PRIMS Full-text transcription (HTML)
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[I]
Belphegor, oder die wahrſcheinlichſte Geſchichte unter der Sonne.
Bellum omnium contra omnes.
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Erſter Theil.
Leipzig,bey Siegfried Lebrecht Crufius1776.
[II][III]

So lange ein Mann, dem die Natur gleich viel Feuer in die Einbil - dungskraft und in die Empfindung gelegt hat, die Erfahrungen zu ſeinen Begriffen blos aus ſeinem guten Herzen und dem kleinen Zirkel ſimpathiſirender Freunde her - nimmt, ſo lange wird er ſich mit ſchoͤnen Jlluſionen hintergehen, der Menſch wird ihm ein Geſchoͤpf hoͤherer Ordnung, ge - ſchmuͤckt mit den auserleſenſten moraliſchen Vollkommenheiten, und die Welt der rei - zende Aufenthalt der Harmonie, der Zu - friedenheit, der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Man ſtoße ihn aus ſeiner idealen Welt in die* 2IVwirkliche; man laſſe ihn die vergangnen Zeiten, die Geſchichte der Menſchheit und der Voͤlker durchwandern; man werſe ihn in den Wirbel des Eigennutzes, des Neides und der Unterdruͤckung, in welchem ſeine Zeitgenoſſen herumgetrieben werden: wie wird ſich die ganze Scene in ſeinem Kopfe verwandeln! die blumichten Thaͤler und lachenden Auen, voll friedſamer freundli - cher Geſchoͤpfe, die ihr Leben in gutherziger Eintracht dahintanzen, werden zuruͤckfah - ren, und ſtatt ihrer Waͤlder und Gebirge mit zuſammengerotteten auflauernden Hau - fen hervorſpringen, worunter jeder des an - dern Feind iſt und nur durch Beſorgniß fuͤr ſein Jntereſſe abgehalten wird, es oͤf - fentlich zu ſeyn, wo jeder Auftritt das Theater mit Blute befudelt, in jedem eineV Grauſamkeit begangen wird: das wird ihm izt die Welt, und der Menſch ein li - ſtiger oder gewaltthaͤtiger Raͤuber ſeyn, der auf ſein Jch eingeſchraͤnkt, mit verſchiede - nen Waffen wider die uͤbrigen ſicht, keinen irgend worinne uͤber ſich dulden, und gern uͤber alle ſeyn will eine Maſchine des Neides und der Vorzugsſucht.

Jſt die koͤrperliche Zuſammenſetzung ei - nes ſolchen Mannes er ſey Zuſchauer oder Mitſpieler brauſend und thaͤtig, ſo wird ſich ſeine Seele einem ſo außeror - dentlichen Widerſpruche wider ihre bisheri - gen Begriffe widerſetzen, unwillig werden, wie ein Menſch, den man aus einem Feen - ſchloſſe in eine Wildniß fuͤhrt, alles beſſern, alles umſchaffen wollen, und wenn er zu ſeinem Herzeleide ſeine Umſchaffung nie zu* 3VIStande kommen ſieht, auf Welt und Menſchen zuͤrnen, ſie haſſen, daß ſie ſeine gutgemeinte Bildung nicht annehmen wol - len, aus den verwirrten Scenen der Welt kein harmoniſches zweckmaͤßiges Ganze zu - ſammenſetzen koͤnnen, alles daher fuͤr ein Chaos erklaͤren, das Verwirrung und Un - ordnung in ewigem Streite erhalten, und wenn ihm ſein gutes Herz doch hin und wieder anſcheinende Spuren einer abge - zweckten Anordnung entdecken laͤßt, ſich mit Unruhen und Zweifeln martern: dieſer Mann iſt Belphegor.

Hat ihm aber die Natur einen Zuſaz von Kaͤlte in die Maſſe ſeines Koͤrpers ge - worfen, mehr Lebhaftigkeit als Feuer ver - liehen, ſo wird er durch die Menſchen vor - ſichtig hinwegſchluͤpfen, alles nehmen, wieVII es iſt, und ſich bey dem Schauſpiele der Welt nicht anders intereſſiren, als der Zu - ſchauer einer theatraliſchen Vorſtellung, ohne ſich drein zu miſchen; er wird viel - leicht zuweilen bitter lachen, aber ſtets Be - ſonnenheit genug behalten, uͤber die Welt mit ſo vieler Kaltbluͤtigkeit zu raͤſonniren, als jener mit Waͤrme deklamirt: der Kon - traſt zwiſchen den Begriffen, die ihm die gegenwaͤrtige Erfahrung aufdringt, und den Vorſtellungen, die er ehmals hatte, muß ihn noͤthigen, einen Ausweg zu ſu - chen; ſein gutes Herz laͤßt ihn die vielfaͤl - tigen Unordnungen, Grauſamkeiten und Verwirrungen keiner wollenden Vorſicht zuſchreiben, er geht einer Urſache nach, und ſein Raͤſonnement fuͤhrt ihn auf die Nothwendigkeit des Schickſals, welcher er* 4VIIIalle Unordnungen aufbuͤrdet, und er kann nach ſeinem Temperamente Beruhigung darinne finden: Dieſes iſt Fromal in der folgenden Geſchichte.

Endlich ſetze man ein leichtes Blut, munter dahingleitende Lebensgeiſter, ein froͤliches lebhaftes Gemuͤth, einen Kopf oh - ne weiten uͤberſchauenden Blick, einen Ver - ſtand, der wenig raͤſonnirt, ein Herz, das gern gluͤcklich ſeyn will und darum den Verſtand deſto leichter uͤberredet, alles ge - radezu oder auf leichte Gruͤnde zu glauben, was zur Ruhe und Zufriedenheit fuͤhrt, und deswegen leicht uͤber die Unvollkom - menheiten der Menſchheit hinzuſchluͤpfen, mit einer guten Doſis ehrlicher Treuherzig - keit zuſammen; und ſo hat man den guten Medardus, der einen herzhaften PuffIX von der Widerwaͤrtigkeit geduldig ertraͤgt, und feſt glaubt, daß es ihm irgend wozu nuͤzlich ſeyn koͤnne, nur damit der Unmuth daruͤber ſeine Heiterkeit nicht doppelt un - terbreche.

Nach des Verfaſſers Theorie ſind Neid und Vorzugsſucht die zu allen Zeiten, an allen Orten, in allen Staͤnden der Menſchheit und Geſellſchaft, bey allen Cha - rakteren allgemeinſten Triebfedern der menſchlichen Natur und die Urheberinnen alles Guten und Boͤſen auf unſerm Erd - balle; er ſtellte alſo in dem Leben jener drey Perſonen ein Gemaͤhlde der Welt auf, in welchem Neid und Unterdruͤckung die Hauptzuͤge ſind, wie ſie ihm die Geſchichte der Menſchen und Voͤlker darbot.

* 5X

Verſchiedene Schriftſteller haben uns die Welt und den Menſchen als vortreflich geſchildert: aber entweder betrogen ſie ſich ſelbſt, oder wollten ſie die Leſer betrie - gen; entweder kannten ſie den Menſchen nicht genug, nur von einer Seite, oder wollten ſie die Leſer beſtechen und ſie uͤber - reden, daß ſie die Zuͤge ihres Gemaͤhldes von ihrem eignen Herzen kopirt haͤtten. Der Verfaſſer glaubt wenigſtens kein ſchlechter Herz empfangen zu haben, als dieſe Herren, wenn es auch nicht beſſer iſt, und ohne die Welt und den Menſchen mehr oder weniger kennen zu wollen, als ſie, ſagt er, was jeder Schriftſteller einzig ſagen kann was ihm ſcheint, nichts als das Reſultat ſeiner Beobachtungen.

XI

Nicht eigne Widerwaͤrtigkeiten denn der Pfad ſeines Lebens iſt bisher mehr eben als holpricht geweſen nicht Hypo - chonder oder Milzſucht denn er war je - derzeit Freund der Freude und Feind des Truͤbſinns nicht Mangel an wahren Freunden denn er beſizt deren eine klei - ne Anzahl und hat auf ſeinen Wegen im - merhin Menſchen mit guten liebreichen Herzen gefunden keine von dieſen Wi - drigkeiten hat auf ſeine Vorſtellungen, ſo viel er ſich bewußt iſt, einen ſchwarzen Schleier geworfen: er ſah die Welt an, ſo weit ſein Blick in gegenwaͤrtige und ver - gangne Zeiten reichte, und ſagt aufrichtig, was er geſehn hat.

Die uͤbrigens lieber ideale Schilderun - gen von ganz guten Menſchen und ganzXII gluͤcklichen Welten leſen, denen kann dieſes Buͤchelchen keine taugliche Speiſe ſcheinen; und wenn ſie lieber ſolche von ihm verlang - ten, ſo koͤnnte er ſie damit bedienen: denn er hat Riſſe zu vollkommnen Republiken und vollkommnen Welten fertig, in denen ſichs aber vielleicht, wenn ſie durch eine ſchaffende Kraft zur Wirklichkeit gebracht wuͤrden, ſehr ſchlecht wohnen ließe: wenn es ſeyn ſoll, kann er auch traͤumen. Bis hieher hat er aber mehr Beruf gefuͤhlt, zu ſagen, was iſt, als was er wuͤnſchte oder ſeyn ſollte.

Doch fehlt es ihm auch nicht an guten und liebenswuͤrdigen Zuͤgen der menſch - lichen Natur, und er hat, um ihr Gerech - tigkeit widerfahren zu laſſen, ſchon laͤngſt eine Jdee im Kopfe herumgewaͤlzt, dieXIII Jdee eines Gemaͤhldes, das alles, was ſich mit Wahrheit Gutes vom Menſchen und der Welt ſagen laͤßt, in ſich ſchließen ſoll, und nichts wird ihn von der Ausfuͤh - rung abhalten, es waͤre denn Gefuͤhl der Unfaͤhigkeit, oder Mangel an Luſt und Muße. Dieſes wunderbare Kompoſitum, das wir Menſchen nennen, iſt im einzelnen und im Ganzen ein wahrer Janus, eine Kreatur mit zwey Geſichtern, eins abſcheu - lich, das andre ſchoͤn eine Kreatur, bey deren Zuſammenſetzung ihr Urheber muß haben beweiſen wollen, daß er die ſireitend - ſten Elemente vereinigen, Geſelligkeit und Ungeſelligkeit verknuͤpfen und auch ein Et - was formen kann, deſſen Maſſe aus lauter Widerſpruͤchen bereitet iſt und durch dieſe Widerſpruͤche beſteht.

XIV

Denen ſein Buch ganz misfaͤllt was ſollte er dieſen weiter ſagen? ’Tis too much to write books and to find heads to underſtand them ſagte Ster - ne, und ſagte auch er, wenn man ihm nicht als unbeſcheidnen Stolz anrechnen wuͤrde, was man Sternen als Wahrheit gelten laͤßt.

Chronologiſche und geographiſche Feh - ler moͤgen Kenner der Geſchichte und Erd - kunde berichtigen.

Wezel.

Erſtes
[1]

Erſtes Buch.

A[2][3]

Geh zum Fegefeuer mit deinen Predigten, Wahnwitziger! rief die ſchoͤne Akan - te mit dem jachzornigſten Tone, und warf den erſtaunten, halb ſinnloſen Belphegor nach zween wohlabgezielten Stoͤßen mit dem rechten Fuße zur Thuͤre hinaus.

Der arme Vertriebne ſchleppte ſich mit ſtummer Betruͤbniß bis zu einem nahen Huͤ - gel an der Landſtraße, wo er ſich niederſezte, das Geſicht nach dem Hauſe zugekehrt, aus welchem er eben izt ſo empfindlich relegirt worden war, daß ihn die Schmerzen des lin - ken Huͤftbeins nicht einen Augenblick an der Gewißheit des Unfalls zweifeln ließen, ob ihn gleich ſeine Verweiſung ſo unvermuthet uͤber - raſchet hatte, daß ihm die Begebenheit wie im Traume vorgegangen zu ſeyn ſchien. Aus Liebe zu der grauſamen Akante haͤtte er gern die Wahrhaſtigkeit ihrer harten Begegnung gelaͤugnet, wenn nicht der Schmerz jede Mi - nute ſie unwiderlegbarer gemacht haͤtte. Mit einem tiefen Seufzer gab er ſie alſo zu, ließA 24eine Thraͤne fallen, und machte ſeiner Be - klemmung durch eine wohlgeſezte Klage Luft.

Ach, rief er, ſo iſt auch Akante ungetreu? Auch ſie thut, was ich ſonſt als die Beſchul - digung eines boͤſen Herzens verwarf, das mir das edelſte ſchoͤnſte Geſchlecht zu ver - laͤumden ſchien Sie widerlegt mich? Sie beweiſt mir, daß diejenigen Recht hat - ten, die zu meinem großen Aergerniſſe ihr Geſchlecht wankelmuͤthig, treulos, veraͤnder - lich, unbeſtaͤndig nannten? So empfindlich muß ich uͤberfuͤhrt werden, daß ich in einer blinden Bezauberung lag, als ich dieſe ver - kleideten Ungeheuer ohne Fehler, ohne Laſter glaubte? O Akante! warum riſſeſt Du mir die Augen auf, ſtatt ſie mir zu oͤffnen? Nein, es iſt nicht moͤglich! Du warſt es nicht; ich habe getraͤumt. Breite deine Ar - me aus! ich komme zu dir zuruͤck.

Er wollte in der Begeiſterung aufſtehen, um ſich an ihren Buſen zu werfen, und er konnte ſich nicht einen Zoll hoch von der Er - de erheben: die gelaͤhmte Huͤfte zog ihn wie - der zuruͤck, daß er vor Schmerz laut ſchrie. Zur Vergroͤßerung ſeines Kummers mußte die ungetreue Akante ihm gleich gegenuͤber,5 von ſeinem Nebenbuhler umſchlungen, am Fenſter ſtehn und mit der ausgelaſſenſten Froͤlichkeit ſeiner ſpotten: wenigſtens gab er ihrem Lachen dieſen Sinn.

Ja, ſie war es, ſagte er endlich leiſe zu ſich, ſie war es, die Tigerinn! Sie hat mir meine Huͤfte zerbrochen; ſie hat mich zum Kruͤpel gemacht. Jn dieſem Tone fuhr er noch lange Zeit fort und ſagte ſich mancher - ley von den herzbrechenden Dingen, die mei - ne Leſer in jedem Romane oder Trauerſpiele nachſchlagen koͤnnen. Mitten in dem Selbſt - geſpraͤche naͤherte ſich ihm ein Mann, auf einem Grauſchimmel zwo Geſtalten, die er ſchon von weitem haßte, weil der Reuter eine ſo froͤliche Mine in ſeinem Geſichte trug, als wenn die Gluͤcksgoͤttinn ſeine leibliche Schwe - ſter waͤre, und das Pferd in einem ſo leichten ſorgloſen Trabe daher tanzte, daß er mit ſei - nem Herrn von Einem frohen Muthe belebt zu ſeyn ſchien.

Der Reiſende redte ihn an, und erhielt lange keine Antwort, bis endlich ſeine muntre Freundlichkeit Belphegors Herz oͤffnete, zu dem jede Empfindung leicht und bald den Schluͤſſel fand. Jch merke, Freund, ſagteA 36Jder Fremde, daß du ein unzufriedner oder ein ungluͤcklicher Menſch biſt: in beiden Faͤllen biſt du kein Mann fuͤr mich; denn ich kann dir nicht helfen, und mich mit dir zu graͤmen, habe ich keine Luſt. Sey munter und luſtig! und ich ſetze mich zu dir, ſo ſchwatzen wir eins zuſammen. Willſt du? oder lebe wohl!

Jndem kehrte Belphegor, der ihm bisher den Ruͤcken zugewandt hatte, weil ihm ſeine Huͤftſchmerzen die Bewegung des Umdrehens verboten, ſich mit dem Geſichte und dem Oberleibe, ſo viel er konnte, nach jenem um, und ach! Belphegor! rief der Andre und ſtieg vom Pferde guter Mann! Biſt Du es? Nein, ſo muß ich wiſſen, was dir fehlt. Mit dieſen Worten band er ſein Pferd an eine Stange und ſezte ſich zu Bel - phegorn nieder. Wunderlicher Mann! was haſt du denn? ſagte er, indem er den rechten Arm um ihn ſchlang und ihn an ſeine Seite druͤckte.

Ach, Freund Fromal! war Belphe - gors ſeufzende Antwort, wobey er, ſich win - dend, die Arme ſeines Freundes losmachte:7 denn er hatte ſeine geſchwollne Huͤfte ge - druͤckt.

Luſtig, luſtig, Belphegor! Haſt du denn gar die Narrheit begangen, ein Miſanthrop zu werden? Mit deinem verdammten philoſophiren, ſpekuliren, meditiren! Jch ſagte dirs wohl: alles das Zeug wird dei - ner Froͤlichkeit den Hals brechen.

Ach, Fromal, wie gluͤcklich, waͤre mein gan - zes Leben nichts als eiskalte Spekulation ge - weſen! Haͤtte nie Eine Empfindung ſich dar - unter gemiſcht! Aber

Was haſt du denn mit deiner Empfin - dung fuͤr Zank? Sey froͤlich! und den andern Empfindungen ſchlage die Thuͤr vor der Naſe zu, wie ich!

O wuͤßteſt du, beſter Fromal! die Treuloſe

Ey, ey! du haſt dich verliebt, und biſt betrogen worden? Ja, wer hat dich das geheißen?

Meine Empfindung, mein Gefuͤhl, ihre Rei - ze, ihre Anmuth, ihre unausſprechliche An - muth; alles, alles befahl es mir. So un -A 48gewiſſenhaft ſie mich hintergieng, ſo iſt ſie mir doch noch der ſchoͤnſte, der reizendſte Theil der Schoͤpfung. Meine ganze Seele iſt in ihre Neizungen verwebt; ſie kann ſich nicht losreißen, ohne ſich ſelbſt zu zerreißen: mein Gehirn

Nimm mirs nicht uͤbel! mag ein we - nig verſengt ſeyn. Glaubſt du denn, daß die Natur in ihrem ganzen Leben nur ein einzigmal Luft, Feuer, Waſſer, Erde zu - ſammen knetete, und nur eine einzige ſo ſchoͤne Wachspuppe daraus bildete, wie die Ungetreue, die dich izt lahm geſchlagen hat? Es iſt ja alles voll davon! Was machſt du mit der Empfindung in Dieſer Welt? Das iſt eine Laſt, die dich mit jedem Schritte zu Boden zieht. So viel als noͤthig iſt, um die Freude zu fuͤh - len! das uͤbrige wirf weg! Jch habe mich in mich ſelbſt zuſammengerollt, und laſſe mich vom Schickſale durch die Welt durch - waͤlzen, ohne daß mich etwas aufhaͤlt: ſtoße ich irgendwo an, ſo bleibe ich ſo lange lie - gen, bis ich wieder einen neuen Stoß be - komme, und dann geht die Reiſe von neuem fort.

9

Beſter Fromal! waͤrſt du an meiner Stelle, du nennteſt die Empfindung keine Laſt

Aber zum Henker! wenn ſie dir lahme Huͤften macht

Nicht mir, nur Akanten habe ich gelebt

Wen nennſt du da? Akanten? Ey, da biſt du ſchoͤn aufgefallen.

Kennſt du ſie? Jſt es nicht das ſchoͤnſte En - gelbild, welchem die Natur die herrlichſten Merkmale ihrer Meiſterhand eingedruͤckt hat

Ja, ja, ein huͤbſches Maͤdchen iſt es; aber ſo falſch, wie eine Tigerkatze

Fromal, ſie kann es nicht ſeyn! Sage mir alles, nur nenne ſie nicht falſch! Kaum hatt ich ſie ein einzigmal erblickt, ſo war meine Seele ſchon ganz in die ihrige gegoſſen, ihr Bild ſchon mit meinen innerſten Gedanken ſo ganz zuſammen gewachſen, daß eine Tren - nung ſie beide vernichten mußte. Jch trank aus ihren Blicken, von ihren Lippen das reinſte himmliſchſte Vergnuͤgen. Wochen lang taumelte ich in einer Berauſchung her - um, Akante hatte den Schluͤſſel zu meinemA 510Herzen und zu meinem Vermoͤgen: ſie gebot mit Einem Winke, und beides mein Herz und meine kleinen Schaͤtze thaten ſich fuͤr ſie auf

Und da ſich die kleinen Schaͤtze nicht mehr aufthun konnten, jagte dich die engliſche Akante zum Teufel?

Nie haͤtte ich geglaubt eine ſo unſchuldige ungekuͤnſtelte Aufrichtigkeit, eine ſo naife Of - fenheit, muntre lebhafte Gefaͤlligkeit, ſo lie - benswuͤrdige Sitten, ſo ein zartes Gefuͤhl, das jedes Luͤftchen bewegte, zu jeder Empfin - dung geſtimmt, ſo ſanfte Minen, ein Ge - ſpraͤch mit den lieblichſten Wohlgeruͤchen des Witzes und moraliſcher Guͤte umduftet ſetze daraus ein Bild zuſammen und denke

daß es eine Larve iſt! Das haͤtte ich dir zum voraus ſagen wollen. Armer Bel - phegor! Biſt du mit deinem Gelde ganz auf dem Boden?

So geldarm als in Mutterleibe! Jch kaufte ihr Vergnuͤgen uͤber Vergnuͤgen kleine unſchuldige Vergnuͤgen; daß ſie ihr Genuß ergoͤzte, war mein Dank. Jn den ſeligſten11 vollſten Entzuͤckungen weidete ich mich an dem Gedanken, ein Geſchoͤpf gefunden zu ha - ben, das meine Empfindung ganz ausfuͤllte: alle, auch die bewundertſten Schoͤnen hatten vor ihr ſtets ein trauriges Leere darinne zu - ruͤckgelaſſen, nur ſie nahm mein Herz ganz ein; und haͤtte ich noch eins gehabt, ſie haͤtte es uͤberfuͤllt: ſo ganz war ich von ihren Rei - zungen uͤberſtroͤmt! Und ſiehe! ploͤtzlich wirft ſie ſich in die Arme eines Nebenbuhlers

deſſen kleine Schaͤtze ſich weiter auf - thaten als deine gepluͤnderten! Nicht mehr als billig! Von dir hatte ſie weiter kein Vergnuͤgen zu hoffen; ſie mußte ſich alſo ihren Mann wieder ſuchen, der ſo treuher - zig, wie du, ſein Geld fuͤr Blicke und Mi - nen hingiebt: iſt er mit ſeinen kleinen Schaͤ - tzen am Ende, ſo ſchlaͤgt ſie ihn lahm, wie dich, oder wohl gar ein Paar Beine ent - zwey.

Soll man es dulden, daß die Haͤßliche die edelſte empfindungsvollſte Klaſſe der Schoͤ - pfung durch ihre Theilnehmung an dem ſchoͤnſten Geſchlechte entweiht?

12

Du machſt mich zu lachen, guter Belphe - gor! Jch daͤchte, du thaͤteſt eine kleine Reiſe durch die Welt: die wird dich von deinem Grame und deiner Empfindlichkeit kuriren. Lerne, was fuͤr ein Ding der Menſch und die Welt iſt! dann wollen wir ſehen, ob deine Empfindung ſich aus - dehnen oder zuſammenſchrumpfen wird. Schaͤme dich! wer wird um eines huͤbſchen Maͤdchens willen zum Narren werden? Fort in die Welt hinein!

Oder lieber aus ihr! Hier iſt mein Daſeyn voruͤber; ich habe gelebt.

Freilich lebt ſichs ſchlecht, wenn man kein Geld mehr hat; um einer Akante wil - len geh ich dir nicht Einen Schritt naͤher zum Grabe. Wenns denn nun ja ſeyn muß es giebt ihrer mehr!

Aber ſo hinterliſtig zu taͤuſchen!

Vergiß das nur, und ſieh erſt, ob du der einzige biſt!

Die heilige Unſchuld zum Deckmantel zu mis - brauchen!

13

Jch bitte dich, vergiß das! Alle Men - ſchen betriegen und werden betrogen; einer laurt auf den andern, ihm ein Paar Schritte abzugewinnen, oder, wenn er kann, ihn mit Gewalt zuruͤckzuſtoßen: alles iſt im Kriege, und ohne Waffen geſchehen alle Tage Niederlagen und Siege.

Und der Freche! meiner zu ſpotten!

Natuͤrlich, weil er der Staͤrkere war! Der Sieger hat allezeit Recht vom Ganges bis zur Spree und bis zum Suͤdmeere. Fromal, ſo verhuͤlle ich mich in meine Tu - gend.

Das kannſt du thun, wenn du fein zu Hauſe in deiner Stube bleiben willſt; aber ſo bald du dich unter die Menſchen mengſt, ſo wird die Huͤlle in kurzem Loͤcher bekom - men: ſie zerfetzen ſie dir, oder du mußt ſie bey Seite legen und dich ſo lange herumbal - gen, bis du dich in Autoritaͤt geſezt haſt: dann fuͤrchten ſie ſich, und du kannſt dein Huͤllchen wieder hervorholen.

Himmel! hat mir die Verderbniß auch mei - nen Fromal geraubt? Du warſt mir ſonſt ſo theuer

14

Weil ich ſo oft von moraliſcher Schoͤn - heit, von Empfindung, von Liebe in einer Begeiſterung mit dir ſprach, in welcher da - mals meine Fantaſie taumelte, und deine noch herumſchwaͤrmt! Jch weis nunmehr, was eine jede von jenen Raritaͤten in dieſer Welt werth iſt; der Firniß iſt von meiner Fantaſie weggewiſcht: laß dir Deine auch ausputzen! Du haſt alsdann zwar weniger einſame Freuden, aber auch weniger Leiden unter Menſchen; und wenn du ja ein - mal wider einen recht herzangreifenden Puff des Schickſals eine Staͤrkung brauchſt, ſo wird eine Fantaſie, wie die Deinige, noch immer brennbar genug ſeyn, um ſie auf ein Paar Stunden zu erhitzen.

Du, ſonſt der edle, der empfindende, der be - geiſterte Verehrer der Tugend! Doch die Welt

hat mich aus meiner Begeiſterung geriſſen; du wollteſt ſagen verdor - ben! wie man es nimmt! was wir ſonſt einander vorſchwatzten, war der Rauſch einer warmen Jmagination und eines warmen Herzens: izt bin ich nuͤch -15 tern; ich ſage dir nicht mehr ſo viel Schoͤ - nes und Begeiſterndes, aber deſto mehr Wahres: was kann ich dafuͤr, daß dies weniger begeiſternd iſt. Jch bin dir doch noch theuer, wie ſonſt?

O Akante! o Welt!

Laß doch Akanten und die Welt in Ruhe! Verhuͤlle dich in Unempfindlichkeit! das iſt der beſte Mantel.

So lehre mich, Fromal, meinem Herzen ge - bieten, daß es nicht ſchlaͤgt, und meine Ge - danken, ſich ſelbſt umbringen!

O die Menſchen koͤnnen die Empfindung gar herrlich abſchleifen! Sie reiben an Ge - duld und Empfindung ſo lange, bis die Schaͤrfe ſtumpf iſt.

Doch, ſezte er hinzu, indem er das Geſpraͤch abbrach, haſt du gar kein Geld mehr?

Die Antwort war: Nein. Nimm! fuhr Fromal fort, hier theile ich meinen lez - ten Reſt mit dir. Laß dich heilen, und dann wandre, wohin dich dein Schickſal fuͤhrt! Nimm dein Herz und deinen Verſtand mit,16 aber deine Empfindung, Akanten und ihr An - denken laß um des Himmels willen hier auf dieſem Flecke zuruͤck! Lebe wohl! und gleich gab er dem ſtummen Belphegor einen freund - ſchaftlichen Kuß, ſchwang ſich auf ſein Pferd und trabte davon. Vielleicht finden wir einander wieder, war ſein lezter Zuruf, dann wollen wir ſehn!

Belphegor ſaß unbeweglich, wie in den Boden gepflanzt, ſeufzte, weinte mit unter ein Troͤpfchen, erklamirte, winſelte, ſchalt, lobte ſeinen weggegangnen Freund, zaͤhlte ſein Geſchenk, warf es von ſich, las es wie - der zuſammen; und endlich nach zwo Stun - den voll ſolcher unruhigen aͤngſtlichen Gri - maſſen, da die Daͤmmerung einbrach, fieng er an zu uͤberlegen, was bey ſo geſtalten Sa - chen zu thun ſey. Die Daͤmmerung wurde zu pechſch warzer Nacht, und ſeine Ueberle - gung war dem Entſchluſſe keinen Strohhalm breit naͤher; er ſank vor Mattigkeit nieder, ſchlief ein, und fand bey dem Erwachen fuͤr ſeine Berathſchlagung ſo freyes Feld als Ta - ges vorher.

Die Ruhe hatte indeſſen ſeine Laͤhmung und ſeinen Schmerz verſchlungen; er konntewieder17wieder gehn. Gegen Mittag fand ſich eine Menge Gaͤſte bey Akanten ein; Muſik, Ge - raͤuſch, alles verkuͤndigte die Freude eines Bankets, das ihr neuer Liebhaber gab. Wel - che Menſchenſeele, der Tages vorher die Be - ſitzerinn eines ſo frohen Hauſes Huͤftenſchmerz gemacht hatte, konnte einen ſolchen Anblick ertragen! Augenblicklich fand er die lange ge - ſuchte Entſchließung: der Aerger half ihm auf die Beine, er gieng und uͤbergab allen zwey und dreißig Winden des Himmels ein dreymaliges lautes Akante! in eben ſo viele vernehmliche Seufzer eingepackt.

Er gieng. Kaum hatte er eine kleine Strecke zuruͤckgelegt, als vor ſeinem Geſichte ein Habicht auf eine Taube herniederſchoß und die flatternde Huͤlfloſe wuͤrgte. Die Scene verſezte ihn in eine ſo tiefe Wehmuth, daß er ſich auf einen Raſenrand niederſezte und uͤber die lezten Reden ſeines Freundes Fromal ernſthaft nachdachte.

Jndem er in ſeinen Gedankentraum ver - ſenkt daſaß, naͤherte ſich ihm ein Getoͤſe, das nichts geringers als einen Zank ankuͤndigte. Auf einmal erſchienen ein Trupp Knaben und Maͤdchen, an deſſen Spitze ein dickſtaͤmmigerB18achtjaͤhriger Bube einen Schwachen von ge - ringerm Alter an den Haaren ſiegreich neben ſich herſchleppte, waͤhrend daß die ganze Begleitung den Trinmphirenden mit einem einſtimmigen Jubel erhub, und hingegen dem Ueberwundnen von Zeit zu Zeit Koth oder Schimpfwoͤrter zuwarf. Der Anblick be - wegte Belphegorn: ſeine mitleidige Guther - zigkeit ſpornte ihn an, dem unbarmherzigen Sieger ſeine Beute aus den Haͤnden zu reiſ - ſen, und ihn wegen ſeiner Grauſamkeit zu vernehmen. Auf ſeine Erkundigung nach der Urſache des Streites erfuhr er von einem unpartheiiſchen Zuſchauer, daß die beiden Streitenden zween Pachtersſoͤhne waren, daß ſie beide kleine Gaͤrtchen zu ihrem Vergnuͤgen ſich neben einander gemacht hatten, daß der aͤltre allmaͤhlich dem juͤngern beinahe die Haͤlfte von dem ſeinigen betriegeriſch abge - zwackt, daß der Beraubte ſich daruͤber be - klagt, daß ihn der andre ausgelacht und endlich herausgefodert habe: darauf hatte er die noch uͤbrige Haͤlfte von des Juͤngern Garten verwuͤſtet, und da dieſer das Recht der Selbſtvertheidigung ſeinen Verheerungen entgegen ſetzen wollte, ſo uͤbermannte ihn der19 Staͤrkre, ſchlug ihn zu Boden, und fuͤhrte ihn izt im Triumphe auf. Belphegor ver - wies dem Ungerechten ſeine Grauſamkeit, und ermahnte ihn, dem andern das Entwendete wieder zu erſetzen. Hier bin ich! er mag mirs wieder nehmen! war die Antwort, und blieb es, aller Zureden ungeachtet. Belphe - gors gutes Herz wurde warm, er nahm den Leidenden in ſeinen Schutz und wollte den Frechen durch lebhafte Vorſtellungen zur Ge - rechtigkeit noͤthigen, wofuͤr er ein Paar Stei - ne an den Kopf, ein hoͤniſches Gelaͤchter und etliche Schimpfreden zum Danke bekam; die ganze uͤbrige Geſellſchaft ſtimmte im Uniſon mit ihm ein und eilte ihm nach: jedes dar - unter gab ihm Recht und vertheidigte ihn, weil er die ſtaͤrkſten Faͤuſte und das un - verſchaͤmteſte Maul im ganzen Dorfe hatte.

Um ſeinen Schutz nicht unkraͤftig zu ſehen, ließ ſich Belphegor von dem Zuruͤckgeblieb - nen zu ſeinen Eltern fuͤhren. Er trug ihnen den ſtatum cauſae ſehr ernſthaft und lebhaft vor, und drang in ſie, den ungerechten Er - oberer mit allem vaͤterlichen Anſehn zur Bil - ligkeit anzuhalten. Man laͤchelte; Belphe -B 220gor gluͤhte: der Junge kam dazu, riß den Zaun zwiſchen den beiden Gaͤrten nieder, der Vater gab ihm zur Belohnung ſeiner Tapfer - keit noch ein Stuͤckchen Land dazu, der arme Ueberwundne mußte ſein Eigenthum mit dem Ruͤcken anſehn, und ſich als einen ſchwachen elenden Nichtswuͤrdigen oben drein verach - ten laſſen.

Belphegor ſtuzte, wollte aus dieſem Hau - ſe der Ungerechtigkeit entfliehn, ließ ſich aber doch auf vieles Bitten zum Eſſen dabehalten. Der Herr des Hauſes wuͤrgte zwo Tauben: Belphegor bedauerte bey ſich die armen Krea - turen, und verzehrte ſie beide vom Halſe bis zu den Beinen ohne das mindeſte Mitleiden, als ſie gebraten auf dem Tiſche erſchienen. Da er ſatt war, reiſte er fort, that unter - wegs einen Seufzer und rief: O Ungerech - tigkeit! der Habicht wuͤrgt die Taube, der ſtaͤrkre Bruder den ſchwaͤchern, und der Menſch verſchlingt die unſchuldigen Thiere! Ja, Fromal alles iſt ungerecht wie Akante.

Die Nacht noͤthigte ihn bald zu einer neuen Einkehr. Kaum hatte er ſie erreicht, als ihn ein hagrer Kerl, der muͤßig an ei - nem Baume lehnte, auf die Seite zog und21 warnte, in dieſem Loche nicht zu uͤber - nachten. Es iſt das aͤrgſte Diebesneſt, das der Mond beſcheint. Wo ſoll ich aber blei - ben? Lieber unter freyem Himmel: wenn Sie wollten, ſo koͤnnte ich Sie wohl an ei - nen guten Ort bringen. Belphegor merk - te, worauf es ankam, um dahingebracht zu werden; er gab ihm von dem Wenigen, was ihm ſein Freund zuruͤckließ, ein kleines Ge - ſchenk und folgte ihm nach. Der Wegweiſer fuͤhrte ihn in einen dichten Wald, faßte ihn in der Mitte deſſelben bey der Gurgel und ſchwur, ihn auf der Stelle umzubringen, wenn er nicht ſeine ganzen Habſeligkeiten an ihn auslieferte. Aber welches Recht habt Jhr Boͤſewicht dazu? fragte Belphegor. Der Raͤuber wies ihm ſtatt der Antwort ein lan - ges Meſſer, nahm ihm ſein Vermoͤgen aus der Taſche, warf ihn zu Boden, kniete ihm auf die Bruſt und durchſuchte alle Behaͤltniſſe an ſeinem ganzen Leibe, wo ſich nur eine Beute vermuthen ließ, gab ihm einen derben Fluch zum Abſchiede, als er nichts erhebli - ches fand, und begab ſich auf den Ruͤckweg.

Die ganze Nacht hindurch blieb er in die - ſem Zuſtande liegen, ohne wegen der Unbe -B 322kanntſchaft mit dem Walde Einen Fuß von der Stelle zu wagen. Gegen Morgen hoͤrte er einen Mann ſich ihm leiſe naͤhern und bey jedem Schritte ſtill ſtehn, um ſich umzuſehn, ohne Belphegorn gewahr zu werden, bis ihn dieſer anredete. Mann, rief er, haſt du Herz

Nicht viel! antwortete der Ankommende furchtſam.

Haſt du ein menſchliches Herz mit menſch - lichen Empfindungen, fuhr Belphegor fort, ſo nimm dich meiner an!

Ach du lieber Himmel! wenn ſich jemand erſt meiner annaͤhme!

Warum das, mein Freund?

Warum? Jch haͤtts ſehr noͤthig. Nur ein wenig leiſe geſprochen!

Was fuͤrchteſt du? fuhr Belphegor hitzig auf.

Weiter nichts als ins Zuchthaus zu kommen.

Wenn du es verdient haſt, ſo wuͤnſche ich Gluͤck dazu.

23

Jch habe ein Maͤdchen, das mich in mei - ner lezten Krankheit gepflegt und gewartet hat, wie eine Mutter: ich wollte ſie heira - then; aber ich darf nicht. Das arme Maͤdchen ſizt zu Hauſe, und weint ſich die Augen aus dem Kopfe. Mein Herr will mich zwingen, ein Guͤtchen zu bearbeiten, das ein andrer vor mir verdorben hat. Jch kann nicht; es wuͤrde mich zu Grunde rich - ten. Jm Stocke habe ich ſchon gelegen; und da ich noch nicht wollte, ſo drohte er mir mit dem Zuchthauſe. Mein armes lie - bes Maͤdchen ſoll ich auch nicht nehmen: wir muͤſſen ach! das wiſſen Sie nicht, lieber Herr! auch von unſrer Liebe eine Abgabe bezahlen. Ja, das Bischen, was wir ſauer erarbeiten! ich bin entſprun - gen, und du gutes Maͤdchen! wenn ſie mich haſchen *)Alles dieſes wird vielleicht nur in gewiſſen Gegenden verſtaͤndlich ſeyn.

Mein Freund, wenn du Recht haſt, ſo geh ich mit dir und ſpreche fuͤr dich. Er wei - gerte ſich anfangs; doch endlich uͤberließ er ſich ihm und fuͤhrte ihn zu ſeinem Herrn.

B 424

Belphegor war ein lebhafter Advokat und bekam auf ſeine Anfrage warum dieſer Elende zu ſeinem Verderben gezwungen wer - den ſollte? die lachende Antwort: weil ich das Recht dazu habe. Und wer gab Jh - nen das Recht? Das hab ich gekauft. Alſo kann man Unterdruͤckung kaufen? Blitz! der Herr iſt wohl verwirrt. Recht iſt keine Unterdruͤckung; auch nicht, wenn ich den Herrn zum Hauſe hinausjage; und ſo fiff er eine Kuppel Hunde zuſammen, hez - te ſie auf den armen Belphegor los, der mit Muͤhe einige Fragmente von ſeiner Kleidung aus ihren Zaͤhnen rettete, und alles anwen - den mußte, um nicht einen Theil ſeiner eig - nen Perſon einzubuͤßen.

Welche Ungerechtigkeit! welche Unterdruͤ - ckung! rief er, als er ſich ein wenig geſam - melt hatte; und ſein Magen ſezte hinzu: wel - cher Hunger!

Jn ſeinem gegenwaͤrtigen Zuſtande war ihm nichts uͤbrig, als von der Wohlthaͤtig - keit andrer zu leben; er bat um Almoſen, hungerte ſelten und bekam niemals Ribben - ſtoͤße, noch Steine an den Kopf.

25

Eines Tages kam er auf eine Heide, wo etliche Freybeuter einen Mann ſo unbarmher - zig behandelten, als wenn ſie willens waͤren, ihn in Stuͤcken zu zerlegen und auf gut hu - roniſch zu eſſen. Belphegor gluͤhte, ſo bald er den Auftritt erblickte, gieng hinzu und erkundigte ſich nach der Urſache einer ſolchen Barbarey. Man wuͤrdigte ihn keiner Ant - wort, doch erfuhr er bey Gelegenheit, daß man ihn ſtrafe, weil der Hund nichts heraus - geben wolle. Aber welches Recht habt Jhr denn, etwas von ihm zu fodern? Sie ſchlugen an ihre Degen, und einer dar - unter gab ihm oben drein einen wohlgemein - ten Hieb, der ihm das rechte Schulterblatt in zwey gleiche Stuͤcken zerſpaltete. Aber, ihr Barbaren, welches Recht habt ihr ein zweiter Hieb uͤber den Mund hemmte ſei - ne Frage mitten im Laufe.

Alles grauſam wie Akante! dachte er, und ſtopfte ſich mit dem Reſte ſeiner Kleidung ſeine Wunden zu. Er bekam eine Stelle in einem Krankenhauſe und wurde ſehr bald ge - heilt. Ein Elender, der neben ihm lag und ſchon ein ganzes Jahr lang ſein Bette nicht verlaſſen hatte, war waͤhrend der Kur ſeinB 526vertrauter Freund geworden: doch izt wurde er uͤber die ſchnelle Geneſung ſeines Freundes neidiſch, und biß ihn des Nachts in den kaum geheilten Arm; die Wunde wurde ſo gefaͤhrlich, daß der Arm beinahe abgeloͤſt werden mußte.

Nach einem langen Kampfe mit Schmer - zen und dem Neide ſeines Freundes wurde er wiederhergeſtellt und der Willkuͤhr des Schickſals uͤbergeben.

Seine erſte Auswanderung machte ihn ſchon wieder zum Maͤrtyrer ſeines guten Her - zens. Er langte in einem Dorfe an, wo eben das graͤßlichſte Weiberſcharmuͤtzel das Publikum beluſtigte. Ein Maͤdchen, das der ganzꝛ weibliche Theil der Kirchfahrt aͤrger als den Teufel haßte, weil es von Jugend an ſich durch ſeine Kleidung unterſchieden hatte, war in einem ſaubern Anzuge, einem ehrbaren Geſchenke von der Regentinn des Dorfs, in der Kirche erſchienen. Jedermann empfand, wie billig, den lebhafteſten Abſcheu und Aerger uͤber eine ſolche Hoffart: man murmelte die ganze Kirche hindurch, man ſchimpfte bey dem Herausgehn, und auf ein - mal ſtuͤrzte die anweſende weibliche Chriſten - heit mit geſchloßnen Gliedern auf die ſchoͤn -27 gepuzte Nymphe los, um ihren Staat auf das jaͤmmerlichſte zu zerfleiſchen. Sie waren ſchon wirklich in ihrer Arbeit bis zum Hemde gekommen, das ſie ebenfalls, ob es gleich nur aus grober demuͤthiger Leinwand ge - ſchaffen war und nicht die mindeſten Spu - ren des Stolzes an ſich hatte, nicht verſcho - nen wollten, als Belphegor ankam. Er er - blickte nicht ſo bald das Geſichte des leiden - den Maͤdchens, das gewiß eine der beſten laͤndlichen Schoͤnheiten war und izt durch eine verſchoͤnernde Mine der Traurigkeit einen doppelt ſtarken Eindruck machte, als ſeine Stirne gluͤhte, als er mitten in das Gefechte rennte, das Maͤdchen und ihre Schamhaftig - keit aus den Klauen ihrer Gegner zu befreyen. Weil ſein Ueberfall ſo ploͤzlich geſchah, und noch ein Nachtrab von Huͤlfstruppen zu be - fuͤrchten war, ſo zerſtreuten ſich die Feinde anfangs: da ſie aber wahrnahmen, daß ſie ihre Furcht betrogen hatte, ſo wurden ſie deſto ergrimmter, ließen das gemishandelte Maͤdchen liegen und griffen ihren Helfer an, dem ſie ein Auge ausſchlugen, einen Finger quetſchten und die Backen mit ihren Naͤgeln meiſterlich bezeichneten. Oben drein wurde28 er noch nebſt der Grazie, die er beſchuͤtzen wollte, von den daſtehenden Gerechtigkeits - pflegern in Verhaft genommen, die um ſo viel erbitterter auf ihn waren, weil er ihnen eine Luſt verdorben hatte, und an die Herr - ſchaft des Maͤdchens ausgeliefert.

Durch einen gluͤcklichen Zufall war es ver - anſtaltet worden, daß gerade damals zwiſchen den beiden Monarchen, demjenigen, welchem ſie uͤbergeben, und demjenigen, von welchem ſie ausgeliefert wurden, eine Zwiſtigkeit herrſchte, die oft in einen Privatkrieg aus - brach wie er naͤmlich nach Einfuͤhrung des Landfriedens Statt findet. Eine von den beiden Damen dieſer Herren hatte bey ei - ner Feierlichkeit, die die ganze ſchoͤne Welt der daſigen Gegend durch ihre Gegenwart verherrlichte, an der andern, die eine ganze Stufe im Range unter ihr war, einen Hals - ſchmuck wahrgenommen, deſſen Anblick ihr ſogleich alle Nerven angriff, daß ſie nicht an - ders als die Beſitzerinn deſſelben von ganzem Herzen haſſen mußte. Da ihre Maͤnner, weil ſie durch die Ehe Ein Fleiſch und Ein Blut mit ihnen geworden waren, es fuͤr ihre Pflicht hielten, ſich gleichfalls deswegen von29 Herzen zu haſſen, ſo wurde Belphegorn und ſeiner Mitgefangnen ſogleich ohne Verhoͤr Recht gegeben; Belphegor bekam ſeine Frei - heit und war froh, nicht mehr als Ein Auge und Einen Finger eingebuͤßt zu haben: die gemeldete Feindſchaft brachte ihm ſogar eine Mahlzeit und ein kleines Geſchenk fuͤr die be - wiesne Tapferkeit ein. Das war ein Sporn in die Seite geſezt.

Seine warme Gutherzigkeit fand auch bald eine neue Urſache, das Blut in Feuer zu bringen. Er traf unter einem wilden Apfel - baume ein kleines Maͤnnchen an, das mit ge - ſenktem Kopfe und betruͤbter Mine daſaß. Lieber Mann, was fehlt dir? fragte Belphe - gor, indem er ſich zu ihm ſezte. Alles, antwortete jener mit einem Seufzer; denn ich habe gar nichts. Bettelarm bin ich.

So biſt du nichts reicher als ich, erwieder - te Belphegor. Das koͤnnte ein Troſt fuͤr mich ſeyn, ſprach der Andre, wenn ein Troſt mir etwas helfen koͤnnte: aber es iſt um - ſonſt!

Sage nur, was dir widerfahren iſt! rief Belphegor hitzig. Das kann zu nichts die -30 nen. Willſt du mich bedauren? Bedauert hat mich jedermann, aber niemand geholfen.

So will ich der einzige ſeyn, ſprach Bel - phegor gluͤhend. Armer Elender! wie koͤnn - teſt du das? Hilf dir! dann glaubte ich, daß du Wunder thun und auch mir helfen koͤnnteſt.

Belphegor knirſchte mit den Zaͤhnen und verſtummte vor Aerger und Begierde. Mann, ſo ſage mir nur deine Geſchichte! ſprach er endlich mit halb erſtickter Stimme.

Meine Geſchichte? iſt kurz. Der menſchliche Neid hat mich zu Grunde gerich - tet. Jch hatte ein Vermoͤgen, ein ſchoͤnes Vermoͤgen nicht groß aber hinreichend; es war ein Theil von meinem vaͤterlichen Erb - gute. Jch war unermuͤdet, auf die Wirth - ſchaft aufmerkſam, und mein Vermoͤgen ver - mehrte ſich zuſchends; ich kaufte beinahe mehr an, als ich geerbt hatte. Jndeſſen nahmen die Umſtaͤnde meines Bruders immer mehr ab; er wurde auf mein Gluͤck neidiſch; er gab mir ſchuld, ich habe ihn bey der Thei - lung bevortheilt: er verklagte mich. Wir prozeſſirten, maͤſteten Richter und Advokaten, er ſpielte alle moͤgliche Kabalen, und ich ver -31 lor beinahe: endlich gewann niemand den Prozeß, und ich verlor mein Vermoͤgen: nun blieb die Sache liegen. Nicht einen Pfennig behielt ich uͤbrig: die Gerechtigkeit nahm al - les, weil ſie mir Gerechtigkeit hatte wieder - fahren laſſen wollen, wenn ich nicht vor der Zeit verarmt waͤre.

Komm! wir wollen dem fuͤhlloſen Bruder den Kopf zerbrechen; er verdients! rief Bel - phegor haſtig und ergriff ihn bey dem Arme.

Guter Mann! ich ſehe, du haſt Herz ein gutes und ein muthiges. Wozu kann das dienen, daß wir ihm den Kopf zerſchla - gen?

Jhn zu beſtrafen, den Hartherzigen!

Wozu koͤnnte das dienen?

Du machſt mich raſend, Freund! Komm!

Ja, ich komme um mit dir betteln zu gehn: das Koͤpfezerſchmeißen iſt gefaͤhrlich. Ach!

Was ſiehſt du, daß du ſo ſeufzend hin - blickſt? fragte Belphegor und war halb zum Aufſpringen gefaßt.

32

Meinen Bruder! Weg war Belphegor, ehe er das Wort noch voͤllig ausſprach, oder ihn zuruͤckhalten konnte gerade auf den Mann zu, den er fuͤr den Bruder des Ungluͤck - lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem Halſe und kuͤndigte ihm ſeinen Untergang, die Strafe fuͤr ſeine Unbarmherzigkeit und ſeinen unbruͤderlichen Neid an. Der Andre, der waͤhrend des Prozeſſes eine reiche Wittwe durch Liſt zu ſeiner Frau gemacht hatte und ſich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei - ter zu Huͤlfe, die in einem nahen Buſche Holz fuͤr ihn faͤllten. Sie kamen mit allen Werk - zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen, ſchlugen den uͤbermannten Belphegor vom Kopf bis auf die Fuͤße blau, die linke Hand morſch und ein großes Loch in den Hirnſchaͤ - del: ſo verließen ſie ihn.

Der Mann, um deſſentwillen er ſich allen dieſen Schmerzen ausgeſezt hatte, wagte ſich nicht in die Naͤhe des Streites, blieb furcht - ſam in der Ferne ſtehn, ſo lange es Schlaͤge ſezte, und ſchlich langſam zu ſeinem Verfech - ter hin, als die Gefahr voruͤber war. Er beklagte ihn herzlich und verſprach mit der geruͤhrteſten Dankbarkeit, ſich ſeiner anzu -nehmen,33nehmen, ſich nie von ihm zu trennen. Er wuſch ſeine Wunden, verband ihn, ſo gut er konnte, und trug ihn auf ſeinen Schultern in ein Dorf, wo ſie auf vieles Bitten in einer Scheune beherbergt wurden.

Eine Regel hatte ſich Belphegor aus ſei - nen bisherigen Ungluͤcksfaͤllen abgezogen, daß er in die Flamme ſeines guten empfindungs - vollen Herzens eine gute Doſis kuͤhle Vor - ſicht gießen muͤſſe: er nahm ſich auch in voͤl - ligem Ernſie vor, Neid und Unterdruͤckung ins kuͤnftige als bloßer Zuſchauer zu betrach - ten, eher an dem Feuer des Unwillens zu er - ſticken, als es hervorbrechen zu laſſen, und wenigſtens die innerlichen Theile des Leibes unbeſchaͤdigt zu erhalten, da kein aͤußerliches Glied an ihm war, das nicht Denkmale ſei - nes Eifers fuͤr die Gerechtigkeit, blaue Fle - cken, Narben oder Beulen bezeichneten.

Der Mitleidige, der ihm einen Plaz bey ſich verſtattet und auch zuweilen eine Wohl - that mitgetheilt hatte, bot ihm izt, da er wieder geheilt war, wie auch ſeinem Gefaͤhr - ten eine Stelle unter ſeinen Arbeitern an: keiner von beiden ſchlug das Anerbieten aus,C34beſonders nicht Belphegor, und zwar deswe - gen, weil er hier weniger Reizungen, ſich neue Wunden zu erwerben, zu finden hoffte. Seinen bisherigen Begleiter, Waͤrter und Freund knuͤpfte die Dankbarkeit auf das eng - ſte mit ihm zuſammen, und ihre Freundſchaft ſchien ihnen unzerſtoͤrbar, ſie war die waͤrm - ſte, die unverbruͤchlichſte auf der Welt weil keiner einen Gran Elend oder Gluͤck mehr oder weniger beſaß als der andre.

Belphegor erhielt bald einen merklichen Vorzug in der Gunſt ſeines neuen Herru, weil er, ſeiner Leibesſchaͤden ungeachtet, viel mehr Thaͤtigkeit und Arbeitſamkeit, als ſein Freund, bewies. Der Alte erkannte es mit freudigem Danke, daß er ſich um ſeines Nu - tzens willen zu Tode arbeiten wollte, und gieng damit um, ihm zu Belohnung ſeiner nuͤtzlichen Dienſte, nach Labans loͤblichem Beiſpiele, ſeine einzige Tochter in die Arme zu werfen ein dickes rundes wohlbeleib - tes Maͤdchen, das alle Sonntage einen voll - wichtigen Doppeldukaten mit Kaiſer Karl des ſechſten Bildniſſe an dem gelben Halſe trug, zwey Hemde und einen ungeflickten Rock be -35 ſaß, da das ganze uͤbrige Dorf Winter und Sommer halbnackt gieng. Ehe Belphegot dieſe wohlgemeinte Abſicht erfuhr, kam ſein Freund dahinter. Er fuͤhlte ſogleich, als ihm das nahe Gluͤck ſeines Freundes bekannt wurde, eine ſo ſtarke Revolution in der Galle, daß er augenblicklich ſeinen Herrn aufſuchte und ihm hinterbrachte, er habe vor ein Paar Minuten Belphegern und die tugendreiche Tochter vom Hauſe hinter einem Heuſchober in einer ſo vertraulichen inbruͤnſtigen Ver - einigung geſehn, daß er dieſer ſeiner Anſſage gewiß Glauben beymeſſen wuͤrde, wenn er drey Vierteljahre auf den Beweis warten wollte. Der Alte, dem die Keuſchheit ſeiner Tochter am Herzen lag, und der ohne große Noth weder goͤttliche noch menſchliche Geſetze gern brach, noch brechen ließ, brannte von Wuth, rennte nach dem Orte zu, wo er Bel - phegorn zu treffen glaubte, fand ihn bey der Arbeit, ergriff eine Heugabel und rennte ihm von hinten zu alle drey Zinken in das dicke Bein, ſtach ihm eben ſo viele Loͤcher in den Kopf und ſchlug ihm das linke Bein einmal entzwey. Zwo Stunden darauf ließ er den Bader kommen und ihn vom Kopf bis aufC 236die Fuͤße wieder ausflicken, um nicht von der Gerechtigkeit des Orts dazu angehalten zu werden: da er wieder ausgebeſſert war, nahm er eine Peitſche und gab ihm mit fuͤnf und zwanzig wohlgezaͤhlten Hieben ſeine Ent - laſſung, und mit einem kraͤftigen Fluche ein Empfehlungsſchreiben an den Teufel auf den Weg. Belphegor nahm von ſeinem Freunde beweglichen Abſchied, und dieſer bekam den Tag darauf die dicke Rahel mit allen Perti - nentien in rechtmaͤßigen ehelichen Beſiz.

Diesmal konnte ſich es Belphegor mit dem groͤßten Eide verſichern, daß ihm ſein gutes Herz nicht den Kopf zerloͤchert hatte: eigentlich wußte er gar nicht und erfuhr auch niemals, warum ihm ein ſo ſchmerzhafter Abſchied ertheilt wurde. Demungeachtet, ſagte er, will ich auf meiner Hut ſeyn und mich von meiner Hitze nicht hinreißen laſſen, wenn man gleich Millionen Menſchen vor meinen Augen zerhackte und in Blute kochte.

Er litt viele Tage Hunger, weil auf dem ganzen Striche, wo er gieng, alle Doͤrfer verbrannt, die Einwohner niedergeſaͤbelt oder betteln gegangen waren. Der Nachbar des37 Landes hatte einen Einfall in daſſelbe gethan und viertauſend Stuͤck Schafe, die es mehr ernaͤhrte als das ſeinige, aufſpeiſen laſſen: bey der Gelegenheit hatte man ſtatt des Freu - denfeuers uͤber erlangten Sieg ein Dutzend Doͤrfer angezuͤndet.

Belphegor fand einen von den Kriegsmaͤn - nern, die bey dieſem Treffen ſich Heldenlor - bern erfochten hatten, an einem kleinen Ba - che, wo er ſich ſeine Wunden wuſch. Er ſezte ſich zu ihm und machte ihm ein ſehr red - neriſches Bild von der Verwuͤſtung und dem Elende, das er unterwegs angetroffen hatte, das der andre mit einem ſtolzen Laͤcheln an - hoͤrte. Ja, heute ſind wir brav geweſen, ſprach er und ſtrich den Bart. Aber um des Himmels willen, rief Belphegor vor Hitze zitternd, wer gab Euch denn das Recht, ſo viele Leute ungluͤcklich zu machen?

Der Krieg! bruͤllte der Soldat.

Und wer gab Euch denn das Recht zum Kriege?

Die Leute leben hier zu Lande, wie im Pa - radieſe, ſchwelgen und ſchmauſen. Wir ha -C 338ben zwoͤlfmalhunderttauſend geuͤbte Ar - me, und unſre Feinde kaum ſechstauſend: wir muͤſſen ihnen die ſuͤndliche Luſtigkeit ver - treiben.

Und alſo, ihr Barbaren, iſt eure Ueber - macht das Recht, eurem Neide ſo viele Un - ſchuldige aufzuopfern? Jſt das euer Recht?

Kerl! du biſt nicht richtig im Kopfe; du phantaſirſt; ſo ungereimtes Zeug ſchwatzeſt du: am beſten, mit dir ins Tollhaus! und ſo ergriff ihn der Kriegsmann, band ihn mit einem Riemen an ſein Pferd und ließ ihn neben ſich her außer Athem laufen, wenn er nicht von dem Pferde geſchleppt ſeyn wollte, das in einem friſchen Trabe fortſchritt. Zwo Stunden nach ihrer Ankunft in der naͤchſten Stadt war Belphegor, zwar in keinem Toll - hauſe, aber doch im Zuchthauſe einquartiret, wo er an einen Pfahl gebunden und mit drei - ßig muntern Peitſchenhieben bewillkommt wurde: darauf ſchloß man ihn ein und be - fahl ihm, jeden Tag zwanzig Pfund Wolle zu verſpinnen, und da er menſchlicher Weiſe dieſe Zahl niemals vollmachte, ſo bekam er39 zu Erſparung der Kaſſe ſelten etwas zu eſſen und alle Abende fuͤr jedes fehlende Pfund ſechs Hiebe.

Seine Geſellen wurden in kurzem ſeine Freunde; ein gemeinſchaftliches gleich trauriges Loos machte ſie dazu. Nach lan - gen Bitten erbarmte man ſich endlich uͤber den armen Belphegor und erließ ihm taͤglich zwey Pfund von der vorgeſchriebnen Quanti - taͤt Wolle; er bekam nichtsdeſtoweniger alle Abende Pruͤgel, weil er auch achtzehn Pfund eben ſo wenig beſtreiten konnte, nur jeden Tag zwoͤlf Schlaͤge weniger, als die uͤbrigen. Von Stund an haßten ihn alle ſeine Kameraden wegen dieſes vorzuͤglichen Gluͤcks, und beſchloſſen, ihn des Nachts im Bette zu verbrennen. Sie fuͤhrten ihren An - ſchlag aus, legten brennenden Zunder in das Bettſtroh, die Flammen nahmen uͤberhand, Belphegor und die uͤbrigen Zuͤchtlinge ent - wiſchten, und das Haus lag nebſt einer gan - zen Gaſſe innerhalb etlicher Stunden im Aſchenhaufen da.

So ſoll man mir doch die Zunge aus - ſchneiden, wenn ich mich wieder verleiten laſſe,C 440Ein Wort uͤber Ungerechtigkeiten zu verlieren! ſagte ſich Belphegor, als er in Sicherheit zu ſeyn glaubte. O grauſame Akante! in alles dieſes Ungluͤck haſt du mich geſtuͤrzt! Akante! Akante!

Dieſen Ausruf that er, nachdem er zwoͤlf Stunden in einem Zuge gelaufen war und ſich izt ermattet in einem friſchen Birkenbuͤſch - chen niederließ, wo er ſicher vor allem Nach - ſetzen auszuruhen gedachte. Er war im Lan - de der Lettomanier. Kaum hatte er Athem geſchoͤpft, als er ein barbariſches Geſchrey aus der Ferne hoͤrte, als wenn Pygmaͤer und Kraniche zuſammen kaͤmpften. Schon wie - der etwas! dachte er; aber meinethalben ſchlagt ihr euch in Millionen Stuͤcken; ich will zuſehn.

Das Geſchrey wurde immer ſtaͤrker, im - mer naͤher, und Belphegor immer unruhiger, als ſich endlich ein ganzer Haufe Bauern in den Buſch hereinſtuͤrzte, wo er verborgen ſaß. Hier ſind wir ſicher, ſprachen ſie und lagerten ſich. Das war ein warmer Tag! Andre brachten ein Faß mit einem Triumph - geſchrey herzugeſchleppt, das die Gelagerten41 beantworteten, und das Glas gieng munter herum. Ein jeder trank ſeinem Fuͤrſten und der Freiheit zu Ehren.

Der Freiheit? dachte Belphegor, hui! was muͤſſen das fuͤr Leute ſeyn? Er horchte und konnte nichts zuſammenhaͤngen - des erſchnappen, als daß hier zu Lande Bauernkrieg war, bis endlich einer in gewiſ - ſen Angelegenheiten ſeitwaͤrts ſchlich und auf ſeinem Wege Belphegorn im Geſtraͤuche erblickte, den er ſogleich hervorzog und ſeinen Mitbruͤdern vorſtellte. Man unterſuchte ihn genau, ob er vielleicht zu der feindlichen Par - tey gehoͤrte, und nachdem man ihm, in Er - mangelung einer geſezmaͤßigern Tortur, hun - dert Pruͤgel auf die Fußſolen gegeben hatte, ohne ein Ja aus ihm herauszwingen zu koͤn - nen, ſo wurde er feierlich fuͤr unſchuldig er - klaͤrt und zum Glaſe zugelaſſen, was ihm aber wenig ſchmeckte: denn ſeine Fußſolen brannten wie Feuer.

Willſt du mit fuͤr die Freiheit fechten? frag - ten ihn einige. Gebt mir nur die meinige, dann ſeht, wie ihr die eurige behauptet! Was? fuͤr die Freiheit willſt du nicht fechten? C 542Du biſt ein Spion! ein Feind! und ſo - gleich ſezte man ſich in Poſitur, ihn mit ei - nem Strohſeile an eine ſchoͤne ſchattichte Ei - che aufzuhaͤngen. Sagt mir nur erſt, wer eure Freiheit gekraͤnkt hat? rief Belphegor, als er den Spaß dem Ernſte ſo nahe ſah; ſagt mir es, und gern, gern will ich fuͤr ſie fechten.

Siehſt du, nahm ſein Nachbar das Wort, der bisher beſtaͤndig ſtill geſeſſen hatte ſiehſt du! der liebe Gott hat uns nur zwey Haͤnde und zwey Fuͤße gegeben, und doch ſollten wir den Leuten, die uns gekauft ha - ben, ſo viel arbeiten, als wenn wir ihrer ein Paar Dutzend haͤtten. Sie wollten uns weis machen, wir haͤtten keinen Magen; wir ſollten nur hungern, ſie wollten ſchon fuͤr uns eſſen: und ob uns ein Paar Lumpen auf dem Leibe hiengen, oder ob wir nackt gien - gen, waͤre auch gleich viel; Adam ſey ja in Gottes Paradieſe auch nackt gegangen und ein braver Mann, der erſte Erzvater gewe - ſen. Was waͤre denn nun vollends ſolchen nackten Lumpenkerlen Geld noͤthig? meinten ſie; wir haͤtten ja ohnehin keine ganzen Ta - ſchen; alſo waͤrs doch tauſendmal beſſer, daß43 wirs ihnen gaͤben, als wenn wirs verloͤren: das waͤre ja jammerſchade: ſie wollten uns dafuͤr recht huͤbſch gepuzte Kerle, Laufer, La - keyen, Heyducken, ſchoͤne Pferde, allerliebſte Hunde, huͤbſche Kutſchen zu ſehn geben, und alle Sonntage ſollten wir ihr Vivat rufen, ihnen langes Leben und Wohlergehn wuͤn - ſchen, und wenn wir etwas in der Taſche aus Verſehn zuruͤckgelaſſen haͤtten, es auf ihre Geſundheit in ihrem Biere vertrinken. Die Woche uͤber ſollten wir nur huͤbſch fleißig ſeyn, huͤbſch viele und geſunde Kinder lie - fern, die auch bald arbeiten und geben koͤnn - ten, und dabey Gott mit froͤlichem und zu - friednem Herzen danken, daß er uns ſo gnaͤ - dige Herren beſchert hat, die uns nicht leben - dig ſchinden, weil ſie uns ſonſt nicht brau - chen koͤnnten. Des Lebens wurden wir ſatt; freyer Tod iſt beſſer als ſklaviſches Leben; wir ſchlugen zu. Achtzehn Schloͤſſer haben wir ſchon bis auf den Grundſtein zu Pulver verbrannt, neunzig Grafen und Edelleuten die Baͤuche aufgeſchnitten und einen ganzen Schwarm Edelfrauen bey Strohwiſchen ge - braten, ſamt den ſchoͤnen Jungen und Jung - fern, Hunden und Pferden, die ſie von un -44 ſerm Gelde gekauft haben. Heiſa! Es lebe die Freiheit! Willſt du mitfechten? Komm! wir ſind zuruͤckgeſprengt worden. Wir wol - len dort ans Schloß anſetzen, das im Walde liegt. Dem rothkoͤpfichten Junker dort auf den Hals! Fort Bruͤder! du ſollſt unſer An - fuͤhrer ſeyn, Freund! Ja, unſer Anfuͤhrer! riefen ſie alle und machten ſich marſchfertig.

So wenig ſich Belphegor dieſe Ehre wuͤnſchte, oder auch ſein Amt verſehen konnte, weil er wegen der zerpruͤgelten Fußſolen kaum ohne Schmerz aufzutreten vermochte, ſo woll - te er doch lieber mit ſeinem Kommandoſtabe vor ihnen her hinken, als ſich an die ſchoͤne ſchattichte Eiche aufknuͤpfen laſſen: er ſtol - perte alſo vor ſeiner Armee voran, wie ein zweiter Ziska, mit dem gegenwaͤrtig ſein gan - zer Koͤrper große Aehnlichkeit hatte. Der Marſch gieng unter einem unaufhoͤrlichen Ausrufe der Freiheit auf das Schloß des Junkers los, dem ſie ihren Beſuch zugedacht hatten. Sie kuͤndigten ihre Ankunft zuerſt durch eine volle Ladung Steine den Fenſtern an, erbrachen das Wohnhaus und liefen ſchon herum, um brennbare Materien aufzu -45 ſuchen. Ploͤzlich war der ganze ſtuͤrmende Haufe von einem Truppe der Landesarmee umſchloſſen; man ſchrie, man fluchte, lief, ſtund, gieng; man warf Steine, Balken, Dachziegeln; man erſchoß, man wuͤrgte, man raufte ſich bey den Haaren; einige ſtachen mit Miſtgabeln, andre metzelten mit Saͤbeln die Feinde nieder, und viele ſchlugen ſie mit Knitteln todt; viele ſuchten den Ausgang zur Flucht, fanden ihn nirgends, oͤffneten ſich ihn mit Gewalt und wurden mitten im Durchar - beiten daniedergetreten; der Vater toͤdtete un - wiſſend den Sohn, und der Sohn erwuͤrgte den Vater; ſterbende Stimmen aͤchzten Freiheit! und lebende riefen Rebell! Ab - gerißne Fuͤße, zerfleiſchte Arme, gequetſchte Koͤpfe, verſtuͤmmelte Leiber, Waffen, Beute, Pferde lagen in dem ſchrecklichſten Chaos ne - ben und uͤber einander. Zweyhundert Bauern wurden auf dem Wahlplatze erſchoſſen, von Pferden zermalmt, im Gedraͤnge erdruͤckt, zertreten, eine viel groͤßere Anzahl gefangen, und nur wenige entkamen, worunter auch Belphegor war, der in der Begeiſterung des Treffens ritterlich gefochten und von einem ſich davon ſtuͤrzenden Schwarme mit fortge -46 riſſen worden war. Man ſezte ihnen nach, die uͤbrigen entkamen durch die Geſchwindig - keit der Fuͤße, doch den ungluͤcklichen Belphe - gor noͤthigten ſeine wunden Fußſolen zuruͤck - zubleiben und in die Haͤnde der Nachſetzenden zu fallen. Eine lange Allee vor dem Stadt - thore wurde ſogleich mit vierhundert aufge - haͤngten Bauern geſchmuͤckt, hundert wur - den geraͤdert, andre lebendig eingemaurt, und alle als Rebellen verflucht, ihre Namen in Stein eingehauen, und ihr Andenken auf ewig mit der groͤßten Schande gebrandmahlt. Fuͤr die Anfuͤhrer, worunter auch Belphegor ſich befand, wollte man bey groͤßerer Muße eine Strafe ausſinnen, die alle Strafen der ganzen polizirten Welt an Strenge und Grau - ſamkeit uͤbertraͤfe.

Belphegor, der das graͤßliche Schauſpiel mit anſehn mußte, gerieth bald in Feuer; ſtark empfindende Herzen, wenn ſie zu heftig angegriffen werden, wagen das Aeußerſte: er faßte einen von den daſtehenden Richtern bey der Knotenperucke. Welches Recht, ſprach er, habt ihr. Barbaren, dieſe Ungluͤcklichen ohne alles Gefuͤhl wie Rebellen niederzume -47 tzeln? Sie wollten das Joch abwerfen, das ſchaͤndlichſte Joch der Unterdruͤckung, und ihr ſtraft ſie, daß ſie eine Freiheit zu erkaͤmpfen ſuchten, die ihnen die Natur ſo gut als euch gab, und die ihr ihnen entriſſet! Schande! ewige Schande fuͤr die Menſchheit, daß ſie ihr Wohlſeyn auf den Untergang etlicher Schwachen aufbaut.

Der Richter, der kaltbluͤtigſte Mann, der auf einem Richterſtuhle geſeſſen hat, antwor - tete ihm zur Kurzweile ganz trocken: wer hat ihnen denn etwas unrechtes zugemuthet? Es blieb ja alles bey dem Alten.

Ja, unterbrach ihn Belphegor, bey der alten Unterdruͤckung! Unſre Vorfahren in dem unſeligſten Stande der Wildheit uͤber - waͤltigten die Vaͤter dieſer Elenden und leg - ten ihnen das barbariſchſte Joch auf; und wir, die wir jene Zeiten mit der ſtolzeſten Verachtung unter uns herabſetzen, wir *)Nichts muß fuͤr einen Mann, der denkt und empfindet und alſo die mannichfaltigen Reſte der Barbarey in unſerm Zeitalter nicht ohne widriges Gefuͤhl betrachten kann, aufrichtender ſeyn und ſeinen Blick in die Zukunft froher

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Das iſt ja immer ſo geweſen! fiel ihm der Richter ein. Der Staͤrkere hat von Ewig - keit her den Schwaͤchern zum Sklaven gehabt, ein Menſch hat beſtaͤndig uͤber den andernherr -*)machen, als daß Monarchen, und unter ihnen der groͤßte ſeine Sorge dahin lenkt, die Un - gluͤcklichen, die das Schickſal dem Beſten des Ganzen gewiſſer maßen aufopfert und ſie arbei - ten laͤßt, damit andre ſich pflegen koͤnnen, ih - rer urſpruͤnglichen Freiheit ſo nahe zu bringen, als es ſich ohne Nachtheil des Staats thun laͤßt, und daß ſogar diejenigen, denen eine ver - jaͤhrte Unterdruͤckung jene Laſitraͤger unterwarf, großmuͤthig die Haͤnde bieten, ihnen mit Ent - ſagung ihres eignen Nutzens ihr Joch zn er - leichtern, da es nun einmal nicht moͤglich iſt, es ihnen ganz abzunehmen. Wenn Joſeph Millionen Soldaten in der beſten Diſeiplin un - terhielt, Taktik, die Kuͤnſte des Angriffs uud Ruͤckzugs in den vollkommenſten Stand ſezte, Tuͤrken, Heiden und Chriſten uͤberwaͤnd, ſo waͤren in meinen Augen alle dieſe lorberreichen Thaten nicht zur Haͤlfte ſo viel werth, als die einzige, daß er daran arbeitet, den boͤhmiſchen Bauern etliche Grane buͤrgerlicher Freiheit mehr zu geben, als ſie vorher die Verfaſſung, das heißt, eine verjaͤhrte, zum Recht gewordueUnter -49herrſchen wollen, und wer den andern hat daniederwerfen koͤnnen, der iſt der Herr ge - weſen. Es war ja immer ſo, wie wir in Hiſtorienbuͤchern finden, daß der Schwache,*)Unterdruͤckung genießen ließ; und diejenigen Herren, die ihren eignen Verluſt nicht achte - ten, ſondern die Abſichten ihres Monarchen unterſtuͤzten ſind meines Beduͤnkens mehr als Scipione und Tuͤrenne: denn ſie beſiegten den Eigennuz, den hartnaͤckigſten ſchlauſten Feind. Jhr Dichter und Redner! fuͤr ſolche Hand - lungen allein ſolltet ihr Wiz und Beredſamkeit haben! Bis zum Aubeten kann ich den Monar - chen lieben, der ſeinen Blick auf die niedere verachtete Klaſſe der Menſchheit wirft und ih - nen zwar nicht Bequemlichkeiten, Ueberfluß, Verfeinerung geben will eine ſchaͤdliche Gabe! ſondern von den vielen Einſchraͤn - kungen der Freiheit, die ſie zur Arbeit noͤthi - gen, diejenigen hinwegnimmt, die ohne Revo - lution weggenommen werden koͤnnen, den Her - ren einen kleinen zu verſchmerzenden Verluſt, und dem Unterthan ungleich groͤßern Vortheil verſchaffen: wie ich hingegen nie ohne inner - liche Erſchuͤtterung einen ſonſt guten Mann im Durchſchnitte genommen! mit Ernſt behaupten hoͤren konnte, daß ein Bauer nichtsD50wenn er ſo dumm war, ſich von dem Maͤchti - gen nicht alles gefallen laſſen zu wollen, ge - hangen, gekoͤpft, geraͤdert wurde.

Aber dieſe Elenden wollten ja gern eure und der uͤbrigen Menſchheit Diener ſeyn, nur als Menſchen behandelt werden, die zu ihrer Gluͤckſeligkeit ſo wohl als ihr auf dieſe Kugel geſezt ſind.

Es iſt ja immer ſo geweſen; was wollen ſie denn neues haben? Die Menſchen haben ja beſtaͤndig einander gequaͤlt, und wer ſich nicht quaͤlen ließ, den ſchlug der andre todt, wenn er konnte. Es iſt ja immer ſo gewe -*)mehr als geſunde Haͤnde und Fuͤße und zwey Loͤcher brauche, eins zum eſſen, das andre zum d. i. ein inſtrumentum ruſticum ſey. Deſto erfreulicher iſt es, daß das Beyſpiel des Oberhauptes es vielleicht noch in unſerm Men - ſchenalter dahin bringen wird, daß ſich jeder einer ſolchen vom Eigennutze geſtimmten Den - kunesart ſchaͤmt. Jzt, bey einem ſo guten Anſchein ſollteſt du leben, Belphegor! ſo wuͤr - de dich die gute Hoffnung vor der Miſanthre - vie bewahren!51 ſen; wenn dirs ſo nicht anſteht, ſo aͤndre das! Mache, daß du morgen nicht gehangen wirſt; wenn dus kannſt, ſo haſt du Recht, aber bis hieher haben wir es.

Belphegor, der durch den dehnenden fuͤhl - loͤſen Ton und die eiskalte Froſtigkeit des Mannes ganz außer ſich ſelbſt geſezt war, biß vor Zorn und Wuth ſo heftig in ſeine Ketten, daß ihm zween Zaͤhne blutig aus dem Munde ſprangen, und gern haͤtte er das ganze Tri - bunal mit den uͤbrigen zerriſſen, wenn ihm nicht nach ſeiner erſten Jnvaſion in die Kno - tenperucke, zu Verhuͤtung alles Schadens, der Hals vermittelſt einer dauerhaften Kette mit den Knieen zuſammengeſchnuͤrt worden waͤre.

Den Tag darauf wurde das Urtheil an ihm vollſtreckt, das ihm der kaltherzige Rich - ter prophezeiht hatte: er wurde an einem der anſehnlichſten Plaͤtze der Stadt in Ketten auf - gehangen, die man in Ermangelung derſelben in Stricke verwandelte: da man aber ſeinen Namen erfuhr, und aus dem fremden KlangeD 252deſſelben ſchloß, daß er keines lettomaniſchen Urſprungs ſeyn koͤnnte, ſo wurde beſchloſſen, ihm, als einem Auslaͤnder, die ſchuldige Ehre anzuthun, und ihn eine Viertelelle hoͤher zu haͤngen, als den Lettomanier, der neben ihm ſeine Stelle finden ſollte, und dieſer mußte ihm aus Hoͤflichkeit die rechte Hand laſſen. Der Lettomanier, der dies als eine Beleidi - gung gegen ſeine einheimiſche Abſtammung und gute Geburt anſah, wurde neidiſch auf Belphegorn: er beſtach den Scharfrichter, dieſen Nebenbuhler der Ehre ſo ſchwach zu be - feſtigen, daß ein maͤßiger Sturm ihn entwe - der in gleiche Linie mit ihm bringen oder ganz unter ihn daniederwerfen koͤnnte. Es geſchah. Kurz darauf entſtund ein Erdbe - ben, der Himmel uͤberzog ſich mit fuͤrchterli - chen Wolken, es donnerte und blizte, regnete und ſtuͤrmte welches alles die Lettomanier nunmehr, da ſie durch den Ausgang belehrt waren, wer Recht hatte, als einen Beitrag der goͤttlichen Rache zur Beſtrafung der um - gebrachten Rebellen betrachteten. Der Sturm warf den ſchlecht befeſtigten Belphegor her - inter, der Blitz traf ein Haus in der Nach -53 barſchaft, das ſogleich in hellen Flammen aufloderte, das Feuer verbreitete ſich von Haus zu Haus, von Gaſſe zu Gaſſe, und ver - heerte faſt die halbe Stadt. Waͤhrend des Tumultes, da alles winſelte, ſchrie, laͤrmte, lief und rennte, erwachte Belphegor, an dem der Scharfrichter ſein Amt uͤberhaupt ſchlecht verwaltet hatte, von ſeiner bisherigen Be - taͤubung, da Blut und Lebensgeiſter wieder ihren ungehinderteu Lauf bekommen hatten; er erblickte nicht ſo bald den Aufruhr und das allgemeine Schrecken, als er ohne Anſtand die Entſchließung nahm, die Gelegenheit zur Flucht zu nuͤtzen. Jn Eile arbeitete er ſich los, ſo gut er konnte, und floh zur Stadt hinaus: niemand bemerkte ihn, und niemand wollte ihn bemerken.

Die ganze Nacht hindurch lief er, ohne ein einzigesmal auszuruhen, und kam in der Mor - gendaͤmmerung mit der Angſt eines Gehaͤng - ten, der nicht gern eine zweite Erfahrung ma - chen moͤchte, wie es ſich zwiſchen Himmel und Erde wohnt, an eine Prieſterwohnung, wo er mit ſo großer Verwunderung als Bereit -D 354willigkeit aufgenommen wurde. Sein Ge - faͤhrte war nebſt Stricken und Galgen ver - brannt, und weil man ihn gleichfalls in Aſche und Staub verwandelt glaubte, ſo blieb er vor der Nachſtellung deſto ſichrer.

[55]

Zweites Buch.

D 4[56][57]

Der ehrliche treuherzige Magiſter Me - dardus war gegenwaͤrtig der Beſitzer dieſer einſamen laͤndlichen Wohnung ein Mann, der alle Menſchen Bruͤder nennte und als Bruͤder behandelte, der aͤrmſte und doch der freygebigſte gaſtfreyeſte Seelenhirte des ganzen Landes, der mit Ungluͤck und Gefah - ren gekaͤmpft hatte und noch taͤglich von ih - nen herausgefodert wurde, ſieben lebendige Kinder beſaß und eine Vorſehung glaubte.

Zween Ungluͤckliche beduͤrfen keiner Mit - telsperſon, in Bekanntſchaft oder Vertraulich - keit zu gerathen: bey dem guten Medardus war ſie noch viel weniger noͤthig. Ein Krug voll Apfelwein, das ſein taͤglicher und lieb - ſter Trank war, vertrat die Stelle derſelben und wurde haͤufig unter beiden gewechſelt; Belphegor klagte und jammerte dabey uͤber den Neid und die Unterdruͤckung der Men - ſchen, und Medardus ermahnte ihn, mit der Welt zufrieden zu ſeyn, ſo lange es noch Apfelwein und eine Vorſicht gebe.

D 558

Bruͤderchen, und trink heute noch! Morgen iſts vorbey; morgen muß ich fort, ſprach er.

Morgen fort! warum das?

Die Leute ſind boͤſe darauf, daß mir mein Apfelwein ſo gut ſchmeckt. Du weißt, Bruͤ - derchen, daß Bauernkrieg iſt

Ja, leider weis ichs! unterbrach ihn ſein Gaſt mit einem tiefen Seufzer. Ja, Freund, der ungluͤckliche Belphegor

Was? Biſt du Belphegor, Bruͤderchen? der Belphegor, der dem Richter die weiße Knotenperuͤcke ſchuͤttelte? Du biſt ein braves Kerlchen! Der brave Belphegor ſoll leben! und dabey that er eineu herzhaf - ten Schluck. Siehſt du, Bruͤderchen? die Bauern haben Unrecht behalten, das weißt du! Jch bin einer von ihren Pfarrern; mor - gen muß ich fort.

Aber was hat denn der Pfarrer mit dem Baurenkriege zu ſchaffen?

Je, Naͤrrchen, ich habe ein Woͤrtchen fallen laſſen nicht viel! gar nicht viel!59 daruͤber ſind ſie boͤſe geworden; und weil ſie denken, ſie koͤnnens, ſo plagen ſie mich ſo lange, bis ich fortgehe. Meine Kinder ſind verſorgt; mein Apfelwein iſt dieſen Abend alle; und morgen geht die Reiſe fort. Die Vorſicht iſt uͤberall. Meine Frau iſt vor Kummer geſtorben Hier hielt er ſchluch - zend inne: ſogleich heiterte ſich ſein Geſicht wieder auf: aber die Vorſicht lebt noch, ſezte er ruhig hinzu. Es war eine herzensgute Frau er weinte gar ein goldnes Weib - chen er weinte noch mehr. Da, Bruͤ - derchen! fuhr er auf einmal auf, indem die Thraͤnen noch uͤber ſein erheitertes Geſicht herabliefen da Bruͤderchen! Jhr Anden - ken! und brachte ihm den Krug zu.

Ach Akante! du grauſame Akante! rief Bel - phegor, indem er den Krug dem Munde naͤherte.

Bruͤderchen, iſt das deine Frau? rief Me - dardus.

Nein! aber kennſt du das grauſame Felſenherz?

O, Naͤrrchen, mehr als zu wohl! Jch ha - be als Jeſuiterſchuͤler dreyhundert wohlſchme - ckende Hiebe um ihrentwillen bekommen

60

Um Akantens willen? Auch da war ſie ſchon eine Woͤlfinn?

O, Kind, ſie war ſchoͤn! tauſendmal ſchoͤner als meine Frau, aber nicht den hunderttauſendmaltauſendſten Theil ſo gut; ſo gut kann aber auch keine auf der Welt ſeyn, als das liebe Weib. Die Thraͤ - nen ſtunden ſchon wieder in den Augen, und der Ton wurde weinerlich. Jhr Anden - ken, Bruͤderchen! ſagte er froͤlich und trank. Hui! fuhr er fort, alſo kennſt du Akanten, Bruderchen?

Und meine Huͤfte noch mehr! die Barba - rinn! Sie iſt die Urheberinn alles meines Ungluͤcks, ſagte Belphegor.

Und auch des meinigen! fiel ihm Medar - dus ins Wort. Dreyhundert gute geſunde Hiebe brachte ſie mir zuwege. Sie gefiel mir, und ich ihr, und zwar mehr als mein Lehrer, der ihr mit aller Gewalt gefallen wollte. Siehſt du, Kind? das machte ihm die Leber warm; weil er der Staͤrkre war, ſo durfte ich ihm meinen Ruͤcken nicht verwei - gern; ich bekam zu Heilung meiner Liebe drey - hundert baare Hiebe und wurde in ein Kloſter61 geſteckt. Wir erhielten darinne zuweilen heim - liche Beſuche von etlichen artigen Puppen, die uns die Einſamkeit erleichtern ſollten: bey meiner Schlafmuͤtze! ich war ſo unſchul - dig, wie ein Sechswochenkind: ich hatte nichts Boͤſes im Sinne und konnte auch nicht: purer Naturtrieb! die Kinderchen gefielen mir, es war mir wohl, wenn ich bey ihnen war, und ſchlimm, wenn ich ſie entbehren mußte. Auch mir waren ſie herzlich gut, und die uͤbrigen Schlucker bekamen kaum einen Kuß, wenn ich ſchon ſechſe zum voraus hatte. Siehſt du, Bruͤderchen? Sie wurden nei - diſch: Bruder Paſkal verſteckte ſich, und da ich im Dunkeln vor ihm vorbeygehe, faßt er mich bey den Ohren und will mir beide Oh - ren abſchneiden, aber das Meſſer war zu ſtumpf; ſo kam ich mit einem huͤbſchen lan - gen Schnitte davon, den ich wieder zuheilen ließ. Damit war aber der Groll nicht vor - uͤber: wenn ich nur einen Blick mehr bekam als ein andrer, ſo mußte ich leiden; und ob ich gleich izt mit ihnen nur in gleichem Schrit - te gieng, ſo blieben ſie mir doch feind und ſuchten alle Gelegenheit, mir zu ſchaden, mich zu verfolgen. Einige beſchloſſen, mich zu62 entmannen, doch Bruder Paolo widerſezte ſich ihrem Anſchlage. Er konnte an ſich ſelbſt abnehmen, wie ſchrecklich ein ſolcher Zu - ſtand ſeyn muͤßte. Aus chriſtlichem Mitlei - den empfahl er ſeinen Mitbruͤdern in einer zierlichen Rede die Barmherzigkeit, als eine der Kardinaltugenden, und beredete ſie, mir lieber, um ihr Gewiſſen vor Grauſamkeit zu bewahren, im Schlafe alle Flechſen am gan - zen Leibe zu zerſchneiden. Zum Gluͤcke erfuhr ich dieſen ſchoͤnen Plan, als er eben geſchmie - det wurde, und ehe ſie ihn ausfuͤhren konn - ten, war ich unſichtbar.

Jch aͤnderte Land und Religion zugleich und ſtudirte. Siehſt du, Bruͤderchen? nun gieng eine neue Noth an. Der Superinten - dent *** hatte viel Liebe fuͤr mich; er er - hielt mich und war auf eine Verſorgung fuͤr mich bedacht. Jndeſſen bekam auch die Maͤ - treſſe º º eine kleine Liebe fuͤr mich; es lag ihr an weiter nichts als einen Hofprediger zu ha - ben, der ihr alles zu danken haͤtte und ihr darum aus Dankbarkeit das Wort reden muͤßte; in kurzem war ich Hofprediger, ohne daß vorher jemals einer geweſen war. Nun war alles wider mich; alles was ich ſagte,63 war heterodox, alles Jrrlehren, ich war ein dummer unwiſſender unwuͤrdiger Mann, ob ſie ſich gleich alle vorher uͤber meine Wiſſen - ſchaft gewundert hatten, meine Sitten, mein Betragen war unanſtaͤndig, man ſtreute die aͤrgerlichſteu Erzaͤhlungen von meinem ehma - ligen Wandel aus, ob ich gleich von einem jeden meiner Neider und vormaligen Patrone ſchriftliche und muͤndliche Zeugniſſe fuͤr mich hatte, die mich wegen meiner Auffuͤhrung als ein Muſter lobten und prieſen. Jch wurde von Tage zu Tage verhaßter: die Beſchuldi - gungen von Jrrthuͤmern wurden immer haͤu - figer und angreifender, daß ich endlich auf - gefodert wurde, mich in einer oͤffentlichen Unterredung zu rechtfertigen. Jch mußte darein willigen, oder mich meinen Feinden uͤberwunden geben. Meine Gegner fochten, wie Seeraͤuber; alles verdrehten ſie, ſie ſchrieen auf mich los, um mich aus der Faſſung zu bringen, und der Superintendent, der nicht ſonderlich friſch Latein reden und auch nicht ſonderlich friſch denken konnte, huſtete, ſtot - terte, wußte nichts zu ſagen, und gab mir endlich mit der gelaͤufigſten Zunge von der Welt alle Ketzernamen, die er aus Rechen -64 bergs Kompendium gelernt hatte. Quid volumus plus? ſagte er; ut finiamus con - troverſiam, er iſt ein Pelagianer, Samo - ſatenianer, Cerinthianer, Neſtorianer, Eu - nomianer, Arrianer, Socinianer, Eutychia - ner; und alle ſtimmten in einem Tutti zu - ſammen: aner, aner, aner! Jch verſammelte die Kraͤfte meiner Lunge und bombardirte, da ſie erſchoͤpft waren, mit ei - nem ſolchen Schwalle Jeſuitenlatein auf ſie los, daß ſie ſchwizten, ſtammelten und be - ſtuͤrzt ſich umſahen. Meine Befoͤrderinn und Beſchuͤtzerinn, die dem Wettſtreite in eigner Perſon beywohnte, nuͤzte dieſen guͤnſtigen Zeitpunkt, erhub ein lautes Gelaͤchter, alle Damen und Herren hinter drein, denen end - lich das ganze anweſende Publikum beytrat, meine Gegner wurden ganz außer ſich geſezt, und konnten kein Wort hervorbringen, weil jedes, das ſie verſuchten, durch ein neues Ge - laͤchter erſtickt wurde. Der Sieg war mein; ich hatte bey jedermann Recht. Siehſt du, Bruͤderchen? ich hatte Recht, weil ich die Oberhand hatte.

Meinen Feinden blieb die Leber lange warm: meine Beſchuͤtzerinn fiel in Ungnade. Siehſt65Siehſt du, Bruͤderchen? nun kam die Reihe an mich, Unrecht zu haben. Sie unter - gruben mich heimlich auf die liſtigſte Weiſe, und ehe ichs dachte, ward mein Amt wieder aufgehoben, und ich in eine andre Stelle verſezt, wo die chriſtliche Gemeine ſo klein war, daß meine Heterodoxie nicht viele ver - fuͤhren konnte. Siehſt du, Bruͤderchen? izt hatte ich bey jedermann Unrecht, weil ich unten lag: aber eben deswegen wurden der Superintendent und alle meine vorigen Geg - ner allmaͤhlich meine guten Freunde, und ich war in ihren Augen wieder ſo orthodox, als ein ſymboliſches Buch.

Bald darauf wurde Krieg, und ich Feld - prediger. Mein Kollege war mir behuͤlflich dazu und außerordentlich gewogen: aber we - nige hoͤrten ihn gern, und alle verlangten mich; wer es Umgang haben konnte, vermied ſeine Predigten, und in meine kamen ſie hau - fenweiſe. Siehſt du, Bruͤderchen? die Freundſchaft war aus; und er wurde mir gar feind, als ich einen gewiſſen Fromal zum Tode bereiten mußte

E66

Was? fuhr Belphegor auf, einen gewiſſen Fromal zum Tode bereiten mußte! Jſt Fro - mal todt?

Er ſollte gehaͤngt werden, aber er kam ge - linde davon; er wurde nur mit nackten Ruͤ - cken um das ganze Lager, bey Trommeln und Pfeifen, herumgefuͤhrt, und bekam alle zehn Schritte ſechs Ruthenſtreiche.

Fromal! mein Freund! ſchrie Belphegor, was hatte er denn gethan? Verdient kann er eine ſolche ſchimpfliche Strafe nicht haben.

Er wurde fuͤr einen Spion gehalten: aber ſiehſt du, Bruͤderchen? ich kam am ſchlimm - ſten dabey an. Fromal hatte mich ausdruͤck - lich verlangt, ob es gleich meinem Kollegen zugekommen waͤre; dadurch wurde der alte Haß wieder aufgeruͤhrt. Mit der Orthodo - xie konnte er nichts ausrichten, wenn er mir gleich alle Ketzereyen auf den Kopf haͤtte ſchuld geben wollen. Er machte mich alſo auf einer andern Seite verdaͤchtig; er klagte mich heimlich bey allen Offizieren eines groſ - ſen Eifers fuͤr die feindliche Parthey an, und uͤberredete ſie, daß mich nichts als die Furcht vor der Schande abhielt, ſonſt wuͤrde ich zu67 ihr uͤbergehn und ſelbſt mit ihr fechten: er machte es ihnen ſogar wahrſcheinlich, daß ich uͤber einem ſolchen Anſchlage bruͤtete. Jn kurzem kam es dahin, daß jedermann meine Predigten ſo ungern hoͤrte, als die ſeinigen; er genoß wegen ſeiner Entdeckung ein wenig Achtung mehr als ich; und wir waren wieder herzensgute Freunde. Siehſt du, Bruͤ - derchen? wird dir die Zeit etwa lang? Siehſt du? wer zu mir koͤmmt, muß einen Krug Apfelwein mit mir trinken und meine Geſchichte hoͤren; ſonſt laß ich ihn nicht von mir. Da! Freund Fromal ſoll leben!

Die großen Herren machten Friede, und bey mir gieng der Krieg an. Jch ſollte zu einer anſehnlichen Stelle erhoben werden, und meine Patrone machten alle Anſtalt da - zu. Gleich war ich wieder ein Jrrglaͤubiger; alles an mir, bis auf die Schuhſchnallen, war heterodox. Jch mußte mich lange her - umtummeln und richtete doch nichts aus. Jch behielt Unrecht: denn ich lag unter. Siehſt du, Bruͤderchen? Jch mußte vorlieb nehmen, was ſie mir gaben: die mich vor - her, als ich uͤber ſie wollte, haßten und ver - folgten, thaten mir izt Gutes was ichE 268bey meiner Einnahme ſehr brauchte recht viel Gutes, weil ich unter ihnen war.

Jn dieſem Aemtchen nahm ich meine ver - ſtorbne Frau. Die Thraͤnen ſtanden ihm ſchon in den Augen, als er ſie nur nennte; und er fuhr ſchluchzend fort: Ach, Bruͤder - chen, das beſte Weibchen unter der Sonne! Jch moͤchte heute noch ſterben, um ſie wieder - zuſehn: ſie war ſo gut! ſo treuherzig! wahr - haftig, ich bin nur ein Schurke gegen ſie. Daß doch die guten Leute ſo fruͤhzeitig ſter - ben! das herzeliebe Weib! Hier brach er in eine Fluth von Thraͤnen aus, die nicht in Tropfen ſondern in Einem Guſſe uͤber die Backen herabſchoſſen. Der Strom war noch in vollem Laufe, als der ganze Horizont ſei - nes Geſichts ſich ſchon wieder aufklaͤrte. Jhr ewiges Andenken, Bruͤderchen! rief er mit thraͤnenvollen Backen und froͤlicher Mine, und trank.

O Akante, murmelte Belphegor, koͤnnte ich ſo dein Andenken bey mir erneuern! Aber, du undankbare Schlange

Bruͤderchen, das Herze ſpringt mir, wie ein Lamm, wenn ich nur an einen Buchſta -69 ben von ihrem Namen denke. Die Thraͤ - nen ergoſſen ſich von neuem. Kein Wun - der, fuhr er nach einer kleinen Pauſe fort, daß ich um ihrentwillen ſo viel ausſtehn muß - te! Mein benachbarter Amtsbruder hatte ſchon lange um ſie geworben, und nun nahm ich ihm Hoffnung und Frau auf einmal weg. Er wurde neidiſch; er ſchwaͤrzte mich bey un - ſerm Superintendenten an, und machte mich abermals zum Ketzer. Meine paͤbſtlichen je - ſuitiſchen Meinungen ſollten mir noch anhaͤn - gen; tauſend Ungereimtheiten dichtete er mir an, an die ich niemals gedacht hatte. Siehſt du, Bruͤderchen? ich ſollte in Unterſuchung kommen; es geſchah auch. Jch focht mich ritterlich durch, oder vielmehr der Superin - tendent half mir durch, weil er ein Feind vom Praͤſidenten war, und meine Gegner die - ſen auf ihre Seite gebracht hatten, weswegen jener gleich zu meiner uͤbergieng, um nur den Mann zu uͤberſtimmen, den er toͤdtlich haßte, weil er Praͤſident und eine ganze Stufe uͤber ihn war.

Aber, Bruͤderchen, es war doch nicht zu dulden: ich wurde auch bey meiner Gemeine wegen großer Jrrlehren verdaͤchtig gemacht;E 370ich nahm kurz weg meine Partie, bewarb mich um ein ander Amt und kam hieher. Meine gute Fran ließ ich hier begraben; ſiehſt du, Bruͤderchen? hier in der Ecke ſtarb ſie --- ſieben Kinder --- er ſtockte vor Wehmuth. Doch die Vorſicht lebt noch, fuhr er erheitert fort, meine Kinder ſind ver - ſorgt: morgen wandre ich fort: meine Moͤ - beln ſind voraus. Siehſt du, Bruͤderchen? wie ich dir ſagte, ich ließ ein Woͤrtchen zu viel fallen; und ich bin geplagt worden! ich bin geplagt worden! Jch dachte, lange ſollt ihr mich nicht plagen; ich fand ein andres Aemtchen, und ſo lebt wohl! Morgen geh ich; aber trink, Bruͤderchen! der Apfelwein muß heute alle werden. Jch habe erzaͤhlt: nun, Bruͤderchen, erzaͤhle du! Willſt du mit mir, ſo ſteht dir mein kuͤnftiges Haus offen, Nu, erzaͤhle!

Belphegor erzaͤhlte ihm darauf ſeine ganze tragiſche Geſchichte von Akantens unbarm - herziger Verweiſung bis zu ſeiner Einquarti - rung zwiſchen Himmel und Erden. Den Be - ſchluß machte eine klaͤgliche Apoſtrophe an Akanten, die er ein Demantherz, einen Feuer - ſtein, eine Tigerinn, Loͤwinn ſchimpfte, und71 verſprach ihr als ein ehrlicher Mann, ſie von Herzen zu haſſen, und wenn es ſeyn koͤnnte, gar zu vergeſſen.

Des Morgens darauf wanderte Medar - dus mit Belphegorn aus, um ihre Reiſe bis an den Ort zuſammen zu thun, wo jener ſein neues Amt antreten ſollte. Belphegor gieng mit ſchwerem Herzen und traurigen Ahndun - gen wieder in die offne Welt aus, und wuͤrde vermuthlich noch tauſendmal unmuthiger die - ſe Ausflucht unternommen haben, wenn er nicht einen ſo wohlmeinenden gutherzigen Freund an ſeinem Begleiter gehabt haͤtte. Medardus nahm von der Wohnung und dem Orte, wo er ſein Liebſtes zuruͤckließ, mit den weichmuͤthigſten Thraͤnen Abſchied, und ehe er noch ausgeweint hatte, kehrte er ſich um, faßte ſeinen Reiſegefaͤhrten bey der Hand und ſagte mit lebhafter Froͤlichkeit zu ihm, als er ſeine verſtoͤrte Mine erblickte: Bruͤderchen, ſey gutes Muthes! Die Vorſicht iſt uͤberall.

Aber auch die Welt! unterbrach ihn Bel - phegor. O Fromal! daß du Recht hatteſt, als du mich lehrteſt, uͤberall ſey Krieg. Jch, Elender, trage die traurigſten Beweiſe, daßE 472du die Wahrheit ſagteſt: doch dies ſollen die lezten ſeyn. Freund, rief er, indem er den Medardus haſtig ergriff, Freund, wo ich bey den haͤßlichſten Ungerechtigkeiten mehr als mitleidiger traurender Zuſchauer bin, wo ich nur Ein ſtrafendes Wort uͤber meine Lip - pen kommen laſſe, ſo loͤſe, reiße, ſchneide, ſenge mir meine Zunge von der Wurzel aus, wie du willſt! Mag die ganze Erde ſich um mich in Faktionen zertheilen und ſich um das elendeſte Nichts, um Seifenblaſen herumſchla - gen ich ſchweige, ich huͤlle mich nach dei - nem Rathe, Fromal, in die dickſte Unem - pfindlichkeit und ſehe zu.

Ja, Bruͤderchen, ſagte Medardus, ich laſſe auch gewiß kein Woͤrtchen wieder fallen, und wenn die Staͤrkern die Schwaͤchern le - bendig aͤßen.

Jhr Weg war viele Tagereiſen lang, de - ren Anzahl um ſo viel ſtaͤrker wurde, da ſie jeden Tag nur langſam ein Paar Meilen fort - giengen. Bey ihrer zweiten Einkehr fanden ſie einen heftigen Krieg in dem Wirthshauſe, der einen großen Trupp Zuſchauer herbeyge - lockt hatte. Ein Mann von ehrbarem An -73 ſehn mishandelte einen Juden auf das haͤr - teſte, dem er unaufhoͤrliche Vorwuͤrfe mach - te, aus welchen man ſchließen konnte, daß ihn der Hebraͤer betrogen haben mußte.

Freund, ziſchelte Belphegor ſeinem Ge - faͤhrten leiſe ins Ohr, ſiehe! wo der Menſch nicht mit Gewalt unterdruͤcken kann, da un - terdruͤckt er mit Liſt, da betriegt er. Jm - mer Menſch wider Menſchen!

Als der thaͤtlichſte Theil des Streits vor - uͤber war, ließ ſich der Zorn in Worte aus: man legte die Waffen nieder und kehrte ſich zu einem muͤndlichen Prozeſſe.

Der Mann, der den Juden mishandelte, war der Statthalter und Juſtizpfleger des Orts. Nachdem er dem Jſraeliten, der izt mit den empfangenen Schlaͤgen noch zu viel zu thun hatte, um ſeine Einreden anders als in den Bart zu murmeln, ſeine Titel und Macht umſtaͤndlich explicirt und ihm dabey begreiflich gemacht, daß, obwohln er anbe - fugter Maßen ihn mit haͤrterer Strafe haͤtte belegen koͤnnen, er doch ſich nicht entbrochen habe, ihm die Ehre anzuthun und ſeinen Ruͤ - cken in eigner hoher Perſon den tragendenE 574Richterzepter empfinden zu laſſen. Schließ - lichen ſezte er hinzu, daß er aus Chriſten - pflicht ſchon verbunden geweſen waͤre, ihn fuͤr ſeine Betriegerey ſo kurz weg zu beſtra - fen, da er ohnehin ſo bettelarm waͤre, daß es nicht die Muͤhe belohnte, ihn in der gehoͤ - rigen Form zu beſtrafen. Du Hund von Juden! Du Betrieger!

Was? rief der Jude mit ſeinem juͤdiſchen Tone, hott der Herr nit mich zuerſt betrogen? Hott er mir nit Pfaͤrdel verkoft, Pfaͤrdel, das war blind, das war ſteif, das hotte ein angeleimt Schwanz, das war nit zwaͤ Thaͤl - ler werth, und hobe gegaͤben dem Herrn, ho - be gegaͤben achzig Reichsthaͤller! achzig Reichsthaͤller, ſo wahr ich leb!

Nachdem und alldieweiln du ein Jude biſt, als kann dir mit einem ſolchen Traktamente nicht Unrecht geſchehen.

Nu, wohl! weil der Herr Chriſt iſt, ſo dorf mirs der Herr nit uͤbel naͤhm, daß ich ihn wieder betrieg: der Herr hott mich be - trogen zuerſt: wir ſind beede Betrieger.

Der Andre war wegen der großen Anzahl der Anweſenden etwas betroffen. Jhr75 Chriſten, fuhr der Jude, der deswegen Herz ſchoͤpfte, in der naͤmlichen Sprache fort, ihr ſeyd ſaubere Leute; wenn ihr einen armen Juden anfuͤhrt, ſo glaubt ihr, ihr habt noch ſo viel gethan; und wenn wir uns raͤchen, ſo beſtraft ihr uns als Miſſethaͤter: ihr habt uns doch das Beiſpiel dazu gegeben. Jhr verachtet uns, als die elendeſten Kreaturen, und wenn ihr Geld braucht, ſind wir doch die liebſten ſchoͤnſten Leute. Sind wir nicht Menſchen? Wenn ihr immer an uns zapft, ſo muͤſſen wir euch betriegen, um beſtaͤndig voll zu ſeyn, wenn ihr zapfen wollt.

Da er ſahe, daß ſein Gegner immer ver - ſchaͤmter wurde, ſo wuchs ſein Herz zuſehends. Er drohte, ihn bey einem halben Dutzend Excellenzen und ein Paar Durchlauchten zu verklagen, die er insgeſamt ſehr genau, wie Bruͤder, kennen wollte, und doch weiter nicht, als jeder unter den Anweſenden dem Na - men nach kannte; und da er in der groͤßten Hitze ſeinen Gegner zur Thuͤr hinausgedon - nert hatte, ſo wandte er ſich mit ruhiger Hoͤflichkeit zu Belphegorn: hat der Herr nicks zu ſchackern? zu ſchackern? fragte er und nannte ihm eine Menge Materialien her, mit76 welchen er zu ſchackern wuͤnſchte: da er aber keine Antwort erhielt, ſo that er an andre noch etlichemal aͤhnliche vergebliche Anfragen und begab ſich fort.

Belphegor, der eine Heldenſtaͤrke gebraucht hatte, um ſeine Zunge und ſeinen Unwillen zuruͤckzuhalten, faßte ſeinen Freund bey dem Arme und bat ihn, mit ihm an die friſche Luft zu gehn. O, rief er, als ſie in einem kleinen Baumgarten angelangt waren, und ſchlug mit Bewegung die Haͤnde zuſammen iſt das der Menſch, der edle, freundſchaft - liche, geſellige Menſch, dies empfindende, denkende, mitleidige Thier, wie ich mir ihn ſonſt abmahlte? So viel ich ihrer bis hieher geſehn habe, alle waren Raubthiere; alle laurten auf einander, ſich mit Liſt oder Ge - walt zu ſchaden: einer war, wo nicht der Feind des andern, doch nur ſo lange ſein Freund, als er unter ihm war, und gleich weniger, ſo bald er uͤber ihn ſtieg: alles misbrauchte ſeine Staͤrke zur Unterdruͤckung. Bedenke, wie ungerecht war dieſer Mann, einen Elenden zu mishandeln, weil er zu ei - ner Nation gehoͤrte, die wir zum Ziele unſrer Verachtung und Eigennuͤtzigkeit hingeſtellt77 haben: die wir gezwungen haben, Betrieger zu werden, weil wir ihnen alle Mittel ab - ſchneiden, ehrlich ſich zu erhalten, weil wir ſie zu einer Geldquelle beſtimmen, aus wel - cher jedermann ſchoͤpfen will, und verlangen, daß ſie nie verſiegen ſoll.

Siehſt du, Bruͤderchen? antwortete ihm Medardus, das iſt immer ſo geweſen. Die Chriſten, die ſich uͤber alle Voͤlker des Erdbo - dens, uͤber die weiſeſten Griechen und Roͤ - mer erhoben haben, weil dieſe kein Wort von der Naͤchſtenliebe ſagen die barmherzigen, ſanftmuͤthigen Chriſten, die es bis auf dieſe Stunde den Heiden vorwerfen, daß ſie ihren Feinden nicht, wie Theaterhelden, großmuͤ - thig vergaben, ſondern Beleidigungen auf der Stelle ahndeten dieſe Chriſten haben von jeher es fuͤr ihre heiligſte Pflicht gehal - ten, die armen Hebraͤer zu peinigen, zu quaͤ - len, auszuſaugen, und noch izt, in unſerm lichthellen Jahrhunderte ſieht es ein großer Theil als eine Wohlthat an, dieſem irrenden Volke menſchlich zu begegnen.

Die Nation hat ſich freilich ſelbſt unter die Wuͤrde der Menſchheit herabgeſezt

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Siehſt du, Bruͤderchen? durch unſre Schuld! Wir ſchwatzen an allen Enden und Orten von Mitleid und edlen Empfindungen und haſſen die armen Jſraeliten auf den Tod. Wir haben angefangen zu haſſen; das kann ich ihnen nicht uͤbel deuten, daß ſie ein Ge - ſchlecht, das ſie haßt, nicht lieben. Weil wir die Maͤchtigern waren, unterdruͤckten wir ſie: da ſie ſich durch die Staͤrke nicht verthei - digen konnten, fuͤhrten ſie den Krieg mit uns durch Haß und Betrug. Jedes Menſchenge - ſchoͤpf ergreift zu ſeiner Selbſtvertheidigung die Waffen, die es erhaſchen kann. Mit Schauern denke ich noch daran, Bruͤderchen; betrachte nur! Ein Koͤnig von Frankreich trat einem Juden in hoͤchſteigner Perſon einſt - mals ſeine Zaͤhne aus, um Geld von ihm auszupreſſen, und ließ ſich fuͤr die Operation eines jeden Zahns eine ungeheure Summe bezahlen. Man ließ die Juden Geld entrich - ten, weil ſie Juden waren, und ſtrafte ſie um Geld, wenn ſie Chriſten wurden. Hoͤre, Bruͤderchen, wie hieß denn der Graf bey den Kreuzzuͤgen? Ach, Graf Emiko! Der Barbar ließ ihnen die Baͤuche aufſchneiden, ließ die armen Teufel[b]omiren, purgiren, um79 zu ſehen, ob ſie ein Paar elende Goldſtuͤcken in ſich zuruͤckgelegt hatten. Siehſt du, Bruͤ - derchen? Jn Spanien iſt kein Auto da Fe Gott angenehm, wenn nicht ein Jude dabey lodert; und am Ende ſollen ſie gar, wie die Aliden ihnen prophezeihn, auf den Tuͤrken, wie auf Eſeln, in die Hoͤlle traben. Siehſt du, Bruͤderchen? Jch liebe zuweilen ſo etwas aus der Hiſtorie: wenn wir nur ein Glas Apfelwein hier haͤtten, ſo wollt ich dir manch Anekdotchen von der Art erzaͤhlen.

Freund, ich habe genug! ſagte Belphegor; ich habe genug geſehn und gehoͤrt, um zu wiſſen, daß Fromal, daß der kaltherzige Rich - ter Recht hatten: es iſt immer ſo geweſen, daß Menſchen Menſchen quaͤlten, und der Staͤrkre den Schwaͤchern zermalmte. O koͤnnte ich dem kalten Schneemanne die Zun - ge ausreißen, und dadurch machen, daß er eine Luͤge geſagt haͤtte! Traurig, hoͤchſt - traurig! wenn unſre hohe große Jdee von dem Menſchen mit jedem Tage mehr zuſam - menſchmilzt! und vielleicht zulezt gar nur ein veraͤchtlicher Haufen Unrath uͤbrig bleibt! Wie wohl war mir, Freund, da in der Ein - ſamkeit meine geſchaͤftige Fantaſie und mein80 Herz aus allen moraliſchen Vollkommenhei - ten einen Koloß zuſammenſezten und ihn den Menſchen nannten: ich duͤnkte mir ſelbſt groß und erhaben, weil ich mein Geſchlecht dafuͤr hielt: meine ganze Ausſicht war in mich ſelbſt konzentrirt und laß michs of - fenherzig geſtehn! ich ſah nichts als Gu - tes, nichts als Liebenswuͤrdiges. Ein fan - taſtiſcher Traum, aber wahrhaftig ſuͤß! Wenn ich izt ausgetraͤumt habe, wenn dies wachen heißt, ſo habe ich unendlich verlo - ren, daß ich nicht mein ganzes Leben in dem Schooße der Einbildung verſchlummerte: denn izt ſcheine ich mir ſelbſt aus einem Kau - kaſus in einen Ameiſenhaufen zuſammenge - ſchrumpft, und der Stolz auf die Menſchheit liegt darunter begraben. O Akante! Akante! wehe dir, daß du mich aus dieſem engen Geſichtskreiſe in die weite Ausſicht der Welt hinausſtießeſt! Wenn du nicht waͤreſt, Freund, wo ſollte alsdann meine Empfin - dung etwas finden, um ſich anzuhaͤngen; und wie oͤde iſt ein Leben, wo unſer Gefuͤhl immer im Finſtern herumtappt und nie einen Gegen - ſtand erhaſcht, den es umarmen kann! Er ſprach dies mit einer affektvollen Bewegung.

Siehſt81

Siehſt du, Bruͤderchen? troͤſtete ihn Me - dardus mit gutherzigem Ton die Vorſicht lebt noch. Ungluͤck iſt immer zu etwas gut: wenn du gleich in Millionen Stuͤcken zerhauen und auf dem Roſte geroͤſtet wirſt, das kann immer zu etwas gut ſeyn: du weißt es nur nicht. Wenn ich nur einen Krug Apfel - wein hier haͤtte, ſo wollte ich dir ſchon Muth zutrinken. Komm, Bruͤderchen, ich moͤch - te doch wiſſen, was es fuͤr ein Mann iſt, der den armen Juden um achzig Thaler ſo ſchaͤndlich betrogen hat.

Sie kehrten in die Stube zuruͤck, um dar - uͤber Erkundigung einzuziehn. Der Wirth bezeigte ſich anfangs ſehr zuruͤckhaltend, als er ſich aber ſorgfaͤltig umgeſehn und keinen Belauſcher bemerkt hatte, ſo ſchuͤttete er ſein Herz gern aus und that ihnen zu wiſſen, daß dieſer Mann der ſchaͤndlichſte Unterdruͤcker des Erdbodens ſey. Wir armen Leute, ſprach er, die wir unter ſeiner Gerichtspflege ſtehen, wir ſind ſeine Schafe, denen er die Wolle ab - nimmt, ſo bald ſie nur ein wenig gewachſen iſt; und mannichmal faͤhrt uns ſeine Scheere gar ins Fleiſch, daß wir uns verbluten moͤch - ten. Er weis jede Kleinigkeit zu einem Ver -F82brechen zu machen; und dann ſtraft er! und wer nicht gar bis auf die Haut ausgezogen ſeyn will, der legt herzlich gern alle zehn Fin - ger auf den Mund: jedermann giebt gern, ſo viel er verlangt, und ſchweigt, damit er nur nicht mehr als andre geben muß. Alle Rechte und Freiheiten, die wir ſo nach und nach durch die Laͤnge der Zeit erlangt haben, Kleinigkeiten, die den Armen viel und den Reichen wenig helfen, macht er uns ſtreitig, legt uns neue Buͤrden auf, und weis allemal ein altes Recht vorzuſchuͤtzen. Wenn wir uns beſchweren wollten, ſo haͤlfe das zu wei - ter nichts, als daß er uns nun die Wolle ausraufte, da er ſie izt abſchiert. Er haͤlt ein halbes Dutzend Spione, vor denen man nicht eiu Woͤrtchen entwiſchen laſſen darf, die zuweilen gar durch verfaͤngliche Fragen etwas herauslocken wollen: man muß ſich huͤten! ſonſt findet er gleich eine Gelegenheit, daß man unter ſein Meſſer fallen muß. Seine Spione werden immer haͤufiger: denn jeder denkt, ſich das Geben zu erleichtern, wenn er ihm andre zum Pluͤndern ſchafft: ſo muß ein ehrlicher Mann den Kummer und Aerger in ſich nagen laſſen und darf ihn nicht ein -83 mal jemandem anvertrauen, aus Furcht, er moͤchte an einen Falſchen kommen und ſich ihn nur noch vermehren. Den armen Ju - den hat er um achzig baare Thaler betrogen, oben drein noch ausgepruͤgelt, als ihn dieſer wieder angefuͤhrt hatte: und mit Klagen richtet niemand etwas gegen ihn aus: er weis ſich herauszuſchwatzen ich glaube, wenn er uns alle umbraͤchte. Wider den Staͤrkern iſt keine Juſtiz.

Hol der Teufel den Schurken! rief Bel - phegor und ſtampfte ergrimmt auf den Tiſch. Komm, Freund! wir wollen ihm das ver - dammte Schelmenherz aus dem Leibe reißen!

Ja, Bruͤderchen, ich moͤchte, daß ihm im Leben kein Tropfen Apfelwein mehr ſchmeckte! dem Boͤſewicht! ſprach Medardus und warf ſeinen Hut auf den Tiſch.

Gott! mir glůht meine Stirn bis zum Verbrennen, daß ich einen ſolchen Unterdruͤ - cker mit mir zu Einem Geſchlechte rechnen ſoll. Komm, Freund, wir wollen ihn fuͤh - len laſſen.

Naͤrrchen, wir ſind ja in ſeiner Gerichts - pflege: Unterdruͤckern muß man nicht dieF 284Spitze bieten, ſondern aus dem Wege gehn. Komm, Bruͤderchen! nicht eine Minute laͤn - ger wollen wir die Luft hier athmen, ſie moͤchte in ſeiner Lunge geweſen ſeyn.

Belphegorn fiel der Gehorſam ſchwer; aber er erinnerte ſich ſeines Entſchluſſes und der Verwuͤnſchungen, die er auf die Brechung deſſelben geſezt hatte: er nahm alſo ſeinen Abſchied und begnuͤgte ſich, ſeinem Zorne un - terwegs durch Ergießungen gegen ſeinen Be - gleiter Luft zu machen.

Da die Tage heiß waren, ſo nuͤzten ſie den kuͤhlen Morgen, um ſich mit ihrer Reiſe deſto weniger zu ermuͤden. Eines Morgens langten ſie bey einem Truppe nicht allzu ho - her Erlenſtraͤuche an, die ein natuͤrliches Ka - binet bildeten, ſo einladend, daß man ohne Undankbarkeit nicht vorbeygehen zu koͤnnen ſchien: ſie ſezten ſich nieder. Kurz nach ih - rer Niederlaſſung zeigte ſich ihnen ein Frauen - zimmmer, das bey ihrer Annaͤherung einige Verlegenheit in der Mine verrieth, doch ſich bald wieder faßte und unerſchrocken auf ſie zukam. Ohne die geringſte Eingangsrede rief ſie ſogleich: Belphegor, ich komme nur,85 dir zu zeigen, daß du gerochen biſt, dann will ich wieder in mein Elend zuruͤckwandern. Sieh mich ein einzigesmal an, und ſage: ich bin gerochen! dann habe ich genug.

Ach, um des Himmels willen! ſchrie Bel - phegor Akante! Akante! O du Unge - treue! du Schamloſe! du Verraͤtherinn!

Jch verdiene dieſe Namen nicht, wenn du gerecht ſeyn willſt.

Verdienſt ſie nicht? Du, die mich zur Thuͤre hinauswarf und meine Huͤfte auf zween Tage laͤhmte? du, die mich dem Hoh - ne preis gab und einem reichern Buhler in die Arme lief.

Alles that ich, aber nur auf deines Freun - des Befehl. Ungluͤcklich warſt du in der Wahl deiner Freunde, aber nicht deiner Ge - liebten.

Welcher Freund, Ungeheuer? denkſt du mich durch eine ſchoͤne Fabel zu taͤuſchen?

Nein, das brauche ich nicht: die Wahr - heit iſt meine beſte Schuzrede. Dein Freund, Fromal, der Argliſtige hat unſre Liebe zerriſ - ſen und mich verleitet, die haͤrteſte Ungerech -F 386tigkeit an dir zu begehn. Er war der rei - chere Buhler, wie du ihn nennſt, der mich aus deinen Armen empfieng.

Unſinnige! du luͤgſt! Er, der mich troͤſtete, der mir mit der thaͤtigſten Liebe bey - ſprang, der mich mit Rath und Belehrung erquickte, waͤhrend daß du am Fenſter in der Umarmung meines Verdraͤngers, mit der un - verzeihlichſten Frechheit meines Elendes ſpot - teteſt!

Jch deiner ſpottete! Gewiß, dein Groll machte falſche Auslegungen. Mein Herz blutete mir, als ich dich ſo gewaltſam verab - ſchieden mußte, und Schmerz und Reue nag - ten in mir, indeſſen daß mein Mund laͤchelte.

O du Sirene! Haͤtte ſich dein Herz lieber ganz verblutet, daß du mich mit einer ſolchen Erdichtung nicht hintergehn koͤnnteſt!

Jch ſchwoͤre dir, keine Erdichtung! Du warſt arm; ich brauchte Geld: Fromal und ein Andrer boten ſich mir zu gleicher Zeit an: beide gaben vor, reich zu ſeyn, oder waren es wirklich. Das ſchwache eigennuͤtzige Wei - berherz! willſt du von dem Heldenthaten fodern? Meine Liebe war leider! auf den87 Eigennuz gepfropft: ſollte die Frucht beſſer ſeyn, als die Saͤfte, die ihr der Stamm zu - fuͤhrte? Jch mußte mich von Dir tren - nen, oder voll Treue mit Dir verhungern. Fromal verlangte ſchlechterdings, dir einen ſo empfindlichen Abſchied zu geben; was konnte ich thun? Jch mußte mich zwin - gen, ihm zu gehorchen, oder ihn verlieren: der Wechſel war ſchrecklich: der Eigennuz draͤngte auf mich los, ich ließ mich uͤberre - den, ich veruͤbte die Gewaltthaͤtigkeit an dir, und wuͤnſchte ſie, durch Reue ungeſchehen machen zu koͤnnen. Belphegor, in Thraͤnen habe ich geſchwommen, in den heißeſten Thraͤ - nen, wenn der Gedanke an meine Ungerech - tigkeit in mich zuruͤckkam.

O wenn ich dir nur glauben duͤrfte!

Du mußt, wenn du nicht die Wahrheit verwerfen willſt. Jch wandte mich von dir zu dem Ungluͤcklichen, der mit Fromaln dich verdraͤngte, und den dieſer Barbar ſei - ner Misgunſt und Eiferſucht aufopferte

Unverſchaͤmte! wagſt du auch die Ehre meines Freundes zu beſchmeißen, Jnſekt? Erdichtung! Geh! mein Freund

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Hat ihn in meinem Schooße ermor - det! Er, der gewiſſenloſe Fromal hat ihn er - mordet! Lange wußte er nicht, daß ein Andrer meine Liebe mit ihm theilte: ich waͤre auf der Stelle das Opfer ſeiner blutgierigen Eiferſucht geworden, ſo bald ich ihm den mindeſten Verdacht gegeben haͤtte. Doch endlich uͤberraſchte er meine Vorſichtigkeit: er traf ihn in meinen Armen an, und gleich gluͤhte ihm die Stirn, ſeine Augen waͤlzten ſich, wie drohende Kometen; er ergriff ein Meſſer und durchſtach den Ungluͤcklichen, daß er in meinen Schooß ſank. Schon holte er aus, um mich gleichfalls ſeiner Wuth auf - zuopfern, als auf mein Rufen zween Leute herbeyſprangen, den unbaͤndigen Loͤwen zu zaͤhmen Die Furcht gab mir in der Ge - ſchwindigkeit den Einfall zu entfliehen, um den Unterſuchungen der Juſtiz zu entgehen: Liebhaber, Geld, Kleider, Moͤbeln alles verließ ich und rettete mich gluͤcklich uͤber die Graͤnzen.

Und was wurde aus Fromaln? Doch was glaube ich denn ſolche Erdichtungen, die die Leute im Stehen einſchlaͤfern koͤn -89 nen? Schweig, Betriegerinn! ich will nichts weiter hoͤren.

Belphegor, du mußt es hoͤren um zu ſehen, wie du gerochen biſt.

Luͤgen! ſo muͤßte