Sr. Koͤnigl. Hoheit Dem Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn HERRN Auguſt Wilhelm Printzen in Preußen u. ſ. w. Seinem gnaͤdigſten Herrn.
Wahrheit und Gerechtigkeit ſind die Stuͤtzen des ge - meinen Weſens: fehlen jene, ſo faͤllet dieſes uͤber den Haufen. Die Wahr - heit kann von der Gerechtigkeit nichtgetren -getrennet werden, wenn anders nicht die Sitten, welche die gemeine Mey - nung gut heiſſet, den betriegeriſchen Schein derſelben annehmen ſollen. Es beſtehet aber die Gerechtigkeit in ei - nem beſtaͤndigen und unwandelbaren Willen einem jeden ſein Recht wieder - fahren zu laſſen, und folglich niemand zu beleidigen, oder ein Unrecht zu - zufuͤgen. Was unter dem Recht ver - ſtanden werde, kann man nicht voͤllig einſehen, wenn man nicht zugleich er - kennet, was gut, billig und richtig ſey. Demnach thut ein Gerechter nichts ohne eine Empfindung von ſei -) (3nerner Pflicht, und ohne ein Beſtreben recht zu handeln; und auf ſolche Art erwirbt er ſich einen gegruͤndeten und wahrhaften Ruhm, welchen keine aus Neid erwachſene Verleumdung zu ſchande machen kann. Die Guͤte, Bil - ligkeit und Richtigkeit der menſchli - chen Handlungen bewircket nicht die Meynung der Menſchen, als welche weder beſtaͤndig iſt, noch auch mit ſich in allen uͤbereinſtimmet; ſondern es ſtammet ſelbſt von der Natur der Menſchen her, und hat in dem Weſen und Natur der Dinge den hinreichen - den Grund, daß ſie gut, billig undrechtrecht ſind. Derowegen unterſcheidet ſich die Wahrheit von der Meynung, als welche ihre ewige Dauer ſelbſt von dem unveraͤnderlichen Weſen und Na - tur, wie der Menſchen, alſo auch der uͤbrigen Dinge, herleitet. Es brin - get auch die Meynung, indem ſie nie - mahls einen feſten und unbeweglichen Beyfall gewaͤhren kann, keinen be - ſtaͤndigen und unwandelbaren Willen mit ſich; ſondern es iſt das Gemuͤth nicht ſelten in einer Sache von der aͤuſſerſten Wichtigkeit zweifelhaft, und kommt an Klippen. Die Wahrheit allein, als welche nur eine einige und) (4unver -unveraͤnderlich iſt, nie aber jemand hinter das Licht fuͤhret, verdienet ei - ne Mutter der Beſtaͤndigkeit und des immerwaͤhrenden genennet zu werden. Dieſes hat mich bewogen, das keuſche und heilige Recht, welches die Natur ſelbſt unter eintzelnen Menſchen und Voͤlckern geſtiftet hat, daß es der Grund, den man nie erſchuͤttern kann, von der Gluͤckſeligkeit des gantzen menſchlichen Geſchlechts ſeyn ſollte, aus der eignen Natur des Menſchen in einem ununterbrochenen Zuſam - menhange, wiewol in einer abgepaſ - ſeten Kuͤrtze, damit ich mehrerennuͤtzlichnuͤtzlich ſeyn koͤnte, in ein kleines, doch aͤchtes Lehrgebaͤude zu bringen, wobey ich aber geſorget habe, daß die Kuͤrtze der Deutlichkeit keinen Nach - theil erwecken moͤchte. Dieweil ich nun ſattſam uͤberzeuget bin, daß Ew. Koͤnigl. Hoheit, als welche Wahrheit und Gerechtigkeit lieben, die Arbeit, welche ich zu ſtande ge - bracht, nicht misfallen werde: ſo un - terſtehe ich mich Hoͤchſt Denenſel - ben dieſes den Blaͤttern nach kleine, in Abſicht aber auf den Nutzen groſ - ſe, und des Reichthums der Sachen halber wichtige Buch in tiefſter Un -) (5terthaͤ -terthaͤnigkeit zu uͤberreichen, und mich zugleich Dero Gnade zu empfehlen, nebſt dem innbruͤnſtigen Wunſch, daß GOtt Dieſelben im Hoͤchſten Wohl - ſeyn erhalten wolle. Jch erſterbe
Ew. Koͤnigl. Hoheit unterthaͤnigſter und Ehrfurchts - volleſter Diener Chriſtian Freyherr von Wolff.
Nachdem ich das wichtige Werck des Natur - und Voͤlckerrechts gaͤntzlich zum Ende gebracht ha - be; ſo faße ich nunmeh - ro, damit ich vieler Nu - tzen befoͤrdern moͤchte, dasjenige, was in jenem weitlaͤuftig abgehandelt worden, in einer fuͤglichen Kuͤrtze zuſammen, und ſtel - le es unter dem Titel der Grundſaͤtze desNatur -Vorrede. Natur - und Voͤlckerrechts an das Licht. Doch muß ich von dieſem Vorhaben Re - chenſchaft geben. Da mir die Liebe zur Wahrheit gleichſam von Natur eingepflan - tzet iſt, und ich deßwegen ſchon oft erinnert habe, daß ich mich aus keiner andern Ab - ſicht auf die Erlernung der Matheſis be - flißen, als die Urſach von der ſo groſſen Ge - wißheit in der Geometrie auf das genaueſte zu erkennen; ſo hat mir, als ich dieſe er - kant hatte, nichts ſo ſehr am Hertzen gele - gen, als daß ich die Wahrheit offenbar machte, und ihr nicht aus einer Ueberre - dung ſondern aus Ueberzeugung meinen Beyfall ertheilete. Mit eben dieſem Ge - muͤthe bin ich zu der Auswicklung der Rech - te geſchritten, und habe die Quelle alles Rechts in der menſchlichen Natur gefun - den, welches von den alten ſchon lange ein - geſchaͤrfet, von den neuern wiederholet, keinesweges aber erwieſen worden; ich aber habe mich nicht durch Meynungen uͤberre - det, ſondern vielmehr bis zur Wahrheit uͤberzeuget. Auf ſolche Weiſe iſt mir nicht nur die Art, nach welcher uns die Natur ſelbſt zur Ausuͤbung und Unterlaßung ge - wiſſer Handlungen verbindet; ſondern auchderVorrede. der gantze weitlaͤuftige Umfang des Rechts der Natur, nach welchem es ſich auf alle menſchliche Handlungen, welche es auch im - mer ſind, erſtrecket, bekant worden; und ich habe endlich verſtanden, wie die poſiti - ven Rechte aus dem Rechte der Natur ent - ſtehen muͤßen, damit ſie frey von allem Ta - del vor dem Richterſtuhle der Vernunft nicht beſorgen duͤrfen, daß man wider ſie ſprechen moͤchte. Daraus folgt nun gleich - ſam von ſich ſelbſt, daß nicht weniger bey allem poſitiven Rechte, als bey dem na - tuͤrlichen, Wahrheit ſey, und dieſe durch den Weg des Beweiſes eingeſehen, und mithin was fuͤr Recht gehalten wird, oder gehalten werden ſoll, von dem, was es wircklich iſt, gewiß und genau unterſchie - den werde. Denn gleichwie das Natur - recht den Willen aller Menſchen in eintzel - nen Handlungen lencket; alſo lencket es auch den Willen des Geſetzgebers, deſſen natuͤr - liche Freyheit eben ſo wenig, als bey ein - tzelnen Menſchen, die Verbindlichkeit auf - hebet. Alles dieſes nun konte auf keine an - dere Weiſe ans Licht kommen, als wenn man den Fußtapfen des Euclidis, wel - cher die Geſetze einer wahren Vernunftleh -reVorrede. re gar ſtrenge in Obacht genommen, folgte, und demnach alle Woͤrter mit einer voll - ſtaͤndigen Erklaͤrung belegte, alle und jede Saͤtze genugſam beſtimmte, und beydes die Erklaͤrungen als auch die Saͤtze dergeſtalt ordnete, daß ſich die folgenden aus den vor - hergehenden gaͤntzlich verſtehen ließen, und die Wahrheit der letztern aus den voraus - geſetzten erhellen muſte. Damit ich dieſe mir vorgeſteckte Abſicht erhalten moͤchte, ſo habe ich in dem weitlaͤuftigen Wercke das Natur - und Voͤlckerrecht zu beweiſen unter - nommen, und es vor nicht gar zu langer Zeit zum Ende gebracht; ich zweifle auch keinesweges, ohne mich einer Ruhmraͤthig - keit ſchuldig zu machen, daß ich dadurch der gantzen Rechtsgelehrſamkeit ein Licht an - gezuͤndet habe, und es nun endlich klar ſey, was Cicero ſehr geſchicklich geſagt, daß die Rechtswiſſenſchaft nicht aus den zwoͤlf Ta - feln, noch aus den Befehlen der Praͤtoren, ſondern allerdings aus dem innerſten der Philoſophie herzuholen ſey. Denn ich ha - be nicht nur die Naturgeſetze, welche ſich ſowol auf alle privat -, als auch oͤffentliche und Voͤlckerrechte erſtrecken, in eine Ueber - einſtimmung gebracht; ſondern es iſt auchvonVorrede. von mir gewieſen worden, daß, wenn man die poſitiven Geſetze, in den Faͤllen, worinn ſie von den natuͤrlichen abweichen, nach der Richtſchnur der natuͤrlichen, vermoͤge der natuͤrlichen Theorie der buͤrgerlichen, oder poſitiviſchen Geſetze, welches gewiß auch keinen geringen Theil des Rechts der Na - tur ausmacht, ob er gleich bisher gaͤntzlich verlaſſen und unbearbeitet geblieben iſt, pruͤfet, ſich zwiſchen der natuͤrlichen und buͤrgerlichen Rechtsgelehrſamkeit die ſchoͤn - ſte Uebereinſtimmung erzeuge, und mithin in allen eine beſtaͤndige Eintracht und Ue - bereinkommen ſey. Diejenigen, welche ſich auf die Rechte legen, ſind gemeiniglich der - jenigen Methode, welche allein zur Wiſ - ſenſchaft fuͤhret, unkundig, und uͤberſehen das weite Feld des Rechts der Natur nicht. Derowegen ſcheinet es wol nicht, daß mein Werck nach ihrem Geſchmack ſeyn werde; noch vielweniger aber reimet ſich es zu der Faͤhigkeit der Anfaͤnger, als welchen auch die Weitlaͤuftigkeit im Wege ſtehet. Da mir nun das Amt das Natur - und Voͤl - ckerrecht zu lehren aufgetragen iſt; ſo mu - ſte ich mich bemuͤhen, daß ich die zur Er - kentniß der Geſetze begierige Jugend zu ei -nerVorrede. ner gruͤndlichen und gewiſſen Wiſſenſchaft des Rechts anfuͤhrete, und den wahrhaf - ten Prieſtern der Gerechtigkeit einen gebah - neten Weg zu dem innern des Rechts ver - ſchafte, damit ihnen die Reiſe nicht mehr zu langwierig zu ſeyn deuchtete, wie ich ſie in dem Wercke des Natur - und Voͤlcker - rechts angetreten hatte. Auf daß ich nun dieſe mir vorgeſetzte Abſicht erreichen moͤch - te, ſo habe ich in dieſen Grundſaͤtzen alle Erklaͤrungen und Saͤtze, welche in dem groͤſſern Werck enthalten ſind, wenige aus - genommen, die ſich durch jene leicht verſte - hen laſſen, zuſammen gefaſſet, damit nicht das geringſte vermiſſet wuͤrde, was zu dem gantzen privat, allgemeinen oͤffentlichen, und eigentlichen Voͤlckerrecht gehoͤret. Ue - berdem, welches das vornehmſte iſt, habe ich beſonders geſorget, daß man die Gruͤn - de aller Saͤtze einſehen koͤnte, und in den Erklaͤrungen nichts annehmen duͤrfte, was noch einige Dunckelheit in dem Gemuͤthe zuruͤcke ließe, daß man es nicht voͤllig ver - ſtehen koͤnte. Und darum habe ich alles in eine ſolche Ordnung gebracht, daß das fol - gende mit dem vorhergehenden beſtaͤndig zuſammen haͤngt, und dieſes vermittelſt je -nesVorrede. nes ein durchgaͤngiges Licht gewaͤhret. Es iſt zwar nicht moͤglich geweſen, in der Aus - wickelung der Gruͤnde, ſo wie es die Stren - ge des Beweiſes erfordert, und wie ich es in dem groͤſſern Wercke geleiſtet habe, aus - fuͤhrliche Beweiſe zu geben, als welche mein gegenwaͤrtiges Vorhaben nicht ver - ſtattet hat; allein dies hindert nicht, daß man nicht von allen und jeden die aͤchten Gruͤnde, welche fuͤr die hinlaͤnglich ſind, deren Augen das helleſte Licht noch nicht vertragen koͤnnen, zu erkennen im Stande waͤre. Denn es iſt nicht allen, ja gar kei - nem gleich vom erſten Anfang an gegeben, das Sonnenlicht nach Adler Art anzuſe - hen; ſondern vorerſt tappet ein jeder bey dem hellen Mittage im Dunckeln. Nach und nach aber, wenn das Licht der Seele zunimmt, wie es alſo die Gewohnheit der Natur mit ſich bringt, verlangen diejeni - gen noch ein groͤßres, welche vorher mey - neten gaͤntzlich im Hellen zu wandeln, und ſo geſchieht es endlich, daß ſie ſich nach dem, wovor ihnen vorhin eckelte, nun be - gierig ſehnen, und ihnen nichts anders Ge - nuͤge thut als Beweiſe, welche Nachah - mungen der Euclideiſchen ſind. Daraus) () (wirdVorrede. wird aber am Ende vollſtaͤndig erhellen, daß ich in dem weitlaͤuftigen Wercke des Natur - und Voͤlckerrechts keine unnuͤtze Um - ſchweife geſucht, ſondern auf keinem kuͤr - tzern Wege zum Ziel kommen koͤnnen. Jm uͤbrigen damit ich es gleichſam auf einmahl vorſtelle, wie alle Verbindlich - keiten und alle Rechte der Menſchen aus der menſchlichen Natur ſelbſt, als aus ihrer Qvelle, fließen; ſo muß ich noch eines und das andere melden. Der Menſch beſteht aus Seele und Leib; und wie dieſer aus verſchiedenen Werckzeugen zuſammengeſetzt iſt, deren Verrichtungen zuſammengenommen auf einen gemeinſa - men Endzweck losgehen, z. E. wie die Verrichtungen der Werckzeuge, wodurch das Leben beſtehet, auf die Erhaltung des gantzen Koͤrpers, oder des Lebens und deſſen Geſundheit abzwecken; ſo wohnen auch der Seele verſchiedene Ver - moͤgen bey, durch deren vereinigten Ge - brauch der einer Vernunft theilhaftige Menſch, welche ihn eben von den uͤbri - gen Thieren unterſcheidet, geſchickt ge - macht wird ein der Vernunft gemaͤßes Leben zu fuͤhren. Dieſe GeſchicklichkeitderVorrede. der Werckzeuge ihre Verrichtungen abzu - warten, und der Vermoͤgen zu ihrem Gebrauch, welchen ſie bey der Betrei - bung des Lebens eines Menſchen haben, machen die weſentliche Vollkommenheit eines Menſchen aus. Da die Natur, welche niemahls ein Haar breit von dem Pfade der Wahrheit abweichet, nicht den geringſten Widerſpruch, als der ein beſtaͤndiger Hauptfeind der Wahrheit iſt, leidet; ſo kommt derſelben keine andere Lenckung der menſchlichen Handlungen zu, als daß ſie durch eben dieſelben Endur - ſachen beſtimmet werden, wodurch ſie die natuͤrlichen Handlungen beſtimmet, und ſie folglich mit den natuͤrlichen zu einer - ley Ziel eilen. Und die Geſchicklichkeit die freyen Handlungen ſo und nicht an - ders zu beſtimmen, macht eben die zu - faͤllige Vollkommenheit des Menſchen aus. Kommt dieſe nun zu der weſentlichen Vollkommenheit, ſo ſtellet ſie die gantze Vollkommenheit des Menſchen dar. Da - her aber ruͤhret es, daß die freyen Hand - lungen der Menſchen ſich durch eine in - nere Guͤte und Schaͤndlichkeit unterſchei - den laßen. Da aber der Menſch ver -) () (2moͤgeVorrede. moͤge der Natur uͤberhaupt beſtimmet iſt das Gute zu begehren und das Boͤſe zu verabſcheuen; ſo iſt die innere Guͤte ein Bewegungsgrund gewiſſe Handlungen auszuuͤben, und die innerliche Haͤßlichkeit ein Bewegungsgrund gewiſſe Handlun - gen zu unterlaßen. Daraus erzeuget ſich nun die natuͤrliche Verbindlichkeit; und die Lenckung der Handlungen, wovon ich geredet habe, nimmt die Geſtalt eines Geſetzes an, ſo von der Natur ſelbſt ge - geben worden. Damit aber dieſer Ver - bindlichkeit Genuͤge geſchehen moͤge, ſo muß auch den Menſchen ein Vermoͤgen beygeleget ſeyn dasjenige zu thun, ohne welches kein Genuͤge geleiſtet werden kann; und alſo entſteht aus jener, als aus einer Quelle, ein Recht ſo wol zum Gebrauch der Sachen, als auch zu gewiſſen Handlungen. Es befinden ſich aber die Menſchen von der Natur, daß ſie bloß mit vereinigten Kraͤften und mit einer wechſelsweiſe einander geleiſteten Huͤlfe auf dieſe Vollkommenheit los ge - hen koͤnnen, welches die eintzige Quelle der Gluͤckſeeligkeit iſt. Und derowegen hat die Natur ſelbſt die Pflichten gegenunsVorrede. uns mit den Pflichten gegen andere durch ein freundſchaftliches Liebesband ver - knuͤpfet, daß zu beyden einerley noth - wendige und an ſich unveraͤnderliche Ver - bindlichkeit iſt. Unterdeſſen da die Kraͤf - te des Menſchen nicht unerſchoͤpflich ſind, und deswegen nicht ohne Grund verſchwen - det werden muͤßen; ſo iſt man andern keine Pflichten mit der Hintanſetzung ſei - ner ſelbſt, und uͤberdem nicht mehr als in unſerer Gewalt ſtehet, endlich auch nicht denen, welche ſelbſt in ihrer Ge - walt haben, was ſie von andern verlan - gen, ſchuldig. Weil aber keinem Men - ſchen von Natur ein Recht uͤber die Hand - lungen eines andern zukommt; ſo muß man, wie dem um ſeines Mangels wil - len bittenden, alſo auch dem, der es lei - ſten ſoll, uͤber die Verabſaͤumung ſeiner ſelbſt, und von dem, was in ſeiner Ge - walt iſt, das Urtheil laßen. Es iſt aber nicht ſelten einem fremder Huͤlfe Beduͤrf - tigen daran gelegen, daß er von dem, was er von einem andern bittet, gewiß ſey. Derowegen kommt ihm ſelbſt von Natur ein Recht zu, ſich andere zu gewiſ - ſen Gewaͤhrungen verbindlich zu machen,) () (3ſoVorrede. ſo daß dieſelben, wo ſie nicht wollen, zur Ausrichtung ihrer Schuldigkeit koͤnnen ge - zwungen werden. Daraus erwaͤchſet in Abſicht auf die Dinge, wozu man an - dern verpflichtet iſt, ein Unterſchied zwi - ſchen der vollkommenen und unvollkom - menen Verbindlichkeit; und eben daher entſteht zu dem, was uns andere ent - richten ſollen, entweder ein vollkommes, oder ein unvollkommnes Recht. Es ver - ſchwindet aber der Grund dieſes Unter - ſchiedes bey denenjenigen Dingen, welche verbothen werden, daß man ſie andern nicht thun ſolle, dieweil es allezeit gewiß iſt, daß man ſolche unterlaſſen muͤße. De - rowegen iſt in Abſicht auf die verneinen - den Handlungen die natuͤrliche Verbind - lichkeit vollkommen, ſo, daß der andere ein vollkommenenes Recht hat nicht zu leiden, daß dies und jenes geſchehe, und denjenigen, welcher etwas thut, zu zwin - gen, daß er es nicht thue, oder ins kuͤnf - tige auf das neue zu thun ſich nicht unter - fange. Weil endlich keinem von Natur ein eigenthuͤmliches Recht zu einer Sache im eintzelnen betrachtet zuſteht; ſo ſind von Natur alle Sachen, was ihren nothwen -digenVorrede. digen Gebrauch anlanget, gemein. Aus dem, was bisher geſagt worden, erhellet, welches denn der natuͤrliche, und zwar urſpruͤngliche, Zuſtand der Menſchen, welchen ſie von Natur haben, ſey. Al - lein es war nicht etwa nur ein einiger Grund, welcher die Menſchen noͤthigte, daß ſie, welches auch das Naturgeſetz gar wohl leiden kann, ja ſelbſt erfordert, von der urſpruͤnglichen Gemeinſchaft abwi - chen, und die vorher gemein geweſenen Dinge einem eigenthuͤmlichen Recht un - terwurfen. Und daher iſt das Eigenthum entſtanden, welches das Recht ſich ande - re zu gewiſſen Leiſtungen verbindlich zu machen noch weiter ausgedehnet, die Ar - beiten denen eigenthuͤmlichen Sachen gleich geſchaͤtzet, und die Verbindlichkeit Sa - chen und Arbeiten einander mitzutheilen noch den Pflichten hinzugeſetzet hat. Dar - aus fließen alle Rechte der Sachen, ſo wol in, als zu einer Sache, ſie moͤgen Nahmen haben wie ſie wollen, von freyen Stuͤcken, und das Vertheidigungsrecht erhaͤlt auch noch weitere Graͤntzen. Die Verbindlichlichkeit das menſchliche Ge - ſchlecht fortzupflantzen verknuͤpft mit der) () (4Zeu -Vorrede. Zeugung die Auferziehung auf das aller - genaueſte, und leget deswegen den Eltern ein gewiſſes Recht uͤber die Handlungen der Kinder bey. Und weil die Ehen die - ſes Endzwecks halber vollzogen werden, ſo erlangt ein Ehegatte vermoͤge der Ein - willigung ein gewiſſes Recht uͤber die Handlungen des andern. Weil auch die Leiſtung beſtaͤndiger Arbeiten fuͤr einen beſtaͤndigen Unterhalt, worinn natuͤrli - cher weiſe die Knechtſchaft beſtehet, mit dem Recht der Natur uͤbereinſtimmt; ſo tritt aus der Unterwerfung ein Recht des Herrn uͤber die Handlungen des Knechts hervor. Derowegen weil das Recht uͤber die Handlungen des andern die Herrſchaft heißt; ſo erhellet nunmeh - ro der Urſprung der Privatherrſchaft, worinn das Recht uͤber die Perſonen, wie man es gemeiniglich nennet, enthalten iſt. Da nun aber eintzelne ihre Rechte nicht genug vertheidigen, auch dieſelben von andern, die dazu keine Luſt bezeigen wuͤr - den, ohne Gewalt und ſehr zweifelhaf - ten Ausgange nicht erhalten, und nicht fuͤglich fuͤr dasjenige ſorgen konten, was zum hinlaͤnglichen Unterhalt des Lebensgehoͤ -Vorrede. gehoͤret, und zur Gluͤckſeeligkeit dienet; ſo ſind die buͤrgerlichen Geſellſchaften dem Geſetz der Natur gemaͤß zuwege gebracht worden, und ſo iſt aus der Unterwer - fung die buͤrgerliche oder oͤffentliche Herr - ſchaft, aus welcher alles oͤffentliche oder allgemeine Staatsrecht hergeleitet wird, entſtanden. Endlich da die Staaten nun - mehro als eintzelne Perſonen, welche im natuͤrlichen Zuſtande leben, angeſehen werden muͤßen; ſo treffen ſie alle Ver - bindlichkeiten und Rechte, welche alle und jede, die im natuͤrlichen Zuſtande leben, angehen. Weil nun unter dieſe Rechte auch das Recht ſich einen andern zu ge - wiſſen Leiſtungen zu verbinden gerechnet wird; ſo flieſſen daraus die Rechte der Buͤndniſſe und anderer Vertraͤge der Voͤlcker. Und weil dadurch, daß ſich eintzelne Perſonen in buͤrgerliche Geſell - ſchaften begeben haben, die Verbindlich - keit das gemeinſame Wohl mit vereinigten Kraͤften zu befoͤrdern nicht aufgehoben werden koͤnnen; ſo hat, gleichwie ſelbſt die Natur alle und jede Menſchen ver - moͤge derſelben in eine Geſellſchaft ver - ſetzet hat, auch eben dieſe Natur unter) () (5denVorrede. den Voͤlckern eine Geſellſchaft geſtiftet, aus deren Beobachtung nach Anleitung der natuͤrlichen Theorie der buͤrgerlichen Geſetze ein gewiſſes Recht, ſo mit dem buͤrgerlichen verwandt iſt, und welches, daß ich mit dem Ulpiano rede, weder gantz von dem natuͤrlichen abweichet, noch auch ſich aller Orten nach demſel - ben richtet, hergeleitet wird. Aus dem, was nur kuͤrtzlich geſagt worden, kann, wie ich meyne, nicht undeutlich erhellen, daß alle Rechte, als welche unter einan - der in beſtaͤndigen Zuſammenhange ſind, aus der menſchlichen Natur ſelbſt herge - leitet werden, und daß hiermit klar ſey, was die Alten geſagt haben, daß das Recht ſelbſt durch die Natur aufgerichtet worden ſey. Man wird dieſen Zuſam - menhang vollſtaͤndiger einſehen, wenn man dieſe Grundſaͤtze ſelbſt mit aufmerk - ſamen Gemuͤth durchzuleſen beliebet. Jm uͤbrigen werde ich kein eitler Prophet ſeyn, wenn ich vorherſage, daß, wenn ſich iemand dieſe Grundſaͤtze fein bekant gemacht hat, er eine gruͤndliche und wah -reVorrede. re Rechtswiſſenſchaft erhalten werde, da er denn das vollſtaͤndigſte Licht, ſo bald es ſeine Schaͤrfe des Geſichtes nicht mehr verletzet, aus dem groͤſſern Werck erwar - ten muß; und wenn er ſich auf das buͤr - gerliche Recht befleißiget, ſo wird er ſich faſt ohne Muͤhe eine Erkaͤntniß deſſelben zuwege bringen. Eines iſt noch zuruͤck, was ich zu erinnern fuͤr noͤthig erachtet habe, daß ich nehmlich in dieſen Grund - ſaͤtzen nichts angenommen, was man an - derswo herholen muͤße, gleichwie hinge - gen das Natur - und Voͤlckerrecht in dem groͤſſern Werck mit den uͤbrigen Theilen der Weltweisheit zuſammen gehaͤnget iſt; damit man ohne Anſtoß in denſelben fort - gehen koͤnne, wenn auch gleich ein Leſer in meinen philoſophiſchen Wercken nicht ſollte bewandert, oder auch ſo gar in der Weltweisheit noch im hoͤchſten Grade ein Fremdling und Ankoͤmmling ſeyn. Denn wenn einige Begriffe anderswoher zu ent - lehnen waren, ſo habe ich dieſelben zu - gleich erklaͤret. Gleichwie ich aber hier - mit dem mir aufgetragenen Amte ein Ge -nuͤgenVorrede. nuͤgen geleiſtet habe; ſo wuͤnſche ich nichts mehr, als daß alle, welche das Vertrauen haben, daß ihnen meine Arbeit zu ſtatten kommen koͤnne, diejenigen Fruͤchte, wel - che ich verheiße, daraus genieſſen moͤgen. Es gebe GOtt, welcher ſelbſt der Urhe - ber alles Rechtes, welches ich erklaͤret habe, iſt, daß Recht und Gerechtigkeit auf der gantzen Erde bluͤhen moͤgen!
Halle, den 4. September, im Jahr 1749.
Es iſt natuͤrlich, daß ich geglaubt haben muß, wir Deutſchen haͤt - ten in unſerer Sprache zu we - nig gute Compendia des Rechts der Natur drucken laßen, denn ſonſt haͤtte ich nicht daran gedacht, die Arbeit des vor - treflichen Herrn Barons von Wolf zu uͤberſetzen. Mein Gedanke iſt vielleicht un - recht. Deutſchland iſt zu fruchtbar an pa - triotiſchen Schriftſtellern. Sie muͤſſen die -ſenVorrede des Ueberſetzers. ſen Mangel laͤngſt vollkommen erſetzt ha - ben. Vielleicht bin ich nur ſo unbekant mit den Maͤnnern, die gute Rechte der Natur deutſch geſchrieben haben. Jſt dieſes, ſo waͤre es nicht unmoͤglich, daß ich bloß aus Mangel dieſer Erkenntnis bewogen wor - den waͤre das Recht der Natur ins Deut - ſche zu uͤberſetzen. Es bewog mich aber vornaͤmlich eine andere Urſach. Ein Goͤn - ner und Freund der Gelehrten, der bey ſeinen wichtigen Geſchaͤften, die Er dem Staate und den Kriegsdienſten unſers groſſen Koͤnigs widmet, auch die philoſo - phiſchen Wiſſenſchaften als ein Kenner liebt, verlangte es von mir. Unſere Univerſitaͤt ehrt dieſen vortreflichen Herrn ſo ſehr, daß ich nicht das geringſte unterlaßen konte, was Jhn von meiner beſondern Ergeben - heit uͤberzeugte. Jch entſchloß mich zur Ueberſetzung, um Jhm die beſondere groſſe Hochachtung zu entdecken; mit welcher ich den erhabnen Character dieſes edlen GeiſtesſoVorrede des Ueberſetzers. ſo gleich verehrte, als ich das Gluͤck hatte ihn naͤher kennen zu lernen. Der Herr Baron von Wolff billigte meinen Vorſatz. Er entdeckte mir die Art, nach welcher Er wuͤnſchte, daß die Ueberſetzung eingerichtet werden moͤchte, damit die Uebereinſtim - mung mit ſeinen andern deutſchen Werken erhalten wuͤrde. Jch folgte dieſem Plan mehr als meinen eigenen Gedanken, von der Schreibart einer guten Ueberſetzung. Es iſt mir mehr daran gelegen, daß ich von dem Herrn Cantzler ſelbſt verſichert wor - den, daß die Gedancken der Ueberſetzung voͤllig mit den ſeinigen uͤbereinſtimmten, und nach ſeinem Sinn ausgedruckt waͤren; als wenn ich mit einem etwas veraͤnderten Ausdruck mehr meinem Genie gefolgt waͤre. Der Herr Cantzler hat ſich ſo gar die Muͤ - he genommen, die letzte Reviſion der ge - druckten Bogen zu uͤbernehmen, da der Abdruck nicht hier ſondern in Halle geſche - hen konte. Er hat auch in derſelben einigeAus -Vorrede des Ueberſetzers. Ausdruͤcke geaͤndert, von welchen er glaub - te, daß ſie ſeinen Sinn beſſer anzeigen. Jch habe mich beſonders bemuͤht nie von dem Redegebrauch abzuweichen, der in den Ci - vilrechten eingefuͤhrt iſt. Die Ueberſetzung hat die Abſicht erfuͤllt, die ich mir bey der - ſelben vorgeſetzt hatte. Sie hat den Beyfall des Herrn Cantzlers, unter deſſen Augen ſie bis auf den Anfang des Regi - ſters gedruckt worden iſt. Jch wuͤnſche nichts mehr, als daß ſie vielen vortheil - haft ſeyn moͤge.
Grund -Franckfurt an der Oder, den 15. April 1754. Gottlob Samuel Nicolai.
Von dem Recht der Natur uͤberhaupt, von den Pflichten gegen ſich ſelbſt, gegen andere und gegen GOtt.
Von dem Unterſchied der menſchlichen Handlungen und ihrer Zurechnung.
Jnnere Handlungen nenntDie in - nere Hand - lungen man diejenigen, welche allein durch die Kraft der SeeleNat. u. Voͤlckerrecht. Awuͤrck -2I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. und aͤuſ - ſere, freye und noth - wendige.wuͤrcklich werden; aͤußete Handlungen aber ſind diejenigen, welche durch die Be - wegung der Theile unſers Koͤrpers die Wuͤrck - lichkeit erhalten. Es ſind aber dieſelben entweder freye Handlungen, welche auf einige Weiſe von dem freyen Willen ab - haͤngen; oder natuͤrliche (nothwendige), welche von demſelben nicht abhaͤngen, ſondern durch das Weſen und die Natur der Seele und des Koͤrpers beſtimmt werden. Daher iſt klar, daß es keine aͤußere freye Handlungen giebt, ohne daß innere dabey ſind, mit welchen ſie zuſam - menhaͤngen.
Es iſt uͤberdem eine Handlung entwe - der poſitiv, eine auszuuͤbende (actio poſiti - va), wenn ſie in der That ausgeuͤbet wird; oder privativ, eine zu unterlaßende (actio privativa), welche in der Unterlaßung einer Handlung beſteht, welche gethan werden konnte. Eine poſitive freye Handlung heiſt eine Begehungs-That (factum com - miſſionis). Eine privative, oder verneinen - de freye Handlung, heiſt eine Unterlaſ - ſungs-That (factum omiſſionis). Dieſe pflegt man auch ſchlechtweg die That (fa - ctum), jene die Unterlaſſung (non fa - ctum) zu nennen. Oft verſteht man auch, nach Beſchaffenheit der Sache,von3und ihrer Zurechnung. von welcher man redet, unter der That die Unterlaßung zugleich mit.
Wenn ein Menſch etwas frey ausuͤbt,Die Zu - rechnung. oder unterlaͤßt; ſo nennt man ihn eine freye Urſache der Handlung, eben wie er auch die freye Urſache von allem demje - nigen genannt wird, was aus derſelben Handlung folgt. Das Urtheil, wodurch man erklaͤrt, die freye Urſache ſey entweder die handlende Perſon von der Handlung ſelbſt, oder desjenigen, was aus derſelben erfolgt, es ſey gut, oder boͤſe, wird die Zu - rechnung genannt. Daher koͤnnen kei - ne andere Handlungen zugerechner werden, als die freyen, in ſo weit, als ſie frey ſind; folglich auch diejenigen, welche, wenn man ſie an und vor ſich ſelbſt betrachtet, zwar natuͤrliche Handlungen ſind, aber dennoch von einer vorhergehenden freyen Hand - lung abhaͤngen.
Wer ſo handelt, daß er von einem andernEine ge - zwunge - ne Hand - lung. durch eine aͤußere Gewalt angetrieben wird, und bey der Handlung ſich wie ein Werck - zeug (inſtrumentum) verhaͤlt, der handelt gezwungen. Aber gezwungen leidet derjenige, welcher die Kraͤfte nicht hat, der Handlung eines andern zu wieberſtehen. Jn dieſem Falle iſt der Mangel des Wie -A 2derſte -4I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. derſtehens eine privative, (verneinende), gezwungene Handlung (actio priva - tiva coacta). Weil eine gezwungene Handlung keine freye Handlung iſt; ſo kann ſie niemanden, als dem, der ſie er - zwinget, zugerechnet werden: Wenn man ſie aber nachher billiget; ſo wird die Billigung zugerechnet.
Von einer gezwungenen Handlung iſt diejenige unterſchieden, welche man eine Handlung wieder Willen nennet (actio - nem invitam), wenn jemand das thut, was er lieber unterlaſſen, und das unterlaͤßt, was er gern thun wolte, wenn er nur ein Uebel, welches aus der entgegen geſetzten Hand - lung entſtehet, vermeiden koͤnte. Dieſer wird die freywillige Handlung mit Wil - len (actio voluntaria) entgegen geſetzet, welche weder gezwungen iſt, noch wieder den freyen Willen desjenigen, der handelt, ausgeuͤbet wird. Eine Handlung wie - der Willen wird alſo vollbracht, wenn jemand entweder durch Furcht, oder Gewalt von einem andern bewogen wird, etwas zu thun, oder zu unter - laßen. Eine Handlung wieder ſei - nen Willen wird dennoch zugerechnet, obgleich weniger, als eine freywillige Handlung (§. 3.); weil derjenige, dernicht5und ihrer Zurechnung. nicht freywillig (ungern) eine Handlung ausuͤbt, einige Entſchuldigung hat.
Es ſind aber die freyen HandlungenDie uͤ - berlegte Hand - lung, die unuͤber - legte, die Ueberle - gung. entweder uͤberlegte, welche nicht eher, als nach geſchehener Ueberlegung (conſultatio - ne), ausgeuͤbet werden; oder unuͤberlegte, wenn jemand, ohne daß er vorher die Sache uͤberleget, die Handlung ausuͤbt. Es be - ſtehet aber die Ueberlegung in der Wuͤrckung des Verſtandes, durch welche man unter - ſucht, ob eine Handlung auszuuͤben ſey, oder nicht, und auf was vor Art dieſelbe auszu - uͤben ſey. Da nun eine uͤberlegte Hand - lung mehr eine freye Handlung iſt, als ei - ne unuͤberlegte (§. 1.); ſo wird eine uͤ - berlegte Handlung mehr zugerech - net, als eine unuͤberlegte; und je mehr die Handlung uͤberlegt worden iſt, deſto mehr wird ſie zugerechnet.
Alles Vermoͤgen (facultates) der SeeleDie Be - ſtim̃ung der Hand - lungen. iſt an und vor ſich ſelbſt zu gewiſſen Hand - lungen, und alle Glieder des Koͤrpers ſind zu gewiſſen Verrichtungen geſchickt; folg - lich ſind ſo wohl dieſe, als jene zu einem ge - wiſſen Zweck beſtimmt, auf welchen die na - tuͤrlichen Handlungen, oder die Handlun - gen der Natur abzielen (§. 1.). Es iſt aber aus der Erfahrung klar, daß die freyen Handlungen, entweder durch ebenA 3die -6I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. dieſelben Endurſachen (rationes fina - les) beſtimmt werden koͤnnen, durch welche die natuͤrlichen Handlungen beſtimmt werden; oder daß es durch verſchiedene geſchehen koͤnne.
Der Zuſtand uͤberhaupt beſtehet darinn, wenn veraͤnderliche Beſtimmungen (Dinge), d. i. diejenigen die auch anders beſchaffen ſeyn koͤnnen, mit einerley beſtaͤndigen Be - ſtimmungen (Dingen), die nicht anders be - ſchaffen ſeyn koͤnnen, zugleich wuͤrcklich ſind. Dieſer Zuſtand iſt der innere, in ſo weit als dieſe veraͤnderliche Beſtimmungen in eben demſelben Subject ſich befinden; oder der aͤuſſere, in ſo weit ſie ſich neben dem Subject befinden, oder von auſſen zu dem - ſelben gerechnet werden.
Die Vollkommenheit einer Sache uͤberhaupt beſtehet in der Uebereinſtimmung des Mannigfaltigen in einem, oder des Vie - len, was von einander unterſchieden in ei - ner Sache enthalten iſt. Die Ueberein - ſtimmung aber nennt man die Beſtim - mung, wodurch alles, etwas gewiſſes zu er - halten, zuſammen geſchickt iſt. Alſo beſte - het die Vollkommenheit einer Uhr darinne, daß ſie durch ihre Einrichtung die Stun - de und ihre Theile genau anzeigen kann.
Jm Gegentheil beſtehet die Unvoll -Die Un - vollkom - menheit. kommenheit in dem Mangel der Ueber - einſtimmung (diſſenſu) des Mannigfaltigen, oder des Vielen, ſo von einander unterſchie - den iſt in einer Sache. Es beſtehet aber der Mangel der Uebereinſtimmung (diſſenſus), wenn in derſelben nicht alles ſo beſchaffen iſt, wie es ſeyn ſollte, um da - durch zuſammen etwas gewiſſes zu erhalten. Alſo iſt ein unvollkommenes Auge, wenn einige Dinge in der Einrichtung deſſelben vorkommen, welche verhindern, daß eine Sache, die man ſiehet, nicht klar und deutlich in demſelben abgebildet werden kann.
Es iſt aber die weſentliche Vollkom -Die we - ſentliche und acci - dentelle Vollkom - menheit; Hand - lungen, welche dahin ab - zielen. menheit (perfectio eſſentialis) diejenige, welche in der Uebereinſtimmung der weſent - lichen Beſtimmungen enthalten iſt; durch welche man ſich naͤmlich eine Sache, als ei - ne Sache von dieſer Art, oder Gattung vor - ſtellet. Die accidentelle (accidentalis) Vollkommenheit aber iſt diejenige, wel - che in der Uebereinſtimmung der accidentel - len Beſtimmungen mit den weſentlichen be - ſtehet; als z. E. wenn die Fertigkeit erhal - ten wird, die Kraͤfte der Seele, oder die be - wegenden Glieder des Koͤrpers zu gebrau - chen. Die accidentelle Vollkommen -A 4heit8I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. heit muß alſo eben denſelben Beſtim - mungsgrund haben, den die weſent - liche Vollkommenheit hat (§. 9.); daher haben die freyen Handlungen, welche mit den natuͤrlichen durch ei - nerley Endzwecke (rationes finales) be - ſtimmt werden, die Abſicht, die Voll - kommenheit des Menſchen, oder ſei - nes Zuſtandes zu befoͤrdern (§. 8. 9. ); und derowegen befoͤrdern diejenigen die Unvollkommenheit, welche durch verſchiedene Endzwecke beſtimmt werden.
Da man alles dasjenige gut nennet, was den Menſchen und ſeinen Zuſtand voll - kommener macht; boͤſe oder uͤbel aber, was denſelben unvollkommener macht; ſo ſind diejenigen freyen Handlungen gut, die zur Vollkommenheit des Men - ſchen und ſeines Zuſtandes behuͤlflich ſind; und folglich mit den natuͤrlichen Handlungen, durch einerley Endzwe - cke beſtimmt worden ſind. Boͤſe aber ſind diejenigen, welche auf die Un - vollkommenheit des Menſchen und ſeines Zuſtandes abzielen; und folglich mit den natuͤrlichen Handlungen nicht durch einerley Endzwecke, ſon - dern durch verſchiedene beſtimmt werden.
Eine Handlung iſt an und vor ſichEine Hand - lung die an und vor ſich ſelbſt gut, an und vor ſich ſelbſt boͤ - ſe, an und vor ſich ſelbſt gleich - guͤltig iſt. ſelbſt gut (actio in ſe bona), welche durch ihre weſentliche Beſtimmungen, das iſt durch diejenigen, welche machen, daß man ſie ſich als eine ſolche Handlung vorſtellt, gut iſt. Auf eben die Art erkennet man, was eine an und vor ſich ſelbſt boͤſe Handlung ſey (actio in ſe mala). Die Handlung aber, welche in ſich betrachtet we - der gut, noch boͤſe iſt, wird eine an und vor ſich gleichguͤltige Handlung (actio per ſe indifferens) genannt. Jn ſo fern ſie aber wegen der zufaͤlligen (acciden - tales) Beſtimmungen, die dazu kom - men, entweder zu unſerer, oder un - ſeres Zuſtandes Vollkommenheit, oder Unvollkommenheit gereichet, wird ſie entweder gut, oder boͤſe.
Derowegen haben die HandlungenDie in - nere Guͤ - te und das inne - re Uebel (Schaͤd - lichkeit) der Hand - lungen. eine innere Guͤte, oder ein inneres Uebel; in ſo fern ſie an und vor ſich ſelbſt gut, oder boͤſe ſind, oder wegen der hinzu - kommenden Beſtimmungen (accidentales determinationes) gut, oder boͤſe werden; daß es alſo nicht noͤthig iſt, daß ſie erſt durch einen Befehl gute, oder durch ein Verboth boͤſe Handlungen werden.
Weil die Natur des Menſchen ſo be - ſchaffen iſt, daß er das Gute begehret, das Boͤſe aber verabſcheuet; ſo ſind die in ſich guten, oder boͤſen Handlungen an und vor ſich ſelbſt begehrens - oder verabſcheuungswuͤrdig (actiones in - trinſecae bonae, vel malae per ſe appeti - biles, vel averſabiles ſunt). Denn die Handlungen, bey welchen ein inne - res Gute, oder ein inneres Boͤſe be - findlich iſt, (actiones bonitatem, vel ma - litiam intrinſecam habentes) ſind an und vor ſich ſelbſt gut, oder boͤſe, oder werden wegen der dazu kommenden Beſtimmungen (propter determinationes accidentales ac - cedentes) gut, oder boͤſe (§. 14.); folglich enthalten ſie einen Bewegungsgrund in ſich, ſie zu wollen, oder nicht zu wollen (motivum volitionis & nolitionis in ſe continent); ſo daß, wenn man ſie deutlich erkennet, man ſie entweder will, oder nicht will. Daher aber erhellet fer - ner, 1) daß die Handlungen, welche die Volkommenheit des Menſchen, oder ſeines Zuſtandes befoͤrdern, ei - nen Bewegungsgrund in ſich ent - halten, ſie zu wollen, und alſo an und vor ſich ſelbſt begehrungsfaͤhig ſind, oder ſo beſchaffen, daß man ſie will; 2) daß aber die Handlungen, welchedie11und ihrer Zurechnung. die Unvollkommenheit des Menſchen, oder ſeines Zuſtandes befoͤrdern, einen Bewegungsgrund in ſich enthalten, ſie nicht zu wollen, und alſo an und vor ſich ſelbſt verabſcheuungsfaͤhig ſind, oder ſo beſchaffen, daß man ſie nicht will.
Die Richtigkeit einer HandlungDie Richtig - keit einer Hand - lung. (rectitudo actionis) iſt die Uebereinſtim - mung derſelben mit allen weſentlichen Be - ſtimmungen des Menſchen, ſo daß alſo die Handlung den hinreichenden Grund in ih - nen allen zuſammen genommen habe; und folglich durch dieſelben deutlich eingeſehen werden koͤnne, warum ſie ſo und nicht an - ders beſchaffen ſeyn muͤße. Eine richti - ge Handlung erfordert alſo den uͤber - einſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte der Seele, wie auch der bewegenden Kraft (fa - cultatis loco motivæ).
Derowegen, wenn bey einer freyenDer Mangel der Hand - lung, die Schuld, die Boß - heit. Handlung entweder von Seiten des Verſtandes, oder des Willens, oder der bewegenden Kraft etwas fehlt; ſo entſteht ein Mangel der Richtig - keit. Man nennt aber den Mangel der Richtigkeit einer Handlung, welchen man durch den Gebrauch des Verſtandes haͤtte vermeiden koͤnnen (vincibilem), ein Verſe -hen12I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. hen (culpam). Wenn es aber am Willen fehlet, Boßheit, oder auch unterweilen Vor - ſetzlichkeit (dolum). Ueberhaupt pflegt man auch den Mangel der Richtigkeit einer Handlung im Lateiniſchen culpam zu nen - nen. Ueberwindlich iſt (vincibile), was durch den Gebrauch ſeiner Kraͤfte ver - mieden werden konte. Daher iſt klar, daß ſo wohl die Handlungen, die aus Verſehen, als mit Vorſatz geſchehen, einem zugerechnet werden koͤnnen (§. 3.). Jm Gegentheil aber nennt man das unvermeidlich (invincibile), was durch den Gebrauch unſerer Kraͤſte gar nicht vermieden werden kan. Derowegen weil wir diejenigen Dinge, die durch einen bloſſen Zufall geſchehen, daran wir gar keine Schuld haben, unmoͤglich vermeiden koͤnnen; ſo koͤnnen ſie uns auch nicht zu - gerechnet werden (§. cit. ); als z. E. wenn der Hagel das Getreyde niederſchlaͤgt, oder eine Ueberſchwemmung ein Haus ein - reiſſet.
Weil es unmoͤglich iſt, daß wir etwas unbekanntes wollen, oder nicht wollen koͤn - ten; und alſo der Wille und das Nichtwol - len von dem Verſtande, oder der Erkentniß - kraft abhaͤngen; ſo thut derjenige, der vorſetzlich eine boͤſe Handlung voll - bringet, ſolches mit Wiſſen und Wil -len;13und ihrer Zurechnung. len: Wenn er aber aus Verſehen et - was thut; ſo geſchiehet es ohne ſein Wiſſen und Willen.
Das Verſehen und die Boßheit beſtehenUrſprung des Ver - ſehens und der Bosheit. in einem Mangel der Richtigkeit der Hand - lung, den man haͤtte vermeiden koͤnnen (§. 17.). Der Mangel, den man vermeiden kan, entſtehet aus Unterlaſſung des Ge - brauchs unſerer verliehenen Kraͤfte (§. cit.). Alſo kommet das Verſehen und die Boßheit von dem Mangel des Gebrauchs unſerer Kraͤfte.
Von dem Mangel des Gebrauchs mußDas Un - vermoͤ - gen zu handeln. man das Unvermoͤgen zu handeln (impotentiam agendi) unterſcheiden. Es beſtehet daſſelbe darinnen, daß der Gebrauch der Seelen - und Leibes-Kraͤfte nicht von un - ſerem Willen abhaͤnget; und alſo derſelbe uns unmoͤglich wird. Was von dieſem Unvermoͤgen herruͤhret, kan nicht vermieden (§. 17.), und folglich auch nicht zugerechnet werden, wofern wir uns daſſelbe nicht durch unſere Schuld zugezogen haben (§. cit.).
Es giebt viele Wuͤrckungen, welche zurDie Ar - ten des Verſe - hens. Erkentnißkraft gehoͤren; und bey freyen Handlungen, zu den Wuͤrckungen der bewe - genden Kraft vorausgeſetzt werden muͤſſen. Nach14I. Th. 1. H. Unterſchiede menſchl. Handl. Nach ihrer Verſchiedenheit, giebt es daher auch verſchiedene Arten des Verſehens. Al - ſo iſt der Mangel der Aufmerkſamkeit bey unſern Handlungen die Unachtſamkeit (incogitantia); wenn man unterlaͤßt, das - jenige zu bedencken, wodurch man erkennen koͤnnte, was aus ſeiner Handlung unter den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden Gutes oder Boͤſes erfolgen koͤnte, die Unbedachtſam - keit (inconſiderantia); wenn man nicht acht hat auf das Schlimme, was in gegen - waͤrtigem Falle erfolgen kan, und man haͤt - te vorausſehen koͤnnen, die Unvorſich - tigkeit (improvidentia); wenn man alle Ueberlegung, die zur Richtigkeit einer Handlung erfordert wird, bey Seite ſetzet, die Uebereilung (præcipitantia in agendo); der Mangel der Beurtheilung, was zu thun rathſamer ſey, nach Beſchaffenheit der ge - genwaͤrtigen Umſtaͤnde, die Unklugheit (imprudentia); die Abweſenheit aller Sorgfalt wegen der Richtigkeit der Hand - lung, die Sorgloſigkeit (incuria); die Unterlaſſung alles deſſen, was in gewiſſer Abſicht geſchehen ſollte, welche von dem Mangel des Gebrauchs der Erkentnißkraͤf - te herruͤhret, die Nachlaͤßigkeit (ne - gligentia). Daher iſt klar, weswegen man gemeiniglich alle Arten des Verſehens un - ter dem Namen der Nachlaͤßigkeit zu be - greifen pflegt; und daß der Fleiß (dili -gentia),15und ihrer Zurechnung. gentia), welcher ihr entgegen geſetzet wird, darinnen beſtehet, daß man alles dasjenige thut, was in einer gewiſſen Abſicht geſche - hen muß.
Man hat auch einen Mangel der Rich -Das mittlere, oder vor - ſetzliche Verſe - hen. tigkeit der Handlung, welcher in dem Falle entſtehet, da gewiſſe Pflichten nicht zugleich beobachtet werden koͤnnen, und die Ausnah - me nicht recht gemacht wird. Dieſe wol - len wir das mitlere Verſehen, oder das Mitlere zwiſchen Verſehen und Boß - heit (culpam mediam) nennen, andere nennen ſie ein vorſetzliches Vorſehen (culpam propoſiti); als z. E. wenn je - mand, aus Mitleiden, dem Knecht des an - dern, der gefeſſelt iſt, die Ketten loß macht, damit er davon laufen kan. Was alſo durch eine mitlere Handlung zwi - ſchen Verſehen und Boßheit ge - ſchieht, das weiß einer zwar, aber er will es doch nicht vor und an ſich ſelbſt (directe). Dieſes Mitlere zwi - ſchen Verſehen und Boßheit wird unten, bey der Abhandlung von den Pflichten, die nicht zugleich beobachtet werden koͤnnen (colliſio - ne officiorum), klaͤrer werden.
Die Intention (intentio agentis) iſt dasDie In - tention, ſowohl die ei - Wollen desjenigen (volitio ejus), warum man etwas thut; als z. E. wenn man einfal -16I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. gentliche, als die entfernte.falſches Zeugniß ableget, damit ein Unſchul - diger verdammt werden ſoll. Dieſe Inten - tion iſt die eigentliche (directa), wodurch eben dasjenige hervor gebracht werden ſoll, warum man etwas thut; als in dem gege - benen Exempel iſt die eigentliche Intention, daß der Unſchuldige ſoll verdammet werden. Die entfernte Intention (indirecta) iſt, da man eben dasjenige an und vor ſich ſelbſt nicht will, was aus ſeiner Handlung erfolgt, welches doch aber eben ſo wohl, als das, was man will, aus derſelben er - folgen kann. Gleicherweiſe iſt die Abſicht theils unmittelbar (immediata), da man auf eine Sache, um ihrer ſelbſt willen, ei - ne Abſicht hat; theils mittelbar (mediata), da man auf eine Sache wegen einer andern die Abſicht hat, in ſo ferne wir naͤmlich durch dieſelbe das erhalten, worauf man die Abſicht hat.
Die Alten nenneten eine gute Liſt (dolum bonum), die Verſtellung ſeiner wahren Willensmeinung, wegen einer nicht unerlaubten Abſicht. Daher wird, im Ge - genſatz gegen dieſelbe, das eine ſchlimme Liſt (dolus malus) genennet, wovon wir vorhin geredet und welche wir die Boßheit genannt haben (§. 17.).
Die ſchlimme Liſt, oder Boßheit, wirdEine vor - ſetzliche Boßheit, und eine zum Theil unvorſetz - liche Boß - heit. eingetheilt 1) in die vorſetzliche Boß - heit (dolum ex propoſito), da man das Uebel, was aus einer Handlung entſpringet, entweder eigentlich, oder entfernter Weiſe zur Abſicht hat. 2) Jn die zum Theil unvorſetzliche Boßheit (dolum ex re), da man das Uebel zwar nicht zur Abſicht hat, aber nachdem man es nach geſchehe - ner That erkannt, doch will, daß derjenige, den es betroffen, den Schaden tragen ſoll. Jn dem erſten Fall wird ein unaͤchter Edel - ſtein wiſſentlich fuͤr einen wahren verkauft; in dem letzten, von einem der es zwar nicht weiß, aber doch nach dieſem, was bezahlt worden iſt, nicht wieder herausgeben will.
Die Menſchen pflegen auch oft anDie Theil - nehmung an der Hand - lung ei - nes an - dern. den Handlungen eines andern Theil zu nehmen (concurrunt ad actionem), in ſo weit ſie naͤmlich durch eine von ihren Handlungen zur Wuͤrcklichkeit der Handlun - gen des andern etwas beytragen, entweder durch ihren Verſtand, da ſie den Begriff ei - ner Handlung einem beybringen, der nichts davon weiß, die Umſtaͤnde, die in gewiſ - ſen Faͤllen vorfallen, bekannt machen, rath - geben, Bewegungsgruͤnde etwas zu thun, oder zu unterlaſſen beybringen; oder durch ih - ren Willen, als durch befehlen, bitten, ver -Nat. u. Voͤlckerrecht. Bbiethen,18I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. biethen, anmahnen, abmahnen, bedrohen, anlocken, anhalten oder noͤthigen, anrathen oder abrathen; indem wir auf dieſe Weiſe, was wir wollen, oder nicht wollen, dem an - dern zu verſtehen geben; oder endlich durch eine Wuͤrckung der bewegenden Kraft, als wenn wir andern helfen, benoͤthigten Werk - zeuge hergeben, in der Abſicht Exempel ge - ben, den andern anzureitzen, eben das zu thun. Es iſt daher leicht klar, daß die Menſchen, durch Theilnehmung an einer Handlung, auch derſelben theil - haftig werden; und daß uns folglich die Handlung des andern, an welcher wir theilnehmen, in ſo weit zuge - rechnet werde, als dieſe Theilneh - mung von unſerem freyen Willen ab - haͤngt (§. 3.); daß aber eines andern Handlung, an der wir auf keine Weiſe theilnehmen, uns auch nicht koͤnne zugerechnet werden. Die ver - ſchiedenen Arten, durch welche man an der Handlung des andern theilnehmen kann, be - zeugen es hinlaͤnglich, daß bey der Theil - nehmung ſo wohl ein Verſehen (cul - pa), als Boßheit (dolus) ſtat fin - den kann, und daß uns alſo eines an - dern Handlung bald mehr, bald we - niger zugerechnet werden koͤnne.
Zu den inneren Handlungen gehoͤrt dieEin -19und ihrer Zurechnung. Einwilligung (conſenſus), welche darinnengung und wie vie - lerley dieſelbe iſt. beſtehet, daß wir wollen, es ſolle eben das - jenige geſchehen, oder unterlaſſen werden, was der andere thun, oder unterlaſſen will. Wenn man mit ausdruͤcklichen Worten, oder durch ein anderes gleichguͤltiges Zeichen er - klaͤret, daß man eben das wolle, was der andere will, ſo heißt dieſes die ausdruͤck - liche Einwilligung (conſenſus expreſ - ſus); wenn dieſelbe aber anderswoher, als z. E. aus Handlungen, oder Unterlaßungen derſelben geſchloſſen wird, ſo nennt man ſie die ſtillſchweigende Einwilligung (ta - citum conſenſum); und eben dieſelbe wird die vermuthete Einwilligung (con - ſenſus præſumtus) genannt, wenn ſie nur wahrſcheinlicher Weiſe geſchloſſen wird. Denn die Vermuthung (præſumtio) be - ſtehet darinnen, daß man, aus wahrſchein - lichen Gruͤnden, eine zweifelhafte Sache, in einem vorkommenden Falle, vor gewiß an - nimmet. Da die Art und Weiſe, wie man ſeine Willens-Meinung in Abſicht einer ge - wiſſen Handlung anzeigt, die Handlung ſelbſt nicht veraͤndert; ſo iſt die ſtill - ſchweigende Einwilligung nicht we - niger eine wahre Einwilligung, als die ausdruͤckliche.
Der Einwilligung wird der wiedrigeDer Wieder - wille. Wille (diſſenſus) entgegen geſetzet, da manB 2will,20I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. will, das ſolle geſchehen, was der andere nicht will, daß es geſchehen ſoll, oder daß das nicht geſchehe, was der will, daß es geſchehen ſoll. Es iſt aber, eben auf die Art, wie vorher (§. 27.), klar, daß der wiedrige Wille ent - weder der ſtillſchweigende, oder der ausdruͤckliche ſey; wie auch, welcher der vermuthete (præſumtus) genanut wird; und daß der ſtilſchweigende nicht we - niger, als der ausdruͤckliche, ein wah - ter Wiederwille ſey.
Die Anzeige der Einwilligung, ſie mag ausdruͤcklich, oder ſtillſchweigend geſchehen, wenn ſie nachgehends (ex poſtfacto) dazu koͤmt, wird die Genehmhaltung (rati - habitio) genant. Derowegen giebt der - jenige, der eine Handlung genehm - haͤlt, zu erkennen, daß er in dieſelbe gewilliget habe; daß es alſo eben ſo viel iſt, als ob ſie mit ſeiner Einwilligung ge - ſchehen waͤre.
Uebrigens ſagt man, in eben der Bedeu - tung, daß wir etwas ausdruͤcklich wol - len, oder nicht wollen (expreſſe velle, vel nolle); wie auch, daß Wollen und nicht Wollen vermuthet werde. Wahrſcheinliche Dinge koͤnnen falſch ſeyn, und es iſt nicht gantz gewiß, ob ſie wahr ſind, oder nicht. Daher kann auch diever -21und ihrer Zurechnung. vermuthete Einwilligung, oder das vermuthete Wollen und nicht Wol - len falſch ſeyn (truͤgen); und folglich kann ſie nicht wahr genannt werden; aber ſie wird, wie alles wahrſchein - liche, ſo lange vor wahr gehalten, bis man das Gegentheil beweiſet. Wenn alſo das Gegentheil bewieſen wird, ſo daß gewiß iſt, dasjenige ſey falſch, was man fuͤr wahr hielt; ſo uͤberwindet die Wahrheit die Vermuthung, ſo daß dieſe denn aufhoͤret.
Die ſtillſchweigende Genehmhal -Die Ei - genſchaff - ten der Genehm - haltung. tung erfordert die Kentnis der Hand - lung, die genehmgehalten wird; weil derjenige, welcher eine Handlung des an - dern genehmhaͤlt, ſeine Einwilligung nach - her anzeigt (§. 29.): und weil die ſtill - ſchweigende Einwilligung aus dem, was man gethan, oder unterlaſſen, geſchloſſen wird; ſo erfordert die ſtillſchweigende Genehmhaltung, daß die genehmhal - tende Perſon etwas thut, oder unter - laͤßt, welches ſie nicht haͤtte thun, oder unterlaſſen koͤnnen, wenn man dasje - nige nicht voraus ſetzet, was genehm - gehalten werden ſoll.
Die Unwiſſenheit (ignorantiam) nenntDie Un - wiſſen - heit. man den Mangel eines Begriffes von einer Sache an ſich, oder von einem Ur -B 3theile,22I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. theile, welches ſich auf die Sache beziehet. Die Unwiſſenheit laͤßt alſo keine ſtill - ſchweigende Genehmhaltung zu (§. 31.), und wenn dieſelbe nicht vermie - den werden konte, ſo entſchuldiget ſie; aber nicht alsdenn, wenn ſie haͤt - te koͤnnen vermieden werden (§. 17.); und dieſe hat einen Einfluß in das Verſehen.
Die Scholaſticker nennen dieſe Unwiſſen - heit die einfache (ſimplicem); den Jr - thum (errorem) nennen ſie die zuſam - mengeſetzte Unwiſſenheit (ignorantiam compoſitam), da man Begriffe verbindet, welche nicht verbunden werden koͤnnen. Denn der irret, der einen wahren Satz fuͤr einen falſchen haͤlt, und folglich dem Sub - ject entweder eine bejahende, oder verneinen - de Eigenſchafft zueignet, welche demſelben nicht zukommen kann. Daher nennet man den Jrthum, den Mangel der Uebereinſtim - mung des Begriffs mit der Sache; und es iſt klar, daß ein Jrthum, der vermie - den werden kann, einen Einfluß in das Verſehen hat und einen nicht entſchul - diget (§. 17.).
Gleicherweiſe iſt offenbahr, daß ſo wohl die Unwiſſenheit (§. 32.), oder der Jrthum (§. 33.), wenn beyde haͤt -ten23und ihrer Zurechnung. ten koͤnnen vermieden werden, mitUnwiſ - ſenheit u. des Jr - thums. recht zugerechnet werden (§. 3. 17.). Jm Gegentheil aber iſt klar, daß die Un - wiſſenheit und der Jrthum, wenn ſie nicht vermieden werden koͤnnen, auch nicht zugerechnet werden koͤnnen. Eben dieſes muß man von den Handlun - gen behaupten, die aus Unwiſſenheit und Jrthum geſchehen.
Von der Verbindlichkeit, dem Rechte und Geſetze, und dem Grundſatze des Rechts der Natur.
Die Verbindlichkeit, wenn man ſieDie thaͤ - tige Ver - bindlich - keit. wie eine Handlung betrachtet, die wir die thaͤtige (obligationem activam) nennen wollen, iſt die Verbin - dung eines Bewegungsgrundes mit einer Handlung, es mag dieſelbe eine auszuuͤbende, oder zu unterlaſſende ſeyn. Es beſtehet aber ein Bewegungsgrund (motivum) in der Vorſtellung des Guten, welches aus der auszuuͤbenden Handlung, und des Boͤſen, welches aus der zu unterlaſſenden Handlung fließt. Da wir nichts anders wollen, als was wir uns als gut vorſtellen, und nichts anders nicht wollen, als was wir uns als boͤſeB 4oder24I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,oder ſchlimm vorſtellen; ſo erhellet aus der Natur des Willens und des Nichtwollens, daß der Menſch nicht anders ver - bunden werden kann, als durch ei - nen Bewegungsgrund, der mit der Handlung verknuͤpft wird.
Selbſt durch die Natur wird der Menſch verbunden, die Handlungen zubegehen, welche ſeine und ſeines Zu - ſtandes Vollkommenheit befoͤrdern. Denn, weil die Handlungen, welche die Voll - kommenheit des Menſchen und ſeines Zu - ſtandes befoͤrdern, einen Bewegungsgrund des Willens, diejenigen aber, welche die Un - vollkommenheit befoͤrdern, einen Bewe - gungsgrund des Nichtwollens in ſich ent - halten; ſo ſind jene an und vor ſich ſelbſt begehrunswuͤrdig, dieſe verabſcheuungswuͤr - dig (§. 15.). Folglich wird der Menſch auch durch die Natur zu denjeni - gen Handlungen verbunden, welche, wie die natuͤrlichen, durch eben dieſelbe Endurſachen (rationes finales), nicht aber durch verſchiedene beſtimt werden (§. 11).
Weil es unmoͤglich iſt, daß etwas zu - gleich ſeyn und nicht ſeyn kann; ſo iſt es noth - wendig, daß ein Menſch, der ein menſch - liches Leben, oder ein Leben, das ſeiner Na -tur25dem Rechte und Geſetze ꝛc. tur gemaͤß iſt, fuͤhren will, ſo und nicht an -leidende Verbind - lichkeit. ders ſeine Handlungen beſtimme. Daher nennet man das ſittlich unmoͤglich (mo - raliter impoſſibile), was der Natur des Menſchen, als eines vernuͤnftig handelnden Weſens, wiederſpricht; ſittlich moͤg - lich (moraliter poſſibile) aber iſt, was derſelben nicht wiederſpricht, oder mit derſelben uͤbereinkoͤmt, das iſt, wel - ches einen hinreichenden Grund in der - ſelben hat. Und ſittlich nothwen - dig (moraliter neceſſarium) iſt dasjenige, deſſen Gegentheil (moraliſch) ſittlich unmoͤg - lich iſt. Die ſittliche Nothwendigkeit zu handeln ſelbſt iſt die Verbindlichkeit (obligatio), welche wir die leidende (obligationem paſſivam), in Gegenſatze ge - gen die thaͤtige (§. 36.), nennen. Gemei - niglich nennt man ſie ſchlechtweg die Ver - bindlichkeit (die Obligation), und giebt auf die thaͤtige Verbindlichkeit nicht Achtung. Daß niemand dazu verbunden wer - den koͤnne, was entweder an und vor ſich ſelbſt, oder ihm unmoͤglich iſt; darf nicht bewieſen werden.
Dieſe Verbindlichkeit aber ſo wohl die thaͤtige, als leidende: welche ſelbſt aus der Natur koͤmt, wird die natuͤrliche (natu - ralis) genant. Daß alſo die natuͤrli -B 5che26I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,che Verbindlichkeit diejenige iſt, wel - che ihren hinreichenden Grund ſelbſt in dem Weſen und der Natur des Menſchen und der uͤbrigen Dinge hat. Da nun dieſe unveraͤnderlich und nothwendig iſt; ſo iſt die natuͤrliche Verbindlichkeit auch unveraͤnderlich und nothwendig; weil dieſelbe alſo bald da iſt, als man das Weſen und die Natur des Men - ſchen und der uͤbrigen Dinge annimt.
Ein Geſetz nennt man die Vorſchrift, nach welcher wir unſere Handlungen einzu - richten verbunden ſind. Man nennt dasje - nige ein natuͤrliches Geſetz, welches ſei - nen hinreichenden Grund ſelbſt in der Na - tur des Menſchen und der Dinge hat. Aber ein wilkuͤhrliches (lex poſitiva) iſt das - jenige, deſſen Verbindlichkeit von dem Willen eines vernuͤnftigen Weſens abhaͤn - get; und beſonders iſt es ein goͤttliches Geſetz, wenn es von dem Willen Gottes, ein menſchliches (weltliches) aber, wenn es von dem Willen eines Menſchen abhaͤn - get. Das Geſetz der Natur, wird gemei - niglich auch das Recht der Natur genannt.
Das Geſetz der Natur iſt unveraͤn - derlich und nothwendig. Denn weil das Geſetz der Natur den hinreichen -den27dem Rechte und Geſetze ꝛc. den Grund in der Natur des MenſchenGeſetzes der Na - tur. und der Dinge ſelbſt hat (§. 39.); und alſo eine natuͤrliche Verbindlichkeit in ſich faſſet (§. 38.), dieſe aber unver - aͤnderlich und nothwendig iſt; ſo muß es auch das Geſetz der Natur ſeyn (§. cit.).
Da das Weſen und die Natur des Men -Der Ur - heber des Geſetzes der Na - tur. ſchen und der Dinge von GOtt ihren Ur - ſprung haben, und man, bey deren Anneh - mung, ſogleich das Geſetz der Natur (§. 40.) und deſſelben Verbindlichkeit (§. 38.) an - nehmen muß; ſo iſt der Urheber des Geſetzes der Natur GOtt ſelbſt, der den Menſchen verbindet, ſeine Hand - lungen demſelben gemaͤß einzurich - ten; und alſo iſt die natuͤrliche Ver - bindlichkeit auch eine goͤttliche; und das natuͤrliche Geſetz iſt auch ein goͤttliches (§. 39.).
Auf gleiche weiſe beweiſen wir, daß dasDie All - gemein - heit des Geſetzes der Na - tur. Geſetz der Natur alle Menſchen ver - binde; und daß von der natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Meuſch befreyt werden koͤnne; weil naͤmlich das natuͤr - liche Geſetz den hinreichenden Grund in der Natur des Menſchen und der Dinge ſelbſt hat (§. 39.), und die Verbindlichkeit, welche daſſelbe in ſich begreift (§. 40.), al - ſo bald ſtatt findet, wenn man die Natur unddas28I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,das Weſen der Menſchen und der uͤbrigen Dinge annimt (§. 38.).
Aus eben demſelben Grunde, verbin - det uns das Geſetz der Natur, die Handlungen auszuuͤben, welche die Vollkommenheit des Menſchen und ſeines Zuſtandes befoͤrdern; und die - jenigen zu unterlaſſen, welche ſeine und ſeines Zuſtandes Unvollkommen - heit befoͤrdern; folglich, die freyen Handlungen mit den natuͤrlichen, durch eben dieſelben Endurſachen, nicht aber durch verſchiedene zu be - ſtimmen (§. 36. 39. ); und gleichfals alle Gefahr von uns und unſerm Zu - ſtande abzuwenden. Dieſer Grundſatz des Rechts der Natur (principium juris naturæ) iſt gantz allgemein. Aus demſel - ben werden, durch eine beſtaͤndige Ver - bindung von Schluͤſſen, alle Wahrheiten hergeleitet, welche zum Rechte der Natur gehoͤren; wie aus dem folgenden, hinlaͤng - lich klar werden wird. Diejenigen, wel - che aus dem Willen GOttes das Recht der Natur herleiten wollen, muͤſſen dieſen Grundſatz zulaßen, weil GOtt die Men - ſchen verbindet, ihre Handlungen dem Geſetz der Natur gemaͤß einzurichten (§. 41.).
Unter den Menſchen treffen wir die Be -duͤrfnis29dem Rechte und Geſetze ꝛc. duͤrfnis an, daß niemand ſich und ſeinenMen - ſchen un - ter ein - ander ei - ner gegen den an - dern ver - bunden iſt. Zuſtand allein vollkommen machen kann; ſondern ein jeder anderer Huͤlfe noͤthig hat. Da nun das Geſetz der Natur die Menſchen verbindet, ſich und ihren Zuſtand vollkom - mener zu machen, und die Unvollkommen - heit abzuwenden (§. 43.); ſo verbindet das Recht der Natur die Menſchen, 1) ſich und ihren Zuſtand mit verei - nigten Kraͤften vollkommener zu ma - chen; und ein jeder iſt verbunden, zur Vollkommenheit des andern ſo viel beyzutragen, als er kann; folglich ſo viel ohne Schaden der Verbindlichkeit gegen ſich ſelbſt (§ 42.), in den Faͤl - len, in welchen einer des andern Huͤlfe noͤthig hat, geſchehen kann; weil es keinem frey ſtehet, daß er die Ver - bindlichkeit, die er ſich ſelbſt ſchuldig iſt, ver - abſaͤume (§. cit. ): 2) auch alle Hand - lungen zu unterlaßen, wodurch der andere, oder ſein Zuſtand unvollkom - mener gemacht wird.
Weil ein jeder ſchuldig iſt, ſeiner Verbind -Von demjeni - gen, was noͤthig iſt, damit der Ver - bindlich - keit ein Genuͤge geſchehe. lichkeit ein Genuͤge zu leiſten (§. 42.); ſo ſtehet einem jeden frey, das zu thun, ohne welchem er ſeiner Verbindlich - keit kein Genuͤge leiſten, oder dieſel - be nicht erfuͤllen kann. Wie weit ſich dieſe Freyheit erſtrecket, muß man aus derNoth -30I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,Nothwendigkeit derjenigen Dinge beurthei - len, die zur Erfuͤllung der natuͤrlichen Ver - bindlichkeit erfordert werden.
Die Faͤhigkeit, oder das moraliſche Ver - moͤgen etwas zu thun, oder zu unterlaſſen, wird das Recht genannt. Daher erhel - let, daß das Recht aus der leidenden Verbindlichkeit entſtehe; und daß kein Recht ſeyn wuͤrde, wenn keine Verbindlichkeit da waͤre; wie auch, daß uns durch das natuͤrliche Geſetze ein Recht zu allen denjenigen Hand - lungen gegeben werde, ohne welche wir die natuͤrliche Verbindlichkeit nicht erfuͤllen koͤnnen (§. 45.). Alſo hat man ein Recht zum Gebrauch der Spei - ſen; weil wir verbunden ſind unſeren Leib zu erhalten, und dieſes beſtehet in der Faͤ - higkeit, die Speiſen dieſer Verbindlich - keit gemaͤß einzurichten. Wenn uns al - ſo das Geſetze der Natur zu einem Zweck verbindet, ſo giebt es uns auch ein Recht zu den Mitteln; folg - lich, wenn nur ein eintziges Mittel da iſt, ſo bedienen wir uns auch deſſel - ben mit Recht. Denn es iſt ohnmoͤg - lich, daß man einen Zweck erhalten kann, oh - ne ſich der Mittel zu bedienen.
Das Geſetz der Natur nennt man einGeboth,31dem Rechte und Geſetze ꝛc. Geboth, oder gebiethendes Geſetzdes, ver - biethen - des, er - lauben - des Ge - ſetz. (præceptiva), welches uns verbindet, Hand - lungen auszuuͤben; ein (Verboth), oder verbiethendes Geſetz (lex prohibitiva), welches uns verbindet, Handlungen zu unter - laſſen; eine Erlaubniß, oder ein erlau - bendes Geſetz (permiſſiva), welches uns das Recht giebt, etwas zu thun, oder zu un - terlaſſen. Eben dieſe Eintheilung findet auch bey den wilkuͤhrlichen Geſetzen (legibus poſitivis) ſtat.
Die Natur des Me[n] ſchen iſt ſo beſchaf -Ein voll - kommen - machen - des Geſetz der Na - tur. fen, daß er dasjenige dem andern vorzieht, von welchem er erkennet, daß es beſſer ſey, als das andere. Es iſt aber die natuͤrliche Verbindlichkeit da, ſo bald die Natur und das Weſen des Menſchen und der Dinge da iſt (§. 38.), und das Geſetz der Natur enthaͤlt die natuͤrliche Verbindlichkeit in ſich (§. 40.); daher verbindet uns auch das Geſetz der Natur, dasjenige, was beſ - ſer iſt, dem andern vorzuziehen; und in ſo weit, als es uns hierzu verbindet, wird es ein volkommenmachendes Geſetz (lex perfectiva) genennet.
Das, was wir auszuuͤben verbunden ſind,Was ſchuldig, was er - laubt u. uner - laubt iſt. iſt unſere Schuldigkeit (debitum); das was mir verbunden ſind, nicht auszuuͤben oder zu unterlaſſen, iſt unerlaubt (illici -tum);32I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,tum); das, zu deſſen Ausuͤbung wir nur das Recht haben, iſt erlaubt (licitum). Die natuͤrliche Schuldigkeit koͤmt alſo von einem natuͤrlichen Geboth; das Unerlaubte von einem Verboth; das Erlaubte von einer Zulaſſung (§. 47.). Ehrbahr oder Ehrlich (hone - ſtum) nennt man alles dasjenige, was mit dem Geſetze der Natur uͤbereinſtimmet, daß alſo derjenige ein ehrlicher Mann (ho - neſtus) genennet wird, der alle ſeine Handlungen nach der Richtſchnur des Geſe - tzes der Natur einrichtet; in ſo weit er naͤmlich nichts vornehmen will, als nur das, was er, ohne Nachtheil ſeiner Verbindlich - keit, und Vermoͤge ſeines Rechtes vorneh - men kann. Daher iſt ferner klar, was das heiſſe: als ein ehrlicher Man leben, oder einen Ehrbahren Wandel fuͤh - ren (honeſte vivere).
Wenn andere das Recht haͤtten, den Ge - brauch des Rechts zu verhindern; ſo wuͤr - den wir gar keinen haben. Ja das Geſetz der Natur wuͤrde ſich ſelbſt zuwieder ſeyn, wenn es dem einen ein Recht gaͤbe, etwas vorzunehmen; und dem andern das Recht zugeſtuͤnde, den Gebrauch dieſes Rechts nach ſeinem Gefallen zu verhindern: da dieſes nun offenbahr wiederſprechend iſt; ſo verbin - det das Geſetz der Natur, indemes33dem Rechte und Geſetze ꝛc. es uns ein Recht giebt, auch die uͤbri - gen den Gebrauch dieſes Rechts nicht zu verhindern, und daher erwaͤchſt uns das Recht nicht zu leiden, daß wir ver - hindert werden; folglich dem zu wie - derſtehen, der ſich bemuͤhet uns zu hin - dern. Es iſt alſo klar, daß die Erlaubniß, nach der Erklaͤrung eines Geſetzes uͤberhaupt, ein Geſetz genennet werde (§. 39. 47.).
Ein Geboth iſt zugleich ein Ver -Ein Ge - both iſt ein Ver - both des Gegen - theils. both des Gegentheils. Denn weil die Ver - bindlichkeit in der moraliſchen Nothwendigkeit zu handeln beſtehet (§. 37.), die natuͤrliche Verbindlichkeit aber gantz unveraͤnderlich iſt (§. 38.); ſo verbindet eben zugleich das Geſetz der Natur das Gegentheil zu unterlaſſen, iudem es uns etwas zu thun verbindet.
Das Geſetz der Natur verbinderDie Ver - bindlich - keit recht zu han - deln. Was richtig iſt. uns, uns vollkommener zu machen (§. 43.), folglich auch einen uͤbereinſtimmenden Gebrauch aller Kraͤffte bey den Hand - lungen zu erhalten (§. 9.). Da nun die Richtigkeit der Handlungen von dem uͤberein - ſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte abhaͤngt (§. 16.); ſo verbindet es uns recht zu han - deln. Und recht (rectum) iſt dasjenige, in welchem von Seiten keiner Kraft etwas mehr erfordert werden kann.
Weil bey einer richtigen Handlung, von Sei -Was zur Richtig -Nat. u. Voͤlckerrecht. Cten34I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,keit der Hand - lung er - fordert wird.ten keiner Kraft, etwas fehlen darf (§. 52.); ſo wird zu einer richtigen Handlung erfordert von Seiten des Verſtandes 1) ein hinlaͤnglich beſtimmter Begriff der Handlung, und ein wahres Urtheil von ihrer Guͤte oder Schaͤdlichkeit, oder von dem Rechte das uns zukoͤmt; 2) von Seiten des Willens und Nicht - wollens daß der Wille beſtimmet wird, durch die innre Guͤte, oder das Recht das uns zukoͤmt, das Nichtwollen aber durch das innere Uebel, oder durch den Mangel des Rechts; 3) endlich von Sei - ten der bewegenden Kraft eine Bewe - gung der Theile des Koͤrpers, die mit den inneren Handlungen uͤbereinſtimmet (§. 16. 14. 43. 46.). Dieſes erſtreckt ſich weiter, als es dem erſten Anſehen nach ſcheinet, weil die Rich - tigkeit auf alle Arten der Handlungen, ſie moͤ - gen beſchaffen ſeyn, wie ſie wollen, ſich erſtreckt.
Man ſagt dasjenige ſtehe einen wohl an (hominem decet), welches einigen Grund in denen Eigenſchafften hat, die in demſelben befindlich ſind, oder von welchem man ſich vorſtellet, daß ſie ſich in ihm, oder in ſeinem Zuſtand befinden, warum er ſo vielmehr, als anders handeln muß. Das aber iſt unan - ſtaͤndig (dedecet), was mit einer von denen Eigenſchafften, die in ihm ſind, oder von welchen man ſich vorſtellet, daß ſie ſich in ihm befinden, oder mit ſeinem Zuſtande nicht uͤbereinſtimmt, oder demſelben wiederſpricht. Dasjenige, wasdem35dem Rechte und Geſetze ꝛc. dem Menſchen wohl anſtehet, wird der Wohl - ſtand, und was ihm unanſtaͤndig iſt der Uebel - ſtand genennet.
Da das Geſetz der Natur auf die Vol - kommenheit des Menſchen dringet (§. 43.), und folglich keinen Wiederſpruch der aͤuſſe - ren Handlungen leidet (§. 9. 10. ); ſo ver - bindet es auch die wohlanſtaͤndigen Handlungen auszuuͤben, und die un - anſtaͤndigen zu unterlaſſen. Man hat alſo ein natuͤrliches Geſetz des Wohl - anſtaͤndigen. Dieſes natuͤrliche Wohlan - ſtaͤndige, auf welches das Geſetz der Natur dringet, muß nicht mit dem willkuͤhrlichen (arbitrario) verwechſelt werden, welches nur bloß nach den Meinungen der Menſchen fuͤr wohlanſtaͤndig angeſehen wird Aus dem, was bis hieher geſagt worden, erhellet von was vor einem weiten Umfang das Recht der Natur ſey.
Das Recht der Natur hat einen hinrei -Von dem Unter - ſcheide des Rechts der Na - tur in ſo weit es in her Natur des Men - ſchen ge - gruͤndet. chenden Grund in der Natur und dem We - ſen der Menſchen (§. 39.). Wenn es alſo denſelben in der Natur und Weſen hat, wel - che den Menſchen und den Thieren gemein iſt, ſo heiſt es das Menſchen und Thiere ge - meine Recht der Natur (jus naturae hominum & brutorum commune); die Roͤ - miſchen Rechtsgelehrten nennen es das Recht der Natur im eingeſchraͤnckteren Verſtande. Wenn es aber in der Natur undC 2dem36I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,dem Weſen, welche den Menſchen eigen - thuͤmlich iſt, oder in demjenigen, worinn der Menſch von den Thieren unterſchieden iſt, ſeinen hinreichenden Grund hat; ſo heiſt es das den Menſchen eigene Recht (ius hominum proprium); bey den Roͤmiſchen Rechtsgelehrten das Voͤlcker-Recht (jus gentium.). Wenn es endlich in demjenigen ſeinen hinreichenden Grund hat, welches in einigen einzelnen Menſchen, oder in einem be - findlich, ſo nennt man es, einiger Men - ſchen, oder eines einigen, eigenes Recht (jus qvorundam, aut unius proprium). Daher erhellet zugleich, welche Verbindlich - keiten allen Menſchen gemein (obliga - tiones omnium hominum communes), und welche einigen oder einem allein ei - gen ſind (qvorundam, vel unius propriae). Eben dieſes muß man auch von den Rechten annehmen, die aus dieſen Verbindlichkeiten flieſſen (§. 46.). Und daher ſind einige Menſchen zu mehreren Dingen ver - bunden, als die uͤbrigen; wie an ſeinem Orte deutlicher gelehret wird.
Eine Handlung, die nach dem Geſetz be - ſtimmt iſt, in ſo weit als wir verbunden ſind die - ſelbe alſo zu beſtimmen, wird die Pflicht (officium) genennet; und beſonders die Pflicht gegen ſich ſelbſt, welche der Menſch ſich ſelbſt ſchuldig iſt; die Pflicht gegen andere, welche er andern ſchuldigiſt,37dem Rechte und Geſetze ꝛc. iſt; und endlich die Pflicht gegen GOtt, welche wir GOtt ſchuldig ſind. Daß es Pflichten gebe, die allen Menſchen ge - mein ſind, und Pflichten, die nur ei - nige oder einen betreffen, iſt aus dem, was eben erſt (§. 56.) geſagt worden, klar.
Eine Handlung, die dem Geſetz der NaturWas Suͤnde, Ueber - tretung und Beob - achtung des Geſe - tzes ſey. zuwieder iſt, nennt man eine Suͤnde, und ſie iſt eine Begehungsſuͤnde (peccatum commiſſionis), wenn ſie in einer vollbrachten Handlung beſtehet; eine Unterlaſſungs - ſuͤnde (peccatum omiſſionis) aber, wenn ſie in einer unterlaſſenen Handlung beſtehet, wenn naͤmlich dasjenige nicht geſchiehet, was wir zu thun verbunden waren. Gleich - wie man aber ſagt, daß derjenige ein Ge - ſetz halte, (beobachte, ſervare legem), der das thut, was das Geſetz zu thun verbindet, und das unterlaͤßt, was es verbiethet; alſo uͤbertrit der das Geſetz (legem transgredi - tur), welcher das Gegentheil thut, oder ſuͤn - diget. Daher erhellet, was die Uebertre - tung des Geſetzes (transgreſſio legis) ſey; der die Beobachtung des Geſetzes (cu - ſtodia legis) entgegen geſetzet wird, welches die Bemuͤhung iſt, das Geſetz zu halten.
Man iſt andern keine Pflichten ſchuldig, als in ſo fern derjenige, der ſie leiſten ſoll, das Vermoͤgen dazu hat, und der andere nicht im Stande iſt, das, was er verlangt, ſelſt zuC 3thun,38I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,thun, oder ſich zu verſchaffen (§. 44. 57.). Wenn derowegen nicht in unſerm Vermoͤgen iſt dem andern eine Pflicht zu leiſten, oder der andere kan ſich ſelbſt rathen; ſo kann man ſein Begehren mit Recht abſchla - gen (§. 46.). Daher iſt zugleich klar, wenn man unrechtmaͤßiger weiſe einem eine Pflicht verſaget, und wenn man ſolglich durch die - ſes Abſchlagen ſuͤndiget (§. 58).
Es iſt alſo nothwendig, daß man gehoͤriger maſſen erwege, was in unſerm Vermoͤgen, und was nicht in demſelben ſtehet. Es ſte - het naͤmlich in unſerem Vermoͤgen (in po - teſtate noſtra eſt), was wir durch den Gebrauch unſerer Kraͤfte, ſo wohl des Leibes als der See - len, Dinge die uns zugehoͤren, und durch an - derer Huͤlffe und Beyſtand erhalten, oder vermeiden koͤnnen. Es ſtehet aber nicht in unſern Vermoͤgen, was wir durch den Gebrauch unſerer Kraͤfte des Leibes und der Seele, und der Dinge die uns zugehoͤren, wie auch durch anderer Beyſtand und Huͤlfe zu erhalten, oder zu vermeiden nicht im Stan - de ſind. Es iſt uns aber allein zuzu - rechnen, daß etwas nicht in unſerm Vermoͤgen ſtehet, wenn wir ſelbſt Ur - ſache ſind, warum es nicht in unſerm Vermoͤgen iſt (§. 3.). Es hat dieſe Be - trachtung nicht allein ihren Nutzen, wenn wir andern unſere Pflichten erweiſen; ſondern auch bey anderen Arten der Handlungen. Al -ſo39dem Rechte und Geſetze ꝛc. ſo erſtreckt ſich keine Verbindlichkeit uͤber unſer Vermoͤgen (§. 37.).
Die Pflichten gegen andere, zu deren Lei -Liebes - Dienſte und der - ſelben Verſa - gung. ſtung ein Menſch dem andern natuͤrlicher Weiſe verbunden iſt, werden gemeiniglich Liebes-Dienſte (officia humanitatis), Hoͤf - lichkeits-Pflichten genennt. Dieſelben ver - ſagt man andern alſo mit Recht, wenn es nicht in unſerm Vermoͤgen iſt, ſie zu erweiſen, oder der andere unſere Huͤlffe nicht braucht (§. 59.). Folglich wenn die Perſon, von der etwas be - gehret wird, es nicht thun kan, oder darf (§. 60.); oder wenn dasjenige, was geſchehen ſoll, an ſich, oder ver - moͤge des Geſetzes unmoͤglich iſt; 2) oder die Perſon, welcher der Dienſt ge - leiſtet werden ſoll, nicht ſo beduͤrftig iſt, daß ſie ſich ſelbſt nicht zu helffen weiß (§. 17.).
Uebrigens iſt diejenige Verbindlichkeit eineEine ur - ſpruͤngli - che und eine her - geleitete Verbind - lichkeit. urſpruͤngliche (obligatio primitiva), die ihren naͤchſten Grund in dem Weſen und in der Natur des Menſchen hat; hingegen eine hergeleitete (obligatio derivativa), welche ihren Grund in einer andern Verbindlichkeit, oder in andern Verbindlichkeiten und Rech - ten zugleich hat. Eben dieſes gilt von den Pflichten (§. 57.); und weil aus den Ver - bindlichkeiten die Rechte herkommen (§. 46),C 4auch40I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,auch von den Rechten. Denn es iſt eine be - ſtaͤndige Verbindung zwiſchen allen Verbind - lichkeiten und Rechten, daß eines aus dem andern durch eine ununterbrochene Reihe von Schluͤſſen hergeleitet werden kann; und alſo alle einen Jnbegriff verbundener Wahr - heiten ausmachen, welches ein Syſtem ge - nennet wird, und von uns ein wahres Sy - ſtem (ſyſtema veri nominis); weil dieſe vortrefliche Benennung, wie es auch bey an - dern zu geſchehen pflegt, gar zu ſehr gemiß - brauchet wird.
Es traͤgt ſich bey vorkommenden Faͤllen oͤff - ters zu, daß man mehrere Geſetze der Natur, die man zugleich beobachten ſolte, nicht zu - gleich beobachten kann; ſo ſagt man, daß die Geſetze gegen einander ſtreiten (leges inter ſe collidunt). Weil man nun eines dem andern vorziehen muß, ſo geſchieht eine Ausnahme (exceptio), und das Geſetz wird vorgezogen (vincit), welchem man ein Genuͤge leiſtet; dasjenige aber wird nach - geſetzet (cedit), welchem man kein Genuͤ - ge leiſten kann.
Alſo iſt klar, daß bey der Colliſion der Gebothe von den Pflichten gegen ſich ſelbſt und gegen andere, in dem Fall der Colliſion, der Pflichten gegen ſich ſelbſt und gegen andere, die Pflichten gegen ſich ſelbſt vorgezogen werden;weil41dem Rechte und Geſetze ꝛc. weil das Geboth von den Pflichten gegen an - dere die Ausnahme wuͤrcklich in ſich begreift (§. 44. 59.). Und weil ein Geboth etwas auszuuͤben, ein Verboth etwas zu unterlaßen, verbindet (§. 47.); eine Erlaubniß aber nur ein Recht giebt, etwas auszuuͤben (§. cit. ), folglich die Handlung nur zu einer erlaubten Handlung machet; ſo muß bey der Colli - ſion eines Geboths oder Verboths mit einer Erlaubniß, das Geboth oder Verboth vorgezogen werden (§. 37.). Weil das Verboth das, was das Geboth for - dert, in dem Falle moraliſch unmoͤglich macht (§. 37. 47. ); ſo muß das Verboth dem Geboth vorgezogen werden (§. 37.). Eben auf die Weiſe wird bey der Colliſion von Gebothen das, was uns zu groͤſſerer Vollkommenheit verbin - det, vorgezogen (§. 48.). Andere Faͤlle werden wir am gehoͤrigen Ort vortragen. Denn wie es das Syſtem uͤberhaupt nicht anders zulaͤßt; alſo gehet es auch bey demje - nigen nicht anders an, was eine Nachahmung deſſelben ſeyn ſoll. Eben dieſes nehmen wir auch in andern Faͤllen in acht.
Es kann geſchehen, daß wir zu demjeni -Von der Colliſion einerley Pflichten. gen noch aus einer andern Urſach verbunden ſind, wozu wir ſchon uͤberhaupt einem jeden, weil er ein Menſch iſt, verbunden ſind; und daß alſo die Verbindlichkeit, die aus einer zwiefachen Urſache, oder aus mehrern ent -C 5ſteht,42I. Th. 2. H. Von der Verbindlichkeit,ſteht, ſtaͤrcker wird. Daher wenn einer - ley Liebes-Dienſt mehrern geleiſtet werden ſoll; ſo wird, im Fall eine Col - liſion entſtehet, die ſtaͤrckere Verbind - lichkeit vorgezogen; oder derjenige muß vorgezogen werden, dem wir mehr verbunden ſind.
Der Gebrauch des Rechts (exercitium iuris) begreift alle Handlungen in ſich, die vermoͤge deſſelben demjenigen erlaubt ſind, dem das Recht zukoͤmmt. Denn das Recht ſelbſt beſtehet in der bloſſen Moͤglichkeit zu handeln (§. 46.). Und derjenige bedient ſich ſeines Rechts (jure ſuo utitur), der dasjenige wuͤrcklich thut, was er vermoͤge ſeines Rech - tes thun kann. Derowegen muß niemand in dem Gebrauch ſeines Rechts verhin - dert werden (§. 50.). Da uns nun des - wegen ein Recht gegeben wird, damit wir der Verbindlichkeit ein Genuͤgen leiſten koͤn - nen (§. 46.); ſo iſt das der rechte Ge - brauch des Rechts, welchen die Pflich - ten erfordern (§. 57.). Jm Gegentheil be - ſteht der Mißbrauch.
Die Bekanntmachung des Geſetzes (legis promulgatio) iſt die Handlung, wo - durch denjenigen das Geſetze kund gemacht wird, die es verbinden ſoll. Da nun das Geſetz der Natur ſeinen hinreichenden Grund in der Natur und dem Weſen! desMen -43dem Rechte und Geſetze ꝛc. Menſchen und der Dinge hat (§. 39.); ſo wird durch dieſelbe erkannt, wozu es uns verbindet und ein Recht giebt; folglich, da wir dieſes durch den Gebrauch unſeres Ver - ſtandes erkennen koͤnnen, ſo iſt keine Be - kantmachung bey demſelben noͤthig. Da aber die willkuͤhrlichen Geſetze von dem Willen eines andern herkommen (§. 39.), den man nicht weiß, wenn er nicht bekannt gemacht wird; ſo muͤſſen ſie bekannt ge - macht werden, und koͤnnen auch nicht eher verbinden, als nachdem ſie oͤf - fentlich bekannt gemacht worden ſind. Da nun die Verbindlichkeit von dem Willen des Geſetzgebers koͤmmt (§. cit. ); ſo verbin - den ſie entweder von der Zeit an, da ſie bekannt gemacht worden ſind, oder von der beſtimten Zeit (termino), wel - che in dem Geſetz angezeigt worden. Wem aber das Recht zukomme, Geſetze zu ge - ben, wird am gehoͤrigen Orte vorgetragen werden.
Von der allgemeinen Verbindlich - keit und dem allgemeinen Recht der Menſchen uͤberhaupt.
Die allgemeine Verbindlichkeit (ob -Die all - gemeine Verbind - lichkeit. ligatio univerſalis) iſt diejenige, die jeden Menſchen verbindet, in ſo ferner44I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. Das all - gemeine Recht.er ein Menſch iſt. Und das allgemeine Recht (jus univerſale), was aus derſelben entſtehet (§. 46.), iſt dasjenige, was einem je - den Menſchen zukoͤmmt, in ſo fern als er ein Menſch iſt.
Weil die natuͤrliche Verbindlichkeit ſelbſt in der Natur und dem Weſen des Menſchen ihren hinreichenden Grund hat, und mit der - ſelben zugleich da iſt (§. 38.), und weil die Natur und das Weſen uͤberhaupt bey allen Menſchen einerley iſt; ſo iſt die Verbind - lichkeit, die der Menſch als ein Menſch erfuͤllen muß, bey allen Menſchen ei - nerley; und folglich ſind auch die Rech - te, die dem Menſchen zukommen, in ſo - fern als er ein Menſch iſt, bey jedem Menſchen einerley. Alſo iſt klar, daß es allgemeine Verbindlichkeiten und allgemeine Rechte gebe. Ja, da in dem Rechte der Natur diejenigen vornaͤmlich vor - getragen werden, welche aus der Natur und dem Weſen, ſo allen Menſchen gemein, her - geleitet werden; ſo werden auch in demſelben vorzuͤglich allgemeine Verbindlichkeiten und allgemeine Rechte erklaͤret.
Jm moraliſchen Verſtande ſind die Men - ſchen einander gleich (homines æquales), deren Rechte und Verbindlichkeiten einerley ſind; aber ungleich (inæquales) diejenigen, deren Verbindlichkeiten und Rechte nicht ei -nerley45und dem allgem. Recht der Menſchen. nerley ſind. Die Menſchen ſind alſo als Menſchen von Natur einander gleich (§. 69.).
Da ein Vorrecht (prærogativa) dasjeni -Es giebt kein na - tuͤrliches Vorrecht ge iſt, welches einem vor dem andern, mit dem er ſonſt gleiches Recht hat, zukoͤmmt; ſo hat kein Menſch von Natur als ein Menſch ein Vorrecht; und daher giebt es auch kein natuͤrliches Vor - recht (§. 70.).
Ja, weil jeder Menſch von Natur mit demVon dem was er - laubt und uner - laubt, u. was man ſchuldig iſt. andern einerley Rechte und einerley Verbind - lichkeiten hat (§. 69.); ſo iſt dasjenige, was natuͤrlicher Weiſe dem einen, in ſo weit als er ein Menſch iſt, erlaubt iſt, auch dem andern erlaubt; ja, was einer dem andern ſchuldig iſt, das iſt der andere ihm auch ſchuldig (§. 49.).
Daher iſt ferner klar, das, was manWas der andere thun und nicht thun ſoll; und die Be - ſtaͤndig - keit der Pflichten gegen an - dere. rechtmaͤßiger Weiſe nicht will, daß es uns von andern geſchehe, das muß man einem andern auch nicht thun; und was man rechtmaͤßiger Weiſe will, daß es geſchehen ſoll, das muß man auch gegen andere ausuͤben. Die - jenigen, welche anders handeln, ſtreben nach einem Vorrecht, und dergleichen findet von Natur unter den Menſchen nicht ſtatt (§. 71.); ſie heben auch die natuͤrliche Gleichheit auf(§. 69.),46I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. (§. 69.), welche in Anſehung der allgemeinen Verbindlichkeiten und Rechte ſo lange beſte - het, als der Menſch ein Menſch iſt, folglich ſo lange er lebet. Wenn alſo auch Un - gleichheiten unter den Menſchen ein - gefuͤhrt werden; denn daß dieſes geſche - hen koͤnne, wird am gehoͤrigen Ort bewieſen; ſo bleibet man ihnen doch das ſchul - dig, was ein Menſch dem andern zu leiſten ſchuldig iſt, oder die Liebes - Dienſte (§. 61.).
Das angebohrne Recht (jus connatum) nennt man dasjenige, welches aus einer an - gebohrnen Verbindlichkeit entſtehet. Es iſt aber eine angebohrne Verbindlichkeit (obligatio connata) diejenige, welche aus der Natur und dem Weſen des Menſchen noth - wendig erfolget, und davon nicht getren - net werden mag. Da nun dieſe wegen der Unveraͤnderlichkeit des Weſens und der Natur unveraͤnderlich iſt, davon ſie gar nicht getrennet werden kann; ſo iſt auch das angebohrne Recht ſo genau mit dem Menſchen verbunden, daß es ihm nicht genommen werden kann; denn er hat daſſelbe um ſeiner Verbindlichkeit ein Genuͤge zu leiſten (§. 46.).
Der Rang (præcedentia) iſt das Recht des Vorzugs in der Ordnung, die von meh - reren zugleich zu beobachten iſt. Weil unterPerſo -47und dem allgem. Recht der Menſchen. Perſonen, die gleich ſind, kein Rang ſtatt fin - det (§. 70.), ſo koͤmmt auch keinen Men - ſchen von Natur ein Rang zu.
Von Natur haben alle Menſchen einerleyVon dem Recht uͤber die Hand - lungen eines an - dern. Rechte (§. 69.). Wenn wir alſo ein Recht uͤber die Handlungen des andern haben ſolten, ſo, daß er ſeine Handlungen nach unſerm Wil - len einrichten muͤſte, und das nicht thun koͤn - te, was ihm gefiele; ſo wuͤrde er wieder ein Recht uͤber unſere Handlungen haben: da nun dieſes offenbahr wiederſprechend iſt, in - dem es ohne Unterſchied, von allen Menſchen gelten muͤſte; ſo hat niemand von Natur ein Recht uͤber die Handlungen (in actiones) eines andern. Jn dem Weſen und in der Natur des Menſchen, worinn das Geſetz der Natur, und alſo eine jede Ver - bindlichkeit und jedes Recht, das aus derſelben entſtehet, ſeinen hinreichenden Grund hat, iſt kein Grund enthalten, warum dieſem oder jenem Menſchen ein Recht uͤber dieſes oder eines andeꝛn Menſchen Handlungen zukommen ſollte.
Es ſind alſo von Natur die Hand -Von der natuͤr - lichen Freyheit lungen des Menſchen gar nicht dem Willen eines andern, er ſey wer er wolle, unterworffen; und er darf in ſei - nen Handlungen niemanden als ſich ſelbſt folgen. Und dieſe Unabhaͤnglichkeit bey den Handlungen von dem Willen eines andern, oder die Einrichtung (dependen -tia) 48I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. tia) ſeiner Handlungen, nach ſeinen eigenen Wil - len wird die Freyheit (libertas) genannt. Von Natur ſind alſo alle Menſchen frey. Da aber die natuͤrliche Verbindlichkeit unver - aͤnderlich iſt (§. 38.), ſo hebt die Frey - heit die natuͤrliche Verbindlichkeit nicht auf, noch veraͤndert etwas in derſelben.
Da vermoͤge der natuͤrlichen Frey - heit, der Menſch in ſeinen Handlungen ſich bloß nach ſeinem Willen, nicht aber eines an - dern richten darf (§. 77.); ſo iſt eben daher ihm zu erlauben, daß er bey der Be - ſtimmung ſeiner Handlungen ſeinem Urtheil folge, und daß er nicht gehal - ten iſt einem Menſchen Rechenſchaft zu geben, warum er dieſes thue, oder nicht thue; wenn er nur nicht gegen jemand anders etwas unternimmt, welches er zu unterlaſſen vollkommen (perfecte) verbunden iſt (§. 80.).
Daher erhellet ferner, daß man es in Beobachtung der Liebes-Dienſte dem Urtheil desjenigen, der ſie leiſtet, uͤber - laſſen muͤſſe, ob es in ſeinem Vermoͤ - gen ſtehe, ſie zu leiſten, oder nicht; eben wie demjenigen, der dieſelben ver - langet, das Urtheil von ſeiner Beduͤrf - nis uͤberlaſſen wird; folglich wenn einer dem andern einen Liebes-Dienſt ab -ſchlaͤgt,49und dem allgem. Recht der Menſchen. ſchlaͤgt; ſo muß es derjenige, der ihn begehrt, damit zufrieden ſeyn, und der andere kann von ihm nicht ge - zwungen werden, daß er ihn leiſten muß. Aber dem ohngeachtet, ſuͤndiget der, welcher ihn ohne Recht abſchlaͤgt (§. 58.).
Und daher erhellet, in welchem VerſtandeVon der vollkom - menen u. unvoll - komme - nen Ver - bindlich - keit, von dem voll - komme - nen und unvoll - komme - nen Rech - te. die Verbindlichkeit zu den Liebes-Dienſten unvollkommen genannt wird, und in welcher Ab - ſicht dieſelben unvollkommen ſchuldige Pflich - ten genannt werden; ſie werden naͤmlich nicht ſo genannt, als ob die natuͤrliche Verbindlich - keit unvolkommen waͤre, ſo daß etwas unſe - rer Freyheit uͤberlaſſen waͤre, ob wir derſelben ein Genuͤge leiſten wolten, oder nicht, als welches der natuͤrlichen Freyheit wiederſpre - chen wuͤrde (§. 77.), ſondern weil derjeni - ge, der um dieſelben bittet den andern nicht zwingen kann, daß er ſie leiſte (§. 79.). Da - her heiſt die Verbindlichkeit eine unvoll - kommene Verbindlichkeit (obligatio im - perfecta), zu deren Erfuͤllung niemand gezwun - gen worden kann; ſo wie im Gegentheil dieje - nige eine vollkommene (perfecta) genannt wird, zu deren Erfuͤllung der andere gezwun - gen werden kann. Und deswegen heiſt fer - ner ein vollkommenes Recht (jus perfe - ctum) dasjenige, welches mit dem Recht verbunden iſt, den andern zu zwingen, daß er der Verbindlichkeit ein Genuͤge leiſte, wennNat. u. Voͤlckerrecht. Der50I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. er dieſelbe nicht erfuͤllen wolte; ein unvoll - kommenes Recht (jus imperfectum) aber, welches das Recht den andern zu zwingen nicht in ſich faſſet. Das vollkommene Recht wird auch allein das Recht, ſonderlich im buͤrgerlichen Geſetzen genannt, wo man nur auf das vollkommene Recht ſiehet; das un - vollkommene wird vom Grotius die Faͤ - higkeit (aptitudo), vom Ariſtoteles aber die Wuͤrdigkeit (meritum) genannt; in ſo weit als derjenige, dem etwas geleiſtet wer - den ſoll, deſſelben werth iſt. Die Wuͤrdig - keit alſo desjenigen, der um einen Lie - bes-Dienſt bittet, iſt die Beduͤrfniß.
Das Recht, welches uns das Geſe - tze der Natur giebt, damit wir unſe - rer Verbindlichkeit ein Gnuͤge thun koͤnnen, da dieſe nothwendig und unveraͤn - derlich iſt (§. 38.), und wir folglich nicht leiden doͤrffen, daß wir in dem Gebrauch unſers Rechtes von einem andern gehindert werden, iſt ein vollkommenes Recht; denn es entſtehet aus der vollkommenen Ver - bindlichkeit, niemanden in dem Gebrauch deſ - ſelben zu hindern (§. 66.), mit dieſer iſt das Recht verbunden, nicht zu leiden, daß wir in dem Gebrauch unſers Rechtes verhindert werden. Da nun dieſes ein vollkommenes iſt (§. 80.); ſo muß auch dasjenige Recht, von dem es ſeinen Urſprung hat, ein voll - kommenes Recht ſeyn. Es iſt alſo ein je -des51und dem allgem. Recht der Menſchen. des angebohrnes Recht ein vollkom - menes Recht (§. 74.).
Und daher erhellet, weil ich verbundenVon dem Rechte Liebes - Dieuſte zu bit - ten. bin, anderer Huͤlfe in denen Faͤllen zu ſuchen, in welchen ich mir ſelbſt nicht hinlaͤnglich hel - fen kann (§. 44.); ſo iſt das Recht, Lie - bes-Dienſte zu bitten, ein vollkomme - nes Recht, obgleich das Recht zu den Lie - bes-Dienſten, die hier und jetzt von die - ſem geleiſtet werden, ein unvollkomme - nes Recht iſt (jus imperfectum eſt) (§. 79. 80.). Da niemand den andern in dem Gebrauch ſeines Rechts verhindern darf (§. 66.); ſo muß man auch niemand verhindern, um ei - nen Liebes-Dienſt zu bitten; und wenn er bittet, ſo muß man es mit gelaße - nem Gemuͤthe anhoͤren. Weil wir bloß verbunden ſind Liebes-Dienſte dem Beduͤrfti - gen zu leiſten; ſo iſt nothwendig, daß ſie erbe - then werden muͤßen.
Ungerecht (injuſtum) iſt dasjenige, wasVom ge - rechten und un - gerech - ten, billi - gen und unbilli - gen. dem vollkommenen Rechte des andern zuwie - der geſchieht; unbillig (iniquum), was dem unvollkommenen Rechte des andern zuwieder geſchieht. Es geſchieht aber etwas dem Recht des andern zuwieder (fit contra jus alterius), wodurch daſſelbe entweder ihm benommen, oder vermindert, oder der Ge - brauch deſſelben, es ſey auf was vor Art und Weiſe es wolle, verhindert wird; ſo wie imD 2Gegen -52I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. Gegentheil etwas dem Recht des andern gemaͤß (ſecundum jus alterius) geſchieht, wenn nichts wieder daſſelbe unternommen wird, noch unterlaſſen, was vermoͤge deſſel - ben (eodem ſtante) geſchehen muß. Ge - recht (juſtum) nennt man dasjenige, was dem vollkommenen Rechte des andern gemaͤß geſchieht: Billig (æquum) aber dasjenige, was dem unvollkommenen Recht des andern gemaͤß geſchieht. Weil die buͤrgerlichen Geſe - tze einige Dinge dulden, welche natuͤrlich un - gerecht ſind, wie wir am gehoͤrigen Orte zei - gen werden; ſo iſt das buͤrgerlich gerech - te (civiliter juſtum) enger eingeſchraͤnckt, als das natuͤrlich gerechte: und, im Gegenſatz ge - gen dieſes, nennt man billig, was gantz al - lein mit dem natuͤrlichen Geſetz uͤbereinkoͤmmt, oder demſelben gemaͤß iſt.
Mit der Freyheit muß die Frechheit (Licentz, licentia) nicht verwechſelt werden, welche, der natuͤrlichen Verbindlichkeit und dem natuͤrlichen Recht zuwieder, auf alles ſich erſtreckt, was einem gefaͤllt; und iſt alſo ei - ne ungezaͤhmte Begierde, alles dasjenige zu thun, was einem gefaͤllt. Weil ſie mit der natuͤrlichen Verbindlichkeit, von welcher kein Menſch befreyet werden kann (§. 42.), ſtrei - tet; ſo kann keinem Menſchen eine Frechheit, oder ungezaͤhmte Freyheit zukommen.
Gleichwie aber die Tugend uͤberhauptVon der Gerech - tigkeit und Un - gerech - tigkeit. die Fertigkeit iſt, ſeine Handlungen nach dem Geſetz der Natur einzurichten, und das La - ſter, welches ihr entgegen geſetzet wird, die Fertigkeit, ſeine Handlungen auf die entgegen geſetzte Weiſe einzurichten, als ſie im Geſetz der Natur vorgeſchrieben iſt; alſo wird be - ſonders die Gerechtigkeit (juſtitia), diejenige Tugend genannt, durch welche man einem jeden ſein vollkommenes Recht gewehret, oder ungekraͤncket laͤßt, daß man naͤmlich nichts thut, was demſelben zuwieder iſt, ſondern dasjenige thut, was nach demſelben geſchehen muß (§. 83.); und im Gegentheil iſt die Ungerech - tigkeit (injuſtitia) das Laſter, da man dem andern ſein Recht nicht gewehret, da man naͤmlich das thut, was demſelben zuwieder iſt, und das unterlaͤßt, was nach demſelben geſchehen muß. Wenn man die Gerechtig - keit auf alles Recht, ſo wohl auf das voll - kommene, als auf das unvollkommene erſtreckt, und in jeder Handlung in Erwegung ziehet, in ſo fern ſie ſich auf andere beziehet, oder be - ziehen kann, ob ſie gleich hauptſaͤchlich uns ſelbſt angehet, ſo wird ſie die allgemeine Gerechtigkeit (juſtitia univerſalis) genannt; und wenn ſie alsdenn in eingeſchraͤnckterer Bedeutung genommen wird, ſo nennt man ſie die beſondere Gerechtigkeit (juſtitiam particularem). Jm uͤbrigen iſt die natuͤr - liche Gerechtigkeit von weiterem Um -D 3fange54I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. fange als die buͤrgerliche (§. 83.), und die ungezaͤhmte Freyheit iſt die Mut - ter der Ungerechtigkeit (§. 84.).
Weil man niemand in dem Gebrauch ſei - nes Rechts verhindern darf (§. 50.), und ihm daſſelbe auch nicht benommen werden kann (§. 74.); ſo darf niemand etwas thun, was dem Recht des andern zu - wieder iſt; ſondern ein jeder muß viel - mehr das thun, was nach demſelben geſchehen ſoll (§. 83.). Derowegen muͤſ - ſen wir einem jeden ſein Recht geweh - ren, und keinem ſein Recht verletzen, und folglich muͤſſen wir gerecht, nicht aber ungerecht ſeyn (§. 85.). Und weil das unvollkommene Recht eben ſo, wie das vollkommene aus der natuͤrlichen an ſich voll - kommenen, Verbindlichkeit entſtehet; alſo, daß derjenige ſuͤndiget, der demſelben zuwieder handelt (§. 79. 80. ); ſo muͤſſen wir uns gegen jedermann billig, und gegen nie - mand unbillig erweiſen (§. 87.).
Die Verletzung des vollkommenen Rechts eines andern wird das Unrecht (injuria) ge - nannt. Daher erhellet, daß das Unrecht verbothen (§. 86.) und natuͤrlich un - erlaubt ſey (§. 49.). Ob wir aber gleich bis itzt nichts anders als das angebohrne Recht feſt geſetzt haben; ſo werden wir doch am ge - hoͤrigen Orte zeigen, daß dasjenige, was wirhier55und dem allgem. Recht der Menſchen. hier von der Gerechtigkeit und von dem Un - rechte ſagen, auch auf die erworbenen Rech - te angewendet werden muͤſſe. Jm uͤbrigen, gleich wie die ungezaͤhmte Freyheit die Mutter der Ungerechtigkeit iſt (§. 85.); alſo iſt ſie auch, die dem Unrecht Thuͤr und Angel oͤffnet (§. 54.).
Man ſagt, daß derjenige den andern be -Von der Beleidi - gung. leidige (alterum lædit), wer ſein vollkom - menes Recht verletzet, oder ihm unrecht thut; und alſo iſt bey jeder Beleidigung das Unrecht. Weil wir niemand unrecht thun duͤrfen (§. 87.); ſo muß auch nie - mand beleidiget werden. Ob aber gleich die Beleidigung und das Unrecht in eben der - ſelben Handlung beſtehen; ſo ſieht man doch datin den Unterſchied, daß die Beleidigung ſich auf die Perſon, deren Recht verletzet wird, als eine Handlung beziehet, die ſie nicht dulden darf; das Unrecht aber wird als eine Verletzung des Rechts an und vor ſich ſelbſt angeſehen, ohne auf die Perſon zu ſehen, die dadurch beleidiget wird, naͤmlich als eine Handlung, die an ſich unerlaubt, oder man ſieht nur auf das Recht ſelbſt, welches ver - letzet wird. Wie aber die natuͤrliche Gerech - tigkeit von weiterem Umfange iſt, als die buͤr - gerliche (§. 85.); alſo ſind auch die natuͤrli - chen Beleidigungen von weiterm Umfange, als ſie im buͤrgerlichen Rechte beſtimmt werden. Noch deutlicher wird dieſes aus der bald fol - genden und kuͤnftigen Abhandlung werden.
Die Verbindlichkeit zu dem, was durch das Geſetz der Natur verbothen wird, da es in ei - ner Unterlaßung beſtehet (§. 47.), iſt jederzeit gewiß. Derowegen erwaͤchſt aus der Verbindlichkeit, die durch ein Ver - both entſtehet, ein vollkommenes Recht, nicht zu leiden, daß der andere etwas thue, zu deſſen Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 46.). Da nun niemand beleidiget werden darf (§. 88.), ſo hat ein jeder Menſch von Natur das Recht, nicht zu leiden, daß er von ei - nem andern beleidiget werde; und die - ſes Recht, das von Natur einem jeden, er ſey wer er wolle, zukoͤmmt, wird das Recht der Sicherheit (jus ſecuritatis) genannt; welche Sicherheit in der Befreyung von der Furcht beleidiget zu werden beſtehet. Daher iſt ferner klar, daß natuͤrlicher Weiſe die Beleidigung auf jede Handlung ſich erſtreckt, die im Geſetz der Natur in Anſehung anderer verbothen iſt; und daß folglich die Beleidigung eine jede Handlung ſey, dadurch der andere, oder ſein Zuſtand unvollkommener wird (§. 44.); daß aber die Verweige - rung eines Liebes-Dienſtes keine Be - leidigung ſey (§. 79.).
Weil wir nicht ſchuldig ſind zu leiden, daß ein anderer uns beleidige (§. 89.); ſo iſt eserlaubt,57und dem allgem. Recht der Menſchen. erlaubt, demjenigen zu wiederſtehen,wehren, oder zu verthei - digen. der es verſucht (intentanti) uns zu be - leidigen. Da nun die Handlung, wodurch man demjenigen wiederſtehet, der es verſucht, oder unternimmet uns zu beleidigen, die Ge - genwehre, oder die Vertheidigung iſt; ſo hat der Menſch von Natur ein Recht ſich zu wehren, oder zu verthei - digen (jus defenſionis); folglich ſind ihm alle Handlungen erlaubt, ohne welchen er die Beleidigung von ſich nicht ab - wenden kann (§. 46.); und dieſe muͤſ - ſen aus den vorkommenden Umſtaͤnden beſtimt werden.
Auf gleiche Weiſe folgt, daß, weil wir nichtVon der Verhuͤ - tung der Beleidi - gungen. ſchuldig ſind zu leiden, daß der andere uns beleidige (§. 89.); ſo iſt es uns erlaubt Be - leidigungen zu verhuͤten (læſiones præ - cavere); folglich andere zu verbinden, daß ſie uns nicht beleidigen.
Da wir einen andern nicht verbinden koͤn - nen, etwas zu unterlaſſen, wenn wir nicht mitWie wir ſie ver - huͤten. der Handlung einen Bewegungsgrund verbin - den (§. 35.), der Bewegungsgrund zum Nicht - wollen aber in der Vorſtellung eines Uebels be - ſtehet; ſo iſt es erlaubt, denjenigen ein na - tuͤrliches Uebel zuzufuͤgen, welcher uns in der That beleidiget hat (§. 91.), damit er uns nicht ſelbſt von neuem, oder ande - re die ſeinen Exempel folgen, uns belei -D 5di -58I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. digen, oder auch er, oder andere nach ſei - nem Exempel, andere beleidiget.
Ein natuͤrliches uͤbel (malum phyſi - cum), welches einem wegen eines ſittlichen Uebels von dem zugefuͤgt wird, der das Recht einen zu verbinden hat, nennt man die Strafe (pœnam). Dem Menſchen koͤmmt alſo von Natur das Recht zu denjenigen zu ſtrafen, welcher ihn be - leidiget hat. Und in ſo weit die Strafe die Abſicht hat, das Gemuͤthe der beleidigenden Perſon zu aͤndern, wird ſie eine beſſernde Strafe (pœna emendatrix) genennet; in ſo fern ſie aber andere von Beleidigungen ab - ſchrecken ſoll, heiſt ſie eine exemplariſche (exemplaris). Da nun die Beſſerung des Gemuͤths desjenigen, der einen andern beleidi - get, und die Furcht bey denen zu erwecken, welche der Muthwille zu Beleidigungen rei - tzen koͤnnte, die Abſicht des Strafenden ſind; die Strafe aber als ein Mittel anzuſehen iſt, wodurch man dieſe Abſicht erhaͤlt; ſo muß man die Groͤſſe der Strafe aus den vorkommenden Umſtaͤnden beſtimmen (§. 46.).
Ein unendliches Recht (jus infinitum) nennet man dasjenige, dem man uͤberhaupt keine Grentzen ſetzen kann; ſondern dieſelben erſt aus den Umſtaͤnden in einem vorkommen - den Falle beſtimmen muß. Es iſt alſo ſowohl59und dem allgem. Recht der Menſchen. wohl das Recht ſich zu wehren, oder zu vertheidigen, als das Recht zu ſtrafen unendlich (§. 90. 93.).
Aus dem, was wir bisher vorgetragen ha -Welches die ange - bohrnen Rechte ſind. ben, erhellet, welche Rechte dem Menſchen an - gebohren ſind, naͤmlich das Recht zu demje - nigen, ohne welches man der natuͤrlichen Ver - bindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§. 46.), worunter auch das Recht um Liebes-Dienſte zu bitten (§. 82.), und den andern dazu voll - kommen zu verbinden, enthalten iſt (§. 97.), die natuͤrliche Gleichheit (§. 70.), die Frey - heit (§. 77.), das Recht der Sicherheit (§. 89.), und das daher entſpringende Recht ſich zu wehren, oder zu vertheidigen (§. 90.), und das Recht zu ſtrafen (§. 93.). Wie aber hieraus andere Rechte eutſpringen, und wie dem Geſetz der Natur gemaͤß andere Ver - bindlichkeiten gemacht, und andere Rechte er - langt werden, wollen wir am gehoͤrigen Orte zeigen.
Der Menſch iſt eine ſittliche PerſonEine ſitt - liche Per - ſon, und der na - tuͤrliche ſittliche Zuſtand. (perſona moralis), in ſo weit als er als das Subject von gewiſſen Verbindlichkeiten und von gewiſſen Rechten angeſehen wird. Und daher wird ſein ſittlicher Zuſtand (ſtatus moralis) derjenige genannt, welcher durch Rechte und Verbindlichkeiten beſtimmt wird; und er heiſt der natuͤrliche, in ſo fern als die Verbindlichkeiten und Rechte, durch welcheer60I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. er beſtimmt wird, natuͤrlich ſind, oder nach dem Geſetz der Natur ihm zukommen; und derowegen werden die Menſchen im na - tuͤrlichen Zuſtande allein durch das Recht der Natur regiert.
Weil aber der Menſch, wenn er ſeiner Ver - bindlichkeit ein Genuͤge leiſten will, ſehr oft anderer Huͤlfe noͤthig hat; weil es ihm aber auch daran gelegen iſt, daß er von derſelben Huͤlfe gewiß ſey; ſo hat er auch ein Recht zu denjenigen Handlungen, ohne welche er ſeiner natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Genuͤge lei - ſten kann (§. 46.); und alſo hat er das Recht, ſich andere zu gewiſſen Hand - lungen, oder Dienſtleiſtungen verbind - lich zu machen. Auf dieſe Weiſe erlangt er ein vollkommenes Recht zu denſelben, ſo daß, da er vorher erdulden muſte, daß ſie ab - geſchlagen worden, er nun dieſelben erzwin - gen, oder den andern dazu noͤthigen kann (§. 79, 80.), und ſolchergeſtalt das, was vor - her willkuͤhrlich war, nun nothwen - dig iſt, und er durch die Unterlaſſung beleidiget wird, und ihm Unrecht ge - ſchieht (§. 88.).
Das Streiten mit Gewalt (certa - tio per vim) nennt man die Gewaltſame Behauptung ſeines Rechtes, dadurch man ent - weder eine zuzufuͤgende Beleidigung, oder ein Unrecht abwenden; oder diejenigen, die unsbelei -61und dem allgem. Recht der Menſchen. beleidiget, oder uns Unrecht gethan haben, verbinden will, uns in Zu - kunft nicht mehr zu beleidigen; oder auch die - jenigen, welche wir uns etwas zu leiſten ver - bunden haben, mit Gewalt dazu anzuhalten ſuchet, in ſo weit ſie ſich nicht gutwillig dazu bequemen wollen. Den Zuſtand derje - nigen die mit Gewalt ſtreiten, nennt man den Krieg. Und daher erhellet, daß dem Menſchen das Recht zum Kriege zukomme, und daß keine andere recht - rechtmaͤßige Urſache zu demſelben ſeyn koͤnne, als das Unrecht, das einem geſchehen iſt, oder geſchehen ſoll (§. 87. 83. ); daß aber das Abſchlagen eines Liebes-Dienſtes keine rechtmaͤßige Ur - ſache des Krieges ſey (§. 79.).
Der Friede wird dem Krieg entgegen ge -Vom Frieden. ſetzt, und man nennt ihn alſo denjenigen Zu - ſtand, in welchem kein Krieg iſt. Weil man niemanden beleidigen darf, und alſo alles Un - recht unterlaſſen ſoll; ſo ſind die Men - ſchen verbunden den Frieden zu ſu - chen. Alſo iſt der Friede der Natur gemaͤß, der Krieg aber wieder dieſelbe (§. 38.). Es iſt auch nicht die Natur, ſon - dern die Boßheit der Menſchen, die ihrer Pflicht kein Genuͤgen leiſten wollen, oder das Unrecht ſchuld an dem Kriege (§. 98.).
Aus dem, was wir vorher geſaget haben,Von der Verbind -erhel -62I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. lichkeit, die einer ſich zuzie - het, und dem er - woꝛbenen Rechte.erhellet, daß auſſer den angebohrnen Ver - bindlichkeiten und Rechten, noch andere ange - troffen werden, da die Verbindlichkeiten durch eine dazu kommende Handlung der Menſchen entſtehen, und die Rechte durch dieſelben er - langt werden (§. 95.), jene nennt man Ver - bindlichkeiten, die einer ſich zuzieht (ob - ligationes contractas), die daraus entſprin - gende Rechte aber, werden erworbene Rechte (jura acquiſita) genannt. Es iſt klar, daß niemand ſich ſelbſt von der Verbindlichkeit, die er ſich zugezogen hat, befreyen koͤnne (§. 97.); und daß alſo daß erworbene Recht, das aus der - ſelben entſtanden iſt, niemanden wieder ſeinen Willen genommen werden koͤn - ne: welches wir auch oben von der ange - bohrnen Verbindlichkeit und von dem ange - bohrnen Rechte erwieſen (§. 42. 74.). Weil alſo die Verbindlichkeiten entweder angeboh - ren, oder zugezogen werden, und die Rech - te entweder angebohrne, oder erworbene Rech - te ſind; ſo iſt uͤberhaupt klar, daß nie - mand ſich von ſeiner Verbindlichkeit befreyen, noch das Recht jemanden wieder ſeinen Willen genommen wer - den kan.
Es giebt ſo wohl Rechte, welche allen oh - ne Unterſchied zukommen, als auch Rechte, die einem allein, oder mehreren zuſammen genommen, im Gegenſatz gegen alle, zukommen;und63und dem allgem. Recht der Menſchen. und gleicherweiſe giebt es Verbindlichkeiten, welche auf eben die Art allen, mehreren zu - ſammen, oder einem allein gehoͤren, welches da - her erhellet, weil die natuͤrliche Verbindlich - keiten alle Menſchen angehen (§. 74.), die zugezogenen aber, nur denjenigen, welchen wir, uns insbeſondere etwas zu leiſten, verbun - den haben (§. 100.); und eben ſo kommen die angebohrnen Rechte allen Menſchen zu, das erworbene Recht aber nur dem, welcher ſich einen andern, was gewiſſes zu leiſten, verbun - den hat (§§. cit.). Daher nennen wir das gemeine Recht (jus commune), was al - len ohne Unterſchied zukoͤmmt; das eigene (beſondere) Recht aber (jus proprium), was nur einem, oder mehreren, im Gegen - ſatz gegen alle, zukoͤmmt. Auf gleiche Weiſe verſteht man, was eine allgemeine, und was eine beſondere, oder eigene Verbindlich - keit ſey. Es iſt aber klar: daß das eigene Recht, alle andere ausſchließt, und wenn mehreren zuſammen genommen ein beſonderes (eigenes) Recht zu - koͤmt; ſo iſt unter denſelben ein ge - meinſchaftliches Recht.
Der natuͤrliche Zuſtand der Menſchen iſtVom ur - ſpruͤng - lichen u. entſtande - nen Zu - ſtande. entweder der urſpringliche (originarius), in ſo weit derſelbe gantz allein durch ange - bohrene Rechte und Verbindlichkeiten beſtimt wird; oder der entſtandene (adventitius), in ſo weit derſelbe durch die zugezogene Ver -bindlich -64I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. ꝛc. bindlichkeiten, und durch erworbene Rechte, aber allein nach dem Geſetze der Natur be - ſtimt wird. Den urſpringlichen Zuſtand hat alſo der Menſch von der Natur allein, den entſtandenen aber nur durch eine dazu gekommene menſchliche Handlung. Es iſt auch leicht erweißlich, daß der Friede zum urſpruͤnglichen Zuſtande gehoͤre (§. 99.), der Krieg aber zu dem dazu gekommen (§. 96.), und weil die Abſicht bey dem Kriege iſt, ein Unrecht, als welches die Urſache deſſelben, zu vermeiden, oder zu wenden (§. 98.); ſo iſt der Krieg natuͤrlicher weiſe des Friedens wegen erlaubt (§. 99.); folg - lich muß man den Krieg nicht fuͤhren, als des Friedens wegen. Denn Krieg fuͤhren iſt nichts anders, als durch Gewalt ſtreiten. Damit man aber nicht in der Unter - ſcheidung des urſpruͤnglichen Zuſtandes von dem entſtandenen zuweilen zweifle; ſo muß man mercken, daß der Menſch im urſpruͤng - lichen Zuſtande an und vor ſich ſelbſt ein Recht haben koͤnne, deſſen Ausuͤbung aber nicht anders, als in dem entſtandenen ſtatt fin - det, in ſo weit naͤmlich die Handlung eines andern macht, daß es ſtatt finden kann. Ein Exempel finden wir in dem Rechte uns zu wehren, oder zu vertheidigen, und dem Rech - te zu ſtrafen, wenn wir den Urſprung von bey - den genauer unterſuchen.
Von den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt, und den Rechten, die damit verbunden ſind.
Der Menſch muß, ſo viel er kann (§. 37.),Von der Verſchie - denheit und der Verbin - dung der Pflichten. ſo wohl ſich, folglich theils ſeine See - le, theils ſeinen Leib, als auch ſeinen Zuſtand verbeſſern (§. 43.). Man hat alſo Pflichten gegen die Seele, gegen den Leib, und in Abſicht auf den aͤuſ - ſern Zuſtand (§ 57.), und dieſelben ſind zu verbinden; man muß ſich nicht einer alſo befleißigen, daß die uͤbrigen verab - ſaͤumet werden; und derjenige, der mehr Vermoͤgen hat, und mehr an - wenden kann, wie auch mehrere Huͤlfe von andern zu erwarten hat, iſt auch ein mehreres zu leiſten verbunden.
Die Guͤter der Seele (bona animi) ſindVon der Bemuͤ - hung, das Gute zu erhal - ten. diejenigen, welche die Seele; des Leibes, welche den Leib; des Gluͤcks, welche den aͤuſ - ſeren Zuſtand vollkommener machen. Dem - nach muß ſich einjeder bemuͤhen, daß er von den Guͤtern der Seele, des Lei - bes und des Gluͤcks ſo viel erhaͤlt, als in ſeinem Vermoͤgen ſtehet (§. 103. 60. ); folglich muß er ſich vor allem Uebel oder Schaden des Leibes, der Seele und des Gluͤcks in acht nehmen.
Es iſt alſo nothwendig, daß der Menſch ſich ſelbſt, ſo wohl der Seele und dem Leibe nach, als auch ſeinen Zuſtand kennen lerne; und weil die Er - kentnis unſer ſelbſt durch die Erkentnis anderer befoͤrdert wird, in ſo weit als daraus erhellet, was vor Vollkommen - heiten und Unvollkommenheiten der Menſch und ſein Zuſtand haben koͤnne, durch was vor einen Gebrauch der Kraͤfte jene erhalten werden, und durch was vor eine Un - terlaſſung des Gebrauchs und Misbrauch der Kraͤffte man in dieſe verfaͤllt; ſo muß der Menſch auch andere kennen lernen, und in dieſer Abſicht auf andere fleiſ - ſig und ſorgfaͤltig acht geben.
Der Gebrauch der Kraͤfte der Seele beſteht in ihren Wuͤrkungen. Jn der Uebereinſtim - mung des Gebrauchs aller Kraͤfte der See - len, ſo wohl der obern, als der untern, beſteht die Vollkommenheit der Seele (§. 9.). Da nun der Menſch verbunden iſt, ſich im - mer mehr und mehr vollkommen zu machen; ſo muß er ſich nicht allein bemuͤhen, daß er zu einem jeden Gebrauch der Kraͤfte ſeiner Seele geſchickt werde, ſondern es auch dahin bringe, daß der Gebrauch aller Kraͤfte bey einer jeden Handlung uͤbereinſtimme, wie wir die -ſes67des Menſchen gegen ſich ſelbſt. ſes ſchon oben (§. 52.) gelehrt haben; folg - lich muß ſo wohl die Unterlaſſung des Gebrauchs einiger Kraͤfte bey den Hand - lungen, als auch der Mangel der Ueber - einſtimmung vermieden werden (§. 51.). Da die Geſchwindigkeit etwas zu thun die Fertigkeit iſt; ſo iſt der Menſch ver - bunden, die Fertigkeit zu erlangen ſei - ne Kraͤfte zu gebrauchen, und dieſen Gebrauch zur Uebereinſtimmung zu bringen.
Deswegen koͤmt einem Menſchen dasVon dem Rechte, das ihm in dieſer Abſicht zukoͤmmt. Recht zu demjenigen zu, ohne welches er den Gebrauch ſeiner Kraͤfte nicht er - langen, noch den Gebrauch derſelben zur Uebereinſtimmung bringen kan (§. 46.).
Da der Verſtand die Faͤhigkeit iſt, ſichDaß der Verſtand vollkom - men ge - macht werden muͤſſe. die Sachen deutlich vorzuſtellen; folglich nicht allein von einander zu unterſcheiden, was in einer Sache befindlich iſt, ſondern auch beſtimmte Urtheile zu faͤllen, daß naͤm - lich, vermoͤge deſſen, was von einer Sache angenommen wird, ihr etwas anderes ent - weder zukomme, oder nicht zukommen koͤn - ne, wie auch recht zu ſchlieſſen; ſo muͤſſen wir uns befleiſſen eine Fertigkeit zu erlangen, in einer jeden Sache, die uns zu erkennen vorkoͤmmt, was in ihr enthalten, zu unterſcheiden, be -E 2ſtimmte68I. Th. 4. H. Von den Pflichtenſtimmte Urtheile zu faͤllen, und recht zu ſchlieſſen. Weil aber dieſes nicht ge - ſchehen kann, wenn wir nicht im Stande ſind, die Aufmerckſamkeit zu erhalten, d. i. zu machen, daß wir uns derjenigen Sache, von welcher wir gedencken, mehr bewuſt ſind, als anderer Dinge, die uns beyfallen, oder beyfallen koͤnnen; und uͤber dieſelben nach - zudencken, d. i. unſere Aufmerckſamkeit von einem zum andern beſonders zu wenden, was in derſelben befindlich iſt; ſo muͤſſen wir auch ſorgfaͤltig bemuͤher ſeyn, daß wir einen ſo ſtarcken Grad der Auf - merckſamkeit, als uns moͤglich iſt, nebſt der Fertigkeit nachzudencken erhalten.
Des Menſchen Vermoͤgen zu begehren iſt uͤberhaupt beſtimmt, das Gute zu begehren; und das Vermoͤgen zu verabſcheuen das Boͤſe zu ver - abſcheuen. Die Vollkommenheit des Ver - moͤgens zu begehren beſteht in der Moͤglich - keit, nicht anders als durch ein wahres Gut, des Vermoͤgens zu verabſcheuen aber in der Moͤglichkeit, nicht anders als durch ein wah - res Uebel beſtimmet zu werden. Jm Gegen - theil beſtehet die Unvollkommenheit von jenem in der Moͤglichkeit, durch ein Schein - gut, welches man nach einem gegenwaͤrtigen Vergnuͤgen, das aber ſchaͤdlich iſt, ſchaͤtzet, und die Unvollkommenheit von dieſem in der Moͤglichkeit, durch ein Scheinuͤbel be - ſtimmt zu werden, welches nach einem ge -genwaͤr -69des Menſchen gegen ſich ſelbſt. genwaͤrtigen Mißvergnuͤgen, das aber nicht ſchaͤdlich iſt, geſchaͤtzet wird. Wir muͤſſen uns alſo bemuͤhen, daß unſer Vermoͤ - gen zu begehren niemahls auf etwas anders, als ein wahres Gut, und un - ſer Vermoͤgen zu verabſcheuen auf nichts, als ein wahres Uebel gerichtet wird; folglich muͤſſen wir uns befleißi - gen, das wahre Gute und das wahre Uebel, von dem Scheinguten und von dem Scheinuͤbel beſtaͤndig zu unter - ſcheiden. Weil der Gebrauch aller Kraͤfte uͤbereinſtimmen muß (§. 106.); ſo muͤßen wir uns vornaͤhmlich Muͤhe geben, daß wir die ſinnlichen Begierden zur Ueber - einſtimmung mit dem Willen, und die ſinnlichen Verabſcheuungen zur Uebereinſtimmung mit dem Nichtwol - len bringen; folglich, weil der Wille und das Nichtwollen von dem Verſtande, die ſinliche Begierde und der Abſcheu von den Sinnen und der Einbildungskraft herruͤhren; ſo muͤſſen wir den Verſtand bey den Vorſtellungen des Guten und Boͤſen zur Uebereinſtimmung mit den Sinnen und der Einbildungskrafft bringen.
Zur ſinnlichen Begierde und dem AbſcheueVon der Regie - rung, Zaͤh - mung u. Stillung werden die Gemuͤthsbewegungen ge - rechnet, welche in heftigen Begierden und Verabſcheuungen beſtehen. Daraus ſchlieſ - ſen wir ferner, daß wir uns bemuͤhenE 3muͤſ -70I. Th. 4. H. Von den Pflichtender Ge - muͤths - bewegun - gen.muͤſſen, ſie dem Geſetz der Natur ge - maͤß einzurichten, d. i. ſie zu regieren; daß wir ihnen wiederſtehen muͤſſen, damit ſie nicht in aͤuſſere Handlungen, dazu ſie uns verleiten, die dem Geſetz der Natur zuwieder ſind, ausbrechen, d. i. daß wir ſie zaͤhmen (§. 109.); und wenn es ſich zutraͤgt, daß ſie uns bey den Hand - lungen hindern, und wenn wir die Regie - rung derſelben noch nicht in unſerer Gewalt haben, wir ſie unterdruͤcken, indem ſie ploͤtzlich entſtehen, das iſt, ſie ſtillen. Daher erhellet, daß man Fertigkeiten er - halten muͤße, in vorkommendem Falle den Willen und das Nichtwollen dem Geſetze der Natur gemaͤß zu be - ſtimmen.
Es iſt auch klar, daß der Menſch ver - bunden ſey, die Wiſſenſchaft von den - jenigen Dingen zu erhalten, was, ſo wohl das wahre Gute und Uebel von dem, ſo den bloſſen Schein hat, zu un - terſcheiden (§. 109.), als auch recht zu handeln, zu wiſſen noͤthig iſt (§. 52. 53.).
Unſer Leib beſtehet 1) aus Gliedern, die zum Leben gehoͤren (organis vitalibus), welche beſtimmt ſind, das Leben zu erhalten und ſein Geſchlecht fortzupflantzen; 2) aus Glie - dern der Sinnen (organis ſenſoriis), wel - che zu den Empfindungen und der davon ab -haͤngen -71des Menſchen gegen ſich ſelbſt. haͤngenden Einbildungskraft nebſt dem Ge - daͤchtniſſe dienen, und entweder aͤuſſere ſind, welche von auſſen am Leibe ſich zeigen, oder innerliche, die in demſelben verborgen lie - gen; 3) aus bewegenden Gliedern (mo - toriis), welche zur Bewegung des Koͤrpers und ſeiner aͤuſſern Glieder von einem Ort zum an - dern gewiedmet. Die Vollkommenheit des Leibes, in ſo weit derſelbe ein Leben hat, beſteht in der Geſchicklichkeit, ſich zu erhalten und ſein Geſchlecht fortzupflantzen; in ſo weit derſelbe empfindet, in der Geſchick - lichkeit, die materielle Jdeen der Sachen, die empfunden werden koͤnnen, hervorzubringen; und endlich in ſo weit als derſelbe ſich be - wegt, in der Geſchicklichkeit, die den Begier - den und Verabſcheuungen gemaͤße Bewegun - gen hervorzubringen, und die Lage ſo wohl des gantzen Koͤrpers, als auch ſeiner aͤuſſeren Glieder insbeſondere zu beſtimmen (§. 9.). Aus dieſen zuſammen genommen entſtehet die Geſchicklichkeit, die Uebereinſtimmung zwiſchen Seele und Koͤrper zu erhalten; als worinn eigentlich die Vollkommenheit des gan - tzen Koͤrpers beſtehet. Wenn zu derſelben die Vollkommenheit der Seele koͤmmt, welche ſelbſt dieſe Uebereinſtimmung erfordert; ſo entſtehet die Vollkommenheit des Men - ſchen; und weil aus der natuͤrlichen Gottes - gelahrhet erhellet, daß der Menſch, ſo wohl in Abſicht der Seele, als des Leibes, Gott vor - ſtellet, ſo beſteht dieſelbe in der Geſchicklich -E 4keit72I. Th. 4. H. Von den Pflichtenkeit Gott vorzuſtellen, daß gleichſam in dem Menſchen ein Ebenbild Gottes zu ſehen iſt. Alſo kann ein Atheiſt die Vollkommen - heit des Menſchen nicht voͤllig einſe - hen. Die Vollkommenheit des Leibes, in ſo weit derſelbe ein menſchlicher iſt, ſetzet die Vollſtaͤndigkeit aller Glieder voraus; und aus der Erfahrung erhellet, daß man ver - ſchiedene Fertigkeiten der bewegenden Kraft erhalten koͤnne. Derowegen iſt der Menſch allerdings verbunden, die Vollſtaͤndig - keit aller Glieder des Leibes zu erhal - ten, und die Fertigkeiten ſeiner bewe - genden Kraft zu erlangen, die er, um recht zu handeln, noͤthig hat (§. 106. 52. ); folglich muß ihre Verſchlimme - rung und Verluſt vermieden werden. Und alſo muß der Menſch ſeinen Leib und ſein Leben zu erhalten trachten; folgends iſt der Selbſtmord, oder die Av - tochirie unerlaubt (§. 51.).
Derjenige Zuſtand des Leibes, in welchem alle Theile deſſelben ihre Verrichtungen gehoͤ - rig ausuͤben, wird die Geſundheit ge - nannt; der entgegengeſetzte Zuſtand, in wel - chem einer oder mehrere zu demjenigen Ge - brauch, dazu ſie gewiedmet, nicht geſchickt ſind, die Kranckheit. Man verſiehet die - ſes auch von den fluͤßigen Theilen, und im gemeinen Reden wird die Kranckheit vornaͤm - lich von denjenigen Theilen genommen, diezum73des Menſchen gegen ſich ſelbſt. zum Leben gehoͤren. Galenus nennt dieKranck - heiten. Verhinderung der Handlung eines Theils im Leibe, zu deſſen Hervorbringung es an und vor ſich ſelbſt geſchickt iſt, einen aͤuſſeren Jr - thum (errorem externum). Da alle Thei - le des Leibes in dem Zuſtande ſollen erhalten werden, daß ſie zu ihrem Gebrauch geſchickt ſind (§. 112.); ſo iſt der Menſch verbun - den die Geſundheit zu erhalten, und ſich vor Kranckheiten zu huͤten; damit er naͤmlich nicht durch ſeine Schuld in dieſel - be verfalle. Wenn es ſich aber zutra - gen ſollte, daß er kranck wuͤrde; ſo muß er ſich bemuͤhen, daß er wieder geſund werde.
Der Menſch hat alſo ein Recht zuVon dem Rechte zu Spei - ſe, Trauck u. Artz - ney. denjenigen Dingen, die zur Erhaltung des Lebens und der Geſundheit, und zur Wiederherſtellung der Geſundheit dienen; folglich weil die Geſundheit ohne Speiſe uud Tranck nicht erhalten, noch auch immer ohne Artzney wiedererlangt werden kann; ſo hat er ein Recht zu denen Sa - chen, die zur Speiſe und zum Tranck, und zur Wiederherſtellung der Ge - ſundheit dienen, welche letztere man Artz - neyen zu nennen pfleget (§. 46.). Weil wir aber dieſes Recht der Geſundheit wegen ha - ben; ſo muß man Speiſe und Tranck der Geſundheit halber, und nicht bloß zur Luſt zu ſich nehmen; folglich mußE 5man74I. Th. 4. H. Von den Pflichtenman ſich von ungeſunder Speiſe und Tranck, und von uͤbermaͤßigem Eſſen und Trincken enthalten. Die Trun - ckenheit iſt der Zuſtand, da von uͤbermaͤßi - gem Trincken die Verrichtungen des Gehirns in Unordnung gebracht werden; und folglich der Menſch zuerſt des Gebrauchs des Ver - ſtandes, ſodann der Einbildungskraft, hier - auf der Sinnen, und endlich gar der Kraft ſich zu bewegen beraubt wird. Ein Menſch iſt alſo ſchuldig die Trunckenheit zu fliehen.
Gleichfalls iſt klar, daß man den Leib, der Geſundheit wegen, gegen die Anfaͤlle des Wetters mit Kleidern verwahren muß (§. 113.); und daher hat der Menſch ein Recht zu den Dingen, welche zu Verfertigung der Kleider, die zu die - ſem Zweck noͤthig ſind, dienen; wie auch zu denen Verrichtungen, oder der Arbeit, wodurch ſie verfertiget werden; ingleichen denjenigen Sachen, die dazu noͤthig ſind (§. 46.). Es muß aber auch dabey die natuͤrliche Wohlan - ſtaͤndigkeit beobachtet werden (§. 55.).
Wir wiſſen aus der Erfahrung, daß die Menſchen Haͤuſer noͤthig haben, damit ſie vor dem Wetter ſicher, ihre Arbeiten und Ge - ſchaͤffte verrichten, Speiſen zubereiten, den ermuͤdeten Leib durch den Schlaf erquicken,und75des Menſchen gegen ſich ſelbſt. und die Sachen, die ſie noͤthig haben, auf - behalten und verwahren koͤnnen. Daher er - hellet auch leicht, daß die Menſchen be - queme Haͤuſer erbauen muͤſſen; und ihnen von Natur ein Recht zu allem demjenigen zukomme, was zu der Er - bauung derſelben noͤthig iſt, wie auch zu den Verrichtungen, die zu der Er - bauung erfordert werden. Es muß aber auch hier die natuͤrliche Wohlan - ſtaͤndigkeit beobachtet werden (§. 55.).
Die natuͤrliche Schoͤnheit nennt manVon der natuͤrli - chen und kuͤnſtli - chen Schoͤn - heit und von den Zierra - then des Leibes. diejenige, welche in dem Leibe des Menſchen von Natur befindlich iſt. Wie aus der Er - fahrung erhellet, ſo beſtehet dieſelbe in der Symmetrie, d. i. in der geſchickten Ver - haͤltniß der aͤuſſeren Theile gegen einander und gegen den gantzen Koͤrper; in der Euryth - mie, das iſt, in der Aehnlichkeit der Theile, welche zu beyden Seiten ſind, und denen mittlern Theilen unaͤhnlich ſind; und in der ge - ſchickten Figur und Farbe derſelben. Es wird hingegen die kuͤnſtliche genannt, welche dem Leibe durch Menſchen-Haͤnde zuwege gebracht wird. Dasjenige iſt ſchoͤn, was uns gefaͤllt; folglich kann die natuͤrliche Schoͤnheit keine andere Abſicht haben, als daß man andern gefalle; die kuͤnſtliche aber muß den Mangel der natuͤrlichen erſetzen und dieſelbe vermeh - ren. Wir ſollen deswegen die natuͤr - liche Schoͤnheit erhalten (§. 43.), undwenig -76I. Th. 4. H. Von den Pflichtenwenigſtens iſt die kuͤnſtliche des Wohl - ſtandes halber nicht unerlaubt (§. 54.). Aus dieſer Urſache haben wir von Natur ein Recht zu den Dingen, welche die - nen, dem Koͤrper eine kuͤnſtliche Schoͤn - heit zu verſchaffen. Man nennt dieſelbe Zierrathen (ornamenta); folglich hat der Menſch ein Recht zu den Zierrathen, und zu alle dem, was dazu dienet, Zierrathen zu verfertigen, auch den Verrichtungen, die ſie zu verfertigen und zu gebrauchen erfordert werden.
Die Gluͤckſeeligkeit (felicitas) iſt der Zuſtand eines dauernden Vergnuͤgens und einer dauernden Freude, welche naͤmlich kein Misvergnuͤgen verurſacht, noch darein ver - kehret wird, oder welche unſchaͤdlich iſt. Die Ungluͤckſeeligkeit (infelicitas) aber iſt der Zuſtand des Misvergnuͤgens und der Trau - rigkeit. Die Begierde des Menſchen iſt von Natur beſtimmt, dasjenige zu begehren, wor - an er Vergnuͤgen empfindet; folglich nach der Gluͤckſeeligkeit zu ſtreben. Er verabſcheuet aber von Natur dasjenige, woraus man Mis - vergnuͤgen empfindet; folglich die Ungluͤckſee - ligkeit. Der Menſch muß alſo beſorgt ſeyn, daß er gluͤckſeelig wird, nicht aber ungluͤckſeelig (§. 36.); folglich hat er ein Recht zu demjenigen, was et - was zu ſeiner Gluͤckſeeligkeit beytragen kann (§. 46.). Es erhellet aber ſelbſt ausder77des Menſchen gegen ſich ſelbſt. der Erklaͤrung der Gluͤckſeeligkeit, daß man die wahre Gluͤckſeeligkeit von der fal - ſchen, die nur den Schein derſelben hat, un - terſcheiden muͤße; damit wir nicht, wenn wir begehren gluͤckſeelig zu ſeyn, uns ſelbſt ungluͤckſeelig machen. Ferner iſt klar, daß man alles Misvergnuͤgen, ob es gleich klein iſt, verabſcheuen muͤße; weil daſſel - be der Gluͤckſeeligkeit entgegen.
Wir leben bequemlich (vitam commo -Vom be - quemli - chen und vergnuͤg - ten Leben. de tranſigimus), wenn wir dasjenige, was wir zu thun haben, ohne alles Mißvergnuͤgen verrichten koͤnnen, oder daſſelbe alles Miß - vergnuͤgen von uns entfernt. Wenn wir aber dasjenige thun, woraus wir ein unſchuldiges Vergnuͤgen empfinden, ſo leben wir ver - gnuͤgt (jucunde vivimus). Der Menſch muß demnach beſorgt ſeyn, daß er be - quemlich und vergnuͤgt leben moͤge (§. 118.); folglich hat er ein Recht zu allen denjenigen Dingen, die zur Bequem - lichkeit und zum Vergnuͤgen des Le - bens etwas beytragen (§. 46.).
Das vergaͤngliche Vergnuͤgen (vo -Von der vergaͤng - lichen Luſt. luptas tranſitoria) iſt dasjenige, welches nur eine kleine Zeit dauert, und niemahls wieder - koͤmmt; dergleichen iſt alles, was die Sin - nen ergoͤtzet. Wenn es unſchaͤdlich iſt, ſo traͤgt es zur Gluͤckſeeligkeit des Menſchen et - was bey; wenn es aber ſchaͤdlich iſt, ſo be -foͤrdert78I. Th. 4. H. Von den Pflichtenfoͤrdert es die Ungluͤckſeeligkeit (§. 118.). Das vergaͤngliche Vergnuͤgen, oder die vergaͤngliche Luſt iſt alſo erlaubt, wenn es unſchaͤdlich iſt; aber uner - laubt, wenn es ſchaͤdlich iſt (§. cit.).
Eine Sache (res) nennen wir ein jedes Ding (ens omne), welches uns nuͤtzlich ſeyn kann; naͤmlich um das Leben zu erhalten, und vergnuͤgt und bequemlich zu leben; entweder die Vollkommenheit des Leibes und der Seele auf alle Art und Weiſe zu befoͤrdern, oder die Unvollkommenheit abzuwenden Es iſt eine Sache aber entweder koͤrperlich (corpora - lis), welche durch die Sinnen empfunden werden kann, oder unkoͤrperlich (incorpo - ralis), welche durch die Sinnen nicht em - pfunden werden kann, ſondern durch den Verſtand allein begriffen wird; dergleichen ſind die Rechte und die Fertigkeiten der See - le. Es ſind dieſelben entweder nothwen - dige Sachen (res neceſſariæ), welche zur Erhaltung des Lebens und der Geſundheit, und um die Seele vollkommen zu machen er - fordert werden; oder nuͤtzliche (res utiles), welche etwas dazu beytragen, daß man be - quem leben und das ſeine verrichten kann, oder vergnuͤgende (res voluptuariæ), welche nur allein das Vergnuͤgen befoͤrdern, oder zur Luſt dienen. Ferner ſind einige Sachen blos natuͤrliche (res pure naturales), welche die Natur von ſich ſelbſt hervorbringt; anderedurch79des Menſchen gegen ſich ſelbſt. durch Fleiß gezogene (res induſtriales), welche die Natur nicht anders, als durch da - bey angewandten menſchlichen Fleiß hervor - bringt; noch andere kuͤnſtliche (res artificia - les), welche durch die menſchliche Kunſt her - vorgebracht werden.
Es iſt leicht begreiflich, daß die noth -Welche Sachen andern vorzu - ziehen ſind. wendigen Sachen den nuͤtzlichen und vergnuͤgenden vorzuziehen ſind (§. 121.); weil ſie von der Haupt-Verbindlich - keit erfordert werden (§. 36.). Die nuͤtzli - chen aber ſind den vergnuͤgenden vor - zuziehen; weil die vergnuͤgenden nur die Sinnen ergoͤtzen (§. 121. 129. ); und alſo ihr Gebrauch behutſam angeſtellet werden muß (§. 120.).
Die Menſchen koͤnnen der nothwendigenVon der hinlaͤng - lichen Anzahl der Sa - chen. Sachen nicht entbehren (§. 121.). Wenn alſo die Natur dieſelben nicht vor ſich in einer ſolchen Menge hervorbringt, als fuͤr alle hinlaͤnglich iſt; ſo muͤßen die Menſchen durch ihre Arbeit dieſelben vermehren, oder diejenigen, welche die Natur nicht hervorbringt, durch die Kunſt verfertigen. Daher fließt die Verbindlichkeit zum Acker - und Garten-Bau, der Wilden Baum - und der Vleh-Zucht ꝛc. Ja, da auch der Gebrauch der nuͤtzlichen und vergnuͤgenden Sachen erlaubt iſt (§. 119. 121. ); ſo muͤſſen ſich auch die Men -ſchen80I. Th. 4. H. Von den Pflichtenſchen bemuͤhen, daß es nicht an einer hinlaͤnglichen Anzahl von nuͤtzlichen und vergnuͤgenden Sachen fehle, wel - che aus dem Vorzuge der nuͤtzlichen beyder - ſeits zu beſtimmen (§. 122.).
Die Arbeit iſt die Muͤhe, welche man auf die Hervorbringung von koͤrperlicher und un - koͤrperlicher Sachen, und zur Befoͤrderung der Bequemlichkeit, des Vergnuͤgens und des Wohlſtandes anwendet: der Mißigang beſtehet in Unterlaßung der Arbeit. Men - ſchen ſind verbunden ſo wohl koͤrperliche (§. 123.), als unkoͤrperlicher Sachen hervorzu - bringen (§. 108. 110. 121. ); derowegen muß jeder Menſch arbeiten, und keiner darf muͤßig gehen; in ſo fern aber man auf die Geſundheit zu ſehen hat (§. 113.), muß man zu viele Arbeit, daß iſt, die mit Schaden der Geſundheit vorgenommen wird, und zu ſchwere Arbeit, zu welcher unſere Kraͤfte kaum zu reichen, vermeiden; und in ſo fern man in allen ſeinem Thun und Laſſen recht verfahren muß (§. 52.), ſeine Arbeit recht verrichten; folglich davor ſorgen, daß den kuͤnſtlichen Sachen nicht die gehoͤrige Vollkommenheit fehle (§. 11. 16. ); auch zu dem Ende, al - len noͤthigen Gebrauch der Kraͤfte zu erlangen, trachten. Und weil gar vieler - ley Arbeit iſt, dazu eines einigen Menſchen Kraͤfte nicht zureichen, die Menſchen aberverbun -81des Menſchen gegen ſich ſelbſt. verbunden ſind mit vereinigten Kraͤften ſich und ihren Zuſtand zu verbeſſern (§. 44.); ſo muß ein jeder die Arbeit erwaͤhlen, wozu er ſeine Kraͤfte hinreichend be - findet, folgends die Lebensart, wozu er geſchickt iſt, das iſt, denjenigen Stand, darinnen er ſeine Zeit mit Arbeit zubringt, welche recht zu verrichten er den noͤthigen Ge - brauch der Kraͤfte vermoͤge ſeiner natuͤrlichen Faͤhigkeiten und Neigungen, zu erlangen im Stande iſt.
Anderer Perſonen Urtheil von unſerer Voll -Von der Hochach - tung, dem Lobe und der Ehre. kommenheit wird die Hochachtung (exiſti - matio) genannt. Entdeckt man dieſelbe mit Worten, ſo heiſt es das Lob; giebt man ſie durch andere aͤuſſerliche Handlungen zu verſtehen, die Ehre. Daher erhellet, daß Lob und Ehre nicht in unſerer Ge - walt ſey (§. 60.), und daß einen nie - mand von ſich ſelbſt loben und ehren koͤnne, als der von ſich ſelbſt ein wah - res Urtheil von des andern Vollkom - menheit faͤllen kann. Jedoch weil wir verbunden ſind uns und unſeren Zuſtand voll - kommener zu machen (§. 43.); ſo muͤſſen wir uns bemuͤhen, daß wir der Hoch - achtung, folglich des Lobes und der Ehre wuͤrdig ſeyn. Und weil die Voll - kommenheit der Seele in der Fertigkeit des Verſtandes und Willens, ſo wir dem Geſetze der Natur gemaͤß zu erlangen uns bemuͤhenNat. u. Voͤlckerrecht. Fſollen82I. Th. 4. H. Von den Pflichtenſollen (§. 106.), beſtehet, wovon jene die Tugen - den des Verſtandes (virtutes intellectuales), dieſe die ſittliche Tugenden (virtutes mo - rales), oder auch, ohne Zuſatz, die Tugen - den genannt werden; ſo bringet nichts als die Tugenden des Verſtandes und die ſittliche Tugenden, welche durch un - ſere Wercke und Worte angezeiget werden, folglich das Gute der Seele (§. 104.), ei - ne wahre Hochachtung, Lob und Eh - re zuwege; das Gute des Leibes und die Guͤter des Gluͤcks aber bringen die - ſelben nicht zuwege, als nur in ſo weit, als dieſelbe durch die Tugenden erlan - get worden. Und demnach ſind ſie nur ei - ne Gelegenheit zur Hochachtung, Lob und Ehre.
Der Ruf (fama) iſt die gemeine Rede der Menſchen von der Vollkommenheit, oder Unvollkommenheit eines Menſchen; folglich von den Worten und Wercken, welche die - ſelben anzeigen. Alſo iſt der Ruf entweder gut oder boͤſe. Weil der Menſch ſich im - mer vollkommener machen ſoll (§. 43.), und in allem ſeinem Thun recht verfahren (§. 52.); ſo muß er ſich bemuͤhen einen guten Nahmen, oder Ruf zu haben, und zwar mit Recht, auch denſelben be - ſtaͤndig zu erhalten ſuchen, das iſt, ſich ſorgfaͤltig in Acht nehmen, daß er denſelben nicht beflecke, damit nicht der gute Ruf ineinen83des Menſchen gegen ſich ſelbſt. einen ſchlimmen verwandelt werde; folglich wenn er etwas gethan hat, das dem guten Ruf zuwieder iſt; ſo muß er durch das Gegentheil denſelben wieder zu erlangen ſuchen.
Das uͤbereinſtimmende Lob rechtſchaffenerVon dem Ruhme. und verſtaͤndiger Maͤnner, oder derer die richtig urtheilen, heiſt der Ruhm (gloria). Was wir alſo von dem Lobe geſagt haben, gilt auch von dem Ruhme.
Da Lob und Ehre nicht in unſerer GewaltDaß man Lob und Ehre nicht be - gehren muͤſſe. ſtehen (§. 125.), wir aber nach Abſichten handeln ſollen; ſo muͤſſen wir Lob und Ehre nicht zu einer Abſicht bey unſern Handlungen machen; ſondern es an - dern uͤberlaſſen, ob ſie uns loben und ehren wollen (§. 78.); folglich muͤſ - ſen wir nach Lob und Ehre nicht ſtreben, vielweniger uns ſelbſt lo - ben.
Da der Menſch ſich ſelbſt, ſeiner Seele, ſei -Wie das Urtheil von nns und un - ſerm Zu - ſtand be - ſchaffen ſeyn muß. nem Leibe und ſeinem Zuſtande nach, erkennen ſoll (§. 105.); ſo muß das Urtheil von den Guͤtern ſeiner Seele, ſeines Leibes und des Gluͤcks wahr ſeyn: er muß auch bey denſelben nicht ſeinem Fleiß und ſeinen Bemuͤhungen zuſchreiben, was der Natur, dem Gluͤck und an - dern zugeeignet werden muß, und erF 2iſt84I. Th. 4. H. Von den Pflichteniſt nicht weniger ſchuldig, ſeine Un - vollkommenheit, als ſeine Vollkom - menheit zu erkennen; weil er ſonſt ſeiner Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§. 43.). Weil aber ſelbſt durch die Natur des Menſchen, aus der Empfindung der Voll - kommenheit das Vergnuͤgen entſtehet; ſo iſt das Vergnuͤgen, welches aus ſeiner und ſeines Zuſtandes Vollkommenheit entſtehet, nicht unerlaubt (§. 49. 37.).
Das Gluͤck (fortuna) iſt der Jnbegriff aller Urſachen, die zuſammenkommen, und eine vor uns gute oder ſchlimme Wuͤrckung hervorbringen, die man nicht voraus ſehen koͤnnen. Es iſt alſo das Gluͤck entweder das gute Gluͤck (ſecunda), oder das wiedri - ge (adverſa). Jenes nennen wir im Deut - ſchen ſchlechterdinges das Gluͤck, dieſes aber das Ungluͤck. Da wir nun das Gluͤck nicht in unſerer Gewalt haben (§. 60.), und die Er - fahrung uns lehret, daß es ſehr veraͤnderlich iſt; ſo muͤſſen wir dem Gluͤck, wenn es uns guͤnſtig iſt, nicht zu viel trauen, und im Ungluͤcke nicht am beſſeren Gluͤcke zweifeln; folgends ſind wir ver - bunden das Ungluͤck mit gelaßnem Gemuͤth zu ertragen; damit wir nicht durch unſere Schuld ungluͤckſeelig werden (§. 118. 17.). Damit alſo nicht die wiedrigen Zufaͤlle, die uns wieder Vermuthen begegnen, das Gemuͤthe beunruhigen; ſo muͤſſen wirdie85des Menſchen gegen ſich ſelbſt. die wiedrigen Zufaͤlle, die nicht in unſerer Gewalt ſtehen, als Dinge an - ſehen, die geſchehen und von uns nicht vermieden werden koͤnnen. Und hierin beſtehet die Zubereitung auf die zukuͤnf - tigen Faͤlle.
Da die natuͤrliche Verbindlichkeit ſo noth -Von der Vermei - dung der Gefahr. wendig iſt (§. 38.), daß kein Menſch von derſelben befreyt werden kann (§. 42.); ſo muß ſich kein Menſch durch die Furcht eines Uebels abſchrecken laſſen, das zu thun, was dem Geſetze der Natur gemaͤß iſt; ſich auch nichts zu thun be - wegen laſſen, was dem Geſetze der Natur zuwieder iſt. Weil wir aber auch alle Gefahr von uns und unſerem Zuſtande abwenden ſollen (§. 43.); ſo muß auch nie - mand, wenn ihn keine Verbindlichkeit dazu antreibt, ſich in Gefahr begeben, z. E. das Leben oder geſunde Gliedmaſſen zu verliehren, oder ſeinen Zuſtand unvollkom - mener zu machen. Was man in einem be - ſondern Falle zu thun hat, lehrt die Ausnah - me, die man machen muß, wenn Pflichten nicht zugleich beobachtet werden koͤnnen (§. 64.).
Die Selbſtliebe (amor proprius) iſt dieVon der Selbſt - liebe und ihrer Be - weiſung. Beſchaffenheit des Gemuͤths, aus ſeiner eige - nen Gluͤckſeeligkeit ein Vergnuͤgen zu empfin - den. Die Ausuͤbung derſelben (dilectio ſui) iſt ein beſtaͤndiger und dauernder Wille,F 3mit86I. Th. 5. H. Von den Pflichtenmit allem Fleiß ſich dahin zu beſtreben, daß wir gluͤckſeelig ſeyn moͤgen; und folglich ſich in acht zu nehmen, daß wir nicht ungluͤckſee - lig werden. Da der Menſch ſorgfaͤltig ſeyn ſol, daß er gluͤckſeelig und nicht ungluͤckſeelig werde (§. 118.); ſo muß er ſich ſelbſt lieben. Die Begierde des Menſchen iſt uͤberhaupt zur Gluͤckſeeligkeit beſtimmt; auch das Gemuͤth des Menſchen iſt natuͤrlicher Weiſe geneigt, ein Vergnuͤgen aus ſeiner ei - genen Gluͤckſeeligkeit zu empfinden (§. cit. ); alſo iſt die Selbſtliebe nicht unerlaubt (§. 49. 37). Es muß dieſelbe aber doch durch die Vernunft regiert werden, daß man nicht die ſcheinbahre Gluͤck - ſeeligkeit mit der wahren verwechſelt (§. 43. 118.).
Von den Pflichten des Menſchen gegen andere, und den Rechten, die mit denſelben verbunden ſind.
Da der Menſch verbunden iſt, nicht al - lein ſich und ſeinen Zuſtand vollkom - mener zu machen, und die Unvollkom - menheit abzuwenden (§. 43.); ſondern auch zur Vollkommenheit des andern und ſeines Zuſtandes, wenn der andere ſeiner Huͤlfe noͤ - thig hat, ſo viel als ihm moͤglich, beyzutragen,und87des Menſchen gegen andere. und alles dasjenige zu unterlaſſen, wodurch der andere und ſein Zuſtand unvollkommener gemacht wird (§. 44.); ſo iſt jeder Menſch einem jeden, er ſey wer er wolle, eben das ſchuldig, was er ſich ſelbſt ſchul - dig iſt; doch in ſo fern es nicht ſchon in des andern Vermoͤgen allein ſtehet, und er es, ohne die Pflichten gegen ſich ſelbſt zu verabſaͤumen, dem andern leiſten kann. Folglich ſind die Pflichten des Menſchen gegen andere mit den Pflichten gegen ſich ſelbſt einerley (§. 57.). Es muͤſſen alſo dieſelben auch bey an - dern angewandt werden.
Ein jeder Menſch muß alſo dem an -Wir muͤſſen andern behuͤlflich ſeyn Gu - tes zu er - langen. dern, ſo viel in ſeinem Vermoͤgen ſte - het, helfen, daß er, was ihm an Seele und Leibe gut, und zu ſeinem Gluͤcke dienet, erlange (§. 104.); und folglich verhuͤten, daß andere nicht in Uebel an Seele und Leib, oder in Ungluͤck verfallen (§. 51.). Und weil das Geſetz der Natur die Huͤlfe nicht auf gewiſſe Guͤter einſchrencket; ſo muͤſſen wir dem andern unſere Huͤlfe nicht verſagen, auch mehr Gutes zu erlangen, als wir ſelbſt ha - ben. Da nun dieſes nicht geſchehen kann, wenn wir den andern wegen des Guten be - neiden; ſo muͤſſen wir auch niemanden das misgoͤnnen, was wir nicht ha -F 4ben. 88I. Th. 5. H. Von den Pflichtenben. Es ſtreitet der Neid, oder die Mis - gunſt, ſelbſt mit der Natur des Menſchen (§. 39. 44.).
Die natuͤrliche Verbindlichkeit iſt gaͤntzlich unveraͤnderlich (§. 38.). Wenn alſo ein anderer der natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Genuͤgen leiſtet, ſo iſt es uns des - wegen nicht erlaubt ihr auch kein Ge - nuͤgen zu leiſten; folglich iſt es nicht er - laubt, die Uebertretung des Rechts der Natur durch das Exempel ande - rer zu beſcheinigen; und es hoͤrt des - wegen die Verbindlichkeit, gegen je - mand anders eine Pflicht auszuuͤben, nicht auf, wenn er ſeine Pflicht gegen uns nicht erfuͤllet. Weil dieſes auch von denjenigen Pflichten zu verſtehen iſt, welche durch das Geſetze verbothen ſind; ſo ſind wir auch Liebesdienſte denen zu er - weiſen ſchuldig, die uns beleidigen (§. 88.).
Die Pflichten des Menſchen gegen andere ſind mit den Pflichten gegen ſich ſelbſt einer - ley (§. 133.). Derowegen muß ein jeder einen beſtaͤndigen und dauernden Wil - len haben, die Vollkommenheit und Gluͤckſeeligkeit eines jeden andern Men - ſchen, er ſey wer er wolle, zu befoͤrdern (§. 43. 118. ); folgends, da in dieſem Willen die Beweiſung der Liebe gegen andere(dile -89des Menſchen gegen andere. (dilectio) beſtehet, in der Beſchaffenheit des Gemuͤths aber aus des andern Gluͤckſeeligkeit Vergnuͤgen zu ſchoͤpffen, die Liebe (amor), ſoll ein jeder den andern als ſich ſelbſt lieben, und ihm dieſelbe auf alle Art und Weiſe beweiſen (§. 132.), nieman - den aber haſſen (§. 51.).
Wer uns liebt, heiſt unſer Freund; werWer Freund, wer Feind, u. von der Liebe der Feinde. uns haſſet, der Feind. Wir muͤſſen alſo jedermanns Freund, und niemanden feind ſeyn (§. 136.). Und weil die Pflich - ten gegen andere dadurch nicht aufgehoben werden, weil ſie dieſelbe gegen uns unterlaſ - ſen (§. 135.); ſo muͤſſen wir auch unſe - re Feinde lieben, wie uns ſelbſt, und ih - nen keinen Liebesdienſt verſagen (§. 136.), vielweniger ſie gar haſſen.
Weil alle Menſchen gegen einander Freun -Von der Bemuͤ - hung Freund - ſchafft zu halten. de ſeyn ſollen (§. 137.); ſo muß ſich auch ein jeder bemuͤhen, daß er ſich andre nicht zu Feinden mache, ſondern daß er anderer Freundſchafft erlange und behalte. Jedoch da niemand von der natuͤr - lichen Verbindlichkeit befreyt werden kann (§. 42.); ſo doͤrffen wir aus Freundſchafft nichts thun, was dem Geſetze der Na - tur zuwieder iſt.
Die Vollkommenheit der Seele beſteht inDaß man an - dern ein den Tugenden, die ihren Sitz ſo wohl im Ver -F 5ſtande,90I. Th. 5. H. Von den PflichtenExempel geben muß.ſtande, als im Willen haben (§. 106. 125.). Wir muͤſſen alſo fleißig ſeyn, dieſelben bey anderen fortzupflantzen, andere durch unſer Exempel die Tugenden lehren, wie auch ſie zur Ausuͤbung der - ſelben aufmuntern (§. 136.), folglich an - dern gute Exempel geben, wodurch naͤmlich wir andere die Tugenden lehren, und ſie zu fleiſ - ſiger Ausuͤbung derſelben aufmuntern; aber boͤſe Exempel, wodurch wir andere die La - ſter lehren, und ſie zur Ausuͤbung derſelben anreitzen, unterlaßen (§. 51.), nieman - den zu Laſtern verfuͤhren (§. cit.).
Weil wir die Handlungen unterlaſſen ſol - len, wodurch ein anderer oder ſein Zuſtand unvollkommener gemacht wird, wie auch zu ſeiner Vollkommenheit ſo viel beytragen, als wir koͤnnen (§. 44.); ſo muß niemand ver - hindern, daß der andere eine Vollkom - menheit erhalte; man muß auch nicht eine dritte Perſon verhindern, ihm zu derſelben zu verhelfen. Dieſes iſt von allen und jeden Guͤtern der Seele, des Lei - bes und des Gluͤcks zu verſtehen (§. 134.). Es iſt auch klar, daß niemand die Ab - wendung des Uebels an Seele und Leib und des Ungluͤcks von andern, oder Befreyung davon, verhindern ſoll; vielweniger entweder ſelbſt, oder durch andere ihn eines Guten berau - ben (§. cit.).
Weil die Pflichten des Menſchen gegenVon der Sorge fuͤr des andern Leib. andere mit den Pflichten gegen ſich einerley ſind (§. 133.); ſo muß niemand die Glied - maſſen eines andern auf einige Weiſe verletzen, oder ihn eines Gliedes be - rauben, oder daſſelbe unbrauchbar ma - chen, noch auch der Geſundheit des andern auf einige Weiſe ſchaden; ſon - dern ſein Leben und ſeinen Leib, ſo viel an ihm iſt, erhalten, nicht weni - ger, wenn er kranck iſt, ſorgen, daß er wieder geſund werde (§. 112.); folg - lich muß er niemanden des Lebens berau - ben, oder ihn toͤdten (§. 51.), daß ſolcher - geſtalt ein jeder Todtſchlag, der vorſetzli - cher Weiſe, oder aus Verſehen begangen wird (§. 17.), wovon jener ein vorſetzlicher, dieſer ein unvorſetzlicher genannt wird, von Natur unerlaubt iſt (§. 49). Und weil niemand das Recht hat, ſich ſelbſt des Lebens zu berauben (§. 112.); ſo iſt es auch nicht er - laubt, einen andern, wenn er es auch haben will, zu toͤdten.
Aus eben dem Grunde erhellet, daß wirWie man vor den guten Na - men eines andern ſorgen ſoll. auch vor den guten Nahmen eines an - dern Sorge tragen ſollen (§. 126. 133.). Da nun ein guter Ruf in der gemeinen Rede der Menſchen von der Vollkommenheit ande - rer, und folglich ihrem Thun und Laſſen be - ſtehet (§. 126.); ſo muͤſſen wir nicht al -lein92I. Th. 5. H. Von den Pflichtenlein einen jeden ſo hoch achten, als er es verdient; ſondern ihm auch die ge - buͤhrende Ehre und das verdiente Lob geben (§. 125.); folglich muͤſſen wir nie - manden ſeinen ehrlichen Nahmen kraͤn - cken, noch jemanden die gebuͤhrende Hochachtung und Ehre, noch das ver - diente Lob verſagen, d. i. noch vermindern (§. 51.); vielweniger mit Vorſatz falſche Sachen von andern zu Kraͤnckung ſeiner Eh - re ausbreiten und bekannt machen, das iſt, andere verlaͤumden.
Die Verletzung oder Kraͤnckung der Ehre oder des guten Nahmens eines andern, ſie mag geſchehen, auf was Art und Weiſe ſie will, neñt man eine Jnjurie, oder einen Schimpf (injuria ſpecialiter dicta). Sie heiſt eine Real-Jnjurie (realis), wenn ſie durch eine Handlung; eine Verbal-Jnjurie (verba - lis), wenn ſie mit Worten geſchieht. Es darf alſo niemand den andern injurii - ren oder ſchimpfen (§. 142.).
Daher haben wir das Recht, daß man geſchimpft wird, nicht zu leiden (§. 89.); welches uns alſo von Natur zukoͤmmt. Wir ſchlieſſen alſo auf eben die Weiſe, wie vorher (§. 90. 92. und 93.), daß wir das Recht haben, unſere Ehre und guten Nahmen zu vertheidigen, und den, welcher uns ſchimpft, zu ſtra -fen;93des Menſchen gegen andere. fen; folglich diejenige Handlungen er - laubt ſind, ohne welche der gute Nah - me nicht vertheidiget, und die Abſicht der Strafe nicht erhalten werden kann. Es beſteht aber dieſe Abſicht darinn, daß wir den Sinn desjenigen, welcher uns ſchimpft, aͤndern, und zugleich andern eine Furcht ein - jagen wollen, welchen die Luſt ankommen koͤnte uns zu ſchimpfen (§. 92).
Der Hochachtung wird die Schande ent -Von der Schande. gegen geſetzet, welche in einem Urtheile an - derer von unſerer Unvollkommenheit beſtehet; folglich koͤmmt die wahre Schande nicht anders, als von den Laſtern her, und alſo aus den Handlungen, welche die - ſelbe verrathen, wie auch aus dem Mangel der Tugenden des Verſtandes (§. 125.), in ſo fern wir Schuld daran haben (§. 17.). Und dieſes gilt auch von den Gebrechen des Leibes und den Kranckheiten, und dem Ungluͤcke. Ja die Gluͤcksguͤter gereichen uns zur Schande, in ſo ferne wir durch La - ſter dazu gelanget.
Die Verachtung (contemtus) nenntVon der Verach - tung, der Beſchim - pfung, den Laͤ - ſterun - man eine jede aͤuſſere Handlung, durch welche man anzeigt, daß der andere des Lobes und der Ehre unwuͤrdig ſey. Die Beſchimpfung (contumelia) iſt eine aͤuſſere Handlung, wo - durch wir dem andern ſeine Unvollkommenhei -ten,94I. Th. 5. H. Von den Pflichtengen, dem Tadeln.ten, mit dem Vorſatz ihn zu beſchimpfen (ani - mo ignominia afficiendi), vorwerffen und verweiſen. Der Tadel (vituperium) iſt ei - ne Rede, wodurch wir andern den Mangel einer Vollkommenheit ſchuld geben. Es er - hellet leicht, daß man niemand verach - ten ſoll, und daß alle Beſchimpfungen und Laͤſterungen, auch alles Tadeln ein Schimpf, folglich natuͤrlich uner - laubt ſey (§. 143.).
Weil, nach der natuͤrlichen Freyheit, man einem jeden erlauben muß, daß er in der Be - ſtimmung ſeiner Handlungen ſeinem Urtheile folge, und er nicht ſchuldig iſt, jemand anders Rechenſchafft von denſelben zu geben, ſo lan - ge er nicht thut, was dem Rechte des andern zuwieder iſt (§. 78.); ſo ſind die uͤbeln Ur - theile von anderer Handlungen, man mag ſie durch Worte, oder Wercke zu erkennen geben, ſo lange nichts, was unſerm Recht zuwieder iſt, geſchieht, der natuͤrlichen Freyheit zuwieder; folglich ſchließt die natuͤrliche Freyheit das Recht in ſich, andere dazu anzu - halten, daß ſie nicht uͤbel von uns re - den, das Urtheil mag wahr, oder falſch ſeyn.
Der Verluſt des ehrlichen Nahmens (infamia) iſt die allgemeine Meinung der Menſchen von eines andern Laſtern, die wiroben95des Menſchen gegen andere. oben den uͤbeln Ruf genannt haben (§. 126.). Da wir nun darauf zu ſehen haben, daß wir einen guten Ruf oder guten Nahmen haben (§. cit. ); ſo muͤſſen wir uns vor dem Verluſt eines ehrlichen Nahmens huͤ - ren: und weil wir auch fuͤr den guten Nah - men eines andern Sorge tragen ſollen (§. 142.); ſo muͤſſen wir niemanden ſeinen ehrli - chen Nahmen beflecken (infamiam ad - ſpergere). Daraus iſt ferner klar, daß nur die Handlungen, welche von den La - ſtern kommen, unſerm ehrlichen Nah - men ſchaden (infamare), und uns dar - um bringen.
Ein Pasquill, Schmaͤhſchrift (libel -Von Pasquil - len. lus famoſus) nennt man eine Schrifft, durch welche andern ehrenruͤhrige Handlungen ſchuld gegeben werden. Da der Urheber derſelben, er mag verborgen ſeyn, oder ſeinen Nahmen gemeldet haben, den andern um ſeinen ehrli - chen Nahmen bringet; ſo ſind Pasquille von Natur unerlaubt (§. 148.).
Weil wir fuͤr den guten Nahmen an -Von der Beſchuͤ - tzung des ehrlichen Namens anderer. derer beſorgt ſeyn ſollen (§. 142.); ſo muͤſ - ſen wir denſelben wieder Verlaͤumder und Laͤſterer vertheidigen, ſo viel in unſerer Gewalt ſtehet. Es ſind aber die Verlaͤumder von den Laͤſterern unterſchieden. Die Verlaͤumder (calumniatores) ſtreuen falſche Dinge aus, mit dem Vorſatz, den an -dern96I. Th. 5. H. Von den Pflichtendern um ſeinen ehrlichen Nahmen zu brin - gen. Die Laͤſterer (obtrectatores) ſtreuen Dinge aus, die dem Lobe des andern zuwie - der ſind.
Der Menſch hat das Recht, nicht zu dul - den, daß ihn jemand beleidige (§. 89.), und alſo ſich gegen die Beleidigung, die man ihm zufuͤgen will, zu wehren (§. 90.), und denje - nigen, welcher ihn wuͤrcklich beleidiget hat, zu ſtrafen (§. 93.). Da wir nun andern eben dasjenige ſchuldig ſind, was wir uns ſelbſt ſchuldig ſind (§. 133.), und die Rechte uns von Natur gegeben ſind, um der Verbind - lichkeit ein Genuͤge zu leiſten (§. 46.); ſo haben wir auch das Recht nicht zu lei - den, daß einer von andern beleidiget werde; ihn gegen eine Beleidigung, die man ihm zufuͤgen will, zu verthei - digen, und den Beleidiger zu ſtrafen, wenn der andere unſerer Huͤlfe dazu noͤthig hat.
Der Krieg beſtehet (§. 98.) in der Ver - theidigung ſeiner, oder daß man ſich gegen Gewalt wehret, in der Beſtrafung anderer, und in der gewaltſamen Behauptung ſeines Rechts, um dasjenige zu erhalten, wozu uns der andere vollkommen verbunden iſt, und es uns nicht gewehren will; welche letztere der Ver - theidigung aͤhnlich iſt (§. 90. 88.). Es iſt alſo von Natur erlaubt, einem andern, derdas97des Menſchen gegen andere. das Recht zum Kriege auf ſeiner Sei - te hat, im Kriege zu helfen, wenn er unſerer Huͤlfe bedarf.
Uns koͤmmt das Recht zu, denjenigen zuVon der Schuld der Stea - fe und dem Ver - dienten in der - ſelben. ſtrafen, der uns wuͤrcklich beleidiget hat (§. 93.), und dieſer iſt verbunden die Strafe zu erdulden. Jn dieſer Verbind - lichkeit beſtehet die Schuld der Strafe (reatus), von der, wenn man genauer die Sache anſehen will, man das Verdiente in der Strafe (meritum pœnæ ſ. demeritum) unterſcheiden muß, daß man es vor die Be - ſchaffenheit einer Handlung nimmet, aus wel - cher der Beleidigte das Recht erhaͤlt, den Be - leidiger zu ſtrafen, dem von Seiten des Be - leidigers entgegen geſetzt iſt die Verbindlich - keit, die Strafe zu erdulden; oder welche ihn der Strafe wuͤrdig macht. Gewoͤhnlicher weiſe wird die Schuld der Strafe von dem Verdienten in der Strafe nicht unterſchieden.
Eine Handlung, wodurch man ge -Von Hand - lungen, dadurch man ge - kraͤncket wird. kraͤncket wird, oder Kraͤnckung (offen - ſa), iſt entweder eine begangene, oder unter - laſſene Handlung, woraus der andere einen Verdruß mit Recht empfindet. Da dieſelbe der Gluͤckſeeligkeit zuwieder iſt, die wir auch bey andern zu befoͤrdern ſchuldig ſind (§. 136.); ſo doͤrfen wir niemanden kraͤncken, oder ihm etwas zuwieder thun. Weil nun niemand von der natuͤrlichen VerbindlichkeitNat. u. Voͤlckerrecht. Gbefreyt98I. Th. 5. H. Von den Pflichtenbefreyt werden kann (§. 100.), und man ei - nem jeden erlauben muß ſich ſeines Rechts zu bedienen (§. 66.); ſo iſt es keine Kraͤn - ckung, ſondern wird faͤlſchlich davor angenommen, wenn einer das thut, wozu er verbunden iſt, oder was er mit Recht thun kann.
Weil wir niemanden haſſen ſollen (§. 136.), der Haß (odium) aber in der Gemuͤths - Verfaſſung beſtehet, aus des andern Ungluͤck - ſeeligkeit, oder Verdruß und Traurigkeit (§. 118.) ein Vergnuͤgen zu empfinden; ſo darf auch niemand dem andern Ver - druß verurſachen: und da dieſe Verbind - lichkeit durch eines andern gegenſeitige Hand - lung nicht aufgehoben wird (§. 135.); ſo duͤrfen wir auch niemanden Verdruß erwecken wollen, weil er uns gekraͤn - cket; folglich muͤßen wir dem andern nichts Boͤſes thun, der uns etwas Boͤ - ſes gethan hat, oder Boͤſes mit Boͤſem vergelten. Die Rache (vindicta) nennt man alle Handlungen, durch welche man Boͤ - ſes mit Boͤſem vergilt, und die Rachgier (cupiditas vindictæ) die Begierde dem an - dern Verdruß zu verurſachen, der uns gekraͤn - cket hat. Daher iſt klar, daß die Rache unerlaubt ſey, und daß wir ein von al - ler Rachgier befreytes Gemuͤthe ha - ben muͤſſen; folglich daß daſſelbe auch bey der Ausuͤbung des uns zukommen -den99des Menſchen gegen andere. den Rechts zu ſtrafen und ſich gegen Gewalt zu wehren, nicht ſtatt finden duͤrfe (§. 90. 93.). Derowegen haben wir bey den Strafen und Vertheidigun - gen nicht zur Abſicht, dem andern Ue - bels zuzufuͤgen; ſondern in dem erſten Fall, die kuͤnftige Sicherheit; in dem andern Fall, die Vertreibung einer her - annahenden Beleidigung (§. 90. 91. ſeqq.).
Die Wiedervergeltung (talio) heiſtVon der Wieder - vergel - tung. die gleiche Rache, da einer naͤmlich ein ſo großes Uebel leidet, als er dem andern angethan hat. Da alle Rache unerlaubt iſt (§. 155.), ſo iſt auch die Wiedervergeltung unerlaubt; folglich giebt es von Natur kein Wieder - vergeltungs-Recht (jus talionis) (§. 49.); und daher muß man bey den Strafen nicht auf die Wiedervergeltung ſehen; folgends muß der, welcher einen andern getoͤdtet hat, nach dem natuͤrlichen Rechte, eben nicht am Leben geſtrafer werden.
Der verzeihet oder vergiebt eineVon der Verzei - bung der Kraͤn - ckungen und Er - laſſung der Stra - ſe. Kraͤnckung (offenſam condonat), welcher alle Begierde zur Rache fahren laͤßt. Da nun das Gemuͤth von aller Rache entfernt ſeyn ſoll (§. 155.); ſo muͤſſen wir zum Verzeihen willig und bereir ſeyn. Al - lein weil man ohne Rachgier ſtrafen kan undG 2ſoll100I. Th. 5. H. Von den Pflichtenſoll (§. cit. ); ſo enthaͤlt die Verzeihung der Kraͤnckung, oder deſſen, was man ei - nem zuwieder gethan, nicht den Erlaß der Strafe, oder die Unterlaßung des Ge - brauchs ſeines Rechts zu ſtrafen. Aber aus eben der Urſache muß man zu keiner haͤr - teren Strafe ſchreiten, wo man die Abſicht derſelben durch eine gelindere erhalten kann: ja man muß die Strafe erlaſſen, wenn ohne dieſelbe die Ab - ſicht erreicht werden kann.
Da auf eine gleiche Weiſe, wenn man ſich wehret, man zur Abſicht hat, eine vorhabende Beleidigung abzuwenden, aber nicht dem andern Schaden zuzufuͤgen (§. 155.), und man aus den vorkommenden Umſtaͤnden diejenigen Handlungen, welche erlaubt ſind, um die Beleidigung abzuwenden, beſtimmen muß (§. 90.); ſo muß man, wenn die Beleidigung durch gelindere Mittel abgewandt werden kan, nicht haͤrtere gebrauchen.
Und weil der Krieg gefuͤhrt wird, unſer Recht zu beſchuͤtzen und zu erhalten (§. 98.); ſo iſt im Kriege ſo viel Gewalt erlaubt, als noͤthig iſt, unſer Recht zu erhal - ten, und den Wiederſtand zu uͤberwin - den, den man wieder eine gerechte Ge -walt101des Menſchen gegen andere. walt anwendet. Auf dieſe Weiſe wird, was im Kriege erlaubt iſt, von dem unterſchie - den, was nicht erlaubt iſt.
Von den Pflichten gegen GOtt.
Es iſt gewiß, daß nicht allein die natuͤr -Von den freyen Hand - lungen, die durch Bewe - gungs - gruͤnde, die von den goͤtt - lichen Ei - genſchaf - ten her - genom - men ſind, beſtimmt werden ſollen. lichen Handlungen des Menſchen, ſon - dern auch alle uͤbrigen Dinge in der Welt alſo beſtimmt werden, daß man daraus ſchlieſſen kann, was vor Eigenſchafften GOtt zukommen. Da nun die freyen Handlungen auf eben dieſe Weiſe, wie die natuͤrlichen, be - ſtimmt werden ſollen (§. 43.), und dieſe Hand - lungen von dem Willen des Menſchen herruͤh - ren, der durch Bewegungsgruͤnde beſtimmt werden muß (§. 1. & cit. ); ſo muß auch der Menſch alle ſeine Handlungen durch Bewegungsgruͤnde, die von den Eigenſchaften GOttes hergenom - men werden, beſtimmen. Und daraus verſtehet man, wie die Vollkommenheit des Menſchen darinnen beſtehet, daß er geſchickt iſt GOtt vorzuſtellen, als ein Spiegel der goͤtt - lichen Vollkommenheiten (§. 112.); folglich enthaͤlt die natuͤrliche Verbindlichkeit, unſere freye Handlungen dergeſtalt einzurichten, daß unſere Vollkommen - heit dadurch befoͤrdert wird, zugleichG 3die102I. Th. 6. H. Von den Pflichtendie Verbindlichkeit in ſich, ſie durch Bewegungsgruͤnde zu beſtimmen, die von den goͤttlichen Eigenſchaften her - genommen ſind (§. 43.).
Wer ſeine freyen Handlungen durch Be - wegungsgruͤnde beſtimmt, die von den goͤtt - lichen Eigenſchaften hergenommen ſind, der richtet ſie zur Ehre Gottes ein (§. 127. 125.). Derowegen da man dieſe Einrichtung ſeiner Handlungen zur Ehre Gottes die Befoͤrde - rung der Ehre Gottes (illuſtrationem gloriæ divinæ) nennet; ſo iſt der Menſch verbunden, die Ehre Gottes zu befoͤr - dern (§. 160.).
Und weil man auf eben dieſe Weiſe verſte - het, daß die Vollkommenheit dieſer ganzen Welt darinnen beſtehet, daß ſie geſchickt iſt, Gott vorzuſtellen, oder ein Spiegel der goͤtt - lichen Vollkommenheit zu werden; folgends daraus klar iſt, daß wer ſeine Handlungen zur Ehre Gottes einrichtet, dieſelben auch zur Vollkommenheit der ganzen Welt einrichtet (§. 160. 161. ); ſo iſt der Menſch von Natur verbunden, ſeine Handlungen zur Vollkommenheit der gantzen Welt einzurichten. Und daher erhellet, daß die Handlungen, die dem Geſetz der Natur zuwieder ſind, oder die Suͤnden, die Welt, das Werck Gottes, verſtellen.
Weil der Menſch verbunden iſt, ſeineVon der Erkennt - nis Got - tes. Handlungen durch Bewegungsgruͤnde, die von den goͤttlichen Eigenſchaften hergenom - men ſind, zu beſtimmen (§. 160.); ſo iſt er verbunden, Gott zu erkennen; folglich, da von uns die Eigenſchaften Gottes, durch die Betrachtung der Welt und desjenigen, was in derſelben iſt und darinnen geſchiehet, er - kannt werden; ſo muͤſſen wir ſo wohl die Welt und dasjenige, was in derſelben iſt und geſchieht, als auch uns ſelbſt und unſere natuͤrliche Handlungen be - trachten, und von denſelben muß ſich das Gemuͤth zu Gott erheben. Des - wegen aber hat der Menſch ein Recht zu allen Handlungen, durch welche die Erkenntnis der natuͤrlichen Dinge befoͤrdert wird, wie auch zu dem Ge - brauch aller Dinge, die dazu dienen. Da wir eben andern das ſchuldig ſind, was wir uns ſelbſt ſchuldig ſind (§. 133.); ſo muͤſſen wir auch andere zur Erkennt - nis Gottes bringen, ſo viel in unſerem Vermoͤgen ſtehet.
Gott will, daß wir unſere HandlungenVon der allgemei - nen Be - ſtimmung des Wil - lens und Nicht - Wollens. nach dem Geſetz der Natur einrichten ſollen (§. 41.). Derowegen muͤſſen wir ſie nach demſelben einrichten; weil Gott will, daß die - ſes geſchehe (§. 160.). Derowegen muß der Wille des Menſchen uͤberhaupt be -G 4ſtimmt104I. Th. 6. H. Von den Pflichtenſtimmt werden, das zu thun, was Gott haben will; und das Nicht-Wollen, dasjenige zu unterlaſſen, was Gott nicht haben will, und ſolchergeſtalt muß ſo wohl der Wille, als das Nicht - Wollen beſtaͤndig und dauernd ſeyn, das iſt, in einem jeden vorkommenden Falle, unbeweglich und in allen immer einerley.
Die Verdunckelung der Ehre Got - tes (obſcuratio gloriæ divinæ) iſt eine An - zeige, die entweder durch Worte oder durch Wercke geſchieht, daß man Gott fuͤr ein Weſen haͤlt, das Unvollkommenheit an ſich hat, welche ſeiner hoͤchſten Vollkommenheit zuwieder ſind. Derowegen da wir die Ehre Gottes verherrlichen ſollen, und ſo wohl durch Worte als durch Wercke zu verſtehen geben, daß wir Gott fuͤr ein ſolches Weſen halten, als es wuͤrcklich iſt, naͤmlich fuͤr das allervoll - kommenſte (§. 161.); ſo iſt die Verdun - ckelung der Ehre Gottes durch das Geſetze der Natur verbothen (§. 51.).
Die Gotteslaͤſterung (blaſphemia) nennt man eine jede Rede, oder Handlung, welche zur Verachtung, oder Beſchimpfung Gottes gereicht. Derowegen, da die Ehre Gottes durch dieſelbe am allermeiſten verdun - ckelt wird (§. 165.); ſo ſind alle Gottes - laͤſterungen durch das Recht der Natur auf das ſchaͤrfſte verbothen (§. cit.). Weil105gegen Gott. Weil aber der Menſch ſo lange kein Recht zu dem hat, was ein anderer thut, als der an - dere nichts wieder ſein vollkommenes Recht unternimmet (§. 76. 78. ), folglich kein Recht einen zu ſtrafen, als bloß denjenigen, wel - cher ihn beleidiget hat (§. 93.); ſo hat auch der Menſch von Natur kein Recht, die Verdunckelung der Ehre Gottes und die Gotteslaͤſterung zu ſtrafen: in ſo fern er aber doch beſorgt ſeyn muß, daß er andere zur Erkenntnis Gottes anfuͤhret, ſo viel an ihm iſt (§. 163.); ſo hat er ein Recht zu denjenigen Handlungen, wo - durch er denjenigen, der die Ehre Got - tes verdunckelt, oder Gott gar laͤſtert, von ſeiner Suͤnde uͤberfuͤhren kan.
Die Gottſeeligkeit nennt man die Tugend,Von der Gottſee - ligkeit, Gottlo - ſigkeit und Heu - cheley. ſeine Handlungen durch Bewegungsgruͤnde, die von den goͤttlichen Eigenſchaften herge - nommen ſind, zu beſtimmen, oder die Ehre Gottes zu befoͤrdern. Wir ſollen alſo gottſeelig ſeyn (§. 160. 161.). Jm Ge - gentheil iſt die Gottloſigkeit das Laſter, da einer ſeine Handlungen nicht nach dem Willen Gottes einrichten will. Die Gott - loſigkeit iſt alſo durch das natuͤrliche Geſetze verbothen (§. 164. 51.). Die Heucheley iſt eine verſtellte Gottſeeligkeit, wenn naͤmlich bloß die aͤuſſeren Handlungen, als da ſind die Worte, Stimme, Minen und Gebehrden, den Schein der GottſeeligkeitG 5haben,106I. Th. 6. H. Von den Pflichtenhaben, wovon doch die innern Handlungen weit entfernt ſind. Da nun das Geſetz der Natur eine Uebereinſtimmung der innern und aͤuſſern Handlungen erfordert (§. 52.); ſo iſt die Heucheley durch das Geſetz der Natur verbothen (§. 51.).
Der Gehorſam (obedientia) iſt die Be - reitwilligkeit, das zu thun, was der andere will, und das zu unterlaſſen, was er nicht will. Weil nun unſer Wille uͤberhaupt beſtimmt werden ſoll, das zu thun, was Gott will, und das zu unterlaſſen, was er nicht will (§. 164.); ſo ſind wir verbunden, Gott zu gehor - chen; folglich iſt der Ungehorſam, wel - cher dem Gehorſam entgegengeſetzet wird, durch das Geſetze der Natur verbothen (§. 51.).
Gott iſt der Vollkommenſte. Da nun aus der Erfahrung bekannt, daß das Gemuͤth mit Freude und Vergnuͤgen erfuͤllt wird, wenn wir uns einer Vollkommenheit bewuſt ſind; ſo muß die groͤſte Vollkommenheit Gottes, wenn ſie erkannt wird, auch das Gemuͤth mit dem groͤſten Vergnuͤgen erfuͤllen. Die Neigung des Gemuͤths, aus der groͤſten Voll - kommenheit Gottes das groͤſte Vergnuͤgen zu empfinden, wird die Liebe zu Gott genannt, und unter der Liebe des Wohlgefallens (amor complacentiæ) verſtehet man diejenige, welche gantz allein in der Empfindung desVer -107gegen Gott. Vergnuͤgens aus des andern Vollkommenheit beſtehet, und ſich auf nichts weiters erſtreckt. Da wir nun verbundeu ſind, Gott zu erken - nen (§. 163.), zu ſeiner groͤſten Vollkommen - heit aber nicht das Geringſte beytragen, denn ſonſt waͤre ſie nicht die groͤſte; ſo ſollen wir auch Gott uͤber alle Dinge lieben, und die Liebe Gottes iſt eine Liebe des Wohlgefallens.
Gott iſt der Allerguͤtigſte, und was wirDaß wir Gott lie - ben ſol - len, weil er guͤtig gegen uns iſt. gutes entweder von Natur haben, oder auf andere Weiſe erhalten haben, muͤſſen wir Gott zuſchreiben. Da ſich nun Gott guͤtig gegen uns beweiſet, aus der Erkenntnis aber des Guten, was wir empfangen, oder der Wohl - thaten, die Liebe gegen den Wohlthaͤter ent - ſpringet; ſo muß man Gott auch des - wegen lieben, weil er ſo guͤtig gegen uns iſt. Da die Guͤte Gottes, welche in der Mittheilung der Wohlthaten beſtehet, zu der groͤſten Vollkommenheit Gottes mit ge - hoͤret; ſo iſt Gott zu lieben, weil er guͤtig gegen uns iſt, nichts anders, als ſich an ſeiner Guͤte, oder ſeinen Wohl - thaten ergoͤtzen; folglich iſt die Liebe, welche aus der Betrachtung der goͤtt - lichen Guͤte entſtehet, unter der Liebe des Wohlgefallens enthalten (§. 169.).
Wer den andern liebet, thut nichts, wasVon der Furcht Gottes. ihm mißfaͤllt, ſondern befleißiget ſich das zuthun,108I. Th. 6. H. Von den Pflichtenthun, was ihm gefaͤllt; folglich thut er nichts, was ſeinem Willen zuwieder iſt. Aus der Liebe entſtehet demnach die Sorgfalt nichts zu thun, was dem Willen des andern entge - gen iſt, welche Furcht die kindliche (timor filialis), im Gegentheil die knechtiſche (ſer - vilis) genannt wird, wenn man aus Furcht vor der Strafe thut, was der andere will, oder unterlaͤßt, was er nicht will. Da wir Gott uͤber alles lieben ſollen (§. 169.); ſo ſollen wir ihn auch uͤber alles fuͤrchten, naͤm - lich mit einer kindlichen Furcht.
Der Menſch iſt ſchuldig, die groͤſte Guͤte Gottes zu erkennen, und andere, ſo viel an ihm iſt, zu derſelben Erkenntnis zu bringen (§. 163.); ingleichen durch dieſelbe, als einen Bewegungsgrund, ſeine freye Handlungen zu beſtimmen (§. 160.). Da nun die aͤuſſern Handlungen mit den innern uͤbereinſtimmen ſollen (§. 52.), wir auch andere nicht anders, als durch aͤuſſere Handlungen, zur Erkenntnis der groͤſten Vollkommenheit Gottes bringen koͤnnen; ſo muß der Menſch durch Wor - te und Wercke zu verſtehen geben, daß er die groͤſte Vollkommenheit Gottes erkennet, und daher ihn hoͤher, als alles andere achtet: da nun dergleichen Bezei - gen die Ehrfurcht (reverentia) genannt wird; ſo ſind wir alſo zur Ehrfurcht ge - gen Gott verbunden. Da in dieſen Handlungen Lob und Ehre beſtehet (§. 125.);ſo109gegen Gott. ſo muͤſſen wir auch Gott die Ehre und das Lob, ſo ihm gebuͤhret, geben.
Aus der natuͤrlichen Gottesgelahrheit iſtVon dem Vertrau - en auf Gott und der Be - ruhigung in der goͤttli - chen Vor - ſicht. bekannt, daß Gott uns ſo viel Gutes erwei - ſet, und ſo viel Boͤſes von uns abwendet, als es nach ſeiner Weißheit angehet; und wenn uns etwas Boͤſes begegnet, daſſelbe zum Guten wendet. Wer von dieſer Wahrheit uͤberzeugt iſt, der uͤbergiebt ſich und alles, was er hat, gantz und gar der goͤttlichen Vorſicht, und uͤberlaͤßt derſelben, wie es kuͤnftig ergehen werde, und was wir nicht voraus ſehen koͤn - nen, er aͤngſtiget ſich nicht, wegen des Kuͤnf - tigen; er wirft alſo alle Sorge auf Gott, und aͤngſtiget ſich nicht daruͤber, was die Sachen vor einen Ausgang gewinnen werden. Da nun der Menſch verbunden iſt, Gott zu erken - nen (§. 163.), und die Tugend, da man ſich und ſeine Umſtaͤnde der goͤttlichen Vorſicht gantz uͤberlaͤßt, das Vertrauen auf Gott (fiducia), die Tugend aber, da man durch die Gewißheit, daß Gott in allem recht han - delt, was er in der Regierung der Welt thut, oder unterlaͤßt, ſeine Begierde und ſeine Ver - abſcheuung maͤßiget, die Beruhigung in der goͤttlichen Vorſicht genannt wird, (acqvieſcentia in providentia divina); ſo ſoll der Menſch ſein Vertrauen auf Gott ſetzen, oder ihm vertrauen, und ſich in der goͤttlichen Vorſicht beruhigen; folglich gegen Gott kein Mistrauenhegen,110I. Th. 6. H. Von den Pflichtenhegen, mit ſeinem Schickſaal zufrie - den ſeyn, und das Uebel, welches ihm begegnet, mit gelaſſenem Gemuͤthe er - tragen.
Das Lob, welches man Gott giebet, wird der Preis des goͤttlichen Nahmens (celebratio nominis divini) genannt. Dero - wegen ſind wir verbunden, den Nahmen Gottes zu preiſen (§. 172.); folglich die Eigenſchaften, Wercke und Wohltha - ten Gottes zu erzaͤhlen, welche er uns und andern, durch Zuwendung des Guten und Abwendung des Boͤſen, oder auch durch die Wendung zum Guten, erwieſen hat (§. 12.), wie hoch wir dieſe Wohlthaten halten, zu be - zeigen (§. 172.). Weil nun der Preis des Nahmens Gottes, wegen der Wohlthaten, die er uns und andern erwieſen hat, zugleich mit der Anzeige der Begierde, ihm davor die ſchuldige Pflichten zu leiſten, beſonders die Danckſagung (gratiarum actio) genannt wird, wir auch Gott wegen der erwieſenen Wohlthaten lieben ſollen (§. 170.), und des - wegen bereit und willig ſeyn, ihm die ſchul - digen Pflichten zu leiſten (§. 171. 57. 41. ); ſo ſollen wir auch Gott danckſagen.
Es iſt gewiß, daß Gott der Geber alles Guten iſt, und daß wir es ſeiner Vorſicht zu - ſchreiben muͤſſen, daß das gegenwaͤrtige Gutebehal -111gegen Gott. behalten wird, das kuͤnftige koͤmmt, und das Uebel abgewendet, oder, wenn dieſes nicht ge - ſchieht, wie wir ſchon vorher geſagt, dennoch zum Guten gewandt wird (§. 170. 173.). Da wir nun ſchuldig ſind, dieſes zu erkennen (§. 163.), und durch daher genommene Bewe - gungsgruͤnde unſere Handlungen zu beſtimmen (§. 160.); ſo ſollen wir auch von Gott bitten, daß er das Gute, was er uns gegeben hat, erhalte, und uns in Zu - kunft auch Gutes zuwende; das Uebel aber abwende, oder, wenn es koͤmmt, zu unſerm Beſten wende. Weil nun dieſe Erklaͤrung unſers Willens die Anru - fung Gottes (invocatio numinis) heiſſet, und zwar, wie einige dazu ſetzen, in dem inne - ren Grunde unſers Hertzens (mentalis); ſo ſind wir Gott anzurufen ſchuldig. Und da die aͤuſſern Handlungen mit den innern uͤbereinſtimmen muͤſſen, und jene nicht ohne dieſen ſeyn (§. 52.); man aber das Gebet (orationem) nennt, die Rede, durch welche wir mit dem Munde ausſprechen, was wir gedencken, indem wir Gott anruffen und ihm danckſagen; ſo iſt das Gebet in dem na - tuͤrlichen Geſetze geboten. Es iſt aber klar, daß es vier Arten des Gebets giebt, da die erſte, die Erhaltung und Zuwendung des Guten; die andere, die Abwendung des Boͤſen, oder die Wendung deſſelben zum Guten; die dritte die Danckſagung; die vierte die Vorbitte fuͤr andere begreift. Der Apo -ſtel112I. Th. 6. H. Von den Pflichtenſtel Paulus unterſcheidet dieſe Arten 1 Tim. II, 2. da er das Beten, in Bitte, Gebet Danckſagung und Fuͤrbitte eintheilet.
Weil ein Lied, oder Geſang (hymnus) ein Gedicht iſt, welches zum Lobe Gottes auf - geſetzt iſt, ein jedes Gebet aber ein Lob Gottes in fich enthaͤlt (§. 175. 125. ); folglich Beten und Singen einerley Materie hat; uͤber die - ſes bekannt iſt, daß Gedichte nicht allein an und vor ſich geſchickter ſind, die Aufmerck - ſamkeit zu erwecken und zu erhalten, die Ge - muͤthsbewegungen zu erregen, und dasjenige, wovon ſie handeln, in das Gedaͤchtniß leichter und feſter zu faſſen; ſondern auch, wenn der Geſang dazu koͤmmt, alles dieſes ſo wohl bey andern, als auch bey uns ſelbſt leichter erhal - ten wird; ſo ſind wir von Natur ver - bunden zum Lobe Gottes Lieder zu machen und ſie zu ſingen.
Eine jede richtge Handlung erfordert den uͤbereinſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte (§. 16.). Da wir nun verbunden ſind recht zu handeln (§. 52.); ſo muͤſſen wir auch die Pflichten gegen Gott mit einem uͤber - einſtimmenden Gebrauch aller Kraͤfte ausuͤben; folglich muͤſſen jederzeit die aͤuſſern und innern Handlungen mit einander verbunden werden.
Da der Gottesdienſt (cultus divinus)Vom Gottes - dienſte. der Jnbegriff aller Handlungen iſt, die Got - tes wegen vorgenommen werden; folglich der - ſelbe in der Ausuͤbung der Pflichten gegen Gott beſtehet (§. 57.); dazu aber wir verbunden ſind, wie aus dem, was wir bis hierher bewieſen, zur Gnuͤge erhellet; ſo ſind wir verbunden Gott zu dienen. Man nennt aber den inneren Gottesdienſt, welcher durch in - nere Handlungen, den aͤuſſeren aber, wel - cher durch aͤuſſere Handlungen verrichtet wird. Weil nun bey der Ausuͤbung der Pflichten gegen Gott die aͤuſſern Handlungen und die innern nicht von einander abzuſondern ſind (§. 177.); ſo muß auch der innere Got - tesdienſt mit dem aͤuſſern verbunden werden.
Weil wir darauf zu ſehen haben, daß auchVon den Zuſam - menkuͤnf - ten, die des Got - tesdien - ſtes we - gen anzu - ſtellen ſind. andere Menſchen zur Erkenntniß Gottes (§. 163.), zur Tugend (§. 139.), und alſo auch zur Gottſeeligkeit gefuͤhrt werden (§. 167.), auch durch unſer Exempel andern nuͤtzen ſol - len (§. 139.); ſo ſind die Menſchen ver - bunden wegen des Gottesdienſtes zu - ſammen zu kommen; folglich haben ſie das Recht dasjenige anzuordnen, was zur rechten Einrichtung dieſer Zuſam - menkuͤnfte erfordert wird (§. 46. 52.). Hierzu gehoͤret die Beſtimmung der Zeit, des Orts und der Art und Weiſe dieſe Verſamm -Nat. u. Voͤlckerrecht. Hlungen114I. Th. 6. H. Von den Pflichtenlungen anzuſtellen. Was man in denſelben vorzunehmen hat, iſt aus ihrer Abſicht klar. Man muß naͤmlich lehren, was von Gott, von Ausuͤbung der Tugend, inſonderheit der Gottſeeligkeit, und von Vermeidung der Laſter zu wiſſen noͤthig iſt, man muß beten und ſingen.
Die Ceremonien ſind Zeichen von denje - nigen Dingen, derer wir uns bey der Aus - fuͤhrung eines Vorhabens erinnern ſollen. Wenn dieſelbe zugleich einen Einfluß in die Beſtimmung der Handlung ha - ben, die ausgeuͤbt werden ſoll; ſo ſind ſie den uͤbrigen vorzuziehen (§. 48.). Da die Menſchen das Recht haben dasjenige zu beſtimmen, was zur rechten Einrichtung der Zuſammenkuͤnfte, des Gottesdienſtes wegen, erfordert wird (§. 179.); ſo haben ſie auch das Recht die Ceremonien anzuordnen, welche dem Gottesdienſte gemaͤß ſind.
Die Abgoͤtterey (idololatria) nennt man allen Gottesdienſt, den man denen erweiſet, welche nicht Gott ſind. Derjenige bege - het alſo eine Abgoͤtterey, der die Pflich - ten, die er GOtt ſchuldig iſt, denenje - nigen leiſtet, die nicht Gott ſind, als den erdichteten Goͤttern, oder einem Weſen, von welchem er nicht einmahl davor haͤlt, daß es Gott ſey (§. 178.). Derowegen da wirGOtt115gegen Gott. GOtt dienen (§. cit. ), alle unſere Handlun - gen aber recht ſeyn ſollen (§. 52.), und zur Richtigkeit einer Handlung ein wahres Ur - theil von derſelben Richtigkeit gehoͤret (§. 53.); ſo iſt alle Abgoͤtterey durch das Geſe - tze der Natur verbothen.
Aberglaube werden genannt alle Hand -Vom Aber - glauben, und dem abgoͤtti - ſchen und aber - glaͤubi - ſchen Gottes - dienſte. lungen, welche durch irrige Meinungen von GOtt und der goͤttlichen Vorſicht, in Anſe - hung derjenigen Dinge, welche dem Men - ſchen gut oder boͤſe ſind, beſtimmt werden. Weil wir verbunden ſind, unſere Handlungen durch Bewegungsgruͤnde zu beſtimmen, wel - che von den goͤttlichen Eigenſchafften herge - nommen werden (§. 160.); ſo iſt aus dem Begriffe der Richtigkeit der Handlungen, wie vorher (§. 181.), klar, daß der Aber - glaube durch das natuͤrliche Geſetze verbothen ſey. Aus dem Begriff der Ab - goͤtterey und des Aberglaubens erkennet man, welcher Gottesdienſt abgoͤttiſch und aber - glaͤubiſch ſey. Und weil ſo wohl die Abgoͤt - terey, als der Aberglaube verbothen ſind; ſo iſt auch der abgoͤttiſche Gottesdienſt eben ſo wohl, als der aberglaͤubiſche, durch das Geſetze der Natur verbothen.
Von dem Eigenthume und den Rechten und Verbindlich - keiten, die daher ent - ſpringen.
Von der Gemeinſchaft der erſten Zeit, und wie das Eigenthum entſtanden.
Man nennt den nothwendigen Ge - brauch der Sachen denjenigen, der dazu erfordert wird, daß wir unſerer natuͤrlichen Verbindlichkeit ein Genuͤ - gen leiſten. Weil nun das Recht der Natur uns ein Recht zu demjenigen Gebrauch giebt, ohne welchen wir unſerer natuͤrlichen Ver - bindlichkeit kein Genuͤgen leiſten koͤnnen (§. 46.); ſo haben uͤberhaupt alle Men - ſchen ein Recht zum nothwendigen Gebrauch aller Sachen, es moͤgen ſeyn, was vor welche es wollen, naͤmlich ſo wohl zu der nothwendigen, als auch der nuͤtzlichen und vergnuͤgenden (§. 114. und folg. §. 119. 121. ); folglich iſt der - ſelbe erlaubt (§. 49.).
Wenn alſo Dinge durch den Ge -Von dem Recht die Sachen zu ver - derben. brauch verbraucht werden (uſu conſu - muntur); ſo iſt es erlaubt ſie zu ver - derben. Als z. E. Thiere zu ſchlachten, oder zu toͤdten, deren Fleiſch wir eſſen, und deren Haut wir zur Kleidung brauchen.
Weil der Menſch von Natur das RechtVon den Sachen, die zum kuͤnftigen Gebꝛauch anfbe - halten werden. zum nothwendigen Gebrauch der Sachen hat (§. 183.); wenn man eine Sache nicht zu aller Zeit haben kann; oder auch zu der Zeit, wenn man ihrer be - darf, nicht ſo bequem; ſo iſt er - laubt, ſie zum kuͤnftigen Gebrauch zu ſammlen und aufzubehalten. Und weil niemand dieſen Gebrauch verhindern darf (§. 50. 183. ); ſo darf auch niemand dem andern die Sachen, die er zum nothwendigen Gebrauch geſammlet und aufbehaͤlt, wegnehmen; und hier - innen, was nemlich der andere vors kuͤnfti - ge noͤthig hat, muß er es bey dem Ur - theil desjenigen bewenden laſſen, der die Sachen vor ſich aufbehaͤlt (§ 78.).
Weil die Menſchen von Natur gleich ſind,Von der Gemein - ſchaft der erſten Zeit. und daher einerley Rechte haben (§. 70.); ſo kommt auch allen Menſchen einerley Recht zum nothwendigen Gebrauch der natuͤrlichen Sachen zu (§. 183.). Weil nun ein gemeinſchaftliches (com -H 3mune,118II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. mune, gemeine) Recht dasjenige iſt, das zu - gleich mehrere auf einerley Weiſe haben (§. 101.), und alſo eine gemeinſchaftliche Sache (res communis), zu der mehrere ei - nerley Recht zugleich haben; ſo haben die Menſchen von Natur ein gemein - ſchaftliches Recht zum nothwendigen Gebrauch der natuͤrlichen Sachen; und alle Sachen ſind von Natur ge - meinſchaftlich. Das gemeinſchaftliche Recht zum nothwendigen Gebrauch aller und jeder natuͤrlichen Dinge, wird die Gemein - ſchaft der erſten Zeit (communio primæva, die erſte G.) genannt, gleichwie uͤberhaupt die Gemeinſchaft, oder die Gemeinſchaft der Sachen (communio rerum), das Recht, das zu einerley Sachen mehrere zugleich ha - ben. Aus dem, was wir geſagt, erhellet, daß die Gemeinſchaft der erſten Zeit nach dem Rechte der Natur ſtatt fin - det, und daß man ſie nicht ohne Grund er - dichtet.
Weil in der Gemeinſchaft der erſten Zeit alle Menſchen einerley Recht zum noth - wendigen Gebrauch der natuͤrlichen Sachen haben (§. 186.); ſo kann ein jeder ande - rer, wenn die Sache durch den Ge - brauch nicht verbraucht wird, nach geendigtem Gebrauch, ſich derſelben bedienen; und derjenige, welcher ſie vorher gebraucht, kann es nicht ver -weh -119und dem Anfange des Eigenthums. wehren (§. 50.). Aus eben demſelben Grunde iſt gewiß, daß, wenn mehrere an dem Gebrauch einer Sache Theil neh - men koͤnnen, dieſe Theilnehmung oh - ne Unterſchied allen, die es wollen, er - laubet ſey.
Die Menſchen ſollen ſich bemuͤhen, daß esVon de - nen durch den Fleiß hervor - gebrach - ten und den kuͤnſt - lichen Dingen, in der er - ſten Ge - mein - ſchaft. nicht an einer hinlaͤnglichen Menge von noth - wendigen, nuͤtzlichen und vergnuͤgenden Sa - chen, die ſo wohl durch Fleiß, als durch Kunſt hervorgebracht werden, fehle (§. 121. 123. ), und ſoll, zu dem Ende, ein jeder die Arbeit er - waͤhlen, wozu er ſich geſchickt befindet (§. 124.); von Natur aber ſind alle verbunden, ſich und ihren Zuſtand mit vereinigten Kraͤfften voll - kom̃ener zu machen (§. 44.). Jn der Gemein - ſchaft der erſten Zeit kann man alſo bey Vervielfaͤltigung der Sachen, die durch Fleiß und Kunſt hervorgebracht werden, keine andere Abſicht haben, als den gemeinſchaftlichen Gebrauch von allen zu befoͤrdern; und folglich muͤßen die durch Fleiß und Kunſt her - vorgebrachten Sachen nicht weniger, als die natuͤrlichen, gemeinſchaftlich ſeyn (§. 186.). Wenn aber jemand dennoch einige Sachen durch Fleiß und Kunſt zu ſeinem Gebrauch zubereitet hat; ſo kann ſich ein anderer derſelben nicht anmaſſen, als in ſo fern jener die Sache, die durch den GebrauchH 4nicht120II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. nicht verbraucht wird, zu derſelben Zeit nicht braucht, oder in ſo ferne er an dem Gebrauch derſelben zugleich mit Theil nehmen kann (§. 187.).
Weil in der erſten Gemeinſchaft ein jeder das Recht hat zum nothwendigen Ge - brauch der Sachen (§. 183.); ſo hat auch jeder Menſch das Recht zu allen Hand - lungen, ohne welche der nothwendige Gebrauch nicht erhalten werden kann; als z. E. das Recht Wild, Fiſche, Voͤ - gel zu fangen, Fruͤchte abzubrechen, Holtz zu faͤllen u. ſ. f.
Da ein jeder Menſch von Natur einerley Recht zum nothwendigen Gebrauche der na - tuͤrlichen Sachen hat (§. 186.); ſo ſtehet in der erſten Gemeinſchaft einem jeden Menſchen frey, ſich an einem jeden Orte aufzuhalten und zu wohnen, wo und wie lange es ihm gefaͤllt; an al - len Orten durchzureiſen, wie er es vor noͤthig befindet, auch daher Sa - chen zu hohlen, deren er bedarf. Ja da auch die durch Kunſt hervorgebrachte Sa - chen gemeinſchaftlich ſind (§. 188.); ſo hat ein jeder das Recht, wenn er unbe - wohnte Haͤuſer antreffen ſolte, oder ſolche, in welchen mehrere wohnen koͤnnen, in denſelben ſo lange zu woh - nen, als es ihm gefaͤllt.
Dem gemeinſchaftlichen Rechte wird dasVom ei - genen Recht u. der ver - neinen - den Ge - mein - ſchaft. eigene Recht (jus proprium) entgegen ge - ſetzet, welches einer allein, oder mehrere zu - ſammengenommen, mit Ausſchlieſſung der uͤbrigen haben (§. 101.). Da von Natur alle Sachen gemeinſchaftlich ſind (§. 186.); ſo hat von Natur niemand ein eigenes Recht zu einer Sache. Sachen, dazu jemand ein eigenes Recht hat, nennt man eigene Sachen (res ſingulares, vel ſingulorum), worauf aber niemand ein beſonderes Recht hat, heiſſen keinem zugehoͤrige Sachen (res nullius). Es erhellet alſo, daß es von Natur keine eigene Sachen giebt. Naͤmlich in der Natur des Menſchen iſt kein Grund befindlich, warum dieſe Sache einem vielmehr, als dem andern zugehoͤren ſolte. Man nennt aber dieſes eine verneinende Gemeinſchaft (communionem negativam), in welcher die gemeinſchaftlichen Sachen kei - nem zugehoͤren; und dergleichen iſt die Gemeinſchaft der erſten Zeit (§. 186.).
Weil niemand dem andern, was er zumVom ei - genen Gebꝛauch einer Sache. nothwendigen Gebrauch zu ſich genommen hat, oder auch zum kuͤnftigen aufbehaͤlt, wegneh - men darf (§. 185.); derjenige aber, der ſie an ſich nimt, oder den Gebrauch derſelben ſich verſchaft, ſich ſeines Rechts bedienet (§. 183.); ſo wird dadurch der Gebrauch einer Sache, welcher vorher allen frey ſtand,H 5ein122II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. ein eigener Gebrauch vor denjenigen, der ſie, mit dem Vorſatz ſich derſelben zu bedienen, an ſich nimmet, oder ſie in den Zuſtand ſetzt, in welchem er ſich derſel - ben bedienen kann. Eben das gilt von einer Sache, die durch den Gebrauch nicht ver - braucht wird, ſo lange als der Gebrauch dauert (§. 187.). Und hierdurch ſind die Menſchen zuerſt auf den Begriff eines eigenen Rechts in einer Sache gefallen.
Einen Stoͤhrer der Gemeinſchaft der erſten Zeit (turbatorem communionis primævæ) nennt man denjenigen, der entwe - der ſelbſt, oder durch andere mit Gewalt zu ver - hindern ſich bemuͤhet, daß jemand ſich der Sa - chen nicht bedienen kann, wie er es noͤthig hat. Weil nun der Stoͤhrer den Gebrauch des Rechts verhindert, welches einem andern zu - koͤmmt (§. 183.); ſo hat dieſer das Recht ihm zu wiederſtehen (§. 30); und folg - lich koͤmmt einem jeden das Recht zu, ſich und den Gebrauch einer Sache wieder einen ſolchen Stoͤhrer zu ver - theidigen (§. 90.). Und da das gemein - ſchaftliche Recht zum Gebrauch einer Sache ein vollkommenes Recht iſt (§. 183. 81. ), und die Verletzung deſſelben ein Unrecht (§. 87.); ſo iſt in der Gemeinſchaft der erſten Zeit eine rechtmaͤßige Urſache des Krie - ges, wenn jemand den andern von dem Gebrauch einer Sache mit Gewalt ab -halten,123und dem Anfange des Eigenthums. halten, oder wenn er ihn zu ſich ge - nommen, oder ergriffen, wegnehmen will (§. 98.).
Nachdem ſich das menſchliche GeſchlechteVon der Aufhe - bung der Gemein - ſchaft der erſten Zeit. vermehrt, und die einfaͤltige Lebensart geaͤn - dert worden, bey welcher man nur fuͤr die aͤuſerſte Nothdurft ſorgte, und faſt gar nicht an Bequemlichkeit und Vergnuͤgen gedachte; ſo hat man Sachen noͤthig, die man nicht anders, als durch Fleiß und Kunſt haben kann (§. 121.). Weil nun hierzu Arbeit erfordert wird (§. 124.), und gleichwohl in der Ge - meinſchaft der erſten Zeit die Sachen allen zugehoͤren ſollen (§. 188.); ſo ſiehet man leicht, daß die Gemeinſchaft nicht beſtehen kann, wenn die Menſchen nicht die Pflichten gegen ſich ſelbſt und andere auf das genaueſte erfuͤllen; vermoͤge deſſen, was von ihnen erwieſen wor - den. Weil wohl aber niemand in Abrede ſeyn wird, daß dieſes von allen Menſchen insge - ſamt nicht zu hoffen ſey; hingegen, wenn man von der Gemeinſchaft abgehet, das, was keinem zugehoͤret, einzelen eigen werden muß (§. 191.); und das Recht der Natur uns verbindet, das - jenige, was beſſer iſt, dem andern vorzuziehen (§. 48.); ſo iſt, ohne dem Rechte der Natur zu nahe zu treten, die Gemein - ſchaft aufgehoben, und das, was gemein war, eintzelen eigen, oder einem eige - nen Rechte unterworfen worden.
Weil der, ſo ein eigenes Recht hat, durch daſſelbe alle uͤbrige ausſchleußt (§. 191.); nach der natuͤrlichen Freyheit aber einem jeden zu erlauben, daß er bey ſeinen Handlungen ſich nach ſeinem Gutduͤncken richte, ſo lange er nichts thut, zu deſſen Unterlaſſung er uns voll - kommen verbunden iſt (§. 78.); ſo erhaͤlt ein jeder, wenn die Sachen einem ei - genen Rechte unterworffen werden, ein Recht mit allen dem, was ſeinem Rechte unterworfen iſt, anzufangen, was er will. Und dieſes eigene Recht mit einer Sache vorzunehmen, was man will oder nach ſeinem Gutduͤncken, wird das Eigen - thum (dominium) genannt; derjenige aber, welcher das Eigenthum in einer Sache hat, heiſt der Herr oder Eigenthuͤmer, inglei - chen der Eigenthums-Herr (dominus). Daher erhellet, daß ein Herr, oder Ei - genthuͤmer, von allem Rechte, welches ihm vermoͤge des Eigenthums zu - kommt, alle andere ausſchlieſſe, und daß das Eigenthum ohne ſeinen Wil - len auf niemand anders kommen koͤn - ne (§. 100.) folglich ihm das Recht zu - komme, einem jeden alles zu unterſa - gen, was er mit der Sache thun kann; und daß er es nicht leiden duͤrfe, wenn einer ſich wieder ſeinen Willen das ge - ringſte davon anmaſſen wolte. Daraus folgt ferner, daß alle Handlungen, diedem125und dem Anfange des Eigenthums. dem Eigenthum eines andern entge - gen ſtehen, nicht erlaubt ſind (§. 49.). Wie man aber uͤberhaupt das Seinige (ſuum) dasjenige nennt, wozu man ein ei - genes Recht hat; alſo erhellet daher, daß diejenigen Sachen die ſeinigen (res ſuæ) genannt werden, in denen uns das Eigen - thum zukommt.
Wenn einer ungetheilten Sache, zweyen,Von der poſitiven Gemein - ſchaft. oder mehreren zuſammen das Eigenthum zu - kommt, ſo daß ein jeder ſeinen gewiſſen An - theil daran hat, ſo wird dieſes die poſitive Gemeinſchaft (communio poſitiva) ge - nannt. Weil nun ein Eigenthums-Herr eine ſittliche Perſon iſt (§. 195. 96. ); ſo wer - den in der poſitiven Gemeinſchaft meh - rer zuſammengenommen wie eine Per - ſon betrachtet, und von ihnen zuſam - mengenommen gilt das, was dem Ei - genthums-Herrn zukommt.
Man hat auch eine vermiſchte Gemein -Von der vermiſch - ten Ge - mein - ſchaft. ſchaft (communionem mixtam), welche aus der verneinenden und poſitiven zuſam - men geſetzt iſt, bey welcher die Sachen ein Eigenthum von einer gantzen Gemeine (univerſitatis) ſind; das iſt, einer Menge von Menſchen, die in gewiſſer Abſicht in eine Geſellſchaft zuſammen getreten, da aber allen nichts, als der Gebrauch von den Sachen, oh - ne Unterſchied zukommt, nachdem es einernoͤthig126II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. noͤthig hat; dergleichen iſt z. E. die Gemein - ſchaft der Moͤnche. Diejenigen alſo, wel - che in einer vermiſchten Gemeinſchaft leben, ſchlieſſen alle diejenigen, welche zu ihnen nicht gehoͤren, von dem Ei - genthume aus; hingegen in Anſehung derjenigen Perſonen, welche zu der Gemeine gehoͤren, ſind die Sachen an - zuſehen, als die niemanden zugehoͤren, in Anſehung des Gebrauchs aber ſind ſie ihnen allen gemein. Man ſaget aber hier, daß in eine Geſellſchaft treten (con - ſociari), wenn mehrere mit einander eines werden, einen gewiſſen Zweck mit einander zuſammen zu erreichen.
Weil dem Eigenthumsherrn erlaubt iſt mit ſeiner Sache vorzunehmen, was ihm ge - faͤllt (§. 195.), dieſes aber geſchehen kann nicht allein mit der Sache ſelbſt, oder ihrer Subſtantz; ſondern auch mit dem Gebrauch und den Fruͤchten derſelben; ſo begreift das Eigenthum ein dreyfaches Recht in ſich; naͤm - lich das Recht 1) mit der Sache ſelbſt, 2) mit ihrem Gebrauch, und 3) mit den Fruͤch - ten derſelben vorzunehmen, was ihm gefaͤllig iſt. Das erſte heiſt die Proprietaͤt (pro - prietas), das andere das Recht die Sache zu brauchen (jus utendi), das dritte das Recht zu den Fruͤchten (jus fruendi). Die letzten beyde, zuſammen genommen, heiſ - ſen das Recht des Nießgebrauchs (jusuten -127und dem Anfange des Eigenthums. utendifruendi). Wenn das Eigenthum um keines dieſer Rechte verkuͤrtzt worden iſt, heiſt es das voͤllige Eigenthum (dominium plenum); wenn es aber um eines, oder das andere verkuͤrtzt worden, ein nicht voͤlliges Eigenthum (dominium minus plenum). Wer die Proprietaͤt hat, iſt eigentlich der Eigenthuͤmer (proprietarius), weil die Sache doch ſein eigen bleibt, wenn ein ande - rer gleich den Gebrauch, oder die Fruͤchte da - von zu genieſſen hat, und wird deswegen auch noch der Herr von der Sache (domi - nus) genannt. Die Frucht (fructum) heiſt man das, was aus einer andern Sache her - vorkommt, als da ſind die Fruͤchte eines Baums, die Milch und Kaͤlber der Kuͤhe.
Man nennet eine fremde Sache (resVon fremden Sachen. aliena) welche nicht uns, ſondern andern eigenthuͤmlich zugehoͤret. Es kann alſo niemand mit einer fremden Sache ſelbſt, oder ihrem Gebrauch und ihren Fruͤchten nach ſeinem Gefallen vor - nehmen, was er will (§. 195. 198.). Da es aber einerley iſt, ob wir etwas ſelbſt, oder durch andere verrichten wollen; ſo kann man, mit Genehmhaltung des Herrn, mit einer fremden Sache vornehmen, was man will (§. 195.). Weil der Herr, nach ſeinem Gefallen, mit ſeiner Sache vornehmen kann, was er will (§. cit. ); ſo kann er daszu128II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. zu thun andern erlauben, was zum Gebrauch ſeines Rechtes gehoͤret.
Der Beſitz (poſſeſſio) beſtehet darinnen, wenn einer eine Sache, als die ſeinige, bey ſich behaͤlt, es mag ſeyn, daß er vermeint, die Sache ſey wuͤrcklich die ſeinige, oder nur will, daß ſie ſeine ſeyn ſoll und andere ſie da - vor halten ſollen. Den Beſitzer (poſſeſ - ſor) nennt man denjenigen, welcher eine Sa - che, mit dieſem Vorſatz, bey ſich behaͤlt. Weil nun eine Sache in unſerer Gewalt iſt (in poteſtate noſtra eſt), wenn wir im Stan - de ſind, mit derſelben vorzunehmen, was wir wollen; ſo wird durch den Beſitz eine Sache in unſere Gewalt gebracht; und folglich kann man ohne den Beſitz das Eigenthum nicht ausuͤben (§. 195.), oder ſein Recht gebrauchen. Daher iſt fer - ner klar, daß dem Eigenthumsherrn das Recht zukomme, die Sache zu be - ſitzen. Es erhellet auch ſelbſt aus der Er - klaͤrung, daß der eine Sache nicht be - ſitzt, welcher ſie als eine fremde Sa - che, oder als eine Sache, welche keinem zugehoͤret, bey ſich hat.
Wenn ein Beſitzer glaubt, daß die Sache ſein ſey; ſo heiſt er ein gewiſſenhafter Be - ſitzer (poſſeſſor bonæ fidei); folglich, wenn derſelbe eine fremde Sache beſitzet, ſo weis er nicht, daß ſie einem andernzuge -129und dem Anfange des Eigenthums. zugehoͤre. Wenn er weiß, daß die Sache einem andern zugehoͤre, und daß er alſo nicht der Eigenthumsherr ſey (§. 199.), davor er will gehalten ſeyn; ſo nennt man ihn einen ungewiſſenhaften Beſitzer (poſſeſſorem malæ fidei). Daher erhellet, daß ein ge - wiſſenhafter Beſitzer alſobald zum un - gewiſſenhaften Beſitzer wird, wenn er erfaͤhret, daß die Sache, die er beſitzet, einem andern zugehoͤre. Und weil das Recht zum Beſitz allein dem Eigenthums - herrn zukommt (§. 200.), ſo haben beyde Beſitzer kein Recht zum Beſitz; und da keiner von beyden mit der Sache vornehmen darf, was er will (§. 199.), ſo iſt alles Vornehmen, ſo zur Ausuͤbung des Ei - genthumsrechts gehoͤret, unerlaubt (§. 195.), und was er thut, das geſchie - het mit Unrecht (§. 87.); jedoch kan dem gewiſſenhaften Beſitzer das Un - recht nicht zugerechnet werden, weil ſeine Unwiſſenheit unuͤberwindlich iſt (§. 34.).
Der rechtmaͤßige Gebrauch des Rechts iſtVom Ge - brauch u. Miß - brauch des Ei - gen - thums. derjenige, welchen die Pflichten erfordern; derjenige aber, der demſelben entgegen geſe - tzet, iſt der Mißbrauch (§. 66.). Es ſoll derowegen der Eigenthumsherr das Sei - nige nicht anders gebrauchen, als wie es ſeine Pflichten erfordern. Der Miß - brauch iſt natuͤrlich unerlaubt, dochNat. u. Voͤlckerrecht. Jdarf130II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. darf niemand denſelben hindern; ſon - dern man muß ihn dem andern ver - ſtatten, ſo lange er nichts unternim - met, was unſerem Rechte zuwieder iſt (§. 78.).
Man ſagt, es werde eine Sache ver - laſſen (res derelinqui), wenn der Eigen - thumsherr weiter nichts will, als daß ſie nicht mehr ſeine ſeyn ſoll. Daher erhellet, daß derjenige, welcher eine Sache ver - laͤßt, aufhoͤrt der Eigenthumsherr zu ſeyn (§. 195. 198. ); und daß folglich die verlaſſene Sache keinem zugehoͤre (§. 191.); ſo lange aber als der Eigen - thumsherr nicht den Entſchluß hat, ſeine Sache zu verlaſſen, verbleibt er der Eigenthumsherr.
Man ſagt hingegen, es werfe einer et - was weg (rem ſuam jactare), wenn er, oh - ne daß es eine Pflicht, oder Nothwendigkeit von ihm erfordert, und ohne daß er einigen Nutzen davon hat, nicht will, daß es ſeine ſeyn ſoll. Weil es gewiß iſt, daß ein Menſch, wenn er nicht den Gebrauch der Vernunft verlohren hat, das Seine liebet, und nicht ohne dringende Urſache will, es ſolle, was ſeine iſt, eines andern ſeyn; ſo kann man in zweifelhaften Faͤllen nicht vermu - then, daß einer das Seinige wegge - worfen habe.
Da durch den Verluſt des Beſitzes eineVom Verluſt des Be - ſitzes. Sache nur der Gewalt des Eigenthumsherrn entzogen wird, ſo daß er ſein Eigenthum nicht gebrauchen kann (§. 200.), deswegen aber er nicht will, die Sache ſolle nicht mehr ſeine ſeyn; ſo wird durch den Verluſt des Beſitzes das Eigenthum nicht ver - lohren; ſondern bloß durch ſeinen Wil - len behalten (§. 203.); folglich wird auch das Recht zum Beſitz behalten (§. 200.).
Weil wir nicht weniger mit unkoͤrperlichenVom Ei - genthum der un - koͤrperli - chen Sa - chen. Sachen, als z. E. dem Rechte zu jagen, Voͤ - gel zu fangen und allen andern verfahren koͤn - nen, wie wir wollen; ſo koͤnnen auch un - koͤrperliche Sachen eigenthuͤmlich ſeyn, und dem Eigenthume unterworfen werden (§. 195.). Aus dieſer Urſach wer - den ſie, eben wie die koͤrperlichen, unſere ge - nannt, und es gilt von ihnen eben das, was vermoͤge des Eigenthums bey den koͤrperlichen ſtatt findet.
Wenn man alles, was uns eigenthuͤmlichVon den Guͤtern und dem Vermoͤ - gen. iſt, ohne einigen Unterſcheid zu machen, uͤber - haupt betrachtet; ſo werden es Guͤter (bo - na) genannt. Daher werden die unkoͤr - perlichen Sachen, oder unſere Rechte (§. 206.), und dasjenige, was uns an - dere ſchuldig ſind, zu unſern Guͤtern gerechnet; keinesweges aber fremdeJ 2Sachen,132II. Th. 1. H. Von der erſten Gemeinſch. Sachen, welche unter unſern ſich be - finden, oder das, was wir andern ſchuldig ſind; und daher kann man nicht ſagen, ob und wieviel einer habe, bis die Schulden abgezogen ſind. Alle Guͤ - ter zuſammen genommen, oder alle dasjeni - ge, was unſer iſt, heiſt man das Vermoͤ - gen (patrimonium), und dieſes iſt entweder groß (amplum), oder geringe (tenue), nachdem es viele, oder wenige Guͤter in ſich begreift.
Das Vermoͤgen eines Menſchen gehoͤrt zu ſeinem aͤuſſerlichen Zuſtande (§. 8. 207.). Derowegen da wir ſchuldig ſind unſern aͤuſſe - ren Zuſtand ſo vollkommen zu machen, als in unſerer Gewalt ſtehet (§. 43.); ſo ſind wir verbunden unſer Vermoͤgen zu erhal - ten und, ſo viel an uns iſt, zu vermeh - ren. Derowegen da derjenige, welcher ſein Hab und Gut durch Mißbrauch vermindert, ſein Vermoͤgen verſchwendet; ſo ſoll folgends niemand das Seine verſchwen - den (§. 207.). Ja man ſchließt auch daher, daß derjenige, welcher ein groſſes Ver - moͤgen beſitzet, deswegen nicht muͤßig ſeyn duͤrfe. Denn auch derſelbe ſtehet un - ter der natuͤrlichen Verbindlichkeit, welche allen die Nothwendigkeit zu arbeiten aufer - legt, und niemanden muͤßig zu gehen erlaubt (§. 124.); welches auch daraus erhellet, daß dieſe Verbindlichkeit unveraͤnderlich iſt (§. 38. 42.).133und dem Anfange des Eigenthums. 42.). Weil der Erhaltung des Vermoͤgens ſo wohl die Verlaſſung (§. 203.), als auch die Wegwerfung des Seinen entgegen ſtehet (§. 204.); ſo iſt ſo wohl die Wegwer - fung, als die ohne dringende Noth geſchehene Verlaſſung des Seinigen dem Geſetze der Natur zuwieder.
Von der urſpruͤnglichen Art das Eigenthum zu erhalten.
Ein jeder hat von Natur das Recht zumVon dem Recht, von Sa - chen, die keinem zugehoͤ - ren, das Eigen - thum zu erhalten. nothwendigen Gebrauch der Sachen (§. 186. 188. ), und der Gebrauch derſelben, welcher vorher gemein war, wird demjenigen eigen, welcher mit dem Vorſatz, ſie zu gebrauchen, ſie in den Stand bringet, da er ſie gebrauchen kann (§. 192.). Wenn alſo die Gemeinſchaft der erſten Zeit aufgehoben wird (§. 194.); ſo entſtehet aus dem Rechte, blos den Gebrauch der Sachen ſich zuzueig - nen, das Recht, dieſelben ſich eigenthuͤmlich zu machen; und alſo iſt einer von Natur berechtiget, eine Sache, die keinem zu - gehoͤret, wenn er derſelben bedarf, ſich eigenthuͤmlich zu machen; folglich, da man das Urtheil von der Beduͤrfnis bloß dem - jenigen uͤberlaſſen muß, der eine Sache ſich zueignet (§. 78.); ſo iſt jeder, wer kannJ 3und134II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangungund will, berechtiget, ſich eine Sache, die noch keinem gehoͤret, zuzueignen.
Das Zueignen (occupatio) iſt die Hand - lung, durch welche einer erklaͤrt, daß eine Sache, die keinem zugehoͤrt, ſeine ſeyn ſoll, und ſie in den Zuſtand bringt, daß ſie ſeine ſeyn kann. Daher erhellet, daß das Zu - eignungsrecht von Natur einem je - den ohne Unterſchied zukomme, oder ein allen Menſchen gemeines Recht ſey (§. 209.). Und weil man die urſpruͤngli - che Art das Eigenthum zu erhalten (modum acqvirendi originarium) diejenige nennet, dadurch man Sachen, die keinem zugehoͤren, eigenthuͤmlich erhaͤlt; ſo iſt die Zueignung die urſpruͤngliche Art das Eigenthum zu erhalten.
Man nennt die koͤrperlichen Sachen be - wegliche (mobiles), welche ohne ihre Be - ſchaͤdigung von einem Ort zum andern bewegt werden koͤnnen; und beſonders heiſſen ſich bewegende (ſe moventes), welche ſich ſelbſt von einem Ort zum andern bewegen koͤnnen, als das Vieh; aber unbewegliche (immo - biles), welche ohne Schaden der Sache, oder auch gar nicht von einem Ort zum andern be - wegt werden koͤnnen; als alle liegende Gruͤn - de, ingleichen Haͤuſer.
Wenn jemand, nachdem man angefan -Von der Zueig - nung be - weglicher Sachen. gen hat das Eigenthum einzufuͤhren, eine bewegliche Sache ergreift, und ſie nicht wieder wegwirft, oder an ihren Ort und Stelle legt; ingleichen wenn er ſie in den Stand bringt, in welchem er ſie ergreifen kann; ſo eignet er ſich dieſelbe zu (§ 210.); folglich erhaͤlt er das Eigenthum (§. cit.).
Auf gleiche Weiſe iſt gewiß, daß einer,Von der Zueig - nung der unbe - weglichen Sachen. der einem liegenden Grunde Graͤntzen ſetzet; oder ihn zu einem gewiſſen Ge - brauch beſtimmt, der nicht wieder auf - hoͤret; oder, wenn er auf einem Grun - de ſtehet, der ſeine gewiſſe Graͤntzen hat, und muͤndlich in Gegenwart an - derer bezeugt, er wolle, daß derſelbe ſein ſeyn ſolle, denſelben ſich zueigne (§. 210.).
Da der Eigenthumsherr von ſeinem Rech -Von der Zueig - nung un - koͤrperli - cher Sa - chen. te alle uͤbrigen ausſchleuſt (§. 195.); ſo wer - den die unkoͤrperlichen Sachen, welche auch eigenthuͤmlich werden koͤnnen (§. 206.), ſich zugeeignet, wenn einer ſich derſel - ben wuͤrcklich bedient, und nicht leidet, daß ein anderer ſich derſelben bediene. Derowegen da das Recht eine Sache, die kei - nem zugehoͤret, ſich zuzueignen, eine unkoͤr - perliche iſt (§. 121.); ſo kann auch, nach -J 4dem136II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangungdem das Eigenthum eingefuͤhrt wor - den iſt, das Recht ſich zuzueignen, was niemanden gehoͤret, von einem ſich zu - geeignet werden, als z. E. das Recht in einer gewiſſen Gegend zu jagen, Voͤgel zu fangen, zu fiſchen.
Weil das Recht eine Sache ſich zuzueig - nen, demjenigen zugehoͤret, der es ſich mit Recht zugeignet hat (§. 210.); folglich nie - mand ſich deſſelben wieder ſeinen Willen be - dienen kann (§. 195.); ſo gehoͤret, wenn jemand an dem Orte, an welchem das Zueignungsrecht eigenthuͤmlich iſt, eine Sache, die keinem zugehoͤret, er - greift, z. E. wenn er in dem Theile eines Fluſſes fiſchet, in welchem das Recht zu fiſchen ſchon jemanden eigen iſt, die Sache nicht ihm zu, ſondern demjenigen, dem das Recht ſich dieſelbe zuzueignen, zukom - met; und da er demſelben Eingrif in ſein Recht thut, ſo thut er ihm unrecht (§. 87.).
Da aber kein Zufall jemanden zugerechnet werden kann (§. 3.); ſo wird zwar das Eigenthum deſſen, was einer, der ſich ſeines Rechts bedient, durch einen Zu - fall bekommt, vor denjenigen erlan - get, der das Zueignungsrecht hat, je - doch thut er ihm kein Unrecht.
Weil man eine Sache ſich zugeignet hat,Von Zu - eignung der wil - den Thie - re. ſo bald man ſie in den Stand gebracht, daß man ſie ergreifen kann (§. 212.); ſo hat man ein wildes Thier ſich zugeeignet, folgends iſt es ſeine; wenn man Netze ausgeſtellet an dem Orte, wo man das Zueignungsrecht hat, und daſſelbe ſich verſtrickt, daß es nicht davon kom - men kann; oder wenn es durch Werck - zeuge, die beſchaffen ſeyn moͤgen, wie ſie wollen, dergeſtalt feſt gehalten wird, daß es nicht entfliehen kann; oder wenn man es durch einen Schuß ge - faͤllet, oder alſo verwundet, oder er - muͤdet hat, daß es nicht entfliehen kann. Eben dieſes gilt auch von dem Wil - de, welches in einem umzaͤunten Walde ein - geſchloſſen iſt.
Weil das Eigenthum bloß durch ſeinenVon ſich ſelbſt be - wegen - den Sa - chen, wenn ſie aus der Veꝛwah - rung ge - laufen. Willen behalten wird, wenn man gleich den Beſitz verlohren (§. 205.); ſo verbleibet eine ſich bewegende Sache unſer, wenn ſie gleich aus unſer Verwahrung kommt, oder ein Thier, oder Vieh weglaͤuft; folglich bleibt auch in dieſem Falle ein wildes Thier unſer, ſo lan - ge als man daſſelbe unterſcheiden kann. Wenn man es aber, nachdem es weg - gelaufen, auf keine Weiſe mehr un - terſcheiden kann, und alſo nicht gewiß er -J 5weiſen138II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangungweiſen kann, daß es unſer ſey; ſo hoͤrt es auf unſer zu ſeyn, und kann, wie eine andere Sache, die keinem zugehoͤrt, ſich zu - geeignet werden (§. 210.).
Weil eine verlaſſene Sache niemanden zugehoͤret (§. 203.); ſo gehoͤrt ſie natuͤrli - cher Weiſe dem zu, der ſie ſich zueig - net (§. 210.): Wenn aber das Zueig - nungsrecht jemanden zukommet; ſo kann ſie niemanden eigenthuͤmlich wer - den, als demjenigen, dem das Recht gehoͤret (§. 215.).
Man ſagt, eine Sache wird verloh - ren (res amitti), welche demjenigen, der ſie hat, unvermerckt auf die Erde faͤllt, und, wenn er weggeht, daſelbſt gelaſſen wird. Man rechnet zu den verlohrenen Sa - chen diejenigen, welche von einer Kut - ſche im Fahren fallen, ohne daß man es gewahr wird; oder von einem Laſt - wagen, ohne daß es der Fuhrmann merckt. Da aus dem bloſſen Wegfallen nicht folgt, daß der Eigenthumsherr die ver - lohrene Sache nicht mehr haben wolle; ſo behaͤlt man das Eigenthum der ver - lohrnen Sachen (§. 205.); folglich ge - hoͤrt die Sache nicht demjenigen, der ſie findet (§. 210.). Wenn derjenige, der ſie findet, weiß, wer dieſelbe ver - lohren hat, oder wenn er im Nach -forſchen,139des Eigenthums. forſchen, wem ſie zugehoͤret, nachlaͤſ - ſig geweſen iſt, ſo beſitzt er ſie nicht mit einem guten Gewiſſen (§. 201.). Al - lein weil, da alle Hoffnung verſchwindet ſie wieder zu bekommen, man von Seiten des Eigenthumsherrn den Entſchluß ſie zu ver - laſſen vermuthet (§. 203.); wenn der Ei - genthumsherr nicht herausgebracht werden kann, ſo bleibet ſie deſſen, der ſie findet.
Auf gleiche Weiſe folgt, daß wenn manVon aus - geworfe - nen Sa - chen. ein Schiff zu lichten, z. E. bey einem Sturm, oder wenn es auf Sandbaͤncke ge - trieben worden, Sachen ins Meer wirft, ſo verbleiben ſie derjenigen, welchen ſie zugehoͤren; da man hieraus nicht ihren Willen ſie zu verlaſſen ſchlieſſen kann (§. 203.); folglich, wenn ſie ans Ufer getrieben, oder im Meere aufgefangen werden, ſo gehoͤren ſie dem nicht zu, der ſie auf - faͤngt. Was von den verlohrnen Sachen gilt, gilt auch von den ausgeworfenen (§. 220.).
Weil die Guͤter der Perſonen, dieVon de - nen im Schiff - bruche verlohre - nen Sa - chen. Schiffbruch leiden, als die ins Meer fal - len, und durch die Wellen dem Geſichte der - jenigen, welche im Schiffe ſind, entzogen werden, den verlohrenen Sachen gleich zu achten (§. 220.); ſo haben ſie eben das Recht, was verlohrne Sachen haben.
Der Schatz (theſaurus) ſind alle beweg - liche, ſonderlich koſtbare Sachen, oder Geld, die im Verborgenen liegen, und von welchen man nicht weiß, wem ſie zugehoͤren. Weil nun unmoͤglich heraus zu bringen iſt, wer die Sachen an einem verborgenen Orte hingelegt hat, (wie voraus geſetzet wird); ſo iſt der Schatz als eine Sache anzuſehen, die niemanden zugehoͤret; folglich gehoͤrt er natuͤrlicher Weiſe dem, der ihn fin - det; oder wenn das Zueignungsrecht je - manden eigen iſt, demjenigen, der das Zueignungsrecht hat (§. 210. 215.).
Diejenigen Fruͤchte (fructus) nennt man die natuͤrlichen, welche die Natur vor ſich, ohne unſer Zuthun, hervorbringt; die durch Fleiß hervorgebrachten (induſtriales) die - jenigen, welche die Natur nicht anders, als vermittelſt unſeres Fleißes und unſerer Sorg - falt hervorbringt. Man nennt eben dieſel - ben noch hangende (fructus pendentes), welche von der Sache, aus welcher ſie hervor - kommen, noch nicht abgeſondert ſind; erhal - tene (fructus percepti), welche von derſel - ben gaͤntzlich abgeſondert und voͤllig einge - bracht ſind; zuerhaltende (fructus perci - piendi) aber, welche einer haͤtte haben koͤnnen, wenn er nur mehreren Fleiß haͤtte anwenden wollen, folglich nicht nachlaͤßig geweſen waͤ - re. Wofern, die Fruͤchte zu erhalten, verſchie -dene141des Eigenthums. dene Handlungen oder Verrichtungen erfor - dert werden, als wie die Feldfruͤchte muͤßen gehauen, oder geſchnitten, in Garben gebun - den, in die Scheune gefahren, und daſelbſt gedroſchen werden; ſo heiſt das eine ange - fangene Erhaltung (perceptio inchoata), da man nur bis zu einer oder der andern Ver - richtung kommen iſt; die voͤllige aber (per - ceptio conſummata), da alle dabey vorzu - nehmende Verrichtung zu Ende gebracht iſt. Die erhaltene Fruͤchte werden noch verhan - dene (extantes) genannt, welche der Beſi - tzer der Sache, aus welcher ſie hervorgekom - men, noch hat; verzehrte (conſumti) hin - gegen, welche er nicht mehr hat.
Weil die freyen Handlungen desWarunt unſere Hand - lungen Sachen gleich zu achten. Menſchen, in ſo fern ſie entweder ihm ſelbſt, oder andern nuͤtzlich ſind, eben ſo wohl, als die Sachen ſich ſchaͤtzen laſſen; und, nach - dem das Eigenthum eingefuͤhrt wor - den iſt, geſchaͤtzt werden muͤſſen, wie aus demjenigen, was wir unten beweiſen werden, noch klaͤrer erhellen wird; ſo werden dieſel - ben Sachen, die unſer eigen ſind, gleich geſchaͤtzet; folglich geſchieht dieſes auch mit der Arbeit, ingleichen der Wartung und Beſorgung der eigenthuͤmlichen Sachen.
Daher folgt ferner, daß, was aus un -Von den Fruͤchten deꝛſelben. ſerer Arbeit, Wartung und Beſorgungkom -142II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangungkommet, als eine Frucht derſelben an - zuſehen iſt (§. 198.). Daher ſind die Fruͤchte, die ohne unſern Fleiß von der Natur nicht hervorgebracht werden, theils Fruͤchte der Sache, theils Fruͤch - te des Fleiſſes, oder der Arbeit, der War - tung und Beſorgung (§. 224.). Es gehoͤret aber auch zu der Erhaltung der Fruͤchte (perceptionem) die Beſtim - mung zu einem gewiſſen Gebrauch, z. E. wenn man die Eicheln, die vor ſich her - unter fallen, den Schweinen die dahin ge - trieben worden, zu freſſen uͤberlaͤßt; oder das Graß dem Viehe, ſo auf die Weide getrie - ben wird.
Man nennet eine Speciem ein einzelnes Ding von einer gewiſſen Art. Daher nennt man die Specification die Verrichtung, wo - durch aus einer gewiſſen Materie ein Ding von einer andern Art gemacht wird; und die Geſtalt (forma), welche die Sache be - kommt, iſt anzuſehen als eine Frucht der Bemuͤhung desjenigen, der es zu einem Dinge von einer andern Art macht (§. 226.). Woraus erhellet, in wie - ferne kuͤnſtliche Sachen als Fruͤchte an - zuſehen ſind, die demjenigen gehoͤren, der ſie macht (§. 221.), naͤmlich das Ei - genthum kuͤnſtlicher Sachen wird durch die Specification erhalten. Weil die Koͤrner in den Aehren, aus welchen ſie ge -droſchen143des Eigenthums. droſchen werden, ſchon wuͤrcklich da ſind; ſo iſt das Ausdreſchen der Koͤrner aus den Aehren keine Specification.
Eine fruchtbare Sache (res fructuo -Von den frucht - baren u. unfrucht - baren Sachen, und wem die Fꝛuͤch - te gehoͤ - ren. ſa) iſt diejenige, von welcher man eine Frucht erhalten kann; eine unfruchtbare aber (in - fructuoſa), aus welcher keine Frucht kom - men kann. Man ſagt auch zuweilen, ſie ſey von Natur unfruchtbar. Weil man frucht - bare Sachen wegen der Fruͤchte zu eigenen macht, welches vor ſich klar iſt, und eben des - wegen das Eigenthum auch das Recht, die Fruͤchte zu genieſſen, in ſich begreift (§. 198.); ſo gehoͤren die Fruͤchte demjenigen, wel - chem die Sache gehoͤret, oder dem Ei - genthumsherrn der Sache; folglich, da der Eigenthumsherr von ſeinem Rechte alle uͤbrigen ausſchleußt (§. 195.), ſo gehoͤrt das Recht die Fruͤchte zu erhalten nie - manden, als dem Eigenthumsherrn.
Daher iſt ferner klar, daß der BeſitzerOb der Beſitzer einer fremden Sache Theil an den Fruͤch - ten hat. einer fremden Sache, er mag dieſelbe mit gutem Gewiſſen beſitzen, oder nicht, kein Recht hat die Fruͤchte zu erhalten; folglich daß die natuͤrlichen Fruͤchte, ſie moͤgen noch hangende (pendentes), oder ſchon erhaltene (percepti) ſeyn, dem Ei - genthumsherrn zugehoͤren (§. 224.). Weil aber die durch Fleiß erhaltene theils Fruͤchte der Sache, theils des Fleiſſes ſind(§. 226.);144II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangung(§. 226.); ſo ſind ſie dem Eigenthums - herrn und dem Beſitzer, nach Propor - tion der Sache und des angewandten Fleiſſes, gemein; z. E. wenn einer ein fremdes Grundſtuͤcke beſitzet, ſo gehoͤrt ſo viel von den Fruͤchten dem Eigenthumsherrn, als der Gebrauch des Grundſtuͤcks werth iſt; dem Beſitzer aber ſo viel, als ſeine Arbeit und an - gewandter Fleiß.
Weil die Erhaltung der Fruͤchte zum Ge - brauch des Eigenthums gehoͤret (§. 228.); ſo thut ein ungewiſſenhafter Beſitzer, indem er die Fruͤchte ſich zueig - net, dem Eigenthumsherrn Unrecht (§. 201.); folglich hat dieſer das Recht ihn zu beſtrafen, daß er dieſelbe ihm genommen hat (§. 93.); hingegen ein gewiſſenhafter Beſitzer, dem, was er thut, nicht zugerechnet werden kann (§. 202.), kann deswegen nicht beſtraft werden. Wenn aber die Fruͤchte verzehrt wor - den, ſo haben beyde eine fremde Sa - che verzehrt (§. 229.).
Wenn einer aus einer fremden Ma - terie eine gewiſſe Sache gemacht hat (ſpeciem fecit), da die Materie dem Eigen - thumsherrn der Materie gehoͤret, die Geſtalt, die ſie erhalten hat, als eine Frucht der Arbeit deſſen, der ſie gemacht hat, anzuſehen (§. 227. 228.);145des Eigenthums. 228.); ſo iſt die Sache dem Herrn der Marerie und demjenigen, der daraus die Sache gemacht, gemein, nach Pro - portion des Werths der Materie und der Arbeit. Daher kann man leicht erken - nen, was einer vor ein Recht hat, der theils aus ſeiner eigenen, theils aus einer fremden Materie etwas macht, oder aus einer frem - den Materie vor einen andern; maſſen es ei - nerley iſt, ob einer etwas ſelbſt thut, oder durch einen andern. Es iſt aber klar, daß einer, der etwas mit Vorbewuſt aus einer fremden Materie macht, dem Ei - genthumsherrn der Materie unrecht thut (§. 201.), und daher ſtraffaͤl - lig wird (§. 93. 153.).
Weil das Ausdreſchen nicht zu der Speci -Vom Ausdre - ſchen. fication, oder Verfertigung einer Sache aus einer fremden Materie gehoͤret (§. 227.), ſon - dern die Koͤrner ſchon ein Theil der Aehren ſind; ſo ſind, wenn einer fremde Aeh - ren ausdriſchet, ſo wohl die Koͤrner, als das Stroh des Eigenthumsherrn der Aehren. Was vom Unrecht zu mer - cken iſt, kann man aus dem vorigen §. wie - derhohlen.
Die Jungen (fœtus) ſind eine FruchtVon dem jungen Viehe. der Thiere, als die Kaͤlber der Kuͤhe, die Laͤmmer der Schafe (§. 198.). Deswegen gehoͤren ſie dem zu, dem die ThiereNat. u. Voͤlckerrecht. Kgehoͤ -146II. Th. 2. H. Vom urſpruͤngl. Erlangunggehoͤren, als die Kaͤlber dem Eigenthums - herrn der Kuͤhe, die Laͤmmer dem Eigen - thumsherrn der Schafe. Eben dieſes gilt von den Eyern des Federviehes, und von den Kuͤchelchen, die ausgebruͤtet worden. Und es hindert nichts, daß von meinem Viehe dei - nes traͤchtig worden.
Da erhaltene, oder gehobene Fruͤch - te nicht mehr ein Theil der Sache ſind, aus welcher ſie hervorgekommen, als die von ihr nun abgeſondert ſind (§. 224.), und dem Ei - genthumsherrn einen beſondern Nutzen ver - ſchaffen; ſo werden ſie alsdann vor ſich als eigenthuͤmliche Sachen angeſehen.
Wenn zweyen, oder mehreren Eigenthums - herren zugehoͤrige, fluͤßige oder eingeſchmoltzene Materien mit einander vermiſcht werden, daß dadurch eine vermiſchte Maße wird, ſo nennt man es eine Vermiſchung (confu - ſionem). Eine Vermengung (commix - tio) aber heiſt, wenn trockene und feſte Koͤr - per alſo unter einander gemengt werden, daß, was dem einen zugehoͤrt, zwar von dem un - terſchieden verbleibet, was dem andern zuge - hoͤrt, jedoch alles zuſammen nur ein Gantzes ausmachet. Da man niemanden wieder ſei - nen Willen das Eigenthum von einer Sache nehmen kann (§. 195.); ſo iſt, wenn das mit einander Vermiſchte, oder un - tereinander Vermengte nicht von ein -ander147des Eigenthums. ander wieder abgeſondert werden kann, oder wenigſtens ſolches nicht ohne Schaden geſchehen kann, das Ver - miſchte und unter einander Ge - mengte, nach Proportion deſſen, was einem jeden zugehoͤrete, gemein. Jm entgegen geſetzten Falle bekommt ein jeder das Seinige.
Eben dieſes gilt, aus eben dem Grunde, vonVon der An - ſchweiſ - ſung und Anloͤ - tung. der Anſchweiſſung (ferruminatione) ſo wohl roher, als verarbeiteter Metalle von ei - ner Art; und von der Anloͤtung (adplum - batura), da zwey Sachen, von verſchiedner Art, durch eine von ihnen unterſchiedene Ma - terie zuſammen gefuͤgt werden.
Grund und Boden (ſolum) nenntVom Bauen u. Boden. man einen Theil des Erdbodens, in ſo ferne er Menſchen oder andere Sachen traͤget. Auf Grund und Boden befindliches (ſuper - ficies) heißt dasjenige, was mit demſelben zuſammenhaͤngt und uͤber denſelben hervor - ragt; als da ſind Baͤume, Weinſtoͤcke, Pflan - tzen, Haͤuſer. Die Aufrichtung eines Ge - baͤudes iſt das Bauen (ædificatio), und in ſo fern etwas auf einem Grunde erbauet wird, nennt man es das Erbauen (inædificatio - nem). Es iſt auf eben die Art, wie vorher, klar (§. 235.), daß, wenn jemand auf ſeinem Grund und Boden aus einer fremden Materie, oder auf einemK 2frem -148II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangungfremden Grunde und Boden aus ſei - ner Materie bauet, das Gebaͤude den Eigenthumsherren der Materie und des Grundes und Bodens, nach Pro - portion, gemein ſey; woferne das Ge - baͤude nicht beweglich iſt, daß es naͤmlich weggenommen werden kann.
Eben dieſes gilt auch vom Pflantzen (plantatione), wodurch eine Pflantze in einen Grund geſetzt wird, daß ſie daſelbſt Wurtzeln ſchlaͤgt und daraus ihre Nahrung hat; wie auch vom Saͤen (ſatione), wenn der Same in die Erde gebracht wird, daß er daſelbſt keimet und aufgehet. Man muß aber hierbey nur dieſes mercken: Daß, wenn ein einem jeden zukommender Theil in der Gemeinſchaft be - ſtimmt werden ſoll, man darauf zu ſehen habe, wie viel die Pflantze, wenn ſie geſetzt wird, oder der Saamen, wenn er ausgeſaͤet wird, und der Gebrauch des Grundes nebſt der Arbeit und Wartung gilt (§. 225.).
Auf eine gleiche Weiſe iſt, aus eben dem Grunde, wenn jemand auf unſerem Pa - pier, oder Pergament, ein Gedicht, eine Geſchichte, oder eine Rede geſchrieben, oder auf unſere Tafel ein Bild gemahlt haͤtte, der gantze Koͤrper, nach Pro - portion deſſen, was einem jeden gehoͤ - ret, gemein. Es iſt naͤmlich bey der Ge - meinſchaft gar nichts ungereimtes, wenn ſichdas149des Eigenthums. das Eigenthum auf den tauſendſten, ja auf einen Milliontheil erſtreckt. Was aber Rech - tens iſt, wenn das Gemeinſchaftliche getheilt werden ſoll, die Sache aber ſich nicht theilen laͤßt, noch die Gemeinſchaft beſtehen kann, das wird ſich am gehoͤrigen Orte weiſen.
Die Auslaͤufer (ſtolones), welche ausVon den Auslaͤu - fern und auslau - fenden Kraͤutern (herbis emiſſa - riis). den Wurtzeln eines Baums, der dem Nachbar gehoͤrt, auf unſerem Grun - de und Boden hervorwachſen, und die Kraͤuter, welche aus den in der Er - de getriebenen Wurtzeln eines fremden Baumes, oder auch uͤber der Erde auslaufenden Stengelchen von einer fremden Pflantze hervorwachſen, ſind unſer; weil ſie als eine Frucht unſers Grun - des und Bodens anzuſehen, indem ſie die Na - tur daſelbſt hervorbringt (§. 198.).
Weil alle Sachen, ſie moͤgen Nahmen ha -Vom Recht auf des Nach - bars Baum. ben, wie ſie wollen, des Gebrauchs wegen dem Eigenthum unterworfen werden (§. 121. 195. ); ſo wird mit Grund und Boden auch der Luftraum, welcher in ſenck - rechter Linie daruͤber iſt, dem Eigen - thume unterworfen, ſo weit er, von dem Grunde an gerechnet, genutzt wer - den kann. Der Kuͤrtze wegen wollen wir ihn den Luftraum (ſpatium atmoſphæri - cum) nennen. Da nun die Aeſte, welche vom Baume des Nachbars durch un -K 3ſern150II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. Erlangungſern Luftraum ausgebreitet werden, mit den auslaufenden Kraͤutern zu verglei - chen ſind (§. 240.); ſo gehoͤren dieſelben auch uns zu; folglich auch die Fruͤchte auf denſelben (§. 228.). Und wenn die Aeſte hindern, daß wir unſern Grund und Boden nicht ſo nutzen koͤnnen, wie wir wollen, ſo haben wir das Recht, dieſelben zu behauen; eben ſo, wie der Naͤchbar das Recht hat, den Baum umzuhauen; als dem das Recht zukommt, mit dem Baume vorzunehmen, was er will, ſo ihm wieder ſeinen Willen nicht kann ge - nommen werden (§. 195.).
Das Dazukommen (acceſſio) wird ge - nannt, wenn zu einer gewiſſen Sache, wel - che ſchon eine gewiſſe Geſtalt hat, noch etwas anders kommt, das mit ihr, es ſey auch auf was vor Art und Weiſe es wolle, zuſammen haͤngt, oder mit ihr vereiniget wird. Das - jenige, was auf dieſe Weiſe dazukommt, heiſt das Dazukommende (acceſſorium); dieje - nige Sache aber, zu welcher es dazukommt, nennt man die Hauptſache (rem principa - lem). Man nennt aber dieſes Dazukom - men das natuͤrliche, oder das Anſetzen, welches von der Natur dazu gebracht wird; das kuͤnſtliche, welches die Menſchen ma - chen; und das vermiſchte, wozu Menſchen und Natur etwas beytragen. Wenn eine fremde Sache zu der unſeren kommt,und151des Eigenthums. und ſie kann ohne Schaden abgeſon - dert werden, als z. E. wenn ein Edel - ſtein, der unſer iſt, in eines andern Ring gefaßt worden; ſo verbleibt der Stein unſer: im Gegentheile iſt die Haupt - ſache mit dem Dazukommenden gemein (§. 195.). Wenn eine Sache, die kei - nem zugehoͤrt, dazu kommt; ſo bleibt ſie eine Sache, die keinem zugehoͤrt, ſo lange, als ſie nicht dem Eigenthume unterworfen wird (§. 210.). Bey der kuͤnſtlichen Art muß man vornaͤmlich daraus beurtheilen, was die Hauptſache und was das Dazukommende ſey, wozu die Sache gewied - met iſt.
Man ſagt, eine Sache gehe unter oderVon dem Unter - gange oder dem Verge - hen einer Sache. vergehe (interit), wenn dieſelbe aufhoͤrt wuͤrcklich zu ſeyn. Die Art aber vergeht (ſpecies interit), wenn die Geſtalt der Sa - che zernichtet wird, die Materie aber bleibt. Da niemand ein Recht uͤber eine Sache hat, als der Eigenthumsherr (§. 195.); ſo iſt der Schade des Eigenthumsherrn, wenn die Sache untergehet, oder vergehet (res interit ſuo domino), und er verliehrt ſein Recht, was er in derſelben hatte: aber wenn die Art vernichtet wird, ſo bleibt noch die Materie ſeine.
Hieraus iſt klar, daß, wenn durch dieVon ei - nem lie - genden Gewalt eines Flußes unvermerckt Er -K 4de152II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. ErlangungGrunde, der durch die Ge - walt ei - nes Fluſ - ſes ver - mindert worden iſt.de weggeſchwemmet wird, ſo daß mit der Zeit unſer liegender Grund merck - lich abnimt; oder wenn auch durch die Gewalt des Waſſers merckliche Thei - le weggeriſſen und weggeſchwemmet werden, wir das Eigenthum an dem Theil verliehren, der uns entriſſen worden.
Wenn aber die Gewalt eines Fluſſes von deinem liegenden Grunde einen Theil weggeriſſen, und gantz an des Nachbars liegenden Grund angeſetzt hat, ſo bleibt derſelbe deine, ſo lange du ihn nicht verlaſſen wilſt (§. 203.); indem er nicht untergehet (§. 243.), und dir wieder deinen Willen das Eigenthum nicht genommen und einem andern gegeben werden kann (§. 195.). Man nennt aber dergleichen gewaltſame Wuͤrckung der Natur, es mag durch das Waſſer, oder einen andern Zufall geſchehen, das Abreiſſen (avulſionem).
Wenn der Fluß ſeinen natuͤrlichen Graben auf einmahl gaͤntzlich verlaͤßt, und einen andern Weg nimmt; ſo ver - bleibet der Graben deſſen, dem der Fluß zugehoͤrte; indem der Graben desje - nigen iſt, deſſen der Fluß iſt, und nicht un - tergehet, wenn gleich der Fluß ausreißt (§. 243. 245.). Derowegen wenn der Fluß keinem zugehoͤrte, ſo gehoͤret auch derver -153des Eigenthums. verlaſſene Graben keinem zu; folglich kann er von demjenigen eigenthuͤmlich gemacht werden, der das Recht hat, dergleichen Sachen ſich eigenthuͤmlich zu machen (§. 210. 215.).
Auf gleiche Weiſe iſt klar, daß, wennVon ei - ner Jn - ſel, die aus ei - nem Acker ge - macht worden. ein Fluß aus unſerem Acker eine Jnſel macht, dieſelbe Jnſel unſer ſey; wenn aber der Acker gemeinſchaftlich gewe - ſen, auch die Jnſel, nach Proportion, gemeinſchaftlich ſey.
Wenn ein Fluß ſich einen neuenVom Graben des Fluſ - ſes der aus un - ſerem Acker ge - macht worden iſt. Graben auf unſerem Acker gemacht hat; ſo behalten wir unſer Recht auf dem Grunde; weil man den neuen Gra - ben, als eine von uns verlohrene Sache anſiehet, welche man wieder zu bekommen noch Hofnung hat, in ſo fern naͤmlich der Fluß zu ſeinem vori - gen Graben zuruͤckkehren, oder nach einer an - dern Gegend ſeinen Weg nehmen kann (§. 220.); folglich gehoͤrt der Acker, wenn er wie - der in den vorigen Stand geſetzet iſt, uns, und ſo auch ein jeder Theil, der wieder in den vorigen Stand geſetzet wird.
Wenn alſo auch unſer Acker gantz uͤber -Vom Recht der Uebeꝛ - ſchwem - mung. ſchwem̃t wird, unerachtet die Ueber - ſchwemmung viele Jahre dauren ſollte; ſo bleibt er unſer (§. 195.), ſo lange wir ihn nicht verlaſſen (§. 203.).
Wenn durch einen Zufall im Meere, oder auf einem Fluß eine Jnſel entſte - het, z. E durch ein Erdbeben, oder weil der Fluß durch Zuſammenſchwemmen nach und nach einen erhabenen Ort uͤber dem Fluß gemacht, und durch Anſpuͤhlen vergroͤſſert hat; ſo gehoͤret dieſelbe nie - manden, indem ſie als eine Sache anzuſehen, die in der Natur noch nicht dageweſen (§. 191.); folglich kann ſie von demjenigen eigen - thuͤmlich gemacht werden, der das Recht hat, ſich eigenthuͤmlich zu machen, was niemanden gehoͤret (§. 210. 215.). Wenn aber eine Jnſel in einem Fluſſe entſtehet, weil der Fluß einen Theil, der ſonſt zum Graben des Fluſſes gehoͤrte, trocken ver - laͤßt und um denſelben zu flieſſen be - ginnet; da in ſolchem Falle nur ein Theil des Grabens verlaſſen wird, ſo iſt die Jnſul deſ - ſen, dem der Fluß zugehoͤret; folgends weñ der Fluß niemanden zugehoͤret, ſo ge - hoͤret auch die Jnſel niemanden (§. 246.).
Die Anſpuͤhlung (alluvio) nennt man den natuͤrlichen Zuwachs, da durch die Gewalt eines Fluſſes an einen daran liegenden Grund unvermerkt immer mehr angeſetzt wird, ſo daß er mit der Zeit merklich vergroͤſſert wird. Da nun, was hierdurch zu unſerm Grun - de kommt, als eine Sache anzuſehen iſt, die vorher in der Natur nicht geweſen;ſo155des Eigenthums. ſo erhellet, wie vorhin (§. 250.), es gehoͤre daſ - ſelbe niemanden zu; folglich koͤnne es von demjenigen eigenthuͤmlich gemacht werden, welcher das Recht hat, ſich niemanden zu gehoͤrige Sachen eigen - thuͤmlich zumachen.
Es ſind aber die Aecker entweder ausge -Dieſes wird ge - nauer er - wogen. meſſene Aecker (agri aſſignati), welche mit ei - nem gewiſſen Maaſſe gemeſſen worden; oder es ſind umgraͤntzte (limitati), welchen man ohne Ausmeſſung gewiſſe Graͤnzen geſetzt; oder endlich von der Natur umgraͤntzte (agri arcifinii), welche natuͤrliche Graͤntzen haben, als Fluͤſſe, Berge, Waͤlder. Das Recht ſich zuzueignen, was das Waſſer an - ſpuͤhlet, kommet dem zu, deſſen Acker natuͤrliche Graͤntzen hat, nicht aber dem, deſſen Acker ausgemeſſen iſt, oder dem auch ſeine Graͤntzen geſetzt worden ſind. Denn derjenige, welcher wolte, daß der Acker ſeine natuͤrliche Graͤntzen haben ſollte, hat mit demſelben das Recht der Anſpuͤhlung ſich zugleich eigenthuͤmlich gemacht: welches aber nicht von demjenigen kann verſtanden wer - den, der einen ausgemeſſenen, oder umſchraͤnck - ten Acker hat (§. 251.). Da nun die - ſer kein von der Natur umſchraͤnckter Acker iſt, wenn zwiſchen dem Acker und dem Fluſſe ein oͤffentlicher Weg, oder eine Landſtraſſe gehet, ſo nicht zum Acker, als ein Theil deſſelben, gehoͤret; ſo kann derEigen -156II. Th. 2. H. Von urſpruͤngl. ErlangungEigenthumsherr des Ackers kein Recht der Anſpuͤhlung haben.
Da ſtillſtehende Waſſer ihre geſetzte Graͤn - zen haben, ſo daß, wenn ſie wachſen, oder fallen, den benachbarten liegenden Gruͤnden nichts zuwaͤchſt, oder abgehet; ſondern ein jeder in dem, was ihm gehoͤret, ſein Recht be - halten kann; ſo findet das Anſpuͤhlungs - recht bey ſtillſtehenden Waſſern nicht ſtatt (§. 251.). Man nennt aber im La - teiniſchen ein ſtillſtehendes Waſſer, das nicht austrocknet, lacum; wenn es aber austrock - net, ſtagnum. Es hat aber nichts zu ſagen, daß unterweilen durch einem Zufall auch ein lacus austrocknen kan.
Weil eine poſitive Gemeinſchafft darinn be - ſtehet, daß zweyen, oder mehreren zuſam - men eine Sache, die nicht getheilt werden kann, nach Proportion eigenthuͤmlich iſt, (§. 196.); ſo iſt die Gemeinſchafft, wel - che durch die Specification, oder Verfer - tigung einer Sache aus einer fremden Mate - rie (§. 231.), durch das Miſchen und Mengen (§. 235.), durch die Anſchweiſ - ſung und Anloͤtung (§. 236.), durch das Bauen (§. 237.), durch das Pflan - zen und Saͤen (§. 238.), durch die Schrift und Mahlerey (§. 239.) und durch das Dazukom̃en eingefuͤhrt wird §. 242.), eine poſitive Gemeinſchafft:Das157des Eigenthums. Das Eigenthum aber wird in derſelben, genau zu reden, nicht urſpruͤnglich er - halten; in ſo fern aber die gemeinſchaft - liche Sache vorher in der Natur noch nicht befindlich war, ſo wird die Er - haltung des Eigenthums der urſpruͤng - lichen Erhaltung gleich geachtet. (§. 210.).
Von den Verbindlichkeiten und Rechten, welche aus dem Eigen - thum entſtehen.
Weil der Eigenthumsherr ſchuldigOb das Eigen - thum das Recht in ſich ſchließt eine Sa - che zu verder - ben. iſt, ſich ſeiner Sache nicht anders zu bedienen, als ſeine Pflichten erfor - dern (§. 202.); ſo darf er auch, wenn es keine natuͤrliche Verbindlichkeit von ihm fordert, ſeine Sachen nicht zernichten, verderben, oder verſchlim - mern; folglich ſchließt das Eigen - thumsrecht nicht das Recht in ſich, ſeine Sache zu verderben, oder zu ver - ſchlimmern (§. 49.). Es fließt das Recht, welches der Eigenthumsherr hat, mit ſei - ner eigenem Sache nach ſeinem Gefallen vor - zunehmen, was man wil, aus der natuͤrli - chen Freyheit (§. 195.), und dieſe hebt die na - tuͤrliche Verbindlichkeit nicht auf (§. 77.).
Einer verfaͤhret mit der Sache ſelbſt nach ſeinem Gefallen, wenn er einen liegenden Grund, oder das, was darauf ſtehet, oder auch eine andere Sache veraͤndert, ingleichen wenn er aus ſeiner Materie etwas macht; wel - ches an und vor ſich ſelbſt klar iſt. Weil nun der Eigenthumsherr das Recht hat, ſeine Sachen nach ſeiner Willkuͤhr einzu - richten, wie er will, oder die Proprietaͤt, (proprietatem) (§. 198.); ſo hat er auch das Recht einen liegenden Grund, oder was auf demſelben ſtehet, oder auch eine andere Sache zu veraͤndern, und aus ei - ner Materie zu machen, was ihm ge - faͤllt; Wem das Eigenthum nicht zu - koͤmmt, dem iſt es nicht erlaubt eine Ver - aͤnderung vorzunehmen, oder etwas aus einer Materie zu machen, die nicht ſein iſt (§. 195.).
Aus eben dem Grunde hat der Eigen - thumsherr, vermoͤge der Proprietaͤt, das Recht, ſein Eigenthum auf einen andern zu bringen; folgends, da dieſes die Veraͤuſſerung einer Sache (alienatio rei) genannt wird, in ſo fern naͤmlich itzund ein anderer Eigenthumsherr wird, als der es vorher war, hat er das Recht eine Sache zu veraͤuſſern (jus alienandi); demjeni - gen aber, der nicht der Eigenthumsherr iſt, iſt keine Veraͤuſſerung einer fremdenSache159wegen des Eigenthums. Sache er laubet (§. 199.). Daher folgt ferner, daß wenn einer eine Sache be - kommt, von einem, der nicht der Ei - genthumsherr iſt; ſo gehoͤrt dieſelbe nicht dem zu, der ſie bekommen hat, ſondern ſie bleibt deſſen, dem ſie gehoͤ - ret (§. 205.). Weil die unkoͤrperlichen Sachen, als die Rechte (§. 121.), auch im Eigenthume ſind (§. 206.); ſo kann der Ei - genthumsherr auch die Recht veraͤuſ - ſern; als das Recht zu fiſchen, zu jagen.
Wenn man das Eigenthum auf einen an -Von dem Recht eine Sache zu geben. dern bringet, ohne dabey darauf zu ſehen, ob ſie ſeine iſt, oder nicht, ſo heiſſet dieſes das Geben (datio); dergeſtalt daß geben (dare) nichts anders iſt, als ſein Eigenthum auf einen andern bringen. Daher iſt eben - falls klar, daß niemand, als der Eigen - thumsherr einem andern eine Sache geben kann; und folglich niemand eine fremde Sache dem andern geben koͤnne (§. 199.).
Wenn ein Eigenthumsherr ſein Eigen -Von dem Recht ei - nem zu einer Hand - lung ein Recht zu erthei - len, die in Ab - thum veraͤuſſert, ſo uͤbergiebt er ſein Eigen - thum einem andern (§. 257.); folglich auch das Recht zu allen Handlungen, welche ver - moͤge des Eigenthums einem erlaubt ſind. Derowegen kan auch das Recht zu einer jeden Handlung, die Vermoͤge des Ei -gen -160II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. ſicht des Eigen - thums erlaubt iſt.genthums erlaubt iſt, einem andern eingeraͤumet, das Eigenthum aber ſelbſt vor ſich behalten werden. Je - doch iſt klar, daß das Eigenthum in die - ſem Fall vermindert wird; weil das Recht, welches der andere erhalten, ſein eigen iſt, welches ihm wieder ſeinen Willen nicht wieder genommen werden kann (§. 100.).
Gleichergeſtalt, weil der Eigenthums - herr mit einem jeden Nutzen ſeiner Sache, nach ſeinem Gefallen verfahren kann (§. 195. 198. ); ſo kann er auch einem andern ein Recht in ſeiner Sache einraͤumen, es habe einen Nahmen, wie es wolle; allein wer nicht Eigenthumsherr iſt, kann dieſes nicht thun. Dergleichen iſt das Recht Waſſer aus unſerem Brunnen zu ſchoͤpfen, das Recht uͤber unſern Grund zu dem ſeinen zu gehen.
Weil der Eigenthumsherr in einer Sache das Eigenthum behaͤlt, die, es ſey auf was vor Weiſe es wolle, in unſere Gewalt koͤmmt, daß wir dieſelbe beſitzen koͤnnen (§. 200. 205. ); und eine jede Handlung, die zur Ausuͤbung des Eigenthums gehoͤrt, uns unerlaubt iſt (§. 195.), wir aber verhuͤten ſollen, daß ein anderer nicht in Schaden (§. 134.), folglich um das Seine kommt (§. 207.); ſo muͤſſen wir davor ſorgen, daß, wenn eines andern Sache, es ſey auf was vorWeiſe161wegen des Eigenthums. Weiſe es wolle, in unſere Gewalt koͤmmt, ſie wiederum in die Gewalt ihres Eigenthumsherrn komme; folg - lich wenn man weiß, wer derſelbe ſey, ſo muß man ihm ſeine Sache wieder geben; weis man es aber nicht, ſo muß man nachforſchen, wer er ſey. Zum Exem - pel wollen wir eine Sache nehmen, die ver - lohren worden, und wir gefunden haben, oder wenn ein fremdes Vieh auf unſern Hof kommt.
Weil derjenige, welcher unſere Sache hat,Von der Vindica - tion eineꝛ Sache, oder dem Wieder - zueig - nungs - recht. verbunden iſt, uns dieſelbe wieder zu geben (§. 261.); ſo haben wir, als Eigen - thumsherren, das Recht ihn dazu an - zuhalten, daß er uns dieſelbe wieder - geben muß (§. 46.), und wenn er nicht wolte, ihn mit Gewalt dazu anzuhal - ten (§. 80.). Das Recht eine uns zugehoͤ - rige Sache von jedem Beſitzer oder Jnhaber mit Gewalt zu erhalten, wird die Wiederzu - eignung oder Vindication einer Sache (vindicatio rei), oder auch das Recht eine uns zugehoͤrige Sache uns wieder zu - zueignen genannt. Der Eigenthums - herr hat alſo das Recht, ſich ſeine Sache von jedem Beſitzer, oder Jnhaber wieder zuzueignen. Weil aber die Sache bloß ihrem Eigenthumsherrn wieder gegeben werden muß (§. 261.); ſo ſind wir verbun - den erſt zu beweiſen, daß eine Sache unſer ſey; und ehe wir daſſelbe nichtNat. u. Voͤlckerrecht. Lbewie -162II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. bewieſen haben, koͤnnen wir auch den andern nicht mit Gewalt anhalten, uns die Sache wieder zu geben. Da nun die gewaltſame Behauptung ſeines Rech - tes ein Krieg iſt (§. 98.); ſo iſt die Wie - derzueignung einer uns zugehoͤrigen Sache ein Krieg.
Ein boßhaftes Wegnehmen einer Sache, die einem andern zugehoͤret, wieder ſein Wiſ - ſen und Willen, mit dem Vorſatze, ſich dieſel - be zuzueignen, wird ein Diebſtahl (furtum) genannt. Nimmet man einem das Seine auf oͤffentlicher Straſſe mit Gewalt, ſo heiſt es ein Raub (rapina). Wer einen Dieb - ſtahl begeht, wird ein Dieb; wer einen Raub begeht, ein Raͤuber (prædo) genannt. Es iſt aber ein offenbahrer Diebſtahl (fur - tum manifeſtum), wenn der Dieb ſelbſt bey dem Stehlen ertappt wird, da er die geſtohl - nen Sachen noch nicht anders wohin gebracht hat: hingegen kein offenbahrer Dieb - ſtahl, oder ein heimlicher (furtum nec manifeſtum) im entgegengeſetzten Falle. Wenn jemand wieder Wiſſen und Willen des Eigenthumsherrn, nach ſeinem eigenen Gefal - len, ſich des Gebrauchs einer Sache anmaſſet, als wenn ſie ſeine waͤre, ſo nennet man es einen Diebſtahl des Gebrauchs (furtum uſus). Wenn jemand einen wieder ſeinen Willen um den Beſitz ſeiner unbeweglichen Sache bringet, als, wenn er dem Glaͤubigerdas163wegen des Eigenthums. das Unterpfand nimmet; ſo nennt man es ei - nen Diebſtahl des Beſitzes (furtum poſ - ſeſſionis). Eine Jnvaſion (invaſio) aber wird genannt, da einer, der kein Recht zum Beſitz hat, einen andern mit Gewalt aus dem Beſitze ſeiner unbeweglichen Sache wirft. Wer dieſes thut, wird in Rechten Invaſor ge - nannt.
Weil der Eigenthumsherr von ſeinemWas von dem Dieb - ſtahle u. Raube Rechtens iſt, und von Wie - dererſe - tzung ei - ner ge - ſtohlenen und ge - raubten Sache. Rechte, welches er in einer Sache hat, alle uͤbrige ausſchleußt (§. 195.), ihm auch daſ - ſelbe nicht wieder ſeinen Willen genommen werden kann (§. 100.); ſo iſt Stehlen und Rauben nicht erlaubt. Und weil ohne Willen des Eigenthumsherrn niemand anders das Eigenthum erlangen kann (§. 195.); ſo verbleibt eine geſtohlene und ge - raubte Sache des Eigenthumsherrn; folglich kann er ſich dieſelbe von ei - nem Diebe, Raͤuber, oder einem jeden andern Beſitzer wieder zueignen (§. 262.); und nicht allein der Dieb, oder Raͤuber, ſondern auch ein jeder ande - rer, in deſſen Gewalt die Sache ge - kommen, iſt verbunden ſie dem Eigen - thumsherrn wieder zu geben (§. 261.). Und weil alles, was man mit einer fremden Sache vor ſich vornimmet, unerlaubt iſt (§. 195.); ſo iſt auch der Diebſtahl des Gebrauchs unerlaubt (§. 198. 263.).
Der Eigenthumsherr hat das Recht des Beſitzes (§. 200.), welches man ihm wieder ſeinen Willen nicht nehmen kann (§. 100.). Deswegen iſt auch die Jnvaſion natuͤr - lich unerlaubt; und der, welcher die - ſelbe unternimmt, iſt dem andern den Beſitz wieder abzutreten ſchuldig. Und da der Eigenthumsherr nicht leiden darf, daß jemand anders wieder ſeinen Willen ſich etwas anmaſſet, was ihm vermoͤge des Ei - genthums erlaubt iſt (§. 195.); ſo hat er das Recht, den andern aus dem un - rechtmaͤßigen Beſitze wiederum her - auszuwerfen, woferne er ihm nicht gutwillig denſelben wieder einraͤumen will; folglich komt ihm das Recht zum Kriege wieder ihn zu (§. 98.).
Es iſt ſelbſt aus den Begriffen klar, daß, wenn der Eigenthumsherr ſeine Sa - che dem andern heimlich oder mit Ge - walt wegnimmt, er kein Dieb oder Raͤuber ſey; oder, wenn er den andern mit Gewalt aus dem Beſitze der ihm zugehoͤrigen unbeweglichen Sache wirft, kein Jnvaſor (§. 263.). Denn ſeine eigene Sache kann niemand ſtehlen oder rauben, ſondern lediglich eine fremde. Es kann auch niemand ein Jnvaſor ſeyn, als der nicht der Eigenthumsherr iſt. Aber aus eben dem Grunde, aus welchem es bey der Wie -derzu -165wegen des Eigenthums. derzueignung geſchehen muß (§. 262.), erhel - let, daß einer beweiſen muͤſſe, es ſey die Sache ſeine, damit er nicht vor ei - nen Dieb, oder Raͤuber, oder Jnvaſor gehalten werde.
Der Dieb, Raͤuber und Jnvaſor verletzenVon dem Recht, einen Dieb, Raͤuber und Jn - vaſor zu ſtrafen. das Recht des Eigenthumsherrn (§. 195. 263. ); folglich beleidigen ſie ihn (§. 88.). Derowegen hat der Eigenthumsherr das Recht, den Dieb, den Raͤuber und den Jnvaſor zu ſtrafen (§. 93.).
Weil wir das Recht der VertheidigungVon dem Recht die uns zugehoͤri - ge Sa - chen zu verthei - digen. wieder denjenigen haben, der uns zu beleidi - gen ſucht (§. 90.); ſo iſt erlaubt, ſeine Sachen wieder einen offenbahren Dieb, einen Raͤuber und Jnvaſor, oder ei - nen, der uns um den Beſitz des unſri - gen bringen will, zu vertheidigen (§. 49.), und dieſes iſt ein uneingeſchraͤnck - tes Recht (§. 94.). Weil aber der Dieb, der Raͤuber, und der uns um den Beſitz brin - get, indem er der Vertheidigung wiederſte - het, und auf unſere Perſon mit Gewalt loß gehet, uns anfaͤllt (aggreſſor eſt); ſo iſt die Vertheidigung unſerer Sachen in der Vertheidigung unſerer Perſon enthal - ten. Und daher iſt klar, daß die Verthei - digung unſerer Sachen wieder einen offenbahren Dieb, einen Raͤuber, undL 3einen,166II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. einen, der uns um unſern Beſitz bringr, ein Krieg ſey (§. 98.).
Man ſagt, daß derjenige um das Sei - nige komme (jacturam ſui facere), dem wieder ſeinen Willen das Seine dergeſtalt entzogen wird, daß er es niemahls wieder be - kommen kann. Der Verluſt des Seinigen wird der Schaden (damnum) genannt; und in Schaden bringen (damnum dare), heiſſet ſo viel, als durch das, was man thut, oder unterlaͤßt, Urſache ſeyn an dem Verluſt des Unſrigen. Jns - beſondere nennt man einen vorſetzlichen Schaden (damnum voluntarium ſ. dolo - ſum), welchen einer dem andern zuzufuͤgen getrachtet, oder der aus dem, was er Vor - habens war, erfolget (intentione directa, ſive indirecta); einen unvorſetzlichen Scha - den (damnum culpoſum), welcher aus Ver - ſehen geſchehen; und endlich einen zufaͤlligen Schaden (damnum caſuale), welcher durch einen nicht vorhergeſehenen Zufall, den man nicht vermeiden koͤnnen, verurſacht wird. Weil wir unſer Vermoͤgen, folglich alle un - ſere Sachen erhalten ſollen (§. 208.); ſo ſoll auch ein jeder, ſo viel er kann, allen Schaden von ſich abwenden, auch nie - manden in Schaden bringen, ſondern vielmehr, ſo viel an ihm iſt, auch von dem andern allen Schaden abwenden (§. 133.); folglich darf niemand dem an -dern167wegen des Eigenthums. dern etwas wieder ſeinen Willen von ſeinen Sachen wegnehmen, oder ver - derben, es mag geſchehen aus was vor Abſicht es immer will. Uebrigens erhel - let hieraus, daß, wenn der Eigen - thumsherr die geſtohlene oder geraub - te Sache nicht wiederbekommt, der Dieb und Raͤuber ihn in Schaden bringet.
Da niemand den andern in Schaden ſetzenVon der Erſetzung des Scha - dens, den einer ver - urſacht hat. ſoll (§. 269.), der Schaden aber in dem Ver - luſt des Seinigen beſtehet (§. cit. ), und da - her derjenige, der in Schaden geſetzet wird, weniger hat, als er vorher hatte; ſo darf niemand verurſachen, daß der andere weniger habe, als er haben ſolte. Weil nun einer nicht weniger hat, als er haben ſolte, wenn ihm eben ſo viel wieder zugeſtel - let wird, als die Sache werth iſt, die er ein - gebuͤſſet hat, das iſt, wenn der Schaden erſetzet wird (damnum reſarcitur), wel - ches an und vor ſich ſelbſt klar iſt; ſo muß ein jeder vorſetzlicher und unvor - ſetzlicher Schaden wieder erſetzet wer - den, und wir haben das Recht den andern dazu zu bringen, daß uns der Schade erſetzet werde.
Einer iſt bereichert worden (locuple -Daß man ſich nicht tior factus eſt), der mehr hat, als er vorher hatte. Daher wird er durch eines andernL 4Sache168II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. durch oder aus eines an - dern Sa - che berei - chern muͤſſe.Sache bereichert (re alterius l. f.), wenn das, was er mehr hat, eine einem andern zu - gehoͤrige Sache iſt; und aus eines andern Sache wird einer bereichert (ex re alte - rius l. f.), wenn dasjenige, was er mehr hat, von eines andern Sache, oder an deren Stelle kommt. Weil wir niemand weder mit Vor - ſatz, noch aus Verſehen in Schaden bringen ſollen (§. 269.), der Schaden aber in dem Verluſt des Seinigen beſtehet (§. cit. ); ſo darf auch niemand mit des andern Schaden ſich bereichern, noch mit der Sache, oder aus der Sache eines an - dern; folglich, da der verurſachte Schaden erſetzet werden muß (§. 270.), ſo iſt jeder, der durch oder aus meiner Sache, die aber nicht mehr vorhanden iſt, reicher worden, mir ſo viel zu erſetzen ſchul - dig, als er reicher worden iſt. Dieſer Hauptſatz hat einen ſehr weitlaͤuftigen Nutzen im Rechte.
Keine Handlung, die zur Ausuͤbung des Eigenthums gehoͤrt, kann einem gewiſſenhaf - ten Beſitzer zugerechnet werden (§ 201.); folglich auch nicht was er unterlaſſen (§. 2.). Derowegen hat der Eigenthumsherr an dem gewiſſenhaften Beſitzer wegen deſſen, was er gethan, oder unterlaſ - ſen, keine Forderung, ſondern nur we - gen der Sache, in ſo fern er naͤmlich die - ſelbe ohne einiges Recht beſitzet (§. 201.). Allein169wegen des Eigenthums. Allein da dem ungewiſſenhaften Beſitzer eine jede Handlung, die zur Ausuͤbung des Eigen - thumsrechts gehoͤret, zugerechnet werden kann (§. 201. 3. ); ſo hat an dem ungewiſſen - haften Beſitzer der Eigenthumsherr ſo wohl wegen der Sache, als auch wegen alles deſſen, ſo er gethan, oder unterlaſſen, ſeine Forderung.
Weil an dem gewiſſenhaften Beſitzer derWovor der ge - wiſſen - hafte Be - ſitzer dem Eigen - thums - herrn nicht ſte - hen darf. Eigenthumsherr wegen deſſen, was er ge - than, oder unterlaſſen, keine Forderung hat (§. 272.); ſo iſt er auch, wenn die Sa - che durch einen Zufall untergehet, ob - gleich dieſes nicht geſchehen waͤre, wenn ſie der Eigenthumsherr gehabt haͤtte, demſelben nichts wieder zu er - ſtatten ſchuldig; er iſt auch nicht ſchul - dig den Schaden zu erſetzen, wenn die Sache durch ſein Verſehen unterge - gangen, oder weggekommen, noch auch die zu erwartenden Fruͤchte wieder zu erſtatten, wenn er mehreren Fleiß an - gewandt haͤtte.
Allein, da ein ungewiſſenhafter Beſi -Was ein ungewiſ - ſenhaf - ter Beſi - tzer, in ſo fern er ein ſol - cher iſt, tzer dem Eigenthumsherrn davor ſtehen muß, was er gethan und unterlaſſen (§. 272.); ſo iſt er dem Eigenthumsherrn den Scha - den zu erſetzen ſchuldig, wenn die Sa - che durch ſein Verſehen zu nichte wor - den, oder ſonſt weggekom̃en, oder auchL 5durch170II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. ſchuldig iſt.durch einen Zufall ſolches geſchehen, durch welchen es dem Eigenthums - herrn nicht begegnet waͤre, wenn er ſie gehabt haͤtte: waͤre aber durch die - ſen Zufall auch bey ihm eben dieſes ge - ſchehen, ſo iſt er auch nichts zu erſetzen ſchuldig; ſintemahl alsdenn der Schade weder dem, was der Beſitzer gethan, zuzu - ſchreiben, noch daher kommet, daß er dem Ei - genthumsherrn die Sache nicht wiedergegeben (§. 261.). Und da an den zu erhaltenden Fruͤchten der Fleiß des Beſitzers ſeinen An - theil hat (§. 224.); ſo iſt er auch ſchul - dig den Theil der Fruͤchte, die haͤtten koͤnnen erhalten werden, ſo dem Ei - genthumsherrn gehoͤrten, zu erſetzen (§. 229. 270.);
Weil die Fruͤchte einer Sache dem Eigen - thumsherrn gehoͤren (§. 228.), die Fruͤchte aber, die ohne angewandten Fleiß nicht erhal - ten werden, nach Proportion, dem Eigen - thumsherrn und dem Beſitzer gemein ſind (§. 229.), niemand aber ſich durch eines an - dern Sache bereichern darf (§. 271.); ſo iſt ſo wohl der gewiſſenhafte, als unge - wiſſenhafte Beſitzer ſchuldig, die na - tuͤrlichen Fruͤchte, die noch vorhanden ſind, und den Antheil derer, wozu Fleiß angewandt worden, herauszu - geben.
Weil ein gewiſſenhafter Beſitzer demVon den verzehr - ten Fruͤch - ten. Eigenthumsherrn nicht davor ſtehen darf, was er gethan, folglich auch nicht wegen der verzehrten Fruͤchte (§. 272.); jedoch aber auch nicht aus eines andern Sache ſich berei - chern darf (§. 271.); ſo muß er dem Ei - genthumsherrn nur in ſo weit davor ſtehen, als er aus den verzehrten na - tuͤrlichen Fruͤchten und dem Antheil derer, worauf er ſeinen Fleiß gewandt, reicher worden iſt; folglich, da man nicht ſagen kann, daß der von dem, was einem andern zugehoͤret, gelebt habe, welcher von dem Seinigen leben konte; ſo iſt er ſchul - dig eben ſo viel wieder zu erſtatten, wenn er eben ſo viel im Vermoͤgen hat; hingegen weniger, wenn er we - niger im Vermoͤgen, aber nichts, wenn er nichts im Vermoͤgen hat. Hingegen, da ein ungewiſſenhafter Beſitzer dem Eigenthumsherrn ſo wohl in Anſehung der Sache, als deſſen, was er gethan, in allem ſtehen muß (§. 272.), folglich auch deswegen, daß er eine einem andern zugehoͤrige Sache ver - zehrt hat (§. 230.); ſo iſt er auch ſchul - dig den Werth der natuͤrlichen Fruͤchte, die er verzehrt hat, und des verzehrten Antheils des Eigenthumsherrn an de - nen, worauf er Fleiß gewandt, zu er - ſtatten. Man fragt hier aber, was wieder erſtattet werden ſoll, nicht was wieder erſtattet werden kann.
Es iſt an und vor ſich ſelbſt klar, daß eine verſchlimmerte oder verdorbene Sache weni - ger werth iſt, als ſie vorher war. Derowe - gen da dadurch der Eigenthumsherr in Scha - den kommet (§. 269.), niemand aber den an - dern in Schaden bringen ſoll (§. cit. ), und aller ſo wohl mit Vorſatz, als aus Verſehen verurſachter Schade erſetzt werden muß (§. 270); ſo iſt derjenige, welcher einem andern ſeine Sache entweder vorſaͤtz - lich, oder auch aus Verſehen verſchlim - mert oder verderbet, dem Eigen - thumsherrn ſo viel zu erſetzen ſchul - dig, als die verſchlimmerte oder ver - dorbene Sache weniger werth iſt.
Weil nun ein gewiſſenhafter Beſitzer da - vor nicht ſtehen darf, was er gethan, aber wohl ein ungewiſſenhafter (§. 272.); ſo iſt auch der gewiſſenhafte Beſitzer der Verſchlimmerung wegen keine Erſtat - tung ſchuldig; der ungewiſſenhafte aber muß in ſo weit davor ſtehen, als die verſchlimmerte Sache weniger werth iſt. Von einer Verſchlimme - rung aber, die durch einen Zufall ge - ſchehen, muß eben das bemerckt wer - den, was von einem zufaͤlligen Unter - gange geſagt worden (§. 273.).
Die Unkoſten (impenſæ) ſind die Aus -Was und wie vie - lerley die Unkoſten ſind. gaben, die wir an eine Sache wenden, entwe - der um ſie zu erhalten, oder zu gebrauchen, oder Fruͤchte von ihr zu ziehen. Es werden nothwendige Unkoſten (neceſſariæ) ge - nannt, welche angewandt werden, um eine Sache zu erhalten; nuͤtzliche Unkoſten (utiles), durch welche eine Sache nuͤtzlicher und fruchtbarer gemacht wird; Unkoſten zur Luſt (voluptuariæ), welche bloß, um Vergnuͤgen daher zu empfinden, angewandt werden. Wenn nuͤtzliche Unkoſten angewen - det werden, ſo ſagt man, die Sache wird verbeſſert (res meliorari). Man nennt die Unkoſten aber vermiſchte, wenn die Unkoſten zur Luſt in den nothwendigen und nuͤtzlichen enthalten ſind; und die Unkoſten zur Luſt ſind die vornehmſten (volu - ptuariæ prædominantur), wenn man mehr auf die Luſt, als auf das Nothwendige und Nutzbahre ſiehet.
Weil wir verbunden ſind unſer Vermoͤ -Die Ver - bindlich - keit und das Recht Unkoſten anzuwen - den. gen (patrimonium) zu erhalten, und ſo viel, als wir koͤnnen, zu vermehren (§. 208.); ſo iſt alſo jeder Eigenthumsherr von Na - tur verbunden, ſo viel an ihm iſt, noth - wendige und nuͤtzliche Unkoſten anzu - wenden. Und weil wir auch darauf zu ſe - hen haben, daß wir unſer Leben vergnuͤgt hin - bringen (§. 119.); ſo ſind auch die Unko -ſten174II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. ſten zur Luſt nicht unerlaubt, wenn ſie nicht zu einem ſchaͤdlichen Vergnuͤ - gen angewandt werden (§. 120.).
Zur Anwendung der nothwendigen und nuͤtzlichen Unkoſten ſind wir verbunden (§. 281.). Wenn alſo der Beſitzer einer einem andern zugehoͤrigen Sache dieſelbe anwendet; ſo thut er nichts, als was der Eigenthums - herr ſelbſt zu thun verbunden geweſen waͤre, wenn nur die nuͤtzlichen dem Eigenthumsherrn eben ſo nutzbahr ſind, als dem Beſitzer. Man muß alſo ſo wohl dem gewiſſenhaften als ungewiſſenhaften Beſitzer die noth - wendigen und nuͤtzlichen Unkoſten wie - der erſtatten, durch welche die Sache nutzbahrer worden iſt. Jedoch da der gewiſſenhafte Beſitzer dem Eigenthumsherrn nicht davor ſtehen darf, was er gethan, wohl aber der ungewiſſenhafte (§. 272.); ſo muͤſ - ſen dem gewiſſenhaften Beſitzer die Un - koſten erſtattet werden, durch welche die Sache nutzbahrer worden iſt; dem ungewiſſenhaften aber bloß in dem Falle, wenn ſie dem Eigenthums - herrn eben ſo nutzbahr ſind, oder die Sache nunmehto mehr werth iſt; da - mit naͤmlich der Eigenthuͤmer nicht mit Scha - den des Beſitzers bereichert werde (§. 271.), noch auch er dadurch Schaden leide, indem er die Unkoſten erſetzet, welche er ſelbſt nicht aufgewandt haͤtte (§. 269.), indem er ſieohne175wegen des Eigenthums. ohne ſeinen Nutzen wuͤrde haben aufwenden muͤſſen.
Man ſagt, daß derjenige die UnkoſtenVon dem Wegneh - men der Unkoſten. wegnimmt (impenſas tollit), welcher das - jenige wegnimmt, was in eines andern Sa - che auf ſeine Unkoſten gemacht worden iſt. Es wird aber etwas ohne Schaden der Sa - che weggenommen, wenn durch dasjeni - ge, was weggenommen wird, die Sache an und vor ſich ſelbſt nicht verdorben wird. Weil nun niemand mit des andern Schaden ſich bereichern darf (271.); ſo darf ein Beſi - tzer, wenn er dem andern ſeine Sache wiedergiebt, die Unkoſten wegneh - men, die ohne Schaden der Sache weggenommen werden koͤnnen.
Weil der gewiſſenhafte Beſitzer dem Eigen -Von der Erſtat - tung der Unkoſten zur Luſt, und von der Col - liſion der Schaͤ - den. thumsherrn davor nicht ſtehen darf, was er gethan (§. 272.); ſo muͤſſen ihm alle Un - koſten zur Luſt, die entweder gar nicht, oder doch nicht ohne Schaden der Sache weggenommen werden koͤnnen, ſo hoch, als ſich dieſelbe zur Zeit der Wiedererſtattung belaufen, wieder erſtattet werden (§. 271.). Allein da der ungewiſſenhafte Beſitzer vor alles ſtehen muß, was er gethan (§. 272.); ſo kommet in dem Falle, da er Unkoſten zur Luſt angewandt hat, die der Eigenthumsherr nicht wuͤrde angewandt haben, und von welchen er wuſte, daß ſieent -176II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. entweder gar nicht, oder doch nicht ohne Scha - den der Sache weggenommen werden koͤnn - ten, durch ſeine Schuld die Sache in den Stand, daß, wenn ſie wieder gege - ben werden ſoll, entweder der Beſitzer, oder der Eigenthumsherr den Schaden tragen muß (§. 17.). Da nun dieſes nicht dem Eigen - thumsherrn, ſondern dem Beſitzer zuzurech - nen iſt (§. 3.); ſo duͤrfen die Unkoſten zur Luſt, die entweder gar nicht, oder doch nicht ohne Schaden der Sache weg - genommen werden koͤnnen, und wel - che der Eigenthumsherr ſelbſt nicht wuͤrde angewandt haben, einem unge - wiſſenhaften Beſitzer nicht wieder er - ſtattet werden: ein anders iſt es, wenn ſie der Eigenthumsherr ſelbſt wuͤrde angewandt haben. Beylaͤufig bemerken wir, daß aus demjenigen, was wir erwieſen haben, uͤberhaupt klar ſey, daß wenn der Schaden desjenigen, durch deſſen Schuld er ſich erreignet, mit dem Schaden eines andern collidirt, der gar keine Schuld daran hat, derjenige den Schaden tragen muß, der Schuld daran iſt; woraus ferner folget, daß, wenn beyde nicht auſſer aller Schuld ſind, der Schade, nach Proportion der Schuld, von einem jeden zu tragen iſt.
Man ſagt, der Beſitzer zieht die Unko - ſten ab, (impenſas deducere), wenn er umſo177wegen des Eigenthums. ſo viel weniger wiedererſtattet, als die Unko -abzuzie - hen. ſten zur Zeit der Wiedererſtattung werth ſind, z. E. wenn er nur 30 wiedergiebt, da er we - gen der verzehrten Fruͤchte 150 wiedergeben ſolte, indem die Unkoſten 120 geſchaͤtzet werden. Weil nun, indem die Unkoſten von demjenigen abgezogen werden, was dem Eigenthumsherrn wieder zu erſtatten war, ſo wohl der Beſitzer, als der Eigenthumsherr erhaͤlt, was ihm ge - hoͤret, man aber einem jeden das Seine ge - ben muß (§. 86.); ſo hat der Beſitzer das Recht, die Unkoſten, die ihm vom Ei - genthumsherrn erſtattet werden muͤſ - ſen, abzuziehen; welches naͤmlich aus der beyderſeitigen Verbindlichkeit, dasjenige, was einem jeden gehoͤret, dem andern wieder zu erſtatten, entſpringt (§. 46.).
Die Belohnung deſſen, der etwasVon der Beloh - nung deſſen, der et - was ſin - det. findet (præmium inventionis), nennt man dasjenige, was man dem, der eine verlohrene Sache gefunden hat, giebt, weil er ſie wie - dergiebt. Weil nun der, welcher etwas fin - det, verbunden iſt, es dem Eigenthumsherrn wieder zu geben (§. 220. 261. ); ſo iſt man nach dem Recht der Natur nicht ſchul - dig, dem, der eine Sache findet, eine Belohnung zu geben; und daher hat er kein Recht, eine Belohnung von dem Eigenthumsherrn zu fordern. Was man von den Unkoſten, die darauf verwandt worden, damit der Eigenthumsherr ſeineNat. u. Voͤlckerrecht. Mver -178II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. verlohrne Sache hat wieder bekommen koͤn - nen, zu bemerken hat, iſt daraus klar, was wir erſt von dem Beſitzer einer einem andern zugehoͤrigen Sache bewieſen haben; denn die Erſetzung der Unkoſten gruͤndet ſich dar - auf, was einer auf eines andern Sache ge - wandt hat.
Man ſagt einer betriege den andern (alterum defraudare) wer mit Wiſſen und Willen entweder mit der That oder mit Wor - ten, den andern um das Seine bringet, oder was er ihm ſchuldig iſt. Der Betrug iſt alſo eine Handlung, durch welche man dem andern, mit dem wir zu thun haben, ohne daß er es weiß, im Schaden bringet. Wenn dieſes mit Wiſſen und Willen geſchieht, ſo iſt es ein vorbedachter, oder vorſaͤtzli - cher Betrug (fraus conſilii): geſchiehet es aber unwiſſende, als wenn einer einen un - echten Edelſtein, anſtatt eines echten, oh - ne daß er es weiß, verkauft, ſo iſt es ein un - wiſſender, oder unvorſetzlicher Betrug (fraus eventus). Da man niemanden weder vorſetzlicher, noch unvorſetzlicher Weiſe in Schaden bringen ſoll (§. 269.); ſo darf man auch niemanden betriegen, und iſt ein - jeder vorbedachter Betrug unerlaubt. Weil aber auch der Schade, in welchen man einen bringet, erſetzet werden muß (§. 270.); ſo muß nicht nur dasjenige, warum der andere betrogen iſt, wieder gege -ben,179wegen des Eigenthums. ben, oder der Werth wieder erſetzet werden (æſtimatio præſtanda); ſondern es muß auch derjenige ſchadloß gehal - ten werden, welchem ein unwiſſender Betrug ſchaden wuͤrde.
Das Recht des Beſitzes (jus poſſeſſio -Vom Recht des Be - ſitzes. nis), wird dasjenige genannt, welches einem Beſitzer, vermoͤge des Beſitzes, zukoͤmmt. Es iſt alſo von dem Recht zu beſitzen (jus poſſidendi) unterſchieden, welches dem Eigen - thumsherrn, vermoͤge ſeines Eigenthums, zu - koͤmmt (§. 200.). Daß es aber ein Recht des Beſitzes gebe, erhellet aus dem, was folgt.
Weil dem Eigenthumsherrn allein dasVom verbo - thenen eigen - maͤchti - gen Weg - nehmen, und daß das ei - genmaͤch - tig Weg - genom - mene wieder erſtattet werden muͤſſe. Recht zu beſitzen zukommt (§. 200.), er auch den Beſitzer nicht mit Gewalt zur Wiederer - ſtattung zwingen kann, wenn er nicht ſein Eigenthum bewieſen hat (§. 262.); ſo kan von einem, der nicht der Eigenthums - herr iſt, oder auch vom Eigenthums - herrn, wenn er ſein Eigenthum noch nicht bewieſen hat, noch von einem Beſitzer, der ſeinen rechtmaͤßigen Beſitz noch nicht erwieſen hat, kein Beſitzer, er ſey wer er wolle, aus dem Beſitze geworfen werden; folglich, wenn er herausgeworfen worden iſt, ſo muß er wieder in den Beſitz geſetzet werden. Derowegen weil man eine Sache beſitzet, um ſein Eigenthum zu gebrauchen (§. 200.); ſoM 2muß180II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. muß auch, ſo lange unerlaubt iſt, dem Be - ſitzer den Beſitz zu nehmen, ihm der Ge - brauch des Eigenthums verſtattet werden. Das gewaltſame Verfahren, wo - durch einer aus dem Beſitze geworfen, oder des Beſitzes beraubet wird, heißt im canoni - ſchen Recht ſpolium, oder eine eigene Be - maͤchtigung. Und daher folgt, daß, was eigenmaͤchtig weggenommen iſt, wie - der gegeben, oder eingeraͤumet werden muͤſſe.
Weil der Beſitzer nicht ſchuldig iſt zu leiden, daß er von dem, der nicht Eigenthumsherr iſt, oder auch ſein Eigenthum noch nicht bewieſen hat, aus dem Beſitze mit Gewalt herausge - worfen werde (§. 288. 46. ); ſo kommt ihm auch das Recht zu, ſeinen Beſitz zu vertheidigen (§. 90.), wie auch das Recht zu demjenigen, ohne welches er den verlohrnen Beſitz nicht wieder er - halten kann. Naͤmlich der Beſitzer fuͤhret ſich ſo lange, als er in dem Beſitz iſt, als Eigenthumsherr auf, und das muß man ihm auch verſtatten (§. 288.).
Durch Gewalt (gewaltſam, vi poſſidet) beſitzet derjenige etwas, der dadurch den Beſitz erhalten, weil er den vorigen Beſitzer mit einer unrechtmaͤßigen Gewalt aus ſeinem Beſitze geworfen hat; heimlich aber, oderver -181wegen des Eigenthums. verſtohlner weiſe beſitzt einer etwas (clam poſſidet), welcher, dem Beſitzer unwiſſende, den Beſitz zwar ohne Gewalt, aber auch ohne Recht eingenommen hat, und wer dieſes thut, von dem ſagt man, er kommt verſtohlner weiſe in den Beſitz (poſſeſſionem furtive ingredi), und der auf ſolche Weiſe erhaltene Beſitz wird der heimliche oder verſtoh - lene Beſitz (poſſeſſio clandeſtina) genannt. Denn man achtet einen ſolchen Beſitz einer ge - ſtohlnen Sache gleich. Es iſt aber eben, wie vorher (§. 288.), klar, daß es unerlaubt ſey, eine Sache verſtohlner weiſe zu beſitzen, es mag der Beſitzer entweder nicht der Eigenthumsherr ſeyn, oder, wenn er es iſt, doch ſein Eigenthum noch nicht bewieſen habe; und daß in ſol - chem Falle der Beſitz dem vorigen Be - ſitzer wieder einzuraͤumen ſey; folglich dieſer das Recht habe, nicht zu leiden, daß der andere etwas, was er beſeſſen, verſtohlener weiſe beſitze; folglich, wenn er ihm den Beſitz nicht wieder ein - raͤumen will, er ihn mit Gewalt her - auswerfen koͤnne.
Weil die Sache, die einer beſitzet, in ſeinerWie der Beſitz er - langet, behalten und ver - lohren werde. Gewalt ſeyn muß, ſo daß es moͤglich iſt, nach ſeinem Gefallen mit der Sache vorzunehmen, was er will (§. 200.); folglich des Eigen - thums ſich zu gebrauchen (§. 195.); ſo wird der Beſitz erlanget (acquiritur), wennM 3die182II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. die Sache in den Stand gebracht wird, da es moͤglich iſt, nach Art des Eigen - thumsherrn, mit derſelben vorzuneh - men, was man will; und er wird ſo lange behalten, als man ſich des Eigen - thums, entweder ſelbſt, oder durch an - dere bedienen kann; er wird aber ver - lohren, wenn die Sache in den Stand kommt, in welchem dieſes nicht weiter geſchehen kann.
Weil man eine Sache im Beſitz hat, wenn man auch das Eigenthum durch einen andern ausuͤbet (§. 291.); ſo kann einer auch ab - weſend eine Sache beſitzen.
Und weil der Beſitz auf dem Vermoͤgen, das Eigenthum zu gebrauchen, beruhet (§. 291.); ſo iſt eine bewegliche Sache ſo lange in unſerm Beſitz, als ſie in un - ſerer Verwahrung iſt; und weil man un - koͤrperliche Dinge nicht anders aufbehal - ten kann, als in ſo fern wir dieſelben wuͤrck - lich brauchen (§. 121.); ſo beſitzet man dieſelbe durch den Gebrauch und durch das Vermoͤgen ſie zu gebrauchen, und zu verbiethen, daß es kein anderer thue.
Da durch die Zueignung die Sachen, die keinem zugehoͤren, in den Stand gebracht werden, daß man mit denſelben nach ſeinemGefal -183wegen des Eigenthums. Gefallen vornehmen kann, was man willBeſitz zu erhal - ten. (§. 210. 195. ), durch die Zueignung aber auch das Eigenthum urſpruͤnglich erhalten wird (§. 210.); ſo wird der Beſitz von Sachen, die keinem zugehoͤren, mit dem Eigenthume zugleich erhalten; und dieſe Art den Beſitz zu erhalten iſt die urſpruͤngliche Art, wodurch naͤmlich der Beſitz davon erhalten wird, was noch von keinem beſeſſen worden.
Ein Beſitz mit einem Titel (poſſeſſioVom Beſitze mit ei - nem Ti - tel, und was ein Titel ſey. titulata) iſt derjenige, der einen Titel hat. Der Titel (titulus) aber iſt der Grund des Geſetzes, aus welchem erhellet, daß eine ge - wiſſe That ein gewiſſes Recht hervorbringen koͤnne. Die That aber ſelbſt, wodurch wir eines Rechtes theilhaftig werden, iſt die Art etwas zu erhalten (modus acqvirendi). Daher erhellet, daß der Beſitz der Sa - che, die keinem zugehoͤret, welcher durch die Zueignung erhalten worden, einen Titel hat; maſſen nach dem Geſetz der Natur, durch die Zueignung, mit dem Eigenthume der Beſitz erhalten wird (§. 294.).
Weil der Beſitz verlohren wird, wenn eineVon dem verlohr - nen Be - ſitz einer unbeweg - lichen u. unkoͤr - Sache in den Stand kommt, daß man das Eigenthum nicht gebrauchen kann (§. 291.); ſo hat man den Beſitz verlohren, wenn jemand unſere unbewegliche Sache, oder ein Recht das uns zukommt, alsM 4haͤtte184II. Th. 3. H. Von Recht und Verbindl. perlichen Sache.haͤtte er das Eigenthum davon, ge - braucht, und nicht zugiebt, daß wir unſer Recht gebrauchen. Da aber der Beſitz ſo lange behalten wird, als wir das Eigenthum gebrauchen koͤnnen (§. 291.); folglich ſo lange wir nicht leiden, daß ein an - derer, wieder unſeren Willen, daſſelbe ge - brauche; und kein anderer verhindern kann, daß wir uns unſeres Rechtes bedienen, wenn wir wollen; ſo wird durch den bloſſen Mangel des Gebrauchs der Beſitz nicht verlohren.
Der Beſitz wird geſtoͤhrt (poſſeſſio turbatur), wenn der Beſitzer in dem Ge - brauch ſeines Eigenthums, in Abſicht einer und der andern Handlung, die ihm frey ſte - het, es ſey auf was vor Weiſe es wolle, ver - hindert; derſelbe aber ihm doch nicht gaͤntzlich genommen wird. Man nennt aber eine Stoͤhrung durch Worte (turbatio ver - balis), die in Worten; eine Stoͤhrung in der That (realis), die in einer gewiſſen Handlung beſtehet. Die Gewalt, durch welche der Beſitz geſtoͤhret wird, nennt man die ſtoͤhrende (vis turbativa), eben wie die austreibende Gewalt (vis expulſiva), durch welche einer aus dem Beſitz geworfen wird; und die antreibende Gewalt (vis compulſiva), durch welche einer zur Ueber - laßung des Beſitzes gezwungen wird. Weil dem Beſitzer der Gebrauch des Eigenthumsfrey185wegen des Eigenthums. frey gelaſſen werden muß (§. 288.); ſo iſt die Stoͤhrung des Beſitzes mit Wor - ten und in der That unerlaubt.
Man ſagt von den unkoͤrperlichen Sachen,Vom aͤhnli - chen Be - ſitz. daß ſie gleichſam beſeſſen werden (quaſi poſſideri), in ſo weit man den Beſitz derſel - ben nach der Aehnlichkeit (analogia) des Beſitzes der koͤrperlichen Dinge dichtet; als deſſen Grund die Moͤglichkeit der Handlun - gen iſt, welche vorzunehmen der Eigenthums - herr vermoͤge ſeines Eigenthums berechti - get iſt.
Da das Recht des Beſitzes aus dem Be -Vom verlohre - nen Rech - te des Beſitzes. ſitz entſtehet (§. 287.); ſo wird, nachdem der Beſitz verlohren worden, auch das Recht des Beſitzes verlohren; folglich werden die Rechte des Beſitzes ſo lan - ge behalten, als der Beſitz behalten wird.
Von dem Recht, das von der Gemeinſchaft der erſten Zeit noch uͤbrig iſt.
Das aus der Gemeinſchaft der er -Was das Recht iſt, welches aus der Gemein - ſchaft der ſten Zeit noch uͤbrige Recht (jus ex communione primæva reſiduum) nennt man dasjenige, welches wir noch zuM 5denje -186II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen Rechterſten Zeit noch uͤbrig iſt.denjenigen Dingen, die andern eigenthuͤmlich zugehoͤren, haben, nachdem das Eigenthum eingefuͤhrt worden iſt. Es wird alſo daſſel - be von der Gemeinſchaft der erſten Zeit un - terſchieden; welche noch in Anſehung gewiſ - ſer Dinge, die noch nicht dem Eigenthum unterworfen ſind, oder nicht unterworfen werden koͤnnen, beſtehet.
Weil die Gemeinſchaft der erſten Zeit durch die urſpruͤngliche Erhaltung des Eigenthums (§. 194. 210. ), folglich durch die Zueignung aufgehoben worden (§. 210.); ſo ſind die - jenigen Sachen, welche ſich entweder niemand zueignen kann, oder darf, noch in der Gemeinſchaft der erſten Zeit; oder es ſind Sachen, die allen Menſchen gemein ſind; oder, welches gleich viel iſt, in Anſehung dieſer Sa - chen iſt die Gemeinſchaft der erſten Zeit noch uͤbrig.
Man nennt Sachen, deren Gebrauch nicht erſchoͤpft wird (res uſus inexhau - ſti) diejenigen, deren Gebrauch fuͤr alle Men - ſchen hinreichend iſt, und den ſie haben koͤn - nen, ſo oft ſie deſſelben beduͤrfen. Weil der Eigenthumsherr von dem Gebrauch ſeiner Sa - che alle uͤbrigen ausſchleußt (§. 195.), der Ge - brauch aber einer Sache, den ein jeder haben kann, wenn er will, ohne Abbruch der an - dern, von einem den uͤbrigen allen nicht hatkoͤnnen187aus der erſten Gemeinſchaft. koͤnnen genommen werden (§. 74.); ſo iſt auch keinem erlaubt geweſen, die Sa - chen, deren Gebrauch nicht erſchoͤpft wird, ſich zuzueignen (§. 210.); folg - lich iſt in denſelben noch die Gemein - ſchaft der erſten Zeit uͤbrig. Ob alſo gleich das Eigenthum eingefuͤhrt worden iſt: ſo bleibt doch die Luft, das vorbey - flieſſende Waſſer und das Sonnenlicht allen Menſchen gemein.
Gleichergeſtalt, weil durch das Eigen -Warum dasjeni - ge, was nicht einge - ſchraͤnckt und ver - theidiget werden kann, ge - mein - ſchaftlich geblieben ſey, z. E. das offne Meer. thum alle uͤbrigen von dem Gebrauch einer eigenthuͤmlichen Sache ausgeſchloſſen werden (§. 195.); ſo muß dasjenige, was eigen - thuͤmlich werden ſoll, ſeine beſtimmte Graͤntzen haben: was aber keine ha - ben kann, kann auch nicht eigenthuͤm - lich gemacht werden. Und weil der Ei - genthumsherr das Recht hat zu verbiethen, daß niemand, wieder ſeinen Willen, ſich ſei - ner Sache auf einige Art und Weiſe anmaſ - ſen kann (§. cit. ); ſo iſt noͤthig daß er ſein Eigenthum behaupten kann. Was alſo ſo beſchaffen iſt, daß man ſein Eigen - thum daruͤber nicht behaupten kann, das kann auch demſelben nicht unter - worfen werden. Und daher erhellet, daß die offenbahre See in der Gemein - ſchaft der erſten Zeit geblieben ſey, ob - gleich einige Theile, welche an demfeſten188II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen Rechtfeſten Lande liegen, haben eigenthuͤm - lich gemacht werden koͤnnen (§. 302.).
Weil das Recht zum Gebrauch der natuͤrli - chen Sachen einem jeden Menſchen von Na - tur zukommt (§. 186.), und das Geſetz der Natur uns auch ein Recht zum nothwendigen Gebrauch der durch Fleiß und Kunſt erhalte - nen giebt (§. 188.), welches niemand genom - men werden kann (§. 74.); ſo hat auch durch die Einfuͤhrung des Eigen - thums niemanden der nothwendige Ge - brauch der Sachen gaͤntzlich benommen werden koͤnnen; folglich hat das Eigen - thum nicht anders eingefuͤhrt werden koͤnnen, als mit dieſer Einſchraͤnckung, die ſich vor ſich verſtehet (ſtillſchweigen - den, tacita); daß, wenn es ſich in ei - nem vorkommenden Falle zutruͤge, daß einem gaͤntzlich der Gebrauch der noth - wendigen Sachen genommen wuͤrde, er ein Recht zu denen eigenthuͤmlichen habe. Naͤmlich das Eigenthum iſt nicht deswegen eingefuͤhrt worden, daß jemanden gaͤntzlich der nothwendige Gebrauch der Sa - chen ſollte benommen werden; ſondern daß alle ſich deſto beſſer des Vortheils von demſel - ben zu erfreuen haben moͤchten (§. 194.).
Wenn alſo jemanden gantz und gar die nothwendigen Sachen zu ſeinem Gebrauch fehlen, und es nicht in ſei -nem189aus der erſten Gemeinſchaftnem Vermoͤgen ſtehet, daß er ſich die -die man in der aͤuſſer - ſten Noth dem Ei - gen - thums - herrn wegnim̃t. ſelben fuͤr einen billigen Preis anſchaf - fen, oder durch geleiſtete Arbeit er - werben, noch auch dieſelben durch Bitten von andern erhalten kann; ſo kann er im natuͤrlichen Stande ſie dem andern, welcher ſie wohl entbehren kann, wieder ſein Wiſſen und Willen, ja gar mit Gewalt wegnehmen (§. 304.). Weil man alſo dieſes mit Recht thut, welches aus der Gemeinſchaft der erſten Zeit uͤbrig iſt (§. 300.); ſo begeht man keinen Raub oder Diebſtahl. Denn die aͤuſſerſte Noth - wendigkeit verwandelt das Recht zu bitten in das Recht zu zwingen, daß man es uns gebe.
Weil dieſes Recht, welches nur bey derVon der natuͤrli - chen Ver - bindlich - keit, die daher ent - ſpringt. aͤuſſerſten Nothwendigkeit ſtatt hat, nicht wei - ter gehet, als bis auf den nothwendigen Ge - brauch, um deſſen willen es gegeben worden iſt (§. 304.); ſo muß eine Sache, wel - che durch den Gebrauch nicht verzehrt wird, nach geendigtem Gebrauch wie - dergegeben werden; wenn ſie aber durch den Gebrauch verzehrt worden iſt, und die Nothwendigkeit auf hoͤ - ret, und man ſo viel von eben der Art, oder etwas, das eben ſo viel werth iſt, wiedergeben, oder den Werth bezah - len kann; ſo muß dieſes geſchehen.
Daher erhellet leicht ferner, daß die aͤuſ - ſerſte Noth einem das Recht gebe ei - nen andern zu zwingen, daß er fuͤr ei - nen billigen Preis, oder fuͤr eine Sa - che, die eben ſo viel werth iſt, uns eine Sache uͤberlaſſe. Alſo koͤnnen z. E. bey einer Theuerung diejenigen, welche Ge - treyde im Ueberfluß haben, zum Verkaufen gezwungen werden; und wer Theuerung ver - urſacht, kann gezwungen werden, das Ge - treyde um einen billigen Preis zu verkaufen.
Das Recht, welches allein die Nothwen - digkeit zu gewiſſen Handlungen, die ſonſt nicht erlaubt ſind, uns giebt, weil ohne die - ſelben einer Verbindlichkeit, von welcher man ſich nicht befreyen kann, kein Genuͤgen ge - ſchehen koͤnnte, wird das Recht der Noth - wendigkeit (jus neceſſitatis) genannt. Und daher erhellet, daß diejenige Handlung, zu welcher uns die Nothwendigkeit das Recht giebt, das einige Mittel ſeyn muͤſſe einer Verbindlichkeit, von welcher man ſich nicht befreyen kann, ein Genuͤgen zu leiſten; und es iſt nicht weniger klar, daß das Recht der Noth - wendigkeit ſelbſt durch das Geſetz der Natur uns gegeben werde (§. 46.). Es kann daher gar nicht wiederſprechend ſcheinen, daß noch ein Recht der Nothwendigkeit, in Anſehung des nothwendigen Gebrauchs derSachen,191aus der erſten Gemeinſchaft. Sachen, uͤbrig geblieben, nachdem das Ei - genthum eingefuͤhret worden; als welches durch die Einfuͤhrung des Eigenthums nicht hat koͤnnen verletzet werden (§. 74.).
Hierdurch werden viele beſondere FragenBeſonde - re Exem - pel von dieſem Rechte. aufgeloͤſet, dergleichen man in dem von uns herausgegebenen Recht der Natur im 6. Ca - pitel des 6. Theils antrift. Z. E. Wenn bey einer Schiffahrt oder Belagerung der Vor - rath mangelt; ſo muß ein jeder das, was er hat, zum Gemeinſchaftlichen hergeben. Wenn man ſich wieder einen, der uns anfaͤllt, ver - theidigen muß, und kein Gewehre hat; ſo kann man einem andern ſeines nehmen, ohne den Eigenthumsherrn zu fragen, ja ſelbſt wenn er dagegen iſt. Eben dieſes gilt von des andern ſeinen Gefaͤſſen und anderem Werckzeuge, um einen Brand zu loͤſchen; von der Verderbung der Sachen, die einem, der uns anfaͤllt, zugehoͤren, um eine ungerechte Gewalt zu vertreiben; und von der Verder - bung einer fremden Sache, wegen einer ge - meinſchaftlichen Gefahr, die nicht anders ab - gewendet werden kann.
Gleicher geſtalt, weil in der GemeinſchaftVon der zweyten (ſtille - ſchwei - genden) vor ſich verſtaͤnd - lichen der erſten Zeit die gemeinſchaftliche Theilneh - mung einem jeden, der es will, zu erlauben, wenn mehrere an dem Gebrauch einer Sache zugleich Theil nehmen koͤnnen (§. 187.), durch die Einfuͤhrung des Eigenthums aber das ge -mein -192II. Th. 4. H. Vom uͤberbliebenen RechtAusnah - me, mit welcher das Ei - genthum eingefuͤh - ret wor - den.meinſchaftliche Recht nicht anders hat koͤnnen aufgehoben und eingeſchraͤnckt werden, als es noͤthig geweſen iſt (§. 71.); ſo hat alſo das Eigenthum nicht anders eingefuͤhrt werden koͤnnen, als mit dieſer Bedin - gung, die ſich vor ſich ſelbſt verſtehet, daß dem andern der unſchaͤdliche Ge - brauch einer eigenthuͤmlichen Sache erlaubt werde. Vermoͤge der natuͤr - lichen Freyheit aber iſt dem Eigen - thumsherrn das Urtheil zu uͤberlaſſen, ob der einem andern zu erlaubende Ge - brauch ihm unſchaͤdlich ſey, oder nicht (§. 78.), das iſt, ob er, ohne ſeinen Schaden und Beſchwerde, ihn erlauben koͤnne.
Das Recht, welches uns zum unſchaͤdli - chen Gebrauch der Sachen, die einem andern eigenthuͤmlich zugehoͤren, zukommt, wird das Recht des unſchaͤdlichen Nutzens (jus innoxiæ utilitatis) genannt. Es erhellet al - ſo, daß das Recht des unſchaͤdlichen Nutzens ein Recht ſey, welches aus der Gemeinſchaft der erſten Zeit noch uͤbrig iſt (§. 310. 300. ), und zwar ein unvollkommenes (§. 80.).
Dergleichen Rechte eines unſchaͤdli - chen Nutzens ſind: die Reiſe, aus rechtmaͤßigen Urſachen, zu Lande und zu Waſſer, wenn die Laͤnder und Fluͤſſe eigenthuͤmlich ſind, welchesauch193aus der erſten Gemeinſchaft. auch von der Durchfahrt der Waa - ren zu verſtehen; das Recht, rechtmaͤſ - ſiger Urſachen wegen ſich daſelbſt zu verweilen, als des Studierens, oder der Geſundheit wegen; daß man denen, die vertrieben werden, und anderswo ih - ren Aufenthalt ſuchen, ſich in unſeren Landen niederzulaſſen verſtattet, wo - ferne nicht beſondere Urſachen es hin - dern.
Von der abſtammenden Art et - was zu erhalten.
Die abſtammende Art etwas zu er -Die ab - ſtammen - de Art etwas zu erhalten. halten (modus acqvirendi deriva - tivus) iſt diejenige, wodurch man das Eigenthum einer Sache erhaͤlt, die ſchon ei - genthuͤmlich iſt. Weil dem Eigenthumsherrn das Recht zukommt, ſein Eigenthum auf ei - nen andern zu bringen (§. 257.), wie auch einem andern ein Recht in ſeiner Sache ein - zuraͤumen (§. 260); ſo giebt es eine ab - ſtammende Art etwas eigenthuͤmlich zu erhalten.
Weil der Eigenthumsherr das Recht hatVon der Art auf einen an - dern ſein mit ſeiner Sache nach ſeinem Gefallen anzu - fangen, was er will (§. 195.); ſo beruhetNat. u. Voͤlckerrecht. Nes194II. Th. 5. H. Von der abſtammenden ArtEigen - thum zu bringen.es bloß auf ſeinem Willen, an wen und auf was Art er ſein Eigenthum, oder ein ihm zugehoͤriges Recht brin - gen will, ob mit ſeiner, oder ohne ſeine Ausſchlieſſung; ob wiederruflich (re - vocabiliter), daß er naͤmlich den andern von dem eingeraͤumten Rechte wieder ausſchlieſſen koͤnne, wenn er es vor gut befinden wuͤrde; oder unwiederruflich (irrevocabiliter); ob unmittelbar auf die Perſon, oder auf eine fremde Sache, naͤmlich derge - ſtalt, daß es vermittelſt der Sache einem jeden Beſitzer zukomme, er ſey wer er wolle; ob an eine gewiſſe oder ungewiſſe Perſon, daß naͤmlich das Recht derjenige erhalte, wer will und kann, wie es bey ausgeworfenen Muͤntzen geſchieht; ob ohne alle Bedin - gung, oder unter einer ihm gefaͤlligen Bedingung; ob auf immer, oder auf eine gewiſſe Zeit; ob umſonſt, oder ob dagegen etwas gegeben oder gethan werden ſoll.
Es iſt aber eine zufaͤllige Bedingung (conditio caſualis), welche von einem Zu - fall, oder Gluͤck, oder vom Willkuͤhr eines Menſchen, der unſerm Recht nicht unter - worfen iſt, gaͤntzlich abhaͤngt; eine zuerfuͤl - lende (poteſtativa), welche von dem Will - kuͤhr desjenigen abhaͤngt, auf den das Eigen - thum, oder ein Recht gebracht werden ſoll; eine vermiſchte (mixta), welche theils zu -faͤllig,195etwas zu erhalten. faͤllig, theils zu erfuͤllen iſt. Ueberdieſes iſt die Bedingung entweder eine aufſchiebende (ſuſpenſiva), welche die Vollziehung der Handlung ſo lange aufſchiebt, bis es gewiß iſt, daß die Bedingung vorhanden ſey; oder eine aufloͤſende (reſolutiva), welche die Dauer einer ſchon vollzogenen Handlung auf die Zeit erſtreckt, da es gewiß iſt, daß die Bedingung vorhanden. Es wird aber eine verneinende Bedingung (conditio nega - tiva) genannt, welche voraus ſetzet, daß et - was nicht ſey, oder nicht geweſen ſey, oder nicht ſeyn werde. Es iſt alſo die vernei - nende Bedingung vorhanden, wenn das nicht iſt, oder nicht geweſen iſt, oder nicht erfolget, was geſetzt wird. Es iſt auch ein Unterſcheid unter einer unerlaubten Be - dingung (conditio turpis), welche voraus ſetzet etwas zu thun, was in einem Geſetz verbothen iſt, und einer erlaubten (hone - ſta), welche vorausſetzt, etwas zu thun, was im Geſetz nicht verbothen wird, oder welche in einer rechtmaͤßigen Handlung beſtehet.
Weil vermoͤge der natuͤrlichen Freyheit ei -Von der Anneh - mung. nem jeden gelaſſen werden muß, daß er ſich nach ſeinem Urtheil in ſeinen Handlungen richtet (§. 78.); ſo beruhet es bloß auf eines jeden Willen, wenn man das Ei - genthum, oder ein Recht auf ihn brin - gen will, ob er es haben will, oder nicht. Weil man nun ſagt, derienige neh -N 2me196II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Artme etwas an (accipere, acceptare), der durch Worte, oder eine That hinlaͤnglich zu verſtehen giebt, er wolle daß ihm dasjenige gegeben werde, oder geſchehe, was der an - dere ſagt, daß er geben, oder thun wolle; ſo wird alſo zur Uebergebung des Eigen - thums, oder eines Rechtes das Anneh - men (acceptatio) erfordert.
Aus dem, was bis jetzt geſagt worden, ver - ſteht man, daß nach dem Recht der Na - tur (naturaliter) das Eigenthum, oder ein Recht auf denjenigen, der es an - nimmt, gebracht werde, wenn er bloß ſeinen Willen hinlaͤnglich erklaͤret, daß er es haben will (§. 314. 316.). Weil es nun auf dem Willen desjenigen, der es auf einen andern bringen will, beruhet, auf was vor Weiſe er es bringen will (§. 314.); ſo kann durch das Annehmen nicht mehr Recht erhalten werden, als der - jenige, der es auf ihn bringet, ihm hat einraͤumen wollen.
Da wir demnach von eines andern Willen nicht gewiß ſeyn koͤnnen, als in ſo fern er denſelben hinlaͤnglich zu erkennen giebt; ſo wird wieder ihn vor wahr gehalten, was er mit Worten, oder auf eine an - dere Art, es mag ſeyn, auf was vor eine es nur wolle, hinlaͤnglich zu ver - ſtehen giebt.
Das Annehmen aber geht vorher,Wenn die An - nehmung vorher - gehet. wenn jemand verlangt, daß der ande - re ihm etwas gebe, oder etwas thue, und er es ihm bewilliget; denn es wuͤr - de uͤberfluͤßig ſeyn, das Annehmen zu wieder - hohlen, wenn der andere bewilliget, was man verlangt.
Weil dem Eigenthumsherrn das RechtVon der Art den Beſitz zu erhalten. zum Beſitz zukommt (§. 200.); ſo wird mit dem Eigenthum einer Sache das Recht zu beſitzen zugleich erlangt; folglich, da ohne Beſitz das Eigenthum nicht gebraucht werden kann (§. 200. 195. ), ſo iſt derjeni - ge, der das Eigenthum auf einen an - dern gebracht, auch verbunden den Beſitz einzuraͤumen. Weil nun die Hand - lung, durch welche der Beſitz eingeraͤumet wird, die Uebergabe (traditio); die Hand - lung aber, durch welche der Beſitz erhalten wird, die Ergreifung heißt (apprehen - ſio); ſo muß, nach Abtretung des Ei - genthums, die Sache auch uͤbergeben und ergriffen werden. Und daher erhel - let, daß nach dem natuͤrlichen Recht zu Abtretung des Eigenthums die Ue - bergabe nicht erfordert wird.
Weil durch die Uebergabe der Beſitz einge -Worin die Ue - bergabe beſtehet. raͤumet wird (§. 320.); ſo beſteht dieſelbe in jeder Handlung, wodurch die SacheN 3in198II. Th. 5 H. Von der abſtammenden Artin den Stand gebracht wird, daß der - jenige, welcher ſie erhalten hat, da - mit nach ſeinem Gefallen vornehmen kann, was er will, oder daß er ſein Eigenthum in der That gebrauchen kann (§. 200.).
Es iſt alſo klar, daß eine bewegliche Sache uͤbergeben wird, wenn derjeni - ge, welcher das Eigenthum auf den andern bringt, ſie mit der Hand dar - reicht, und der, welcher es annimmt, ſie mit der Hand ergreift; ingleichen wenn jener es uns wegnehmen heißt; eine unbewegliche Sache aber, wenn er uns dieſelbe beſitzen heißt, und ge - ſchehen laͤßt, daß wir in derſelben uns des Eigenthums gebrauchen; oder, wenn er ſie von ferne zeigt, daß wir ſie ergreifen koͤnnen, oder geſchehen laͤßt, daß eine Sache in unſerer Ge - walt bleibe, welche, es ſey aus was vor Urſach es wolle, in unſerer Ge - walt iſt; oder durch einen ſchriftli - chen Aufſatz ſich erklaͤret, daß er uns den Beſitz einraͤumen und leiden wolle, daß wir es als unſer Eigenthum ge - brauchen, oder wenn er uns, um daſ - ſelbe zu gebrauchen, in eine unbeweg - liche Sache fuͤhrt; welche Handlung ei - gentlich das Einſetzen in den Beſitz (im - miſſio in poſſeſſionem) genannt wird; oderendlich199etwas zu erhalten. endlich eine unkoͤrperliche Sache, oder ein Recht, wenn er leidet, daß wir daſ - ſelbe gebrauchen (§. 321.). Hieraus ver - ſtehet man leicht ferner, daß die beweglichen und unbeweglichen und unkoͤrperlichen Sa - chen auf verſchiedene Weiſe ergriffen werden. Denn die Ergreifung beſteht in der Hand - lung, wodurch wir in den Stand geſetzt wer - den, das Eigenthum bey einer koͤrperlichen Sache, oder ein auf uns gebrachtes Recht zu gebrauchen.
Man ſagt, eine Sache ſey in der Kuͤr -Von der Ueberga - be in der Kuͤrtze. tze uͤbergeben worden (brevi manu tra - di), wenn die Uebergabe zugleich in einer an - dern Handlung mit begriffen wird, wodurch etwas anders geſchiehet, was zum Gebrauch des Eigenthums gehoͤret; als wenn derjeni - ge, der das Eigenthum auf einen andern bringet, die Sache bey einem andern als ſei - ne ihm eigene laͤßt, die er aus einer andern Urſache, es mag ſeyn was vor eine es will, ſchon hat. Was aber derjenige, der das Ei - genthum auf den andern bringt, in der Kuͤr - tze uͤbergiebt, das ergreift derjenige, der es annimmt, in der Kuͤrtze (brevi manu ap - prehenditur).
Jm Gegentheil ſagt man, eine SacheVon der entfern - ten Ue - bergabe. ſey entfernt uͤbergeben worden (longa manu tradi), wenn die Sache, die uͤberge - ben werden ſoll, uns deswegen gezeigt wird,N 4daß200II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Artdaß wir dieſelbe ergreifen, und folglich in Be - ſitz nehmen ſollen. Und man ſagt, dasjenige ſey entfernt ergriffen worden (longa ma - nu apprehendi), was entfernt uͤbergeben wird, z. E. wenn einer, der das Eigenthum einer gewiſſen Sache auf uns bringt, die - ſelbe, da er ſie uͤbergeben ſoll, von ferne zeigt.
Man nennt aber eine gewiſſe Sache (rem certam), welche hinlaͤnglich, es ſey auf was vor Art und Weiſe es wolle, ange - zeigt wird, ſo daß ſie von andern, die ihr aͤhnlich ſind, unterſchieden werden kann. Und in eben demſelben Verſtande wird eine Per - ſon auch eine gewiſſe Perſon (perſona cer - ta) genannt.
Man nennt eine ſymboliſche Ueberga - be, welche durch gewiſſe Zeichen (ſymbo - la) geſchieht, wenn naͤmlich anſtatt der Sa - che, die uͤbergeben werden ſoll, eine andere Sache uͤbergeben wird, welche dieſelbe bedeu - tet; als, wenn die Schluͤſſel uͤbergeben wer - den, mit welchen der Kaſten aufgeſchloſſen werden kann, worinnen die zu uͤbergebenden Sachen liegen. Es iſt aber klar, daß, da die Zeichen willkuͤhrlich ſind, die ſymboliſche Ue - bergabe durch eine jede Sache geſchehen kann. Da die Zeichen keine Wuͤrckung haben, als nur nach dem Willen desjenigen, der das Eigenthum auf einen andern bringt, unddeſſen,201etwas zu erhalten. deſſen, der es annimmt; ſo ſcheint die ſym - boliſche Uebergabe nach dem Recht der Natur uͤberfluͤßig, auſſer in ſo fern unſere Willensmeinung durch das Zei - chen gewiſſer wird; weil naͤmlich durch daſſelbe mehr gewiß iſt, was vorgenommen worden.
Die Mittheilung der Arbeit (opera -Von der Mitthei - lung der Arbeit. rum communicationem) nennt man die Ver - richtung derſelben zu anderer Nutzen. Weil die freyen Handlungen der Menſchen, die an - dern nuͤtzlich ſind, nach der Einfuͤhrung des Eigenthums, eigenthuͤmlichen Sachen gleich geachtet werden, folglich auch die Arbeit, die zu anderer Nutzen verrichtet wird (§. 225.); ſo wird die Mittheilung der Arbeit der Ueberlaſſung eines Eigenthums, folg - lich auch dem Geben gleich geſchaͤtzet (§. 258.); und nachdem das Eigen - thum eingefuͤhrt worden, ſo iſt thun und geben einerley; in ſo fern naͤmlich die Arbeit, wie andere eigenthuͤmliche Sa - chen, nach einem gewiſſen Preis geſchaͤtzt werden.
Etwas leiſten (præſtare), zeigt, in derWas lei - ſten an - zeigt. allgemeinen Bedeutung, eben das an, als et - was geben und etwas thun zuſammen. Man ſagt alſo, daß ſowohl Sachen, als Thaten ge - leiſtet werden.
Aus der Erfahrung iſt hinlaͤnglich klar, daß einer, nachdem das Eigenthum eingefuͤhrt worden, nicht vor ſich ſelbſt alles haben koͤn - ne, was zur Nothwendigkeit, Bequemlichkeit und Vergnuͤgen des Lebens, ja zur Erlan - gung der Vollkommenheit der Seele erfor - dert wird, und daß ein jeder nicht allein an - derer Arbeit, ſondern auch Sachen, die an - dern zugehoͤren, beduͤrfe; daß aber dieſe Be - duͤrfniß um ſo viel groͤſſer ſey, je mehr man von der ſchlechten Lebensart abweicht. Da nun Menſchen verbunden ſind, mit vereinig - ten Kraͤften ſich und ihren Zuſtand vollkom - mener zu machen (§. 44); ſo ſind die Menſchen, nachdem das Eigenthum eingefuͤhrt worden, auch verbunden, das Eigenthum ihrer Sachen auf ein - ander zu bringen, und zur Arbeit fuͤr einander, oder einander zu geben und zu thun, nachdem einer des andern Sache, oder Arbeit bedarf. Weil aber, wenn die Pflichten gegen einander laufen, die Pflicht gegen uns ſelbſt der Pflicht gegen an - dere vorzuziehen (§. 64.); ſo darf niemand dem andern eine Sache geben, der er ſelbſt bedarf; er iſt auch nicht verbun - den etwas zu thun, wenn er nicht Zeit dazu hat.
Weil in einer poſitiven Gemeinſchaft alle zuſammengenommen der Herr einer un -getheil -203etwas zu erhalten. getheilten Sache ſind (§. 196.); ſo kanneiner ge - mein - ſchaftl. Sache. das Eigenthum nicht verwaltet wer - den, als mit aller derer Einwilligung, welche in der Gemeinſchaft ſind (§. 195); folglich kann auch eine gemein - ſchaftliche Sache nicht veraͤuſſert wer - den, als mit aller Einwilligung (§. 257.). Jedoch da das Recht, was ein jeder nach ſei - nem Antheil an einer ungetheilten Sache hat, eines jeden eigenes Recht iſt, welches wie ei - ne unkoͤrperliche Sache, die eigenthuͤmlich iſt, anzuſehen (§. 206.); ſo kann ein jeder mit ſeinem Recht, was er nach ſeinem Antheil in der ungetheilten Sache hat, nach ſeinem Gefallen vornehmen, was er will; in ſo fern es der Gemeinſchaft unbeſchaͤdiget (ſalva communione), oder ohne Nachtheil der Uebrigen geſchehen kann (§. 269.). Er kann deswegen ſein Recht, welches er nach ſeinem Antheil an einer ungetheilten Sache hat, auf einen andern bringen, oder veraͤuſſern (§. 257.); nicht aber in einem nach Pro - portion ihm zukommenden abgeſonder - tem Theile; denn an einem abgeſonderten Theile hat er kein Recht.
Weil dadurch, daß derjenige, welcher dasOb einer das, was er gege - ben hat, wieder - fordern kann. Eigenthum auf den andern bringt, und der es annimmt, ihre Willensmeinung einander hinlaͤnglich erklaͤren, dieſer erhaͤlt, was der andere giebt (§. 317.); ein einmahl erlang -tes204II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Arttes Recht aber niemanden wieder ſeinen Wil - len genommen werden kann (§. 100.); ſo kann auch, was einmahl gegeben wor - den, nicht wiedergefordert werden; und dem, der es gegeben, ſtehet nicht frey, es zu bereuen. Woferne mit einem gewiſſen Geſetz etwas gegeben worden; ſo muß auch, da derjenige, der etwas annimmt, nicht mehr Recht erlangen kann, als der an - dere ihm einraͤumen wollen (§. 317.), das Geſetz, welches bey dem Geben hinzu - gefuͤgt worden, gehalten werden.
Wenn demnach etwas auf eine ge - wiſſe Zeit (in diem) gegeben wird; ſo muß es, wenn die Zeit erſchienen, wie - dererſtattet werden; und, wenn es un - ter einer gewiſſen aufſchiebenden (ſu - ſpenſiva) Bedingung gegeben worden, ſo wird die Sache nicht eher eigen - thuͤmlich, wenn gleich die Sache uͤber - geben worden, als bis die Bedingung wuͤrcklich vorhanden; folglich, wenn dieſelbe zu erfuͤllen (poteſtativa) gewe - ſen, ſo muß ſie erfuͤllet werden; wenn die Bedingung aber nicht wuͤrcklich wird, ſo muß dasjenige, was gegeben worden, wiedererſtattet werden (§. 316.), welches auch geſchehen muß, wenn die Bedingung aufloͤſend iſt (§. cit.). Denn man ſetzt voraus, daß derjenige, der es an - nimt, ſich zur Wiedererſtattung verbindlichgemacht205etwas zu erhalten. gemacht hat, und daß derjenige, der etwas uͤbergiebt, ſich das Recht dazu vorbehalten hat (§. 97.).
Ein Recht, welches man einem andern der -Von dem, was wan bitt - weiſe hat. geſtalt eingeraͤumet, daß man es nach ſeinem Gefallen wiederrufen kann, wird genannt ein Recht, ſo man nur bittweiſe hat (pre - carium). Es iſt alſo das nicht ein Recht, welches man nur bittweiſe hat, wenn eine gewiſſe Zeit dazu geſetzet wird, wehrender welcher man es nicht wie - derruffen darf; indem man es alsdenn bis auf eine gewiſſe Zeit giebt, und vor derſel - ben nicht wiederfordern darf (§. 332.). Hin - gegen ein Recht, welches man nur bitt - weiſe hat, kann in jedem Augenblick wiederruffen werden (§. 318.); und man ſetzt dabey feſt, daß derjenige, dem es verwilliget wird, dem andern, der es ihm giebt, ſich verbindlich gemacht habe, ihm die Sache gleich wieder zu geben, ſo bald er ſie nach ſeinem Ge - fallen wiederfordert (§. cit. und §. 97.).
Das Recht in einer Sache (jus in re)Von dem Recht in einer Sache. nennt man dasjenige, was wir in der Sache ſelbſt haben: folglich, da das Recht ein ſittli - ches Vermoͤgen zu handeln iſt (§. 46.), ſo beſtehet daſſelbe in dem ſittlichen Ver - moͤgen, nach ſeinem Gefallen mit der Sache ſelbſt, oder einem Gebrauch,oder206II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Artoder einer Nutzung derſelben, die man von ihr haben kann, oder in allen Stuͤcken zugleich anzufangen, was man will. Es iſt derowegen das Eigenthum und das Recht, welches eine jede Hand - lung des Gebrauchs deſſelben betrift, ein Recht in einer Sache (§. 195.). Es iſt auch klar, daß die Gemeinſchaft der erſten Zeit ein Recht in der Sache ge - weſen ſey (§. 186.), und daß das Recht, welches einem in einer einem andern zugehoͤrigen Sache eingeraͤumet wor - den (jus in aliena re conſtitutum) (§. 260), und das Recht des Beſitzes ein Recht in einer Sache ſey.
Ein Recht zu einer Sache (jus ad rem) nennt man dasjenige, was wir zu dem - jenigen haben, das uns der andere zu leiſten verbunden iſt. Weil wir das Recht haben uns einen andern zu gewiſſen Leiſtungen ver - bindlich zu machen, und wir dadurch ein voll - kommenes Recht dazu erhalten (§. 97.); wir auch uͤberdieſes ſchon im vorhergehenden hin und wieder geſehen haben, daß die Menſchen dadurch, daß ſie dieſes oder jenes gethan, zu gewiſſen Leiſtungen verbunden werden; ſo giebt es auch ein Recht zu einer Sache, und iſt dieſes ein vollkommenes Recht. Und weil man in dem Rechte der Natur auch auf die Liebesdienſte ſehen muß (§. 61.), wozu wir eine unvollkommene Verbindlichkeit ha -ben207etwas zu erhalten. ben (§. 80.); ſo giebt es auch ein un - vollkommenes Recht zu einer Sache, welches naͤmlich der Menſch zu demjenigen hat, wozu ihm der andere auf eine unvoll - kommene Weiſe verbunden iſt.
Wer vollkommen verbunden iſt uns etwasEin Schuld - ner u. die Schuld. zu leiſten, wird der Schuldner (debitor) genannt; dasjenige aber, zu deſſen Leiſtung er verbunden iſt, die Schuld (debitum). Ob man aber gleich auch dasjenige eine Schul - digkeit (imperfecte debitum) nennet, wozu uns der andere unvollkommen verbunden iſt; ſo pflegt man doch denjenigen, der auf eine un - vollkommene Weiſe verbunden iſt, nicht einen Schuldner zu nennen.
Wir erlaſſen das Recht zu einer Sa -Von der Erlaſ - ſung des Rechts. che (jus ad rem remittimus), wenn wir hin - laͤnglich anzeigen, daß wir nicht wollen, daß der andere uns etwas leiſte, wozu er uns ver - bunden iſt. Jn eben dem Verſtande ſagt man auch, es werde die Schuld erlaſſen (debitum ipſum remitti). Durch die Er - laſſung des Rechts wird alſo der Schuldner von ſeiner Verbindlichkeit befreyet; und das Recht verloͤſcht (jus extingvitur), aber niemand erhaͤlt da - durch ein Recht. Es iſt vor ſich klar: daß man auch einen Theil des Rechts erlaſſen koͤnne, wenn man das, wasman208II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Artman ſchuldig iſt, in Theile zertheilen kann.
Wenn man ſein Recht zu einer Sache auf einen andern bringt, ſo heißt dieſes die Abtretung des Rechts (ceſſio). Derjeni - ge der es auf den andern bringt, wird der Abtretende (cedens) genannt; von demje - nigen aber auf den es gebracht wird, ſagt man, er ſey derjenige, dem es abgetreten wor - den (ceſſionarius). Es geſchieht alſo die Abtretung, wenn der Abtretende und derjenige, dem etwas abgetreten wird, ihre Einwilligung beyderſeits hinlaͤng - lich erklaͤren (§. 317.). Da das Recht zu einer Sache eine unkoͤrperliche Sache iſt, wel - che dem Abtredenden eigenthuͤmlich zugehoͤ - ret (§. 206.); ſo kann die Abtretung wieder Wiſſen und Willen des Schuld - ners geſchehen, da inſonderheit dadurch, daß ein anderer in die Stelle des Ab - tretenden kommt, in der Verbindlich - keit des Schuldners ſelbſt nichts geaͤn - dert wird.
Derjenige verwirft ein Recht (jus re - pudiat), welcher ſich hinlaͤnglich erklaͤret, daß er ein Recht, welches ihm zufaͤllet, nicht ha - ben wolle. Man ſagt aber, daß uns ein Recht zufalle (jus tibi deferri), wenn es in unſerem Gefallen ſtehet, ob wir es anneh - men wollen, oder nicht. Das Recht, wel -ches209etwas zu erhalten. ches einer verwirft, wird von ihm nicht auf einen andern gebracht.
Auf ſein Recht thut derjenige Ver -Vom Verzicht thun. zicht (juri ſuo renunciat), welcher ſich hin - laͤnglich erklaͤret, daß er, einem andern zum Vortheil, ein erlangtes Recht nicht haben wolle. Man nennt aber dasjenige ein er - langtes Recht (jus qvæſitum), welches uns wuͤrcklich zukommt. Der nun, welcher Verzicht thut, verbindet ſich gegen den andern, dem zu gefallen er Verzicht thut, daß er ſich ſeines Rechts gegen ihn nicht gebrauchen wolle; und die - ſer erhaͤlt dadurch das Recht nicht zu leiden, daß er ſich deſſelben gebrauche (§. 46.). Wer aber auf ſein Recht Verzicht thut, der bringt, oder uͤber - traͤgt deswegen nicht ſein Recht auf einen andern.
Einer begiebt ſich ſeines Rechts (ju -Vom Be - geben des Rechts. ri ſuo ſe abdicat), oder entſaget demſelben, wenn einer freywillig ſich erklaͤret, daß er ein Recht, welches er auf einen andern nicht bringen kann, laͤnger nicht haben wolle: als wenn einer ſein obrigkeitliches Amt eher, als es Zeit iſt, niederleget.
Weil ein jeder mit ſeinem Rechte, als einerOb die Erlaſ - ſung des Rechts uncoͤrperlichen Sache (§. 121.), welche ihm ei - genthuͤmlich zugehoͤret (§. 206.), nach ſeinemNat. u. Voͤlckerrecht. OGefal -210II. Th. 5. H. Von der abſtammenden Artund das Abtreten deſſelben u. ſ. w. erlaubt ſind.Gefallen anfangen kann, was er will (§. 195.); ſo ſtehet es in eines jeden Willen, ob er ſein Recht erlaſſen, einem andern ab - treten, es verwerfen, ſich deſſelben begeben, oder darauf jemanden zu ge - fallen Verzicht thun will, oder nicht, wenn nur nichts vorgenommen wird, welches wieder das Recht eines drit - ten iſt (§. 86.); als wie wenn man eine Schuld erlaͤßt, um die Glaͤubiger zu betruͤgen.
Wenn eine gemeinſchaftliche Sache getheilt wird, weil durch Aufhebung der Gemeinſchaft ein jeder einen abgeſonderten Theil eigenthuͤmlich, folglich ein abſonderli - ches Eigenthum erhaͤlt; ſo entſtehen ſo viel beſondere Eigenthuͤmer, als Perſonen ſind; und die abgeſonderten Theile ſind nicht mehr als Theile einer Sache an - zuſehen. Was vorher mehrern gemein ge - weſen war, wird durch die Theilung eines je - den eigen.
Wenn eine gemeinſchaftliche Sache getheilt werden ſoll, und nicht getheilt werden kann; ein jeder aber der in der Gemeinſchaft iſt, ſie gantz haben will; ſo kann nach dem natuͤrlichen Rechte die Sache keinen Ausgang gewinnen; indem keiner verbunden iſt das Eigenthum in ſeinem Antheile dem andern abzutreten (§. 342.). Soll ſie nun einen Ausgang gewin -nen;211etwas zu erhalten. nen; ſo iſts noͤthig, daß mit Einwilli - gung aller derer, welche in der Ge - meinſchaft ſind, eine Art und Weiſe zu beſtimmen ausgemacht wird, wem dieſelbe zuzueignen ſey; z. E. daß es durch das Loos entſchieden werde, wer die Sache haben ſoll.
Weil in einer Gemeinſchaft mit einer ge -Ob je - mand ge - zwungen werden kann, in einer Ge - mein - ſchaft zu verblei - ben. meinſchaftlichen Sache nichts vorgenommen werden kann, als mit aller Bewilligung (§. 330.), und damit das Vorhaben einen Aus - gang gewinnet, der Wille der meiſten oder des groͤſſern Theils vor den Willen aller gehalten werden muß; ſo iſt alſo leicht zu erachten, daß in einer Gemeinſchaft nicht ein jeder mit ſeinem Antheile vornehmen kann, was er will. Da nun der natuͤrlichen Freyheit, von welcher in dem Eigenthume die Freyheit mit dem Sei - nen vorzunehmen, was man will, herruͤhret (§. 195.), gar ſehr zuwieder iſt, daß jemand wieder ſeinen Willen in der Gemeinſchaft bleiben ſoll; ſo kan auch niemand ge - zwungen werden, wieder ſeinen Wil - len in der Gemeinſchaft zu verbleiben, wenn nicht das gemeinſchaftliche Recht mit der Bedingung erlangt worden, daß es gemeinſchaftlich bleiben ſoll (§. 317.).
Von der Eroͤfnung ſeiner Ge - dancken gegen andere.
Wir eroͤfnen andern unſere Gedancken entweder durch Worte, oder durch andere gleichguͤltige Zeichen, oder durch Thaten, d. i. durch aͤuſſere Handlung. Wer alſo von andern verſtanden wer - den will, der muß die Worte in dem Verſtande gebrauchen, wie es die Ge - wohnheit zu reden mit ſich bringet; folglich wer dazu verbunden iſt einem andern ſeine Meinung zu ſagen, der muß die Woͤrter in der Bedeutung nehmen, welche mit der Gewohnheit zu reden uͤbereinkommt.
Die Uebereinſtimmung der Worte mit un - ſern Gedancken nennt man die moraliſche Wahrheit (veritatem moralem), und der redet moraliſch wahr, der dasjenige denckt, was er ſagt, daß er es dencke. Eine moraliſch wahre Rede aber wird Wahrre - den genannt (veriloqvium). Sie iſt alſo von der logiſchen Wahrheit unterſchie - den, welche in der Uebereinſtimmung unſerer Gedancken mit der Sache, die wir gedencken, beſteht, ſo daß das logicaliſch wahr iſt, wenn wir dencken, daß etwas ſey, oder nicht ſey, daſſelbige auch in der That iſt, oder nichtiſt.213ſeiner Gedancken. iſt. Derowegen da die moraliſche Wahrheit die logicaliſche nicht voraus ſetzt; ſo kann die logicaliſche Wahrheit dadurch nicht erwieſen werden, daß man wahr ge - redet; und wenn wir ſagen, was wir zu ſeyn vermeinen, da es doch nicht iſt, oder im Gegentheil nicht zu ſeyn ver - meinen, da es doch iſt, ſo reden wir zwar moraliſch wahr, ob es gleich logica - liſch oder an ſich falſch iſt.
Jm Gegentheil iſt moraliſch falſch (mo -Vom moraliſch Falſchen. raliter falſum), wenn wir anders dencken, als was wir ſagen, oder unſere Worte und Gedancken nicht mit einander uͤbereinſtimmen. Eine moraliſch falſche Rede wird eine Un - wahrheit (falſiloqvium) genannt. Sie iſt alſo vom logicaliſch Falſchen (falſitate lo - gica) unterſchieden, welche darinnen beſtehet, daß unſere Gedancken mit der Sache nicht uͤbereinkommen. Weil nun die Unwahrheit nicht voraus ſetzt, daß etwas logicaliſch, das iſt, in der That wahr ſey; ſo daß wir den - cken, daß es ſey, und es iſt doch nicht, oder daß es nicht ſey, und es iſt doch in der That; ſo reden wir moraliſch falſch, wenn wir dencken, daß etwas nicht ſey, und ſa - gen daß es ſey, und es ſich auch in der That alſo befindet; oder wenn wir den - cken, daß etwas ſey, und wir ſagen, daß es nicht ſey, und es ſich auch in der That alſo befindet.
Eine aͤuſſerlich aufrichtige Hand - lung (actio externa ſincera) nennt man die - jenige, welche mit der innern uͤbereinſtimmt; wenn aber die aͤuſſere Handlung der inneren zuwieder iſt, ſo heißt es eine Verſtellung (ſimulatio). Die Verbergung ſo wohl der aͤuſſern, als innern Handlungen, ſie mag ent - weder in einer That oder Unterlaſſung derſel - ben beſtehen, auf was Art und Weiſe ſie auch geſchiehet, heißt die Verheelung (diſſimu - latio). Die Verſtellung der Jntention, wenn wir nemlich eine andere, als die wahre, wel - che wir haben, vorgeben, heiſſet der Vor - wand (prætextus), welche von einigen ein Blendwerck (obtentus) genannt wird.
Es erhellet alſo, daß Wahrreden eine aufrichtige Rede, und eine Unwahrheit im Reden eine verſtellte Rede ſey (§. 347. 348. 349.). Es erhellet aber auch fer - ner, daß der Vorwand eine Art der Unwahrheit ſey, wie die Unterlaßung der Rede, die zu dem Ende geſchiehet, daß unſere Gedancken dem andern nicht bekannt werden ſollen, zur Verheelung zu rechnen iſt (§. 349.).
Der luͤgt (mentitur), welcher moraliſch falſch redet, wenn er wahr zu reden verbun - den iſt, oder wenn er verbunden iſt dem an - dern ſeine Gedancken zu entdecken. Eine Luͤ -gen215ſeiner Gedancken. gen (mendacium) iſt alſo eine Unwahrheit im Reden, welche unſerer Verbindlichkeit zu - wieder iſt, vermoͤge welcher wir dem andern unſere Gedancken eroͤfnen ſollen; folgends wodurch des andern Recht, welches aus die - ſer Verbindlichkeit entſpringt, verletzt wird (§. 46.). Das Verſchweigen (reticentia) hingegen das Stillſchweigen von dem, das wir zu ſagen verbunden ſind. Es iſt alſo das Verſchweigen dem Recht eines andern zuwieder.
Da ſich niemand von der natuͤrlichen Ver -Von der Sittlich - keit des Wahrre - dens, der Luͤgen u. des Ver - ſchwei - gens. bindlichkeit ſo wohl (§. 42.), als von der er - langten befreyen kann (§. 100.); ſo ſind wir verbunden, woferne wir einer Pflicht (§. 57.), oder einer erlangten Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten koͤnnen, wofern wir nicht dem andern unſere Gedancken eroͤfnen, moraliſch wahrzureden, folglich zum Wahrreden verbunden (§. 347.); und daher iſt ſo wohl die Unwahrheit (§. 348.), als das Ver - ſchweigen unerlaubt (§. 351.). Wor - aus ferner erhellet, daß eine jede Luͤgen unerlaubt ſey (§. cit.). Jm Gegentheil aber, da uns das Geſetz der Natur ein Recht dazu giebt, ohne welches wir unſerer Ver - bindlichkeit kein Genuͤge leiſten koͤnnen (§. 46.), iſt beydes erlaubt, wenn wir einer Pflicht oder einer zugezogenen Ver - bindlichkeit kein Genuͤge leiſten koͤn -O 4nen,216II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnungnen, wofern wir nicht unſere Gedan - cken verbergen, oder moraliſch falſch re - den (§. 49.); und alsdann iſt die Un - wahrheit keine Luͤgen (§. 351.). Und weil nach der natuͤrlichen Freyheit niemanden verwehret werden kann, in der Beſtimmung ſeiner Handlungen ſich nach ſeinem Urtheile zu richten, wenn er nur nichts thut, zu deſſen Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 78.), die natuͤrliche Freyheit aber die natuͤrliche Verbindlichkeit nicht aufhebt (§. 77.); ſo iſt auch erlaubt, wenn wir nicht verbun - den ſind dem andern unſere Gedancken zu ſagen, noch auch eine Pflicht gegen uns ſelbſt oder gegen andere ſolches er - fordert, die Wahrheit zu verheelen.
Zweydeutig redet derjenige (ambigue loqvitur), welcher ſich ſolcher Worte bedie - net, ſo nach dem gemeinen Gebrauch im Re - den mehr als eine Bedeutung haben koͤnnen. Dieſes iſt wieder die Klugheit, wenn wir einem andern unſere Gedancken eroͤfnen wollen (§. 21.), und folglich zu vermeiden. Wenn wir aber voraus ſehen, es werde ein anderer, dem wir unſere Gedancken zu eroͤfnen verbun - den ſind, ſie in einer Bedeutung neh - men, die von unſerer Meinung unter - ſchieden iſt, und wir dieſes vorſaͤtzlich zur Abſicht haben (§. 17.), ſo iſt die Zweydeutigkeit im Reden einer Luͤgengleich217ſeiner Gedancken. gleich zu achten (§. 351.), folglich uner - laubt (§. 352.). Es erhellet aber ferner, daß die Zweydeutigkeit im Reden in dem Falle erlaubt ſey, in welchen die Unwahrheit erlaubt iſt (§. 352.).
Die Allegorie iſt eine Rede, welche ausVon den Raͤtzeln. Worten beſteht, die in einer andern, als ih - rer eigentlichen Bedeutung genommen wer - den, um eine andere Sache anzudeuten, mit der ſie eine Aehnlichkeit hat. Eine dunckele Allegorie, in welcher die uneigentliche Be - deutung der Woͤrter zweydeutig iſt, nennt man ein Raͤtzel (ænigma). Es dienen alſo die Raͤtzel den Witz zu uͤben, wel - cher in der Leichtigkeit die Aehnlichkeiten der Dinge zu bemercken beſteht. Wenn dem - nach die Zweydeutigkeit im Reden er - laubt, oder unerlaubt iſt (§. 353.), ſo iſt eine raͤtzelhafte Redensart auch er - laubt oder unerlaubt.
Offenbahre Worte (verba aperta) nen -Von der Vorbe -[h] altung im Sin - ne. nen wir diejenigen, welche ausgeſprochen, oder geſchrieben werden, daß ſie von andern ver - ſtanden werden koͤnnen: verſchwiegene Worte aber (tacita) die, welche in Ge - dancken zuruͤck behalten werden, daß ſie nie - mand als wir wiſſen koͤnnen, indem wir nicht fuͤr andere, ſondern fuͤr uns reden. Eine moraliſche wahre Rede, welche zum Theil aus offenbahren Worten, zum Theil aus ver -O 5ſchwie -218II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnungſchwiegenen beſteht; ſo daß jene dem, welcher ſie hoͤrt, eine falſche Meinung beybringen, dieſe aber den Verſtand derſelben in den wah - ren verkehren, welcher dem vorhergehenden zuwieder iſt, wird eine Vorbehaltung im Sinne (reſervatio mentalis) genannt. Es ſind alſo die Vorbehaltungen im Sinn bloß in Anſehung deſſen, welcher re - det, Wahrheit (§. 347.); aber Un - wahrheit in Anſehung des andern, an den die Rede gerichtet wird (§. 348.); folglich ſind ſie den Luͤgen gleich zu ach - ten, wenn wir verbunden ſind dem andern unſere Gedancken zu ſagen (§. 351.); in anderen Faͤllen, da die Un - wahrheit erlaubt iſt (§. 352.), ſind ſie unnuͤtze. Uebrigens iſt leicht zu erſehen, daß man zu der Vorbehaltung im Sin - ne eine Rede nicht rechnen kann, in welcher Worte ausgelaſſen werden, die der andere, an den ſie gerichtet wird, aus den offenbahren Worten, oder aus der Sache, davon die Rede iſt, leicht ſchlieffen kann.
Man ſagt, daß derjenige den andern betruͤge (fallere alterum), welcher ihn mit Worten oder Thaten dahin bringet, daß er et - was vor wahr halte, was doch nicht wahr iſt. Daher koͤnte man die Verſtellung erklaͤren, daß ſie eine That ſey; die Unwahrheitaber,219ſeiner Gedancken. aber, daß ſie eine Rede ſey, wodurch wir den andern betruͤgen wollen.
Weil von der natuͤrlichen VerbindlichkeitOb die Furcht vor Ge - fahr die Unwahr - heit er - laubt machen kann. niemand befreyet werden kann (§. 42.); ſo iſt uns auch nicht erlaubt, wenn wir die Wahrheit zu ſagen verbunden ſind (§ 352.), aus Furcht vor einer uns, oder andern obſchwebenden Gefahr moraliſch falſch, oder zweydeutig, oder raͤtzelhaft zu antworten; es iſt aber erlaubt, wenn wir einem andern die Wahrheit zu ſagen nicht verbunden ſind (§. 269.).
Ein Geheimniß (arcanum) nennt manVon den Geheim - niſſen, die den an - dern ver - traut werden, und vom Verra - then der - ſelben. dasjenige, welches wir wollen, daß es andere nicht wiſſen ſollen, oder es auch zu wollen ver - bunden ſind. Derjenige vertraut einem andern ſein Geheimniß (arcana ſua alteri committit), welcher es ihm ſaget, in Hoff - nung oder im Vertrauen der Verſchwiegen - heit, das iſt, entweder unter dieſer ſtillſchwei - genden, oder ausdruͤcklichen Bedingung, daß er es keinem andern ſagen ſolle. Derjenige aber verraͤth das Geheimniß eines an - dern (arcana alterius prodit), der, was ihm vertrauet worden, andern ſaget. Wenn uns keine Noth dazu dringt, daß wir unſere Geheimniſſe einem andern ver - trauen, als z. E. wenn wir den Rath oder die Huͤlfe eines andern noͤthig haben, dasje -nige220II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnungnige auszufuͤhren, was wir beſchloſſen haben; ſo ſollen wir es auch nicht thun. Denn es iſt ſicherer ſie nicht zu vertrauen, als zu vertrauen, damit man nicht in Gefahr ſtehe, ſie moͤchten verrathen werden. Geheimniſ - ſe aber, die einem vertrauet ſind, doͤr - fen niemahls verrathen werden (§. 269.), beſonders wenn wir uns ver - bunden haben, ſie nicht zu verrathen (§. 97. 100.).
Da wir durch verſtellen und moraliſch falſch reden einerley intendiren, naͤmlich, daß der andere von unſern Gedancken eine entgegengeſetzte Meinung faſſen moͤge (§. 348. 349. ); ſo iſt auch, wenn die Unwahr - heit erlaubt, oder unerlaubt iſt, die Verſtellung erlaubt, oder unerlaubt. Eben ſo, da durch die Verbergung unſerer Gedancken und die Verheelung einerley ge - ſucht wird, daß unſere Meinung einem an - dern nicht bekannt werden ſolle (§. 349.); ſo iſt auch, wenn es erlaubt iſt, ſeine Ge - dancken zu verbergen, die Verheelung erlaubt. Weil nun der Vorwand eine Art der Unwahrheit iſt (§. 350.); ſo gilt von der Sittlichkeit des Vorwands eben dasjenige, was von der Sittlichkeit der Unwahrheit erwieſen worden.
Unnuͤtze Worte (verba temeraria) ſind diejenigen, welche ohne eine Abſicht geſpro -chen;221ſeiner Gedancken. chen; unnuͤtze Handlungen aber (factau. Hand - lungen. temeraria), die ohne eine Abſicht vorgenom - men werden. Es geſchieht aber etwas ohne Abſicht (nullo fine fit), wenn man bey demſelben weder auf unſern, noch auf anderer Nutzen bedacht iſt, den man nehm - lich als ſeine Abſicht dadurch zu erhalten ge - ſucht. Weil die Menſchen verbunden ſind ihre Handlungen zu ihrer und anderer Voll - kommenheit und zu der Vollkommenheit ſo wohl ihres eigenen, als des andern ſeines Zu - ſtandes einzurichten, und dieſelben mit gemein - ſchaftlichen Kraͤften zu befoͤrdern (§. 43. 44. ); die Rede aber das Mittel iſt, wodurch ſie ihre Gedancken zu dem Ende eroͤfnen ſollen, welches vor ſich klar iſt; ſo muß man ſo wohl im Reden, als bey einer jeden Handlung auf einigen Nutzen ſehen, er betreffe entweder uns ſelbſt oder andere, und denſelben aus die - ſer Vollkommenheit, als der letzten Abſicht, beſtimmen. Daraus laͤßet ſich leicht ſchlieſ - ſen, daß unnuͤtze Worte und Hand - lungen mit dem Geſetz der Natur we - nig uͤbereinkommen; und man folglich weder unnuͤtze Reden fuͤhren, noch auch etwas unnuͤtzes thun muͤße. Es iſt auch ebendaſſelbe, vornaͤmlich von den Wor - ten, aus der Verbindlichkeit klar, daß wir die freyen Handlungen durch ebendieſelben Abſichten beſtimmen muͤſſen, durch welche die natuͤrlichen beſtimmt werden (§. 43.).
Wenn jemand zweifelt, ob man die Wahrheit rede, und es entweder durch die Sache, von welcher man redet, oder auf eine andere Weiſe, z. E. durch Zeugen, nicht gewiß werden kann; ſo kann man es nicht anders be - weiſen, als durch das Gewiſſen, oder daß man GOtt zum Zeugen anruft: indem niemand unſere Gedancken weiß, als wir ſelbſt, die wir uns derſelben bewuſt ſind, und Gott. Den Beweis der Wahrheit deſ - ſen, was wir ſagen, durch das Zeugniß des Gewiſſens, indem wir naͤmlich uns auf das Gewiſſen als auf einen Zeugen, beruffen, nennt man eine Betheurung (aſſeverationem); den Beweis aber durch das Zeugniß Gottes, indem wir naͤmlich Gott als den Zeugen der Wahrheit desjenigen, was wir ſagen, und als den Raͤcher der Luͤgen und des Meiney - des anrufen, einen Eyd oder Eydſchwur (juramentum, jusjurandum). Was der Meineyd ſey, werden wir unten erklaͤren.
Weil derjenige, welcher ſchwoͤrt, gewiß ſeyn muß, daß ein Gott ſey, der die Ge - dancken der Menſchen kennt, und die Luͤgen und den Meineyd beſtraft (§. 361.); ſo kann der, welcher leugnet, daß ein Gott ſey, oder daß er die Gedancken der Men - ſchen kenne, oder daß er ſich wenigum223ſeiner Gedancken:um die menſchlichen Dinge bekuͤmmere, nicht ſchwoͤren.
Wenn nun jemand falſche GoͤtterOb man bey fal - ſchen Goͤttern ſchwoͤren koͤnne. vor den wahren Gott haͤlt, und ihnen dasjenige zueignet, was einer, der da ſchwoͤrt, von dem wahren Gott vor gewiß halten muß, der kann bey fal - ſchen Goͤttern ſchwoͤren; weil es in An - ſehung ſeiner eben ſo viel iſt, als wenn er bey dem wahren Gott ſchwuͤre.
Weil die Worte Zeichen ſind, welche das -Von den Eides - formeln. jenige bedeuten, was wir durch dieſelbe wol - len zu verſtehen geben; ſo kann man mit allen Worten ſchwoͤren, welchen man die Bedeutung beylegt, ſo nach der Er - klaͤrung einem Eide zukommen muß. Daher erhellet zugleich, daß man bey je - der Sache, ſie mag ſeyn, was vor eine es will, ſchwoͤren koͤnne. Aber bey der - gleichen Dingen ſchwoͤret einer nicht, ſondern er betheuret nur etwas, wel - cher ſagt, er rede ſo gewiß die Wahrheit, oder wolle ſie ſagen, als es gewiß iſt, daß eine Sache wuͤrcklich ſey, oder of - fenbar ihm die liebſte. Es koͤnnen einer - ley Worte die Kraft eines Eides, oder einer Betheurung haben, nachdem entweder der andere einen Eid von uns fordert, oder wir freywillig dieſelbe vorbringen. Alſo wenn einer ſchwoͤren ſoll und ſagt: Gottiſt224II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnungiſt mein Zeuge, ſo ſchwoͤrt er; wenn er eben dieſes ungeheiſſen ſagt, ſo iſt es eine Betheurung. Denn in dem er - ſten Fall zeigen die Worte auch die Anru - fung Gottes als eines Raͤchers der Luͤgen und des Meineydes an, in den andern aber nicht (§. 361.).
Wenn jemand unbedachtſam Wor - te, die einen Schwur bedeuten, d. i. welchen man die Bedeutung eines Eides zu - zuſchreiben pflegt, ohne Vorſatz zu ſchwoͤ - ren vorbringt, ſo ſchwoͤrt er nicht; ſondern man muß dieſelbe zu den un - nuͤtzen Worten rechnen (§. 360.). Weil aber dieſe zu vermeiden ſind (§. cit. ), ſo ſun - diget er nichts deſto weniger. Eben das muß man von den Worten verſtehen, wel - chen man ſonſt die Bedeutung einer Betheu - rung beylegt.
Weil aber im Gegentheil wieder denjeni - gen, welcher die Wahrheit zu ſagen verbun - den iſt, das vor wahr zu halten iſt, was er ſagt (§. 318.); ſo nimmt man mit Recht an, es habe einer geſchworen, der ſchwoͤren ſoll, oder das Anſehen haben will, als ſchwoͤre er, wenn er die Wor - te eines Eides herſagt. Denn ſonſt muͤ - ſte man einraͤumen, es koͤnne einer vor ſich Worte im Sinne zuruͤcke behalten, welches unerlaubt iſt (§. 355.).
Weil Eidſchwuͤre und Betheurungen un -Daß man un - nuͤtze Be - theurun - gen und Eid - ſchwuͤre vermei - den muͤſſe. nuͤtze ſind, wenn derjenige, mit dem man re - det, nicht zweifelt, daß wir moraliſch wahr reden, oder auch weder ihm, noch uns dran gelegen iſt, ob er glaubt, daß wir die Wahr - heit ſagen, oder nicht (§. 360. 361. ); unnuͤ - tze Worte aber unerlaubt ſind, und insbeſon - dere ein unnuͤtzer Eid ſich mit der Gott ſchul - digen Ehrfurcht nicht reimet (§. 172.); ſo ſind auch, wenn der, zu dem man re - det, nicht zweifelt, daß wir die Wahr - heit ſagen, oder wenn weder ihm noch uns dran gelegen iſt, ob er dieſes glaubt, oder nicht, die Betheurungen und Eide unerlaubt. Daher laͤßet ſich ferner leicht ſchlieſſen, daß man nicht ſchwoͤren muͤſſe, wenn einer Betheu - rung geglaubt wird, oder wenn eine Betheurung dazu hinreichend iſt.
Weil wir das Recht haben, uns, einemWozu ſich der - jenige, der ſchwoͤrt, verbin - det. andern die Wahrheit zu ſagen, zu verbinden, wenn uns oder dem andern daran gelegen iſt, daß er glaubt, wir reden wahr (§. 97.), die Anrufung Gottes aber als eines Raͤchers der Luͤgen und des Meineides, ein Bewegungs - grund iſt, die Wahrheit zu ſagen, welche wir mit dem Eidſchwur beſtetigen (§. 361.); ſo verbinden wir uns, indem wir ſchwoͤ - ren, dem andern, ihm die Wahrheit zu ſagen (§. 35.); folglich darf manNat. u. Voͤlckerrecht. Peine226II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnungeine ſonſt erlaubte Unwahrheit mit kei - nem Eide bekraͤftigen.
Weil wir uns, indem wir ſchwoͤren, dem andern verbinden, ihm die Wahrheit zu ſagen (§. 368.); und alſo wieder uns vor wahr zu halten, was wir hinlaͤnglich anzeigen (§. 318.); folglich man keine andere Meinung von un - ſern Gedancken haben kann, als die wir durch die Worte anzeigen; ſo leidet der Eid keine ſtillſchweigende Ausnahmen und Bedingungen, und es kann auch bey demſelben nichts vor ſich im Sinne zuruͤcke behalten werden (§. 355.).
Aus eben dieſem Grunde iſt klar, daß der, welcher ſchwoͤrt, die Worte in eben dem Verſtande nehmen muͤſſe, welche derjenige ihnen zueignet, dem ge - ſchworen wird; und daß man folglich dieſelbe nicht der offenbahren Bedeu - tung zuwieder in eine andere verdre - hen duͤrfe, damit man beweiſen koͤn - ne: ob man gleich nach der Meinung desjenigen, dem geſchworen wird, un - wahr geredet, ſo habe man doch nach ſeiner eigenen Meinung wahr geredet.
Ein falſcher Eid (pejeratio) wird ge - nannt derjenige, welchen einer ſchwoͤrt, daß er die Wahrheit ſage, indem er die Unwahr - heit ſagt. Der Meineid (perjurium) aberiſt227ſeiner Gedancken. iſt die Verletzung des Eides, wenn einer das nicht haͤlt, was er nach ſeiner eigenen Mei - nung zu thun oder nicht zu thun geſchworen hat. Derowegen weil derjenige, welcher ſchwoͤrt, ſich verbindet die Wahrheit zu ſagen (§. 368.), und wenn er ſchwoͤrt etwas zu thun oder nicht zu thun, durch den Eid be - weiſen will, daß er ſich dieſes zu thun, oder zu unterlaſſen verbinde (§. 97. 361. ); ſo iſt nicht erlaubt falſch zu ſchwoͤren, noch der Meineid erlaubt (§. 100.).
Da es aber einerley iſt, ob die WorteVom ge - ſchriebe - nen Eid. ausgeſprochen, oder geſchrieben werden; ſo iſt ein geſchriebener Eid guͤltig; folg - lich kann ein Abweſender einem Abwe - ſenden im Briefe ſchwoͤren.
Man ſagt: einer ſchwoͤre in die See -Von dem Eid, der in die Seele ei - nes an - dern ge - ſchiehet. le eines andern (in animam alterius jura - re), wenn er im Nahmen und aus Vollmacht eines Abweſenden ſchwoͤrt. Da es einerley iſt, ob einer etwas ſelbſt, oder durch einen andern verrichtet; ſo kann man auch in die Seele eines andern ſchwoͤren.
Die Beſchwoͤrung (obteſtatio) nenntVon der Beſchwoͤ - rung. man eine Handlung, da man jemand bey Gott, dem Zeugen der Wahrheit desjenigen, was man ſagt, und dem Raͤcher der Luͤgen und je - der unerlaubten That, oder bey einer Sache die dem andern am liebſten iſt, oder woraufP 2er228II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnunger am meiſten zu ſehen hat, bittet, daß er die Wahrheit ſage, oder entweder etwas thue, oder unterlaſſe. Da man nun durch die Be - ſchwoͤrung einen andern ernſtlich zu bewegen ſucht, die Wahrheit zu ſagen, oder etwas zu thun, oder nicht zu thun; ſo iſt auch, wenn uns, oder einem andern viel daran ge - legen, daß einer die Wahrheit ſage, oder etwas entweder thue, oder un - terlaſſe, der etwas zu thun, oder zu unterlaſſen verbunden iſt, die Beſchwoͤ - rung erlaubt. Eben dieſes iſt in demjeni - gen Fall klar, in welchem man einen andern anmahnen muß, etwas zu thun oder zu un - terlaſſen.
Die Betheurung bey dem Zeugniſſe Got - tes oder bey einer Sache, welche uns die lieb - ſte, oder von groſſer Wichtigkeit iſt, wird die hoͤchſte Betheuerung genannt (conteſta - tio). Es gehoͤrt alſo dieſelbe zu denjenigen Betheurungsformeln, welche dem Eide am naͤchſten kommen (§. 361.).
Weil der falſch ſchwoͤret, welcher ſchwoͤrt, er wolle das thun, wozu er ſich verbindlich macht, ob er gleich nicht den Vorſatz hat es zu thun; hingegen aber nicht meineidig iſt, wenn er ſeinen Vorſatz aͤndert und es thut (§. 371.); ſo iſt auch der nicht meineidig, der zwar falſch geſchworen, aber ſichſolches229ſeiner Gedancken. ſolches gereuen laͤſt, und thut, was er zu thun geſchworen hat.
Von der Art und Weiſe ſich ei - nem andern verbindlich zu machen, oder von dem Verſprechen und Vertraͤgen uͤberhaupt.
Weil nach eingefuͤhrtem Eigenthum derWozu wir uns einem an - dern ver - bindlich machen koͤnnen. Menſch nichts hat, was ihm zuge - hoͤrt, als die koͤrperlichen und un - koͤrperlichen Sachen, welche ſein eigen ſind (§. 195. 206. ); und die Handlungen, welche andern nuͤtzlich ſind, eigenthuͤmlichen Sachen gleich geſchaͤtzt werden (§. 225.); ſo kann niemand ſich dem andern verbindlich machen, als nur ihm etwas zu geben, oder etwas zu thun, und ſeinetwegen zu unterlaſſen, folglich etwas zu leiſten (§. 258. 328.).
Weil keine Verbindlichkeit noͤthig, wenn et -Was vor ein Recht auf einen andern gebracht wird, wenn ei - ner ſich dem an - was gleich geleiſtet wird; die Verbindlichkeit aber darauf gehet, was geſchehen ſoll, und wozu der andere ein vollkommenes Recht er - haͤlt (§. 97.); ſo iſt klar, daß, wenn ſich einer dem andern etwas zu geben, oder zu thun verbindet, er auf ihn ein RechtP 3brin -230II. Th. 7. H. Von dem Verſprechendern ver - bindlich macht.bringet die Leiſtung mit Gewalt zu fordern.
Dieſe Erklaͤrung ſeines Willens von dem, was man einem andern leiſten will, und wo - durch man auf den andern das Recht bringt uns mit Gewalt dazu anzuhalten, nennt man das Verſprechen (promiſſio), derjenige der etwas verſpricht heiſt der Verſprechen - de (promiſſor), derjenige, dem etwas ver - ſprochen wird, wird der Verſprechens-An - nehmer (promiſſarius) genannt.
Der Verſprechende verbindet ſich alſo dem, welchem er etwas verſpricht, vollkommen (§. 80. 379.). Und da wir den Willen eines andern nicht anders wiſſen koͤnnen, als wenn uns derſelbe von ihm hin - laͤnglich erklaͤret wird, noch auch von ihm ein Recht erlangen, ohne ſeinen Willen (§. 314.); ſo kann ſich niemand dem andern an - ders vollkommen verbindlich machen, als nur durchs Verſprechen.
Weil durch das Verſprechen auf den an - dern das Recht gebracht wird, die Leiſtung des Verſprochenen mit Gewalt von ihm zu for - dern (§. 379.), zu Erlangung deſſelben aber erfordert wird, daß es der andere annimmet (§. 316.); ſo iſt kein Verſprechen ohne Annehmung deſſelben guͤltig, und der,dem231und den Vertraͤgen uͤberhaupt. dem etwas verſprochen wird, erhaͤlt ohne dieſelbe kein Recht dazu.
Vom Verſprechen unterſcheidet GrotiusVon der bloſſen Zuſage. mit Recht eine bloſſe Zuſage (pollicitatio - nem), wodurch wir hinlaͤnglich dem andern unſern Willen erklaͤren ihm etwas zu leiſten, wie auch bey dieſem Vorſatze zu verharren, aber ihm kein Recht, es mit Gewalt von uns zu fordern, einraͤumen wollen. Es erhaͤlt alſo durch die bloſſe Zuſage derjenige, dem ſie geſchieht, kein Recht, das, was man zugeſagt, mit Gewalt zu fordern (§. 314.).
Von derſelben unterſcheiden wir mit demVon der bloſſen Erklaͤ - rung, was man zu thun geſonnen. Grotius die bloſſe Erklaͤrung, was man zu thun geſonnen (nudam aſſertionem), dadurch wir dem andern hinlaͤnglich erklaͤren, was wir jetzt Willens ſind ihm zu leiſten, doch unbeſchadet der Freyheit dieſen Vorſatz zu aͤndern; folglich erhaͤlt durch derglei - chen bloſſe Erklaͤrung, was wir zu thun geſonnen, der andere kein Recht, die - ſes mit Gewalt zu fordern (§. 314.).
Weil durch die bloſſe Zuſage (§. 382.) undOb hier - innen ei - ne An - neh - mung ſtatt fin - det. eine bloſſe Erklaͤrung, was wir zu thun geſon - nen, der andere kein Recht dazu erhaͤlt, wo - von geredet wird (§. 383.); ſo wird zu ei - ner bloſſen Zuſage und einer bloſſen Erklaͤrung, was wir zu thun geſon -P 4nen,232II. Th. 7. H. Von dem Verſprechennen, keine Annehmung erfordert; ja ſie koͤmmt zu beyden unnuͤtze hinzu (§. 316.).
Weil es lediglich auf unſerm Willen beruhet, ob wir auf einen andern ein Recht bringen wollen, oder nicht (§. 314.); folglich das Recht uns mit Gewalt zu einer gewiſſen Lei - ſtung anzuhalten, d. i. das Recht zu einer Sache (§. 335.); ſo ſteht es auch allein bey uns, ob wir einem andern etwas verſprechen, oder blos zuſagen, oder ihm blos erklaͤren wollen, was wir zu thun geſonnen (§. 379. 382. 383. ); folg - lich ſind das Verſprechen, die bloſſe Zu - ſage und die bloſſe Erklaͤrung deſſen, was wir zu thun geſonnen, Handlun - gen, die allein auf unſerem Willen be - ruhen; und derowegen hat niemand das Recht, uns zu einem Verſprechen zu noͤthigen. Da dieſes der natuͤrlichen Frey - heit wiederſpricht (§. 77.); ſo thut derjeni - ge, der den andern zum Verſprechen zwingt, ihm unrecht (§. 87.); und iſt dieſes durchs natuͤrliche Geſetz verbo - then (§. 86.).
Ein uͤberlegter Vorſatz (animus deli - beratus) wird genannt, wenn man dasjeni - ge, ſo man will, wohl erwogen hat, naͤmlich ob man es lieber thun, als unterlaſſen ſoll, und wie man es anzufangen hat, ehe man dieHand -233und den Vertraͤgen uͤberhaupt. Handlung ſelbſt vornimmt, damit nichts ge - ſchehe was den Pflichten gegen ſich, oder ge - gen andere zuwieder iſt. Jm Gegentheil nennt man einen unuͤberlegten Vorſatz (animum indeliberatum), wenn man dasje - nige, was man will, nicht gnug erwogen hat. Derowegen da ſich von der natuͤrlichen Verbindlichkeit, die wir zu allen Pflichten haben (§. 57.), niemand befreyen kann (§. 42.), inſonderheit auch ein jeder allen Scha - den von ſich abwenden ſoll (§. 269.); ſo muß niemand etwas thun, noch auch etwas verſprechen, ohne es zuvor wohl uͤber - legt zu haben. Uebrigens iſt aus der Na - tur des Verſprechens leicht klar, daß der Verſprechende wohl erwegen muͤſſe, ob er die Sache, welche er zu geben ver - ſpricht, ſelbſt noͤthig habe; und wenn er etwas zu thun verſpricht, ob er Zeit dazu habe; wie auch ob er dadurch, daß er einem etwas zu geben oder zu thun verſpricht, einer Pflicht entwe - der gegen ſich ſelbſt, oder gegen ande - re zuwieder handelt. Ja aus dem eben angefuͤhrten Grunde, warum man nichts ohne Ueberlegung thun ſoll, erhellet, daß man auch kein Verſprechen ohne Ue - berlegung annehmen ſoll. Und man ver - ſtehet leicht, daß der, dem etwas ver - ſprochen wird, erwegen muͤſſe, ob er das was ihm verſprochen wird, noͤthig habe, und ob nicht der andere daſſelbeP 5noͤthi -234II. Th. 7. H. Von dem Verſprechennoͤthiger hat; wie auch ob der Ver - ſprechende daſſelbe nicht anders als mit ſeinem Nachtheil leiſten kann; und end - lich ob man dadurch, daß man es an - nimmet, nicht etwan einer Pflicht ge - gen ſich oder gegen andere zuwieder handelt.
Weil die Raſenden in der Raſerey, Unſin - nigen, Kinder, Aberwitzige und ſehr Betrun - ckene keinen uͤberlegten Vorſatz faſſen koͤnnen, auch nicht diejenigen, deren Urtheilskraft, ih - res Alters wegen, zu ſchwach iſt (§. 386.); ſo iſt klar, daß alle dieſe nichts guͤltig ver - ſprechen koͤnnen (§. cit.).
Derjenige haͤlt das Verſprechen (pro - miſſum ſervat), welcher giebt oder thut, was er zu geben oder zu thun verſprochen hat. Weil nun der Verſprechende ſich dem, welchem er et - was verſpricht, vollkommen verbindet (§. 380.), und der, welchem etwas verſprochen worden, dadurch ein vollkommenes Recht zu dem, was ihm verſprochen wird, erhaͤlt (§. 97.); wel - ches ihm wieder ſeinen Willen nicht genom - men werden kann (§. 100.); ſo muß das Verſprechen gehalten werden.
Die Treue (fidem) nennt man die Be - ſtaͤndigkeit des Willens, welchen man einem andern von dem, was man geben oder thun will, durch Worte erklaͤret hat. Die Treueſetzt235und den Vertraͤgen uͤberhaupt. ſetzt alſo voraus, daß man die Wahr - heit rede, oder wenn man ja die Un - wahrheit geredet, ſie doch, nach ver - aͤndertem Vorſatze, in die Wahrheit verwandelt. Daher ſagt man, es ver - ſichere uns einer bey ſeiner Treue und Glauben (fidem dat), wenn er bekraͤfti - get, daß er gewis leiſten werde, was er ſagt, daß er es leiſten wolle; folglich dem andern ſagt, er koͤnne ſich darauf gewis verlaſſen, daß er ſeinen gegenwaͤrtigen Willen nicht aͤn - dern werde. Hieraus folget, daß der, wel - cher einem etwas bloß zuſaget, dem andern ſeiner Treue und ſeines Glau - bens verſichert (§. 382.). Der haͤlt ſein Wort nicht (fidem fallit), oder handelt wieder Treue und Glauben, welcher das nicht leiſtet, was er geſagt hat, daß er es leiſten werde. Derjenige verſichert ſich der Treue und des Glaubens eines an - dern (fidem alterius adſtringit), welcher ſich dem andern verbindlich macht ſein Wort zu halten. Und daher iſt klar, daß man ſein Wort halten muͤſſe; folglich nicht wie - der Treue und Glauben handeln; und daß der, welcher etwas bloß zuſagt, wieder Treue und Glauben handelt, wenn er dasjenige nicht leiſtet, was er zugeſagt. Es iſt ferner klar, daß der, welcher ſein Verſprechen haͤlt, auch ſein Wort haͤlt, wer es aber nicht haͤlt, wieder Treue und Glauben handelt;und236II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenund daß der, dem etwas verſprochen wird, durch das Annehmen ſich der Treue und des Glaubens des Verſpre - chenden verſichert (§. 378. 379.). End - lich iſt gleichfalls nicht weniger offenbar, daß derjenige welcher blos ſagt, daß er et - was zu leiſten Willens ſey, den andern bey ſeiner Treue und Glauben noch nicht verſichert; folglich auch nicht wie - der Treue und Glauben handelt, wenn er das nicht leiſtet, was er geſagt, daß er es leiſten wolle.
Untreu (perfidum) nennt man denjeni - gen, welcher das Gegentheil von dem thut, wozu er ſich bey ſeiner Treue und Glauben verbindlich gemacht hat. Wenn alſo der Verſprechende das Gegentheil desjeni - gen thut, was er zu thun verſprochen hat, z. E. wenn er das thut, was er geſagt, daß er es unterlaſſen wolte, ſo iſt er untreu. Aber wer etwas blos zugeſagt hat, iſt in eben demſelben Falle nicht untreu.
Weil von der natuͤrlichen Verbindlichkeit niemand befreyet werden kan (§. 42.); ſo iſt nicht erlaubt etwas unter einer uner - laubten (turpi) Bedingung zu verſpre - chen (§. 315.). Da demnach ein ſolches Verſprechen nicht guͤltig iſt, auch daraus der - jenige, dem etwas verſprochen worden, kein Recht erhaͤlt; ſo darf man auch, was un -ter237und den Vertraͤgen uͤberhaupt. ter einer unerlaubten Bedingung ver - ſprochen worden, nicht leiſten, wenn gleich die Bedingung erfuͤllt worden.
Es iſt vor ſich ſelbſt klar, daß eine unmoͤg -Vom Verſpre - chen un - ter einer unmoͤgli - chen Be - dingung. liche Bedingung nicht wuͤrcklich werden kann; alſo ſind die Verſprechen unter einer unmoͤglichen Bedingung vergeblich, und kommen mit dem Recht der Na - tur nicht uͤberein (§. 360.).
Allein, da durch das Verſprechen ein RechtVom be - dingten Verſpre - chen vom Verſpre - chen auf eine ge - wiſſe Zeit und vom unbe - dingten. auf den andern gebracht wird, dem etwas verſprochen wird (§. 379.); ſo kann ein Verſprechender verſprechen, auf was vor Art und Weiſe er will, und kann das Verſprechen unter einer jeden er - laubten Bedingung, auch auf eine ge - wiſſe Zeit, nicht allein ohne alle Be - dingung und ohne eine geſetzte Zeit geſchehen (§. 314). Ein bedingtes Ver - ſprechen (promiſſio conditionata) iſt dasje - nige, welches unter einer hinzugeſetzten Be - dingung geſchiehet. Wenn das, was verſpro - chen wird, zu einer gewiſſen Zeit geleiſtet werden muß; ſo heißt es ein Verſprechen auf eine gewiſſe Zeit (promiſſio in diem). Das Verſprechen, welches ohne alle hinzuge - ſetzte Bedingung, oder auch einige Zeit ge - ſchiehet, heißt ein unbedingtes Ver - ſprechen (promiſſio pura).
Weil die ſchaͤndliche That eines dritten ſo wohl in Abſicht des Verſprechenden, als des - jenigen, dem etwas verſprochen wird, eine blos zufaͤllige Bedingung iſt, als welche nicht im geringſten auf beyder Willen beruhet; ſo iſt ein Verſprechen, welches unter der Bedingung einer ſchaͤndlichen That ei - nes dritten geſchieht, nicht unerlaubt; als die vor ſich keinen Fehler hat.
Weil derjenige, dem etwas verſprochen wird, nicht mehr Recht durch das Verſpre - chen erhalten kann, als der Verſprechende auf ihn bringen will (§. 317.); ſo iſt man, was auf eine gewiſſe Zeit verſprochen wird, zwar gleich ſchuldig, es kann aber nicht eher gefordert werden, als bis die Zeit erſchienen iſt. Es erhellet aber, daß, da die Beding[u] ng, von welcher wir wiſſen, daß ſie gewiß kommen wird, eine Zeit anzeigt, in welcher etwas geſchehen ſoll; ſo iſt das Ver - ſprechen, welches unter einer Bedin - gung, die gewiß wuͤrcklich werden wird, geſchehen, dem Verſprechen auf eine gewiſſe Zeit gleich (§. 393.). Weil es aber eben ſo viel iſt, als wenn ein Tag kom - men waͤre, von dem man meinte, daß er kom - men wuͤrde, der aber nicht kommen wird; z. E. wenn etwas auf den 31. April verſpro - chen wird, ſo iſt klar, daß, da der Jrthum keinen Grund zum Verſprechen in ſich enthaͤlt,was239und den Vertraͤgen uͤberhaupt. was auf eine Zeit verſprochen wird, von welcher man meint, ſie wuͤrde kommen, welche doch aber nicht kommt, geleiſtet werden muͤſſe, wenn die Zeit verfloſſen iſt, welche der Verſprechen - de durch die falſch angegebene ver - meint zu haben ſcheint. Denn wir ſetzen voraus, daß man im Ernſte von der Sache handelt, und nicht ſchertzet.
Allein weil derjenige, welcher unter einerVon der Wuͤr - ckung ei - ner Ver - ſpre - chung, die unter einer aufſchie - benden Bedin - gung ge - ſchehen. aufſchiebenden Bedingung etwas verſpricht, dem andern, dem er es verſpricht, nicht ver - bunden ſeyn will, als bis die Bedingung wuͤrcklich iſt (§. 315.); ſo erhellet aus eben dem Grunde (§. 317.), daß man das, was unter einer aufſchiebenden Bedingung verſprochen worden, nicht eher ſchul - dig iſt, als bis die Bedingung wuͤrck - lich wird: wenn ſie aber nicht wuͤrck - lich wird, das Verſprechen ſo viel als nichts iſt. Weil demnach derjenige, dem etwas verſprochen wird, nicht eher ein Recht zu dem, was ihm verſprochen worden, erhaͤlt, als bis die Bedingung wuͤrcklich wird; ſo be - kommt aus einem bedingten Verſpre - chen der, dem etwas verſprochen wird, bloß eine Hoffnung, daß man ihm wer - de etwas ſchuldig werden: welche als - denn ein Recht erwecket, wenn es ſich zutraͤgt, daß die Bedingung wuͤrcklich wird. Da es nun aber bloß in Anſehungunſerer240II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenunſerer ungewiß iſt, ob die Hoffnung ein Recht erwecken wird, oder nicht; ſo kann auch dieſelbe, eben ſo wenig, als ein erlang - tes Recht (§. 100.), niemanden wieder ſeinen Willen benommen werden. Eben dieſes erhellet auch daher, weil der Ver - ſprechende ſich verbindlich gemacht das Recht zu erkennen, welches dieſe Hoffnung erwecken doͤrfte; von welcher Verbindlichkeit er ſich ſelbſt nicht befreyen kann (§. cit.). Weil ei - ne zuerfuͤllende Bedingung eine Art der auf - haltenden iſt, und wuͤrcklich wird, wenn ſie er - fuͤllt wird (§. 315.); ſo iſt man dasjenige, was unter einer zuerfuͤllenden Bedin - gung verſprochen wird, nicht eher ſchuldig, als bis die Bedingung erfuͤllt worden.
Gleichergeſtalt weil derjenige, welcher un - ter einer aufloͤſenden Bedingung etwas ver - ſpricht, dem andern, dem es verſprochen wird, nicht laͤnger dazu verbunden ſeyn will, als bis die Bedingung vorhanden (§. 315.); folglich durch dieſe Bedingung die Zeit be - ſtimmt wird, wehrender welcher das Recht deſſen, dem etwas verſprochen worden, dau - ren ſoll (§. 97.); ſo bleibet man, was un - ter einer aufloͤſenden Bedingung ver - ſprochen worden, nicht mehr ſchuldig, ſo bald die Bedingung wuͤrcklich vor - handen, und das Recht desjenigen, dem etwas verſprochen worden, hoͤret auf.
Was unbedingt verſprochen wird,Die Wuͤr - ckung ei - nes unbe - dingten Verſpre - chens, und wie ein be - dingtes und auf eine ge - wiſſe Zeit geſchehe - nes ein unbe - dingtes wird. das iſt man gleich ſchuldig, und kann gleich gefordert werden. Dieſes erhel - let ſelbſt aus dem Begriff eines unbedingten Verſprechens (§. 393.). Weil nun, wenn die Zeit kommt, zwiſchen einem unbedingten Verſprechen und zwiſchen einem auf eine ge - wiſſe Zeit, und wenn die Bedingung wuͤrck - lich iſt, zwiſchen eben demſelben, und zwi - ſchen dem bedingten weiter kein Unterſchied iſt (§. cit. ); ſo wird, wenn die Zeit kommt, ein auf eine Zeit geſchehenes Verſprechen, und wenn die Bedin - gung kommt, ein bedingtes Verſpre - chen zu einem unbedingten.
Wenn mehrere Bedingungen ver -Wenn mehr als eine Be - dingung einem Verſpre - chen bey - gefuͤgt werden. bindungsweiſe oder zuſammen (copula - tive) einem Verſprechen angehaͤngt ſind, und alſo der Verſprecher nicht eher verbunden ſeyn will, als bis alle zugleich wuͤrcklich worden ſind; ſo iſt man, was verſprochen worden, nicht eher ſchul - dig, als bis es gewis iſt, daß alle wuͤrcklich worden ſind (§. 317.): wenn aber unter einer, oder der andern Bedingung (diſjunctive) etwas ver - ſprochen wird, und alſo der Verſprechen - de dem andern verbunden ſeyn will, es mag von denſelben eine, welche es auch ſeyn moͤch - te, wuͤrcklich werden; ſo iſt man, was ver -Nat. u. Voͤlckerrecht. Qſpro -242II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenſprochen worden, ſchuldig, wenn nur eine von den angegebenen Bedingun - gen vorhanden, ob gleich die uͤbrigen niemahls wuͤrcklich werden ſolten.
Ein perſoͤnliches Verſprechen (pro - miſſio perſonalis) iſt, welches auf die Per - ſon deſſen, dem etwas verſprochen wird, dergeſtalt eingeſchraͤnckt wird, daß der Ver - ſprechende keinem andern, als dem er es ver - ſprochen, verbunden ſeyn will. Es wird aber ein Verſprechen auf die Perſon deſſen, dem etwas verſprochen worden, entweder ausdruͤck - lich gerichtet, oder ſtillſchweigend, wenn man es naͤmlich aus der Sache, die verſprochen worden, und aus andern Umſtaͤnden ſchlieſſen kann. Ein perſoͤnliches Recht (jus per - ſonale) nennt man, welches auf die Perſon, der es zu kommt, dergeſtalt eingeſchraͤnckt iſt, daß es von ihr auf keine andere kommen kann; gleichwie man perſoͤnlich (perſonale) uͤber - haupt dasjenige nennt, was ſich bey einer Perſon dergeſtalt befindet, daß es von derſel - ben auf keine andere auf einige Weiſe ge - bracht werden kann. Daher erhellet, daß der, dem etwas verſprochen worden, aus einem perſoͤnlichen Verſprechen weiter nichts, als ein perſoͤnliches Recht er - haͤlt, und daß ein perſoͤnliches Recht mit der Perſon auf hoͤret; wie auch daß ein bedingtes Verſprechen nichts ſey, wenn der, dem etwas verſprochen wor -den,243und den Vertraͤgen uͤberhaupt. den, eher ſtirbt, als die Bedingung wuͤrcklich worden (§. 396.). Es iſt auch klar, daß wenn eine zuerfuͤllende Be - dingung perſoͤnlich iſt, dieſelbe nicht anders, als von der Perſon ſelbſt, der etwas verſprochen worden, erfuͤllt werden koͤnne.
Ein auf die Sache gerichtetes Ver -Von dem auf die Sache gerichte - ten Ver - ſprechen. ſprechen (promiſſio realis) iſt, welches kein perſoͤnliches Verſprechen iſt, da man naͤmlich bey dem Verſprechen mehr auf die Sache, als auf die Perſon ſiehet. Derowegen erhaͤlt durch ein bloß auf die Sache gerich - tetes Verſprechen derjenige, dem et - was verſprochen worden, kein perſoͤnli - ches Recht, ſondern ein Recht, welches auch auf einen andern kommen kann (§. 400.); gleicher geſtalt kann die Hoff - nung, welche aus einem bedingten Verſprechen, ſo auf die Sache gerich - tet iſt, erwaͤchßt (§. 396.), auf einen andern kommen.
Jn eben demſelben Verſtande, in welchemVon der perſoͤnli - chen und der ding - lichen Verbind - lichkeit. man das perſoͤnliche Recht und das Recht, ſo auf eine Sache gerichtet iſt, von einander un - terſcheidet, ſind auch einige Verbindlichkei - ten perſoͤnliche Verbindlichkeiten (obli - gationes perſonales), andere Verbindlichkei - ten in Anſehung einer Sache (reales). Die peꝛſoͤnlichen Veꝛbindlichkeiten kom -Q 2men244II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenmen auſſer der Perſon keiner andern zu, und hoͤren mit derſelben auf; die Verbindlichkeiten in Anſehung einer Sache aber nicht. Dieſer Unterſchied muß auch bey den Verſprechen bemerckt wer - den, nachdem dieſelbe entweder perſoͤnliche Verſprechen ſind, oder nur auf die Sache ge - ſehen wird, welche man verſpricht.
Ein Verſprechen erhaͤlt dadurch ſeine Rich - tigkeit, wenn ſo wohl derjenige, der etwas verſpricht, als der andere, dem es verſpro - chen wird, ſeinen Willen hinlaͤnglich erklaͤret (§. 397. 381.). Da man nun dem andern ſeinen Willen nicht blos durch Worte, ſon - dern auch ſchriftlich, ja durch einen andern erklaͤren kann; ſo kann ein Verſprechen auch durch einen Brief, oder durch ei - nen andern, in beyden Faͤllen, einem Ab - weſenden geſchehen; und es kan auch von dem, der abweſend iſt, durch ei - nen Brief, oder durch einen andern angenommen werden.
Man kann einem andern zu einer gewiſſen Abſicht etwas verſprechen, daß naͤmlich von ihm etwas geſchehe, oder geleiſtet werde, und denn nennt man dieſes Verſprechen ein Ver - ſprechen zu einer Abſicht (promiſſio ſub modo facta, promiſſio modalis). Und weil man ſagt, die Abſicht wird erfuͤllt (mo - dus impletur), wenn dasjenige geſchiehet,um245und den Vertraͤgen uͤberhaupt. um deſſen willen etwas geleiſtet wird; und das eher geleiſtet werden muß, was verſpro - chen wird, als man thut, was man thun ſoll; und durch die Annehmung man ſich blos er - klaͤret, daſſelbe zu thun, wenn der Verſpre - chende das, was er verſprochen, wird gelei - ſtet haben; ſo darf der, dem etwas ver - ſprochen iſt, die Abſicht nicht eher er - fuͤllen, als bis das Verſprochene gelei - ſtet worden; wenn aber dieſes geſche - hen, ſo iſt er die Abſicht zu erfuͤllen verbunden, und wenn er dieſes nicht thut, ſo muß er, was er durchs Ver - ſprechen erhalten hat, wieder erſetzen. Es erhellet auch, daß dieſes gleichfalls geſchehen muͤße, wenn der, welchem etwas verſprochen worden, eher ſtirbt, als er die Abſicht erfuͤllt hat, unter welcher ihm etwas gegeben wor - den iſt.
Es iſt etwas Urſach an einem Ver -Vom Verſpre - chen ei - nes Jr - renden. ſprechen (cauſam promiſſo dat), wenn es der einige Grund iſt, warum etwas verſpro - chen wird, welches ſonſt nicht waͤre verſpro - chen worden. Weil in dem Falle, da der Jrrthum die Urſache am Verſprechen iſt, man annimmt, es ſey unter der Bedingung ge - ſchehen, woferne dasjenige wahr iſt, welches man durch einen Jrrthum vor wahr annimmt; folglich die Bedingung, unter welcher das Verſprechen geſchehen, nicht wuͤrcklich vor -Q 3handen;246II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenhanden; ſo iſt ein Verſprechen, woran ein Jrrthum ſchuld geweſen, nicht guͤltig (§. 396.). Wenn aber der Ver - ſprechende nachlaͤßig geweſen iſt die Wahrheit zu erforſchen, oder ſeine Gedancken recht auszudrucken, und der, dem etwas verſprochen worden, dadurch in Schaden gebracht worden, ſo iſt derſelbe zu erſetzen (§. 270.); weil er den Schaden durch ſeine Schuld erlitten hat (§. 21.). Aus eben demſelben Grunde erhellet daß, wenn der, dem etwas verſprochen wird, die Urſach zu einem Jrrthum giebt, aber nicht zu dem Ver - ſprechen, und der Verſprecher aus die - ſem Jrrthum einigen Schaden leidet, der, dem etwas verſprochen worden, den Schaden erſetzen muß, unerach - tet das Verſprechen guͤltig iſt.
Weil der dem andern Unrecht thut, wel - cher ihn mit Gewalt, oder durch Furcht, die er ihm eingejagt, zum Verſprechen noͤthiget (§. 385.); ſo iſt das Verſprechen, wel - ches durch Furcht, oder Gewalt er - zwungen worden, durch das Geſetze der Natur verbothen (§. 87.), und folg - lich unguͤltig. Gleichwie eine Sache, die mit Gewalt oder durch eingejagte Furcht von einem Raͤuber weggenommen worden, dem Eigenthumsherrn wiedergegeben werden muß (§. 264.); alſo darf auch ein Verſprechen,das247und den Vertraͤgen uͤberhaupt. das mit Gewalt oder durch Furcht erzwun - gen worden, nicht geleiſtet werden. Wenn jemand aus Furcht, die ihm ein ande - rer eingejagt hat, bewogen, einem, der nichts davon weiß, etwas ver - ſpricht, ſo iſt das Verſprechen guͤltig; denn weil der, dem etwas verſprochen wird, nicht davon urtheilen darf, warum man ihm etwas verſpricht (§. 78.); ſo iſt kein Grund vorhanden, warum dasjenige, was zwiſchen dieſen beyden gehandelt worden, nicht beſte - hen ſollte (§. 378. 389.). Allein weil der, welcher die Furcht eingejagt hat, ſchuld daran iſt, warum man verſprochen hat, was man ſonſt nicht wuͤrde verſprochen haben, folglich den Verſprecher vorſaͤtzlich in Schaden gebracht (§. 17.); ſo iſt er ver - bunden demſelben den Schaden zu er - ſetzen (§. 270.). Wofern aber jemand uns durch einen andern eine Furcht einjagt, daß wir ihm etwas verſpre - chen; da es ſolcher geſtalt eben ſo viel iſt, als ob er das Verſprechen ſelbſt mit Gewalt er - zwungen haͤtte; ſo iſt das Verſprechen unguͤltig. Und weil der, welchem et - was verſprochen wird, weiß, daß der Verſprecher aus Furcht, die ihm von dem andern eingejagt worden, es ver - ſpricht; ſo ſoll er das Verſprechen nicht annehmen; indem das Annehmen der Verbindlichkeit wiederſpricht, den Scha - den von andern abzuwenden (§. 269.); folg -Q 4lich248II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenlich iſt das Verſprechen unguͤltig. Hier - zu kommt, daß derjenige, dem etwas verſpro - chen wird, indem er vor genehm haͤlt, daß dem Verſprecher eine Furcht eingejagt wor - den, ſelbſt will, daß das Verſprechen mit Gewalt erzwungen werde; und deswegen nicht weit von dem entfernt iſt, der eine Furcht einem andern einjagt, damit ihm etwas ver - ſprochen werde.
Weil es einig und allein auf den Willen des Verſprechers ankommt, ob er etwas ver - ſprechen will, oder nicht (§. 245.); und ver - moͤge der natuͤrlichen Freyheit er keinem Men - ſchen Rechenſchaft geben darf, warum er et - was thue (§. 78.); ſo darf nach dem na - tuͤrlichen Rechte in einem Verſprechen die Urſache deſſelben nicht ausgedruͤckt werden, warum man naͤmlich etwas ver - ſpricht.
Aus eben demſelben Grunde iſt das Ver - ſprechen wegen einer Sache, die man ſchon vorher ſchuldig war, guͤltig. Man ſagt nemlich, es werde etwas we - gen einer ſchon vorher ſchuldigen Sa - che verſprochen (promittitur ob cauſam ante debitam), wenn man einem deswegen, was er zu leiſten ſchuldig iſt, etwas verſpricht, z. E. einem Boten auſſer ſeinem Lohne noch ein kleines Trinckgeld. Und weil das, was wegen einer Sache, die einer ſchon vorherſchul -249und den Vertraͤgen uͤberhaupt. ſchuldig war, verſprochen wird, ein Bewe - gungsgrund iſt, mit mehrerem Fleiße zu lei - ſten, was geleiſtet werden ſoll, und daher den andern zu deſto groͤſſerem Fleiſſe verbin - det (§. 35. 21. ); ſo iſt ein Verſprechen wegen einer Sache, die der andere ſchon vorher ſchuldig war, nichts un - nuͤtzes (§. 360.).
Gleichergeſtalt, weil man ſagt, der Ver -Von dem Verſpre - chen, das beſchwe - ret wird. ſprecher beſchwere das Verſprechen (onus promiſſioni adiicere), wenn er unter der Bedingung, oder in der Abſicht etwas verſpricht, daß der, welchem etwas verſpro - chen wird, ihm oder einem andern etwas da - gegen leiſten ſoll; es aber lediglich auf dem Willen des Verſprechers beruhet, unter was vor Bedingung und in was vor einer Abſicht er etwas verſprechen will (§. 393. 404. ); ſo kan der Verſprecher nach ſeinem Ge - fallen das Verſprechen beſchweren, entweder unter einer Bedingung, oder einer zuerreichenden Abſicht.
Hingegen ſagt man, es werde etwas beyVon dem Verſpre - chen bey Strafe. Strafe verſprochen (poena adiicitur pro - miſſo), wenn der Verſprecher ſaget, er wolle etwas geben, oder thun, wofern er ſein Verſprechen nicht haͤlt. Und alsdann heißt es ein Verſprechen bey einer Strafe (promiſſio poenalis). Das aber, was bey einer Strafe verſprochen wird, das zurQ 5Strafe250II. Th. 7. H. Von dem VerſprechenStrafe Verſprochene (promiſſum poe - nale). Es iſt aber eben wie vorher klar, daß man bey Strafe etwas verſprechen koͤnne; weil es nemlich lediglich auf dem freyen Willen des Verſprechers und desjeni - gen, dem etwas verſprochen wird, beruhet (§. 393. 381.). Es kan aber eine Strafe auf eine dreyfache Weiſe angehaͤngt werden, entweder daß es der Wahl desjenigen, dem etwas verſprochen wird, uͤberlaſſen wird, ob er die Strafe haben will, oder den Verſpre - cher das Verſprochene zu gewehren anhalten; oder daß das Verſprechen aufhoͤre, wenn die Strafe geleiſtet worden; oder daß deſſen un - geachtet der Verſprecher dennoch das Ver - ſprochene zu gewehren verbunden bleibet.
Es iſt unmoͤglich, daß wir etwas thun, was unſere Kraͤfte uͤberſteigt. Derowegen iſt das Verſprechen unguͤltig, welches zu hal - ten unſere Kraͤfte uͤberſteiget (§. 380. 37.).
Und weil niemand eine Sache, die einem andern zugehoͤrt, jemanden geben kann (§. 258.), das Verſprechen aber uns verbindet das zu geben, was wir verſprechen (§. 388.); ſo kann niemand eine Sache, die einem andern zugehoͤrt, verſprechen. Wenn aber jemand etwas verſpricht, was ſei - ne werden kann, oder was er glaubt, daß es ſeine werden koͤnne, weil esſeine251und den Vertraͤgen uͤberhaupt. ſeine werden kann, oder er dieſes ver - meinet, da er in dem erſten Fall hinlaͤng - lich ſich erklaͤret, davor zu ſorgen, daß es ſei - ne werde, in dem andern aber die Unkoſten dran zu wenden, um es zu erhalten; ſo iſt er im erſten Fall verbunden ſich zu bemuͤ - hen, daß es ſeine werde, in dem an - dern aber ſo viel zu geben, als er haͤt - te anwenden muͤſſen, um es zu bekom - men, woferne er es nicht eigenthuͤm - lich erhalten kann (§. 318.). Es iſt aber vor ſich klar, daß das Verſprechen be - dingt ſey, wenn wir dem andern ver - ſprechen, er ſolle eine Sache haben, wo - ferne wir ſie bekommen werden, von welcher wir glauben, daß ſie unſer werden kan (§. 393.); folglich wir dem - jenigen, dem etwas verſprochen wor - den, zu nichts verbunden ſind, wenn wir uns bemuͤht haben, dieſelbe eigen - thuͤmlich zu erhalten, aber vetgebens (§. 396.).
Weil man ſein Verſprechen halten mußVon der Veraͤuſ - ſerung ei - ner ver - ſproche - nen Sa - che. (§. 388.), dieſes aber nicht geſchehen kann, wenn die verſprochene Sache veraͤuſſert wird (§. cit. und 257.); ſo iſt der Verſprecher natuͤrlicher Weiſe verbunden die ver - ſprochene Sache nicht zu veraͤuſſern. Jedoch da durch das Verſprechen das Eigen - thum derſelben auf den andern nicht gebracht wird, ſondern nur ein Recht zu derſelben (§. 335.);252II. Th. 7. H. Von dem Verſprechen335.); ſo iſt die Veraͤuſſerung, die vom Verſprecher geſchehen, guͤltig (§. 257.): Weil aber derſelbe uns nicht wieder unſern Willen ein erlangtes Recht benehmen kann (§. 100.); ſo kommt uns das Recht zu die Veraͤuſſerung zu verhindern, wenn wir wiſſen, daß der Verſprecher die verſprochene Sache veraͤuſſern will. Jm Gegentheil aber iſt klar, daß die Ver - aͤuſſerung unguͤltig iſt, wenn der Ver - ſprecher ſich erklaͤrt hat, daß er des Rechts zu veraͤuſſern ſich begebe; weil er alsdenn daſſelbe nicht mehr hat.
Der Gewinn (lucrum) wird die Sache genannt, welche zu unſern Guͤtern hinzu - kommt, ohne daß ſie dadurch vermindert wer - den, oder wodurch wir reicher werden. Man nennt Verluſt des Gewinns (ceſſare lucrum), wenn wir gehindert werden den Gewinn zu erhalten, den wir haͤtten erhalten koͤnnen. Ein gewiſſer Gewinn (lucrum certum) iſt, wenn wir genug verſichert ſind, daß wir ihn erhalten koͤnnen, oder er - halten werden: hingegen ein ungewiſſer, wenn wir dieſe Verſicherung nicht haben. Es kann aber die Groͤſſe eines gewiſſen Ge - winns noch ungewiß ſeyn. Es iſt alſo klar, daß ein gewiſſer Gewinn eine Sache ſey, die uns eigenthuͤmlich werden wird; folglich, wer uns um einen ge - wiſſen Gewinn bringet, der verhin -dert253und den Vertraͤgen uͤberhaupt. dert daß eine Sache unſer wird, wel - che es ſonſt haͤtte werden koͤnnen; folg - lich ſetzt er uns in Schaden (§. 269.); und iſt deswegen verbunden denſelben zu erſetzen (§. 270.).
Ein ſich ereignender Schade und der Ver -Von demjeni - gen, wor - an dem andern gelegen iſt. luſt des Gewinns zuſammengenommen, wer - den dasjenige genannt, woran dem an - dern gelegen iſt, oder ſein Jntereſſe (id, quod intereſt). Weil wir ſo wohl den Scha - den (§. 270.) als den Verluſt des Gewinns, den wir dem andern durch unſer Verſehen, oder vorſetzlicher Weiſe verurſacht haben, zu erſetzen ſchuldig ſind (§. 414.); ſo ſind wir, wenn durch unſere Schuld, es mag aus Verſehen, oder vorſetzlich geſchehen ſeyn, jemand in Schaden, oder um ſei - nen Gewinn gebracht wird, dem an - dern davor zu ſtehen ſchuldig. Jndem wir ihm ſein Jntereſſe leiſten, ſo wird er in den Stand geſetzet, als wenn er das gethan haͤt - te, was er nicht gethan hat, oder gegeben, was er nicht gegeben hat, oder der andere ſonſt an ſeinem Jntereſſe nicht waͤre gehindert worden. Weil niemand daran Urſache ſeyn ſoll, daß der andere weniger hat, als er ha - ben ſolte (§. 270.); ſo ſind wir, wenn je - mand deswegen weniger hat, als er haben ſolte, oder haͤtte haben koͤnnen, weil wir unſerer Verbindlichkeit keinGenuͤ -254II. Th. 7. H. Von dem VerſprechenGenuͤge gethan haben, ihm davor zu ſtehen ſchuldig.
Wenn demnach dadurch, daß wir un - ſer Verſprechen nicht gehalten, der an - dere, dem etwas verſprochen worden, Schaden oder Verluſt ſeines Gewinns hat, z. E. wenn die verſprochene Sache mit unſerm Willen, oder Verſehen eines andern worden, ſo ſind wir ſchuldig ihm davor zu ſtehen.
Der Verzug (mora) iſt der Aufſchub deſ - ſen, was geſchehen ſolte, uͤber die Zeit, in welcher es geſchehen ſolte. Daher ſagt man einer ſey ſaumſelig, oder ſey Schuld an dem Verzuge (in mora eſt), wenn er das, was er in einer gewiſſen Zeit thun konte und ſollte, nicht thut.
Eine unvermeidliche Verhinderung (impedimentum inevitabile) wird genannt, wenn man nicht Urſache daran iſt, daß ſich ei - ne Verhinderung ereignet, oder wenn man auf keine Weiſe machen koͤnnen, daß ſie ſich nicht ereignete. Man nennet die Verhin - derung unuͤberwindlich (impedimentum inſuperabile), die, wenn ſie ſich ereignet, von uns nicht gehoben werden kann. Wenn der Verzug von einem unvermeidli - chen, oder unuͤberwindlichen Hinder - niſſe herruͤhret, ſo kann ſie uns nichtzuge -255und den Vertraͤgen uͤberhaupt. zugerechnet werden: aber wohl, wenn eine dergleichen Verhinderung nicht vorhanden (§. 3.). Derowegen da man ſaget, es reinige ſich einer vom Verzu - ge (de mora ſe purgat), wenn er erweiſet, daß er an demſelben nicht Schuld ſey; ſo muß der, welcher ſich vom Verzuge reini - gen will, erweiſen, daß er wegen einer unvermeidlichen und unuͤberwindli - chen Verhinderung nicht thun koͤnnen, was er thun ſollte.
Weil derjenige, der etwas gleich zu leiſtenVon dem Verzugs - Jnter - eſſe. verbunden iſt, kein Recht hat ſolches aufzu - ſchieben; welches aus der Natur der Verbind - lichkeit klar iſt (§. 37.); ſo darf niemand am Verzuge ſchuld ſeyn, oder das ver - zoͤgern, was er thun, oder geben ſoll; folglich wenn derjenige, dem wir etwas leiſten ſollen, durch den Verzug Scha - den, oder Verluſt ſeines Gewinns hat; ſo muͤſſen wir ihm davor ſtehen (§. 415.).
Wofern eine verſprochene SacheVon der verſpro - chenen Sache, welche unterge - het. durch einen Zufall, an dem wir keine Schuld haben, untergeht, da uns das Verderben nicht zugerechnet werden kann (§. 17.); ſo ſind wir dem, welchem wir et - was verſprochen, vor nichts zu ſtehen ſchuldig, und das Verſprechen wird zu nichte. Wenn aber die Sache durchunſer256II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenunſer Verſehen oder vorſaͤtzlicher Wei - ſe verdirbt, oder untergehet, ſo ſind wir, da uns dieſes zugerechnet werden kann (§. 17.), dem, welchem wir etwas ver - ſprochen, davor zu ſtehen ſchuldig (§. 415.). Derowegen, wenn uns etwas ver - ſprochen wird, ſo noch nicht wuͤrck - lich iſt, ſondern erſt wuͤrcklich werden ſoll, als die Fruͤchte des zukuͤnftigen Som - mers, und es ſich durch einen Zufall zutragen ſollte, daß keine wuͤrden, ſo iſt man auch nichts ſchuldig. Es erhel - let auch daher, daß bey dem Verſprechen kuͤnftiger Sachen die Bedingung vorausge - ſetzt wird, wenn einige wuͤrcklich ſeyn wer - den, oder welches einerley iſt, dieſe ſtill - ſchweigende Ausnahme, woferne nicht gar keine ſeyn werden.
Wenn einer eine Sache, welche er uns verſprochen hat, von neuem ei - nem andern verſpricht; ſo gilt, da er uns das Recht, welches wir durchs Verſpre - chen erhalten haben, nicht nehmen kann (§. 379. 100. ), das letzte Verſprechen nicht, ſondern das erſte. Da nichts im Wege ſtehet, warum wir nicht etwas zwey - mahl verſprechen koͤnten, wenn wir es zwey - mahl gewehren koͤnnen; ſo gilt in dieſem Falle das doppelte Verſprechen.
Man ſagt, derjenige hafte fuͤr dasWas das ſey, fuͤr das Gan - tze haf - ten. Gantze (in ſolidum tenetur), welcher dasje - nige, was mehreren geleiſtet werden ſollte, einem allein gantz zu leiſten ſchuldig iſt, oder das, was von mehreren zu leiſten iſt, gantz al - lein leiſten muß. Dieſes kann ſich zutragen, wenn etwas mehreren zuſammen verſprochen wird, oder wenn mehrere zuſammen einer Per - ſon eben daſſelbe verſprechen.
Weil es auf den Willen des VerſprechersVon ei - ner Sa - che, die mehre - ren zu - ſammen verſpro - chen wor - den. ankommt, auf was Art und Weiſe er etwas verſprechen will (§. 393.); ſo ſtehet es in ſeinem Belieben, wenn er etwas meh - rern zuſammen zugleich verſpricht, ob er einem jeden fuͤr das Gantze haften will, oder nicht; folglich muß er, indem er es verſpricht, hinlaͤnglich zu verſte - hen geben, was er will (§. 318.): Wo - ferne er keins von beyden hinlaͤnglich zu verſtehen giebt; ſo hat er ſich vor - behalten zu thun, wie es ihm gefaͤllig ſeyn wird (§. 78.). Allein wenn einer, der eine Sache mehreren zuſammen verſpricht, einem jeden vor das Gantze haftet; ſo iſt er, da das Verſprochene nicht mehr als einmahl gegeben werden darf, wenn er es einem gegeben hat, den uͤbrigen nichts weiter ſchuldig: Je - doch da daſſelbe allen zuſammen gehoͤret; ſo iſt derjenige, der es gantz bekommenNat. u. Voͤlckerrecht. Rhat,258II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenhat, den uͤbrigen ihren Antheil zu ge - ben ſchuldig. Und weil er verbunden iſt, es einem gantz zu geben; ſo kann ein jeder von denjenigen, welchen es zuſammen verſprochen worden, das Verſproche - ne ohne Vorwiſſen der andern, ja auch wieder ihren Willen eintreiben.
Wenn zwey oder mehrere mit einander ei - nem oder mehrern zuſammen eine Sache ver - ſprechen, ſo daß ein jeder fuͤr das Gantze haften will, ſo werden ſie Mitſchuldige des Verſprechens (correi promittendi); und in ſo weit ſie einem oder mehreren zu - ſammen vor das Verſprochene gantz haften muͤſſen, Mitſchuldige der Schuld (cor - rei debendi) genannt. Gleichergeſtalt, wenn mehreren zuſammen eine Sache verſprochen wird, ſo daß der Verſprecher einem jeden fuͤr das Gantze haſten will, ſo nennt man die, wel - che alſo ſtipuliret haben, oder von dem an - dern verlangt, daß ihnen etwas auf dieſe Art verſprochen werde, die Mitſchuldigen des Stipulirens (correos ſtipulandi); oder wenn auf dieſe Weiſe mehrern zuſammen von freyen Stuͤcken eben dieſelbe Sache verſpro - chen worden, oder man ihnen dieſelbige aus einer andern Urſache ſchuldig iſt, ſo werden ſie mitſchuldige Glaͤubiger (correi cre - dendi) genannt. Da man eine verſprochene Sache nur einmahl zu geben ſchuldig iſt; ſo werden dadurch, daß einer von denMit -259und den Vertraͤgen uͤberhaupt. Mitſchuldigen das Verſprechen erfuͤllt, oder die Schuld abtraͤgt, alle Mit - ſchuldigen von ihrer Verbindlichkeit befreyet. Eben aus dieſer Urſache wird der Verſprecher, oder ein jeder von denen, der etwas mit den andern zuſammen vielen zuſammen verſprochen hat, von ſeiner Ver - bindlichkeit frey, wenn einer von dieſen das Verſprochene gantz erhalten hat, nemlich auf den Fall, da ſie Mitſchuldige des Stipuli - rens ſind. Ja weil ein jeder von den Mit - ſchuldigen die Sache, die nur einmahl gege - ben werden darf, gantz zu geben verbunden iſt (§. 422.); ſo kan man von einem je - den der Mitſchuldigen nach ſeinem Ge - fallen die verſprochene Sache gantz fordern, wodurch, wie wir ſchon geſehen haben, die uͤbrigen insgeſamt befreyet werden. Weil aber alle zuſammen die Sa - che, welche nur einmahl gegeben werden darf, ſchuldig ſind; ſo kann man, wenn dieſel - be von einem nicht gantz zu erhalten ſtehet, den uͤbrigen Theil von den an - dern fordern; indem derſelbe nicht eher von der Schuld befreyet iſt, als bis, was verſpro - chen worden, gantz gegeben worden; wie wir ſchon vorher erwieſen haben.
Der Verſprechende kann verſprechen, aufOb das Anneh - men dem Verſpre - chenden was fuͤr Art und Weiſe er will (§. 393.), und mehr Recht, als er will, kann der an - dere, dem etwas verſprochen wird, nicht er -R 2halten260II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenbekannt werden muß, da - mit das Verſpre - chen guͤl - tig ſey.halten (§. 317.). Wenn alſo der, wel - cher einem Abweſenden etwas ver - ſpricht, will, daß das Verſprechen al - ſobald guͤltig ſey, wenn es angenom - men wird; ſo iſt es alſobald guͤltig, als es angenommen worden, obgleich die Annehmung deſſelben dem Verſprecher noch nicht bekannt worden: Wenn er aber nicht will, daß das Verſprechen gelten ſoll, als nur wenn ihm die An - nehmung deſſelben bekannt worden; ſo gilt es nicht eher, als bis ihm die Annehmung bekannt iſt. Wenn alſo der Verſprecher ſtirbt, ehe die Anneh - mung geſchehen iſt; ſo iſt im erſten Fal - le das Verſprechen guͤltig, im andern aber nicht. Aus eben demſelben Grunde kann die Annehmung auch nach dem Tode des Verſprechers geſchehen, wenn er will daß das Verſprechen, oder das, was gegeben wird, auch nach ſeinem Tode angenommen werden kann (§. 314.). Man fraget aber, was in einem zwei - felhaften Falle zu vermuthen ſey, wenn der Verſprecher ſeinen Willen nicht hinlaͤnglich erklaͤret hat? Da durch das Annehmen ein Verſprechen guͤltig wird (§. 381.); ſo iſt kein Grund da, warum er wollen ſollte, daß das Verſprechen alsdann erſt guͤltig ſeyn ſolle, wenn er die Annehmung deſſelben erfahren, wofern er dieſelbige leicht vermuthen kann. Es iſt aber ein Grund da, warum er es ſowill,261und den Vertraͤgen uͤberbaupt. will, wenn er nicht ohne Grund an der An - nehmung zweifelt. Wenn alſo der Verſpre - cher die Annehmung vermuthet; ſo nimmt man an, er habe gewollt, ſie ſolle guͤltig ſeyn, wofern ſie angenom - men wird: im entgegen geſetzten Falle aber, wenn er erfahren, daß ſie ange - nommen worden. Deswegen nimmt man ein Verſprechen, welches bloß von der Freygebigkeit herruͤhret, nach der er - ſten Entſcheidung an; nach der letzten aber dasjenige, welches beſchweret iſt. Man nennet es aber ein Verſprechen, welches von der Freygebigkeit herruͤh - ret (promiſſionem mere liberalem), wenn derjenige, dem etwas verſprochen worden, nichts wieder leiſten darf: Jm entgegen ge - ſetzten Falle wird es ein beſchwertes Ver - ſprechen (promiſſio oneroſa) genannt.
Eine Mittels-Perſon (miniſter) wirdVon Mittels - perſonen im Ver - ſprechen und im Anneh - men. derjenige genannt, durch den wir unſern Willen einem andern zu verſtehen geben. Da - her nennet man eine Mittels-Perſon im Verſprechen (miniſtrum promittendi) den - jenigen, durch welchen wir einem andern et - was verſprechen, oder ein von uns geſchehe - nes Verſprechen anzeigen laſſen. Ueberhaupt heißt eine Mittels-Perſon im verbind - lich machen (miniſter obligationis contra - hendæ) derjenige, durch welchen wir entwe - der auf unſerer, oder auf des andern SeiteR 3eine262II. Th. 7. H. Von dem Verſprecheneine Verbindlichkeit zuwege bringen wollen, oder auch eine getroffene Verbindlichkeit an - gezeiget wird; und endlich eine Mittels - Perſon im Annehmen (miniſter acceptan - di) derjenige, der in unſerm Nahmen das Verſprechen annehmen, oder die von uns ge - ſchehene Annehmung anzeigen ſoll. Weil eine Mittels-Perſon nicht in ihrem eigenen Nah - men, oder vermoͤge ihres Rechts handelt, ſon - dern vermoͤge des Rechts desjenigen, der ihn dazu auserleſen; ſo beruhet es auf dem Willen desjenigen, welcher ſich ſeines Dienſtes bedienet, wieviel Recht er ihm einraͤumen will (§. 314.).
Weil ohne Annehmung kein Verſprechen guͤltig iſt (§. 381.); ſo kann es wiederru - fen werden, ſo lange es nicht ange - nommen worden. Es wird aber das Verſprechen wiederrufen (promiſſio re - vocatur), wenn der Verſprecher ſich erklaͤret, daß er aus dem Verſprechen nichts ſchuldig feyn wolle. Daraus erhellet, daß einen, ehe das Annehmen geſchehen, das Ver - ſprechen gereuen koͤnne. Es iſt ferner klar, daß das Verſprechen wiederrufen werden koͤnne, ehe der Brief zu dem - jenigen, dem etwas darinnen verſpro - chen worden, uͤberbracht iſt. Ja wenn das Verſprechen mit dem Vorſatz ge - ſchehen, daß es nicht gelten ſoll, als wenn man erfaͤhret, daß es angenom -men263und den Vertraͤgen uͤberhaupt. men worden (§. 425.); ſo kann es ſo lange wiederrufen werden, als das An - nehmen deſſelben noch nicht bekannt worden.
Weil ein Verſprecher ſich der Huͤlfe einesVon dem Boten, welcher einen Brief, darinnen etwas verſpro - chen wird, uͤberbrin - gen ſoll. Boten in keiner andern Abſicht bedienet, als daß der Brief an den, dem etwas verſpro - chen wird, uͤberbracht wird; und daher es einerley iſt, ob der Bote ſelbſt, oder ein an - drer denſelben uͤberbringt; ſo wird das Ver - ſprechen, wenn der Bote ſtirbt, und ein andrer den Brief, in welchem das Verſprechen enthalten, uͤberbringt, guͤltig angenommen: Jedoch kann es ſo lange wiederrufen werden, als der Brief von einem andern demjenigen, dem etwas verſprochen wird, nicht abgegeben worden. Weil dem Verſpre - cher das Recht ſein Verſprechen zu wiederru - fen wuͤrde benommen werden, welches doch nicht geſchehen kann (§. 74.), woferne das An - nehmen ſollte guͤltig ſeyn, wenn der Brief, darinnen der Verſprecher dem andern etwas verſpricht, noch nicht abgegeben worden, ſon - dern dieſer bloß den Jnhalt deſſelben von je - manden erfahren; ſo kann die Anneh - mung nicht geſchehen, ſo lange der Brief noch nicht uͤberbracht worden, wenn man gleich den Jnnhalt deſſel - ben von jemanden erfahren hat. De - rowegen wenn der Brief verlohrenR 4gien -264II. Th. 7. H. Von dem Verſprechengienge, ſo iſt das Verſprechen nichts; folglich wenn der Verſprecher den Vor - ſatz behaͤlt, etwas zu verſprechen, muß er das Verſprechen auf eine andere ihm gefaͤllige Weiſe erneuren.
Die Mittels-Perſon, welche ein Verſpre - chen hinterbringt, vertritt die Stelle eines Briefes. Wenn alſo dieſelbe ſtirbt, ehe ſie das Verſprechen hinterbracht; ſo iſt das Verſprechen nichts. Und weil das Verſprechen wiederrufen werden kann, ehe der Brief abgegeben worden; folglich die Annehmung nicht geſchehen kann, wenn gleich derſelbe nach der Wiederrufung abgegeben wuͤrde; ſo kann auch ohne Vorwiſſen der Mittels-Perſon, die ein Verſpre - chen hinterbringen ſoll, daſſelbe wie - derrufen werden (§. 428.).
Wenn aber eine Mittels-Perſon in unſerm Nahmen etwas verſprechen ſoll, weil das Recht zu verſprechen, welches wir ihr gegeben haben, und vermoͤge welchem ſie verſpricht, ſo lange dauret, als daſſelbi - ge von uns nicht wiederrufen worden iſt; ſo kann das Verſprechen nicht ohne ihr Vorwiſſen wiederrufen werden; folg - lich bleibt daſſelbe guͤltig, wenn es gleich geſchehen, nachdem es wieder - rufen worden, dieſes aber derſelben nicht bekannt worden. Da aber eineſolche265und den Vertraͤgen uͤberhaupt. ſolche Perſon in unſerm Nahmen nichts ver - ſprechen kann, wenn ſie ſtirbt; ſo iſt das Verſprechen nichts, wenn ſie ſtirbt. Und weil wir nur ſo lange durch einen andern etwas thun koͤnnen, als wir es ſelbſt zu thun im Stande ſind; ſo iſt ein Verſprechen, welches nach unſerm Tode von einer Mittels-Perſon geſchehen, nicht guͤl - tig; als welches mit keinem Rechte geſche - hen iſt.
Weil das Verſprechen nach dem Tode desVom Tode des Verſpre - chers, ehe das Ver - ſprechen binter - bracht worden. Verſprechers nicht angenommen werden kann, woferne er nicht ausdruͤcklich gewolt, daß es auch nach ſeinem Tode angenommen werden koͤnne (§. 425. 318. ); ſo kann das Ver - ſprechen, wenn der Verſprecher eher ſtirbt, als der Brief abgegeben, oder das Verſprechen durch die Mittels - Perſon hinterbracht wird, nicht ange - nommen, folglich nicht guͤltig werden (§. 381.).
Weil es einerley iſt, ob wir etwas ſelbſt,Von der Anneh - mung, die vor dem Verſpre - chen in Briefen oder durch ei - ne Mit - tels-Per - oder durch einen andern thun; ſo kann das Annehmen durch eine Mittels-Perſon geſchehen. Und da es auch einerley iſt, wie wir es dem andern zu verſtehen geben, daß wir das Verſprechen annehmen; ſo kann ſo wohl durch einen Brief, als durch ei - ne Mittels-Perſon die Annehmung be - kannt gemacht werden. Weil auch dieR 5Anneh -266II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenſon ge - ſchieht.Annehmung vor dem Verſprechen vorher ge - hen kann (§. 319.); ſo iſt das Verſpre - chen, wenn jemand von uns verlangt ihm etwas zu verſprechen, und wir in der Antwort in einem Briefe darein willigen, das Verſprechen gleich guͤl - tig; folglich beſteht daſſelbe, wenn gleich der Brief erſt nach unſerm Tode dem andern uͤberbracht wird. Allein da das Annehmen nicht eher geſchehen kann, als bis das Verſprechen geſchehen iſt, daß aber das Verſprechen geſchehen ſey, der andere nicht eher weiß, als bis er den Brief erhalten; ſo kan auch das Verſprechen, ſo lange als der andere den Brief noch nicht bekom - men hat, wiederrufen werden. Nemlich wenn der Brief geſchrieben worden, ſo kann das Verſprechen noch wiederrufen werden; durch den Tod des Verſprechers aber wird es unwiederruflich. Es iſt leicht klar, daß eben dieſes gilt von der Mittels-Perſon ein Verſprechen anzunehmen, als welche die Stelle eines Briefes vertritt.
Wenn jemand mir verſpricht, daß er einem andern etwas leiſten wolle, und ich nehme es an, der raͤumet mir das Recht ein ihn dazu anzuhalten, daß er es leiſte, wenn der andere es an - nimmt (§. 361.). Weil aber der andere dadurch, daß ich es annehme, kein Recht er - halten hat (§. 381.); das Recht aber, welchesich267und den Vertraͤgen uͤberhaupt. ich erhalten habe, mir nicht genommen wer - den kann (§. 100.), ich aber wohl deſſelben mich begeben (§. 342.); ſo kann das Ver - ſprechen, ehe der andere es angenom - men, zwar nicht wiederrufen werden, ich aber kann mich deſſelben begeben. Und weil ich will, daß das Verſprechen gel - ten ſoll, wenn ich es dem andern be - kannt mache; ſo verſpreche ich ihm wenig - ſtens ſtillſchweigend, wenn er es annimmt, davor zu ſorgen, daß das Verſprechen gehal - ten werde; folglich werde ich durch des andern Annehmen demſelben verbun - den, davor zu ſorgen, daß das Ver - ſprechen gehalten werde (§. 380.), oder mein Recht, den Verſprecher dazu an - zuhalten, dem andern abzutreten (§. 338. 342.).
Wer nicht zu einer Mittels-Perſon auser -Von der Anneh - mung die fuͤr einen dritten ge[ſ]che - hen. leſen worden das Verſprechen anzunehmen, der kann auch, weil er kein Recht dazu hat, im Nahmen eines andern nichts annehmen. Wenn ich demnach in des andern Ge - genwart dem dritten etwas verſpreche, und er iſt nicht als eine Mittels-Per - ſon erwaͤhlet worden das Verſprechen anzunehmen; ſo gilt ſein Annehmen nichts, und ich bin aus dem Verſpre - chen dem dritten nichts ſchuldig (§. 381.). Wenn ich will daß der ande - re im Nahmen des dritten es anneh -men268II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenmen ſoll; ſo erklaͤre ich mich eben dadurch, daß ich das Annehmen des andern fuͤr die An - nehmung des dritten, woferne er will, halten wolle; folglich kann das Verſprechen von mir nicht wiederrufen werden. Weil aber die Guͤltigkeit des Verſprechens nicht auf dem Willen des andern, ſondern des dritten beruhet, dem etwas verſprochen wird; ſo kann der andere daſſelbe wehrender Zeit nicht erlaſſen; weil er durch das Ver - ſprechen kein Recht erhalten, welches er er - laſſen koͤnnte.
Wenn ein Verſprechen zum Vor - theil eines dritten beſchweret wird, kann daſſelbe, womit es beſchweret worden, wiederrufen werden, ehe er es angenommen. Denn der dritte hat kein Recht, ehe er daſſelbe angenommen hat (§. 316.), und das Verſprechen wird beſchwe - ret entweder als unter einer Bedingung, oder als in einer gewiſſen Abſicht; folglich ſo lan - ge es von dem dritten nicht angenommen wor - den, ſteht es bey uns, ob wir das Verſpre - chen von der Beſchwerde befreyen wollen (§. 342.), und das Verſprechen in ein anderes verwandeln, dabey keine Bedingung, oder damit verknuͤpfte Abſicht vorhanden (§. 393.); folglich kann die Beſchwerde erlaſſen werden (iſt wiederruflich, onus revocabile eſt), ſo lange die Annehmung von dem dritten noch nicht geſchehen.
Wenn ein Verſprechen unguͤltig iſt,Wenn der Ver - ſprecher ein un - guͤltiges Verſpre - chen hal - ten will. und der Verſprecher will daſſelbe den - noch halten; da es hier lediglich bey ihm ſteht, ob er etwas dem andern leiſten will, oder nicht (§. 314. 328. ), oder etwas ver - ſprechen (§. 385.); ſo muß er entweder dasjenige leiſten, was verſprochen wor - den, oder es iſt ein neues Verſprechen noͤthig, welches, eben weil es neu iſt, auf eine jede von der vorigen unterſchiede - ne Art und Weiſe geſchehen kann (§. 393.).
Ein bloſſes Abreden (conventio) iſt eineVon dem, was man mit einander abredet. Handlung, durch welche zwey oder mehrere etwas beſchlieſſen, oder etwas zu thun, oder zu unterlaſſen mit einander eines werden. De - rowegen da niemand ſich dem andern anders als durch Verſprechen verbindlich machen kann (§. 380.); ſo kann dadurch, daß man mit einander etwas abgeredet, alſo durch die Conventionen, keine Ver - bindlichkeit entſtehen, ſondern bloß in dem Falle, wenn ein Verſprechen dazu kommt.
Wennn zwey oder mehrere zuſammen inVon den Vertraͤ - gen. ein Verſprechen oder in mehrere einwilligen, heißt es ein Vertrag (pactum oder pactio). Da die Verſprechen gehalten werden muͤſſen (§. 388.); ſo muͤſſen auch die Vertraͤgegehal -270II. Th. 7. H. Von dem Verſprechengehalten werden. Weil alſo die Ver - traͤge alle Kraft zu verbinden von den Ver - ſprechen haben (§. 380.); ſo muß dasjeni - ge, was wir vom Verſprechen bewie - ſen haben, auch von den Vertraͤgen verſtanden werden.
Einen ausdruͤcklichen Vertrag (pa - ctum expreſſum) nennet man denjenigen, welcher durch eine ausdruͤckliche Einwilligung gemacht wird; einen ſtillſchweigenden aber (tacitum), der auf einer ſtillſchweigenden Ein - willigung beruhet. Jn den ausdruͤckli - chen Vertraͤgen iſt ſtillſchweigend ent - halten, was aus dem, ſo ausdruͤcklich geſaget wird, durch eine nothwendige Folge flieſſet (§. 27.). Man ſagt aber, eine Bedingung ſey an und vor ſich ſelbſt in einem Vertrage oder in einem Verſprechen enthalten (conditio per ſe ineſſe), wenn ohne dieſelbe die Lei - ſtung desjenigen, was verſprochen worden, nicht moͤglich iſt; als wenn ich ſage: ich will dir die Koſten zur Erlangung der Doctor - Wuͤrde geben; und die Bedingung, wel - che an und vor ſich ſelbſt in einem Ver - trage, oder Verſprechen enthalten iſt, wird fuͤr eine ausdruͤcklich hinzugeſetz - te gehalten.
Einen Vertrag auf eine zeitlang (pactum temporarium) nennet man denjeni -gen,271und den Vertraͤgen uͤberhaupt. gen, deſſen Dauer auf eine gewiſſe Zeit ein -der auf eine zeit - lang und auf ewig geſchloſ - ſen wor - den. geſchraͤncket wird. Ein ewiger Vertrag (pactum æternum) iſt derjenige, deſſen Dauer niemahls aufhoͤren ſoll, das iſt, ſo lange Per - ſonen vorhanden ſind, welche durch denſelben ein gewiſſes Recht erlangt. Weil es wieder - ſprechend iſt, ſowohl die Vertraͤge auf ei - ne zeitlang, als die ewigen auf die Per - ſonen, die den Vertrag machen, einzuſchraͤn - cken; ſo ſind beyde nicht perſoͤnliche Vertraͤge, ſondern Vertraͤge, welche die Sache angehen (§. 401.). Die auf eine zeitlang gemachte Vertraͤge aber verbinden nicht mehr, wenn die Zeit verfloſſen, auf welche ſie gemacht worden (§. 317.).
Ein Vertrag wird erneuret (pactumVon der Erneu - rung ei - nes Ver - trages. renovatur), wenn die, ſo ihn gemacht, mit einander eines werden, daß er uͤber die Zeit, auf welche er gemacht worden, noch bis auf eine gewiſſe Zeit fortdauren ſolle. Wenn alſo ein Vertrag, der auf eine zeitlang gemachet worden, nicht aufhoͤren ſoll, ſo bald die Zeit geendiget (§. 440.); ſo muß er erneuret werden. Weil aber nicht mehr der vorige Vertrag verbleibet, wenn etwas in dem, was geleiſtet werden ſoll, veraͤndert wird, ſondern man einen neuen macht; ſo muß in der Erneurung eines Vertrages nichts geaͤndert werden in dem, was geleiſtet werden ſoll. Es er -hellet272II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenhellet aber leicht, daß es lediglich auf den Willen dererjenigen, die einen Vertrag gemacht, beruhe, ob ſie denſelben er - neuren, oder einen neuen machen wol - len (§. 393.). Da diejenigen, die den Ver - trag gemacht, bey der Erneuerung in die Fort - ſetzung deſſelben einwilligen muͤſſen (§. 437.); derjenige aber ſtillſchweigend einwilliget, wel - cher leidet, daß nach Endigung eines auf ei - ne zeitlang gemachten Vertrags etwas von dem andern Theile geſchiehet, welches doch nicht anders als vermoͤge des Vertrags ge - ſchehen kann (§. 27.); ſo wird ein Ver - trag ſtillſchweigend erneuret, wenn mit Vorwiſſen des andern und ohne daß er widerſpricht, der eine nach En - digung des Vertrags etwas thut, wel - ches nicht anders als vermoͤge des Ver - trags geſchehen konnte, oder auch wenn der andere dergleichen vor ge - nehm haͤlt; z. E. wenn er etwas an - nimmt, welches nicht anders als ver - moͤge des Vertrags gegeben werden konnte. Weil aber in einer ſtillſchweigen - den Erneurung die Zeit nicht ausdruͤcklich angezeiget wird, auf welche er erneuret wer - den ſoll; ſo verſtehet ſichs, daß er auf ſo lange Zeit erneuret worden, als in dem gemachten Vertrage ausdruͤcklich beniemet worden. Wenn man aber gleich im Anfang mit einander eines wird, daß der Vertrag laͤnger als bisauf273und den Vertraͤgen uͤberhaupt. auf die geſetzte Zeit dauren ſoll, wo - fern nicht in einer beſtimten Zeit der eine Theil dem andern den Vertrag aufſaget; ſo verbleibet derſelbe nach dem, was anfangs abgeredet worden, ſo lange, bis er aufgehoben wird (§. 438.); folglich wird er nicht erneuret (§. 441.).
Man ſagt, es gehe der vom Vertra -Wenn es erlaubet iſt von einem Vertrage abzuge - hen. ge ab (a pactu diſcedit), welcher das nicht leiſten will, wozu er vermoͤge des Vertrags verbunden iſt. Derowegen da man Gegen - leiſtungen nennet (præſtationes mutuae), wann einer dem andern etwas leiſtet, und der andere im Gegentheil ihm wieder etwas leiſten muß; folglich bey Gegenleiſtungen die Leiſtung des einen die Leiſtung des andern als eine zuerfuͤllende Bedin - gung vorausſetzet (§. 315.); ſo iſt auch, wenn der eine Theil nicht leiſten will, was er zu leiſten ſchuldig iſt, oder vom Vertrag abgehet, da der andere Theil ſolchergeſtalt auch nicht verbunden iſt das zu leiſten, was er ſchuldig war (§. 396.), dem - ſelben erlaubt von dem Vertrage ab - zugehen. Jedoch da der andere verbunden iſt den Vertrag zu halten (§. 438.), und wir daher das Recht haben ihn dazu anzuhalten (§. 379.), welches uns wider unſern Willen nicht benommen werden kann (§. 100.); ſo ſtehet uns noch frey, wofern wir vomNat. u. Voͤlckerrecht. SVer -274II. Th. 7. H. Von dem VerſprechenVertrage abgehen wollen, den andern dazu anzuhalten, was er vermoͤge des Vertrags zu leiſten ſchuldig iſt. Da wir nun aber, vermoͤge deſſen, was erwieſen worden, das Recht haben vom Vertrage ab - zugehen; ſo handeln wir nicht wider Treue und Glauben, wenn wir des - wegen vom Vertrage abgehen, weil der andere zuerſt davon abgegangen (§. 389.). Und weil es ſolchergeſtalt alsdenn bey uns ſtehet, ob wir den Vertrag wollen gelten laſſen, oder nicht; ſo ſind wir nicht gehalten, wenn es den andern gereuet, der zuerſt abgegangen, und er will den - ſelben gelten laſſen, dieſes anzuneh - men. Weil der Grund, warum es erlaubt iſt von einem Vertrage abzugehen, nicht vor - handen, wenn einer wider Treue und Glauben in einem andern Vertrage vorher gehandelt; ſo iſt auch deswe - gen von einem andern Vertrage, als jenem, abzugehen nicht erlaubt.
Wenn ein anderer alsdenn vom Ver - trag abgehet, wenn wir ihm ſchon et - was geleiſtet haben; wir aber dadurch vorſaͤtzlich in Schaden geſetzt wuͤrden, wenn wir verbunden waͤren den Verluſt deſſelben uͤber uns zu nehmen (§. 17. 269. ); ſo muß er uns, wenn wir gleichfalls abgehen, was gegeben worden, wiedergeben, oder der Werth deſſelben erſetzetwerden275und den Vertraͤgen uͤberhaupt. werden (§. 270.). Jm Gegentheil wenn derwas ge - leiſtet worden. andere ſchon uns etwas geleiſtet hat, in - dem er vom Vertrage abgehet; da er durch ſeine eigene Schuld Schaden leidet, und ich mich ihm nicht verbunden etwas zu leiſten, als nur dann, wenn das, was er verſprochen hat, gantz geleiſtet worden; ſo bin ich nicht ſchuldig ihm etwas wie - der zu erſetzen. Er leidet die Strafe ſei - ner Untreue (§. 390.). Wenn ich aber dasjenige gantz geleiſtet habe, was ich nach dem Vertrage zu leiſten ſchuldig war; da von meiner Seite der Vertrag er - fuͤllet worden, und ich nicht mehr von dem - ſelben abgehen kann (§. 442.); ſo iſt noth - wendig, daß ich den andern auch zu Erfuͤllung des Vertrags anhalte, wann ich nicht mein Recht erlaſſen (§. 337. 342. ) und damit zufrieden ſeyn will, daß dasjenige, was geleiſtet wor - den, wieder erſetzet werde. Wenn endlich von beyden Seiten gleich viel geleiſtet worden, da man alsdann nicht ſagen kann, daß der andere mit unſerm Schaden vom Vertrage abgehet, und alſo uns etwas zu erſetzen ſchuldig ſey (§. 270.); ſo iſt er auch uns, wenn wir abgehen, nichts ſchuldig.
Man ſagt, ein Vertrag werde aufge -Wenn der Ver - trag auf - gehoben wird. hoben (pactum diſſolvitur), wenn diejeni - gen, die ihn gemacht haben, von der Ver -S 2bindlich -276II. Th. 7. H. Von dem Verſprechenbindlichkeit, die daraus erwachſen, entlediget werden. Wenn demnach der Vertrag aufgehoben wird, ehe noch vermoͤge deſſelben etwas geleiſtet worden; ſo iſt es eben ſo viel, als ob er niemals ge - macht worden waͤre. Weil ein jeder ſich ſeines Rechtes begeben kann (§. 342.); folg - lich den andern von ſeiner Verbindlichkeit be - freyen (§ 337.); ſo koͤnnen Vertraͤge mit beyderſeitiger Einwilligung wieder aufgehoben werden. Und weil der vo - rige Vertrag nicht beſtehen kann, wenn ein neuer, der demſelben entgegen iſt, gemacht wird; ſo wird durch einen neuen Ver - trag, der dem vorigen entgegen iſt, der vorhergehende aufgehoben: nem - lich die beyderſeitige Einwilligung, durch wel - che der vorhergehende Vertrag aufgehoben wird, iſt ſchon an ſich in der beyderſeitigen Einwilligung in den neuen enthalten (§. 438.).
Weil die Vertraͤge durch beyderſeitige Ein - willigung gemacht werden (§. 438.); ſo iſt der Vertrag gleich guͤltig, ſo bald bey - de Theile ihre Einwilligung gegeben; folglich gilt er natuͤrlicher Weiſe, ehe er aufgeſchrieben wird. Nemlich ein Ver - trag wird nicht der Guͤltigkeit, ſondern des Beweiſes wegen aufgeſchrieben, damit man dasjenige beweiſen kann, was in demſelben verſprochen worden, oder woruͤber man mit einander uͤbereinkommen. Allein da es aufden277und den Vertraͤgen uͤberhaupt. den Willen derjenigen ankommt, die den Ver - trag machen, wenn ihre Einwilligung vor un - veraͤnderlich gehalten werden ſoll; ſo koͤnnen ſie mit einander ausmachen, daß der Vertrag nicht eher gelten ſoll, als bis er aufgeſchrieben und unterſchrieben, oder auch geſiegelt worden.
Da wir uns durch den Eyd verbinden dieVon dem beſchwo - renen Vertra - ge. Wahrheit zu ſagen (§. 368.); ſo iſt klar, daß, wenn wir etwas eydlich verſprechen, wir durch den Eyd bloß beweiſen, daß wir den Vorſatz haben, das zu leiſten, was wir verſprechen, und in dieſem Vorſatze verharren wollen; folglich bringt der Eyd keine neue Verbind - lichkeit etwas zu leiſten hervor, und wenn er alſo zu einer Handlung, die nichr verbindlich iſt, hinzukommt, ſo kann er ſie nicht verbindlich machen. Jedoch in ſo fern wir den andern unſerer Treue nachdruͤcklicher verſichern (§. 389. 368. ); ſo wird es fuͤr ſchaͤndlicher gehalten wieder Treue und Glauben, ſo man beſchworen hat, zu handeln, als wenn man nicht geſchworen hat.
Weil wir durch den Vertrag das RechtVon dem Recht des Krie - ges, wel - ches aus dem Ver - erlangen, den andern, der ihn nicht halten will, mit Gewalt dazu anzuhalten, daß er das leiſte, woruͤber man mit einander eines worden (§. 438. 379. ); die gewaltſame Be -S 3hauptung278II. Th. 8. H. Von der Erſitzungtrage er - waͤchßt.hauptung ſeines Rechts aber der Krieg iſt (§. 98.); ſo hat der Menſch ein Recht zum Kriege wider denjenigen, der den Vertrag nicht halten will. Wenn je - mand den Vertrag bricht; und folglich das Gegentheil davon thut, woruͤber man im Vertrage mit einander eines worden; ſo han - delt er wider das vollkommene Recht des an - dern, welches er durch den Vertrag erhalten hatte (§. 97.), und thut deswegen ihm un - recht (§. 87.). Weil nun das Unrecht, das einem angethan worden, eine rechtmaͤßige Ur - ſache des Krieges iſt (§. 98.); ſo iſt die Verletzung der Vertraͤge eine recht - maͤßige Urſache des Krieges.
Von Erlangung des Eigenthums einer bloß beſeſſenen Sache und von der Verjaͤhrung.
Wer eines andern Sache beſitzt, der hat ſich dieſelbe zugeeignet (§. 200.). Derowegen wenn der Ei - genthumsherr dieſelbe verlaͤßt, ſo ge - hoͤret ſie demjenigen gleich zu, der ſie beſitzet (§. 219.); folglich kann ſie von dem alten Eigenthumsherrn, der auf - gehoͤret hat Eigenthumsherr zu ſeyn (§. 203.), von dem Beſitzer ſich nicht wieder zu -geeignet279und der Verjaͤhrung. geeignet werden (§. 262.). Hieraus er - hellet, daß in dieſem Falle das Eigenthum nicht durch den Beſitz erhalten wird, ſondern durch die urſpruͤngliche Art etwas eigenthuͤm - lich zu erhalten, nemlich durch die Zueignung einer Sache, die niemanden zugehoͤret (§. 210.).
Weil die menſchlichen Geſchaͤfte einen Aus -Von der Noth - wendig - keit der Vermu - thung in menſch - lichen Geſchaͤf - ten. gang gewinnen muͤſſen, und dem menſchlichen Geſchlechte daran gelegen iſt, daß die erlang - ten Rechte und zugezogene Verbindlichkeiten gewiß ſind; ſo wird dasjenige, was in ei - nem zweifelhaften Falle, wo keine Ge - wißheit zu haben, vermuthet wird, in den menſchlichen Geſchaͤften wider denjenigen vor wahr gehalten, wider den die Vermuthung geſchiehet. Und gewiß wenn man dasjenige vor wahr haͤlt, wovor ſich einer hinlaͤnglich erklaͤret (§. 318.), unerachtet es geſchehen koͤnte, daß er luͤgt (§. 351.), vermuthet man alsdann nicht, daß er die Wahrheit ſage? Ja wenn man ei - nem, der geſchworen hat, glaubet, ob es gleich geſchehen koͤnte, daß er falſch ſchwoͤre (§. 371.), vermuthet man nicht, er habe nicht falſch geſchworen? Daher vermuthet man die Wahrheit deſſen, was geſagt worden, in dem Verſprechen, und folg - lich in den Vertraͤgen (§. 438.), ohne welcher nichts guͤltig verſprochen wer - den konnte.
Daher folget nun, daß, woferne man nicht gewiß ausmachen kann, wenn daran gelegen iſt, daß man gewiß wiſ - ſe, ob der Eigenthumsherr das ihm zugehoͤrige verlaſſen habe, dennoch aber die Verlaſſung vermuthet wird, man vor wahr anzunehmen habe, daß er ſie verlaſſen (§. 449.); und folglich die Sache dem Beſitzer gehoͤre (§. 448.); nemlich nicht deswegen, weil er ſie beſitzet, ſondern weil die Sache, die er beſitzet, fuͤr eine keinem andern zugehoͤrige gehalten wird (§. 203.), und er ſich dieſelbe zugeeignet hat (§. 448.).
Die Erlangung des Eigenthums aus der Vermuthung, daß ſie von dem Eigenthums - herrn ſey verlaſſen worden, nennet man die Erlangung des Eigenthums einer bloß beſeſſenen Sache, oder mit einem Worte die Erſitzung (uſucapio). Wenn man aber in den buͤrgerlichen Rechten ſaget, daß eine Sache durch den Beſitz unſer eigen werde, wenn er bis auf eine in den Geſetzen beſtimmte Zeit in einem fortgedauret hat; ſo wird durch das buͤrgerliche Geſetze nichts anders als die Art und Weiſe beſtimmet, die Verlaßung einer Sache zu vermuthen, und dieſe iſt bloß buͤrgerlichen Rechtes. Gewiß, da niemand zweifeln kann, daß durch den bloſſen Beſitz kein Eigenthum erhalten wer -den281und der Verjaͤhrung. den kann (§. 200.), noch auch die Zeit die Kraft hat, einen Beſitz zu Erlangung des Eigenthums faͤhig zu machen; ſo kann durch einen Beſitz, wenn er auch noch ſo lange gedauret hat, natuͤrlicher Weiſe kein Eigenthum erlangt werden. Da uͤbrigens auch unkoͤrperliche Sachen eigen - thuͤmlich werden koͤnnen (§. 206.); ſo koͤn - nen eben ſo wohl unkoͤrperliche, folg - lich auch das Recht zu einer Sache (§. 121. 335. ), als koͤrperliche Sachen, die man bloß im Beſitz hat, des Beſitzers eigen, oder erſeſſen werden.
Die Verjaͤhrung (præſcriptio) iſt derVon der Verjaͤh - rung. Verluſt eines eigenen Rechts, wegen einer vermutheten Einwilligung. Weil demnach derjenige, von welchem man vermuthet, er habe eine Sache verlaſſen, die Vermuthung wieder ſich erreget, daß er das Eigenthum (§. 203.), und folglich das Recht ſich die Sache wieder zuzueignen verlohren habe (§. 262.); ſo wird, wenn eine bloß beſeſſe - ne Sache eigenthuͤmlich oder erſeſſen wird, ſowohl das Eigenthum als auch das Recht die Sache ſich wieder zuzu - eignen, dem Eigenthumsherrn ver - jaͤhret. Man pflegt zwar heute zu Tage ſo wohl die Verjaͤhrung, als die Erſitzung eine Verjaͤhrung zu nennen: es iſt aber rathſamer, daß dieſelben in dem Rechte der Natur von einander unterſchieden werden; vornaͤmlich daS 5dieſer282II. Th. 8. H. Von der Erſitzungdieſer Unterſchied auch etwas dazu beytraͤgt das Roͤmiſche Recht genauer zu verſtehen. Daß aber die Verjaͤhrung natuͤrlichen Rechtes ſey, erhellet aus eben dem Grun - de, aus welchem wir die Erſitzung erwieſen haben (§. 449. u. f.). Und es iſt nicht weni - ger offenbahr, daß derjenige von ſeiner Verbindlichkeit befreyet werde, wel - cher einem andern ſein Recht zu dem verjaͤhret, was er ihm zu leiſten ſchul - dig war.
Es iſt aber hier zu mercken, daß, da die Vermuthung darinnen beſtehet, daß man aus wahrſcheinlichen Gruͤnden eine zweifelhafte Sache in einem einzelnen Fall vor gewiß an - nimmet (§. 27.), und daher dasjenige, was vermuthet wird, falſch ſeyn kann, das Vermuthete ſo lange vor wahr gehal - ten wird, bis das Gegentheil bewie - ſen worden. Und weil jeder vor wahr - ſcheinlich annimmt, daß vielmehr dasjenige geſchehen werde, was mehrentheils geſchiehet, als was ſeltener vorfaͤllt, wofern nicht beſon - dere Urſachen das Gegentheil anzunehmen vorhanden; ſo wird dasjenige vermu - thet, was gewoͤhnlicher Weiſe zu ge - ſchehen pfleget, nicht aber was ſelte - ner geſchieht, wofern keine beſondere Gruͤnde das Gegeentheil anzunehmen da ſind. Man theilet die Vermuthung in eine bedingte und in eine unbedingte ein. Dieunbe -283und der Verjaͤhrung. unbedingte Vermuthung (præſumtio abſoluta) iſt diejenige, da das Geſetz befiehlt, dasjenige vor wahr zu halten, was vermu - thet wird; die bedingte aber (conditiona - lis) iſt diejenige, nach welcher das, was ver - muthet wird, ſo lange vor wahr zu halten iſt, bis das Gegentheil bewieſen worden. Die un - bedingte Vermuthung kommt mit derjenigen uͤberein, welche von den Auslegern des buͤr - gerlichen Rechts die rechtliche Vermu - thung, oder die Vermuthung von Rechtswegen (præſumtio juris & de ju - re) genennet wird: die bedingte aber mit der - jenigen, welche von denſelben die Vermu - thung des Rechts (præſumtio juris) ge - nennet wird. Es fuͤgen zwar einige noch die dritte Art hinzu, welche ſie die Vermu - thung eines Menſchen nennen (præſum - tionem hominis), welche von einem Men - ſchen, z. E. von einem Richter geſchiehet, wenn das Geſetz es nicht gewiß machet, daß ſo etwas vermuthet werden ſolte. Weil aber in dem Rechte der Natur alle Vermu - thungen, die der Vernunft gemaͤß ſind, auch genehm gehalten werden; ſo iſt die Vermu - thung des Rechts von der Vermu - thung eines Menſchen nicht verſchie - den. Jm Rechte der Natur aber iſt der Unterſchied der Vermuthung des Rechts und der Vermuthung von Rechtswegen gegruͤn - det; nemlich daß etwas, was vermuthet wird, entweder ſo lange vor wahr gehaltenwerde,284II. Th. 8. H. Von der Erſitzungwerde, bis das Gegentheil bewieſen iſt, oder ſchlechterdinges vor wahr gehalten werde; dergleichen die Vermuthung der Wahrheit desjenigen iſt, was der ſagt, welcher in den Verſprechungen die Wahrheit zu ſagen ver - bunden iſt (§. 449.).
Ein rechmaͤßiger Titul (titulus juſtus) iſt derjenige, wodurch ein Recht zu erlangen bloß moͤglich iſt, zum Exempel das Eigen - thum: nicht aber wuͤrcklich erlangt wird, als wenn jemand eine Sache kauft; weil er ſie auch von einem der nicht der Eigenthumsherr iſt, haͤtte kaufen koͤnnen. Daher ſagt man, es habe einer einen rechtmaͤßigen Titul (titulum juſtum habere), wenn der Be - ſitzer den Beſitz durch eine ſolche Handlung erhalten hat, durch welche, nach der Beſtim - mung des Geſetzes, das Eigenthum von einem Eigenthumsherrn auf einen andern gebracht werden kann. Wenn dieſe Handlung ihre Richtigkeit hat; heiſſet es ein wahrer Titul (titulus verus). Wenn jemand glaubt, die Handlung habe ihre Richtigkeit, da es doch nicht iſt, als wenn einer glaubt, eine Sache ſey ihm geſchenckt, da es doch nicht ſo iſt; ſo heißt es ein vermeinter Titul (titulus pu - tativus). Wenn aber die Handlung zwar ih - re Richtigkeit hat, einer irret ſich aber darin - nen, daß er vermeint, es koͤnne durch eine ſolche Handlung ein dergleichen Recht erhal - ten werden, als zum Exempel, durch das Fin -den285und der Verjaͤhrung. den einer verlohrenen Sache, das Eigen - thum; ſo heißt es ein falſcher Titul (titu - lus falſus). Daher erhellet, daß ein recht - maͤßiger Titul eine mittlere Art ſey zwiſchen einem wahren und falſchen. Denn er hat ei - nen Theil von einem wahren Titul, in ſo weit die Handlung zwar ihre Richtigkeit hat, zum Exempel, daß man die Sache gekauft habe, dennoch aber nicht gewiß iſt, ob das uͤbrige erforderliche, das Eigenthum auf einen andern zu bringen, vorhanden; zum Exempel, daß man es vom Eigenthumsherrn gekauft habe. Uebrigens wird der Titul auch in einen vor - theilhaften und beſchwerlichen (lucra - tivum & oneroſum) eingetheilet, in ſo fern als das Geſetz, welches anzeiget, daß wir durch unſere Handlung einiges Recht erhal - ten, uns entweder zu nichts oder zu etwas dargegen verbindet.
Da man das, was gewoͤhnlich iſt, vermu -Wie ein gewiſſen - hafter Beſitz er - halten wird. thet (§. 453.); ſo vermuthet man, daß jeder Beſitzer der Eigenthumsherr ſey, woferne nicht wahrſcheinliche Gruͤn - de zum Gegentheil vorhanden, und dieſe Vermuthung iſt um ſo viel groͤſ - ſer, wenn es gewiß iſt, daß er einen rechtmaͤßigen Titul des Beſitzes hat (§. 454.). Hieraus erhellet ferner, daß der - jenige, der eine Sache von einem ver - muthlichen Eigenthumsherrn, folglich von einem jeden Beſitzer, bey welchemman286II. Th. 8. H. Von der Erſitzungman keine wahrſcheinliche Gruͤnde an - bringen kann, warum ſein Eigenthum verdaͤchtig ſeyn ſolte, durch einen rechtmaͤßigen Titul erhalten hat, dieſelbe mit gutem Gewiſſen beſitze (§. 201.).
Man nennet aber einen rechtmaͤßigen Beſitz (poſſeſſionem juſtam), bey welchem man einen rechtmaͤßigen Titul und ein gutes Gewiſſen antrift: wenn aber eines von bey - den fehlet, ſo iſt der Beſitz unrechtmaͤſ - ſig (poſſeſſio injuſta). Ein Beyſpiel im letz - ten Falle iſt dieſes: Wenn einer weiß, daß er eine Sache nicht von dem Eigenthums - herrn gekauft habe: im erſten Falle aber, wenn einer glaubt, er habe ſie von dem Ei - genthumsherrn gekauft, oder geſchenckt be - kommen.
Weil wir einen jeden Schaden ſowohl von uns, als von andern abwenden ſollen (§. 269.); ſo muß keiner nachlaͤßig, folglich jeder fleißig ſeyn (§. 21.) nachzuforſchen, ob etwan von dem, was ihm gehoͤret, etwas in eines andern Gtwalt kom - men ſey, wie auch nach den Rechten, die ihm zukommen, und ſich in acht nehmen, daß unter den Sachen, wel - che er beſitzet, keine angetroffen wer - de, die einem andern zugehoͤret; folg - lich ſich bemuͤhen, daß er von dem Ei -genthu -287und der Verjaͤhrung. genthume deſſen, was er beſitzet, Ge - wißheit habe, und das Eigenthum andern nicht ungewiß bleibe. Dero - wegen giebt das Geſetze der Natur dem Menſchen auch das Recht dazu, ohne welches die Gewißheit des Eigen - thums nicht erhalten werden kann (§. 46.). Es erhellet aber hieraus zugleich, daß, wenn einer weiß, eine ihm zugehoͤrige Sache habe ein anderer im Beſitze, und er will dieſelbe nicht verlaſſen, er nicht ſchweigen muͤſſe.
Weil derjenige, welcher weiß, daßVon der Vermu - thung ei - ner Ver - laſſung aus ei - ner wuͤrckli - chen Hand - lung. die Sache ihm zugehoͤre, und doch et - was thut, was er nicht thun koͤnnte, wenn er wolte, daß ſie ſeine ſeyn ſoll - te; als wenn er mit dem Beſitzer einen Ver - trag macht, eben als wenn die Sache dem andern zugehoͤrete; indem man daraus nicht anders ſchlieſſen kann, als daß er die Sache nicht vor ſeine halten wolle, ſondern vor des andern ſeine erkenne; ſo vermuthet man daraus, daß er ſie verlaſſen habe (§. 27. 203.).
Wenn jemand ſchweigt, wenn erVon der aus dem Still - ſchweigen vermu - theten Einwilli - gung. reden koͤnnte und ſollte; da er dieſes aus keiner andern Abſicht zu thun ſcheinet, als weil er eben das, was der andere will, oder was die andern wollen, die ihre Mei - nung geſagt; ſo vermuthet man, er habedarein288II. Th. 8. H. Von der Erſitzungdarein gewilliget (§. 27.). Und daher iſt klar, daß, wenn aus einem Still - ſchweigen eine Einwilligung vermu - thet werden ſoll, einer mit Wiſſen und Willen ſtillſchweigen muß.
Da nun derjenige nicht ſchweigen ſoll, wel - cher weiß, daß eine ihm zugehoͤrige Sache ein anderer im Beſitz, er aber nicht die Abſicht hat ſie zu verlaſſen (§. 457.); ſo vermuthet man es habe einer die Sache, ſo ihm zugehoͤret, verlaſſen, wenn er weiß, daß ſie ein anderer im Beſitz hat, und er in langer Zeit nicht widerſpricht, woferne kein offenbahrer Grund vor - handen, warum er ſchweigen ſollte (§. 459.).
Weil ein jeder in der Unterſuchung der ihm zugehoͤrigen Sachen, welche vielleicht in eines andern Gewalt moͤchten kommen ſeyn, fleißig ſeyn ſoll (§. 457.), und es gewiß iſt, daß die Menſchen das Jhrige lieben; ſo ver - muthet man, daß es der Eigenthums - herr wiſſe, es habe ein anderer eine ihm zugehoͤrige Sache im Beſitze, wo - ferne er dieſelbe eine lange Zeit beſeſ - ſen hat; es ſey denn daß offenbahre Ur - ſachen dargegen vorhanden, oder daß er, wenn die Sache beweglich iſt, vor unmoͤglich anſiehet, es zu erfahren, wer ſie beſitzet; folglich vermuthet manaus289und der Verjaͤhrung. aus einem langwierigen Stillſchwei - gen die Verlaßung einer Sache; wo - fern nicht offenbahre Urſachen herge - gen vorhanden ſind (§. 460.).
Weil das Eigenthum beſtaͤndig ungewißVon was vor einer Art dieſe Vermu - thung ſey. bleiben wuͤrde, wofern man dieſe Vermu - thung nicht annehmen wolte, welches aus dem vorhergehenden klar genug iſt; ſo iſt dieſe Vermuthung gegen einen, der nach - laͤßig iſt nach demjenigen zu forſchen, was ihm zugehoͤret, eine unbedingte Vermuthung, oder eine Vermuthung von Rechtswegen (§. 453.).
Hieraus folget ferner, daß die Erſi -Zu was voꝛ einem Rechte die Erſi - tzung und Verjaͤh - rung ge - hoͤre. tzung und Verjaͤhrung zu dem Rechte der Natur gehoͤre (§. 451. 452. ); zum buͤrgerlichen Rechte gehoͤret nur, daß die Ver - muthung der Verlaßung auf eine gewiſſe Zeit geſetzt wird.
Weil aber derjenige, welcher mit keinemDaß ein gutes Ge - wiſſen zur Ver - jaͤhrung erfordert wird. guten Gewiſſen eine Sache beſitzet, dieſelbe dem Eigenthumsherrn wieder zu erſtatten ſchuldig iſt (§. 201. 261. ); folglich, wenn er ſie wiedergeben will, wiſſen kann, ob ſie der Eigenthumsherr haben will, oder nicht, und alſo hier die Vermuthung einer Verlaßung gar nicht ſtatt findet (§. 203. 27. ); ſo iſt der Beſitz mit keinem guten Gewiſſen derNat. u. Voͤlckerrecht. TErſi -290II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. Erſitzung und Verjaͤhrung allezeit zu - wider; folglich wird zur Erſitzung und Verjaͤhrung die gantze Zeit des Beſi - tzes uͤber ein gutes Gewiſſen erfor - dert.
Von den bloß wohlthaͤtigen Handlungen, die in einem zu Ende gebracht werden.
Es iſt vor ſich klar, daß alle Handlungen, die andern nuͤtzlich ſind, entweder dar - in beſtehen, daß etwas gegeben, oder daß etwas gethan wird. Man nennet aber einfache Handlungen (actus ſimplices), welche nicht in mehrere zergliedert werden koͤnnen, ſo daß eine ohne die andere, oder oh - ne die uͤbrigen ſeyn kann. Zuſammenge - ſetzte Handlungen (actus compoſiti) wer - den diejenigen genannt, welche ſich in meh - rere zergliedern laſſen, von denen eine ohne die andere beſtehen kann.
Man nennet eine wohlthaͤtige Hand - lung (actum beneficum) diejenige, durch welche nur einer einen Vortheil hat, der an - dere aber nichts dagegen erhaͤlt. Dieſelbe iſt eine bloß wohlthaͤtige Handlung (actus mere beneficus), wenn damit keine vollkom - mene Verbindlichkeit verknuͤpft iſt: Hinge -gen291die ſo gleich vollbracht werden. gen eine verbindliche (obligatorius), mit der vollkommene Verbindlichkeit verknuͤpft iſt.
Eine Tauſchhandlung (actus permu -Was Tauſch - handlun - gen und wie viel - fach die - ſelben ſind. tatorius) iſt, wodurch ein jeder Theil etwas zu geben, oder zu thun verbunden wird. Jn den Tauſchhandlungen werden alſo Sachen und gewiſſes Thun mit einan - der vertauſchet, naͤmlich Sachen mit Sa - chen, Sachen mit Thun, und Thun mit Thun. Es iſt aber eine Tauſchhandlung entweder eine aus einander ſetzende (actus diremto - rius), da ein jeder Theil ſeinen beſondern Vor - theil hat, der durch beſondere Leiſtungen erhal - ten wird, nach deren Vollziehung dieje - nigen, welche den Vertrag machten, nichts weiter mit einander zu ſchaffen haben: oder eine gemeinſchaftliche (communicatorius), da man durch gemein - ſchaftliche Leiſtungen gemeinſchaftlichen Nu - tzen zur Abſicht hat.
Da man in den Tauſchhandlungen, folg -Vom Unter - ſchied der aus ein - ander ſe - tzenden Tauſch - hand - lungen. lich auch in denen, welche die Partheyen aus einander ſetzen, entweder eine Sache mit ei - ner Sache, oder eine Sache mit Thun, oder Thun mit Thun vertauſchet, und in dieſen beſonders auf den Nutzen eines jeden Theils geſehen wird (§. 467.); ſo giebt man ent - weder etwas, daß der andere wieder etwas gebe (do ut des), oder ich gebe etwas, daß der andere etwas thue (doT 2ut292II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. ut facias), oder ich thue etwas, daß der andere etwas thue (facio ut facias); denn es macht das, daß ich etwas thue, damit der andere etwas gebe (facio ut des), an ſich keinen Unterſchied von der Handlung, da ich gebe, daß der andere etwas thue (do ut fa - cias). Weil man aber ſo wohl koͤrperliche, als unkoͤrperliche Sachen geben kann; ſo kann man auch ſowohl den bloſſen Gebrauch, als auch den Gebrauch zugleich mit den Fruͤchten geben. Und da das Geld, wie wir an gehoͤri - gem Orte beweiſen werden, die Stelle aller Sachen vertritt; ſo gilt dieſes auch vom Gelde.
Weil man ſaget, daß Sachen und Thun unter einander gemeinſchaftlich ge - macht werden (facta & res inter ſe com - municantur), wenn dieſelben zum gemein - ſchaftlichen Nutzen beygetragen werden; ſo werden in den gemeinſchaftlichen Handlungen entweder Sachen, oder Thun, oder auch Geld gemeinſchaft - lich gemacht, oder es geſchiehet der Beytrag von einem Theile an Sa - chen, oder Gelde, von dem andern durch Thun.
Eine bloß wohlthaͤtige Handlung, welche gleich in einem zu Ende gebracht wird, oder wo ich jemand gleich etwas gebe oder thue, wird eine Wohlthat (beneficium) genannt;aber293die ſo gleich vollbracht werden. aber diejenige, welche auf das zukuͤnftige ge -und der, dem gu - tes ge - ſchiehet. het, oder da ich mich dem andern etwas zu ge - ben oder zu thun verbindlich mache, iſt ein freygebiges Verſprechen (§. 425.), oder ein Verſprechen einer Wohlthat. Da man ſagt einer thue etwas oder gebe etwas umſonſt (gratis dare vel facere), der fuͤr das, was er giebt oder thut, von dem andern nichts wieder erhaͤlt; ſo werden Wohl - thaten umſonſt gegeben. Und weil man dasjenige umſonſt geſchehen (gratuitum) nennet, was einer umſonſt leiſtet; ſo ſind die bloß wohlthaͤtigen Handlungen umſonſt geſchehene Handlungen. Wer eine Wohlthat giebt, iſt der Wohlthaͤter (benefactor), wer ſie empfaͤngt, wird der Em - pfaͤnger der Wohlthat (beneficiarius) genannt.
Unſere Handlungen koͤnnen andern nichtWomit man Wohl - thaten erweiſet. nuͤtzlich ſeyn, als in ſo fern ſie zu einem Gute der Seele, des Leibes, oder des Gluͤcks et - was beytragen, oder ein Uebel der Seele, des Leibes, oder des Gluͤcks abwenden. Es iſt derowegen eine jede Handlung, wo - durch wir zu einem Gute der Seele, des Leibes, oder des Gluͤcks umſonſt etwas beytragen, oder einiges Uebel abwenden, oder den andern davon be - freyen, eine Wohlthat (§. 470.).
Weil ein jeder Menſch einem jeden andern,Wer Wohl -T 3der294II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. thaten zu geben ſchuldig iſt, und wer ſie verdie - net.der ſeiner Huͤlfe bedarf, er ſey wer er wolle, zu helfen ſchuldig iſt, ſo viel in ſeinem Ver - moͤgen ſtehet, daß er die Guͤter der Seele, des Leibes und des Gluͤcks erlange, und ver - huͤten ſoll, daß andere nicht in entgegen ge - ſetztes Uebel verfallen (§. 134.); ſo ſind die Menſchen nach dem Recht der Natur verbunden, einander Gutes zu thun, ſo viel in ihrem Vermoͤgen ſtehet; und diejenigen verdienen Wohlthaten, wel - che derſelben beduͤrfen, oder welche ſelbſten das nicht erwerben oder thun koͤnnen, was der Wohlthaͤter giebt, oder thut (§. 471.).
Da nach der Einfuͤhrung des Eigen - thums die Menſchen verbunden ſind einan - der zu geben oder zu thun, nachdem ein jeder eines andern Sache oder Huͤlfe bedarf (§. 329.); folglich ſo genau wir dem andern verbunden ſind, ſo genau uns auch der an - dere verbunden iſt; ſo iſt niemand ſchul - dig dem andern etwas umſonſt zu ge - ben, oder zu thun, wenn der andere dagegen wiederum etwas geben oder thun kann. Und weil es auf den Willen des Eigenthumsherrn ankommt, ob und wie er etwas geben (§. 314.) oder thun will (§. 225.); ſo kommt es auf den Willen des Wohlthaͤters an, ob er eine Wohl - that geben will (§. 470.), und es kann niemand eine Wohlthat zu geben ge -noͤthi -295die ſo gleich vollbracht werden. noͤthiget werden. Wenn jemand etwas nicht umſonſt giebet oder thut, ſo muß es des - wegen gegeben werden, daß der andere etwas gebe, oder thue; oder es muß etwas gethan werden, daß der andere etwas thue. Und daher erhellet, daß die aus einander ſe - tzende Tauſchhandlungen nach dem Rechte der Natur erlaubt ſind (§. 467. 468.). Wofern aber nichts umſonſt gege - ben werden ſoll; ſo muß in den aus ein - ander ſetzenden Tauſchhandlungen der eine dem andern ſo viel leiſten, als der andere ihm geleiſtet hat.
Weil die Menſchen einander Gutes zu thunVom Danck und Un - danck. verbunden ſind (§. 472.), und die Wohlthat, die einer vom andern empfangen hat, ein Be - wegungsgrund iſt, ihm wieder Gutes zu erwei - ſen (§. 73.); ſo iſt der, dem Guts ge - ſchehen, verbunden, ſeinem Wohlthaͤ - ter, weil er ihm Gutes gethan hat, wie - derum Gutes zu erzeigen (§. 35.); folg - lich wenn er dieſes in der That zu thun nicht vermoͤgend iſt, ſo muß er wenig - ſtens den Willen haben ihm Gutes zu erweiſen (§. 37.). Weil man ſagt, eine Wohlthat wird vergolten (beneficium redditur), wenn einer dem andern deswegen Gutes thut, weil er von ihm Gutes empfan - gen hat; ein danckbares Gemuͤthe aber (gratus animus) dasjenige iſt, welches geneigt iſt das Gute mit Gutem zu vergelten, undT 4hierin -296II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. hierinnen der Danck beſtehet; ſo muß der, welcher Wohlthaten empfangen hat, ein danckbares Gemuͤth gegen den Wohlthaͤter haben, oder danckbar ſeyn. Und weil man ſagt, daß derjenige danck - ſage (gratias agere), der ſein danckbares Ge - muth mit Worten oder Wercken bezeigt; ſo muß er demſelben auch danckſagen. Allein weil derjenige undanckbar iſt, der kein danckbares Gemuͤth hat, folglich weder mit Worten, noch weniger mit Wercken daſ - ſelbe an den Tag leget, ja gar das Gegen - theil thut, worinnen der Undanck beſtehet; ſo iſt die Undanckbarkeit durch das na - tuͤrliche Geſetze verboten (§. 57.).
Das Geben, welches umſonſt (dario gratui - ta) geſchieht, nennt man eine Schenckung (donationem): dasjenige aber, welches ohne Entgelt (gratis) gegeben wird, heiſt das Geſchenck (donum, munus). Wer das Ge - ſchenck giebt, heiſt der Schenckende (do - nans, donator), der, welcher es empfaͤngt, der Beſchenckte (donatarius). Da man in der Schenckung das Eigenthum desjeni - gen, was gegeben wird, auf einen andern bringt (§. 258.); ſo wird zur Schen - ckung eine Annehmung erfordert (§. 316.), und es beruhet auf dem Wil - len des Schenckenden, ob und auf was vor Art und Weiſe er etwas verſchen - cken will (§. 314.); und iſt alſo nichtnoͤthig,297die ſo gleich vollbracht werden:noͤthig, daß bey einer Schenckung die Urſache, warum ſie geſchiehet, aus - druͤcklich angefuͤhrt werden darf (§. 78.). Es erhellet aber, daß, was vom Ge - ben erwieſen worden, auch von der Schen - ckung gilt, folglich auch was vom Verſpre - chen bewieſen worden.
Da die Schenckung eine Wohlthat iſtVon der Danck - barkeit des Be - ſchenck - ten. (§. 470. 475. ); ſo iſt der Beſchenckte ſchuldig dem Schenckenden Danck zu ſagen und ein danckbares Gemuͤthe gegen ihn zu haben (§. 474.). Weil aber dieſes nur pflichtmaͤßig iſt, indem der Schen - ckende ſich dem Beſchenckten nicht dazu vollkom - men verbindlich gemacht (§. 380.); ſo kann ein Geſchenck des Undancks halber nicht wiederrufen werden.
Weil der Eigenthumsherr mit dem Seini -Von dem innern Rechte etwas zu ſchencken. gen nicht anders umgehen ſoll, als es ſeine Pflichten erfordern (§. 202.); ſo muß auch das Recht zu ſchencken den Pflichten gemaͤß gebraucht werden: worauf doch aber bey der Guͤltigkeit des Geſchencks nicht darf geſehen werden (§. 475.).
Da der Schenckende nach ſeinem Gutbe -Von Ver - traͤgen, die zu Schen - ckungen kommen. finden, auf was Art und Weiſe er nur will, die Schenckung einrichten kann (§. 475.); ſo kann er auch zu der Schenckung einen jeden erlaubten Vertrag hinzuſetzen,T 5als298II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. als daß die geſchenckte Sache nicht ſoll veraͤuſſert werden, daß er die Schen - ckung wiederrufen kann, daß er den Beſchenckten oder ſeine Erben zu einer gewiſſen Leiſtung anhalten kann. Und dieſe Vertraͤge, welche einer Schen - ckung anhaͤngig ſind, muͤſſen von dem Beſchenckten gehalten werden (§. 438.). Uebrigens iſt daher auch klar, daß die Schenckung auch mit Vorbehalt der Fruchtnießung, oder des Gebrauchs und der Nutzung geſchehen koͤnne; folglich daß alsdenn die geſchenckte Sa - che in der Gewalt des Schenckenden verbleiben muß (§. 200.).
Wenn der Schenckende etwas deswegen ſchenckt, weil er einmahl ſterben wird, folg - lich entweder mit der ausdruͤcklichen, oder doch ſtillſchweigenden Vorbehaltung, die Schenckung vor ſeinem Tode zu wiederrufen, ſo wird dieſes eine Schenckung um ſter - bens willen genannt (donatio mortis cauſa). Da es gewiß iſt, daß wir einmahl ſterben muͤſſen, obgleich der Tag des Todes ungewiß iſt; ſo kann nicht allein ein kraͤncklicher und derjenige, dem der Tod ſchon vor Augen ſchwebet, ſondern auch ein geſunder etwas um ſterbens willen einem ſchencken. Es erhellet aber, daß die Schenckung um ſterbens willen erſt durch den Tod unwieder -ruflich299die ſo gleich vollbracht werden. ruflich wird; und wenn etwas von dem Verſchenckten veraͤuſſert wird, die Schenckung deſſelben in der That wiederrufen wird.
Der Schenckung um ſterbens willen wirdVon der Schen - ckung un - ter Le - bendi - gen. die Schenckung unter Lebendigen (do - natio inter vivos) entgegen geſetzt, welche auch ſchlechtweg eine Schenckung genennt wird, wodurch etwas unwiederruflich ge - ſchenckt wird.
Weil die Schenckung unter LebendigenWenn der Be - ſchenckte eher ſtirbt, als der Schen - ckende. gleich guͤltig iſt (§. 480.), die Schenckung aber um Sterbens willen vor dem Tode des Schenckenden wiederruflich iſt, und alſo erſt nach ſeinem Tode kraͤftig wird (§. 479.); ſo beſtehet die Schenckung um Ster - bens willen nicht, wenn der Beſchenck - te vor dem Schenckenden ſtirbt; hinge - gen eine Schenckung unter Lebendi - gen behaͤlt ihre Guͤltigkeit, wenn gleich die Sache noch nicht wuͤrcklich uͤbergeben worden.
Eine Vergeltungs-Schenckung (do -Von der Vergel - tungs - Schen - ckung. natio remuneratoria) nennet man, wel - che wegen der Verdienſte gegen den Schen - ckenden geſchieht, oder wegen der Wohltha - ten, die der Schenckende von dem andern em - pfangen. Man ſagt aber, einer habe ſich wohl verdient um den andern gemacht(bene300II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. (bene mereri de aliqvo), wenn er ſich be - muͤht, dem andern, es ſey auf was Art und und Weiſe es wolle, nuͤtzlich zu erzeigen, oder wenn er thut, was zum Nutzen und Ver - gnuͤgen des andern gereichet. Wenn Ver - geltungs-Schenckungen in unſerem Vermoͤgen ſtehen, ſo ſind wir dazu natuͤrlicher Weiſe verbunden; maſſen ſie aus einem danckbaren Gemuͤth geſchehen (§. 477.); inſonderheit aber wenn ſie um Sterbens willen geſchehen (§. 479.), und dieſe ſoll man nicht wiederrufen, als wenn man die geſchenckte Sache ſelbſt noͤthig hat, entweder zu ſeiner oder der Seinigen Nothdurft, unerachtet der andere in dieſem Stuͤcke ſich muß gefallen laſſen, was wir thun (§. 479.).
Eine Gegenſchenckung (donatio reciproca) nennt man, welche unter der Bedin - gung geſchieht, daß uns der andere wieder etwas ſchenckt. Es kommt alſo dieſelbe mit einer beſchwerten Schenckung uͤ - berein (§. 409.). Weil aber beyde Schen - ckungen umſonſt geſchehen (§. 475.); ſo ſie - het man in Gegenſchenckungen nicht auf den Werth der beyderſeits ge - ſchenckten Sachen.
Man ſagt, daß man wegen eines To - desfalls etwas bekommt (mortis cauſa capionem), wenn man von jemanden eineSache301die ſo gleich vollbracht werden. Sache in Anſehung des Todes eines andern,Todes - falls be - kommt. aber nicht von den Guͤtern des Verſtorbenen erhaͤlt: Es ſey an dem, daß der Rechtsge - lehrte Julianus dieſes Wort in einem weit - laͤuftigeren Verſtande nimmet, daß es auch die Schenckung um Sterbens willen unter ſich begreift. Man bekommt etwas we - gen eines Todesfalls, wenn einem et - was in Anſehung des Todes eines an - dern geſchenckt wird; als wenn ich einem 10. Ducaten gebe, weil er mir den Tod mei - nes Verwandten meldet, der mich zum Er - ben eingeſetzt hat, oder meines Feindes, wel - cher mir ſchaden konnte. Jngleichen wenn ich einem eine Sache aus einer Erb - ſchaft, die ich bekommen habe, ver - ſpreche; maſſen alsdann, wenn ich die Erb - ſchaft angetreten habe, das was dem Verſtor - benen zugehoͤrte, nun mein iſt; ſo bekommt er die Sache wegen eines Todesfalls.
Ueberfluͤßig (ſuperfluum) nennt manWas uͤ - berfluͤßig iſt. uͤberhaupt genommen, ohne welches man ſei - ne vorhabende Abſicht, dazu man es anwen - det, erhalten kann; und alſo in Anſehung der Sachen, die wir haben uͤber diejenigen, welche wir zur Nothdurft, zur Beqvemlichkeit, zum Vergnuͤgen und des Wohlſtandes wegen gebrauchen.
Das Vermoͤgen, was wir uͤberfluͤßig ha -Von dem Reich - thume. ben, bekommt den Nahmen des Reichthums(divi -302II. Th. 9. H. Von bloß milden Handl. (divitiæ)