PRIMS Full-text transcription (HTML)
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[I]
Belphegor, oder die wahrſcheinlichſte Geſchichte unter der Sonne.
Bellum omnium contra omnes.
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Erſter Theil.
Leipzig,bey Siegfried Lebrecht Crufius1776.
[II][III]

So lange ein Mann, dem die Natur gleich viel Feuer in die Einbil - dungskraft und in die Empfindung gelegt hat, die Erfahrungen zu ſeinen Begriffen blos aus ſeinem guten Herzen und dem kleinen Zirkel ſimpathiſirender Freunde her - nimmt, ſo lange wird er ſich mit ſchoͤnen Jlluſionen hintergehen, der Menſch wird ihm ein Geſchoͤpf hoͤherer Ordnung, ge - ſchmuͤckt mit den auserleſenſten moraliſchen Vollkommenheiten, und die Welt der rei - zende Aufenthalt der Harmonie, der Zu - friedenheit, der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Man ſtoße ihn aus ſeiner idealen Welt in die* 2IVwirkliche; man laſſe ihn die vergangnen Zeiten, die Geſchichte der Menſchheit und der Voͤlker durchwandern; man werſe ihn in den Wirbel des Eigennutzes, des Neides und der Unterdruͤckung, in welchem ſeine Zeitgenoſſen herumgetrieben werden: wie wird ſich die ganze Scene in ſeinem Kopfe verwandeln! die blumichten Thaͤler und lachenden Auen, voll friedſamer freundli - cher Geſchoͤpfe, die ihr Leben in gutherziger Eintracht dahintanzen, werden zuruͤckfah - ren, und ſtatt ihrer Waͤlder und Gebirge mit zuſammengerotteten auflauernden Hau - fen hervorſpringen, worunter jeder des an - dern Feind iſt und nur durch Beſorgniß fuͤr ſein Jntereſſe abgehalten wird, es oͤf - fentlich zu ſeyn, wo jeder Auftritt das Theater mit Blute befudelt, in jedem eineV Grauſamkeit begangen wird: das wird ihm izt die Welt, und der Menſch ein li - ſtiger oder gewaltthaͤtiger Raͤuber ſeyn, der auf ſein Jch eingeſchraͤnkt, mit verſchiede - nen Waffen wider die uͤbrigen ſicht, keinen irgend worinne uͤber ſich dulden, und gern uͤber alle ſeyn will eine Maſchine des Neides und der Vorzugsſucht.

Jſt die koͤrperliche Zuſammenſetzung ei - nes ſolchen Mannes er ſey Zuſchauer oder Mitſpieler brauſend und thaͤtig, ſo wird ſich ſeine Seele einem ſo außeror - dentlichen Widerſpruche wider ihre bisheri - gen Begriffe widerſetzen, unwillig werden, wie ein Menſch, den man aus einem Feen - ſchloſſe in eine Wildniß fuͤhrt, alles beſſern, alles umſchaffen wollen, und wenn er zu ſeinem Herzeleide ſeine Umſchaffung nie zu* 3VIStande kommen ſieht, auf Welt und Menſchen zuͤrnen, ſie haſſen, daß ſie ſeine gutgemeinte Bildung nicht annehmen wol - len, aus den verwirrten Scenen der Welt kein harmoniſches zweckmaͤßiges Ganze zu - ſammenſetzen koͤnnen, alles daher fuͤr ein Chaos erklaͤren, das Verwirrung und Un - ordnung in ewigem Streite erhalten, und wenn ihm ſein gutes Herz doch hin und wieder anſcheinende Spuren einer abge - zweckten Anordnung entdecken laͤßt, ſich mit Unruhen und Zweifeln martern: dieſer Mann iſt Belphegor.

Hat ihm aber die Natur einen Zuſaz von Kaͤlte in die Maſſe ſeines Koͤrpers ge - worfen, mehr Lebhaftigkeit als Feuer ver - liehen, ſo wird er durch die Menſchen vor - ſichtig hinwegſchluͤpfen, alles nehmen, wieVII es iſt, und ſich bey dem Schauſpiele der Welt nicht anders intereſſiren, als der Zu - ſchauer einer theatraliſchen Vorſtellung, ohne ſich drein zu miſchen; er wird viel - leicht zuweilen bitter lachen, aber ſtets Be - ſonnenheit genug behalten, uͤber die Welt mit ſo vieler Kaltbluͤtigkeit zu raͤſonniren, als jener mit Waͤrme deklamirt: der Kon - traſt zwiſchen den Begriffen, die ihm die gegenwaͤrtige Erfahrung aufdringt, und den Vorſtellungen, die er ehmals hatte, muß ihn noͤthigen, einen Ausweg zu ſu - chen; ſein gutes Herz laͤßt ihn die vielfaͤl - tigen Unordnungen, Grauſamkeiten und Verwirrungen keiner wollenden Vorſicht zuſchreiben, er geht einer Urſache nach, und ſein Raͤſonnement fuͤhrt ihn auf die Nothwendigkeit des Schickſals, welcher er* 4VIIIalle Unordnungen aufbuͤrdet, und er kann nach ſeinem Temperamente Beruhigung darinne finden: Dieſes iſt Fromal in der folgenden Geſchichte.

Endlich ſetze man ein leichtes Blut, munter dahingleitende Lebensgeiſter, ein froͤliches lebhaftes Gemuͤth, einen Kopf oh - ne weiten uͤberſchauenden Blick, einen Ver - ſtand, der wenig raͤſonnirt, ein Herz, das gern gluͤcklich ſeyn will und darum den Verſtand deſto leichter uͤberredet, alles ge - radezu oder auf leichte Gruͤnde zu glauben, was zur Ruhe und Zufriedenheit fuͤhrt, und deswegen leicht uͤber die Unvollkom - menheiten der Menſchheit hinzuſchluͤpfen, mit einer guten Doſis ehrlicher Treuherzig - keit zuſammen; und ſo hat man den guten Medardus, der einen herzhaften PuffIX von der Widerwaͤrtigkeit geduldig ertraͤgt, und feſt glaubt, daß es ihm irgend wozu nuͤzlich ſeyn koͤnne, nur damit der Unmuth daruͤber ſeine Heiterkeit nicht doppelt un - terbreche.

Nach des Verfaſſers Theorie ſind Neid und Vorzugsſucht die zu allen Zeiten, an allen Orten, in allen Staͤnden der Menſchheit und Geſellſchaft, bey allen Cha - rakteren allgemeinſten Triebfedern der menſchlichen Natur und die Urheberinnen alles Guten und Boͤſen auf unſerm Erd - balle; er ſtellte alſo in dem Leben jener drey Perſonen ein Gemaͤhlde der Welt auf, in welchem Neid und Unterdruͤckung die Hauptzuͤge ſind, wie ſie ihm die Geſchichte der Menſchen und Voͤlker darbot.

* 5X

Verſchiedene Schriftſteller haben uns die Welt und den Menſchen als vortreflich geſchildert: aber entweder betrogen ſie ſich ſelbſt, oder wollten ſie die Leſer betrie - gen; entweder kannten ſie den Menſchen nicht genug, nur von einer Seite, oder wollten ſie die Leſer beſtechen und ſie uͤber - reden, daß ſie die Zuͤge ihres Gemaͤhldes von ihrem eignen Herzen kopirt haͤtten. Der Verfaſſer glaubt wenigſtens kein ſchlechter Herz empfangen zu haben, als dieſe Herren, wenn es auch nicht beſſer iſt, und ohne die Welt und den Menſchen mehr oder weniger kennen zu wollen, als ſie, ſagt er, was jeder Schriftſteller einzig ſagen kann was ihm ſcheint, nichts als das Reſultat ſeiner Beobachtungen.

XI

Nicht eigne Widerwaͤrtigkeiten denn der Pfad ſeines Lebens iſt bisher mehr eben als holpricht geweſen nicht Hypo - chonder oder Milzſucht denn er war je - derzeit Freund der Freude und Feind des Truͤbſinns nicht Mangel an wahren Freunden denn er beſizt deren eine klei - ne Anzahl und hat auf ſeinen Wegen im - merhin Menſchen mit guten liebreichen Herzen gefunden keine von dieſen Wi - drigkeiten hat auf ſeine Vorſtellungen, ſo viel er ſich bewußt iſt, einen ſchwarzen Schleier geworfen: er ſah die Welt an, ſo weit ſein Blick in gegenwaͤrtige und ver - gangne Zeiten reichte, und ſagt aufrichtig, was er geſehn hat.

Die uͤbrigens lieber ideale Schilderun - gen von ganz guten Menſchen und ganzXII gluͤcklichen Welten leſen, denen kann dieſes Buͤchelchen keine taugliche Speiſe ſcheinen; und wenn ſie lieber ſolche von ihm verlang - ten, ſo koͤnnte er ſie damit bedienen: denn er hat Riſſe zu vollkommnen Republiken und vollkommnen Welten fertig, in denen ſichs aber vielleicht, wenn ſie durch eine ſchaffende Kraft zur Wirklichkeit gebracht wuͤrden, ſehr ſchlecht wohnen ließe: wenn es ſeyn ſoll, kann er auch traͤumen. Bis hieher hat er aber mehr Beruf gefuͤhlt, zu ſagen, was iſt, als was er wuͤnſchte oder ſeyn ſollte.

Doch fehlt es ihm auch nicht an guten und liebenswuͤrdigen Zuͤgen der menſch - lichen Natur, und er hat, um ihr Gerech - tigkeit widerfahren zu laſſen, ſchon laͤngſt eine Jdee im Kopfe herumgewaͤlzt, dieXIII Jdee eines Gemaͤhldes, das alles, was ſich mit Wahrheit Gutes vom Menſchen und der Welt ſagen laͤßt, in ſich ſchließen ſoll, und nichts wird ihn von der Ausfuͤh - rung abhalten, es waͤre denn Gefuͤhl der Unfaͤhigkeit, oder Mangel an Luſt und Muße. Dieſes wunderbare Kompoſitum, das wir Menſchen nennen, iſt im einzelnen und im Ganzen ein wahrer Janus, eine Kreatur mit zwey Geſichtern, eins abſcheu - lich, das andre ſchoͤn eine Kreatur, bey deren Zuſammenſetzung ihr Urheber muß haben beweiſen wollen, daß er die ſireitend - ſten Elemente vereinigen, Geſelligkeit und Ungeſelligkeit verknuͤpfen und auch ein Et - was formen kann, deſſen Maſſe aus lauter Widerſpruͤchen bereitet iſt und durch dieſe Widerſpruͤche beſteht.

XIV

Denen ſein Buch ganz misfaͤllt was ſollte er dieſen weiter ſagen? ’Tis too much to write books and to find heads to underſtand them ſagte Ster - ne, und ſagte auch er, wenn man ihm nicht als unbeſcheidnen Stolz anrechnen wuͤrde, was man Sternen als Wahrheit gelten laͤßt.

Chronologiſche und geographiſche Feh - ler moͤgen Kenner der Geſchichte und Erd - kunde berichtigen.

Wezel.

Erſtes
[1]

Erſtes Buch.

A[2][3]

Geh zum Fegefeuer mit deinen Predigten, Wahnwitziger! rief die ſchoͤne Akan - te mit dem jachzornigſten Tone, und warf den erſtaunten, halb ſinnloſen Belphegor nach zween wohlabgezielten Stoͤßen mit dem rechten Fuße zur Thuͤre hinaus.

Der arme Vertriebne ſchleppte ſich mit ſtummer Betruͤbniß bis zu einem nahen Huͤ - gel an der Landſtraße, wo er ſich niederſezte, das Geſicht nach dem Hauſe zugekehrt, aus welchem er eben izt ſo empfindlich relegirt worden war, daß ihn die Schmerzen des lin - ken Huͤftbeins nicht einen Augenblick an der Gewißheit des Unfalls zweifeln ließen, ob ihn gleich ſeine Verweiſung ſo unvermuthet uͤber - raſchet hatte, daß ihm die Begebenheit wie im Traume vorgegangen zu ſeyn ſchien. Aus Liebe zu der grauſamen Akante haͤtte er gern die Wahrhaſtigkeit ihrer harten Begegnung gelaͤugnet, wenn nicht der Schmerz jede Mi - nute ſie unwiderlegbarer gemacht haͤtte. Mit einem tiefen Seufzer gab er ſie alſo zu, ließA 24eine Thraͤne fallen, und machte ſeiner Be - klemmung durch eine wohlgeſezte Klage Luft.

Ach, rief er, ſo iſt auch Akante ungetreu? Auch ſie thut, was ich ſonſt als die Beſchul - digung eines boͤſen Herzens verwarf, das mir das edelſte ſchoͤnſte Geſchlecht zu ver - laͤumden ſchien Sie widerlegt mich? Sie beweiſt mir, daß diejenigen Recht hat - ten, die zu meinem großen Aergerniſſe ihr Geſchlecht wankelmuͤthig, treulos, veraͤnder - lich, unbeſtaͤndig nannten? So empfindlich muß ich uͤberfuͤhrt werden, daß ich in einer blinden Bezauberung lag, als ich dieſe ver - kleideten Ungeheuer ohne Fehler, ohne Laſter glaubte? O Akante! warum riſſeſt Du mir die Augen auf, ſtatt ſie mir zu oͤffnen? Nein, es iſt nicht moͤglich! Du warſt es nicht; ich habe getraͤumt. Breite deine Ar - me aus! ich komme zu dir zuruͤck.

Er wollte in der Begeiſterung aufſtehen, um ſich an ihren Buſen zu werfen, und er konnte ſich nicht einen Zoll hoch von der Er - de erheben: die gelaͤhmte Huͤfte zog ihn wie - der zuruͤck, daß er vor Schmerz laut ſchrie. Zur Vergroͤßerung ſeines Kummers mußte die ungetreue Akante ihm gleich gegenuͤber,5 von ſeinem Nebenbuhler umſchlungen, am Fenſter ſtehn und mit der ausgelaſſenſten Froͤlichkeit ſeiner ſpotten: wenigſtens gab er ihrem Lachen dieſen Sinn.

Ja, ſie war es, ſagte er endlich leiſe zu ſich, ſie war es, die Tigerinn! Sie hat mir meine Huͤfte zerbrochen; ſie hat mich zum Kruͤpel gemacht. Jn dieſem Tone fuhr er noch lange Zeit fort und ſagte ſich mancher - ley von den herzbrechenden Dingen, die mei - ne Leſer in jedem Romane oder Trauerſpiele nachſchlagen koͤnnen. Mitten in dem Selbſt - geſpraͤche naͤherte ſich ihm ein Mann, auf einem Grauſchimmel zwo Geſtalten, die er ſchon von weitem haßte, weil der Reuter eine ſo froͤliche Mine in ſeinem Geſichte trug, als wenn die Gluͤcksgoͤttinn ſeine leibliche Schwe - ſter waͤre, und das Pferd in einem ſo leichten ſorgloſen Trabe daher tanzte, daß er mit ſei - nem Herrn von Einem frohen Muthe belebt zu ſeyn ſchien.

Der Reiſende redte ihn an, und erhielt lange keine Antwort, bis endlich ſeine muntre Freundlichkeit Belphegors Herz oͤffnete, zu dem jede Empfindung leicht und bald den Schluͤſſel fand. Jch merke, Freund, ſagteA 36Jder Fremde, daß du ein unzufriedner oder ein ungluͤcklicher Menſch biſt: in beiden Faͤllen biſt du kein Mann fuͤr mich; denn ich kann dir nicht helfen, und mich mit dir zu graͤmen, habe ich keine Luſt. Sey munter und luſtig! und ich ſetze mich zu dir, ſo ſchwatzen wir eins zuſammen. Willſt du? oder lebe wohl!

Jndem kehrte Belphegor, der ihm bisher den Ruͤcken zugewandt hatte, weil ihm ſeine Huͤftſchmerzen die Bewegung des Umdrehens verboten, ſich mit dem Geſichte und dem Oberleibe, ſo viel er konnte, nach jenem um, und ach! Belphegor! rief der Andre und ſtieg vom Pferde guter Mann! Biſt Du es? Nein, ſo muß ich wiſſen, was dir fehlt. Mit dieſen Worten band er ſein Pferd an eine Stange und ſezte ſich zu Bel - phegorn nieder. Wunderlicher Mann! was haſt du denn? ſagte er, indem er den rechten Arm um ihn ſchlang und ihn an ſeine Seite druͤckte.

Ach, Freund Fromal! war Belphe - gors ſeufzende Antwort, wobey er, ſich win - dend, die Arme ſeines Freundes losmachte:7 denn er hatte ſeine geſchwollne Huͤfte ge - druͤckt.

Luſtig, luſtig, Belphegor! Haſt du denn gar die Narrheit begangen, ein Miſanthrop zu werden? Mit deinem verdammten philoſophiren, ſpekuliren, meditiren! Jch ſagte dirs wohl: alles das Zeug wird dei - ner Froͤlichkeit den Hals brechen.

Ach, Fromal, wie gluͤcklich, waͤre mein gan - zes Leben nichts als eiskalte Spekulation ge - weſen! Haͤtte nie Eine Empfindung ſich dar - unter gemiſcht! Aber

Was haſt du denn mit deiner Empfin - dung fuͤr Zank? Sey froͤlich! und den andern Empfindungen ſchlage die Thuͤr vor der Naſe zu, wie ich!

O wuͤßteſt du, beſter Fromal! die Treuloſe

Ey, ey! du haſt dich verliebt, und biſt betrogen worden? Ja, wer hat dich das geheißen?

Meine Empfindung, mein Gefuͤhl, ihre Rei - ze, ihre Anmuth, ihre unausſprechliche An - muth; alles, alles befahl es mir. So un -A 48gewiſſenhaft ſie mich hintergieng, ſo iſt ſie mir doch noch der ſchoͤnſte, der reizendſte Theil der Schoͤpfung. Meine ganze Seele iſt in ihre Neizungen verwebt; ſie kann ſich nicht losreißen, ohne ſich ſelbſt zu zerreißen: mein Gehirn

Nimm mirs nicht uͤbel! mag ein we - nig verſengt ſeyn. Glaubſt du denn, daß die Natur in ihrem ganzen Leben nur ein einzigmal Luft, Feuer, Waſſer, Erde zu - ſammen knetete, und nur eine einzige ſo ſchoͤne Wachspuppe daraus bildete, wie die Ungetreue, die dich izt lahm geſchlagen hat? Es iſt ja alles voll davon! Was machſt du mit der Empfindung in Dieſer Welt? Das iſt eine Laſt, die dich mit jedem Schritte zu Boden zieht. So viel als noͤthig iſt, um die Freude zu fuͤh - len! das uͤbrige wirf weg! Jch habe mich in mich ſelbſt zuſammengerollt, und laſſe mich vom Schickſale durch die Welt durch - waͤlzen, ohne daß mich etwas aufhaͤlt: ſtoße ich irgendwo an, ſo bleibe ich ſo lange lie - gen, bis ich wieder einen neuen Stoß be - komme, und dann geht die Reiſe von neuem fort.

9

Beſter Fromal! waͤrſt du an meiner Stelle, du nennteſt die Empfindung keine Laſt

Aber zum Henker! wenn ſie dir lahme Huͤften macht

Nicht mir, nur Akanten habe ich gelebt

Wen nennſt du da? Akanten? Ey, da biſt du ſchoͤn aufgefallen.

Kennſt du ſie? Jſt es nicht das ſchoͤnſte En - gelbild, welchem die Natur die herrlichſten Merkmale ihrer Meiſterhand eingedruͤckt hat

Ja, ja, ein huͤbſches Maͤdchen iſt es; aber ſo falſch, wie eine Tigerkatze

Fromal, ſie kann es nicht ſeyn! Sage mir alles, nur nenne ſie nicht falſch! Kaum hatt ich ſie ein einzigmal erblickt, ſo war meine Seele ſchon ganz in die ihrige gegoſſen, ihr Bild ſchon mit meinen innerſten Gedanken ſo ganz zuſammen gewachſen, daß eine Tren - nung ſie beide vernichten mußte. Jch trank aus ihren Blicken, von ihren Lippen das reinſte himmliſchſte Vergnuͤgen. Wochen lang taumelte ich in einer Berauſchung her - um, Akante hatte den Schluͤſſel zu meinemA 510Herzen und zu meinem Vermoͤgen: ſie gebot mit Einem Winke, und beides mein Herz und meine kleinen Schaͤtze thaten ſich fuͤr ſie auf

Und da ſich die kleinen Schaͤtze nicht mehr aufthun konnten, jagte dich die engliſche Akante zum Teufel?

Nie haͤtte ich geglaubt eine ſo unſchuldige ungekuͤnſtelte Aufrichtigkeit, eine ſo naife Of - fenheit, muntre lebhafte Gefaͤlligkeit, ſo lie - benswuͤrdige Sitten, ſo ein zartes Gefuͤhl, das jedes Luͤftchen bewegte, zu jeder Empfin - dung geſtimmt, ſo ſanfte Minen, ein Ge - ſpraͤch mit den lieblichſten Wohlgeruͤchen des Witzes und moraliſcher Guͤte umduftet ſetze daraus ein Bild zuſammen und denke

daß es eine Larve iſt! Das haͤtte ich dir zum voraus ſagen wollen. Armer Bel - phegor! Biſt du mit deinem Gelde ganz auf dem Boden?

So geldarm als in Mutterleibe! Jch kaufte ihr Vergnuͤgen uͤber Vergnuͤgen kleine unſchuldige Vergnuͤgen; daß ſie ihr Genuß ergoͤzte, war mein Dank. Jn den ſeligſten11 vollſten Entzuͤckungen weidete ich mich an dem Gedanken, ein Geſchoͤpf gefunden zu ha - ben, das meine Empfindung ganz ausfuͤllte: alle, auch die bewundertſten Schoͤnen hatten vor ihr ſtets ein trauriges Leere darinne zu - ruͤckgelaſſen, nur ſie nahm mein Herz ganz ein; und haͤtte ich noch eins gehabt, ſie haͤtte es uͤberfuͤllt: ſo ganz war ich von ihren Rei - zungen uͤberſtroͤmt! Und ſiehe! ploͤtzlich wirft ſie ſich in die Arme eines Nebenbuhlers

deſſen kleine Schaͤtze ſich weiter auf - thaten als deine gepluͤnderten! Nicht mehr als billig! Von dir hatte ſie weiter kein Vergnuͤgen zu hoffen; ſie mußte ſich alſo ihren Mann wieder ſuchen, der ſo treuher - zig, wie du, ſein Geld fuͤr Blicke und Mi - nen hingiebt: iſt er mit ſeinen kleinen Schaͤ - tzen am Ende, ſo ſchlaͤgt ſie ihn lahm, wie dich, oder wohl gar ein Paar Beine ent - zwey.

Soll man es dulden, daß die Haͤßliche die edelſte empfindungsvollſte Klaſſe der Schoͤ - pfung durch ihre Theilnehmung an dem ſchoͤnſten Geſchlechte entweiht?

12

Du machſt mich zu lachen, guter Belphe - gor! Jch daͤchte, du thaͤteſt eine kleine Reiſe durch die Welt: die wird dich von deinem Grame und deiner Empfindlichkeit kuriren. Lerne, was fuͤr ein Ding der Menſch und die Welt iſt! dann wollen wir ſehen, ob deine Empfindung ſich aus - dehnen oder zuſammenſchrumpfen wird. Schaͤme dich! wer wird um eines huͤbſchen Maͤdchens willen zum Narren werden? Fort in die Welt hinein!

Oder lieber aus ihr! Hier iſt mein Daſeyn voruͤber; ich habe gelebt.

Freilich lebt ſichs ſchlecht, wenn man kein Geld mehr hat; um einer Akante wil - len geh ich dir nicht Einen Schritt naͤher zum Grabe. Wenns denn nun ja ſeyn muß es giebt ihrer mehr!

Aber ſo hinterliſtig zu taͤuſchen!

Vergiß das nur, und ſieh erſt, ob du der einzige biſt!

Die heilige Unſchuld zum Deckmantel zu mis - brauchen!

13

Jch bitte dich, vergiß das! Alle Men - ſchen betriegen und werden betrogen; einer laurt auf den andern, ihm ein Paar Schritte abzugewinnen, oder, wenn er kann, ihn mit Gewalt zuruͤckzuſtoßen: alles iſt im Kriege, und ohne Waffen geſchehen alle Tage Niederlagen und Siege.

Und der Freche! meiner zu ſpotten!

Natuͤrlich, weil er der Staͤrkere war! Der Sieger hat allezeit Recht vom Ganges bis zur Spree und bis zum Suͤdmeere. Fromal, ſo verhuͤlle ich mich in meine Tu - gend.

Das kannſt du thun, wenn du fein zu Hauſe in deiner Stube bleiben willſt; aber ſo bald du dich unter die Menſchen mengſt, ſo wird die Huͤlle in kurzem Loͤcher bekom - men: ſie zerfetzen ſie dir, oder du mußt ſie bey Seite legen und dich ſo lange herumbal - gen, bis du dich in Autoritaͤt geſezt haſt: dann fuͤrchten ſie ſich, und du kannſt dein Huͤllchen wieder hervorholen.

Himmel! hat mir die Verderbniß auch mei - nen Fromal geraubt? Du warſt mir ſonſt ſo theuer

14

Weil ich ſo oft von moraliſcher Schoͤn - heit, von Empfindung, von Liebe in einer Begeiſterung mit dir ſprach, in welcher da - mals meine Fantaſie taumelte, und deine noch herumſchwaͤrmt! Jch weis nunmehr, was eine jede von jenen Raritaͤten in dieſer Welt werth iſt; der Firniß iſt von meiner Fantaſie weggewiſcht: laß dir Deine auch ausputzen! Du haſt alsdann zwar weniger einſame Freuden, aber auch weniger Leiden unter Menſchen; und wenn du ja ein - mal wider einen recht herzangreifenden Puff des Schickſals eine Staͤrkung brauchſt, ſo wird eine Fantaſie, wie die Deinige, noch immer brennbar genug ſeyn, um ſie auf ein Paar Stunden zu erhitzen.

Du, ſonſt der edle, der empfindende, der be - geiſterte Verehrer der Tugend! Doch die Welt

hat mich aus meiner Begeiſterung geriſſen; du wollteſt ſagen verdor - ben! wie man es nimmt! was wir ſonſt einander vorſchwatzten, war der Rauſch einer warmen Jmagination und eines warmen Herzens: izt bin ich nuͤch -15 tern; ich ſage dir nicht mehr ſo viel Schoͤ - nes und Begeiſterndes, aber deſto mehr Wahres: was kann ich dafuͤr, daß dies weniger begeiſternd iſt. Jch bin dir doch noch theuer, wie ſonſt?

O Akante! o Welt!

Laß doch Akanten und die Welt in Ruhe! Verhuͤlle dich in Unempfindlichkeit! das iſt der beſte Mantel.

So lehre mich, Fromal, meinem Herzen ge - bieten, daß es nicht ſchlaͤgt, und meine Ge - danken, ſich ſelbſt umbringen!

O die Menſchen koͤnnen die Empfindung gar herrlich abſchleifen! Sie reiben an Ge - duld und Empfindung ſo lange, bis die Schaͤrfe ſtumpf iſt.

Doch, ſezte er hinzu, indem er das Geſpraͤch abbrach, haſt du gar kein Geld mehr?

Die Antwort war: Nein. Nimm! fuhr Fromal fort, hier theile ich meinen lez - ten Reſt mit dir. Laß dich heilen, und dann wandre, wohin dich dein Schickſal fuͤhrt! Nimm dein Herz und deinen Verſtand mit,16 aber deine Empfindung, Akanten und ihr An - denken laß um des Himmels willen hier auf dieſem Flecke zuruͤck! Lebe wohl! und gleich gab er dem ſtummen Belphegor einen freund - ſchaftlichen Kuß, ſchwang ſich auf ſein Pferd und trabte davon. Vielleicht finden wir einander wieder, war ſein lezter Zuruf, dann wollen wir ſehn!

Belphegor ſaß unbeweglich, wie in den Boden gepflanzt, ſeufzte, weinte mit unter ein Troͤpfchen, erklamirte, winſelte, ſchalt, lobte ſeinen weggegangnen Freund, zaͤhlte ſein Geſchenk, warf es von ſich, las es wie - der zuſammen; und endlich nach zwo Stun - den voll ſolcher unruhigen aͤngſtlichen Gri - maſſen, da die Daͤmmerung einbrach, fieng er an zu uͤberlegen, was bey ſo geſtalten Sa - chen zu thun ſey. Die Daͤmmerung wurde zu pechſch warzer Nacht, und ſeine Ueberle - gung war dem Entſchluſſe keinen Strohhalm breit naͤher; er ſank vor Mattigkeit nieder, ſchlief ein, und fand bey dem Erwachen fuͤr ſeine Berathſchlagung ſo freyes Feld als Ta - ges vorher.

Die Ruhe hatte indeſſen ſeine Laͤhmung und ſeinen Schmerz verſchlungen; er konntewieder17wieder gehn. Gegen Mittag fand ſich eine Menge Gaͤſte bey Akanten ein; Muſik, Ge - raͤuſch, alles verkuͤndigte die Freude eines Bankets, das ihr neuer Liebhaber gab. Wel - che Menſchenſeele, der Tages vorher die Be - ſitzerinn eines ſo frohen Hauſes Huͤftenſchmerz gemacht hatte, konnte einen ſolchen Anblick ertragen! Augenblicklich fand er die lange ge - ſuchte Entſchließung: der Aerger half ihm auf die Beine, er gieng und uͤbergab allen zwey und dreißig Winden des Himmels ein dreymaliges lautes Akante! in eben ſo viele vernehmliche Seufzer eingepackt.

Er gieng. Kaum hatte er eine kleine Strecke zuruͤckgelegt, als vor ſeinem Geſichte ein Habicht auf eine Taube herniederſchoß und die flatternde Huͤlfloſe wuͤrgte. Die Scene verſezte ihn in eine ſo tiefe Wehmuth, daß er ſich auf einen Raſenrand niederſezte und uͤber die lezten Reden ſeines Freundes Fromal ernſthaft nachdachte.

Jndem er in ſeinen Gedankentraum ver - ſenkt daſaß, naͤherte ſich ihm ein Getoͤſe, das nichts geringers als einen Zank ankuͤndigte. Auf einmal erſchienen ein Trupp Knaben und Maͤdchen, an deſſen Spitze ein dickſtaͤmmigerB18achtjaͤhriger Bube einen Schwachen von ge - ringerm Alter an den Haaren ſiegreich neben ſich herſchleppte, waͤhrend daß die ganze Begleitung den Trinmphirenden mit einem einſtimmigen Jubel erhub, und hingegen dem Ueberwundnen von Zeit zu Zeit Koth oder Schimpfwoͤrter zuwarf. Der Anblick be - wegte Belphegorn: ſeine mitleidige Guther - zigkeit ſpornte ihn an, dem unbarmherzigen Sieger ſeine Beute aus den Haͤnden zu reiſ - ſen, und ihn wegen ſeiner Grauſamkeit zu vernehmen. Auf ſeine Erkundigung nach der Urſache des Streites erfuhr er von einem unpartheiiſchen Zuſchauer, daß die beiden Streitenden zween Pachtersſoͤhne waren, daß ſie beide kleine Gaͤrtchen zu ihrem Vergnuͤgen ſich neben einander gemacht hatten, daß der aͤltre allmaͤhlich dem juͤngern beinahe die Haͤlfte von dem ſeinigen betriegeriſch abge - zwackt, daß der Beraubte ſich daruͤber be - klagt, daß ihn der andre ausgelacht und endlich herausgefodert habe: darauf hatte er die noch uͤbrige Haͤlfte von des Juͤngern Garten verwuͤſtet, und da dieſer das Recht der Selbſtvertheidigung ſeinen Verheerungen entgegen ſetzen wollte, ſo uͤbermannte ihn der19 Staͤrkre, ſchlug ihn zu Boden, und fuͤhrte ihn izt im Triumphe auf. Belphegor ver - wies dem Ungerechten ſeine Grauſamkeit, und ermahnte ihn, dem andern das Entwendete wieder zu erſetzen. Hier bin ich! er mag mirs wieder nehmen! war die Antwort, und blieb es, aller Zureden ungeachtet. Belphe - gors gutes Herz wurde warm, er nahm den Leidenden in ſeinen Schutz und wollte den Frechen durch lebhafte Vorſtellungen zur Ge - rechtigkeit noͤthigen, wofuͤr er ein Paar Stei - ne an den Kopf, ein hoͤniſches Gelaͤchter und etliche Schimpfreden zum Danke bekam; die ganze uͤbrige Geſellſchaft ſtimmte im Uniſon mit ihm ein und eilte ihm nach: jedes dar - unter gab ihm Recht und vertheidigte ihn, weil er die ſtaͤrkſten Faͤuſte und das un - verſchaͤmteſte Maul im ganzen Dorfe hatte.

Um ſeinen Schutz nicht unkraͤftig zu ſehen, ließ ſich Belphegor von dem Zuruͤckgeblieb - nen zu ſeinen Eltern fuͤhren. Er trug ihnen den ſtatum cauſae ſehr ernſthaft und lebhaft vor, und drang in ſie, den ungerechten Er - oberer mit allem vaͤterlichen Anſehn zur Bil - ligkeit anzuhalten. Man laͤchelte; Belphe -B 220gor gluͤhte: der Junge kam dazu, riß den Zaun zwiſchen den beiden Gaͤrten nieder, der Vater gab ihm zur Belohnung ſeiner Tapfer - keit noch ein Stuͤckchen Land dazu, der arme Ueberwundne mußte ſein Eigenthum mit dem Ruͤcken anſehn, und ſich als einen ſchwachen elenden Nichtswuͤrdigen oben drein verach - ten laſſen.

Belphegor ſtuzte, wollte aus dieſem Hau - ſe der Ungerechtigkeit entfliehn, ließ ſich aber doch auf vieles Bitten zum Eſſen dabehalten. Der Herr des Hauſes wuͤrgte zwo Tauben: Belphegor bedauerte bey ſich die armen Krea - turen, und verzehrte ſie beide vom Halſe bis zu den Beinen ohne das mindeſte Mitleiden, als ſie gebraten auf dem Tiſche erſchienen. Da er ſatt war, reiſte er fort, that unter - wegs einen Seufzer und rief: O Ungerech - tigkeit! der Habicht wuͤrgt die Taube, der ſtaͤrkre Bruder den ſchwaͤchern, und der Menſch verſchlingt die unſchuldigen Thiere! Ja, Fromal alles iſt ungerecht wie Akante.

Die Nacht noͤthigte ihn bald zu einer neuen Einkehr. Kaum hatte er ſie erreicht, als ihn ein hagrer Kerl, der muͤßig an ei - nem Baume lehnte, auf die Seite zog und21 warnte, in dieſem Loche nicht zu uͤber - nachten. Es iſt das aͤrgſte Diebesneſt, das der Mond beſcheint. Wo ſoll ich aber blei - ben? Lieber unter freyem Himmel: wenn Sie wollten, ſo koͤnnte ich Sie wohl an ei - nen guten Ort bringen. Belphegor merk - te, worauf es ankam, um dahingebracht zu werden; er gab ihm von dem Wenigen, was ihm ſein Freund zuruͤckließ, ein kleines Ge - ſchenk und folgte ihm nach. Der Wegweiſer fuͤhrte ihn in einen dichten Wald, faßte ihn in der Mitte deſſelben bey der Gurgel und ſchwur, ihn auf der Stelle umzubringen, wenn er nicht ſeine ganzen Habſeligkeiten an ihn auslieferte. Aber welches Recht habt Jhr Boͤſewicht dazu? fragte Belphegor. Der Raͤuber wies ihm ſtatt der Antwort ein lan - ges Meſſer, nahm ihm ſein Vermoͤgen aus der Taſche, warf ihn zu Boden, kniete ihm auf die Bruſt und durchſuchte alle Behaͤltniſſe an ſeinem ganzen Leibe, wo ſich nur eine Beute vermuthen ließ, gab ihm einen derben Fluch zum Abſchiede, als er nichts erhebli - ches fand, und begab ſich auf den Ruͤckweg.

Die ganze Nacht hindurch blieb er in die - ſem Zuſtande liegen, ohne wegen der Unbe -B 322kanntſchaft mit dem Walde Einen Fuß von der Stelle zu wagen. Gegen Morgen hoͤrte er einen Mann ſich ihm leiſe naͤhern und bey jedem Schritte ſtill ſtehn, um ſich umzuſehn, ohne Belphegorn gewahr zu werden, bis ihn dieſer anredete. Mann, rief er, haſt du Herz

Nicht viel! antwortete der Ankommende furchtſam.

Haſt du ein menſchliches Herz mit menſch - lichen Empfindungen, fuhr Belphegor fort, ſo nimm dich meiner an!

Ach du lieber Himmel! wenn ſich jemand erſt meiner annaͤhme!

Warum das, mein Freund?

Warum? Jch haͤtts ſehr noͤthig. Nur ein wenig leiſe geſprochen!

Was fuͤrchteſt du? fuhr Belphegor hitzig auf.

Weiter nichts als ins Zuchthaus zu kommen.

Wenn du es verdient haſt, ſo wuͤnſche ich Gluͤck dazu.

23

Jch habe ein Maͤdchen, das mich in mei - ner lezten Krankheit gepflegt und gewartet hat, wie eine Mutter: ich wollte ſie heira - then; aber ich darf nicht. Das arme Maͤdchen ſizt zu Hauſe, und weint ſich die Augen aus dem Kopfe. Mein Herr will mich zwingen, ein Guͤtchen zu bearbeiten, das ein andrer vor mir verdorben hat. Jch kann nicht; es wuͤrde mich zu Grunde rich - ten. Jm Stocke habe ich ſchon gelegen; und da ich noch nicht wollte, ſo drohte er mir mit dem Zuchthauſe. Mein armes lie - bes Maͤdchen ſoll ich auch nicht nehmen: wir muͤſſen ach! das wiſſen Sie nicht, lieber Herr! auch von unſrer Liebe eine Abgabe bezahlen. Ja, das Bischen, was wir ſauer erarbeiten! ich bin entſprun - gen, und du gutes Maͤdchen! wenn ſie mich haſchen *)Alles dieſes wird vielleicht nur in gewiſſen Gegenden verſtaͤndlich ſeyn.

Mein Freund, wenn du Recht haſt, ſo geh ich mit dir und ſpreche fuͤr dich. Er wei - gerte ſich anfangs; doch endlich uͤberließ er ſich ihm und fuͤhrte ihn zu ſeinem Herrn.

B 424

Belphegor war ein lebhafter Advokat und bekam auf ſeine Anfrage warum dieſer Elende zu ſeinem Verderben gezwungen wer - den ſollte? die lachende Antwort: weil ich das Recht dazu habe. Und wer gab Jh - nen das Recht? Das hab ich gekauft. Alſo kann man Unterdruͤckung kaufen? Blitz! der Herr iſt wohl verwirrt. Recht iſt keine Unterdruͤckung; auch nicht, wenn ich den Herrn zum Hauſe hinausjage; und ſo fiff er eine Kuppel Hunde zuſammen, hez - te ſie auf den armen Belphegor los, der mit Muͤhe einige Fragmente von ſeiner Kleidung aus ihren Zaͤhnen rettete, und alles anwen - den mußte, um nicht einen Theil ſeiner eig - nen Perſon einzubuͤßen.

Welche Ungerechtigkeit! welche Unterdruͤ - ckung! rief er, als er ſich ein wenig geſam - melt hatte; und ſein Magen ſezte hinzu: wel - cher Hunger!

Jn ſeinem gegenwaͤrtigen Zuſtande war ihm nichts uͤbrig, als von der Wohlthaͤtig - keit andrer zu leben; er bat um Almoſen, hungerte ſelten und bekam niemals Ribben - ſtoͤße, noch Steine an den Kopf.

25

Eines Tages kam er auf eine Heide, wo etliche Freybeuter einen Mann ſo unbarmher - zig behandelten, als wenn ſie willens waͤren, ihn in Stuͤcken zu zerlegen und auf gut hu - roniſch zu eſſen. Belphegor gluͤhte, ſo bald er den Auftritt erblickte, gieng hinzu und erkundigte ſich nach der Urſache einer ſolchen Barbarey. Man wuͤrdigte ihn keiner Ant - wort, doch erfuhr er bey Gelegenheit, daß man ihn ſtrafe, weil der Hund nichts heraus - geben wolle. Aber welches Recht habt Jhr denn, etwas von ihm zu fodern? Sie ſchlugen an ihre Degen, und einer dar - unter gab ihm oben drein einen wohlgemein - ten Hieb, der ihm das rechte Schulterblatt in zwey gleiche Stuͤcken zerſpaltete. Aber, ihr Barbaren, welches Recht habt ihr ein zweiter Hieb uͤber den Mund hemmte ſei - ne Frage mitten im Laufe.

Alles grauſam wie Akante! dachte er, und ſtopfte ſich mit dem Reſte ſeiner Kleidung ſeine Wunden zu. Er bekam eine Stelle in einem Krankenhauſe und wurde ſehr bald ge - heilt. Ein Elender, der neben ihm lag und ſchon ein ganzes Jahr lang ſein Bette nicht verlaſſen hatte, war waͤhrend der Kur ſeinB 526vertrauter Freund geworden: doch izt wurde er uͤber die ſchnelle Geneſung ſeines Freundes neidiſch, und biß ihn des Nachts in den kaum geheilten Arm; die Wunde wurde ſo gefaͤhrlich, daß der Arm beinahe abgeloͤſt werden mußte.

Nach einem langen Kampfe mit Schmer - zen und dem Neide ſeines Freundes wurde er wiederhergeſtellt und der Willkuͤhr des Schickſals uͤbergeben.

Seine erſte Auswanderung machte ihn ſchon wieder zum Maͤrtyrer ſeines guten Her - zens. Er langte in einem Dorfe an, wo eben das graͤßlichſte Weiberſcharmuͤtzel das Publikum beluſtigte. Ein Maͤdchen, das der ganzꝛ weibliche Theil der Kirchfahrt aͤrger als den Teufel haßte, weil es von Jugend an ſich durch ſeine Kleidung unterſchieden hatte, war in einem ſaubern Anzuge, einem ehrbaren Geſchenke von der Regentinn des Dorfs, in der Kirche erſchienen. Jedermann empfand, wie billig, den lebhafteſten Abſcheu und Aerger uͤber eine ſolche Hoffart: man murmelte die ganze Kirche hindurch, man ſchimpfte bey dem Herausgehn, und auf ein - mal ſtuͤrzte die anweſende weibliche Chriſten - heit mit geſchloßnen Gliedern auf die ſchoͤn -27 gepuzte Nymphe los, um ihren Staat auf das jaͤmmerlichſte zu zerfleiſchen. Sie waren ſchon wirklich in ihrer Arbeit bis zum Hemde gekommen, das ſie ebenfalls, ob es gleich nur aus grober demuͤthiger Leinwand ge - ſchaffen war und nicht die mindeſten Spu - ren des Stolzes an ſich hatte, nicht verſcho - nen wollten, als Belphegor ankam. Er er - blickte nicht ſo bald das Geſichte des leiden - den Maͤdchens, das gewiß eine der beſten laͤndlichen Schoͤnheiten war und izt durch eine verſchoͤnernde Mine der Traurigkeit einen doppelt ſtarken Eindruck machte, als ſeine Stirne gluͤhte, als er mitten in das Gefechte rennte, das Maͤdchen und ihre Schamhaftig - keit aus den Klauen ihrer Gegner zu befreyen. Weil ſein Ueberfall ſo ploͤzlich geſchah, und noch ein Nachtrab von Huͤlfstruppen zu be - fuͤrchten war, ſo zerſtreuten ſich die Feinde anfangs: da ſie aber wahrnahmen, daß ſie ihre Furcht betrogen hatte, ſo wurden ſie deſto ergrimmter, ließen das gemishandelte Maͤdchen liegen und griffen ihren Helfer an, dem ſie ein Auge ausſchlugen, einen Finger quetſchten und die Backen mit ihren Naͤgeln meiſterlich bezeichneten. Oben drein wurde28 er noch nebſt der Grazie, die er beſchuͤtzen wollte, von den daſtehenden Gerechtigkeits - pflegern in Verhaft genommen, die um ſo viel erbitterter auf ihn waren, weil er ihnen eine Luſt verdorben hatte, und an die Herr - ſchaft des Maͤdchens ausgeliefert.

Durch einen gluͤcklichen Zufall war es ver - anſtaltet worden, daß gerade damals zwiſchen den beiden Monarchen, demjenigen, welchem ſie uͤbergeben, und demjenigen, von welchem ſie ausgeliefert wurden, eine Zwiſtigkeit herrſchte, die oft in einen Privatkrieg aus - brach wie er naͤmlich nach Einfuͤhrung des Landfriedens Statt findet. Eine von den beiden Damen dieſer Herren hatte bey ei - ner Feierlichkeit, die die ganze ſchoͤne Welt der daſigen Gegend durch ihre Gegenwart verherrlichte, an der andern, die eine ganze Stufe im Range unter ihr war, einen Hals - ſchmuck wahrgenommen, deſſen Anblick ihr ſogleich alle Nerven angriff, daß ſie nicht an - ders als die Beſitzerinn deſſelben von ganzem Herzen haſſen mußte. Da ihre Maͤnner, weil ſie durch die Ehe Ein Fleiſch und Ein Blut mit ihnen geworden waren, es fuͤr ihre Pflicht hielten, ſich gleichfalls deswegen von29 Herzen zu haſſen, ſo wurde Belphegorn und ſeiner Mitgefangnen ſogleich ohne Verhoͤr Recht gegeben; Belphegor bekam ſeine Frei - heit und war froh, nicht mehr als Ein Auge und Einen Finger eingebuͤßt zu haben: die gemeldete Feindſchaft brachte ihm ſogar eine Mahlzeit und ein kleines Geſchenk fuͤr die be - wiesne Tapferkeit ein. Das war ein Sporn in die Seite geſezt.

Seine warme Gutherzigkeit fand auch bald eine neue Urſache, das Blut in Feuer zu bringen. Er traf unter einem wilden Apfel - baume ein kleines Maͤnnchen an, das mit ge - ſenktem Kopfe und betruͤbter Mine daſaß. Lieber Mann, was fehlt dir? fragte Belphe - gor, indem er ſich zu ihm ſezte. Alles, antwortete jener mit einem Seufzer; denn ich habe gar nichts. Bettelarm bin ich.

So biſt du nichts reicher als ich, erwieder - te Belphegor. Das koͤnnte ein Troſt fuͤr mich ſeyn, ſprach der Andre, wenn ein Troſt mir etwas helfen koͤnnte: aber es iſt um - ſonſt!

Sage nur, was dir widerfahren iſt! rief Belphegor hitzig. Das kann zu nichts die -30 nen. Willſt du mich bedauren? Bedauert hat mich jedermann, aber niemand geholfen.

So will ich der einzige ſeyn, ſprach Bel - phegor gluͤhend. Armer Elender! wie koͤnn - teſt du das? Hilf dir! dann glaubte ich, daß du Wunder thun und auch mir helfen koͤnnteſt.

Belphegor knirſchte mit den Zaͤhnen und verſtummte vor Aerger und Begierde. Mann, ſo ſage mir nur deine Geſchichte! ſprach er endlich mit halb erſtickter Stimme.

Meine Geſchichte? iſt kurz. Der menſchliche Neid hat mich zu Grunde gerich - tet. Jch hatte ein Vermoͤgen, ein ſchoͤnes Vermoͤgen nicht groß aber hinreichend; es war ein Theil von meinem vaͤterlichen Erb - gute. Jch war unermuͤdet, auf die Wirth - ſchaft aufmerkſam, und mein Vermoͤgen ver - mehrte ſich zuſchends; ich kaufte beinahe mehr an, als ich geerbt hatte. Jndeſſen nahmen die Umſtaͤnde meines Bruders immer mehr ab; er wurde auf mein Gluͤck neidiſch; er gab mir ſchuld, ich habe ihn bey der Thei - lung bevortheilt: er verklagte mich. Wir prozeſſirten, maͤſteten Richter und Advokaten, er ſpielte alle moͤgliche Kabalen, und ich ver -31 lor beinahe: endlich gewann niemand den Prozeß, und ich verlor mein Vermoͤgen: nun blieb die Sache liegen. Nicht einen Pfennig behielt ich uͤbrig: die Gerechtigkeit nahm al - les, weil ſie mir Gerechtigkeit hatte wieder - fahren laſſen wollen, wenn ich nicht vor der Zeit verarmt waͤre.

Komm! wir wollen dem fuͤhlloſen Bruder den Kopf zerbrechen; er verdients! rief Bel - phegor haſtig und ergriff ihn bey dem Arme.

Guter Mann! ich ſehe, du haſt Herz ein gutes und ein muthiges. Wozu kann das dienen, daß wir ihm den Kopf zerſchla - gen?

Jhn zu beſtrafen, den Hartherzigen!

Wozu koͤnnte das dienen?

Du machſt mich raſend, Freund! Komm!

Ja, ich komme um mit dir betteln zu gehn: das Koͤpfezerſchmeißen iſt gefaͤhrlich. Ach!

Was ſiehſt du, daß du ſo ſeufzend hin - blickſt? fragte Belphegor und war halb zum Aufſpringen gefaßt.

32

Meinen Bruder! Weg war Belphegor, ehe er das Wort noch voͤllig ausſprach, oder ihn zuruͤckhalten konnte gerade auf den Mann zu, den er fuͤr den Bruder des Ungluͤck - lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem Halſe und kuͤndigte ihm ſeinen Untergang, die Strafe fuͤr ſeine Unbarmherzigkeit und ſeinen unbruͤderlichen Neid an. Der Andre, der waͤhrend des Prozeſſes eine reiche Wittwe durch Liſt zu ſeiner Frau gemacht hatte und ſich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei - ter zu Huͤlfe, die in einem nahen Buſche Holz fuͤr ihn faͤllten. Sie kamen mit allen Werk - zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen, ſchlugen den uͤbermannten Belphegor vom Kopf bis auf die Fuͤße blau, die linke Hand morſch und ein großes Loch in den Hirnſchaͤ - del: ſo verließen ſie ihn.

Der Mann, um deſſentwillen er ſich allen dieſen Schmerzen ausgeſezt hatte, wagte ſich nicht in die Naͤhe des Streites, blieb furcht - ſam in der Ferne ſtehn, ſo lange es Schlaͤge ſezte, und ſchlich langſam zu ſeinem Verfech - ter hin, als die Gefahr voruͤber war. Er beklagte ihn herzlich und verſprach mit der geruͤhrteſten Dankbarkeit, ſich ſeiner anzu -nehmen,33nehmen, ſich nie von ihm zu trennen. Er wuſch ſeine Wunden, verband ihn, ſo gut er konnte, und trug ihn auf ſeinen Schultern in ein Dorf, wo ſie auf vieles Bitten in einer Scheune beherbergt wurden.

Eine Regel hatte ſich Belphegor aus ſei - nen bisherigen Ungluͤcksfaͤllen abgezogen, daß er in die Flamme ſeines guten empfindungs - vollen Herzens eine gute Doſis kuͤhle Vor - ſicht gießen muͤſſe: er nahm ſich auch in voͤl - ligem Ernſie vor, Neid und Unterdruͤckung ins kuͤnftige als bloßer Zuſchauer zu betrach - ten, eher an dem Feuer des Unwillens zu er - ſticken, als es hervorbrechen zu laſſen, und wenigſtens die innerlichen Theile des Leibes unbeſchaͤdigt zu erhalten, da kein aͤußerliches Glied an ihm war, das nicht Denkmale ſei - nes Eifers fuͤr die Gerechtigkeit, blaue Fle - cken, Narben oder Beulen bezeichneten.

Der Mitleidige, der ihm einen Plaz bey ſich verſtattet und auch zuweilen eine Wohl - that mitgetheilt hatte, bot ihm izt, da er wieder geheilt war, wie auch ſeinem Gefaͤhr - ten eine Stelle unter ſeinen Arbeitern an: keiner von beiden ſchlug das Anerbieten aus,C34beſonders nicht Belphegor, und zwar deswe - gen, weil er hier weniger Reizungen, ſich neue Wunden zu erwerben, zu finden hoffte. Seinen bisherigen Begleiter, Waͤrter und Freund knuͤpfte die Dankbarkeit auf das eng - ſte mit ihm zuſammen, und ihre Freundſchaft ſchien ihnen unzerſtoͤrbar, ſie war die waͤrm - ſte, die unverbruͤchlichſte auf der Welt weil keiner einen Gran Elend oder Gluͤck mehr oder weniger beſaß als der andre.

Belphegor erhielt bald einen merklichen Vorzug in der Gunſt ſeines neuen Herru, weil er, ſeiner Leibesſchaͤden ungeachtet, viel mehr Thaͤtigkeit und Arbeitſamkeit, als ſein Freund, bewies. Der Alte erkannte es mit freudigem Danke, daß er ſich um ſeines Nu - tzens willen zu Tode arbeiten wollte, und gieng damit um, ihm zu Belohnung ſeiner nuͤtzlichen Dienſte, nach Labans loͤblichem Beiſpiele, ſeine einzige Tochter in die Arme zu werfen ein dickes rundes wohlbeleib - tes Maͤdchen, das alle Sonntage einen voll - wichtigen Doppeldukaten mit Kaiſer Karl des ſechſten Bildniſſe an dem gelben Halſe trug, zwey Hemde und einen ungeflickten Rock be -35 ſaß, da das ganze uͤbrige Dorf Winter und Sommer halbnackt gieng. Ehe Belphegot dieſe wohlgemeinte Abſicht erfuhr, kam ſein Freund dahinter. Er fuͤhlte ſogleich, als ihm das nahe Gluͤck ſeines Freundes bekannt wurde, eine ſo ſtarke Revolution in der Galle, daß er augenblicklich ſeinen Herrn aufſuchte und ihm hinterbrachte, er habe vor ein Paar Minuten Belphegern und die tugendreiche Tochter vom Hauſe hinter einem Heuſchober in einer ſo vertraulichen inbruͤnſtigen Ver - einigung geſehn, daß er dieſer ſeiner Anſſage gewiß Glauben beymeſſen wuͤrde, wenn er drey Vierteljahre auf den Beweis warten wollte. Der Alte, dem die Keuſchheit ſeiner Tochter am Herzen lag, und der ohne große Noth weder goͤttliche noch menſchliche Geſetze gern brach, noch brechen ließ, brannte von Wuth, rennte nach dem Orte zu, wo er Bel - phegorn zu treffen glaubte, fand ihn bey der Arbeit, ergriff eine Heugabel und rennte ihm von hinten zu alle drey Zinken in das dicke Bein, ſtach ihm eben ſo viele Loͤcher in den Kopf und ſchlug ihm das linke Bein einmal entzwey. Zwo Stunden darauf ließ er den Bader kommen und ihn vom Kopf bis aufC 236die Fuͤße wieder ausflicken, um nicht von der Gerechtigkeit des Orts dazu angehalten zu werden: da er wieder ausgebeſſert war, nahm er eine Peitſche und gab ihm mit fuͤnf und zwanzig wohlgezaͤhlten Hieben ſeine Ent - laſſung, und mit einem kraͤftigen Fluche ein Empfehlungsſchreiben an den Teufel auf den Weg. Belphegor nahm von ſeinem Freunde beweglichen Abſchied, und dieſer bekam den Tag darauf die dicke Rahel mit allen Perti - nentien in rechtmaͤßigen ehelichen Beſiz.

Diesmal konnte ſich es Belphegor mit dem groͤßten Eide verſichern, daß ihm ſein gutes Herz nicht den Kopf zerloͤchert hatte: eigentlich wußte er gar nicht und erfuhr auch niemals, warum ihm ein ſo ſchmerzhafter Abſchied ertheilt wurde. Demungeachtet, ſagte er, will ich auf meiner Hut ſeyn und mich von meiner Hitze nicht hinreißen laſſen, wenn man gleich Millionen Menſchen vor meinen Augen zerhackte und in Blute kochte.

Er litt viele Tage Hunger, weil auf dem ganzen Striche, wo er gieng, alle Doͤrfer verbrannt, die Einwohner niedergeſaͤbelt oder betteln gegangen waren. Der Nachbar des37 Landes hatte einen Einfall in daſſelbe gethan und viertauſend Stuͤck Schafe, die es mehr ernaͤhrte als das ſeinige, aufſpeiſen laſſen: bey der Gelegenheit hatte man ſtatt des Freu - denfeuers uͤber erlangten Sieg ein Dutzend Doͤrfer angezuͤndet.

Belphegor fand einen von den Kriegsmaͤn - nern, die bey dieſem Treffen ſich Heldenlor - bern erfochten hatten, an einem kleinen Ba - che, wo er ſich ſeine Wunden wuſch. Er ſezte ſich zu ihm und machte ihm ein ſehr red - neriſches Bild von der Verwuͤſtung und dem Elende, das er unterwegs angetroffen hatte, das der andre mit einem ſtolzen Laͤcheln an - hoͤrte. Ja, heute ſind wir brav geweſen, ſprach er und ſtrich den Bart. Aber um des Himmels willen, rief Belphegor vor Hitze zitternd, wer gab Euch denn das Recht, ſo viele Leute ungluͤcklich zu machen?

Der Krieg! bruͤllte der Soldat.

Und wer gab Euch denn das Recht zum Kriege?

Die Leute leben hier zu Lande, wie im Pa - radieſe, ſchwelgen und ſchmauſen. Wir ha -C 338ben zwoͤlfmalhunderttauſend geuͤbte Ar - me, und unſre Feinde kaum ſechstauſend: wir muͤſſen ihnen die ſuͤndliche Luſtigkeit ver - treiben.

Und alſo, ihr Barbaren, iſt eure Ueber - macht das Recht, eurem Neide ſo viele Un - ſchuldige aufzuopfern? Jſt das euer Recht?

Kerl! du biſt nicht richtig im Kopfe; du phantaſirſt; ſo ungereimtes Zeug ſchwatzeſt du: am beſten, mit dir ins Tollhaus! und ſo ergriff ihn der Kriegsmann, band ihn mit einem Riemen an ſein Pferd und ließ ihn neben ſich her außer Athem laufen, wenn er nicht von dem Pferde geſchleppt ſeyn wollte, das in einem friſchen Trabe fortſchritt. Zwo Stunden nach ihrer Ankunft in der naͤchſten Stadt war Belphegor, zwar in keinem Toll - hauſe, aber doch im Zuchthauſe einquartiret, wo er an einen Pfahl gebunden und mit drei - ßig muntern Peitſchenhieben bewillkommt wurde: darauf ſchloß man ihn ein und be - fahl ihm, jeden Tag zwanzig Pfund Wolle zu verſpinnen, und da er menſchlicher Weiſe dieſe Zahl niemals vollmachte, ſo bekam er39 zu Erſparung der Kaſſe ſelten etwas zu eſſen und alle Abende fuͤr jedes fehlende Pfund ſechs Hiebe.

Seine Geſellen wurden in kurzem ſeine Freunde; ein gemeinſchaftliches gleich trauriges Loos machte ſie dazu. Nach lan - gen Bitten erbarmte man ſich endlich uͤber den armen Belphegor und erließ ihm taͤglich zwey Pfund von der vorgeſchriebnen Quanti - taͤt Wolle; er bekam nichtsdeſtoweniger alle Abende Pruͤgel, weil er auch achtzehn Pfund eben ſo wenig beſtreiten konnte, nur jeden Tag zwoͤlf Schlaͤge weniger, als die uͤbrigen. Von Stund an haßten ihn alle ſeine Kameraden wegen dieſes vorzuͤglichen Gluͤcks, und beſchloſſen, ihn des Nachts im Bette zu verbrennen. Sie fuͤhrten ihren An - ſchlag aus, legten brennenden Zunder in das Bettſtroh, die Flammen nahmen uͤberhand, Belphegor und die uͤbrigen Zuͤchtlinge ent - wiſchten, und das Haus lag nebſt einer gan - zen Gaſſe innerhalb etlicher Stunden im Aſchenhaufen da.

So ſoll man mir doch die Zunge aus - ſchneiden, wenn ich mich wieder verleiten laſſe,C 440Ein Wort uͤber Ungerechtigkeiten zu verlieren! ſagte ſich Belphegor, als er in Sicherheit zu ſeyn glaubte. O grauſame Akante! in alles dieſes Ungluͤck haſt du mich geſtuͤrzt! Akante! Akante!

Dieſen Ausruf that er, nachdem er zwoͤlf Stunden in einem Zuge gelaufen war und ſich izt ermattet in einem friſchen Birkenbuͤſch - chen niederließ, wo er ſicher vor allem Nach - ſetzen auszuruhen gedachte. Er war im Lan - de der Lettomanier. Kaum hatte er Athem geſchoͤpft, als er ein barbariſches Geſchrey aus der Ferne hoͤrte, als wenn Pygmaͤer und Kraniche zuſammen kaͤmpften. Schon wie - der etwas! dachte er; aber meinethalben ſchlagt ihr euch in Millionen Stuͤcken; ich will zuſehn.

Das Geſchrey wurde immer ſtaͤrker, im - mer naͤher, und Belphegor immer unruhiger, als ſich endlich ein ganzer Haufe Bauern in den Buſch hereinſtuͤrzte, wo er verborgen ſaß. Hier ſind wir ſicher, ſprachen ſie und lagerten ſich. Das war ein warmer Tag! Andre brachten ein Faß mit einem Triumph - geſchrey herzugeſchleppt, das die Gelagerten41 beantworteten, und das Glas gieng munter herum. Ein jeder trank ſeinem Fuͤrſten und der Freiheit zu Ehren.

Der Freiheit? dachte Belphegor, hui! was muͤſſen das fuͤr Leute ſeyn? Er horchte und konnte nichts zuſammenhaͤngen - des erſchnappen, als daß hier zu Lande Bauernkrieg war, bis endlich einer in gewiſ - ſen Angelegenheiten ſeitwaͤrts ſchlich und auf ſeinem Wege Belphegorn im Geſtraͤuche erblickte, den er ſogleich hervorzog und ſeinen Mitbruͤdern vorſtellte. Man unterſuchte ihn genau, ob er vielleicht zu der feindlichen Par - tey gehoͤrte, und nachdem man ihm, in Er - mangelung einer geſezmaͤßigern Tortur, hun - dert Pruͤgel auf die Fußſolen gegeben hatte, ohne ein Ja aus ihm herauszwingen zu koͤn - nen, ſo wurde er feierlich fuͤr unſchuldig er - klaͤrt und zum Glaſe zugelaſſen, was ihm aber wenig ſchmeckte: denn ſeine Fußſolen brannten wie Feuer.

Willſt du mit fuͤr die Freiheit fechten? frag - ten ihn einige. Gebt mir nur die meinige, dann ſeht, wie ihr die eurige behauptet! Was? fuͤr die Freiheit willſt du nicht fechten? C 542Du biſt ein Spion! ein Feind! und ſo - gleich ſezte man ſich in Poſitur, ihn mit ei - nem Strohſeile an eine ſchoͤne ſchattichte Ei - che aufzuhaͤngen. Sagt mir nur erſt, wer eure Freiheit gekraͤnkt hat? rief Belphegor, als er den Spaß dem Ernſte ſo nahe ſah; ſagt mir es, und gern, gern will ich fuͤr ſie fechten.

Siehſt du, nahm ſein Nachbar das Wort, der bisher beſtaͤndig ſtill geſeſſen hatte ſiehſt du! der liebe Gott hat uns nur zwey Haͤnde und zwey Fuͤße gegeben, und doch ſollten wir den Leuten, die uns gekauft ha - ben, ſo viel arbeiten, als wenn wir ihrer ein Paar Dutzend haͤtten. Sie wollten uns weis machen, wir haͤtten keinen Magen; wir ſollten nur hungern, ſie wollten ſchon fuͤr uns eſſen: und ob uns ein Paar Lumpen auf dem Leibe hiengen, oder ob wir nackt gien - gen, waͤre auch gleich viel; Adam ſey ja in Gottes Paradieſe auch nackt gegangen und ein braver Mann, der erſte Erzvater gewe - ſen. Was waͤre denn nun vollends ſolchen nackten Lumpenkerlen Geld noͤthig? meinten ſie; wir haͤtten ja ohnehin keine ganzen Ta - ſchen; alſo waͤrs doch tauſendmal beſſer, daß43 wirs ihnen gaͤben, als wenn wirs verloͤren: das waͤre ja jammerſchade: ſie wollten uns dafuͤr recht huͤbſch gepuzte Kerle, Laufer, La - keyen, Heyducken, ſchoͤne Pferde, allerliebſte Hunde, huͤbſche Kutſchen zu ſehn geben, und alle Sonntage ſollten wir ihr Vivat rufen, ihnen langes Leben und Wohlergehn wuͤn - ſchen, und wenn wir etwas in der Taſche aus Verſehn zuruͤckgelaſſen haͤtten, es auf ihre Geſundheit in ihrem Biere vertrinken. Die Woche uͤber ſollten wir nur huͤbſch fleißig ſeyn, huͤbſch viele und geſunde Kinder lie - fern, die auch bald arbeiten und geben koͤnn - ten, und dabey Gott mit froͤlichem und zu - friednem Herzen danken, daß er uns ſo gnaͤ - dige Herren beſchert hat, die uns nicht leben - dig ſchinden, weil ſie uns ſonſt nicht brau - chen koͤnnten. Des Lebens wurden wir ſatt; freyer Tod iſt beſſer als ſklaviſches Leben; wir ſchlugen zu. Achtzehn Schloͤſſer haben wir ſchon bis auf den Grundſtein zu Pulver verbrannt, neunzig Grafen und Edelleuten die Baͤuche aufgeſchnitten und einen ganzen Schwarm Edelfrauen bey Strohwiſchen ge - braten, ſamt den ſchoͤnen Jungen und Jung - fern, Hunden und Pferden, die ſie von un -44 ſerm Gelde gekauft haben. Heiſa! Es lebe die Freiheit! Willſt du mitfechten? Komm! wir ſind zuruͤckgeſprengt worden. Wir wol - len dort ans Schloß anſetzen, das im Walde liegt. Dem rothkoͤpfichten Junker dort auf den Hals! Fort Bruͤder! du ſollſt unſer An - fuͤhrer ſeyn, Freund! Ja, unſer Anfuͤhrer! riefen ſie alle und machten ſich marſchfertig.

So wenig ſich Belphegor dieſe Ehre wuͤnſchte, oder auch ſein Amt verſehen konnte, weil er wegen der zerpruͤgelten Fußſolen kaum ohne Schmerz aufzutreten vermochte, ſo woll - te er doch lieber mit ſeinem Kommandoſtabe vor ihnen her hinken, als ſich an die ſchoͤne ſchattichte Eiche aufknuͤpfen laſſen: er ſtol - perte alſo vor ſeiner Armee voran, wie ein zweiter Ziska, mit dem gegenwaͤrtig ſein gan - zer Koͤrper große Aehnlichkeit hatte. Der Marſch gieng unter einem unaufhoͤrlichen Ausrufe der Freiheit auf das Schloß des Junkers los, dem ſie ihren Beſuch zugedacht hatten. Sie kuͤndigten ihre Ankunft zuerſt durch eine volle Ladung Steine den Fenſtern an, erbrachen das Wohnhaus und liefen ſchon herum, um brennbare Materien aufzu -45 ſuchen. Ploͤzlich war der ganze ſtuͤrmende Haufe von einem Truppe der Landesarmee umſchloſſen; man ſchrie, man fluchte, lief, ſtund, gieng; man warf Steine, Balken, Dachziegeln; man erſchoß, man wuͤrgte, man raufte ſich bey den Haaren; einige ſtachen mit Miſtgabeln, andre metzelten mit Saͤbeln die Feinde nieder, und viele ſchlugen ſie mit Knitteln todt; viele ſuchten den Ausgang zur Flucht, fanden ihn nirgends, oͤffneten ſich ihn mit Gewalt und wurden mitten im Durchar - beiten daniedergetreten; der Vater toͤdtete un - wiſſend den Sohn, und der Sohn erwuͤrgte den Vater; ſterbende Stimmen aͤchzten Freiheit! und lebende riefen Rebell! Ab - gerißne Fuͤße, zerfleiſchte Arme, gequetſchte Koͤpfe, verſtuͤmmelte Leiber, Waffen, Beute, Pferde lagen in dem ſchrecklichſten Chaos ne - ben und uͤber einander. Zweyhundert Bauern wurden auf dem Wahlplatze erſchoſſen, von Pferden zermalmt, im Gedraͤnge erdruͤckt, zertreten, eine viel groͤßere Anzahl gefangen, und nur wenige entkamen, worunter auch Belphegor war, der in der Begeiſterung des Treffens ritterlich gefochten und von einem ſich davon ſtuͤrzenden Schwarme mit fortge -46 riſſen worden war. Man ſezte ihnen nach, die uͤbrigen entkamen durch die Geſchwindig - keit der Fuͤße, doch den ungluͤcklichen Belphe - gor noͤthigten ſeine wunden Fußſolen zuruͤck - zubleiben und in die Haͤnde der Nachſetzenden zu fallen. Eine lange Allee vor dem Stadt - thore wurde ſogleich mit vierhundert aufge - haͤngten Bauern geſchmuͤckt, hundert wur - den geraͤdert, andre lebendig eingemaurt, und alle als Rebellen verflucht, ihre Namen in Stein eingehauen, und ihr Andenken auf ewig mit der groͤßten Schande gebrandmahlt. Fuͤr die Anfuͤhrer, worunter auch Belphegor ſich befand, wollte man bey groͤßerer Muße eine Strafe ausſinnen, die alle Strafen der ganzen polizirten Welt an Strenge und Grau - ſamkeit uͤbertraͤfe.

Belphegor, der das graͤßliche Schauſpiel mit anſehn mußte, gerieth bald in Feuer; ſtark empfindende Herzen, wenn ſie zu heftig angegriffen werden, wagen das Aeußerſte: er faßte einen von den daſtehenden Richtern bey der Knotenperucke. Welches Recht, ſprach er, habt ihr. Barbaren, dieſe Ungluͤcklichen ohne alles Gefuͤhl wie Rebellen niederzume -47 tzeln? Sie wollten das Joch abwerfen, das ſchaͤndlichſte Joch der Unterdruͤckung, und ihr ſtraft ſie, daß ſie eine Freiheit zu erkaͤmpfen ſuchten, die ihnen die Natur ſo gut als euch gab, und die ihr ihnen entriſſet! Schande! ewige Schande fuͤr die Menſchheit, daß ſie ihr Wohlſeyn auf den Untergang etlicher Schwachen aufbaut.

Der Richter, der kaltbluͤtigſte Mann, der auf einem Richterſtuhle geſeſſen hat, antwor - tete ihm zur Kurzweile ganz trocken: wer hat ihnen denn etwas unrechtes zugemuthet? Es blieb ja alles bey dem Alten.

Ja, unterbrach ihn Belphegor, bey der alten Unterdruͤckung! Unſre Vorfahren in dem unſeligſten Stande der Wildheit uͤber - waͤltigten die Vaͤter dieſer Elenden und leg - ten ihnen das barbariſchſte Joch auf; und wir, die wir jene Zeiten mit der ſtolzeſten Verachtung unter uns herabſetzen, wir *)Nichts muß fuͤr einen Mann, der denkt und empfindet und alſo die mannichfaltigen Reſte der Barbarey in unſerm Zeitalter nicht ohne widriges Gefuͤhl betrachten kann, aufrichtender ſeyn und ſeinen Blick in die Zukunft froher

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Das iſt ja immer ſo geweſen! fiel ihm der Richter ein. Der Staͤrkere hat von Ewig - keit her den Schwaͤchern zum Sklaven gehabt, ein Menſch hat beſtaͤndig uͤber den andernherr -*)machen, als daß Monarchen, und unter ihnen der groͤßte ſeine Sorge dahin lenkt, die Un - gluͤcklichen, die das Schickſal dem Beſten des Ganzen gewiſſer maßen aufopfert und ſie arbei - ten laͤßt, damit andre ſich pflegen koͤnnen, ih - rer urſpruͤnglichen Freiheit ſo nahe zu bringen, als es ſich ohne Nachtheil des Staats thun laͤßt, und daß ſogar diejenigen, denen eine ver - jaͤhrte Unterdruͤckung jene Laſitraͤger unterwarf, großmuͤthig die Haͤnde bieten, ihnen mit Ent - ſagung ihres eignen Nutzens ihr Joch zn er - leichtern, da es nun einmal nicht moͤglich iſt, es ihnen ganz abzunehmen. Wenn Joſeph Millionen Soldaten in der beſten Diſeiplin un - terhielt, Taktik, die Kuͤnſte des Angriffs uud Ruͤckzugs in den vollkommenſten Stand ſezte, Tuͤrken, Heiden und Chriſten uͤberwaͤnd, ſo waͤren in meinen Augen alle dieſe lorberreichen Thaten nicht zur Haͤlfte ſo viel werth, als die einzige, daß er daran arbeitet, den boͤhmiſchen Bauern etliche Grane buͤrgerlicher Freiheit mehr zu geben, als ſie vorher die Verfaſſung, das heißt, eine verjaͤhrte, zum Recht gewordueUnter -49herrſchen wollen, und wer den andern hat daniederwerfen koͤnnen, der iſt der Herr ge - weſen. Es war ja immer ſo, wie wir in Hiſtorienbuͤchern finden, daß der Schwache,*)Unterdruͤckung genießen ließ; und diejenigen Herren, die ihren eignen Verluſt nicht achte - ten, ſondern die Abſichten ihres Monarchen unterſtuͤzten ſind meines Beduͤnkens mehr als Scipione und Tuͤrenne: denn ſie beſiegten den Eigennuz, den hartnaͤckigſten ſchlauſten Feind. Jhr Dichter und Redner! fuͤr ſolche Hand - lungen allein ſolltet ihr Wiz und Beredſamkeit haben! Bis zum Aubeten kann ich den Monar - chen lieben, der ſeinen Blick auf die niedere verachtete Klaſſe der Menſchheit wirft und ih - nen zwar nicht Bequemlichkeiten, Ueberfluß, Verfeinerung geben will eine ſchaͤdliche Gabe! ſondern von den vielen Einſchraͤn - kungen der Freiheit, die ſie zur Arbeit noͤthi - gen, diejenigen hinwegnimmt, die ohne Revo - lution weggenommen werden koͤnnen, den Her - ren einen kleinen zu verſchmerzenden Verluſt, und dem Unterthan ungleich groͤßern Vortheil verſchaffen: wie ich hingegen nie ohne inner - liche Erſchuͤtterung einen ſonſt guten Mann im Durchſchnitte genommen! mit Ernſt behaupten hoͤren konnte, daß ein Bauer nichtsD50wenn er ſo dumm war, ſich von dem Maͤchti - gen nicht alles gefallen laſſen zu wollen, ge - hangen, gekoͤpft, geraͤdert wurde.

Aber dieſe Elenden wollten ja gern eure und der uͤbrigen Menſchheit Diener ſeyn, nur als Menſchen behandelt werden, die zu ihrer Gluͤckſeligkeit ſo wohl als ihr auf dieſe Kugel geſezt ſind.

Es iſt ja immer ſo geweſen; was wollen ſie denn neues haben? Die Menſchen haben ja beſtaͤndig einander gequaͤlt, und wer ſich nicht quaͤlen ließ, den ſchlug der andre todt, wenn er konnte. Es iſt ja immer ſo gewe -*)mehr als geſunde Haͤnde und Fuͤße und zwey Loͤcher brauche, eins zum eſſen, das andre zum d. i. ein inſtrumentum ruſticum ſey. Deſto erfreulicher iſt es, daß das Beyſpiel des Oberhauptes es vielleicht noch in unſerm Men - ſchenalter dahin bringen wird, daß ſich jeder einer ſolchen vom Eigennutze geſtimmten Den - kunesart ſchaͤmt. Jzt, bey einem ſo guten Anſchein ſollteſt du leben, Belphegor! ſo wuͤr - de dich die gute Hoffnung vor der Miſanthre - vie bewahren!51 ſen; wenn dirs ſo nicht anſteht, ſo aͤndre das! Mache, daß du morgen nicht gehangen wirſt; wenn dus kannſt, ſo haſt du Recht, aber bis hieher haben wir es.

Belphegor, der durch den dehnenden fuͤhl - loͤſen Ton und die eiskalte Froſtigkeit des Mannes ganz außer ſich ſelbſt geſezt war, biß vor Zorn und Wuth ſo heftig in ſeine Ketten, daß ihm zween Zaͤhne blutig aus dem Munde ſprangen, und gern haͤtte er das ganze Tri - bunal mit den uͤbrigen zerriſſen, wenn ihm nicht nach ſeiner erſten Jnvaſion in die Kno - tenperucke, zu Verhuͤtung alles Schadens, der Hals vermittelſt einer dauerhaften Kette mit den Knieen zuſammengeſchnuͤrt worden waͤre.

Den Tag darauf wurde das Urtheil an ihm vollſtreckt, das ihm der kaltherzige Rich - ter prophezeiht hatte: er wurde an einem der anſehnlichſten Plaͤtze der Stadt in Ketten auf - gehangen, die man in Ermangelung derſelben in Stricke verwandelte: da man aber ſeinen Namen erfuhr, und aus dem fremden KlangeD 252deſſelben ſchloß, daß er keines lettomaniſchen Urſprungs ſeyn koͤnnte, ſo wurde beſchloſſen, ihm, als einem Auslaͤnder, die ſchuldige Ehre anzuthun, und ihn eine Viertelelle hoͤher zu haͤngen, als den Lettomanier, der neben ihm ſeine Stelle finden ſollte, und dieſer mußte ihm aus Hoͤflichkeit die rechte Hand laſſen. Der Lettomanier, der dies als eine Beleidi - gung gegen ſeine einheimiſche Abſtammung und gute Geburt anſah, wurde neidiſch auf Belphegorn: er beſtach den Scharfrichter, dieſen Nebenbuhler der Ehre ſo ſchwach zu be - feſtigen, daß ein maͤßiger Sturm ihn entwe - der in gleiche Linie mit ihm bringen oder ganz unter ihn daniederwerfen koͤnnte. Es geſchah. Kurz darauf entſtund ein Erdbe - ben, der Himmel uͤberzog ſich mit fuͤrchterli - chen Wolken, es donnerte und blizte, regnete und ſtuͤrmte welches alles die Lettomanier nunmehr, da ſie durch den Ausgang belehrt waren, wer Recht hatte, als einen Beitrag der goͤttlichen Rache zur Beſtrafung der um - gebrachten Rebellen betrachteten. Der Sturm warf den ſchlecht befeſtigten Belphegor her - inter, der Blitz traf ein Haus in der Nach -53 barſchaft, das ſogleich in hellen Flammen aufloderte, das Feuer verbreitete ſich von Haus zu Haus, von Gaſſe zu Gaſſe, und ver - heerte faſt die halbe Stadt. Waͤhrend des Tumultes, da alles winſelte, ſchrie, laͤrmte, lief und rennte, erwachte Belphegor, an dem der Scharfrichter ſein Amt uͤberhaupt ſchlecht verwaltet hatte, von ſeiner bisherigen Be - taͤubung, da Blut und Lebensgeiſter wieder ihren ungehinderteu Lauf bekommen hatten; er erblickte nicht ſo bald den Aufruhr und das allgemeine Schrecken, als er ohne Anſtand die Entſchließung nahm, die Gelegenheit zur Flucht zu nuͤtzen. Jn Eile arbeitete er ſich los, ſo gut er konnte, und floh zur Stadt hinaus: niemand bemerkte ihn, und niemand wollte ihn bemerken.

Die ganze Nacht hindurch lief er, ohne ein einzigesmal auszuruhen, und kam in der Mor - gendaͤmmerung mit der Angſt eines Gehaͤng - ten, der nicht gern eine zweite Erfahrung ma - chen moͤchte, wie es ſich zwiſchen Himmel und Erde wohnt, an eine Prieſterwohnung, wo er mit ſo großer Verwunderung als Bereit -D 354willigkeit aufgenommen wurde. Sein Ge - faͤhrte war nebſt Stricken und Galgen ver - brannt, und weil man ihn gleichfalls in Aſche und Staub verwandelt glaubte, ſo blieb er vor der Nachſtellung deſto ſichrer.

[55]

Zweites Buch.

D 4[56][57]

Der ehrliche treuherzige Magiſter Me - dardus war gegenwaͤrtig der Beſitzer dieſer einſamen laͤndlichen Wohnung ein Mann, der alle Menſchen Bruͤder nennte und als Bruͤder behandelte, der aͤrmſte und doch der freygebigſte gaſtfreyeſte Seelenhirte des ganzen Landes, der mit Ungluͤck und Gefah - ren gekaͤmpft hatte und noch taͤglich von ih - nen herausgefodert wurde, ſieben lebendige Kinder beſaß und eine Vorſehung glaubte.

Zween Ungluͤckliche beduͤrfen keiner Mit - telsperſon, in Bekanntſchaft oder Vertraulich - keit zu gerathen: bey dem guten Medardus war ſie noch viel weniger noͤthig. Ein Krug voll Apfelwein, das ſein taͤglicher und lieb - ſter Trank war, vertrat die Stelle derſelben und wurde haͤufig unter beiden gewechſelt; Belphegor klagte und jammerte dabey uͤber den Neid und die Unterdruͤckung der Men - ſchen, und Medardus ermahnte ihn, mit der Welt zufrieden zu ſeyn, ſo lange es noch Apfelwein und eine Vorſicht gebe.

D 558

Bruͤderchen, und trink heute noch! Morgen iſts vorbey; morgen muß ich fort, ſprach er.

Morgen fort! warum das?

Die Leute ſind boͤſe darauf, daß mir mein Apfelwein ſo gut ſchmeckt. Du weißt, Bruͤ - derchen, daß Bauernkrieg iſt

Ja, leider weis ichs! unterbrach ihn ſein Gaſt mit einem tiefen Seufzer. Ja, Freund, der ungluͤckliche Belphegor

Was? Biſt du Belphegor, Bruͤderchen? der Belphegor, der dem Richter die weiße Knotenperuͤcke ſchuͤttelte? Du biſt ein braves Kerlchen! Der brave Belphegor ſoll leben! und dabey that er eineu herzhaf - ten Schluck. Siehſt du, Bruͤderchen? die Bauern haben Unrecht behalten, das weißt du! Jch bin einer von ihren Pfarrern; mor - gen muß ich fort.

Aber was hat denn der Pfarrer mit dem Baurenkriege zu ſchaffen?

Je, Naͤrrchen, ich habe ein Woͤrtchen fallen laſſen nicht viel! gar nicht viel!59 daruͤber ſind ſie boͤſe geworden; und weil ſie denken, ſie koͤnnens, ſo plagen ſie mich ſo lange, bis ich fortgehe. Meine Kinder ſind verſorgt; mein Apfelwein iſt dieſen Abend alle; und morgen geht die Reiſe fort. Die Vorſicht iſt uͤberall. Meine Frau iſt vor Kummer geſtorben Hier hielt er ſchluch - zend inne: ſogleich heiterte ſich ſein Geſicht wieder auf: aber die Vorſicht lebt noch, ſezte er ruhig hinzu. Es war eine herzensgute Frau er weinte gar ein goldnes Weib - chen er weinte noch mehr. Da, Bruͤ - derchen! fuhr er auf einmal auf, indem die Thraͤnen noch uͤber ſein erheitertes Geſicht herabliefen da Bruͤderchen! Jhr Anden - ken! und brachte ihm den Krug zu.

Ach Akante! du grauſame Akante! rief Bel - phegor, indem er den Krug dem Munde naͤherte.

Bruͤderchen, iſt das deine Frau? rief Me - dardus.

Nein! aber kennſt du das grauſame Felſenherz?

O, Naͤrrchen, mehr als zu wohl! Jch ha - be als Jeſuiterſchuͤler dreyhundert wohlſchme - ckende Hiebe um ihrentwillen bekommen

60

Um Akantens willen? Auch da war ſie ſchon eine Woͤlfinn?

O, Kind, ſie war ſchoͤn! tauſendmal ſchoͤner als meine Frau, aber nicht den hunderttauſendmaltauſendſten Theil ſo gut; ſo gut kann aber auch keine auf der Welt ſeyn, als das liebe Weib. Die Thraͤ - nen ſtunden ſchon wieder in den Augen, und der Ton wurde weinerlich. Jhr Anden - ken, Bruͤderchen! ſagte er froͤlich und trank. Hui! fuhr er fort, alſo kennſt du Akanten, Bruderchen?

Und meine Huͤfte noch mehr! die Barba - rinn! Sie iſt die Urheberinn alles meines Ungluͤcks, ſagte Belphegor.

Und auch des meinigen! fiel ihm Medar - dus ins Wort. Dreyhundert gute geſunde Hiebe brachte ſie mir zuwege. Sie gefiel mir, und ich ihr, und zwar mehr als mein Lehrer, der ihr mit aller Gewalt gefallen wollte. Siehſt du, Kind? das machte ihm die Leber warm; weil er der Staͤrkre war, ſo durfte ich ihm meinen Ruͤcken nicht verwei - gern; ich bekam zu Heilung meiner Liebe drey - hundert baare Hiebe und wurde in ein Kloſter61 geſteckt. Wir erhielten darinne zuweilen heim - liche Beſuche von etlichen artigen Puppen, die uns die Einſamkeit erleichtern ſollten: bey meiner Schlafmuͤtze! ich war ſo unſchul - dig, wie ein Sechswochenkind: ich hatte nichts Boͤſes im Sinne und konnte auch nicht: purer Naturtrieb! die Kinderchen gefielen mir, es war mir wohl, wenn ich bey ihnen war, und ſchlimm, wenn ich ſie entbehren mußte. Auch mir waren ſie herzlich gut, und die uͤbrigen Schlucker bekamen kaum einen Kuß, wenn ich ſchon ſechſe zum voraus hatte. Siehſt du, Bruͤderchen? Sie wurden nei - diſch: Bruder Paſkal verſteckte ſich, und da ich im Dunkeln vor ihm vorbeygehe, faßt er mich bey den Ohren und will mir beide Oh - ren abſchneiden, aber das Meſſer war zu ſtumpf; ſo kam ich mit einem huͤbſchen lan - gen Schnitte davon, den ich wieder zuheilen ließ. Damit war aber der Groll nicht vor - uͤber: wenn ich nur einen Blick mehr bekam als ein andrer, ſo mußte ich leiden; und ob ich gleich izt mit ihnen nur in gleichem Schrit - te gieng, ſo blieben ſie mir doch feind und ſuchten alle Gelegenheit, mir zu ſchaden, mich zu verfolgen. Einige beſchloſſen, mich zu62 entmannen, doch Bruder Paolo widerſezte ſich ihrem Anſchlage. Er konnte an ſich ſelbſt abnehmen, wie ſchrecklich ein ſolcher Zu - ſtand ſeyn muͤßte. Aus chriſtlichem Mitlei - den empfahl er ſeinen Mitbruͤdern in einer zierlichen Rede die Barmherzigkeit, als eine der Kardinaltugenden, und beredete ſie, mir lieber, um ihr Gewiſſen vor Grauſamkeit zu bewahren, im Schlafe alle Flechſen am gan - zen Leibe zu zerſchneiden. Zum Gluͤcke erfuhr ich dieſen ſchoͤnen Plan, als er eben geſchmie - det wurde, und ehe ſie ihn ausfuͤhren konn - ten, war ich unſichtbar.

Jch aͤnderte Land und Religion zugleich und ſtudirte. Siehſt du, Bruͤderchen? nun gieng eine neue Noth an. Der Superinten - dent *** hatte viel Liebe fuͤr mich; er er - hielt mich und war auf eine Verſorgung fuͤr mich bedacht. Jndeſſen bekam auch die Maͤ - treſſe º º eine kleine Liebe fuͤr mich; es lag ihr an weiter nichts als einen Hofprediger zu ha - ben, der ihr alles zu danken haͤtte und ihr darum aus Dankbarkeit das Wort reden muͤßte; in kurzem war ich Hofprediger, ohne daß vorher jemals einer geweſen war. Nun war alles wider mich; alles was ich ſagte,63 war heterodox, alles Jrrlehren, ich war ein dummer unwiſſender unwuͤrdiger Mann, ob ſie ſich gleich alle vorher uͤber meine Wiſſen - ſchaft gewundert hatten, meine Sitten, mein Betragen war unanſtaͤndig, man ſtreute die aͤrgerlichſteu Erzaͤhlungen von meinem ehma - ligen Wandel aus, ob ich gleich von einem jeden meiner Neider und vormaligen Patrone ſchriftliche und muͤndliche Zeugniſſe fuͤr mich hatte, die mich wegen meiner Auffuͤhrung als ein Muſter lobten und prieſen. Jch wurde von Tage zu Tage verhaßter: die Beſchuldi - gungen von Jrrthuͤmern wurden immer haͤu - figer und angreifender, daß ich endlich auf - gefodert wurde, mich in einer oͤffentlichen Unterredung zu rechtfertigen. Jch mußte darein willigen, oder mich meinen Feinden uͤberwunden geben. Meine Gegner fochten, wie Seeraͤuber; alles verdrehten ſie, ſie ſchrieen auf mich los, um mich aus der Faſſung zu bringen, und der Superintendent, der nicht ſonderlich friſch Latein reden und auch nicht ſonderlich friſch denken konnte, huſtete, ſtot - terte, wußte nichts zu ſagen, und gab mir endlich mit der gelaͤufigſten Zunge von der Welt alle Ketzernamen, die er aus Rechen -64 bergs Kompendium gelernt hatte. Quid volumus plus? ſagte er; ut finiamus con - troverſiam, er iſt ein Pelagianer, Samo - ſatenianer, Cerinthianer, Neſtorianer, Eu - nomianer, Arrianer, Socinianer, Eutychia - ner; und alle ſtimmten in einem Tutti zu - ſammen: aner, aner, aner! Jch verſammelte die Kraͤfte meiner Lunge und bombardirte, da ſie erſchoͤpft waren, mit ei - nem ſolchen Schwalle Jeſuitenlatein auf ſie los, daß ſie ſchwizten, ſtammelten und be - ſtuͤrzt ſich umſahen. Meine Befoͤrderinn und Beſchuͤtzerinn, die dem Wettſtreite in eigner Perſon beywohnte, nuͤzte dieſen guͤnſtigen Zeitpunkt, erhub ein lautes Gelaͤchter, alle Damen und Herren hinter drein, denen end - lich das ganze anweſende Publikum beytrat, meine Gegner wurden ganz außer ſich geſezt, und konnten kein Wort hervorbringen, weil jedes, das ſie verſuchten, durch ein neues Ge - laͤchter erſtickt wurde. Der Sieg war mein; ich hatte bey jedermann Recht. Siehſt du, Bruͤderchen? ich hatte Recht, weil ich die Oberhand hatte.

Meinen Feinden blieb die Leber lange warm: meine Beſchuͤtzerinn fiel in Ungnade. Siehſt65Siehſt du, Bruͤderchen? nun kam die Reihe an mich, Unrecht zu haben. Sie unter - gruben mich heimlich auf die liſtigſte Weiſe, und ehe ichs dachte, ward mein Amt wieder aufgehoben, und ich in eine andre Stelle verſezt, wo die chriſtliche Gemeine ſo klein war, daß meine Heterodoxie nicht viele ver - fuͤhren konnte. Siehſt du, Bruͤderchen? izt hatte ich bey jedermann Unrecht, weil ich unten lag: aber eben deswegen wurden der Superintendent und alle meine vorigen Geg - ner allmaͤhlich meine guten Freunde, und ich war in ihren Augen wieder ſo orthodox, als ein ſymboliſches Buch.

Bald darauf wurde Krieg, und ich Feld - prediger. Mein Kollege war mir behuͤlflich dazu und außerordentlich gewogen: aber we - nige hoͤrten ihn gern, und alle verlangten mich; wer es Umgang haben konnte, vermied ſeine Predigten, und in meine kamen ſie hau - fenweiſe. Siehſt du, Bruͤderchen? die Freundſchaft war aus; und er wurde mir gar feind, als ich einen gewiſſen Fromal zum Tode bereiten mußte

E66

Was? fuhr Belphegor auf, einen gewiſſen Fromal zum Tode bereiten mußte! Jſt Fro - mal todt?

Er ſollte gehaͤngt werden, aber er kam ge - linde davon; er wurde nur mit nackten Ruͤ - cken um das ganze Lager, bey Trommeln und Pfeifen, herumgefuͤhrt, und bekam alle zehn Schritte ſechs Ruthenſtreiche.

Fromal! mein Freund! ſchrie Belphegor, was hatte er denn gethan? Verdient kann er eine ſolche ſchimpfliche Strafe nicht haben.

Er wurde fuͤr einen Spion gehalten: aber ſiehſt du, Bruͤderchen? ich kam am ſchlimm - ſten dabey an. Fromal hatte mich ausdruͤck - lich verlangt, ob es gleich meinem Kollegen zugekommen waͤre; dadurch wurde der alte Haß wieder aufgeruͤhrt. Mit der Orthodo - xie konnte er nichts ausrichten, wenn er mir gleich alle Ketzereyen auf den Kopf haͤtte ſchuld geben wollen. Er machte mich alſo auf einer andern Seite verdaͤchtig; er klagte mich heimlich bey allen Offizieren eines groſ - ſen Eifers fuͤr die feindliche Parthey an, und uͤberredete ſie, daß mich nichts als die Furcht vor der Schande abhielt, ſonſt wuͤrde ich zu67 ihr uͤbergehn und ſelbſt mit ihr fechten: er machte es ihnen ſogar wahrſcheinlich, daß ich uͤber einem ſolchen Anſchlage bruͤtete. Jn kurzem kam es dahin, daß jedermann meine Predigten ſo ungern hoͤrte, als die ſeinigen; er genoß wegen ſeiner Entdeckung ein wenig Achtung mehr als ich; und wir waren wieder herzensgute Freunde. Siehſt du, Bruͤ - derchen? wird dir die Zeit etwa lang? Siehſt du? wer zu mir koͤmmt, muß einen Krug Apfelwein mit mir trinken und meine Geſchichte hoͤren; ſonſt laß ich ihn nicht von mir. Da! Freund Fromal ſoll leben!

Die großen Herren machten Friede, und bey mir gieng der Krieg an. Jch ſollte zu einer anſehnlichen Stelle erhoben werden, und meine Patrone machten alle Anſtalt da - zu. Gleich war ich wieder ein Jrrglaͤubiger; alles an mir, bis auf die Schuhſchnallen, war heterodox. Jch mußte mich lange her - umtummeln und richtete doch nichts aus. Jch behielt Unrecht: denn ich lag unter. Siehſt du, Bruͤderchen? Jch mußte vorlieb nehmen, was ſie mir gaben: die mich vor - her, als ich uͤber ſie wollte, haßten und ver - folgten, thaten mir izt Gutes was ichE 268bey meiner Einnahme ſehr brauchte recht viel Gutes, weil ich unter ihnen war.

Jn dieſem Aemtchen nahm ich meine ver - ſtorbne Frau. Die Thraͤnen ſtanden ihm ſchon in den Augen, als er ſie nur nennte; und er fuhr ſchluchzend fort: Ach, Bruͤder - chen, das beſte Weibchen unter der Sonne! Jch moͤchte heute noch ſterben, um ſie wieder - zuſehn: ſie war ſo gut! ſo treuherzig! wahr - haftig, ich bin nur ein Schurke gegen ſie. Daß doch die guten Leute ſo fruͤhzeitig ſter - ben! das herzeliebe Weib! Hier brach er in eine Fluth von Thraͤnen aus, die nicht in Tropfen ſondern in Einem Guſſe uͤber die Backen herabſchoſſen. Der Strom war noch in vollem Laufe, als der ganze Horizont ſei - nes Geſichts ſich ſchon wieder aufklaͤrte. Jhr ewiges Andenken, Bruͤderchen! rief er mit thraͤnenvollen Backen und froͤlicher Mine, und trank.

O Akante, murmelte Belphegor, koͤnnte ich ſo dein Andenken bey mir erneuern! Aber, du undankbare Schlange

Bruͤderchen, das Herze ſpringt mir, wie ein Lamm, wenn ich nur an einen Buchſta -69 ben von ihrem Namen denke. Die Thraͤ - nen ergoſſen ſich von neuem. Kein Wun - der, fuhr er nach einer kleinen Pauſe fort, daß ich um ihrentwillen ſo viel ausſtehn muß - te! Mein benachbarter Amtsbruder hatte ſchon lange um ſie geworben, und nun nahm ich ihm Hoffnung und Frau auf einmal weg. Er wurde neidiſch; er ſchwaͤrzte mich bey un - ſerm Superintendenten an, und machte mich abermals zum Ketzer. Meine paͤbſtlichen je - ſuitiſchen Meinungen ſollten mir noch anhaͤn - gen; tauſend Ungereimtheiten dichtete er mir an, an die ich niemals gedacht hatte. Siehſt du, Bruͤderchen? ich ſollte in Unterſuchung kommen; es geſchah auch. Jch focht mich ritterlich durch, oder vielmehr der Superin - tendent half mir durch, weil er ein Feind vom Praͤſidenten war, und meine Gegner die - ſen auf ihre Seite gebracht hatten, weswegen jener gleich zu meiner uͤbergieng, um nur den Mann zu uͤberſtimmen, den er toͤdtlich haßte, weil er Praͤſident und eine ganze Stufe uͤber ihn war.

Aber, Bruͤderchen, es war doch nicht zu dulden: ich wurde auch bey meiner Gemeine wegen großer Jrrlehren verdaͤchtig gemacht;E 370ich nahm kurz weg meine Partie, bewarb mich um ein ander Amt und kam hieher. Meine gute Fran ließ ich hier begraben; ſiehſt du, Bruͤderchen? hier in der Ecke ſtarb ſie --- ſieben Kinder --- er ſtockte vor Wehmuth. Doch die Vorſicht lebt noch, fuhr er erheitert fort, meine Kinder ſind ver - ſorgt: morgen wandre ich fort: meine Moͤ - beln ſind voraus. Siehſt du, Bruͤderchen? wie ich dir ſagte, ich ließ ein Woͤrtchen zu viel fallen; und ich bin geplagt worden! ich bin geplagt worden! Jch dachte, lange ſollt ihr mich nicht plagen; ich fand ein andres Aemtchen, und ſo lebt wohl! Morgen geh ich; aber trink, Bruͤderchen! der Apfelwein muß heute alle werden. Jch habe erzaͤhlt: nun, Bruͤderchen, erzaͤhle du! Willſt du mit mir, ſo ſteht dir mein kuͤnftiges Haus offen, Nu, erzaͤhle!

Belphegor erzaͤhlte ihm darauf ſeine ganze tragiſche Geſchichte von Akantens unbarm - herziger Verweiſung bis zu ſeiner Einquarti - rung zwiſchen Himmel und Erden. Den Be - ſchluß machte eine klaͤgliche Apoſtrophe an Akanten, die er ein Demantherz, einen Feuer - ſtein, eine Tigerinn, Loͤwinn ſchimpfte, und71 verſprach ihr als ein ehrlicher Mann, ſie von Herzen zu haſſen, und wenn es ſeyn koͤnnte, gar zu vergeſſen.

Des Morgens darauf wanderte Medar - dus mit Belphegorn aus, um ihre Reiſe bis an den Ort zuſammen zu thun, wo jener ſein neues Amt antreten ſollte. Belphegor gieng mit ſchwerem Herzen und traurigen Ahndun - gen wieder in die offne Welt aus, und wuͤrde vermuthlich noch tauſendmal unmuthiger die - ſe Ausflucht unternommen haben, wenn er nicht einen ſo wohlmeinenden gutherzigen Freund an ſeinem Begleiter gehabt haͤtte. Medardus nahm von der Wohnung und dem Orte, wo er ſein Liebſtes zuruͤckließ, mit den weichmuͤthigſten Thraͤnen Abſchied, und ehe er noch ausgeweint hatte, kehrte er ſich um, faßte ſeinen Reiſegefaͤhrten bey der Hand und ſagte mit lebhafter Froͤlichkeit zu ihm, als er ſeine verſtoͤrte Mine erblickte: Bruͤderchen, ſey gutes Muthes! Die Vorſicht iſt uͤberall.

Aber auch die Welt! unterbrach ihn Bel - phegor. O Fromal! daß du Recht hatteſt, als du mich lehrteſt, uͤberall ſey Krieg. Jch, Elender, trage die traurigſten Beweiſe, daßE 472du die Wahrheit ſagteſt: doch dies ſollen die lezten ſeyn. Freund, rief er, indem er den Medardus haſtig ergriff, Freund, wo ich bey den haͤßlichſten Ungerechtigkeiten mehr als mitleidiger traurender Zuſchauer bin, wo ich nur Ein ſtrafendes Wort uͤber meine Lip - pen kommen laſſe, ſo loͤſe, reiße, ſchneide, ſenge mir meine Zunge von der Wurzel aus, wie du willſt! Mag die ganze Erde ſich um mich in Faktionen zertheilen und ſich um das elendeſte Nichts, um Seifenblaſen herumſchla - gen ich ſchweige, ich huͤlle mich nach dei - nem Rathe, Fromal, in die dickſte Unem - pfindlichkeit und ſehe zu.

Ja, Bruͤderchen, ſagte Medardus, ich laſſe auch gewiß kein Woͤrtchen wieder fallen, und wenn die Staͤrkern die Schwaͤchern le - bendig aͤßen.

Jhr Weg war viele Tagereiſen lang, de - ren Anzahl um ſo viel ſtaͤrker wurde, da ſie jeden Tag nur langſam ein Paar Meilen fort - giengen. Bey ihrer zweiten Einkehr fanden ſie einen heftigen Krieg in dem Wirthshauſe, der einen großen Trupp Zuſchauer herbeyge - lockt hatte. Ein Mann von ehrbarem An -73 ſehn mishandelte einen Juden auf das haͤr - teſte, dem er unaufhoͤrliche Vorwuͤrfe mach - te, aus welchen man ſchließen konnte, daß ihn der Hebraͤer betrogen haben mußte.

Freund, ziſchelte Belphegor ſeinem Ge - faͤhrten leiſe ins Ohr, ſiehe! wo der Menſch nicht mit Gewalt unterdruͤcken kann, da un - terdruͤckt er mit Liſt, da betriegt er. Jm - mer Menſch wider Menſchen!

Als der thaͤtlichſte Theil des Streits vor - uͤber war, ließ ſich der Zorn in Worte aus: man legte die Waffen nieder und kehrte ſich zu einem muͤndlichen Prozeſſe.

Der Mann, der den Juden mishandelte, war der Statthalter und Juſtizpfleger des Orts. Nachdem er dem Jſraeliten, der izt mit den empfangenen Schlaͤgen noch zu viel zu thun hatte, um ſeine Einreden anders als in den Bart zu murmeln, ſeine Titel und Macht umſtaͤndlich explicirt und ihm dabey begreiflich gemacht, daß, obwohln er anbe - fugter Maßen ihn mit haͤrterer Strafe haͤtte belegen koͤnnen, er doch ſich nicht entbrochen habe, ihm die Ehre anzuthun und ſeinen Ruͤ - cken in eigner hoher Perſon den tragendenE 574Richterzepter empfinden zu laſſen. Schließ - lichen ſezte er hinzu, daß er aus Chriſten - pflicht ſchon verbunden geweſen waͤre, ihn fuͤr ſeine Betriegerey ſo kurz weg zu beſtra - fen, da er ohnehin ſo bettelarm waͤre, daß es nicht die Muͤhe belohnte, ihn in der gehoͤ - rigen Form zu beſtrafen. Du Hund von Juden! Du Betrieger!

Was? rief der Jude mit ſeinem juͤdiſchen Tone, hott der Herr nit mich zuerſt betrogen? Hott er mir nit Pfaͤrdel verkoft, Pfaͤrdel, das war blind, das war ſteif, das hotte ein angeleimt Schwanz, das war nit zwaͤ Thaͤl - ler werth, und hobe gegaͤben dem Herrn, ho - be gegaͤben achzig Reichsthaͤller! achzig Reichsthaͤller, ſo wahr ich leb!

Nachdem und alldieweiln du ein Jude biſt, als kann dir mit einem ſolchen Traktamente nicht Unrecht geſchehen.

Nu, wohl! weil der Herr Chriſt iſt, ſo dorf mirs der Herr nit uͤbel naͤhm, daß ich ihn wieder betrieg: der Herr hott mich be - trogen zuerſt: wir ſind beede Betrieger.

Der Andre war wegen der großen Anzahl der Anweſenden etwas betroffen. Jhr75 Chriſten, fuhr der Jude, der deswegen Herz ſchoͤpfte, in der naͤmlichen Sprache fort, ihr ſeyd ſaubere Leute; wenn ihr einen armen Juden anfuͤhrt, ſo glaubt ihr, ihr habt noch ſo viel gethan; und wenn wir uns raͤchen, ſo beſtraft ihr uns als Miſſethaͤter: ihr habt uns doch das Beiſpiel dazu gegeben. Jhr verachtet uns, als die elendeſten Kreaturen, und wenn ihr Geld braucht, ſind wir doch die liebſten ſchoͤnſten Leute. Sind wir nicht Menſchen? Wenn ihr immer an uns zapft, ſo muͤſſen wir euch betriegen, um beſtaͤndig voll zu ſeyn, wenn ihr zapfen wollt.

Da er ſahe, daß ſein Gegner immer ver - ſchaͤmter wurde, ſo wuchs ſein Herz zuſehends. Er drohte, ihn bey einem halben Dutzend Excellenzen und ein Paar Durchlauchten zu verklagen, die er insgeſamt ſehr genau, wie Bruͤder, kennen wollte, und doch weiter nicht, als jeder unter den Anweſenden dem Na - men nach kannte; und da er in der groͤßten Hitze ſeinen Gegner zur Thuͤr hinausgedon - nert hatte, ſo wandte er ſich mit ruhiger Hoͤflichkeit zu Belphegorn: hat der Herr nicks zu ſchackern? zu ſchackern? fragte er und nannte ihm eine Menge Materialien her, mit76 welchen er zu ſchackern wuͤnſchte: da er aber keine Antwort erhielt, ſo that er an andre noch etlichemal aͤhnliche vergebliche Anfragen und begab ſich fort.

Belphegor, der eine Heldenſtaͤrke gebraucht hatte, um ſeine Zunge und ſeinen Unwillen zuruͤckzuhalten, faßte ſeinen Freund bey dem Arme und bat ihn, mit ihm an die friſche Luft zu gehn. O, rief er, als ſie in einem kleinen Baumgarten angelangt waren, und ſchlug mit Bewegung die Haͤnde zuſammen iſt das der Menſch, der edle, freundſchaft - liche, geſellige Menſch, dies empfindende, denkende, mitleidige Thier, wie ich mir ihn ſonſt abmahlte? So viel ich ihrer bis hieher geſehn habe, alle waren Raubthiere; alle laurten auf einander, ſich mit Liſt oder Ge - walt zu ſchaden: einer war, wo nicht der Feind des andern, doch nur ſo lange ſein Freund, als er unter ihm war, und gleich weniger, ſo bald er uͤber ihn ſtieg: alles misbrauchte ſeine Staͤrke zur Unterdruͤckung. Bedenke, wie ungerecht war dieſer Mann, einen Elenden zu mishandeln, weil er zu ei - ner Nation gehoͤrte, die wir zum Ziele unſrer Verachtung und Eigennuͤtzigkeit hingeſtellt77 haben: die wir gezwungen haben, Betrieger zu werden, weil wir ihnen alle Mittel ab - ſchneiden, ehrlich ſich zu erhalten, weil wir ſie zu einer Geldquelle beſtimmen, aus wel - cher jedermann ſchoͤpfen will, und verlangen, daß ſie nie verſiegen ſoll.

Siehſt du, Bruͤderchen? antwortete ihm Medardus, das iſt immer ſo geweſen. Die Chriſten, die ſich uͤber alle Voͤlker des Erdbo - dens, uͤber die weiſeſten Griechen und Roͤ - mer erhoben haben, weil dieſe kein Wort von der Naͤchſtenliebe ſagen die barmherzigen, ſanftmuͤthigen Chriſten, die es bis auf dieſe Stunde den Heiden vorwerfen, daß ſie ihren Feinden nicht, wie Theaterhelden, großmuͤ - thig vergaben, ſondern Beleidigungen auf der Stelle ahndeten dieſe Chriſten haben von jeher es fuͤr ihre heiligſte Pflicht gehal - ten, die armen Hebraͤer zu peinigen, zu quaͤ - len, auszuſaugen, und noch izt, in unſerm lichthellen Jahrhunderte ſieht es ein großer Theil als eine Wohlthat an, dieſem irrenden Volke menſchlich zu begegnen.

Die Nation hat ſich freilich ſelbſt unter die Wuͤrde der Menſchheit herabgeſezt

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Siehſt du, Bruͤderchen? durch unſre Schuld! Wir ſchwatzen an allen Enden und Orten von Mitleid und edlen Empfindungen und haſſen die armen Jſraeliten auf den Tod. Wir haben angefangen zu haſſen; das kann ich ihnen nicht uͤbel deuten, daß ſie ein Ge - ſchlecht, das ſie haßt, nicht lieben. Weil wir die Maͤchtigern waren, unterdruͤckten wir ſie: da ſie ſich durch die Staͤrke nicht verthei - digen konnten, fuͤhrten ſie den Krieg mit uns durch Haß und Betrug. Jedes Menſchenge - ſchoͤpf ergreift zu ſeiner Selbſtvertheidigung die Waffen, die es erhaſchen kann. Mit Schauern denke ich noch daran, Bruͤderchen; betrachte nur! Ein Koͤnig von Frankreich trat einem Juden in hoͤchſteigner Perſon einſt - mals ſeine Zaͤhne aus, um Geld von ihm auszupreſſen, und ließ ſich fuͤr die Operation eines jeden Zahns eine ungeheure Summe bezahlen. Man ließ die Juden Geld entrich - ten, weil ſie Juden waren, und ſtrafte ſie um Geld, wenn ſie Chriſten wurden. Hoͤre, Bruͤderchen, wie hieß denn der Graf bey den Kreuzzuͤgen? Ach, Graf Emiko! Der Barbar ließ ihnen die Baͤuche aufſchneiden, ließ die armen Teufel[b]omiren, purgiren, um79 zu ſehen, ob ſie ein Paar elende Goldſtuͤcken in ſich zuruͤckgelegt hatten. Siehſt du, Bruͤ - derchen? Jn Spanien iſt kein Auto da Fe Gott angenehm, wenn nicht ein Jude dabey lodert; und am Ende ſollen ſie gar, wie die Aliden ihnen prophezeihn, auf den Tuͤrken, wie auf Eſeln, in die Hoͤlle traben. Siehſt du, Bruͤderchen? Jch liebe zuweilen ſo etwas aus der Hiſtorie: wenn wir nur ein Glas Apfelwein hier haͤtten, ſo wollt ich dir manch Anekdotchen von der Art erzaͤhlen.

Freund, ich habe genug! ſagte Belphegor; ich habe genug geſehn und gehoͤrt, um zu wiſſen, daß Fromal, daß der kaltherzige Rich - ter Recht hatten: es iſt immer ſo geweſen, daß Menſchen Menſchen quaͤlten, und der Staͤrkre den Schwaͤchern zermalmte. O koͤnnte ich dem kalten Schneemanne die Zun - ge ausreißen, und dadurch machen, daß er eine Luͤge geſagt haͤtte! Traurig, hoͤchſt - traurig! wenn unſre hohe große Jdee von dem Menſchen mit jedem Tage mehr zuſam - menſchmilzt! und vielleicht zulezt gar nur ein veraͤchtlicher Haufen Unrath uͤbrig bleibt! Wie wohl war mir, Freund, da in der Ein - ſamkeit meine geſchaͤftige Fantaſie und mein80 Herz aus allen moraliſchen Vollkommenhei - ten einen Koloß zuſammenſezten und ihn den Menſchen nannten: ich duͤnkte mir ſelbſt groß und erhaben, weil ich mein Geſchlecht dafuͤr hielt: meine ganze Ausſicht war in mich ſelbſt konzentrirt und laß michs of - fenherzig geſtehn! ich ſah nichts als Gu - tes, nichts als Liebenswuͤrdiges. Ein fan - taſtiſcher Traum, aber wahrhaftig ſuͤß! Wenn ich izt ausgetraͤumt habe, wenn dies wachen heißt, ſo habe ich unendlich verlo - ren, daß ich nicht mein ganzes Leben in dem Schooße der Einbildung verſchlummerte: denn izt ſcheine ich mir ſelbſt aus einem Kau - kaſus in einen Ameiſenhaufen zuſammenge - ſchrumpft, und der Stolz auf die Menſchheit liegt darunter begraben. O Akante! Akante! wehe dir, daß du mich aus dieſem engen Geſichtskreiſe in die weite Ausſicht der Welt hinausſtießeſt! Wenn du nicht waͤreſt, Freund, wo ſollte alsdann meine Empfin - dung etwas finden, um ſich anzuhaͤngen; und wie oͤde iſt ein Leben, wo unſer Gefuͤhl immer im Finſtern herumtappt und nie einen Gegen - ſtand erhaſcht, den es umarmen kann! Er ſprach dies mit einer affektvollen Bewegung.

Siehſt81

Siehſt du, Bruͤderchen? troͤſtete ihn Me - dardus mit gutherzigem Ton die Vorſicht lebt noch. Ungluͤck iſt immer zu etwas gut: wenn du gleich in Millionen Stuͤcken zerhauen und auf dem Roſte geroͤſtet wirſt, das kann immer zu etwas gut ſeyn: du weißt es nur nicht. Wenn ich nur einen Krug Apfel - wein hier haͤtte, ſo wollte ich dir ſchon Muth zutrinken. Komm, Bruͤderchen, ich moͤch - te doch wiſſen, was es fuͤr ein Mann iſt, der den armen Juden um achzig Thaler ſo ſchaͤndlich betrogen hat.

Sie kehrten in die Stube zuruͤck, um dar - uͤber Erkundigung einzuziehn. Der Wirth bezeigte ſich anfangs ſehr zuruͤckhaltend, als er ſich aber ſorgfaͤltig umgeſehn und keinen Belauſcher bemerkt hatte, ſo ſchuͤttete er ſein Herz gern aus und that ihnen zu wiſſen, daß dieſer Mann der ſchaͤndlichſte Unterdruͤcker des Erdbodens ſey. Wir armen Leute, ſprach er, die wir unter ſeiner Gerichtspflege ſtehen, wir ſind ſeine Schafe, denen er die Wolle ab - nimmt, ſo bald ſie nur ein wenig gewachſen iſt; und mannichmal faͤhrt uns ſeine Scheere gar ins Fleiſch, daß wir uns verbluten moͤch - ten. Er weis jede Kleinigkeit zu einem Ver -F82brechen zu machen; und dann ſtraft er! und wer nicht gar bis auf die Haut ausgezogen ſeyn will, der legt herzlich gern alle zehn Fin - ger auf den Mund: jedermann giebt gern, ſo viel er verlangt, und ſchweigt, damit er nur nicht mehr als andre geben muß. Alle Rechte und Freiheiten, die wir ſo nach und nach durch die Laͤnge der Zeit erlangt haben, Kleinigkeiten, die den Armen viel und den Reichen wenig helfen, macht er uns ſtreitig, legt uns neue Buͤrden auf, und weis allemal ein altes Recht vorzuſchuͤtzen. Wenn wir uns beſchweren wollten, ſo haͤlfe das zu wei - ter nichts, als daß er uns nun die Wolle ausraufte, da er ſie izt abſchiert. Er haͤlt ein halbes Dutzend Spione, vor denen man nicht eiu Woͤrtchen entwiſchen laſſen darf, die zuweilen gar durch verfaͤngliche Fragen etwas herauslocken wollen: man muß ſich huͤten! ſonſt findet er gleich eine Gelegenheit, daß man unter ſein Meſſer fallen muß. Seine Spione werden immer haͤufiger: denn jeder denkt, ſich das Geben zu erleichtern, wenn er ihm andre zum Pluͤndern ſchafft: ſo muß ein ehrlicher Mann den Kummer und Aerger in ſich nagen laſſen und darf ihn nicht ein -83 mal jemandem anvertrauen, aus Furcht, er moͤchte an einen Falſchen kommen und ſich ihn nur noch vermehren. Den armen Ju - den hat er um achzig baare Thaler betrogen, oben drein noch ausgepruͤgelt, als ihn dieſer wieder angefuͤhrt hatte: und mit Klagen richtet niemand etwas gegen ihn aus: er weis ſich herauszuſchwatzen ich glaube, wenn er uns alle umbraͤchte. Wider den Staͤrkern iſt keine Juſtiz.

Hol der Teufel den Schurken! rief Bel - phegor und ſtampfte ergrimmt auf den Tiſch. Komm, Freund! wir wollen ihm das ver - dammte Schelmenherz aus dem Leibe reißen!

Ja, Bruͤderchen, ich moͤchte, daß ihm im Leben kein Tropfen Apfelwein mehr ſchmeckte! dem Boͤſewicht! ſprach Medardus und warf ſeinen Hut auf den Tiſch.

Gott! mir glůht meine Stirn bis zum Verbrennen, daß ich einen ſolchen Unterdruͤ - cker mit mir zu Einem Geſchlechte rechnen ſoll. Komm, Freund, wir wollen ihn fuͤh - len laſſen.

Naͤrrchen, wir ſind ja in ſeiner Gerichts - pflege: Unterdruͤckern muß man nicht dieF 284Spitze bieten, ſondern aus dem Wege gehn. Komm, Bruͤderchen! nicht eine Minute laͤn - ger wollen wir die Luft hier athmen, ſie moͤchte in ſeiner Lunge geweſen ſeyn.

Belphegorn fiel der Gehorſam ſchwer; aber er erinnerte ſich ſeines Entſchluſſes und der Verwuͤnſchungen, die er auf die Brechung deſſelben geſezt hatte: er nahm alſo ſeinen Abſchied und begnuͤgte ſich, ſeinem Zorne un - terwegs durch Ergießungen gegen ſeinen Be - gleiter Luft zu machen.

Da die Tage heiß waren, ſo nuͤzten ſie den kuͤhlen Morgen, um ſich mit ihrer Reiſe deſto weniger zu ermuͤden. Eines Morgens langten ſie bey einem Truppe nicht allzu ho - her Erlenſtraͤuche an, die ein natuͤrliches Ka - binet bildeten, ſo einladend, daß man ohne Undankbarkeit nicht vorbeygehen zu koͤnnen ſchien: ſie ſezten ſich nieder. Kurz nach ih - rer Niederlaſſung zeigte ſich ihnen ein Frauen - zimmmer, das bey ihrer Annaͤherung einige Verlegenheit in der Mine verrieth, doch ſich bald wieder faßte und unerſchrocken auf ſie zukam. Ohne die geringſte Eingangsrede rief ſie ſogleich: Belphegor, ich komme nur,85 dir zu zeigen, daß du gerochen biſt, dann will ich wieder in mein Elend zuruͤckwandern. Sieh mich ein einzigesmal an, und ſage: ich bin gerochen! dann habe ich genug.

Ach, um des Himmels willen! ſchrie Bel - phegor Akante! Akante! O du Unge - treue! du Schamloſe! du Verraͤtherinn!

Jch verdiene dieſe Namen nicht, wenn du gerecht ſeyn willſt.

Verdienſt ſie nicht? Du, die mich zur Thuͤre hinauswarf und meine Huͤfte auf zween Tage laͤhmte? du, die mich dem Hoh - ne preis gab und einem reichern Buhler in die Arme lief.

Alles that ich, aber nur auf deines Freun - des Befehl. Ungluͤcklich warſt du in der Wahl deiner Freunde, aber nicht deiner Ge - liebten.

Welcher Freund, Ungeheuer? denkſt du mich durch eine ſchoͤne Fabel zu taͤuſchen?

Nein, das brauche ich nicht: die Wahr - heit iſt meine beſte Schuzrede. Dein Freund, Fromal, der Argliſtige hat unſre Liebe zerriſ - ſen und mich verleitet, die haͤrteſte Ungerech -F 386tigkeit an dir zu begehn. Er war der rei - chere Buhler, wie du ihn nennſt, der mich aus deinen Armen empfieng.

Unſinnige! du luͤgſt! Er, der mich troͤſtete, der mir mit der thaͤtigſten Liebe bey - ſprang, der mich mit Rath und Belehrung erquickte, waͤhrend daß du am Fenſter in der Umarmung meines Verdraͤngers, mit der un - verzeihlichſten Frechheit meines Elendes ſpot - teteſt!

Jch deiner ſpottete! Gewiß, dein Groll machte falſche Auslegungen. Mein Herz blutete mir, als ich dich ſo gewaltſam verab - ſchieden mußte, und Schmerz und Reue nag - ten in mir, indeſſen daß mein Mund laͤchelte.

O du Sirene! Haͤtte ſich dein Herz lieber ganz verblutet, daß du mich mit einer ſolchen Erdichtung nicht hintergehn koͤnnteſt!

Jch ſchwoͤre dir, keine Erdichtung! Du warſt arm; ich brauchte Geld: Fromal und ein Andrer boten ſich mir zu gleicher Zeit an: beide gaben vor, reich zu ſeyn, oder waren es wirklich. Das ſchwache eigennuͤtzige Wei - berherz! willſt du von dem Heldenthaten fodern? Meine Liebe war leider! auf den87 Eigennuz gepfropft: ſollte die Frucht beſſer ſeyn, als die Saͤfte, die ihr der Stamm zu - fuͤhrte? Jch mußte mich von Dir tren - nen, oder voll Treue mit Dir verhungern. Fromal verlangte ſchlechterdings, dir einen ſo empfindlichen Abſchied zu geben; was konnte ich thun? Jch mußte mich zwin - gen, ihm zu gehorchen, oder ihn verlieren: der Wechſel war ſchrecklich: der Eigennuz draͤngte auf mich los, ich ließ mich uͤberre - den, ich veruͤbte die Gewaltthaͤtigkeit an dir, und wuͤnſchte ſie, durch Reue ungeſchehen machen zu koͤnnen. Belphegor, in Thraͤnen habe ich geſchwommen, in den heißeſten Thraͤ - nen, wenn der Gedanke an meine Ungerech - tigkeit in mich zuruͤckkam.

O wenn ich dir nur glauben duͤrfte!

Du mußt, wenn du nicht die Wahrheit verwerfen willſt. Jch wandte mich von dir zu dem Ungluͤcklichen, der mit Fromaln dich verdraͤngte, und den dieſer Barbar ſei - ner Misgunſt und Eiferſucht aufopferte

Unverſchaͤmte! wagſt du auch die Ehre meines Freundes zu beſchmeißen, Jnſekt? Erdichtung! Geh! mein Freund

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Hat ihn in meinem Schooße ermor - det! Er, der gewiſſenloſe Fromal hat ihn er - mordet! Lange wußte er nicht, daß ein Andrer meine Liebe mit ihm theilte: ich waͤre auf der Stelle das Opfer ſeiner blutgierigen Eiferſucht geworden, ſo bald ich ihm den mindeſten Verdacht gegeben haͤtte. Doch endlich uͤberraſchte er meine Vorſichtigkeit: er traf ihn in meinen Armen an, und gleich gluͤhte ihm die Stirn, ſeine Augen waͤlzten ſich, wie drohende Kometen; er ergriff ein Meſſer und durchſtach den Ungluͤcklichen, daß er in meinen Schooß ſank. Schon holte er aus, um mich gleichfalls ſeiner Wuth auf - zuopfern, als auf mein Rufen zween Leute herbeyſprangen, den unbaͤndigen Loͤwen zu zaͤhmen Die Furcht gab mir in der Ge - ſchwindigkeit den Einfall zu entfliehen, um den Unterſuchungen der Juſtiz zu entgehen: Liebhaber, Geld, Kleider, Moͤbeln alles verließ ich und rettete mich gluͤcklich uͤber die Graͤnzen.

Und was wurde aus Fromaln? Doch was glaube ich denn ſolche Erdichtungen, die die Leute im Stehen einſchlaͤfern koͤn -89 nen? Schweig, Betriegerinn! ich will nichts weiter hoͤren.

Belphegor, du mußt es hoͤren um zu ſehen, wie du gerochen biſt.

Luͤgen! ſo muͤßte ich mich ſelbſt nicht ken - nen, wenn ich glauben koͤnnte, daß Fromal mich mit Falſchheit getaͤuſcht haͤtte. Jch ſchaͤme mich, das zu denken. Geh! du moͤchteſt mich zum zweitenmale uͤberreden, daß du keine hinterliſtige Betriegerinn biſt! Jſt dies nicht genug, ſelbſt untreu zu ſeyn, mußt du auch der Treue andrer den giftigen verraͤtheriſchen Anſtrich der deinigen leihen? Freundſchaften trennen wollen, die Natur und Erziehung unaufloͤslich geknuͤpft ha - ben? Jch hoͤre nicht Ein Wort mehr.

Sie bat, ſie flehte, ſie beſchwor ihn, bis endlich Medardus ſich ins Mittel ſchlug und ihn gleichfalls um geneigtes Gehoͤr fuͤr ſie er - ſuchte. Siehſt du, Bruͤderchen? ſprach er, du kannſt ja glauben, was du willſt, aber ſie doch wenigſtens hoͤren. Jch moͤchte doch gern wiſſen, wie wir hier zuſammenkommen hier, gerade hier und nicht anderswo! das iſt doch wahrhaftig ſonderbar. Warum nurF 590gerade hier? Jch weis wohl, warum Ale - xander, der Große, und Scipio gerade auf dem Flecke zuſammenkamen, wo ſie mit ein - ander redten: aber Akanten haͤtte ich mir hier nicht vermuthet, ſo wenig als meine gute verſtorbene Frau. Nu, Kind, erzaͤhle du nun!

Akante fuhr darauf in ihrem Berichte fort.

Ein boͤſer Geiſt trieb mich an, in Geſell - ſchaft eines deutſchen jungen Herrn eine Wallfahrt nach Rom zu thun. Er hatte bis - her in der Begleitung eines Arlekins, der vom toſkaniſchen Hoftheater abgedankt wor - den war, die vornehmſten Staͤdte Jtaliens beſehen, und wuͤnſchte auf ſeiner zweiten Rei - ſe, weil er auf der erſten demungeachtet Lange - weile genug gehabt hatte, mehr Geſellſchaft mitzunehmen, um deſto weniger einſam zu ſeyn: ich nahm die Partie an. Ob ich gleich nicht um meiner Suͤnden willen reiſte, ſo war ich doch die ganze Reiſe uͤber niederge - ſchlagen: die Poſſen des Narren, der mit uns reiſte, und das Lachen ſeines Herrn, der den Mund bis an beide Ohren bey jedem Ein - falle zu dem unſinnigſten Gelaͤchter aufriß,91 ermuͤdeten mich: weswegen ich die meiſte Zeit der Reiſe geſchlafen habe, beſonders da mein Liebhaber ein ſo ſchwerfaͤlliger deutſcher Wizling war, daß ich tauſendmal lieber den Narren von Profeſſion anhoͤrte. Da ich ihm auf der Reiſe ſo wenig Dienſte gethan, vor - nehmlich ſo wenig uͤber ſeine Einfaͤlle gelacht hatte, ſo ward er im hoͤchſten Grade unwil - lig uͤber mich; und da er eines Tages etwas ſagte, das ihm vorzuͤglich gefiel, und ich ganz ungeruͤhrt fortſchlief, ſo ſtieg ſein Aerger uͤber meine Kaltbluͤtigkeit ſo hoch, daß er mich aus Rachſucht in den rechten Backen biß und wenigſtens eine gute Quente Fleiſch hinweg - nahm, weil nach ſeiner Meinung jedes ſeiner Worte den Leuten auch im Schlafe gefallen muͤßte. Zu Hauſe bey mir, ſagte er oft, ſind die Leute wahrhaftig tauſendmal kluͤger, als in Frankreich und Jtalien. Alle Damen haben die Maͤuler ſchon offen, wenn ich nur die Lippen bewege; und uͤber meine Erzaͤh - lung vom weißen Baͤre haben in Einem Nach - mittage drey Fraͤulein hyſteriſche Zufaͤlle be - kommen; bey meiner Geſchichte vom vogt - laͤndiſchen Pfannkuchen uͤberfiel eine meiner Niecen vor Lachen ein ſo heftiger Schlucken,92 daß ſie ihn noch bis dieſe Stunde nicht ver - loren hat; eine von meinen Tanten hat ſich bey einer andern Erzaͤhlung von dem Wolfs - muffe eine Ader an der Lunge geſprengt und iſt wahrhaftig daran geſtorben; alle meine Leute vom Verwalter bis zum Kuͤchenmenſche lachen, wenn ſie nur Ein Wort von mir hoͤ - ren: aber außer meinem Vaterlande ſind die Leute wahrhaftig ſo ſchwachkoͤpfig, ſo trocken, daß ſie kaum die Lippen verziehen, man mag ſich todt und lebendig ſchwatzen. Wozu ver - thut man unter den Schurken ſein Geld, wenn man nicht einmal den Gefallen von ihnen erlangen kann? Das ſoll aber auch ge - wiß meine lezte Reiſe ſeyn: mein Geld ſollen Leute bekommen, die beſſer dafuͤr zu danken wiſſen. Ein ſolcher niedlicher Ritter war es, den ich izt als meinen Liebhaber behan - deln ſollte, und dem ich kaum die Ehre ge - goͤnnt haͤtte, mein Bedienter zu ſeyn. Doch der Himmei beſcherte mir eine Schlafſucht, die bis vor die Thore von Rom dauerte. Den Tag nach ſeiner Ankunft wurde ich ent - laſſen, und nahm ſtatt der Belohnung eine Wunde auf dem Backen und allenthalben blaue Flecken mit mir hinweg alles Merk - male ſeines moͤrderiſchen Witzes!

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Jch war mir ſelbſt uͤberlaſſen und hatte zu arbeiten und zu kaͤmpfen, bis ich endlich die Vertraute Pabſt Alexanders des ſechſten wurde

Pabſt Alexanders des ſechſten! rief Me - dardus. Bruͤderchen, das iſt wohl wider die Chronologie?

Sey es, was es wolle! ſagte Belphe - gor ungeduldig; nur weiter!

Jch wurde es; doch der Kardinal Beſſa - rabio wurde bald ſein Nebenbuhler

Der Kardinal Beſſarabio! unterbrach ſie Medardus. Bruͤderchen, haſt du von einem ſolchen Kardinale etwas in der Geſchichte ge - leſen?

Nicht Eine Silbe! aber nur weiter! rief Belphegor.

Beſſarabio war ſein heimlicher Nebenbuh - ler, und Grimaldi theilte meine Liebe auch mit ihm, auch Kolombino und Sacoc - cio, und Samuele Jſbenico

Nur weg mit den Namen! ſchrie Belphe - gor.

Die er aber alle vergiften ließ

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Alle vergiften ließ! rief Medardus und Belphegor zuſammen.

O wir haben in Einem Jahre dreißig ver - giftet, achzig durch Banditen ermorden laſſen und acht und zwanzig zu Tode geaͤrgert, weil ſie ſich einem gewiſſen Projekte widerſezten oder im Wege waren, das auf nichts weiter als auf die Unterdruͤckung der ganzen Chri - ſtenheit abzielte. Mit unſern Vaſallen ge - lang es uns zur Noth, was, wie ich hoͤre, unſer Nachfolger vollends zu Stande gebracht hat: aber wir wollten weiter: unſre gehei - men Abſichten ſtiegen bis zur Univerſalmo - narchie: was Hildebrand nur zur Haͤlfte ge - than hatte, ſollte durch uns vollendet wer - den. Es iſt nichts edleres, habe ich gehoͤrt, als der Trieb, uͤber Menſchen zu herrſchen: ſonach ſind die Nachfolger Petri gewiß die edelſten Sterblichen auf dem ganzen Erden - kreiſe: denn ſie wollten nicht bloß uͤber den ganzen Erdboden, ſondern auch uͤber den Him - mel, nicht blos uͤber die Koͤrper, ſondern auch uͤber den Verſtand herrſchen. Auch habe ich gehoͤrt denn ich bin bey dieſer Bekannt - ſchaft etwas politiſch geworden daß nichts erhabner unter den Menſchen iſt, als95 alle ſeines Gleichen unter ſich herabzuſetzen, ſich uͤber alle emporzuſchwingen und Menſchen durch Mord, Blutvergießen oder andre Mit - tel das gilt nun gleich unter ſeine Fuͤße zu treten. Wenn der Eroberer, der Sieger, der Held der groͤßte Mann iſt, ſo haben unter der Tiare groͤßre Maͤnner geſteckt als unter allen griechiſchen und roͤmiſchen Helmen. Wenn nur mein Liebhaber nicht zu zeitig geſtorben waͤre: wir haͤtten die Welt in Erſtaunen ſetzen wollen! Jch habe auch zuweilen mir ſagen laſſen, daß der hoͤchſte Gipfel der meuſchlichen Groͤße ſey, den mei - ſten, wo moͤglich, allen zu befehlen: wer hat mehrern Menſchen befohlen, als die Vorgaͤn - ger meines Alexanders

Aber, Bruͤderchen, lebte denn Alexander nicht vierhundert, und

Jch bitte dich, Freund, ſchweig! rief Belphegor; nur weiter! Jch gluͤhe vor Ungeduld.

Akante fuhr fort: Dſchengis-Kan, Alexander der Große, Mahomed, Ku - blai-Kan, die kurz vor uns*)Die gute Akante hat freilich eine ganz aͤrger - liche Chronologie, daß man dem kunſterfahr - ſo fuͤrchter -96 liche Reiche erobert und ſo vielen Menſchen befohlen haben, ſind nichts, gar nichts ge - gen uns. Sie mußten die Welt mit den ſchrecklichſten Beſchwerlichkeiten durchlaufen und hatten am Ende nichts als ein Paar wil - de Horden Tatarn mit ihren wilden Anfuͤh - rern dahin gebracht, daß ſie von ihnen als ihre Ueberwinder erkannt werden mußten: aber unſre geiſtlichen Helden ſaßen ruhig auf ihrem Stule, und geboten mit Feder, Dinte und Pergament Kaiſern, Koͤnigen, Fuͤrſten: ihre Armee war zahlreicher, enthuſiaſtiſcher, getreuer, thaͤtiger, als alle Armeen der gan - zen Welt. Die Paͤbſte waren die groͤßten Herrſcher, die groͤßten Eroberer, die groͤßten Menſchen: wir haͤtten ſie aber alle uͤbertrof - fen: wir haͤtten gewiß Aſien zu unſerm Fuß - ſchemel, Afrika und Amerika zum Seſſel, und Europa zum Paldachin gemacht.

Das wollte Alexander der ſechſte! fiel ihr Medardus ins Wort. Da war ja ſchon das koſtnitzer Koncilium geweſen: nein, Bruͤder - chen, in meinem Leben habe ich nicht ſo etwasvon*)nen Medardus ſein oͤftres Kopfſchuͤtteln nicht uͤbel deuten darf.97von ihm geleſen. Was war denn aber eigentlich Eure Abſicht?

Eigentlich? Es dahinzubringen, daß der chineſiſche Kaiſer ſein Reich von uns zur Lehn nehmen ſollte: die Mandarinen ſollten in Erzbiſchoͤffe, Biſchoͤffe, Moͤnche, und der Porzellaͤnthurm in eine Domkirche verwan - delt werden. Mit dieſer Armee wollten wir nach Japan uͤbergehn, beide Kaiſer zwingen, ſich der Kirche zu Fuͤßen zu legen, uͤber die japaniſchen Jnſelchen nach Oſtindien zuruͤck - kehren; und da unſre Macht nunmehr ſtark genug ſeyn muͤßte, ſo waͤren wir nicht zufrie - den, Vaſallen zu machen: nein, in Oſtindien muͤßten alle Reiche jenſeits und dieſſeits des Ganges unſre wahren Unterthanen werden. Hier ließe ſich auch allenthalben unſre Reli - gion mit vieler Oekonomie einfuͤhren: Fe - tiſche, Braminen, Derwiſche, Bonzen, Faki - ren, duͤrften nur andre Namen bekommen, und die Leute wuͤrden durch ihre Bekehrung in keine neuen Unkoſten fuͤr die Jnſtrumente ihrer Andacht geſezt. Perſien und die Tuͤr - key muͤßten nun ſchon Sklaven werden; dieſe ſollten in den Kirchenſtaat gebracht werden, um Moraͤſte auszutrocknen und die wuͤſtenG98Felder anzubauen. Bis dahin war unſer Plan voͤllig ausgedacht, und alle Maſchinen zur Ausfuͤhrung angelegt: die Schiffe in Civita Vecchia waren ſogar ſchon ausgekehrt und ausgeflickt, als ploͤzlich Alexander ſtarb.

Und was haͤttet Jhr davon gehabt, wenn euer Entwurf reif geworden waͤre? fragte Belphegor.

Wir waͤren die groͤßten, die erhabenſten Sterblichen geworden: denn ganz Aſien haͤt - te unſern Namen gewußt, ganz Aſien haͤtte geſagt, Pabſt Alexander der ſechſte hat uns die Koͤpfe zerſchlagen, und wir haͤtten uns eingebildet, Herr aller dieſer Laͤnder zu ſeyn, haͤtten fleißig Bullen hingeſchickt; und iſt es nichts großes, nichts gluͤckliches, im Schlaf - rocke und der Nachtmuͤtze dem Menſchenver - ſtande eines ganzen Welttheiles zu befehlen, was er glauben und verwerfen, will - kuͤhrlich ihm vorzuſchreiben, was Wahrheit und Jrrthum ſeyn ſoll, nicht allein uͤber ihre Seelen, Glauben, Erkenntniß, Einſicht, Bei - fall, ſondern auch uͤber ihre Gaumen und Magen zu regieren und ſelbſt Seligkeit und Verdammniß unter ſie nach Willkuͤhr aus - zutheilen? heißt das nicht der Vorſicht99 den Zepter aus den Haͤnden reißen und ſich ihr zum Mitregenten aufdringen? Wenn herrſchen das edelſte, das erhabenſte iſt, ſo kann wohl keine Herrſchaft begehrungswuͤrdi - ger ſeyn, als diejenige, die man mit nieman - dem als dem Schickſale theilt: hoͤher laͤßt ſich fuͤr Sterbliche nichts denken. Es kam bey der Ausfuͤhrung nur darauf an, daß einem Paar Millionen Menſchen die Hirn - ſchaͤdel zerſchlagen wurden, daß etliche hun - derttauſend Kinder ihre Eltern, eben ſo viele Eltern ihre Kinder, oder Weiber ihre Maͤn - ner einbuͤßten, daß etliche tauſend vergiftet, ermordet, erwuͤrgt wurden: aber was iſt al - les dieſes gegen einen ſo ſchoͤnen großen herr - lichen Plan, der Ueberwinder und Lehusherr von ganz Aſien zu ſeyn? Jch habe auch wirklich ſchon Anſtalten dazu machen muͤſſen; den Kardinaͤlen Quirinale, Eſcuriale, Vati - kano, Monte Caſſino und andern habe ich, als ſie auf meinem Schooße ſchliefen, giftige Federn in den Hals geſteckt, die ſie insge - ſamt gierig hinunterſchlungen und in zwoͤlf Stunden daran ſtarben, weil ſie mit dem chineſiſchen Kaiſer in einem heimlichen Ver - ſtaͤndniſſe ſeyn ſollten.

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Du Barbarinn! rief Belphegor; kann ich mich nun noch wundern, daß du grauſam ge - nug wareſt, mir meine Huͤften zu laͤhmen, wenn du ſo viele Menſchen um eines Ent - wurfs willen toͤdten konnteſt, der dir nichts half? Du Moͤrderinn!

Beſter Belphegor! ich bin nicht der einzige Sterbliche, der ſein Gewiſſen und ſeine Ruhe einem fremden Nutzen aufgeopfert hat. Man duͤnkt ſich ſchon groß, indem man große Ab - ſichten befoͤrdert, daran arbeitet; und jener Mann ſchaͤzte ſich ſchon gluͤcklich und groß genug, wenn er nur Troßbube bey der Ar - mee des macedoniſchen Alexanders oder des Dſchengis-Kan geweſen waͤre.

Wenn aber nun euer Projektchen geſchei - tert waͤre? ſagte Medardus.

Je ſo haͤtten wir es gemacht, wie die mei - ſten unſrer Vorgaͤnger: die Schwachen und Furchtſamen haͤtten wir angefahren und ſie unter die Fuͤße getreten, und den Starken und Herzhaften waͤren wir zwiſchen den Bei - nen durchgekrochen. Liſt oder Gewalt!

Um eines ſolchen eitlen leeren Vorzugs willen ſo viele vernuͤnftige Kreaturen umbrin -101 gen oder ungluͤcklich machen zu wollen! ſeufzte Belphegor.

Auf das Gluͤck der Menſchen iſt es nie - manden noch angekommen. Die Menſchen, lehrte mich Fra Paolo, wollen uͤber einan - der, das iſt der Endzweck ihres Daſeyns: da aber nur wenige uͤber die andern ſeyn koͤn - nen, ſo muͤſſen die meiſten unter andern ſeyn: folglich muß ſich jeder beſtreben, ſo ſehr als moͤglich ſich der Klaſſe uͤber zu naͤhern, wenn er nicht ganz darein ruͤcken kann: das gilt nun gleich, wie er dahin koͤmmt und andre unter ſich bringt; kann er ſie nicht bereden, daß ſie ihm weichen, ſo draͤngt er ſich mit Gewalt durch: wer im Ge - draͤnge erdruͤckt wird, wird erdruͤckt; warum geht er nicht freywillig aus dem Wege? So haben die Menſchen von Ewigkeit her gehan - delt, und es iſt nichts loͤblicher, als daß man eben ſo handelt. So belehrte er mich, als ich noch zu furchtſam war, die Leute mit gif - tigen Federn zu fuͤttern. Als ich in der Fol - ge die Kirchengeſchichte etwas mehr ſtudirte, ſo fand ich, daß Fra Paolo die reine Wahr - heit geſagt hatte. Wenn man nicht weiter kann, fand ich, ſo muß man die Leute tummG 3102machen: dann laͤßt ſichs ihnen tauſendmal leichter befehlen: ſie gehorchen auf den Wink. Das war auch großentheils in unſerm Plane mit eingeſchloſſen. Den Chineſern haͤtten wir ihre ganze weitlaͤuftige Sternkunde un - terſagt, den Konfut-ſee und Ment-ſee verboten und alle ihre Kings verbrannt: ſo viel albernes und gemeines Zeug ſie auch mit unter enthalten, ſo iſt doch nicht zu trauen, ob ſich nicht ein Funken geſunder Menſchenverſtand zu viel darein geſchlichen hat: allen geſcheidtern Buͤchern haͤtten wir durch unſre Aufpaſſer den Zugang ſchon ver - wehren wollen. Jn Japan hatten wir be - ſonders gute Hoffnung fuͤr unſer Kommerz: da die Japaneſer ganz ungeheure Suͤnder ſind, ſo waͤre dort ein herrlicher Abſaz von Jndulgenzen und andern geiſtlichen Galante - riewaaren zu erwarten geweſen.

O traurige entehrende Groͤße, rief Bel - phegor aus, die auf das Verderben und die Erniedrigung der Menſchheit gebaut wird! Moͤchte ich doch lieber im Staube, in der Bettlerhuͤtte, unbekannt, duͤrftig und elend vermodern, als nur mit Einem Tropfen Menſchenblute, nur mit Einer Unterdruͤckung103 der Menſchheit befleckt, in Ruhm und Ehre auf einem diamantnen Throne glaͤnzen! Jhr Unmenſchen!

Nein, Belphegor, wir haben ſehr menſchlich gehandelt: das iſt immer ſo ge - weſen, daß Menſchen durch Morden, Rauben, Betriegen, Pluͤndern ſich Anbetung und Ehr - furcht erkaͤmpft haben. War das nicht ein viel groͤßerer Aufwand von Menſchen, als unſre Vorfahren ganz Europa nach dem ge - lobten Lande zum Aprile ſchickten, um kahle Berge, ſteinichte Felder und ungebaute Ge - genden zu erobern, die ſie zu Hauſe im Ueberfluſſe hatten? da ſie Kaiſer und Koͤnige, wie Klopffechter, auf einander loshezten? Nur Schade, daß Alexan - der ſo ſchnell ſtarb! durch ſeinen Tod wurde ich außer aller Geſchaͤftigkeit und von meiner Wuͤrde herabgeſezt: es kraͤnkte mich; aber Ruhms genug fuͤr mich, an der Seite einer Theodora, Marozzia, Mathildis, Olympia zu prangen, die den hoͤchſten Gipfel des menſchlichen Ruhms erſtiegen, uͤber die fuͤrch - terlichſten Weltbezwinger zu herrſchen! Jch entwiſchte heimlich aus Rom, weil ich alle Urſache hatte zu befuͤrchten, daß manG 4104mich in Verwahrung bringen werde, um mich die anvertrauten Geheimniſſe nicht aus - ſchwatzen zu laſſen: doch warum entwiſchte ich? um den ſchrecklichſten Bedraͤngniſſen entgegen zu gehn. Jn Neapel wurde ich vom Poͤbel faſt zerriſſen, weil ich mich zu na - he zum Blute des heil. Januars hinzudraͤng - te und beinahe wahrgenommen haͤtte, daß man die Leichtglaͤubigen mit einer Taſchen - ſpielerey betrog: ich kam eben dort an, als man einen Hund zum fuͤrchterlichen Exempel aller Hunde oͤffentlich enthauptete, weil er die Gottloſigkeit begangen hatte, ein Kind umzubringen. Ob ich gleich viel freyes uͤber dieſen Gebrauch ſagte, ſo kam ich doch gluͤck - lich durch: aber meine Gutherzigkeit, den Poͤbel kluͤger zu machen, haͤtte mich beinahe ums Leben gebracht. Jch entkam voller Loͤ - cher und Wunden vom Wirbel bis auf die Fußſolen, und gieng nach Venedig, um dort erdroſſelt zu werden. Jch ſagte einem No - bile, deſſen Maͤtreſſe ich war, daß ich mich wunderte, wie ein Paar tauſend Leute dazu kaͤmen, ſo viele Menſchen unter ſich ſtolz nie - derzudruͤcken, und ihnen allein, mit Ausſchlieſ - ſung aller andern, zu gebieten. Er gab mir105 zwar ganz gelaſſen die Urſache an, weil wir die Maͤchtigern ſind. Alſo geſteht ihr doch, daß Euer Recht ſich auf Unterdruͤckung gruͤn - det? ſezte ich hinzu; aber er ſchwieg, und morgens darauf ſollte ich erdroſſelt wer - den, doch kam ich mit einer leichten Zuͤchti - gung von dreyhundert Ruthenſtreichen auf den bloßen Ruͤcken davon.

Nun ſehe ich doch, daß Gerechtigkeit in der Welt iſt, rief Medardus. Wir ſind quitt, Akante; das iſt die Wiedererſtattung der dreyhundert, die ich um deinetwillen als Je - ſuitenſchuͤler zugezaͤhlt bekam. Waren Sie recht friſch und munter, Schweſterchen?

O ſo friſch, daß ich zween Monate uͤber zweifelte, ob ich jemals wieder einen recht - ſchaffnen Ruͤcken bekommen wuͤrde! Jch wur - de darauf die Maͤtreſſe des Markgrafen von Salocca, der ſich ein kleines Serail hielt. Da ich die neueſte und folglich die liebſte un - ter ſeinen Buhlerinnen war, ſo haßten und verfolgten mich die uͤbrigen als eine Tod - feindinn. Sie arbeiteten mit allen Kraͤften, meine Schoͤnheit, die aller Gefaͤhrlichkeiten und Verwundungen ungeachtet noch ertraͤg - liche Reizungen hatte, und alſo die UrſacheG 5106meines Vorzugs zu vernichten, welches ſie um ſo viel hitziger betrieben, weil ſie meiſten - theils alt, kraͤnklich, haͤßlich waren und des - wegen nur um ihrer vorigen Verdienſte wil - len in Penſion ſtunden. Sie beredeten ſich zuſammen, mir die beſten und zur Schoͤnheit unentbehrlichſten Theile des Geſichts zu neh - men; und eine blaſſe Vierzigjaͤhrige rieth, mit der Naſe, als der edelſten Zierde des Ge - ſichts, den Anfang zu machen vermuth - lich weil ſie ſelbſt durch eine Krankheit ſo viel von der ihrigen eingebuͤßt hatte, daß ihr nur noch ein naſenaͤhnliches Stuͤmpfchen zwiſchen Mund und Stirne hervorguckte. Meine Neiderinnen fuͤhrten den grauſamen Vorſchlag aus und ſezten mich durch Einen wohlabge - paßten Meſſerſchnitt noch unter die verhaßte Rathgeberinn: denn ſie ſchleiften mir die Naſe vom Grunde weg, machten ihren Plaz dem uͤbrigen Boden des Geſichts gleich und ließen nicht einmal ein Fragment davon uͤbrig. Sie wundern ſich, mein Herr, ſprach ſie zu Medardus, der ſie ſteif anſah, daß ich demungeachtet, wie jedes Geſchoͤpfe Gottes, mit einer Naſe prange? Hier zog ſie die ganze Naſenmaſchine herunter und107 zeigte ihnen, daß es eine von gekautem Pa - piere, nach dem Leben lackirte Naſe war. Dieſes iſt ein Geſchenk von meinem Marcheſe, deſſen Gunſt mich um meine natuͤrliche ge - bracht hatte: er ſchnaubte und drohte mit dem fuͤrchterlichſten italiaͤniſchen Zorne; da aber die Unternehmung ſehr heimlich von mir unbekannten Leuten geſchehen war, ſo konnte ich ſeiner Rache nicht zu dem verdienten Ge - genſtands verhelfen. Kurz darauf fiel es ei - ner andern als ſehr anſtoͤßig auf, daß ich eine ſo reine fleckenloſe weiße Haut hatte, und ſie doch, wenn ſie in den ſchoͤnſten vene - tianiſchen Spiegel ſah, auf ihrem Geſichte eine Flaͤche erblickte, die mit Leberflecken und Sommerſproſſen, wie eine Landcharte, illumi - nirt war. Eine andre von einem zweifel - haften Kolorite zwiſchen kaſtanienbraun und ſchwarzgelb, ſtimmte in ihre Beſchwerden uͤber meine ſchoͤne ſpiegelebne Haut ein und vereinigte ſich mit ihr zur Rache. Sie lieſ - ſen mir durch unbekannte Haͤnde meine Wan - gen ſo jaͤmmerlich zerſaͤgen, daß nach der Hei - lung eine Naht, eine Narbe an der andern ſich darauf befand, und die ganzen Backen einem friſch gepfluͤgten Felde voller Furchen108 nicht unaͤhnlich ſahen. Auch dieſen Verluſt hat mir ein gewiſſer ſpaniſcher Don mit ſech - zig Namen, durch dieſe Larve gluͤcklich erſezt. Sie iſt von dem feinſten egyptiſchen Papiere, mit einem feinen Leime auf der Haut befe - ſtigt und von dem Ritter Mengs nach dem Leben gemahlt

Siehſt du, Bruͤderchen? unterbrach ſie Medardus; wahrhaftig ſo natuͤrlich, daß es der liebe Gott nicht natuͤrlicher machen koͤnn - te. Der Mann iſt ein Tauſendkuͤnſtler!

Vorher wurden alle Erhoͤhungen und Ver - tiefungen der Haut mit einer ſehr geiſtreichen Maſſe geebnet: doch dieſe Wiederherſtellung meiner verlornen Schoͤnheit erhielt ich erſt nach der Verabſchiedung aus dem Hauſe des Marcheſe, und auch die Naſe erſt bey dem Abſchiede. Er liebte mich indeſſen bey allen dieſen Maͤngeln nicht weniger feurig als vor - her. Da meine Neiderinnen mit ihrem Hauptzwecke, mich außer Gewogenheit zu ſe - tzen, noch nicht zu Stande kommen konnten, ſo fuhren ſie fort, wenigſtens meine Schoͤn - heit unter die ihrige zu erniedrigen. Eine meiner Mitſchweſtern, die am ganzen Leibe109 bis auf die Haͤnde eine nicht gemeine Schoͤn - heit war, beneidete meine kleinen runden nied - lichen Engelhaͤndchen, wie du ſie ſonſt nann - teſt, Belphegor, wenn du ſie voll Entzuͤcken an deine Lippen druͤckteſt.

Belphegor ſeufzte.

Als ich eines Tages in einem Boſket ſitze und die emporgerichteten Arme mit aufwaͤrts gekehrten Fingerſpitzen an zween danebenſte - hende Baͤume gelegt habe, um durch dieſe Stellung, die ich meinen Armen jeden Tag eine Stunde gab, das Blut zu noͤthigen aus den Haͤnden und Armen ſich zuruͤckzuziehn und ihr blendendes Weiß dadurch noch blen - dender zu machen, ſo haut mir jemand ploͤz - lich von hinten zu die ganze ſchoͤne marmor - ne Rechte ab, wirft ſein Beil hin und ſtuͤrzt ſich in das Gebuͤſche zuruͤck. Jch ergoß mich in einen Strom von Thraͤnen uͤber den Schmerz, doch am meiſten uͤber den Verluſt einer meiner vorzuͤglichſten Schoͤnheiten. Jch habe nie einen unter meinen Freunden finden koͤnnen, der mich mit einer neuen Hand haͤtte beſchenken wollen, und ob ich gleich verſchiedene Kuͤnſtler ſelbſt darum erſuchte,110 mir eine zu verfertigen, ſo waren ſie doch alle wegen einer Materie verlegen, die den Vorzug der Leichtigkeit und die Schicklichkeit zur Bearbeitung des Meiſels beſaͤße: und einer machte mir ſogar das Kompliment, daß ich der florentiniſchen Venus ihre Rechte weg - ſtehlen muͤßte, wenn meine natuͤrliche die ge - borgte nicht ſogleich uͤberfuͤhren ſollte, daß es eine geborgte waͤre. Hierauf zog ſie aus dem Handſchuhe oder vielmehr einem Futte - rale eine Hand ich mag ſie nicht beſchrei - ben! genug, Medardus und Belphegor hefteten beide, wie verſteinert, einen ſtarren Blick auf ſie und konnten ſich nicht enthalten, ihr unter dem Vorwande, als wenn ſie un - terſuchen wollten, ob es nicht ein angemach - ter Marmor waͤre, mit einem mehr als me - diciniſchen Drucke an den Puls zu fuͤhlen. Doch dies war nicht mein lezter Verluſt: die Haͤlfte meines rechten Ohres, das mir mit einem der ſchoͤnſten Ohrgehenke abgeriſſen wurde, iſt ein Werk der Kunſt, bis ſie zulezt durch eine der liſtigſten Maasregeln mich zwangen, das Haus des Marcheſe zu verlaſ - ſen, wo ich meine papierne Naſe zum Anden - ken von ihm empfieng. Vom Neide und Ei -111 ferſucht vertrieben, floh ich in den Kirchen - ſtaat zuruͤck und langte in der illuſtriſlima republica St. Marino gerade zu der Zeit an, als die geſammten Buͤrger derſelben in Furcht und Aengſten waren, daß der paͤbſt - liche Legat, ſie unter das Joch ſeines Herrn zwingen moͤchte. Alles, Junge und Alte, Weiber, Kinder und Maͤnner waren in tiefer Trauer um ihre Freiheit und baten den lie - ben Gott mit Beten und Faſten inſtaͤndigſt, daß er ſie in Gnaden vor der Herrſchaft ſei - nes Vikars bewahren moͤge. Doch kurz dar - auf wurde ihr Kummer in die hoͤchſte Freude verwandelt, als der Pabſt das Unternehmen ſeines gewiſſenloſen Legaten misbilligte und der Republik ihre alte Freiheit und alſo auch ihre Gluͤckſeligkeit wiederſchenkte eine Handlung von Menſchenliebe und Uneigen - nuͤtzigkeit, die meines Erachtens mehr als eine ganze Ladung Jndulgenzen werth iſt.

Das war ein braver Pabſt, rief Belphe - gor.

Dafuͤr wird ihm aber auch ſein Apfelwein alle Tage recht herrlich ſchmecken, und wenn er heirathen duͤrfte, ſo wuͤnſchte ich ihm oben112 drein eine Frau, wie meine verſtorbne. So eine Belohnung koͤnnte ſchon anreizen, daß man mehrmal ſo eine gute Handlung thaͤt und von dem Syſtem der Unterdruͤckung ab - gienge. Der abſcheuliche Legat! ſo ein Haͤufchen, das ſich nicht wehren kann, un - terdruͤcken zu wollen!

Der Boͤſewicht verdiente eher zu haͤngen, ſprach Belphegor, daß er ein ungerechtes Joch auflegen wollte, als die Bauern, die mich zugleich an den Strang brachten, daß ſie unwillig ein druͤckendes Joch abwerfen wollten. O wer nur mehr Macht haͤtte!

Jch hielt mich kurze Zeit, fuhr Akante fort, bey einem Landmanne des paͤbſtlichen Gebiets auf, der mich von Armuth, Aufla - gen, Ausſaugen, Beſchwerungen und ver - wandten Materien unterhielt, worauf ich mei - nen Weg nach Genua nahm. Jch fand da - ſelbſt jedermann mit Anſtalten zu einem Krie - ge wider die Korſikaner beſchaͤftigt, die jeder - mann verfluchte, daß ſie keine Narren ſeyn und ſich das Bischen Freiheit nehmen laſſen wollten, worauf ſie doch nicht den mindeſten Anſpruch machen koͤnnten, da die GenueſerLuſt113Luſt haͤtten, ihre Herren zu ſeyn. Jch ver - ließ dieſe fuͤhlloſe Stadt und gieng in einer Verkleidung durch die Schweiz und Deutſch - land hieher, wo ich dich, edler Belphegor, unvermuthet fand, wo ich Vergebung von dir fuͤr eine Beleidigung erwarte, zu welcher mich mein Schickſal und dein argliſtiger treu - loſer Freund zwangen, wo ich dieſe Verge - bung erlangen muß, ſollte ich ſie auch durch den Verluſt meines halben Jchs erkaufen muͤſ - ſen. Belphegor! koͤnnteſt du unerbittlich, koͤnnteſt du unverſoͤhnlich ſeyn? Du, deſ - ſen Herz nur von Edelmuthe ſchlaͤgt? Bel - phegor! und ſo fiel ſie vor ihm auf die Kniee.

Siehſt du, Bruͤderchen? Die Huͤfte iſt ja wieder heil: vergieb ihr doch! Du haſt ja gehoͤrt, daß ihr das Herz weh genug that, als ſie dich zur Thuͤr heraus warf: aber der gottloſe Fromal! wenn er nur damals ge - haͤngt worden waͤre, als ich ihn zum Tode bereiten ſollte: der Galgen waͤre ihm doch nur praͤnumerirt worden. Nu, Bruͤder - chen, vergieb ihr! dann, Akante, komm und trinke in meinem neuen Hauſe einen Krug Apfelwein mit mir!

H114

O du Liſtige! rief Belphegor; daß du ſo glatt ins Herz ſchluͤpfen und ein Ja auch wi - der meinen Willen wegſtehlen kannſt! Gern vergeb ich dir: nur rechtfertige meinen Fro - mal! Beweiſe mir, daß er nicht ungetreu iſt, und du haſt mehr als meine Vergebung meine Liebe!

Wenn die Wahrheit mir deine Liebe raubt, ſo muß ich mein trauriges Schickſal tragen rechtfertigen kann ich ihn nicht: ich loͤge, um mich ſelber zu haſſen.

[115]

Drittes Buch.

H 2[116][117]

Die Geſellſchaft trat ihren Marſch an: Belphegor beſchenkte ſeine Gefaͤhrten unterwegs mit oͤftern Klagen uͤber Akantens Untreue und die neuen Beiſpiele von dem Neide und der Unterdruͤckung der Menſchen, die er aus ihrem Munde empfangen hatte; und Medardus ermahnte ſie zur Zufrieden - heit und Froͤlichkeit, indem er ſie oft einen guten Krug Apfelwein in ſeinem neuen Hauſe erwarten hieß, oft uͤber ſeine liebe Frau weinte und oft ein Anekdotchen aus der Hi - ſtorie erzaͤhlte.

Eben war er bey einem Geſchichtchen von der unkeuſchen Meſſaline, als ſie von fern ſich etwas naͤhern ſahen, das ſie nach aller Wahrſcheinlichkeit fuͤr den aufgeregten Staub einer marſchirenden Armee hielten. Him - mel! rief Belphegor, haſt du mich beſtimmt, abermals Zeuge von der Grauſamkeit und Ungerechtigkeit der Menſchen gegen Menſchen zu ſeyn. Kommt! laßt uns fliehen, das nahe ſchreckliche Blutbad nicht anzuſehn! H 3118Mein Herz bricht mir ſchon. Wir koͤnnen nicht fliehen, Bruͤderchen, ſagte Medardus; es ruͤckt ſo ſchnell naͤher, daß wir kaum den naͤchſten Huͤgel erreichen werden, ehe uns ſchon der Staub auf dem Nacken liegt.

Sie eilten zwar, aber wurden ſchon ein - geholt, als ſie noch nicht am Fuße des Huͤ - gels hinangiengen. Die vermeinte Staub - wolke war eins der fuͤrchterlichſten Phaͤnome - ne der Natur eine ſogenannte Waſſer - hoſe*)Eine ungeheure Menge geſammelter Duͤnſte, die die im Texte beſchriebenen Wirkungen, nach dem Berichte der Zei - tungsſchreiber, thun ſoll., dergleichen zwar bisher nur in Hol - land und andern waſſerreichen Gegenden wahrgenommen worden ſind; da aber in der Gegend, wo unſre Geſellſchaft gegenwaͤrtig vor Erwartung zittert und zagt, und die ich meinen Leſern mit gutem Vorbedachte nicht genannt habe, das Meer in der Naͤhe war, ſo ſehe ich keinen Grund, warum man mir die wahrſcheinliche Exiſtenz derſelben laͤugnen wollte. Dieſe Waſſerhoſe war eine der groͤß - ten, ſo lange Zeitungsſchreiber eine Preſſe119 beſchaͤftigt haben; und ein gewiſſer Gelehr - ter, Namens , demonſtrirte mit A B X Y Z, daß beſagte Waſſerhoſe, die er zwar nicht ge - ſehen aber doch in ſeiner Studierſtube ſehr natuͤrlich nach dem verjuͤngten Maasſtabe auf franzoͤſiſchem Papiere abgebildet hatte, nur noch 3 Kraft gebraucht habe, um ein preußiſches Regiment von der Oſtſee zum mit - tellaͤndiſchen Meere zu transportiren. Jzt that ſie weiter nichts, ſo viel wenigſtens unſre Ge - ſchichte angeht, als daß ſie ſich von einem ſtarken Winde herbeyrollen ließ, unſre Rei - ſenden mitten in ihren Schooß faßte, mit ih - nen ſich in die Hoͤhe zog, ſie in der Luft fort - trug, zerplazte und ſie in einer Gegend nie - derſezte, wohin ſie ihre Beine in vielen Wo - chen nicht gebracht haben wuͤrden.

Belphegor und Medardus, die ſich waͤh - rend des Tranſportes unablaͤſſig umarmt hatten, befanden ſich izo an den Donauſtrom in die Wallachey verſezt: doch Akante war von ihnen getrennt. Sie ſchoͤpften Athem und konnten vor Verwunderung und Erſtau - nen kaum zum Worte kommen; beſonders ſchien es ihnen ganz unbegreiflich, wie ſie von einer ſolchen Hoͤhe ohne die mindeſte Ver -H 4120letzung herabſtuͤrzen konnten. Nichts an ih - nen hatte bey dieſer Luftfahrt eine Veraͤnde - rung gelitten, als ihre Kleidung, die durch - aus naß war, welches aber keiner andern Ur - ſache, als der gewaltigen Ergießung von Regen zugeſchrieben werden mußte, die bey ihrer Niederſetzung herabſtroͤmte; und weil ſie in Schlamm ſielen, den eine Ueberſchwem - mung der Donau zuruͤckgelaſſen hatte, ſo diente ihnen dieſer ſtatt eines weichen Bettes, das ihre Gebeine vor aller Beſchaͤdigung be - wahrte. Doch der Strom ergoß ſich von dem uͤbermaͤßigen Plazregen von neuem, und noͤthigte die beiden Ankommenden, ſich un - verzuͤglich auf eine Anhoͤhe zu retten, wo ſie ihre Kleider an der Sonne trockneten, ein je - der ſich auf ein Ohr legte, und beide ein - ſchliefen.

Nach ihrem Erwachen rieth ihnen Klug - heit, Hunger und Selbſterhaltung ihren Weg zu einer menſchlichen Wohnung fortzuſetzen, bis ſie an eine Huͤtte kamen, wo ſie anklopften. Man ließ ſie lange warten, bis endlich ein altes Weibchen ſie aus dem Fenſter in ver - ſchiedenen europaͤiſchen Sprachen weiter gehn hieß. Da ſie unter den vielen eine getroffen121 hatte, die die beiden Reiſenden verſtunden, ſo thaten ſie ihr in der naͤmlichen ihre Be - duͤrfniſſe zu wiſſen, und verſicherten ſie, daß ſie hoͤchſtdringend waͤren, Als die Alte merk - te, daß Vitten nichts vermochten, ſie wegzu - komplimentiren, und die Fremden ſchon nach dem Thuͤrriegel griffen, in doſſen Widerſtand ſie kein ſonderliches Vertrauen ſetzen konnte, und vielleicht auch aus wirklichem Mitleid kam ſie ihren Gaͤſten entgegen und bewill - kommte ſie ſehr hoͤflich. Das ganze Gebaͤu - de hatte nur Ein Zimmer, und ſie fanden al - ſo gleich ohne beſondre Anweiſung den Plaz, wo ſie leben und weben ſollten. Bey ge - nauerer Erkundigung zeigte ſich es, daß ihre Wirthinn eine Chriſtinn, eine geborne Fran - zoͤſinn war, welches ſie auch vor ihrem eig - nen Geſtaͤndniſſe ſchon aus zween Gruͤnden ſchloſſen: weil ſie frauzoͤſiſch hurtig und alle uͤbrige Sprachen ſtotternd ſprach, und weil ſie ſich einmal uͤber das andre aus dem Fen - ſter entſchuldigte, daß ſie nicht im Stande waͤre, les honneurs de la Turquie zu ma - chen, ſo gern ſie wollte.

Sie verſchwendete den ganzen Reſt ihrer vaterlaͤndiſchen Politeſſe, den ihr die Wala -H 5122chey uͤbrig gelaſſen, um ihren Gaͤſten begreif - lich zu machen, daß ſie ihre baldige Abreiſe ſehnlich wuͤnſchte; ſie ſezte ihnen einen Tiſch voll Teller und etwas weniges Eſſen auf, das man unter der Menge Teller kaum finden konnte, und ließ mit einer ſchuͤchternen Be - hutſamkeit die Fremden niemals aus den Au - gen, die ihres Appetites ungeachtet aufmerk - ſam darauf wurden und ein Geheimniß arg - wohnten. Der Argwohn gieng in ihre Mi - ne uͤber, und dies vermehrte die Behutſam - keit der Dame bis zur ſichtbarſten aͤngſtlich - ſten Beſorgniß. Um ſie nicht wahrnehmen zu laſſen, ſchwazte ſie ihnen in einem unauf - hoͤrlichen Stromo vieles von der ſchoͤnſten Stadt de l’Univers, von den diners und ſoupers, aſſemblées, bals und feſtins vor, die ſie mit Pairs, Herzogen, Markis und ſchoͤnen Geiſtern in Paris genoſſen haben wollte: doch ihre Sprache war wegen ihres innerlichen Aufruhrs izt nicht halb ſo fließend mehr, als ſie es ehedem uͤber dergleichen Ma - terien in Paris geweſen ſeyn mochte. Me - dardus brach endlich die Ruͤckhaltung durch und offenbarte ihr aufrichtig, was er von ih - rer Mine und Stimme angwohnte; ſie er -123 ſchrak bis zur Ohnmacht. Man ſuchte ſie zu beruhigen, als man aus einem Winkel der Stube eine ſchnelle Bewegung und darauf das Roͤcheln eines Sterbenden vernehmlich hoͤrte.

Belphegor rennte ſogleich nach dem Orte zu, indeſſen daß Medardus ſich mit der Be - ruhigung der Wirthinn beſchaͤftigte. Jener eroͤffnete ein nicht allzugroßes Gefaͤß, aus welchem ihm der Schall zu dringen ſchien, und entdeckte voller Entſetzen darinne einen Knaben, der in ſeinem Blute ſchwamm und mit dem Tode rang. Er wußte vor Beſtuͤr - zung nicht, was er zuerſt thun ſollte, bald griff er nach dem ſterbenden Knaben, ihn her - auszuziehn, bald ſezte er ſich in Poſitur, zur Franzoͤſinn zu laufen, bald wollte er jenem helfen, bald dieſe zur Rechenſchaft ziehn. Unter dem Gewuͤhle eines ſo vielfachen Wol - lens und der hoͤchſten Unentſchloſſenheit, faß - te er endlich ploͤzlich die kuͤrzeſte Partie und zog den von Blute triefenden Juͤngling her - aus, der unter fuͤrchterlichen Konvulſionen in ſeinen Haͤnden das Leben ausbließ. Die Rettung war alſo unmoͤglich, und Belphe - gor, der die Franzoͤſinn voͤllig im Verdachte124 des Mordes hatte, ſprang mit ſeinem ge - woͤhnlichen Feuer auf ſie los, um ihr was weis ich? die Kehle zuzudruͤcken, wenig - ſtens den vermeinten Mord empfindlich zu raͤchen: doch Medardus ſchuͤzte ſie wider den Eifer ſeiner ſtrafenden Gerechtigkeit. Bruͤ - derchen, ſprach er und hielt ihn von ihr zu - ruͤck, erſt wollen wir hoͤren, was ſie zu ſagen hat. Darauf fieng er das Verhoͤr an, und ſie verſprach ihm, jede ſeiner Fragen zu beantworten, ſo bald ihre Ruhe wiederherge - ſtellt ſeyn wuͤrde.

Ach, fieng ſie darauf an, der Ungluͤckliche, den Sie hier im ſeinem Blute erblicken, woll - te dem unſeligſten Tode entfliehen, und muß - te ſich ihn mit eigner Hand anthun. Es iſt der juͤngſte Bruder des itzigen Sultans, Prinz Amurat. Jhre Zuhoͤrer erſtaunten. Sie wiſſen, daß der Deſpotiſmus eine grau - ſame Vorſicht erfodert, die jeden Thronbe - ſteiger noͤthigt, allen Empfindungen der Bru - derliebe, des Blutes zu entſagen, und un - barmherzig jeden Verwandten niederzumetzeln, den ein ungluͤcklicher Einfall verleiten koͤnnte, dem Deſpoten ſeine Macht ſtreitig zu machen. Kaum hatte der gegenwaͤrtige Tirann den125 erſten Schritt. zu der Herrſchaft uͤber die Ot - tomanen gethan, als er um ſeiner Sicherheit willen ſeine ein und zwanzig Bruͤder, Vettern und andre Anverwandten ermorden ließ: alle erlagen unter ihrem Schickſale, nur die - ſer Prinz, der ſich durch ſein Naturell uͤber ſeine Erziehung erhoben hatte, ruͤhrte durch ſeine einnehmenden Bitten den abgeſchickten Moͤrder, der ſchon den Dolch auf ihn gekehrt hielt, daß er einen Sklaven an ſeiner Stelle umbrachte und ihm im Sklavenkleide auf die Flucht verhalf. Er kam in dem klaͤglichſten Zuſtande vor drey Tagen an meine Thuͤr, bat mich ihn einzunehmen, und hatte den edlen Muth, ſich mir geradezu zu entdecken, mit der Erklaͤrung, daß er einen Dolch bey ſich trage, den er ſich augenblicklich ins Herz ſtoßen wolle, ſo bald er in Gefahr gerathen werde, in die Haͤnde ſeiner Feinde zu fallen. Sie wiſſen, daß eine Franzoͤſinn zu ſchwach iſt, den Bitten einer ſchoͤnen Mannsperſon zu widerſtehn Mitleid und Liebe ſind die Elemente unſers Weſens ich nahm ihn auf; ich habe ihn erhalten, verborgen, ſo bald die mindeſte Gefahr drohte: ich verbarg ihn bey Jhrer Ankunft in dieſem Faſſe. Ver -126 muthlich glaubte er, als er uns ſo lange in einer fuͤr ihn unverſtaͤndlichen Sprache reden hoͤrte, daß Sie Ausſpaͤher waͤren, daß ich ihn verriethe und hinterliſtig in Jhre Gewalt liefern wollte: vermuthlich durchbohrte er ſich darum mit dem ſchon laͤngſt bereiteten Dolche, den er nie von ſeiner Seite ließ: darum zitterte ich fuͤr ihn, und moͤgen Sie Kundſchafter ſeyn oder nicht, Sie haben mei - ne That entdeckt: ſind Sie ausgeſchickt ihn auszuforſchen eh bien! hier iſt mein Kopf: ich that eine Pflicht der Menſchlich - keit, begehn Sie an mir eine That der Un - menſchlichkeit. Mit dieſer witzigen Anti - theſe fiel ſie auf die Kniee und legte ihren Kopf in Bereitſchaft zum Abhauen auf einen Seſſel.

Da ſie bey dieſer Gelegenheit ein ſehr huͤb - ſches witziges Ende haͤtte nehmen koͤnnen, was einem Franzoſen gerade das iſt, was wir Deutſche ein erbauliches nennen, ſo war ſie beinahe unzufrieden, daß ſie von den beiden Fremden in der Erwartung des Todes ge - taͤuſcht und ihres Lebens theuer verſichert wurde. Beide huben ſie auf und vereinig - ten ſich mit ihr, den todteu Koͤrper bey Seite127 zu ſchaffen, den ſie in moͤglichſter Eile ver - ſcharrten und die blutigen Spuren ſeines To - des auf dem Boden auftrockneten.

Nach Endigung dieſer tragiſchen Begeben - heit war die Franzoͤſinn gaͤnz frey und ungo - hindert, den Fremden les honneurs de la Turquie zu machen, welches ſie auch mit vielem Eifer that, woran ſie vorhin die Ge - genwart des Prinzen verhindert hatte, den ſie durch ihre Mine zu verrathen fuͤrchtete: denn, ſagte ſie, einem Franzoſen liegt ſein Leben weniger am Herzen als Wort und Eh - re. Sie bot ihnen ſogar freiwillig ein Nacht - lager an, welches ſie mit der erkenntlichſten Freude annahmen.

Des Abends wurde ſie erſucht, ihnen zu melden, wie ſie ein Land der Menſchlichkeit und feiner Sitten, wie ihr Vaterland, mit die - ſem Wohnhauſe der Barbarey und der Grau - ſamkeit habe vertauſchen koͤnnen. Schreck - liche Schickſale mußten Sie hieher verſchla - gen, Madam, ſagte Belphegor.

Ja, ſchreckliche Schickſale! war ihre Ant - wort. Jch bin die bekannte Markiſinn von E., die den großen Kriminalprozeß verlor,128 die uͤberfuͤhrt wurde, ihren Mann vergiftet zu haben, und doch vor Gott und ihrem Ge - wiſſen unſchuldig war; und davon wiſſen Sie nichts? Wie iſt es moͤglich, daß ſie auf der Welt ſind und eine Sache nicht wiſ - ſen koͤnneu, die in Frankreich vorgieng? Mein Mann ſtarb ploͤzlich, und alle Merkma - le der Vergiftung machten die Art ſeines To - des unzweifelhaft. Jch hatte nicht allzu wohl mit ihm gelebt: er war ein muͤrriſcher, ei - geuſinniger, harter Ehemann, ſo unfreund - lich und tuͤkiſch, daß er mich mit ſeinem Vor - wiſſen keine Freude genießen ließ, und ſie zu hindern oder doch zu verbittern ſuchte, wenn mir der Zufall eine ohne ſein Zuthun zuwarf. Sein finſtres menſcheufeindliches Gemuͤth konnte unmoͤglich jemanden froh, zufrieden und gluͤcklich ſehn, ohne ſich ſelbſt fuͤr min - der gluͤcklich zu halten, und weil er keines Vergnuͤgens faͤhig war, ſo war ihm alles verhaßt, was ihn hierinne uͤbertraf: die Munterkeit eines Thiers gab ihm ſchon ſchlim - me Laune. Da ich ein betraͤchtliches Ver - moͤgen zu ihm gebracht hatte, ſo trennte ich mich auf eine Zeit lang von ihm; und er war untroͤſtlich und arbeitete mit allen Kraͤf -ten,129ten, mich wieder zu einer Ausſoͤhnung zu bringen: vermuthlich war es ihm uner - traͤglich, niemanden zu haben, an dem er ſeine boͤſe Laune befriedigen konnte. Das Herz einer Dame vergiebt ſchon, indem es uͤber die Beleidigung zuͤrnt: die dringenden Bitten ſeiner Anverwandtinnen beredeten mich, wieder zu ihm zuruͤckzukehren. Jm Anfange war er, wenigſtens ſo ſehr er es ſeyn konnte, ein ertraͤglicher und beinahe guͤ - tiger Gemahl: doch in vier Wochen war er durch dieſen Zwang erſchoͤpft; er warf ihn ab: ſeine Guͤtigkeiten waren nur, ſo zu ſagen, pattes de velours geweſen, und er zog izt ſeine ganzen Krallen hervor. Mitten unter unſern Unzufriedenheiten ſtarb er ploͤzlich an einer Vergiftung, die durch die guͤltigſten Be - weiſe gerichtlich dargethan wurde. Jch hatte keine ſonderliche Urſache, betruͤbt zu ſeyn, ich war es nicht, und fand auch keine, es mehr zu ſeyn, als ichs war. Jch wollte mein Ver - moͤgen zuruͤckziehn und ſeinen Erben das ſei - nige uͤberlaſſen, denen es gebuͤhrte, weil wir keine Schenkung errichtet hatten: doch dieſes war mit jenem in den lezten Jahren ſo verwebt worden, daß eine AbſonderungJ130ohne weitlaͤuftige Streitigkeiten nicht geſche - hen konnte. Eine Dame iſt fuͤr die Kaͤmpfe der Liebe, aber nicht fuͤr die Kaͤmpfe der Ge - rechtigkeit gemacht: ich ließ von meinem Rechte bis zu einer betraͤchtlichen Schmaͤle - rung meines Vermoͤgens nach, um zur Ruhe zu gelangen. Umſonſt ſchmeichelte ich mir mit dieſer Hoffnung: ſeine Erben machten auf einmal, ſchon einige Zeit nach dem Tode meines Mannes, einen Prozeß wider mich an - haͤngig, worinne ſie mir die Vergiftung mei - nes Mannes ſchuld gaben. So rein ich mein Gewiſſen fuͤhlte, ſo wenig fuͤrchtete ich von dem Ausgange etwas mehr als einen Verluſt meines Vermoͤgens: doch die Sache bekam die ungluͤcklichſte Wendung wider mich. Ad - vokaten, Schreiber, Richter parlirten, ſchmier - ten, referirten, dekretirten ſo lange, bis ich fuͤr ſchuldig erkannt, und mir Vermoͤgen, Le - ben und Ehre abgeſprochen wurden. Jch Ungluͤckliche! um dem traurigſten Schickſale zu entgehn, floh ich aus meinem Vaterlande und ließ die Schande auf meinem Namen zu - ruͤck, die ich nicht ſelbſt tragen wollte. Jch wurde von einigen Kaufleuten, die meinem Vater große Verbindlichkeiten ſchuldig waren,131 nebſt einem kleinen Reſte meines Vermoͤgens hieher gerettet. Jch kaufte dieſe elende Huͤtte und eine Sklavinn, mit welcher ich hier in der Einſamkeit lebte und noch lebe. Vor ei - nem Jahre beſuchte mich einer von dieſen edelmuͤthigen Maͤnnern, der mir die ange - nehme Nachricht brachte, daß mein Name von der Schande des Mordes befreyt ſey, und daß ich ungehindert und ohne Gefahr in mein Vaterland zuruͤckkehren koͤnne. Durch die Ausſage eines Maͤdchens, das unter neun Vergiftungen auch dieſe bekannt hatte, wa - ren einige meiner Freunde veranlaßt worden, die Sache von neuem in Bewegung zu brin - gen. Nachdem mein Name zwanzig Jahre lang unter der entehrendſten Schande gelegen hatte, nachdem ich meines Vermoͤgens, mei - ner Freunde, meines Vaterlandes, meiner Ruhe, meiner Gluͤckſeligkeit beraubt war, nachdem ich meine beſten Tage in der Einſam - keit, dem Kummer, der Verachtung, der Duͤrftigkeit verſeufzt hatte, ließ man mir die Gerechtigkeit widerfahren, mich fuͤr unſchul - dig zu erklaͤren, fand man, daß einer meiner ehemaligen Richter, der einen von mir wenig geachteten Anſpruch auf mich machte, den ichJ 2132mit einiger Verachtung von mir wies, der Anſtifter der Vergiftung war, daß er durch tauſend liſtige Kunſtgriffe der Sache eine ſol - che Wendung zu geben gewußt hatte, wo - durch der Verdacht wider mich bis zur hoͤch - ſten Wahrſcheinlichkeit erhoͤht und dadurch von ihm deſto weiter entfernt wurde, welches um ſo viel leichter geſchehn konnte, weil nie - mand als das Maͤdchen und Er um den Mord wußten, und jenes mit einem Offiziere außer Landes gefluͤchtet war. Die Treuloſe war, wie ich mich nachher beſonnen habe, zu der Zeit, als mein Mann ſtarb, mein Kam - mermaͤdchen, und entfloh denſelben Abend, als die Vergiftung bekannt wurde ein Umſtand, den man wider mich nuͤzte und mich beſchuldigte, mit Beſtechungen das Maͤd - chen vermocht zu haben, durch ihre Flucht meine Schuld auf ſich zu nehmen. Guͤti - ger Gott! Meine Ehre, meine Unſchuld, mein Name iſt gerettet: aber zwanzig Jahre lang unter dem druͤckenden Joche der Schande zu ſchmachten, das, weine Herren, das nagt das Herz. Kann eine ſo ſpaͤt, ſo zufaͤllig erlangte Gerechtigkeit den langen Kummer, Schmerz, Schande wieder erſetzen? kann ſie133 mir zwanzig ungluͤckſelige Jahre wieder geben und gluͤcklich machen? Nein! Wehe dem Unterdruͤckten, dem Unrecht leidenden! Seichter Troſt, daß man ohne Verſchul - dung leidet! Er erhaͤlt das Leben, daß es der Schmerz nicht gleich zerfrißt, um deſto laͤn - ger daran zu nagen.

Belphegor konnte von ſeinem Erſtaunen nicht zuruͤckkommen, daß man in einem Lande, welches die Geſezgebung der Manieren, der Moden und Ergoͤzlichkeiten in ganz Europa an ſich geriſſen hat, die Geſetze, welche das Ei - genthum, die Ehre und das Leben des Ein - wohners ſichern ſollen, in einer Verfaſſung laͤßt, die eine ſolche Unterdruͤckung, eine ſol - che Ueberſehung der Unſchuld moͤglich macht. Die Geſetze, die Art des gerichtlichen Ver - fahrens, die Verfaſſung muß doch die einzige Quelle ſeyn, aus welchem Jhr Ungluͤck her - floß, ſagte er. Leicht bleibt der Schuldige ungeſtraft: tauſend Umſtaͤnde, ohne die menſchliche Schwachheit, machen es moͤglich; aber wehe, wehe! wenn es moͤglich iſt, daß der voͤllig Unſchuldige mit dem Schuldigen verwechſelt und an ſeiner Stelle geſtraft wird!

J 3134

Jn Deutſchland wuͤrde das nicht geſchehn, ſprach Medardus; das iſt gar ein braves Laͤndchen, Madam. Wenn mich nur der ungluͤckliche Sturm nicht ſo weit von meiner Heimath verſchlagen haͤtte! Sie ſollten wahrhaftig bey mir wohnen und allen mei - nen Apfelwein mit mir theilen. Wenn Sie wollen, noch iſt es Zeit: in dem Lande hier koͤnnte ich ſo nicht bleiben: es geht ja ſo bar - bariſch, wie unter den Menſchenfreſſern, zu.

O, mein Herr, erwiederte die Markiſinn, hier hat die Unterdruͤckung ihre natuͤrliche grauſe wilde Mine: doch anderswo traͤgt ſie tauſend betriegeriſche Larven, wovon eini - ge das Ungeheuer ganz unkenntlich machen, nicht eher darunter vermuthen laſſen, als bis man von ſeinen Zaͤhnen gewuͤrgt wird. Ei - ner meiner Bruͤder iſt exilirt, der andre ver - brannt worden.

Beide Gaͤſte exklamirten laut vor Erſtau - nen.

Der eine war ein Hugenott, fuhr ſie fort, der andre ein Feind der Geiſtlichkeit und be - ſonders der Jeſuiten. Dieſer, der juͤngſte von beiden, ließ ſich von jugendlichem Feuer135 und dem noch ungeſtuͤmern Eifer der Recht - ſchaffenheit hinreißen, etlichen ihrer unver - antwortlichen ſchaͤdlichen Meinungen zu wi - derſprechen. Er glaubte aus Mangel an Erfahrung, daß es genug ſey, Recht zu ha - ben, um Recht zu behalten, und daß man, um unſinnige Meinungen zu verdraͤngen, nichts brauche, als den Schuz der Vernunft und Wahrheit. Man begnuͤgte ſich anfangs, ſeine Meinungen als ketzeriſch und ſchaͤdlich zu verdammen, dem Urheber derſelben etwas von der Verdammniß mitzutheilen, und ihn in die Flammen zu wuͤnſchen, die ſein Buch verheerten. Man laͤrmte, man ſchrie, man verfolgte ihn mit Verlaͤumdungen, man mach - te ſeinen Namen bey jedermann beinahe in - fam, und behielt den Groll im Herzen, um ihn bey der erſten guͤnſtigen Gelegenheit zu ſeinem Verderben auszulaſſen. Sie zeigte ſich: die Boshaften, die kein andres Jnter - eſſe hatten, ihn zu Grunde zu richten, als daß er ſich Vorurtheilen widerſezte, die ſie blos vertheidigten, weil es verjaͤhrte Vor - urtheile waren, ſtuͤrmten mit einer Wuth auf ihn los, die nicht heftiger haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn er die Grundſtuͤtzen der Religion mitJ 4136verwaͤgener Hand niedergeſtuͤrzt haͤtte. Man ſtreute eben damals Erzaͤhlungen von Wun - dern aus, die ein neu entdecktes Haar von den Augenwimpern des heil. Jgnatius gethan haben ſollte. So laͤcherlich und ungereimt die Erdichtungen waren, ſo ſehr ihre Falſch - heit in die Augen ſprang, ſo leicht ließen ſich vornehme und geringe Laien von ihrer Wahr - haftigkeit uͤberzeugen. Die Abſicht war ei - gentlich, einem ungeſtifteten Kloſter Goͤnner, Bewunderer und Beitraͤge zu verſchaffen: der Franzoſe, der alle Nationen uͤber die Schul - tern anſieht und vielleicht in vielen Stuͤcken ein Recht dazu hat, glaubte uͤbel erſonnene Maͤhrchen, die mit Mutter Gans in einem Range ſtanden, und opferte reichlich. Mein Bruder, vielleicht halb von Rache, aber ge - wiß auch halb vom Eifer der Wahrheit an - gefeuert, trat zum zweitenmale auf den Kampfplaz; aber zu ſeinem Ungluͤcke. Man beſchuldigte ihn der ſchwaͤrzeſten Verbrechen, man brauchte die niedertraͤchtigſten Kunſt - griffe, falſche Zeugen, untergeſchobne Briefe, um ihn der Gotteslaͤſterung und Jrreligion zu uͤberfuͤhren. Man gelangte zu ſeinem Zwecke; der unwiſſende Poͤbel iſt jederzeit137 auf der Seite des Betriegers: er verlangte die Verurtheilung meines Bruders. Der Mann, der ſie aus den Ketten der Unwiſſen - heit und dem Deſpotiſmus fanatiſcher Moͤnche reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und Niedriger oͤffentlich verbrannt.

Himmel! ſchrie Belphegor, oͤffentlich ver - brannt! So ſind ja die Banden der tuͤrki - ſchen Sklaverey tauſendmal leichter als die Tiranney eines unerleuchteten Klerus!

Tauſendmal leichter, mein Herr! Hier ſtirbt der Sklave mit Einem Dolchſtiche, ohne Schande; der Deſpot, deſſen Eigen - thum er iſt, wirft ihn weg, wie ein abgenuz - tes Kleid; ſein Loos befremdet ihn nicht, weil er auf kein andres Anſpruch machen kann: allein wo der Buͤrger eines Staats den maͤch - tigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat, da iſt es ihm unendlich ſchwer, etwas zu dul - den, das nicht mit ihr beſteht. Unter dem deſpotiſchen Himmel toͤdtet man mit Einem Hiebe, unter vielen andern quaͤlt man mit hunderttauſend Stichen langſam zu Tode: denn alle kann man nicht verbrennen, wie meinen Bruder.

J 5138

O, ſeufzte Belphegor, welch Unthier iſt der Menſch! Jmmer ein Unterdruͤcker, hier des Eigenthums, dort des Menſchenverſtan - des, hier des Rechtſchaffnen, dort des Armen!

Ja, faßte Medardus die Rede auf, daß die Menſchen doch ſo einfaͤltige Kreaturen ſind! Jn Ruhe und Friede koͤnnten ſie bey einander ſitzen, ein Glas Apfelwein trinken und ſich einander ihr Leben erzaͤhlen: aber nein! da ſchlagen, ſchmeißen, balgen ſie ſich, wie das liebe Vieh; und noch aͤrger machen ſies: denn die Thiere verſchlingen ſich doch nur aus Hunger, aber die Menſchen, wenn ſie der Hunger nicht dazu zwingt, ſuchen ein Sylbchen, ein Woͤrtchen, und verbrennen, haͤngen, koͤpfen und ſengen ſich daruͤber.

Ja, leider, ſprach die Dame, ſonſt waͤre mein aͤlteſter Bruder nicht aus dem Schooße des Vaterlandes, ſeiner Guͤter, ſeiner Fami - lie vertrieben worden, weil er ein heimlicher Hugenott war. Ein Elender, dem er einen kleinen Dienſt verſagt hatte, weil er ihn deſ - ſelben unwuͤrdig hielt, gab ihn an; er muß - te, um ſich nicht der Verfolgung preis zu ge -139 ben, mit Schiffbruch ſein Vermoͤgen retten und den Weg wandern, den viele tauſend ſeiner Bruͤder gegangen ſind, in Laͤnder, wo Vernunft und Freiheit herrſchen, und ver - nuͤnftig denken und wahr denken eins iſt: noch gluͤcklich, daß er nicht zu jenen Zeiten der hoͤchſten Unmenſchlichkeit lebte, wo Frank - reich ſeine Felder mit dem Blute ſeiner Ein - wohner duͤngen wollte! O du ſchaͤndlich - ſter verderblichſter unter allen Deſpotiſmen! Deſpotiſmus des Aberglaubens, der Schein - heiligkeit, der Habſucht im ſchwarzen Man - tel, der heiligen Dummheit, der Vorurtheile! verheere nicht laͤnger mein Vaterland, deſſen milder Himmel nur Menſchlichkeit und ge - ſunde Vernunft einfloͤßen ſollte! verheere kein Land dieſer Erde mehr! und die ihr es ver - moͤgt, tilgt, ſengt, ſchneidet, wuͤrgt, reu - tet ihn von der Wurzel aus, wo ihr ihn fin - det, wenn ihr euch und euer Volk liebt!

Belphegor, der nur ein Fuͤnkchen brauchte, um in die Flamme der Begeiſterung aufzulo - dern, fiel auf ſeine Kniee und rief mit entzuͤck - ter Stimme: O du goͤttliches Geſchenk! Frei - heit zu denken, Freiheit zu reden! komm auf alle Laͤnder herab, die der Gluͤckſeligkeit140 einer allgemeinern Erleuchtung immer naͤher ruͤcken! Komm! wuͤrge den ſchaͤndlichſten Goͤtzen, den Aberglauben, und reiße ſo viele Provinzen, die die bluͤhendſten ſeyn koͤnnten, aus den Ketten des graͤulichſten Deſpotiſinus, des Deſpotiſmus uͤber den Menſchenver - ſtand. Kommt! wobey er aufſprang wir wollen allen den ſcheußlichen Tirannen die Kehle zudruͤcken, die ihre Groͤße auf die Unterdruͤckung der Vernunft, auf die Skla - verey der Unwiſſenheit und Dummheit baun! die den Keim der Menſchenliebe erſticken, und feindſelige Rotten aus Menſchen machen, die ſich, wie Bruͤder, lieben wuͤrden, und izt ſich haſſen, weil man ihnen den Haß befiehlt! Kommt!

Naͤrrchen, Naͤrrchen! wohin denn? ſprach Medardus und faßte ihn bey der Hand. Der Herr Markis iſt ja in Frankreich verbrannt worden, und wir ſind in der Tuͤrkey. Ach, wir werden genug zu kaͤmpfen und zu ſtreiten finden, ohne daß wir erſt ſo weit laufen, um Feinde aufzuſuchen. Da iſt mir doch Deutſch - land ein ander Laͤndchen, Madam: da ſitzen ſie ſo ſtill und ruhig beyſammen, wie die Laͤmmchen; wenn ſie einander gleich nicht gut141 ſind, ſo laſſen ſies doch wenigſtens dabey be - wenden, daß ſie einander nicht lieb haben. Mannichmal fuſchen wohl ein Paar wunder - liche Koͤpfe auch ins Verfolgungshandwerk, aber ſie muͤſſen doch nur im Kleinen arbei - ten; und wenn ſie zu laut werden, ſo ſtehn auf allen Ecken Aufpaſſer, die ſie oͤffentlich ausziſchen und auslachen; auf dieſem Wege giebts dort wahrhaftig nicht viel rechtes mehr zu verdienen. Den erſten Krug Apfelwein, den ich in meinem Leben wieder an meine Lippen ſetze, trinke ich auf die Geſundheit des deutſchen Menſchenverſtandes aus. Nicht Bruͤderchen? du biſt dabey?

Belphegor bejahte es wohl; aber ſein Herz war nicht bey der Bejaͤhung. Er dachte noch etlichemal an die Welt und an Akanten, die ſich ihm izt wieder ſehr wichtig gemacht hatte, legte ſich nieder und ſchlief ein.

Sie hatten nicht lange die Ruhe genoſſen, als ein Trupp tuͤrkiſcher Soldaten mit Tu - mult zum Hauſe hineinſtuͤrzte und mit Gewalt den Prinzen Amurat darinnè finden wollte. Die Markiſinn glaubte, dieſe Barbaren durch die Nachricht von ſeinem Tode zu gewinnen,142 und verſicherte ſie, daß er auf ihrer Schwelle ſich ermordet habe, zeigte ihnen ſeinen bluti - gen Dolch, wies ihnen ſein Grab, und ließ ſie ſeinen Leichnam ausgraben und beſichti - gen. Wider ſo deutliche Beweiſe hatten ſie freilich nicht Luſt, etwas einzuwenden; allein da ſie einmal zum Morden ausgeſchickt waren, und in der Tuͤrkey ein Menſchenleben die wohlfeilſte Waare iſt, ſo ſpalteten ſie, um der Abſicht ihrer Sendung ein Genuͤge zu thun, die alte Markiſinn nebſt ihrer Skla - vinn, jede in zwey Stuͤcken, und die beiden Fremden, weil ſie noch jung waren und alſo etwas gelten mußten, beſchloſſen ſie mitzu - nehmen und an den erſten Liebhaber als Skla - ven zu verkaufen, wovon aber weder Belphe - gor noch Medardus etwas wußten, weil ſie die Sprache ihrer Ueberwaͤltiger nicht ver - ſtanden; ehe ſie es vermuthen konnten, wa - ren ſie das rechtmaͤßige Eigenthum eines Mannes, der ſie zu den niedrigſten Beſchaͤf - tigungen beſtimmte. Siehſt du, Bruͤder - chen? ſagte Medardus, als er zum erſtenmale ſeine elende Koſt genoß, nun iſt es mit dem Apfelweine vorbey! der ganze ſchoͤne Vor - rath, den ich mir in meine Wohnung habe143 ſchaffen laſſen, wird verderben: denn ſo bald werden wir aus dem Raubneſte nicht wieder hinauskommen, das merke ich wohl. Wenn das meine liebe Frau wuͤßte du gutes Kind! wie wohl iſt dir! mit Thraͤ - nen ſagte er das; wie wohl! und dein Maͤnnchen iſt gar ein Sklave, ein elender Hund! Doch muthig, Bruͤderchen! die Vorſicht lebt noch; da trink die elende Pfuͤtze, und denke, es iſt Apfelwein! da! Gluͤckliche Ruͤckkunft nach Hauſe! und ſo trank er er ihm einen Topf voll ſchmuziges Waſſer zu, wovon Belphegor einen kleinen Schluck mit verzerrtem Geſichte nahm.

Unterdeſſen war die Entfliehung des Prin - zen Amurat ruchbar geworden, und ein un - bekannter niedriger Mann ließ ſich es einfal - len, dieſen Ruf zu nuͤtzen und ſein natuͤrli - ches Recht auf den Thron des Deſpoten durchzuſetzen: denn wo Unterdruͤckung und Gewalt die einzige Stuͤtze des Throns iſt, da hat jedermann ein gegruͤndetes Recht, ihn zu beſteigen, wer den Beſitzer herunterwerfen, ſich hinaufſchwingen und ſeinen Siz mit jenen beiden Stuͤtzen befeſtigen kann. Jedermann, der ſich zu ihm ſchlug, war ſicher und gewiß,144 daß er, wenn die Unternehmung gelang, blos die Perſon des Deſpoten veraͤnderte: nie - mand hatte einen Begriff von einer andern Regierungsform, noch Begierde dazu: man ſtritt hoͤchſtens fuͤr die Ehre, ſich ſeinen Un - terdruͤcker ſelbſt gewaͤhlt zu haben. Dieſes geringen Vortheils ungeachtet, verſchafte ihm doch die angeborne Neigung des Menſchen zum Kriege und eine gewiſſe neidiſche Freude, den Tirannen, den man, wenn er maͤchtig iſt, fuͤrchten muß, zu ſtuͤrzen, und ſich da - durch gleichſam fuͤr die bisherige Furcht zu raͤchen dieſe beiden Antriebe verſchaften dem Anfuͤhrer einen ſo zahlreichen Anhang, daß er allenthalben die ſchrecklichſte Verwuͤ - ſtung verbreitete, und jedermann entweder fuͤr ihn fechten oder niedergehauen werden mußte.

Bey einer ſo nahen und fuͤrchterlichen Ge - fahr hielt es der Herr des Belphegors und Medardus fuͤr die beſte Partie, mit ſeinen Effekten, ſo viel er davon fortbringen konnte, und ſeinen Sklaven ſich durch die Flucht zu retten und den ganzen zuruͤckgelaßnen Reſt ſeinem Leben und der Wuth der Rebellen auf - zuopfern. Ein Trupp hatte ſich in einenDiſtrikt145Diſtrikt geworfen, durch welchen die Entfloh - nen ſchlechterdings wandern mußten. Sie fanden ringsum die entſezlichſten Spuren der Verheerung und der unſinnigſten Grauſam - keit: zitternde Glieder ermordeter Saͤuglinge, die im Blute ihrer Muͤtter ſchwammen, ver - ſtuͤmmelte halblebende Greiſe, Gewimmer von Sterbenden, fliehende, verfolgende, in der Ferne flammende Doͤrfer, dampfende Brand - ſtellen, das Laͤrm der Mordenden, das Ge - ſchrey der Ermordeten, das Aechzen der Zer - tretnen, das Wiehern verwundeter Roſſe, blutbedeckte Felder, deren Furchen von Baͤ - chen ſtroͤmten, Verwirrung, Angſt, Todes - ſchmerz und der Tod ſelbſt in den grauenvoll - ſten Geſtalten dies war das Bild, das ſie eine lange Strecke neben ſich auf einer weiten Ebne ſahen: da ſie aber mit ihrem Gepaͤcke von duͤnnem Buſche bedeckt waren, ſo entgiengen ſie der ohnehin beſchaͤftigten Aufmerkſamkeit der Barbaren.

Belphegor zitterte vor Entſetzen und Zorn bey der Erblickung eines ſo unmenſchlichen Schlachtfeldes, und Medardus war ganz verſteinert. Bruͤderchen, ſprach er endlich leiſe zu jenem, das geht dir hier zu, wie inK146der Hoͤlle: die Schlacht zwiſchen dem Hanni - bal und Scipio kann nicht ſo blutig ausge - ſehn haben. Mich friert vor Grauſen; was machſt du denn, Bruͤderchen?

Jch verbrenne! rief Belphegor. Gott! Geſchoͤpfe von Einem Geſchlechte, aus Einem geiſtigen und koͤrperlichen Samen gezeugt, Geſchoͤpfe, die ſich einer Vernunft ruͤhmen, erwuͤrgen ſich? erwuͤrgen ſich im tummen trunknen Taumel der Mordſucht, ohne daß eine einzige fuͤr ihre Wohlfahrt wichtige Ur - ſache ihr Blut fodert! um ein Nichts, aus bloßer toller Begierde ſich die Koͤpfe zu zer - ſchmeißen! O, Freund, den erſten beſten Dolch moͤchte ich mir in die Bruſt ſtoßen, um nicht mehr zu einer raſenden Gattung von Geſchoͤpfen zu gehoͤren, die nicht verdienen, daß eine Sonne uͤber ihnen aufgeht, oder ih - nen ein Mond leuchtet. Thiere fuͤhren doch nur den allgemeinen Krieg mit Thieren ande - rer Art, und ſcheuen unwiſſend die heiligen Bande, die ſie zu Einem Geſchlechte verknuͤ - pfen: aber der Menſch iſt das aͤrgſte Un - geheuer der Hoͤlle. Jch bin mir ſelbſt gram, ein Menſch zu ſeyn.

147

Ja, Bruͤderchen, es geht wahrhaftig bunt her: wenn Wir nur erſt gluͤcklich durch waͤ - ren, dann moͤchten ſie ſich ſchlachten, wenns ihnen nun ja ſo beliebt.

O moͤchten ſie uns lieber zerfleiſchen und unter dem allgemeinen Ruine begraben! Was nuͤzt uns der elende Lebenshauch, als nur um die Grauſamkeit der Menſchen zu leiden und leiden zu ſehn. Komm! ich ſtuͤrze mich mit - ten unter die Barbaren, und wohl mir, wenn ich erliege!

Naͤrrchen, Naͤrrchen! rief Medardus und zog ihn aus allen Kraͤften zuruͤck. Die Vor - ſicht lebt noch: wer weis, wozu das gut iſt, daß ſich die Leute hier die Kehlen abſchneiden? Auf dem Felde hier wird folgendes Jahr das ſchoͤnſte Getreide wachſen. Wer weis, ob uns das Metzeln hier nicht deſto eher wieder zu meinem Apfelweine verhilft? Zu etwas muß es doch gut ſeyn. Wenn ſie uns nur die Kehlen ganz laſſen; ſonſt iſt es mit der Hofnung aus.

Belphegor wurde unwillig uͤber die Gelaſ - ſenheit ſeines Freundes und ſchoß einen ver - aͤchtlichen Blick auf ihn, der aber noch nichtK 2148voͤllig bis zum Medardus gekommen war, als die Rebellen das Gepaͤcke hinter ihnen anfie - len, Fuͤhrer und Laſtthiere niedermachten, die aufgepackten Effekten zerhieben, zertraten und nur etliche tragbare Kleinigkeiten nah - men, den Sklaventrupp gleichfalls angriffen und unbarmherzig niederhieben: alle, auch Belphegor und Medardus, lagen in Einem Haufen zuſammen. Da die Heldenthat ver - uͤbt war, giengen die Krieger zu dem Haupt - chore mit ihren Lorbern zuruͤck.

Belphegor und Medardus waren nur ver - wundet und in dem Wirbel des Scharmuͤ - tzels unter die Todten mit niedergeriſſen wor - den. So bald die erſte Betaͤubung des Schreckens verſchwunden war, ſo arbeiteten ſie ſich unter den Erſchlagnen allmaͤhlich her - vor, einer lieh dem andern ſeine Kraͤfte, und es gelang ihnen hervorzukommen: doch er - mattet von Arbeit und Verblutung ſanken ſie auf die oberſte Reihe wieder zuruͤck. Mit der Kleidung der Getoͤdeten ſtopften und verban - den ſie endlich ihre Wunden und ſchleppten ſich nach dem Orte zu, wo die Pluͤnderung des Gepaͤckes vorgegangen war, aus einer ſehr weiſen Vorſicht, ihrem gaͤnzlichen Man -149 gel durch eine Koſtbarkeit abzuhelfen, die viel - leicht ihre Moͤrder in der Hitze der Verwuͤ - ſtung zuruͤckgelaſſen haben moͤchten. Unter vielen verderbten vortreflichen Sachen fanden ſie ein Schaͤchtelchen, von dem ſie ſich viel Gutes verſprachen: auch betrog ſie ihre Hof - nung nicht: ſie oͤffneten es hurtig und fan - den einen einzigen Diamant von ungeheurer Groͤße darinne. Jhr Appetit wurde durch den Fund rege gemacht, und ſie ſuchten wei - ter; ſie entdeckten noch etliche kleinere und andre tragbare Sachen von Werthe, die ſie ſorgfaͤltig in die abgelegenſten Winkel ihres Koͤrpers verſteckten. Darauf machten ſie ſich gefaßt, dieſen Ort des Entſetzens ſo ſchnell als moͤglich zu verlaſſen. Sie war - fen noch einen mitleidigen Blick auf ihre da - liegenden Mitbruͤder, obgleich aller Vermu - thung gemaͤß kein einziger Chriſt darunter ſeyn mochte, als ſie eine Bewegung an einem Haufen wahrnahmen. Da ſie erwarteten, daß es gleichfalls ein Verwundeter ſeyn wer - de, der ſich, wie ſie, zum Leben emporarbei - ten wolle, ſo vereinigten ſie ihre Huͤlfe, die todten Koͤrper abzuwaͤlzen. Kaum hatten ſie ſechs oder achte abgeworfen, als einer ſeineK 3150Haͤnde nach ihnen ausſtreckte, mit welchen ſie ihm aufhalfen. Er war wenig oder gar nicht verwundet und durch die Druͤckung der uͤbrigen nur erſchoͤpft. Er ſtieg von ihnen gefuͤhrt herunter, und da ſie auf ebnem Bo - den waren, ſo ſchlug der Errettete und die Erretter zum erſtenmal ihre Augen gegen ein - ander auf, um Dank zu geben und zu empfan - gen, ſtuzten insgeſamt, waren verlegen, un - gewiß, konnten ſich nicht beſinnen, bis ſichs nach drey Fragen und drey Ausruͤfen fand, daß hier auf dieſem Flecke Belphegor, Me - dardus und Fromal beyſammen ſtunden, ſich umarmten, nicht wußten und vor großen Freuden nicht wiſſen wollten, wie ſie zuſam - mengekommen waren.

Am lebhafteſten war die Freude uͤber dieſe ploͤzliche Zuſammenkunft auf Belphegors Seite: er wurde ſo ganz freundſchaftliches Gefuͤhl, daß er nicht einen Augenblick an die Nachrichten dachte, die ihm Akante von der Untreue ſeines Freundes hinterbracht hatte. Es war nur eine kurze Unterredung noͤthig, um zu erfahren, daß Fromal der Herr der niedergeſaͤbelten Sklaven und des gepluͤnder - ten Gepaͤckes geweſen war; da er ſeine beiden151 Freunde hatte kaufen laſſen, ohne ſie ſelbſt zu ſehen, und ſie auch kein Verlangen noch Gelegenheit gehabt hatten, ihren Gebieter kennen zu lernen, ſo war es um ſo viel leich - ter, daß ihre Erkennung bis auf den gegen - waͤrtigen Augenblick verſchoben bleiben konnte.

Nachdem ſie noch eine neue Durchſuchung mit den Reſten der Pluͤnderung vorgenom - men und nichts entdeckt hatten, ſo beſchloſſen ſie einmuͤthig, dies Land der Barbarey und der Unterdruͤckung zu verlaſſen und ſich mit den großen und kleinen Diamanten nach dem humaniſirtern Theil von Europa zuruͤckzube - geben, um dort mit dem Herrn Magiſter Me - dardus einen Krug Apfelwein auszuleeren.

Da die Peſt eben in Konſtantinopel wuͤte - te, und der Aufruhr ſich ſehr ſchnell nach die - ſer Stadt hinzog, ſo nahmen ſie ihren Weg nach der mittaͤglichen Meerſeite, um dort eine Gelegenheit zum Ruͤckmarſche zu ſuchen. Un - terwegs erſt fuͤhrte ſie das Geſpraͤch auf Akanten, und Belphegorn auf den Verdacht, den ſie ihm wider Fromals Freundſchaft hatte beybringen wollen; allein da die Laͤnge der Zeit und die gegenwaͤrtige Freude uͤber ſeinK 4152Wiederſehn die Staͤrke deſſelben ungemein gemildert hatte, ſo beruͤhrte er ihn nicht als einen Vorwurf, ſondern vielmehr als eine Erzaͤhlung welcher er nicht ſonderlichen Glau - ben beymaß. Fromal rechtfertigte ſich nicht, ſondern ohne große Betheurungen berichtete er ihm in planem hiſtoriſchem Stile, daß er allerdings Belphegorn von Akanten zu ent - fernen geſucht habe, doch ohne die ſchmerz - liche Begegnung, welche ſeinem Befehle und ſeiner Abſicht zuwider geweſen waͤre.

Jch wußte, ſprach er, daß du auf der Neige deines Geldes warſt, daß deine zu feu - rige Liebe dir keine eigne Ruͤckkehr erlauben wuͤrde: du warſt von dem gaͤnzlichen Verder - ben nur einen Strohhalm breit entfernt; ich beſchloß, dir eine ſchimpfliche Verabſchiedung zu erſparen, und bot mich Akanten an deine Stelle an. Jch bot mich ihr blos an, damit ſie deſto leichter in deine Trennung willigen ſollte: denn den Ruin deines Vermoͤgens wußte ſie noch nicht. Damit ſie mich deſto williger annaͤhme, ſtellte ich mich reich, ob ich gleich nicht mehr in der Taſche hatte, als eben ſo viel, wie ich dir gab: haͤtte ich ge - wußt, daß ſie einen andern viel reichern Lieb -153 haber ſchon an der Seite haͤtte, ſo waͤre mein Weg nicht einmal eine ſo weite Strecke mit ihr gegangen. Daß ſie dich ſo empfindlich behandelte, das war gewiß eine Wirkung ih - res eignen rachſuͤchtigen Herzens, das das Haͤßlichſte auf dem Erdboden iſt. Dich hat ſie mit Ribbenſtoͤßen verjagt, und mich woll - te ſie gar vergiften.

Vergiften? rief Belphegor. Davon hat ſie mir kein Wort geſagt; aber wohl, daß du deinen Nebenbuhler in ihren Armen durch - bohrteſt.

Sie wird keine Verraͤtherinn ihrer eignen Bosheit werden: aber ihre Vergiftung war eben die Urſache meines Mordes. Sie merk - te bald, daß mein Reichthum nur Großſpre - cherey geweſen war; und weil ich zu gleicher Zeit meinen Nebenbuhler ausgekundſchaftet hatte, ſo war mein Plan ſchon gemacht, mich unter einem anſtaͤndigen Vorwande von ihr loszureißen. Weil ſie wieder und zwar gut verſorgt war, ſo befuͤrchtete ich nichts von ihrer Rache: doch ich betrog mich. Sie ver - rieth mich an ihren Nebenbuhler, ſie beredete ihn, daß ich mich durch den Tod von ihmK 5154befreyen wollte, daß ſie mich im Grunde haß - te und meiner gern entuͤbrigt waͤre: genug, ſie kuͤtzelte ihn ſo lange, bis der Leichtglaͤubi - ge ſich uͤbertaͤuben und zu dem Anſchlage mei - ner Vergiftung hinziehn ließ. Zum Gluͤcke behorchte ich ſie, als ſie den Entwurf zu der ſchaͤndlichſten That ſchmiedeten, ich erbrach in der Wuth die Thuͤre und rennte mit bloſ - ſem Degen auf den Boͤſewicht los, der unter dem erſten Stoße erlag: Akante entſprang. Was konnte ich anders thun? Krieg gegen Krieg! Mein Leben oder das Leben des An - greifens! Sie ſtellte dir mein ganzes Ver - halten vermuthlich in einem Lichte dar, das den haͤßlichſten Verdacht der Treuloſigkeit ge - gen dich darauf werfen mußte?

O mit den gehaͤſſigſten ſchwaͤrzeſten Far - ben!

Sie hintergieng dich, Freund! Meine Ab - ſicht war die redlichſte: du mußteſt von ihr entfernt, oder wenn ſie deine Verarmung ge - wahr wurde, am Ende das traurigſte Opfer ihrer Rache werden. Jch mußte dich retten, oder nicht dein Freund ſeyn ich mußte, ſollte ich auch gleich der Gefahr mich aus -155 ſetzen, einige Zeit von dir nicht dafuͤr ge - halten zu werden. Jch ſahe keinen andern Weg vor mir, als den ich waͤhlte: ungluͤck - lich, daß die Boshafte meinen Befehl uͤber - fchritt! wofuͤr ſie bereits gebuͤßt hat, gleich als ich dich verließ, und noch buͤßen ſoll, wenn ſie das Schickſal wieder in meine Haͤn - de liefert.

Belphegor wußte nicht, wohin er ſich mit ſeinem Glauben lenken ſollte, zu Fromals oder Akantens ganz entgegenlaufenden Er - zaͤhlungen: ſein Verſtand ſprach fuͤr Fro - maln, und ſein Herz fuͤr beide: endlich neigte er ſich bey einer ſolchen Unentſchiedenheit auf Fromals Seite und glaubte der lezten Er - zaͤhlung der gewoͤhnliche Gang, den der Glaube der Menſchen nimmt! Einmal wurde er auf alle Faͤlle betrogen, und konnte nie ausmachen, von wem eigentlich; und bey dieſer Bewandniß war es gewiß das Beſte, dem Anweſenden Recht zu geben und ſich mit ihm in gutem Verſtaͤndniſſe zu erhalten: die Klugheit rieth ihm dies ſchon, wenn auch ſein Herz und ſeine Freundſchaft fuͤr Fromaln nichts dabey haͤtten thun wollen. Er dankte ihm freundſchaftlich fuͤr ſeine aufrichtige156 Vorſorge und die Errettung aus den Klauen eines ſolchen Ungeheuers, that noch ein Paar verliebte Ausruͤfe an Akanten und verfluchte ihr Andenken auf ewig.

Ja, wenn alle Akanten wie meine Frau waͤren, ſprach Medardus mit Ruͤhrung, ſo brauchte man ihr Andenken nicht zu verflu - chen. Bruͤderchen wobey er Fromals Hand ergriff, das war dir eine Frau! Ein ſolches Weibchen und einen Krug Apfel - wein! und wahrhaftig ich wollte es in der Tuͤrkey alsdann mit anſehn. Siehſt du, Bruͤderchen? das war dir ein Weibchen!

Guter Mann! wenn du einen Engel zum Weibe haͤtteſt, du waͤrſt doch in dieſem Lande ungluͤcklich, du muͤßteſt denn die Menſchheit zur Haͤlfte ausziehn. Jch habe viele Laͤnder durchſchweift und allenthalben in dem Men - ſchen einen Unterdruͤcker gefunden: doch nir - gends iſt mir noch die Unterdruͤckung mit ſo offner unverſtellter Mine entgegengekommen. Leute, die nie einen hoͤhern Grad von Frei - heit gekoſtet haben, ſind auch hier gluͤcklich, wie der Arme bey der Verachtung, wenn er nie die Suͤßigkeiten der Ehre geſchmeckt hat;157 aber wir unter einem mildern politiſchen Himmel erzogne, wir kraͤnkeln mit unſrer Gluͤckſeligkeit unter dem hieſigen beſtaͤndig. Jch war der gefuͤrchtete Herr vieler Sklaven, Beſitzer von Reichthuͤmern, und doch fehlte mir ſtets etwas, ſo ſehr ich alles zu haben ſchien.

Du, Fromal? der du ſo verarmt wareſt, als du mit mir theilteſt, du hatteſt dies alles?

Ja! und kam auf eine ſonderbare Weiſe dazu. Jch mußte entfliehn, als ich meinen boshaften Nebenbuhler ermordet hatte, um Akantens und der Gerechtigkeit Rache zu ent - kommen. Jch begab mich nach Frankreich und fand Paris bey meiner Ankunft in der heftigſten Bewegung. Du weißt, Belphe - gor, daß ich in der Welt ſelten mitſpiele, ſondern mich vom Schickſale, vom Strome der Begebenheiten fortreißen laſſe: auch hier blieb ich meinen Grundſaͤtzen getreu und war muͤßiger Zuſchauer. Man hatte ein neues Schauſpiel aufgefuͤhrt, das vielen Beifall aus den Logen erhielt: das Parterr uͤber - ſtimmte ſie mit ſeinem Misfallen. Der Streit158 war der allgemeine Gegenſtand des Geſpraͤchs, aller Wuͤnſche und Neigungen: man haßte und liebte ſich blos um der Parthey willen, zu welcher man gehoͤrte: wie Gelfen und Gi - bellinen, wie die gruͤne und blaue Faktion ſtritt man, nur mit andern Waffen als dieſe, wider einander. Wo ich einen ſchoͤnen Geiſt, einen witzigen Kopf, einen Kunſtrichter er - blickte, der war wider den Autor aufgebracht: man ſchwur ihm allgemein den Untergang. Jch nahm mir die Freiheit, mich bey einem nach der Urſache dieſes Haſſes zu erkundigen, und erfuhr, daß der Verfaſſer ein junger Mann, daß dies ſein erſtes Stuͤck ſey, und daß ein aͤltrer von ihm beleidigter Dichter, der einen ſo ſchnellen Beifall ahnden muͤßte, den Aufſtand veranlaßt habe. Aber wie machte er das? fragte ich. Eine Schau - ſpielerinn, die er liebte, wurde von ihm an - geſtiftet, eine Schmeicheley an das Parterr im dritten Akte in die bitterſte Satire zu ver - wandeln: ſie opferte ihren eignen Ruhm der Liebe auf; und das lezte Wort von dieſem herben Komplimente war auch das lezte, das im ganzen Stuͤcke geſprochen wurde: weiter ließ man ſie nicht. Der Mann muß nieder,159 ſezte er hinzu, er mag ſich noch ſo ſehr ſtraͤu - ben: man iſt in Zorn wider ihn, und nie wird er durch die feinſten Schmeicheleyen ſich eine Handvoll Beifall erkaufen koͤnnen: er ſoll nicht, er muß nieder. Jch gieng nach meinem Abſchiede von ihm uͤber einen Plaz, wo eine Menge Gaukler die Aufmerkſamkeit des anweſenden Publikums an ſich ziehen wollten. Ein jeder ſagte dem Theile, der bey ihm ſtand, alles Boͤſe von ſeinen uͤbrigen Mitbewerbern und denen, die ſie beguͤnſtig - ten, die ſogleich die beſten kluͤgſten Sterbli - chen wurden, ſo bald ſie zu ihm uͤbertraten. Einer darunter, dem die ausgelaſſenſten Spoͤttereyen keine Zuhoͤrer verſchaffen woll - ten, hatte die Bosheit, einen von ſeinen Leu - ten abzuſchicken, der unter die Zuſchauer der naͤchſten Buden brennende Schwaͤrmer wer - fen mußte: das Volk ſprengte aus einander, war allen den Gauklern gram, wo ſie mit dieſem Feuerwerke begruͤßt worden waren, und liefen dem Haufenweiſe zu, der ſie damit hatte begruͤſſen laſſen: die uͤbrigen wurden beinahe geſtuͤrmt. Sein Nachbar, der am meiſten dabey gelitten hatte, dachte auf Raͤn - te, ſich zu raͤchen: er ließ heimlich ein Paar160 Kerle die Naͤgel an den Hauptbefeſtigungen von der Bude ſeines Feindes ausziehen, als - dann einen guten Stoß daran thun, und die Bude ſtuͤrzte uͤber dem Kopfe ihres Beſitzers zuſammen, quetſchte ihn mit Lebensgefahr; die Menge lachte und gieng zu dem andern uͤber. Kaum hatte er ſich ſeiner gelungenen Liſt zu erfreuen angefangen, als ſeine Bude in lichten Flammen ſtund: ſein Nachbar hatte ſie ihm angezuͤndet, als er den Strom zu ihm kommen ſah. So ſuchte einer dem andern durch Liſt oder Gewalt den Beifall abzuja - gen; und der einfaͤltige Poͤbel ließ ſich von einem zum andern herumſchicken, bis ſie ihm alle misfielen. Da der ganze Plaz leer, ei - ner beſchunden, der andre verſengt, faſt keine Bude mehr unbeſchaͤdigt und alle gleich ver - achtet waren, ſo traten ſie zuſammen, kondo - lirten einander herzlich und giengen in Ge - ſellſchaft zum Weine. Einige Tage darauf fand ich meinen Mann wieder, den ich um die gegenwaͤrtige Lage des theatraliſchen Streites befragte. Es iſt vorbey, ant - wortete er: der Mann hat durch ſeine Freun - de bekannt machen laſſen, daß er nicht Einen Vers von ſeiner Arbeit mehr auf das Thea -ter161ter kommen laſſen will: und er hat heute mit ſeinem Rivale in Einem Speiſehauſe gegeſſen; ſie ſind gute Freunde: und weil jener geſtern ein Nachſpiel auffuͤhren ließ, worinne er das ganze Komoͤdienhaus fuͤr ſich und wider den jungen Schriftſteller zu intereſſiren wußte, ſo iſt auch das Publikum wieder einig und hat die ganze Sache ſchon vergeſſen: mir ſelbſt iſt das Ding ſo alt, als wenn es unter dem Merovaͤus vorgegangen waͤre. Jndem wir ſo mit einander ſprachen, hoͤrten wir ei - nen Tumult, der einen lebhaften Zank an - kuͤndigte; als wir darnach forſchten, ſo er - fuhren wir, daß es zween Bediente von einer gewiſſen Herzoginn waren, wovon der eine Tages vorher die unvermuthete Ehre gehabt hatte, die ſchoͤne Hand ſeiner gebietenden Frau mit der ſeinigen zu beruͤhren, als ſie uͤber den zu ſtarken Duft eines parfumirten Herrchen in Ohnmacht ſank, und er allein in der Naͤhe war, ſie aufzufangen. Ein andrer, der nicht weit davon ſtund, aber zu dieſem Gluͤcke zu ſpaͤt kam, wurde neidiſch daruͤber, und als ſie gegenwaͤrtig zuſammen - ſpeiſten, uͤberfiel ihn ſein beleidigter Ehrgeiz von neuem, daß er das Meſſer ergriff undL162dem andern zwo große und etliche kleine Adern an der beneideten Hand entzweyſchnitt. Welch ein feiner Ehrgeiz muß in dieſem Lan - de herrſchen! rief Belphegor.

Mich beſchaͤftigte die Begebenheit nicht laͤnger, als ich daruͤber lachte: ich bin der - gleichen Wettſtreite um die Ehre gewohnt. Das iſt der Krieg der Hofhaltungen, der aber nirgends ſo hitzig gefuͤhrt wird als an der Hofſtatt des Apolls. Jedermann buhlt da um die Gunſt des eigenſinnigſten Geſchoͤ - pfes des oͤffentlichen Belfalls. Bel - phegor! dein gutes menſchenliebendes Herz wuͤrde Kapriolen machen, wenn du die Kuͤn - ſte, die Kabalen ſaͤheſt und hoͤrteſt, die ſich die Leute, jenem wankelmuͤthigen leeren Dinge zu Gefallen, ſpielen, wie ſie ſich haſſen, mit Satire, Pasquillen, Verlaͤumdungen verfol - gen, unterdruͤcken, ihr und andrer Leben ver - bittern, faſt ungluͤcklich machen, um einan - der ein Broͤckchen Beifall abzujagen, deſſen Genuß ihnen doch wahrhaftig die Haͤlfte der erlittnen Unannehmlichkeiten nicht wieder ver - guͤtet. Aber keiner unter dieſem kriegeriſchen Dichtervolk hat doch gewiß ſeit der Schoͤ - pfung ſo weitausſehende Abſichten gehabt als163 Nikanor: der Mann war ein geborner Er - oberer; er ſtrebte nach der Univerſalmonar - chie in dem Reiche des Beifalls ſo ſtark als Alexander in der politiſchen. Alle Maͤdchen, mit welchem ein Dichter nur zu thun hatte, waͤre er gleich von der unterſten Klaſſe gewe - ſen, mußte er zu ſeinen Freundinnen machen; und jeden Poeten, jeden, von dem er nur er - fuhr, daß er in ſeinem Leben zwo Zeilen zu - ſammen gereimt hatte, betrachtete und be - handelte er als ſeinen Nebenbuhler. Jhre Maͤdchen, Freundinnen und Goͤnnerinnen waren ſeine Spione: ſie mußten ihm von jedem verfertigten Verſe ihrer Liebhaber Nachricht geben, das neue Produkt in Ab - ſchrift ausliefern und ihre ſkandaloſe Ge - ſchichte zu wiſſen thun. Aus dieſen drey Ma - terialien machte er ſein Pulver, und ſein Wiz diente ihm zur Kanone. Wenn er die Ueber - legenheit eines Mannes fuͤhlte, ſo ließ er ihm ſein Manuſkript wegſtehleu und verbrennen, oder Stellen heimlich einſchieben, die es zum Beifalle ſchlechterdings unfaͤhig machten: die Buchdrucker fuͤhrte er deswegen insgeſamt an ſeinem Seile. So bald er die Gering - fuͤgigkeit, das Mittelmaͤßige eines neuenL 2164Werkes merkte, ſo arbeitete er, durch verſteck - te Wege die Bekanntmachung deſſelben zu be - ſchleunigen, und gleich darauf erfolgte ein ganzes Packet Schmaͤhſchriften, Parodieen, die es ſo laͤcherlich machten, daß es nieman - den nicht einmal mittelmaͤßig ſchien: alle wa - ren ſeine Arbeit, und ſeine Kreaturen mußten ſie ausſtreuen oder drucken laſſen: oft ließ er im Manuſkripte Satiren auf Werke herumlau - fen, die noch unter der Preſſe bruͤteten. Wenn ein neues gutes Werk ohne ſein Vorwiſſen, oder ohne daß ſeine Liſt es hindern konnte, an das Licht gelangte, ſo war er der erſte, der es unter dem Namen eines ſchlechten Mannes von uͤbelm Kredite ſo ausgelaſſen lobte, daß es einem großen Theile ſchon da - durch verdaͤchtig, und allemal der Eindruck deſſelben geſchwaͤcht wurde. Einmal wider - fuhr ihm das Ungluͤck, daß ein muthiger Mann ſeiner Liſt und ſeiner Unverſchaͤmtheit trozte: er ließ ſich mit Fleis ſein Manuſkript ſtehlen, indeſſen daß er an einem entfernten Orte eine andre Abſchrift davon drucken ließ, die ſchon in den Haͤnden des Publikums war und allgemein gelobt wurde, als der betrogne Nikanor noch ruhig uͤber ſeinen Raub trium -165 phirte. Ploͤzlich erfuhr er, wie man ihn hintergangen hatte; er wuͤtete, wie ein Loͤwe, beſonders da er darinne die laͤcherlichſte Hauptrolle ſpielte, und jedermann ſich ſchon auf ſeine Unkoſten beluſtigte, ehe er es nur vermuthen konnte. Sein Gegner hatte ſich zwar verſteckt, aber es gelang Nikanorn doch, ihn auszuforſchen: nun fieng der drollichſte Krieg an. Man focht von beiden Seiten mit den ſchaͤrfſten Waffen des komiſchen Witzes; und am Ende hatten ſie den Nutzen, daß beide laͤcherlich gemacht waren: doch eignete ſich Nikanor den Sieg zu, weil er das lezte Pasquill drucken ließ. Durch die - ſen Krieg ſank er in den Augen des Publi - kums: doch blieb er noch immer der gefuͤrch - tete Tirann in dem Reiche des Witzes, dem jeder huldigte und den erſten Rang zugeſtehn mußte, wenn er den zweiten nach ihm haben wollte. Er unterhielt eine Menge Lobredner, die fuͤr ein kleines Lob, das er ihnen aus Gnaden zuweilen zuwarf, ſich fuͤr ſeine Ver - dienſte zur Poſaune der Fama gebrauchen ließen: wenn ſie weiter nichts thun konnten, ſo mußten ſie wenigſtens ſeinen Namen in dem Andenken des Publikums durch die oͤftreL 3166Wiederholung deſſelben erhalten; und man hat mich verſichert, daß er ſelbſt einen Hau - fen Broſchuͤren unter fremden Namen ſchrieb, worinne ſein eigner werther Name, nebſt Ci - taten aus ſeinen Schriften, auf allen Seiten zu finden war; auch beſtach er die Setzer, daß ſie in andrer Werken, wo ſeiner gedacht wurde, ſeinen Namen jederzeit mit großen hervorleuchtenden Lettern drucken mußten. Nach einem ſechzigjaͤhrigen Leben voll immer - waͤhrender Scharmuͤtzel und Kaͤmpfe hatte er endlich das Gluͤck errungen, daß er ſich eini - ge dreißig Jahre fuͤr den Diktator perpetuus in der Republik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften gehalten hatte, und nun, da ſeine komiſchen Waffen ſtumpf, ſein Arm zur Lanze des Wi - zes zu matt war, da er nicht mehr morden und wuͤrgen konnte, jeder Eſel, jeder Haſe dem alten kraftloſen Loͤwen einen derben Stoß gab, bis endlich nicht einmal auf dieſe Weiſe mehr ſein Andenken erneuert wurde, und den großen Univerſalmonarchen der Tod im Stil - len vor den Kopf ſchlug.

Der Narr! unterbrach ihn Medardus; ſo bin ich doch wahrhaftig bey meinem Kruge167 Apfelweine neben meinem Weibchen tauſend - mal gluͤcklicher geweſen, als er mit ſeinem großthuenden Ruhm, und will es gewiß auch wieder werden, wenn ich nur erſt aus dem barbariſchen Lande wieder weg waͤre. Sage mir nur, Bruͤderchen, wie du in ſo ein Land haſt gehen koͤnnen?

Der Zufall ſchleuderte mich hin. Jch gieng von Paris nach London auf ein unge - wiſſes Gluͤck aus. Was fuͤr einen Laͤrm, was fuͤr Unruhen traf ich dort an? Nicht blos heimlicher ſchleichender Haß, nicht Fak - tionen, die blos in Geſellſchaften uͤber den Werth eines Schauſpiels ſich theilen! oder Dichter, die ſich ihren guten Namen mit un - blutigen Waffen zerreißen! Nein, oͤffentlicher lauter Tumult! Tumult der Großen und des Poͤbels! Ein unbekannter Mann, der ſei - ne Niedrigkeit nicht ertragen mochte, ſchrei - ben und leſen konnte und unverſchaͤmt dreiſt war, hatte ſichs einkommen laſſen, eine Schrift auszuſtreuen, worinne er von Ge - fahren fuͤr die Freiheit, von der Ufurpation der Regierung, von Unterdruͤckung ſchwazte: ohne Zuſammenhang, ohne Gruͤnde machteL 4168er alles verdaͤchtig und ermunterte zur Ver - theidigung der Freiheit. Sogleich rotteten ſich ſeine Leſer zuſammen; wer ſie oder ihren Autor aufs Gewiſſen gefragt haͤtte, worinne ihre Freiheit gekraͤnkt worden waͤre, wuͤrde keine Antwort darauf erhalten haben: den - noch ſezte das einzige Woͤrtchen Freiheit das ganze Volk in Feuer. Man ſchlug Pas - quille an, man warf Fenſter ein, man ver - folgte diejenigen, die der Autor verhaßt ge - macht hatte, auf allen Gaſſen, hielt ihre Kut - ſchen an, ſie konnten ſich beinahe nicht ohne Lebensgefahr ſehen laſſen, man erdruͤckte, man zerquetſchte ſich, rief dem Autor ein Vi - vat, bis alle Kehlen durſtig wurden, und dann zerſtreute man ſich in die Bierhaͤuſer, um fuͤr die Freiheit zu ſaufen. Dem Manne, der ſie losgehezt hatte, kam es wenig auf die Freiheit an, von der er vielleicht ſelbſt keinen Begriff hatte: er wollte ſich aus der Dunkel - heit reißen, und war ihm der entgegengeſezte Weg dienlicher dazu, ſo ſchrieb er wider die Freiheit ſo gut als izt dafuͤr. Doch in Eng - land bringt nun einmal der Eifer fuͤr die Freiheit empor, wie in verſchiednen andern Reichen der Eifer fuͤr die Unterdruͤckung: ein169 jeder, der empor will, waͤhlt ſich den Weg, der ihn unter ſeinem Himmel am naͤchſten dahin fuͤhrt; ſchlachtet, wenn er kann, dort die Großen, und hier die Kleinen: wenn er nur durch ein Woͤrtchen Leute anlocken kann, ſich zu ſeinem Endzwecke Arme und Beine entzweyzuſchlagen, und fuͤr ſein Jntereſſe zu arbeiten, indem er ihnen weis macht, daß ſie es fuͤr das ihrige thun: wohl ihm als - dann! ſein Verlangen iſt befriedigt. Die Kunſt der Jlluſion! das iſt die einzige probate Kunſt des Erdbodens. Jn England iſt ſie leicht und gelang meinem Autor ſehr wohl. Der Aufſtand vergroͤßerte ſich taͤg - lich; Glaſer und Glasfabriken wurden mit jedem Tage mehr mit Arbeit verſorgt; man illuminirte der Freiheit zu Ehren, man bau - te ihr Ehrenpforten, man verbrannte, hieng, koͤpfte die vermeinten Uuterdruͤcker im Bildniſſe, man hoͤhnte und ſchimpfte ſie in Schriften, der wilde Haufe gerieth ſelbſt in Uneinigkeit, ſie trennten ſich in Faktionen, ſteinigten, pruͤgelten ſich wund und lahm, und da ihr Aufhetzer ſeine Abſichten ſo ziem - lich befriedigt, ſich bekannt, angeſehen und erhoben ſah, ſo zerſtreute er ihren Unwillen,L 5170beſaͤnftigte die Verfechter der Freiheit und be - zahlte niemanden ſeine Verſaͤumniß, ſeine Wunden und ſein verſchwaͤrmtes Geld: es blieb wie ſonſt, und die Freiheit war nichts beſſer und nichts gekraͤnkter.

Wohl einem Volke, ſagte Belphegor, das fuͤr die Freiheit fechten kann! Keine Jlluſion iſt gluͤcklicher als die Jlluſion der Freiheit, wenn man ihr gleich jaͤhrlich etliche hundert Hirnſchaͤdel opfern muͤßte. Mein Blut ſchwillt in allen Adern empor und zerſprengt faſt mein Herz vor uͤbereilter zuſtroͤmender Bewegung, wenn ich nur den begeiſternden Klang Freiheit toͤnen hoͤre. Komm! wir kehren zuruͤck nach England: das einzige Land der Erde, wo ich von nun an wohnen will! Die Sonne muß dort erfreulicher waͤrmen, der Schatten viel erfriſchender la - ben, weil er ein freyes Haupt erquickt. Freunde! wenn mein Leben nur noch in Ei - nem Tropfen Blutes beſtuͤnde, gern wollte ich mir ſelbſt die Ader zerſchneiden und ihn heraustroͤpfeln laſſen, koͤnnte ich durch die - ſen Tod eine Menge Menſchen in die Jlluſion verſetzen, ſich fuͤr freyer als den Reſt der171 Menſchheit zu halten und dadurch gluͤcklicher zu werden. Meinſt du nicht, Freund? redte er den Medardus an.

Ja, Bruͤderchen, war ſeine Antwort, ich daͤchte ſelber, daß in einem freyen Lande ein Krug Apfelwein tauſendmal ſchoͤner ſchmecken muͤßte, weil er uͤber eine freye Zunge geht: aber wenn nicht ſolche Weiberchen zu haben ſind, wie meine verſtorbne, ey! Schade fuͤr die Freiheit!

Fromal laͤchelte und fuhr in ſeiner Erzaͤh - lung fort. Jn London machte ich die Be - kanntſchaft einer ziemlich reichen Kaufmanns - wittwe, die wegen einer empfindlichen Be - ſchimpfung, die ſie erlitten hatte, den feſten Entſchluß faßte, ihr Vaterland zu verlaſſen: ich bot ihr meine Begleitung und meine Per - ſon an; wir heiratheten einander und zogen zuſammen in die Tuͤrkey, wo ſie einen Vetter beerbte: ich theilte den Genuß ihres Vermoͤ - gens und duͤnkte mir gluͤcklich. Das Schick - ſal kollerte mich aufwaͤrts, izt wieder unter - waͤrts; wer kann ſich dem Schickſale wider -172 ſetzen? das waͤre der tollſte Krieg. Es mag mich weiter fortſchleudern: ſeine Hand hat die Elemente ſich zu dem Dinge, das ihr Fromal nennt, zuſammenballen und aufwach - ſen laſſen, ſie wird es ſchon durch die Welt tranſportiren, und weis ſie es nicht mehr fortzubringen, ſo wirft ſie es wider die Erde, daß es aus einander faͤllt; und aus den Fragmenten wird der Zufall wieder etwas anders bruͤten: es geht nichts verloren. Friſch! munter! meine Freunde! Getroſt wollen wir uns von dem Stoße des Schick - ſales fortrollen laſſen, wohin uns auch ſeine Richtung treibt: wir bleiben immer auf der Erde, finden allenthalben Menſchen, allent - halben Krieg in verſchiedener Geſtalt, allent - halben Kampf, wenn wir uns unter ihr Spiel miſchen, und werden vermuthlich ganz wohl davon kommen, wenn wir ſtillſchwei - gend neben ihnen wegſchleichen.

O Fromal, haͤtte ich dieſe Regel fruͤher befolgt! ſprach Belphegor; vielleicht waͤre ich izt weniger Kruͤpel. Die unbaͤndige Hitze, die mich dahinreißt!

173

Bruͤderchen, ſprach Medardus, ſey du gu - tes Muthes! die Vorſicht lebt noch. Wer weis, wozu es gut iſt, daß du ein Kruͤpel biſt? der Apfelwein wuͤrde dir immer noch wohl ſchmecken, wenn du einen Krug voll hier haͤtteſt. Laß das Graͤmen und Haͤrmen! wer weis wozu dirs gut iſt?

Wozu? unterbrach ihn Fromal laͤchelnd; zu nichts! Jn der langen Kette von Urſachen und Wirkungen in dieſer Welt war es ſchon laͤngſt vorbereitet, daß er ein Kruͤpel ſeyn ſollte: wer kann der Nothwendigkeit wider - ſtreben, die die ſterblichen Begebenheiten aus einander hervorwachſen laͤßt? Wer kann den Bliz aufhalten, daß er nicht mein Haus trift? Waͤre die Lage und Wirkung der Theilchen der Atmoſphaͤre von Anbeginn durch den Zu - fall anders geordnet worden, ſo traͤfe er viel - leicht meinen Nachbar: aber nein! er ſoll, er muß mich treffen. Gut iſt mirs wahr - haftig nicht, wenn er mich bettelarm macht, aber meine Armuth kann mir in der Folge vielleicht durch den Zufall irgend wozu nuͤz - lich werden: ich bilde mir es ein, ich ſuche174 den Nutzen; wohl mir, wenn ichs zu einer ſolchen gluͤcklichen Jlluſion bringe! Wohl - an! wie leichte Spaͤne, ſchwimmen wir auf dem Strome der Nothwendigkeit und des Zu - falls fort: ſinken wir unter gute Nacht! wir haben geſchwommen!

[175]

Viertes Buch.

[176][177]

Das Geſpraͤch, das ſie uͤber dieſen Gegen - ſtand noch einige Zeit fortſezten, hatte ſie unvermerkt zum Strande kommen laſſen, wo ſie ein Schiff zu erwarten gedachten, das ſie nach England fuͤhren ſollte, wohin Bel - phegor mit brennender Begierde verlangte. Durch eine hoͤchſtgluͤckliche Verknuͤpfung von Urſachen und Wirkungen nach Fromals Ausdrucke mußte gerade damals ein Fahrzeug in Bereitſchaft liegen, das der Groß - vezier, der bey veraͤnderter Regierung aus ge - gruͤndeten Urſachen fuͤr ſeinen Kopf fuͤrchtete, heimlich zu ſeiner Flucht beſtellt hatte. Es wurde nur von drey Leuten bewacht, die mit ihm an einem verſteckten, zum Einſteigen bequemen, verborgnen Winkel lauſchten: die Reiſenden naͤherten ſich ihnen und erkundig - ten ſich nach der Urſache, die ſie hier zu hal - ten bewegte, wovon ihnen aber, wie zu ver - muthen, eine falſche angegeben wurde. Da die Schiffer ſich aber umſtaͤndlich und etwas aͤngſtlich nach der Beſchaffenheit des Tumul -M178tes, und beſonders nach der Lage des Groß - veziers erkundigten, ſo drang Fromal, der gut Tuͤrkiſch ſprach, in ſie, ihm ihr Geheim - niß zu entdecken, und verſicherte ſie mit dem hoͤchſten Schwure, ſie nicht zu verrathen. Die Muſelmaͤnner weigerten ſich und ſezten ſich in Poſitur wider Gewalt, als ploͤzlich von hinten zu aus einem Walde her ein wil - der kriegeriſcher Laͤrm gehoͤrt wurde, der ſie insgeſamt aufmerkſam und beſorgt machte. Die naͤchſte Vermuthung war, es fuͤr die An - naͤherung eines tumultuirenden Truppes zu halten, von dem alle ihren Tod gewiß erwar - ten mußten, ſchuldige und unſchuldige. Die Schiffer wollten vom Lande ſtoßen, doch Fro - mal kam ihnen zuvor, ſprang in das Boot und noͤthigte ſeine Gefaͤhrten ſeinem Beiſpiele zu folgen. Die Schiffer, die dies fuͤr Ver - raͤtherey hielten, wollten Fromaln hinaus - werfen, doch kaum ſah er einen auf ſich zu - kommen, als er ihn in der Mitte faßte und hinausſchleuderte. Die uͤbrigen fiengen an zu rudern, er riß einem die Stange aus der Hand und dem andern gab er einen Hieb mit ſeinem Saͤbel, daß er ſie ſelbſt ſinken ließ und zum Boote hinausfiel. Fromal trieb179 das Boot dem Ufer wieder um vieles naͤher, um ſeine Freunde einzunehmen, als ihn der lezte von hinten zu anfiel, zu Boden warf und vom Ufer wegruderte. Fromal rafte ſich auf und ſendete ihn vermittelſt ſeines Saͤbels mit geſpaltnem Kopfe den naͤmlichen Weg, den ſeine Bruͤder genommen hatten: darauf fuhr er zum Ufer zuruͤck. Der erſte, der ohne Wunde ins Meer geſtuͤrzt war, ſchwamm in - deſſen herzu und ſtieß aus Rache und Neid das Fahrzeug mit aller Gewalt vom Lande zuruͤck, daß Fromal kaum ihm widerſtehen konnte: es war einen kleinen Raum noch von dem Einſteigeplatze entfernt: ſeine zween Freunde ſtunden zitternd und rufend am Ufer: ſchon ſchoß ein Schwarm Rebellen mit ver - haͤngtem Zuͤgel auf ſie herzu und die Saͤbel ſchwebten beinahe ſchon uͤber ihren Haͤuptern: Tod im Meere oder von den Haͤnden der Var - baren, war ihre Wahl. Schnell zog der friedliche Medardus einen Saͤbel, den er um der Seltenheit willen einem Erſchlagnen vom Wahlplatze genommen hatte; hieb dem Kerle, der das Boot zuruͤckſtoßen wollte, die auf dem Rande deſſelben liegenden Haͤnde ab, daß er herabſtuͤrzte, und Belphegor gab ihm mitM 2180einem Knittel, da er ihr Einſteigen noch im - mer verhindern wollte, einen Schlag auf den Kopf, Fromal trieb das Schiff naͤher, ſie ſprangen beide hinein und ruderten eilig fort: die Nachſetzenden ſchoſſen nach ihnen, trafen aber keinen. Da man kurz darauf den ent - flohnen Großvezier erhaſcht hatte, ſo gab man ſich weiter keine Muͤhe, ſie zu verfolgen.

Belphegor hatte ſeit ſeinem Eintritte in den Kahn in einer todtenaͤhnlichen Betaͤubung dagelegen, indeſſen daß ſeine beiden Freunde unermuͤdet vom Lande wegruderten. Jzt ſind wir in Sicherheit, rief endlich Fromal; ſie ruderten langſamer, und Belphegor ſam - melte ſich wieder.

Gott! was haben wir gethan! rufte er mit zuſammengeſchlagnen Haͤnden aus. Men - ſchen, unſre Bruͤder, Weſen unſrer Art, Ver - wandten unſers Geiſtes und unſers Blutes ermordet! von ihrer Selbſterhaltung ver - draͤngt! in den Abgrund hinabgeſtoßen! Gott! welch ein Gedanke, ein Menſchenmoͤr - der zu ſeyn! Fromal! ich zittre, ich ſchau - dre vor ihm; und ſo umfaßte er bebend ſeinen Freund.

181

Belphegor! was iſt dir? erwiederte die - ſer. Verfolgt dich dein feuriges Blut noch immer mit Geſpenſtern? Was haben wir gethan? Menſchen von ihrer Selbſterhaltung verdraͤngt, die uns von der unſrigen ver - draͤngen wollten. Jedes Geſchoͤpf iſt ſich ſelbſt die ganze Welt; ohne andre Ruͤckſicht kaͤmpft jedes fuͤr ſich und ſeinen Wohlſtand: wen der Zufall gewinnen laͤßt, wohl ihm! Er hat uns beguͤnſtigt; haͤtte er unſern Geg - nern wohlgewollt, ſo laͤgen wir izt an ihrer Stelle, vom Meere verſchlungen, ſo naͤhrten wir die Ungeheuer der See.

Aber, beſter Fromal, woher waren ſie denn unſre Gegner?

Well ſie unſrer Rettung, unſerm Wohl im Wege ſtunden.

Hatten ſie nicht einen groͤßern Anſpruch auf dieſes Boot, ſie, denen wir es ent - riſſen?

Und konnten ihn ungekraͤnkt haben, wenn ſie uns verſtatteten, uns mit ihnen zu erhalten.

M 3182

Aber welches Recht hatten wir, uns oh - ne ſie zu erhalten, da ſie uns nicht vergoͤnn - ten, es mit ihnen zu thun?

Die Obermacht, das Gluͤck!

Geben dieſe ein Recht?

Sie verſchaffen es, ſie ſind es. Jedes Recht iſt eine verjaͤhrte Unterdruͤckung, ein verjaͤhr - ter Raub; nichts weiter. Den Flecken Erde, den ich izt zum rechtmaͤßigen Eigenthume er - kaufe, raubte, riß der erſte Beſitzer an ſich: alle Menſchen hatten vor ihm gleich gegruͤn - detes Recht darauf: er raubte ihn dem Men - ſchengeſchlechte und behauptete ihn durch die Obermacht; dieſe vollendete ſein Recht. Zu den Dienſten, die ich izt von gewiſſen Perſo - nen vermoͤge eines erkauften Rechtes fodre, zwang der erſte, der ſie ſich leiſten ließ, ihre Vorfahren, oder Furcht und Elend zwangen dieſe, ſie ihm anzubieten: allemal Unterdruͤ - ckung! Mein Leben iſt das Eigenthum meiner Natur; wer es mir nimmt, dem giebt die Obergewalt ein Recht darauf.

Fromal, du erſchreckſt mich! Jſt es moͤg - lich, daß du ſo denkſt? Eine unmenſch - liche Behauptung!

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Sie iſt ſo menſchlich, daß dies die Maxime aller Zeiten geweſen iſt. Warum fodert der Deſpot, warum der Monarch, warum die Republik mein Leben? Nicht um meinet - willen; blos um ihrentwillen: aber ſie koͤn - nen es fodern, weil ſie mich zwingen koͤnnen; die Obermacht iſt ihr Recht.

Aber das Leben dieſer Ungluͤcklichen war doch ſo ſehr ihr Eigenthum, ihr ohne Un - terdruͤckung erlangtes Eigenthum

Keineswegs! Auf die Materialien ihres We - ſens, auf die Theile ihres Bluts, ihrer Le - bensgeiſter hatte ich, hatte jeder andre einen gleichen Anſpruch mit ihnen: die Natur ſtreute die Elemente zu unſer aller Leben aus: der Zufall theilte einem jeden das mit, was er izt beſizt: indem er es bekam, nahm er es einem andern weg: nimmt es ihm dieſer wie - der, und der Zufall beguͤnſtigt ihn

Rede noch ſo ſubtil! mein Herz wirft alle deine Spizfindigkeiten zu Boden. Mei - ne Empfindung macht mir den Vorwurf, daß ich eine Grauſamkeit mit dir begangen habe; in meinen Augen bleibt es eine, wenn es gleich dein Raͤſonnement fuͤr keine erklaͤrt M 4184Allerdings iſt es eine, auch nach meinem Ge - fuͤhle, ſo gut als nach dem deinen: aber was kann ich dafuͤr, daß die Natur die Erhaltung des einen Weſen auf die Zerſtoͤrung des an - dern gebaut hat; daß ſie uns auf dieſes Er - denrund geſezt hat, mit einander um Laͤnder, Leben, Ehre, Geld, Vortheil zu fechten: warum entzuͤndete ſie dieſen allgemeinen Krieg, und druͤckte mir ein Gefuͤhl ein, das mich treibt, mich allen andern vorzuziehen, und mich quaͤlt, wenn ich es gethan habe? war - um ſtellte ſie mich an den engen Jſthmus, entweder mir ſchaden zu laſſen, oder andern zu ſchaden? Ey! ey! gewiß ein See - raͤuber, den ich dort ſehe! Gleich wirſt du einen traurigen Beweis bekommen, daß in dieſer Welt ſtaͤter Krieg, und Obergewalt Recht iſt. Er ſchifft verzweifelt haſtig auf uns zu: tummer Teufel! duͤrftige Leute wirſt du zu ernaͤhren finden, aber nicht einen Flitter, der dir den Weg bezahlte.

Himmel! ſchrie Belphegor, Seeraͤuber! Was ſollen wir thun? Uns ihnen erge - ben, ſprach Fromal, weil ſie die Staͤrkern ſind! Geſchwind unſre Diamanten verbor -185 gen! verſteckt, wo ſie niemand finden kann, daß ſie den Weg umſonſt thun!

Sie folgten ſeinem Rathe, und wegen der Eilfertigkeit, mit welcher ſich ihnen das Schiff naͤherte, ſchien es ihnen ungezweifelt, daß es ein Korſar ſey. Medardus und Belphegor zitterten vor Angſt und Erwartung! doch Fro - mal ruderte ihnen unerſchrocken entgegen. Es iſt izt eine Wohlthat fuͤr uns, ſagte er, in ihre Haͤnde zu fallen: ſie muͤſſen uns fuͤt - tern, da wir ohnedies hier zwiſchen Waſſer und Himmel verhungern wuͤrden. Wir wer - den freilich ihre Sklaven: aber wenn nun in der Reihe menſchlicher Begebenheiten alles ſich ſo geordnet hat, daß wir Sklaven in Al - gier oder in Tunis ſeyn muͤſſen, wer will ſich der Nothwendigkeit des Schickſals wi - derſetzen? Muth oder Gelaſſenheit! das lezte muß izt unſre Partie ſeyn.

Medardus raffte ſeine Entſchloſſenheit wie - der zuſammen. Getroſt, Bruͤderchen! ſprach er. Die Vorſicht lebt noch: wer weis wozu das gut iſt, daß wir izt Sklaven werden?

O Freiheit! rief Belphegor, du goͤttliches Geſchenk der Erde! ſo lebe zum zweitenmaleM 5186wohl! Jch ſoll von neuem Zeuge der Unter - druͤckung, der Grauſamkeit der Menſchen wer - den: wohlan! ich kuͤſſe die Sklavenkette, wenn ſie mich nur mit euch, Freunde, un - trennbar vereint.

Kaum hatte er ſeinen Schwanengeſang an die Freiheit geendet, als die Raͤuber ſchon an ihr Fahrzeug heranruͤckten; da ſie nichts als ein beuteleeres Boot mit drey Menſchen er - blickten, ſo ſchienen ſie unſchluͤſſig zu ſeyn, was ſie mit ihnen anfangen wollten: doch endlich erinnerten ſie ſich, daß ſie das Boot brauchen koͤnnten, und nahmen es alſo ein. Man unterſuchte alle Winkel ihres Leibes, um verborgne Schaͤtze zu entdecken: doch man entdeckte nichts, Sie wurden ins Sklaven - behaͤltniß gebracht, und nach langem vergeb - lichen Herumkreuzen fanden ſie eine Priſe, von der ſie ſich gute Hoffnung machten. Es war das alte Lied des menſchlichen Lebens: ein Trupp Menſchen wurde des andern Herr, nachdem ſich etliche von ihnen ermordet, er - ſaͤuft, erſchoſſen hatten. Die Raͤuber kehr - ten voller Luſt und Freude uͤber ihre Erobe - rung nach Algier, wo ſie ihre Abgabe von ihrer Beute entrichteten, auf neues Gluͤck187 ausreiſten und unſre drey Europaͤer in einer zweyjaͤhrigen Sklaverey zuruͤckließen, ohne daß einer den Aufenthalt des andern wußte.

Fromal machte waͤhrend dieſer Zeit ver - ſchiedene Verſuche, ſich und ſeine Freunde aus einem fuͤr Freygeborne ſo traurigen Zuſtande zu reißen: doch keiner gelang ihm, bis er es endlich dahinbrachte, unter einen Trupp von tauſend Sklaven den Samen des Aufruhrs auszuſtreuen, der ſich ſchnell ausbreitete. Große Armeen von Sklaven brachen ſich los, befreyeten andre, und Fromal war ihr An - fuͤhrer. Man ſtuͤrmte, raßte, wuͤtete: das ganze Land war Ein Gemaͤhlde des Aufruhrs. Die erbitterten verwilderten Sklaven wuͤrg - ten und verheerten, wohin ſie geriethen: die Reichen ſtarben in den Flammen ihrer Reich - thuͤmer; man wollte alles ausrotten, was nicht Sklave war. Die Truppen der Re - publik ſezten den Verwuͤſtern zu, toͤdteten und wurden getoͤdtet. Als alle Ebnen mit dem Blute und den Leichnamen der Aufruͤhrer und ihrer Sieger beſaͤt waren, beſchloß man das ſchreckliche Schauſpiel mit den fuͤrchterlich - ſten Scenen einer barbariſchen Juſtiz.

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Ehe es bis dahin kam, waren unſre Eu - ropaͤer insgeſamt gerettet. Fromal hatte keine Abſicht, als ſich und ſeine Freunde zu befreyen, und ließ daher, bey Erbrechung eines jeden Sklavenbehaͤltniſſes die Namen Medardus und Belphegor ausrufen: nicht eher wollte er vom Aufſtande ablaſſen, als bis ihm entweder der Tod das Leben genommen, oder das Gluͤck ſeine Freunde wiedergegeben haͤtte. Sein Wunſch wurde bald befrie - digt: er fand ſie in den erſten zween Tagen, begab ſich mit ihnen heimlich auf die Flucht und ließ ſeine Armee fuͤr Freiheit und Leben fechten und ſterben, ſo lange ſie wollte.

Nach einer langen ermuͤdenden Wander - ſchaft ſahen ſie ſich an den Graͤnzen von Bi - lidulgerid. Hier glaubten ſie ſich ſicher genug, lagerten ſich unter einem Palmbaume an ei - nem kleinen Fluſſe und waren unſchluͤſſig, ob ſie Schlaͤfrigkeit oder Hunger zuerſt beſaͤnfti - gen ſollten. Sie griffen zuerſt nach den Datteln, die uͤber ihnen hiengen, und ſchlie - fen bey dem Mahle alle drey ein.

Bey ihrem Erwachen blickten ſie einander zum erſtenmale wieder frey und ruhig an, er -189 zaͤhlten ihre Drangſeligkeiten, und Belphe - gor beſchloß jede Erzaͤhlung mit einem herben Klageliede uͤber die Grauſamkeit der Men - ſchen; und da die Reihe herum war, brach er in melancholiſchem Tone, mit Thraͤnen in den Augen aus: O Fromal! was iſt die Welt? du rietheſt mir, dies barbariſche Schlachthaus kennen zu lernen: der Zufall erfuͤllte deinen Rath: ich haſſe dich dafuͤr; du haſt mich ungluͤcklich gemacht Freund! in den engen Kreis der Unwiſſenheit einge - zaͤunt, als ich nie uͤber mich, meine kleinen Beduͤrfniſſe und zwey oder drey Freunde hin - ausblickte, da ich mich vom Strome der Zeit hinwegreißen ließ, ohne mit Einer Minute Nachdenken bey einer Scene außer mir zu verweilen, da ich mit meinen Empfindungen uͤber die kleinen einzelnen Anhoͤhen auf mei - nem Wege hinabgleitete, da ich , trank, ſchlief und empfand, ohne mich zu kuͤmmern, wer in Norden oder Suͤden wuͤrgte, vergiftete, unterdruͤckte; wie wohl war mir da! und izt wie duͤſter, mitternaͤchtlich ſchwarz um die ganze Seele! Sonſt ſchien mir die Erde eine Blumenwieſe, wo die Menſchen zwiſchen rie - ſelnden einladenden Baͤchen, Hand in Hand,190 mit verſchlungnen Armen herumwandelten, ſchwerbeladne Obſtbaͤume ihrer lachenden Fruͤchte entladeten, die Beute friedlich mit einander theilten und zur Saͤttigung der Muße Blumen pfluͤckten, wo ſie den anmuthvollen muntern Reihen des Lebens in einſamer Stille oder lauter Froͤlichkeit hinabtanzten: dies war das goldne Zeitalter meines Lebens, die gluͤcklichſte Blindheit, der ſeligſte Traum der Unwiſſenheit. Jzt habe ich die Augen geoͤff - net, ich uͤberſehe einen weiten Raum der ver - gangnen und gegenwaͤrtigen Zeiten, von dem großen Zirkel der Erde den meiſten Theil, den Umfang der Menſchheit, Sitten, Staa - ten, Verhaͤltniſſe, und die Weite der Aus - ſicht macht mich ungluͤcklich! hoͤchſtungluͤck - lich! der Menſch, der Menſch iſt in meinen Augen geſunken, und ich mit ihm. Jch uͤberſehe ein ungeheures Schlachtfeld, wenn ich uͤber die Erde hinſchaue

Belphegor! unterbrach ihn Fromal, laß mich das Bild mahlen! Du moͤchteſt zu dunkle Farben dazu nehmen; meine gute Laune, merke ich wohl, hat unter uns dreyen am laͤngſten ausgehalten. Hier, Freunde! ſchmauſt Datteln und ſeyd gutes Muthes! 191Zum Zeitvertreibe zeichne ich Euch die Ge - ſchichte der Erde im Kleinen; wenn ich kann, ſo will ich uͤber mein Gemaͤhlde lachen, und darf ich rathen lacht mit mir! Wenns auch ein bittres Lachen iſt es iſt doch beſſer als bittres Klagen.

Er machte ſich die Kehle mit einer Dattel geſchmeidig und fieng an: Habt ihr nie von den luſtigen Affen etwas gehoͤrt, denen man einen Korb mit Fruͤchten und eben ſo viele Pruͤgel hinlegt, als ihrer verſammlet ſind, wovon alsdann ein jeder einen ergreift und ſich nebſt ſeinem Gefaͤhrten ſo lange her - umpruͤgelt, bis ein Paar die Oberhand be - halten, die alsdann mit den naͤmlichen Waf - fen ausmachen, wer von ihnen beiden den Korb allein beſitzen und den uͤbrigen allen nach ſeinem Gefallen davon austheilen ſoll, was und wie viel ihm beliebt. Der Sieger wirft von Zeit zu Zeit Fruͤchte unter ſie, um welche ein neuer Krieg gefuͤhrt wird; jeder Ueberwinder wiederholt mit ſeinem Antheile daſſelbe Spiel, und ſo dauert der Krieg fort, bis alle außer einem etwas beſitzen, der ſich mit den Schalen und ſchlechtern Biſſen be - gnuͤgen muß, die ihm die uͤbrigen zuwerfen. 192 Wenn das Maͤhrchen nicht wahr iſt, ſo hat es jemand zum Sinnbilde fuͤr die Geſchichte unſers Erdenrundes erſonnen. Kann etwas aͤhnlicher ſeyn? Die Natur baute einmal ein eyfoͤrmiges oder pomeranzenfoͤrmiges Ding, und ſezte unter andern Geſchoͤpfen ei - nes darauf, das ſich dadurch von allen uͤbri - gen unterſchied, daß es weniger tumm, als jene, war, und ſich fuͤr vernuͤnftig ausgab. Jedem von dieſen Weſen hieng ſie, wie den roͤmiſchen Rennpferden, zwo ſtachlichte Ku - geln an, die ſie bey jeder Bewegung in die Seite ſtechen und anſpornen Neid und Vorzugsſucht. Hier, ſprach ſie, Kinderchen, habt ihr einen huͤbſchen geraͤumigen Plaz, der euch und eure Nachkommen naͤhren ſoll. Dar - auf gebe ich euch vier Stuͤcke, die euch Gele - genheit geben ſollen, eure Kraͤfte zu brau - chen: Weiber, Reichthum, Gewalt, Ehre. Balgt, pruͤgelt, wuͤrgt, mordet euch darum, ſo ſehr ihr koͤnnt! Jch habe euch etwas Mit - leid ins Herz gegeben, daß ihr einander nicht vertilgt; weiter kann ich nichts fuͤr euch thun. So ſprach ſie und uͤbergab dem Schickſale die Aufſicht uͤber ihre Soͤhnchen. Da das Haͤufchen klein war, fand wohl einjeder193jeder ſein Plaͤzchen: man nahm, wo es be - liebte. Bald wurde ihre Zahl groͤßer: der Raum jener wenigen reichte fuͤr dieſe mehrern nicht zu: die Staͤrkern jagten die Schwaͤchern fort. Die Vertriebnen aͤrgerten ſich uͤber das Gluͤck ihrer Vertreiber ſie kamen ver - ſtaͤrkt nach einigen Zeiten wieder, ſchlugen je - ne todt und ſezten ſich auf ihren Fleck. Die Nachbarn wurden beſorgt, daß ihnen daſſel - be widerfahren moͤchte, andre, die in ihrem Diſtrikte ein Paar Eicheln weniger zu eſſen hatten, beneideten dieſe gluͤcklichen Eroberer; beide thaten zuſammen, ſchlugen ſie todt und theilten ihr Stuͤckchen Erde, ihre Eichelbaͤu - me, ihre Huͤtten unter ſich. Da die tum - men Teufel nichts von der ſtereographiſchen Projektion wußten und folglich keine Thei - lungskarte machen, vielleicht nicht einmal bis auf drey zaͤhlen konnten, ſo mußte die Thei - lung nach einem ungewiſſen Augenmaaße ge - ſchehen. Eine Rotte wurde in der Folge, da ſie im Rechnen etwas weiter gekommen war, inne, daß die andre ſechs oder acht Baͤume mehr beſaß; ſie nahm ſie weg: jene wurde boͤſe, daß man ihr ihr heiliges theuer erworbnes Recht kraͤnkte, ſchlug zu, und werN194uͤbrig blieb, hatte ein voͤlliges erlangtes Recht dazu. Die kleinen Rotten verſchlangen ein - ander, ſchmolzen zuſammen und wurden zu groͤßern Rotten, die ſich um ein Stuͤckchen von dem ſchmuzigen Erdenkloße weidlich her - umzankten, bald um nicht zu verhungern, bald weil andre weniger hungerten, ſich die Haͤlſe zerbrachen, ſich trennten, ſich vereinig - ten, ſich alle von Herzen haßten, einander alles Herzeleid wuͤnſchten und anthaten, wenn ſichs thun ließ, ſich zulezt als Fremde betrach - teten, und nicht mehr daran dachten, daß ſie von Einer Mutter Natur ausgebruͤtet waͤren und zu Einem Geſchlechte gehoͤrten, und das Schauſpiel intereſſanter zu machen ſich gar nach huroniſchem und kannibaliſchem Voͤlkerrechte fraßen. Was iſt der ganze Lauf der Welt vom Anbeginn, als eine Pruͤgeley um den elenden Erdenkloß, der gewiß alle ohne Kopfzerſchmeißen ernaͤhren wuͤrde, wenn ſie nur gut einzutheilen gewußt haͤtten?

Kaum hatten ſich die zuſammengerotteten Schwaͤrme auf verſchiedenen Plaͤtzen gela - gert ſiehe! da faͤhrt einem wunderlichen Manne der Hochmuth in den Kopf; er will mehr als andre ſeyn; kurz, er machte es ſo195 liſtig und grob, daß die andern von ſeiner Rotte ihn fuͤr ihren Herrn erkannten, oder erkennen mußten. Geſchwind uͤberfiel meh - rere der naͤmliche Hochmuth; ſie thaten es ihm nach. Nun gieng ein neuer Zank an; einer wollte herrſchen, der andre auch, der dritte desgleichen, und noch mehrere: ſie ſchlugen ſich abermals herum, und die Leut - chen, die zum Gehorchen gemacht waren, ga - ben ihre Koͤpfe dazu her. Bisweilen theilten ſich zwey in die Gewalt, und bey der naͤch - ſten Gelegenheit verdraͤngte einer den andern; oder einer riß gleich die ganze Macht an ſich; ein Theil wollte, der andre mußte ge - horchen.

Da dieſe Gelegenheit zum Zanke ſo ziem - lich abgenuzt war, und alle Rotten ihre Herr - ſcher hatten, ſo wandelte dieſe ein noch arti - gerer Hochmuth an; einer wollte des andern Herr ſeyn. Sie machten ihren Rotten et - was weis, daß ſie mit ihnen giengen und die andern Nebenmenſchen ſo lange und herzhaft plagten, was dieſe nicht zu erwiedern ver - gaßen, bis einer oder der andre den Hals zum Joche darbot und den andern ſeinen Herrn nannte. Die Rotten hatten meiſtens nichtN 2196den mindeſten Vortheil dabey; aber da ihnen doch der liebe Gott zwey Arme gegeben hatte, ſo wußten ſie dieſes Geſchenk nicht beſſer an - zuwenden, als ſich damit herumzuſchlagen; und daher ermangelten ſie niemals, wenn ih - nen gepfiffen wurde, auf einander loszugehn. Das Spiel gieng nun ins unendliche fort; es kam mit der Zeit ſo weit, daß ſich der Herrſcher alles, und ſeine Rotte nur ein Ne - bending ward, das um ſeines Jntereſſe wil - len ohne Bedenken geſchlachtet und gewuͤrgt wurde. Einem gefiel der Fleck, den der an - dre mit ſeiner Rotte beſaß; er nahm ihn weg, und wer ihm den Beſiz ſtreitig machte, wurde niedergeſaͤbelt. Dieſer ſah, daß die Men - ſchenkinder in der andern Rotte huͤbſche Toͤch - ter hatten; er nahm ihnen eine gute Ladung weg, und der Staͤrkre beſaß ſie.

Der Menſchenverſtand wurde von Tage zu Tage feiner und alſo auch die Begierden. Lan - ge Zeit waren den Sterblichen Weiber, Felder, Huͤtten, Berge, Thaͤler, Gewalt, Herrſchaft gut genug, ſich deswegen die Kehlen abzu - ſchneiden: ſie zankten ſich um ein grobes Et - was, doch izt pruͤgelten ſie ſich um ein fei - nes Nichts, um eine Jdee, um die197 Ehre. War das nicht eine Verfeinerung, eine Erhebung ihrer Kraͤfte? ſie konnten ſich izt ſchon umbringen, ohne etwas anders dabey zur Abſicht zu haben, als die Ehre ſich umgebracht zu haben. Die Herrſcher duͤnkten ſich die groͤßten, die vortreflichſten, deren Rotten am unbarmherzigſten gemordet, und fremde Diſtrikte am geſchickteſten zur Wuͤſte gemacht hatten.

Jndeſſen war die Doſis Mitleid, die die Natur urſpruͤnglich mitgetheilet hatte, in Be - wegung geſezt worden, dieſe brachte etliche Jdeen von Unmenſchlichkeit, Grauſamkeit, Barbarey und dergleichen in die Koͤpfe; man ſchaͤmte ſich des Mordens ein wenig: man gab ihm einen Namen, der ſich mit jenem Gefuͤhle vertrug, und die Rotten mordeten mit ruhigem Gewiſſen fort, weil das Ding einen huͤbſchen Namen fuͤhrte, um deſſentwil - len ſie oft gar etwas verdienſtliches zu thun glaubten.

Wenn doch jemand den Ninus, Seſoſtris, Nebukadnezar, Cyrus, Xerxes, Alexander und ihre Nachfolger wohlmeinend zu Aſche verbrannt haͤtte, ehe ſie ihre blutigen Erobe - rungsprojekte ausfuͤhren konnten!

N 3198

Med. Jch haͤtte ſelbſt ein Scheitchen Holz mit hinzutragen wollen.

Fr. Das Blut ſo vieler zu vergießen, um der uͤbrigen Herr zu ſeyn!

Med. Die Koͤniginn Tomiris machte es recht; wenn ſie doch lieber den blutduͤrſtigen Cyrus vorher, ehe er auszog, ſo mit ſeinem Blute erſaͤuft haͤtte! Siehſt du, Bruͤder - chen? wahrhaftig, wenn ich Alexander waͤre, ich koͤnnte keine Nacht ruhig ſchlafen: alle die Leute, die um meinetwillen ermordet waͤren, ſtuͤnden des Nachts um mein Bette und heul - ten und roͤchelten um mein Kopfkuͤſſen*)We Shall ſit heavy on thy Soul to-morrow. (Shakesp. ); mit jedem Schlucke Apfelwein daͤchte ich einen Todtenkopf hinunterzuſchlingen; bey jedem Biſſen Brodte fiel mir bey, das mag wohl den Leuten aus dem Leibe gewachſen ſeyn, die ich habe erwuͤrgen laſſen; bey meiner Schlaf - muͤtze! ich vertauſchte hier das Fleckchen lei - digen Koth, auf dem ich ſitze, nicht gegen Alexanders ganze Monarchie, wenn ich ſein Gewiſſen mitnehmen muͤßte: das Herz muß ihm doch geſchlagen haben, ſo hoch, wie die Wellen auf der See.

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Fr. Guter Medardus! dafuͤr weis man ſchon Mittel. Wenn Alexander ſich und ſei - nem Herrn die reine Wahrheit haͤtte ſagen wollen, ſo wuͤrde er ohngefaͤhr ſo geſprochen haben! Lieben Kinder! ich will ſchlechter - dings, daß die Leute auf der Erde, ſo weit ſichs nur thun laͤßt, meinen Namen wiſſen: wenn ich ihnen die groͤßten Wohlthaten er - zeigte, ſo dankten ſie mir vielleicht, und in ei - nem Jahre waͤre ich ſamt meinen Wohltha - ten wieder vergeſſen; und das muͤßte ſchon etwas ſehr Großes ſeyn, wenn es noch ſo lange dauern ſollte: wie lange wuͤrde ich mit meinem Winkel, Macedonien, zureichen? Drum iſt es am beſten, ich quaͤle, wuͤrge, morde und verheere ſo lange, daß es die Leute ſo bald nicht wieder verſchmerzen koͤnnen: ſo denken ſie doch gewiß allemal an mich, wenns ihnen uͤbel geht: die Spuren meiner Verwuͤ - ſtung werden wenigſtens auch ein Jahrhun - dert und laͤnger uͤbrig bleiben: man denkt allemal an mich, wenn man ſie ſieht. Kommt! wir wollen die Perſer, Aſien und Europa ſo lange herumpruͤgeln, bis mich jeder kleine Junge fuͤr einen großen Mann erkennt. Auſ - ſerdem giebts in Aſien Gold und Silber dieN 4200Menge; und bey mir zu Hauſe iſt mehr Sand als Gold: davon moͤcht ich auch etwas, und wo es moͤglich waͤre, alles. Jch kann es ohnehin nicht verdauen, daß der Koͤnig von Perſien ſich den großen Koͤnig nennt, ſo viele Laͤnder und Leute hat, und ich hier in dem engen Kerker ſo einſam ſitzen ſoll. Die grie - chiſchen Republiken thun ſo groß auf ihre Freiheit und bruͤſten ſich, daß man in Perſien ihren Namen weis: ſie muͤſſen unter mich. Alles das kann ich mir und andern Leuten aber nicht ſo geradezu ſagen: wir muͤſſen al - ſo das Ding ein wenig uͤbertuͤnchen. Zu mir will ich ſagen: das allgemeine Vor - urtheil hat es zu dem wahrſten Grundſatze gemacht, daß nichts ſo groß, ſo edel iſt, ſo ſehr Ruhm erwirbt, als Tapferkeit und Muth; der Krieg iſt die Laufbahn großer Seelen. Jch will ſie betreten und Lorbern erndten, mein Haus und mein Vaterland bis zum En - de der Welt verherrlichen. Jch habe die ge - rechteſte Gelegenheit dazu: ich muß die Sache Griechenlands wider die Perſer vertheidigen, ich muß das Blut ihrer Vorvaͤter an dieſen ſtolzen Koͤnigen raͤchen. Jhr tapfern Gefaͤhr - ten ſollt fuͤr eute Begleitung Reichthum und201 Ehre gewinnen, die Ehre, tauſende von euern Nebenmenſchen umgebracht zu haben. Jm Grunde ſind wir freilich nichts als eine Ban - de Raͤuber, die ſich mit einer andern Bande herumſchmeißen, und ich ihr Anfuͤhrer: aber im menſchlichen Leben koͤmmt alles aufs Wort und die Vorſtellungsart an. Jm Grun - de iſt unſre Groͤße wohl auf den Untergang andrer gebaut, und ihr habt im Grunde nichts davon, als Gefahren, Schmerz, Stra - patzen, Hunger, Wunden, Tod, ihr koͤnntet zu Hauſe wohl eſſen, trinken und ruhig ſchla - fen, koͤnntet euch mit eurer Arbeit naͤhren und nuͤzlich werden, euer Vaterland anbaun, gluͤcklich ſeyn und gluͤcklich machen, ihr ſeyd im Grunde recht herzliche Narren, wenn ihr um meinetwillen nur Einen gefaͤhrlichen Schritt thut, denn ihr habt wenig oder gar nichts davon: aber wer wird ſich alles das ſagen? ich will Euch und mir ſchon ein Blend - werk von Worten, eine Verbraͤmung vorma - chen, daß ihr Eure Koͤpfe nicht zu lieb haben ſollt: man muß uͤberhaupt nicht zu viel von der Sache ſprechen, ſonſt moͤchte das Bis - chen natuͤrliches Mitleid aufwachen; und ſo waͤre es um die ganze Heldengroͤße gethan. N 5202Wohlan denn! ſchlagt zu und erſiegt die Lorbern der Unſterblichkeit! Mit dieſer Jlluſion zog er und ſeine Soldaten aus, und erhielt ſich darinne, bis er ſich zu Tode trank. Guter Medardus! wenn du es zu einer ſol - chen Jlluſion bringen, und die itzigen Mace - donier in eine aͤhnliche verſetzen koͤnnteſt, ſo wuͤrdeſt du ſie heute noch wider die Tuͤrken anfuͤhren. Die Jlluſion! das iſt die ganze Kunſt eines Alexanders; und wenn du nicht philoſophiſche Gewiſſensbiſſe hinter drein lei - den wollteſt, ſo muͤßteſt du dich in der Jllu - ſion bis an dein Ende erhalten: vermuthlich trank und ſchwelgte Alexander deswegen, um nicht zur Vernunft zu kommen und das Klei - ne ſeiner Groͤße zu fuͤhlen.

Elende Groͤße, die einer ſolchen Stuͤtze bedarf! rief Belphegor.

Fr. Und doch iſt ſie zu allen Zeiten die hoͤchſte geweſen, die traurige Groͤße, an dem Tode vieler Urſache geweſen zu ſeyn! Wer eine Rechnung uͤber den Abgang der Menſch - heit anſtellen wollte, wuͤrde vielleicht unter hunderttauſend Millionen achzig finden, die der Herrſchſucht, dem Neide, dem Geize, dem203 Aberglauben von Menſchen aufgeopfert wor - den ſind, und zwanzig, die die Natur ſelbſt gewuͤrgt hat. Gewiß, die Natur muß die Menſchen deswegen auf den Erdboden geſezt haben, daß ſie ſich in Rotten ſammeln und einander von einem Flecke der Erde zur an - dern herumtreiben ſollen

Unmoͤglich! rief Belphegor.

Fr. Aber was haben ſie bisher gethan als dieſes? Die Tatarn draͤngen ſich aus dem innerſten Winkel Aſiens hervor, dieſe verdraͤngen die ſarmatiſchen Voͤlker, die Sar - maten verdraͤngen die Deutſchen, die Deut - ſchen machen ſich unter Galliern, Spaniern, den Einwohnern Jtaliens Plaz: die Moh - ren verdraͤngen Vandaler, Alanen, Sueven, Gothen, die Chriſten verdraͤngen die Moh - ren; Daͤnen verjagen die Britten, Angelſach - ſen die Daͤnen, Daͤnen die Angelſachſen, Nor - maͤnner die Daͤnen; und wenn es auch oft nichts als eine Verwechſelung des Regenten, nichts als eine Vermiſchung der Voͤlker war, ſo mußte doch beides mit Menſchenblut be - werkſtelligt werden. Was thaten die Men - ſchen anders als daß ſie ſich in Rotten ſam -204 melten und einander wechſelsweiſe zu unter - druͤcken ſuchten? Was war es als Unterdruͤ - ckungsſucht, die den Dſchengis-Khan durch beinahe ganz Aſien herumjagte? Was brach - te ſeine Tatarn nach der Eroberung von Chi - na auf die menſchenfreundliche Berathſchla - gung, ob ſie nicht lieber alle Einwohner toͤd - ten und das ganze Land in Weiden fuͤr ihre Beſtien verwandeln ſollten? Waren ſeine Kriege gleich weniger blutig, mochten ſie gleich hinter drein einen zufaͤlligen Nutzen wirken, ſo war doch dieſer nicht ſeine Ab - ſicht, ſo ſind ſie doch ein Beweis von der Neigung der Menſchen zum Unterdruͤcken. Was anders trieb den Kublai nach China? Was anders hezt die kleinen afrikaniſchen und oſtindiſchen Koͤnige ewig zuſammen, ſich beſtaͤndig einander zum Herrn aufzudringen, obgleich keiner mehr zum Vortheile hat als den ſtolzen Gedanken, von einem Paar elen - den Geſchoͤpfen fuͤr ihren Obern erkannt zu werden? Was Huronen, Jrokeſen, Algonqui - nen, Plattkoͤpfe und Kugelkoͤpfe, ſich ohne ſonderliches Jntereſſe, auf die Eingebung ei - nes wilden Traums anzufallen, einzuſchraͤn - ken, aufzureiben, zu vertilgen und gar auf -205 zufreſſen? Jn allen Staͤnden der Geſell - ſchaft und der Menſchheit iſt der Menſch Krieger, Unterdruͤcker, Raͤuber, Moͤrder ge - weſen. Ein Theil unſers Planetens iſt end - lich dahin gelangt, daß die Menſchen ſich ein - ander ruhig unterwarfen, die Obergewalt, die der Zufall beguͤnſtigte, fuͤr Recht gelten ließen, dem Staͤrkern wichen, der Nothwen - digkeit der Jnferioritaͤt nachgaben, in die Verhaͤltniſſe geduldig ſich bequemten, die der Zufall angeordnet hat: aber das Spiel der Welt iſt im Ganzen immer noch das alte, nur in regelmaͤßigere Form gebracht und mit weniger grauſen und unmenſchlichen Scenen uͤberhaͤuft. *)If it be cruelty, yet there’s method in’t ---- koͤnnte man vielleicht von den heutigen Krie - gen ſagen.Wenn die Entſchuldigungen der Kriege, die einige Gelehrte ausgeſonnen haben, etwas mehr als erbettelte Ausſtuͤchte heißen koͤnnen, oder wenn ſie deswegen zulaͤſ - ſig ſind, weil ſie unverineidlich noth - wendig, bisher wenigſtens, geweſen ſind welches unter allen Beſchoͤnigungen die ein - zige geltende iſt ſo muß die Beſtimmung der Menſchheit auf dieſem Planeten im Gan -206 zen diejenige ſeyn, die ich vorhin angab, oder kein Geſchlecht von Geſchoͤpfen hat bisher ſei - ner Beſtimmung ſo ſehr zuwider gelebt als die Menſchen.

Belph. Jch bitte, ich beſchwoͤre dich, Fromal, mache den verhaßten Schluß nicht! laß mich ihn nicht wiſſen, wenn er gleich Wahrheit iſt! Und wenn ja der Menſch im Ganzen das war, wie du ihn ſchilderſt, ſo ſagt mir doch mein Herz, daß, den Men - ſchen im einzelnen betrachtet daß du da laͤgſt.

Fr. Luͤgſt? Das moͤchte ich bewieſen ſehn! Haſt du nicht durchgaͤngig Neid und Vorzugsſucht, als zwey der ſtaͤrkſten Ge - wichte, in jedem Menſchenherze geſunden? Jch daͤchte, du haͤtteſt zu deinem Herzeleide Beiſpiele genug davon erlebt. Dein eignes menſchenfreundliches Herz iſt, offenherzig ge - ſprochen, nicht davon leer: aber wohl dir, daß die Natur mit deiner ſanften liebenden Empfindung dir ein Gegengewicht einhieng, das jenem die Wage haͤlt! Laß deinen izt nur glimmenden Neid, deine izt nur lau - ſchende Vorzugsſucht Zunder finden ich207 prophezeihe dir, ſie lodern beide zur Flam - me auf

Belph. So viel ich mich kenne, nimmer - mehr!

Fr. Und ſo weit ich den Menſchen kenne, gewiß! Du wuͤrdeſt nie ein grauſamer fuͤhl - loſer Wuͤrger werden, dein Neid, deine Vor - zugsſucht wuͤrde immer noch die Menſchlich - keit mehr als bey jedem andern zur Begleite - rinn haben; aber ſie wuͤrden gewiß beide hervorbrechen, ſey es in welcher Geſtalt es wolle.

Belph. Jch ſchwoͤre dir: eher wollt ich mein Herz aus dem Leibe reißen, eher

Fr. Schwoͤre nicht! Das Schickſal hat oft wunderliche Grillen; es koͤnnte dich in Umſtaͤnde verſetzen, wo du an deinem Schwu - re meineidig werden muͤßteſt.

Med. Bruͤderchen, den Schwur wollte ich auch thun.

Fr. Der Himmel wird euch vermuthlich den Meineid erſparen; aber, aber Neid und Vorzugsſucht ſind die zween allgemei -208 nen Hauptzuͤge aller menſchlichen Charaktere; ſo viel ich ihrer aus der Geſchichte, aus der Erzaͤhlung, aus dem Umgange kenne alle, alle hatten ſtaͤrkre oder ſchwaͤchre Schattirun - gen davon; oft waren ſie freilich mit den uͤbrigen Farben des Charakters ſo verſchmelzt, daß ein feines Auge dazu gehoͤrte, ſie zu er - kennen: aber vorhanden waren ſie. Wenn die menſchliche Thaͤtigkeit von zwo ſolchen Federn in Bewegung geſezt wird, ſo iſt allge - meiner Krieg in jedem Verſtande eine unver - meidliche Folge: jeder will uͤber den andern, und jeder beneidet den andern, wenn er uͤber ihn iſt, es ſey, worinne es wolle: dies iſt ein unlaͤugbares Faktum ſeit der erſten Exiſtenz der Menſchen: allzeit bricht dies freilich nicht in hellen flammenden Krieg aus, weil tau - ſend andre Ruͤckſichten, ganz unzaͤhliche Nei - gungen und Ruͤckſichten jenem Beſtreben, je - nem Neide das Gleichgewicht halten und ihre fuͤrchterlichen Ueberſtroͤmungen hindern. Oft reißt aber der Strom nicht den Damm durch, ſondern graͤbt ſich einen Weg an einem weni - ger feſten Orte unter dem Boden, ergießt ſich durch, und Niemand weis es, als bis er die Ueberſchwemmung fuͤhlt. Von dieſen beidenTrie -209Trieben ſind die meiſten unſrer Laſter und Tu - genden Abkoͤmmlinge oder Masken: die Ei - genliebe iſt die Mutter oder wenn ich hier in Bilidulgerid unter einem Palmbaume eine in Europa erfundne Allegorie wiederho - len darf, ſo will ich ſie euch mittheilen. Die Eigenliebe und das Mitleid wurden dem neugeſchaffnen Menſchen zu Begleitern gegeben, ihn durch den mannichfaltigen Kampf dieſes Lebens hindurchzufuͤhren: jene ſollte ſeine Thaͤtigkeit anſpornen, ihm den noͤ - thigen Stoß geben, um ſich ſelbſt, wie um ſeinen Mittelpunkt, zu bewegen, dieſes ihm Einhalt thun, wenn ihm in dem Kreiſe ſeines Umlaufs eins ſeiner Geſchoͤpfe im Wege ſtuͤn - de, daß er es nicht unbarmherzig in ſeinen Wirbel hinriß: jene ſollte uͤberhaupt ihn an - treiben, dieſes zuruͤckhalten, jene thaͤtig, wirk - ſam, dieſes gerecht, guͤtig machen. Nach ei - ner kurzen Bekanntſchaft mit den Menſchen entſprungen aus dem Kopfe der erſtern zwey Kinder Neid und Vorzugsſucht, die das Amt der Mutter uͤbernahmen und von nun an die Fuͤhrerinnen der Menſchen wur - den. Sie entzuͤndeten einen ewigen Krieg unter dem Menſchengeſchlechte, verdraͤngtenO210die Gefaͤhrtinn ihrer Mutter, das Mitleid, von ihrem Geſchaͤfte und machten die Men - ſchen zu grimmigen grauſamen Tigern, wor - unter der Staͤrkre den Schwaͤchern fuͤhllos zerfleiſchte. Endlich zog das Schickſal das vertriebne Mitleid aus ſeiner Verweiſung zu - ruͤck und ſuchte es zu ſeiner Wuͤrde wieder zu erheben. Jene Vertreiber willigten nach langem Widerſtande in einen Vertrag: ſie blieben die Regierer der Menſchen, wie vor - hin, und ließen es auf einen Kampf ankom - men, wer von den beiden Partheien der ein - zige oberſte Herrſcher, und wem die andre unterworfen ſeyn ſollte: der Kampf iſt noch nicht geendet, noch nicht entſchieden, der Menſch noch immer der Fechtplatz, wo dieſe beiden Gegner um die Obergewalt ringen, abwechſelnd bald die eine, bald die andre Parthey auf kurze Zeit einen Vortheil erjagt, den oft der naͤchſte Augenblick wieder zernich - tet. Doch iſt es dem Mitleide ſo weit ge - gluͤckt, daß es dem Neide und ſeinem Geſell - ſchafter die Verbindlichkeit aufgezwungen hat, nie anders als unter einer von ihm ge - borgten Maſke zu erſcheinen; und dieſe Maſ - ken ſind unſre Tugenden. Der Neid211 hatte indeſſen eine zahlreiche Nachkommen - ſchaft, die Laſter, geboren, und auch dieſe mußten ſich unter jene Verbindlichkeit ſchmie - gen. Europa liegt unter dem Himmel, wo dieſer gluͤckliche Vertrag zuerſt errichtet wurde: man fuͤhrt dort den Krieg der Natur kluͤger, daß ich ſo ſagen mag, man fuͤhrt ihn unter der Aufſicht des Mitleides; aber gefuͤhrt wird er, nur mit andern Waffen und auf andre Art als ehmals.

Belph. Aber, Fromal, ſo waͤren ja die verſchiedenen Stufen, die die Menſchheit durchwandert hat, nichts als verſchiedene For - men von Kriege, die nur die Veraͤnderung der Waffen und des Manoͤvre unterſchiede?

Fr. Nicht anders! wenigſtens bis hie - her, nicht anders! So gar Menſchen, die nicht

Med. Bruͤderchen, da ich ſtudierte, hoͤrte ich viel von Grundtrieben und abgeleiteten Trieben: die beiden haͤßlichen, die du da nennſt, ſollen doch wohl nicht die Grundtrie - be des Menſchen ſeyn?

O 2212

Fr. Freund, nichts iſt ſchwerer und will - kuͤhrlicher, als die Genealogie von den Trie - ben der menſchlichen Seele. Jch weis, wel - che in ihr liegen, aber welche die Natur ge - pflanzt hat, und welche aus dieſen aufge - wachſen ſind, das iſt mir voͤllig unbekannt: ich denke aber, daß zu allen, was in der Seele iſt, die Natur eine Anlage mitgetheilt haben muß. So viel weis ich auch, welche unter dieſen Trieben die zu allen Zeiten, un - ter allen Voͤlkern, unter allen Menſchen all - gemeinen geweſen ſind; dieſe, ſchließe ich, muͤſſen ihm eben ſo weſentlich als Augen, Naſen, Ohren ſeyn; wie aber nie zwey Na - ſen, zwey Augen einander voͤllig gleich ſehn, ſo hat der Neid, die Vorzugsſucht bey ver - ſchiedenen Nationen, bey verſchiedenen Men - ſchen, in verſchiedenen Staͤnden der Menſch - heit und der Geſellſchaft eine verſchiedene Mi - ne: die Grundzuͤge aber ſind bey allem eins. Dieſe Allgemeinheit derſelben leuchtet am drollichſten bey denen hervor, die das Schick - ſal in eine ſolche Lage ſezte, daß ſie nicht herrſchen, oder mit ihren Mitbruͤdern um Sklaverey, Laͤnder und Voͤlker die Lanze bre - chen konnten. Um bey der allgemeinen Thaͤ -213 tigkeit nicht muͤßig zu ſeyn, erſannen ſie ſich ein andres Etwas, ihre Tapferkeit daran zu uͤben: ſie waͤhlten unblutige Waffen, wie ſie ihre Umſtaͤnde erlaubten, und wenn ſie einen Kitzel bekamen, das Schauſpiel etwas inter - eſſanter zu machen, ſo zogen ſie Leute mit hinein, denen Wuͤrgen und Morden verſtat - tet war. Die Philoſophen erfanden ſich ein Ding, das ſie Wahrheit nennten; um dieſes hinkten ſie herum, wie die Goͤtzendiener des Baals. Sie erfanden eine Kriegskunſt*)Die Dialektik, oder Diſputirkunſt., Regeln des Angriffs und des Ruͤckzugs, Tren - ſcheen, Stratageme, Laufgraͤben, grobes und kleines Geſchuͤtze; und die edlen Ritter der Wahrheit ſind jederzeit die treflichſten Kano - nirer geweſen. Das ſchnurrichſte bey dem ganzen Kriege war, daß das beſtrittne Ding gar nirgends exiſtirte, ſondern erſt aufgeſucht werden ſollte. Folglich war ihr Krieg ohn - gefaͤhr auf den Schlag, als wenn die euro - paͤiſchen Maͤchte einen um die terra auſtralis incognita, die unentdeckten Laͤnder des Suͤ - derpols fuͤhren wollten. Was muͤßten ſie thun, um ihrem Streite doch einem leidlichen Anſtrich zu geben? Spanien wuͤrde ſa -O 3214gen, ich ſupponire, daß mein Alt - und Neu - kaſtilien dieſe Laͤnder vorſtellt; England ſup - ponirte, daß Schottland oder Jrrland, Frankreich, daß Languedoc oder Provence es unterdeſſen ſeyn ſollten; und eine aͤhnliche Suppoſition machte jede andre Macht, die an dem komiſchen Kriege einen ruͤhmlichen Antheil zu nehmen gedaͤchte; und nun friſch losgeſchlagen! zerhauen und zerſchoſſen! Sonach koͤnnten dieſe Maͤchte einen ewigen Krieg um die eigentliche terra auſtralis in - cognita mit einander fuͤhren, bey jeder Er - oberung der unterdeſſen dafuͤr angenommenen Laͤnder einen Frieden ſchließen und ſich die Eroberungen wieder herausgeben. Haͤtten ſie nicht unendlich vortheilhafter und vielleicht auch kluͤger gehandelt, wenn ſie in Ruhe und Frieden auf die Entdeckung dieſer Laͤnder ausgegangen waͤren? und dann omnis res cedit primo occupanti. So ein Froſch - maͤuſekrieg war der Krieg der Philoſophen um die Wahrheit; jeder ſupponirte nicht, ſondern behauptete, das was mir Wahr - heit ſcheint, iſt Wahrheit, und das Gluͤck der Waffen ſoll entſcheiden, wer im Punkte der Wahrheit herrſchen und dem Glauben215 und dem Beifalle der uͤbrigen Geſetze vor - ſchreiben ſoll. Man ſonderte ſich auch hier in Rotten und Faktionen, auch hier waren Neid und Vorzugsſucht die Waffentraͤger, auch hier galt es Unterdruͤckung und Herrſch - ſucht. Es iſt alles eins: nur andre Gegen - ſtaͤnde, andre Waffen.

Durch eine lange Reihe der Begebenheiten bildeten ſich in der Geſellſchaft verſchiedene Staͤnde, wurden verſchiedene Lebensarten noͤthig: und gleich entſtund daher der große Krieg der Verachtung, dieſer poſſirlichſte und doch allgemeinſte Krieg, da jeder Stand den andern herabſezt, jeder hoͤhere den niedern verachtet, und der niedere ſich durch Spott an dem hoͤhern raͤcht dieſer Verachtung, die nicht blos innerhalb der Graͤnzen der Ver - achtung bleibt, ſondern aus den Menſchen Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes Jntereſſe von den uͤbrigen abſondert. Der Menſch iſt ein geſelliges Thier; wenn er es iſt, ſo iſt er es nur, um ſich in Rotten zu theilen, ſich zu wuͤrgen, ſich zu verfolgen, ſich zu verachten; die Menſchen mußten ſich ver - einigen, um ſich zu trennen, um ſich unter dem Namen der Nationen, der Staͤnde zu haſſen,O 4216zu verachten, zu verfolgen. Was ſind Staͤdte anders als Fechtplaͤtze, wo man mit Verlaͤumdungen ſtreitet? Alles, alles nuͤzten die Menſchen, um den Naturkrieg fort - zuſetzen, von dem unſre Kultur nichts als eine veraͤnderte gemilderte Form iſt, wie ich vorhin ſagte.

Es wurden Monarchen; man kaͤmpfte um ihre Gunſt. Es wurden Ehren, Titel und Wuͤrden; man kaͤmpfte darum. Doch unter den vielen poſſierlichen Kriegen hat mir kei - ner mehr Laune gegeben, als der Kampf um oͤffentlichen Beifall. Wenn ein Dichter uͤber alle ſeine werthen Zunftgenoſſen ſich bit - ter ſatiriſch luſtig macht, iſt das etwas anders als zu dem Publikum ſagen: ihr lieben Leute, ich will euch zwingen, daß ihr mich alle fuͤr den groͤßten Geiſt erkennen ſollt; und hat er ſich in den Beſiz ſeines geſuchten Ruhms hin - eingedraͤngt, ſo hat er nichts gethan, als die Leute beredet daß ſie ihm den Gefallen er - zeigt und ihn fuͤr etwas Großes gehalten ha - ben. Was ſind Spiele, geſellſchaftliche Ergoͤtzungen anders als Kriege im Grunde? Auch wenn er ſich die Zeit verkuͤrzen ſoll, muß der Menſch ſtreiten, mit der Karte, dem217 Wuͤrfel, der Kugel. Selbſt das ſanfte unkriegeriſche Geſchlecht, dem alle Waffen verſagt zu ſeyn ſcheinen, waͤhlte, um nicht allein in Muße zu leben, zu ihrem Kriege Blicke, Worte und Kleider, und fuͤhrte ihn mit Perlen, Juwelen, Stoffen und der Zunge.

Nur Erzbiſchoͤffen, Paͤbſten und Biſchoͤf - fen war es vorbehalten, das ehrwuͤrdigſte erhabenſte unter Menſchen, die Religion, zum Gegenſtande ihrer Kriege zu misbrauchen; und unter allen Religionen genoß die chriſt - liche zuerſt dieſe Ehre. Man zankte ſich um den Epiſkopus oekumenikus, um das Woͤrt - lein Filioque, um Orthodoxie und Ketzerey, verbannte, verfluchte, exkommunicirte, ver - folgte, trennte ſich, alles in Gottes Namen, und eigentlich auf Antrieb und Begehr des Neides und der Vorzugsſucht.

Wenn zu allen Zeiten vom Anbeginn, in allen Theilen der Welt, unter allen Voͤlkern, in allen Staͤnden der Menſchheit und der Ge - ſellſchaft der Krieg unter Menſchen dauerte, noch fortdauert, und die verſchiedenen Gat - tungen deſſelben nur die Waffen und die Fuͤh -O 5218rungsart unterſcheiden; wenn am Hofe und in der Stadt, der Gelehrte und der Hand - werksmann, Mannsperſonen und Frauenzim - mer wenn jedes, der groͤßte und der ge - ringſte, nur fuͤr ſich kaͤmpft, uͤber alle will und alle unter ſich haben will, und omnes malunt ſibi melius eſſe quam alteri; wenn dieſer allgemeine Streit das ewige Gaukel - ſpiel der Welt geweſen iſt: was ſollen wir alsdann denken? Daß die Natur Affen auf dieſe Erdkugel ſezte, die ſich um goldne Aepfel und ſaure Feldbirnen, die das Schick - ſal von Zeit zu Zeit unter ſie wirft, herum - pruͤgeln, und jeder Preis mit der Aufſchrift! dem Staͤrkſten! bezeichnet iſt.

Belph. Fromal, du biſt ein ungluͤcklicher Mann mit deinen Schluͤſſen. Warum willſt du nun vollends den Reſt von Traume ver - ſcheuchen, mit welchem mich mein Herz taͤuſch - te? Gewiß, du ſuchteſt nur die gehaͤſſig - ſten Zuͤge zu deinem Bilde zuſammen, und warfeſt alle zuruͤck, die dir die Menſchenliebe darbot.

Fr. Die Menſchenliebe? Die Men - ſchenliebe der Spanier meinſt du wohl, als219 ſie Millionen ihrer vielgeliebten Nebenmen - ſchen zur Ehre Gottes und ſeiner apoſtoliſchen Majeſtaͤt erwuͤrgten? oder die Menſchenliebe der Roͤmer, die um der vortreflichen Einbil - dung willen, Herren der Welt zu ſeyn, dem halben damals bekannten Erdboden die Freundſchaft erzeigten, ſie nach einem kleinen Blutbade zu ihren Unterthanen zu machen? oder

Belph. Kein oder mehr! ich bitte dich. Warum nimmſt du deine Originale nicht lie - ber aus dem ſanften haͤuslichen niedrigen ge - ſellſchaftlichen Leben, aus deinem, aus dem Herze deiner Freunde, aus dem friedſamen Alter der Kindheit, dem offnen Gemuͤthe der Jugend

Fr. Warum raͤthſt du nicht lieber, aus dem Theokrit oder Geßner? Soll ich, um eine Truppe Gladiatoren zu charakteriſiren, die Zuſchauer ſchildern? weil dieſe friedlich und nur in ihrem Beifalle uneinig daſitzen, ohne ſich Leides zuzufuͤgen, dieſe Zuͤge in ein Gemaͤhlde von den Fechtern hineinzwingen? Noch iſt nicht einmal jenes Alter von allen Spuren des allgemeinen Naturkriegs leer:220 ſelbſt Kinder trennen ſich bey ihren unintereſ - ſirten Spielen in Parteyen, ihre liebſte Er - goͤtzung iſt balgen, das kleinſte Maͤdchen ficht mit ihren erſten goldnen Ohrringen wider das zierdeloſe Ohr des Juͤngern, aus Vor - zugsſucht verdraͤngt der vornehmere Knabe den geringern von ſeinem Spiele, oder er - niedrigt ihn zu ſeinem Aufwaͤrter, man kaͤmpft um die Gunſt der Eltern, der Lehrer, oft der Bedienten, das Kind beneidet ſchon das andre, wenn es nach ſeiner Meinung ſchoͤnere Pompons erhalten hat, es will der aufgewartete Monarch in ſeinem Wirkungs - kreiſe ſeyn. Und wir, beſter Belphegor, ungern ſage ichs! wir lieben uns, ſo lange wir keine Urſache haben, uns zu haſſen. Alle Menſchen lieben ſich, ſo lange ſie in gleicher Linie ſtehen, ſind mitleidig, wohlthaͤtig, ohne alle Grauſamkeit gegen einander: ruͤckt einer uͤber die Linie, dann gute Nacht Freundſchaft! So bald der Zufall unſre Liebe auf eine Probe ſtellte, uns Materialien des Haſſes und des Streites zuwuͤrfe Belphegor! Belphegor! fuͤhle an dein Herz und forſche!

Belphegor und Medardus ſchwuren beide, daß Himmel und Erde in ein Chaos zuſam -221 menſtuͤrzen koͤnnten, ehe Zufall, Schickſal, Gluͤck, Macht und Reichthum ihnen die min - deſte Regung des Neides oder der Grauſam - keit einfloͤßen wuͤrden.

Fr. Nicht den leichteſten Schwur thue ich fuͤr mein Herz. Wenn alle Menſchen bisher, ſo bald ihr Neid, ihre Vorzugsſucht Zunder bekam, entglommen, und wenn nicht andre Ruͤckſichten und Triebe ſie abhielten, in Krieg, ein jeder auf ſeine Art, ausbrachen, warum ſoll - te ich ſo ſtolz ſeyn, mich fuͤr die einzige gluͤck - liche Ausnahme zu achten? Kommt, Bruͤ - der! wir wollen uns lieben, ſo lange wir koͤnnen, ſo lange nur Datteln uns entzweyen muͤßten; und ſo ſtandhaft wird doch we - nigſtens unſre Freundſchaft ſeyn, daß ſie ſich wider eine Dattel vertheidigen kann? Hier in Wuͤſten, in der Einſamkeit, wo kein Neid, kein Jntereſſe, kein Vorzug uns aufwiegeln kann, hier laßt uns unſer trauriges Schick - ſal verbeſſern, und den Nutzen fuͤr unſre Freundſchaft daraus ziehn, den die Duͤrf - tigkeit uns anbeut!

Belphegor und Fromal umarmten ſich freundſchaftlich, indeſſen daß dieſer verſicher -222 te, wie ſehr er aller falſchen Anmaßung feind ſey und darum frey geſtehe, daß nach ſeiner Erfahrung der Schwur einer immerwaͤh - renden Freundſchaft nur in Romanen, in der Einſamkeit, oder beſtaͤndigem Elende ſtatt finde. Waͤhrend daß dieſe Umarmung beide beſchaͤftigte, rief Medardus voller Schrecken: Jeſus Maria! ſiehſt du, Bruͤderchen? Der Schrecken hatte ihn ganz vergeſſend ge - macht, daß er ein Proteſtant war, und er wiederholte zu verſchiedenen malen ſein altes angewoͤhntes, Jeſus Maria! Als ſich Fromal nach ihm umſah, erblickte er einen Loͤwen, der ſeine beiden Vorderklauen auf die Schultern des Medardus gelegt hatte und keuchend den aufgeſperrten Rachen uͤber ſei - nem Kopfe hielt, daß es nur noch noͤthig war zuzuſchnappen, um ihn mit Einem Biſſe vom Rumpfe abzureißen. Die ganze Geſellſchaft war in der hoͤchſten Beſtuͤrzung und ſahe das Ungeheuer, wie verſteinert, an. Fromal be - merkte zuerſt, daß das Thier von Zeit zu Zeit einen ſchmerzhaften Blick auf die linke Klaue, und dann einen bittenden auf ihn warf, aus welcher Geſtikulation er ſchloß, daß es von einem Uebel befreyt zu ſeyn wuͤnſchte. Weil223 dies eine ſo bequeme Gelegenheit war, ſich in die Gunſt dieſes gefuͤrchteten Geſellſchaf - ters zu ſetzen; ſo nuzte ſie Fromal, faßte ſei - nen Muth zuſammen und naͤherte ſich ihm, um den Schaden zu beſichtigen. Der Loͤwe bruͤllte ihm einen freudigen Dank entgegen, daß der arme Medardus, dem dieſe Dankbar - keit wegen der Naͤhe in ihrer ganzen Staͤrke in die Ohren fuhr, vor Erſchrecken vorwaͤrts niederſtuͤrzte und eine Zeitlang glaubte, daß er wahrhaftig in dem Magen des Loͤwen ſchon verdaut wuͤrde: das Thier warf ſich auf die rechte Seite und reichte Fromaln die kranke Klaue dar. Die Kur war hoͤchſtge - faͤhrlich: denn er hatte ſich einen ſcharfen Feuerſtein ſo tief in das Fleiſch eingetreten, daß kaum genug hervorragte, um ihn anzu - faſſen; uͤberdieß machte die Furcht die Hand des Wundarztes zitternd und jeden Hand - griff unſicher: doch er ſezte muthig an und zog ihn gluͤcklich heraus, nahm etliche Palmblaͤtter, band ſie ihm mit einem Reſte von europaͤiſchem Bindfaden, den er eben in der Taſche fand, darauf, und zog ſich demuͤ - thig in eine beſcheidne Ferne zuruͤck. Der Patient riß die Verbindung ab, und leckte224 die blutende Klaue, bis das Blut geſtillt war: alsdann ſprang er auf, lehnte ſich an Fro - maln hinan, der jeden Augenblick ſtatt des Honorariums ſeinen Tod erwartete, und leckte dankbar ſein Geſicht mit der breiten Zunge, daß es von Geifer triefte. Dieſe großmuͤthige Geſinnung erwarb ihm das Zu - trauen der ganzen Geſellſchaft ſo ſehr, daß ſie ihm ihre Hochachtung und aufrichtige Er - gebenheit durch Liebkoſungen von jeder Art an den Tag legten, die er mit erhabner Ma - jeſtaͤt in Gnaden anzunehmen geruhte. Da man aber befuͤrchtete, daß bey laͤngerer Ge - ſellſchaft der Hunger endlich in nahrungslo - ſen Zeiten die Dankbarkeit des Monarchen erſticken, und er ſeine eifrigen Verehrer als - dann aufſpeiſen moͤchte, ſo dachte man auf eine heimliche Entfliehung von ihm. Doch jeden Schritt, den Fromal that, begleitete er; er war ſein Buſenfreund.

Mitten unter dieſen Ueberlegungen und Bemuͤhungen, ſeiner Freundſchaft zu entwi - ſchen, kam ein Trupp von ſchwarzen Ein - wohnern des Landes, die kaum den Loͤwen erblickten, als ſie ſich ihm mit den ehrerbie - tigſten Konvulſionen und feierlichſten Geber -den225den auf den Knieen naͤherten. Das maje - ſtaͤtiſche Thier blieb ernſthaft an der Seite ſei - nes geliebten Fromals liegen, und bewegte nicht Einen Fuß, ſo ſehr die Schwarzen ihn auch darum erſuchten.

Dieſes Thier war, wie ſich nachher zeigte, ein wichtiges Mitglied des daſigen Staats. Die Einwohner leben mit den Loͤwen im be - ſtaͤndigen Streite, um deſſentwillen man Schanzen und Kaſtele angelegt hat, die jene Feinde ſo regelmaͤßig angreifen und beſtuͤr - men als wenn ſie die Kriegskunſt des Koͤnigs von Preuſſen geleſen haͤtten. Wenn bey einer ſolchen Belagerung ſich der Vortheil auf die Seite der Belagerer zu neigen ſcheint, ſo wird ein gezaͤhmter Loͤwe, den man in jeder Feſtung zu dieſem Endzwecke unterhaͤlt, als Bevoll - maͤchtigter zu ſeinem Geſchlechte abgeſendet, ſie durch glimpfliche Vorſtellungen von ihren ruchloſen Feindſeligkeiten abzubringen und billige Friedensbedingungen zu erbitten. Dieſe Vermittelung iſt, wie man es ihr an - ſieht, eine Erfindung der Prieſter, die einen ſolchen Abgeſandten, ſtatt des Beglaubigungs - ſchreibens, mit geweihten Palmblaͤttern behaͤn - gen eine Zierde, die er gemeiniglich beyP226dem erſten Ausgange von ſich wirft. Ein Dorf hatte eben izt eine ſolche harte Belage - rung auszuſtehn, und da man ſich auf das Aeußerſte gebracht ſah, ſo griff man zu dem lezten Rettungsmittel und ſendete den gehei - ligten Loͤwen ab: doch kaum war der Treu - loſe herausgelaſſen, als er die Wichtigkeit ſei - ner Sendung und ſeinen ganzen Auftrag ver - gaß, ſein Kreditiv von ſich warf, davon renn - te und belagern und beſtuͤrmen ließ, ſo lange man beliebte. Auf dieſem Wege hatte er ſich die Wunde zugezogen, die Fromal kurirte, und wofuͤr er izt ihm die Freundſchaft erwies und ſich nicht von ſeiner Seite trennte, ohne den Bitten ſeiner Aufſucher nachzugeben.

Da die Prieſter dieſe Vertraulichkeit merk - ten, ſo winkten ſie den drey Europaͤern, ih - nen zu folgen, welches ſie thaten, worauf der Loͤwe gleichfalls ſich aufmachte und neben ſei - nem Befreyer herhinkte. Als ſie an die Fe - ſtung gelangten, fanden ſie die Beſatzung in Bereitſchaft, an dem noch freyen Orte auszu - ziehen und alles, was ſie von ihren Vorraͤ - then hineingerettet hatten, der Raubbegierde ihrer Angreifer zu uͤberlaſſen. Die hoͤchſte Gefahr drohte: die Loͤwen kletterten in dich - ter Schlachtordnung den Wall hinauf, der227 aus Sand und Holze verfertigt war, und ein Wagehals unter ihnen hatte ſeine Klauen ſchon kaum etliche Zolle von dem oberſten Rande des Walles entfernt, als Fromal mit ſeinen Begleitern ankam. Er ſtieg hinauf, das Schlachfeld zu beſehen, und fand die Klauen jenes Verwaͤgnen ſchon oben, um durch einen Schwung den Boͤſewicht vollends herauf zu bringen. Schnell hieb er mit ſei - nem tuͤrkiſchen Saͤbel ſie beide ab, daß das Thier ruͤckwaͤrts uͤber ſeine nachfolgende Ar - mee wegſtuͤrzte und den ganzen Wall hinun - terrollte. Darauf verlangte Fromal Feuer, erfuhr aber durch Zeichen, daß keines mehr vorhanden war; ſie hatten ſchon oft mit brennenden Baumzweigen auf ihre Feinde ka - nonirt, die nach einem kleinen Ruͤckzuge ſo - gleich wieder anruͤckten: endlich war ein ſtar - ker Regen dazwiſchen gekommen, hatte alle ihre brennenden Materialien ausgeloͤſcht, und neues anzumachen, hatten ſie weder Zeit noch Gegenwart des Geiſtes genug, beſonders da ihre Methode, Feuer zu bekommen, ungemein langſam von ſtatten gieng. Fromal ſchlug mit einem europaͤiſchen Meſſer an den afrika - niſchen Feuerſtein, den er dem Loͤwen aus demP 2228Fuße gezogen hatte, fieng das Feuer mit trocknen Palmblaͤttern auf, hielt ſie an eine reſinoͤſe Materie, die leicht Feuer faͤngt und von den Einwohnern zu dieſem Endzwecke herbeygeſchaft war, brachte es gluͤcklich zur Flamme, zuͤndete vorraͤthige Baumzweige an, befahl auch andern, ſeinem Beiſpiele zu fol - gen, und ſo rennte er nebſt einem Truppe Ein - wohner mit flammenden Fackeln den Wall hinauf, fuhr mit ihnen auf die kletternden Feinde zu, die ſich anzuhalten hatten und des - wegen nicht vertheidigen konnten, ſengte ih - nen Rachen, Maͤhne und Ohren; ſie ſtuͤrzten bruͤllend herunter, andre wollten dem Feuer trotzen, ließen ſich aber doch vertreiben, die ſaͤmtliche Belagerer geriethen in Verwirrung, ſtuͤrzten, rollten, waͤlzten ſich hinunter und nahmen mit verſengten Naſen und Ohren ih - ren Abzug, indeſſen daß ihnen Fromal mit ſeinem ſiegreichen Truppe unaufhoͤrlich lo - dernde Aeſte nachſchickte, ſo weit man ſie ſchleudern konnte. Da der Sieg ungezwei - felt war, erhub Fromal ein lautes Triumph - geſchrey, welches die Einwohner nachahmten, worauf ſie ihn auf ihren Schultern ins Dorf nebſt ſeinen beiden Gefaͤhrten zuruͤcktrugen.

229

Siehſt du, Bruͤderchen? ſagte Medardus zu Belphegorn, als ſie auf einem oͤffent - lichen Platze niedergeſezt wurden: ſagte ich dir nicht? wer weis, wozu das gut iſt, daß Prinz Amurat ſich erſtach, daß die Markiſinn geſpaltet, alle unſre Mitſklaven niedergehauen, und die Schiffer von uns erſaͤuft wurden? Siehſt du nun? Wir ſollten hier die Loͤwen verjagen, und vielleicht gar

Viel Anſtalt zu einem kleinen Nutzen! ſag - te Belphegor, wenn er dies ganz ſeyn ſoll!

Nur Geduld, Bruͤderchen! Wer weis, wer weis!

Es war die hergebrachte Gewohnheit des Landes, daß die heiligen Loͤwen nach einem gluͤcklich abgelaufnen Loͤwenkriege mit einem Menſchen beſchenkt wurden, deſſen Aufopfe - rung ſie wegen des Schadens wieder verſoͤh - nen ſollte, den man ihrem Geſchlechte zuge - fuͤgt hatte. Aus einer oͤkonomiſchen Abſicht, die Eingebornen des Dorfs zu ſchonen, ka - men die Prieſter diesmal auf den ſinnreichen Einfall, einen von den drey angelangten Weißen dazu anzuwenden, die ihnen ohnehin verdaͤchtig worden waren, weil ſie die Ueber - windung der Feinde bewerkſtelligt, und da -P 3230durch ihre prieſterliche Wunderkunſt beſchaͤmt hatten. Aus tuͤckiſchem prieſterlichen Neide thaten ſie den unſeligen Vorſchlag und be - ſtunden darauf, ſo ſehr auch das Volk aus Dankbarkeit ſich demſelben widerſezte; und konnte ein chriſtlicher Pabſt blos um eine an - genommene Grille geltend zu machen, ver - ſichern, daß es ihm und Gotte angenehmer waͤre, wenn die Prieſter Schwaͤrme Konku - binen hielten und Millionen unehliche Kinder umbraͤchten, als daß ein Prieſter Eine recht - maͤßige Frau naͤhme und Ein rechtmaͤßiges Kind zeugte, ſo darf man es einem afrikani - ſchen Prieſter um ſo viel weniger verargen, wenn er aus Neid einen haͤßlichen Weißen den Loͤ - wen vorſetzen und lieber undankbar ſeyn, als eine hergebrachte Gewohnheit uͤbertreten will. Sie beharrten hartnaͤckig darauf und laſen, ich weis nicht warum, den armen Medardus zum Schlachtopfer aus, waͤhrend daß er ſich bemuͤhte, ſeinem Freunde die weiſe Anordnung der menſchlichen Begebenheiten und ihre Ab - zweckung zum Guten zu beweiſen.

Fromal merkte bald, daß eine außerordent - liche Bewegung unter ſeinen neuen Freunden vorgieng, er erkundigte ſich bey ſeinem Nach - bar, der ihm durch ſeine Pantomime zur Noth231 errathen ließ, daß ſeinem Gefaͤhrten eine Ge - fahr bevorſtuͤnde, ob er gleich die eigentliche Beſchaffenheit derſelben nicht zu erfahren ver - mochte. Ehe er ſie ausſtudieren konnte, ſah er ſeinen armen Freund ſchon von den Prie - ſtern umringt, die ihn mit den heiligen Bin - den von Palmblaͤttern behiengen und zur Speiſe der Loͤwen einweihten. Fromal er - rieth zwar ihre Abſicht nicht, allein aus dem vorhergehenden Winke eines Schwarzen ſchloß er doch nichts Gutes; er ziſchelte dem Bel - phegor ſeinen Argwohn ins Ohr, der ihn nicht ſo bald vernahm, als er mit ſeiner ge - wohnten Heftigkeit auf die Prieſter losgehn wollte: doch Fromal ſtieß ihn zuruͤck und uͤbernahm es, fuͤr ihn zu ſprechen: er drohte mit ſeinem Saͤbel, riß dem Medardus den gan - zen Opferſchmuck vom Leibe und ſtellte ſich zu ſeiner Beſchuͤtzung neben ihn, welches auch Belphegor that. Mit gezognen Saͤbeln er - warteten ſie alle drey in geſchloßner Reihe den Angriff; niemand wagte es: doch ploͤzlich, ſchneller als ſie ſehen konnten, war Medar - dus mitten aus ihnen verſchwunden, mit Leib und Seele verſchwunden. Sie ſtaunten, ſie drohten nochmals, foderten ihn wieder: nichtsP 4232antwortete ihnen als eine traurige Geberde, mit welcher ſich die Umſtehenden an die Bruſt ſchlugen. Belphegor ſchaͤumte vor Wuth und Zorn; er hieb einen daſtehenden Prieſter in die Schulter und holte nach einem andern aus, als der ganze Haufe ſie beide auf die Schultern faßte und laut rief: Nazib! Na - zib! Unter dieſem Geſchrey wurden ſie fortge - tragen und langten in kurzer Zeit in einer mit Bergen umſchloßnen Ebne an, wo ſie ein Ge - baͤude, einer deutſchen Gauklerbude aͤhnlich, und um daſſelbe etliche kleinere von gleicher Architektur antrafen. Sie merkten aus allen Umſtaͤnden, daß ſie ſich in der koͤniglichen Re - ſidenz befanden, um der ſchwarzgelben Maje - ſtaͤt vorgeſtellt zu werden, welches nach einem langen Aufenthalte außer dem Palaſte wirk - lich geſchehen ſollte, waͤhrend deſſen alles in - nerhalb des Gebaͤudes in Bewegung war, und ſie vermuthen ließ, daß man entweder das Audienzzimmer zu ihrem Empfange in Ordnung bringe, oder ein Schafott fuͤr ſie baue.

[233]

Fuͤnftes Buch.

P 5[234][235]

Die Zuruͤſtungen zu dem Empfange der Europaͤer, ſo lange ſie auch dauerten, konnten doch denſelben Tag nicht voͤllig geen - digt werden; man quartirte ſie alſo indeſſen in eine Huͤtte ein, die ſie fuͤr ein Gefaͤngniß hielten, ob es gleich das ſchoͤnſte Gaſthaus der Reſidenz war, wo ſie die koͤnigliche Milde mit Datteln, ein Paar Straußeneyern und etlichen Schlucken Branntewein bedienen, und die Verſichrung geben ließ, daß ſie morgen gewiß das Gluͤck genießen ſollten, das Antliz Seiner Majeſtaͤt zu beſchauen.

Jn der Nacht fand ſich ein Europaͤer bey ihnen ein, der ſich einige Zeit an dem Hofe des Koͤnigs aufgehalten hatte, ein Franzoſe von Geburt und ein Herumſtreifer von Pro - feſſion war. Sein Beſuch hatte zur Abſicht, ſie in dem Cerimonielle des Hofs zu unter - richten, zu deſſen Erlernung, nach ſeinem Aus - drucke, Ein Menſchenkopf nicht zureichend waͤre. Fromal und Belphegor baten zwar inſtaͤndigſt, ſie mit einer ſo ſchweren Wiſſen -236 ſchaft zu verſchonen; allein er beſtund dar - auf, daß ſie wenigſtens in den zu ihrer Auf - nahme noͤthigen Gebraͤuchen ſeinen Unterricht annehmen mußten. Sie brachten drey ganze Stunden damit zu und waren ſo ermuͤdet, daß ſie endlich um die Endigung der Lehrſtun - den flehentlich anhalten mußten, welches ſie aber nicht eher erlangten, als bis ſie noch erfahren hatten, daß ihr Lehrmeiſter wo nicht der Erfinder doch der Verbeſſerer dieſer Wiſ - ſenſchaft ſey; und von wem, als einem Fran - zoſen, ſezte er hinzu, war dieſes Licht zu er - warten? Die Franzoſen tragen allenthalben Geſchmack und gute Lebensart hin.

Da ihre Progreſſen in dieſer erſten Stunde nicht ſonderlich waren, ſo meldete ihnen ihr Lehrer den Tag darauf, daß ſie à l’alleman - de etwas ſchwer begriffen und eben darum wenigſtens noch acht Tage in der Unterwei - ſung bleiben muͤßten, ehe ſie wuͤrdig vor dem Throne ſeiner Majeſtaͤt erſcheinen koͤnnten. Sie unterwarfen ſich um der Sonderbarheit der Sache willen ſeinem Verlangen und ver - darben ſich mit Kameelmilch und Datteln in - deſſen Appetit und Magen, womit man ſie ſehr ſparſam bewirthete. Da der Tag ihrer237 Vorſtellung erſchienen war, that ihnen ihr Lehrmeiſter mit betruͤbtem Herzen zu wiſſen, daß ſie wegen der Verwundung des Prieſters das Angeſicht des Koͤnigs nicht ſchauen koͤnn - ten, wenn ſie nicht vorher durch gewiſſe hei - lige Gebraͤuche und Buͤßungen von ihrer Suͤnde gereinigt waͤren; Medardus, berich - tete er ihnen ferner, ſey zwar noch am Leben, wuͤrde aber niemals wieder aus dem Reiche kommen; denn er ſey unter die Zahl der hei - ligen Thiere verſezt worden. Zugleich ließ ihnen der Koͤnig ſeine Vermittelung bey den Prieſtern anbieten, die er vermoͤgen wollte, ihnen wenigſiens drey Wochen von der noͤ - thigen Reinigung zu erlaſſen, da ſie eigentlich vier ganze Wochen dauern ſollte, aber unter dem Bedinge, daß ſie ihm gleichfalls einen Dienſt erzeigten. Sie ſtuͤnden herzlich gern zu Befehl und erfuhren darauf, daß der Koͤ - nig zur Verherrlichung ſeines Reichs eine Ge - ſandſchaft aus Europa zu bekommen wuͤnſchte und daher ſie erſuchte, dieſe Geſandten vor - zuſtellen. Da es bey einem ſo elenden Duo - dezmonarchen keine Gefahr haben konnte, eine ſolche Komoͤdie zu ſpielen, und ſie vielleicht die Loslaſſung ihres Freundes durch ihre Ein -238 willigung zu erlangen hoften, ſo verſtunden ſie ſich dazu, und zween ganze Monate wur - den erfodert, ſie theils in den ſchweren Wiſ - ſenſchaften des daſigen Hofs feſtzuſetzen, theils Anſtalten zum Empfange der vorge - gebnen Geſandſchaft zu machen.

Der Monarch, der ſeine Groͤße auf dieſe Art glaͤnzen laſſen wollte, war der gefuͤrchte - te Beherrſcher von etlichen hundert ſchwarzen ſchmutzigen Kreaturen, die er in verſchiedene Koͤnigreiche zertheilt und ſie mit Regenten verſehen hatte, die ihm Tribut bezahlen und ihn als Vaſallen ehren mußten. Er fuͤr ſei - ne hohe Perſon war der Tributar des großen Monarchen von Segelmeſſe, den ſich Ma - rocco zu dem ſeinigen gemacht hatte. Da er nicht im Stande war, ſich von den Potenta - ten ſeiner Klaſſe zu unterſcheiden, unter wel - chen er in Anſehung der Macht die kleinſte Rolle ſpielte, ſo rieth ihm ſein Ehrgeiz, ihnen auf eine einleuchtende Weiſe zu zeigen, daß er zwar der kleinſte an Macht, aber der groͤß - te an Ruhm ſey: niemand von denen, die er durch die Taſchenſpielerey hintergehn wollte, noch er ſelbſt hatte eine homaniſche Karte vor Augen gehabt, und er ließ es alſo dabey be -239 wenden, ſeine Geſandſchaft dem großen Koͤ - nige aus Norden beyzulegen.

Aus Beſorgniß, daß ſeine Herrlichkeit nicht ausgebreitet genug werden moͤchte, ließ er acht Tage vor der Audienz auf allen Gaſſen und an allen Orten, ſo gar Loͤwen und Strauſ - ſen kund und zu wiſſen thun, daß ſich jeder - mann verſammeln ſolle, die Geſandſchaft des großen Koͤnigs aus dem Norden zu beſchauen. Die Feierlichkeit gieng mit allem Glanze vor ſich, den nur ſeine koͤniglichen Schaͤtze zulieſ - ſen; ſeine ſaͤmtlichen Unterthanen vom Greiſe bis zu dem Kinde, das kaum gehen gelernt hatte, mußten paradiren: der Zug gieng un - ter der laͤrmendſten beſchwerlichſten Muſik ei - nen Tag lang ſeine ganzen Laͤnder hindurch: Kameele, Strauße, heilige Loͤwen, alle vier - fuͤßige und befiederte Kreaturen, deren er nur habhaft werden konnte, mußten die Prozeſ - ſion verlaͤngern helfen: alle Produkte ſeines Landes, die koͤnigliche Garderobe, die koͤnig - lichen Schaͤtze und Kleinodien, die in Datteln, Palmblaͤttern, großen Schlaͤuchen voll Ka - meelmilch und aͤhnlicher Koſtbarkeiten beſtun - den, wurden oͤffentlich vorgetragen: Nach dieſer muͤhſeligen Reiſe durch warme, ſandig -240 te, waſſerloſe Gegenden gelangten ſie endlich zum koͤniglichen Palaſte, einer viereckichten großen Huͤtte von Palmbaͤumen aufgefuͤhrt, deſſen Dach man gegenwaͤrtig, wie bey allen vorzuͤglichen Feierlichkeiten, uͤber dem Haupte des großen Koͤnigs weggeriſſen hatte, weil nach ſeiner eignen Verſichrung ein ſo großer Monarch nichts als den Himmel Gottes uͤber ſeinem Haupte dulden koͤnne; die innern Waͤnde waren mit Palmblaͤttern austapeziert. Der maͤchtige Nazib ſaß in halbnackter Ma - jeſtaͤt auf zween Kloͤtzen, erhaben uͤber alle die ſchmutzigen Vaſallen, die, wie Sphynxe, um ſeinen Thron herum demuͤthigſt auf den Baͤuchen lagen und die Koͤpfe auf den un - tergeſtuͤzten Armen in die Hoͤhe richteten. Zween langausgeſtreckte Vaſallen genoſſen die Ehre, ihm zum Fußſchemel zu dienen, auf die er von Zeit zu Zeit ſeinen erhabnen Spei - chel herabzuwerfen wuͤrdigte, ſie ihrer Nie - drigkeit und ſeiner Groͤße zu erinnern: ploͤz - lich blies er die Backen auf und ließ ſie mit einem lauten Ausblaſen des Athems wieder zuſammenfallen, welches ein Befehl an alle Fuͤrſten des Erdbodens ſeyn ſollte, vor ihm niederzufallen.

Nachdem241

Nachdem die laͤcherlichſte Pantomime auf allen Seiten geſpielt war, wobey Fromal kaum ſeine Muskeln zu der noͤthigen Ernſt - haftigkeit zwingen konnte, und Belphegor vor Erſtaunen uͤber den unſinnigen Grad, zu wel - chem er die kindiſchſte Vorzugsſucht hier ge - ſtiegen ſah, nicht zu ſich kam, ſprang endlich der Koͤnig auf, gab jedem ſeiner Vaſallen eine Ohrfeige, und ließ ſich von ihnen vor den Palaſt tragen, wo er der Sonne, die eben untergehen wollte, den Auftrag gab, dem großen Koͤnige des Nordens, zu welchem ſie nun bald kommen wuͤrde, großguͤnſtig zu mel - den, daß er, der maͤchtige Nazib, ſein Gebet erhoͤrt, ihn zum erſten ſeiner Vaſallen, zum Seſſel ſeines Hintern erhoben habe, und ihm verſpreche, ihm alle Huld und Schuz in Gna - den angedeihn zu laſſen. Da die Geſandten aus vielen wichtigen Urſachen die zugedachte Ehre verbeten hatten, das ertheilte Erbamt ihres Principals in eigner Perſon zu verrich - ten und dem großen Nazib zum Seſſel des Hintern zu dienen, wie es anfangs veranſtal - tet war, ſo mußte ſich der oberſte von den Vaſallen dazu bequemen, der uͤber dieſes Gluͤck ſo ſtolz wurde, daß er Tages darauf einemQ242ſeiner Mitvaſallen ein Auge vor Uebermuth ausſchlug. Als der Nazib ſeinen Siz auf ihm mit einem expreſſiven Stoße genommen hatte, ſo wiederholte er die obige Grimaſſe mit dem Backen, um allen Fuͤrſten des Erd - bodens anzudeuten, daß er ihnen nunmehr die Erlaubniß gebe, von dem anbefohlnen Kniefalle wieder aufzuſtehn. Zulezt wollte er den Geſandten noch zumuthen, ſeine Fuͤße, die es ungemein noͤthig hatten, in Kameel - milch zu waſchen, welches ſie mit einem Buͤn - del Palmblaͤtter obenhin thaten, dann lager - ten ſich die Vaſallen in einer Reihe vor ihm hin, und er goß ihnen mit erhabnem Stolze den Reſt ſeines Fußbades ins Geſicht.

Darauf nahm die Mahlzeit ihren Anfang, die uͤberhaupt aus ſechs Jngredienzen be - ſtund, wovon ein jedes unzaͤhlichemal aufge - tragen wurde: man ſaß vom Untergange der Sonne bis zum Anbruche des Tags, und die ſaͤmtlichen Unterthanen des Reichs ſtanden in Parade um die Tafel: die unterſten Va - ſallen bedienten ihn, und die uͤbrigen lagen neben ihm am Tiſche. Nach aufgehobner Tafel wuͤnſchten Fromal und Belphegor ſehn - lich, von ihrer hohen Rolle befreyt zu ſeyn,243 allein nun fiengen erſt die Luſtbarkeiten an; ſie mußten aushalten.

Sogleich traten zween Truppe ſchwarze Kerle hervor, die auf ein gegebnes Zeichen auf einander losgiengen und ſich mit Knitteln unbarmherzig pruͤgelten, daß gleich bey dem erſten Angriffe drey todt auf der Stelle nie - derſanken. Belphegor und Fromal ließen durch ihren Dollmetſcher, den Franzoſen, fle - hentlichſt bitten, eine ſo unmenſchliche Luſt - barkeit zu endigen; allein ſie bekamen die la - chende Antwort: es ſind ja nur meine Unter - thanen. Belphegor ergrimmte uͤber dieſe entſezliche Antwort ſo heftig, daß er ohne Fromals Zuruͤckhaltung dem großen Nazib den Hirnſchaͤdel geſpaltet haͤtte. Die Strei - ter ſchlugen einander todt bis auf einen, der die Ehre des Siegs und zur Belohnung die Erlaubniß bekam, den Staub von den Fuͤßen des Nazib zu lecken. Belphegor ließ noch einmal alle dergleichen barbariſche Ergoͤzlich - keiten verbitten; allein die Antwort blieb be - ſtaͤndig dieſelbe: es ſind ja nur ſchlechte Ker - le, meine Unterthanen, meine Sklaven.

Als die beiden Europaͤer in ihre Huͤtte er - muͤdet zuruͤckkamen, ſo konnte ſie die Ermat -Q 2244tung von einer ſo beſchwerlichen Rolle nicht abhalten, uͤber den laͤcherlichen Ehrgeiz des großen Nazib zu lachen. So eine Karrika - tur iſt der Menſch, ſprach Fromal, unter allen Zonen; die komiſchſte Zuſammenſetzung von kindiſchem Stolze und laͤppiſchen Einbil - dungen: aber glaube nicht, daß er unter dem afrikaniſchen Himmel allein dies poſſierliche Ding iſt! Unter allen neunzig Graden ſuͤdli - cher und noͤrdlicher Breite, vom erſten Mit - tagszirkel bis zum lezten iſt er das naͤmliche burleske Geſchoͤpf, nur in dem Ausdrucke ſeiner Narrheit verſchieden, allenthalben in ſich ſelbſt verliebt, allenthalben ſich ſelbſt der groͤßte, der wichtigſte, und der Veraͤchter an - drer: ſollte er gleich nur Strohkoͤrbe machen koͤnnen ſo verachtet er doch gewiß, den Brod - neid abgerechnet, aus bloßer Selbſtgefaͤllig - keit alle Koͤrbe, die er nicht verfertigt hat. Wir lachen uͤber dieſen Muͤckenmonarchen, daß er ſeine Vaſallen ſeine Obergewalt ſo em - pfindlich fuͤhlen laͤßt: allein wo nicht die Furcht vor dem Spotte und dem Gelaͤchter viele Menſchen in poliziertern Himmelsſtri - chen zuruͤckzoͤge, ſo wuͤrden ſie alle dieſem jaͤm - merlichen Nazib gleichen: wer nicht in der245 That unterdruͤcken kann, unterdruͤckt in der Einbildung; wer im Staube liegt, ſteigt wenigſtens mit ſeinen Gedanken empor, und glaubt der hoͤchſte zu ſeyn, weil er ſich der hoͤchſte zu ſeyn duͤnkt. Das einzige Mittel, das die Europaͤer vor ſolchen ausſchweifen - den Ausbruͤchen des Stolzes bewahrt, iſt meiner Meinung nach die Politeſſe, Furcht vor dem Spotte, und die vielfaͤltige Verwi - ckelung des Jntereſſe; wo dieſe zuruͤckhalten - den Schranken fehlten, da habe ich den Stolz Farcen auffuͤhren ſehn, oder von ihm erzaͤhlen hoͤren, die unſerm afrikaniſchen Luſtſpiele nicht viel zum voraus ließen. Kennſt du den deut - ſchen Ehrenmann noch, von dem ich dir lezt - hin erzaͤhlte, daß er ſich taͤglich dem beſchwer - lichſten Zwange, der langweiligſten Etikette unterwarf, ſich und ſeiner Familie durch ein - foͤrmige abgezirkelte Cerimonien und Kompli - mente das Leben ſchleppend, laͤſtig, freudelos machte, blos um ſeinem Hauſe das Anſehn eines Hofs zu geben?

Fromal wollte abbrechen, allein Belphe - gor erſuchte ihn fortzufahren.

Oft, ſezte er ſeine Gedanken fort, habe ich gleichſam an dem Fuße der menſchlichen GroͤßeQ 3246geſeſſen und dem Eifer zugeſehn, mit welchem eins uͤber das andre hinwegklettern wollte, wie man rang, wie man kaͤmpfte, wenn wei - ter nichts moͤglich war, wenigſtens das Recht zu erlangen, uͤber dem andern zu ſitzen, zu ſiehen, vor ihm hineinzugehn und herauszu - gehn, eher, als er, der Teller und das Glas praͤſentirt, eher die Verbeugung zu bekom - men, wie man ſich beleidigt fand, wenn aus Verſehen dieſes Recht gekraͤnkt wurde. An - fangs that es mir wahrhaftig weh: du weißt, wir hatten beide in Einem Traume der Fantaſie geſchlummert: der erhabenſte Menſch war uns der weiſeſte, der verſtaͤndig - ſte, der geiſtreichſte, der empfindungsvollſte kurz, wir maßen ſeine Groͤße nach ſeinem Geiſte: aber wie bald fand ich, daß dieſer Maasſtab dem Maasſtabe einer kleinen Pro - vinz glich, der nur in ihr und ſonſt nirgends gebraucht wird; mein Maas traf nie mit dem Maaſe eines andern uͤberein: ich warf es weg und richtete mich nur bey mir ſelbſt darnach. Jch hatte weder Luſt noch Kraͤfte mich in den allgemeinen Wettſtreit zu miſchen; ich blieb Zuſchauer. Jch ſahe, daß der Menſch ſich ſelbſt mit ſeinem ganzen Zube -247 hoͤr von Vorurtheilen zum Muſter hinſtellte, nach dem er tadelte und lobte, billigte und verwarf; ich ſah ſie alle nach dem Ringe des Vergnuͤgens und des Vorzugs rennen, ich ſah, daß ſie nach jedem Vorzuge gierig grif - fen, wenn er in meinen Augen gleich nicht Eines Schrittes werth war, ſollte er auch in einer Schuhſchnalle beſtehn; ich ſahe, daß dem Vortheile alles weichen mußte, daß man nur in Ruͤckſicht auf ihn handelte, daß man ſich wechſelsweiſe Lob und Bewundrung ab - kaufte, daß man gab, um zu empfangen, daß das ganze Leben nur ein Kommerz von Schmeicheleyen war, und daß man ſich bey dem Beſitze eines ſolchen Beifalls gluͤcklich duͤnken konnte, ohne einen Augenblick daran zu denken, daß er nur eingetauſcht war, daß er nicht dem Manne, ſondern ſeinem Kleide, ſeinem Pferde, ſeinem Titel, ſeinem Gelde gehoͤrte; ich ſah bey meinem erſten Eintritte unter die Menſchen die freundliche Stirn, die dienſtfertigen Fuͤße, die gefaͤlligen Haͤnde, die ehrerbietigen Verbeugungen, die liebkoſenden, ſchmeichelnden, glatten Worte fuͤr die Doll - metſcher des Herzens an, und freute mich! und ſchalt alle wahnwitzig, die dem MenſchenQ 4248weniger zutrauten, als ich damals an ihm zu finden glaubte: ich ſah die Menſchen ein - zeln, ich warf einen eindringenden Blick in ihr Herz, ich belauſchte ſie, und Tiger entdeckte ich, die einander zerreißen moͤchten, Falſche, die das verſpotteten, was ſie vorhin bewunderten, die das beneideten, wozu ſie vorhin Gluͤck wuͤnſchten, die den haßten, den ſie vorhin gebuͤckt ehrten; Herzen entdeckte ich, mit dem veraͤchtlichſten Unrathe kleiner Begierden, elender Wuͤnſche, niedriger Ver - langen angefuͤllt; Koͤpfe, mit leeren nichts - wuͤrdigen Anſchlaͤgen, unterdruͤckenden Liſten, Projekten einer Seifenblaſengroͤße beladen: nein, dachte ich, mit euch, Leutchen, kann mein Weg nicht lange auf Einem Fußſteige fortgehn; ich muͤßte mich ganz umſchmelzen, oder mich mit einem gar zu ſtarken Firniſſe der Heucheley uͤbermahlen, wenn ich nicht in ewigem Widerſpruche mit euch ſeyn wollte. Jch, Narr, ich graͤmte mich, ich tadelte mich daruͤber, ich warf mir Unvollkommenheit, Unthaͤtigkeit vor, daß ich meine Zunge nicht zur Bewundrung zwingen konnte, daß meine traͤgen Haͤnde ſich nach keiner der geſchaͤzten Hoheiten, nach keiner dieſer goldſchimmern -249 den Fruͤchte ausſtreckten, daß mein Herz, wie erſtarrt, keinen einzigen Pulsſchlag um ih - rentwillen ſchneller that: man ſchalt mich ſo - gar einen Fuͤhlloſen, einen Duns ohne Lebens - kraft: ey wozu das? Jch erſparte mir meine Unruhe; ich ließ ſie ſchwatzen: warum ſollte ich meinen Gaum zu einem Biſ - ſen zwingen, der ihm widerſtund, und den mein Magen alſo ſicher nicht ohne Schmer - zen verdaut haͤtte? Weg, weg mit ihm! ich ließ die Leute darnach ſchnappen, darnach laufen und rennen, ſich freuen und betruͤben, ſich liebkoſen und haſſen, ſich erheben und unterdruͤcken, ſtolz und klein ſeyn, und lachte; freilich bisweilen etwas bitter, mit einer guten Quantitaͤt ſchlimmer Laune! aber wer kann ſich helfen? Wie koͤnnte mir ein ſo aufgeblaſner Ritter, wie unſer Nazib, Herzbeſchwerungen machen wie dir? Lie - ber Lungenbeſchwerungen von vielem La - chen!

Belph. Aber, beſter Fromal, muß das Herz nicht zum hoͤchſten Aufruhre emporſtei - gen, wenn dieſer laͤcherliche Goͤtze ſeinem Wahne ſogar Menſchen opfert?

Q 5250

Fr. Unempfindlichkeit! Kaͤlte! Eiskalter Froſt, wie in Spizbergen! und dann zu - geſehn! Du haſt ja ſo keinen Flecken am Leibe mehr, den du dir noch entzweyſchlagen laſſen koͤnnteſt: ſchlaf geſund in deiner Haut, und ſieh zu, wenn du wachſt! Die Menſchen ſind gar wunderliche Spizkoͤpfe: haͤtteſt du dem Nazib ſeinen aufgedunſnen Schaͤdel fuͤr ſeine Grauſamkeit geſpalten, ſo haͤtten dir alle, die du von ſeinem Unſinne befreyen woll - teſt, ein gleiches gethan: ſelbſt die Todten, wenn ſie wieder lebendig haͤtten werden koͤn - nen, wuͤrden dich niedergehauen haben, weil du ihrer Nachkommenſchaft die Ehre benahmſt, wie ſie, fuͤr die Groͤße und zum Zeitvertreibe des maͤchtigen Nazib ſich todt zu pruͤgeln.

Belph. Fromal, ſchaffe mir Eis, ſchaffe mir die Kunſt zu lachen, und unſern Medar - dus! dann wollen wir ſehn. die ver - dammte Hitze! Hier haſt du meinen Saͤbel; wo ich in Zukunft nicht ſo froſtig, wie ein Eiszapfen, bin, ſo haue zu! ſpalte mich vom Wirbel bis zur Fußzehe!

Fromal verbat den Auftrag, verſprach ihm gelindere Mittel und ſchlief mit ihm ein.

251

Unterdeſſen hatte der Franzoſe, ihr Lehr - meiſter in dem Hofcerimoniell, mit Huͤlfe ſei - nes Ehrgeizes einen wichtigen Grund ent - deckt, ſeine beiden Schuͤler von Herzensgrun - de zu haſſen. Die Ehre und Herrlichkeit die - ſer hohen Geſandſchaft, die er ſich vorher nicht ſo groß vorgeſtellt hatte, leuchtete ihm izt, da er ſo muͤßig in der Ferne zuſehn mußte, ſo ſtark in das Geſicht, daß er weder Fro - maln noch Belphegorn mit offnen Augen an - ſchauen konnte. Er gieng um ſie herum, machte ihnen ſteife froſtige Komplimente, ſtichelte mit unter ein wenig auf ihre genoßne Ehre, verſicherte mit etwas bittrer Großmuth, daß er ſie von ſich ſelbſt abgelehnt habe, ob es gleich in ſeiner Macht geſtanden haͤtte, ſie vor allen andern zu erlangen, und gab dabey zu verſtehn, daß ſie ihm die ganze Verbind - lichkeit dafuͤr ſchuldig waͤren. Fromal und Belphegor gaben ihm gleichfalls zu verſtehn, daß ſie ihm zwar Verbindlichkeit fuͤr ſeinen guten Willen, aber nicht fuͤr die Sache haͤt - ten, die das beſchwerlichſte Poſſenſpiel der Welt waͤre. Sie lachten und ſcherzten; und in drey Tagen war der Franzoſe unſichtbar.

252

Der Ruf von der Geſandſchaft des großen Koͤnigs aus dem Norden war bis zu allen umliegenden Nazibs durchgedrungen: der ſie empfangen hatte und alſo wohl wußte, daß ſie ſeine eigne Veranſtaltung war, wurde doch auf den bloßen Gedanken daran ſo ſtolz, daß er ſchon willens war, dem Koͤnige von Segelmeſſe Gehorſam und Tribut aufzu - kuͤndigen; ob er gleich wußte, daß ſeine Macht uicht um ein Haarbreit durch dieſe vermeinte Ehre gewachſen war, ſo kam er doch im Ernſt auf den Einfall, ſich zu einem Kriege wider ihn zu ruͤſten, wenn er ſich ſeiner Aufkuͤndi - gung widerſetzen ſollte.

Er hatte nicht noͤthig, ſich mit langem Nachſinnen uͤber einen Operationsplan das Gehirn zu beſchweren, als ihn ſchon die Noth zwang, einen fuͤr ſeine Rettung auszudenken. Alle Koͤnige von ſeiner Klaſſe hatte die Ehre, der empfangnen Geſandſchaft wider ihn auf - gebracht: ſie wollten den Mann demuͤthigen, der ihnen an Ruhm ſo uͤberlegen war. Sie verbanden ſich zu einem fuͤrchterlichen Kriege wider ihn, und mitten in dem Genuſſe ſeiner Groͤße uͤberfielen ſie ihn, wie ein Donner - ſchlag. Der erſte Einfall in ſein Reich war253 ſchon eine Eroberung deſſelben, und der Na - zib in der Gefangenſchaft, ehe er vermuthen konnte, darein zu gerathen. Der ganze Sieg war wohlfeil; er koſtete nur dreyer Menſchen Leben: die einzige Bedingung des Friedens war, neben der Oberherrſchaft ihres gemein - ſchaftlichen Oberherrn von Segelmeſſe auch die Gewalt ſeiner verbundnen Feinde uͤber ſich zu erkennen. Fuͤr ihn war nichts als ein demuͤthiges Ja uͤbrig, das er ſogleich mit ſchwerem Herze von ſich gab, und uͤber ſeine Demuͤthigung troͤſtete er ſich mit ſeinem aus - gebreiteten Ruhme und der Geſandſchaft aus dem Norden.

Jeder von den Siegern verlangte alsdann von den beiden Europaͤern, daß ſie ihnen eine Geſandſchaft aus dem Norden bringen ſoll - ten; da ſie keine Vollmacht dazu hatten, ſo weigerten ſie ſich: allein ſie wurden gezwun - gen, entweder zu ſterben, oder Geſandten des großen Koͤnigs aus dem Norden zu ſiyn. Sie willigten bey einer ſo mißlichen Wahl in das Lezte: doch nun erhub ſich ein neuer Wettſtreit unter den Monarchen, wem zuerſt dieſe Ehre zu Theil werden ſollte. Gruͤnde und Gegengruͤnde gegen einander abzuwaͤgen,254 war ihnen zu langweilig: ſie griffen zu den Waffen, nicht fuͤr ihre Perſonen, ſondern ſie ließen ihre Unterthanen auf einander los; und die guten Narren zauſten und mordeten ſich, um auszumachen, welcher von ihren Herren zuerſt eine erdichtete Geſandſchaft aus dem Norden erhalten ſollte. Der Zufall er - klaͤrte ſich fuͤr einen Nazib, der den uͤbrigen an Macht uͤberlegen war; man mußte ihm den Vorrang laſſen. Fromal und Belphegor waren indeſſen in enger Verwahrung gehal - ten worden und ſollten nun abgeholt werden, dem Ueberwinder weis zu machen, daß er ein beruͤhmter Herrſcher ſey. Als ſie mitten auf dem Wege waren, thaten die Zuruͤckgeſezten zuſammen und raubten die Geſandten, ver - wahrten ſie von neuem und ſchlugen ſich von neuem um ſie.

Unterdeſſen hatte ſich der Franzoſe, deſſen vorhin gedacht worden iſt, mit Haß und Groll wider Fromaln und Belphegorn an den Hof des Nazibs begeben, der zuerſt das Vorrecht auf die Geſandſchaft erkaͤmpft hatte. Er war von dem erſten Nazib in der Abſicht weggegangen, um bey einem andern die Ehre zu genießen, die er Belphegorn und Fromaln255 misgoͤnnte: um ſo viel mehr nuͤzte er die boͤſe Laune dieſes Koͤnigs, bey dem er izt ſich auf - hielt, uͤber den Raub ſeiner Gegner. Es gelang ihm, zu ſeinem Zwecke zu kommen, beide, der Nazib und der Franzoſe, waren befriedigt und ließen die uͤbrigen ſich um Belphegorn und Fromaln herumbalgen, ſo lange ſie wollten.

Jnzwiſchen gelangte das Geruͤcht von die - ſem komiſchen Kriege und ſeiner Bewegurſache zu den Ohren des Monarchen von Segel - meſſe, ihres gemeinſchaftlichen Oberherrn, der ſich mit den guͤltigſten Gruͤnden von der Welt bewies, daß er vor allen ſeinen Vaſal - len das Recht auf eine Geſandſchaft aus dem Norden beſitze, gebot allen ſeinen Tributaren von ihrem Anſpruche darauf abzuſtehen und ihm allein dieſe Ehre zu uͤberlaſſen. Sie waren zu ſehr in ihren Wunſch verliebt, um ihn ſogleich aufzugeben; ſie widerſezten ſich. Der Monarch ergrimmte, ſchlug zu, bis ſie alle demuͤthig zu ſeinen Fuͤßen um Verzeihung baten. Er ertheilte ihnen gnaͤdigſt Vergebung, ließ ihnen huldreichſt die Baͤuche mit einem Feuerſteine aufſchneiden und ſie ſo insgeſamt an Einem Baume aufhaͤngen. Fromal und256 Belphegor mußten noch einmal ihre Komoͤdie zu Segelmeſſe ſpielen, und bekamen zu ihrer Belohnung zwey von den offnen Koͤnigreichen, die ſie im Namen des Koͤnigs vom Norden von ihm zur Lehn nehmen mußten, und ihr Lehns - herr freute ſich ungemein, einen ſo großen Monarchen zum Vaſallen zu haben, von dem er nicht einmal wußte, ob er eriſtirte.

Belphegor war mehr zum friedlichen ein - ſamen Betrachter der Welt, als zum wirkſa - men Mitſpieler gemacht, wenigſtens nicht zur Rolle eines Monarchen: Fromal paßte mehr dazu. Sie ſuchten beide einen Grad von europaͤiſcher Kultur in ihren Reichen einzu - fuͤhren, ihre Voͤlker von dem Kriege abzulen - ken und zu den Kuͤnſten des Friedens zu lei - ten. Das Projekt war etwas weitlaͤuftig und ungemein ſchwer; auch blieb es nur bey dem Entwurfe.

Der Franzoſe, der Neider der neuen Mo - narchen, war izt nicht mehr uͤber ihr Gluͤck neidiſch ſondern rachſuͤchtig: er wollte es ih - nen ſchlechterdings verbittern oder gar rau - ben. Er wollte ſeinen Nazib zum Kriege wi - der ſie reizen; allein der Schuz, den ſie ihrOber -257Oberherr genießen ließ, ſchreckte ihn ab, ſo gern er einen Gang mit ihnen verſucht haͤtte. Da dieſe Mine nicht ſpringen wollte, ſo grub er eine andre; er ſuchte die beiden Koͤnige zu entzweyn und ſie durch ſich ſelbſt zu Grunde zu richten. Jn einer ſolchen Abſicht begab er ſich zu Fromaln und machte ihm Belphe - gorn verdaͤchtig, beſonders beſchuldigte er ihn eines Buͤndniſſes zu ſeinem Untergange; ſeine Beſchuldigungen fruchteten nichts. Er machte bey Belphegorn den naͤmlichen Ver - ſuch und richtete nichts mehr aus: doch hatte er beide dahingebracht, daß ſie ſich be - obachteten und mehr als vorſichtig gegen einander handelten.

Sich beobachten und argwoͤhniſch ſeyn iſt beinahe eins, wenigſtens giebt das erſte un - endliche Gelegenheit, das lezte zu werden. Sie lauerten bald auf einander und bemerk - ten oft vieles, woruͤber man ſich bey weni - ger Freundſchaft haͤtte zanken koͤnnen: doch blieb es ohne Bruch.

Belphegor hatte einen Extrakt von tum - men Geſchoͤpfen zu regieren bekommen, die ſich nicht im mindeſten in ſeine Anſtalten zuR258ihrer Verfeinerung fuͤgen wollten, zumal da ihm ſeine natuͤrliche Haſtigkeit nicht erlaubte, anders als ſprungweiſe zu verfahren. Durch Einen maͤchtigen Zauberſchlag ſollten ſeine afrikaniſche Thiere in europaͤiſche Menſchen verwandelt ſeyn: ſie lehnten ſich gegen ſeine ſchnelle Umſchaffung auf, blieben, was ſie waren, und ihr Regent ward misvergnuͤgt, uͤberdruͤßig, an ihrer Polirung zu arbeiten. Fromal hingegen war gluͤcklicher: entweder waren ſeine Untergebnen von beſſerm Stoffe, oder durch zufaͤllige Urſachen ſchon vorher in der Kultur weiter fortgeruͤckt, oder hatte ihr Beherrſcher beſſere Maasregeln ergriffen genug, ſein Reich war polirter und mit beſ - ſern Menſchen angefuͤllt als Belphegors Ge - biet. Fromals Bemuͤhungen waren freilich durch etliche guͤnſtige Zufaͤlle unterſtuͤzt wor - den, die jenem fehlten, allein er gieng auch mit kaͤlterer Bedachtſamkeit und mehr anhal - tender Geduld zu Werke, als jener. Genug, die beiden Diſtrikte ſchienen zwo Nationen von verſchiedenem Geſchlechte zu ſeyn, ſo auf - fallend war ihr Unterſchied; und Belphegor konnte ſich nicht enthalten, den Unterſchied mit ſcheelem Blicke zu bemerken, Fromals259 Geſchicklichkeit dabey zu verringern und die Urſache dem Zufalle zuzuſchreiben.

Sie hatten einen kleinen Handel unter ſich und den benachbarten Diſtrikten eingefuͤhrt, wovon nur unbetraͤchtliche Anfaͤnge vorhan - den waren. Auch hierinne war Fromal gluͤck - licher: ſeine Unterthanen waren geſittet, bis zu einem gewiſſen Grade freundlich, arbeit - ſam, keine Muͤhe eines ehrlichen Gewinſtes zu ſcheuen, und erſindſam, die Gelegenheiten dazu zu entdecken: Belphegors Horde war grob, tumm, traͤge, wollte ohne Muͤhe durch Betrug gewinnen, nahm den Vortheil, wo ſie ihn fand, ohne ihn jemals aufzuſuchen: mit ihnen wollte niemand zu thun haben, in - deſſen daß jene uͤberfluͤßig beſchaͤftigt waren. Die meiſten in Belphegors Gebiete giengen zu dem alten Gewerbe des Raubens und der Jagd zuruͤck, und der gute Mann war im Grunde der Regierer einer Bande Spizbuben, die den Handel und das Verkehr der umlie - genden Gegenden auf alle Art zu hindern ſuchten, woraus beſtaͤndige Privatkriege ent - ſtunden.

Belphegor war ſeiner Hoheit ſo ſatt, daß er ſich ihrer gern entladen haͤtte, wenn derR 2260Geſchmack des Herrſchens nicht zu ſuͤß waͤre, um ihn ohne Reue zu entbehren. Er war außer ſich geſezt, und wuͤnſchte, ſeine ganze unſelige Rotte mit Einem Schwertſtreiche ver - nichten zu koͤnnen. Unter dieſem Unwillen dachte er an Fromals Fortgang, der geliebt und bekannt, wie er hingegen vergeſſen oder verachtet war; und er konnte ſich nicht ent - halten, mit einem Zaͤhneknirſchen ſich von ei - ner ſolchen Vorſtellung wegzuwenden. Er argwohnte gar, daß ihn Fromal durch liſtige Raͤnke in der Ausuͤbung ſeiner Abſichten ver - hindert habe; er wußte ſich keinen Beweis davon anzugeben, aber der Argwohn grub ſich doch bey ihm ein und unterminirte von Tag zu Tag ſeine Freundſchaft und gute Mei - nung von ihm, die ohnehin ſchon geſchwaͤcht war.

Die Gaͤhrung war vorhanden; nur noch eine Gelegenheit zum Ausbruche! und die groͤßten Freunde ſind die groͤßten Feinde. Sie kam. Jhr Oberherr, der Koͤnig von Segelmeſſe, ſahe mit Erſtaunen und Un - willen die Schritte, die Fromals Gebiet in der Polizierung gethan hatte, daß ſeiner Hauptſtadt ein Theil ihres ehmaligen Han -261 dels entzogen wurde; und da er uͤberhaupt es nicht verdauen konnte, daß ſeine Tributa - ren ſich mit ihm in gleiche Linie ſetzen und vielleicht gar eine Macht erlangen wollten, die der ſeinigen das Gleichgewicht hielt, ſo be - ſchloß er, ſich von einer ſo aͤngſtlichen Be - ſorgniß zu befreyen. Gleichwohl konnte er nicht die Staͤrke der Waffen ohne Gefahr ge - brauchen, weil ſie, insgeſamt vereinigt, ihm das Gleichgewicht hielten. Der Franzoſe, der ſich izt an ſeinem Hofe aufhielt, merkte kaum ſeinen Wunſch, als er ihm mit ſeinem Rathe beyſtund. Er beredete ihn, Belphe - gors gaͤhrende Eiferſucht ſo lange anzufeuern, bis ſie zu offenbarer Feindſeligkeit aufbrauſte, und nahm das Geſchaͤfte uͤber ſich.

Er that weiter nichts als daß er Belphe - gorn die guten herrlichen Anſtalten ſeines Freundes, den Fortgang derſelben, den bluͤ - henden Zuſtand ſeines kleinen Staats, ſeine Macht, ſeinen Reichthum, ſeinen Ruhm, den Zuwachs ſeiner Unterthanen pries, und da - gegen das kontraſtirende Bild ſeines Gebie - tes hielt, das mit einer Handvoll Jaͤger und Raͤuber beſezt war, die hartnaͤckig von ihrer alten Lebensart nicht abgehn, oder ihren Re -R 3262genten ermorden wollten, wenn er ſie zu einer andern zu zwingen verſuchte. Belphegor ſeufzte anfangs, biß ſich vor Aerger in die Lippen, verringerte die Groͤße ſeines Freun - des; doch der Abgeſchickte, ein Adept in der Kunſt der Jntrigue, wiederholte jene Vor - ſtellungen taͤglich ſo oft, und wußte ein ſo verhaßtes Licht daruͤber zu verbreiten, daß Belphegor voll Zorn und Aerger, ihn von ſich gehen hieß, und ihm drohte, ihn mit Ge - walt von ſich zu entfernen, wenn er ihn mit einem ſo widrigen Vortrage unterhalten woll - te. Der Franzoſe ſagte ihm ganz gelaſſen, daß er ein Mittel wuͤßte, ihn von einer ſo ſchaudernden Jnferioritaͤt zu befreyen. Er bot ihm den Schuz und große Verſprechen von Seiten des ſegelmeſſiſchen Koͤnigs an, wenn er ſich mit ihm wider ſeine Mitvaſallen be - ſonders wider Fromaln vereinigen wollte, um ihn wegen einer Grauſamkeit zu ſtrafen, die er an etlichen Unterthanen ſeines Lehnherrn begangen haben ſollte. Belphegor fuͤhlte ei - nen gewiſſen Zug zur Einwilligung in ſich, und gleichwohl zu gleicher Zeit ein Etwas, das ihn davon zuruckriß. Er blieb wan - kend zwiſchen Ja und Nein ſtehen.

263

Da der Abgeordnete gewahr wurde, daß er nur noch einen ſtarken Stoß brauchte, um ſich auf die Seite zu lenken, wohin er ihn zu bringen ſuchte, ſo veranſtaltete er heimlich, daß etliche von Belphegors Raͤubern eine ungleich ſtaͤrkre Anzahl Handelsleute aus Fromals Gebiete anfallen und von dieſen umgebracht werden mußten. Kaum war der Vorfall ge - ſchehn, als er zu Belphegorn eilte, ihn davon benachrichtigte, ſeinen Bericht mit den ſchwaͤr - zeſten Farben zeichnete, Neid, Eiferſucht, Zorn, Ehrbegierde, Rechtſchaffenheit in ihm aufwiegelte, und ihn zum Kriege wider Fro - maln antrieb. Belphegors Gerechtigkeit ließ es aber doch nicht anders zu, als daß er erſt Genugthuung von Fromaln verlangte; ob ihm gleich an den ſchwarzen Kreaturen im Grunde wenig lag, ſo war ihm doch ihr Le - ben izt, da andre Leidenſchaften ſich ins Spiel miſchten, ſo wichtig, ſo theuer, daß er ſchwur, ihren Tod unablaͤſſig zu raͤchen. Fromal ſtellte ihm mit der groͤßten Billigkeit vor, wie viele Urſachen er habe, Genugthuung zu fo - dern, und daß ſeine Untergebnen das Recht der Selbſtvertheidigung wider Raͤuber und keine Ungerechtigkeit ausgeuͤbt haͤtten. DerR 4264Franzoſe machte Belphegorn ſo verwirrt, daß er die Billigkeit dieſer Vorſtellung verkannte, der Neid, ſein vorgefaßter Groll gegen Fro - maln machten ihn noch verwirrter, und alles mahlte ihm in ſeinem Kopfe das Verfahren ſeines vorigen Freundes als eine verweigerte Gerechtigkeit ab; er folgte den Einblaſungen des Abgeordneten und glaubte mit voͤlliger Ueberzeugung, daß er ein auf natuͤrliche und willkuͤhrliche Geſetze gegruͤndetes Recht habe, die von Gott verliehene Macht der Waffen wider ſeinen Freund anzuwenden und ihn mit Gewalt zur Gerechtigkeit zu noͤthigen.

Das Buͤndniß mit dem Koͤnige von Se - gelmeſſe wurde errichtet und der Krieg an - gefangen. Der Franzoſe vermochte durch ſeine politiſche Geſchicklichkeit noch einige an - dre von den kleinen Potentaten, zu dem Buͤnd - niſſe zu treten; und kaum hatten diejenigen, die durch Fromaln in Flor und Wohlſtand ge - ſezt waren, die Nachricht erhalten, was man wider ihn unternehme, als ſie alle, um ihren geheimen Neid uͤber ſeine Vorzuͤge zu befrie - digen, auf die Seite des ſegelmeſſiſchen Koͤ - nigs traten. Fromal ſah ſich ganz allein wi - der ſo viele, deren Misgunſt ihm den Unter -265 gang geſchworen hatte. Nicht lange hielt er einen ſo ungleichen Kampf aus; er wurde geſchlagen, gefangen genommen und zum Tode beſtimmt.

So ſehr es ihn ſchmerzte, ſeinen ehmali - gen waͤrmſten Freund an der Spitze ſeiner Widerſacher zu erblicken, ſo kam ihm doch dieſes und die erſtaunliche Revolution ſeines Gluͤcks ſo wenig unerwartet, daß er muthig ſeinem Tode entgegengieng. Die von Ewig - keit her geknuͤpfte Reihe der Begebenheiten, ſprach er zu ſich, iſt durch den Zufall ſo ge - ordnet, daß dies alles ſo und nicht anders erfolgen mußte. Ebendieſelbe unwiderſteh - liche Nothwendigkeit riß auch meinen vorigen Freund zur Feindſchaft gegen mich hin; alle Urſachen und Wirkungen vereinigten ſich in ihm und außer ihm ſo, daß dies die einzige moͤgliche Folge war: wir haben gekaͤmpft, das Schickſal hat entſchieden, wer Recht ha - ben ſoll: das eingefuͤhrte Recht verlangt mei - nen Tod: wohlan! ich ſterbe, weil ich nicht laͤnger leben kann, weil ich muß.

Kaum wurde Belphegor inne, zu welcher aͤußerſten Gefahr ſein Freund durch ſeine Mit -R 5266wirkung ſich getrieben fand, als ploͤzlich alles in ihm aufwachte Mitleid, Freundſchaft, Reue, Betruͤbniß, Schrecken, die ſein Herz mit den ſchaͤrfſten Stacheln zerriſſen. Er arbeitete mit allen Kraͤften ſeiner Beredſam - keit und ſeiner Macht daran, ihn wenigſtens vom Tode zu erretten. Er bot dem Koͤnige von Segelmeſſe alles, ſein eignes Leben, fuͤr das Leben des Gefangnen an; er war uner - bittlich. Er drohte ihm in der aͤußerſten Verzweiflung mit Krieg und der Aufwiege - lung aller ſeiner Vaſallen, er wuͤtete, er raſte, er ſchrieb ſich die Veranlaſſung zu Fromals Tode einzig zu, er wollte ſich neben ihm mit dem naͤmlichen Werkzeuge umbringen, das das Leben ſeines Freundes zerſchneiden wuͤr - de. Endlich verſtand ſich der Koͤnig dazu, ihm das Leben zu ſchenken, mit der Bedin - gung, daß er mit der naͤchſten Karavane nach Nigritien gebracht werden ſollte, um dort als Sklave verhandelt zu werden; und von dieſer Bedingung ſollte ihn ſein eigner Untergang nicht abbringen.

Belphegor ſahe ſich genoͤthigt einzuwilli - gen, obgleich mit ſchwerem Herzen, und in wenigen Tagen wurde er mit der gewoͤhnlichen267 Karavane nach Nigritien geſchaft, um dort von dem weiſeſten und menſchlichſten Volke des Erdbodens, den Englaͤndern, als Sklave eingehandelt zu werden.

Keine Seuche auf unſerm Planeten kann eine ſo anſteckende Kraft haben, als die Lei - denſchaft: hat ſich eine in unſer Herz geſchli - chen, ſo koͤnnen wir ſicher ſeyn, daß bald ein ganzes Heer daraus aufwachſen wird, wie aus den Drachenzaͤhnen des Kadmus, das ſich auf dem Grunde, wo es aufſchoß, ewig her - umtummelt, kaͤmpft, haut und ſticht, bis alle außer einer niedergemacht find. Belphegor war von ſeiner Unruhe uͤber das Ungluͤck ſei - nes Freundes noch nicht voͤllig wiederherge - ſtellt, er machte ſich noch taͤglich Vorwuͤrfe uͤber ſeinen Antheil an der Veranlaſſung deſ - ſelben, und nahm Beſiz von ſeinem entledig - ten Reiche; weder er noch ein andrer ſeiner Mitvaſallen hatten Anſpruch darauf, und doch war er der erſte, der einen darauf mach - te. Der Koͤnig von Segelmeſſe war keines - wegs geſonnen, einem andern als ſich ſelbſt ein Gebiet zu goͤnnen, deſſen Beſitzer er in kurzem wieder zu fuͤrchten haͤtte; er erklaͤrte ſich ohne Umftaͤnde fuͤr den rechtmaͤßigen268 Herrn davon und ließ Belphegorn die Wahl, ob er aus ſeiner Eroberung gehn, oder her - aus geworfen ſeyn wollte. Belphegor foder - te ſie als eine Belohnung ſeiner geleiſteten Huͤlfe, und bekam eine zweite Drohung zur Antwort.

Unterdeſſen hatten einige andre Nachbarn gleichfalls Luſt zu Fromals Hinterlaſſenſchaft bekommen; ohne ihr Recht darauf vorher zu beweiſen, erwarben ſie ſich es mit den Waf - fen und vertrieben Belphegorn, zankten ſich unter einander ſelbſt, gaben ihren ſchwarzen Unterthanen den Auftrag, ſich an ihrer Stelle herumzuſchlagen, bis der Koͤnig von Segel - meſſe der Komoͤdie ein Ende machte, alle Ak - teurs haͤngen ließ und das Theater in Be - ſiz nahm.

Belphegor wurde uͤber dieſe Ungerechtig - keit, wie er es ſich ſelbſt nannte, oder wenn er aufrichtig haͤtte ſprechen wollen, uͤber das widrige Schickſal, daß er ganz leer ausgieng, aͤußerſt aufgebracht, und beſchloß ſein ver - ſchmaͤhtes Recht geltend zu machen, was es ihm auch koſten wuͤrde. Er errichtete ein Buͤndniß und ſezte ſich von neuem ein, ward269 vertrieben, und vertrieb kurz, er ſpielte das ganze langweilige Lied der politiſchen Ge - ſchichte, das ſich aber ſeiner Seits mit dem vertrieben werden endigte. Der Mo - narch von Segelmeſſe bekam ihn gefangen und verurtheilte ihn kraft aller goͤttlichen und menſchlichen Geſetze, das heißt, kraft der her - gebrachten Gewohnheit zum Tode.

Da er nichts gewiſſer als den Scharſrich - ter erwartete, der Leib und Seele trennen ſollte, ſo wurde ihm ſeine Befreyung ange - kuͤndigt, die er einem von den heiligen Thie - ren zu danken haͤtte: es fiel ihm ein, daß Medardus zu der Ehre eines Platzes unter dem heiligen Vieh gelangt ſeyn ſollte, und uͤberließ ſich der angenehmen Einbildung, daß ſeine Rettung von ihm herruͤhre. Er verlangte ſeinem Verſprecher in eigner Per - ſon zu danken; allein da kein profaner Blick auf ein heiliges Thier fallen darf, ſo mußte er ſeinen Dank einem Bevollmaͤchtigten an - vertrauen, der ihn an Ort und Stelle uͤber - lieferte. Demungeachtet wurde er aus dem Reiche verbannet und ihm auf ewig unter - ſagt, ſich in den Graͤnzen des ſegelmeſſiſchen Monarchen blicken zu laſſen, wenn er nicht270 die Voͤgel des Himmels und die Wuͤrmer der Erde mit ſeinen Gebeinen fuͤttern wollte. Er wurde gleichfalls nach Nigritien mit der Ka - ravane von Segelmeſſe gebracht, die unter - wegs, um ſie nicht unbeſchaͤftigt zu laſſen, die ganze Natur, Wind, Sand, Hitze, Durſt, Raͤuber und Loͤwen auf manchen muͤhſeligen Kampf herausfoderten, doch langten ſie we - nigſtens mit dem Leben an.

Eigentlich war es wohl der ausdruͤckliche Wille des Koͤnigs, der ihm dieſe Marſchrute vorſchrieb, nicht geweſen, daß er, wie Fro - mal, verkauft werden ſollte: allein der Kauf - mann, dem er uͤbergeben war, urtheilte ſehr vernuͤnftig, daß ein Menſch umſonſt Leib und Seele vom lieben Gotte empfangen haͤtte, wenn er keinen Nutzen damit ſchafte, und wollte Belphegorn, der bisher nur ein todtes Kapital fuͤr ihn geweſen war, in Geld ver - wandeln. Er wurde zwar einem von der er - leuchteten engliſchen Nation zum Verkauf vor - geſtellt, allein aus vaterlaͤndiſcher Menſchen - liebe machte er ſich, als er ſeinen kruͤplichten nicht ſonderlich viel Arbeit verſprechenden Koͤrper erblickte, ein Gewiſſen darans, wi - der alle Chriſtenpflicht einen weißen Neben -271 menſchen in den Handel zu bringen. God damn me! Gott verdamme mich, ſprach er, wenn ich jemals den angebornen Edelmuth meiner Nation ſo ſehr verlaͤugne, daß ich mit weißen Chriſten handle! Aber, fiel ihm Belphegor ins Wort, ſind ſchwarze Heiden nicht auch Menſchen? The ordures, das Auskehricht der Menſchheit! rief jener. Aber wollte ihm Belphegor antworten, doch der Mann ſchien kein Liebhaber vom Di - ſputiren zu ſeyn, ſondern kehrte ſich haſtig um, ein Paar ſchwarze Muͤtter zu bezahlen, die aus Duͤrftigkeit ihrer muͤtterlichen Em - pfindung auf einige Zeit den Abſchied gaben und ihre Kinder dem großdenkenden Englaͤn - der uͤberließen, um ſie aufzufuͤttern, bis ſie geſchickt waͤren, in Amerika unter Hunger, Elend und Bloͤße den Europaͤern den Kaffe ſuͤß zu machen.

Belphegor wuͤnſchte ſich nur einmal noch ſo viele Macht, als ihm genommen war, um eine die Menſchheit entehrende Unterdruͤckung, den ſchaͤndlichſten Handel zu vernichten, wo - von er izt ein Augenzeuge war. Sein bishe - riger Patron, der nach zwo andern Proben deutlich abnahm, daß Belphegor eine ver -272 legne Waare ohne Werth war, gab ihm den wohlmeinenden Rath, ſich von ihm zu ent - fernen, wenn er nicht mit Gewalt entfernt werden wollte: er folgte dem Rathe ohne An - ſtand und uͤberließ ſich Wind und Wetter, was es aus ihm zu machen gedachte. Er that ſich nach einer Gelegenheit um, um mit einem Sklaventranſporte aus dieſer Gegend zu kommen; doch auch dieſe Gefaͤlligkeit verſag - te man ihm. Zulezt traf er einen Mitleidi - gen, der ihn mit ſich nach Abiſſinien unent - geldlich zu nehmen verſprach; aber im Grun - de waren ſeine Bewegungsgruͤnde nicht die mitleidigſten, wie die Folge beweiſen wird. Er ſchickte ihn mit einigen von ſeinen Leuten und Kameelen voraus, die ihn an einer Ge - gend des Senegalſtroms erwarten ſollten.

Belphegor that ſeine Reiſe mit einer Nie - dergeſchlagenheit, die ſeinem natuͤrlichen Cha - rakter zuwider zu ſeyn ſchien: das Ungluͤck hatte ihn bisher mehr aufgebracht als muth - los gemacht: doch izt war ſeine Lebhaftig - keit merklich geſunken. Er ſezte ſich mit tief - ſinniger Selbſtbetrachtung unter den Schat - ten eines Palmbaums, indem ſeine Reiſege - faͤhrten die Kameele am Strome traͤnkten.

Was273

Was fuͤr Seiten, ſprach er zu ſich, habe ich, ſeit Akantens Knieſtoße, an dem Men - ſchen geſehn! Seiten, die ich in dem Tau - mel meiner erſten Jahre mir ſchlechterdings nicht denken konnte! Ja, Fromal, der Menſch iſt ein Wuͤrfel mit unzaͤhlbaren Sei - ten; man werfe ihn, wie und ſo oft man will, ſo kehrt er allemal eine empor, auf wel - cher Neid und Unterdruͤckung mit verſchiede - ner Farbe gemahlt ſteht. Fromal, du lehr - teſt mich das; ich glaubte dir nicht, ich glaubte nur meinem Herze, das mit ſtolzem Selbſtzutrauen ſich ſelbſt verkannte. Du wollteſt mir es benehmen, und ich ſchwur, weil mein Herz ſchwur. Jch Ungluͤcklicher, ich habe dich ſelbſt zum Beweiſe gemacht, daß ich ein Meineidiger bin. Haͤtte ich das ge - glaubt? Geglaubt, daß unter dieſer feu - rigen freundſchaftlichen Bruſt Eis genug lie - gen koͤnne, die Flamme der Treue zu loͤſchen, alle Regungen des Mitleids, der Liebe ſo lan - ge zu erſticken? geglaubt, daß in einem Win - kel meines Herzens Sauerteig des Neides ge - nug liege, um die ganze lautere Maſſe deſſel - ben anzuſtecken? Was bin ich denn nun beſſer, als jene Grauſamen, deren Unterdruͤ -S274ckung meinen Zorn ſonſt reizte? Worinne beſ - ſer? blos daß ich nicht wuͤrgte und mor - dete; ich bin der Neidiſche, der Habſuͤchtige, der Unterdruͤcker geweſen, der ſie insgeſamt ſind, nur daß der Neid mehr Mitleid in mir zu bekaͤmpfen hatte als bey jenen, daß die Staͤrke meines Mitleids durch weniger Gele - genheiten weniger abgeſchliffen iſt, als bey jenen. Vielleicht eine traurige Vermu - thung! duͤrfen nur mehrere Reize, mehrere Verblendungen meiner Vernunft vorgehalten, die Faͤlle meines Lebens mit den Umſtaͤnden andrer mehr zuſammengeſchlungen, verwickel - ter werden; vielleicht darf nur alsdann in der Bemuͤhung fuͤr mein Jntereſſe, fuͤr mein Recht dieſes feurige enthuſiaſtiſche Gefuͤhl der Menſchenliebe, dieſer Schwung der Einbil - dungskraft niedergedruͤckt werden; und ich bin ſo hartherzig, ſo fuͤhllos wie die Unbarm - herzigen, die ich tadle. Konnte ich es ſchon ſo ſehr gegen meinen Fromal ſeyn? konnte der Neid ſo ſehr alle Stimmen in mir uͤber - ſchreyen? Doch bis zur Unterdruͤckung nein, ſo weit iſt mein Herz nicht boͤſe noch ſchwach. Neid? leider muß ichs zu - geben, daß ein blendendes Nichts, betaͤuben -275 de Ueberredungen, glaͤnzende Vortheile die Vernunft des ſchwachen Menſchen ſo verwir - ren, ſeine Eigenliebe ſo anſpornen koͤnnen, daß ſie ſich unſer ganz bemeiſtert, alle andre Empfindungen verdraͤngt und alle Federn unſrer Thaͤtigkeit allein nach ihrem Zuge ſpielen laͤßt: doch den heiligſten Schwur thaͤt ich gleich, ohne Furcht vor Meineid, daß ihre Obermachtin mir niemals bis zur grauſen Un - terdruͤckung anwachſen ſoll. Welche Betaͤu - bung alles Sinnes gehoͤrt dazu, mit der Frei - heit eines Geſchoͤpfes von meiner Art ein Ge - werbe zu treiben? es zu einem ewigen Skla - venſtande zu beſtimmen, wenn es weder Kennt - niß noch Wahl leitet? es dem Tode auf dem Wege, oder dem Elende in einem andern Welttheile entgegenzufuͤhren? und auf dieſen Ruin der Menſchheit ſeinen entehrenden Vor - theil zu gruͤnden? Ja, Fromal, du haſt Recht: die Menſchen ſind Unterdruͤcker; die - ſer einzige Fall iſt mir Beweiſes genug. Die Mutter, um ſich ein elendes Leben weniger elend zu machen, unterdruͤckt ſchon in dem Alter der Unbeſonnenheit, der Schwaͤche ihr Kind; der engliſche Sklavenhaͤndler, um fuͤr die erworbnen Reichthuͤmer zu ſchwelgen, un -S 2276terdruͤckt den huͤlfloſen duͤrftigen Afrikaner, dem die mangelvolle Freiheit ſeines Landes weit uͤber die etwas nahrhaftere Sklaverey eines fremden Himmels geht; raubt ihm die Freiheit, er, der mit Haͤnden und Fuͤßen kaͤmpft, ſo bald die ſeinige in einem elenden Pamphlet nur von fern mit erdichteten Ge - faͤhrlichkeiten bedroht wird. Der uͤppige Handelsmann der neuen Welt unterdruͤckt ohne alles Gefuͤhl den gekauften Sklaven, laͤßt ihn halbhungernd arbeiten, ſtoͤßt ihn unter ſein Geſchlecht zu den Thieren hinab, damit die Europaͤer ihre Tafeln mit wohlfei - lem Konfekte beſetzen, ihre Speiſen wohlfeil mit einer angenehmern Suͤßigkeit wuͤrzen koͤn - nen, als ihre Vorvaͤter: ein Theil der Menſch - heit wird zu Tode gequaͤlt, damit der andre ſich zu Tode frißt. Himmel! wie ſchaudre ich, wenn ich dieſen Gedanken, wie eine weite duͤſtre Hoͤle, uͤberſehe. Je weiter ſich mir die Ausſicht der Welt eroͤffnet, je fuͤrchterli - cher wird das Schwarz, das dieſen traurigen Winkel bedeckt. Jſt von jeher die Bequem - lichkeit und das Wohlſeyn eines wenigen Theils der Menſchheit auf das Elend des groͤßern gegruͤndet geweſen; hat immer jeder,277 in ſich ſelbſt konzentrirt, den Schwaͤchern un - terdruͤckt; hat immer der Zufall einen Theil der Menſchen zum Eigenthume des andern gemacht, und mußte dieſer durch ſeine Be - draͤngung einem Haufen auserwaͤhlter Liel - linge des Gluͤcks Bedraͤngniſſe erſparen: was ſoll man alsdann denken? Entweder daß die Unterdruͤckung mit in dem Plane der Na - tur war, daß ſie den Meuſchen ſo anlegte, daß einer mit dem andern um Freiheit, Macht und Reichthum kaͤmpfen mußte; oͤder daß der Menſch, wenn ſie ihn nicht hierzu be - ſtimmte, das einzige Geſchoͤpf iſt, das ſeit der Schoͤpfung beſtaͤndig wider die Abſicht der Natur gelebt hat; oder daß die Natur mit ungemeiner Fruchtbarkeit Kinder gebar, und ſie mit ſtiefmuͤtterlicher Sorgfalt naͤhrte: denn dieſem Elenden verſagte ſie nicht allein die blos imaginative Gluͤckſeligkeit, ohne die tauſende gluͤcklich ſind; nein, ſelbſt die thieriſche! Der Sklave, der bey einem kuͤm - merlichen Stuͤckchen Kaſſave oder Maisbrodte die beſchwerlichſten Arbeiten tragen muß, der von ſeinem Tirannen nichts empfaͤngt, ſechs Tage fuͤr ihn arbeiten und den ſieben - ten die Nahrung der uͤbrigen betteln muß,S 3278der wie das Vieh behandelt und von ſeinem Beſitzer als eine Moͤbel gebraucht wird dieſer Mitleidenswuͤrdige, verglichen mit ei - nem europaͤiſchen Schwelger, der Laſten auf ſeinem Tiſche und in ſeinen Zimmern auf - thuͤrmt, woran der Schweis und vielleicht das Blut jener Elenden klebt, der ſich nicht ſpeiſt, ſondern maͤſtet, in Bequemlichkeit, Ruhe und Sinnlichkeit zerfließt und doch beide Kinder Einer Mutter! welch ein Kontraſt! Mir ſpringt das Herz, wenn ich ihn denke: ich haͤtte Luſt ein Rebell wider Natur und Schickſal zu werden. Unmoͤglich kann der Menſch das erhabne Ding ſeyn, wofuͤr ich ihn ſonſt anſah; er iſt eine Karri - katur, oder ein Ungeheuer. O wenn doch die flammende Sonne dieſes gluͤhenden Erd - ſtrichs mir meine Einbildungskraft und meine Empfindung verſengte, verbraͤnnte, ganz zer - nichtete! Sonſt mahlten ſie mir die Erde als ein Paradies, und izt als eine Moͤrdergrube; ſonſt den Menſchen als einen friedſamen lieb - reichen Engel, und izt als einen ſtreitſuͤchti - gen unterdruͤckenden Wolf; ſonſt den Lauf der Welt als ein ſanfttoͤnendes harmoniſches Kouzert, deſſen Melodie in der abgemeſſen.279 ſten Ordnung herabfließt, und izt als ein Chaos, als eine allgemeine verwirrungsvolle Schlacht, als eine Reihe Unterdruͤckungen, die nichts unterſcheidet als weniger oder mehr Graͤßlichkeit. O Unwiſſenheit! einzige Mutter der Gluͤckſeligkeit, der Zufriedenheit! Koͤnnte ich dich zuruͤckrufen; die Haͤlfte mei - nes Jchs gaͤbe ich um dich, um die andre uͤbergluͤcklich zu machen. Waͤre es nur noch einmal mir vergoͤnnt, meinen Blick ganz in mich zuruͤckziehn, nur in meiner Einbildungs - kraft und meinem Herze zu exiſtiren, mir mit meinem Fromal die ganze Welt zu ſeyn! Koͤnnt ich die traurige Wiſſenſchaft des Men - ſchen und der Welt, und die noch traurigere Kunſt der Vergleichung ausrotten. O ihr gluͤcklichen Seelen, die ihr innerhalb eures Selbſt und eurer naͤchſten Geſellſchaft mit eurer Erkenntniß ſtehen bliebt, denen die Na - tur ein kurzſichtiges Auge und einen engen Horizont gab; ihr ſeyd die Gluͤcklichſten die - ſer Erde! Ja, gewiß, Fromal, um gluͤck - lich unter der Sonne zu ſeyn, muß man Jgnoranz im Kopfe oder kaltes Blut in den Adern haben; man muß traͤumen oder ſterben: denn zu wachen wehe, weheS 4280dem Manne, der dahinkoͤmmt, und nicht von Eis zuſammengeſezt iſt!

Er wuͤrde ſeine ſchwermuͤthige Selbſtbe - trachtung noch lange fortgeſezt, und ſich viel - leicht gar noch am Ende tiefſinnig in den Se - negal geſtuͤrzt haben, wenn nicht ſeine Ge - faͤhrten durch ihre Zuruͤckkunft mit den Ka - meelen den truͤben Strom ſeiner Gedanken unterbrochen haͤtten. Sie hielten ſich nur wenige Tage an dieſem Platze auf, waͤhrend deſſen Belphegor oft zu ſeinen Betrachtungen zuruͤckkehrte: der zweite Trupp, den ſie er - warteten, vereinigte ſich mit ihnen, und ſie gelangten gluͤcklich nach Abiſſinien, wo ſie ihren Weg nach dem Orte nahmen, den der maͤchtige Neguz*)Der Kaiſer. mit ſeiner Hofhal - tung damals beehrte.

Kaum waren ſie angekommen, als ploͤzlich alle ſechstauſend Zelte, die die Hofſtatt aus - machten, von Einem allgemeinen Schalle er - toͤnten, der dem Tone eines fernen Orkans nicht unaͤhnlich war. Belphegor erkundigte ſich voller Verwunderung nach der Urſache281 dieſes Phaͤnomens und bekam zur Antwort: der maͤchtige Neguz nieſt. Nieſt? rief er; das muß wahrhaftig ein maͤchtiger Monarch ſeyn, der mit ſeiner Naſe einen ſolchen Sturm - wind erregen kann. Ach, erwiederte man, der große Kaiſer nieſt, wie jeder Sterbliche, allein es iſt hier die Gewohnheit, daß Unter - thanen und Monarch in einer beſtaͤndigen Uebereinſtimmung leben. Jede Handlung, die er thut, muß das ganze Land thun; und wo ſich das nicht ſchickt, wenigſtens ſeine Hofſtatt. Wenn er nieſt, ſo wird ein Zei - chen von dazu beſtellten Leuten gegeben; und der ganze Hof nieſt: in gewiſſen Entfernun - gen ſind durch alle Provinzen Poſten geſtellt, die einander dieſe Zeichen durch einen weittoͤ - nenden Knall mittheilen: dieſe Mittheilung erſtreckt ſich durch das ganze Land, das ihm unmittelbar unterworfen iſt, und bringt es dahin, daß eine halbe Stunde nach dem Nieſen des Neguz das ganze Land herumge - nieſt hat. So geht es mit vielen andern Handlungen, die ich nicht nennen mag, ſagte ſein Belehrer, und die das ganze Land gewiſ - ſenhaft und puͤnktlich nachthut. Dieſes iſt unterdeſſen nur auf die hauptſaͤchlichſten Ver -S 5282richtungen der menſchlichen Beduͤrfniſſe ein - geſchraͤnkt; doch die ganze Hofhaltung iſt ein wahrhaftes Schattenſpiel von dem Ne - guz. Wenn er liegt, liegt alles; ſteht er, ſteht alles; ſizt er, ſizt alles; er ſteckt einen Biſſen in den Mund, er trinkt, und jeder - mann unter den ſechstauſend Zelten, der nur von einiger Betraͤchtlichkeit iſt, thut zu glei - cher Zeit das naͤmliche; welches alles vermit - telſt der ausgeſtellten oͤffentlichen Cerimonien - meiſter, die gleichſam den Takt zu dem Leben der Hofſtatt nach der Angabe des Kaiſers ſchlagen, gluͤcklich bewerkſtelligt wird.

Belphegor ſtaunte nicht wenig uͤber dieſe abgezirkelte Etikette, und konnte ſich nicht enthalten, ſie zu belaͤcheln. O, ſprach der Andre, der ein Portugieſe war und franzoͤ - ſiſch ſprach, es giebt viel mehr Sonderbar - heiten in dieſem Lande, die jene weit uͤbertref - fen. Haben Sie noch keine bemerkt? Belphegor beſann ſich: daß hier ſo viele Leute hinken? fragte er. Ja, und wiſſen Sie warum? erwiederte jener. Als der ge - genwaͤrtige Neguz den Thron beſtieg, ver - breitete ſich das Geruͤcht, daß er hinke; ſo -283 gleich hinkte ein jeder ſeiner Unterthanen: wer nicht theatraliſche Geſchicklichkeit genug in den Beinen beſaß, einen hinkenden Gang natuͤrlich nachzuahmen, der verrenkte ſich den Fuß, ſchlug ſich einen Knochen daran ent - zwey, zerſchnitt eine Sehne, eine Ader, oder gebrauchte ein ander Mittel, wie es einem dienlich und bequem ſchien, ſich zu laͤhmen. Als ſich das ganze Land auf dieſe Art ge - brechlich und dem großen Neguz aͤhnlich ge - macht hatte, ſo kam man erſt auf die Frage, mit welchem Fuße der maͤchtige Kaiſer eigent - lich hinke. Weil man in der erſten Hitze an dieſe wichtige Bedenklichkeit nicht gedacht hatte, ſo hinkte dieſer auf die rechte, jener auf die linke Seite: zu aͤndern ſtund es bey denen nicht, die eine wirkliche Laͤhmung dem Neguz gleich machte: jede Partey mußte alſo mit Gewalt das Recht des Fußes durchſetzen, an welchem ſie hinkte. Das ganze Reich zerfiel ſogleich in zwo Faktionen, die mit der uneingeſchraͤnkteſten Wuth ſich verfolgten, be - kriegten, ermordeten; das ganze Land war Ein Krieg; man vergoß ſein Blut gern zur Ehre ſeines Kaiſers, um auszumachen, ob das abiſſiniſche Reich mit dem rechten, oder284 linken Beine hinken ſollte. Endlich wur - de man des Aufruhrs uͤberdruͤßig und wollte die Entſcheidung des Streites dem großen Neguz auftragen, der allein mit Zuverlaͤſſig - keit berichten koͤnne, welcher von ſeinen Fuͤßen lahm ſey. Es geſchah; und man erfuhr, daß der Kaiſer gar nicht hinke, ſondern auf einem Auge blind ſey. Wirklich hatte ſich auch das ganze Hoflager von dem Naͤchſten nach dem Kaiſer bis auf den unterſten Stall - knecht aus Ergebenheit gegen ihren Herrn das linke Auge ausſtechen laſſen; und nur aus Neid, Misgunſt und Unterſcheidungs - ſucht war von den Hoͤflingen das Geruͤcht von dem Hinken des Kaiſers ausgeſprengt worden, damit der Hof allein mit dem Vor - zuge einer wahren Aehnlichkeit mit dem Ne - guz prange. Aus alberner Begierde vergaß das tumme Volk ſich zu erkundigen, welches Auge ihrem Monarchen fehlte, ſondern ſie lie - fen haufenweiſe wie in einer Trunkenheit zu - ruͤck, und jeder ſtach oder ſtieß ſich ein Auge aus. Manche nahmen aus Oekonomie das ſchlechteſte unter ihren beiden dazu; die na - tuͤrlich Blinden erſparten ſich den Schmerz und ließen es bey ihrer angebornen Aehnlich -285 keit bewenden: andre, die wider keins von ihren Augen erhebliche Einwuͤrfe zu machen fanden, ließen ſich in ihrer Wahl vom Zu - falle beſtimmen: da aber an allen Koͤpfen nicht daſſelbe Auge ſchadhaft, oder natuͤrlich blind war, oder vom Zufalle getroffen wurde, ſo waren abermals die Abiſſinier getheilt, aber - mals in der groͤßten Verlegenheit. Sie wa - ren wenigſtens in ſo weit kluͤger, daß ſie oh - ne Blutvergießen ſich ſogleich an den großen Neguz wandten, der ſie belehren ließ, daß ihm das linke Auge ganz fehle. Welches Ungluͤck fuͤr diejenigen, die ſich das rechte ge - blendet hatten! Sie mußten, wie Baſtarte des Reichs, zu ihrer Kraͤnkung Zeitlebens in ewiger Unaͤhnlichkeit mit dem Neguz bleiben, wie Verworfne von den uͤbrigen verachtet werden, oder ſich ganz blind machen. Einige brachten mit neidiſcher Verzweiflung viele ihrer gluͤcklichen Mitunterthanen um, andre toͤdteten ſich ſelbſt, noch andre gerie - then auf den ſinnreichen Einfall, das linke Auge ausheben und in die leere rechte Augen - hoͤle verſetzen zu laſſen, und da kein einziger geſchickter Okuliſt unter dem abiſſiniſchen Himmel bisher aufgewachſen iſt, ſo wurden286 ſie insgeſamt ſtockblind; kein einziges Auge wollte nach der Verpflanzung bekleiben. Ein kleiner Haufe begnuͤgte ſich mit der erſten Thorheit und ertrug ſeine vermeinte Schande in Gelaſſenheit. War gleich der geringere Theil der Einwohner beruhigt, ſo brach nun - mehr der Krieg am Hofe aus. Dem großen Neguz hatte die Natur gar kein linkes Auge mitgegeben: die beiden Augenlieder ſchloſſen ſich feſt zuſammen, oder waren vielmehr zu - ſammengewachſen und in den leeren Plaz des Auges hineingedruͤckt. Einige von ſeinen Hofleuten waren ſo gluͤcklich geweſen, ver - mittelſt eines feinen Leims die Augenlieder ebenfalls zu vereinigen und durch ein andres Huͤlfsmittel ihnen natuͤrlich die naͤmliche Ge - ſtalt zu geben, als wenn es Werke der Na - tur nach Einem Modelle waͤren. Allen, die von ihnen hierinne zuruͤckgelaſſen wurden, dienten ſie zu einem Gegenſtande des Neides und des Haſſes: die Ungluͤcklichen waren uͤberzeugt, daß ſie niemals mit ihnen zu glei - chem Vorzug gelangen konnten, und erreg - ten die haͤßlichſten Meutereyen, ſie ihrer Zier - de zu berauben. Jene Auserwaͤhlten durften287 nie ohne ſtarke Wache ſchlafen, nirgends ohne Begleitung ſich hinwagen, nichts ohne vorgaͤngigen Verſuch eſſen oder trinken, wenn ſie nicht ermordet, geblendet, vergiftet ſeyn wollten. Man ſpielte ſich, da Gewalt nichts wider die Vorſicht vermochte, die hinterliſtig - ſten Kabalen, verlaͤumdete, verkleinerte ſich, einer untergrub des andern Kredit, beſchul - digte ſich der entſezlichſten Verbrechen, weil alle nicht auf gleiche Art blind waren, wel - che geheime Gaͤhrung um ſo mehr zunahm, als der große Neguz ſelbſt diejenigen am vor - zuͤglichſten ehrte und erhub, die ihm die mei - ſte Aehnlichkeit mit ſeiner blinden Perſon werth machte: um ihm zu gefallen, mußte man gerade ſo blind ſeyn, wie er. Nicht lange dauerte es, als dieſe Etikette zu den Hoͤfen ſeiner Vaſallen uͤbergieng, die ſie ſo weit trieben, daß ſogar einer, dem ein Fall in der Jugend die Naſe platt an den Kopf gedruͤckt hatte, allen ſeinen Hofſchranzen das Naſenbein zerſchlagen, und ein andrer, dem ein kalter Brand den Arm verzehrt hatte, al - len den ſeinigen den kalten Brand inokuli - ren ließ.

288

Belphegor ſah ſich ſeinen Portugieſen bey dieſer Erzaͤhlung etwas bedenklich an und er - innerte ſich einer alten Geographie, wo der Nation des Erzaͤhlers die Aufſchneiderey bey - gemeſſen wurde, weswegen er etliche Zweifel und Verwunderungen uͤber ſeine Nachrichten aͤußerte, welches ſein Mann ſo uͤbel empfand, daß er ſich auf der Stelle von ihm trennte und mit ſtolzem Unwillen fortgieng.

About this transcription

TextBelphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne
Author Johann Carl Wezel
Extent314 images; 45852 tokens; 9232 types; 321419 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBelphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne Erster Theil Johann Carl Wezel. . [1] Bl., XIV, 288 S. : Frontisp. CrusiusLeipzig1776.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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