PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Die Leiden des jungen Werthers.
Zweyter Theil.
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Leipzig, in derWeygandſchen Buchhandlung. 1774.
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Geſtern ſind wir hier angelangt. Der Geſandte iſt unpaß, und wird ſich al - ſo einige Tage einhalten, wenn er nur nicht ſo unhold waͤre, waͤr alles gut. Jch merke, ich merke, das Schikſal hat mir harte Pruͤfungen zugedacht. Doch gutes Muths! ein leichter Sinn traͤgt alles! Ein leichter Sinn! das macht mich zu lachen, wie das Wort in meine Feder kommt. O ein Bißgen leichteres Blut wuͤrde mich zum gluͤklichſten Menſchen unter der Sonne machen. Was! Da wo andre, mit ihrem Bißgen Kraft und Talent, vor mir in behaglicher SelbſtgefaͤlligkeitH 2herum116herum ſchwadroniren, verzweifl ich an meiner Kraft, an meinen Gaben. Guter Gott! der du mir das alles ſchenkteſt, warum hielteſt du nicht die Haͤlfte zuruͤk und gabſt mir Selbſtvertrauen und Genuͤgſamkeit!

Gedult! Gedult! Es wird beſſer werden. Denn ich ſage dir, Lieber, du haſt Recht. Seit ich unter dem Volke ſo alle Tage herumgetrieben wer - de, und ſehe was ſie thun und wie ſie’s treiben, ſteh ich viel beſſer mit mir ſelbſt. Gewiß, weil wir doch einmal ſo gemacht ſind, daß wir alles mit uns, und uns mit allem vergleichen; ſo liegt Gluͤk oder Elend in den Gegenſtaͤnden, womit wir uns zuſammenhalten, und da iſt nichts ge - faͤhrlicher als die Einſamkeit. Unſere Einbildungs - kraft, durch ihre Natur gedrungen ſich zu erheben, durch die phantaſtiſche Bilder der Dichtkunſt ge - naͤhrt, bildet ſich eine Reihe Weſen hinauf, wo wir das unterſte ſind, und alles auſſer uns herrlicher erſcheint, jeder andre vollkommner iſt. Und das geht ganz natuͤrlich zu: Wir fuͤhlen ſo oft, daß uns manches mangelt, und eben was uns fehlt ſcheint uns oft ein anderer zu beſizzen, dem wirdenn117denn auch alles dazu geben was wir haben, und noch eine gewiſſe idealiſche Behaglichkeit dazu. Und ſo iſt der Gluͤkliche vollkommen fertig, das Geſchoͤpf unſerer ſelbſt.

Dagegen wenn wir mit all unſerer Schwachheit und Muͤhſeligkeit nur gerade fortarbeiten, ſo fin - den wir gar oft, daß wir mit all unſerm Schlen - dern und Laviren es weiter bringen als andre mit ihren Segeln und Rudern und das iſt doch ein wahres Gefuͤhl ſeiner ſelbſt, wenn man andern gleich oder gar vorlauft.

Jch fange an mich in ſofern ganz leidlich hier zu befinden. Das beſte iſt, daß es zu thun genug giebt, und dann die vielerley Menſchen, die allerley neue Geſtalten, machen mir ein buntes Schauſpiel vor meiner Seele. Jch habe den Gra - fen C.. kennen lernen, einen Mann, den ich jeden Tag mehr verehren muß. Einen weiten groſſen Kopf, und der deswegen nicht kalt iſt, weil er viel uͤberſieht; aus deſſen Umgange ſo viel Em -H 3pfin -118pfindung fuͤr Freundſchaft und Liebe hervorleuch - tet. Er nahm Theil an mir, als ich einen Ge - ſchaͤftsauftrag an ihn ausrichtete, und er bey den erſten Worten merkte, daß wir uns verſtunden, daß er mit mir reden konnte wie nicht mit jedem. Auch kann ich ſein offnes Betragen gegen mich nicht genug ruͤhmen. So eine warme groſſe Freude iſt nicht in der Welt, als eine groſſe See - le zu ſehen, die ſich gegen einen oͤffnet.

Der Geſandte macht mir viel Verdruß, ich hab es voraus geſehn. Es iſt der puͤnktlichſte Narre, den’s nur geben kann. Schritt vor Schrit und umſtaͤndlich wie eine Baaſe. Ein Menſch der nie ſelbſt mit ſich zufrieden iſt, und dem’s da her niemand zu Danke machen kann. Jch arbei te gern leicht weg, und wie’s ſteht ſo ſteht’s, da iſt er im Stande, mir einen Aufſaz zuruͤkzugeben und zu ſagen: er iſt gut, aber ſehen ſie ihn durch, man findt immer ein beſſer Wort, eine reinere Partikel. Da moͤcht ich des Teuſels werden. Keinund,119und, kein Bindwoͤrtchen ſonſt darf auſſenbleiben, und von allen Jnverſionen die mir manchmal entfah - ren, iſt er ein Todtfeind. Wenn man ſeinen Pe - riod nicht nach der hergebrachten Melodie herab - orgelt; ſo verſteht er gar nichts drinne. Das iſt ein Leiden, mit ſo einem Menſchen zu thun zu haben.

Das Vertrauen des Grafen von C.. iſt noch das einzige, was mich ſchadlos haͤlt. Er ſagte mir lezthin ganz aufrichtig: wie unzufrieden er uͤber die Langſamkeit und Bedenklichkeit meines Geſandten ſey. Die Leute erſchweren ſich’s und andern. Doch, ſagt er, man muß ſich darein re - ſigniren, wie ein Reiſender, der uͤber einen Berg muß. Freylich! waͤr der Berg nicht da, waͤre der Weg viel bequemer und kuͤrzer, er iſt nun aber da! und es ſoll druͤber!

Mein Alter ſpuͤrt auch wohl den Vorzug, den mir der Graf vor ihm giebt, und das aͤrgert ihn, und er ergreift jede Gelegenheit, uͤbels gegen mich vom Grafen zu reden, ich halte, wie natuͤr - lich, Widerpart, und dadurch wird die Sache nur ſchlimmer. Geſtern gar bracht er mich auf, dennH 4ich120ich war mit gemeint. Zu ſo Weltgeſchaͤften waͤ - re der Graf ganz gut, er haͤtte viel Leichtigkeit zu arbeiten, und fuͤhrte eine gute Feder, doch an gruͤnd - licher Gelehrſamkeit mangelt es ihm, wie all den Bellettriſten. Daruͤber haͤtt ich ihn gern ausge - pruͤgelt, denn weiter iſt mit den Kerls nicht zu raiſonniren, da das aber nun nicht angieng, ſo focht ich mit ziemlicher Heftigkeit, und ſagt ihm, der Graf ſey ein Mann, vor dem man Achtung ha - ben muͤßte, wegen ſeines Charakters ſowohl, als ſeiner Kenntniſſe; ich habe, ſagt ich, niemand ge - kannt, dem es ſo gegluͤkt waͤre, ſeinen Geiſt zu er - weitern, ihn uͤber unzaͤhlige Gegenſtaͤnde zu ver - breiten, und doch die Thaͤtigkeit fuͤr’s gemeine Le - ben zu behalten. Das waren dem Gehirn ſpa - niſche Doͤrfer, und ich empfahl mich, um nicht uͤber ein weiteres Deraiſonnement noch mehr Gal - le zu ſchlukken.

Und daran ſeyd ihr all Schuld, die ihr mich in das Joch geſchwazt, und mir ſo viel von Aktivitaͤt vorgeſungen habt. Aktivitaͤt! Wenn nicht der mehr thut, der Kartoffeln ſtekt, und in die Stadt reitet, ſein Korn zu verkaufen, als ich,ſo121ſo will ich zehn Jahre noch mich auf der Galeere abarbeiten, auf der ich nun angeſchmiedet bin.

Und das glaͤnzende Elend die Langeweile un - ter dem garſtigen Volke das ſich hier neben ein - ander ſieht. Die Rangſucht unter ihnen, wie ſie nur wachen und aufpaſſen, einander ein Schrittgen abzugewinnen, die elendeſien erbaͤrmlichſten Leiden - ſchaften, ganz ohne Roͤkgen! Da iſt ein Weib, zum Exempel, die jederman von ihrem Adel und ihrem Lande unterhaͤlt, daß nun jeder Fremde den - ken muß: das iſt eine Naͤrrin, die ſich auf das Bißgen Adel und auf den Ruf ihres Landes Wun - derſttreiche einbildet Aber es iſt noch viel aͤrger, eben das Weib iſt hier aus der Nachbar - ſchaft eine Amtſchreibers Tochter. Sieh, ich kann das Menſchengeſchlecht nicht begreifen, das ſo we - nig Sinn hat, um ſich ſo platt zu proſtituiren.

Zwar ich merke taͤglich mehr, mein Lieber, wie thoͤricht man iſt andre nach ſich zu berechnen. Und weil ich ſo viel mit mir ſelbſt zu thun ha - be, und dieſes Herz und Sinn ſo ſtuͤrmiſch iſt, ach ich laſſe gern die andern ihres Pfads gehen, wenn ſie mich nur auch koͤnnten gehn laſſen.

H 5Was122

Was mich am meiſten nekt, ſind die fatalen buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe. Zwar weis ich ſo gut als einer, wie noͤthig der Unterſchied der Staͤnde iſt, wie viel Vortheile er mir ſelbſt verſchafft, nur ſoll er mir nicht eben grad im Wege ſtehn, wo ich noch ein wenig Freude, einen Schimmer von Gluͤk auf dieſer Erden genieſſen koͤnnte. Jch lern - te neulich auf dem Spaziergange ein Fraͤulein von B.. kennen, ein liebenswuͤrdiges Geſchoͤpf, das ſehr viele Natur mitten in dem ſteifen Leben er - halten hat. Wir gefielen uns in unſerm Geſpraͤ - che, und da wir ſchieden, bat ich ſie um Erlaub - niß, ſie bey ſich ſehen zu duͤrfen. Sie geſtattete mir das mit ſo viel Freymuͤthigkeit, daß ich den ſchiklichen Augenblik kaum erwarten konnte, zu ihr zu gehen. Sie iſt nicht von hier, und wohnt bey einer Tante im Hauſe. Die Phyſiognomie der al - ten Schachtel gefiel mir nicht. Jch bezeigte ihr viel Aufmerkſamkeit, mein Geſpraͤch war meiſt an ſie gewandt, und in minder als einer halben Stun - de hatte ich ſo ziemlich weg, was mir das Fraͤu - lein nachher ſelbſt geſtund: daß die liebe Tante in ihrem Alter, und dem Mangel von allem, voman -123anſtaͤndigen Vermoͤgen an bis auf den Geiſt, kei - ne Stuͤzze hat, als die Reihe ihrer Vorfahren, kei - nen Schirm, als den Stand, in dem ſie ſich ver - palliſadirt, und kein Ergoͤzzen, als von ihrem Stok - werk herab uͤber die buͤrgerlichen Haͤupter weg zu ſehen. Jn ihrer Jugend ſoll ſie ſchoͤn geweſen ſeyn, und ihr Leben ſo weggegaukelt, erſt mit ih - rem Eigenſinne manchen armen Jungen gequaͤlt, und in reifern Jahren ſich unter den Gehorſam eines alten Offiziers gedukt haben, der gegen die - ſen Preis und einen leidlichen Unterhalt das ehr - ne Jahrhundert mit ihr zubrachte, und ſtarb, und nun ſieht ſie im eiſernen ſich allein, und wuͤrde nicht angeſehn, waͤr ihre Nichte nicht ſo liebens - wuͤrdig.

Was das fuͤr Menſchen ſind, deren ganze See - le auf dem Ceremoniel ruht, deren Dich - ten und Trachten Jahre lang dahin geht, wie ſie um einen Stuhl weiter hinauf bey Tiſche ſich ein - ſchieben wollen. Und nicht, daß die Kerls ſonſtkeine124keine Angelegenheit haͤtten, nein, vielmehr haͤufen ſich die Arbeiten, eben weil man uͤber die kleinen Verdruͤßlichkeiten, von Befoͤrderung der wichtigen Sachen abgehalten wird. Vorige Woche gabs bey der Schlittenfahrt Haͤndel, und der ganze Spas wurde verdorben.

Die Thoren, die nicht ſehen, daß es eigent - lich auf den Plaz gar nicht ankommt, und daß der, der den erſten hat, ſo ſelten die erſte Rolle ſpielt! Wie mancher Koͤnig wird durch ſeinen Miniſter, wie mancher Miniſter durch ſeinen Sekretaͤr re - giert. Und wer iſt dann der Erſte? der, duͤnkt mich, der die andern uͤberſieht, und ſo viel Ge - walt oder Liſt hat, ihre Kraͤfte und Leidenſchaften zu Ausfuͤhrung ſeiner Plane anzuſpannen.

Jch muß Jhnen ſchreiben, liebe Lotte, hier in der Stube einer geringen Bauernherberge, in die ich mich vor einem ſchweren Wetter gefluͤchtet habe. So lange ich in dem traurigen Neſte D.. unter dem fremden, meinem Herzen ganz fremdenVolke,125Volke, herumziehe, hab ich keinen Augenblik ge - habt, keinen, an dem mein Herz mich geheiſſen haͤtte Jhnen zu ſchreiben. Und jezt in dieſer Huͤt - te, in dieſer Einſamkeit, in dieſer Einſchraͤnkung, da Schnee und Schloſſen wider mein Fenſtergen wuͤthen, hier waren Sie mein erſter Gedanke. Wie ich herein trat, uͤberfiel mich Jhre Geſtalt, Jhr An - denken. O Lotte! ſo heilig, ſo warm! Guter Gott! der erſte gluͤkliche Augenblik wieder.

Wenn Sie mich ſaͤhen meine Beſte, in dem Schwall von Zerſtreuung! Wie ausgetroknet mei - ne Sinnen werden, nicht Einen Augenblik der Fuͤl - le des Herzens, nicht Eine ſelige thraͤnenreiche Stun - de. Nichts! Nichts! Jch ſtehe wie vor einem Raritaͤtenkaſten, und ſehe die Maͤnngen und Gaͤul - gen vor mir herumruͤkken, und frage mich oft, ob’s nicht optiſcher Betrug iſt. Jch ſpiele mit, viel - mehr, ich werde geſpielt wie eine Marionette, und faſſe manchmal meinen Nachbar an der hoͤlzernen Hand und ſchaudere zuruͤk.

Ein einzig weiblich Geſchoͤpf hab ich hier gefunden. Eine Fraͤulein von B.. Sie gleicht Jhnen liebe Lotte, wenn man Jhnen gleichen kann. Ey!126Ey! werden Sie ſagen: der Menſch legt ſich auf niedliche Komplimente! Ganz unwahr iſt’s nicht. Seit einiger Zeit bin ich ſehr artig, weil ich doch nicht anders ſeyn kann, habe viel Wiz, und die Frauenzimmer ſagen: es wuͤſte niemand ſo ſein zu loben als ich (und zu luͤgen, ſezzen Sie hinzu, denn ohne das geht’s nicht ab, verſtehen Sie:) Jch wollte von Fraͤulein B.. reden! Sie hat viel Seele, die voll aus ihren blauen Augen hervorblikt, ihr Stand iſt ihr zur Laſt, der keinen der Wuͤtiſche ih - res Herzens befriedigt. Sie ſehnt ſich aus dem Getuͤmmel, und wir verphantaſiren manche Stun - de in laͤndlichen Scenen von ungemiſchter Gluͤk - ſeligkeit, ach! und von Jhnen! Wie oft muß ſie Jhnen huldigen. Muß nicht, thut’s freywillig, hoͤrt ſo gern von Jhnen, liebt Sie

O ſaͤs ich zu Jhren Fuͤſſen in dem lieben ver - traulichen Zimmergen, und unſere kleinen Lieben waͤlzten ſich miteinander um mich herum, und wenn ſie Jhnen zu laut wuͤrden, wollt ich ſie mit einem ſchauerlichen Maͤhrgen um mich zur Ruhe ver - ſammlen. Die Sonne geht herrlich unter uͤber der ſchneeglaͤnzenden Gegend, der Sturm iſt hin -uͤber127uͤber gezogen. Und ich muß mich wieder in meinen Kaͤfig ſperren. Adieu! Jſt Albert bey Jhnen? Und wie ? Gott verzeihe mir dieſe Frage!

Jch fuͤrchte, mein Geſandter und ich, haltens nicht lange mehr zuſammen aus. Der Menſch iſt ganz und gar unertraͤglich. Seine Art zu arbei - ten und Geſchaͤfte zu treiben iſt ſo laͤcherlich, daß ich mich nicht enthalten kann ihm zu widerſpre - chen, und oft eine Sache nach meinem Kopfe und Art zu machen, das ihm denn, wie natuͤrlich, nie - mals recht iſt. Daruͤber hat er mich neulich bey Hofe verklagt, und der Miniſter gab mir einen zwar ſanften Verweis, aber es war doch ein Ver - weis, und ich ſtand im Begriffe, meinen Abſchied zu begehren, als ich einen Privatbrief*)Man hat aus Ehrfurcht fuͤr dieſen treflichen Mann, gedachten Brief, und einen andern, deſ - ſen weiter hinten erwehnt wird, dieſer Samm - lung entzogen, weil man nicht glaubte, ſolche Kuͤhnheit durch den waͤrmſten Dank des Pu - blikums entſchuldigen zu koͤnnen. von ihmerhielt,128erhielt, einen Brief, vor dem ich mich niederge - kniet, und den hohen, ed en, wei en Sinn angebe - tet habe, wie er meine allzugroſſe Empfindlichkeit zurechte weißt, wie er meine uͤberſpannte Jdeen von Wuͤrkſamkeit, von Einfluß auf andre, von Durchdringen in Geſchaͤften als jugendlichen guten Muth zwar ehrt, ſie nicht auszurotten, nur zu mildern und dahin zu leiten ſucht, wo ſie ihr wah - res Spiel haben, ihre kraͤftige Wuͤrkung thun koͤn - nen. Auch bin ich auf acht Tage geſtaͤrkt, und in mir ſelbſt einig geworden. Die Ruhe der Seele iſt ein herrlich Ding, und die Freude an ſich ſelbſt, lieber Freund, wenn nur das Ding nicht eben ſo zerbrechlich waͤre, als es ſchoͤn und koſtbar iſt.

Gott ſegne euch, meine Lieben, geb euch all die guten Tage, die er mir abzieht.

Jch danke dir Albert, daß du mich betrogen haſt, ich wartete auf Nachricht, wann euer Hochzeit - tag ſeyn wuͤrde, und hatte mir vorgenommen, feyer - lichſt an demſelben Lottens Schattenriß von derWand129Wand zu nehmen, und ſie unter andere Papiere zu begraben. Nun ſeyd ihr ein Paar, und ihr Bild iſt noch hier! Nun ſo ſoll’s bleiben! Und warum nicht? Jch weis, ich bin ja auch bey euch, bin dir unbeſchadet in Lottens Herzen. Habe, ja ich habe den zweyten Plaz drinne, und will und muß ihn behalten. O ich wuͤrde raſend werden, wenn ſie vergeſſen koͤnnte Albert in dem Ge - danken liegt eine Hoͤlle. Albert! Leb wohl. Leb wohl, Engel des Himmels, leb wohl, Lotte!

Jch hab einen Verdruß gehabt, der mich von hier wegtreiben wird, ich knirſche mit den Zaͤh - nen! Teufel! Er iſt nicht zu erſezzen, und ihr ſeyd doch allein ſchuld daran, die ihr mich ſporntet und triebt und quaͤltet, mich in einen Poſten zu begeben, der nicht nach meinem Sinne war. Nun hab ich’s nun habt ihr’s. Und daß du nicht wie - der ſagſt: meine uͤberſpannten Jdeen verduͤrben alles; ſo haſt du hier lieber Herr, eine Erzaͤh -Jlung,130lung, plan und nett, wie ein Chronikenſchreiber das aufzeichnen wuͤrde.

Der Graf v. C. liebt mich, diſtingwirt mich, das iſt bekannt, das hab ich dir ſchon hundertmal geſagt. Nun war ich bey ihm zu Tiſche geſtern, eben an dem Tage, da Abends die noble Geſellſchaft von Herren und Frauen bey ihm zuſammenkommt, an die ich nie gedacht hab, auch mir nie aufge - fallen iſt, daß wir Subalternen nicht hinein gehoͤ - ren. Gut. Jch ſpeiſe beym Grafen und nach Ti - ſche gehn wir im groſſen Saale auf und ab, ich re - de mit ihm, mit dem Obriſt B. der dazu kommt, und ſo ruͤkt die Stunde der Geſellſchaft heran. Jch denke, Gott weis, an nichts. Da tritt herein die uͤbergnaͤdige Dame von S.. mit Dero Herrn Gemahl und wohl ausgebruͤteten Gaͤnslein Toch - ter mit der flachen Bruſt und niedlichem Schnuͤr - leib, machen en passant ihre hergebrachten hoch - adlichen Augen und Nasloͤcher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider iſt, wollt ich eben mich empfehlen, und wartete nur, bis der Graf vom garſtigen Gewaͤſche frey waͤre, als eben mei - ne Fraͤulein B.. herein trat, da mir denn dasHerz131Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich ſie ſe - he, blieb ich eben, ſtellte mich hinter ihren Stuhl, und bemerkte erſt nach einiger Zeit, daß ſie mit weniger Offenheit als ſonſt, mit einiger Verlegen - heit mit mir redte. Das fiel mir auf. Jſt ſie auch wie all das Volk, dacht ich, hohl ſie der Teu - fel! und war angeſtochen und wollte gehn, und doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding naͤher zu beleuchten. Ueber dem fuͤllt ſich die Ge - ſellſchaft. Der Baron F.. mit der ganzen Gar - derobe von den Kroͤnungszeiten Franz des erſten her, der Hofrath R.. hier aber in qualitate Herr von R.. genannt mit ſeiner tauben Frau ꝛc. den uͤbel fournirten J. nicht zu vergeſſen, bey deſſen Kleidung, Reſte des altfraͤnkiſchen mit dem neu’ſt aufgebrachten kontraſtiren ꝛc. das kommt all und ich rede mit einigen meiner Bekanntſchaft, die alle ſehr lakoniſch ſind, ich dachte und gab nur auf meine B.. acht. Jch merkte nicht, daß die Wei - ber am Ende des Saals ſich in die Ohren pis - perten, daß es auf die Maͤnner zirkulirte, daß Frau von S.. mit dem Grafen redte (das alles hat mir Fraͤulein B.. nachher erzaͤhlt:) biß endJ 2lich132lich der Graf auf mich losgieng und mich in ein Fenſter nahm. Sie wiſſen ſagt er, unſere wun - derbaren Verhaͤltniſſe, die Geſellſchaft iſt unzufrie - den, merk ich, ſie hier zu ſehn, ich wollte nicht um alles Jhro Excellenz, fiel ich ein, ich bitte tau - ſendmal um Verzeihung, ich haͤtte eher dran den - ken ſollen, und ich weis, Sie verzeihen mir dieſe Jnkonſequenz, ich wollte ſchon vorhin mich empfeh - len, ein boͤſer Genius hat mich zuruͤk gehalten, ſezte ich laͤchelnd hinzu, indem ich mich neigte. Der Graf druͤkte meine Haͤnde mit einer Empfindung, die alles ſagte. Jch machte der vornehmen Ge - ſellſchaft mein Compliment, gieng und ſezte mich in ein Cabriolet und fuhr nach M.. dort vom Huͤ - gel die Sonne untergehen zu ſehen, und dabey in meinem Homer den herrlichen Geſang zu leſen, wie Ulyß von dem treflichen Schweinhirten bewir - thet wird. Das war all gut.

Des Abends komm ich zuruͤk zu Tiſche. Es waren noch wenige in der Gaſtſtube, die wuͤrfelten auf einer Ekke, hatten das Tiſchtuch zuruͤk geſchla - gen. Da kommt der ehrliche A.. hinein, legt ſei - nen Hut nieder, indem er mich anſieht, tritt zu mirund133und ſagt leiſe: Du haſt Verdruß gehabt? Jch? ſagt ich der Graf hat dich aus der Geſellſchaft gewieſen Hol ſie der Teufel, ſagt ich, mir war’s lieb, daß ich in die freye Luft kam Gut, ſagt er, daß du’s auf die leichte Achſel nimmſt. Nur verdrießt mich’s. Es iſt ſchon uͤberall herum. Da fieng mir das Ding erſt an zu wurmen. Al - le die zu Tiſche kamen und mich anſahen, dacht ich die ſehen dich darum an! Das fieng an mir boͤſes Blut zu ſezzen.

Und da man nun heute gar wo ich hin - trete mich bedauert, da ich hoͤre, daß meine Nei - der nun triumphiren und ſagen: Da ſaͤhe man’s, wo’s mit den Uebermuͤthigen hinausgieng, die ſich ihres bißgen Kopfs uͤberhuͤben und glaubten, ſich darum uͤber alle Verhaͤltniſſe hinausſezzen zu duͤr - fen, und was des Hundegeſchwaͤzzes mehr iſt. Da moͤchte man ſich ein Meſſer in’s Herz bohren. Denn man rede von Selbſtſtaͤndigkeit was man will, den will ich ſehn der bulden kann, daß Schur - ken uͤber ihn reden, wenn ſie eine Priſe uͤber ihn haben. Wenn ihr Geſchwaͤtz leer iſt, ach! da kann man ſie leicht laſſen.

J 3am134

Es hezt mich alles! Heut tref ich die Fraͤu - lein B.. in der Allee. Jch konnte mich nicht enthalten ſie anzureden, und ihr, ſobald wir etwas entfernt von der Geſellſchaft waren, meine Empfind - lichkeit uͤber ihr neuliches Betragen zu zeigen. O Werther, ſagte ſie mit einem innigen Tone, konn - ten Sie meine Verwirrung ſo auslegen, da Sie mein Herz konnen. Was ich gelitten habe um ihrentwillen, von dem Augenblikke an, da ich in den Saal trat. Jch ſah alles voraus, hundert - mal ſaß mir’s auf der Zunge, es Jhnen zu ſagen, ich wußte, daß die von S.. und T.. mit ihren Maͤnnern eher aufbrechen wuͤrden, als in Jhrer Geſellſchaft zu bleiben, ich wußte, daß der Graf es nicht mit Jhnen verderben darf, und jezo der Laͤrm Wie Fraͤulein? ſagt ich, und verbarg meinen Schrekken, denn alles, was Adelin mir eh - geſtern geſagt hatte, lief mir wie ſiedend Waſſer durch die Adern in dieſem Augenblikke. Was hat mich’s ſchon gekoſtet! ſagte das ſuͤſſe Geſchoͤpf,indem135indem ihr die Thraͤnen in den Augen ſtunden. Jch war nicht Herr mehr von mir ſelbſt, war im Begriff, mich ihr zu Fuͤſſen zu werfen. Erklaͤren ſie ſich, ruft ich: Die Thraͤnen liefen ihr die Wangen herunter, ich war auſſer mir. Sie trok - nete ſie ab, ohne ſie verbergen zu wollen. Mei - ne Tante kennen ſie, fieng ſie an; ſie war gegen - waͤrtig, und hat, o mit was fuͤr Augen hat ſie das angeſehn. Werther, ich habe geſtern Nacht ausgeſtanden, und heute fruͤh eine Predigt uͤber meinen Umgang mit Jhnen, und ich habe muͤſſen zuhoͤren Sie herabſezzen, erniedrigen, und konn - te und durfte Sie nur halb vertheidigen.

Jedes Wort, das ſie ſprach, gieng mir wie Schwerder durch’s Herz. Sie fuͤhlte nicht, welche Barmherzigkeit es geweſen waͤre, mir das alles zu verſchweigen, und nun fuͤgte ſie noch all dazu, was weiter wuͤrde getraͤtſcht werden, was die ſchlechten Kerls alle daruͤber triumphiren wuͤrden. Wie man nunmehro meinen Uebermuth und Gering - ſchaͤzzung andrer, das ſie mir ſchon lange vorwer - fen, geſtraft, erniedrigt ausſchreien wuͤrde. Das alles, Wilhelm, von ihr zu hoͤren, mit der StimmeJ 4der136der wahrſten Theilnehmung. Jch war zerſtoͤrt, und bin noch wuͤthend in mir. Jch wollte, daß ſich einer unterſtuͤnde mir’s vorzuwerfen, daß ich ihm den Degen durch den Leib ſtoſſen koͤnnte! Wenn ich Blur ſaͤhe wuͤrde mir’s beſſer werden. Ach ich hab hundertmal ein Meſſer ergriffen, um dieſem gedraͤngten Herzen Luft zu machen. Man erzaͤhlt von einer edlen Art Pferde, die, wenn ſie ſchroͤklich erhizt und aufgejagt ſind, ſich ſelbſt aus Jnſtinkt eine Ader aufbeiſſen, um ſich zum Athem zu helfen. So iſt mir’s oft, ich moͤchte mir eine Ader oͤfnen, die mir die ewige Freyheit ſchaffte.

Jch habe meine Dimißion bey Hofe verlangt, und werde ſie, hoff ich erhalten, und ihr wer - det mir verzeihen, daß ich nicht erſt Permißion dazu bey euch geholt habe. Jch mußte nun ein - mal fort, und was ihr zu ſagen hattet, um mir das Bleiben einzureden weis ich all, und alſo Bring das meiner Mutter in einem Saͤſtgen bey, ich kann mir ſelbſt nicht helfen, alſo mag ſie ſich’sgefallen137gefallen laſſen, wenn ich ihr auch nicht helfen kann. Freylich muß es ihr weh thun. Den ſchoͤnen Lauf, den ihr Sohn grad zum Geheim - derath und Geſandten anſezte, ſo auf einmal Hal - te zu ſehen, und ruͤkwaͤrts mit dem Thiergen in Stall. Macht nun draus was ihr wollt und kom - binirt die moͤgliche Faͤlle, unter denen ich haͤtte bleiben koͤnnen und ſollen. Genug ich gehe. Und damit ihr wißt wo ich hinkomme, ſo iſt hier der Fuͤrſt ** der viel Geſchmak an meiner Geſellſchaft findet, der hat mich gebeten, da er von meiner Ab - ſicht hoͤrte, mit ihm auf ſeine Guͤter zu gehen, und den ſchoͤnen Fruͤhling da zuzubringen. Jch ſoll ganz mir ſelbſt gelaſſen ſeyn, hat er mir verſpro - chen, und da wir uns zuſammen bis auf einen gewiſſen Punkt verſtehn, ſo will ich’s denn auf gut Gluͤk wagen, und mit ihm gehn.

Zur Nachricht.

Danke fuͤr deine beyden Briefe. Jch ant - wortete nicht, weil ich dieſen Brief liegen ließ, bis mein Abſchied von Hofe da waͤre, weil ich fuͤrch -J 5tete138tete, meine Mutter moͤchte ſich an den Miniſter wenden und mir mein Vorhaben erſchweren. Nun aber iſt’s geſchehen, mein Abſchied iſt da. Jch mag euch nicht ſagen, wie ungern man mir ihn gegeben hat, und was mir der Miniſter ſchreibt, ihr wuͤrdet in neue Lamentationen ausbrechen. Der Erbprinz hat mir zum Abſchiede[fuͤnf] und zwanzig Dukaten geſchikt, mit einem Wort, das mich bis zu Thraͤnen geruͤhrt hat. Alſo braucht die Mutter mir das Geld nicht zu ſchikken, um das ich neulich ſchrieb.

Morgen geh ich von hier ab, und weil mein Geburtsort nur ſechs Meilen vom Wege liegt, ſo will ich den auch wieder ſehen, will mich der alten gluͤklich vertraͤumten Tage erinnern. Zu eben dem Thore will ich hineingehn, aus dem meine Mutter mit mir herausfuhr, als ſie nach dem Tode meines Vaters den lieben vertraulichen Ort verließ, um ſich in ihre unertraͤgliche Stadteinzu -139einzuſperren. Adieu, Wilhelm, du ſollſt von mei - nem Zuge hoͤren.

Jch habe die Wallfahrt nach meiner Heimath mit aller Andacht eines Pilgrims vollendet, und manche unerwartete Gefuͤhle haben mich er - griffen. An der groſſen Linde, die eine Viertelſtun - de vor der Stadt nach S.. zuſteht, ließ ich halten, ſtieg aus und hieß den Poſtillion fortfahren, um zu Fuſſe jede Erinnerung ganz neu, lebhaft nach meinem Herzen zu koſten. Da ſtand ich nun un - ter der Linde, die ehedeſſen als Knabe das Ziel und die Graͤnze meiner Spaziergaͤnge geweſen. Wie anders! Damals ſehnt ich mich in gluͤklicher Unwiſſenheit hinaus in die unbekannte Welt, wo ich fuͤr mein Herz alle die Nahrung, alle den Ge - nuß hoffte, deſſen Ermangeln ich ſo oſt in meinem Buſen fuͤhlte. Jezt kam ich zuruͤk aus der weiten Welt O mein Freund, mit wie viel fehlgeſchla - genen Hofnungen, mit wie viel zerſtoͤrten Pla - nen! Jch ſah das Gebuͤrge vor mir liegen, dasſo140ſo tauſendmal der Gegenſtand meiner Wuͤnſche ge - weſen. Stundenlang konnte ich hier ſizzen, und mich hinuͤber ſehnen, mit inniger Seele mich in denen Waͤldern, denen Thaͤlern verliehren, die ſich meinen Augen ſo freundlich daͤmmernd darſtell - ten und wenn ich denn nun die beſtimmte Zeit wieder zuruͤk mußte, mit welchem Widerwillen verließ ich nicht den lieben Plaz! Jch kam der Stadt naͤher, alle alte bekannte Gartenhaͤusgen wurden von mir gegruͤßt, die neuen waren mir zuwider, ſo auch alle Beraͤnderungen, die man ſonſt vorgenommen hatte. Jch trat zum Thore hinein, und fand mich doch gleich und ganz wieder. Lie - ber, ich mag nicht in’s Detail gehn, ſo reizend als es mir war, ſo einfoͤrmig wuͤrde es im der Erzaͤh - lung werden. Jch hatte beſchloſſen auf dem Mark - te zu wohnen, gleich neben unſerm alten Hauſe. Jm Hingehen bemerkte ich daß die Schulſtube, wo ein ehrlich altes Weib unſere Kindheit zuſam - mengepfercht hatte, in einen Kram verwandelt war. Jch erinnerte mich der Unruhe, der Thraͤnen, der Dumpfheit des Sinnes, der Herzensangſt, die ich in dem Loche ausgeſtanden hatte Jch that kei -nen141nen Schritt, der nicht merkwuͤrdig war. Ein Pil - ger im heiligen Lande trifft nicht ſo viel Staͤten religioſer Erinnerung, und ſeine Seele iſt ſchwer - lich ſo voll heiliger Bewegung. Noch eins fuͤr tauſend. Jch gieng den Fluß hinab, bis an einen gewiſſen Hof, das war ſonſt auch mein Weg, und die Plaͤzgen da wir Knaben uns uͤbten, die mei - ſten Spruͤnge der flachen Steine im Waſſer her - vorzubringen. Jch erinnere mich ſo lebhaft, wenn ich manchmal ſtand, und dem Waſſer nachſah, mit wie wunderbaren Ahndungen ich das verfolgte, wie abenteuerlich ich mir die Gegenden vorſtellte, wo es nun hinfloͤſſe, und wie ich da ſo bald Gren - zen meiner Vorſtellungskraft fand, und doch mußte das weiter gehn, immer weiter, bis ich mich ganz in dem Anſchauen einer unſichtbaren Ferne ver - lohr. Siehe mein Lieber, das iſt doch eben das Gefuͤhl der herrlichen Altvaͤter! Wenn Ulyß von dem ungemeſſenen Meere, und von der unendlichen Erde ſpricht, iſt das nicht wahrer, menſchlicher, in - niger, als wenn jezzo jeder Schulknabe ſich wun - der weiſe duͤnkt, wenn er nachſagen kann, daß ſie rund ſey.

Nun142

Nun bin ich hier auf dem fuͤrſtlichen Jagd - ſchloſſe. Es laͤßt ſich noch ganz wohl mit dem Herrn leben, er iſt ganz wahr, und einfach. Was mir noch manchmal leid thut, iſt, daß er oft uͤber Sa - chen redt, die er nur gehoͤrt und geleſen hat, und zwar aus eben dem Geſichtspunkte, wie ſie ihm der andere darſtellen mochte.

Auch ſchaͤzt er meinen Verſtand und Talente mehr als dies Herz, das doch mein einziger Stolz iſt, das ganz allein die Quelle von allem iſt, aller Kraft, aller Seligkeit und alles Elends. Ach was ich weis, kann jeder wiſſen. Mein Herz hab ich allein.

Jch hatte etwas im Kopfe, davon ich euch nichts ſagen wollte, bis es ausgefuͤhrt waͤre, jezt da nichts draus wird, iſt’s eben ſo gut. Jch wollte in Krieg! Das hat mir lang am Herzen gelegen. Vornehmlich darum bin ich dem Fuͤrſten hieher ge - folgt, der General in *** ſchen Dienſten iſt. Auf einem Spaziergange entdekte ich ihm meinVor -143Vorhaben, er widerrieth mir’s, und es muͤßte bey mir mehr Leidenſchaft als Grille geweſen ſeyn, wenn ich ſeinen Gruͤnden nicht haͤtte Gehoͤr geben wollen.

Sag was Du willſt, ich kann nicht laͤnger blei - ben. Was ſoll ich hier? Die Zeit wird mir lang. Der Fuͤrſt haͤlt mich wie ſeines Glei - chen gut, und doch bin ich nicht in meiner Lage. Und dann, wir haben im Grunde nichts gemeines mit einander. Er iſt ein Mann von Verſtande, aber von ganz gemeinem Verſtande, ſein Umgang unterhaͤlt mich nicht mehr, als wenn ich ein wohl - geſchrieben Buch leſe. Noch acht Tage bleib ich, und dann zieh ich wieder in der Jrre herum. Das beſte, was ich hier gethan habe, iſt mein Zeichnen. Und der Fuͤrſt fuͤhlt in der Kunſt, und wuͤrde noch ſtaͤrker fuͤhlen, wenn er nicht durch das garſtige, wiſſenſchaftliche Weſen, und durch die gewoͤhnliche Terminologie eingeſchraͤnkt waͤre. Manchmal knirſch ich mit den Zaͤhnen, wenn ich ihn mit war - mer Jmagination ſo an Natur und Kunſt herumfuͤhre144fuͤhre und er’s auf einmal recht gut zu machen denkt, wenn er mit einem geſtempelten Kunſtworte drein toͤlpelt.

Wo ich hin will? Das laß Dir im Vertrauen eroͤfnen. Vierzehn Tage muß ich doch noch hier bleiben, und dann hab ich mir weis gemacht, daß ich die Bergwerke in ** ſchen beſuchen wollte, iſt aber im Grunde nichts dran, ich will nur Lot - ten wieder naͤher, das iſt alles. Und ich lache uͤber mein eigen Herz und thu ihm ſeinen Willen.

Nein es iſt gut! Es iſt alles gut! Jch ihr Mann! O Gott, der du mich machteſt, wenn du mir dieſe Seligkeit bereitet haͤtteſt, mein ganzes Leben ſollte ein anhaltendes Gebet ſeyn. Jch will nicht rechten, und verzeih mir dieſe Thraͤnen, ver - zeih mir meine vergebliche Wuͤnſche. Sie meine Frau! Wenn ich das liebſte Geſchoͤpf unter der Sonne in meine Arme geſchloſſen haͤtte Esgeht145geht mir ein Schauder durch den ganzen Koͤrper, Wilhelm, wenn Albert ſie um den ſchlanken Leib faßt.

Und, darf ich’s ſagen? Warum nicht, Wil - helm, ſie waͤre mit mir gluͤklicher geworden als mit ihm! O er iſt nicht der Menſch, die Wuͤn - ſche dieſes Herzens alle zu fuͤllen. Ein gewiſſer Mangel an Fuͤhlbarkeit, ein Mangel nimm’s wie du willſt, daß ſein Herz nicht ſympathetiſch ſchlaͤgt bey Oh! bey der Stelle eines lieben Buchs, wo mein Herz und Lottens in einem zuſammen treffen. Jn hundert andern Vorfaͤllen, wenn’s kommt, daß unſere Empfindungen uͤber eine Handlung eines dritten laut werden. Lieber Wil - helm! Zwar er liebt ſie von ganzer Seele, und ſo eine Liebe was verdient die nicht

Ein unertraͤglicher Menſch hat mich unterbro - chen. Meine Thraͤnen ſind getroknet. Jch bin zerſtreut. Adieu Lieber.

Kam146

Es geht mir nicht allein ſo. Alle Menſchen werden in ihren Hofnungen getaͤuſcht, in ih - ren Erwartungen betrogen. Jch beſuchte mein gu - tes Weib unter der Linde. Der aͤltſte Bub lief mir entgegen, ſein Freudengeſchrey fuͤhrte die Mut - ter herbey, die ſehr niedergeſchlagen ausſah. Jhr erſtes Wort war: Guter Herr! ach mein Hanns iſt mir geſtorben, es war der juͤngſte ihrer Knaben, ich war ſtille, und mein Mann ſagte ſie, iſt aus der Schweiz zuruͤk, und hat nichts mit gebracht, und ohne gute Leute haͤtte er ſich heraus betteln muͤſſen. Er hatte das Fieber kriegt unterwegs. Jch konnte ihr nichts ſagen, und ſchenkte dem klei - nen was, ſie bat mich einige Aepfel anzunehmen, das ich that und den Ort des traurigen Andenkens verließ.

Wie man eine Hand umwendet, iſt’s anders mit mir. Manchmal will ſo ein freudiger Blik des Lebens wieder aufdaͤmmern, ach nur fuͤreinen147einen Augenblik! Wenn ich mich ſo in Traͤumen verliehre, kann ich mich des Gedankens nicht er - wehren: Wie, wenn Albert ſtuͤrbe! Du wuͤrdeſt! ja ſie wuͤrde und dann lauf ich dem Hirnge - ſpinſte nach, bis es mich an Abgruͤnde fuͤhrt, vor denen ich zuruͤkbebe.

Wenn ich ſo dem Thore hinaus gehe, den Weg den ich zum erſtenmal fuhr, Lotten zum Tanze zu holen, wie war das all ſo anders! Alles, alles iſt voruͤber gegangen! Kein Wink der vorigen Welt, kein Pulsſchlag meines damaligen Gefuͤhls. Mir iſt’s, wie’s einem Geiſte ſeyn muͤßte, der in das verſengte verſtoͤrte Schloß zuruͤkkehrte, das er als bluͤhender Fuͤrſt einſt gebaut und mit allen Gaben der Herrlichkeit ausgeſtattet, ſterbend ſeinem ge - liebten Sohne hoffnungsvoll hinterlaſſen.

Jch begreife manchmal nicht, wie ſie ein ande - rer lieb haben kann, lieb haben darf, da ich ſie ſo ganz allein, ſo innig, ſo voll liebe, nichts anders kenne, noch weis, noch habe als ſie.

K 2am148

Es hat ſchwer gehalten, bis ich mich entſchloß, meinen blauen einfachen Frak, in dem ich mit Lotten zum erſtenmal tanzte, abzulegen, er ward aber zulezt gar unſcheinbar. Auch hab ich mir ei - nen machen laſſen, ganz wie den vorigen, Kragen und Aufſchlag und auch wieder ſo gelbe Weſt und Hoſen dazu.

Ganz will’s es doch nicht thun. Jch weis nicht Jch denke mit der Zeit ſoll mir der auch lieber werden.

Man moͤchte ſich dem Teufel ergeben, Wilhelm, uͤber all die Hunde, die Gott auf Erden dul - det, ohne Sinn und Gefuͤhl an dem wenigen, was drauf noch was werth iſt. Du kennſt die Nuß - baͤume, unter denen ich bey dem ehrlichen Pfarren zu St.., mit Lotten geſeſſen, die herrlichen Nuß - baͤume, die mich, Gott weis, immer mit dem groͤſten Seelenvergnuͤgen fuͤllten. Wie vertraulichſie149ſie den Pfarrhof machten, wie kuͤhl und wie herr - lich die Aeſte waren. Und die Erinnerung bis zu die guten Kerls von Pfarrers, die ſie von ſo viel Jahren pflanzten. Der Schulmeiſter hat uns den einen Namen oft genannt, den er von ſeinem Gros - vater gehoͤrt hatte, und ſo ein braver Mann ſoll er geweſen ſeyn, und ſein Andenken war mir im - mer heilig, unter den Baͤumen. Jch ſage Dir, dem Schulmeiſter ſtanden die Thraͤnen in den Au - gen, da wir geſtern davon redeten, daß ſie abge - hauen worden Abgehauen! Jch moͤchte ra - ſend werden, ich koͤnnte den Hund ermorden, der den erſten Hieb dran that. Jch, der ich koͤnnte mich vertrauren, wenn ſo ein paar Baͤume in meinem Hofe ſtuͤnden, und einer davon ſtuͤrbe vor Alter ab, ich muß ſo zuſehn. Lieber Schaz, eins iſt doch dabey! Was Menſchengefuͤhl iſt! Das ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfar - rern ſoll’s an Butter und Eyern und uͤbrigem Zu - trauen ſpuͤren, was fuͤr eine Wunde ſie ihrem Orte gegeben hat. Denn ſie iſt’s, die Frau des neuen Pfarrers, unſer Alter iſt auch geſtorben, ein ha - geres, kraͤnkliches Thier, das ſehr Urſache hat anK 3der150der Welt keinen Antheil zu nehmen, denn niemand nimmt Antheil an ihr. Eine Frazze, die ſich ab - giebt gelehrt zu ſeyn, ſich in die Unterſuchung des Canons melirt, gar viel an der neumodiſchen mo - raliſch kritiſchen Reformation des Chriſtenthums ar - beitet, und uͤber Lavaters Schwaͤrmereyen die Achſeln zukt, eine ganz zerruͤttete Geſundheit hat, und auf Gottes Erdboden deswegen keine Freude. So ein Ding war’s auch allein, um meine Nußbaͤume ab - zuhauen. Siehſt du, ich komme nicht zu mir! Stelle dir vor, die abfallenden Blaͤtter machen ihr den Hof unrein und dumpfig, die Baͤume neh - men ihr des Tageslicht, und wenn die Nuͤſſe reif ſind, ſo werfen die Knaben mit Steinen darnach, und das faͤllt ihr auf die Nerven, und das ſtoͤrt ſie in ihren tiefen Ueberlegungen, wenn ſie Kennikot, Semler und Michaelis, gegen einander abwiegt. Da ich die Leute im Dorfe, beſonders die Alten, ſo unzufrieden ſah, ſagt ich: warum habt ihr’s ge - litten? Wenn der Schulz will, hier zu Lande, ſagten ſie, was kann man machen. Aber eins iſt recht geſchehn, der Schulz und der Pfarrer, der doch auch von ſeiner Frauen Grillen, die ihm ſodie151die Suppen nicht fett machen, etwas haben wollte, dachtens mit einander zu theilen, da erfuhr’s die Kammer und ſagte: hier herein! und verkaufte die Baͤume an den Meiſtbietenden. Sie liegen! O wenn ich Fuͤrſt waͤre! Jch wollt die Pfarrern, den Schulzen und die Kammer Fuͤrſt! Ja wenn ich Fuͤrſt waͤre, was kuͤmmerten mich die Baͤume in meinem Lande.

Wenn ich nur ihre ſchwarzen Augen ſehe, iſt mirs ſchon wohl! Sieh, und was mich ver - druͤſt, iſt, daß Albert nicht ſo begluͤkt zu ſeyn ſchei - net, als er hoffte als ich zu ſeyn glaub - te wenn Jch mache nicht gern Gedanken - ſtriche, aber hier kann ich mich nicht anders aus - drukken und mich duͤnkt deutlich genug.

Oſſian hat in meinem Herzen den Homer ver - dr ngt. Welch eine Welt, in die der Herr - liche mich fuͤhrt. Zu wandern uͤber die Haide,K 4um -152umſaußt vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln, die Geiſter der Vaͤter im daͤmmernden Lichte des Mondes hinfuͤhrt. Zu hoͤren vom Ge - buͤrge her, im Gebruͤlle des Waldſtroms, halb ver - wehtes Aechzen der Geiſter aus ihren Hoͤlen, und die Wehklagen des zu Tode gejammerten Maͤdgens, um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine des edelgefallnen ihres Geliebten. Wenn ich ihn denn finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Haide die Fustapfen ſeiner Vaͤter ſucht und ach! ihre Grabſteine findet. Und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hin - blikt, der ſich in’s rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele le - bendig werden, da noch der freundliche Stral den Gefahren der Tapfern leuchtete, und der Mond ihr bekraͤnztes, ſiegruͤkkehrendes Schiff beſchien, Wenn ich ſo den tiefen Kummer auf ſeiner Stirne leſe, ſo den lezten verlaßnen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zu wanken ſehe, wie er im - mer neue ſchmerzlich gluͤhende Freuden in der kraft - loſen Gegenwart der Schatten ſeiner Abgeſchiede - nen einſaugt, und nach der kalten Erde dem hohenwehen -153wehenden Graſe niederſieht, und ausruft: Der Wanderer wird kommen, kommen, der mich kannte in meiner Schoͤnheit und fragen, wo iſt der Saͤn - ger, Fingals treflicher Sohn? Sein Fustritt geht uͤber mein Grab hin, und er fragt vergebens nach mir auf der Erde. O Freund! ich moͤchte gleich einem edlen Waffentraͤger das Schwerd ziehen und meinen Fuͤrſten von der zuͤkkenden Quaal des lang - ſam abſterbenden Lebens auf einmal befreyen, und dem befreyten Halbgott meine Seele nachſenden.

Ach dieſe Luͤkke! Dieſe entſezliche Luͤkke, die ich hier in meinem Buſen fuͤhle! ich denke oft! Wenn du ſie nur einmal, nur einmal an dieſes Herz druͤkken koͤnnteſt. All dieſe Luͤkke wuͤrde aus - gefuͤllt ſeyn.

Ja es wird mir gewiß, Lieber! gewiß und im - mer gewiſſer, daß an dem Daſeyn eines Ge - ſchoͤpfs ſo wenig gelegen iſt, ganz wenig. Es kamK 5eine154eine Freundinn zu Lotten, und ich gieng herein in’s Nebenzimmer, ein Buch zu nehmen, und konnte nicht leſen, und dann nahm ich eine Feder zu ſchrei - ben. Jch hoͤrte ſie leiſe reden, ſie erzaͤhlten ein - ander inſoſern unbedeutende Sachen, Stadtneuig - keiten: wie dieſe heyrathet, wie jene krank, ſehr krank iſt. Sie hat einen troknen Huſten, die Kno - chen ſtehn ihr zum Geſichte heraus, und kriegt Ohnmachten, ich gebe keinen Kreuzer fuͤr ihr Leben, ſagte die eine. Der N. N. iſt auch ſo uͤbel dran, ſagte Lotte. Er iſt ſchon geſchwollen, ſagte die an - dre. Und meine lebhafte Einbildungskraft verſezte mich an’s Bette dieſer Armen, ich ſah ſie, mit wel - chem Widerwillen ſie dem Leben den Ruͤkken wand - ten, wie ſie Wilhelm, und meine Weibgens redeten davon, wie man eben davon redt: daß ein Fremder ſtirbt. Und wenn ich mich um - ſehe, und ſeh das Zimmer an, und ringsum mich Lottens Kleider, hier ihre Ohrringe auf dem Tiſchgen, und Alberts Scripturen und dieſe Meubels, denen ich nun ſo beſreundet bin, ſo gar dieſem Dintenſaß; und denke: Sieh, was du nun dieſem Hauſe biſt! Alles in allem. Deine Freundeehren155ehren dich! Du machſt oft ihre Freude, und dei - nem Herzen ſcheint’s, als wenn es ohne ſie nicht ſeyn koͤnnte, und doch wenn du nun giengſt? wenn du aus dieſem Kreiſe ſchiedeſt, wuͤrden ſie? wie lange wuͤrden ſie die Luͤkke fuͤhlen, die dein Verluſt in ihr Schikſal reißt? wie lang? O ſo vergaͤnglich iſt der Menſch, daß er auch da, wo er ſeines Daſeyns eigentliche Gewißheit hat, da, wo er den einzigen wahren Eindruk ſeiner Ge - genwart macht; in dem Andenken in der Seele ſeiner Lieben, daß er auch da verloͤſchen, verſchwin - den muß, und das ſo bald!

Jch moͤchte mir oft die Bruſt zerreiſſen und das Gehirn einſtoßen, daß man einander ſo we - nig ſeyn kann. Ach die Liebe und Freude und Waͤrme und Wonne, die ich nicht hinzu bringe, wird mir der andre nicht geben, und mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit, werd ich den andern nicht begluͤkken der kalt und kraftlos vor mir ſteht.

am156

Wenn ich nicht ſchon hundertmal auf dem Punkte geſtanden bin ihr um den Hals zu fallen. Weis der große Gott, wie einem das thut, ſo viel Liebenswuͤrdigkeit vor ſich herumkreuzen zu ſehn und nicht zugreifen zu duͤrfen. Und das Zugreifen iſt doch der natuͤrlichſte Trieb der Menſchheit. Grei - fen die Kinder nicht nach allem was ihnen in Sinn faͤllt? Und ich?

Weis Gott, ich lege mich ſo oft zu Bette mit dem Wunſche, ja manchmal mit der Hof - nung, nicht wieder zu erwachen, und Morgens ſchlag ich die Augen auf, ſehe die Sonne wieder, und bin elend. O daß ich launiſch ſeyn koͤnnte, koͤnnte die Schuld auf’s Wetter, auf einen drit - ten, auf eine fehlgeſchlagene Unternehmung ſchie - hen; ſo wuͤrde die unertraͤgliche Laſt des Unwillens doch nur halb auf mir ruhen. Weh mir, ich fuͤhle zu wahr, daß an mir allein alle Schuldliegt,157liegt, nicht Schuld! Genug daß in mir die Quelle alles Elendes verborgen iſt, wie es ehemals die Quelle aller Seligkeiten war. Bin ich nicht noch eben derſelbe, der ehemals in aller Fuͤlle der Empfindung herumſchwebte, dem auf jedem Tritte ein Paradies folgte, der ein Herz hatte, eine ganze Welt liebevoll zu umfaſſen. Und das Herz iſt jezo todt, aus ihm fließen keine Entzuͤkkungen mehr, meine Augen ſind trokken, und meine Sinnen, die nicht mehr von erquikkenden Thraͤnen gelabt wer - den, ziehen aͤngſtlich meine Stirne zuſammen. Jch leide viel, denn ich habe verlohren was mei - nes Lebens einzige Wonne war, die heilige bele - bende Kraft, mit der ich Welten um mich ſchuf. Sie iſt dahin! Wenn ich zu meinem Fenſter hinaus an den fernen Huͤgel ſehe, wie die Morgen - ſonne uͤber ihn her den Nebel durchbricht und den ſtillen Wieſengrund beſcheint, und der ſanfte Fluß zwiſchen ſeinen entblaͤtterten Weiden zu mir her - ſchlaͤngelt, o wenn da dieſe herrliche Natur ſo ſtarr vor mir ſteht wie ein lakirt Bildgen, und all die Wonne keinen Tropfen Seligkeit aus meinem Her - zen herauf in das Gehirn pumpen kann, und derganze158ganze Kerl vor Gottes Angeſicht ſteht wie ein ver - ſiegter Brunn, wie ein verlechter Eymer! Jch habe mich ſo oft auf den Boden geworfen und Gott um Thraͤnen gebeten, wie ein Akkersmann um Regen, wenn der Himmel ehern uͤber ihm iſt, und um ihn die Erde verduͤrſtet.

Aber, ach ich fuͤhls! Gott giebt Regen und Sonnenſchein nicht unſerm ungeſtuͤmen Bitten, und jene Zeiten, deren Andenken mich quaͤlt, warum waren ſie ſo ſelig? als weil ich mit Geduld ſeinen Geiſt erwartete, und die Wonne, die er uͤber mich ausgoß mit ganzem, innig dankbarem Herzen auf - nahm.

Sie hat mir meine Exzeſſe vorgeworfen! Ach mit ſo viel Liebenswuͤrdigkeit! Meine Ex - zeſſe, daß ich mich manchmal von einem Glas Wein verleiten laſſe, eine Bouteille zu trinken. Thun Sie’s nicht! ſagte ſie, denken Sie an Lotten! Denken! ſagt ich, brauchen Sie mir das zu heiſ - ſen? Jch denke! Jch denke nicht! Sie ſind immer vor meiner Seelen. Heut ſaß ich an demFlekke,159Flekke, wo Sie neulich aus der Kutſche ſtiegen Sie redte was anders, um mich nicht lieſer in den Text kommen zu laſſen. Beſter, ich bin dahin! Sie kann mit mir machen was ſie will.

Jch danke Dir, Wilhelm, fuͤr Deinen herzlichen Antheil, fuͤr Deinen wohlmeynenden Rath, und bitte Dich, ruhig zu ſeyn. Laß mich ausdul - den, ich habe bey all meiner Muͤdſeligkeit noch Kraft genug durchzuſezzen. Jch ehre die Religion, das weiſt Du, ich fuͤhle, daß ſie manchem Ermatte - ten Stab, manchem Verſchmachtenden Erquikkung iſt. Nur kann ſie denn, muß ſie denn das ei - nem jeden ſeyn? Wenn Du die große Welt an - ſiehſt; ſo ſiehſt du Tauſende, denen ſie’s nicht war, Tauſende denen ſie’s nicht ſeyn wird, gepredigt oder ungepredigt, und muß ſie mir’s denn ſeyn? Sagt nicht ſelbſt der Sohn Gottes: daß die um ihn ſeyn wuͤrden, die ihm der Vater gegeben hat. Wenn ich ihm nun nicht gegeben bin! Wenn mich nun der Vater fuͤr ſich behalten will, wie mirmein160mein Herz ſagt! Jch bitte Dich, lege das nicht falſch aus, ſieh nicht etwa Spott in dieſen unſchul - digen Worten, es iſt meine ganze Seele, die ich dir vorlege. Sonſt wollt ich lieber, ich haͤtte geſchwie - gen, wie ich denn uͤber all das, wovon jedermann ſo wenig weis als ich, nicht gern ein Wort ver - liehre. Was iſt’s anders als Menſchenſchikſal, ſein Maas auszuleiden, ſeinen Becher auszutrinken. Und ward der Kelch dem Gott vom Himmel auf ſeiner Menſchenlippe zu bitter, warum ſoll ich gros thun und mich ſtellen, als ſchmekte er mir ſuͤſſe. Und warum ſollte ich mich ſchaͤmen, in dem ſchroͤk - lichen Augenblikke, da mein ganzes Weſen zwiſchen Seyn und Nichtſeyn zittert, da die Vergangenheit wie ein Bliz uͤber dem finſtern Abgrunde der Zu - kunft leuchtet, und alles um mich her verſinkt, und mit mir die Welt untergeht. Jſt es da nicht die Stimme der ganz in ſich gedraͤngten, ſich ſelbſt ermangelnden, und unaufhaltſam hinabſtuͤrzenden Creatur, in den innern Tiefen ihrer vergebens auf - arbeitenden Kraͤfte zu knirſchen. Mein Gott! Mein Gott! warum haſt du mich verlaſſen? Und ſollt ich mich des Ausdruks ſchaͤmen, ſollte mir’svor161vor dem Augenblikke bange ſeyn, da ihm der nicht entgieng, der die Himmel zuſammenrollt wie ein Tuch.

Sie ſieht nicht, ſie fuͤhlt nicht, daß ſie einen Gift bereitet, der mich und ſie zu Grunde richten wird. Und ich mit voller Wolluſt ſchlurfe den Becher aus, den ſie mir zu meinem Verderben reicht. Was ſoll der guͤtige Blik, mit dem ſie mich oft oft? nein nicht oft, aber doch manchmal an - ſieht, die Gefaͤlligkeit, womit ſie einen unwillkuͤhr - lichen Ausdruk meines Gefuͤhls aufnimmt, das Mit - leiden mit meiner Duldung, das ſich auf ihrer Stirne zeichnet.

Geſtern als ich weggieng, reichte ſie mir die Hand und ſagte: Adieu, lieber Werther! Lieber Werther! Es war das erſtemal, daß ſie mich Lieber hies, und mir giengs durch Mark und Bein. Jch hab mir’s hundertmal wiederholt und geſtern Nacht da ich in’s Bette gehen wollte, und mit mir ſelbſt allerley ſchwazte, ſag ich ſo auf einmal:Lgute162gute Nacht, lieber Werther! Und mußte hernach ſelbſt uͤber mich lachen.

Sie fuͤhlt, was ich dulde. Heut iſt mir ihr Blik tief durch’s Herz gedrungen. Jch fand ſie allein. Jch ſagte nichts und ſie ſah mich an. Und ich ſah nicht mehr in ihr die liebliche Schoͤn - heit, nicht mehr das Leuchten des treflichen Gei - ſtes; das war all vor meinen Augen verſchwun - den. Ein weit herrlicherer Blik wuͤrkte auf mich, voll Ausdruk des innigſten Antheils des ſuͤßten Mileidens. Warum durft ich mich nicht ihr zu Fuͤſſen werfen! warum durft ich nicht an ihrem Halſe mit tauſend Kuͤſſen antworten Sie nahm ihre Zuflucht zum Claviere und hauchte mit ſuͤſſer leiſer Stimme harmoniſche Laute zu ihrem Spiele. Nie hab ich ihre Lippen ſo reizend geſehn, es war, als wenn ſie ſich lechzend oͤffneten, jene ſuͤſſe Toͤne in ſich zu ſchluͤrfen, die aus dem Jnſtru - mente hervorquollen, und nur der heimliche Wie - derſchall aus dem ſuͤſſen Munde zuruͤkklaͤnge Ja163Ja wenn ich dir das ſo ſagen koͤnnte! Jch wi - derſtund nicht laͤnger, neigte mich und ſchwur: Nie will ich’s wagen, einen Kuß euch einzudruͤk - ken Lippen, auf denen die Geiſter des Himmels ſchweben Und doch ich will Ha ſiehſt du, das ſteht wie eine Scheidewand vor meiner Seelen dieſe Seligkeit und da untergegan - gen, die Suͤnde abzubuͤſſen Suͤnde?

Jch ſoll, ich ſoll nicht zu mir ſelbſt kommen, wo ich hintrete, begegnet mir eine Erſcheinung, die mich aus aller Faſſung bringt. Heut! O Schik - ſal! O Menſchheit!

Jch gehe an dem Waſſer hin in der Mit - tagsſtunde, ich hatte keine Luſt zu eſſen. Alles war ſo oͤde, ein naßkalter Abendwind blies vom Ber - ge, und die grauen Regenwolken zogen das Thal hinein. Von ferne ſeh ich einen Menſchen in ei - nem gruͤnen ſchlechten Rokke, der zwiſchen den Fel - ſen herumkrabelte und Kraͤuter zu ſuchen ſchien. Als ich naͤher zu ihm kam und er ſich auf dasL 2Geraͤuſch164Geraͤuſch, das ich machte, herumdrehte, ſah ich ei - ne gar intereſſante Phyſiognomie, darinn eine ſtille Trauer den Hauptzug machte, die aber ſonſt nichts als einen graden guten Sinn ausdruͤkte, ſeine ſchwarzen Haare waren mit Nadeln in zwey Rollen geſtekt, und die uͤbrigen in einen ſtarken Zopf geflochten, der ihm den Ruͤkken herunter hieng. Da mir ſeine Kleidung einen Menſchen von ge - ringem Stande zu bezeichnen ſchien, glaubt ich, er wuͤrde es nicht uͤbel nehmen, wenn ich auf ſei - ne Beſchaͤftigung aufmerkſam waͤre, und daher frag - te ich ihn, was er ſuchte? Jch fuche, antwortete er mit einem tiefen Seufzer, Blumen und fin - de keine Das iſt auch die Jahrszeit nicht, ſagt ich laͤchelnd. Es giebt ſo viel Blumen, ſagt er, indem er zu mir herunter kam. Jn mei - nem Garten ſind Roſen und Je laͤnger ie lieber zweyerley Sorten, eine hat mir mein Vater ge - geben, ſie wachſen wie’s Unkraut, ich ſuche ſchon zwey Tage darnach, und kann ſie nicht finden. Da haußen ſind auch immer Blumen, gelbe und blaue und rothe, und das Tauſend Guͤldenkraut hat ein ſchoͤn Bluͤmgen. Keines kann ich finden. Jch165Jch merkte was unheimliches, und drum fragte ich durch einen Umweg: Was will er denn mit den Blumen? Ein wunderbares zukkendes Laͤch - len verzog ſein Geſicht. Wenn er mich nicht ver - rathen will, ſagt er, indem er den Finger auf den Mund druͤkte, ich habe meinem Schazze einen Straus verſprochen. Das iſt brav, ſagt ich. O ſagt er, ſie hat viel andre Sachen, ſie iſt reich. Und doch hat ſie ſeinen Straus lieb, verſezt ich. O! fuhr er fort, ſie hat Juwelen und eine Krone. Wie heißt ſie denn? Wenn mich die General - ſtaaten bezahlen wollten! verſezte er, ich waͤr ein anderer Menſch! Ja es war einmal eine Zeit, da mir’s ſo wohl war. Jezt iſt’s aus mit mir, ich bin nun Ein naſſer Blik zum Himmel druͤk - te alles aus. Er war alſo gluͤklich? fragt ich. Ach ich wollt ich waͤre wieder ſo! ſagt er, da war mir’s ſo wohl, ſo luſtig, ſo leicht wie ein Fiſch im Waſſer! Heinrich! rufte eine alte Frau, die den Weg herkam. Heinrich, wo ſtikſt du. Wir ha - ben dich uͤberall geſucht. Komm zum Eſſen. Jſt das euer Sohn? fragt ich zu ihr tretend. Wohl mein armer Sohn, verſezte ſie. Gott hat mir einL 3ſchwe -166ſchweres Kreuz aufgelegt. Wie lang iſt er ſo? fragt ich. So ſtille, ſagte ſie, iſt er nun ein halb Jahr. Gott ſey Dank, daß es nur ſo weit iſt. Vorher war er ein ganz Jahr raſend, da hat er an Ketten im Tollhauſe gelegen. Jezt thut er niemand nichts, nur hat er immer mit Koͤnigen und Kayſern zu thun. Es war ein ſo guter ſtil - ler Menſch, der mich ernaͤhren half, ſeine ſchoͤne Hand ſchrieb, und auf einmal wird er tiefſinnig, faͤllt in ein hitzig Fieber, daraus in Raſerey, und nun iſt er, wie ſie ihn ſehen. Wenn ich ihm er - zaͤhlen ſollt, Herr Jch unterbrach ihren Strom von Erzaͤhlungen mit der Frage: was denn das fuͤr eine Zeit waͤre von der er ſo ruͤhmte, daß er ſo gluͤklich, ſo wohl darinn geweſen waͤre. Der thoͤrige Menſch, rief ſie mit mitleidigem Laͤchlen, da meint er die Zeit, da er von ſich war, das ruͤhmt er immer! Das iſt die Zeit, da er im Tollhauſe war, wo er nichts von ſich wußte Das fiel mir auf wie ein Donnerſchlag, ich druͤk - te ihr ein Stuͤk Geld in die Hand und verließ ſie eilend.

Da167

Da du gluͤklich warſt! rief ich aus, ſchnell vor mich hin nach der Stadt zu gehend. Da dir’s wohl war wie einem Fiſch im Waſſer! Gott im Himmel! Haſt du das zum Schikſaal der Menſchen gemacht, daß ſie nicht gluͤklich ſind, als eh ſie zu ihrem Verſtande kommen, und wenn ſie ihn wieder verliehren! Elender und auch wie beneid ich deinen Truͤbſinn, die Verwirrung dei - ner Sinne, in der du verſchmachteſt! Du gehſt hoffnungsvoll aus, deiner Koͤnigin Blumen zu pfluͤkken im Winter und traureſt, da du keine findeſt, und begreifſt nicht warum, du keine finden kannſt. Und ich und ich gehe ohne Hoffnung ohne Zwek heraus, und kehr wieder heim wie ich gekommen bin. Du waͤhnſt, welcher Menſch du ſeyn wuͤrdeſt wenn die Generalſtaaten dich bezahlten. Seliges Geſchoͤpf, das den Man - gel ſeiner Gluͤkſeligkeit einer irdiſchen Hinderniß zuſchreiben kaͤnn. Du fuͤhlſt nicht! Du fuͤhlſt nicht! daß in deinem zerſtoͤrten Herzen, in deinem zerruͤtteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle Koͤnige der Erde dir nicht helfen koͤnnen.

L 4Muͤſſe168

Muͤſſe der troſtlos umkommen, der eines Kranken ſpottet, der nach der entfernteſten Quelle reiſt die ſeine Krankheit vermehren, ſein Ausleben ſchmerzhafter machen wird, der ſich uͤber das be - draͤngte Herz erhebt, das, um ſeine Gewiſſensbiſſe los zu werden und die Leiden ſeiner Seele abzu - thun, ſeine Pilgrimſchaft nach dem heiligen Gra - be thut! Jeder Fußtritt der ſeine Solen auf un - gebahntem Wege durchſchneidet, iſt ein Lindrungs - tropfen der geaͤngſteten Seele, und mit jeder aus - gedauerten Tagreiſe legt ſich das Herz um viel Bedraͤngniß leichter nieder. Und duͤrft ihr das Wahn nennen Jhr Wortkraͤmer auf eu - rem Polſtern Wahn! O Gott! du ſiehſt meine Thraͤnen Mußteſt du, der du den Men - ſchen arm genug erſchufſt, ihm auch Bruͤder zu - geben, die ihm das bisgen Armuth, das bisgen Vertrauen noch raubten, das er auf dich hat, auf dich, du Allliebender, denn das Vertrauen zu einer heilenden Wurzel, zu den Thraͤnen des Weinſtoks, was iſt’s, als Vertrauen zu dir, daß du in alles, was uns umgiebt, Heil und Lindrungskraft gelegt haft, der wir ſo ſtuͤndlich beduͤrfen. Vater, denich169ich nicht kenne! Vater, der ſonſt meine ganze See - le fuͤllte, und nun ſein Angeſicht von mir gewen - det hat! Rufe mich zu dir! Schweige nicht laͤn - ger! Dein Schweigen wird dieſe durſtende See - le nicht aufhalten Und wuͤrde ein Menſch, ein Vater zuͤrnen koͤnnen, dem ſein unvermuthet ruͤk - kehrender Sohn um den Hals fiele und rief: Jch bin wieder da mein Vater. Zuͤrne nicht, daß ich die Wanderſchaft abbreche, die ich nach deinem Willen laͤnger aushalten ſollte. Die Welt iſt uͤberall einerley, auf Muͤh und Arbeit, Lohn und Freude; aber was ſoll mir das? mir iſt nur wohl wo du biſt, und vor deinem Angeſichte will ich leiden und genieſſen Und du, lieber himm - liſcher Vater, ſollteſt ihn von dir weiſen?

Wilhelm! der Menſch, von dem ich dir ſchrieb, der gluͤkliche Ungluͤkliche, war Schreiber bey Lottens Vater, und eine ungluͤkliche Leiden - ſchaft zu ihr, die er naͤhrte, verbarg, entdekte, und aus dem Dienſt, geſchikt wurde, hat ihn raſend ge -L 5macht.170macht. Fuͤhle Kerl, bey dieſen troknen Worten, mit welchem Unſinne mich die Geſchichte ergriffen hat, da mir ſie Albert eben ſo gelaſſen erzaͤhlte, als dus velleicht lieſeſt.

Jch bitte dich ſiehſt du, mit mir iſt’s aus Jch trag das all nicht laͤnger. Heut ſas ich bey ihr ſas, ſie ſpielte auf ihrem Clavier, manch - faltige Melodien und all den Ausdruk! all! all! Was willſt du? Jhr Schweſtergen puzte ihre Puppe auf meinem Knie. Mir kamen die Thraͤ - nen in die Augen. Jch neigte mich und ihr Trau - ring fiel mir in’s Geſicht Meine Thraͤnen floſſen Und auf einmal fiel ſie in die alte him - melſuͤſſe Melodie ein, ſo auf einmal, und mir durch die Seele gehn ein Troſtgefuͤhl und eine Erinne - rung all des Vergangenen all der Zeiten, da ich das Lied gehoͤrt, all der duͤſtern Zwiſchenraͤume des Verdruſſes, der fehlgeſchlagenen Hoffnungen, und dann Jch gieng in der Stube auf und nieder, mein Herz erſtikte unter all dem. UmGottes171Gottes Willen, ſagt ich mit einem heftigen Aus - bruch hin gegen ſie fahrend, um Gottes Willen hoͤ - ren ſie auf. Sie hielt, und ſah mich ſtarr an. Werther, ſagte ſie, mit einem Laͤchlen, das mir durch die Seele gieng, Werther, ſie ſind ſehr krank, ihre Lieblingsgerichte widerſtehen ihnen. Gehen ſie! Jch bitte ſie, beruhigen ſie ſich. Jch riß mich von ihr weg, und Gott! du ſiehſt mein Elend, und wirſt es enden.

Wie mich die Geſtalt verfolgt. Wachend und traͤumend fuͤllt ſie meine ganze Seele. Hier, wenn ich die Augen ſchlieſſe, hier in mei - ner Stirne, wo die innere Sehkraft ſich verei - nigt, ſtehen ihre ſchwarzen Augen. Hier! Jch kann dir’s nicht ausdruͤkken. Mach ich meine Au - gen zu, ſo ſind ſie da, wie ein Meer, wie ein Abgrund ruhen ſie vor mir, in mir, fuͤllen die Sinnen meiner Stirne.

Was iſt der Menſch? der geprieſene Halb - gott! Ermangeln ihm nicht da eben, die Kraͤftewo172wo er ſie am noͤthigſten braucht? Und wenn er in Freude ſich aufſchwingt, oder im Leiden ver - ſinkt, wird er nicht in beyden eben da aufgehal - ten, eben da wieder zu dem ſtumpfen kalten Be - wuſtſeyn zuruͤk gebracht, da er ſich in der Fuͤlle des Unendlichen zu verliehren ſehnte.

Lieber Wilhelm, ich bin in einem Zuſtande, in dem jene Ungluͤklichen muͤſſen geweſen ſeyn, von denen man glaubte, ſie wuͤrden von einem boͤſen Geiſte umher getrieben. Manchmal ergreift mich’s, es iſt nicht Angſt, nicht Begier! es iſt ein inne - res unbekanntes Toben, das meine Bruſt zu zer - reiſſen droht, das mir die Gurgel zupreßt! We - he! Wehe! Und dann ſchweif ich umher in den furchtbaren naͤchtlichen Scenen dieſer menſchen - feindlichen Jahrszeit.

Geſtern Nacht mußt ich hinaus. Jch hatte noch Abends gehoͤrt, der Fluß ſey uͤbergetreten und die Baͤche all, und von Wahlheim herunter all mein Liebesthal uͤberſchwemmt. Nachts nach eilfrannt173rannt ich hinaus. Ein fuͤrchterliches Schauſpiel. Vom Fels herunter die wuͤhlenden Fluthen in dem Mondlichte wirbeln zu ſehn, uͤber Aelker und Wie - ſen und Hekken und alles, und das weite Thal hinauf und hinab eine ſtuͤrmende See im Sau - ſen des Windes. Und wenn denn der Mond wie - der hervortrat und uͤber der ſchwarzen Wolke ruh - te, und vor mir hinaus die Fluth in fuͤrchterlich herrlichen Wiederſchein rollte und klang, da uͤber - fiel mich ein Schauer, und wieder ein Sehnen! Ach! Mit offenen Armen ſtand ich gegen den Abgrund, und athmete hinab! hinab, und ver - lohr mich in der Wonne, all meine Quaalen all mein Leiden da hinab zu ſtuͤrmen, dahin zu brau - ſen wie die Wellen. Oh! Und den Fuß vom Boden zu heben! Vermochteſt du nicht und alle Qualen zu enden! Meine Uhr iſt noch nicht ausgelaufen ich fuͤhl’s! O Wilhelm, wie gern haͤtt ich all mein Menſchſeyn drum gegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu zerreiſſen, die Fluthen zu faſſen. Ha! Und wird nicht vielleicht dem Eingekerkerten einmal dieſe Wonne zu Theil!

Und174

Und wie ich wehmuͤthig hinab ſah auf ein Plaͤzgen, wo ich mit Lotten unter einer Weide ge - ruht, auf einem heiſſen Spaziergange, das war auch uͤberſchwemmt, und kaum daß ich die Weide er - kannte! Wilhelm. Und ihre Wieſen, dacht ich, und all die Gegend um ihr Jagdhaus, wie jezt vom reiſſenden Strome, verſtoͤrt unſere Lauben, dacht ich. Und der Vergangenheit Sonnenſtrahl blikte herein Wie einem Gefangenen ein Traum von Heerden, Wieſen und Ehrenaͤmtern. Jch ſtand! Jch ſchelte mich nicht, denn ich ha - be Muth zu ſterben Jch haͤtte Nun ſiz ich hier wie ein altes Weib, das ihr Holz an Zaͤu - nen ſtoppelt, und ihr Brod an den Thuͤren, um ihr hinſterbendes freudloſes Daſeyn noch einen Au - genblik zu verlaͤngern und zu erleichtern.

Was iſt das, mein Lieber? Jch erſchrekke vor mir ſelbſt! Jſt nicht meine Liebe zu ihr die heiligſte, reinſte, bruͤderlichſte Liebe? Hab ich jemals einen ſtrafbaren Wunſch in meiner Seelege -175gefuͤhlt ich will nicht betheuren und nun Traͤume! O wie wahr fuͤhlten die Menſchen, die ſo widerſprechende Wuͤrkungen fremden Maͤchten zuſchrieben. Dieſe Nacht! Jch zittere es zu ſa - gen, hielt ich ſie in meinen Armen, feſt an mei - nen Buſen gedruͤkt und dekte ihren lieben lispeln - den Mund mit unendlichen Kuͤſſen. Mein Auge ſchwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott! bin ich ſtrafbar, daß ich auch jezt noch eine Selig - keit fuͤhle, mir dieſe gluͤhende Freuden mit voller Jnnigkeit zuruͤk zu rufen, Lotte! Lotte! Und mit mir iſt’s aus! Meine Sinnen verwirren ſich. Schon acht Tage hab ich keine Beſinnungskraft, meine Augen ſind voll Thraͤnen. Jch bin nir - gends wohl, und uͤberall wohl. Jch wuͤnſche nichts, verlange nichts. Mir waͤrs beſſer ich gienge.

Der176

Der Herausgeber an den Leſer.

Die ausfuͤhrliche Geſchichte der lezten merkwuͤr - digen Tage unſers Freundes zu liefern, ſeh ich mich genoͤthiget ſeine Briefe durch Erzaͤhlung zu unterbrechen, wozu ich den Stof aus dem Mun - de Lottens, Albertens, ſeines Bedienten, und an - derer Zeugen geſammlet habe.

Werthers Leidenſchaft hatte den Frieden zwi - ſchen Alberten und ſeiner Frau allmaͤhlig unter - graben, dieſer liebte ſie mit der ruhigen Treue ei - nes rechtſchafnen Manns, und der freundliche Um - gang mit ihr ſubordinirte ſich nach und nach ſei - nen Geſchaͤften. Zwar wollte er ſich nicht den Un - terſchied geſtehen, der die gegenwaͤrtige Zeit den Braͤutigams-Tagen ſo ungleich machte: doch fuͤhl - te er innerlich einen gewiſſen Widerwillen gegen Werthers Aufmerkſamkeiten fuͤr Lotten, die ihn zu - gleich ein Eingriff in ſeine Rechte und ein ſtiller Vorwurf zu ſeyn ſcheinen mußten. Dadurch ward der uͤble Humor vermehrt, den ihm ſeine uͤber - haͤuften, gehinderten, ſchlecht belohnten Geſchaͤfte manchmal gaben, und da denn Werthers Lage auchihm177ihn zum traurigen Geſellſchafter machte, indem die Beaͤngſtigung ſeines Herzens, die uͤbrige Kraͤfte ſeines Geiſtes, ſeine Lebhaftigkeit, ſeinen Scharfſinn aufgezehrt hatte; ſo konnte es nicht fehlen daß Lotte zulezt ſelbſt mit angeſtekt wurde, und in eine Art von Schwermuth verfiel, in der Albert eine wachſende Leidenſchaft fuͤr ihren Liebhaber, und Werther einen tiefen Verdruß uͤber das veraͤnderte Betragen ihres Mannes zu entdekken glaubte. Das Mistrauen, womit die beyden Freunde einander anſahen, machte ihnen ihre wechſelſeitige Gegenwart hoͤchſt beſchwer - lich. Albert mied das Zimmer ſeiner Frau, wenn Werther bey ihr war, und dieſer, der es merkte, ergriff nach einigen fruchtloſen Verſuchen ganz von ihr zu laſſen, die Gelegenheit, ſie in ſolchen Stun - den zu ſehen, da ihr Mann von ſeinen Geſchaͤften gehalten wurde. Daraus entſtund neue Unzufrie - denheit, die Gemuͤther verhezten ſich immer mehr gegen einander, bis zulezt Albert ſeiner Frau mit ziemlich troknen Worten ſagte: ſie moͤchte, wenig - ſtens um der Leute willen, dem Umgange mit Wer - thern eine andere Wendung geben, und ſeine allzu - oͤfteren Beſuche abſchneiden.

MOhn -178

Ohngefaͤhr um dieſe Zeit hatte ſich der Ent - ſchluß, dieſe Welt zu verlaſſen, in der Seele des armen Jungen naͤher beſtimmt. Es war von je her ſeine Lieblingsidee geweſen, mit der er ſich, be - ſonders ſeit der Ruͤkkehr zu Lotten, immer getragen.

Doch ſollte es keine uͤbereilte, keine raſche That ſeyn, er wollte mit der beſten Ueberzeugung, mit der moͤglichſten ruhigen Entſchloſſenheit dieſen Schritt thun.

Seine Zweifel, ſein Streit mit ſich ſelbſt, blikken aus einem Zettelgen hervor, das wahrſchein - lich ein angefangener Brief an Wilhelmen iſt, und ohne Datum, unter ſeinen Papieren gefunden worden.

Jhre Gegenwart, ihr Schikſal, ihr Theilneh - men an dem meinigen, preßt noch die lezten Thraͤnen aus meinem verſengten Gehirn.

Den Vorhang aufzuheben und dahinter zu treten, das iſt’s all! Und warum das Zaudern und Zagen? Weil man nicht weis, wie’s da -hin -179hinten ausſieht? und man nicht zuruͤkkehrt? Und daß das nun die Eigenſchaft unſeres Geiſtes iſt, da Verwirrung und Finſterniß zu ahnden, wovon wir nichts Beſtimmtes wiſſen.

Den Verdruß, den er bey der Geſandtſchaft ge - habt, konnte er nicht vergeſſen. Er erwaͤhnte deſ - ſen ſelten, doch wenn es auch auf die entfernteſte Weiſe geſchah, ſo konnte man fuͤhlen, daß er ſeine Ehre dadurch unwiederbringlich gekraͤnkt hielte, und daß ihm dieſer Vorfall eine Abneigung gegen alle Geſchaͤfte und politiſche Wirkſamkeit gegeben hatte. Daher uͤberließ er ſich ganz der wunderbaren Em - pfind - und Denkensart, die wir aus ſeinen Brie - fen kennen, und einer endloſen Leidenſchaft, wor - uͤber noch endlich alles, was thaͤtige Kraft an ihm war, verloͤſchen mußte. Das ewige einerley eines traurigen Umgangs mit dem liebenswuͤrdigen und geliebten Geſchoͤpfe, deſſen Ruhe er ſtoͤrte, das ſtuͤrmende Abarbeiten ſeiner Kraͤfte, ohne Zwek und Ausſicht, draͤngten ihn endlich zu der ſchroͤkli - chen That.

M 2180

Jch danke Deiner Liebe, Wilhelm, daß Du das Wort ſo aufgefangen haſt. Ja Du haſt recht: Mir waͤre beſſer, ich gienge. Der Vorſchlag, den Du zu einer Ruͤkkehr zu euch thuſt, gefaͤllt mir nicht ganz, wenigſtens moͤcht ich noch gern einen Umweg machen, beſonders da wir anhaltenden Froſt und gute Wege zu hoffen haben. Auch iſt mir’s ſehr lieb daß Du kommen willſt, mich abzuholen, ver - zieh nur noch vierzehn Tage, und erwarte noch ei - nen Brief von mir mit dem weitern. Es iſt noͤ - thig, daß nichts gepfluͤkt werde, eh es reif iſt. Und vierzehn Tage auf oder ab thun viel. Meiner Mutter ſollſt Du ſagen: daß ſie fuͤr ihren Sohn beten ſoll und daß ich ſie um Vergebung bitte, we - gen all des Verdruſſes, den ich ihr gemacht habe. Das war nun mein Schikſal, die zu betruͤben, de - nen ich Freude ſchuldig war. Leb wohl, mein Theuerſter. Allen Segen des Himmels uͤber Dich! Leb wohl!

An181

An eben dem Tage, es war der Sonntag vor Weihnachten, kam er Abends zu Lotten, und fand ſie allein. Sie beſchaͤſtigte ſich, einige Spiel - werke in Ordnung zu bringen, die ſie ihren kleinen Geſchwiſtern zum Chriſtgeſchenke zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnuͤgen, das die Klei - nen haben wuͤrden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Oeffnung der Thuͤre, und die Er - ſcheinung eines aufgepuzten Baums mit Wachs - lichtern, Zukkerwerk und Aepfeln, in paradiſiſche Entzuͤkkung ſezte. Sie ſollen, ſagte Lotte, indem ſie ihre Verlegenheit unter ein liebes Laͤcheln ver - barg: Sie ſollen auch beſche ert kriegen, wenn Sie recht geſchikt ſind, ein Wachsſtoͤkgen und noch was. Und was heißen Sie geſchikt ſeyn? rief er aus, wie ſoll ich ſeyn, wie kann ich ſeyn, beſte Lotte? Donnerſtag Abend, ſagte ſie, iſt Weyhnachtsabend, da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt jedes das ſeinige, da kommen Sie auch aber nicht eher. Werther ſtuzte! Jch bitte Sie, fuhr ſie fort, es iſt nun einmal ſo, ich bitte Sie um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann nicht ſo bleiben! Er wendete ſeine Augen vonM 3ihr,182ihr, gieng in der Stube auf und ab, und mur, melte das: es kann nicht ſo bleiben! zwiſchen den Zaͤhnen. Lotte, die den ſchroͤklichen Zuſtand fuͤhlte, worinn ihn dieſe Worte verſezt hatten, ſuchte durch allerley Fragen ſeine Gedanken abzulenken, aber vergebens: Nein, Lotte, rief er aus: ich werde Sie nicht wieder ſehn! Warum das? verſezte ſie, Werther, Sie koͤnnen, Sie muͤſſen uns wieder ſehen, nur maͤſſigen Sie ſich. O! warum mußten Sie mit dieſer Heſtigkeit, dieſer unbezwinglich haf - tenden Leidenſchaft fuͤr alles, das Sie einmal an - faſſen, gebohren werden. Jch bitte Sie, fuhr ſie fort, indem ſie ihn bey der Hand nahm, maͤſſigen Sie ſich, Jhr Geiſt, Jhre Wiſſenſchaft, Jhre Talente, was bieten die Jhnen fuͤr mannigfaltige Ergoͤzzungen dar! ſeyn Sie ein Mann, wenden Sie dieſe traurige Anhaͤnglichkeit von einem Ge - ſchoͤpſe, das nichts thun kann als Sie bedauren. Er knirrte mit den Zaͤhnen, und ſah ſie duͤſter an. Sie hielt ſeine Hand: Nur einen Augenblik ru - higen Sinn, Werther, ſagte ſie. Fuͤhlen Sie nicht, daß Sie ſich betruͤgen, ſich mit Willen zu Grunde richten? Warum denn mich! Werther! Juſt183Juſt mich! das Eigenthum eines andern. Juſt das! Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, es iſt nur die Un - moͤglichkeit mich zu beſizzen, die Jhnen dieſen Wunſch ſo reizend macht. Er zog ſeine Hand aus der ihrigen, indem er ſie mit einem ſtarren un - willigen Blikke anſah. Weiſe! rief er, ſehr weiſe! hat vielleicht Albert dieſe Anmerkung gemacht? Politiſch! ſehr politiſch! Es kann ſie jeder ma - chen, verſezte ſie drauf. Und ſollte denn in der weiten Welt kein Maͤdgen ſeyn, das die Wuͤnſche Jhres Herzens erfuͤllte. Gewinnen Sie’s uͤber ſich, ſuchen Sie darnach, und ich ſchwoͤre Jhnen, Sie werden ſie finden. Denn ſchon lange aͤngſtet mich fuͤr Sie und uns die Einſchraͤnkung, in die Sie ſich dieſe Zeit her ſelbſt gebannt haben. Ge - winnen Sie’s uͤber ſich! Eine Reiſe wird Sie, muß Sie zerſtreuen! Suchen Sie, finden Sie einen werthen Gegenſtand all Jhrer Liebe, und kehren Sie zuruͤk, und laſſen Sie uns zuſammen die Seligkeit einer wahren Freundſchaft genießen.

Das koͤnnte man, ſagte er mit einem kalten Lachen, drukken laſſen, und allen Hofmeiſtern em -M 4pfeh -184pfehlen. Liebe Lotte, laſſen Sie mir noch ein klein wenig Ruh, es wird alles werden. Nur das Werther! daß Sie nicht eher kommen als Weyh - nachtsabend! Er wollte antworten, und Al - bert trat in die Stube. Man bot ſich einen fro - ſtigen guten Abend, und gieng verlegen im Zim - mer neben einander auf und nieder. Werther fieng einen unbedeutenden Diskurs an, der bald aus war, Albert desgleichen, der ſodann ſeine Frau nach einigen Auftraͤgen fragte, und als er hoͤrte, ſie ſeyen noch nicht ausgerichtet, ihr ſpizze Reden gab, die Werthern durch’s Herz giengen. Er wollte gehn, er konnte nicht und zauderte bis Acht, da ſich denn der Unmuth und Unwillen an einander immer ver - mehrte, bis der Tiſch gedekt wurde und er Huth und Stok nahm, da ihm denn Albert ein unbedeu - tend Kompliment, ob er nicht mit ihnen vorlieb nehmen wollte? mit auf den Weg gab.

Er kam nach Hauſe, nahm ſeinem Burſchen, der ihm leuchten wollte, das Licht aus der Hand, und gieng allein in ſein Zimmer, weinte laut, re - dete aufgebracht mit ſich ſelbſt, gieng heftig dieStube185Stube auf und ab, und warf ſich endlich in ſeinen Kleidern auf’s Bette, wo ihn der Bediente fand, der es gegen Eilf wagte hinein zu gehn, um zu fra - gen, ob er dem Herrn die Stiefel ausziehen ſollte, das er denn zuließ und dem Diener verbot, des an - dern Morgens nicht in’s Zimmer zu kommen, bis er ihm rufte.

Montags fruͤh, den ein und zwanzigſten De - cember, ſchrieb er folgenden Brief an Lotten, den man nach ſeinem Tode verſiegelt auf ſeinem Schreibtiſche gefunden und ihr uͤberbracht hat, und den ich Abſazweiſe hier einruͤkken will, ſo wie aus den Umſtaͤnden erhellet, daß er ihn geſchrieben habe.

Es iſt beſchloſſen, Lotte, ich will ſterben, und das ſchreib ich Dir ohne romantiſche Ueberſpan - nung gelaſſen, an dem Morgen des Tags, an dem ich Dich zum lezten mal ſehn werde. Wenn Du dieſes lieſeſt, meine Beſte, dekt ſchon das kuͤhle Grab die erſtarrten Reſte des Unruhigen, Ungluͤk -M 5lichen186lichen, der fuͤr die lezten Augenblikke ſeines Lebens keine groͤſſere Suͤſſigkeit weis, als ſich mit Dir zu unterhalten. Jch habe eine ſchroͤkliche Nacht ge - habt, und ach eine wohlthaͤtige Nacht, ſie iſt’s, die meinen wankenden Entſchluß beſeſtiget, beſtimmt hat: ich will ſterben. Wie ich mich geſtern von Dir riß, in der fuͤrchterlichen Empoͤrung meiner Sinnen, wie ſich all all das nach meinem Herzen draͤngte, und mein hoffnungloſes, freudloſes Daſeyn neben Dir, in graͤßlicher Kaͤlte mich anpakte; ich erreichte kaum mein Zimmer, ich warf mich auſſer mir auf meine Knie, und o Gott! du gewaͤhrteſt mir das lezte Labſal der bitterſten Thraͤnen, und tauſend Anſchlaͤge, tauſend Ausſichten wuͤtheten durch meine Seele, und zuletzt ſtand er da, feſt ganz der lezte einzige Gedanke: Jch will ſterben! Jch legte mich nieder, und Morgens, in all der Ruh des Erwachens, ſteht er noch feſt, noch ganz ſtark in meinem Herzen: Jch will ſterben! Es iſt nicht Verzweiflung, es iſt Gewißheit, daß ich ausgetragen habe, und daß ich mich opfere fuͤr Dich, ja Lotte, warum ſollt ich’s verſchweigen: eins von uns dreyen muß hinweg, und das willich187ich ſeyn. O meine Beſte, in dieſem zerriſſenen Herzen iſt es wuͤthend herum geſchlichen, oft Deinen Mann zu ermorden! Dich! mich! So ſey’s denn! Wenn du hinauf ſteigſt auf den Berg, an einem ſchoͤnen Sommerabende, dann erinnere Dich meiner, wie ich ſo oft das Thal herauf kam, und dann blikke nach dem Kirchhofe hinuͤber nach meinem Grabe, wie der Wind das hohe Gras im Schein der ſinkenden Sonne, hin und her wiegt. Jch war ruhig da ich anfieng, und nun wein ich wie ein Kind, da mir all das ſo lebhaft um mich wird.

Gegen zehn Uhr rufte Werther ſeinem Be - dienten, und unter dem Anziehen ſagte er ihm: wie er in einigen Tagen verreiſen wuͤrde, er ſolle daher die Kleider auskehren, und alles zum Ein - pakken zurechte machen, auch gab er ihm Befehl, uͤberall Contis zu fordern, einige ausgeliehene Buͤ - cher abzuholen, und einigen Armen, denen er woͤ - chentlich etwas zu geben gewohnt war, ihr Zuge - theiltes auf zwey Monathe voraus zu bezahlen.

Er188

Er ließ ſich das Eſſen auf die Stube bringen, und nach Tiſche ritt er hinaus zum Amtmanne, den er nicht zu Hauſe antraf. Er gieng tieffinnig im Garten auf und ab, und ſchien noch zulezt alle Schwermuth der Erinnerung auf ſich haͤufen zu wollen.

Die Kleinen ließen ihn nicht lange in Ruhe, ſie verfolgten ihn, ſprangen an ihn hinauf, er - zaͤhlten ihm: daß, wenn Morgen und wieder Morgen, und noch ein Tag waͤre, daß ſie die Chriſtgeſchenke bey Lotten holten, und erzaͤhlten ihm Wunder, die ſich ihre kleine Einbildungskraft verſprach. Morgen! rief er aus, und wieder Morgen, und noch ein Tag! Und kuͤßte ſie alle herzlich, und wollte ſie verlaſſen, als ihm der kleine noch was in’s Ohr ſagen wollte. Der verrieth ihm, daß die großen Bruͤder haͤtten ſchoͤne Neu - jahrswuͤnſche geſchrieben, ſo gros, und einen fuͤr den Papa, fuͤr Albert und Lotte einen, und auch einen fuͤr Herrn Werther. Die wollten ſie des Neujahrstags fruͤh uͤberreichen.

Das189

Das uͤbermannte ihn, er ſchenkte jedem was, ſezte ſich zu Pferde, ließ den Alten gruͤßen, und ritt mit Thraͤnen in den Augen davon.

Gegen fuͤnfe kam er nach Hauſe, befahl der Magd nach dem Feuer zu ſehen, und es bis in die Nacht zu unterhalten. Dem Bedienten hieß er Buͤcher und Waͤſche unten in den Coffer pakken, und die Kleider einnaͤhen. Darauf ſchrieb er wahrſcheinlich folgenden Abſaz ſeines lezten Briefes an Lotten.

Du erwarteſt mich nicht. Du glaubſt, ich wuͤr - de gehorchen, und erſt Weyhnachtsabend Dich wie - der ſehn. O Lotte! Heut, oder nie mehr. Weyh - nachtsabend haͤltſt Du dieſes Papier in Deiner Hand, zitterſt und benezt es mit Deinen lieben Thraͤnen. Jch will, ich muß! O wie wohl iſt mir’s, daß ich entſchloſſen bin.

Um190

Um halb ſieben gieng er nach Albertens Hauſe, und fand Lotten allein, die uͤber ſeinen Beſuch ſehr erſchrokken war. Sie hatte ihrem Manne im Diskurs geſagt, daß Werther vor Weyhnachts - abend nicht wiederkommen wuͤrde. Er ließ bald darauf ſein Pferd ſatteln, nahm von ihr Abſchied und ſagte, er wolle zu einem Beamten in der Nach - barſchaft reiten, mit dem er Geſchaͤfte abzuthun habe, und ſo machte er ſich truz der uͤbeln Witte - rung fort. Lotte, die wohl wußte, daß er dieſes Geſchaͤft ſchon lange verſchoben hatte, daß es ihn eine Nacht von Hauſe halten wuͤrde, verſtund die Pantomime nur allzu wohl und ward herzlich be - truͤbt daruͤber. Sie ſaß in ihrer Einſamkeit, ihr Herz ward weich, ſie ſah das Vergangene, fuͤhlte all ihren Werth, und ihre Liebe zu ihrem Manne, der nun ſtatt des verſprochenen Gluͤks anfieng das Elend ihres Lebens zu machen. Jhre Gedanken fielen auf Werthern. Sie ſchalt ihn, und konnte ihn nicht haſſen. Ein geheimer Zug hatte ihr ihn vom Anfange ihrer Bekanntſchaft theuer gemacht, und nun, nach ſo viel Zeit, nach ſo manchen durchlebten Situationen, mußte ſeinEin -191Eindruk unausloͤſchlich in ihrem Herzen ſeyn. Jhr gepreßtes Herz machte ſich endlich in Thraͤnen Luft und gieng in eine ſtille Melancholie uͤber, in der ſie ſich je laͤnger je tiefer verlohr. Aber wie ſchlug ihr Herz, als ſie Werthern die Treppe herauf kom - men und außen nach ihr fragen hoͤrte. Es war zu ſpaͤt, ſich verlaͤugnen zu laſſen, und ſie konnte ſich nur halb von ihrer Verwirrung ermannen, als er ins Zimmer trat. Sie haben nicht Wort gehalten! rief ſie ihm entgegen. Jch habe nichts verſprochen, war ſeine Antwort. So haͤtten Sie mir wenig - ſtens meine Bitte gewaͤhren ſollen, ſagte ſie, es war Bitte um unſerer beyder Ruhe willen. Jn - dem ſie das ſprach, hatte ſie bey ſich uͤberlegt, ei - nige ihrer Freundinnen zu ſich rufen zu laſſen. Sie ſollten Zeugen ihrer Unterredung mit Werthern ſeyn, und Abends, weil er ſie nach Hauſe fuͤhren mußte, ward ſie ihn zur rechten Zeit los. Er hatte ihr einige Buͤcher zuruͤk gebracht, ſie fragte nach einigen andern, und ſuchte das Geſpraͤch in Er - wartung ihrer Freundinnen, allgemein zu erhalten, als das Maͤdgen zuruͤk kam und ihr hinterbrachte, wie ſie ſich beyde entſchuldigen ließen, die eine habeunan -192unangenehmen Verwandtenbeſuch, und die andere moͤchte ſich nicht anziehen, und in dem ſchmuzigen Wetter nicht gerne ausgehen.

Daruͤber ward ſie einige Minuten nachdenkend, bis das Gefuͤhl ihrer Unſchuld ſich mit einigem Stolze empoͤrte. Sie bot Albertens Grillen Truz, und die Reinheit ihres Herzens gab ihr eine Feſtig - keit, daß ſie nicht, wie ſie anfangs vorhatte, ihr Maͤdgen in die Stube rief, ſondern, nachdem ſie einige Menuets auf dem Clavier geſpielt hatte, um ſich zu erholen, und die Verwirrung ihres Her - zens zu ſtillen, ſich gelaſſen zu Werthern auf’s Canapee ſezte. Haben Sie nichts zu leſen, ſagte ſie. Er hatte nichts. Da drinne in meiner Schublade, fieng ſie an, liegt ihre Ueberſezzung einiger Geſaͤnge Oſſians, ich habe ſie noch nicht geleſen, denn ich hoffte immer, ſie von Jhnen zu hoͤren, aber zeither ſind Sie zu nichts mehr taug - lich. Er laͤchelte, holte die Lieder, ein Schauer uͤberfiel ihn, als er ſie in die Hand nahm, und die Augen ſtunden ihm voll Thraͤnen, als er hin - ein ſah, er ſezte ſich nieder und las:

Stern193

Stern der daͤmmernden Nacht, ſchoͤn funkelſt du in Weſten. Hebſt dein ſtrahlend Haupt aus deiner Wolke Wandelſt ſtattlich deinen Huͤgel hin. Wornach blikſt du auf die Haide? Die ſtuͤrmende Winde haben ſich gelegt. Von ferne kommt des Giosbachs Murmeln. Rauſchende Wel - len ſpielen am Felſen ferne. Das Geſumme der Abendfliegen ſchwaͤrmet uͤber’s Feld. Wornach ſiehſt du, ſchoͤnes Licht? Aber du laͤchelſt und gehſt, freudig umgeben dich die Wellen und baden dein liebliches Haar. Lebe wohl ruhiger Strahl. Er - ſcheine du herrliches Licht von Oſſians Seele.

Und es erſcheint in ſeiner Kraft. Jch ſehe meine geſchiedene Freunde, ſie ſammeln ſich auf Lora, wie in den Tagen, die voruͤber ſind. Fingal kommt wie eine feuchte Nebelſaͤule; um ihn ſind ſeine Helden. Und ſieh die Barden des Geſangs! grauer Ullin! ſtatlicher Ryno! Alpin lieblicher Saͤnger! Und du ſanft klagende Mino - na! Wie veraͤndert ſeyd ihr meine Freunde ſeit den feſtlichen Tagen auf Selma! da wir buhl - ten um die Ehre des Geſangs, wie Fruͤhlingsluͤf -Nte194te den Huͤgel hin wechſelnd beugen das ſchwach lispelnde Gras.

Da trat Minona hervor in ihrer Schoͤnheit, mit niedergeſchlagenem Blik und thraͤnenvollem Au - ge. Jhr Haar floß ſchwer im unſteten Winde der von dem Huͤgel herſties. Duͤſter wards in der Seele der Helden als ſie die liebliche Stim - me erhub; denn oft hatten ſie das Grab Sal - gars geſehen, oft die finſtere Wohnung der weiſſen Colma. Colma verlaſſen auf dem Huͤgel, mit all der harmoniſchen Stimme. Salmar verſprach zu kommen; aber rings um zog ſich die Nacht. Hoͤ - ret Colmas Stimme, da ſie auf dem Huͤgel allein ſaß.

Colma.

Es iſt Nacht; ich bin allein, verlohren auf dem ſtuͤrmiſchen Huͤgel. Der Wind ſauſt im Gebuͤrg, der Strohm heult den Felſen hinab. Kei - ne Huͤtte ſchuͤzt mich vor dem Regen, verlaſſen auf dem ſtuͤrmiſchen Huͤgel.

Tritt, o Mond, aus deinen Wolken; erſchei - net Sterne der Nacht! Leite mich irgend ein Strahl zu dem Orte wo meine Liebe ruht von denBe -195Beſchwerden der Jagd, ſein Bogen neben ihm ab - geſpannt, ſeine Hunde ſchnobend um ihn! Aber hier muß ich ſizzen allein auf dem Felſen des verwachſenen Strohms. Der Strohm und der Sturm ſauſt, ich hoͤre nicht die Stimme meines Geliebten.

Warum zaudert mein Salgar? Hat er ſein Wort vergeſſen? Da iſt der Fels und der Baum und hier der rauſchende Strohm. Mit der Nacht verſprachſt du hier zu ſeyn. Ach! wo - hin hat ſich mein Salgar verirrt? Mit dir wollt ich fliehen, verlaſſen Vater und Bruder! die Stol - zen! Lange ſind unſere Geſchlechter Feinde, aber wir ſind keine Feinde, o Salgar.

Schweig eine Weile o Wind, ſtill eine klei - ne Weile o Strohm, daß meine Stimme klinge durch’s Thal, daß mein Wandrer mich hoͤre. Sal - gar! Jch bin’s die ruft. Hier iſt der Baum und der Fels. Salgar, mein Lieber, hier bin ich. Warum zauderſt du zu kommen?

Sich, der Mond erſcheint. Die Fluth glaͤnzt im Thale. Die Felſen ſtehn grau den Huͤgel hin - auf. Aber ich ſeh ihn nicht auf der Hoͤhe. Sei -N 2ne196ne Hunde vor ihm her verkuͤndigen nicht ſeine An - kunft. Hier muß ich ſizzen allein.

Aber wer ſind die dort unten liegen auf der Haide Mein Geliebter? Mein Bruder? Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht. Wie geaͤngſtet iſt meine Seele Ach ſie ſind todt! Jhre Schwerdte roth vom Gefecht. O mein Bruder, mein Bruder, warum haſt du mei - nen Salgax erſchlagen? O mein Salgar, warum haſt du meinen Bruder erſchlagen? Jhr wart mir beyde ſo lieb! O du warſt ſchoͤn an dem Huͤgel unter Tauſenden; er war ſchroͤklich in der Schlacht. Antwortet mir! Hoͤrt meine Stimme, meine Geliebten. Aber ach ſie ſind ſtumm. Stumm vor ewig. Kalt wie die Erde iſt ihr Buſen.

O von dem Felſen des Huͤgels, von dem Gipfel des ſtuͤrmenden Berges, redet Geiſter der Todten! Redet! mir ſoll es nicht grauſen! Wohin ſeyd ihr zur Ruhe gegangen? Jn wel - cher Gruft des Gebuͤrges ſoll ich euch finden! Keine ſchwache Stimme vernehm ich im Wind, keine wehende Antwort im Sturme des Huͤgels.

Jch197

Jch ſizze in meinem Jammer, ich harre auf den Morgen in meinen Thraͤnen. Wuͤhlet das Grab, ihr Freunde der Todten, aber ſchließt es nicht, bis ich komme. Mein Leben ſchwindet wie ein Traum, wie ſollt ich zuruͤk bleiben. Hier will ich wohnen mit meinen Freunden an dem Strohme des klingenden Felſen Wenns Nacht wird auf dem Huͤgel, und der Wind kommt uͤber die Haide, ſoll mein Geiſt im Winde ſtehn und trauren den Tod meiner Freunde. Der Jaͤger hoͤrt mich aus ſei - ner Laube, fuͤrchtet meine Stimme und liebt ſie, den ſuͤß ſoll meine Stimme ſeyn um meine Freun - de, ſie waren mir beyde ſo lieb.

Das war dein Geſang, o Minona, Tormans ſanfte erroͤthende Tochter. Unſere Thraͤnen floſſen um Colma, und unſere Seele ward duͤſter Ul - lin trat auf mit der Harfe und gab uns Alpins Geſang Alpins Stimme war freundlich, Rynos Seele ein Feuerſtrahl. Aber ſchon ruhten ſie im engen Hauſe, und ihre Stimme war verhallet in Selma Einſt kehrt Ullin von der Jagd zuruͤk, eh noch die Helden fielen, er hoͤrte ihren Wette - geſang auf dem Huͤgel, ihr Lied war ſanft, aberN 3traurig,198traurig, ſie klagten Morars Fall, des erſten der Helden. Seine Seele war wie Fingals Seele; ſein Schwerdt wie das Schwerdt Oslars Aber er fiel und ſein Vater jammerte und ſeiner Schwe - ſter Augen waren voll Thraͤnen Minonas Au - gen waren voll Thraͤnen, der Schweſter des herr - lichen Morars. Sie trat zuruͤk vor Ullins Ge - ſang, wie der Mond in Weſten, der den Sturm - regen vorausſieht und ſein ſchoͤnes Haupt in eine Wolke verbirgt. Jch ſchlug die Harfe mit Ul - lin zum Geſange des Jammers.

Ryno.

Vorbey ſind Wind und Regen, der Mittag iſt ſo heiter, die Wolken theilen ſich. Fliehend be - ſcheint den Huͤgel die unbeſtaͤndge Sonne. So roͤthlich fließt der Strohm des Bergs im Thale hin. Suͤß iſt dein Murmeln Strohm, doch ſuͤſſer die Stimme, die ich hoͤre. Es iſt Alpin’s Stimme, er bejammert den Todten. Sein Haupt iſt vor Alter gebeugt, und roth ſein thraͤnendes Auge. Al - pin treflicher Saͤnger, warum allein auf dem ſchwei - genden Huͤgel, warum jammerſt du wie ein Wind - ſtos im Wald, wie eine Welle am fernen Geſtade.

Alpin.199

Alpin.

Meine Thraͤnen Ryno, ſind fuͤr den Tod - ten, meine Stimme fuͤr die Bewohner des Grabs. Schlank biſt du auf dem Huͤgel, ſchoͤn unter den Soͤhnen der Haide. Aber du wirſt fallen wie Morar, und wird der traurende ſizzen auf deinem Grabe. Die Huͤgel werden dich vergeſſen, dein Bogen in der Halle liegen ungeſpannt.

Du warſt ſchnell o Morar, wie ein Reh auf dem Huͤgel, ſchreklich wie die Nachtfeuer am Him - mel, dein Grimm war ein Sturm. Dein Schwerdt in der Schlacht wie Wetterleuchten uͤber der Hai - de. Deine Stimme glich dem Waldſtrohme nach dem Regen, dem Donner auf fernen Huͤgel. Man - che fielen vor deinem Arm, die Flamme deines Grimms verzehrte ſie. Aber wenn du kehrteſt vom Kriege, wie friedlich war deine Stimme! Dein Angeſicht war gleich der Sonne nach dem Gewitter, gleich dem Monde in der ſchweigenden Nacht. Ruhig deine Bruſt wie der See, wenn ſich das Brauſen des Windes gelegt hat.

Eng iſt nun deine Wohnung, finſter deine Staͤte. Mit drey Schritten meß ich dein Grab,N 4o200o du, der du ehe ſo gros waͤrſt! Vier Steine mit moſigen Haͤuptern ſind dein einzig Gedaͤcht - niß. Ein entblaͤtterter Baum, lang Gras; das wiſpelt im Winde, deutet dem Auge des Jaͤgers das Grab des maͤchtigen Morars. Keine Mut - ter haſt du, dich zu beweinen, kein Maͤdgen mit Thraͤnen der Liebe. Todt iſt, die dich gebahr. Gefallen die Tochter von Morglan.

Wer auf ſeinem Stabe iſt das? Wer iſt’s, deſſen Haupt weis iſt vor Alter, deſſen Augen roth ſind von Thraͤnen? Es iſt dein Vater, o Morar! Der Vater keines Sohns auſſer dir! Er hoͤrte von deinem Rufe in der Schlacht; er hoͤrte von zerſtobenen Feinden. Er hoͤrte Mo - rars Ruhm! Ach nichts von ſeiner Wunde? Weine, Vater Morars! Weine! aber dein Sohn hoͤrt dich nicht. Tief iſt der Schlaf der Todten, niedrig ihr Kuͤſſen von Staub. Nimmer achtet er auf die Stimme, nie erwacht er auf deinen Ruf. O wann wird es Morgen im Grabe? zu bieten dem Schlummerer: Erwache!

Lebe wohl, edelſter der Menſchen, du Eroberer im Felde! Aber nimmer wird dich das Feld ſehn,nimmer201nimmer der duͤſtere Wald leuchten vom Glanze dei - nes Stahls. Du hinterlieſeſt keinen Sohn, aber der Geſang ſoll deinen Nahmen erhalten. Kuͤnf - tige Zeiten ſollen von dir hoͤren, hoͤren ſollen ſie von dem gefallenen Morar.

Laut ward die Trauer der Helden, am laut - ſten Armins berſtender Seufzer. Jhn erinnert’s an den Todt ſeines Sohns, der fiel in den Ta - gen ſeiner Jugend. Carmor ſas nah bey dem Helden, der Fuͤrſt des hallenden Galmal. Warum ſchluchſet der Seufzer Armins? ſprach er, was iſt hier zu weinen? Klingt nicht Lied und Ge - ſang, die Seele zu ſchmelzen und zu ergoͤzzen. Sind wie ſanfter Nebel der ſteigend vom See auf’s Thal ſpruͤht, und die bluͤhenden Blumen fuͤl - let das Naß, aber die Sonne kommt wieder in ihrer Kraft und der Nebel iſt gangen. Warum biſt du ſo jammervoll, Armin, Herr des ſeeumfloſ - ſenen Gorma?

Jammervoll! Wohl das bin ich, und nicht gering die Urſach meines Wehs. Carmor, du verlohrſt keinen Sohn; verlohrſt keine bluͤhende Tochter! Colgar der Tapfere lebt; und Amira,N 5die202die ſchoͤnſte der Maͤdgen. Die Zweige deines Hau - ſes bluͤhen, o Carmor, aber Armin iſt der lezte ſeines Stamms. Finſter iſt dein Bett, o Dau - ra! Dumpf iſt dein Schlaf in dem Grabe Wann erwachſt du mit deinen Geſaͤngen, mit dei - ner melodiſchen Stimme? Auf! ihr Winde des Herbſt, auf! Stuͤrmt uͤber die finſtre Haide! Waldſtroͤhme brauſt! Heult Stuͤrme in dem Gip - fel der Eichen! Wandle durch gebrochene Wol - ken o Mond, zeige wechſelnd dein bleiches Ge - ſicht! Erinnere mich der ſchroͤklichen Nacht, da meine Kinder umkamen, Arindal der maͤchtige fiel, Daura, die liebe, vergieng.

Daura, meine Tochter, du warſt ſchoͤn! ſchoͤn wie der Mond auf den Huͤgeln von Fura, weiß wie der gefallene Schnee, ſuͤß wie die athmende Luft. Arindal, dein Bogen war ſtark, dein Speer ſchnell auf dem Felde, dein Blik wie Nebel auf der Welle, dein Schild eine Feuerwolke im Sturme. Armar beruͤhmt im Krieg, kam und warb um Dau - ras Liebe, ſie widerſtund nicht lange, ſchoͤn waren die Hoffnungen ihrer Freunde.

Erath203

Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn ſein Bruder lag erſchlagen von Armar. Er kam in einen Schiffer verkleidet, ſchoͤn war ſein Nachen auf der Welle; weiß ſeine Lokken vor Alter, ru - hig ſein ernſtes Geſicht. Schoͤnſte der Maͤdgen, ſagt er, liebliche Tochter von Armin. Dort am Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht vom Baume herblinkt, dort wartet Armar auf Daura. Jch komme, ſeine Liebe zu fuͤhren uͤber die rollende See.

Sie folgt ihm, und rief nach Armar. Nichts antwortete als die Stimme des Felſens. Armar mein Lieber, mein Lieber, warum aͤngſteſt du mich ſo? Hoͤre, Sohn Arnats, hoͤre. Daura iſt’s, die dich ruft!

Erath, der Verraͤther, floh lachend zum Lande. Sie erhub ihre Stimme, rief nach ihrem Vater und Bruder. Arindal! Armin! Jſt keiner, ſeine Dau - ra zu retten?

Jhre Stimme kam uͤber die See. Arindal mein Sohn, ſtieg vom Huͤgel herab rauh in der Beute der Jagd. Seine Pfeile raſſelten an ſeiner Seite. Seinen Begen trug er in der Hand. Fuͤnf204Fuͤnf ſchwarzgraue Dokken waren um ihn. Er ſah den kuͤhnen Erath am Ufer, faßt und band ihn an die Eiche. Feſt umflocht er ſeine Huͤften, er fuͤllt mit Aechzen die Winde.

Arindal betritt die Welle in ſeinem Boote, Daura heruͤber zu bringen. Armar kam in ſei - nem Grimm, druͤkt ab den grau befiederten Pfeil, er klang, er ſank in dein Herz, o Arindal, mein Sohn! Statt Erath des Verraͤthers kamſt du um, das Boot erreicht den Felſen, er ſank dran nieder und ſtarb. Welch war dein Jammer, o Daura, da zu deinen Fuͤſſen floß deines Bruders Blut.

Die Wellen zerſchmettern das Boot. Armar ſtuͤrzt ſich in die See, ſeine Daura zu retten oder zu ſterben. Schnell ſtuͤrmt ein Stos vom Huͤgel in die Wellen, er ſank und hub ſich nicht wieder.

Allein auf dem ſeebeſpuͤlten Felſen hoͤrt ich die Klage meiner Tochter. Viel und laut war ihr Schreyen; doch konnt ſie ihr Vater nicht retten. Die ganze Nacht ſtund ich am Ufer, ich ſah ſie im ſchwachen Strahle des Monds, die gan - ze Nacht hoͤrt ich ihr Schreyn. Laut war der Wind, und der Regen ſchlug ſcharf nach der Sei -te205te des Bergs. Jhre Stimme ward ſchwach, eh der Morgen erſchien, ſie ſtarb weg wie die Abend - luft zwiſchen dem Graſe der Felſen. Beladen mit Jammer ſtarb ſie und ließ Armin allein! dahin iſt meine Staͤrke im Krieg, gefallen mein Stolz unter den Maͤdgen.

Wenn die Stuͤrme des Berges kommen, wenn der Nord die Wellen hoch hebt, ſiz ich am ſchal - lenden Ufer, ſchaue nach dem ſchroͤklichen Felſen. Oft im ſinkenden Mond ſeh ich die Geiſter meiner Kinder, halb daͤmmernd, wandeln ſie zuſammen in trauriger Eintracht.

Ein Strohm von Thraͤnen, der aus Lottens Augen brach und ihrem gepreßten Herzen Luft machte, hemmte Werthers Geſang, er warf das Papier hin, und faßte ihre Hand und weinte die bitterſten Thraͤnen. Lotte ruhte auf der andern und verbarg ihre Augen in’s Schnupftuch, die Bewegung beyder war fuͤrchterlich. Sie fuͤhlten ihr eigenes Elend in dem Schikſal der Edlen, fuͤhlten es zuſammen, und ihre Thraͤnen vereinig - ten ſie. Die Lippen und Augen Werthers gluͤhten an Lottens Arme, ein Schauer uͤberfiel ſie, ſie woll -te206te ſich entfernen und es lag all der Schmerz, der Antheil betaͤubend wie Bley auf ihr. Sie athmete ſich zu erholen, und bat ihn ſchluchſend, fortzu - fahren, bat mit der ganzen Stimme des Himmels, Werther zitterte, ſein Herz wollte berſten, er hub das Blatt auf und las halb gebrochen:

Warum wekſt du mich Fruͤhlingsluft, du buhlſt und ſprichſt: ich bethaue mit Tropſen des Himmels. Aber die Zeit meines Welkens iſt nah, nah der Sturm, der meine Blaͤtter herabſtoͤrt! Morgen wird der Wandrer kommen, kommen der mich ſah in meiner Schoͤnheit, rings wird ſein Aug im Felde mich ſuchen, und wird mich nicht finden.

Die ganze Gewalt dieſer Worte fiel uͤber den Ungluͤklichen, er warf ſich vor Lotten nieder in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Haͤnde, drukte ſie in ſeine Augen, wider ſeine Stirn, und ihr ſchien eine Ahndung ſeines ſchroͤklichen Vor - habens durch die Seele zu fliegen: Jhre Sinnen verwirrten ſich, ſie drukte ſeine Haͤnde, drukte ſie wider ihre Bruſt, neigte ſich mit einer wehmuͤthi - gen Bewegung zu ihm, und ihre gluͤhenden Wan -gen207gen beruͤhrten ſich. Die Welt vergieng ihnen, er ſchlang ſeine Arme um ſie her, preßte ſie an ſei - ne Bruſt, und dekte ihre zitternde ſtammelnde Lip - pen mit wuͤthenden Kuͤſſen. Werther! rief ſie mit erſtikter Stimme ſich abwendend, Werther! und druͤkte mit ſchwacher Hand ſeine Bruſt von der ihrigen! Werther! rief ſie mit dem gefaßten Tone des edelſten Gefuͤhls; er widerſtund nicht, lies ſie aus ſeinen Armen, und warf ſich unſin - nig vor ſie hin. Sie riß ſich auf, und in aͤngſt - licher Verwirrung, bebend zwiſchen Liebe und Zorn ſagte ſie: Das iſt das leztemal! Werther! Sie ſehn mich nicht wieder. Und mit dem vollſten Blik der Liebe auf den Elenden eilte ſie in’s Ne - benzimmer, und ſchloß hinter ſich zu. Werther ſtrekte ihr die Arme nach, getraute ſich nicht ſie zu halten. Er lag an der Erde, den Kopf auf dem Canapee, und in dieſer Stellung blieb er uͤber ei - ne halbe Stunde, biß ihn ein Geraͤuſch zu ſich ſelbſt rief. Es war das Maͤdgen, das den Tiſch dekken wollte. Er gieng im Zimmer auf und ab, und da er ſich wieder allein ſah, gieng er zur Thuͤre des Cabinets, und rief mit leiſer Stimme,Lotte!208Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! Sie ſchwieg, er harrte und bat und harr - te, dann riß er ſich weg und rief, Leb wohl, Lotte! auf ewig leb wohl!

Er kam an’s Stadtthor. Die Waͤchter die ihn ſchon gewohnt waren, ließen ihn ſtillſchweigend hinaus, es ſtuͤbte zwiſchen Regen und Schnee, und erſt gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Die - ner bemerkte, als Werther nach Hauſe kam, daß ſei - nem Herrn der Huth fehlte. Er getraute ſich nichts zu ſagen, entkleidete ihn, alles war naß. Man hat nachher den Huth auf einem Felſen, der an dem Abhange des Huͤgels in’s Thal ſieht ge - funden, und es iſt unbegreiflich, wie er ihn in einer finſtern feuchten Nacht ohne zu ſtuͤrzen erſtiegen hat.

Er legte ſich zu Bette und ſchlief lange. Der Bediente fand ihn ſchreiben, als er ihm den andern Morgen auf ſein Rufen den Caffee brach - te. Er ſchrieb folgendes am Briefe an Lotten:

Zum209

Zum leztenmale denn, zum leztenmale ſchlag ich dieſe Augen auf, ſie ſollen ach die Sonne nicht mehr ſehen, ein truͤber neblichter Tag haͤlt ſie bedeckt. So traure denn, Natur, dein Sohn, dein Freund, dein Geliebter naht ſich ſeinem Ende. Lotte, das iſt ein Gefuͤhl ohne gleichen, und doch kommt’s dem daͤmmernden Traume am naͤchſten, zu ſich zu ſagen: das iſt der lezte Morgen. Der lezte! Lotte, ich habe keinen Sinn vor das Wort, der lezte! Steh ich nicht da in meiner ganzen Kraft, und Morgen lieg ich ausgeſtreckt und ſchlaff am Boden. Ster - ben! Was heiſt das? Sieh wir traͤumen, wenn wir vom Tode reden. Jch hab manchen ſterben ſe - hen, aber ſo eingeſchraͤnkt iſt die Menſchheit, daß ſie fuͤr ihres Daſeyns Anfang und Ende keinen Sinn hat. Jezt noch mein, dein! dein! o Geliebte, und einen Augenblick getrennt, geſchieden vielleicht auf ewig. Nein, Lotte, nein Wie kann ich vergehen, wie kannſt du vergehen, wir ſind ja! Vergehen! Was heißt das? das iſt wieder ein Wort! ein leerer Schall ohne Ge - fuͤhl fuͤr mein Herz. Todt, Lotte! Ein -Oge -210geſcharrt der kalten Erde, ſo eng, ſo finſter! Jch hatte eine Freundin, die mein Alles war mei - ner huͤlfloſen Jugend, ſie ſtarb und ich folgte ih - rer Leiche, und ſtand an dem Grabe. Wie ſie den Sarg hinunter ließen und die Seile ſchnurrend unter ihm weg und wieder herauf ſchnellten, dann die erſte Schaufel hinunter ſchollerte und die aͤngſt - liche Lade einen dumpfen Ton wiedergab, und dump - fer und immer dumpfer und endlich bedecktwar! Jch ſtuͤrzte neben das Grab hin Ergriffen erſchuͤt - tert geaͤngſtet zerriſſen mein innerſtes, aber ich wuſte nicht wie mir geſchah, wie mir geſchehen wird Sterben! Grab! Jch verſtehe die Worte nicht!

O vergieb mir! vergieb mir! Geſtern! Es haͤt - te der lezte Augenblik meines Lebens ſeyn ſollen. O du Engel! zum erſtenmale, zum erſtenmale ganz ohne Zweifel durch mein innig innerſtes durchgluͤhte mich das Wonnegefuͤhl: Sie liebt mich! Sie liebt mich. Es brennt noch auf meinen Lippen das heilige Feuer das von den deinigen ſtroͤhmte, neue warme Wonne iſt in meinem Herzen. Vergieb mir, vergieb mir.

Ach ich wuſte, daß du mich liebteſt, wuſte es an den erſten ſeelenvollen Blikken, an dem erſtenHaͤn -211Haͤndedruk, und doch wenn ich wieder weg war, wenn ich Alberten an deiner Seite ſah, verzagt ich wieder in fieberhaften Zweiſeln.

Erinnerſt du dich der Blumen die du mir ſchik - teſt, als du in jener fatalen Geſellſchaft mir kein Wort ſagen, keine Hand reichen konnteſt, o ich habe die halbe Nacht davor gekniet, und ſie ver - ſiegelten mir deine Liebe. Aber ach! dieſe Ein - druͤkke gingen voruͤber, wie das Gefuͤhl der Gna - de ſeines Gottes allmaͤhlig wieder aus der See - le des Glaͤubigen weicht, die ihm mit ganzer Himmelsfuͤlle im heiligen ſichtbaren Zeichen ge - reicht ward.

Alles das iſt vergaͤnglich, keine Ewigkeit ſoll das gluͤhende Leben ausloͤſchen, das ich geſtern auf deinen Lippen genoß, das ich in mir fuͤhle. Sie liebt mich! Dieſer Arm hat ſie umfaſt, dieſe Lip - pen auf ihren Lippen gezittert, dieſer Mund am ihrigen geſtammelt. Sie iſt mein! du biſt mein! ja Lotte auf ewig!

Und was iſt das? daß Albert dein Mann iſt! Mann? das waͤre denn fuͤr dieſe Welt und fuͤr dieſe Welt Suͤnde, daß ich dich liebe, daß ich dich aus ſei, nen Armen in die meinigen reiſſen moͤchte? Suͤnde? O 2Gut212Gut! und ich ſtrafe mich davor: Jch hab ſie in ihrer ganzen Himmelswonne geſchmekt dieſe Suͤn - de, habe Lebensbalſam und Kraft in mein Herz geſaugt, du biſt von dem Augenblikke mein! Mein, o Lotte. Jch gehe voran! Geh zu meinem Va - ter, zu deinem Vater, dem will ich’s klagen und er wird mich troͤſten biß du kommſt, und ich fliege dir entgegen und faſſe dich und bleibe bey dir vor dem Angeſichte des Unendlichen in ewigen Um - armungen.

Jch traͤume nicht, ich waͤhne nicht! nah am Grabe ward mir’s heller. Wir werden ſeyn, wir werden uns wieder ſehn! Deine Mutter ſehn! ich werde ſie ſehen, werde ſie finden, ach und vor ihr all mein Herz ausſchütten. Deine Mutter. Dein Ebenbild.

Gegen eilfe fragte Werther ſeinen Bedienten, ob wohl Albert zuruͤk gekommen ſey. Der Be - diente ſagte: ja er habe deſſen Pferd dahin fuͤh - ren ſehn. Drauf giebt ihm der Herr ein offenes Zettelgen des Jnhalts:

Wollten213

Wollten Sie mir wohl zu einer vorhabenden Reiſe ihre Piſtolen leihen? Leben Sie recht wohl.

Die liebe Frau hatte die lezte Nacht wenig ge - ſchlafen, ihr Blut war in einer fieberhaften Em - poͤrung, und tauſenderley Empfindungen zerruͤtte - ten ihr Herz. Wider ihren Willen fuͤhlte ſie tief in ihrer Bruſt das Feuer von Werthers Umar - mungen, und zugleich ſtellten ſich ihr die Tage ih - rer unbefangenen Unſchuld, des ſorgloſen Zutrauens auf ſich ſelbſt in doppelter Schoͤne dar, es aͤng - ſtigten ſie ſchon zum voraus die Blikke ihres Manns, und ſeine halb verdruͤßlich halb ſpoͤttiſche Fragen, wenn er Werthers Beſuch erfahren wuͤr - de; ſie hatte ſich nie verſtellt, ſie hatte nie gelogen, und nun ſah ſie ſich zum erſtenmal in der unvermeid - lichen Nothwendigkeit; der Widerwillen, die Verle - genheit die ſie dabey empfand, machte die Schuld in ihren Augen groͤſſer, und doch konnte ſie den Urheber davon weder haſſen, noch ſich verſprechen, ihn nie wieder zu ſehn. Sie weinte bis gegen Morgen, da ſie in einen matten Schlaf verſank,O 3aus214aus dem ſie ſich kaum aufgeraft und angekleidet hatte, als ihr Mann zuruͤkkam, deſſen Gegenwart ihr zum erſtenmal ganz unertraͤglich war; denn indem ſie zitterte, er wuͤrde das verweinte uͤber - wachte ihrer Augen und ihrer Geſtalt entdekken, ward ſie noch verwirrter, bewillkommte ihn mit einer heftigen Umarmung, die mehr Beſtuͤrzung und Reue, als eine auffahrende Freude ausdruͤk - te, und eben dadurch machte ſie die Aufmerkſam - keit Albertens rege, der, nachdem er einige Briefe und Pakets erbrochen, ſie ganz trokken fragte, ob ſonſt nichts vorgefallen, ob niemand da geweſen waͤre? Sie antwortete ihm ſtokkend, Werther ſeye geſtern eine Stunde gekommen. Er nimmt ſeine Zeit gut, verſezt er, und ging nach ſeinem Zimmer. Lotte war eine Viertelſtunde allein geblieben. Die Gegenwart des Mannes, den ſie liebte und ehrte, hatte einen neuen Eindruk in ihr Herz gemacht. Sie erinnerte ſich all ſeiner Guͤ - te, ſeines Edelmuths, ſeiner Liebe, und ſchalt ſich, daß ſie es ihm ſo uͤbel gelohnt habe. Ein unbe - kannter Zug reizte ſie ihm zu folgen, ſie nahm ihre Arbeit, wie ſie mehr gethan hatte, ging nach ſeinem Zimmer und fragte, ob er was beduͤrfte? er215er antwortete: nein! ſtellte ſich an Pult zu ſchrei - ben, und ſie ſezte ſich nieder zu ſtrikken. Eine Stunde waren ſie auf dieſe Weiſe neben einan - der, und als Albert etlichemal in der Stube auf und ab ging, und Lotte ihn anredete, er aber we - nig oder nichts drauf gab und ſich wieder an Pult ſtellte, ſo verfiel ſie in eine Wehmuth, die ihr um deſto aͤngſtlicher ward, als ſie ſolche zu verbergen und ihre Thraͤnen zu verſchlukken ſuchte.

Die Erſcheinung von Werthers Knaben ver - ſezte ſie in die groͤſte Verlegenheit, er uͤberreichte Alberten das Zettelgen, der ſich ganz kalt nach ſeiner Frau wendete, und ſagte: gieb ihm die Pi - ſtolen. Jch laß ihm gluͤkliche Reiſe wuͤnſchen, ſagt er zum Jungen. Das fiel auf ſie wie ein Donnerſchlag. Sie ſchwankte aufzuſtehn. Sie wußte nicht wie ihr geſchah. Langſam ging ſie nach der Wand, zitternd nahm ſie ſie herunter, puzte den Staub ab und zauderte, und haͤtte noch lang gezoͤgert, wenn nicht Albert durch einen fra - genden Blik: was denn das geben ſollte? ſie ge - draͤngt haͤtte. Sie gab das ungluͤkliche Gewehr dem Knaben, ohne ein Wort vorbringen zu koͤn - nen, und als der zum Hauſe draus war, machteO 4ſie216ſie ihre Arbeit zuſammen, ging in ihr Zimmer in dem Zuſtand des unausſprechlichſten Leidens. Jhr Herz weiſſagte ihr alle Schroͤkniſſe. Bald war ſie im Begriff ſich zu den Fuͤſſen ihres Man - nes zu werfen, ihm alles zu entdekken, die Ge - ſchichte des geſtrigen Abends, ihre Schuld und ih - re Ahndungen. Dann ſah ſie wieder keinen Aus - gang des Unternehmens, am wenigſten konnte ſie hoffen ihren Mann zu einem Gange nach Wer - thern zu bereden. Der Tiſch ward gedekt, und eine gute Freundinn, die nur etwas zu fragen kam und die Lotte nicht wegließ, machte die Unterhal - tung bey Tiſche ertraͤglich, man zwang ſich, man redete, man erzaͤhlte, man vergaß ſich.

Der Knabe kam mit den Piſtolen zu Wer - thern, der ſie ihm mit Entzuͤkken abnahm, als er hoͤrte, Lotte habe ſie ihm gegeben. Er ließ ſich ein Brod und Wein bringen, hies den Knaben zu Tiſch gehn, und ſezte ſich nieder zu ſchreiben.

Sie ſind durch deine Haͤnde gegangen, du haſt den Staub davon gepuzt, ich kuͤſſe ſie tau - ſendmal, du haſt ſie beruͤhrt. Und du Geiſt des Himmels beguͤnſtigſt meinen Entſchluß! Und duLotte217Lotte reichſt mir das Werkzeug, du, von deren Haͤnden ich den Tod zu empfangen wuͤnſchte, und ach nun empfange. O ich habe meinen Jun - gen ausgefragt, du zitterteſt, als du ſie ihm reich - teſt, du ſagteſt kein Lebe wohl; Weh! Weh! kein Lebe wohl! Sollteſt du dein Herz fuͤr mich verſchloſſen haben, um des Augenbliks wil - len der mich auf ewig an dich befeſtigte. Lotte, kein Jahrtauſend vermag den Eindruk auszuloͤ - ſchen! Und ich fuͤhl’s, du kannſt den nicht haſſen, der ſo fuͤr dich gluͤht.

Nach Tiſche hieß er den Knaben alles vol - lends einpakken, zerriß viele Papiere, ging aus, und brachte noch kleine Schulden in Ordnung. Er kam wieder nach Hauſe, ging wieder aus, vor’s Thor ohngeachtet des Regens, in den graͤflichen Garten, ſchweifte weiter in der Gegend umher, und kam mit einbrechender Nacht zuruͤk und ſchrieb.

Wilhelm, ich habe zum leztenmale Feld und Wald und den Himmel geſehn. Leb wohl auch du! Liebe Mutter, verzeiht mir! Troͤſte ſie, Wilhelm. Gott ſegne euch! Meine Sachen ſindO 5all218all in Ordnung. Lebt wohl! Wir ſehen uns wieder und freudiger.

Jch habe dir uͤbel gelohnt, Albert, und du vergiebſt mir. Jch habe den Frieden deines Hauſes geſtoͤrt, ich habe Mißtrauen zwiſchen euch gebracht. Leb wohl, ich will’s enden. O daß ihr gluͤklich waͤret durch meinen Tod! Albert! Albert! ma - che den Engel gluͤklich. Und ſo wohne Gottes Seegen uͤber dir!

Er kramte den Abend noch viel in ſeinen Papieren, zerriß vieles und warf’s in Ofen, ver - ſiegelte einige Paͤkke mit den Addreſſen an Wil - helmen. Sie enthielten kleine Aufſaͤzze, abgeriſſene Gedanken, deren ich verſchiedene geſehen habe; und nachdem er um zehn Uhr im Ofen nachlegen, und ſich einen Schoppen Wein geben laſſen, ſchikte er den Bedienten, deſſen Kammer wie auch die Schlaf - zimmer der Hausleute weit hinten hinaus waren, zu Bette, der ſich denn in ſeinen Kleidern nieder - legte um fruͤh bey der Hand zu ſeyn, denn ſein Herr hatte geſagt, die Poſtpferde wuͤrden vor ſechſe vor’s Haus kommen.

nach219

Alles iſt ſo ſtill um mich her, und ſo ruhig mei - ne Seele, ich danke dir Gott, der du dieſen lezten Augenblikken dieſe Waͤrme, dieſe Kraft ſchenkeſt.

Jch trete an’s Fenſter, meine Beſte, und ſeh und ſehe noch durch die ſtuͤrmenden voruͤberfliehen - den Wolken einzelne Sterne des ewigen Him - mels! Nein, ihr werdet nicht fallen! Der Ewi - ge traͤgt euch an ſeinem Herzen, und mich. Jch ſah die Deichſelſterne des Wagens, des liebſten un - ter allen Geſtirnen. Wenn ich Nachts von dir ging, wie ich aus deinem Thore trat, ſtand er gegen uͤber! Mit welcher Trunkenheit hab ich ihn oft angeſehen! Oft mit aufgehabenen Haͤnden ihn zum Zeichen, zum heiligen Merkſteine meiner gegenwaͤr - tigen Seligkeit[gemacht], und noch O Lotte, was erinnert mich nicht an dich! Umgiebſt du mich nicht, und hab ich nicht gleich einem Kinde, unge - nuͤgſam allerley Kleinigkeiten zu mir geriſſen, die du Heilige beruͤhrt hatteſt!

Liebes Schattenbild! Jch vermache dir’s zu - ruͤk, Lotte, und bitte dich es zu ehren. Tauſend, tau -ſend220ſend Kuͤſſe hab ich drauf gedruͤkt, tauſend Gruͤße ihm zugewinkt, wenn ich ausgieng, oder nach Hau - ſe kam.

Jch habe deinen Vater in einem Zettelgen ge - beten, meine Leiche zu ſchuͤzzen. Auf dem Kirch - hofe ſind zwey Lindenbaͤume, hinten im Ekke nach dem Felde zu, dort wuͤnſch ich zu ruhen. Er kann, er wird das fuͤr ſeinen Freund thun. Bitt ihn auch. Jch will frommen Chriſten nicht zumuthen, ihren Koͤrper neben einem armen Ungluͤklichen nie - derzulegen. Ach ich wollte, ihr begruͤbt mich am Wege, oder im einſamen Thale, daß Prieſter und Levite vor dem bezeichnenden Steine ſich ſegnend voruͤberging, und der Samariter eine Thraͤne weinte.

Hier Lotte! Jch ſchaudere nicht den kalten ſchroͤklichen Kelch zu faſſen, aus dem ich den Tau - mel des Todes trinken ſoll! Du reichteſt mir ihn, und ich zage nicht. All! All! ſo ſind all die Wuͤn - ſche und Hoffnungen meines Lebens erfuͤllt! So kalt, ſo ſtarr an der ehernen Pforte des Todes anzuklopfen.

Daß ich des Gluͤks haͤtte theilhaftig werden koͤnnen! Fuͤr dich zu ſterben, Lotte, fuͤr dich mich hinzugeben. Jch wollte muthig, ich wollte freudigſterben,221ſterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wieder ſchaffen koͤnnte; aber ach das ward nur wenig Edlen gegeben, ihr Blut fuͤr die Jhri - gen zu vergieſſen, und durch ihren Tod ein neues hundertfaͤltiges Leben ihren Freunden anzufachen.

Jn dieſen Kleidern, Lotte, will ich begraben ſeyn. Du haſt ſie beruͤhrt, geheiligt. Jch habe auch darum deinen Vater gebeten. Meine See - le ſchwebt uͤber dem Sarge. Man ſoll meine Taſchen nicht ausſuchen. Dieſe blaßrothe Schlei - fe, die du am Buſen hatteſt, als ich dich zum er - ſtenmale unter deinen Kindern fand. O kuͤſſe ſie tauſendmal und erzaͤhl ihnen das Schikſal ihres ungluͤklichen Freunds. Die Lieben, ſie wimmeln um mich. Ach wie ich mich an dich ſchloß! Seit dem erſten Augenblikke dich nicht laſſen konnte! Dieſe Schleife ſoll mit mir begraben werden. An meinem Geburtstage ſchenkteſt du mir ſie! Wie ich das all verſchlang Ach ich dachte nicht, daß mich der Weg hierher fuͤhren ſollte! Sey ruhig! ich bitte dich, ſey ruhig!

Sie ſind geladen es ſchlaͤgt zwoͤlfe! So ſey’s denn Lotte! Lotte leb wohl! Leb wohl!

Ein222

Ein Nachbar ſah den Blik vom Pulver und hoͤrte den Schuß fallen, da aber alles ſtill blieb achtete er nicht weiter drauf.

Morgens um ſechſe tritt der Bediente her - ein mit dem Lichte, er findet ſeinen Herrn an der Erde, die Piſtole und Blut. Er ruft, er faßt ihn an, keine Antwort, er roͤchelt nur noch. Er lauft nach den Aerzten, nach Alberten. Lotte hoͤr - te die Schelle ziehen, ein Zittern ergreift all ih - re Glieder, ſie wekt ihren Mann, ſie ſtehen auf, der Bediente bringt heulend und ſtotternd die Nachricht, Lotte ſinkt ohnmaͤchtig vor Alberten nieder.

Als der Medikus zu dem Ungluͤklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls ſchlug, die Glieder waren alle gelaͤhmt, uͤber dem rechten Auge hatte er ſich durch den Kopf geſchoſ - ſen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Ueberfluſſe eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Athem.

Aus dem Blut auf der Lehne des Seſſels konnte man ſchlieſſen, er habe ſizzend vor dem Schreibtiſche die That vollbracht. Dann iſt erherun -223herunter geſunken, hat ſich konvulſiviſch um den Stuhl herum gewaͤlzt, er lag gegen das Fenſter entkraͤftet auf dem Ruͤkken, war in voͤlliger Klei - dung geſtiefelt, im blauen Frak mit gelber Weſte.

Das Haus, die Nachbarſchaft, die Stadt kam in Aufruhr. Albert trat herein. Werthern hatte man auf’s Bett gelegt, die Stirne ver - bunden, ſein Geſicht ſchon wie eines Todten, er ruͤhrte kein Glied, die Lunge roͤchelte noch fuͤrchter - lich bald ſchwach bald ſtaͤrker, man erwartete ſein Ende.

Von dem Weine hatte er nur ein Glas ge - trunken. Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufge - ſchlagen.

Von Alberts Beſtuͤrzung, von Lottens Jam - mer laßt mich nichts ſagen.

Der alte Amtmann kam auf die Nachricht hereingeſprengt, er kuͤßte den Sterbenden unter den heiſſeſten Thraͤnen. Seine aͤltſten Soͤhne kamen bald nach ihm zu Fuſſe, ſie fielen neben dem Bet - te nieder im Ausdruk des unbaͤndigſten Schmer - zens, kuͤßten ihm die Haͤnde und den Mund, und der aͤltſte, den er immer am meiſten geliebt, hing an ſeinen Lippen, bis er verſchieden war und manden224den Knaben mit Gewalt wegriß. Um zwoͤlfe Mit - tags ſtarb er. Die Gegenwart des Amtmanns und ſeine Anſtalten tiſchten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Staͤtte begraben, die er ſich erwaͤhlt hatte, der Alte folgte der Leiche und die Soͤhne. Albert vermochts nicht. Man fuͤrchtete fuͤr Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geiſtlicher hat ihn begleitet.

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  • 194 11 Salmar Salgar.
  • 199 11 uͤrer uͤber.
  • 13 Huͤgel Huͤgeln.
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About this transcription

TextDie Leiden des jungen Werthers
Author Johann Wolfgang von Goethe
Extent120 images; 17972 tokens; 4418 types; 116391 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Leiden des jungen Werthers Zweyter Theil Johann Wolfgang von Goethe. . S. [113] - 224 WeygandLeipzig1774.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Lo 2113 (2)Dig: http://diglib.hab.de/drucke/lo-2113-2s/start.htm

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:30:56Z
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Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Lo 2113 (2)
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