und Beulen an

Ehre, Vermoͤgen und gutem Namen! Noch mehr! kein Fleck iſt an meinem Koͤrper, den nicht eine Narbe brandmarkt! und wenn ich aus dem Getuͤmmel zur Stille kam, ſo verwundeten die graͤßlichſten Vorſtellun -G 4gen102gen meine Seele: die Welt ſollte mir eine friedliche Wohnung gluͤcklicher Kreaturen ſeyn, und die Erfahrung ſtellte ſie mir als eine Hoͤle auflauernder Raͤuber vor: in dem Menſchen wollte ich einen guten freundli - chen Bruder finden, und ich fand einen eigennuͤtzigen habſuͤchtigen Wolf.

Lieber Fremdling! wenn du mit dem bloßen innern Geiſtesauge die Erde uͤber - ſiehſt, ſo findeſt du ein gewiſſes Leere, ein gewiſſes Geiſtliche darinne, daß dir ekelt, daß du ſie ein fades Werk nennen mußt; gleichwohl iſt es dein Beruf auf ihr zu leben. Um das zu koͤnnen, finde ich nur zween Wege: entweder ſtuͤrze dich in das Gewirre, das Getuͤmmel der Freuden, der Geſchaͤfte, des allgemeinen Streites des Eigennutzes, ficht, ſiege oder ſtirb! Laß dich in dem Wir - bel des Taumels herumdrehen, ohne zu den - ken, ohne anders als uͤber die Oberflaͤche der Dinge zu reflektiren: zum ruhigen ſtillen Anſchauen der Sachen, zum Eindringen in ſie laß es nie kommen! Lebe, wie die mei - ſten Einwohner der Welt leben, das heißt, komme nie zu dem Grade des Nachdenkens, wo du mehr als einen kleinen Zirkel der Weltuͤber -103uͤberſchauſt, ſiehe nicht uͤber dich und deinen Nutzen hinweg! Sey ein menſchliches Thier, kein menſchlicher Geiſt! Oder waͤhle den andern Weg: reiſſe dich von allen Banden loß, die dich an die Menſchen feſſeln, exiſtire nur in deiner Seele, vergrabe dich in ruhige einſame Stille! und dann alle Fittige deiner Einbildungskraft und Empfindung angeſpannt! laß ſie fliegen ſo hoch ſie die Luft traͤgt, bis zum Aether! uͤberlaß dich ganz den ſuͤßeſten Illuſio - nen,*)Unter Illuſion verſteht der gute Alte wahr - ſcheinlicher Weiſe die Meynungen, die nicht mit einer ſolchen Strenge bewieſen werden koͤnnen, daß gar kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt, ſondern wo im Grunde allemal der ausſchlagende Grad Ueberzeugung zugenom - men, und nicht durch die Beweiſe allein ge - wirkt wird; und in dieſem Falle waͤre im Grunde die ganze Philoſophie Illuſion. Alle Meynungen, die jemals von Philoſophen er - dacht ſind, oder kuͤnftig erdacht werden, ſind nichts als verſchiedene Vorſtellungsarten von den Dingen: die Dinge ſelbſt kennt niemand: z. B. den Lauf der Welt ſtellen ſich einige alsdie die die Menſchheit erſinnen mag,G 5dem104dem Glauben an Vorſicht, Unſterblichkeit und Erhabenheit der Seele: ſetze deine Natur und alſo auch dich ſelbſt auf die hoͤchſte Staffel der Weſen, ruͤcke ſie der Gottheit nahe: weide dich an dieſen Schauſpielen der Ima - gination und der Empfindung: ſey mehr Geiſt als Thier, lebe mehr in der Idee als in der Wirklichkeit und kenne nichts aufder*)die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als die Folge einer feſtgeketteten Nothwendigkeit, eines Fatums, andre als die abgezweckte An - ordnung einer nach Plan und Abſicht handeln - den Vorſicht vor: jede unter dieſen Vorſtel - lungsarten hat Gruͤnde fuͤr ſich, aber keine ſo viele, daß ſie die Beweiſe der uͤbrigen und alle Zweifel ganz vernichtete: es ſind Verſtellun - gen von dem Laufe der Welt, aus verſchiede - nen Geſichtspunkten genommen: wer nun un - ter dieſen eine fuͤr die einzige wahre haͤlt, der ſetzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas wiſſentlich oder unwiſſentlich hinzu wel - ches meiſtentheils unſre Leidenſchaften und Ideen ohne unſer Bewußtſeyn thun und illudirt ſich, in ſo fern dieſes zur Ueberzeu - gung ausſchlagende Etwas nicht die reine Wirkung iſt. Glauben kann man in dieſer Welt nie ohne Illuſion.105der Erde außer dir! Einer von beyden Wegen muß dich zur Gluͤckſeligkeit fuͤhren: du mußt entweder mit der Welt raſen, oder dich von ihr trennen! Der denkende Mann, mit ſtarkempfindendem Herze, der nur zu - weilen ſich in ihr Spiel miſcht und nur ſel - ten eine Karte zugiebt, der verliert allzeit an ſeiner Ruhe, beſonders wenn er jedesmal den Fuß zuruͤckzieht und nachdenkt und ver - gleicht und erwaͤgt. Ich betrat den zweyten Pfad: dich ſtieß das Schickſal auf den erſten, aber du verließeſt ihn, wie ich merke, du irrteſt von einem zum andern, du wollteſt raſen und auch vernuͤnftig ſeyn; und ſiehe! die Stunden der Vernunſt, des Nachdenkens wurden fuͤr dich Stunden der Angſt, der Beunruhigung.

Weiſer, ehrwuͤrdiger Mann! rief Belphe - gor entflammt, fuͤhre mich auf den Weg meiner erſten Jugend zuruͤck, in die Gefilde der Einbildung, in welchen du bisher ge - wandelt haſt! Ich bleibe bey dir: ich baue ſtatt deiner das Feld und erarbeite meine und deine Nahrung: wenn der Abend mir den Schweis abkuͤhlt, dann ſitze ich mit dir unter dem Schatten dieſer Zypreſſen undſchwaͤrme106ſchwaͤrme mit dir in bilderreichem Nachden - ken und ſuͤßen Grillen herum; wir traͤumen wachend uͤber unſer Selbſt, du lehrſt mich deine alte Erfahrung, wir leben in uns, mit uns, und denken nicht Eine Minute dar - an, ob Kreaturen, die ſich mit uns zu Ei - ner Art rechnen, außer unſern Bergen ein - ander zerfleiſchen, wuͤrgen, braten, roͤſten, eſſen. Wehe euch, ihr Freunde, daß ihr noch auf der ofnen See der Welt herumge - worfen werdet, noch nicht wenigſtens eine kleine Bucht gefunden habt, die euch vor den Gefahren ſicherte, wenn ihr gleich das tolle Spiel der Welt mit anſehn muͤßtet. O wuͤßtet ihr, welchen Hafen ich hier ent - deckt habe, der mich vor Stuͤrmen, ſelbſt vor dem Anblicke der Stuͤrme verbirgt, wie wuͤrdet ihr uͤber mein Gluͤck frohlocken und eilen, es mit zugenießen! Kommt, kommt! Meine Arme ſind offen, weit ausgebreitet, euch zu empfangen! Hier wollen wir in ſeli - ger Entzuͤckung, wie gekroͤnte Streiter, die Wunden zaͤhlen, die wir erfochten haben.

Die Freude riß ihn ſo heftig hin, daß er den Alten umarmte, kuͤßte und nicht aus ſeinen Armen laſſen wollte. Mitten unterdieſen107dieſen Freudensbezeugungen hub ſich der Alte empor und ſprach mit ernſter Mine: Freund, noch eine Pflicht iſt mir uͤbrig eine traurige aber doch ſuͤße Pflicht: begleite mich! Du kanſt empfinden; Du wirſt alſo kein uͤberfluͤßiger, kein muͤßiger Zeuge davon ſeyn.

Belphegor ſtaunte voller Erwartung, als die beiden Toͤchter den Alten unter die Arme faßten und ihn ſeitwaͤrts durch einen ge - kruͤmmten Weg in ein dunkles Zypreſſenwaͤld - chen fuͤhrten, das jedem, der hineintrat, einen heiligen Schauer entgegen ſandte: durch die Spitzen der Baͤume fiel duͤſtrer Mond - ſchein auf den Weg und auf einzelne Plaͤtze zwiſchen den Baͤumen, wo ihn eine zufaͤllige Oeffnung durchließ: Stille herrſchte uͤberall und weit ſahe das Auge in eine langgedehnte Duͤſternheit hinab, die aber der Blick mehr vermuthen als ſehen ließ. Der Greis gieng ſtillſchweigend fort bis zu einem Steine, wo er ſich ſeufzend niederſetzte und mit einem Tone, der Thraͤnen vermuthen ließ, zu Bel - phegorn ſprach: Itzt, Freund, will ich Dir ihre Geſchichte erzaͤhlen, dann troͤpfle ein Paar Thraͤnen auf dieſen Stein! und wirgehn.108gehn. Eines Morgens kurz nach unſrer Ankunft in dieſem Thale, als die friſcheſte Heiterkeit die ganze Natur belebte, ſaß ich, meine Lucie im Arme, auf dieſem Stein und freute mich mit ihr uͤber die Ruhe, die wir genoſſen, und die Drangſale, denen wir ent - gangen waren, und waren ſo zufrieden und liebten uns in der gluͤcklichſten Trunkenheit und Vergeſſenheit unſrer ſelbſt; wir dachten auf den Plan, wie wir unſer kleines Feld bepflanzen, und dieſem freygebigen Boden unſre nothduͤrftige Nahrung abgewinnen wollten. Siehe! rief ſie und wies auf ein bluͤhendes Gewaͤchs, das zwiſchen den Baͤumen ſtund, auch dieſes muͤſſen wir pflanzen; es lacht ſo lieblich; wer weis, welche heilſame Kraͤfte es in ſich verbirgt? Laß uns verſuchen! So ſprach ſie und langte darnach. Nein, ſagte ich und hielt ſie zu - ruͤck, laß mich lieber zuerſt ſehn; waͤre es Gift, es koͤnnte dich toͤdten. Wie koͤnnte, erwiederte ſie, unter einem ſo einladenden Blicke toͤdtendes Gift verborgen ſeyn? ich pflanze es um unſer Haus, waͤre es auch nur um ſeiner reizenden Bluͤthe willen. Sie pfluͤckte einen Zweig ab, koſtete dieFrucht109Frucht der herabhaͤngenden Schote und fand ihren Geſchmack weniger ſchoͤn als die Mine, aber doch nicht uͤbel. Sie koſtete noch ein - mal, und dann wieder, gab mir davon, ich konnte aber nichts genießen. Ich bat noch - mals, die Frucht wegzuwerfen; allein ſie fand den Geſchmack ſuͤßer und angenehmer, je mehr ſie genoß. Wir beſchloſſen, die Pflanze zu verſetzen, ſprachen und ergoͤtzten uns an kuͤnftigen Einrichtungen noch lange Zeit. Ploͤzlich verſtummte ſie, entſank ſich windend meinem Arme, ich faßte ſie auf, rief; umſonſt! alle Glieder zitterten mit kon - vulſiviſcher Bewegung, die Muſkeln des Ge - ſichts verzerrten ſich in ſchreckliche Minen, ſie ſchluchzte noch einige unvernehmliche Worte, ſtarrte dahin und ſtarb.

Er verſtummte, und die Geſchichte ſelbſt lehre den Leſer ſeine Empfindung.

Mitten in der Nacht als die ganze kleine Kolonie in dem tiefſten ſorgenloſeſten Schlafe lag denn vor welchem Eigennutze ſollten ſie in der abgeſonderſten Einſamkeit ſich fuͤrchten? weckte Belphegorn ploͤzlich ein Getoͤſe, das immer mehr ſich verſtaͤrckte, und naͤher ruͤckte: er hob ſich empor undwurde110wurde von einem Widerſcheine erhellet, der die ſchrecklichſte Feuersbrunſt ankuͤndigte. Er ſprang auf, ſchaute herum und erblickte Wohnungen und Baͤume vom Feuer ergrif - ſen, uud zahlreiche Truppe mit lodernden Harzfackeln uͤber die Ebnen hinſtreichen, um die Verwuͤſtung noch weiter auszubreiten. Er erſchrak, wollte ſeinen Freund retten, wurde inne, daß ſeine Huͤtte beinahe ſchon niedergebrannt war, vermuthete, daß er das Opfer der Flammen geworden ſey, dachte an ſich und floh.

Der Ueberfall geſchah von einem Truppe Einwohner, die jenſeits der Berge zunaͤchſt angraͤnzten. Die Ruchloſen vermutheten, daß Niemand einen ſo beſchwerlichen Weg, wie Belphegor, unternehmen koͤnne, wenn ihn nicht wichtige Reichthuͤmer lockten: da ihnen der Mann etwas auslaͤndiſch vorkam, ſo war der naͤchſte Einfall, ihn fuͤr einen Zauberer zu erklaͤren, der durch geheime Wiſſenſchaften in den Bergen verſchloßne Schaͤtze in der Ferne geſpuͤrt habe und itzt gekommen ſey, ſie abzuholen. Aus dieſer Urſache verſammelten ſie ſich ſogleich als der vermeynte Schatzgraͤber ſeinen Weg in dasGebuͤr -111Gebuͤrge antrat, folgten ihm heimlich nach und beſchloſſen, ſeine Ruͤckkunft mit den Schaͤtzen zu erwarten: da ihnen aber einfiel, daß der Mann, als ein Zauberer, wohl ſeine Ruͤckreiſe auf gefluͤgelten Drachen oder mit einer andern Art von Hexentranſporte veranſtalten koͤnnte, ſo aͤnderten ſie weislich den Plan und faßten den Schluß, ihn noch die naͤmliche Nacht mit Feuer, als den ſi - chern Waffen wider alle Zauberey anzugrei - fen, wiewohl ſie auch noch die menſchen - freundliche Nebenabſicht hatten, ihn vermit - telſt deſſelben aus ſeiner Wohnung hervorzu - ſcheuchen, ſich die Schaͤtze zeigen zu laſſen, und ihm alsdann zur Belohnung die ver - dammten Zaubergebeine zu Aſche zu verbren - nen. Noch mehr wurden ſie in ihrer Mey - nung beſtaͤrkt, da der zuruͤckkommende Weg - weiſer ihnen das empfangne Geld zeigte und, um ſeine Erzaͤhlung intereſſanter zu machen, hinzuſetzte, daß ihm dieſes der Mann durch einen Schlag mit ſeinem Stabe aus der Er - de habe hervorſpringen laſſen. Jedermann brannte vor Verlangen auf dieſe Nachricht und ſahe ſchon aus jedem Flecke, worauf er trat, Silber und Edelgeſteine hervormar -Hſchiren,112ſchiren, beſichtigte jedes beſondere Stein - chen und vermuthete unter jedem abgefallnen Blatte eine verdeckte Koſibarkeit. Sie war - teten in einem Hinterhalte, bis der Zauberer ſchlafen wuͤrde, wo ſeine Kraͤfte nicht wir - ken koͤnnten, und fuͤhrten ihr ſchreckliches Stratagem aus. Sie zuͤndeten die Huͤtten des Derwiſches an, der wegen langer Si - cherheit ungewohnt worden war, Feindſe - lichkeiten von Menſchen zu beſorgen, und mit ſeinen Toͤchtern verbrannte, ehe ſie ihr trauriges Schickſal wahrnahmen. Belphe - gor erwachte, ehe das Feuer ſeine Wohnung verheerte und entrann in den nahen Wald, indeſſen daß die Feinde an der brennenden Huͤtte des Derwiſches und den uͤbrigen lauer - ten, um den herauskommenden Zauberer zu erhaſchen: ſie lauerten, bis alles niederge - brannt war, ſie lauerten bis zum Morgen: der Zauberer erſchien nicht, weswegen ſie vermutheten, daß er durch die Luͤfte ent - wiſcht ſey, und da ſie ſich nicht getrauten, ihm auf dieſem Wege nachzuſetzen, ſo ver - fluchten ſie ihn, giengen unwillig fort, mach - ten eine Eintheilung von den Schaͤtzen, die ſie haͤtten bekommen koͤnnen, und pruͤgel - ten ſich tapfer herum, wenn einer zu hab -ſuͤchti -113ſuͤchtige Anſpruͤche machte: ſo nahm die Ko - moͤdie doch wenigſtens ein wuͤrdiges Ende.

So ſind meine ſchoͤnen Hoffnungen aber - mals zerſtaͤubt? rief Belphegor, als er ſich ein wenig geſammelt hatte. Ich wollte erſt anfangen zu traͤumen, und habe ſchon aus - getraͤumt! daß doch jede Gluͤckſeligkeit auf dieſem elenden Planeten voruͤberfliegender Traum iſt, und nur die Leiden nicht! So will ich wenigſtens die Umſtaͤnde brau - chen, wie ſie ſind: kann ich in dieſem Win - kel nicht mit meinem ehrwuͤrdigen Freunde gluͤcklich leben, ſo will ichs ohne ihn thun. Hier in dieſen Bergen will ich wohnen, die Fruͤchte der verſcheuchten und getoͤdteten Be - wohner genießen, und dann Tod! dann in deiner Umarmung gluͤcklich werden! So beſchloſſen, ſo gethan. Er ſchlich ſchuͤch - tern zu den Wohnplaͤtzen zuruͤck, fand alles verheert, verwuͤſtet, verbrannt und keine lebendige Seele. Die wenigen Fruͤchte, die er antraf, reichten auf einige Tage hin, und ſo eifrig er die Huͤlfe des Todes vorhin wuͤnſchte, ſo bekuͤmmert war er itzt, da ihr Termin ſo nahe herbeyruͤckte. Er machte ſchon verſchiedene Anſchlaͤge, wie er ſich mitH 2dem114dem vorhandnen Vorrathe beladen und aus den Gebuͤrgen hinausbringen ſollte. Al - lein, ſprach er endlich unmuthsvoll, ob mich der Hunger oder die Menſchen toͤdten! Sollte ich ihrer Grauſamkeit gar den Gefal - len erzeigen und mich von ihnen umbringen laſſen? Nein, hier ſterbe ich! Hier, Tod, erwarte ich deinen huͤlfreichen Schlag!

Mit dieſer Entſchließung ſetzte er ſich un - ter einen Baum und wartete voller Verlan - gen auf den Tod. Mitten unter ſeinen Erwartungen hoͤrte er das Geraͤuſche eines Fußtrittes, hielt es fuͤr einen Feind, und weil er ſchlechterdings nicht von Men - ſchenhaͤnden umgebracht ſeyn wollte, ſo ſprang er auf und floh. Der andre ſezte ihm nach und erhaſchte ihn: in der erſten Hitze, ehe ſie einander erkannten, thaten ſie ſich ein Paar Feindſeligkeiten an, und wur - den endlich zu ihrem Leidweſen gewahr, daß ſie ſich unnoͤthige Wunden gemacht hatten. Es war einer von der Kolonie des Derwi - ſches, der Belphegorn bey dieſem geſehn hatte und alſo wohl ſchließen konnte, daß ihn Eine Urſache mit ihm in die Flucht ge - trieben habe. Sie verſtaͤndigten ſich hier. uͤber,115uͤber, und Belphegors erſte Frage war als - dann, wo der Derwiſch hingekommen ſey.

Er iſt nebſt ſeinen beiden Toͤchtern zu Pul - ver verbrannt, war die Antwort. Ich ha - be in den Ruinen ſeiner Wohnung ihre Ge - beine gefunden, geſammelt und dort unter jenem friſchen Erdhuͤgel verſcharrt.

So verſcharre mich neben ihm! unter - brach ihn Belphegor; denn ich will ſterben, hier auf dieſem Flecke ſterben.

Der andere that etliche unmaßgebliche Vorſchlaͤge, wie ſie wohl mit Ehren beide noch laͤnger leben koͤnnten, und ermahnte in dieſer Ruͤckſicht Belphegorn, mit ihm ſich durch das Gebuͤrge durchzuarbeiten, franzoͤ - ſiſche Kaufleute aufzuſuchen und dann nach Frankreich zuruͤckzukehren.

Nein, ich will ſterben! rief Belphegor. In Frankreich ſind Menſchen; wo die ſind, iſt man ungluͤcklich: ich will ſterben.

Sein Freund ſezte ihm mit ſeiner ganzen Beredſamkeit zu, weil ihm daran lag, einen Gefaͤhrten zu ſeiner Reiſe zu haben, und brachte es endlich ſo weit, daß er wenig - ſtens ſeine Vorſchlaͤge in Erwaͤgung zog. Wir wollen als Gaukler, als Leute, dieH 3Merk -116Merkwuͤrdigkeiten zeigen, herumziehn, bis wir in eine Stadt kommen, wo uns die Zu - flucht zu einem Konſul meiner Nation offen ſteht: das war ſein Vorſchlag. Bel - phegor weigerte ſich, wollte ſterben, willigte drein und blieb leben.

Sie verſorgten ſich mit allem, was ſie tragen konnten, traten den Weg an und Belphegor ſandte einen ſchwermuͤthigen Seuf - zer in das verwuͤſtete Thal zuruͤck, als ſie in den Wald hineintraten, um es nie wie - der zu erblicken.

Sie ſanuen nunmehr auf Projekte, wie ſie die Neugierde der Perſer reizen und ihnen fuͤr eine kleine Beluſtigung den Unterhalt abgewinnen koͤnnten. Nachdem vieles Nach - denken verſchwendet war, ſo brachte Bel - phegorn ein Einfall darauf, die Geſchichte Alexanders des Großen nach ſeinem Tode zu malen, und ſie als ein den Perſern hoͤchſt interreſſantes Schauſpiel fuͤr Geld zu zeigen: verſteht ſich, daß die Vorſtellung nicht zum Vortheile des Macedoniers ausfallen ſollte.

Belphegor war nun einmal geſchworner Feind der Eroberer und aller, die jemalszum117zum Wuͤrgen und Morden Anlaß gegeben hatten: weil er beſtaͤndig wider ſie zuͤrnte, ſo wollte er ſchon vor vielen Jahren in einer unwilligen Laune, ſie insgeſammt der oͤffent - lichen Verachtung ausſetzen, doch gluͤckli - cher Weiſe hatte er die Idee aufgehoben, um izt ſein Brod damit zu verdienen.

Die Kompoſition des Gemaͤldes war er - funden, und man ſchritt zur Ausfuͤhrung; aber zur groͤßten Beſtuͤrzung wurde man ge - wahr, daß man zum Malen Leinwand und Farbe brauche und doch kein Geld bey der Hand habe, um dieſe Materialien anzukau - fen. Belphegors Gefaͤhrte wußte Rath zu ſchaffen: er ſchlich des Abends in ein klei - nes Dorf, kam zuruͤck und uͤberbrachte ſei - nem Gefaͤhrten, ſo viel er fuͤr noͤthig erach - tete, was er aller Wahrſcheinlichkeit gemaͤß geſtohlen haben mußte: es wurden Farben aus Wurzeln gepreßt, aus Erden zuberei - tet, die Leinwand aufgeſpannt, das Palet ergriffen und das Ganze meiſterlich ausge - fuͤhrt. Belphegor konnte etwas zeichnen und ſein Gefaͤhrte hatte es ehemals gekonnt: dieſer wenigen Talente ungeachtet, brachten ſie doch ein Werk zu Stande, dem man we -H 4nigſtens118nigſtens mit Huͤlfe einer deutlichen Erklaͤ - rung anſehn konnte, was der Kuͤnſtler aus - zudruͤcken gemeynt geweſen war. Dies Mei - ſterſtuͤck der Kunſt wurde auf Stangen zu - ſammengerollt getragen und jedem neugieri - gen Auge zur Anſicht geoͤfnet, ſobald dafuͤr etwas bezahlt war.

Ein neues Hinderniß! Beide waren nicht ſtark genug in der Landesſprache, um ihr Gemaͤlde mit der gehoͤrigen Fluͤchtigkeit der Zunge redend zu machen: und gleichwohl war eine woͤrtliche Erklaͤrung mehr als Licht und Schatten in ihrem Werke. Sie mach - ten indeſſen einen Verſuch. Belphegor er - zaͤhlte in dem naͤchſten Dorfe den erſtaunen - den Zuhoͤrern mit lauter Stimme von dem Wuͤtrich, dem bekannten Alexander, der ganz Perſien bezwungen, und verſprach ih - nen zu zeigen, wie dieſer Erzfeind des per - fiſchen Namens nach ſeinem Tode zur ver - dienten Strafe gezogen, wie ſein Koͤrper zer - ſtuͤckt und in die niedrigſten Geſtalten ver - wandelt worden, und wie er zulezt mit ſei - nem uͤbermuͤthigen Stolze ſey gebraucht wor - den, um ein Mausloͤchlein zuzuſtopfen u. ſ. f.

Nie -119

Niemand wußte etwas von dieſem Blut - hunde, dem Alexander: den Ali kennen wir wohl, ſagten die Anweſenden, welcher hoch - gelobt und gepreiſt ſey. Andre glaubten, daß er den Ali laͤſtern und von ihm ſo ſchaͤnd - liche Aergerlichkeiten erzaͤhlen wolle. Dieſe machten dem Schauſpiele ein ploͤzliches En - de, huben Steine auf und bombardirten auf Gemaͤlde und Kuͤnſtler los, daß beide nicht ohne Loͤcher davon kamen: ſie ergriffen die Flucht und beſſerten, als ſie ſich in Si - cherheit ſahen, Tapete und Malerey wieder aus.

Die Leute ſind hier zu devot, ſagte Bel - phegor. Freylich muß man Plaͤtze ſuchen, wo ſchon ein gewiſſer Luxus herrſcht, und wo die Menſchen nicht mit ihren Beduͤrfniſ - ſen zu ſehr beſchaͤftigt ſind, um am Verguuͤ - gen Geſchmack zu finden. Dummheit und Devotion muͤſſen Leute, die fuͤr den Ge - ſchmack und die Philoſophie arbeiten, wie das Feuer vermeiden.

Sie giengen in eine kleine Stadt, aber auch hier wußte niemand etwas von dem großen Alexander, doch ſah man, um das Beduͤrfniß der Langeweile zu befriedigen,H 5die120die wunderbaren Schickſale des todten Halb - gottes auf der Leinwand an. Sie ſchauten alſo erſtlich: wie dem ſeynwollenden Halb - gott Alexander und großen Menſchenwuͤrger die Wuͤrmer aufm Leib herummarſchiren und jedes ſein Portionlein abzwackt. Ferner ſchauten ſie: wie von dem großen Alexander und Erzfeind der Perſer ein Theil in den Magen eines Schweins uͤbergeht. Die Idee, ſieht man wohl, war ſehr moraliſch, und Belphegor bedeutete ſein Auditorium dabey, daß die Theilchen Materie, die ehe - mals den Alexander ausmachten, als er Per - ſien ſchaͤndlicher Weiſe bekriegte, nach ſei - nem Tode zerflogen und verſchiedenen Men - ſchen, Pflanzen und Thieren zu Theil ge - worden waͤren. Er ließ daher ſeinen Hel - den unter einer Eiche begraben liegen, ſeine Beſtandtheile in den Baum aufſteigen und zu Eicheln werden, dann unter dieſer Ge - ſtalt in den Magen einer Sau hinunterſtei - gen, von dieſer ſeinen Ausgang nehmen, einen Fleck duͤngen, zu Flachſe aufwachſen und in dieſer Form von einem alten babylo - niſchen Weibe gebraucht werden, um ein Maͤuſeloch zu verſtopfen. Auf aͤhnlicheWeiſe121Weiſe mußte ein andrer Trupp von ſeinen Beſtandtheilen eine Reiſe thun, ſo ein drit - ter und noch mehrere, und jede Reiſe endigte ſich mit einer hoͤchſtunangenehmen Herber - ge. So viel ſinnreiches und wahres die Erfindung auch enthielt, ſo konnten die Ein - wohner doch nicht viel Beluſtigung daran finden, weil ſie nichts davon begriffen; be - ſonders wollten ſie nichts mit dem Alexan - der zu thun haben, der nie einem unter ihnen den Kopf entzwey geſchlagen hatte, und ih - nen alſo auch nicht bekannt war: der Ge - winnſt war ungemein geringe.

Sie machten einen dritten Verſuch in einer groͤßern Stadt: abermals Unwiſſen - heit! keine Seele wußte nur Eine Sylbe vom Alexander; man konnte ihn nicht ein - mal ausſprechen. Sie ſtellten ſich auf einen Marktplatz, wo das Volk ſich um einen Gau - kler aufmerkſam verſammelt hatte, den es aber ſogleich haufenweiſe um der Neuheit willen verließ, als die beyden Europaͤer ihre Stangen hoch in die Luft aufrichteten. Man wurde durch den Anblick der Gemaͤlde nicht ſonderlich ergoͤtzt, man gaͤhnte: indeſ - ſen hatte der Gaukler es doch einmal uͤbelgenom -122genommen, daß er durch die Ankunft dieſer Leute einen Verluſt an Zuſchauern erlitte; er hoͤrte alſo kaum die erſte Sylbe von dem Namen des Alexanders, als er, um ſich zu raͤchen, unter die Menge das Geruͤchte aus - ſtreute, daß dieſe Ruchloſen den großen Pro - pheten Ali verſpotten und laͤcherlich machen wollten: das Volk, das ohnehin wegen ſei - ner betrognen Erwartung wider die Euro - paͤer eingenommen war, fieng bald Feuer, gab eine Salve Steine und Knittel auf die Gemaͤlde, ſtuͤrmte darauf loß, eroberte und vernichtete es unter dem lauteſten Jubel. Ein Gluͤck war es, daß der Poͤbel Gelegen - heit fand, ſeine Wuth an der fuͤhlloſen Lein - wand zu ſaͤttigen: denn waͤhrend dieſer Ra - ſerey erwiſchten die beyden Europaͤer eine Oeffnung in dem Gedraͤnge, durch welche ſie wohlbedaͤchtig hindurchkrochen und mit leidlich heilen Gliedmaßen zum erſten Thore hinausliefen.

O Wohnung des Neides und des Un - gluͤcks! rief Belphegor; haͤßliche Erde! Auch in dem niedrigſten Gewerbe iſt Krieg! findet ſich Gelegenheit fuͤr Menſchen, einan - der mißguͤnſtig zu verfolgen! O Erde, duWoh -123Wohnung des Neides! Freund! was ſollen wir nun thun?

Betteln! ſagte der Gefaͤhrte ſeines Ungluͤcks.

Betteln! ſchrie Belphegor und ſeufzte.

Nicht anders! Weg mit dem Stolze! Unverſchaͤmtheit her! das iſt itzt unſre noth - wendigſte Bruſtwehr.

Belphegor ſtieß einen Valetſeufzer an den Stolz aus, ließ ſich von ſeinem Freunde die Haare abſchneiden und wanderte mit ihm auf gutes Gluͤck hin.

Die Lebensart war nicht wenig eintraͤg - lich fuͤr ſie: doch fuͤr Belphegorn weniger als ſeinen Gefaͤhrten, weil dieſer die Kunſt der Unverſchaͤmtheit beſſer inne hatte. Bel - phegor troͤſtete ſich damit, daß er ſein ſchlech - teres Fortkommen einer hoͤhern natuͤrlichen Wuͤrde zuſchrieb, und ſein geſicherter Stolz hielt den Neid zuruͤck. Ploͤtzlich wandte ſich durch einen Zufall das Gluͤck. Der zuruͤck - geſetzte Belphegor gerieth auf den Einfall, das Frauenzimmer zu ſeiner Goldmine zu machen, und bediente ſich dabey der bekann - ten Wuͤnſchelruthe der Schmeicheley: jeder, die er anſichtig wurde, ſagte er eineSuͤßig -124Suͤßigkeit je haͤßlicher ſie war, je ſtaͤr - ker gab er die Doſis und er lebte im Ueberfluſſe. Sein Gefaͤhrte war ſchon zu ſehr gewohnt, einen Vorzug vor ihm zu ha - ben, als daß er ſich itzt ſo ruhig von ihm uͤberholen laſſen ſollte: es kam ihm als ein Eingriff in ſeine Rechte vor, ſein Neid wurde rege, und da er ihm nichts entgegenzuſetzen hatte, ſo wuchs er taͤglich im Stillen, bis er mit Sturm ausbrach. Er ſuchte Urſache zum Zwiſte, und wie leicht kann jedem in dieſer Welt damit gedient werden! Er fand ſie, Belphegor gab nach, bis er endlich durch den Ungeſtuͤm des Andern gleichfalls erhitzt wurde; es wurde offner Krieg, worinne Belphegor den Kuͤrzern zog: ſein Gefaͤhrte pluͤnderte ihn, und verſetzte ihn in einen Zuſtand, daß er ihm nicht ſogleich nachfol - gen konnte, entfloh und trennte ſich von ihm auf ewig.

Belphegor lag mit blutendem Geſichte und halbgelaͤhmten Lenden an einem kleinen Fluſſe, wo er abermals uͤber Welt und Men - ſchen ſein Klagelied ſang und von den Be - ſchwerlichkeiten des vorigen Treffens aus - ruhte. Endlich da er weiter nichts vor ſichſah,125ſah, als ſeinen Weg und ſein Bettlergewerbe fortzuſetzen, ſtund er unwillig auf und hinkte laͤngſt des Fluſſes hin.

Nach einer kleinen Strecke ſtieß er an ein Frauenzimmer, das an einem Scheidewege auf einem Steine ſaß und ihn ſchon in der Ferne mit den wolluͤſtigen Geberden bewill - kommte: er merkte alſo leicht, daß es eine von den orientaliſchen Schoͤnheiten war, die ihre Reize auf den oͤffentlichen Straßen ſelbſt verhandeln. Sein Muth war zu ſehr geſunken, um an ihren Einladungen Theil zu nehmen: er gieng alſo ungeruͤhrt vor - uͤber und wuͤrdigte ſie kaum eines Seiten - blickes. Sie folgte ihm und beunruhigte ihn mit den Bemuͤhungen, ſein Felſenherz zu erweichen, ſo lange bis er unwillig ſie zuruͤckwies: ſie verfolgte ihn unaufhoͤrlich. Um wenigſtens die Qual ihrer Zudringlich - keit zu mindern, bat er ſie, ihm den Weg zur naͤchſten Hauptſtadt zu zeigen, welches ſie gern that, weil der naͤmliche Platz fuͤr ihre Geſchaͤfte der vortheilhafteſte war, und unterwegs, da ſie durch ſeine Offenheit gleichfalls offen geworden war, unter -hielt126hielt ſie ihn mit ihrer Geſchichte, den Be - ſchwerlichkeiten ihres Handwerks und ihrem Ekel dafuͤr. Sie bewies beſonders bey dem letzten Punkte eine Empfindſamkeit, die ſie ihrem Begleiter merkwuͤrdig machte, und verſicherte, daß ſie nichts als die aͤußerſte Noth in eine der ſchaͤndlichſten erniedri - gendſten Lebensarten geſtuͤrzt habe, die ſie haßte und verfluchte, und nur, um nicht zu verhungern, emſig betreiben muͤßte. O, ſetzte ſie hinzu, Schickſal! du biſt der Schoͤ - pfer unſrer Vergehungen!

Achtes[127]

Achtes Buch.

I[128][129]

Belphegors Begleiterinn fieng ungeheißen an, ihm etliche Stuͤcke ihrer Geſchichte mitzutheilen, und zwar mit dem Tone eines geheimen Kummers, der ſich oͤffnen will, um ſich zu erleichtern: allein ihr Zuhoͤrer war mit ſeinen eignen truͤbſinnigen Gedanken zu ſehr beſchaͤftigt, um von ihrer Erzaͤhlung intereßirt zu werden. Sie fuhr demungeach - tet ungehindert fort und verſicherte, daß der ganze unuͤberſehliche Faden ihrer grauſamen Schickſale von einem gewiſſen Fromal an - geſponnen ſey, dem ſie dafuͤr allen Fluch des Himmels und der Erde zur Belohnung an - wuͤnſchte.

Belphegor fuhr auf und ſah ſie unbeweg - lich an. Von einem gewiſſen Fromal! rief er, wie aus einem Traume erwachend.

Ja, von dieſem ſchaͤndlichſten aller Boͤſe - wichter, der mich verleitete, einen gewiſſen Belphegor zum Hauſe hinauszuwerfen

Einen gewiſſen Belphegor! unterbrach ſie ihr Gefaͤhrte erſchrocken, doch ohne ſichI 2zu ver -130zu verrathen, ob er gleich merkte, mit wem er zu ſprechen die Ehre hatte.

Sie erzaͤhlte ihm hierauf mit gelaͤufiger Zunge ihre ganzen Schickſale bis zu der großen Wolkenreiſe,*)Im erſten Bande. wo ſie von ihrem verſoͤhnten Liebhaber und ſeinem Freunde Me - dardus getrennt wurde, und zwar mit den naͤmlichen Umſtaͤnden, unter welchen meine Leſer ihren Bericht bereits vernommen haben. Belphegor konnte daraus nichts anders ſchließen, als daß die Geſchichte wahr und ſein Freund Fromal ein treuloſer Freund ſey, der ihn doppelt hintergangen, als er ihn nach ſeiner Verweiſung aus Akantens Hauſe beruhigte, und als er ihm die Urſachen her - rechnete, warum er zu ſeiner Vertreibung etwas beygetragen hatte. Er naͤhrte ſchon lange einen bittern Unwillen wider alles, was menſchlich heißt, bey ſich, und glaubte um ſo viel leichter, daß ſein Schluß richtig, und Fromal, wie alle Menſchen, ein Boͤſe - wicht ſey.

Waͤhrend daß er mit einer geheimen me - lancholiſchen Freude dieſer Meynung beyfiel, fuhr Akante in ihrem Berichte fort underzaͤhlte131erzaͤhlte ihm, daß ſie von ihrer Wolkenfahrt in die Tuͤrkey herabgelaſſen worden ſey und ſich, um ihrem gaͤnzlichen Mangel abzuhel - fen, an einen reichen Kaufmann als Skla - vinn verhandelt habe.

Mein Herr, ſagte ſie, ward meiner bald uͤberdruͤßig: ſo ſehr ich ſelbſt nach dem Ver - luſte meiner hauptſaͤchlichſten natuͤrlichen Schoͤnheiten in Europa gefiel, ſo wenig wurde dieſer fuͤhlloſe Tuͤrke von meiner mar - mornen Hand und meinem ſchoͤn lackirten Geſichte geruͤhrt, das leider! itzt nur noch Ruinen ſeiner vormaligen Schoͤnheit aufzu - weiſen hat. Er verkaufte mich an einen Herrn, der ſich beſſer darauf verſtand, weil er ein Paar elende Goldſtuͤcke bey dem Han - del gewinnen konnte. Mein neuer Herr nahm mich in ſein Serail und verkaufte mich in etlichen Wochen an Mulai Jaſ - ſem, einen Handelsmann aus Antiochien; Mulai Jaſſem verkaufte mich an Abi Nizza nach Bagdad; Abi Nizza uͤber - ließ mich ſeinem Bruder, dem Abi Eſſer: Abi Eſſer, ein aufbrauſender Mann, ward zornig auf mich, warf mich zum Hauſe hin - aus, ließ mich wieder zuruͤckholen, um mirI 3hun -132hundert Peitſchenhiebe mitzutheilen, und ver - tauſchte mich gegen ein ſchoͤnes kaſtanien - braunes Pferd an einen Franken,*)So werden die Chriſten im Oriente genennt. der mich endlich in die Haͤnde eines perſiſchen Herrn brachte, eines der maͤchtigſten Herrn im Koͤnigreiche; und ich wurde unter die Zahl ſeiner Beyſchlaͤferinnen aufgenommen. Ob er gleich aus beſondern Abſichten nur zwey Weiber hatte, ſo war doch ſein Haus ein beſtaͤndiger Schauplatz des Zanks und Tumultes: es theilte ſich in zwo Faktionen, die einander toͤdtlich haßten und mit aller Erfindungskraft auf Mittel ſannen, ihren Haß zur Thaͤtlichkeit werden zu laſſen: Sklaven, Sklavinnen, alles hatte den Groll von ſeiner Gebieterinn angenommen und verfolgte ſich, als wenn es ſeine eigne An - gelegenheit waͤre. Vorzuͤglich aͤußerte ſich dieſe Feindſchaft bey der Geburt eines Kindes; die eine von den beyden Weibern war ganz unfruchtbar, und die andre hinge - gen hatte ihrem Herrn ſchon drey Kinder ge - boren: ein ſolcher Vorzug war des bitterſten Neides werth. Als dieſe Gluͤckliche zumvier -133viertenmale niederkam, ſo biß ſich ihre Nei - derinn vor Zorn und Unwillen bey der erſten Nachricht davon ſo heftig in die Unterlippe, daß man ſie abloͤſen mußte, um eine Ent - zuͤndung des ganzen Geſichts zu verhindern. Kaum hatte ſie den Schmerz ausgeſtanden, als ihr die Rachſucht den grauſamen Ent - ſchluß eingab, die Woͤchnerinn nebſt ihrer Frucht im Bette zu verbrennen: ſie gab ih - rer Partey Befehl dazu, die mit der groͤß - ten Bereitwilligkeit eilte, ihn zu vollſtrecken. Im Augenblicke loderten die Flammen in ihrem Zimmer und allen Ecken hervor, er - griffen die naͤchſt daran ſtoßenden, verbrei - teten ſich weiter, und in wenig Minuten war der ganze Palaſt in Rauch und Flam - men gehuͤllt: man rettete ſich, wie man konnte, und mit dem groͤßten Theile der Sklavinnen entlief ich, um ein leichter Joch zu finden, als das wir bey unſerm gegen - waͤrtigen Tyrannen zu tragen hatten: doch wir wurden von etlichen Verſchnittnen ein - geholt, gemuſtert und bis auf eine kleine Anzahl verkauft, bey welcher Gelegenheit ich in die Haͤnde des großen maͤchtigen Fali gerieth, um die Aufwaͤrterinn einer ſeinerI 4Bey -134Beyſchlaͤferinnen zu werden. Er hatte dem Sultan, ſeinem Herrn, wichtige Dienſte im Kriege gethan und noch vor kurzem etliche Provinzen erobert, weswegen ihm ſein Herr mit vieler Achtung und Schonung begegnete. Einer von den Feldherren, der mit ihm eine gleich lange Zeit gedient hatte und es hoͤchſt uͤbel empfand, daß ihm das Gluͤck weniger gewogen war und ihn etliche Stufen niedri - ger in der Gunſt ſeines Deſpoten ſitzen ließ, hielt ſich fuͤr verpflichtet, einen ſolchen Mann zu haſſen, zu verfolgen, und wo moͤg - lich, unter ſich zu erniedrigen. Er ſuchte jede Gelegenheit anzuwenden, ihn ſeinem Herrn verdaͤchtig zu machen; und keine gluͤckte ihm. Seine Mißgunſt ſtieg zu einer ſolchen Hoͤhe, daß es ihm genug war, ſei - nen Nebenbuhler zu ſtuͤrzen, wenn er gleich ſelbſt in ſeinen Fall mit hinabgezogen wer - den ſollte. Unter den vielen fehlgeſchlage - nen Liſten erfand er endlich eine gluͤckliche, wobey ich die Hauptrolle ſpielte.

Als ich eines Tages dicht an den Mauern des Harems Feldblumen fuͤr meine Gebie - terinn ſuchen mußte, ſo naͤherte ſich mir ein alter Evnuche und verſprach mir gleich beyder135der erſten Anrede, mein Gluͤck auf ewig zu machen, wenn ich mich in ein Verſtaͤndniß von der aͤußerſten Wichtigkeit mit ihm ein - laſſen wollte. Ich wurde neugierig, und er verlangte von mir, daß ich mich ſchlech - terdings in die Gunſt des Fali einſchmei - cheln und zu der Ehrenſtelle einer wirklichen Beyſchlaͤferinn erheben laſſen muͤßte. Wie kann ich das? fragte ich. Dafuͤr laß mich ſorgen! war ſeine Antwort: gieb mir nur dein Wort, daß du dich zu allen Schrit - ten, die die Sache erfodert, gehorſam be - quemen willſt, ohne jemals zuruͤckzuweichen oder furchtſam vor Schwierigkeiten zu er - ſchrecken, die ſich dir in Menge entgegen - ſtellen werden. Ueberlaß dich meiner Fuͤh - rung, und folge an meinem Arme jeder mei - ner Bewegungen ohne Widerſtreben nach! In wenig Wochen ſollſt du im Triumphe auf dem Gipfel ſtehen, von welchem deine Gebieterinn itzo auf dich herabſieht. Ich verſprach, ihm in allem zu gehorſamen: und ſogleich verließ er mich, ohne mir das mindeſte von dem Gange ſeines Anſchlags zu entdecken. Ich war erſtannt, ich ſann nach, und gieng voll unruhiger ErwartungI 5und136und Erſtaunen mit meinen Blumen in den Palaſt zuruͤck. Ich mußte jeden der fol - genden Tage Blumen ſuchen; ich glaubte jedesmal den alten Evnuchen zu finden, um etwas beſtimmteres von meinem bevorſte - henden Gluͤcke zu erfahren: allein ſtatt ſei - ner kam den dritten Tag der große Fali und eine kleine Weile darauf der alte Evnu - che, der uns aber bald wieder verließ, nach - dem er mir einen verſtohlnen Wink gegeben hatte, die Gelegenheit zu nuͤtzen. Ich nahm die ſchoͤnſte unter meinen Blumen, uͤber - reichte ſie ihm demuͤthig und warf mich vor ihm nieder. Herr, ſprach ich, ſiehe in Gna - den das geringe Geſchenk deiner Magd an und verſchmaͤhe nicht die Gabe ihrer Haͤn - de! Er befahl mir aufzuſehn, und ver - ſicherte mich ſehr freundlich, daß ich Gnade vor ſeinen Augen gefunden haͤtte, worauf er mir zu meiner Arbeit zuruͤckzukehren gebot und mich verließ. Ich pfluͤckte gedanken - voll weiter und fand in dieſem Raͤthſel alles unaufloͤslich: ich brachte vier und zwanzig Stunden in der quaͤlendſten Ungewisheit zu, bis der alte Evnuche zu mir kam und mir das Geheimniß zum Theil entwickelte. Du137Du ſollſt, ſagte er mir, von Stund an zur Beyſchlaͤferinn des erhabnen Fali, des gro - ßen Feldherrn ausgerufen werden, und ſo - gleich wirf die Sklavenkleider von dir und ziehe dieſes Gewand an, das dich mit dei - ner bisherigen Gebieterinn in gleichen Rang ſetzt, und, wenn du klug genug biſt, mei - nen Rathſchlaͤgen getreulich folgſt und die noͤthige Vorſichtigkeit gebrauchſt, dich an die Spitze des ganzen Harem emporheben wird. Ich zog das koſtbare Kleid an, gelobte ihm den unverbruͤchlichſten Gehorſam und folgte ihm, worauf ich in ein ſchoͤnes moͤblirtes Zimmer kam, das mir nebſt etlichen andern zu meiner Wohnung beſtimmt war: die fuͤr mich beſtellten Verſchnittene und Sklavinnen empfiengen mich und ſtunden auf jeden mei - ner Winke in Bereitſchaft: kurz, ich war die geehrteſte gluͤcklichſte Bewohnerinn des ganzen Harems und in der Gunſt mei - nes Herrn die oberſte.

Guter Mann! Du weißt es vielleicht aus eigner trauriger Erfahrung, daß der Neid unmittelbar in die Fußtapfe tritt, wenn die Groͤße den Fuß von ihr aufhebt: ich erwar - tete ihn und trug ihn daher deſto ſtandhafter. Meine138Meine vorige Gebieterinn ſetzte den ganzen Harem wider mich in Aufruhr; ihre ehema - ligen Feindinnen welches alle ihres glei - chen waren wurden itzt die auserleſen - ſten Freundinnen, die ſich mit ihr zu meinem Umgange verſchwuren. Der alte Evnuche ſtellte mir die Groͤße der Gefahr oft vor Au - gen, da ich ſie ohne ihn nicht einmal erfah - ren haben wuͤrde, ſo verſteckt waren alle Minen, die mich ſprengen ſollten, ermahnte mich zu vorſichtiger Standhaftigkeit und ſchwur mir theuer zu, daß mich nicht der mindeſte Stoß von der angelegten Untergra - bung treffen werde, weil er mein Beſchuͤtzer ſey. Sein Wort war mir um ſo viel ſichrer, weil ich wußte, daß er der Liebling unſers Herrn war und ſo viel uͤber ihn vermochte, daß auch die Neigungen des großen Fali von dem Willen und der Billigung dieſes alten Geſchoͤpfes abhiengen: alle Unternehmun - gen wider mich giengen alſo fehl, nur die einzige, die ungluͤcklichſte unter allen waͤre beynahe gelungen man trachtete mir nach dem Leben. Weil man nirgends zum Zwecke gelangen konnte, ſo ließ man die Decke meines Schlafzimmers allmaͤhlich ſozer -139zerwuͤhlen und die Befeſtigung derſelben ſo locker machen, daß ſie unfehlbar herunter - fallen und mich toͤdten mußte. Ob man gleich bey dieſem moͤrderiſchen Anſchlage die noͤthigſten Maasregeln ergriffen hatte, um den voͤlligen Einſturz zu veranſtalten, wenn ich den Untergang nicht vermeiden konnte, ſo kam doch der Zufall ihren weiſen Veran - ſtaltungen zuvor, und warf die Decke mit einem gewaltigen Krachen hernieder, als ich eben auf den gluͤcklichen Sofa in den Armen des großen Fali in der vollſten Em - pfindung lag. Der Feldherr, der uͤber dieſe Stoͤrung ſeines Vergnuͤgens ergrimmte, forſchte nach dem Thaͤter; denn man fand deutliche Spuren, daß Kunſt gebraucht wor - den war, den Fall zu befoͤrdern: er forſchte mit aller Strenge nach ihm, doch ohne ihn zu entdecken. Dieſe Fruchtloſigkeit ſeiner Bemuͤhung ließ ihm eine Verſchwoͤrung ver - muthen, in welche, wo nicht das ganze Harem, doch wenigſtens der groͤßte Theil deſſelben verwickelt ſeyn mußte: theils um zu ſtrafen, theils um abzuſchrecken, ließ er ein ſchreckliches Blutbad anrichten, das die Haͤlfte des Serails und mit derſelben auchmeine140meine vorige Gebieterinn wegnahm. Ich bat, ich flehte; aber der raſende Fali war unerbittlich und ruhte nicht eher als bis er die Zuſammenrottung in Stroͤmen Menſchen - blut erſaͤuft hatte.

Kurz nach dieſem grauſen Auftritte ent - zuͤndete ſich ein neuer Krieg: alles war in Zwietracht; und mein alter Evunche berich - tete mir, daß er der einzige Urheber dieſer Unruhen ſey und ſie zu Befoͤrderung ſeiner Abſichten nie erloͤſchen laſſen duͤrfe. Und welche ſind das? fragte ich neugierig. Abſichten, erwiederte er, deren Reife her - annaht. So hoͤre dann! Den Mann, in deſſen Umarmung du bisher die ſuͤßeſten Em - pfindungen der Liebe geſchmeckt haſt, ſollſt du ſtuͤrzen. Ihn? fuhr ich auf: ihn, von deſſen Haͤnden ich Gluͤck und Wohlſeyn empfieng, der mich auf die oberſte Staffel ſeiner Gunſt erhob, ihn ſollte ich ſtuͤrzen? Undankbar will ich nimmermehr ſeyn. So ſtuͤrze dich! war ſeine kalte Antwort. Waͤhle zwiſchen ſeinem und deinem Unter - gange! Ich wollte Einwendungen ma - chen und Fragen thun, aber er ſchnitt mir meine Rede gerade zu ab, verbot mir alleDecla -141Declamationen und befahl mir zu waͤhlen, und dann zu hoͤren, was ich gewaͤhlt haͤtte. Keine Verlegenheit kann in der Welt groͤßer geweſen ſeyn, als die meinige damals: ſich ſelbſt, oder ſeinen Wohlthaͤter ſchaden muͤſ - ſen, ein trauriger Wechſel! Ich gehorchte dem Verlangen meiner Selbſterhaltung und bezeigte mich zu den Anſchlaͤgen des boͤſen Evnuchen bereitwillig, der mich alsdann durch den ſchrecklichſten Schwur die Bewah - rung des Geheimniſſes angeloben ließ. Der große Edzar, fieng der Boͤſewicht an, der Nebenbuhler unſers Herrn, hat mich zu der Ausfuͤhrung ſeiner Abſichten auserſehen; ich habe mich ihm verpflichtet und muß ſchlech - terdings ſeinen Auftrag zu Stande bringen. Er gebot mir eine von den niedrigſten Skla - vinnen in die Gunſt des Fali zu bringen, deren Gluͤck in meiner Gewalt waͤre, und die alſo entweder ſich in unſre Entwuͤrfe fuͤ - gen oder ihrer eignen Erhaltung entſagen muͤßte: ich waͤhlte dich dazu, und du haſt dein Gluͤck dem Gluͤcke eines andern vorge - zogen, was man leicht vorausſehn konnte. Vernimm alſo was dir weiter zu thun ob - liegt! Der große maͤchtige Herr deinesHerrn142Herrn wird dich von ihm verlangen: es wird ihm ſchwer werden, und ich will ma - chen, daß es ihm unmoͤglich wird, dich zu miſſen, eben ſo wie der Feldherr Edzar es bey ſeinem Herrn dahinbringen wird, daß es ihm unmoͤglich iſt, dich nicht zu beſitzen. Der erhabne Herrſcher aller Herrſcher wird uͤber die Verweigerung deines Herrn er - grimmen, und ſiehe! ſo iſt ſein Fall gewiß, und du wirſt zu der Umarmung des maͤch - tigſten Regenten erhoben.

Die ſo lange vorher ausgeſonnene Bos - heit wurde ihrer Ausfuͤhrung taͤglich naͤher gebracht: in kurzer Zeit hatte der tuͤckiſche Edzar ſeinen Herrn beredet, daß ich die groͤßte Schoͤnheit des Orientes ſey, und dieſe Ueberredung war hinreichend, ihn bis zum Unſinne in mich verliebt zu machen, ob er mich gleich nie geſehn hatte. Er verlangte mich ſchlechterdings zu beſitzen, und erwar - tete nichts weniger, als daß ſein getreuer Knecht Fali ſeinen Wuͤnſchen den mindeſten Wiederſtand entgegenſetzen werde! je mehr dieſer wankte, dem Verlangen ſeines Herrn zu gehorſamen, je mehr feuerte der alte Evnuche ſeine Liebe an, je mehr ſuchte erihm143ihm glauben zu machen, daß er ohne mich der ungluͤcklichſte Sterbliche ſey, und ſich da - her den ungerechten Zumuthungen ſeines Herrn gerade zu wiederſetzen muͤſſe: der alte Boͤſewicht, um den Untergang ſeines Herrn deſto ſchneller zu befoͤdern, rieth ihm ſogar, den Antrag der Haͤrte und Unwillen abzu - weiſen. Auf der andern Seite blies Edzar die Leidenſchaft des Deſpoten unermuͤdet an, und die beiden Alten, der Koͤnig und ſein Feldherr Fali, waren wie zween gierige Raubthiere, die ſich auf die Aufmunterung und Loshetzung jener beiden Verbrecher um mich, ihre Beute, haßten, verfolgten und lieber gar gewuͤrgt haͤtten. Der Koͤnig mußte meinen Herrn ſchonen, wenn er ſich nicht der Gefahr eines Aufruhrs ausſetzen wollte: denn Fali war der Liebling aller Soldaten, die ihn, wie ihren Vater, vor jeder Verle - tzung zu ſichern ſuchten und fuͤr ſeine Erhal - tung ihre eigne verachtet haͤtten. In dieſer quaͤlenden Verlegenheit griff er nach der Liſt und wollte mich durch verdeckte Wege aus den Haͤnden des widerſpenſtigen Fali reißen: Edzar erfuhr ſeinen Anſchlag und beguͤn - ſtigt ihn. Man legte an dem Theile desKPala -144Palaſtes, wo ich wohnte, Feuer an, und wenn ich mitten durch die Flammen mich retten wuͤrde, ſo ſollten mich einige Auflaurer auffangen und dem Koͤnige uͤber - liefern. Der alte Evnuche, der von allen dieſen Raͤnken voͤllig unterrichtet war, ließ zwar die Flammen ungehindert auflodern und mich eben ſo ungehindert von meinen Entfuͤhrern davontragen, allein auf ſeine Veranſtaltung wurden einige von den koͤni - glichen Aufpaſſern eingefangen und vor dem Fali gebracht, der mit der Wuth eines Loͤ - wen wider ſeinen Herrn tobte, Schaͤtze, Pa - laſt, Weiber und alles der Willkuͤhr der Flamme uͤberließ, und davon eilte, um mich zuruͤckzuholen, oder alles zum allge - meinen Aufſtande aufzuwiegeln und dann ſeine Beleidigung mit Blute zu raͤchen. Er raſte wie ſinnenlos, und Zorn und Rachſucht machten ſeine Liebe zu mir ſtaͤrker als ſie wirklich war: er lief, ohne zu wiſſen wohin, indeſſen daß ihm der Dampf von ſeinem ver - brennenden Vermoͤgen nachrollte. Wem er auf ſeinem Wege begegnete, dem erzaͤhlte er mit der aͤußerſten Haſtigkeit ſeine Geſchichte, und jeder war ſchon auf ſeiner Partey, eheer ihn145er ihn noch dazu ziehen wollte: in kurzer Zeit verbreitete ſich der Tumult allenthalben, Soldaten und andre Einwohner eilten in vermiſchter Ordnung einher, und alles rief: es lebe Fali! es ſterben alle ſeine Feinde! Der beleidigte Feldherr ſelbſt war an ihrer Spitze und ſchnaubte vor Zorn und Rache: das Scharmuͤtzel fieng an und wur - de bald zur offnen Schlacht. Man er - wuͤrgte ſich, man ſchlug ſich blutig, man hieb ſich nieder, mir und dem Fali zu Eh - ren. Der Sieg ſchien ungezweifelt fuͤr den Feldherrn, als ploͤzlich ſeine ganze Partey ſich von ihm trennte und ihn der Wuth ſei - ner Gegner uͤberließ, die ihn gefangen nah - men. Dieſer ploͤzliche Unfall war Edzars Veranſtaltung, der unter dem Hintertrupp von Falis Verfechtern das Geruͤchte aus - ſtreuen ließ, daß ihr Anfuͤhrer in einer ent - legnen Straße große Gefahr laufe, in die Haͤnde der Feinde zu fallen: ſogleich ſtuͤrzte ſich der getreue Trupp an den Ort, wohin ſie das falſche Geruͤchte rief; die Uebrigen, die dies fuͤr Flucht hielten, folgten ihnen zum Theil nach, um ſich mit ihnen zu ret - ten, zum Theil um die Entflohenen zu ihrerK 2Schul -146Schuldigkeit zuruͤckzubringen. Dieſe Tren - nung verurſachte bald allgemeine Unordnung und Verwirrung: dieſer fuͤrchtete ſich, jener zuͤrnte, dieſer tobte, jener ſtand vor Zer - ſtreuung unthaͤtig: ein jeder wurde durch eine Leidenſchaft von der Gegenwehr abgeru - fen, die Feinde drangen ein, trieben ſie fort umringten den verlaßnen Fali und brachten ihn vor ſeinen Herrn, der ihn gern mit dem Blicke vor Wuth getoͤdtet haͤtte und ihn ſo - gleich den graͤulichſten Martern uͤbergeben ließ.

Nunmehr, da der Sturm voruͤber war, hatte er Muße, die Schoͤnheit in Betrach - tung zu nehmen, die ihn veranlaßt hatte: ich wurde zu ihm gefuͤhrt. War es Unmuth und boͤſe Laune oder entſprach meine Geſtalt ſeiner uͤberſpannten Erwartung nicht! ich mißfiel ihm im hoͤchſten Grade, ſo ſehr daß er mich von zween Evnuchen zum Se - rail hinauspeitſchen ließ und ſogleich Befehl gab, dem Edzar, der die Wolluſt ſeines Herrn ſo unverantwortlicher Weiſe zu der falſcheſten Erwartung verfuͤhrt hatte, den Kopf glatt vom Rumpfe herabzuſaͤbeln.

Da147

Da ſieht man doch, daß die Vorſicht noch lebt! wuͤrde Freund Medardus ausrufen ſprach Belphegor, ohne zu uͤberlegen, daß dieß ein Mittel ſeyn koͤnnte, ſich vor der Zeit zu verrathen: allein Akante war zu ſehr in ihre Geſchichte vertieft, um ſich ein ſol - ches Anzeichen nicht entwiſchen zu laſſen. Sie hielt ſich alſo blos an das Weſentliche des Ausrufs und fiel ihm haſtig ins Wort: Ja, ſo wuͤrde ich auch denken; aber warum mußte denn der ungluͤckliche Fali um - kommen, der treu fuͤr ſeinen Herrn gefoch - ten und eine niedertraͤchtige Beleidigung nicht als ein feiges Lamm erdulden, ſon - dern den Urheber derſelben muthig beſtrafen wollte? warum ließ da deine Vorſicht nicht lieber den Streich des Fali gelingen, der in ſeinem Herrn einen groͤſern Boͤſewicht ge - zuͤchtigt haͤtte als Edzar war?

Belphegor wollte antworten, aber ſie ließ ihn nicht zum Worte: in Einem unaufhalt - ſamen Strome fuhr ſie zu fragen fort. Warum mußte ich, die ich zu dem gottloſen Anſchlage hingeſchleppt worden war, die ich wie eine lebloſe Maſchine dabey gleich - ſam fortgeſtoßen wurde, warum mußte ichK 3aͤrger148aͤrger als Edzar, der gottloſe Anſtifter des Verbrechens, behandelt werden? Mit Ei - nem kurzen Hiebe war ſein Leben und ſeine Marter aus: aber ich Elende wurde von zween wilden Evnuchen zum Serail unter tauſend empfindlichen Hieben hinausgetrie - ben, dem Schmerze, dem Kummer, der Duͤrftigkeit und allen nur erdenklichen Un - gluͤcksſeligkeiten uͤbergeben; ich mußte vier - und zwanzig Stunden lang unter freyem Himmel, allen Unfaͤllen der Witterung aus - geſetzt, mit einem von Blute unterlaufnen Ruͤcken liegen, durch die Barmherzigkeit eines Fremden in ein Haus gebracht, geheilt und durch ſeine ploͤzliche Abreiſe mitten in der Kur dem Elende von neuem ausgeſetzt wer - den, ich mußte von Almoſen leben und die meiſte Zeit hungern, ich mußte endlich, um weniger zu hungern, mich der Willkuͤhr eines jeden uͤberlaſſen und hier ver - ſiummte ſie.

Alles verdiente Strafen! fuhr Belphegor haſtig auf, fuͤr die lahme Huͤfte, die du mir hier beſann er ſich: denn Akante ſah ihn ſehr ernſthaft und bedenklich an; und weil ein Argwohn leicht Gruͤnde zurGewiß -149Gewisheit findet, ſo erblickte ſie, aller Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein vie - le Aehnlichkeit in den Geſichtszuͤgen des Mannes mit demjenigen, dem ſie ehemals lahme Huͤften gemacht hatte. Sie hielt es wenigſtens der Muͤhe werth, einem Verſuch mit einer Anfrage zu thun; und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler war, ſo konnte ſie nichts dabey verlieren, ſich ihn unter den Charakter einer Hure dar - zuſtellen. Sie ſah ihn immer ſteifer an, ſagte die erſten Sylben ſeines Namens, bis ſie ihn ganz herausſprach, und der gute Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr laͤnger nicht verhelen konnte, daß er es war, den ſie nannte. Beide, obgleich keins vor dem andern viel voraus hatte, ſchaͤmten ſich mit ihrem Reſte von europaͤiſchem Gefuͤhle, ſich in ſo traurigem erniedrigendem Zuſtande widerzufinden. Haͤtte auch gleich kein Ue - berbleibſel von Liebe mitgewirkt, ſo waͤre die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft ſchon kraͤftig genug geweſen, ſie fuͤr einan - der anziehend zu machen: doch mitten unter den Empfindungen, die ihre Wiedererken - nung begleiteten, konnte Akante nichtK 4vergeſ -150vergeſſen, daß ihr bisheriges Ungemach eine Folge von den Huͤftenſchmerzen ſeyn ſollte die ſie Belphegorn gemacht hatte, beſonders da Leute, die viel gelitten haben, alle Bey - ſpiele wider die Billigkeit der Vorſehung begierig auffangen, um ſich gleichſam fuͤr ihr ausgeſtandnes Ungluͤck dadurch an ihr zu raͤchen.

Was? rief ſie; ſo vieles Herzeleid ſoll ich durch zween oder drey Ribbenſtoͤße ver - dient haben, die ich dir, verblendet von un - willkuͤhrlicher Leidenſchaft und von Fromals ruchloſer Ermunterung angetrieben, ohne deinen großen Schaden gab? indeſſen daß Edzar, dieſer uͤberlegende ſtudierte Boͤſewicht, mit Einem leichten Schwerthiebe davon kam, und ſein niedertraͤchtiger Herr, der keine Sonne ohne eine That der Grauſamkeit un - tergehen ließ, noch lebt und in hohem Wohl - ſeyn uͤber Perſien herrſcht? Welche Pro - portion? Oder hat vielleicht mein ganzes Geſchlecht ſchon vor der Geburt lahme Huͤf - ten gemacht, daß es unter dieſem ganzen Himmelsſtriche zur elendeſten Sklaverey ver - bannt iſt? ſchon von dem erſten Augenblicke ſeiner Exiſtenz dazu verdammt iſt? Warumiſt mein151iſt mein ganzes Geſchlecht von ewigen Zeiten her der Jochtraͤger des eurigen, eurer Be - duͤrfuiſſe, eurer Bequemlichkeit, eurer uͤblen Laune geweſen? Wodurch hat es eine ſolche Zuruͤckſetzung unter das eurige verdient? Nichts als ſeine ungluͤckliche Schwaͤche warf es in die allgemeine Unterdruͤckung! Ueberſieh alle Zeiten und Laͤnder! Mußte die Gattung vernuͤnftiger Kreaturen, die ihr in Europa als Engel anbetet und vielleicht durch Schmeicheleyen einſchlaͤfern wollt, da - mit ſie euch ihre Ueberlegenheit nicht fuͤhlen laſſen, der ſchoͤnſte Theil der Schoͤpfung nicht beſtaͤndig dienen, in jedem Verſtande dienen? und nicht blos dienen, ſondern der Sklave des rohen grauſamen ſtaͤrkern maͤnn - lichen ſeyn? Allenthalben war dies, den ein - zigen kleinen Punkt ausgenommen, auf wel - chem wir das Leben empfiengen, und auch hier noch vor wenigen Jahren. Ihr Maͤn - ner konntet in der tollſten Raſerey zu Tau - ſenden nach einem kleinen Striche ſteinichten unfruchtbaren Erdreiches laufen*)Nach Palaͤſtina in den Kreutzzuͤgen. und Tod und Gefahren in jeder Geſtalt entgegengehn;K 5ihr152ihr konntet euch um eines lecren Titels, ei - ner einfaͤltigen Grille: eines blendenden Nichts, wuͤrgen, zerfetzen, verſtuͤmmeln: und doch kam keiner noch auf den edlern Vorſatz, das weibliche Geſchlecht in allge - meine Freiheit zu ſetzen. Schaͤmt euch, ihr Elenden! Um euern verfluchten Durſt nach Golde, nach Laͤndern, Titeln oder an - dere noch niedrigere Leidenſchaften der Ra - che, der Zankſucht, des Neides zu ſaͤttigen, macht ihr, ſo oft es euch beliebt, die Erde zum Schlachtfelde und wißt euren unmenſch - lichen Thaten tauſend ſchimmernde Maͤntel umzuhaͤugen und tauſend glaͤnzende Anſtriche von Edelmuth, Großmuth, Menſchenliebe, Patriotiſmus zu geben: doch fuͤr das Ge - ſchlecht: das euch mit Schmerzen gebar, wagtet ihr nie einen Schritt! vergoßt ihr nie einen Tropfen eures menſchenfeindlichen Blutes! Wohl den guten freundlichen Rit - tern, die waͤhrend der Barbarey unſers va - terlaͤndiſchen Himmelsſtrichs ſich uͤber alle Vortheile und Ruͤckſichten des Eigennutzes emporſchwangen und mit der Lanze in der Hand, von dem einzigen Triebe der Ehre und Menſchenliebe begeiſtert ausgiengen, dieBan -153Banden der weiblichen Knechtſchaft zu zer - brechen und rohen Unterdruͤckern des ſchwaͤ - chern Geſchlechts die Koͤpfe zu zerſpalten! Wohl ihnen, ſie waren die edelſten Krie - ger, die jemals die Waffen ergriffen: deren Namen in alle Felſen des Erdbodens mit unausloͤſchlichen Zuͤgen haͤtten eingegraben werden ſollen, und welche die Verewigung mehr als alle beruͤchtigte Laͤnderverwuͤſter, Staͤdtezerſtoͤrer und Menſchenwuͤrger verdient haͤtten. O daß ihr geheiligter Staub nicht hier unter meinen Fuͤßen ruht! daß die Staͤtte unbekannt iſt, die ihre edlen Gebeine be - wahrt! Jedes Mitglied des weiblichen Ge - ſchlechts ſollte zu ihnen eine Wallfahrt thun und ſie mit Blumenkraͤnzen und Raͤucherwer - ke ehren: jedes Maͤdchen ſollte ihnen die er - ſten Locken weihen, jede an ihrem Hochzeit - tage ihnen ein Feſt feiern. Dann wuͤrde einem unter euch vielleicht das eiskalte Blut genug erwaͤrmt werden, um nach einem aͤhn - lichen Lorber zu ſtreben: dann wuͤrde ein ſolcher Preiß vielleicht die Tapferkeit einiger ruhmſuͤchtigen Waghaͤlſe beleben, ſich zu der groͤßten Unternehmung zu vereinigen; dann wuͤrden Schaaren von edlen Streitern dennuͤzlich -154nuͤzlichſten Kampf wagen, muthig uͤber Seen, Berge und Schluͤnde hineilen, um in Nor - den und Suͤden, in Oſten und Weſten die Ketten zu zerſprengen, womit mein Ge - ſchlecht an das Joch der maͤnnlichen Unter - druͤckung angeſchmiedet iſt. O Freund! haͤtteſt du Geiſt und Feuer genug, ſo koͤnn - ten wir zuerſt dieſe Lorbern einerndten! ſo koͤnnten wir, wie der enthuſiaſtiſche Peter*)Peter der Eremit, der die Kreutzzuͤge veran - laßte. uͤber den Erdboden hinfliegen und Kaiſer, Koͤnige und Fuͤrſten aufmuntern, dem hal - ben Theile der Menſchheit Friede, Ruhe, Freiheit und Gluͤckſeligkeit zu erkaͤmpfen! Komm, Freund! Laß uns jeden, der Macht hat, das ſchwarze Gemaͤlde der weiblichen Sklaverey mit den ſchauderndſten Farben vor die Augen halten, und wer dann keinen Sporn in ſeinem Herze fuͤhlt, den treffe Fluch, den verzehre der Donner des Him - mels! den Feigen! den Nichtswuͤrdigen!

Belphegorn ſchauderte bey dieſer lebhaften Deklamation, und er fuͤhlte in ſeinem Kopfe ſo etwas, als wenn ſeine Einbildungskraftanfien -155anfienge Feuer zu fangen; ſein Herz ſchlug gleichfalls ſchneller, und in allen ſeinen Adern regte ſich ſeine vorige Tapferkeit: allein zu Akantens Begeiſterung konnte er ſich doch nicht erheben, um das Mißliche und Phan - taſtiſche in der vorgeſchlagnen Unterneh - mung nicht zu fuͤhlen. Die ganze Sache war: Akante hatte kurz vor ihrer Zuſammen - kunft mit Belphegorn von einem ihrer Lieb - haber, weil er ihr ſeine Erkenntlichkeit nicht beſſer zu beweiſen wußte, eine große Schach - tel mit Opium empfangen, wovon ſie in der Geſchwindigkeit eine ziemliche Portion verſchluckte, die ihre Nerven zu jenem Schwunge der Begeiſterung anſpannte, daß ſie ein ſolches phantaſtiſches Projekt entwer - fen und Belphegorn mit ſolcher Lebhaftigkeit zur Ausfuͤhrung antreiben konnte.

Da ſie endlich nach vielen Zunoͤthigungen gewahr wurde, daß ihr Geſellſchafter nie genug befeuert werden konnte, ſo bot ſie ihm in einer Art von Trunkenheit das Mittel an, das bey ihr eine ſo wirkſame Kraft geaͤußert hatte. Nimm, ſprach ſie, und ! Dieſe Frucht muß deiner Einbildungskraft Fluͤgel anſetzen, ſie muß dich uͤber dich ſelbſt em -por -156porſchwellen: nimm, ! und wenn du dann zu der wichtigen Unternehmung dich nicht hingeriſſen fuͤhlſt, ſo biſt du nicht werth, daß du aus der Bruſt deiner Mutter einen Tropfen Blut empfiengſt.

Der gluͤhende Belphegor nahm den ange - botnen Opium und verſchluckte eine große Menge, die in kurzer Zeit eine fluͤchtige An - ſpannung aller ſeiner Gefaͤße veranlaßte, daß ſeine Imagination aufbrauſte; und in dieſem Taumel gab er Akanten die Hand, ſchwur ihr einen theuern Eyd, und nichts war gewiſſer, als daß ſie beide, wie irrende Ritter, zu der Erloͤſung des weiblichen Ge - ſchlechts auswandern wollten. Da ſie in einem Lande waren, das ihnen Gelegenheit genug anbieten konnte, ihre ritterliche Tapfer - keit zu uͤben, ſo ſollte das Kriegstheater zuerſt dort eroͤffnet werden. Sie fiengen den Zug an, und ihre vier Arme duͤnkten ihnen in ihrer ſtolzen Berauſchung ſo ſtark als hundert - tauſend zu ſeyn, weswegen ſie nicht die min - deſte Bedenklichkeit hatten, ohne Huͤlfstrup - pen mit dem ganzen Oriente allein fertig zu werden. Sie ruͤckten an den naͤchſten Ort an, drangen mit Geſchrey in ein Haus undverlan -157verlangten von dem Manne die Befreyung ſeines Weibes und ſeiner Toͤchter aus der haͤuslichen Sklaverey. Der Mann, der weder ihre Anrede noch ihre Foderung ver - ſtand, aber doch aus ihrem Betragen ſchlieſ - ſen konnte, daß ſie nichts weniger als in friedlichen Abſichten zu ihm kamen, hielt es fuͤr rathſam allen Gewaltthaͤtigkeiten vorzu - beugen, weil es noch in ſeiner Macht ſtuͤnde, ſetzte ſich zur Gegenwehr, und ſeine Weiber, zu deren Erloͤſung unſre Helden ausgereiſt waren, geſellten ſich zu ihnen wider ihre Be - freyer, die ſie mit Fauſtſchlaͤgen, Naͤgelkratzen und andern Waffen zum Hauſe hinauskom - plimentirten, vor der Thuͤre ließen und in Friede und ſiegreich wieder in ihre vier Mauern zuruͤckkehrten.

Theils von ihren ritterlichen Thaten und den empfangnen Schlaͤgen, theils von der Ueberſpannung des Opiums ermuͤdet, blie - ben ſie beide auf dem naͤmlichen Flecke lie - gen, wohin ſie der letzte feindliche Stoß ver - ſetzt hatte, und im kurzen waren ſie in dem tieſſten Schlaf, worinne ſie unter den ſchwaͤr - meriſchſten Traͤumen und Entzuͤckungen bis zum Morgen verblieben.

Als158

Als ſie erwachten, ſahen ſie ſich voller Verwundrung an einem Orte, den ſie vor ihrem Schlafe niemals gekannt hatten, ent - deckten voller Verwundrung Beulen und ge - ronnenes Blut eins in des andern Geſichte; erblickten mit Erſtaunen Spuren eines Schar - muͤtzels, deſſen Folgen ſie deutlich fuͤhlten, ohne daß ſie nach ihrem lebhafteſten Be - wußtſeyn dabey geweſen waren. Das ganze kriegeriſche Projekt, wovon ſie eine mislun - gene Probe geliefert hatten, war bis auf das kleinſte Sylbchen aus ihren Koͤpfen verflo - gen: ſie ſannen, aber ihr eigner Zuſtand blieb ihnen ein unaufloͤsliches Raͤthſel, wes - wegen ſie ohne ferneres Kopfbrechen ſich von der Erde erhuben und bedaͤchtlich ihren Weg antraten.

Sie bettelten und waren bey dieſem Ge - werbe ehrlich und redlich in die chineſiſche Tartarey hineingerathen, wo neue Unfaͤlle auf ſie warteten. Bekanntermaßen herrſcht noch der voͤllige Naturkrieg unter dem tar - tariſchen Himmel, und eben damals hatten die Nunni, weil ſie an ihren Plaͤtzen Lan - geweile hatten, ſich es einfallen laſſen, einen Spatziergang von etlichen funfzigMeilen159Meilen zu den Hiutſchis zu thun und ſie aus ihren Wohnſitzen herauszutreiben: die Hiutſchis, welche einmal auf Gottes Erd - boden exiſtiren ſollten und zu ihrer Exiſtenz Platz brauchten, thaten den Niungis ein Gleiches und noͤthigten ſie, ihnen zu wei - chen: die Niungis raͤchten ſich dafuͤr an den Aldſchehus; allein dieſe waren ſo halsſtarrig tumm, nicht weichen zu wollen, welches die Niungis, die ihrentwegen einen ſo weiten Weg nicht umſonſt gethan haben wollten, ſo uͤbel nahmen, daß ſie alle umzubringen beſchloſſen: da dieſes aber nicht ſo ſchnell von ſtatten gehen wollte, als ſie anfangs vermutheten, und ſogar ihnen ſelbſt den Untergang zu drohen ſchien, ſo waren ſie zeitig genug ſo klug, daß ſie Friede anboten und den Aldſchehus einen Plan vorſchlugen, wo ſie ſich auf Unkoſten ihrer Nachbarn fuͤr die Koͤpfe entſchaͤdigen konn - ten, die ſie ihnen nicht entzweygeſchlagen hatten. Die Aldſchehus ergriffen begierig eine ſo ſchoͤne Gelegenheit, ihrem Schaden beyzukommen, und wanderten mit ihnen zu den Mogolutſchis, die ſie bis auf das kleinſte Kind dem Vergnuͤgen ihrer TapferkeitLaufzu -160aufzuopfern gedachten: allein die Mogo - lutſchis waren kluͤger als ihre Angreifer, und entwiſchten ihnen, weil ſie ſich ihrer ungleichen Kraͤfte ſehr wohl bewußt waren. Eine ſolche unverantwortliche Vereitlung aller ihrer Abſichten machte ſie hoͤchſt unwil - lig, daß die Mogolutſchis ihre Haͤlfe zu lieb hatten, um ſie ſich von ihnen zerbrechen zu laſſen, und die vereinigten Aldſchehus und Niungis faßten in ihrem Grimme den ruͤhmlichen Vorſatz, alle ihre tartariſchen Ne - benmenſchen, deren ſie nur habhaft werden koͤnnten, bis auf die Wurzel zu vertilgen. Sie hielten Wort: ſie ſchweiften nach allen Himmelsgegenden zu, und welches Men - ſchenkind in ihren Weg gerieth, das hatte gelebt. Durch dieſe erhabne Tapferkeit brachten ſie es in wenig Jahren dahin, daß in einem weitlaͤuftigen Diſtrikte keine Spur von Gottes Schoͤpfung mehr anzutref - fen war.

Gerade zu einer Zeit als man eine Tro - phee von Erwuͤrgten errichtet hatte, fuͤhrte das Schickſal unſre beyden Wanderer unter Muͤhſeligkeiten und Hunger dahin: ihre Kleidungen waren ſehr abgenutzt, ſie hieltenes alſo161es alſo fuͤr dienlich, ſie auf der Stelle von den Fragmenten, die an den Leichnamen hiengen, ſo gut zu rekrutiren als es die Um - ſtaͤnde erlaubten. Wohin ſollen wir nun? fragte Belphegor. Wir wollen gehn, bis uns der Hunger toͤdtet, es ſey wo es wolle.

Kaum hatte er den Entſchluß gefaßt, als ſie ein Trupp Niungis umringte und auf ihre bittenden Zeichen, beſonders wegen ih - res friedfertigen auslaͤndiſchen Ausſehns, mit ſich zu ihrem Oberhaupte ſchleppte, der ihnen bey dem Truppe zu bleiben verſtattete und ſie dem Hauptanfuͤhrer ſeiner Nation als eine Seltenheit vorzuſtellen gedachte. Die Maͤrſche waren uͤbermaͤßig ſchnell und eilfertig: ſie wurden durch etliche vereinigte feindliche Horden getrennt, und dieſe hatten die Bosheit, den Trupp, zu welchem unſre Europaͤer gehoͤrten, zu verſolgen, bis ihn ein Moraſt von der Gefahr der Nachſetzung befreyte, wo der groͤßte Theil deſſelben ſtecken blieb und ſtarb. Unſre Europaͤer wa - ren mit einigen Tartarn ſeitwaͤrts in einen Wald geſprengt, wo ſie der Feind ruhig ließ und zu andern erhabnen Kriegsthaten wie - der umkehrte.

L 2Bel -162

Belphegor und Akante hatten nebſt ihren Gefaͤhrten einige Zeit in dem Gehoͤlze zuge - bracht; als dieſe ſie ploͤtzlich verließen und durchaus nichts mehr mit ihnen zu ſchaffen haben wollten.

Trauriges Schickſal! rief Belphegor. Trauriges Schickſal! rief Akante; und bey - de wollten mit aller Gewalt ſterben: ſie ba - ten den Tod inſtaͤndigſt, mit ihren Koͤrpern die Raubthiere der dortigen Gegend zu be - dienen, aber der Tod war taub: ſie erblick - ten Fruͤchte, langten zu, erquickten ſich und wurden durch die einzelnen Staͤmme der Baͤume Waſſer gewahr, giengen darauf zu und fanden offenbares Meer. Viel - leicht, ſprach Belphegor wieder auflebend, vielleicht hat uns hier uͤber dieſe Fluthen der Himmel einen Weg gebahnt, um in das koͤſtliche Europa wieder zuruͤckzukehren. Lebe auf, Akante! Hier iſt der Weg in unſer Va - terland. Alles, was ich dort ausgeſtanden habe, von deinen Huͤftenſtoͤßen bis zum Auf - haͤngen unter den Lettomanern, iſt nichts gegen die Schmerzen, die ich in andern Welttheilen habe ertragen muͤſſen. Wenig - ſtens kann man dort ruhiger Zuſchauer vondem163dem allgemeinen Kriege bleiben und ſo leid - lich ohne Schmerzen leben, wenn man ſich nicht in das tolle Spiel der Welt miſcht, wenigſtens die Leute nicht einen vernuͤnfti - gern Weg fuͤhren will, als ſie ſelbſt zufaͤlli - ger Weiſe oder aus eigner Wahl eingeſchla - gen haben. Ich ſehe es wohl leider zu ſpaͤt! daß ich ſelbſt, von meinem war - men zelotiſchen Herze und von uͤbertriebner Rechtſchaffenheit verleitet, Millionen Schmer - zen auf mich geladen habe: aber wohl mir! dieſes Meer fuͤhrt mich nach Europa zuruͤck, und da will ich mit dir, Akante, die gemein - ſchaftliches Ungemach an mich feſſelt, gluͤck - lich leben: denn Erfahrung hat mich auch klug gemacht, mein Feuer iſt verdampft, und ſelbſt der Neid der Menſchen ſoll mir meine Rechnung auf ein ruhiges zufriednes Leben nicht verderben. Akante! freue dich! Unſer Schickſal heitert ſich auf.

Akante, die dieſe Aufheiterung in der Ent - deckung eines offnen weiten unbekannten Meeres nicht finden konnte, blieb ungeruͤhrt und beſchloß mit einem Seufzer und dem Ausrufe: trauriges Schickſal!

L 3Auch164

Auch warteten ſie wirklich lange auf den gehoften Beyſtand des Himmels und die Ueberfahrt nach Europa, naͤhrten ſich kuͤm - merlich mit geſammelten Fruͤchten und Wur - zeln, bis endlich die Saiten der Hofnung ſchlaff wurden, und der Muth gleichfalls. Trauriges ungerechtes Schickſal! dabey blieb Akante und beſchloß verzweiflend, ſich in die See zu ſtuͤrzen. Laß mich voran! rief Belphegor. Gab mir die Natur das Leben und doch keine Mittel es zu erhalten, ſo werfe ich die unnuͤtze Laſt von mir und ſterbe. Mit dieſem Worte ſprang er un - aufgehalten in die Fluth: allein ein Reſt von Liebe zum Leben oder eine andere Urſache machte, daß er ſich unbewußt im Waſſer, ohne zu ſinken, fortarbeitete und nach dem Ufer zuſchwamm, wo er ganz durchnaͤßt und kraftlos ſich auf das Trockne hinwarf.

Er erholte ſich; ſein erſter Blick gieng nach Akanten, aber fand ſie nicht: er ſuchte, er rief und fand ſie eben ſo wenig. Nach langem vergeblichem Bemuͤhen blickte er endlich ſeufzend nach der See hin, als wollte er zum zweytenmale ſich ihr uͤberge - ben; ſiehe! ploͤtzlich wurde er ein Fahr -zeug165zeug gewahr, das mit etlichen Perſonen an einer andern Seite des Ufers abfuhr. Er rief, er ſuchte das Geraͤuſch des Waſſers zu uͤberſtimmen, es gluͤckte ihm, und man ru - derte auf ihn zu. Es war ein Kanot aus einer benachbarten Inſel, das ihm wiewohl weigernd einnahm und ihm ſeine geliebte Akante wiedergab. Sie hatte ſich nicht ent - ſchließen koͤnnen, nach ſeinem Beyſpiele ihren Tod in den Wellen zu ſuchen, war troſtlos am Ufer hinaufgeirrt und hatte in einer Bucht das Kanot mit zween Wilden gefun - den, die Muſcheln ſuchten: ſie wurde von ihnen aufgenommen, und auf ihr Bitten waren die Wilden Belphegors Geſchrey zu - gerudert, ob ſie gleich mehr wuͤnſchte als hefte, daß ſie ſeine Errettung bewirken wuͤrde, weil er nach aller Wahrſcheinlichkeit ſchon als Leichnam von den Wellen empor - getragen werden mußte. Sie ließen ſich mit freundſchaftlicher Freude fortrudern und liebkoſten ihre Erretter mit allen erſinnlichen Zeichen der Dankbarkeit; doch konnten ſie nicht den ganzen Reſt von Mistrauen aus - loͤſchen, der ihrem Geſchlechte eigen iſt. Die Reiſe waͤhrte lang, und ehe ſie ſich esL 4ver -166verſahen, ſetzten ſie ihre Fuͤhrer unter einem liſtigen Vorwande an einem weitausgedehn - ten feſten Lande aus, an welchem ſie hin - fuhren, woranf ſie in ihre Kanote ſprangen und mit der groͤßten Eilfertigkeit hinwegru - derten. Die beiden Betrognen riefen ihnen nach, aber vergeblich.

Abermals durch die Bosheit der Menſchen ungluͤcklich! ſprach Belphegor. Von einem feſten Lande zum andern fortgeſchleppt, was haben wir gewonnen? Daß wir nicht die Voͤgel jenes Landes, ſondern die Raub - thiere dieſes Bezirkes fuͤttern! O Akante! welch ein Ungeheuer iſt der Menſch! Unbe - leidigt, bey den groͤßten Zeichen des Zu - trauens, der Dankbarkeit, der Freundſchaft iſt er doch, ſelbſt außer dem Stande der Geſellſchaft, der hartherzigſte Feind von jedem, den er nicht kennt. Muß nicht tief in die Seele der Zug der wechſelſeitigen Feindſchaft gegraben ſeyn, wenn er jeden als ſeinen Gegner behandelt, ihm als ſei - nem Feinde nicht traut, ſo lange er nicht durch die Bande der Gewohnheit und der Geſellſchaft mit ihm verknuͤpft iſt? O Fromal! du hatteſt Recht: die Menſchenſammel -167ſammelten ſich, um ſich zu trennen. Was ſollen wir nun, Akante? Wir wol - len uns ins Land wagen; ob uns der Hun - ger und das unbarmherzige Schickſal im Stilleſitzen oder auf dem Marſche aufreibt: gleich viel! Wohlan, wir gehn!

Akante war es zufrieden: die Reiſe wurde angetreten, und in wenig Tagen hoͤrten ſie das Geſchrey von Menſchen. Hoͤre, Freundinn, ſagte Belphegor dabey, wohl iſt mir beſtaͤndig in der Einſamkeit: aber ſo bald ich Menſchen merke, ſo iſt mein Wohlſeyn voruͤber: ich erwarte einen Feind. Wir wollen den Rufenden entgehn: eher will ich hier in der Wuͤſte unter Thieren ſter - ben, als unter Menſchen leben.

Ploͤtzlich, als er noch redete, flog lang - ſam ein glaͤnzender goldgelber Vogel nahe vor ihrem Geſichte vorbey: ſeine Federn warfen an der Sonne den Strahl eines Sterns von ſich, und ihre Augen waren ſo ſehr davon geblendet, daß ſie ſeine ſchoͤne Bildung kaum bemerken konnten. Unmit - telbar auf ihm folgte ein Paar nackte Men - ſchen, die keuchend und mit aller Anſtren - gung des ganzen Koͤrpers ihm nachſetzten,L 5beide168beide Augen unverwandt auf ihn emporge - richtet, ohne neben ſich mit Einem Blicke zu ſchauen. Der Vogel ſchien zuweilen nur zu ſchweben und ihre Ankunft zu erwarten: ſeine Verfolger ſammelten ihre letzten Kraͤfte, eilten hinzu, und kaum glaubten ſie mit ihren Fingerſpitzen den ſtrahlenvollen Spie - gel ſeines Schwanzes zu beruͤhren, als er langſam fortſchwebte und ſie entkroͤftet hin - ter ſich zuruͤckließ. Da das Schauſpiel auf einer weiten ausgebreiteten Ebne vor ſich gieng, ſo konnten die beyden Zuſchauer un - gehindert jede Bewegung bemerken. Die Nachſetzenden rafften ſich zwar jedesmal, daß ihnen der Vogel einen ſolchen Betrug ſpielte, wieder auf und verfolgten ihren Raub von neuem, allein da ihre Kraͤfte un - gleich waren, ſo kam ihm der eine meiſtens um etliche Schritte naͤher als der andre, woruͤber dieſer ſich ſo erbitterte, daß er alle ſeine Staͤrke anwandte, jenen Gluͤcklichern von ſeinem Vorſprunge zuruͤckzuziehn, und da eine ſolche Aufhaltung gleichfalls Erbit - terung erregen mußte, ſo zankten ſie ſich ſo lange herum, bis keiner von beiden einen Schritt weiter gehen konnte, oder der Vogelindeſſen169indeſſen ſo weit aus dem Geſichte gekommen war, daß ſich keiner ohne Narrheit die Luſt ankommen laſſen konnte, ſeine Beine nach ihm zu ermuͤden, oder von den uͤbrigen, die in verſchiedenen Entfernungen gleichfalls nachfolgten, waren einige ſo weit zuvorge - kommen, daß ſie ſich unmoͤglich uͤberholen ließen. So jagten unzaͤhlige Truppe hinter dem goldnen Gefieder drein, keiner erhaſchte es, und alle hatten am Ende muͤde Beine.

Kaum hatten die beiden Europaͤer dieſe Luſtjagd aus dem Geſichte verloren, als ein neuer Laͤrm ihre Aufmerkſamkeit auf eine an - dre Seite zog. Sie horchten; und bald ſtuͤrzte ſich ein ſchlankes Reh, deſſen Laͤufte aus Einem großen Kriſtalle gemacht zu ſeyn ſchienen, und deſſen ganzer Leib ſo hell leuch - tete, daß die Gegend, wo es lief, Buͤſche und Baͤume, wie von dem aufſteigenden Lichte der Morgenſonne, uͤbergoldet wurden: ſeine Augen ſtrahlten wie Fixſterne, und wer in ſeinem Leben nie einem Rehe zu Ge - fallen ſich wunde Fuͤße gemacht hatte, der mußte doch durch die Schoͤnheit dieſes Thiers gereizt werden, die ſeinigen einmal daranzu170zu wagen. Belphegor war ſchon im Be - griffe, darnach zu haſchen, als ein Trupp Reiter in voͤlligem Galope, mit verhaͤngtem Zuͤgel, ſchaͤumenden, ſchnaubenden Roſſen uͤber Buͤſch, Geſtraͤuch, Huͤgel und Steine daherflogen und das funkelnde ſtrahlende Thier zu ereilen ſuchten. Alle Roſſe hatten nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht gleiche Geſchicklichkeit; es mußten alſo eini - ge zuvorkommen, einige zuruͤckbleiben: um ſich nicht mehrere zuvorzulaſſen, wandten ſie ſich zu den Folgenden, und nun focht man mit allen Kraͤften, wer die Ehre haben ſoll - te, voranzureiten: man verwundete, man verſtuͤmmelte, man laͤhmte, man toͤdtete ſich, und wer die Oberhand behielt, gewann nichts als den leidigen Vortheil, ſeine Weg und ſeine Thorheit weiter fortzuſetzen.

Himmel! wo ſind wir? rief Akante. In der Welt, antwortete Belphegor: denn man zankt, man ermordet ſich. Aber, fuhr Akante fort, was fuͤr ein herrlicher Theil der Welt iſt das, wo ſolche koſtbare funkelnde Voͤgel und ſo ſtrahlende Rehe an - getroffen werden! Kaum kann ich glauben, daß wir noch auf unſerm Planeten ſind. Wir171Wir ſind es, mitten auf dem Kothhaufen, wo alles funkelt und glaͤnzt, und alles nichts iſt. Laß uns weiter gehn! O wer doch einen ſo reizenden Vogel, oder ſo ein goͤttliches Thier fangen koͤnnte! Was haben wir zu verlieren? Ich daͤchte wir wag - ten eine Jagd mit. Eine ſolche thoͤrichte Jagd! die ſo viele Beſchwerlichkeiten koſtet, wo die Beute ſich bald naͤhert, bald ent - fernt und, wie es ſcheint, nie erhaſcht wird! Und was haͤtteſt du am Ende, wenn du den goldnen Vogel auch gleich vor Tauſenden einholteſt? Nimm ihm das ſchimmernde Ge - fieder! und vielleicht haſt du ein uͤbelſchme - ckendes unnahrhaftes Fleiſch als die veraͤcht. lichſten Federn bedecken. Nein, ich kenne die Welt mit ihren Taͤuſchereyen. Aber ſieh nur, Belphegor, das volle feurige Gold, das dem Vogel vom Ruͤcken blitzt! Ach, ſo ein goͤttlicher Vogel und ihm nicht nachzu - laufen! Du biſt erſtaunend finſter und traͤ - ge. Ich gehe: willſt du mit mir?

Belphegor hielt ſie zuruͤck und ſchwur ſehr nachdruͤcklich, daß er nie einen Fuß nach dem glaͤnzendſten Vogel bewegen werde, ſollte er ſich gleich ſeinen Haͤnden ſelbſt dar -bieten172bieten. Sie ließ ſich zwar durch ihn abra - then, weil keiner von den reizenden Voͤgeln bey der Hand war, allein ſie wiederholte doch ihr Verlangen darnach ſo oft, daß ſie bey jedem Schritte einen erwartungsvollen Blick auf die Seite warf, ob nicht vielleicht bald einer von den paradieſiſchen Voͤgeln erſcheinen werde, um ihm ſogleich nachzu - ſetzen. Sie hofte und hofte, aber keiner wollte ihr dieſen Gefallen erzeigen.

Nachdem ſie ſich indeſſen, bis auf guͤn - ſtigere Zeiten, die ſich Akante voͤllig gewiß verſprach und Belphegor voͤllig unmoͤglich glaubte, mit etlichen wilden Fruͤchten geſaͤt - tigt hatten, uͤberließen ſie ſich von neuem dem Schickſale und dem Wege, die ſie beide nach etlichen Tagen an einen Platz fuͤhrten, wo alles den Hauptſitz des Landes vermuthen ließ. Eine zehnfache Mauer von hohem dornichten Geſtraͤuche umſchloß den Platz, aus welchem die Stimmen der Freude und des Vergnuͤgens ſo weit und ſo laut erſchall - ten, daß ſelbſt Belphegors Herz, ſo dis - harmoniſch auch ſeine Stimmung war, wi - der Willen zu einer gleichlautenden Empfin - dung hingeriſſen wurde; und Akante warganz173ganz Gefuͤhl, ſie brannte vor Begierde nach einem Orte, der ſchon durch die Annaͤhe - rung ſo bezaubern konnte. Wir muͤſſen hinein, ſprach ſie zu ihrem Gefaͤhrten, es koſte, was es wolle! Wir muͤſſen hinein! Was fuͤr Wonne muß an dieſem Orte woh - nen und jede Empfindung der Traurigkeit verdraͤngen, der uns ſo munter, ſo froͤlich, ſo himmliſch einladet!

Der Ort iſt auf der Erde, antwortete Belphegor; es ſind Menſchen drinne: das iſt genug, um alle dieſe verfuͤhreriſchen Toͤne fuͤr Sirenentoͤne zu halten. Nicht einen Schritt thue ich.

Aber wie kannſt du einer ſo goͤttlichen Muſik wiederſtehn? Du, der du ſonſt, bey jeder leiſen Beruͤhrung fuͤhlteſt, der du nichts als Gefuͤhl ſchienſt! Meine Seele erhebt ſich uͤber ſich ſelbſt; ich denke und empfinde ganz anders, ſeitdem ich jenen goldnen Vo - gel erblickt und dieſe reizende Muſik gehoͤrt habe. Komm! deine Erfahrung hat dich mißtrauiſch gemacht.

Menſchen ſind Menſchen, und Welt iſt Welt; und deſto gefaͤhrlicher, wenn ſie mit ſolchen Taͤuſchereyen lockt!

Aber174

Aber hoͤre nur! Auf dem Todbette, unter dem Kampfe mit Hunger und Schmerz, muͤßte dein Herz noch bey ſolchen Toͤnen erwachen und ſchneller ſchlagen. Komm! wir muͤſſen hinein!

Belphegor ſtraͤubte ſich lange, ſetzte ihr noch manche ſchwarze und bittre Anmerkung uͤber das arme Menſchengeſchlecht entgegen: nichts half! Je laͤnger er ihr Vergnuͤgen aufhielt, deſto ſtaͤrker wurde ihr Verlangen. Sie quaͤlte ihn ſo lange, bis er ſich endlich nach einem Eingange, und da er dieſen nicht fand, nach einem bequemen Orte zum Durchbrechen umſah. Akante, die uͤber ſeine ſaumſelige Bedachtſamkeit hoͤchſt unge - duldig war, verſuchte ſelbſt allenthalben, den Weg zu eroͤffnen, rizte ſich blutig, entkraͤf - tete ſich und kam nie zum Zwecke. Indeſſen fand Velphegor eine kleine ſchmale Oeffnung, wo die Dornen weniger dicht ſtunden und einer vorſichtigen Beugung nachgaben: hier machte er einen Verſuch und es gelang ihm wirklich, mit etlichen leichten Verwundun - gen durchzuſchluͤpfen. So ſehr er auch Akan - ten Behutſamkeit und Langſamkeit empfahl, ſo war doch ihre Begierde zu feurig, ſie uͤber -eilte175eilte ſich, ſchluͤpfte zwar hindurch, aber zer - riß ſich das Kleid, und das ganze Geſicht war voller Ritze.

Die erſte Dornenpalliſade war durchkro - chen: kaum hatten ſie ausgeſchnaubt, als ſie eine zweite aufforderte. Sie thaten das naͤmliche mit dem naͤmlichen Gluͤcke und Un - gluͤcke. Es zeigte ſich eine dritte: auch dieſe wurde uͤberwunden; und ſo arbeiteten ſie ſich noch durch zwo Mauern hindurch, wo ſich Belphegor ungeduldig hinwarf und ſchlechterdings nicht weiter wollte: allein Akante bat ihn mit allen weiblichen Kuͤnſten, mit einem Kniefalle, mit Thraͤnen, mit Lieb - koſungen; er war unerbittlich. Sagte ich dir nicht, ſprach er unmuthig, daß wir in Dornen und Suͤmpfe gerathen wuͤrden? Wo gehſt du auf dieſem Planeten Einen Schritt, ohne daß deine Fuͤße nicht bluten? Verſtopfe deine Ohren! verſchließe deine Au - gen! ſey kein Menſch, wenn du auf ihm ohne Ungemach leben willſt! War das nicht mein Rath? Wer weis, wie viele Tage - reiſen lang wir ohne Nahrung, ohne Klei - dung uns unter tauſend Schmerzen durch dieſe vermaledeyten Doruenzaͤune durchar -Mbeiten176beiten muͤſſen, um zu dem Platze zu gelan - gen, wohin uns dieſes Zauberkonzert ruft; und wenn wir angelangt ſind, was wird alsdenn geſchehn? Entfliehn wird die Muſik, wie die goldnen Voͤgel und die ſtrah - lenden Rehe! entfliehn, je naͤher wir kom - men, und uns, wie alle Guͤter dieſes Koth - balles, zum Narren haben! herumfuͤhren, Muͤhe machen, um uns am Ende einſehn zu laſſen, daß wir Thoren geweſen ſind! Ich gehe nicht weiter.

Auch ließ er ſich wirklich durch keine Vor - ſtellung weiter bewegen, ſondern uͤbernach - tete da, Akante konnte mit Muͤhe einſchlum - mern, ſo beſchaͤftigte ſie ihre Erwartung und die Gewalt der Muſik, die ihr mit jedem Augenblicke voller und hinreißender zu wer - den ſchien; und wenn ja eine kurze Zeit der Schlummer ſie uͤberwaͤltigte, ſo rollten doch ſo viele Gedanken und Empfindungen unauf - hoͤrlich durch Kopf und Herz, daß ſie nie zu einem anhaltenden erquickenden Schlafe uͤbergehn konnte. Kaum warf der Morgen den erſten Schimmer auf ihre Lagerſtaͤtte hin, als ſie ſchon aufſtand und Belphegorn mit neuen Kraͤften antrieb, ſeinen Weg fortzu -ſetzen.177ſetzen. Die Ruhe hatte ſeine Seele der Kraft der Muſik und der Staͤrke von Akan - tens Vorſtellungen geoͤffnet: es ſchien ihm gleich thoͤricht umzukehren und weiter zu gehn: er waͤhlte alſo, wohin ihn ſeine Em - pfindung zog; er fieng die Arbeit von neuem an. Sie legten noch den naͤmlichen Tag die fuͤnf uͤbrigen Dornenhecken zuruͤck, und obgleich die Dornen weniger verſchlungen, die Oeffnungen haͤufiger und die Muſik auf - munternder und entzuͤckender wurde, je wei - ter ſie kamen, ſo traten ſie doch erſchoͤpft und kraftlos aus der letzten hervor, beſon - ders da ſie auf ihrem heutigen Wege nur hin und wieder einige nicht ſonderlich ſchmecken - de Fruͤchte zu Stillung ihres groͤßten Hun - gers angetroffen hatten.

Bey ihrem Heraustritte aus der letzten Dornenwand eroͤffnete ſich ihrem Blicke ein weites merkwuͤrdiges Theater; aber die Mu - ſik wurde nur noch leiſe in der Entfernung gehoͤrt, welches unſre beiden Wanderer um ſo viel weniger bemerkten, weil ihre Augen genug Beſchaͤftigung hatten, um das Ohr ſein Vergnuͤgen nicht vermiſſen zu laſſen. Eine weite unuͤberſehlige Ebne dehnte ſichM 2vor178vor ihnen aus, und die Ausſicht wurde durch eine Menge großer und kleiner Gebaͤu - de unterbrochen, worunter beſonders eins in der Mitte derſelben wegen ſeiner Schoͤn - heit und ſeines Umfangs hervorleuchtete: alle waren von Reißig und Baumſtaͤmmen ſauber geflochten, weitlaͤuftig und kuͤndigten auf allen Seiten Bewohner von Geſchmack und Liebhaber des Schoͤnen an. Auf der Ebne zeigte ſich ihnen eine Menge großer rieſenmaͤßiger Figuren, die gravitaͤtiſch auf und abwandelten, indeſſen daß ihnen eine Menge Perſonen einen Platz fuͤr ihre Schritte frey machen mußten, worauf ein homeri - ſcher Gott mit ſeinem goͤttlichen Rieſengange Raum genug gefunden haͤtte. Je mehr ſie ſich dieſen Koloſſen naͤherten, jemehr nahm ihre Groͤße ab, und als ſie endlich ihrem Wirkungskreiſe ſo nahe waren, als es die abhaltenden Platzmachenden Kreaturen zu - ließen, ſo fanden ſie zu ihrer großen Ver - wunderung, daß es Zwerge waren, Zwer - ge von der kleinſten Art, die auf unmaͤßig hohen Stelzen daherwandelten. Ihr einzi - ger Zeitvertreib war ein ſolcher gravitaͤtiſcher Spatziergang, und ihre ganze Beſchaͤftigungbeſtund179beſtund darinne, daß einer den andern durch irgend ein Mittel von ſeiner Stelze abzuwer - fen ſuchte. Je hoͤher die Stelze ihren Mann emportrug, deſto aufmerſamer waren aller Augen auf ihn gerichtet, und deſto eifriger waren die Bemuͤhungen, ihn herunterzuſtuͤr - zen. Einige zielten von Ferne mit Steinen und Stangen nach ihm, von welchem jeder, der zu ihrem Ziele geworden war, gewiß allemal Beulen und Quetſchungen bekam, wenn er ſich auf ſeiner Stelze im Gleichge - wichte erhielt: andre draͤngten ſich ſo nahe zu ihm, daß ſie, wie renomiſtiſche Studen - ten, bey dem Ausſchreiten mit den Stelzen zuſammenſtoßen mußten, und wer fiel, fiel, oft der Angreifer, oft der Angegriffne: noch andre ließen einem ſo vorzuͤglich hohen Stelzenzwerge ploͤzlich Steine in den Weg waͤlzen, die den Zirkel ſeiner Leibwache ſo ſchnell uͤberraſchten und mit dahin riſſen, daß ſie dieſelben nicht fortſchaffen konnten; und wenigſtens ſtolperte der Mann mit der Stelze, wenn er auch nicht ganz ſtuͤrzte, und die uͤbrigen hatten wenigſtens die Freude uͤber ihn zu lachen. So war dieſer Platz ein beſtaͤn - ſtig abwechſelnder Schauplatz, wo neueM 3Zwer -180Zwerge mit hoͤhern Stelzen erſchienen, und andre von den ihrigen heruntergeworfen wurden, einige ſtolz daherwandelten, und einige mit zerbrochnen Armen, zerquetſchten Koͤpfen, beſchundnen Beinen ſchmerzhaft ſich im Staube wanden.

Luſtig iſt es, ſprach Belphegor, Zuſchauer von dieſem Stelzenkaruſelle zu ſeyn; aber ſich drein zu mengen! bewahre dafuͤr der Himmel jeden Mann, der ſolche Stelzen entbehren kann! Aber, ſieh, Akante! was wimmelt dort?

Sie ſahen beide hin, und wurden einen Trupp kieinere Zwerge gewahr, die auf kur - zen niedrigen Stelzen das ganze Spiel der vorigen auf einem kleinen Platze nachaͤfften, ſich wechſelsweiſe herunter warfen und ſich, um die Ehre der Gleichheit mit jenen groͤſ - ſern Zwergen zu erlangen, Beine, Arme und Haͤlſe zerbrachen.

Siehſt du, Akante? das alberne Men - ſchenvolk! rief Belphegor. Sonſt wuͤrde mir dieſer Anblick ein Laͤcheln abgenoͤthigt haben, izt zwingt er mich zum Aerger. Kannſt du etwas raſenderes denken, als ſich die Haͤlſe zu zerbrechen, um ſie ſich wie an -dre181dre zerbrochen zu haben. Fort! laß uns keine Menſchen ſehn, ſo ſehn wir keinen Un - ſinn! Wo iſt nun die Freude, die dir jene lockende Muſik verſprach? Horche doch! Wo iſt es hin, das toͤnende Konzert? Ver - ſtummt! Nicht einen Laut, nicht ein Ge - ſchwirre hoͤrſt du izt mehr. Was zu ver - wundern? Sagte ich dirs nicht? Es iſt eine Freude unſers Planetens, und alſo eine Betriegerinn.

Akante erſtaunte, horchte und wurde itzo erſt inne, daß ſie ſich durch einen ſo be - ſchwerlichen Weg dem Vergnuͤgen naͤher ge - bracht hatte, um es zu verlieren. Sie troͤ - ſtete ſich inzwiſchen mit der Moͤglichkeit, es mit einer doppelten Verguͤtung wiederzufin - den, und munterte Belphegorn auf, ſie zu den uͤbrigen Merkwuͤrdigkeiten des Ortes zu begleiten. Sie giengen weiter, und ſogleich zog ein weitlaͤuftiges Gebaͤude ihre Aufmerk - ſamkeit an ſich, beſonders war Akante vor Entzuͤcken ganz außer ſich ſelbſt geſetzt, da ihr aus demſelben ganze Reihen von den goldnen Voͤgeln entgegenſtrahlten, denen ſie vor etlichen Tagen mit aller Gewalt nachja - gen wollte, da ſie ganze Truppe von denM 4helleuch -182helleuchtenden Rehen erblickte, und Schaa - ren Menſchen bey ihnen, die mit ihnen ver - traulich umgiengen.

O Belphegor! ſeufzte ſie, wie gluͤcklich muͤſſen dieſe Menſchen ſeyn, die die ſchoͤnen Voͤgel in ſolchem Ueberfluſſe beſitzen, wo - von mich ein einziger ſchon hinlaͤnglich be - gluͤcken wuͤrde! Siehe! Dieſe Gluͤckſeligen koͤnnen ſie pflegen und warten, ſie ſtreicheln, ſie liebkoſen, den goldgelben Samt ihres Gefieders beruͤhren, ihre Ohren an den lieblichen Liedern ihrer Kehle weiden o wer ein Glied von dieſem beneidenswuͤrdi - gen Haufen waͤre! Sie haben errungen, wo - nach vermuthlich ſo viele noch keuchend lau - fen, dem ich gern nacheilte ach! komm! Laß uns wenigſtens die Augen an dieſen eng - liſchen Geſchoͤpfen ergoͤtzen!

Gute Akante! Du beneideſt dieſe Leute; aber, aber! ich ſehe ſchon ein trauri - ges Anzeichen. Was gilts? Sie fuͤhlen ein Gluͤck dieſer Erde, das heißt, eine beneidete Laſt. Siehſt du nicht?

Und was? rief Akante haſtig.

Sie haͤngen ja alle die Koͤpfe. Deine Einbildungskraft berauſcht ſich bey dem Ver -gnuͤgen183gnuͤgen gleich, und du vergißt, daß du auf der Erde biſt.

Nein, da ſind wir nicht! Weder bey dem Pabſt Alexander, dem ſechſten, noch bey dem Markgrafen, wo meine Schoͤnheiten ſo jaͤmmerlich verwuͤſtet worden ſind, weder bey dem großen Fali, noch bey irgend ei - nem Herrn, deſſen Sklavinn ich geweſen bin, habe ich eine ſo entzuͤckende Koſtbarkeit angetroffen, als dieſe goldnen Voͤgel oder dieſe ſtrahlende Rehe: ſie ſind uͤber alle Herr - lichkeiten dieſer Welt erhaben, und wir muͤſ - ſen nothwendig in einem Paradieſe ſeyn.

Wohl! aber wiſſen moͤchte ich nur, war - um die guten Leute in ihrem Paradieſe die Koͤpfe haͤngen. Sie giengen, um Er - kundigung daruͤber einzuziehn, allein da ſie die Sprache nicht verſtunden, ſo erfuhren ſie blos, was ſie ihre Augen belehrten, naͤm - lich daß die Leute muͤhſam die goldnen Voͤ - gel und Rehe warten und fuͤttern mußten, und nach aller Wahrſcheinlichkeit Lange - weile bey dieſem Amtsgeſchaͤfte hatten.

Weil ihre Neubegierde auf dieſe Art nicht weiter geſaͤttigt werden konnte, ſo wandten ſie ſich auf die andre Seite, wo ſich ihnenM 5neue184neue Merkwuͤrdigkeiten darboten. Ein Zwerg, der die uͤbrigen an Kleinheit merklich uͤber - traf, lag auf einem ſehr erhoͤhten von Zwei - gen geflochtnen Sofa, an welchem eine Men - ge Zwerge zu ihm hinaufzuklettern verſuch - ten. Ob er gleich nur von der Hoͤhe war, daß ihn die beyden Europaͤer aufrecht ſte - ſtend bequem uͤberſehen konnten, ſo koſtete es doch den armen Kreaturen unendliche Muͤhe daran hinaufzuſteigen, beſonders weil einer dem andern aus Neid die Muͤhe viel - faͤltig vermehrte: denn ſobald einer nur um ein Paar Zolle mit dem Kopfe hoͤher zu ruͤ - cken ſchien, ſo beeiferten ſich ganze Schaa - ren aus allen ihren Kraͤften, ihn hernieder zu reißen: man ſchlang ſich um ſeine Fuͤße, man hieng ſich ihm an die Huͤften, man ſuchte ihn durch Kuͤtzeln oder durch Gewalt - thaͤtigkeiten herunterzubringen, und meiſten - theils gelang es den Misguͤnſtigen, ihre Schadenfreude an dem Falle eines ſolchen Geſtuͤrzten zu vergnuͤgen. Die wenigen aber, die allen dieſen Hinderungen wiederſtanden, alle dieſe Beſchwerlichkeiten uͤberwanden und gluͤcklich zu dem Sofa emporkamen, genoſ - ſen fuͤr ihre angeſtrengte Bemuͤhung kein an -dres185dres Gluͤck, als daß ſie neben dem kleinen Zwerge, der den Sofa inne hatte, ſich nie - derſetzen und ihn taͤglich und ſtuͤndlich an - ſehn durften. Dabey waren ſie unaufhoͤr - lich, ein jeder fuͤr ſich, beſchaͤftigt, den Blick des kleinen Zwergs durch alle nur er - ſinnliche Mittel auf ſich zu lenken und ſeine Geſichtsmuſkeln in eine laͤchelnde Mine zu verſetzen. Zu dieſem Ende zwickten ihm ei - nige ſanft die Ohren, andre hielten ihm ſtarkriechende Eſſenzen vor, andre boten ſei - nen Lippen die auserleſenſten Fruͤchte und wohlſchmeckende Konfituren dar, dieſe be - luſtigten ihn mit burlesken Grimaſſen und kurzweiligen Gaukeleyen, jene rieben ihn am ganzen Leibe mit kleinen Samtbuͤrſtchen ſo einſchlaͤfernd ſanft, daß er oft durch ihre Dienſtfertigkeit in einen wohlthuenden Schlummer verſezt wurde. Sobald einer es durch ſein angewandtes Mittel dahin brachte, daß er einen freundlichen Blick weg - haſchte, ſo mußte er ſogleich mit allen ſeinen Kraͤften ſich Feſtigkeit auf ſeinem Sitze ver - ſchaffen, um nicht hinuntergeſtuͤrzt zu wer - den: denn ſobald die Sehnerven des kleinen Zwergs nur anfiengen, ſich in die Richtungnach186nach ihm hinzuwenden, ſo war der ganze uͤbrige neidiſche Haufe ſchon in Bereitſchaft, Hand an ihn zu legen, um ihn durch einen wohlabgezielten Stoß aus dem Gleichge - wichte von der Hoͤhe hinabzuwerfen.

O Akante! rief Belphegor unwillig aus, bin ich denn beſtimmt, zu meiner Qual be - ſtimmt, taͤglich mehrere taͤglich abge - ſchmacktere Narrheiten zu erblicken? Komm! ich muß mich dem ſchmackloſen kindiſchen Spiele entreiſſen oder zu meinem Aerger hier bleiben. Thorheit oder Bosheit! daß ihr doch der ewige Wechſel auf dieſem verhaßten Planeten ſeyn muͤßt!

Obgleich Akante nicht ſo viel Aergerliches in jenem Schauſpiele fand und es gern und mit Vergnuͤgen noch einige Zeit genoſſen haͤtte, ſo mußte ſie ihm doch nacheilen oder allein zuruͤckbleiben: denn kaum hatte er die letzten Worte geſagt, als er haſtig fortlief und einen Ausgang aus dieſem fuͤr ihn wi - drigen Orte ſuchte, den er ohne Muͤhe ent - deckte, und nicht den zwanzigſten Theil ſo viel Zeit brauchten ſie, um herauszugehn, als ſie noͤthig hatten, um hineinzukommen: in wenigen Augenblicken ſahen ſie ſich wie -der187der auf freyem Felde, und die Muſik erhub ſich von neuem ſo lieblich als jemals und haͤtte ſie es bereuen laſſen koͤnnen, daß ſie dem Orte entflohen waren, wenn ſie nicht ge - wußt haͤtten, daß es eine ſuͤßklingende Taͤu - ſcherey war, die nur außer ihm in der Ferne anlockte, aber in ihm ſelbſt ganz verloren gieng. Demungeachtet hielt ſich Akante oft - mals auf, um ſich von dem lieblichen Kon - zerte entzuͤcken zu laſſen, allein Belphegor trabte ſo friſch davon, daß ſie jede Minute nutzen mußte, um ihm nachzukommen.

Belphegor konnte nicht aufhoͤren, uͤber das Geſehne zu eifern, und Akante unterließ eben ſo wenig, es zu bewundern: jenem ſchmeckte jeder Biſſen uͤbel, weil er nach ſeinem Ausdrucke in dieſem Vaterlande der Thorheit gewachſen war, und dieſe war noch zu voll von Entzuͤcken uͤber dieſe naͤm - lichen Abgeſchmacktheiten, um Appetit und Speiſe zu ſuͤhlen.

Einen kleinen ſchmalen Weg wurden ſie gewahr; ſie uͤberließen ſich ihm, und er fuͤhrte ſie in einen Wald: ſie giengen langeZeit188Zeit, und ſiehe! ploͤtzlich ſtießen ſie auf eine große Geſellſchaft Zwerge, die ſich in verſchiedene kleine Partien getheilt hatten. Belphegor, der in ſeiner miſanthropiſchen Laune alles vermied, was mit dem Menſchen verwandt war und ihm nach ſeiner Mey - nung nichts als Aerger erwarten ließ, drehte ſich unwillig und fluchend um, als ihm ein Alter nacheilte und ihn durch Zeichen bat, mit ſeiner Gefaͤhrtinn naͤher zu kommen: er ließ ſich endlich bewegen und wurde von ihm in die Geſellſchaft eingefuͤhrt. Man ſollte vermuthen, daß die Zwerge, da ſie nie andre Menſchen als von ihrer Groͤße geſehn hatten, uͤber die Statur der beiden Europaͤer erſtaunt ſeyn wuͤrden, allein weit gefehlt! Aus dieſer Gleichguͤltigkeit konnte man ſchon ſchließen, daß ſie die weiſeſten Zwerge im Lande ſeyn mußten, die vermoͤge ihres Verſtandes wohl praͤſumiren konnten, daß der Kreis ihrer Erfahrungen nicht mit dem Kreiſe der Wirklichkeit und Moͤglichkeit Eine Peripherie habe.

Dieſe ehrwuͤrdige Geſellſchaft beſaß ein Geheimniß, deſſen Erfindung noch in unſermJahr -189Jahrhunderte einem der groͤßten europaͤi - ſchen Genies*)Leibnitz. Kopfſchmerz und Nachden - ken vergeblich gekoſtet hat das Geheim - niß der allgemeinen Sprache. Sie konnten ſich mit den Menſchenkindern aller Zonen und Mittagskreiſe unterhalten, ohne ihre Sprache zu wiſſen, wenn dieſe nur eine kleine Anzahl Zeichen verſtehen lernten, die ſie einem jeden durch eine eigne Methode ſchnell und leicht beyzubringen wußten. So bald dieſe Schriftzeichen gefaßt waren, de - ren ungemeine Simplicitaͤt ihre Erlernung außerordentlich erleichterte, ſo ſetzten ſich die beiden Interlokutoren an eine Tafel, die mit feinem Sande bedeckt war, in welchem jeder mit einem weiſſen Staͤbchen ſeine Ge - danken zeichnete, die er ausdruͤcken wollte; der andre, ſo bald er den Sinn davon ge - ſaßt hatte, machte den Sand mit einem platten Inſtrumente wieber eben und ſetzte das Geſpraͤch durch die naͤmliche Zeich - nung fort.

Auf dieſe Weiſe erfuhr Belphegor, der ſich mit ſeiner Gefaͤhrtinn zu ſeinem Vergnuͤ -gen190gen und zu ihrem Leidweſen lange unter jenen weiſen Zwergen aufhielt, eine um - ſtaͤndliche Beſchreibung von dieſem ſonder - baren Lande, der Lebensart und den Be - ſchaͤftigungen ſeiner Einwohner, wovon der Leſer hier das Vornehmſte antreffen ſoll.

Wir haben lange Zeit, zeichnete ihm der Alte, der ihn bey ſeiner Ankunft ſo guͤtig aufnahm, auf dem Sande vor wir ha - ben lange Zeit unſer Land fuͤr das einzige dieſer Erde, und uns daher fuͤr die einzigen Bewohner derſelben angeſehn; allein ſchon laͤngſt haben wir auch durch die tiefſinnig - ſten Schluͤſſe entdeckt, daß dieß ein ungeheu - rer Irrthum iſt, der uns weit von der Wahr - heit abgefuͤhrt hat. Der ganze Lebenslauf unſer aller iſt daß wir geboren werden, eine Zeitlang in Dummheit und Unwiſſenheit herumwandeln, in einem gewiſſen Alter, wenn wir Thaͤtigkeit und Staͤrke genug be - ſitzen, auf die Jagd nach goldnen Voͤgeln, helleuchtenden Rehen und Hirſchen, auf den Fang nach buntſchimmernden Fiſchen aus - gehn, oder die nicht Geiſt, Muth und Athem genug beſitzen, ſich in dieſe Jagd einzulaſſen,dieſe191dieſe kriechen verachtet und abgeſondert in einem Winkel herum, wo ſie fuͤr ſich und die uͤbrigen Einwohner Wurzeln ausgraben, Fruͤchte ſammeln und andre Nahrungsmittel aufſuchen muͤſſen. Wir andern, die wir zu jener Jagd und Fiſcherey tuͤchtig genug ſind, wir wenden alle unſre Kraͤfte dazu an, wir verfolgen Voͤgel, Wild oder Fiſche, nach - dem unſer Geſchmack oder die Gelegenheit uns beſtimmt; keiner hat noch jemals eins erhaſcht, und doch ſind tauſende dabey um - gekommen, weil ihnen der Athem ausgieng, tauſende haben einander aus Neid darum gebracht; nur wenige erjagen zuweilen eine goldne Feder, die ſie kaum beſitzen, als ſie des erlangten Beſitzes uͤberdruͤßig ſind: demungeachtet bleibt keiner, der es nur im mindeſten vermag, von dieſem muͤhſamen Geſchaͤfte zuruͤck, laͤuft und laͤuft, und hat am Ende nichts, oder wenigſtens ein Etwas, das ſo gut als ein Nichts iſt, ſieht ein, daß es ein Nichts iſt, und begiebt ſich endlich an dieſen Ort, der der letzte allge - meine Sammelplatz unſer aller iſt, wo wir uͤber die Thorheit unſers Lebens weinen oder lachen, ſchmaͤlen oder laͤcheln. Siehe! alleNdieſe192dieſe Truppe hier thun nichts als daß ſie mit luſtiger oder trauriger Geberde ſich uͤber die Narrheit derjenigen aufhalten, die noch itzt goldnen Voͤgeln und rothſchim - mernden Fiſchen nachlaufen, ohne zu wiſſen, daß ſie leeren Fantomen nachjagen, die ſie am Ende eben ſo betriegen werden, wie uns alle; und wenn wir einige Zeit ſo geſeufzt oder gelacht und gelernt haben, daß wir Narren Zeitlebens geweſen ſind, ſo ſchlaͤgt uns der große maͤchtige Tod mit der Kenle auf den Kopf und weg ſind wir! Wir gehn hinweg, um kuͤnftig unter andern Ge - ſtalten die naͤmliche Reihe unbewußt wieder durchzumachen.

So waͤrt ihr ja Menſchen, wie wir alle ſind! dachte Belphegor bey ſich; und euer Land nicht ein Haarbreit anders als die uͤbrige Welt! Das wahre Ebenbild unſrer Erde!

Akanten lag nichts ſo ſehr am Herzen als den Ort kennen zu lernen, der ſie mit dem ſchoͤnen Konzerte entzuͤckt hatte, und Belphe - gor bekam auf ſeine Anfrage folgende Ant -wort:193wort: Das iſt der Ort, der außen lockt und inwendig ſchreckt, außen lauter Ver - gnuͤgen verſpricht und inwendig lauter Lan - geweile giebt, wo ein Theil auf Stelzen ſtolz daherſchreitet und ſich wechſelsweiſe ab - wirft, ein andrer muͤhſam, mit Ueberdruß und Ekel goldne Voͤgel, Rehe und Fiſche pflegt und unter vieler ſaurer Beſchwerlich - keit wartet, und ein dritter ſich um ſuͤße und ſaure Blicke zankt, beneidet, verfolgt; wo jeder ein beneideter Laſttraͤger iſt

Und was fuͤr ein Ort iſt das? wollte eben Belphegor fragen Himmel! was fuͤr ein Krachen! welches Getoͤſe! rief Akante ploͤtzlich. Welche Erſchuͤtterung! Wir gehn unter! Die Erde wankt! rief Belphe - gor; und im Augenblicke verſenkte ein ſchreckliches Erdbeben eine unuͤberſehliche Flaͤche Landes in den Abgrund, das Meer ſchwoll an ſeinen Platz in hohen gethuͤrmten Wellen empor, das Stuͤcke Boden, auf wel - chem unſre Geſellſchaft ſaß, riß ſich mit der entſetzlichſten Erſchuͤtterung los und ſchwamm, wie Delos als es Latonen wider die Wuth ihrer Feinde ſchuͤtzen ſollte, mitN 2ſeinen194ſeinen Bewohnern auf der See fort und fuͤhrte ſie der Himmel und das neunte Buch wiſſen es wohin.

Dieſes war der große Riß, den das liebe Schickſal, nach der Muthmaßung vieler Geographen, Hiſtoriker und Philoſophen, in das feſte Land unſrer Erdkugel gemacht hat, um alle diejenigen zum Aprile zu ſchicken, die trocknes Fußes aus Aſien nach Amerika uͤbergehen wollen; und wenn Bel - phegor und die ſchoͤne Akante eine Zeichnung von dem Wege hinterlaſſen haͤtten, den die ſchwimmende Inſel mit ihnen nahm, ſo wuͤrden wir ohne Zweifel mit Gewisheit er - fahren, wie man aus Aſien nach Amerika ſegeln ſoll.

Neun -[195]

Neuntes Buch.

N 3[196][197]

Wie, wenn der Fuhrmann, der ſeine Roſſe durch Fluch und Peitſche zum unumſchraͤnkten Gehorſame gewoͤhnt hat, ſein allmaͤchtiges O! ruft, der ganze Poſt - zug ſogleich in einem Tempo, wie ange - mauert, ſtillſteht; ſo ſchwamm das abge - rißne Stuͤck Land mit Belphegorn und ſeinen Gefaͤhrten eine lange Strecke fort, und ploͤtz - lich ruhte es unbeweglich und ward zur feſten Inſel, nicht weit von Kaliſornien; und wie verſchiedene große Gelehrte an ih - rem Schreibetiſche uͤberzeugend eingeſehn haben, ſo wurde der ſchwimmende Boden auf einen ſpitzigen Felſen aufgeſpießt, der ihn bis an den juͤngſten Tag tragen kann, wenn nicht ein Erdbeben einen Strich in die Rechnung macht.

Die Gefellſchaft, die dieſe bedenkliche Fahrt nicht ohne eine kleine Beſorgniß, daß der Tod mit dem Spiele Ernſt machen moͤchte, aber doch gluͤcklich und wohlbehal - ten zuruͤcklegte, beſtund aus Belphegorn,N 4Akan -198Akanten und dem Alten, der in ſeiner Unter - redung mit ihnen durch das graͤuliche Erd - beben geſtoͤrt wurde. Belphegor war nicht uͤbel zufrieden, daß ihn das Schickſal ſo ein - ſam, fern von allen Menſchen, auf die offne See hingeſetzt hatte, und ward es viel we - niger, als er ſich gegenuͤber ein großes feſtes Land wahrnahm, welches die uͤbrigen, weil ſie nicht ſo viel Menſcheufeindlichkeit beſaßen, doppelt erfreute. Doch auch fuͤr ihn mußte das Vergnuͤgen uͤber ſeine Einſamkeit nur von kurzer Dauer ſeyn, wenn er die Duͤrf - tigkeit und Huͤlfloſigkeit betrachtete, worinne ſie ſich befanden. Das Erdbeben hatte ih - nen wohl einen guten Vorrath Brennholz mitgegeben, aber nicht einen einzigen Frucht - baum, nicht ein einziges Gewaͤchſe, nicht eine Staude, die nur im mindſten geſchickt geweſen waͤre, einen menſchlichen Hunger zu ſtillen. Fiſche zu fangen hatten ſie keine Werkzeuge, und eben ſo wenig Materialien, ſie zu verfertigen; gleichwohl war dieß die einzige Nahrung, deren ſie habhaft werden konnten. Zum Gluͤcke hatte der Alte auf ſeiner Jagd nach goldnen Fiſchen in juͤngern Jahren die Kunſt gelernt, ſie bey hellemWaſſer199Waſſer mit der Hand zu fangen: der Hun - ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie - der verſuchte, die er ſchon laͤngſt aufgegeben hatte, allein durch das Alter und die Unge - wohnheit waren ſeine Haͤnde unſicher und unſtaͤt geworden, daß er alſo mit der aͤußer - ſten Anſtrengung in einem Tage kaum genug fieng, um ſich und ſeiner Geſellſchaft das Leben zu friſten, aber nicht um ſie zu naͤhren. Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam - mer vermehren und den Alten, deſſen ſchwaͤchlicher Koͤrper einen ſo kuͤmmerlichen Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig Tagen ſterben laſſen. Was nun zu thun? Nichts als zu hungern oder zu ſterben!

In dieſer ſchrecklichen Verlegenheit mußte ſich Belphegor bequemen, den Ton ſeiner Menſchenfeindlichkeit um vieles herabzuſtim - men: ſo ſehr er ſonſt vor dem Anblicke der Menſchen flohe, ſo eifrig ſpaͤhte er itzt an dem Rande ſeiner Inſel, um vielleicht an dem entgegenſtehenden Ufer menſchliche Fi - guren zu entdecken, denen er durch Rufen und Zeichen verſtaͤndlich machen koͤnnte, daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres Beyſtandes beduͤrften: er duͤnkte ſich zwarN 5etwas200etwas bewegliches wahrzunehmen, allein ſein Auge reichte nicht voͤllig bis dahin, um es gehoͤrig zu unterſcheiden. Endlich, nach langem vergeblichen Warten, warf er ſich verzweiflungsvoll nieder und rief:

O Natur! o Schickſal! daß ihr doch in ewiger Uneinigkeit wider einander ſeyn muͤßt! Sollte das Ungluͤck die Bande der Menſch - heit naͤher zuſammenziehn, ſollte es ein Ge - ſchoͤpf dem andern theuer und nothwendig machen, warum mußte das Schickſal wohl tauſend Ungluͤcksfaͤlle in unſer Leben hin - werfen, aber unter dieſen tauſenden kaum einen die Wirkung thun laſſen, wozu er nach unſrer Meynung beſtimmt iſt? Meine traurige Huͤlfloſigkeit, die Naͤhe des Todes, die Moͤglichkeit der Rettung, die Zudring - lichkeit der Gefahr alles zuſammen hat mein Herz wieder geoͤffnet: ich fuͤhle einen Zug nach Menſchen; ich wuͤrde ſie vielleicht lieben, wenn ſie mich retteten; ich haſſe ſie ſchon weniger: aber wenn ich meine Haͤnde gleich zu Freundſchaft und Wohlwollen aus - ſtrecke, und Niemand mir die ſeinigen bie - tet? Wenn mich das Schickſal auf der einen Seite zu den Menſchen hinſtoͤßt, und aufder201der andern ſie wieder von mir entfernt? O Labyrinth! O Raͤthſel! Der Tod ſchneider den Knoten am beſten entzwey. Wohlan! zeugt die Natur Geſchoͤpfe, um ſie in Qual zu verſenken; macht ſie ſo herrliche Anſtal - ten, um ſie unter einander zuſammenzu - knuͤpfen, daß ſie erſt hungern, frieren, ſchmachten, die aͤußerſte Erſchoͤpfung der Kraͤfte durch Schmerz und Gefahren erdul - den, ſich kraͤnken, verfolgen, martern, er - wuͤrgen muͤſſen, damit der kleine Reſt, der der Gefahr und dem ganzen tollen Spiele der Welt entrann, ſich lieben und in Friede bey einander wohnen koͤnne; durchwebte ſie dieſes Leben mit Dornen, um uns die ein - zeln bluͤhenden Bluͤmchen deſto wohlthuen - der, einnehmender zu machen; gab ſie ihren Geſchoͤpfen eine ſo traurige Fruchtbarkeit, daß ſie mehrere ihres Gleichen hervorbrach - ten, als nach der Veranſtaltung des Schick - fals ernaͤhrt und erhalten werden konnten: mag ſie es verantworten! Ich kann nicht mit ihr rechten: denn ungluͤcklich genug! wir haben keinen Richterſtuhl, der uͤber uns erkennt; der Menſch, ihre Kreatur, muß leiden, weil er der ſchwaͤchere,weil202weil er nichts iſt. O Akante! warum ſollten wir uns nach Huͤlfe umſehen? Um noch einmal ſo lange unter Schlangen, Ei - dexen, Skorpionen herumzukriechen? Haben wir nicht Biſſe und Stiche genug bekom - men? Laß das veraͤchtliche Geſchlecht, das zum Quaͤlen allzeit, und zur Huͤlfe nie bey der Hand iſt, laß es! Wir wollen ihn fluchen und ſierben!

Mit dieſen ſchwarzen Gedanken faßte er ſie halb ſinnlos in die Arme; ſie weinte, er fluchte; ſie dachte an alle Oerter der Freude zuruͤck, wo ſie jemals in Luſt und Entzuͤcken geſchwommen hatte. O wie ſchoͤn, dachte ſie, war es im Serail des großen Fali! wie ſchoͤn bey dem Markgrafen von Saloica, ob ich gleich alle meine Schoͤnheiten dort einbuͤßte! wie ſchoͤn bey Alexander dem ſech - ſten! wie ſchoͤn uͤberhaupt in Europa in den Armen meiner Geliebten, Belphegors und Fromals und Stentors und Bavs und Maͤvs und Euphranors und andrer ſchoͤnen Juͤnglinge! Ach, die gluͤckliche Zeit iſt vor - uͤber; und hier ſoll ich nun auf dieſer duͤr - ren oͤden Inſel ohne Geſang und Klang nicht einmal begraben, ſondern vermodernund203und von den Voͤgeln des Himmels zerſtuͤckt werden! Kein Juͤngling ſoll eine einzige Strophe auf meinen Hintritt ſingen! kein Lieb - haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan - gen troͤpfeln und ſie wieder aufkuͤſſen! Nichts, alles nichts! alles nichts! alles iſt aus! Ich muß ſterben, unbeklagt ſterben! Belphegor, du haſt Recht: das laͤcher - liche thoͤrichte Leben iſt nicht werth, daß man es durchlebt, weil man es ſo bald miſ - ſen muß. Ich habe von Heiden, Juden und Chriſten leiden muͤſſen, und die graͤuli - chen Keile waren alle eins: aber ich habe auch Freuden genoſſen, und da ich ſie wie - der zu erlangen hoffe, ſo ſoll ich gar ſterben! ſie auf ewig miſſen! O du tolles abge - ſchmacktes Leben! waͤrſt du nur ſchon vor - uͤber! Sie weinte bitterlich.

Beide wollten ſterben; allein da der Tod mit ſeiner ſaumſeligen Huͤlfe nicht allzeit auf die erſte Bitte erſcheint, ſo kam indeſſen zu Stillung ihrer Schmerzen ſein Bruder der Schlaf.

Bey ihrem Erwachen, das etwas ſpaͤt des Tages darauf erfolgte, ſahen ſie einen Trupp Kanote nicht weit von ihrer Inſel inOrd -204Ordnung geſtellt und mit einer Menge wil - der Mannsperſonen augefuͤllt; und ſo ſehr ſie Tages vorher unwillig waren, daß nicht zween Menſchen zu ihrer Huͤlfe herbeyeilten, ſo ſehr erſchraken ſie itzt, daß ihrer eine ſo große Menge bey der Hand war. Wirklich hatten ſie auch alle Urſache zu erſchrecken: denn nicht aus bruͤderlicher Liebe, ſondern aus Beſorg - niß fuͤr Feindſeligkeiten waren ſie herbeyge - kommen. Sie hatten ihre Schiffahrt mit der Inſel angeſehn und viel Bedenkliches dabey gefunden, daß ſich in ihrer Nachbarſchaft eine ſo große Maſſe niederließ, die vorher nicht vorhanden geweſen war: da dieſes verſchiedne wunderliche Gedanken veranlaßte, beſonders daß es vielleicht gar eine Rotte boͤſer Geiſter ſeyn konnte, die nicht in den beſten Abſichten auf die Nachbarſchaft mit einer ſo anſehnlichen Wohnſtaͤtte angekom - men ſeyn moͤchten, ſo beſchloſſen ſie, nicht laͤnger in einer quaͤlenden Ungewißheit zu bleiben, ſondern die Sache ſiehendes Fußes in Augenſchein zu nehmen. Daher waren ſie in der Nacht mit ihrer ganzen Flotte von Kanoten abgeſegelt, einige hatten ſich in der Entfernung gehalten, und andre waren ge -landet,205landet, um heimlich die neue Inſel zu un - terſuchen. Als ſie aber ſo wenig erſchrecken des und nur zween in tiefen Schlaf verſenkte Sterbliche antrafen, ſo ſchien es ihnen das rathſamſte den Tag in Schlachtordnung ab - zuwarten und ſie alsdenn die Probe ihrer Gottheit oder Sterblichkeit ablegen zu laſſen. Zu dieſem Ende wurden die beyden Schla - fenden durch ein heftiges Geſchrey, das alle anweſende Haͤlſe zugleich anſtimmten, bey Tages Anbruche auſgeweckt, und etliche toll - kuͤhne Wagehaͤlſe hatten ſich ſchon in ihren Kanoten um die Inſel herumgeſchlichen, um ſie von hintenzu anzufallen, zu binden und triumphirend in ihre Heimath zu fuͤhren, um ihren Stand und ihre Macht weiter zu un - terſuchen.

Sabald als Belphegor bey ſeinem Erwa - chen die Menge Menſchen erblickte, ſo war ſeine erſte Empfindung Schrecken, wie bereits geſagt worden iſt: doch belebte die Nothwendigkeit der Huͤlfe und eine Art von Verzweiflung ſeinen Muth ſo ſehr, daß er durch bittende Zeichen und demuͤthige Geber - den ſie auf ſeine Inſel zu locken und ihnenzu glei -206zu gleicher Zeit verſtaͤndlich zu machen ſuchte, wie ſehr er ihres Beyſtandes beduͤrfe. An - ſtatt einer guͤtigen freundſchaftlichen Antwort toͤnte ihm ein fuͤrchterliches Kriegsgeſchrey entgegen, das bald hinter ſeinem Ruͤcken wiederholt wurde, worauf etliche ſie uͤber - fielen, mit Seilen von Baſte feſſelten und ihren Gefaͤhrten winkten, mit den Kanoten herbeyzurudern und die Gefangnen einzuneh - men, welches im Augenblicke geſchah.

Obgleich die Art, mit welcher dieſe Wil - den die beiden Europaͤer bewillkommten und aufnahmen, nicht die erfreulichſten Ausſich - ten verſprach, ſo war doch Belphegor aͤu - ßerſt zufrieden, das er auf ein langes feſtes Land gebracht werden ſollte, wo er wenig - ſtens Einen Fleck mit hinlaͤnglicher Nahrung anzutreffen hofte: Akante hingegen, deren Keuſchheit eben keine ſonderliche Muͤhe und Vorſorge mehr verdiente, weil ſie ſchon lei - der! ſo ſehr als ihr Geſicht zerfezt und ver - ſtuͤmmelt war, dachte an alles, waͤhrend der Ueberfahrt, nicht ſo ſehr und angelegent - lich als an die Gefahren, die unter ſo wil - den Barbaren ihrer weiblichen Ehre drohen konnten. So natuͤrlich, ſo tief mit demweib -207weiblichen Weſen verwebt iſt Sittſamkeit und Keuſchheit, daß hier Akante ſo gar, nachdem ſie ſchon in neun und neunzig Faͤl - len beſudelt worden ſind, doch im hunder - ten noch fuͤr die Erhaltung ihrer Reinlichkeit ſorgte!

Belphegor raͤſonnirte indeſſen unaufhoͤr - lich bey ſich uͤber die Feindſeligkeit und das Mistrauen, das die Wilden bey ihrer Auf - nahme blicken ließen. Ein neuer Beweis, ſagte er ſich, unter den vielen, die ich ſchon er - lebt habe, daß die Natur ihren Soͤhnen keine angeborne bruͤderliche Zuneigung zur Mitgift ertheilte. Warum fuͤhlt der Wilde dieſen Zug zu keinem Fremden? Warum iſt ihm außer der kleinen Geſellſchaft, die lange Gewohn - heit mit ihm eins hat werden laſſen, alles Feind! O Natur! Natur! Du mußteſt dem Menſchen dieſes Mistrauen einpflanzen, um deine Kreaturen Selbſterhaltung zu leh - ren: aber trauriges Mittel! damit jedes ſich erhalte, muß jedes des andern gebor - ner Feind, von allen ſich trennen und nur durch Gewohnheit, Eigennutz, Zwang der Freund von etlichen wenigen werden! Un - gluͤckliche Geſelligkeit! magſt du doch In -Oſtinkt208ſtinkt oder vom Beduͤrfniſſe erzeugt ſeyn, du biſt allzeit ein trauriges Geſchenk: du ſam - melteſt die Menſchen in Rotten, um ſich zu befeinden und zu zerfleiſchen. War es aus Oekonomie oder um das Schauſpiel blutiger zu machen, daß nicht Menſchen gegen Men - ſchen, ſondern Trupp gegen Trupp ſtreiten mußte? Doch weg mit den truͤben Gedan - ken! Ich bin vom Hunger und vom Tode gerettet: dieſe unverdorbnen Kinder der Na - tur, die Unerfahrenheit fuͤrchten, und die Furcht feindſelig verfahren lehrte, werden unſre friedlichen Geſinnungen kaum merken und uns eben ſo friedlich begegnen. Der Zunder der Feindſchaft, der in der ganzen Welt glimmt, kann ſich nicht bey ihnen ge - gen uns entflammen: freue dich, Akante, wir ſind wenigſtens dem Tode, wo nicht fer - nern Ungemaͤchlichkeiten entflohen! Es muß doch ſo eine Anordnung, ſo ein geheimes Etwas ſeyn, das die menſchlichen Begebenheiten zum Beſten der einzelnen Mit - glieder der Erde zuſammenknuͤpft: ein Et - was, das aus den widerwaͤrtigſten Saa - men den entgegengeſezten Vortheil, ausMis -209Mistrauen und feindlicher Furcht Errettung entwickeln kann.

Die Freude, ſich aus der augenſcheinlich - ſten Todesgefahr ſo unvermuthet geholfen zu ſehn, gab ſeiner Philoſophie einen ſo ge - ſchmeidigen Fluß, daß ſie bis zum Landen ſich in dieſe Selbſtbetrachtung ergoß.

Nachdem ſie unter einem ununterbroch - nen Jubel in das erſte Dorf eingezogen wa - ren, ſo glaubte Belphegor nichts gewiſſer, als daß man auf ſeine erſte Bitte, ſobald ſie nur verſtanden worden waͤre, mit der groͤß - ten Bereitwilligkeit ſeinen Hunger befriedi - gen werde. Er that zwar ſeine Bitte, aber niemand ſchien ſie zu verſtehen, ſondern man ſperrte ihn nebſt Akanten nach einer langen Prozeſſion in ein Gebaͤude ein; und eine kleine Weile darauf trug man ihnen Speiſen im Ueberfluſſe auf, deren Ungewohnheit ih - nen die Ueberladung erſparte. Die Einwoh - ner, die ſie genau beobachteten, frohlockten nicht wenig als ſie ihre Gefangnen mit ſo vielem Appetite eſſen ſahen, welches Vel - phegorn, der es ſich als eine Freude der Menſchenliebe und des Mitleids ausgab, beinahe auf beſſere Geſinnungen von derO 2menſch -210menſchlichen Natur brachte und ſeine bishe - rigen Beſchwerden uͤber ſie bereuen ließ. Hier, ſagte er zu Akanten, hier iſt unver - dorbne Natur: in keiner ſogenannten poli - zierten Geſellſchaft wuͤrde man ſo naife Aus - druͤcke des Mitleids und vielleicht auch ſchwer - lich eine ſo ſorgſame Verpflegung, ohne alle Ruͤckſicht auf eignes Intereſſe, angetroffen haben.

Nur das einzige war ihm unbegreiflich, daß dieſe mitleidigen Verſorger ſie gleich an - fangs aller Kleider beraubt hatten, beſtaͤn - dig gefeſſelt hielten und auf das ſchaͤrfſte be - wachten: er ſann tauſend guͤnſtige Urſachen dafuͤr aus, die insgeſammt ganz wahrſchein - lich, aber keine die wahre war.

Nach einer achttaͤgigen Wartung und Be - koͤſtigung, die ihnen ihre Kraͤfte voͤllig wie - der hergeſtellt hatte, wurden ſie des Mor - gens unter dem Zuſammenlaufe des ganzen Dorfs ausgefuͤhrt, und jedes in der ganzen natuͤrlichen Bloͤße an einen Pfahl gebunden: beide zitterten nicht ohne Grund fuͤr ihr Le - ben; doch war ihnen alles noch Raͤthſel. Verſchiedene von den Umſtehenden waren mit bedenklichen Werkzeugen bewaffnet, diezu nichts211zu nichts als zum ſchneiden und ſaͤgen ge - ſchickt waren: ein großes Feuer loderte in hohe Flammen empor, und nichts war wahr - ſcheinlicher, als daß ſie beide gebraten wer - den werden ſollten. Mitten unter dieſer unſeligen Vermuthung rennte eine Weibs - perſon, unſinnig wie ein Maͤnade, auf Bel - phegorn zu und zwickte ihm mit einem ſtei - nernen Inſtrumente ein Stuͤck Fleiſch aus dem Arme, daß er vor Schmerz vergehn mochte; das Blut quoll aus der Wunde, und ſchnell hielt einer der Daſtehenden ein Gefaͤß unter, um es aufzufangen und zu ver - ſchlucken. Dem Beiſpiele des raſenden Wei - bes folgten einige andre, und in kurzer Zeit waren die beiden Leidenden vor Schmerz faſt erſchoͤpft und ganz mit Wunden bedeckt, ihr Blut von verſchiedenen getrunken, und Stuͤcken von ihrem Fleiſche im Triumphe davon getragen worden. Aus dieſem tragi - ſchen Ende, das ihre guͤtige Verpflegung nahm: konnte man ſchließen, daß man nur die menſchenfreundliche Abſicht dabey gehabt hatte, ihr Blut und ihr Fleiſch fetter und wohlſchmeckender zu machen und ihnen Kraͤfte zu geben, daß ſie durch ihre Martern deſtoO 3laͤnger212laͤnger ihrer Grauſamkeit zur Kurzweile die - nen konnten.

Von dem ſchrecklichen Schauſpiele war kaum der erſte Akt voruͤber, als ploͤzlich ein Schwarm von der benachbarten Voͤlkerſchaft eindrang, nach einem kurzen Gefechte die Barbaren vom Schauplatze fortſchlug, das Dorf anzuͤndete und die blutenden Eu - ropaͤer mit ſich hinwegnahm, die dieſe Sie - ger ſogleich nach der Ankunft in ihrem Dorfe verbanden und ſorgfaͤltig verpflegten. We - der Belphegor noch Akante trauten itzt dem Gluͤcke mehr, ſondern argwohnten eine neue Grauſamkeit hinter dieſer Guͤtigkeit: da ſie aber ſo ſehr lange bis zur voͤlligen Heilung anhielt, ſo wußten ſie wenigſtens nicht, was ſie denken ſollten, wenn ſie auch gleich nichts Gutes erwarteten.

Ihre gegenwaͤrtigen Verpfleger waren ſehr religioͤſe Leute. Sie hielten es fuͤr hoͤchſtſuͤndlich, einen Menſchen zu eſſen, ohne ihn vorher den Goͤttern geopfert zu haben; und um ihre Nachbarn, die gewiſſenloſe Leute waren und ſie fraßen, ohne ihren Goͤttern einen Biſſen davon anzubieten, von dieſer aͤrgerlichen Gottloſigkeit abzuhalten,unter -213unternahmen ſie beſtaͤndige Anfaͤlle auf ſie: ſo oft ſie durch Kundſchafter erforſchten, daß man eine ſolche Mahlzeit halten wolle, ſo brachen ſie auf, befreyten die fuͤr die Gefraͤ - ßigkeit jener Barbaren beſtimmten Opfer mit Gewalt, kurirten ſie ſorgfaͤltig wieder aus, opferten ſie ihren Goͤttern und aßen ſie mit der groͤßten Anſtaͤndigkeit.

Kein andres Schickſal iſt alſo von der Froͤmmigkeit dieſer Leute fuͤr unſre beiden Europaͤer zu hoffen: und kurzer Zeit nach ihrer voͤlligen Genefung erfuhren ſie es ſelbſt, daß kein andres auf ſie wartete. Belphe - gor raſte vor Zorn und Verdruß; er wollte nicht eſſen, und wan zwang ihm die Spei - ſen ein: er wurde gemaͤſtet, um ein wuͤrdi - ges Gericht fuͤr die Tafel der Goͤtter zu werden. Der Termin des Opfers, das Hauptfeſt des Jahres, naͤherte ſich, und die Vorbereitungen nahmen ihren Anfang.

Unterdeſſen fuͤhlten ihre Nachbarn ein ge - waltiges Jucken der Tapferkeit in Armen und Fuͤßen, ſie hatten lange muͤßig zu Hau - ſe gelegen, und wie das unvernuͤnftige Vieh nichts gethan als gegeſſen, getrunken und bey ihren Weibern geſchlafen. Um ſie die -O 4ſer un -214ſer unruͤhmlichen Ruhe zu entreißen, ſand ſich bey einem unter ihnen gerade zu geleg - ner Zeit ein Traum ein, der kaum erzaͤhlt war, als alle bis zum kleinſten Nervengefaͤ - ße ſich begeiſtert fuͤhlten, nach den Waffen griffen und auszogen, als brave Menſchen - kinder ihre Gliedmaßen gegen ihre Nachbarn zu brauchen, die izt mit ihrem Feſte beſchaͤſ - tigt waren und alſo ihren Muth nicht in der gehoͤrigen Bereitſchaft hatten. Sie kamen; ſie fielen das Dorf an, wo Belphegor und Akante zum Opfer aufbewahrt wurden, ſie ermordeten und erwuͤrgten, was ihnen in den Weg kam, und um ſo viel hitziger und unbarmherziger, weil die lange Ruhe ihre Kraͤfte und ihren Muth thaͤtiger gemacht hatte. Die Uebereilten wurden in die Flucht getrieben, und die Sieger bemaͤchtigten ſich der zum Opfer beſtimmten Gefangnen, unter welchen auch Belphegor und Akante mit fort - geſchleppt wurden: allein da ſie von den Einwohnern des Dorfs eine hinreichende Anzahl bekommen hatten, um ihr blutbegie - riges Vergnuͤgen an ihnen zu befriedigen, ſo gaben ſie auf die uͤbrigen weniger ſorg - faͤltig Acht. Als ſie nach Hauſe kamen,wurden215wurden ſie wegen großen Ueberfluſſes aus - getbeilt, und jedermann, der einen Anverwaudten im Treffen eingebuͤßt hat - te, bekam einen von den Gefangnen an deſſen Stelle: unter welchen die bei - den Europaͤer zu einer Wittwe kamen, die ihnen die Ehre anthat, erſtlich den Verluſt ihres Mannes auf das empfindlichſte an ihren Leibern zu raͤchen, und dann ſie zu ihren Sklaven zu machen.

Der gegenwaͤrtige Zuſtand war unange - nehm, aber in Vergleichung der naͤchſtvor - hergehenden vortreflich; wenigſtens war das Leben ſicher. In kurzer Zeit bekam das ganze Dorf einen neuen Paroxiſmus von Tapferkeit, und alles zog aus, ſogar die Weiber waren nicht davon ausgenommen: auch Belphegor und Akante mußten, ſo we - nig ſie auch den Kuͤtzel der Tapferkeit em - pfanden, den Zug verſtaͤrken helfen. Da ſie aber vorausſehen konnten, daß das En - de des Feldzugs ihren Zuſtand wohl ver - ſchlimmern aber nicht verbeſſern koͤnne, ſo beſchloſſen ſie bey der erſten Gelegenheit zu entwiſchen, in eine Einoͤde zu fliehen und da lieber kuͤmmerlich zu verhungern, als inO 5beſtaͤn -216beſtaͤndiger Gefahr zu ſeyn, daß man der Grauſamkeit eines Barbaren mit langſamen Martern zur Beluſtigung und endlich gar mit ſeinem Fleiſche zur Saͤttigung dienen muͤſſe. Die Gelegenheit zeigte ſich, und ſie entflohen, verſteckten ſich lange Zeit, um der Nachſtellung zu entgehn, in einem Mo - raſte, und ruͤckten, ſo oft ſie ſich ſicher ge - nug glaubten, weiter fort. Aber ihre Noth hatte nur eine andre Mine angenommen: der Tod drohte ihnen immer noch, nur un - ter einer neuen Larve. Ihre Nahrung muß - ten ſie muͤhſam ſuchen und fanden ſie nicht einmal in zureichender Menge, und die Be - ſchwerlichkeiten der Witterung machten ihre traurige Situation vollſtaͤndig.

Wer haͤtte ſich in ſolchen Umſtaͤnden nicht den kummervollſten Reflexionen uͤberlaſſen ſollen, auch ohne ſo viele Miſanthropie, wie Belphegor, im Leibe zu haben? Um ſo viel mehr mußte er es thun: der Strom ſeiner aͤrgerlichen Klagen ergoß ſich von neuem uͤber den Menſchen und die Natur. Als er eines Morgens ſein Kummerlied unter einem Brodfruchtbaume ſang, ſo hoͤrte er ploͤzlich einige Stimmen und erſchrack, wieleicht217leicht zu vermuthen, weil er izt bey jeder un - bekannten Stimme einen Menſchen vermu - thete, der ihn ſchlachten wollte: er verkroch ſich und horchte. Der Ton hatte nichts barbariſches, und bey ſeiner Annaͤherung wurde er inne, daß es Akante war, die zween Fremde in europaͤiſcher Kleidung zu ihm fuͤhrte. Er verließ alſo ſeinen Schlupf - winkel und erfuhr, daß es zween Spanier waren, die man mit einem Schiffe von Panama abgeſendet hatte, um Unterſu - chungen in dieſer Gegend anzuſtellen, Fahr - ten und Laͤnder zu entdecken. Akante, die bey dem Don, deſſen Maͤtreſſe ſie ehemals geweſen war, ein wenig Spaniſch gelernt hatte, wußte wenigſtens noch genug davon, um zu erkennen, daß es Spaniſch war, was dieſe beiden Leute mit einander ſprachen, als ſie ihrer bey einer Quelle anſichtig wur - de, wo ſie tranken: ſie wagte ſich zu ihnen, entdeckte ihnen die Verlegenheit, in welcher ſie nebſt Belphegorn hier ſchmachtete, nebſt einigen andern Umſtaͤnden ſo deutlich, als ihre kleine Fertigkeit in der Sprache es zu - ließ. Die Fremden ließen ſich bewegen, zu Belphegorn mit ihr zu gehn, kamen zu ihm,und218und erboten ſich, ſie beide auf das Schiff mit ſich zu nehmen. Der Vorſchlag wurde freudig angenommen, und der Marſch zu dem Schiffe angetreten.

Sie kamen an den Ort, wo ſie das Boot befeſtigt hatten, das ſie uͤber einen nicht allzu breiten Fluß wieder zuruͤckfuͤhren ſollte; aber ſie ſuchten umſonſt: das Boot war un - ſichtbar. Sie riefen, ſie ſahen, und ſiehe da! in einer weiten Entfernung ſahen ſie es, mit Huͤlfe eines Fernglaſes, den Fluß hinuntertreiben, und nur einen einzigen Menſchen auf ihm, der, ſo viel ſich unter - ſcheiden ließ, durch unaufhoͤrliche Bewe - gungen, die auch von einem Geſchrey be - gleitet werden mochten, ſeine Rettung ver - muthlich zu bewirken ſuchte. Man eilte, ſo ſchnell man konnte, an dem Rande des Waſſers hin, es einzuholen, und bemuͤhte ſich durch beſtaͤndiges Schreyen theils die Leute herbeyzubringen, die es verlaßen hat - ten, theils dem armen Huͤlfloſen, der darauf zuruͤckgeblieben war, Hofnung zu machen, daß ſeine Errettung vielleicht nicht weit mehr ſey. Das Boot ſtieß indeſſen an einekleine219kleine Sandbank an, wo es aber der Strom bald wieder losarbeitete. Dieſer Umſtand ließ wenigſtens die, welche ihm nacheilten, Zeit gewinnen, und ſie waren ihm itzt ſchon ſo nahe, daß ſie mit dem Verlaßnen darinne ſprechen konnten. Man wollte ihm helfen und wußte nicht wie: man hielt ſich in - deſſen mit Stangen in Bereitſchaft, um ſie bey der erſten guͤnſtigen Gelegenheit anzu - wenden. Der Strom naͤherte zuweilen ih - rem Ufer das Boot und einmal ſo ſehr, daß einer von den Spaniern es mit ſeiner Stange erreichen konnte; er zog es ein gu - res Stuͤck naͤher, der darinne ſitzende froh - lockte ſchon, Belphegor warf ſich ins Waſ - ſer, ſchwamm zu dem Taue, womit es am Ufer befeſtigt geweſen war, und das itzt nicht weit vom Rande ſchwamm, ergriff es, nahm es zwiſchen die Zaͤhne und ſchwamm zuruͤck, der andre Spanier haſchte es mit ſeiner Stange, man griff zu, und nach etli - chen Drohungen und Wendungen war man ſo gluͤcklich es mit vereinten Kraͤften ſo nahe zu bringen, daß man es bis zu einem Ausſteigeplatze von dem Strome forttreiben laſſen und mit dem Taue zuruͤckhalten konnte,daß220daß es ſich nicht zu weit vom Ufer wie - der entfernte.

Mit einer unbeſchreiblichen Freude ſprang der Erretter aus dem Boote und dankte ſei - nen Errettern ſo lebhaft, daß man beynahe das Fahrzeug, das ihnen zu ihrer eignen Zuruͤckfahrt zu dem Schiffe unentbehrlich war, haͤtte entwiſchen laſſen: beſonders wurde Belphegor fuͤr ſeine muthige Hand - lung mit Liebkoſungen uͤberſchuͤttet und in Umarmungen faſt erdruͤckt. Man beſich - tigte das Tau und wurde mit Erſtaunen uͤberzeugt, daß es entzweygeſchnitten war. Jedermann war deswegen um ſo viel mehr begierig, die beſondern Umſtaͤnde von der Losreiſſung des Bootes zu wiſſen: man ſtuͤrmte von allen Seiten auf den Erretteten mit Fragen zu, und er verſicherte ſie, daß er weiter nichts von dem traurigen Vorfalle ſagen koͤnne, als daß die vier uͤbrigen, die ſie im Boote bey ihm zuruͤckgelaſſen, unter dem Vorwande, daß ſie Enten auf einem na - hen Sumpfe ſchießen wollten, aller ſeiner Vorſtellungen und Verweiſe ungeachtet, aus - geſtiegen waͤren und mit einem Jagdmeſſer hinterliſtig den Tau entzweygehauen haͤtten,um221um ihn der Willkuͤhr des Stroms zu uͤber - geben. Die Urſachen ihrer Bosheit waren ihm unbekannt: wenn er aber eine vermu - then ſollte, ſo mußte es nach ſeiner Mey - nung Unzufriedenheit ſeyn, daß man ihm die Aufſicht uͤber das Boot anvertraut und ihn einen Fremden jenen Eingebornen vor - gezogen habe. Die Spanier, die man itzt fuͤr ein Paar Offiziere erkannte, wuͤteteu wider die Boͤſewichter, und am meiſten dar - uͤber, daß ſie ſich durch die Flucht ihrer Strafe entzogen hatten.

Unterdeſſen flog der Gerettete, den ſeine Dankbarkeit noch ganz begeiſterte, noch ein - mal auf Belphegorn zu und verſuchte als er merkte, daß er kein Spaniſch ver - ſtand eine Sprache zu finden, worinne er ihm ſeine Empfindungen frey und gelaͤu - fig auszudruͤcken wußte: es gelang ihm, und dann empfieng Belphegor eine feurig warme Dankſagung, eine ſo freundſchaftlich warme, als ſie ihm ſein vertrauteſter Freund haͤtte geben koͤnnen, und oben drein die Verſichrung, daß er nebſt ſeiner Gefaͤhrtinn in Karthagena ſo lange bey ihm bewirthet werden ſollte, als es ihm nur gefiele. Die222Die Vorſicht lebt noch, ſprach der dankbare Mann mit froͤlichem Tone: ſie hat mir mit meinem Bootchen aus dem grimmigen Fluſſe geholfen, warum ſollten ſie mir denn nicht nach Karthagena wieder verhelfen, um dir fuͤr deine Wohlthat zu danken? Ja die Vorſicht lebt noch: wenn wir zum Schiffe kommen, Bruͤderchen, ſo wollen wir ihr zu Ehren eine Flaſche zuſammen ausleeren.

Das Boot wurde unterdeſſen beſtiegen, und man ruderte den Strom hinab, um wieder zu dem Schiffe zuruͤckzukehren, und jeder ſpannte dabey ſeine Geſchicklichkeit und ſeine Kraͤfte an. Sie erreichten das Schiff, und Belphegor wurde mit Akanten von ihrem neuen Freunde auf das herrlich - ſte bewirthet: die Flaſche loͤßte allen die Zunge, und jedes ließ ſeinen Gedanken und Worten ungehinderten Lauf: man erzaͤhlte ſich und erzaͤhlte ſich ſo lange bis der Be - wirther die Flaſche vor Haſtigkeit hinwarf und Belphegorn um den Hals flog. Bruͤderchen, ſchrye er, biſt Du es? biſt Du es? Gewiß? Du, Bruͤderchen? der mich, deinen Medardus, in dem ab - ſcheulichen Palaſte zu Niemeamaye mit -ten223ten in den Flammen zuruͤckließ? Sagte ich doch: die Vorſicht lebt noch: wir dach - ten einander nimmermehr wieder zu finden, aber ſiehe! hier ſind wir beyſammen. Wer haͤtte das denken ſollen? Und Du auch, Akantchen? Wohl uns! wenn wir erſt wieder in Karthagena ſind! Dann ſolls euch gehn! ſo gut, als ihrs itzt ſchlecht ge - habt habt! Gluͤckliches Wiederſehn, und nimmermehr wieder Verlieren! und ſo trank er munter ſein Glas aus.

Aber, ſprach Belphegor, wenn die Vor - ſicht noch lebt, wie Du noch immer feſt glaubſt, warum ließ ſie mich erſt ſo lange Zeit zweifeln, ob uͤberhaupt eine exiſtirte? Warum mußte ich geſchunden, zerſchnitten, geſengt und beynahe gefreſſen werden, um davon uͤberzeugt zu werden? und noch kann unſer Wiederſehn eben ſo ſehr die Wirkung eines Ohngefehrs, eines zufaͤlligen Schick - ſals als einer Vorſicht ſeyn? Meine Leiden machen meinen Glauben an ſie kein Haarbreit ſtaͤrker; ja ſo gar ſie ſchwaͤchen ihn.

Biſt Du noch ſo ein Gruͤbelkopf, Bruͤ - derchen? unterbrach ihn Medardus. Er - ſaͤufe Zweifel und Grillen in der Flaſche:Pgenug,224genug, ich glaube, daß eine Vorſicht iſt, und wers nicht glaubt, den ſoll der Teufel holen! Nun, Bruͤderchen! und ſo ſtieß er an ſein Glas alle, die eine Vor - ſicht glauben, ſollen leben!

Man merkte es, daß die Flaſche den jovialiſchen Medardus begeiſtert hatte; und da Belphegors Rauſch ein truͤber melancho - liſcher Rauſch war, ſo haͤtten beyde beynahe uͤber Schickſal und Vorſicht in einen unſeli - gen Zwiſt verwickelt werden koͤnnen, wenn nicht Akantens Dazwiſchenkunft ſie getrennt und im Frieden erhalten haͤtte.

Als der Rauſch ausgeſchlafen war, ſo kehrte zwar die alte Vertraulichkeit wieder zuruͤck, allein Belphegor blieb doch truͤbſinnig. Akante heiterte ſich mit jeder Stunde wieder auf: mit jeder Erzaͤhlung, die ihr Medar - dus von dem Reichthume und den Schoͤn - heiten zu Karthagena machte, mit jeder Aus - ſicht auf Ruhe, Bequemlichkeit, Ergoͤtzlich - keit, die er ihr eroͤffnete, verſchwand das Andenken der uͤberſtandnen Beſchwerlichkei - ten, und es verſtaͤrkte ſich ihre Munterkeit und Lebhaftigkeit; ſie quaͤlte ſich nicht, ob dieſe angenehme Erwartungen ein Geſchenk desSchick.225Schickſals oder der Vorſehung ſeyn moͤch - ten: genug, ſie ſollte ſie genießen, und war damit zufrieden, daß ſie ſie genießen ſollte. Belphegor hingegen lief taͤglich und ſtuͤnd - lich die traurige Geſchichte ſeines vergang - nen Lebens durch, fand uͤberall Gelegenheit zu klagen und mit ſeinem Glauben ſich auf die Seite eines blinden Schickſals zu neigen, wozu Medardus mit ſeinem unumſchraͤnkten Vertrauen auf eine Vorſehung nicht wenig beytrug, weil er ihm dadurch immer Gele - genheit gab, zu ſeinen Zweifeln und dem Nachdenken daruͤber zuruͤckzukehren.

Indeſſen hatte das Schiff ſeinen Weg nach Panama angefangen und jede Stunde, die Medardus miſſen konnte, brachte er mit Belphegorn zu, um einander zu erzaͤhlen und Aumerkungen daruͤber zu machen.

Was findeſt Du nun in meinem ganzen Lebenslauf? fragte Belphegor eines Abends, als er ſeine Geſchichte von dem Brande in Niemeamaye bis auf den gegenwaͤrtigen Augenblick geendigt hatte was findeſt Du darinne, blindes Schickſal oder uͤberlegte Vorſehung? Ich wollte durch eine Reihe Beſchwerlichkeiten dahin, die Neid und Bos -P 2heit226heit meiſtens nur gelegentlich uͤber mich ausgoſſen: keins haͤngt mit dem andern zu einem gewiſſen Zwecke zuſammen, ſondern ich wurde gequaͤlt, weil die Menſchen nun einmal ſo gemacht ſind, daß ſie nach ihren Geſinnungen und Leidenſchaften, die auch nicht ihr Werk ſind, nicht anders als mich quaͤlen mußten. Die Barbaren, die mich und Akanten nach einer langſamen Marter freſſen, oder die uns ihren Goͤttern opfern wollten was koͤnnen dieſe dazu, daß ſie dieß nicht eben ſo ſehr, wie wir, fuͤr die ſchrecklichſte Grauſamkeit halten? Eine fort - geſetzte Reihe von Begebenheiten, nebſt ih - ren urſpruͤnglichen natuͤrlichen Anlagen, Trieben und Neigungen, ſtellten ihnen all - maͤhlich jenes als zulaͤßig und dieſes als vortreflich vor, ſo wie uns eine andre lange Reihe von Begebenheiten die Handlung, einen Menſchen zu ſchlachten, als abſcheulich abmalte. Was fuͤr ein Plan iſt es aber, Menſchen ſo anzulegen, daß aus ihrem er - ſten Triebe der Selbſterhaltung Leidenſchaf - ten aufwachſen muͤſſen, die ſolche barbari - ſche Grundſaͤtze erzeugen? Was ſind dieſe in jenem vorgeblichen Plane? Zweck oder Mit -tel?227tel? Zweck koͤnnen ſie nicht ſeyn: denn welche Idee, Kreaturen zu ſchaffen, damit ſie einander freſſen! Mittel eben ſo wenig: denn wozu fuͤhren ſolche Unthaten im Ganzen oder im Einzelnen? Entwe - der muͤßte alſo hier in dem Plane der Bege - benheiten ein thoͤrichter Zweck oder ein thoͤ - richtes Mittel angenommen werden, oder die ganze Sache muß ein zufaͤlliger, nicht intendirter Umſtand ſeyn; und, und! vielleicht war die ganze Reihe meines, deines Lebens, die Begebenheiten der ganzen Erde nichts als dieſes Wir - kungen des Zufalls und der Nothwendigkeit, wo Leute, die dieſe Woͤrter nicht leiden konn - ten, Zweck und Mittel herauskuͤnſtelten, und, wie die Wahrſager, auch zuweilen dieſe beyden Sachen ſelbſt herausbrachten.

Bruͤderchen, Du ſchwatzeſt zu ſubtil: Du gruͤbelſt und gruͤbelſt, und haſt am Ende nichts als Unruhe und Ungewisheit zum Lohne: ich glaube friſch weg, ohne mich links oder rechts umzuſehen, daß alles gut und weiſe angeordnet iſt, und wenn mich die Kerle, die Dich verſchlingen wollten, ſchon halb hinuntergeſchluckt haͤtten, ſo daͤchteP 3ich doch:228ich doch: wer weiß, wozu das gut iſt? Ich komme am beſten dabey zu rechte: iſt auch wirklich alles Nothwendigkeit und Zufall; muß ich mich von dieſen beyden Maͤchten herumſtoßen laßen wohlan! ich wills gar nicht wiſſen, daß ſie mich blind herum - ſtoßen. Der Kopf wird ſo dadurch wirb - licht genug, ſoll ich mir ihn noch durch Gruͤ - beleyen wirblicht machen? Nein! jede Freude genoſſen, wie ſie ſich anbietet, jeden Puff angenommen, wie er koͤmmt, und im - mer gedacht: wer weiß, wozu er gut iſt? das heißt klug gelebt! Und das kannſt Du mir doch nicht laͤugnen, Bruͤderchen, daß die gottloſen Kerle, die mich mit dem Boote fortwandern ließen, mich in die Angſt verſetzen mußten, damit ich dich wie - derfaͤnde? Waͤre ich in dem Palaſte zu Nie - meamaye nicht beynahe verbrannt, haͤtte ich nicht ſo viele Gefahren zur See und in Ame - rika ausgeſtanden, ſo waͤre ich itzt nicht bey Dir, ſo freueten wir uns itzt nicht

Beſter Freund! unterbrach ihn Belphe - gor: dieſer Zweck iſt auf deiner Seite er - reicht, aber auf der meinigen nicht. In dem Sturme der Leidenſchaften, unter demGefuͤhle229Gefuͤhle der Widrigkeiten wuͤtete meine Seele, wie ein Betrunkener; alles war mir ſchwarz, ich deklamirte, aber ich raͤſonnirte nicht Itzt da ſich durch dein Wiederſehn meine Aus - ſichten erheitern, da der Taumel des widri - gen Gefuͤhls verfliegt, itzt tritt eine Stille ein, die tauſendmal quaͤlender als der Sturm iſt uͤberlegtes Raͤſonnement in dem truͤben Tone, in welchem ich vorher de - klamirte: kurz, ich bin aus dem Getuͤmmel der Schlacht, Wunden und Schmerzen her - ausgeriſſen worden, um an mir ſelbſt zu nagen. Soll dieſes Zweck oder Mittel von einem kuͤnftigen Zwecke ſeyn? und ſo wird wohl der letzte, auf dem alles abzielt, der Tod ſeyn.

Wer weiß, wozu Dir das gut iſt, Bruͤ - derchen? ſprach Medardus. Du mußt nur Muth ſchoͤpfen

Lieber Mann! heißt das nicht zu einem lahmen Fuße ſagen: hinke nicht? Fuͤhre ich die Federn meines Denkens und Em - pfindens an der Schnute, um ſie nach Wohlgefallen lenken zu koͤnnen?

Bruͤderchen, mir war bange, als ich in dem Palaſte zu Niemeamaye mitten unterP 4den230den Flammen, wie in einem Feuerofen, ſteckte: aber ich dachte doch, wenn Du gleich zu Pulver verbrennſt, wer weiß, wozu das gut iſt? wo nicht Dir, doch einer leben - digen Kreatur auf der Erde itzt oder in Zu - kunft; und ſiehſt Du? ich kam gluͤcklich durch.

Aber wie kamſt Du durch, Freund?

Durch einen beſondern Zufall. Du weißt, der Boͤſewicht, der mit Dir nach Niemea - maye kam, um mich ſchaͤndlicher Weiſe zu toͤdten, wurde zu einem ewigen Gefaͤngniſſe verdammt, weil wir kein Blut vergießen wollten, ob er gleich den Tod verdient hatte. In dem Tumulte, als ihn ſeine Wache ver - ließ, hatte er ſich durchgearbeitet, ſtrich durch die Burg, fand die Kleidung, die Du von Dir geworfen hatteſt, zog ſie an, weil ſie ganz mit Goldkoͤrnern angefuͤllt war, und wollte ſo in ihr entfliehen. Da aber die koͤniglichen Inſignien darauf waren, ſo hiel - ten ihn die Feinde fuͤr den Koͤuig, nahmen ihn gefangen, und waͤhrend daß alles jauchzte nnd nach dem Orte zulief, wo man den ge - fangenen Koͤnig zeigte, erwiſchte ich eine Oeffnung und entkam gluͤcklich. Ich wan -derte231derte bis zur Hauptſtadt des großen abißi - niſchen Reichs, wo ich mir durch die mitge - brachten Goldkoͤrner die Bekanntſchaft eini - ger Kaufleute erwarb, die mir nach Neu - guinea zu helfen verſprachen, damit ich von da nach Europa zuruͤckgehn koͤnnte, wo - hin ich mich außerordentlich wieder wuͤnſchte. Mein Verlangen wurde befriedigt: ich gieng mit einem engliſchen Sklaventranſporte ab, aber um zwiſchen zwey Elementen, Waſſer und Feuer, beynahe umzukommen. Siehſt du, Bruͤderchen? Den ſchwarzen Afrikanern wurde in ihrem engen Loche bange: ſie woll - ten mit Gewalt in ihr Vaterland zuruͤck, ſoll - ten ſie auch durch den Tod dahinkommen: denn die naͤrriſchen Kreaturen bilden ſich ein, daß ſie ſicher ihre Heimath wieder fin - den, ſo bald ſie geſtorben ſind. Um dieſe Reiſe zu thun und ſich zu gleicher Zeit an den Leuten zu raͤchen, die ſie wider ihren Willen in eine andre Gegend verſetzen woll - ten, ſtiegen ſie in der zwoten Nacht nach unſrer Abreiſe einer dem andern auf die Schultern, um die Fallthuͤre ihres Behaͤlt - niſſes aufſtoßen und herausklettern zu koͤn - nen: der Raum von dem Boden bis an dieP 5Thuͤr232Thuͤr war ſo hoch, daß wenigſtens drey Mann uͤber einander ſtehen mußten, um ſie zu oͤffnen. Der boͤſe Streich gelang ihnen wahrhaftig: einer von ihnen kletterte heraus und fand die Sklavenwache ſchlafend. Hur - tig warf er ſeinen zuruͤckgebliebnen Kamera - den eine Strickleiter hinunter, ergriff das Gewehr der Wache und brachte ſie mit einem guten Degenſtoße um, worauf er den Getoͤdteten mit Huͤlfe der uͤbrigen herzuge - eilten Negern uͤber Bord warf. Zum Un - gluͤcke ſchlief alles, was ſchlafen durfte, feſt, weil jedermann die ganze vorhergehende Nacht hatte arbeiten muͤſſen, und die weni - gen Wachenden wachten nur halb: dieſer Umſtand verſtattete den Negern durch das Schiff zu ſtreichen. Sie fanden einen ſchla - fenden Matroſen, der ſeinen Tabaksbeutel mit dem Feuerzeuge an ſich haͤngen hatte: ſie ſchnitten ihn los und brachten wirklich ein Stuͤck Schwamm zum brennen; durch etliche andre brennbare Materien brachten ſie es zur Flamme, die ſie in verſchiedene Theile des Schiffs ausſtreuten. Damit aber niemand ſie fuͤr die Urheber des Bubenſtuͤcks erkennen moͤchte, krochen ſie in ihr Behaͤltnißzuruͤck,233zuruͤck, und waren bereit, in dem Feuer mit umzukommen, wenn es das Schiff ganz zu Grunde richten ſollte, welches ſie von Her - zen wuͤnſchen mochten. Die Flamme griff auch ſchon wirklich weit um ſich, verwuͤſtete hin und wieder, als man es erſt gewahr wurde. Bruͤderchen, das war ein Schrecken! das war ein Tumult! Verbrennen oder ertrinken! Das ſchien die einzige Wahl: aber, Bruͤderchen, ich ſollte Dich wieder - ſehn: das Feuer wurde gedaͤmpft und die Urheber entdeckt. Die einfaͤltigen Geſchoͤpfe hatten vergeſſen, die Strickleiter an ihrer Fallthuͤre wegzuſchaffen: kurz, der boͤſe Han - del wurde ausfuͤndig gemacht und hart geſtraft.

Waren wir dem Feuer entgangen, ſo war es nur, um in die Haͤnde der Feinde zu fallen. Die Spanier und Englaͤnder hatten damals das Recht, einander allen erſinnlichen Scha - den und Feindſchaft anzuthun: denn kurz vorher war zwiſchen beiden ein Krieg aus - gebrochen. Siehſt Du, Bruͤderchen? wir wußten nichts davon, und erwarteten alſo gar nicht, daß jemand unſer Feind ſeyn wollte, weil wir niemanden etwas zuwidergethan234gethan hatten: allein da die beiden Maͤchte uneinig waren, ſo mußten wir arme Unſchul - dige ihren Zorn entgelten und uns moch - ten wir, mochten wir nicht als Feinde behandeln laſſen, weil uns ein engliſches Schiff trug. Ein ſpaniſches griff uns an und fuͤhrte uns gluͤcklich nach Karthagena, wo ich bewies, daß ich kein Englaͤnder war und auch nicht einmal den Namen nach an dem Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen den beyden Koͤnigen einigen Antheil haͤtte: auf dieſen Beweis gab man mir die Erlaubniß, mein Gluͤck zu ſuchen, wo ich es finden konnte. Ich fand einen Platz bey einem Kaufmanne, wo ich mich gegenwaͤrtig noch befinde, und auf deſſen Verlangen ich dieſe Reiſe nach dem kaliforniſchen Buſen mit unternehmen mußte. Gluͤckliche Reiſe! ich habe Dich wiedergefunden; ich bringe Dich nach Kar - thagena, und nun leben und ſterben wir beyſammen.

Seine Wuͤnſche wurden erfuͤllt: ſie er - reichten gluͤcklich Panama und machten als - dann in kurzer Zeit den Weg bis nach Kar - thagena, wo Medardus ſeinem Freunde eine anſtaͤndige Verſorgung verſchafte, unddieſer235dieſer Akanten, die Gefaͤhrtinn ſeiner Schmer - zen und ſeines Ungluͤcks, zu ſeiner wirklichen Ehegattinn erhub.

Belphegor glaubte ſich nunmehr am Ende ſeiner Leiden, heiterte ſich durch ſeine Zer - ſtreuungen und Geſchaͤfte genugſam wieder auf, um ſeine bisherige truͤbe Laune ziemlich zu vergeſſen; allein der herrſchende Ton ſei - ner Empfindungen und ſeiner Gedanken blieb beſtaͤndig der ſchwermuͤthige, der me - lancholiſche, und ſeine Unterhaltungen mit ſeinem Freunde betrafen meiſtens das große Labyrinth die Begebenheiten und Schick - ſale der Menſchen. Er wankte mit ſeinem Glauben zwiſchen Nothwendigkeit und Vor - ſehung hin und wieder, und ſeine eigne Ueberzeugung zog ihn allezeit zu der erſtern, ob ihn gleich ſein Freund zu der letztern zu ziehen ſuchte. Wenn aber auch ſein inner - licher Zuſtand nie voͤllig ruhig werden konnte, ſo glaubte er wenigſtens, daß die Menſchen und das Schickſal ſeinen aͤußerlichen nicht weiter beunruhigen wuͤrden; aber auch hierinne glaubte er falſch: die Menſchen mußten ihn in ſeiner Ruhe ſtoͤren, weil er ſie im Laſter und der Unterdruͤckung ſtoͤren wollte.

Seine236

Seine Geſchaͤfte fuͤhrten ihn oft in ſolche Verbindungen, daß er das ganze Spiel der Leidenſchaften und des Eigennutzes in dem deutlichſten Lichte ſehen konnte: er fand, daß auch in dieſer neuen Welt, wie in der alten, der Neid beſtaͤndig den Bogen ge - ſpannt hielt, und jeder ſeine Obermacht zur Unterdruͤckung mißbrauchte. Anfangs ließ er ſich zwar von der Klugheit zuruͤckhalten, allein in kurzem haͤuften ſich die Reizungen ſo ſehr, daß ſein Unwille alle Klugheit uͤber - ſtimmte: er riß ihn hin und ſtuͤrzte ihn in täuſend Unannehmlichkeiten und eben ſo viele Gefahren.

Der Herr, in deſſen Dienſten er ſtand, war ein Kreole*)Ein in Amerika von europaͤiſchen Eltern geborner. und hatte deswegen den Haß aller gebornen Spanier auszuſtehn: bey jeder Gelegenheit, wo von einem unter dieſen das Intereſſe oder die Ehre ſeines Herrn gekraͤnkt wurde, focht Belphegor mit allen Kraͤften ſeiner Beredſamkeit und ſei - nes Leibes, ihn zu vertheidigen. Sein Ei - fer machte ihn bey ſeinem Herrn beliebt und wurde dadurch um ſo viel ſtaͤrker angefacht.

So lange237

So lange er wider die Ungerechtigkeiten und den Stolz der gebornen Spanier dekla - mirte und mit ſeiner gewoͤhnlichen Heftig - keit auf die Verachtung loszog, die ſie gegen alle Kreolen blicken ließen, auch zuweilen dadurch, daß er zu heftig die Partie der Kreolen nahm, ſich blaue, braune, gelbe und rothe Flecken, Wunden und Beulen verurſachte, ſo uͤberhaͤufte ihn ſein Herr mit Liebkoſungen und Geſchenken, Belphe - gor empfieng die freundlichſten guͤtigſten Bli - cke unter allen im ganzen Hauſe, ſein Ge - ſpraͤch war die liebſte, die einzige Unterhal - tung ſeines Herrn, und dieſer konnte ihm ſtundenlang zuhoͤren, wenn er eine Straf - predigt uͤber Welt und Menſchen hielt und die Zuͤge in ſeinen Gemaͤlden des kindiſchen menſchlichen Stolzes von gebornen Spa - niern entlehnte: ſobald er aber Einen Zug der Unterdruͤckung einfließen ließ, die der Kreole ſo gut als der Spanier begieng, ſo ſchwieg man anfangs ſtill, und wenn er ſeine Schilderungen mit ſolchen Dingen gar zu ſehr uͤberladete, ſo wurde die Unterhal - tung abgebrochen. Belphegor, der ſeinen Herrn, im Durchſchnitte gerechnet, fuͤr guthielt,238hielt, duͤnkte ſich verpflichtet, ihm auch die kleinen Flecken abzuwiſchen, die die Grund - flaͤche ſeines Charakters beſchmuzten und die ſich nur durch die Laͤnge der Gewohnheit ſo tief eingefreſſen hatten, daß er ſie, wie alle Menſchen ſeines Schlages um ihn, fuͤr keine Flecken hielt. Dahin gehoͤrte vorzuͤglich die - ſe Art von Grauſamkeit, die auch Menſchen begehen, wenn ſie nichts als gerecht ſind, andern zwar ſehr puͤnktlich ihre eignen Ob - liegenheiten entrichten, aber auch mit der aͤußerſten Strenge ihr Recht von andern ver - langen. Da dieſe Strenge ſich am meiſten da aͤußert und auch, ohne gerichtliche Straf - faͤlligkeit, am meiſten da aͤußern kann, wo eine alte verjaͤhrte Unterdruͤckung zum Recht geworden iſt, und ein Trupp armſeliger Kreaturen, ſo bald ſie zu exiſtiren anfangen, ſchon die Moͤbeln eines andern ſind kurz, wo Leibeigenſchaft und Sklaverey herrſchen; ſo fand Belphegor fuͤr ſeinen Strafeifer nir - gends reichlichern Stoff als in ſeinen gegen - waͤrtigen Umſtaͤnden. Die Indianer, dieſe armen Laſttraͤger, dieſe Soufre-douleurs von Amerika, und man moͤchte ſagen, der ganzen Menſchheit, reizten ſeinen Unwillenam239am heftigſten. Er ſah, daß alles ſich ver - einigte, auf die Koſten dieſer Elenden wohl zu leben, und ſein Ungeſtuͤm, da er ſo viele Nahrung fand, brach von neuem los. Ihr ſeyd Unmenſchen, ſprach er einſt zu ſei - nem Herrn; ihr macht eure Schultern leicht und legt alle Laſten der Menſchlichkeit dieſen Kreaturen ohne Mitleid auf: ihr druͤckt ſie, weil ſie keine rechten Chriſten ſind, ohne zu bedenken, daß ſie Menſchen ſind. Laßt die - ſen Ungluͤckſeligen ihren Pachacamac*)Gott der Peruaner. oder wie ſie ihn ſonſt nennen wollen, und erleich - tert ihnen die Muͤhe zu leben, und ihr ſeyd ihre wahren Wohlthaͤter. Iſt es nicht ewige Schande, eine halbe Welt zu erobern, ihre Einwohner zu Sklaven zu machen und dann noch an ihrem duͤrftigen Unterhalte zu ſau - gen? Aber warum konnte nun die Natur ihr Werk ſo anlegen, daß alle dieſe Haͤrte eine nothwendige Folge von ſeiner Einrich - tung ſeyn mußte? daß ein Theil der Men - ſchen von dem andern nicht allein zur Arbeit gezwungen, ſondern auch uͤberdieß noch hart behandelt werden mußte? daß ein Theil ganzernie -Q240erniedrigt werden mußte, damit der andre deſto hoͤher ſich emporhebe? O Gott! mir ſchwellen alle meine Adern, wenn ich dieſen tollen Lauf der Welt uͤberdeuke! Was ſind dieſe Befehlshaber, dieſe Corre - gidoren anders als privilegirte Unterdruͤcker! Was ſeyd ihr, die ihr den Reichthum des Landes der Erde abgewinnt, anders, als immerwaͤhrende Unterdruͤcker? als vom Recht geſchuͤzte Unterdruͤcker, wenn ihr auch noch ſo gelinde verfahrt? Und wenn der Elendedieſe beiden Ruthen bis zum Verbluten gefuͤhlt hat, dann ſetzt noch der geiſtliche Blutſauger den Ruͤſſel an und zieht dem armen Einfaͤltigen den wenigen Saft aus, der ihm uͤbrig blieb, verkauft ihm ſchnoͤde nichtsnutze Poſſen und pflanzt ihm den haͤßlichſten Aberglauben ein, damit ihn Gewiſſen und Bloͤdſinn zum Kaufe zwingen. Iſt es erhoͤrt, o Natur, daß du eine Gattung von deinen Geſchoͤpfen ſo ganz ſtiefmuͤtterlich vernachlaſſigen konnteſt? Waren die Indianer nicht auch dein Werk? Und doch ließeſt du ſie vielleicht viele tauſend Jahre in Dummheit und dem grauſamſten Aberglauben herumkriechen, Sklaven ihrer Tyrannen und ihrer Goͤtter ſeyn, dann ſiezu tau -241zu tauſenden erwuͤrgen, in das Joch der Eu - ropaͤer ſtecken und nun langſam von allen Seiten bis zur Vernichtung quaͤlen: du ſchufeſt ſie, um ſie langſam aufzureiben.

Einen ſolchen Sermon hielt natuͤrlicher Weiſe ſein Herr nicht laͤnger aus, als bis er ſich das erſtemal getroffen fuͤhlte, wo er ſich meiſtentheils wegwandte, raͤuſperte, eine Beſchaͤftigung vornahm, jemanden rief, das Zimmer verließ, oder etwas anders that, das ihn darauf zu hoͤren hinderte. Eine jede ſolche Unterhaltung ſchwaͤchte bey ihm den Geſchmack an Belphegors Umgan - ge, und obgleich dieſer ſich ſehr oft durch ein kleines Lob auf die Gutherzigkeit des Mannes wieder in Gunſt ſezte, ſo hieß das doch nur, einen ſchlimmen Eindruck beneh - men, aber keinen guten geben. Dieſen Um - ſtand nuͤzten ſeine Kameraden, die ſchon laͤngſt mit ſchielen Augen die Vorzuͤge an - geſehn hatten, die er von ſeinem Herrn ge - noß, ihn dieſer Vorzuͤge zu berauben. Sie ſtellten Belphegors Deklamationen von der ſchlimmen Seite vor, erdichteten etliche, die er wider ſeinen eignen Herrn namentlich in ſeiner Abweſenheit geſagt haben ſollte: ſieQ 2fanden242fanden leicht Glauben, und bald wurde Belphegor zuruͤckgeſezt, verachtet, und jedes auch das mindeſte ſeiner Worte uͤbel genom - men, man machte ihm, ob er gleich von Wunden und Beulen verſchont blieb, das Leben doch ſo ſchwer, daß er dieſen innerlichen Schmerz gern gegen alle koͤrperliche vertauſcht haͤtte: er wurde es endlich muͤde, verlies das Haus und lebte von der Guͤtigkeit ſeines Freundes Medardus, der ſich mit der groͤßten Bereit - willigkeit ſeiner annahm und auf einen an - dern Plaz fuͤr ihn dachte.

So ſchwer ihm dieſe Bemuͤhung wurde, ſo gieng ſie ihm doch endlich gluͤcklich von ſtatten: er verſchafte ſeinem Freunde einen andern Platz, aber keine Ruhe. Er brachte ihn in das Haus eines Mannes, der recht dazu geſchaffen ſchien, ſeinen bisherigen Un - willen uͤber die amerikaniſche Unterdruͤckung zu erhoͤhen, und den ganzen Belphegor in Feuer und Flammen zu ſetzen. Ein Mann war es, der ſein Leben in der wolluͤſtigſten Traͤgheit dahinſchlummerte, und wenn er ja handelte, doch nie uͤber die Graͤn - zen der Sinnlichkeit hinauswich: wenn er geſchlafen hatte, ſo oder trank er, undwenn243wenn er gegeſſen oder getrunken hatte, ſo ſchlief er, und wenn er deſſen uͤberdruͤßig war, ſo ließ er ſich von einem Pferde tragen oder von etlichen ziehen: zuweilen gebrauchte er ſogar Sklaven, hierzu, um zugleich ſei - nen Stolz zu kuͤtzeln, wenn er Geſchoͤpfe, die mit ihm einerley Figur hatten, ſo unter ſich erniedrigt ſehen konnte. Wenn er ſpeiſte; mußte einer von ſeinen Hausbedienten ihm mit lauter Stimme ſeinen Stammbaum, der von Erſchaffung der Welt anhub, vorleſen, desgleichen jede Lobrede, die auf einen ſeiner Vorfahren gehalten worden war; und da er meiſtens uͤber dem Leſen einſchlief, ſo war es kein Wunder, daß die Geſchichte ſeiner Abſtammung ſeine einzige Lektuͤre ſchlafend und wachend ausgemacht hatte, ohne daß er mehr davon wußte, als daß Adam ſein erſter Stammvater geweſen ſey, weswegen er es bey jeder Gelegenheit mit großem Stolze zu ruͤhmen wußte, daß ſeine Familie unmittelbar von Gott ſelbſt gemacht wor - den ſey.

Der Anblick eines ſo vegetirenden Ge - ſchoͤpfes mußte Belphegorn natuͤrlich auf - bringen, beſonders wenn er es mit den huͤlf -Q 3loſen244loſen Mitgeſchoͤpfen verglich, die ihm die Mittel zu einer ſo weichlichen Bequemlichkeit erarbeiten mußten: er wollte nicht mehr die - ſelbe Luft mit ihm athmen, oder von Einem Dache mit ihm bedeckt ſeyn; und als er eines Tages den Auftrag bekam, ihu mit der Vorle - ſung ſeines Geſchlechtsregiſters einzuſchlaͤ - fern, ſo that er ihm mit dem Eifer eines Bußpredigers eine ſo nachdruͤckliche morali - ſche Vorhaltung ſeiner noch weniger als thie - riſchen Lebensart und der Unterdruͤckung, die er begehn muͤßte, um ſie genießen zu koͤnnen, daß der Mann kein Auge zu thun konnte, woruͤber er ſo ergrimmte, daß er den armen Belphegor, als einen unbrauchbaren Be - dienten, zum Hauſe augenblicklich hinaus - weiſen ließ. Das Schickſal war hart, aber ein kleiner Reſt von Stolze, der ihn uͤberre - dete, fuͤr die Wahrheit eine Aufopferung ge - than zu haben, ſtaͤrkte ihn hinlaͤnglich, daß er ſo aufgerichtet und froͤlich, wie ein Maͤr - tyrer, uͤber die Schwelle ſchreiten konnte.

Er nahm ſeine Zuſlucht zu Akanten, die noch, ſo ſehr ſich ihre Reize auch vermin - dert hatten, aus dem naͤmlichen Grunde gern mit der Liebe ſpielte, aus welchem einalter245alter Fuhrmann gern klatſchen hoͤrt, wenn ſein Arm zu ſteif iſt, die Peitſche ſelbſt zu re - gieren. Sie war wenn man ihre Ver - richtung bey dem eigentlichen Namen nennen darf eine Kupplerinn, und genoß die Freuden ihrer Jugend wenigſtens in der Einbildung, wenn ſie den fremden Ge - nuß derſelben vor ſich ſahe, da das unbarm - herzige Alter ſie leider! unfaͤhig gemacht hatte, ſich in der Wirklichkeit daran zu ver - gnuͤgen. Ihr Mann, der mit ſeinem Kopfe immer auf irrendritterliche Fahrten ausgieng, konnte uͤber dem Eifer, die ganze Welt zu beſſern, nicht daran denken, ſein Haus zu beſſern, das durch die Geſchaͤftigkeit ſeiner Frau einem Bordelle nicht unaͤhnlich gewor - den war. Er merkte nicht das mindeſte hier - von, ſondern lebte nunmehr von der Ein - nahme ſeiner Frau, unbekuͤmmert, daß ſie der Gewinſt einer Unterdruͤckung war, die alle andern uͤberwiegt der Unterdruͤckung der Tugend. Indeſſen daß dieſe ohne ſein Bewußtſeyn taͤglich hinter ſeinem Ruͤcken geſchah, ſchwaͤrmte er mit ſeinen Gedanken in der Welt herum, ſuchte Materialien zum Aerger auf und zuͤrnte, daß die Natur nichtQ 4ihn246ihn um Rath gefragt hatte, als ſie eine Welt ſchaffen wollte. Mitten unter ſeinem traurigen Zeitvertreibe gerieth er in die Be - kanntſchaft eines Mannes, der ſein Haus oft beſuchte, Akanten reichliche Geſchenke machte, ohne jemals mehr zu thun, als bey ihr ein und auszugehen. Da er alſo bey den Luſtbarkeiten, die an dem Orte vorge - nommen wurden, blos ein uͤberfluͤßiger und oft laͤſtiger Zuſchauer war, ſo bekommpli - mentirte ihn Akante ſo lange, bis er ſich zu - weilen bereden ließ, ſich zu ihrem Manne zu begeben und mit ihm zu unterhalten.

So zuruͤckhaltend und lakoniſch der Frem - de war, ſo offenherzig aus der Bruſt her - aus redte hingegen Belphegor: und bald fan - den ſie beide, daß ihre Denkungsart nicht ganz disharmoniſch war; ſie wurden einan - der interreſſant und in kurzem Freunde, doch lange nicht ſo ſehr, daß der Fremde auf die vielen Zunoͤthigungen, ſich entdeckt haͤtte. Endlich machte einſtmals die Flaſche, wo - mit er Belphegorn haͤufig bewirthete, ſeine Zunge ſo gelaͤufig, das er folgendes Bekennt - niß ablegte: Ich war ehemals ein Her - renhuter, konnte aber den verſchleierten De -ſpotis -247ſpotismus, der dieſe Gemeine unter den hei - ligſten Benennungen tyranniſirt, nicht laͤn - ger mehr erdulden, und trennte mich deswe - gen von ihr. Menſchen geboten uns will - kuͤhrlich und wollten uns uͤberreden, daß die Stimme des heiligen Geiſtes durch ſie gebiete. Ich glaubte dem heiligen Geiſte nicht mehr blindlings und wurde deswegen gemishandelt: ich verlies eine Sekte, wo die natuͤrliche Freiheit ungleich mehr einge - ſchraͤnkt iſt, als in der deſpotiſchten Monar - chie, und die Schranken ungleich ſchwerer erweitert werden, weil ſie mit der Heiligkeit uͤberfirnißt und zugleich die Stuͤtzen des Ganzen ſind, um deſſentwillen ſie je laͤnger, je mehr vervielfaͤltigt werden muͤſſen, ſo daß zuletzt entweder ein Pabſt mit etlichen liſti - gen Fuͤchſen den uͤbrigen Haufen ganz ab - rutiren muß, um ihn in Ruhe nach Will - kuͤhr, wie Marionetten, zu regieren, oder die ganze Geſellſchaft ein Trupp ſo verdorb - ner Chriſten voll Zanks, Uneinigkeit und Tu - mult werden wird, wie die uͤbrigen alle. Sollteſt du denken, daß unter der ſtillen friedfertigen Mine des Bruders das naͤmli - che Herz lauſcht, und daß ſeine GeſellſchaftQ 5eine248eine Welt iſt, wo der Schwaͤchre eben ſo ſehr unter ſchoͤnen Namen betrogen und tyranniſirt wird als in andern Geſellſchaften? Glaube mir, es iſt ſo! Ich entſagte dem ſeparatiſtiſchen Deſpotiſmus und durchlief Koͤnigreiche, Herzogthuͤmer und Fuͤrſtenthuͤ - mer, Ariſtokratien und Republiken, allent - halben begegnete ich dem Deſpotismus im Großen oder im Kleinen, unter dieſer oder jener Maſke, verſteckt oder offenbar. In jedem, auch dem kleinſten Staate lauſchte dieß vielkoͤpfichte Ungeheuer, und ganz Eu - ropa ſchien von ihm verſchlungen zu werden. Regierungsgehuͤlfen, denen die Gunſt des Fuͤrſten mehr galt als die Gluͤckſeligkeit des Volks, untergruben liſtig die Schutzwehren, die die Monarchie vor den Eingriffen des Deſpotismus ſichern ſollten, oder warfen ſie aus eigner Herrſchſucht mit Gewalt nie - der: ſie legten der Nation Laſten auf, daß ſie ſich unter der Buͤrde kruͤmmte: und be - ſchwerten ſie, um ſie gluͤcklich zu machen.

Um es gluͤcklich zu machen! rief Belphe - gor verwundert.

Ja, Freund! Man erſann eine Philoſo - phie, deren oberſter Grundſatz im Grundewar:249war: man muß den Menſchen das Leben ſauer und ſchwer machen, um ſie gluͤcklich zu machen. Man hatte bemerkt, daß Staa - ten durch Induſtrie und Geſchaͤftigkeit bluͤ - hend und glaͤnzend geworden waren: man hielt den Glanz des Staats und die Gluͤckſe - ligkeit ſeiner Mitglieder fuͤr untrennbare Dinge! oder man wuͤrdigte vielleicht nicht einmal die leztern einiger Ruͤckſicht, und ſezte es alſo als einen Grundſatz feſt, daß die Gluͤckſeligkeit eines Volks mit ſeiner Indu - ſtrie zunehme; und jedermann dachte auf Mittel ſein Volk auf dieſen ſichern Weg zur politiſchen Gluͤckſeligkeit zu fuͤhren. Sogar Junker, die eine Hand voll Bauern unter ihrem Kommando hatten, die ihnen ihr Feld pfluͤgen und ihr Vieh huͤten mußten, ſpra - chen von Induſtrie, und wollten ihre Ar - beiter induſtrioͤs machen, weil ſie alsdann noch mehr faullenzen zu koͤnnen hoften. In - dem man allenthalben Mittel zur Induſtrie aufſuchte, bemerkte man, daß die Einwoh - ner einiger Laͤnder mit wenigen Auflagen be - ſchwert und nicht induſtrioͤs geweſen waren: ſogleich erklaͤrte man dieß fuͤr die Wirkung von jenem, was es vielleicht in einigen ein -zelnen250zelnen Faͤllen wirklich ſeyn mochte, ob es gleich in den meiſten nur ein begleitender, oder hoͤchſtens mirwirkender Umſtand war. Das Geheimniß war gefunden, und jeder Politiker, der rechnen gelernt hatte, machte es zum Glaubensartikel, daß man dem Volke viel nehmen muͤſſe, damit es viel gewinne; und ein junger Sekretaͤr einer Kam - mer fertigte mich, da ich aus meinem geſun - den Menſchenverſtande Einwendungen da - wider machen wollte, friſch weg damit ab, daß ich das Ding nicht verſtuͤnde. Freund! heißt das nicht einen Eſel mit Peit - ſchenſchlaͤgen zum Laufen bringen? Gut! er laͤuft ſtaͤrker nach Empfang der Hiebe; aber iſt nicht ein gewiſſer Punkt, wo das gute Muͤllerthier nicht ſtaͤrker laufen kann, wo er entweder unter den Schlaͤgen erliegen, oder ſeinen Fuͤhrer ſich wiederſetzen muß? und iſt nicht ein gewiſſer Punkt, innerhalb deſſen die Induſtrie durch die erſchoͤpften Kraͤfte der Menſchen, durch die beſondre Lage und Beſchaffenheit des Landes und tauſend an - dre Urſachen eingeſchraͤnkt wird, uͤber die ſie nie hinausgebracht wird, man lege dem Volke jeden Tag neue Laſten auf? Undiſt denn251iſt denn die Gluͤckſeligkeit der einzelnen Mitglieder bey der Berechnung eine bloße Null? Sollen die Menſchen nichts als Laſt - traͤger ſeyn, denen man taͤglich mehr auf - legt, damit ſie taͤglich mehr tragen lernen? Sollen ſie immer gieriger nach Gewinn trachten, um immer mehr geben zu koͤnnen? Heißt das nicht, ſie zu allen den Laſtern hinſtoßen, die man fuͤr Schandflecken der Geſellſchaft erkennt? zur Habſucht, Liſt, Be - trug kurz, zu allen Vergehungen, die durch den leichten Zaun der Geſetze durch - ſchluͤpfen koͤnnen?

Verflucht ſey die Induſtrie! rief Belphe - gor. Je mehr ſie ſteigt, je mehr raubt ſie der Geſellſchaft Annehmlichkeit, Zierde, und den einzelnen Mitgliedern die Gluͤckſelig - keit. Was thut ſie? Sie ſchiebt einigen wenigen das Kopfkuͤſſen der Bequemlichkeit unter, macht alle, mehr oder weniger, zu habſuͤchtigen Woͤlfen und liſtigen Fuͤchſen, und wirft den groͤßten Haufen auf den har - ten Pfuͤhl der Arbeit, der Beſchwerlichkeit, der Kuͤmmerniß, des Mangels. Wohl euch! ihr Thiere, und ihr Menſchen, die ihrihnen252ihnen gleicht, denen thieriſches Beduͤrfniß den ganzen Kreis ihrer Gluͤckſeligkeit ſchließt!

Freund! Du biſt voreilig. Die Induſtrie rottet eben ſo viele Laſter aus als ſie giebt

Was iſt da gewonnen?

Was bey jedem Wechſel auf unſerm Pla - neten gewonnen wird man tauſcht ein andres Uebel ein. Daran kann ich mich gewoͤhnen, nur an die Unterdruͤckung nicht. Mein Gefuͤhl von Freiheit, das bey jeder Spur von ihr bis zum Tumulte aufruͤhriſch wird, trieb mich aus der alten Welt, wo deſpotiſche Grundſaͤtze die Schranken derſel - ben immer enger zuſammenzogen, ſo enge, daß an manchen Orten kein Menſch mehr ein freies Wort zu fluͤſtern wagte. Aber Freund! welch ein Wechſel! hier fand ich die Unterdruͤckung in roher unbekleiſterter Geſtalt, und mit feiner Tuͤnche uͤberzogen; gerade dieſelbe Welt, wie auf der andern Halbkugel, an manchen Orten beſſer, an manchen ſchlimmer. Ebendieſelbe Kraft, die in der Bewegung der koͤrperlichen Welt ein gewiſſes Gleichgewicht erhaͤlt, muß auch die moraliſche und politiſche Vollkommen - heit des Ganzen in einer gewiſſen Tempera -tur253tur erhalten, daß alle Zeiten und alle Orte im Beſitz und Mangel ſich die Wage halten.

Leider! ſeufzte Belphegor, iſt die Welt ſich allenthalben gleich. Aber muß es ſo ſeyn? Oder iſt nicht zu vermuthen, daß einſt ein Mann, der mehr Geiſt iſt als ſeine Mitbruͤder, die groben Feſſeln zerbrechen wird, die dieſen und jenen Theil der Menſch - heit an den Bock der Sklaverey anketten: denn die feinen gewohnten Banden, an welchen der Gewaltige den Schwachen all - zeit fuͤhrt, dieſe zu zerreiſſen, iſt Gott und Menſch zu ſchwach, ſo lange die Natur keine Umſchaffung unternimmt: aber ein ſolcher Mann, der die Indianer an ihren Unter - druͤckern raͤchet, zwar tauſend Unſchuldige bey ſeiner Rache mit hinraft, aber ſie doch zu einem edlen Zwecke hinraft

Dieſe Erloͤſung wird die Zeit bewerk - ſtelligen.

O die leidige langſame Zeit, die erleich - tern aber nicht erloͤſen kann! Die Men - ſchen kaͤmpften um Herrſchaft, bis der Maͤch - tigere obſiegte und den Schwaͤchern nieder - warf: ſo lange dieſem das Joch neu war, trug er es unwillig und regte ſich, wenn jenerzu hart254zu hart druͤckte: mit der Zeit wurde er durch die Gewohnheit eingeſchlaͤfert, und fuͤhlte gar nicht mehr, daß ihm der Druck auf dem Halſe lag: ſiehe! das iſt bisher die Huͤlfe geweſen, die die traͤge langſame Zeit gereicht hat.

O Freund! ich bin nicht der Mann, der dieſe hohe Unternehmung wagen koͤnnte; aber eins kann ich! ich kann Vorſchlaͤge und Projekte thun. Von jeher war es mei - ne Lieblingsbeſchaͤftigung, uͤber die Gebre - chen der Regierungen nachzudenken und Plane zu ihrer Verbeſſerung auszuſinnen: keine darunter ſind ausgefuͤhrt worden, aber die Welt befaͤnde ſich gewiß wohl da - bey, wenn ſie alle ausgefuͤhrt waͤren. Ich habe einen Entwurf erſonnen, wie alle Kriege, wenigſtens in Europa, auf immer unthaͤtig gemacht und ganz vertilgt werden koͤnnten.

Willkommnes Projekt! O Natur! warum gabſt du mir nicht Kraͤfte in meinen Arm und Muth genug in mein Herz, ein ſo er - habnes Projekt zu bewerkſtelligen?

Er braucht weder Muth noch ſtarken Arm dazu, um die Uebereinſtimmung aller Maͤchtevon255von Europa, uͤber die Beylegung ihrer Feh - den etlichen aus ihrem Mittel den Auftrag zu geben. *)Vermuthlich iſt ſeine Meynung, daß eine Ver - anſtaltung getroffen werden ſollte, die den Austraͤgen der Fuͤrſten im deutſchen Reiche gleich kaͤmen, wo bey entſtehenden Zwiſtigkei - ten die Unterſuchung und Entſcheidung eini - gen ſelbſtgewaͤhlten Maͤchten von Europa auf - getragen wuͤrde. Freylich ein herrliches aber ſchweres Projekt!Herrliches Projekt, das Schwerdt und Kanone unſchaͤdlich, einen ganzen Welttheil ruhig, bevoͤlkert, wirklich polirt machen, und jedes empfindende Herz mit dem Menſchengeſchlechte ausſoͤhnen wird! Freund, wenn ich den Anfang eines ſolchen Gluͤcks erlebte! und ſich dabey bewußt zu ſeyn, daß man die Idee dazu im Kopfe ge - habt hat, was fuͤr eine Freude muͤßte das ſeyn!

Beſter Freund! eine uͤberſchwengliche Freude! Allein Krieg iſt ſeltner, doch Unter - druͤckung dauert Tag fuͤr Tag: haͤtteſt Du ein Projekt, dieß Ungeheuer zu vertilgen.

Auch dafuͤr weiß ich eins. Alle Regenten duͤrften nur mehr fuͤr die Gluͤckſeligkeit ihrerStaa -R256Staaten als fuͤr ihren eignen Glanz ſorgen, alle deſpotiſche Grundſaͤtze aus ſich und ih - ren Dienern verdraͤngen, das Leben und Wohlſeyn des geringſten Unterthans hoͤher ſchaͤtzen als allen Pomp, ſich und das Volk nicht als zwo Parteyen betrachten, worun - ter eine die andre immer feiner zu uͤberliſten ſucht, eine nicht geben, und die andre neh - men will, ſondern ſich als eine Geſellſchaft behandeln, die ein gemeinſchaftliches In - tereſſe vereint

Wenn ſoll dieß Projekt ausgefuͤhrt ſeyn?

Ja wollte er antworten, aber man rief Feuer im Hauſe, und die Antwort blieb unvollendet.

Zehn -[257]

Zehntes Buch.

R 2[258][259]

Das Feuer war bald gedaͤmpft, und die beiden Unterredenden kehrten beru - higt zu ihrem Geſpraͤche wieder zuruͤck. Belphegor nannte kein Gebrechen in dieſer Welt, wofuͤr ſein Geſellſchafter nicht ein Recept wußte: er wußte eins fuͤr die Unord - nung der Finanzen in Deutſchland, Frank - reich und andern Laͤndern; er konnte hab - ſuͤchtige Miniſter kuriren, er wollte muͤßige Regenten von ihrer Liebe zum Vergnuͤgen heilen, er wollte ihnen Kraft und Willen zur Ausuͤbung ihrer Pflichten einpfropfen ach, was weiß ich, was fuͤr trefliche medi - einiſche Geheimniſſe er weiter noch in ſeiner Gewalt hatte? Doch ließ ſich ſeine Kur nie - mals unter einen Fuͤrſten, einen Miniſter oder einen ganzen Staatskoͤrper herab und war ſo ziemlich den Verfaſſern politiſcher Syſteme gleich, die Fuͤrſten und Koͤnigen vorſchreiben, was ſie thun ſollen, um uns zu lehren, was ſie nicht thun. *)Sagt ich weiß nicht wer?Demun -R 3geachtet260geachtet mußte ſich ein Mann, wie Belphe - gor, ungemein uͤber ſo kuͤnſtliche Spinne - weben freuen und brachte manche Nacht ſchlaflos hin, um aͤhnliche Geſpinſte aus ſeinem Gehirne zu erzeugen. Er erzaͤhlte ſie ſeinem neuen Freunde und ließ ſich die ſeini - gen erzaͤhlen, wodurch ihre gegenſeitige Zu - neigung taͤglich feſter wurde, wiewohl auch der Fremde noch eine andre Abſicht hatte, warum er Belphegors Haus ſo oft beſuchte, und mit welcher er gleich anfangs hineinge - kommen war.

Auch dieſes war nichts geringers als ein Projekt, das aber nicht die weitlaͤuftige Beſ - ſerung eines Fuͤrſten oder Staats, ſondern die Kur eines Anverwandten betraf, der ſich allen Ausſchweifungen uͤberließ, ihm, um ſie deſto freyer zu genieſſen, entlaufen war, und den er darum Schritt vor Schritt betrachten wollte. Wir hatten, erzaͤhlte er eines Tags Belphegorn, anſehnliche Beſitzungen in New Wight: mein Verwandter und ich ſollten eine Erbſchaft heben, auf die wir laͤngſt gewartet hatten; allein der Befehls - haber des Gebiets, der ungerechte Fro - mal

Fro -261

Fromal? rief Belphegor erſtaunt.

Ja, er ſelbſt, dieſer gewiſſenloſe Mann, verwickelte uns in feingewebte Schwierigkei - ten, die uns den Beſitz der Erbſchaft lange Zeit aufhielten.

Fromal! Er that das?

Ja, und zwar aus einem Grolle wider den Erblaſſer und aus Habſucht, ein Stuͤck Landes zu beſitzen, welches an einem ſeiner Gaͤrten ſtieß, den er dadurch zu erweitern wuͤnſchte. Der Verwandte, den wir beerb - ten, ſchlug ihm ſein Anſuchen darum etliche Mal ab, aus welchen Urſachen weiß ich nicht; und haͤtte der ruchloſe Fromal ihn nicht gefuͤrchtet, ſo wuͤrde er ohne Bedenken Gewalt gebraucht haben, zu ſeinem Zwecke zu gelangen; allein da ihm ſeine eigne Sicherheit dieſes widerrieth, ſo verſteckte er ſich hinter tauſend Kunſtgriffe, die ihm aber unſer Verwandter gluͤcklich zu vereiteln wuß - te; doch ließ die Vereitelung einen Groll in ihm zuruͤck, den nichts als unſer Verluſt verſoͤhnen konnte

Alles dieß that Fromal?

Ja, alles that er, der Ungerechte! Er legte uns mannichfaltige Fallſtricke, alsR 4unſer262unſer Verwandte ſtarb, wovon jeder eine rechtmaͤßige Foderung zu ſeyn ſchien; die Schwierigkeiten waren unendlich, und wir wuͤrden unſre Erbſchaft noch nicht gehoben haben, wenn wir uns nicht entſchloſſen haͤt - ten, ihm das Stuͤck Landes zu uͤberlaſſen, das die Urſache ſeiner Verfolgung war. Wir mußten unſern Bedruͤcker liebkoſen, ihm ein Geſchenk damit machen und noch oben drein allen Schein der Beſtechung ſorgfaͤl - tig vermeiden, und in kurzer Zeit waren wir die ruhigen Beſitzer unſrer Erbſchaft.

Alles dieß that Fromal?

Er that noch mehr als alles dieß; wir ſind nicht die einzigen, zu deren Unter - druͤckung er ſeine Gewalt mißbrauchte.

Komm! wir muͤſſen ihn beſſern oder ſtra - fen! Er war mein Freund, ſein Herz war gut, ich will ihn ſprechen, er wird mich hoͤren; ſchon einen meiner Freunde habe ich von dem Wege der Unterdruͤckung zuruͤckge - bracht, warum nicht auch dieſen? So bald Du in ſein Gebiet wieder gehſt, ſo nimm mich mit Dir! Er muß ein gerechter oder kein Befehlshaber ſeyn.

Wenn263

Wenn dieß moͤglich zu machen waͤre, Freund! Ich habe ſchon uͤber manchem Entwurfe gebruͤtet, wie man ihn beſſern koͤnnte, aber wer will ſie ausfuͤhren?

Ich! unterbrach ihn Belphegor hitzig.

Einen ſchlafenden Loͤwen mag ich nicht wecken. Die Schuld einer Ungerechtigkeit, die er an uns begangen, liegt auf ihm. Ich werde, ſo bald ich meinen Anverwand - ten gewonnen habe, in ſein Gebiet zuruͤck - kehren und dem Goͤtzen opfern muͤſſen, da - mit er mich nicht verſchlingt: ſiehe! das iſt das Grundgeſez des Schwaͤchern. Alles, was man thun kann, iſt Plane entwer - fen; aber ſie ausfuͤhren zu wollen, dafuͤr bewahre der Himmel!

Ich will meinen ausfuͤhren, ſagte Bel - phegor, und ſeitdem war er unaufhoͤrlich mit ſeiner Reiſe zu Fromaln und mit ſeiner Beſſerung beſchaͤftigt, deren Anfang er ſo ſehnlich wuͤnſchte, und wovon er ſo gewiß einen gluͤcklichen Erfolg hofte, daß er mit Ungeduld und oft mit Haͤrte ſeinen Freund ermahnte, die Abreiſe zu beſchleunigen.

Nachdem dieſer ſeine Geſchaͤfte abgethan, ſeinen Neffen, dem er ungekannt in alleR 5luͤder -264luͤderliche Haͤuſer nachfolgte, wieder gewon - nen und von ſeinen Ausſchweifungen abge - zogen hatte, ſo wurde die Fahrt angetreten, und Belphegor erhielt unter der Bedingung die Erlaubniß, der Reiſegefaͤhrte ſeines Freundes und ſein Hausgenoſſe zu werden, wenn er ſein Projekt, den ungerechten Fro - mal zu beſſern, aufgeben wollte, wenigſtens ſich es nicht befremden ließ, wenn er, ſo bald Ungelegenheit von ſeinem Verfahren zu beſorgen ſtuͤnde, ſein Haus und ſeine Freund - ſchaft meiden muͤßte. Belphegor verſprach alles, vergaß Akanten, ſeinen Freund Me - dardus, ſein Haus, und folgte allein dem Triebe ſeines warmen Gerechtigkeit lieben - den Herzens.

Sie erreichten vie Inſel New Wight gluͤcklich; und Belphegors erſte Bemuͤhung war, ſeinen alten Freund zu beſuchen. Er glaubte, daß ſeine Perſon ſeinem Vortrage ein großes Gewicht geben werde, und ſuchte ſich darum ſo gleich zu entdecken, als er ſich um den Zutritt zu ihm bewarb. Fromal empfieng ihn mit der lauen Hoͤflichkeit eines Vornehmen, begegnete ihm freundlich, aber nicht freundſchaftlich. Belphegor vermißtedie265die ehemalige Waͤrme der Vertraulichkeit bald und gab ſich alle Muͤhe, ihn zu be - feuern: Er lenkte das Geſpraͤch auf die Vor - fallenheiten ſeines Befehlshaberamtes, und ſein Freund wurde noch zuruͤckhaltender: er kam auf die Begebenheit des Mannes, der ihn mit ſich gebracht hatte, ließ etliche hin - geworfne Worte verrathen, daß er von der Sache wohl unterrichtet war und ſie als eine Ungerechtigkeit verabſcheute. Er er - zaͤhlte ihm die Geſchichte davon unter veraͤn - derten Namen und mit ſtarken lebhaften Ausdruͤcken der Mißbilligung. Fromal ſchien dabey zu empfinden: er machte die gewoͤhnlichen Geberden eines Menſchen, der ſich getroffen fuͤhlt, und eben als Belphegor die Moral zu ſeiner Erzaͤhlung hinzuſetzen wollte, brach er ab und entſchuldigte ſich mit dringenden Geſchaͤften, daß er ſich von ihm beurlaubte. Sein Geſezprediger war zwar mit dieſer Entwickelung des Geſpraͤchs nicht ſonderlich zufrieden, doch hoffte er einen gluͤcklichen Ausgang ſeines Vorhabens, weil ſein Freund noch Gefuͤhl hatte.

Er wiederholte ſeinen Beſuch zum zwey - ten, zum dritten und mehrmalen: allemalwurde266wurde es mit der groͤßten Hoͤflichkeit beklagt, daß unausſezbare Geſchaͤfte die Annehmung ſeines Zuſpruchs nicht verſtatteten, und wenn der gute Mann von der Vortreflich - keit ſeines Unternehmens nicht zu ſehr ge - blendet geweſen waͤre, ſo haͤtte er leicht darauf verfallen koͤnnen, daß man jeman - den oft abweiſt, um ihn nicht wieder zu ſehn: allein eine ſo ruhige Bemerkung ver - ſtattete ihm die Hitze, womit er ſeinen Zweck verfolgte, nicht zu machen: er ließ ſich ge - troſt abweiſen und ſetzte getroſt ſeine Anfra - gen fort. Endlich merkte er wohl, daß er mehr Schwierigkeiten bey Formals Bekeh - rung fand, als bey dem ehrlichen treuher - zigen Medardus, und begriff den Bewe - gungsgrund, der den Befehlshaber gegen eine Unterredung mit ihm abgeneigt machte: ſeinen Plan aufzugeben, war fuͤr ihn der Tod; er entſchloß ſich kurz und nahm ſeine Zuflucht zur Feder. Er ſchrieb ihm die leb - hafteſte angreifendſte Vorhaltung ſeiner Un - gerechtigkeiten, bat, beſchwor, drohte in ſchauernden Ausdruͤcken, und verlangte nichts als eine Wiedererſtattung aller be - gangnen Bedruͤckungen. Gieb, ſchloß er,gieb267gieb den Bedruͤckten, die Du vor Raͤube - reyen ſchuͤtzen ſollteſt und ſelbſt beraubt haſt, gieb ihnen alles wieder, ſey kuͤnftig gerecht, billig, menſchenfreundlich! und Du biſt wieder mein Freund; wo nicht, ſo ſoll Dich meine Nachkommenſchaft bis in Ewigkeit verfluchen, und jeder Tropfen mei - nes Blutes, ſo lange er noch in einer Ader fließt, um Rache wider Dich ſchreyen.

Der Brief that ſeine Wirkung. Belphe - gor hatte ſehr ſorgfaͤltig verhelt, daß er der Urheber von ihm war, und Fromal, der dieß nicht vermuthete, hatte bereits zu viel geleſen, um wieder aufhoͤren zu koͤnnen, als er den Verfaſſer deſſelben errieth. Er las ihn unruhig und zitternd durch, mußte es noch einmal thun und wurde in ein tiefes Nachdenken verſenkt, las ihn wieder und ſann, konnte nicht eſſen und nicht ſchlafen. Die ſchauerhaften Beſchwoͤrungen ſeines Freundes ſchlichen unaufhoͤrlich, wie Ge - ſpenſter, vor ſeiner Seele voruͤber: er wuͤnſchte, ſich bey dem Manne rechtfertigen zu koͤnnen, der einen ſolchen Aufruhr in ihm gemacht hatte, und doch ſchaͤmte er ſich, ihm in die Augen zu ſehn. In dieſer unru -higen268higen Unentſchloſſenheit ließ er zween Tage verſtreichen, und Belphegor ſeufzte und trauerte ſchon, daß ihm ſein Zweck ſo ganz fehl gegangen, und ſein Freund ſo verhaͤr - tet ſey. Mitten in ſeiner Unzufriedenheit daruͤber bekam er die Nachricht, daß der Befehlshaber ihn zu ſprechen verlange: er gieng nicht, er flog. Ob ſich gleich eben ſo leicht vermuthen ließ, daß ſeine Vorſtel - lung beleidigt habe, und daß man ihn nur rufen laße, um ihn den Unwillen uͤber ſeine Beſſerungsſucht zu empfinden zu geben, ſo war doch bey allen ſchmaͤhenden Deklama - tionen, die ihm eine gegenwaͤrtige Mis - handlung wider den Menſchen auspreßte, noch zu viel Reſt guter Meynung von der menſchlichen Natur aus den erſten Jahren der Einbildungskraft bey ihm uͤbrig, als daß er insbeſondre ſeinen ehmaligen Freund einer gaͤnzlichen Verhaͤrtung faͤhig hal - ten ſollte.

Seine gute Erwartung wurde zum Theil erfuͤllt: Fromal dankte ihm fuͤr die wohl - meynende Abſicht ſeines Briefs und verbarg ihm keine von den Regungen, die er in ihm erweckt hatte; er erkannte ſich aller Vor -wuͤrfe269wuͤrfe werth, die ihm darinne gemacht wur - den, hatte aber auch fuͤr jede eine ſchoͤne Entſchuldigung in Bereitſchaft, und bat Belphegorn, ſein Freund wieder wie vor - mals zu ſeyn, welches gewiſſermaßen ein ſtillſchweigender Vertrag ſeyn ſollte, ihn ins kuͤnftige mit ſolchen Unruhen zu verſcho - nen. So legte es auch Belphegor aus und ſprach daher mit dem ganzen Ernſte eines Bekehrers: Nicht Eine Minute kann ich Dein Freund ſeyn, ſo lange Deine Reue nicht wirkſamer iſt: nicht bloß vergeſſen, ſondern wieder gut machen mußt Du Deine Ungerechtigkeiten, nicht bloß unterlaßen, ſondern beſſer handeln. Fromal wieder - holte die Verſichrung ſeiner Reue nochmals und glaubte damit wegzukommen, allein Belphegor wich auch nicht Einen Punkt von ſeinen Foderungen ab und gieng in dem Feuer der Unternehmung ſo weit, daß er von ihm, wie ehmals vom Medardus, ver - langte, ſeine Befehlshaberſtelle aufzugeben, um ſich vor neuen Mißbraͤuchen zu huͤten. Die Anfoderung war uͤbertrieben, und ver - darb darum die Haͤlfte der gemachten guten Wirkung: Fromals Eigenliebe fuͤhlte etwaszu wi -270zu widriges dabey, um ihm nicht ein Vor - urtheil wider den Mann einzuſloͤßen, der ſie thun konnte. Aus dieſer Urſache brach er kurz darauf abermals das Geſpraͤch ab, ohne weiter einen Anſpruch auf Belphegors Freundſchaft zu machen, der ihn ungern verließ, weil er von dieſer Unterredung den entſcheidenden Ausſchlag gehoft hatte.

Indeſſen blieb doch Fromaln, ſo ſchwer es ihm fiel, ſich mit ſeiner Eigenliebe ganz zu entzweyen, ein Stachel zuruͤck, der ihn von Zeit zu Zeit an Belphegors Vorhaltun - gen erinnerte: er liebte ihn wegen ſeines Eifers fuͤr ſeine Beſſerung, er wollte ihn gern oft ſehen, und gleichwohl fuͤrchtete er eben dieſen Eifer zu ſehr, um ihn oft ſehen zu koͤnnen. Endlich ſchlug ſeine Eigen - liebe einen Mittelweg ein: er bemuͤhte ſich, ihn durch Liebkoſungen, Geſchenke und Eh - renbezeugungen zu gewinnen, oder ſeine ernſte Beredſamkeit einzuſchlaͤfern: er zer - ſtreute ihn durch verfchiedene Vergnuͤgun - gen; er kuͤtzelte ihn durch Wohlleben und dachte ſeine ernſte Tugend im Weine zu er - ſaͤufen. Zur Haͤlfte gelangs ihm; aber mit - ten unter Ergoͤtzlichkeiten mußte er ſichs oftgefallen271gefallen laſſen, einen verwundenden Stich zu empfangen: doch muß man es zu Fro - mals Ehre ruͤhmen, daß er oft ſelbſt den Faden zu ernſten Betrachtungen anſpann und mit ſeiner vorigen Staͤrke und Lebhaf - tigkeit uͤber Welt und Menſchen philoſo - phirte: er beruͤhrte ſo gar oft ſeine eignen Vergehungen, tadelte und entſchuldigte ſie. Belphegor ließ keine Gelegenheit voruͤber - gehn, die Wiedererſtattung fuͤr alle zu ver - langen, die Fromals Unterdruͤckung gefuͤhlt hatten: um ſich auch dieſe beſchwerliche An - foderung zu erſparen, bot er Belphegorn das Stuͤck Land zum Geſchenke an, das er ſeinem Hausherrn durch Bedruͤckungen ab - genoͤthigt hatte. Belphegor weigerte ſich, und ſeine Gerechtigkeitsliebe ſtellte ihm den Beſitz dieſes Geſchenkes als einen zweyten Diebſtahl an: doch Fromal, der den Men - ſchen kannte, machte ihn durch haͤufige Zu - noͤthigungen, durch die Vortheile und An - nehmlichkeiten, die er ihm dabey verſprach, mit der Idee davon ſo vertraut, daß er wirklich nach langem Weigern das Geſchenk annahm, ohne es weiter fuͤr einen Diebſtahl zu halten. Der Genuß mannichfaltigerSVer -272Vergnuͤgungen bey dieſer Beſitzung und die Erkenntlichkeit dafuͤr minderten allmaͤhlich den Unwillen wider Fromals begangne Un - gerechtigkeiten, und bald wurde nur davon geſprochen, um daruͤber zu ſpekuliren. So war nach vielfaͤltigen, meiſtens ſelbſterregten Leiden Belphegor in Ruhe, beſaß ein klei - nes Landguͤtchen mit einer fuͤr ihn bequemen Wohnung, mit ſchattichten Baͤumen, um darunter philoſophiſch zu traͤumen, uͤber ſein Leben nachzudenken, die Welt nach Maaßgebung ſeiner Laune zu ſchimpfen oder zu bewundern mit einem Gaͤrtchen, um darinne, wie die Patriarchen, zu graben, zu ſaͤen, zu pflanzen mit einem Felde, um darauf ſeinen Unterhalt von etlichen Ne - gern erbauen zu laſſen, die ihm Fromal dazu geſchenkt hatte. Itzt, da er ſelbſt die Nuͤtz - lichkeit dieſer Schwarzen genoß, verſchwand das Duͤſtre in der Vorſtellung von ihrem Zu - ſtande ganz: ob er ſie gleich als Menſchen - freund beklagte und behandelte, ſo ſchienen ſie ihm doch nicht mehr ſo ungluͤcklich wie ehmals, und die Idee von einem Sklaven, von dem Verkaufe deſſelben, dieſe ſonſt fuͤr ihn ſo aufbringende Idee, familiariſirte ſichſo ſehr273ſo ſehr mit ihm, daß ſie ihm gleichguͤltig wurde. Er lebte in der gluͤcklichſten Ein - ſamkeit, in der beneidenswuͤrdigſten Ruhe; was ihm mangelte, erſetzte ihm ſein Freund, und beide waren itzt wieder mit ganzer Seele einig und vertraut.

Belphegors Gluͤckſeligkeit weckte bald in Fromaln ein Verlangen nach einer aͤhnli - chen Ruhe auf, welches die Ermuͤdung von Geſchaͤften verſtaͤrkte, beſonders da er von Natur eine ſtarke Neigung zur Spekulation hatte, die itzt durch Belphegors Beiſpiel wieder aufgelebt war.

Lange blieb ſein Verlangen ein bloßer Wunſch, und Belphegors Auffoderung ver - mochten nicht, ihn zu einem Entſchluſſe zu bringen, zu welchem ihm eine widrige Be - gebenheit zwang. Schon lange hatte einer von ſeinen Unterbedienten, vermuthlich von Neid und Eiferſucht angetrieben, heimlich eine Partie wider ihn gemacht, die itzt zu ſeinem Schaden ausbrach. Man wollte ihn durch Verdrießlichkeiten abmatten und noͤthigen, die Befehlshaberſtelle niederzule - gen, zu deren Erlangung ſein Nebenbuhler ſchon die noͤthigen Veranſtaltungen getrof -S 2fen274fen hatte. Er ſah ein, worauf es angefan - gen war, und um einem gewaltſamen Sturze zu entgehen, ſtieg er ſelbſt von ſeiner Wuͤrde herunter und vergrub ſich mit ſeinem Freun - de Belphegor in der Einſamkeit: da er aber die Schikane und Beunruhigung des neuen Befehlshabers fuͤrchtete, ſo verließ er mit Belphegorn die Inſel und kaufte ſich eine maͤßige Beſitzung in Virginien, die er auf den Rath ſeines Freundes in drey gleiche Theile zerſchnitt, um ſie ſo mit ſeinen zween Freunden zu beſitzen: denn man hatte ſich ſchon Muͤhe gegeben, Akanten und den gu - ten Medardus gleichfalls zu der Geſellſchaft zu ziehn. Die Nachfragen blieben lange fruchtlos; man ſchrieb und ſchrieb, und er - fuhr nichts, bis endlich, da ſie bereits ver - zweifelten, ſie wiederzufinden, Fromal die Nachricht erhielt, daß ſie einer ſeiner Be - kannten auf ſeinem Schiffe zu ihnen fuͤhre. Die Nachricht wurde bald durch ihre An - kunft beſtaͤtigt, und die gluͤcklichſte Stunde vereinigte drey Freunde wieder, die Schick - ſal und Leidenſchaften oft von einander ge - trennt hatte, um hier in ſtiller Ruhe dem Tode langſam entgegenzuwandeln.

Akante275

Akante erſchien nicht; ſie hatte kurz vor der Abreiſe eine verliebte Kuppeley unter - nommen, und da der Mann, deſſen Frau ſie durch ihre Bemuͤhungen zur Untreue ver - leiten wollte, die Sache ſehr uͤbel nahm, ſo raͤchte er ſich mit einem guten Schlage an ihr, der ſo uͤbel abgepaßt war, daß ſie nach langen Schmerzen verſchied. Aus alter Liebe, und weil er ihre ſchlimme Seite nicht genug kannte, betrauerte ſie Belphegor und beklagte ihren Tod als einen Verluſt fuͤr ſich: allein Medardus unterbrach ſein Kla - gelied und rieth ihn, nicht Einen Seufzer an ein ſchaͤndliches Weib zu verſchwenden, das nicht verdient haͤtte, Athem zu holen. Bruͤderchen, ſprach er, ſie haͤtte die Minute nach ihrer Geburt einen ſo geſunden Schlag auf den Hirnſchaͤdel bekommen ſollen: ſo waͤren viele Menſchen weniger ungluͤcklich, und Du nicht betrogen worden. Sie war eine Falſche, die liſtig die Grundſaͤtze und Neigungen desienigen annahm, deſſen Huͤlfe ſie eben brauchte: in einer Minute war ſie zaͤrtlich, feurig verliebt und bis zur Ueber - treibung einſchmeichelnd, die folgende Mi - nute, wenn es ihr Vortheil verlangte, kalt,S 3verach -276verachtend ſtolz, und warf vielleicht einen Liebhaber zum Hauſe hinaus, in deſſen Um - armung ſie kurz vorher den Himmel zu fuͤh - len vorgab.

Belphegor ſeufzte.

Sie trieb, fuhr Medardus in ſeiner Pa - rentation fort, zuletzt die ſchaͤndlichſte Kup - peley, und war ſo geſchickt, Dir ihr ab - ſcheuliches Gewerbe zu verbergen. In Ei - nem Hauſe unter Einem Dache mit ihr wuß - teſt Du am wenigſten davon, und oft, wenn Du in Deiner Stube ſpekulirteſt, wurden vielleicht unter oder neben Dir der Wohlluſt die ſchaͤndlichſten Opfer gebracht. Sie hat mich, ſie hat Dich hintergangen, durch Luͤ - gen und durch That: wie fuͤhrte Dich nur das liebe Schickſal wieder zu ihr?

Belphegor ertheilte ihm daruͤber die ge - hoͤrige Nachricht, und am Ende ſeiner Er - zaͤhlung rief Medardus aus: Da ſieht man doch, daß die Vorſicht noch lebt! Betruͤge - rey und Laſter finden am Ende allezeit ſol - chen Lohn.

Aber, unterbrach ihn Belphegor, iſt das Vorſehung, ein Geſchoͤpf, das tauſend an - dre ungluͤcklich gemacht hat, mit einer Keulevor277vor den Kopf ſchlagen zu laſſen? Wenn heute, wenn morgen einen unter uns ein herabfallender Stein quetſcht, oder die Keule eines Raͤubers verwundet, daß wir unter langen Schmerzen ſierben muͤſſen, ſo ſind wir Akanten gleich: was iſt aber bey uns die Abſicht der Vorſehung? Iſt es Stra - fe? warum ſoll ich oder Du, die wir nicht zur Haͤlfte ſo viel Boͤſes begangen ha - ben, warum ſollen wir mit jener ungleich groͤßern Verbrecherinn gleich geſtraft ſeyn? und das iſt eine uͤble Gerechtigkeit, wo alle Vergehungen auf gleichen Fuß behandelt werden: wenn wenig oder viel mit Einem Grade von Beſtrafung wegkoͤmmt, ſo haͤtte ich Luſt, lieber viel zu begehen. Iſt es in unſerm Falle keine Strafe? deſto ſchlimmer! warum trift den Unſtrafbaren mit dem Strafbaren ein Gleiches? Woher weiß ich das, daß Einerley Begebenheit in einem Falle es iſt, im andern nicht? und wie kann ich aus Akantens Vorfalle ſchlieſ - ſen, daß eine Vorſicht mit Abſicht ihr dieſes Schickſal wiederfahren ließ?

Bruͤderchen, Du diſputirſt mir nichts aus dem Kopfe. Vielleicht wuͤrden wir vonS 4einem278einem Steine erſchlagen, um großen Laſtern und Ungluͤckſeligkeiten zu entgehn. Wer weiß! wozu es gut iſt?

Elende Ausflucht! Warum wurde denn Akante, die dadurch von ungeheuren Laſtern und vielem Ungluͤcke haͤtte bewahrt werden koͤnnen, wie man nun deutlich ſieht, nicht im ſechſten oder ſiebenten Jahre erſchlagen? und warum geſchah dieß ſo vielen, deren wohlgefuͤhrtes Leben es nicht vermuthen ließ, daß ihnen durch ihren Tod große Laſter erſpart wurden? Sollten wir Akantens Ge - ſchick erfahren, um großem Ungluͤcke zu ent - gehn? Wahrſcheinlich keinem groͤßern als wir ſchon erduldet haben! Nach Deiner Philoſophie, Freund, waͤre es der hoͤchſte Grad der Vorſehung, alle Kinder unmittelbar nach der Geburt vor den Kopf ſchlagen zu laſſen.

Aber, Bruͤderchen, wenn viele, die es nicht verdienten, eben ſo geſtorben ſind, ſo iſt ja das nichts ſonderbares: es braucht nicht Strafe zu ſeyn: ſie mußten einmal ſterben, ſo galt es ja gleich, ob ihnen eine Krankheit die Kehle zudruͤckte, oder ein Stein den Kopf zerquetſchte.

Alles279

Alles gut, Freund! Aber woher weißt Du, daß dieß bey Akanten nicht eben der - ſelbe Fall war? Woher weißt Du, daß Eine Begebenheit in zween Faͤllen zwo ver - ſchiedene Abſichten hatte? Das kannſt Du nicht beweiſen; Du kannſt gar nicht be - weiſen, daß eine Abſicht dabey war, Du kannſt

Freund, unterbrach ihn Fromal, darf ich auch meine Meynung ſagen? Ich erblicke in den Begebenheiten der Erde und jedes einzelnen Menſchen einen Zuſammen - hang, der ſie ſo zuſammenkettet, daß eine wirkt, und die andre gewirkt wird, um wie - der zu wirken. Dieß iſt das einzige, was ich mit Gewisheit ſehe, und wenn ich daran zweifeln wollte, ſo wuͤrde ein Stein, der auf meinen Kopf faͤllt, mich lebhaft da - von uͤberzeugen: es iſt eine Bemerkung, die eine leichte Aufmerkſamkeit macht, und ſie hat, deucht mich, die naͤmliche Evidenz, die das Zeugniß unſrer Sinnen giebt. Dieſer bemerkte Zuſammenhang ſoll einen Namen bekommen: richte ich meinen Blick bloß auf die Nothwendigkeit und Unwiderſteh - lichkeit dieſes Zuſammenhangs, daß einS 5Glied280Glied in der langen Kette der Begebenheiten genau an das andre ſchließt, daß ich keins herausnehmen kann, ohne die Ordnung und Folge des Ganzen zu aͤndern und alſo eine andre Kette zu machen, daß durch lange Vorbereitungen eine guͤnſtige und widrige Begebenheit, der Sturz vom Pferde und der Gewinnſt eines großen Looſes ſeit dem An - beginne der Dinge ſchon gewiß war und izt, wenn ſie geſchieht, unvermeidlich iſt: ſe nen - nen wir den Zuſammenhang der Dinge, von dieſer Seite betrachtet Schickſal, Fatum. Betrachten wir ihn aber auf einer andern, in ſo fern eine jede Wirkung die abgezielte Abſicht von dem Urheber der Din - ge bey der Anordnung aller vorhergehenden Urſachen ſeyn konnte: ſo nennen wir es Vorſehung. In beiden Faͤllen bleibt der Zuſammenhang derſelbe, gleich nothwendig und unausweichbar, nur der Name und die Vorſtellungsart wird geaͤndert. In dem erſten Geſichtspunkte iſt die Welt ein von dem Ueheber der Welt veranſtaltetes Spiel der natuͤrlichen Kraͤfte: er warf Schwerkraft, Centralkraft, elektriſche, ma - gnetiſche und andre Kraͤfte der Koͤrperweltzuſam -281zuſammen, er warf denkende und wollende Vermoͤgen, Neigungen und Leidenſchaftrn in die Geiſter, und gab einer jeden Kraft eine beſtimmte Regel fuͤr ihre Wirkungen. Das Spiel begann: Ideen, Neigungen, Leidenſchaften kaͤmpften unter einander, Koͤr - per ſtritten mit Koͤrpern: die Maſchine der Welt iſt ein perpetuum mobile, wo Stoß auf Stoß, Wirkung auf Wirkung unaus - bleiblich folgen, der Gerechte und Ungerech - te von einem Steine zerquetſcht wird, wenn er gerade voruͤbergeht, indem ihn ſeine Schwerkraft zur Erde herabzieht, wo der Boͤſe und Gute von der Kanonenkugel weg - geriſſen wird, wenn ſie ihn auf ihrem Wege antrift kurz, wo aus dem verwirrten ſtreitenden Haufen der Weltkraͤfte eine Wir - kung nach der andern hervorſteigt, und jede der ihr angewieſnen Regel allein folgt. Im zweyten Geſichtspunkte iſt die Welt eine kuͤnſtlich ausgeſonnene Maſchine, wo Rad in Rad greift, der Gang und die Wirkung eines jeden nach einem Riſſe ausgerechnet und beſtimmt iſt, es ſey nun, daß der Kuͤnſt - ler durch unſichtbare Federn unaufhoͤrlich bey jedem Raͤdchen mitwirkt, oder daß ernur282nur einige dieſes Einfluſſes wuͤrdigt, oder daß ſein Werk nach ſeiner erſten beſtimmten Anlage ohne fernere Beyhuͤlfe ſeinen ange - wieſnen Gang vor ſich fortgeht. Da nun jede Wirkung auf die vorhergehende Urſache ſo gut paßt, daß dieſe um jener willen da - zuſeyn ſcheint, ſo ſtellen wir uns vor, daß der Stein darum einem Menſchen auf den Kopf faͤllt, weil er getoͤdtet werden ſoll: die Einbildungskraft hat hierbey Raum die Menge zu ihrem Spiel; wenn der Stein ei - nen Menſchen trift, den wir nach unſerm Urtheile fuͤr boͤſe halten, ſo nennen wir es Strafe: trift er einen guten, ſo nennen wir es Schickung, oder wie es uns ſonſt beliebt. Aber allzeit iſt es blos unſre Erfindung, unſre Vorſtellung, die wir nie zu einiger Evidenz erheben koͤnnen. Jeder Menſch wird durch Erziehung, Unterricht, natuͤrli - che Anlagen und Neigungen zu einer von die - ſen Vorſtellungsarten hingeriſſen und gleich - ſam ſo geſtellt, daß er den Zuſammenhang der Welt in einem von jenen Geſichtspunk - ten ſieht. Dich, Freund Medardus, lei - teten die Umſtaͤnde auf das Syſtem der Vor - ſehung, mich auf das andre. Wir wollennicht283nicht uͤber Namen und Vorſtellungs - arten ſtreiten: darinne kommen wir alle uͤberein, und dieß ſehen wir alle ſo evident, als unſre Augen uns von dem Daſeyn einer Sonne uͤberzeugen, daß ein feſtgeketteter, nothwendiger, unwidertreiblicher Zuſam - menhang in den Begebenheiten der Erde und jedes Bewohners derſelben vorhanden iſt: wer dieß laͤugnet, ſpielt mit Worten. Wer ſich eine von den beiden Vorſtellungsarten dieſes Zuſammenhangs waͤhlt, waͤhle dieje - nige, die ihm nach ſeiner Lage Thaͤtigkeit zur Handlung und Beruhigung in der Wider - waͤrtigkeit mittheilt; und er hat wohl ge - waͤhlt: aber weſſen Gewalt iſt es uͤberlaſſen, eine ſolche Wahl zu treffen? Allmaͤhlich er - zeugt ſich aus ſeinen Kenntniſſen, Schickſa - len und Beobachtungen daruͤber ein gewiſſer lichter Schimmer der groͤßern Wahrſchein - lichkeit, der eine von jenen Meinungen in ſeinem Kopfe hervorſtechender macht; und ich kann mir vorſtellen, daß dieſer Mann bey dem Fatum eben ſo viele Beruhigung findet, als ein andrer bey der Vorſehung.

Medard. Unmoͤglich, Bruͤderchen! Das trockne, leere, geiſtloſe Fatum vergli -chen284chen mit einer lebenden, thaͤtigen, wirkſa - men Vorſehung welch ein Unterſchied!

From. Ja, Freund, fuͤr die Einbil - dungskraft! die freylich ein freyeres Feld fuͤr ſich findet, wenn ſie den Zuſammenhang der Dinge perſonifieiren und ihn mit allen Eigenſchaften eines ſorgſamen Vaters aus - putzen kann. Ich tadle dieß nicht: da die meiſten Menſchen blos durch Einbildungs - kraft und Empfindung geleitet werden, ſo muß das Syſtem der Vorſehung fuͤr ſie ein unendlich wohlthaͤtiges und vorzuͤgliches Syſtem, und die Menſchen deſto gluͤcklicher ſeyn, je ausgebreiteter es wird: und doch beſizt es nur der kleinſte Theil der Menſch - heit.

Medard. Ganz Europa beſitzt es ja.

From. Dem Namen nach! Der groͤßte Haufen, Gelehrte und Ungelehrte, moͤchte ich behaupten, hat im Munde und in der Imagination die Vorſehung und im Verſtan - de das Fatum: pruͤfe ſie, und du wirſt fin - den, daß die Vorſehung der meiſten ein per - ſonificirtes, mit etlichen glaͤnzenden Eigen - ſchaften der Vorſehung ausgeſchmuͤcktes Fa - tum iſt. Von Europa faͤllt alſo ein großerTheil285Theil wahre Anhaͤnger dieſes Syſtems hin - weg; und welche Menge in den uͤbrigen Welttheilen, die insgeſammt bey der erſten einzig gewiſſen evidenten Beobachtung ſtehen geblieben ſind, dem Grunde, von wel - chem alle unſre Erklaͤrungen und Vorſtel - lungsarten entſtanden ſind, und in welchen ſie ſich alle aufloͤſen laſſen, naͤmlich: daß ein feſtgeketteter unwidertreiblicher Zuſam - hang in den Begebenheiten der Welt iſt. Frage den Neger, den Indianer, den Kal - mucken! und wenn er ſeine dunkle Empfin - dung hiervon auszudruͤcken weis, ſo wird er dir dieſe Idee geben; und doch, obgleich das Fatum der herrſchende Glaube von mehr als der halben Menſchheit iſt, ſtreitet der Tuͤrke mit der Kuͤhnheit eines Loͤwen, und jederman glaubt, er habe ſeinen Muth ſeinem Glauben an das unausweichbare Schickſal zu verdanken. Das Syſtem der Vorſehung ſcheint mehr die Staͤrke zum Dulden als zum Handeln zu geben; und, Freund, du wirſt herrlichen Troſt von ihm empfangen haben?

Medard. Herrlichen Troſt? Wer weis wozu mir das gut iſt? ſo dachte ich beydem286dem fuͤrchterlichſten Sturme des Ungluͤcks, und ich konnte getroſt hindurch gehn.

Belph. Gluͤckliche Illuſion! Wie wohl waͤre mir geweſen, wenn ſie mein Unmuth nicht aus meiner Seele getrieben haͤtte: aber mein Ungluͤck war zu ungeſtuͤm; eine eiſerne Seele haͤtte es kaum tragen koͤnnen: und wenn ich gleich alle Fittige meiner Einbil - dungskraft ausgeſpannt haͤtte, um mich zu uͤberreden, daß alles zu etwas gut ſey, wie haͤtte ichs vermocht? Wozu konnte es gut ſeyn, daß die Natur die Menſchen ſo anlegte, daß ſie in dem allgemeinen Hand - gemenge auch meinen Scheitel ſo oft ver - wundeten? Wozu konnte das gut ſeyn?

Fromal fiel ihm ins Wort: Du haſt erfahren, Belphegor, daß die Menſchen nicht das ſind, wofuͤr wir ſie uns in dem erſten Rauſche der Jugend ausgaben: keine friedlichen Geſchoͤpfe, die vom Verlangen wohl zu thun gluͤhn, die in Ruhe und Ein - tracht neben einander leben, ſich uͤber ihr wechſelſeitiges Gluͤck freuen, und heiter, froh, zufrieden den muntern Tanz des Le - bens dahinhuͤpfen: Du haſt ſie gefunden, wie ich dir verkuͤndigte eine Heerde Raub -thiere,287thiere, die Eigennutz, Herrſchſucht, Neid ewig zuſammenhetzet, die ſich in Truppe verſammelten, um einander deſto wirkſamer befeinden zu koͤnnen, durch ihre natuͤrlichen Anlagen, durch die Oekonomie ihres Weſens zum immerwaͤhrenden Kriege beſtimmt, den ſie beſtaͤndig in roher grauſamer, oder min - der grauſamer, oder verkleideter Geſtalt fort - ſetzen, blutig oder unblutig, ſo wie Geſetze, Sitten und Verhaͤltniſſe es ihnen erlauben; eine Heerde Raubthiere, wo eins uͤber das andre will, eins das andre zu unterdruͤcken ſucht, und wo die meiſten auch in einer be - ſtaͤndigen verjaͤhrten Unterdruͤckung gehalten werden: denn uͤberſiehe die ganze Flaͤ - der Erde, ob nicht blos kleine Flecken von der Sonne der Freiheit mit ſchwaͤcherm oder ſtaͤrkerm Schimmer erhellt werden, indeſſen daß große weite Ebnen von der tiefſten Fin - ſterniß der Sklaverey uͤberdeckt ſind, wo je - des muthige Wort auf der Zunge ſtirbt, wo der Geiſt der Freundſchaft nie athmet, und jeder mit ruͤckhaltender. Kaͤlte den andern in langer Entfernung von ſich haͤlt, wo der Elende nicht einmal das Eigenthum ſeines Lebens beſitzt: uͤberſieh alle Zeiten, und ſieTwerden288werden Dir das naͤmliche Trauerſpiel der Unterdruͤckung vorſtellen: uͤberſiehe Dein eignes Leben, Freund, und haſt Du nicht allenthalben, wenige gute, edlere Seelen ausgenommen, die Menſchen im einzel - nen und im Ganzen mit meiner Schilde - rung paſſend gefunden?

Belph. Ja, leider! ſind mir Laͤhmun - gen, Narben, Beulen unverwerſliche Zeu - gen davon!

From. Wovon Du Dir aber den groͤß - ten Theil erſpart haͤtteſt, wenn Du der Par - tie jenes londuer Jungen gefolgt waͤreſt, deſ - ſen Beiſpiel fuͤr mich die goldne Regel mei - nes Verhaltens jederzeit geweſen iſt. Ein Haufen groͤßerer Buben, in deren Mitte er ſtund, geriethen in Zank: das Handgemen - ge wurde allgemein, man ſchlug ſich blut - ruͤnſtig, man riß ſich Haare aus, nur mein Knabe buͤckte ſich und kroch mit beſondrer Geſchicklichkeit durch die erhabnen Arme der Streiter hindurch und kam allein unverſehrt aus dem Kampfe. Laß den Menſchen die wilde Luſt ihres Kampfjagens, laß ſie ſich balgen und raufen, mit dem Degen, mit der Feder, mit Verlaͤumdungen, mit denNaͤgeln!289Naͤgeln! ſchleiche dich durch ſie hindurch und laß dich nie geluͤſten, ihnen zu ſagen, daß ſie Narren find, noch vielweniger ſie geſcheidter machen zu wollen! Die Maſchine kann nichts mehr oder weniger und nichts anders thun, als wohin ſie der Stoß der auf ſie wirkenden Raͤder treibt, und wer ſie aus ihrer Richtung herauslenken will, muß Kraͤfte genug zum Wiederſtande haben, oder er bekoͤmmt Stoͤße, wovon ihn vielleicht der erſte ſchon zu Boden wirft. Entdeckte ich Dir nicht dieſe Erfahrung, Freund? Und warum folgteſt Du ihr nicht?

Belph. Folge einer kalten Erfahrung, wenn dein Herz in lichten Flammen lodert, und die Gluth Dich erſticken oder den Buſen zerſprengen will! Folge ihr, wenn Du kei - nen Schritt thun kanſt, ohne daß Dich nicht tauſend Gegenſtaͤnde umgeben, die Dich durch ihre Narrheit oder Schaͤndlichkeit zum Unwillen reizen, wenn du beſſern oder nicht ſehen, kein Menſch ſeyn, kein Gefuͤhl von Recht und Unrecht, vom Guten und Boͤſen haben mußt!

From. Alles dieß beſitze fuͤr Dich, zu Deinem Gebrauche, um Dich in DeinemT 2eignen290eignen Verhalten davon leiten zu laſſen, und danke der Natur und dem Schickſale, daß ſie ſich beide vereinigten, Dich zum warmen gefuͤhlvollen denkenden Manne, zum Ken - ner und Verehrer des Guten und Rechtſchaf - nen zu machen! daß ſie unter Deinen uͤbri - gen Mitgeſchoͤpfen nur wenigen dieſe Wohl - that erzeigten, iſt das Dein Werk? oder kannſt Du das aͤndern? Es iſt im Laſter und in der Thorheit eine gewiſſe Fatalitaͤt hier in Virginien zwiſchen zween Freun - den kann ich dieß ſagen die Erfahrung lehrt es, man folgre daraus, ſo viel ſchaͤd - liches man wolle: was kann ich dafuͤr, daß die Erfahrung mich eine Wahrheit lehrt, die aus ſchaͤdlichen Folgen beſchwaͤngert iſt? Mein eignes Beiſpiel lehrte mich ſie. Ich habe zwo Hauptvergehen in meinem Leben begangen: ich habe Dich, Belphegor, mei - nen Freund, hintergangen, und bin ein Unterdruͤcker geworden. Ich war es ich geſtehe dieß, Freund ich war es, der Akanten antrieb, Dich aus ihrer Liebe und ihrem Geſichte, obgleich nicht mit der gebrauchten Haͤrte, zu verbannen: allein die Liebe riß mich hin; ſie uͤberwaͤltigte meineFreund -291Freundſchaft fuͤr Dich ſo ganz, daß ich Dich unmoͤglich ohne Neid in ihren Umar - mungen die ſuͤßeſte Wohlluſt genießen ſehen konnte: die Freundſchaft kaͤmpfte wider die Eiferſucht, und ich war blos ihr Tummel - platz: ich konnte nichts wollen und nichts beſchließen: die Leidenſchaft ſiegte, ich ver - draͤngte Dich, und wurde ein Falſcher, um mir die Scham vor Deinen Vorwuͤrfen zu erſparen, hintergieng Dich zweimal mit Luͤ - gen: doch Akantens Treuloſigkeit ſtrafte mich dafuͤr. Freund, vergiebſt Du mir einen Fehltritt, zu welchem mich alles hinriß? Ich war meiner nicht maͤchtig, ich mußte ihn thun, in meiner Lage war er unvermeid - lich, nothwendig.

Belph. Meine Freundſchaft vergab Dir ihn, ehe Du ihn thateſt. Umarme mich! Verzeihung geben und empfangen iſt die Ge - ſchichte des Menſchen. Jeder dieſer Fehl - tritte iſt mir begreiflich; allein wie Du, ein ſo entſchloßner Feind aller Unterdruͤckung, verleitet werden konnteſt, Handlungen zu begehn, die Du jederzeit verabſcheuteſt, das, das iſt mir unerklaͤrbar.

T 3From. 292

From. Nicht unerklaͤrbarer, als da Du uͤber den Tod eines einzigen Schwarzen einen Krieg mit mir, Deinem Freunde, an - fangen konnteſt

Medard. Oder da ich eine Mauer um Niemeamaye ziehen und allen Einwohnern ihr Gold abnehmen ließ. Siehſt Du, Bruͤ - derchen? dazu wird man Dir durch die Ge - legenheit ſo hingeriſſen, daß man hinter drein ſich nicht einmal erzaͤhlen kann, wie es zugieng.

From. Als Sklave verkauft, kam ich un - ter den weißen Knechten nach Amerika, in die Pflanzung eines Tyrannen, der uns das Joch ſeiner Gewalt bis zur Uebertreibung fuͤhlen ließ. Ich wurde durch eine ſolche Behandlung gewiſſermaßen wild und grau - ſam gemacht: ich faßte oft den Entſchluß den Mann umzubringen, oder ſelbſt zu ſter - ben und ein qualvolles Leben zu endigen. Waͤhrend daß ich unentſchloſſen mit dieſem Gedanken umgieng, entſtund ein Aufruhr auf der Inſel: man halte ſich allgemein zu dem Untergange des Befehlshabers verſchwo - ren, deſſen Bedruͤckungen und Kraͤnkungen alles Rechts ſchon laͤngſt unertraͤglich ge -worden293worden waren. Man ſtuͤrmte ſein Haus, man nahm ihn gefangen, man ſteinigte ihn, und er wurde im Getuͤmmel erdruͤckt. Die - ſen Tumult nuͤzten einige Banden weiße Knechte, ſetzten ſich in Freiheit, erſchlugen ihre Herren, und unter dieſen Streitern der Freiheit war auch ich. Da das. Volk ſich ſelbſt einen Befehlshaber waͤhlen wollte und doch in zwo Parteien getheilt war, ſo ſtellte ich mich mit meiner Bande an die Spitze der maͤchtigern, half ihr ſiegen, und ihre Wahl, weil ſie keinem unter ſich einen ſo wichtigen Vorzug goͤnnten, fiel auf mich: ich wurde ihr Befehlshaber und blieb es ſo lange, bis mich die Kabalen eines Nichtswuͤrdigen be - fuͤrchten ließen, daß ich, da mir die Beſtaͤ - tigung des Hofs fehlte, zulezt unterliegen wuͤrde. Mein Sklavenſtand und die rohe Behandlung darinne hatten mir einen Theil meiner Menſchlichkeit genommen: druͤcken und bedruͤckt werden, hatte ſich mit mir ſo fa - miliariſirt, daß es mir nicht mehr wie ſonſt einen Schauer abnoͤthigte, ſondern ich konnte es mit kaͤltern Blute ſehen und denken, weil es mein taͤglicher Anblick und mein taͤgliches Geſuͤhl geweſen war. Ich kam mit dieſerT 4ver -294verminderten Menſchlichkeit in meine Wuͤrde, erhielt einen weitern und freyern Wirkungs - platz, mehr Gegenſtaͤnde der Begierden und mehr Gewalt, meine Begierden wuchſen, wuchſen uͤber meine Kraͤfte hinweg und Freunde, ſoll ichs euch weiter erzaͤhlen? Meine Geſchichte iſt die Geſchichte aller Men - ſchen. Ich wurde die Marionette meines Eigennutzes und meiner Eigenliebe; und Belphegor, Du weißt es, wie ſehr ich unter ihrem Befehle ſtund, als Du mir Deine freundſchaftliche Huͤlfe zur Beſſerung anbo - teſt. Wegen dieſes einzigen gluͤcklichen Er - folgs laß Dich alle Wunden und Beulen nicht gereuen, die Dir Dein zu feuriger Ei - fer fuͤr Recht und Gerechtigkeit geſchlagen hat. Du haſt mich zum Menſchen wieder umgeſchaffen, Dir bin ich mehr als mein Leben meine Ruͤckkehr zur Vernuͤnftig - keit ſchuldig. Freunde! laßt uns unſre Er - fahrung nicht umſonſt mit dem Verluſte unſrer Tugend, eingeſammelt haben! Wir haben bewieſen, daß man nie gut genug ſeyn kann, um es beſtaͤndig und in allen Vorfallenheiten zu ſeyn, daß der Sauerteig des Neides und der Herrſchſucht in jedem Herze liegt und beyſtaͤrkrer295ſtaͤrkrer oder ſchwaͤchrer Veranlaſſung die ganze Maſſe unſrer Begierden durchſaͤuert, daß Freundſchaft, Rechtſchaffenheit und ſelbſt die Religion zu ſchwach iſt, ſeiner bei - ßenden Schaͤrfe zu wiederſtehen: wir wollen es nicht ohne unſern Nutzen bewieſen haben. Hier auf dieſem Flecke laßt uns in froher Einſamkeit und ruhiger Eintracht den Reſt unſrer Tage hinleben, und unſern Begier - den jeden Sporn, jeden Reiz benehmen, die ſie aufwiegeln koͤnnten, dieſe ſchoͤne Ruhe zu ſtoͤren. Wir wollen dieſen Flecken Erde, der unſer Eigenthum geworden iſt, zu glei - chen Theilen beſitzen; unſre Beduͤrfniſſe koͤn - nen nicht uͤber unſer thieriſches Selbſt hin - ausreichen, und ſie werden uns nicht ent - zweyen, ſo lange uns nicht gaͤnzlicher Man - gel um Leben und Nahrung kaͤmpfen laͤßt. Wir wollen uns von unſerm Geſchlechte tren - nen, damit nicht ein neidiſcher Anfall von ihnen unſre Gluͤckſeligkeit unterbricht: ſo ſind wir von innen und von außen verſchanzt und machen fuͤr uns allein eine Welt aus eine Welt, wie wir ſie in den erſten Jahren unſers Lebens traͤumten, Belphegor eine Geſellſchaft, die Freundſchaft, Liebe,T 5Sym -296Sympathie des Kopfs und des Herzens zu - ſammenknuͤpft, die ſo arm iſt, daß keine neidiſche habſuͤchtige Begierden ſie zu tren - nen vermoͤgen, und ſo reich, daß ſie außer ſich ſelbſt nichts weiter beduͤrfen.

Alle billigten den ſchoͤnen Plan, und Bel - phegor fiel ſeinen beiden Freunden vor Ent - zuͤcken um den Hals, ſegnete und preiſte ſie, daß ſie ihm das goldne Alter ſeiner Jugend wieder zuruͤckfuͤhrten. So werden wir, ſezte er hinzu, die einzigen Gluͤcklichen auf der Erde ſeyn, die im Himmel ſind, waͤh - rend daß alles außer unſrer Geſellſchaft im Aufruhr der Leidenſchaften herumgetrieben

Ja, unterbrach ihn Fromal, wir koͤnnen es ſeyn, ſo lange nicht die Menſchen uns unſre Freude misgoͤnnen. Du weißt, Bel - phegor, in dem Rauſche unſrer fruͤhen Jah - re ſchufen wir uns ein Ideal von Gluͤckſelig - keit, womit wir aus Mangel an Erfahrung die Wohnung des Menſchen ausſchmuͤckten: ich ſuchte ſie, als ich in die Welt trat, al - lenthalben, und erblickte ſie nirgends. Je mehr ich von der Erde kennen lernte, je mehr mußte ſich meine Vorſtellung von der menſchlichen Gluͤckſeligkeit verengern, undzulezt297zuletzt ſchrumpfte ſie gar bis auf das magre Etwas zuſammen Abweſenheit wirklicher Leiden; wer dieſe errungen hat, der iſt menſchlich gluͤcklich. Die Freuden des Lebens ſind duͤnne, wie die Frucht eines ſandigten Ackers, verſtreut: es gehoͤrt zu beiden gute Oekonomie. Freiheit, dieſes hauptſaͤchlichſte Ingredienz einer poſitiven Gluͤckſeligkeit, wie wenige genießen ſie! Die meiſten muͤſſen ſich mit dem Schatten und dem Worte begnuͤgen: macht die Rechnung und ziehet die Summe, und unter allen Voͤl - kern der drey Welttheile unſrer Halbkugel werdet ihr nicht bey dem zehntauſendſten Theile die Illuſion der Freiheit finden. Der nackte Wilde kaͤmpft mit Hunger, Durſt, Kaͤlte und Regen: der polizierte Europaͤer mit tauſendfachem kuͤnſtlichen Mangel, mit Arbeit, mit dem Eigennutze, der unterdruͤ - ckenden Gewalt und Millionen Leidenſchaf - ten: Aſiater, Afrikaner und Amerikaner ſind mehr oder weniger vom Deſpotiſmus und Geize ihrer Beherrſcher gequaͤlt: nirgends ſind die Bewohner der Erde zufrieden, und nirgends koͤnnen ſie es ſeyn: Die Gluͤckſelig - keit unſers Planetens ſcheint in die gemaͤßigteZone298Zoar der Gluͤckſeligkeit des Ganzen zu gehoͤ - ren, eine mittlere laue Temperatur, nicht befeuernd und auch nicht ganz kalt. Ge - wohnheit und Unwiſſenheit ſind ihre beiden Endpunkte. Wer die Erde zum Garten, zur Heimath der Gluͤckſeligkeit macht, iſt ein Schwaͤrmer oder ein Unwiſſender; wer ſie als eine Wuͤſte, ein Jammerthal ſchildert, iſt ein Milzſuͤchtiger oder ein Boͤſewicht. Sie iſt ein Mittel zwiſchen beiden, ein what d’ye call it

Belph. Das aber doch bisweilen mehr der letztern Schilderung gleicht.

From. Ja, es ſcheint, beſonders wenn man den Lauf der vergangnen Begebenhei - ten im Ganzen uͤberſchaut: aber merke auch, daß die Geſchichte derſelben ein gedung - nes voll gruppirtes Gemaͤlde iſt, deſſen Theile ſich in der Natur nicht ſo nahe be - ruͤhrten, wo zwiſchen den armſeligen Spitz - buͤbereyen und Moͤrdereyen etwas heitre Intervalle waren. Doch laßt uns alle dieſe leidigen Kenntniſſe wegwerfen! Laßt uns nichts als unſern kleinen Zirkel derFreund -299Freundſchaft uͤberſehen, und wenn ſich un - ſre Spekulation uͤber ihn hinauswagt, mit Medardus Auge alles anſchaun, in der Ab - ſicht alles gut zu finden: ſich ſo beluͤgen, iſt eine Pflicht, die unſre Zufriedenheit fodert.

Belph. Oft war dieß meine Rede. Gluͤckliche Menſchen, ihr Unwiſſende, ihr, denen der Himmel bloß ſchlichten Menſchen - verſtand und keinen forſchenden gruͤbelnden Geiſt gab! Ihr ſchleicht den Pfad eures Lebens dahin, weint oder lacht, wie euch die Umſtaͤnde gebieten, ihr laßt euch gewiſſe fuͤr eure Ruhe heilſame Meinungen ein - pfropfen, ſie durch die Laͤnge der Zeit zum feſten unverwelkenden Glauben aufwachſen, ohne zu unterſuchen; und wohl euch! Da euer Auge nicht weit reicht, ſo erblickt es in dem kleinen Horizonte wenig Boͤſes, von der Unordnung der Erde nur kleine einzelne Fragmente, die euch nicht eher ſtark ruͤh - ren, als bis ſie auf euern Scheitel fallen. Freund, wenn es moͤglich waͤre, den laͤſti - gen Plunder der Erfahrung von uns zu werfen, das Auge unſers Geiſtes zu ſtuͤm -pfen300pfen und ſeinen Geſichtskreis ſo ſehr als moͤglich zu verengern, waͤren wir nicht gluͤcklich?

Ja, unterbrach ihn Medardus, wir wer - den dieß ſeyn, Bruͤderchen; und wenn mein gutes Weibchen, oder meine Zaninny, oder das ſchoͤne Negermaͤdchen in Kartha - gena bey uns waͤre wir waͤren doppelt gluͤcklich; und dann einen Trupp kleine Nachkommenſchaft um uns herum Bruͤ - derchen, das waͤre Dir ein Himmelreich.

Fromal nickte und ſchwieg.

Beſchluß. 301

Beſchluß.

So war der Plan fuͤr ihre Einſamkeit, die fuͤr ſie ein Zuſtand der erfreulich - ſten Ruhe und der ſuͤßeſten Zufriedenheit, die gluͤcklichſte Periode ihres ganzen Lebens war. Sie ſuchten ſich je laͤnger, je mehr von dem Geiſte des Nachforſchens und der gruͤbelnden Unterſuchung abzuziehn, weniger zu denken und mehr zu handeln, ſich in alle die kleinen Beſchaͤftigungen des Garten - baus, der Feldarbeit zu zerſtreuen, zu ſaͤen, zu pflanzen, zu begießen, zu erndten, und dadurch ihre Lebensart derjenigen nahe zu bringen, die die geringſte an Achtung, und die oberſte an Gluͤckſeligkeit iſt, der ſriedli - chen Lebensart der erſten Vaͤter, des arka - diſchen Dichterlandes und des Landmanns in den Zonen der Freiheit. Ein jeder hatte in ſeiner Beſitzung eine kleine reinliche Woh - nung, worinne er nebſt ſeinen Sklaven Raum hatte, ein jeder machte mit ſeinenSkla -302Sklaven eine Familie aus, wovon er der Vater war, der ſeine Kinder nur ſo lange in leichten Einſchraͤnkungen erhielt, bis ſie erkannt hatten, wie liebreich ihr Vater war. Hinter jeder Wohnung breitete ſich ein Gar - ten in eine laͤngliche Flaͤche aus, mit Kuͤchen - kraͤutern und Gewaͤchſen, auch mit einigen Blumen, die das Klima vertrug, geſchmuͤckt, den jeder Beſitzer mit eigner Hand pflegte und bearbeitete: jeder das Werk ſeiner Haͤnde, und jede Staude, die auf ſeinem Tiſche erſchien, ſchmeckte ihm doppelt ſuͤß, weil er ſie mit dem Schweiße ſeiues Ange - ſichts erkauft hatte. Wenn ſie die Arbeiten des Gartens ermuͤdeten, giengen ſie auf das Feld, die Verrichtungen ihrer Sklaven wiewohl ſie ihnen nie dieſen Namen gaben zu uͤberſehen, ſie durch ihre Gegenwart zum Fleiße und durch Freundlichkeit zu Muth und Geduld anzufriſchen. Zu gewiſſen Jahrszeiten und nach Endigung gewiſſer Arbeiten, des Pflanzens, des Saͤens, der Erndte ſtellten ſie kleine Feſte an, wo ſie unter hohen Baͤumen oder am Eingange ih - rer Wohnung ſaßen und ſich vaͤterlich an den Ergoͤtzlichkeiten ihrer Angehoͤrigen ver -gnuͤgten:303gnuͤgten: Dieſe ſpielten die rohen Spiele ih - res Vaterlandes, ſangen mit rauher Kehle und mit der vollſten Empfindung, tanzten mit unabgezirkelten Schritten, wilden Spruͤn - gen, huͤpften ſich luſtig, mengten in alles ihren ungebildeten Scherz und plumpe Schaͤkereyen, und lachten ſich froͤlich, froͤ - licher als die Tafel der auserleſenſten witzi - gen Koͤpfe. Oft verſuchten ihre Herren, ihre Spiele und Taͤnze nachzuahmen, und wurden fuͤr jeden Fehler der Ungeſchicklich - keit mit einem lauten Gelaͤchter beſtraft. Die kleine Bande wurde durch dieſe Ermun - terungen belebt und erfindſam: ſie ſtreng - ten oft ihren Wiz an, ihre Herren gleich - falls mit kleinen Freuden zu ergoͤtzen. Sie uͤberraſchten ſie unvermuthet mit einer vor - zuͤglich großen oder ſchoͤnen Frucht, mit einem anſehnlichen Gewaͤchſe, das ſie ent - deckt und verborgen, oder mit Fleiß und in der Abſicht heimlich gewartet hatten, ein unvermuthetes Vergnuͤgen damit zu er - wecken: ſie ſannen neue Taͤnze und Ver - ſchoͤnerungen fuͤr die alten aus, um ſie bey dem naͤchſten Feſte aufzufuͤhren, und die Er - wartung des Vergnuͤgens machte ihre HaͤndeUund304und Fuͤße thaͤtig. Waͤhrend daß in der Entfernung etlicher Meilen von ihnen, laͤngſt der ganzen Kuͤſte von Nordamerika, Sklaven von ihren Herren, und die Herren von ihren Sklaven geplagt, und beide ein Paar feindliche Parteien ausmachten, die ſich wechſelſeitig quaͤlten und wechſelſeitig dafuͤr raͤchten, ſaß hier Herr und Knecht, in Eins vereinigt, beyſammen und machte ſich das Leben angenehm: niemand ließ die Subordination fuͤhlen, und niemand fuͤhlte ſie, und jeder, der ſich eines ſolchen Gluͤcks unwerth machte, wurde aus der Geſell - ſchaft verbannt und an einen Herrn ver - kauft, der ihn den Unterſchied zwiſchen har - tem und leichtem Joche lehrte. Auf dieſe Weiſe, ohne politiſches Regiment, beynahe in dem Stande der Gleichheit, wie er nie war und Philoſophen ihn traͤumten, in der bloßen Familienunterwuͤrfigkeit der Natur, entgieng dieſe kleine Geſellſchaft allen den beſchwerlichen Folgen zweyer Dinge, die dem Menſchengeſchlecht die groͤßten Wohl - thaten erwieſen und den groͤßten Schaden zugefuͤgt haben der Geſelligkeit und des Eigenthums.

Bel -305

Belphegorn zerſtreute dieſe ruhige un - angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤſtern Wolken, die ſeine Widerwaͤrtigkeiten um ſeine Seele verſammelt hatten; er ſahe die Dinge der Welt weniger ſchwarz, weil der Zirkel um ihn erheiterter war, und weil er ſich ge - woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin - den als daruͤber nachzudenken, ſeinen Blick mehr in ſich und den kleinen Umkreis ſeiner kleinen Beduͤrfniſſe und Freuden zuruͤckzu - ziehn und uͤberhaupt den Horizont ſeines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr finnlich als geiſtig, mehr empfinden - des und handelndes als denkendes Thier ſeyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er unvermerkt die gutherzige Philoſophie ſeines Freundes, Medardus an, ſich zu uͤberre - den, daß alles gut ſey, und daß vielleicht die groͤßten Unordnungen der moraliſchen und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann - ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur Laſt zu legen, zu glauben, daß ſie ganz Nordamerika Jahrhunderte hindurch ſich be - kriegen, freſſen, ſchinden laſſen kann Denn das konnte er ſich nicht ausreden, daß die Natur die erſte Urheberinn dieſerU 2herge -306hergebrachten Grauſamkeiten ſey daß ſie die Mexikaner Jahrhunderte durch viele tauſend Menſchen ſchlachten und uͤber - haupt den Menſchen zum grauſamſten Raubthiere ſchaffen konnte, um ihn langſam nach den ſchrecklichſten Unthaten zum liſtigen feinen Fuchſe oder zum friedſamen Schafe werden zu laſſen zu glauben, daß alles dieſes die Natur wollen mußte, da ſie der menſchlichen Gattung die Diſpoſition dazu gab, ohne daß ſie dabey etwas anders als die heilſamſten beſten Endzwecke vor Augen hatte, und daß ſie die Menſchen recht ſchlimm werden ließ, um ſie leidlich gut wer - den zu laſſen, ohne daß ſie deswegen Tadel verdiene. So unvertraͤglich auch jene ge - ſammelten Erfahrungen mit dieſer medardi - ſchen Philoſophie ſcheinen, ſo ſtiftete doch die Liebe zur Ruhe nebſt der Abweſenheit aller Widerwaͤrtigkeiten, wie auch die Sen - kung ſeiner Imagination, die vollkommen - ſte Vereinigung zwiſchen ihnen, die nur zu - weilen eine duͤſtre Stunde unterbrach, aber nicht trennte.

Fromal307

Fromal war ſtets ein kaͤltrer Raͤſonneur geweſen, als Belphegor, und diente auch itzt noch dazu, Waſſer in die Flamme zu gieſſen, wenn ſie zuweilen bey dieſem auflo - derte. Er geſtund frey, daß er ſich nicht in die gluͤckliche Illuſion verſetzen kann, welche ſeinem Freund Medardus ſo vielſaͤl - tig das Leben erleichtert habe und noch er - leichtere, daß ihm aber ſein Glaube an Noth - wendigkeit und unvermeidliches Schickſal die naͤmlichen wohlthaͤtigen Dienſte erzeige, und daß auch uͤberhaupt ſeine Meynung hieruͤber von der medardiſchen nur im Na - men und der Vorſtellungsart unter - ſchieden ſey. Zugleich verbat er aber, mit Einwilligung ſeiner uͤbrigen Freunde, anders als mit Kaͤlte uͤber dieſen Punkt zu ſprechen, um ſich nicht durch warme Imagination und durch ein warmes Herz in eine neue Tiefe von Zweifeln und Beunruhigungen ſtuͤrzen zu laſſen.

Medardus erhielt ſich in ſeiner Heiter - keit und Zufriedenheit bis an ſein Ende, und da er im Begriffe war zu ſterben, war noch ſein letztes Wort: wer weiß, wozuU 3mirs308mirs gut iſt? Er hatte vor ſeinem Tode noch zwo fuͤr ihn ſehr erfreuliche Begeben - heiten erlebt. Der Kaufmann, der Fro - mals und Medardus Gelder untet ſich hatte und ihnen von Zeit zu Zeit Proviſio - nen zuſchickte, die ſie in ihrer kleinen Kolo - nie nicht beſaßen, ſendete ihnen ſolche einſt - mals unter der Aufſicht eines jungen Men - ſchen, der ſein Faktor war und andre Ma - terialien, die in der Kolonie erbaut wurden, mitnehmen ſollte. Medardus, ein Freund vom Geſpraͤche, ließ ſich mit ihm ein, er - zaͤhlte ihm, wie gewoͤhnlich, ſein Leben und ließ ſich das ſeinige erzaͤhlen; und aus deutlichen Beweiſen erhellte es ſonnenklar, daß der Fremde des Herrn Medardus leiblicher Sohn war, der ihn berichtete, daß ſeine Geſchwiſter außer einem alle ver - blichen, ſeine uͤbriggebliebne Schweſter ver - heirathet und er hieher geworfen worden ſey. Alle geſtorben? ſprach Medardus. Siehſt Du, mein Sohn? wer weiß, wozu das gut iſt? Er ſollte mit der Zeit in die Kolonien aufgenommen werden, allein ehe es geſchah, ſtarb ſein Vater und die fol - genden Unruhen hintertrieben es.

Die309

Die zwote angenehme Begebenheit war das Wiederfinden ſeiner geliebten Zaninny, die als Sklavinn nach Amerika verkauft, unter einem harten Herrn gelitten hatte, ihm entlaufen war und ſich in die Kolonie unſrer Europaͤer rettete, wo ſie ihren gelieb - ten Medardus an der Narbe erkannte, die ihm eine von den gleißenden Damen im Lande der Meerkatzen mit dem Nagel ihres Zeigefingers geſchnitten hatte; und da der Schnitt in einer eignen Figur gemacht war, die ſie in dieſem Lande oft geſehen hatte, ſo brachte es ihr das Andenken ihrer alten Liebe zuruͤck: doch umſonſt! Denn ſie war ſo hoͤflich geworden, oder der Geſchmack ih - res Liebhabers hatte ſich ſo geaͤndert, daß er ihr einen Platz in ſeiner Wohnung aus Wohlthaͤtigkeit, aber nicht aus Liebe anwieß.

Kaum drang zu Anfange des gegenwaͤr - tigen Krieges das Geruͤcht bis in die Kolo - nie, daß jeder Koloniſt fuͤr die Freyheit wi - der ein unterdruͤckendes Vaterland fechten muͤſſe, als Belphegorn ſein Enthuſiaſmus von neuem ergriff; er riß ſich, ungeachtetaller310aller Vorſtellungen ſeines Freundes Fromals, der ihn mit Gewalt und mit Liſt zuruͤckhal - ten wollte, aus ſeinen Armen und ward unter einem andern Namen eiller von den Vorfechtern der koloniſtiſchen Armee. Er war es, der einige der kernhaſteſten Re - den in einigen Verſammlungen hielt: er er - langte etliche anſehnliche Vortheile uͤber die Englaͤnder; der Auszug des Krieges wird lehren, wer von beyden Theilen Recht be - halten, und ob Belphegor als Patriot und Menſchenfreund allgemein bekannt werden, oder im Streite fuͤr die Freyheit ungeruͤhmt umkommen ſoll.

About this transcription

TextBelphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne
Author Johann Carl Wezel
Extent322 images; 47478 tokens; 9312 types; 335137 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBelphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne Zweyter Band Johann Carl Wezel. . [1] Bl., 310 S. : Frontisp. CrusiusLeipzig1776.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ShelfmarkSBB-PK, Yv 9300-2
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