PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der vollkommene rechtſchaffene Welt-Mann /
oder Die Mittel zuleben als ein Ehrlicher - und als ein Welt-Mann;
Auff das gruͤndlichſte und ei - gendlichſte / nach denen hierzu erfor - dernden Staats-Tugenden / und denen zuwiderlauffenden Laſtern / ſtatt eines wohl eingerichteten zwar kurtzen / aber doch weitſehenden Unterrichts / Abgefaſſet und vorgeſtellet.
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Franckfurt /Jm VerlagJohannis Juſti Erythropili/ Buchhaͤndlers. Gedruckt bey Johann Andreæ. Jm Jahr1680.
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Der rechtſchaffene Mann / Oder / Die Mittel zuleben als ein Ehrlicher - und als ein Welt-Mann.

Erſter Theil.

ICh weiß zwar nicht / ob einem die Uberſchrifft dieſes Wercks nicht ir - gend ein wenig allzu praͤchtig vorkommen doͤrffte. Aber das weiß ich wohl / daß wofern man ſich erinnern wolte / wie hiebe - voren Monſieur Faret den) o (2Er -Vorrede.Erbarn Mann / oder / Die Kunſt bey Hofe angenehm zuſeyn / herauß gegeben / man mir wohl vergoͤnnen wuͤrde / heut zutage Den rechtſchaf - fenen Mann / oder / Die Mittel zuleben als ein Ehrlicher - und als ein Welt - Mann herauß zugeben.

Man wolle ſich gleichwohl nicht einbilden / daß ich von ei - ner Wiſſenſchafft / welche ſich nicht allein ſehr weit erſtrecket / ſondern auch darbey noch zart iſt / meiſterlich zureden gedencke. Man koͤnte mich einer Einbil - dung beſchuldigen / wann ichmeineVorrede.meine Erinnerungen vor Re - guln / ſo von mir abgefaſſet / außzugeben / mir hinauß neh - me. Vielmehr ſage ich im Ge - gentheil / daß ich ſie ſelbſten auß einem oder dem andern Buche / wo ich irgend etwas von dieſer Materie / die ich handeln wil / eingemiſchet gefunden / geſchoͤpf - fet. Nenne ich doch offt die Au - thores, die mich auff dieſe oder jene Gedancken gebracht: ſo ich es aber bißweilen unterlaſſe / ſo geſchichts gewißlich nicht umb ihren Ruhm an mich zuhaͤngen / ſondern vielmehr darumb / daß ich durch die allzuoͤfftere An - ziehungen / meine Rede nicht ſo) o (3offtVorrede.oft unterbrechẽ doͤrffe. Man kan ſich meiner Arbeit bedienen / und hat nicht eben noͤthig / meines Abſehens wegen mir eine Klage an Hals zuwerffen. Wann das Geſchencke / ſo von meiner Hand kommt / mir groſſer Leute Er - kaͤntnuͤß anzuziehen nicht ver - mag / ſo kan man doch zum we - nigſten geſchehen laſſen / daß die Leute vom mittelſten Fenſter / mir es einigen Danck wiſſen. Und ſo ich wenig gebe / wolle man ſich ja nicht zu Sinne ſtei - gen laſſen / als bildet ich mir ein / ich gebe viel.

Nechſt dieſer Proteſtation / welche ich zuthun nicht konte er -uͤbrigtVorrede.uͤbrigt ſeyn / darff ich nur in we - nig Worten dieſes gantzen Wercks Entwurff abbilden. So theile ich es dann in zwey Theil: Jn dem Erſten rede ich davon / wie wir Uns alle gegen Uns ſelbſten verhalten ſollen; und weil ich allezeit Den recht - ſchaffenen Mann vor Au - gen habe / als handele ich von dem / das ihm zu Seel / Geiſt / und Leib noͤthig ſeyn kan.

Jm andern Theile werde ich vor Augen ſtellen / auff welche Art ſich ein rechtſchaffener Mann nuͤtzlich verhalten koͤn - ne bey einem Printzen / unter dem Frauenzimmer / und unter) o (4Kriegs -Vorrede.Kriegs-Voͤlckern. Und wann ich weder von denen Leuten / ſo die Canzel inne haben / noch von denẽ / ſo die Gerichts-Baͤn - cke beſitzen / rede / ſo geſchichts nur darumb / daß weil ſie in de - nen Wiſſenſchafften aufferzogen worden / man weniger noͤthig hat vor ſie zuarbeiten / als vor die Leute vom Degen / die gemei - niglich nicht ſo gelehrt ſind.

Man wird mir auch noch wohl vorwerffen / daß ich mich im erſten Theile ein wenig zu - lange unter den Tugenden und unter den Gemuͤths-Bewegun - gen auffhalte. Allein / uͤber diß / daß die ſo gar gemeinen Mate -rienVorrede.rien darumb nicht weniger nuͤtze ſind / ſo habe ich meine Luſt ge - habt von einem Dinge zureden / von dem man niemals gnug re - den kan. Jch doͤrffte noch wohl ſagen / daß ich auff ſolche Art darvon handele / die nicht allein denen Gelehrten nicht mißfal - len kan / ſondern die auch noch zimlich ſich nach dem Lauffe der Welt neiget / umb denen Leu - ten / ſo nicht ſtudieret haben / nicht allzuviel zuthun zu - geben.

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Ver -
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Verzeichnuͤß Derer in dieſem Buch befind - lichen Titulen.

Erſter Theil.
  • Wie wir Uns gegen uns ſelbſten verhalten ſollen. pag. 1
  • Worinnen die wahre Ruhe der Seelen beſtehet. 2
  • Von der Tugend. 8
  • Von der Klugheit. 12
  • Von der Staͤrcke. 14
  • Von der Maͤſſigkeit. 24
  • Von der Gerechtigkeit. 27
  • Von der Freygebigkeit. 29
  • Von der Sanfftmuͤthigkeit. 35
  • Wer ſich beleidigen laͤſt / verdienet Be - leidigungen. ibid.
  • Von der Maͤſſigung. 37
  • Von den Gemuͤths-Bewegungen. 40
  • Von der Liebe. pag. 44
  • Von dem Haß. 52
  • Von dem Verlangen. 54
  • Von dem Abſcheu. 55
  • Von der Freude. 60
  • Von der Traurigkeit. 64
  • Von der Hoffnung. 66
  • Von der Verzweiffelung. 68
  • Von der Kuͤhnheit. 72
  • Von der Furcht. 78
  • Von dem Zorn. 81
  • Von einigen loͤblichen Gemuͤths-Be - wegungen. 89
Andere Theil.
  • Von der Gefaͤlligkeit. 113
  • Von der Converſation. 121
  • Von dem Schertz. 142
  • Von der Warheit. 128
  • Von der Neigung / ſo man zu ſeinem Printzen haben ſoll. 123
  • Daß das Umbgehen mit dem Frauen - zimmer nicht allein einem recht - ſchaffenen Mann nicht muß verbo - ten ſeyn / ſondern daß es ihm auch etlicher maſſen noͤthig iſt. 134
  • Vom Kriege. pag. 147
  • Regul. Es iſt vortheilhafftiger / gehen / und den Feind in ſeinem Lande an - fallen / als ihn in unſerm erwarten. 149
  • Regul. Wann man ein Land mit Krieg uͤberzeucht / ſo muß man / wann man kan / ſich alſo fort vor die Haupt-Stadt legen / an ſtatt daß man ſich vor anderen Feſtungẽ auff - haͤlt. 151
  • Von den Kriegs-Liſten. 153
  • Daß ein Kriegs-Haupt beredt ſeyn muß. 160
  • Von der Großmuͤthigkeit. 171
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Wie1
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Wie wir Uns gegen Uns ſelbſt verhalten ſollen.

ES iſt unſtreitbar / daß alle Menſchen insgemein ſich mit ihrem Geiſt in eine warhaffte Ruhe zuſetzen verbunden ſeyn; und diß iſt noch gewiſſer / daß die wahre Gottes furcht der Grund dieſer innerlichen Vergnuͤgung iſt. So daß ein rechtſchaf - ner Mann auß einem ſo allgemeinen Satz ſich ein unveraͤnderlichs Geſetz machen ſoll / nicht nur wegen der Urſachen / die ihn ſo wohl als andere Leute betreffen koͤnnen / ſondern auch weil er noch einige ſonderba - re Gaben vom Himmel empfangen / und weil er / angeſehen daß er mit am Brete ſteht / auch mit guten Exempeln denen jeni - gen / ſo die Augen auff ihn haben / zuſtatten zukommen ſchuldig iſt. Sonſten koͤnnen gar wenig Leute glauben / daß ein Mann / der ſich die Warheit ſeiner Religion nichtAzu2Der vollkommenezu unterſt ins Hertz hinunter ſteigen laͤſſet / eine warhaffte Erbarkeit an ſich haben koͤn - ne / und dieſes iſt gleichwol dieſelbe Erbar - keit / ſo uns bey der Welt in Anſehen und / in Vertrauen bringet / ſie iſt es ſonderlich / die uns zu dem ruhigen Leben / davon wir reden / leitet / dieweil dieſe Ruhe nothwendi[g]im Hertzen wurtzeln muß / und daß ein Hertz unmoͤglich ſtill und ruhig ſeyn kan / wenn ſichs noch immer was ſelbſt fuͤrzuhal - ten hat.

Worinnen die wahre Ruhe der Seelen beſtehet.

JCh bekenne und ſage / daß eine war - hafftige Gottsfuͤrchtige Perſon ſolche Vergnuͤgung genieſſet / dergleichen ſich eine andere nicht leicht einbilden kan / alldie - weil / in Betrachtung daß die Gemuͤths - Bewegung / ſo in ihr die Oberhand hat / eine Liebe iſt / die ihr Liebſtes ſuchet droben uͤber allen erſchaffenen Dingen: Jhr Hertz / welches ohne den Himmel nicht le - ben will / hoch erhaben iſt uͤber alles / das ſich auff dieſem Erdboden begeben kan. Es laͤſt ſich weder von Reichthum / noch vonHo -3Welt-Mann.Hoheiten / noch auch von den ſuͤndlichen Luͤſten durchauß nicht einnehmen. Es laͤſt ſich weder von dem Verluſt der Guͤter / noch von dem Abgang der Geſundheit gantz nicht bewegen / und reget ſich nicht weder im Gluͤck noch im Ungluͤck. Der Tod ſelb - ſten / welcher den meiſten Leuten ſo erſchroͤck - lich in die Augen leuchtet / wird von einem Menſchen / der der Welt nicht anhaͤngt / betrachtet als das Ende ſeines Elendes / und als ein Durchzug in ein gluͤckſeeliges Leben.

Aber an ſtatt daß wir uns in dieſer Ma - terie / ſo wir denen Geiſtlichen laſſen ſollen / lange auffhalten / laſſet uns ein wenig menſchlicher reden von dem Gluͤck deß Menſchen / laſſet uns durchſuchen / worin - nen es beſtehet / und durch welches Mittel man ſichs kan zuwege bringen.

Der meiſte Theil der Leute / ſo eine ſehr lebhaffte Vermiſchung der Lebens-Feuch - tigkeiten in ſich haben / faſſen geſchwinde Reſolution. Sie bilden ſich ein / die Gluͤckſeeligkeit dieſes Lebens beſtehe bloß darinnen / daß ſie vergnuͤgen die jenige Ge - muͤths-Bewegung / ſo in ihrem Hertzen am meiſten zubefehlen hat. Ein ſehr ver -A 2lieb -4Der vollkommeneliebter Liebhaber trachtet nach nichts als nach der Beſitzung ſeines Geliebteſten. Er ſolte allen Reichthum / alle Hoheiten / ja ſeinen eigenen Ruhm verachten / wenn er nicht alle dieſe Dinge betrachtete / als Mit - tel / die ihm koͤnnen nuͤtzlich ſeyn umb ſich bey der geliebten Perſon beliebt zumachen: aber wann er dieſen Gluͤckſeeligkeiten abſa - gen muß / umb einer Liebſten zufolgen / wann er fort und ſich mit ihr in einer Wuͤ - ſten verſtecken ſoll / da wird er alles mit Luſt verlaſſen / und ſich entſchlieſſen mit einem Verliebten / deß in Klelia gedacht wird:

Zugraͤntzen ſeine Luſt mit Iris zahrten
Schooß /
Zu leben mit Iris in einer tieffen Ruhe /
Und ferner unbemuͤht / was auch die
Welt noch thue.

Allein mitlerweile daß dieſer gluͤckſeelige Verliebte in der Einſamkeit / welche er zu ſeinem Auffenthalt erwehlet / mit ſolcher Suͤſſigkeit lebet / und daß er ſich nicht ein - mal die Zeit nimbt an alles das / ſo er ver - laſſen / zugedencken / wird ein Ehrgeitziger mit dieſer Lebens-Art / die er vor allzu fin - ſter und einem tapffern Hertzen unanſtaͤn -dig5Welt-Mann.dig ſchaͤtzen wird / mitleiden haben. Er wird mehr Glantz in dem Ruhm / den er erwer - ben will / finden / als in dem Geſichte einer ſchoͤnen Perſon / und wird glauben / daß die Gunſten deß Gluͤcks mehr Safft und Krafft haben / als die Gunſten einer Liebſten.

Unterdeſſen muͤſſen wir ſagen / daß weder die Hoheiten ein ehrgeitzig Hertz vollkoͤm̃ - lich vergnuͤgen koͤnnen / noch daß ein Ver - liebter ſchlechter dings koͤnne gluͤckſeelig ſeyn in dem bloſſen Beſitz ſeines Geliebte - ſten. Dann endlich umb recht durchauß vergnuͤgt zuſeyn / iſt noͤthig / daß man von aller Furcht befreyet ſey; daß man verſichert ſey / man werde ſein Gluͤck nicht auß den Haͤnden verliehren. Unterdeſſen zweifelt niemand / daß nicht eine Kranckheit / in wel - che die geliebte Perſon fallen wird / uns mit ſteter Unruh peinige / daß ihre Untreu uns nicht mit unertraͤglichem Verdruß quaͤhle / und daß ihr Tod uns nicht alle Augenblick in eine toͤdtliche Bekuͤmmernuͤß ſtuͤrtzen koͤnne.

Der Ehrgeitzige iſt auff ſeiner Seite eben ſo wenig ſicher. Das Gluͤcke / deſſen Unbe - ſtaͤndigkeit uns bekandt iſt / braucht nur ei -A 3nen6Der vollkommenenen Augenblick umb ihn abzuſetzen / es gibt dem Rade nur einen Stoß und ſtuͤrtzet ihn herab von dem Orte / auff welchen es ihn vielleicht nicht erhoben haͤtte / wann es nicht gewolt / daß ſein Fall deſto gefaͤhrlicher ſeyn ſolte.

Was den Reichthum belanget / den koͤnnen wir vor unſer hoͤchſtes Gut nicht halten / nicht nur weil er ſich mit Muͤhe er - werben und behalten laͤſt / wie der meiſte Theil der andern Guͤter / ſondern weil er nicht anders iſt / eigentlich zureden / als ein Mittel / durch welches wir die Dinge / ſo wir noͤthig haben / herbey ſchaffen koͤnnen: alſo daß er weniger gilt / als die Guͤter / vor welche wir ihn taͤglich außgeben.

Die Geſundheit / ich bekenne es / iſt noͤ - thig zur Gluͤckſeeligkeit / die wir ſuchen; al - lein man muß auch mitein ſtimmen und ſa - gen / daß ſie allein nicht gnug iſt / umb uns gluͤckſeelig zumachen / dieweil wir alle Tage ſehen / daß Leute / die friſch und geſund ſeyn / gleichwol ſehr elend ſind.

Aber daß ich euch nicht auffhalte in einer Materie / die ſo wohl von den alten als von den neuen Weltweiſen ſehr weitlaͤufftig außgefuͤhret worden / wil ich nur ſagen / daßein7Welt-Mann.ein Menſch warhafftig kan glückſeelig genennet werden / wofern er in Genieſ - ſung der jenigen Lüſte / ſo ihm ſo - wohl zur Seele / als zum Leibe ge - deyen koͤnnen / lebet. Durch diß Wort Gedeyen ſiehet man wohl / daß ich nicht allein die verbotenen Luͤſte außſchlieſſe / zu - ſambt denjenigen ſo der Geſundheit ſcha - den koͤnnen / ſondern auch daß ich gewiſſe Luͤſte verſtehe / ſo dieſen Perſonen beſſer bey - kommen / als andern / entweder wegen ihres Gebluͤtes / oder wegen ihres Standes und ihrer Wuͤrde. Es iſt in Warheit nicht genug / daß ein Printz wohl gewachſen ſey / klug und tapffer / daß er Geſundheit und Tugend habe / alldieweil mit allen die - ſen Vortrefflichkeiten er dennoch wird un - gluͤckſeelig ſeyn / wann er ſich nicht in dem Stande befindet / daß er ſeine Laͤnder ver - theidigen / und ſeine Feinde abhalten kan.

Ein Soldat und ein Weltweiſer wer - den niemals einerley Luͤſte haben: Und ein alter melancholiſcher Mann wird ſich vor der Welt verſtecken und auff das Nach - gruͤblen legen / an ſtatt daß ein junger Menſch / der die Geſellſchafft liebet / in der Einſamkeit / wo er ſich hinverwieſẽ ſehe / kei -A 4nen8Der vollkommenenen Schmack finden wuͤrde. Wir wol - len weiter gehen und ſagen / daß die Haupt - Luſt / ſo wir genieſſen koͤnnen / ohne Zweiffel die Luſt der Seelen ſey / und daß dieſe reine und kraͤfftige Luſt von keinem andern Din - ge / als von der Tugend koͤnne zur Welt ge - bracht werden. Laſſet ſehen / ob wir koͤn - nen ſagen / worinnen dieſe Tugend beſtehe / die jederman auff der Zunge hat / davon man ſo viel redet / und ſo wenig weiß.

Von der Tugend.

ES iſt nichts in der Welt / das ſo hoch gehalten wird als die Tugend; Es iſt auch nichts / deſſen Weſen man weniger zu - erklaͤren weiß. Gewiß was in einem Lande Tugend iſt / kan in einem andern vor ein La - ſter gehalten werden / ja wir ſehen noch dar - zu / daß die Thaten gelobt oder geſcholten werden / wornach die Perſonen / ſo ſie thun / dem Geſchlechte oder dem Stande nach unter ſich ſelbſt unterſchieden ſind. Ein Mann / der das Evangelium predigt / muß die Beleidigungen verzeihen; welche ein Soldat offt nicht einſchnupffen doͤrffte / wann er nicht wolte vor eine Memme ge -halten9Welt-Mann.halten werden. Und betreffend den Unter - ſchied des Geſchlechts / ſo hat man wenig Frauen geſehen die ſich mit Waffen haͤtten wollen ein Anſehen machen / wie wir taͤglich ſehen / daß der meiſte Theil der Maͤnner ſich groß machen / dadurch daß ſie ſich in einer Schlacht hervor thun. Al - lein laſſet uns auch die unterſchiedlichen Meinungen der Voͤlcker in Augenſchein nehmen.

Gewiß iſts / daß alle Nationen vor einen Satz der natuͤrlichen Billigkeit gehalten / daß die Kinder ihre Vaͤtter lieben und eh - ren ſollen. Nichts deſtoweniger hat man in dieſer allgemeinen Ubereinſtimmung be - mercket / daß die Arten dieſer Liebs - und Ehren-Bezeugung ſehr unterſchieden / ja ſo gar einander unter ſich zugegen ſeynd.

Unſere Vorfahren / wie auch ihre Nach - baren / haben allezeit geglaubet / daß eines Kindes Schuldigkeit ſey / derer jenigen / ſo es auff dieſe Welt gezeuget / zupflegen biß an ihr Ende / und folglich ſie zu Grabe zu - bringen. Es wuͤrde ein Kind einen Vat - ter-Mord begangen haben / wann es ſeinem Vatter das Leben genommen haͤtte / und wann er auch noch ſo alt und noch ſo ſehrA 5von10Der vollkommenevon der Kranckheit mitgenommen waͤre. Gleichwohl leſen wir in der Hiſtorie / daß uns die Scythen vor grauſam hielten / weil wir unſere Eltern der Marter / in wel - cher wir keine Geneſung ſehen / nicht uͤber - huͤben. Sie hieltens vor ein liebs und ſee - ligs Werck / ihren Eltern vollends das Liecht außblaſen / und noch mehr / an ſtatt daß ſie ihre Leiber verbrennen oder begraben ſolten / aſſen ſie dieſelben / entweder umb ih - nen ein umb ſo viel deſto ehrlicher Begraͤb - nuͤß zumachen / oder umb ihnen das Leben gleichſam wieder zugeben / indem ſie die - ſelben in ihr eigen Weſen verwandelten.

Wird man ſich nach dieſem Exempel wohl verwundern / wann viel groſſe Maͤn - ner vor alters geſagt / daß man die Tugend nicht lehren koͤnte / dieweil ſie eben ſo unter - ſchiedlich waͤre als die Gewonheit / und daß ſie in einem Augenblick ſich veraͤndern koͤn - te / wornach ſie von den Umbſtaͤnden ent - weder verſichert oder gefaͤllet wuͤrde.

Nichts deſto weniger koͤnnen wir uns hierin vergleichen / daß es Tugends-Ein - bildungen gibt / ſo von allen Voͤlckern ins - gemein angenommen ſind / als da ſind dieſeSaͤtze:11Welt-Mann.Saͤtze: Daß die Kinder nothwendig die jenigen Perſonen ehren muͤſſen / von denen ſie das Leben empfangen; daß eben dieſe Perſonen ſorgen muͤſſen vor die Aufferzie - hung ihrer Kinder / und daß die Untertha - nen ihren Obern gehorchen. Wahr iſts / daß alle Nationen einerley Meinung nicht auff einerley Art zu Wercke gerichtet ha - ben. Die Scythen / wie geſaget / bezeigeten ihren Vaͤttern die Kindliche Schuldigkei - ten mit ſolchen Thaten / ſo die Griechen und Roͤmer mit Todtes-Straffe belegten. Zu Sparta zog man die Kinder weit an - ders auff / als zu Perſepolis. Und betref - fende den Gehorſam der Unterthanen ge - gen ihre Obern / ſo iſt derſelbe weiter oder enger geſpannet / wornach die Herrſchaff - ten / und die Grund-Geſetze / ſo man dar - bey beobachtet / unterſchiedlich ſind. An ſtatt daß wir alſo uns bemuͤhen ſolten / die Tugend insgemein zubeſchreiben / wollen wir derſelben unterſchiedliche Arten durch - ſuchen / und ſie als abſonderliche Tugenden betrachten / welche in einem Mittel-Weg be - ſtehen / davon die zu beyden Seiten ablauf - fenden die Laſter machen.

A 6Von12Der vollkommene

Von der Klugheit.

VJel groſſe Leute haben vernuͤnfftig dar - vor gehalten / daß die Klugheit nicht eigentlich eine Tugend ſey / ſondern daß ſie ſich einem Liecht vergleiche / deſſen man ſich bedienen muͤſſe / umb wol außzuſuchen / worin dieſe vernuͤnfftige Mittel-Straſſe / welche die Tugend erfordert / beſtehe. Ge - wiß wann die Klugheit thaͤte / wuͤrde ein Mann / der freygebig ſeyn wolte / entweder im Geitz hangen bleiben / oder biß zur Ver - ſchwendung fort ruͤcken / weil er die Ge - ſchencke / ſo er thun wuͤrde / nach ſeinen Mit - teln eben ſo wenig als nach den Perſonen / einzurichten wiſſen wuͤrde. Darumb hat man auch die Klugheit das Auge der See - len genennet / dieweil wir die Augen nicht viel noͤthiger haben / uns zu leiten / als noͤ - thig die Seele der Klugheit hat zur Leitung ihrer Gemuͤths-Bewegungen / wann ſie will / daß ſie nicht uͤberſchlagen in Laſter / als die Tapfferkeit in Trunckenheit / und die Gottes furcht ſelbſt in Aberglaube. Laſ - ſet uns gleichwol ſagen / nach der gemeinen Meinung / daß die Klugheit eine Tugendiſt /13Welt-Mann.iſt / und zwar eine ſolche Tugend / die allen andern ſoll vorgehen. Ein groſſer Welt - weiſer ſagt / daß ſie ſey eine Fertigkeit / ver - mittelſt der Vernunfft das Gute von dem Boͤſen zu unterſcheiden / umb wohl zuleben. Das Wort Fertigkeit gibt uns zuver - ſtehen / daß die Klugheit uns nicht eben ſo natuͤrlich zukombt / ſondern daß man ſie durch die Welt-Geſchaͤffte / welche ſich alle Augenblick verſtellen nach Unterſchied der Umbſtaͤnde / ſich zuwege bringen koͤnne. Das iſt wahr / daß ein von Natur heiterer und ſcharffſinniger Geiſt ſich beſſer zur Klugheit ſchickt / als ein thummer Menſch / gleichwie ein ſtarcker Kerl bequemer iſt / etwas tapffers zuverrichten / als ein ſchwa - cher. Gleichwohl muß auch die Klugheit / ſo ein guter Kopff gewinnet / nicht ſo gar allein geiſtig ſeyn; ſie muß mit in die Tha - ten ſpazieren / ſonſt kan man ſagen / daß ſie mehr ſchadet als nutzet. Jch kenne Leute / die ſich ein uͤberauß groß Anſehen machen / wann ſie von den Geſchaͤfften der Welt reden / und die man dennoch bedauren muß / wann man ſie ſiehet die ihrigen verrichten; Es waͤre zuwuͤnſchen / daß ihr Geiſt nicht ſo weit außſpazierte / ſondern daß er lieberA 7ein14Der vollkommeneein wenig mehr zu Hauſe bliebe. Jch wolte ſie machtens nicht / wie der beruͤhmte Thales, welcher mit den Augen im Geſtirne hinge / und den Brunnen zu ſeinen Fuͤſſen / in welchen er ungluͤcklicher Weiſe ſtuͤrtzete / nicht bemerckete.

Von der Staͤrcke.

DJeſe Tugend muͤſſen wir ein wenig nach der Laͤnge durchnehmen / weil ſie unter ſich die Tapfferkeit begreiffet / als welche die Oberherſcherin ſeyn muß in dem Manne von dem wir ſchreiben. Die Staͤr - cke insgemein betrachtet / iſt eine Lebhafftig - keit der Seelen / welche uns neiget / wackere Thaten zuthun / indem man alle Schwuͤ - rigkeiten / ſo ſich darwider legen koͤnnen / uͤber einen Hauffen wirfft. Aber wann wir die Staͤrcke betrachten / als waͤre ſie das / was wir Tapfferkeit nennen / koͤnnen wir ſagen / daß ſie eine Leitung unſrer Hertzhaf - tigkeit iſt / welche / indem ſie uns gleich weit von der Feigheit und von der Thumkuͤhn - heit entfernet / uns auff die Spuhre nach dem Ruhme bringet mitten durch alle Ge - fahr / die uns auff unſrẽ Wege kan zuſtoſſen.

Gleich -15Welt-Mann.

Gleichwol darff man ſich nicht einbil - den / es beſtehe die Staͤrcke darinnen / daß man nichts fuͤrchte / ſondern darinne / daß man nichts ohne Urſache fuͤrchte. Jch darff wohl weiter gehen und ſagen / daß die Furcht einer groſſen Hertzhafftigkeit gar nicht verbothen iſt / ja noch darzu / daß es rathſam iſt / daß ſie die boͤſen Faͤlle / ſo ſie ſich ſelbſten verurſachen kan / befuͤrchte / auff daß ſie die Vorbauungen / die ſie richtig ha - ben kan / nicht verabſaͤume. Jederman ſtimmet hier uͤberein / daß der Krieg ein Platz iſt / wo ſich die Tapfferkeit meiſten - theils und am allerherꝛligſten herumb tum - let: Dennoch muß man auch bekennen / daß man bey vielen andern Gelegenheiten ſich feſt und tapffer erzeigen koͤnne. Die / ſo geſund urtheilen / gehen weiter und ſagen / daß mehr Staͤrcke erfordert wuͤrde / umb den Tod nicht zufuͤrchten / wann wir die Zeit haben / ihn zuſehen gegen uns an - marſchiren mit ſo vielen Umbſtaͤnden / die ihn koͤnnen ſchroͤcklicher machen / als zu der Zeit / da wir in der Hitze einer Schlacht un - ſer Leben feil bieten. Und in Warheit / wann wir einer gefaͤhrlichen Gelegenheit unter die Augen gehen / ſo bilden wir unsſteiff16Der vollkommeneſteiff und feſte ein / daß der Tod / ſo uns da begegnen wird / uns nichts anders als Ruhm mitbringen koͤnne / und weiter ha - ben wir nicht mehr Zeit zugedencken / der - maſſen ſind wir vom Geſchrey vertaͤubet / vom Staube verblendet / vom Zorne er - hitzet / und von der Begierde / ſo wir haben uns vor andern ſehen zulaſſen / entzuͤcket. Aber wenn wir im dunckeln ſterben / oder daß man uns deß Lebens unbillig beraubet / wann wir dann ohne Zublitzen und mit ei - ner vollkommenen Freyheit deß Geiſtes / ohne daß ſich unſere Seele daruͤber bewe - ge / unſerm Ungluͤcke koͤnnen in die Augen ſehen / da thun wir weit reinere und weniger argwoͤhnliche Proben der Hertzhafftigkeit / als oͤffters in der Schlacht. Auch weis man viel Arten falſcher Tapfferkeit: Die erſte iſt die Tapfferkeit / ſo uns von den Ge - wonheiten deß Landes / worin wir leben / eingeblaſen wird. Man ſahe hiebevoren zu Sparta / und folgends zu Rom / da es noch in bluͤhendem Zuſtande war / keinen Buͤrger / der ſich nicht tapffer hielte / wenn es gelten ſolte / umb ſich vors Vatterland fehen zulaſſen: dieweil die meiſten Geſetze dieſer zwey beruͤhmten Herrſchafften dahinihr17Welt-Mann.ihr Abſehen hatten / damit man die Tapf - ferkeit beehrete und ſie mit anſtaͤndigen Vergeltungen verſahe; da man hingegen die Feigheit mit Straffe und mit allerley Unehre belegete. Man lies darein mit ver - faſſen / es waͤre beſſer Leben verlohren als Ehre / und daß ſolche Leute / ſo in der Schlacht ihre Schuldigkeit verabſaͤumetẽ / eine Schande ein zuſchlucken haͤtten / wel - che ihnen weit uͤbeler bekommen wuͤrde / als der Tod ſelbſt. Wann ſonſten dieſe Mem - men unter ihre Verwandten und Freun - den / welche alle glaͤntzeten von Ruhm / zu - ruͤck kommen / wurden ſie von ihnen auffs aͤrgſte verſpottet und verachtet. Das iſt die ſchoͤne Regul / die den Roͤmern ſo viel Triumpfe faſt uͤber den meiſten Theil des Erdbodems / in die Haͤnde geſpielet hat. Und wir ſehen bey den Poeten und bey den Geſchichtſchreibern / daß manche Krieger / ob ſie ſchon in der That ſehr tapffer waren / bißweilen noͤthig gehabt / ſich dergleichen Gedancken zumachen / umb mit weniger Widerwillen einer harten Gefahr den Kopff zubieten. Hector / bey Homeren / wil ſich lieber mit Achillen in einen Zwey - Kampff einlaſſen / als ſich nach Troja zu -ruͤcke18Der vollkommeneruͤcke ziehen / nachdem er einige Truppen verlohren / die er / Polydamas zuwider / in ein Handgemenge gebracht / und fuͤrchtet mehr der Trojaner Vorwurff / als der Griechen Tapfferkeit. Es gibt auch eine Art von Tapfferkeit / ſo man durch die Er - fahrung lernet. Denn wir ſehen / daß Leute / ſo gefaͤhrlicher Gelegenheiten gewohnet ſind / darfuͤr nicht halb ſo ſehr erſchrecken / und daß ſie / an ſtatt ſtracks Feuer zu fangen / feſt und beſtaͤndig ſcheinen / entweder weil ſie wiſſen / daß es keine Noth hat / oder daß ſie wohl wiſſen ihr Voͤrtelgen in Acht zuneh - men / wann ja ein harte Nuß auff zubeiſſen waͤre. Alſo wird ihnen der Sieg mehr von ihrem Verſtande / als von ihrer Hertzhaff - tigkeit / und mehr von ihrer Verſchlagen - heit / als von ihrer Tapfferkeit zugeſchantzet. Dieſes Verfahren iſt noch weit loͤblicher / als wann man auß Unwiſſenheit der Ge - fahr thumkuͤhn eintappet. Dann das iſt ge - wiß / daß wann neugeworbene Soldaten offt ſich fuͤrchten ohne Urſach / ſie auch offt denen groͤſſeſten Unterfangungen entge - gen gehen / ohne daß ſie verſtehen / wie es da - mit ablauffen werde. Deßwegen iſts doch bißweilen gar gut / daß wir nicht eben umbdie19Welt-Mann.die gantze Gefahr / in die wir uns wagen / wiſſen. Und deßwegen halten die Kriegs - Generalen mit groſſer Sorge ſolche Din - ge geheim / die ihren Voͤlckern irgend eine Furcht einjagen koͤnten / in dem ſie ihnen einbilden / daß der Feind nicht ſo ſtarck und auch nicht ſo ein guter Soldat ſey als ſie.

Das iſt auch gantz außgemacht / daß der Zorn unſre Hertzhafftigkeit anhetzet und ſie mit groͤſſerer Hitze auff den Feind / den ſie anfallen will / wirfft. Er verhindert uns auff das Unheil / ſo uns begegnen kan / ein Auge zuſchlagen / woferne er nur ſich mit Luſt zuraͤchen einige Gelegenheit findet. Wir ſehen bißweilen / daß von Natur ſonſt furchtſame Thiere endlich gleichſam raſend werden / wann ſie von dieſer Bewegung ge - trieben werden. Nichts deſtoweniger muß man hierin miteinig ſeyn / daß er keine warhaffte Tapfferkeit zuwege bringen koͤn - ne / alldieweil ein Menſch / der nicht eher tapffer waͤre / biß ihm der zu Huͤlffe kaͤme / alle Augenblicke in der Gefahr ſtehen wuͤr - de / in eine Feigheit zugerathen / auß wel - cher er keinen Weg / als durch Antreibung einer ſo hefftigen und fluͤchtigen Bewe -gung /20Der vollkommenegung / finden koͤnte. Es gibt noch andere Bewegungen / welche auch die aller zaghaff - teſten in Harniſch bringen koͤnnen. Die Liebe und der Ehrgeitz weiſen uns alle Tage / daß / wann ſie in einem Hertzen uͤberhand nehmen / ſie darinnen eine Kuͤnheit erwe - cken; daß der Geld-Geitz den Menſchen / den er beſitzet / umb ſeine Schaͤtze zuverthei - digen / in Lebens-Gefahr ſetzet. Ja daß die Furcht ſelbſt / wie es die Hiſtorie an unter - ſchiedenen Orten bezeuget / eben die Wuͤr - ckung thut / als die Kuͤnheit / indem ſie uns dem gewaltſamen Tode in die Armen ja - get / auß Furcht in ein Unheil zugerathen / welches wir unertraͤglicher ſchaͤtzen / als den Tod ſelbſten.

Alſo muͤſſen wir bekennen / daß / wann wir von einer ungeſtuͤmen Bewegung getrieben einige herrliche That thun / wir eben ſo wenig vor rechte Tapffere koͤnnen gehalten werden / als ein Menſch / der nach - dem er uͤbermaͤſſig getruncken / in der Hitze der Vollerey einige ungewoͤhnliche That thaͤte. Dann wann man will tapffer ſeyn / muß man ſtets in ſolchem Stande ſeyn / daß man ſeine Tapfferkeit weiſen koͤnne. Ein andrer / der nicht eher ein Held iſt / alswann21Welt-Mann.wann ihm entweder der Wein die Ober - Stube hat eingenommen / oder wann ihn die Ungeſtuͤmigkeit einer gewaltthaͤtigen Bewegung auff den Eſel bringt / laͤſt gleich nach / ſich tapffer zuhalten / ſobald er wieder zu der natuͤrlichen Beſchaffenheit ſeiner Bluts-Vermiſchung heim kombt.

Allein laſſet uns doch im Vorbeygehen die beruͤhmte Frage ein wenig mitnehmen / nemlich / Ob die Leute ſo ſich ſelbſt den Tod angethan / umb ihrem Elende ein End zu - machen / recht tapffer geweſen ſeyn; oder ob man ſagen kan / daß ſie mit einer ſcheinba - ren Tapfferkeit ihre warhaffte Zagheit be - deckt haben. Viel von den Alten haben die - ſe Thaten gelobet / worauß man ſchlieſſen muß / wie viel Leute ſich von dem Glantze verblaͤnden laſſen. Aber mich daͤucht / Mar - tial gibt der Sache einen guten Außſchlag / wann er ſaget: Wanns uͤbel gehet / ſo iſts eine ſchlechte Kunſt / das Leben verachten: der iſt ein tapffrer Mann / der elend ſeyn kan.

Ja wann man nichts mehr betrachtet als den Tod / dem ſie in die Arm ſpringen / ſo ſcheinet einem das Anſehen einer herrli - gen Kuͤnheit trefflich in die Augen. Alleinwann22Der vollkommenewann man weiter gehet / und beſiehet die Ur - ſach ihres Tods / ſo bemercket man / daß ſie von der Furcht zum Tod geleitet werden / und daß alſo / wie ſie dem Augenſchein nach tapffer pralen / ſie in der That und Warhei[t]eben ſo feige und verzagt ſeynd.

Auß den Unterſchiedlichkeiten / die wir allweil angefuͤhret / erhellet gnugſam / daß die warhaffte Tapfferkeit ſehr ſeltſam iſt / und daß mancher ſich ſchmeichelt mit ihrem Beſitz / der doch nicht mehr als den Schat - ten darvon hat.

Jch gehe wohl noch weiter / und weil ich die Tapfferkeit als eine Tugend betrachte / traue mir zuſagen / daß die beruͤhmteſten Kriegs-Helden in den vergangenen Zeiten mit Recht nicht haben darvon moͤgen ge - lobt werden. Was konte Alexander vor Urſache haben / mit Feuer und Schwert in die Laͤnder zudringen / da man auch nie - mals ſeinen Namen hatte nennen hoͤren? Und folgends unter den Roͤmern / was konte Cœſar vor Recht haben ſein Vatter - land der Freyheit zuberauben?

So muß man dann bekennen / daß die Eroberungen einen rechtmaͤſſigen Grundhaben23Welt-Mann.haben muͤſſen / und daß ſie anders vor nichts als vor unrechtmaͤſſige Einnehmun - gen koͤnnen gehalten werden. Alſo ſehen wir noch dieſe Stunde / wie ein groſſer Herr / ehe er ſeine Waffen in ein Land ſetzet / die Gerechtigkeit ſeines Feldzugs zuvor der gantzen Welt dar zuthun geſchaͤfftig iſt.

So viel haben wir rathſam gehalten zu - reden von einer Tugend / welche die Tu - gend der meiſten rechtſchaffenen Leute ſeyn muß / und die / weil ſie mehr Glantz hat als die andern / ohne Zweiffel auch einen ſchoͤ - nen Ruhm gibt. Das wenige ſo ich vor ſie ſpreche / darff niemanden frembd vorkom - men; Dann gleichwie faſt keine Herrſchafft iſt / die nicht einen Krieg habe / oder haben koͤnne / als hat man denen hohen Kriegs - Haͤuptern mehr Ehre beylegen wollen / als der hohen Obrigkeit ſelbſt / ſowol deßwegen weil die Tapfferkeit denen Voͤlckern gemei - niglich uͤberauß groſſen Nutzen ſchafft / in - dem ſie dieſelben entweder vertheidiget oder mit eroberten Plaͤtzen bereichert; als auch / weil man keine tapffere Thaten thun kan / es ſey dann daß man ſich oͤffter und tieffer in die Gefahr begebe / als man bey andern Tugenden nicht noͤthig hat. Auff der an -dern24Der vollkommenedern Seiten kan auch ein hohes Kriegs - Haupt nicht warhafftig tapffer ſeyn / wann er nicht auch zugleich die andern Tugen - den / ſo wir die Vornehmſten nennen / beſitzet. Und gewiß / muß er nicht noth - wendig klug ſeyn / umb alle Vorſehungen / ſo ihm die Umbſtaͤnde der Zeiten und der Oerter an die Hand geben koͤnnen / zuthun? Muß er nicht die Gerechtigkeit in der Kriegs-Zucht genau handhaben laſſen? So er nicht eingezogen iſt / und daß er un - ter ſeinen Voͤlckern nicht uͤber der eingezo - genen Maͤſſigkeit halten laͤſt / ſiehet er nicht wie bald ſeine und ſeiner Soldaten Hertz - hafftigkeit von den Luͤſten erweichet wird?

Von der Maͤſſigkeit.

DJe Tugend / davon wir reden / hat mit den Luͤſten und mit den Unluͤſten zuthun / daß ſie dieſelbe in ein Geſchicke brin - ge. Die Luͤſte ſind theils geiſtig / theils leib - lich: Sie moͤgen aber ſeyn von was Art ſie wollen / ſo muͤſſen ihnen von der Maͤſſig - keit gewiſſe Schrancken geſteckt werden. Ein Mann / ſo ſich allzuſehr auff das Nachgruͤbeln einer Wiſſenſchafft legenwuͤrde /25Welt-Mann.wuͤrde / die ihm doch nicht eben anſtuͤnde / wuͤrde weniger Lob als Schelten verdie - nen. Ein Haußvatter wuͤrde ſehr uͤbel thun / wann er ſich durch die Nachſuchung in einer unnuͤtzen Sorgfaͤltigkeit / von ſei - ner Haußhaltung abhalten lieſſe. Und ein Koͤnig / der die Regierung ſeiner Voͤlcker und ſeiner Armeen hindan ſetzte / umb ſich eine groſſe Wiſſenſchafft in geiſtlichen Din - gen zuwege zubringen / wuͤrde warhafftig verdienen daß man ihm vorwuͤrffe / was von den heutigen gar zierlich angebracht wird: Großmaͤchtiger Herr / ſchaͤmt ihr euch nicht ſo gelehrt zuſeyn? A - ber wann ſichs bißweilen zutraͤgt / daß wir der Maͤſſigkeit uns bedienen muͤſſen / umb die Luͤſte des Geiſtes in Ordnung zubrin - gen / geſchicht es faſt alle Augenblick / daß uns dieſe Tugend noͤthig iſt umb die Luͤſte der Sinnen / und abſonderlich die / ſo mit der Liebe und mit dem Wohlleben umb - gehen / im Zaum zuhalten. Jch will nicht eben ſagen / daß wir den Sachen nicht auch koͤnten zuviel thun / wann man die Dinge / ſo den Augen / den Ohren und der Zun - gen ſchmeicheln koͤnnen / allzugenau auff - ſuchen wolte. Endlich ſind doch die Be -Bwe -26Der vollkommenewegungen / welche den Geſchmack und das Fuͤhlen zuvergnuͤgen geneigt ſind / uns weit ſchaͤdlicher / alldieweil ſie nicht allein uns groͤſſere Unkoſten verurſachen / ſondern weil ſie auch in einem Huy unſere Geſund - heit zu ſambt Ehr und Reputation koͤnnen uͤber einen Hauffen ſchmeiſſen. Die Maͤſ - ſigkeit baͤndiget den Schmertz eben ſo wohl als die Luſt / nur daß ſie denſelben nicht auff eben die Art tractiret als die Staͤrcke thut. Die Staͤrcke ſiehet dem Schmertzen recht in die Augen / und beut ihm den Kopff mit Stand - und Hertzhafftigkeit / er ſey von was Art er immer wolle: an ſtatt daß die Maͤſſigkeit ſich eigentlich nicht bekuͤmmert als wie ſie den Schmertzen maͤſſigen wolle / den wir fuͤhlen / weil wir uns der Wohlluſt / ſo wir auffgeſucht hatten / beraubet ſehen / oder wegen der Ungedult / die wir empfin - den koͤnnen / wenn wir derſelben zugenieſ - ſen gedencken. Das iſt gewiß / daß das Mittel / deſſen ſich die Maͤſſigkeit bedienen kan / alle dieſe Unruhe mit Stumpff und Stiel auß zureuten / dieſes ſey / daß ſie arbei - te umb unſere Begierden zubezwingen / es moͤgen dieſelben entweder natuͤrlich ſeyn / als zurſſen und zutrincken / oder ſie moͤgenauch27Welt-Mann.auch nicht-natuͤrlich ſeyn / als wann wir Begierde und Verlangen zu Ehr und zu Reichthum haben.

Von der Gerechtigkeit.

DJe Gerechtigkeit kan man die Koͤni - gin der Tugenden nennen / weil ſie warhafftig die andern alle in ſich begreifft / und weil noch darzu die meiſten von den Tugenden unnoͤthig ſeyn wuͤrden / wann jederman ſich befliſſe / all ſein Thun nach dieſer genau anzuſtellen. Gewiß / wie ſie einem jedweden geben laͤſt was ihm zu - kommt / wuͤrden wir nicht warhafftig die rechte Gottes furcht haben / wann wir Gott geben / was wir ihm zugeben ſchuldig ſeyn? wuͤrden wir nicht auch treue Unterthanen ſeyn / wann wir dem Kaͤyſer / ich meine / un - ſerm Obern / geben was ihm zukommt? wir wuͤrden weder Krieg noch Proceſſe zufuͤrchten haben / wann wir andern Leuten nicht thaͤten / als was wir wolten daß ſie uns wieder thaͤten. Und weil das Paradiß das Reich der Gerechten genennet wird / was wuͤrde es vor eine Luſt in dieſer Welt ſeyn / wann die Gerechtigkeit als eine un -B 2umb -28Der vollkommeneumbſchraͤnckte Koͤnigin darinnen herꝛſche - te? Es haben auch viel groſſe Maͤnner ge - glaubet / daß die Gerechtigkeit insgemein betrachtet / nichts anders ſey / als das / was wir unter dem Namen der Tugend begreif - fen. Aber was die particulier Gerechtigkeit betrifft / iſt ſie eigentlich dieſe moraliſche Tu - gend davon wir reden / und die fuͤrnehmlich zweyerley iſt / die theilende und die wechſeln - de / ſonſt diſtributiva und commutativa genen - net. Die erſte beſchencket die guten Tha - ten / ſtraffet die boͤſen / und ſpricht nach der Billigkeit die Guͤter denjenigen zu / die ſie zubeſitzen recht haben. Die andere Gerech - tigkeit iſt die ſo den Handel und Wandel unterhaͤlt im leihen und borgen / im kauffen und verkauffen und dergleichen / und die darauff ſieher / daß man in den Vertraͤgen die Billigkeit beobachtet. Hiebey iſt zu - mercken / daß umb gerecht zuſeyn / es nicht genug ſey einige rechte Dinge entweder auß Ruhmredigkeit / oder auß Furcht / oder auch auß Staats-Klugheit / thun: Dann es verhaͤlt ſich mit dieſer Tugend als wie mit den andern / ſie beſtehen alle in der Fer - tigkeit allezeit zuhandeln und zuverfahren nach den Reguln / die ſie geben.

Von29Welt-Mann.

Von der Freygebigkeit.

DJe Freygebigkeit muß man betrach - ten als eine Tugend / die etlicher maſ - ſen denen Perſonen von hohem Stande zukommt. Die gemeinen Leute koͤnnen tapffer / klug / gerecht / und in ihren Luͤſten maͤſſig ſeyn. Aber wann ſie von Natur freygebig waͤren / koͤnten ſie dieſe Tugend beſitzen ohne daß man es merckte / weil es in ihrer Gewalt nicht ſtuͤnde / dieſelbe herꝛlich außzufuͤhren. Man muß ſich gleichwohl nicht einbilden / daß umb freygebig zuſchei - nen / man muͤſſe geben biß zur Verſchwen - dung / die endlich eine Unbequemlichkeit nach ſich ziehen doͤrffte. Man muß darfuͤr halten / daß die Freygebigkeit eben ſo wenig die Grentzen der Verthuligkeit beruͤhren muͤſſe / als daß man doͤrffe an ſeinem Geld - Geitz hangen bleiben.

Der Geitzige und der Verthuliche ma - chen Haͤndel / daß man ſich ihrer erbarmen muß: Der erſte verſchluckt tauſend Ver - drießlichkeiten / deren er koͤnte uͤberhoben ſeyn. Er iſt bey ſeinem Reichthum arm / dieweil er es eben ſo wenig anruͤhret alsB 3wann30Der vollkommenewann es nicht ſein waͤre. Von der andern Seiten iſt der Verſchwender nicht weni - ger ſtraffwuͤrdig / ob er ſchon dem Freyge - bigen etwas aͤhnlicher ſiehet. Und weil ihn die Geſetze betrachten als einen Menſchen / ſo der Vernunfft beraubt iſt / als verordnen ſie / daß man ihme einen Vormund gebe / eben als einem Unſinnigen. Auch iſt war - hafftig das eine groſſe Thorheit / in kurtzer Zeit und ohne Noth ſolche Guͤter auffzu - reiben / ſo unſre Vorfahren nicht anders als mit groſſer Muͤhe / und offt in ſo viel hundert Jahren erſt zuſammen geſammlet haben. Es iſt gleichwohl nicht genug / daß die Freygebigkeit ſich eben ſo genau halte in den Schrancken / ſo man ihr gelegt. Sie muß noch von vielen Umbſtaͤnden / ſo zu ihrem Weſen gehoͤren / vorgeſellſchafftet ſeyn.

Es iſt noͤthig daß der / ſo giebt / es zu gu - tem Ende thue / wann er recht freygebig ſeyn wil. Dann wann man nur ein Geſchenck thut / umb ein anſehnlichers darvor wie - der zubekommen / ſehe ich nicht / warumb man nicht muͤſſe vor geitzig gehalten werden.

Wir muͤſſen auch wohl das Maß neh -men /31Welt Mann.men / daß wir nicht ſolchen Perſonen geben / die unſrer Wohlthaten gantz unwerth ſind; und woferne ſie derſelben werth ſind / muͤſ - ſen wir unſere Geſchencke wohl abpaſſen nach ihrem und nach unſerm Stande. Ein Printz muß viel herꝛlichere Geſchencke thun als ein Edelman / gleichwohl muß er auch ſeine Wohlthaten nicht ohne Unterſchied außſchuͤtten / und einen ſchlechten Solda - ten eben als einen General beſchencken.

Ein Cyniſcher Weltweiſer / als er den Koͤnig Antigonus umb einen Heller bat / welches ein Geſchenck war / ſo mit der Ar - muth / davon er ſein Handwerck machte / gnugſam uͤbereinſtimmete / antwortet An - tigonus, das waͤre alzuwenig vor einen Koͤnig. Ja ſo gib mir ein Talent / (600. Rthlr.) ſagte der Weltweiſe hin - wiederumb. Ja das iſt zuviel vor ei - nen Cyniſchen / ſchloſſe endlich der Printz.

Antigonus erledigte ſich darmit gar artlich von der Ungeſtuͤmigkeit deß Weltweiſen: Aber ich glaube auch / er haͤtte beſſer gethan / wann er ihm hernach etwas gegeben haͤtte / ſeinem Stande und deß Weltweiſen Zu -B 4ſtande32Der vollkommeneſtande gemaͤß. Wann er ſo verfahren haͤt - te / haͤtte er mehr gegeben / als man derglei - chen Weltweiſen nicht pflegete zugeben / und haͤtte auch weniger gegeben / als ein Koͤnig pflegt / wann er rechtſchaffene Leute beſchencket.

Man muß auch bald geben und ſich das Geſchenck durch ein langes Warten nicht gleichſam abkauffen laſſen. Man muß mit freundlichem verbindlichem Geſichte ge - ben / und bey ſolchen Gelegenheiten ſich er - innern / daß man eben deßwegen die Gra - tien oder Hulden uns mit einem freyen laͤchlendem Geſichte abmahlet / daß wir mit ſo geſtaltem Geſichte ſollen geben lernen.

Man muß auch auff die Beſchaffenheit deß Geſchencks acht haben. Wann es dem / der es haben ſoll / Ehre mitbringen kan / als wann man einen umb eine loͤbliche That etwan beſchencket / ſo geſchicht das am beſten vor ſo viel Leuten / als es immer ſeyn kan. Aber wanns nur geſchicht / ihn in ſeiner Beduͤrfftnuͤß zuerleichtern / da muß man geben auff das geheimeſte / als man kan / ſo daß die lincke Hand nicht wiſſe / was die rechte thut.

Ferner33Welt-Mann.

Ferner ſo muß auch das Geſchenck / ſo man thun wil / ſich ſchicken fuͤr die Perſo - nen / denen man es thun wil. Man wuͤrde einen alten Philoſophen wenig verbinden / wann man ihm einen gantzen Kuͤriß ver - ehrte. Einem Soldaten wuͤrde man zu - ſchaffen machen / wann man ihm Ariſtotelis Opera in Originali verehren wuͤrde. Und einer Frauen wuͤrde ohne Zweiffel angenehmer ſeyn / wañ man ihr eine ſchoͤne Frantzoͤſiſche Spitze ſchenckete / als wann man ihr einen verguͤldten Degen verehrte.

Die Printzen zuſamt den groſſen Her - ren koͤnnen bißweilen wohl einen Schritt uͤber die Freygebigkeit hinauß biß zu herr - lichen Verehrungen thun / damit die Ko - ſten / ſo ſie anwenden / ein Gepraͤge von der Hoheit / dadurch ſie von andern Leuten unterſchieden werden / bekommen: Allein muß man diß insgemein beobachten / daß ein Man ſich niemals uͤber ſein Vermoͤgen und uͤber ſeinen Stand magnifique erzeigen doͤrffe. Der / ſo ein praͤchtig Gebaͤu auff - zufuͤhren ſich unterfaͤnget / ohne daß er uͤberleget / ob ers auch außzufuͤhren vermag / geraͤht zeitlich dahin / daß er mit einem Steinhauffen / den erB 5muß34Der vollkommenemuß ſitzen laſſen / ſich ein Denckmahl ſeiner Unwiſſenheit auffrichtet. Umb magnifique zuſeyn / iſts nicht einmal genug / daß man groſſe Guͤter habe / wann nicht auch der Stand mit uͤberein ſtimmet. Ein Menſch von geringer Geburt / der in weniger Zeit viel Reichthum geſammlet / wird ſich vor - nehmer Leute Spott / und ſeines gleichen Neyd uͤber den Halß ziehen / wann er ſich erkuͤhnet einen Pallaſt zu ſeiner Wohnung auffzurichten. Machiavell da er erzehlet von einem Printzen / deſſen Herrſchafften nicht gar zu anſehnlich waren / ſchertzet uͤber dem Wercke / ſo er ſich unterfangen / einen Platz von groſſem Raume zubefeſtigen / und ſagt / daß er alle ſeine Unterthanen wuͤrde muͤſſen zur Beſatzung hin - ein legen.

Von der Großmuͤthigkeit welches eine praͤchtige Tugend iſt / wollen wir handeln / wann wir vom Kriege reden werden / all - dieweilen man im Kriege mehr / als an - derſtwo / großmuͤthige Leute anzu - treffen pfleget.

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Von35Welt-Mann.

Von der Sanfftmůthigkeit.

DJe Sanfftmuͤthigkeit iſt eine Tu - gend / ſo dem Zorn ein Maß giebt. Allein die Urthels-Krafft muß uns an die Hand geben / auff welche Art man ihn umb - ſchraͤncken muͤſſe / nach den Umbſtaͤnden der Zeiten und der Perſonen.

Ein Printz muß ſich eben ſo wenig in der Sanfftmuth / als in der Grauſamkeit ver - hauen. Wann das letztere von dieſen La - ſtern ihm ſeiner Unterthanen Haß uͤber den Hals ziehet / kan eine all zugemeine und all - zugewoͤhnliche Sanfftmuͤthigkeit eben ſo ſchaͤdliche Wuͤrckungen thun / weil die Hoffnung zur Gnade ſehr offt eine Kuͤhn - heit / alles zuunterfangen / gebuͤret.

Wer ſich beleidigen laͤſt / verdient Belei - digungen / ſagt Mr. Corneille; und der Weltweiſe Seneca ſtimmt mit ein / daß der / der alles verzeihet / eben ſo grauſam ſey / als der / ſo nichts verzeihet. Deßwegen kan wohl ein Printz / ohne daß er einen Staats - Fehler begehet / die ſonderbaren Beleidi - gungen / ſo ihm geſchehen / durch eine zier - liche Sanfftmuth verzeihen / und die Hi -B 6ſtorie36Der vollkommeneſtorie hat uns hieruͤber eine unvergleichliche Antwort von Ludwig XII. hinterlaſſen. Er war erſt Hertzog von Orleans, und kam hernach zur Crone nach Carol. VIII. und als ſeine Geheimſten ihn bereden wolten / er ſolte ſich raͤchen an denen Perſonen / ſo ihm die Wage gehalten hatten / ehe er zum Regiment gekommen / Diß iſt nicht noͤ - thig / ſagte er zu ihnen / daß der Koͤnig von Franckreich deß Hertzogs von Orleans Beleidigungen raͤche.

Wann gantze Provintzien auffſtehen / oder daß gantze Armeen ſich deß Gehor - ſams ihrer Haͤupter entziehen wollen / ſo muß ein Souverain, nachdem er die Rebel - len wieder unter das Joch gebracht / zwar nicht alle ſtraffen / umb ſich ſelbſt nicht zu - ſchwaͤchen / allein er muß auch nicht allen verzeihen / und alſo denen Voͤlckern und de - nen Trouppen eine allzugroſſe Neigung laſſen / einem boͤſen Exempel zufolgen. Die Roͤmer wuſten artlich den zehenden zuneh - men von den Buͤrgern und von den Sol - daten / die ſich einer Rebellion hatten geluͤ - ſten laſſen; und die Staats-Kluge ſtimmen hier uͤberein / daß bey dergleichen Gelegen - heiten man eine Straffe muͤſſe ergehen laſ -ſen37Welt-Mann.ſen uͤber eine kleine Zahl von den Ver - brechern / die gleichwol den uͤbrigen allen einen Schrecken einjage. Deßwegen hat ein Alter geſagt / die Straffe muͤſſe von der Koͤnige Hand kommen / als der Donner von der Hand der Goͤtter. Dieſer ſchlaͤgt nur auff wenig Perſonen zu / und erſchrecket nichts deſtoweniger alle die / ſo ihn entwe - der ſehen fallen / oder die nur den Knall dar - von hoͤren.

Von der Maͤſſigung.

NAchdem wir von den Tugenden ge - redet haben / muͤſſen wir noch ſagen / daß ſie dieſe letzte auch noch in ihrer Geſell - ſchafft haben muͤſſen. Wann ſie ein Menſch alle beſaͤſſe / wuͤrde er damit mehr Haß / als Ruhm und Gunſt gewinnen / wann er ſie den Leuten ſo ruhmredig in die Augen wolte leuchten laſſen; deßwegen muß ſeine Beſcheidenheit derſelben Glantz ein wenig wiſſen zuverbergen. Allein wann wir genau ſagen wollen was dieſe Tugend iſt / wird es eben nicht ſo gar leicht zuthun ſeyn / weil Ariſtoteles in ſeiner Be - ſchreibung ſie ſich gantz anders eingebil -B 7det38Der vollkommenedet zuhaben ſcheinet / als wir ſie uns einbil - den. Er ſagt ſchlecht weg / daß ſie zwiſchen einer allzugroſſen Ehrſucht / und zwiſchen einer allzugroſſen Abneigung von den Ho - heiten und Ehren / mitten inne ſtehe. Und wie man nicht genau ſagen kan / wieweit es vergoͤnnt iſt mit dieſen zwo widrigen Ge - muͤths-Bewegungen zugehen / alſo iſt es auch nicht weniger unmoͤglich die Gren - tzen / ſo die Beſcheidenheit umbzircken ſol - len / zulegen. Wir koͤnnen bißweilen auff ſolche Gelegenheiten ſtoſſen / die uns auff - blaſen / und die uns einen Sinn eingeben / daß wir nach Dingen trachten wornach wir uns ſonſten nicht pflegen zuſehnen. Ob ſich nun wohl zu ſolcher Zeit gewiſſe Be - gierden in uns erregen / die man bey andern Gelegenheiten vor unordentlich halten koͤnte / ſo ziehen ſie uns doch vielmehr dort ein Lob zu / und wo das Gluͤck mitzu - ſchlaͤgt / ſo kan man warhafftig wohl auß einer Ehrſucht / die man geſcholten haͤtte / wann ſie einen widrigen Außgang gewon - nen / eine herrliche Tugend machen. Weil ſonſten jederman / wann er von anderer Leute Maͤſſigung urtheilen will / ſich deſſen bey ſeinem Kopffe Raths erholet / ſo wirdman39Welt-Mann.man ſich ſchwerlich hierinnen vergleichen koͤnnen / wie man dieſe Tugend gebuͤrlich zerlegen und ſchaͤtzen muͤſſe. Die Kriegs - Leute werden ihr nachſagen / daß ſie der Abneigung zur Ehren allzu ſehr aͤhnlige. Wann indeſſen die Philoſophen durch ei - ne gantz widrige Meinung die Leute zu ei - ner noch zaͤrtern Maͤſſigung werden bere - den wollen. Wir koͤnnen derhalben nicht beſſer thun / als nochmalen von der Maͤſſi - gung ſagen / was wir ſchon an unter - ſchiedlichen Orten gedacht / und was wir nicht allzuviel gedencken koͤnnen / daß man nemlich die Tugenden bald ſo bald anders betrachten muͤſſe / wornach die Umbſtaͤnde der Zeiten / der Oerter / und der Perſonen ſich ſo oder anders verhalten. Und warhaff - tig iſt die Maͤſſigung der Frauen gemeini - glich weit groͤſſer / als die Maͤſſigung der Maͤnner. Ein Kriegs-General iſt gantz auff andere Weiſe maͤſſig als ein Philo - ſophe.

Ariſtoteles zehlt auch noch die Leutſeelig - keit / die Warheit / und den erbaren Schertz unter die Tugenden.

Allein weil wir ohne diß von der Con - verſation einen kleinen Tractat abfaſſenmuͤſſen /40Der vollkommenemuͤſſen / als wollen wir davon zureden biß dorthin verſparen. Jndeſſen wollen wir in den Gemuͤths-Bewegungen die Verhin - dernuͤſſen unterſuchen / die wir auß dem Wege zuraͤumen haben / wann wir wollen zur Tugend wandern / darneben beſehen die Huͤlffe / ſo ſie uns leiſten koͤnnen / damit wir auch zu den allerſchwereſten Tugenden zugelangen vermoͤgen.

Von den Gemuͤths-Bewe - gungen.

DJeſe Materie iſt von ſoviel Philoſo - phen ſo weitlaͤufftig außgefuͤhret / daß wir nicht noͤthig haben / uns in einen unend - lichen Diſcours einzulaſſen. Es iſt / daͤucht mich / allgenug / wann ich ſoviel erklaͤren thue / als mein Vorhaben erfordert. Weil aber die Liebe die allernatuͤrlichſte und die allergemeineſte unter den Gemuͤths-Be - wegungen iſt / und daß man in den gewoͤhn - lichen Zuſammenkuͤnfften von ihr alleine mehr als von den andern allen redet / ſo wirds vielleicht nicht ungeraͤumt ſeyn / daß wir ſie ein wenig fein wohl rumb nehmen / wann wir zuvor von den Gemuͤths-Be -we -41Welt-Mann.wegungen insgemein werden kuͤrtzlich an - gefuͤhret haben / was man darbey nicht zu - vergeſſen hat.

Die Gemuͤths-Bewegungen / wie das Wort lautet / ſind Regungen der Seelen / oder wie die Philoſophi reden / der ſinnlichen Luſt oder deß Appetits. Sie werden verur - ſachet von der Einbildung eines guten oder eines boͤſen / und verwandeln den Leib auff unterſchiedliche Art / wornach die Dinge / von denen ſie erweckt werden / un - terſchiedlich ſind. Und gewiß hatt man ſich nicht zuverwundern / wann der Leib dieſe ſtarcke Eintruckungen der Seelen empfindet. Dieſe zwey Theile deß Men - ſchen ſind ſo enge verknuͤpfft und verkuppelt unter ſich / daß ſie beyde nur ein gantzes ma - chen / ſo daß wir taͤglich bemercken / wie das / ſo die Seele betruͤbt / den Leib der Geſund - heit beraubet; gleichwie andern Theils ge - wiß iſt / daß die Schmertzen deß Leibes die Seele in eine Unruhe ſtuͤrtzen / die recht ſchei - net abgemeſſen zuſeyn nach dem boͤſen / ſo ſie verurſachet.

Die Stoici thun ſehr unrecht / daß ſie alle Gemuͤths-Bewegungen / als laſterhafftig verdammen / und daß ſie wollen Seul -Bil -42Der vollkommeneBilder auß ſich machen / damit man ſie ſol - le vor weiſe halten. Niemand darff uns diß ſtreittig machen / daß die Gemuͤths-Bewe - gungen an ſich ſelbſt weder gut noch boͤſe ſeyn / und daß ſie uns entweder nuͤtzlich oder ſchaͤdlich ſeyn / wornach wir ſie wohl oder uͤbel brauchen. So lange als die Seele ſol - che noch bey ſich / ſo zuſagen / im Bauche hat / und daß ſie ihr noch nicht in Kopff ge - ſtiegen ſeyn / und den Willen auff ihre Sei - te kriegen / ſo iſt es gewiß / daß man ſie we - der loben noch ſchelten koͤñe / eben ſo wenig als beym Viehe. Aber das iſt wahr / daß ſie gut oder boͤſe werden / ſo bald ſich der Wille zu ihnen geſellet / und damit auff was gutes oder auff was boͤſes loß gehet. Die ge - woͤhnliche Erfahrung zeiget uns / daß die wohlgezaͤmte Kuͤhnheit die Tapfferkeit ge - buͤret / und daß die Furcht der Klugheit gute Dienſte thun kan. Wir leſen endlich in dem achten Capitel von der Stadt Got - tes / daß die Frommen ihr Verlangen und ihre Furcht haben eben wie die Boͤſen / nur daß die Frommen verlangen und fuͤrchten mit Vernunfft / die Boͤſen aber zur Unzeit / wornach dieſe und jene den Willen verkehrt oder richtig haben.

Alſo43Welt-Mann.

Alſo koͤnnen wir ſagen / daß / obſchon dieſe Bewegungen dem Menſchen natuͤr - lich ſeyn / es dennoch viel weiſe Leute gibt / ſo dieſelben mit guter Art leicht zuſtillen wiſſen. Sie haben gar helle Augen / und laſſen ſich / wann ſie von den Dingen / die andere ge - meine Leute entweder bezaubern oder er - ſchrecken / urtheilen / nicht leicht betruͤgen / und glauben ſicherlich / daß die meiſten Dinge nicht der Haare ſind / daß ſie ihnen einige Unruhe geben ſolten. Damit wir nun auch dergleichen Ruhe erlangen moͤ - gen / ſo muͤſſen wir zuſehen / daß wir auch die Dinge ſo / wie ſie / unterſcheiden lernen / und ſo wir Muͤhe haben eine Bewegung / die uns ſchaden kan / in unſern Hertzen zu - ſtillen / ſo muͤſſen wir alle Mittel / umb uns von derſelben Tyranney zubefreyen / her - vor ſuchen.

Wir muͤſſen die ſchaͤdliche Bewegung durch eine Gegen-Bewegung zuhemmen uns bearbeitẽ / und wie jener alte Philoſophus. alle Abend examiniren / ob wir nicht den Tag uͤber die Tugend / ſo dieſer Gemuͤths - Bewegung / die den Meiſter anfaͤngt zu - ſpielen / ſchnurſtracks zuwider iſt / außgeuͤ - bet haben. Die Vergnuͤgung oder derVer -44Der vollkommeneVerdruß / ſo wir bey uns empfinden wer - den / wornach wir werden gehandelt haben / wird uns anſpornen / es den andern Tag beſſer zumachen / und alſo werden wir end - lich einẽ Feind / der umb ſoviel deſto gefaͤhr - licher iſt / weil wir ihn ſelbſten in unſerm Eingeweyde mit uns herumb tragen / gluͤck - lich uͤberwinden. Allein laſt ſehen / ob wir nicht ſonderbare Mittel vor die ſonderba - ren Bewegungen / davon wir handeln wollen / außſpuͤren koͤnnen.

Von der Liebe.

ES zweiffelt niemand / wie bereits ge - dacht / daß die Liebe nicht ſolte die aller - natuͤrlichſte und die allergewoͤhnlichſte Ge - muͤths-Bewegung ſeyn. Etliche Philoſophi gehen wohl noch weiter / und verſichern / daß ſonſt keine Gemuͤths-Bewegung mehr ſey als ſie allein. Sie ſagen / daß ſie bald die - ſen / bald jenen Namen annehme / wornach die Dinge ſind / die ſie erregẽ; daß wir nichts verlangẽ / als was wir lieben. Daß der Ehr - geitz nichts andeꝛs als eine Hoheitẽ - und Eh - ren-Liebe ſey / wie der Geld-Geitz eine Geld - Liebe iſt. Ja daß wir auch das / ſo uns ſcha - den kan / auß keiner andern Urſache haſſen /als45Welt-Mann.als weil wir unſere eigene Erhaltung lie - ben. Ob wir nun zwar nach der gebraͤuch - lichſten Meinung / unterſchiedliche Ge - muͤths-Bewegungen zulaſſen / ſo muß man doch bekennen / daß die Liebe niemals allein ein Hertz beherrſche / und daß ſie gemeinig - lich in Geſellſchafft vieler andern ſich be - finde. Es iſt gar ſeltſam / daß wir lieben ſol - ten ohne Verlangen / ohne Furcht / ohne Haß gegen unſere Mit-Buhler / und ohne daß wir uns uͤber die / ſo uns etwan einen Stein in Weg legen / nicht erbittern ſolten. Aber das wunderlichſte an dieſer Bewe - gung iſt / daß unendlich viel Menſchen ſie empfinden / und daß unter allen dennoch nicht einer genau weiß / was ſie vor ein Ding iſt. Monſieur de la Chambre hat ſehr zierlich von ihr geredet in den Caracteres des Paſſions, alſo daß ich hier nicht wiederholen mag alle Beſchreibungen / die er erzehlet und widerlegt hat. Genug iſts vor mich / daß ich ſeiner Meinung beyfalle / und mit ihm bekenne / daß ein Philoſophus nicht ohne Vernunfft geſchloſſen / die Liebe ſey / ich weiß nicht was / ſo da komme / ich weiß nicht woher / und wieder vergehe / ich weiß nicht wie.

Mon -46Der vollkommene

Monſieur de Corneille ſagt auch in ſeinen ſchoͤnen Schrifften an einem Orte:

Es gibt ein heimlich Band / das Hertzen
feſt verbindet /
Sobald was aͤhnliches in Seelen ſich
befindet /
Die knuͤpfen ſich zuſam̃ / und ſpornen
ſich ſelbſt an
Durch ein ich weiß nicht was / das
man nicht nennen kan.

Jch wil auch nicht allzuweitlaͤufftig er - zehlen / was viel groſſe Leute von dieſer Be - wegung / davon die Alten einen Gott ge - machet / geſagt haben / ich wil nur gedencken / was Seneca der Tragoͤdien-Schreibet ſpricht / daß der Gott / ſo der kleineſte unter allen iſt / dennoch das groͤſſeſte Reich habe. Und der Author deß ſinnreichen Geſpraͤchs zwiſchen der Liebe und der Freund ſchafft / eroͤffnet ſeine Gedancken hieruͤber noch an - muͤthiger als Seneca; Er ſagt von der Liebe:

Er mag der kleinſte Gott / uñ doch der
groͤſte ſeyn;
Sein Reich erſtrecket ſich durch Erden /
Lufft und Wellen?
Doch47Welt-Mann.
Doch findet er ſich ſtets in Iris Augen
ein.

Jnsgemein wird dafuͤr gehalten / daß die Liebe gerne bey den Leuten zu den Fen - ſtern der Augen hinein ſteige. Ein Author dieſer Zeit beſchreibet in ſeiner Sitten-Lehre alle Schliche dieſer Paſſion gar arthig / und weiſet / auff welche Art ſie ſich in die Gemuͤ - ther einfinde. Wir wollen ſehen / ob wir in kurtzen Worten ſagen koͤnnen / was er von dieſer Materie / davon er handelt / weit - laͤufftig erzehlen moͤgte / und erklaͤren / ſo gut wir koͤnnen / wie es zugehe / umb die Zeit / da die Liebe in einem Hertzen herfuͤr - quillet.

Unzehlig viel Philoſophi haben geglaubet / daß alle Leiber ſtets kleine Duͤnſte von ſich ſelbſt außblieſen / die hernach zu allen Sei - ten herumb zoͤgen / und daß dieſes die war - hafften Abbildungen der Leiber / von dan - nen ſie herab gekommen / waͤren. Die Er - fahrung zeiget uns diß / wann wir uns in einem geglaͤtteten Coͤrper / ſo nicht durch - ſcheinend iſt / beſpiegeln; dann weil er ge - glaͤttet iſt / kan unſer Bild darauff hafften / ohn daß die Ordnung ſeiner Theile durcheinige48Der vollkommeneeinige Ungleichheit davon zerbrochen wer - de: und weil dieſer Coͤrper nicht durch - ſcheinend iſt / als prallet unſer Bild gegen uns ſelbſt wieder zuruͤcke. Alſo wann das Bild einer lieblichen Perſon entweder warhafftig / oder durch eine innerliche Uber - einſtimmung / welche auß der Bluts-Ver - miſchung entſpringet / anmuthig in die Au - gen / ſo es empfangen / gefallen iſt / wird daſſelbe vermittelſt der Seh-Nerven der Einbildungs-Krafft vorgetragen / alſo daß die Geiſter / ſo in der Einbildungs-Krafft ihre Wohnung haben / davon eine liebliche Bewegung empfinden / und durch die enge Correſponden tz / welche ſie mit denen Gei - ſtern / ſo im Hertzen wohnen / haben / alſo - fort dieſelben ihrer Regung theilhafftig machen.

So wird dann auff dieſe Art die Liebe gebildet; und wie die Geiſter im Hertzen noch mehr an der anmuthigen Eintruck - ung / davon ſie erreget werden / Theil haben wollen / als ſpuͤren ſie nach derſelben Quelle / und indem ſie gleichſam einen Auffſtand machen gegen die Einbildungs-Krafft / er - hitzen ſie dieſelbe / und machen ſie noch emb - ſiger. Darum kan man mit Mr. de la Cham -bre49Welt-Mann.bre ſagen / daß die Liebe eine Bewegung der ſinnlichen Begierde ſey / welche ſich mit dem Geliebten vereiniget.

Wir ſehen auch / daß die verliebten in Abſeyn ihres Geliebteſten in tieffen Gedan - cken gleichſam verſencket ligen; ſie wiſſen mit nichts anmuthigers ſich zuunterhalten / als mit ihren Gedancken / und ſtrecken ſich mit ihrer Einbildung nach der Vereini - gung / davon wir reden / mit Gewalt. Aber wann ſie ſich nicht ermuͤden koͤnnen / an die geliebte Perſon zugedencken / oder ſie an - zuſehen / ſo ſie gegenwaͤrtig iſt / kan man ſa - gen / daß / umb alda ſich deſto maͤchtiger an - zuhaͤngen / ſie ſich von allen andern Dingen loßknuͤpffen. Alſo daß es rathſam iſt / ein rechtſchaffener Mann / der ſein Gluͤck noch nicht nagelfeſt gemachet / ſetze ſich ſteiff und feſte fuͤr / das Frauenzimmer nicht weiter zubetrachten / als ſofern es ſein Gluͤck kan befoͤrdern helffen. Die jenigen Frauen ſo bey den Leuten Ehre und Ruhm haben / muß er denen Klunten / die auff nichts den - cken / als auff ihre Schoͤnheit / und wie ſie ſich alle Tage neue Liebhaber zuwege brin - gen wollen / allezeit vorziehen.

Umb ſich von der Tyranney einer Paſ -Cſion,50Der vollkommeneſion, die ſo ſchaͤdlich iſt / loß zuwircken / iſt kein beſſrer Rath / als daß man das Kind im erſten Bad ertraͤncke. Man kan ſich vor einer Schoͤnheit / welche uns ein wenig zu - ſehr anfaͤngt zugefallen / huͤten; aber wann man ſie fliehet / muß man ſich in Verrich - tung wichtiger Geſchaͤffte einlaſſen. Die Muſen, ſo ſich auff die freyen Kuͤnſte legen / Diane, ſo die Jagt treibet / und Pallas, ſo den Krieg liebet / weil ſie die einzigen Goͤttinnen ſeynd / die ſich den Geſetzen der Liebe nicht unterwerffen / als lehren ſie uns / daß durch dergleichen Ubungen wir dem Garn / in welches uns gemeiniglich der Muͤſſiggang einlocket / entgehen koͤnnen. Vielleicht wird man wohl ſagen / daß ein junger Menſch muͤſſe nothwendig verliebt ſeyn / und wird man ſich koͤnnen der Beweißthuͤmer auß dem Geſpraͤch / ſo Sarraſin hieruͤber auffge - ſetzet / bedienen / oder den Jtaliaͤniſchen Taſſo an ziehen / welcher in der Vorrede ſei - nes Amyntas, die Liebe alſo redend einfuͤhret: Ein ſonſt tumm Kaͤlber-Hertz wird ho - he Sinnen faſſen.

Jch gebe zu / daß die Liebe wohl gute Wuͤrckung thun kan / daß ſie den geitzigenkan51Welt-Mann.kan lernen den Geld-Beutel auffknuͤpfen, daß ſie einen Menſchen / der ſonſt wed[er]Geſchick noch Gelencke hat / galant, herrlic[h]und tapffer machen kan. Allein man mu[ß]auch ſagen / daß dieſe Bewegung mehr boͤ - ſes als gutes verurſachet. Sie bringet nur allzuofft den Zwieſpalt unter die beſten Freunde durch die Eifferſucht. Sie ſoll machen / daß einer alles das ſeinige verthut / was er im Leib und Leben hat. Und gibt Jupiters Verwandlung in einen Ochſen / uns dergleichen ſeltſame Veraͤnderungen ſo wir billig zubefahren haben / gar weitlaͤuff - tig zuverſtehen.

Darumb iſt noͤthig / daß wir einer ſo ge - faͤhrlichen Paſſion, ehe ſie die Oberhand nimt / uns mit Gewalt widerſetzen / und da - mit diß gluͤcklich von ſtatten gehe / muß man / wie ich allbereit gedacht / ſich an ſie machen / weil ſie noch zart und ſchwach iſt / und daß man ſich ja nicht betruͤge / daß man ſolchen Neigungen / ſo holdſelig und ſuͤß als ſie einem auch im Anfang fuͤrkom - men koͤnnen / durchauß nicht ſchmeichele. Wir muͤſſen uns tapffer mit ihnen herumb ſchlagen / und muͤſſen alles / was ſie bey uns in eredit bringen wollen / in argwohn ziehen. C 2Bib[liſ]52Der vollkommeneBiblis beſchoͤnet die Liebe / ſo ſie zu ihrem Bruder Caunus traͤgt / mit dem Namen der bruͤderlichen Freundſchafft. Medea verliebet ſich in Jaſon, und bildet ſich ein / ſie habe nur ein ſchlecht Mitleiden mit ſeinem Ungluͤck; alſo betruͤgen ſie ſich alle beyde / und ſperren damit einer Paſſion, ſo ihnen eine empfind - liche Reue verurſachen wird / die Thuͤr zur Seelen Angelweit auff.

Von dem Haß.

NAchdem wir von der Liebe geredet / und dieſe Paſſion nach erfodernder Noth erklaͤret / kan man nunmehro bald eine andere Paſſion, die jener ſchnurſtracks zuwider iſt / erlernen. Wir haſſen ein Ding / wann ſein Bild einen unanmuͤthigen Nachdruck in unſere Einbildung thut / und das die Geiſter / die es fliehen wollen / nach dem Hertzen zutreibet. Das Hertz von ſeiner Seiten ſchlieſſet ſich zuſammen / umb ſich von einem Dinge / ſo ihm miß - faͤllt / zuentfernen; alſo daß wir ſagen koͤn - nen / daß der Haß eine Paſſion iſt / welche durch die Einbildung von dem / das entwe - der warhafftig / oder nur dem Augenſcheinnach53Welt-Mann.nach boͤſe iſt / erreget wird. Dieſe Gemuͤths - Bewegung iſt uns nicht weniger noͤthig als die Liebe / und iſt gar gewiß / daß wir nicht weniger verbunden ſeyn das Boͤſe zu - haſſen / als das Gute zulieben. Doch muß man hiebey einen Unterſcheid machen und ſagen / daß wir insgemein die Leute lieben ſollen / weil wir mit ihnen durch das Band der Geſellſchafft und der Aehnlichkeit ver - einiget ſind / und daß wir niemals die Per - ſon / ſondern allezeit das Boͤſe haſſen ſollen. Laſſet uns Haß tragen gegẽ das Laſter / und Mitleiden mit den laſterhafften Menſchen. Aber wie der Haß zum wenigſten eben ſo gewaltig und eben ſo gefaͤhrlich iſt als die Liebe / alſo haben wir auch nicht wenigere Vorſehung zuthun / umb ihm den Paß in unſer Gemuͤth und unſere Seele abzu - ſchneiden. Geſchicht es ja / daß wir einer Bewegung / welche uns natuͤrlich iſt / als da ſind die Antipathien, oder welche in an - ſehnlichen Urſachen gegruͤndet zuſeyn uns vorkommet / nichts abgewinnen koͤnnen / ſo koͤnnen wir uns doch zum wenigſten ſo verhalten / als haſſeten wir nicht / weil ja un - ſer Thun in unſer Willkuͤhr ſtehet. Dann endlich koͤnnen wir denn nicht von einemC 3uns54Der vollkommeneuns gehaͤſſigen Menſchen gutes reden? Koͤnnen wir ihm nicht zugefallen den Beu - tel auffthun / und ihm alle Dienſte leiſten / ſo ſonſt eine uns liebe Perſon erwarten koͤnte.

Von dem Verlangen.

DJeſe Paſſion ſpornet uns an / etwas gutes / ſo abweſend iſt / zuverfolgen. Eben das Ding ſo in unſerm Hertzen die Liebe außbruͤten kan / kan auch alda das Verlangen erwecken / mit dieſem kleinen Unterſchied / daß das Gute / auff welches ſich das Verlangen ziehet / allezeit abwe - ſend iſt.

Es iſt uns nichts verdrießlichers / es iſt[a]uch nichts daß uns mehr Neyd verurſa -[c]hen kan / als die unordentliche Begierden. Und ob uns ſchon der Ehrgeitz noch ſo glatt vorkommt / ſo iſt es doch am beſten / daß ein rechtſchaffener Mann einem die Grentzen /[n]ach ſeinem Stande und nach ſeinem Ver -[m]oͤgen lege.

Der Durſt nach den Hoheiten kan mit[d]em Durſt / der die Waſſerſucht verurſa -[ch]et / verglichen werden; jener und dieſer iſtſehr55Welt-Mann.ſehr hitzig / und zeucht jedweder verdrießliche Folgerungen nach ſich / alſo daß man / umb ihn zumaͤſſigen / moͤglichſten Fleiß an - wenden muß.

Von dem Abſcheu.

DEr Abſcheu iſt eine Gemuͤths-Bewe - gung / welche uns treibet / das Unheil / ſo uns uͤber dem Kopff ſchwebet / zumeiden. Es giebt eben ſoviel Muͤhe ſeinem Abſcheu einen Zaum anzuhaͤngen / als ſeinem Ver - langen; dann offt / wann wir das / was uns gluͤckſelig machen ſoll als ein Ungluͤck flie - hen / ſo verlangen wir als ein gutes / das / was uns doch ins Elend ſtuͤrtzen ſoll. Das zukuͤnfftige iſt uns verborgen / entweder umb unſern Stoltz zu demuͤthigen / oder daß wir uns deſto vollkommener der Goͤtt - lichen Vorſehung ergeben. Wir haben meiſtentheils groͤſſern Abſcheu vor der Ar - muth / vor dem Schmertzen / und vor dem Tod / als vor allen andern boͤſen Din - gen / ſo wir Urſach zufuͤrchten haben. Allein laſt ſehen / was wir vor Troſt wohl ſolten finden koͤnnen / wann es gleichwohl zum Verluſt deß Reichthums / der GeſundheitC 4und56Der vollkommeneund deß Lebens kommen ſolte. Das probi - ren wir nur allzu offt / daß der groſſe Reich - thum uns ein ſchlaͤffert / daß er uns in einen faulen Muͤſſiggang ſtuͤrtzet / und daß er nicht allein uns einen Stein in den Weg leget / der uns verhindert / daß wir denen Wiſſen ſchafften und denen meiſten Tu - genden nicht ſo fleiſſig / als es wohl noͤthig waͤre / nachjagen koͤnnen / ſondern er ver - haͤtzet auch taͤglich Freunde und Anver - wandte untereinander / daß ſie ſich ſelbſten unter ſich nach dem Leben trachten. Man darff uͤber dieſe Materie nur der alten Roͤ - mer Proſcriptiones oder Landes-Verweiſun - gen durch ſehen / und darneben bemercken / ob es nicht zu allen Zeiten viel groſſe Maͤn - ner gehabt / die ihrem Reichthum den Han - del freywillig auffgeſaget / umb ſich einer ſo ſchweren Laſt zuentladen. Es iſt nicht lan - ge / daß ein junger / wohlgewachſener und fuͤrtrefflicher Printz / da er ſeinen unendli - chen Reichthum gleichſam als durch einen Blitz in einem Augenblick verzehret ſahe / bey einer Veraͤnderung / ſo in ſein Hauß kam / denen Perſonen / welche ihm ihre Un - luſt uͤber dieſer Begegnung bezeugeten / als ein rechtſchaffener groſſer Herr antwortete:Jch57Welt-Mann.Jch werde weniger Guͤter haben / ſagte er / allein ich werde auch mehr Ruhm erwerben koͤnnen. Gleichwie ich nun wieder zum Cadet worden / hoffe ich / daß man mir ver - goͤnnen wird zuthun ſolche Dinge / deren man mich vielleicht nicht wuͤrde haben laſ - ſen unterfangen / wann man mich als den einigen Sohn unſers Hauſes betrachtet haͤtte. Gleichwohl muͤſſen wir bekennen / daß ſo der Reichthum denen Leuten / die ihn nicht zugebrauchen wiſſen / zuſchicken und zuſchaffen machet / er doch viel beytra - gen kan umb die Tugenden / welche von der Armuth nicht koͤnnen zur Welt gebo - ren werden / anſehnlich zuuͤben. Darumb ſoll ein rechtſchaffener Mann / ohn daß er ſeine Haußhaͤltigkeit mercken laͤſt / Sorge tragen / daß er die Guͤter / ſo ihm ſeine Vor - fahren verlaſſen / nicht nur erhalten / ſon - dern auch durch ſolche Wege / die ſeiner Ge - burt und ſeinem Stande nicht nachtheilig ſind / vermehren moͤge. Dann endlich ge - ſchichts nur allzuofft / daß die Dinge nicht lange in einem Stande bleiben koͤnnen / und daß ſie ſich unvermerckt zuruͤcke ziehen / wann man ſie immer weiter fortzuſchieben verabſaͤumet. Unter deſſen wil ich gleichwohlC 5die -58Der vollkommenedieſer Regul keinen Einſpruch thun / da man ſaget / wir beſitzen den Reichthum bloß zu dem Ende / daß wir uns deſſen bedienen koͤnnen / und daß wir das Hertz niemal ſo gar daran haͤngen ſollen / daß wir ſolten Verdruß haben / wann wir ihn verlieren moͤgten.

Was wir von dem Reichthum geſagt haben / kan man auch von Ehren und Wuͤrden verſtehen.

Betreffende den Schmertz deß Leibes / ſolten wohl viel Leute mit Montagne befin - den / daß er weit unertraͤglicher ſey / als die Armuth. Und mag die ſtoltze Meinung der Stoicorum in ihrem Werth und in ihrem[U]nwerth verbleiben / betrachtet doch der[m]eiſte Theil der Welt denſelben dermaſſen[a]ls ein groſſes Ubel / daß man leicht den je -[ni]gen verzeihet / die / umb ſich vor demſelben〈…〉〈…〉 s ſichere zubringen / nichts vergeſſen von[a]llem / ſo ſie rechtmaͤſſiger Weiſe und ohne〈…〉〈…〉 re Verkleinerung werckſtellig machen[]nnen. So iſt es dann gewiß was ſelt -〈…〉〈…〉 ames / daß ſo wenig Leute dieſer Urſachen[h]alber ihre Lebens-Art wohl einrichten /[u]nd daß es im Gegentheil eine unzehliche[M]enge der jenigen giebt / die alle Augen -blick59Welt-Mann.blick ihre Fehler begehen / ohn daß ſie ein Auge ſchluͤgen weder auff die guten Sitten / die ſie beleidigen / noch auff die Kranckhei - ten / welche ſie folglich zufuͤrchten haben. Wir koͤnnen keinen groͤſſern Abſcheu fuͤr irgend einem Dinge auff der Welt haben als vor dem Tod / allein ob man den Tod ſchon das ſchrecklichſte Ding unter allen ſchrecklichen Dingen nennet / ſo koͤnnen wir doch ſagen / daß er an ſich ſelbſt weder gut noch boͤſe iſt: Daß er nur den jenigen / die uͤbel gelebt haben / ſchrecklich vorkommt / und daß er denen Perſonen / die die Augen ohne Eckel auff ihr vergangenes Thun zu - ruͤck wenden koͤnnen / gantz ſuͤſſe ſchmecken ſoll. Alſo an ſtatt die unterſchiedene Mei - nungen der Philoſophen wegen deß Tod - tes anzuziehen / oder die Unſterblichkeit un - ſerer Seelen zu diſputi ren / werden wir uns vergnuͤgen zuſagen / daß wir unendbrech - lich verbunden ſeyn / unſern gantzen Le - bens-Lauff uͤber / uns fertig zumachen / da - mit wir das / was wir nothwendig einen Tag einmal thun muͤſſen / wohl thun koͤn - nen. So laſſet uns dann einen bittern Abſcheu haben vor dem Laſter / und ein bruͤnſtig Verlangen nach der Tugend /C 6ſo60Der vollkommeneſo daß wir zu beyden Enden niemals nach - laſſen.

Von der Freude.

DJeſe Paſſion wird von der Genieſſung deß Guten herfuͤrgebracht / ſie iſt gleichſam der Zweck / wornach die andern alle zielen / und wo ſie gantz anmuthig auß - ruhen. Gleichwohl muͤſſen wir ſagen / daß ſie uns offt ſchaͤdlich iſt / ja noch ſchaͤdlicher als die Traurigkeit. Jch fuͤhre dem Leibe ſein Wort nicht / wegen der Außdehnung deß Hertzens / und der Zerſtreuung der Geiſter / welches beydes gemeiniglich von der Freude verurſachet wird: ſondern ich ſage kuͤhnlich / daß das Wohlergehen uns ein groͤſſerer Anſtoß iſt zu Leitung unſers Le - bens als die Widerwaͤrtigkeit. Jch wil mein Gutduͤncken mit einer weit und breit ange - nommenen Meinung nicht unterbauen / als welche ſaget / daß die Widerwaͤrtigkeit uns den Weg bahne / ſolche Mittel zuſuchen / womit wir uns von allem Ubel erloͤſen koͤn - nen. Jch wil auch nicht ſagen / daß die Traurigkeit / die das Gehirn außtrocknet / in dem ſie die Geiſter nach dem Hertzen zu -zie -61Welt-Mann.ziehet / uns zu den Verrichtungen deß Gei - ſtes viel geſchickter machet / als die Freude / welche das Gehirn befeuchtet / indem ſie die Geiſter dahin treibet. Sondern ich gebe vor / nebſt vielen groſſen Leuten / daß man bey Wohlergehen eben als eine Sehne auff dem Bogen nachlaͤſſet / und bey Be - ſitzung deß Reichthums und der Ehren / man die Krafft / und folgends die Tugend / ſo man noͤthig hatte umb jene zugewinnen / plat verliere. Wehe dir Rom / ſagte ein Al - ter / wann man Carthago zerſtoͤret / gewiß - lich daß dieſe ſtoltze Africaniſche Stadt / als der Stadt Rom Mitbuhlerin / ſi〈…〉〈…〉 einer ſtetswaͤhrenden Ubung der Kriegs - Zucht und allen andern Tugenden erhielte. Man kan nochmehr ſagen / daß die Freude gemeiniglich ohne Geſellſchafft anderer Gemuͤths-Bewegungen iſt / weil ſie keiner Huͤlffe bedarff / und vergnuͤget iſt / ſo / daß ſie ſich bald verlieret / und daß ſie die Seele einſchlaffen laͤſt / an ſtatt daß ſie ſie auffwe - cken / und zur Arbeithalten ſolte. Sie blaͤ - ſet uns auch ein Vertrauen ein / welches / weil es auch dazu hilfft / daß wir die Vor - ſehung verabſaͤumen / uns in die Gefahr ſetzt / leicht und unverſehens uͤberfallen zuC 7wer -62Der vollkommenewerden. Ovidius verſichert / daß es nicht ſchwer ſey / ſelbiges einer Liebſten in das Hertz zubringen / zu der Zeit da es fuͤr die Freude offen ſtehet. Er ſagt auch / daß die Stadt Troja zehen gantzer Jahr / die alle mit Traurigkeit und Erduldungen außge - fuͤllet waren / denen Griechen widerſtunde / aber daß / ſobald die oͤffentlichen Freuden - Mahle angeſtellet wurden / und ſie keines Mißtrauens mehr faͤhig war / ſie / dieſe groſ - ſe Machine voll bewapneter Leute / welche ihrer gaͤntzlichen Zerſtoͤrung Urſach waren / zu ſich einnahm.

[De]rowegen ſo iſt es nicht rathſam / daß[man ſic]h einer Paſſion ergebe / die ſo gefaͤhr - liche Außgaͤnge verurſachen kan / man muß ſie maͤſſigen / und das iſt nicht eben gar zu ſchwer zuthun / dieweil es nicht gar zu offt zuſchlaͤgt / daß wir eine Freude gantz voll - kommen rein und ohne den Zuſatz gewiſſer Umbſtaͤnde / ſo ſie ein wenig verſauren koͤnnen / ſchmecken ſolten.

Sie mag endlich ſo groß ſeyn als ſie wil / muß man allezeit zuſehen / daß man ſich derſelben nicht mercken laſſe / wann wir koͤn - nen Nutzen davon haben / daß andere Leute ſie nicht mercken. Als Galba gantz gewapnetgegen63Welt-Mann.gegen Otto ſeinen Feind und Mitbuhler umb das Reich / itzt gleich darinn begriffen iſt / daß er mit ihm ins Handgemeng kom - men wil / ſiehet er einen Soldaten vor ihn treten / der den blutigen Degen noch in der Hand hat / und ihn verſichert / daß er gleich jetzo Otton niedergeſtoſſen. Gewiß iſts / daß das die groͤſte Urſach zur Freude war / ſo man Galben haͤtte jemals geben koͤnnen; und gleichwohl ließ er nicht mercken / was eine Zeitung / die falſch ſeyn kunte / und die es auch in der That war / in ſeinem Hertzen erwecket hatte / und vergnuͤgte ſich / daß er zu dieſem Soldaten ſagte: Freund / wer hat dir befohlen ihn nieder zu - ſtoſſen?

Jederman weiß / wie ſich Carolus V. an - ſtellete / damals als er erfuhr / daß der Pabſt Clemens VII. ſein Feind von ſeiner Armee in dem Schloß S. Angelo belagert war. Er ließ nicht allein keine Freude / ſondern viel - mehr ein Trauren verſpuͤren / ja er legte die Trauer an / und befahl ſeinem Hofe der - gleichen zuthun. Er ließ oͤffentliche Bet - Stunden halten fuͤr die Erledigung deß Pabſts / und proteſtirte, daß er niemals Ordre gegeben haͤtte ihn zubelaͤgern. Die -ſer64Der vollkommeneſer Streich gedye ihm dahin / daß er die Geiſtligkeit / ſo umb deß Pabſts Befreyung demuͤthig anhielte / mit einer abſchlaͤgigen Antwort verſehen kunte / und er ſtriche zwey Millionen 400000. Cronen vor deß Pabſts Ranzion ein.

Von der Traurigkeit.

DJeſe Paſſion entſpringet von der Ein - bildung eines gegenwaͤrtigen Ubels / ſo uns betruͤbet. Sie wircket offt was / das der Geſundheit ſchadet / dann ſie druckt das Hertz zuſehr / durch die Geiſter / welche ſie dahin ziehet / ſie ſchwaͤcht / ſie macht bleich / vermehret die ſchwartze Galle / und verzehret die natuͤrliche Waͤrme. Bißweilen macht ſie / daß wir uns ſelbſt zuwider ſeynd / wann wir uns von ihr uͤbertaͤuben laſſen / anſtatt daß wir ſie durch eine tapffere Gegenwehr von der Ubermaß abhalten ſolten. Allein man muß bekennen / daß ſie weit oͤffters die - net uns zulehren / was wir vor ſchlechte Potentaten ſind / und zumachen / daß wir ein wenig in uns ſelbſt gehen. Uber diß daß ſie das Gehirn vertrocknet / und es zu vernuͤnfftigem Nachſinnen und zu urthei -len65Welt-Mann.len geſchickter macht / wie ſchon geſagt: So iſt auch gewiß / daß / weil ſie macht / daß wir das Boͤſe empfinden / ſie uns treibet Vor - ſehung zuthun gegen das Ungluͤck / ſo uns noch begegnen kan. Ein General / ſo ein - mal geſchlagen worden / iſt gemeiniglich weit außſehender; und ein Steuermann / der viel Stuͤrm hat außgeſtanden / gibt ſich nicht leicht auß dem Vortheil / ſo lange ihm der Wind noch in die Seegel ſtoͤſſet. Gott hielt das Juͤdiſche Volck auff dem Wege der Gerechtigkeit nicht beſſer / als durch die Plagen. Und der weiſe Mann ſaget / daß es beſſer ſey in das Klag-Hauß zugehen / als in das Hauß der Freuden. Gewißlich Elend macht uns gelehrter als Wohlerge - hen / weil jenes beſſer durchzudruͤcken pfle - get / und daß man nicht ſo geſchwind ver - giſſet / was man boͤſes außgeſtanden / als daß man einige Luſt gekoſtet hat. Ein recht - ſchaffener und kluger Mann / da er von ei - nem unſerer Herrſchafft benachbartem Koͤ - nige redete / ſagte / daß dieſer Printz ein vor - trefflicher Herr waͤre / und von groſſen Tu - genden / aber daß man auch bekennen muͤ - ſte / ſeine Hoffmeiſterinn die Noth haͤtte nicht wenig beygetragen umb auß ihm ei -nen66Der vollkommenenen ſolchen Herrn zumachen. Es iſt eben deßwegen nicht noͤthig / daß man ungluͤck - ſelig ſey / umb dadurch auffgebracht zuwer - den / daß wir beſſer werden als wir ſonſt ſind. Dieſen Vortheil koͤnnen wir ziehen auß den Reflexionen, die wir nur uͤber ande - rer Leute Ungluͤck machen duͤrffen / und alſo wird das Exempel den Nutzen ſchaffen / den wir auß unſrer eigenen Erfahrung nicht ziehen zuduͤrffen / uns freuen koͤnnen.

Von der Hoffnung.

DJeſe Gemuͤths-Bewegung wird er - reget von der Einbildung eines guten Dinges / ſo wir erwerben koͤnnen / wiewohl nicht ohne groſſe Schwuͤrigkeit. Junge Leu - te welche mehr Hitze und weniger Erfah - rung haben als die Alten / ſind auch gemei - niglich einbildſamer und mehr unterworf - fen / uͤbelgegruͤndete Hoffnungen zufaſſen. Unterdeſſen habe ich nicht im Sinn in ih - rem Hertzen die Thuͤr zuverſchlieſſen vor ei - ner Paſſion, welche tauſenderley gutes zu - wege bringen kan / wann ſie ſich nur an et - was loͤbliches anhaͤnget. Die Hoffnung legt uns den Schmack deß guten / lang zuvor /67Welt-Mann.vor / ehe wir es noch bekommen / auff die Zunge / ſie verſuͤſſet alles was in unſerm Elende am bitterſten iſt / ſie iſt das letzte Gut / ſo von uns ſchwindet / ja das Gluͤck / nachdem es uns aller Dinge entbloͤſſet hat / hinterlaͤſt uns doch noch offt die Hoff - nung. Sie ſchmeichelt uns mitten in unſrer Unruhe / ſie bezaubert unſern Ver - druß / und iſt gewiß / daß ohne ſie wenig Leute ſich groſſer Thaten unterfangen wuͤr - den. Allein anſtatt auch / daß wir von ihr einige Huͤlffe ſolten zugewarten haben / ſolte ſie uns wohl ſelbſt bey den Haaren nach unſerm Verluſt zu ſchleppen / wann wir uns ohn Unterſcheid von ihr leiten lieſ - ſen. Wann im Gegentheil wir nichts als wichtige und kraͤfftige Hoffnungen zulaſ - ſen wollen / ſo muͤſſen wir ohne Gemuͤths - Bewegung von dem / das wir hoffen / ur - theilen / und daß es damit recht zugehe / iſt es noͤthig / daß wir in Verlangen und Ge - luͤſten Maſſe halten. Wofern wir ſo fahren werden / werden wir der Klugheit freyere Hand laſſen / als den Zufaͤllen / und ſo wir bißweilen fehl ſchlagen / und diß oder je - nes nicht unterfangen / ſo ſind wir zum wenigſten deſto verſicherter / daß diejenigeſo68Der vollkommeneſo wir unterfangen / ſeinen richtigen Gang haben werde.

Von der Verzweiffelung.

DJeſe Paſſion koͤmmt von der Einbil - dung eines abweſenden guten Din - ges / welches wir uns nimmermehr zuer - werben trauen / wegen der Hindernuͤſſen / ſo im Wege ſtehen. Sie machet uns in einem Anſchlage eben ſo kaltſinnig / als uns die Hoffnung erhitzet. Allein es geſchicht offt / daß / wann der Zorn der Verzweiffelung zuhuͤlffe koͤmt / ein Verzweiffelter mit dop - pelter Hertzhafftigkeit ficht; wie er ſich fuͤr verlohren haͤlt / ſo dencket er auff nichts / als wie er dem Feinde ſeine Haut fein theuer verkauffen wolle / faͤllt ihn an mit mehrerm Grimm und mit weniger Behutſamkeit / als ein andrer / der / wann er gedaͤchte zu - uͤberwinden / auch dencken wuͤrde ſich zuer - halten / niemals haben wuͤrde. Auch muß man / ſo viel man mit Ehren kan / ſich mit einem Verzweiffelten in ein Fauſtgemenge nicht einlaſſen / man muß ihm eine Bruͤcke / wie man ſagt / von Golde machen / umb ihn zum Abzuge zunoͤthigen / und iſt im Ge -gen -69Welt-Mann.gentheil bißweilen rathſam / daß ein Ge - neral die Truppen / die ſich ſchlagen ſollen ſoweit verleite / daß ſie auſſer dem Sieg ſich retten zukoͤnnen / verzweiffeln. Die Roͤmer haben diß Stuͤckgen offt gluͤcklich practicirt, und zu unſer Zeit gelunge es Graf Moritzen trefflich wohl vor der Nieuporti ſchen Schlacht. Er ſtellete ſeine Armee auff dem Sande im feindlichen Lande in Schlacht - Ordnung / und ſchickte die Schiffe in die tieffe See / auff daß man deſto tapfferer fechten muͤſte / wann ihnen alle Hoffnung ſich zu retiriren abgeſchnitten waͤre.

Anderntheils erzehlet Plutarchus ein Ex - empel / welches genugſam weiſet / daß man die Feinde / mit denen man zuthun hat / nie - mals gantz und gar biß auff die Verzweif - felung drengen ſoll. Er ſagt / daß die Theſſa - lier, nachdem ſie mit gewapneter Hand in Phocide eingefallen / an ſtatt auff gewoͤhnli - che Maſſe Krieg zufuͤhren / oͤffentlich prote - ſtiret, daß ſie niemand wolten quartier ge - ben; daß ſie beſchloſſen haͤtten alle die jeni - gen / denen das Alter die Waffen in die Haͤnde giebt / in die Pfanne zuhauen / die Weiber aber und Kinder vor Sclaven mit ſich weg zufuͤhren. Das Phocidi ſche Volck /weil70Der vollkommeneweil es ſahe / daß es jenem nicht genug wi - derſtehen konte / wolte ihnen zum wenigſten einen blutigen Krieg uͤberlaſſen; daher einer von ihren Kriegs-Haͤuptern / Daiphantes ge - nennet / vorſchlug / man ſolte die Theſſalier grimmig anfallen / die Weiber aber und die Kinder ſolte man in einer Wagenburg und von leichtbrennenden Materien einge - ſchloſſen laſſen / welches ſie anſtecken ſolten / ſo bald ſie wuͤrden Zeitung von ihrer Nie - derlag erhalten. Die Phocidi ſche Frauen lieſſen ſich dieſe Reſolution gefallen / imglei - chen die Kinder von ihrer Seiten willigten darein / und hub man an / den jenigen / der ſie darauff gebracht / oͤffentlich zuloben. Nachdem nun alle Mannſchafft / ſo den Degen fuͤhren kunte / herauß gezogen / fielen ſie mit ſolcher Ungeſtuͤm die Feinde an / daß ſie denſelben erſt eine Verſtaunung verur - ſachten / hernach aber ſie uͤbern Hauffen wurffen / und einen herrlichen Sieg von ihnen weg trugen / welcher hernach von den Griechen der verzweiffelte Sieg genennet ward.

Allein ehe wir zu einer andern Materie ſchreiten / ſo laſſet uns zwey kleine Stuͤck - gen bemercken / doch mehr auß Curieuſi taͤt /als71Welt-Mann.als wegen der Sitten. Man wird vielleicht ſagen / daß ich mich in der Beſchreibung der Verzweiffelung ein wenig verſehen / weil ich geſaget / daß ſie ſich auff was gutes bezoͤge / welches man ſich nicht trauete zuer - langen; An ſtatt daß ich ſolte ſagen / es ſcheine / daß die Verzweiffelung ſich beziehe auff etwas boͤſes / welches man ſich nicht trauet zuuͤberwinden. Aber es iſt leicht zu antworten / daß die zwey Meinungen in unterſchiedlichen Worten einerley ſagen. Ein Krancker / den die Aertzte verlaſſen / zielet mit ſeiner Verzweiffelung nicht auff die Kranckheit / ſondern auff die Geſund - heit / welche er betrachtet als etwas gutes / welches er ſich zuerlangen nicht trauet.

Man kan auch ſagen / daß es natuͤrlicher iſt / Furcht und Hoffnung einander entge - gen ſetzen / als Verzweiffelung und Hoff - nung; und ich bekenne / daß die Freyheit der Converſation ſolches wohl zulaͤſt. Allein / nicht wann man genau von der Sache re - den wil. Jn warheit wir ſehen / daß nicht allein die Furcht der Hoffnung nicht ſtracks entgegẽ geſetzet wird / ſondern auch daß dieſe zwo Paſſiones ſich faſt ſtets unter einem Da - che bey einander einfinden; an ſtatt daßdie72Der vollkommenedie Verzweiffelung ſich unſerer Seelen nicht eher bemeiſtert / biß daß die Hoffnung gaͤntzlich darauß verbannet iſt.

Von der Kuͤhnheit.

DJe Kuͤhnheit iſt die Bewegung einer Seelen / die einen Anfall an etwas boͤſes thut / gegen welches ſie wil ſtreiten und das ſie auch dencket zuuͤberwinden. Dieſe Paſſion hat diß abſonderlich an ſich / daß ſie die Geiſter auff das euſſerliche anſpor - net / umb etwas boͤſes / ſo ſie anfallen wil / zu empfahen / und dem gehet ſie weiter oder weniger entgegen / wornach ſie es vor gut anſiehet / und verhaͤlt ſich hierin als die Krieges-Haͤupter / welche / umb mit dem Feinde zutreffen / mehr oder weniger fort - rucken / wornach ſie es noͤthig erachten. Wir koͤnnen ſagen / daß die Kuͤhnheit alle andere Gemuͤths-Bewegungen beſeelet / ohne ihr wuͤrden wir in der Seele nichts als gantz matte Bewegungen haben: das iſt die / welche die Helden macht; aber das iſt auch die / die zu groſſen Ubelthaten leitet. Die Perſonen / in welchen dieſe tapffere Paſ - ſion herrſchet / keñet man bald unter andern /die73Welt-Mann.die davon nicht begeiſtert ſind. Ein kuͤhner Mann traͤgt die Hoheit im Geſicht gepraͤ - get und in allen ſeinen Gebaͤrden herumb / die Ernſthafftigkeit ſiehet ihm zu den Au - gen herauß / und leuchtet auß ſeinen Tha - ten / er gehet denen gefaͤhrlichen Gelegen - heiten getroſt unter die Augen / und dencket nicht ſo wohl / wie er die Gefahr meiden / als wie er ſie uͤberwinden wil. Er redet wenig und thut viel / aber was er thut / das thut er oͤffentlich / und haͤlt die heimlichſten Strei - che und die Verſtellungen vor Mittel / die ſeiner Hertzhafftigkeit nicht anſtehen.

Die Vollbluͤtigẽ ſind meiſtentheils kuͤh - ner als die andern / weil ſie mehr Hitze ha - ben. Auch hat man bemercket / daß die Nor - diſchen Voͤlcker viel tapfferer ſeynd als die Suͤdiſchẽ. Es iſt nicht ohn / daß dieſe letztere nicht auch offt Feuer fangen ſolten wegen der gelben Galle / ſo in ihnen die Oberhand hat. Aber wie dieſe gelbe Galle mit der ſchwartzen vermiſchet iſt / ſo ſind die Suͤdi - ſchen Voͤlcker gemeiniglich ſehr klug / und fuͤrchten die Gefahr / ſehen derſelben auch nicht gar zukuͤhnlich in die Augen / es ſey dann / daß ſie von einer Begierde ſich zuraͤ - chen darzu auffgemuntert werden. Es gibtDnoch74Der vollkommenenoch andere Paſſiones, die die Kuͤhnheit auch wohl in einem furchtſamen Hertzen erwe - cken koͤnnen. Die Liebe / der Ehrgeitz / die Schamhafftigkeit / ja ſo gar die Furcht weiſen uns deſſen davon taͤgliche Exempel.

Man ſiehet auch bißweilen / daß zwey Laſterhaffte Paſſionen, wann ſie ſich in einer - ley Hertzen in Geſellſchafft finden / ſich un - ter einander verbeſſern / und eine ſcheinbare Tugend darſtellen koͤnnen. Ein furchtſa - mer und ehrgeitziger Menſch kan ſich herr - licher Dinge unterfangen / mit ſolcher Manier, die jederman / ſo nicht biß auff die warhaffte Urſachen ſeiner Thaten durch - dringen kan / vor loͤblich achten wird. Dann die Hitze ſeines Ehrgeitzes / welche nothwendig ein Theil ſeiner Furcht zer - ſtreuet / kan ihn kuͤhne machen / da in deſſen die Hitze ſeiner Begierden von der Kaͤlte ſeiner Furcht kan gedaͤmpffet werden. Alſo begiebt ſich in dieſen Gelegenheiten faſt der - gleichen / als Auſonius erzehlet: Er ſaget / daß eine Frau / welche ihrem Mann von Her - tzen gern das ewige Leben gegoͤnnet haͤtte / ihm darzu zuhelffen das allerſtaͤrckeſte Gifft / ſo ſie finden konte / herbey brachte: Allein weil ſie noch fuͤrchtete / daß diß Gifft ſeine Wuͤrckung nicht ſo bald als ſie wohlzu75Welt-Mann.zu dieſem Vorhaben wuͤnſchete / thun moͤg - te / ſchaffte ſie noch eines an die Hand / welches auch ſehr hefftig war / und nachdem ſie eines mit dem andern wohl vermiſchet / ließ ſie es ihrem Mann hinterſchlucken; a - ber weil die Beſchaffenheiten dieſer beyden Giffte ſich gegeneinander widerlich be - fanden / ſo diente eines dem andern vor ein Gegen-Gifft / und retteten alſo dieſem Menſchen das Leben / welcher geſtorben waͤ - re / wann ſeine Frau nur halb ſo unmenſch - lich geweſen waͤre / als ſie war. So laſt uns dann gegen eine allzuhefftige Paſſion eine andere widerige Paſſion zuhuͤlffe ruffen / und derſelben nachdruͤcklich uns bedienen / ohne daß wir uns gegen die Bewegung / die uns gefaͤllt / und die uns dennoch ſchadet / im geringſten einlaſſen.

Die Leute / die der Gefahr / ſo ſie nicht kennen / unter die Augen gehen / kan man nicht kuͤhn heiſſen. Ein Blinder / der ge - rade gegen das Mundloch eines Geſchuͤ - zes / welches man loͤſen will / zugehet / ver - dienet mehr Mitleiden als Lob / weil es gar gewiß iſt / daß die warhaffte Kuͤhnheit dar - in beſtehet / daß man der Gefahr nicht nur ohne Furcht / ſondern auch mit einem Ver - trauen in die Augen ſiehet / und daß man ſieD 2ent -76Der vollkommeneentweder uͤberwinden / oder daß man mit Ehren ſterben wil.

Laſt uns doch auß bloſſer Curioſi taͤt / ehe wir dieſe Materie ſchlieſſen / unterſuchen / ob man mit guter Vernunfft / wann man von einem kuͤhnen Mann redet / ſagen kan / daß er ein groß Hertz habe. Die ge - meineſte Meinung iſt / daß die Thiere / welche nach proportion deß Leibes ein klein Hertz haben / gemeiniglich die hertzhaffteſten ſeynd / nicht nur darum / weil man bemercket hat / daß der Leu und der Hund / als ſehr kuͤhne Thiere viel ein kleiner Hertz haben als der Hiſch und der Haſe; ſondern auch weil es gewiß iſt / daß die Hitze und die Geiſter in einem kleinen Hertzen mehr Macht haben muͤſſen / weil ſie ſich darin beſſer vereiniget befinden.

Nichts deſtoweniger kan man ſagen / daß diß ſo zuverſtehen ſey / wann man dieſe Arth Thiere mit jener Arth vergleichet / und nicht / wann man dieſe Thiere gegen jene von einerley Arth vergleichet. Gewißlich kan man wohl ſagen daß der Leu und der Hund / als welche ein klein Hertz haben / hertzhafftiger ſind als der Hirſch und der Haſe / die ein groß Hertz haben. Allein ichglaube77Welt-Mann.glaube nicht / daß ein Leue der ein kleiner Hertz hat als ein ander Leu / kuͤhner ſey. Alſo daß man kan ſagen / dieſe Art zure - den / Der Mann hat ein groß Hertze / ſey nicht uͤbel gegruͤndet; man hat noch darzu ſehr offt bemercket / daß die Leute / ſo eine breite Bruſt haben / auch ſehr hertzhaff - tig ſind / und das iſt gewiß / daß ein Menſch / der eine breite Bruſt hat / auch ein groß Hertz hat.

So kommt dann die Hertzhafftigkeit nicht von der Groͤſſe / noch von deꝛ Kleine deß Hertzens / ſondern von der Menge der Hitze und der Geiſter / ſo von der Blutmiſchung entſpringet. Ein klein Hertz mit Geiſtern wohl angefuͤllet / wird mehr Kuͤhnheit ver - urſachen / als ein groß Hertz / daß deren ent - bloͤſſet iſt; Aber wann das groſſe Hertz eben ſowohl damit angefuͤllet iſt / als das kleine / wird es ohne Zweiffel auch viel kuͤhner ſeyn. Dieſer natuͤrliche Beweißthum iſt meines Erachtens gut / wann man von den Thie - ren insgemein redet. Allein was den Men - ſchen belanget / kan man ſagen / daß viel Dinge darzu helffen / daß er hertzhafftig wird. Wir haben ſchon geſagt / daß der Ehrgeitz / die Liebe / die Hoffnung / ja ſo garD 3die78Der vollkommenedie Verzweiffelung ihm eine Kuͤhnheit bey - bringen koͤnnen; und wir koͤnnen noch mehr ſagen / daß ſeine Kuͤhnheit mehr auß der Einbildung / als auß dem Hertzen ent - ſpringe. Die Meinungen die er hat entwe - der vor die Ehre oder gegen die Unehre / weil ſie ihn taͤglich darzu bringet daß er den Tod verachtet / ſind deſſen eine klare Probe. Und die Unſinnigkeit / welche einen von Natur furchtſamen Menſchen ſo weit lei - tet / daß er ſich ſelbſt kecklich das Leben nim - met / laͤſt uns gantz nicht mehr daran zweiffeln.

Von der Furcht.

DJeſe Gemuͤths-Bewegung wird ge - zeuget võ der Einbildung eines Ubels / ſo man ſchwerlich meiden kan. Sie ziehet die Geiſter zuruͤck nach dem Hertzen / ent - weder auff daß ſie es ſtaͤrcken / oder daß ſie ſich allda verſtecken / als in der Mitte eines belaͤgerten Platzes / alſo / daß man ſich nicht verwundern darff / wann Geſicht / Arm und Beine davon verlaſſen werden / dar - auff eine blaſſe Farbe und ein Zittern / als gewoͤhnliche Wirckungen der Furcht / fol -gen.79Welt-Mann.gen. Sie kan auch deren noch wohl andere zur Welt bringen / die uns gutes thun / in - dem ſie uns dahin leiten / daß wir gegen das Boͤſe / ſo uns uͤber dem Kopffe ſchwe - bet / vorbauen; ja wir koͤnnen ſagen / daß / wann ſie thaͤte / wir uns gar zuofft / und mit allzugroſſer Dumkuͤhnheit in die Ge - fahr ſtuͤrtzen wuͤrden.

Die klugen Leute ſind furchtſamer als die viehiſchen / dieweil ſie die Urſachen / ſo zu - fuͤrchten ſeynd / beſſer entdecken. Dem Au - genſchein / der ihnen ſchmeicheln kan / trau - en ſie weniger / weil ſie die Abwechſelungen / welche man Urſach zufuͤrchten hat / beſſer kennen. Auch ſehen wir / daß die Suͤdiſchen Voͤlcker / die alten und die nuͤchternen Leu - te / wie ſie geſcheueter ſeynd / als die Nordi - ſchen Voͤlcker / als die jungen Leute und als die trunckene / alſo auch gemeiniglich vor - ſichtiger und weniger kuͤhne ſind. Eine maͤſſige Furcht kan denen Perſonen / die in hohen Verrichtungen ſitzen / oder die Kriegs-Heere commandiren, trefflich zuſtat - ten kommen. Allein wann dieſe Furcht die Maſſe uͤberſchritte / wuͤrde ſie mehr ſchaͤdlich ſeyn / als die aͤuſſerſte Kuͤhnheit / weil es weit ſchwerer iſt / der Furchtſamkeit ein HertzD 4ein -80Der vollkommeneeinſprechen / als die Kuͤhnheit maͤſſigen: Denn wir ſehen taͤglich / daß es weniger Muͤhe giebt eine hitzige Armee / die zum Treffen eilet / zuruͤck zuhalten / als erſchreckte Truppen wieder zuverſichern.

Jch will hier nicht reden von der Furcht deß Todes / nach dem ich davon geſagt / da ich von dem Abſcheu handelte / allein ich wil eines andern ſchreckens / welches auch nicht mehr dann allzugroß iſt / gedencken. Das iſt das jenige / welches von dem Aberglau - ben gezeuget wird; ohne die Jrrthuͤmer / welche die Ruhe der Seelen zerſtoͤren koͤn - nen / anzuziehen / darff ich nur ſagen / daß eine ſchlechte Wirckung der Natur ſehr offt gantzen Armeen und gantzen Voͤlckern eine Furcht einzujagen vermocht. Eine Finſter - nuͤß / ein Erdbeben / eine abſcheuliche Ge - burt / werden eine unmenſchliche Menge Menſchen erſchrecken koͤnnen. Und gleich - wohl wird ein Mann / ſo deren warhaffte Urſache weiß / nicht allein ſich nicht davor fuͤrchten / ſondern auch noch diejenigen Per - ſonen / ſo unter ſeinem Commando ſtehen / mit Geſchickligkeit wieder wiſſen zum Stande zubringen.

Ein General zu alten Zeiten wolte / umbzu -81Welt-Mann.zuvermeiden daß er mit einem allzuſtarcke[n]Feinde nicht durffte in ein Hand-Gemen - ge gerathen / ſich bey Nacht zuruͤck ziehen / da eben eine Mond-Finſternuͤß dazu kam / und einen ſchrecken in ſeine Armee brachte / als welche ſich einbildete / daß die Goͤtter ſie vertilgen wolten / indem ſie ihnen den Weg / den ſie erreichen ſolten / verſteckten. Der General war klug / und dieſen Schrecken ihnen zuvertreiben / gedachte er nicht denen erſchrockenen Soldaten beyzubringen / daß dieſe Finſternuͤß eine Wirckung der Natur waͤre; ſondern er kehrete ihren Aber - glauben zu ſeinem Nutzen umb / und ſagte: Die Goͤtter ſorgeten ſichtbarlich fuͤr ihre Erhaltung / weil ſie den Erdboden mit Finſternuͤß bedeckten / umb ihre Retirade zu beſchleunigen / und gegen die Feinde zuver - ſichern.

Von dem Zorn.

DJeſe Paſſion entſpringet von der Ein - bildung eines gegenwaͤrtigen Ubels / daran wir uns raͤchen wollen. Sie hetzet die Geiſter eben ſowohl an / als die Kuͤhn - heit / jedoch mit dieſem Unterſcheid / daßD 5die82Der vollkommenedie Kuͤhnheit das Boͤſe bloß anfaͤllt umb es zuuͤberwinden. Der Zorn aber betrach - tet es / als die Wirckung einer Urſache / an welcher er ſich raͤchen will.

Dieſe Paſſion iſt gemeiniglich mit ſoviel andern vermiſchet / daß ihre Merckmale und ihre Wirckungen nach der unterſchied - lichen Bewegung unterſchiedlich ſind. Der Schmertz / der Haß / die Hoffnung / die Verzweiffelung / die Furcht und die Kuͤhn - heit machen einen Menſchen im Zorn ent - weder erroͤthen oder erblaſſen / vermehren oder verringern die Ungeſtuͤmigkeit ihrer Bewegungen / wornach alle dieſe unter - ſchiedene Gemuͤths-Bewegungen ihn treiben.

Darumb faſſe ein kluger Menſch ja kei - nen Entſchluß / ſo lang er empfindet / daß er von einer ſo hefftigen Gemuͤths-Bewe - gung eingenommen iſt. Alle Anſchlaͤge / welche man bey ſolchem Zuſtande bildet / ſollen argwoͤhnlich ſeyn / dieweil man die Dinge nicht anderſt anſiehet / als durch ei - nen Rauch / der ſie vergroͤſſert / oder der ſie verſtellet. Als Plato mit einem von ſeinen Sclaven Haͤndel bekam / Ha wie wolte ich dich laſſen hauen / ſagte er zu ihm / wannich83Welt-Mann.ich nicht zornig waͤre. Ja Xenoph. gehet noch weiter / und wil nicht einmal / daß wir unſere Pferde im Zorn peitſchen ſollen.

Die Geſetze haben kluͤglich verboten / daß niemand ſich ſelbſt raͤchen ſolle / weil es gar gewiß iſt / daß er in der Rache keine Maſſe wuͤrde zuhalten wiſſen / indem der Zorn ihm die Beleidigungen weit groͤſſer vorbil - det / als ſie in der That nicht ſeynd. Der groſſe Theodoſius hatte gar verordnet / daß man kein Urtheil / ſo eine Straffe mit ſich braͤchte / eher exequiren ſolte / als einen Mo - nath hernach / nachdem es geſprochen / da - mit die Richter Zeit haͤtten es zuaͤndern / wann ſie es etwann damals / als ſie es gege - ben / von einem Zorn waͤren eingenommen geweſen. Dieſe hitzige und unbedachtſame Gemuͤths-Bewegung verleitet uns nicht allein zu uͤbermaͤſſiger Rache / ſondern ſie verblendet uns auch gemeiniglich / wann wir am meiſten noͤthig haben die Augen auffzuſperren / umb die Mittel dadurch wir uns raͤchen wollen / zuerwaͤhlen; uͤber diß daß der Haß / der ſich ſo gar oͤffentlich ſehen laͤſſet / unſern Feinden platz giebt ſich gegen uns zuverwahren.

D 6Einer84Der vollkommene

Einer von den Alten will nicht / daß ei[n]Kriegs-General ſich laſſe vom Zorn ein - nehmen / dieweil er mehr mit dem Kopffe / als mit dem Arme zufechten hat; und Titus Livius bemercket ſehr nach dencklich / daß der erſte Sabiniſche Krieg umb ſo viel deſto ge - faͤhrlicher geweſen / als weniger der Feind darin ichtwas auß Zorn gethan.

Wir ſehen offt genug auß der Erfah - rung / daß der Zorn gemeiniglich ſich der ſchwachen Leute bemeiſtert / gleich als wolte er denen zu Huͤlffe kommen / die am meiſten noͤthig haͤtten von ihm begeiſtert zuwerden; die Weiber fangen eher Zorn als die Maͤn - ner / die Krancken eher als die Geſunden / und die Alten eher als die Juͤngere. Wir ſehen auch daß die Leute / ſo einem Laſter ergeben ſind / ſich dieſer Paſſion eher zum Raube laſſen. Ein Wohlluͤſter ſtellet ſich erzuͤrnet auff alles / was ſeine Luſt nicht be - foͤrdert. Ein guter Schmauß-Bruder kampelt ſich ſtets mit ſeinen Auffwaͤrtern; und ein Ehrgeitziger dencket auff nichts / als wie er diejenigen / ſo ihm Steine in den Weg legen / ſtuͤrtzen wolle.

Dieſe Paſſion iſt ſo feurig und ſo blind / daß ſie uns bißweilen wohl gar auff unbe -ſeelte85Welt-Mann.ſeelte Dinge loßhetzet. Wir ſehen in der Hiſtorie / daß Xerxes ſich dermaſſen erbit - terte / weil die See unter ſeinen Schiffen ſich etwas unmuths zuſtellen erkuͤhnete / daß er ſie umb ſich an ihr zuraͤchen / mit Ruthen hauen ließ; und wurde der maſſen vergifftet / zuſehen / daß der Berg Athos dem Zug ſeiner Truppen im Wege ſtund / daß er dieſen Berg durchbrechen / und ſeiner Armee einen Paß oͤffnen ließ. Das ſchei - net unglaublich genug: unterdeſſen ſehen wir taͤglich ſolche Dinge / die faſt eben ſo frembde ſeynd.

Gewiß / wann wir vom Zorn eingenom - men ſind / und daß wir denſelben uͤber nichts wiſſen außzulaſſen / ſo laſſen wir ihn uͤber uns ſelbſten auß / und geſchicht nicht mehr denn allzuofft / daß wir uns ſelbſt die Haare außrauffen / und mit dem Kopff wi - der die Mauer lauffen.

Gleichwohl muͤſſen mir hierin eins ſeyn / daß nicht allein der Zorn nicht immer der - gleichen Schwachheiten herfuͤrbringe / ſon - dern daß er bißweilen auch hochzuloben iſt / und daß die Leute von der hoͤchſten Tugend deſſelben wohl faͤhig ſind. Wir ſehen in der Heil. Schrifft / daß Moſes viel tau -D 7ſend86Der vollkommeneſend Goͤtzen-Diener in die Pfanne hauen laͤſt / uñ daß der Sohn Gottes die ſo in dem Tempel Schacherey trieben / mit Peitſchen hinauß jagt. Das iſt wahr / daß der Zorn / ſo ſich an das Laſter macht / und die Par - they deß Himmels haͤlt / mit dem Namen deß Eiffers muͤſſe beleget werden / und daß die Gemuͤths-Bewegung / die wir eigent - lich Zorn nennen / gemeiniglich nichts als groſſe Unordnung zuwege bringe. Auch muͤſſen wir immer befuͤrchten / was darauß erfolgen kan / und / wie ſie lauter Feuer iſt / daß ſie durch ein einziges Fuͤncklein eine groſſe Feuersbrunſt verurſachen kan / alſo iſt noͤthig / daß die Perſonen / ſo ihr unter - worffen ſind / nichts vergeſſen / umb ihre Ge - waltthaͤtigkeit zumaͤſſigen. Deßwegen iſt es rathſam / mit gutem Bedacht und ſo unpartheyiſch als man kan / durchzuſuchen / wer die Perſonen ſind / die in unſern Gemuͤ - thern den Zorn erreget haben: wann ſie den Namen haben / daß ſie gerechte und ge - ſcheuete Leute ſind / ſo werden wir befinden / daß ſie uns entweder gantz nicht beleidiget haben / oder daß / wann ſie es gethan / es bloß geſchehen iſt / weil wir ſie zuvor beleidiget hatten; alſo daß es billig iſt / der Rache ab -zuſa -87Welt-Mann.zuſagen / wir moͤgen auch noch ſo einen ſuͤſ - ſen Schmack darin finden als wir wollen / wann man nicht wil / daß die Beleidigung von einer Seite zur andern lauffen / und alſo nimmer ein Ende nehmen ſoll.

Wofern im Gegentheil die / uͤber die wir uns beklagen / in der Welt vor wenig vernuͤnfftig gehalten werden / werden wir ſelbſt gar nicht vernuͤnfftig ſeyn / wann wir begehren / daß unweiſe Leute weißlich mit uns verfahren ſollen. Wir ſagen lieber mit Socrate, daß bey ſolcher Begebenheit ſich raͤchen eben ſey / als wann mich ein Pferd geſchlagen / und ich daſſelbe mit meinem Fuſſe wiederſchlagen wolte.

Es iſt auch nicht uneben / daß man ſich mit unterſchiedlichen Exempeln der Maͤſſi - gung verſehe: Wir haben eines vom Ludov. XII. angezogen / und wir koͤnten de - ren noch mehr geben von vielen Printzen. Allein es wird genug ſeyn / wann wir einer beruͤhmten Antwort gedencken / ſo Philippus Koͤnig von Macedonien gab / darneben auch melden / was Pericles Stadthalter von Athen in dergleichen Begebenheit gethan / welches nicht weniger auß der Hiſtori be - kandt iſt. Als man Alexanders Vatterriethe /88Der vollkommeneriethe / er ſolte einen Kerl / ſo ſtets uͤbel von ihm redete / auß ſeinen Laͤndern wegjagen. Das laſſe ich wohl bleiben / antwortete er / er moͤgte ſonſt gehen / und ſein Unkraut an allen Orten außſaͤen.

Pericles betreffend / ſo weiß man / daß einer ſeiner Feinde ihn mit Schmaͤchwor - ten biß in ſein Hauß verfolgete / an ſtatt nun / daß er ihm antworten / oder ihn auch ſtraffen haͤtte koͤnnen / befahl er einem ſei - ner Diener / weil er ſahe / daß es ſchon Nacht geworden / eine Fackel anzuſtecken / und die - ſen erbaren Herrn wieder nach Hauſe zu - leuchten.

Uber die Mittel / von denen wir alle Weile geredet / deucht mich / daß wirs dem Philoſopho, deſſen ich allbereit gedacht / koͤnten nachthun. Von Natur war er ſehr geneigt zum Zorn; Allein er unterließ niemals / zuunterforſchen ehe er ſich zu Bette legte / ob er den Tag uͤber einer ſo gefaͤhrlichen Paſſion nicht etwas zuwider gethan haͤtte. Wann er einige Proben der Sanfftmuͤ - thigkeit bey Gelegenheit zugeben verſaͤumet hatte / ſchalt er ſich deßwegen ſelbſt / und ver - ſuchte in ſeinem Hertzen ſolche Bewegun -gen /89Welt-Mann.gen / die denen / ſo er zubefuͤrchten hatte / zu wider waren / zuerregen.

Von einigen loͤblichen Ge - muͤths-Bewegungen.

DAs Mitleiden iſt ein Schmertz / den wir empfinden uͤber ander Leute Un - gluͤck. Dieſe Paſſion iſt nicht allein nicht zuverwerffen / ſondern im Gegentheil iſt ſie ſehr nuͤtzlich fuͤr die buͤrgerliche Gefell - ſchafft / weil ſie uns anfuͤhren kan / daß wir uns untereinander in unſerm Ungluͤck zu Huͤlffe kommen. Das Ungluͤck / ſo andern Leuten begegnet / erinnert uns / daß wir auch koͤnnen ungluͤcklich ſeyn / und indem es un - ſern Stoltz demuͤthiget / macht es uns leutſeeliger.

Die Schamhafftigkeit iſt eine Furcht fuͤr der Schande. Dieſe Paſſion ſtehet jun - gen Leuten beſſer an als alten / dieweil ein allbereit vollkommener Mann nichts thun ſoll / daruͤber er erroͤthen koͤnne. Unterdeß obſchon die Schamhafftigkeit zeiget / daß der jenige / der derſelben Liberey im Geſicht traͤgt / einen Fehltritt gethan / oder daß er einen zuthun fuͤrchte / unterlaͤſt ſie deßwe -gen90Der vollkommenegen nicht loͤblich zuſeyn / in Betrachtung / daß ſie eine Wirckung einer guten Natur / und einer tugendhafften Zuneigung iſt. Es iſt gewiß / daß ſie jederman in den Schran - cken der Schuldigkeit behaͤlt / und daß wir nicht von Frauen reden / die ohne Zweiffel dieſer Paſſion mehr unterworffen ſind als die Maͤnner / ſehen wir alle Tage / daß die Schamhafftigkeit den Gehorſam der buͤr - gerlichen Geſetze ſowohl als die Kriegs - Zucht befoͤrdert.

Laſt uns doch auß Curioſi taͤt gedencken / daß / ob die Schamhafftigkeit wohl eine Arth von Furcht iſt / ſie doch nicht unterlaͤſt die Leute roth zufaͤrben / da doch die Furcht gemeiniglich eine blaſſe Farbe mittheilet. Dieſer Unterſcheid koͤmmt daher / daß in der Furcht die Geiſter / indem ſie ſich zuruͤck nach dem Hertzen ziehen / umb ſolches zu - verſtaͤrcken / das Geſicht von den ſubtilen Blutrinnungen / welche ſie gewohnet ſind mit ſich fortzuſchleppen / entbloͤſt laſſen. Jn der Schamhafftigkeit aber / als wie wir uns wolten verſtecken vor Perſonen / deren Ge - genwart uns ſolche Verwirrung erwecket / ſo ſchicket die Natur viel Geiſter in das Ge - ſicht / welches der ſichtbarſte Theil iſt / umbes91Welt-Mann.es gleichſam zubedecken mit einem Vor - hang von ſubtilem Gebluͤt / auff welchem die Geiſter dahin ſchwimmen.

Allein es verhaͤlt ſich mit der Scham - hafftigkeit als wie mit andern Tugenden / ſie muß nicht gar zuweit gehen / biß ſie end - lich Straffe verdienet / wie es wohl gethan iſt / daß ſie nicht dißſeit deß Berges ſtehen bleibe / welches das Laſter iſt / da man den Sachen zu wenig thut. Dieſer Mangel der Schamhafftigkeit iſt eigentlich das / was wir Unverſchaͤmtheit nennen / und dieſe Unverſchaͤmtheit iſt ein Miſchmaſch von Luſt und Kuͤhnheit boͤſes zuthun.

Die Eifferſucht iſt ein Verdruß / welchen wir empfinden / daruͤber / daß wir die guten Dinge nicht haben / die wir bey andern ſe - hen / und die wir verlangen und hoffen koͤn - nen. Dieſe Paſſion iſt loͤblich / und leitet uns dahin / daß wir die Vollkommenheiten / ſo uns mangeln / erwerben. Allein mit dem Neyd verhaͤlt ſichs nicht alſo / dieſe Paſſion iſt ein Schmertz / den uns die Guͤter / ſo wir bey andern ſehen / verurſachen / ohne Hoff - nung / daß wir dieſelbe erwerben koͤnnen / alſo daß ein Neydhammel anderer Leute Wohlergeben nicht ertragen / noch derglei -chen92Der vollkommenechen zubekommen hoffen kan / und daher[o]durch einen boßhafften Troſt wuͤnſchet / daß dieſes Wohlergehen ſich in Wider - waͤrtigkeit verwandele. Endlich die Eiffer - ſucht hat ihr Abſehen / uns biß zu den jeni - gen / ſo uͤber uns ſind / oder auch uͤber ſie zu erheben: aber der Neid hat kein ander Ver - langen / als ſie biß herunter zu uns / oder noch gar unter uns zuwerffen.

Die groſſen Leute ſind der erſten von die - ſen zwoen Paſſionen faͤhig; die andere be - ruͤhret bloß ein niedriges Gemuͤth. Julius Cæſar weinet / auß einer herrlichen Eiffer - ſucht / wann er ſiehet / daß er noch nichts groſſes verrichtet in dem Alter / da Alexan - der ſchon die halbe Welt bezwungen hatte: Und wann Themiſtocles ſaget / daß die auff - gerichtete Zeichen deß Miltiades ihn verhin - dern / daß er nicht ſchlaffen koͤñe / ſo geſchicht das nicht auß Verdruß zuſehen / daß ſich Miltiades einen ſo herrlichen Namen ge - macht / ſondern auß einer gewaltigen Be - gierde / die er bey ſich empfindet / Miltiadi an Ehre und herrlichem Namen gleich zu - werden.

Deſſen ungeachtet kan die Eifferſucht / ſo zwiſchen zwenen groſſen Maͤnnern iſt /wohl93Welt-Mann.wohl mit ein wenig Neyd angemiſchet ſeyn / wann etwann dieſe zwene groſſe Manner Feinde ſind. Scipio und Hannibal conferiren miteinander nach der Schlacht vor Zama. Kan man glauben / daß Hannibal, der wegen ſo vieler Siege beruͤhmt iſt / ohne Neyd ei - nen Roͤmer koͤnnen anſchauen / der / nach - dem er von ihm wieder genoͤthiget nach Africa zukommen / ihn zwinget den Frieden anzunehmen mit den Bedingungen / die er beylegen will. Auff der andern Seiten Scipio, ob er ſchon ſehr Tugendhafftig iſt / antwortet er doch Hannibaln auff eine Ma - nier / die mit ſeiner gewoͤhnlichen Maͤſſi - gung nicht wohl uͤberein ſtimmete; dann da ſie von groſſen Generalen redeten / und der Carthaginenſer ſich ſtracks nach Alexan - der und Pyrrhus nennete / fiel ihm Scipio zor - nig ins Wort und ſagte / Wie / habe ich dich nicht uͤberwunden?

Wir haben ein Exempel dieſer Zeit / welches jenem nicht unaͤhnlich ſiehet: Als eine Dame Graf Moritzen ſehr zuſetzte / zuſagen / wer doch der groͤſte General die - ſer Zeit waͤre / antwortete er mit gnugſa - mer Ungedult / weil er ſich ſelbſt zunen - nen nicht kuͤhn genug war; daß der Mar -quis94Der vollkommenequis de Spinola in der Ordnung der andere waͤre.

Weil dann nun groſſe Maͤnner nicht allezeit vom Neyd befreyet ſind / weil noch darzu gantze Monarchien und Republiquen demſelben unterworffen ſind / iſt es nicht noͤthig / daß wir unſer Hertz fleiſſig erfor - ſchen / wann wir eine Eifferſucht empfin - den / umb von ihr die Bewegung deß Ney - des gaͤntzlich abzuhalten. Dieſe Paſſion - berfaͤllt uns gemeiniglich in Betrachtung der Perſonen / die uns am Stande und am Alter gleich ſind / die mit uns von einem Lande / und mit uns zu einer Zeit leben. Ein Kriegs-General mag ohne Bewegung ei - nen Advocaten loben hoͤren. Ein Geiſtlicher hoͤret gantz ſtille zu / wann man einen Sol - daten ruͤhmet: Allein man ſagt in viel Sprachen / daß ein Toͤpffer den andern neydet. Sonſten moͤgen wir wohl ver - tragen / daß es in Jndien ſehr reiche Leute giebt. Allein wann wir ſehen / daß unſre Nachbaren reicher ſind / als wir / dann gibt es warhafftig ſchehle Augen. Was den Unterſcheid der Zeit betrifft / koͤnnen wir alle Tage bemercken / wie wir mit Luſt die alten Helden und die alten HochgelehrtenMaͤn -95Welt-Mann.Maͤnner ruͤhmen / und daß wir hingegen einen Eckel bekommen / wann man die heu - tigen Gelehrten oder unſere Kriegs-Offici - rer ruͤhmen wil.

Damit wollen wir dieſe Materie be - ſchlieſſen / daß wir ſagen / der Neyd iſt ſo ein liederlich verachtet Laſter / daß niemand leicht bekennen ſolte / daß ers am Halſe haͤt - te / und daß es die Leute / ſo damit behafftet ſeynd / ſo grauſam peiniget / daß wir noth - wendig ſtets muͤſſen auff der Huht ſtehen / umb ihm die Thuͤr / wann es in unſer Hertz wolte / vor der Naſe zu zuſchlieſſen.

Der Unwille / ſonſt Indignatio genennet / iſt ein Schmertz / den wir empfinden / wann wir ſehen / daß Leuten gutes begegnet / deſ - ſen ſie nicht wehrt ſind. Dieſe Paſſion iſt loͤb - lich / und das iſt die / ſo den Tichtern und den Rednern die Zunge loͤſet / daß ſie auff das Laſter / welches faſt angebetet wird / donnern / und vor die Tugend / ſo man ver - folget / ſprechen.

Nach dem wir von allem geredet / daß die Tugend / welche der ſchoͤnſte Schmuck der Seelen iſt / betreffen kan / ſo laſſet uns noch zu ſehen / welche Wiſſenſchafften ein recht - ſchaffener Mann in ſeinem Gemuͤthe ein -ſamlen96Der vollkommeneſamlen ſoll. Vor allem andern muß er die Sitten-Lehre / die Staats-Klugheit und die Hiſtorie wiſſen. Er muß mehr davon wiſſen / als einer / der irgend in der Schule etliche mal mit dergleichen Buͤchern an Kopff geſchmiſſen worden. Er muß die wichtigſten / die zarteſten und die geſtritte - ſten Knoten wiſſen. Der Hiſtorie muß er die Zeit-Beſchreibung an die Seite ſetzen. Und noch noͤthiger muß er auch die Erd - Beſchreibung beyfuͤgen / dann uͤber diß / daß er wiſſen muß / wo die denckwuͤrdige Geſchicht / ſo er erzehlet / ſich begeben / kan man auch ſagen / daß ſich die Leute ſchaͤmen ſollen / wann ſie die Oerter nicht kennen / die ſie bewohnen.

Die Hiſtorie unterweiſet durch Exem - pel / die ihr niemals mangeln / uns vorzule - gen / und iſt gewiß / daß geſchehene Dinge uns tieffer ins Hertze ſincken / als gemeinig - lich alle Reguln / ſo man uns gibt / indem die Lehr-Saͤtze ſtets ſo etwas trucknes und Hoffmeiſteriſches in ſich haben / das uns gantz nicht angenehm iſt.

Wer die Hiſtorie aller Voͤlcker von Grund auß lernen wolte / der wuͤrde befin - den / in was vor einen Abgrund er ſich ge -ſtuͤrtzet97Welt-Mann.ſtuͤrtzet haͤtte; gnug iſts daß man davon ei - nen allgemeinen Entwurff hat. Allein ſo gut es uns ſeyn kan / muß man wiſſen / auff welche Art die Roͤmer den groͤſſeſten Theil der Welt bezwungen haben / und durch was Mittel man / ſo zuſagen / auff den Schutt ihres Reichs ſo unendlich viel Herrſchafften auffgebauet.

Man muß wiſſen / alles / was denckwuͤr - diges in der Ottomanniſchen Monarchie ſeit derſelben Urſprung ſich zugetragen / und muß nothwendig ein rechtſchaffener Mann in der Hiſtorie unſrer Nation alles wiſſen / was wichtiges bey Kriegen vorlaͤufft / bey Friedens-Tractaten / bey Buͤndnuͤſſen / bey Erbfaͤllen / bey Erwerbungen / bey Ero - berungen / ja bey allen denen groͤſſeſten Haͤuſern deß Reichs.

Was die Mathematiſchen Wiſſen - ſchafften belanget / muß er auß dem Grun - de wiſſen / alles / was zur Befeſtigung eines Platzes dienen kan / er muß alles wiſſen ab - zuſtecken / daß man den Grund-Riß dar - nach machen kan.

Es iſt auch wohl zuwiſſen was die Re - chen-Kunſt lehret / addiren, ſubtrahiren, mul - tipliciren und dividiren, nicht nur weil es ihmEalle98Der vollkommenealle Augenblick in ſeinen Hauß-Geſchaͤff - ten dienen kan; ſondern noch darzu dar - umb / daß er deſto fertiger und geſchickter ein Bataillon formiren koͤnne.

Es iſt auch noͤthig / daß ein rechtſchaffe - ner Mann von der Rechts-Klugheit einen Abriß habe / der ihm zur Staats-Klughei - dienen kan. So muß er dann nur uͤber - haupt wiſſen das allerwichtigſte auß den vornehmſten Geſetzen der Voͤlcker / und was in ihren Gewonheiten vor andern zu beobachten iſt.

Mich deucht / man muͤſſe ihm auch die Theologie nicht eben gantz verbieten. Man muß ihm in dieſer Wiſſenſchafft das jenige lernen laſſen / wormit er ſich in ſeiner Reli - gion verſtaͤrcken kan / ja man muß ihm die Beweißthuͤmer daherauß ziehen / darmit er das was er vor wahr glaubet / vertheidi - gen koͤnne / auff den Fall / daß es in ſeiner Gegenwart ſolle ſtrittig gemacht werden / durch eine ernſtliche und kurtz-gefaſte Ant - wort. So wird er den jungen Leuten das Maul ſtopffen koͤnnen / die ſich einbilden / ſie wollen bald Meiſter werden / da ſie doch noch nicht einmal Geſellen ſind. Aber bey ſolchen Gelegenheiten / muß er ohne Affecti -rung99Welt-Mann.rung und ohne Gierigkeit reden / und nur als ein Menſch / der keine Gottloſigkeit vertragen kan / und nicht wie ein Prediger / der ſichs laͤſt ſauer werden / die Leute zube - kehren.

Unterdeſſen kan er ſo einem Halb-Ge - ſellen / der ſonſt tauſend Wort wuͤrde ge - macht haben / mit drey Worten den Mund ſtopffen: Er wird der Anweſenden Bey - ſtimmung verdienen; Und daſelbſt / die doch nicht ſeiner Meinung ſeynd / werden ſich doch nicht unterſtehen ihm zuwider - ſprechen. Das Frauenzimmer aber / wel - ches alles / ſo wider die Religion laͤufft / haſ - ſet / wird ihm Danck wiſſen / daß er der ge - rechten Parthey Beyſtand geleiſtet / und wirds nicht an ſich mangeln laſſen / ihn deß - wegen hoͤher zuſchaͤtzen.

Was die uͤbrige faſt unendliche Zahl der Wiſſenſchafften betrifft / bleib ich bey Farets Meinung / die lieber wil / daß ein rechtſchaf - fener Mann von vielem ein wenig gekoſtet / als daß er eine einzige mit Stumpff und Stiel zu ſich genommen; dann wer nicht mehr / dann von einem Dinge reden kan / der muß gar zu offt ſtille ſchweigen.

Allein diß iſt ſehr nothwendig / daß einE 2recht -100Der vollkommenerechtſchaffener Mann ſich / ſo viel an ihm iſt / befleiſſige / daß er wohl reden und wohl ſchreiben moͤge. Wann er dieſe Kunſt nicht gluͤcklich lernet / ſo hat er zuſorgen / daß er ſich niemals werde koͤnnen ange - nehm machen / und daß er ſich nicht darff einbilden / zu hohen Verrichtungen gezogen zuwerden.

Was die Poëſie oder Verß-Macherey betrifft / ſo deucht mich / ein qualificirter Menſch mag wohl Verſe / aber ſich zu kei - nem Poeten machen; gleichwohl muß er ſich auch nicht allzuſehr drauff legen / wann er aber was macht / ſo muß es Haͤnde und Fuͤſſe haben.

Was die Exercitien belanget / ſo muß er mit Fleiß / alles / was man auff Exercitien - Schulen lehret / lernen / und wie ſich die Edelleute von der Gewonheit und von der Luſt leicht zu dergleichen Beſchaͤfftigungen bereden laſſen / ſo iſts / deucht mich / nicht noͤ - thig / daß ich ſie hier weitleufftig darzu bitte. Jch wil nur ſagen / wie ich bemercket / daß die Bereuter einem frey laſſen / ob er wil das Kopff-Rennen lernen / und wer nicht Luſt darzu hat / den uͤberſehen ſie. So hab ich mir doch eingebildet / man ſolte diß Exerci -tium101Welt-Mann.tium nicht darhinden laſſen: Denn uͤber diß / daß es bey Gelegenheit ein trefflich An - ſehen einem zuwege bringen kan / ſo iſts auch gewiß / daß es einen trefflich frey zu Pferde macht / alldieweil das unterſchiedliche Ge - wehr / deſſen man ſich bedienet / alle Augen - blick andere und andere Actions und Poſtu - ren erfordert.

Diß iſt nun / meines Erachtens / genug nach dem Anſchlag den wir gemacht hat - ten. Laſſet uns nun ſehen / wie ſich unſer rechtſchaffene Mann in dem unruhi - gen Leben zu Hofe und zu Felde verhalten ſoll.

Ende deß Erſten Theils.

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E 3Der102
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Der rechtſchaffene Mann / Oder / Die Mittel zuleben als ein Ehrlicher - und als ein Welt-Mann.

Andrer Theil.

JCh hab mich wohl tauſendmal gewundert / daß ſo unzehlich viel Autores das Hof-Leben ha - ben verſchreyen wollen / und daß Faret, der ſonſt ſo vernuͤnfftig geſchrieben hat / gleichwohl ſo unbedachtſam darvon geredet / als irgend ein Menſch haͤtte thun koͤnnen / der nur geſtern in die Welt kom - men waͤre. Warhafftig / er hat geſagt / daß da keiner ſey / der gutes thue / oder nicht wohl einer; daß wann was Gutes da ge - ſchicht / es unverſehens geſchehe / das Boͤſe aber treibe man als das rechte Handwerck. Jſts wohl muͤglich / daß ſo viel vernuͤnfftigeLeute103Welt-Mann.Leute wollen unrecht ſprechen / davor daß man ſie anſehen ſoll / ſie ſeyen von Ehrgeitz und von Schmeicheley nicht beflecket / und daß ſie ſich bemuͤhen die Neigung / ſo der Adel hat / ſich ſeinem Printzen zunaͤhern / ihm ſolche auß dem Hertzen zuvertilgen; wiewohl dieſe Meinung ſehr natuͤrlich / und man ſehr vortheilhaffte Folgerungen dar - auß erwarten koͤnne. Dann endlich iſts ja von der bloſſen Freygebigkeit deß Printzen / da die herrlichen Wohlthaten herkommen / davon rechtſchaffene Leute in einem Tag ihr Gluͤck machen koͤnnen. Und die Erfah - rung / die wir daruͤber alle Augenblick ein - ziehen / ſolle meines Erachtens mehr gelten / als etlicher Schwartzgallichtẽ (Melancho - liſchen) Nach ſinnungen / welche die Ruhe der Einſamkeit dem Tumult eines herrli - chen Lebens vorziehen.

Allein wie wir eben vor dieſe letztere nicht ſchreiben / und daß im Gegentheil wir nicht geſinnet ſeynd unſere Erinnerungen an an - dere abzurichten / als an die / ſo dieſelben zu werck zurichten gedencken / ſo laſt uns nur ſehen / auff was fuͤr Art wir einen jungen Menſchen an einem Printzl. Hof einfuͤh - ren muͤſſen; ich meine / mit welchenE 4Vor -104Der vollkommeneVorſehungen wir ihn einſchiffen koͤnnen auff eine See / welche eben ſo beruͤhmt iſt durch ihre Schiff-Bruͤche / als durch ihre gluͤckliche Schiffungen. Nichts deſtowe - niger ſchwere ichs keinem zu / daß die Lehr - Saͤtze / die ich gleichſam im fuͤrbeygehen geben werde / ohnfehlbar einen ſolchen Fort - gang ſchaffen koͤnnen / als man ſich vor - ſetzt / wann man ihnen folget. Jch weiß / daß ein Ungewitter zwey wunderliche Wirckungen thun kan: deß erfahrneſten Steuer-Manns Schiff kan es zerſchei - tern / und kan hingegen eines ungeſchickten Fiſchers Schute in den Hafen ſchmeiſſen. Allein das weiß ich auch / daß dieſer ohnge - fehrde Fall deßwegen nicht machen wird / daß man den Gebrauch deß Compaſſes verachten / und eine groſſe Reiſe auff einem Schiffer-Kahn antreten wird / dieweil diß gewiß iſt / daß man ſeine Hoffnung beſſer gruͤnden kan auff einem guten Schiffe / welches mit wohlerfahrnen Schiffleuten verſehen iſt / als auff einer barmhertzigen Chaloupe, welche von einem Kerl geſteuret wird / der das erſtemal zu Segel gehet / und der weder Wetter noch Wind verſtehet. Wir wollen nur den Anfang damit ma -chen /105Welt-Mann.chen / daß wir ſagen / daß man ſich von Tu - gend und Kunſt nicht allzu wohl koͤnne ver - ſehen haben / wann man ſich an einen ſol - chen Ort begeben wil / wo der Ehrgeitz und die Verſtellung nur allzu ſehr herrſchen / und wo man alle Tage das Verkehren ſpielen ſiehet.

Derowegen ſo iſt nothwendig / daß man ſich einen Schatz von ehrlicher Froͤmmig - keit eingeſamlet habe / davon wir in dem erſten Theil dieſes Wercks gehandelt / daß man ſeine Vernunfft auff den Thron / und die Begierden zu ihren Fuͤſſen gebracht ha - be / und man nicht allein gelernet / die war - haffte Tugenden von den ſcheinbaren ab - zuſondern / ſondern daß man auch dieſel - ben an ſich gebracht / ungeachtet aller Schwuͤrigkeiten / die einem in dieſer Jagt auffſtoſſen koͤnnen. Allein / wie die Gewo - genheit deß Printzen der Zweck iſt / welchen man ſich vorſetzet / wann man ſich ſeiner Perſon naͤhert / ſo laſt uns ſehen / durch welche Mittel man koͤnne zu einem ſo wich - tigen Ziel gelangen.

Die jenigen / ſo von Edlem Stamme entſproſſen ſind / haben ohn Zweiffel / wann ſie nach Hofe kommen / einen vortrefflichenE 5Vor -106Der vollkommeneVortheil: Allein wann wir uns nun dieſes Gluͤcks entbloͤſſet ſehen / ſo ſehe ich doch nicht / daß wir eben deßwegen aller Hoff - nung / die eine gluͤckſeeligere Geburt ma - chen kan / auffſagen muͤſten. Das iſt wohl wahr / daß allem Anſehen nach wir mehr als gemeine Fuͤrtrefflichkeiten an uns ha - ben muͤſten / wann uns das adeliche Ge - bluͤt mangeln ſolte / und daß nicht anders / als durch ſonderbare merckwuͤrdige Dien - ſte / wir uns einbilden duͤrffen / daß wir zu ſolchen Verrichtungen wollen gezogen werden / welche viel Leute mit eingeſchlage - nen Armen erwarten wollen / nicht anders / als eine Belohnung / die nach den herrli - chen Thaten ihrer Vorfahren ruͤckſtaͤn - dig iſt. Allein endlich / wir moͤgen von einem bekandten Hauſe ſeyn / oder auß ei - nem unbekandten Neſte / ſo muͤſſen wir doch uns nothwendig einen Beſchuͤtzer außſehen.

Warhafftig in dem Raum / welcher zwiſchen uns und der Perſon deß Printzen iſt / iſt ein Patron gleichſam ein Mittelſtuͤck / welches darzu dienet / daß zwiſchen dieſen zwey Enden etlicher maſſen endlich eine Communication iſt; ich meine / daß er denRuhm107Welt-Mann.Ruhm unſerer Dienſte biß vor die Ohren deß Printzen trage / und daß er von dem Printzen biß auff uns die Wohlthaten / welche wir verdienet haben / herabfloͤſſe.

So muß man dann dieſem Beſchuͤtzer gefallen / und wie der Weg / auff welchein man ſeine Gunſt gewinnet / nicht ſehr un - terſchieden iſt von den Mitteln / die uns deß Printzen Gnade zuwege bringen koͤnnen: So wollen wir hieruͤber etliche Erinnerun - gen anmercken / und die Klugheit der Per - ſonen / ſo ihnen folgen wollen / anheim ſtel - len ſich deren zubedienen / wann dem Au - genſchein nach ſie davon einen gluͤcklichen Fortgang hoffen koͤnnen.

Zuforderſt wollen wir ſagen / daß die fleiſſige Auffwartung einem Hoffmann ſehr noͤthig iſt. Dann uͤber diß daß unſere Gegenwart dadurch ſtets vor uns ſpricht / auch zu der Zeit / da die Beſcheidenheit es uns auff andere Art zuthun verbeut; ſo iſt auch gewiß / daß ein auffwaͤrtiger Menſch offt zur Hand koͤmt / daß er einen Dienſt thun / und davor auch einige Be - lohnung empfangen kan. Doch muß man auch nicht allzu fleiſſig damit ſeyn / daß man endlich koͤnte verdrießlich fallen. Und zumalE 6wann108Der vollkommenewann ihr noch nicht in deß Printzen enger Vertrauligkeit ſeyd / muͤſſet ihr mit guter Manier meiden / daß ihr gewiſſe Zeiten / ſo er gerne vor ſich alleine hat / euch von ſeiner Perſon enthaltet / dann endlich waͤre der Zuſtand der groſſen Herren ſehr ungluͤck - ſeelig / wann ſie nicht einige Frey-Stunden haben ſolten / entweder fuͤr ihre allerwich - tigſte Verrichtungen / oder fuͤr ſolche Er - getzungen / die ſie nicht gern vor ſolchen Leu - ten / zu welchen ſie noch kein ſonderbar Ver - trauen haͤtten / nehmen wolten.

Wir leſen hieruͤber / daß Philippus Koͤnig von Macedonien einmal ſehr verwirret wur - de / als Antigonus unverhofft in ſein Gemach gekommen / und ihn uͤber einem Spiele fand / welches faſt war als wie unſer Tick - tack. Dieſer Printz hatte eine vielleicht all - zuzarte Einbildung / und zog ſichs vor eine Schande an / ſich auff einem Zeit-Ver - treib / ſo er ihm unanſtaͤndig hielt / niederge - laſſen zuhaben; und ich weiß nicht / ob er nicht einigen Verdruß gegen Antigonus empfund / in der Meinung / daß er inskuͤnff - tige bey dieſem General ſchon weniger gel - ten wuͤrde.

Uber die Auffwartſamkeit davon wirgeredet109Welt-Mann.geredet haben / muͤſſen wir lauter Eiffer und lauter Muͤhe in allen Begebenheiten / wo wir dieſe Dinge wohl anbringen koͤnnen / ſpuͤren laſſen. Und abſonderlich muͤſſen wir uns fertig machen alle erdenckliche Muͤhe und Arbeit außzuſtehen / entweder daß wir den Groſſen folgen / welche mit ſolcher Bequemlichkeit reiſen als wir nicht haben / oder daß wir ihnen auffwarten mit mehrerm Fleiß. Alſo iſts noͤthig / daß wir ſtets mit vortrefflicher Gedult geſtieffelt und geſporet ſtehen; ſonſt werden wir uns alle Augenblick zubeſorgen haben / daß wir die Vergeltung / ſo wir vor unſere Dienſte von ſo vielen Jahren her zuerwarten hat - ten / in einem Augenblick verlieren moͤgten.

Allein wann im Gegentheil nach einer langen Auffwartung / und nach groſſer Muͤhe ein Hof-Mann ſo weit ſteiget / daß er zur Gnade deß Printzen gelanget / und daß ihm deſſelben Heimlichkeiten vertrauet werden / ſo iſt es gewiß / daß er alle ſeine Tritte und Schritte genau abmeſſen / und alle ſeine Worte auff die Gold-Wage le - gen muß. Er muß dencken / daß die Ent - ſchlieſſungen / ſo man in demſelben Rath faſſet / ſo wichtige Folgerungen nach ſich zie -E 7hen /110Der vollkommenehen / daß man ſo treffliche Materien nie - mals nicht genug durchſuchen / noch ſein Gutachten mit allzugroſſer Vorſichtigkeit von ſich ſagen kan. Gewißlich in dem ge - heimen Zimmer deß Souverainen iſt der Platz / da man von dem Gluͤck und dem Ungluͤck der Voͤlcker anſtalt machet / durch den Friede und durch den Krieg / ſo man alda beſchleuſt; da iſt der Ort / wo man Anſchlaͤge machet / nuͤtzliche Allianzen auff - zurichten / und ſchaͤdliche zuzernichten; und mit einem Worte / das iſt der Ort / wo man von der Befaͤſtigung oder von der Umb - werffung der Herrſchafften Rath faſſet. Darumb iſt es rathſam / daß ein Mann nicht gar zukuͤhn im rathen ſey / dieweil in dergleichen Begebenheiten die Kuͤhnheit eine Einbildung / welche allezeit eine Miß - gunſt nach ſich zeucht / zuverſtehen gibt / darumb muß er ſeine Meinung etwas furchtſam fuͤrbringen / vielmehr auff ſolche Art / gleich als truͤge er einen Zweiffel vor / und nicht als wann er mit einer Urtheil - ſprecheriſchen Stimme redete. Verhaͤlt er ſich ſo / ſo iſt er ſicher / daß wo die Sache ei - nen uͤbeln Fortgang gewinnet / man ihm mit Recht nichts vorwerffen koͤnne. Und iſtdas111Welt-Mann.das gantz außgemacht / daß wir uns allezeit die Ohren mit mehr Klagen muͤſſen reiben laſſen / wann die Dinge / ſo wir gerathen haben / nicht ſo gluͤcklich / als man ſich einge - bildet / ablauffen / als wir nicht Erkaͤndt - nuͤß zugewarten haben / wann der Auß - gang mit der Hoffnung / die wir ihnen ein - gebildet hatten / gleichfoͤrmig iſt. Aber uͤber dieſe Maͤſſigung im Reden / muß man auch mit aller Treu / ſo wir dem Printzen ſchul - dig ſeynd / rathen / und nichts auff das Tapet bringẽ / welches nicht zu ſeinem Beſten koͤñe außſchlagen. Carolus V. wie ein Author die - ſer Zeit von ihm erzehlet / ſagte / Daß die Raͤthe der Printzen Brillen waͤren; aber daß die Printzen ſehr ungluͤcklich / wann ſie Brillen brauchten. Laſſet uns gleichwohl hierin eines ſeyn / daß / weil es faſt unmuͤg - lich iſt / daß ein Printz mit ſeinen zweyen Au - gen koͤnne alles ſehen / er gluͤckſeelig iſt / wann die Brillen / deren er ſich bedienen muß / rein ſind / und daß ſie die Dinge eben als ſie ſind / zeigen. Wir muͤſſen noch zu dieſer genauen Treue / ſo die Guͤnſtlinge ih - rem Printzen ſchuldig ſind / einige andere Qualitaͤten hinzuſetzen / ſo den Frommen der Unterthanen betreffen koͤnnen / und ſa -gen /112Der vollkommenegen / daß die Miniſtri einer billigen Meinung und einer Verfahrung / ſo auff einer ehr - lichen Auffrichtigkeit gegruͤndet iſt / noth - wendig pflegen muͤſſen. Dann uͤber diß / daß ſie eben als andere Leute verbunden ſind auff ſolche Art zuleben / ſo die Ruhe ihres Gemuͤths durch heimliche Nagung nicht verunruhen koͤnne / ſo iſt auch gewiß / daß ſie mit dem Ruhm ihres Herrn wohl haußhalten muͤſſen. Alle Dinge / ſo von dem Souverainen biß auff die Unterthanen kommen / gehen gemeiniglich durch ihre Haͤnde / und iſt ſchwer daß die Begnaͤdi - gungen / ſo auß deß Printzen Haͤnden her - abflieſſen / biß auff den gemeinen Mann reichen koͤnnen / oder daß ſie dahin ſo reine / als ſie von der Quelle kommen / gelangen koͤnnen / wann die Rinnen / durch welche ſie flieſſen / ſchadhafftig oder verunreiniget ſind.

Die Tugenden / von welchen wir gere - det haben / machen einen Guͤnſtling ohne Zweiffel der Stelle / ſo er inn hat / wuͤrdig. Allein man muß bekennen / daß ſie nicht genug ſeyen / umb ihn darinn zuerhalten. Es iſt noͤthig / daß er den Sinn deß Prin - tzen wohl inn habe / und daß er ſeinendurch -113Welt-Mann.durchauß darnach einrichte / wann er an - derſt ohn Auffhoͤren ihm gefallen wil. Die - ſer Griff iſt nicht allein von den Hof-Leuten wohl zubemercken / ſondern er erſtrecket ſich uͤber das buͤrgerliche Leben insgemein. Deßwegen wird es nicht uneben ſeyn / ei - nen ſonderbaren Tractat davon zumachen / und deſſelben wichtigſte Umbſtaͤnde zu durchſuchen.

Von der Gefaͤlligkeit.

WAnn Ariſtoteles die Gefaͤlligkeit ſchon nicht unter die Tugenden geſetzet haͤt - te / wuͤrde man ſie nichts deſtoweniger da - hin ſetzen / wann man betrachten ſolte / wie noͤthig ſie iſt / umb die Leute in der Geſell - ſchafft beyſammen zuhalten. Man kan ſagen / daß ſie die Tugend iſt / ſo da machet / daß wir die Dinge / die wir in den Worten oder in den Thaten einer Perſon / der wir gefallen wollen / vernuͤnfftig befinden / mit einer Anmuthigkeit billigen; man kan / deucht mich / noch darzu ſetzen / daß dieſe Billigung denen jenigen / denen wir ſie bey - legen / zu einem Vortheil außſchlagen muͤſſe.

Dieſe114Der vollkommene

Dieſe Tugend hat eine maͤchtige Krafft die Hertzen zugewinnen / dieweil ſie die Per - ſonen / denen wir ſie er zeigen / bereden kan / daß wir ihnen mit warhaffter Freund - ſchafft zugethan ſeynd. Deßwegen haben viel Philoſophi den Gefaͤlligen mit dem Freunde verglichen / dieweil ſie alle beyde ſich angenehm und nuͤtzlich zumachen ſu - chen / und weil ſie auch muͤſſen die Mittel - Straſſe halten / zwiſchen einer allzufaulen Beyſtimmung / und einer allzuherben Widerſprechung. Allein iſt noch dieſer Un - terſcheid unter ihnen / daß der Freund bloß auß Zuneigung verfaͤhrt / und ſeine Gefaͤl - ligkeit fuͤr das / was er liebet / auffhebet / an ſtatt daß ein von Natur gefaͤlliger Menſch ſeinem bloſſen lautern Sinne nachhandelt / und ſeine Gefaͤlligkeit gegen viel Perſonen bezeiget. Unterdeſſen muß man auch nicht allzuweit und biß auff die Schmeicheley kommen. Jm Gegentheil ſoll man viel - mehr nichts billigen / als was Billigungs werth iſt; anſtatt daß man den Griechen / ſo zu Rom wohneten / es nachthun ſolte / davon Juvenalis eine artige Entwerffung macht: Dieſe Leute / ſagt er / ſind fuͤrtreff - liche Comœdianten; lachet ihr nur ein wenig /ſo115Welt-Mann.ſo lachen ſie uͤberlaut: und wann ſie bemer - cken / daß ihr nur die geringſte Neigung zu - weinen habet / ſo ſollen ſie greinen / daß im - mer ein Zaͤhren den andern ſchlaͤgt. Wann ihr ſaget / daß euch frieret / ſo fordern ſie zur Stunde ihren Peltz. Sie ſchwitzen / ſo - bald ihr ſaget / daß euch ein wenig warm iſt. Endlich / ob ſie ſchon eurer Gemuͤths - Bewegungen keine in ihren Hertzen fuͤh - len / ſo laſſen ſie ſich doch anſehen / als wuͤr - den ſie davon mehr getrieben als ihr / und haben allezeit Acht / ihr Geſicht nach eurem zuſtellen.

Man muß bekennen / daß eine ſo lieder - liche Schmeichelung billig mehr den Haß / als die Freundſchafft der Perſonen / denen wir gefallen wollen / zuwege bringen ſolle. Wir muͤſſen noch mehr ſagen / daß die Ge - faͤlligkeit fein und zart ſeyn muß / daß ſie muß frey und auff Vernunfft gegruͤnde[t]ſcheinen / wann man will / daß ſie die Wirckungen geben ſoll / ſo man gerne von ihr hoffet.

Nun deucht mich / daß die vornehmſte Regul / der wir folgen muͤſſen / umb dieſe Tugend zu ihrem rechten Brauch zuziehen / dieſe iſt / daß man wohl Acht habe / als ichſchon116Der vollkommeneſchon gemeldet / auff den Sinn der Perſon / der wir gefallen wollen. Man muß auch betrachten / daß die Leute von hohem Stande / wie ſie mehr Macht haben / als die gemeinen Leute / ihre Gemuͤths-Bewegun - gen zuvergnuͤgen / ſie alſo auch gemeinig - lich hefftigere Begierden haben / daß alſo / wann wir mit ihnen umbgehen / wir unſere Maß beſſer nehmen muͤſſen / als mit unſern Freunden / oder als mit unſers gleichen. So laſt uns dann die Natur deß Printzen oder deß groſſen Herrn / deſſen Gnade wir erlangen wollen / fleiſſig durchſuchen und ſehen / auff welche Art wir nach den unter - ſchiedlichen Gelegenheiten / oder nach den unterſchiedlichen Sinnen verfahren koͤn - nen.

Daß ein Menſch viel gelbe Galle hat / koͤnnen wir daran erkennen / wann er in ſei - nen Verrichtungen hurtig / in ſeinen Ge - baͤrden frech / in ſeinen Unterfangungen kuͤhn / ungedultig / und gebieteriſch iſt / er wird ſich auch leicht von dem Zorn laſſen uͤbereilen / und wollen / daß alles ſich unter ſeine Hand demuͤthige. Er wird ſeine Re - ſolutiones uͤber Hals und uͤber Kopff faſſen / allen gegebenen Rath wird er hindan ſetzen /und117Welt-Mann.und wird ſich faſt allemal erzuͤrnen / wann man ihm nicht gleich gehorchet. Deßwe - gen muß man ſich in Werckrichtungen deß gegebenen Befehls nicht lange ſaͤumen / wann uns auch dieſelben nicht allerdings wohl anſtuͤnden / ja wir muͤſſen auch wohl die kleinen Beſchimpffungen / ſo wir die Zeit uͤber ſeines Zorns bekommen / gar ver - ſchnupffen.

Ein Printz der vollbluͤtig iſt / hat gemei - niglich groſſe Neigung zur Freude / er liebet die Luͤſte und die Ruhe / er ladet ſeine Ge - ſchaͤffte gerne von ſich auff andere / er mei - det allen Verdruß und alle Bemuͤhungen: er iſt hoͤfflich / leutſeelig und freygebig; alſo daß die Perſonen / die ſich zu ihm naͤhern / ſo munter von Geſichte auß ſehen muͤſſen als ſie immer koͤnnen; doch muß ein ſo mun - ters Geſicht allzeit mit Reſpect vorgeſell - ſchafftet ſeyn / und ſich durchauß keiner Ge - meinſchafft / welche gemeiniglich den Groſ - ſen mißfaͤllt / geluͤſten laſſen. Wann man zu einem Printzen von ſolchem Sinne in das Gemach gehen wil / muß man ſeine Zeit ſo zierlich wiſſen zunehmen / daß man ihm niemals ſeine Ergetzlichkeiten zerſtoͤren moͤge / und ſo man etwas / das irgend ver -drieß -118Der vollkommenedrießlich / oder nur allzu ernſthafftig iſt / ihm zuſagen hat / ſo iſt es am rathſamſten / daß man nicht allzuſehr eile / umb davon Re - chenſchafft zugeben / ſondern vielmehr war - te biß man geruffen / und gleichſam als genoͤthiget werde / ein Hiſtoͤrgen das nicht allzuangenehm ſeyn kan / zuerzehlen.

Ein melancholiſcher Printz / oder der viel ſchwartze Galle hat / iſt ſehr offt von ſol - chem Sinn / als man Tiberium beſchrieben hat; ich meine / er iſt mißtrauiſch / und arg - woͤhniſch / er iſt Sinnreich alle Dinge zu - verſtellen / und die jenigen ſo ſich ſeiner Per - ſon nahen / wohl zuergruͤnden / er iſt lang - ſam in Entſchlieſſungen / geitzig / heimlich / einſam / rachgierig / aller Gemeinſchafft feind / der leicht zum Haß zubewegen / und dem in den Wiederverſoͤhnungen nicht zu - trauen ſtehet.

Umb einen ſolchen unluſtigen Herrn nicht auffzureitzen / muß man ſich ihm nie - mals / als mit groſſer Ehrerbietung und mit groſſer Vorſichtigkeit naͤhern / man muß wenig reden / nichts unnuͤtzlichs ſagen / und vor allen Dingen / ſo viel man kan / meiden / daß man ihm nicht widerſpreche / und daß man ihn nicht bitte. Dann uͤberdiß /119Welt-Mann.diß / daß das Widerſprechen gemeiniglich einen ſolchen Sinn erbittert / weñ dann / auf den Fall daß man was bittet / man ſo un - gluͤcklich iſt / daß mans nicht erhaͤlt / ſo iſts gewiß / daß man Gefahr laufft auch gehaſ - ſet zuwerden. Gewiß wie es nicht mehr dann allzuofft ſich zutraͤgt / daß ein Melan - choliſcher von andern dencket das was er von ſich ſelbſten dencket / ſo glaubt er auch gewiß / daß der jenige / dem er eine Gnade abgeſchlagen / ſich beleidiget befindet / und daß er nicht unterlaſſen kan denjenigen zu - haſſen / der ihm die Gnade / ſo er gehoffet hatte / nicht vergonnt. Alſo daß von ſeiner Seite er auch nicht der letzte ſeyn wird / ei - nen Widerwillen zufaſſen gegen die Per - ſon / von der er ſich einbildet / daß er gehaſſet wird.

Der vierdte Sinn iſt noch uͤbrig / wo bey den Leuten die uͤbrige Feuchtigkeit herꝛ - ſchet. Die Leute võ ſo kalter Bluts-Vermi - ſchung ſind in ihren Entſchlieſſungen lang - ſam / als die Melancholiſchen / allein ſie ſind nicht ſo Sinnreich / noch auch in ihrem Haß ſo hefftig / eben als wie auch nicht in ihrer Freundſchafft. Wann ſie argwoͤh - niſch ſcheinen / ſo koͤmts vielmehr von ihrereige -120Der vollkommeneeigenen Schwachheit / deren ſie ſich wohl bewuft ſind / als etwa von einem Mißtrau - en / ſo ſie von andern haͤtten. Daß ſie alſo nicht gar zu groſſe Anſchlaͤge bilden / auß Furcht / ſie moͤgten ſolche nicht koͤnnen ins Werck richten. Derowegen muß ein Menſch / der einem ſo kaltſinnigen Printzen gefallen wil / ſich kuͤhne und behertzt anſtel - len / und vor allen Dingen ſich bemuͤhen / daß er ein Werck / welches ſein Printz un - moͤglich außzuwircken erachtete / gluͤcklich außfuͤhre. Wann er ſo verfaͤhrt / wird er ſich bey ihm ſchaͤtzbar machen / in ſeine Ver - traulichkeit kommen / ja gar von ihm vor was ſonderlichs gehalten werden. Nichts deſtoweniger muß er ſich auff das wenigſte als moͤglich iſt / von ihm entfernen / weil ſein Herr / der ſchwach iſt / in ſeiner Abwe - ſenheit koͤnte auff einen ſeiner Mit-Diener ein Auge ſchlagen / und wuͤrde hernach nicht ſo gar was ſeltſames ſeyn / wann es dieſem letzten in ſeinen Dienſten zuſchluͤge / und er alle andere Dienſte / ſo man dem Printzen zuvor gethan haͤtte / in Vergeſſenheit braͤch - te. Das iſt wahr / daß dieſe Lehre / ſich von der Perſon / deren gute Gunſt man gewin - nen wil / nicht zuentfernen / eine allge -meine121Welt-Mann.meine Regul ſeyn muß / vor alle die / die wohl auffwarten wollen / dieweil ein Menſch / der ſich entfernet / Raum gibt ei - nen andern / dem er gleichſam ſeine Stelle einnehmen laͤſt / zubrauchen.

Nachdem wir von einer Tugend / die uns bey tauſend Gelegenheiten nuͤtzlich werden kan / geredet haben / ſo laſt uns ſe - hen / ob wir etwas zuſagen finden koͤnnen von der Converſation, welche noch viel ge - braͤuchlicher und viel gemeiner iſt / als die Gefaͤlligkeit; angeſehen daß wir uns oͤff - ters verbinden zureden / als unſern Kopff nach anderer Leute Koͤpffe zurichten.

Von der Converſation.

D muß uns jederman recht geben / daß die Converſation am meiſten darzu hilfft / daß die Leute geſellſchafftig werden / und daß ſie den meiſten Handel und Wandel im Leben machet; alſo daß man ſagen kan / daß wir uns niemals zuſehr be - muͤhen koͤnnen / umb unſere Converſation anmuͤthig und nuͤtzlich zumachen / das Ge - daͤchtnuͤß kan uns Materie, umb dieſelbe zu - unterhalten / vorſtrecken / doch kan es unsFnichts122Der vollkommenenichts wieder geben / als was wir ihm zuvor haben geliehen. Alſo muß man arbeiten ihm einen wackern Schatz von ſchoͤnen Dingen zuſamlen / damit es uns ſolche wie - der an die Hand ſchaffen koͤnne / wann wir derſelben noͤthig haben. So noͤthig als uns auch deſſelben Huͤlffe immer ſeyn koͤnne / ſo iſt es doch nicht genug / daß wir in der Converſation das unſerige wohl thun koͤnnen / weil ſich die Urtheils-Krafft noth - wendig dabey einfinden muß / als welche das was wir zuſagen haben / wohl eintich - tet / dieſelbe wendet uns die Augen auff alle Umbſtaͤnde / welche wir zubemercken ver - bunden ſind. Sie wil nicht haben / daß wir einem alten herben Doctor von Galanterie ſchwaͤtzen ſollen / auch nicht / daß wir das junge Frauen zimmer mit einem langen Diſcours auß der Erdmeſſung unterhalten. Dann wann ein Menſch noch ſo vortreff - lich von einer oder von der andern dieſer Materie reden wuͤrde / ſo wuͤrde er nichts de - ſtoweniger ſehr verdrießlich fallen denen Perſonen / die zu dergleichen Converſation nicht groſſe Luſt haben. Auch iſt es nicht allezeit genug / ſchoͤne Hiſtoͤrgen zuerzeh - len / es iſt noch noͤthig / daß dieſelben wohlange -123Welt-Mann.angebracht werden: und die Augen / welche die glaͤnzenſten Theile ſind / wuͤrden das Geſichte mißgebuͤrtiſch machen / wann ſie da nicht den Ort inn haͤtten / wohin ſie die Natur verordnet. So iſt es dann ſchlechter Dings noͤthig / alle Umbſtaͤnde / welche die Perſonen / in derer Gegenwart man redet / den Ort wo man iſt / und die Materie wo - von man ſich unterhaͤlt / betreffen koͤnnen / wohl zubemercken; allein wann dieſe Ma - terie hoch und ſubtil waͤre / ſo muͤſte man meines Erachtens dennoch nicht unterlaſ - ſen / auff eine leichte Art zureden / und ob man ſchon darin noch ſo gelaͤhrt waͤre / ſo weiß ich doch nicht / ob man gar wohl thun wuͤrde / wann man ſeine gantze Wiſſen - ſchafft mit groſſer Begierde als in einem Kram außlegen wolte. Jm Gegentheil muß man vielmehr denen uͤbrigen von der Geſellſchafft die Zeit vergoͤnnen / ihre Mei - nungen zuſagen / und ſich nicht in die Ge - fahr ſetzen / daß ihm vorgeworffen werde / was eine Dame einer ihrer Freundinnen gar zierlich auffruͤckte:

Dieſe Freundinn / welche ohne Zweiffel eine Perſon iſt von groſſer Erudition, ver - tieffte ſich einsmals in einem PolitiſchenF 2Diſcours,124Der vollkommeneDiſcours, da ſie von Philippi II. Regierung redete / daß die Dame, von welcher wir ge - ſagt / nachdem ſie ihr eine lange Zeit zuge - hoͤret / ihr in die Rede fiel / und ſagte: Wie Madame, wolt ihr den gantzen Tag vom Morgen biß auff den Abend klug ſeyn?

Von dem Schertz.

Das iſt unſtreitbar / daß nichts die Con - verſation mehr begeiſtert als der Schertz / und daß / wann er nur erbar und anmuͤthig iſt / man ihn nicht allein auß der Converſation nicht verbannen muͤſſe / ſondern man auch viel mehr fagen koͤnne / daß er der Rede vor eine Wuͤrtze diene / welche ihn wohlgeſchmackt und hertzhafft machet. Es haben etliche Authores geſchrieben / daß er der vornehmſte Theil der alten von den Roͤ - mern alſo genandten Urbanitaͤt waͤre / und ſagen / daß dieſe Urbanitaͤt / wie es das Wort ſelbſt etlicher maſſen mit ſich bringt / eigentlich die Art zuhandeln und zureden der Stadt-Leute ware / welche in allen Din - gen ſo ſehr unterſchieden waͤren von den Leuten / ſo auff dem Lande erzogen waͤren / daß man ſie umb dieſer Urſachen willen Ru - ſticos nennete.

An -125Welt-Mann.

Andere haben geglaubet / daß dieſer Schertz der Saal Atticus war / der ſowohl in den alten als neuen Schrifften ſo be - ruͤhmt iſt / und daß er in der Converſation e - ben die Wirckung thut / als das gebraͤuch - liche Saltz in einer Speiſe. Alſo daß wir ſagen koͤnnen / ein allzugroſſer Schertz miß - faͤllt dem Geiſt / und beiſt ihn / nicht anders / als eine zuſehr geſaltzene Speiſe dem Ge - ſchmack mißfaͤllt / und beleidiget. So muß dann der Schertz ſpitzfindig und zart ſeyn / und muß man ſich deſſelben mehr bedie - nen / umb eine Converſation zuerhalten / wann ſie anfaͤngt dahin zufallen / als umb die Perſonen / auß welchen die Geſellſchafft beſtehet / zubeleidigen. Allein wann man ſo weit ſchertzen wil / biß man endlich die Leute lachend macht / muß der jenige / der ſchertzet / etwas kaltſinnig reden / damit man anmuͤ - thig uͤberraſchelt werde / wann man ihn mit - ten unter den Leuten / ſo er lachend machet / ſo ernſthafftig ſiehet.

Nichts iſt / vermittels deſſen wir uns in dem Anſchlage / ſo wir haben / zuergetzen die ſo uns zuhoͤren / beſſer zum Zweck legen koͤn - nen / als durch eine natuͤrliche liebliche Zu - neigung / die uns luſtige zierliche Schwaͤn -F 3cke126Der vollkommenecke vorſtrecken moͤge. Nichts iſt ſo anmu - thig / es faͤllt auch nichts den Leuten tieffer in das Hertz / als dieſe unverſehene Ant - worten. Und wir koͤnnen das nicht ſtrei - ten / daß ſolche Koͤpffe ſo die Gabe haben mit dergleichen ſubtilen Schwaͤncken zube - luſtigen / etwas mehr als gemein im Schil - de fuͤhren. Gewiß iſt es / daß man wohl muß Acht haben / gegen wem man derglei - chen Pfeile abſchieſſen duͤrffe. Die ungluͤck - ſeeligen und die boͤſen Leute muß man da - mit allezeit verſchonet laſſen / dieweil jene eher Mitleiden verdienen / als ſolchen Schertz: ein boͤſer Vogel aber anders Theils eine rauhere Straffe verdienet / und muß man ſich vergnuͤgen einen Abſcheu vor ſeinen Bubenſtuͤcken zuhaben / umb ſo viel deſtoweniger muß man davon Gelegenheit andere zuergetzen nehmen. Man muß ſich auch ein Gewiſſen machen die Leute von Froͤmmigkeit und die erbaren Frauen an - zugreiffen. Die Ruhmſuͤchtigen ſind ei - gentlich die jenigen Perſonen / an die man ſich machen muß / dieweil die Eitelkeit ge - meiniglich bey jederman verhaſſet iſt / und billig verdienet / daß man ſie ein wenig her - umb nimbt. Die Vortrefflichkeit der kurtz -weili -127Welt-Mann.weiligen Worte / wie ein Author dieſer Zeit ſaget / deſſen Meinung wir in vorhabender Materie folgen / beſtehet darinn / daß ſie kurtz / ſcharffſinnig / und deutlich ſeyen / daß man ſie nicht allein mit einer Zierlichkeit vor-ſondern auch ſowohl anbringe / daß man nicht ſagen koͤnne / man habe ſie erſt zu Hauſe in ſeiner geheimen Stube außge - kuͤnſtlet. Wir koͤnten dergleichen auß den alten Authoren ziehen / und hierbeybringen / allein es wuͤrde unnuͤtze Arbeit ſeyn / dieweil gantze Buͤcher davon voll ſind / die man deßwegen zu Rathe ziehen kan. Wir haben auch noch Leute dieſer Zeit / deren zierliche Worte groſſen Ruhm in der Welt erlan - get. Es moͤgen aber dieſe Verantwortun - gen / davon wir ſo viel reden / ſo ergetzlich ſeyn als ſie immer wollen / ſo verlieren ſie ei - nen guten Theil ihrer Anmuthigkeit / wann man ſie wiederholet / dieweil man alsdann nicht eben die Bewegungen wieder hat / ſo man empfund in den Geſellſchafften / da ſie zu erſt zur Welt gebracht wurden. Derohalben / an ſtatt daß wir uns lange ſollen auffhalten mit Anziehung unſerer ſcharffſinnigen Koͤpffe / oder unſerer Lach - Meiſter / laſt uns ſehen welches der vor -F 4nehm -128Der vollkommenenehmſte Grund aller Converſationen ſeyn ſoll.

Von der Warheit.

WJr habẽ nicht eben noͤthig uns in groſ - ſe Diſputen, ſo von der Warheit koͤn - nen gemacht werden / einzulaſſen / wir wol - len uns vergnuͤgen zuſagen / daß ſie eine Ubereinſtimmung unſerer Gedancken iſt; wir wollen nicht einmal darzu ſetzen / daß zwiſchen unſern Gedancken / und dem Din - ge ſo wir im Sinne haben / eben eine genaue Beziehung ſeyn muͤſſe. So iſt dann ge - nug zuſagen / daß die Tugend / davon wir reden / ſo groß iſt / und daß ſie einen ſo allge - meinen Nutzen bringen koͤnte / daß aller Handel und Wandel unſers Lebens / wann er auff ihr beſtuͤnde / im beſten Schwang gehen ſolte / wann die Leute ſie ſo ſehr liebten / als ſie ſie haſſen. Die aller - glucklichſten Nationes haben die Warheit allezeit in ſonderbahrer Acht gehabt. Die Perſianer / als Herodotus meldet / unterwie - ſen abſonderlich ihre Kinder / ſie ſehr genau zuſagen; und die Leute von groſſen Schul - den waren bey ihnen umb keiner andernUr -129Welt-Mann.Urſache willẽ ſo ſehr verachtet / als weil man vor gewiß ſetzte / daß ſie gezwungen wuͤrden offt zuluͤgen / wann ſie mit ihren Glaubigern redeten. Wir ſehen auß unſer eigenen Er - fahrung / daß die Leute ſich fuͤr ſolche Freun - de der Warheit gemeiniglich erklaͤren / daß ſie faſt nichts mehr beleidigen kan / als wann man ſie durch Luͤgen-Straffe beſchuldiget / daß ſie die Warheit geſparet.

Unterdeſſen bilden ſich viel ein / daß man keine gluͤckliche Auffwartung thun koͤnne / wann man nicht in einer tieffen Verſtel - lung herumb wandelte / und gleichſam das ſein Handwerck ſeyn lieſſe / niemals ſeine warhaffte Meinung von ſich zuſagen. Die - ſer Jrrthumb greifft weit und breit umb ſich / und kan uns nichts deſtoweniger ein vernuͤnfftiger Unterſcheid auß dem gantzen Handel wickeln.

Jch gebe zu / daß ein Menſch / dem man eine Heimligkeit vertrauet hat / ſo wohl zu Hofe / als irgend an einem Ort / verbunden iſt treu zuſeyn / und nicht auß zuſchwatzen das was ſo wichtig iſt / daß ers heimlich halte. Es iſt nicht noͤthig / daß ein Hof - Mann / der zu einer Verrichtung wil gezo - gen werden / ſich reſolvire von ſeinem Vor -F 5haben130Der vollkommenehaben oͤffentlich zureden / und daß er die Mittel / deren er ſich bedienen wil / entdecke / dieweil ſeine Mitbuhler ihr Vortheil zu ſeinem Nachtheil davon machen koͤnnen. Allein in dem ordentlichen Geſchleppe die - ſes Lebens / warumb muͤſte er immer biß in Ewigkeit luͤgen / und warumb wolte er ſich auß einem groſſen Laſter eine Tugend machen?

Kan man wohl glauben / daß ein Menſch / der ohn Unterſcheid jederman ho - fieret / und der allen Leuten / die ihn umb et - was bitten / Verſprechungen thut / ohn daß er ihnen in der That zudienen willig iſt / ſich viel Freunde mache / und daß er ſich da - mit in der Reputation ſehr hoͤfflich und ſehr verbuͤndlich zuſeyn feſt ſetze? Vielmehr im Gegentheil / wann man ſich anfaͤnglich durch ſein Verfahren hat laſſen einen blau - en Dunſt fuͤr die Naſe machen / begreifft man ſich folgends gar bald / und bauet nicht allein auf das nit was er ſagt / ſondern man achtet ſein Wort faſt nicht mehr deß Hoͤrens wuͤrdig / und betrachtet ihn nicht anders / als einen Comœdian ten / der da ſa - get / was er doch nicht meinet / und ſich umb nichts bekuͤmmert / als wie er die Per -ſon /131Welt-Mann.ſon / die er angenommen hat / wohl ſpielen wolle.

Man hat auch nicht viel mehr Recht / wann man ſaget / daß ſich die Leute von dem bloſſen Ehrgeitz nach Hofe locken laſſen / und daß man unmoͤglich eine Tugend ſo lauter und rein behalten koͤnne / in einem ſolchen Ort / wo man ſich einbildet / daß das Verderben uͤberall eingeſchlichen iſt. Jch leugne nicht / daß ſich nicht viel an den Prin - tzen haͤngen ſolten / bloß umb ihres eigenen Genieſſes willen. Nichts deſtoweniger muß man auch mit mir eins ſeyn / daß es gleichwohl Leute gibt / die entweder billig genug / oder doch tapffer gnug ſind / daß ſie keinen andern Zweck der Dienſte / ſo ſie lei - ſten / als das einzige Vortheil ihres Prin - tzen haben. Jch gehe weiter / und ſage / daß nicht allein jederman eine ſo edle Neigung zu verfahren haben / ſondern auch daß ein Volck niemals mangeln wuͤrde ſich Ruhm / ja auch Reichthum zuwege zubrin - gen / wann es eine warhaffte Liebe zu ſeinem Souverainen Herꝛn truͤge.

F 6Von132Der vollkommene

Von der Neigung / welche man gegen ſeinem Printzen ha - ben ſoll.

ES iſt gewiß / daß die unumbſchraͤnckte Gewalt ein Knoten iſt / der die Voͤlcker verknuͤpffet / und der ſie in der Vereini - gung / welche ſchlechter Dings noͤthig iſt / darzu daß ſie dauren koͤnnen / behaͤlt. Dieſe einzige Betrachtung ſoll maͤchtig genug ſeyn umb uns zur Liebe gegen unſern Prin - tzen auffzufriſchen. Allein laſt ſehen / ob wir deren nicht noch wichtigere finden koͤnnen. Wann wir den Printzen lieben / iſt es ohn - moͤglich / daß wir ihm nicht auch bruͤnſtig und treulich dienen; daß wir uns nicht fleiſſig an den Oertern befinden / wo uns deſſelben Beſtes hinruffet / und daß wir nicht endlich die ſchuldige Vergeltung da - von tragen ſolten. Da im Gegentheil / wann wir dieſe Schuldigkeiten nicht an - ders als gezwungen ablegen / es ſehr ſchwer iſt / daß wir mit ebener Hurtigkeit / und mit ebener Begierde das unſere thun koͤnnen. Weil ſonſten der Gehorſam allezeit etwasher -133Welt-Mann.herbes vor denjenigen / der da zu verbunden iſt / inſich hat / iſt es das rathſamſte / daß man es verſuͤſſe dadurch / daß man durch eine gewiſſe Neigung der Liebe denſelben Ge - horſain leiſte. Wann uns die H. Schrifft nicht ſagte / daß jedwede rechtmaͤſſige Ge - walt / der Goͤttlichen Gewalt theilhafftig ſey; wann ſie uns nicht befiehle / dem Kaͤy - ſer zugeben / was deß Kaͤyſers iſt / und un - ſern Ober-Herrn zugehorchen; ſo wuͤrden wir nichts deſtoweniger gleichwohl ſehen / daß die einzelen Perſonen einer Herrſchafft ihre Muͤhe vor ſich nuͤtzlicher anwenden / wann ſie deß Printzen Sachen treiben / als wann ſie in den Dienſten ſo ſie thun / ſich nur ihr eigenes Vortheil vor Augen ſtelle - ten. Gewißlich muß man hierinn eins ſeyn / daß eine Monarchie im beſſern Zuſtande ſeyn werde / wann der Monarch maͤchtig iſt / ob ſchon die Unterthanen nicht eben reich waͤren / als wann ſie groſſe Reich - thuͤmer beſaͤſſen / und ihr Koͤnigwaͤre nicht in dem Stande / daß er ſie beſchuͤtzen koͤnte. Dann endlich arme Unterthanen / ſo unter einem maͤchtigen Koͤnige leben / koͤnnen ſich damit bereichern / wann ſie in Fried und Ruhe arbeiten / an ſtatt daß ein reichesF 7Volck /134Der vollkommeneVolck / ſo dergleichen Schutz nicht haͤtte / in ſteter Unruhe ſeyn wuͤrde / es wuͤrde ſich alle Augenblick in der Gefahr ſehen / von ſeinen Feinden gepluͤndert zuwerden / und wuͤrden nicht allein ſeine Schaͤtze die Furcht von ihm nicht abtreiben koͤnnen / ſondern wuͤrden ſie auch noch ohnfehlbar vermehren / in Betrachtung / daß ſie eine ſolche Beute ſind / ſo die Feinde von allen Orten an ſich locket. Aber nachdem wir geſaget / wie man ſich muͤſſe verhalten bey ſeinem Printzen. So laſſet uns auch noch ſehen / wie wir mit noch einer andern Macht / die offt nur eine allzuungemeſſene Gewalt uͤber unſere Wilkuͤhr hat / umb - gehen ſollen.

Daß das Umbgehen mit dem Frauenzimmer einem recht - ſchaffenen Manne nicht allein nicht muß veꝛboten ſeyn / ſondeꝛn auch / daß es ihm etlicher maſſen noͤthig iſt.

ES iſt warhafftig gewiß / daß dieſe Con - verſation ihm kan nuͤtzlich ſeyn / woferner135Welt-Mann.er nur ſeinen Nutzen davon zumachen wohl verſtehet. Dann wann mans genau beſie - het / ſo koͤnnen wir nirgend als bey dem Frauen zimmer die rechte Welt-Art / und die Hoͤffligkeit / ſo kein Rath / noch irgend eine Leſung der Buͤcher verleihen kan / ler - nen. Ein Soldat / der nichts mehr als ein Soldat waͤre / und der ſeine Sitten in Converſation mit Frauenzimmer niemals ein wenig ſchmeidig gemacht / wurde den Leuten mehr Furcht / als ſeine Converſation zuſuchen / Begierde machen. Er wuͤrde in ſeinem Kopff nichts haben als Kriegs - Voͤlcker / oder Sturmlauffen / er wuͤrde nichts reden / als von Belaͤgerungen und von Schlachten / und ob ſein Diſcours ſchon noch ſo ſchrecklich waͤre / ſo weiß ich doch nicht / ob ſein Geſicht nicht noch grauſamer ſeyn wuͤrde. Wann dieſer tapffere Mann und der ein wenig allzuſchrecklich iſt / wo es nicht Noth thut / waͤre etwan bißweilen in ein Frauen-Gelach gekommen / zu der Zeit / da er auß dem Laͤger bleiben konte / wuͤrde er bald ſeinen Kerl / der vom Feuer und Eiſen zuſammen geſetzt iſt / außgezo - gen haben / umb geſellſchafftig zuwerden. Er wuͤrde weder von Waffen noch vonSchar -136Der vollkommeneScharmuͤtzeln geredet haben / und ſeine Beſcheidenheit / ſo ihm wuͤrde den Mund verſchloſſen haben / umb ſeine eigene Tapf - ferkeit nicht zuruͤhmen / wuͤrde hingegen an - dere tauſend auffgethan haben / umb ſeinen Ruhm zupreiſen.

Ein Doctor, der neulich von der Univerſi - taͤt / dahin er ſich ſelbſt verweiſet hat / gekom - men / wuͤrde nicht anders denn ſehr unbe - quem ſeyn zu den Geſellſchafften / in welche man ihn wuͤrde auffnehmen muͤſſen. Er wuͤrde alles durch unſtreitbare Argumenta beweiſen wollen / ja ich weiß nicht / ob ihm nicht ſolte die Luſt ankommen / je und je de - nen Perſonen / ſo reden wuͤrden / in das Wort zufallen / und zuſagen / daß ſie nicht fein formaliter und Syllogiſticè diſcurrirten. Allein damit das Griechiſche und das La - teiniſche einen Kopff / der ſich ſogar demſel - ben ergiebet / auff ſolche Weiſe nicht verder - ben; damit dieſe gelehrte und wenig an - muthige Leute in ihrem eigenen Vaterlande nicht fuͤr Frembde gehalten werden / und daß endlich ſie ſich nicht gezwungen ſehen / die Sprache / ſo hiebevor ihre Amme redete / noch einmal zulernen / werden ſie nicht wohl thun / wann ſie ſich bißweilen unterdie137Welt-Mann.die Leute geben / umb ihre Lehre leutſeelig zu - machen?

Und wie das Frauenzimmer von Natur aller Rauhigkeit feind iſt / iſt es ſchwer / daß ein Menſch / der ſie beſucht / ihre zarte Gei - ſter ſtets beleidigen wolle. Vielmehr geweh - net er ſich unvermerckt daran / daß er ihnen gefallen wil / daß er alles / was er etwan be - leidigendes in ſeiner Sprache / oder in ſei - nen Gebaͤrden hat / nach der Gelindigkeit ihrer Converſation und ihrer Art zuleben ab - richtet.

Wir muͤſſen gleichwohl ſagen / daß wir das Maß wohl nehmen muͤſſen in ſol - chem Handel und Wandel / da es mehr zufuͤrchten als zuhoffen giebet / dann end - lich iſt es gewiß / daß man die Converſation deß Frauenzimmers vor eine anmuthige Zeitvertreibung und fuͤr eine Schule der Hoͤffligkeit halten muß.

Ein Menſch / der gantz ein Handwerck wuͤrde darauß machen wollen / wuͤrde ſich bald veraͤchtlich machen / auch bey denen Leuten / die er gar zufleiſſig beſuchte. Seine wichtigſten Anſchlaͤge / worauff meinet ihr daß er ſie machen wuͤrde / als darauff / daß er wohl zuuͤberlegen haͤtte / welche Peruque,wel -138Der vollkommenewelche Frantzoͤſiſche Spitzen ihm am beſten anſtehen ſolten / wann er ſich in der Geſell - ſchafft wolte ein Anſehen machen / ſo koͤnte er vielleicht auch noch uͤber einen Madrigal, oder uͤber eine Comœdie, wovon er gleich - wohl zuvor andere Leute / die es beſſer ver - ſtehen als er / hat reden hoͤren / ſeine Mei - nung ſagen.

Allein wann es ein barmhertzig Leben iſt / auß einer Geſellſchafft in die andere zuge - hen / und darbey keinen andern Anſchlag haben / als Schwachheiten zuerzehlen und zuhoͤren / ſo befinde ich / daß ein hitziger / muͤhſamer und halßſtarriger Liebhaber eben ſo laͤcherlich iſt / wann er / an ſtatt daß er dasjenige / ſo von ihm in einer groſſen Geſellſchafft erfodert wird / beobachten ſoll / er auff nichts dencket / als auff ſeine abſon - derliche Unterhaltung. Kaum hat er ſeinem Anſchlage gemaͤß einen bequemen Ort ein - genommen / ſo faͤnget er an mit der Dame, die er liebet / zuſchwaͤtzen und zuverfahren / als waͤre niemand da / der Achtung auff ihn gebe. Mitlerweile laſſen die Perſonen / auß denen die Geſellſchafft beſtehet / dieſe Gelegenheit nicht auß den Haͤnden / die Augen auff ihn zuwerffen / umb Urſach zu -be -139Welt-Mann.bekommen / daß ſie uͤber ſeine Blicke und uͤber ſeine Gebaͤrden heimlich was zula - chen haben. Es iſt auch warhafftig nichts kurtzweiligers und nichts ſeltſamers zuſe - hen / als einen Menſchen / der bloß ſeinen eigenen Gedancken und ſeinen eigenen Ge - muͤths-Bewegungen nachhaͤnget / und immer entweder froͤlig oder traurig iſt zur Unzeit. Wo alle Leute ernſthafftig ſehen oder traurig ſind / da lachet er; und ſeuffzet oder ſiehet murriſch auß / wann man ſonſt von allen Seiten nichts als Froͤligkeit und Lachen vernimbt.

Laſt uns das Frauenzimmer auff andere Art und mit anderer Intention beſuchen. Es iſt uns nicht nur vergoͤnnet / umb ihre Hoch - haltung insgemein uns zubewerben / und uns ſonderbare Freundinnen zumachen / ſondern ich kan auch noch ſagen / daß der Anſchlag / den wir haben ihnen zugefallen / noch ſehr gute Wirckungen thun koͤnne. Dergleichen Gluͤchzugewinnen iſt noͤthig / aller Fuͤrtrefflichkeiten / ſo zu einem erbaren Manne erfodert werden / ſich zubefleiſſigen. Es wird erfodert / daß wir Verſtand / Leut - ſeeligkeit und Gefaͤlligkeit haben; daß wir tapffer / hoͤfflich / erbar und frey ſeyn. Es iſtnoͤthig /140Der vollkommenenoͤthig / daß alles was wir thun / fein na - tuͤrlich / zierlich und herrlich heraußkomme.

Vor allen Dingen muß man ein frey / offen Geſichte haben / alles Ubelſprechen meiden / und ſich niemals hartnaͤckig er ei - gen weder im Widerſprechen / noch in Auß - fuͤhrung eines ſchlechten und wenig anmu - thigen Diſcourſes.

Kan wohl etwas verdrießlichers ſeyn / als ein Proceß - Fuͤhrer / welcher / indem er ei - nen langen Proceß von Stuͤck zu Stuͤck auff den Naͤgeln herzehlet / Leuten / die es gantz nicht angehet / den Kopff damit warm macht. Wie kan er doch das Frauenzim - mer ſo artlich unterhalten / wann er ihnen bald von Contumaciren, bald von Præcludi - ren herſchwaͤtzet / und mit andern barbari - ſchen Woͤrtern / deren man ſich nur allzu - offt bedienet / bey ſolchen Haͤndeln / die man ſich ſelbſt machet / umb ſich wirfft. Ein Krancker / der ſich ohnauffhoͤrlich uͤber ſeine Kranckheit beklaget / iſt meines Erachtens noch unertraͤglicher. Er iſt nicht zufrieden / daß er den Leuten von ſeiner Colique, und von ſeinem Kopff-Schmertzen eine ver - drießliche Lection machet / ſondern er gehet weiter und ſchwaͤtzet auch noch von denArtz -141Welt-Mann.Artzney-Mitteln / die man ihm vorgeſchrie - ben hat. Die Leute / die ſich einige Proviſion von Hiſtorien und Fabeln gemacht haben / damit ſie fertig ſeyn auff jedwedes Wort etwas zuerzehlen / ermuͤden oder ſchlaͤffern die Perſonen / ſo ihnen zuhoͤren / elendiglich ein; ſie er zehlen auff allerley Dinge mit tau - ſend unnuͤtzen und ſchwachen Umbſtaͤnden / das / ſo ſie alles nach dem Alphabet zuvor eingerichtet hatten / und lauren immer gleichſam als auff einen Hinterhalt / umb ihren Locum Communem, davon ſie eine feine weitlaͤufftige Materie bekommen wollen / an den Mann zubringen.

Wir wuͤrden den Fehler / den wir ſchel - ten / ſelbſt begehen / wann wir alle Arten der Schwaͤtzer hier beybringen / und alles / was ſie denen Geſellſchafften unertraͤgliches alle Augenblick auffbinden / erzehlen wolten; - ber diß daß es ſchon mehr dann allzu un - noͤthig iſt von einem Dinge / davon einige Authores unſerer Zeit artige Spott-Schrif - ten / ſowohl in gebundener als ungebunde - ner Rede auffgeſetzet / weitlaͤufftig zuhan - deln. Wir wollen allein ſagen / daß man von allen Dingen reden koͤnne / von denen wir geſagt / daß man nicht allzuviel redenmuͤſſe.142Der vollkommenemuͤſſe. Man kan ein Hiſtoͤrgen machen ſein kurtz / leicht / zierlich und anmuthig. Man darff in wenig Worten ſagen / worin die Kranckheit / umb die man euch fraget / beſtehet. Und iſt euch auch nicht zureden ver - boten von einem Proceß, der euch verhin - dert / eure wohlanſtaͤndige Schuldigkeiten abzulegen / oder der euch ſo bindet / eine nach - druckliche Anſuchung zuthun. Ja man kan bißweilen auch wohl von Stoffen und von Spitzen reden / und iſt allemal gut / daß man ſich darauf verſtehet / ſowohl darumb / daß man ſich nicht betriegen laſſe / wann man derſelben etwa kauffen muß / als umb ſeine Meinung davon zuſagen / wann die gantze Converſation darauff beruhet / wie ſich dann ſolches bey dem Frauenzimmer offt genug zutraͤgt. Allein muß man von der - gleichen Materien ſtracks auff andere kom - men / und den Schwatz / der in die Laͤnge nicht mehr außhalten wil / wieder anheben und verneuern. Dieſe Kunſt / den Diſcours zuveraͤndern / haben wir von dem Frauen - zimmer gelernet / dann weil ſie gemeiniglich mehr zaͤrtlich als gelehrt ſeynd / als beſchnei - den und berupffen ſie / ſo zuſagen / die Dinge nur / ohne daß ſie biß auff den Kern oderbiß143Welt-Mann.biß auff das Leben zudringen / Verlangen haben. Wir ſind ihnen auch einen Theil der Reputation, ſo wir erwerben / ſchuldig. Denn gleich wie man ihre Meinungen alle zeit mit Glimpff empfaͤnget / und daß ſie uns freyer und auffrichtiger loben / als die Leute von unſerm Geſchlechte und von unſerm Gewerbe nicht leicht thun wuͤrden / als waͤchſt die gute Meinung / ſo ſie von uns haben / unvermerckt / biß ſie endlich zu unſerer Gunſt außſchlaͤgt.

Wir wollen noch etliche Reguln zu de - nen / ſo wir ſchon erzehlet / ſetzen / und ſagen / daß ein Menſch / der Frauen zimmer be - ſuchet / nothwendig muͤſſe alle zeit wohlſtaͤn - dig / ja auch praͤchtig / wann ers ohn ſeinem Nachtheil thun kan / gekleidet ſeyn. Die Koſten / ſo wir auff die Kleider wenden / folgen uns uͤberall auff dem Fuß nach / wie ein Author unſerer Zeit ſagt / ſie oͤffnen uns die Thuͤren / ſie ſchaffen uns faſt allezeit das Gluͤck / daß wir auff verbindliche Art empfangen werden; und wie das Außwen - dige / welches alſo fort in die Augen leuchtet / das jenige iſt / ſo die erſte Einbildung bey einem andern machet / ſo muͤſſen wir ohne Zweiffel daran ſeyn / daß dieſe erſte Einbil -dung144Der vollkommenedung zu unſerm Vortheil geſchehen moͤge. Nichts deſtoweniger muß man ſich nicht einbilden / daß man als dann wohl gekleidet iſt / wann man uͤber die Mode noch ein Stuͤck daran ſetzet. Umbgekehrt vielmehr / man mag die Mode uͤberſchreiten ſo wenig als man wil / ſo naͤhert man ſich der Extrava - ganz, und wann man gar offt von eines Menſchen Sinne durch ſeine Art zukleiden urtheilet / wie kan man die Leute hoch ſchaͤ - tzen / die durch ſolche Art der Eigenſinnig - keit uns vorkommen als waͤren ſie auß ei - nem frembden Lande / oder von einem an - dern Seculo her / unter den Perſonen die ſie doch haben ſehen in die Welt kommen. Was die Converſation mit dem Frauen zim - mer belanget / iſt vor allen Dingen wohl zu - behalten / daß man alle Deutigkeiten im Reden meide / weil ſolche ihnen gar ſehr ſel - ten gefallen. Jch verſtehe die Worte / die auch nicht einmal was mit ſich bringen / ſo ihr Gehoͤr beleidigen koͤnne; dann was die Worte betrifft / in welchen ein unerbarer Verſtand verwickelt iſt / dieſelben hat man allezeit den Capitlern und den Scher - ſchleiffern gelaſſen. Es iſt nicht zuſagen / daß man ſo gar alle kurtzweilige Wortever -145Welt-Mann.verbanuet habe / viel Leute unſerer Zeit ha - ben ſich deren gluͤcklich bedienet in der Con - verſation, ja ſo gar auch in ihren Schriff - ten. Und unter den Alten hat Cicero, der ohne Zweiffel unter allen Schwaͤtzern ſo jemals gefunden / der groͤſte geweſen / ſichs nicht ſchimpfflich gehalten ſolche zu - brauchen.

Er wolte einsmals einem Kerl ſeine ge - ringe Geburt vorwerffen / und als dieſer Menſch zu ihm ſagte / daß er ihn nicht hoͤr - te / antwortet ihm Cicero; Du haſt gleich - wohl Loͤcher in den Ohren, und wolte ihm damit zuverſtehen geben / daß er dem Stan - de nach ein Knecht waͤre / weil die Roͤmer gewohnet waren / ihren Knechten Loͤcher durch die Ohren zuſchlagen.

Endlich iſt auch noͤthig / daß die / ſo dem Frauenzimmer auffwarten wollen / alle Exercitien, ſo denen Leuten von ihrem Alter und von ihrer Profeſſion zu kommen / zierlich machen koͤnnen / daß ſie vor allen Dingen wohl wiſſen zutantzen / und wacker zureiten. Hierbey muͤſſen ſie doch in Acht nehmen / daß ſie ſich nicht ſo gar uͤbermaͤſſig auff eines allein legen / und die andern hindan ſetzen muͤſſen. Es iſt beſſer ein EdelmannGwiſſe146Der vollkommenewiſſe von allen zuſammen gleich viel / als daß er bloß ein guter Reuter / oder ein zierli - cher Taͤntzer ſey. Wann eine von dieſen Qualitaͤten bey ihm nur ſo viel groͤſſer waͤre / als die andern / daß ſie dieſelben verdunckel - te / wuͤrde ein Cavallier ſich offt muͤſſen reuen laſſen / daß er ſie ſo gluͤcklich gelernet. Dann wann er ſich allzuſehr dem Tantzen ergebe / wuͤrde man ihm von nichts / als von Cou - ranten und Balletten ſchwaͤtzen. Und wann er ſeine meiſte Lebens-Zeit in der Bereiterey zubraͤchte / wuͤrde man von ihm nichts wiſ - ſen wollen / als was er von dieſem Tuͤrcki - ſchen oder von dieſem Spaniſchen Pferde hielte. Unſere Welt wil lieber / daß ein recht - ſchaffener Menſch von vielen Dingen ein weniges wiſſe / als daß er eines allein von Grunde auß verſtehe. Wir haben dieſe Meinung nicht allein / ſondern wir koͤnnen ſehen / daß die alten Roͤmer damals / als ih - re Herrſchafft in der beſten Bluͤthe war / e - ben ſolche Einbildung hatten. Gewiß es ſa - get in Terentii Comœdien ein Vatter / da er von ſeines Sohns Lebens-Art redet / daß er biß dieſe Stunde ſich uͤber ihn nicht haͤtte zubeklagen gehabt / weil er bemerckt / daß der junige Menſch die Jagt / die Pferde /und147Welt-Mann.und andere dergleichen erbare Exercitien ge - liebet / ohn daß er ſich in einem von dieſen allzuſehr vertieffet / oder daß er ſich befliſſen haͤtte in einem beſſer zufahren als in dem andern.

Unter deſſen muß man einen wichtigen Unterſcheid machen und ſagen / daß auff die Dinge von der Profeſſion, an die wir uns er - geben / wir uns niemals allzuſehr legen koͤn - nen. Vielmehr ſind die beruͤhmten Leute / ſo wir in den Kuͤnſten und in den Wiſſen - fchafften haben / durch dergleichen unver - droſſenen Fleiß / dem wir deßwegen verbun - den ſind / zu unſerm Vortheil groß gewor - den. Wie nun ein rechtſchaffener Mann abſonderlich ſeinem Printzen zu Felde zu - dienen verbunden iſt / ſo iſt gewiß / daß er ſich auff die Dinge / ſo zu dieſem Hoch - Edlen Handwerck gehoͤren / niemals zuviel legen koͤnne. Laſt ſehen / ob wir ihm uͤber dieſer / vor ihn ſo wichtigen / Materie, einige Erinnerungen beytragen koͤnnen.

Vom Kriege.

MAn kan leicht urtheilen / daß ich hie nicht einen groſſen Tractar von derG 2Kriegs -148Der vollkommeneKriegs-Zucht ſchreiben werde / und daß ich nicht nach den unterſchiedenen Zeiten und Nationen / die unterſchiedene Arten zu - campiren / zufortificiren / zubelaͤgern / ge - nau zuunterſuchen gedencke / oder zuerzeh - len / ob man den Feind mit der bloſſen Zu - ſtuͤrmung ſeiner Hertzhafftigkeit ſchlaͤgt. Auch ſehen wir / daß es denen groͤſten Maͤn - nern nicht uͤbel außgeleget worden / wann ſie eine Krieges-Liſt hervor geſuchet / und wiſſen unſere Generalen nicht allein alles / was in dergleichen Faͤllen die Alten zu - Werck gerichtet / ſondern ſie erfinden auch noch taͤglich neue Mittel / umb den Feind zuſchlagen.

Weil ſonſten die Kriegs-Reguln ſehr ungewiß ſind / wann man ſie zumal ſo ins gemein abfaſſet / ſo iſt es noͤthig / daß ein General nach Gelegenheit der Zeit / und deß Orts / ja ſowohl nach der Zahl oder nach dem Sinn der Voͤlcker / ſo er com - mandiret, als derer / ſo er angreiffen wil / da - von ſtets ſonderbare Muͤſtergen ma - che. Wir wollen dieſe Materie mit etlichen Exmpeln er - klaͤren.

Regul.149Welt-Mann.

Regul.

Es iſt vortheilhafftiger / gehen und den Feind in ſeinem Lande an - fallen / als ihn in unſerm erwarten.

WAnn wir ſo verfahren / befreyen wir un - ſere Haͤuſer und unſere Guͤter von al - lem Elende / welches der Krieg unfehlbar allezeit mit ſich bringet. Das Winſeln un - ſerer Weiber / und das Schreyen unſerer Kinder verwirret uns nicht / und wie der je - nige / der einen andern angreiffet / allezeit kuͤhner iſt / als der ſo angegreiffen wird / als bringet die Kuͤhnheit / die wir bezeigen / wann wir ein frembd Land mit Krieg uͤber - ziehen / bald einen Schrecken in alle Oerter / die ſich unſers Einfalls verſehen.

Unterdeſſen kan man auch ſagen / daß / wie wir in einem frembden Lande nicht gar zubekandt ſind / wir alle Augenblick ins Garn gerathen / und uns in ſchwere Paſſage ſtecken koͤnnen / auß welchen man ſich nicht ohne groſſen Verluſt ziehen kan. Wir ſind von Feinden gantz umbgeben / wir muͤſſen uns alle Tage ſchlagen / damit wir Fuß hal -G 3ten150Der vollkommeneten koͤnnen / und unſere Voͤlcker koͤnnen deß Handels uͤberdruͤſſig werden / und ſich einer nach dem andern unſichtbar machen: an ſtatt daß in unſerm Lande uns alles zu - ſchlaͤgt / ſowohl wegen der Bequemligkeit der Zufuhr / als wegen der vortheilhaffti - gen Poſten / ſo wir einnehmen koͤnnen. Ja man kan gar ſagen / daß die allgemeine Be - gierde das / was man am meiſten liebet und am hoͤchſten ſchaͤtzet / zuvertheidigen / die Koͤpffe unter einen Hut bringet / und ihnen zweyfache Hertzhafftigkeit einblaͤſet. Scipio und Fabius hatten dieſe widrige Meinun - gen unter ſich getheilet / und vertraten ſie in offentlichem Rath. Weil Titus Livius ihre Reden zierlich einfuͤhret / ſo kan man bey dieſem Geſchicht-Schreiber / der ſehr nett geſchrieben hat / die Beweißthuͤme / ſo hie - bevor dieſe zwene groſſe Maͤnner / vor - brachten / nach der Laͤnge ſehen.

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Regul.151Welt-Mann.

Regul.

Wann man ein Land mit Krieg ü - berzeucht / muß man / wann man kan / alſofort vor die Haupt Stadt ruͤcken / an ſtatt daß man ſich vor andern Veſtungen auffhaͤlt.

UBer diß / daß ſo eine kuͤhne That unſern Waffen eine Reputation zuwege brin - get / und den Feinden eine Furcht einjaget / ſo iſt gewiß / daß die anſehnlichſte Stadt võ einer Herrſchafft gemeiniglich alle die an - dern Staͤdte nach ſich ins Verderben ſchleppet. Nichts deſtoweniger kan man antworten / daß wann die Soldaten den Krieg durch eine langweilige und gefaͤhr - liche Belaͤgerung anheben / ſie nicht ſo hitzig ſeynd / als wann man ſie erſt vor Feſtungen gefuͤhret haͤtte / die ſie leicht haͤtten einneh - men koͤnnen. Uber diß / daß wann man eine groſſe feſte Stadt belaͤgert / man ſich gleich - ſam wieder belaͤgert befindet von allen den andern / deren man ſich nicht bemeiſtert hat / und von dannen man ſo viel Ungele - genheit bekommt / als man Vortheil wuͤr -G 4de152Der vollkommenede gehabt haben / wann man ſich derſelben ſtracks anfaͤnglich bemaͤchtiget haͤtte.

Aber an ſtat daß ich ſolte / wie ich leichtlich koͤnte / unendlich viele Reguln / welche man eben ſo leicht / als die vorigen behaupten und widerlegen kan / anfuͤhren / wil ich mich nur vergnuͤgen zuſagen / daß ein Kriegs-Haupt / wann es ſtudieret hat / niemals unterlaͤſt / genau zuunterſuchen die unterſchiedlichen Umbſtaͤnde / von welchen die Generals ſich unterſchiedlich zuhalten / verleiten laſſen / und daß er allezeit ſo viel ihm moͤglich iſt / ſich nach denen / die einen gluͤcklichen Auß - gang gewonnen / einrichtet.

Unter ſo manchen Kriegs-Liſten / ſo er be - mercket hat / wehlet er allezeit die jenigen auß / welche er am gluͤcklichſten zu Werck richten kan / doch ſo / daß er dabey veraͤn - dert / alles was irgend dem Feind einen Argwohn deybringen koͤnte. Wie wir nun allbereit geſaget / und jederman miteinſtim - met / daß die Kriegs-Liſte / davon wir reden / einem Kriegs-Haupte nicht nur zugelaſſen / ſondern / daß ſie ſo gar noch ein Theil ſeiner Wiſſenſchafft ſeynd / als deucht mich / es werde nicht ungereimbt ſeyn / deren et - liche in dieſer Gegend meines Wercks ein -zu -153Welt-Mann.zumiſchen / zudem Ende / daß man durch die Nachſinnung / welcher man daruͤber pflegen muß / deren folglich andere erfinden koͤnne / wornach man ſie bey Gelegenheit wird noͤthig haben.

Von Kriegs-Liſten.

JCh weiß wohl / daß ſichs mit den Kriegs-Liſten eben verhaͤlt als mit den Reguln / die man in dieſem Handwerck practicirt / ich meine daß dieſe und jene ſich alle Augenblick veraͤndern koͤnnen / wor - nach die Zeiten / die Oerter und die Perſo - nen anders und anders ſind. Jch weiß auch wohl / daß man gantze Buͤcher von Kriegs-Liſten voll geſchrieben / welche man auffſchlagen kan; unterdeſſen wil ich doch nicht unterlaſſen deren etliche zuerzehlen von denen / ſo die Alten practicirt haben / allein ich wil es kurtz faſſen / und mit einer ſolchen Ordnung / die mit der Natur / wie michdeucht / ziemlich zuſtimmet. So wil ich dann die Kriegs-Liſte auff drey unter - ſchiedliche Arten betrachten / die erſten ſol - len vor dem Treffen hergehen / die andern koͤnnen in der Schlacht trefflich zupaſſeG 5kom -154Der vollkommenekommen / und letzlich giebt es noch etliche / deren man ſich gluͤcklich nach dem Gefechte bedienen kan. Ehe man mit dem Fein - de in ein Handgemeng geraͤth / muß man ſich der beſten Poſten bemaͤchtigen / und alle Gelegenheit deß Orths zu ſeinem Vortheil ziehen. Jederman hat in der Hiſtorie be - mercket / daß Hannibal / vor der beruͤhm - ten Canniſchen Schlacht ſeine Voͤlcker in ſo zierliche Ordnung ſtellete / daß ſie den Wind und die Sonne auff dem Ruͤcken hatten; und daß im Gegentheil der Platz / den er ſeinen Feinden ließ / machte / daß ſie beyde Unbequemligkeiten ſich muſten laſſen ins Geſicht fallen; daß ſie von den Son - nenſtralen und von dem Staube / welchen ihnen einſtrenger Wind mit Ungeſtuͤm in die Augen jagte / verblendet wurden. Da - mit trug er auch den beruͤhmten Sieg / durch welchen die Roͤm. Herrſchafft auff zwey Finger breit von ihrem Untergang ge - bracht wurde / von zwey Conſulariſchen Armeen davon.

Alexander / dem Darius an der Zahl der Soldaten weit uͤberlegen war / that ſehr wohl / daß er ſeinen Feinden einen engen Ort / wo ihn die Berge verſicherten / daß ernicht155Welt-Mann.nicht konte umbringet werden / erwartete. Jm Gegentheil begieng der Koͤnig von Perſien / welcher den Macedonier auff eine Flaͤche haͤtte ziehen ſollen / umb ihn mit der unendlichen Menge Soldaten / die er mit ſich fuͤhrete / zuuͤberfallen / einen groſſen Feh - ler / daß er biß an ſolche Oerter / da er nicht anders als mit gleichem Vortheil ſchlagen konte / fortruͤckte / ſo daß er von Truppen ſo beſſer zum Kriege gewohnet waren / als die ſeinen / geſchlagen wurde. Man pflegt auch wohl bißweilen / wann man ſchwach iſt / ſich entweder mit einem Fluß oder mit einem Abſchnitt zubedecken / wie Cæſar diß in Gallien practicirte. Und wann die Oer - ter zu einem Hinterhalt bequem ſind / weiß man auff wie vielerley Arten man ſich de - ren bedienen kan / ohne daß ich die unter - ſchiedliche Lehren / ſo man hieruͤber gibt / an - ziehe.

Man ſucht auff unterſchiedene Art einen Schrecken in die feindliche Armee zubrin - gen. Vor deſſen ſchickte man gegen die Pferde / umb ſie zuerſchrecken / ſolche Thiere / welche ſie zuſehen ungewohnet waren / wie Crœſus, der Camele vor ſeinen Voͤlckern her - ziehen ließ / und viele andere Generals brauch -G 6ten156Der vollkommeneten hernach Elephanten eben zu dieſem En - de. Aber Hannibals Kriegs-Liſt / der ſich mitten durch Fabii Armee einen Paß ma - chen wolte, uͤbertraff alle andere Liſte / deren man ſich bey dergleichen Gelegenheiten je - mals bedienet hatte. Er ließ denen Ochſen / die er in ſeinem Laͤger hatte / Buͤndel Holtz an die Hoͤrner binden / und nachdem er die folgende Nacht folche angeſteckt / laͤſt er die - ſe Thiere auff die Feinde loßjagen / und da durffte er nur auff dem Fuß tapffer nachge - hen / ſo fande er einen freyen Weg. Jn Warheit hatten die Ochſen nicht ſo bald das Feuer an den Hoͤrnern warm befun - den / als ſie ſo ſchrecklich anfingen zuwuͤten und zutoben / daß ihnen die Roͤmer unmoͤg - lich Widerſtand thun kunten.

Man hat offt die Feinde in waͤhrender Schlacht furchtſam gemacht / indem man ihnen von ferne groſſe Truppen Reuterey gewieſen / die da ſchienen als kaͤmen ſie auff ſie loß. Sulpitius und Marius bedienten ſich dieſer Liſt / jener gegen die Gallier / dieſer ge - gen die Cimbrier. Ehe ſie in das Handge - meng geriethen / lieſſen ſie ihre Knechte und Troß-Buben auff die Wagen-Pferde ſitzen / und befahlen ihnen / wann dieSchlacht157Welt-Mann.Schlacht angienge / ſich von ferne auff ei - ner Hoͤhe ſehen zulaſſen / und ſich zuſtellen / als wolten ſie dem Feinde einhauen. Biß - weilen zwinget man die aller furchtſamſten tapffer zufechten / indem ſie Ordre gaben / als vor Zeiten Philippus von Macedonien that / alle die jenigen / ſo außreiſſen wollen / niederzuſtoſſen. Man hat offt eine Stan - darte mitten unter die Feinde geſchmiſſen / umb die Leute / ſo Ehre und Ruhm lieben / anzureizen / daß ſie ſelbige wieder holen; und wann die Verweiſungen picquiren und Muth geben / ſich hinfuͤhro beſſer zuhalten / ſo gelanget man bißweilen zu eben dieſem Zweck / dadurch / daß man ſich nichts mer - cken laͤſt von der Zaghafftigkeit der Trup - pen / denen man wil einen Muth zuſprechen. Hannibal / als er ſahe / daß eine von ſeinen Squadronen wiche / und die Flucht neh - men wolte / jagte er alſofort auff ſie loß / und ſtelte ſich an die Spitze dieſer erſchrockenen Africaner mit dieſen Worten: Wo wollet ihr hinauß / Freunde? das iſt nicht der rechte Weg / da ihr am nechſten auff den Feind kommen koͤnnet: Folget mir / wir wollen ih - nen nicht allein bald auff dem Nacken ſeyn;G 7ſon -158Der vollkommeneſondern wir wollen ihnen auch bald den Sieg auß den Zaͤhnen ruͤcken.

Nach der Schlacht muß der Uberwinder fein wiſſen ſeinen Vortheil auß dem Sieg zumachen / und in dieſer Gelegenheit es viel - mehr Cæſarn nachthun / als Hannibal / der nach der Canniſchen Schlacht zu Capua ſich den Luͤſten ergab / und von denſelben zerſchmelzete / an ſtatt daß er haͤtte ſollen ge - radezu nach Rom ruͤcken / allwo jederman in der groͤſten Conſternation war.

Jm Gegentheil wann wir den Kuͤrtzern gezogen haben / muͤſſen wir unſere Zuflucht zu ſolchen Mitteln nehmen / welche wir vor die bequemſten urtheilen werden / umb uns vor dem nachſetzenden Feinde zuverſichern. Wir koͤnnen unterſchiedliche Streiffe neh - men / auff daß er zuſchaffen bekombt / und nachlaͤſt uns zuverfolgen / damit er ſeine Macht nicht zertheilen und ſich ſchwaͤchen darff.

Man kan auch die koͤſtlichſte Sachen / ſo man bey ſich hat / auff dem Wege verzet - teln / damit ſich der Uberwinder im Auffle - ſen verweile / und wir Zeit gewinnen / unsins159Welt-Mann.ins Sichere zubringen. Jch koͤnte leicht noch andere Liſte beybringen / allein uͤber diß / daß man / wie ich ſchon gedacht / gantze Authores, ſo davon außdruͤcklich gehandelt / beſehen kan / kan ich auch nicht weiter gehen / wann ich nicht die Grentzen / die ich mir ſelbſt gelegt / uͤberſchreiten wil. Es iſt genug wann ich ſage / ich habe auß meiner eigenen Erfahrung gelernet / daß es ſehr nuͤtzlich iſt / wann man in den Buͤchern und in der Con - verſation mit Kriegsleuten / die ihr Hand - werck wohl koͤnnen / alle Dinge bemercket / ſo man bey erfordernden Gelegenheiten zu ſeinem Vortheil werckftellig machen kan.

Als die Feinde Corbey belagerten / und Piccolomini nebenſt Joan de Werdt biß in viel Gegenden von Piccardie ſtreiffeten / vertrauete mir Weiland der Herr Graf von Soiſſons den Platz Mondidier, wiewohl ich damals nur noch in meinem zwanzig - ſten Jahr war / alſo daß ich wuͤrde zuſchicken und zuſchaffen bekommen haben / wann ich bey meinem Studieren nicht ſchon gelernet haͤtte / was mich einer Verrichtung irgend konte faͤhig machen. Alſo erhielte ich den Platz / welchen man mir vertrauet hatte / in -dem160Der vollkommenedem ich mich ſolcher Mittel bediente / welche ich dafuͤr hielte daß ſie ſich am beſten zu mei - nem Zweck legen ſolten. Den Anfag mach - te ich damit / daß ich Leinwand außbreiten ließ ſowohl umb die Loͤcher ſo ich in den Mauren geſehen hatte / zuverbergen / als umb die Werckleute / welche ich alſofort daran lieſſe arbeiten / ſie außzubeſſern / zu - bedecken. Folglich zu der Hurtigkeit ſo mir damals die Jugend gab / trug ich noch bey das wenige von der Kunſt / welche ich auß dem Nachdencken / ſo mir von mancher Begegnung verurſachet worden / hatte zie - hen koͤnnen.

Von den Kriegs-Liſten / davon wir ge - redet / laſſet uns noch auff die maͤchtichſte und auff die loͤblichſte kommen / ich mei - ne auff die Beredſamkeit eines Kriegs - Manns.

Daß ein General muß be - redt ſeyn.

ES iſt nichts / das einer Armee groͤſſere Hertzhafftigkeit beybringen koͤnne / als eine kraͤfftige Vermahnung eines beredtenHaupts;161Welt-Mann.Haupts. Und ich daͤchte / daß ein Kerl un - menſchlich verzagt ſeyn muͤſte / wann er ſich von den Worten / die lauter Kuͤhnheit / da - von ſie begeiſtert ſind / außblitzen / nicht ſolte auffbringen laſſen. Es moͤgen dieſelben ent - weder Ruhm verſprechen ſolchen Truppen / ſo von Generoſi taͤt ſeynd / oder daß ſie Hoff - nung machen zu einer groſſen Beute vor die Soldaten / welche nur dienen umb ſich zubereichern / ſo thun ſie gluͤcklich alles bey - des. Anders Theils wann der Gouverneur von einer belaͤgerten Feſtung zu den Jnn - wohnern und zu den Soldaten von der Beſatzung redet / was unterlaͤſt er zuſagen / damit er ſie zur Vertheidigung ihrer Kir - chen / ihrer Weiber und ihrer Kinder an - friſchet / daß er ſie verbindet / und wanns auch ihr Leben koſten ſolte / zubewahren was ihnen in ihrer Stadt am liebſten iſt / und lieber zuſterben / als ſich ihren Feinden zum Raube uͤberzulaſſen.

Gleichwohl iſt nicht allezeit noͤthig lange Reden zumachen; vielmehr ſcheinet es / man muͤſſe bey dergleichen Gelegenheiten / wo man gemeiniglich auff nichts weniger dencket / als auff Reden / wenig Worte ma -chen.162Der vollkommenechen. Einer von den Frantzoͤſiſchen heuti - gen Geſchicht-Schreibern erzehlet / wie ein Koͤnig von Franckreich / eben als er fertig geſtanden eine Schlacht zuliefern / zu ſeinen Soldaten dieſe wenige Worte gehalten: Meine Freunde / ich bineuer Koͤnig / und ihr ſeyd Frantzoſen. Dieſe wenige Wort greiffen trefflich weit umb ſich. Dann wer ſolte doch endlich nicht Luſt ha - ben ſich ſehen zulaſſen / wann er gleich jetzt in ſeines Printzen Gegenwart fechten ſoll? Und kan man verzagt ſeyn / wann man ſich erinnert / daß man unter einer kriegeriſchen und tapffern Nation geboren iſt? Jch wil nicht ſagen / daß die vortrefflichſten Genera - len ihren Voͤlckern allezeit zugeſprochen. Alexander ließ es faſt niemals daran fehlen. Und ſo ich hier keinen von dergleichen Diſ - courſen beytrage / die man entweder wann man den Feind anfallen oder auch wann man ſich gegen ihn vertheidigen wil / zuhal - ten pflegt / ſo geſchichts deßwegen / weil man deren viel bey den Geſchicht-Schreibern und abſonderlich bey Tito Livio kan nach - ſchlagen.

Es kan auch bißweilen ſo gar ein kurtz -weiliger163Welt-Mann.weiliger Poſſen die erſchreckten Truppen verſichern und wohl eine beſſere Wirckung / thun / als man von einer weitlaͤufftigen Vermahnung nicht zugewarten haͤtte.

Vor der Canniſchen Schlacht kriegt Hannibal zuwiſſen / daß zwey Conſulari - ſche Armeen zuſammen geſtoſſen / in willens ihm eine Schlacht zuliefern. Wie ſtarck die Roͤmer ſeyn moͤchten / konte er den Kundſchafftern und Parthey-Gaͤngern / ſo ihm dieſe Zeitung brachten / im Geſichte an - ſehen / und damit ſeinen Voͤlckern nicht ir - gend dadurch einen Schrecken eingejagt wuͤrd / ſitzt er ſelbſt auff / umb Emilii und Va - raonis Macht zu recognoſciren.

Kaum hatte er die groſſe Menge der Feinde zugeſicht bekommen / ſo ſchiene es / als waͤre ihm nicht eben gar zuwohl dar - bey / indem nicht leicht ein Menſch die erſten Bewegungen ſeines Gemuͤths in ſeiner Ge - walt hat. Allein weil er zur Stund beſorge - te / ſeine Entſetzung moͤchte bey ſeinen Leu - ten eine gefaͤhrliche Einbildung verurſa - chen / ſo machte er vor denen / ſo bey ihm waren / und auff ſeine Gebaͤrden Achtunggaben /164Der vollkommenegaben / eine anmuthige Kurtzweil darauß. Einer von ſeinen damals gegenwaͤrtigen Officirern Namens Giſcon, nachdem er ihn gar genau das Geſichte betrachtet / re - dete ihn an und ſagte: Was meint der Herr General / iſts nicht mehr dann allzu - wahr / was man euch hinterbracht vom Feinde? Ha / antwortet Hannibal gantz freudig / ich dachte auff gantz was anders. Jch dachte / daß unter der groſſen Zahl der Roͤmer / ſo wir da vor uns ſehen / gleichwohl nicht eineinziger iſt / der Giſcon heiſt / wie ihr. Mit dieſen Worten machte er die Carta - ginenſer lachen / und vertrieb ihnen zugleich alle Furcht. Sie konten ſich vor dem her - anmarſchirendem Feinde nicht foͤrchten / weil ſie ihn ſchlagen ſolten unter dem Com - mando eines unverzagten Generals / der bey deſſelben Anzuge Schertz trieb.

Nichts deſtoweniger muͤſſen wir beken - nen / daß es offt Noth thut / nachdruͤckliche Reden zufuͤhren / umb den Soldaten ein Hertz zuzuſprechen. Wann ſie zuvoren die Truppen / mit welchen ſie treffen ſollen / ge - ſchlagen / kan man ſie der Ehren / die ſie ſchon einmal darvon getragen / erinnern /und165Welt-Mann.und ihnen vorhalten / wie leichte die Voͤl - cker / die ſie ſchon einmal uͤberwunden / zu - bezwingen ſeyen. Wann im Gegentheil ſie von ihnen einmal geſchlagen worden / kan man mit Vorhaltungen ſticheln / oder ihnen eine Hoffnung / daß ſie ihres Schadens ſich leicht erholen koͤnnen / machen / zumal bey einem ſolchen Feinde / welchen das Gluͤck gantz eingeſchlaͤffert / auch faul und nachlaͤſ - ſig gemachet.

Allein ungeachtet aller Erinnerungen / ſo wir hier haben koͤnnen anfuͤhren / laſſet uns ſagen / daß ſich ein Menſchſein Tage nicht zum Kriegs-Weſen begeben ſolle / wann daſſelbe ſeinen natuͤrlichen Neigungen ſo gar zuwider iſt. Wann er aber gleichwohl entweder wegen ſeiner Eltern die es begeh - ren / oder wegen ſonſt einer Urſache genoͤ - thiget wird / den Degen der Feder vorzuzie - hen / und daß er dennoch zu ſo einem Hand - wercke / worbey es Arbeit und Gefahr uͤbrig zuverſchlucken gibt / keinen ſonderbaren ap - petit hat / ſo muß er mit Hand und Fuß daran ſeyn / daß er ſeine Einbildung mit allem / was ihm einen Muth machen kan / fortificire. Er muß ſich vor Augen ſtellen /die166Der vollkommenedie Reputation / ſo er erwerben kan / und die Recompanſes, die er mit Recht zuhoffen hat / wann er ſich tapffer haͤlt. Er kan uͤberlegen / wie viel Koͤnige und andere groſſe Printzen / die ſo viel Urſache haben / ihr Leben zuerhal - ten / ſich dennoch gewaget / und noch taͤglich wagen / umb Ruhm und Ehre zuerwerben. Wann dergleichen Gedancken ſeine Furcht nicht zuverjagen vermoͤgen / ſo unterlaſſe er ja ſolche offentlich zuwieſen an ſolchen Or - ten / wo man nichts als Kuͤhnheit darff bli - cken laſſen. Allein wann er ſie gantz und gar auß ſeinem Hertzen verweiſet / ſo muß er weiter gehen / und ſich damit nicht vergnuͤ - gen / daß er nur ſchlechter Dings tapffer iſt / er muß allen Fleiß anwenden / daß er in ſei - nem Handwerck einer von den fuͤrtrefflich - ſten ſey.

Wann er dieſen Sinn hat / ſo muß er ſtets dienen / denn auſſer der langen Erfah - rung ſehe ich nicht wie man koͤnne ein groſſer General werden. Wann man auch ſchon dieſer augenſcheinlichen Warheit nicht bey - pflichten wolte / ſo doͤrffte man doch zum wenigſten nur der Hiſtorie nachdencken / dieſe bezeuget / daß es in Europa unzehlichviel167Welt-Mann.viel tapffere Soldaten gegeben / dieweil es allezeit in viel Herrſchafften zertheilet gewe - ſen / deren unterſchiedliche Nutzungen die Voͤlcker ſtets untereinander in Waffen un - terhielten. Africa hat deren nicht ſo viel ge - zeuget / dieweil es nicht ſoſehr zertheilet unter ſich / und dahero weniger Kriege gegeben. Numidien gleichwohl und Mauritanien haben Maſiniſſen, Jugurthen und Juben gehabt. Und die Herrſchafft von Cartago iſt durch ihre Amilcare, Anniballe und Aſdrubale beruͤhmt geweſen. Allein Aſien iſt faſt niemals mehr als einem Monarchen unterthan geweſen. Alſo daß ſeine Voͤlcker weil ſie ſtets unter einem Herrn gelebet / in einer ſtoltzen Ruhe / ſo die Gemuͤther alle zeit verzaͤrtelt / geſeſſen. Darumb muß man ſich nicht verwundern / wann man offt geſehen / daß unter Alexan - dern / oder unter andern Haͤuptern ein klein Haͤuffgen Griechen eine groſſe Anzahl Per - ſianer geſchlagen.

Uber diß nun daß er ſtets dienen muß / ſo muß er auch mit einem fleiſſigen Eiffer die - nen. Ein Menſch / der zu den hoͤchſten Ver - richtungen wil gezogen werden / muß ſich fleiſſig mit denen / ſo in ſeinem Handwerckewohl168Der vollkommenewohl erfahren ſeyn / beſprechen. Ja er muß ohn Unterlaß / im leſen / im marſchiren / im conferiren ſeine Obſervationes machen. Wann er reiſet / muß er die Hoͤhen und die Thaͤler anſehen / damit er ſich gewoͤhne / die Oerter wohl zu recognoſciren, und ein ge - wuͤnſchtes Vortheil darauß zuziehen / wenn man die beſten Poſten einnehmen ſoll.

Wann er in Feindes Lande iſt / muß er die Leute vom Lande fragen / und ſie abſon - derlich hoͤren / umb zuverſtehen / ob ihre Re - den auch uͤberein treffen / und muß alſo ent - weder durch Draͤuungen oder durch Ver - ſprechungen die Warheit / ſo uns zuwiſſen noͤthig iſt / auß ihnen bringen. Durch den von Ferne erhabenen Staub kan er urthei - len / daß Voͤlcker auff in loß kommen. Er kan ſich huͤten / daß er dem Feinde / der ſich etwann in ein Gebuͤſche verſtecket / nicht in die Haͤnde falle / wann er ſiehet / daß die Voͤgel / die ſich an ſolchen Ortẽ ſolten nieder laſſen / ſchichtern thun und davon flihen.

Allein an ſtatt daß wir alle Anmerckun - gen / ſo ein Kriegs-Mann alle Augenblicke machen kan / nach der Reihe her erzehlenſolten /169Welt-Mann.ſolten / koͤnnen wir nur ſagen / daß wofern er in ſeiner Kunſt eine rechtſchaffene und un - verfaͤlſchte Reputation erwerben wil / er nicht allein verbunden ſey / in einem Feldzug ſich uͤber alle die maſſen fromm und eingezo - gen zuhalten / ſondern er muͤſſe auch das Tugend-Bild der groſſen Maͤnner / denen er es nachthun wil / ſtets fuͤr Augen haben. Da wird er ſehen daß Caſar das Holtz ſo er zu ſeinem Laͤger hauen laͤſt / bezahlet. Daß Scipio, als er nach eroberter Stadt eine ſchoͤne Perſon in ſeine Haͤnde bekam / er nicht allein deß Rechts / ſo ihm der Sieg gab / ſich nicht bediente / ſondern auch dieſe ſchoͤne Gefangene auff alle erſinnliche Er - barkeit tractirte, und ſie an ihre Freunde wie - der lieferte / umb ſie an einen jungen Prin - tzen / dem ſie verſprochen war / zuverheura - then. Wann wir unferer tapfferen Leute mit Ruhm gedencken wollen / koͤnnen wir ſa - gen / daß bey Einnehmung einer Stadt gleichfals zwey ſchoͤne Jungfrauen / weil ſie von der Tugend deß Ritters Bayard ge - hoͤret / hingiengen / und bey ihm ſich eine Freyſtadt ſuchten / welche ſie auch funden / nebſt noch einer Vermehrung deß Braut - Schatzes / ſo ihnen dieſer tapffere CavallierHgab /170Der vollkommenegab / wiewohl das Gluͤck dazumal eben nicht zunagelfeſt war.

Dieſe Eingezogenheit und dieſe Froͤm - migkeit / davon wir geſagt / werden niemals unterlaſſen / ſehr herrliche Wirckungen zu - thun. Sie werden nicht allein den Reſpect der Kriegsvoͤlcker nachſich ziehen / ſondern es wird gewißlich auch der Feind weniger Hartnaͤckigkeit erzeigen / umb ſich an einen General / von welchem er kein tyranniſch Tractament zufuͤrchten hat / zuergeben.

Sonſt wann wir uns erinnern / daß die Roͤmer keine Weiber / ja ſo gar auch keine Spiele in ihrem Lager / wo die Soldaten allzeit zur Arbeit gehalten wurden / dulde - ten; was ſollen wir nicht fuͤr Ordnung halten in unſern? Sollen wir uns da wohl laſſen Gotteslaͤſterungen zu Ohren kom - men / ohn daß man die Gotteslaͤſterer ſtraf - fen lieſſe? Sollen ſie ſich zum Schwoͤren gewohnen / damit ſie allmaͤhlig und unver - merckt dahin gerathen / daß ſie auch endlich auß dem Eide / ſo ſie zur Fahne gethan / und der gleichwohl der Grund deß Gehorſams und der Kriegszucht iſt / einen Spaß ma - chen? Aber weil ein Kriegsmann / der groſ - ſe Reputation zuerwerben / und zu hohenVer -171Welt-Mann.Verrichtungen gezogen zuwerden geden - cket / weder thun noch dencken ichtwas ſoll / das mit den hohen Gedancken / mit welchen er umbgehet / nicht uͤbereinſtimmen ſolte; als wird es nicht uneben ſeyn meines Er - achtens / daß wir / ehe wir noch dieſes Werck ſchlieſſen / ein wenig von der Großmuͤthig - keit reden.

Hier wil ich einen Entwurff von einem Großmuͤthigen Manne machen / damit die jenigen / ſo eine warhaffte Neigung zur Eh - re haben / ihn vor ein Muſter brauchen koͤn - nen / von welchem ſie nichts / als lauter ſolche Gedancken / ſo der loͤblichen Ehrgierigkeit / die ſie begeiſtert / nicht unwerth ſind / ziehen koͤnnen. Sehet hier / auff welche Art ein Au - thor dieſer Zeit von der Großmuͤthigkeit / und von den Großmuͤthigen / nach dem Sinn deß allergroͤſſeſten Philoſophi der alten Zeit / redet.

Von der Großmuͤthigkeit.

DUrch die Großmuͤthigkeit verſtehet man nicht allezeit eine fuͤrtreffliche Hertzhafftigkeit / ſo uns zu ſchweren Unter - fangungen anreget; ſondern ſie muß offtH 2be -172Der vollkommenebetrachtet werden als eine Tugend / welche nach hohen Ehren durch ſolche Mittel / die einem tapffern Vorhaben wohl beykom - men koͤnnen / ſtrebet. Die mittelmaͤſſige Ehre wird von einem großmuͤthigen Her - tzen verworffen / es waͤre dann / daß die Wuͤrde der Perſonen / von denen die Ehre kommt / ihren Preiß erhoͤheten / und daß ſie umb deſto ſchaͤtzbarer waͤre / als ſelten ſie pfleget verliehen zuwerden. Als die Corin - thier einen Schluß gefaſſet den groſſen A - lexander unter die Zahl ihrer Buͤrger auff - zunehmen / ſchickten ſie zu ihm ihre Abge - ſandten / und lieſſens ihm zuentbieten. Alex - ander verwurff es anfaͤnglich / und verach - tete es. Allein ſobald die Abgeſandten ge - meldet / es haͤtte ihre Stadt dieſe Ehre nie - mals jemanden verliehen / auſſer den zwenẽ Goͤttern Herculi und Baccho, da griff er mit beyden Haͤnden zu.

Allein obſchon die Großmuͤthigkeit ei - nen ſonderbaren Glantz hat / der uͤber die menſchliche Schwachheit ſcheinet hervor - zuſchimmern / ſo muß man ſich doch davon nicht allzuſehr verblenden / und biß in die Grentzen eines unertraͤglichen Stoltzes lei - ten laſſen. Laſt uns ja meiden / ſoviel unsmoͤg -173Welt-Mann.moͤglich iſt / ein Laſter / welches eben ſo ver - haſſet iſt / als die Kleinmuͤthigkeit ſo ihm ent - gegen geſetzet wird / und von jederman ver - aͤchtlich gehalten wird. Und auff daß wir uns recht mitten zwiſchen dieſen zwoen Grentzen halten koͤnnen / ſo laſt uns das Bild deß Großmuͤthigen wohl betrachten.

Alles was dieſer Man an ſich hat / das iſt was groſſes / allein er hat / auſſer bey den Groſſen / nicht Luſt ſich ſchen zulaſſen. Wañ er mit Mittel-Leuten umbgehet / giebt er ihnen niemals Urſach / ſich uͤber ſeine Hoͤffligkeit zubeklagen; gleichwohl laͤſt er ſich auch mit ihnen auff keine Weiſe ver - gleichen. Er regt ſich nicht eher / als wann was groſſes zuverrichten iſt / und wil ſich lie - ber durch wenig groſſe Thaten / als durch viel kleine / Ehre zuwege bringen. Er iſt frey - gebig / und allezeit fertiger / Gunſt zubezei - gen / als Gunſt zuempfahen. Er liebet und haſſet oͤffentlich. Auff demuͤthiges Bitten und Flehen verſtehet er ſich nicht. Gehet es ihm wohl / ſo iſt er deßwegen nicht ſtoͤltzer; gehet es ihm uͤbel / ſo wird er doch deßwegen nicht kleinmuͤthig. Jn allem ſeinem Thun iſt das Bild der Kuͤhnheit eingepraͤgt. Was er redet / das iſt alles wahr. WenigeH 3Dinge174Der vollkommene Welt-Mann.Dinge wundern ihn. Er murret niemals / ſein Haß waͤhret nicht lang. Er iſt ein Feind der Schmeicheley / und ziehet allezeit den Ruhm dẽm Nutzen vor. Er hat eine an - muthige Frechheit im Geſicht. Alle ſeine Ge - baͤrden kommen hoch herauß. Er redet we - nig / und hat eine terbe und verſicherte Stimme. An ſtatt daß er von ſeinen Fein - den ſolte Boͤſes reden / ſagt er ihnen alles Gutes nach; dann uͤberdiß / daß er mehr Generoſitaͤt erzeiget durch ſolches Verhal - ten / ſo bildet er ſich auch ein / daß er mehr Ehr davon hat / wann er ſich uͤber einen vor - trefflichen Mann / der ſein Mitbuhler iſt / in die Hoͤhe ſchwinget / als wann er einem Menſchen von gemeinen Qualitaͤten ein Bein unterſchluͤge.

Wir koͤnnen unſer Werck nicht beſſer ſchlieſſen / als mit dieſẽ Bild deß Großmuͤ - thigen. So kan ich auch wohl ſagen / daß diß Werck vor die jenigen / ſo ſichs wollen zunutz machen / lang genug iſt / wie ich auch allerdings verſichert bin / daß es nur allzu - lang iſt vor die Leute / die es auß bloſſer Curioſi taͤt werden leſen wollen.

ENDE.

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About this transcription

TextDer vollkommene rechtschaffene Welt-Mann/ oder Die Mittel zuleben als ein Ehrlicher- und als ein Welt-Mann
Author N. N.
Extent193 images; 29156 tokens; 5190 types; 201441 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer vollkommene rechtschaffene Welt-Mann/ oder Die Mittel zuleben als ein Ehrlicher- und als ein Welt-Mann Auff das gründlichste und eigendlichste/ nach denen hierzu erfordernden Staats-Tugenden/ und denen zuwiderlauffenden Lastern/ statt eines wohl eingerichteten zwar kurtzen/ aber doch weitsehenden Unterrichts/ Abgefasset und vorgestellet N. N.. . ErythropilusAndreæFrankfurt (Main)1680.

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Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, Fc 1076 m (1)

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Anstandsliteratur; Gebrauchsliteratur; Anstandsliteratur; core; ready; china

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