PRIMS Full-text transcription (HTML)
[figure]
Vernuͤnfftige Gedancken Von dem Geſellſchafftlichen Leben der Menſchen
Und inſonderheit Dem gemeinen Weſen Zu Befoͤrderung der Gluͤckſeeligkeit des menſch - lichen Geſchlechtes
Mit Koͤnigl. Pohln. und Churfuͤrſtl. Saͤchſ. allergnaͤdigſtem privilegio.
Halle im Magdeburgiſchen,1721.Zu finden in der Rengeriſchen Buchhandlung.
[figure]

Vorrede. Beneigter Leſer.

MEin gegenwaͤrtiges Vor - haben iſt gruͤndlich und ausfuͤhrlich zu zeigen, wie die Menſchen mit vereinigten Kraͤfften ihre Gluͤckſeelig - keit befoͤrdern koͤnnen. Waͤre bey al - len Menſchen Verſtand und Tugend, ſo wuͤrde ein jeder aufrichtig und frey - willig zur gemeinen Wohlfahrt beytra - gen, was in ſeinen Kraͤfften und ſeinem) (2Ver -Vorrede. Vermoͤgen ſtuͤnde: allein da leider! der groͤſte Theil der Menſchen von beydem wenig beſitzet, ſo hindert nicht nur ei - ner des andern Gluͤckſeeligkeit, die er befoͤrdern ſolte, theils oͤffentlich und ohne Scheue, theils unter dem Vor - wande des Guten, damit die ſchaͤdliche interesſirte Abſichten verdecket werden; ſondern viele verfallen auch aus Un - wiſſenheit und Thorheit auf verderbli - che Anſchlaͤge bey ihrem feſten Vorſa - tze des Landes Wohlfahrt zu befoͤrdern. Es iſt freylich wahr, daß es in keinem gemeinen Weſen beſſer hergehen wuͤrde, als wo alles mit Vernunfft geſchaͤhe, das iſt, wo jedermann in allen vorkom - menden Faͤllen zureichenden Verſtand und genung Tugend haͤtte: allein da wir ſolche Menſchen auf unſerem Erd - boden nicht antreffen, ſo laͤſſet ſich auch hier kein ſo vollkommener Staat ein - richten. Nun waͤre wohl nicht alleMuͤheVorrede. Muͤhe gantz vergebens, wann man der - gleichen vollkommenen Staat beſchrei - ben wolte: denn er waͤre ein Spiegel, darinnen wir die Unvollkommenheit unſerer Staate erblicken koͤnten, und ein Probier-Stein, daran ſich das Gu - te in unſeren Staaten zu erkennen gaͤ - be. Allein da ich mir vor dieſesmahl nichts weiter vorgenommen, als nach meiner Art, das iſt, deutlich und gruͤnd - lich zu zeigen, wie ſich ein Staat auf unſerem Erdboden einrichten laͤſſet; ſo habe ich auch ſolche Menſchen dazu neh - men muͤſſen, wie wir auf dem Erdbo - den antreffen. Man findet demnach in dieſem Buche zureichende Lehren, daraus man von allem demjenigen, was im gemeinen Weſen vorkom̃et, richtigen Grund anzeigen und alles, was zu ei - nem Staate gehoͤret, oder irgendswo darinnen angetroffen wird, vernuͤnff - tig beurtheilen kan. Wer meine Art) (3ver -Vorrede. verſtehet, nach der ich die Sachen vor - zutragen geſonnen, der wird befinden, wie weit die Wahrheiten von dem ge - meinen Weſen von den erſten Gruͤn - den der Erkaͤntnis entfernet ſind. Man ſiehet, daß ich mich hier beſtaͤn - dig auf die Wahrheiten beruffe, die in dem Buche von der Menſchen Thun und Laſſen, oder in der Moral, vorgetra - gen worden, und dadurch erkennet man, daß wer die Politiſchen Wahr - heiten gruͤndlich einſehen will, fuͤr allen Dingen die Moral wohl verſtehen muͤſſe. Nimmet man nun die Moral fuͤr die Hand, ſo ſiehet man ferner, daß man daſelbſt beſtaͤndig in das Buch von GOTT, der Welt und der Seele des Menſchen, auch allen Dingen uͤber - haupt, das iſt, in die Metaphyſick ver - wieſen wird, und dadurch lernet man, daß, wer die Moraliſchen Wahrheiten gruͤndlich einzuſehen verlanget, fuͤr al -lenVorrede. len Dingen in der Metaphyſick ſich wohl umbſehen muͤſſe. Woraus denn ferner erhellet, daß mehrere Muͤhe und groͤſſerer Fleiß dazu erfordert wird, wenn man die Moraliſchen Wahrheiten gruͤndlich erkennen ſol, als wenn man die Metaphyſiſchen begreif - fen wil: ingleichen daß es ſchweerer ſey die Politiſchen Wahrheiten gruͤndlich einzuſehen, als die Moraliſchen zu be - greiffen. Es wil aber noͤthig ſeyn, daß ich hier ein doppeltes Vorurtheil beneh - me, welches einige aus Misverſtaͤnd - nis meiner Worte ziehen doͤrfften. Es darf ſich niemand einbilden, als wenn er groͤſſere Geſchicklichkeit beſaͤſſe, in dem er moraliſche und politiſche Wahrhei - ten erkand, als ein anderer, der mit metaphyſiſchen zu thun hat. Denn dieſes findet bloß in dem Falle ſtat, wo die politiſchen und moraliſchen gruͤnd - lich erlernet und voͤllig begriffen wer - den, folgends eine gruͤndliche Erkaͤnt -) (4nisVorrede. nis der metaphyſiſchen mit darbey iſt. Wo es aber an der letzteren fehlet, da kan ſich keiner ruͤhmen, daß er die er - ſteren voͤllig begreiffet. Unterdeſſen iſt doch ein groſſer Unterſcheid, ob man dieſe Wahrheiten voͤllig begreiffet, oder nur oben hin anſiehet. Wer ſie voͤllig begreiffet, der iſt verſichert, daß er ſich niemahls den Schein wird blenden laſ - ſen, und das falſche fuͤr das wahre, das ſchlechtere an ſtat des beſſeren er - wehlen, noch auch aus Ubereilung ta - deln, was in der Vernunfft genung gegruͤndet iſt. Hingegen zeiget es die Erfahrung, wie diejenigen, welche ſie nur obenhin erkennen, ſich in ihren Ge - dancken oͤffters betruͤgen, auf viele Jrr - thuͤmer gerathen, und mit einer Heff - tigkeit tadeln, was vielmehr ruͤhmens wuͤrdig gefunden wird, wenn man es gruͤndlich unterſuchet. Man darf auch nicht meinen, als wenn die ErfahrungmirVorrede. mir zuwieder waͤre, indem ich behaup - te, es werde zu gruͤndlicher Erkaͤntnis der moraliſchen und politiſchen Wahr - heiten auch eine tiefe Einſicht in die me - taphyſiſchen erfordert. Denn man wird mir kein Exempel bringen koͤnnen, da einer ohne dieſe jene gruͤndlich er - kennete und voͤllig begriffe, wo man nur verſtehet, was dazu erfodert wird, daß man etwas gruͤndlich verſtehet und voͤllig begreiffet. Jch habe in mei - nen Schrifften, abſonderlich in den Ge - dancken von den Kraͤfften des Verſtan - des und in den andern von GOtt, der Welt und der Seele des Menſchen die - ſes ausfuͤhrlich erklaͤret. Wer alſo die Wahrheit meiner Worte einſehen, und fuͤr dieſem Vorurtheile ſich huͤten wil, der muß daſelbſt Unterricht ſuchen. Da nun aber die Metaphyſick, wie ich ſie nemlich abgehandelt, zu gruͤndlicher Erkaͤntnis der Staats-Kunſt noͤthig) (3iſt;Vorrede. iſt; ſo erkennet man hieraus, wie nuͤtz - lich dieſe Wiſſenſchafft ſey, und daß auch diejenigen ſich darauf zu legen haben, die in ihren kuͤnftigen Bedienungen fuͤr die gemeine Wohlfahrt zu ſorgen ha - ben. Jch ſetze mit Fleiß darzu, daß dieſes von der Metaphyſick zu verſte - hen ſey, wie ich ſie abgehandelt: denn ich leugne nicht, daß in dieſer Wiſſen - ſchafft bisher lauter Finſternis gewe - ſen, und alſo ihre Finſternis in den - brigen kein Licht hat anzuͤnden koͤnnen. Wer demnach die in gegenwaͤrtigem Tractate vorgetragene Wahrheiten wil begreiffen, der muß zuerſt meine Gedancken von GOtt, der Welt und der Seele des Menſchen, auch allen Dingen uͤberhaupt und nach dieſem die von der Menſchen Thun und Laſſen reiflich erwegen, wie es die Regeln er - fordern, die ich zu dem Ende in den Gedancken von den Kraͤfften des menſch -lichenVorrede. lichen Verſtandes vorgeſchrieben. Jch bin nemlich auch in dieſem Buche bey meiner gewoͤhnlichen Lehr-Art geblie - ben, und werde auch ins kuͤnfftige da - bey beſtaͤndig verbleiben, indem der ein - zige Weg zu gruͤndlicher Erkaͤntnis iſt, wenn man die Bedeutung aller Woͤr - ter in richtige Schrancken einſchlieſſet, und die folgenden Wahrheiten aus dem Vorhergehenden in einer beſtaͤndigen Verknuͤpffung herleitet. Es iſt wohl freylich wahr, daß ich alles noch weit mehr haͤtte zergliedern koͤnnen, wenn ich es in voͤlliger Deutlichkeit haͤtte ſe - tzen wollen; allein auf ſolche Weiſe wuͤrden aus ſehr vielen §§ gantze Capi - tel worden ſeyn, und waͤre das Buch groͤſſer und weitlaͤufftiger worden, als es der gegenwaͤrtige Zweck erfordert. Unterdeſſen habe ich doch uͤberall ſo viel Gruͤnde angezeiget, daß ein in dieſer Lehr-Art Geuͤbter die fernere Zerglie -derungVorrede. derung fuͤr ſich anſtellen kan. Was die Lehren ſelbſt betrifft, die ich hier be - haupte, ſo habe ich ſie ſo vorgetragen, wie ſie in der Vernunfft gegruͤndet ſind und kuͤmmere mich wenig darumb, ob alles unter uns ſo uͤblich iſt, oder nicht. Unterdeſſen wer dieſelbe wohl faſſet, der wird in dem Stande ſeyn alles das je - nige, was unter uns uͤblich iſt, vernuͤnff - tig zu beurtheilen. Es wird wohl nie - mand zweiffeln, daß die Wahrheiten, welche hier ausgefuͤhret werden, die nuͤtzlichſten ſind fuͤr das menſchliche Ge - ſchlechte, denn die gantze zeitliche Gluͤck - ſeelichkeit beruhet auf einem wohleinge - richteten Staate. Wo man wohl, das iſt, vernuͤnfftig regieret, da findet ein jeder ſein Vergnuͤgen, wo er nicht durch ſeine eigene Schuld daſſelbe ſtoͤhret, und ſein Gemuͤthe in Unruhe ſetzet. Hin - gegen wo unvernuͤnfftig regieret wird, da hat jedermann viel Mißvergnuͤgen,undVorrede. und muß ohne ſeine Schuld ſein Ge - muͤthe in Unruhe ſetzen laſſen. Die Sineſer haben von alten Zeiten her auf die Kunſt zu regieren vielen Fleiß ge - wendet: was ich aber in ihren Schriff - ten hin und wieder zur Probe zu un - terſuchen mich beflieſſen, das finde ich meinen Lehren gemaͤß. Derowegen da dieſes Volck in der Kunſt zu regieren alle uͤbertrifft und fuͤr allen den Ruhm er - halten; ſo iſt mir lieb, daß ich ihre Ma - ximen aus meinen Gruͤnden erweiſen kan. Vielleicht finde ich einmahl Ge - legenheit die Sitten - und Staats-Leh - re der Sineſer in Form einer Wiſſen - ſchafft zu bringen, da ſich die Harmo - nie mit meinen Lehren deutlich zeigen wird. Allein dieſe Arbeit muß deswe - gen noch weit hinaus geſetzt verbleiben, weil ich noch genung zu thun habe, ehe ich meine Lehren der Welt-Weißheit in ihrer voͤlligen Ausfuͤhrung dargeſtellet,wieVorrede. wie ich mich bereits anheiſchig gemacht und auch meinem Verſprechen nach - kommen werde, woferne mir GOTT noch laͤnger Leben und Geſundheit ver - leihet, und mich in ſolchen Umbſtaͤn - den laͤſſet, da ich der Verbeſſerung der Wiſſenſchafften ungehindert obliegen kan. Halle den 18. Aprilis A. 1721.

[figure]
[1]
[figure]

Vernuͤnfftige Gedancken von Dem geſellſchafftlichen Le - ben der Menſchen und Dem gemeinen Weſen.

Der I. Theil. Von den Beſellſchafften der Men - ſchen.

Das I. Capitel. Von den Geſellſchafften der Menſchen uͤberhaupt.

§. 1.

EJn Menſch iſt verbunden,War - umb der Menſch nicht in der Ein - ſamkeit leben darf. dem andern mit ſeinem Vermoͤgen (§. 907. & ſeqq. 961. 965. Mor.), ſeiner Ar - beit (§. 910. Mor.), ſeiner Huͤlfe (§. 972. Mor.) und ſeinem Exempel (§. 167. 188. 312. 321. 373. (Politick) A767.2Cap. 2. Von den Geſellſchafften767. Mor.) vielfaͤltig zu dienen. Da er nun dieſer Verbindlichkeit kein Gnuͤgen thun kan, wenn er vor ſich allein in der Einſamkeit lebet, ja auch in der Einſam - keitt ſeinen eigenen Zuſtand nicht ſo voll - kommen machen kan, als wenn er unter andern Menſchen lebet, den er doch ſo voll - kommen zu machen verbunden, als nur immer moͤglich iſt (§. 12 Mor.): ſo darf er nicht vor ſich wie die Thiere von andern Menſchen abgeſondert leben, vielmehr ſind die Menſchen verbunden, neben einander und mit einander zu leben, damit einer des andern Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern kan, ſo viel an ihm iſt (§. 767. Mor.). Thiere koͤnnen vor ſich von andern abgeſondert leben, weil ſie nicht viel brauchen und abſonderlich ei - nes von dem andern nicht viel lernen kan, wodurch es vollkommener wuͤrde. Jhr Leib iſt aus den Gliedmaſſen dergeſtalt zu - ſammengeſetzet, daß ſie von den Umſtaͤn - den der Faͤlle, in welche ſie gerathen, zu de - nen ihnen nuͤtzlichen Bewegungen determi - niret werden.

Was die Geſell - ſchaft iſt.

§. 2.

Wenn Menſchen mit einander ei - nes werden mit vereinigten Kraͤfften ihr be - ſtes worinnen zu befoͤrdern; ſo begeben ſie ſich mit einander in eine Geſellſchaft. Und demnach iſt die Geſellſchaft nichts anders als ein Vertrag einiger Perſonen mit ver -einig -3der Menſchen uͤberhaupt. einigten Kraͤften ihr Beſtes worinnen zu be - foͤrdern.

§. 3.

Den ungehinderten Fortgang inWorin - nen die Wohl - fahrt ei - ner Ge - ſellſchaft beſtehet. Befoͤrderung des gemeinen Beſtens, das man durch vereinigte Kraͤffte zu erhalten ge - dencket, nennet man die Wohlfahrt der Geſellſchafft. Zu dieſer Bewegung hat man guten Grund. Denn die Wohlfahrt einer Geſellſchafft koͤnnen wir nicht anders anſehen als das hoͤchſte Gut, was eine der - gleichen Geſellſchaft erreichen kan. Da nun dieſes in einem ungehinderten Fortgange zu groͤſſeren Vollkommenheiten beſtehet (§. 44. Mor.); ſo koͤnnen wir auch die Wohl - fahrt der Geſellſchafft in nichts anders fu - chen als in einem ungehinderten Fortgange in Befoͤrderung ihres gemeinen Beſten.

§. 4.

Da wir nun dieſe Wohlfahrt durch die Geſellſchafft zu erhalten gedencken (§. 3.);Abſicht der Ge - ſellſchaft und wie ſie unter - ſchieden werden. ſo iſt ſie die Abſicht der Geſellſchafft (§. 910 Met.) und die Geſellſchafft ein Mittel die gemeine Wohlfahrt zu befoͤrdern (§. 912. Met.). Da nun eine jede Geſellſchaft ei - ne gemeine Wohlfahrt hat, und ohne die - ſelbe nicht beſtehen kan (§. 2. 3. ); ſo hat jede Geſellſchafft ihre beſondere Abſicht, wo - durch ſie von einer anderen unterſchieden wird. Und ſolchergeſtalt muͤſſen die Ge - ſellſchafften aus ihren Abſichten unter - ſchieden, und dergeſtalt eingerichtet wer -A 2den,4Cap. 1. Von den Geſellſchaftenwerden, daß man darinnen dieſelben errei - chen kan.

Welche Geſell - ſchaften recht und unrecht ſind.

§. 5.

Da eine jede Geſellſchaft ein Ver - trag iſt (§. 2), kein Vertrag aber recht iſt, darinnen entweder von beyden Seiten, o - der nur von einer ſolche Dinge verſprochen werden, die dem Geſetze der Natur zuwie - der lauffen (§. 1010 Mor.); ſo kan auch kei - ne Geſellſchaft recht ſeyn, die etwas zu ih - rer Abſicht hat, was dem Geſetze der Na - tur zuwieder iſt, oder da von einer oder beyden Seiten etwas verſprochen wird, was ihm zuwiederlaͤufft; hingegen ſind alle Ge - ſellſchaften dem Geſetze der Natur gemaͤß, wenn beyderſeits nichts verſprochen wird, als was demſelben gemaͤß iſt.

Eine Ge - ſellſchaft ſtellet ei - ne Peꝛſon vor / und was dar - aus er - folget.

§. 6.

Weil in einer Geſellſchaft zwey oder mehrere Perſonen mit einander eines werden mit vereinigten Kraͤften ihr Beſtes worinnen zu befoͤrdern (§. 2); ſo ſind ſie in dieſem Stuͤcke nicht anders anzuſehen als eine Perſon, und haben demnach ein gemein - ſchaftliches Jntereſſe: folgends iſt es der Na - tur einer Geſellſchaft zuwieder, wenn man das Jntereſſe des einen dem Jntereſſe des andern, oder (welches gleichviel iſt) die Wol - fahrt des einen der Wohlfahrt des andern entgegen ſetzen will. Und erhellet hieraus ferner, daß es unrecht ſey, wenn einer in der Geſellſchaft ſeine Wohlfahrt mit Hint -an -5der Menſchen uͤberhaupt. anſetzung oder wohl gar mit Nachtheile des andern ſuchen will.

§. 7.

Gleichwie nun aber einer nichtWenn man in einer Ge - ſellſchaft nicht verblei - ben darf. verbunden iſt einen Vertrag zu halten, der dem Geſetze der Natur zuwieder iſt (§. 1011. Mor.); ſo iſt auch keiner gehalten in einer Geſellſchaft zu verbleiben, die unrecht iſt (§. 5) Und gleichwie man ferner nicht ver - bunden iſt einen Vertrag zu halten, dazu man durch Furcht oder Betrug verleitet worden (§. 1019. Mor.); ſo iſt man auch nicht ſchuldig in einer Geſellſchaft zu ver - bleiben, darein man durch Furcht oder Betrug gezogen worden (§. 2).

§. 8.

Wiederumb weil eine GeſellſchaftEs wird noch weiter ausge - fuͤhret. des gemeinen Beſtens halber eingegangen wird (§. 2), dieſes aber nicht erhalten wird, wenn einer oder einige ihren beſonderen Nutzen mit des andern ſeinem Schaden ſuchen; ſo iſt derjenige, der den Schaden hat, auch nicht gehalten in der Geſellſchaft zu verbleiben, woferne er ſich ohne noch groͤſſeren Schaden zu haben abſondern kan. Denn ſollten die Umbſtaͤnde ſo beſchaffen ſeyn, daß er aus der Geſellſchaft nicht kommen koͤnnte, als wenn er noch groͤſſe - ren Schaden uͤber ſich nehmen wollte; ſo waͤre er freylich verbunden den kleineren Schaden zu ertragen und in der Geſell - ſchaft zu verbleiben (§. 832. Mor.)

A 3§. 9.6Cap. 1. Von der Geſellſchaft
Wenn man von der Ge - ſellſchaft ſich nicht loß ſagen darf.

§. 9.

Da niemand den andern in Scha - den bringen darf (§. 824. Mor.); ſo koͤnnen wir auch nicht uns aus einer Geſell - ſchaft degeben, oder davon loß ſagen, das iſt, es ſtehet uns nicht frey uns zu erklaͤ - ren, daß wir laͤnger darinnen nicht verhar - ren wollen, wen dadurch der andere in Schaden geſetzet wird: woferne wir aber ſolches gleichwohl thun, ſo ſind wir ge - halten den Schaden zu erſetzen (§. 825 Mor.) Jm Gegentheile erhellet, daß wir uns loß ſagen koͤnnen, wenn dadurch dem andern kein Schaden erwaͤchſet, und zwar umb ſo viel mehr, wenn wir Schaden haben wuͤr - den, woferne wir darinnen verbleiben, der andere aber durch unſern Schaden nichts gewinnen wuͤrde (§. 832 Mor.).

Was in einer Ge - ſellſchaft nicht zu eꝛdulden.

§. 10.

Weil alle, die in einer Geſellſchaft neben einander und mit einander leben, alle ihre Kraͤffte anwenden ſollen, daß ſie die - jenige Abſicht erreichen, umb derer Wil - len ſie ſich in die Geſellſchaft begeben (§. 2. 4); ſo kan man nicht zugeben, daß einer oder der andere etwas vornehme, was der - ſelben zuwieder iſt. Woferne nun aber dergleichen geſchehen ſollte, ſo muß der da - durch verurſachte Schade von dem ſchul - digen Theile erſetzet werden (§. 825 Mor.), auch haben die uͤbrigen Recht, alle Mittel anzuwenden, wie ſie ihn zu Beobachtung ſeiner Pflicht bringen (§. 832 Mor.).

§. 11.7der Menſchen uͤberhaupt.

§. 11.

Nemlich da die Wohlfahrt derHaupt - Geſetze einer Ge - ſellſchaft. Geſellſchaft die einige Abſicht iſt, warumb man ſich darein begiebet (§. 4); alle beſon - dere Abſichten aber dergeſtalt einzurichten ſind, daß ſie endlich ein Mittel zur Haupt - Abſicht werden (§. 140. Mor.); ſo iſt dieſes die Regel, darnach diejenigen ihre Hand - lungen einzurichten haben, die in einer Ge - ſellſchaft mit einander leben, in ſo weit ſie nemlich in derſelben leben: Thue, was die Wohlfahrt der Geſellſchaft befoͤrdert; un - terlaß, was ihr hinderlich, oder ſonſt nachtheilig iſt. Da wir nun nach dieſer Regel unſere Handlungen einzurichten ver - bunden ſind; ſo iſt ſie das letzte Geſetze in einer Geſellſchaft, und ſaget man nicht oh - ne Grund, die gemeine Wohlfahrt iſt das hoͤchſte oder letzte Geſetze in einer Geſell - ſchaft. (§. 16. Mor.)

§. 12.

Derowegen wenn es geſchehenWenn die ge - meine Wohl - fahrt der beſonde - ren vor - zuziehen ſollte, daß die beſondere Wohlfahrt eines einigen, der in der Geſellſchaft lebet, mit der gemeinen Wohlfahrt nicht beſtehen koͤnnte, und dannenhero noͤthig waͤre, ei - ne Ausnahme zu machen (§. 165 Met.); ſo muͤſte die gemeine Wohlfahrt der beſon - deren vorgezogen, die beſondere aber der gemeinen nachgeſetzet werden. Man muß aber wohl darauf acht haben, daß man die gemeine Wohlfahrt nicht weiter erſtre -A 4cket,8Cap. 1. Von der Geſellſchaftſtrecket, als es die Abſicht der Geſellſchaft erfordert (§. 4).

Wenn Fremde denen in der Ge - ſellſchaft nachzuſe - tzen.

§. 13.

Wiederumb weil verſchiedene, die in einer Geſellſchaft mit einander leben, in Anſehung ihrer gemeinen Wohlfahrt als eine Perſon anzuſehen ſind (§. 6), wir aber nicht verbunden ſind anderen worinnen zu helffen, wenn wir dadurch uns ſelbſt ver - abſaͤumen muͤſſen (§. 770. Mor.); ſo iſt auch niemand verbunden andern zu helffen, wenn dadurch die Wohlfahrt deſſen, der mit uns in einer Geſellſchaft lebet, ſollte nachgeſetzet werden. Derowegen iſt der - ſelbe andern vorzuziehen, die nicht mit uns in einer Geſellſchaft leben.

Wie weit eine Ge - ſellſchafft der an - dern ver - bunden.

§. 14.

Gleichergeſtalt weil verſchiedene, die in einer Geſellſchaft mit einander le - ben, in Anſehung ihrer gemeinen Wohl - fahrt als eine Perſon anzuſehen ſind (§. 6); ſo ſind verſchiedene Geſellſchafften als ver - ſchiedene Perſonen anzuſehen. Was dem - nach eine Perſon einer andern ſchuldig iſt, das iſt auch eine Geſellſchaft der andern ſchuldig. Derowegen iſt eine Geſellſchaft nicht verbunden der andern dazu zuver - helffen, was ſie durch ihre eigene Kraͤffte erlangen kan (§. 769. Mor.); aber wohl dazu, was ſie nicht in ihrer Gewalt hat, wir aber in unſerer haben (§. 770. Mor.).

Unter - ſcheid der Geſell - ſchaften.

§. 15.

Diejenigen, welche in einer Ge - ſellſchafft neben einander leben, werdenMit -9der Menſchen uͤberhaupt. Mittglieder genennet. Wenn nun die Mittglieder eintzele Perſonen ſind, ſo nen - net man es eine einfache Geſellſchaft: ſind es aber einfache oder weniger zuſam - mengeſetzte Geſellſchaften, eine zuſammen - geſetzte Geſellſchaft. Weil man die einfachen Geſellſchafften als eintzele Perſo - nen anſehen kan (§. 6.); ſo kan man auch die zuſammengeſetzten als einfache anſe - hen.

Das 2. Capitel, Von dem Eheſtande.

§. 16.

UUnter die einfachen Geſellſchaften gehoͤ -Was der Eheſtand iſt. ret demnach der Eheſtand, welche Mann und Weib mit einander aufrich - ten, umb Kinder zu erzeugen und zu erziehen. Der Mann wird in Anſehung dieſer Ge - ſellſchaft der Eheherr; das Weib aber die Ehefrau genennet.

§. 17.

Weil die Kinder durch den Bey -Daß die Erzeu - gung der Kinder dem Geſe - tze der Natur gemaͤß. ſchlaff erzeuget werden, die Natur aber da - mit eine empfindliche Luſt verknuͤpffet, wodurch ſo wohl Mann als Weib zum Beyſchlaffe gereitzet werden, uͤber dieſes ſich auch bey einem vernuͤnftigen Men - ſchen eine natuͤrliche Neigung befindet ſein Geſchlechte fortzupflantzen, welche theils aus dem Vergnuͤgen entſtehet, was man an wohlgearteten und gerathenen KindernA 5hat10Cap. 2. Von dem Eheſtande. hat, theils aus der Begierde ſein Anden - cken in den Nachkommen zu erhalten, theils damit man jemanden habe, dem man nach ſeinem Tode das ſeinige uͤberlaͤſſet, theils aus andern Urſachen, wie ſolches alles die Erfahrung zur Genuͤge beſtaͤtiget; ſo hat die Natur viele Bewegungs-Gruͤnde mit der Erzeugung der Kinder verknuͤpffet und ver - bindet uns demnach dazu (§. 8. Mor.). Zu der Luſt im Beyſchlaffe kan man auch die Brunſt rechnen, wodurch Menſchen und Thiere zum Beyſchlaffe, ſonderlich jene das erſte mahl, angetrieben werden, da ſie von der Luſt, als einer unbekandten Sache, noch keinen Begriff haben.

Kinder / die man erzeuget / muß man auch auf - erziehen.

§. 18.

Da die Kinder ſich nicht ſelbſt auferziehen koͤnnen, ſo ſind die Eltern ſie aufzuerziehen verbunden (§. 770. Mor.). Derowegen muͤſſen diejenigen, welche ſich zuſammen begeben, Kinder zu zeugen, auch mit einander einig werden ſie zu er - ziehen. Und ſolchergeſtalt kan auch die Auferziehung von der Erzeugung nicht ge - trennet werden. Wir finden gar deutlich bey den Thieren, was der Winck der Na - tur in dieſem Stuͤcke iſt. Wo das Weib - lein allein ihre Jungen auferziehen kan, als wie bey den vierfuͤßigen Thieren geſchiehet, da bekuͤmmert ſich das Maͤnnlein weiter umb nichts als umb den Beyſchlaff, der - gleichen wir auch bey einigem Feder-Vie -he11Cap. 2. Von dem Eheſtande. he wahrnehmen, deren Junge, ſo bald ſie ausgekrochen, herumblauffen und vor ſich Speiſe zu ſich nehmen. Hingegen wo das Weiblein allein nicht zurechte kommen kan, bleibet das Maͤnnlein ſo lange bey ihr, bis die Jungen auferzogen ſind, wie wir insge - mein bey den Voͤgeln finden. Ja wo die Jungen ſich gleich ſelbſt verſorgen koͤnnen, bekuͤmmert ſich weder das Maͤnnlein, noch Weiblein umb ſie, als wie wir es bey den Raupen und anderem Ungeziefer ſehen.

§. 16.

Weil diejenigen, welche die Kin -Waꝛumb die Kin - der nicht auſſer der Ehe zu erzei - gen ſind. der erzeugen, ſie auch zu erziehen verbun - den ſind (§. 18); ſo gehet es nicht an, daß ſich viele ohne Unterſcheid zu einer Perſon legen: denn da in dieſem Falle ungewiß, wer der Vater iſt, die Mutter aber allein das Kind nicht verſorgen kan, ſo wuͤrde es entweder wegen der Verpflegung des Kin - des und ſeiner guten Auferziehung viel Streit geben, oder das Kind wuͤrde darun - ter leiden muͤſſen. Daher finden wir, daß auch unter den Thieren diejenigen Weiblein ohne Unterſcheid die Maͤnnlein zulaſſen, die vor ſich ihre Jungen auf bringen koͤnnen, o - der auch da die Jungen gar keiner Huͤlffe noͤthig haben: Hingegen wo das Weiblein allein ihre Jungen nicht auf bringen kan, da geſellet ſich nur ein einiges Maͤnnlein zu ihr und das Weiblein leidet keinen Fremden. Hierbey iſt noch dieſes zu erwegen, daß un -ter12Cap. 1. Von dem Eheſtande. ter den Menſchen gar vieler Streit, ja oͤfters Mord, daraus erfolgen wuͤrde, wenn jhrer viele eine Perſon begehreten: welches durch die Exempel der ungearteten Weibes-Bil - der aus der Erfahrung beſtetiget wird, die ihren Leib aus Geilheit zum gemeinen Ge - brauche vielen uͤberlaſſen. Wir werden auch nach dieſem begreiffen, daß die uͤbri - gen Geſellſchaften der Menſchen gar ſchlecht beſtehen wuͤrden, wenn man die Kinder auſ - ſer der Ehe erzeugen ſollte.

Warum der Ehe - ſtand noͤ - thig.

§. 20.

Derowegen, da es noͤthig iſt, daß Kinder erzeuget werden (§. 17), diejenigen aber, welche ſie erzeugen, auch verbunden ſind ſie aufzuerziehen (§. 18), dieſes aber nicht wohl geſchehen kan, wenn die Kin - der auſſer der Ehe erzeuget wuͤrden (§. 19); ſo iſt noͤthig, daß Mann und Weib ſich des - wegen mit einander in eine Geſellſchaft be - geben, und demnach iſt der Eheſtand dem Geſetze der Natur gemaͤß (§. 16).

Ein Zweiffel wird ge - hoben.

§. 21.

Vielleicht werden einige meinen, es waͤre ein Fall, da man auch auſſer der Ehe Kinder erzeugen koͤnte, ſo wohls als in der Ehe, ohne daß daraus einiges Unheil erfolgete. Z. E. Sempronius, der gerne ein Kind haben wollte, aber anderer Umb - ſtaͤnde wegen, die nicht unvernuͤnftig ſind, lieber verunehlichet leben will, wird mit Sophia einig ein Kind zu erzeugen und zur Aufferziehung allen noͤthigen Vorſchub zu -thun,13Cap. 2. Von dem Eheſtande. thun, auch ſie wegen ihrer dabey gehabten Muͤhe und Verſaͤumniß billig zu vergnuͤ - gen. Hier ſcheinet es das Anſehen zu ha - ben, als wenn nebſt der Erzeugung des Kin - des ſeine Auferziehung ſo wohl koͤnte beſor - get werden als in der Ehe, und man demnach auſſer der Ehe ſowohl als in derſelben Kin - der erzeugen und erziehen koͤnte. Allein wer ſiehet nicht, daß dieſes eine Art des E - heſtandes iſt (§. 16.)? Ob nun aber dieſe, oder eine andere Art des Eheſtandes beſſer ſey, wird aus dem folgenden erhellen. Und da uns das Geſetze der Natur zu dem beſſern verbindet (§. 10. Mor.), wird ſich nach die - ſem ferner urtheilen laſſen, ob dieſe Art des Eheſtandes erlaubet ſey oder nicht. Ja wenn ſie auch gleich nach den natuͤrlichen Rechten in einigen Faͤllen koͤnnte erlaubet werden; ſo wuͤrde man doch nach dieſem erſt fragen muͤſſen, ob die buͤrgerlichen Geſetze dergleichen im gemeinen Weſen erlauben doͤrfften: welches unten an ſeinem Orte ſich erſt wird entſcheiden laſſen.

§. 22.

Weil die Abſicht des EheſtandesWelche Perſonen heyra - then doͤrffen. die Erziehung der Kinder iſt (§. 16); ſo ſol - len keine Perſonen ſich in den Eheſtand be - geben als die in dem Stande ſind Kinder zu erzeugen und ſie entweder ſelbſt zu erziehen, oder im Falle der Noth durch andere erziehen zu laſſen. Derowegen wenn alte Perſonen, die zu Erzeugung der Kinder untuͤchtig ſind,ſich14Cap. 2. Von dem Eheſtande. ſich aus anderen Abſichten, z. e. ihres Haus - weſens halber, znſammen in eine Geſell - ſchafft begeben; ſo iſt ſolches eigentlich kein Eheſtand zu nennen, ſondern eine andere Geſellſchafft, die wohl nach dieſem im ge - meinen Weſen in einigen Stuͤcken dem E - heſtande gleich geachtet werden kan: wie ſich ſolches nach dieſem weiter zeigen wird. Weil nun ferner verſchnittene zu Erzeugung der Kinder untuͤchtig gemacht worden; ſo koͤnnen ſie nicht heyrathen. Gleichergeſtalt iſt klar, daß eine Perſon nicht heyrathen ſoll, die v. Natur unfruchtbar iſt, ſo lange die Un - fruchtbarkeit nicht gehoben worden. Allein da man dieſes zur Zeit noch nicht vorher er - kennen kan, auch die Unfruchtbarkeit ſich oͤfters mit der Zeit wendet; ſo kan man auch dieſes nicht beobachten, wie man wohl ſol - te. Hingegen von Kindern weiß man ge - wiß, daß ſie noch nicht andere zeugen koͤn - nen, nnd alſo iſt ihnen zu heyrathen nicht erlaubet.

Bey - ſchlaff der bloſ - ſen Luſt halber iſt unzu - laͤßig.

§. 23.

Weil der Beyſchlaff das Mittel iſt, wodurch die Kinder erzeuget werden, die Mittel aber dasjenige ſind, wodurch man ſeine Abſicht erreichet (§. 910 Met.); ſo iſt klar, daß man wieder die Natur handelt, wenn man den Beyſchlaff bloß zu ſeiner Luſt brauchet. Derowegen kan man auch die Buͤſſung der fleiſchlichen Luſt nicht unter die Abſicht des Eheſtandes rechnen: ſondern esblei -15Cap. 2. Von dem Eheſtande. bleibet einmahl wie das andere unrecht, wenn man den Beyſchlaff bloß zur Luſt vor - nimmet. Wir ſehen auch bey dem Viehe, welches in dieſem Stuͤcke dem Triebe der Natur folget, daß ſie nicht den Beyſchlaff lieben als in den Faͤllen, wo ſie junge zeugen wollen, und, ſo bald das Weiblein traͤch - tig iſt, laͤſſet ſie das Maͤnnlein nicht mehr zu ſich. Jch rede von den meiſten Thie - ren. Denn es koͤnnte ſeyn, daß einige ſo wohl als die Menſchen in dieſem Stuͤcke wei - ter giengen, als ſichs gebuͤhrte, wovon mir aber zur Zeit kein Exempel bekand iſt.

§. 24.

Da nun der Beyſchlaff des Men -Sodomi - terey iſt unzulaͤſ - ſig. ſchen mit den Thieren, welchen man So - domiterey zu nennen pfleget, der bloſſen Luſt halber geſchiehet, indem dadurch die Erzeugung der Kinder nicht kan erhalten werden; ſo iſt dieſelbe auch dem Geſetze der Natur zuwieder.

§. 25.

Auf eine gleiche Weiſe erhellet, daßKnaben - ſchande - rey iſt unzulaͤſ - ſig. der Beyſchlaff einer Mannes-Perſon mit der andern, welches man Knabenſchaͤn - derey zu nennen pfleget, weil insgemein in Jtalien, wo derſelbe im Schwange gehet, Knaben dazu gebraucht werden, dem Ge - ſetze der Natur zu wieder. Einige pflegen die Knabenſchaͤnderey mit zur Sodomiterey zurechnen, und nehmen dieſes Wort in ei - nem etwas weitlaͤufftigerem Verſtande: al - lein da dieſes Laſter einen beſondern Nah -men16Cap 2. Von dem Eheſtande. men hat, dergleichen ſonſt fuͤr den Beyſchlaff mit dem Viehe nicht uͤbrig bleibet; ſo iſt es beſſer daß man den Nahmen Sodomiterey fuͤr dieſen allein behaͤlt.

Hurerey und Ehe - bruch iſt dem Geſe - tze der Natur zu wider.

§. 26.

Eben ſo iſt ferner klar, daß auch der Beyſchlaff einer Manns-Perſon mit ei - ner Weibs-Perſon, welche der bloſſen Wolluſt halber geſchiehet, unzulaͤßig iſt (§. 23). Wenn dieſer Beyſchlaff von ledigen Perſonen geſchiehet; nennet man ihn Hu - rerey: hingegen wenn er von zwey verehe - lichten Perſonen, die nicht zu einander gehoͤ - ren, oder von einer verheyratheten und ledi - gen Perſon geſchiehet, ein Ehebruch. Und demnach iſt ſowohl Hurerey als Ehebruch dem Geſetze der Natur zuwieder.

Bey - ſchlaff mit einer ſchwan - geren Frau iſt unrecht.

§. 27.

Auf gleiche Weiſe erhellet, daß der Beyſchlaff eines Mannes mit einer ſchwangern Frau dem Geſetze der Natur zu - wieder iſt, indem dieſer keine andere Abſicht als die bloſſe Luſt haben kan. Jch weiß wohl, daß man insgemein das Wiederſpiel glaubet: allein, wenn wir nach der Ver - nunfft urtheilen ſollen, koͤnnen wir nicht an - ders ſagen, als es die Sache erfordert (§. 23. Polit & §. 369 Met.).

Was Geilheit iſt / und warum ſie un - recht.

§. 28.

Die Begierde aus dem Beyſchlaf - fe und was ihm verwandt iſt, Luſt zu ge - nieſſen, wird Geilheit genennet: da nun der Beyſchlaff und was ihm verwandt iſt, der bloſſen Luſt halber nicht vorgenommenwer -17Cap. 2. Von dem Eheſtande. werden darf (§. 23.); ſo iſt auch alle Geil - heit dem Geſetze der Natur zuwieder, und folgends ein Laſter (§. 64 Mor.).

§. 29.

Es iſt nicht noͤthig alle Arten derWarum man nicht alle Arten der Geil - heit er - zehlen ſol. Geilheit zu erzehlen, maſſen es beſſer iſt die Laſter nicht wiſſen, als erkennen. Wer uͤberhaupt weiß, was Geilheit iſt, und ih - re Unzulaͤßigkeit erkennet, der iſt in dem Stande in jedem vorkommenden Falle die Arten der Geilheit zu erkennen und zu beur - theilen, folgends iſt keine Gefahr, daß er aus Unwiſſenheit in dieſe Arten der Laſter verfallen werde. Hingegen pfleget es wohl zu geſchehen, daß die Erkaͤntniß dieſer La - ſter die Urſache iſt, warum ein geiler darein verfaͤllet, der ſie ſonſt wuͤrde unterlaſſen ha - ben, wenn er nichts davon gewuſt haͤtte.

§. 30.

Weil die Geilheit unzulaͤßig iſtWas fuͤr Handlun - gen der Geilheit halber zu unterlaſ - ſen - (§. 28), die Erfahrung aber lehret, daß der Menſch am allerwenigſten ſie vermeiden kan, wenn er Brunſt leidet; ſo ſollen alle Handlungen vermieden werden, wodurch die Brunſt entweder erreget, oder vermeh - ret, oder unterhalten, oder auch ſonſt die Geilheit befoͤrdert wird. Man ſiehet leicht, daß hierunter eine groſſe Anzahl unzulaͤßi - ger Handlungen begriffen iſt, die alle zu er - zehlen viel zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde, auch an ſich nicht noͤthig iſt (§. 29). Man ſiehet ferner, daß auch hieher diejenigen Hand -(Politick) Blun -18Cap. 2. Von dem Eheſtande. lungen zu rechnen ſind, welche bey anderen Brunſt und Geilheit erregen.

Was Keuſch - heit iſt.

§. 31.

Wer die Begierde zum Bey - ſchlaffe zumaͤßigen weiß, ſo daß er nicht darnach verlanget, als in ſo weit es die Er - zeugung der Kinder erfordert, wird keuſch genennet. Und alſo iſt die Keuſchheit ei - ne Tugend ſeine Begierde im Beyſchlaf - fe und andern damit verwandten Handlun - gen zu maͤßigen.

Wer zuͤchtig und wer unzuͤch - tig iſt.

§. 32.

Man nennet aber einen inſonder - heit zuͤchtig, wer ſich von ſolchen Hand - lungen enthaͤlt, die zur Brunſt und Geil - heit reitzen, oder auch aus Geilheit herkom - men: hingegen unzuͤchtig, wer derglei - chen Handlungen ergeben, die entweder zur Brunſt und Geilheit reitzen, oder aus ei - nem geilen Gemuͤthe herruͤhren.

Auch Ehe - leute ſol - len keuſch und zuͤch - tig ſeyn.

§. 33.

Weil auch im Eheſtande der Bey - ſchlaff nicht aus bloſſer Luſt geſchehen ſol (§. 23); ſo kan man auch daſelbſt ſeine Begierde darnach maͤßigen, und demnach ſollen auch Eheleute keuſch (§. 31), keines - weges aber der Geilheit ergeben ſeyn (§. 28), folgends ſollen auch ſie vermeiden, was die Brunſt zu unrechter Zeit erregen und ſie zur Geilheit antreiben kan (§. 30), und demnach zuͤchtig ſeyn ſowohl in Wor - ten, Geberden und Wercken.

Was fuͤr Laſter ein Keu - ſcher flie - hat.

§. 34.

Weil ein keuſcher Menſch nach dem Beyſchlaffe weiter nicht fraget, als erzu19Cap. 2. Von dem Eheſtande. zu Erzeugung der Kinder von ihm erfordert wird (§. 31), bey Hurerey aber, Ehebruch, Knabenſchaͤnderey und Sodomiterey, auch andern dergleichen Laſtern, der Beyſchlaff der bloſſen Luſt halber genoſſen wird (§. 24 & ſeqq. ); ſo fliehet ein keuſcher alle Hu - rerey, ingleichen Ehebruch, Knabenſchaͤn - derey u. Sodomiterey, auch andere derglei - chen Laſter. Demnach iſt die Keuſchheit ein Mittel dieſen Laſtern zu entgehen.

§. 35.

Da ein zuͤchtiger ſich ſolcher Hand -Was zur Keuſch - heit foͤr - derlich iſt lungen enthaͤlt, die nur zur Brunſt und Geilheit reitzen (§. 32), ſo wird er auch von vielen unordentlichen Begierden nach der Luſt aus dem Beyſchlaffe frey ſeyn, da - von er ſonſt wuͤrde gequaͤlet werden. Und demnach iſt es zur Keuſchheit foͤrderlich (§. 31), wenn man ſich gewoͤhnet in Worten, Geberden und Wercken zuͤchtig zu ſeyn; hin - gegen dergleichen Perſonen fliehet, die in Worten, Geberden und Wercken unzuͤch - tig ſind.

§. 36.

Es iſt nicht zu leugnen, daß dieKeuſch - heit iſt eine ſchweere Tugend. Keuſchheit eine der ſchweereſten Tugenden iſt. Und daher kein Wunder, daß ſie ſo ſelten angetroffen wird. Die Urſach iſt leicht zu erachten. Die Brunſt, welche der Menſch leidet, iſt uͤbel zu tilgen, und die Begierde nach der Luſt, welche aus dem Beyſchlaffe und andern dahin gehoͤrigen Handlungen empfunden wird, ſchweer auszurotten. Nem -B 2lich20Cap. 2. Von dem Eheſtande. lich beyde nehmen Sinnen und Gemuͤthe ein; hingegen die Vorſtellungen der Ver - nunfft, die man dawieder gebrauchet, ſind gemeiniglich nur wie ein todtes Weſen da - gegen anzuſehen (§. 503. Met.).

Wie man ſich zur Keuſch - heit ge - woͤhnet.

§. 37.

Ob es nun aber gleich ſchweer her gehet ſich in dieſem Stuͤcke aus der Sclave - rey in die Freyheit zu ſetzen; ſo muͤſſen wir doch thun, was wir koͤnnen. Jch halte demnach fuͤr noͤthig, daß man die Luſt wohl erweget, welche die Geilheit gewehret, und mit dem Verdruſſe vergleichet, der daraus erwachſen kan (§. 378 Mor.). Was nun das erſtere betrifft, ſo hat man hier fuͤr allen Dingen die Eitelkeiten verliebter Perſonen zu erwegen, die in vielen Dingen ein ſon - derbahres Vergnuͤgen ſuchen, darinnen in der That keines zu finden, als well man ſichs einbildet. Dergleichen iſt die Beruͤh - rung einiger Theile des Leibes, darinnen in der That nichts vergnuͤgliches zu finden, als in ſoweit dadurch die Brunſt erreget, erhal - ten und vermehret, und das Andencken der aus dem Beyſchlaffe genoſſenen, oder zu ge - nieſſen verlangten Luſt erneuret wird. Daher wir auch finden, daß die Hottentotten, deren Weiber ihre Bruͤſte bloß tragen, einen aus - lachen, der darnach greiffet, weil ſienicht be - greiffen koͤnnen, wie ein Menſch darinnen einiges Vergnuͤgen ſuchen kan. Naͤchſt die - ſem iſt auch zu uͤberlegen, daß die Luſt, ſoaus21Cap 2. Von dem Eheſtande. aus dem Beyſchlaffe genoſſen wird, nur ei - nen Augenblick dauret und kuͤrtzer iſt als al - le uͤbrige Luſt der Sinnen. Auch iſt dabey zu erwegen, daß, wie alle Luſt der Sinnen, alſo auch dieſe empfindlicher iſt, je unge - wohnter ſie iſt, hingegen ſich gar ſehr ver - geringert, je mehr man ihrer gewohnet (§. 470 Mor.): welches abſonderlich diejenigen zu mercken haben, die allzu eifrig die Liebes - Wercke treiben. Was den Verdruß be - trifft, damit ein Geiler ſeine Luſt bezahlen muß, ſo iſt derſelbe nach den verſchiedenen Umſtaͤnden unterſchiedlich und oͤffters nicht geringe. Wer mit Liebes-Gedancken ein - genommen iſt, wird dadurch ungeſchickt auf andre Dinge zu gedencken, indem ihn die - ſelben im Nachdencken ſtoͤhren und, da ſie die Brunſt von neuem erwecken und das An - dencken der genoſſenen Luſt erneuren (§. 238 Met.), das Gemuͤthe beunruhigen: wel - ches denn nicht eher ſich laͤſſet zu Frieden ſtellen, bis man ſeine Luſt von neuem gebuͤſ - ſet. Daher pfleget es gar offt zu geſchehen, daß diejenigen, welche ihrer Geilheit ein Gnuͤgen thun, von ihren ordentlichen Ver - richtungen gantz abgezogen werden, dieſel - be verabſaͤumen und ſich dadurch umb ihre gantze zeitliche Wohlfahrt bringen. Ein Ex - empel geben auf Academien diejenigen, wel - che daruͤber ihr Studiren verſaͤumen, und, ohne was gelernet zu haben, wieder davonB 3rei -22Cap. 2. Von dem Eheſtande. reiſen. Weil die Geilheit immer groͤſſer wird, je mehr man ihr ein Gnuͤgen thut, indem die Einbildungs-Krafft um ſo viel - mehr auf einmahl vorſtellet, je mehr man Luſt von und bey Liebes-Wercken genoſſen (§. 238 Met.) und dadurch den Affect verſtaͤr - cket (§. 441 Met.); ſo iſt daraus gar wohl zu begreiffen, daß die geile Brunſt den Men - ſchen um ſo vielmehr beunruhigen muß, je mehr er dieſelbe zu erfuͤllen ſich angelegen ſeyn laͤſſet. Und da immer ein Laſter aus dem andern kommet, waͤre es leicht, jedoch weitlaͤufftig zu zeigen, in was fuͤr Arten der Laſter nach verſchiedenen Umſtaͤnden die Menſchen durch Geilheit verleitet werden. Wer in verbothenen Liebes-Wercken zu viel thut, bringet ſich um ſeine Geſundheit: welches noch mehr, und zwar oͤffters mit Gefahr des Lebens geſchiehet, wenn man mit unreinen Weibes-Bildern zu thun hat. Es gehet auch ſelten bey dergleichen Lebens - Art ohne unnoͤthige Verſchwendung ſeines Vermoͤgens ab, weil doch meiſtentheils gei - le Weibs-Perſonen, die duͤrfftig ſind, Ge - winn ſuchen, andere hingegen auch fuͤr das Maul was gutes dabey haben wollen: bey welchen Umſtaͤnden ſo wohl Manns-Per - ſonen ſich in Schulden und Armuth ſetzen, als auch oͤffters Weibs-Perſonen das ihri - ge liederlich durchbringen. Daruͤber lei - det auch oͤffters unſer guter Nahme bey an -dern23Cap. 2. Von dem Eheſtande. deren nicht ein geringes, und kan dadurch der Menſch ſich in eine Nachrede ſetzen, wel - che ihm an ſeinem gantzen zeitlichen Gluͤcke hinderlich iſt, wie abfonderlich bey Weibs - Perſonen zu geſchehen pfleget. Unterwei - len, wenn viele bey einer Perſon ihre Brunſt loͤſchen wollen, entſtehen Uneinigkeiten, Schlaͤgereyen, ja oͤffters gar Todtſchlag daraus. Werden Weibs-Perſonen durch verbothenen Beyſchlaff ſchwanger, ſo ſte - het es oͤffters uͤbel um die Frucht, als wel - che ſie bald in Mutter-Leibe unterdruͤcken, ehe ſie das Tagelicht erblicket; bald um das Leben bringen, ehe ſie kaum in die Welt kommen; bald durch verſagte noͤthige Pfle - gung ihr unter die Erde verhelffen; bald und zwar gemeiniglich uͤbel auferziehen. Man kan auch noch uͤber dieſes das Ungluͤck erwegen, ſo daraus im gemeinen Weſen erwachſen kan. Hieher gehoͤren die Straf - fen, die auf gewiſſe Arten der Geilheit ge - ſetzet worden, als die Straffe des Feuers auf Sodomiterey und Knabenſchaͤnderey, die Straffe des Schwerdts auf Ehebruch an einigen Orten. Gleichergeſtalt hat man ins beſondere das Unheil zu erwegen, wel - ches aus gewiſſen Arten der Geilheit unter allerhand Faͤllen entſtehet: wovon inſon - derheit der Ehebruch aus der bloſſen Erfah - rung gar vieles zeigen kan. Jch finde a - ber hier uͤberhaupt zweyerley zu errinnernB 4Wei24Cap. 2. Von dem Eheſtande. Weil keine Vorſtellung wieder einen ſo hef - tigen Affect als die geile Liebe iſt etwas fruch - tet, die nicht auch ſelbſt einen ſtarcken Ein - druck in das Gemuͤthe machet (§. 380. Mor.); ſo muß man darauf bedacht ſeyn, daß man durch Fabeln und Exempel den ungluͤckſeeligen Zuſtand geiler Perſonen be - greiffen lernet (§. 373 Mor.). Darnach haben wir hauptſaͤchlich zu mercken, daß, weil eingewurtzelte Gewohnheiten ſchweer zu aͤndern ſind (§. 383 Mor.); man von Jugend auf darauf zu ſehen hat, wie man keuſch und zuͤchtig werde, auch alle Gele - genheit zu unkeuſchen Wercken und alle Geſellſchafft, die einen dazu verleiten koͤn - te, vermeidet. Und iſt hier ins beſondere alles dasjenige anzubringen, was uͤberhaupt von der Beſſerung des Willens (§. 373. & ſeqq. Mor.), abſonderlich von rechter Be - urtheilung der Gluͤckſeligkeit (§. 389 Mor.), gelehret worden.

Warum unkeuſche Wercke unzulaͤſ - ſig.

§. 38.

Da nun aus allem dieſem zur Gnuͤge erhellet, wie viel Unheil aus Hure - rey, Ehebruch und anderm unkeuſchen We - ſen erfolget (§. 37); ſo begreiffet man von neuem, warum alles unkeuſche. Weſen boͤſe (§. 3. 4 Mor.) und folglich dem Geſetze der Natur zuwieder iſt (§. 9. 17. Mor.).

Was v. Lohn - Huren zuhalten.

§. 39.

Da der Beyſchlaff, welcher der bloſſen Luſt halber geſchiehet, unzulaͤßig iſt (§. 23); ſo iſt auch unrecht, wenn eineWeibs -25Cap. 2. Von dem Eheſtande. Weibs-Peꝛſon denen, die ihn aus bloßer Luſt begehren, den Gebrauch ihres Leibes vor Geld oder was Geldes werth iſt, verſtattet, oder auch Manns-Perſonen fuͤr Geld ſich din - gen laßen geilen Weibs-Bildern beyzu - wohnen. Gleichwie nun aber eine Lohn-Hure nicht durch die Hefftigkeit der Brunſt ange - trieben wird, jederman zuzulaſſen, u. dahero in ihren Handlungen freyer iſt (§. 491. Met.); ſo wird ihre Hurerey auch billig fuͤr aͤrger als einer anderen Perſon gehalten, die ent - weder den Regungen des Fleiſches nicht wie derſtehenkoͤnnen, oder durch allerhand Bere - dungen einer Perſon, die leicht ihre Liebe er - wecken koͤnnen, dazu verleitet worden.

§. 40.

Da diejenigen, welche KinderWer fuͤr die Auf - erzie - hung un - ehelicher Kinder zuſorgen hat. erzeugen, verbunden ſind ſie aufzuerziehen (§. 18); ſo muͤſſen auch diejenigen, welche auſſer der Ehe ein Kind erzeuget, davor ſor gen, wie es wohl erzogen werde. Derowegen wenn die Mutter allein dazu nicht genung iſt; ſo iſt derjenige, der ſie beſchlaf - fen, das ſeinige beyzutragen verbunden: ja wenn dieſes nicht anders geſchehen kan, als woferne beyde Perſonen einander heyra - then, ſo ſind ſie auch einander zu heyrathen verbunden. Hingegen wenn durch dieſe Heyrath die Eltern vielmehr in einen ſolchen Zuſtand geſetzet wuͤrden, da ſie die Aufer - ziehung des Kindes weniger beſorgen koͤn - ten, als wenn ſie von einander bleiben; ſo iſtB 5klar,26Cap. 2. Von dem Eheſtande. klar, daß alsdenn die Heyrath nachblei - ben ſoll. Jch rede, wie es nach der Ver - nunfft ſeyn ſoll, nicht aber von dem, was die buͤrgerlichen Geſetze erfordern. Es waͤren bey genauer Eintheilung dieſer Frage noch viele andere Umſtaͤnde zu erwegen, die zum Theil aus dem Zuſtande des gemeinen We - ſens genommen werden: allein unſer ge - genwaͤrtiges Vorhaben leidet es nicht die beſonderen Arten der Faͤlle genauer zu uͤber - legen, welches wir kuͤnfftig an einem an - dern Orte thun wollen.

Ob ein Weib viel Maͤn - ner ha - ben kan.

§. 41.

Weil ein Mann, der im Stande iſt Kinder zu erzeugen, einem Weibe ein Gnuͤgen thun kan, in ſoweit es die Erzeu - gung der Kinder erfordert, der uͤbrige Bey - ſchlaff aber, der zur bloßen Luſt geſchiehet, unzulaͤßig iſt (§. 23); ſo darf auch keine Frau mehr als einen Mann haben. Hier - zu kommet, daß wenn viele Maͤnner einem Weibe zugleich beywohneten, man nicht eigentlich wuͤſte, von welchem ſie waͤre ſchwanger worden, und daher in vielen Faͤl - len die Auferziehung des Kindes wuͤrde verabſaͤumet werden: ja es wuͤrden auch an ſich viele Uneinigkeiten unter den Maͤn - nern entſtehen, theils wegen des Weibes, theils wegen der Kinder, welche alle allhier weitlaͤufftiger auszufuͤhren unnoͤthig iſt. Es iſt wohl wahr, daß man unterweilen mei - net, es geſchehe ſolches zufaͤlliger Weiſe, undhaͤt -27Cap. 2. Von dem Eheſtande. haͤtte man dahero nicht mit darauf zuſe - hen: allein ich finde dagegen zweyerley zu errinnern. Einmahl muß man ſich recht erklaͤren, was man zufaͤlliger Weiſe nen - net, ſo wird man finden, daß vieles nicht fuͤr zufaͤllig zuhalten iſt, das man davor ausgiebet. Nach dieſem iſt auch nicht an dem, daß man in Beurthei - lung der Handlungen nicht darauf zu ſe - hen, was zufaͤlliger Weiſe kommet. Es mag etwas aus einer Handlung erfolgen, wie es will; wenn ſolches zu vermeiden in unſerer Gewalt ſtehet, und wir wiſſen, daß es erfolgen werde, oder muͤſſen doch mehr vermuthen, es werde eher erfolgen als außen bleiben; ſo ſind wir verbunden die Handlung zu unterlaſſen (§. 19. Mor.). Ja kein vernuͤnfftiger Menſch wird dergleichen vorzunehmen verlangen (§. 24. Mor.).

§. 42.

Weil diejenigen, welche die Kin -Ob man viele Weiber haben ſoll. der erzeugen, auch verbunden ſind, ſie auf - zuerziehen (§. 18); ſo iſt klar, daß ein Mann, der nicht mehr Kinder auferziehen kan, als er mit einem Weibe erzeuget, auch nicht mehr als ein Weib nehmen darf. Es ſolte demnach daß Anſehen gewinnen, als wenn es in dem Falle erlaubet waͤre viel Weiber zu nehmen, da ein Mann in dem Stande iſt mehrere zu ernehren, als er mit einer erzeuget: noch mehr aber, wenn er durch viel Weiber ſich in den Stand ſe -tzet28Cap. 2. Von dem Eheſtande. tzet die Kinder beſſer zu erziehen, die er bey misgelungener Heyrath ſchweerlich erneh - ren kan. Allein wenn wir bedencken, daß uns die Natur zu dem beſſeren verbindet (§. 19. Mor.), und wir dannenhero in zweiffelhafften Faͤllen dasjenige erwehlen ſollen, wobey wir am gewiſſeſten gehen; ſo werden wir nach reifferer Uberlegung fin - den, daß es beſſer ſey nur ein, als viel Wei - ber zu haben. Es iſt Anfangs nicht ge - wis, wie viel wir Kinder mit einem Weibe erzeugen, wie es mit unſerem Vermoͤgen in kuͤnfftigen Zeiten ſtehen, und was wir dazu brauchen werden, wenn wir unſere Kinder unſerem Stande gemaͤs auferzie - hen und ſie in der Welt wohl anbringen wollen, damit wir ſie gluͤcklich und uns da - durch eine Freude machen. Und dannen - hero wird der Fall, da die Vielweiberey erlaubet zu ſeyn ſcheinet, ſchweer zu deter - miniren ſeyn, und doͤrffte man in den mei - ſten Faͤllen thun, was einen nach dieſem mit gutem Grunde gereuete. Darnach iſt mehr als zu gewis, daß unter den Weibern ſelbſt, ingleichen ihren Kindern, viel Streit und Verdruß ſich ereignen, auch wir da - durch vielen Verdruß haben wuͤrden, da von wir frey blieben, wenn wir mit einem Weibe vergnuͤget waͤren. Was denen zu antworten, die dieſe Gruͤnde verwerffen, weil ſie dergleichen Erfolg aus der Viel -wei -29Cap. 2. Von dem Eheſtande. weiberey fuͤr zufaͤllig halten, iſt aus dem abzunehmen, was kurtz vorhin in einem aͤhnlichen Falle (§. 41.) errinnert worden. Freylich wenn Weiber und Maͤnner, oder die Menſchen uͤberhaupt, Engel waͤren, das iſt, in allen ihren Handlungen ſich einig und allein nach der Vernunfft richteten, niemahls den boͤſen Begierden und Affecten Raum gaͤben; ſo waͤren viele Dinge moͤg - lich; die jetzund bey der Unvollkommenheit der Menſchen ſich nicht thun laſſen. Und alsdenn wuͤrde auch das Recht der Natur in den beſandern Faͤllen anders ſeyn, ob - gleich die allgemeine Regeln einerley ver - blieben. Jetzt muß man es nach dem Zu - ſtande der Menſchen einrichten, wie man ihn findet.

§. 43.

Weil die Abſicht des EheſtandesWie lan - ge der Eheſtand wehren ſoll. iſt Kinder zu erzeugen und zu erziehen (§. 16); ſo muͤſſen auch Mann und Weib ſo lange bey einander bleiben, bis die Kin - der erzogen, das iſt, dahin gebracht ſind, daß ſie ſich ſelbſt verſorgen koͤnnen. Wir ſehen es ſelbſt bey den Thieren, z. E. bey den Voͤgeln, wo das Maͤnnlein nicht ihr Weiblein wieder wieder verlaͤſſet, als bis die Jungen ihrer Huͤlffe nicht mehr noͤthig haben, ſondern ihnen nun ſelbſt ihr Futter ſuchen, und ſich wieder auswertige Gewalt wehren koͤnnen.

§. 44.30Cap. 2. Von dem Eheſtande.
Eheſtand ſoll le - benslang dauren.

§. 44.

Da nun gar viele Zeit hingehet, ehe die Kinder bis dahin gebracht ſind, daß ſie ſich ſelbſt verſorgen koͤnnen und der El - tern Huͤlffe nicht mehr noͤthig haben, der - geſtalt daß viele eher ſterben, ehe ſie bis in den Stand geſetzet werden, faſt alle unter der Zeit zu fernerer Erzeugung oder wenig - ſtens zu voͤlliger Auferziehung der Kinder untuͤchtig werden, welches alles aus der taͤg - lichen Erfahrung erhellet; uͤber dieſes auch die Einrichtung des Haußweſens, die von Eheleuten gegen einander erforder - te Liebe, ingleichen die Einrichtung wegen des Vermoͤgens nach dem Tode erfordern, daß Eheleute ſich in ihrem Alter, wenn ſie der Grube nahe ſind, nicht mehr trennen, welches alles in dem folgenden umbſtaͤndli - cher erhellen wird: ſo iſt es der Ver - nunfft gemaͤßer, daß der Eheſtand Lebens - lang daure und die Geſellſchafft nicht an - ders als durch den Todt getrennet werde, als daß Eheleute noch bey Lebens-Zeiten ſich ſcheiden wollten. Wer andere Gedan - cken hat, ſetzet entweder die Aufferziehung der Kinder aus den Augen, oder ſtellet ſie ſich anders vor als er ſolte, nehmlich er meinet, Kinder waͤren verſorget, wenn ſie zur Nothdurfft Nahrung und Kleider haͤt - ten, da doch nach dieſem gantz ein an - deres erhellen wird. der Beweis gehet kuͤrtz - lich dahinaus, daß eine jede Geſellſchafftſo31Cap. 2. Von dem Eheſtande. ſo lange dauren muß, bis die Abſicht der - ſelben erreichet worden (§. 1021. Mor. & 2. 4. Polit.)

§. 45.

Wolte man ſagen, der EheſtandEin Zwei - fel wird gehoben. ſey ein Vertrag (§. 2), in der natuͤrlichen Freiheit aber laſſe ſich ein Vertrag aufhe - ben, wenn beyde Partheyen eines wer - den, einander ihr verſprechen zuerlaßen (§. 1029. Mor.) und demnach koͤnnten Ehe - leute von einander gehen, wenn ſie deßen zuſammen eines wuͤrden: ſo iſt wohl zu - erwegen, daß, da wir nicht etwas ver - abſcheuen koͤnnen, wir muͤßen uns die Sache als boͤſe vorſtellen (§. 506. Met.), auch Eheleute es als etwas boͤſes anſehen muͤſſen, ſo lange in der Ehe mit einander zu leben, wenn ſie von einander begeh - ren. Derowegen iſt noͤthig, daß man dieſe Bewegungs-gruͤnde unterſuchet, damit man erkennet, ob ſie tuͤchtig ſind oder nicht. Und ſolcher Geſtalt kan man insgemein nicht ſagen, daß allzeit Eheleute, wenn ſie deßen eines werden, von einander gehen koͤnnen. Wir wollen demnach die Urſa - chen genauer unterſuchen, umb derer Wil -Wenn Perſo - nen ſich verloben / und war - um Ver - lobte die Ehe zu vollzie - hen ſchul - dig. len ſie ſich trennen koͤnnen.

§. 46.

Damitnun dieſes umſtaͤndlich ſich zeigen laße, ſo muͤßen wir fuͤr allen Din - gen unterſuchen, wie bald der Eheſtand ſei - nen Anfang nimmet. Weil der Cheſtand eine Geſellſchafft (§. 16), eine jede Geſell -ſchafft32Cap. 2. Von dem Eheſtande. ſchafft aber ein Vertrag iſt (§. 2), ein Vertrag hingegen beſtehet, ſo bald bey - de Partheyen ihr Verſprechen und Gegen - Verſprechen gethan (§. 1008. Mor:); ſo iſt die Ehe richtig, ſo bald ſich eine Manns - und Weibs-Perſon gegen einander erklaͤ - ren, daß ſie einander zu heyrathen geſon - nen. Derowegen da man verbunden iſt ſein Verſprechen zu halten (§. 1905 Mor); ſo kan als denn auch keine Perſohn ohne der andern Willen wieder zuruͤcke treten, es ſey denn bey dem Verſprechen etwas vorge - gangen, dadurch daſſelbe fuͤr Unrecht ſich erklaͤren laͤſſet. Und demnach ſind beyde Perſonen als denn gehalten ſich zuſammen zubegeben und das jenige zuthun, was Eheleuten (§. 16) oblieget, und zwar ent - weder zu der Zeit, die ſie bey dem Verſpre - chen mit einander abgeredet, oder wenn keine abgeredet worden, ſo bald es bey - der Umſtaͤnde fuͤglich leiden. Wenn das Verſprechen von beyden Seiten geſchie - het, ſo ſaget man, daß ſie ſich verloben. Und iſt demnach die Verloͤbnis ein Ver - ſprechen einander zu heyrathen, folgends klar, daß Verlobte die Ehe zu vollziehen ſchuldig ſind, und keinem von beyden erlau - bet iſt, wieder des andern ſeinen Willen wieder zuruͤcke zu treten.

Wenn Verlobte einander

§. 47.

Da man nicht verbunden iſt in einer Geſellſchafft zu verbleiben, darein mandurch33Cap. 2. Von dem Eheſtande. man durch Furcht oder Betrug gezogennichthey - rathen doͤrffen. worden (§. 7); ſo iſt man auch nicht ſchul - dig in eine Geſellſchafft zu treten, in die man ſich zu begeben aus Furcht oder Betrug verſprochen. Derowegen da die Verloͤb - nis ein Verſprechen iſt einander zn heyra - then (§. 46.): ſo iſt auch der jenige Theil nicht ſchuldig die Ehe zu vollziehen, wel - cher durch Furcht oder Betrug dazu ver - leitet worden, daß er ſich verlobet.

§. 48.

Es ſcheinet, als wenn dieſerEinwurff wird be - antwor - tet. Satz dem vorigen zu wieder waͤre. Denn wir haben geſagt (§. 46), Verlobte waͤren ſchuldig einander zu heyrathen, und doch zeigen wir (§. 47), daß ſie unterweilen nicht ſchuldig ſind die Ehe zuvollziehen. Die - ſer Einwurff kommet gar offt auch bey an - deren Gelegenheiten vor und demnach iſt noͤthig, daß er hier einmahl fuͤr alle mahl erlaͤutert und beantwortet wird. Was nun Anfangs den genwaͤrtigen Fall betrifft; ſo iſt zu mercken, daß, wenn ein Theil bloß aus Furcht oder weil er durch Betrug verletiet worden, in die Ehe gewilliget, ſolches fuͤr keine Bewilligung zu halten ſey, oder zum wenigſten im andern Falle nur fuͤr eine Einwilligung, die unter gewiſſen Bedingungen geſchehen. Derowegen da ei - ner nichts verſprochen, oder auch die Ehe nur unter gewiſſen Bedingungen verſprochen; ſo iſt auch in dem erſten Falle keine Verloͤbnis(Politick) Cge -34Cap. 2. Von dem Eheſtande. geſchehen, in dem andern Falle iſt die Ver - loͤbnis noch nicht vollzogen, weil die Be - dingung noch nicht erfuͤllet werden. Da nun im keinem Falle die Perſonen fuͤr wuͤrcklich verlobte koͤnnen gehalten werden; ſo kan man auch auf ſie nicht deuten, was von wuͤrcklich verlobten (§. 46) erwieſen wor - den. Es iſt hier nur ein Schein der Ver - loͤbnis, nicht das Weſen ſelbſt; und al - ſo muß man jenen mit dieſem keines weges vermengen. Jch will der Deutlichkeit hal - ber von jedem Falle ein Exempel geben. Ti - tius verlanget, ſeine Tochter Tanaquilla ſol ſich mit Sempronio verſprechen. Sie hat zu ihm keine Liebe, ſondern bleibet beſtaͤn - dig dabey, ſie koͤnne ihm nicht gut ſeyn, werde ihm auch nimmermehr gut werden, wenn man ſie gleich zwinge ihn zu heyra - then. Titius bedrohet ſeine Tochter, er wolle ihr alle vaͤterliche Huͤlffe, alle Liebe und vaͤterlichen Seegen entziehen, woferne ſie nicht in die Heyrath mit Sempronio willige. Aus Furcht fuͤr dem Vater ſpricht ſie ja, wenn ſie in Gegenwart Sem - pronii und einiger Zeugen gefraget wird, ob ſie ihn zum Manne haben wolle. Hier ſiehet man leicht, daß der Mund geredet, was ſie nicht gedencket, und dannenhero es nur den Schein hat, als wenn ſie den Sempronium zum Manne verlangte, da ſie ihn in der That nicht verlanget. Wenn nunTi -35Cap. 2. Von dem Eheſtande. Titius ſtuͤrbe, ehe die Ehe vollzogen wird, und Tanaquilla bleibet bey ihrem vorigen Sinne; ſo iſt ſie Sempronium zu heyrathen nicht befugt. Gleicher geſtalt in dem ande - ren Falle kommt Cajus in einen fremden Ort und giebet ſich fuͤr einen andern aus, der mit ihm einerley Nahmen hat. Septi - mius ſchreibet an den Ort und erkundiget ſich nach dem Zuſtande Caji. Er erhaͤlt ſolche Nachricht, wie er ſie verlanget. Und in Anſehung dieſer Nachricht verſpricht ihm Florentia, die Tochter Septimii, die Ehe. Hier ſiehet man leicht, daß das Verſprechen unter dem Bedinge geſchehen, wenn er in dem Zuſtande ſich befindet, den er von dem andern Cajo erfahren. Derowegen wenn Florentia erfaͤhret, daß ſie betrogen worden, iſt ſie auch nicht eher ſchuldig ihr Verſprechen zu halten, als bis Cajus ſich in dem Zuſtande befindet, darinnen der an - dere Cajus, vor den er ſich ausgegeben ſich befindet. Da nun der Betruͤger dieſe Bedingung nicht erfuͤllen kan: ſo iſt ſie auch ihn zu heyrathen nicht verbunden. Man ſie - het hieraus uͤberhaupt, daß in dergleichen Faͤllen, wo es den Schein von dem We - ſen ſchweer faͤllet zu unterſcheiden, die Schwierigkeiten daher entſtehen, wenn man etwas davor anſiehet, was es doch in der That nicht iſt, und daher ihm einen un - rechten Nahmen giebet.

C 2§. 4936Cap. 2. Von dem Eheſtande.
Ehebruch ſcheidet die Ehe.

§. 49.

Wenn wir etwas unter gewiſſen Bedingungen verſprochen und dieſe wer - den nicht erfuͤllet, ſo darf man ſein Ver - ſprechen nicht halten, (§. 1004. Mor.) Da nun im Eheſtande eine Perſon der anderen allein ehelich bey zuwohnen verſpricht (§. 16. 26), ſo iſt kein Theil dem andern weiter verbunden, als ſo lange es ihm allein den Gebrauch ſeines Leibes vergoͤnnet. Derowegen wenn eines von Eheleuten im Ehebruch lebet, ſo wird dadurch das an - dere von ſeiner Verbindlichkeit frey und ſol - cher geſtalt die Ehe getrennet. Wenn dem - nach die andere mit Wiſſen ſich ferner zu der, die Ehebruch veruͤbet, haͤlt; ſo iſt es eben ſo viel als wenn ſie ihre Ehe von neuem erneuret haͤtten.

Ob Kebs - Weiber erlaubet ſind.

§. 50.

Weil man die jenigen Weibs-Per - ſonen, die ein Ehe-Mann neben ſeinem Weibe haͤlt, um ihnen der Luſt halber bey zuwoh - nen, Kebs-Weiber nennet; aller Bey - ſchlaff aber, welcher bloß der Luſt halber geſchiehet, unzulaͤßig iſt (§. 23): ſo iſt es auch unrecht Kebs-Weiber zu haben. Man darf nicht einwenden, daß mit Kebs - Weibern auch Kinder erzeuget und aufer - zogen werden: denn obgleich dieſes geſchie - het, ſo iſt es doch nicht die Abſicht, warum man ſie haͤlt, ſondeꝛn nuꝛ die Luſt, welche man von ihnen genieſſet. Denn ſonſt waͤre dieſe Art der Geſellſchafft von der Vielweiberey nicht unteꝛſchieden. Deꝛ Unteꝛſcheid zeiget ſichauch37Cap 2. Von dem Eheſtande. auch bey den Kindern. Denn Kinder von viel Weibern werden alle einander gleich geach - tet; hingegen die von Kebs-Weibern nicht als rechte Kinder erkennet. Und dieſer Unter - ſcheid findet ſich auch in natuͤrlichem Zuſtan - de.

§. 51.

Man pfleget ſonſt auch dieſen Un -Errinne - rung. terſcheid zwiſchen dem Eheſtande und einer Geſellſchafft mit Kebs-Weibern an zu mercken, daß jener beſtaͤndig iſt, dieſe a - ber nur auf eine Zeit dauret. Allein eben dieſer Unterſcheid ruͤhret daher, daß bey jenem hauptſaͤchlich auf die Erzeugung und Erziehung der Kinder (§. 16), bey dieſem hingegen auf die Luſt geſehen wird (§. 50), welche veraͤnderlich (§. 406 Met).

§. 52.

Die Mitglieder in einer Geſell -Huͤlffrei - che Hand - leiſtung der Ehe - leute. ſchafft ſind verbunden alles zu thun, was die Wohlfahrt der Geſellſchafft befoͤrdert und zu unterlaſſen, was ihr hinderlich oder ſonſt nachtheilig iſt (§. 11). Da nun die Abſicht des Eheſtandes die Erzeugung und Erziehung der Kinder iſt (§. 16) und alſo die Wohlfahrt des Eheſtandes darinnen beſtehet, daß die Eheleute ungehindert er - langen, was ihnen zu Erzeugung der Kin - der und ihrer Auferziehung noͤthig iſt (§. 3), dazu aber ſowohl fuͤr ſie als die Kinder, Nahrung, Kleidung und Wohnung erfordert werden: ſo haben auch beyde Ehe - leute fuͤr noͤthige Lebens-Mittel vor ſichC 3und38Cap. 2. Von dem Eheſtande. und ihre Kinder zu ſorgen, und muß dem - nach ein jedes hierinnen willig beytragen was in ſeinem Vermoͤgen ſtehet. Und hier - innen beſtehet die huͤlfreiche Handlei - ſtung der Eheleute, die einige mit zu einer Pflicht des Eheſtandes machen, ſo aber aus der Beſchaffenheit der Geſellſchafft uͤber - haupt und des Eheſtandes ins beſondere fließet, wie aus dem gegenwaͤrtigen Be - weiſe erhellet.

Wer im Eheſtan - de erwer - ben, und wie man mit dem erwarbe - nen um - gehen ſol.

§. 53.

Derowegen muß nicht allein der Mann, ſondern, wenn es die Umſtaͤnde lei - den, auch das Weib erwerben, beyde aber muͤſſen mit dem erworbenen ſo umgehen, daß ſie es nicht zur Unzeit verſchwenden, und nach dieſem an noͤthigem Orte Man - gel leiden. Wenn demnach die Frau Guͤtter hat, ſie moͤgen beweglich, oder un - beweglich ſeyn; ſo muß der Genuß ihrer Guͤtter, oder was damit erworben wird, zugleich zum gemeinen beſten des Eheſtan - des angewendet werden.

Wer von den Ehe - leuten am mei - ſten er - werben ſoll.

§. 54.

Weil beyde Eheleute ſo viel er - werben ſollen, als ſie nach ihren Umſtaͤnden vermoͤgend ſind (§. 53); ſo darf man nicht fragen, wer mehr als der andere erwerben ſol: denn es kann geſchehen, daß, da der Genuß von den Guͤtern des Weibes mit zu ihrem Erwerb gerechnet wird, unterweilen das Weib mehr erwirbet als der Mann. Jedoch da die Weiber theils bey Erzeu -gung39Cap. 2. Von dem Eheſtande. gung der Kinder, indem ſie ſchwanger ge - hen, theils bey ihrer Erziehung, indem ſie ſie ſaͤugen und warten muͤſſen, mehr zu thun haben als die Maͤnner, und dadurch von anderer Arbeit abgehalten werden, auch nach unſern Sitten die Maͤnner insgemein in dem Stande ſind mehr zu erwerben, als die Weiber; ſo lieget die Sorge vor den Erwerb meiſtentheils dem Manne ob, das Weib aber hat davor zu ſorgen, wie das erworbene wohl angewendet werde: wie - wohl auch hiervon der Mann nicht ausge - ſchloſſen (§. 53) und unterweilen, wenn das Weib dazu ungeſchickt iſt, muß der Mann auch fuͤr die Ausgabe allein ſor - gen.

§. 55.

Wiederum weil der Erwerb desUrſache der Mor - gengabe. Weibes, ſonderlich bey denen, fuͤr die ſich nicht Handarbeit in Anſehung ihres Stan - des ſchicket (§. 525 Mor.), hauptſaͤchlich in dem Genuß ihrer Guͤter beſtehet (§. 53. 54); ſo ſind Eltern verbunden theils nach Proportion ihres Vermoͤgens, theils nach den Umſtaͤnden des Freyers einen Theil ih - rer Guͤter der Tochter mit zugeben, daß durch deren Nutzung die Laſt des Eheſtan - des mit von dem Weibe uͤbertragen wird. Dergleichen Gut pfleget man die Mor - gen-Gabe zu nennen. Und iſt hieraus klar, daß der Mann bloß die Nutzung, nichtC 4aber40Cap. 2. Von dem Eheſtande. aber das Eigenthum der Morgen-Gabe hat (§. 889 Mor.).

Wie weit Eheleute als eines anzuſe - hen.

§. 56.

Wiederum weil die Mitglieder einer Geſellſchafft in Anſehung ihrer Abſicht als eine Perſon anzuſehen ſind (§. 6. 15); ſo ſind auch Eheleute in Anſehung der Er - zeugung und Auferziehung der Kinder und was dazu noͤthig iſt als eine Perſon anzu - ſehen (§. 16.). Da nun zum Theil an ſich klar iſt, zum Theil aber hernach erhellen wird, daß zur Auferziehung und Erzeugung der Kinder nicht allein Geſundheit des Lei - bes, ſondern auch Vollkommenheit des Gemuͤthes und des aͤuſſeren Zuſtandes er - fordert wird; ſo ſind ſie in Anſehung aller dieſer Stuͤcke als eine Perſon anzuſehen, und haben demnach fuͤr die Guͤter des Gemuͤ - thes, des Leibes und des Gluͤcks mit verei - nigten Kraͤfften zu ſorgen (§. 242 Mor.).

Wie ſie ſich gegen einander zu ver - halten.

§. 57.

Auf ſolche Weiſe ſol in allen die - ſen Stuͤcken der Mann des Weibes und das Weib des Mannes Beſte aus allen Kraͤfften ſuchen, und kan demnach keines von beyden zugeben, daß das andere etwas vornehme, was demſelben auf einige Wei - ſe zuwieder iſt. Woferne aber dergleichen geſchehen ſolte, ſo hat der andere Recht al - le Mittel anzuwenden, wie er das untuͤch - tige Mitglied zu Betrachtung ſeiner Pflicht bringe (§. 10). Wer demnach in einer Sache mehr Verſtand hat, als der ande -re,41Cap. 2. Von dem Eheſtande. re, der ſoll ſagen, was zu thun iſt, und der andere iſt verbunden zu gehorſamen.

§. 58.

Da es bey den meiſten Eheleu -Wer die Herr - ſchafft haben ſoll. ten, wo nicht bey allen, ſchweer wuͤrde aus - zumachen ſeyn, wer von ihnen die Sa - che am beſten verſtuͤnde, und daher bey ih - nen ein ſteter Streit und Zanck daruͤber ent - ſtehen; hingegen der Mann in den meiſten Faͤllen die Sache am beſten verſtehen ſoll; ſo iſt es vernuͤnfftig, daß dem Manne eingeraͤumet werde zu ſagen, was zu thun iſt. Unterdeſſen iſt doch der Mann ſchuldig dem klugen Rathe des Weibes zu folgen, wenn ſie eine Sache beſſer als er einſiehet. Da nun in der Macht zu befehlen, was zu thun iſt, die Herrſchafft beſtehet, welche im Eheſtande ſtat findet, ſo iſt klar, daß zwar dem Manne die Herrſchafft gebuͤhret, jedoch dieſelbe dergeſtalt eingeſchraͤncket iſt, daß er das Weib ſonderlich in ſolchen Sa - chen, die ſie beſſer als er verſtehet, mit zu Rathe ziehen ſoll. Und hat demnach das Weib dem Manne, ſo lange er nichts un - billiches befiehlet (§. 25 Mor.) zu gehor - chen.

§. 59.

Ein verſtaͤndiges Weib wird demWie ſich das Weib dabey aufzu - fuͤhren. Manne auch gar gerne die Herrſchafft - berlaſſen. Denn da es ihr mit eine Schan - de iſt, wenn ſie einen unverſtaͤndigen Mann hat, dadurch aber, daß ſie die Herrſchafft haben will, ſie zu verſtehen giebet, daß ihrMann42Cap. 2. Von dem Eheſtande. Mann unverſtaͤndig ſey (§. 57. 58. ); ſo wird ſie auch nicht ſelbſt verlangen ihren Mann zu beſchimpffen (§. 408 Mor.). Ja wenn es auch gleich noͤthig iſt, daß es nach ihrem Willen gehe, ſol ſie doch, um ihres Manns Ehre zu retten, und ſeine Gunſt zu erhalten, mit beſcheidenen Worten und Geberden ſich ſtellen, als wenn ihr Wille ſein Wille waͤre, und ſie ihm folgete, da er in der That ihr folget. Es koͤnnen auch noch beſondre Umſtaͤnde darzu kommen, die nicht geringe Bewegungs-Gruͤnde ſind zu dieſer Auffuͤhrung (§. 496 Met.). Z. E. das Weib kan durch den Mann in gluͤckli - che Umſtaͤnde geſetzet warden ſeyn, und al - ſo hat ſie ihn als ihren Wohlthaͤter zu er - kennen, folgends muß ſie aus Danckbar - keit (§. 834 Met.) des Mannes Vergnuͤgen zu ihrem Vergnuͤgen machen (§. 775 Mor.) und dannenhero thun, was ihm gefaͤllet (§. 786 Mor.), das iſt, ihren Willen ſei - nem Willen unterwerffen. Unterweilen kan es geſchehen, daß ein Mann eigenſin - nig iſt und Wiederſpruch nicht wohl ver - tragen kan, ſondern bald zornig wird (§. 484 Met.), folgends empfindlich iſt (§. 487 Met.). Derowegen da hefftiger Zorn die Geſundheit und das Leben ſtoͤhret, ſo hat ein Weib, der an dem langen Leben des Mannes oder auch nur an ſeiner Geſund - heit viel gelegen iſt, indem davon ihr aͤuſ -ſerli -43Cap. 2. Von dem Eheſtande. ſerlicher Zuſtand dependiret, allerdinges ſich in acht zu nehmen, daß ſie dem Man - ne ſoviel eher nachgiebet, abſonderlich wenn es Kleinigkeiten ſind, davon entweder gar kein, oder doch kein groſſer Schade herruͤh - ret, obgleich etwas verſehen wird. Kom - met dieſer Umſtand dazu, daß das Weib dem Manne auf einige Art und Weiſe Ver - druß gemacht; ſo hat ſie um ſo vielmehr Urſache dieſen Verdruß durch ihre kluge Auffuͤhrung zu vermindern, damit ihn der Mann uͤberſiehet und zu nichts wiedrigem gegen ſie angetrieben wird. Es iſt nicht mein Vorhaben vor dieſes mahl alle beſon - dere Umſtaͤnde zu unterſuchen: ich halte es fuͤr genung, daß ich durch ein und das an - dere Exempel gewieſen, wie man mit gu - tem Nutzen darauf zu ſehen hat, und kan dabey verſichern, daß ein vernuͤnfftiger Mann gegen ein Weib um ſo viel empfind - licher ſeyn muß, je mehr dergleichen beſon - dere Umſtaͤnde aus den Augen geſetzet wer - den; hingegen aber auch in der Liebe gegen ſie um ſo viel bruͤnſtiger wird, je mehr ſie darauf acht hat und durch ihre Handlun - gen zeiget, daß ſie darauf acht hat. Ja dieſes findet ſich nicht allein bey Eheleuten, ſondern es gielt auch bey allen andern Men - ſchen, die mit einander zu thun haben. Und demnach ſol ein jeder hieraus lernen, wie er ſich gegen Freund und Feinde, am al -ler -44Cap. 2. Von dem Eheſtande. lermeiſten aber gegen Wohlthaͤter, aufzu - fuͤhren hat.

Hinder - nis wird aus dem Wege ge - raͤumet.

§. 60.

Es iſt nicht zuleugnen, daß ei - ne dergleichen Auffuͤhrung des Weibes ge - gen ihren Mann, wie erſt beſchrieben wor - den, viel ſchweerer faͤllet, wo die beſonderen Bewegungs-Gruͤnde fehlen; noch viel ſchwee - rer, wo ſich das Wiederſpiel befindet. Dero - wegen werden wir finden, daß Weiber, die den Mann reich gemacht, oder in einen Ehren-Stand erhoben, ihren Willen nicht gerne dem Willen des Mannes unterwerf - fen wollen, ſondern vielmehr alles nach ih - rem Kopffe zu thun verlangen. Wenn ſie nicht ſehr vernuͤnfftig ſind, und den Ruhm der Klugheit hoͤher achten als andere Dinge; ſo werden die zum Grunde der vorgeſchrie - benen Auffuͤhrung angefuͤhrte Vorſtellun - gen (§. 59) wenig oder gar nichts fruch - ten. Und demnach hat man dieſen Hinder - nißen ins beſondere zu begegnen. Nehmlich man hat darauf zuſehen, ob nicht auch von Seiten des Menſchen etwas zu finden, das dieſen Bewegungs-Gruͤnden kan die Wage halten und demnach vermoͤge der all - gemeinen Gruͤnde, die zu Beſtetigung der vorgeſchriebenen Auffuͤhrung angefuͤhrt wor - den (§. 59), der Ausſchlag fuͤr dieſe Auf - fuͤhrung verbleibet. Dergleichen werden ſich bey genauer Unterſuchung gar leicht fin - den. Z.E. Ein Mann kan nicht allein das -jeni -45Cap. 2. Von dem Eheſtande. jenige, was er mit des Weibes Vermoͤgen erwirbet wohl anwenden, ſondern auch vor ſich noch ſo viel, oder auch wohl mehr dazu erwerben. Die Frau kan durch ihn in ei - nen Ehrenſtand kommen ſeyn, da ſie ihres Vermoͤgens erſt recht froh wird, und was dergleichen mehr iſt.

§. 61.

Wiederum da der Mann dasWie ſich der Mann dabey aufzu - fuͤhren. Weib mit zu Rathe ziehen ſol in denen Dingen, die beyder Wohlfahrt betreffen (§. 58); ſo muß er auch dem Weibe nichts mit Ungeſtuͤme anbefehlen, ſondern alles mit glimpflichen Worten und einer guten Manier vorbringen, damit ſie nicht die Liebe gegen ihn fahren laͤßet (§. 449. Met.), oder auch wohl gar einen Haß ge - gen ihn bekommet (§. 484 Met.), und da - durch alle Scheue fuͤr ihm verlieret (§. 787 Met.). Jedoch da man in einer Geſellſchafft, und alſo auch im Eheſtande (§. 16), Recht hat alle Mittel anzuwenden, wo - durch das uͤbele Mittglied zu Betrachtung ſeiner Pflicht gebracht wird (§. 10); ſo kan auch der Mann mit der Schaͤrffe ver - fahren, wo gute Worte nichts fruchten wol - len. Jn beſondern Faͤllen befinden ſich auch beſondere Bewegungs-Gruͤnde ſo wohl zur Gelindigkeit, als zur Schaͤrffe. Z. E. Wenn ein Mann durch das Weib in einen gluͤcklichen Zuſtand geſetzet wor - den, in welchen er ohne ſie nicht wuͤrde kom -men46Cap. 2. Von dem Eheſtande. men ſeyn; ſo ſol er durch dieſe Vorſtellung ſich zur Beſcheidenheit, wie vorhin das Weib (§. 59) zum willigen Gehorſam an - treiben laſſen. Wenn das Weib ſich leicht etwas zu Gemuͤthe ziehet; ſo erfordert die Liebe (§. 449 Met.), daß man von der Haͤrte abſtehet und ihr nicht ohne Noth Traurigkeit und Gram verurſachet, auch dadurch ihr Gemuͤthe von ſich entfernet. Wenn ein Weib dem Manne wohl zu rathe haͤlt, was er erwirbet; ſo iſt es eben ſoviel, als wenn ſie ihm etwas erwuͤrbe, oder er von ihrem eingebrachten Vermoͤgen eine Nutzung zu genießen haͤtte. Und alſo iſt dieſer Bewegungs-Grund dem vorigen gleich, da man auf den gluͤcklichen Zuſtand geſehen, in welchem der Mann durch das Weib ge - ſetzet worden. Mit einem Worte ſowohl der Mann hat auf alle Gaben des Gemuͤ - thes, des Leibes und des Gluͤckes bey dem Weibe, als auch hinwiederum das Weib bey dem Manne zu ſehen, und beyde haben zu uͤberlegen, was ſie dadurch fuͤr Vor - theil in ihrem Eheſtande ziehen, ſo werden ſie beſondere Bewegungs-Gruͤnde zu ei - ner aufrichtigen Liebe gegen einander gar bald finden, und dadurch zu einem ſolchen Bezeigen gegen einander bewogen werden, wie von beyden Seiten erfordert wird.

Wie Ei - nigkeit in Ehe -

§. 62.

Bey dergleichen Auffuͤhrung des Weibes und des Mannes gegen einanderwird47Cap. 2. Von dem Eheſtande. wird Friede oder Einigkeit erhalten. Dennſtande zu erhal - ten. da keines von beyden etwas zu thun verlan - get, was dem andern zuwider iſt, noch wieder die dem andern ſchuldige Pflichten handelt (§. 59. 61); ſo beleidiget keines das andere (§. 817 Mor.), und alſo leben ſie in Friede und Einigkeit neben einander (§. 880 Mor.).

§. 63.

Weil die Gluͤckſeeligkeit ein Zu -Wenn die Ehe gluͤckſee - lig. ſtand einer beſtaͤndigen Freude iſt (§. 52. Mor.); ſo iſt der Eheſtand gluͤckſelig, wenn Eheleute in einer beſtaͤndigen Freude neben einander leben, folgends: wenn die Luſt oder das Vergnuͤgen allzeit die Unluſt oder das Mißvergnuͤgen uͤberwieget (§. 446. Met.).

§. 64.

Hingegen weil die Ungluͤckſeelig -Wenn die Ehe ungluͤck - ſeelig. keit ein Zuſtand einer beſtaͤndigen Traurig - keit oder Mißvergnuͤgens iſt (§. 61 Mor.); ſo iſt die Ehe ungluͤckſeelig, wenn Eheleute in ſtetem Verdruß und Mißvergnuͤgen ne - ben einander leben, ſo daß die Unluſt, oder der Verdruß und das Mißvergnuͤgen die Luſt, und das Vergnuͤgen uͤberwiegen (§. 448 Met.), folgends der traurigen und mißvergnuͤgten Stunden allezeit mehr ſind als der freudigen und vergnuͤgten.

§. 65.

Wenn demnach Eheleute an die -Einig - keit und Liebe ſind zur gluͤckſee - ligen Ehe noͤthig. ſem Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen Urſache ſind; ſo machen ſie ihnen ſelbſt ihren Ehe - ſtand entweder gluͤckſeelig oder ungluͤckſee -lig.48Cap. 2. Von dem Eheſtande. lig. Derowegen da keines dem anderen Mißvergnuͤgen machet, wenn ſie in Einig - keit neben einander leben (§. 62); hinge - gen einander Freude und Vergnuͤgen ma - chen, wenn ſie einander inbruͤnſtig lieben (§. 449 Mer.); ſo ſind Einigkeit und Liebe zwey noͤthige Stuͤcke zu einer gluͤckſeeligen Ehe. Jm Gegentheile erhellet, daß Un - einigkeit und Haß die Ehe ungluͤckſeelig ma - chen.

Jnglei - chen ſo - viel Ver - moͤgen / als zur Noth - durff. dem Wohl - ſtande und der Bequem - lichkeit des Le - bens ge - hoͤret.

§. 66.

Wiederum weil der Mangel an demjenigen, was zu noͤthiger Nahrung, Kleidung und Wohnung, auch anderen dahin gehoͤrigen Bequemlichkeiten des Le - bens erfordert wird, Mißverguuͤgen ma - chet (§. 417 Met.); ſo wird dadurch eine Ehe gleichfalls ungluͤckſeelig. Und im Ge - gentheile muß eine Ehe gluͤckſeelig werden, wenn man darinnen ſo viel vor ſich bringen kan, als man zur Nahrung, Kleidung und Wohnung, auch andern dahin gehoͤrigen Bequemlichkeiten des Lebens noͤthig hat. Und demnach iſt der Zehr - und Ehren - Pfennig ein noͤthiges Stuͤcke zu einer gluͤck - ſeeligen Ehe.

Worauf im hey - rathen zuſehen noͤthig.

§. 67.

Da nun alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen im Eheſtande entweder von den Eheleuten oder ihrem aͤuſſerlichen Zu - ſtande herruͤhren muß, (denn was anders woher kommet, gehoͤret nicht zu dem Ehe - ſtande, indem es ſtat finden wuͤrde, auchwenn49Cap. 2. Von dem Eheſtande. wenn die Eheleute auſſer dem Eheſtande le - beten und das eine nur ein guter Freund des andern waͤre); ſo werden auch die Ehen bloß durch die Einigkeit und Liebe der Ehe - leute und den Zehr - und Ehren-Pfennig gluͤckſeelig. Hingegen durch Uneinigkeit und Haß der Eheleute und Mangel des Zehr - und Ehren-Pfennigs ungluͤckſeelig (§. 65. 66). Derowegen wenn die Ehen wohl ge - rathen ſollen, muß man fuͤr allen Dingen verſichert ſeyn, daß die Perſonen, ſo ſich darein begeben ſollen, einander inbruͤnſtig lieben und in Einigkeit mit einander leben, auch naͤchſt dieſem ſo viel vor ſich bringen werden, als dazu erfordert wird, wenn ſie ſich in Nahrung, Kleidung und Wohnung, auch andern dahin gehoͤrigen Bequemlich - keiten des Lebens, ihrem Stande gemaͤß auffuͤhren ſollen.

§. 68.

Daß demnach ſo wenige EhenWarum ſo weni - ge Ehen gerathen gerathen, kommet einig und allein daher, weil man insgemein nur auf eines von die - ſen Stuͤcken, nicht aber auf alle zugleich ſie - het, oder auch, man mag entweder nur auf eine oder alle ſehen, durch falſche Vor - ſtellungen betrogen wird, und nach dieſem die Sache gantz anders befindet, als man anfangs vermeinet, wennn man leider! zu ſpaͤte, da die Ehe ſchon vollzogen wor - den, erſt recht darhinter kommet.

(Politick) D§. 69.50Cap. 2. Von dem Eheſtande.
Noͤthige Erinne - rung.

§. 69.

Es demnach ein großes Verſe - hen, daß man oͤffters ohne Noth bey dem Heyrathen vielen Betrug brauchet, und ge - meiniglich die Sachen anders vorgiebet, als ſie ſind: als wodurch man die Leute nur un - gluͤckſeelig durch ihr Heyrathen machet. Allein weil auch nicht ſelten die Menſchen von demjenigen, was ſie nach ihrem Stan - de zu ihrer Nahrung, Kleidung, Wohnung und andern Bequemlichkeiten des Lebens brauchen, unrichtige Gedancken haben und daher Mangel zu leiden vermeinen, da ſie wohl gar einen Uberfluß haben; ſo iſt uͤber die maßen dienlich, daß man hiervon aus der Sittenlehre, das iſt, den Gedancken von der Menſchen Thun und Laßen, (§. 450. & ſeqq. ) noͤthigen Unterricht einhohlet. Dergleichen auch erfordext wird, wenn man die Auffuͤhrung ſeines Ehegattens ver - nuͤnfftig beurtheilen wil. Und alſo iſt Verſrand und Tugend wie in allen Dingen, ſo auch ſonderlich im Eheſtande hoͤchſt nuͤtz - lich und noͤthig.

Gefaͤhr - lichkeit im Hey - rathen.

§. 70.

Unterdeſſen da die Ehe Lebenslang dauret (§. 44); ſo iſt auch derjenige Menſch die gantze Zeit ſeines Lebens ungluͤckſeelig, der eine ungluͤckſeelige Ehe getroffen, die ſich nicht aͤndern laͤſſet, welches gar ſelten an - gehet. Hingegen wenn der Menſch eine gluͤck - ſeelige Ehe getroffen und nicht durch ſeine Schuld den Grund des Gluͤcks verderbet;ſo51Cap. 2. Von dem Eheſtande. ſo iſt er die gantze Zeit ſeines Lebens gluͤckſee - lig. Man kan ſich nehmlich ſelten Rechnung machen, daß durch den Tod des Ehegatten, der Urſache an der Ungluͤckſeeligkeit iſt, deꝛſelben weꝛde ein Ende gemacht weꝛden. Da nun aber eines jeden Menſchen Begierde von Natuꝛ dahin gehet, daß eꝛ gluͤckſeelig ſeyn wil; ſo hat man ſich im Heyrathen um ſo viel mehr in acht zu nehmen, je ſchwerer das wieder zu verbeſſern iſt, was ein mahl ver - ſehen worden. Unterdeſſen da gleichwohl hier am aller erſten was verſehen werden kan, indem man ſelten ſoviel Nachricht erhaͤlt, alszu gruͤndlicher Beurtheilung der Gluͤckſee - ligkeit der zu treffenden Che erfodert wird; ſo hat man das Heyrathen fuͤr das aller ge - faͤhrlichſte an zu ſehen, was man in ſeinem gantzen Leben zu wagen hat.

§. 71.

Um dieſer Gefaͤhrlichkeit willenWarum man ſich nicht darinnen uͤbereilen ſol. ſol auch niemand im Heyrathen ſich uͤber - eilen, zum allerwenigſten aber auch darauf dencken, wenn er noch nicht in dem Stande iſt das Hausweſen von ſeinem Erwerbe zu fuͤhren, es ſey denn daß das Weib ſo viel einbringet, als dem Manne zur Zeit noch abgehet, und dabey vernuͤnfftig, tugendhafft, auch haushaͤltig iſt: welches jedoch Dinge ſind, die man ſelten bey einander antrifft. (§. 59. 60.).

§. 72.

Es waͤrezwar noch gar vieles vonWarum nicht ein der Behutſamkeit zu errinnern, die bey Hey -D 2ra -52Cap. 2. Von dem Eheſtande. mehrers hiervon erinnert wird.rathen zu gebrauchen: allein da wir un - ſerm gegenwaͤrtigen Vorhaben ein Gnuͤgen gethan, wenn wir die allgemeinen Gruͤn - de, daraus das uͤbrige hergeleitet werden kan, abſonderlich wo uns die Erfahrung Gelegenheit an die Hand giebet, ausgefuͤh - ret; ſo laße ich es auch vor dieſes mahl hier - bey bewenden.

Warum das Weib nach des Mannes Tode ihr einge - brachtes haben muß.

§. 73.

Weil der Mann nur die Nu - tzung von des Weibes Guͤtern zu Ubertra - gung der Laſt des Eheſtandes anwenden kan (§. 55); ſo muß auch die Frau nach ſeinem Tode alle ihre bewegliche und un - bewegliche Guͤter wieder erhalten, inglei - chen kan der Mann ohne ihre Bewilligung von den unbeweglichen nichts verkauffen (§. 920 Mor.) und, wo fern dieſes geſchehen, bekommet ſie nach ſeinem Tode die Kauff - Summa des Geldes, als welche nach die - ſem als ein von ihr eingebrachtes bewegli - ches Gut anzuſehen.

Warum ſie ein Vorrecht fuͤr an - dern Glaͤubi - geꝛn hat.

§. 74.

Und ſolcher geſtalt hat das Weib ein Recht auf des Mannes Guͤter, in ſo weit das ihrige mit darunter enthalten, in - dem es in der That nicht des Mannes Guͤ - ter ſind, ſondern viel mehr ihre, ob ſie gleich deꝛ Mann als ſeine ausgegeben. Und demnach hat ſie auch billig ein Vorrecht fuͤr anderen Glaͤubigern des Mannes. Denn wenn ſie das ihrige weggenommen, ſo iſt des Man - nes Vermoͤgen, was uͤbrig bleibet.

§. 75.53Cap. 2. Von dem Eheſtande.

§. 75.

Man ſiehet aber hieraus, ohneWas ein Weib nicht wieder fordern kan. mein Erinnern, daß das Weib nichts wieder fordern kan, als was der Mann von ihrem Vermoͤgen in Empfang genommen, u. zum gemeinen Beſten des Eheſtandes genutzet. Derowegen wenn ſie etwas vor ſich behal - ten und nach ihrem eigenen Gefallen verwal - tet, auch entweder durchgebracht, oder ſich darum betruͤgen laßen; ſo kan ſie mit kei - nem Grunde nach des Mannes Tode ſol - ches aus ſeinem Vermoͤgen wieder for - dern.

§. 76.

Gleicher geſtalt wenn ein WeibEben der - gleichen Fall. Schulden machet, oder auch ſonſt bloß nach ihrem Gefallen ausgiebet, worein der Mann zu willigen nach den Regeln der Sit - tenlehre nicht befugt iſt; ſo hat ſie ſo viel, als dieſes austraͤget, von dem ihrigen ver - than, und kan es nach des Mannes Tode nicht noch einmahl wieder fodern.

§. 77.

Uber die unbeweglichen GuͤtterDas Weib hat den Scha - den von ihren Guͤttern zu tra - gen. des Weibes hat der Mann kein weiterers Recht, als daß er ſie brauchen kan (§. 55) und alſo eben das Recht, was ein Pachter hat (§. 926 Mor.). Derowegen wenn es ſich zutruͤge, daß ſie durch einen Ungluͤcks-Fall, daran er keine Schuld hat, entweder ver - dorben oder verſchlimmert wuͤrde; ſo triefft der Schaden das Weib, und kan ſie nicht verlangen, daß er ihr nach des Mannes Tode aus ſeinem Vermoͤgen erſetzet werde.

(§. 959 Mor.) D 3§.54Cap. 2. Von dem Eheſtande.
Jn was fuͤreinem Stande ſie ihre Guͤter wiedeꝛ zu fordern hat.

§. 78.

Aus eben dieſen Gruͤnden erhel - let, daß der Mann die Guͤter des Weibes auf das ſorgfaͤltigſte in acht zu nehmen hat, damit ſie nicht weiter verſchlimmert wer - den als der nothwendige Gebrauch mit ſich bringet; wiedrigen Falls aber das Weib die Erſetzung des Schadens aus des Man - nes Guͤtern fordern kan (§. 958 Mor.). Und weil der Mann die gantze Nutzung al - lein hebet; ſo iſt er auch verbunden dieſel - ben in ſolchem Stande zu erhalten, damit ſie ferner koͤnnen genutzet werden.

Was ein Ehegat - te von ſeinen Guͤttern dem an - dern zu verma - chen.

§. 79.

Weil ein Ehegatte den andern in - bruͤnſtig lieben ſol (§. 65.); ſo muß er auch aus des andern Gluͤckſeeligkeit Vergnuͤgen ſchoͤpffen (§. 449 Met.), und dannenhero begehren, daß ſein Ehegatte nach ſeinem Tode in beſtaͤndiger Freude und Vergnuͤ - gen (§. 52 Mor. & §. 446 Met.) lebe, fol - gends alles auch bey ſeinem Ende beytra - gen, was dazu befoͤrderlich iſt. Derowe - gen hat er von ſeinem Vermoͤgen nach ſei - nem Tode ſeinem Ehegatten ſo viel zuzu - wenden, daß er noch ſo vergnuͤgt wie vor - hin leben und den Verluſt nicht ſo leicht em - pfinden kan. Wie weit ſich dieſes thun laͤſſet, muß aus denen beſonderen Umſtaͤn - den in beſondern Faͤllen beurtheilet werden. Und weil die Eltern auch mit dabey auf die Kinder zu ſehen; ſo wird auch unten ein meh - reres davon vorkommen.

Das55Cap. 3. Von der Vaͤterl. Geſellſch.

Das 3. Capitel, Von der Vaͤterlichen Geſellſchafft.

§. 80.

WEil die Eltern verbunden ſind ih -Was die Vaͤtorli - che Ge - ſellſchafft iſt. re Kinder aufzuerziehen (§. 18.), das iſt, ſo weit zu bringen, daß ſie ſich ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen; ſo muͤſſen auch die Kinder mit den El - tern in einer Geſellſchafft leben (§. 2), wel - che man die Vaͤterliche genennet. Und alſo iſt die Vaͤterliche Geſellſchafft eine Geſellſchafft zwiſchen Eltern und Kindern, um ihrer Auferziehung willen.

§. 81.

Nehmlich weil die Kinder ſichGrund der Pflichten der El - tern ge - gen die Kinder / und der Kinder gegen die Eltern. nicht ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen, ſo haben ſie ſolches von andern zu fordern (§. 770 Mor.). Da nun aber kein Grund vorhanden, warum ſie ſolches vielmehr von andern, als von ihren Eltern fordern ſol - ten, wenn dieſe in dem Stande ſind ſolches zuthun; ſo lieget auch den Eltern ob ſie zu verſorgen und zu regieren, biß ſie dieſes ſelbſt zu thun vermoͤgend werden. Und muß aus dieſem Grunde alles beurtheilet werden, was die Eltern den Kindern, und hinwiederum die Kinder den Eltern ſchuldig ſind.

§. 82.

Damit man nun beſſer dieſenEs wird ausfuͤhr - Grund einſehen, und die noͤthigen PflichtenD 4der56Das 3. Capitel Von derlicher er - klaͤret.der Eltern gegen die Kinder und der Kinder gegen die Eltern daraus herleiten moͤge; ſo wird noͤthig ſeyn, daß ich deutlicher erklaͤ - re, was durch das verſorgen und regieren verſtanden wird. Nemlich Kinder ſind wie alle Menſchen verbunden ihren inneren und auſſeren Zuſtand ſo vollkommen zu machen, als moͤglich iſt (§. 19 Mor.). Dazu aber wird zweyerley erfordert. Einmahl ſind Mittel noͤthig, dadurch die Vollkommen - heit des inneren und aͤuſſeren Zuſtandes er - halten wird (§. 912 Met.); darnach muͤſ - ſen auch ihre Handlungen dergeſtalt einge - richtet werden, daß ſie nicht allein dieſe Mittel recht gebrauchen, ſondern auch durch ihre Handlungen ſich nicht daran hindern. Die Vorſorge gehet auf das erſte; die Re - gierung auf das andere. Es beſtehet dem - nach die Vorſorge der Eltern in einer Sorgfalt den Kindern alle Mittel zu ver - ſchaffen, die ſie zu Befoͤrderung der Voll - kommenheit ihres inneren und aͤuſſeren Zu - ſtandes von noͤthen haben: Hingegen die Regierung in Einrichtung ihrer Hand - lungen zu Erhaltung dieſer Abſicht. De - rowegen da wir in den Gedancken von dem Thun und Laſſen der Menſchen ausfuͤhrlich gezeiget haben, worinnen die Vollkom - menheit der Seele, des Leibes und des aͤuſ - ſerlichen Zuſtandes beſtehet, auch wie der Menſch ſeine Handlungen einzurichten hat,damit57Vaͤterl. Geſellſchafft. damit er dieſen Zweck, ſo viel in ſeiner Ge - walt iſt, erreichet; ſo wird ſich ohne Muͤ - he begreiffen laſſen, was an beyden Stuͤ - cken Eltern zu thun oblieget.

§. 83.

Es lieget demnach den Eltern obWie El - tern vor Woh - nung u. Kledung der Kin - der zu ſorgen. davor zu ſorgen, daß die Kinder ſo viel Nahrung und Kleider haben, als erfordert wird, wenn ſie einen geſunden Leib und ge - ſunde Gliedmaſſen erhalten und wohl wach - ſen ſollen (§. 450. 490 Mor.): wobey ſie zugleich des Wohlſtandes halber auf ihren Stand und Vermoͤgen zu ſehen haben (§. 458. 492 Mor.). Derowegen da die Mut - ter-Milch die erſte Nahrung des Kindes iſt, auch dabey bekand, daß die Kinder da - mit viel Boͤſes zu ihrer Ungeſundheit und Verderbung des Leibes, auch Gemuͤthes, einzuſaugen pflegen, wenn die Perſon, ſo ſie ſaͤuget, von wiedrigen Affecten und unor - dentlichen Begierden eingenommen wird; eine Mutter aber verbunden iſt alles zur Auferziehung des Kindes beyzutragen, was in ihrer Gewalt ſtehet: ſo ſol eine Mutter ihr Kind ſelbſt traͤncken, wenn ſie in dem Stande iſt ſolches zu thun. Es bekommet auch hiedurch eine Mutter mehr Liebe zu ihrem Kinde und wird zugleich an - getrieben, ſonderlich wo ſie dabey vernuͤnf - tig iſt, fleißiger auf ihr Kind acht zu haben: welches nach dieſem zu der uͤbrigen Kinder - Zucht nicht ein geringes beytraͤget. Daßman58Das 3. Capitel Von derman aber durch andere verrichten laͤſſet, was man ſelbſt zuthun nicht vermoͤgend iſt, z. E. wenn Mangel an der Milch ſich findet, oder die Bruͤſte boͤſe werden, o - der auch wenn die Mutter in Kranckheit ver - faͤllet, oder uͤberhaupt von ungeſunder Leibs - Conſtitution iſt, &c. ſolches hat ſeine ge - weiſete Wege.

Wie ſie ferner vor die Kinder zu ſor - gen.

§. 84.

Weil ſie aber auch verbunden ſind darauf zu ſehen, daß die Kinder nicht nur einen geſunden Leib, ſondern auch ge - ſunde Gliedmaſſen und einen geſchickten Leib erhalten (§. 447. 449 Mor.), ſo gebuͤh - ret ihnen auf das ſorgfaͤlltigſte auf ſie acht zu haben, damit ſie in keinem von dieſen Stuͤ - cken verabſaͤumet, noch verwahrloſet wer - den. Derowegen weil ſelten Leute, die bloß um des Brodtes willen dienen, genung - ſame Sorgfalt hierinnen bezeigen; ſo lie - get den Eltern ſelber ob, darauf mit Fleiß acht zu haben und den Kindern, ſoviel nur immer moͤglich iſt, alle Gelegenheit zu be - ſchneiden, da ſie zu Schaden kommen koͤn - nen; hingegen auch bey Zeiten den Leib durch allerhand Bewegungen und Stellun - gen zu uͤben, wodurch er geſchickt wird. Und hat man hier ſo wohl, als vorhin, auch auf ſeinen Stand zu ſehen (§. 142 Mor.).

Errinne - rung.

§. 85.

Es wuͤrde zu weitlaͤufftig fallen, wenn ich hier auf beſondere Handlungen kommen wolte. Wer der Sache ſelbſtennach -59Vaͤterlichen Geſellſchafft. nachdencket, wird durch Huͤlffe der allge - meinen Regel in ſich ereigenenden Faͤllen ſelber darauf kommen. Unterdeſſen waͤre es auch nicht undienlich, wenn man zugleich aus der Erfahrung mit Fleiß lernete, wo es hierinnen getroffen, wo es verſehen wird; ſo wuͤrde man in der Kinderzucht, daran ſo gar viel gelegen iſt, noch immer weiter kommen, und zum gemeinen Gebrauche auch fuͤr gemeine Leute, und die ihnen am Verſtande nicht uͤberlegen ſind, viele be - ſondere nuͤtzliche Regeln vorſchreiben koͤnnen.

§. 86.

Abſonderlich wird auch von El -Wie El - tern vor die Sin - nen / das Gedaͤcht - nis und die Ein - bildun - ges - Krafft der Kin - der zu ſorgen haben. tern erfordert, daß ſie die Gliedmaſſen der Sinnen, abſonderlich der Augen und des Gehoͤres, bey den Kindern in gutem Stan - de erhalten, damit keines von denſelben geſchwaͤchet, viel weniger gar verdorben werde (§. 498 & ſeqq. Mor.). Und eine gleiche Bewandniß hat es mit dem Ge - daͤchtniſſe und der Einbildungs-Krafft (§. 505 Mor.). Derowegen haben ſie auch bey allen Handlungen mit auf die Sinnen, das Gedaͤchtniß und die Einbildungs-Kraft zu ſehen, was ſie nemlich veraͤnderliches bey den Kindern nach ſich ziehen. Z.E. in ſtarckem Lichte, ſonderlich in dem hellen Mittags-Lichte der Sonne, wird das Au - ge bloͤde, daß es weder bey ſchwachem Lich - te in der Naͤhe, noch bey ſtarckem in der Ferne wohl ſehen kan: welches nicht alleindie60Das 3. Capitel Von derdie Erfahrung bekraͤfftiget, ſondern auch in Erklaͤrung der Natur aus Beſchaffenheit des Auges und des Lichtes ſich deutlich zei - gen laͤßet. Derowegen ſol man kleine Kin - der weder in das helle Sonnen-Licht legen, noch viel mit ihnen darinnen herumgehen. Aus dieſem Exempel ſiehet man, wie in an - dern Faͤllen zu verfahren, und auf was fuͤr Art und Weiſe vermittelſt der allgemeinen Regeln beſondere gefunden werden. Man muß entweder durch die Erfahrung, oder Vernunfft ausmachen (§. 372 Met.), wo - durch den Sinnen, dem Gedaͤchtniſſe und der Einbildungs-Krafft Eintrag geſchiehet, und ſo wiꝛd ſichs finden, was man fuͤꝛ Hand - lungen bey der Pflegung der Kinder in An - ſehung dieſer Stuͤcke zu unterlaſſen, und welche man hingegen vorzunehmen hat, auch wie man die noͤthigen Handlungen ein - zurichten hat, damit alles wiedrige vermie - den werde.

Wie man fuͤr die Seele der Kinder zu ſoꝛgen.

§. 87.

Da nun aber die Sorge fuͤr die Seele mit der Vorſorge fuͤr den Leib ver - einiget werden muß (§. 225 Mor.); ſo muͤſ - ſen auch die Eltern darauf bedacht ſeyn, wie ſo wohl der Verſtand, als der Wille der Kinder gebeſſert werde (§. 254. 372 Mor). Es iſt zwar wahr, daß anfangs bey den Kindern faſt einig und allein auf ihren Leib zu ſehen: allein wir werden bey reifferer U - berlegung doch hernach finden, daß man eherauf61Vaͤterlichen Geſellſchafft. die Beßerung des Verſtandes und des Wil - len zu ſehen hat, als man ins gemein daran zu gedencken pfleget. Und es iſt gewis nichts geringes, daß man zu rechter Zeit daran gedencket: denn wer es zu lange aufſchiebet der laͤſſet geſchehen, daß unterdeſſen ſo wohl der Verſtand, als der Wille viel faͤltig ver - dorben wird, ehe er an die Beſſerung ge - dencket. Man kan aber gar leicht begreiffen, daß es ſchweerer ſeyn muß Willen und Ver - ſtand zu beſſern, wenn er ſchon verdorben worden, als wenn dieſes noch nicht geſche - hen. Denn in dem Falle, da ſchon eine uͤbele Gewohnheit ſich mit den natuͤrlichen Neigungen vereinbahret; muß man nicht allein dieſen Einhalt thun, ſondern hat auch allzeit mit denen aus jener entſpringenden Hinderniſſen zu ſtreiten.

§. 88.

Der erſte Grad der ErkaͤntnißWie man Kindern die erſten Begetef - fe beyzu - bringen. ſind die klaren Begrieffe (§. 9. c. 1. Log.). Da wir nun klare, aber undeutliche Be - griffe erlangen, wenn wir nicht auf jedes, was in einem Dinge ſich unterſcheiden laͤſ - ſet, inſonderheit acht haben und ihre Ord - nung und Verknuͤpffung zu betrachten un - terlaſſen (§. 21 c. 1. Log. ), Kinder aber anfangs zu dergleichen Aufmerckſamkeit und Uberlegung ungeſchickt ſind; ſo koͤnnen ſie auch Anfangs keine andere als undeutli - che Begriffe erlangen. Damit ſie aber da - zu kommen, muß man ihnen allerhand Din -ge62Das 3. Capitel Von derge vor die Augen bringen und ſie gewoͤhnen darauf zuſehen, auch ſo bald ſie reden ler - nen, darnach zu fragen, wie dieſes oder je - nes heiſſe. Jemehr man nun ihnen derglei - che Begriffe beybringen kan, je beſſer iſt es: denn ſie legen nicht allein dadurch den Grund zu mehrerer Erkaͤntnis, ſondern wer - den auch lehrbegierig, das iſt, ſie erlan - gen eine Begierde von allem, was ihnen vorkommet, Unterricht zu haben.

Wie man ſie zu deutli - chen vor - bereiten ſol.

§. 89.

Da nun in der Natur kein Sprung geſchiehet, ſondern alles nach und nach kommet (§. 686. 765. Met.), ſo muß man auch von einem Grade der Erkaͤntnis nicht gleich zu dem andern ſchreiten, ſondern viel - mehr wenn man mit dem erſten zu Stande kommen, damit noch weiter dergeſtalt fort - fahren, daß man zugleich zu dem folgenden ſich vorbereitet. Derowegen weil von Sei - ten unſer, woferne wir zu einem deutlichen Begriffe gelangen wollen, erfordert wird, daß wir alles, was ſich in einem Dinge ei - niger maſſen von einander unterſcheiden laͤſ - ſet, zuerſt beſonders betrachten, darnach eines gegen das andere halten und auf die Ordnung und Verknuͤpffung ſorgfaͤltig acht geben (§. 19. c. 1. Log. ); ſo wird zu dieſer Vorbereitung zweyerley erfordert, nemlich 1. daß man ſich gewoͤhnet auf eine Sache recht acht zu haben, und 2. eines nach dem an - dern beſonders zu betrachten und zu uͤberle -gen.63Vaͤterlichen Geſellſchafft. gen. Zu dem erſten werden die Kinder ge - woͤhnet, wenn man ihnen ein Ding lange vorhaͤlt u. ſie aufmuntert darauf zuſehen, oder ſonſt durch die uͤbrigen Sinnen zubegreif - fen, auch den Nahmen darbey vorſaget und ſie begierig machet denſelben zuwiſſen, da - mit ſie bald ſelbſt darnach fragen, wenn ih - nen etwas vorkommet, deſſen Nahme ih - nen noch unbekand iſt. Denn wenn ſie von der erſten Kindheit an ſich gewoͤhnen auf das zuſehen, was ihnen vorkommet, nach dem Nahmen deſſelben zu fragen und auf alle ih - nen moͤgliche Weiſe durch die Sinnen zu - begreiffen; ſo wird dieſes bey ihnen zur Ge - wohnheit, daß ſie es in allen dergleichen Faͤllen, da ihnen etwas vorkommet, wie - derum thun (§. 238. 331. Met.). Sollen ſie nun auch zu dem andern gelangen, daß ſie nemlich gewohnen, eines nach dem an - dern in einem Dinge beſonders betrachten; ſo muß man fuͤr allen Dingen dasjenige, was man ihnen zeiget, nach und nach von einer Seite nach der andern vorzeigen, und ſie aufmuntern darauf zu ſehen, auch den Nahmen deſſen, was man verſchiedenes antrifft, dabey nennen. Hierdurch lernen die Kinder unvermerckt, daß in einer Sa - che verſchiedenes vorkommet und man ſie nicht oben hin anſehen muß, wenn man ſie recht kennen wil. Darnach muß man ſie gewoͤhnen nach dem Nahmen aller Theilezu64Das 3. Capitel Von derzu fragen, die man in einem Dinge von ein - ander unterſcheiden kan: denn ſo werden ſie unvermerckt lernen dasjenige, was in einem Dinge unterſchiedenes vorkommet, von ein - ander zu unterſcheiden, und alſo eines nach dem andern ins beſondere als ein beſonderes Ding anzuſehen.

Wie ſie zu deutli - chen Be - griffen geleitet werden.

§. 90.

Wo dieſe Vorbereitung vorher - gegangen, da hat man in der That ſchon alles gethan, was man vornehmen muß, wenn man deutliche Begriffe erlangen wil und kan einen dannenhero nichts befrem - den, wenn man zu dieſer Arbeit fortſchrei - tet. Damit nun aber die Kinder bey Zei - ten an die Deutlichkeit der Begriffe ſich ge - woͤhnen; ſo muß man damit den Anfang machen, ſo bald als man mercket, daß es ſich thun laͤſſet. Dieſe Arbeit wird folgen - der Geſtalt vorgenommen. Man leget ih - nen Sachen vor, davon ſie ſchon klare Be - gꝛiffe haben und dieihnen beꝛeits bekand ſind. Alsdenn zeiget man ihnen nach einander al - les, was an ihnen verſchiedenes anzumer - cken; laͤſſet ſie darauf acht haben, wie ei - nes auf das andere folget und mit ihm ver - knuͤpfft iſt, auch alles mit ſeinem Nahmen nennen (§. 19. c. 1. Log.). Bey kleinen Kin - dern kan man ſelbſt mit Spiel-Wercke den Anfang machen: bey denen, die nun wei - ter ſind, daß ſie ſchon anfangen zu lernen, mit Figuren und Zahlen dergleichen Ubun -gen65Vaͤterlichen Geſellſchafft. gen vornehmen. Dadurch werden die Kin - der unvermerckt inne werden, daß, wenn man eine Sache gleich ſchon gar wohl ken - net, man dennoch bey ihr noch gar vieles finde, wo ferne man ſie genauer zu betrach - ten ſich angelegen ſeyn laͤſſet. Wie man in dieſen Ubungen immer weiter fortgehen ſol, wird derjenige verſtehen, welcher inne hat, was wir in den Gedancken von den Kraͤfften des Verſtandes (§. 7. 8. 19. c. 1.) von Er - langung deutlicher Begriffe beygebracht. Es iſt zu mercken, daß die Zergliederung der Rede eine Aenlichkeit mit der Zergliederung der Begriffe hat und daher bey dem Leſen de - nen Kindern ein Begriff davon kan beyge - bracht werden, der ihnen nach dieſem die Sache nicht wenig erleichtert (§. 364. 366. Met.). Nemlich eine Rede ſtellet eine zu - ſammen geſetzte Sache vor. Sie laͤſſet ſich in ihre Theile, als in andere weniger zuſam - men geſetzte Sachen zergliedern, und dieſe ferner in Woͤrter, die Woͤrter in Sylben, die Sylben endlich in Buchſtaben. Hier haben wir ein gantz klares Bild von der Fortſetzung der Zergliederung, wenn man immer vollſtaͤndigere Begriffe haben wil. Die Zergliederung der Zahlen, die endlich aus Einheiten zuſammen geſetzet werden, hat mit ihnen eine groſſe Verwandſchafft. Da wir hier bloß auf die Fertigkeit des Ver - ſtandes ſehen, die durch die Ubungen erlan -(Politick) Eget66Das 3. Capitel Von derget wird (§. 525. Met.), nicht aber eben auf die Erkaͤntnis der Sachen vor und an ſich ſelbſt; ſo gilt es gleich viel, was fuͤr Sa - chen dazu erwehlet werden. Die Wahl iſt geſchickt angeſtellet, wenn man ſolche heraus lieſet, welche die Ubung leichte ma - chen. Kinder, die noch nicht mit Vorur - theilen verwoͤhnet worden, auch vor ſich noch nicht weit dencken koͤnnen, nehmen oh - ne dem an, was man ihnen bringet.

Wie man die Kin - der wi - tzig ma - chet.

§. 91.

Der Witz beſtehet in einer Leich - tigkeit die Aenlichkeiten wahrzunehmen (§. 366. Met.). Derowegen kan man auch den Kindern behuͤlfflich ſeyn, daß ſie witzig wer - den, wenn man ihnen fleißig die Aenlich - keiten zeiget, die ſich zwiſchen denen Din - gen befinden, die ſie erkand haben oder ih - nen vorkommen. Dieſes kan ihnen nicht allein kuͤnfftig dienen, wenn der Zuſtand des Alters es leidet, auf allgemeine Be - griffe zu gedencken (§. 26. c. 1. Log. ), ſon - dern auch zu Erfindung der Wahrheiten durch ſich ſelbſt (§. 367. Met.). Ja da die Kinder aus Mangel der Vernunfft ſich in ihren Handlungen auf die Erwartung aͤn - licher Faͤlle gruͤnden muͤſſen (§. 331. Met.); ſo verhalten ſie ſich in dieſem Stuͤcke der Vernunfft gemaͤſſer (§. 375. Met.).

Wie man das Vor - urtheilfuͤr Per -

§. 92.

So lange die Kinder noch ſchwach an Verſtande ſind, kan man ihnen die Wahrheiten nicht anders beybringen, alsdaß67Vaͤterlichen Geſellſchafft. daß ſie ſie in das Gedaͤchtnis faſſen. Je -ſonen in Erkaͤnt - nis der Wahr - heit hin - dern ſol. doch damit ſie nicht dadurch in das Vor - urtheil verleitet werden, als wenn man et - was andern zu Gefallen glauben muͤſte: ſo hat man ſie bey Zeiten dazu zugewoͤhnen, daß ſie uͤberall fragen, warumb dieſes iſt und warumb ſie dieſes oder jenes thun ſol - len. Nemlich in dem ſie dadurch erkennen, daß alles ſeinen zureichenden Grund hat, warumb es vielmehr iſt als nicht iſt; ſo wird ihnen nicht allein der Satz des zureichenden Grundes feſt eingepraͤget, ſondern ſie er - kennen auch, es ſey etwas nicht deswegen wahr, weil es der andere ſaget. Und da - durch gewohnet man nichts von anderen bloß deswegen anzunehmen, weil ſie es ſa - gen: welches man eben zuerhalten vermei - nete.

§. 93.

Da der Satz des zureichendenWie Kin - der ver - nuͤnfftig werden. Grundes der Grund der Vernunfft iſt, dieſe aber in der Einſicht in den Zuſammenhang der Wahrheit beſtehet (§. 30. 368. Met.); ſo ſiehet man hieraus, daß die Kinder dadurch zugleich vernuͤnfftig werden, wenn ſie ſich gewoͤhnen allzeit nach dem Grunde zufra - gen, warumb dieſes iſt, und warumb ſie dieſes oder jenes thun ſollen.

§. 94.

Weil nun dasjenige, was denWas bey Kindern zuver - meiden. Kindern in ihrer erſten Kindheit eingepraͤget wird, feſt bleibet, auch die dadurch erregte Neigungen und Gewohnheiten ſich gar uͤbelE 2wie -68Das 3. Capitel Von derwieder aͤndern laſſen (§. 384 Mor.): ſo hat man mit dem groͤſten Fleiße darauf Acht zu haben, daß ihnen keine Vorurtheile und Jrrthuͤmer beygebracht, auch ſie nicht zu Aberglauben verleitet, und in boͤſen Nei - gungen und Affecten geſtaͤrcket werden. Jn dieſem Stuͤcke wird es leider gar ſehr verſehen, indem die erſte Auferziehung ſol - chen Perſonen anvertrauet wird, die in Vorurtheilen, Jrrthuͤmern und Aberglau - ben ſtecken, und daher durch ihre erdich - tete Hiſtorien, die ſie den Kindern zu er - zehlen pflegen, auch durch allerhand Jrr - thuͤmer, die ſie ihnen als Bewegungs - Gruͤnde von etwas abzuſtehen, beybringen, groſſen Schaden ſtifften. Man findet es, was dergleichen Verfahren nach ſich zie - het, auch wenn man zu Jahren kommet, und durch voͤlligen Verſtand die Nichtigkeit der beygebrachten Vorur heile und Jrr - thuͤmer erkennet, von denen daher ruͤhren - den Neigungen und Affecten aber ſich doch nicht loß reißen kan, weil ſie einmahl zu tief eingewurtzelt: wovon die Urſache an einem andern Orte (§. 419 Mor.) gezei - get worden.

Worauf in Beſſe - rung des Willens zu ſehen.

§. 95,

Was die Beſſerung des Wil - lens betrifft, ſo haben Eltern mit aller Sorgfalt darnach zuſtreben, wie ſie den Kindern eine Begierde nach dem Guten, hingegen einen Abſcheu fuͤr dem Boͤſen(§. 372.69Vaͤterlichen Geſellſchafft. (§. 372. Mor.), folgends eine Liebe zur Tugend (§. 450. Met. & §. 9. 64. Mor.) und einen Haß an den Laſtern (§. 4. 55. Met. & §. 9. 64. Mor.) bey Zeiten ein - pflantzen, auch alle Begierde zum Boͤſen und allen Wiederwillen fuͤr dem Guten ausrotten.

§. 96.

So lange die Kinder keinen Ge -Wie El - tern die Kinder zum Gu - ten ver - binden. brauch der Vernunfft haben, laͤſſet ſich auch durch vernuͤnfftige Vorſtellungen des Guten und Boͤſen bey ihnen nichts aus - richten. Da nun in dieſem Falle die na - tuͤrliche Verbindlichkeit zum Guten und wieder das Boͤſe nicht zureichend iſt (§. 9. Mor.); ſo muͤſſen die Eltern ſie auf eine andere Art verbinden, indem ſie nemlich ihnen empfindliche Straffen mit den boͤ - ſen, hingegen Belohnungen mit den guten Handlungen verknuͤpffen (§. 8. 36 Mor.). Und wird hierdurch das Geſetze der Natur zu einem Natuͤrlichen Geſetze (§. 18. Mor.).

§. 97.

Gleichwie man aber uͤberhauptWie die - ſe Ver - bindlich - keit ein - zurich - ten. ſich nach den natuͤrlichen Neigungen des Menſchen richten muß, wenn man ihn ge - ſchwinde lencken wil (§. 240 Mor.); ſo hat man am allermeiſten dieſes bey Kindern zu beobachten, bey welchen man anfangs nichts als die natuͤrlichen Neigungen findet, auch dieſen zu wiederſtehen ſich nicht ſo gleich Mittel zeigen. Derowegen hat manE 3darauf70Das 3. Cap. Von derdarauf zu ſehen, ob ſie ſich lieber mit gu - ten, als mit harten Worten; mehr mit Bedrohungen, als mit Schlaͤgen ziehen laſſen, und was dergleichen mehr iſt. Wir finden es auch bey erwachſenen, daß man nichts ausrichtet, wenn man es auf die un - rechte Art angreiffet. Jedoch hat man hierbey auch wohl mit darauf acht zu ge - ben, daß die natuͤrlichen Neigungen zum boͤſen dadurch nicht geſtaͤrcket werden. Z.E. Wer von Natur zur Wolluſt geneiget, deſſen Neigung dazu wird geſtaͤrcket, wenn man ihm leckerhaffte Sachen giebet, wo - ferne er thut, was man haben will: hinge - gen brauchet man dieſe Neigung zu eben dem Ende, wenn man ihn darben laͤſſet, oder auch unſchmackhafftere Speiſe giebet, wenn er nicht thun will, was ihm befohlen wird. Es iſt in der That hier mehr Be - hutſamkeit noͤthig, als man vermeinen ſol - te. Derowegen da es bey den meiſten Menſchen auf das Gluͤck ankommet, wie ſie aͤuferzogen werden; ſo iſt kein Wun - der, daß auch viele und oͤffters die meiſten nicht gerathen. Jngleichen da nicht alle einerley natuͤrliche Neigungen haben; ſo kan es nicht ſeyn, daß alle Kinder gleich ge - rathen, wenn ſie auf einerley Weiſe tracti - ret werden. Man mag entweder wieder die natuͤrliche Neigung verfahren, oder ſie zum Nachtheile des Guten ſtaͤrcken; ſo iſteines71Vaͤterlichen Geſellſchafft. eines ſo ſchaͤdlich, als das andere. Der Menſch wird in beyden Faͤllen verderbet, und was in der erſten Kindheit verdorben, laͤſſet ſich nach dieſem in erwachſenen Jah - ren ſchweerlich aͤndern. Man hat aber auf die natuͤrlichen Neigungen der Kin - der acht zu geben, wenn ſie noch an ihrer Mutter Bruſt liegen. Denn unerachtet zur ſelbigen Zeit alle ihre Handlungen in gantz wenigen Bewegungen des Leibes be - ſtehen; ſo iſt doch gewis, daß ſie mit dem Gemuͤthe uͤbereinſtimmen (§. 765 Met.) und man auch darinnen ihren Grund fin - den kan, und zwar um ſoviel leichter, je weniger noch durch die Gewohnheit etwas dazu kommen. Es zeiget ſich hier ein Weg allerhand nuͤtzliche Dinge zu beobachten; ſonderlich wenn man zugleich ans dem, was man wahrnimmet, von den natuͤrli - chen Neigungen urtheilen und nach dieſem acht geben wolte, wie das Urtheil einge - troffen, wenn ſie ſich durch verſchtedene Handlungen nach dieſem deutlicher zeigen.

§. 98.

Naͤchſt dieſem hat man eine groſ -Wie man boͤſe Ge - wohnhet - ten zu verhuͤ - ten. ſe Behutſamkeit zu gebrauchen, daß man nichts ſchlimmes, oder auch nur derglei - chen, daraus etwas ſchlimmes erwachſen kan, zur Gewohnheit werden laͤſſet, weil ſie nicht allein vor ſich, das iſt, in der Art der Handlungen ſchadet, wo ſie eingeriſſen (§. 383 Mor.), ſondern auch in anderenE 4aͤhn -72Das 3. Cap. Von deraͤhnlichen Faͤllen vielfaͤltig auf Abwege ver - leitet (§. 331 Met.). Hierzu kommet noch dieſes, daß eine Gewohnheit ſchweer zu aͤn - dern (§. 384. 421 Mor.), und die Aende - im guten gar ſehr hindert (§. 386 Mor.). Man hat aber hierbey wohl zu mercken, daß alles, was man mit den Kindern von ihrer erſten Geburths-Stunde an vornim - met, einen Eindruck in ihren Leib und Ge - muͤthe machet, dadurch ſie zu gewiſſen Handlungen gleichſam geneiget werden, ſo daß ſie geſchwinder und leichter als andere dazu zu bringen ſind. Derowegen waͤre hier vieles ſehr genau zu unterſuchen, wenn es uns ein Ernſt waͤre die Auferzie - hung der Kinder mehr in unſerer Gewalt zu haben, als bisher nicht moͤglich iſt. Nem - lich bey allen Tugenden und Laſtern ſind ge - wiſſe Bewegungen des Leibes noͤthig, wenn ſie ſollen veruͤbet werden (§. 1 Mor.). Wer nun dergleichen Bewegungen ſchon oͤffters gehabt, der iſt mehr dazu aufgelegt als ein anderer. Wem bekand iſt, wie alles mitein - ander verknuͤpfft, und immer eines aus dem andern erfolget, den wird nicht befremden, was ich geſaget.

Fernere Einrich - tung der Verbind - lichkeit.

§. 99.

Woferne nun aber entweder un - vermerckt oder auch aus Nachlaͤßigkeit boͤſe Gewohnheiten eingeſchlichen, oder zum wenigſten ſolche, die nach ſich ereignenden Umſtaͤnden ſowohl zum Guten, als zum Boͤ -ſen73Vaͤterlichen Geſellfchafft. ſen koͤnnen angewendet werden; ſo hat man darauf allerdings mit zu ſehen, wenn man die Kinder zum Guten verbinden will (§. 240 Mor.).

§. 100.

So bald der Verſtand undWenn Kinder im guten vernuͤnff - tig zu machen. Gebrauch der Vernunfft ſich aͤuffert, hat man darauf zu ſehen, daß die Kinder nicht Sclaven im guten bleiben, ſondern es viel - mehr aus voͤlliger Freyheit thun (§. 377. Mor.). Und hierzu dienet alles dasjenige, was von der Beſſerung des Willens (§. 373 & ſeqq. Mor.), weitlaͤuftig ausge - fuͤhret worden. Es wird freylich eines und das andere in der Ausuͤbung noch einige Geſchicklichkeit erfordern, wenn man es bey Kindern anbringen wil: allein wir koͤn - nen uns vor dieſes mahl nicht in weitere Weitlaͤufftigkeiten einlaſſen.

§. 101.

Weil Kinder bloß den GebrauchWarum Kinder nichts boͤſes noch un - anſtaͤn - diges ſe - hen doͤrf - fen. der Sinnen und Einbildungs-Krafft haben, keines weges aber den Gebrauch der Ver - nunfft, als welche erſt durch viele Ubung erhalten wird (§. 525 Met.); ſo koͤnnen ſie ſich auch nichts vorſtellen, als was ſie ſehen oder ſonſt empfinden und die Einbildungs-Kraft bringet hervor, was ſie ſonſt damit ver - wandtes empfunden (§. 238 Met.). Da nun hieraus ihre ſinnliche Begierden er - wachſen (§. 434 Met.), mit denen die aͤuſſeren Handlungen oder Bewegungen des Leibes uͤbereinſtimmen (§. 765 Met.);E 5ſo74Das 3. Cap. Von derſo koͤnnen Kinder auch nichts thun, als was ſie von andern geſehen und wozu ſie gewoͤh - net worden, jedoch mit einigem Unterſchei - de, in ſo weit nemlich die natuͤrliche Nei - gungen in den Handlungen einige Aende - rung machen. Und daher komme es, daß Kinder alles nachthun, und in aͤhnlichen Faͤllen ein gleiches thun (§. 331. Met.). Derowegen hat man die allergroͤſte Sorg - falt zu gebrauchen, daß Kinder nichts boͤ - ſes noch unanſtaͤndiges zu ſehen bekommen, ehe ſie eine Gewohnheit im guten erhalten, und durch den Gebrauch der Vernunfft Gutes und Boͤſes recht zu unterſcheiden wiſ - ſen. Man ſiehet hieraus zugleich, warum Kinder am aller leichteſten ſich verfuͤhren laſ - ſen. Man erkennet aber auch, welche Menſchen den Kindern gleich zuachten ſind, wenn ſie auch gleich den Jahren nach nicht mehr Kinder ſeyn, und daher ſich ſo leicht als jene verfuͤhren laſſen, nemlich alle die - jenigen, die bloß an ihren Sinnen und der Einbildungs-Krafft hangen, und weder Erfahrung noch Gewohnheit im Guten ha - ben.

Wie El - tern den Kindern ein gutes Exempel geben ſollen.

§. 102.

Weil nun die Kinder um die Eltern ſind und ihr Thun und Laſſen ſehen; ſo ſind ſie auch verbunden, ihnen mit guten Exempeln vorzugehen, das iſt, weder zu thun, was boͤſe, noch zu unterlaſſen, was gut iſt, ja auch dergleichen Handlungenfuͤr75Vaͤterlichen Geſellſchafft. fuͤr ihnen zu verheelen, durch deren Nachah - mung in unrechten Faͤllen ſie koͤnnen ver - dorben werden. Und hieraus erwaͤchſet von neuem eine Verbindlichkeit zu einer gu - ten Auffuͤhrung der Eheleute gegen einan - der.

§. 103.

Da nun Exempel und Fabeln,Was fuͤr Hiſtoꝛien und Fa - beln den Kindern zu erzeh - len. die ſo eingerichtet ſind, daß ſie den Erfolg der guten und boͤſen Handlungen hand - greifflich machen, dazu dienlich ſind, daß man im guten vernuͤnfftig wird, auch die Vernunfft bey den Sinnen, der Einbil - dungs-Krafft und den Affecten nicht un - terliegen darf (§. 373 Mor.); ſo hat man den Kindern, bey ſich zeigendem Gebrau - che der Vernurfft, durch Exempel und Fa - beln die Tugenden und Laſter vorzuſtellen, damit ſie beyde nicht allein kennen lernen, ſondern auch einen Trieb zu jenen, und ei - nen Abſcheu fuͤr dieſen bekommen. Und mit dieſen Erzehlungen wuͤrde man bey ih - nen ein mehrers fruchten als mit den abge - ſchmackten Maͤhrlein, die gewoͤhnlicher Maßen von alten Weibern und ihres glei - chen den Kindern erzehlet werden, dadurch ſie in allerhand Vorurtheil und Aberglau - ben verleitet, auch oͤffters zu vielen boͤſen Neigungen gleichſam zugeſtimmet werden. Man ſiehet auch hieraus, was fuͤr Leuten man die Aufferziehung anzuvertrauen hat.

§. 104.76Das 3. Cap. Von der
Wie man ihnen Luſt zur Arbeit machet.

§. 104.

Damit die Kinder von ihrer erſten Kindheit an Luſt zur Arbeit, und hin - gen Abſcheu fuͤr dem Muͤßiggange bekom - men; ſo muͤſſen ſie allzeit etwas vorhaben und niemahls in der Stille muͤßig zu ſitzen angehalten werden. Weil ſie nun aber zur Arbeit noch nicht geſchickt ſind; ſo koͤnnen ſie auch nichts thun als ſpielen. Es iſt a - ber das Spiel eine jede Verrichtung, die man zum Zeit-Vertreibe vornimmet. Und demnach muͤſſen Kinder allezeit etwas zu ſpielen haben. Wer von Kindheit auf ge - wohnet iſt immer etwas vorzuhaben, dem faͤllet es auch in erwachſenen Jahren be - ſchweerlich, wenn er nichts vorhaben ſoll.

Was bey ihrem Spielen zu beden - cken.

§. 105.

Bey den Spielen der Kinder finde ich zweyerley zu errinnern. Erſtlich muß man darauf ſehen, daß ſie durch das Spielen an ſolche Handlungen gewoͤhnet werden, dergleichen ſie nach dieſem in ihren ernſthafften Verrichtungen noͤthig haben. Denn auf ſolche Weiſe werden ſie zu die - ſem vorbereitet, und faͤllet ihnen nachdem nicht ſchweer, wenn ſie von dem Spielen zur Arbeit ſchreiten: wie aus demjenigen mit mehrern abzunehmen, was in einem aͤhnlichen Falle von dergleichen Vorberei - tung ausgefuͤhret worden (§. 89). Nem - lich man ſiehet leicht, wenn bey den ernſt - hafften Verrichtungen oder der Arbeit eben dergleichen Handlungen noͤthig ſind, die ſiebey77Vaͤterlichen Geſellſchafft. bey dem Spielen gebrauchen, ihnen die Arbeit eben wie das Spiel vorkommet. Derowegen da ſie mit Luſt geſpielet; koͤn - nen ſie auch nicht mit Verdruß arbeiten. Darnach hat man zugleich Vorſorge zu tragen, daß ſie durch die Spiele allerhand nuͤtzliche Wahrheiten in ihr Gemuͤthe praͤ - gen, die der Grund zu vieler Erkaͤntnis ſind, wenn ſie nach dieſem ihren Verſtand ſollen brauchen, und etwas nuͤtzliches ler - nen. Endlich muͤſſen ſie auch dahin ge - bracht werden, daß ſie ſich in ihrem Spie - le ordentlich auffuͤhren, und hat man da - vor zu ſorgen, wie ſie dadurch den Begriff eines ordentlichen Wandels feſt in ihr Ge - muͤthe praͤgen (§. 142 Mor.), auch durch dieſe Ubung im Spiele einige Fertigkeit bekommen. Jch weiß wohl, daß nun die meiſten fragen werden, wie iſt dieſes alles anzuſangen? Allein wer ſiehet nicht, daß dieſe Materien ins beſondere auszufuͤhren hier weder Zeit, noch Gelegenheit iſt? Man muͤſte ein gantzes Buch allein hiervon ſchrei - ben, wenn alles zum gemeinen Gebrauche ins beſondere ſolte ausgefuͤhret werden. Wenn viele, denen GOtt Gelegenheit ge - geben in der Kinderzucht etwas nuͤtzliches zu verſuchen, mit reiffem Verſtande und einer guten Einſicht in die unſer Thun und Laſſen betreffende Wahrheiten daruͤber kommen werden; ſo wird mit der Zeit vielnuͤtz -78Das 3. Cap. Von dernuͤtzliches von ihnen in dieſem Theile der Kinderzucht beygetragen werden. Es waͤre nun einmahl Zeit, wenn dieſer Theil der Welt Weisheit, der von der Menſchen Thun und Laſſen handelt, in mehrere Auf - nahme kommen ſol, daß man, wie in der Erkaͤntniß der Natur geſchiehet, mit ver - einigten Kraͤfften die Sache angrieffe, nuͤtz - liche Anmerckungen mittheilete, und mit Uberlegung allerhand Verſuche anſtellete. Unterdeſſen ſiehet man zugleich aus dem, was von den Spielen vorgeſchrieben wor - den, daß dadurch die Kinder auch auf vie - lerley Weiſe koͤnnen verderbet werden, wenn man entweder nicht die rechten erwehlet, oder auch ſie ſich dabey nicht ſo auffuͤh - ren, wie ſichs in einer weiteren Abſicht ge - buͤhret.

Was fuͤr eine Le - bens-Art fuͤr die Kinder zu eꝛweh - len.

§. 106.

Weil die Eltern ihre Kinder ſo weit bringen ſollen, daß ſie ſich ſelbſt ver - ſorgen koͤnnen (§. 80); ſo muͤſſen ſie auch dieſelben etwas lernen laſſen, damit ſie ihr Brodt ihnen erwerben koͤnnen. Da ſie nun ſolcher geſtalt dieſelben zu einer gewiſ - ſen Lebens-Art geſchickt machen ſollen, ſo iſt dieſe mit als eine der vornehmſten Ab - ſichten anzuſehen (§. 910 Met.), und daher haben die Eltem ſonderlich ſie dazu anzuhal - ten, was ihnen zu ihrer kuͤnfftigen Lebens - Art nuͤtzlich iſt (§. 140 Mor.). Es lehret die Erfahrung, daß ſich nicht jeder zu allenVer -79Vaͤterlichen Geſellſchafft. Verrichtungen ſchicket. Es iſt aber nicht weniger bekand, daß Zwang nicht gut thut. Wo man mit Wiederwillen lernen ſol, da gehet es ſelten wohl von ſtatten und bringet man es nicht weit: denn wer etwas mit Verdruß thut, der iſt frohe, daß er damit fertig iſt, es mag gerathen wie es will. Derowegen haben Eltern darauf zu ſehen, wozu die Kinder einen natuͤrlichen Trieb haben, und ſie zu dieſer, keines weges a - ber zu einer anderen Lebens-Art anzuhal - ten.

§. 107.

So bald ſie demnach zum Ver -Wie die Kinder darauf zu ſehen haben. ſtande kommen, daß ſie begreiffen lernen, was ihnen zu ihrer kuͤnfftigen Lebens-Art gut iſt oder nicht, ſollen ſie angefuͤhret wer - den dieſelbe allezeit vor Augen zu haben, ins kuͤnfftige hinaus zu ſehen und bey allem ih - rem Thun und Laſſen zu uͤberlegen, was es ihnen fuͤr Vortheil dazu ſchaffen werde (§. 140 Mor.).

§. 108.

Da nun die Weisheit denWie man ſie weiſe machen ſol. Menſchen geſchickt machet ſeine Abſichten dergeſtalt mit einander zu verknuͤpffen, daß eine ein Mittel der andern wird und hinwie - derumb dergleichen Mittel zu erwehlen, die uns zu unſern Abſichten fuͤhren (§. 914. Met.); ſo ſollen auch die Kinder weiſe ge - macht werden: wozu dasjenige Mittel und Wege an die Hand geben wird, was von Erlangung der Weisheit (§. 315 & ſeqq. Mor. 80Das 3. Cap. Von derMor.) weitlaͤufftig ausgefuͤhret worden. Abſonderlich finde ich hierzu ſehr dienlich, wenn man Exempel anderer ſich vor Augen ſtellet. Denn wenn ich mir einen Mann, der ſich in derjenigen Lebens-Art, die man ſich erwehlet, mit Ruhm hervorgethan, zum Muſter vorſtelle; ſo ſehe ich nicht allein, was mir noch fehlet und wornach ich mich zu bemuͤhen habe, ſondern indem man bey ihm wahrnimmet, was uns noch abgehet, bekommet man dadurch einen neuen Trieb zu fernerem und mehrerem Fleiſſe. Jch rede, was ich erfahren, und ein jeder ſie - het, daß dieſes nicht allein fuͤr Kinder die - net, ſondern bey jedermann gut thut, er mag es ſo weit gebracht haben als er wil.

Wie man ſie klug machen ſol.

§. 109.

Weil durch Klugheit ausge - fuͤhret wird, was weißlich erdacht worden (§. 327 Mor.); ſo hat man ferner davor zu ſargen, daß die Kinder bey Zeiten klug gemacht werden: wozu dasjenige dienlich iſt, was davon (§. 329 & ſeqq. Mor.) bey - gebracht worden. Abſonderlich muß man ihnen allerhand Exempel vorſtellen, damit ſie aus den loͤblichen lernen, was zu thun iſt; hingegen aus den ungluͤcklichen, was ſie meiden ſollen (§. 333 Mor.). Und in dieſer Abſicht muß man ſie gewoͤhnen auf der Menſchen Thun und Laſſen acht zu ha - ben, und dabey zu unterſuchen, wie ſie ſich dadurch entweder Vortheil oder Schadenſchaf -81Vaͤterlichen Geſellſchafft. ſchaffen, worinnen ſie es verſehen, wenn ſie ſich in ihrem Gluͤck gehindert, und wie ſie es unterweilen ſeltſam anfangen muͤſſen, da - mit ſie ihren Zweck erreichen koͤnnen.

§. 110.

Ein Menſch hat darauf zu ſe -Wie man ſie lehren ſol mit dem Gel - de recht umzuge - hen. hen, daß er nicht allein einen Zehr - und Eh - ren-Pfennig, ſondern auch einen Noth - Pfennig hat (§. 514. 515 Mor.) Dero - wegen haben auch Eltern ihre Kinder bey Zeiten anzufuͤhren, daß ſie mit dem Gelde wohl umgehen, und abſonderlich den Ge - brauch deſſelben nach dieſem dreyfachen Un - terſcheide lernen. Zu welchem Ende ſie ih - nen Geld zu geben haben, daß ſie es zwar in ihrer Verwahrung haben und damit thun koͤnnen, was ſie wollen, jedoch aber Rechenſchafft geben muͤſſen, wie ſie damit umgegangen, nachdem man anfangs ihnen ſelbſt geſagt, wie ſie damit umgehen ſollen, und ſie es alſo unter der Eltern Aufſicht ver - wahren und verwalten muͤſſen. Es iſt auch nicht undienlich, wenn man ihnen das Geld nicht anders als eine Belohnung ihres Fleiſ - ſes giebet, damit ſie lernen, Geld muͤſſe erworben werden. Wie denn ferner dien - lich iſt, daß man ihnen aus der Erfahrung durch Exempel zeiget, wie ſchweer es zu er - werben; wie viele Muͤhe die Menſchen ſich geben und wie gꝛoſſe Gefahr ſie oͤffters des - halben ausſtehen muͤſſen; wie wenige zu einem groſſen Vermoͤgen kommen und was(Politick) Fder -82Das 3. Capitel Von derdergleichen mehr iſt. Abſonderlich muͤſſen ſie auch bey Zeiten lernen, wie Geld ſich bald verthun laͤſſet, und, wenn es weg iſt, nicht ſo gleich und ſo leichte wider zu erlangen ſtehet. Es haben Eltern um ſo vielmehr in dieſem Stuͤcke fuͤr ihre Kinder zu ſorgen, je gewiſſer es iſt, daß ein groſ - ſer Theil ihrer Gluͤckſeeligkeit hierauf beru - het; auch leider! die taͤgliche Erfahrung lehret, wie viele Menſchen bloß dadurch verderben, daß ſie nicht mit dem Gelde recht umzugehen wiſſen. Es iſt oͤffters mehr daran gelegen, daß Eltern Kinder Geld erwerben und damit recht umgehen lernen, als daß ſie ihnen groſſes Gut hinterlaſſen. Wer dasjenige wohlbedaͤchtig erweget, was von den Pflichten des Menſchen in Anſehung ih - res Vermoͤgens (§. 516 & ſeqq. Mor.) weitlaͤufftig erwieſen worden; der wird noch gar vieles ſehen, was man mit den Kindern vorzunehmen hat, wenn ſie mit dem Gelde recht umzugehen lernen ſollen.

Wie man ihnen Ruhm - Begierde beybrin - get.

§. 111.

Da die Ruhm-Begierde den Menſchen antreibet ohne Intereſſe Gutes zu thun, ihnen ihre ſaure Muͤhe verſuͤſſet, und bey entſtehenden Schwierigkeiten Muth machet, daß ſie nicht nachlaſſen, bis ſie das, was loͤblich iſt, ausgefuͤhret (§. 467 Met.) dieſe Begierde aber nichts anders iſt als die Luſt und Freude uͤber dem Urtheile anderer von dem Guten, was wir gethan haben,und83Vaͤterlichen Geſellſchafft. und unſerer Vollkommenheit (§. 466 Met.); ſo muß man auch die Kinder loben, wenn ſie gutes gethan haben, und bey dem Lobe zugleich aufmuntern, daß ſie fortfahren ſol - len, auch ihnen zeigen, wie ſie deswegen von verſtaͤndigen werden lieb und werth ge - halten werden, und was noch fuͤr groͤſſeres Lob zu erhalten in ihren Kraͤfften ſtehet. Und gewiß! dieſes iſt der rechte Probier - Stein der Gemuͤther. Wer durch Lob ſich reitzen laͤſſet zum Guten, von dem kan man viel gutes hoffen: hingegen wer niedertraͤch - tig iſt und nach Lob nichts fraget, von dem kan man ſich eben nicht viel ſonderliches verſprechen. Jch habe auch ſchon anders - wo (§. 556. 560 Mor.) erwieſen, daß ehr - liebende Gemuͤther leicht; hingegen nieder - traͤchtige ſchweer zu lencken ſind, und dem - nach iſt klar, daß jene die Anferziehung leichte, dieſe hingegen ſie ſchweer ma - chen.

§. 112.

Weil ein ehrliebendes Gemuͤ -Behnt - ſamkeit die hier - bey zu gebrau - chen. the gar leichte ehrgeitzig werden kan (§. 598 Mor.) und abſonderlich Kinder, die noch ſchwach am Verſtande ſind, der Sache leicht zuviel thun koͤnnen; der Ehrgeitz aber bey ihnen viel ſchaͤdliches nach ſich ziehet, indem ſie ſich mehr einbilden als ſie ſollen, auf niemanden acht haben, andere gegen ſich verachten und was dergleichen mehr iſt: ſo hat man groſſe BehutſamkeitF 2zu -84Das 3. Capitel Von derzugebrauchen, daß man die Kinder nicht ehrgeitzig und hochmuͤthig machet, indem man eine Begierde nach Ruhm in ihr Ge - muͤthe pflantzen will. Nehmlich man muß wohl acht geben, daß ſie niemanden gegen ſich verachten, und daher gewoͤhnen uͤberall auf das gute zuſehen, was ſie bey andern fin - den, die Maͤngel und Gebrechen anderer zum beſten zudeuten, und, wo dieſes nicht geſchehen kan, mit denen Perſonen, die da - mit behafftet ſind, Mitleiden zu haben. Da nun das Mittel hierzu eine aufrichtige Lie - be iſt (§. 449. 461. Met.); ſo hat man mit allem Fleiße eine Liebe gegen an - dere Menſchen in ihnen zu pflantzen (§. 777. Mor.) Auch hat man darauf zuſehen, daß ſie beſcheiden gegen jedermann ſich auf - fuͤhren und inſonderheit die Demuth bey Zeiten angewoͤhnen (§. 631. 634. & ſeqq. Mor.).

Wie Kin - der an - zuge - woͤhnen einen je - den zu ehren.

§. 113.

Unerachtet nun aber Kinder nicht faͤhig ſind das Gute, was bey andern iſt zu beurtheilen, und ihnen daher ihre ge - buͤhrende Ehre zu geben (§. 590. Mor.); ſo dienet doch nicht wenig dazu, daß ſie an - gehalten werden, jedermann mit Ehren - Bezeigungen entgegen zu gehen, das iſt, ſich ſo in Worten und Wercken, ingleichen in Minen und Geberden gegen andere auf - zufuͤhren, wie wir thun wuͤrden, wenn wir das Gute, das bey andern anzutreffen, be -greif -85Vaͤterlichen Geſellſchafft. greiffen (§. 590. Mor.). Damit nun Kin - der deſto eher dazu zubringen ſind, ſo muß man ſich wohl in acht nehmen, daß man nicht in ihrer Gegenwart von andern Leu - ten veraͤchtlich redet, auch jederman, der bey uns was zu ſuchen hat, freundlich be - gegnet. Und muß man abſonderlich ih - nen den Gedancken beybringen, daß er - wachſene und ſonderlich alte Leute viel Gutes an ſich haben, daß ihnen noch feh - let, damit ſie eine Hochachtung gegen ſie bekommen: welcher Gedancke in ihnen beſtetiget wird, wenn man ihnen, auch un - terweilen dem Anſehen nach an veraͤchtlichen Perſonen, dergleichen zeiget, ſo in die Au - gen faͤllet und ſie nicht verſchmaͤhen wuͤr - den, woferne es ihnen koͤnnte mitgetheilet werden.

§. 114.

Unter denen Tugenden, wel -Warum Kinder zur Wahr - hafftig - keit und Ver - ſchwie - genheit zu ge - woͤhnen. che man Kindern anzugewoͤhnen, gehoͤren auch abſonderlich die Wahrhafftigkeit und Verſchwiegenheit. Denn da ein Luͤgner ſeinen Glauben verlieret und nie - mand gerne mit ihm etwas zuthun hat (§. 982. Mor.); ſo koͤnnen Kinder wenig in der Welt unter Leuten fortkommen, wo - ferne ſie nicht wahrhafftig ſind. Eben der - gleichen iſt zu beſorgen, wenn ſie nicht ver - ſchwiegen ſind: denn einen Plauderer mag niemand gerne um ſich baben, weil er zu vieler Uneinigkeit und Verdruß AnlaßF 3gie -86Das 3. Capitel Von dergiebet, es wird ihn auch niemand zu ſeinem vertrauten Freunde verlangen.

Warum Kinder zur Gott - ſeeligkeit anzufuͤh - ren.

§. 115.

Da die Gottſeeligkeit alle Tu - genden erhoͤhet (§. 673. Mor.), ja, indem ſie neue Bewegungs-Gruͤnde giebet (§. 676. Mor.), auch die anderen Tugenden erleichtert (§. 496. Met.); ſo haben El - tern die Kinder bey Zeiten gottſeelig zu ma - chen.

Warum ſie zur Erkaͤnt - nis Got - tes zu bringen.

§. 116.

Weil die Gottſeeligkeit eine Fertigkeit iſt alle Handlungen zur Ehre Gottes einzurichten (§. 670. Mor.), dazu aber eine lebendige Erkantnis Gottes er - fordert wird (§. 658. Mor.); ſo ſollen El - tern ihre Kinder bald zur Erkaͤntnis Got - tes anfuͤhren (§. 115) und ſo lange ſich bey ihnen der Gebrauch der Vernunfft nicht zeiget, hauptſaͤchlich die Betrachtung der Natur dazu gebrauchen.

Warum man nicht ein meh - reres hier von bey - bringet.

§. 117.

Von beſonderen Pflichten ge - gen GOtt iſt nicht noͤthig hier zu reden, weil ſolches ſchon anderswo zur Gnuͤge geſchehen (c. 2. & ſeqq. Mor.). Denn ob - wohl nicht alles ohne Unterſcheid bey den Kindern anzubringen; ſo wird doch ein Verſtaͤndiger bald ſehen, wie weit die Faͤ - higkeit der Kinder es zulaͤſſet mit ihnen zu gehen, wie ich auch ſchon vorhin von andern Pflichten errinnert habe (§. 85).

Was die vaͤterli - che Ge - walt iſt.

§. 118.

Das Recht Kinder zu regie - ren, das iſt, ihre Handlungen nach ſeinemGut -87Vaͤterlichen Geſellſchafft. Gutbefinden einzurichten, wird die vaͤter - liche Gewalt genennet.

§. 119.

Ein Kind, das in vaͤterlicher Ge -Wer un - muͤndig und muͤndig iſt. walt iſt, wird unmuͤndig genennet: wenn es aber von der vaͤterlichen Gewalt frey wird, ſo heißet es muͤndig.

§. 120.

Weil nun die Eltern ihre Kin -Macht der El - tern den Kindern zu befeh - len. der regieren (§. 81) und alſo ihnen befehlen ſollen, was ſie zu thun und zu laſſen ha - ben (§. 82); ſo flieſſet die Macht zu befeh - len aus der vaͤterlichen Gewalt (§. 118), und haben vermoͤge dieſer Eltern ihre Kin - der dazu zu gewoͤhnen, daß ſie nichts oh - ne ihr Vorwiſſen und Willen vornehmen doͤrffen, ſondern vielmehr in allem der El - tern Willen ihren Willen ſeyn laſſen. Zu dem Ende haben ſie nicht allein ſie dazu zu verbinden, daß ſie allezeit erſt fragen, ob ſie dieſes oder jenes thun oder laſſen doͤrffen (§. 96); ſondern auch ſtets ihnen zu ſagen, was ſie bey allen ſich ereignenden Gelegen - heiten zu thun und zu laſſen haben.

§. 121.

Da die Kinder, ſo lange ſie un -Warum unmuͤn - dige rei - nen Ver - gleich machen doͤrffen. muͤndig ſind (§. 119) nicht thun doͤrffen, was ſie wollen, ſondern erſt fragen muͤſ - ſen, ob es die Eltern haben wollen oder nicht (§. 120); ſo koͤnnen ſie auch ohne Ein - willigung der Eltern mit niemanden einen Vergleich aufrichten. Und demnach ſind al - le ihre Vergleiche und Vertraͤge unguͤltig, woferne es nicht ſolche Dinge betriefft, daF 4man88Das 3. Capitel Von derman vorher ſehen kan, daß Eltern darein willigen wuͤrden, wenn ſie es wuͤſten, und man alſo ihrer Einwilligung ohne ſie zu fra - gen verſichert ſeyn kan. Nehmlich weil zu einem Vertrage ein Verſprechen und Ge - genverſprechen erfordert wird (§. 1008. Mor.); ſo kan dergleichen ohne beyder Theile Einwilligung, dadurch ſie der Sa - che mit einander eines werden, nicht geſche - hen (§. 1003 Mor.). Weil nun unmuͤn - dige vor ſich nicht einwilligen koͤnnen ohne Wiſſen und Willen der Eltern, als deren Wille in allem ihr Wille ſeyn muß (§. 120); ſo moͤgen ſie etwas verſprechen oder dage - gen verſprechen, ſo iſt es eben ſo viel als wenn ſie nichts verſprochen oder dagegen verſprochen haͤtten. Und demnach iſt kein Vertrag unter ihnen aufgerichtet worden.

Wie lang Kinder in der vaͤ - terlichen Gewalt bleiben.

§. 122.

Da die Kinder deswegen unter der Gewalt der Eltern ſind, weil ſie ſich nicht ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen; (§. 81. 118); ſo bleiben ſie auch ſo lange in der vaterlichen Gewalt und ſind daher ſo lange als unmuͤndig zu achten, ſo lange ſie ſich nicht ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen. Wenn nun alſo gleich die Kinder durch Arbeit und Dienſte, die ſie anderen leiſten, ihr Brodt und Kleidung ſelber ver - dienen, und alſo nicht mehr von den Eltern Unterhalt noͤthig haben; ſo ſind ſie doch, ſo lange ſie ihr Beſtes noch nicht ſelbſt verſte -hen,89Vaͤterlichen Geſellſchafft. hen, noch in Anſehung ihrer uͤbrigen Hand - lungen unter der Gewalt der Eltern und ha - ben dieſe noch wie vorhin Macht ihnen zu befehlen, was ſie thun und laſſen ſollen. Daher ſie auch noch in dieſem Zuſtande nicht eigenmaͤchtig mit jemanden einen Vergleich oder Vertrag machen doͤrffen. (§. 121).

§. 123.

So bald Kinder ſich ſelbſt ver -Wenn die vaͤ - terliche Gewalt aufhoͤ - ret. ſorgen und regieren koͤnnen; haben ſie es nicht mehr noͤthig von ihren Eltern zu for - dern, ſondern dieſe ſind vielmehr von der - ſelben Verbindlichkeit ſrey (§. 769 Mor.). Und alſo hoͤret alsdenn ihre Gewalt auf und die Kinder gehen aus der vaͤterlichen Gewalt, und werden nach dem Rechte der Natur muͤndig.

§. 124.

Weil die Eltern Macht habenKinder ſollen den El - tern ge - horchen. die Kinder zu verbinden und ihnen zu befeh - len, was ſie thun und laſſen ſollen (§. 96. 120); ſo ſind auch Kinder verbunden zu thun und zu laſſen, was ihnen von den El - tern befohlen wird. Da nun die Fertig - keit Befehle auszurichten Gehorſam ge - nennet wird; ſo ſind Kinder ihren Eltern zu gehorchen ſchuldig. Die Nothwendig - keit des Gehorſams erhellet auch daraus, weil ohne ihn die Vaͤterliche Gewalt nicht beſtehen kan.

§. 125.

Eltern haben nicht weiter MachtJedoch nicht in nnbilli - chen Din - gen. den Kindern zu befehlen als in billichen Din -F 5gen,90Das 3. Capitel Von dergen, das iſt, nichts als was dem Geſetze der Natur gemaͤß iſt. Denn die Kinder ſind nichts verbunden als dieſes zu thun und, weil ſie es nicht verſtehen, ſo ſollen Eltern es ihnen ſagen, auch dazu anhalten, daß ſie es vollbringen (§. 81). De - rowegen wenn ſie befehlen, was unrecht iſt; ſo haben ſie kein Recht dazu und ſind demnach auch die Kinder ihnen zu gehorchen nicht verbunden.

Wie ſie zum Ge - horſam willig werden.

§. 126.

Damit nun die Kinder zum Gehorſam deſto williger ſind, haben die Eltern mit allem Fleiße darnach zu ſtreben, wie ſie ihnen bey Zeiten beybringen, daß ſie weiter nichts als ihr Beſtes ſuchen, auch daher nicht ohne Noth ihnen zuwieder zuſeyn, wenn ſie etwas verlangen, ſo ihnen nicht nachtheilig iſt. Jedoch hat man hierbey auf den Unterſcheid der Gemuͤther zu ſehen. Denn einige laſſen ſich mit Liebe ziehen, an - dere hingegen mit Haͤrte. Wuͤrde man dem erſten hart begegnen, ſo wuͤrden ſie da - durch in ihrem Gemuͤthe niedergeſchlagen; wolte man aber dieſe bloß durch Liebe len - cken, ſo wuͤrden ſie darnach nichts fragen. Es wird hierunter nicht wenig verſehen, und iſt ein Gluͤck fuͤr Kinder, wenn ſie Eltern nach dem Zuſtande ihres Gemuͤths bekom - men haben.

Kinder ſollen ge - gen ihre

§. 127.

Da die Cltern den Kindern vie - le Wohlthaten erweiſen, und zwar um ſoviel91Vaͤterlichen Geſellſchafft. viel mehrere, je embſiger ſie ſuͤr ihreEltern danckbae ſeyn. Gluͤckſeeligkeit ſorgen (§. 834 Mor. & 449 Met.); man aber verbunden iſt gegen ſei - Wohlthaͤter danckbar zu ſeyn (§ 834 Mor.); ſo ſind auch Kinder verbunden gegen ihre Eltern danckbar zu ſeyn.

§. 128.

Zu dem Ende iſt noͤthig, daßWie ſie dazu ge - bracht werden. den Kindern die Wohlthaten, welche ſie von ihren Eltern genieſſen, deutlich vor Au - gen gemahlet werden, damit ſie ihre Groͤſ - ſe recht einſehen lernen (§. 839 Mor.). Und iſt hierzu abſonderlich dienlich, daß ih - nen zugleich die beſonderen Umſtaͤnde der Wohlthaten vorgeſtellet werden, als z. E. daß die Eltern an ihnen ein mehreres thun als andere, die es eben ſo gut, oder auch noch wohl beſſer thun koͤnnten; daß es die Eltern nach ihren Umſtaͤnden ſchweer an - kommet und was dergleichen mehr iſt. Es iſt aber dienlicher, wenn ſolches von andern Leuten, als von den Eltern geſchiehet, denn ſo ſetzen die Kinder deſto weniger darein ei - nen Zweiffel, indem ſie es fuͤr ſo viel gewiſ - ſer halten, weil auch andere dieſes einſe - hen: wiewohl diejenigen, ſo dieſes thun, die Ermahnungen wegzulaſſen haben, da - mit ſie nicht meinen, als wenn ſie es bloß zu der Abſicht ſagten. Die Ermahnun - gen, die Eltern davor zu lieben und ihnen gehorſam zu ſeyn, koͤnnen nach dieſem von andern hinzugeſetzet werden. Ja ſie wer -den92Das 3. Cap. Von derden vor ſich thun, was den Eltern gefaͤllig iſt, wenn ſie nur erſt die Wohlthaten, wel - che ſie genieſſen, recht erkennen lernen. Jch weiß wohl, daß Kinder ihnen einbilden, Eltern muͤſſen dieſes thun, und in den Ge - dancken ſtehen, davor, was einer thun muß, ſey man ihm eben keinen Danck ſchul - dig. Es iſt nicht zu leugnen, daß dieſes boͤſe Gemuͤther ſind: allein, weil man auch bey ihn alle Kraͤffte anwenden ſoll, wie ſie moͤgen gewonnen werden, ſo muß man auch mit auf ſie acht haben. Daß man ihnen ihren Jrrthum benehme, als wenn man davor nicht Danck ſchuldig waͤre, was einer uns zuthun verbunden, wuͤrde viel zu weitlaͤufftig, ja gar offt unmoͤglich fal - len, weil dergleichen ungeartete Gemuͤther wenig oder keine Vernunfft haben. De - rowegen iſt das ſicherſte Mittel, daß man ihnen nach Beſchaffenheit der beſonderen Umſtaͤnde zeiget, die Eltern thun mehr an ihnen, als ſie ſchuldig waͤren: welches ſie am beſten begreiffen lernen, wenn man ihnen andere Exempel entgegen ſtellet.

Kinder ſollen El - tern lie - ben.

§. 129.

Die Danckbarkeit beſtehet in der Liebe der Wohlthaͤter wegen der von ihnen uns erzeigeten Wohlthaten (§. 469 Met.). Da nun die Kinder gegen ihre El - tern danckbahr ſeyn ſollen (§. 127); ſo ſol - len ſie ſie auch lieben. Und weil ſie ſie lie - ben, indem ſie ein danckbahres Gemuͤtheha -93Vaͤterlichen Geſellſchafft. haben (§. 469 Met.); ſo werden ſie eben - falls durch die Vorſtellung der Wohltha - ten, welche ſie von den Eltern genieſſen, ſie zu lieben bewogen (§. 128). Man kan auch als einen Bewegungs-Grund zur Lie - be gegen die Eltern die Liebe der Eltern ge - gen ſie gebrauchen, welche man aus der Vorſorge fuͤr ihre Gluͤckſeeligkeit und aus der Freude, die ſie daruͤber bezeigen (§. 449. 451 Met.), ingleichen aus der Trau - rigkeit uͤber ihrem Ungluͤck (§. 452 Met.), erweiſen kan.

§. 130.

Von der Liebe kan die kindli -Auch fuͤrchten. che Furcht nicht abgeſondert werden (§. 694 Mor.). Derowegen weil Kinder ihre El - tern lieben ſollen (§. 129); ſo ſind ſie auch verbunden dieſelben zu fuͤrchten, folgends bey allem Thun und Laſſen beſorget zu ſeyn, daß nicht etwan was vorgenommen werde, was ihnen zuwieder iſt, oder auch unter - laſſen, was ihnen gefaͤllet (§. 694 Mor.). Eben deswegen weil die kindliche Furcht von der Liebe nicht abgeſondert werden kan; ſo ſind die Mittel zur Liebe auch zugleich die Mittel zur kindlichen Furcht. Man ſie - het aber leicht, daß dieſe Furcht die Kin - der um ſo viel leichter ankommet, je mehr ſie gleich im Anfange dazu angewoͤhnet werden nichts zu thun oder zu laſſen, als wovon ſie erſt die Eltern gefraget, ob ſie es thun oder laſſen doͤrffen (§. 120).

§. 131.94Das 3. Cap. Von der
Ob Kin - der eine knechti - Furcht haben ſollen.

§. 131.

Weil eine knechtiſche Furcht, da man die Eltern wegen der Straffe fuͤrch - tet (§. 705 Mor.), nicht noͤthig iſt, wo eine kindliche vorhanden (§. 706 Mor.); ſo ſoll - te man meinen, Kinder haͤtten dergleichen Furcht gar nicht noͤthig. Allein weil nicht alle von ſo gutem Gemuͤthe ſind, daß ſie ſich durch Liebe gegen die Eltern, daraus die kindliche Furcht erwaͤchſet (§. 130), lencken laſſen, auch ihnen theils von an - dern beygebracht, theils durch die eigene Schwaͤche ihres Verſtandes ihnen vorge - ſtellet werden kan, als wenn die Eltern es nicht gut mit ihnen meineten, indem ſie ih - nen dieſes verſagen, oder jenes zu thun be - fehlen; ſo muͤſſen auch die Eltern nicht al - lein unter Bedrohungen, ſondern auch durch Vollſtreckung der angedroheten Straffe ſie in der knechtiſchen Furcht er - halten. Jedoch finde ich hierbey etwas nothwendiges zu errinnern. Es hat einige Kinder, die ein ehrliebendes Gemuͤthe ha - ben, oder wenigſtens zur Liebe der Ehre ge - neiget ſind, und daher die Straffe, wenn ſie an ihnen vollſtrecket wird, fuͤr eine un - ertraͤgliche Beſchimpffung halten. Man kan es gleich erfahren, ob ſie dergleichen Gemuͤthe haben oder nicht. Denn wenn man ſich anſtellet, als wenn es rechter Ernſt ſey ſie zu ſtraffen; ſo werden ſie auf das eifrigſte bitten, man ſolle nur dieſes mahlſie95Vaͤterlichen Geſellfchafft. ſie verſchonen. Hier richtet die Furcht fuͤr der Straffe mehr aus, als die Straffe ſelbſt. Derowegen iſt nicht zu rathen, daß man ſie an ihnen vollſtrecke; ſondern es iſt genung, wenn man ſonderlich bey wieder - holeten Handlungen ſich lange anſtellet als wenn man ſich nicht wolle erbitten laſſen, und ihnen es ſchweer machet, ehe ſie davon loß kommen, auch ſcharf bedrohet, man wolle ſich nun nicht mehr erbitten laſſen. Sollte man aber vermeinen, ſie wuͤrden endlich dadurch auf die Gedancken gera - then, als wenn es mit der Straffe kein Ernſt waͤre und ſich davor nicht mehr fuͤrchten; ſo kan man um den Ernſt zu zeigen nicht allein andere vor ſie bitten laſſen, die ihnen ein andermal ihre Vorbitte verſagen, ſondern auch die Straffe, welche ſie ſich als etwas ſchimpfliches vorſtellen, in eine andere ge - lindere verwandeln. Wo dieſes nicht fruch - tet, da kan man auch verſichert ſeyn, daß wenige Neigung zur Ehrliebe vorhanden, und man demnach mit der Schaͤrffe die knechtiſche Furcht muß zu behaupten ſuchen. Sonſt iſt gewiß, daß man die Straffe we - niger achtet, je oͤfter ſie einen betroffen, ab - ſonderlich wo man ſie mehr fuͤr eine Be - ſchimpffung anſiehet, als einen Schmertz, der wehe thut.

§. 132.

Wenn Kinder eine kindlicheWoher Kinder eine Scheit Furcht fuͤr ihren Eltern haben, ſo ſind ſieaus96Das 3. Cap. Von derfuͤr den Eltern bekom - men.aus Liebe beſorget, daß ſie nicht etwan et - was vornehmen, das ihnen mißfaͤllet (§. 130); haben ſie eine knechtiſche Furcht, ſo haben ſie dergleichen Sorgfalt in Anſehung der Straffe (§. 131). Wo nun die Kin - der auf eine ſolche Weiſe beſorget ſind, da werden ſie auch in Gegenwart der Eltern nichts vornehmen, was ihnen mißfaͤllet, o - der auch wenn ſie vermeinen, daß es die El - tern erfahren koͤnnen. Wer aus Furcht fuͤr dem andern nichts vornehmen will, was ihm mißfaͤllet, der hat Scheu fuͤr ihm. Und alſo iſt die Scheu ein Bedencken in des andern Gegenwart oder ihm wiſſende etwas vorzunehmen.

Wie El - tern ſie zu befoͤr - dern ha - ben.

§. 133.

Zu dieſer Scheue traͤget nicht weniges bey, wenn die Eltern in Gegenwart der Kinder ſelbſt nichts unanſtaͤndiges vor - nehmen, noch ſie dergleichen etwas von ſich erfahren laſſen. Denn ſo werden ſie in der Meinung erhalten, daß es ihnen miß - faͤllet: dahingegen ſie ſich bereden, was die Eltern ſelbſt thun, koͤnne ihnen nicht miß - fallen. Gehet aber dieſer Gedancke weg, daß die Eltern an dieſem oder jenem Miß - fallen haben; ſo verſchwindet auch die Furcht fuͤr ihnen (§. 130. 131), folgends auch die Scheue (§. 132). Damit nun die Eltern ihre Kinder deſto beſtaͤndiger in der Meinung erhalten, daß ihnen dieſes oder jenes mißfalle; ſo muͤſſen ſie es ihnen in al -lem97Vaͤterlichen Geſellſchafft. lem Ernſt verweiſen, wenn ſie etwas vor - nehmen, was ihnen unanſtaͤndig iſt, und zwar um ſoviel mehr, wenn es in ihrer Ge - genwart oder unter ſolchen Umſtaͤnden ge - ſchiehet, da ſie leicht vermuthen koͤnnen, daß ſie es erfahren wuͤrden.

§. 134.

Es iſt nicht zu leugnen, daßWie zu veꝛhuͤten / daß Kin - der die Scheu fuͤr den Elteꝛn nicht mißbꝛau - chen. Kinder durch die Scheu, welche ſie vor El - tern haben, angetrieben werden ihr Thun und Laſſen heimlich zu halten und fuͤr ihnen zu verbergen, folgends, wenn ſie es erfah - ren, ſich auf das Leugnen legen, auch wol gar gewoͤhnen mit Betheurungen und Schweeren zu erhalten, man ſolle ihnen glauben. Dadurch aber geſchiehet, daß ſie im Boͤſen Gewohnheiten erlangen, ehe die Eltern etwas davon erfahren, und nach die - ſem ſchweer wieder heraus zureiſſen ſind, wenn ſie einmal verwildert (§. 384 Mor.). Sie gewoͤhnen ſich zum Luͤgen und falſchen Schweeren, zwey Laſtern, daraus viel boͤ - ſes erfolget, und die dem Gluͤcke des Men - ſchen ſehr nachtheilig ſind. Damit man nun dieſes verhuͤte, ſo muß man die Kin - der gelinde tractiren, wenn ſie gleich beken - nen, was ſie gethan haben; hingegen viel haͤrter ſtraffen, wenn ſie es verheelen, und doch endlich uͤberfuͤhret werden, auch ih - nen abſonderlich dieſes wohl einbilden, daß ſie bloß deswegen ſo hart angeſehen werden, weil ſie ſich dieſes zu leugnen unterſtanden,(Politick) Gund98Das 3. Cap. Von derund den ihren Eltern ſchuldigen Reſpect dadurch aus den Augen geſetzet. Denn ſo lernen ſie begreiffen, daß leugnen und ver - heelen etwas ſchlimmes ſey, und ſich davor ins kuͤnfftige huͤten.

Wie Kin - der die Eltern ehren ſollen.

§. 135.

Da die Eltern, ſonderlich wenn ſie fuͤr ihre Auferziehung ſorgen, wie ſichs gebuͤhret, und vorhin ausgefuͤhret worden, viel gutes von ſich blicken laſſen; ſo ſollen auch die Kinder ſolches erkennen, und des - wegen ihre Eltern hochachten (§. 710 Mor.) und ehren (§. 590 Mor.), folgends alle Minen und Gebehrden gegen ihre Eltern dergeſtalt einrichten, daß ſie dadurch die Hochachtung, die ſie in ihrem Gemuͤthe fuͤr ſie haben, an den Tag legen.

Wie man dieſes be - foͤrdert.

§. 136.

Damit nun die Kinder dazu de - ſto williger werden, ſo hat man ihnen vor - zuſtellen, was die Eltern in ihrer Auferzie - hung fuͤr gutes beweiſen, auch von ihren uͤbrigen Tugenden und was ſich nur gutes an ihnen findet, dienſame Vorſtellungen zu thun (§. 591 Mor.). Man erkennet ohne mein Errinnern, daß Kinder die Hochach - tung gegen ihre Eltern verlieren muͤſſen, wenn ſie ſich uͤbel auffuͤhren und ihre Untu - genden fuͤr ihnen nicht verheelen. Dero - wegen iſt auch deswegen noͤthig, daß ſie ihnen mit gutem Exempel in allem vorleuch - ten und in ihrer Gegenwart nichts unanſtaͤn - diges vornehmen.

§. 136.99Vaͤterlichen Geſellſchafft.

§. 137.

Wenn wir einen andern liebentKinder ſollen ih - re Eltern nicht be - tꝛuͤben. ſo ſchoͤpffen wir aus ſeiner Gluͤckſeeligkeit, ſo viel Vergnuͤgen, als wir haben wuͤrden wenn es unſer eigen waͤre (§. 775 Mor.). Da nun Kinder ihre Eltern lieben ſollen, ſo muͤſſen ſie auch aus der Gluͤckſeeligkeit der Eltern Vergnuͤgen ſchoͤpffen und demnach der Eltern Vergnuͤgen zu ihrem Vergnuͤgen machen (§. 52 Mor.). Solcher geſtalt koͤn - nen ſie nichts vornehmen, dadurch ihre Eltern betruͤbet werden, vielweniger aber was ihnen Hertzeleid verurſachet (§. 448. Met.). Weil dieſes bald geſchiehet, wo - ferne nur eine aufrichtge Liebe gegen die El - tern vorhanden iſt, wie aus dem, was erſt geſaget worden, erhellet; ſo brauchet es weiter nichts als dieſe in ihr Gemuͤthe feſt einzupflantzen. Wie Kin - der das beſte der Eltern befoͤrdeꝛn ſollen.

§. 138.

Die Liebe treibet den Menſchen an des andern feine Wohlfahrt zu befoͤr - dern ſo viel ihm moͤglich iſt (§. 776 Mor.). Derowegen da Kinder ihre Eltern lieben ſollen (§. 129), ſo ſind auch ſie verbunden der Eltern Beſtes zu befoͤrdern ſo viel an ih - nen iſt. Und demnach ſollen ſie nicht allein treulich verrichten, was ſie ihnen befehlen; ſondern auch, wo ſich eine Gelegenheit ereig - net, da ſie ihnen dienen koͤnnen, dieſelben mit Freuden ergreiffen, auch wenn die El - tern ſchwach und unvermoͤgend werden, in ihrem Alter wieder vor ſie ſorgen.

G 2§. 139.100Das 3. Capitel Von der
Bewe - gungs - Grund dazu.

§. 139.

Es iſt klar, daß die Liebe ein zulaͤngliches Mittel iſt dieſes ins Werck zu ſtellen (§. 137), und man dannenhero kei - ner anderen Vorſtellungen von noͤthen hat, als wodurch die Liebe im Hertzen der Kin - der angeflammet wird. Unterdeſſen da die Liebe aus der Betrachtung der Wohltha - ten erzeuget wird (§. 129): ſo hat man hier abſonderlich zu uͤberlegen, wie lange Eltern uns haben verſorgen muͤſſen; wie ſchweer es ſie damals ankommen; wie wir durch ihre Huͤlffe in den Stand geſetzet wor - den, darinnen wir uns befinden; wie ſie ihr Gluͤck unſerm willig aufgeopffert; wie es uns eine Schande iſt, wenn wir, ſon - derlich bey unſerm Uberfluſſe, unſere El - tern darben laſſen, und was dergleichen Vorſtellungen mehr ſind, die nach eines je - den beſonderen Umſtaͤnden, auch nach eines jeden Zuſtande des Gemuͤthes einzurichten ſind. Man hat auch hier abſonderlich die Schaͤndlichkeit des Undanckes zu erwegen. (§. 837 Mor.)

Wie lan - ge die Pflicht der Kin - der gegen ihre El - tern dau - ꝛen ſol - len.

§. 140.

Da Liebe und Danck bahrkeit allgemeine Pflichten ſind, die alle Menſchen gegen jedermann beſtaͤndig behalten ſollen (§. 774. 834 Mor.); ſo muͤſſen auch Kin - der ihre Eltern lieben und gegen ſie ſich danckbahr erzeigen, ſo lange ſie leben. Derowegen alles, wozu einen die Liebe antreibet, ſind ſie verbunden zuthun, auchwenn101Vaͤterlichen Geſellſchafft. wenn ſie aus der Vaͤterlichen Gewalt her - aus ſind, und weder der Vorſorge, noch Regierung ihrer Eltern mehr noͤthig haben. Derowegen da die Kinder der Eltern Ver - gnuͤgen zu ihrem Vergnuͤgen machen ſollen (§. 136), die Eltern aber daraus nicht wenig Vergnuͤgen ſchoͤpffen, wenn ſie von ihren Kindern, die das Gluͤck erhaben, noch alle Hochachtung und Ehrerbietig - keit genuͤßen; ſo ſollen ſie abſonderlich, ſie moͤgen noch in einen ſo hohen Stand ge - ſetzet werden, ihre Eltern bis in die Grube ehren und ihnen ſolches durch alle erſinn - liche Wege zu verſtehen geben. So wer - den die Eltern an ihnen Freude haben, und ihren auch ſonſt ungluͤcklichen Zu - ſtand gluͤckſeelig machen (§. 52 Mor.).

§. 141.

Es geſchiehet gar offt, daß Kin -Ein Hin - dernis wird aus dem We - ge geraͤu - met. der ſich ihrer armen Eltern anfangen zu ſchaͤmen, abſonderlich, wenn ſie das Gluͤck an fremden Orten erhoben. Da nun die - ſes aus keiner andern Urſache geſchiehet, als weil ſie meinen, es gereiche zu ihrer Schande, daß ſie von ſo geringen Eltern herkommen; ſo hat man ihnen das Wie - derſpiel vorzuſtellen. Nemlich, es iſt einem um ſoviel ruͤhmlicher, wenn er in der Welt etwas worden, je weniger er Mittel darzu gehabt. Wer demnach von geringen und duͤrfftigen Eltern erzeuget und erzo - gen worden, die ihm wenig oder gar nichtG 3an102Das 3. Cap. Von deran die Hand gehen koͤnnen, der hat es ſei - ner Auffuͤhrung mehr zu zuſchreiben, daß er etwas worden, und ſich aus dem Stau - be empor erhoben als ein anderer, der von ſeinen Eltern allen noͤthigen Vorſchub be - kommen, auch in Anſehung ihrer befoͤrdert worden. Zwar kan man nicht leugnen, daß unverſtaͤndige und Feinde darauf nicht ſehen, und dannenhero die geringe Ankunfft oͤffters brauchen den andern zu - laͤſtern, allein es iſt nichts Gutes unter der Sonnen, welches nicht von Unverſtaͤndi - gen und Feinden koͤnnte verkehret, und einen unſchuldig zu laͤſtern angewendet werden. Wer ſich demnach davor ſcheu - en wolte, der muͤſte alles Gute unterlaſſen, und denn verfiele er mit Recht in das Urtheil der Verſtaͤndigen, und waͤre ihm eine wahre Schande, die er nimmermehr tilgen koͤnnte, da man hingegen ungegruͤn - dete Auflagen gar leicht von ſich ablehnen kan. Wer demnach dieſes vernuͤnfftig uͤberleget, wird keiue Urſache finden ſich ſeiner Eltern zuſchaͤmen, abſonderlich wenn ſie ſich in ihrem ſchlechten Stande ehrlich und tugendhafft aufgefuͤhret.

Wie die Eltern in ihrem Tode fuͤr die Kin - der zuſorgen.

§. 142.

Eltern ſind verbunden ihre Kin - der ſo weit zu bringen, daß ſie ſich ſelbſt ver - ſorgen und regieren koͤnnen (§. 81). De - rowegen wenn ſie ſterben, ehe es mit ihnen bis dahin kommen; ſo haben ſie nicht alleinvon103Vaͤterlichen Geſellſchafft. von ihrem Vermoͤgen, das ſie verlaſſen, ihnen ſo viel zuzuwenden, damit ſie auch nach ihrem Tode, wie bey ihrem Leben, noͤthigen und ihrem Stande gemaͤſſen Un - terhalt haben, ſondern auch die Verwal - tung ihrer Guͤtter und die Regierung an - dern verſtaͤndigen aufzutragen, die ſo lan - ge es noͤthig iſt (§. 122), ihre Stelle ver - treten.

§. 143.

Da nun dieſes Vermoͤgen, wel -Wie die Eltern bey ih - rem Ver - moͤgen auf ihꝛen fꝛuͤb - zei - tigen To - des-Fall bedacht ſeyn ſol - len. ches Eltern zu Aufferziehung der Kinder hin - terlaſſen, mit zu dem Noth-Pfennige ge - hoͤret (§. 514 Mor.), ein jeder aber verbun - den iſt auf den Noth-Pfennig bedacht zu ſeyn (§. cit. ); ſo haben Eltern in ihrem Erwerb und ihren Ausgabe mit darauf zu ſehen, daß ſie ſo viel vor ſich bringen, damit es in ſich ereignendem Noth-Falle an dieſem Noth-Pfennige nicht fehle. Es iſt wahr, da die Liebe der Kinder eine Bereitſchafft iſt aus ihrem Gluͤck Vergnuͤgen zu ſchoͤpffen (§. 449. Met.); ſo wird dieſe verſtaͤndige Eltern antreiben hierauf zu dencken. Da - mit aber deſto leichter auch anderen Hin - derniſſen begegnet werde; ſo haben ſie zu - gleich zu erwegen, daß es ihnen mit zur Schande gerechnet wird, wenn ihre Kin - der nach ihrem Tode entweder in Duͤrfftig - keit leben muͤſſen, daß es ihnen an zu ihrer Aufferziehung noͤthigen Mitteln fehlet, oder auch aus Mangel dieſer Mittel in der Auf -G 4erzie -104Das 3. Capitel Von dererziehung verabſaͤumet werden und nach die - ſem ſich uͤbel auffuͤhren.

Einwuꝛff wird be - antwor - tet.

§. 144

Es iſt wohl wahr, daß Kinder, die viel Geld von ihren Eltern entweder ſchon ererbet, oder zu hoffen haben, gemei - niglich uͤbel gerathen. Wenn man aber der Sache genauer nachdencket, lieget die - ſes nicht allein an dem Gelde, ſondern auch an ihrer uͤbelen Aufferziehung. Eltern ha - ben mehr aus ihnen gemacht, als wuͤrde geſchehen ſeyn, wenn ſie unvermoͤgender geweſen waͤren, und daher ſie zur Wolluſt und Muͤßiggange ſelbſt mit angefuͤhret, auch durch ihr Exempel ihnen eine Neigung da - zu beygebracht. Derowegen daß die Kin - der ſich nicht auf ihr Geld verlaſſen koͤn - nen; ſo hat man nicht allein fuͤr ihnen zu verheelen, was ſie einmal nach dem Tode zu gewarten haben, ſondern auch in der - brigen Aufferziehung alles ſorgfaͤltig zu be - obachten, was in Vermehrung der Ge - muͤths-Gaben und ſonderlich der Tugend noͤthig iſt. Es mißrathen ſo wohl arme, als reiche Kinder, und alſo iſt das Reich - thum keine nothwendige Urſache dazu, ob wohl Armuth mit als ein Bewegungs - Grund zu einer guten Auffuͤhrung, hinge - gen Reichthum zu einer ſchlimmen ſich ge - brauchen laͤſſet. Man kan auch im Ge - gentheile (und leider! es geſchiehet alle Tage) Armuth als einen Bewegungs-Grund zumboͤ -105Vaͤterlichen Geſellſchafft. boͤſen, hingegen Reichthum als einen zum guten brauchen. Nachdem alſo dieſes o - der jenes geſchehen ſol, muß das Gemuͤthe des Menſchen ſo oder anders geartet ſeyn. Ein verſtaͤndiger und vernuͤnfftiger Menſch brauchet alles, was ihm vorkommet, alle Umſtaͤnde, darinnen er ſich befindet, als Bewegungs-Gruͤnde zum Guten; hin - gegen ein unverſtaͤndiger und unvernuͤnff - tiger als Bewegungs-Gruͤnde zum Boͤſen.

§. 145.

Perſonen, die nach dem TodeWas Voꝛmuͤn - der ſind. der Eltern in der Auferziehung der Kinder ihre Stelle vertreten, werden Vormuͤn - de genennet. Da nun zu der Auferziehung erfordert wird, daß die Kinder verſorget und regieret werden (§. 82); ſo iſt ein Vormund nicht allein verbunden das von den Eltern ihren Kindern hinterlaſſene Ver - moͤgen wohl zu verwalten, ſondern auch im uͤbrigen fuͤr alles dasjenige zu ſorgen, was zu guter Aufferziehung der Kinder den El - tern oblieget (§. 84 & ſeqq.).

§. 146.

Da ſie demnach das Recht ha -Waꝛumb ihnen die vaͤterli - che Ge - walt zu - kommet. ben, welches bey Lebens-Zeiten die Eltern hatten, der Kinder Handlungen nach ihrem Gutbefinden einzurichten (§. 145); ſo er - halten ſie die vaͤterliche Gewalt (§. 19) und mit derſelben die Macht den Kindern zu be - fehlen (§. 120), auch durch Straffen und Belohnungen ſie zu verbinden ihren Befehl auszurichten (§. 96).

G 5§. 197.106Das 3. Cap. Von der
Waiſen ſoͤllen Voꝛmuͤn - dern ge - horchen.

§. 147.

Gleichwie nun die Kinder in Anſehung der vaͤterlichen Gewalt ihren El - tern Gehorſam ſchuldig ſind (§. 124); ſo ſind ſie auch ſchuldig den Vormuͤndern zu gehorchen, die ſie nach dem Tode der El - tern als ihre Eltern anzuſehen haben (§. 145). Kinder, die keine Eltern haben, ſon - dern unter der Gewalt der Vormuͤnder ſind, werden Waiſen genennet.

Wie lan - ge ſie un - ter der Vor - mund - ſchafft bleiben.

§. 148.

Weil die Vormuͤnder nach dem Tode der Eltern als die Eltern anzuſehen ſind (§. 145); ſo bleiben ſie auch ſo lange in der Gewalt der Vormuͤnder, als ſie in der Gewalt der Eltern ſeyn wuͤrden, nemlich biß ſie ſelbſt mit ihrem Vermoͤgen recht umbgehen und ſich regieren koͤnnen (§. 122).

Wie der Vor - mund mit dem Ver - moͤgen der Kine der umb - gehen ſoll.

§. 149.

Ein Vormund hat uͤber das von den Eltern verlaſſene Vermoͤgen der Kinder kein weiteres Recht als es zu ver - walten, und die Nutzung, ſo weit als noͤ - thig iſt, zur Verſorgung ſeiner Unmuͤndi - gen anzuwenden (§. 145). Derowegen kan er auch von ihren liegenden Gruͤnden nichts veraͤuſſern, ohne wenn es die Noth - durfft der Kinder erfordert, weil nehmlich ſonſt ihre Auferziehung muͤſte verabſaͤumet werden, dazu doch aber die Guͤtter von den Eltern hinterlaſſen werden (§. 142), oder es auch zu der unmuͤndigen augenſcheinli - chem Beſten geſchiehet, hingegen zu ihremScha -107Vaͤterlichen Geſellſchafft. Schaden nachbleiben wuͤrde. Jedoch da - mit er allen ſchlimmen Verdacht von ſich abwende, hat er folches mit Vorwiſſen anderer zu thun, die vor der Kinder Beſtes geneiget ſind, z. E. mit Vorwiſſen und Ein - willigung der Freunde und Anverwandten, wenn man in der natuͤrlichen Freyheit le - bet. Denn was im gemeinen Weſen hier - unter zu verordnen, wird ſich an ſeinem Orte zeigen.

§. 150.

Gleicher geſtalt damit manWem er Rechen - ſchafft davon gebenſol. verſichert iſt, daß ein Vormund mit dem Vermoͤgen der Unmuͤndigen recht umgehe, und nichts zum Nachtheil derſelben mit vor - nehme; hat er in der natuͤrlichen Freyheit Freunden und Anverwandten zu gewiſſen Zeiten davon Rechenſchafft zu geben, und kan auch ein Vater ſelbſt dergleichen Per - ſonen ernennen, die mit darauf Abſicht ha - ben ſollen.

§. 151.

Unmuͤndige koͤnnen ohne Ein -Waꝛumb unmuͤn - dige oh - ne die Voꝛmuͤn - der kei - nen Ver - trag ma - chen ſol - len. willigung der Eltern keinen Vertrag ma - chen, auſſer in ſolchen Faͤllen, wo man ih - re Einwilligung leicht vorher vermuthen kan (§. 121.). Da nun die Vormuͤnder nach der Eltern Tode als die Eltern anzuſehen ſind (§. 145); ſo koͤnnen auch unmuͤndige ohne ihre Einwilligung keinen Vertrag ma - chen, auſſer in ſolchen Faͤllen, wo man ih - re Einwilligung leicht vorher abnehmen kan.

§. 152.108Das 3. Capitel Von der
Wenn ih - nen der Vor - mund nicht zu - wieder ſeyn ſol.

§. 152.

Unterdeſſen da der Vormund der ihm anvertraueten Unmuͤndigen Wohl - farth in allem befoͤrdern ſol (§. 145); ſo ſol er auch ihnen nicht zuwieder ſeyn, wenn ſie zu ihrem augenſcheinlichen Beſten einen Vertrag machen wollen, und koͤnnen in ſol - chem Falle in der natuͤrlichen Freyheit die - ſelben anderer Huͤlffe dazu gebrauchen, daß der Vormund darein einzuwilligen angehal - ten werde: welches auch von den Ausgaben zu verſtehen.

Wenn der Vor - mund den Scha - den erſe - tzen muß.

§. 153.

Weil ein Vormund die Guͤtter des unmuͤndigen mit allem moͤglichen Fleiſ - ſe verwalten und ſie zum Nutzen deſſelben anwenden ſol (§. 145); ſo darf er ſie nicht zum Nachtheil des unmuͤndigen in ſeinen Nutzen verwenden, noch auch durch Nach - laͤßigkeit oder aus andern Abſichten den un - muͤndigen in Schaden ſetzen. Da nun a - ber ein jeder verbunden iſt den Schaden, den er dem anderen durch ſeine Schuld ver - urſachet, zu erſetzen (§. 825 Mor.); ſo muß auch ein Vormund nach geendigter Vor - mundſchafft den Schaden erſetzen, den er dem unmuͤndigen durch uͤbele Verwal - tung ſeines Vermoͤgens verurſachet.

Wie der Schaden zu ver - huͤten.

§. 154.

Damit man nun geſichert iſt, daß der Vormund mit dem Vermoͤgen wohl umgehen und keinen Schaden verur - ſachen werde; ſol man einen ehrlichen und verſtaͤndigen Mann dazu nehmen. Unddamit109Vaͤterlichen Geſellſchafft. damit der Schade nicht zu groß werden kan, wenn er ſich mit der Zeit haͤuffet; ſo ſol man darauf bedacht ſeyn, daß eine zulaͤngliche Art erdacht wird, wie er zu gewiſſen Zei - ten wegen gefuͤhrter Vormundſchafft Re - chenſchafft ablege, dergleichen auch ſchon vorhin (§. 150) aus anderen Urſachen er - fordert worden.

§. 155.

Da Vormuͤnder viele MuͤheOb Vor - muͤndeꝛn ihꝛe Muͤ - he ſol be - lohnet werden. haben, wenn ſie ihre Vormundſchafft recht fuͤhren, und nicht allein das Vermoͤgen ih - rer unmuͤndigen wohl verwalten, ſondern auch im uͤbrigen die Auferziehung gebuͤh - rend beſorgen wollen; niemand aber von dem andern etwas umſonſt fordern ſol, der es belohnen kan (§. 769 Mor.): ſo iſt es den natuͤrlichen Rechten gemaͤß, daß, wenn die unmuͤndigen ſo viel Vermoͤgen haben, deſſen Nutzung uͤber die noͤthigen Auferzie - hungs-Koſten noch einen Uberſchuß bringet, auch die Muͤhe der Vormuͤnder belohnet werde. Jn anderen Faͤllen haben ſie ihr Amt um ſonſt zu verrichten, und ſich damit zu vergnuͤgen, daß ſie bey fruͤhzeitigem To - de oder im Falle, da ſie unmuͤndige Kinder hinterlieſſen, eben dergleichen von anderen wuͤrden zu genieſſen haben.

§. 156.

Die Kinder ſind Eltern wegen derGegen Voꝛmuͤn - der ſol man danckbar ſeyn. von ihnen genoſſenen Wohlthaten deꝛ Aufeꝛ - ziehung Danck ſchuldig (§. 127). Weil nun Vormuͤnder eben dieſes an ihnen thun, wasdie110Das 3. Capitel Von derdie Eltern wuͤrden gethan haben (§. 145.); ſo ſollen ſie auch gegen ihre Vormuͤnder danckbahr ſeyn. Die Mittel dazu ſind die Vorſtellungen der Wohlthaten, die ſie uns erzeigen (§. 839 & ſeqq. Mor.).

Man ſol ſie lieben.

§. 157.

Die Danck barkeit beſtehet in der Liebe gegen den Wohlthaͤter (§. 496. Met.). Unmuͤndige ſollen gegen die Vor - muͤnder danckbahr ſeyn (§. 156): Dero - wegen ſollen ſie ſie auch lieben, folgends bereit ſeyn aus ihrer Gluͤckſeeligkeit Ver - gnngen zu ſchoͤpffen (§. 449. Met.) und da - her auch ſelbſt nach Moͤglichkeit ſie befoͤr - dern, ſie moͤgen entweder wehrender Vor - mundſchafft, oder nach geendigter Gelegen - heit dazu bekommen.

Kindli - che Fuꝛcht u. Scheue fuͤꝛ ihnen haben.

§. 158.

Da aus der Liebe die kindliche Furcht kommet, und nicht auſſen bleiben kan, wo ſie eingewurtzelt (§. 130): ſo wer - den auch unmuͤndige gegen ihre Vormuͤn - der eine kindliche Furcht, folgends zugleich vor ihnen eine Scheu haben (§. 132), wenn ſie ſie aufrichtig lieben.

Pflicht der Mut - ter nach Abſter - ben des Vaters.

Z. 159.

Wenn der Vater nicht ſo viel Vermoͤgen hinterlaͤſſet, daß die Kinder dar - aus die Auferziehungs-Koſten haben koͤn - ten; ſo iſt die Mutter davor zu ſorgen ver - bunden (§. 80). Jedoch, wenn ſie die uͤbrige Auferziehung vor ſich allein nicht wohl uͤber ſich nehmen kan; muͤſſen ihr Vormuͤnder beygeſellet werden. Es ge -ſchie -111Vaͤterlichen Geſellſchafft. ſchiehet nemlich offt, daß Kinder auf die Mutter nicht ſo viel geben, als auf die Vaͤ - ter, weil ſie aus groſſer Liebe die Schaͤrffe, wo es noͤthig iſt, aus den Augen ſetzen. Jn - gleichen koͤnnen Muͤtter nicht allzeit verſte - hen, was zu der Auferziehung der Soͤhne nutzet.

§. 160.

Wenn die Kinder nach demPflichten des Va - ters nach Abſteꝛ - ben der Mutteꝛ. Abſterben der Mutter ſo viel Vermoͤgen er - werben, daß von der Nutzung die noͤthigen Auferziehungs-Koſten koͤnnen genommen werden; ſo iſt der Vater nicht gehalten ſie von dem ſeinigen zu geben, ſondern vielmehr berechtiget ſie davon zu nehmen (§. 769). Unterdeſſen wenn die Nutzung mehr aus - traͤget, als die Auferziehungs-Koſten er - fordern; ſo findet man keinen Grund, war - um man ihm den Uberſchuß laſſen ſollte. Und demnach verbleibet er nach natuͤrlichen Rechten den Kindern. Es verſtehet ſich a - ber vor ſich, daß die gantze Zeit durch, da die Auferziehung gewehret, die Ausgabe und Einnahme mit einander verglichen werden muß. Es iſt wohl wahr, daß da - durch der Vater die Muͤhe hat eine Rech - nung daruͤber zu fuͤhren: er hat aber auch den Vortheil, daß er nicht fuͤr die Auferzie - hungs-Koſten ſorgen darf. Unterdeſſen wenn ihm dieſes in ſeinen Verrichtungen Hindernis machet, und die Kinder nach ſei - nem Tode bekommen, was er eruͤbriget;ſo112Das 3. Capitel Von derſo koͤnnen ihn nicht allein Kinder von die - ſer Muͤhe befreyen und die gantze Nutzung uͤberlaſſen; ſondern im gemeinen Weſen kan auch dergleichen nicht ohne Grund durch buͤrgerliche Geſetze verordnet werden.

Wer Va - ter - und Mutter - loſe War - ſen ver - ſorgen ſol / und wie ſie ſich zu be - zeigen.

§. 161.

Wenn Vater - und Mutter-loſe Waiſen gar keine eigene Mittel von ihren Eltern haben, davon ſie koͤnten die noͤthi - gen Auferziehungs-Koſten haben: ſo muͤſ - ſen ſie ſolches bey andern vermoͤgenden An - verwandten, oder ſonſt guten Freunden und Wohlthaͤtern ſuchen (§. 770 Mor.). Jn welchem Falle ſie um ſo viel danckbah - rer ſeyn ſollen, je groͤſſer ſie dieſe Wohl - that anzuſehen haben, daß man ſich ihrer im verlaſſenen Zuſtande annimmet. Da - her ſie auch ſchuldig ſind alle ihre Kraͤffte des Leibes und des Gemuͤthes, ſo bald ſich einiger Gebrauch deſſelben aͤuſſert, dahin anzuwenden, wie ſie durch gefaͤllige Dien - ſte ihr danckbahres Gemuͤthe an den Tag legen (§. 834 Mor.) und dadurch die Begier - de ihnen wohlzuthun erhalten (§. 841 Mor.).

Das 4. Capitel, Von der Herrſchafftlichen Geſellſchafft.

§. 1.

Was die Herr - ſchafftli - che Ge -

DA ein Menſch, der ſich nicht ſelbſt er - halten kan, durch Arbeit ſeinen Un - terhalt ſuchen ſol (§. 910 Mor.);ſo113Herrſchafftlichen Geſellſchafft. ſo kan er ſich auch gegen einen gewiſſenſellſchafft iſt. Lohn, der ihm zu ſeinem Unterhalt zurei - chend iſt, andern zu gewiſſen Verrichtun - gen verdingen. Wenn nun aus dieſer Abſicht Menſchen bey andern auf eine ge - wiſſe Zeit leben, ſo machen ſie mit ihnen eine Geſellſchafft aus (§. 2), welche man die herrſchafftliche zu nennen pfleget. Derjenige, dem man ſich zu gewiſſen Ver - richtungen auf eine Zeit verdinget, wird der Herr genennet, oder die Frau, wenn es eine Weibs-Perſon iſt: hingegen die, welche ſich zu gewiſſen Verrichtungen auf eine Zeit verdinget, nennet man einen Knecht oder Diener, oder auch eine Magd, wenn es eine Weibs-Perſon iſt. Und demnach iſt die Herrſchafftliche Ge - ſellſchafft eine Geſellſchafft zwiſchen Herr - ſchafft und Geſinde. Nemlich Herr und Frau zuſam̃en werden Herrſchafft, Knech - te und Maͤgde zuſammen aber Geſinde ge - nennet.

§. 163.

Weil man dasjenige halten ſol,Pflicht deꝛ Herr - ſchafft u. des Ge - ſindes. was man mit Recht verſprochen (§. 1005 Mor.); ſo muß auch das Geſinde alles wil - lig und nach beſtem Vermoͤgen verrichten, was es verſprochen, oder wozu es ſich ver - dungen, hingegen die Herrſchafft denjeni - gen Unterhalt und Lohn unverweigert dar - reichen, den ſie dagegen verſprochen. Und demnach kommet hier alles darauf an, wie(Politick) Hſie114Das 4. Capitel Von derſie mit einander eines worden. Wenn man aber nichts ins beſondere deswegen ab - redet; ſo verſtehet es ſich von ſich, daß es bey dem verbleibet, was in ſolchen Faͤllen Brauch iſt. Denn weil keine Parthey-et - was ins beſondere erwehnet, ſo kan man nicht anders ſchluͤſſen, als daß beyden be - kand, was in ſolchen Faͤllen Brauch iſt, und eine jede von beyden es dabey bewenden laͤſſet, keine aber in irgend einem Stuͤcke eine Aenderung verlanget. Derowegen wenn ein Geſinde nicht nach dem Lohne fra - get; ſo iſt klar, daß ihm die Herrſchafft e - ben den Lohn geben muß, den, die vorhin da geweſen, gehabt.

Wie lan - ge Geſin - de blei - ben muß.

§. 164.

Aus eben der Urſache erhellet, daß das Geſinde ſo lange aushalten muß, als es zu dienen verſprochen, es ſey denn, daß die Herrſchafft in ihren Abſchied eher willigen wil. Auch iſt klar, daß eine Herr - ſchafft ein Geſinde nicht vor der Zeit ab - ſchaffenkan, wenn nicht das Geſinde damit zufrieden iſt, es ſey denn daß es keines weges dazu zu bringen iſt, daß es das ſeine thut, o - der auf andere Weiſe der Herrſchafft Scha - den und Verdruß verurſachet (§. 8).

Waiumb das Ge - ſinde nicht oh - ne Noth vor der Zeit ab -

§. 165.

Es haben auch Herrſchafften nicht deswegen ihr Geſinde ohne Noth vor der Zeit abzuſchaffen, weil ſie entweder da - durch das Geſinde in Argwohn eines uͤbe - len Verhaltens, oder ſich ſelbſt in ein Ge -ſchrey115Herrſchafftlichen Geſellſchafft. ſchrey bringen: welches letztere abſonderlichzu ſchaf - fen. geſchiehet, wenn man oͤffters das Geſinde vor der Zeit wegſchaffet, oder daſſelbe wohl gar vor ſich darvon gehet und nicht aushalten kan. Gleichwie nun aber im er - ſten Falle es dem Geſinde nachtheilig ſeyn kan, und es hinderen an Orten anzukommen, wo es ihnen vortheilhafft waͤre, in derglei - chen Schaden man niemanden ſetzen ſoll (§. 824 Mor.); ſo handeln wir im anderen Falle wieder unſere Pflicht, da wir ver - bunden ſind darauf zu ſehen, daß niemand etwas boͤſes mit Grunde der Wahrheit von uns dencken, oder ſagen kan (§. 593. Mor.).

§. 166.

Eben ſo hat ein Geſinde daraufWaꝛumb ein Geſin - de nicht ohne Noth vor der Zeit ſeine Dienſte verlaſſen ſol. zu ſehen, daß es nicht ohne hoͤchſte Noth vor der Zeit aus den Dienſten gehet. Denn wenn es auch bey einer unbillichen Herr - ſchafft ſeine Zeit aushaͤlt; ſo iſt es eine An - zeige, daß es ſich in die Herrſchafft wohl weiß zu ſchicken, ihr in allem nachzugeben und auf einen guten Nahmen ſiehet. Da nun dieſes gute Tugenden fuͤr ein Geſinde ſind, ſo wird es jedermann gerne haben wollen, und daher kan es von der ſchlim - men Herrſchafft dadurch zur beſſeren kom - men. Hingegen wenn es vor der Zeit oh - ne hoͤchſte Noth aus den Dienſten gehet, ſo iſt ſolches eine Anzeige, daß es ſich in die Herrſchafft nicht zu ſchicken weiß, ihr nichtH 2nach -116Das 4. Cap. Von dernachgeben kan, auch nicht darauf ſiehet, was die Leute von ſeiner Auffuͤhrung ſagen. Weil nun dergleichen Geſinde nicht viel tau - get, ſo werden es auch gute Herrſchafften, die vernuͤnfftig ſind und einer Sache weiter nachdencken, in ihre Dienſte nicht ver - langen. Solchergeſtalt ſchadet es ſich ſelbſt, daß es nicht wohl unterkommen kan.

Ein Ge - ſinde ſol fleißig u. willig ſeyn.

§. 167.

Weil ein Geſinde verbunden iſt alles dasjenige zu thun, was ihm ver - moͤge ſeines Dienſtes oblieget (§. 163); ſo ſol es auch alles ungeheiſſen thun, was es weiß, das es zu thun hat, ingleichen alles zu rechter Zeit, hingegen was es geheiſſen wird, bald ohne Verzug und ohne einigen Wiederwillen. Wo man dergleichen Fer - tigkeit bey einem Geſinde antriefft, daſſel - be iſt fleißig und willig. Nemlich der Fleiß beſtehet in der Fertigkeit alles, was man weiß, daß man es thun muß, ungeheiſſen und zu rechter Zeit zu thun: hingegen die Willigkeit iſt eine Fertigkeit ohne Verzug und Wiederwillen zu thun, was man ge - heiſſen wird.

Vortheil der hier - aus fol - get.

§. 168.

Es erwaͤchſet hieraus nicht we - nig Vortheil ſo wohl fuͤr die Herrſchafft, als das Geſinde. Wenn alles zu ſeiner Zeit gethan wird, ſo thut das Geſinde des - wegen nicht mehr, als wenn es von einer Zeit zur andern aufgeſchoben wird, ſon -dern117Herrſchafftlichen Geſellſchafft. dern oͤffters noch weniger, wenn nemlich die Sachen ſo beſchaffen ſind, daß ſie ſchwee - rer zurechte zu bringen, wenn man ſie lan - ge liegen laͤßet. Man hat alles in gutem Stande, wenn man es brauchet, und wird nicht aufgehalten, wie ſonſt geſchiehet, wo es erſt ſol zurechte gemacht werden, wenn man es noͤthig hat. Die Herrſchafft fin - det keine Urſache etwas zu errinnern, und wird nicht verdruͤßlich, wenn ſie eine Sa - che, die das Geſinde ungeheiſſen thun ſoll, erſt alle mahl und unterweilen vielmal heiſ - ſen ſol. Jſt das Geſinde dabey willig, ſo brauchet man nicht daſſelbe eine Sache zwey und mehrmal zu heiſſen: welches frey - lich nicht anders als verdruͤßlich fallen kan. Derowegen findet auch Herrſchafft keine Urſache uͤber das Geſinde ſich zu beſchwee - ren, viel weniger es zu ſchelten, oder ihm gar zu fluchen, oder auch aus Eiffer zu ſchla - gen. Und demnach bleibet das Geſinde von allem dem Verdruſſe frey, der ihm dar - aus erwachſen kan, und darf ſich nicht den Verdruß verleiten laſſen aus Ubereilung eine Aenderungen vorzunehmen, oder ſonſt zu thun, was es hernach bereuet. Ver - nuͤnfftige Herrſchafft gewinnet zu dem Ge - ſinde eine Liebe (§. 449 Met.) und haͤlt es daher beſſer, ſuchet auch bey Gelegenheit ſeine Wohlfahrt zubefoͤrdern. Es kan oͤff - ters von dem Fleiſſe und der Willigkeit ei -H 3nes118Das 4. Capitel Von dernes Geſindes ſein gantzes Wohlſeyn in ſei - nem kuͤnfftigen Leben; hingegen von der Traͤgheit und Wiederſpenſtigkeit (die der Willigkeit, wie jene dem Fleiſſe entgegen geſetzet wird) ſein Wehe herruͤhren.

Wie ſich die Herr - ſchaft ge - gen fleiſ - ſiges und williges Geſinde[zu] bezei - gen.

§. 169.

Es hat aber auch eine Herr - ſchafft auf den Fleiß und Willigkeit des Geſindes zn ſehen und daher mit Glimpffe zu ſagen, wenn ſie etwas nicht recht ma - chen, ſonderlich im Anfange, da ſie es noch nicht verſtehen oder gewohnet ſind; wenn ſie etwas aus Unachtſamkeit verſehen, oder durch einen Zufall verungluͤcken, ſolches zu uͤberſehen, oder doch ohne einige Haͤrte und Bitterkett es zu verweiſen, und was der - gleichen mehr iſt, damit nemlich das Ge - ſinde, was ſeinen moͤglichen Fleiß anwen - det und gerne alles zu thun, was man ver - langet, bereit iſt, nicht auf die Gedancken gerathe, es ſey eben ſo viel, ob es fleißig, oder traͤge ſich erweiſet, ob es ſich willig, oder wiederfpenſtig erzeiget, und daher be - wogen wird von ſeinem Fleiſſe und ſeiner Willigkeit abzulaſſen. Woraus man ſie - het, daß ſchlimme Herrſchafft gutes Gefin - de verderben kan.

Wie es das Ge - ſinde anzuneh - men hat.

§. 170.

Wenn das Geſinde verſtaͤndig iſt, wie es denn insgemein zu ſeyn pfle - get, wo es fleißig und willig iſt, ſo kan es ihm dieſes Bezeigen der Herrſchafft nicht anders als gefallen laſſen. Da es nun abererken -119Herrſchafftlichen Geſellſchafft. erkennet, daß folches wegen des Fleißes und der Willigkeit geſchiehet; ſo wird es da - durch angetrieben im Fleiſſe und der Wil - ligkeit nicht allein fortzufahren, ſondern auch beyde Tugenden, ſo viel an ihm iſt, zu vermehren (§. 496 Met.). Derowegen da alsdenn auch die Liebe der Herrſchafft zu nehmen muß (§. 449 Met.); ſo muntert ei - nes das andere immer auf zum gemeinen und zu ſeinem Beſten. Und ſo ſoll es bil - lich uͤberall ſeyn: ja ſo wuͤrde es auch ſeyn, wenn ſowohl Herrſchafft als Geſinde ver - nuͤnfftig waͤren.

§. 171.

Weil ein Geſinde ſchuldig iſt,Unter - thaͤnig - keit des Geſindes. die Dienſte, dazu es ſich vermiethet, zu lei - ſten gegen den von der Herrſchafft ihm ver - ſprochenen Lohn (§. 163); ſo erhaͤlt dadurch die Herrſchafft Gewalt demſelben zu befeh - len, daß es dieſes oder jenes thun ſol, wenn ſie der verſprochenen Dienſte noͤthig hat. Und weil ein Geſinde willig ſeyn ſol zuthun, was ihm oblieget (§. 167); ſo iſt es ver - bunden der Herrſchafft zu gehorchen. Sol - chergeſtalt hat das Geſinde, in Anſehung ſeiner Dienſte und was dazu gehoͤret, ſei - nen Willen dem Willen der Herrſchafft unterworffen. Wer ſeinen Willen dem Willen eines andern unterwirfft, der iſt ihm unterthan. Und demnach ſind das Geſinde in Anſehung ihrer Dienſte und dem was davon herruͤhret, der Herrſchafft unter - han.

H 4§. 172.120Das 4. Capitel Von der
Wie weit das Ge - ſinde nichts vor ſich thun ſol.

§. 172.

Derowegen koͤnnen ſie auch zu derſelben Zeit, da ſie ihre Dienſte zu ver - richten haben, nichts vornehmen, was ſie allein vor ihre Perſon angehet, wenn es nicht mit Verwilligung der Herrſchafft ge - ſchiehet, und lieget ihnen dannenhero ob die Herrſchafft erſt zu bitten, daß ſie es er - lauben wolle. So ſie es aber nicht erlau - ben will, muͤſſen ſie ſich es gefallen laſſen, weil in dieſem Stuͤcke der Wille der Herr - ſchafft ihr Wille ſeyn muß (§. 171). Ob nun zwar Herrſchafft nicht noͤthig hat ih - nen Rede und Antwort zugeben, warumb ſie es nicht erlauben wil; ſo dienet es doch das Geſinde williger zu erhalten, wenn man ihnen zeiget, daß es mit Grunde ge - ſchehe, zumahl wenn ſich Gelegenheiten er - eignen, da das beſte des Geſindes ſelbſt er - fordert, daß man in ihre Bitte nicht wil - liget. Unterdeſſen wenn ſie ſich gleich nicht wolten weiſſen laſſen, ſo muß die Herr - ſchafft ſich bloß auf ihren Willen beruffen, damit ſie erkennen, daß ſie gehalten ſind in dieſem Stuͤcke den Willen der Herrſchafft ihren Willen ſeyn zu laſſen (§. 171).

Was Herr - ſchafft dem Ge - ſindenicht zumuthē ſol.

§. 173.

Weil die Herrſchafft nicht wei - ter Macht hat dem Geſinde zu befehlen, als was ſeine Dienſte ſind, zu denen es ſich ver - miethet (§. 171); ſo muß es ihm auch nichts zumuthen, was dazu nicht gehoͤret, und zwar umb ſo vielmehr, da ſonſt das Geſin -de121Herrſchafftlichen Geſellſchafft. de unwillig gemacht wird, wenn es auch gleich anfangs willig war: wiewohl ein williges Geſinde auch wohl thut, was ihm nicht oblieget, wenn ihm dadurch kein Schaden erwaͤchſet. Es hat aber abſon - derlich Herrſchafft, die viel Geſinde haben, darauf zu ſehen, daß es ein jedes das ſeine thun laͤſſet, auch nicht zugiebet, daß eines ohne Noth (das iſt, wenn das andere ſei - nen Dienſt ſelbſt verrichten kan) des ande - ren Stelle vertritt: weil nicht allein im er - ſten Falle, da die Herrſchafft einem des an - dern Dienſte ohne Noth zumuthet, ein Wiederwillen unter dem Geſinde entſtehet, auch oͤffters das Geſinde nachdem nachlaͤſ - ſig in ſeinen Verrichtungen wird in der Mei - nung, es koͤnnen auch die andern thun, was ihm oblieget, wenn es der andern ihre Dienſte mit verrichten muß; ſondern auch im andern Falle, weil doch nichts ohne zu - reichenden Grund geſchiehet (§. 30 Met.), das Geſinde, ſo andern gar zu ſehr zu ge - fallen iſt, gemeiniglich intereſſirte Abſich - ten hat, oͤffters zum Schaden und Verdruß der Herrſchafft, oder doch zum allerwenig - ſten dasjenige in ſeinen Verrichtungen nach - laͤßig wird, was ſich auf des andern Huͤlf - fe verlaͤſſet. Es iſt demnach die beſte Re - gel: Ein jedes Geſinde ſol ſeine Dienſte vor ſeine Perſon verrichten, es ſey denn daß es in dem Stande iſt, da ſolches nicht geſche - hen kan (§. 770 Mor.).

H 5§. 174.122Das 4. Cap. Von der
Noͤthige Eꝛꝛinne - rung.

§. 174.

Damit nun aber ein Geſinde wiſſe, was ihm zuthun oblieget, ſo muß man es gleich anfangs zu allem anhalten, und mit nichts verſchonen: denn wenn man einige Verrichtungen ihnen anfangs nicht zugemuthet, nach dieſem aber erſt anfaͤnget, da ſie derſelben entwohnet ſind; ſo iſt es e - ben ſo viel als wenn man ihnen zumuthete, was ihnen zu thun nicht gebuͤhrete. Da - her denn auch alles dasjenige erfolgen muß, was in dem andern Falle erfolgen wuͤr - de.

Wie Herr - ſchafft das Ge - ſinde zu thren Dienſten anzuhal - ten.

§. 175.

Wenn einer in der Geſellſchafft nicht thun wil, was ihm oblieget, ſo hat man Recht alle Mittel anzuwenden, wie man ihn zu Beobachtung ſeiner Pflicht bringet (§. 10). Derowegen wenn das Geſinde ſeine Dienſte nicht verrichten wil, wie ſichs gebuͤhret; ſo iſt auch der Herr - ſchafft erlaubet alle Mittel zu gebrauchen, wodurch ſie es zu Verrichtung ihrer Dien - ſte bringen kan. Die beſonderen Umſtaͤn - de muͤſſen es geben, was fuͤr welche man zu erwehlen. Unterdeſſen gielt auch hier, daß man nicht zum haͤrteren ſchreiten muß, ſo lange gelindere vorhanden (§. 871 Mor.). Auch wird man leicht begreiffen, daß ver - nuͤnfftige Herrſchafft, die des Geſindes be - ſtes ſuchet (§. 13), mit dem Geſinde, wie mit den Kindern, verfahren, und auf den Unterſcheid der Gemuͤther acht haben wird,ob123Herrſchafftlichen Geſellſchafft. ſie ſich mehr durch Guͤte als durch Haͤrte lencken laſſen (§. 126). Wo man Aen - derung treffen kan, ſo iſt es beſſer das Ge - ſinde gehen zu laſſen, als ſich mit ihnen durch Haͤrte Verdruß zumachen.

§. 176.

Abſonderlich iſt nicht rathſam,Ob man ſich uͤber das Ge - finde er - eiffeꝛn ſol. daß man ſich uͤber das Geſinde viel ereiffert. Denn da der Zorn unter die hefftigſten Af - fecten gehoͤret (§. 484 Met.), die Af - fecten aber der Geſundheit und dem Leben des Menſchen ſehr nachtheilig ſind (§. 487. Mor.); ſo ſchadet dadurch die Herrſchafft ihr ſelbſt und iſt mehr eine Straffe fuͤr ſie, als fuͤr das Geſinde (§. 36 Mor.). Da nun der Eiffer bey dem Geſinde nichts wei - ter erregen kan als eine Furcht, daß die Herrſchafft in gleichen Faͤllen wieder aus Eiffer werde zu wiedrigem Verfahren be - wogen werden, dergleichen aber ebenfalls erhalten wird, wenn man nur mit gebrauch - tem Ernſt ohne ſich zu erzuͤrnen dasjenige ſaget, was man im Zorn herausſtoͤſſet; ſo iſt es rathſamer bloß Ernſt ohne Eiffer zu gebrauchen, als ſich zu erzoͤrnen. Ja es fruchtet dieſes noch eher, als groſſer Zorn und Eiffer, weil bekand, daß man im Zor - ne mehr zu ſagen pfleget als einem lieb iſt, auch nicht allemahl bedencket, was man redet: Da hingegen, wo man ohne Affect redet, man leichter begreiffet, daß es ein Ernſt ſey.

§. 177.124Das 3. Cap. Von der
Wie Herr - ſchafft in Eſſen u. Arbeit das Ge - ſinde hal - ten ſol.

§. 177.

Da das Geſinde verbunden iſt die Geſundheit des Leibes und geſunde Gliedmaſſen zu erhalten, alles aber zu ver - meiden, was dieſem zuwieder iſt (§. 447. 449); ja ein Geſinde umb ſo vielmehr dar - auf zu ſehen hat, je noͤthiger ihm Geſund - heit und geſunde Gliedmaſſen ſind, indem es auſſer dieſem Stande mit Dienen ſein Brodt nicht erwerben kan: ſo hat auch die Herrſchafft nicht allein darauf zu ſehen, daß ſie dem Geſinde geſunde und genug Speiſe giebet, ſondern auch wohl zuzuſehen, daß ſie ihm nicht zu viel, noch zu ſchweere Ar - beit zumuthet. Und hat inſonderheit die - ſelbe hierbey zu erwegen, was ſchon ange - fuͤhret worden, daß nemlich Geſundheit und geſunde Gliedmaſſen dem Geſinde hoͤchſt noͤthig ſind, auch uͤber dieſes das Ge - ſinde ſich aus keiner anderen Urſache zum dienen begiebet, als daß es dadurch noͤthi - gen Unterhalt zu Erhaltung der Geſundheit und des Lebens finden wil.

Wie das Geſinde auf Ge - ſundheit und ge - ſunde Glied - maſſen zuſehen hat.

§. 178.

Am allermeiſten aber hat das Geſinde ſelbſt fuͤr die Geſundheit des Leibes und geſunde Gliedmaſſen zu ſorgen, indem davon ſeine gantze zeitliche Gluͤckſeeligkeit herruͤhret. Denn wer von ſeiner Haͤnde Arbeit ſein Brodt erwerben ſol, der iſt e - lende daran, wenn er kranck iſt, und da - durch ungeſchickt wird zu arbeiten. Die - ſes ſolte ſich ein Geſinde jederzeit vorſtellen,wenn125Herrſchafftlichen Geſellſchafft. wenn es durch boͤſe Geſellſchafft zu einem unordentlichen Leben, dabey die Geſundheit Gefahr laͤuffet, aufgemuntert wird: wo - zu Exempel derer dienen, die ſich auf eine ſolche Weiſe ins Ungluͤck geſtuͤrtzet.

§. 179.

Da Herrſchafft vermoͤge derWie Herr - ſchafft fuͤr des Geſindes Wohl - fahrt zu ſorgen hat. allgemeinen Pflicht verbunden iſt des Ge - ſindes Wohlfahrt in allem zu beſoͤrdern, ſo viel an ihr iſt (§. 767 Mor.), und zwar darinnen das Geſinde andern, die mit ih - nen in keiner Geſellſchafft leben, vorzuziehen hat (§. 13); ſo hat ſie alſo davor zu ſor - gen, daß es in allen noͤthigen Pflichten ge - gen ſich ſelbſt, gegen Gott und gegen an - dere von Tage zu Tage zunehme und da - durch zu ſo viel Gluͤckſeligkeit gelange, als es nach ſeinen Umſtaͤnden moͤglich iſt. Und alſo genieſſet das Geſinde faſt gleiche Wohl - thaten mit den Kindern (§. 87 & ſeqq.).

§. 180.

Weil nun hierdurch dem Ge -Danck - bahrkeit des Ge - ſindes davor. ſinde Wohlthaten erwieſen werden (§. 834 Mor.), ſo iſt es auch verbunden aus Danck - barkeit die Herrſchafft zu lieben (§. cit. ): zu welchem Ende ſie ſich dieſe Wohlthaten vorzuſtellen haben, die ſie von ihr genieſſen (§. 839 Mor.). Und werden die beſonderen Umbſtaͤnde hierzu mehrere Gelegenheit an die Hand geben.

§. 181.

Von der Liebe kan die kindlicheFurcht u. Scheu fuͤr der Herr - ſchafft. Furcht nicht getrennet werden (§. 694. Mor.). Derowegen wenn das Geſindedie126Das 4. Capitel Von derdie Herrſchafft aufrichtig liebet, ſo wird es auch nicht bloß eine knechtiſche (§. 705 Mor.), ſondern noch uͤber dieſes eine kindliche Furcht fuͤr ihr haben, und daher aus Liebe zum Gehorſam und zur Willigkeit geleitet wer - den (§. 694 Mor. & §. 167 Polit.), folgends auch ſich fuͤr ihr ſcheuen (§. 132).

Wie das Geſinde deꝛ Herr - ſchafft Beſtes zu ſuchen.

§. 182.

Aus eben der Urſache, warum die Herrſchafft fuͤr des Geſindes Wohl - fahrt zu ſorgen hat (§. 179), lieget auch dem Geſinde ob das Beſte der Herrſchafft auſſer der Verrichtung ihrer Dienſte in al - lem zu befoͤrdern, wo es ihnen moͤglich iſt, und daher allen Schaden, ſo viel an ihnen iſt, abzuwenden, hingegen aber auch al - len Vortheil zuzuwenden. Und waͤre es unrecht, wenn ein Geſinde einem Fremden einen Dienſt erweiſen wolte, den er ſeiner Herrſchafft leiſten kan (§. 13). Ein Ge - ſinde nutzet ſich dadurch auch ſelbſt, indem es nicht allein die Liebe ſeiner Herrſchafft, ſondern auch Gewogenheit anderer Men - ſchen gewinnet (§. 449. 471 Met.): von beyden aber hat es ſich huͤlffreiche Hand - leiſtung zu verſprechen, wenn es Gelegen - heit giebet ſein Gluͤck zu befoͤrdern.

Nicht a - ber ihren Schaden.

§. 183.

Hieraus erhellet zugleich, daß es unrecht iſt, wenn das Geſinde der Herr - ſchafft Vortheil verabſaͤumet, es mag ent - weder aus Unachtſamkeit oder Nachlaͤßig - keit, oder auch aus Boßheit geſchehen;noch127Herrſchafftlichen Geſellſchafft. noch mehr aber, wenn es die Herrſchafft in Schaden bringet. Wenn demnach das Geſinde den Schaden durch ſeine Schuld, nicht aus einem bloſſen Verſehen, verur - ſachet; ſo iſt es auch ſchuldig ihn der Herr - ſchafft zu erſetzen (§. 825 Mor.). Ob es nun zwar nicht gut thut, wenn man in Er - laſſung der Erſetzung gar zu willig iſt, in - dem das Geſinde dadurch nachlaͤßig wird und ſich vor Schaden nicht in acht nimmet; ſo hat man doch die Erſetzung des Scha - dens in denen Faͤllen nachzulaſſen, wenn wir dadurch wieder die dem Geſinde ſonſt ſchuldige Pflichten handeln wuͤrde (§. 328 Mor.). Mit einem Worte, es iſt hier al - les zu bedencken, was uͤberhaupt von Er - ſetzung des Schadens anderswo (§. 825 & ſeqq. Mor.) erwieſen worden.

§. 184.

Ein Knecht oder Magd, die derWas ein Sclave iſt und wozu er verbun - den. Herrſchafft eigenthuͤmlich zugehoͤret, wird ein Sclave oder eine Sclavin genennet. Da nun ein Sclave nicht uͤber gewiſſe Dienſte mit dem Herrn einig worden; ſo iſt er verbunden alles zu thun, was in ſei - nen Kraͤfften ſtehet, und ihm von ſeinem Herrn befohlen wird. Und weil er ihm ei - genthuͤmlich zugehoͤret, ſo muß er Lebens - lang in ſeinen Dienſten aushalten, oder ſo lange, als ſeine Sclaverey waͤhret.

§. 185.

Unterdeſſen da gleichwohl dieWie Heꝛꝛ - ſchafft. Herrſchafft die natuͤrliche Verbindlichkeitgegen128Das 4. Capitel Von derSclaven zu hal - ten hat.gegen Sclaven behaͤlt; ſo muß ſie doch auch ihnen nicht mehr Arbeit zumuthen, als ſie ausſtehen koͤnnen, ingleichen nach Nothdurfft Speiſe und Kleidung geben, damit ſie nicht Noth leiden. Ja weil wir alle Menſchen und alſo auch Sclaven lie - ben ſollen (§. 774 Mor.), ſo muͤſſen wir auch aus ihrer Gluͤckſeeligkeit Vergnuͤgen ſchoͤpffen (§. 449 Met.), und folgends ſie ſo halten, daß ſie in ihrem Zuſtande ver - gnuͤgt ſeyn koͤnnen (§. 52 Mor.). Es iſt wohl wahr, daß man insgemein glaubet, Sclaven doͤrffe man geringet halten als ander Geſinde, weil ſie aushalten muͤſſen, es gehe ihnen wie es wolle: allein wir re - den von der Sache, wie es die Vernunfft erfordert.

Wie un - gehorſa - me und nachlaͤßi - ge Scla - ven zu tractiꝛen.

§. 186.

Unterdeſſen wenn ein Sclave die ihm anbefohlene Dienſte nicht verrich - ten wil, wie ſichs gehoͤret, ſo hat die Herr - ſchafft Macht ihn dazu zu verbinden, und demnach ſo harte Straffen zu gebrauchen, als noͤthig ſind ihn zu zwingen (§. 8. 36 Mor.) Und dieſes iſt das Tractament ungehorſa - mer und nachlaͤßiger Sclaven.

Waꝛumb man nicht ein meh - reres hiervon beybrin - get.

§. 187.

Man koͤnte nun leicht aus den allgemeinen Pflichten der Menſchen gegen einander und der Natur eines Sclaven (§. 184) noch mehrere beſondere Regeln von ihrem Bezeigen gegen die Herren und der Herren gegen ſie ausfuͤhren: allein weilbey129Herrſchafftlichen Geſellſchafft. bey uns keine Sclaven uͤblich ſind, ſo waͤ - re es unuoͤthig, hiervon weitlaͤufftiger zu handeln.

§. 188.

Wir eroͤrtern nur die Frage,Ob es recht iſt Menſchẽ zu Scla - ven zu machen. ob es recht iſt, daß man Sclaven habe, oder nicht, weil einige ſind, welche es in Zweiffel ziehen. Es iſt gewiß, daß ein je - der Menſch zu der Gluͤckſeeligkeit des an - dern ſoviel beytragen ſol, als ihm moͤglich iſt (§. 767 Mor.). Da nun aber durch die Sclaverey die Gluͤckſeeligkeit der Menſchen gehindert wird, theils indem ſie bey ſchlim - mer Herrſchafft, die ſie quaͤlet, aushalten muͤſſen (§. 184), theils indem ſie ihr Gluͤ - cke, was ſie ſonſt auſſer dem Dienſte ihrer Herren haben koͤnten, zu verabſaͤumen ge - zwungen ſind: ſo iſt es klar, daß man ei - nen Menſchen, der in der Freyheit ſein Gluͤ - cke beſſer finden kan, nicht zum Sclaven machen ſol. Unterdeſſen da ſich Leute fin - den, die nicht anders als durch dienen bey einer Herrſchafft ihren Unterhalt haben koͤn - nen, oder in Ermangelung deſſen ſich auf verbothene Kuͤnſte legen und dadurch Schaden anrichten, dabey aber eines har - ten Sinnes ſind, daß ſie ſich nicht anders als durch hartes Tractament lencken laſſen, unterdeſſen in der Freyheit es nicht vertra - gen wollen, und daher zu ihrem eigenen Schaden und Ungluͤck der Herrſchafft aus den Dienſten gehen; ſo iſt es nicht unrecht,(Politick) Jwenn130Das 4. Capitel Von derwenn ſie ſo lange zu Sclaven gemacht wer - den, biß ſie in der Freyheit ihr Gluͤcke fin - den koͤnnen. Denn hier iſt die Sclaverey ein Mittel des andern Gluͤckſeeligkeit zu be - foͤrdern, und daher der allgemeinen Liebe gegen andere gemaͤß. Ob man gefangene zu Sclaven machen darf, wird an ſeinem Orte unterſuchet werden; wie nicht weni - ger, ob man Ubelthaͤter im gemeinen We - ſen mit der Sclaverey zur Straffe belegen ſol.

Sclaven kan man verkauf - fen.

§. 189.

Unterdeſſen da ein Sclave ei - nem eigenthuͤmlich zugehoͤret (§. 184), das ſeinige aber man verkauffen kan (§. 920 Mor.); ſo kan man auch einen Sclaven nach ſeinem Gefallen verkauffen, nehmlich auf Lebenslang, wenn er Lebenslang unſer Sclave bleiben muͤſte, oder auf eine gewiſ - ſe Zeit, wenn die Sclaverey bey uns nur auf eine gewiſſe Zeit dauret.

Unter - ſcheid ei - nes Scla - ven von einem freyen Knechte.

§. 190.

Man ſiehet leicht den Unterſchied zwiſchen einem freyen Knechte und einem Sclaven, der auch nur auf eine Zeitlang in der Sclaverey verbleibet. Nehmlich ein freyer Knecht ſchraͤncket ſeine freye Hand - lungen nur in einigen Stuͤcken ein; ein Sclave aber in allem. Daher darf jener nur thun, was er verſprochen; dieſer aber muß alles thun, was ihm befohlen wird, wenn es nur nichts unbilliches iſt, ſo dem Ge - ſetze der Natur zuwieder laͤufft.

§. 191.131Herrſchafftlichen Geſellſchafft.

§. 191.

Was von der herrſchafftlichenNutzen der bis - herigen Lehren von der herr - ſchaftli - chen Ge - ſellſchafft Geſellſchafft geſaget worden, laͤſſet ſich auch auf andere Bediente deuten, jedoch mit noͤ - thiger Veraͤnderung. Denn ein jeder, der eine Bedienung erhaͤlt, wird eines gegen gewiſſen Lohn gewiſſe Dienſte zu verrich - ten. Und demnach iſt zwiſchen ihm ein Vertrag, wie zwiſchen dem Herrn und ſei - nem Knechte (§. 162). Derowegen was aus dieſem Vergleiche und den allgemeinen Pflichten der Menſchen gegen einander hergeleitet worden; kan auch alles ohne Unterſcheid auf alle Arten der Bedienten gedeutet werden.

Das 5. Capitel, Von dem Hauſe.

§. 192.

DUrch das Haus verſtehet man eine Geſellſchafft, die auf verſchiedeneWas das Haus iſt Weiſe aus den vorhergehenden ein - fachen zuſammengeſetzet wird: denn ſie kan beſtehen aus der ehelichen und vaͤter - lichen, aus der ehelichen und herrſchafft - lichen, aus der vaͤterlichen und herrſchafft - lichen, oder endlich aus allen dreyen zu - gleich. Die Manns-Perſon, welche in der vaͤterlichen Vater, in der herrſchafftli - chen Herr iſt, wird im Hauſe der Haus - Vater genennet: die Weibs-Perſon, wel - che in der vaͤterlichen Mutter, in der herr -J 2ſchafft -132Das 5. Capitelſchafftlichen Frau heißet, die Haus-Mut - ter. Die uͤbrigen Perſonen werden Haus - genoſſen genennet.

Grund der Pflich ten in einem Hauſe.

§. 193.

Da jede von den einfachen Ge - ſellſchafften ihre beſondere Abſichten hat, die man zu erreichen ſuchet (§. 4.); ſo hat man in einem Hauſe alles dergeſtalt ein - zurichten, daß keine von den einfachen Ge - ſellſchafften die Abſicht der andern ſtoͤhre, ſondern vielmehr eine jede das ihre mit dazu beytraͤget, daß die andere ihre Abſicht deſto bequemer erreichen kan.

Arten derſelben

§. 194.

Und demnach entſtehen hieraus beſondere Pflichten, die man ſonſt in den einfachen Geſellſchafften in acht zunehmen nicht noͤthig hat, welche die Pflichten des Haus-Vaters gegen die Haus-Mutter, deꝛ Haus-Mutter gegen den Haus-Va - ter, beyde gegen die Hausgenoſſen, und der Hausgenoſſen gegen ſie ausmachen: wo - von wir diejenigen unterſuchen wollen, dar - aus ſich die uͤbrigen bey ſich ereignender Gelegenheit herleiten laſſen.

Deꝛ Hausva - ter hat die Herr - ſchafft im gantzen Hauſe.

§. 195.

Weil der Mann die Herrſchafft uͤber die Frau (§. 58), die Kinder (§. 120) und das Geſinde (§. 171) hat; das Haus aber aus den Eheleuten, Kindern und Ge - ſinde beſtehet (§. 201.): ſo hat er die Herr - ſchafft im gantzen Hauſe. Denn unerach - tet das Weib auch als Mutter den Kin - dern (§. 120) und als Frau dem Geſin -de133Von dem Hauſe. de (§. 171) zu befehlen hat; ſo wird doch ihre Herrſchafft durch die Herrſchafft des Mannes eingeſchraͤncket, weil ſie gleichfalls ſeiner Herrſchafft unterworffen iſt (§. 58). Und alſo bleibt die Herrſchafft hauptſaͤch - lich bey dem Haus-Vater, und muß alles im Hauſe den Willen des Hausvaters ſeinen Willen ſeyn laſſen, ohne ſeine Genehmhal - tung nichts vornehmen, auch die Frau ſelbſt nichts anordnen, als in ſolchen Faͤllen, wo ſie weiß, daß der Haußvater mit zufrieden ſeyn wird, und wo er ihr die Sorge auf - getragen. Daher was ſie im Haufe be - fiehlet, befiehlet ſie entweder auf Geheiß, oder mit vorausgeſetzter Genehmhaltung des Hausvaters. Und in ſolchen Faͤllen, wo ſie es beſſer verſtehet, iſt ſie als eine Rathgeberin anzuſehen, wie ſchon oben in einem aͤhnlichen Falle (§. 58) errinnert worden.

§. 196.

Da nun die Haus-MutterWarum die Haus - Mutter das Anſe - hen des Hausva - ters er - halten ſoll. zugleich Mutter der Kinder und Frau des Geſindes iſt (§. 201); und daher gleich - fals ſo wohl den Kindern als dem Geſin - de zu befehlen hat (§. 120. 171. ); ſo be - foͤrdert dieſes das Anſehen des Hausva - ters bey den Kindern und dem Geſinde, wenn ſie ſich ſelbſt in allem dem Willen des Hausvaters unterwirfft, auch beyden vorſtellet, wenn ſie etwas befiehlet, daß es der Hausvater haben wolle, und im FallJ 3es134Das 5. Capiteles nicht geſchehe, er dieſes uͤbel nehmen und ahnden werde. Hierdurch erhaͤlt ſie zu - gleich ein gutes Mittel, Kinder und Geſin - de zu Beobachtung ihrer Pflicht zubrin - gen. Denn wenn ſie Furcht und Scheu fuͤr dem Hausvater haben; ſo iſt nicht noͤ - thig, daß ſie ſich erzoͤrnet und ereiffert, ſon - dern ſie darf ſie nur damit ſchrecken, daß ſie es dem Hausvater oder Herrn ſagen wolle, wofern ſie dieſes nicht thun oder laſſen wuͤrden, oder auch inskuͤnfftige es noch einmahl zuthun oder zulaſſen ſich unter - ſtuͤnden. Und dergleichen Mittel iſt der Haus-Mutter um ſoviel vortraͤglicher, je mehr es ſowohl ihr als der Frucht im Lei - be ſchadet, wenn ſie ſich viel aͤrgert, indem ſie ſchwanger gehet. Jhr ſchadet es an der Geſundheit, und machet oͤffters eine ſchweere Geburt, dabey ſie in Lebens-Ge - fahr kommet, wie man laͤngſt aus der Er - fahrung angemercket: dem Kinde iſt es nicht allein an der Geſundheit ſchaͤdlich, ſondern es bekommet auch zum Eiffer und Aergernis eine natuͤrliche Neigung, wie ich kuͤnfftig in Erklaͤrung der Natur deutlicher zeigen werde. Es ſol dannenhero die Hausmutter dem Hausvater in Gegen - wart der Kinder und des Geſindes nicht wiederſprechen, und mit Macht recht ha - ben wollen, noch ihn ſchnoͤde und veraͤcht - lich in Reden, Minen, Geberden und an -dern135Von dem Hauſe. dern Wercken tractiren, vielweniger gar verkleinerlich gegen das Geſinde und die Kinder von ihm reden, oder, wenn er ſie ſchilt, ihm zuwieder ſeyn und dem Geſin - de uͤberhelffen. Denn ob es wohl an dem iſt, daß, wenn ſie dem Geſinde und Kindern uͤberhilfft, ſie dadurch Liebe bey beyden erhaͤlt, daraus nach dieſem eine kindliche Furcht (§. 130. 191. ) und Scheue (§. 132. 181) bey beyden erwaͤchſet, wodurch ihr Amt ſehr erleichtert wird, weil ſie in die - ſem Zuſtande mehr durch einen Winck, als ſonſt durch vieles Befehlen und Aergernis ausrichtet; ſo muß doch dieſes mit einer guten Art geſchehen, daß ſie dadurch nicht die Furcht fuͤr dem Hausvater tilget: wel - ches, wie wir erſt geſehen, in dem Hauſe ſo noͤthig und fuͤr ſie ſelbſt ſo heilſam iſt. Derowegen hat ſie es bitweiſe zuthun und mit bitten anzuhalten, wenn der Hausva - ter ſich wiedrig ſtellet, damit Kinder und Geſinde der Meinung werden, der Haus - vater ſey ſchweer zu erbitten und zu ge - winnen: denn da es der Haus-Mutter, die doch bey ihm viel gilt, und der er aus Liebe ſehr zugefallen iſt, ſchweer faͤllet et - was zu erhalten, koͤnnen ſie leicht erachten, daß er ſich von ihnen noch ſchweerer wer - de gewinnen laſſen. Wenn demnach die Haus-Mutter noͤthig befindet, den Haus - vater in etwas zu errinnern; ſo ſoll ſie ſol -J 4ches136Das 5. Capitelches allein thun, daß weder von den Kin - dern, noch dem Geſinde jemand etwas da - von erfahre. Und demnach ſiehet man leicht, wie uͤbel es im Hauſe beſtellet ſey, wenn die Hausmutter den Hausvater oͤffentlich ſchilt, ſich mit ihm zancket und ſonſt ungebuͤhrend gegen ihn auffuͤhret.

Wie der Hausva - ter fuͤr das An - ſehen der Haus - Mutter ſorgen ſol.

§. 197.

Aus eben der Urſache, daß die Hausmutter ſowohl den Kindern, als dem Geſinde zu befehlen hat (§. 195), muß auch der Hausvater ſie hinwiederum in gutem Anſehen zu erhalten ſuchen, und daher bey allen ſeinen Handlungen mit ihr, oder dem Geſinde darauf ſehen, daß er nichts vor - nehme, was demſelben zuwieder laͤufft, noch unterlaſſe, was dazu foͤrderlich ſeyn kan. Zu ſolchem Ende iſt noͤthig, daß er durch ſeine Auffuͤhrung Kindern und Ge - ſinde deutlich zu verſtehen gebe, wie er ſie liebe und werth halte, folgends es ſehr uͤbel nehmen wuͤrde, wenn das Geſinde oder auch die Kinder wieder den ihr ſchuldigen Reſpect was vornehmen wolten. Wenn ſie Furcht und Scheu fuͤr dem Hausvater haben (§. 205); ſo werden ſie auch in die - ſem Falle nichts wieder den Reſpect der Haus-Mutter vornehmen. Aus eben der Urſache wird erfordert, daß der Hausva - ter die Hausmutter in Gegenwart des Ge - ſindes und der Kinder nicht anfaͤhret, ihr nichts verweiſet, noch auch ableget, wennſie137Von dem Hauſe. ſie gleich unrecht hat; ſondern vielmehr die - ſes alles mit ihr allein vornimmet und zwar mit allem Glimpffe, damit ſie deſto eher ſeinen Vorſtellungen Gehoͤr giebet, und ſich in andern Faͤllen darnach achtet. Sorget der Haus-Vater fuͤr das Anſehen und den Reſpect der Haus-Mutter; ſo wird auch ſie deſto williger ſeyn hinwiederumb auf ſei - nen Reſpect zu ſehen. Und ſolchergeſtalt befoͤrdert dieſes Verfahren der Eheleute ge - gen einander zugleich die Einigkeit, welche die Ehe gluͤchlich machet (§. 65).

§. 198.

Wenn der Haus-Vater aufWie Haus - Vaͤter u. Haus - Muͤtteꝛ das Beſte des Hau - ſes zu be - foͤrdern. eine ſolche Weiſe ſich gegen die Haus-Mut - ter, und hingegen die Haus-Mutter hin - wiederumb ſich gegen den Haus-Vater auffuͤhret (§. 205. 206); ſo iſt die eheliche Geſellſchafft der natuͤrlichen und herrſchaft - lichen nicht zuwieder, ſondern vielmehr foͤr - derlich, und demnach fuͤhren ſich beyde ſo auf, wie es einem Haus-Vater und einer Haus-Mutter gebuͤhret, und befoͤrdern da - durch die Wohlfahrt ihres Hauſes (§. 202). Jch ſetze aber dabey voraus, daß ſie auch zugleich als Eltern und Herrſchafften ihren Pflichten ein Genuͤgen thun.

§. 199.

Da in dem Hauſe darauf zu ſe -Wie zu verhuͤ - ten / daß Geſinde die Auf - eꝛziehung hen iſt, daß keine von den einfachen Ge - ſellſchafften der andern zuwieder jſt (§. 192); ſo hat man auch darauf zu ſehen, daß durch die herrſchafftliche der vaͤterli -J 5chen138Das 5. Capitelder Kin - der nicht hindert / noch ſchweer machet.chen kein Eintrag geſchiehet, das iſt, durch das Geſinde die Auferziehung der Kinder gehindert, oder ſchweer gemacht wird. De - rowegen muß man die Kinder von der Ge - ſellſchafft des Geſindes ſo viel entfernen als nur moͤglich iſt, damit ſie weder was un - anſtaͤndiges von ihnen ſehen und hoͤren, und alſo durch ihr Exempel nicht verfuͤhret wer - den, noch auch von ihnen zu vorurtheilen, Aberglauben, ungeziemenden Sitten, Wie - derſpenſtigkeit gegen die Eltern, und was dergleichen mehr iſt, verleitet werden. Wie es auch zu der Kinder Schaden gereichet, wenn ſie ihr Thun und Laſſen fuͤr den El - tern verheelen (§. 134); ſo muß man nieht zugeben, daß das Geſinde es verheelen helf - fe, oder auch die Kinder beklagen, wenn ſie von den Eltern geſcholten oder gezuͤchtiget worden. Mit einem Worte, Geſinde ſol ſich umb die Kinder nicht weiter bekuͤmmern als mit Befehl und Genehmhaltung der El - tern geſchiehet: denn wenn ſie nach dem Willen der Eltern handeln, ſo ſind ſie der Auferziehung, welche die Eltern zu beſorgen haben, nicht zuwieder.

Wie zu veꝛhuͤten daß das Geſinde durch die Kinder nicht veꝛ -

§. 200.

Aus eben dieſer Urſache hat man ferner darauf zu ſehen, daß durch die vaͤ - terliche Geſellſchafft der Herrſchafftlichen kein Eintrag geſchehe, das iſt, das Geſin - de durch Kinder nicht verdorben werde. Es dienet hierzu abermahls, daß man die Kin -der239[139]Von dem Hauſe. der mit dem Geſinde nicht viel laͤſſet zu thundorben werden. haben: allein weil hierdurch bloß die Ge - legenheit benommen, nicht aber das Ge - muͤthe der Kinder auf gehoͤrige Weiſe geaͤndert wird, ſo iſt noͤthig, daß ich we - nigſtens eines und das andere etwas um - ſtaͤndlicher anfuͤhre. Man muß alſo den Kindern nicht erlauben, daß ſie das Geſin - de vor ſich etwas heiſſen, ohne der Eltern Befehl oder Genehmhaltung. Denn da dieſes bloß dem Hausvater und der Haus - mutter zuſtehet (§. 194); ſo koͤnnen die - ſes die Kinder ſich nicht anmaſſen. Zu dem da die Kinder vor ſich nichts thun doͤrf - fen, ſondern alles mit Genehmhaltung der Eltern geſchehen ſol (§. 82); ſo kan auch das Geſinde auf ihren Befehl nichts thun, wenn es nicht vorher verſichert iſt, daß es der Herrſchafft ihr Wille iſt. Es gewoͤh - nen ſich auch die Kinder dadurch an der Unterthaͤnigkeit der Eltern zu entziehen und zu thun, was ſie von ihnen ſehen, indem ſie unvermerckt auf den Wahn gerathen, ſie haͤtten zu allem ſo gutes Recht als die Eltern: woraus nach dieſem bey allerhand Gelegenheiten allerhand andere Untugen - den flieſſen. Uber dieſes werden ſie hoch - muͤthig (§. 630 Mor.), und laſſen ſich be - duͤncken, ſie ſeyn eben ſchon, was die El - tern ſind: da doch die Demuth eine ſehr nothwendige Tugend der Kinder iſt (§. 631Mor. 140Das 5. CapitelMor. & §. 113 Polit.), und ſie nicht we - niger als andere Menſchen nutzet (§. 633 Mor.). Und in dieſer Abſicht ſol man noch weniger verſtatten, daß Kinder das Geſinde ſchelten, oder ihm gar mit Thaͤtlichkeit be - gegnen. Denn wenn die Kinder ſich hoch - muͤthig und verwegen gegen das Geſinde auffuͤhren; ſo werden ſie dadurch verdrieß - lich gemacht, und nicht allein verdroſſen und unwillig in ihren Dienſten, ſondern gehen auch gar daraus, daß man kein gu - tes Geſinde darinnen erhalten kan. Es ſol - len demnach Eltern dieſes um ſo vielmehr verhuͤten, weil ſie der Schade ſelber trifft, wenn ſie kein gutes Geſinde in ihren Dien - ſten behalten, auch zuletzt, wenn es aus - kommet, keines mehr bekommen koͤnnen, - dieſes auch bey andern in uͤbele Nachrede gerathen, daß ſie den Kindern ſo viel Wil - len laſſen und Unordnung in ihrem Hauſe anrichten: dergleichen ſie doch zu vermei - den verbunden ſind (§. 142 Mor.). Ab - ſonderlich muß den Kindern nicht verſtattet werden, daß ſie, was die Eltern entweder von dem Geſinde, oder auch ſonſt reden, dem Geſinde zutragen, weil man ohne mei - ne weitere Ausfuͤhrung verſtehet, wie vie - ler Verdruß nach Beſchaffenheit der Um - ſtaͤnde daraus erfolgen kan, ſo daß entwe - der das Geſinde verdruͤßlich gemacht, oder ihm auch Anlaß gegeben wird durch Plau -de -141Von dem Hauſe. dereyen der Herrſchafft Verdruß zu ma - chen. Wer nicht allein durch die Vernunfft uͤberzeuget iſt, wie alles in der Welt von dem groͤſten an bis auf das kleineſte mit ein - ander verknuͤpfft iſt (§. 548 Met.), ſondern auch aus der Erfahrung angemercket, wie immer eines aus dem andern kommet; der wird leicht begreiffen, was fuͤr ein groſſes Feuer unterweilen aus einem kleinen und veraͤchtlichen Fuͤncklein entſtehen kan, und daraus lernen, wie man auch uͤberhaupt im Haus-Weſen auf alle Kleinigkeiten acht zu geben hat, weil alles darinnen dergeſtalt mit einander verbunden, daß, was von ei - nem verſehen wird, auch einigen Einfluß bey den uͤbrigen hat.

§. 201.

Weil nun der Menſch verbun -Wie der Hausva - ter die Einrich - tung in ſeinem Hauſe zu ma - chen / da - mit es ordent - lich dar - innen zu - gehet. den iſt alles zu thun, was ſeinen Zuſtand vollkommener machet (§. 12 Mor.); ſo hat der Haus-Vater, dem die Herrſchafft im Hauſe zuſtehet (§. 204), auch davor zu ſor - gen, daß der Zuſtand ſeines Hauſes ſo voll - kommen werde, als nur immer moͤglich iſt. Derowegen da die Vollkommenheit erfor - dert, daß alles in dem gantzen Hauſe mit ein - ander zuſammen ſtimmet, keines das an - dere hindere (§. 152 Met.); ſo hat er fuͤr allen Dingen ſorgfaͤltig zu uͤberlegen, wie alles ordentlich zugehe (§. 143. 144 Mor.), fol - gends alles, was von einem jeden Haus - genoſſen zuthun und zu laſſen iſt, dergeſtaltein -142Das 5. Capiteleingerichtet werde, daß immer eine beſon - dere Abſicht ein Mittel zur andern iſt, alle insgeſamt aber ein Mittel zur Vollkom - menheit des innern und aͤuſſerlichen Zuſtan - des aller Hausgenoſſen ſind (§. 142 Mor.) Zu dem Ende hat er demnach alle Abſich - ten der einfachen Geſellſchafften ſorgfaͤltig zu uͤberlegen und aus den vorhergehenden Capiteln zu erwegen, was ſelbige zu errei - chen noͤthig iſt. Nachdem er dieſes ſich deutlich vor Augen gemahlet, muß er die beſonderen Abſichten und die dazu erforder - ten Handlungen gegen einander halten, da - mit er nicht alleine ſehe, welches neben ein - ander beſtehen kan, und welches einander zuwieder laͤufft, folgends im Hauſe einige Aenderung erfordert (§. 165 Met.), ſon - dern zugleich bey Zeiten inne wird, was eine jede Perſon zu denen im Hauſe noͤthigen Abſichten eigentlich beytragen kan, und ſol - cher geſtalt die Verrichtungen recht einzu - theilen, auch fuͤr dem, was ſchaͤdlich iſt, einen jeden vorher zu warnen weiß: ja daß er begreiffet, wie eines das andere im Haus - Weſen hindern kan und ſolchen Hinder - niſſen vorzukommen ſich bemuͤhet. Es iſt nicht zu leugnen, daß hierzu groſſe Uberle - gung noͤthig iſt: allein wir fragen jetzunder nicht, ob es leichte iſt in ſeinem Hauſe gu - te Ordnung zu erhalten, ſondern wie man es angreiffen ſoll. Denn eben deswegenweil143Von dem Hauſe. weil es ſchweer iſt, und die wenigſten Men - ſchen zu dergleichen Uberlegung geſchickt ſind; diejenigen hingegen, die geſchickt waͤ - ren, ſie aus anderen Urſachen, deren ver - ſchiedene ſich ereignen nach den verſchiede - nen Umſtaͤnden, darinnen ſie ſich befinden, unterlaſſen: ſo wird man auch nicht leicht ein Haus finden, da es gantz ordentlich zu - gienge, ſo daß man mit Recht nichts dar - an auszuſetzen haͤtte. Und die Crfahrung zeiget zur Gnuͤge, wie viel darinnen verſe - hen wird, wenn man ſorgfaͤltig uͤberleget, woher dieſer oder jener Verdruß im Haus - Weſen kommet, und warumb dieſer oder jener Hausgenoſſe verdirbet, und was der - gleichen mehr iſt. Unterdeſſen ſiehet man, daß noch viele nuͤtzliche Dinge in denen Theilen der Welt-Weisheit, welche der Menſchen Thun und Laſſen betreffen, uͤbrig ſind, welche zum Nutzen des menſchlichen Geſchlechtes zu unterſuchen waͤren. De - rowegen waͤre allerdings noͤthig, daß man dieſe Wiſſenſchafften nicht weniger, als heute zu Tage mit anderen geſchiehet, mit vereinigten Kraͤfften in einen vollkommenen Stand zu ſetzen ſich bemuͤhete.

§. 202.

Wenn aber einmahl eine guteWie der Hausva - ter uͤber die Ord - nung zu halten. Einrichtung gemacht worden, ſo muß der Haus-Vater auch daruͤber halten, das iſt, er muß weder der Haͤus-Mutter, noch den Kindern und dem Geſinde nachſehen, wennſie144Das 5. Capitelſie etwas thun oder laſſen, was derſelben zuwieder laͤufft. Denn uͤber dasjenige, darumb bald geredet wird, pfleget man e - her zu halten, als wo man nachſiehet, weil man daraus den Ernſt des Haus-Vaters abſiehet, und Furcht und Scheue fuͤr ihm behaͤlt. Nimmet man aber wahr, daß ein u. das anderemahl nachgeſehen wird; ſo bil - det man ſich ein, es werde ein anderes mahl auch nachgeſehen werden. Und gleichwie in dem Falle, wo nicht uͤber die Ord - nung ſtrenge gehalten wird, eine ſchlimme Gewohnheit einreiſſet, der nach dieſem ſchweer iſt abzuhelffen (§. 384 Mor.); ſo wird hingegen in dem anderen Falle, da man - ber die einmahl gemachte Ordnung ſteiff und feſte haͤlt, eine gute Gewohnheit ein - gefuͤhret, welche zu ihrer Erhaltung dien - lich iſt. Man erkennet aber aus dem, was kurtz vorher mit beruͤhret worden (§. 200), daß man wichtige Urſachen hat, warumb man uͤber der Ordnung haͤlt. Denn da alle Handlungen derer Perſonen, die im Hauſe mit einander leben, dergeſtalt mit einander verknuͤpfft ſind, daß immer eine aus der andern erfolget; ſo kan auch von keinem Theile wieder die von dem Haus - Vater gemachte Einrichtungen gehandelt werden, daß nicht zugleich daraus viel ver - aͤnderliches in den Handlungen der uͤbrigen erfolgete. Wer uͤberhaupt die Verknuͤpf -fung145Von dem Hauſe. fung der Dinge in der Natur eingeſehen, wird gar leicht dieſes begreiffen, hingegen wer ſo viele Einſicht nicht hat, der gebe im Haus-Weſen nur acht, was ihm verdruͤß - liches vorfaͤllet, und unterſuche die Urſache, woher es kommet, ſo wird er finden, wie ein unordentliches immer mehr unordentli - ches nach ſich ziehet nicht allein bey der Per - ſon die es thut, ſondern auch bey den uͤbri - gen. Es wird nicht undienlich ſeyn nur in etwas dieſes mit einem Exempel zu erlaͤu - tern. Man ſetze z. E. daß eines von dem Geſinde eine Sache, die nach dem Gebrau - che zu ſaubern iſt, nicht bald ſaubere, ſon - dern es aufſchiebe bis zu der Zeit, da man es noͤthig hat. Wenn es nun geſchiehet, daß man die Sache wegen eines ſich ereig - nenden Falles eher brauchet, als das nach - laͤßige Geſinde vermuthet; ſo wird die Herr - ſchafft gehindert und, wenn der Gebrauch ſchleunig iſt und nicht viel Aufſchub leidet, daruͤber verdruͤßlich. Hat nun das Geſin - de, dem dieſe Verrichtung zuſtehet, zu der - ſelben Zeit entweder was anders unumb - gaͤngliches zuthun, oder wil es die Herr - ſchafft ſeine Nachlaͤßigkeit nicht mercken laſſen; ſo muß es, was ihm gebuͤhret, durch andere verrichten laſſen, oder die Herrſchafft muß es wohl gar befehlen, daß es von andern geſchehen ſol: wodurch viel veraͤnderliches theils in den Gemuͤthern(Politick) Kdes146Das 5. Capiteldes Geſindes, theils in ihren Handlungen die aus derſelben Quelle rinnen, zum Nach - theil ſo wohl der Herrſchafft als des Geſin - des unter einander verurſachet wird, daher wir auch ſolches nicht anders als verwerf - fen koͤnnen (§. 173). Wer in einer Sa - che unachtſam iſt und es gehet ihm an, der macht es in anderen nach dieſem gleichfalls nicht anders und verfuͤhret oͤffters durch ſein Exempel auch die andern. Man hat hier allezeit zu erwegen, daß aus einem kleinen Fuͤncklein ein groſſes Feuer kommen kan.

Wie der Hausva - ter wach - ſam ſeyn ſoll.

§. 203.

Und dannenhero iſt noͤthig, daß der Haus-Vater, dem es ein Ernſt iſt, daß es in ſeinem Hauſe ordentlich zugehen ſoll, auf alles genau acht hat und ſich um alles bekuͤmmert, ob es ſeinem Sinne gemaͤß geſchiehet oder nicht. Und dieſe Aufmerck - ſamkeit auf alles, was in dem Hauſe ge - ſchiehet, wird die Wachſamkeit des Haus - Vaters genennet. Und hat er ſich hierbey nicht allein des Beyſtandes der Haus-Mut - ter, ſondern auch der Kinder u. des Geſindes zugebrauchen, daß nemlich keiner des andern Unthaten fuͤr ihm verheele, ſondern viel - mehr gleich anzeige, was es unanſtaͤndiges von dem andern ſiehet, daraus dem Haus - Vater Schaden oder Verdruß erwachſen kan. Denn unerachtet keines das andere faͤlſchlich anzugeben, noch den Haus-Va - ter wieder ihn zu verhetzen hat, als wel -ches147Von dem Hauſe. ches der allgemeinen Liebe zuwieder iſt, die ein Menſch gegen den andern haben ſol (§. 775 Mor.); ſo muß doch ein jedes Mitt - Glied in einer Geſellſchafft (§. 2. 4. ), und alſo auch ein jeder Hausgenoſſe (§. 192.), alles dasjenige von ſeiner Seite willig bey - tragen, was zum Beſten der Geſellſchafft gereichen kan. Damit nun aber dadurch nicht unter dem Geſinde Zwieſpalt und Un - einigkeit entſtehe; ſo hat der Haus-Vater ſolches nicht allein zu verſchweigen, ſondern auch darauf zu ſehen, wie er ohne andere ſolches erfahren, oder wenigſtens glaublich machen kan, daß er es ohne des anderen Hinterbringen erfahren. Es iſt aber dieſe Wachſamkeit um ſo viel noͤthiger, weil die Unordnungen unvermerckt einſchleichen und, wenn ſie ausbrechen, gemeiniglich ſchon ſehr groß ſind, daß ihnen uͤbel abzu - helffen ſtehet, nicht anders wie das Getraͤn - cke nicht auf einmal ſauer und zu ſcharffem Eßige wird, ſondern nach und nach. De - rowegen gielt auch hier, daß man gleich dem Anfange vorbeugen muͤſſe, weil dem Ubel, das einmahl eingeriſſen, nicht anders als auf eine beſchweerliche Weiſe abgeholf - fen wird.

§. 204.

Weil es wegen anderer Verrich -Was die Haus - Mutter hierbey zu thun hat. tungen, die dem Haus-Vater obliegen, ihm nicht anders als unbequem fallen kan, wenn er ſich um alles im Haus-Weſen be -K 2kuͤm -148Das 5. Capitelkuͤmmern ſol; ſo kan er dieſe Sorgfalt der Haus-Mutter, die beſſere Zeit darzu hat, auftragen, und diejenigen Sachen, denen ſie nicht abhelffen kan, von ihr ſich vortra - gen laſſen. Jch ſage mit Fleiß, bloß die - jenigen Sachen, denen ſie nicht abhelffen kan, ſol ſie vor den Haus-Vater bringen: denn dadurch wird nicht allein die Laſt der Sorge erleichtert, die ihm ohne dem bey ſeinen uͤbrigen Verrichtungen beſchweerli - cher fallen muß, als ſie in der That iſt; ſon - dern er wird auch von vielem Verdruß be - freyet, der bey ihm um ſo viel leichter ent - ſtehen kan, wenn er zur Unzeit kommet, da er entweder auf noͤthigere Dinge zu dencken hat, oder auch aus anderen Urſachen zum Wiederwillen geneiget iſt. Jedoch muß er es nicht allein auf die Haus-Mutter an - kommen laſſen, ſondern auch unterweilen in denen ihr anvertraueten Sachen ſelbſt mit nachſehen, damit er inne wird, wie weit er ſich auf ſie zu verlaſſen hat.

Waꝛumb deꝛ einge - riſſenen Unord - nung bald ab - zuhelf - fen.

§. 205.

Weil der Haus-Vater uͤber der Ordnung in ſeinem Hauſe halten ſol (§. 201); ſo muß er auch aller Unordnung, die einreiſſen wil, bey Zeiten abzuhelffen ſuchen, und zwar umb ſo vielmehr, je ge - wiſſer es iſt, daß immer eine Unordnung aus der andern kommet (§. 201), und um ſo viel ſchweerer zu helffen iſt, je groͤſſere Unordnung eingeriſſen.

§. 206.149Von dem Hauſe.

§. 206.

Da in einer jeden GeſellſchafftDaß die Wohl - fahꝛt des gantzen Hauſes der be - ſonderen deꝛ Haus - genoſſen vorzu - ziehen. die gemeine Wohlfahrt der beſonderen vor - zuziehen (§. 12); ſo muß auch die gemei - ne Wohlfahrt des gantzen Hauſes der be - ſonderen eines Hausgenoſſen vorgezogen werden (§. 191). Derowegen wenn es die Wohlfahrt des Hauſes erfordert, daß er mit Schaͤrffe etwas ahndet, ob es gleich ſonſt bey der Perſon, die etwas verbro - chen, leichter zu aͤndern ſtuͤnde; ſo muß er die Schaͤrffe wieder ſie gebrauchen. Glei - chergeſtalt wenn man einem von den Haus - genoſſen nicht helffen kan, ohne daß dar - uͤber die gemeine Wohlfarth des gantzen Hauſes in Gefahr geſetzet wird; ſo muß man es unterlaſſen. Und ſo verhaͤlt ſichs in vielen anderen Faͤllen.

§. 207.

Wiederum weil diejenigen, dieDaß er die Haus - genoſſen freinden vorzu - ziehen. mit uns in einer Geſellſchafft leben, frem - den vorzuziehen ſind (§. 13); ſo iſt auch ein Haus-Vater nicht verbunden frem - den zu helffen, wenn es mit Nachtheil ſei - ner Hausgenoſſen geſchehen ſoll. Hinge - gen wenn ihnen nichts abgehet an dem, was ihnen gebuͤhret; ſo iſt er verbunden mit dem uͤbrigen denen zu helffen, die ſei - ner Huͤlffe noͤthig haben (§. 771 Mor.). Z. E. wenn es bey dem Hausvater ſtehet eine Bedienung zu vergeben, oder einem darzu behuͤlfflich zu ſeyn, und er findet unter ſei - nen Hausgenoſſen einen, der dazu geſchicktK 3iſt;150Das 5. Cap. Von dem Hauſe. iſt; ſo iſt er verbunden, vielmehr ihn als einen fremden ſeiner Huͤlffe genieſſen zu laſſen.

Daß bey - des auch die Pflicht deꝛ Haus - genoſſen iſt.

§. 208.

Man ſiehet aus den angefuͤhrten Gruͤnden (§. 206. 207), daß auch die Hausgenoſſen insgeſammt, ſie moͤgen ſonſt Nahmen haben, wie ſie wollen, ſo wohl als der Hausvater die Wohlfahrt des gan - tzen Hauſes der beſonderen eines jeden, auch ihrer eigenen, und abſonderlich auch das Beſte des Hausvaters und der Haus - genoſſen dem Beſten Fremder vorzuziehen haben: woraus viele Fragen ſich entſcheiden laſſen, die in beſonderen Faͤllen vorkommen koͤnnen.

Waꝛumb nicht ein mehreres von den Pflichten eines Hauſes beyge - bracht wird.

§. 209.

Da wir von den Pflichten, die ein jeder in den einfachen Geſellſchafften zu beobachten hat, weitlaͤufftig gehandelt (c. 2 & ſeqq. ), auch auf gewiſſe Weiſe das gan - tze Haus als eine Perſon anzuſehen iſt und in ſo weit auf daſſelbe alles dasjenige ſich deuten laͤſſet, was von den Pflichten der Men - ſchen gegen ſich ſelbſt anderswo (§. Part. 2 Mor.) umſtaͤndlich ausgefuͤhret worden; ſo iſt nicht noͤthig ins beſondere zu zeigen, was ein Hausvater in ſeinem Hauſe zu beobach - ten hat, damit alles wohl zugehe, und ein jeder von den Hausgenoſſen thut, was ihm gebuͤhret.

Ende des erſten Theils.

An -151

Der andere Theil Von dem gemeinen Weſen.

Das 1. Capitel / Von dem gemeinen Weſen uͤberhaupt.

§. 210.

WEnn die Menſchen allen Pflichten gegen die Seele, den Leib und ihren aͤuſſeren Zuſtand, die wir anderswo ausfuͤhrlich abgehandelt (part. 2 Mor.) ein Gnuͤgen thun und alle Bequem - lichkeiten des Lebens, die ſie zu erlangen faͤ - hig ſind, genieſſen wollen; ſo muͤſſen die vielfaͤltigen Verrichtungen, die hierzu er - fordert werden, unter viele Menſchen ein - getheilet werden. Die Menge und Man - nigfaltigkeit der Verrichtungen zeiget, wie vielerley Lebens-Arten und Handthierun - gen man von noͤthen hat. Man bedencke nur, was fuͤr Bemuͤhungen der Menſchen dazu ſind erfordert worden, daß einer ſei - ne Kleidung erhalten, daß er eine Mahlzeit genoſſen, daß er zu einer Wiſſenſchafft ge - langet, und ſo weiter fort. Gewiß man erſtaunet, daß zu einer dem Anſehen nach oͤffters gantz kleinen Sache ſo viele Sorge,K 4Ar -152Das 1. CapitelArbeit und Bemuͤhung ſo verſchiedener Menſchen dazu erfordert worden. Und wer dieſes erkennet, wird mehr als zu deutlich begreiffen, daß in einem Hauſe, es mag ſo weitlaͤufftig eingerichtet ſeyn als es immer mehr wil, man unmoͤglich alles erhalten kan, was zur Bequemlichkeit des Lebens erfordert wird. Und dannenhero kan kein Haus vor ſich allein wohl beſtehen; ſon - dern es iſt noͤthig, daß ſich viele Haͤuſer in eine Geſellſchafft zuſammen begeben, die um ſo viel vollkommener iſt, jemehr derſelben ſind, und je geſchickter die Verrichtungen, welche zur Bequemlichkeit des Lebens erfor - dert werden, dadurch vertheilet ſind. Die Erfahrung ſtimmet mit uͤberein: denn man findet, was fuͤr ein Unterſcheid iſt zwiſchen Doͤrffern und Staͤdten, ingleichen zwiſchen kleinen Staͤdten und groſſen, wo man al - les haben kan.

Einwuꝛff wird be - antwor - tet.

§. 211.

Vielleicht werden einige ein - wenden, der Uberfluß mache den Menſchen die meiſte Muͤhe in der Welt, und wuͤrde es ſolcher Weitlaͤufftigkeiten gar nicht brau - chen, wenn man wie die Thiere damit zu - frieden waͤre, was die Nothdurfft des Lei - bes erfordert. Allein unerachtet hierunter etwas wahres iſt, welches dem Einwurffe einen Schein giebet; ſo finde ich doch da - gegen verſchiedenes zu errinnern. Jch ſage anfangs, es ſey etwas wahres darunter. Nem -153gemeinen Weſen uͤberhaupt. Nemlich es iſt nicht zu leugnen, daß einige Menſchen einen Uberfluß in Nahrung, Klei - dung, Wohnung und Geraͤthe ſuchen, ſo daß ſie es nicht allein entbehren koͤnnen, ſondern auch aus verſchiedenen Urſachen ſolten, die in beſonderen Faͤllen aus der Beſchaffenheit der Pflichten gegen ſich ſelſt gar leicht zu entdecken ſind. Es ſind auch viele Dinge ſo beſchaffen, daß das menſchliche Geſchlechte deswegen nicht ungluͤckſeelig ſeyn wuͤrde, wenn man ſie gleich gar nicht haͤtte. Unterdeſſen blei - bet doch auch gewis, daß dadurch noch nicht genungſam erwieſen iſt, man ſolle dieſelben gar wegwerffen, ingleichen was einige als einen Uberfluß zu vermeiden haben, ſollen uͤberhaupt alle fahren laſſen. Wir haben demnach wohl zu bedencken, daß bey der groſſen Menge der Menſchen nicht wohl alle durch dergleichen Verrichtun - gen, die bloß die Nothdurfft des Lebens erfordert, ihren zur Nothdurfft erforderten Unterhalt finden koͤnnen. Und eben daher iſt es geſchehen, daß, da die Menſchen ſich gemehret haben, und ein jeder hat gerne ſeinen Unterhalt haben wollen, ſie auf al - lerhand Arbeit gefallen, von der man An - fangs nichts gewuſt. Solchergeſtalt iſt es nicht unrecht, wenn diejenigen, ſo mit ihrem Vermoͤgen anderen, die Noth lei - den muͤſſen, dienen koͤnnen, auch nach Er -K 5for -154Das 3. Cap. Von demforderung ihrer Umſtaͤnde etwas auf der - gleichen Dinge wenden, ohne welche die Nothdurfft des Lebens beſtehen kan (§. 458. 492. 510. Mor.) Und iſt dieſes beſ - ſer, als wenn man ſolchen Leuten von ſei - nem Uberfluſſe umſonſt aushuͤlffe. Denn ſo machte man viel Muͤßiggaͤnger und Bettler. Muͤßiggang lehret nichts gutes, als aller Laſter Anfang, und wer ſich bey geſundem Leibe zum betteln gewoͤhnet, wird nicht viel loͤbliches in der Welt verrichten: welches alles hier umſtaͤndlicher auszu - fuͤhren, zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde. Man bedencke ſelbſt, was das betteln veraͤnder - liches in dem innern und aͤuſſern Zuſtande des Menſchen nach ſich ziehet, ſo wird man deſſen bald inne werden. Wer demnach auf den Zuſammenhang der Dinge zu ſehen gewohnet iſt, das iſt, alles vernuͤnfftig uͤber - leget (§. 368 Met.); der wird gar gerne zugeben, daß einige Menſchen in der Welt in Nahrung, Kleidung, Wohnung und andern Bequemlichkeiten des Lebens weiter gehen muͤſſen, als es die Nothdurfft des Lebens erfordert, damit viele andere auf eine bequeme Art finden moͤgen, was ſie zur Nothdurfft brauchen. Uber dieſes muß man auch den Uberfluß wohl zu beurthei - len wiſſen. Nemlich da der Menſch nicht allein auf die Nothdurfft des Lebens, ſon - dern auch auf alle Bequemlichkeiten ſehenſol,155gemeinen Weſen uͤberhaupt. ſol, die er nach ſeinen Umſtaͤnden erhalten kan, indem man ihm kein Vergnuͤgen miß - koͤnnen darf, daraus kein Mißvergnuͤgen erwaͤchſet (§. 471 Mor.): ſo iſt dieſes fuͤr keinen Uberfluß zuachten, was zur Bequem - lichkeit des Lebens dienet, noch derjenige zu ſchelten, der ſie zu erhalten trachtet, wenn er nach ſeinen Umſtaͤnden dazu gelangen kan, und ſich nicht dadurch den Weg zum Mangel des zur Nothdurfft erforderten baͤh - net. Man hat dabey auch wohl zu erwe - gen, wie viele Verrichtungen der Menſchen erfordert werden, damit wir in dem Stande ſind die Wiſſenſchafften und Kuͤnſte in Auf - nehmen zu bringen, welches inſonderheit dasjenige iſt, dadurch ſich Menſchen von unvernuͤnfftigen Thieren unterſcheiden. End - lich iſt es wohl wahr, daß bey der ſchlech - ten Lebens-Art der Alten, da ſie gar we - niges brauchten, das menſchliche Geſchlech - te ſo wohl iſt fortgepflantzet worden, als je - tzund bey politen Voͤlckern geſchiehet: al - lein wer begreiffen wil, welche Art des Le - bens der andern vorzuziehen, der darf nur ungearteter Voͤlcker, dergleichen man noch in der Welt antrifft, Lebens-Art gegen die unſere halten; ſo bin ich verſichert, er wer - de die unſere mit der ihrigen nicht zu vertau - ſchen verlangen.

§. 212.156Das 1. Capitel Von dem
Daß ein - zele Haͤuſer wieder Beleidi - gungen nicht ſi - cher ge - nung, ſind.

§. 212.

Uber dieſes iſt auch bekand, daß der groͤſte Theil der Menſchen den Laſtern ergeben iſt, und daher andere vielfaͤltig be - leidigen wuͤrde, wenn es ihnen frey ausge - hen koͤnnte. Ein eintzeles Haus iſt dem - nach nicht in dem Stande alle Beleidigun - gen abzuhalten; ſondern muͤſte vielmehr gewaͤrtig ſeyn, daß man es ploͤtzlich mit ihm gar ausmachte. Wenn einigen et - was fehlete und ſie ſaͤhen, daß es der an - dere haͤtte; ſo wuͤrden ſie es ihm mit Ge - walt nehmen, woferne er es nicht gutwil - lig hergeben wolte. Da nun ein Haus aus wenigen Perſonen beſtehet (§. 192); ſo koͤn - ten ſich leicht einige zuſammen rotten, die ihnen uͤberlegen waͤren, oder andere Ge - walt brauchen, da man in dem Hauſe nicht wiederſtehen koͤnte. Auf eine ſolche Weiſe waͤre kein Haus des ſeinigen verſichert, wie es doch billig ſeyn ſol (§. 892 Mor.). Wie - derumb wenn einer einen Haß gegen den andern haͤtte, oder auch von ihm waͤre er - zoͤrnet worden; ſo wuͤrde er in der Rache ſo weit gehen, als es ihm gefiele (§. 454. 484 Met.), und ihm nicht allein Schaden an ſeinem Vermoͤgen, ſondern wohl gar an ſeinem Leibe und Leben zufuͤgen (§. 824. Mor.). Und ſolchergeſtalt waͤre niemand ſei -Noth - wendig - keit des gemeinen Weſens. nes Leibes und Lebens ſicher.

§. 213.

Da nun eintzele Haͤuſer nicht al - le Bequemlichkeiten des Lebens ihnen ſelbſtver -157gemeinen Weſen uͤberhaupt. verſchaffen koͤnnen, derer ſie faͤhig ſind (§. 210), noch auch des ihrigen, ja ihres Lei - bes und Lebens geſichert ſeyn (§. 212), fol - gends das hoͤchſte Gut, darnach ſie zu ſtre - ben verbunden ſind (§. 45 Mor.), nicht zu erlangen vermoͤgen (§. 44 Mor.): ſo iſt noͤ - thig, daß ſo viele ſich zuſammen begeben und mit vereinigten Kraͤfften ihr Beſtes be - foͤrdern, biß ſie in dem Stande ſind ſich alle Bequemlichkeiten des Lebens zu ver - ſchaffen, der natuͤrlichen Verbindlichkeit gemaͤß von einer Vollkommenheit zu der andern ungehindert fortzuſchreiten und ſich wieder alle Beleidigungen ſattſam zu ver - theidigen. Wenn dieſes geſchiehet, ſo be - geben ſie ſich in eine Geſellſchafft (§. 2), und der ungehinderte Fortgang in Befoͤr - derung des gemeinen Beſtens, das ſie durch vereinigte Kraͤffte erhalten koͤnnen, iſt die Wohlfaͤhrt dieſer Geſellſchafft (§. 3). Die - ſe Geſellſchafft pfleget man das gemeine Weſen zu nennen.

§. 214.

Cs iſt demnach das gemeineWas das gemeint Weſen iſt und deſe ſen Ab - ſichten. Weſen eine aus ſo viel Haͤuſern beſtehen - de Geſellſchafft als zu Befoͤrderung der ge - meinen Wohlfahrt und Erhaltung der Si - cherheit noͤthig iſt. Und demnach ſind zwey Abſichten, welche die Menſchen gehabt, warumb ſie ein gemeines Weſen aufgerich - tet, nemlich damit ſie in dem Stande waͤ - ren dem hoͤchſten Gute deſto ſicherer nach -zuſtre -158Das 1. Capitel Von demzuſtreben, oder ihre Wohlfahrt mit verei - nigten Kraͤfften zu befoͤrdern, und ſich wie - der alle Gewalt und Unrecht zu ſchuͤtzen.

Haupt - geſetze im ge - meinen Weſen.

§. 215.

Die gemeine Wohlfahrt dem - nach und Sicherheit iſt das hoͤchſte und letz - te Geſetze im gemeinen Weſen, und dem - nach die Regel, darnach man alles im ge - meinen Weſen zu entſcheiden hat, dieſe: Thue, was die gemeine Wohlfahrt befoͤrdert und die gemeine Sicherheit erhaͤlt. Hingegen unterlaß, was die gemeine Wohlfahrt hindert und der gemeinen Sicherheit zuwieder iſt (§. 11).

Pflicht derer / die im ge - meinen Weſen leben

§. 216.

Auf ſolche Weiſe erhellet, daß wir im gemeinen Weſen bey unſeren Hand - lungen zugleich mit auf andere ſehen muͤſ - ſen, damit dadurch nicht andern, die un - ſere Mittglieder ſind (§. 15), einiger Ein - trag geſchehe, ſondern vielmehr ihre Wohl - fahrt zugleich dadurch befoͤrdert wird. De - rowegen hat ein jeder bey ſeinen Handlun - gen darauf zu ſehen, was ſie veraͤnderli - ches in dem Zuſtande des gemeinen We - ſens nach ſich ziehen. Es hat manche Hand - lung nicht viel zu ſagen, wenn wir ſie in Anſehung unſeres Zuſtandes erwegen: al - lein wenn wir ſie gegen den Zuſtand des ge - meinen Weſens halten, ſo kommet viel ſchlimmes daraus.

§. 216.159gemeinen Weſen uͤberhaupt.

§. 217.

Gleichwie nun aber uͤberhauptWas man im gemeinen Weſen nicht zu dul - den hat. in keiner Geſellſchafft zugegeben werden ſol, daß einer oder der andere etwas vornehme, was den Abſichten derſelben zuwieder iſt (§ 10): alſo muß man auch in dem gemei - nen Weſen nicht dulden, daß von jeman - den etwas vorgenommen werde, was wie - der die gemeine Wohlfahrt und Sicher - iſt (§. 215). Und wie ferner in einer jeden Geſellſchafft man Recht hat alle Mittel an - zuwenden, wie man den ungearteten zu Beobachtung ſeiner Pflicht bringet (§. 10); alſo muß man auch im gemeinen Weſen darauf bedacht ſeyn, wie man einen jeden dazu bringe, daß er nichts vornehme, was der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit zuwieder iſt, noch unterlaſſe, was darzu dienlich befunden wird.

§. 218.

Gleichgerſtalt wie in keiner Ge -Gemeine Wohl - fahrt ge - het der beſon - dern vor. ſellſchafft verſtattet werden kan, daß in ſolchen Faͤllen, wo eine Ausnahme geſche - hen muß, die beſondere Wohlfahrt eines einigen oder einiger der gemeinen vorgezo - gen werde (§. 12); ſo kan auch im gemei - nen Weſen nicht zugelaſſen werden, daß ei - ner ſeine beſondere Wohlfahrt der gemei - nen vorziehe.

§. 219.

Und wie ferner in einer jedenWenn fremde denen ein hei - miſchen nach zuſe - tzen. Geſellſchafft das Mittglied einem fremden vorgezogen wird (Z. 13); ſo muß auch im gemeinen Weſen ſolches geſchehen, das iſt,es160Das 1. Capitel Von demes iſt niemand verbunden fremden zu helf - fen, wenn dadurch die Wohlfahrt derer, die mit uns in einem gemeinen Weſen le - ben, nachgeſetzet werden ſolte.

Gemei - nes We - ſenſt ellet eine Per - ſon vor.

§. 220.

Weil man in einem gemeinen Weſen mit vereinigten Kraͤfften dasjenige zu erhalten ſuchet, was ein jeder Menſch zu ſuchen von Natur verbunden iſt (§. 213) ſo kan man ein gemeines Weſen als eine eintzele Perſon anſehen. Und demnach verhalten ſich viele gemeine Weſen gegen einander wie verſchiedene eintzele Perſo - nen.

Grund des Rech - tens zwi - ſchen ver - ſchiede - nen ge - meinen Weſen.

§. 221.

Derowegen wenn wir verſtehen, was eine Perſon der andern ſchuldig iſt, wie wir ſolches bereits (Part. 4 Mor) aus - gefuͤhret; ſo wiſſen wir auch, was ein ge - meines Weſen fuͤr Pflichten gegen andere hat. Und hieraus laſſen ſich viele wichti - ge Fragen entſcheiden, was zwiſchen ver - ſchiedenen gemeinen Weſen in allerhand Faͤllen rechtens iſt.

Grund der Ein - richtung des ge - meinen Weſens.

§. 222.

Weil man nun deswegen ein gemeines Weſen einfuͤhret, damit man die gemeine Wohlfahrt deſto bequemer erhal - ten und die gemeine Sicherheit befoͤrdern kan (§. 213); ſo muß man daſſelbe derge - ſtalt einrichten, daß es an noͤthigen Mit - teln dieſe Abſicht zu erreichen nicht fehlet.

Welche Art des gemeinen

§. 223.

Und demnach iſt diejenige Art des gemeinen Weſens die beſte, wo die ge -meine161gemeinen Weſen uͤberhaupt. meine Wohlfahrt am beſten befoͤrdert undWeſens beſſer als die ande - re. die gemeine Sicherheit erhalten wird, das iſt, wo die meiſten Menſchen gluͤckſeelig ne - ben einander leben, auch von auswaͤrtigen Feinden ſicher ſind. Hingegen die Art des gemeinen Weſens iſt die ſchlechteſte, wo die meiſten Menſchen ungluͤckſeelig ſind, das iſt, mißvergnuͤgt und in Uneinigkeit le - ben, auch von auswertigen Feinden nicht genung ſicher ſeyn. Nemlich die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit iſt die Abſicht des gemeinen Weſens (§. 214), das gemei - ne Weſen ſelbſt, dadurch man dieſe Ab - ſicht zu erhalten gedencket, das Mittel (§. 912 Met.). Je mehr nun die Abſicht er - halten wird, je beſſer iſt das Mittel, welches man dazu gebrauchet.

§. 224.

Da die Vollkommenheit in ei -Wie man die Voll - kommen - heit des gemeinen Weſens zu beur - theilen hat. ner Zuſammenſtimmung des mannigfalti - gen beſtehet (§. 152 Met.), im gemeinen Weſen aber alles, was zu einer Einrich - tung und Verwaltung gehoͤret, mit ei - nem Worte, alles was auf einige Art und Weiſe dazu gehoͤret, mit der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit zuſammen ſtim - men muß (§. 215); ſo iſt klar, wie man die Vollkommenheit eines gemeinen We - ſens zu beurtheilen hat. Nemlich es iſt weiter nichts von noͤthen, als daß wir 1. ſorgfaͤltig alles anmercken, was man dar - innen der gemeinen Wohlfahrt und Si -(Politick) Lcher -162Das 1. Capitel Von demcherheit halber vornimmet, 2. mit Fleiß anmercket, was fuͤr veraͤnderliches in dem Zuſtande derer, die darinnen leben, erfol - get; und endlich 3. beurtheilet, wie ſolches mit der gemeinen Wohlfahrt und Sicher - heit beſtehet. Man erkennet ohne mein Er - rinnern, was fuͤr eine weitlaͤufftige Uberle - gung bey dem letzten noͤthig iſt, nemlich bey der gemeinen Wohlfahrt hat man auf alles zu ſehen, wozu der Menſch durch das Ge - ſetze der Natur verbunden wird (§. 214), und alſo ſo wohl auf die Pflichten gegen ſich ſelbſt, als gegen GOtt und andere Men - ſchen, die wir in der Sitten-Lehre ausge - fuͤhret: bey der gemeinen Sicherheit iſt nicht allein auf die innere Ruhe und Einig - keit, ſondern auch auf den aͤuſſeren Friede und das gute Verſtaͤndniß mit auswaͤrtigen zu ſehen.

Nutzen dieſer Beur - theilung.

§. 225.

Es hat aber dieſe Beurtheilung des gemeinen Weſens ihren vielfaͤltigen Nutzen. Denn einmahl kan man dadurch begreiffen, wie es eigentlich eingerichtet werden ſol, wenn man dem Winck der Na - tur folgen wil, die uns das beſſere vorzu - ziehen verbindet (§. 10 Mor.). Nach die - ſem lernet man auch hierdurch erkennen, was in einem gemeinen Weſen noch fehlet, und wie man es verbeſſern ſol. Ja wir werden dadurch geſchickt, bey wohl eingerichteten gemeinen Weſen abzulernen, was an ihnengutes163gemeinen Weſen uͤberhaupt. gutes iſt und wieder geſchickt anzubringen. Denn wenn etwas nicht in der Zuſammen - ſtimmung mit anderen Dingen behalten wird, dabey es gut thut, ſo kan man Un - heil anrichten, wenn man es an dem un - rechten Orte nachthut.

§. 226.

Vielleicht wird einigen anſtoͤſ -Einwurf wird be - antwor - antwor - tet - ſig ſeyn, daß ich verlange, man ſol bey Ein - richtung und Verwaltung des gemeinen Weſens auf ſeine Vollkommenheit ſehen. Sie werden meinen, das vollkommene ge - meine Weſen ſey eine Frucht der leeren Ein - bildung, und koͤnne in der Welt nirgends ſtatt finden: man habe aber die Sache ſo vorzuſtellen, wie ſie moͤglich ſind. Was helffen mich die Gedancken von einer Gluͤck - ſeeligkeit, die man nicht erreichen kan: ſie ſind ein Traum, der einem nichts geweh - ret. Wenn wir auf dieſen Einwurff or - dentlich antworten wollen, ſo haben wir zweyerley zn erwegen. Erſtlich iſt die Fra - ge, wenn man den Begriff von der Voll - kommenheit des gemeinen Weſens fuͤr et - was unmoͤgliches ausgeben kan: darnach haben wir zu unterſuchen, ob man deswe - gen nach einer an ſich moͤglichen Vollkom - menheit nicht ſtreben ſoll, weil man ſie nicht erreichen kan. Wir wiſſen, daß das un - moͤgliche etwas wiederſprechendes in ſich enthaͤlt (§. 12 Met.), das iſt ſolche Din - ge, die neben einander zugleich nicht beſte -L 2hen164Das 1. Cap. Von demhen koͤnnen. Sol nun der Begrieff von der Vollkommenheit des gemeinen Weſens un - moͤglich ſeyn; ſo muß er gleichfalls einan - der zuwieder lauffende Dinge in ſich enthal - ten, oder auch unmoͤgliche Dinge vor - ausſetzen. Nemlich im erſten Falle muͤſten in der Einrichtung oder Verwaltung des gemeinen Weſens ſolche Dinge angegeben werden, die einander zuwieder lieffen, und daher waͤre es kein vollkommenes gemeines Weſen, ſondern haͤtte nur den Schein deſ - ſelben (§. 152 Met.). Und alſo findet die - ſer Fall hier eigentlich gar nicht ſtat, oder man muͤſte erweiſen koͤnnen, daß kein ge - meines Weſen koͤnne gedacht werden, dar - innen alles mit einander voͤllig zuſammen - ſtimmete. Jn dem anderen Falle muͤßte man entweder Menſchen, die ſich ins ge - meine Weſen begeben ſolten, anders an - nehmen, als wie wir ſie finden, z. E. Cn - gel im Verſtande und in Tugenden; oder ſolche Mittel vorſchreiben, welche die Men - ſchen durch allen Gebrauch ihrer Kraͤff - te nicht bewerckſtelligen koͤnnten. Wenn aber dergleichen nicht geſchiehet, ſondern man richtet alles nach dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Menſchen und dem moͤglichen Gebrauche ihrer Kraͤffte ein; ſo kan man nicht mit Beſtande der Wahrheit die Voll - kommenheit des gemeinen Weſens als eine leere Brut der Einbildung verwerffen. Wenn165gemeinen Weſen uͤberhaupt. Wenn nun gleich der Begrieff von der Vollkommenheit moͤglich iſt, ſo folget doch deswegen noch nicht, daß er auch wuͤrck - lich werden kan (§. 13 Met.), und entſtehet demnach billich die andere Frage, ob man ihn deswegen als was unnuͤtzes verwerffen ſol, weil man ihn nicht zur Wuͤrcklichkeit bringen kan. Hierauf antworte ich mit Nein. Denn da uns die Natur verbindet nach dem beſten zu ſtreben, ſo weit es in un - ſerer Gewalt iſt (§. 10 Mor.); ſo muͤſſen wir ja auch einen Begrieff von dem beſten, oder vollkommenſten haben, damit wir ur - theilen koͤnnen, wornach wir ſtreben ſol - len. Unerachtet es nun aber nicht moͤglich iſt den Grad einer voͤlligen Vollkommenheit zu erreichen; ſo hat man doch von deſſen Erkaͤntnis den Nutzen, daß wir wiſſen, was und wo es noch fehlet, und was wir zu ver - beſſern haben, auch wie die Verbeſſerung vorzunehmen, mit einem Worte, es die - net dazu, daß wir von der Vollkommen - heit ſo viel erreichen als uns moͤglich, und nicht durch Saumſeeligkeit oder Vorur - theile und Unwiſſenheit unterlaſſen, was wir gar wohl haͤtten bewerckſtelligen koͤn - nen. Man ſiehet gar wohl, daß dieſes nicht allein auf das gemeine Weſen gehet, ſondern auch in anderen Faͤllen ſtat findet. Z.E. Jn der Bau-Kunſt ſtellet man ſich gleich fals ein Gebaͤude in ſeiner groͤſten Vollkom -L 3men -166Das 5. Capitel Von demmenheit vor, die es erreichen kan, wenn man die Regeln der Baukunſt geben wil. Kom - met es nach dieſem zur Ausuͤbung und fin - den ſich allerhand Urſachen, warum man wieder dieſe und jene Regel handeln, und alſo von der Vollkommenheit aus Noth abgehen muß; ſo hat man doch den Nu - tzen, daß man nicht weiter davon abgehet, als man genoͤthiget wird, im uͤbrigen aber ſoviel von der Vollkommenheit bey behaͤlt als ſich thun laͤſſet. Es waͤre demnach nicht ſchaͤdlich, ſondern nuͤtzlich, wenn wir nur von allen Dingen, deren Wuͤrcklich - keit von uns dependiret, ein Muſter der Vollkommenheit haͤtten, darnach wir uns richten koͤnnten.

Wie die Beobach - tung des Geſetzes der Na - tur im gemeinen Weſen befoͤrdert wird.

§. 227.

Da das gemeine Weſen des - wegen eingefuͤhret wird, damit der Menfch deſto bequemer denen natuͤrlichen Pflich - ten ein Gnuͤgen thun kan, und darinnen nicht von andern gehindert wird, die da - wieder handeln (§. 218), folgends diejenige Gluͤckſeeligkeit erreichet, deren er faͤhig iſt (§. 57 Mor); ſo hat man in Einrich - tung und Verwaltung des gemeinen We - ſens davor zu ſorgen, daß die jenigen, ſo willig ſind der natuͤrlichen Verbindlich - keit ein Gnuͤgen zu thun, nicht allein von andern nicht gehindert, ſondern vielmehr gefoͤrdert werden, und dazu alle Gelegen - heit und Vorſchub finden; hingegen dieandern167gemeinen Weſen uͤberhaupt. andern, welche die natuͤrliche Verbindlich - keit aus den Augen ſetzen, dazu angehalten werden, daß ſie wenigſten die aͤußerlichen Handlungen vollziehen, die das Geſetze der Natur erfordert, und die jenigen unterlaſ - ſen, welche ihm zuwieder ſind. Alſo foͤr - dert man im gemeinen Weſen die Gluͤck - ſeeligkeit der guten, und zwinget die boͤſen, daß ſie ſich nicht ungluͤckſeelig machen, ſo - viel ſich dieſes thun laͤſſet,

§. 228.

Und hieraus erkennet man, wieNutzen der Er - kaͤntnis! des Rech - tes der Natur und der Sitten - Lehre in der Poli - tick. es nicht moͤglich iſt von der Einrichtung des gemeinen Weſens und deſſen Verwal - tung gruͤndlich zu handeln, wo man nicht eine genaue Erkaͤntnis von dem Rechte der Natur und den Tugenden und Laſtern hat, wie weit ſie nemlich in der Menſchen Gewalt ſind. Ja es erhellet ferner hier - aus, daß die in der Politick abzuhandelnde Wahrheiten in den Wahrheiten des Rech - tes der Natur und der Sittenlehre gegruͤn - det, folgends mehr als jene zuſammen ge - ſetzet ſind, oder von den erſten Gruͤnden der Erkaͤntnis abſtehen. Woraus noch weiter abzunehmen, daß, wenn man das Recht der Natur und die Sitten-Lehre in einen vollkommeneren Stand bringet, dadurch zugleich der Grund geleget wird in der Politick zu einer gruͤndlicheren und weiteren Erkaͤntnis zugelangen. Die Wahr - heiten ſind alle mit einander genau ver -knuͤpf -168Cap. 2. von den verſchiedenenknuͤpffet und gelanget man durch die eine zur Erkaͤntnis der andern.

Das 2. Capitel, Von den verſchiedenen Arten des gemeinen Weſens.

§. 229.

Noth - wendig - keit der Obrig - keit und Unter - ſcheid zwiſchen ihr und den Un - tertha - nen.

DA man im gemeinen Weſen davor zu ſorgen hat, wie die gemeine Wohl - fahrt befoͤrdert und die gemeine Si - cherheit erhalten wird (§. 215.), auch zu dem Ende alles zu veranſtalten, daß die, welche der natuͤrlichen Verbindlichkeit Raum geben, deſto bequemer das Geſetze der Natur beobachten koͤnnen, hingegen die Wiederſpenſtigen zu dieſer Beobachtung angehalten werden (§. 227); ſo iſt noͤthig, daß gewiſſen Perſonen dieſe Sorge auf - getragen werde, und die anderen eines wer - den das jenige zuthun, was ſie zu Erhal - tung dieſer Abſichten fuͤr gut befinden. Je - ne werden Obrigkeiten, dieſe hingegen Unterthanen genennet. Und demnach ſind die Obrigkeiten Perſonen, denen die Sorge fuͤr die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit im gemeinen Weſen oblieget. Hingegen die Unterthanen ſind Perſo - nen, welche ſich verbindlich gemacht, den Willen der Obrigkeit ihren Willen ſeyn zulaſſen.

§. 230169Arten des gemeinen Weſens.

§. 230.

Es iſt demnach zwiſchen derVertrag zwiſchen der O - brigkeit und den Unter - thanen. Obrigkeit und den Unterhanen ein Ver - trag (§. 1008. Mor), nemlich die Obrig - keit verſpricht alle ihre Kraͤffte und ihren Fleiß dahin anzuwenden, daß ſie zu Be - foͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit dienſame Mittel erdencke, und zu deren Ausfuͤhrung noͤthige Anſtalten mache: hingegen die Unterthanen verſpre - chen dargegen, daß ſie willig ſeyn wollen alles dasjenige zuthun, was ſie fuͤr gut be - finden wird.

§. 231.

Da ein jeder Vertrag recht -Daß er rechtmaͤſ - ſig ſey. maͤßig iſt, wenn von beyden Partheyen nichts verſprochen wird, als was dem Ge - ſetze der Natur gemaͤß iſt (§. 1010. Mor.); ſo ſiehet man auch, daß der Vertrag zwi - ſchen der Obrigkeit und den Unterthanen rechtmaͤßig iſt, indem er bloß dahin gehet daß die Beobachtung des Geſetzes der Na - tur befoͤrdert und durch wiederſpenſtige nicht gehindert werde (§. 229. 230.).

§. 232.

Weil wir nun verbunden ſinddaß ihn Obrig - keit und Unter - thanen halten ſollen. einen jeden rechtmaͤßigen Vergleich zuhal - ten (§. 1012. Mor.); ſo iſt auch ſo wohl die Obrigkeit, als der Unterthan ſchuldig, den zwiſchen ihnen aufgerichteten Vertrag zu halten (§. 230), und alſo muß die Obrig - keit ihr die Sorge fuͤr die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit angelegen ſeyn laſ - len, hingegen der Unterthan bereit und wil -L 5lig170Cap 2. von den verſchiedenenlig ſeyn dasjenige zu thun und zulaſſen, was ſie dazu gut befindet (§. 230).

Grund der ver - verſchie - denen Re - gierungs Formen.

§. 233.

Es kan aber die Sorge fuͤr die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit ent - weder einer, oder verſchiedenen Perſonen, und zwar entweder ſchlechter Dinges, oder unter gewiſſen Bedingungen aufgetragen werden. Und hieraus entſtehen die ver - ſchiedenen Arten des gemeinen Weſens, welche man die Regierungs-Formen zu nennen pfleget, die nach dieſem ferner dadurch unterſchieden ſind, nachdem ent - weder die Obrigkeit thut, was ihr oblieget, oder vielmehr von der Abſicht des gemei - nen Weſens abweichet, und ihre beſondere Wohlfahrt der gemeinen vorziehet.

Was die Monar - chie und Tyran - ney iſt.

§. 234.

Wenn die Sorge fuͤr die ge - meine Wohlfahrt und Sicherheit einem aufgetragen wird, und zwar ſchlechter Din - ges, ſo daß er ohne beſondere Einwilli - gung entweder einiger, oder aller von den Unterthanen anordnen kan, was er fuͤr gut befindet; ſo nennet man es eine Monar - chie: welche zur Tyranney wird, wenn die regierende Perſon wieder die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit mit Vorſatz handelt, und nur ihr beſonderes Intereſſe zu ihrer Haupt-Abſicht machet. Sol - cher geſtalt iſt die Monarchie eine Re - gierungs-Forme, da ein einiger zu Befoͤr - derung der gemeinen Wohlfahrt und Si -cher -171Arten des gemeinen Weſens. cherheit herſchet: hingegen die Tyranney iſt eine Regierungs-Forme, da ein eini - ger zu Befoͤrderung ſeines beſonderen In - tereſſes herrſchet.

§. 235.

Wenn die Sorge fuͤr die ge -Was die Ariſto - cratie und Oli - garchie iſt. meine Wohlfahrt und Sicherheit einigen aufgetragen wird, und zwar abermahl ſchlechter Dinges, ſo daß ſie ohne der uͤbri - gen Einwilligung anordnen koͤnnen, was ſie fuͤr gut befinden; ſo nennet man die Regierungs-Forme eine Ariſtocratie: welche zur Olichargie wird, wenn die re - gierenden Perſonen wieder die gemejne Wohlfahrt und Sicherheit mit Vorſatz handeln und nur ihr beſonderes Intereſ - ſe zu ihrer Haupt-Abſicht machen. Sol - chergeſtalt iſt die Ariſtocratie eine Re - gierungs-Forme, da einige zu Befoͤrde - rung der gemeinen Wohlfahrt und Si - cherheit herrſchen: Hingegen die Oligar - chie iſt eine Regierungs-Forme, da eini - ge zu Befoͤrderung ihres beſonderen In - tereſſes mit Hintanſetzung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit herrſchen.

§. 236.

Wenn die Sorge fuͤr die ge -Was die Politie und De - mocratie iſt. meine Wohlfahrt und Sicherheit der gan - tzen Gemeine veꝛbleibet, deꝛgeſtalt, daß nichts ohne aller Einwilligung verordnet werden kan; ſo nennet man es eine Politie: wel - che zu einer Democratie wird, wo es bloß nach dem gehet, was der gemeine Poͤbelihm172Cap. 2. von den verſchiedenenihm vortheilhafft zu ſeyn erachtet, mit Hintanſetzung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit.

Daß nicht mehrere einfache Regie - rungs - Formen ſind.

§. 237.

Die bisher erzehleten Regie - rungs-Formen werden die einfachen ge - nennet. Daß nun nicht mehr als dieſe moͤglich ſind, laͤſſet ſich leicht erweiſen. Denn entweder es herrſchet einer, oder ei - nige, oder alle, und zwar entweder zum ge - meinen, oder zu ihrem beſonderen beſten. Und alſo ſind nicht mehr als drey gute und als drey ſchlimme Regierungs-For - men, nemlich die drey guten ſind die Mo - narchie, Aroſtocratie und Politie; hinge - gen die ſchlimmen die Tyranney, Oligar - chie und Democratie.

Was ei - ne ver - miſchte Regie - rungs - Forme iſt.

§. 238.

Hieraus koͤnnen gar verſchiede - ne vermiſchte Regierungs-Formen entſtehen, nach dem mit einer vieles oder weniges aus der andern verknuͤpffet wird. Z.E. Man kan einem das Regiment der - geſtalt auftragen, daß er nichts ohne Ein - willigung anderer vornehmen darff, und denn beſtehet die Regierungs-Forme theils aus der Monarchie, theils aus der Ari - ſtocratie. Es iſt freylich weder voͤllig ei - ne Monarchie, noch Ariſtocratie, ſondern hat aus beyden etwas. Denn eine ver - miſchte Regierungs-Forme iſt eben diejenige, welche aus verſchiedenen Regie - rungs-Formen etwas hat. Da nun aberbald173Arten des gemeinen Weſens. bald mehr aus dieſer, bald aus jener bey - behalten, auch mit dem guten ſich etwas aus den ſchlimmen vereinbahren kan: ſo ſind der vermiſchten unzehlich viel Arten.

§. 239.

Wenn wir nun unterſuchenWie man die Moͤg - lichkeit der Re - gierungs Form beurthei - let. wollen, welche Regierungs-Formen moͤg - lich ſind und welche nicht moͤglich ſind; ſo hat man darauf zuſehen, ob dadurch die Abſicht des gemeinen Weſens, nemlich die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit (§. 214), kan erreichet werden, oder nicht. Denn da die Regierungs-Forme das Mittel iſt, wodurch man dieſe Abſicht zu erhalten trachtet (§. 912. Met.); ſo kan man keine fuͤr ein Mittel ausgeben, als wodurch die Abſicht ſich erreichen laͤſſet, folgends auch nicht fuͤr moͤglich halten (§. 12. Met.).

§. 240.

Hingegen wenn ich urtheilenWie den Vorzug einer fuͤr den an - dern. ſoll, welche Regierungs-Forme beſſer ſey als die andere und alſo der andern vorzu - ziehen (§. 10. Mor.); ſo kommet es dar - auf an, daß man unterſuchet, in welcher man die Abſicht des gemeinen Weſens, nemlich die gemeine Wohlfahrt und Si - cherheit, am leichteſten und am gewiſſe - ſten erreichen kan, das iſt ohne Umwege und mit der wenigſten Gefahr, daß dieſel - be werde verabſaͤumet und gehindert wer - den. Alles iſt daraus klar, weil die Re - gierungs-Forme als das Mittel anzuſe -hen174Cap. 2. von den verſchidenenhen iſt, dadurch man die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit erhaͤlt.

Was zu einer Re - gierungs Forme von Sei - ten der Regenten erfordeꝛt wird.

§. 241.

Damit nun beydes Urtheil er - leichtert wird, ſo haben wir fuͤr allen Din - gen zu unterſuchen, was von Seiten regie - render Perſonen erfordert wird, wenn man mehr ermeldete Abſicht erreichen ſol. Da nun uͤberhaupt derjenige, welcher eine Abſicht erreichen ſoll, nicht allein verſtehen muß, was fuͤr Mittel dazu erfordert wer - den, und wie man denen ſich bey Ausfuͤh - rung derſelben ereignenden Hinderniſſen begegnen ſoll (§. 152. Mor.); ſondern auch den ernſten Vorſatz haben, alle Mittel, die er erkennet, zugebrauchen, und den ſich er - eignenden Hinderniſſen auf die ihm er - kandte Weiſe zu begegnen: alſo wird auch von Seiten regierender Perſonen er - fordert, daß ſie nicht allein verſtehen, wie die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit kan erhalten und befoͤrdert werden, ſon - dern auch einen ernſten Vorſatz haben ſie zu befoͤrdern. Man ſiehet leicht, wenn es an einem von beyden, oder auch an allen beyden fehlet, die gemeine Wohlfahrt nicht befoͤrdert, noch die gemeine Sicher - heit erhalten wird. Hat man den Wil - len und verſtehet es nicht, wie es recht an zufangen iſt; ſo greiffet man es auf eine unrichtige Weiſe an und ſtoͤhret die ge - meine Wohlfahrt und Sicherheit, indemman175Arten des gemeinen Weſens. man gemeinet iſt ſie zu befoͤrdern. Feh - let der Wille, ſo hilfft es auch nicht, daß man es verſtehet, wie es anzugreiffen iſt: denn da man nicht auf die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit, ſondern auf ſeine be - ſondere Abſichten ſiehet; ſo handelt man jener mit Wiſſen und Willen zuwieder, wo es dieſe erfordern. Fehlet es an beyden, daß man weder verſtehet, was zur gemei - nen Wohlfahrt und Sicherheit erfordert wird, noch auch die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit nicht weiter zu befoͤrderen verlanget, als in ſo weit ſie ein Mittel zu ſeyn ſcheinet das beſondere Intereſſe zu erreichen; ſo iſt vor ſich klar, daß der ge - meinen Wohlfahrt und Sicherheit gar ofte zu nahe getreten wird.

§. 242.

Da die Befoͤrderung der gemei -Worauf die Wohl - fahrt und Si - cherheit des ge - meinen Weſen - gegruͤn - det. nen Wohlfahrt auf der Beobachtung des Geſetzes der Natur beruhet (§. 226), ſo muß derjenige, der den Willen haben ſoll ſie zu befoͤrdern, eine Fertigkeit haben, ſeine Handlungen dem Geſetze der Natur gemaͤß einzurichten, und alſo tugendhafft ſeyn (§. 64. Mor.). Solchergeſtalt ſind Verſtand und Tugend die beyden Gruͤnde, darauf die Wohlfahrt und Sicherheit des gemeinen Weſens beruhet (§. 241). Wer demnach auf einige Art und Weiſe fuͤr das gemeine Weſen zu ſorgen hat, es mag ſeine Einrich -tung176Cap. 2. von den verſchiedenentung oder Verwaltung betreffen, der muß verſtaͤndig und tugendhafft ſeyn.

Warum man Ver - ſtand und Tu - gend in Aufneh - men bringen ſoll.

§. 243.

Und hieraus erhellet, wie hoͤchſt noͤthig es ſey, daß Verſtand und Tugend in die Welt gebracht werde, und wie nuͤtz - lich alle derjenigen Bemuͤhung iſt, welche Verſtand und Tugend in Aufnahme zu bringen ſich angelegen ſeyn laſſen. Denn da die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit im gemeinen Weſen auf Verſtand und Tu - gend gegruͤndet iſt (§. 242); ſo wird da - durch die Wohlfahrt und Sicherheit im gemeinen Weſen beſoͤrdert, wenn Verſtand und Tugend in Aufnahme gebracht wird. Man ſiehet demnach ferner, daß im Gegen - theile Unverſtand und Untugend der Grund vom Verderbnis im gemeinen Weſen iſt. Auch iſt aus dem klar, was vorhin weit - laͤufftiger ausgeſuͤhret worden, daß Ver - ſtand und Tugend nicht koͤnnen getrennet, ſondern ſtets bey einander muͤſſen erhalten werden. Die Erfahrung ſtimmet zur Gnuͤ - ge damit uͤberein. Und iſt dannenhero nicht undienlich, wenn man dieſer ſo gar wichti - gen Wahrheit ſich auch durch die Erfahrung verſichert. Man gebe nur acht, wie es im gemeinen Weſen hier oder dort uͤberall ab - laͤufft, und unterſuche nachdem die Urſache, woher es kommet; ſo wird man zur Gnuͤ - ge inne werden, daß es entweder aus Un -ver -177Arten des gemeinen Weſens. verſtande oder Untugenden und Laſtern, o - der auch wohl aus beyden Quellen herge - floſſen.

§. 244.

Man ſiehet aber, daß VerſtandWo ſie abſon - derlich noͤthig ſind. und Tugend abſonderlich noͤthig ſind, wo man etwas neues anordnen, oder von dem, was bisher uͤblich geweſen, eines und das andere aͤndern ſol. Denn da es hier ent - weder auf neue Erfindungen ankommet, o - der zum wenigſten auf eine vernuͤnfftige Be - urtheilung, ob die jenigen Mittel, die von andern erfunden, auch etwan ſchon mit Vortheil gebrauchet worden, ſich bey uns unter denen Umſtaͤnden, darinnen wir uns befinden, anbringen laſſen; ſo hat man auch entweder die Kunſt zu erfinden noͤthig, welche der hoͤchſte Grad iſt, den der Ver - ſtand des Menſchen erreichen kan (§. 304. Mor), odeꝛ man muß die Eꝛwartung anlicheꝛ Faͤlle vernunfftmaͤßig machen (§. 375 Met.), worzu abermahls nicht ein geringer Grad des Verſtandes erfordert wird (§. 277 Met.) Jn beyden Faͤllen darf es auch an der Tu - gend nicht fehlen, damit man die Wohl - fahrt und Sicherheit des gemeinen We - ſens, und nicht bloß ein beſonderes Inter - eſſe vor Augen hat, wie es aus dem, was vorhin (§. 241) ausgefuͤhret worden, ſatt - ſam abzunehmen.

§. 245.

Weil die gemeine WohlfahriObrig - keiten ſollen be - gierig in einem ungehinderten Fortgange von ei -(Politick) Mner178Cap. 2. Von den verſchiedenenſeyn Un - tertha - nen gluͤck ſeelig zu machen.ner Vollkommenheit zur andern beſtehet (§. 213), und alſo das hoͤchſte Gut iſt, wel - ches die Menſchen auf dieſer Erde erreichen koͤnnen (§. 44. Mor.); das hoͤchſte Gut a - ber mit der Gluͤckſeeligkeit verbunden iſt (§ 52 Mor.); ſo trachten diejenigen, welche fuͤr die gemeine Wohlfahrt ſorgen, die - brigen im gemeinen Weſen gluͤckſeelig zu machen. Und demnach ſind regierende Per - ſonen, die thun, was ihres Ambts iſt, ſie moͤgen Namen haben wie ſie wollen, be - gierig die Unterthanen gluͤckſeelig zu ma - chen.

Sie auf - richtig lieben.

§. 246.

Wer nach der Unterthanen Gluͤckſeeligkeit begierig iſt, oder dieſelbe will, der ſtellet ſie ſich als gut vor (§. 434. 496. Met.), und hat alſo Luſt oder Ver - gnuͤgen daran (§. 423. 432 Met.). De - rowegen da die Obrigkeiten nach der Unter - thanen Gluͤckſeeligkeit begierig ſeyn ſollen (§. 245); ſo muͤſſen ſie auch eine aufrichtige Liebe gegen ſie haben (§. 449 Met.). Je groͤſſer nun die Liebe gegen die Unterthanen iſt, je beſſer ſtehet es umb ihre Gluͤckſee - ligkeit, wenn Verſtand dazu kommet (§. 241).

Wenn ei - ne Mo - narchie moͤglich iſt.

§. 247.

Weil nun eine Regierungs - Forme moͤglich iſt, wenn dadurch die ge - meine Wohlfahrt befoͤrdert werden kan (§. 239), dieſes aber geſchiehet, wenn Obrig - keiten oder regierende Perſonen Verſtandund179Arten des gemeinen Weſens. und Tugend (§. 241), und abſonderlich ei - ne aufrichtige und groſſe Liebe zu ihren Un - terthanen haben (§. 246); ſo kan auch in einer Monarchie, wo nur eine Perſon herr - ſchet, die gemeine Wohlfahrt befoͤrdert wer - den, und folglich iſt ſie moͤglich, wenn der Monarche verſtaͤndig und tugendhafft iſt, abſonderlich ſeine Unterthanen aufrichtig und ſehr liebet. Es iſt eben nicht noͤthig, daß ein Monarche fuͤr ſich ſo viel Verſtand hat, daß er alles ſelbſt uͤberlegen, und die zur Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit noͤthige Mittel erfinden kan (wiewohl wenn ſolches waͤre, ſo waͤre es um ſo viel beſſer); ſondern es iſt genung, wenn er verſtaͤndig iſt klugen Rath zu be - urtheilen, damit er nicht den guten hintan - ſetze, und dem ſchlimmen folge. Zu wel - chem Ende noͤthig iſt, daß er allezeit nach dem Grunde frage, warumb einer dieſen oder jenen Rath giebet, und wie er vermei - net, daß dadurch die gemeine Wohlfahrt ſolle befoͤrdert und die Sicherheit erhalten werden: er aber nach dem urtheilet, ob durch die vorgeſchlagene Mittel dergleichen moͤglich iſt. Woraus erhellet, wie weit er ſeinen Verſtand vollkommen zu machen noͤthig hat, und was er fuͤr Erkaͤnntniß der Wahrheit beſitzen muß. Abſonderlich ſie - het man, ein Monarche muͤſſe zum wenig - ſten ſo viel Verſtand haben, daß er erken -M 2net180Cap. Von den unterſchiedenennet, was er verſtehet, und was er nicht ver - ſtehet. Denn ſonſt wenn er dieſes zu un - terſcheiden nicht geſchickt iſt, ſo wird er, wenn er ſich einbildet, er verſtehe was hier oder da zu thun iſt, auf ſeinem Kopffe be - ſtehen, und keinen klugen Rath anhoͤren, der ihm ertheilet wird. Es gehet auch an, daß in einer Monarchie die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit befoͤrdert wird, wenn der Monarche nur Liebe zu ſeinen Untertha - nen und dabey ſolche Raͤthe hat, wie er ſeyn ſollte: denn ob es ihm gleich fehlet, daß er weder vor ſich die Mittel zur Befoͤr - derung der gemeinen Wohlfahrt und Si - cherheit erfinden, noch die von andern ihm ertheilete beurtheilen kan; ſo wird doch die - ſes durch ſeine Raͤthe, denen er Gehoͤr gie - bet, erſetzet, und gilt nachdem eben ſoviel, als wenn er die von ihnen vorgeſchlagene und von ihm angenommene Mittel ſelbſt er - funden oder auch beurtheilet haͤtte, indem dadurch in ihnen nichts geaͤndert wird, ſon - dern ſie moͤgen erfunden worden ſeyn, von wem ſie wollen, er mag ſie beurtheilet ha - ben oder nicht, ſo bleiben ſie einmal wie das andere. Unterdeſſen da er nicht in dem Stande iſt ſelbſt zu urtheilen, ob diejeni - gen, welche er zu ſeinen Raͤthen erwehlet, ſo viel Verſtand und Tugend haben, als erfordert wird, wenn durch ihren Rath die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit befoͤr -dert181Arten des gemeinen Weſens. dert werden ſol; ſo beruhet es auf dem bloſſen Gluͤcke, wenn er dergleichen bekom - met (§. 1002 Met.). Und demnach iſt es beſſer, wenn der Monarche ſelbſt ſo beſchaf - fen, wie er vorhin beſchrieben worden.

§. 248.

Jndem wir diejenigen GruͤndeWoher Tyran - ney kom - met. erwegen, warumb eine Monarchie moͤglich iſt (§. 247); ſo koͤnnen wir daraus zugleich erkennen, woraus die Tyranney kommet, als welche ihr entgegen geſetzet iſt (§. 234), nemlich aus Unverſtande, Untugend und Mangel der Liebe zu den Unterthanen. Da nun hier ein groſſer Unterſcheid bey verſchie - denen Perſonen ſich befinden kan; ſo iſt auch die Tyranney dem Grade nach gar ſehr unterſchieden, und wird daher die ge - meine Wahlfahrt und Sicherheit bald mehr, bald weniger gekraͤncket. Es iſt nicht noͤthig ausfuͤhrlicher hiervon zu reden: wer aus der Sitten-Lehre die Untugenden der Menſchen und boͤſe Affecten verſtehet, dabey aber erweget, wie ſie demjenigen zu wieder ſind, was von einem guten Monar - chen (§. 247) erfordert wird; der wird vor ſich finden koͤnnen, was hier koͤnte weiter ge - ſaget werden.

§. 249.

Man muß ſich aber wohl inBehut - ſamkeit / die bey Beur - theilung der Ty - ranney zuge - brauchen. acht nehmen, daß man nicht gleich ein je - des Verſehen oder Abweichen von den Re - geln der Monarchie zur Tyranney rechnet. Denn da es unmoͤglich iſt, daß ein Mo -M 3nar -182Cap 2. von den unterſchiedenennarche und (die er ſich zum Behuffe erweh - let hat) ſeine Raͤthe ſo einen durchdringen - den Verſtand haben in allen vorkommen - den Faͤllen ohne Jrrthum die Mittel zur Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit einzuſehen, noch auch er mit ſei - nen Raͤthen in dem Eiffer fuͤr die Wohlfahrt der Unterthanen, und der Liebe gegen ſie ſo reine ſeyn kan, daß ſich niemals von wiedri - gen Affecten etwas darein legete; ſo kan frey - lich unterweilen etwas verſehen, auch was wiedriges verordnet werden, welches bey - des nach den Regeln der Monarchie nach - bleiben ſolte. Man muß demnach auf das gewoͤhnliche und auf das meiſte ſehen. Und hat man auch abſonderlich ſich in acht zu nehmen, daß man das gemeine Beſte nicht darnach beurtheilet, ob es uns beſchweer - lich faͤllet oder nicht. Denn es kan unter - weilen das beſondere Beſte dem gemeinen zuwieder ſeyn, und wird ihm demnach mit Recht nachgeſetzt (§. 218).

Moͤglich - keit der Ariſto - eratie.

§. 250

Ob nun zwar uͤberhaupt die Moͤglichkeit einer Regierungs-Forme von Verſtande und Tugend, und der Liebe zu den Unterthanen dependiret (§. 248), und ſolchergeſtalt auch in der Ariſtocratie, wo einigen das Regiment aufgetragen wird (§. 235), verſtaͤndige und tugendhaffte Per - ſonen, die Liebe zu den Unterthanen haben, dazu muͤſſen genommen werden, wenn diegemei -183Art des gemeinen Weſens. gemeine Wohlfahrt und Sicherheit durch ſie befoͤrdert werden ſoll (§. 242): ſo findet ſich doch in dieſem Stuͤcke zwiſchen der Mo - narchie und Ariſtocratie ein groſſer Unter - ſcheid. Nemlich da in der Ariſtocratie viele zugleich herrſchen, ſo kan Verſtand und Tu - gend auf verſchiedene Weiſe vertheilet ſeyn, ohne daß es dem gemeinen Weſen zum Nach - theile gereichet, auch dadurch mehr Ver - ſtand und Tugend, und eine groͤſſere Liebe gegen die Unterthanen erhalten werden. Der tugendhaffte kan den verſtaͤndigen, dem es an Tugend und Liebe zu den Unter - thanen fehlet, zuruͤcke halten, daß er ſeinen Verſtand nicht zum boͤſen mißbrauchet: hingegen der verſtaͤndige leitet den tugend - hafften, der vor ſich nicht Einſicht genung hat, auf den rechten Weg, daß er nicht aus einer guten Meinung denſelben verfehlet. Und demnach ſiehet man, daß in einer A - riſtocratie alle diejenigen muͤſſen zum Re - gimente gezogen werden, welche die ver - ſtaͤndigſten und tugendhaffteſten ſind, und denen wegen ihrer beſonderen Wohlfahrt viel daran gelegen iſt, daß alles im Lande in einem guten Wohlſtande erhalten wer - de. Wil man dieſes gegen dasjenige hal - ten, was von der Monarchie (§. 248) ge - ſaget worden; ſo wird ſich bald zeigen, wie weit in dieſen Stuͤcken beyde Regierungs -M 4For -184Cap. 2. Von den unterſchiedenenFormen unterſchieden ſind, und wie weit ſie mit einander uͤbereinkommen.

Woher die Oli - garchie entſtehet.

§. 251.

Wenn in einer Ariſtocratie nicht alle verſtaͤndig und tugendhafft ſind, ſon - dern Verſtand und Tugend auf verſchiede - ne Weiſe unter viele vertheilet iſt, ſo muͤſ - ſen entweder die tugendhaffteſten am mei - ſten zu ſagen haben, daß man, wo Ver - ſtand ohne Tugend iſt, ſich ſcheuet ihn zu misbrauchen, oder Verſtand und Tugend muͤſſen einander dergeſtalt die Wage hal - ten, daß weder jener gemißbrauchet wer - den, noch dieſe aus Unbedacht auf Jrrwe - ge leiten kan. Jn andern Faͤllen geſchie - het der gemeinen Wohlfahrt und Sicher - heit Eintrag, viel oder wenig, nachdem es die beſonderen Umſtaͤnde mit ſich bringen, und wird aus der Ariſtocratie eine Oligar - chie (§. 235). Es iſt aber in Beurtheilung der Oligarchie gleichfalls zu mercken, was vorhin von Beurtheilung der Monarchie er - rinnert worden (§. 249).

Moglich - keit der Politi[c].

§. 252.

Endlich iſt auch moͤglich, daß in einer Politie die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit erhalten werde, wenn von al - len Staͤnden im gemeinen Wefen, von dem hoͤchſten bis auf den niedrigſten, die ver - ſtaͤndigſten und tugendhaffteſten ausgeleſen werden, die im Nahmen aller beſchlieſſen, was ſie zur gemeinen Wohlfahrt und Si - cherheit dienlich zu ſeyn erachten. DerBe -185Arten des gemeinen Weſens. Beweis iſt aus dem vorhergehenden zu neh - men, und wuͤrde es uͤberfluͤßig ſeyn, wenn ich ihn hierher ſetzen wolte. Unterdeſſen ſie - het man, daß eine Politie ſich am beſten fuͤr polirte Voͤlcker ſchicket, wo man um Ver - ſtand uud Tugend ſich bemuͤhet.

§. 253.

Hingegen ſiehet man leicht, daßWoher die De - mocꝛatie kommet. dieſer heilſame Endzweck nicht erreichet wer - den kan, wenn alle insgeſammt, und alſo der gantze Poͤbel in dasjenige, was beſchloſ - ſen wird, mit einſtimmen ſol. Denn da der gemeine Mann weder Verſtand genung hat zu urtheilen, was dienlich oder ſchaͤd - lich iſt, weil er nicht weit genung hinaus - ſiehet, noch auch in der Tugend und Liebe gegen andere ſo feſt geſetzet iſt, daß er ſeinen vermeinten beſonderen Nutzen in ſich ereig - nenden Faͤllen dem gemeinen Beſten nach - ſetzet: ſo kan man leicht erachten, daß es in dergleichen Faͤllen nicht wohl ablauffen kan, und man daher an ſtat der Politie, die man verlanget, ein Democratie erhal - ten wird (§. 236).

§. 254.

Wer ſowohl die Erklaͤrungen,Fuͤr was fuͤr Art der Voͤl - cker ſich jede Re - giezungs - Forme am beſten ſchicket. die wir von den verſchiedenen Regierungs - Formen gegeben (§. 234 & ſeq. ), als auch dasjenige, was von Befoͤrderung des ge - meinen Beſtens in einer jeden unter ihnen umſtaͤndlich ausgefuͤhret worden (§. 247 & ſeq. ), zur Gnuͤge erweget; wird auch oh - ne viele Muͤhe vor ſich herausbringen koͤn -M 5nen186Cap. 2. Von den verſchiedenennen, fuͤr was fuͤr Voͤlcker ſich eine jede Art der Regierungs-Forme am beſten ſchicket: wovon wir auch, ſchon ein Exempel bey der Politie (§. 252) angemercket. Jch bin al - ſo vergnuͤget, daß ich dieſen Winck gegeben habe.

Moͤglich - keit der vermiſch - ten Re - gieꝛungs - Formen.

§. 255.

Auf eine gleiche Weiſe laͤſſet ſich von den vermiſchten Regierungs-For - men urtheilen, wie weit in ihnen die gemei - ne Wohlfahrt und Sicherheit ſich befoͤr - dern laͤſſet. Da aber dieſe Vermiſchung auf gar vielerley Weife geſchehen kan, nach - dem vieles oder weniges aus dieſer oder je - ner Art der Regierungs-Forme dazu ge - nommen wird (§. 238); ſo wuͤrde es fuͤr uns zu weitlaͤufftig fallen, wenn wir auf beſondere Arten der Vermiſchungen gehen wolten. Es iſt genung, wenn ich uͤber - haupt errinnere, daß man in der Vermi - ſchung hauptſaͤchlich darauf zu ſehen habe, daß nicht derjenige Theil, bey dem die Macht ſtehet, ſeine Macht zum Nachtheile der uͤbrigen mißbrauche, wovon die Ver - miſchung der Monarchie mit der Ariſtocra - tie ohn vieles Nachdencken ein Exempel ge - ben kan (§. 247. 250).

§. 256.

Endlich erkennet man auch ausWoher unor - dentliche Regie - rungs - dem vorhergehenden deutlich, woher un - ordentliche Regierungs-Formen entſtehen, nemlich aus der Vermiſchung der guten mit den ſchlimmen. Z.E. Es kan eine Monar -chie187Arten des gemeinen Weſens. chie mit der Tyranney viel oder wenig ver -Foͤrmen entſte - hen. miſchet werden, eine Ariſtocratie mit der Oligarchie, eine Politie mit der Democra - tie, eine Monarchie mit der Oligarchie, u. ſ. w. Uberhaupt aber iſt die Quelle deſer Vermiſchungen, daraus die unordentli - chen Regierungs-Formen kommen, Man - gel des Verſtandes und der Tugend, ab - ſonderlich der Liebe gegen die Unterthanen, ingleichen Jrrthum und Laſter, wie aus al - lem dem erhellet, was oben (§. 241. 242) ausgefuͤhret worden.

§. 257.

Von einer Monarchie hat manVorthei - le der Monar - chie in Beſchleu - nigung der Rath - ſchluͤſſe und ih - rer Ge - heimhal - tung. den Vortheil, daß man geſchwinde zu ei - nem Schluſſe kommen, und die Sachen geheim halten kan. Denn weil in einer Monarchie eine Perſon allein herrſchet und ohne der uͤbrigen Bewilligung einen Schluß faſſen und bewerckſtelligen kan (§. 234), ſo iſt nicht noͤthig, daß man die jenigen, welche rathſchlagen ſollen, erſt aus verſchiedenen Orten zuſammen beruffet, welches ohne vielen Zeit - Verluſt nicht geſchehen kan; vielmehr da der Monarche ſeine Raͤthe bey ſich hat, ſo kan er alle Augenblicke, wenn etwas wichtiges zu uͤberlegen vorfaͤllet, ſie bey einander haben, ihren Rath vernehmen, und daraus ohne allen Verzug einen Schluß faſſen, der - geſtalt, daß in einer Monarchie ſich oͤffters ein Rathſchluß eher ausfuͤhren, als in an -deren188Cap. 2. von den verſchiedenenderen Regierungs-Formen abfaſſen laͤſ - ſet. Zu dem giebet es hier auch nicht ſo viel Auffenhalt wegen wiedriger Meinun - gen, um deren Willen man in den uͤbrigen Regierungs-Formen oͤffters zu keinem Schluſſe kommen kan. Was die Ge - heimhaltung der Sachen betrifft; ſo iſt freylich klar, daß ſie ſich um ſoviel leichter bewerckſtelligen laͤſſet, je weniger Perſonen darum wiſſen. Da nun in einer Monar - chie niemand als der Monarche und ſeine Raͤthe, die zum Stillſchweigen hoͤchſt ver - pflichtet ſind, um die Sachen wiſſen, ſo laͤſſet ſie ſich hier allerdinges ehe geheim hal - ten, als in den uͤbrigen Regierungs-For - men. Es kommet auch noch eine andere Urſache dazu. Jn der Monarchie machet es kein Aufſehen, wenn der Monarche mit ſeinen Raͤthen zuſammen kommet uͤber ei - ner Sache ſich mit ihnen zu berathſchla - gen; da hingegen, wenn viele aus ver - ſchiedenen Orten zuſammen beruffen wer - den, man ſo gleich weiß, daß etwas wich - tiges vorſeyn muͤſſe: wodurch jedermann begierig wird zuwiſſen, was es bedeuten ſol - le, und danuenhero geſchehen mehr Nach - ſtellungen die Sache zu erfahren.

Jn wel - chen Faͤl - len ſie andern Regie -

§. 258.

Jn denen Faͤllen nun, da man ſchleunigen Rathſchluß noͤthig hat und die Sache geheim halten muß, hat die Mo - narchie einen Vorzug fuͤr andern Regie -rungs -189Arten des gemeinen Weſens. rungs-Formen. Man hat ſchleunigenrungs - Formen vorzu - ziehen. Rathſchluß noͤthig, wenn ein Feind einen unvermutheten Krieg anfaͤnget; hingegen Verſchwiegenheit wird erfordert, wenn man andere bekriegen will. Und demnach hat eine Monarchie einen Vorzug fuͤr an - dern Regierungs-Formen, wenn ſie un - vermuthet bekrieget wird, oder mit anderen Krieg anfangen will, folgends in eini - gen Faͤllen, die zu Befoͤrderung der gemei - nen Sicherheit dienen. Es koͤnnen auch noch andere dergleichen Faͤlle kommen, da Verzug und Auffenhalt nachtheilig und die Geheimhaltuug eines Vorhabens noͤ - thig iſt. Z. E. der Feind kan im Kriege oͤffters in ſo verwirrete Umſtaͤnde geſetzet werden, daß er einen vortheilhafften Frieden einzugehen bereit iſt: wenn man aber ihm viel Zeit laͤſſet ſich zu beſinnen und wieder zu erhohlen, ſo vergehet ihm wieder die Luſt. Und gilt hier dannenhero das Spruͤchwort: Man muß das Eiſen ſchmieden, weil es warm iſt. Wenn wir nach dieſem die in Verwaltung des gemeinen Weſens noͤthi - ge Puncte durchgehen werden, ſo werden ſich auch mehrere Faͤlle zeigen, wo Auff - enthalt nachtheilig, Geheimhaltung hinge - gen vortheilhafft iſt.

§. 259.

Weil in einer Monarchie derUngluͤcka Faͤlle der Mo - narchie. Wille eines Monarchen zugleich der Wil - le aller uͤbrigen ſeyn muß, und er dannen -hero190Cap. 2. von den verſchiedenenhero thun kan was er wil (§. 234); ſo kan es auch leichter als in andern Regierungs - Formen geſchehen, daß er entweder aus Mangel genungſamer Einſicht, oder auch wegen einiger Neigungen und Affecten, theils mit ſchweeren Auflagen die Untertha - nen druͤcket, theils verſchiedene andere dem Lande nachtheilige Vorſchlaͤge bewerckſtel - liget, theils durch unnuͤtze Kriege und durch Eigenſinn in Fortſetzung derſelben Land und Leute in die auſſerſte Gefahr ſetzet. Was aber noͤthig iſt, daß in einer Monarchie der - gleichen nicht zu beſorgen; haben wir ſchon oben ausgefuͤhret (§. 247).

Vorthei - le der Ariſto - rratie.

§. 260.

Jn der Ariſtocratie herrſchen ei - nige Perſonen (§. 235) und zwar diejeni - gen, welche am meiſten Verſtand und Tu - gend, auch Vermoͤgen haben (§. 250). Da nun viele nicht ſo leicht eines Sinnes ſind, und daher einiger Unverſtand und wie - drige Affecten nicht ſogleich zum Schaden des Landes gereichen koͤnnen, indem ihnen durch andere Einhalt geſchiehet; uͤber die - ſes auch viele Augen mehr ſehen koͤnnen als wenige, und daher oͤfters das nachthei - lige entdecken, was ſonſt uͤberſehen wird; endlich weil ihr beſonderes Intereſſe mit zu Grunde gehet, wenn das Land verdorben wird: ſo hat die Ariſtocratie den Vortheil, daß darinnen Land-verderbliche Anſtalten, ſie moͤgen entweder in Anſehung der gemei -nen191Arten des gemeinen Weſens. nen Wohlfahrt, oder auch der Sicherheit ihren Urſprung nehmen, leichter als in an - deren Regierungs-Formen koͤnnen abge - wendet werden. Zudem hat man in der Ariſtocratie auch nicht diejenigen Zufaͤlle zu beſorgen, die ſich in der Monarchie wegen der Nachfolge im Regimente unterweilen ereignen, es mag die Nachfolge auf die Ge - burt, oder auf die freye Wahl gegruͤndet ſeyn, wodurch oͤfters viele innerliche Unru - he und auswertige ſchweere Kriege entſte - hen; welches alles hier umſtaͤndlicher aus - zufuͤhren unnoͤthig iſt. Man ſiehet aber oh - ne mein Errinnern, daß dieſer Vortheil auch in der Politie zu finden.

§. 261.

Wenn in einer Ariſtocratie wie -Unge - mach in der Ari - ſtocratie. drige Partheyen ſind, ſo pfleget oͤffters ei - ne der andern in heilſamen Anſchlaͤgen zu - wieder zu ſeyn, nur darum nicht geſchehen ſol, was die andere haben wil. Daher wird die Wohlfahrt des Landes bloß aus ihrem beſonderen Haſſe, den ſie gegen ein - ander haben, gehindert, auch wohl aus bloſſem Muthwillen der aͤndern Parthey entgegen zu ſeyn. Und dieſes Ungemach iſt auch in der Politie zu beſorgen. Hierzu kommet, daß dadurch auch die Gemuͤther der Unterthanen zerruͤttet werden, wodurch das Band der Einigkeit unter ihnen getren - net, und zu vielen Wiederwaͤrtigkeiten und Verdruß Anlaß gegeben wird. Von die -ſer192Cap. 2. von den verſchidenenſer Beſchweerlichkeit, die in verſchiedenen Faͤllen nicht geringe anzuſehen iſt, indem ſie vielen Verdruß ſtifften kan, iſt die Mo - narchie voͤllig befreyet, auſſer daß bey Hofe unter denen Bedienten des Monarchens dergleichen Partheyen entſtehen koͤnnen, die aber nicht einen ſo groſſen Einfluß in die ge - meine Wohlfahrt und Sicherheit wie in der Ariſtocratie und Politie haben. Die Ei - nigkeit derer, die in der Ariſtocratie herr - ſchen, iſt auch nicht allemahl fuͤr die Un - terthanen vortraͤglich. Denn wenn ſie ei - gennuͤtzig und wolluͤſtig ſind, pflegen ſie mehr auf ihren beſonderen Nutzen, als das gemeine Beſte zu ſehen, und nehmen an ſich, was zur gemeinen Wohlfahrt und Sicher - heit ſolte angewendet, oder in kuͤnfftigen Noth-Fall aufbehalten werden. Wor - aus denn ferner erfolget, daß ſie den ge - meinen Mann nur zu Sclaven machen, die vor ſie arbeiten und erwerben muͤſſen: wie - wohl dieſer Unfall auch die Unterthanen in der Monarchie betreffen kan, wenn ſie zu einer Tyranney wird (§. 234).

Vorthei - le der Politic.

§. 262.

Jn der Politie herrſchen alle und kan nichts ohne aller ihre Einwilligung be - ſchloſſen und bewerckſtelliget werden (§. 236). Derowegen wird die Freyheit nir - gends weniger als hier eingeſchraͤncket, der - geſtalt daß man auch ein gemeines Weſen, wo dergleichen Regierungs-Forme einge -fuͤh -193Arten des gemeinen Weſens. fuͤhret iſt, eine freye Republick zunennen pfleget. Und alſo hat man hier nicht zu be - ſorgen, wie in der Monarchie und Ariſtocra - tie (§. 259. 261), daß durch Mißbrauch der Macht der gemeinen Wohlfahrt und Si - cherheit Eintrag geſchehe.

§. 263.

Unterdeſſen kan Unverſtand undUnge - mach der Politie. Hartnaͤckigkeit eben ſo groſſen Schaden anrichten, als Mißbrauch der Macht in andern Regierungs-Formen. Denn da die meiſten unverſtaͤndig ſind, ſo iſt auch leicht zu erachten, daß ſolche Faͤlle kommen koͤnnen, in welchen die meiſten nicht be - greiffen, was zur gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit gereichet, abſonderlich wenn es das Anſehen gewinnet, als ob die gemei - ne Wohlfahrt und Sicherheit dem beſon - deren Intereſſe zuwieder waͤre, oder auch wohl in der That zuwieder iſt, und dan - nenhero nachgeben muß (§. 218). Sind ſie nun zugleich ſo geartet, daß ſie ſich nicht andere weiſen laſſen; ſondern vielmehr glauben, ſie verſtuͤnden es beſſer, oder doch wenigſtens ſo gut als andere, ja auch wohl gar diejenigen, von welchen ſie ſich ſollten weiſen laſſen, fuͤr verdaͤchtig halten: ſo bleiben ſie ſteif und feſte auf ihrer Meinung, und muß dahero das Gute nachbleiben, was ſonſt in einer andern Regierungs For - me ſeinen Fortgang erreichet haͤtte. Ha - ben ſie Haß gegen diejenigen, welche beſſer(Politick) Nals194Cap. 2. Von den verſchiedenenals ſie verſtehen, was zu thun iſt; ſo tro - tzen ſie auf ihre Freyheit, und aus Hart - naͤckigkeit laſſen ſie lieber alles zu Grunde gehen, ehe ſie ſich nach andern bequeme - ten und dadurch ihrer Freyheit etwas zu ver - geben vermeineten. Derowegen gehet es in einer Politie oͤffters ſchweer und lang - ſam her, daß man zu einem Schluſſe kom - men kan: wodurch abſonderlich auswaͤr - tige Feinde Gelegenheit finden, groͤſſeren Schaden zu thun, als ſonſt geſchehen wuͤr - de, wo man bey Zeiten nuͤtzliche Gegenan - ſtalten machen koͤnte. Am allermeiſten a - ber ſind hier die Partheyen, welche ſo wohl als in der Ariſtocratie gemacht werden (§. 261), ſchaͤdlich, weil in der groſſen Men - ge derſelben mehr ſeyn koͤnnen, als wo wenige Perſonen ſich in Partheyen verthei - len ſollen. Hierzu kommet, daß man in einer Politie gleich auf Aenderungen den - cket, ſo bald man einige Anſtalten unbe - quem zu finden vermeinet. Es entſtehet auch nicht eher eine innerliche Unruhe als in einer Politie, wo immer eine Parthey wie - der die andere iſt, abſonderlich wenn die eine ſich mehr Macht anmaſſet als ſie ſolte, und mit Gewalt durchdringen wil, oder auch wenn ſie vermeinet, die andere ſey ih - rem Intereſſe entgegen, und ſie hingegen in dem Stande die andere unterzudruͤ - cken.

§. 264.195Arten des gemeinen Weſens.

§. 264.

Regierende Perſonen verhaltenRegieꝛen - de Peꝛſo - nen ver - halten ſich ge - gen Un - teꝛthanen wie Vaͤ - ter zu ih - ren Rin - dern. ſich zu Unterthanen wie Vaͤter zu den Kin - dern. Denn Vaͤtern lieget ob, den Kin - dern alle Mittel zu verſchaffen, die ſie zur Befoͤrderung der Vollkommenheit ihres in - nern und aͤuſſeren Zuſtandes von noͤthen ha - ben, und ihnen ihre Handlungen zu Erhal - tung dieſer Abſicht einzurichten (§. 82): hin - gegen die Kinder ſind verbunden zuthun und zu laſſen, was ihnen von den Eltern befoh - len wird (§. 124), und alſo den Willen der Eltern ihren Willen ſeyn zu laſſen. O - brigkeiten oder regierenden Perſonen lieget ob, fuͤr die gemeine Wohlfahrt und Si - cherheit zu forgen (§. 229), und demnach alle dazu noͤthige Mittel zu erdencken, wo - durch der Unterthanen Wohlfahrt auf das bequemeſte befoͤrdert werden kan, auch ih - nen ihre Handlungen dergeſtalt einzurichten, wie es dieſe Abſicht erfordert. Hingegen die Unterthanen ſind verbunden, dasjenige zuthun und zu laſſen, was ſie dazu gut be - findet (§. 232). Derowegen iſt klar, daß Obrigkeiten oder regierenden Perſonen eben das in Anſehung ihrer Unterthanen oblie - get, was Vaͤtern in Anſehung ihrer Kin - der: und ſowohl Unterthanen, als Kinder zum Gehorſam bereit und willig ſeyn ſollen. Und dannenhero werden auch regierende Perſonen mit Recht Landes-Vaͤter und Vaͤter des Vaterlandes genennet.

N 2§. 265.196Cap. 2. Von den verſchie denen
Nutzen dieſer Aenlich - keit.

§. 265.

Was alſo von den Pflichten der Eltern gegen ihre Kinder, und der Kin - der gegen die Eltern (§. 83 & ſeq. ) ausge - fuͤhret worden, das laͤſſet ſich auch mit noͤ - thiger Veraͤnderung auf die Pflichten der Obrigkeiten oder regierenden Perſonen und der Unterthanen deuten. Und alſo dienet das Bild des Vaters die Beſchaffenheit eines Regentens, hingegen das Bild der Kinder die Beſchaffenheit der Unterthanen zu finden (§. 364 Met.).

Regieꝛen - de Perſo - nen ſind wie Hausvaͤ - ter im Hauſe.

§. 266.

Ja es verhalten ſich auch O - brigkeiten oder regierende Perſonen gegen ihre Unterthanen wie Hausvaͤter gegen ih - re Hausgenoſſen. Denn einem Hausva - ter lieget hauptſaͤchlich ob davor zu ſorgen, daß keine von den einfachen Geſellſchafften, daraus das Hauß zuſammen geſetzet iſt, die Abſicht der andern ſtoͤhre, ſondern vielmehr eine jede das ihre mit dazu beytraͤget, daß die andere ihre Abſicht deſto beſſer erreichen kan (§. 194): alle Hausgenoſſen hingegen muͤſſen den Willen des Hausvaters ihren Willen ſeyn laſſen, und ohne ſeine Ge - nehmhaltung nichts vornehmen. Da nun ein gemeines Weſen aus vielen Haͤuſern (§. 214), und alſo aus vielen einfachern Ge - ſellſchafften zuſammen geſetzet wird (§. 192), die mit vereinigten Kraͤfften ihre Wohl - fahrt ſuchen; die regierenden Perſonen aber davor zu ſorgen haben, daß ein jederder -197Arten des gemeinen Weſens. derjenigen Wohlfahrt theilhafftig werden kan, die ſich mit vereinigten Kraͤfften errei - chen laͤſſet (§. 229); ſo muͤſſen regierende Perſonen davor ſorgen, daß kein Haus das andere hindere, ſeine Wohlfahrt zu errei - chen, ſondern vielmehr eines dem andern foͤrderlich ſey: und die Unterthanen ſind verbunden ihren disfalls gemachten An - ſtalten Gehoͤre zugeben (§. 232). Und dem - nach lieget der Obrigkeit in Anſehung der Unterthanen ob, was ein Hausvater in Anſehung der Hausgenoſſen zu beobachten hat.

§. 267.

Was alſo von den PflichtenNutzen dieſer Aenlich - reit. des Hausvaters ausgefuͤhret worden (§. 201. & feqq. ), das laͤſſet ſich auch mit noͤ - thiger Veraͤnderung auf die Pflichten der Obrigkeit oder regierender Perſonen deu - ten. Und alſo dienet das Bild des Haus - vaters die Beſchaffenheit eines Regentens zu finden (§. 364 Met.)

§. 268.

Da in einer Politie alle herr -Wo die Aenlich - keit mit der va - terlichen Geſell - ſchafft und dem Hauſe am groͤ - ſten iſt. ſchen, und alſo ohne aller ihre Bewilligung nichts beſchloſſen, vielweniger bewerckſtel - liget werden kan (§. 236); hingegen weder ein Vater mit ſeinen Kindern (§. 82), noch ein Hausvater mit den Hausgenoſſen ſich berathſchlaget (§. 195), was zuthun und zu laſſen iſt, vielweniger zu Bewerckſtelli - gung ſeiner Anſtalten erſt ihre Einwilligung begehren darf; ſo hat auch die MonarchieN 3und198Cap. 2. Von den verſchiedenenund Ariſtocratie mehr Aenlichkeit mit der vaͤterlichen Geſellſchafft und dem Hauſe, als die Politie (§. 264. 266. 234. & ſeq. Polit. & §. 18 Met.). Und demnach laͤſſet ſich nicht alles auf die Politie ziehen, was auf die Monarchie und Ariſtocratie ſich deuten laͤſſet (§. 265. 267). Jch ſage mit Fleiß: Alles. Denn da man auch in der Politie Obrigkeiten hat, die im Nahmen der uͤbri - gen die Bewerckſtelligung desjenigen beob - achten, was einmahl mit aller Einwilligung durch Geſetze feſt geſtellet oder ſonſt beſchloſ - ſen worden; ſo verſtehet fichs vor ſich, daß auch bey dieſen Obrigkeiten gielt, was - berhaupt von allen (§. 265. 267) erwieſen worden.

Zweiſfel wird ge - hoben.

§. 269.

Vielleicht werden einige ver - meinen, man koͤnne regierende Perſonen, am allerwenigſten aber Monarchen, mit Vaͤtern und Hausvaͤtern vergleichen: Denn Vaͤter und Hausvaͤter koͤnnten kein Ge - ſetze geben, ſondern nur Rath ertheilen und vermahnen. Allein wer die Sache genauer einſiehet, derſelbe wird beſinden, daß Vaͤter und Hausvaͤter eben ſo wohl Gewalt und Macht haben, die Kinder und andere Haus - genoſſen zu gewiſſen Handlungen zu ver - binden, auch ſie ſolches auf eben die Wei - ſe thun, wie Obrigkeiten ihre Unterthanen zuverbinden pflegen. Wer bedencket, was verbinden uͤberhaupt iſt (§. 8. Mor.),und199Arten des gemeinen Weſens. und wie Eltern ihre Kinder zu verbinden pflegen (§. 96), auch was im folgenden von der Art die Unterthanen zu verbinden wird geſaget werden; der wird keinen Un - terſcheid hierinnen finden. Man darf auch nicht einwenden, daß Eltern ihre Kinder und der Hausvater ſeine Hausgenoſſen nicht weiter verbinden koͤnne, als es das Geſetze der Natur erlaubet (§. 125. 193), denn auch Obrigkeiten muͤſſen bey ihren Geſe - tzen das Geſetze der Natur ſtets vor Au - gen haben (§. 227), welches nach dieſem an ſeinem Orte ſich noch weiter zeigen wird.

Das 3. Capitel / Was bey Einrichtung eines gemeinen Weſens in acht zu nehmen.

§. 270.

VJelleicht werden einige meinen, esWarnm von Ein - richtung des ge - meinen Weſens gehan - belt wiꝛd. ſey uͤberfluͤßig davon zu reden, wie man ein gemeines Weſen recht ein - richten ſolle, weil es nicht mehr in unſerer Gewalt ſtehet, ſie einzurichten, wie wir ſie wollen, ſondern man ſie vielmehr laſſen muß, wie man ſie findet. Denn wo Obrigkeiten einmahl ein Recht erhal - ten, das werden ſie ſich nicht wieder abdiſ - putiren laſſen: hingegen aber werden auch Unterthanen ſich nicht gutwillig ihre Frey - heit weiter einſchraͤncken laſſen. AlleinN 4es200Cap. 3. Von der Einrichtunges iſt dagegen verſchiedenes zu errinnern. Erſtlich iſt zu mercken, daß man in Wiſ - ſenſchafften nicht fraget, wie dieſes oder je - nes gemeine Weſen beſchaffen iſt, ſondern wie es beſchaffen ſeyn muß, wenn man den vorgeſetzten Zweck erhalten ſol, das iſt, wenn die Unterthanen darinnen diejenige Wohl - fahrt ungehindert finden ſollen, die durch ihre mit einander vereinigte Kraͤffte zu er - halten moͤglich iſt. Und dieſes hat, worauf ferner zuſehen, vielfaͤltigen Nutzen. Nem - lich hieraus wird man geſchickt, von denen vorkommenden Regierungs-Formen zu urtheilen, was in ihnen gutes anzutreffen iſt, und worinnen es noch fehlet. Wenn es in einem und dem anderen Stuͤcke noch fehlet, ſo lernet man den Grund einſehen, woher der Fehler kommet. Verſtehet man, was noch fehlet, und weiß dabey, warum es fehlet; ſo iſt man in dem Stande, ge - gruͤndet zu urtheilen, ob und wie dem Feh - ler koͤnne abgeholffen und die Regierung verbeſſert werden. Derowegen da noͤthig iſt, daß diejenigen, welche auf die Verbeſ - ſerung des gemeinen Weſens zu dencken haben, verſtehen, wie es recht eingerichtet werde; ſo haben wir allerdings ſorgfaͤltig zu unterſuchen, was in Einrichtung des ge -Wie weit hiervon gehan - dekt wer - den ſol. meinen Weſens zu beobachten.

§. 271.

Unterdeſſen da wir keine Regeln fuͤr eine beſondere Art der Regierungs-For - men hier zu geben geſonnen, ſo wollen wirauch201des gemeinen Weſens. auch uͤberhaupt bey denjenigen verbleiben, die ſich aus dem allgemeinen Geſetze des ge - meinen Weſens herleiten laſſen (§. 215). Wer nun nach dieſem unterſuchen wil, auf was fuͤr Art und Weiſe ſolches in einer je - den Art der Regierungs-Forme zu bewerck - ſtelligen, derſelbe wird den kleinen Unter - ſcheid, der ſich bey der Bewerckſtelligung findet, gar leicht entdecken, wenn er nur auf dasjenige acht hat, was im vorherge - henden Capitel von ihnen ausgefuͤhret wor - den. Und wird ſich dadurch der Vortheil einer Regierungs-Forme fuͤr der anderen noch deutlicher zeigen, als er etwan im vor - hergehenden (§. 257. & ſeq. ) ausgefuͤhret worden. Nemlich diejenige hat einen Vor - theil fuͤr der andern, wo die Bewerckſtelli - gung am leichteſten und vollſtaͤndigſten iſt. Man darf aber nicht zweiffeln, daß in allen Regierungs-Formen ſtat finde, was hier ge - lehret wird: denn da alle einerley Abſicht ha - ben, auch daher ein allgemeines Geſetze (§. 215); ſo gilt freylich von allen, was aus dieſer allgemeinen Abſicht erwieſen wird.

§. 272.

Man hat in Einrichtung des ge -Worauf in Ein - richtung des ge - meinen Weſens zu ſehen. meinen Weſens darauf zu ſehen, daß dieje - nigen, ſo willig ſind, der natuͤrlichen Ver - bindlichkeit ein Gnuͤgen zu thun, nicht allein von andern nicht gehindert, ſondern vielmehr gefoͤrdert werden, und dazu alle Gelegen - heit und Vorſchub finden; hingegen dieN 5andern202Cap. 3. Von der Einrichtungandern, welche die natuͤrliche Verbindlich - keit aus den Augen ſetzen, dazu angehalten werden, daß ſie wenigſten die aͤuſſerlichen Handlungen vollziehen, die das Geſetze der Natur erfordert, und diejenigen unterlaſſen, welche ihm zuwieder ſind (§. 227). Da nun jeder Menſch verbunden iſt, ſo wohl den Zuſtand ſeines Gemuͤths, als des Leibes und den aͤuſſern ſo vollkommen zu machen als moͤglich iſt (§. 12 Mor.); ſo ſind der - gleichen Anſtalten zu machen, daß ein jeder dazu alle noͤthige Gelegenheit und Mittel finde. Hingegen wo die natuͤrliche Ver - bindlichkeit nicht zureichet, die Unterthanen von ſolchen Handlungen abzuhalten, wo - durch die gemeine Wohlfahrt und Sicher - heit geſtoͤhret wird, da muͤſſen ſie von neu - em dazu verbunden werden.

Woraus die guten Anſtal - ten er - funden werden.

§. 273.

Damit nun erhelle, was fuͤr An - ſtalten in einem gemeinen Weſen zu machen ſind, wenn es den Unterthanen an noͤthigen Mitteln und Gelegenheit, ihre Wohlfahrt zu befoͤrdern, nicht fehlen ſoll; ſo muß man mit Bedacht alles dasjenige durchgehen, was von den Pflichten des Menſchen (Part 2. & ſeqq. Mor.) ausgefuͤhret worden. (§. 228). Weiß man, was fuͤr Anſtalten in einem gemeinen Weſen zu Befoͤrderung der ge - meinen Wohlfahrt zu machen; ſo wird man auch leichter begreiffen, wie dabey ei - ner von andern kan gehindert werden, undwas203des gemeinen Weſens. was fuͤr Verbindlichkeit man noͤthig hat, dieſes zu verhuͤten.

§. 274.

Wenn ein gemeines Weſen auf -Worauf bey Be - voͤlcke - rungen eines Staates zu ſehen. gerichtet werden ſoll, ſo muͤſſen ſo viel Haͤu - ſer zuſammen kommen, als zu Befoͤrde - rung der gemeinen Wohlfahrt und Erhal - tung der Sicherheit noͤthig iſt (§. 214.) Und demnach hat man davoꝛ zu ſoꝛgen, daß Volck genug in einem gemeinen Weſen oder auch in einem Staate ſey, nicht zu viel und auch nicht zu wenig. Nemlich es ſind ihrer zu viel, wenn ſie nicht im Lande ihren noͤthi - gen Unterhalt finden koͤnnen - hingegen zu wenig, wenn man noch mehrern Unterhalt verſchaffen koͤnte, oder auch die Unterthanen zu ſchwach ſind, der Macht auswaͤrtiger Feinde genugſam zu wiederſtehen. Und alſo hat man in Bevoͤlckerung des Staates nicht alleine darauf zu ſehen, daß man die Anzahl der Unterthanen mehret; ſondern man muß auch darauf bedacht ſeyn, ob durch gute Anſtalten allen noͤthiger Unterhalt kan verſchaffet werden. Uber dieſes da des - wegen ihrer viele ſich in ein gemeines We - ſen zuſammen begeben, weil keiner allein o - der auch einige wenige nicht alle Bequem - lichkeiten des Lebens verſchaffen koͤnnen (§. 210. 214); ſo hat man auch darauf zu ſe - hen, daß von einem jeden Stande ſo viel vorhanden ſind, als es die gemeine Wohl - fahrt erfordert. Und demnach hat mannicht204Cap. 3. Von der Einrichtungnicht ohne Unterſcheid Leute ins Land zu zie - hen; die nach dieſem dem Lande zur Laſt und Beſchweerde werden, weil ſie von an - dern ſuchen muͤſſen, was ſie vor ſich nicht erlangen koͤnnen (§. 770 Mor.) ſondern man muß bedencken, welche man noͤthig hat und welche wegbleiben koͤnnen.

Mittel dazu.

§. 275.

Die Anzahl der Jnnwohner wird vermehret entweder durch Erzeugung der Kinder, durch Niederlaſſung der Frem - den im Lande, und durch Friſtung des Le - bens alleꝛ zuſammen. Derowegen wo man darauf zu ſehen hat, daß die Anzahl der Jnnwohner gemehret werde; hat man fuͤr allen Dingen davor zu ſorgen, daß Manns - Perſonen bald in den Stand kommen, Weib und Kinder zu ernaͤhren, und dieje - nigen, ſo in dem Stande ſind, dazu angehal - ten werden, daß ſie bey Zeiten heyrathen. Und weil es nicht genung iſt, daß Kinder gebohren werden; ſo hat man auch davor zu ſorgen, daß ihr Leben und Geſundheit in der Auferziehung nicht verwahrloſet werde. Wenn Fremde in unſer Land kommen und ſich darinnen niederlaſſen ſollen; ſo jſt es ge - wiß, daß, da ſie ſolches freywillig thun muͤſſen, ſie nicht anders als durch gute An - ſtalten im Lande angelocket werden koͤnnen (§. 496 Met.). Wo es wohl zugehet und man gutes Leben findet, da will ein jeder gerne ſeyn: hingegen wo man gedrucketwird205des gemeinen Weſens. wird, und es ſchlimm hat, da verlanget nie - mand hin, und wer da iſt, ſehnet ſich weg. Wo die Unterthanen lange leben ſollen, da muͤſſen nicht allein anſteckende Seuchen und Kranckheiten verhuͤt et werden, ſondern man hat auch im uͤbrigen alles zu veranſtalten, was zu Befoͤrderung der Geſundheit dien - lich, und hingegen mit Nachdruck zu hin - dern, wodurch man ſich in gefaͤhrliche Kranckheit ſtuͤrtzen kan, wovon nach dieſem ſich umſtaͤndlicher wird reden laſſen.

§. 276.

Weil man verbunden iſt, davorWenn die Aus - ziehung aus ei - nem Lan - de nicht zu ver - ſtatten. zu ſorgen, daß in einem Lande ſo viel Unter - thanen ſind, als zur Befoͤrderung der ge - meinen Wohlfahrt und Sicherheit des Lan - des erfordert wird (§. 274); ſo darf man auch nicht verſtatten, daß einige nach ihrem Gefallen aus dem Lande ziehen und ſich anderswo niederlaſſen, wenn dadurch einem von beyden Nachtheil geſchiehet. Es ſtimmet auch ſolches mit den allgemeinen Gruͤnden uͤberein. Ein gemeines Weſen gehoͤret un - ter die menſchlichen Geſellſchafften (§. 214): aus einer Geſellſchafft aber darf niemand gehen, wenn es zum Schaden der uͤbrigen gereichet (§. 9).

§. 277.

Weil aber nicht leicht jemandWie ſie zu ver - buͤten. ſich aus dem Lande, wo er iſt, in ein an - ders zu begeben verlangen wird, wenn es ihm daſelbſt wohlgehet; ſo hat man auch darauf zu ſehen, daß niemand gedrucketwird,206Cap. 3. Von der Einrichtungwird, ſondern ein jeder vielmehr ſeine Wohlfahrt, und wieder diejenigen, ſo ihm Unrecht thun, Schutz und Recht finde.

Waꝛumb dieſe Pun - cte nicht beſondeꝛs ausge - fuͤhret worden.

§. 278.

Jch fuͤhre die vorgeſchlagene Mittel zu Bevoͤlckerung eines Staates nicht beſonders aus, weil ſolches im folgen - den geſchehen wird. Denn da einige hierzu erforderte Regeln uͤber dieſes noch andere Urſachen haben; ſo werden ſich dieſe mehr beruͤhren laſſen, wenn die andern uns An - laß geben werden, davon zu reden. Unſer Vorhaben erfordert es, jedes an demjeni - gen Orte beyzubringen, wo es ſich am be - quemeſten erweiſen laͤſſet.

Wie man vor den Unter - halt der Jnwoh - ner zu ſorgen.

§. 279.

Weil man davor zu ſorgen hat, daß der Einwohner nicht mehr werden, als ihr noͤthiges Auskommen im Lande finden koͤnnen (§. 274), der Menſch aber darzu Nahrung, Kleidung und Wohnung von noͤthen hat; ſo muß man fuͤr allen Dingen darauf bedacht ſeyn, daß man an allen da - zu erforderten Sachen keinen Mangel ha - be. Zu dem Ende muß man unterſuchen, was das Land ſelbſt tragen, und die Ein - wohner aus dem, was es ihnen gewehret, verfertigen koͤnnen, und was ſie hingegen von andern noͤthig haben, damit ſie nicht allein angehalten werden, durch Beytrag ih - res Fleiſſes die Schaͤtze der Natur zu ver - mehren und zu ſammlen, ſondern auch al - les daraus zu fertigen, was gemacht wer -den207des gemeinen Weſens. den kan, und ſowohl unter einander ſelbſt, als mit auswaͤrtigen Handel treiben.

§. 280.

Und da kein Menſch dem an -Wie ei - nem jede Arbeit zu ver - ſchaffen. dern Unterhalt geben darf, der arbeiten kan und ſo viel zu arbeiten Gelegenheit findet, daß er dadurch ſeinem Leibe noͤthigen Un - terhalt zu verſchaffen vermoͤgend iſt (§. 769 Mor.), uͤber dieſes auch ein jeder Menſch ſo viel arbeiten ſol, als ohne Abbruch ſei - ner Geſundheit und der Kraͤffte ſeines Lei - bes, auch der zulaͤßigen Ergoͤtzlichkeit ſeines Gemuͤths geſchehen kan (§. 523. Mor.); ſo hat man abſonderlich darauf bedacht zu ſeyn, wie man einem jeden ſo viel Arbeit verſchaffe, als er ertragen kan, auch den Lohn der Arbeit dergeſtalt ſetze, daß man dabey ſein noͤthiges Auskommen finden koͤn - ne: welches letztere auch ſchon an ſich auf eine andere Art erwieſen worden (§. 910 Mor.).

§. 281.

Und demnach hat man fernerDaß das unnoͤthi - ge Bet - teln nicht zu ver - ſtatten. zu veranſtalten, daß man dem Geſetze der Natur wegen des Bettelns ein Genuͤgen thue, welches das Betteln niemanden wil verſtattet wiſſen, als demjenigen, der Man - gel an Nothdurfft leidet, und durch eige - ne Kraͤffte daraus nicht kommen (§. 964. Mor.), das iſt, entweder nicht arbeiten kan, oder doch nicht Gelegenheit findet, durch Arbeit ſo viel zu erwerben, als ſeine Nothdurfft erfordert.

§. 282.208Cap. 3. Von der Einrichtung
Daß man die An - zahl der Leute in jedem Stande zu deter - miniren hat.

§. 282.

Da nun nicht moͤglich iſt, daß alle genung Arbeit haben, ſo viel nemlich als zu ihrem Unterhalt erfordert wird, wenn in einem gewiſſen Stande, er mag Nah - men haben wie er will, z. E. in einem Hand - wercke, der Leute zu viel werden; ſo hat man auch die Anzahl in einem jeden Stan - de nach Erforderung der Umſtaͤnde zu de - terminiren.

Daß die Gelegen - heit zum Muͤßig - gange zu beneh - men.

§. 283.

Damit ein jeder, der arbeiten kan, ſo viel arbeite als er ſol, und uͤber - haupt ein jeder fleißig in acht nehme, was ſeines Amtes iſt; ſo hat man alle Gelegen - heit zu benehmen, wodurch wolluͤſtige Leu - te zum Muͤßiggange koͤnnen verleitet wer - den, als wodurch ſie nicht allein verabſaͤu - men, was ſie haͤtten erwerben koͤnnen, ſon - dern auch unnoͤthig verſchwenden, was ſie haͤtten erſpaaren ſollen, und dadurch oͤff - ters ſich und die ihrigen muthwillig in Ar - muth ſetzen.

Noth - wendig - keit der Schulen und Aca - demien.

§. 284.

Ein jeder Menſch iſt verbunden nach Erkaͤnntniß deſſen zu trachten, was ihm in denen Verrichtungen, die er ver - moͤge ſeiner Lebens-Art vorzunehmen hat, dienlich iſt (§. 256 Mor.), und ſonderlich nach der Erkaͤntniß des guten und boͤſen zu ſtreben (§. 263 Mor.). Derowegen da man im gemeinen Weſen davor zu ſorgen hat, daß es niemanden an Gelegenheit feh - le, zu dieſer Erkaͤnntniß zu gelangen; ſo hatman209des gemeinen Weſens. man zu dem Ende Schulen und Academi - en aufzurichten, das iſt, an dazu bequemen Oertern Leute zu beſtellen, welche ge - ſchickt und fleißig ſind dergleichen Er - kaͤntnis denen, die es noͤthig haben, beyzu - bringen. Cs ſind demnach die Schulen Oerter, wo man junge Leute zu nuͤtzlicher Erkaͤntnis anfuͤhret; die Academien hin - gegen Oerter, wo man die Wiſſenſchaff - ten lehret, und zu nuͤtzlichen Kuͤnſten und Leibes Ubungen anfuͤhret. Daher bekommen ſie auch ihre beſondere Nah - men von den Wiſſenſchafften, Kuͤn - ſten und Leibes-Ubungen, die daſelbſt tra - ctiret werden. Z. E. man nennet eine Mahler Academie, wenn alles zu dieſer Kunſt noͤthige daſelbſt gelehret wird; eine Baumeiſter-Academie, wenn man daſelbſt lehret, was einem Baumeiſter zu wiſſen noͤthig iſt. Eben ſo nennet man gemeine Schulen, wo man nur von dem jenigen Unterricht ertheilet, was einem je - den gemeinen Manne zu lernen noͤthig iſt, als leſen, ſchreiben, die Grundlehren der Re - ligion ꝛc. Rechen-Schulen, wo man noͤ - thigen Unterricht von dem Rechnen giebet fuͤr die jenigen, welche es gruͤndlich verſte - hen muͤſſen, als da ſind, die Kaufleute wer - den oder weitlaͤufftige Landwirthſchafft treiben wollen.

O§. 285.210Cap. 3. Von der Einrichtung
Was fuͤr Perſonen zu Leh - renden zu nehmen.

§. 285.

Da nun derjenige, der andere etwas lehren will, es ſelbſt verſtehen, auch andern, was er verſtehet, mit guter Manier beyzubringen vermoͤgend ſeyn, uͤber dieſes allen Fleiß, der dazu erfordert wird, an - wenden muß; ſo muͤſſen in Schulen u. auf Academien zu Lehrern beſtellet werden, die das ihrige wohl verſtehen, die Gabe zu leh - ren beſitzen und von einem unermuͤdeten Fleiße ſind. Derowegen ſoll man keinen dazu nehmen, der nicht vorhet in allen die - ſen Stuͤcken genungſame Proben abgele - get. Und gewiß iſt dieſe Vorſorge uͤber die Maſſen noͤthig, ſonderlich auf Acade - mien, wo man Wiſſenſchafften und freye Kuͤnſte lehret. Denn da nach dieſem in allen Staͤnden die wichtigſten Aemter mit ſolchen Perſonen beſetzet werden, die auf Academien Wiſſenſchafften und freye Kuͤn - ſte gelernet, ſo iſt es ein groſſer Verderb fuͤr das Land, wo auf Academien untuͤchti - ge Leute ſind, von denen man entweder gar nichts, oder doch nichts rechtes lernen kan, und iſt dieſer Schade um ſo viel groͤſſer und gewiſſer, je mehr man gehalten iſt dieſe und keine andere zu ſeinen Lehrern zu erwehlen. Und damit man auch verſichert iſt, daß alle, denen andere zu lehren oblieget, das treulich thun, was ſie zu thun vermoͤgend ſind, ſo hat man auf Mittel und Wege zuden -211des gemeinen Weſens. dencken, wie man davon in Erfahrung kom - me, auch uͤberhaupt dergleichen Anſtalten zu machen, daß nicht leicht einer den ihm ge - buͤhrenden Fleiß unterlaſſen kan.

§. 286.

Da Kinder u. junge Leute unterrich -Wie man den Leb - renden Luſt ma - chet. ten eine beſchwerl. Arbeit iſt, daruͤber man leicht verdruͤßlich werden kan; ſo hat man darauf zu dencken, wie man den Fleiß der Lehꝛenden unterhalten und ihnen zu ihrer Ar - beit Luſt machen kan. Zu dem Ende hat man zu ſorgen, daß ſie dabey ihr gutes Aus - kommen finden, wo nicht beſſer, doch eben ſo gut als in einem andern Stande, dazu ſie eben ſo wohl geſchickt waͤren. Denn gleichwie ſie mißvergnuͤget werden, wenn ſie bey ihrer ſauren und hoͤchſtbeſchwerlichen Arbeit darben ſollen, da andere ihres glei - chen in ihren Bedienungen bey viel weniger, oder doch bey weitem nicht ſo verdruͤßlicher Arbeit ein weit beſſers Auskommen haben: ſo ſind ſie hingegen mit ihrem Stande zu frieden, wenn ſie verſichert ſind, daß ſie ſich nicht verbeſſern wuͤrden, ob ſie gleich eine andere Bedienung erhielten, dazu ſie ſo wohl, als zu der ihrigen geſchickt waͤren. Jngleichen hat man auch mit darauf zu ſe - hen, daß ſie nicht weniger geehret werden als alle andere ihres gleichen, die zu andern Bedienungen gezogen werden, zu denen ſie ſo wohl als jene geſchickt waͤren. Denn ſo werden ſie keine Urſache finden, warum ſieO 2aͤn -212Cap. 3. Von der Einrichtungaͤndern wolten: ſondern wenn ſie gleich un - terweilen ihrer Muͤhe uͤberdruͤßig werden, und ſich in einen andern Stand wuͤnſchen, ſo werden ſie doch bald wieder Muth faſſen und nicht zu aͤndern verlangen, wenn ſie be - dencken, daß ſie keinen Vortheil finden koͤn - nen. Abſonderlich iſt hiervor auf Acade - mien zu ſorgen, wo man Leute zu Lehrern gebraucht, die in Wiſſenſchafften andern uͤberlegen und ſie wohl fuͤrzutragen geſchickt ſind (§. 284. 285) und daher leicht nieder - geſchlagen werden, wenn ſie bey den vor - treflichen Gaben, damit ſie andern uͤberle - gen ſind, doch nicht ſo viel Vortheil haben koͤnnen, als andere, die ihnen viel nachge - ben muͤſſen bey ihren weit austraͤglicheren Bedienungen. Am allermeiſten aber iſt mit hierauf zu ſehen, weil diejenigen, welche die Wiſſenſchafften durch Leſen und Nach - dencken in Aufnehmen bringen ſollen, ruhi - ges und vergnuͤgtes Gemuͤths ſeyn muͤſſen, indem Unruhe und Mißvergnuͤgen das Nachdencken ſtoͤhren (§. 417 Met.), und ſich daher in einem ſolchen Zuſtande befinden, wo ihnen wohl iſt. Wenn man bey allen Schulen und Academien dafuͤr ſorgete, ſo wuͤrden nicht allein geſchickte Koͤpffe darauf ihre Abſicht machen, und ſich darein lieber als in andere Bedienungen begeben, ſon - dern auch darinne gerne und willig verblei - den, und ſich nicht nach andern umſehen,auch213des gemeinen Weſens. auch ſolchergeſtalt ihr Amt nicht mit Ver - druß, ſondern willig und gerne verrichten. Man wuͤrde auch jederzeit die beſten Leute zu Lehrern bekommen koͤnnen, wenn ſie nebſt dem reichlichen Auskommen auch ſo viel Ehre findeten, als ſie mit Verſtande be - gehren koͤnten: Denn dieſes ſind doch zwey Puncte, darauf die Menſchen am meiſten zu. ſehen pflegen, wenn ſie ſich in Bedienun - gen begeben ſollen.

§. 287.

Vielleicht werden einige meinen,Ein Zweifel wird ge - hoben. daß Lehrende, ſonderlich auf Academien, nicht allzu eintraͤgliche Beſoldung haben ſolten, damit ſie nicht nachlaͤßig wuͤrden und deſtoweniger Zeit und Fleiß auf Unterrich - tung der ihnen anvertrauten Jugend an - wendeten. Allein es iſt zu mercken, daß man hier fuͤr allen Dingen die Einrichtung der - geſtalt zu machen hat, daß man nicht an - ders ſein reichliches Auskommen findet, als in dem man ſein Amt fleißig und treulich verrichtet: welches nach denen beſondern Umſtaͤnden auf vielerley Weiſe geſchehen kan, in gegenwaͤrtigem Orte aber, da wir die beſondern Anſtalten auszufuͤhren nicht geſonnen, ſich nicht wohl zeigen laͤſſet. Dar - nach ſind auch gewiſſe Perſonen zu ſetzen, die darauf Aufſicht haben, wie die Lehren - den ihr Amt verrichten, damit man bey Zei - ten allen Maͤngeln abhelffen kan, die ſich etwan hier und dort ereignen doͤrfften. Uber -O 3die -214Cap. 3. Von der Einrichtungdieſes kan man auch dergleichen Anſtalten machen, dadurch nicht allein die Lehrenden angehalten werden ihres Ambtes entweder ſelbſt treulich zu warten, oder bey einigen ſich ereignenden dingenden Um - ſtaͤnden durch andere, was ihnen oblieget, zum Theil verrichten zu laſſen: ſondern auch zugleich in Erfahrung kommet, wie ein jeder gethan, was ihm gebuͤhret. Man hat ſol - che Perſonen zu erwehlen, die durch abge - legte Proben vorher zur Gnuͤge erwieſen, daß ihnen der Fleiß in Verrichtung ihres Ambtes kein Verdruß und keine Beſchwer - de, ſondern vielmehr eine Luſt iſt, auch ſich vorher in dergleichen Fleiſſe ſattſam geuͤbet. Es iſt freylich wahr, daß, je austraͤglicher die Bedienungen der Lehrenden, ſonderlich auf Academien ſind, jemehr ſich Leute dazu finden werden, die dadurch ihre Bequem - lichkeit zu erhalten gedencken. Allein da erſt jetzunder, und auch vorhin (§. 285) er - rinnert worden, daß man niemanden zu ei - nem Lehrer annehmen ſoll, als der in allen Stuͤcken, die zu ſeinem Amte erfordert wer - den, ſattſame Proben abgeleget, ſo kan man gar leichte verhuͤten, daß ſich dergleichen Leute nicht eindringen, wo es ein rechter Ernſt iſt ſie abzuhalten. Wolte man aber ſagen, daß um ſo viel eher durch Gunſt der Gewaltigen ſich ungeſchickte Leute in der - gleichen Bedienungen dringen wuͤrden, jemeh -215des gemeinen Weſens. mehreren Vortheil ſie dabey zu gewarten haͤtten: ſo kan man zwar nicht laͤugnen, daß dergleichen Faͤlle moͤglich ſind; jedoch wuͤr - de man faſt keine gute Anſtalt machen koͤn - nen, wenn man ſich davor fuͤrchten wolte, daß ſie durch die wiedrigen Affecten der Gewaltigen koͤnnen gemißbrauchet werden. Unterdeſſen bleibet es freylich wahr, daß alsdenn die groͤſte Sorgfalt erfordert wird ungeſchickte abzuhalten. Es laſſen ſich a - ber durch hohe Hand dergleichen Verord - nungen machen, daß auch nicht allezeit die Gewaltigen durch Mißbrauch ihrer Macht das gute verderben koͤnnen. Nemlich hier - vor muß mit in denen Statuten und Pri - vilegien, die Schulen und Academien er - theilet werden, hinreichende Vorſehung ge - ſchehen.

§. 288.

Es haben auch Lehrende daraufLehren - de ſollen Anſehen haben. zu ſehen, daß ſie bey Lernenden in gutem Anſehen ſind, das iſt, daß die Lernenden in den Gedancken ſtehen, ſie verſtehen das - jenige, was ſie von ihnen lernen ſollen, auf das beſte. Denn wer in den Gedancken ſtehet, der andere verſtehe, was er ihn leh - ren ſoll; der glaͤubet auch, er muͤſſe das lernen, was er ihn lehret, und es auf die Art anfangen, die er vorſchreibet, folgends er - weiſet er ſich in dem, was er lernen ſoll, fleiſ - ſig. Hingegen wo man ein Mißtrauen in den Lehrenden ſetzet, als wenn er dasjenige,O 4was216Cap. 3. Von der Einrichtungwas er andere lehren will, ſelbſt nicht recht verſtuͤnde; von dem wird man nicht an - nehmen, was er ſaget, ſondern ihn mit dem, was er vorbringet, nur verlachen. Sol - chergeſtalt unterlaͤſſet man entweder gar, was man von ihm lernen ſolte, oder man wendet keinen rechten Fleiß an. Und die - ſes iſt eben die Urſache, warum man be - ruͤhmte Leute zu Lehrenden nimmet, die nem - lich bey andern ſich ſchon in den Credit ge - ſetzet, daß ſie dasjenige, was ſie lehren ſol - len, fuͤr andern wohl verſtehen. Ja eben deswegen haben ſich Lehrende zu bemuͤhen, daß ſie dergleichen Proben ablegen, wo - durch ſie einen ſolchen Ruhm erhalten koͤn - nen. Es hat uͤber dieſes auch den Nutzen, daß mehrere angelocket werden ſich ihrer Unterweiſung zu bedienen: wodurch ſie zu - gleich ihr Vortheil in Vermehrung ihres Verdienſtes befoͤrdern.

Wie ⃒ſie ſich da - rinnen erhalten.

§. 289.

Damit ſie aber bey den Lernen - den ſich in dem Anſehen erhalten, darein ſie ſich durch tuͤchtige Proben geſetzet; ſo ha - ben ſie ſonderlich in ihrer Auffuͤhrung, ja in allen Minen und Geberden, ſorgfaͤltig zu vermeiden, was ihnen unanſtaͤndig iſt. Denn da Kinder und junge Leute fuͤr andern ge - neiget ſind, an andern zu tadeln, was ſie un - ſtaͤndiges an ihnen ſehen, auch wo viele bey einander ſind, ein aufgeweckter Kopff die anderen mit auf bringet; ſo machen ſichdie217des gemeines Weſens. die Lehrenden durch eine ungeſchickte Auf - fuͤhrung in ihrem Wandel, Minen und Ge - berden bald laͤcherlich und verleiten die Ler - nenden dazu, daß ſie ihrer ſpotten: in welchem Zuſtande die Lernenden entweder auf die Gedancken gerathen, als wenn ſie das ih - rige nicht recht verſtuͤnden, weil ſie meinen ein Verſtaͤndiger koͤnne ſich nicht ſo auffuͤh - ren, oder ſich wohl einbilden, als wenn das - jenige, was ſie lehren, Sachen waͤren, die nicht viel nutzten und man daher gar wohl entrathen koͤnte, ja unterweilen wohl gar ſich und andere uͤberreden, die Sachen, ſo ſie lehreten, hinderten eine gute Auffuͤhrung und die Klngheit im Wandel: Woraus denn ferner eine Verachtung der Wiſſen - ſchafft entſtehet, und man unterlaͤſſet zu ler - nen, was man ſonſt lernen wuͤrde und ſol - te.

§. 290.

Da nun bey einem Lehrenden esWie ein Lehren - der des andern Anſehen erhalten ſoll. ſo noͤthig iſt, daß er bey den Lernenden ein gutes Anſehen hat (§. 288. 289. ); ſo iſt auch hoͤchſt noͤthig, daß, wenn viele Lehrende die Unterweiſung der Jugend in verſchiedenen Kuͤnſten und Wiſſenſchafften zugleich be - ſorgen, keiner unter ihnen etwas vorneh - me, was dem andern vorkleinerlich iſt, und demnach keiner den andern vor den Lernen - den verachte, ſondern vielmehr alles, was nachtheiliges von ihnen geſaget wird, zum beſten kehre. Wir ſind dazu ſchon durchO 5die218Cap. 3. Von der Unterrichtungdie allgemeine Pflichten verbunden (§. 807. 808. Mor.); aber hier kommt noch eine neue Verbindlichkeit dazu, daß einer des andern ſein Amt unkraͤfftig machet (§. 8. Mor.). Wir finden leider! in der Erfah - rung, daß nicht mit geringem Nachtheile der Lernenden insgemein die Lehrenden dieſer Pflicht zuwieder handeln, und einer des andern Anſehen auf allerhand Weiſe zu verkleinern ſuchet. Worans denn ferner dieſes Unheil erwaͤchſet, daß unter den ler - nenden Partheyen entſtehen, deren einige ſich an dieſen, andere an einen andern haͤn - gen, und dadurch in einen Haß gegen ein - ander entbrennen, folgends bey allerhand Gelegenheiten einer gegen den andern ſich wiedrig erzeiget (§. 454. Met.). Was mehr vor Unheil heraus kommet, lieget nicht allein am Tage; ſondern wer die Menſchen in ih - rem Thun und Laſſen kennet, kan es auch mehr als zu viel begreiffen. Warum Leh - rende einander zu verkleinern trachten, kom - met gemeiniglich daher, daß ſie an Ehre und Einkuͤnfften ungleich ſind, ob ſich gleich in ih - ren Verdienſten dergleichen Ungleichheit nicht befindet, ſondern oͤffters wohl gar das Nachſehen haben muß, der die meiſte Ver - dienſte hat. Hieraus entſtehet Neid (§. 460. Met.) und weil dieſer mit dem Haſſe verge - ſellſchafftet iſt (§. cit. ); ſo iſt man bereit aus des andern Ungluͤck Vergnuͤgen zu ſchoͤpf -fen219des gemeinen Weſens. fen (§. 454. Met.) und trachtet daher ihm dergleichen anzurichten. Derowegen waͤ - re hoͤchſt noͤthig, daß man Lehrende der Ehre u. den Einkuͤnfftennach ſo viel moͤglich gleich machte, oder, wo es nicht mit gutem Grun - de geſchehen kan, doch darauf bedacht waͤ - re, daß diejenigen, welche eine Gleichheit zu begehren befugt ſind, wenigſtens mit an - dern gleiche Hoffnung haͤtten ſich zuverbeſ - ſern: wodurch man abſonderlich auf Aca - demien verhuͤten wuͤrde, daß nicht Leute, die in einer Facultaͤt was gutes thun koͤn - nen, in eine andere verlangten, wo man ih - res gleichen, auch wohl beſſere, eher haben koͤnte, als darinnen, was ihnen zu lehren zu erſt anvertrauet worden. Hierdurch wuͤr - de man auch verhuͤten, daß theils die Lehren - den ſelbſt, theils auch die Lernenden einige Wiſſenſch afften nicht verachteten, oder we - nigſtens fuͤr geringe hielten, und andere da - gegen mehr, als ſichs gebuͤhrete, erhuͤben, dadurch aber Anlaß gaͤben, daß ihnen hin - wiederum das ihrige verkleinert wird, ſon - derlich wo man mehr Recht, als ſie, dazu hat. Es pfleget auch wohl zu geſchehen, daß aus Hochmuth und Hoffart einer den andern verachtet (§. 630. 803. 804. Mor.) Damit nun dieſes nicht geſchehe, ſo hat man zu Lehrenden Leute zu nehmen, die zwar ein ehrliebendes Gemuͤthe haben, abeꝛ doch nicht ehrgeitzig ſind (§. 597. Mor.) Es habenaber220Cap. 3. Von der Einrichtungaber die Lehrenden, die aus Hochmuth und Hoffart einander verachten, wohl zu be - dencken, daß ſie dadurch ihrer wahren Ehre ſelbſt ſchaden. Denn da Ehrgeitz, Hoch - muth und Hoffart Laſter ſind (§. 597. 630. 797. Mor.); von dem Laſter aber ſich loß reiſſen und einen untadelhaften Wandel fuͤh - ren in der That etwas groͤſſers iſt als die Erkaͤntniß vieler Dinge beſitzen, die ein jeder nicht verſtehet (§. 239. Mor.); ſo ſcha - det man dadurch gar ſeinem wahren Ruh - me bey Verſtaͤndigen. Uberdieſes giebet man dem andern Anlaß, daß er uns gleiches mit gleichem vergilt und, da ein jeder unter den Lernenden einen Anhang hat, werden auch dieſelbe rege gemacht darauf zu ſehen, wie ſie alles hervorſuchen, was ihrem Ge - gentheile auf einige Art und Weiſe nachthei - lig ſeyn kan.

Warum ein Leh - render Liebe bey den Lernen - den ha - ben ſoll.

§. 291.

Es iſt auch viel daran gelegen, daß Lehrende Liebe bey den Lernenden ha - ben. Denn wenn ſie die Lernenden auf - richtig lieben, ſo werden ſie auch nichts vor - nehmen, was ihre Lehrer mißvergnuͤget, und hingegen alles thun, was ſie vergnuͤgen kan (§. 693. Mor.). Derowegen weil ſie gar wohl begreiffen, daß es denen Lehrenden ge - faͤllet, wenn ſie die Lehren, ſo von ihnen vor - getragen werden, hochachten, und ſie ſich im Lernen fleißig erzeigen; ſo wird auch die Liebe ſie antreiben ihre Lehren mit Hochach -tung221des gemeinen Weſens. tung aufzunehmen und im Lernen ſich fleiſ - ſig zuerweiſen. Hierdurch haben nicht allein die Lernenden den Nutzen, daß ſie et - was lernen und ihre Zeit nicht vergeblich hinbringen; ſondern die Lehrenden werden auch dadurch aufgemuntert ſich ſelbſt in Erkaͤntniß der Wahrheit noch immer mehr zu gruͤnden.

§. 292.

Wenn demnach die LernendenVorſor - ge der Lehren - den fuͤr die Ler - nenden. was tuͤchtiges lernen ſollen, ſo muͤſſen die Lehrenden auch davor ſorgen, daß ſie ih - re Lehren nicht verachten und entweder gar nicht anhoͤren, oder doch nur zu einem Ohre hinein, zum andern wieder heraus - laſſen. Derowegen iſt nicht allein noͤthig, daß ſie in Erfahrung kommen, wie die Ler - nenden ihre Lehren faſſen; ſondern auch zugleich vermoͤgend ſind ſie zum Lernen zu verbinden. Das erſte geſchiehet durch Examiniren, wenn ſie nemlich dnrch ge - ſchickte Fragen erforſchen, ob ſie dasjenige verſtehen, was ſie gelernet, und wieder die Einwuͤrffe, die ſie ihnen machen, vertheidi - gen koͤnnen. Zu dem Ende waͤre dienlich, wenn man dergleichen Unterſuchungen an - ſtellete, theils ehe die Lernenden die ihnen vorgetragene Lehren durch ihren beſondern Fleiß wiederholet, theils nachdem dieſe Wiederholung geſchehen. Jm erſten Fal - le wuͤrde man Gelegenheit bekommen theils ihre Faͤhigkeit zu beurtheilen, theils auch zuerken -222Cap. 3. Von der Einrichtungerkennen, ob ſie wohl darauf acht gehabt oder nicht: im andern Falle hingegen wuͤr - de der Fleiß bekandt, den ſie im Studiren beweiſen. Auſſer dieſen Unterſuchungen waͤre auch dienlich, wenn man ihnen Ein - wuͤrffe machte, um zu ſehen, wie ſie dieſelben beantworten wuͤrden: woraus man am allermeiſten erkennen kan, ob einer eine Sa - che recht inne hat, oder nicht. Wer ſie ge - gen Einwuͤrffe, die er vorhin noch nicht ge - hoͤret, wohl vertheidigen kan, der muß ſie auch wohl inne haben. Ja man ſollte ſie nach dieſem auch vor ſich Einwuͤrffe machen, und ihre Zweiffel, die ihnen bey den vorge - tragenen Lehren entſtehen, vorbringen laſſen, damit man ihnen dieſelbe benehmen und ſie ihrer Meinung gewiß machen kan. Wenn ein Lehrer auf ſolche Weiſe die Faͤhigkeit der Lernenden und ihren Fleiß genau erkannt hat; ſo iſt er auch in dem Stande in ſeinem Vortrage ſich darnach zurichten, damit er weder durch die Kuͤrtze unverſtaͤndlich, noch durch allzugroſſe Weitlaͤufftigkeit beſchwer - lich wird. Wie die Dunckelheit Verdruß erreget; ſo erwecket im Gegentheile allzu - groſſe Weitlaͤufftigkeit nicht geringere, ab - ſonderlich bey denen, die einen groſſen Eiffer haben bald viel zu lernen. Daß Lehrer auch Gewalt haben muͤſſen Lernende zu ver - binden ihre Lehren mit Bedacht anzuhoͤ - ren und fleißig zu wiederholen, begreiffetman223des gemeinen Weſens. man leicht. Denn ohne dieſes pfleget es zu geſchehen, daß die Lernenden entweder eine Sache gar verachten und nicht einmahl kommen ſie anzuhoͤren, oder doch wenigſtens nicht recht darauf acht haben, noch mit Fleiß wiederhohlen. Wo Lernende vor ſich verſtehen, was ihnen gut iſt, und eine Luſt zu lernen haben, da braucht es dieſer Verbindlichkeit nicht (§. 24. Mor.): hingegen wo ſie nicht wiſſen, was ihnen gut iſt, und Gelegenheit ſich er - eignen kan, daß ſie durch ungegruͤndete Vorſtellungen abgehalten werden zu lernen, was ſich gebuͤhrete, da wird ſie hauptſaͤch - lich erfordert. Und iſt dannenhero ein groſ - ſer Verderb, wenn man den Lernenden hierinnen voͤllige Freyheit uͤberlaͤſſet, daß ſie zu ihrem groſſen Schaden entweder gar nicht lernen, was ihnen hoͤchſtnoͤthig u. nuͤtz - lich waͤre, oder doch zur Unzeit, indem ſie nachſetzen, was vorher gehen ſolte und zu erſt lernen, was ſich zuletzt zu lernen gehoͤrete. Aus welcher Unordnung erfolget, daß ſie mit vielem Fleiße und Bemuͤhung nichts gruͤndliches lernen, auch dasjenige, was ſie endlich ins Gedaͤchtniß faſſen, nur oben - hin zu lernen mehr Zeit und Muͤhe anwen - den muͤſſen, als ſie ſonſt eben daſſelbe aus dem Grunde zu lernen nicht noͤthig haͤtten. Die taͤgliche Erfahrung bekraͤfftiget dieſes auf unſern Univerſitaͤten und iſt nicht noͤthigſol -224Cap. 3. Von der Einrichtungſolches durch Gruͤnde weitlaͤufftig zu beſtaͤ - tigen. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß wenn die Lehrenden Gewalt haben die Freyheit der Lernenden im Lernen einzuſchraͤncken, ebenfalls viel Unheil daraus erfolgen kan, wofern ſie nemlich ſelbſt nicht verſtehen, was einem zu lernen dienet, der ſich durch gruͤnd - liche Wiſſenſchafft zu einer kuͤnfftigen Le - bens-Art zubereiten will. Allein dieſem Fehler kan man gar leicht abhelffen, wenn man durch gute Geſetze und Ordnung vor - ſchreibet, was ein jeder zu lernen hat und in welcher Ordnung er ſtudiren muß: hinge - gen den Lehrern ſo wenig verſtattet, etwas aus Ungehorſam gegen die hohe Obrigkeit, von der ſie ihr Amt haben, nach ihrem eige - nen Duͤnckel darinnen zu aͤndern, als man den Lernenden erlaubet nach ihrem eigenen Gefallen ihr Studiren einzurichten. Unein - geſchrenckte Macht andere zu verbinden iſt allezeit gefaͤhrlich und muß memanden uͤber - laſſen werden: es folget aus Unverſtande, Jrrthum und interesſirten Abſichten gar leicht ein ſchaͤdlicher und Landverderblicher Mißbrauch.

Was fuͤr eine Wahl bey Ler - nenden anzuſtel - len.

§. 293.

Was nun ferner die Lernenden betrifft, ſo hat man auf vieles zu ſehen, wo - ferne man in einem Lande gute Kuͤnſte und Wiſſenſchafften in Aufnehmen zu bringen geſonnen iſt. Fuͤr allen Dingen hat man davor zu ſorgen, daß niemand etwas zu ler -nen225des gemeinen Weſens. nen zu gelaſſen wird, als der dazu benoͤ - thigte Faͤhigkeit und Luſt hat. Denn wo es an einem von beyden fehlet, da wird nichts rechtes gelernet. Faͤhlet Faͤhigkeit, ſo richtet man mit allem Fleiße nichts aus, wie ein jeder vor ſich verſtehet. Mangelt die Luſt, ſo will man nicht lernen, was man koͤnnte, und mangelt daher auch der Fleiß, ohne welchen keine Fertigkeit zu erreichen ſtehet (§. 525. Met.). Und hierzu dienen diejenigen Ubungen, welche lehrende mit lernenden anzuſtellen haben (§. 292) Wie viel aber in einem Lande daran gelegen ſey, daß man hierauf auf das allerſorgfaͤltigſte acht hat, laͤſſet ſich leicht zeigen. Wenn man Leute ſtudiren laͤſſet, die keine Faͤ - higkeit haben, oder denen es wenigſtens an gehoͤriger Luſt fehlet, ſo bekommet man Gelehrte, die das ihrige nicht recht verſte - hen, und daher denen Aembtern, dazu ſie hernach gezogen werden, vorzuſtehen nicht geſchickt ſind, ſondern vielmehr allerhand Unheil anrichten. Pfleget es wohl gar zu geſchehen, daß ſie mit unter die Lehrer erhoben werden; ſo ſind die Lernenden mit ihnen ſchlecht verſorget und koͤnnen zu kei - ner gruͤndlichen Erkaͤntnis gelangen, wenn ſie gleich noch ſo große Faͤhigkeit und Luſt haben, auch allen ihnen moͤglichen Fleiß anzuwenden ſich angelegen ſeyn laſſen. Und ſolcher geſtalt koͤmmt es mit den Wiſ -(Politick) Pſen -226Cap. 3. Von der Eintichtungſenſchafften und guten Kuͤnſten immer wei - ter herunter.

Wie es mit Sti - pendien zu halten

§. 294.

Weil es nun aber ſich nicht all - zeit fuͤget, daß diejenigen, welche von Na - tur geſchickte Koͤpffe zum ſtudiren bekom - men, und Luſt dazu haben, auch mit genug - ſamen Mitteln verſehen ſind, die was gruͤnd - liches zu erlernen erfordert werden, ſo hat man davor zuſorgen, wie ihnen durch zu - reichende Huͤlffe, die dazu benoͤthigten Mittel verſchaffet werden (§. 769. Mor.): dergleichen Gelder man Stipendien zu nennen pfleget. Man ſiehet demnach hier - aus, daß es unrecht iſt, wenn man Stipen - dien denen zngenießen giebet, die vor ſich Mittel haben zum ſtudiren (welches auch ſchon aus den allgemeinen Pflichten der Menſchen gegen einander (§. 769. Mor.) erhellet); oder auch denen, die ungeſchickt ſind etwas tuͤchtiges zulernen: denn da man ſie gar nicht ſoll ſtudiren laſſen (§. 293), ſo kan man ihnen um ſo viel weni - ger behuͤlfflich ſeyn. Ferner iſt es auch un - recht dergleichen Wohlthat denen zu er - zeigen, die zum ſtudiren keine rechte Luſt ha - ben, und ſie nur uͤbel anwenden, und zwar aus eben der Urſache, die erſt jetzt beruͤhret worden. Weil man aber darauf zuſehen hat, daß alle diejenigen, welche etwas ler - nen wollen, daſſelbe gruͤndlich lernen (§. 293); ſo iſt noͤthig, daß man zum ſtudi -ren227des gemeinen Weſens. ren geſchickte Koͤpffe, und die Luſt haben etwas gutes zulernen, auch reichlich verſor - get, damit ſie in den Stand geſetzet wer - den, etwas gruͤndliches zu ſtudiren. Je - doch doͤrffen ſie auch nicht uͤberfluͤßig haben, weil der Uberfluß leicht zur Wolluſt leitet, dadurch das ſtudiren nachgeſetzet wird. Und iſt es beſſer, wenn es etwas kuͤmmerlich hergehet, daß ſie nem - lich alles wohl zurathe halten muͤſſen, wenn ſie auskommen wollen. Man handelt demnach uͤbel, wenn man die Stipendien - Gelder dergeſtalt eintheilet, daß keiner da - durch in den Stand geſetzet wird etwas tuͤchtiges zu lernen; ſondern nur viele ih - ren kuͤmmerlichen Unterhalt finden. Es kommet nicht auf die Menge an, die ver - ſorget werden. Ein geſchickter Mann, der durch dergleichen Huͤlffe erzogen worden, nutzet dem Lande und dem gantzen menſch - lichen Geſchlechte mehr, als gantze Schaa - ren duͤrfftiger Gelehrten, die nichts rechtes gelernet, und dem Lande nur zur Laſt wer - den, weil man ſie zu nichts tuͤchtigem ge - brauchen kan, oder auch gar zum Ungluͤck, wenn ſie zu Dienſten gezogen werden, de - nen ſie nicht vorſtehen koͤnnen. Es iſt aber auch dieſes nicht zu vergeſſen, daß unter - weilen zum ſtudiren tuͤchtige Leute wohl einige Mittel haben, die doch aber nichtP 2voͤl -228Cap. 3. Von der Einrichtungvoͤllig zureichen, wenn ſie etwas gruͤndli - ches erlernen ſollen, und ſich uͤbrigens zu einer kuͤnfftigen Bedienung zum Nutzen des Landes geſchickt machen ſollen. De - nen muß man mit wenigerem als den an - dern unter die Armen greiffen, ſo weit es nemlich ihr Zuſtand erfordert (768. 769. Mor.). Auch iſt zu mercken, daß, was von Stipendien Geldern geſaget worden, nicht allein auf diejenigen gehet, welche auf Aca - demien Wiſſenſchafften und andere freye Kuͤnſte erlernen; ſondern auch uͤberhaupt auf alle uͤbrige, die in niedrigen Schu - len ſo was ſchlechtes lernen, als ſie zu ih - rer kuͤnfftigen Lebens-Art von noͤthen ha - ben, wie nicht weniger auf die, welche nuͤtzliche Kuͤnſte und Handthierungen zu lernen haben. Der Beweis iſt einerley mit dem vorigen, wie ein jeder, der nur ein wenig darauf acht hat, vor ſich gar leicht ſiehet.

Daß die Menge der ſtu - direnden abzuhal - ten.

§. 295.

Da man davor zu ſorgen hat, daß in einem Lande, von einem jeden Stande ſo viel vorhanden ſind, als es die gemeine Wohlfahrt erfodert (§. 274); ab - ſonderlich aber bekand iſt, daß Gelehrte, wenn ſie nicht in Bedienungen leben, nichts erwerben koͤnnen, und dannenhero dem Lande nothwendig eine Laſt ſind, weil an - dere ſie unterhalten muͤſſen; ſo hat man auch zu veranſtalten, daß nicht zu vieleſtu -229des gemeinen Weſens. ſtudiren, und hauptſaͤchlich diejenigen zu - ruͤcke bleiben muͤſſen, die entweder keine Mittel, oder kein Geſchicke haben etwas rechtes zu lernen, am allermeiſten aber die - jenigen, denen es an beydem fehlet. Die hin - gegen befoͤrdern gar ſchlecht die Wohl - fahrt des Landes, welche durch kuͤmmer - liche Allmoſen allerhand zum ſtudiren un - tuͤchtige Leute dazu anlocken, damit ſie ihrer Faulheit ein Genuͤgen thun, und der Arbeit entgehen koͤnnen.

§. 296.

So lange einer noch nicht desWarum lernende die Gele - genheit zur Wol - luſt zu beneh - men. guten gewohnet iſt, muß man ihm die Ge - legenheit boͤſes zuthun benehmen (§. 385. Mor.). Derowegen weil die Jugend zur Wolluſt geneiget iſt (§. 469. Mor.), die Wolluſt aber ſie von dem Fleiße abziehet, der zum ſtudiren erfordert wird, wo man was rechtes lernen will (§. cit. ); ſo muß man auch auf Schulen und Academien die Gelegenheit zur Wolluſt benehmen, ſoviel als nur immer moͤglich iſt. Es kom - met auch dieſer Schaden daraus, daß die der Wolluſt ergebene das Geld zu allerhand Uppigkeit anwenden, was ſie auf ihren noͤthigen Unterhalt und auf das ſtudiren wenden ſollten. Daher gerathen ſie entweder in Schulden und betruͤgen die, ſo ihnen getrauet, oder ſie verſchwen den ih - nen und den Eltern das ihrige, welches ſie nach dieſem in ihrem kuͤnfftigen Leben haͤttenP 3beſſer230Cap. 3. Von der Einrichtungbeſſer brauchen koͤnnen. Um dieſem Unheil vorzukommen, waͤre es gut, wenn auf Aca - demien dergleichen Einrichtungen waͤren, daß die ſtudirenden das zu noͤthigen Aus - gaben gewiedmete Geld nicht an ungebuͤh - renden Orten anwendeten.

Warum man ih - nen eini - ge Er - goͤtzlich - lichretten zuzulaſ - ſen.

§. 296.

Der Menſch iſt verbunden al - les zu vermeiden, was ſeiner Geſundheit ſchaden kan (§. 447. Mor.). Durch ſte - tes ſitzen und ſtudiren leidet die Geſund - heit des Leibes Abbruch: welches wir als eine bekandte Sache aus der Erfahrung annehmen. Derowegen ſoll man auch nicht durch ſtetes ſitzen und ſtudiren ſeiner Geſundheit ſchaden. Und demnach muͤſ - ſen auch lernende nicht ſtets ſitzen und ſtu - diren; ſondern unterweilen Abwechslun - gen haben, da der Leib durch bequeme Be - wegungen erfriſchet, das Gemuͤthe aber durch andere Gedancken ermuntert wird. Wie die Ergoͤtzlichkeiten, die bey dem ſtu - diren zu untermengen ſind, beſchaffen ſeyn muͤſſen, laͤſſet ſich aus vielen Gruͤnden be - urtheilen. Weil ein jeder Menſch verbun - den iſt, alle beſondere Abſichten dergeſtalt mit einander zu verbinden, daß immer eine ein Mittel zur andern wird (§. 140. Mor.); ſo muß auch die Ergoͤtzlichkeit dem ſtudi - ren keinen Eintrag thun, und wird dem - nach alles verworffen, was auf einige Art und Weiſe dem ſtudiren etwas hinder -liches231des gemeinen Weſens. liches nach ſich ziehen, oder auch zu ande - ren mehr Luſt als zum ſtudiren machen kan, hingegen findet ſtat fuͤr allem ande - ren, was dem ſtudiren foͤrderlich iſt und die Luſt dazu vermehret. Z. E. uͤbermaͤßiges Trincken beſchweeret das Haupt und ma - chet es zum ſtudiren den folgenden Tag un - geſchickt. Es mattet den Leib ab, daß man den folgenden Tag nicht ſo fleißig, wie ſonſt das ſeine verrichten kan. Derowegen iſt es keine Ergoͤtzlichkeit fuͤr ſtudirende, wenn wir gleich bey Seite ſetzen, daß es uͤber - haupt ein ſchaͤdliches Laſter fuͤr alle Men - ſchen iſt (§. 480. Mor.). Gleichergeſtalt mit Schreyen und Singen Lermen nimmet den Kopff ſo ein, daß einem des folgenden Ta - ges der Schall von dem Singen beſtaͤn - dig in Ohren erklinget. Da nun hier - durch die Aufmerckſamkeit gehindert wird, welche bey dem ſtudiren hoͤchſt noͤthig iſt; ſo iſt Lermen mit Schreyen und Singen keine Ergoͤtzlichkeit, die ſich fuͤr ſtudirende ſchicket. Auf eine gleiche Art laͤſſet ſich zeigen, daß Umgang mit Weibs - Perſo - nen, abſonderlich wenn er allzufrey iſt, ſich fuͤr ſtudirende nicht ſchicket. Hingegen da ein Spatziergang in einem Garten mit einem Freunde, mit dem man erbauliche Diſcurſe fuͤhren kan, dem ſtudiren nicht hinderlich, ſondern vielmehr foͤrderlich iſt, indem man dadurch einen neuen TriebP 4be -232Cap. 3. Von der Einrichtungbekommet zu lernen, was einem noch feh - let; ſo iſt daſſelbe eine Ergoͤtzlichkeit, die ſich fuͤr ſtudirende ſchicket, und ſolte man daher auf Academien bedacht ſeyn, wie man zu angenehmen Spatziergaͤngen Ge - legenheit verſchaffte. Auf eine gleiche Weiſe laͤſſet ſich erweiſen, daß die Caffée - Haͤuſer bey der Einrichtung, die man in Engelland hat, eine den Gelehrten gezie - mende Ergoͤtzlichkeit geben und zwar mit beſondern Vortheilen, die auf eine andere Weiſe vielleicht nicht ſo leicht zu erhalten ſtehen. Denn 1. bekommet man allerhand Leute zu ſprechen, zu denen man ſonſt nicht gelangen wuͤrde, ja mit denen man auf eine andere Weiſe umzugehen oͤffters Be - dencken tragen muͤſte, und gewinnet da - durch Anlaß zu allerhand nuͤtzlichen Ge - dancken, auf die man ſonſt nicht kommen wuͤrde. Man gewoͤhnet ſich auch auf ſol - che Weiſe mit allerhand Leuten umzuge - hen und ſich in jedermann zu ſchicken: Wovon im menſchlichen Leben nach dem verſchiedenen Stande, darinnen einer le - bet, wiederumb gar viel herruͤhret. 2. Man verſchwendet nicht unnoͤthiger Wei - ſe das Geld; 3. noch verderbet durch unmaͤßiges Freſſen und Sauffen ſeine Geſundheit, wie bey denen ſonſt gewoͤhn - lichen Schmauſereyen und Beſuchungen zu geſchehen pfleget. 4. Man hat Gele -genheit233des gemeines Weſens. genheit von allerhand nuͤtzlichen Dingen zu reden, abſonderlich von dem, was neu - es entweder in dem Staate, oder der ge - lehrten Welt vorgehet. Und 5. wird ei - ner durch den andern aufgemuntert, ſo wohl zur Gelehrſamkeit, als zu geſchick - ter Auffuͤhrung. Jch meine, wer dieſes mit Bedacht erwegen will, wird nicht zweiffeln, daß die Veraͤnderung, welche ein Gelehrter finden kan, ſo beſchaffen iſt, wie vorhin erfordert worden. Man ſie - het aber auch leicht, daß bey unſerer Ein - richtung, wo man mit Spielen und oͤff - ters auch anderer verbothenen Luſt Uppig - keit treibet, dieſes alles nicht zu erhalten ſtehet. Wie weit man unter die denen Studirenden geziemende Ergoͤtzlichkeiten die Spiele rechnen darff und was bey ih - nen in Obacht zu nehmen, laͤſſet ſich aus dem beurtheilen, was oben (§. 105) von dem Spielen der Kinder errinnert worden.

§. 298.

Weil die Lehrenden Liebe beyWar - umb ſt - nicht allzu ſtreng zu halten. den Lernenden haben ſollen (§. 292), die Lernenden aber vermeinen, daß ihnen un - recht geſchiehet, wenn man ihnen allzu ſcharff begegnet, das iſt, ihre Freyheit mehr einſchraͤncket, als ſie begreiffen, daß es noͤthig iſt, und ihre Verſehen mehr ahndet, als ſie erkennen, daß ſie es ver - dienet haben; daraus aber nichts anders als Haß gegen die Lehrer erwachſen kanP 5(§.234Cap. 3. Von der Einrichtung(§. 454. Met.); ſo ſollen Lernende nicht allzu ſcharff gehalten werden, das iſt, man ſoll ihre Freyheit nicht mehr einſchraͤncken als noͤthig iſt, und, wo man ſolches zu thun noͤthig befindet, ihnen zugleich klare und deutliche Gruͤnde beybringen, war - umb es geſchiehet, damit ſie erkennen, wie es zu ihrem Beſten gereichet, und - berdieſes ſie nicht eher ſtraffen, bis ſie er - kennen, daß ſie es verdienet, auch ſie auf eine beqveme Art uͤberfuͤhren, wie ſie dergleichen Grad der Straffen ſehr wohl verdienet, und man dadurch ihre und an - derer Beſſerung ſuchet. Lehrer vertreten die Stelle derer Vaͤter (§. 87); Vaͤter aber ſuchen ihre Kinder nicht zu verder - ben, ſondern durch Zuͤchtigungen zu beſ - ſern.

Noth - wendig - keit der Aeademie der Wiſ - ſenſchaff - ten.

§. 299.

Da es nicht moͤglich iſt, daß diejenigen, welche mit andern Verrich - tungen Ambtes wegen ihre Zeit zubrin - gen muͤſſen, die Wiſſenſchafften und Kuͤn - ſte durch neue Erfindungen vermehren und ihre Aufnahme beſorgen koͤnnen, ob ſie gleich dazu geſchickt ſind, auch es ihnen an Luſt ſolches zu vollbringen gar nicht fehlet, indem man nicht zweyerley zu einer Zeit auf einmahl thun kan, auch da der Kopf mit andern die Ambts-Ver - richtungen betreffende Dinge eingenom - men iſt, man nicht einmahl Anlaß bekom -met,235des gemeinen Weſens. met, an andere Dinge zu gedencken, (§. 864. Met.), vielmehr von der Einbildungs - Krafft beſtaͤndig geſtoͤhret wird (§. 238 Met.); ſo muͤſſen in einem wohlbeſtellten Staate beſondere Perſonen darzu erweh - let werden, deren ihre Ambts-Verrich - tungen darinnen beſtehen, daß ſie durch neue Erfindungen die Wiſſenſchafften und Kuͤnſte vermehren und ihre Aufnahme be - ſorgen. Dergleichen Geſellſchafften, da man mit vereinigten Kraͤfften fuͤr die Auf - nahme die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſor - get, pfleget man Academien der Wiſ - ſenſchaften, ingleichen Societaͤten der Wiſſenſchaften (§. 2) zu nennen.

§. 300.

Es hat demnach die AcademieJhre Ab - ſichten und Ver - richtun - gen. der Wiſſenſchaften eine doppelte Abſicht. Einmahl ſoll ſie die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, ſie moͤgen Nahmen haben, wie ſie wollen, in groͤſſere Aufnahme brin - gen: Darnach auch dieſelben durch neue Erfindungen vermehren (§. 299. Polit. & §. 255. Mor.). Damit ſie nun die erſte Abſicht erreiche, ſo muß ſie alle Wahr - heit ſammlen, die entweder in oͤffentli - chen Schrifften, oder auch unter Leuten von allerley Stande und Profeßionen an - zutreffen, 2. ſie mit gehoͤriger Schaͤrffe, auch tuͤchtigen Proben unterſuchen und 3. was in dieſer Unterſuchung richtig befun - den worden, in gehoͤrige Ordnung brin -gen,236Cap 3. Von der Einrichtunggen, das iſt, mit einander verknuͤpffen. Umb der anderen Abſicht willen muß ſie die bereits erkandten Wahrheiten - berlegen, damit ſie andere daraus entde - cke (§. 1. & ſeqq. c. 6. Log. ), und mit nicht geringem Fleiſſe die Fehler und Maͤngel, welche ſich in denen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten finden, anmercken, damit ſie zu neuen Erfindungen Anlaß bekomme.

Was fuͤr Mitglie - der dazu zu neh - men.

§. 301.

Weil nun die Academie der Wiſſenſchaften die Wahrheit muß gruͤnd - lich unterſuchen und auf untruͤgliche Pro - ben ſtellen, auch neue erfinden koͤnnen (§. 300); ſo muͤſſen dazu Leute genommen werden, die ſowohl in der Erfahrungs - und Verſuch-Kunſt, als in der Erfin - dungs-Kunſt (§. 330. 362. Met.) oder wenig - ſten in einer von dieſen dreyen, geuͤbet, oder auch den Zuſtand der Wiſſenſchaff - ten und Kuͤnſte unterſuchen und ihre Feh - ler und Maͤngel anzumercken geſchickt ſind. Da es aber nicht anders moͤglich iſt zu er - kennen, wie weit es einer oder der andere in dieſem Stuͤcke gebracht, als wenn er genug - ſame Proben abgeleget; ſo muß auch kei - ner in die Academie der Wiſſenſchaften, als ein beſoldetes Mitglied angenommen werden, der nicht durch zureichende Pro - ben erwieſen, was er zu thun faͤhig iſt. Weil man aber auch Anlaß zum Erfin - den haben muß und an allen Orten nichtalles237des gemeinen Weſens. alles vorfaͤllet, dabey auch Maͤngel und Fehler zum Erfinden Anlaß geben; ſo kan man auſſer den beſoldeten Mitgliedern auch andere, ſonderlich auswaͤrtige zu Correſpondenten annehmen, die, was ih - nen vorkommet, an die Academie der Wiſſenſchaften berichten.

§. 302.

Die beſoldeten Mittglieder der Academie der Wiſſenſchaften ſollen ihre Zeit mit ſolchen Verrichtungen zubrin - gen, welche der Abſicht der Academie ge - maͤß ſind (§. 301) und demnach auſſer an - dern Bedienungen leben. Derowegen muͤſſen ſie auch ſoviel Beſoldung haben, daß ſie beqvem davon leben koͤnnen. Und damit die Wiſſenſchaften durch ihre Auf - fuͤhrung nicht in Verachtung kommen; muß die Beſoldung auch zureichend ſeyn, ſich ſo aufzufuͤhren, wie andere von vor - nehmem Stande (§. 458. 492. &c. Mor.). Jch weiß wohl, daß einige dieſe Wahrheit nicht begreiffen: allein ſie vergeſſen, daß ſie in der Welt leben, wo alles nach Meinungen gehet, und man dannenhero den Meinungen ſo weit nachgeben muß, als ſich mit Beſtande der Wahrheit thun laͤſſet, woferne man nicht dem Reiche der Wahrheit ſelbſt Abbruch thun will. Und uͤberhaupt bleibet wahr, daß auch die vergaͤngliche Luſt doch eine Luſt iſt und, wenn eine der andern in einer unverruͤck -ten238Cap. 3. Von der Einrichtungten Reihe folget, ſie einer beſtaͤndigen und unvergaͤnglichen gleich wird. De - rowegen kommet es nur darauf an, daß man vergaͤngliche Luſt der beſtaͤndigen gleich zu machen trachtet: Welches ge - ſchiehet, wenn man ſie dergeſtalt gebrau - chet, daß ſie der beſtaͤndigen keinen Ein - trag thut, noch auch Unluſt nach ſich ziehet. Da nun hierzu groſſer Verſtand und viele Klugheit erfordert wird, abſon - derlich da der rechte Gebrauch der ver - gaͤnglichen Luſt und die Art und Weiſe ſie der beſtaͤndigen gleich zu machen noch zur Zeit in keine Regeln gebracht wor - den; ſo iſt es kein Wunder, wenn wir wenige Menſchen finden, die das vergaͤng - liche mit dem unvergaͤnglichen auf gehoͤ - rige Weiſe zu vereinigen wiſſen, ſondern vielmehr taͤglich erfahren, daß die mei - ſten einig und allein auf das vergaͤng - liche, andere wenige hingegen auf das unvergaͤngliche ſehen. Woraus nach die - ſem erfolget, daß, da der erſtere Hauffe der groͤſte iſt, gruͤndliche Wiſſenſchaff - ten bey den meiſten in Verachtung gerah - ten, und dadurch in ihrer Aufnahme gar ſehr gehindert werden: Welches der Ab - ſicht der Academie der Wiſſenſchafften zu - wieder laͤufft (§. 300).

Wie ſie ſich in Samm -

§. 303.

Weil die Academie der Wiſ - ſenſchafften bloß Wahrheiten ſammlen, er -fin -239des gemeinen Weſens. finden und in Ordnung bringen ſoll (§. lung der Wahr - heit zu verhal - ten.300); ſo muß ſie ſich enthalten von al - lem, was aus willkuͤhrlich angenomme - nen Gruͤnden geſchloſſen wird und lieber den Grund ausgeſetzet laſſen, wen ſie ihn nicht erreichen kan, als nach eigenem Gutduͤncken erdichten. Denn dergleichen erdichtete Gruͤnde halten den Fortgang der Wahrheit auf, theils weil man nicht weiter nachſuchet, was man ſchon zu ha - ben vermeinet, theils weil man nicht e - her weiter daraus etwas ſicher ſchlieſſen kan, bis die Gruͤnde in Richtigkeit geſe - tzet worden. Derowegen muß ſie nicht e - her eine Wahrheit in ihre Sammlung nehmen und im Nachdencken als einen Grund andere daraus zu ſchlieſſen brau - chen, biß ſie dieſelbe entweder in der Er - fahrung gegruͤndet befunden, oder durch einen unumbſtoͤßlichen Beweis beſtaͤtigen kan: Wozu die Regeln dienen, die ich in den Gedancken von den Kraͤfften des Verſtandes erklaͤret und zur Unterſuchung der Wahrheit zu gebrauchen in dem 9. Capitel angewieſen habe.

§. 304.

Derowegen muß man ihr kei -Sie muß Freyheit haben die Wahr - heit zube - kennen. ne Meinung als Wahrheiten aufdringen, noch ſie an die Lehren gewiſſer Weltwei - ſen und anderer Gelehrten binden, daß ſie ihre Erfindungen denen gemaͤß einrich - ten; ſondern ihr vielmehr voͤllige Frey -heit240Cap. 3. Von der Einrichtungheit laſſen. Es kan nicht neben einander beſtehen, einem auftragen alles, was als Wahrheit angegeben wird, auf das ſchaͤrf - ſte zu unterſuchen, und nichts anzuneh - men, als was man richtig befindet, und doch zugleich anbefehlen, dasjenige als wahr anzunehmen, was ein gewiſſer Mann davor gehalten. Man weiß lei - der! zur Gnuͤge auch aus der Erfahrung, daß eben dieſes das Mittel iſt den Fort - gang der Wiſſenſchafften zu hindern. Es iſt aber aus dieſer Freyheit nichts gefaͤhr - liches zu beſorgen. Denn da in die Aca - demie der Wiſſenſchaften niemand als ein beſoldetes Mitglied genommen wird, als der die Wahrheit gruͤndlich zu unterſuchen geſchickt iſt, die Wahrheit aber, wenn ſie nicht zur Unzeit vorgetragen wird, kei - nen Schaden ſtifften, auch keiner anderen bereits erkandten Wahrheit zuwieder ſeyn kan, wegen ihrer Verknuͤpffung, die alle mit einander haben (§. 42. Met.); ſo ſiehet man nicht, was ſchaͤdliches daraus erfol - gen kan. Denn wenn man was ſchaͤdli - ches beſorgen wollte, ſo muͤſten es Meinun - gen ſeyn, die entweder der Religion, oder dem Staate, oder einem ehrbahren Wan - del zuwiederlieffen. Da nun die Acade - mie der Wiſſenſchafften keine Meinungen annimmet, ſondern nur ausgemachte Wahrheiten, von Wahrheiten aber keinEin -241des gemeinen Weſens. Eintrag in der Religion, dem Staate und einem ehrbahren Wandel zu beſorgen iſt; ſo kan auch die Freyheit der Acade - mie zu nichts gefaͤhrlichem ausſchlagen.

§. 305.

Weil die Academie der Wiſſen -Was ſie bey Kirn - ſten und Hard - wercken zu thun hat. ſchafften alle Wiſſenſchafft und Kuͤnſte, ſie moͤgen Nahmen haben, wie ſie wollen, in groͤſſere Aufnahme bringen ſol (§. 300); ſo muß ſie auch alles unterſuchen, was bey dem Acker-Baue, bey dem Garten-Baue, der Viehzucht, mit einem Worte, alles was zum Land-Leben gehoͤret, wie nicht weniger alle Kuͤnſte und Handwercke, ab - ſonderlich diejenigen, welche zur Erkaͤnnt - niß der Natur etwas beytragen, und hin - wiederum durch dieſelbe, ingleichen durch die Mathematick ſich verbeſſern laſſen. Und demnach haben alle dieſe Kuͤnſte und Hand - thierungen ihrer Aufnahme ſich zugleich zu getroͤſten. Damit aber dieſer Zweck errei - cket werde, ſo hat nicht allein die Acade - mie der Wiſſenſchafften von allen erwehn - ten Kuͤnſten und Handthierungen genaue Beſchreibungen zu verfertigen, ſondern zu - gleich von allem, was dabey vorkommet, den Grund zu unterſuchen und zu uͤberle - gen, worinnen jedes noch koͤnne verbeſſert werden, und ſolcher Geſtalt die Kuͤnſte und Handthierungen in Wiſſenſchaften zu brin - gen: welches eine fuͤr das menſchliche Ge - ſchlechte ſehr nuͤtzl. Arbeit iſt (§. 369. Mor.).

(Politick) Q§. 306.242Cap 3. Von der Einrichtung
Was ſie bey den Staats - Wiſſen - ſchafften zu thun hat.

§. 306.

Aus eben der Urſache, weil die Academie der Wiſſenſchaften alle Wahr - heit ſammlen, und durch neue Erfindungen vermehren ſol (§. 300); ſo muß ſie al - le Einrichtungen, die man in einem Staa - te hat, ſie moͤgen Policey-Cammer - oder andere Sachen betreffen, ſo ſorgfaͤltig als andere Wahrheiten unterſuchen und durch genaue Uberlegung erwegen, was das be - ſte iſt, und zwar um ſo vielmehr, je gewiſ - ſer man aus der Erfahrung weiß, daß nicht allezeit mit gnungſamem Bedacht derglei - chen Einrichtungen geſchehen, theils weil diejenigen, welche davor zu ſorgen haben, zu groſſen und weitlaͤufftigen Uberlegungen entweder nicht geſchickt ſind, oder wegen vielfaͤltiger anderer Verrichtungen nicht Zeit dazu haben; theils weil ſie insgemein nur nachthun, was ſie bey andern geſehen, wobey aber gar leicht gefehlet wird, wenn man nicht die Vernunfft mit zu Rathe zie - het (§. 376. Met.). Es hat demnach die A - cademie der Wiſſenſchafften ſich in Aufloͤ - ſung ſolcher Aufgaben, die zum Nutzen des Staats gereichen, mit Fleiß zu uͤben.

Einwuꝛf wird be - antwor - tet.

§. 307.

Jch achte es fuͤr unnoͤthig meh - rere Sachen zu erzehlen, damit die Acade - mie der Wiſſenſchaften beſchaͤftiget ſeyn ſol. Denn da ich uͤberhaupt erinnert, ſie ſol alle Wahrheiten ſammlen, unterſuchen und durch neue Erfindungen vermehren,auch243des gemeinen Weſens. auch in gute Ordnungen bringen, ſo bald ein Vorrath derſelben vorhanden (§. 300); ſo wird man bey vorfallender Gelegenheit leicht urtheilen koͤnnen, was die Academie der Wiſſenſchaften hier und dort zu thun hat. Nur muß ich noch einen Zweifel he - ben, der hier bey einem entſtehen koͤnnte. Vielleicht werden einige meinen, es ſey nicht moͤglich, daß die Academie der Wiſ - ſenſchaften ſich in ſo viele und weitlaͤufftige Dinge mengen koͤnne. Allein man wird ſich leicht begreiffen, wenn man nur auf folgendes acht zu haben beliebet. Einmal iſt gewiß, daß die Academie der Wiſſen - ſchafften aus verſchiedenen Perſonen beſte - het, welche die verſchiedene Arbeit mit ein - ander theilen. Und alſo iſt nicht noͤthig, daß ein jeder ſich in alles menge, oder auch in aller Art der Wiſſenſchafften vortreflich erfunden werde. Darnach muß man wohl erwegen, daß die Wahrheiten alle insge - ſamt eine groͤſſere Verknuͤpffung und Ver - wandſchafft mit einander haben, als man vermeinet, und daher diejenigen, welche ſie in richtiger Verknuͤpffung gruͤndlich be - greiffen, zu mehreren Dingen auf einmahl geſchickt ſind, als man vermeinen ſolte. Uber dieſes wenn einige geſchickte Koͤpffe alle ihre Zeit bloß auf Entdeckung der Wahrheit wenden, und mit nichts ande - rem in der Welt zu thun haben; ſo ſind ſieQ 2in244Cap. 3. Von der Einrichtungin dem Stande mehr auszurichten als vie - le andere, die unter ſo vielen Verrichtun - gen des menſchlichen Lebens nur dann und wann Gelegenheit bekommen an etwas zu gedencken: welches ich umſtaͤndlicher aus - zufuͤhren vor unnoͤthig erachte.

Beſchaf - fenheit des Praͤ - ſtdenten der Aca - demie der Wiſ - ſenſchaf - ten.

§. 308.

Ob nun aber gleich nicht ein je - des Mittglied der Academie der Wiſſen - ſchafften in allen Arten der Wahrheit darf geuͤbet ſeyn, ſondern es viel rathſamer iſt, daß ein jedes ſich hauptſaͤchlich auf eine ge - wiſſe Art der Wahrheiten lege, damit man es darinnnn weiter bringe, als ſich ſonſt thun laͤſſet: ſo iſt doch dienlich, daß diejenige Perſon, welche uͤber die Acade - mie der Wiſſenſchafften Aufſicht hat, und der Praͤſident genennet wird, in allen Ar - ten der Wiſſenſchafft wohl geuͤbet iſt, da - mit ſie nicht allein alles wohl anordnen kan, was von einem jeden vorzunehmen, ſon - dern auch dasjenige, was von den Mitt - gliedern eingebracht wird, gruͤndlich zu un - terſuchen geſchickt iſt, wo einige Schwie - rigkeiten ſich noch finden, dieſelbe anzei - gen, und ſie zu heben geſchickte Anſchlaͤ - ge geben kan. Uber dieſes da alle Wahr - heiten mit einander verknuͤpffet ſind (§. 143 Met.); ſo muß derjenige in allen Arten derſelben geuͤbet ſeyn, der ſie mit einander verbinden und in eine gruͤndliche Ordnung bringen wil. Und dieſes koͤnnte demnachdem245des gemeinen Weſens. dem Praͤſidenten uͤberlaſſen werden, weil er aus den andern vorhin angezeigeten Ur - ſachen in allen Arten der Wahrheiten geuͤ - bet ſeyn muß, welches die anderen Mitt - glieder eben nicht ſo ſehr, wie er, von noͤ - then haben. Uber dieſes giebt es auch dem - ſelben ſo wohl bey den Mittgliedern, als bey auswaͤrtigen ein nicht geringes Anſehen, wenn er ein Mann iſt, der in ſo vielerley Arten der Wiſſenſchaften eine gruͤndliche Erkaͤntniß hat.

§. 309.

Weil die Academie der Wiſ -Nutzen der Aca - demie de: Wiſſen - ſchafften. ſenſchafften alle Wahrheiten ſammlet, die in allen Schrifften aller Zeiten, und ſonſt unter den Menſchen von allerley Lebens-Ar - ten anzutreffen (§. 300); ſo kan man durch ſie eine vollſtaͤndige und richtige Hi - ſtorie der Gelehrten oder der Kuͤnſte und Wiſſenſchafften erhalten: daran nicht we - nig gelegen iſt (§. 9. c. 10. Log.). Durch ſie bekommet man die Wiſſenſchafften der Kuͤnſte, daran abermahls dem menſchli - chen Geſchlechte nicht wenig gelegen iſt (§. 368. 369 Mor.). Durch ſie bekommt man die beſten Buͤcher in allen Wiſſenſchafften zum Unterricht ſo wohl der Anfaͤnger, als auch derjenigen, die es darinnen weit bringen wollen: woran abermahls dem menſchlichen Geſchlechte (§. 369 Mor.) und auch dem gemeinen Weſen (§. 243) nicht ein geringes gelegen. Und weil ſie alle Mei -Q 3nun -246Cap. 3. Von der Einrichtungnungen bey Seite ſetzet, und keine Wahr - heit annimmet, als die ſie durch richtige Beweiſe ausgemacht und durch untruͤgli - Proben beſtetiget (§. 303); ſo wuͤrden die Jrrthuͤmer und Traͤume derer, die nicht gruͤndlich gelehrt ſind, und insgemein viel Schaden und Verwirrung anrichten, mit der Zeit endlich gar ausgerottet. Solcher geſtalt hat man Hoffnung, daß mit der Zeit gruͤndlich gelehrte Leute erzogen wer - den, die man mit groſſem Vortheile in al - len Staͤnden zum Beſten des gemeinen We - ſens gebrauchen kan. Da ſie alle Wahr - heiten unterſuchet; ſo hat man auch Hoff - nung, daß die Artzney-Kunſt zu Befoͤrderung und Wiederbringung der Geſundheit des Menſchen, die zur Zeit noch ſo groſſen Maͤn - geln unterworffen iſt, in einen beſſern Stand geſetzet wird: woran ſonderlich denen Ho - hen in der Welt viel gelegen. Und da ſie ſich auch um die Wahrheiten bekuͤmmert, die zur Einrichtung und Erhaltung eines Staates gehoͤren (§. 306); ſo hat auch das gemeine Weſen viele Vortheile von ihr zu erwarten. Mit einem Worte, da al - les ſich auf richtige Erkaͤnntniß der Wahr - heit gruͤndet, was der Menſch vornehmen kan; ſo lieſſe ſich gar leicht erweiſen, wenn wir hier alles aus ſeinen erſten Gruͤnden auszufuͤhren die Erlaubniß haͤtten, wie die Gluͤckſeligkeit des menſchlichen Geſchlechtsund247des gemeinen Weſens. und aller Staͤnde unter ihnen von einer wohl eingerichteten Academie der Wiſſenſchaften dependiret.

§. 310.

Unerachtet die Academie derNoth - wendig - keit der Acade - mie der Kuͤnſte. Wiſſenſchaften ſich auch umb alle Kuͤnſte bekuͤmmert und ſie in Form einer Wiſ - ſenſchaft zu bringen ſich bemuͤhet, auch ihr angelegen ſeyn laͤſſet, dieſelbe zu ver - beſſern und zu vermehren (§. 305); ſo ſind doch deswegen auſſer ihr auch die A - cademien der Kuͤnſte noͤthig. Denn die Academie der Wiſſenſchaften gehet bloß auf die Wiſſenſchafft der Kuͤnſte, lehrer aber die Kuͤnſte nicht ſelbſt; hergegen die Academien der Kuͤnſte lehren die Kuͤnſte ſelbſt: worunter ein groſſer Unterſcheid iſt. Wer Wiſſenſchaft von einer Kunſt hat, der iſt in dem Stande von allen Re - geln derſelben richtigen Grund anzuzei - gen und ihre Wercke vernuͤnfftig zu be - urtheilen (§. 361. Met.): Hingegen wer die Kunſt ſelbſt beſitzet, der iſt geſchickt nach denſelben Regeln die Wercke zu verfertigen, ſo daß Verſtaͤndige, die nem - lich die Wiſſenſchaft haben, nichts mit Grunde der Wahrheit daran auszuſetzen finden (§. 366. Mor.).

§. 311.

Es haben demnach die Acade -Abſicht der Aca - demien der Kuͤn - ſte. mien der Kuͤnſte dieſe Abſicht, daß Leute, die vor andern dazu geſchickt ſind, die Kunſt gruͤndlich erlernen und dadurch ge -Q 4ſchickt248Cap. 3. Von der Einrichtungſchickt werden, Lehrmeiſter anderer abzu - geben. Z.E. Wenn man in einer Hoff - ſtadt eine Mahler-Academie hat; ſo werden darauf vortrefliche Mahler erzo - gen, die geſchickt ſind, alles, was ihnen vorkommet, nach ihrer rechten Aehnlichkeit vorzuſtellen. Dergleichen Mahler koͤn - nen nach dieſem an andern Orten, wo man keine dergleichen Academien hat, wiederumb andere gruͤndlicher zu dieſer Kunſt anfuͤhren.

Verrich - tungen der Aca - demie der Kuͤnſte.

§. 312.

Damit dieſe Abſicht erhalten werde, ſo muß man 1. auf den Acade - mien der Kuͤnſte Unterricht ertheilen von allem demjenigen, was man aus andern Wiſſenſchaften zu beſſerem Verſtande der Kunſt noͤthig hat, worinnen die Zu - bereitung zur Kunſt beſtehet: 2. die U - bungen in Wercken der Kunſt dergeſtalt anſtellen, daß alles nach Regeln gerecht - fertiget und die Regeln ſelbſt durch rich - tige Gruͤnde erhaͤrtet werden. Z.E. Wer die Mahler-Kunſt gruͤndlich verſtehen will, der muß verſchiedenes aus der Mathema - tick, als aus der Arithmetick von der Pro - portion, aus der Geometrie die in der Perſpectiv noͤthigen Aufgaben, wiſſen, ja zum Verſtande der Perſpectiv auch eini - ge Erkaͤntniß von der Optick haben. De - rowegen muß man auf der Mahler-Aca - demie aus der Mathematick ſo viel Un -ter -249des gemeines Weſens. terricht ertheilen, als zu dieſer Kunſt noͤ - thig iſt. Wiederumb ein Mahler muß aus der Anatomie ſo viel verſtehen, als die aͤuſſerliche Geſtalt des Menſchen und ihre Veraͤnderung in den gar verſchiede - nen Stellungen zu beurtheilen noͤthig iſt. Derowegen muß man die Anatomie, ſo viel hierzu noͤthig, auf Mahler-Academi - en lehren. Ein Mahler muß aus der Bau-Kunſt ſo viel verſtehen, als zu ei - nem perſvectiviſchen Riſſe eines Gebaͤu - des dazu erfordert wird. Dervwegen muß man auf der Mahler-Academie ſo viel von der Bau-Kunſt lehren, als dazu erfordert wird. Ein Mahler muß die Pro - portion der Glieder des menſchlichen Lei - bes wohl verſtehen. Derowegen muß man auf der Mahler-Academie davon Unterricht ertheilen, und ſo weiter fort. Dieſes wird bey der Zubereitung erfor - dert. Hingegen was die Ubung betrifft, ſo muß man daſelbſt nicht allein gute Zeichnungen von allerhand Arten der Din - ge zum Nachzeichnen vorlegen; ſondern auch nach dieſem die Sache ſelbſt, als ab - ſonderlich Menſchen, in ihren verſchiede - nen Stellungen, zum abzeichnen vorſtellen. Dadurch wird ein Mahler geſchickt an andern Orten, wo man dergleichen Aca - demien nicht haben kan, mit gruͤndlichem Unterrichte andern zu dienen, nicht alleinQ 5vor250Cap. 3. Von der Einrichtungvor ſeine Perſon der Kunſt wohl fuͤrzu - ſtehen.

Was ih - re Stelle bey Hand - wercken und ge - ringen Kuͤnſten vertreten kan.

§. 313.

Nun gehet es freylich nicht an, daß man von allen Arten der Kuͤnſte A - cademien aufrichtet: Denn dieſes wuͤr - de zu koſtbahr fallen, auch ſich nicht wohl thun laſſen, daß ein jeder dieſelben beſuch - te. Unterdeſſen koͤnnte man doch zum Nutzen des Landes etwas aͤhnliches in al - en Hanthierungen haben, ſie moͤchten im uͤbrigen Nahmen haben, wie ſie wollen. Nemlich man ſolte davor ſorgen, daß, wo ein Ort im Lande zu einer Kunſt o - der Handthierung am Beſten aufgelegt waͤre, man daſelbſt einige haͤtte, die dar - innen fuͤr andern vortreflich erfunden wuͤrden, damit diejenigen, welche ihre Profeßion recht zu erlernen gedaͤchten, da - ſelbſt ihren Fleiß und Begierde vergnuͤ - gen koͤnnten. Gleichwie nun aber dieſel - ben nach dieſem ſich durch das gantze Land zerſtreueten; ſo wuͤrde man gar bald uͤberall geſchickte Leute bekommen, und wuͤrden zugleich durch ihren Fleiß die an - dern aufgemuntert gleichfals tuͤchtige Ar - beit zu verfertigen.

Beſchaf - fenheit der Hand - wercks - Schulen.

§. 314.

Ja weil nicht jederman die A - cademien der Kuͤnſte beſuchen kan; ſo waͤre nicht undienlich, wenn man wenig - ſtens in groſſen Staͤdten hin und wieder Handwercks-Schulen aufrichtete, in wel -chen251des gemeinen Weſens. chen man die Jugend darinnen unterrich - tete, was ſie aus Wiſſenſchaften bey ih - rer Kunſt und Handwercke zu wiſſen noͤ - thig haͤtten. Z. E. Weil Muͤller den Muͤhlen-Bau lernen muͤſſen; ſo ware ih - nen ſehr dienlich, wenn ſie aus der Arith - metick, Geometrie, Bau-Kunſt, Me - chanick, Hydraulick und Hydrometrie ſo viel Unterricht erhielten, als zu gruͤndli - chem Verſtande ihres Muͤhl-Baues er - fordert wird, wenn ſie nemlich von allem demjenigen, was ſie nach dieſem durch Ubung lernen, genungſamen Grund ver - ſtehen wollen. Freylich iſt es nicht an dem, daß alle von dieſen Leuten gruͤndli - che Erkaͤnntniß aus den angefuͤhrten Wiſ - ſchaften erlangen koͤnnen, dergleichen ein wohlgeuͤbter Mathematicus beſitzet: al - lein es iſt fuͤr ſie genung, wenn ihnen die Erklaͤrungen nebſt den Lehr-Saͤtzen ohne ſubtile Beweiſe auf eine ihnen begreifli - che Weiſe beygebracht werden. Finden ſich aber aufgeweckte Koͤpffe unter ihnen, die kan man auch weiter bringen. Es iſt nichts neues, daß es ungeſtudirte, ſonder - lich in Mathematiſchen Wiſſenſchaften, oͤffters weiter gebracht, als andere, die unter die Gelehrten gerechnet werden. Und dieſes iſt auch von denen Lehren zu verſtehen, die anderen aus andern Wiſſen - ſchaften beyzubringen. Es wird ſich a -ber252Cap. 3. Von der Einrichtungber von rechter Einrichtung der Hand - wercks-Schulen alsdenn erſt reden laſſen, wenn man von allen Kuͤnſten und Hand - wercken tuͤchtige Beſchreibungen haben wird, und wenn ſie in Form der Wiſ - ſenſchafften werden gebracht worden ſeyn. Denn man kan nicht eher ſagen, was fuͤr Lehren aus den Wiſſenſchaften eine Kunſt oder Handthierung zu erlernen noͤthig ſind, ehe man dieſelbe vollſtaͤndig begreiffet, und den Grund von allem, was dabey vorkommet, verſtehet. Uber die - ſes iſt wohl zu mercken, daß auch einige Handthierungen ſind, die aus Wiſſen - ſchaften gar nichts erfordern. Die ſich nun darauf legen, haben Handwercks - Schulen zu beſuchen nicht noͤthig. Weil es ein Werck iſt, welches fuͤr die Acade - mie der Wiſſenſchaften gehoͤret, Kuͤnſte und Handwercke zu beſchreiben und in Form der Wiſſenſchaften zu bringen (§. 305); ſo wird auch die Enrichtung der Handwercks-Schulen ihr zu uͤberlaſſen ſeyn, wenn ſie erſt dem erſten Stuͤcke ein Gnuͤgen gethan. Unterdeſſen koͤnnte man leicht mit einem und dem andern einen Verſuch thun. Z. E. Wenn die Rechen - meiſter dabey die Mathematick lerneten, welches heut zu Tage, da der Weg dazu gebaͤhnet, gar leichte geſchehen kan; ſo koͤnnten bey ihnen zugleich diejenigen Un -ter -253des gemeinen Weſens. terricht bekommen, welche hey ihrer Pro - feßion etwas aus der Mathematick verſte - hen ſollen, als vorhin insbeſondere von den Muͤllern geſaget worden.

§. 315.

Was im uͤbrigen die Vorſor -Vorſor - ge fuͤr die Hand - wercke. ge betrifft, die man fuͤr die Handwercke und gemeine Kuͤnſte tragen muß, ſo hat man fuͤr allen Dingen darauf zu ſehen, welche man an einem jeden Orte fuͤr an - dern noͤthig hat und zu welchen ein jeder Ort fuͤr andern aufgeleget iſt. Denn bey - de muͤſſen in gehoͤriger Anzahl an denſel - ben Oertern angeleget werden (§. 279), abſonderlich die von der letzten Art, damit man nicht die Materialien aus dem Lan - de laͤſſet, die mit groͤſſerem Vortheile ver - arbeitet koͤnten ausgefuͤhret werden, oder auch wohl gar aus andern Orten hohlet, was man ſelbſt koͤnnte verfertigen laſſen, wovon unten ein mehrers folgen ſoll. Dar - nach muß man wohl acht haben, daß nie - mand zu einer Kunſt oder einem Hand - wercke gelaſſen wird, als der daſſelbe recht verſtehet, damit nicht nach dieſem die Leu - te mit untuͤchtiger Wahre betrogen wer - den, auch die Nahrung ſich aus dem Or - te wegziehet, weil doch jedermann vor ſein Geld lieber tuͤchtige Wahre nimmet, wenn er ſie haben kan, als ſchlechte, die nichts tauget.

§. 316.254Cap. 3. Von der Einrichtung
Daß man fuͤr die Aufnah - me der Tugend ſorgen ſoll.

§. 316.

Das gemeine Weſen wird zu dem Ende angerichtet, damit man in dem Stande iſt dem hoͤchſten Gute deſto ſi - cherer nachzuſtreben (§. 214). Derowe - gen, da dieſes durch die Tugend befoͤr - dert wird (§. 44. 68. Mor.); ſo hat man im gemeinen Weſen auch davor zu ſorgen, daß die Leute tugendhaft werden. Viel - leicht wird dieſes einigen etwas ſeltſam vorkommen: Sie werden meinen, im ge - meinen Weſen begnuͤge man ſich an der aͤuſſerlichen Zucht und bekuͤmmere ſich nicht umb das innere, welches zur Tugend mit hauptſaͤchlich gehoͤret (§. 46. Mor.). Al - lein der Jrrthum kommet bloß daher, daß ſie ſehen, man pflege in dem gemeinen We - ſen bloß das aͤuſſerliche Thun und Laſſen der Menſchen zu beſtraffen, keines weges aber die Gedancken, welche ſich durch kei - ne Wercke aͤuſſern. Es iſt aber gantz et - was anders, wenn man fraget, was in dem gemeinen Weſen zu beſtraffen iſt, und gantz was anders, wenn man fraget, zu was fuͤr Handlungen man die Menſchen im gemeinen Weſen bringen ſoll.

Mittel dazu.

§. 317.

Da nun der Wille des Men - ſchen gebeſſert wird, wenn man ihn zu ei - ner lebendigen Erkaͤnntniß des Guten brin - get (§. 373. Mor.); ſo hat man davor zu ſorgen, daß es im gemeinen Weſen nie - manden an noͤthigem Unterrichte von demGuten255des gemeinen Weſens. Guten und Boͤſen fehle. Derowegen hat man auf Mittel und Wege zu gedencken, wie gleich die Kinder bey ihrer Auferzie - hung zur Erkaͤnntniß des Guten und Boͤ - ſen angefuͤhret werden: die Erwachſenen hingegen beſtaͤndig darinnen zunehmen. Was nun die Kinder betrifft, ſo ſiehet man leicht, daß, da denen Eltern oblieget, die Kinder zur Tugend anzufuͤhren (§. 95), man Anſtalten zu machen hat, wie ſie zu Ausuͤbung dieſer Pflicht koͤnnen angehal - ten werden. Und weil in dieſem Stuͤcke die Lehrer in den Schulen ihre Stelle ver - treten (§. 284); ſo hat man zugleich in Schulen und auf Academien dergleichen Anſtalten zu machen, daß Kinder und jun - ge Leute zu gruͤndlicher Erkaͤnntniß des Guten und Boͤſen angefuͤhret werden. Die Evwachſenenen hingegen, und die ein maͤnnliches Alter erreichet, oder auch wei - ter kommen, koͤnnen im Guten nicht an - ders als in denen oͤffentlichen Zuſammen - kuͤnfften von denen oͤffentlichen Lehrern un - terrichtet werden. Und deswegen hat man in einem gemeinen Weſen zu Lehrern ſolche Perſonen zu beſtellen, die eine gruͤndliche Erkaͤnntniß des Guten und Boͤ - ſen, auch ſelbſt Erfahrung im Guten und Boͤſen haben: nemlich Erfahrung im Gu - ten, indem ſie es ſelbſt ausgeuͤbet und auf andere, die es ausuͤben; acht gegeben;Er -256Cap. 3. Von der EinrichtungErfahrung hingegen im Boͤſen, indem ſie die Boßheit der Menſchen, die Boͤſes thun, mit Fleiß angemercket. Auf eine ſolche Weiſe ſind ſie geſchickt, das Gute und Boͤſe mit natuͤrlichen Farben abzumah - len. Hierzu kommet auch die Sorge fuͤr gute Buͤcher, durch deren fleißiges Leſen die Leute zum Erkaͤnntniß des Guten und Boͤſen koͤnnen aufgemuntert, hingegen zu - gleich von dieſem abgehalten, und zu jenem angefeuret werden. Dergleichen Schriff - ten ſind von dreyerley Arten. Einige er - theilen Unterricht von dem, was man thun und laſſen ſoll, durch gute Regeln; ande - re hingegen beſchreiben Exempel der Tu - genden und Laſter; noch andere mahlen die Klugheit der Tugendhaften und Thor - heit der Laſterhaften durch Fabeln ab (§. 373. Mor.). Da uͤber dieſes noͤthig iſt, daß ein Menſch, der tugendhaft leben will, ſich ſeines guten Vorſatzes beſtaͤndig erin - nert (§. 172. Mor.); ſo muͤſſen dieſes aber - mahls bey Kindern und jungen Leuten die Eltern und Lehrer in Schulen und auf A - cademien; bey Erwachſenen hingegen die Prediger in den oͤffentlichen Verſamm - lungen verrichten. Woraus erhellet, daß man die Predigten auch deswegen zu be - ſuchen hat, damit man ſeiner Pflicht erin - nert wird, und dannenhero auch diejeni - gen ſich einzufinden verbunden ſind, dievor257des gemeinen Weſens. vor ſich wiſſen, was man thun und laſſen ſoll. Ein anders iſt wiſſen, was gut und boͤſe iſt; ein anders hingegen oͤffters dar - an gedencken. Uber dieſes koͤnnen auch hierzu die Buͤcher von allen drey Arten, davon erſt jetzt Meldung geſchehen, gebrau - chet werden: welche demnach dergeſtalt einzurichten, daß ein jeder ſie mit Luſt lie - ſet. Denn was man mit Luſt lieſet, das lieſet man fleißig und ofte.

§. 318.

Weil man alle Laſter ſorgfaͤl -Mittel wider die Laſter. tig vermeiden muß, wenn man nach der Tugend ſtrebet (§. 436. Mor.); ſo muß man im gemeinen Weſen, wo man fuͤr die Aufnahme der Tugend zuſorgen hat, auch nicht weniger Sorgfalt anwenden alle Laſter, ſo viel nur immer moͤglich iſt, zu hintertreiben. Hierzu nun werden vielerley Mittel dienlich befunden. Einmahl ge - ſchiehet es durch Unterricht, da man davor zuſorgen hat, daß nach vorhin gegebener Anweiſung (§. 316) Eltern und Lehrer in Schulen und auf Academien Kinder und junge Leute, Lehrer und Prediger aber er - wachſene und alte von den Laſtern abmah - nen, ihnen den Schaden, der daraus erfol - get, durch Gruͤnde und Exempel vorſtel - len, auch einen Abſcheu fuͤr ihnen erwecken. Darnach hilfft es viel, wenn diejenigen Perſonen, die andern vorgeſetzet ſind, als Obrigkeiten und Lehrer, denen uͤbrigen mit(Politick) Rgutem258Cap. 3. Von der Einrichtunggutem Exempel vorgehen, und abſonder - lich vornehme und verſtaͤndige auch fuͤr anderen tugendhafft ſind, in dem Exempel mehr ausrichten, als Regeln (§. 167 Mor.) auch ein jeder ſich gerne in ſeinem thun und laſſen nach vornehmen und verſtaͤn - digen richtet. Uber dieſes muß alle Ge - legenheit zu boͤſen Geſellſchafften benom - men werden, wodurch ſowohl junge als alte Leute zu den Laſtern ſich verfuͤhren laſ - ſen. Und endlich muͤſſen auch die Laſter andern zum Abſcheu beſtraffet werden: wovon nach dieſem an ſeinem Orte ein mehrers folgen ſoll. Bey allen dieſen Puncten waͤre gar viel zu errinnern: aber vor dieſes mahl iſt genung nur alles, was zuthun ifl, anzudeuten.

Wie die Erkaͤnt - nis Got - tes und Gottſee - ligkeit zu beſor - gen.

§. 319.

Da die Erkaͤntniß GOttes die Ausuͤbung der Tugend und Unterlaſſung der Laſter erleichtert (§. 656. Mor.) im ge - meinen Weſen aber davor zu ſorgen iſt, daß die Leute tugendhafft werden, und die Laſter fliehen (§. 317. 318 Mor.): ſo hat man auch davor zu ſorgen, wie ſie in der Er - kaͤntniß GOttes zunehmen. Derowegen da nicht allein Eltern zu Hauſe und Lehrer in Schulen die Kinder und Jugend zur Tugend anfuͤhren (§. 317.) und von den Laſtern abziehen (§. 318.); ſon - dern auch andere oͤffentliche Lehrer erwach - ſene und alte im guten unterrichten, undzur259des gemeinen Weſens. zur Ausuͤbung des guten, auch Unterlaſ - ſung des Boͤſen ermahnen ſollen (§. §. cit. ); ſo hat man auch gute Anſtalten zu machen, dadurch man in Erfahrung kommet, ob Eltern zu Hauſe und Lehrer in Schulen auch ihre Kinder und die ihnen anvertrau - te Jugend zur Erkaͤntniß GOttes fuͤhren, und oͤffentliche Lehrer zu beſtellen, die gruͤndliche Erkaͤntniß von GOtt haben und andere darinnen unterrichten, auch zugleich zeigen koͤnnen, wie man als Bewegungs - Gruͤnde zur Tugend und wieder die Laſter die goͤttlichen Vollkommenheiten gebrau - chen kan, folgends jedermann zur Gottſe - ligkeit anfuͤhren (§. 671. Mor.).

§. 320.

Wenn die Jnwohner eines Or -Noth - wendig - keit der Kirchen und Feſt - tage. tes von ihnen vorgeſetzten Lehrern in der Erkaͤntniß GOttes und von den Tugenden und Laſtern ſollen unterrichtet, zur Ausuͤ - bung des Guten angemahnet, hingegen von den Laſtern abgemahnet werden; ſo muͤſſen ſie deswegen zuſammen kommen. Und demnach hat man oͤffentliche Gebaͤu - de noͤthig, darinnen dergleichen Zuſam - menkuͤnffte mit gutem Fortgange koͤnnen angeſtellet werden; auch ſind dazu gewiſſe Zeiten zu beſtimmen. Da die Gebaͤude Kirchen; dieſe Zeiten aber Feyertage ge - nennet werden; ſo ſiehet man hieraus, daß bey Einrichtung des gemeinen Weſens man auch fuͤr Erbauung der Kirchen und An - ordnung der Feſtage zu ſorgen hat.

R 2§. 321.160[260]Cap. 3. Von der Einrichtung
Einwurf wird be - antwor - wortet.

§. 321.

Vielleicht werden einige mei - nen, es ſey nicht noͤthig, daß man beſon - dere Kirchen erbaue, indem man in ge - meinen Gebaͤuden die Zuſammenkuͤnffte anſtellen koͤnne. Am allermeiſten aber wer - den ſie ſich wundern, daß man die Noth - wendigkeit der Kirchen aus der Vernunfft beweiſen wil, maſſen wir in der Welt - Weisheit, die wir hier abhandeln, nichts anders annehmen, als was wir aus den Gruͤnden der Vernunfft erhaͤrten koͤnnen. Ja wir haben auch zum Beweiſe keine an - dere Gruͤnde angefuͤhret, als die aus der Vernunfft genommen werden (§. 320). Allein der Zweiffel kan bald benommen werden. Wenn in einem Orte wenige Leu - te bey einander ſind, und ein groſſes und hohes Zimmer in einem Gebaͤude vorhan - den, darinnen ſie ihre Zuſammenkuͤnffte anſtellen koͤnnen; ſo brauchet es freylich keine beſondere Gebaͤude zu den Kirchen. Wo aber die Menge groß iſt, daß ſie nicht in gemeinen Haͤuſern zuſammen kommen koͤnnen, wenn man nicht die Zahl der Leh - rer ohne Noth und mit groſſer Beſchwer - de der Gemeinen vielfaͤltigen wolte: da ſiehet man vor ſich, daß beſondere Gebaͤu - de oder Kirchen dazu muͤſſen erbauet wer - den. Man begreiffet auch leicht, daß die Kirchen anders als gemeine Haͤuſer aus - ſehen muͤſſen. Denn da man in der Kir -che261des gemeinen Weſens. che deswegen zuſammen koͤmmet, damit man den Unterricht von GOtt und einem tugendhafften Wandel, das iſt, die Pre - digten daſelbſt anhoͤre (§. 320.); ſo muͤſ - ſen ſie auch dergeſtalt erbauet werden, daß darinnen eine groſſe Menge zugleich den Prediger vernehmen kan. Gleichergeſtalt weil in einem Orte, wo kein freyer Zufluß der Lufft iſt, die Lufft von dem Athem der Menſchen mit Duͤnſten erfuͤllet, auch ſonſt von dem Schweiſe und der ausdunſtenden Waͤrme veraͤndert wird; ſo muͤſſen die Kirchen hoch und weit erbauet werden, da - mit ſich alle dieſe Arten der Ausduͤnſtun - gen frey zertheilen koͤnnen, und die Lufft dadurch zum Athem holen nicht unbequem, noch auch durch uͤbelen Geruch ein Eckel erreget wird. Die Erfahrung bezeiget, was fuͤr Ungemach, ſonderlich in warmen Tagen, daraus erfolget, wenn eine groſ - ſe Menge in einem Gemache bey einander ſind, wo nicht Lufft genung iſt, daß die Ausduͤnſtungen ſich recht zertheilen koͤnnen.

§. 322.

Da der Unterricht von GOttGruͤnde der Re - geln des Kirchen - baues. und einem tugendhafften Wandel zu dem aͤuſſerlichen Gottesdienſte gehoͤret (§. 761. Mor.), dazu aber noch mehrere Hand - lungen erfordert werden (§. 762. 764 & ſq. Mor.); ſo hat man in Erbauung der Kir - chen nicht allein auf das Predigen (§. 321), ſondern auch auf die uͤbrigen zum Gottes -dien -262Cap. 3. Von der Einrichtungdienſte gehoͤrige Handlungen zu ſehen, ſin - temahl die Gebaͤude ſo auf zu fuͤhren ſind, daß man alle Verrichtungen, die man dar - innen vorzunehmen hat, ohne Hinderung und Verdruß bewerckſtelligen kan (§. 7. 17. Arehit. civil.). Es ſind ſolcher geſtalt die Kirchen Gebaͤude, die zum oͤffentlichen Gottesdienſte aufgefuͤhret werden. Ehe demnach gezeiget werden kan, wie die Kir - chen ſollen erbauet werden; muß man die Beſchaffenheit des Gottesdienſtes vor al - len Dingen verſtehen. Und demnach muͤſ - ſen die Regeln des Kirchen-Baues theils aus der allgemeinen Bau-Kunſt, theils aus der Beſchaffenheit des Gottesdienſtes, genommen werden. Folgends iſt kein Bau - meiſter in dem Stande von einer Kirche vernuͤnfftig zu urtheilen, viel weniger vor ſich ſie mit Verſtande anzugeben, als der die Art des Gottesdienſtes voͤllig verſtehet, der darinnen verrichtet wird.

Warum die Kir - chen prachtig ſollen er - bauet und aus - gezieret werden.

§. 323.

Diejenigen Gebaͤude, welche man im gemeinen Weſen zum gemeinen Gebrauch zu erbauen pfleget, werden oͤf - fentliche Gebaͤude genennet. Derowe - gen da die Kirchen zum oͤffentlichen Got - tesdienſte (§. 322) und alſo zum gemeinen Gebrauche erbauet werden; ſo gehoͤren auch ſie unter die oͤffentliche Gebaͤude. Weil nun der Wohlſtand erfordert (wie nach dieſem umbſtaͤndlicher ſoll erwieſenwer -263des gemeinen Weſens. werden), daß die oͤffentlichen Gebaͤude praͤchtig erbauet werden, damit ſie nem - lich dem Orte ein Anſehen geben: ſo ſollen auch die Kirchen praͤchtig erbauet werden. Es kommet hierzu noch eine beſondere Ur - ſache, die aus demjenigen ſich beurtheilen laͤſſet, was anderswo (§. 177 Mor.) von den Ceremonien angemercket worden. Nemlich da doch allezeit der Anfang unſe - rer Gedancken von einer Empfindung ge - ſchiehet (§. 846 Met.), wodurch wir her - nach vermoͤge der Einbildungs-Krafft und der Vernunfft-Schluͤſſe auf andere Ge - dancken gebracht werden (§. 847 Met.): ſo kan die Pracht der Kirchen uns dazu die - nen, daß wir zwiſchen ihnen und gemeinen Gebaͤuden einen Unterſcheid machen, und uns dadurch darauf beſinnen, daß wir dar - innen mit Ehrerbietigkeit gegen GOtt er - ſcheinen und ſolches mit allen Minen, Ge - berden, Worten und Wercken zu verſte - hen geben ſollen. Es iſt wohl wahr, bey dem Gottesdienſte kommet es nicht auf den aͤuſſeren Pracht der Kirchen, ſondern vielmehr auf den innern Zuſtand des Ge - muͤthes an (§. 759 Mor.). Allein man ſu - chet auch darinnen keinen Gottesdienſt, ſondern verlanget nur, daß wir durch das aͤuſſere auf das innere ſollen gebracht wer - den, und das aͤuſſere zu dem inneren foͤr - derlich ſeyn ſoll. Und dieſes iſt um ſo vielR 4mehr264Cap. 3. Von der Einrichtungmehr noͤthig, wo nicht andere Urſachen von auſſen verhanden, dadurch der Menſch zu dem innern geleitet wird. Und dem - nach ſind die Regeln der Schoͤnheit, wel - che in der Baukunſt vorgeſchrieben wer - den, abſonderlich bey den Kirchen, auf das ſorgfaͤltigſte in acht zu nehmen. Wollte man aber ins beſondere fragen, wie man die Kirchen ſo wohl in-als aus-wendig aus - zieren ſolle: ſo ſiehet man leicht, daß dieſe Auszierung mit unter die Ceremonien zu rechnen iſt (§. 176 Mor.). Da uns nun durch dieſe Zierrathen ins Gedaͤchtniß ge - bracht werden ſol, was wir bey dem oͤf - fentlichen Gottes-Dienſte zu bedencken haben (§. 177 Mor.): ſo muͤſſen wir abermahls die Beſchaffenheit des Gottes - dienſtes fuͤr allen Dingen recht einſehen, e - he wir mit Vernunfft die Kirchen auszieren koͤnnen. Jch weiß wohl: es wird dieſes einigen ſeltſam vorkommen. Allein das iſt nicht genung es zu verwerffen: man muß zeigen, daß ich es ohne Grund behaupte, da - von ich aber ſchon das Gegeniheil erwie - ſen.

Wie die Feſttage zu ord - nen und zu feyren.

§. 324.

Was die Zeit betrifft, da man des Gottes-Dienſtes wegen zuſammen kommen ſoll; ſo entſtehet die Frage, ob es beſſer ſey gantze Tage dazu auszuſetzen, darinnen man von der gewoͤhnlichen Ar - beit feyret, oder nur einige Stunden inTa -265des gemeinen Weſens. Tagen, da man ſeine gewoͤhnliche Arbeit verrichtet. Weil man in denen Zuſam - menkuͤnfften zum guten angemahnet und vom boͤſen abgemahnet werden ſoll (§. 317. 318), hingegen bekand iſt, wie uns die Sinnen, wenn ſie mit andern Ge - dancken eingenommen werden, gar bald von dem, was wir gehoͤret, abbringen (§. 238. Met.): ſo iſt es rathſamer, daß man den gantzen Tag uͤber mit nichts anders zuthun hat, als daß man dasjenige, was man gehoͤret, bey ſich uͤberleget, ſeinen Wandel darnach unterſuchet, und einen Vorſatz zum guten faſſet. Wozu abſon - derlich dienlich iſt, was in dem 3. Capi - tel des erſten Theils der Gedancken von der Menſchen Thun und Laſſen von der Ausuͤbung des Guten geſaget worden. Und hieraus erhellet zur Gnuͤge, daß es der Vernufft und folgendes dem Geſetze der Natur (§. 24. Mor.) gemaͤß iſt, ge - wiſſe Feſtage anzuordnen, und darinnen von der gewoͤhnlichen Arbeit zufeyren, ſie aber mit der Erkaͤntnis GOttes und Uber - legung ſeines Wandels zuzubringen. Weil man nun an den Feyertagen von ſeiner ordentlichen Arbeit feyren ſoll; ſo duͤrffen derſelben nicht zuviel angeordnet werden, damit man nicht an der noͤthigen Arbeit verabſaͤumet werde. Jedoch muͤß - ten ſie auch nicht gar zu lange wegbleiben, damit man nicht von der Gottſeeligkeit zuR 5weit266Cap. 3. Von der Einrichtungweit abkommet, und ſeinen guten Vorſatz vergieſſet. Denn man muß oͤffters thun, was man gewohnen, und darinnen man zu einer Fertigkeit kommen ſol (§. 525 Met.).

Wie es mit An - ordnung der Cere - monten bey dem Gottes - dienſte zu halten.

§. 325.

Weil allezeit der Anfang un - ſerer Gedancken von einer Empfindung ge - ſchiehet (§. 846 Met.), wodurch wir her - nach vermoͤge der Einbildungs-Krafft und und der Vernunfft-Schluͤſſe auf andere Gedancken gebracht werden (§. 847 Met.), dergleichen Zeichen aber, dadurch wir der bey dem innerlichen und aͤuſſerlichen Got - tesdienſte noͤthigen Handlungen erinnert werden, Ceremonien ſind (§. 176 Mor.); ſo hat man im gemeinen Weſen auch fuͤr die verſchiedene Feyertage verſchiedene Ce - remonien bey dem Gottesdienſte anzuord - nen (§. 178 Mer.). Es iſt aber ſehr dien - lich, daß die Ceremonien ſich in die Sin - nen tief einpraͤgen, damit ſie einen von ei - nem Feyertage bis zu dem andern ſtets im Sinne liegen, nicht anders als wenn ſie beſtaͤndig gegenwaͤrtig waͤren. Damit nun aber dadurch das vorgeſetzte Ziel er - reichet werde, ſo hat man dieſe Ceremo - nien und ihre Bedeutung fleißig zu uͤber - legen. Und gehoͤret auch die Erwegung der Ceremonien mit zu der Feyer der Feſt - tage. Man ſiehet aber leicht, daß, wenn man dieſe Ceremonien anordnen wil, manfuͤr267des gemeinen Weſens. fuͤr allen Dingen die Beſchaffenheit des Gottesdienſtes und ſeines Unterſchiedes an verſchiedenen Feſttagen genau erkennen muß.

§. 326.

Da nun die Feſttage zu demWober der Un - terſcheid der Fey - ertage kommet. Ende angeordnet werden, daß man von GOtt und einem tugendhafften Wandel unterrichtet und zum guten ermahnet, von dem boͤſen aber abgemahnet werden kan (§. 320); ſo entſtehet der Unterſcheid der Feſttage von dem Unterſcheide der Leh - ren, die man an denſelben von GOtt und den Tugenden, auch ihnen entgegen ge - ſetzten Laſtern vortraͤget. Und ſiehet man dannenhero, daß die Lehren von GOtt und den Tugenden, auch den ihnen ent - gegen geſetzten Laſtern dergeſtalt einzuthei - len ſind, damit in einem Jahre alle durch - genommen werden. Je wichtigere Wahr - heiten nun an einem Feſttage vorgetragen werden, je hoͤher iſt derſelbe. Dieſe Wich - tigkeit aber muß abermahls durch geſchick - te Ceremonien zur Uberlegung eingepraͤget werden (§. 325). Man begreiffet auch ohne mein Erinnern, daß man hohe Feſt - tage mit groͤſſerem Eifer zu feyren hat, als die uͤbrigen, weil nemlich wichtige Lehren mehrere Aufmerckſamkeit erfordern, auch ſorgfaͤltiger uͤberleget zu werden verdienen. Die Wichtigkeit der Lehren wird aus dem Vortheile beurtheilet, den ſie in unſeremWan -268Cap. 3. Von der EinrichtungWandel ſchaffen: welches hier weitlaͤuff - tiger auszufuͤhren unnoͤthig iſt.

Erinne - rung.

§. 327.

Wer alles dasjenige reiflich er - weget, was von den Kirchen, Feyertagen und zu dem Gottesdienſte erforderten Ce - remonien geſaget worden, der wird mei - nes Erachtens nicht allein in dem Stande ſeyn von allem guten Grund anzuzeigen, was an ſich nuͤtzlich und loͤblich iſt, wenn man es mit rechten Augen anſiehet; ſon - dern er wird auch daraus urtheilen koͤnnen, wie weit verſchiedene Voͤlcker in dieſem Stuͤcke dem Geſetze der Natur ein Gnuͤ - gen thun, und welche hierinnen einen Vor - zug fuͤr andern haben. Jch ſage aber nicht ohne Urſache, man muͤſſe alles reif - lich uͤberlegen: Denn wer zu geſchwinde urtheilet, der uͤberſiehet gemeiniglich, was zu der Sache am dienlichſten iſt. Uberei - lung hindert allezeit Erkaͤntniß der Wahr - heit.

Nutzen der Co - moͤdien und Tra - goͤdien / und wie ſie anzu - ordnen.

§. 328.

Es iſt zur Gnuͤge ausgefuͤhret worden, was lebhaffte Exempel, ſo wohl in Erregung der Begierde zum Guten und in Daͤmpffung der wiedrigen zum Boͤſen (§. 167 Mor.), als auch in Beſſerung des Willens (§. 373 Mor.) und Behauptung der Herrſchafft uͤber die Sinnen, Einbil - dungs-Krafft und Affecten (§. 188 Mor.); abſonderlich auch in Erlangung der Weiß - heit (§. 321. 323 Mor.) und Klugheit (§. 333269des gemeines Weſens. 333 Mor.), wie nicht weniger zur Auf - munterung zum Gebete (§. 743 Mor.), mit einem Worte in Befoͤrderung aller Tugend und Beſitzung aller Laſter, bey - tragen. Derowegen da die Comoͤdien Vorſtellungen der freudigen Begebenhei - ten der Menſchen durch lebendige Perſo - nen ſind; hingegen Tragoͤdien der Trau - er-Faͤlle: ſo ſind Comoͤdien und Tragoͤ - dien ſehr dienlich zur Beſſerung des Men - ſchen, wenn die Tugenden und Laſter nach ihrer wahren Beſchaffenheit vorge - ſtellet werden, abſonderlich aber dar - auf geſehen wird, daß man zeiget, wie die freudigen Begebenheiten aus der Tugend, hingegen die Trauer-Faͤlle aus den Laſtern kommen, indem es doch endlich bey aller Lenckung des Willens darauf ankommet, daß man den Erfolg der Handlungen vorher ſiehet (§. 168 Mor.). Es haben aber Comoͤdien und Tragoͤdien darinnen einen Vorzug fuͤr geſchriebenen Hiſtorien, daß ſie einen groͤſ - ſern Eindruck in das Gemuͤthe des Men - ſchen machen. Denn was man ſelber mit Augen ſiehet und mit Ohren hoͤret, bewe - get einen mehr und bleibet beſſer, als was man bloß hoͤret. Nemlich die Geberden und Minen der Menſchen, ingleichen die Veraͤnderung der Stimme, damit die Worte vorgebracht werden, nachdem manvon270Cap. 3. Von der Einrichtungvon dieſem oder einem anderen Affect ge - trieben wird, laſſen ſich zur Zeit nicht voͤl - lig, beſchreiben. Ja wenn es auch angien - ge, ſo muͤſte doch derſelbe, ſo das Buch lieſet, darinnen eine Geſchicht beſchrieben wird, ſelbſt alles, was er lieſet, nachthun, oder einen andern ſich alles vormachen laſ - ſen, woferne es einer Comoͤdie und Tra - goͤdie gleich guͤltig werden ſollte. Uber dieſes haben auch Comoͤdien und Tragoͤ - dien einen Vorzug fuͤr den wahren Exem - peln, die in der Welt paßiren und darauf man acht hat. Nemlich da die Exempel uns hauptſaͤchlich den Erfolg der guten und boͤſen Handlungen zeigen ſollen (§. 167 Mor.); ſo hat man fuͤr allen Dingen zu erkennen, daß dieſes oder jenes, was uns entweder Vergnuͤgen oder Verdruß ver - urſachet, aus den Handlungen herkom - men, denen wir es zuſchreiben, damit wir die Schein-Guͤtter von den wahren un - terſcheiden (§. 424 Met.) und uns dieſel - ben nicht mehr blenden laſſen. Da nun im menſchlichen Leben alles nach und nach geſchiehet, auch oͤffters lange Zeit hinge - het, ehe das Ungluͤck kommet, welches man ſich durch laſterhafftes Leben auf den Hals ziehet; oder man auch im Gegentheil das Gluͤcke erwartet, damit die Tugend belohnet wird: ſo erkennet man oͤffters nicht, daß dieſer oder jener Zufall aus die -ſen271des gemeinen Weſens. ſen oder jenen Handlungen erfolget, oder auch aus unſerem Vergnuͤgen das gegen - waͤrtige Mißvergnuͤgen erwachſen ſey. Hingegen in Comoͤdien und Tragoͤdien folget alles, was zuſammen gehoͤret, in einer kurtzen Reihe auf einander, und laͤſ - ſet ſich daraus der Erfolg der Handlungen viel beſſer und leichter begreiffen, als wenn man im menſchlichen Leben darauf acht hat. Derowegen weil Comoͤdien und Tragoͤdien ſo nuͤtzlich ſind; ſo hat man auch dieſelben im gemeinen Weſen zu ver - anlaſſen. Man begreiffet aber aus dem, was geſaget worden, wie dergleichen Freu - den - und Trauer-Spiele beſchaffen ſeyn muͤſſen, und daß diejenigen, welche ſie er - finden wollen, in den Zufaͤllen des menſch - lichen Lebens ſehr erfahren und in der Sit - ten-Lehre, auch der Staats-Kunſt wohl geuͤbet ſeyn muͤſſen; Hingegen die Comoͤ - dianten ihre Perſon nicht wohl agiren koͤn - nen, wenn ſie nicht allerhand Verſtellun - gen anzunehmen bereit ſind. Es muß ih - nen alles natuͤrlich, das iſt, gantz ungezwun - gen laſſen, wenn es einen Eindruck in die Gemuͤther machen ſol. Denn wiedrigen Falles ſiehet es der Wahrheit nicht aͤhn - lich, und kan dadurch niemand uͤberredet werden, daß die Sachen ſo aus einander erfolget, wie man in der Comoͤdie und Tragoͤdie ſiehet, folgends ſind die Comoͤ -dien272Cap. 3. Von der Einrichtungdien und Tragoͤdien mehr hinderlich und ſchaͤdlich, als nuͤtzlich.

Warumb nicht alle Comoͤdi - en gebil - liget weꝛ - den.

§. 329.

Man kan ſchon hieraus abneh - men, warum man nicht alle Comoͤdien und Tragoͤdien ohne Unterſcheid billigen und im gemeinen Weſen dulden kan. Jedoch ſind auch noch andere Urſachen vorhanden. Nemlich wenn ſie ſo beſchaffen ſind, daß ſie den Zuſchauern zu den Laſtern Anlaß geben, ſie von der Tugend abfuͤhren und die boͤſen Begierden in ihnen rege machen: ſo erhellet aus den vorhin (§. 328) ange - fuͤhrten Gruͤnden, daß man ſie zn verbie - ten hat. So koͤnnen auch noch andere Neben-Urſachen dazu kommen, die ſie verwerflich machen. Als wenn damit z. E. das Geld depenſiret wird, welches man noͤthiger an andern Orten brauchet; ingleichen wenn man damit die Zeit ver - derbet, welche man zu andern Verrich - tungen anwenden ſol. Damit nun da - durch kein Schaden erwachſen kan, ſo hat man bey den Anſtalten der Comoͤdien und Tragoͤdien im gemeinen Weſen zu - gleich mit darauf zu ſehen.

Daß man einem ie - dem zu ſeinem Rechte verhelf - fen ſol.

§. 330.

Das Geſetze der Natur erfor - dert, daß man niemanden beleidigen (§. 819 Mor.), auch den durch ſeine Schuld zugefuͤgten Schaden erſetzen ſol (§. 825 Mor.). Derowegen da das gemeine We - ſen deßwegen eingefuͤhret wird, damit derMenſch273des gemeinen Weſens. Menſch deſto bequemer denen natuͤrlichen Pflichten ein Genuͤgen thun kan (§. 213. Mor.); ſo hat man auch davor zu ſorgen daß niemand den andern beleidigen darff, und, woferne er ihm einigen Schaden zu - gefuͤget, denſelben wieder erſetzen muß. Weil nun abſonderlich in Vertraͤgen und Vergleichen einer den andern gar leichte bevortheilen und in Schaden bringen kan (§. 1008 Mor.); ſo hat man auch davor zu ſorgen / daß in Vertraͤgen und Ver - gleichen alles richtig hergehe (§. 1023 Mor.) und, ſo jemand darunter beleidiget worden, oder daraus einen Schaden hat, ihm zu gebuͤhrender Satisfaction verholf - fen werde, das iſt, man muß einem je - den zu ſeinem Rechte verhelffen.

§. 331.

Damit nun im Kauffen undWas bey Kauffen und Ver - kauffen zu ver - ordnen Verkauffen aller Betrug deſto leichter ver - mieden werde, ſo muͤſſen nicht allein die Wahren, die man zu verkauffen hat, be - ſehen werden, ob ſie tuͤchtig ſind oder nicht; ſondern man muß auch ihnen einen gewiſ - ſen Preiß ſetzen, dabey beydes Kaͤuffer und Verkaͤuffer beſtehen kan. Wenn dieſes nicht geſchiehet, ſo koͤnnen die jenigen, wel - che die Wahren nicht verſtehen, leicht be - trogen oder doch wenigſtens in dem Preiſ - ſe uͤberſetzet werden, und die Verkaͤuffer koͤnnen ohne Noth Theurung machen, wenn die Kaͤuffer die Wahren noͤthig haben.

(Politick) S§. 332.274Cap. 3. Von der Einrichtung
Jnglei - chen bey dem Tauſche.

§. 332.

Weil im Tauſchen Wahre ge - gen Wahre gegeben wird (§. 913 Mor.); ſo hat es bey demſelben auch ſeine Rich - tigkeit, damit keiner dadurch bevortheilet werden kan, woferne man die Wahren be - ſichtiget und ihnen ihren Preiß ſetzet. Denn in dieſem Falle iſt eben ſo viel, als wenn einer dem andern ſeine Wahre abkaufft.

Warum die Zin - ſen zu de - termini - ren / die man von ausgelie - henen Geldern nehmen darff.

§. 333.

Aus eben dieſen Urſachen ſol man die jaͤhrlichen Zinſen, die man von dem Capitale nehmen darff, determini - ren (§. 934 Mor.), abſonderlich da man leichte mit dem Gelde wuchern und da - durch viel Schaden anrichten kan (§. 944 Mor.). Und iſt hoͤchſtnoͤthig, daß man daruͤber eifrig haͤlt, weil ſonſt diejenigen, welche durch den Wucher gedruckt werden, verarmen, auch ihnen bey ihrer Arbeit ent - zogen wird, was ſie zur Nothdurfft noͤthig haben. Da hingegen die Verfaſſung des gemeinen Weſens es mit ſich bringet, daß niemand an demjenigen Mangel leide, was zur Nahrung, Kleidung und Wohnung erfordert wird. Wie viel man jaͤhrlich intereſſe von hundert Thaler Capital ver - willigen ſol, muß unter den beſondern Um - ſtaͤnden daraus beurtheilet werden, was man in einem Orte mit hundert Thalern ohngefehr gewinnen kan. Es iſt wohl nicht zu laͤugnen, daß ſolchergeſtalt einer nicht ſo viel Intereſſen geben kan als der andere (§. 941275des gemeinen Weſens. 941 Mor.): jedennoch aber da mit ausge - liehenen Geldern gar leicht Wucher getrie - ben wird, ſo muß man uͤberhaupt gewiſſe Zinſen ſetzen, und im uͤbrigen eines jeden Gewiſſen uͤberlaſſen, wie viel er in ſich er - eignenden Faͤllen davon nachlaſſen will, wenn die Duͤrfftigkeit des Schuldners es erfordert.

§. 334.

Es ſind nicht allein reiche Leu -Wie man verhuͤte / daß nicht vielevon bloſſen Zinſen leben. te zu arbeiten, ſondern, wenn ſie dazu ge - ſchickt ſind, auch Wiſſenſchafften und Kuͤn - ſte zu verbeſſern und zu erweitern verbun - den (§. 524. 526. Mor.). Derowegen ſoll man zuſehen, daß nicht leicht im gemei - ren Weſen Leute geduldet werden, die von bloßen Zinſen, oder auch andern Renten leben, wenn ſie entweder (§. 525. Mor.) ihrem Stande gemaͤße Arbeit zum gemeinen beſten verrichten, oder Wiſſen - ſchafften und Kuͤnſte in Aufnahme zu - bringen geſchickt ſind. Gleichwie man nun dieſe letztere als Mitglieder in die Academien der Wiſſenſchafften und Kuͤn - ſte ziehen kan (§. 301. 310); alſo finden ſich fuͤr die uͤbrigen allerhand andere Bedie - nungen, die zur gemeinen Wohlfahrt an - zuordnen die Nothwendigkeit erfordert, wie unten an ſeinem Orte erhellen wird. Damit man ihnen dergleichen Bedienun - gen, die nicht ſoviel einbringen, als ſie Zeit und Muͤhe erfordern, angenehm mache,S 2ſo276Cap. 3. Von der Einrichtungſo muß man damit einen hohen Rang verknuͤpffen; wovon auch nach dieſem mit mehrerem ſoll gehandelt werden. Da doch aber ein jeder ſeiner Bedienung recht vor - ſtehen muß, wenn anders dadurch die ge - meine Wohlfahrt befoͤrdert werden ſoll; ſo hat man wohl zu uͤberlegen, was fuͤr Geſchicklichkeit zu einem jeden Amte er - fordert wird, wenn man das ſeinige, wie ſichs gebuͤhret, verrichten ſoll, und nach die - ſem zu unterſuchen / ob die Perſon, welche man dazu erwehlen will, auch die Geſchick - lichkeit beſitzet, oder nicht. Es iſt beſſer, daß im gemeinen Weſen einer von bloßen Renten lebet, als daß ihm eine Bedie - nung anvertrauet wird, welcher er nicht auf gehoͤrige Weiſe vorſtehen kan. Jm erſten Falle traͤget er zum gemeinen be - ſten nichts bey, als in ſo weit er andern Geld zu loͤſen giebet, und diejenigen verſorget, ſo in ſeinen Dienſten leben: hingegen in dem andern Falle verabſaͤumet er entweder das gemeine Beſte, oder verhindert es gar. Alſo iſt er im erſten Falle ein groͤſten Theils unnuͤtzes; hingegen im andern ein ſchaͤd - liches Mitglied. Wer wolte zweiffeln, daß das erſtere beſſer, als das letztere ſey?

Was man bey dem Lei - hen und Vorſchu - be zu ver - anſtalten

§. 335.

Was ſo wohl bey dem Verlei - hen der Sachen, wenn ſie verderbet oder ſonſt verungluͤcket worden (§. 927. & ſeq. Mor.), als auch dem Vorſchube wegender277des gemeines Weſens. der verſchiedenen Umſtaͤnde, ſo ſich hierbey ereignen koͤnnen (§. 937 & ſeq. Mor.), vie - ler Streit entſtehen kan; im gemeinen Weſen aber, ſo viel nur immer moͤglich, aller Streit und Uneinigkeit verhuͤtet wer - den ſol (§. 214): ſo hat man auf Mittel zu dencken, wie man wegen des Leihens und Vorſchubes alles dergeſtalt verordne, daß alle daher zu beſorgende Streite ab - gewendet werden. Cs muß aber bey dieſen Anſtalten derjenige, welcher eine Sache verleihet oder Vorſchub thut, in ſolchen Faͤllen, wo man der natuͤrlichen Billig - keit, die anderswo (§. 927 & ſeq. 937 & ſeq. Mor.) ausfuͤhrlich gezeiget worden, aus nach dieſem an ſeinem Orte anzufuͤh - renden Urſachen im gemeinen Weſen nicht ein voͤlliges Gnuͤgen thun kan, mehr Gunſt haben als der andere, dem die Sache ge - liehen oder der Vorſchub gethan worden, das iſt, wo man von der natuͤrlichen Bil - ligkeit abzuweichen ſich genoͤthiget findet, muß die Abweichung jenem, nicht dieſem zum beſten geſchehen. Die Urſache wird ein jeder leicht errathen. Wer etwas bor - get und Vorſchub bekommet, dem geſchie - het dadurch ein Dienſt (§. 926. 932 Mor.); der andere, der es leihet oder den Vor - ſchub thut, hat nichts davor zu gewarten als wenn im letzteren Falle ein Gluͤcks - Fall, auf den er ſich keine Rechnung ma -S 3chen278Cap. 3. Von der Einrichtungchen kan, den Preiß der vorgeſchoſſenen Sache erhoͤhet (§. 939 Mor.). Die Zwei - fel, ſo einem hierbey entſtehen koͤnnten, als wenn auch im gemeinen Weſen ein jeder bey demjenigen muͤſte geſchuͤtzet werden, was ihm vermoͤge des natuͤrlichen Rechts zukommet (§. 272), ſollen unten an ſeinem Orte uͤberhaupt gehoben werden.

Was man we - gen Si - cherheit in Auslei - hung der Gelder zu beſor - gen.

§. 336.

Weil man auch inſonderheit mit dem Ausleihen des Geldes gar leichte kan betrogen werden, indem man es unwiſ - ſende an ſolche Perſonen giebet, bey denen man nicht Sicherheit genung hat; ſo iſt abſonderlich davor zu ſorgen, daß diejeni - gen, welche Geld auszuleihen haben, ſicher gehen und ſolchergeſtalt in Erfahrung kom - men koͤnnen, ob die, ſo das Geld borgen wollen, auch in dem Stande ſind, es wie - der abzutragen, entweder weil ſie ſo viel an unbeweglichen oder auch beweglichen Guͤtern beſitzen, als zur Sicherheit wegen des Darlehns erfordert wird, auch nicht bereits in groͤſſeren Schulden ſtecken, oder auch, wenn ſie das Geld zum Erwerb brau - chen, das Capital in ihrem Handel oder anderer Handthierung beſtaͤndig un - verſehret erhalten wird. Jch wil zwar nicht hoffen, daß jemand in Zweiffel zie - hen wird, ob man deßwegen offentlich im gemeinen Weſen Vorſorge zu tragen noͤ - thig habe: ſollte es aber jemanden bedenck -lich279des gemeinen Weſens. lich vorkommen, ſo wil ich es zum Uber - fluß beweiſen. Es ſoll ein jeder im gemei - nen Weſen alle Gelegenheit und Vorſchub finden der natuͤrlichen Verbindlichkeit in allem ein Gnuͤgen zu thun (§. 227). Nun erfordert auch dieſe Verbindlichkeit, daß wir unſere Capitalien bey ſicheren Leuten unterbringen, von denen wir nicht darum betrogen werden (§. 947 Mor.). Dero - wegen muͤſſen auch diejenigen, welche fuͤr die gemeine Wohlfahrt ſorgen ſollen, hier - zu gute Gelegenheit verſchaffen und allen moͤglichen Vorſchub thun. Man er - kennet auch die Nothwendigkeit dieſer Vorſorge daher, daß daraus nicht allein fuͤr wohlhabende Familien, deren man in allerhand Faͤllen noͤthig, dergleichen ſchon einige vorhin angegeben worden (§. 334) und im folgenden ſich mehrere zeigen wer - den; ſondern auch fuͤr die gemeine Wohl - fahrt allerley Unheil erfolget, wenn ver - moͤgende Leute durch Betruͤger muthwilli - ger Weiſe um das ihrige gebracht werden. Da es in unſern Tagen an ſolchen Betruͤ - gern nicht fehlet; ſo koͤnnen wir auch den Schaden, welcher daraus erwaͤchſet, aus der Erfahrung wahrnehmen, und habe ich ihn nicht noͤthig ausfuͤhrlich zu beſchreiben. Ja es wird auch hernach ſich finden, aus was fuͤr Urſachen man wohlhabende Fa - milien in gutem Wohlſtande zu erhalten hat.

S 4§. 337.280Cap. 3. Von der Einrichtung
Was wegen Buͤrg - ſchafften zu ver - ordnen.

§. 337.

Da man nun durch Buͤrgen Sicherheit ſchaffet (§. 952 Mor.), nie - mand aber mit ſeinem offenbahren Scha - den Buͤrge werden ſol (§. 953 Mor.); ſo hat man zu veranſtalten, daß ein jeder in Erfahrung kommen kan, ob er auch bey ſeiner Buͤrgſchafft ſicher genung gehe, oder nicht; ingleichen daß ſich keiner aus allzu - groſſer Gutwilligkeit (§. 1014 Mor.) oder aus Einfalt zu ſeinem Schaden mit Buͤrg - ſchafften uͤbereilet.

Jnglei - chen die Pfande und Un - terpfan - de.

§. 338.

Eine gleiche Bewandniß hat es mit den Unterpfanden (§. 948 Mor.): bey welchen der Glaͤubiger ſeine Sicherheit, die er ſuchet, nicht findet, wenn entweder daſſelbe nicht ſo viel werth iſt als darauf geborget wird, und die biß zu dem Zah - lungs-Termine gefaͤllige Intereſſen, wo - ferne man ſie nicht zu gehoͤriger Zeit abtra - gen ſolte, austragen wuͤrden, oder auch bereits ſchon andere Glaͤubiger darauf ver - ſichert ſind, in welchem Falle es dem Schuldener nicht frey ſtehet, noch einmal andere von neuem darauf zu verſichern. Wie denn inſonderheit davor zu ſorgen, daß, wenn die Pfande, welche der Schuld - ner nicht einloͤſen kan, verkaufft werden ſollen, dabey demſelben nichts nachtheili - ges vorgenommen werde (§. 951 Mor.).

Wieauch ferner bey dem Pachten.

§. 339.

So hat man auch ferner dafuͤr Sorge zu tragen, daß bey Pachten derPach -281des gemeinen Weſens. Pachter nicht uͤberſetzt, auch nach vollbrach - tem Pachte bey deſſen Endigung kein Streit entſtehet, ob alles in dem Stande wieder uͤberlieffert wird, wie ſichs gebuͤhret. Wer bedencket, was vorhin (§. 336) zum Be - weiſe vorgebracht, und anderswo (§. 956 & ſeq. Mor.) von dem Pachte erwieſen worden; der wird nach keinem Beweiſe weiter fragen.

§. 340.

Nemlich da man in allen Ver -Und - beꝛhaupt in Ver - traͤgen. gleichen und Vertraͤgen gerecht ſeyn ſol (§. 1023 Mor.); ſo hat man dafuͤr zu ſor - gen, daß es uͤberall gerecht zugehen moͤge, und ein jeder bekomme, was ihm gehoͤret (§. cit.).

§. 341.

Es iſt freylich wahr, daß dieWie man imgemei - nen We ſen die Unter - thanen verbin der. Menſchen zu allem dieſem, was bisher (§. 330 & ſeq. ) erfordert worden, von Natur verbunden ſind, wie ich in den Gedancken von der Menſchen Thun und Laſſen erwie - ſen: Allein da die natuͤrliche Verbindlich - keit nicht hinlaͤnglich iſt, ſie zu Erfuͤllung dieſer und anderer Pflichten zu bringen; ſo muß noch eine neue Verbindlichkeit im gemeinen Weſen dazu kommen, die da durchdringet, wo die natuͤrliche unkraͤfftig erfunden wird. Es kan aber dieſe Ver - bindlichkeit auf zweyerley Weiſe bewerck - ſtelliget werden, theils wenn man auf die Ubertretung deſſen, was man geordnet, Straffen ſetzet, oder auch mit deſſelbenS 5Er -282Cap. 3. Von der EinrichtungErfuͤllung Belohnungen verknuͤpffet, theils wenn man ſie mit aͤuſſerlichem Zwange (welcher die Huͤlffe genennet wird) bedro - het, woferne ſie nicht gutwillig ſich beqve - men wollen. Nemlich ſo wohl die Furcht fuͤr der Straffe und Hoffnung der Beloh - nung, als auch die Furcht vor der Huͤlffe iſt ein Bewegungs-Grund zu thun, was befohlen wird (§. 496 Met.) und ſolcher - geſtalt werden wir dadurch ſolches zu thun verbunden (§. 8 Mor.).

Wiedieſe Verbind lichkeit einzu - richten.

§. 342.

Es iſt aber ins beſondere zu mer - cken, daß Straffen noͤthig ſind, wenn durch Ubertretung andere beleidiget und in Schaden geſetzet werden. Denn in die - ſem Falle findet die Huͤlffe nicht ſtat, weil man nicht vorher weiß, wenn einer den andern beleidigen wil, und dannenhero kein ander Mittel ſolches zu verhuͤten uͤbrig iſt als die Straffe (§. 36. 8 Mor). Hin - gegen wo einer ſich weigert dem andern zu geben, was ihm gebuͤhret; da kan er mit Gewalt dazu gebracht werden, und alſo findet alsdenn die Huͤlffe ſtat. Wo was loͤbliches zu gemeinem Beſten zu verrichten iſt, und man einen weder ſtraffen kan, wenn er es unterlaͤſſet, noch auch zwingen, daß er es thut, wenn er nicht Luſt dazu hat, als wenn z. E. etwas zum gemeinen Beſten ſolte erfunden werden, da finden Beloh - nungen ſtat.

§. 343.283des gemeinen Weſens.

§. 343.

Weil nun Straffen deßwegenWorauf man in Einrich - tung der Straffen zu ſehen. geſetzet werden, damit man Beleidigungen und Schaden abwenden mag (§. 342); ſo hat man die Groͤſſe der Straffe nach der Groͤſſe der Beleidigungen und des Scha - dens einzurichten. Auch muß man zuſe - hen, daß die Straffen groͤſſer ſind, wenn viele eine Ubelthat begehen, und ſie alſo ſehr gemein wird, maſſen man in ſolchem Falle erkennet, daß eine geringere Strafe nicht hinlaͤnglich iſt, die Verbrecher von ih - rer Boßheit abzuhalten. Jngleichen muß die Straffe groͤſſer ſeyn, wenn der Frevel an ſolchem Orte ausgeuͤbet wird, wo man ihm weniger wiederſtehen kan, maſſen in dieſem Falle nichts uͤbrig iſt, wodurch man der Boßheit ſteuren kan als die Haͤrte der Straffe. Endlich hat man auch nicht zu vergeſſen, ob einer etwas mit groſſem Vorſatze gethan oder nicht: denn wo viel Vorſatz iſt, da iſt mehr Boßheit und, die vorſaͤtzlich boͤſes thun, ſind gefaͤhrlicher als andere, die noch durch die Furcht von vielem zuruͤcke gehalten werden, welches die andern zu vollbringen kein Bedencken tragen.

§. 344.

Damit dieſes alles deſto beſſerEs wird durch E - rempel erlaͤutert moͤge verſtanden werden, ſo wird es nicht undienlich ſeyn, ſolches mit Exempeln zu erlaͤutern. Z. E. Ermorden iſt groͤſſer Verbrechen als einen beſtehlen: derowe -gen284Cap. 3. Von der Einrichtunggen wenn keine andere Umbſtaͤnde mit in Betrachtung zuziehen ſind, ſo ſollen die Mordthaten ſchwerer als Diebſtahle ge - ſtraffet werden. Wenn der Diebſtahl nicht ſehr gemein iſt, ſondern in vieler Zeit kaum etwas davon gehoͤret wird; ſo kan man mit einer geringeren als einer Lebens - Straffe zufrieden ſeyn: hingegen wo vie - le ſich auf das Stehlen legen und die ge - linden Straffen nicht mehr zureichen wol - len dem Ubel zu ſteuren, da muß man biß an das Leben kommen. Ja wenn man ſich auch an die uͤbliche Lebens-Straffe nicht mehr kehret; ſo muß man eine haͤrtere ſe - tzen. Z. E. Wenn die Diebe ſich nicht mehr vor dem Strange fuͤrchten, waͤre es nicht unrecht, wenn man ſie mit dem Ra - de verfolgete. Ein Kirchen-Raub kan leichter begangen werden als ein gemeiner Diebſtahl, weil in der Kirche niemand zugegen iſt, der es gewahr werden und Wiederſtand thun kan. Derowegen muß ein Kirchen-Raub haͤrter beſtrafft werden als ein gemeiner Diebſtahl. Eben dieſe Bewandniß hat es mit einem Straſſen - Raube. Wiederumb ein Diebſtahl, der mit gewaltſamer Erbrechung geſchiehet, er - fordert mehr Vorfatz als ein anderer, wo man alles offen findet. Derowegen muß jener abermahl viel haͤrter als dieſer be - ſtraffet werden. Und da in dem Kirchen -Raub285des gemeinen Weſens. Raube zugleich eine ſehr gewaltſame Er - brechung geſchiehet, indem man in Kirchen alles wohl und mit ſtarcken Schloͤſſern verwahret; ſo verdienet auch deswegen ein Kirchen Raub mehrere Straffe als ein ge - meiner Diebſtahl. Ja es kommet bey dem Kirchen-Raube auch noch dieſes hinzu. Kirchen ſind Gebaͤude, die zum oͤffentlichen Gottesdienſte aufgefuͤhret werden (§. 322), und demnach muͤſſen ſie uns GOttes und der Religion erinnern, wenn man darin - nen was vornimmet (§. 238 Met.). Da nun ein Kirchen-Raͤuber GOtt und die Religion nicht achtet; ſo iſt er geſchickt al - les Unheil anzurichten, wenn er nur ver - meinet, daß es werde verſchwiegen blei - ben. Und daher iſt abermahls auf Kir - Raub eine ſchwerere Straffe zu ſetzen, als auf einen gemeinen Diebſtahl.

§. 345.

Weil nun aber die StraſſenWarum uͤber Straffen feſt zu halten. von keiner Wuͤrckung ſind, als in ſo weit diejenigen, ſo boͤſes im Sinne haben, da - durch aus Furcht fuͤr ihnen abgeſchrecket werden (§. 8 Met.); niemand aber fuͤr ei - ner Straffe ſich fuͤrchtet, als der ſich der - ſelben gewiß verſichert, woferne er das Verbrechen vollbringet (§. 476 Met.); ſo iſt ſehr viel daran gelegen, daß man in ſich ereignenden Faͤllen die geſetzte Straf - fe an den Verbrechern vollſtrecket. Wie - drigen Falles machet ſich ein jeder Hoff -nung,286Cap. 3. Von der Einrichtungnung, im Fall auch ſein Verbrechen ſolte kund werden, daß es doch nicht ſo ſcharf werde geahndet werden, als die Bedro - hung lautet. Kan man ſich aber erſt nur in etwas mit einiger Ausnahme ſchmei - cheln; ſo wird die Furcht vor der Straffe wenig mehr ausrichten. Wir finden ja taͤglich, und es kan auch nicht anders ſeyn (§. 169 Mor.), daß, ſo bald man zweif - felhafft wird, ob das Ubel aus unſerer Handlung erfolget, welches daraus dem Vorgeben nach erfolgen ſol, man aus anderem Vortheile, den man darbey ſie - het, ſich gar leicht verleiten laͤſſet dasjeni - ge zu thun, was man unterlaſſen ſolte. Derowegen iſt viel rathſamer gelindere Straffen zu ſetzen, und ſie bis auf das al - lergeringſte ohne alle Gnade und Barm - hertzigkeit zu vollſtrecken, als mit harten Straffen drohen, und, wenn es ein Ernſt werden ſol, ſie entweder gantz erlaſſen, o - der doch wenigſtens mildern. Es kan wohl ſeyn, daß einige Faͤlle ſich ereignen, da in Anſehung einiger beſonderen Um - ſtaͤnde die Straffe wo nicht zu erlaſſen, doch zu mildern iſt. Allein wenn dieſes geſchiehet, ſo hat man auch davor zu ſor - gen, daß die beſonderen Urſachen, war - um die ſonſt geſetzte Straffe entweder er - laſſen, oder gemildert worden, maͤnnig - lich kund werden, damit ein jeder begreif -fe,287des gemeinen Weſens. fe, wie ſolches die Billigkeit erfordert ha - be, und daher niemand Anlaß nehmen kan ſich bey anderen gantz wiedrigen Umſtaͤn - den ein gleiches zu verſprechen.

§. 346.

Weil die Straffen, auch, woAbſicht der Stꝛaffen. es die Noth erfordert, am Leben der Ver - brecher, vollzogen werden, damit jeder - mann den Ernſt der Obrigkeit ſiehet, und dadurch eine Furcht erwecket wird (§. 344. 345); ſo geſchehen ſie nicht allein zur Beſ - ſerung derer, die ſie ausſtehen, daß ſie ſich kuͤnfftig nicht mehr auf dergleichen Untha - ten, als ſie ausgeuͤbet, betreten laſſen, ſondern hauptſaͤchlich, ja die Lebens-Straf - fen einig und allein, zum Exempel ande - rer, daß ſie ſich daran ſpiegeln. Und hier - innen ſind ſie von den vaͤterlichen Zuͤchti - gungen unterſchieden, die hauptſaͤchlich auf die Beſſerung der Kinder gehen (§. 131).

§. 347.

Da man nun in BeſtraffungWarum man in der Be - ſtraffung nicht auf die Per - ſon der Verbre - cher zu ſehen. des Boͤſen mehr auf andere, als die Ver - brecher zu ſehen hat (§. 346); ſo iſt es nicht unrecht, wenn aus denen vorhin an - gefuͤhrten Urſachen (§. 343) die Verbre - cher mit haͤrtern Straffen beleget werden, als ſie zu beſſern, das iſt, von dem Vor - ſatze es weiter zu thun, zu bringen hinlaͤng - lich iſt. Ja wenn auch gleich der Ver - brecher ſich dadurch aͤndern lieſſe, daß man ihn mit der verdienten Straffe ſchreckte,und288Cap. 2. Von der Einrichtungund ſie ihm nach dieſem erlieſſe, derglei - chen bey den vaͤterlichen Zuͤchtigungen der Kinder ſtat findet (§. 131); ſo muß ſie doch an ihnen vollzogen werden, damit andere, denen ſie zum Exempel dienen ſollen, den Ernſt ſehen (§. 345).

Einwurf wird be - antwor - tet.

§. 348.

Vielleicht werden einige ver - meinen, es ſey gleichwohl der Billigkeit nicht gemaͤß, daß man einerley Verbre - chen bey allen Perſonen ohne einigen Un - terſcheid mit gleicher Straffe beleget. Es waͤre derſelben mehr gemaͤß, daß man die, welche andere verfuͤhret, oder es vor ſich gethan, haͤrter ſtraffte als diejenigen, die ſich von andern verfuͤhren laſſen, abſon - derlich wenn ſichs findete, es ſey bey ihnen eine groſſe Einfalt geweſen, daß ſie ſich leicht haben verfuͤhren laſſen, oder auch andere Umſtaͤnde zeigen, warumb ſie der Verfuͤhrung nicht ſo leicht wiederſtehen koͤnnen. Eben ſo ſey es billicher, daß man mit haͤrterer Straffe diejenigen anſehe, die ſich beſtaͤndig liederlich aufgefuͤhret, als die ſich ſonſt eines ehrbahren Wandels befliſſen, und nur in einer That ungluͤck - lich geweſen. Jch gebe ihnen hierinnen nicht unrecht. Denn da Verfuͤhrungen im gemeinen Weſen ſehr ſchaͤdlich ſind, ſo muß man ſie ſo wohl als die Ubelthaten zu verhuͤten ſuchen, und ſind ſie daher nicht weniger als dieſe zu beſtraffen. Derowe -gen289des gemeinen Weſens. gen verdienet ein Verfuͤhrer eine doppelte Straffe, einmahl wegen des Verbre - chens, darnach wegen der Verfuͤhrung. Eine doppelte Straffe aber zuſammen ge - nommen iſt groͤſſer als eine einfache. Wie - derum wer ſich in ſeiner gantzen Lebens - Art liederlich aufgefuͤhret, der kan leich - ter Ungluͤck anrichten als ein anderer, der ſich wohl auffuͤhret, und iſt daher ein ſehr gefaͤhrlicher Menſch. Da man nun im gemeinen Weſen alle Ubelthaten, ſo viel moͤglich, verhuͤten ſol (§. 318): ſo muß man auch mit davor ſorgen, daß ge - faͤhrliche Leute ſich fuͤr dergleichen in acht nehmen. Derowegen weil ſie einen Denckzettel bekommen, wenn ihre Ver - brechen haͤrter angeſehen werden; ſo hat man dieſes zu thun genungſamen Grund. Allein keines von beyden iſt demjenigen zu wieder, was von den Straffen beyge - bracht worden; ſondern ſtimmet vielmehr damit uͤberein. Jch habe ja oben erwie - ſen, daß man die Groͤſſe der Straffe nach der Groͤſſe der Boßheit der Verbrecher einrichten ſolle, nachdem ſie es nemlich mit mehr Vorſatz gethan als andere (§. 343). Wer kan aber nicht begreiffen, daß der - jenige, welcher vor ſich aus eigenem Trie - be etwas thut, oder noch gar dazu ande - re verfuͤhret, mehr Vorſatz hat als ein anderer, der ſich verfuͤhren laͤſſet, abſon -(Politick) Tder -290Cap. 3. Von der Einrichtungderlich wenn er aus Einfalt und anderen Umſtaͤnden den Verfuͤhrungen nicht ſo leicht wiederſtehen kan? Jch habe ferner gezeiget (§. 343), daß man die Groͤſſe der Straffe darnach einrichten muͤſſe, wenn man ſiehet, es koͤnne eine Ubelthat leicht begangen werden Je gewiſſer die Ge - fahr iſt, je mit groͤſſerem Ernſt muß man ihr begegnen. Wer ſiehet aber nicht, daß die Ubelthat von Leuten, die ſich in ihrem gantzen Leben liederlich aufgefuͤhret, eher zu befuͤrchten iſt als von anderen, die ſich eines guten Wandels befleißigen? Die - ſem allem iſt keines weges zuwieder, was wir von dem Unterſcheide der vaͤterlichen Zuͤchtigungen und der Beſtraffung der U - belthaten im gemeinen Weſen (§. 347) beygebracht. Denn hier redet man nicht, wie die Groͤſſe der Straffe einzurichten, ſondern ob es rathſam ſey, die nach denen vorhin vorgeſchriebenen Regeln zuerkandte Straffe zu vollſtrecken, oder ſie in Anſe - hung der Perſon, welche ſie erdulden ſol, zu milden. Uber dieſes iſt wohl zu mer - cken: wenn man fraget, wie die Groͤſſe der Straffe einzurichten, die man einem zuerkennen ſol, ſo geſchiehet ſolches in Er - wegung des vergangenen Zuſtandes; fra - get man aber, ob die zuerkannte Straffe zu vollziehen ſey, ſo geſchiehet es in Er - wegung des zukuͤnfftigen Zuſtandes. Wennnun291des gemeinen Weſens. nun auch gleich etwas anders geſetzt wuͤr - de in Erwegung des zukuͤnfftigen, als des gegenwaͤrtigen Zuſtandes; ſo waͤre ſolches doch keines weges einander zuwieder. Was einem zuwieder ſeyn ſol, muß in Erwegung einerley Zuſtandes geſchehen (§. 11 Met.).

§. 349.

Weil die Straffe nicht ſo wohlWarum Ubeltdaͤ - ter oͤffent lich zu ſtraffen. zur Beſſernng derer, die ſie dulden, als hauptſaͤchlich andern zum Exempel vollzo - gen werden (§. 347); ſo ſol man auch kei - nen Ubelthaͤter heimlich oder im verborge - nen, ſondern oͤffentlich fuͤr jedermanns Au - gen ſtraffen, und daher auch ſolches vor - her kund machen, damit eine zahlreiche Menge der Execution beywohne. Es machet auch der Anblick der Ubelthaͤter mit ihrem klaͤglichen Bezeigen, und ſelbſt die groſſe Menge derer, welche zuſehen, einen groſſen Eindruck in das Gemuͤthe, und vermehren die Furcht fuͤr der Straffe, weil ſie viel entſetzlicher vorkommet, als wenn man von allen dieſen Umbſtaͤnden nichts weiß und nur hoͤret, daß einer auf eine ſolche, oder andere Art von dem Leben zum Tode gebracht worden. Ein ehrgei - tziger erweget hierbey die Schande, wel - che der Ubelthaͤter hat, indem er fuͤr ſo vie - ler Augen durch unehrliche Perſonen hin - gefuͤhret wird. Und dieſe Furcht fuͤr die - ſer Schande vermag bey ihm mehr als die Furcht des Todes. Andere hingegenT 2die292Cap. 3. Von der Einrichtungdie nicht viel Schmertz erdulden koͤnnen, werden durch die Art der Straffe geruͤh - ret, indem es ihnen ſelbſt an dem Orte we - he thut, wo ſie den Ubelthaͤter leiden ſe - hen. Z. E. Wenn einem mit dem Rade Armen und Beine zerſchlagen werden, thut es ihnen ſelbſt an Armen und Beinen we - he. Jch wil jetzt dieſes alles nur aus der Erfahrung annehmen, ob es ſich auch gleich erweiſen lieſſe. Alle dieſe Regungen und Bewegungen, welche die Furcht fuͤr der Straffe kraͤfftig machen, bleiben nach, wo die Straffen im verborgenen vollzogen werden.

Warum das Ver - brechen umſtaͤnd - lich bey der Exe - cution vorzule - ſen / auch dem Ubel thaͤter vorzu - halten.

§. 350.

Wenn die Straffe anderen zum Exempel dienen ſol, damit nemlich ſie ab - gehalten werden von dergleichen Schand - und Ubel-thaten, als der Uhelthaͤter voll - bracht, der nun zu gebuͤhrender Straffe gezogen wird (§. 346); ſo muß auch das Verbrechen des Ubelthaͤters kund werden, und zwar, da die Straffe nach den be - ſonderen Umſtaͤnden vergroͤſſert und ver - kleinert wird (§. 344), nach allen ſeinen Umſtaͤnden. Derowegen iſt noͤthig, daß ſolches der Menge, welche der Execution beywohnet, oͤffentlich vorgeleſen wird. Und ſolchergeſtalt kan auch demjenigen ein Gnuͤgen geſchehen, was oben von Min - derung der Straffe aus beſonderen Um - ſtaͤnden erinnert worden (§. 345). Ja da -mit293des gemeinen Weſens. mit man deſto weniger zweiffeln darff, daß der Ubelthaͤter dieſes alles verbrochen, was man ihm Schuld giebet, und um deßwil - len er auf dieſe Art geſtraffet wird; ſo ſol man ihm oͤffentlich vor der Menge alles vorhalten, was er gethan, und ihn darauf antworten laſſen, ob er es geſtaͤndig iſt o - der nicht, und ihm nach dieſem andeuten, was er vor eine Straffe zu gewarten ha - be, auch aus den Umſtaͤnden ſeines Ver - brechens den Grund anzeigen, warum die Straffe in dieſem oder jenem Grade ihm auferleget wird, oder auch in einem und dem andern eine Linderung geſchiehet. Und dieſes iſt es, welches man die Verurthei - lung zum Tode zu nennen pfleget.

§. 351.

Da eine groſſe Menge dasWarum der Ubel - thater durch ei - nen wei - ten Weg zum Ge - richte zu fuͤhren. klaͤgliche Bezeigen des Ubelthaͤters ſo wol bey der Ausfuͤhrung, als auf der Gerichts - ſtaͤte ſehen ſol (§. 349); ſo ſol die Ge - richtsſtete von dem Orte, wo er verurthei - let wird, weit abliegen, damit er durch viele Leute bequem kan durchgefuͤhret wer - den, auch ihm dadurch die Angſt des To - des gemehret wird und er durch ſeine er - baͤrmliche Geſtalt einen deſto groͤſſeren Eindruck in das Gemuͤthe der Zuſchauer machet. Es erfordert dieſes auch die - brige Beſchaffenheit der Sache. Denn die Verurtheilung ſol an dem Orte geſche - hen, wo Gerichte gehalten wird, das iſt,T 3bey294Cap. 3. Von der Einrichtungbey dem Rathhauſe, welches nach unten anzufuͤhrenden Urſachen mitten in der Stadt liegen muß. Die Gerichtsſtaͤte lieget auſſerhalb der Stadt und den Vor - ſtaͤdten im freyen Felde, abſonderlich auch wegen des Geſtanckes der Leichnamme, die uͤber der Erden bleiben, als z. E. bey uns der erhenckten und geraͤderten, und des Schind-Angers, wo das verreckte Vieh abgezogen wird, den man deswegen zur Gerichtsſtaͤte zu legen hat, damit man zu verſtehen giebet, ein Menſch, der durch den Trieb ſeiner Sinnnen und Affecten ſich zu Schand - und Ubel-Thaten verlei - ten laͤſſet, und die Vernunfft, welche ihn zum guten verbindet (§. 24 Mor.), gantz und gar bey Seite ſetzet, ſey nicht anders als einem Viehe und inſonderheit einem ra - ſenden Hunde gleich zu achten, der weiter zu nichts nutzet, als daß man ihn todtſchlaͤget und auf den Schind-Anger den Raben und andern Raub-Voͤgeln zur Speiſe hin - wirfft. Und ſo kan es auch dieſer Urſa - chen halber nicht anders ſeyn, als daß die Gerichtsſtaͤte von dem Orte, wo die Ver - urtheilung geſchiehet, weit abgelegen.

Warum die Ge - richtsſte - te an der Land - Straſſe liegen /

§. 352.

Aus eben dieſer Urſache iſt noͤ - thig, daß das Gerichte an einer oͤffentli - chen Land-Straſſe lieget, und zwar an derjenigen, wo die meiſten reiſenden paſ - ſiren, damit deſto mehr Gelegenheit iſtan295des gemeinen Weſens. an die Straffen zu gedencken, welche aufund die Leich - namme der Ubel - thaͤter - ber der Erde bleiben ſollen. die Ubelthaten geſetzet werden (§. 238 Met.). Hierzu kommet ferner noch dieſes, daß die Leichnamme der Ubelthaͤter, welche uͤber der Erde bleiben, mit der Zeit eine ſehr heßliche Geſtalt gewinnen, und dadurch denen vorbeyreiſenden einen entſetzlichen Anblick machen, wodurch die Furcht fuͤr dergleichen Straffe, und folgends der Haß gegen die Laſter, darauf ſie geſetzet ſind, vergroͤſſert wird (§. 8 Mor.). Und hieraus ſiehet man zugleich, daß mit gu - tem Grunde die Leichnamme der Ubelthaͤ - ter nach der an ihnen vollſtreckten Strafe auch uͤber der Erde koͤnnen gelaſſen werden. Denn alles, was die Abſicht der Straffe befoͤrdert, iſt recht und billich, weil eben aus der Abſicht alles, ſo dabey vorkom - met, beurtheilet werden muß.

§. 353.

Wiederumb weil eine groſſeBeſchaf - fenheit der Ge - richts - ſtete. Menge die Vollziehung der Straffe anſe - hen ſol (§. 349); ſo muß der Ort, wo ſolches geſchiehet, erhaben ſeyn, oder es muß wenigſtens ein weiter Creiß geſchloſ - ſen, und niemand, der nicht mit dabey zu thun hat, hineingelaſſen werden, damit nie - mand den Proſpect benehmen kan.

§. 354.

Eben deswegen weil die Straf -Grund der Cere - monien bey deꝛ E - xecution. ſe, damit die Ubelthaͤter beleget werden, andern zum Exempel dienen ſol, daß ſie nemlich dadurch bewogen werden, fuͤr der -T 4glei -296Cap. 3. Von der Einrichtunggleichen Verbrechen ſich zu huͤten, und ei - einen Abſcheu davor bekommen; ſo muͤſ - ſen die Zuſchauer dabey Gelegenheit fin - den, nicht weniger die Schaͤndlichkeit des Verbrechens, als den Ernſt der Obrigkeit es zu beſtraffen, ihnen lebhafft vorzuſtel - len. Da nun hierzu Ceremonien dienlich ſind (§. 176 Mor.); ſo muͤſſen auch ſo wohl fuͤr die Ausfuͤhrung, als Verurthei - lung und Vollziehung des Urtheils ge - ſchickte Ceremonien erfunden werden. Es laſſen ſich aber eben daraus die Ceremoni - en beurtheilen, ob ſie geſchickt ſind, oder nicht, wenn ſie uns auf die Schaͤndlichkeit der Ubelthat und den Ernſt der Obrigkeit ſie zu ſtraffen fuͤhren (§. 177 Mor.). Ja eben dadurch laſſen ſich beqveme Ceremo - nien erdencken (§. 178 Mor.): von wel - chen wir aber hier umſtaͤndlicher zu reden keines weges fuͤr noͤthig erachten. Z. E. Es werden an einigen Orten die Diebe be - ſonders angekleidet, indem man ſie aus - fuͤhret, damit ſie durch den Diebs-Habit denen Zuſehern abgebildet werden, wie das Gemuͤthe bey ihnen beſchaffen geweſen, das iſt, daß ſie tuͤckiſch und betruͤgriſch, und begierig das geſtohlene zu verbergen ausſehen. Viele wuͤrden dieſes fuͤr eine Comoͤdie halten, die ſich bey einer ſo ernſt - hafften Straffe, dergleichen der Strang iſt, nicht ſchickte: wer es aber nach denvor -297des gemeinen Weſens. vorgeſchriebenen Gruͤnden unterſuchet, der - ſelbe wird befinden, daß es vernuͤnfftig iſt, indem dadurch Gelegenheit gegeben wird, die Schaͤndlichkeit des Diebſtahles und inſonderheit eines diebiſchen Gemuͤ - thes zu erkennen. Ja es pfleget auch vie - len der Diebs-Mantel und Diebs-Hut unleidlicher zu ſeyn, als der Tod ſelbſt, und iſt daher nicht zu zweiffeln, daß, die ſo geſinnet ſind, eher dadurch, als durch den Stranck ſich von dem Stehlen ab - ſchrecken laſſen. Dergleichen Gemuͤther ſind diejenigen, die ſich von andern nicht koͤnnen vexiren laſſen, ſondern in dieſem Stuͤcke ſehr empfindlich ſind. Jch bin verſichert, daß man vieles, was hin und wieder bey den Executionen uͤblich iſt, und man insgemein als unnuͤtzes, oder oder auch wohl gar alber Spiel-Werck verlachet, hoͤchſtvernuͤnfftig befinden wird, woferne man es nach dieſen Gruͤnden un - ter ſuchet. Es muß aber nach ihnen und keinen andern unterſucht werden, weil e - ben ſie diejenigen ſind, welche mit der Ab - ſicht der Straffe uͤbereinkommen (§. 346).

§. 355.

Weil durch Straffen bloß die -Wuͤr - ckung der Straͤffe. jenigen von einer Handlung muͤſſen zuruͤ - cke gehalten werden, die dem unvernuͤnff - tigen Viehe gleich ſind, und der natuͤrli - chen Verbindlichkeit keinen Raum geben (§. 39 Mor.); ſo ſind ſie kein Mittel, dieT 5Men -298Cap. 3. Von der EinrichtungMenſchen tugendhafft zu machen. Denn da ein tugendhaffter bereit iſt, ſein Hand - lungen nach dem Geſetze der Natur einzu - richten (§. 64 Mor.), und alſo einige voll - bringet, weil ſie an ſich gut; hingegen andere unterlaͤſſet, weil ſie an ſich boͤſe ſind (§. 12 Mor.); ſo hat er keinen Wil - len das boͤſe zu thun und das gute zu laſ - ſen: hingegen der aus Furcht der Straffe etwas unterlaͤſſet, was er ſonſt thun wuͤr - de, oder auch thut, was er unterlaſſen wuͤrde, der hat noch den Willen das boͤſe zu thun und das gute zu laſſen. Und demnach iſt klar, daß durch Straffen nie - mand tugendhafft gemacht wird. Man kan doch aber machen, daß ſie zugleich zur Tugend den Weg bahnen, wenn man geſchickte Ceremonien damit verknuͤpffet. Denn weil dieſe dasjenige ins Gedaͤchtnis bringen, was bey der Schaͤndlichkeit der Verbrechen, die geſtraffet werden, zu be - dencken: ſo lernet man ſie zugleich als an ſich boͤſe Dinge erkennen. Ob nun zwar vermoͤge der Ceremonien es nicht allezeit dahin zu bringen, daß man hiervon eine Uberfuͤhrung erlanget, und ſolchergeſtalt kein feſter Vorſatz in Anſehung dieſer Er - kaͤnntniß erfolgen kan (§. 169 Mor.): ſo iſt es doch genung, daß ein Anfang ge - macht wird, wodurch man nach dieſemleicht299des gemeinen Weſens. leicht weiter gebracht werden mag. Und hieraus erhellet ein beſonderer Vortheil der Straffen, die mit tuͤchtigen Ceremo - nien vollzogen werden, fuͤr denen, wo alle Ceremonien wegbleiben. Ja in Anſehung dieſes Vortheils, der gewiß ſehr groß iſt, ſol man auf Ceremonien dencken, wo man keine hat, oder auch auf Verbeſſerung der - ſelben, wo ſie der Abſicht noch nicht ein ſolches Gnuͤgen thun als ſich erreichen laͤſ - ſet. Damit ſie aber auch nicht unnuͤtze werden, ſondern vielmehr der vorgeſetzte Zweck dadurch erreichet wird; ſo muß man ihre Bedeutung bekannt machen: welches theils durch gedruckte Schrifften, theils durch die oͤffentliche Lehrer geſchehen kan, wenn eine Execution vor ſich gehen ſol. Ja es gienge bißweilen an, wenn ſelbſt bey den Handlungen, die der Execution halber vorgenommen werden, die Bedeu - tung eroͤffnet wuͤrde. Z. E. Wenn man die Diebe bey ihrer Ausfuͤhrung in Die - bes-Habit einkleidet, koͤnnte die Einklei - dung oͤffentlich geſchehen, und eines jeden Bedeutung dabey zugleich beygebracht werden. Jedoch wo man guten Fort - gang haben wil, da muß alles ein Ernſt zu ſeyn ſcheinen, und hat man daher zu verhuͤten, daß nicht zu Gelaͤchter Anlaß gegeben werde.

§. 356.300Cap. 2. Von der Einrichtung
Worauf die buͤr - gerliche Verbinde lichkeit gehet.

§. 356.

Weil die Straffen nicht tugend - hafft machen, ſondern nur hindern, daß man das boͤſe, welches man im Sinne hat, nicht vollbringet, (§. 355); ſo wird dadurch nur eine aͤuſſerliche Zucht erhalten. Nehmlich die aͤußerliche Zucht beſtehet in der Ubereinſtimmung der aͤuſſerlichen Hand - lungen mit dem Geſetze der Natur, und kan dabey die Luſt zu wiedrigen Hand - lungen noch immer verbleiben. Derowe - gen weil man im gemeinen Weſen nie - manden anders als durch Straffen ver - binden kan von dem boͤſen abzuſtehen (§. 341; ſo kan auch die buͤrgerliche Ver - bindlichkeit nicht weiter als auf die aͤuſſer - liche Zucht gehen. Und deßwegen pfleget man im Spruͤchworte zu ſagen: Gedan - cken ſind zollfrey. Und hierinnen beſtehet eben der Unterſcheid zwiſchen der buͤrger - lichen und natuͤrlichen Verbindlichkeit, daß jene nur auf das aͤuſſere, dieſe aber zugleich auf das innere gehet (§. 9 Mor), und daher jene nur eine aͤuſſerliche Zucht, dieſe hingegen eine wahre Tugend gebie - ret. Bey der buͤrgerlichen Verbindlich - keit ſiehet man bloß auf das Ubel, wel - ches eine Handlung nach ſich ziehet; hin - gegen bey der natuͤrlichen erweget man zu - gleich das gute, welches aus einer Hand - lung erfolget, und durch eine andere hin - tertrieben wird (§. 6. 9 Mor.).

§. 357.301des gemeinen Weſens.

§. 357.

Da man nun im gemeinen We -Welche Verbre - chen im gemeinen Weſen zu be - ſtraffen. ſen fuͤr die aͤuſſeren Handlungen in ſo weit Vorſorge traͤget, als dadurch die gemei - ne Wohlfahrt und Sicherheit gehindert wird (§. 215); ſo hat man auch kein Ver - brechen zu ſtraffen, als wodurch die ge - meine Wohlfahrt und Sicherheit gehin - dert wird. Z. E. Diebſtahl iſt ein Ver - brechen, wodurch einer in ſeinem Eigen - thume beunruhiget wird (§. 892. 893. Mor.), und alſo der gemeinen Sicherheit zuwieder (§. 212). Derowegen muß der Diebſtahl im gemeinen Weſen geſtraffet werden. Gleichergeſtalt weil man durch Betruͤgereyen den landern um das ſeinige bringet (§. 896 Mor.), und ſie daher ſo wohl als der Diebſtahl der gemeinen Si - cherheit Eintrag thun; ſo ſol alle Betruͤ - gerey geſtraffet werden. Ja weil uͤber - haupt dadurch die gemeine Sicherheit ver - letzet wird, wenn man dem andern Scha - den zufuͤget; ſo ſollen alle Beleidigungen, wodurch dem andern vorſaͤtzlich Schaden zugefuͤget wird, geſtraffet werden.

§. 358.

Nachdem nun aus einem Ver -Wie die Groͤſſe eines Verbre - chens im gemeinen Weſen zu ermeſſen. brechen ein großer oder kleiner Schade er - waͤchſet, nachdem iſt es fuͤr groß oder fuͤr klein zu achten. Und alſo haben wir einen ſichern Grund, daraus wir die Groͤſſe ei - nes Verbrechens ermeſſen koͤnnen. Jch rede aber ietzt bloß von der Groͤſſe einesVer -302Cap. 3. Von der EinrichtungVerbrechens in Anſehung des gemeinen Weſens: denn es hat eine gantz andere Beſchaffenheit, wenn man von den La - ſtern vor und an ſich ſelbſt urtheilet.

Ob Jrr - thum zu beſtrafen

§. 359.

Hier laͤſſet ſich auch die Frage entſcheiden, ob und wie wie weit Jrrthuͤ - mer zu beſtraffen ſind. Ein Jrrthum iſt ein falſcher Wahn von der Wahrheit, oder Falſchheit eines Urtheils (§. 396 Met.), und alſo eine ungegruͤndete Meinung (§. 393 Met.), folgends ein bloſſer Gedancke (§. 194. 384 Met.). Da nun die Ge - dancken zollfrey ſind (§. 356); ſo muͤſſen auch die Jrrthuͤmer, die einer vor ſich he - get, zollfrey ſeyn, das iſt, Jrrthuͤmer doͤrf - fen nicht beſtraffet werden. Man kan es auch noch handgreifflicher auf ſolche Art erweiſen. Man darf im gemeinen Weſen nichts beſtraffen, als wodurch die gemei - ne Wohlfahrt und Sicherheit geſtoͤhret wird (§. 357). Ein Jrrthum, den einer vor ſich heget, kan die gemeine Wohlfahrt nicht ſtoͤhren. Niemand weiß, was ich mir gedencke, und alſo kan es keinen Schaden bringen. Deromegen doͤrffen Jrrthuͤmer nicht beſtraffet werden. Weil man nun auch im gemeinen Weſen kein Recht hat Verbrechen zu unterſuchen, als in ſo weit man dieſelbe zu beſtraffen noͤthig hat, maſſen die Unterſuchung zu keinem anderen Cnde geſchiehet, als daßman303des gemeinen Weſens. man das ſchaͤdliche beſtraffen kan, wie ſich bald mit mehrerm zeigen wird: ſo iſt es ebenfalls unrecht, wenn man wieder die jenigen eine Inquiſition anſtellen wollte, welche man wegen eines Jrrthums ver - daͤchtig hielte.

§. 360.

Jch weiß gar wohl, daß an -Eainne - rung. dere dieſes dadurch zu erweiſen vermeinen, weil der Jrrthum nothwendig iſt, und nie - mand davor kan, daß ihm dieſes ſo und nicht anders vorkommet. Allein mir ſchei - net dieſer Grund nicht zulaͤnglich zu ſeyn, die Jrrthuͤmer von der Straffe zu befrey - en. Einmahl iſt dieſes kein richtiger Satz; Nothwendige Handlungen kan man nicht beſtraffen. Denn nicht die Freyheit der Handlungen, ſondern ihre Schaͤdlichkeit im gemeinen Weſen iſt der Grund der Straffe (§. 357). Wenn gleich alle unſe - re Handlungen keine wahre Freyheit haͤt - ten, wie einige Gelehrten vorgeben; ſo wuͤrden doch deßwegen die Straffen nicht aufgehoben. Es waͤre alsdenn die Furcht der Straffe ein Zwang, wodurch man ei - ner nothwendigen Handlung wiederſtuͤn - de, daß ſie nicht koͤnte vollzogen werden. So lange demnach nur gewiß waͤre, daß dieſes Zwangs-Mittel fruchtete; ſo lan - ge muͤſte man es noch beybehalten. Das Exempel der Thiere beſtetiget, was ich hier geſaget. Thiere haben keine Frey -heit,304Cap. 3. Von der Einrichtungheit, ſondern ſind Sclaven in ihren Hand - lungen (§. 891 Mor.). Unterdeſſen wer - den ſie doch geſtraffet, weil man ſiehet, daß ſie dadurch von denen Handlungen, die man bey ihnen nicht leiden will, koͤn - nen zuruͤcke gehalten werden. Darnach laͤſſet ſich eben nicht erweiſen, daß Jrrthuͤ - mer ſchlechterdinges nothwendig ſind. Es ſtehet ſo wohl in unſerer Gewalt ſelbige zu vermeiden, als das boͤſe, wozu wir ge - neiget ſind, zu unterlaſſen. Jſt es gleich in einigen Faͤllen ſchwer und in Anſehung der beſonderen Umſtaͤnde, darinnen man ſich befindet, faſt unmoͤglich: ſo findet ſich doch dieſes ebener maſſen bey den Ubeltha - ten, die man zu beſtraffen pfleget. Allein da es in Anſehung der Straffen gleich viel gielt, ob die Verbrechen nothwendig ſind, oder nicht, wie ich erſt erwieſen habe: ſo iſt nicht noͤthig, ſolches weitlaͤufftiger aus - zufuͤhren. Unterdeſſen dienet zur Erlaͤu - terung, was anderswo (§. 264. 265 Mor) von der Unwiſſenheit beygebracht worden, wie weit ſie zur Entſchuldigung dienen kan.

Ob und wie weit der zu be - ſtraffen / der Jrr - thuͤmer unter die Leute bringet.

§. 361.

Ob nun aber gleich der Jrr - thum nicht zu beſtraffen iſt (§. 359); ſo folget doch daraus noch nicht, daß die Aus - breitung des Jrrthums nicht zu beſtraffen ſey. Und dannenhero muͤſſen wir noch ins beſondere unterſuchen, ob und wie weitman305des gemeinen Weſens. man einen beſtraffen kan, der Jrrthuͤmer unter andere Leute ausbringet, entweder indem er ſie lehret, oder doch fuͤr anderen ohne Scheu herausſaget. Weil man nun im gemeinen Weſen nichts beſtraffen darf, als was der gemeinen Wohlfahrt und Si - cherheit zuwieder iſt (§. 357); ſo darf man auch niemanden deßwegen beſtraf - fen, daß er Jrrthuͤmer unter andere aus - bringet, woferne nicht dadurch der gemei - nen Wohlfahrt und Sicherheit Eintrag geſchiehet. Und ſolchergeſtalt iſt klar, daß man einen jederzeit mit gutem Rechte be - ſtraffen kan, der ſolche Jrrthuͤmer unter die Leute bringet, wodurch die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit geſtoͤhret wird. Hingegen wer ſeine Jrrthuͤmer vor ſich be - haͤlt, und niemanden damit verfuͤhret, den zu beſtraffen findet man keinen zureichen - den Grund. Wer durch Jrrthuͤmer, die er heget, ſich zu Ubelthaten verleiten laͤſſet, die man im gemeinen Weſen zu beſtraffen hat; der wird nach dieſem um ſeines Ver - brechens, nicht um des Jrrthums willen geſtraffet. Jm uͤbrigen ſiehet man hier - aus, daß die Ausbreitung eines Jrrthu - mes mehr zu beſtraffen iſt, als des andern. Nemlich was oben uͤberhaupt von der Groͤſſe der Straffen erwieſen worden (§. 343), kan und muß auch auf gegen - waͤrtigen Fall gezogen werden. Weil a -(Politick) Uber306Cap. 3. Von der Einrichtungber der Schaden, der aus Jrrthuͤmern zu beſorgen iſt, nicht bald und auf einmahl, ſondern nach und nach einreiſſet, und da - her abgewendet werden kan, wenn man der Ausbreitung bey Zeiten Einhalt thut; hingegen man niemahls zu harten Mitteln ſchreiten ſol, wo gelindere zureichend ſind die Abſicht zu erhalten (§. 862. Mor.); ſo ſol man auch niemanden eher ſtraffen, als biß ihm vorher die Ausbreitung ſeines Jrrthums unterſaget und deren Gefaͤhr - lichkeit vorgeſtellet werden. Wer ſich nach dieſem nicht wil warnen laſſen, ſondern bey ſeiner Weiſe verbleibet: der hat es ſich zuzuſchreiben, wenn die Straffe an ihm vollzogen wird.

Urſachen warumb die Stꝛa - fen nicht bey jeder - mann fruchten und wie dieſen Hinder - niſſen zu begeg - nen.

§. 362.

Warum die Straffen nicht bey allen fruchten, ob ſie gleich den Ernſt ſehen, iſt bey den meiſten wohl keine an - dere Urſache als dieſe, daß ſie vermeinen ihr Verbrechen ſo zu verbergen, damit es nicht kund wird, oder ſich auch, im Fall es kund werden ſollte, auf das Leugnen verlaſſen, indem es oͤffters gar ſchweer faͤl - let einen zu uͤberfuͤhren, er habe dieſes oder jenes gethan, was er im verborgenen veruͤbet, weil man wieder wahrſcheinliche Beweiſe, dergleichen hier meiſtentheils ſtatt finden, noch immer eines und das andere nicht ohne einigen Schein ein - wenden kan. Derowegen hat man haupt -ſaͤch -307des gemeinen Weſens. ſaͤchlich darauf zu ſehen, daß die im ver - borgenen zum Schaden anderer begange - ne Ubelthaten kund werden, und man, ſo viel moͤglich, hinlaͤngliche Mittel erſinne, wie man die Ubelthaͤter entweder zu eige - ner Geſtaͤndniß ihres Verbrechens bringen oder auf andere Weiſe dergeſtalt uͤberfuͤh - ren kan, daß ſie ſich ſchaͤmen muͤſſen, es laͤnger zu laͤugnen. Es iſt wahr, daß - ber dieſes noch einige andere Urſachen ſich finden, welche die Furcht fuͤr der Straffe benehmen: allein ſie ſind nicht ſo allge - mein wie die vorigen. Z. E. Einige ver - laſſen ſich darauf, daß ſie der Straffe ent - rinnen und ſich mit der Flucht erretten wol - len. Allein dieſes ſind Leute, die in einem Or - te gar nichts zu verlieren haben, und de - nen es gleich viel gielt, ob ſie hier oder da ſich aufhalten. Unerachtet nun aber in Anſehung der uͤbrigen dieſe Zahl ſehr ge - ringe iſt, indem ſie ſo eine Lebens-Art ha - ben muͤſſen, daß man in andern Orten nicht nachfraget, wer ſie ſind und woher ſie kommen; ſo hat man doch, um allen Hinderniſſen zu begegnen, ſo viel moͤglich iſt, und oͤffters liederliches Geſinde nicht an anderen Orten mehr Unheil anrichten zu laßen, zugleich auf Mittel zu gedencken, wie man wegen begangener Ubelthaten fluͤchtige Perſonen verfolgen und ihrer hab - hafft werden koͤnne. Einige pflegen ſichU 2auch308Cap. 3. Von der Einrichtungauch wohl in die Straffe zu ergeben, wenn ſie bedencken, daß ihre Ubelthat koͤnne ent - decket, und ſie weder mit Laͤugnen, noch mit der Flucht der Straffe entgehen wer - den. Allein von dergleichen verzweiffelter Boßheit ſind die wenigſten Menſchen. Un - terdeſſen wenn man dergleichen Ubelthaͤ - ter findet, die man dieſer Boßheit zur Gnuͤge uͤberfuͤhren kan, ſo hat man ſie (§. 343) mit deſto haͤrterer Straffe zu bele - gen, damit die Luſt anderen zu derglei - chen Frevel vergehe. Und aus dieſen Ur - ſachen iſt abermahls noͤthig, daß man al - les oͤffentlich kund mache, wie die U - belthaten mit groſſem Bedacht im verbor - genen vorgenommen, nachdem man ſie vollbracht, oͤffters lange ſorgfaͤltig verhee - let, endlich auf wunderbahre Weiſe ent - decket worden, damit jedermann von die - ſem Spruche der Alten gnugſam uͤberzeu - get werde: Es ſey nichts ſo verborgen, wel - ches nicht endlich entdecket werde. Jn - gleichen ſolte man jedesmahl oͤffentlich kund thun, wie die Ubelthaͤter zur Geſtaͤndniß gebracht und bey ihrem hartnaͤckigen Laͤug - nen doch endlich uͤberfuͤhret worden, und was dergleichen mehr iſt.

Wie man den Thaͤ - ter zu entdecken ſich bemuͤhen ſol.

§. 363.

Wenn demnach eine Ubelthat kund wird, ſo hat man alle Sorgfalt zu gebrauchen, wie man den Thaͤter heraus - bringen moͤge, und daher alle nur erſinn -liche309des gemeinen Weſens. liche Mittel anzuwenden, die ſich aus den beſonderen Umſtaͤnden geben muͤſſen. De - rowegen muß man ſogleich, als eine Ubel - that erfahren wird, ſich nach den beſonde - ren Umſtaͤnden erkundigen, dieſelben flei - ßig erwegen und zuſehen, ob ſich nicht et - wan daraus einige Spuren hervor thun, hinter den Thaͤter zu kommen. Und in dieſem Falle ſtehet alles frey, was man ohne Voͤſes zu thun als ein Mittel ge - brauchen kan. Z. E. Wenn Titius Wiſ - ſenſchafft von der Sache haͤtte und es waͤ - re zu beſorgen, daß er davon gienge, oder man wuͤſte es nicht gewiß, ob er bleiben wuͤrde, wo man ihn als Zeugen verneh - men wolte; ſo geſchaͤhe ihm nicht zu viel, wenn er ſo lange in Verhafft genommen wuͤrde, bis man von ihm erfahren, was zu wiſſen noͤthig, oder ſich auf eine ande - re Weiſe, als durch genugſame Caution, ſeiner Perſon, ſo weit man ſie noͤthig hat, verſicherte. Es iſt freylich etwas hartes ohne Schuld ins Gefaͤngniß zu gehen, o - der auch entweder mit baarem Gelde, o - der durch Pfand, oder auch einen Buͤr - gen, oder endlich durch einen Eyd Si - cherheit ſeiner Perſon wegen zu verſchaffen: allein es iſt ein Ungluͤck, das man nicht vermeiden koͤnnen (§. 1002 Mor.), und das man dem gemeinen Beſten zu gefallen uͤber ſich nehmen muß (§. 218). Da manU 3nun310Cap. 3. Von der Einrichtungnun aber weiter kein Recht hat, dem an - dern beſchwerlich zu fallen, als in ſo weit es die gemeine Wohlfahrt erfordert (§. cit. ); ſo muß man auch kein haͤrteres Mittel gebrauchen, wo man durch ein ge - linderes ſeine Abſicht erreichen kan. Z. E. Wenn einer durch einen Eyd Sicher - heit verſchaffet, ſo iſt nicht noͤthig, daß man einen Buͤrgen, oder ein Pfand, oder gar baares Geld verlanget. Und hinwie - derum wenn einer auf einige Weiſe, wie erſt ietzt wiederholet worden, Sicherheit ſchaffen wil; ſo geſchaͤhe ihm zu viel, wenn man ſich ſeiner Perſon bemaͤchtigen wolte. Man kan aber in dieſen und dergleichen Faͤllen nicht allemahl auf Gewißheit gehen; ſondern man iſt genung berechtiget etwas zu thun, woferne man nur zu einer Wahr - ſcheinlichkeit genugſame Anzeige hat. Z. E. Es koͤnte ſeyn, daß einer nicht rechte Nachricht von dem Thaͤter haͤtte: man haͤtte aber genugſamen Grund ſolches zu muthmaſſen, ſo iſt der Verdacht zulaͤnglich genung ihn zu graviren, daß er wegen ſei - ner Perſon ſo lange Sicherheit ſchaffet, als man ihn zur Unterſuchung noͤthig zu haben vermeinet.

Wie man ihn ver - folgen ſol.

§. 364.

Die Mittel, welche man hat, einen Thaͤter zu verfolgen, ſind bekannt. Dennn entweder es muͤſſen ihm einige nach geſchicket werden, die ſich ſeiner Per -ſon311des gemeinen Weſens. ſon bemaͤchtigen koͤnnen, wenn man weiß, welche Gegend er ſeinen Weg genommen; oder man muß an die herumliegende Oer - ter, oder dahin, wo man vermuthet, daß er zukommen wird, ſchreiben, was er ver - brochen, auch wie er ausſiehet, und bit - ten daß man ihn in Verhafft nehme, wenn ſolches geſchehen, berichten, und ſo dann abfolgen laſſen wolle. Dergleichen Schrei - ben werden Steck-Brieffe genennet. Damit nun aber alle Unordnungen vermie - den werde, ſo durch boßhafftige Leute leicht entſtehen koͤnnen; ſo kan man nicht erlau - ben, daß diejenigen, ſo nachgeſchickt wer - den, ſich eigenmaͤchtig den Fluͤchtigen zu arretiren unterſtehen: ſondern es muͤſſen ihnen Steck-Brieffe mit gegeben werden, dadurch die Obrigkeit deſſelben Orts, wo man ihn antrifft, dazu requiriret wird. Nemlich in ſolchen Faͤllen, wo einem ſehr wehe geſchehen wuͤrde, wenn man ihm unrecht thaͤte, muß alle Behutſamkeit ge - brauchet werden, damit nicht leicht aus Boßheit, oder auch aus Unvorſichtigkeit einem Unrecht geſchehen koͤnne. Wofer - ne aber einer bloß aus Furcht des Gefaͤng - niſſes ſich auf die Seite machte, hinge - gen entweder durch andere, oder ſchrifft - lich meldete, daß er ſich ſtellen und ſeine Sache ausfuͤhren wollte, woferne man ihm die Verſicherung ertheilte, daß manU 4ihn312Cap. 3. Von der Einrichtungihn nicht gefaͤnglich einziehen wollte, und das Verbrechen waͤre ſo beſchaffen, daß man nicht vermuthen darf, er werde ſein Wort nicht halten, ſondern nach dieſem fluͤchtig werden, oder auch, wenn ſolches geſchehen ſollte, man dennoch in dem Stande waͤre, die Straffe an dem Ab - weſenden zu vollziehen: ſo waͤre es thoͤ - richt, einen ſolchen Menſchen mit Steck - Brieffen zu verfolgen. Noch ungereim - ter aber wuͤrde es ſeyn, wenn man ihn weiter nicht als zu einem Zeugen brauch - te, durch den man allein hinter die wah - re Beſchaffenheit der Sache kommen koͤn - te. Unterdeſſen wo man nicht genug Si - cherheit hat, daß er ſich allemahl auf Er - fordern ſtellen, und auf das, was man ihn fragen wird, Rede und Antwort ge - ben doͤrffte; kan man ihn entweder durch baares Geld, oder ein Pfand und Unter - Pfand, oder auch einen Buͤrgen, oder, woferne dergleichen keines in ſeiner Gewalt iſt, durch einen Eyd Sicherheit machen laſſen. Dieſe pfleget man die Caution, gleichwie die ihm ertheilte Sicherheit, deren wir vorher gedacht, das ſichere Geleite zu nennen.

Wie man einen des Verbre - chens - berſuͤh - ren ſol.

§. 365.

Wenn man einen wegen ſeines Verbrechens vornimmet und er leget ſich entweder auf das leugnen, oder giebet fal - ſche Umſtaͤnde vor, umb ſein Verbre -chen313des gemeinen Weſens. chen zu rechtfertigen; ſo ſind verſchiedene Mittel, die man brauchen kan, ihn zum Geſtaͤndnis der Wahrheit zu bringen. Je - doch fruchten nicht alle bey jedweden, indem immer einer hartnaͤckiger im leugnen iſt als der andere. Erſtlich kan man Zeugen ab - hoͤren, die dabey geweſen, als die Sache paßiret, oder ſonſt Umſtaͤnde angeben koͤn - nen, daraus man entweder gewiß ſchluͤſſen kan, wer der Thaͤter geweſen, oder we - nigſtens ſtarcken Argwohn wieder ihn ſchoͤpffen, oder auch Gelegenheit nehmen ihn genauer auszufragen. Was nun die Zeugen einmuͤthig ausſagen, das hat groſ - ſen Schein der Wahrheit vor ſich, indem nicht lejcht iſt, daß viele auf einerley Un - wahrheit verfallen. Woferne ſie vollends ihre Auſſage mit einem Eyde beſtaͤrcken; ſo hat man an deren Richtigkeit um ſo viel weniger zu zweiffeln, weil niemand fuͤr die lange Weile einen Eyd thun wird, der ſo viel zu ſagen hat (§. 996 Mor.). Und hier kan mit Nutzen angebracht werden, was anderswo (Log. c. 7 §. 5 & ſeqq. ) von der Glaubwuͤrdigkeit der Zeugen ange - fuͤhret worden. Dieſes Zeugnis muß dem Inquiſiten (denn ſo nennet man diejeni - gen Perſonen, deren Verbrechen man un - terſuchet) vorgehalten werden: Laͤſſet er ſich dieſes noch nicht bewegen, ſo kan man ihm die Zeugen vorſtellen, daß ſie ihm al -U 5les314Cap. 3. Von der Einrichtungles unter die Augen ſagen: welches man Confronti ren zu nennen pfleget. Viele ſind nicht ſo unverſchaͤmet, daß ſie wieder ihr Gewiſſen leugnen ſollten, was man ihnen frey und mit Nachdruck unter die Augen ſaget. Damit man aber deſto genauer hinter alle Umſtaͤnde kommen kan, ſo muß man aus der Auſſage der Zeugen und des Inquiſiten Fragen formiren, und den letz - tern ordentlich darauf antworten laſſen: welches ferner auch dieſen Nutzen hat, daß man ſehen kan, ob er ſich auch etwan in einigen Dingen wiederſpricht und nicht bey einerley Reden bleibet, oder variret, maßen in dem letzten Falle erhellet, daß er mit Unwahrheit umgehet und ſich daher nicht wenig verdaͤchtig machet. Wer ſich fuͤr GOtt fuͤrchtet, den kan man durch ei - nen Eyd zum Geſtaͤndnis der Wahrheit bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn nemlich dasjenige abſchweeren laͤſſet, wo man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch wo das Verbrechen ſo groß iſt, daß man eine Lebens-Straffe darauf geſetzet; da darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in - dem wohl viele einen falſchen Eyd thun moͤchten, wenn ſie dadurch ihr Leben zu er - retten wuͤſten. Wo man nun nicht durch dieſe Mittel auskommen kan, da muß man auf ſchaͤrffere bedacht ſeyn, wenn das Verbrechen von der Wichtigkeit iſt, daßes315des gemeinen Weſens. es viel Schaden fuͤr die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit nach ſich ziehen wuͤr - de, woferne es ungeſtraffet bleiben ſollte (§. 357). Wir koͤnnen aber niemanden anders zu etwas verbinden, als indem wir waswiedriges mit deſſen Unterlaſſung verknuͤpffen, welches dem andern unleidlich faͤllet (§. 8. Mor.). Weil man nun in ſolchen Faͤllen, wo auf das Verbrechen ei - ne Lebens-Straffe geſetzet iſt, nichts fin - den kan, wodurch man ihm wehe thaͤte (in - dem der Menſch alles fuͤr ſein Leben giebet und waget) als ſehr empfindliche Schmer - tzen an ſeinem Leibe; ſo kan man ihn mit Marter bedrohen, ihm auch wuͤrcklich der - gleichen anthun, wodurch ein unleidlicher Schmertz erreget wird, wenn er hartnaͤ - ckig zu leugnen fortfaͤhret, warinnen doch ein ſehr groſſer Verdacht wieder ihn iſt. Man pfleget dieſe Mittel die peinliche Frage, oder auch die Tortur zu nennen. Und dem - nach iſt klar, daß man ſich der peinlichen Frage gebrauchen kan, wenn es die gemei - ne Wohlfahrt und Sicherheit unumgaͤng - lich erfordert ein Verbrechen zu ſtraffen und den Thaͤter herauszubringen kein an - deres Mittel vorhanden iſt, jedoch bereits ſehr groſſer Verdacht wieder ihn vorhan - den. Jch will es durch Exempel erlaͤutern. Wenn auf der Straſſe viel Raub bisher waͤre veruͤbet worden und daher groſſe Un -ſi -316Cap. 3. Von der Einrichtungſicherheit fuͤr die Reiſenden entſtanden, man haͤtte aber einen eingezogen, der nir - gends angeſeſſen waͤre, noch erweiſen koͤn - te, daß er ſich an einem Orte redlich geneh - ret, man findete bey ihm viele von den ge - raubeten Sachen und koͤnnte er nicht an - zeigen, wie er dazu kommen waͤre, es waͤre ein ſtarcker und geſunder Kerle, der gar wohl etwas ausſtehen koͤnnte, lieſſe aber dabey, wie man ihn vernommen, eine groſſe Hartnaͤckigkeit, oder auch andere Merck - mahle der Boßheit ſpuͤren; ſo waͤre um Sicherheit auf der Straſſe zu ſchaffen hoͤchſt noͤthig, daß der Straſſen-Raub mit rechtem Ernſt geſtraffet wuͤrde (§. 357). Der Inquiſit haͤtte den groͤſten Verdacht wieder ſich, daß er einer von den Straſ - ſen-Raͤubern waͤre, man doͤrffte auch nicht beſorgen, daß er aus Furcht vor den Schmertzen unſchuldiger Weiſe bekennen wuͤrde, was er nicht begangen, und wegen ſeiner Hartnaͤckigkeit waͤre kein anderes Mittel uͤbrig hinter die Wahrheit zukom - men als die peinliche Frage. Derowegen waͤre nicht unrecht damit wieder ihn zu verfahren. Jch weiß wohl, daß einige die peinliche Frage uͤberhaupt verwerffen wollen, weil auch unſchuldige zur Bekaͤnt - nis deſſen koͤnnen gebracht werden, was ſie nicht veruͤbet. Allein wenn alle die vor - hin erzehlten Umſtaͤnde darbey in acht ge -nom -317des gemeinen Weſens. nommen werden, wird man nicht leicht damit fehl gehen, und bey denſelben, aber keinen andern, habe ich als ein Weltwei - ſer ihre Richtigkeit erwieſen.

§. 366.

Nun haben wir genungſamenNoth - wendig - keit der Religi - on. Grund die Nothwendigkeit der Religion im gemeinen Weſen zu behaupten. Jch ſetze voraus, daß die Religion in der Vereh - rung GOttes beſtehet und dannenhero ſo - wohl Erkaͤntnis von GOtt, als ohne wel - che wir ihn nicht ehren koͤnnen (§. 658. Mor.) als eine Einrichtung unſer Hand - lungen nach ſeinem Willen, das iſt, eine wahre Gottſeeligkeit (§. 670. 671. Mor.) erfordert. Ein Menſch, der GOtt erken - net, iſt vergewiſſert, daß er das boͤſe ſtraf - fet und fuͤrchtet ſich vor ihm (§ 707. & ſeqq, Mor.). Wenn er demnach weiß, daß etwas ſeinem Willen zuwieder iſt und er es beſtraffe, wenn man es thut oder auch unterlaͤſſet, was er haben will; ſo wird er aus Furcht fuͤr GOtt unterlaſſen, was er ſonſt thun wuͤrde, und thun, was er ſonſt laſſen wuͤrde. Wer eine kindli - che Furcht fuͤr GOtt hat, der pfleget bey ſeinem Thun und Laſſen, wozu ſich eine Gelegenheit ereignet, zu fragen, ob es dem Willen GOttes gemaͤß ſey, oder nicht, in - dem er nicht eher mit Beruhigung ſeines Gemuͤthes etwas thun oder laſſen kan, biß er deſſen verſichert iſt (§. 698. Mor.). Unddem -318Cap. 3. Von der Einrichtungdemnach wird er abermahl auch im verborgenen das boͤſe unterlaſſen und das gute vollbringen. Da nun die buͤrgerli - che Verbindlichkeit dergleichen nicht zuwe - ge bringen kan (§. 356.), und doch dieſes das groͤſte Hindernis iſt, warum ſie frucht - loſe bleibet, weil man ſich einbildet, es wer - de das Verbrechen, ſo heimlich begangen worden, nicht kund werden, oder man werde mit leugnen koͤnnen durchkommen; ſo erhellet hieraus die Nothwendigkeit der Religion im gemeinen Weſen, woferne man daſelbſt Zucht und Gerechtigkeit will befoͤrdert wiſſen. Wir haben ferner gefunden, und wird ſich auch nach dieſem noch mit mehrerem zeigen, daß der Eyd ein Mittel iſt hinter die Wahrheit in Gerichten zu kommen (§. 365). Ein Eyd aber noͤthiget den Menſchen zu ſagen, was er ſonſt verſchweigen wuͤrde, weil er ſich fuͤr GOttes Straffe fuͤrchtet (§. 997. Mor.). Gleichergeſtalt haben wir gefun - den, daß der Eyd ein Mittel iſt Sicherheit in einigen Faͤllen zu ſchaffen (§. 364). Er kan aber dergleichen Mittel nicht ſeyn, als wenn man ſich mit Ernſt fuͤr der goͤtt - lichen Straffe fuͤrchtet (§. 997. Mor.). Ge - wiß um des Eydes willen haͤlt man es auch einem Zeugen nicht vor uͤbel, wenn er die Wahrheit ausſaget, indem ihn jedermann dadurch gezwungen zu ſeyn erachtet undda -319des gemeinen Weſens. daher erkennet, daß ihm keine Schuld zu geben ſey, daß er hat ſagen muͤſſen, was uns nachtheilich iſt. Da im Gegentheile ohne den Eyd nicht allein die Zeugen aus anderen Abſichten mit der Wahrheit wuͤr - den zuruͤcke halten; ſondern auch Feind - ſchafft derer erlangen, wieder die ſie Zeug - nis abgeleget, und um ihres Haſſes willen (§. 778. Mor.) ſich der Rache zu befuͤrchten haben (§. 883. Mor.). Ja durch den Eyd werden auch von falſchen Zeugniſſen die - jenigen abgehalten, die bald zu Liebe, bald zu Leide, nachdem ſich allerhand Abſichten ereignen, Unwahrheit zeugen wuͤrden. Und demnach iſte abermahl klar, daß die Reli - gion, ohne welche der Eyd nicht beſtehen kan, im gemeinen Weſen hoͤchſt noͤthig ſey.

§. 367.

Es erhellet aber hieraus zu -Wie mit Ernſt da - ruͤber zu halteu. gleich, wie groſſe Vorſorge im gemeinen Weſen man zu tragen hat, daß alle und jede, die als Mittglieder darinnen leben, von der Religion genungſamen Unterricht haben. Dergleichen Unterricht aber wird theils den Kindern von ihren Eltern und Lehrern in Schulen, theils erwachſenen von den oͤffentlichen Lehrern in Kirchen mitgetheilet. Und ſiehet man daher die Nothwendigkeit Kirchen und Schulen mit tuͤchtigen Lehrern zu beſtellen, auch da - hin zu ſehen, daß es allen und jeden mit derRe -320Cap. 3. Von der EinrichtungReligion ein rechter Ernſt ſey, folgends al - len Hindernuͤſſen mit Eiffer zu ſteuren, wodurch die Religion in Verachtnng kommen kan. Und demnach iſt es nicht un - recht, wenn man die Veraͤchter der Re - ligion beſtraffet (§. 357); auch muß man deswegen uͤber das Anſehen der oͤffentli - chen Lehrer und uͤber die Feyer der Feſtage halten, damit jederman begreiffe, es ſey ein Ernſt mit der Religion (§. 318. 320). Damit nun aber die oͤffentliche Lehrer in gu - tem Anſehen bleiben, auch durch ſie die Re - ligion nicht in Verachtung kommet; ſo haben ſie ſich nicht allein fuͤr ihre Perſon guter Wiſſenſchafft und eines vernuͤnffti - gen u. gottſeeligen Wandels zu befleißigen, ſondern man hat auch ſelbſt nuͤtzliche Ver - ordnungen wegen ſtrenger Einrichtung ih - res Wandels zuveranſtalten und, daß da - ruͤber mit allem Fleiß gehalten werde, auf das eifrigſte zu ſorgen. Man weiß, daß die Exempel, ſonderlich bey gemeinen Leu - ten, die nur an ihren Sinnen, der Einbil - dungs-Krafft und Affecten hangen, den groͤſten Nachdruck haben (§. 167 Mor.). Derowegen wenn die Lehrer, welche die Re - ligion am beſten einſehen ſollen, und von de - nen es wenigſten der gemeine Mann glau - bet, durch ihr Exempel zeigen, daß es mit der Religion ein Ernſt iſt, ſo werden auch ſie dadurch zu dergleichen Ernſt aufgemun -tert.321des gemeinen Weſens. tert. Gleichergeſtalt traͤget vieles darzu bey, wenn vornehme und verſtaͤndige Leu - te zeigen, daß es ihnen mit der Religion ein rechter Ernſt ſey, weil der gemeine glaubet, daß ſie es am beſten verſtehen muͤſſen. Derowegen da ein jedes Mit - glied im gemeinen Weſen dazu verbunden iſt, was das gemeine Beſte befoͤrdert (§. 216); ſo erhellet auch hieraus die Ver - bindlichkeit vornehmer und gelehrter Leu - te alles zu thun, was die Hochachtung der Religion bey dem gemeinen Manne be - foͤrdern, und hingegen zu unterlaſſen, was derſelben nachtheilig ſeyn kan.

§. 368.

Weil ein Atheiſt laͤugnet, daßWarum Atheiſten nicht zu dulden / auch man nicht oh - ne Urſa - che je - manden der Athe - iſteaey verdaͤch - tig ma - chen ſol. ein Gott ſey; ſo haͤlt er auch die Reli - gion fuͤr nichts (§. 366). Da man nun aber uͤber der Religion mit allem Ernſte halten ſol (§. 367); ſo kan man auch die Atheiſten, die ſich bloß geben, im gemei - nen Weſen nicht dulden. Auch wenn durch groſſen Verdacht wieder einen wegen der Atheiſterey viele zu Verachtung der Religion Anlaß nehmen; hat man dar - auf zu ſehen, wie dieſer Verdacht geho - ben wird. Und deßwegen darf man nicht dulden, daß oͤffentliche Lehrer, welche die Religion in ihrem Werthe erhalten ſollen, auf Leute, welche wegen ihres Verſtandes in Anſehen ſind, den Verdacht der Athe - iſterey bringen, weil ſie dadurch eben ſo(Politick) Xviel322Cap. 3. Von der Einrichtungviel Unheil anrichten als durch die Athei - ſterey ſelbſt. Denn weil man nach die - ſem glaubet, Leute von Verſtande koͤnten die Wahrheit am beſten einſehen, hinge - gen aber, wo man ſie einmahl in Ver - dacht gebracht, man nach dieſem ſich be - redet, als wenn ſie bloß in Abſicht auf das gemeine Weſen, darinnen ſie leben, anders mit dem Munde vorgeben, als ſie innerlich uͤberfuͤhret ſind; ſo werden auch faͤlſchlich diejenigen, welche gerne wolten, daß kein Gott waͤre, damit ſie ſicher nach ihren Luͤſten und Begierden leben koͤnten, durch ihre Autoritaͤt wo nicht zur voͤlligen Atheiſterey, doch zum Zweiffel an Gott und ſeinen Vollkommenheiten und zur Kaltſinnigkeit in der Religion verleitet werden. Man hat demnach ſo wohl die - jenigen zu beſtraffen, welche wegen ihres Verſtandes beruͤhmte Maͤnner in Ver - dacht der Atheiſterey bringen; als die, welche die Atheiſtiſche Lehren unter die Leu - te bringen, und mit Atheiſtiſchen Reden andere aͤrgern. Wer bedencket, wie viel an der Religion im gemeinen Weſen gele - gen iſt (§. 366) und wie mit groſſem Ernſt man daruͤber zu halten (§. 367); der wird vielmehr begreiffen, daß man Urſache hat wegen ihrer Scharffſinnigkeit und Gruͤnd - lichkeit fuͤr andern beruͤhmte Maͤnner von dem Verdachte der Atheiſterey mit demgroͤ -323des gemeinen Weſens. groͤſten Cifer zu befreyen, wenn man ihn auf ſie bringen wil, oder auch ſich einige Anzeigungen hervor thaͤten, die bedencklich ſchienen, als daß man ſie mit Macht wie - der ihren Willen darein bringen wil.

§. 369.

Jch weiß wohl, daß einige A -Einwurf wird be - antwor - tet. theiſterey nicht fuͤr ſo ſchaͤdlich im gemei - neu Weſen halten, als man insgemein vermeinet, abſonderlich da man gantze Voͤlcker findet, die keinen GOtt glauben und bey denen es doch nicht ſchlimmer her - gehet als unter uns Chriſten. Ja man wird vielleicht mir auch dasjenige vorhal - ten, was ich ſelbſt annerswo von den A - theiſten erwieſen, nemlich daß niemanden die Atheiſterey zum boͤſen Leben bringet, ſondern nur ſeine Unwiſſenheit und ſein Jrrthum von dem Guten und Boͤſen, aus welcher Qvelle auch ſelbſt unter den Chri - ſten ein unordentliches Leben zu entſtehen pfleget (§. 21 Mor.). Ja ich habe (§. 22 Mor.) erwieſen, daß bloß der Mißbrauch der Atheiſterey zu einem boͤſen Leben ver - leitet, keines weges aber ſie vor ſich dazu fuͤhre. Allein es iſt gar leicht auf dieſen Einwurf zu antworten. Ein Atheiſt bil - det ſich nicht ein, er moͤge leben wie er wolle, noch begehet alle Schandthaten und Laſter, wenn er nur von buͤrgerlichen Straffen frey iſt, woferne er vernuͤnfftig iſt: beydes aber geſchiehet, wo er unver -X 2ſtaͤn -324Cap. 3. Von der Einrichtungſtaͤndig iſt, und die Beſchaffenheit der frey - en Handlungen nicht recht einſiehet (§. 21). Es ſind aber im gemeinen Weſen die we - nigſten Menſchen vernuͤnfftig, die meiſten ſind unverſtaͤndig und ſehen die Beſchaf - fenheit der freyen Handlungen nicht recht ein. Und alſo wuͤrden die meiſten bey der Atheiſterey ein uͤbeles Leben fuͤhren. Nun iſt zwar wahr, daß ſie die Atheiſterey ei - gentlich nicht dazu bringet (§. 21): allein da die Furcht GOttes, welche durch die Religion beſtehet (§. 366), es mag eine kindliche oder knechtiſche ſeyn, gleichwohl den Menſchen verbindet, das Gute zu thun und das Boͤſe zu laſſen, was er we - gen ſeiner Unwiſſenheit und aus Mangel der Einſicht in die Beſchaffenheit der frey - en Handlungen nicht thun, noch laſ - ſen wuͤrde (§. 698. 705 Mor.); ſo hebet man doch durch die Atheiſterey die Ver - bindlichkeit auf, welche bey den meiſten den groͤſten Nachdruck hat. Und ſolcher - geſtalt kan man Atheiſten, weil ſie gefaͤhr - liche Verfuͤhrer ſind, im gemeinen We - ſen nicht dulden, wenn ſie entweder wuͤrck - lich ihre Atheiſtlſche Lehren kund machen, oder doch um ihres Anſehens willen Aer - gerniß und Anlaß zur Verachtung der Religion geben. Es iſt aber hierbey noch gar wohl dieſes zu behalten. Weil ein jeder, der im gemeinen Weſen lebet, inſei -325des gemeinen Weſens. ſeinen Handlungen nicht allein auf ſich, ſondern auch andere mit zu ſehen hat, die neben ihm ſich darinnen befinden (§. 216), ſo iſt es nicht genug, daß ein Atheiſt fuͤr ſeine Perſon wohl lebet, und in ſeinem Wandel niemanden einen Anſtoß oder Aergerniß giebet; ſondern es wird auch dazu erfordert, daß er nicht ohne Noth anderen zu einem boͤſen Leben Anlaß gie - bet: welches geſchehen wuͤrde, wenn an - dere die Atheiſterey von ihm annaͤhmen, und dadurch die Verbindlichkeit, die aus der Religion erwaͤchſet, in ihnen tilgeten. Und demnach bleibet abermahl feſte ſtehen, daß es vernuͤfftig ſey einen Atheiſten, der ſich bloß giebet, oder wenigſtens groſſen Verdacht wieder ſich erreget, im gemei - nen Weſen nicht zu dulden, woferne er nicht aͤndert, wodurch er dieſen Verdacht wieder ſich gemacht (§. 215). Darnach iſt auch zu mercken, daß man die Athei - ſterey wegen des Eydes im gemeinen We - ſen nicht dulden kan. Denn ob es zwar an dem iſt, daß in ſolchen Faͤllen, wo man fuͤr ſeine Perſon ein groſſes Intereſſe da - bey ſiehet, viele ihnen kein Gewiſſen ma - chen, einen falſchen Eyd zu thun: ſo kan doch ſolches weder von allen Perſonen, noch von allen Faͤllen geſaget werden. Es bleiben noch viele Faͤlle uͤbrig, da man lie - ber die Wahrheit ausſagen wird, als ei -X 3nen326Cap. 3. Von der Einrichtungnen falſchen Eyd thun (§. 366.). Und daß viele auch in den erwehnten Faͤllen ſich zu einem falſchen Eyde bequemen, kommt groͤſten Theils aus Mangel der Religion her. Waͤren ſie in der Furcht Gottes und der da zu noͤthigen Erkaͤntniß (§. 770. Mor.) feſte genug geſetzet; ſo wuͤrden ſie ſich nimmermehr zu einem falſchen Eyde ent - ſchluͤſſen. Hingegen iſt klar, daß, wenn Leute durch Atheiſtiſche Gemuͤther auch nur zweiffelhafft in der Religion gemacht werden, ſie uͤber einem falſchen Eyde ſich kein Gewiſſen machen werden. Denn ihr Intereſſe, es mag ſo klein ſeyn als es wil, iſt ihnen gewis: die goͤttliche Straffe ſe - hen ſie als was ungewiſſes an. Dero - wegen behaͤlt jenes die Oberhand (§. 169. Mor.). Wir haben aber zur Gnuͤge ge - ſehen, und wird unten noch weiter erhel - len, daß man den Eyd im gemeinen We - ſen hoͤchſtnoͤthig habe. Was endlich die Voͤlcker betrifft, die Atheiſten ſeyn ſollen, und doch deswegen nicht ſchlimmer leben, als es unter uns Chriſten hergehet; ſo weiß ich wohl, daß viele ſolches leugnen und vielmehr vorgeben, es ſey kein Volck unter der Sonnen, welches nicht einen Gott glaͤube, und als einen Raͤcher des boͤſen fuͤrchte. Allein wir wollen fuͤr die - ſes mahl dieſe Unterſuchung an ſeinen Ort geſtellet ſeyn laſſen, weil wir ſie zu Ent -ſchei -327des gemeinen Weſens. ſcheidung der gegenwaͤrtigen Frage nicht noͤthig haben. Wir wollen beydes ein - raͤumen, nemlich daß es Voͤlcker giebet, die gar keinen Gott glaͤuben, und daß es doch bey ihnen nicht ſchlimmer, ja in vie - len Stuͤcken beſſer, als unter uns Chriſten hergehet. Allein es iſt zu mercken, daß ſolches Leute ſeyn werden, die noch eine gar ſchlechte Lebens-Art haben, bey der ſie wenig gebrauchen, und da ein jeder den andern bald wieder noͤthig hat. Und dem - nach unterlaſſen ſie das boͤſe, und ſind nicht ſo einer auf des andern ſeinen Scha - den, wie wohl leider! bey uns zu geſche - hen pfleget, theils weil ſie es nicht verſte - hen, theils weil ſie keine Gelegenheit dazu haben, theils weil ſie die Furcht zuruͤcke haͤlt, es moͤchten es ihnen andere wieder ſo machen, wie ſie es ihnen gemacht. Ein Exempel geben die Hottentotten, von denen viele ſagen, daß ſie keinen GOtt glaͤuben, und doch vielen Tugenden erge - ben ſind. Denn ſie haben gar ein ſchlech - tes Eigenthum, wohnen nicht in groſſer Menge bey einander, brauchen wenig zur Bequemlichkeit ihres Lebens. Was nun bey ſolchen Voͤlckern angehet, kan keines weges bey andern, als unter uns, ſtatt finden. Da - her wir auch leider erfahren, daß, wenn Leute, die aus der Religion nicht viel ma - chen, Macht und Gewalt bekommen,X 4ſehr328Cap. 3. Von der Einrichtungſehr groſſes Unheil im gemeinen Weſen daraus erfolget.

Warum Tod - ſchlag und Selbſt - Mord zu beſtrafen

§. 370.

Es hat ein jeder Menſch alles zu vermeiden, was ſein Leben verkuͤrtzen kan (§. 437 Mor.). Derowegen hat man auch im gemeinen Weſen alles aus dem Wege zu raͤumen, was dem Menſchen an ſeinem nachtheilig iſt (§. 272). Moͤrder bringen andere und Selbſt-Moͤrder ſich ſelbſt um das Leben. Und demnach hat man nicht allein harte Lebens-Straffen auf Todtſchlag und Mordthaten zu ſetzen, damit ſich niemand geluͤſten laͤſſet, den an - dern aus Rachgier umzubringen, weil es ihn wieder ſein Leben koſtet, und er auf ei - ne ſchimpfliche und ſchmertzliche Art ſein Leben laſſen muß; ſondern auch die Selbſt - Moͤrder noch nach ihrem Tode zu ſtraffen, indem man ſie an ihrer Ehre kraͤncket (§. 36 Mor.): dergleichen z. E. geſchiehet, wenn man den todten Leichnam durch den Schin - der als wie ein Aaß auf den Schindanger ſchleppen und, woferne der Selbſt-Mord ſehr gemein wird, wie Moͤrder auf das Rad flechten laͤſſet. Jch weiß wohl, daß das letztere nicht im Brauch iſt. Allein ich rede ietzt als ein Weltweiſer von dem, was mit Vernunfft geſchehen kan und ſol (§. 343). Trifft es mit dem uͤberein, was uͤblich iſt; ſo erkennet man, daß unſere Einrichtungen vernuͤnfftig ſind. Findetman329des gemeinen Weſens. man hingegen, daß es anders beſchaffen, als wie es erwieſen; ſo lernet man, wor - innen noch eine Beſſerung vorzunehmen. Und dieſes iſt von allen uͤbrigen Materien gleichfalls zu behalten.

§. 371

Man ſiehet aber leicht, wenn einWelcher Tod - ſchlag zu beſtrafen Todſchlag zu beſtraffen iſt, nemlich wenn er aus Vorſatz geſchehen, indem der Todſchlaͤ - ger entweder aus Rachgier oder anderen Abſichten, als ſeine Ubelthaten zu ver - bergen, oder einen Diebſtahl zu vollbrin - gen ꝛc. den andern um das Leben zu brin - gen ſich vornimmet, oder doch wenigſtens ihm einen Schaden an ſeinem Leibe zuzu - fuͤgen gedencket, daraus nach dieſem der Tod des andern erfolget, als wenn einer den andern nur verwunden, nicht aber er - ſtechen wil, der Stich aber mislinget. Denn unerachtet er im letzten Falle nicht den Vorſatz gehabt ihn zu ermorden; ſo iſt es doch unrecht auch den andern zu ver - wunden, indem wir niemanden an ſeinem Leibe einigen Schaden zufuͤgen ſollen (§. 824 Mor.). Zudem ſind Stiche und Schlaͤge nicht abgemeſſen, wie weit ſie oh - ne Lebens-Gefahr gehen ſollen, und ſol - chergeſtalt muß es jeder wagen, ob er den andern, den er hauen, ſchlagen oder ſte - chen will, gar ermorden werde oder nicht. Und demnach iſt doch immer einiger Vorſatz mit dabey den anderu um das Le -X 5ben330Cap. 3. Von der Einrichtungben zu bringen. Unterdeſſen da im erſten Falle mehr Vorſatz iſt als im andern, ſo iſt auch billich in jenem die Straffe groͤſ - ſer als in dieſem (§. 343). Man pfleget auch deßwegen beyde Verbrechen von ein - ander durch beſondere Nahmen zu unter - ſcheiden. Nemlich es heiſſet ein Mord o - der auch eine Mord-That, wenn man den andern mit Wiſſen und Willen um das Leben bringet, als wenn ein Eheweib ihren Mann mit Giffte vergiebet, daß ſie ſeiner los werden will, oder ein Straſ - ſen-Raͤuber einen Reiſenden erſchlaͤget, daß er ihn ſicher berauben kan, und nicht von ihm angegeben wird. Hingegen nen - net man es einen Todſchlag, wenn man dem andern nur Schaden an ſeinem Leibe zufuͤgen wollen durch Schlaͤge und Ver - wundung, aber aus einem Ungluͤck ihn gar um das Leben gebracht. Wer Mord-Thaten begehet, heiſſet ein Moͤr - der: hingegen wer den andern erſchlaͤget, erſticht, zn tode hauet oder auf eine ande - re Art umb das Leben bringet, in bloſſer Abſicht ihm einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤgen, oder einigen Schmertz zu verurſachen, wird ein Todſchlaͤger ge - nennet. Deswegen pfleget man auch zu ſagen, wenn man den Vorſatz des andern andeuten wil, er habe ihn recht moͤrderi - ſcher Weiſe umgebracht. Wenn man a -ber331des gemeinen Weſens. ber einen durch einen bloſſen Zufall umb das Leben bringet (welches man einen zu - faͤlligen Todſchlag zu nennen pfleget), ſo daß wir weder verlangen dem andern einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤ - gen, noch ihn gar um das Leben zu brin - gen, als z. E. wenn einer aus Verſehen Ratten-Pulver in die Speiſe thut, in der Meinung, daß er Zucker nehme, und dadurch anderen wieder ſein Wiſſen und Willen vergiebet: ſo begreiffet ein jeder, daß man dergleichen Todtſchlag nieman - den zurechnen und folgends nicht beſtraffen kan. Gleichergeſtalt da man vermoͤge des natuͤrlichen Geſetzes denjenigen um das Le - ben bringen darf, gegen den man die Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869 Mor.); ſo ſiehet man abermahls, daß der Todſchlag, welcher in der Nothwehre be - gangen worden, im gemeinen Weſen nicht beſtraffet werden kan.

§. 372.

Gleichergeſtalt ſiehet man leicht,Welcher Selbſt - Mord zu beſtraf - ſen. daß auch der Selbſt-Mord nicht zu beſtraf - fen, als der mit Vorſatz vollbracht wor - den, nicht aber wenn einer entweder aus Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine andere zufaͤllige Weiſe wieder ſeinen Wil - len ſich um das Leben bringet. Nemlich alles, was nicht mit Vorſatz, ſondern wieder unſeren Willen geſchiehet, kan durch keine Furcht fuͤr der Straffe vermiedenmer -332Cap. 3. Von der Einrichtungwerden, und alſo findet keine Verbind - lichkeit dawieder ſtatt (§. 343). Unter - deſſen iſt eine andere Frage, ob man auch in ſolchen Faͤllen, da einer aus Kranckheit ſich ſelbſt ermordet, die Unachtſamkeit de - rer beſtraffen ſol, die den Krancken haben in acht nehmen ſollen: welches nicht alle - mahl unrecht iſt, wo nemlich die Um - ſtaͤnde ſo beſchaffen, daß man dergleichen Ungluͤck leicht vermuthen koͤnnen. Denn durch dieſe Straffe werden andere in glei - chen Faͤllen beſſer acht zu geben aufgemun - tert (§. 346).

Warum⃒ Duelle zu beſtrafen

§. 373.

Wenn zwey Perſonen das ihnen von einander angethanene Unrecht mit toͤd - lichem Gewehr zu raͤchen ſuchen, ſo daß ei - ner den andern entweder wuͤrcklich zu er - morden, oder doch wenigſtens zu verwun - den trachtet, pfleget man es ein Duell oder einen Zwey-Kampff zunennen. Da nun im gemeinen Weſen nicht zu dul - den iſt, daß einer den andern um das Le - ben bringe (§. 370.); ſo kan man auch kein Duell verſtatten. Gleichwie aber alle Verbrechen, wenn ſie gemein werden, mit ſchweren Straffen zu belegen ſind (§. 343); alſo muß man auch auf Duelle ſchweere Straffe ſetzen, wo ſie ſehr gemein werden, und wie in allen Faͤllen (§. 345.), alſo auch hier, mit Ernſt daruͤber halten. Weil aber Beleidigungen zu Duellen Anlaß geben;ſo333des gemeines Weſens. ſo hat man auch dergleichen Beleidigun - gen, daraus Duelle kommen koͤnnen, ſchweer zu ahnden. Und weil man durch das Duell von dem andern wegen der gefche - henen Beleidigung Satisfaction ſuchet; ſo muß man einem, der auf eine ſolche Weiſe beleidiget worden, auf eine andere bequemere Manier Satisfaction zuſchaffen ſuchen.

§. 374.

Damit man aber zum DuellirenWie man zeiget / daß Du - elle hoͤchſtun - gereimt ſind. nicht Luſt bekommet, ſo iſt noͤthig, daß man begreiffen lernet, wie hoͤchſt ungereimet das Duelliren iſt. Nehmlich wer den andern zum Duelliren heraus fordert, begiebet ſich ſo wohl in Lebens-Gefahr, als er ſich Hoffnung machen kan den andern um das Leben zu bringen. Was hat man aber dadurch fuͤr Satisſaction, daß man ge - waͤrtig ſeyn muß, man werde von dem an - dern uͤber den Hauffen geſtoſſen, oder er - ſchoſſen? Man will nicht dulden, daß der andere uns etwas zu leide geredet, oder ſonſt worinnen unſerem Intereſſe zuwie - der geweſen, und deswegen will man ihm die Freyheit geben uns entweder gar um das Leben zu bringen, oder doch wenig - ſtens zu verwunden. Weil er uns eine kleine Beleidigung angethan; ſo wollen wir uns noch einer groͤßern unterwerffen. Es iſt wohl wahr, daß wir meinen da - durch unſern Muth zu kuͤhlen, weil wirGe -334Cap. 3. Von der EinrichtungGelegenheit erhalten / den andern entwe - der um das Leben zu bringen, oder zuver - wunden. Allein das wuͤrde etwas ſeyn, wenn er ſtille halten muͤſte und ſich nicht wehren doͤrffte. Da er aber ſowohl auf uns, als wir auf ihn loß gehen; ſo kan uns das Ungluͤck ſo leicht, als ihn treffen, und, wenn dieſes geſchiehet, ſind wir gar ſchlecht zufrieden geſtellet. Es iſt auch ein großer Jrrthum, daß man es als ein Zeichen ſei - ner Tapfferkeit anſiehet, wenn man den andern wegen einer jeden, oͤffters gerin - gen, ja nichts wuͤrdigen Beleidigung bald heraus fordert. Denn wer bey inſtehen - der Gefahr ſeine Furcht zu maͤßigen weiß, und alſo auch weder Lebens - noch Leibes - Gefahr ſcheuet, wo er ſie nicht vermeiden kan, der iſt behertzt oder tapffer (§. 647. Mor.). Hingegen ſich ohne Noth muth - williger Weiſe in Leibes - oder Lebens-Ge - fahr begeben, die man zu vermeiden ver - bunden iſt (§. 438. Mor.), wird niemand fuͤr eine Tapfferkeit auslegen koͤnnen. Ja wollte man es gleich eine Tapfferkeit nen - nen, ſo koͤnnte der Nahme doch nicht loͤb - lich machen, was an ſich tadelhafft iſt. Denn da wir verbunden ſind, wie erſt er - wehnet worden, alle Leibes und Lebens - Gefahr zu vermeiden, wenn es in unſercr Gewalt ſtehet: ſo kan uns nicht erlaubet ſeyn, uns ohne Noth darein zu wagen. Undſol -335des gemeinen Weſens. ſolcher geſtalt wuͤrde die vermeinte Tapf - ferkeit, als eine dem Geſetze der Natur zu - wiederlauffende Sache, keine Tugend, ſon - dern vielmehr ein Laſter ſeyn (§. 64. Mor.). Man hat ſich aber nicht zu beſorgen, daß man anderen, wo man ſich nicht auf ſol - che Weiſe raͤchet, Anlaß geben wird, zu mehrerern Beleidigungen. Denn ich ha - be ſchon errinnert, daß man dieſe mit Ernſt im gemeinen Weſen beſtraffen, und dadurch weitern Unfug abhalten ſoll (§. 373.). Und hat man auch deswegen im gemeinen Weſen diejenigen mit gehoͤriger Straffe anzuſehen (§. 357.), welche andern zum Schimpff auslegen wollen, wenn ſie nicht durch Duelle ihre Sachen mit ih - ren Beleidigern ausmachen wollen.

§. 375.

Damit man aber in dergleichenWie man ſich da - vor in acht zu nehmen. Thorheit nicht durch andere gezogen wird, die man nach dieſem zu ſpaͤte bereuet, wenn man ſich dadurch in Schaden und Un - gluͤck geſtuͤrtzet; ſo muß man auf ſeine Wort und Wercke ſorgfaͤltig acht haben, damit man nicht rede, noch thue, was der andere uͤbel nehmen kan, nicht leicht von andern und ihrem Thun und Laſſen urthei - len, wo es nicht zu ihrem Lobe gereichet, mit niemanden ſich gar zu gemein ma - chen, noch in allzu freyen Schertz einlaſ - ſen, und was dergleichen mehr iſt, dadurch entweder der andere Gelegenheit nehmenkan336Cap. 3. Von der Einrichtungkan uns zu nahe zu treten, oder auch wir ihm zu nahe kommen koͤnnen. Hierzu die - net alles, was von den Pflichten gegen andere, und inſonderheit gegen Freunde und Feinde, anderswo (c. 1. & 2. part. 4. Mor.) geſaget worden und hier zu wie - derhohlen unnoͤthig iſt. Und weil abſon - derlich das Duelliren ſtat findet, wenn ei - ner von dem andern an ſeiner Ehre ge - kraͤncket zu ſeyn vermeinet; ſo hat man wohl zu uͤberlegen, was eine wahre Ehre iſt (§. 590. Mor.) und auf was fuͤr Wei - ſe man ſeine Ehre zuretten verbunden (§. 627. & ſeqq. Mor.). Kinder und unver - ſtaͤndige Jugend ſuchen ſich durch Schlaͤ - gerey zu raͤchen, wenn ſie meinen, es ſey ihnen von ihres gleichen zu viel geſchehen. Und wenn man es genau unterſuchet, ſo haben ſie mehr Grund vor ſich, als die je - nigen, welche ſich in einen Zwey-Kampff begeben. Denn ſie ſuchen ſich Sicher - heit inskuͤnfftige zu verſchaffen, weil ſie vermeinen im Stande der Freyheit zu le - ben, wo ein jeder ſich ſelbſt Sicherheit fuͤr Beleidigungen zu ſchaffen verbunden iſt (§. 833 Mor.). Es iſt aber bey dieſen Um - ſtaͤnden kein anderes Mittel uͤbrig, wo - durch ſie ihres gleichen vor ſich finden koͤnn - ten, als daß ſie durch Schlaͤge denen be - ſchwerlich ſind, welche ihnen zu nahe kom - men (§. 8 Mor.). Hingegen durch Du -elle337des gemeinen Weſens. elle trachtet man nicht andere zu verbin - den kuͤnfftig von Beleidigungen abzuſte - hen; ſondern man vermeinet dadurch den Verluſt der Ehre zu erſetzen, und ſeine Eh - re bey andern zu erhalten Kinder ſind dem - nach verſtaͤndiger bey ihrem Unverſtande, als Duellanten bey ihrem Jrrthume Unterdeſſen wo der Jrrthum ſo ſtarck ein - geriſſen iſt, daß man diejenigen vor ge - ſchimpfft achtet, welche die ihnen angetha - ne Beleidigungen nicht durch Duelliren ausmachen; daſelbſt hat man alle moͤgli - che Mittel zu gebrauchen, wie man die - ſen ſchaͤdlichen Wahn aus den Gemuͤthern ausrotte, und gehoͤret mit darunter, was von Beſtraffung derer erſt beygebracht worden, welche diejenigen vor geſchimpfft halten, die ihre Sachen mit ihren Belei - digern nicht ſelbſt durch Duelle ausmachen (§. 374).

§. 376.

Was von den Duellen dererWarum Schlage - rey zu beſtraf - enn. geſaget worden, die mit Degen und Ge - wehr umgehen, das gilt auch von andern Schlaͤgereyen, die aus gleicher Abſicht vorgenommen werden: wiewohl man leicht ſiehet, daß, da dieſe nicht ſo gefaͤhrlich ſind, wie die Duelle, ſie auch nicht ſo hart, wie jene, doͤrffen beſtraffet werden (§. 343). Es wird aber unten noch bey anderer Gelegenheit hievon zu reden An - laß gegeben werden.

(Politick) Y§. 377.338Cap. 3. Von der Einrichtung
Was man we - gen uͤber - maͤſſiger Aꝛbeit zu verord - nen.

§. 377.

Es koͤnnen auch die Menſchen ſich ungeſund und endlich gar zu tode ar - beiten, wenn ſie nehmlich mehr arbeiten, als ihre Kraͤffte zureichen, und daruͤber zu - gleich dem Leibe des Nachts die noͤthige Ruhe abbrechen. Die Urſachen, welche ſie dazu bewegen, ſind unterſchieden. Eini - ge thun es aus Geitz oder auch Ehrgeitz, nachdem ſie entweder Geld oder Ehre durch ihre Arbeit zu erlangen gedencken, und gehoͤren in die letztere Claſſe haupt - ſaͤchlich die Gelehrten, welche ſich unge - ſund ſtudiren, wie nicht weniger die Kuͤnſt - ler, welche durch neue Erfindungen ſich hervorthun wollen. Andere thun es aus Noth, weil ihnen ihre Arbeit nicht ſo viel abwirfft, als zu ihren und der ihrigen Un - terhalt erfordert wird, abſonderlich wenn ſie eine weitlaͤuftige Familie, und alſo viele zu verſorgen haben. Zu dem Ende ſol man niemanden zu viel Bedienungen zuſammen geben, damit nehmlich weder die, welche zu viel Bedienungen haben, mehr Verrichtungen haben, als ſie wohl beſtreiten koͤnnen; noch auch dadurch an - dere, welche durch einige von denenſelben Bedienungen ihr Auskommen finden koͤn - ten, aus Noth durch viele andere Arbeit ſich abmatten muͤſſen: welches um ſo viel mehr geſchiehet, weil ſie ihre Arbeit zu - gleich mit vielem Verdruße verrichten, in -dem339des gemeinen Weſens. dem ſie ſehen, daß ihnen das Gluͤck nicht ſo guͤnſtig iſt wie andern, die es weniger als ſie verdienen. Damit aber niemand Urſache hat nach vielen Bedienungen zu ſtreben, auch niemand darneben ſich zu - viel Arbeit auf den Hals laden darf; ſo ſollen bey denen Bedienungen hinlaͤngli - che Beſoldungen ſeyn. Es kommen dazu noch andere Urſachen, welche eben dieſes rathen. Wo Bediente wenige Beſol - dung haben, daß ſie dabey nicht ihr gehoͤ - riges Auskommen finden; da befleißigen ſie ſich nach dieſem durch allerhand unge - rechte Kuͤnſte Vortheile zu machen: wor - aus oͤffters vieles Unheil fuͤr das gemeine Weſen erwaͤchſet. Hieher gehoͤret auch, was ſchon oben (§. 280. 282) erinnert wor - den, daß man den Lohn der Arbeit der - geſtalt ſetzen ſol, damit ein Arbeiter dabey ſein noͤthiges Auskommen finde, auch in einem jeden Stande die Anzahl deter - miniren, auf daß nicht einer dem andern ohne Noth ſeinen Verdienſt ſauer mache. Damit ferner unbarmhertzige und unbilli - che Leute weder dem Geſinde / noch an - dern Arbeitern mehr Arbeit zumuthen koͤn - nen, als ſie auszuſtehen vermoͤgend ſind: ſo muß man nicht allein die Zeit beſtim - men, welche diejenigen anfangen und auf - hoͤren ſollen, die um Tage-Lohn arbei - ten, und daher Tageloͤhner genennet wer -Y 2den,340Cap. 3. Von der Einrichtungden, ſondern auch bey den Handthierun - gen vorſchreiben, wenn das Geſinde an ſeine Arbeit gehen und wenn es des A - bends zu arbeiten aufhoͤren ſol. Hieher gehoͤret auch die Unordnung, daß allen, die um Tagelohn arbeiten, taͤglich, oder, wenn die Arbeit gantze Wochen dauret, woͤchentlich ihr verdienter Lohn gereichet, auch denen Handwerckern allezeit, ſo bald die beſtellte Wahre fertig, ihr Geld da - vor gezahlet werde (§. 911 Mor.). Un - terdeſſen da man den Muͤßigang verhuͤten ſol (§. 283), unverſtaͤndige und wolluͤſtige Leute aber nach der Arbeit nicht fragen, ſo lange ſie zu zehren haben, und dadurch endlich gar derſelben entwohnen; ſo hat man den Lohn der Arbeit nicht zu hoch zu ſetzen: welches auch deswegen geſchehen ſol, weil dergleichen Leute trotzig werden und nicht viel gute Worte geben, wenn ſie nicht die Noth zur Arbeit treibet, und daher ihre Arbeit nicht mit ſolchem Fleiſ - ſe verrichten, auch nicht ſo eigen machen, wie ſichs gebuͤhret.

§. 378.

Es iſt dem Leben nichts gefaͤhr -Was fuͤr Anſtal - ten wie - der Peſt und an - dere Kranck - heiten zu machen. licher als die Peſt und andere anſteckende Kranckheiten. Derowegen hat man nicht allein dieſelben zu verhuͤten; ſondern, wo ſie aus Unvorſichtigkeit eingeſchlichen, bey Zeiten wieder abzuwenden (§. 370). Und da uͤberhaupt aus Krauckheiten endlichder341des gemeinen Weſens. der Tod erfolget, auch ein kranckes Leben keinem Leben gleich zu achten iſt, indem ein krancker nicht geſchickt iſt, ſeinen Ver - richtungen gebuͤhrend vorzuſtehen, ja un - terweilen vermoͤgende Leute durch viele und langwirige Kranckheiten in einen duͤrffti - gen Zuſtand gerathen; ſo hat man beyde Vorſorge bey allen Kranckheiten uͤber - haupt zu bezeigen. Man kan kan dieſes auch noch durch einen allgemeinen Be - weiß auf folgende Weiſe zeigen. Ein ie - der Menſch ſoll nach Geſundheit ſtreben, und Kranckheiten zu entgehen ſuchen (§. 447 Mor.). Derowegen da man im ge - meinen Weſen dergleichen Anſtalten zu machen hat, daß ein jeder dazu alle noͤthi - ge Gelegenheit und Mittel finde (§. 272); ſo hat man auch Anſtalten wieder die Peſt und anſteckende, auch alle uͤbrige Kranck - heiten zu machen, wodurch ſie theils ver - huͤtet, theils wieder abgewendet werden.

§. 379.

Wenn man Kranckheiten ver -Wie Kranck - heiten zu verhuͤ - ten. huͤten wil, ſo muß man die Urſachen aus dem Wege raͤumen, dadurch Kranckhei - ten entſtehen: Und demnach gehoͤret auch hieher, was kurtz vorhin wegen der An - ſtalten beygebracht worden, daß ſich nie - mand zu tode, auch nicht ungeſund arbei - ten ſol (§. 377). Die Menſchen werden kranck wegen ungeſunder Speiſe und Tranck, die ſie entweder aus Noth, alsY 3z.342Cap. 3. Vonder Einrichtungz. E. in theurer Zeit, oder auch aus Un - wiſſenheit und Wolluſt, als z. E. wenn ſie uͤbermaͤßig Obſt eſſen, genieſſen. Dem - nach hat man davor zu ſorgen, daß an noͤthigen Nahrungs-Mitteln kein Mangel ſey, ſondern ein jeder vor einen billichen Preiß bekommen kan, was er zur Leibes - Nahrung und Nothdurfft noͤthig hat. Ab - ſonderlich ſolte man auch auf Vorrath bedacht ſeyn, davon man in theuren Zei - ten denen, die nicht reich ſind, umb einen maͤßigen Preiß uͤberlaſſen koͤnte, was ſie brauchen; wovon nach dieſem ausfuͤhrli - cher ſol geredet werden, Auch hat man fleißige Aufſicht noͤthig, daß keine unge - ſunde Speiſen auf den Marckt gebracht, in Wirthshaͤuſern und Gahrkuͤchen Spei - ſe recht zubereitet, die Bierbrauer und Schencken fuͤr einen guten Tranck ſorgen, abſonderlich aber die Weinſchencken den Wein nicht verfaͤlſchen und verderben. Und da inſon derheit uͤbermaͤßiges Freſſen und Sauffen der Geſundheit ſchadet; ſo hat man auch dagegen, abſonderlich wie - der die Trunckenheit, Anſtalten zu ma - chen; und haben zugleich die oͤffentlichen Lehrer die Schaͤndlichkeit dieſes Laſters mit Nachdruck vorzuſtellen (§. 318). Un - einer Lufft iſt der Geſundheit gleich falls zuwieder. So hat Gauger in ſeiner Me - chanick des Feuers oder dem Tractat vonEr -343des gemeinen Weſens. Erbauung der Camine p. m. 55. & ſq. an - gemercket, daß er bey der alten Art der Ca - mine, wo die Lufft den gantzen Winter uͤber in dem Gemache eingeſchloſſen verbleibet, ſtets mit Schnupffen, Huſten und Fluͤſ - ſen beſchweeret worden; von dergleichen Zufaͤllen er nichts mehr erfahren, als er durch ſeine neue Art der Camine taͤglich neue reine Lufft in das Zimmer bekommen. Es wird aber die Lufft unreine und unge - ſund theils auf den Straſſen, theils in den Gebaͤuden, entweder im Hoffe, oder in den Gemaͤchern. Jn Gemaͤchern wird die Lufft unreine von den Ausduͤnftungen aus den Leibern der Menſchen und der Thiere, ingleichen der Speiſen und des Tranckes, abfonderlich wenn die Gemaͤcher ſtets zu ſind, daß die Lufft nicht durchſtreichen und ſich neunen kan, dabey auch die einge - ſchloſſene Lufft entweder durch die Hitze im Sommer, oder durch ſtarckes Einheitzen im Winter ſehr erwaͤrmet wird. An an - deren Orten des Gebaͤudes wird die Lufft ſtinckend theils durch die heimlichen Gemaͤ - cher, theils wenn man anderen Unflath nicht bey Zeiten wegſchafft und es uͤberall reinlich haͤlt, theils wenn kein freyer Zu - fluß von der Lufft iſt, und alſo die Lufft uͤberall gleichſam eingeſchloſſen bleibet. Dieſen Beſchweerlichkeiten kan nicht an - ders als durch die Baukunſt abgeholffenY 4wer -344Cap. 3. Von der Einrichtungwerden; und demnach hat man im ge - meinen Weſen zu veranſtalten, daß die Baukunſt immer mehr und mehr in Auf - nahme gebracht und, was nuͤtzliches dar - innen erfunden worden, bey Erbauung der Gebaͤude, ſo viel nur immer moͤglich, angebracht werde. Es hat laͤngſt Vitru - nius lib. 1. c. 4. erinnert, daß die Lufft auf den Straſſen ungeſund wird, nach - dem ſie von Winden aus gewiſſen Gegen - den koͤnnen durchſtrichen werden. Und deswegen iſt noͤthig, daß, wo man eine Stadt von neuem anlegen ſol, man fuͤr allen Dingen die Beſchaffenheit der Win - de aus den verſchiedenen Gegenden ſich bekannt machet, theils durch die Erfah - rung, theils auch durch dasjenige, was von ihren Eigenſchafften anderswo (Ge - ogr. §. 217 & ſq. ) gelehret worden, und nach dieſem die Straſſen ſo einrichten, daß die ungeſunden Winde dieſelben nicht frey durchſtreichen koͤnen, folgends diejenigen, welche ihrer Verrichtungen halber auf den Straſſe gehen muͤſſen, nicht von ihnen be - ſchweeret werden. Es wird auch die Lufft auf den Straſſen umeine durch den Un - flath, der daſelbſt liegen bleibet. Und hat man dannenhero fleißige Aufſicht zu ha - ben, daß die Gaſſen beſtaͤndig ſauber und reinlich gehalten werden, auch man allen Unflath bey Zeiten hinausſchaffe. Wie -drige345des gemeinen Weſens. drige Affecten, Kummer und Verdruß ſind der Geſundheit des Menſchen ſehr nachtheilig. Derowegen hat man bey al - len Anſtalten dahin zu ſehen, daß nieman - den dadurch mit Grunde der Wahrheit zu einigem Verdruſſe und wiedrigen Affe - cten Anlaß gegeben, auch niemand ohne ſeine Schuld und ohne dringende Noth in Kummer und Sorgen geſtuͤrtzet werde. Und da abſonderlich viel daran gelegen iſt, daß Leute, die dem gemeinen Weſen viel Nutzen ſchaffen, bey guter Geſundheit ſich befinden: ſo hat man auch ſie in allen der - gleichen Faͤllen, ſo viel nur immer moͤg - lich iſt, zu ſchonen und dahin zu ſehen, daß ſie in einem vergnuͤgten Zuſtande ſich be - finden: wozu noch ferner dieſes kommet, daß Kummer und Verdruß hinderlich ſind in den Verrichtungen, und daher in ſol - chen Faͤllen, wo auf ihnen das genieine Beſte beruhet, der gemeinen Wohlfahrt hoͤchſtnachtheilig. Und da das Gemuͤthe des Menſchen durch eine anmuthige Geſell - ſchafft ermuntert wird, auch andere Er - goͤtzlichkeiten dazu das ihre beytragen; ſo iſt zugleich mit darauf zu ſehen, daß man zu dergleichen Geſellſchafften und Ergoͤtz - lichkeiten Gelegenheit finde: wobey doch aber nicht geringe Sorgfalt vonnoͤthen iſt, daß aller verderbliche Mißbrauch dabey vermieden werde. Es ſind aber viele Ge -Y 5legen -346Cap. 3. Von der Einrichtunglegenheiten, die man zu dergleichen Ergoͤtz - lichkeiten geben kan. Es gehoͤren hieher die Gaͤrten, Spazierfahrten, Comoͤdien und Tragoͤdien, Spiele, Muſicken, Taͤn - tze und was dergleichen mehr iſt: von wel - chen allen ins beſondere gar viel zu erin - nern waͤre, wenn es unſere jetzige Gele - genheit leiden wolte. Und weil auch in der erſten Auferziehung gar viel daran gelegen, daß man nicht zu zaͤrtlich erzogen und al - lerhand zu ver ragen abgehaͤrtet werde; ſo hat man zu hierzu dienlichen Ubungen gute Anſtalten zu machen. Es iſt nehm - lich zu uͤberlegen, was fuͤr Ungemach in den Verrichtungen des menſchlichen Le - bens einem begegnen kan, und dergleichen zu vertragen muß man von Jugend auf nach und nach angewoͤhnet werden. Es iſt wohl wahr, daß Eltern und diejenige, welche der Auferziehung der Kinder vor - ſtehen, in dieſem Stuͤcke das beſte thun koͤnnen; allein es finden ſich doch auch in allen Faͤllen Gelegenheiten, durch oͤffent - liche Anſtalten etwas dienſames auszurich - ten. Man begreiffet uͤber dieſes ohne mein Erinnern, daß man im gemeinen Wefen nicht eher gute Anſtalten wieder die Kranckheiten machen kan, als biß man weiß, aus was fuͤr Urſachen alle Arten der Kranckheiten entſtehen. Und demnach waͤ - re viel daran gelegen, wenn man die Me -dicin347des gemeinen Weſens. dicin in dieſem Stuͤcke zu mehrerer Gewiß - heit braͤchte: welches eine Arbeit iſt, die mit fuͤr die Academie der Wiffenſchafft gehoͤret (§. 300). Es koͤnnen auch die Kinder oͤffters in Mutter-Leibe verwahr - loſet werden, und zu einigen Kranckheiten einen Anſatz bekommen, theils wenn die Mutter wehrender Schwangerſchafft da - mit behafftet, theils wenn ſie ſich zur ſel - ben Zeit nicht gebuͤhrend verhaͤlt: welches an ſeinem Orte deutlicher wird gezeiget werden. Und alſo geben die Schwange - ren eine neue Sorge an die Hand, wo man nichts verabſaͤumen wil, was in un - ſerer Gewalt ſtehet. Es doͤrfften vielleicht einige meinen, man erfordere gar zu viel von denen, welche die Aufſicht fuͤr die ge - meine Wohlfahrt haben; andere werden es gar verlachen, weil ſie taͤglich erfah - ren, daß man hierauf nicht ſiehet. Al - lein ich ſcheue mich nicht zu behaupten, wozu ich guten Grund habe, es mag uͤb - lich ſeyn, oder nicht, Jch gebe ietzt kei - nen Geſchicht-Schreiber ab, der bloß er - zehlet, was im Brauch iſt; ſondern viel - mehr einen Weltweiſen, der nach der Vernunfft unterſuchet, wie alles beſchaffen feyn ſol, und von jedem, was er antrifft, den Grund ſuchet, warum es beſtehen kan. Was ich hier in einem beſonderen Falle er - innere, gilt durchgehends in allen uͤbri -gen.348Cap. 3. Von der Einrichtunggen. Unterdeſſen koͤnte ich auch gar leicht durch Exempel beſtetigen, was ich wegen der Anſtalten erinnert, die man fuͤr ſchwan - gere Weiber machen ſol, d’amit ſie ge - ſunde, wohlgeſtaltete und geartete Kinder gebaͤhren. Die Sineſer, ſonderlich die alten, haͤlt man fuͤr die beſten Staats - Leute: Sie haben aber davor Sorge ge tragen,(a)Schola parvulorum c. 1. §. 2. und wer geſchickt iſt durch reif - fes Nachſinnen den Grund ihrer Anſtalten zu erreichen, der wird finden, daß ſie hoͤchſtvernuͤnfftig ſind, unerachtet ſie viel - leicht andere, die nur alles obenhin anzu - ſehen gewohnet ſind, verlachen doͤrfften.

Wie Kranck - heiten abzuwen den.
1

§. 380.

Da man ſo groſſe und viele Sorgfalt von noͤthen hat Kranckheiten zu verhuͤten (§. 379); die Kranckheiten aber gefaͤhrlicher ſind, wenn ſie ſchon da ſind, als wenn man ſie nur beſorget: ſo muß man auch im gemeinen Weſen zu Abwen - dung der Kranckheiten alle noͤthige Mittel finden. Zu dem Ende hat man verſtaͤn - dige und erfahrne Aertzte und Wund - Aertzte von noͤthen / und demnach darauf zu ſehen, daß niemanden Kranckheiten zu curiren zugelaſſen werde, von dem man nicht genung verſichert iſt, er verſtehe, was dazu erfordert wird, und ſey geſchickt ſei - ne Kunſt zu uͤben. Hieraus nun erwach -ſen349des gemeinen Weſens. ſen zweyerley Arten der Anſtalten. Die erſten gehen da hinaus, daß man alle Ge - legenheit findet zu lernen, was einem, der die Kunſt treiben wil, zu wiſſen noͤthig iſt: die anderen hingegen zeigen Gelegenheit, die angehenden Aertzte und Wund-Aertz - te geſchwinde zur Erfahrung zu bringen. und zu dieſen Anſtalten kommen noch die dritten hinzu, wodurch man nehmlich ver - ſichert wird, daß einer, der die heilſame Kunſt treiben wil, dazu das noͤthige Ge - ſchicke habe. Es iſt aber hierbey ſehr viel daran gelegen, daß man die heilſa - me Kunſt und alle andere dazu dienliche Kuͤnſte und Wiſſenſchafften in Aufnah - me zu bringen ſuchet: welches abermahls eine Arbeit iſt, welche der Academie der Wiffenſchafften zu verrichten oblieget, wie wohl auch ein jeder, der mit der heilſa - men Kunſt umgehet, das ſeine dazu bey - tragen kan. Da nun durch unerfahrne Aertzte viel Unheil angerichtet werden kan, indem ſie die Patienten theils umb ihre Geſundheit, theils umb ihr Leben brin - gen, und alſo ihrer Abſicht gantz zuwie - der handeln; hingegen nach unſern Sit - ten zum Curiren geſchickt gehalten wird, der auf einer Univerſitæt Doctor wor - den; ſo hat man in einem wohlbeſtellten gemeinem Weſen Verfuͤgung zu thun, daß man auf Univerſitæten nicht untuͤchtigeLeu -350Cap. 3. Von der EinrichtungLeute zu Doctoribus, am allerwenigſten aber zu Profeſſoribus machet, auch wo man befindet, daß einer, welcher ſeine Kunſt nicht verſtehet, zum Doctor gema - chet worden, ſolches ſcharff ahndet, z. E. bey doppelter Straffe deſſen, was er ge - geben. Weil man uͤber dieſes gewiſ - ſe Artzeneyen noͤthig hat, wo man die Kranckheiten curiren ſol; ſo hat man auch darauf zu ſehen, daß nicht allein Artze - neyen, welche man noͤthig hat, zu jeder Zeit zu bekommen ſeyn, ſondern auch eine je - de von ihnen auf gehoͤrige Weiſe zuberei - tet worden. Und damit man deſſen deſto verſicherter ſeyn kan, ſo muͤſſen Apothe - cken aufgerichtet und zu gewiſſen Zeiten beſichtiget werden, damit man in Erfah - rung komme, ob alle noͤthige Artzneyen darinnen vorhanden, und ob ſie auch gut und tuͤchtig ſind. Weil gefaͤhrliche Kranck - heiten gemeiniglich von armen Leuten den Urſprung nehmen, welche ſich in ihrer Kranckheit nicht halten koͤnnen, wie ſichs gebuͤhret; ſo hat man nicht allein beſonde - re Oerter, die man Lazarete und Kran - cken-Hoſpitaͤler zu nennen pfleget, anzu - legen, da man dergleichen arme Patien - ten hinbringen und nach Nothdurfft ver - pflegen kan; ſondern auch Anſtalten zu machen, daß arme Patienten an Rath, Artzeneyen und anderer noͤthiger Pflegekeinen351des gemeinen Weſens. keinen Mangel haben: und hat man hier - bey wohl acht zu haben, daß dieſe Wohl - thaten bloß denen zu ſtatten kommen, die ſie noͤthig haben (§. 962 Mor.).

§. 881.

Weil aber unter allen Seu - chen und Kranckheiten einem Staate nichts gefaͤhrlicher iſt als die Peſt, maſ - ſen die Erfahrung lehret, daß dadurch vie - le tauſende in kurtzer Zeit hingerafft wer - den, und ſolchergeſtalt ein Staat von Unterthanen gantz entbloͤſet wird, auch kei - ne Seuche leichter als dieſe anſtecket; ſo hat man am allermeiſten zu ſorgen, daß die Peſt aus einem Staate wegbleibe, und woferne ſie einreiſſen wil, dieſem Ubel bey Zeiten vorzubeugen. Damit man nun verhuͤten kan, daß keine Peſt entſtehe; ſo hat man mit Fleiß die Urſachen zu unter - ſuchen, woher ſie kommet. Wiederumb daß man ihr deſto beſſer begegnen kan, ſo hat man den Verlauf derſelben fleißig zu beobachten. Und zu dieſem Ende ſollte man die Hiſtorien von der Peſt ſorgfaͤltig ſammlen, und verſtaͤndige Leute, abſon - derlich erfahrne und geuͤbte Medici, wel - che an Orten ſich befunden, wo die Peſt geweſen, ſollten mit allen Umbſtaͤnden, was vorgegangen, auf das genaueſte be - ſchreiben. Nehmlich die Hiſtorien von der Peſt geben den Grund zur Wiſſen - ſchafft davon, beyde aber zuſammen denGrund352Cap. 3. Von der EinrichtungGrund zu denen noͤthigen Anſtalten. Und ſiehet man nicht allein hieraus, ſon - dern auch aus allerhand andern Materi - en, die in der Politick abgehandelt wer - den, daß die Wahrheiten, die hieher ge - hoͤren, viele andere Wiſſenſchafften vor - ausſetzen, wenn man ſie gruͤndlich abhan - deln wil. Damit man nicht ſelbſt zu Peſt und anſteckenden Kranckheiten Anlaß gebe, hat man in theuren Zeiten zu vermitteln, daß arme Leute, die nicht ſo viel erwerben koͤnnen, als das Brodt ko - ſtet, nicht genoͤthiget werden, aus Man - gel ungewoͤhnliche Speiſen zu eſſen. Wenn garſtige, ſtinckende, nebelichte oder ſonſt feuchte Lufft zu Kranckheiten Anlaß geben wil, hat man die Lufft in denen Gemaͤ - chern durch Ausraͤuchern zu reinigen, und uͤberhaupt allemahl dahin zu ſehen, daß man reine und geſunde Lufft in dem Zim - mern hat, wozu die Baukunſt bey Ein - richtung der Camine und Oeffen Anlaß giebet (§. 390 Archit. civil.). Wenn ei - ne Seuche unter das Vieh kommet, muß man nicht allein Aufſicht haben, daß kein Fleiſch von ungeſundem Viehe auf den Marckt kommet; ſondern auch ſelbſt das umgefallene Vieh mit Haut und Haare an einem freyen Orte tief vergraben wer - de, damit dadurch die Lufft nicht ange - ſteckt werden kan. Mercket man, daßver -353des gemeinen Weſens. verdaͤchtige Kranckheiten ſich in einigen Orten hervorthun, ſo muß man weder Perſonen, noch Sachen daher einlaſſen, indem bekannt, wie die Peſt ſo wohl durch Perſonen als Sachen ſich aus einem Or - te in den andern bringen laͤſſet. So bald die Peſt in einem Orte einreiſſen wil, hat man bald die Haͤuſer, darinnen ſich die Peſt aͤuſſert, zuzunageln, alle Perſonen, die ſich darinnen befinden, auſſerhalb der Stadt in freye Lufft zu bringen, und ih - nen daſelbſt noͤthige Verpflegung zu ver - ſchaffen. Auch muͤſſen die todten Leich - namme im freyen Felde tief unter der Er - de vergraben werden, damit nicht durch ihre Faͤule die Lufft weiter angeſteckt wird. Und weil gemeiniglich die Peſt bey gemei - nen Leuten uͤberhand nimmet, die entwe - der ſich nicht halten koͤnnen, wie ſie ſollen, oder bey denen es in ihren Haͤuſern und Wohnungen ſehr unreine iſt; ſo hat man dergleichen Leute theils in Lazarethe und Krancken-Hoſpitaͤler zu bringen, theils ih - nen noͤthige Verpflegung in ihren Haͤuſern zu verſchaffen, theils auch, ſo bald verdaͤch - tige Kranckheiten ſich hervor thun, zu ver - ordnen, daß alle Haͤuſer geſaͤubert, und von reiner Lufft durchſtrichen werden. Dieſes fuͤhren wir als Exempel an, wie man aus den Hiſtorien von der Peſt noͤthige Regeln ziehen ſol.

(Politick) Z§. 382.354Cap. 3. Von der Einrichtung
Was we - gen der Leibes - Ubungen zu veran - ſtalten.
1

382.

Der Menſch ſoll nach Geſchicklich - keit des Leibes trachten, das iſt, eine Fer - tigkeit erlangen, ſeine Gliedmaßen in eine ſolche Bewegung und Stellung zu brin - gen, wie es die Vollkommenheit der See - le, und die natuͤrliche Vollkommenheit des Leibes erfordert (§. 446. Mor,). Da nun dieſe Fertigkeit nicht anders als durch Ubung erlanget wird (§. 525. Met.): ſo muß man auch in dem gemeinen Weſen allerhand Gelegenheit zu allen nuͤtzlichen Ubungen des Leibes finden (§. 272). Und zu dem Ende muͤſſen allerhand Exerci - tien - Meiſter beſtellet, auch bequeme Oer - ter angeleget und geſchickte Gebaͤude auf - gefuͤhret werden, wo man unter ihrer An - fuͤhrung den Leibes-Ubungen obliegen kan. Damit aber niemand von dieſen Leibes - Ubungen zuruͤcke bleibet, der nicht allein dazu Luſt, ſondern ſie auch von noͤthen hat; ſo ſollen die Exercitien-Meiſter mit Be - ſoldung verſehen, und die dazu noͤthigen Gebaͤude auf oͤffentliche Koſten gehalten werden. Es iſt aber leicht zu erachten, daß außer den gewoͤhnlichen Leibes - Ubungen, als Reiten, Fechten, Tantzen, noch viel an - dere ſeyn koͤnnen, die zum Theil mehr Nu - tzen als dieſe haben. Es waͤre z. E. hoͤchſt noͤthig, daß man die Jugend in allerhand Minen und Geberden, in Veraͤnderungen des Ganges und der Sprache nach demZu -355des gemeinen Weſens. Zuſtande des Gemuͤthes und anderen der - gleichen Dingen uͤbete: welches ſie nach die - ſem in vielen Faͤllen des menſchlichen Lebens nutzen koͤnnten. Jedoch muß wohl darauf geſehen werden, daß man ſich nichtsgezwun - genes angewoͤhne (§. 215 Mor.). Hieher ge - hoͤret auch die Kunſt zu ſchwimmen, zu ren - nen, zu ſchießen, zu ringen, Hitze und Froſt, Hunger und Durſt zu vertragen, und was dergleichen mehr iſt. Gleich wie aber der Menſch in allem, was er vor nimmt, auf die Haupt-Abſicht ſeines Lebens zu ſehen hat (§. 40 Mor,); ſo hat man wohl zu - berlegen, was fuͤr Ubungen einem in ſeiner kuͤnfftigen Lebens-Art ſonderlich dienlich ſeyn koͤnnen, und daß er ſich derſelben fuͤr andern zu befleißen angelegen ſeyn laſſe, ihn anzuhalten: welches auch ſchon aus dem folget, was anderswo (§. 448. Mor.) erwieſen worden.

§ 383.

Der Menſch ſoll ſich in keineWie Si - cherheit im Gehen und Fah - ren zu er - halten / Gebrech - lichkeit des Lei - bes zu verhuͤt - ten. Gefahr wagen die Gliedmaßen des Lei - bes entweder zu verberben oder zu verlie - ren (§. 449. Mor.). Da man nun durch Fallen leicht Schaden nehmen kan; ſo hat man auf Sicherheit im Gehen und Fah - ren ſowohl auf den Gaſſen, als Straßen zuſehen, und zu dieſem Ende die Wege zu beſſern, die Gaſſen wohl zupflaſtern, wenn es in dem Winter glatt gefrieret, das Eis einzuhauen, Bruͤcken und Stege wohlzuZ 2be356Cap. 3. Von der Einrichtungbefeſtigen, die Treppen in oͤffentlichen und gemeinen Gebaͤuden zum ſteigen bequem zu erbauen, und was dergleichen mehr hier - zu etwas beytragen kan. Es laͤſſet ſich dieſes auch aus allgemeinen Gruͤnden er - weiſen. Man ſoll im gemeinen Weſen die Gluͤckfeeligkeit der Menſchen befoͤrdern (§. 227.) und dannenhero alles verhuͤten, was Misvergnuͤgen erwecken kan (§. 52. Mor. & §. 446. Met.). Weil nun alles, was unbequem iſt, Misvergnuͤgen brin - get; hingegen was bequem iſt, wo nicht Vergnuͤgen gewehret, doch Misvergnuͤ - gen verhuͤttet, wie ein jeder leicht bey ſich ſelbſt erfaͤhret (§. 325. Met.); ſo muß man auch im gemeinen Weſen fuͤr alle Be - quemlichkeit ſorgen, ſie mag Nahmen haben, wie ſie will, folgends auch fuͤr die Bequemlichkeit im Gehen und Fahren und alle dasjenige, was ſie auf einige Art und Weiſe befoͤrdert. Weil es aber gar leichte zu geſchehen pfleget, daß man theils bey ſeiner ordentlichen Arbeit, theils auch durch allerhand andere Zufaͤlle, welche aus der Erfahrung zur Gnuͤge bekand ſind, Schaden an den Gliedmaßen des Leibes nehmen kan, in dem ſie entweder verrencket, oder zerbrochen, oder verwundet werden, oder ſonſt ein boͤſer Schaden hinein kom - met; ſo hat man zu dem Ende erfahrne Wund - Aertzte noͤthig, auch beſondere Ho -ſpi -357des gemeinen Weſens. ſpitaͤler, darein man dergleichen arme Pa - tienten bringen und curiren kan. Und weil dergleichen Zufaͤlle arme Leute, die mit ſchwerer Arbeit umgehen, auch ſich ſonſt nicht in allem in acht nehmen koͤnnen, wie es wol ſeyn ſolte: ſo ſoll ihnen in ſolchen Faͤllen entweder von Wund-Aertzten, die zu dem Ende beſoldet und verpflichtet, auch zu Zei - ten ihres Verhaltens wegen ihre Curen un - terſuchet werden, umſonſt Huͤlffe geſchehen, oder man muß aus beſondern dazu verord - neten Koſten ihnen zur Cur noͤthige Mittel angedeyen laſſen. Es wird jeder leicht ſehen, daß dieſe Art der Allmoſen hoͤchſt noͤthig (§. 961. Mor.), und dem Staate weniger beſchweerlich ſind, als andere. Denn wenn arme Leute kranck und ge - brechlich werden, ſo ſind ſie zur Arbeit un - geſchickt. Da ſie nun als denn nichts erwerben koͤnnen, oder wenigſtens nicht ſo viel als ſie noͤthig haben, ſo muͤſſen ſie ſich von Rechtswegen auf das betteln le - gen (§. 964. Mor.). Weil ſie nun eher die Leute zu Mitleiden bewegen, als andere, die, weil ſie geſund ausſehen, zur Arbeit geſchickt ausſehen (§. 461. Met.); ſo bet - teln ſie nachdem mehr als ſie noͤthig ha - ben, und werden aus Wolluſt liederlich, ja wenn ſie auch noch etwas zu arbeiten geſchickt waͤren, gefaͤllet ihnen doch das faule Brodt beſſer, als was ſie verdienenſoll -358Cap. 3. Von der Einrichtungſollten. Und ſolcher Geſtalt hat das ge - meine Weſen einen dreyfachen Schaden, nemlich der eine entſtehet aus dem unnoͤ - thigen betteln, der andere aus verſaͤume - ter Arbeit, und der dritte aus dem lieder - lichen Leben und daher ruͤhrender Ver - fuͤhrung anderer. Weil endlich oͤffters Kinder theils aus Unachtſamkeit der El - tern, theils aus Nachlaͤßigkeit, auch wohl gar aus Muthwillen und Boßheit des Geſindes in dieſem Stuͤcke verwahrloſet werden; ſo ſollten auf ſolche Verwahrlo - ſung nach Befinden Straffen geſetzet (§. 357.) und mit Ernſt daruͤber gehalten werden (§. 345.).

Was we - gen Nah - rung und Kleidung zu beſor - gen.
1

§. 384.

Da man zur Nothdurfft des Leibes Speiſe, Tranck und Kleidung brau - chet, auch ein jeder verbunden iſt, bey Nah - rung und Kleidung ſich nach ſeinem Stan - de zu richten (§. 458. 492 Mor.); ſo hat man nicht allein zu veranſtalten, daß ein jeder alles dasjenige fuͤr einen billichen Preiß haben kan, was er zu ſeiner Nah - rung und Kleidung brauchet, ſondern auch darauf acht zu haben, daß ſich niemand weder in Eſſen und Trincken, noch in Klei - dung uͤber ſeinen Stand erhebe. Jn der erſten Abſicht muß man an einem jeden Or - te ſo viel moͤglich iſt, alle Handwercker und Handthierungen haben, die man zu ſtandmaͤßiger Nahrung und Kleidung, auchande -359des gemeinen Weſens. anderen damit verknuͤpfften Bequemlich - lichkeiten des Lebens von noͤthen hat, und muͤſſen diejenigen, welche Handel treiben, alle Wahren fuͤhren, die dazu dienen, und in ſolcher Menge, als ſie noͤthig ſind. Gleich - wie es nicht ein geringer Verdruß iſt, wenn man etwas nicht bekommen kan, ſo man haben wil und noͤthig hat: alſo iſt es im Gegentheile nicht allein ein Mangel des Verdruſſes, ſondern auch, wenn man es bedencket, ein Vergnuͤgen, wenigſtens ein Mittel zum Vergnuͤgen, wenn man ſo gleich haben kan, was man noͤthig hat / und gerne haben wil. Was aus der taͤg - lichen Erfahrung erhellet (§. 325 Met.), darf nicht erſt durch weitlaͤuffige Gruͤnde beſtaͤtiget werden. Weil nun das Ver - gnuͤgen die Gluͤckſeeligkeit des Menſchen, und der Mangel des Mißvergnuͤgens den Mangel der Ungluͤckſeeligkeit ausmachet (§. 52. 61 Mor.); ſo wird auch hiedurch ein Theil der Ungluͤckſeeligkeit abgewen - det und hingegen die Gluͤckſeeligkeit ver - mehret: worauf man bey allen Anſtalten im gemeinen Weſen zu ſehen hat (§. 215). Jn der andern Abſicht hat man gewiſſe Speiſen und gewiſſen Tranck einigen zu verbiethen, abſonderlich bey oͤffentlichen Gaſtgebothen, als auf Hochzeiten, Kind - taufen und ſo weiter. Und gehoͤret auch hieher die Kleider-Ordnung, welche ſoZ 4wohl360Cap. 3. Von der Einrichtungwohl als die Ordnungen wegen Speiſe und Tranck nicht allein nach dem Ver - moͤgen, ſondern auch nach dem Stande einzurichten (§. 458. 459 Mor.). Es hat aber verſchiedene Urſachen, warum man uͤber dieſe Ordnungen feſt zu halten hat. U - bermuth im Tractiren und Kleidung brin - get nicht allein Verſchwendung zu wege, wodurch viele ſo wohl fuͤr ſich in den Bet - telſtab gerathen, als auch andere, die ſie um das ihrige betruͤgen, darein bringen; ſondern es erwecket auch Mißgunſt bey an - dern, woraus ferner Haß (§. 454. 460 Met.) und Feindſchafft (§. 778 Mor.) er - folget. Hierzu kommet, daß einer den andern durch ſein Exempel zu Ubermuthe im Tractiren und Kleidung verleitet: denn die Menſchen ſind ſo geartet, daß ſie nicht gerne, ſonderlich ihres gleichen, etwas nachgeben, ſondern vielmehr ſich hoͤhern, als ſie ſind, zu gleichen trachten. Weil aber niemand ſich ſeinem Stande gemaͤß in Nahrung und Kleidung auffuͤhren kan, er habe denn die noͤthigen Mittel dazu; ſo hat man auch um deswillen die Bedie - nungen mit hinreichenden Beſoldungen zu verſehen, und ſo wohl der Arbeit, als den Wahren einen ſolchen Preiß zu ſetzen, da - bey einer zu einer ſtandmaͤßigen Auffuͤh - rung Mittel findet. Jch weiß wohl, daß einige in den Gedancken ſtehen, als wennman361des gemeinen Weſens. man in Nahrung und Kleidung bloß auf die Nothdurfft ſehen ſolte, und das uͤbri - ge alles fuͤr Ubermuth auslegen: allein mich duͤncket, es laſſe ſich gar leicht zeigen, daß ſie ſich in ihrem Urtheile uͤbereilen. Wenn man weiter nichts verlangte, als was zur Nothdurfft des Lebens noͤthig iſt; ſo wuͤrde die groͤſte Zahl der Handthierun - gen wegfallen, und dadurch viele keine Arbeit haben, wodurch ſie verdienten, was die Nothduxfft erfordert. Ja die Menge der Menſchen hat ſie eben aus Nothwen - digkeit auf allerley Arbeit dencken geleh - ret, darauf ſie ſonſt nicht wuͤrden kommen ſeyn, wenn ſie bey derjenigen Arbeit ihr Auskommen haͤtten finden koͤnnen, welche zur Nothdurfft des Lebens genung iſt. Es iſt wohl wahr, daß die Reichen denen Ar - men mit Allmoſen aushelffen koͤnten: al - lein zu geſchweigen, daß der Biſſen Brodt, den man verdienet, einem ehrliebenden Gemuͤthe beſſer ſchmecket, als den er er - betteln ſol, ſo hat man auch niemanden ohne Noth Urſache zum Muͤßiggange zu geben, als woraus viele Laſter zu erfolgen pflegen (§. 530 Mor.). Uber dieſes ſind auch einige Handthierungen noͤthig: allein wenn ſie bloß die Arbeit verfertigen ſolten, die man zur Nothdurfft des Lebens ge - brauchet, wuͤrden ſie dabey ihr nothduͤrf - tiges Auskommen nicht finden. HieherZ 5gehoͤ -362Cap. 3. Vonder Einrichtunggehoͤren z. E. Kupfferſtecher und Kupffer - drucker, ingleichen diejenigen, welche ei - nige Arbeit zu mathematiſchen, phyſicali - ſchen und andern Jnſtrumenten verferti - gen. Endlich vergeſſen ſie auch, daß ei - ne unſchuldige Luſt, das iſt, eine Luſt, die zwar vergaͤnglich iſt, aber doch nichts wie - driges nach ſich ziehet, mit zu der Gluͤck - ſeeligkeit des Menſchen gehoͤret (§. 52. Mor.).

Einrich - tung we - gen des Allmo - ſens.
1

§. 385.

Wenn Leute ſich finden, welche aus Mangel des Geldes und Unvermoͤgen, oder auch Mangel der Gelegenheit nicht erwerben koͤnnen, was zu ihrer Nothdurft erfordert wird, oder wenigſtens nicht ſo viel, als zu ihrem noͤthigen Auskommen gehoͤret; ſo ſollen andere, die vermoͤgend ſind, dieſem Mangel abhelffen (§. 961. Mor.). Und demnach hat man Anſtalten zu machen, daß ſo wohl diejenigen, welche nicht genug erwerben koͤnnen, eine Zubu - ße bekommen; als auch die andern, die gar nichts vor ſich bringen koͤnnen, nach Nothdurft verſorget werden. Da aber niemand Allmoſen zu fordern berechtiget iſt, als der Mangel an Nothdurft leidet, und durch eigene Kraͤffte daraus nicht kommen kan (§. 964 Mor.); ſo hat man am meiſten davor zu ſorgen, daß die All - moſen nicht an unrechte Perſonen kom - men. Weil nun bey dem Betteln vielUn -363des gemeinen Weſens. Unterſchleif geſchehen kan, daß nehmlich entweder Leute betteln, die es nicht noͤthig haben, oder auch einige mehr betteln, als zu ihrer Nothdurſt gehoͤret, indem nicht ein jeder in den Umſtaͤnden iſt, da er den Zuſtand des Bettlers recht erkundigen koͤn - te, uͤber dieſes auch ein Bettler mehr Ge - hoͤre findet als der andere, ob er gleich nicht ſo nothduͤrftig iſt, weil er geſchickter iſt entweder von Natur, oder auch durch ſeine Ubung den andern in einen dienlichen Affect zu bringen, dadurch er zur Mildig - keit bewogen wird, und in dieſen und der - gleichen Faͤllen das Allmoſen weder an die rechten Perſonen kommet, noch nach der Billichkeit unter die Duͤrfftigen ausge - theilet wird; ſo ſol man im gemeinen We - ſen das Betteln gar nicht verſtatten, ſon - dern vielmehr auf Anſtalten bedacht ſeyn, da dieſer Unterſchleif verhuͤtet wird. Jch habe geſaget: man ſey nicht immer in den Umſtaͤnden, da man ſich des Zuſtandes eines Bettlers erkundigen kan. Denn weil auch der Recht hat zu betteln, der zwar arbeiten kan, aber keine Gelegenheit dazu findet, oder nicht ſo viel mit ſeiner Arbeit vor ſich bringet, als ſeine Noth - durfft erfordert (§. 964 Mor.); ſo kan das aͤuſſerliche Anſehen eines Bettlers einen leicht auf die Gedancken bringen, als wenn er das Allmoſen nicht noͤthig haͤtte, ob eres364Cap. 3. Von der Einrichtunges gleich hoͤchſt beduͤrfftig iſt. Da man aber in keinem Falle weiß, was ein Duͤrff - tiger ſchon bey andern erbettelt; ſo kan man auch nicht urtheilen, ob er ſchon ge - nung erbettelt, oder noch ein mehreres zu ſeiner Nothdurfft gebrauchet. Gewiß! die Erfahrung lehret in groſſen Staͤdten, daß dem Augenſcheine nach die duͤrfftig - ſten Bettler, weil ſie elende und gebrech - lich ſind, nicht zur Nothdurfft, ſondern zur Wolluſt betteln und mit dem Allmoſen Ubermuth treiben. Hierzu kommet noch dieſes, daß wir auch nicht wiſſen, ob es an dem ſey, daß ein geſunder Bettler kei - ne Arbeit kriegen koͤnne, oder ob er nicht vielmehr lieber aus Faulheit das Bettel - Brodt eſſen wil; ingleichen ob ſein Ver - dienſt zu ſeiner Nothdurfft nicht hinreichet. Damit nun aber die aus dieſen Urſachen noͤthigen Anſtalten auf gehoͤrige Art einge - richtet werden; ſo hat man einen Unter - ſcheid zu machen unter den Perſonen, die Allmoſen begehren. Entweder ſie ſind ver - moͤgend zu arbeiten, oder nicht. Sind ſie vermoͤgend zu arbeiten, ſo haben ſie ent - weder Luſt zu arbeiten, oder ſie wollen nicht arbeiten. Fuͤr Leute, die nicht arbeiten wollen, und ſich aus Faulheit auf das Bet - teln legen, und im Falle, da ihnen das Betteln nicht geſtattet wird, oder ſie da - bey nicht ihr Auskommen finden, ſich aufBe -365des gemeinen Weſens. Betruͤgen und Stehlen legen, muͤſſen Zucht - und Arbeit - Haͤuſer angeleget werden, da man ſie zur Arbeit mit Schlaͤ - gen und Drohungen, oder auch ſonſt har - ten Worten zwingen und fuͤr den verdien - ten Lohn noͤthigen Unterhalt verſchaffen kan. Man hat aber auch davor Sorge zu tragen, daß man Arbeit genung in ſol - che Arbeit-Haͤuſer bekommen kan. Wenn Leute ſind, die gerne arbeiten wollen, wenn ſie nur Arbeit bekommen koͤnnen; ſo hat man darauf zu ſehen, wie man ihnen Ar - beit verſchaffe: wohin dasjenige gehoͤret, was ſchon oben (§. 279 & ſeq. ) ausgefuͤh - ret worden. Fuͤr Leute, die gantz unver - moͤgend ſind zu arbeiten, und keine Freun - de haben, die ſie verſorgen koͤnnen, muͤſ - ſen Hoſpitaͤler aufgerichtet werden, dar - innen man ihnen nach Nothdurfft Unter - halt giebet: wohin auch die Kinder-Ho - ſpitaͤler gehoͤren, darinnen unmuͤndige Wayſen erzogen werden, deren Anver - wandten nicht in dem Stande ſind, ſie zu erziehen. Fuͤr Leute, die entweder Alters halber, oder aus Gebrechlichkeit und Schwachheit nicht ſo viel arbeiten koͤnnen als ihre Nothdurfft erfordert, muͤſſen Ar - men-Haͤuſer aufgerichtet werden, da man ihnen nach ihrem Vermoͤgen zu ar - beiten giebet und ihnen Unterhalt verſchaf - fet. Hieher gehoͤren auch auf gewiſſe maſ -ſen366Cap. 3. Von der Einrichtungſen die Armen-Schulen, darinnen die Kinder der Eltern, welche das Schulgeld nicht verdienen koͤnnen, umſonſt in allem, was ſie zu lernen noͤthig haben, unterrich - tet werden. Fuͤr die uͤbrigen, denen durch dieſe Anſtalten nicht mag geholffen wer - den, hat das Allmoſen-Amt zu ſorgen, welches zu dem Ende aufgerichtet wird, damit diejenigen, welche Allmoſen noͤthig haben, ſo viel bekommen, als ihnen ge - buͤhret. Und laſſen ſich die Pflichten die - ſes Ambtes und die dabey noͤthige Einrich - tung aus demjenigen herleiten, was zur Gnuͤge jetzt ausgefuͤhret worden. Es iſt endlich bey dieſen Anſtalten auch noch die - ſes nicht zu vergeſſen. Unterweilen haben einige zu ihrer Arbeit einen Verlag noͤthig und, wenn ſie von dem Gelde, was ſie dazu borgen, auch nur die ordentlich geſetz - ten Zinſen abtragen ſollen, ſo traͤget ihnen ihre Arbeit nicht mehr ſo viel ein als ſie zu ihrem Unterhalt von noͤthen haben. De - rowegen ſolte man auf ſolche Caſſen be - dacht ſeyn, daraus man ihnen fuͤr gerin - gere Intereſſen Gelder vorſtrecken koͤnte. Man wird ſich nicht wundern, warumb ich dieſes hieher rechne. Der Nachlaß an den Intereſſen in Anſehung der Duͤrfftig - keit derer, die das Geld borgen, iſt eine Art des Allmoſens (§. 960 Mor.).

§. 386.367des gemeinen Weſens.

§. 386.

Damit es an Vorrathe zurWas we - gen A - cker - und Garten - Baue / auch Vieh - zucht zu beſoꝛgen. Nahrung und Kleidung keinen Mangel habe; ſo muß auch der Acker - und Gar - ten-Bau, ingleichen die Viehzucht in gu - tem Stande ſeyn. Und wenn die Acade - mie der Wiſſenſchafften durch tuͤchtige Gruͤnde und Proben etwas von einer Ver - beſſerung herausgebracht (§. 305); ſo muß man ſolches ins Werck zu bringen bemuͤ - het ſeyn. Eben dieſes muß geſchehen, wenn andere von einer ſolchen Verbeſſerung et - was darthun. Und hat man den Fleiß derer zu belohnen, die mit dergleichen nuͤtz - lichen Erfindungen dem menſchlichen Ge - ſchlechte dienen, damit andere dadurch deſto mehr aufgemuntert werden, ſich gleichfalls in dieſem Stuͤcke umb das menſchliche Geſchlechte verdient zu machen. Hingegen da es oͤffters zu geſchehen pfleget, daß unbeſcheidene Leute ſich den Trieb ih - rer Affecten verleiten laſſen, neue Erfin - dungen durch Schmaͤh-Schrifften zu laͤ - ſtern; ſo ſolte man nicht verſtatten, derglei - chen Schrifften zu drucken (§. 806 Mor.), abſonderlich da hiedurch viele abgehalten werden nuͤtzliche Dinge zu unterſuchen, o - der wenigſtens, nachdem ſie ſie erfunden, der Welt kund zu machen. Man hat demnach darauf zu ſehen, daß alles Land wohl angebauet, alle Wieſen wohl genu - tzet und mit fruchtbaren Baͤumen beſetzet,die368Cap. 3. Von der Einrichtungdie unfruchtbaren Oerter fruchtbar gema - chet, allerley Viehe in der Menge gezogen werde und was dergleichen mehr iſt. Ge - wiß! auf die Beſſerung und richtige Ver - waltung der Land-Wirthſchafft hat man ein wachſames Auge zu haben, denn da - von hat man den meiſten Unterhalt zu ge - warten.

Warum Trun - ckenheit zu be - ſtraffen -
1

§. 387.

Weil die Trunckenheit eines von den ſchaͤdlichſten Laſtern iſt (§. 473 & ſqq. Mor.); ſo ſolte man es auch nicht einreiſſen und gemein werden laſſen, und ſolchergeſtalt nach Beſchaffenheit der Um - ſtaͤnde Straffen darauf ſetzen (§. 343.). Die Trunckenheit machet den Menſchen ungeſund und zu ſeinen Verrichtungen un - tuͤchtig, bringet viele an den Bettelſtab, und machet, daß andere, die Credit haben, vieles auf borgen und fremdes Gut durch - bringen. Alles dieſes richtet im gemeinen Weſen viel Unheil an, wie man bey uns, da die Trunckenheit gemein iſt, leyder! taͤglich erfaͤhret. Und demnach iſt es bil - lich, daß ſie im gemeinen Weſen beſtra - fet werde. Man moͤchte zwar einwenden, daß, wenn die Trunckenheit beſtrafft wer - den ſolte, eigene Richter beſtellet werden muͤſten, die nichts als dieſes Laſter unter - ſuchten und beſtrafften, und dannenhero gehe es nicht an, daß man es mit einer buͤr - gerlichen Straffe belege. Allein es iſt wohlzu369des gemeinen Weſens. zu mercken, daß die Trunckenheit bey uns nur aus uͤbeler Gewohnheit gemein wor - den iſt, und gar wohl rar werden koͤnnte, wenn man ſich mit rechtem Ernſte der - ſelben wiederſetzte. Abſonderlich aber ſollten diejenigen beſtraffet werden, die an - dere bey Gaſtereyen und anderen Gelegen - heiten zur Trunckenheit noͤthigen.

§. 388.

Der Menſch ſoll auch nach ei -Von Bau - und Feuer - Ordnun ner bequemen und ſtandmaͤßigen Woh - nung trachten (§. 509. & ſeqq. Mor.), und dannenhero hat man im gemeinen We - ſen auch Bau-Ordnungen noͤthig. Da nun in der Baukunſt erwieſen wird, daß man auf dreyerley bey jedem Gebaͤude zuſehen, nemlich auf die Feſtigkeit, die Be - quemlichkeit und Schoͤnheit (§. 15. 17. 18. Archit. civil. ); ſo ſiehet man hier - aus, worauf man in Bau-Ordnungen zu ſehen hat. Unterdeſſen iſt nicht zu leugnen, daß eines nothwendiger iſt als das andere, und man nicht alle Kleinigkeiten in Bau - Ordnungen bringen, ſondern vieles dem Wiſſen und Gewiſſen der Baumeiſter und Werckleute uͤberlaſſen muß. Z. E. Es kan nichts groͤſſeren Schaden anrich - ten als das Feuer. Dieſes verwuͤſtet nicht allein die Gebaͤude, ſondern verzeh - ret auch alles, was darinnen iſt, und kan in wenig Stunden oͤffters vermgenoͤde Leute, die zum wenigſten ihr gutes Aus -(Politick) A akom -370Cap. 3. Von der Einrichtungkommen haben, wo nicht in den Bettelſtab, doch gantz herunter und in groſſe Armuth bringen. Derowegen hat man nicht allein in den Bau-Ordnungen hauptſaͤchlich zu - zuſehen, wie die Gebaͤude wieder das Feuer gnungſam verwahret werden; ſondern auch uͤber dieſes gute Anſtalten zu erden - cken, wie die entſtehende Feuers-Brunſt bald moͤge wieder geloͤſchet werden, ehe ſie weit um ſich greiffet: wohin die Feuer - Ordnungen gehoͤren. Und weil oͤffters durch Unachtſamkeit Feuer heraus koͤm - met, auch dadurch uͤberhand nimmet, wenn man es verheelet und ſelbſt loͤſchen will; ſo ſoll nicht allein die Verwahrloſung, ſondern noch mehr die Verheelung des Feuers beſtraffet werden (§. 357. 358). Vielleicht werden einige meinen, mit der Schoͤnheit der Gebaͤude habe es eben nicht viel zuſagen. Man koͤnnte in einem ſchlechten Gebaͤude ſo gluͤckſeelig leben, als in einem ſchoͤnen, wenn man nur ſonſt ſein gutes Auskommen hat, und von Sor - gen und Kummer frey iſt. Ja man wird ſich auf die Erfahrung beruffen: der groͤſte Theil der Menſchen wohnet in ſchlechten Gebaͤuden, und doch ſind diejenigen, wel - che in ſchlechten wohnen, oͤffters vergnuͤgter, als die ſchoͤne und praͤchtige Haͤuſer und Pal - laͤſte zu ihren Wohnungen haben. Allein hierauf laͤſſet ſich leichte antworten. Erſt -lich371des gemeinen Weſens. lich wird niemand in Abrede ſeyn, daß, wenn man mit einerley Koſten ein Ge - baͤude ſchoͤn und ſchlecht bauen kan, es beſſer ſey und vernuͤnfftiger es ſchoͤn, als ſchlecht zu bauen, indem ein ſchoͤnes voll - kommener iſt als ein ſchlechtes (§. 9. Ar - chit. civ.), wir ſollen aber in allem, ſo viel moͤglich iſt, das vollkommenere dem unvollkommeneren vorziehen. Darnach iſt auch gewis, daß ſchoͤne Gebaͤude ein Gefallen erwecken (§. cit. Archit. civil. ) und alſo Vergnuͤgen machen. Da nun dieſes Vergnuͤgen kein Unvergnuͤgen nach ſich ziehet, woferne man nicht aus Unvor - ſichtigkeit oder andern Urſachen mehr Geld verbauet, als man nach ſeinem Ver - moͤgen thun koͤnnen; ſo iſt es ein unſchul - diges Vergnuͤgen (§. 424. Met.) und ver - mehret die Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. Uber dieſes geben. ſchoͤne und praͤchtige Gebaͤude denen, die ſie beſitzen und be - wohnen, ein Anſehen bey andern, ſonder - lich bey gemeinen Leuten und andern, die nach dem aͤuſſerlichen Scheine zu urthei - len gewohnet ſind. Jm gemeinen We - ſen aber iſt viel daran gelegen, daß man ein Anſehen bey andern hat, theils wegen des Credits, wenn man mit andern handeln und wandeln ſoll, theils auch wegen ſeiner Amts-Verrichtungen, wenn man ſonder - lich andern zu befehlen hat. Und aus die -A a 2ſer372Cap. 3. Von der Einrichtungſer und der vorhergehenden Urſache iſt jedermann verbunden, der das Vermoͤ - gen dazu hat, ſein Hauß ſchoͤne zu bauen, wenn er es von neuem auffuͤhret. Jch will jetzt nicht ſagen, daß die Schoͤnheit groͤ - ſten Theils mit der Feſtigkeit und Be - quemlichkeit verknuͤpfft iſt, und man oͤff - ters viele Koſten erſparet, wenn man ſie mit ihnen verbindet; denn dieſes wird in der Baukunſt ausgefuͤhret. Hier muß ich hauptſaͤchlich bemercken, daß es einer Stadt ein groſſes Anſehen giebt, wenn ſie wohl erbauet iſt, und einem gantzen Lande, wenn wohl erbauete Staͤdte darin - nen ſind. Dieſes Anſehen aber bringet auch Vortheil. Denn vermoͤgende und verſtaͤndige Leute und Kuͤnſtler werden da - durch bewogen ſich in einem ſolchem Lan - de lieber nieder zu laſſen, als in andern, und Fremde, die Geld zu verzehren haben, reiſen in ſolche Laͤnder und tragen ihr Geld hinein, indem ſie es dafelbſt verzeh - ren. Da nun hierdurch die Wohlfahrt des gemeinen Weſens befoͤrdert wird; ſo hat man auch billich darauf zu ſehen (§. 215). Es kommet endlich noch dieſes hinzu, daß es ſelbſt dem Landes-Herren ein Anſehen giebet, wenn ſeine Staͤdte und ſein Land wohl angebauet iſt, als wenn es uͤberall armſeelig ausſiehet: was aber dieſes vor Nutzen ſchaffet, ſoll untenan373des gemeinen Weſens. an ſeinem Ortr weiter ausgefuͤhret wer - den.

§. 389.

Wenn die Luſt der Sinnen ſoWorauf bey der Luft der Sinnen zu ſehen. gebrauchet wird, daß ſie keinen Verdruß nach ſich ziehet, ſo kan ſie mit zur Gluͤckſeeligkeit des Menſchen gerechnet werden (§, 52 Mor.). Und dieſe iſt es e - ben, welche man eine unſchuldige Luſt zu nennen pfleget. Man hat demnach im ge - meinen Weſen davor zu ſorgen, daß man ſeine Sinnen zu beluſtigen Gelegenheit fin - det; aber doch auch zu verhuͤten, daß die - ſe Luſt nicht gemißbrauchet werde. Zu dem Ende ſind Kuͤnſtler noͤthig, welche der - gleichen Wercke verfertigen, die unſere Sinnen beluſtigen koͤnnen, oder auch ſelbſt ſie zu beluſtigen geſchickt ſind. Man muß Oerter anlegen, da man zu einer unſchul - digen Luſt Gelegenheit findet: auch Zeiten beſtimmen, da man ohne Nachtheil an - derer noͤthigen Verrichtungen dergleichen genieſſen kan.

§. 390.

Das Auge wird beluſtiget durchVon Gu - goͤtzlich - keit des Auges. Gemaͤhlde, Statuen und andere Bilder. Und dieſe Luſt iſt nicht allein unſchuldig, wenn dieſelben Wercke der Kuſt nichts vorſtellen, was zu boͤſen Begierden Anlaß geben kan; ſondern ſie iſt gar nuͤtzlich, wenn ſie uns auf gute Gedancken zu bringen geſchickt ſind. Ein Bild eines gu - ten Freundes erneuret uns das AndenckenA a 3deſſel -374Cap. 3. Von der Einrichtungdeſſelben und erinnert uns zu unſerm Ver - gnuͤgen der mit ihm gepflogenen Freund - ſchafft, und in ſo weit iſt dieſes Vergnuͤ - gen unſchuldig. Weil man aber einen Freund liebet (§. 778 Mor.); ſo wird da - durch der Affeet der Liebe, und zwar einer unſchuldigen Liebe, in unſer Hertz gepraͤ - get. Da nun dergleichen Liebe hoͤchſt nuͤtz - lich iſt (§. 777 Mor.); ſo iſt die Vergnuͤ - gung, die man ſich durch das Bild ma - chet, etwas ſehr gutes (§. 13 Mor.). Hin - gegen wenn man ſich an einem nackenden Bilde beluſtiget; und dardurch zur Geil - heit gereitzet wird; ſo iſt es eine ſchaͤdliche Luſt: wie aus dem vorhergehenden leicht erhellet. Und demnach muß dieſer Miß - brauch verhindert, das iſt, es muß nicht gedultet werden, daß man ſolche Bilder, die zur Geilheit reitzen koͤnnen, verfertige, oder in Zimmern oͤffentlich habe. Jn die - ſer Abſicht nun hat man Mahler, Bild - hauer, Drechßler und andere dergleichen Kuͤnſtler noͤthig. Und weil ein jedes Werck um ſo viel mehr Vergnuͤgen gewehret, je mehr es Vollkommenheit an ſich hat (§. 409 Met.); ſo muß man rechtſchaffene Kuͤnſtler haben: wozu oben bereits Mittel vorgeſchlagen worden (§. 314. 315). Zur Ergoͤtzlichkeit der Augen dienen auch die Luſt-Gaͤrten und was dazu gehoͤrig: zu welchem Ende nicht allein die Gaͤrtnerey,ſon -375des gemeinen Weſens. ſondern auch die Garten-Bau-Kunſt in Aufnahme zu bringen iſt, und in beyden verſtaͤndige und geuͤbte Leute zu unterhal - ten ſind. Weil was ſchoͤne iſt, Gefallen erwecket (§. 9 Archit. civil. ); ſo hat man hier ſonderlich die allgemeinen Regeln der Schoͤnheit anzubringen. Z. E. die Wohl - gereimheit und Symmetrie tragen ſehr viel zur Schoͤnheit bey (§. 20. 27 Archit. ci - vil. ): derowegen hat man auf beyde ſorg - faͤltig zu ſehen. Wiederum eine geſchickte Abwechſelung bringet Vergnuͤgen, wie man laͤngſt aus der Erfahrung angemercket: demnach muß man auch hier darauf be - dacht ſeyn. Die Augen zu vergnuͤgen die - nen die Spring-Brunnen, welche man zu dem Ende ſo wohl in denen Gaͤrten, als auf den Marckt-Plaͤtzen anzulegen hat. Und muß zu dem Ende nicht allein die Hy - draulick, ſondern auch die Bau-Kunſt ge - trieben werden, in ſo weit die Figur und Verzierung der Brunnen darinnen gegruͤn - det. Es ſolten demnach die Bau-Meiſter in dieſen Stuͤcken geuͤbt ſeyn, die in groſ - ſen und vornehmen Staͤdten, abſonderlich Reſidentzien, beſoldet werden. Und hat man in dergleichen Faͤllen ſonderlich auf ſolche Erfindungen zu ſehen, die durch Verwunderung Wohlgefallen erregen, weil man es fuͤr unmoͤglich halten wuͤrde, wenn man es nicht ſelber ſaͤhe. Es gehoͤ -A a 4ren376Cap. 3. Von der Einrichtungren hieher auch die kuͤnſtlichen Spring - Brunnen, die in Haͤuſern und ihren Gemaͤchern, als auch auf den Taffeln groſſer Herren, zubereitet werden: wovon ich die Gruͤnde in der Hydraulick erklaͤ - ret. Es ſind auch noch viel andere Wer - cke der Kunſt, die den Augen ein Vergnuͤ - gen machen, und hier nicht alle ſich erzeh - len laſſen. Wir rechnen darunter alles Geraͤthe, womit man die Gemaͤcher aus - zieret: ingleichen rare Muͤntzen und ange - nehme Schauſtuͤcke in Muͤntz-Cabinetten, Wercke der Kuͤnſtler in Raritaͤten-Kam - mern und was dergleichen mehr iſt. Nicht weniger finden die Augen ihr Vergnuͤgen in den Naturalien-Kammern, darinnen man verwahret, was die Natur an frem - den Orten hervorbringet, ſo bey uns nicht anzutreffen. Comoͤdien, Tragoͤdien und Opern koͤnnen gleichfalls das ihrige bey - tragen, abſonderlich wenn durch theatrali - ſche Machinen allerhand vorgeſtellet wird, ſo uns in Verwunderung ſetzet. Es ma - chen auch diejenigen Perſonen dem Auge ein Vergnuͤgen, welche durch Ubung ſich zu wunderswuͤrdigen Bewegungen geſchickt gemacht. Dergleichen ſind Taͤntzer, Seil - Taͤntzer, Taſchenſpieler und ſo weiter. Jch weiß wohl, daß einige dieſe Leute fuͤr unnnuͤtzes und liederliches Geſinde halten, welches man im gemeinen Weſen nichtdul -377des gemeinen Weſens. dulden ſol. Allein wenn dieſe Leute lieder - lich leben, in den Laͤndern herumſtreiffen, das Geld hinaustragen, zu verderblichem Zeit-Verluſt vielen Anlaß geben u. ſie von ihren Verrichtungen abhalten (welches die Urſachen ſind, ſo ſie verhaßt machen): ſo geſchiehet ſolches nicht wegen ihrer Kunſt, ſondern vielmehr aus anderen Urſachen, die von ihr gar wohl ſich abſondern laſſen, als z. E. daß ſie bey ihrer Kunſt ordentli - cher Weiſe nicht ihr Brodt finden. Wenn man demnach durch gute Verfaſſungen den Mißbrauch verhuͤttet; ſo koͤnnen die Kuͤn - ſte an ſich gar wohl zu einer unſchuldigen Ergoͤtzung dienen. Es faͤllet aber ſo wohl in dieſen als anderen dergleichen Faͤllen nicht ſchweer jedesmahl den Gebrauch von dem Mißbrauche abzuſondern, wenn man nur fleißig erweget, was ſchon vorhin er - wehnet worden (§. 389), nehmlich daß al - le Luſt unſchuldig iſt und ohne Bedencken kan genoſſen werden, woferne man verhuͤ - ten kan, daß ſie nichts mißvergnuͤgliches nach ſich ziehet. Und demnach uͤbergehe ich mit Stillſchweigen, was noch ſonſt von andern Ergoͤtzlichkeiten der Augen, oder vielmehr des Gemuͤthes, ſo durch die Au - gen kommet, ſich ſagen lieſſe. Damit ich aber niemanden zu wiedrigen Gedancken Anlaß gebe, ſo finde ich noch noͤthig zu er - innern, daß an ſeinem Orte angezeiget werden ſol, was etwan verderbliches bey ei -A a 5ner378Cap. 3. Von der Einrichtungner und der andern Luſt ſich einſchleicht, und warumb man ſie in ſo weit vermei - den ſol. Es ſind auch auſſer dem an - gefuͤhrten allgemeinen Grunde noch ande - re viele beſondere Gruͤnde theils oben an - gefuͤhret, theils werden ſie nach dieſem an gehoͤrigem Orte folgen, woraus man den Mißbrauch gar leicht erkennen kan. Z. E. Seil-Taͤntzer, Taſchen-Spieler, Comoͤ - dianten, Operiſten &c. verleiten viele zu ſchaͤdlichem Zeit-Vertreib und zum Muͤſ - ſiggange. Da nun oben ausgefuͤhret wor - den, daß man im gemeinen Weſen die Ge - legenheit zum Muͤßiggange benehmen ſol (§. 283); ſo ſiehet man vor ſich, daß kei - nes weges muß erlaubet werden dieſen Leu - ten zu ſpielen, wo und wenn dergleichen zu beſorgen: als auf Academien, wo jun - ge Leute Studirens wegen ſich aufhalten, waͤre es unrecht, wenn man dieſen Leuten ohne Unterſcheid Freyheit zu ſpielen verſtat - ten, und dadurch Anlaß geben wolte, daß ſie nicht allein ihre Collegia verſaͤumeten, ſondern auch den Kopff mit unnuͤtzen Ge - dancken anfuͤlleten, die ſie im Studiren hinderten (§. 238 Met.), und das Geld, was ſie zum Studiren anwenden ſollten, dorthin truͤgen. Bey allen Einrichtun - gen muß man alles pruͤffen, und was gut iſt, behalten.

Ergoͤtz - lichkeiten der Oh - ren.
1

§. 391.

Zur Ergoͤtzlichkeit der Ohren ge - hoͤret die Muſic, ſo wohl die Jnſtrumental -als379des gemeinen Weſens. als Bocal-Muſic, oder das Singen. Und in dieſer Abſicht hat man im gemeinen Weſen auch Muſicanten von noͤthen, die bey ſich ereignenden Freuden-Faͤllen durch das Ohr ein Vergnuͤgen machen koͤnnen. Wir finden, daß die Sineſer auf beyde Muſic gar viel gehalten, und ſo wohl die Sitten-Lehre als Staats-Kunſt, inglei - chen alle anſtaͤndige Gebraͤuche, ſo wohl in Regeln, als Exempeln, vermittelſt der Jn - ſtrumental - und Vocal-Muſic ihrer Ju - gend eingepraͤget. Nehmlich man weiß aus der Erfahrung, daß im Gedaͤchtniſſe nichts beſſer bleibet als Verſe, die man ab - ſinget, und, da die Muſic geſchickt iſt al - lerley Arten der Affecten zu erregen, die Regeln der Tugenden und anſtaͤndigen Sitten mit gehoͤrigen Affecten vermittelſt derſelben ſich verknuͤpffen laſſen, dergeſtalt daß, wenn nach dieſem Gelegenheit eine Tugend auszuuͤben ſich ereignet, zugleich die Affecten erreget werden (§. 238 Met.), dadurch man dasjenige auszuuͤben verlei - tet wird, was man thun ſol. Man erken - net aber zugleich hieraus, daß man dabey den Mißbrauch ſo wohl der Jnſtrumental - als Vocal-Muſic zu verhuͤten hat, wodurch man zur Geilheit, Uppigkeit und anderen unanſtaͤndigem Weſen verleitet wird. Zur Ergoͤtzung der Ohren dienen auch die Co - moͤdien, Tragoͤdien und Opern, in ſoweit380Cap. 3. Von der Einrichtungweit durch anſtaͤndige Worte und Redens - Arten jede Perſon das ihre vorbringet. Da aber von dieſen Ergoͤtzungs-Mitteln ſchon vorhin (§. 328) geredet worden; ſo wuͤrde unnoͤthig ſeyn, ſolches hier von neu - em zu wiederhohlen. Man ſiehet aber hieraus zugleich, daß man auch geſchick - te Redner zu halten hat, die bey ſich erei - gnenden Faͤllen dasjenige wohl vorzutragen wiſſen, was man in einer Rede vorzubrin - gen hat. Und muͤſſen abſonderlich auch die oͤffentlichen Lehrer gute Redner ſeyn, als die mit Nachdruck anderen nuͤtzliche Lehren beybringen ſollen (§. 317 & ſeq.). Und gleichwie es uͤberhaupt mit Luſt anzu - hoͤren, wenn einer ſeine Sachen wohl vor - zubringen weiß; hingegen mit Mißver - gnuͤgen, wenn man ſolches zu thun nicht vermoͤgend iſt: ſo hat man jedermann, ſo viel nur immer moͤglich iſt, in Schulen und auf Academien zur Beredſamkeit an - zufuͤhren (§. 284.). Weil aber abſonder - lich gute und ſinnreiche Verſe noch mehr Vergnuͤgen geben, als eine wohlgeſetzte Rede; ſo ſind auch Poeten im gemeinen Weſen nicht unnuͤtze Leute, die mit ihren Verſen bey ſich ereignenden Gelegenheiten zugleich ergoͤtzen und Nutzen ſchaffen. Je - doch hat man zu verhuͤten, daß ſie nicht durch verliebte und unzuͤchtige Verſe gute Sitten verderben und die boͤſen Luͤſte rege machen: in welcher Abſicht beſondere Auf -ſeher381des gemeinen Weſens. ſeher zu beſtellen, die vorher die Arbeit der Poeten durchſehen muͤſſen, ehe ſie ſich da - mit an das Tage-Licht wagen doͤrffen. Es ſind auch noch viel andere Dinge, wel - che durch das Gehoͤr ein Vergnuͤgen ma - chen koͤnnen. Z. E. Hieher gehoͤret auch das Rauſchen des Waſſers in den Caſca - den oder Waſſer-Faͤllen, die man in Luſt - Gaͤrten nebſt denen Spring-brunnen an - bringen kan; oder auch in natuͤrlichen Baͤ - chen, die an Waͤldern und Wieſen liegen, wo man es durch die Kunſt vermehren kan. Es findet hier auch ferner ſeine Stelle das Singen der Voͤgel, die man in Gaͤrten, Haͤuſern und Waͤldern halten und hegen kan: wohin unter andern die Verbothe zu rechnen, Nachtigallen und andere lieblich ſingende Voͤgel zu ſtoͤhren und zu verja - gen. Eben ſo kan man hieher das Geleu - te rechnen, wenn bey naͤchtlicher Weile, da alles furchtſam iſt, ein Ungewitter ent - ſtehet, indem der angenehme Glocken Klang das durch die Furcht niedergeſchlagene Ge - muͤthe ermuntert und erquicket. Es ver - dienet hier auch ſeine Stelle das Freuden - Schieſſen ſo wohl mit grobem, als kleinem Geſchuͤtze, nebſt allen Feuer-Wercken, die einen Knall von ſich geben, wenn ſie zer - ſpringen, gleichwie ſie an ſich auch dem Auge Vergnuͤgen machen, und daher mit in die vorhergehende Claſſe gehoͤren (§. 390)382Cap. 3. Von der Einrichtung390). Wer verſtehet, wie im Wandel des Menſchen alles mit einander zuſammen ſtimmen ſol (§. 142. 144 Mor.), und was man bey Ceremonien in acht zu nehmen hat (§. 177. 178 Mor.), der wird nach Er - forderung der Umſtaͤnde leicht urtheilen, wie man dieſe und alle uͤbrige Arten der Luſtbarkeiten nach Zeit und Ort recht ver - theilen ſol. An einer geſchickten Abwechs - lung iſt hier viel gelegen: welches die Er - fahrung laͤngſt beſtaͤtiget, wie das bekan - te Spruͤchwort verſichert: Abwechslung giebet Vergnuͤgen.

Ergoͤtz - lichkeiten des Ge - ruchs.
1

§. 392.

Was den Geruch betrifft; ſo hat man fuͤr allen Dingen darauf zu ⃒ſe - hen, daß aller Geſtanck in Haͤuſern und auf den Straſſen verhindert werde: denn dadurch erwaͤchſet Verdruß, und wo man verdruͤßlich iſt, findet Luſt und Vergnuͤ - gen nicht ſtat (§. 404. 417 Met. Allein da der Geſtanck auch der Geſundheit Ein - trag thut; ſo iſt ſchon oben (§. 379) hier - von gehandelt worden. Abſonderlich aber hat man darauf zu ſehen, daß aller Unflat, wodurch ein uͤbeler Geruch entſtehen kan, weggeſchaffet und nicht geduldet werde an ſolchen Oertern, wo man durch Spatzier - gaͤnge eine Ergoͤtzlichkeit ſuchet. Auch hat man die Handwercker, welche ein Geſtaͤn - cke machen, an ſolche Oerter der Stadt und Vorſtaͤdte zu verweiſen, wo wenigeLeute383des gemeinen Weſens. Leute zu gehen pflegen, hingegen in Haupt - Straſſen, ſonderlich die am Marckte lie - gen, und wo demnach jedermann viel zu gehen hat, muͤſſen ſie nicht gedultet wer - den. Dieſes aber kan um ſo viel eher ge - ſchehen, wenn man ſie nicht alle Tage noͤ - thig hat, und daher nichts daran gelegen iſt, ob ſie an abgelegenen Orten wohnen, oder nicht. Solten aber auch einige Staͤncker Wahre von taͤglichem Gebrauch haben; ſo kan man doch Anſtalten ma - chen, daß ſie ihre Wahre an einem gelege - nen Orte verkauffen. Z. E. Fleiſcher ma - chen ſo wohl mit der Maſtung des Viehes, als mit dem Schlachten vielen Unflat und Geſtanck. Allein man kan entweder in einem abgelegenen Orte der Stadt, oder auch auſſer derſelben ein beſonderes Ge - baͤude haben, da ſo wohl Staͤlle fuͤr das Viehe ſind, als auch ein bequemes Schlacht-Hauß iſt, und ſolchergeſtalt nie - mand dadurch beſchweeret wird. Hinge - gen ſchicket ſichs nicht, daß man ſie nach ihrem Gefallen unter andern Leuten woh - nen laͤſſet. Weil uͤberhaupt die Vieh - zucht viel Unreinigkeit und folgends an Or - ten, wo die Lufft nicht frey durchſtreichen kan, Geſtanck verurſachet; ſo ſol man in Staͤdten, die wohl erbauet ſind, und da die Jnnwohner nicht noͤthig haben ſich von Ackerbaue und der Viehzucht zu naͤhren,abſon -384Cap. 3. Von der Einrichtungabſonderlich wo die Gebaͤude hoch und die Hoͤffe dabey enge ſind, daß keine friſche Lufft durchſtreichen kan, nicht verſtatten, daß man Kuͤhe, Schweine und Schaafe halten darf. Woferne aber der Ort ſei - ne Nahrung zum Theil von dem Acker - baue und der Viehzucht nehmen muß; ſo hat man nicht allein die Staͤlle fleißig aus - zumieſten und den Hoff rein zu halten, ſon - dern auch nicht zu verſtatten, daß der Miſt lange liegen bleibe und nicht bald fortge - ſchafft werde: wovon zum Theil auch ſchon oben (§. 379) noͤthige Erinnerung geſchehen. Es gehoͤret hieher zugleich die Einrichtung mit den heimlichen Gemaͤchern, daß ſie nicht ſtincken, und die Anſtalten den Unflath, den man ⃒wegen der menſch - lichen Nothdurfft nicht vermeiden kan, theils zu verbergen, theils aus den Haͤuſern und der Stadt bequem hinauszubringen. Alles, was bisher geſaget worden, gehet dahin, daß wir nicht mit Geſtancke be - ſchweeret werden. Allein dieſes iſt nicht genung: man muß auch ſuchen durch an - genehmen Geruch dem Menſchen Vergnuͤ - gen zu machen, und unterweilen den Ge - ſtanck durch dergleichen vertreiben. Umb des letzteren willen muß man darauf be - dacht ſeyn, daß man bey Materialiſten und in Apothecken allerhand Raͤuchwerck, als Weyrauch, Raͤucher-Kertzen, Ofen -Lack,385des gemeinen Weſens. Lack, Balſam, wohlriechende Oele und Spiritus, und dergleichen bekommen kan, damit man ſo wohl in den Gemaͤchern den uͤbelen Geruch vertreiben, ſonderlich im Winter in den Speiſegemaͤchern, wo man nicht gleich die friſche Lufft kan durch - ſtreichen, und ſolchergeftalt die Lufft im Zimmer ſich erneuren laſſen, oder wenn man dazu keine Zeit uͤbrig hat; als auch daran riechen kan, wenn auf der Straße, oder an anderen Orten, wo man ſich be - findet, einem unvermuthet ein uͤbeler Ge - ruch in die Naſen ſteiget. Ob man gleich auch in ankommenden Ohnmachten der - gleichen wohl - und ſtarck-riechende Sa - chen mit Vortheil gebrauchen kan: ſo ge - hoͤret doch dieſes nicht in gegenwaͤrtigen Ort, wo wir fuͤr den Geruch nicht weiter ſorgen, als in ſo weit uns dadurch Ver - gnuͤgen erwecket und Verdruß abgewen - det werden mag. Durch Geruch Ver - gnuͤgen zu machen dienet die Erzeugung wohlriechender Blumen zu allen Zeiten des Jahres: in welcher Abſicht abermahl auf Luſt-Gaͤrten zu ſehen und fuͤr fleißige Gaͤrt - ner zu ſorgen. Es gehoͤret hieher die Par - fumirung der Sachen, als der Handſchu - he, Paruqven und ſo weiter. Jnglei - chen findet hier ſtat, wenn man wohlrie - chende Waſſer durch die Wind-Kugeln in den Gemaͤchern ausdaͤmpffen laͤſſet / wo -(Politick) B bvon386Cap. 3. Von der Einrichtungvon ſchon Rivius in der Auslegung Vitru - vii lib. 1. c. 6. Meldunggethan und kuͤnfftig in den nuͤtzlichen Verſuchen mit mehrerem Meldung geſchehen ſol.

Ergoͤtz - lichkei - ten durch den Ge - ſchmack.
1

§. 393.

Zur Ergoͤtzlichkeit des Geſchma - ckes dienen die Speiſen und das Getraͤn - cke, welche nicht nur zur Nothdurfft des Lebens, ſondern auch zur Vergnuͤgung ge - noſſen werden (§. 457. Mor.). Derowe - gen hat man nicht allein im gemeinen We - ſen Koͤche zu halten, die bey ſich ereignen - den Faͤllen, da man mit Eſſen und Trin - cken einen guten Tag machen will, die Speiſen wohlſchmeckend zubereiten koͤn - nen; ſondern es gehoͤren auch noch dazu andere Handthierungen, die Confect und andere wohlſchmeckende Sachen zuzube - reiten wiſſen. Nur hat man zu verhuͤ - ten, daß man weder durch Uberfluß und Verſchwendung in Armuth gerathe, noch auch der Geſundheit Eintrag thue. Jch habeſchon anderswo erwieſen (§. 457. Mor.), daß man auch zur Ergoͤtzlichkeit eſſen und trincken kan, wenn man es nur ſo anfaͤngt, daß man weder ſein Vermoͤgen verſchwen - det, noch durch Unmaͤßigkeit ſich umb ſeine Geſundheit bringet. Man hat auch zu dem Ende in denen Baum-Gaͤrten aller - hand wohlſchmeckend Obſt zu erzeugen, und nicht weniger von Garten-Gewaͤchſen, was ſich mit gutem Appetit genieſſen laͤſ -ſet.387des gemeinen Weſens. ſet. Jedoch hat man inſonderheit darauf zu ſehen, daß nicht eine Delicateſſe in aus - laͤndiſchen Speiſen geſuchet wird, die nur in der bloſſen Einbildung beſtehet: indem dadurch ohne Noth viel Geld aus dem Lande kommet. Man ſiehet ohne mein Erinnern, daß, was von der Speiſe ge - ſaget worden, ſich auch auf das Getraͤncke deuten laͤſſet, und demnach finde ich nicht noͤthig hiervon insbeſondere zu reden. Weil aber ein jeder in Eſſen und Trincken ſich nach ſeinem Stande richten ſoll (§. 458. Mor); ſo hat man im gemeinen We - ſen Ordnungen zu machen, wie ein jeder nach ſeinem Stande bey oͤffentlichen Gaſt - gebothen tractiren ſol: wiewohl da man zu - gleich auf den Beutel ſehen ſol (§. 458. Mor), man Vermoͤgenden, die vornehme Gaͤſte haben, verſtatten kan, was andern nicht erlaubet.

§. 394.

Unter die Ergoͤtzlichkeiten gehoͤ -Beſchaf - fenheit der Spie - le. ren auch mit die Spiele. Ehe ſich aber beurtheilen laͤſſet, was man derſelben hal - ben im gemeinen Weſen zu veranſtalten hat; ſo muß man zufoͤrderſt ihre Beſchaf - henheit und was bey ihnen zulaͤßig iſt, was auch im Gegentheile fuͤr Misbrauch ſich da - bey einſchleichet, wohl erwegen. Denn das zulaͤßige iſt zu verſtatten, weil die Spie - le in ſo weit mit zu der unſchuldigen Luſt gehoͤren, wie bald mit mehrerem ſol dar -B b 2ge -388Cap. 3. Von der Einrichtunggethan werden; hingegen der Misbrauch iſt zu verhindern. Spiele ſind eigent - lich Handlungen der Menſchen, die zum bloſſen Zeit-Vertreib vorgenommen wer - den. Und demnach ſind ſie von andern Handlungen darinnen unterſchieden, daß ſie nicht wie dieſe die Wohlfahrt des Men - ſchen befoͤrdern, oder zur Vollkommenheit unſers innern und aͤuſſern Zuſtandes vor ſich etwas beytragen (§. 12. Mor.). Un - terdeſſen da in einem vollkommenen Wan - del alle Handlungen der Menſchen zuſam - men ſtimmen muͤſſen (§. 144. Mor.); ſo hat man nicht allein darauf zu ſehen, daß durch die Spiele den uͤbrigen Handlun - gen, welche zur Wohlfahrt des Menſchen erfordert werden, kein Eintrag geſchiehet; ſondern ſie, wo es nur immer moͤglich iſt, vielmehr dadurch befoͤrdert werden. Da nun unſere freye Handlungen entweder die Vollkommenheit der Seele, oder des Lei - bes, oder unſeres aͤuſſeren Zuſtandes befoͤr - dern (§. 224. Mor.); ſo muß man auch die Spiele ſo wohl in Anſehung der Seele, als des Leibes u. unſeres aͤußeren Zuſtandes be - trachten und, wie ſie daher von einander unterſchieden ſind, wohl erwegen. Uber - haupt muß man bey den Spielen auf - merckſam ſeyn und, weil durch alle Ubung eine Fertigkeit entſtehet (§. 525. Met.), ſo kan man ſich auch durch das Spiel zur Aufmerckſamkeit gewoͤhnen. Es folgetzwar389des gemeinen Weſens. zwar freylich noch nicht, daß wer im Spie - le auf alles mit Fleiß acht hat, derſelbe auch bey anderen Gelegenheiten ſolches er - weiſe: Denn es iſt noͤthig, daß man in anderen Faͤllen ſich gleichfals aufmerckſam zu ſeyn bemuͤhe. Unterdeſſen iſt doch ge - wiß, daß, wenn man in einem Falle, als Z. E. im Spielen, auf alles acht zu haben einmahl ſich angewoͤhnet, nach dieſem in am - deren Faͤllen ſich dazu zu gewoͤhnen, es viel leichter falle. Uber dieſes iſt auch zu mer - cken, daß ein Spiel geſchickter ſey einen aufmerckſam zu machen, als das andere. Ein jeder ſiehet, daß hier hauptſaͤchlich diejenigen den Preiß behalten, welche viel zu bedencken erfordern und folgends theils viele Regeln, theils viele Faͤlle haben, wo ſie auf mannigfaltige Weiſe anzubringen ſind. Und eben dieſe Spiele geben zu - gleich eine gute Ubung im Nachdencken ab und machen einen geſchickt alles wohl zu uͤberlegen. Nemlich man muß auf die ſich ereignenden Faͤlle acht haben, der Re - geln des Spieles ſich darbey erinnern und ſie an gehoͤrigem Orte geſchickt anbrin - gen. Eben dergleichen Arbeit hat man im menſchlichen Leben noͤthig. Wenn die Spiele nicht auf das bloſſe Gluͤck, noch auf das bloſſe Nachdencken ankommen, ſondern auf beydes zugleich; ſo ſtellen ſie abſonderlich die Faͤlle des menſchlichen Lebens vor, wo ſich Gluͤck uͤberall mitB b 3ein -390Cap. 3. Von der Einrichtungeinmenget. Und dannenhero koͤnnen ſie einen geſchickt machen, ſich in die Faͤlle des menſchlichen Lebens zu ſchicken. Und da bey demjenigen, was auf dem Gluͤcke be - ruhet, meiſtentheils nur eine Wahrſchein - lichkeit ſich befindet; ſo kan man durch die Spiele, in ſo weit ſie von dem Gluͤcke dependiren, auch zugleich die Wahrfchein - lichkeit beurtheilen lernen. Alſo haben die Spiele verſchiedenen Nutzen in Anſe - hung des Verſtandes und einiger maſſen erhellet auch ſchon hieraus einiger Nutzen in Anſehung des Willens, in ſo weit man ſich nemlich dadurch in die Zufaͤlle des menſchlichen Lebens ſchicken lernet. Un - terdeſſen kan man dadurch auch noch ein mehreres erhalten, wenn man ſie dergeſtalt einrichtet, daß ſie zugleich zu Tugend-Ubun - gen Anlaß geben: Dergleichen Spiele ſinnreiche Koͤpffe (§. 366. Met.) gar wohl er - ſinnen koͤnnẽ, wenn ſie dabey die Beſchaffen - heit der Tugenden wohl inne haben. Spie - le, dadurch man den Leib beweget, dienen zur Geſundheit ſonderlich derer, die ſonſt viel ſitzen muͤſſen. Was nun ferner den Misbrauch der Spiele betrifft, ſo gehoͤret fuͤr allen Dingen hieher, wenn man aus ihnen ein Handwerck machet. Denn da ſie zum bloſſen Zeit-Vertreibe vorgenom - men werden; ſo muß man nicht zu der Zeit ſpielen, da man arbeiten ſol, oder an - dere ordentliche Verrichtungen vorzuneh -men391des gemeinen Weſens. men hat. Denn hierdurch gewoͤhnet man ſich an den Muͤßiggang, den ein jeder zu vermeiden ſchuldig iſt (§. 530. Mor.). Un - ter den Misbrauch iſt ferner zurechnen, wenn man das Spielen zu einem Erwerb ma - chet und aus Gewinn ſpielet: Denn da - durch pfleget es zu geſchehen, daß man hoch ſpielet und entweder ſich umb das ſeine, oder andere umb das ihrige bringet. Das gewonnene Geld, weil es einem nicht ſau - er worden iſt und man dabey zu gedencken pfleget, wie muͤſteſtu thun, wenn du es nicht gewonnen haͤtteſt, pfleget man gerne zu verſchwenden und auf ſolche Weiſe gewoͤh - net man ſich an das Verſchwenden, wel - ches ein uͤbeles Laſter iſt (§. 542. Mor.). Wo man aus Gewinn ſpielet, pfleget es auch zu geſchehen, daß man auf allerhand Betrug dencket, dadurch der andere bevor - theilet wird: und hierdurch werden ſchaͤd - liche intereßirte Leute, die nach dieſem auch im Handel und Wandel andere zu bevor - theilen ſich kein Gewiſſen machen, wenn es mit gutem Fuge geſchehen kan. Man wird auch in ſolchem Falle uͤber dem Spie - le eiferig, wenn man ungluͤcklich iſt, und wird dadurch im Ungluͤcke ungedultig: Zu - geſchweigen daß oͤffters Zanck, Zwietracht, Schlaͤgerey, ja wohl gar Mord und Tod - ſchlag daraus erfolget.

B b 4§. 395.392Cap. 3. Von der Einrichtung
Was we - gen der Spiele zu verord - nen.
1

§. 395.

Weil der groͤſte Schaden durch das Spielen geſchiehet, wenn man aus Gewinn ſpielet und zwar hoch (§. 394); ſo hat man mit nachdruͤcklichen Straffen zu verhuͤten, daß man nicht hoch ſpiele (§. 343), auch ſolche Spiele, die bloß auf das Gluͤck ankommen und dabey man viel verſpielen kan, wenn man ungluͤcklich iſt, gar nicht zu dulden. Und eben deßwegen muß man keine Spieler im gemeinen We - ſen leiden, das iſt, Leute, die ſich vom Spielen nehren wollen; auch daher keine oͤffentliche Spiel-Haͤuſer verſtatten, wo ſie an andere Leute kommen koͤnnen, mit denen ſie ſonſt keine Bekandtſchafft erlan - geten. Werden nun alle gewinnſuͤchtige Spiele verbothen; ſo kan man auch das bey verbothenen Spielen gewonnene Geld nicht fuͤr rechtmaͤßig erworben achten und ſolchergeſtalt niemanden anhalten, daß er es bezahle, vielmehr muß man denjenigen von ſeiner Schuld loßſprechen, der es ver - ſpielet. Uber dieſes da man das Spiel nicht zu einem ordentlichen Handwercke machen ſol (§. 394); ſo hat man uͤberhaupt keine ſolche Spiel-Haͤuſer zu dulden, wo die Leute zur Unzeit zu ſpielen verfuͤhret werden. Hingegen da man zu Befoͤrde - rung der Geſundheit alles beyzutragen hat (§. 378); ſo hat man zu ſolchen Spielen Gelegenheit zu verſchaffen, dadurch manſich393des gemeinen Weſens. ſich eine zur Geſundheit dienliche Bewe - gung machet (§. 394). Den uͤbrigen Nu - tzen der Spiele in Beurtheilung der Wahrſcheinlichkeit und im Nachdencken hat die Academie der Wiſſenſchafft zu be - ſorgen und davon zum gemeinen⃒Gebrauche noͤthigen Unterricht zu ertheilen (§. 300). Man ſiehet aber leicht, daß zu dem Ende fuͤr allen Dingen ausfuͤhrliche Beſchrei - bungen der Spiele erfordert werden, wozu ein Vermoͤgen noͤthig iſt eine Sache deut - lich zu begreiffen und, nachdem man es be - griffen, andern zu erklaͤren. Ja die Aca - demie der Wiſſenſchafften koͤnte auch ſel - ber entweder Spiele erfinden, oder die be - reits erfundenen dahin einrichten, daß ſie zu gewiſſen noͤthigen Faͤllen im menſchli - chen Leben diejenigen zubereiteten, welche ſie treiben. Zu dieſen Erfindungen iſt nicht allein noͤthig, daß man die bey einer gewiſſen Lebens-Art ſich ereignenden Faͤl - le vollſtaͤndig begreiffet, und alſo ſcharffſin - nigiſt (§. 850. Met.), ſondern auch zugleich viel Witz hat (§. 366. Met.).

§. 396.

Armuth iſt nicht allein hoͤchſt-be -Wie Ar - muth ab - zuwen - den. ſchwerlich fuͤr diejenigen, welche ſie druͤ - cket, ſondern auch denen eine groſſe Laſt, welche ſie ſollen uͤbertragen helffen: wel - ches alles aus der Erfahrung ſo bekand iſt, daß ich es fuͤr unnoͤthig achte hier umb - ſtaͤndlich auszufuͤhren. Da man nun imB b 5ge -394Cap. 3. Von der Einrichtunggemeinen Weſen die gemeine Wohlfahrt beſtaͤndig vor Augen haben ſol (§. 215); ſo hat man auch auf Mittel zu dencken, wodurch man die Armuth abwendet, und zum wenigſten dahin zu ſehen, daß die An - zahl der Armen im Lande wenig wird, und die meiſten ihr noͤthiges Auskommen ohne andere zu beſchweeren haben koͤnnen. Man verfaͤllet in Armuth, wenn man das ſeini - ge unnoͤthiger, oder wohl gar liederlicher Weiſe verſchwendet; wenn man von an - dern darumb betrogen wird, wenn es ei - nem mit Unrecht entwendet z. E. geſtohlen wird; wenn man mit zu vielen Gaben be - ſchweeret wird; wenn man weniger erwir - bet, als man zu ſeinen Ausgaben brau - chet, entweder ohne ſeine Schuld, weil es an Gelegenheit zum Erwerb fehlet, in - dem man noͤthige Arbeit nicht bekommen kan, oder die Arbeit nicht genung bezahlet wird, oder auch mit ſeiner Schuld, weil man den Muͤßiggang mehr als die Arbeit liebet, oder die Arbeit nicht mit gehoͤrigem Fleiße verfertiget, und was dergleichen mehr iſt. Hieraus erhellet zur Gnuͤge, was man zu verordnen hat, wenn man, ſo viel moͤglich, Armuth abwenden wil, und iſt ſolches auch zum Theil aus andern Ur - ſachen ſchon vorhin vorgeſchrieben worden. Die Verſchwendung wird verhuͤtet, wenn mann junge Leute, die mit dem Gelde nochnicht395des gemeinen Weſens. nicht umzugehen wiſſen, unter der Gewalt ihrer Vormuͤnder laͤſſet, die ihnen ihr Ver - moͤgen verwalten muͤſſen, und ohne deren Vorbewuſt und Willen ſie nichts ausge - ben doͤrffen. Wiewohl man auch darauf zn ſehen hat, daß ſie nicht von ihnen ſelbſt darum betrogen werden, und zu dem En - de von ihnen jaͤhrlich Rechenſchafft fordern muß, wie ſie es verwaltet: wobey nicht allein die Rechnungen uͤber Ausgabe und Einnahme abzunehmen, ſondern auch die Sicherheit des Vermoͤgens ihrer Unmuͤn - digen zu unterſuchen. Und hat man hier - uͤber umb ſo viel feſter zu halten, je mehr dabey verſehen wird, wenn man Vormuͤn - dern nachſiehet und nicht jaͤhrliche Rechen - ſchafft von ihnen fordert. Da nun aber hierbey viel zu thun vorfaͤllet; ſo hat man ein beſonderes Vormundſchaffts-Amt dazu noͤthig, welches hierauf ein ſorgfaͤl - tiges und wachſames Auge hat, und zu gehoͤriger Zeit zur Rechenſchafft vor ſich fordert, die ſich nicht ſelbſt einfinden. Es verſchwenden aber die Leute ihr Vermoͤgen entweder durch Spielen, oder durch Freſ - ſen und Sauffen, oder durch uͤbermaͤßi - gen Kleider-Pracht, oder auch durch all - zugroſſe Geſchencke und Allmoſen. Allein da bereit im vorhergehenden ausgefuͤhret worden, daß man gewinnſichtige Spiele nicht allein verbiethen, auch die Auszah -lung396Cap. 3. Von der Einrichtunglung des verſpieleten Geldes nicht geſtat - ten ſol (§. 395), daß man Speiſe - und Kleider-Ordnungen machen und daruͤber mit Ernſt halten ſol (§. 384), daß man die Trunckenheit und was dazu Anlaß giebet, beſtraffen ſoll (§. 387), daß man Armen - Ordnungen und andere zur noͤthigen Ver - pflegung der Armen erforderte Anſtalten machen ſol (§. 385); ſo hat man nicht noͤ - thig ſolches von neuem hier zu wiederhoh - len. Man ſiehet ferner, daß man um Ar - muth abzuwenden jedem ſo viel Arbeit ver - ſchaffen ſol, als er zu ſeiner Nothdurfft noͤ - thig hat, er mag entweder Luſt haben zu arbeiten oder den Muͤßiggang lieben, auch den Werth der Arbeit ſo zu ſetzen, daß ein jeder dabey ſein Auskommen finden kan, der nach ſeinem Vermoͤgen arbeitet. Da nun ſchon vorhin gezeiget worden, wie man vor den Unterhalt der Jnnwohner in einem Lande zu ſorgen (§. 279), und zu dem Ende noͤthige Arbeit ihnen zu verſchaffen (§. 280); die Anzahl der Leute in jedem Stande zu determiniren (§. 182), die Gelegenheit zum Muͤßiggange zu benehmen (§. 283), auch niemanden das unnoͤthige Betteln zu verſtatten (§. 281), vielmehr demſelben zu Steuer und zu noͤthiger Verpflegung der Duͤrfftigen Allmoſen-Aembter, Armen - Zucht - und Arbeit-Haͤuſer, auch Hoſpitaͤ - ler anzulegen hat (§. 385); ſo iſt abermahlsnicht397des gemeinen Weſens. nicht noͤthig ein mehrers an dieſem Orte hiervon zugedencken, und ſiehet man hier - aus zu gleich die Mittel, wie zu verhuͤten, daß man nicht durch uͤberhaͤufftes Allmo - ſen endlich ſelbſt verarmen muß. Man hat aber auch uͤber dieſes zu verhuͤten, daß niemand genoͤthiget werde durch groſſe oder viele Geſchencke ſich wehe zu thun, und end - lich gar in Armuth zu ſetzen: in welcher Ab - ſicht man Hochzeit-Geſchencke, die an ſolche Perſonen gegeben werden, welche es nicht noͤthig haben, abſonderlich die nach Pro - portion des Vermoͤgens deſſen, der ſie gie - ber, zu groß ſind, nach unſeren Sitten die Paten-Gelder, wo ſie nicht als ein Allmo - ſen anzuſehen, die Geſchencke an Richter umb Recht zu erhalten, ingleichen an die - jenigen, bey denen es ſtehet Bedienungen zu vergeben, mit Ernſt zu verbieten, auch uͤber dem Verbothe mit nicht geringerem Ernſte zu halten hat. Damit niemand durch die Gaben und Auflagen im gemei - nen Weſen ruiniret werde, wird ſich nach dieſem an ſeinem Orte zeigen laſſen. Un - terdeſſen ſiehet ein jeder, daß, wenn man im gemeinen Weſen darauf ſiehet, wie Verſtand und Tugend befoͤrdert werde (§. 284. & ſeqq. §. 316. & ſeqq. ) auch zugleich dadurch zu Verhuͤttung der Armuth ein groſſes beygetragen werde. Den Ver - ſtaͤndige thun alles mit Bedacht und Tu -gen -398Cap. 3. Von der Einrichtunggendhaffte lieben weder Muͤßiggang, noch andere Untugenden, wodurch das Vermoͤ - gen ohne Noth verſchwendet wird. Und uͤberhaupt iſt allezeit mehr zu gewinnen, wo man durch einen innerlichen Trieb zu etwas geneiget iſt, als wenn man es bloß wieder denſelben durch aͤuſerlichen Zwang erhal - ten ſoll: denn in dieſem letztern Falle ſuchet man alle Ausfluͤchte, die man nur erden - cken kan, den Geſetzen entgegen zu han - deln, und dencket auf allerley Mittel, wie man ſein Verbrechen verheelen, oder, wenn es kund werden ſollte, entweder verleugnen, oder doch wenigſtens entſchuldigen wil.

Was man we - gen der Ehre zu verord - nen hat.
1

§. 397.

Jedermann iſt verbunden ſich auf das aͤuſſerſte zu bemuͤhen der Ehre wuͤr - dig zu machen (§. 593. Mor.), auch deswe - gen Proben des Guten, ſo er an ſich hat, abzulegen und jedermanns Freundſchafft zu ſuchen (§. 594. Mor.), damit er den ihm gebuͤhrenden Ruhm erhalte. Da man nun im gemeinen Weſen davor zu ſorgen hat, daß der natuͤrlichen Verbindlichkeit uͤberall, ſo viel moͤglich iſt, ein Gnuͤgen ge - ſchehe (§. 272. Mor.); ſo hat man auch da - fuͤr Sorge zu tragen, daß jedermann die Ehre gegeben werde, die ihm gebuͤhret. Nun kan niemand einem die Ehre geben, die ihm gebuͤhret, als der das Gute, das er an ſich hat, erkennet (§. 590. Mor.), da es aber nicht moͤglich iſt es dahin zubringen, daßvon399des gemeinen Weſens. von jedermann das Gute erkandt wird, was andere an ſich haben und zu Befoͤrde - derung des gemeinen Beſtens beytragen; ſo muß man wenigſtens darauf bedacht ſeyn, wie auch Unverſtaͤndige wenigſtens einen dunckeln Begriff davon bekommen, indem ſie davor halten, dieſe oder jene Perſon be - ſitze viel Vollkommenheit und trage ein groſ - ſes zum gemeinen Beſten bey, ob ſie zwar nicht in dem Stande ſind zu begreiffen, was es fuͤr Vollkommenheiten ſind und was ei - gentlich zum gemeinen Beſten von ihm bey - getragen wird. Und hierzu ſind die Mit - tel die Ehren-Titul und der Rang, und ſie - het man hieraus, warum man im gemeinen Weſen auf Titul und Rang zu ſehen hat, auch wie man niemanden Titul und Rang geben ſol, als der es verdienet. Denn wo - ferne man Titul und Rang verkauffen wil, ſo erhaͤlt man nicht mehr dadurch den Zweck, den man dadurch erhalten ſollte, und dan - nenhero werden ſie eine bloſſe Eitelkeit. Ja man hindert gar, was man befoͤrdern ſollte. Denn da man durch dieſes Mittel auch er - halten ſollte, daß jedermann nach einem wohlgegruͤndeten Ruhme trachtete und ſich der Ehre wuͤrdig machte; ſo bleibet dieſes nachdem unterwegens, wo man erſt ſiehet, man koͤnne durch Geld, oder auch durch Recommendation guter Freunde erhal - ten, was man als eine Belohnung der Tu -gend400Cap. 3. Von der Einrichtunggend und des Guten anzuſehen hat. Ja wenn auch Unverſtaͤndige ſehen, daß Ti - tul und Rang fuͤr Geld von ſolchen erkauf - fet wird, die ſie in Vergleichung mit andern derſelben nicht faͤhig achten; ſo hoͤret bey - des auch auf ein Mittel zu ſeyn eine Hoch - achtung fuͤr wohlverdiente Leute ihnen da - durch beyzubringen. Damit nun dieſe Hin - dernuͤße vermieden werden, ſo muß man Ti - tul und Rang nach den Verdienſten ein - richten. Und hat man hierbey auch den Schaden zu erwegen, der hieraus erwaͤch - ſet, wenn man Leuten hoͤhere Titul und Rang giebet, als ihnen gebuͤhret, oder auch wohl hoͤhere, als andere haben, die dem gemeinen Weſen mehr Nutzen ſchaffen. Denn was ihre eigene Perſon betrifft, ſo wollen ſie nach dieſem, wie es auch die Bil - ligkeit erfordert (§. 458. 492. Mor.), Stand - maͤßig leben: da nun aber ihre Einkuͤnffte nicht zu reichen, ſo machen ſie Schulden und betruͤgen andere, legen ſich auf unge - rechten und liederlichen Erwerb, oder brin - gen wenigſtens die ihrige in Armuth und Duͤrfftigkeit, welches man doch gleichwohl zu verhuͤten ſich ſoll angelegen ſeyn laſſen (§. 397). Haben ſie Vermoͤgen, ſo pflegen ſie ſich ihres unverdienten Standes zu uͤberhe - ben und ſuchen es denen vorzuthun, die entweder mit Recht in einem gleichen Stan - de ſitzen, oder wohl gar bey ihren Ver -dienſt401des gemeinen Weſens. dienſt mit einem geringeren ſich begnuͤgen muͤſſen. Dadurch werden diejenigen, die durch treu fleißige Verrichtung ihres Amts dem gemeinen Weſen Nutzen ſchaffen, nie - dergeſchlagen: es ſchleichet ſich in die Ge - muͤther unvermerckt Haß und Neid ein, woraus nichts gutes ferner er wachſen kan. Ja unterweilen pfleget man auch nuͤtzliche Leute dadurch gar aus dem Lande zutrei - ben, wenn ſie ſehen, daß ſie ſo geringe geachtet, oder wenigſtens andere, oͤffters nichtswuͤrdige Leute, fuͤr ihnen zu Ehren erhoben werden. Man hat demnach im gemeinen Weſen in Tituln und im Ran - ge gute Ordnungen zu machen, und da - vor zu ſorgen, daß ſie einen richtigen Grund haben, auch bey dieſen Ordnungen zugleich auf die Ehrenbezeigungen zuſehen, die man einem jeden nach ſeinem Stande zu erwei - ſen hat (§. 590. Mor.). Wer verſtehet, wie weit man Titul und Rang begehren ſol (§. 612. Mor.); der wird auch wiſſen, was man fuͤr Ordnungen dabey machen ſoll. Woferne man im gemeinen Weſen daruͤ - ber haͤlt; ſo ſind Rang und Titel zugleich ein Mittel ehrliebende Gemuͤther auffzu - muntern, was nuͤtzliches zum gemeinen Beſten zu leiſten. Es bleibet demnach fe - ſte: im gemeinen Weſen muß man Titul und Rang nach den Verdienſten austhei -(Politick) C clen,402Cap. 3. Von der Einrichtunglen, die einer in Befoͤrderung des gemei - nen Beſtens hat.

Was we - gen der Beſchim - pfungen.
1

§. 398.

Da man nun darauf ſehen ſol, daß diejenigen geehret werden, welchen Ehre gebuͤhret, auch man ihnen alle erfor - derte Ehrenbezeigungen erweiſe (§. 397), die Beſchimpffungen aber den Ehrenbezei - gungen entgegen ſind (§. 613. Mor.); ſo hat man ſie auch mit Ernſt zu verhindern, und daher mit Nachdruck zu beſtraffen (§. 357), wenn einer ſich unterſtehet den an - dern zu beſchimpffen. Weil der andere beſchimpffet wird, nicht allein wenn man allerhand Schimpff-Woͤrter gegen ihn herausſtoͤſſet, oder auch durch Minen und Gebeerden eine Verachtung ſeiner Perſon anzeiget, ja uͤberhaupt Untugenden und Laſter ihm nachſaget, oder ſeine Gebrechen vorruͤcket (§. 613. Mor.); ſo muß man kei - nes von dieſen verſtatten. Und kan keiner die Wahrheit zur Entſchuldigung vorbrin - gen. Denn thut der andere etwas boͤſes, ſo thut er es auf ſeine Gefahr und Verant - wortung. Hat er einen Gebrechen an ſich; ſo mag er ihn vor ſich haben: was gehet das einen andern an. Meinet man aber, daß jemand durch das Boͤſe, ſo er gethan hat, der gemeinen Wohlfahrt Schaden und Nachtheil erweck et; ſo iſt er verbun - den ſolches denen anzuzeigen, denen die Sorge fuͤr die gemeine Wohlfahrt aufge -tra -403des gemeinen Weſens. tragen iſt, damit ſie es gehoͤriger Weiſe unterſuchen, nach Befinden ahnden und allem beſorglichen Unheil abhelffen koͤnnen.

§. 399.

Wenn alle Beſchimpffungen zuWar - umb Paßquil lanten ſcharffzu - beſtraf - fen. beſtraffen ſind, ſo muß man auch auf Paſ - quille Straffen ſetzen, als welche nichts an - ders als ſolche Schrifften ſind, die man oh - ne ſeinen Nahmen zu Beſchimpffung an - derer heraus giebet, und darinnen man ih - nen Schand-Thaten vorruͤcket, indem nichts als Unvollkommenheiten, die wir durch unſere Schuld haben, darunter die Un - tugenden und Laſter gehoͤren, uns beſchimp - fen koͤnnen. Weil man aber diejenigen Verbrechen, die nicht ſo leichte wie andere, zu entdecken ſind, deſto nachdruͤcklicher be - ſtraffen ſol (§. 343.), und die Paßquillan - ten, da ſie ihren Nahmen verſchweigen, und ihre Ehrenruͤhrige Schrifften heimlich ausbreiten, nicht ſo leicht zu entdecken find; ſo muß man auch ſie mit haͤrterer Straffe anſehen als andere, die einen entweder ins Angeſicht, oder gegen andere ſchimpffen. Man hat aber auch unter Paßquillanten ſelbſt einen Unterſcheid zu machen. Nem - lich wenn ein Mann, der in einem Ehren - Stande ſitzet, ein Paßquill machet; ſo iſt er haͤrter zu beſtraffen, als ein anderer, dem kein oͤffentliches Ambt anvertrauet. Man kan die Urſache leicht errathen. Von ei - nem ſolchen Manne wird man ſich am aller -C c 2wenig -404Cap. 3. Von der Einrichtungwenigſten dergleichen Auffuͤhrung vermu - then, und dannenhero iſt es ſchweerer zuent - decken, wenn er durch ein Paßquill einen beleidiget. Wir haben aber geſehen, daß in dieſem Falle eine groͤſſere Straffe noͤthig iſt. Naͤchſt dieſem gebuͤhret ſich auch, daß diejenigen, welche Ehren-Stellen beklei - den, ſich ſo auffuͤhren, wie es ihr Ehren - Stand erfordert und nicht durch wiedrige Bezeigung hindern, daß Titul und Rang nicht mehr ein Mittel bleiben, die Ehre ei - nes jeden, dem ſie gebuͤhret, zu defoͤrdern, als worauf man im gemeinen Weſen zuſe - hen hohe Urſache hat (§. 397). Da nun Paßquille verfertigen ſich zu dieſer Auffuͤh - rung gar nicht ſchicket; ſo muß man ſie de - ſto nachdruͤcklicher ahnden, je gefaͤhrlicher ſie in dieſem Falle ſind (§. 343.). Man kan auch dieſes hierbey noch erwegen. Ein Paßquillante ſchimpffet mit Vorſatze und gutem Bedachte; hingegen andere Be - ſchimpffungen kommen oͤffters groͤſten Theils aus Ubereilung und Affecten, wo der Menſch ſein ſelbſt nicht recht maͤchtig iſt (§. 491. Met.).

War - umb Selbſt - Rache nicht zu - verſtat - ten.
1

§. 400.

Weil man im gemeinen We - ſen davor ſorget, daß niemand beſchimpffet wird und diejenigen, welche es thun, zu ge - buͤhrender Straffe gezogen werden (§. 398); ſo iſt nicht noͤthig, daß einer, der geſchimp - fet wird, ſich ſelbſt Recht ſchaffet, entwederdaß405des gemeinen Weſens. daß er wieder ſchimpffet, oder gar zur Thaͤtlichkeit ſchreitet. Gleicher geſtalt da man man uͤberhaupt jedermann wieder alle Beleidigungen ſchuͤtzet, und ihm zu ſeinem Schaden, den er erlitten, wieder verhilfft (§. 330); ſo iſt uͤberhaupt nicht noͤthig, daß einer, der beleidiget wird, ſich ſelbſt Recht zu ſchaffen und wegen ſeines Schadens ſich zu erhohlen ſuchet. Man kan aber auch niemanden dergleichen zu thun verſtatten. Denn wenn einer, der von dem andern be - leidiget worden, ſich ſelbſt Recht ſchaffen wil; ſo pfleget er gemeiniglich, da er von dem Zorne uͤbereilet wird, weiter zu gehen als ſichs gebuͤhret, abſonderlich wenn ei - ner empfindlich iſt (§. 487 Met.). Es zeiget dieſes alles die taͤgliche Erfahrung. Denn wer geſchimpffet wird, der ſchimpffet ge - meiniglich den andern noch aͤrger: ja wenn der andere ihn mit Schimpff-Worten an - greiffet, raͤchet er ſich mit Schlaͤgen. Und eben deswegen weil man bey der Selbſt - Rache nicht in Schrancken bleiben kan, die ſich gebuͤhren, muß man ſie im gemeinen Weſen keines weges verſtatten. Uber die - ſes hat man auch wohl zu erwegen, daß bey der Selbſt-Rache gemeiniglich aus ei - ner kleinen Uneinigkeit eine groſſe Zwietracht nebſt vielem Ungluͤck entſtehen kan, wenn zwey harte Koͤpffe an einander gerathen, deren keiner dem andern nach geben wil. C c 3Denn406Cap. 3. Von der EinrichtungDenn wenn einer beleidiget worden, ſo ſu - chet er den andern mehr zu beleidigen, als ihm geſchehen, damit er keinen Vorwurff von dem andern beſorgen darff. Dieſer wil gleichfals den Vorwurff von ihm ver - meiden und ſuchet ihn daher noch weiter zu beleidigen. Und ſo kommet es immer wei - ter, dergeſtalt daß wegen einer Kleinigkeit Mord und Todſchlag erfolgen kan. Auch wird dadurch zu einer beharrlichen Feind - ſchafft der Grund geleget, daß niemahls einer vor dem andern recht ſicher iſt, wo man ein ander beleidiget. Dieſes Ubel al - les wird vermieden, wo der Obrigkeit - berlaſſen wird das angethanene Unrecht auf eine geziemende Weiſe zu raͤchen. Es iſt aber auch noͤthig, daß die geſchehene Be - leidigungen auf eine ſolche Weiſe geahndet werden, daß der Beleidigte damit zu frie - den ſeyn kan: welches geſchiehet, wann da - durch dem Beleidiger ſo viel Verdruß erre - get wird, als dem Beleidigten von ihm ge - macht worden. Und aus dieſem Grunde hat man die Straffen zu beurtheilen, die man darauf ſetzet. Bey der Selbſt-Rache pfleget es gar offre zu geſchehen, daß der Beleidigte ſich noch mehr Verdruß machet, als er durch die Beleidigung empfunden. Z. E. Wann einer geſchimpfft wird und her - nach ſich an dem andern zu raͤchen duelliret; ſo kan er gefaͤhrlich bleßiret, oder wohl garerſto -407des gemeinen Weſens. erſtochen werden, oder auch wohl den an - deren erſtechen: in welchen Faͤllen allen er mehr Ungluͤck ſich auf den Hals ziehet, als die Schimpf Worte geweſen, damit man ihm zunahe kommen. Weil nun die Selbſt-Rache vieles Unheil anrichten kan, ſo muß man ſcharffe Straffen dar - auf ſetzen (§. 343). Unterdeſſen, wenn einer aus Ubereilung wieder ſchimpffet, wo er geſchimpfft worden, oder auch wieder ſchlaͤget, wo er geſchlagen worden; ſo kan man es nicht ſo hoch anſehen, als wenn einer mit gutem Bedacht und aus Vorſa - tze ſich geraͤchet, weil man im Zorn nicht ſeiner recht maͤchtig iſt (§. 491. Met.). Es iſt aber alsdenn billich, daß auch derje - nige, welcher den Anfang der Beleidigung gemachet, nicht mehr ſo harte angeſehen werde, als ſonſt geſchehen wuͤrde, wenn der andere alle Rache der Obrigkeit uͤberlaßen haͤtte. Denn im gemeinen Weſen vertritt die Straffe die Stelle deſſen, was im na - tuͤrlichen Stande dem Beleidigten zu thun vergoͤnnet waͤre. Daher waͤre es ſoviel als wenn einer doppelt geſtrafft wuͤrde, woferne man ihn noch eben ſo ſcharff be - ſtraffen wollte, nachdem der beleidigte ſich ſelbſt an ihm geraͤchet, als ſonſt ge - ſchehen waͤre, wenn er ſolches unterlaſſen haͤtte. Ja woferne der Beleidigte in der Selbſt-Rache die Schrancken allzuſehr -C c 4uͤber -408Cap. 3. Von der Einrichtungberſchritten, kan dadurch der Beleidiger nicht allein gar von der Straffe befreyet werden, indem er ſchon mehr davor erlit - ten als ſich gebuͤhret; ſondern der Belei - digte muß alsdenn nach ſeinem Verdien - ſte beſtraffet werden, weil es nicht anders als eine Beleidigung anzuſehen, was zu - viel geſchehen und in ſolchem Falle es e - ben ſoviel iſt, als wenn der andere ihn gar nicht, er aber hingegen ihn beleidiget haͤtte. Endlich wenn die Rache einig und allein der Obrigkeit uͤberlaſſen wird, ſo kan auch den Beleidigten beſſere Sicherheit wieder ihre Beleidiger geſchaffet werden, als wenn ſie es ſelbſt thun ſollen, indem die Obrigkeit in dem Stande iſt diejeni - gen zu zwingen, die nicht gutwillig thun wollen, was die Geſetze erfordern. Wer dieſes alles, was jetzund geſaget worden, reiflich uͤberleget, der wird zur Gnuͤge ſe - hen, daß es viel vernuͤnfftiger ſey, die Selbſt-Rache gaͤntzlich zu verbieten, als zu verſtatten. Und demnach iſt es eine Thorheit, wenn man ſich einbildet, es ſey einem ruͤhmlicher ſich ſelbſt zu raͤchen, als bey der Obrigkeit Schutz und Beyſtand zu ſuchen. Am aller uͤbelſten aber iſt es, wenn man ſolches gar fuͤr ſchimpflich haͤlt. Da man nun aber im gemeinen Weſen tief eingewurtzelten Gewohnheiten nicht anders als durch ernſte Strafe wiederſte -hen409des gemeinen Weſens. hen kan; ſo hat man diejenigen, welche anderen zum Schimpff auslegen wollen, daß ſie ſich nicht ſelbſt geraͤchet, ſondern das ihnen angethanene Unrecht der Obrig - keit zu raͤchen uͤberlaſſen, mit harten Straf - fen zu belegen. Unterdeſſen kan man auch durch vernuͤnfftige Vorſtellungen zeigen, was eine wahre Ehre iſt (§. 590. Mor.) und was eigentlich einem zur Schande koͤnne gerechnet werden (§. 614. Mor).

Das 4. Capitel Von den buͤrgerlichen Geſetzen.

§. 401.

ES ſind zwar alle Handlungen derNoth - wendig - keit der buͤrger - lichen Geſetze. Menſchen durch das natuͤrliche Ge - ſetze determiniret, ob ſie gut oder boͤſe ſind und iſt eben dieſes Geſetze das allervollſtaͤndigſte, ſo daß es nichts uͤbrig laͤſſet, welches erſt durch andere Geſetze doͤrffte determiniret werden, ob es gut oder boͤſe ſey (§. 27. Mor.). Und demnach ſoll - te man meinen, man koͤnne mit dem na - tuͤrlichen Geſetze allein auskommen und habe kein anderes weiter von noͤthen. Al - lein es finden ſich doch allerhand Urſachen, warumb man im gemeinen Weſen auch noch andere Geſetze gebrauchen muß, wel -C c 5che410Cap. 4. Von den buͤrgerlichenche man die buͤrgerlichen zu nennen pfle - get, weil ſie im buͤrgerlichen Leben noͤthig ſind. Nemlich anfangs iſt ſchon oben (§. 341) angemercket worden, daß die natuͤr - liche Verbindlichkeit nicht hinlaͤnglich iſt die Menſchen zur Erfuͤllung des Geſetzes der Natur zu bringen und man dannenhe - ro im gemeinen Weſen noch eine neue Verbindlichkeit einfuͤhren muͤße, die da durchdringet, wo die natuͤrliche unkraͤfftig erfunden wird. Die Natur verbindet uns durch dasjenige, was aus unſeren Handlungen veraͤnderliches fuͤr uns und unſeren Zuſtand erfolget (§. 9. Mor.). Da nun dieſes durch die Vernunfft beurtheilet werden muß (§. 23. Mor.), nicht aber je - dermann den Grad der Vernunfft beſitzet, welcher zu dieſer Beurtheilung erfordert wird, abſonderlich wo es ſich nicht deut - lich zeiget, daß etwas aus dieſen, oder je - nen Handlungen entſprungen, abſonder - lich da in der Natur oͤffters nach langen Zeiten ſich erſt zeiget, was durch eine Hand - lung angeſtifftet worden; ſo kan auch nicht jedermann durch die natuͤrliche Ver - bindlichkeit zu Beobachtung ſeiner Pflich - ten gebracht werden. Wenn man nun im gemeinen Weſen durch eine beſondere Art die Unterthanen zu dem verbindet, was das Geſetze der Natur erfordert; ſo wird das natuͤrliche Geſetze zueinem411Geſetzen. einem buͤrgerlichen Geſetze (§. 17. 18. Mor.). Unterweilen geſchiehet es, daß das Geſetze der Natur ſich nicht genau beobachten laͤſ - ſet, weil es dadurch zu vielem Streite und Uneinigkeit wuͤrde Anlaß geben, nachdem man im gemeinen Weſen verbunden iſt einem jeden, dem Unrecht geſchiehet, Recht zu verſchaffen (§. 330. 400). Derowegen iſt noͤthig an ſtat des natuͤrlichen Geſetzes ein anderes zu geben, dabey zwar unterwei - len einiges Unrecht erduldet, jedoch aber dadurch zugleich mehrerem Unheile vorgebeuget wird. Und daß ſolches der Vernunfft gemaͤß geſchehe, iſt aus denen Gruͤnden abzunehmen, die von der Ab - weichung von den Regeln an einem ande - ren Orte gegeben worden (§. 165. & ſeqq. Met.). Und alſo haben wir buͤrgerliche Geſetze noͤthig, die in einigen Faͤllen von den natuͤrlichen abweichen. Man findet ferner, daß unterweilen die natuͤrlichen Geſetze einerley Handlung nach den gar verſchiedenen Faͤllen, die ſich dabey erei - gnen koͤnnen, auf gantz verſchiedene Wei - ſe determiniren. Wenn nun wiederumb im gemeinen Weſen daher viele unver - meidliche Weitlaͤufftigkeiten aus vorhin angegebenen Urſachen entſtehen: ſo muß man ſie entweder uͤberhaupt auf einerley Art determiniren, oder doch auf wenigert Faͤlle bringen. Und ſolchergeſtalt bekom -men412Cap. 4. Von den buͤrgerlichenmen wir abermahl buͤrgerliche Geſetze, die von dem natuͤrlichen unterweilen abwei - chen. Es erfordert dieſe beyde letztere Ar - ten der Geſetze auch noch eine andere Ur - ſache. Da man im gemeinen Weſen ge - wiße Perſonen beſtellen muß, die denen Recht ſprechen, welche ſich nicht ſelbſt mit einander vergleichen koͤnnen, oder auch nicht doͤrffen (§. 330.): ſo hat man darauf zu ſehen, daß ihnen nicht ſchweer gemacht wird die Geſetze in allen vorkom - menden Faͤllen anzubringen, damit ſie nicht aus Jrrthum etwas verſehen und dadurch denen Partheyen zu klagen Urſa - che geben, noch auch ſie wegen der vielen Umſtaͤnde, die bey Anbringung der Geſe - tze zu uͤberlegen ſind, deſto leichter ihren Vorſatz einigen Unrecht zu thun verber - gen koͤnnen, damit ſie nicht mit Wiſſen und Willen wiederrechtlich verfahren.

Wieweit die buͤr - gerlichen Geſetze von dem natuͤrli - chen ab - weichen doͤrffen.
1

§. 402.

Da das Geſetze der Natur un - veraͤnderlich iſt (§. 25. Mor.) und wir ver - bunden ſind daruͤber zu halten (§. 9. 16. Mor); ſo ſol man auch niemanden im gemeinen Weſen dazu verbinden, was dem Geſetze der Narur zuwieder iſt. De - rowegen wenn die duͤrgerlichen Geſetze von dem Geſetze der Natur abweichen; ſol dieſe Abweichung nur verſtattet, keines - weges aber befohlen werden. Nemlich vermoͤge der buͤrgerlichen Geſetze iſt es ausdringen -413Geſetzen. dringenden und vorhin angefuͤhrten Urſa - chen erlaubet, daß man in einigen Faͤllen von dem Geſetze der Natur in etwas ab - weichen darf; keinesweges aber iſt man gehalten ſolches zu thun. Es kan freylich wohl auch geſchehen, daß buͤrgerliche Ge - ſetze befehlen, was dem Geſetze der Natur oder (wie man insgemein zu reden pfleget) der natuͤrlichen Billigkeit zuwieder iſt. Al - lein in dieſem Falle ſind es ungerechte Ge - ſetze. Wir reden hier nicht von dem, was geſchiehet, ſondern vielmehr davon, was geſchehen ſoll.

§. 403.

Weil die Abweichung von demSoꝛgfalt fuͤr die natuͤrli - che Bil - ligkein. Geſetze der Natur durch die buͤrgerlichen Geſetze nur in gewiſſen Faͤllen zugelaſſen, keines weges aber befohlen wird (§. 402); ſo ſollen auch diejenigen, welche anderen nach den Geſetzen Recht ſprechen muͤſſen, in ſolchen Faͤllen die Partheyen zur natuͤr - lichen Billigkeit ermahnen, und ſie durch alle moͤgliche Vorſtellung dahin zu bringen ſich angelegen ſeyn laſſen, daß ſie der natuͤr - lichen Verbindlichkeit ein Gnuͤgen thun. Wollen ſie nun dieſen Vorſtellungen nicht Raum geben, ſo iſt nichts anders uͤbrig, als daß man geſchehen laͤſſet, was die Ge - ſetze erlauben, oder auch in einigen Faͤllen diejenigen, welche das Geſetze der Natur gantz uͤbertreten wollen, nach den buͤrger - lichen Geſetzen lieber anhaͤlt, daß ſie ihmdoch414Cap. 4. Von den buͤrgerlichendoch in etwas ein Gnuͤgen leiſten muͤſſen. Was nun bald von einigen Geſetzen ins be - ſondere geſaget werden ſol, wird ſo wohl die - ſes, als das vorhergehende zur Gnuͤge er - laͤutern.

Was buͤrgerli - che Geſe - tze ſind und Ar - ten der - ſelben.
1

§. 404.

Es ſind demnach die Buͤrger - lichen Geſetze nichts anders als Regeln, nach welchen man im gemeinen Weſen ſei - ne Handlungen einzurichten verbunden wird. Werden dieſe Geſetze einem gan - tzen Lande gegeben; ſo heiſſen ſie Landes - Geſetze. Werden ſie nur einer Stadt, oder einer gewiſſen Geſellſchafft, als z. E. einer Jnnung von einem gewiſſen Hand - wercke, gegeben; ſo nennet man ſie Sta - tuta derſelben Stadt oder Jnnung.

Wer Ge - ſetze ge - ben kan.
1

§. 405.

Weil nun im gemeinen Weſen niemand befehlen kan, als die Obrigkeit (§. 229); derjenige aber, welcher Geſetze giebet, anderen befiehlet, was ſie thun und laſſen ſollen (§. 404); ſo kan auch niemand als die Obrigkeit Geſetze geben. Und alſo iſt kein Buͤrgerliches Geſetze ohne Obrig - keit: worinnen es von dem natuͤrlichen un - terſchieden, als welches auch ſtait finden wuͤrde, wenn gleich kein Ober-Herr waͤ - re, der uns zu befehlen haͤtte (§. 20 Mor.). Diejenigen nun, welche erkandt haben, daß das Buͤrgerliche Geſetze ein Befehl des Obern iſt, dadurch man verbunden wird, etwas zu thun, oder zu laſſen, und die Be -ſchaf -415Geſetzen. ſchaffenheit der Verbindlichkeit uͤberhaupt (§. 8 Mor.), folgends auch der natuͤrlichen (§. 9 Mor.), nicht eingeſehen, haben die buͤrgerliche Verbindlichkeit mit der natuͤr - lichen vermenget, und die Erklaͤrung des buͤrgerlichen Geſetzes fuͤr eine allgemeine Erklaͤrung des Geſetzes gehalten, folgends behauptet, es koͤnne kein Geſetze, und alſo auch kein Geſetze der Natur, ohne einen O - bern ſeyn.

§. 406.

Allein da gleichwol derjenige,Wer zuͤ Geſetzen Rath ge - ben ſol. welcher ein Geſetze geben wil, die Beſchaf - fenheit der Handlungen deutlich erkennen muß, damit er urtheilen kan, ob es der ge - meinen Wohlfahrt und Sicherheit gemaͤß ſey oder nicht (§. 215); hingegen derglei - chen Erkaͤnntniß der Obrigkeit nicht immer beywohnen kan, indem ſie ſonſt zugleich al - le Handwercke, Handthierungen und Kuͤn - ſte voͤllig verſtehen muͤſte (§. 404): ſo muͤſ - ſen die Geſetze von Perſonen aufgeſetzet werden, die genungſame Erkaͤntniß dazu ha - ben und nach dieſem dem Oberen uͤbergeben werden, daß er ſie beſtetige oder confir - mire. Und durch dieſe Beſtetigung oder Confirmation werden ſie erſt zu einem Ge - ſetze: denn dadurch werden ſie zum Willen des Oberen und ein Befehl deſſelben, auch erlangen ſie dadurch erſt eine Verbindlich - keit, weil im gemeinen Weſen niemand einen verbinden kan als die Obrigkeit (§. 229).416Cap. 4. Von den buͤrgerlichen229). Diejenigen nun, welche die Geſe - tze aufſetzen, ſind nicht Geſetzgeber, ſon - dern Rathgeber der Geſetze. Sie bringen ſie in Vorſchlag; die Obrigkeit aber ma - chet ſie zu Geſetzen. Hingegen iſt es ein groſſes Verſehen, wenn man bey dem Ge - ſetzgeben ſolche Leute zurathe ziehet, welche entweder gar keine, oder wenigſtens nicht genungſame Erkaͤntniß von der Art der Handlungen haben, dazu Geſetze ſollen ge - geben werden. Denn dadurch bekom - met man Geſetze, die zum Schaden gerei - chen, oder wenigſtens die Wohlfahrt hin - dern, und ſo bald man dieſes wahrnimmet, findet man ſich gemuͤßiget dieſelben wieder abzuſchaffen und zu aͤndern. Es iſt aber in der That nicht ein geringes Verſehen, wenn man erſt mit Schaden klug werden muß. Unterdeſſen iſts doch noch gut, wenn es geſchiehet. Denn unterweilen wird Schade durch die Geſetze geſtifftet und nie - mand erkennet es. Daher bleiben ſie immer - fort, wie vorhin, und der Schade mehret ſich, indem Vermoͤge des Zuſammenhangs der Dinge in der Natur immer eines aus dem andern koͤmmet.

Wer Statu - ten ein - richten ſol.
1

§. 407.

Und demnach muß man zu Ein - richtung der Statuten, Jnnungen und an - derer Profeſſionen Leute nehmen, welche dieſe Handthierung, Kuͤnſte und Profeſ - ſionen voͤllig verſtehen, jedoch auch je -man -417Geſetzen. manden damit dabey haben, der alles wohl zu uͤberlegen weiß, ob es zum Beſten der Jnnung gereiche oder nicht. Und eine gleiche Bewandnis hat es mit denen Sta - tutis gewiſſer Collegiorum, oder anderer Geſellſchafften, wie ſie Nahmen haben moͤgen.

§. 408.

Damit nun aber die ObrigkeitVoꝛſich - tigkeit bey der Confirma - tion. in Ertheilung der Confirmation gewiß ge - he und nichts beſtetige, als was zur gemei - nen Wohlfahrt gereichet (§. 215); ſo iſt noͤthig, daß ſie vorher verſtehen lernet, worauf jedes Geſetze gerichtet iſt. Und zu ſolchem Ende muͤſſen diejenigen, wel - che die Statuta entwerffen, zugleich bey ei - nem jeden Geſetze anzeigen, was vor eine Abſicht ſie dabey haben und wie ſie ſolche vermittelſt des von ihnen vorgeſchlagenen Geſetzes zu erreichen gedencken. Denn dadurch wird der Obere in den Stand ge - ſetzet von ihrer Guͤltigkeit zu urtheilen. Al - lein da dieſes bloß zum Unterricht erthei - let wird, damit man in der Beſtetigung gewis gehe und nichts verſehe; ſo ſiehet man vor ſich, daß es nach ertheilter Con - firmation von denen Statutis wegbleiben mag. Wiewohl es eben auch nicht un - rathſam waͤre, wenn man es dabey lieſſe. Denn auf ſolche Weiſe koͤnte ein jeder, den dieſe Geſetze verbinden, erkennen, wie ſie zu ſeinem Beſten gereichen, und wuͤrde(Poltick) D ddaher418Cap. 4. Von den buͤrgerlichendaher deſto williger ſeyn ihnen ohne aͤuſ - ſerlichen Zwang und nicht aus bloſſer Furch. Gehorſam zu leiſten. Unterdeſſen weil doch zum Gebrauch der Statutorum beqvemer iſt, wenn die Geſetze kurtz hin - ter einander ohne andere weitlaͤuftige Di - ſcurſe darinnen niedergeſchrieben ſind; ſo koͤnte man allzeit die Statute doppelt ver - fertigen, einmahl zum taͤglichen Gebrau - che ohne einige Erlaͤuterung, darnach auch zu beſſerem Verſtande derſelben mit beyge - fuͤgten Gruͤnden und ſonſt noͤthiger Aus - fuͤhrung. Jch weiß wohl, es werde eini - gen dieſes ſeltſam vorkommen, weil es un - gewoͤhnlich iſt; allein man muß mir zei - gen, woferne man es verwerffen wil, daß es nicht vernuͤnfftig ſey. Und dieſes mag man auch in anderen Faͤllen mercken. Ein blinder Gehorſam iſt noͤthig, wo ein Ge - ſetzgeber ſich nicht recht weiß und unbilli - ge Geſetze giebet: allein wo dieſes nicht ge - ſchiehet, ſondern die Geſetze vielmehr mit Verſtande gegeben werden, da iſt es dem Geſetzgeber angenehm, wenn die Untertha - nen ſeine Wahrheit und Guͤtte erkennen ler - nen.

Warumb uͤber Ge - ſetze feſt zu halten.
1

§. 409.

Damit ſich jedermann nach den Geſetzen richte, ſo muß man mit allem Fleiße daruͤber halten, und niemanden zu Gefallen davon abweichen: oder wenn es ja einige beſondere Umſtaͤnde erfordern,daß419Geſetzen. man davon abgehen muß, ſo hat man da - hin zu ſehen, daß es genungſam kund wer - de, warumb dieſes geſchehen. Es iſt e - ben die Urſache, welche wir ſchon oben (§. 345) gegeben haben, warumb man uͤber Straffen feſt halten ſol, als wodurch die Geſetze ihre Verbindlichkeit zum Theil er - halten (§. 341). Nemlich wenn einem nach - geſehen wird, wenn er wieder das Geſetze handelt; ſo thut es der andere auch und berufft ſich auf ſein Exempel. Und dieſem folgen wiederumb andere, bis es endlich zur Gewohnheit wird, daß man darwie - der handelt. Und dieſes findet man in der taͤglichen Erfahrung gegruͤndet, daß es hier weiter zu beſtetigen uͤberfluͤßig ſeyn wuͤrde. Am allermeiſten aber ſchadet das Nachſe - hen im Anfange, da ein Geſetze noch nicht in Beobachtung kommen, und wird da - durch in drr That gehindert, daß es nie - mals in Beobachtung kommen kan, ſon - dern nur fuͤr die lange Weile publiciret wird. Denn woferne man geſchehen laͤſ - ſet, daß gleich anfangs vielfaͤltig dawie - der gehandelt wird; ſo wird ſich nach dieſem jedermann damit ſchuͤtzen, es ſey das Geſetze niemahls zur Beobachtung kommen. Unterdeſſen aber wird niemand leugnen, daß es hoͤchſt noͤthig ſey uͤber Ge - ſetze zu halten. Denn die Geſetze ſind in der That diejenigen Mittel, wodurch die ge -D d 2mei -420Cap. 4. Von den buͤrgerlichenmeine Wohlfahrt und Sicherheit erhalten wird (§. 215. 404). Verſtattet man nun, daß dawieder gehandelt wird; ſo muß dar - unter die gemeine Wohlfahrt und Sicher - heit leiden: welches man aber im gemei - nen Weſen keinesweges zu verſtattten hat. Und hieraus ſiehet man, wie hoͤchſt noͤ - thig es ſey, daß diejenigen Perſonen, wel - che darauf acht haben, damit die Geſetze im gemeinen Weſen gehalten werden, kein Anſehen der Perſon haben und einig allein auf Recht und Billigkeit, keines - weges auf ihren eigenen Vortheil ſehen.

Ob man einige vor ſich ſoll ein - gehen laſſen.
1

§. 410.

Es entſtehethier die Frage: Wenn es ſich zutruͤge, daß ein Geſetze, welches man gegeben, dem gemeinen Weſen nicht zutraͤglich befunden wuͤrde, ob es rathſa - mer ſey, daſſelbe durch Nachſehen in Ab - nahme kommen zu laſſen, oder durch ein anderes aufzuheben. Das letztere halte ich vor rathſamer, weil alle Gewohnheiten gefaͤhrlich ſind, indem man gerne in aͤn - lichen Faͤllen wieder thut, was man in einem zu thun gewohnet (§. 374. Met.). Nun ſol man aber nicht durch Nachſehen die Geſetze in Abnahme kommen laſſen (§. 409): und alſo muß man in keinen Faͤllen ſelbſt dazu Gelegenheit an die Hand geben.

Wie den Ausfluͤch - ten vor -
1

§. 411.

Weil aber auch nichts gewoͤhn - licher iſt, als daß man bey den GeſetzenAus -421Geſetzen. Ausfluͤchte ſuchet, wodurch ſich die Ab -zukom - men. weichungen entſchuldigen laſſen, als wenn ſie nicht dawieder waͤren, wie wir ſolches durch die taͤgliche Erfahrung genungſam lernen: ſo muß man alle Worte, die in Abfaſſung der Geſetze gebraucht werden, ſorgfaͤltig erwegen, damit man dergleichen Ausfluͤchten keinen Platz gebe. Und zu dem Ende hat man vorher auf das genau - eſte zu uͤberlegen, wie man zu dergleichen Ausfluͤchten Anlaß nehmen koͤnte und dar - innen eine Aenderung zu treffen, wo ſie zu beſorgen ſtehen. Wo man aber nicht ge - ſchickt alles vorher zu uͤberlegen, da muß man durch die Erfahrung klug werden. Jn welcher Abſicht man auf die Beobachtung der Geſetze ein wachſames Auge haben muß und die dabey geſuchten Ausfluͤchte auf das fleißigſte anmercken: auch darauf bedacht ſeyn, wie man ihnen nach und nach abhelffe. Derowegen da gewiſſe Perſo - nen im gemeinen Weſen zu beſtellen ſind, welche auf die Beobachtung der Geſetze Acht haben, wie nach dieſem umbſtaͤndli - cher ſol gezeiget werden; ſo lieget ihnen insbeſondere auch dieſe Arbeit ob, und ha - ben ſie davon zu gewiſſen Zeiten an den Landes-Herrn Bericht abzuſtatten nebſt ihren Vorſchlaͤgen, wie man dieſen Aus - fluͤchten inskuͤnfftige abhelffen moͤge. Wenn dieſes im gemeinen Weſen eingefuͤhretD d 3wuͤr -422Cap. 4. Von den buͤrgerlichenwuͤrde; ſo wuͤrde man nach und nach im - mer vollkommnere Geſetze bekommen und dadurch das gemeine Weſen ſich nicht ei - ner geringen Aufnahme zu getroͤſten haben, indem doch auf den Geſetzen die gantze Wohlfahrt und Sicherheit deſſelben ge - bauet iſt (§. 215. 404).

Wie die Geſetze nach und nach zu verbeſ - ſern.
1

§ 412.

Es ſaͤllet auch oͤffters ſchweer, ja denen Geſetzgebern wohl gar unmoͤglich, daß ſie alle Faͤlle vorher ſehen koͤnnen, die ſich bey der Sache ereignen koͤnnen, davon das Geſetze gegeben wird. Unterdeſſen da in verſchiedenen Faͤllen die Umſtaͤnde gantz unterſchieden ſind; pfleget es zu geſchehen, daß die viel zu allgemeinen Geſetze ſich darauf nicht ſchicken und man dannenhe - ro der natuͤrlichen Billigkeit allzunahe tritt, wenn man ihnen ſchlechterdinges folget. Unterdeſſen iſt doch auch nicht zu verſtat - ten, daß einer eigenmaͤchtig davon abwei - che (§. 409), inſonderheit weil daraus An - laß zu Ausfluͤchten koͤnte genommen wer - den, wenn man aus anderen intereßirten Abſichten davon abwiche. Derowegen wenn ſich ein ſolcher Fall ereignete, ſo ſol - te Leuten, die im Nachdencken geuͤbet und in Rechts-Gruͤnden erfahren ſind, derglei - chen man bey der Academie der Wiſſen - ſchafften haben ſol (§. 301), die Entſcheidung deſſelben zu unterſuchen aufgegeben werden. Wenn man nun heraus gebracht haͤtte,was423Geſetzen. was in dieſem Falle der Billigkeit gemaͤß ſey, ſolte man dieſes an den Landes-Her - ren berichten, damit die Entſcheidung von ihm confirmiret wuͤrde. Waͤre nun die - ſes geſchehen, ſo wuͤrde ſie nachmahls mit den Umbſtaͤnden des dazu gehoͤrigen Fal - les in das Geſetz-Buch eingetragen, damit man kuͤnfftig, wenn er wieder vorkom - met, ſich darnach richten ſol. Auf ſol - che Weiſe wuͤrden die Geſetze nach und nach immer beſſer erlaͤutert werden, und niemand zu klagen Urſache finden, daß ihm durch Rechte zuviel geſchaͤhe.

§. 413.

Weil alle Geſetze dahin gehen,Mit was fuͤr Von - ſichtig - keit rem de Geſetze anzuneh - men. daß die gemeine Wohlfahrt und Sicher - heit erhalten wird (§. 215); ſo muͤſſen ſie nach dem Zuſtande des gemeinen Weſens eingerichtet werden. Derowegen wenn der Zuſtand deſſelben ſich aͤndert; ſo koͤn - nen auch nicht mehr die alten Geſetze gut bleiben, und dannenhero muß man gleich - fals mit ihnen eine Aenderung vornehmen. Und aus eben dieſer Urſache laſſen ſich nicht fremde Geſetze ohne Unterſcheid annehmen, wenn ſie gleich an ihrem Orte ſehr nuͤtzlich befunden werden. Derowegen wenn man fremde Geſetze annehmen wil, ſo hat man fuͤr allen Dingen den Zuſtand des gemei - nen Weſens an demjenigen Orte zu unter - ſuchen, wo ſie uͤblich ſind, und daraus den Grund derſelben zu erforſchen. JſtD d 4die -424Cap. 4. Von den buͤrgerlichendieſes geſchehen; ſo muͤß man ferner auch den Zuſtand des gemeinen Weſens an ſei - nem Orte wohl erwegen und vernuͤnfftig beurtheilen, ob eben dieſer Grund ſich auch darinnen befinde, oder wenigſtens ein an - derer, der ſo tuͤchtig iſt als jener. Wo keines von beyden ſtat findet, da iſt nicht zu rathen, daß man dieſelben Geſetze ein - fuͤhre, indem man vorher ſehen kan, daß ſie ſich nicht ſchicken und daher viel Un - ordnung erfolgen werde.

Was die Acade - mie der Wiſſen - ſchaffren hierbey zu thun hat.
1

§. 414.

Es waͤre dannenhero eine ſehr nuͤtzliche Arbeit fuͤr die Academie der Wiſ - ſenſchafften (§. 300), wenn ſie die Geſe - tze, welche an allerhand Orten und bey allerhand Voͤlckern uͤblich ſind, auf eine ſolche Art unterſuchte; ſo wuͤrde ſich nach dieſem bald zeigen, was man davon an einem jeden Orte zum gemeinen Beſten an - nehmen koͤnnte. Und wuͤrde man hierdurch nach und nach die Geſetze immer vollſtaͤn - diger machen und ein Ort mit dem, was er gutes hat, dem andern dienen koͤnnen.

Wie die Geſetze bekandt zu ma - chen.
1

§. 415.

Es iſt aber auch noͤthig, daß die Geſetze, ſonderlich diejenigen, durch deren Ubertretung einem viel Schaden zuwachſen kan, jedermann kund werden nebſt denen Straffen, die auf deren Ubertretung geſe - tzet ſind. Denn wie kan man verlangen, daß einen die Straffe von der Ubertretung des Geſetzes abhalten ſol, wenn man we -der425Geſetzen. der das Geſetze weiß, noch von der darauf geſetzten Straffe etwas vernommen (§. 341)? Und gewiß iſt es etwas hartes einen mit einer empfindlichen Straffe zu belegen, davon er nichts hat wiſſen koͤn - nen, da er dieſelbe wuͤrde vermieden ha - ben, wenn er etwas davon gewuſt haͤtte. Zu dem Ende ſolte man auch beſondere Ge - ſetz-Buͤcher zum gemeinen Gebrauche ſchreiben, daraus ein jeder gleich in ſeiner Jugend lernen koͤnnte, was er fuͤr Geſe - tze in ſeinen Handlungen in acht zu nehmen hat, woferne er Schaden und Ungluͤck vermeiden wil, gleichwie wir Buͤcher von der Religion in dieſer Abſicht ſchreiben und den Leuten in die Haͤnde geben, damit ſie wiſſen, was ihre Pflicht in dieſem Stuͤ - cke iſt. Es doͤrffte dieſes zwar, weil es et - was gantz ungewoͤhnliches iſt, einem und dem anderen ſeltſam vorkommen: allein da jedermann geſtehen muß, daß man ſich mit der Unwiſſenheit entſchuldigen kan, ſo lange es nicht in unſerem Vermoͤgen ge - ſtanden, dieſelbe zu vermeiden (§. 264); ſo ſehe ich nicht, warumb man die zur Ab - wendung der Unwiſſenheit noͤthige Mittel nicht erwehlen ſol. Jch verlange hier eben nicht, daß man alle Leute zu Rechts-Gelehr - ten machen ſol: ſondern will nur, es ſolle je - der diejenigen Geſetze und dabey geſetzten Straffen lernen, durch deren UbertretungD d 5er426Cap. 4. Von den buͤrgerlichener entweder groſſen Schaden haben, oder auch hoͤchſt ungluͤcklich werden kan, wenn er in die Straffe verfaͤllet, dergleichen er ſich bey dieſem Verbrechen nimmermehr vermuthet haͤtte.

Warumb Geſetze oͤffentlich bekand zu ma - chen ſind.
1

§. 416.

Und eben deßwegen, weil es un - moͤglich iſt, daß man nach einem Geſetze lebe, welches einem unbekand iſt, muͤſſen Geſetze, die von neuem gegeben werden, oͤffentlich bekand gemacht werden, welches geſchiehet, wenn man ſie an oͤffentlichen Oertern aͤnſchlaͤget, wo ſie jedermann le - ſen kan, oder in oͤffentlichen Verſammlun - gen, wo viele zuſammen kommen, ablie - ſet, oder auch durch den oͤffentlichen Druck ausbreitet. Und deswegen erlanget auch kein Befehl des Oberen eher die Krafft ei - nes Geſetzes, als bis es publiciret, das iſt, auf eine von denen erwehnten Arten oͤffentlich bekand gemacht worden. Was ein anderer wil, kan niemand errathen: er muß es ſagen. Und was alle wiſſen ſol - len, muß man nicht nur einigen ſagen, ſondern allen bekand machen.

Wenn Unwiſ - ſenheit nicht ent - ſchuldi - get.
1

§. 417.

Hingegen aber findet alsdenn auch keine Entſchuldigung mit der Unwiſ - ſenheit ſtatt, wenn man ein Geſetze oͤffent - lich bekand gemacht. Denn woferne auch einer in der That nicht erfahren haͤtte, daß das Geſetze gegeben worden; ſo iſt doch die Schuld ſeine, daß es nicht geſchehen,indem427Geſetzen. indem von Seiten der Obrigkeit alle dazu gehoͤrige Mittel gebraucht worden, und einem jeden Unterthane oblieget ſich dar - nach zu erkundigen (§. 264. Mor.). Warumb gehet er nicht an den Ort, wo die Geſetze entweder angeſchlagen, oder abgeleſen werden; oder, wenn er ſeine wichtige Ur - ſachen hat, warumb er zuruͤcke bleibet, war - umb erkundiget er ſich nicht von denen, die daſelbſt geweſen, ob dergleichen geſchehen ſey, oder nicht? Nemlich in dieſem Falle iſt die Unwiſſenheit zu uberwinden (§. 265. Mor.) und dannenhero kan ſie niemanden entſchuldigen (§. 264. 266. Mor.).

§. 418.

Es pflegen bisweilen auch eini -Was bey Geſetzen in beſon - deren Faͤllen zu beden - cken. ge beſondere Zufaͤlle im gemeinen Weſen ſich zu ereignen, die nicht ſo bald wieder - kommen, wenn ſie einmahl wieder vorbey ſind. Dergleichen iſt, wenn in der Nacht - bahrſchafft ein Feind einfaͤllet und daher andere zu uns fluͤchten. Da nun die O - brigkeit in allen Faͤllen fuͤr die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit ſorgen ſol (§. 215); ſo muß ſie auch in dergleichen be - ſonderen Faͤllen verordnen, was das ge - meine Beſte erfordert. Dergleichen Ge - ſetze gelten nur auf eine Zeit und ſchaffen ſich nach dieſem ſelbſt wieder ab, wenn keine Nothwendigkeit ſie mehr erfordert. Unterdeſſen iſt nicht undienlich, wenn man alle dergleichen Ordnungen und erwehlteAn -428Cap. 4. Von den buͤrgerlichenAnſtalten zur Nachricht in einem beſonde - ren Buche aufgezeichnet behaͤlt, damit man bey anderer Gelegenheit, es ſey uͤber lang oder kurtz, finden kan, was man vor dieſem gethan und dabey lernen, was jetzund zu thun iſt (§. 374. Met.). Wolte man fuͤr die Nachkommen mit ſorgen, wie ſichs ge - ziemet (§. 12. Mor.); ſo waͤre gar dien - lich, wenn man zugleich aus der Erfah - rung mit anmerckte, wie und aus was Ur - ſachen man die Anſtalten gut befunden, und worinnen ſich einiger Mangel erzei - get.

Vorſich - tigkeit bey dem Geſetz geben.
1

§. 419.

Ehe man aber Geſetze oͤffentlich bekand machet, hat man zuvor wohl zu - berlegen, ob auch durch ſie die Abſicht werde erreichet werden, die man ſich vor - geſetzet. Denn woferne man nach dieſem finden ſolte, daß ſolches nicht geſchaͤhe, ja ſie wohl gar derjenigen Abſicht zuwieder waͤren, welche man dadurch erreichen wol - te; wuͤrde man ſie wiederumb abſchaffen und eine Aenderung treffen muͤſſen. Hier - durch aber leidet der Ernſt, damit man - ber den Geſetzen halten ſol (§. 409). Denn man glaubet nach dieſem gleich, es werde mit anderen Anſtalten eben wieder ſo ab - lauffen und hat kein Vertrauen dazu (§. 409); ſuchet dannenhero Ausfluͤchte, wo - durch man ſich denſelben entziehen kan. Wiederumb wenn man noͤthig hat offtenach429Geſetzen. nach einander Aenderungen zu treffen; ſo bekommen die meiſten dadurch einen Be - griff, als wenn die Rathgeber nicht ver - ſtuͤnden, was dem Lande zutraͤglich waͤre (wie es ſich denn auch wenigſtens in dieſen Faͤllen in der That alſo befindet) und von dem Landes-Herrn bildet man ſich ein, daß er alles ungegruͤndete Angeben hoͤre, wo - durch alles Vertrauen gegen ihn auf ein - mahl wegfaͤllet und nach dieſem alles, was er befiehlet, zur Laſt ausgedeutet wird und misvergnuͤgte Unterthanen erwecket.

§ 420.

Wovon die buͤrgerlichen Geſe -Materie der Ge - ſetze. tze ſollen gegeben werden, iſt ſchon in dem vorhergehenden Capitel weitlaͤufftig aus - gefuͤhret worden, und dasjenige, was zu Anfange des gegenwaͤrtigen von der Noth - wendigkeit der buͤrgerlichen Geſetze (§. 401) beygebracht worden, dienet gleichfals die Sache zu erlaͤutern. Nemlich da das Haupt-Geſetze im gemeinen Weſen, dar - aus alle uͤbrigen flieſſen, dieſes iſt: Thue, was die gemeine Wohlfahrt befoͤr - derr und die gemeine Sicherheit er - haͤlt: hingegen unterlaß, was jene hindert und dieſer zuwieder iſt (§. 215); ſo ſind alle buͤrgerliche Geſetze als Mittel anzuſehen, wodurch die gemeine Wohlfahrt befoͤrdert und die gemeine Sicherheit erhalten, hingegen alles, was von beyden Theilen hinderlich fallen kan,ab -430Cap. 4. Von den buͤrgerlichenabgewendet wird. Untrrdeſſen da man im gemeinen Weſen uͤber den Geſetzen mit allem Ernſt und Eiffer zu halten (§. 409), und die darauf geſetzte Straffen in Anſe - hung der Ubertreter zu vollſtrecken, auch wieder diejenigen, welche nicht gutwillig zu thun ſich beqvemen wollen, was ſie thun ſollen, ſich der Huͤlffe zu gebrauchen hat (§. 342); ſo laſſen ſich nicht alle Kleinig - keilen beobachten und muß man dieſelben uͤberſehen, hingegen damit vergnuͤget ſeyn, daß man groſſen Unordnungen abhilfft. Es iſt zwar nicht zu laͤugnen, daß aus kleinen Unordnungen mit der Zeit groſſe werden koͤnnen, und daher es nothwendig zu ſeyn ſcheinet, auch dieſe nicht zu uͤber - ſehen. Allein weil ich vorhin gezeiget, daß ſich dieſes nicht wohl bewerckſtelligen laͤſſet; ſo folget hieraus weiter nichts, als daß diejenigen, welchen uͤber die Geſetze zu halten anbefohlen worden, ein wachſames Auge auch auf dasjenige haben, was ſie den buͤrgerlichen Geſetzen nach zu unterſu - chen nicht befugt ſind, und, ſobald ſie mercken, daß eine Unordnung einreiſſen und gemein werden wolle, auch dabey groͤſſeres Unheil beſorgen, ſo daraus er - wachſen koͤnte, entweder anfangs dieje - nigen, welche ſie einfuͤhren wollen, durch Guͤte, das iſt, wohl gegruͤndete Vorſtel - lungen zu lencken ſuchen, oder im Fall mandamit431Geſetzen. damit nicht auskommen koͤnte, ſolches zu nachdruͤcklicher Verordnung an die hohe Obrigkeit, die allein Geſetze geben kan, ge - langen laſſen, damit durch ein Geſetze zu der Zeit, wenn es noͤthig iſt, allem Unhei - le vorgebeuget werde. Ob nun zwar nicht noͤthig ſcheinen doͤrffte, was mehreres von der Materie der Geſetze hinzu zu ſetzen, auch nicht moͤglich iſt, daß wir hier an dieſem Orte alle Arten der Geſetze durchgehen koͤn - nen; ſo wird doch nicht undienlich ſeyn, dasjenige, was uͤberhaupt geſaget worden, abſonderlich zur Erlaͤuterung der Noth - wendigkeit der buͤrgerlichen Geſetze (§. 401) in einigen beſonderen Faͤllen zu zeigen. Denn hierdurch wird man nicht allein das allgemeine beſſer verſtehen, ſondern auch in beſonderen Faͤllen beqvemer an - bringen lernen.

§. 421.

Der Menſch iſt verbundenGrund der buͤr - gerlichen Geſetze wegen des Got - tesdien - ſtes. GOtt zu dienen (§. 757. & ſqq. Mor.): Da nun hierzu gewiſſe Zuſammenkuͤnffte zu gewiſſen Zeiten muͤſſen angeſtellet wer - den (§. 763. Mor.), dieſes aber auf vieler - ley Weiſe geſchehen kan; ſo muß die O - brigkeit die Feyertage beſtimmen und die Zuſammenkuͤnffte der Zeit und dem Ort nach anordnen, auch befehlen, daß nie - mand ohne Noth dieſelben verſaͤume. Nun waͤre es freylich unmoͤglich, daß man je - derzeit an Orten, wo groſſe Gemeinen ſind,un -432Cap. 4. Von den buͤrgerlichenunterſuchen ſolte, warumb einer oder der andere weggeblieben. Denn diejenigen, welche uͤber den Geſetzen halten ſolten, wuͤrden die Zeit allein mit ſolchen Unter - ſuchungen zubringen muͤſſen, oder wollte man es denen oͤffentlichen Lehrern auftra - gen, ſo wuͤrden ſie nicht allein dadurch an ihren uͤbrigen Verrichtungen wegen des vielen Zeit-Verderbes gehindert werden, ſondern es wuͤrden auch zugleich allerhand wiedrige Affecten in den Gemuͤthern der Zuhoͤrer erreget werden, die nach dieſem das Vertrauen zu ihnen hinderten: wo - durch denn ferner erfolgen wuͤrde, daß ih - re Lehren nicht mehr ſo viel Nachdruck bey ihnen haben wuͤrden. Unterdeſſen muß man es doch nicht dulden, wenn einer entweder beſtaͤndig wegbleiben, oder wohl gar in Geſellſchafften eine Verach - tung gegen den oͤffentlichen Gottesdienſt be - zeigen wollte. Denn da hierdurch die Re - ligion in Verachtung kommet, dergleichen gleichwohl im gemeinen Weſen mit allem Ernſt zu verhuͤten (§. 367); ſo hat man genungſamen Grund die Verachtung des oͤffentlichen Gottesdienſtes zu beſtraffen (§. 357). Alſo geſchiehet z. E. unter uns Chriſten denen, welche die gantze Zeit ih - res Lebens nicht zum Abendmahle gewe - ſen, nicht unrecht, wenn man ihnen kein ehrliches Begraͤbniß nach ihrem Tode ver -ſtat -433Geſetzen. ſtattet. Jch ſehe auch nicht, wie es un - recht waͤre, wenn man ſie bey ihrem Le - ben nicht dulden wollte, und, woferne ſie in Bedienungen lebeten, ſie abſetzte, oder auch ihnen ihre Handthierungen und Han - del legete. Denn ob man gleich einwenden moͤchte, es wuͤrden hierdurch nur Heuchler gemachet, die ſich aͤußerlich anſtelleten, als wann ſie aus der Religion was machten, im Hertzen doch aber derſelben gantz ent - gegen waͤren: ſo weiß doch ein jeder, daß im buͤrgerlichen Leben die Heucheley beſſer iſt, als oͤffentlich gottloſe ſeyn, weil da - durch das Aergernis gehoben und der Werth der Religion erhalten wird. Die buͤrgerliche Geſetze gehen nicht weiter als auf die aͤußerliche Zucht (§. 356): Das Jnnere des Gemuͤths vermag die buͤrger - liche Verbindlichkeit nicht zu aͤndern (§. 355). Wiederum bey dem oͤffentlichen Gottes-Dienſte ſind Ceremonien noͤthig (§. 762. Mor.). Da nun dieſe abermahls auf vielerley Art ſich einrichten laſſen; ſo lieget der Obrigkeit ob dieſelben zu deter - miniren (§. 401), wiewohl dabey des Gottesdienſtes verſtaͤndige Leute mit zu Rathe zu ziehen (§. 325. 406). Da die Unterthanen bereit und willig ſeyn ſollen das jenige zuthun, was die Obrigkeit fuͤr die gemeine Wohlfahrt gut befindet (§. 232); ſo iſt auch jeder unter ihnen ver -(Politick) E ebun -434Cap. 4. Von den buͤrgerlichnebunden die bey dem Gottesdienſte ange - ordnete Ceremonien mit zuhalten. Und daher kan man nicht dulden, daß ſie je - mand oͤffentlich verachtet, oder dawieder ſchreibet, und ſie dadurch veraͤchtlich und laͤcherlich machet. Findet jemand etwas dagegen zuerinnern, ſo ſoll er es mit Be - ſcheidenheit bey denen anbringen, die, wo ſie es fuͤr noͤthig befinden, zu einer Aende - rung verhelffen koͤnnen. Es iſt aber umb ſo viel mehr noͤthig von dergleichen Unter - nehmen abzuſtehen, weil man dadurch leichtſinnigen Gemuͤthern Anlaß giebet die Religion, wo nicht zuverachten, doch ge - ringe zu ſchaͤtzen: welches man gleichwohl zu verhuͤtten ſich ſol hoͤchſt angelegen ſeyn laſſen (§. 367). Es dienet hieher, was bereits oben von der Nothwendigkeit der Religion und dem Eiffer fuͤr ſie (§. 366. 367), ingleichen von Kirchen und Feſt - Tagen (§. 320. ad. ſeq. ) und denen bey dem Gottesdienſte noͤthigen Ceremonien (§. 325) geſagt worden.

Was buͤrger - liche Ge - ſetze bey Verſpre - chen thun.
1

§. 422.

Wenn wir etwas verſprochen, ſo nicht boͤſe iſt, ſind wir ſchuldig unſer Verſprechen zuhalten (§. 1004. 1005. Mor.). Derowegen wo jemand dergleichen nicht thun wollte, und alſo der natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Gnuͤgen leiſten; ſo lieget der Obrigkeit ob ihn zu Erfuͤllung ſeines Verſprechens anzuhalten (§. 341). Und435Geſetzen. Und dadurch wird das natuͤrliche Geſetze, daß man ſein Verſprechen, was nicht un - recht iſt, halten ſol, ein buͤrgerliches Ge - ſetze. Underdeſſen da auch einige Kleinig - keiten nicht halten, die ſie verſprochen ha - ben; ſo kan man nicht in buͤrgerlichen Ge - ſetzen uͤberhaupt verordnen, daß das Ver - ſprechen gehalten werde, weil ſonſt zu vie - le Gerichts-Haͤndel daraus entſtehen wuͤr - den, ſondern es iſt gnung, wenn man es in ſolchen Faͤllen verordnet, wo dem einen Theile ein empfindlicher Schaden geſche - hen wuͤrde, wenn der andere ſein Verſpre - chen nicht hielte. Weil nun alle Vertraͤ - ge und Vergleiche auf einem Verſprechen beruhen (§. 1008. Mor.); ſo muß man auch nach den buͤrgerlichen Geſetze einen jeden anhalten ſeinen Vertrag und Ver - gleich in allem zuerfuͤllen.

§. 423.

Die natuͤrliche Billigkeit erfor -Von Er - ſetzung des Scha des in Vertraͤ - gen und Verglei - chen. dert, daß man in Vertraͤgen und Verglei - chen niemanden im geringſten bevorthei - le (§. 897. Mor.), und, woferne dieſes ge - ſchehen, allen, auch den allergeringſten Schaden erſetze (§. 825. Mor.). Nehmlich wo erwieſen worden, daß niemand ſol be - vortheilet und der verurſachte Schaden erſetzet werden, da iſt keine gewiſſe Groͤſſe voraus geſetzet worden; ſondern der Be - weis iſt uͤberhaupt von allen Faͤllen zuver - ſtehen. Jm gemeinen Weſen ſol man denE e 2durch436Cap. 4. Von den buͤrgerlichendurch Bevortheilung in Vertraͤgen und Vergleichen verurſachten Schaden zu erſe - tzen diejenigen anhalten, welche ſich gut - willig vor ſich nicht dazu verſtehen wollen. (§. 227). Allein da alle Tage ſehr viel Vertraͤge und Vergleiche gemacht werden und aller Betrug dabey ſchweer zuvermei - den iſt, indem allein bey dem Kauffen und Verkauffen ein jeder wohlfeil kauffen und theuer verkauffen wil; ja auch unterwei - len fuͤr einen Schaden und Bevortheilung ausgeleget wird von dem einen Theile, was von dem andern nicht davor gehalten wird, auch wohl gar viele fuͤr einen Scha - den ausgeben wuͤrden den Verluſt eines Gluͤckes, der ſie betroffen, als wenn z. E. einer umb einen billigen Preiß ſeine Wah - re verkauffet, und ein anderer, dem aus ge - wiſſen Urſachen viel daran gelegen iſt, daß er ſie bekommen haͤtte, ihm gerne mehr davor geben wollte, als er von dem andern bekommen; ſo wuͤrde man unend - liche Streitigkeiten wegen der Vertraͤge und Vergleiche haben, woferne man im gemeinen Weſen die Verfaſſung machen wollte die natuͤrliche Billigkeit auf das genaueſte in allem zu beobachten. Dero - wegen muß man in buͤrgerlichen Geſetzen die Groͤſſe des Betruges determiniren, wo der verletzende Theil dem verletzten gehalten iſt den Schaden zuerſetzen, oderder437Geſetzen. der getroffene Vergleich gar wieder auf - gehoben wird (§. 401). Dergleichen iſt bey uns das Geſetze im Kauffe und Tau - ſche, da dieſe Vergleiche fuͤr ungerecht er - klaͤret werden, wenn man von einem mehr als die Helffte zuviel bekommen, als wenn man eine Wahre fuͤr drey Thaler verkauffet, die kaum uͤber einen Werth iſt. Jn uͤbrigen Faͤllen muß einer den Scha - den ſeiner Unvorſichtigkeit zuſchreiben. Ein jeder iſt von Natur verbunden alles mit Bedacht vorzunehmen und ſich vor Betrug und Schaden zuhuͤtten (§. 832. Mor.). Wenn er dieſes unterlaͤſſet, ſo iſt die Schuld ſeine, und den Schaden, der daraus erwaͤchſet, hat er ſich und keinem andern zuzuſchreiben. Woraus zugleich erhellet, daß, wenn einfaͤltige von liſtigen Leuten bevortheilet worden, man in ſolchen Faͤllen auch wohl zu Erſetzung eines ge - ringern Schadens verhelffen koͤnne.

§. 424.

Vermoͤge der natuͤrlichen Ge -Von er zwunge - nen Ver - gleichen. ſetze darf man keinen Vergleich halten, wenn man entweder durch Furcht, oder Betrug verleitet worden ihn einzugehen (§. 1019. Mor.). Wenn man nun im gemei - nen Weſen dergleichen Vergleich vor nich - tig erklaͤret und den jenigen, der Vortheil davon hat, noͤthiget davon abzuſtehen; ſo wird es dadurch ein buͤrgerliches Geſetze (§. 401). Ja wenn der Betrug und dieE e 3Furcht438Cap. 4. Von den buͤrgerlichenFurcht groß iſt, und aus einer groſſen Boßheit herruͤhret; ſo kan man gar einen beſtraffen, der den andern durch Furcht, oder Betrug einen Vergleich einzugehen verleitet (§. 357. 358). Und durch dieſe buͤrgerliche Verbindlichkeit (§. 341.) wird das Geſetze der Natur abermahls ein buͤr - gerliches Geſetze.

Einwen - dung we - gen. des nicht ge - zahlten Geldes.
1

§. 425.

Wenn man einem eine Hand - ſchrifft zuſtellet, aber das darinnen verſchriebene Geld nicht aus gezahlet be - kommen; ſo kan vermoͤge natuͤrlicher Rechte der jenige, welcher die Handſchrifft hat, zu keinen Zeiten etwas von dem an - dern fordern, der ſie geſchrieben. Denn da er das Geld nicht ausgezahlet, ſo iſt ihm der andere nichts ſchuldig worden. Wer mir nichts ſchuldig iſt, von dem kan ich nichts fordern. Wer etwas fordert, was der andere von ihm nicht empfangen, der ſuchet ihn zu betruͤgen (§. 896. Mor.). Da man nun niemanden betruͤgen ſol (§. 897. Mor.); ſo kan man auch von ihm kein Geld wieder fordern, was man ihm nicht geliehen. Unterdeſſen finden ſich zu - laͤngliche Urſachen, warumb das Geſetze der Natur ſich im gemeinen Weſen nicht genau beobachten laͤſſet. Nehmlich es koͤn - nen Faͤlle kommen, da es ungewis wird und ſich ſchweer erweiſen laͤſſet, ob das Geld auf die Handſchrifft ausgezahletwor -439Geſetzen. worden, oder nicht, als wenn einer von beyden ſtirbet, oder wohl gar alle beyde, da nach dieſem denen Erben gantz unbe - kand ſeyn kan, ob etwas gezahlet worden, oder nicht. Ja weil die Sache nicht an - ders als durch einen Eyd ſich ausmachen laͤſſet (§. 365), hingegen zubeſorgen iſt, daß leicht ihrer viele, woferne ſie in ſolche Umbſtaͤnde gerathen, da ſie das Geld hoͤchſt noͤthig brauchen, oder auch an ſich gewinnſichtige Leute ſind, aus Gewinns willen ſich nicht ſcheuen einen falſchen Eyd zuthun; ſo kan mehr Unrecht geſchehen, wenn einer beſtaͤndig die Freyheit behaͤlt einzuwenden, er habe das Geld nicht be - zahlet bekommen, als wenn man ſie ein - ſchraͤncket. Und demnach kan man in buͤr - gerlichen Geſetzen eine gewiſſe Zeit ſetzen, wie lange dieſe Einwendung gelten ſol, als wie z. E. bey uns zwey Jahre geſetzet ſind. Unterdeſſen da man uͤber der natuͤrlichen Billigkeit halten ſol, ſo viel moͤglich iſt (§. 403); ſo kan man dennoch von dem buͤrgerlichen Geſetze abweichen, wo man erweislich machen kan, das Geld ſey nicht gezahlet worden, als z. E. wenn einer, da er das Geld haͤtte auszahlen wollen, offenbahr in einen ſolchen Zuſtand gera - then waͤre, daß es ihm zuzahlen unmoͤglich gefallen, auch hinreichende Urſachen vor - handen, warumb der vermeinte Schuld -E e 4ner440Cap. 4. Von den buͤrgerlichenner die Handſchrifft nicht wieder gefordert, oder bekommen, ob er gleich kein Geld be - zahlet bekommen. Da hier viel Faͤlle vor - kommen koͤnnen, ſo waͤre dasjenige in acht zunehmen, was wir oben zu beſſerer Handhabung der Gerechtigkeit angegeben (§. 412). Unterdeſſen iſt auch die - ſes zu beobachten, daß, wo man Perſonen zu Richtern nimmet, welche Sachen zu uͤberlegen und zu unterſuchen nicht ſehr faͤ - hig ſind, man die Geſetze nicht gar zu ſehr nach beſondern Umſtaͤnden einrichten kan: weil es wegen der vielen Umſtaͤnde, die zubedencken ſind, ſchweer faͤllet zu urthei - len, welches Geſetze ſich in einem ereignen - den Falle anbringen laͤſſet. Und bleiben deswegen die Geſetze etwas allgemein, da - mit nicht durch die Richter, indem ſie ſie anwenden ſollen, mehr verſehen wird, als durch ihre Allgemeinheit Schaden geſche - hen kan.

Verkauf - fung der Pfande.
1

§. 426.

Wenn wir an einem Pfande noch Sicherheit genung haben, wir auch das unſrige noch nicht ſelbſt brauchen, und der andere iſt zubeſtimmter Zeit nicht in dem Stande die Zahlung zuthun, ſo koͤn - nen wir auf den Verkauf des Pfandes nicht dringen, abſonderlich wenn der Schuldner dadurch in Schaden geſetzet wuͤrde (§. 951. Mor.). Unterdeſſen da es in Gerichten zuvielen WeitlaͤufftigkeitenAn -441Geſetzen. Anlaß geben wuͤrde, wenn man erſt erwei - ſen ſollte, der Glaͤubiger habe das ſeine ſelbſt noͤthig, oder der Schuldner werde durch den Verlauff des Pfandes in Scha - den geſetzet, und was dergleichen mehr iſt; ſo koͤnnen die buͤrgerlichen Geſetze in einem jeden Falle den Verkauff des Pfandes er - lauben, wenn der Schuldner nicht in dem Stande iſt es zu geſetzter Zeit einzuloͤſen und der Glaͤubiger nicht laͤnger warten wil (§. 401). Wenn der Glaͤubiger das Pfand, welches der Schuldner nicht ein - loͤſen wil, noch kan, fuͤr einen rechrmaͤßigen Preiß verkauffet und das Ubrige demſel - ben heraus giebet, ſo wird der natuͤrlichen Billigkeit zunahe getreten (§. 951. Mor.) und iſt eben nicht noͤthig, daß der Ver - kauff gerichtlich geſchiehet. Allein weil doch dadurch abermahl viele Weillaͤuff - tigkeiten bey Gerichten entſtehen wuͤrden, wenn man dem Schuldner zugefallen, der wegen des Verkauffes Klage fuͤhret, be - weiſen ſollte, daß Pfand ſey fuͤr einen recht - maͤßigen Preiß verkauffet worden, oder auch nicht hoͤher, als es der Glaͤubiger angiebet; ſo iſt abermahls rathſamer, daß die buͤrgerlichen Geſetze ſchlechter Dinges verordnen, es ſolle kein Pfand wieder den Willen des Eigenthums-Herrns anders als gerichtlich verkauffet werden. Und damit dieſer keine Urſache ſich zubeſchwee -E e 5ren442Cap. 4. Von den buͤrgerlichenren finde, als wenn es hoͤher haͤtte koͤnnen ausgebracht werden, ſo muß es oͤffentlich angeſchlagen und dem meiſtbietenden uͤber - laſſen werden.

Von Buͤrg - ſchafften.
1

§. 427.

Nach der natuͤrlichen Billigkeit iſt es unrecht, daß einer Buͤrge wird, wenn er nicht verſichert iſt, daß der, ſo etwas borgen wil, in dem Stande iſt die Schuld abzufuͤhren (§. 953. Mor.). Derowegen da man im gemeinen Weſen zuveranſtall - ten hat, daß ſich keiner aus allzugroſſer Gutwilligkeit oder aus Einfalt zu ſeinem Schaden mit Buͤrgſchafft uͤbereilet (§. 337); ſo ſollten nicht allein alle Buͤrg - ſchafften gerichtlich aufgenommen werden, ſondern man ſollte auch dabey unterſu - chen, ob der Buͤrge ſicher gienge oder nicht, damit er ſich nicht offenbahr durch ſeine Buͤrgſchafft in Schaden ſetzte. Gleicher geſtalt da es unrecht iſt Buͤrge zu werden, woferne einem wohl bewuſt iſt, daß weder wir, noch der das Geld borget, in dem Stande ſind die Schuld abzutragen (§. 953. Mor.); man aber im gemeinen We - ſen zuveranſtalten hat, daß ein jeder in Er - fahrung kommen kan, ob er auch bey ſei - ner Buͤrgſchafft ſicher genung gehe, oder nicht (§. 337); ſo ſollten abermahls aus dieſer Urſache nicht allein alle Buͤrgſchaff - ten gerichtlicht aufgenommen werden, ſon - dern man ſollte auch unterſuchen, ob der -jeni -443Geſetzen. jenige, welcher einen Buͤrgen annimmet, durch die Buͤrgeſchafft genung Sicherheit habe. Allein da es erſtlich zu weitlaͤuff - tig fallen wuͤrde, wenn alle Buͤrgſchaff - ten gerichtlich ſollten aufgenommen wer - den; ſo koͤnnen buͤrgerliche Geſetze wohl verſtatten, daß auch Buͤrgſchafften gel - ten, die auſſer Gerichten gemacht worden, wenn es Kleinigkeiten betrifft: Aber wich - tige Buͤrgſchafften ſollten billich nicht fuͤr guͤltig geachtet werden, als wenn ſie ge - richtlich geſchehen waͤren, weil dadurch der - jenige, ſo nicht ſicher gehet, in groſſen Schaden kan geſetzet werden. Gleicher - geſtalt wuͤrde es viel zu weitlaͤufftig fal - len, wenn die Sicherheit jederzeit zur Gnuͤge vor Gerichten ſollte unterſuchet werden, die der Glaͤubiger bey dem Buͤr - gen und der Buͤrge bey dem Schuldner hat. Derowegen muß man durch buͤr - gerliche Geſetze, wo dieſe Unterſuchung zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde / oder auch wohl anderer Umſtaͤnde wegen nicht fuͤglich ge - ſchehen kan, auch ohne dergleichen Unter - ſuchung Buͤrgen zulaſſen, wenn man ihnen nur genungſam erklaͤret, was die Buͤrg - ſchafft zuſagen hat und worauf man da - bey ſehen ſol, damit niemand aus Unver - ſtande ſich uͤbereilet. Wenn ſich beſon - dere Umbſtaͤnde ereignen, daß der Glaͤu - biger leichter mit der Schaͤrffe den Schuld -ner444Cap. 4. Von den buͤrgerlichenner angreiffen und durch Huͤlffe die Schuld von ihm eintreiben kan (§. 341), als der Buͤrge, und dieſer hingegen in Gefahr ge - ſetzet wird das Geld, was er fuͤr jenen zah - let, gar zuverlieren: ſo iſt es der natuͤrli - chen Billigkeit gemaͤß, als vermoͤge wel - cher man niemanden in Schaden bringen ſol (§. 824. Mor.), daß der Glaubiger den Schuldner mit der Schaͤrffe angreiffe, ob er gleich leichter die Zahlung von dem Buͤrgen haben kan, auch dieſer ſich erklaͤ - ret, er wolle ſo fort, wenn der Schuldner nicht zu beſtimmter Zeit Abtrag thut, als Selbſt-Schuldner hafften. Allein da ein jeder ſich bemuͤhen wuͤrde dergleichen Vor - wand zu erdichten, wenn er ſeinem Ver - ſprechen nach als Selbſt-Schuldner ſollte angeſehen werden, und daher in vielen, ja den meiſten Faͤllen, unnoͤthiger Streit ent - ſtuͤnde; ſo koͤnnen die buͤrgerlichen Geſetze ſchlechter Dinges vergoͤnnen den jenigen durch Huͤlffe zu Bezahlung der Schuld ſo gleich zubringen, ohne ſich an den Schuld - ner zuhalten, der verſprochen als Selbſt - Schuldner zuhafften, wenn der Schuld - ner nicht zur beſtimmten Zeit inne haͤlt (§. 401). Es thut den Leuten nichts we - her als wenn ſie fremde Schulden bezah - len ſollen, und werden unwillig, wenn ih - nen zur Laſt werden ſol, daß ſie andern einen Gefallen erwieſen. Derowegen kanman445Geſetzen. man auch nirgends mehrerer Ausfluͤchte ſich verſehen, als wenn man einen Buͤrgen angreiffet. Und umb dieſer Urſache wil - len muß man ſo wenig als nur immer moͤ - glich iſt durch die Geſetze dazu Anlaß ge - ben. Je allgemeiner die Geſetze ſind, je weniger finden Ausfluͤchte ſtat. Denn die Ausfluͤchte werden gemacht, wo viel beſondere Umbſtaͤnde zu determiniren ſind, wenn man ein Geſetze anbringen wil. Und demnach iſt es nicht uͤbel gethan, wenn die Geſetze von Buͤrgſchafften ſo allge - mein gemacht werden, als nur immer moͤ - glich iſt. Ein jeder ſiehet ohne mein Erin - nern, daß, was ich hier von Buͤrgſchaffts - Geſetzen geſaget habe, in allen uͤbrigen Faͤllen gielt, wo das Geſetze einem zur Laſt werden wil und man daher Ausfluͤch - te ſuchet.

§. 428.

Wann ein Weib ſo viel Ver -Von Erb - ſchafften / ſon der - lich der Eheleu - te. moͤgen vor ſich hat, daß ſie nach des Man - nes Tode bloß von dem Jhrigen ihrem Stande gemaͤß und ſo vergnuͤgt, als vor - hin, leben kan; ſo iſt der Mann nach na - tuͤrlichen Rechten nicht verbunden ihr et - was zuvermachen, als in ſoweit er ſich in ihren Unverſtand ſchicket, und ihr den Argwohn benehmen wil, als wenn er ſie nicht aufrichtig geliebet haͤtte (§. 79). Wo ſie von dem Jhrigen allein nach des Man - nes Tode nicht mehr ihrem Stande ge -maͤß,446Cap. 4. Von den buͤrgerlichenmaͤß, ſondern viel mehr nur kuͤmmerlich leben kan; ſo muß er (woferne ſein Ver - moͤgen zureichet, abſonderlich wenn kleine Kinder vorhanden, die er nicht weniger als ſein Weib zubedencken hat) ihr von dem Seinigen ſoviel zuwenden, als zu dieſer Lebens Art erfordert wird (§. 79). Allein weil hierdurch abermahl viel Streit ent - ſtehen wuͤrde und dadurch viele Weitlaͤuff - tigkeiten bey Gerichten entſtuͤnden; ſo muß man in buͤrgerlichen Geſetzen was gewiſſes ſetzen, was das Weib nach des Mannes Tode haben ſol (§. 401). Und aus gleichmaͤßigen Urſachen muͤſſen die buͤrgerlichen Geſetze etwas gewiſſes ver - ordnen, was der Mann nach des Weibes Tode haben ſol. Ja alle Erbſchaffts - Faͤlle ſind aus dieſen Urſachen auf etwas gewiſſes zu determiniren. Unterdeſſen da die buͤrgerlichen Geſetze einem nicht die Freyheit ohne Noth benehmen ſollen, die man bey dem natuͤrlichen Geſetze behaͤlt (§. 403); ſo koͤnnen ſie auch wohl ge - ſchehen laſſen, daß einer von ſeinem Ver - moͤgen demſelben eine gemaͤſſe Einrichtung machet. Und weil hier abermahls viel diſputirens entſtehen wuͤrde, ob die Ein - richtung dem Geſetze der Natur gemaͤß ſey, oder nicht, man auch nirgends mehr Ausfluͤchte zu beſorgen hat als in Erb - ſchaffts-Faͤllen, wo man fuͤr die langeWeile447Geſetzen. Weile zu Vermoͤgen kommen kan; ſo koͤnnen die buͤrgerlichen Geſetze die Frey - heit einen jeden die Einrichtung nach ſeinem Gefallen machen laſſen, wenn nur dabey einem jeden gelaſſen wird, was ihm die buͤrgerlichen Geſetze zuerkandt, damit nicht einer aus ungeziemenden Abſichten von der natuͤrlichen Billigkeit gantz und gar abweiche. Es iſt faſt keine Materie, wo die natuͤrliche Billigkeit ſoviel Unter - ſcheid hat als bey den Erbſchaffts-Faͤllen. Daher haben auch verſchiedene ihnen ein - gebildet, als wenn das Natur-Geſetze hierinnen gar nichts verordnete, und dan - nenhero den Geſetzgebern im gemeinen Weſen die voͤllige Freyheit gelaſſen wuͤrde zu befehlen, was ihnen gut duͤnckte. Al - lein eben weil ſie befehlen follen, was ih - nen gut duͤncket, ſo muͤſſen ſie eine Regel haben, nach welcher ſie dieſes beurtheilen. Und da dieſe Regel in der Vernunfft ge - gruͤndet ſeyn muß (denn ſonſt koͤnnte man alles andere an deren ſtat annehmen); ſo muß eine natuͤrliche Billigkeit in dieſem Stuͤcke vorhanden ſeyn, die man vor Au - gen hat, wenn man buͤrgerliche Geſetze geben wil: Denn was die Vernunfft von den Handlungen der Menſchen leh - ret, daſſelbe iſt eben das Geſetze der Na - tur (§. 23. Mor.). Jch habe auch ſchon vorhin beruͤhret, daß man nirgendslieber448Cap. 4. Von den buͤrgerlichenlieber auf Ausfluͤchte ſinne als bey Crb - ſchaffts-Faͤllen, ſonderlich wenn ſie wich - tig ſind, indem es allzu angenehm iſt Geld und Gut umbſonſt und auf einmahl zube - kommen. Ob nun zwar die letztere Urſa - che erfordert, daß die Geſetze von Erb - ſchaffts-Faͤllen ſehr allgemein ſind, damit ſie die Gelegenheit zum Streite abſchnei - den (§. 427); ſo iſt doch aber gleich - wohl noͤthig, daß verſchiedene Faͤlle ſorg - faͤltig unterſchieden werden, damit man nicht ohne Noth von der natuͤrlichen Bil - ligkeit gar zu ſehr abweichet. Gewis iſt es, daß die Geſetze ihr zunahe treten, die einen gewiſſen Antheil von der gantzen Verlaſſenſchafft und zwar einerley in al - len Faͤllen einem jeden zueignen. Denn wenn zum Exempel eine Mutter vor ſich mehr Mittel hat, als ſie brauchet ſtand - maͤßig zuleben, die Kinder aber koͤnnen von dem vaͤterlichen allein kaum ihre Nothdurfft haben; ſo iſt es unbillich, wenn die Mutter zugleich mit den Kin - dern erben wil, ſonderlich da die Mutter zu einer anderen Ehe ſchreitet, wo zubeſor - gen, daß ſie nachdem ihren Kindern erſter Ehe nicht beyſpringen darf, wie ſichs ge - hoͤrete. Vielleicht werden dieſes einige fuͤr unnuͤtze Subtilitaͤten halten: allein ſie muͤſſen erſt erweiſen, daß man nicht der - gleichen vermeinte Subtilitaͤten im gemei -nen449Geſetzen. nen Weſen beobachten kan, ohne weit - laͤufftige Streitigkeiten zu verurſachen. Je - doch muß man auch dieſes noch erwegen, daß, da man im gemeinen Weſen auch auf Ruhe und Sicherheit ſehen (§. 215), und folgends alles abwenden ſol, wodurch die Gemuͤther in Haß und Feindſchafft gegen einander geſetzt werden, man zugleich auch hierauf ſeine Gedancken mit richten muͤſſe. Bey dem groſſen Unterſchiede der Menſchen muß man auf dasjenige Acht haben, was bey den meiſten geſchiehet.

§. 429.

Nach den natuͤrlichen RechtenVon der Minder - jaͤhrig - keit. bleiben die Kinder ſo lange unter der Vaͤ - terlichen Gewalt, biß ſie ſich ſelbſt verſor - gen und regieren koͤnnen (§. 122.). Da nun in beſonderen Faͤllen der Beweis oͤff - ters ſchweer fallen wuͤrde, ob einer ſich ſelbſt zu regieren geſchickt ſey, oder nicht, und gleichwohl die Kinder, ſo lange ſie in der Vaͤterlichen Gewalt bleiben, keinen Ver - trag und Vergleich im Beſtande Rechtens machen koͤnnen (§. 121); ſo wuͤrden oͤffters in Gerichten daruͤber viele Weitlaͤufftigkei - ten entſtehen, wenn man die natuͤrliche Billigkeit in allem genau beobachten woll - te. Derowegen iſt noͤthig, daß die buͤr - gerliche Geſetze es auf eine leichtere Art de - terminiren, wenn einer muͤndig werden ſol, da dergleichen Streit vermieden, und doch in den meiſten Faͤllen der natuͤrlichen(Politick) F fBil -450Cap. 4. Von den buͤrgerlichenBilligkeit nicht allzu nahe getreten wird (§. 401). Weil nun der Verſtand mit den Jahren waͤchſet; ſo pfleget man gewiſſe Jahre zu beſtimmen, nach deren Verlauff einer fuͤr muͤndig geachtet wird. Nun kan es wohl freylich geſchehen, daß einige eher, andere ſpaͤter in den Stand kommen, dar - innen ſie ſich ſelber verſorgen und regieren koͤnnen; allein ich habe ſchon erinnert, daß es genung ſey, wenn man ſich nach den meiſten richtet. Sind einige, die ihnen ſelbſt gar zu uͤbel vorſtehen, auch wenn ſie das Alter erreichet, da ihre Minderjaͤhrig - keit aufhoͤren ſol; ſo kan man fuͤr ſie gar leicht eine Ausnahme machen. Derglei - chen iſt das Geſetze, daß man Verſchwen - dern einen Vewalter ihrer Guͤter ſetzet und ſie zugleich als Minderjaͤhrige unter ſeine Gewalt giebet, damit ſie vor ſich keinen Vertrag und Vergleich machen koͤnnen, der nach den Rechten fuͤr guͤltig geachtet wuͤr - de.

Von Ver - aͤuſerung der Un - muͤndi - gen Guͤt - ter.
1

§. 430.

Ein Vormund kan von des Un - muͤndigen Vermoͤgen nichts veraͤuſſern oh - ne Vorwiſſen anderer, die vor der Kinder Beſtes geneiget ſind (§. 149). Da nun zum Beſten der Unmuͤndigen ein beſonders Vor - mundſchaffts-Ambt zu beſtellen iſt (§. 396); ſo koͤnnen die buͤrgerlichen Geſetze verord - nen, daß kein Vormund weder von beweg - lichen, noch unbeweglichen Guͤtern des un -muͤndi -451Geſetzen. muͤndigen etwas veraͤuſſern darf, er habe denn zuvor bey dem Vormundſchaffts - Ambte ſolches gemeldet, die Urſachen, ſo ihn darzu bewegen, eroͤffnet und daß er es thun moͤge, auch auf was Art und Weiſe ſolches geſchehen ſolle, die Einwilligung er - halten. Auf ſolche Weiſe erhaͤlt ſo wohl der Unmuͤndige ſeine Sicherheit, daß er nicht betrogen wird, als auch der Vor - mund und ſeine Erben bleiben von aller Verantwortung frey, die ihnen ſonſt daher entſtehen kan. Ja es koͤnnen auch die buͤr - gerlichen Geſetze, damit die Gerichte mit dergleichen Unterſuchungen nicht allzuviel belaͤſtiget werden, gar verordnen, daß von unbeweglichen Guͤttern nichts ſol veraͤuſert werden, wenn die noͤthigen Auferziehungs - Koſten ohne die Veraͤuſerung zu heben ſind, unerachtet ſonſt die natuͤrliche Billigkeit er - fordert, daß, wenn die Veraͤuſſerung mit groſſem Vortheile des Unmuͤndigen geſche - hen ſollte, ſie nicht unterlaſſen werde, weil der Vormund die Stelle des Unmuͤndigen vertritt, und dannenhero alles dasjenige thun ſoll, was der Unmuͤndige thun wuͤr - de, wenn er geſchickt waͤre alles vernuͤnff - tig zu uͤberlegen (§. 151.). Allein eben deß - wegen, weil ein Vormund alles thun ſol, was er vermeinet, daß der Unmuͤndige ſelbſt thun wuͤrde, wenn er den voͤlligen Ge - brauch der Vernunfft haͤtte, kan man die -F f 2ſes452Cap. 4. Von den buͤrgerlichenſes in Buͤrgerlichen Geſetzen umb ſoviel mehr verordnen, weil unterweilen einer lieber die Guͤtter, ſo er ererbet, aus aller - hand beſondern Umbſtaͤnden behaͤlt, als daß er den Vortheil, welcher aus ihrer Veraͤuſſerung zu erwarten, verlangen ſollte. Man ſiehet aus dieſem und den vorigen Ex - empeln, daß man bey den Buͤrgerlichen Geſetzen oͤffters nur auf Wahrſcheinlichkeit ſehen muß und dannenhero ein groſſer Vor - theil in dieſen Stuͤcke zu erwarten ſtuͤnde, wenn die Vernunff-Kunſt des wahrſchein - lichen in beſſeren Stand geſetzet wuͤrde (§. 402. Met.).

Von Be - lohnung der Vor - muͤnder.
1

§. 431.

Wenn Unmuͤndige ſo viel Ver - moͤgen haben, deſſen Nutzung uͤber die noͤ - thigen Auferziehungs-Koſten noch einen U - berſchuß bringet; ſo iſt es der natuͤrlichen Billigkeit gemaͤß, daß ihre Muͤhe belohnet werde: in andern Faͤllen haben ſie ihr Ambt umbſonſt zu verrichten (§. 155). Allein da hierbey leicht zu beſorgen ſtehet, daß Vor - muͤnder ſich derer Unmuͤndigen, welche ihre Muͤhe nicht belohnen koͤnnen, nicht mit ſolchem Ernſt annehmen, als wenn ſie vor ihre Muͤhe etwas zu hoffen haben, un - ter dem Vorwande, ſie bekaͤmen nichts da - vor, ein anderer Vormund koͤnnte es wohl thun, dem wuͤrde ſeine Muͤhe gnungſam belohnet: ſo ſtehet nichts im Wege, war - umb die Buͤrgerlichen Geſetze nicht uͤber -haupt453Geſetzen. haupt verordnen koͤnnten, daß kein Vor - mund fuͤr ſeine Muͤhe etwas haben ſol (§. 401). Werden ihre Unmuͤndige wohl erzo - gen, daß ſie Verſtand und Tugend erlan - gen; ſo werden ſie nicht allein erkennen, was ſie Gutes an ihnen gethan haben, und wie - viel Muͤhe ſie ihrentwegen uͤbernommen, ſondern auch aus Danckbarkeit gegen ſie (§. 156) fuͤr ſich auf eine Erkaͤntlichkeit be - dacht ſeyn.

§. 432.

Aus denen bißher gegebenen E -Vorzug der na - tuͤrlichen Geſetze fuͤr den Buͤrger - lichen. rempeln erhellet zur Gnuͤge, was fuͤr ein Unterſcheid zwiſchen denen natuͤrlichen und Buͤrgerlichen Geſetzen ſich befindet. Ab - ſonderlich iſt hieraus zu ſehen, daß die Buͤr - gerlichen Geſetze keines Weges vollſtaͤndiger ſind als das Geſetze der Natur, auch die Meinung derer ungegruͤndet ſey, welche vorgeben, als wenn das Geſetze der Na - tur viele Handlungen der Menſchen unent - ſchieden lieſſe, die nach dieſem erſt durch die Buͤrgerlichen Geſetze muͤſten entſchieden werden: wie auch ſchon anderswo ange - mercket worden (§. 27. Mor.). Die Buͤr - gerlichen Geſetze ſind vielmehr unvollſtaͤn - dig, weil ſie viele Handlungen gantz unent - ſchieden laſſen, oder doch auf eine unvoll - kommene Art entſcheiden. Und demnach behalten in dieſem Stuͤcke die natuͤrlichen Geſetze wohl allzeit den Vorzug vor den Buͤrgerlichen, wenn nur alles, was zu ih -F f 3nen454Cap. 5. Von der Machtnen gehoͤret, durch geſchickte Koͤpffe heraus - gebracht waͤre. Ja es waͤre nicht undien - lich, wenn Leute, die im Nachdencken ge - uͤbet und von natuͤrlichen Rechten rechten Verſtand haben, die in Gerichte vorkom - mende Faͤlle, welche nach den Buͤrgerli - chen Rechten entſchieden werden muͤſſen, auch nach den natuͤrlichen auf das genaue - ſte unterſuchten: denn dieſes wuͤrde Gele - genheit geben die Buͤrgerlichen Geſetze nach und nach zuverbeſſern, weil doch allzeit bey ihnen die natuͤrliche Billigkeit von den Ge - ſetzgebern mit zum Grunde geſetzet werden muß (§. 402.).

Das 5. Capitel Von der Macht und Gewalt der Obrigkeit.

§. 433.

Unter - thanen ſollen der Obrig - keit ge - horchen.
1

DEr Obrigkeit lieget ob alle ihre Kraͤff - te und ihren Fleiß dahin anzuwen - den, daß ſie zu Befoͤrderung der ge - meinen Wohlfahrt und Sicherheit dienſa - me Mittel erdencke und zu deren Ausfuͤh - rung noͤthige Anſtalten mache: hingegen die Unterthanen ſind verbunden alles das - jenige willig zu thun, was ſie fuͤr gut befin - det (§. 230. 332). Derowegen hat die O - brigkeit Freyheit denen Unterthanen zu be -fehlen455und Gewalt der Obrigkeit. fehlen, was ſie thun und laſſen ſollen, und die Unterhanen muͤſſen der Obrigkeit ge - horchen (§. 124). Es waͤre auch der Be - fehl der Obrigkeit fuͤr die lange Weile, wenn die Unterthanen die Freyheit behiel - ten zuthun und zu laſſen, was ſie wollten, und nicht eher folgen wollten, als bis ihnen gefiele, was befohlen wuͤrde. Und iſt der Gehorſam umb ſo viel mehr noͤthig, weil die Unterthanen nicht immer in dem Stan - de ſind zu urtheilen, was zum gemeinen Beſten gerichtet, weil ſie von der Beſchaf - fenheit des gantzen gemeinen Weſens und ſeinem wahren Zuſtande nicht gnungſame Erkaͤnntnis haben. Sie urtheilen gemei - niglich bloß darnach, ob es ihnen vortheil - hafft ſey, was befohlen wird, oder nicht. Allein es pfleget gar offt zu geſchehen, daß dem gantzen gemeinen Weſen erſprießlich iſt, was einem oder dem andern von den Unterthanen nachtheilig befunden wird. Jm gemeinen Weſen aber muß die gemeine Wohlfahrt der beſondern vorgezogen wer - den (§. 218). Offters verſtehen auch die Un - terthanen ſelbſt nicht, was zu ihrem Beſten dienet und halten fuͤr gut, was ihnen ſchaͤd - lich ſeyn wuͤrde. Und demnach dienet nicht wenig ſie zum Gehorſam bereit und willig zu machen, wann man ihnen deutlich zei - get, daß zu ihrem Beſten gereiche, was die Obrigkeit befiehlet: welches theils durchF f 4oͤffent -456Cap. 5. Von der Machtoͤffentliche Schrifften, theils auch durch den Unterricht der oͤffentlichen Lehrer (§. 317) geſchehen kan.

Wenn ſie zugehor - chen nicht verbun - den.
1

§. 434.

Da das Geſetze der Natur un - veraͤnderlich iſt (§. 25. Mor.), und wir dar - uͤber zu halten verbunden ſind (§. 916. Mor); ſo hat auch die Obrigkeit keine Freyheit zu befehlen, was ihm zu wieder iſt, auſſer in ſoweit man von der natuͤrlichen Billigkeit in einigen Faͤllen zum Vortheile des gan - tzen gemeinen Weſens abweichen darf (§. 402. 218). Derowegen wenn ſie etwas be - fehlen ſollte, was dem natuͤrlichen Geſetze zu wieder iſt, ſo iſt der Unterthan nicht ver - bunden zu gehorchen, es ſey denn daß er durch verweigerten Gehorſam mehr Unheil ſich auf den Hals zoͤge, als wenn er gehor - chete. Z. E. Wenn die Obrigkeit befiehle entweder wieder unſer Gewiſſen eine irrige Religion anzunehmen, oder aus dem Lan - de zu gehen: ſo wuͤrden wir uns mehr ſcha - den, wenn wir uns mit einem ſchweeren Ge - wiſſen beſtaͤndig plagen ſollten (§. 106. 109. 110. Mor.), und alſo auf immer ungluͤckſee - lig machen (§. 111. Mor.), als wenn wir unſer Gluͤck an einem fremden Orte ſuche - ten, wo wir es vielleicht noch beſſer finden koͤnnen, als wir es an dem Orte haben, den wir verlaſſen muͤſſen. Hingegen wenn die Obrigkeit befiehle, man ſolle zu Unter - haltung liederlicher Comœdianten, dienichts457und Gewalt der Obrigkeit. nichts als Aergernuͤß zu geben geſchickt ſind, jaͤhrlich etwas gewiſſes geben; ſo waͤre dieſer Befehl zwar unrecht, wie ſichs nach dieſem zeigen wird: allein weil es mit Macht uns wuͤrde genommen werden, wenn wir es nicht gutwillig geben wollten, ja wir uͤber dieſes der Wiederſpenſtigkeit halber noch dazu uns einer Straffe beſorgen muͤſten; ſo wuͤrden wir nichts dabey ge - winnen, wenn wir nicht gehorchen woll - ten, ſondern uns vielmehr noch dazu ſcha - den. Und demnach muͤſſen wir auch in die - ſem Falle gehorchen. Es iſt nemlich wohl zu mercken, daß, wenn wir in dergleichen Faͤllen gehorchen, nicht wir unrecht thun, oder wieder das Geſetze der Natur han - deln, ſondern nur geſchehen laſſen, daß die Obrigkeit ſolches thut, weil wir es zu hindern nicht in unſerer Gewalt haben. Da wir nun das Boͤſe in allen Faͤllen muͤſſen geſchehen laſſon, wenn wir es zu hindern nicht vermoͤgend ſind (§. 247. Mor.); ſo muͤſſen wir uns ſo vielmehr die Obrigkeit unrecht thun laſſen, weil ſolches zu hindern nicht in unſern Kraͤfften ſtehet. Wollte aber die Obrigkeit etwas befehlen, da wir unrecht thun muͤſſen, als z. E. einen un - fchuldigen Menſchen tod ſchlagen; ſo muß man alsdenn allerdings ſeinen Gehorſam verweigern. Weil nun das natuͤrliche Ge - ſetze zugleich das goͤttliche Geſetze iſt (§. 35. F f 5Mor.);458Cap. 5. Von der MachtMor.); ſo muß man ſolchergeſtalt GOTT mehr gehorchen als den Menſchen. GOtt ſelbſt richtet ſich nach dieſer Regel: er laͤſſet das Boͤſe zu, aber er thut es nicht ſelbſt (§. 1056. 1057. Met.).

Gewalt der O - brigkeit.
1

§. 435.

Die Freyheit zu befehlen, oder uͤberhaupt etwas zuthun, nennen wir Ge - walt. Da nun die Obrigkeit Freyheit hat zubefehlen, was die Unterthanen thun und laſſen ſollen und alles zu thun, was zur Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit dienlich befunden wird (§. 433); ſo hat ſie auch Gewalt. Und demnach ſind die Unterthanen unter der Gewalt der Obrigkeit, und wird ſolcher geſtalt dadurch ihre natuͤrliche Freyheit eingeſchraͤncket. Es iſt auch dieſe Gewalt der Grund des Gehorſams, den man der Obrigkeit ſchuldig iſt (§. 433). Man ſol demnach der Obrigkeit unterthan ſeyn die Gewalt uͤber uns hat und eben deswegen, weil ſie Gewalt uͤber uns hat. Die Kin - der ſind gleicher geſtalt unter der Gewalt ihrer Eltern (§. 118) und demnach dienet die vaͤterliche Gewalt die Gewalt der O - brigkeit zuerlaͤutern, auch ſind Obrigkeiten in dieſem Stuͤcke Vaͤtern aͤhnlich (§. 18. Met.) und Unterthanen ſind wie ihre Kinder.

Unter - ſcheid der Obrig -
1

§. 436.

Die Gewalt iſt entweder gantz uneingeſchraͤncket, oder aber auf gewiſſeWei -459und Gewalt der Obrigkeit. Weiſe eingeſchraͤncket. Obrigkeit beſitzetkeitlichen Gewalt. eine unumbſchraͤnckte Gewalt, wenn ſie ohne jemands Einwilligung bloß vor ſich befehlen darf, was ihr gut deucht, und al - les nach ihrem Gefallen einrichten, ohne Einwilligung anderer. Hingegen iſt ihre Gewalt eingeſchraͤncket, wenn ſie etwas oh - ne Einwilligung anderer nicht befehlen, noch thun darf. Man ſiehet aber leicht, daß ſie viel oder wenig eingeſchraͤncket iſt, nach dem die Einwilligung anderer in vie - len, oder in wenigen Stuͤcken erfordert wird. Da nun bloß in der Monarchie einer ohne beſondere Einwilligung anderer thun und befehlen kan, was er wil (§. 234) und in der Ariſtocratie dieſes einigen frey ſtehet (§. 235). ſo iſt bloß in der Monar - chie und Ariſtocratie eine unumbſchraͤnck - te Gewalt.

§. 437.

Vielleicht werden einige mei -Ein Zweilffel wird ge - hoben. nen, es koͤnne ja auch in der Monarchie und Ariſtocratie eine eingeſchraͤnckte Ge - walt ſtat finden: Denn es koͤnne wohl ei - ner gantz allein, oder auch etliche zuſam - men allein herrſchen, und doch in gewiſ - ſen Stuͤcken gebunden ſeyn, daß ſie nicht befehlen doͤrffen, was ſie wollen. Allein dieſe nehmen die Woͤrter Monarchie und Ariſtocratie in einem weitlaͤufftigeren Ver - ſtande, als wir. Nehmlich ihnen iſt eine jede Regierungs-Forme eine Monarchie,wo460Cap. 5. Von der Machtwo einer allein zu herrſchen ſcheinet, und eine Ariſtoeratie, wo einige allein zu herr - ſchen ſcheinen. Hingegen da wir den Schein von dem Weſen allezeit unterſchei - den; ſo heiſſen wir bloß eine Monarchie, wenn einer wuͤrcklich allein herrſchet, und eine Ariſtocratie, wenn einige zuſammen wuͤrcklich allein herrſchen (§. 234. 235). Sol aber einer wuͤrcklich allein herrſchen, ſo muß er ohne Einwilligung anderer thun koͤnnen, was er wil. Denn in dieſen Stuͤcken, darein andere erſt willigen muͤſ - ſen, herrſchet er nicht allein, ſondern dieje - nigen, ſo darein willigen muͤſſen, herrſchen mit. Und ſolcher geſtalt iſt es keine Mo - narchie, ſondern eine vermiſchte Regie - rungs-Forme, z. E. aus einer Monarchie und Ariſtocratie (§. 234. 235). Gleicher geſtalt wenn einige zuſammen allein herr - ſchen ſollen, ſo muͤſſen ſie ohne Einwilli - gung anderer thun koͤnnen, was ſie wollen. Denn in denen Stuͤcken, darein andere auſſer ihnen erſt willigen muͤſſen, herrſchen ſie abermahl nicht allein, ſondern diejeni - gen herrſchen mit, ſo darein willigen muͤſ - ſen. Und ſolcher geſtalt iſt es abermahl keine Ariſtocratie, ſondern eine vermiſchte Regierunas-Forme, z. E. aus einer Ariſto - cratie und Politie (§. 235. 236).

Funda - mental - Geſetze
1

§. 438.

Wo eine Obrigkeit eine einge - ſchraͤnckte Gewalt hat, da darf ſie nichtalles461und Gewalt der Obrigkeit. alles thun, was ſie vor gut haͤlt, ohne Ein -eines Staats. willigung anderer und zwar entweder uͤberhaupt, oder in einigen Stuͤcken (§. 436). Derowegen ſind hier einige Re - geln noͤthig, darnach ſie ſich zu achten hat. Weil ſie nun weiter keine Gewalt hat, als die Sie durch den Vertrag mit den Un - terthanen erhalten (§. 230), und dieſen zu - halten verbunden iſt (§. 232); ſo iſt ſie auch verbunden ſich nach denſelben Regeln zu - achten. Und foleher geſtalt ſind ihr dieſe Regeln ein Geſetze (§. 16. Mor.), und werden dannenhero auch die Grund-Ge - ſetze oder Fundamental-Geſetze eines Staates genennet.

§. 439.

Es iſt nun zwar die ObrigkeitWie O - brigkeit dazu zu verbin - den. von Natur verbunden die Grund-Geſetze ei - nes Staates zuhalten, wie aus demjeni - gen erhellet, was wir bereits ausgefuͤhrt (§. 438): allein da Obrigkeit ſo leicht, als die Unterthanen, der natuͤrlichen Verbuͤnd - lichkeit nicht jederzeit Raum geben, und gleichwohl noͤthig iſt, daß die Grund-Ge - ſetze eines Staates nicht gebrochen wer - den, woferne die Regierungs-Forme be - ſtehen ſol; ſo iſt auſſer der natuͤrlichen Verbindlichkeit noch eine andere noͤthig, wo man dergleichen haben kan. Und dem - nach entſtehet hier die Frage, ob es moͤ - glich ſey die Obrigkeit zuverbinden die Grund-Geſetze eines Staates zuhalten,oder462Cap. 5. Von der Machtoder nicht. Denn wenn es moͤglich iſt, ſo haben wir ſchon erwieſen, daß es auch noͤthig ſey, und folgends recht. Weil man durch einen Eyd GOtt zum Zeugen anruffet, daß man geſonnen ſey zuhalten, was man verſpricht, und verlanget, daß er es raͤchen ſolle, woferne man nicht hal - ten werde, was man verſprochen (§. 996. Mor.); ſo wird auch einer, der da glau - bet, daß ein GOtt ſey, der alles wiſſe und ſehe, auch ihn beſtraffen werde, wenn er entweder nicht den Sinn hat zuhalten, was er verſpricht, oder doch ins kuͤnfftige mit Wiſſen und Willen ſeinem Verſpre - chen zuwieder handelt, ſich den Eyd abhal - ten laſſen ſeinem Verſprechen zu wieder zu handeln (§. 997. Mor.). Und demnach iſt der Eyd ein Mittel, wodurch man O - brigkeiten verbinden kan uͤber die Grund - Geſetze eines Staates zuhalten. Dero - wegen da es moͤglich iſt ſie auf ſolche Wei - ſe dazu zu verbinden; ſo muß man in ei - nem Staate, wo Grund-Geſetze vorhan - den ſind, dieſelben von der Obrigkeit be - ſchweeren laſſen, wenn ſie ihre Regierung antritt. Und hieraus ſiehet man, wie viel alsdenn daran gelegen ſey, daß die Obrig - keit ſich fuͤr GOtt fuͤrchtet. Da nun aber die Furcht Gottes ohne ſeine Erkaͤntnis nicht beſtehen mag (§. 679. 696. 757. Mor.); ſo muß auch in dieſem Falle dieObrig -463und Gewalt der ObrigkeitObrigkeit GOtt erkennen und ihn ſtets vor Augen haben. Und demnach lieget de - nen oͤffentlichen Lehrern ob die Erkaͤntnis Gottes und, was daher ruͤhret, in den oͤf - fentlichen Verſammlungen fleißig zutrei - ben (§. 317. 318. ) und Obrigkeiten ſind ver - bunden dieſem Verſammlungen beyzuwoh - nen. Und weil die Chriſtliche Religion verſichert, daß nach dieſem Leben ein an - deres Leben iſt, da ein jeder wird Rechen - ſchafft geben muͤſſen von dem, was er in dieſem Leben gethan hat, und darnach em - pfahen, was ſeine Thaten werth ſind; auch die hoͤchſte Obrigkeit davon nicht ausgenommen wird; ſo erkennet man die Vortreflichkeit der Chriſtlichen Religion und iſt ſonderlich in dieſem Falle dienlich, wenn auch Obrigkeiten fuͤr ſie ein Eiffer und Ernſt beygebracht wird. Es erhellet zugleich hieraus uͤberhaupt die Nothwen - digkeit der Religion in ſolchen Reichen, wo die Obrigkeit nicht eine unumſchraͤnck - te Gewalt hat: deren Nothwendigkeit im gemeinen Weſen wir auch ſchon vorhin durch andere Gruͤnde erwieſen haben (§. 366.). Weil nun aberder Unterricht von der Religion und die Ermahnungen ſich derſelben gemaͤß zubezeigen von den oͤffent - lichen Lehrern, die Prediger und, in ſoweit ſie die hohen Landes-Obrigkeit zu unterrichten und zuermahnen geſetzet ſind,Hoff -464Cap. 5. Von der MachtHoffprediger genennet werden, geſchehen muß; ſo erkennet man ferner hieraus, wie noͤthig es ſey, daß Prediger und ſonderlich Hoffprediger in gutem Anſehen bey der hohen Landes-Obrigkeit ſind, und ſie dan - nenhero ſich in allem ſo aufzufuͤhren ha - ben, damit ſie ihr Anſehen nicht ſelbſt ſchwaͤchen, oder auf einige Art und Wei - ſe verletzen. Sollte es aber auch gleich geſchehen, daß eine Obrigkeit ſich nicht fuͤr GOtt fuͤrchten ſollte, ſo wird doch dadurch der Eyd, damit ſie die Grund-Geſetze des Staates beſchworen hat, deßwegen noch nicht kraffrloß, ſondern er behaͤlt dennoch einige Krafft zu verbinden. Nehmlich da aus der Erfahrung bekand iſt, auch nach dieſem weiter ausgefuͤhret werden ſol, daß kein Staat ohne Buͤndniſſe mit andern benachtbahrten beſtehen kan, ja auch uͤber - haupt einem Staate vortraͤglich iſt, wenn er mit den Benachtbahrten in gutem Ver - nehmen ſtehet und ſie ſich zu ihm nichts wiedriges verſehen; ſo ſchadet ſich die Landes-Obrigkeit gar ſehr, wenn ſie den Eyd nicht haͤlt, den ſie bey Antretung ihrer Regierung geſchworen, und wieder die Grund-Geſetze des Staates handelt. Denn auswertige erkennen, daß ihr nicht zutrauen iſt, wenn ſie gleich etwas ver - ſprochen, und werden daher ſich nicht ger - ne mit ihnen in Buͤndniſſe einlaſſen, nochauch465und Gewalt der Obrigkeit. auch auf die mit ihnen getroffene Buͤnd - niſſe verlaſſen: vielweniger werden ſie ver - meinen fuͤr ihnen ſicher zu ſeyn. Hieraus aber entſpinnen ſich nach und nach allerhand Feindſeeligkeiten zum Schaden deſſen, der dergleichen Mißtrauen wieder ſich erreget. Zugeſchweigen daß ſelbſt die Unterthanen der Obrigkeit im Hertzen nicht gut ſind, ob ſie es zwar aͤuſſerlich aus Furcht nicht doͤrf - fen mercken laſſen, und daher leicht zu in - nerlicher Unruhe und Empoͤrung wieder die Landes-Obrigkeit zu bringen ſind, wenn ſie nur einen Anfuͤhrer bekommen; auch ſich ohne vieles Bedencken zu dem Feinde ſchlagen, wenn er ins Land kommet. Wer dieſe gefaͤhrliche Folgerungen einſiehet, wird auch dadurch ſich abſchrecken laſſen, wenn er gleich fuͤr GOtt ſich nicht fuͤrchten ſoll - te. Allein weil hierzu Vernunfft erfordert wird (§. 368. Met.), nicht aber jederzeit Landes-Obrigkeiten in einem ſolchen Gra - de dieſelbe beſitzen, als dazu noͤthig iſt, o - der auch ſich durch wiedrige Affecten hinreiſ - ſen laſſen wieder die Grund-Geſetze zu han - deln (§. 490. Met.), und der Vernunfft nicht Gehoͤre zu geben; ſo kan man in dem - ſelben Falle, wo keine innerliche Vorſtel - lungen etwas fruchten, keine andere Ver - bindlichkeit als aͤuſſerlichen Zwang gebrau - chen: welches nicht anders als durch Ein - ſchraͤnckung der Macht geſchehen kan, wo -(Politik.) G gvon466Cap. 5. Von der Machtvon nach dieſem umbſtaͤndlich ſol geredet werden.

Wie die Gewalt der Lan - des-O - brigkeit einge - ſchraͤncket wird.
1

§. 440.

Weil die Grund-Geſetze eines Staats dahin gehen, daß die Landes-O - brigkeit nicht ſchlechter Dinges befehlen darf, noch thun, was ihr gefaͤllet (§. 439.); ſo wird dadurch ihre Gewalt eingeſchraͤn - cket (§. 435), und hat daher bloß Recht zu thun und zu befehlen, was ihnen gemaͤß iſt. Es koͤnnen aber dieſe Geſetze entwe - der determiniren, was in dieſem oder je - nem Falle geſchehen ſol; oder die Landes - Obrigkeit kan dadurch bloß an andere (wel - che man die Staͤnde zu nenne pfleget) ge - wieſen werden, denenſelben vorzutragen, was ſie in dieſem oder jenem Falle vor noͤ - thig befindet, und nach dieſem zu vollfuͤh - ren, was ſie fuͤr gut befinden werden. Da - mit nun aber die Staͤnde wiſſen, wenn ſie zuſammen kommen ſollen, auch zuſam - men kommen, wenn es geſchehen ſol; ſo muß die Landes-Obrigkeit Gewalt haben einen Land-Tag auszuſchreiben und die Staͤnde zu beruffen. Und weil bey einem jeden Befehle auch eine Verbindlichkeit ſeyn muß, indem Befehlen vor die lange Weile iſt, wenn der andere nach erhalte - nem Befehle die Freyheit behaͤlt zu thun und zu laſſen, was er wil; ſo muß gleich durch die Grund-Geſetze des Staates aus - gemacht werden, daß davor gehalten wird,der -467und Gewalt der Obrigkeit. derjenige willige ein, der nicht erſcheinet / und doch kein unumbgaͤngliches Hindernis anzugeben weiß. Es iſt wohl wahr, daß man bloß ſetzen kan: wer nicht zugegen ſey, der ſolle ſein Recht etwas dagegen zu ſagen verlieren, und alſo anzuſehen ſeyn, als wenn er nicht mit unter die Staͤnde gehoͤ - rete, und man nach ſeiner Einwilligung nicht zufragen haͤtte. Allein da die Staͤn - de in denen Dingen, die ihnen nicht anſte - hen, der Landes-Obrigkeit entgegen ſeyn koͤnnen, (wo nemlich dergleichen Regi - ments-Forme einmahl eingefuͤhret) und doch es allzeit nach den meiſten gehen muß, wenn man fraget, was geſchehen ſol, indem ein jeder ſo viel Recht vor ſich hat als der an - dere, und gleichwohl es nicht jederzeit da - hin zu bringen iſt, daß alle insgeſamt mit einander einig ſind: ſo iſt die Abweſenheit vieler in den meiſten Faͤllen den Staͤnden nachtheiliger, wenn man die Abweſenden mit zu denen ſchlaͤget, die einwilligen, als wenn man ſie gar uͤbergehet. Und dem - nach iſt es ein kraͤfftigeres Mittel ſie zuver - binden, daß ſie kommen, wenn man das erſtere fuͤr dem andern erwehlet. Es koͤn - nen uͤber dieſes die Grund-Geſetze eines Staates einige Sachen gar ausnehmen, darinnen die Landes-Obrigkeit keine Ge - walt haben ſoll zu befehlen, und, wenn darinnen etwas zu veranſtallten iſt, es denG g 2Staͤn -468Cap. 5. Von der MachtStaͤnden vorbehalten, oder auch anderen Perſonen, denen aus beſonderen Urſachen dieſes zu beſorgen aufgetragen wird, als wenn man z. E. das Kirchen-Regiment ei - ner beſonderen Geiſtlichen Obrigkeit uͤber - giebet und von dem Weltlichen abſonde - ret. Weil man aber nicht vor die lange Weile die Gewalt der Obrigkeit einſchraͤn - cken ſol, indem alles, was man im gemei - nen Weſen vornimmet, in der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit muß gegruͤndet ſeyn (§. 215); ſo muß ſolches bloß in ſol - chen Faͤllen geſchehen, wo man vermuthet, daß ſie ihre Gewalt leicht misbrauchen koͤn - te, das iſt, befehlen, was der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit zu wieder iſt, und abſonderlich in denen Faͤllen, wo durch den Misbrauch der Gewalt groſſer Scha - de geſchiehet.

Wer ſou - vrain iſt.
1

§. 441.

Eine gantz uneingeſchraͤnckte Ge - walt wird die hoͤchſte Gewalt, oder Sou - vr aineté genennet und, wer dieſe beſitzet, eine Souvrainer Herr / oder ein Herr, uͤber den niemand als GOtt zu gebieten hat. Derowegen da in der Monarchie ein Mo - narche eine unumbſchraͤnckte Gewalt hat (§. 436); ſo hat ein Monarche die hoͤchſte Ge - walt und iſt ſouvrain. Jngleichen weil in der Ariſtocratie diejenigen, welche herrſchen, gleichfals eine unumbſchraͤnckte Gewalt be - ſitzen (§. 436.), ſo haben auch ſie die hoͤchſteGe -469und Gewalt der Obrigkeit. Gewalt und ſind ſouvrain. Unterdeſſen da im gemeinen Weſen doch nichts darf befohlen werden, als was die gemeine Wohlfahrt befoͤrdert und die gemeine Si - cherheit erhaͤlt (§. 215); ſo bleibet doch auch die hoͤchſte Gewalt von der Natur, fol - gends von GOtt (§. 29. Mor.) einge - ſchraͤncket. Und alſo haben alle Obrigkei - ten / auch die Allerhoͤchſten, das iſt, die - jenigen, welche die hoͤchſte Gewalt haben, doch noch GOtt uͤber ſich, nachdem ſie ſich richten muͤſſen. Derowegen ob gleich kein Menſch ſie zur Rede ſetzen kan, was ſie thun; ſo doͤrffen ſie doch nicht ſchlechter Dinges thun, was ſie geluͤſtet, ſondern ſie haben ſo wohl als diejenigen, welche eine eingeſchraͤnckte Gewalt beſitzen, allzeit auf die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit zu - ſehen, wo ſie nicht Tyrannen werden wol - len (§. 234).

§. 442.

Weil man im gemeinen WeſenGewalt zu ſtraf - fẽ u. uͤber Leben und Tod. die Unterthanen mit Straffen verbindet dasjenige zuthun, was man befiehlet (§. 341); ſo muß auch die Obrigkeit, welche Gewalt hat zu befehlen (§. 435.), auch Ge - walt haben Straffen zu ſetzen. Und da in einigen Faͤllen auch ſelbſt Lebens-Straffen geſetzet werden muͤſſen (§. 344); ſo hat die Obrigkeit, welche Gewalt hat dergleichen Straffen zu ſetzen, auch zugleich Gewalt uͤber Leben und Tod der Unterthanen. Un -G g 3ter -470Cap. 5. Von der Machtterdeſſen ſiehet man, daß dieſe Gewalt nicht weiter gehet, als in ſo weit es die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit erfordert einen wegen ſeines Verbrechens am Leben zuſtraf - fen (§. 215. 346). Keines weges aber hat die Obrigkeit, wenn ſie auch gleich die hoͤchſte Gewalt hat, Gewalt einen nach ihrem Gefallen umb bringen zu laſſen, aus was fuͤr Abſichten es auch immer geſche - hen mag.

Macht der O - brigkeit.
1

§. 443.

Wiederumb weil die Obrig - reit in dem Stande ſeyn muß die geſetzte Straffe an den Verbrechern zu vollſtrecken (§. 345), auch diejenigen, welche nicht gut - willig thun wollen, was ſie befiehlet, durch aͤuſſerlichen Zwang dazu zubringen (§. 342); ja uͤberhaupt alles auszufuͤhren, was ſie fuͤr die gemeine Wohlfahrt und Si - cherheit vortheilhafft befindet (§. 230. 232): ſo muß ſie auch Macht haben: denn die Macht iſt nichts anders als die Moͤg - lichkeit auszurichten, oder zu vollfuͤhren, was man beſchloſſen. Es hat eine Obrigkeit Macht, wenn es moͤglich iſt, daß ſie thun kan, was ſie wil, als diejenigen beſtraffen, denen ſie Straffe gedrohet; die belohnen, denen ſie Belohnungen verſprochen; diejenigen, welche nicht thun wollen, was ſie wil, zwingen, daß ſie es thun muͤſſen, und was dergleichen mehr iſt. Die Macht muß mit der Gewalt verge - ſellſchafftet werden, weil ſie dadurch erſtNach -471und Gewalt der Obrigkeit. Nachdruck bekommet, indem Gewalt ohne Macht nichts ausrichten kan.

§. 444.

Wenn die Obrigkeit in demWie die Obrig - keit machtig gemacht wird. Stande ſeyn ſol alles auszufuͤhren, was zu der gemeinen Wohlfahrt und Sicher - heit noͤthig iſt; ſo muß ſie keinen Mangel an Gelde haben. Und zu dem Ende muͤſ - ſen nicht allein ordentliche Einkuͤnffte zu dergleichen Ausgaben angewieſen werden, ſondern ſie muß auch Gewalt haben im Falle auſſerordentlicher Beduͤrffnis auſſer - ordentliche Gaben auszuſchreiben, ſoviel als zu der erfordertẽ Abſicht noͤthig iſt. Wie - derumb wenn ſie in dem Stande ſeyn ſol diejenigen zu zwingen, die nicht gutwillig thun wollen, was ſie ſollen; ſo muß ſie ſoviel Soldaten an der Hand haben, de - nen ſie nach ihrem Gefallen und Gutbe - finden befehlen kan, als dieſe Wiederſpen - ſtigen in Furcht zuhalten erfordert wird. Ja weil ſie alle Straffen, die auf die Verbrechen geſetzet ſind, an den Verbre - chern vollſtrecken, auch jedermann die Geſetze zu halten zwingen ſol, der ſie nicht gutwillig halten wil; ſo muß ſie die Ge - walt haben in denen Staͤdten, Doͤrffern und Flecken Richter und in gantzen Pro - vincien Regierungen oder Obergerichte zu - beſtellen und ſie mit gnungſamen Die - nern, die man bey der Huͤlffe und Voll - ſtreckung der Straffe (§. 341.) noͤthigG g 4hat472Cap. 5. Von der Machthat, verſehen. Weil nun an dieſe niede - re Obrigkeiten die Unterthanen jedes Or - tes gewieſen ſind, und ſie ſoviel Gewalt und Macht von der hohen Landes-Obrig - keit haben, als hierzu erfordet wird, daß ſie im Zaume gehalten werden, ſo muͤſſen hingegen ſie von der hohen Landes-Obrig - keit, gantz und gar dependiren, dergeſtalt daß ſie Gewalt und Macht hat ſie nach Befinden abzuſetzen, wie einzuſetzen. Und auf eine gleiche Weiſe muͤſſen alle uͤbrige Bedienungen, die von einer Wichtigkeit ſind, unmittelbahr von der hohen Landes - Obrigkeit; die geringeren aber von den un - ter ihr ſtehenden Obrigkeitlichen Perſonen in ihrem Nahmen in jedem Orte vergeben werden. Denn ſolchergeſtalt muß ein je - der erkennen, daß die hohe Landes-Obrig - keit ſein Gluͤck in ſeinen Haͤnden hat und dadurch wird er verbunden (§. 8. Mor.) ihr Gehorſam zuleiſten, auch nichts vorzu - nehmen, als was ihr gefaͤllig iſt. Und dem - nach beſtehet die Macht der Landes-Obrig - keit theils in dem Gelde, theils in Solda - ten, theils in der Gewalt Richter an allen Orten zu beſtellen, und alle Bedienungen entweder unmittelbahr, oder durch andere zuvergeben.

Mittel ihre Macht einzu - ſchraͤn - cken.
1

§. 445.

Weil die Gewalt der Obrigkeit, welche nicht die hoͤchſte Gewalt hat, einge - ſchraͤncket werden ſol (§. 441) und zwarin473und Gewalt der Obrigkeit. in ſolchen Faͤllen, wo man vermuthen kan, daß ſie ihre Gewalt leicht mißbrauchen werde und durch den Mißbrauch groſſer Schade entſtehen kan (§. 442); die Ge - walt aber Auflagen zu machen und die Un - terthanen mit Gaben zubeſchweeren gar leicht gemißbrauchet werden mag, indem eine Landes-Obrigkeit zu ihren beſonderen Abſichten oͤffters viel Geld haben wil, da doch die Unterthanen eigentlich nur ver - bunden ſind die gemeine Nothdurfft zu uͤbertragen (§. 443): ſo muß auch die Ge - walt mit Auflagen und andern Gaben die Unterthanen zu beſchweeren nicht unumb - ſchraͤnckt gelaſſen werden. Es geſchiehet aber ſolches, wenn hierunter nichts neues aufgebracht werden darf ohne Vorwiſſen und Einwilligung der Staͤnde, auch die Groͤſſe der Auflagen von ihnen determi - niret wird, damit die Beſchweerden nicht ohne Noth vergroͤſſert werden. Da man ohne Geld nichts anfangen, noch ausfuͤh - ren kan; ſo begreiffet ein jeder, wie gar ſehr hierdurch die Macht eingeſchraͤncket wird.

§. 446.

Damit aber auch die ordent -Noth - wendig - keit des Schatz - meiſteus. lichen Gaben dazu angewendet werden, wozu ſie ſollen; ſo iſt gut, wenn nach dem Exempel der alten Sineſer durch die Grund. Geſetze des Staates alle Ausgaben de - terminiret, und ein Schatzmeiſter be -G g 5ſtellet474Cap. 5. Von der Machtſtellet wird, der alle Gelder in Empffang nimmet und an gehoͤrigen Ort zu rechter Zeit zahlet. Und muß die Caſſe der or - dentlichen Einnahme, die zu ordentlichen Ausgaben gewiedmet iſt, von der anderen Caſſe der auſſerordentlichen Einnahme, die man zu auſſerordentlichen Ausgaben wied - met, unterſchieden bleiben.

Noth - wendig - keit des Feldher - rens / und fernere Mittel die Macht einzu - ſchraͤn - cken.
1

§. 447.

Die Macht der Landes-Obrig - keit beſtehet auch in den Soldaten (§. 444). Wo nun die hohe Landes-Obrigkeit nicht die hoͤchſte Gewalt hat, da muß ihr auch nicht die gantze Armee gantz frey in ihren Haͤnden gelaſſen werden; ſondern es iſt ein Feldherr noͤthig, an den die Solda - ten gewieſen ſind, dieſer aber ſtehet doch unter der hohen Landes-Obrigkeit und wird uͤbrigens in den Grund-Geſetzen des Staates verſehen, wie weit die Armee ge - brauchet werdenſol. Wollte nun der Landes - Herr, oder, wo viele herrſchen, die Lands-O - brigkeit dem Feldherrn befehlen, was den Grund-Geſetzen des Staates zuwieder iſt; ſo iſt er nicht ſchuldig Gehorſam zu leiſten. Und da er die Macht in Haͤnden hat, kan ihn niemand zwingen. Jch rede hier von ſolchen Staaten, wo kein Sou - vraines Oberhaupt iſt: Denn da dieſes eine gantz umumbſchraͤnckte Gewalt beſi - tzet (§. 441); ſo hat es auch keiner Ein - ſchraͤnckungen ſeiner Macht noͤthig. Nem -lich475und Gewale der Obrigkeit. lich weil Gewalt ohne Macht nichts iſt: ſo muß auch jederzeit die Macht ſo weit gehen, als die Gewalt gehet. Derowegen wo die Gewalt eingeſchraͤncket wird, muß auch die Macht eingeſchraͤncket werden. Haͤtte einer die Macht und koͤnnte es zwingen, ſo wuͤrde er doch thun, was er wollte, und nach den Grund-Geſetzen des Staates wenig fragen. Was huͤlffe es nun, daß man ihm nicht die hoͤchſte Gewalt haͤtte einraͤumen wollen? Es geſchaͤhe im letz - tern Falle eben dieſes, was in dem erſten geſchehen wuͤrde. Nur dienete es dazu, daß die Staͤnde und uͤbrige Unterthanen mehr Urſache zu klagen haͤtten, und da - durch ihnen ſelbſt mehr Unruhe in ihrem Gemuͤthe machten. Wenn die hohe Lan - des-Obrigkeit kein Geld bekommen kan ohne Einwilligung der Staͤnde, auch die Armee nicht zu ihrem voͤlligen Gefallen hat; ſo kan ſie auch vor ſich allein keinen Krieg anfangen und dadurch das Land in Unruhe und Unſicherheit ſetzen, oder auch gar in das gaͤntzliche Verderben ſtuͤrtzen. Und dannenhero iſt die Gewalt Kriege anzufangen und Friede zu machen dadurch zugleich eingeſchraͤncket, und brauchet man hierzu keine andere Mittel.

§. 448.

Endlich damit auch nicht dieRecht zu denomi - niren. Aembter mit untuͤchtigen Leuten zum Ver - derben des Landes beſetzet werden; ſo iſtin476Cap. 5. Von der Machtdenen Collegiis die Freyheit zu erthei - len gewiſſe Perſonen, von deren Tuͤchtigkeit ſie genungſame Proben haben, dazu vorzu - ſchlagen, aus welchen nach dieſem die ho - he Landes-Obrigkeit nach ihrem Gefallen einen erwehlet. Wo niemand vorgeſchla - gen wird, ſondern ein jeglicher lauffet vor ſich und bemuͤhet ſich einen Patron zu er - halten, durch den er befoͤrdert wird; ſo ge - het es gemeiniglich nur bloß nach Gunſt und werden oͤffters die geſchickteſten Leute nachgeſetzet, hingegen die ungeſchickteſten tragen die Befoͤrderung davon. Weil nun die untuͤchtigen nicht geſchickt ſind das gemeine Beſte, wie ſie ſollen, zu befoͤrdern; ſo leidet darunter die gemeine Wohlfahrt. Derowegen iſt ſonderlich noͤthig, daß in ſolchen Bedienungen darauf geſehen wird, wo man viel verſehen kan, wo untuͤchtige dazu gezogen werden. Dieſe Freyheit ge - wiſſe Perſonen zu den Aembtern vorzu - ſchlagen, pfleget man das Recht zu de - nominiren zu nennen. Man ſiehet dem - nach aus dem, was jetzt geſaget worden, daß dieſes Recht wohl gegruͤndet iſt.

Ob Ein - ſchraͤn - ckung der Macht und Ge - walt das Anſehen der Lan - des-O -
1

§. 449.

Aus dieſer Einſchraͤnckung der Macht und Gewalt erwaͤchſet der hohen Landes-Obrigkeit kein Nachtheil und kan ihr Anſehen keines weges vergeringern. Denn wenn ſie vernuͤnfftig iſt, ſchraͤncket ſie ihre Macht und Gewalt ſelbſt auf ei - ne ſolche Weiſe ein, daß dadurch nichtsnach -477und Gewalt der Obrigkeit. nach theiliges fuͤr die gemeine Wohlfahrtbrigkeit vergerin - gert. und Sicherheit erfolgen kan (§. 202), und alſo iſt ihr dieſe Verfaſſung in keinem Stuͤcke zuwieder. GOTT, der hoͤchſte Monarche, der die allerhoͤchſte Macht und Gewalt hat (§. 1025. Met.), handelt nicht bloß nach ſeiner Allmacht (§. 1023. Met.), ſondern auch nach ſeiner Weisheit (§. 1041. Met.) und die Weisheit ſetzet ſeiner All - macht freywillig Schrancken, daß er nicht thun will, was er nicht fuͤr gut befindet, ob er es gleich thun koͤnnte. Wie nun ihm dieſes nicht zum Nachtheile, ſondern vielmehr zu ſeinem groſſen Ruhme gerei - chet, daß er nicht thut, was er kan, ſondern was ſeiner Weisheit gemaͤß iſt; alſo kan auch dieſes keiner hohen Obrigkeit zum Nachtheil gereichen, daß ihre Macht und Gewalt durch die Weisheit eingeſchraͤn - cket wird, damit die gemeine Wohlfahrt, die ſie einzig und allein fuͤr Augen hat, am wenigſten Gefahr lauffet. Vielmehr iſt dieſes ein Mittel ihr Anſehen bey den Un - terthanen zu erhalten, indem ſie in wie - drigen Faͤllen, da ſie nicht koͤnnen geſcho - net werden, die Schuld nicht auf ſich ha - ben, ſondern vielmehr auf denen ruhen laſſen, die mit einwilligen muͤſſen. Z. E. Wenn außerordentliche Auflagen gemacht werden, ſind insgemein die Unterthanen ſehr empfindlich daruͤber. Thut es dieLan -478Cap. 5. Von der MachtLandes-Obrigkeit allein vor ſich, ſo mei - net jedermann, es geſchehe ihm zuviel. Hin - gegen wenn es auch die Staͤnde gut befun - den; ſo halten es zugleich die Unterthanen insgeſammt fuͤr gut, oder, woferne ſie es als eine Beſchweerde anſehen, werffen ſie die Schuld mehr auf die Staͤnde, als auf den Landes-Herrn, wo die Staͤnde etwas zu ſprechen haben. Bey Auswaͤrtigen dependiret das Anſehen der Landes-O - brigkeit nicht davon, ob ihre Macht und Gewalt uneingeſchraͤnckt iſt, oder nicht, ſon - dern vielmehr von der Groͤſſe der Macht. Wer viel Geld und Volck zuſammen bringen kan, wenn es die Noth erfordert, der hat das groͤſte Anſehen. Nemlich bey Auswaͤrtigen ſtehen der Landes-Herr und das Land zuſammen fuͤr eines, und iſt dem - nach gleich viel, ob jener alle Macht und Gewalt allein hat, oder ob davon etwas dem Lande zugehoͤret. Es ſtimmet auch die Erfahrung mit uͤberein. Wer darauf acht hat, wird es finden, und iſt keines - weges noͤthig, daß ich auf Exempel gehe.

Noͤthige Erinne - rung.
1

§. 450.

Damit aber dasjenige, was ich von der Einſchraͤnckung der Macht und Gewalt der hohen Obrigkeit beygebracht, nicht unrecht ausgeleget werde, ſo finde ich noch folgendes zu erinnern fuͤr noͤthig. Jch habe hier bloß erwieſen, auf wie vie - lerley Art und Weiſe ſich die Macht undGe -479und Gewalt der Obrigkeit. Gewalt einer hohen Landes-Obrigkeit ein - ſchraͤncken laͤſſet und aus was Urſachen ſolches geſchehe; keines weges aber behau - ptet, daß ſolches uͤberall geſchehen muͤſſe. Denn es iſt ja zur Gnuͤge klar, daß ſol - ches in der Monarchie und Ariſtocratie (§. 234. 235) nicht angehe, deren Moͤglich - keit ich gleichwohl (§. 247. 250) erwieſen. Und die Erfahrung ſtimmet auch mit - berein, daß dergleichen Mittel, die hier vorgeſchlagen, wuͤrcklich beliebet werden, ob wir zwar nicht alles bey einander in einem Staate, ſondern einige hier, die an - dern dort antreffen. Gleichwie ich nun aber keine Abſicht auf einen gewiſſen Staat habe, ſondern bloß uͤberhaupt be - ſchreibe, was zu vernuͤnfftiger Beurthei - lung aller Staate erfordert wird; ſo habe ich auch in dieſem Stuͤcke ſolches nicht - bergehen koͤnnen. Auch will ich jetzt nicht die Frage ausmachen, ob es beſſer ſey, daß Macht und Gewalt der hohen Obrig - keit unumbſchraͤncket verbleibe, oder nicht: denn das letztere hat ſowohl einige Gruͤn - de vor ſich, als das erſtere. Beyde aber gegen einander zu halten und zu zeigen, welche unter ihnen die anderen uͤberwie - gen, iſt meinem gegenwaͤrtigen Zwecke nicht gemaͤß, als welcher dergleichen Weitlaͤufftigkeiten keines weges leidet.

§. 551.480Cap. 5. Von der Macht
Jn jedem gemeinen Weſen iſt die Ge - walt und Macht unumb - ſchraͤnckt.
1

§. 451.

Unerachtet aber in einem gemei - nen Weſen die Macht und Gewalt der ho - hen Obrigkeit eingeſchraͤncket wird; ſo iſt doch dieſe Macht und Gewalt in Anſehung des gantzen gemeinen Weſens unumb - ſchraͤncket: denn was in einem gemeinen Weſen von der hohen Obrigkeit mit Ein - willigung derer, welche vermoͤge der Re - gierungs-Forme darein zu willigen haben, und mit ihr zuſammen das gantze gemei - ne Weſen vorſtellen, beſchloſſen wird, dar - wieder hat niemand auf Erden Recht et - was zu ſagen, und niemand hat Recht zu verhindern, daß es nicht geſchehe, wenn er es nicht als eine Beleidigung ſeiner an - zuſehen hat. Nemlich jedes gemeines We - ſen hat ſeine Macht und Gewalt vor ſich, und kein Auswaͤrtiger hat etwas darein zu ſagen, wenn ihm nicht durch deſſen Ge - brauch zunahe getreten wird. Denn ein gantzes gemeines Weſen wird wie eine Perſon angeſehen und viele verhalten ſich gegen einander wie verſchiedene einzele Perſonen (§. 220). Gleichwie nun ein je - der Menſch eine unumbſchraͤnckte Gewalt und Macht hat ſein Beſtes zu befoͤrdern (§. 12. Mor.) und ihm niemand ſich zu wiederſetzen Recht hat, als wenn er ſeine Macht ihm zu ſchaden misbrauchen wil (§. 832. Mor.): eben ſo hat ein jedes gemei - nes Weſen ſeine Macht und Gewalt dasgemei -481und Gewalt der Obrigkeit. gemeine Beſte zu befoͤrdern gantz unumb - ſchraͤnckt, und kan niemand anderes mit Recht ſich dagegen auflegen, ſo lange er nicht Schaden abzuwenden verbunden iſt (§. 832. 833. Mor.).

§. 452.

Die unumbſchraͤnckte MachtWas die Majeſtaͤr iſt und wo ſie an - zutreffen. und Gewalt die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit zu befoͤrdern wird die Maje - ſtaͤt genennet. Da nun in der Monarchie dieſelbe bey einem (§. 234), in der Ariſtocra - tie bey einigen (§. 235), in der Politie bey der gantzen Gemeine anzutreffen; ſo iſt die Majeſtaͤt in der Monarchie bey einem, in der Ariſtocratie bey einigen, in der Poli - tie bey der gantzen Gemeine, folgends in der Ariſtocratie und Politie getheilet. Jn den vermiſchten Regierungs-Formen iſt ſie gleichfalls nicht gantz bey einem, ſondern auf verſchiedene Art getheilet. Jedoch wenn die vermiſchte Regierungs-Forme et - was von der Monarchie hat, daß man nemlich ein einiges Ober-Haupt erwehlet; ſo kan doch der groͤſte Theil der Majeſtaͤt bey einem ſeyn.

§. 453.

Wenn die Majeſtaͤt entwederWas ein Koͤnig iſt. gantz, oder doch groͤſten theils bey einer Perſon iſt; ſo nennet man ſie einen Koͤ - nig. Und dannenhero werden Koͤnige Ma - jeſtaͤten genennet. Jedoch gehet es hier, wie mit anderen Woͤrtern, daß die Unbe - ſtaͤndigkeit im Reden die Bedeutung des(Politik.) H hWorts482Cap. 5. Von der MachtWorts unterweilen in etwas aͤndert. Denn es kommet nach dieſem unter den Voͤlckern auch darauf an, ob derjenige, der in der That ein Koͤnig iſt, auch von andern daͤ - vor erkandt wird, und es kan auch wohl geſchehen, daß man einen fuͤr einen Koͤnig erkennet, der es doch nicht iſt, weil er nur einen kleinen Theil von der Majeſtaͤt be - ſitzet.

Warumb wo viele herrſchen - der Nah - me Koͤnig und Ma - jeſtaͤt nicht ſtat findet.
1

§. 454.

Wenn die Majeſtaͤt unter viele getheilet iſt, ſo ſind alle zuſammen, bey de - nen ſie ſtehet, ſo viel als ein Koͤnig, keiner aber unter ihnen allein iſt ein Koͤnig, und daher kan man ſie auch weder Koͤnige, noch Majeſtaͤten nennen, indem man nicht ei - nem allein beylegen kan, wovon ihm nur ein Theil gehoͤret. Eben ſo ſiehet man, daß in einer Politic, wo die Majeſtaͤt bey der gantzen Gemeine ſtehet (§. 452), die gantze Gemeine als wie ein Koͤnig anzuſehen.

Was ein Koͤnig - reich iſt.
1

§. 455.

Die Lande, wo entweder die gantze, oder doch der groͤſte Theil der Macht bey einem iſt, wird ein Koͤnigreich ge - nennet. Andere Laͤnder haben verſchiedene andere Nahmen, wobey es viel auf die Ge - wohnheit zu reden mit ankommet, bey wel - cher oͤffters die Einbildung die Oberhand hat. Derowegen da wir hier bloß dasje - nige unterſuchen, was in der Vernunfft, nicht aber in den Einbildungen der Men - ſchen gegruͤndet iſt; ſo wollen wir uns auchvor483und Gewalt der Obrigkeit. or dieſes mahl umb die uͤbrigen Nahmen nbekuͤmmert laſſen.

§. 456.

Jn einer jeden Regierungs -Jn jedem Staate iſt einer - ley Ge - walt. Forme, ſie mag Nahmen haben, wie ſie wil, ſoll alles dasjenige geſchehen, was die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit er - fordert; hingegen unterlaſſen werden, was jene hindert und dieſer zu wieder iſt (§. 215). Da nun uͤberall diejenigen, welche beur - theilen muͤſſen, was der gemeinen Wohl - fahrt und Sicherheit zu traͤglich iſt, Frey - heit haben muͤſſen zu befehlen und zu thun, was ſie von dieſer Beſchaffenheit zu ſeyn erachten; ſo iſt in jeder Regierungs-For - me ſo viel Freyheit zu befehlen und zu thun, als in der anderen. Derowegen weil die Freyheit zu befehlen oder uͤberhaupt etwas zu thun die Gewalt iſt (§. 435); ſo iſt in ei - ner Regierungs-Forme ſo viel Gewalt als in der anderen. Nemlich ein gemeines Weſen hat ſo viel Gewalt als wie das an - dere, denn uͤberall wird ſie, wie aus jetzt gefuͤhrtem Beweiſe erhellet, durch die Noth - wendigkeit deſſen, was die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit erfordert, determi - niret, und gehet demnach ſo weit, als die Nothwendigkeit der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit. Es iſt wohl wahr, daß man in einem kleinen Staate nicht ſo vie - len zu befehlen hat, als wie in einem groſ - ſen: allein dieſes machet die Gewalt nichtH h 2klei -484Cap. 5. Von der Machtkleiner, noch groͤſſer. Denn da die Ge - walt nichts anders als die Freyheit zu be - fehlen iſt (§. 435), der aber, welcher vielen befiehlet, nicht mehr Freyheit zu befehlen hat, als der andere, ſo wenigen befiehlet; ſo hat auch derjenige, welcher wenigen be - fiehlet, eben die Gewalt, ſo der andere hat, welcher vielen befiehlet. Und auf ſol - che Weiſe bleibet in einem kleinen Staate ſo viel Gewalt, als in einem groſſen.

Ob ein Koͤnig ſo viel Ge - walt hat als ein anderer.
1

§. 457.

Weil in einem jeden Staate ſo viel Gewalt iſt, als in dem andern (§. 456), in einem Koͤnigreiche aber entweder die gantze, oder doch der groͤſte Theil der Gewalt bey dem Koͤnige ſtehet (§. 453. 455. ), ja in Anſehung auswaͤrtiger Staate es gleich viel iſt, ob der Koͤnig alle Gewalt, oder nur den groͤſten Theil derſelben hat; ſo hat auch ein Koͤnig in Anſehung aus - waͤrtiger Staaten ſo viel Gewalt als der andere, ob er gleich in Anſehung des Staa - tes, den er regieret, das iſt, ſeines Koͤnig - reiches nicht ſoviel Gewalt hat als der ande - re, der gantz ſouvrain iſt (§. 441). Aus - wertigen iſt nichts daran gelegen, ob ein Koͤnig ohne Einwilligung der Staͤnde et - was thun, und befehlen kan, oder ob er es mit Einwilligung der Staͤnde thut. Es iſt genung, daß es geſchehen kan. Z. E. Wenn ein Koͤnig ohne Einwilligung der Staͤnde keinen Krieg anfangen darf; ſogewin -485und Gewalt der Obrigkeit. gewinnen dadurch die benachbarte Staate nichts, daß er mit ihnen den Krieg auf vor - hergehende Einwilligung der Staͤnde ange - fangen. Wollte man gleich ſagen, daß benachbahrte Staate die Staͤnde beſtechen koͤnnten, damit ſie nicht in den Krieg wil - ligten; ſo iſt eben dieſes zu beſorgen, wo der Koͤnig ohne Einwilligung der Staͤnde Kriege anfangen darf. Denn er hat doch ſeine Raͤthe, mit denen er die Sache uͤber - leget, und dieſe koͤnnen noch leichter, als die Staͤnde beſtochen werden, weil oͤffters nur einer iſt, der bey einem Herrn viel zu ſagen hat, dahingegen einer von den Staͤn - den ſo viel zu ſprechen hat, als der andere, auch es hierauf die Anzahl derer, die mit einander einig ſind, lediglich ankommet (§. 440).

§. 458.

Was nun ferner die Macht an -Wie die Staate und Koͤ - nige der Macht nach un - terſchie - den. belanget, ſo iſt hier gar ein mercklicher Un - terſcheid in verſchiedenen Staaten. Denn da die Macht in dem Gelde, in der Armee, die man halten kan, und in Vergebung der Bedienungen hauptſaͤchlich beſtehet (§. 444), in einem reichen und bevoͤlckerten Staate mehr Geld vorhanden als in einem armen, und zugleich eine groͤſſere Armee unterhalten werden kan, als wo es an Geld und Volcke fehlet, uͤber dieſes in einem rei - chen und bevoͤlckerten Staate die Bedie - nungen wichtiger ſind, als in einem andernH h 3wo486Cap. 5. Von der Machtwo es an Gelde und Unterthanen fehlet: ſo iſt auch die Macht in einem reichen und bevoͤlckerten Staate groͤſſer als in einem geringern. Da nun die Macht in einem Koͤnigreiche entweder allein, oder doch groͤ - ſten Theils bey einem Koͤnige ſtehet (§. 453.), auch in Anſehung auswaͤrtiger es einerley iſt, ob ſie der Koͤnig gantz alleine hat, oder noch andere in dem Staate et - was davon theilhafftig werden; ſo hat ein Koͤnig in einem reichen und bevoͤlckerten Staate mehr Macht als einer in einem duͤrfftigen und wo wenige Unterthanen ſind. Und ſolchergeſtalt ſind ſowohl die Koͤnige als auch die Staate der Macht nach von einander unterſchieden, und, wo ein Staat und in demſelben ein Koͤnig maͤchtig ſeyn ſol, da muͤſſen viele und reiche Untertha - nen ſeyn. Man ſiehet aber auch leicht, welcher Theil der Macht der andern vor - zuziehen ſey. Nemlich Reichthum uͤber - trifft die Anzahl der Unterthanen: denn wo Geld genung iſt eine Armee zu erhalten, da kan man im Falle der Noth leicht auswer - tige zu Soldaten bekommen; hingegen wenn gleich Mannſchafft genung im Lande iſt, die das Gewehr ergreiffen kan, es feh - let aber an Gelde die Armee zu unterhal - ten, ſo kan einen die Menge der Untertha - nen wenig holffen. Wann alſo eines ſeh - len ſoll, ſo iſt es beſſer, wenn das letzterefehlet.487und Gewalt der Obrigkeit. fehlet. Hingegen begreiffet ein jeder vor ſich, daß es beſſer iſt, wenn es an keinem von beyden fehlet.

§. 459.

Die hohe Landes-Obrigkeit,Wie ein Staat maͤchtig zu ma - chen. welche einen Staat maͤchtig machen will, hat demnach davor zu ſorgen, daß die Un - terthanen ſich mehren, ſo viel als das Land nehren kan, und in dem Lande zugleich ſo viel Reichthum iſt, als nur immer moͤglich zu erhalten, das iſt, daß man viele und rei - che Unterthanen habe. Wer demnach die Unterthanen aus dem Lande jaget und ſie arm machet, der vergeringert die Macht des Staates und folgends verlieret auch endlich ein Koͤnig dadurch ſeine Macht. Und hieraus erhellet, daß alles dasjenige unter die Mittel einen Staat maͤchtig zu machen gehoͤret, was zu ſeiner Bevoͤlcke - rung und ſeinem Reichthume etwas bey - traͤget. Und alſo ſollen diejenigen, welche den Landes-Herren maͤchtig machen wol - len, darauf bedacht ſeyn, wie ſie den Staat bevoͤlckern und die Unterthanen be - reichern.

§. 460.

Da nun hauptſaͤchlich die MachtWoher das Anſe hen eines Staates kommen. einen Staat und Koͤnig in Anſehen brin - get, maſſen andere nicht allein fuͤr ihm ſich zu fuͤrchten haben, wenn ſie ihn zum Fein - de haben, ſondern auch in vielen Faͤllen ſich uͤber ſeine Huͤlffe erfreuen koͤnnen, wofer - ne ſie deſſelben Freundſchafft genieſſen; dieMacht488Cap. 5. Von der MachtMacht aber eines Staates in vielen und reichen Unterthanen beſtehet: ſo hat auch ein Staat und das Oberhaupt in demſel - den ein groſſes Anſehen bey Auswaͤrtigen, wenn viele und reiche, und hauptſaͤchlich, wenn reiche Jnnwohner darinnen ſind; hingegen wird ein Staat geringe geſchaͤ - tzet, der wenige und duͤrfftige, oder auch viele und duͤrfftige Jnnwohner hat. Wer demnach einen Staat bevoͤlckert und be - reichert, der bringet ihn und den Landes - Herrn bey auswaͤrtigen in Anſehen.

Wer die Majeſtaͤt beleidi - get.
1

§. 461.

Die Majeſtaͤt beſtehet in der Macht und Gewalt eines Staates, ſie mag entweder bey dem Staate allein verbleiben, oder der Obrigkeit gantz, oder zum Theil uͤbergeben werden (§. 452). Wer dem - nach wieder dieſe Macht und Gewalt etwas unternimmet, der handelt wie - der die Majeſtaͤt und folgends, da er hier - unter ſeiner Pflicht zuwieder handelt (§. 221. Mor.), indem er der Obrigkeit unter - than ſeyn ſol, weil ſie Gewalt (§. 435), und daher auch Macht (§. 443) uͤber ihn hat, wird die Majeſtaͤt von ihm beleidi - get (§. 817. Mor.). Da nun ein Koͤnig eben dadurch ein Koͤnig iſt, weil er die Majeſtaͤt, das iſt die hoͤchſte Macht und Gewalt, entweder gantz, oder doch groͤ - ſten Theiles hat (§. 453); ſo wird ſeine Ma - jeſtaͤt beleidiget, wenn man etwas ſeinerMacht489und Gewalt der Obrigkeit. Macht und Gewalt zum Nachtheil unter - nimmet, und alſo auch allzeit, wenn man ſeine Perſon beleidiget, als durch welche die Macht und Gewalt in einem Staate beſtehet und von der man die Majeſtaͤt nicht trennen kan, ſo lange ſie bey ihm verbleibet. Z. E. Wer die hohe Obrig - keit in einem Staate umbbringen wollte, der beraubet ſie ihrer Macht und Gewalt, weil im Tode alles aufhoͤret, und ſolcher Geſtalt handelt er der Majeſtaͤt zuwieder, ja dieſer Mord iſt die groͤſte Beleidigung der Majeſtaͤt. Hingegen wenn einer der - ſelben aus ihrem beſonderen Schatze von ihrem beſonderen Vermoͤgen etwas ent - wendet, derſelbe iſt anzuſehen als ein ver - wegener Dieb, nemlich als ein Dieb, weil er wieder des Eigenthums-Herrn Wiſſen und Willen etwas entwendet (§. 893. Mor.) und als ein verwegener Dieb, weil er ſo gar frey von aller Furcht der Straffe bey ſei - nem Diebſtahle iſt, da er doch den be - ſtiehlet, der Gewalt hat nach ſeinem Gut - befinden Straffen zu ſetzen und Macht die - ſelben zu vollſtrecken (§. 642. Mor.). Da nun aber (§. 452) in einem jeden Staate die Majeſtaͤt anzutreffen (denn wo dieſelbe nicht zu finden, da iſt in der That kein beſonderer Staat, ſondern nur ein Theil von einem anderen Staate); ſo wird in einem jeden Staate wieder die Ma -H h 5jeſtaͤt490Cap. 5. Von der Machtjeſtaͤt gehandelt, wo man wieder die hoͤch - ſte Macht und Gewalt etwas unternimmet. Und demnach findet die Beleidigung der Majeſtaͤt nicht allein in einem Staate Platz, wo nur einer herrſchet, ſondern - berhaupt in einem jeden, wo auch keine Perſon anzutreffen, der man den Nahmen der Majeſtaͤt beylegen koͤnnte (§. 454). Es iſt wohl freylich der Unterſcheid, daß in je - nem Falle die Majeſtaͤt in einem, im an - deren Falle aber in vielen beleidiget wird - allein dieſer Unterſcheid thut bey der Be - leidigung nichts und kan ſie weder groͤſſer noch kleiner machen.

Grade der Belei - digung der Ma - jeſtaͤt.
1

§. 462.

Unterdeſſen hat die Beleidigung der Majeſtaͤt aus anderen Urſachen ihre Grade und kan eine nicht ſo hoch als die andere angeſehen, und folgends auch nicht ſo ſchweer geſtraffet werden (§. 343.). Da - her man auch ſelbſt in einigen Faͤllen einen haͤrteren Nahmen erdacht und es nicht mehr Beleidigungen, ſondern Schaͤndungen der Majeſtaͤt, oder Majeſtaͤrs-Schaͤndun - gen, und die Verbrecher Majeſtaͤren - Schaͤnder nennet. Nemlich die Gewalt und Macht in einem Staate gehet auß vieles (§. 435. 444. ) und kan daher auf mehr als eine Weiſe dawieder gehandelt wer - den Allein auf alle Weiſe wird nicht gleicher Schade im gemeinen Weſen angerichtet, und daher haben auch alle dieſe Verbre -chen491und Gewalt der Obrigkeit. chen nicht einerley Groͤſſe, maßen man die Groͤße eines Verbrechens im gemeinen Weſen nicht anders als durch die Groͤße des Schadens, der dadurch angerichtet wird, aͤſtimiren kan, indem daſelbſt alles aus der gemeinen Wohlfahrt und Sicher - heit muß entſchieden werden (§. 215.). Da nun ein jeder alles thun ſol, was die ge - meine Wohlfahrt und Sicherheit erfor - dert, hingegen unterlaſſen, was ihr zuwie - der iſt (§. cit. ), ſo ſind die Handlungen, wodurch ſie befoͤrdert und erhalten wer - den, Pflichten im gemeinen Weſen (§. 221. Mor.). Wer demnach wieder die gemei - ne Wohlfahrt und Sicherheit etwas un - ternimmet, der handelt wieder die Pflich - ten gegen das gemeine Weſen, und ſol - chergeſtalt beleidiget er das gemeine We - ſen (§. 817. Mor.). Nun iſt alles Ubel, welches aus der Beleidigung entſpringet, ein Schaden (§. 824), und demnach kan man das Verbrechen im gemeinen Weſen nicht anders als aus dem Schaden, der dadurch angerichtet wird, aͤſtimiren.

§. 463.

Aus dem nun, was von derArten den Beleidi - gung der Majeſtaͤt. Beleidigung der Majeſtaͤt und ihren Gra - den (§. 461. 462) ausgefuͤhret worden, kan man ferner leicht ausmachen, in welchen Faͤllen die Majeſtaͤt beleidiget wird und ob ſie ſchweer beleidiget wird oder nicht. Die Obrigkeit hat. Freyheit zu befehlen,was492Cap. 5. Von der Machtwas die Unterthanen thun und laßen ſollen und alles zu thun, was zu Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit dien - lich erfunden wird (§. 435). Wenn nun jemand wieder dieſe Freyheit zu befehlen und wieder ihre Anſtalten etwas unterneh - men wollte, dadurch er zu verſtehen gaͤ - be, daß er ſich an dieſelbe nicht kehrete, o - der auch ihr dieſelbe nicht zugeſtuͤnde, als wenn er das oͤffentliche angeſchlagene Edict herunter riſſe und zerriſſe, der handelte wie - der die Gewalt des Landes-Herren und beleidigte ſolcher Geſtalt ſeine Majeſtaͤt (§. 461). Dieweil hierdurch ein gefaͤhrliches Exempel andern gegeben wird, ſo wird auch dadurch Schaden im gemeinen We - ſen geſtifftet, indem auf ſolche Weiſe nichts koͤnte zu ſtande gebracht werden, was die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit erfor - dert, woferne man die Gewalt der hohen Landes-Obrigkeit ſo freventlich beſchimpf - fen ließe. Nun iſt aber das Exempel gefaͤhr - licher, je groͤſſer die Verwegenheit desjeni - gen befunden wird, der den Frevel ausuͤ - bet, und alſo ſind verſchiedene Grade die - ſes Verbrechens (§. 462). Z. E. Wenn einer das Edict nicht bloß abreiſſet, ſon - dern auch in kleine Stuͤcke zerreiſſet; der begehet mehr Frevel als der andere, der es bloß herunter riſſe. Wer das Edict nicht bloß abreißet und in Stuͤcken zerreiſ -ſet,493und Gewalt der Obrigkeit. ſet, ſondern es gar mit Fuͤſſen tritt; der be - gehet mehr Frevel als der andere, der es bloß herunter reiſſet und in Stuͤcken zer - reiſſet. Wiederumb wer das Edict ab - reißet, zerreißet, in den Koth wirfft und mit Fuͤßen hinein tritt; der begehet mehr Frevel als ein anderer, der es bloß abreiſ - ſet, nach dieſem zerreißet und an dem Or - te, wo er ſtehet, hinwirfft und mit Fuͤßen tritt. Ja wer noch dazu unverantwortli - che Reden fuͤhret, der begehet einen groͤſ - ſern Frevel als derjenige, der es bey der That allein bewenden laͤßet. Da nun noch weit mehrere Grade bey dieſem Ver - brechen moͤglich ſind; ſo erkennet man hier - aus, wie viel Grade ein dergleichen Ver - brechen haben koͤnne. Und auf gleiche Weiſe verhaͤlt ſichs nicht allein in anderen Faͤllen der beleidigten Majeſtaͤt, ſondern uͤberhaupt in allen Verbrechen. Man ſie - het auch ohne mein Erinnern, daß man dergleichen Grade gleichfals im Guten ha - be. Wenn eine hohe Landes-Obrigkeit eine neue Auflage machte und zu deren Be - huff einige Bedienten ſetzte, man wollte a - ber die Bedienten ſchimpflich tractiren und wegjagen, oder auch wohl gar umb das Leben bringen, indem ſie ſich wehren wol - ten: ſo handelte man hier abermahls wie - der die Gewalt der hohen Obrigkeit und beleidiget dadurch die Majeſtaͤt (§. 435. 461). Die494Cap. 5. Von der MachtDie Umbſtaͤnde, dabey man ſich denen Bedienten wiederſetzet, machen abermahls verſchiedene Grade der Beleidigung. Je - doch iſt hier und in anderen dergleichen Faͤllen noch dieſes zu mercken, daß man bey Erwegung der Umbſtaͤnde hauptſaͤch - lich mit darauf zu ſehen hat, ob es einer aus Vorſatz gethan, oder ob er durch un - vermutheten Eiffer, zudem er durch andere, da er in der That begriffen geweſen, ge - bracht worden, dazu verleitet worden (§. 343). Wiederumb weil die oͤffentlichen Gelder zu der Macht des Staates und der hohen Landes-Obrigkeit gehoͤren (§. 443); ſo handelt einer wieder die Macht des Staates und der hohen Landes-Obrigkeit, wer mit Wiſſen oͤffentliche Gelder ſtiehlet, und alſo iſt der Diebſtahl oͤffentlicher Gel - der eine Art der Beleidigung der Majeſtaͤt (§. 461). Gleichwie nun aber ein jeder Diebſtahl Grade hat; ſo finden derglei - chen auch im gegenwaͤrtigen Falle ſtat, wel - che wir aber hier zu erzehlen fuͤr unnoͤthig achten. Weil der Landes-Herr Macht und Gewalt haben muß, auch deſſen Ge - brauch nicht gehindert werden darf, wo - ferne ſein hohes Ambt beſtehen und nicht fuͤr die lange Weile ſeyn ſol (§. 435. 443): ſo muß auch niemand ihn derſelben berau - ben, oder ihn in deren Gebrauch hindern wollen. Wer dergleichen ſich unterfaͤn -get,495und Gewalt der Obrigkeit. get, der beleidiget ſeine Majeſtaͤt (§. 461). Wer nun entweder die Unterthanen, oder auch auswaͤrtige Potentaten wieder ihn aufwiegelt, der ſuchet entweder ihn ſeiner Macht und Gewalt gaͤntzlich zu berauben, oder doch wenigſtens in deren Gebrauch Eintrag zu thun: denn ſonſt kan er keine andere Urſache haben, warumb er jeman - den wieder ihn aufzubringen ſuchte. Und demnach beleidiget er ſeine Majeſtaͤt. End - lich weil derjenige, der einen Laͤndes - Herren gar umb das Leben bringet, ihn der Landes-Herrlichen Macht und Gewalt dergeſtalt beraubet, daß er keine Hoffnung mehr uͤbrig behaͤlt, ſie wieder zu bekom - men; ſo iſt dieſes die groͤſte Beleidigung der Majeſtaͤt in der Perſon des Landes - Herrn. Da hingegen durch innerliche Un - ruhe und auswaͤrtige Kriege viel Geld ver - ſchwendet und viel Volck verderbet wird, auch bey vielen aller Erwerb lieget, wo - durch ſonſt entweder Geld ins Land kom - met, oder doch wenigſtens im Lande be - halten wird; ſo ſchadet beydes gar ſehr der Macht des Landes (§. 444.) und wird da - durch die Majeſtaͤt in Anſehung des gan - tzen gemeinen Weſens am meiſten gekraͤn - cket (§. 452).

§. 464.

Vielleicht werden einige auf dieEin Zweiffel wird be - nommen. Gedancken gerathen, daß man auf dieſe Weiſe viele Verbrechen zu Beleidigungender496Cap. 5. Von der Machtder Majeſtaͤt mache, die doch keines weges davor gehalten wuͤrden, auch unmoͤglich ſo koͤnnten beſtraffet werden, wie man das Verbrechen der beleidigten Majeſtaͤt zu beſtraffen pfleget. Allein hier iſt wohl zu mercken, daß wir dieſes Verbrechen nicht ſo abzuhandeln geſonnen, wie es etwan un - ter uns davor gehalten wird: denn ich ha - be mir keines Weges vorgenommen, die Beſchaffenheit unſerer Staate zu beſchrei - ben. Vielmehr da ich uͤberhaupt erklaͤre, was Vermoͤge der Vernunfft in einem Staate zu beobachten iſt, und alſo allge - meine Gruͤnde zeige, wodurch man alles, was in der Einrichtung eines jeden Staa - tes vorkommet, beurtheilen kan; ſo habe ich auch von dem Verbrechen der beleidigten Majeſtaͤt nicht nach der Einbildung und Ge - wohnheit einiger Voͤlcker, ſondern nach dem in der Natur der Sache gegruͤndeten Be - griffe gehandelt. Und muß man daraus urtheilen, wie weit die Gewohnheit ver - nuͤnfftig iſt. Weil demnach hier auch klei - nere Verbrechen zu den Beleidigungen der Majeſtaͤt gezogen werden, als etwan nach unſern Sitten ſich davor halten laſſen, die Straffen aber nach der Groͤſſe des Ver - brechens einzurichten ſind (§. 343): ſo fol - get vor ſich, daß man die kleine Beleidi - gungen der Majeſtaͤt nicht mit denen Straf - fen anſehen kan, die auf die großen u. ſchwe -ren497und Gewalt der Obrigkeit. ren nach unſern Sitten geſetzet ſind. Und ſolchergeſtalt faͤllet der Zweiffel hin, den ei - nige hierbey machen koͤnnten.

§. 465.

Weil nun im gemeinen WeſenWie die Obrig - keitliche Macht und Ge - walt be - feſtiget wird. alles auf der Macht und Gewalt der ho - hen Obrigkeit (§. 435. 443), und alſo auf ihrer Majeſtaͤt (§. 452) beruhet; ſo hat man auch darauf zuſehen, daß die Maje - ſtaͤt von den Unterthanen hoch und werth gehalten, und die Beleidigungen derſelben ſo viel nur immer moͤglich iſt, verhuͤttet werden. Derowegen da man kein ande - res Mittel hat einen zuverbinden, daß er von etwas ablaſſe, als die Straffen (§. 341); Die Groͤſſe der Straffe aber nach der Groͤſſe des Schadens einzurichten iſt, die aus dem Verbrechen erwaͤchſet (§. 343): ſo hat man auf die Beleidigungen der Majeſtaͤt ſchweere Straffen zuſetzen, und zwar umb ſoviel ſchweerer, je groͤſſer der Grad der Beleidigung iſt (§. 463). Un - terdeſſen da die Straffen nur aus Noth gebrauchet werden, wo kein anderes gelin - deres Mittel ſtat findet (§. 832. Mor.); ſo ſol man auch darauf bedacht ſeyn, daß man auf alle Art und Weiſe hindere, da - mit die Unterthanen nicht in Straffe ver - fallen. Und dieſes iſt abſonderlich bey den Beleidigungen der Majeſtaͤt noͤthig, nicht allein weil der Verbrecher dadurch in gar ſchweere Straffen verfaͤllet und man ſol -(Politik. ) J iches498Cap. 5. Von der Machtches daher umb ſoviel mehr zu verhuͤten hat, ſondern auch weil es nicht gut iſt, wenn dieſes Verbrechen zu gemein wird, weil, wie vorhin ausgefuͤhret worden, viel daran gelegen, daß niemand die Majeſtaͤt beleidige, ja auch nur deswegen, weil doch allzeit bey Vollſtreckung der ſchweeren Straffen die Gemuͤther derer gegen die ho - he Obrigkeit erbittert werden, die unter - weilen in dieſem und jenem mit der Regie - rung nicht zufrieden ſind: woraus ſich bey ereignenden Faͤllen vieles Unheil ferner ent - ſpinnen kan. Man verbindet demnach die Unterthanen zur Unterthaͤnigkeit durch den Eyd der Treue, den ſie ablegen, wenn die Obrigkeit die Regierung antritt, welches man die Huldigung zu nennen pfleget, ingleichen wenn ſie zu einer Be - dienung gezogen werden. Nehmlich weil man durch den Eyd GOtt zum Zeugen an - ruffet, daß man diejenige Perſon, welche die Regierung antritt, oder von der man in Dienſte genommen wird, fuͤr ſeine recht - maͤßige Obrigkeit erkennen, und ihr treu verbleiben, ihrer Macht und Gewalt ſich ſolcher Geſtalt unterwerffen, auch nichts wieder dieſelbe vornehmen wil, und ver - langet, daß er uns ſtraffen ſolle, woferne wir nicht halten, was wir verſprochen ha - ben (§. 996. Mor.); ſo wird auch einer, der da glaubet, daß ein GOtt ſey, der al -les499und Gewalt der Obrigkeir. les wiſſe und ſehe, auch ihn beſtraffen wer - de, wenn er entweder nicht den Sinn hat zu halten, was er verſpricht, oder doch ins kuͤnfftige mit Wiſſen und Willen ſeinem Verſprechen zuwieder handelt, ſich derglei - chen zuthun den Eyd abhalten laſſen (§. 997. Mor.). Und alſo iſt er ein Mittel die Unterthanen zuverbinden, daß ſie die Majeſtaͤt nicht beleidigen (§. 8. Mor.). Sollten auch einige gefunden werden, die auf dieſen Eyd nicht ſaͤhen; ſo behaͤlt er doch noch dieſen Nutzen, daß ſie weniger Entſchuldigung finden, wenn ſie wegen beleidigter Majeſtaͤt ſollen zur Straffe ge - zogen werden. Damit ſie aber des Eydes ſich deſto leichter erinnern, ſo muß ihnen die Majeſtaͤt der hohen Obrigkeit ſtets fuͤr Augen ſchweben.

§. 466.

Wenn die Unterthanen die Ma -Noth - wendig - keit des Koͤnig - lichen Staat. jeſtaͤt des Koͤniges erkennen ſollen, ſo muͤſ - ſen ſie erkennen, daß bey ihm die hoͤchſte Gewalt und Macht ſey (§. 452). Und demnach iſt noͤthig, daß ein Koͤnig und Landes-Herr ſeine Hoff-Staat dergeſtalt einrichte, damit man daraus ſeine Macht und Gewalt zuerkennen Anlaß nehmen kan. Auch entſpringen aus dieſer Qvelle alle Hoff-Ceremonien (§. 178. Mor.). Z. E. Da der Landes-Herr vermoͤge ſeiner Ge - walt jedermann zubefehlen hat (§. 435); ſo geſchiehet es mit gutem Grunde, daß dieJ i 2Vor -500Cap. 5. Von der MachtVornehmſten von Geſchlechte ihm aufwar - ten und ihn bey der Taffel und ſonſt bedie - nen muͤſſen. Auch hat es nicht weniger Grund, daß man ihnen hohen Rang fuͤr anderen giebet: damit man erkennet, ein Herr habe Gewalt den Vornehmſten zu - befehlen, und ſey wegen ſeiner Majeſtaͤt viel mehr als alle andere, auch jedermann, er ſey wer er wolle, verbunden ihm zuge - horchen. Gleicher geſtalt da jedermann ſeinem Stande gemaͤß eſſen und trincken (§. 458. Mor.), ingleichen ſich kleiden (§. 492. Mor.) und wohnen ſol (§. 510. Mor.); ſo muß auch ein Koͤnig und Landes-Herr ſeiner Majeſtaͤt gemaͤß eſſen und trincken, derſelben gemaͤß ſich kleiden und wohnen. Und ſolcher geſtalt muß die Koͤnigliche Taffel an der Zahl und Koſtbahrkeit der Gerichte, die Kleider an der Pracht und das Schloß, ſo er bewohnet, an Groͤſſe und Schoͤnheit alle andere Taffeln, Klei - der und Gebaͤude uͤbertreffen. Zu dem Ende muß auch nicht verſtattet werden, daß jemand anders in einigem von dieſen Stuͤcken es dem Landes-Herrn gleich thue. Der gemeine Mann, welcher bloß an den Sinnen hanget, und die Vernunfft wenig gebrauchen kan, vermag auch nicht zube - greiffen, was die Majeſtaͤt des Koͤniges iſt: aber durch die Dinge, ſo in die Augen fallen und ſeine uͤbrige Sinnen ruͤhren, bekom -met501und Gewalt der Obrigkeitbekommet er einen obzwar undeutlichen, doch klaren Begriff von ſeiner Majeſtaͤt, o - der Macht und Gewalt (§. 21. c. 1. Log.). Und hieraus erhellet, daß eine anſehnliche Hoff-Staat und die Hoff-Ceremonien nichts uͤberfluͤßiges, viel weniger etwas ta - delhafftes ſind. Da nun aber die Macht eines Landes-Herren nicht ſo groß iſt als des andern (§. 458); ſo muß auch einer nicht ſo viel auf ſeine Hoff-Staat, ſeine Taffel, ſeine Kleidung und ſein Schloß wenden als der andere. Nemlich da die Macht hauptſaͤchlich in dem Reichthume des Landes beſtehet (§. 444.); ſo muß dieſes alles nach dem Reichthume des Landes ein - gerichtet werden. Denn weil die Unter - thanen das Geld dazu hergeben muͤſſen, wir aber nach dieſem vernehmen werden, daß man ſie nicht ohne Noth mit Gaben beſchweeren und dadurch zum Schaden des Landes ihre Nahrung und Handthierungen hemmen ſol; ſo ſiehet man vor ſich, daß in einem Lande, wo viel Geld iſt, dieſelben mehr dazu hergeben koͤnnen, als in andern, wo man weniger Geld hat. Und iſt es demnach unrecht, wenn kleine Herren ſich in dieſem Stuͤcke groſſen gleichen wollen und dadurch die Un - terthanen arm, folgends den Staat ohn - maͤchtig (§. 459) und endlich ſo wohl ihre wahre Majeſtaͤt klein und geringe (§. 452),J i 3als502Cap. 6. Von der Regierungals ihr Anſehen bey Auswaͤrtigen ſchlecht machen (§. 460). Nemlich ſie erwehlen den Schein und Verderben dadurch das We - ſen. Und dieſes geſchiehet am allermeiſten wenn zu dem Ende das Geld aus dem Lan - de geſchickt wird. Sonſt iſt noch dieſes zu erinnern, daß, wenn die hohe Landes-O - brigkeit die vornehmſten und maͤchtigſten Familien im Lande nach Hoffe ziehet, die - ſes zugleich ein Mittel iſt ihre Macht und Gewalt zu befeſtigen, indem ſich niemand eher mit Nachdruck als dieſe wiederſetzen koͤnnen, ſonderlich in einer Regierungs - Forme, wo nicht alle Macht bey ihr allein ſtehet.

Das 6. Capitel Von der Regierung der hohen Landes-Obrigkeit.

§. 467.

Was Re - gierung iſt und wie man davon urtheilen ſol.
1

JNdem die Obrigkeit die ihr verliehene Macht und Gewalt brauchet, ſo re - gieret ſie. Und iſt demnach die Re - gierung nichts anders als eine Ausuͤbung der Macht und Gewalt die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit des Landes zu befoͤr - dern: denn keine andre Macht und Gewalt hat ſie, als dieſe (§. 435. 443). Wenn dem -nach503der hohen Landes-Obrigkeit. nach die hohe Obrigkeit alles befiehlet und ſonſt veranſtaltet, wodurch die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit befoͤrdert wird; hingegen hintertreibet, was ihr einiger maſ - ſen nachtheilig iſt, ſo viel beydes in ihrem Vermoͤgen ſtehet: ſo regieret ſie wohl und kan niemand mit Grunde der Wahrheit ihre Regierung tadeln. Hingegen wenn ſie befiehlet und ſonſt veranſtaltet, wo - durch die gemeine Wohlfahrt unterdrucket und die Sicherheit geſtoͤhret wird; ſo re - gieret ſie uͤbel. Unterdeſſen wie man nie - manden zu rechnen kan, was in ſeinem Vermoͤgen ſtehet; alſo kan man auch einer Obrigkeit nicht uͤbel deuten, wenn in ſol - chen Dingen etwas wiedriges geſchiehet, wo dieſes zu verhuͤten nicht in ihrem Ver - moͤgen geſtanden. Wie Unwiſſenheit un - terweilen einen jeden Menſchen entſchuldi - get (§. 264. Mor.); ſo muß ſie auch in eben dieſem Falle Obrigkeiten entſchuldigen. Und wie wir nicht alle Ubereilungen ei - nem Menſchen in ſeinen beſonderen Ge - ſchaͤfften gleich uͤbel deuten koͤnnen: ſo laͤſ - ſet ſich dergleichen am wenigſten bey O - brigkeiten thun, wo zu Ubereilungen mehr Urſachen vorhanden, als bey andern Per - ſonen, theils weil ſie mit vielen Geſchaͤff - ten auf einmahl uͤberhaͤuffet werden, theils weil die Regierungs-Geſchaͤffte meiſten - theils ein weiteres Ausſehen als andere ha -J i 4ben504Cap. 6. Von der Regierungben und daher mehrere Uberlegung erfor - dern. Aus dieſem allem erhellet, daß man ſich in Beurtheilung der Regierung nicht uͤbereilen muß, abſonderlich da noch dieſer Umbſtand dazu kommet, daß wir die Ur - ſachen nicht allzeit wiſſen, warumb eine hohe Obrigkeit dieſes und jenes verordnet oder gethan, und oͤffters es ſelbſt wuͤrde gethan haben, wenn wir in ihrer Stelle geweſen waͤren und die Sache ſo wie ſie eingeſehen haͤtten. Man hat ſich aber fuͤr dergleichen Urtheilen umb ſo viel mehr in acht zu nehmen, weil man ohne Noth die Gemuͤther der Unterthanen wieder die O - brigkeit erbittert, wenn man ihre Regie - rung tadelt und fuͤr gefaͤhrlich ausſchreyet.

Was bey dem Ge - ſetzgeben zu thun iſt.
1

§. 468.

Da nun die Obrigkeit Vermoͤ - ge ihrer Gewalt zu befehlen hat, was die Unterthanen thun und laſſen ſollen (§. 435) die Handlungen der Unterthanen aber durch die Buͤrgerliche Geſetze determini - ret werden (§. 401); ſo hat ſie fuͤr allen Dingen hinlaͤngliche Geſetze zugeben, und wo ſie findet, daß es noch an Geſetze feh - let, dieſem Mangel durch neue Geſetze ab - zuhelffen. Wollte man fragen, woraus man erkenne, ob die Geſetze, die bereits vorhanden, hinlaͤnglich ſind, oder ob es noch an einigen fehle; ſo darf man an ſtat der Antwort nur dasjenige nachleſen, was von den Urſachen umbſtaͤndlich (§. 401) an -ge -505der hohen Landes-Obrigkeit. gefuͤhret worden, warumb man auſſer den natuͤrlichen noch buͤrgerliche Geſetze geben muß. Weil auch die buͤrgerlichen Geſetze ſich nach und nach verbeſſern laſſen (§. 412), ſo muß die hohe Obrigkeit auf dieſe Ver - beſſerung allezeit ein wachſames Auge ha - ben, woferne ſie ihre Gewalt Geſetze zuge - ben wohl gebrauchen, folgends wohl regie - ren wil (§. 467). Mit einem Worte, ſie muß alles ſorgfaͤltig beobachten, was oben (c. 4.) von den buͤrgerlichen Geſetzen aus - gefuͤhret worden. Und weil die Geſetze oh - ne Verbindlichkeit nicht beſtehen koͤnnen, in vielen Faͤllen aber die Verbindlichkeit durch die Straffen aufgerichtet wird (§. 341.); ſo muß er auch die Geſetze mit ge - nungſamen Straffen verſehen und ſie nach Beſchaffenheit der Zeiten aͤndern (§. 412). Allein da die Straffen bloß dahin gehen: daß man von Ubertrettung des Geſetzes ab - gehalten wird (§. 355.); ſo muß ſie fuͤr allen Dingen darauf ſehen, daß ſie in Beſtraf - fung der Verbrechen nicht einige Rachgier blicken laſſe, oder auch ſonſt einen Haß ge - gen den Verbrecher, indem dadurch die Unterthanen Anlaß nehmen ſie als grauſam anzuſehen (§. 877. Mor.), welches die Liebe gegen ſie in ihren Gemuͤthern ausloͤſchet. Es iſt abſonderlich viel daran gelegen, daß man uͤber Geſetzen feſte haͤlt (§. 409) und die darauf geſetzten Straffen an den Ver -J i 5bre -506Cap. 6. Von der Regierungbrechern vollſtrecket (§. 345.). Und demnach lieget der hohen Landes-Obrigkeit ob dar - auf acht zu haben, daß die Ubertretungen der Geſetze nicht verheelet, gebuͤhrend un - terſuchet und auf vorgeſchriebene Art und Weiſe geahndet werden, wie nicht weni - ger genungſame Anſtalten zu machen, daß ſich niemand mit Unwiſſenheit ſchuͤtzen koͤn - ne. Wovon ſie Geſetze zu geben hat, iſt ſchon zur Gnuͤge oben (§. 331. & ſeqq. ) ausgefuͤhret, auch (§. 421. & ſeqq. ) mit Exempeln erlaͤutert worden.

Noth - wendig - keit der Gerichte und ihr Unter - ſcheid.
1

§. 469.

Weil nun diejenigen, welche nicht vor ſich gutwillig die Geſetze halten wollen, in denen Faͤllen, wo ſie ſich wei - gern dem andern zu geben, was ihm ge - buͤhret, durch die Huͤlffe dazu muͤſſen ge - bracht, wo ſie aber durch Ubertretung an - dere beleidigen und in Schaden ſetzen, nach Verdienſten beſtraffet werden (§. 342. 343); ſo iſt nicht moͤglich, daß die hohe Obrig - keit ſelbſt an allen Orten dafuͤr ſorget, wie denen Geſetzen von den Unterthanen in je - dem Falle ein Gnuͤgen geſchehe, und dem - nach iſt noͤthig, daß ſie an einem jeden Orte andere Perſonen beſtellet, die an ih - rer ſtatt dieſes verrichten, welche man Richter und niedere Obrigkeiten zu nennen pfleget. Damit ſie nun aber die - ſes ihr Ambt verrichten koͤnnen, ſo muß ſie ihnen die Freyheit ertheilen der Unter -tha -507der hohen Landes-Obrigkeit. thanen Handlungen in einer gewiſſen Pro - vintz, oder auch nur in einer Stadt, oder in einem Dorffe, nach den Geſetzen zu un - terſuchen, ob ſie ihnen gemaͤß ſeyn, oder nicht, dabey ſo viel Freyheit ertheilen zu befehlen, was ſie zu Beobachtung der von der hohen Obrigkeit gegebenen Geſetze vor noͤthig befindet und zugleich ſo viel Macht verleihen, als zu Vollſtreckung der Huͤlf - fe und der Straffe noͤthig iſt. Alſo beſi - tzen ſie etwas von der Landes-Herrlichen Gewalt (§. 435) und Macht (§. 443), das iſt, ſeiner Majeſtaͤt: jedoch nicht ei - genthuͤmlich als die ihrige; ſondern ſie ha - ben ſie nur von der hohen Obrigkeit in An - ſehung ihres Ambtes entliehen. Da nun die Ausuͤbung der Landesherrlichen Ge - walt die Regierung iſt (§. 467); ſo regie - ren dieſe Richter im Lande, jedoch nicht vor ſich, ſondern im Nahmen der hohen Landes-Obrigkeit, die ihnen umb ihres Ambtes willen etwas von ihrer Macht und Gewalt verliehen. Daher heiſſen auch die Gerichte, welche auf ein gantzes Land gehen, Landes-Regierungen: jedoch damit man erkenne, daß ſie nicht vor ſich, ſondern im Nahmen des Landes-Herren regieren, ſo wird der Landesherrliche Nah - me, den er nach Beſchaffenheit ſeiner Re - gierungs-Forme hat, mit dazu geſetzet, z. E. wenn der Landes-Herr ein Koͤnig iſt, ſonen -508Cap. 6. Von der Regierungnennet man es die Koͤnigliche Landes - Regierung, oder die Koͤnigliche Re - gierung in dieſer und jener Provintz. Aus ebenmaͤßiger Urſache werden auch die Gerichte in Staͤdten die Stadt-Obrig - keit und meiſtentheils ſchlechterdinges die Obrigkeit genennet, weil man den Ort, wo man lebet, dabey verſtehet, und der Kuͤrtze halber nicht erſt hinzuſetzet. Weil die Geſetze entweder in Kleinigkeiten, oder in wichtigen Dingen koͤnnen gebrochen werden; ſo hat man noͤthig zweyerley Ge - richte zu ordnen, wo ein Ort weitlaͤufftig iſt und viele Jnnwohner hat, nemlich ei - nes, das nur die Kleinigkeiten unterſuchet und ohne Verſtattung vieler Weitlaͤuff - tigkeiten entſcheidet: das andere, an wel - ches wichtigere Sachen gewieſen ſind. Dieſes kleine Gerichte wird an einigen Or - ten nur einer, an einem anderen hingegen mehr als einer Perſon aufgetragen, und bekommet daher auch verſchiedene Nah - men, als z. E. bey uns in Halle heiſſet es das Vier Herren-Ambt, in meiner Va - ter-Stadt wird dieſer Richter der Stadt - Vogt, in anderen Orten der Stadt - Richter u. ſ. w. genennet. Da nun aber alle Gerichte ihre Macht und Gewalt von der hohen Landes-Obrigkeit haben und in ihrem Nahmen regieren, wie erſt ausge - fuͤhret worden; ſo ſiehet man leicht, daßkeines509der hohen Landes-Obrigkeit. keines von dieſen dem anderen entgegen ſeyn muß, ſondern vielmehr alle darinnen mit einander zuſammenſtimmen, daß Recht und Gerechtigkeit nach denen Geſetzen ge - handhabet werde. Und zu dem Ende muͤſſen auch die kleineren Gerichte an die groͤſſeren gewieſen werden, dergeſtalt, daß dieſe eine Gewalt haben zu unterſuchen, wie jene ihr Ambt verrichten, auch zu dem En - de denen Partheyen, welche durch das Ur - theil beſchweeret zu ſeyn vermeinen, die Freyheit gelaſſen werden auf das hoͤhere Gerichte ſich zu beruffen und daſelbſt uͤber das ertheilte Urtheil erkennen zu laſſen. Wenn nun ein Gerichte unter einem an - deren auf ſolche Weiſe ſtehet, ſo nennet man es ein Untetgerichte: hingegen die - jenigen, worunter die anderen ſtehen, wer - den Obergerichte genennet. Alſo da die Landes-Regierung in derſelben Provintz kein hoͤheres Gerichte uͤber ſich hat; ſo iſt ſie ein Ober-Gerichte: hingegen wenn die Stadt-Gerichte unter der Landes-Re - gierung ſtehen, ſo ſind ſie ein Untergerich - te. Gleichergeſtalt wo die Stadt-Vog - tey unter den Stadt-Gerichten ſtehet, ſo iſt ſie gleichfals ein Untergerichte. Es fin - det ſich aber noch ein anderer Unterſcheid der Gerichte, der von den Verrichtungen genommen wird. Nemlich wie aus dem vorhergehenden erhellet, ſo entſcheiden ent -we -510Cap. 6. Von der Regierungweder die Gerichte die Streitigkeiten der Jnwohner nach denen Geſetzen und ver - helffen ihnen zu ihrem Rechte durch die Huͤlffe: oder ſie unterſuchen die Verbre - chen der Ubelthaͤter und bringen ſie zu ver - dienter Straffe. Die erſte Gerichte wer - den Civil - Gerichte oder buͤrgerliche Gerichte genennet, denn die Sachen, welche ſie tractiren, nennet man Civil - Sachen oder buͤrgerliche Sachen, das iſt, Sachen, die unter Buͤrgern vorkom - men: die anderen hingegen heiſſen Cri - minal Gerichte, denn die Ubertretungen der Geſetze, die man im gemeinen We - ſen zu beſtraffen pfleget, heiſſen Criminal - Sachen. Die Gewalt Gerichte zu hegen, nennet man die Jurisdiction, und alſo in Anſehung der Civil Gerichte die Civil-Ju - risdiction; in Anſehung der Criminal - ſachen die Criminal Jurisdiction. Un - terweilen iſt beyde die Jurisdiction bey einem Gerichte, unterweilen aber ſind ſie getrennet. Die Urſache, warumb man beyde Jurisdiction zu trennen pflegt, iſt nicht allein die Weitlaͤufftigkeit, die ſich bey Unterſuchung der Verbrechen ereignen; ſondern auch weil ſie bey groſſen Verbre - chen, da der Ubelthaͤter muß in Verhafft gebracht und in Gefaͤngniße ernehret wer - den, zu Fortſetzung der Inquiſition Ko - ſten erfordert werden. Dadurch daß dieUn -511der hohen Landes-Obrigkeit. Untergerichte an die Obergerichte gewieſen werden und denen Partheyen verſtattet wird, von ihnen ſich auf die obern zu be - ruffen, damit ſie uͤber das von ihnen ge - faͤllete Urtheil erkennen, ob es nach den Ge - ſetzen beſtehen kan oder nicht, welches man Appelliren zu nennen pfleget, wird zu - gleich erhalten, daß die Untergerichte ihr Ambt deſto beſſer in acht nehmen und je - dem Recht ſprechen, wie es ſich mit dem Geſetzen gebuͤhret. Denn woferne ſie je - manden zu Liebe, oder zu Leide ein Urtheil faͤllen, muͤſſen ſie nicht allein gewaͤrtig ſeyn, daß es von denen Obergerichten, daran man appelliret, wie der uͤber den Hauffen geworffen wird; ſondern auch beſorgen, daß, woferne man den Vorſatz unrecht zu ſpre - chen vermercket, ſolches zur Ahndung der hohen Landes-Obrigkeit hinterbracht wer - de. Da nun im erſteren Falle, wenn es oͤffters geſchehen ſolte, die Untergerichte in den uͤbelen Verdacht kaͤmen, als wenn ſie den Leuten Recht zu ſprechen nicht verſtuͤn - den, und daher ihr Anſehen bey denen, ſo unter ihren Gerichten ſtehen, ingleichen bey den Obergerichten ſelbſt, vergeringert wird; im anderen Falle ſie ſich gar entweder der Abſetzung, oder einer Geld-Straffe, oder wenigſtens eines ſcharffen Verweiſes mit Bedrohung einer haͤrteren und empfind - licheren Ahndung zu verſehen haben; ſower -512Cap. 6. Von der Regierungwerden ſie dadurch angehalten ihren moͤg - lichſten Fleiß anzuwenden alle Civil Sa - chen nach den Geſetzen zu entſcheiden, und nicht jemanden zu Liebe oder zu Leide Un - recht zu ſprechen. Und alſo iſt die Appel - lation ein Mittel, wodurch nicht allein denen Partheyen zu ihrem Rechte fuͤglicher verholffen, ſondern auch die Gerichte ver - bunden werden nach ihrem Wiſſen und Gewiſſen jedem Recht zu ſprechen (§. 8. Mor.). Derowegen wo viel Laͤnder und Provintzien unter einem Landes-Herren ſtehen; ſo muͤſſen auch die darinnen be - findlichen Obergerichte noch insgeſamt an ein hoͤchſtes Gerichte verwieſen werden, daran man von ihnen appelliren und uͤber ſie Beſchwerde fuͤhren kan: welches hoͤchſte Gerichte deswegen das Ober-Appella - tions-Gerichte genennet wird. Gleich - wie es aber nicht moͤglich iſt, daß man im gemeinen Weſen alles ſo genau nehmen kan, vielmehr unterweilen einiges muß geſchehen laſſen, was wohl nicht ſeyn ſoll - te, damit die Gerichte nicht mit unend - lichen Streitigkeiten uͤberhaͤuffet, auch zu weiteren Unordnungen dadurch Anlaß ge - geben werden (§. 401.); ſo muß auch die Freyheit zu appelliren eingeſchraͤncket wer - den, da man die Groͤſſe deſſen, woruͤber geſtritten wird, determiniret, wo man appelliren kan oder nicht. Unterdeſſendamit513der hohen Landes-Obrigkeit. damit doch gleichwohl auch in ſolchen Faͤl - len, wo die Appellation nicht ſtat findet, die unteren Gerichte durch die Ober-Ge - richte und dieſe durch das hoͤchſte Appel - lations Gerichte verbunden werden nach ihrem beſten Wiſſen und Gewiſſen jeder - mann Recht zu ſprechen, wie erſt jetzt an - gewieſen worden: ſo muß doch jedermann in allen Faͤllen Freyheit behalten uͤber die Unter-Gerichte bey den Ober-Gerichten, und uͤber die Ober-Gerichte bey dem ho - hen Appellations-Gerichte wegen verwei - gerten Rechte ſeine Beſchweerden anzu - bringen. Unterdeſſen damit weder die Freyheit zu appelliren, noch die Freyheit ſeine Beſchweerden wegen verweigerten Rechte anzubringen von denen Partheyen gemisbrauchet werde; ſo muͤſſen ſie ſol - ches zu unterlaſſen verbunden werden. Da man nun im buͤrgerlichen Leben kein an - deres Mittel einen zu verbinden hat, als die Straffen und den Eid (§. 341. 465), der Eid aber bloß bey einer foͤrmlichen Appel - lation ſtat findet, als welche mit Vor - wiſſen der Gerichte geſchiehet, von denen man an ein anderes appelliret; ſo kan man bey den Appellationen den Appella - tions-Eyd einſuͤhren, da nemlich einer ſchweeren muß, daß er davor halte, er habe eine gerechte Sache und ſey ihm durch das Urtheil unrecht geſchehen, hingegen(Politik. ) K kda514Cap. 6. Von der Regierungda auch wohl einige aus Frevel falſch zu - ſchweeren ſich kein Gewiſſen machen doͤrf - fen, in beyden Faͤllen eine Straffe dar - auf ſetzen, wenn einer ohne allen Grund der Wahrheit uͤber den Richter Beſchweerden fuͤhret, und zwar im erſten Falle umb ſo vielmehr, weil er ſich nicht entbloͤdet noch einen Eyd zu thun. Gleichwie nun in Ci - vil Sachen ein Ober-Appellations-Ge - richte ſtat findet; ſo hat man auch in Cri - minal-Sachen ein Ober-Criminal-Ge - richte anzuordnen, wo ein Landes-Herr viele Laͤnder und Provintzien hat, dahin die Confirmation der groſſen Straffen, abſonderlich der Leibes - und Lebens-Straf - fen verwieſen wird, auch diejenigen ihre Zuflucht nehmen koͤnnen, die von den un - teren Criminal-Gerichten uͤber die Gebuͤhr beſchweeret zu ſeyn vermeinen. Weil a - ber das Ober-Criminal-Gerichte nicht wiſſen kan, ob die Straffe recht ſey, oder nicht, ehe ſie wiſſen, ob einer des Ver - brechens, das ihm Schuld gegeben wird, recht uͤberfuͤhret iſt oder nicht, ſo muͤſſen zugleich nebſt dem Urtheil die voͤlligen In - quiſitions-Acten eingeſchicket undvon dem Ober-Criminal-Gerichte durch ſehen wer - den Und erhellet aus dem, was vorhin geſaget worden, daß ſolchergeſtalt die un - teren Criminal-Gerichte durch das Ober - Criminal-Gerichte zugleich verbunden wer -den,515der hohen Landes-Obrigkeit. den, die Unterſuchung der Verbrechen und Ubelthaten auf gehoͤrige Weiſe anzuſtel - len und nichts dabey weder aus Nachlaͤſ - ſigkeit, noch aus Affecten zu unterlaſſen, auch niemanden ohne Noth weiter durch die Inquiſition zu beſchweeren, als es die Nothwendigkeit erfordert. Jn dem aber ſolchergeſtalt immer ein Gerichte an das andere verwieſen wird; ſo wird dadurch aller Unterſchleiff verhuͤtet, ſo viel mehr moͤglich iſt, und findet niemand von den Unterthanen Urſache mit Grunde der Wahrheit ſich zu beſchweeren, daß Recht und Gerechtigkeit von der hohen Landes - Obrigkeit nicht gebuͤhrend gehandhabet werde. Ja durch das Ober-Appellation und Ober-Criminal-Gerichte kommet zu - gleich die hohe Landes-Obrigkeit in Er - fahrung, ob wegen Recht und Gerechtig - keit im Lande Beſchweerden gefuͤhret wer - den, oder nicht.

§. 470.

Die Richter ſollen die Hand -Was fuͤr Perſo - nen zu Richtern zu beſtel - len. lungen der Unterthanen nach den Geſetzen entſcheiden und einem jeden Recht ſprechen, auch die Ubelthaͤter nach den Geſetzen be - ſtraffen (§. 469.). Wer dieſes thun will, der muß theils die Handlungen und Ver - brechen vollſtaͤndig erkennen, theils die Ge - ſetze, wornach die Handlungen einzurich - ten und die Verbrechen zu beſtraffen ſind, inne haben. Denn es kommet ſo wohl inK k 2Ent -516Cap. 6. Von der RegierungEntſcheidung der Civil-Sachen, als in Beſtraffung der Verbrechen jederzeit auf einen Vernunffts-Schluß an, da im erſten Falle der Oberſatz das Geſetze, der Unter - ſatz der Grund deſſen, was man von dem Beklagten fordert, und der Hinterſatz das Urtheil iſt: im andern Falle der Oberſatz gleichfalls das Geſetze, der Unterſatz das Verbrechen, ſo man beſtraffen ſol und der Hinterſatz das Urtheil iſt (§. 6. c. 4. Log.). Nemlich im erſten Falle iſt der Vernunffts - Schluß dieſer: Bey dieſer oder jener Beſchaffenheit ſol dieſes oder jenes entweder geſchehen, oder nicht ge - ſchehen. Hier findet ſich dieſe Be - ſchaffenheit. Alſo ſoll dieſes geſche - hen, oder nicht geſchehen. Z. E. Man verklaget einen Vormund, daß er Rech - nung thun ſol nach geendigter Vormund - ſchafft, weil er ſich ſolches zu thun weigert. Hier kommet alles auf den Schluß an: Ein Vormund ſoll nach geendigter Vor - mundſchafft Rechnung ablegen. Titius iſt Vormund und hat nun ſeine Vormund - ſchafft ein Ende. Alſo ſoll er Rechnung ablegen. Hier iſt der Oberſatz das Ge - ſetze von der Schuldigkeit eines Vormun - des, und zeiget, was bey denen Umbſtaͤn - den oder Beſchaffenheit der Sache, da ei - ner Vormund iſt, geſchehen ſol, nemlich daß nach geendigter Vormundſchafft dieRech -517der hohen Landes-Obrigkeit. Rechnung abgeleget werden muß. Der Unterſatz ſind die Umbſtaͤnde, in welcher ſich der Beklagte befindet, und zeiget daß der Fall, von welchem das Geſetze redet, hier zu finden, nemlich daß Titius Vor - mund ſey und die Vormundſchafft geen - diget. Und endlich der Hinterſatz iſt das Urtheil und zeiget, was Titius vermoͤ - ge des Geſetzes thun ſol, nemlich daß er verbunden iſt Rechnung abzulegen. Jm anderen Falle iſt der Vernunffts-Schluß dieſer: Wer dieſes oder jenes thut, oder unterlaͤſſet, der ſol auf dieſe oder jene Art geſtraffet werden. Titius thut dieſes oder jenes, oder unterlaͤſſer es: alſo ſol er auf dieſe oder jene Art ge - ſtraffet werden. Z. E. Titius hat bey dem Mævio des Nachts eingebrochen und ihm etliche hundert Thaler werth geſtoh - len: ſo kommet alles auf dieſen Schluß an. Wer des Nachts bey jemanden ein - bricht und ihn, abſonderlich ſehr, beſtiehlet, der ſol gehangen werden. Titius iſt des Nachts bey dem Mævio eingebrochen und hat ihn ſehr beſtohlen, nehmlich etliche hun - dert Thaler werth. Alſo ſol Titius ge - hangen werden. Hier iſt der Oberſatz das Geſetze und zeiget auf was fuͤr Art und Weiſe ein Verbrechen, als ein gewaltſa - mer groſſer Diebſtahl, beſtraffet werden ſol. Der Unterſatz iſt das Verbrechen;K k 3ſo518Cap. 6. Von der Regierungſo beſtraffet werden ſol, nemlich Titii bey dem Mævio gewaltſam begangener Dieb - ſtahl. Und endlich der Hinterſatz iſt das Urtheil, welches uͤber Titium gefaͤllet wird und zeiget, wie er zu beſtraffen ſey, nemlich daß man ihn mit dem Strange von dem Leben zum Tode bringen ſolle. Wor - aus nun ferner erhellet, daß, ehe das Ur - theil ſowohl in Civil-als Criminal-Sa - chen ertheilet werden kan, es hauptſaͤchlich auf den Beweis des Unterſatzes ankommet, als in Civil-Sachen auf die Beſchaffen - heit, bey der etwas geſchehen oder nicht geſchehen ſoll, z. E. daß Titius Vor - munde geweſen und des Unmuͤndigen Guͤt - ter zu verwalten gehabt, auch die Vor - mundſchafft nunmehro geendiget ſey; in Criminal-Sachen auf das Verbrechen, daß es gewis begangen worden, z. E. daß Titius bey dem Mævio des Nachts einge - brochen und ihm uͤber zwey hundert Tha - ler werth entwendet. Und demnach muß im erſten Falle der Richter den Klaͤger da - hin an weiſen, daß er die geklagten Umb - ſtaͤnde erweiſe, woferne ſie oder einige da - von der Beklagte leugnet, als in unſerem Exempel, daß Titius einige Guͤtter des Unmuͤndigen zu verwalten bekommen; in anderen Faͤllen muß der Richter den De - nuncianten erweiſen laſſen, daß das Ver - brechen begangen worden, als in unſeremExem -519der hohen Landes-Obrigkeit. Exempel, daß bey ihm des Nachts einge - brochen und uͤber zwey hundert Thaler werth geſtohlen worden, auch wenn er Ti - tium wegen des Diebſtahles verdaͤchtig machet, einige Gruͤnde ſeines Verdach - tes anzeigen, und nach dieſem ſelbſt unter - ſuchen, ob Titius derjenige ſey, der des Nachts bey Mævio eingebrochen und den Diebſtahl veruͤbet. Weil nun ohne ein Geſetze weder in Civil-noch Criminal - Sachen ein Urtheil gefaͤllet werden kan; ſo muͤſſen auch zu Richtern Rechtsgelehr - ten, das iſt, ſolche Perſonen genommen werden, welche die Geſetze inne haben und wohl verſtehen, damit ſie ihnen in vorkom - menden Faͤllen einfallen (§. 253. Met.) und von ihnen auf gehoͤrige Weiſe angebracht werden. Man ſiehet aber leicht, daß zu Entſcheidung der Sachen nach den Geſt - tzen nicht genung iſt die Geſetze inne zu he - ben und zu verſtehen, ſondern der Richter auch den Willen haben muß nach den Ge - ſetzen zu ſprechen, wie er ſie verſtehet nicht aber aus allerhand intereſſirten Abſichten dieſelben verdrehen. Da nun derjenige gerecht iſt, der einem jeden das ſeine gie - bet, was ihm gebuͤhret, ohne Anſehen der Perſon (§. 1023. Mor.); ſo muͤſſen zu Rich - tern Perſonen genommen werden, die Ge - rechtigkeit lieben und ausuͤben. Und weil zur Gerechtigkeit Liebe und Weisheit er -K k 4for -520Cap. 6. Von der Regierungfordert wird (§. 1023. 1024. Mor.): ſo muͤſſen Richter eine aufrichtige Liebe gegen jedermann haben und weiſe ſeyn. Je mehr nun daran gelegen iſt, das Rechis - verſtaͤndige, aufrichtige, guͤtige, weiſe und gerechte Perſonen zu Richtern genom - men werden; je groͤſſere Vorſicht hat man anzuwenden, daß niemand zu ei - nem ſolchen Ambte komme, als der vorher genungſame Proben von dieſen Qualitaͤten abgeleget. Weil es nicht moͤglich iſt, daß junge Leute dergleichen Proben koͤnnen abgeleget haben; ſo ſol man auch keine junge Leute gleich zu Richtern machen. Es iſt wohl wahr, daß das Alter einen nicht verſtaͤndig, weiſe und tugendhafft mache. Allein es wird auch nicht behauptet, daß man oh - ne Unterſcheid alten Leuten oder ſolchen, de in ihrem beſten Alter ſind, das rich - taliche Ambt anvertrauen ſoll: denn wir verlangen, man ſolle aus den Al - ten diejenigen ausleſen, welche die dazu erforderte Qualitaͤten beſitzen, und ver - werffen deswegen die jungen, weil man von ihnen noch keine Proben hat, ob ſie ſelbige beſitzen oder nicht, hingegen es gefaͤhrlich iſt auf das ungewiſſe ſolches zu wagen.

§. 471.521der hohen Landes-Obrigkeit.

§. 471.

Wer Recht ſprechen will, derWie ſich Richter auffuͤh - ren ſol - len. muß die Handlungen genau erkennen, wel - che er nach den Geſetzen unterſcheiden ſol (§. 470). Und demnach muß ein Richter einen jeden mit Gedult anhoͤren, der fuͤr Gerichte was vorzubringen hat: wo er ſich nicht wohl erklaͤren kan, ihn fragen, wie er es meine, und, damit niemand durch Furcht in Verwirrung geſetzet wird, mit leutfeeligen Minen, Worten und Geber - den ſich gegen ihn erzeigen. Es iſt alſo einem Richter unanſtaͤndig, wenn er dieje - nigen, ſo etwas anzubringen haben, nicht recht anhoͤren will; oder auch mit harten Worten und unfreundlichen Minen und Geberden in Verwirrung ſetzet. Wie - derumb da ein Richter willig und bereit ſeyn ſoll einem jeden mit ſeinem Ambie zu Huͤlffe zu kommen, der deſſelben noͤthig hat (§. cit. ); ſo muß er auch einem jeden bald vor ſich laſſen, der ihn ſeines Amb - tes wegen ſprechen will, er mag vorneh - me, oder geringe feyn. Und wie jeder - mann verbunden iſt gegen Niedrige ſich liebreich und freundlich zu erzeigen (§. 815. Mor.); ſo ſtehet ſolches umb ſovielmehr einem Richter an, als der auf keinerley Art und Weiſe zu dem Verdachte wieder ſich Anlaß geben ſoll, daß er ein Anſehen der Perſon habe. Auf eine ſolche Weiſe muß ein Richter ſich ſelbſt gegen die groͤſten U -K k 5bel -522Cap. 6. Von der Regierungbelthaͤter ſowohl bey Unterſuchung ihrer Ubelthaten, als bey Ankuͤndigung des Ur - theils bezeigen. Denn was die Unterſu - chung betrifft, ſo muß auch dadurch das Verbrechen mit ſeinen wahren Umbſtaͤn - den herausgebracht werden. Derowegen da vorhin erwieſen worden, daß ein der - gleichen Bezeigen des Richters dazu noͤthig ſey: ſo kan man auch leicht erachten, daß ein Richter bey Unterſuchung der Verbre - chen und Ubelthaten ſich auf eine ſolche Weiſe zu bezeigen habe. Wolte man ein - wenden, die Ubelthat ſey ein genungſa - mer Grund, warumb ein Richter ſich ge - gen den Inquiſiten hart in Worten und unfreundlich in Minen und Geberden be - zeige: ſo kan man gar viele Urſachen zei - gen, warumb man dieſelbe fuͤr keinen ge - nungſamen Grund von dergleichen Bezei - gen erachten kan. Nemlich bey der Un - terſuchung iſt noch nicht gewiß, ob der Inquiſit das angeſchuldigte Verbrechen wuͤrcklich begangen, oder nicht, und alſo kan man ihn noch nicht davor halten, daß er es begangen habe. Wenn auch gewis iſt, daß er es begangen hat, indem er es in der inquiſition geſtehet: ſo bleibet es doch noch wie vorhin einem Richter unanſtaͤn - dig, wenn er ſich auf eine wiedrige Wei - ſe gegen den Inquiſiten geberdet. Denn Richter ſollen eine aufrichtige Liebe gegenjeder -523der hohen Landes-Obrigkeit. jedermann und ſolchergeſtalt auch gegen die Inquiſiten haben (§. 470). Wer den andern aufrichtig liebet, der iſt bereit aus ſeiner Gluͤckſeeligkeit Vergnuͤgen zu ſchoͤpf - fen (§. 449. Met.) und betruͤbet ſich uͤber ſein Ungluͤck (§. 452. Met.), folgends hat er Mitleiden mit ihm (§. 461. Met.). De - rowegen muß auch ein Richter ſich uͤber dem Ungluͤck des Inquiſiten betruͤben und mit ihm Mitleiden haben, daß er eine ſo ſchweere Straffe auf ſich gezogen. Wer aber mit dem andern Mitleiden hat, der kan ſich nicht in Worten, Minen und Geberden hart gegen ihn bezeigen. Und eben hieraus ſiehet man, daß ein Richter ſelhſt bey Ankuͤndigung des Urtheils eini - ges Mitleiden bezeigen muß, und daher ſolches nicht mit harten Worten und wie - drigen Affecten verrichten darf. Es erfor - dert auch dieſes ſelbſt die Abſicht der Straf - fen. Denn die Straffen werden an den Verbrechern und Ubelthaͤtern vollſtrecket, damit ſie nicht allein ſelbſt ſich nicht mehr kuͤnfftig auf dergleichen Unthaten betreten laſſen, ſondern auch und zwar hauptſaͤch - lich zu dem Ende, daß ſich andere daran ſpiegeln (§. 346). Und alſo hat der Rich - ter, als der alles auf die gemeine Wohl - fahrt und Sicherheit richtet, kein Wohl - gefallen an der Straffe vor ſich, ſondern nur in ſoweit ſie ein Mittel iſt die gemei -ne524Cap. 6. Von der Regierungne Wohlfahrt und Sicherheit zu befoͤr - dern. Derowegen iſt es ihm auch keine Freude, daß der Ubelthaͤter und Verbre - cher dadurch ungluͤckſeelig wird. Und ſolchergeſtalt hat er keinen Haß gegen ſei - ne Perſon (§. 454. Met.): vielmehr da erſt erwieſen worden, daß er Mitleiden mit ihm hat, ſo liebet er ihn (§. 461. Met.) und blei - bet der Perſon ihr Freund (§. 778. Mor.). Hingegen da er Misvergnuͤgen an dem Verbrechen und der Ubelthat hat, und zwar umb ſoviel groͤſſeres, je mehr dadurch Schaden im gemeinen Weſen geſtifftet wird und je mit groͤſſerem Vorſatze ſol - ches geſchiehet, (denn bey jenem erblicket man die Unvollkommenheit des gemeinen Weſens, bey dieſem des Ubelthaͤters (§. 152. Met.) und demnach bringet beydes (§. 417. Met.) Unluſt oder Misvergnuͤgen) folgends je haͤrtere Straffe es nach ſich zie - het (§. 347): ſo hat er einen Haß gegen das Verbrechen, und zwar einen umb ſo viel groͤſſeren, je eine groͤſſere Ubelthat es iſt (§. 445. Met.), folgends iſt er der Sa - che feind (§. 778. Mor.). Und auf eine gleiche Weiſe laͤſſet ſich begreiffen, wie je - dermann der Perſon Freund und der Sa - che Feind ſeyn ſol, auch daß es moͤglich ſey der Perſon Freund und der Sache Feind zu ſeyn. Weil vor genugſamer Unterſuchung noch nicht erhellet, daß derIn -525der hohen Landes-Obrigkeit. Inquiſit das angeſchuldigte Verbrechen begangen, auch noch nicht bekand, mit was fuͤr Frevel und Boßheit ſolches aus - geuͤbet worden: ſo kan auch der Richter bey der Inquiſition noch keinen Haß ge - gen die Untugenden und Laſter des Inqui - ſiten blicken laſſen. Hingegen da das Ur - theil der Straffe nicht eher gefaͤllet wird, als bis alles zur Gnuͤge unterſuchet; ſo iſt bey deſſen Ankuͤndigung ſchon bekand, daß der Verbrecher wuͤrcklich begangen, weſſen er beſchuldiget worden, auch mit was fuͤr Vorſatze er ſolches gethan, und wie viel Boßheit er dabey ausgeuͤbet. Und demnach muß der Richter bey An - kuͤndigung des Urtheils einen Haß gegen das Verbrechen, und alſo einigen Zorn gegen den Ubelthaͤter blicken laſſen (§. 484. Met.). Und dieſer gegen das Ver - Verbrechen gerichtete Haß, nebſt dem daraus entſtehenden Zorn oder Eifer wieder daſſelbe, mit dem Mitleiden gegen die Per - ſon iſt eben dasjenige, welches den Ernſt des Richters ausmachet, daß er das Ur - theil zwar nicht mit harten, aber doch auch nicht mit gelinden, ſondern mit ernſthaff - ten Worten; nicht mit unfreundlichen, a - ber doch auch nicht mit hulden, ſondern abermahls mit ernſthafften Minen und Geberden ankuͤndiget. Nemlich ernſt - haffte Worte, Minen und Geberden ſindeben526Cap. 6. Von der Regietungeben diejenigen, daraus man den Haß ge - gen das Verbrechen und die Untugenden und Laſter des Ubelthaͤters, keinesweges aber gegen ſeine Perſon, ſondern vielmehr Liebe gegen dieſen ſchluͤſſen⃒ kan. Sind Worte, Minen und Geberden ſo beſchaf - fen, daß man daraus kein Misfallen an dem Verbrechen und der Untugend des Verbrechers abnehmen kan, ſo bezeiget ſich der Richter zum Nachtheil der gemeinen Wohlfahrt kaltſinnig in der Sache, denn ich habe oben (§. 345.) ſchon ausgefuͤhret, warumb⃒ man Ernſt bey den Straffen be - zeigen ſoll. Soll nun ein Richter in Wor - ten, Minen und Geberden ſein Misfallen bezeigen, und ſolches nicht vor verſtellet (§. 205. Mor.) gehalten werden: ſo muß er auch ſelbſt einen ehrbahren und tugend - hafften Wandel fuͤhren, das heiſſet, er muß nicht allein alles vermeiden, was im gemeinen Weſen beſtraffet wird, ſondern auch in allen uͤbrigen Handlungen ſich dem Geſetze der Natur gemaͤß bezeigen (§. 64. Mor.). Nemlich ehrbahr nennet man denjenigen; in deſſen aͤußerlichen Wandel man nach den buͤrgerlichen Geſetzen nichts auszuſetzen findet. Es kommet noch dieſe Urſache dazu, weil jedermann auf das E - xempel der Obrigkeit ſiehet und es zu ſei - ner Entſchuldigung anfuͤhret. Jm uͤbri - gen da eine Perſon dadurch, daß ſie zu ei -nem527der hohen Landes-Obrigkeitnem Obrigkeitlichen Ambte gezogen wird, nicht aufhoͤret ein Menſch und Unterthan zu ſeyn, auch ſonſt ein Vater, ein Vater, ein Ehemann u. ſ.w. verbleibet; ſo verblei - ben auch alle die uͤbrigen Pflichten in ih - rem Werthe, und was ein jeder Menſch zu thun und zu laſſen ſchuldig iſt, das iſt auch eine Obrigkeitliche Perſon zu thun und zu laſſen ſchuldig; was ein jeder Un - terthan aus Gehorſam gegen die hohe Lan - des-Obrigkeit zu thun und zu laſſen ſchul - dig iſt; daſſelbe iſt auch eine Obrigkeitli - che Perſon zu thun und zu laſſen ſchuldig; Was ein jeder Ehemann, Vater, Haus - Vater u. ſ. w. zu thun und zu laſſen ſchul - dig iſt, das iſt auch eine Obrigkeitliche Per - ſon in dergleichen Umbſtaͤnden zu thun und zu laſſen ſchuldig. Allein hier reden wir bloß von dem, was eine Obrigkeitliche Perſon in ihrem Ambte zu thun hat, in ſoweit ſie eine Obrigkeitliche Perſon iſt. Weil nun auch die Verrichtungen des Obrigkeitlichen Ambtes oͤffters unter ver - ſchiedene Perſonen getheilet ſind, und dem - nach eine jede Perſon in ihren Verrichtun - gen beſondere Abſichten hat; hingegen al - le dieſe Verrichtungen, und das dabey er - forderte Bezeigen in Worten, Minen, Ge - berden und Wercken, nach dieſen Abſich - ten einzurichten ſind (§. 139. Mor.); ſo ſie - het man auch leicht, wie man in beſonde -ren528Cap. 6. Von der Regierungren Faͤllen die Verrichtungen eines Rich - ters und die dabey erforderte Ordnung, auch Auffuͤhrung des Richters beſtimmen kan, woferne man nur genung geuͤbet iſt eine Wahrheit aus der andern herzulei - ten. Allein in dieſe Weitlaͤufftigkeiten koͤnnen wir uns vor dieſesmahl nicht ein - laßen.

Warumb Proceße nicht zu verzoͤ - gern.
1

§. 472.

Es haben aber Richter fuͤr al - len Dingen darauf zu ſehen, daß die vor Gerichte ſchwebende Rechts-Haͤndel ſchleunig abgethan werden. Es finden ſich hierzu vielerley Urſachen, theils in Crimi - nal-Sachen, theils auch in Civil-Sachen insbeſondere, theils in beyden zugleich. Uberhaupt verurſachen die Proceße viele Unruhe dem Gemuͤthe, abſonderlich wo man meinet, daß einem zuviel geſchehe und nicht nach Recht verfahren werde, und wird es der Richter ſelten einem recht ma - chen. Durch die Unruhe aber wird die Gluͤckſeeligkeit des Menſchen geſtoͤhret (§. 52. Mor.). Derowegen da man im ge - meinen Weſen einem jeden dazu foͤrderlich ſeyn ſoll (§. 227); ſo muß man auch ei - nem jeden ſchleunig aus der Verdruͤßlich - keit des Proreßes helffen. Weil uns dem - nach ein Richter von vielem Verdruſſe be - freyet, der den Proeeß bald zu Ende brin - get; ſo erzeiget er uns darunter Gutes (§. 423. Met.) und die Erwegung dieſer Wohl -tha -529der hohen Landes-Obrigkeit. thaten machet, daß wir eine Liebe zu ihm gewinnen (§. 469. 470. Met.) und ihn werth halten (§. 591. Mor.). Hingegen wenn wir mit dem Proceße aufgehalten werden, ſo ſehen wir ſo offte, als wir Ver - druß davon empfinden, den Richter als die Urſache ſolches Verdruſſes an, und bilden uns dannenhero ein, daß er uns boͤſes er - zeiget (§. 427. Met.). Daher kan es nicht anders geſchehen, als daß man ihn anfaͤn - get zu haſſen (§. 454. Met.), auch ſich wohl uͤber ihn erzuͤrnet (§. 484. Met.), ihn tadelt (§. 613. Mor.), zu Verleumbdungen daher Anlaß nimmet (§. 615. Mor.), ja ihm wohl gar fluchet (§. 1002. Mor.). Und auf ſol - che Weiſe werden die Gemuͤther von dem Richter abgewandt. Weil auf die Pro - reße Koſten gehen; ſo wird durch die Lang - wierigkeit derſelben, wenn ſie nemlich durch Weitlaͤufftigkeiten aufgehalten wer - den, vieles Geld unnuͤtze verſchwendet, und gerathen oͤffters viele daruͤber in Ar - muth. Man ſoll aber im gemeinen We - ſen die Unterhanen reich und nicht arm machen (§. 459.) und demnach kan man auch nicht verſtatten, daß ſie durch lange und weitlaͤufftige Proceße umb das ihrige gebracht werden. Und eben wird der Verdruß durch die langwierigen und weit - laͤufftigen Proceße dadurch vermehret, wenn man dazu Geld hergeben ſoll und ſiehet(Politik. ) L ldoch530Cap. 6. Von der Regierungdoch nicht, was es einen nutzet, daß man ſchon ſo viel darauf gewendet. Der Ver - druß bringet viele umb ihre Geſundheit, ja unterweilen gar umb das Leben und jeder - mann wird dadurch in ſeinen Geſchaͤfften gehindert. Was nun ins beſondere die Criminal-Sachen betrifft; ſo muͤſſen bey ſolchen Verbrechen, da man nicht vorher ſehen kan, ob nicht etwan eine Leibes - oder Lebens-Straffe erfolgen koͤnnte, die Ver - brecher in Verhafft gebracht werden. Es iſt aber das Gefaͤngnis eine beſchweerliche Sache, welches man auch deswegen mit unter die Straffen rechnet. Da nun der Sicherheit halber einer ſo lange im Ver - haffte behalten werden muß, biß die Un - terſuchung zu Ende gebracht und das Ur - theil wegen der Beſtraffung gefaͤllet: ſo muß man den Proceß beſchleunigen, wo - ferne man ihn nicht ohne Noth doppelt ſtraffen will. Und eben deswegen weil das lange Gefaͤngnis, ſonderlich wo der Pro - reß aufgehalten worden, als eine Straffe anzuſehen; ſo hat es guten Grund, wenn man es mit zur Straffe rechnet und nach Beſchaffenheit der Umbſtaͤnde entweder gar keine fernere Straffe ſetzet, oder doch in deſſen Anſehung ſie mildert. Wenn die Ubelthaͤter, wie es gemeiniglich zu ſeyn pfle - get bey ſolchen, die auf das Leben ſitzen, fuͤr ſich keine Mittel haben; ſo muͤſſen ſievon531der hohen Landes-Obrigkeit. von oͤffentlichen Geldern erhalten werden und ſitzen demnach dem gemeinen Weſen zur Laſt. Ja es kan auch wohl gar ge - ſchehen, daß einer uͤber dem langwierigen Sitzen ſeines Lebens uͤberdruͤßig wird und endlich einmahl des Verdruſſes loß zuwer - den bekennet, was er doch nicht gethan hat. Was ferner die Civil-Sachen be - trifft, ſo iſt der Streit entweder umb Ver - moͤgen, oder wegen Injurien. Jm erſten Falle wird es demjenigen beſchweerlich, wenn er das ſeine nicht haben kan, ſo er von dem andern prætendiret, abſonder - lich wenn er es ſelbſt brauchet, und oͤffters dadurch umb ſein gantzes zeitliches Gluͤck gebracht wird, wenn er es entbehren muß. Jm andern Falle dauret die Feindſchafft ſo lange, als die injurien-Klage nicht ge - endiget iſt, und, da Feinde einander haſ - ſen (§. 778. Mor.), derjenige aber, welcher den andern haſſet, bereit iſt ſich aus ſei - nem Ungluͤck zu vergnuͤgen (§. 454. Met.); ſo entſpinnet ſich daraus vieles Unheil, we - nigſtens wird wehrender Zeit die Gelegen - heit verſaͤumet, da einer dem andern helf - fen koͤnnte. Aus dieſen und noch anderen Urſachen, die ſich noch in beſonderen Faͤl - len auf verſchiedene Weiſe ereignen koͤn - nen, ſol die Obrigkeit ihr angelegen ſeyn laſſen alle Proceße, ſo viel nur immer moͤg - lich iſt zu beſchleunigen. Da nun bey denL l 2Pro -532Cap. 6. Von der RegierungProceßen es hauptſaͤchlich auf die wahren Umbſtaͤnde der Sache ankommet, daruͤber entweder geſtritten wird, oder dagegen man inquiriret; ſo wird der Proceß ver - kuͤrtzet, wenn man Mittel erfindet die wah - ren Umbſtaͤnde der Sache bald heraus zu bringen. Hingegen wenn in Civil-Sa - chen die Forme des Proceßes ſo beſchaf - fen, daß man nicht anders als durch viele Weitlaͤufftigkeiten hinter die wahren Um - ſtaͤnde der Sachen kommen kan, und da - durch zugleich dem lichtſcheuenden Theile zu allerhand Ausfluͤchten Anlaß gegeben wird; ſo werden dadurch die Proceße weit - laͤufftig. Wenn in Criminal-Sachen der Inquiſit hartnaͤckig im leugnen iſt und es iſt ſchweer auf die Spur der wahren Um - ſtaͤnde zu kommen; ſo wird dadurch gleich - falls der Proceß langwierig. Jch rede hier bloß von der Sache uͤberhaupt, ohne auf unſere Sitten zu ſehen: denn ſonſt wuͤr - de ich auch den Unfug der Advocaten mit unter die Urſachen der Verzoͤgerung der Proceße, ingleichen das verſchicken der Acten an auswertige Rechts-Collegia nach rechtlichem Erkaͤnntnis und was der - gleichen mehr iſt, dahin zu rechnen ha - ben. Allein weil auch die Partheyen theils durch Ungehorſam, theils durch Ausfluͤch - te, die ſie ſuchen, den Proceß aufhalten koͤnnen; ſo muß man nicht allein daraufbe -533der hohen Landes-Obrigkeit. bedacht ſeyn, wie durch die Forme des Proceßes allen unnoͤthigen Ausfluͤchten vorgebeuget werde, ſondern in den Faͤl - len, da ſie nicht koͤnnen verhuͤtet werden, muß man durch Straffen die Partheyen verbinden davon abzuſtehen (§. 341), wel - ches auch in allen Faͤllen bey dem Unge - horſam geſchehen muß. Wir nennen nem - lich Ungehorſam, wenn einer dasjenige un - terlaͤſſet, was ihm von dem Richter Ge - richtswegen aufferleget wird, als wenn er vor Gerichte auf einen gewiſſen Terminge - laden wird u. er erſcheinet nicht in demſelben. Und hierinnen bleiben wir bey der gewoͤhn - lichen Bedeutung des Wortes (§. 124). Hingegen wo einer ſich ſtellet, als wenn er gehorſam waͤre und gerne thun wollte, was ihm aufferleget wird, ſchuͤtzet aber entwe - der unumbgaͤngliche Verhinderungen vor, oder ſuchet auf allerhand andere Art und Weiſe ſich demjenigen zu entziehen, was er zu thun verbunden; ſo ſuchet er Aus - fluͤchte z. E. Wenn einer vor Gerichte vor - geladen worden und er ſchuͤtzet Kranckheit vor, die er doch durch kein beglaubtes Zeug - nis beſcheinigen kan, ſo ſuchet er Aus - fluͤchte. Gleichergeſtalt wenn einer einen Beweis fuͤhren ſol, und er bringet ſolche Dinge vor, die zum Beweis der Sache gar nicht dienen und ſuchet dadurch einen neuen Streit hervor, damit man von derL l 3Haupt -534Cap. 6. Von der RegierungHaupt-Sache abkomme; ſo ſuchet er Ausfluͤchte. Unter die Straffe, dadurch die Verzoͤgerung des Proceßes gehindert wird, gehoͤret, daß einer ſein Recht ver - lieret und ſich an dem, was er thun ſollte, verſaͤumet, wenn er es nicht zu beſtimmter Zeit thut.

Wie man ſich ge - gen die niedrigen Obrig - keiten / als die Richter zu ver - halten.
1

§. 474.

Man ſoll der hohen Landes-O - brigkeit gehorchen umb ihrer Gewalt Wil - len (§. 435). Da nun die niederen Obrig - keiten, als die Richter, keine andere Ge - walt haben, als die der hohen Landes - Obrigkeit zuſtehet und ihnen ihres Ambtes wegen bloß von ihr verliehen worden (§. 469); ſo muß man auch den niederen O - brigkeiten gehorchen, und demnach bereit und willig ſeyn alles auszurichten, was ſie Ambts wegen befehlen (§. 124). Jch ſage mit Fleiß: Ambts wegen. Denn ſie ha - ben keine weitere Gewalt, als die zu Ver - waltung ihres Amtes noͤthig iſt (§. 469). Wiederumb da man nichts wieder die Macht und Gewalt der hohen Landes-O - brigkeit vornehmen ſol (§. 461), die Macht und Gewalt aber der niedrigen Obrigkei - ten eben diejenige iſt, welche der hohen Lan - des-Obrigkeit urſpruͤnglich zugehoͤret (§. 469); ſo darf auch niemand der Macht und Gewalt der niederen Obrigkeit ſich wiederſetzen, oder auf einige Weiſe da - wieder etwas vornehmen. Alſo wenn ſiees535der hohen Landes-Obrigkeit. es vor noͤthig befindet, einen in Verhafft zu bringen; ſo iſt es unrecht wenn er ſich gewaltthaͤtiger Weiſe denen Perſonen wie - derſetzet, die ihn darein bringen ſollen. Da man uͤberhaupt verbunden iſt einem jeden ſo viel Ehre zu geben, als ihm ge - buͤhret (§. 809. Mor.); ſo muß man auch die niedrigen Obrigkeiten ehren, wie ſichs gebuͤhret. Nun giebt man einem die Eh - re, die ihm gebuͤhret, wenn man durch ſeine Handlungen, Minen und Gebeerden zu verſtehen giebet, man halte ihn vor denjenigen, der er iſt (§. 811. Mor.). Derowegen da die niedrige Obrigkeit eine Perſon iſt, der von der hohen Landes-O - brigkeit ſo viel Macht und Gewalt verlie - hen worden, als ſie zu Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit in gewiſſen Faͤllen von noͤthen hat (§. 469); ſo muß man auch durch ſeine Handlungen, Minen und Gebeerden zeigen, wie man erkenne, es ſtehe ihr zu in dieſen Faͤllen zu befehlen und ſonſt zu veranſtalten, was ſie fuͤr noͤthig befinde, und man erkenne, daß ſie Macht und Gewalt uͤber uns habe. Eben deswegen weil ſie in einigen Stuͤ - cken Macht und Gewalt uͤber uns hat; ſo iſt ſie hoͤher als wir: welches wohl niemand in Zweiffel ziehen wird. Man ſol aber gegen hoͤhere ſich ehrerbietig erzeigen und eine Hochachtung fuͤr ihnen haben (§. 814. Mor.) L l 4und536Cap. 6. Von der Regierungund alſo muß man auch gegen niedrige O - brigkeiten ſich ehrerbietig erzeigen und eine Hochachtung gegen ſie haben. Weil ich ſchon erwieſen habe, daß man durch ſeine Handlungen Minen und Gebeerden zu ver - ſtehen geben ſol, man erkenne das gute, was in einer Obrigkeitlichen Perſon ſich befin - det; ſo muß man auch erwegen, was fuͤr Gu - tes bey einer ſolchen Perſon ſich befindet, dadurch ſie ſich bey ihrem Ambte von an - dern diſtinguiret (§. 470. 471) und daher eine Obrigkeit, die ihre gehoͤrige gute Qualitaͤ - ten beſitzet, oder wohl gar beſondere Qua - litaͤten hat, nicht allein ihres Ambtes, ſon - dern auch derſelben wegen ehren. Z. E. Wenn eine Obrigkeitliche Perſon nicht al - lein Macht und Gewalt hat, ſondern auch Vermoͤge ihres Verſtandes, Weisheit und Tugend wohl gebrauchet, auch in allem gegen diejenigen, welche Recht ſuchen, ſich ſo bezeiget, wie oben (§. 471) erwieſen worden; ſo muß man nicht allein durch demuͤthige Gebeerden bezeigen, daß man ihre Macht und Gewalt uͤber uns erken - ne, ſondern auch durch freudige Minen zu erkennen geben, daß man ein gutes Vertrauen zu ihr habe. Das erſtere geſchiehet Ambts wegen und findet bey je - der Obrigkeit ſtatt: das andere aber in An - ſehung ihrer guten Qualitaͤten.

§. 474.537der hohen Landes-Obrigkeit.

§. 474.

Die hohe Obrigkeit hat MachtNoth - wendig - keit der Land - Haupt - leute und des Stadt - Rathes / auch was ihres Ambtes iſt. und Gewalt alles anzuordnen, was ſie zu Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit dienlich befindet (§. 435). Da es aber nicht moͤglich iſt, daß ſie dieſes ſelbſt an allen Orten zu ſtande bringen und dahin ſorgen kan, wie niemand denen An - ſtalten, die ſie machen laͤſſet, auf einige Art und Weiſe entgegen ſey; ſo muß ſie ſolches abermahls gewiſſen Perſonen an jedem Orte auftragen und ihnen ſo viel Gewalt und Macht verleihen / als dazu noͤthig iſt. Hieher gehoͤren die Landes - Hauptleute und Stadthalter, welche die Stelle der hohen Obrigkeit in einer Provintz vertreten. Die Perſonen, wel - che das Policey-Weſen in einer Stadt beſorgen, werden der Stadt-Rath, oder auch ſchlechterdinges der Rath genennet. Was einem Lands-Hauptmanne, Stadthalter und Rathe in einer Stadt, oder was man ſonſt einer ſolchen Obrig - keit fuͤr einen Nahmen giebet, oblieget, muß daraus beurtheilet werden, wie weit ihm von der hohen Landes-Obrigkeit Macht und Gewalt verlieben worden, und wie viel abſonderlich die ihnen verliehene Gewalt eingeſchraͤncket worden. Es iſt nemlich nicht moͤglich, daß dem Rathe in einer Stadt, oder denen Perſonen, die ſonſt das Policey-Weſen zu beſorgen haben, ih -L l 5re538Cap. 6. Von der Regierungre Gewalt in allem eingeſchraͤncket wird:[ ſ] ondern man muß ihnen in vielem freye Gewalt laſſen. Jch rede bloß von der Gewalt: denn die Macht erſtrecket ſich ſo weit, als ihre Gewalt, woferne jene nicht fuͤr die lange Weile ihnen ſoll verliehen werden. Es finden ſich bisweilen Kleinig - keiten, darinnen etwas zu verordnen iſt, und die man an die hohe Landes-Obrig - keiten nicht zu berichten noͤthig hat, abſon - derlich wo ihr viele Laͤnder unterworffen ſind, da ſie mit wichtigen Angelegenheiten genung zu thun findet. Unterweilen iſt ſchleunige Verordnung noͤthig, daß man nicht erſt davon einen Bericht abſtatten und Befehl, wie es gehalten werden ſolle, von der hohen Landes-Obrigkeit einhoh - len kan. Z. E. Jn einer Stadt ſollen die Gaſſen beſtaͤndig ſauber und reinlich ge - halten werden (§. 379). Was nun dieſer wegen zu veranſtalten noͤthig iſt, waͤre un - noͤthig erſt an die hohe Landes-Obrigkeit gelangen zu laſſen, indem dergleichen von dem Stadt-Rathe, oder wer ſonſt das Policey-Weſen verſiehet, geſchehen kan. Gleichergeſtalt ſoll man davor ſorgen, daß jedermann noͤthige Nahrungs-Mittel vor einen billigen Preiß bekommen kan (§. cit.). Und dannenhero iſt noͤthig, daß nach Be - ſchaffenheit der Zeiten der Preiß erhoͤhet, oder erniedriget werde. Da nun aberſol -539der hohen Landes-Obrigkeit. ſolches nicht im gantzen Lande, ja nicht einmahl in allen Staͤdten einer Provintz auf einerley Art geſchehen kan, und da - her viele Weitlaͤuftigkeiten verurſachen wuͤrde, wenn man es allzeit an die hohe Obrigkeit zur Verordnung berichten ſoll - te, auch unterweilen die Verordnung in der Zeit kaum zu erwarten ſtuͤnde, da man eine Aenderung zu treffen noͤthig befindet: ſo muß dieſes abermahls denen uͤberlaſſen werden, die das Policey-Weſen zu beſor - gen haben. Nemlich was in denen Stuͤ - cken, die ihnen zu beſorgen aufgetragen worden ſind, undeterminiret verblieben, darinnen haben ſie freye Gewalt dasjenige zu thun, was ihnen am beſten zu ſeyn ſcheinet. Z. E. Wenn entweder gar kei - ne Feuer-Ordnung vorgeſchrieben, oder doch wenigſtens darinnen nicht ausgemacht worden, wie man es mit dem Loͤſchen bey entſtandenen Feuers-Bruͤnſten halten ſoll: ſo behaͤlt der Rath in einer Stadt freye Gewalt deswegen zu veranſtalten, was er fuͤr gut befindet. Woferne aber die Nach - kommen ſich auch darnach richten ſollen, und dieſes zur beſtaͤndigen Regel dienen ſoll; ſo muͤſſen dergleichen Ordnungen zur Confirmation der hohen Landes-Obrig - keit eingeſchickt werden, als die allein Ge - walt hat beſtaͤndige Verfaſſungen zum ge - meinen Beſten zu machen. Weil diejeni -gen,540Cap. 6. Von der Regierunggen, welche das Policey-Weſen verſehen, als der Rath in einer Stadt, auch viele Mittels-Perſonen zu Verwaltung ihres Ambtes noͤthig haben, die Gewalt aber Bedienungen zu vergeben der hohen Lan - des-Obrigkeit zugehoͤret (§. 444), hinge - gen es fuͤr ſie zu beſchweerlich fallen wuͤr - de, wenn ſie in eigener hohen Perſon alle Bedienungen ſelbſt vergeben wollte; ſo kan die Freyheit die Stadt-Bedienungen zu vergeben dem Stadt-Rathe ertheilet werden. Unerachtet nun der Rath dieſe Bedienungen vergiebet, ſo thut er doch ſolches nicht vor ſich, ſondern nur in ſo weit er die Stelle der hohen Landes-O - brigkeit vetritt, und daher ſind es auch nicht ſowohl Bedienten des Raths, als Bedienten der Stadt und auf dem Rath - hauſe. Da dem Rathe in einer Stadt auf - getragen iſt der Stadt Wohlfahrt und Si - cherheit zu befoͤrdern, wie ich erſt ausge - fuͤhret habe; ſo iſt dieſes ihre Haupt-Re - gel, darnach ſie ſich in allen ihren Hand - lungen zu richten haben: Was die Wohl - fahrt und Sicherheit der Stadt befoͤrdert, das ſoll man thun; was ſie hindert, das ſoll man laſſen. Und demnach ſollen alle Gedancken dahin gerichtet ſeyn, wie ſie der Stad ihr Beſtes befoͤrdern. Langet ihre Macht und Gewalt nicht zu, ſolches zu bewerckſtelligen; ſo muͤſſen ſie es andie541der hohen Landes-Obrigkeitdie hohe Landes-Obrigkeit berichten und dieſes, was ſie fuͤr nuͤtzlich befinden, zu verordnen bey derſelben anhalten. Da - mit aber auch dieſelbe in dem Stande iſt zu urtheilen, ob dadurch der Stadt ihr Beſtes befoͤrdert wird; ſo muͤſſen die Ur - ſachen mit angefuͤhret werden, warumb man dergleichen Anſtalten fuͤr dienlich er - achtet. Es iſt aber umb ſo vielmehr noͤthig, daß ſolches an die hohe Landes-Obrigkeit berichtet werde, weil oͤffters dasjenige, was zum Beſten einer Stadt gereichet, ande - ren im Lande nachtheilig iſt. Jm gemei - nen Weſen aber kan nicht zugelaſſen wer - den, daß einer ſeine beſondere Wohlfahrt der gemeinen vorziehe (§. 216).

§. 475.

Weil nun viel daran gelegenWas bey Verge - bung der Bedie - nungen in acht zu nehmen. iſt, daß alle Bedienungen im Lande mit geſchickten Leuten verſehen werden, indem alle Anſtalten nichts helffen, wenn die Aembter nicht recht verwaltet werden und ſolchergeſtalt die gemeine Wohlfahrt, wel - che zu foͤrdern dergleichen Bedienungen er - richtet werden, nimmermehr erhalten wird: ſo muß auch eine hohe Landes-Obrigkeit ſorgen, daß geſchickte Leute im Lande erzo - gen werden, die man zu Bedienungen ziehen kan, und in Vergebung der Dienſte nicht auf Gunſt, ſondern auf die Geſchickligkeit ſehen. Viel weniger muß man es dahin kommen laſſen, daß die Bedienungen andie542Cap. 6. Von der Regierungdie Meiſtbietenden verkauffet werden, oder auch eine Weibes-Perſon zur Zulage be - kommen, die einem verſtaͤndigen und ge - ſchickten Manne zu heyrathen nicht anſte - het. Denn nicht allemahl iſt derjenige der geſchickteſte, der viel geben kan. Wir finden vielmehr, daß Leute von Vermoͤgen ſich ſeltener ſo qualificiren, wie andere, die von unvermoͤgenden, oder doch wenigſtens nicht reichen Eltern erzogen werden. Es iſt freylich unmoͤglich, daß ein Landes-Herr alle Leute, die umb Bedienungen anhal - ten, oder die ihm vorgeſchlagen werden, kennet, und demnach entſtehet die Frage, wie er ſich in dieſem Stuͤcke genung vor - ſehen koͤnne, damit er nicht von denen hin - tergangen werde, die andere in Vorſchlag bringen und recommendiren. Fuͤr al - len Dingen iſt noͤthig, daß er ein Geſetze gebe niemanden zu einer Bedienung vor - zuſchlagen, als der durch genungſame Proben dazu geſchickt befunden worden, und jedermann daſſelbe ſteif und feſte zu halten verbinde. Weil nun keine andere Verbindlichkeit hier ſtatt findet als die Straffe (§. 342.), ſo muͤſſen nach Wich - tigkeit der Aembter ſchweere Straffen dar - auf geſetzet werden, woferne von denen, welche die Gewalt haben einige vorzu - ſchlagë, oder auch vor ſich ſich unterſtehen ſie zu recommendiren, ungeſchickte Leuteals543der hohen Landes-Obrigkeit. als geſchickte angeprieſen werden. Da - mit man aber bey Zeiten in Erfahrung komme, ob einer zu einer Bedienung ge - ſchickt ſey, oder nicht; ſo ſoll er vorher von anderen, die zur Gnuͤge verſtehen, was fuͤr Geſchicklichkeit dazu erfordert werde, auf die Probe geſtellet werden. Ja es waͤre auch nicht uͤbel gethan, wenn man bey ſich ereignender Vacanz einige Zeit durch die Competenten die Bedienung verwalten ließe, und darauf acht haͤtte, wie ſie ſich dabey anſtelleten. Denn ob wohl freylich aller Anfang ſchweer iſt und erſt durch die Ubung die Fertigkeit kommet (§. 525. Met.); ſo kan ein Ver - ſtaͤndiger doch gar bald ſehen, ob es ſich mit der Zeit geben wird, oder nicht. Un - terdeſſen da es hier in vielen Stuͤcken auch mit auf den guten Willen ankommet, den man gar leicht im Anfange umb ſeines Vortheils willen verſtellen kan (§. 205. Mor.): ſo iſt rathſamer, daß man vorher in niedrigen Bedienungen einen probiret, ehe er zu wichtigeren gezogen wird. Wor - zu noch dieſer Vortheil kommet, daß, wo man bey niedrigen Bedienungen einen An - fang machet, man dabey Gelegenheit fin - det, zu hoͤheren ſich geſchickt zu machen. Und eben deswegen, daß man weiß, man ſolle ſich bey niedrigen Bedienungen zu hoͤ - heren geſchickt machen, wendet man inVer -544Cap. 6. Von der RegierungVerwaltung ſeines Ambtes mehr Fleiß an als ſonſt, wo man weiter nichts davor zu hoffen hat. Und auf ſolche Weiſe werden diejenigen, denen man geringe Bedienun - gen anvertrauet, ſelbſt verbunden (§. 8. Mor.) ſich zu hoͤheren geſchickt zu machen. Wer ſich hierdurch zu dergleichen Fleiß und Sorge nicht verbinden laͤſſet, der gie - bet genung zu erkennen, daß er nicht auf Ruhm ſiehet (§. 467. Met. und daher wird mit ihm nicht viel auszurichten ſeyn. Es ſind aber auch noch Mittel vorhanden, daß ein Landes-Herr ſich ſelbſt in acht nehmen kan, damit ihm nicht untuͤchtige Leute zu Bedienungen wieder ſeine hohe ntenti - on eingeſch oben werden. Es iſt bekand: Wer ſich in acht nehmen will, daß er kei - nen Fehltritt thue, indem er anderen auf ihr Wort trauet; der muß verſichert ſeyn, daß derjenige, welcher etwas zeuget, die Sache recht habe erkennen koͤnnen und ſo erzehle, wie er ſie erkannt hat (§. 5. c. 7. Log.). Derowegen ſoll auch eine hohe Landes-Obrigkeit darauf ſehen, ob derje - nige, welcher eine Perſon in Vorſchlag bringet, dieſelbe Perſon und ihr Thun und Weſen genung kenne, auch verſtehe, was zu der Bedienung fuͤr Geſchicklichkeit er - fordert werde. Und eben aus dieſer Ur - ſache ſoll man denen Collegiis die Frey - beit ertheilen bey ledig gewordenen Bedie -nun -545der hohen Landes-Obrigkeit. nungen einige vorzuſchlagen, auch da - bey anzufuͤhren, was fuͤr Proben ihnen von ihrer Geſchicklichkeit bekand ſind, dadurch ſie ſolches zu thun bewogen worden. Da - mit nun aber ferner die interesſirten Ab - ſichten entdecket werden, ſo hat man ſich wohl zu erkundigen, wie diejenige Perſon mit denen verwandt ſey, von welchen ſie vorgeſchlagen wird, und wie ſie ſonſt mit ihr ſtehet (§. 9. & ſeqq. c. 7. Log.). Denn unerachtet hieraus meiſtentheils nur ein Verdacht entſtehet, der nicht allzeit gegruͤn - det befunden wird, indem es ja wohl moͤglich iſt, daß unſer Verwandter oder guter Freund fuͤr andern zu der Bedie - nung geſchickt iſt, dazu er vorgeſchlagen wird: ſo giebet doch eben dieſer Verdacht Anlaß, ſich wegen der Geſchicklichkeit deſto genauer zu erkundigen, damit man nicht uͤbereilet werde. Allen Unfug wird man hier ſo wenig, als in anderen Faͤllen ver - huͤten. Unterdeſſen iſt gut, wenn dieje - nigen verſtaͤndig uud gewiſſen hafft ſind, denen die Freyheit andere zu Bedienungen vorzuſchlagen, oder von deren Geſchicklich - keit zu urtheilen anvertrauet worden.

§. 476.

Wenn die hohe Landes-Obrig -Wie die O - brigkeit fuͤr den Reich - rhum des Landes ſorgen ſoll. keit den Staat maͤchtig machen will, ſo muß ſie ſorgen, daß viel Geld im Lande iſt (§. 459). So lange das Geld, was ein - mahl im Lande iſt, darinnen verbleibet;(Politick) M mſo546Cap. 6. Von der Regierungſo lange wird der Staat nicht aͤrmer, noch reicher, obgleich das Geld nicht immer bey einem verbleibet, ſondern von einem zu dem andern kommet, und alſo von den Unter - thanen einer reicher, der andere aͤrmer wird. Hingen kommet mehr Geld ins Land, als vorhin darinnen war, ſo wird der Staat reicher, es mag ſolches von denen Unter - thanen haben, wer da will. Gehet Geld aus dem Lande, was vorhin darinnen war; ſo wird der Staat aͤrmer, woferne der Ab - gang nicht auf andere Weiſe wieder erſe - tzet wird. Will nun die hohe Landes-O - brigkeit, wie ihr allerdings oblieget, den Staat, ſo viel an ihr iſt, maͤchtig machen; ſo muß ſie hindern, daß kein Geld aus dem Lande getragen werde, welches man ohne Nachtheil der gemeinen Wohlfahrt dar - innen behalten kan (§. 215.), und hinge - gen dahin ſehen, wie von fremden Gelde ſo viel ins Land gebracht werde, als man nur immer hinein bringen kan.

Wie es mit der Einfuͤh - re frem - deꝛ Wah - ren zu halten.
1

§. 477.

Das Geld wird aus dem Lan - de gebracht durch fremde Wahren, die man von Auswaͤrtigen fuͤr baares Geld kauffen muß. Wenn man es demnach in dem Lande behalten will, ſo muß man zuſehen, ob man nicht einige Wahren oh - ne der Beqvemlichkeit des Lebens und ſei - ner Ergoͤtzlichkeit einigen Eintrag zu thun gar entrathen, oder au deren Stelle eini -ge547der hohen Landes-Obrigkeit. ge andere, die man im Lande hat, gebrau - chen kan. Und hat alsdenn die hohe O - brigkeit vermoͤge ihrer Gewalt (§. 435.) zu verbiethen, daß dieſelben Wahren von de - nen Unterthanen nicht mehr ſollen gebrau - chet werden, auch die Einfuhre derſelben nicht zu verſtatten. Man muß ferner zu - ſehen, ob man nicht in ſeinem eigenen Lan - de aus einem Orte in den andern kan brin - gen laſſen, was man aus fremden Orten hohlet und woferne ſich dieſes ſo befindet, Befehl ertheilen, daß man ſie von dem Or - te im Lande, wo man dergleichen Wahren haben kan, bringen laſſe. Unterweilen gehet es auch an, daß man an Materiali - en, woraus die Wahren, ſo man aus fremden Orten bringen laͤſſet, verfertiget werden, einen Uberfluß im Lande hat. De - rowegen muß man darauf bedacht ſeyn, wie man Leute ins Land bringe, die ſie verfertigen koͤnnen. Allein bey allen die - ſen Regeln iſt doch noch viele Vorſichtig - keit noͤthig, wenn man ſie recht gebrnu - chen will. Nemlich da wir die fremden Wahren aus andern Laͤndern nehmen; ſo muͤſſen wir wohl darauf acht haben, ob man nicht daſelbſt wiederumb Wahren bey uns nimmet, und ob wir dieſelbe ſo wohl bey andern als bey ihnen loß werden koͤnnen. Nimmet man wieder Wahren von uns, die wir ſonſt nicht ſowohl loßM m 2wer -548Cap. 6. Vonder Regierungwerden koͤnnen / ſo hat man keinen Vor - theil davon, wenn man die Einfuhre der fremden Wahre nicht verſtattet, weil die andere wieder in ihrem Lande die Einfuh - re unſerer Wahre verbieten werden. Ja nehmen ſie mehr Wahre von uns, als wir von ihnen, ſo thun wir uns durch das Ver - both ſelbſt Schaden, wenn ſie hinwieder - rumb die Einfuhre unſerer Wahre bey ih - nen verbiethen. Und in ſolchem Falle machet man das Land aͤrmer, indem man es bereichern wolte. Unterweilen kan es auch wohl geſchehen, daß wir durch Ein - fuhre fremder Wahre einen Handel ins Land ziehen, den wir ſonſt nicht haben wuͤrden, ſonderlich an ſolchen Orten, die an andere Laͤnder graͤntzen. Wenn man die Wahre, ſo man aus fremden Orten zu uns bringet, ſelbſt im Lande hat; ſo kan es geſchehen, daß dieſe wiederumb aus - waͤrtig verhandelt wird. Woferne ſie nun theurer verhandelt wird, als wir ſie von andern Orten haben koͤnnen; ſo geſchiehet dadurch dem Lande kein Schaden, ſondern es wird vielmehr hierdurch bereichert, daß wir die Wahren aus einem andern Lande hohlen, die wir in unſeren haben koͤnnten. Ja unterweilen kan auch die Wahre wohl nicht theurer aus dem Lande gehen, als ſie zu uns kommet, allein ſie kan zugleich An - laß geben, daß entweder andere Wahrenaus549der hohen Landes-Obrigkeit. aus dem Lande mit Vortheile verhandelt, oder auch andere hineingebracht und mit Vortheil wiederumb an Auswaͤrtige ver - handelt werden. Jn dieſen Faͤllen wuͤrden wir dem Lande ſchaden, wenn wir die Wahre, ſo wir von Fremden bekommen, aus dem Lande nehmen wolten. Eben ſo ge - het es an, daß man die Materialien, daraus man Wahren verfertigen koͤnnte, an Aus - waͤrtige gegen andere Wahren verhandeln kan, die einen fremden Handel ins Land ziehen, der mehr Vortheil bringet, als wenn wir die Wahren aus denſelben Ma - terialien ſelbſt verfertigen wolten, die man aus andern Laͤndern bringen laͤſſet. Ja es iſt auch moͤglich, daß diejenigen, wel - che gedachte Materialien bey uns hohlen, zugleich andere Wahren mitnehmen, die ſie ſonſt bey uns nicht ſuchen wuͤrden. Aus dieſem kan ein jeder, der darauf acht hat, zur Gnuͤge abnehmen, wie viel dabey zu be - dencken iſt, wenn man die Einfuhre frem - der Wahren verbiethen will. Aber eben deswegen, weil nicht jedermann ſo viel zu bedencken geſchickt iſt, als hierzu erfordert wird, pfleget es zu geſchehen, daß der Han - del unterweilen mit groſſem Nachtheile des Landes eingeſchraͤncket wird und man viel groͤſſeren Schaden ſtifftet, als die Ein - fuhre der fremden Wahre hat bringen koͤnnen. Man ſolte demnach in dieſemM m 3Stuͤ -550Cap. 6. Von der RegierungStuͤcke ſich nicht uͤbereilen, ſondern alles auf das ſorgfaͤltigſte uͤberlegen, ehe man einen feſten Schluß faſſete.

Wie es mit Rei - ſen jun - ger Leute in frem - de Laͤnder zu halten.
1

§. 478.

Das Geld wird aus dem Lan - de gebracht, ohne daß anderes dagegen hinein kommet, wenn viele in fremde Laͤn - der reiſen und auf den Reiſen, auch in fremden Orten, wo ſie ſich eine Zeit auf - halten, viel Geld durchbringen. Es iſt wohl wahr, daß ein Landes-Herr die - ſem Ubel gar leichte abhelffen kan, wenn er das Reiſen in frembde Laͤnder verbeut, wie auch unterweilen zu geſchehen pfleget. Alleine dieſes iſt ohne Unterſcheid gleich - falls dem Lande nicht vortraͤglich. Z. E. Wenn einer ſtudirens wegen auf einer aus - waͤrtigen Univerſitaͤt ſich aufhaͤlt, ſo traͤ - get er das Geld aus dem Lande. Jedoch iſt in dieſem Falle nicht allezeit rathſam ſelbſt eine Univerſitaͤt anzulegen, oder, wo man dergleichen ſchon hat, zu verbie - then, daß die Landes-Kinder auf fremde reiſen doͤrffen, oder wenigſtens zubefeh - len, daß ſie einige Jahre auf der Einhei - miſchen zu bringen muͤſſen. Wir wiſſen, daß viel daran gelegen iſt, daß alle Bedie - nungen im Lande mit verſtaͤndigen und tu - gendhafften Leuten beſetzet werden (§. 475). Und demnach muß man einen, der auf eine Univerſitaͤt ſtudirens wegen reiſen wil, auf diejenige ziehen laſſen, wo er das -jeni -551der hohen Landes-Obrigkeit. jenige, dazu er Luſt hat, am beſten lernen kan. Denn es gehet nicht allzeit an, daß wir die beſten Leute und die fleißigſten auf unſere Univerſitaͤt bekommen. Mit Gel - de allein laͤſſet ſich nicht ein jeder aus einem Lande in das andere locken. Es ſind oͤff - ters viel Nebendinge, die man an einem Orte hat und in dem andern nicht wieder findet. Und dieſe werden nicht nach ih - rem wahren Werthe, ſondern nach eines jeden ſeinem Wohlgefallen geſchaͤtzet. U - berdieſes kommet es viel darauf an, wenn man von einem etwas lernen ſol, daß man ſowohl ein gutes Vertrauen (§. 288), als auch Liebe (§. 291.) gegen ihn hat. Sol nun einer wieder ſeinen Willen auf ei - ne Univerſitaͤt ziehen, da er in den Ge - dancken ſtehet, er koͤnne auf einer andern vielmehr lernen; ſo iſt dieſes in ſeinem Studiren ein groſſes Hindernis: denn er ſtudiret mit Verdruß. Wer aber mit Verdruß ſtudiret, hat auf nichts recht acht, wie derjenige, der es mit Luſt thut. Jn - gleichen kan es feyn, daß in dem Lande, wo man ſelbſt eine Univerſitaͤt hat, nicht viel vermoͤgende ſind, die ſtudiren. Auch koͤnnen diejenigen, welche am geſchickteſten zum ſtudiren ſind, wenige Mittel haben, oder haben mit wenigem auszukommen ge - lernet, und was dergleichen Umbſtaͤnde mehr ſind. Derowegen findet man hierM m 4in552Cap. 6. Von der Regierungin beſondern Faͤllen viel zu erwegen, ehe man urtheilen kan, ob dadurch dem Lan - de geholffen werde, wenn man nicht ver - ſtatten wil, daß die Landes-Kinder auf auswaͤrtige Univerſitaͤten reiſen ſollen. Will man ſie nur auf gewiſſe Zeit an die einheimiſche Univerſitat binden; ſo wer - den ſie nach dieſem laͤnger auf Univerſitaͤ - ten bleiben, als ſonſt noͤthig waͤre, und doch das Geld aus dem Lande tragen, was ſie ſonſt auſſer demſelben verzehret haͤtten, auch wenn kein Verboth waͤre da gewe - ſen, ſondern man einem jeden verſtattet haͤtte nach ſeinem Gefallen auf eine Uni - verſitaͤt zu reiſen und nach ſeinem Gutbe - finden ſich daſelbſt zu verweilen. Das be - ſte Mittel, daß durch das ſtudiren nicht zu viel Geld aus dem Lande kommet, iſt die - ſes, wenn die Kinder ſo erzogen werden, daß ſie mit dem Gelde wohl umbzugehen wiſſen, und nicht durch unnuͤtzen Pracht, noch verderbliche Wolluſt daſſelbe wo nicht liederlich, doch unverantwortlich durch - bringen. Das wenigſte wird auf Univer - ſitaͤten auf das ſtudiren und die dabey er - forderte Nothdurfft des Leibes gewandt: das meiſte gehet auf uͤbermaͤßigen Pracht und verderbliche Schwelgereyen auf. Zu dieſer Auferziehung aber koͤnnen nicht allein die Eltern vieles beytragen (§. 109); ſon - dern auch die Lehrer auf den Schulen, wennman553der hohen Landes-Obrigkeit. man ſie uͤberall wohl beſtellet, koͤnnen da - bey ein groſſes thun (§. 317). Und iſt ab - ſonderlich hierzu dienlich, wenn man die Kinder bey Zeiten mit dem Gelde umbzu - gehen angewoͤhnet (§ 110). Eine gleiche Beſchaffenheit hat es mit dem Reiſen in fremde Laͤnder. Wer mit Verſtande rei - ſet, kan nicht allein hin und wieder vieles anmercken, was er nach dieſem zum Nu - tzen ſeiner und ſeines Vaterlandes anwen - den kan; ſondern er lernet auch mit aller - hand Leuten umbgehen und ſich in jeder - mann ſchicken. Dieſes aber iſt eine groſſe Tugend, ſonderlich fuͤr Perſonen, die zu oͤf - fentlichen Bedienungen ſollen gezogen wer - den, wo ſie Ambts wegen mit allerband Perſonen umbgehen muͤſſen, dergleichen Richter und Stadt-Obrigkeiten ſind (§. 470. 474). Derowegen kan man das Rei - ſen in fremde Laͤnder ſchlechterdinges nicht verbitten. Denen aber, die bey ihren Reiſen in fremde Laͤnder nichts anders thun als daß ſie mit Freſſen, Sauffen, Huren, Spielen &c. das Geld auf eine unverant - wortliche Weiſe durchbringen, und alfo nichts weiter profitiren, als daß ſie ſich um ihre Geſundheit und in ihr Vaterland fremde Laſter mit zu ruͤcke bringen, iſt al - lerdings beſſer, daß ſie zu Hauſe bleiben, und nicht zum Schaden ihrer und des Va - terlandes das Geld in fremde Laͤnder tra -M m 5gen.554Cap. 6. Von der Regierunggen. Es dienet aber auch bey den Reiſen eine gute Auferziehung, daß man mit dem Gelde wohl umbzugehen weiß und ſolches nicht hingiebet, wo es nicht hingehoͤret: wovon vorhin bey dem Studiren iſt gere - det worden. Nemlich wie insgemein die - jenigen, welche viel auf Univerſitaͤten durch - bringen, am wenigſten auf das ſtudiren wenden und das meiſte zu ihrem Schaden ausgeben: ſo pflegen auch diejenigen, wel - che viel Geld verreiſen, das meiſte nicht auf die noͤthigen Reiſe-Koſten, ſondern auf allerhand andere verderbliche Dinge zu - wenden und werden eben dadurch abge - halten, daß ſie von dem Reiſen nicht pro - fitiren, wie ſie ſollten.

Wie es mit Ver - mehrung der Vi - ctualien zuhalten.
1

§. 479.

Das Geld wird aus dem Lan - de gebracht, wenn man darinnen Man - gel an Victualien hat und, was zur Leibes - Nothdurfft gehoͤret, an Speiſe und Tranck anders woher hohlen muß. Wil man nun ſoviel Geld im Lande behalten, als nur immer moͤglich iſt, und nichts davon ohne dringende Noth hinaus kommen laſ - ſen: ſo muß man fuͤr allen Dingen den Zuſtand des Landes genau unterſuchen und nach den Urſachen forſchen, warumb es in einem und dem andern einen Mangel hat, nach dieſem darauf bedacht ſeyn, ob nicht durch Verbeſſerung des Garten - und A - cker-Baues, ingleichen der Wieſen, Waͤl -der555der hohen Landes-Obrigkeit. der und Holtzungen, auch der Viehzucht, Jaͤgereyen und Fiſchereyen u. ſ. w. dem Mangel, wo nicht gantz, doch in etwas koͤnne abgeholffen werden. Zeigen ſich ei - nige Wege zur Beſſerung, ſo muͤſſen deß - wegen Befehle an diejenigen Unter-Obrig - keiten geſchehen, welche gehalten ſind zu Stande zubringen, was von der hohen Landes-Obrigkeit zur gemeinen Wohlfarth erſprießlich befunden wird, ja daß ſie an allen Orten davor ſorgen, wie dieſen heil - ſamen Anſtalten nachgelebet werde. Hie - her gehoͤret, daß die Bauren auf den Doͤrf - fern nicht allein ihre bey den Haͤuſern be - findliche Gaͤxten mit fruchtbahren Baͤu - men beſetzen, ſondern auch dergleichen auf den Wieſen und wo ſich ſonſt ein beque - mer Ort dazu findet, pflantzen, und die einmahl gepflantzeten wohl warten ſollen. Hieher gehoͤren die Verordnungen, daß die unfruchtbahren Plaͤtze, ſo viel als angehen wil, zu fruchtbahren Aeckern ge - macht; auch, wo man Mangel an Wie - ſen hat und es demnach an Futter fuͤr das Viehe fehlet, einige abſonderlich von dem Dorffe weit entlegene oder ſonſt nicht wohl zu gebrauchende Aecker, zu Erzeu - gung des Futters fuͤr das Viehe angewendet werden. Es gehoͤren hieher die Verordnun - gen, daß man kleine Fiſche, die mit groͤſſerem Vortheil koͤnnen gebraucht wer -den,556Cap. 6. Von der Regierungden, wenn ſie erwachſen ſind, nicht weg - fangen und ſolchergeſtalt bey Straffe kei - ne andere als zu Erhaltung dieſes Zwe - ckes dienliche Netze fuͤhren darf: derglei - chen auch ſchon von uhralten Zeiten die Sineſer gehabt. Es gehoͤren auch hieher die Verordnungen, daß, wenn man ei - ne gewiſſe Art Voͤgel an einen Ort ge - woͤhnen will, man dasjenige zu erzeugen ſuche, was ſie zu ihrer Nahrung und - brigen Bequemlichkeit brauchen. Die - ſe Exempel fuͤhre ich bloß zu dem Ende an, damit man beſſer begreiffen kan, was die Anſtalten wegen Vermehrung der Victualien in einem Lande haben wol - len. Damit aber nichts, was in die - ſem Stuͤcke, heilſames verordnet wer - den kan, verborgen bleiben moͤge; ſo hat man alles was den Acker - und Garten - Bau, die Viehzucht, das Wild, Voͤ - gel, Fiſche und Jaͤgereyen und Fiſcherey - en betrifft, mit Fleiß zu unterſuchen, durch gehoͤrige Experimente, was ſich hier - innen thun laͤſſet, an das Licht zu brin - gen und zum Gebrauche derer, die zur Verbeſſerung des Landes geſetzet ſind, als auch eines jeden Haußwirthes ins beſondere in ausfuͤhrliche Schrifften zuver - faſſen. Und alſo hat in dieſem Stuͤcke das gemeine Weſen die Academie der Wiſſenſchafften hoͤchſt noͤthig (§. 305).

§. 480.557der hohen Landes-Obrigkeit.

§. 480.

Kriege koſten viel Geld, indemWie Geld durch Krieg aus dem Lande kommet. groſſe Summen theils zu Unterhaltung der Armeen, theils auf Pulver, Bley und Geſchuͤtze gewandt werden muͤſſen: welches hier umbſtaͤndlicher auszufuͤhren unnoͤthig iſt, indem es die Erfahrung zur Gnuͤge bezeuget. Es werden aber ent - weder die Kriege in fremden Laͤndern, o - der in unſeren eigenen gefuͤhret. Jm er - ſten Falle muß das Geld alles außer dem Lande geſchickt und auswaͤrtig ver - than werden, und ſolchergeſtalt kommet durch den Krieg das Geld aus dem Lan - de. Wir ſehen noch jetzt vor Augen, wie viel Frantzoͤſiſches Geld bey uns in Deutſchland iſt, nachdem die Franzoͤſi - ſche Armee in dem vorigen Kriege einige Jahre in Deutſchland zugebracht. Jm andern Falle bleibet zwar das Geld, was die Armee verzehret, im Lande, es kan auch dadurch gar fremdes Geld durch die feindliche Armee ins Land gebracht werden: allein der Feind kan doch theils durch Pluͤndern, theils durch Contribu - tiones, theils durch Verwuͤſtung des Landes groſſen Schaden, und dadurch groſſen Mangel anrichten. Alſo nimmet der Krieg allzeit Geld weg und machet das Land aͤrmer. Da man nun verhuͤ - ten ſoll, daß das Geld nicht ohne drin - gende Noth aus dem Lande komme, auchdie558Cap. 6. Von der Regierungdie Unterthanen nicht in Armuth gera - then (§. 476.); ſo ſoll man auch ohne Noth keine Kriege anfangen, ingleichen, wo man den Krieg, den andere anfan - gen wollen, vermeiden kan, nach allem Vermoͤgen ihn abzuwenden ſuchen.

Wie bey vorfal - lendem Mißwach - ſe das Geld im Lande be - halten wird.
1

§. 481.

Wenn durch einen Miswachs Mangel am Getreyde und anderen Vi - etualien, oder auch durch eine Vieh - Seuche Mangel am Viehe vorfaͤllet, und man iſt genoͤthiget, aus fremden Laͤndern zu hohlen, was man in ſeinem Lande nicht hat; ſo wird dadurch vieles Geld aus dem Lande gebracht. Denn in ſol - chen Faͤllen, wo ein groſſer Mangel iſt, ſchlaͤget der Preiß auf; je hoͤher aber der Preiß iſt, je mehr wird das Geld aus dem Lande getragen. Weil es nicht in unſerer Gewalt ſtehet Miswachs zu ver - huͤten; ſo bleibet nichts anders uͤbrig, als daß man bey guten Jahren allzeit einen Vorrath im Lande uͤbrig behaͤlt und nicht allen Uberfluß, den wir ſelbſt nicht brau - chen, in auswaͤrtige Laͤnder verfuͤhret. Denn unerachtet dadurch Geld ins Land kommet, ſo iſt doch in guten Zeiten der Preiß geringer, als in ſchlechten Jah - ren, wo Miswachs iſt, und daher wird nach dieſem mehr Geld aus dem Lande getragen, umb dasjenige wieder zu be -kom -559der hohen Landes-Obrigkeit. kommen, was man fuͤr weit weniger Geld aus dem Lande gelaſſen. Auf ſol - che Weiſe bleibet Geld im Lande, wenn man ſelbſt auf einen Vorrath in ſchlech - ten Zeiten bedacht iſt. Man koͤnte zwar einwenden, wenn das Getreyde, darauf doch alles hauptſaͤchlich ankommet, lan - ge liegen bleibet, ſo wird es verderben, ſonderlich wenn in vielen Jahren hinter einander kein Miswachs iſt, daß man den Vorrath nicht brauchet. Allein wer ſiehet nicht, daß man alle Jahre den Vorrath verbrauchen und an deſſen Stel - le neuen ſchaffen kan? Was die Vieh - Seuchen betrifft, ſo kan man hier wei - ter nichts thun, als daß man ihr ſu - chet, ſo viel moͤglich vorzubeugen, wenn ſie einreiſſen will.

§. 482.

Durch Qvackſalber, Marckt -Wie zu verhuͤ - ten / daß die Land - ſtreicher kein Geld aus dem Lande fuͤhren. ſchreyer, Comoͤdianten, Seil-Taͤntzer, Spieler und andere Land-Laͤuffer, ab - ſonderlich die Gluͤcks-Toͤpffer, wird viel Geld aus dem Lande gezogen, wenn es Leute ſind, die nicht in unſer Land ge - hoͤren. Nun folget freylich vor ſich, daß, wenn man das Geld im Lande behalten will, man dergleichen Leute in das Land nicht laßen muß, vielweniger aber fuͤr ei - nen kleinen Profit, den die Obrigkeit durch einigen Abtrag von ihnen hat, ver - ſtatten koͤnne, daß ſie ihr Werck oͤffent -lich560Cap. 6. Von der Regierunglich treiben und den Unvorſichtigen, Neu - gierigen und Gewinnſuͤchtigen das Geld ablocken. Unterdeſſen laͤſſet ſich doch der - gleichen Verboth nicht ohne Unterſcheid auf alle appliciren. Nemlich es kan kommen, daß einige von dieſen Leuten kaum ſo viel erwerben, als ſie wieder verzehren, und wohl dennoch dazu etwas Gutes ſtifften. Jn ſolchem Falle neh - men ſie wenig oder gar kein Geld aus dem Lande, und das wenige, was ſie mit nehmen, wird durch den Nutzen erſetzet, den ſie geſtifſiet. Z. E. Es kan unter - weilen ein Marcktſchreyer einige Kuͤnſte verſtehen gewiſſen preßhafften Perſonen zu helffen, denen ſonſt niemand von de - nen Aertzten und Wund-Aertzten in dem - ſelben Orte, wenigſtens nicht ſo geſchickt, zu rathen weiß. Wenn nun ein ſolcher den elenden Perſonen hilfft, die anders keine Huͤlffe haben koͤnnen; ſo kan man wohl erlauben, daß ſie einigen dieſem Nutzen proportionirten Genuß aus dem Orte ziehen, wo ſie ſich eine Weile auf - halten. Hingegen mancher erwirbet kaum ſo viel, als er verzehret, und thut daher dem Lande gleichfalls keinen Scha - den. Gleichwie aber in keinem Falle es moͤglich iſt alles ſo genau zu beobachten, daß man nicht eines und das andere wie - der ſeine Abſicht zu laſſen muß; alſo iſt esauch561der hohen Landes-Obrigkeit. auch in dieſem Stuͤcke genung, wenn man dasjenige hindert, wodurch ein mercklicher Schade zugewandt wird. Z. E. Spie - ler und Gluͤcks-Toͤpffer ziehen Geld aus dem Lande ohne den geringſten Vor - theil zuſchaffen, und alſo ſind ſie niemahls zu dulden.

§. 483.

Wenn beguͤtterte Leute aus demWie zu - verhuͤtẽ / daß nicht das Geld aus dem Lande komme / indem ſich unſe - re Jn - wohner anders - wo ni - derlaſ - ſen. Lande ziehen und ſich anderswo niederlaſ - ſen, ſo gehet dadurch gleichfals das Geld aus dem Lande. Solches geſchiehet auf vielerley Weiſe. Denn es koͤnnen gantze Familien wegziehen, und ſich anderswo niederlaſſen, entweder weil ſie im Lande mit Gaben zu ſehr gedruckt, oder auch der Freyheit ihre Kinder nach ihrem Gefallen zuerziehen verluſtig gemachet werden, in - gleichen wenn man ſie wegen der Religion kraͤncket, ihnen auf einige andere Art und Weiſe wehe thut, oder auchſie in die Furcht kuͤnfftiger Gefahr ſetzet: Oder wenn ſie es in einem andern Lande beſſer zufinden ver - meinen, als in dem, wo ſie ſich aufhalten, als wenn einer eine vortheilhafftere Bedie - nung anderswo erhaͤlt, als er in ſeinem Lande hat. Vermoͤgender Eltern ihre Soͤhne koͤnnen ſich in einem fremden Lan - de niederlaſſen, weil ſie daſelbſt ihr Gluͤcke finden, und naͤchſt dieſem das Erbtheil von ihren Eltern in ein ander Land bringen. Eben ſo koͤnnen ihre Toͤchter ſich an aus -(Politik. ) N nwer -562Cap. 6. Von der Regierungwertige verheyrathen und dadurch zugleich das Geld aus dem Lande bringen. Nun ſcheinet es zwar leicht zu verhuͤtten, daß auf keine von dieſer Art und Weiſe das Geld aus dem Lande gebracht wird, wenn man nehmlich nur ein Geſetze machet, daß niemand, der ſich auſſer dem Lande ſetzen wil, ſein Vermoͤgen mit ſich nehmen darf, ſondern es zuruͤcke laſſen muß: allein man wuͤrde hierdurch in vielen Faͤllen der na - tuͤrlichen Billigkeit allzunahe treten, die man doch auch im gemeinen Weſen be - ſtaͤndig vor Augen haben muß (§. 402.), und in einigen auch dem Lande ſelbſt ſcha - den, wenn nehmlich unſere Nachbahren wieder verbieten, was ſie ſehen, daß wir es verbothen haben. Will man ein Exem - pel haben, wo der naturlichen Billigkeit zuwieder gehandelt wuͤrde, wenn man ei - nen nicht aus dem Lande laſſen wollte; ſo laͤſſet ſich dergleichen leicht geben. Es ſind nicht alle Unterthanen Leibeigene oder Sclaven, uͤber welche die hohe Landes - Obrigkeit ein Recht zu ihrer Perſon und folgends zu allem ihren Vermoͤgen hat: und alſo waͤre es unrecht, wenn wir frey - willige Unterthanen als Leibeigene oder Sclaven tractiren wollten. Gleicherge - ſtalt koͤnnen wir einige fremde Landes - Kinder in unſeren Bedienungen haben, die ſich bey uns freywillig, unterweilenauch563der hohen Landes-Obrigkeit. auch wohl gar mit Einwilligung ihrer O - brigkeit, denen ſie ſich auf eine beſondere Weiſe verbuͤndlich gemacht hatten, als in dem ſie von ihren Stipendien ſtudiret, in Dienſte ein gelaſſen. Wenn man dieſe nicht wollte fortziehen laſſen, oder wenigſtens ihr Vermoͤgen zuruͤcke behalten, da ſie in anderen Orten beſſere Bedienungen als bey uns haben koͤnnten, ſo geſchaͤhe ihnen groß Unrecht, und man wuͤrde ſich auch ſelbſt ſchaden, indem man dadurch andere abſchrecken wuͤrde in unſere Dienſte zuge - hen. Wir ſetzen demnach das Zwangs - Mittel bey ſeite und unterſuchen, wie man zuwege bringet, daß die Jnnwohner im Lande nicht Luſt haben in ein anderes zu - ziehen und ſich daſelbſt mit ihrem Vermoͤ - gen niederzulaſſen. Es iſt bekand, daß der Menſch nichts wil, als was er fuͤr gut haͤlt, und hingegen bloß fliehet, was er fuͤr boͤſe haͤlt (§. 506. Met.) und im uͤbrigen das vorziehet, was er fuͤr beſſer haͤlt (§. 508. Met.). Sollen demnach die Jnnwohner eines Landes gerne darinnen bleiben wollen, ſo muͤſſen ſie der Meinung ſeyn, daß ſie es darinnen gut haben, oder doch nicht viel ſchlimmer, oder auch gar nicht ſchlimmer als in anderen Orten. Woferne ſie aber glauben, daß ſie es in ihrem Lande ſchlimm haben und in einem andern beſſer haben koͤnnen; ſo werdenN n 2ſie564Cap. 6. Von der Regierungſie auf Mittel und Wege dencken, wie entweder ſie ſelbſt fuͤr ihre Perſon hinaus kommen koͤnnen, oder doch wenigſtens die ihrigen an andere Oerter bringen. Weil alle Veraͤnderung einige Verdruͤslich - keit nach ſich ziehet, das Ubel aber aus dem Verdruſſe beurtheilet wird, den es verurſachet (§. 432. Met.); ſo wird niemand gerne zu einer Veraͤn - derung ſich entſchluͤſſen, woferne er nicht augenſcheinlichen Vortheil davon hat (§. 506. 508. Met.). Derowegen wenn Jnnwohner ſehen, daß man es in einem andern Lande beſſer hat als bey ihnen, ſo werden ſie ſich zwar wuͤnſchen in demſel - ben Lande zu ſeyn, allein doch niemahls den Sinn bekommen dahin zu gehen, ſo lange ſie es nur auch gut, oder nicht allzu ſchlimm haben. Und ſolchergeſtalt kom - met es hauptſaͤchlich darauf an, daß man die Jnnwohner nicht ohne Noth druͤcket weder in ihrem Gewiſſen durch Verfol - gung wegen der Religion, noch in ihrem Vermoͤgen durch uͤbermaͤßige Gaben, oder in ihrer Nahrung durch Schmaͤlerung ih - res Handels und Gewerbes, und was der gleichen mehr iſt. Auch traͤget dieſes viel dazu, daß man eine friedfertige Regie - rung fuͤhret, und keine Kriegs-Gefahr vor - handen. Auf ſolche Weiſe erhaͤlt man, daß niemand Luſt bekommet aus dem Lan -de565der hohen Landes-Obrigkeit. de zu gehen. Will man aber auch ferner haben, daß ſie gerne bleiben wollen, und nicht anders als mit ſchweerem Gemuͤthe fortgehen wuͤrden, wenn ſie hinaus ziehen ſollten: ſo muß man machen, daß gute Nahrung, und Gerechtigkeit im Lande iſt, damit ein jeder ruhig und vergnuͤgt ſein Le - ben zu bringen kan. Weil endlich bey Heyrathen und Niederlaſſung junger Leu - te ein jeder beſondere Urſachen haben kan, warumb er ſich dazu reſolviret und hier nicht alles nach ſeinem wahren Werthe, ſondern nach eines jeden Gutduͤncken ge - ſchaͤtzet wird; ſo iſt kein anderes Mittel - brig, wodurch man verhindern kan, daß nicht viel Geld durch Heyrathen und Erb - ſchafften in fremde Laͤnder geſchleppet wird, als wenn man ſtarcke Abzngs-Gelder verordnet, auch weitlaͤufftige Erben nicht zur Erbſchafft zu laͤſſet, woferne ſie ſich nicht an dem Orte, oder wenigſtens in den Laͤndern der hohen Landes-Obrigkeit, dar - unter er gehoͤret, niederlaſſen wollen.

§. 484.

Was bißher angefuͤhret wor -Noͤthige Erinne - rung. den, wie man das Geld in einem Lande behalten ſoll, was einmahl darinnen iſt; daſſelbe iſt in Anſehung eines gantzen Staa - tes, und nicht in Anſehung einiger beſon - derer dazu gehoͤriger Provintzen und Staͤd - te geſaget worden. Derowegen kan man es auch nicht ohne Unterſcheid auf eintzeleN n 3Pro -566Cap. 6. Von der RegierungProvintzen oder Staͤdte deuten. Auch da das gantze Roͤmiſche Reich deutſcher Na - tion als ein Staat anzuſehen, ſo kan nicht alles ohne Unterſcheid auf die Laͤnder und Provintzen beſonderer Staͤnde deſſelben ge - deutet werden: welches man auch in an - dern Faͤllen mercken muß. Es hat daſſel - be ſeine beſondere Verfaſſung und Reichs - Satzungen, daraus es muß beurtheiletWas fuͤr Nutzen Berg - wercke ſchaffen. werden.

§. 485.

Es lieget der hohen Landes-O - brigkeit ob auch ferner davor zu ſorgen, daß mehr Geld ins Land komme, woferne der Staat maͤchtiger werden ſol (§. 476). Derowegen muͤſſen wir auch noch hier die Mittel und Wege ſuchen, wodurch Geld ins Land gebracht wird, ſo vorher nicht darinnen war. Man ſiehet hier leicht, daß es ein groſſes Gluͤck fuͤr ein Land iſt, wo Silber - und Gold-Bergwercke ſind, die reiche Ausbeute geben. Denn aus dem Silber und Golde kan das Geld geſchla - gen werden, und alſo nimmet das Geld umb ſo viel im Lande zu als daraus ge - ſchlagen wird, Und da das Silber und Gold allzeit kan vermuͤntzt werden, wenn man es noͤthig hat; ſo iſt es ſo gut als Geld: jedoch weil es nicht wie das Geld in Handel und Wandel gebraucht wer - den kan, ſo iſt es wie ein todtes Capital anzuſehen, das ein Geitziger im Kaſten ver -ſchloſ -567der hohen Landes-Obrigkeit. ſchloſſen hat. Unterdeſſen wenn es gleich nicht vermuͤntzet wird, wird doch das Land dadurch nicht aͤrmer, wenn es nur von Goldſchmieden verarbeitet und im Lan - de von Jnwohnern aufbehalten wird. Es kan mit zu dem Nothpfennige gerechnet werden, darauf ein jeder Menſch ſehen ſol (§. 514. Mor.), und iſt beſſer einen ſolchen Nothpfennig haben, der auch noch zum Anſehen des Lebens kan gebrauchet wer - den (§. 492. Mor.), als das Geld baar im Kaſten liegen laſſen, davon man wehrender Zeit, daß es im Kaſten lieget, keinen Nu - tzen haben kan. Was fuͤr Misbrauch da - bey einreiſſen kan und wie man ihn ver - meiden ſoll, wird ſich nach dieſem zeigen laſſen. Wenn Silber und Gold entwe - der rohe, oder verarbeitet, auſſerhalb Lan - des verhandelt wird; ſo kommet davor Geld ins Land und iſt eben ſoviel, als wenn man Geld daraus gemuͤntzet haͤtte. Es wird aber nach dieſem mit unter die Wahren gerechnet, damit man Handel treibet, und iſt dahin zu deuten, was nach dieſem von dem Handel beygebracht wer - den ſoll. Hier iſt noch noͤthig, daß ich eine Frage beantworte, die man bey dieſer Materie machen koͤnnte, nemlich ob uͤber - haupt dadurch das Land reicher wird, wenn man Bergwercke bauet, unerachtet ſie kei - ne, oder doch ſchlechte Ausbeute geben. Hier -568Cap. 6. Von der RegierungHierauf muß man mit Unterſcheide ant - worten Wenn die Gewercke, welche das Bergwerck bauen, auswaͤrtige Perſonen ſind; ſo kommet ſo viel fremdes Geld ins Land, als von ihnen Zubuſſe gegeben wird. Und unerachtet was die Bergwercke tra - gen, wieder auf die Arbeiter und andere Koſten aufgewandt wird; ſo bleibet doch auch dieſes Geld im Lande und werden ſo viele Menſchen, als daran arbeiten, da - durch verſorget. Und unerachtet man nicht ſelbſt alle Materialien hat, die bey Bergwercken gebrauchet werden, wenn man ſie bauen und nutzen will; ſo werden ſie doch entweder von dem, was aus dem Bergwercke kommet, und alſo von Gelde, was noch nicht im Lande war, oder von der Zubuſſe auswaͤrtiger Gewercke, und alſo abermahls mit fremdem Gelde bezah - let. Und ſolchergeſtalt gehet in dieſem Fal - le auf keinerley Art und Weiſe Geld aus dem Lande. Wenn die Gewercke aus - waͤrtige Perſonen ſind und die Bergwer - cke tragen Ausbeute; ſo gehet zwar ſo viel Geld aus dem Lande, als die Ausbeute, die ſie zu ihrem Antheile bekommen, werth iſt: allein da die Ausbeute aus der Erde kommet und alſo noch niemanden im Lan - de eigenthuͤmlich zu gehoͤret; ſo kommet dadurch kein Geld aus dem Lande, was vorher darinnen geweſen waͤre, und dem -nach569der hohen Landes-Obrigkeit. nach wird dadurch das Land nicht aͤrmer. Wenn die Gewercke lauter Jnnwohner ſind und das Bergwerck traͤget keine Aus - beute, ſondern ſie muͤſſen noch gar Zubuſ - ſe geben; ſo bleibet doch die Zubuſſe im Lande und wird dadurch das Land nicht aͤrmer: ja wenn die Zubuſſe nicht die gan - tze Arbeits-Koſten austraͤget, ſo kommet durch das Bergwerck noch mehr Geld ins Land, als vorher darinnen war. Wenn die Gewercke Jnnwohner ſind und das Bergwerck traͤget Ausbeute, ſo wird das Land dadurch umb ſoviel reicher, als die auf den Bau gewandte Koſten, und die Ausbeute zuſammen ſich belauffen. Wird ein Bergwerck zu bauen angefangen und man verkauffet die Kuxe an Auswaͤrtige, oder wenn auch einige Jnnwohner des Landes ihre Kuxe an Auswaͤrtige verhan - deln; ſo koͤmmet dadurch ſoviel Geld ins Land, als der Preiß austraͤget. Und auf ſolche Weiſe ſind Bergwercke dem Lande niemahls ſchaͤdlich. Unterdeſſen damit nichts vergeſſen werde, was hier in Betrachtung zuziehen: ſo muß ich noch eines Zufalles gedencken, da - durch Bergwercke dem Lande zur Laſt werden koͤnnen. Wenn die Victualien fuͤr die Arbeiter und was man ſonft zum Baue brauchet, aus fremden Laͤndern gehohlet werden, und die BergwerckeN n 5erfor -570Cap. 6. Von der Regierungerfordern Zubuße; ſo gehet viel Geld aus dem Lande, als von der Zubuße der Jn - wohner im Lande zu Anſchaffung der Vi - ctualien und zum Baue erforderten Ma - terialien angewendet wird. Aus dieſen Umbſtaͤnden muß man in beſonderen Faͤl - len urtheilen, was dem Lande vortraͤglich iſt. Jch habe hier hauptſaͤchlich von Silber - und Gold-Bergwercken gehan - delt: Denn was aus den uͤbrigen Berg - wercken kommet; ſind Materialien, da - durch entweder im Lande oder außerhalb Landes Handel getrieben wird, und ge - hoͤret mit unter dasjenige, was von die - ſen Materialien hernach ſoll geſaget wer - den.

Wie durch Nieder - laſſung Fremder im Lande daſſelbe reicher wird.
1

§. 486.

Wenn beguͤterte Leute aus an - dern Laͤndern ſich bey uns niederlaſſen; ſo wird dadurch das Land umb ſo viel rei - cher, als ſie an Vermoͤgen mitbringen, o - der, woferne ſie liegende Gruͤnde außer - halb dem Lande behalten, ſo / viel ſie bey uns verzehren und von dem Uberſchuſſe der Intraden ins Land ziehen. Wofer - ne ſie auch ſonſt Handel treiben, der oh - ne ſie im Lande nicht ſeyn wuͤrde, oder wenigſtens zu Errichtung eines Handels durch die von ihnen verarbeiteten Mate - rialien Anlaß geben: ſo wird das Land durch ſie umb ſoviel reicher, ſo viel Geld durch ſie in das Land kommet, welchesſonſt571der hohen Landes-Obrigkeit. ſonſt wegbleiben wuͤrde. Will man nun beguͤterterte Leute, und andere, die den Handel in Aufnehmen bringen koͤnnen, ins Land ziehen; ſo muß man das Mit - tel erwehlen, was ſchon oben (§. 275) vor - geſchlagen worden, nemlich daß man ſol - che Anſtalten im Lande machet, dadurch niemand gedrucket wird, ſondern ein jeder begreiffen kan, man befinde ſich beſſer da - bey als in anderen Laͤndern. Wenn es die Unterthanen in einem Lande gut haben, ſo wird jedermann gerne die Seinen dar - innen wiſſen wollen, wo ſich nur einige Moͤglichkeit dazu ereignet. Und werden demnach vermoͤgende Eltern ihre Kinder dahin verheyrathen, auch inſonderheit ih - re Soͤhne ſich daſelbſt ſetzen laßen.

§. 487.

Es kommet fremdes Geld insWie von Reiſen - den ins Land Geld kommet. Land, wenn viele Fremde beſtaͤndig durch - reiſen, oder auch gar eine zeitlang darin - nen aufhalten und viel Geld verzehren. Nemlich die Durchreiſenden ſowohl, als die ſich eine zeitlang in einem und dem an - dern Orte des Landes aufhalten, verzeh - nicht allein taͤglich ein gewiſſes Stuͤcke Geld, ſondern kauffen auch oͤffters Wah - ren, die man im Lande verfertiget und fuͤh - ren ſie mit ſich heraus. Was die Durch - reiſenden betrifft, ſo kommet es wohl frey - lich meiſtentheils auf das Gluͤck an, ob nemlich ein Land ſo gelegen, daß viele, dieent -572Cap. 6. Von der Regierungentweder ihres Handels oder anderer Ver - richtungen wegen verreiſen muͤſſen, ihren Weg dadurch nehmen muͤßen. Unter - deßen kan man doch auch unterweilen die Durchreiſenden nach ſich ziehen, wenn man ihnen alle Beqvemlichkeit verſchaf - fet, die ſie im Reiſen wuͤnſchen koͤnnen. Hieher rechne ich die Ausbeſſerung der Wege, die Sicherheit auf den Straßen, die gute Bewirthung in den Gaſthoͤfen fuͤr einen billichen Preiß und die Befreyung von uͤbermaͤßigem Zolle, auch anderem Auffenthalte, den unterweilen ohne Noth Zoll - und Accife-Bediente machen. Es wird ein jeder begreiffen, daß man lieber mit einigem Umbwege reiſet, wo man der - gleichen Vortheile findet, als wo man ſie nicht antrifft. Was aber den andern Punct betrifft, daß ſich Fremde eine zeit - lang im Lande aufhalten; ſo ſtehet der - ſelbe mehr in unſerer Gewalt, als der er - ſte. Denn wie niemand gantz fuͤr die langeweile reiſet (§. 496. Met.); ſondern allezeit ſeine Urſachen hat, die ihn dazu bewegen, und warumb er abſonderlich vielmehr an dieſen Ort als an den ande - ren reiſet; ſo muß man dahin ſorgen, daß ſich dasjenige in unſerem Lande findet, was Fremde bewegen kan darnach zu rei - ſen. Zu dem Ende muß man die Univer - ſitaͤten und Schulen mit gelehrten, be -ruͤhm -573der hohen Landes-Obrigkeit. ruͤhmten und fleißigen Lehrern beſetzen, de - nen jedermann, der es nur haben kan, ger - ne nachreiſet etwas von ihnen zu lernen: man muß auch darauf bedacht ſeyn, daß die Studirenden im uͤbrigen alle Beqvem - lichkeit daſelbſt finden, die ſie zum Studi - ren und zu ihrem uͤbrigen Leben noͤthig ha - ben, ja uͤber dieſes dergleichen Anſtalten machen, daß junge Leute nicht leicht in Ungluͤck gerathen koͤnnen, wodurch ſie ent - weder gar umb ihr Leben, oder doch umb den groͤſten Theil ihrer zeitlichen Wohl - fahrt kommen. Damit nun aber auch andere, die ſich ſonſt durch Reiſen vergnuͤ - gen und qualificiren wollen, in unſerem Lande finden, was ſie ſuchen; ſo muß man die Staͤdte wohl anbauen, abſonderlich in der Reſidentz die oͤffentlichen Gebaͤude und andere vermoͤgender Jnwohner nach den Regeln der Bau-Kunſt auffuͤhren und aus - zieren laſſen. Man muß geſchickte Kuͤnſt - ler und gelehrte Leute heegen, mit denen ein jeder gerne zu ſprechen Gelegenheit ſu - chet. Man muß Luſt-Haͤuſer und Luſt - Schloͤſſer anlegen, wo man verſchiedenes zu ſehen bekommet, was man ſonſt an an - deren Orten nicht findet. Die Landes - Obrigkeit muß in ihrem Schloße und ihre Hoffſtaat verſchiedenen Pracht ſehen laſ - ſen, den man bey anderen kleinen Hoff - ſtaaten nicht antrifft. Man muß fuͤr Frem -de574Cap. 6. Von der Regierungde gute Beqvemlichkeit in Gaſthoͤffen und Wirthshaͤuſern ſchaffen. Man muß ſei - ne Regierung wohl reguliren und was dergleichen mehr iſt. Wenn man mit Fleiß unterſuchet, was man fuͤr Nutzen von Reiſen haben kan, woferne man ſie mit Verſtande anſtellet, und was diejeni - gen ſuchen, die bloß zu ihrer Vergnuͤgung und Ergoͤtzlichkeit reiſen; ſo wird ſich die - fer Punct gar leicht umbſtaͤndlicher aus - fuͤhren laßen. Jch muß mich aber wohl in den meiſten Stuͤcken begnuͤgen laſſen bloß zu zeigen, worauf man zu ſehen hat, und einen auf die Spur weiſen: die voͤl - lige Ausfuͤhrung aber entweder biß auf eine andere Zeit aufſchieben, oder andern uͤberlaſſen.

Wie durch Handel u. Wan - del Geld ins Land gebracht wird.
1

§. 488.

Das vornehmſte Mittel Geld ins Land zu bringen, iſt der Handel und Wandel, wenn man nemlich mehr Wah - ren an Auswaͤrtige verhandelt, als man noͤthig hat von ihnen zu nehmen, denn der bloſſe Uberſchuß machet reicher (§. 476). Man treibet aber Handel entweder mit rohen Materialien, oder mit daraus ver - fertigten Wahren. Die Materialien, da - mit man handeln kan, werden entweder aus den Bergwercken genommen, oder von dem Garten - und Ackerbaue, oder von der Vieh-Zucht. Nemlich aus den Berg - wercken kommen die Metalle, Minerali -en,575der hohen Landes-Obrigkeit. en, Steine und Stein-Kohlen: der A - ckerbau gewehret allerhand Arten des Ge - treydes, infonderheit das Korn oder den Roggen, ingleichen Hanff, Flachs und allerhand Kohl-Garten-Gewaͤchſe: die Vieh-Zucht giebet nicht allein das Viehe ſelbſt, ſondern auch Butter, Kaͤſe, Wolle, Talch, Borſten, Haͤute und Felle, und dergleichen. Der Garten-Bau bringet Obſt, Holtz von den fruchtbahren Baͤu - men, ſo man verarbeiten kan, allerhand Arten der raren Kraͤuter und was derglei - chen mehr iſt. Hieher kan man auch mit die Weinberge rechnen, und was ſonſt in der Landwirthſchafft vorkommet. Man kan auch Handel mit Holtz, mit Wilde, mit Fiſchen und, dergleichen treiben. Mit einem Worte, woferne man einen Uber - fluß an Materialien haben will, die man entweder an einen Auswaͤrtigen rohe ver - handeln, oder daraus man Wahren ver - fertigen kan, die ſich nach dieſem an Aus - waͤrtige verhandeln laſſen; da muß man die Landwirthſchafft fleißig treiben und zu - gleich die Bergwercke unermuͤdet bauen. Derowegen da bey der Wohlfart eines Landes ſo viel auf die Landwirthſchafft ankommet; ſo ſoll man auch auf deren Verbeſſerung bedacht ſeyn und unterſu - chen, worinnen u. an welchen Orten ſich zum Beſten des Landes darinnen etwas vor -neh -576Cap. 6. Von der Regierungnehmen laͤſſet. Und demnach arbeitet die Academie der Wiſſenſchafften zum Vortheile des Landes, wenn ſie alles, was zu dem Acker-Garten - und Wein-Baue, ingleichen der Vieh-Zucht gehoͤret, unter - ſuchet und in Form einer Wifſenſchafft zu bringen, ſich befleißiget (§. 305). Die Wahren, welche man aus den Materiali - en verfertiget, werden Manufacturen ge - nennet. Wo man demnach durch Ver - arbeitung derer im Lande befindlichen Materialien Geld ins Land bringen will, da muß man die Manufacturen in Auf - nahme bringen, das iſt, davor ſorgen, daß mehr Wahre, als man im Lande verbrau - chet, verfertiget werde. Sollen auch Auswaͤrtige die bey uns verfertigten Wah - ren bey ihnen einfuͤhren, ſo muͤſſen ſie tuͤchtig gemacht werden und muß man ſie wo nicht wohlfeiler, doch wenigſtens fuͤr eben einen ſolchen Preiß bekommen koͤn - nen, als von andern Orten. Derowe - gen damit der Handel nicht gehemmet und aus dem Lande gezogen werde; ſo muß man auf die Wahren, die aus dem Lan - de gehen, keine groſſe Aufflagen machen. Dabey iſt wohl zu uͤberlegen, ob man nicht die Materialien / die ſich verarbeiten laſſen und auſſer Land gefuͤhret werden, im Lande ſelbſt mit Vortheil verarbeiten kan: welches geſchiehet, wenn dadurchdie577der hohen Landes-Obrigkeit. die Einfuhre fremder Wahren, dafuͤr man baares Geld geben muß, verhuͤtet wird, und wenn man dadurch, daß die Wahren ſelbſt verarbeitet werden, dem Lande mehr Vortheil ſchaffet, als wenn man die bloſ - ſen Materialien ausfuͤhret. Denn ich ha - be oben ſchon erinnert, daß ſich einige Faͤlle finden, da es rathſamer iſt die Ma - terialien verhandeln, als daraus gefertig - te Wahren. Und auſſer den daſelbſt (§. 447.) angefuͤhrten Umbſtaͤnden finden un - terweilen auch noch andere ſtat. als z. E. Man kan die Materialien, als Flachs und Wolle, in ſo groſſer Menge haben, daß man ſie mit Beqvemlichkeit ſelbſt nicht verarbeiten kan, entweder weil die Men - ge der Arbeiter nicht wohl zu haben, oder auch weil die Wahren nicht ſowohl als die Materialien unter zubringen ſind, in - dem man an denen Orten keine Wahren verlanget, wo man Materialien haben wil. So kan es auch geſchehen, daß die Ma - terlalien an dem Orte, wo ſie hin verhan - delt werden, gantz anders verarbeitet wer - den, als bey uns ſich nicht thun laͤſſet, und was dergleichen mehr iſt. Derowe - gen hat man alles vorher nach denen be - ſonderen in jedem Falle ſich ereignenden Umbſtaͤnden zu uͤberlegen, ehe man einen Schluß faſſet, ob es beſſer iſt, daß die Materialien im Lande ſelbſt verarbeitet,(Politik) O ooder578Cap. 6. Von der Regierungoder auswertig verhandelt werden. Wenn man die Wahren fuͤr einen guten Preiß geben ſoll; ſo kommet es darauf an, daß man ſie geſchwinde und mit geringen Ko - ſten kan verfertigen. Sollen ſie geſchwin - de verfertiget werden, ſo muß man zu der Mechanick ſeine Zuflucht nehmen: denn durch Machinen kan man mit Vortheile der Zeit vieles ausrichten. Ja die Machi - nen helffen auch dazu, daß man mit we - nigen Perſonen etwas verrichten kan, und mindern daher auch die Koſten, die man darauf wendet. Und in dieſer Abſicht werden auch durch die Aufnahme der Me - chanick die Manufacturen befoͤrdert und ſollte man dannenhero ſich dieſelbe angele - gen ſeyn laſſen, wo man durch Manufac - turen dem Lande rathen will. Sonſt ſie - het man zugleich ohne mein Erinnern, daß dieſe Wiſſenſchafft und Kunſt auch in den Bergwercken und der Land-Wirth - ſchafft bey allerhand Gelegenheiten vielfaͤl - tigen Nutzen ſchaffen kan. Wo man die Wahren mit ſchlechten Koſten verfertigen ſoll, da muß nicht theuer zu leben ſeyn, und ſind demnach ſolche Oerter zu Ver - fertigung der Manufacturen auszuleſen, wo man Speiſe und Tranck fuͤr weniges Geld haben kan und die Leute nicht ge - wohnet ſind herrlich zu leben. Denn an ſolchen Orten kan man die Arbeit vor we -nig579der hohen Landes-Obrigkeit. nig Geld haben. Weil es aber nicht ge - nung iſt, daß Wahren im Uberfluß ver - fertiget werden, ſondern man ſie auch muß loß werden koͤnnen, damit ſie nicht lange liegen bleiben; ſo muß man auch davor ſorgen, daß ſie abgehen und denen, die ſie verfertigen, Gelegenheit zum Handel verſchaffen, nicht aber den Handel ſelbſt auf einige Welſe hemmen. Und braucht es bey dem Haͤndel keinen Zwang; ſon - dern man muß alles dergeſtalt einrichten, daß man gutwillig dieſelben abnimmet: wozu wohl das meiſte beytraͤget, wenn man ſie tuͤchtig umb einen wohlfeilen Preiß haben kan. Und da die Koſten, mit wel - chen man ſie verfuͤhren muß, die Wahren theuer machen koͤnnen; ſo hat man in Er - wehlung der Oerter, wo man ſie will ver - fertigen laſſen, auch darauf zu ſehen, ob ſie ſich leicht aus demſelben Orte in die andere bringen laſſen, wo man ſie ver - handeln will. Und hierauf hat man umb ſo vielmehr zu ſehen, wenn man mit we - nigeren Koſten eben dahin dergleichen Wahren aus andern Orten bringen kan. Eben deswegen weil der Abgang der Wahren am meiſten zu hoffen, wo man ſie tuͤchtig umb einen wohlfeilen Preiß ha - ben kan; ſo muß man ſie nicht (wie ſchon erwehnet worden) mit groſſen Aufflagen beſchweeren, abſonderlich wo dergleichenO o 2Wah -580Cap. 6. Von der RegierungWahren auch aus anderen Orten mit ge - ringeren Koſten zu haben ſind, und man dannenhero beſorgen muß, daß durch die gemachte Aufflagen der Handel ſich von unſerem Orte in einen andern ziehen wer - de. Und iſt dieſe Vorſichtigkeit umb ſo viel noͤthiger, je ſchweerer dem Verſehen wiederumb abzuhelffen: denn wenn ſich der Handel einmahl in einen anderen Ort gezogen, ſo iſt er ſchweer wieder zuruͤcke zubringen, theils weil niemand gerne oh - ne Urſache Aenderung trifft und auswerti - ge auf unſer intereſſe nicht ſehen, theils weil man beſorget iſt, man moͤchte einen nur wieder von neuem mit freundlichen Verſprechungen anlocken und nach einiger Zeit wieder auf die alten Spruͤnge kom - men. Weil es der Kauffleute ihr Inter - eſſe iſt, daß der Handel im Flor iſt, ſo wird ſie als intereſſirte Leute ihr eigen Vortheil antreiben ihn in Flor zu bringen und zu erhalten. Derowegen gehet es nicht beſſer, als wenn man ihnen ihren Willen laͤſſet. Und die Erfahrung hat dieſes beſtetiget, aus welcher man ange - mercket; der Handel florire nirgends mehr, als wo er frey iſt.

Wie zu ſorgen / daß das Geld wohl voulire.
1

§. 487.

Es iſt aber nicht genung, daß eine hohe Landes-Obrigkeit alle moͤgliche Anſtalten machet, daß das Geld im Lan - de bleibe (§. 447. & ſeqq. ) und mehr hin -ein,581der hohen Landes-Obrigkeitein, als heraus komme (§. 485. & ſeqq. ); ſondern da ſie darauf zu ſehen hat, daß, wo nicht alle, doch die meiſten Jnwohner des Landes gluͤckſeelig ſind (§. 223.) und viele von ihnen reich werden (§. 459); ſo muß ſie auch ferner darauf bedacht ſeyn, daß das Geld nicht bey einem bleibe, ſon - dern in einer guten Proportion ſich unter die Jnwohner des Landes vertheile, das iſt, wie man insgemein zureden pfleget, daß das Geld roulire. Dieſes iſt ein Punet, darauf man wenig zu ſehen pfle - get, und vielleicht werden auch einige in den Gedancken ſtehen, es ſey nicht noͤthig, daß ein Landes-Herr ſich deswegen viel Sorge mache. Jhm gelte gleichviel, wer das Geld habe, wenn es nur im Lande ſey. Allein hierbey finde ich zweyerley zu erinnern. Einmahl iſt gewis, daß es den Jnwohnern im Lande nicht gleichviel ſey, ob einer alles allein hat, oder ob das Geld in guter Proportion unter ſie vertheilet an - zutreffen: welches ein jeder ohne weitere Ausfuͤhrung meines Erachtens zugeben wird. Nun muß die hohe Landes-Obrig - keit nicht allein auf ihr intereſſe, ſondern auch auf die Wohlfahrt der Unterthanen ſehen (§. 230). Derowegen wenn es ihr auch gleich viel gelten koͤnnte, wer im Lan - de das Geld bey einander haͤtte; ſo muß ſie doch auch bedencken, ob ſolches ihrenO o 3Un -582Cap. 6. Von der RegierungUnterthanen zu traͤglich iſt oder nicht. Und alſo flieſſet dieſes aus der ſchlimmen Staats-Maxime, dadurch Land und Leu - te verdorben werden, daß man das In - tereſſe des Landes-Herrn von dem Inter - eſſe der Unterthanen trennet und als zwey wiedrige Dinge einander entgegen ſetzet. Allein in unſerem gegenwaͤrtigen Falle iſt es auch fuͤr den Landes-Herrn vortheilhaff - ter, wenn das Geld unter viele im Lande vertheilet iſt, als wenn es einige wenige bey einander haben. Denn wenn Gaben zu geben ſind, ſo ſind alsdenn die meiſten in dem Stande ſie ohne Empfindung ab - zutragen, indem man erſt die Gaben em - pfindet, wenn man dadurch entweder in ſeiner Nahrung zuruͤcke geſetzt wird, oder eine anſehnliche Summe auf einmahl zah - len muß. Wo man die Gaben empfin - det, da entſtehet viel Wehe-Klagen und kommet dadurch das Land in einen uͤbelen Ruff, welches man doch auf das aͤuſerſte zu verhuͤten hat. Hingegen wo man ſie nicht empfindet, da wird niemand dadurch gedrucket und man fuͤhret daruͤber keine Klage. Weil nun dadurch vermoͤgende Leute im Lande erhalten und darein gezo - gen werden (§. 483. 486); ſo befeſtiget ſolches mit die Macht eines Staats (§. 459), abſonderlich da man auch den Han - del dabey ins Land ziehet (§. 486). Uber -dieſes583der hohen Landes-Obrigkeit. dieſes ſind die Gaben nicht allezeit ſo auf - geleget, daß ſie nach Proportion des Ver - moͤgens abgetragen wuͤrden, und daher be - kommet bey vielen Einrichtungen der Lan - des. Herr weniger, wenn das Geld bey einigen wenigen ſich bey einander befindet, als wenn es unter viele in guter Propor - tion vertheilet. Und alſo bleibet es wohl dabey, daß es einem Staate vortraͤglich ſey, wenn auch im Lande das Geld, wel - ches darinnen vorhanden iſt, wohl rouli - ret. Nun iſt wohl wahr, wie ich ſchon erinnert, daß dieſe Materie zur Zeit noch wenig erwogen worden: unterdeſſen will ich, ſo viel ſich hier thun laͤſſet, unterſu - chen, worauf es eigentlich ankom - met. Fuͤr allen Dingen ſiehet ein jeder gleich vor ſich ſelbſt, daß, woferne das Geld rouliren ſoll, man nicht verſtatten kan, daß vieles Geld bey einigen muͤßig im Ka - ſten liege. Denn ob dadurch das Land gleich nicht aͤrmer wird, ſo werden doch viele von denen Unterthanen unvermoͤgend ihre Handthierungen und Gewerbe zu trei - ben, und muͤſſen ſich deswegen armſeeli - ger behelffen: woraus denn ferner folget, daß der Aufgang abnimmet und die Hand - lung geſchwaͤchet wird. Und kommen dadurch die Commercien in Abnahme, als welche zum Verlage viel Geld erfor - dern, und nach dem Abgange der Wah -O o 4ren584Cap. 6. Von der Regierungren ſich richten. Damit nun niemand Luſt hat ſein Capital liegen zu laßen, als wie geitzige Leute thun, aus Furcht, daß ſie nicht darumb betrogen werden; ſo muß man Sicherheit im Ausleihen verſchaffen (§. 336). Groſſe Herren haben nicht noͤ - thig das Geld in Schatz zu legen: denn ſie ſind reich, wenn ſie reiche Unterthanen haben, indem ſie von ihnen alles haben koͤnnen, was ſie gebrauchen und zu der Zeit, da ſie es gebrauchen. Man muß eben einen Unterſcheid machen unter einem reichen Buͤrger und einem reichen Lan - des-Herren, wie laͤngſt von andern aus - gefuͤhret worden. Wiederumb wenn das Geld wohl rouliren ſoll, ſo muͤßen auch reiche Leute mehr aufgehen laſſen, und ſich in Eſſen und Trincken (§. 455. Mor.), Kleidung (§ 492. Mor.) und Wohnung (§. 510. Mor.) und allem, was dahin ge - hoͤret, beſſer auffuͤhren als andere. Denn dadurch kommet das Geld unter andere, die ſonſt darben muͤßen. Und da der Muͤßiggang ein ſo ſchaͤdliches Laſter iſt (§. 530. Mor.); ſo iſt es beßer, wann reiche Leute durch ihren Aufgang andern etwas zu verdienen geben, als daß ſie ſolches un - terlaſſen und, und nachdem ſie ſie da - durch in Bettelſtand geſetzet, ihnen Allmo - ſen geben. Aus eben dieſer Urſache iſt es gut, wenn der Landes-Herr das Geld,was585der hohen Landes-Obrigkeit. was er von den Unterthanen bekommet, durch ſeinen Staat wieder unter ſie brin - get. Allein ein Verſehen iſt es, wenn man fuͤr fremde Wahren große Sum - men Geldes aus dem Lande ſchicket (§. 477) und dabey die Unterthanen mit all - zu großen Auflagen beſchweeret, daß es ih - nen an Mitteln fehlet, ihren Handel, Handthierung und Gewerbe mit Nach - druck zu treiben. Soll das Geld im Lande wohl rouliren, ſo muͤßen die Land - wirthſchafften wohl getrieben und die Ma - nufacturen in Aufnahme gebracht wer - den, auch muß man im Lande mit allem handeln laſſen, es mag noͤthig, oder un - noͤthig ſeyn. Ein jeder mag ſich ſuchen zu nehren, womit er kan, wenn er nur da - durch niemanden ſchadet (§. 824. Mor.). Denn ob man gleich unnoͤthige Wahren nicht ſoll ins Land fuͤhren laſſen, damit nicht ohne Noth das Geld aus dem Lande kommet (§. 477); ſo verhaͤlt ſichs doch an - ders, wenn ſolche Wahren im Lande ver - fertiget werden, maßen in ſolchem Falle das Geld im Lande bleibet, aber dabey rouliret. Wenn man im gemeinen We - ſen bloß dasjenige dulden wollte, was man zur Nothdurfft des Lebens gebrauchet; ſo wuͤrden wenige Menſchen etwas haben, die meiſten wuͤrden verarmen und ſich bey muͤßigen Tagen von All moſen ernehrenO o 5muͤſ -586Cap. 6. Von der Regierungmuͤßen. Damit aber das Geld auf eine geſchickte und bequeme Art roulire, das iſt, in guter Proportion ſich unter die Leu - te zertheile, wie es die Standmaͤßige Auf - fuͤhrung eines jeden erfordert (§. 458. 492. 510. Mor.); ſo muß man auf jede Arbeit einen geziemenden Preiß ſetzen, wodurch nemlich der Arme mit Luſt zu arbeiten an - getrieben, nicht aber zur Arbeit verdruͤß - lich gemachet wird.

Wie viel Obrig - keiten wegen der ge - meinen Wohl - farth des Landes zu veran - ſtalten.
1

§. 488.

Weil eine hohe Landes-Obrig - keit regieret, indem ſie die ihr verliehene Macht und Gewalt brauchet (§. 467); ſie aber vermoͤge ihrer Gewalt und Macht alles anzuordnen und auszufuͤhren hat, was fuͤr die gemeine Wohlfahrt vortraͤglich iſt (§. 435. 443); ſo hat ſie alle Anſtalten im gemeinen Weſen zu bewerckſtelligen, die oben im gantzen dritten Capitel als Mittel zu Befoͤrderung der gemeinen Wohlfahrt vorgeſchrieben worden. Wer mit Fleiß erweget, was daſelbſt vorgeſchrieben wor - den; der wird dadurch erkennen, wie viel die hohe Landes-Obrigkeit zum gemeinen Beſten zu veranſtalten hat, wenn ſie thun will, was ihres Ambtes iſt. Man wird aber zugleich daraus erſehen, wie eine große Laſt die Regierungs-Laſt iſt wegen der vielen und ſo gar vielfaͤltigen Sorgen, die ſie erfordert, wenn man ſich nicht ih - rer zum Nachtheile des Landes entziehenwill.587der hohen Landes-Obrigkeit. will. Ja es wird naͤchſt dieſem erhellen, wie große Weisheit (§. 914. Met.) und Klugheit (§. 327. Mor.) zum regieren er - fordert wird, wenn man in allem vernuͤnf - tig regieren ſoll. Es iſt wohl wahr, daß unterweilen diejenigen, welche erfahren haben, wie es mit denen beſchaffen, wel - che Land und Leute regieren ſollen, zu ſa - gen pflegen: Die Welt werde mit gar kleiner Weisheit regieret. Allein was hier aus der Erfahrung angefuͤhret wird, iſt demjenigen nicht zuwieder, was aus der Vernunfft erwieſen worden. Denn an - fangs iſt die Frage, ob es daſelbſt, wo man mit weniger Weisheit regieret, auch in allem wohl zugehet und, wenn es wohl zugehet, ob ſolches der Geſchickligkeit derer, die regieren, oder vielmehr dem Gluͤcke zu zuſchreiben ſey. Darnach kan es ſeyn, daß diejenigen, welche regieren, viel Er - fahrung haben, ob ſie zwar wenig Wiſ - ſenſchafft beſitzen, und daher ihre Weis - heit und Klugheit auch nicht gar ſo kleine iſt, wie ſie denen ſcheinet, welche die Er - fahrung nicht ſehen, den Mangel aber der Wiſſenſchafft und hurtigen Gebrauches des Verſtandes wahrnehmen. Uberdie - ſes muß zur Weisheit und Klugheit, da - mit das Land regieret wird, nicht allein diejenige gerechnet werden, die man bey dem Landes-Herrn und ſeinen Raͤthen beyHoffe588Cap. 6. Von der RegierungHoffe findet, ſondern auch die, welche man bey allen uͤbrigen in den Provinzen und Staͤdten, ja Flecken und Doͤrffern, antrifft, denen Regierungs-Geſchaͤffte an - vertrauet worden. Ja man muß auch dazu die Weisheit und Klugheit derjeni - gen rechnen, von denen die guten Anſtal - ten herkommen, die man im Lande von langen Zeiten hat, und nicht allein derer, die ſie im Lande zu erſt eingefuͤhret, ſondern auch der andern, die ſie laͤngſt vor - her in andern Laͤndern zuerſt erdacht ha - ben. Es gilt hier das Spruͤchwort: Ein Zwerg, der einem groſſen Rieſen auf den Achſeln ſtehet, kan weit ſehen, und weiter als der Rieſe.

Was zu Erhal - tung ge - meiner Ruhe und Sicher - heir noͤ - thig iſt.
1

§. 489.

Wiederumb weil die hohe Lan - des-Obrigkeit vermoͤge ihrer Macht und Gewalt auch alles thun ſoll, was die ge - meine Sicherheit erfordert (§. 435. 443), die Sicherheit aber nichts anders iſt, als eine Befreyung von der Gewalt und Un - recht der Feinde (§. 214); ſo muß ſie auch bey ihrer Regierung ihre Unterthanen wie - der alle Macht und Gewalt und alles Un - recht der Feinde, ſie moͤgen in oder auſſer dem Lande ſeyn, ſchuͤtzen. Da nun im ge - meinen Weſen an allen Orten des Lan - des, ſie moͤgen Nahmen haben, wie ſie wollen, Richter geſetzet werden, welche diejenigen, die ſich weigern, dem andernzu589der hohen Landes-Obrigkeit. zu geben, was ihm gebuͤhret, durch die Hulffe dazu bringen muͤſſen, und, wo ſie durch Ubertretung andere beleidigen und in Schaden ſetzen, nach Verdienſten be - ſtraffen (§. 469); ſo wird durch die Ge - richte die innerliche Sicherheit und Ruhe der Unterthanen befoͤrdert. Da aber auch Auswaͤrtige den Unterthanen Unrecht thun koͤnnen, entweder weil ſie ihnen in de - nen Dingen, welche ſie bey ihnen zu for - dern haben, nicht Recht wiederfahren laſ - ſen, oder auch ihren Handel hindern; ſo iſt die hohe Landes-Obrigkeit verbunden, ſich in dieſem Stuͤcke nach Erforderung der Umbſtaͤnde ihrer anzunehmen. Endlich weil die gemeine Ruhe und Sicherheit nichts mehr als der Krieg ſtoͤhret (§. 881. Mor.); ſo muß auch die hohe Landes - Obrigkeit weder vor ſich ohne dringende Noth Krieg anfangen, noch andern einen anzufangen Anlaß geben. Wir wollen aber bald nach dieſem zeigen, was wegen des Krieges zu bedencken noͤthig iſt.

§. 490.

Aus allem demjenigen, wasNoth - wendig - keit der Raͤthe und ihr Unter - ſcheid. bisher von der Regierung der hohen Lan - des-Obrigkeit beygebracht worden, erhel - let, wie viel dazu erfordert wird, wenn ein Land wohl und weislich regieret wer - den ſoll. Da nun nicht moͤglich iſt, daß ein Landes-Herr ſo viel Verſtand und Weisheit hat, daß er alles vor ſich zurGnuͤ -590Cap. 6. Von der RegierungGnuͤge uͤberlegen kan, oder, wenn er auch dieſe Gabe haͤtte, dennoch allein ſo viel nicht uͤberlegen koͤnte, aus Mangel der Zeit / die darzu erfordert wird: ſo hat er andere Perſonen zu Gehuͤlffen noͤthig, denen er gewiſſe Angelegenheiten entweder aus dem gantzen Lande, oder, wenn daſ - ſelbe zu weitlaͤufftig iſt, nur aus gewiſſen Provinzen anvertrauet, daß ſie dieſelben wohl uͤberlegen, ihren Rath daruͤber mit - theilen und zur Verordnung vortragen. Weil nun dieſe Perſonen Rath ertheilen, was zu thun iſt; ſo werden ſie daher die Raͤthe genennet und nach denen beſonde - ren Angelegenheiten, die ſie zu beſorgen haben, in gewiſſe Claſſen eingetheilet. Z. E. Die Raͤthe, welche davor ſorgen, daß Recht und Gerechtigkeit im Lande gehandhabet werde, werden Juſtiz. Raͤ - the, an einigen Orten auch Hoff-Raͤ - the genennet. Die Raͤthe, welche die Einkuͤnffte des Landes-Herren beſorgen, heiſſen Cammer-Raͤthe: diejenigen, welche den Handel beſorgen, Commerci - en-Raͤthe: die hoͤchſten, welche uͤber - haupt, was zu Erhaltung des Staats gehoͤret, beſorgen, geheime Raͤthe, auch geheime Staats-Raͤthe und ſo weiter. Unterweilen verleihet man ei - nem bloß den Titul, aber er hat keine Expedition oder Verrichtung. Und da -her591der hohen Landes-Obrigkeit. her nennet man ſie zum Unterſcheide der andern, die wuͤrckliche Raͤthe heiſſen, Titular-Raͤthe.

§. 493.

Weil die Raͤthe die ihnen ver -Was man fuͤr Perſonen zu Raͤ - then er - wehlen ſol. trauten Angelegenheiten vernuͤnfftig uͤber - legen und, was bey der Sache zu thun ſey, der hohen Landes-Obrigkeit eroͤff - nen muͤſſen (§. 492); ſo ſoll man nie - manden zu einem wuͤrcklichen Rathe ma - chen, als der die Sachen wohl verſtehet und zu expediren geſchickt iſt, die ihm anvertrauet werden. Z. E. Ein Juſtiz - Rath muß verſtehen, was recht iſt, und ſowohl die natuͤrlichen, als buͤrgerlichen Geſetze inne haben, und auf vorkommen - de Faͤlle appliciren koͤnnen. Ein Com - merci en-Rath muß das Manufactur - Weſen und, wie Handelund Wandel zu befoͤrdern, verſtehen, und ſo weiter fort. Und dieſe heiſſen verſtaͤndige und weiſe Raͤthe, nemlich verſtaͤndig, in ſo weit ſie die Sachen, wovon ſie Rath er - theilen ſollen, verſtehen (§. 277. Met.), und weiſe, in ſo weit ſie durch Uberlegung finden koͤnnen, was zu thun iſt (§. 914. Met.). Wie nun durch verſtaͤndige und weiſe Raͤthe die Wohlfahrt des Landes befoͤrdert werden kan; ſo wird hingegen durch unverſtaͤndige und unweiſe das Land verdorben. Und iſt hier wohl zu mer - cken, daß, woferne die Wohlfahrt desLan -592Cap. 6. Von der RegierungLandes befoͤrdert werden ſoll, die Raͤ - the hauptſaͤchlich in den Stuͤcken verſtaͤn - dig und weiſe ſeyn muͤſſen, darinnen ſie Rath ertheilen ſollen. Es kan wohl einer in einer andern Sache ſehr verſtaͤndig und weiſe ſeyn, aber nicht in derjenigen, dar - innen er Rath ertheilen ſol. Und daher wird er doch mit Recht fuͤr einen unver - ſtaͤndigen und unweiſen Rath gehalten, und muß man es bey ſeinen Rathſchlaͤgen wagen, daß Land und Leute verdorben werden. Es iſt aber nicht genung, daß die Raͤthe verſtehen, was in ſich ereignen - den Faͤllen zum Beſten des Landes gerei - chet; ſondern ſie muͤſſen auch geneigt ſeyn dem Landes-Herrn ihren Rath nach ih - rem Wiſſen und Gewiſſen zu eroͤffnen, und nicht aus allerhand intereſſirten Ab - ſichten entweder verſchweigen, was die Wohlfahrt des Landes befoͤrdert, oder wohl gar rathen, was Schaden bringet. Weil nun ein Herr ſich auf ſeine Raͤthe verlaſſen muß, und alſo ſeine gute Inten - tion, die er fuͤr das Land heget, ihn nichts hilfft, wenn die Raͤthe entweder unverſtaͤn - dig, oder nicht aufrichtig ſind: ſo ſollen keine Perſonen zu wuͤrcklichen Raͤthen an - genommen werden, als die bereits durch vielfaͤltige Proben ihre gute Qualitaͤten bewieſen haben. Und alſo koͤnnen nicht junge Leute zu Raͤthen angenommen wer -den,593der hohen Landes-Obrigkeit. den, ſondern vielmehr diejenigen, welche vorher in andern Bedienungen ſich wohl gezeiget haben.

§. 494.

Der Raths-Titul gehoͤret mitWen man zu einem Ti - tular - Rathe machen ſol. unter die Ehren-Titul und ziehet weiter nichts als einen Rang nach ſich. Da man nun niemanden im gemeinen We - ſen Titul und Rang geben ſol, als der es verdienet (§. 397); ſo ſoll man auch nie - manden zu einem Titular-Rathe machen, als der geſchickt iſt einen wuͤrcklichen Rath abzugeben, oder ſonſt dem Lande ſo gute Dienſte thut, als wenn er ein wuͤrcklicher Rath waͤre. Was oben uͤberhaupt von Tituln und Range ausgefuͤhret worden (§. 397.), das laͤſſet ſich auch auf die Ti - tular-Raͤthe appliciren. Nur iſt noch die - ſes zu erinnern, daß es einem Landes-Herren ſelbſt nachtheilig iſt und das Anſehen ſeiner Raͤthe bey auswaͤrtigen vergeringert, wenn er unverſtaͤndigen und von geringem Stan - de das Praͤdicat eines Raͤthes beyleget, abſonderlich wo die Titular-Raͤthe allzu gemein werden.

§. 495.

Weil es aber nicht moͤglich iſt,Ambt zu Unterſu - chung der Staats - Angele - genhei - ten im Lande. daß die Raͤthe theils wegen ihrer uͤber - haͤufften Verrichtungen, theils weil ſie zu langen und weitlaͤufftigen Uberlegungen nicht aufgelegt und im erfinden nicht geuͤ - bet ſind, neue Anſtalten zum gemeinen Beſten erfinden, oder auch unterſuchen,(Politik. ) P pwie594Cap. 6. Von der Regierungwie weit ſich andere bey uns anbringen laſſen: ſo ſollte man auch ein beſonderes Ambt haben, welches aus lauter Perſo - nen beſtuͤnde, die im Nachdencken ſehr ge - uͤbet und in noͤthigen Wiſſenſchafften wohl beſchlagen waͤren, damit ſie alles, was von weitlaͤufftiger Uberlegung vorkaͤme, auf das genaueſte unterſuchten und uͤber - haupt die zur Verbeſſerung des Landes noͤ - thige Wahrheiten zu erfinden ihnen ange - legen ſeyn lieſſen. Da nun die Kunſt zu er - finden der hoͤchſte Grad der Vollkommen - heit iſt, den unſer Verſtand erreichen kan (§. 304. Mor.) und keine neue Wahr - heiten ſich anders, als aus einigen, die ſchon bekand ſind, erfinden laſſen (§. 362. Met.); ſo koͤnnen auch keine andere als Grundgelehrte Leute dazu genommen wer - den und die vorher einige Jahre in andern Raths-Collegiis geſeſſen und der Sachen, die darinnen vorkommen, dadurch kundig worden. Dem Mangel eines ſolchen Ambtes iſt es zuzuſchreiben, daß man heu - te zu Tage ſo viele fruchtloſe und Land ver - derbliche Anſchlaͤge hin und wieder hat. Unerachtet aber auch die Academie der Wiſſenſchafften alle Einrichtungen, die man in einem Staate hat, ſie moͤgen Po - licey-Cammer - oder andere Sachen betref - fen, ſo ſorgfaͤltig als andere Wahrheiten unterſuchen ſoll (§. 306), ſo bleibet ſiedoch595der hohen Landes-Obrigkeit. doch von dieſem Ambte noch unterſchieden. Denn ſie ſuchet allgemeine Wahrheiten ohne application auf einen gewiſſen Staat; hingegen das Ambt, davon ich rede, unterſuchet alles in Abſicht auf un - ſeren Staat und kan ſich der allgemeinen Wahrheiten bedienen, welche die Acade - mie der Wiſſenſchafften erfunden. Wol - te man aber auch die Arbeit von Unterſu - chung der Staats-Wiſſenſchafften der A - cademie der Wiſſenſchafften benehmen und ſie zugleich dem gegenwaͤrtigen Ambte zu - legen: ſo kan es mir gleichviel gelten. Wenn nur im Lande geſchiehet, was geſchehen ſoll; ſo mag es verrichten, wer da will. Weil es alles in Abſicht auf den Zuſtand des Landes unterſuchen muß; ſo muß es ſich auch des Zuſtandes im Lande auf das genaueſte erkundigen. Bey den Sine - ſern legten ſich vor dieſem ihre Weltweiſen auf die Staats-Wiſſenſchafften und wur - den an ſtat dieſes Ambtes zu Rathgebern von den Koͤnigen in wichtigen Angelegen - heiten gebrauchet, auch von ihnen ihrer hohen Wiſſenſchafft halber hoch und werth gehalten. Die politiſchen Wahrheiten ſind von einer weitlaͤufftigen Verknuͤpf - fung und erfordern dannenhero eine ſehr groſſe Uberlegung, wenn man ſie gruͤnd - lich erkennen will, wie ich zum Theil in der Vorrede ausgefuͤhret. Und daher iſtP p 2es596Cap. 6. Von der Regierunges Wunder, daß man auf die Gedancken gerathen kan, als lieſſen ſie ſich in einem Augenbliche ausmachen durch eine kleine Unterredung einiger Perſonen, die im Er - finden weder Erkaͤntnis, noch Ubung ha - ben. Wenn man in der Mathematick ei - ne Aufgabe aufgiebet und es giengen eini - ge Leute zuſammen, denen die darinnen erfundenen Wahrheiten meiſtentheils be - kand waͤren, und fragte einer den andern was ihn von der Aufloͤſung der Aufgabe deuchte, und man vermeinte dadurch die Aufloͤſung in dem Augenblicke zu finden; ſo wuͤrden die im Erfinden erfahrne Ma - thematici uͤber die Einfalt dieſer Leute la - chen. Und gewis, da man daruͤber lachen muß, daß vor moͤglich gehalten wird, was doch augenſcheinlich unmoͤglich iſt; ſo koͤn - nen ſich Verſtaͤndige des Lachens nicht ent - halten. Was ſoll man nun ſagen, wenn man ſiehet, daß man ſehr in einander ver - wirrte und verſteckte Aufgaben, welche die Verbeſſerung des Staates betreffen, auf eine ſolche Weiſe heraus bringen wil. Man muß einen Unterſcheid machen, ob etwas durch weitlaͤufftige Uberlegung zu erfinden, oder zu unterſuchen iſt, oder ob nur die allgemeinen bereits erkandten Wahrheiten auf einen beſondern Fall anzubringen ſind. Zu dem letzten wird ein einiger Schluß erfordert; und kan im Augenblicke ein je -der,597der hohen Landes-Obrigkeit. der denſelben machen, der die allgemei - nen Wahrheiten erkandt, nachdem er den gegenwaͤrtigen Fall mit ſeinen Umbſtaͤn - den erzehlen gehoͤret, welcher den Unterſatz des Schluſſes abgiebet (§. 6. c. 4. Log.). Allein das erſte iſt keine Arbeit, die ſich ſo bald und von einem im Erfinden ungeuͤbe - ten verrichten laͤſſet. Derowegen ſollte man beyde Verrichtungen wohl von ein - ander unterſcheiden. Jch bilde mir ein, daß derjenige hierauf gezielet, welcher ge - ſaget; Das jenige gemeine Weiſen wuͤrde erſt gluͤckſeelig ſeyn, in welchem entweder die Koͤnige philoſophirten, oder die Weltweiſen regierten. Man muß ſich a - ber hier wohl in acht nehmen, daß man den Nahmen eines Weltweiſen nieman - den beyleget als demjenigen, der eine ſolche Erkaͤntnis beſitzet, wie ich ihme zueigne (Proleg. Log. §. 6.). Denn in dieſem und keinem anderen Verſtande des Wor - tes iſt der Spruch wahr.

§. 496.

Weil ein Koͤnig ſeine Hoff -Landes - herrliche Einkuͤnf - te und Noth - wendig - keit der Gaben, damit die Unter - thanen zubele - gen. Staat der Macht des Landes gemaͤß ein - richten muß, damit man ſeine Majeſtaͤt o - der Macht und Gewalt daraus zu erken - nen Anlaß nehmen kan (§ 466): ſo muͤſ - ſen ihm dazu gewiſſe Einkuͤnffte von eini - gen Landguͤttern angewieſen werden, wel - che dem Landes-Herrn als Lands-Herrn ei - genthuͤmlich zugehoͤrige Guͤtter ſeine Taf -P p 3fel -598Cap. 6. Von der Regierungfel-Guͤtter genennet werden. Gleicher - geſtalt weil er viele Raͤthe noͤthig hat, und nebſt ihnen zu Expedirung deſſen, was geſchloſſen worden, noch viele andere Be - diente; dieſe aber insgeſamt durch dieſe Be - dienungen ſoviel vor ſich bringen muͤſſen, als zu einer ſtandmaͤßigen Verſorgung ih - rer und der ihrigen (§. 458. 492. 510. Mor. & §. 18. Polit.) erfordert wird: ſo muͤſſen ge - wiſſe Einkuͤnffte von dem Lande zu Sala - rirung der Bedienten ausgeſetzet werden. Als die Sineſer ihren Staat in der beſten Ordnung hatten, waren die Bedienungen alle reguliret, wie viel derſelben ſeyn ſoll - ten, und zu einer jeden Bedienung wa - ren gewiſſe Land-Guͤtter geſchlagen, da - von derjenige ſeinen ſtandmaͤßigen Unter - halt haben konnte, der die Bedienung beklei - dete. Auſſer dieſem finden ſich noch andere, theils ordentliche, theils außerordentliche Ausgaben bey den Regierungs-Geſchaͤff - ten, dazu gleichfalls gewiße Einkuͤnffte an - zuweiſen ſind. Jn ſolchen Faͤllen aber, da groſſe außerordentliche Ausgaben vorkom - men, muͤſſen auch außerordentliche Gaben ausgeſchrieben werden. Weil es unmoͤg - lich iſt, daß im Lande ſo viel Landguͤter ausgeſetzet werden, als zu Erhaltung des gantzen Staats in gutem Flor und beſtaͤn - diger Ruhe noͤthig waͤre, wenn das dazu erforderte Geld bloß daher ſollte genom -men599der hohen Landes-Obrigkeit. men werden; ſo hat man auf allerhand andere Anlagen zu dencken, wodurch von denen Unterthanen ſo viel Geld zuſammen gebracht wird, als man noͤthig hat. Und demnach muß der Landes-Herr Macht und Gewalt haben Anlagen zu machen, und die Gaben von denen, die ſie nicht gutwillig geben wollen, durch die Huͤlffe eintreiben zu laſſen (§. 342). Jnsgemein ſetzet man, daß die Gaben ſollten nach Proportion deſſen, was einer im gemei - nen Weſen gewinnet, abgetragen wer - den: allein gleichwie man es nicht aus den erſten Gruͤnden der Politick erweiſet, ſo bin ich auch gewis, daß es ſich nicht erweiſen laße, maßen, wenn man nach dieſer Regel verfaͤhret, viele Faͤlle vor - kommen koͤnnen, daß einige durch die Ga - ben gedruckt werden, das iſt, daß ſie dadurch an ihrer Nahrung zuruͤcke geſe - tzet werden, oder an noͤthigem Unterhalte Mangel leiden muͤßen. Dieſes aber kan in dreyerley Faͤllen geſchehen, einmahl, wenn bey außerordentlichen Anlagen groſ - ſe Gaben zu geben ſind; darnach, wenn ſchweere Zeiten kommen, da entweder die Victualien theuer ſind, oder wenig zu verdienen iſt, und endlich, wenn einige bey ihrem Verdienſte kaum ihr noͤthiges Aus - kommen finden, entweder wenn ſie ſich ih - rem Stande nicht nachtheilig auffuͤhrenP p 4wol -600Cap. 6. Von der Regierungwollen, oder wenn ſie eine ſtarcke Familie zu verſorgen haben. Da man nun im gemeinen Weſen davor ſorgen ſoll, daß die meiſten Menſchen neben einander gluͤck - ſeelig leben (§. 223), und alſo niemand durch die Schuld der hohen Landes-O - brigkeit ungluͤckſeelig gemacht wird; der Menſch aber gluͤckſeelig iſt, der in beſtaͤndi - ger Freude leben kan (§. 52. Mor.) und al - ſo mehr Vergnuͤgen als Misvergnuͤgen hat (§. 446. Met.); ſo muͤſſen die Aufla - gen dergeſtalt eingerichtet werden, daß niemand dadurch an ſeiner Nahrung zu - ruͤcke geſetzet wird, noch an noͤthigem Unter - halte Mangel leiden darf. Denn ſolcherge - ſtalt findet er keine Urſache uͤber die Ga - ben zu klagen und dadurch ſein Gemuͤhte zu beunruhigen, folgends wird er nicht da - durch ungluͤckſeelig gemachet. Wer oh - ne Grund daruͤber Klage fuͤhret und ſein Gemuͤthe beunruhiget, der hat es nicht dem Landes-Herrn, ſondern ihm ſelbſt zu zuſchreiben. Man hat allerhand Manie - ren der Contributionen oder Abgaben erdacht. Z. E. Man fordert etwas auf gewiſſe Termine von liegenden Gruͤnden, und was ihnen anhaͤngig iſt, und dieſe Gaben werden Steuren genennet, inſon - derheit Land-Steuren. Man leget et - was auf den Kopff einer jeden Perſon und nennet dieſe Gaben Kopff-Steuren. Man601der hohen Landes-Obrigkeit. Man laͤſſet etwas geben von allen Victu - alien und Wahren, die man zur Kleidung und Nothdurfft, auch Beqvemlichkeit des Lebens gebrauchet, und heißen dieſe Ga - ben Acciſe. Man laͤſſet auch in gewiſſen Faͤllen etwas abgeben von dem Vermoͤ - gen, was einer in beweglichen, unterwei - len auch wohl unbeweglichen Guͤtern be - ſitzet, und dieſe werden Vermoͤgens - Steuren genennet, und ſo weiter fort. Alle Arten der Gaben zu unterſuchen und nach der vorgeſchriebenen Art zu reguli - ren, auch dabey zu beurtheilen, welche un - ter ihnen die beſte ſey, oder ob man auch nicht noch eine beqvemere Art erfinden koͤnne auſſer denen, die bisher gebraͤuch - lich ſind, leidet das gegenwaͤrtige Vor - haben nicht. Es iſt genung, daß ich den rechten Grund angezeiget, daraus alles muß entſchieden werden. Und wuͤrde ſo wohl dieſe, als andere Materien, die im vor - hergehenden abgehandelt worden, zu be - ſonderen Wiſſenſchafften Anlaß geben, wenn man ſie ausfuͤhrlich und gruͤndlich abhandeln ſollte. Nur erinnere ich noch dieſes, daß man in Abtragung der Steu - ren und Gaben, wie ſie Nahmen haben moͤgen, denen Unterthanen nicht nachſehen muß, damit ſie ſelbige durch den Verzug ſich nicht haͤuffen laſſen und nach dieſem durch den Abtrag ruiniret werden.

P p 5Das602Cap. 7. Von dem

Das 7. Capitel Von dem Kriege.

§. 497.

Warumb man nicht Kriege anfan - gen / noch dazu An - laß geben ſol.
1

EJn jeder Staat iſt in Anſehung an - derer Staate mit Regenten und Unterthanen zuſammen genommen, als eine Perſon anzuſehen (§. 220), und alſo verhalten ſich zwey derſelben gegen einander, wie eintzele Perſonen. Da man nun mit niemanden Krieg anfangen, noch durch Beleidigungen zu einem Krie - ge Gelegenheit geben ſoll (§. 882. Mor.); ſo ſoll auch kein groſſer Herr, der wegen der Macht und Gewalt, die er hat (§. 435. 443 ), Kriege anfangen kan, mit anderen aus - waͤrtigen Staaten einen Krieg anfangen, noch durch Beleidigungen zu Kriegen An - laß geben. Es erfordert auch dieſes das wahre Jntereſſe eines Staates, indem wir ſchon vorhin geſehen haben, wie nachthei - lig der Krieg dem Lande iſt (§. 480). Und erkennet auch jedermann die Regierung ei - nes Landes-Herrn fuͤr gluͤckſeelig, unter dem das Land Friede und Ruhe genoſſen hat. Es iſt nicht noͤthig, daß ich hier die Beſchweerden des Krieges weitlaͤufftig er - zehle, indem ſie zur Gnuͤge bekand ſind: wiewohl freylich ein groſſer Unterſcheid iſt,ob603Kriege. ob der Krieg im Lande oder auſſer dem Lande gefuͤhret wird, als in welchem Fal - le die Beſchweerden aus den außerordent - lichen Steuren, den Werbungen und dem Nachtheile der Handlung beſtehen. Ein Landes-Herr, der keine Luſt zum Kriege hat, und den Unterthanen goͤnnet, daß ſie die Fruͤchte des Friedens genieſſen, wird ein friedliebender Herr genennet. Weil der Friede der Zuſtand des gemeinen We - ſens iſt, da kein auswaͤrtiger Staat es of - fenbahr beleidiget (§. 880. Mor.); ſo zeiget ein friedliebender Herr, daß er fuͤr ſeine Unterthanen ſorget, damit ihnen kein Schaden noch Leid zugefuͤget werde (§. 824. Mor.). Und alſo beweiſet er dadurch Liebe zu ſeinen Unterthanen (§. 449. Met.).

§. 498.

Zwey Staate verhalten ſich ge -Wenn es zu Krie - gen er - laubet. gen einander, wie zwey eintzele Perſonen (§. 497). Da nun in der natuͤrlichen Freyheit erlaubet iſt ſich mit dem andern in Krieg einzulaſſen, wenn wir den Scha - den, den er uns zuwendet, oder zuwenden will, nicht anders abwenden koͤnnen (§. 882. Mor.); ſo kan auch ein Landes-Herr ſich mit anderen Staaten in Krieg einlaſſen, wenn ſie ſeinem Staate Schaden thun, o - der Schaden thun wollen, und kein ande - res Mittel ſolchen abzuwenden uͤbrig iſt. Und wie abermahls eintzele Perſonen in der natuͤrlichen Freyheit, wenn ſie verſi -chert603[604]Cap. 7. Von demchert ſind, daß der andere einen Krieg mit ihnen anfangen will und ſie ſolches zu hin - tertreiben nicht vermoͤgend ſind, ihm zu - vorkommen und den Anfang machen doͤrf - fen: alſo iſt es auch nicht unrecht, daß ein Landes-Herr, wenn er ſiehet, wie man ihn bekriegen will, und ſolches zu hinter - tertreiben nicht in ſeinem Vermoͤgen fin - det, dem andern zuvorkommet und den Anfang machet. Es wird dadurch wohl freylich der Krieg dem Lande nicht zutraͤg - licher als vorhin: allein es iſt alsdenn ein Ungluͤck, das zu vermeiden nicht in un - ſeren Kraͤfften ſtehet (§. 1002. Met.). Und in ſolchem Falle muß man keine Klagen fuͤhren, wenn der Landes-Herr die zum Kriege noͤthige Koſten von den Untertha - nen eintreibet, auch von ihnen junge Mannſchafft zu Soldaten anwirbet. Und dieſes findet noch mehr ſtatt, wenn man gegen den andern, der uns bekrieget, ſich wehren muß. Denn gleichwie im natuͤr - lichen Stande eintzelen Perſonen es er - laubet iſt, ſich gegen den Feind zu wehren, auch wenn es mit Verluſt ſeines Lebens geſchehen ſolte (§. 868. 869. Mor.): alſo haben auch Potentaten jederzeit das Recht, ja ſie ſind gar verbunden ſich zu wehren, ſo gut als es ihnen immer moͤglich iſt, wenn ſie von andern bekrieget werden. Es werden auch die Unterthanen die Noth -wen -604[605]Kriege. wendigkeit ſolcher Kriege zur Gnuͤge erken - nen, und daher keinen Wiederwillen wie - der den Landes-Herren bey ſich verſpuͤren, maßen derſelbe gehalten iſt ſie zu ſchuͤtzen und es ihnen angenehm ſeyn muß, wenn ſie ſehen, daß ſie von ihm tapffer wieder ihre Feinde beſchuͤtzet werden.

§. 499.

Jch habe ſchon anderswo er -Was man zu - thun / ehe man zum Kriege ſchreitet. wieſen (§. 883. Mor.), daß, was von dem Kriege zu ſagen iſt, in wie weit nemlich derſelbe erlaubet, und wie man ſich dabey zu verhalten habe, woferne man die natuͤr - liche Billigkeit, wie ſichs gebuͤhret (§. 221), nicht aus den Augen ſetzen will, aus demjenigen muß entſchieden werden, was von Abwendung des Schadens (§. 832. 833. Mor.) und dem Wiederſtande wieder die Feinde (§. 861. 864. 866. Mor.) erwieſen worden. Und alſo iſt noͤthig, daß ich hier ſolches ausfuͤhrlicher zeige. Jn Abwendung des Schadens ſtehet frey alle Gewalt zu gebrauchen, wenn man den andern nicht anders als durch Gewalt ge - winnen kan (§. 833. Mor.). Derowegen wenn kein anderes Mittel uͤbrig iſt den andern dahin zu bringen, daß er von ſei - nem Vorſatze uns zu ſchaden ablaͤſſet, als der Krieg; ſo muß auch der Landes-Herr dieſes Mittel erwehlen, ob er wohl frey - lich als ein vernuͤnfftiger Herr, ſchweer daran gehet, theils aus der Liebe, die erge -605[606]Cap. 7. Von demgegen andere auswaͤrtige Unterthanen hat, deren Wohlfahrt er ſowohl wuͤn - ſchet, als die Wohlfahrt der ſeinen (§. 221.) theils aus Liebe gegen ſeine eige - ne Unterthanen, als die allzeit durch den Krieg beſchweeret werden, wie ſchon vor - hin angemercket worden (§. 497). Hin - gegen wenn andere Mittel vorhanden ſind, ſo ſiehet man, daß kein zureichender Grund vorhanden, warumb man zum Kriege ſchreiten und denen zumahl oͤffters unſchul - digen Unterthanen des Potentatens, der uns beleidiget, ja auch unſeren eigenen Unterthanen ein Ungluͤck uͤber den Hals ziehen ſollte. Es ſind aber gelindere Mit - tel, da man durch Vorſtellungen der Ge - ſandten ſich uͤber die Beleidigung beſchwee - ret und theils in Guͤte, theils, wenn die Guͤte nicht fruchten will, mit Bedrohun - gen auf gleiche Weiſe zu verfahren, ſie zu endigen ſuchet. Wollen Worte nichts verfangen, ſo kan man auch zur Sache ſchreiten, und, wenn unſere Unterthanen von einem anderen Staate gedrucket wer - den, es geſchehe auf was fuͤr Art und Weiſe es immer mehr wolle, die Unter - thanen des beleidigenden Theiles wieder auf eben eine ſolche Weiſe drucken: wel - che der Beleidigung entgegen geſetzte Be - leidigung, oder vielmehr ihr aͤnliches Ver - fahren, Repreſſalien genennet werden. Nem -lich606[607]Kriege. lich im natuͤrlichen Stande, wo kein Rich - ter iſt, der die Sache entſcheiden kan, kan man Gewalt mit gleicher Gewalt vertrei - ben (§. 833. Mor.), und finden alsdenn die Repreſſalien ſtat. Da nun die Staa - te und ihre Oberhaͤupter, die Potentaten, in der natuͤrlichen Freyheit leben und kei - nen Richter uͤber ſich haben, ſo ſind ihnen auch die Repreſſalien erlaubet. Denn es wird wohl niemand in Abrede ſeyn, daß Repreſſalien ein gelinderes Mittel ſind als der Krieg. Gleichwie man aber in der natuͤrlichen Freyheit einen Schieds - mann erwehlen kan, der den Streit, wel - chen wir mit unſerem Gegentheile nicht ausmachen koͤnnen, entſcheidet: alſo koͤnnen auch die Staate und Potentaten, als Perſonen, die in der natuͤrlichen Freyheit leben, andere unpartheyiſche Po - tentaten erwehlen, welche die zwiſchen ihnen ſchwebende Streitigkeiten entſchei - den helffen und zwar mit dem Gedinge, daß, woferne der eine Theil von dem ge - troffenen Vergleiche abgehen wuͤrde, ſie ihn ſelbſt dazu mit anhalten wollen, daß er ihm beſſer ein Gnuͤgen thue. Nemlich dieſes iſt noͤthig diejenigen, welche ſich vergleichen, zu verbinden, daß ſie den Vergleich halten (§. 5. Mor.). Damit wir aber deſto weniger zweiffeln doͤrffen, daß groſſe Herren dieſes zuthun verbunden,und607[608]Cap. 7. Von demund nicht berechtiget ſind ohne dringende Noth zum Verderb ihrer und frembder Unterthanen die Waffen zu ergreiffen; ſo will ich noch einen Beweiß hieher ſetzen. Wenn wir wiſſen, daß ein Feind uns beleidi - gen wird, wir koͤnnen aber verhindern, daß es geſchiehet, ohne daß wir ihm einigen Schaden zufuͤgen; ſo ſind wir verbunden daſſelbe Mittel zu erwehlen, und waͤre un - recht, wenn wir ihm einigen Schaden zu - fuͤgen wollten (§. 861. Mor.). Da nun die Staate mit ihren Oberhaͤuptern ſich gegen einander verhalten wie Perſonen, die in der natuͤrlichen Freyheit leben; ſo ſind ſie auch verbunden dergleichen Mittel zu erwehlen. Und findet ſich bey ihnen noch ein beſonderer Umſtand, der bey eintzelen Perſonen nicht anzutreffen. Nemlich wenn groſſe Herren einander zunahe kom - men, und ſie es durch Krieg mit einander ausmachen wollen, ſo trifft es insgemein die Unterthanen, deren Gut und Blut ko - ſtet es: die Unterthanen aber ſind gemei - niglich unſchuldig, haben auch oͤffters, ja wohl meiſtens ſelbſt an dem harten Ver - fahren des Landes-Herrn keinen Gefallen. Es iſt aber einem vernuͤnfftigen Potenta - ten bedencklich unſchuldige ohne Noth zu drucken. Wiederumb wenn ein Feind nicht das Anſehen haben will, als wenn er uns ohne Urſache beleidigte und daherGe -609Kriege. Gelegenheit an uns ſuchet; ſo ſind wir verbunden uns ſorgfaͤltig in acht zu neh - men, daß wir ihm keine Urſache dazu ge - ben, und ihm in allem, ſoviel moͤglich iſt, nachgeben (§. 864). Da nun die Staaten und Potentaten eben dergleichen Verbindlichkeit gegen einander haben, wie einzele Menſchen; ſo muß auch ein Potentat ſich ſorgfaͤltig in acht nehmen, daß er dem andern, der Gelegenheit an ihn ſuchet, keine Urſache darzu giebet, und ihm viel mehr in allem, ſoviel moͤglich iſt, nachgeben. Vielleicht werden es einige einem Potentaten fuͤr unanſtaͤndig hal - ten dergleichen zuthun, und vermeinen, es erfordere ſeine Majeſtaͤt, daß er zeige, er ſey in dem Stande ſich von niemanden etwas ſagen zulaſſen und dem gleich Trotz zubitten, der ſich an ihn waget. Allein wir finden, daß dergleichen Einbildungen unter den Menſchen herrſchen, die ihre Handlungen nicht nach der Vernunfft richten, und an ihnen tadeln wir es. Da nun Potentaten nicht anders als Perſo - nen anzuſehen ſind, die in der natuͤrlichen Freyheit neben einander leben; ſo muß auch alles bey ihnen tadelhafft ſeyn, was bey Privat-Perſonen in natuͤrlicher Frey - heit fuͤr tadelhafft gehalten wird. Und ich weiß nicht, wie man dieſes groſſen(Politik) Q qHer -610Cap. 7. Von demHerren zur Ehre auslegen wil, daß ſie ſich wie unvernuͤnfftige Menſchen auff - fuͤhren; hingegen zur Schande deuten, daß ſie ſich wie vernuͤnfftige bezeigen. Wir finden ſelbſt, daß GOTT, der groͤſte Potentat und Monarch, ſich nach den Regeln der Vernunfft richtet (§. 994. Met.). Wir muͤſſen nicht die Fehler und Gebrechen niedriger Perſonen zu Tugenden hoher Haͤupter machen.

Wie man ſich im Kriege auffzu - fuͤhren.
1

§. 500.

Auf eben dieſe Art laͤſſet ſich erweiſen, wie man ſich im Kriege aufzu - fuͤhren habe und wie weit dieſe, oder jene Gewalt auszuuͤben erlaubet. Nehmlich in dem Stande der natuͤrlichen Freyheit und auch im gemeinen Weſen in denen Faͤllen, wo die natuͤrliche Freyheit unein - geſchraͤnckt verblieben, muͤſſen wir uns gegen einen Feind, der Feindſeeligkeit wieder uns auszuuͤben trachtet, folgender Geſtalt auffuͤhren. Wenn ein Feind in dem Begriffe iſt uns Schaden zuthun, und wir koͤnnen ſolches auf keine andere Weiſe abwenden, als daß wir ihn durch ihm zugefuͤgten Schaden unvermoͤgend machen ſeinen Vorſatz zuvollfuͤhren; ſo ſind wir verbunden dieſe Mittel dazu zu - gebrauchen: jedoch muͤſſen wir ſoviel moͤglich darauf ſehen, daß wir nicht durch einen groͤſſeren Schaden zu erhalten ſu -chen,611Kriege. chen, was wir durch einen kleineren er - halten koͤnnen. (§. 866. Mor.) Da nun die groſſen Herren und Staaten in der natuͤrlichen Freyheit leben und ſich wie einzele Perſonen gegen einander ver - halten, wie ſchon oͤffters angefuͤhret worden; ſo ſind auch ſie verbunden al - le Mittel zu gebrauchen, die ſie zu Ab - wendung des Schadens, den ihnen aus - waͤrtige Feinde zufuͤgen wollen, noͤthig befinden; jedoch muͤſſen auch ſie, ſo - viel ihnen moͤglich iſt, darauf ſehen, daß ſie nicht durch einen groͤſſeren Schaden zu erhalten ſuchen, was ſie durch einen kleineren erhalten koͤnnen. Und eben hier - aus erhellet zugleich, daß ſie nicht gehal - ten ſind Krieg anzufangen, wenn ſie ent - weder durch nachdruͤckliche Vorſtellun - gen, die ſie durch ihre Abgeſandten koͤn - nen thun laſſen, oder durch Repreſſa - lien, oder durch Vermittelung anderer Potentaten die zwiſchen ihnen ſchweben - de Streitigkeiten entſcheiden koͤnnen (§. 499). Wenn aber kein anderer Weg uͤbrig iſt als der Krieg; ſo ſiehet man doch ferner daraus, daß man nicht meh - rere Thaͤtlichkeit ausuͤben darf, als den hochmuͤthigen und trotzenden Feind zu - baͤndigen noͤthig iſt. Wenn man alſo den Feind in den Stand bringen koͤnnte,Q q 2daß612Cap. 7. Von demdaß er einwilligen muß, was wir von ihm begehren und er gutwillig nicht thun wil, bloß dadurch daß wir in ſein Land einfallen und die zum Kriege erforderten Koſten durch Contribution eintreiben; ſo waͤre es zuviel und ein Kennzeichen der Grauſamkeit (§. 877. Mor.), wenn wir die Unterthanen auspluͤndern und alles verwuͤſten, auch die Leute gar umbbrin - gen wollten. Es iſt nicht noͤthig mehre - re Exempel zugeben: aus den angezeig - ten Gruͤnden wird ein jeder ſelbſt ausma - chen koͤnnen, was recht und billig iſt, und was zur Grauſamkeit zurechnen. Und ſiehet ein jeder leicht, daß einerley Verfah - ren im feindlichen Lande bald der Billig - keit gemaͤß iſt, bald aber als Grauſam - keit muß angeſehen werden. Nehmlich es kommet allzeit an auf die Abſicht, die man dabey hat, und wie weit dieſelbe da - zu noͤthig iſt, daß wir den Feind in den Stand ſetzen, wo er von ſeinem Vorſatze uns zuſchaden ablaſſen muß.

Grund der Frie - dens - Tracta - ten.
1

§. 501.

Da Kriege viel Geld und Volck koſten, ſo ſetzet derjenige, welcher den Krieg anfaͤnget, oder unvermeidlichen Anlaß dazu giebet, den andern dadurch in groſſen Schaden. Nun iſt ein jeder verbunden dem andern den Schaden zu - erſetzen, den er verurſachet (§. 825. Mor.). Dero -613Kriege. Derowegen da Potentaten gegen einan - der ſich wie einzele Perſonen verhalten (§. 479.), ſo iſt auch derjenige, welcher den Krieg anfaͤngt oder unvermeidlichen Anlaß dazu giebet, verbunden dem an - dern den Schaden, den er durch den Krieg an Volck und Gelde erlitten, zuer - ſetzen. Und auf dieſem Grunde nebſt dem Vergleiche wegen der ſtreitigen Pun - ete, daruͤber man krieget, beruhen die Friedens-Tractaten. Wenn man dem - nach dieſelbe der Vernunfft und natuͤrli - chen Billigkeit gemaͤß einrichten ſol; ſo muß man demjenigen Theile, der bißher von dem andern Unrecht leiden muͤſſen, zu ſeinem Rechte und dabey zugleich zu Erſetzung des verurſachten Schadens ver - helffen. Es iſt wohl freylich wahr, daß, da Potentaten keinen Oberen uͤber ſich haben, der ſie, wie im gemeinen Weſen der Richter die ſtreitigen Partheyen, zwin - gen kan zuthun, was recht iſt, man we - gen der Hartnaͤckigkeit des andern, der nicht nachgeben wil, wo er ſol, ſondern auf feine Macht trotzet, nicht allzeit erhal - ten kan, was recht und billig iſt: allein wenn man gleich aus Noth von ſeinem Rechte abweichen muß und ſich Unrecht muß thun laſſen, weil man es ſelbſt ab - zuwenden nicht in ſeinem Vermoͤgen fin -Q q 3det,614Cap. 7. Von demdet, ſo wird doch dadurch nicht Recht, was der andere thut.

Wie man ſich vor dem Kꝛie - ge in acht nimmet.
1

§. 512.

Da nun der Krieg eine ſo be - ſchweerliche Sache iſt und das Land da - durch, wenn es im beſten Flore ſich be - findet, auf einmahl in das aͤuſerſte Ver - derben geſetzet werden kan: ſo hat man auch bey Zeiten alle noͤthige Anſtalten wieder den Krieg zumachen. Wenn man ſeinen Staat maͤchtig machet (§. 459.); ſo wird niemand ſich leicht an uns wa - gen: mit maͤchtigen waget man es nicht gerne. Wenn man mit maͤchtigen Po - tentaten und Staaten in eine Buͤndnis tritt, dergeſtalt daß man einander ver - ſpricht wieder den Anfall ſeiner Feinde beyzuſtehen; ſo iſt es eben ſoviel, als wenn man ſeinen Staat umb ſoviel maͤch - tiger gemachet haͤtte, als man ſich Huͤlf - fe von ſeinen Bundsgenoſſen verſprechen kan. Derowegen was man durch ei - gene Macht ausrichtet, das richtet man auch durch Buͤndniſſe mit andern aus. Gleichwie aber jedermann verbunden iſt ſein Verſprechen zuhalten (§. 1004. Mor.); alſo muß auch ein jeder den Bund halten, den er mit andern aufgerichtet. Und auſ - ſer dieſer natuͤrlichen Verbuͤndlichkeit er - fordert es auch das Staats-Intereſſe. Denn615Kriege. Denn wenn wir unſern Bund nicht hal - ten; ſo werden nicht allein unſere Bundsgenoſſen ihn wieder nicht halten, ſondern wir werden auch nach dieſem nicht leicht wieder einen finden, der ſich mit uns in ein Buͤndnis einzulaſſen Luſt hat: wenigſtens wird man uns nicht viel zutrauen. Es verlieret demnach ein groſſer Herr, wenn er wieder ſeinen Bund handelt, den er mit andern auf - gerichtet, ſeinen Glauben. Man ſiehet aber aus dieſem Exempel, wie weit man auf das Staats-Intereſſe zuſehen hat, nehmlich es muß niemahls wieder die na - tuͤrliche Billigkeit befoͤrdert werden, wel - ches auch uͤberhaupt daraus abzunehmen, weil ſich die Potentaten und Staaten gegen einander wie einzele Perſonen ver - halten, und alſo auch in Befoͤrderung dieſes Intereſſes diejenigen Regeln gelten muͤſſen, die einzele Perſonen unter einan - der zubeobachten haben. Damit der Feind, welcher uns den Krieg ankuͤndi - get, nicht nach gefallen gleich ins Land eindringen und nach ſeinem Willkuͤhr brandſchatzen kan, ſo muͤſſen uͤberall an den Graͤntzen Feſtungen erbauet werden: auch muͤſſen auf gleiche Weiſe die wich - tigſten Staͤdte im Lande fortificiret werden. Endlich damit man in Krieges -Q q 4Zeiten616Cap. 7. Von demZeiten nicht durch Verzug dem Feinde einen Vortheil uͤberlaͤſſet, auch der Krieg einen nicht ſo ſchweer ankommet; ſo muͤſ - ſen bey Friedens-Zeiten die Zeughaͤuſer mit Geſchuͤtze und anderem Zugehoͤre verſehen, auch einige Soldaten beſtaͤn - dig auf den Beinen gehalten werden, da - mit man nicht mit gantz ungeuͤbeten ſich ſo gleich ins Feld wagen darf. Wie man es aber einzurichten habe, daß da - durch das Land nicht beſchweeret werde; laſſen wir vor dieſes mahl nebſt verſchie - denen andern Puncten, die man hieher ziehen koͤnnte, biß zu einer andern Gele - genheit ausgeſetzet.

Wie man dem Lan - de / das heꝛunter kommen / wieder auf - hilfft.
1

§ .. 513.

Man koͤnnte zwar auch noch fragen, wie einem gemeinen Weſen, daß durch den Krieg, oder auf andere Weiſe herunter kommen, wieder aufzuhelffen ſey. Allein es iſt nicht noͤthig, daß wir weit - laͤufftig hierauf antworten. Denn da wir alles durch gegangen, was zur Ein - richtung des gemeinen Weſens gehoͤret (§. 273. & ſeqq. ) und worauf bey einer klugen und vernuͤnfftigen Regierung zuſe - hen (§. 467. & ſeqq. ): ſo findet man darinnen zugleich, wie dem Lande wieder aufgeholffen wird. Denn wenn es im Lande ſchlimm worden, daß die Geſetze und gute Anſtalten zu Grunde gegangen; ſo muß man dieſelben wieder erneuren. Fin -617Kriege. Finden ſich uͤbele Anſtalten darinnen, die durch Unverſtand und Eigennutz der Raͤ - the, oder aus anderen Urſachen unter einer uͤbelen Regierung, gemacht worden, ſo muß man ſie abſchaffen, oder nach Be - finden der Umbſtaͤnde aͤndern, daß ſie dem Lande nicht nachtheilig bleiben. Jſt das Land durch Krieg und Theurung arm und dadurch der Staat entkraͤfftet wor - den (§. 449); ſo muß man die Mittel dazu erwehlen, die oben vorgeſchrieben worden, das Geld nicht allein im Lande zuerhalten (§. 447. & ſeqq. ), ſondern auch hauptſaͤchlich herein zuziehen (§. 485. & ſeqq.). Und alſo ſiehet man, daß al - len was in dieſem Stuͤcke dienlich iſt, aus dem vorhergehenden kan verſtanden werden. Nur iſt noch dieſes zumercken, daß, wo man eine Aenderung treffen wil, man von dem gegenwaͤrtigen Zuſtande ſoviel unveraͤndert laſſen muß, als nur immer angehen wil. Je weniger man Aenderung vornehmen darf, je beſſer iſt es. Die Urſachen ſind nicht ſchweer zu - errathen. Jm gemeinen Weſen iſt alles auf eine wunderbahre Weiſe mit einan - der verknuͤpfft, dergeſtalt daß, wenn et - was geaͤndert wird, die Aenderung mit der Zeit auch faſt in allen uͤbrigen Din - gen ſich zeiget (§. 566. Met.). Da es nun eine ſehr groſſe Uberlegung erforder -Q q 5te,618Cap. 7. Von demte, woferne man alles vorher ſehen woll - te, was die getroffene Veraͤnderung in dieſem, oder jenem Stuͤcke nach ſich zie - hen werde; ſo iſt es freylich rathſamer, daß man von dem gegenwaͤrtigen Zuſtan - de ſoviel behaͤlt, als ohne groſſem Nach - theile des Landes verbleiben kan, weil man bereits aus der Erfahrung erkandt / daß dieſes in anderen Stuͤcken eben nichts verderbliches nach ſich ziehet. Und eben deswegen weil man insgemein gantz aus den Augen ſetzet, was eine getroffene Aen - derung in einem Stuͤcke wegen der beſtaͤn - digen Verknuͤpffung der Dinge fuͤr ver - aͤnderliches in anderen Stuͤcken nach ſich ziehet; ſo pfleget es oͤffters zu geſche - hen, daß die Aenderungen mislingen, und hat man daher laͤngſt uͤberhaupt aus der Erfahrung angemercket: Alle Ver - anderung ſey gefaͤhrlich. Und eben da - her ſind ſie auch den Unterthanen verhaſ - ſet, und man verurſachet dadurch viele Bewegung in ihren Gemuͤthern. Es iſt demnach am allerbeſten / daß man dem Verderben des Landes zuvor komme und, ſoviel in unſerer Gewalt ſtehet, ſol - ches zu hinterireiben ſuchet. Hieher ge - hoͤret, daß man uͤber den Geſetzen und guten Anſtallten ſteif und feſte haͤlt, da - mit nicht durch Nachſehen eine Unord - nung einreiſſen kan: daß man dem ein -reiſſen -619Kriege. reiſſenden Ubel bey Zeiten vorbeuget, und nichts ſchlimmes zulaͤſſet, als wenn man es zuhindern ſelbſt Ubels thun und mehr gutes in einem andern Theile dadurch hindern muͤſſe, als man hier befoͤrder - te: Daß man nicht ohne dringende Noht und genungſame Uberlegung eine Aenderung vornehme: daß man endlich wieder theure Zeiten, Peſt und Krieg, als die drey Haupt-Verderber des Lan - des, gute Anſtalten mache. Da nun aber von allen dieſen Puncten im vorher - gehenden ausfuͤhrlich gehandelt worden; ſo koͤnnen wir es vor dieſesmahl hierbey be - wenden laſſen.

§. 514.

Weil es aber ſehr ſchweer iſt dem Ubel wieder abzuhelffen, wenn es einmahl eingeriſſen; ſo muß man im gemeinen We - ſen fleißig auf alles acht haben, und, wo ſich was bedenckliches hervor thut, demſelben bey Zeiten abzuhelffen ſuchen. Wuͤrde nun ein beſonderes Ambt aufgerichtet, welches alles auf das genaueſte unterſuchte, was dem Lande vortraͤglich, oder ſchaͤdlich iſt (§. 495); ſo koͤnnte man auch demſelben die Aufſicht uͤber das Land auftragen, und muͤſten Anſtalten gemacht werden, dadurch es jederzeit hinter den wahren Zuſtand des Landes in allen Stuͤcken an allen Orten kommen koͤnnte. Gleich wie ich aber im vorhergehenden meiſtentheils nur die Gruͤn -de620Cap. 7. Von demde gezeiget, worauf die Sache ankommt und die voͤllige Ausfuͤhrung zu anderer Zeit ausgeſetzet, auch anderen uͤberlaſſen, welche dieſe Wiſſenſchafften in Aufnahme zu bringen ſich moͤchten angelegen ſeyn laſ - ſen: alſo wird es auch hier nach meiner gegenwaͤrtigen Abſicht, da ich einen Lieb - haber der Politick bloß in den Stand ſetzen wil bey vorkommendem Falle jederzeit den rechten Grund der Sache zufinden, genung ſeyn zuzeigen, worauf man zuſehen hat, wenn man dem Verderben des Landes zu - vor kommen wil. Man muß demnach ei - nen Unterſcheid machen unter denen Din - gen, die lediglich in unſerer Gewalt ſtehen, und unter denen, die entweder gantz von dem Ungluͤck dependiren, oder doch nicht voͤllig, oder auch nicht allzeit in unſerer Ge - walt ſind. Jn die letzte Claſſe rechne ich die drey groſſe Land-Plagen Peſt, Hunger und Krieg: in die andere kommet es entwe - der auf die uͤbele Regierung im Lande, oder auf das unrechte Verhalten der Untertha - nen an. Wollen wir der Peſt und anſtecken - den Kranckheiten ſteuren, ſoviel an uns iſt; ſo muͤſſen wir alles ſorgfaͤltig in acht neh - men, was von den Anſtalten wieder die Peſt und andere Kranckheiten, ſo wohl wie ſie zuverhuͤtten (§. 379), als wie ihnen zu - ſteuren (§. 380), weitlaͤufftig ausgefuͤhret worden. Und damit man auch die Gefaͤhr -lich -621Kriege. lichkeit, welche dem Lande daraus erwaͤch - ſet, mehr in ſeine Gewalt bekommet, als ſie bisher darinnen iſt; ſo hat die Academie der Wiſſenſchafften dieſe hier zudienliche Wahrheiten zu unterſuchen (§. 309), welche nach dieſem entweder von ihr ſelbſt (§. 306), oder durch das Ambt, dem die Unterſuchung deſſen, was zu dem Beſten des Landes gerei - chet, aufgetragen worden (§. 495.), zum beſten des Landes angewendet werden. Theurung entſtehet aus Miswachs: Den Miswachs aber zu verhuͤtten iſt wohl am allerwenigſten in unſerer Gewewalt, in dem wir die Witterung, davon er her - ruͤhret, nicht nach unſerem Gefallen aͤn - dern koͤnnen. Allein Theurung iſt doch nicht allezeit bey Miswachs noͤthig. Zum weni - ſten hat man hier zubeobachten, was vor - hin (§. 481), vorgeſchrieben worden, daß die armen durch die Theurung in ihrer Nah - rung nicht zuruͤcke geſetzet werden und die von Mittel-Stande dadurch gar verar - men. Wieweit man den Krieg abzuhalten verbunden und von dem Lande abwenden kan, iſt gleichfalls ſchon im vorhergehenden (§. 497. 499. ) angezeiget worden. Da wir ihn aber zur Zeit noch nicht in allen Faͤllen vermeiden koͤnnen; ſo hat man doch darauf zuſehen, daß er nicht in unſerem Lande ge - fuͤhret, und die Verwuͤſtung des Landes, ſo - viel als immer moͤglich iſt abgewendet wer -de.622Cap. 7. Von demBey der uͤbelen Regierung kommet es entweder auf den Herren an, oder auf ſei - ne Raͤthe und die Unter-Obrigkeiten. Was die Perſon des Herrn betrifft, ſo kan wie bey allen Menſchen, alſo auch bey ihm eine gute Aufferziehung ſehr viel thun. Auch ſtehet viel zu gewinnen, wenn diejenigen, wel - che es mit dem Lande ehrlich meinen, ſich vor andern in ſeine Gnade ſetzen. Wie man ver - huͤten kan, daß nicht Raͤthe u. Unter-Obrig - keiten das Land veꝛderben, laͤſſet ſich aus dem entſcheiden, was von beyden (§. 470. 493. ) beygebracht worden, u. koͤnnen Anſtalten ge - macht werden, dadurch man erfaͤhret, was fuͤr Klagen und Beſchweerden uͤber ſie im Lande gefuͤhret werden, auch nachdem zu un - terſuchen, wieweit dieſe Klagen gegruͤndet ſind. Unterthanen verderben meiſtentheils das Land durch ihre Traͤgheit und Wolluſt, denn dadurch bleiben die Commercien lie - gen und wird wieder liederlich durchge - bracht, was man erworben. Weil ich aber auch ſchon gewieſen, wie man es mit Handel und Wandel im gemeinen Weſen zu halten hat (§. 488.), und wie man der verderb - lichen Wolluſt (§. 384.) und dem Muͤßig - gange (§. 283) ſteuren ſoll; ſo wird ſich auch daraus verſtehen laſſen, wie man zu verhuͤt - ten hat, daß nicht das Land durch die uͤbele Auffuͤhrung der Unterthanen verdor - ben werde.

Regi -[623]

Jnnhalt. des gantzen Werckes

  • Der erſte Theil. Von den Geſellſchafften der Menſchen.
    • Das 1. Capitel. Von den Geſellſchafften der Menſchen uͤberhaupt. 1.
    • Das 2. Capitel. Von dem Eheſtande. 9.
    • Das 3. Capitel. Von der Vaͤterlichen Geſell - ſchafft. 55.
    • Das 4. Capitel. Von der herrſchafftlichen Ge - ſellſchafft. 112.
    • Das 5te Capitel. Von dem Hauſe. 131.
  • [624]
  • Der andere Theil. Von dem gemeinen Weſen.
    • Das 1. Capitel. Von dem gemeinen Weſen - berhaupt. 151.
    • Das 2. Capitel. Von den verſchiedenen Arten des gemeinen Weſens. 168.
    • Das 3. Capitel. Von der Einrichtung des ge - meinen Weſens. 199.
    • Das 4. Capitel. Von den buͤrgerlichen Geſe - tzen. 409.
    • Das 5. Capitel. Von der Macht und Gewalt der Obrigkeit. 454.
    • Das 6. Capitel. Von der Regierung der hohen Landes-Obrigkeit. 502.
    • Das 7. Capitel. Von dem Kriege. 602.
[625]

Regiſter / uͤber die vornehmſten Sachen.

A.

  • ABſichten des gemei - nen Weſens /157. 158
  • Abzugs-Gelder /565
  • Academien. Erklaͤrung /209. ihre Nothwendig - keit /208. und Arten /209
  • Academie der Kuͤnſte. Jh - re Nothwendigkeit /247248. Verrichtungen /248. 249
  • Academie der Wiſſen - ſchafften. Jhre Noth - wendigkeit /234 .235. Abſichten /235. Ver - richtungen /235. 238&ſeqq. Mitglieder /236.237, Praͤſident /244. Rutzen /245. 246Was ſie bey Geſetzen zu thun hat /423
  • Ackerbau. Was deswegen anzuordnen /367
  • Aertzte. Wie man Ver - ſtaͤndige erhaͤlt /348 & ſeq.
  • Aeuſſerliche Zucht. Wor - innen ſie beſtehet /300
  • Allmoſen. Was deswegen zu verordnen /362. &ſeq. beſondere Art der -ſelben /357. 365
  • Allmoſen-Ambt /365
  • Amtzu Unterſuchung der Staats-Angelegenhei - ten. Wie es beſchaffen ſeyn ſol /593. &ſeqq. Unterſcheid von der A - cademie der Wiſſen - ſchafften /594
  • Anſehen des Staates. Woher es kommt /487488
  • Apothecke. Was dabey anzuordnen /350
  • Appellation /510. Nutzen derſelben /511. Was dabey zu beobachten /512 &ſeqq.
  • Appelliren /510
  • Arbeit. Woher ſo vieler - ley kommet /361 .362. Wie man Kindern Luſt dazu machet /76. Wie ſie einem jeden zu ver - ſchaffen /207 .208. Was wegen uͤbermaͤßige zu - verordnen /338 &ſeq.
  • Arbeit-Haͤuſer /365
  • Ariſtocratie. Erklaͤrung /171. ihre Moͤglichkeit /152. &ſeqq. Vortheile /190 .191. Ungemach /191. 192
R rAr -[626]Regiſter.
  • Armen-Haͤuſer /365
  • Armen-Schulen /365
  • Armuth. Wie ſie abzu - wenden /393 &ſeq.
  • Arten des gemeinen We - ſens. Welche die beſte /160. 161
  • Artzney-Kunſt. Wie ſie zu verbeſſern /246
  • Atheiſten. Warumb ſie nicht zu dulden /321 &ſeq.
  • Atheiſterey. Warumb man niemand deswe - gen verdaͤchtig machen ſol /321 &ſeqq. Was ſie ſchadet /324 &ſeqq.
  • Auge. Deſſen Ergoͤtzlich - keiten /373. &ſeqq.
  • Ausfluͤchte. Wie ſie bey Geſetzen zu hintertrei - den /420. 421

B.

  • BAameiſter-Acade - mie /209
  • Bau-Ordnung / wie ſie einzurichten /369. &ſeqq.
  • Bedienungen. An wen man ſie geben ſol /275 .276. Wer ſie vergeben ſol /470 .471. Was bey den Vergeben in acht zunehmen /543. &ſeqq.
  • Bergwercke. Was ſie fuͤr Nutzen ſchaffen /500. &ſeqq.
  • Beſchimpffung. Wie ſie zu beſchaffen /398
  • Betteln. Was fuͤr An - ſtalten deswegen zu - machen /207. 362&ſeqq.
  • Betruͤbnis ſol von Kin - dern den Eltern nicht zugefuͤget werden /99
  • Betrug. Was er bey Hey - rathen ſchadet /49
  • Bevoͤlckerung eines Sta - tes /203. &ſeqq.
  • Beyſchlaff. Ob er der bloſ - ſen Luſt halber erlau - bet /14 .15 . ob mit ei - ner ſchwangeren Frau - en /16. was er fuͤr Luſt gewehret /21. und fuͤr Verdruß nach ſich zie - het /21. &ſeqq.
  • Buͤcher. Wie man gute erhalten und die ſchlechten ausrotten ſol /245 .246. Welche zur Tugend-Ubung noͤ - thig /256. 257
  • Bund /614. 615
  • Buͤrgerliche-Gerichte /510
  • Buͤrgerliche-Geſetze. Er - klaͤrung /414. Noth - wendigkeit /409. &ſeqq. ob ſie der Ver - nunfft gemaͤß einge - fuͤhret werden /411. wie weit ſie von dennatuͤr -[627]uͤber die vornehmſten Sachen. natuͤrlichen unterſchie - den .410. 411
  • Buͤrgerliche Sachen /510
  • Buͤrgerliche Verbindlich - keit. Worauf ſie gehet /300
  • Burgſchafften. Was da - von zu verordnen /280. Buͤrgerliche Geſetze da - von /442. &ſeqq.
  • Brunſt iſt uͤbel zu tilgen /19

C.

  • CAffée - Haͤuſer. Wie ſie zum Gebrauch der Gelehrten einzurich - ten /232. 233
  • Cammer-Raͤthe /590
  • Cautton /312
  • Ceremonien. Was ſie der Straffe fuͤr eine Krafft beylegen /298. 299
  • Ceremonien bey der Exe - cution eines Ubelthaͤ - ters /295. &ſeqq. bey dem Gottesdienſte /266433. 434
  • Civil - Gerichte /510
  • Civil-Jurisdiction,510
  • Civil - Sachen /510. wor - auf es bey ihrer Eut - ſcheidung ankommet /516
  • Commercien Rath /591
  • Comoͤdianten /559. &ſqq. Was ſie fuͤr Geſchick - lichkeit beſitzen muͤſſen /271
  • Comoͤdien. Wenn ſie ſchaͤdlich ſind /272. was davon im gemei - nen Weſen zu veran - ſtalten /268. &ſeqq. ihr Nutzen /269
  • Confroutation. Wenn ſie noͤthig /314
  • Criminal-Gerichte /510
  • Criminal-Jurisdiction,510
  • Criminal-Sachen. Wor - auf es bey ihrer Ent - ſcheidung ankommet /517. &ſeqq.

D.

  • DAnckbarkeit der Kin - der gegen die El - tern /90 .91 . wie ſie da - zu gebracht werden /9192. gegen Vormuͤnder /109 .110 . gegen die Herrſchafft125
  • Democratie. Erklaͤrung /171. woher ſie kom - met /185
  • Deutliche Begriffe. Vor - bereitung dazu /62 .63. Leitung dazu /64 .65. 66
  • Diener. Erklaͤrung /113
  • Duelle. Warumb ſie zu beſtraffen /332. War - umb ſie hoͤchſt ungerei - met /333 &ſeqq. wie man ſich davor in acht zu nehmen /334. &ſeq.
R r 2Ehe[628]Regiſter,

E.

  • EHe. Was ſie ſchei - det /36. wenn ſie gluͤck - und ungluͤckſee - lig iſt /47 .48. Warumb ſo wenige gerathen /49
  • Ehebruch. Erklaͤrung /16. ob er zu laͤßig /16. ob er die Ehe ſcheidet /36
  • Ehefrau. Erklaͤrung /9 ob auch ſie erwerben ſol /38. 39
  • Eheherr. Erklaͤrung /9
  • Eheleute. Ob ſie keuſch und zuͤchtig ſeyn ſollen /18. ob ſie nach ihren Gefallen von einander gehen koͤnnen /31. war - umb ſie einander huͤlf - reiche Hand leiſten ſol - len /37 .38 . was eines dem andern von ſeinen Guͤttern vermachen ſol /54. wie weit ſie als eine Perſon anzuſehen /40. wie ſie ſich gegen einander verhalten ſol - len. 40
  • Eheſtand. Erklaͤrung /9. Nothwendigkeit /12 .13. Arten /12 .13 . ge - meiner Jrrthum da - von /13 .14 . wie lange er wehren ſol /29 .30 .31 . wer darinnen er - werben ſol /38. wie Ei - nigkeit darinnen zuer -halten /46 .47 . wenn er ſeinen Anfang nim - met /31 .32 . wer die Herrſchafft haben ſol /41
  • Ehrhabr. Erklaͤrhung /526
  • Ehre. Wie Kinder anzu - halten jedermann zu ehren /84 .85 . wie ſie Eltern ehren ſollen /98. was der Ehre wegen zu verordnen /399. &ſqq.
  • Einbildungs-Krafft. Wie Eltern bey den Kindern davor zu ſorgen /59. 60
  • Einigkeit im Eheſtande. Wie ſie zu erhalten /41. 47
  • Einkuͤnffte des Landes - Herrn /597. &ſeqq.
  • Einſamkeit. Warumb Menſchen nicht darin - nen leben koͤnnen /1. a - ber wohl Thiere2
  • Eltern. Grund ihrer Pflichten gegen die Kin - der /55 .56. Wie ſie die Kinder zuverſorgen ha - ben /57 .58. Wie ſſe fuͤr die Seele der Kinder zu ſorgen haben /59. &ſeqq. Wie ſie Kindern ein gutes Exempel ge - ben ſollen /174 .75 . warumb ſie Macht ha - ben Kindern zu beſeh -len /[629]uͤber die vornehmſten Sachen. len /87. Wie ſie nach ihrem Tode fuͤr ihre Kinder zu ſorgen /102 .103. Was ſie in Erwe - gung eines fruͤhzeitigen Todes-Falles zu thun haben /103. 104
  • Erbſchafften. Buͤrgerli - che Geſetze davon /444. &ſeq.
  • Ergoͤtzlichkeiten der ſtu - direnden /230. &ſeqq.
  • Erkaͤntnis. Wie ſie Kin - dern beyzubringen /61. &ſeqq.
  • Erkaͤntnis-Gottes. War - umb Kinder dazu an - zufuͤhren /86. Wie im gemeinen Weſen davor zu ſorgen /258
  • Eyd. Wie Obrigkeit da - durch zu verbinden /462. wie Unterthanen dadurch zu verbinden /499. wie weit er bey der Inquiſition zu ge - brauchen /315
  • Eyd der Treue /498
  • Exerciti en-Meiſter. Wie es mit ihm zu halten /354
  • Exempel. Nutzen in Til - gung der Geilheit /24

F.

  • FAbeln. Was ſie in Til - gung der Geilheit nu -tzen /24. welche Kin - dern zu erzehlen ſind /75
  • Fahren. Wie fuͤr deſſen Sicherheit zu ſorgen /355, &ſeqq.
  • Feldherr. Deſſen Noth - wendigkeit /474. 475
  • Feſttage. Jhre Noth - wendigkeit /259. wel - che Zeit dazu auszuſe - tzen /264 .265 . wie ſie zu feyren /265 .266 . ihr Unterſcheid /267
  • Feuer-Ordnung. Wie ſie einzurichten /370
  • Feyer-Tage. Wer ſie be - ſtimmen ſol /431
  • Figuren. Wie ſie zu Er - langung deutlicher Be - griffe dienen /64
  • Fleiß des Geſindes /116
  • Frau. Erklaͤrung /113
  • Fremde. Wenn ſie den Einheimiſchen nachzu - ſetzen /159. 160
  • Freye Republyck /193
  • Freyheit die Wahrheit zu bekennen /239. 240
  • Friedens-Tractaten. Grnnd derſelben /612. 613
  • Fried liebender Herr /603
  • Fundamental-Geſetze ei - nes Staates. Erklaͤ - rung /461. Wie Obrig - keit dazu zu verbinden /461, &ſeqq.
R r 3Furcht[630]Regiſter,
  • Furcht der Kinder gegen die Eltern /93. &ſeqq. fuͤr Vormuͤndern /110. des Gefindes fuͤr der Herrſchafft /125
  • Furcht Gottes iſt Obrig - keiten nothwendig /462463

G.

  • GAben. Wie ſie von den Unterthanen ab - zufodern /599. &ſeqq.
  • Garten-Bau. Was des - wegen anzuordnen /367
  • Gebaͤude. Warumb ſie ſchoͤn zu erbauen /372
  • Gedaͤchtnis. Wie Eltern bey den Kindern davor zu ſorgen /60
  • Gehen. Wie fuͤr deſſen Sicherheit zu ſorgen /355
  • Geheime Raͤthe /590
  • Gehorſam. Erklaͤrung /89. wie weit Kinder gehorchen ſollen /89 .90 . wie ſie dazu willig wer - den /90
  • Gehorſam der Unter - thanen. Wie er beſchaf - fen ſeyn ſol /455. &ſeqq.
  • Geilheit. Erklaͤrung /16. warumb ſie unrecht /17 ihre Arten /17. was fuͤrHandlungen ihr zu gefallen zu unterlaſſen /17. was fuͤr Verdruß daraus erwaͤchſt /20 &ſeqq.
  • Geld. Wie man Kinder lehren ſol damit umb - zugehen /81 .82 . wie im Ausleihen Sicher - heit zuverſchaffen /278 .229 . was wegen deren Einwendung des nicht gezahlten Geldes zu - verordnen /438 &ſeq. wie zu verhuͤtten / daß es nicht aus dem Lan - de komme /546. &ſeqq. wis es ins Land zubringen /566. &ſeqq. wie man macht / daß es wohl rouliret /580 &ſeqq.
  • Gemeine Wohlfahrt. Wenn ſie der beſon - deren vorzuziehen /7. wie weit ſie ſich erſtre - cket /8
  • Gemeines Weſen. Noth - wendigkeit deſſelben /151. &ſeqq. Erklaͤ - rung /156. Abſicht /157, Hauptgeſetze /188 Pflichten darinnen /158 .159. Einrichtung deſſelben /160. welche Art die beſte /160.161 was man darinnen zudul -[631]uͤber die vornehmſten Sachen. dulden /159 wie es an - zuſehen /160. Grund des Rechtens zwiſchen Verſchiedenen /160. worauf in deſſen Ein - richtung zuſehen /201 .202.
  • Gerichte. Jhre Noth - wendigkeit /506. Un - terſcheid /506. &ſeqq.
  • Gerichts Stete. Wo ſie liegen ſol /293. &ſeqq. ihre Beſchaffenheit /295
  • Geruch. Was deswegen zuverordnen /382. &ſeqq.
  • Geſchencke. Was deswe - gen zu veranſtalten /397
  • Geſchmack. Was deswe - gen zuveranſtalten /386. 387
  • Geſellſchafft. Erklaͤrung /2. ihre Wohlfahrt und Abſicht /3. was bey ih - nen recht und unrecht iſt /4. &ſeqq. Haupt - geſetze derſelben /7. wo - durch ſie unterſchieden werden /389. wie ſie einzurichten /3 .4 . wie weit eine der andern verbunden /8. wie lan - ge man darinnen ver - bleiben darf /5 .6.
  • Geſinde. Wie es der Herꝛ - ſchafft Guͤtte anzuneh -nen /118 .119. Deſſen Pflicht gegen die Herr - ſchafft /114 .115.116. &ſeqq. wie lange es in Dienſten bleiben muß /114 .115 . warumb man es nicht vor der Zeit abſchaffen ſol /114115. wie weit es nichts vor ſich thun ſol /120. wie es ſeine Geſundheit in acht nehmen ſol /124125. wie es der Herr - ſchafft Nutzen ſuchen ſoll /126 .127 . wie zu - verhůtten / daß es die Auferziehung der Kin - der nicht ſchwer machet /137.138, auch ſelbſt von dem Kindern nicht verdorben wird /139. &ſeqq. wie es ſich ge - gen die Kinder auf - fuͤhren ſol /137. 138
  • Geſetze. Was die Landes - Obrigkeit dabey zu beobachten /504 - &ſeqq. wer Rath dazu geben ſol /415 .416 . mit was fuͤr Vorſich - tigkeit ſie umgeben /428 .429 . ihre Mate - rie .429 . &ſeqq,
  • Geſetze der Natur. Wie man ſich in einer Ge - fellſchafft darnach zu - richten /4. wie ſeineR r 4Beob -[632]Regiſter,Beobachtung im ge - meinen Weſen zube - foͤrdern /166 .167 . was es in der Politick nu - tzet /167
  • Geſetze auf beſondere Faͤlle /427. 428
  • Geſetze. Wie ſie bekand gemacht werden /424 .425 .426 . wie man ſie nach und nach verbeſ - ſert /421 .422. Vor - ſichtigkeit bey Einfuͤh - rung der Fremden /422423. warumb daruͤber feſt zuhalten /418 .419 . wenn man ſie kan ein - gehen laſſen /420. wie Ausfluͤchte zu vermei - den /420. 421
  • Geſetzgeber im gemeinen Weſen /414 .415.
  • Gewalt. Erklaͤrung /458. welche die hoͤchſte iſt /468, wie ſie in jedem gemeinem Weſen be - ſchaffen /480. ob ſie in allen Staaten einer - ley /483. ob ein Koͤnig ſoviel hat / als der an - dere /484
  • Gewalt der Obrigkeit. Erklaͤrung /458. Un - terſcheid /459. ob man ſie einſchraͤncken ſol /459 .460 . wie ſie befe - ſtiget wird /497. &ſeq.
  • Gewalt uͤber Tod und Leben /469 .470.
  • Gewohnheiten. Wie Boͤ - ſe bey den Kindern zu verhuͤtten /171 &ſeqq.
  • Gluͤckſeeligkeit. Wie ſie im gemeinen Weſen be - foͤrdert wird /167. was die Aeademie der Wiſ - ſenſchafften dazu bey - traͤget /246
  • Gluͤckſeeligkeit der Unter - thanen. Wie Obrigkei - ten darauf zuſehen /178
  • Gluͤcks-Toͤpffer /559. &ſeqq.
  • Gebrechlichkeit des Lei - bes. Wie ſie zuverhuͤt - ten /355. &ſeqq.
  • Gottes dienſt. Was fuͤr Ceremonien babey noͤ - thig /266. Geſetze da - von /431. &ſeqq. war - umb man ihn nicht ſol verſaͤumen laſſen /431 .432. Warumb man deſſen Veraͤchter nicht dulden ſol /433. Wie im gemeinen Weſen davor zuſorgen /258. 259
  • Gottſeeligkeit. Warumb Kinder dazu anzufuͤh - ren /86
  • Grund-Geſotze eines Staates. Erklaͤrung /461. wie die Obrigkeitdazu[633]uͤber die vornehmſten Sachen. dazu zuverbinden /461 &ſeqq.
  • Guͤtter der Frauen. Wem der Genuß davon ge - hoͤret /38

H.

  • HAndel. Wie er in Auf - nahme zubringen574 &ſeqq.
  • Handwerck. Was die A - cademie der Wiſſen - ſchafften dabey zuthun hat /241. was bey ih - nen die Stelle der A - cademie der Kuͤnſte vertritt /250. wie im gemeinen Weſen davor zuſorgen /253
  • Handwercks-Schulen. Wie ſie beſchaffen ſeyn ſollen /251. 252
  • Haupt-Geſetze des ge - meinen Weſens /188
  • Haus. Erklaͤrung /131. Grund der Pflichten darinnen /132. Arten derſelben /132. war - umb keines vor ſich al - lein beſtehen kan /152. 156
  • Hausgenoſſen. Warumb ſie Fremden vorzuzie - hen /149. ihre Pflicht gegen den Haus-Va - ter und die Haus - Mutter /150
  • Haus-Mutter. Erklaͤ - rung /132. wie ſie das Anſehen des Haus - Vaters erhalten ſol /133. &ſeqq. wie ſie dem Haus-Vater un - terthaͤnig ſeyn ſol /133. ihre Sorgfalt im Haus - weſen /147. 148
  • Haus-Vater. Erklaͤrung /131. ſeine Pflichten /136 .137 . ſeine Herr - ſchafft /132. wie er fuͤr das Anſehen der Haus - Mutter ſorgen ſol /136137. wie, er Ordnung im Hauſe machen /141. &ſeqq. und daruͤber halten ſol /143. &ſeqq.
  • Herr. Erklaͤrung /113
  • Herrſchafft. Jhre Pflicht gegen das Geſinde /113 wie ſie ſich gegen fleiſſi - ges und williges Ge - ſinde zubezeigen /118. was ſie dem Geſinde nicht zumuthen ſol /120 .121 . wie ſie ſich bey vielem Geſinde zu - verhalten /121. wie ſie das Geſinde zu ihren Dienſten anhalten ſol /122. ob ſie uͤber das Geſinde ſich ereiffern ſol /123, wie ſie das Ge - ſinde im eſſen und trin - cken halten ſol /124. R r 5wie[634]Regiſter,wie ſie fuͤr die Wohl - fahrt des Geſindes ſor - gen ſol /125
  • Herrſchafft des Haus - Vaters /132
  • Herrſchafft im Eheſtan - de /41
  • Herrſchafftliche Geſell - ſchafft. Erklaͤrung /113. was ihre Erkaͤnt - nis nutzet /131
  • Heyrath. Wenn man ei - ne geſchwaͤngerte Per - ſon heyrathen ſol /25 .26 . welche Perſonen heyrathen doͤrffen /13 .14 . worauf man dabey zuſehen /48 .49. Ge - faͤhrlichkeit deſſelben,50. 51
  • Heyrathen in fremde Laͤnder /561
  • Hiſtorien. Welche Kin - der zuerzehlen ſind /75
  • Hiſtorie der Gelehrten. Von wem ſie zuhof - fen /244
  • Hoffprediger. Jhr Ambt /463. Jhr Anſehen /464
  • Hoff-Raͤthe /590
  • Hoffſtaat. Wie ſie einzu - richten /499 &ſeqq,
  • Hoſpitaͤler /365
  • Hottentotten ſuchen kei - ne Luſt in Begreiffung der Bruͤſte /20. war - umb bey ihnen die A. theiſterey nicht ſchaͤd - lich /327
  • Huͤlffe. Erklaͤrung /282 wo ſie zu gebrauchen /282
  • Huldigung /498
  • Hurerey. Erklaͤrung / ob ſie unzulaͤßig /16
  • Huhren-Lohn. Ob er erlaubet /25

I.

  • INquiſit. Wie ſich ein Richter gegen ihn auf - zufuͤhren /522. 523
  • Jnnwohner des Landes. Wie zu machen / daß ſie nicht aus dem Lande gehen /561. &ſeqq.
  • Jrrthum. Ob man ihn ſtraffen kan /302 .303 . ob er nothwendig ſey /303 .304.
  • Jrrthuͤmer. Warumb Kinder davor zuver - wahren /68
  • Jrrtbuͤmer ausbreiten. Wie dieſes zubeſtraf - fen /305. 306
  • Juſtitz-Raͤthe /590. 591
  • Jurisdiction,510

K.

  • KAuffen. Was deswe - gen zuveranſtallten /273
  • Kebsweiber. Erklaͤrung /36.[635]uͤber die vornehmſten Sachen. 36, ob ſie erlaubet /36 .37.
  • Keuſch. Was fuͤr Laſter er fliehen ſol /19
  • Keuſchheit. Erklaͤrung /18. Mittel /19. war - umb ſie eine ſchweere Tugend /19. wie man ſich dazu gewoͤhnet /20. &ſeqq. warumb man von Jugend auf dazu zugewoͤhnen /24
  • Kinder. Warumb ſie nicht auſſer der Ehe zu erzeugen /11 .12.13. Grund ihrer Pflichten gegen die Eltern /55 .56. Wie ihre Erzeugung dem Geſetze der Natur gemaͤs /9. warumb man ſie aufzuerziehen verbunden /10. war - umb man ſie nichts Boͤ - ſes und Unanſtaͤndiges ſol ſehen laſſen /73 .74 . wie ſie das Beſte der Eltern befoͤrdern ſol - len /99 .100 . wie lau - ge ihre Pflicht gegen die Eltern dauret /100 .101 . wie ſie ſich gegen das Geſinde auffuͤhren ſollen /138. &ſeqq.
  • Kinderhoſpitaͤler /365
  • Kirche. Erkiaͤrung /292. Nothwendigkeit /259. &ſeqq. wie ſie zuerbau -en /260. &ſeqq. ob ſie praͤchtig ſeyn ſollen /261. was ihr Putz nu - tzet /264
  • Kirchenbau. Gruͤnde ſei - ner Regeln /261. 262
  • Kirchen-Regiement /468
  • Kleidung. Wie davor zu ſorgen /358. &ſeqq.
  • Klugheit. Wie man die Kinder dazu bringen ſol /80
  • Knaben Schaͤnderey Er - klaͤrung /15. ob ſie dem Geſetze der Natur zu - wieder /15. ob ſie mit der Sodomiterey ei - nerley /15. 16
  • Knecht. Erklaͤrung /113
  • Koͤnig. Erklaͤrung /481. warumb ihm der Ti - tul Majeſtaͤt gebuͤhret /481 .482 . ob einer ſo - viel Gewalt hat als der andere /484 .485 . wie ſie der Macht nach unterſchieden /485.
  • Koͤniglicher Staat. War - rumb er nothwendig /499. &ſeqq.
  • Koͤnigreich. Erklaͤrung /482
  • Kopff Steuren /600
  • Kranckheiten / Jhre Ur - ſachen /341. &ſeqq. wie ſie zuverhuͤtten /341. &ſeqq, wie Kinderin[636]Regiſter,in Mutter-Leibe dar - innen verwahrloſet werden /347. wie ſie abzuwenden /348. &ſeqq.
  • Krancken-Hoſpitaͤler. Was dabey zuveran - ſtalten /350
  • Krieg. Wie dadurch das Geld aus dem Lande kommet /557. wie man ſich davor in acht zu - nehmen /614. &ſeqq. warumb man keinen anfangen noch dazu Anlaß geben ſol /602. wenn er erlaubet /603 .604 . was zu thun / ehe man dazu ſchreitet /604. &ſeqq, wie man ſich darinnen auffzu - fuͤhren /610. &ſeqq.
  • Kuͤnſte. Was die Acade - mie der Wiſſenſchaff - ten dabey zuthun hat /241. wie man eine Hi - ſtorie und gute Buͤcher davon erhalten. ſol /245

L.

  • LAnd. Wie man ihm wieder aufhilfft / wenn es herunter kommen /616. &ſeqq. wie man dem Verderben zuvor kommet /619. &ſeqq.
  • Landes-Geſetze /414
  • Landes-Hauptmann /539
  • Landes-Obrigkeit / Wie man ſie zuverbinden /461. &ſeqq. ob die Einſchraͤnckung der Macht ihr Anſehen hin - dert /476. &ſeqq.
  • Landes-Regierung /507
  • Landes-Vater. Warumb Regenten dieſer Nah - me gebuͤhret /195
  • Land-Steuren /600
  • Landſtreicher. Wie zu - verhuͤtten / daß ſie nicht das Geld aus dem Lande ziehen /559. 560
  • Land-Staͤnde /466
  • Land-Tag. Was dabey zubeobachten /466. &ſeqq.
  • Laſter. Wie ihnen im ge - meinen Weſen zu ſteu - ren /257
  • Lazarethe. Was dabey zu - veranſtalten /350
  • Lebens-Art. Was Eltern fuͤr ihre Kinder fuͤr ei - ne erwehlen ſollen /78. warumb man Kinder zu keiner zu zwingen /79. wie die Kinder dar - auf ſehen ſollen /79
  • Lehre. Wie ſie beſchaffen ſeyn ſol /254. 256
Lehr -[637]uͤber die vornehmſten Sachen.
  • Lehrbegierig. Erklaͤ - rung /62
  • Lehrende. Was fuͤr Per - ſonen dazu zu nehmen /210. wie man ihnen Luſt machen ſol /211. &ſeqq. warumb ſie reichliches Auskommen haben ſollen /211. &ſeqq. ihr Anſehen bey Lernenden /215. &ſeqq. wie ſie ſich unter - einander verhalten ſol - len /217. &ſeqq. war - umb ſie einander ver - kleinern /218. war - umb an Einkuͤnfften und Ehre eine Gleich - heit zu treffen /219. wie ſie Liebe bey den Ler - nenden halten ſollen /220 .221 . ihre Vorſor - ge fuͤr die Lernenden /221. &ſeqq.
  • Leibes-Ubungen. was deswegen zu verord - nen /354
  • Leichen / was deswegen zuveranſtalten /477. &ſeqq.
  • Lernende. Wie ſie zu exa - miniren /221. wie ih - re Faͤhigkeit und Fleiß erkand wird /221 .222 . wie ſie zum lernen ver - bunden werden /222 .223 .224 . warum ſienicht allzu ſtrenge zu - halten /233 .234.
  • Liebe gegen Eltern /92 .93. Obrigkeit /178, Vormuͤnder /110
  • Lohn-Hure. Ob ſie aͤr - ger als andere /25
  • Lufft. Wie ſie unreine wird /343
  • Luſt. Wie vergaͤngliche recht zu gebrauchen /237. 238
  • Luſt der Sinnen. Wor - auf dabey zu ſehen /373

M.

  • MAcht der Obrigkeit. Worinnen ſie beſte - het /470. wie ſie er - halten wird /471 &ſeqq. wie ſie befeſtiget wird /497. &ſeqq. Warumb man ſie ein - ſchraͤncken ſol /465.468 wie ſie eingeſchraͤncket wird /466. &ſeqq. 472&ſeqq.
  • Magd /113
  • Mahler. Was er verſte - hen muß /248. 249
  • Mabler-Academie. Er - klaͤhrung /209. Was darauf zu lehren /248. 249
  • Majeſtaͤt. Was ſie iſt und wo ſie anzutreffen481.[638]Regiſter,481. wem dieſer Titul gebuͤhret /481 .482 . wie man ſie beleidiget /488 .489.490. Grade der Beleidigungen /498491. Arten derſelben /491. &ſeqq. Straffen / ſo darauf zu ſetzen /497. 498
  • Majeſtaͤten-Schaͤnder /490
  • Majeſtaͤts-Schaͤndung /490
  • Mann. ob er viel Wei - ber nehmen kan /27. &ſeqq. warumb er haupt - ſaͤchlich erwerben ſol /39. Wie er ſich gegen das Weib aufzufuͤhren45 .46. Wenn er dem Weibe folgen und ſie umb Rath fragen ſol /41
  • Manufacturen. Was da - bey zu beobachten /876. &ſeqq.
  • Marckſchreyer /559,560
  • Menſch. Warumb er in Einſamkeit nicht gluͤck - ſelig leben kan /1. 2
  • Miswachs. Wie dabey das Geld im Lande zu behalten /558,559
  • Moͤrder /330
  • Monarchie. Erklaͤrung /170. ihre Vortheile /187 .188 . worinnen ſieandern Regierungs - Formen vorzuziehen /188 .189 . ihre Un - gluͤcks-Faͤlle /189 .190 . wenn ſie moͤglich iſt /178, &ſeqq.
  • Mord /330
  • Morgengabe. Erklaͤrung /39. Abſicht /39. wor - umb der Mann die bloſſe Nutzung davon hat /39. 40
  • Muͤndig. Erklaͤrung /87. wenn man muͤndig wird /89
  • Muͤnderjaͤhrigkeit. Buͤr - gerliche Geſetze davon /449. 450
  • Muͤßiggang. Warumb die Gelegenheit dazu zubenehmen /208
  • Muſicanten. Warumb ſie im gemeinen Weſen noͤthig /379. &ſeqq.
  • Mutter. Ob ſie ihre Kin - der ſelbſt ſaͤngen ſol /57 ihre Pflicht nach Ab - ſterben des Vaters /110 .111.

N.

  • NAhrung. Wie davor zuſorgen /358. &ſeqq.
  • Natuͤrliche Billigkeit. Wie man im gemeinen Leben ſie zubeobachten hat /413
Natuͤr -[639]uͤber die vornehmſten Sachen.
  • Natuͤrliche Geſetze. Vor - zug fuͤr den buͤrgerli - chen /453 .454. War - umb man damit im ge - meinen Weſen nicht auskommen kan /409. &ſeqq.
  • Natuͤrlicher Trieb /398
  • Natuͤrliche Verbindlich - keit. Warumb ſie nicht hinreichend iſt /410 .411 . wie man ſie unter die buͤrgerlichen ver - menget /414. 415
  • Nothdurfft. Ob der Menſch allein auf GOtt zuſehen /153. &ſeqq.
  • Nothwendigkeit. des ge - meinen Weſens /156. 157

O.

  • OBer-Appellations - Gerichte /512
  • Ober-Criminal-Gerich - te /514
  • Obergerichte /509
  • Obrigkeit. Erklaͤrung /168. Nothwendigkeit /168. daß ſie rechtmaͤſ - ſig /169. Verbindlich - keit derſelben /169. wie ſie zu den Grund-Geſe - tzen zuverbinden /461. &ſeqq. wie ſie maͤchtig wird /471. wenn ſiewohl regieret /503. warumb gute zwiefa - cher Ehren werth /538. wie ihre Macht und Gewalt befeſtiget wird497. &ſeqq. daß ſie unter GOTT ſtehet /469. wornach ſie trach - ten ſol /177 .178 . wie ſie die Unterthanen lie - ben ſol /178. wie ſie ſich zu den Untertha - nen verhaͤlt /195. &ſeqq.
  • Ohre. Deſſen Ergoͤtzlich - keiten /379. &ſeqq.
  • Oligarchie. Erklaͤrung /171. woher ſie entſte - het /184
  • Ordnung im Hauſe. Wie ſie einzurichten /141. &ſeqq. wie daruͤber zu - halten /143. &ſeqq.

P.

  • PAchten. Was davon zu verordnen /280. 281
  • Paſquillanten. Warumb ſie ſcharff zu beſtraffen /403. 404
  • Peinliche Fragen. Wie weit ſie zulaͤßig /315. 316
  • Peſt. Wie man ſich da - bey zu verhalten /353. Wie ſie zu verhuͤtten /351.[640]Regiſter,351. Was fuͤr Anſtal - ten wieder ſie zu ma - chen /340. 341
  • Pfande. Buͤrgerliche Ge - ſetze davon /440 .441 . was davon zu verord - nen /280
  • Pflicht im gemeinen We - ſen /158
  • Pflicht der Kinder gegen die Eltern. Wie lange ſie dauret /100. 101
  • Policey-Weſen. Wer es beſorgen ſol /539. &ſeqq.
  • Politick. Kunſtgriffe ihre Wahrheit zu erfinden /196 .197.202. Wor - auf ſie gegruͤndet /167
  • Politic. Erklaͤrung /171. Moͤglichkeit /184 .185. Vortheile /192 .193. Ungemach /193. 194
  • Praͤſident der Academie der Wiſſenſchafften. Wie er beſchaffen ſeyn ſol /244. 245
  • Prediger. ihr Ambt /463. Anſehen /320 .464. Verrichtungen /256. &ſeqq.
  • Proceße. Warumb ſie nicht zu verzoͤgern /528. &ſeqq. Wie ſie verkuͤrtzt werden /532. &ſeqq.

R.

  • RAche. Warumb ſie der Obrigkeit einig und allein zu uͤber - laſſen /404. &ſeq.
  • Raͤthe. Jhre Rothwen - digkeit /589 .590 . ihr Unterſcheid /590. ihre Qualitaͤten /591. 592
  • Rath in einer Stadt /539
  • Rechen-Schule /209
  • Recht. Wie man einem jeden dazu zuverhelf - fen /272 .273.
  • Recht zu denominiren. Wer es haben ſol /475. 476
  • Regierung. Erklaͤrung /502. wenn ſie gut iſt /503. wie man vorſichtig davon urtheilen ſol /503. 504
  • Regierungs-Forme. Wo - her die verſchiedenen Arten kommen /170. wie viel derſelben ſind /170. &ſeqq. wie ihre Moͤglichkeit zu beur - theilen /173. welche beſſer als die andern /173. was von ſeiten der Regenten dazu er - fordert wird /174. fuͤr was fuͤr Art der Voͤl - cker ſich jede ſchicket /184 .185 . wie weit ver - miſchte moͤglich ſind /186.[641]uͤber die vornehmſten Sachen. 186. woher unordent - liche kommen /186 .187.
  • Regierung der Eltern /56
  • Regenten. Wie ſie ſich zu den Unterthanen ver - halten /195. wie ſie be - ſchaffen ſeyn ſollen /174175
  • Reichthum des Landes. Wie man davor ſor - get /545. 546
  • Reiſen. Wie es damit zu halten /550. &ſeqq.
  • Reiſende. Wie zu ma - chen / daß ſie Geld ins Land bringen /571. &ſeqq.
  • Religion. ihre Nothwen - digkeit im gemeinen Weſen /317. &ſeqq. wie mit Ernſt daruͤber zu halten /319
  • Repreßalien. Erklaͤ - rung /605. wenn ſie er - laubet /606
  • Richter. Erklaͤrung /506. was fuͤr Perſonen da - zu zubeſtellen /515. &ſeqq. wie er ſich auf - fuͤhren ſol /521, &ſeqq.
  • Ruhe. Wie ſie im ge - meinen Weſen erhal - ten wird /588. 589
  • Ruhmhegierde. Wieman ſie Kindern ein - pflantzet /82 .83 . was fuͤr Behutſamkeit da - bey zu gebrauchen /83. 84

S.

  • SChaden. Wenn man ihn in einer Geſell - ſchafft zu erſetzen verbunden /6 Wer ihn in Vertraͤgen und Vergleichen zu erſetzen hat /434. &ſeqq.
  • Schatzmeiſter. Deſſen Nothwendigkeit /473. 474
  • Scheu der Kinder fuͤr den Eltern /95 .96 . wie ſie Eltern befoͤrdern ſollen /96 .97 . wie zu verhuͤtten / daß ſie ſie nicht mißbrauchen /97
  • Scheu fuͤr Vormuͤndern /110. fuͤr der Herr - ſchafft /125. 126
  • Schlaͤgerey. Warumb ſie zu beſtraffen /337
  • Schulen. ihre Nothwen - digkeit /208. Was fuͤr Anſtalten zur Tugend - Ubung daſelbſt zu ma - chen /255
  • Schwuͤrigkeiten. Woher ſie in der Moral und Politick entſtehen /35
S sSelave. [642]Regiſter,
  • Sclave. Erklaͤrung /127. ihre Pflicht /127. ihr Tractament /128. Wie ſie zu beſtraffen /128. ob es recht iſt Men - ſchen zu Selaven zu machen /129. ob man ſie verkauffen kan /130. wie ſie von freyen Knechten unterſchie - den /130
  • Seiltaͤntzer. Wie writ ſie zu dulden /376 .377.559. &ſeqq.
  • Selbſt-Mord. Warumb und wenn er zu be - ſtraffen /328. 331
  • Selbſt-Rache. Warumb ſie nicht zu verſtatten /404. &ſeqq.
  • Sicherheit des gemeinen Weſens. Worinnen ſie gegruͤndet /175. wie ſie zu erhalten /588. 589
  • Sicheres Geleite. 312
  • Sineſer. Was ſie wegen der ſchwangeren Wei - ber veranſtalltet /348
  • Sinnen. Wie Eltern bey den Kindern davor zu ſorgen /59. 60
  • Sittenlehre. Jhr Rutzen in der Politick /167
  • Sodomiterey. Erklaͤ - rung /15. ob ſie dem Geſetze der Natur zu -wieder /15
  • Souvrainer Herr /468
  • Spieler /559, &ſeqq.
  • Spiel. Erklaͤrung /76 .388. Wie ſie fuͤr Kin - der einzurichten /76. &ſeqq. ihre Beſchaffen - heit /388. &ſeqq. Ru - tzen /389. &ſeqq. was dieſerwegen zu verordnen /392. 393
  • Spielwerck. Gebrauch in Leitung zu deutlichen Begriffen /64
  • Staate. Wie ſie der Macht nach unterſchie - den /485 .486. Wie ſie maͤchtig zu machen /487. woher ſie ihr An - ſehen bekommen /487 .488. Wie ſie bevoͤlckert werden /203
  • Staats Raͤthe /590
  • Staats-Wiſſenſchafften. Was die Academie der Wiſſenſchafften dabey zu thun hat /242
  • Stadthalter /539
  • Stadt Obrigkeit /508
  • Stadt-Rath /539
  • Stadt-Richter /508
  • Stadt-Vogt /508
  • Staͤnde /466
  • Statuta Erklaͤrung /414. wer ſie einrichten ſol /416 .417. Vorſichtig - keit bey ihrer Confir -mation[643]uͤber die vornehmſten Sachen. mation,417. doppel - te Art derſelben /417. 418
  • Steck-Brieffe. Wie da - mit zu verfahren /311312
  • Steuren /600
  • Stipendium. Wie es da - mit zu halten /226. &ſeqq.
  • Straffe. Wie ihre Groͤſ - ſe zu determiniren /283 .284. Warumb daruͤ - ber feſt zu halten /285 .286 . ihre Abſicht /287. warum dabey nicht auf die Perſon zu ſe - hen /287. &ſeqq. ob ſie bey nothwendigen Handlungen ſtat fin - det /304 .305 . wie die - jenigen zu beſtraffen / die Jrrthuͤmer unter die Leute bringen /304 .305 . warumb ſie nicht bey jedermann fruch - ten /306 .307 . war - umb ſie oͤffentlich zu vollziehen /291. wie ſie zu vollziehen /292. &ſeqq. ihre Wuͤrckung /297. &ſeqq.
  • Straſſen. Wie ſie in einer Stadt anzulegen /344
  • Strenge. Warumb ſie bey Lernenden ſcha - det /233. 234
  • Studiren. Wie die Men - ge davon abzuhalten /229. wer dazu zu laſ - ſen /225

T.

  • TAffel-Guͤtter /598
  • Taſchen-Spieler Wie weit ſie zu dulden /376. 377
  • Tauſchen. Was deswe - gen zu veranſtalten /274
  • Thiere koͤnnen in Ein - ſamkeit leben /2. wie ſie es in Erzeugung und Auferziehung der jungen halten /10. 11
  • Titular-Raͤthe /591. wer dazu zu machen /593
  • Todſchlag. Erklaͤrung /330. Warumb und wenn er zu beſtraffen /328. &ſeqq.
  • Todſchlaͤger. Erklaͤrung /330
  • Tortur. Wie weit ſie zu - laͤßig /315. 316
  • Tragoͤdien. Was davon zu veranſtalten und was ſie nutzen /269. &ſeqq. wenn ſie ſchaͤdlich ſind /272
  • Trunckenheit. Warumb ſie zu beſtraffen /368
Ss 2Tu -[644]Regiſter,
  • Tugend. Wie ihre Auf - nahme zu befoͤrdern /254. &ſeqq. was ſie im gemeinen Weſen nu - tzet /175, &ſeqq.
  • Tyranney. Erklaͤrung /170. woher ſie kom - met /181. ihre Grade /181. wie ſie behutſam zu beurtheilen /181. 182

V.

  • VAter. Seine Pflicht nach Abſterben der Mutter /111
  • Vaͤterliche Geſellſchafft. Erklaͤrung /55
  • Vaͤterliche Gewalt. Er - klaͤrung /86. wie lan - ge ſie dauret /88. 89
  • Ubelthaͤter, Wie ſich ein Richter gegen ihn auf - fuͤhren ſoll /523 .524 . wie er zu entdecken /308. &ſeqq. zu verfol - gen /310. &ſeqq. und zu uͤberfuͤhren /312. &ſeqq. warumb er oͤf - fentlich zu beſtraffen /291
  • Uberfluß in Leben. ober allzeit verwerfflich,153 &ſeqq. wie er recht zu beurtheilen /154. 155
  • Verbindlichkeit. Wie ſieim gemeinen Weſen beſchaffen /281 .282 . wie bey den Eltern /69. &ſeqq.
  • Verbrechen. Wie man den Thaͤter davon ent - decken ſoll /308. &ſeqq. wie man ihn ver - folgen310. &ſeqq. und uͤberfuͤhren ſol /312. &ſeqq. wie ihre Grade determiniret werden /493. wenn ſie zu beſtraffen /301. wie ihre Groſſe zu de - terminiren /301. 302
  • Veraͤchter der Religion. ob ſie zu beſtraffen /320
  • Verfuͤhrer. Warumb ſie haͤrter zu beſtraffen / als andere /288 .289. &ſeqq.
  • Verkauffen. Was deswe - gen zu veranſtalten /273
  • Verliebte Perſonen. ihre Eitelkeit /20
  • Verloͤbnis. Erklaͤrung /32. ob man es verbun - den zu halten /32
  • Verlobte. Wenn ſie ver - bunden einander zu heyrathen /32 &ſeqq.
  • Vermoͤgen-Steuren /600
  • Vermiſchte Regierungs - Forme /172
Ver -[645]uͤber die vornehmſten Sachen.
  • Vernuͤnfftig. Wie man die Kinder vernuͤnfftig machen ſol /67. 73
  • Verſchwendung. Wie ſie verhuͤttet wird /394. &ſeqq.
  • Verſchwiegenheit. war - umb Kinder dazu an - zugewoͤhnen /85
  • Verſprechen. Buͤrgerliche Geſetze davon /434. 435
  • Verſtand. Was er im ge - meinen Weſen nutzet /175. &ſeqq. wie er bey Kindern zu verbeſſern /61. &ſeq.
  • Vertraͤge. Wenn ſie nicht guͤltig /436. &ſeqq. was davon zu verord - nen /281
  • Verurtheilung zum Tode. Warumb und wie ſie geſchehen ſol /292. 293
  • Victualien. Wie man ſie vermehret /554. &ſeqq.
  • Vieh-Seuche. Wie man ſich dabey zu verhal - ten /352
  • Vieh-Zucht. Was deswe - gen anzuordnen /367
  • Vielweiberey. ob ſie er - laubet /27. &ſeqq.
  • Vier Herrn-Ambt /508
  • Uneheliche Kinder. Wer ſie verſorgen ſol /25
  • Ungehorſam in Gerich - ten /533
  • Univerſitaͤten. Was da - bey in acht zu nehmen /550, &ſeqq.
  • Unkcuſches Weſen. War - umb es zu unterlaſſen /24
  • Unmuͤndig. Erklaͤrung /87. wie lange man un - muͤndig bleibet /88 .89 . warumb ſie keinen Vergleich machen doͤrf - fen /87 .88. Wie es mit Veraͤuſerung ihrer Guͤtter zu halten /450. &ſeqq.
  • Unordnung im Hauswe - ſen. Warumb ihr bald abzuhelffen /148
  • Unterhalt der Jnnwoh - ner /106
  • Untergerichte /509
  • Untertbanen. Erklaͤ - rung /119 .168 . wenn man den Auszug aus dem Lande nicht zu verſtatten /205. ihre Verbindlichkeit der O - brigkeit zu gehorchen /454. &ſeqq. wie man ſie verbindet /169. 281
  • Unterthaͤnigkeit des Ge - ſindes /119.
S s 4Unter -[646]Regiſter,
  • Unter-Obrigkeiten. Wie man ſich gegen ſie zu - verhalten hat /536. &ſeqq.
  • Unwiſſenheit. Wenn ſie nicht entſchuldiget /426. 427
  • Unzuͤchtig. Erklaͤrung /18
  • Vollkommenbeit des ge - meinen Weſens. Wie ſie zu beurtheilen /161162. Nutzen ihrer Er - kaͤntnis /162 .163. &ſeqq.
  • Vormuͤnder. Erklaͤrung /105. ihre Gewalt /105. ihr Ambt /106 .107 . wie lange es dauret /106. wenn ſie Rechen - ſchafft geben muͤſſen /107. wenn ſie den Schaden erſetzen muͤſ - ſen /108. Ob man ih - re Muͤhe belohnen ſol /109 .452 .453 . wie ſie der Unmuͤndi - gen Guͤtter adminiſtri - ren ſollen /395
  • Vormundſchaffts-Ambt /395
  • Vorſchub. Was deswe - gen zu veranſtalten /276. 277
  • Vorſorge der Eltern /56
  • Vorurtheil fuͤr Perſonen. wie es zu vermeiden /66. 67
  • Vourtheile. Wie man Kinder davor verwah - ren ſol /68

W.

  • WAchſamkeit des Haus-Vaters /146. 147
  • Wahren. Wie es mit Einfuͤhrung der frem - den zu halten /546. &ſeq.
  • Wahrbeiten. Wie ſie zu ſammlen /239. was ſie fuͤr eine Verknuͤpf - fung mit einander ha - ben /243
  • Wahrbafftigkeit. War - umb Kinder dazu au - zugewoͤhnen /85
  • Wayſen. Jhre Pflicht ge - gen die Vormuͤnder /106 .109.110. War - umb ſie ohne die Vor - muͤnder keinen Ver - trag machen koͤnnen /107. Wer ſie verſorgen ſol / wenn ſie nichts haben /112
  • Weib. ob ſie viel Maͤn - ner haben kan /26 .27 . welche nicht gerne un - terthaͤnig ſind /44 .45. war -[647]uͤber die vornehmſten Sachen. warumb ſie dem Man - ne unterthaͤnig ſeyn ſol /45. &ſeqq. war - umb ſie nach des Man - nes Tode ihr einge - brachtes haben muß /52. ihr Vorrecht fuͤr andern Schuldnern /52. was ſie nicht wie - der fordern kan /53. was ſie fuͤr Schaden zu tragen153. 154
  • Weisbeit. Wie man die Kinder dazu bringen ſol /78. 79
  • Wille der Kinder. Wie er zu verbeſſern /60 .61.68. &ſeqq.
  • Willigkeit des Geſindes /116
  • Wiſſenſchafften. Wie man Hiſtorien und gu - te Buͤcher davon erhal - ten ſoll /245
  • Witz. Wie Kinder wi - tzig gemacht werden /166
  • Wohlfahrt des Hauſes. wie ſie zu befoͤrdern /149
  • Woblfahrt in einer Ge - ſellſchafft. Worinnen ſie beſtehet /3. was ſie in der Geſellſchafft nu -tzet /7. warumb beſon - dere nicht der gemei - nen vorzuziehen /7 .8. 159
  • Wohlfahrt des gemei - nen Weſens. Worauf ſie gegruͤndet /175. was Obrigkeit deswe - gen zu veranſtalt en /586. &ſeqq.
  • Wolluſt. Warumb Ler - nenden die Gelegenheit dazu zubenehmen /229
  • Woblthaͤter. wie man ſich gegen dieſelbe zu ver - halten /43. 44
  • Wuͤrckliche Raͤthe /591

Z.

  • ZAblen. Gebrauch zu Erlangung dentlicher Begriffe /64. 65
  • Zeuge. Wenn man ihn in Verhafft nehmen kan /309. wie durch ſie ein Ubelthaͤter zu - berfuͤhren /312. 313
  • Zinſen von Capitalien. was dieſerwegen zu - veranſtalten /274. &ſq.
  • Zuchthaͤuſer /365
  • Zuͤchtig /18
  • Zuͤchtigkeit. warumb man von Jugend auf dazu zugewoͤhnen /24

ENDE.

[648][649][650][651][652]

About this transcription

TextVernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen
Author Christian von Wolff
Extent670 images; 124791 tokens; 10278 types; 876991 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationVernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen Und insonderheit Dem gemeinen Wesen Zu Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechtes Christian von Wolff. . [8] Bl., 622 S., [13] Bl. : Frontisp. (Kupferst.). RengerHalle (Saale)1721.

Identification

Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, Fa 3162

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Recht; Gebrauchsliteratur; Recht; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:35:51Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryUniversitäts- und Landesbibliothek Halle
ShelfmarkULB Halle, Fa 3162
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.