OB man zwar da - fuͤr halten ſolte, daß der bewohnte Erd-Creiß nach gerade ſo genau durchkrochen, daß wenigſtens in unſerem Eu - ropa kein Volck mehr uͤbrig, welches uns nicht bekannt ſey, und aus dem abgoͤtti - ſchen Heydenthum errettet worden; So wird der ge - neigte Leſer doch in dieſer cu -) (2rieu -Vorbericht.rieuſen Beſchreibung ein ſol - ches Exempel finden, daran man nicht ſonder Verwunde - rung das Gegentheil ſiehet. Denn hieꝛin weꝛden die bißhe - ro gar unbekandten Oſtia - cken, ein beſonderes Volck des wilden Siberiens, welches einen groſſen Theil der Ein - wohner dieſes weitlaͤufftigen Reiches ausmachet, nicht al - lein nach allen Umſtaͤnden ſehr ſorgfaͤltig beſchrieben, ſondern es wird auch ein kur - tzer Bericht ertheilet, wie ſie anno 1712. nachdem ſie ſchon vorhero der Regierung JhroCzaa -Vorbericht.Czaariſchen Maj. einverlei - bet worden, zum Chriſtlichen Glauben angewieſen. Der Autor, ſo ein gelehrter Schwediſcher Offici rer, hat ſehr gute Gelegenheit gehabt, dieſes Volcks wegen ſich ge - nau zu erkundigen, und giebt deßwegen von allem Merck - wuͤrdigen deſto ſichere Nach - richt. Das gantze Werck iſt in vier Capitel verfaſſet, von welchen das erſte die Gegend von Siberien, woſelbſt die Oſtiacken ihren Auffenthalt haben, deutlich beſchꝛeibet, und von ihrem Nahmen, Uhr -) (3ſprung,Vorbericht.ſprung, Sprache und Geſtalt uns kuͤrtzlich berichtet. Jhre wunderbahre Lebens - Art wird hiernechſt im andern Capitel ausfuͤhrlich gezeiget, und mit ihrer Erziehung, Speiſe, Wohnung, Fuhr - werck, Kleidung, Regierung, Kranckheit, Eheſtand und Begraͤbniß gar merckwuͤrdig erlaͤutert. Von ihrer Religi - on und ungeheurem Goͤtzen - dienſt, ihren ſeltſamen Goͤ - tzen-Bildern, und derſelben ungewoͤhnlichen Verehrung und Beſchimpffung, ihren Pfaffen, Wahrſagen, Opf - fern, Eydſchwuͤren und der -glei -Vorbericht.gleichen Seltenheiten, findet man das dritte Capitel ange - fuͤllet. Worauf endlich das vierdte den Anfang ihrer Bekehrung zur Chriſtlichen Griechiſchen Religion kuͤrtz - lich anzeiget. Dieſes alles iſt voller merckwuͤrdigen Din - gen, welche ſowohl in der Hi - ſtoria natur ali als curioſa ih - ren Platz behaupten koͤnnen, wovon die Beſchreibung des greßlichen Thieres, ſo die Ein - wohner Siberiens Mamont nennen ſollen, ein Beweiß ſeyn mag. So iſt auch was ſonderliches, daß dieſes un -) (4wiſ -Vorbericht.wiſſende Volck die alte Mey - nung von der Metempſy - choſi, oder der Seelen Wan - derſchafft in unterſchiedliche Leiber, ſo feſt eingeſogen, daß ſie deßfalls einem erſchlage - nen Baͤren gar ſonderbahre Abbitte thun, und ihn um Vergebung bitten, daß Sie den Pfeil abgedruckt, der ihn getroffen. Dergl. iſt auch zu verwundern, daß keine Wild - nis bey dieſen Leuten die See - le ſo ſehr verwildern koͤnnen, daß Sie nicht die Hoffnung eines kuͤnfftigen Lebens uͤbrig behalten, woraus man ge -nug -Vorbericht.nugſam ſiehet, daß ſolches Licht in der Natur ſelbſt ſehr tieff muͤſſe gegruͤndet ſeyn. Wie ſehr intereſſi ret aber die Menſchen von Natur bey ih - rem Gottesdienſt insgemein zu ſeyn pflegen, und wie Sie deßfalls mit ihrem Schoͤpffer umgehen, kan man aus der Hiſtorie dieſes Volcks gar deutlich aufdecken. Denn der Autor erzehlt von ihnen, daß Sie ihren Scheitan und Fiſch-Goͤtzen, wenn er ihnen auf vorhergegangenes Bit - ten ſofort keinen reichen Fiſch - Fang beſcheret, ſehr uͤbel tra -) (5ctiretVorbericht.ctiret, ihn heßlich ausgeſchol - ten, hart gepeitſchet, und in ein garſtig Loch geworffen, biß Sie wieder einen guten Fang gethan haͤtten, da Sie ihn wieder hervor ſuchten. Eben ſo ſind die meiſten Men - ſchen auf ſubtile Weiſe gegen den lebendigen GOtt gear - tet, daß ſie ihn im Gluͤck und Wohlſtand ehꝛen, aber im Un - gluͤcke und Mangel nur wider ihn murren wollen. Doch der geneigte Leſer wird bey Durchleſung dieſes kleinen Tractats noch mehres finden, ſo ihn zu mancherley Nachſin -nenVorbericht.nen wird anleiten koͤnnen. Weil aber zugleich an dieſem Volck ein lebendiges Exem - pel des menſchlichen Elendes, darin er von Natur und auſſer dem wahren Erkaͤnntnis GOttes ſtecket, zu ſehen iſt, ſo wird der Nutzen dieſer Hiſto - riſchen Beſchreibung ſo viel groͤſſer ſeyn, wenn man dar - aus Gelegenheit nehmen wiꝛd, ſich zu deſto mehꝛer Veꝛ - gnuͤgſamkeit zu gewehnen, je tauſendmahl mehr commodi - te man fuͤr dieſen armſeeligen Leuten hat, wenn man auch nur im Bauren - und Bett -ler -Vorbericht.ler-Stande leben ſolte. Da man denn auch ſiehet, wie nunmehro dieſem blinden Volck einiges Licht in der Chriſtlichen Religion aufge - gangen, ſo kan man der wun - derbahren goͤttlichen Fuͤrſe - hung tieffes Geheimniß zu - gleich bewundern, daß endlich auch zu dieſem Ende der Er - den die Fuͤſſe der Boten kom - men, die des HErrn Nahmen predigen, und in dieſem fin - ſtern Winckel der Welt die heydniſche Goͤtzen verſtoͤhren, und des Teuffels Werck zu nichte machen muͤſſen. Wirwuͤn -Vorbericht.wuͤnſchen bald mehrere Nach - richt von dem guten Fort - gang dieſer Sachen zu ver - nehmen; indeſſen der geneigte Leſer dieſes zu ſeinem Seegen gebrauchen, und in GOtt jederzeit vergnuͤgt le - ben wolle.
DasVon der Beſchaffenheit des Koͤnig-Reichs Siberien / und dem Herkommen der Oſtiacken.
§ 1.
ES haben ſich bißhero keine frembde / und gar wenig einhei - miſche Scribenten unterwunden / ſo wenig von dem gantzen Siberi - en / als inſonderheit von dieſem Volcke / das unter einem ſo rauhen Climate ſich eingeneſtet hat / eine particulaire Nachricht zu geben; Geſchweige daß bey der Oſtiackiſchen Nation, die weder vom leſen oder ſchreiben etwas weiß / einige Ur kunden ihres Alterthums und De - rivation ihres Geſchlechtes ſelten anzutreffen ſeyn. Die Schuld liegt vermuthlich daran,Adaß2daß die Einheimiſche von einem ſo kalten und wuͤſten Orte ihnen nicht haben die Muͤhe neh - men wollen, eine Beſchreibung aufzuſetzen / und denen Fremden hat dieſe Laͤnder zu beſuchen ſo wohl die Erlaubniß / als die Luſt zu einer ſo un - luſtigen peregrination gefehlet. Doch wuͤrde es der Muͤhe wol wehrt ſeyn / einige Eigen - ſchafften von dieſer Gegend und dem darin woh - nenden Volcke / der curieuſen Welt zu entde - cken / bey dieſen Ereigungen / da einem ſolchen armſeligen Volcke das Licht des Evangelii am Abend der Welt zu ſcheinen beginnet.
§. 2. Das Koͤnigreich Siberien mit der Nordlichen und Nord-Oſtlichẽ Seite der Welt - Kugel / von dem 55. grad. latit. anzurechnen / von deꝛ Haupt-Stadt biß an die Zonam frigidam Se - ptentrionalem, wo man bißheꝛo nicht weiteꝛ kom - men koͤnnen, beſchließt gegen Morgen Mangaſea, wo die Samogiten und Svetohci leben / Suruchan & c. und endiget ſich an Kamſchatki, einem Lande das vor 20. Jahren ohngefehr entdecket / und dem Rußiſchen Reiche unterwuͤrffig gemacht wor - den. An der Mittaͤglichen Seite graͤntzet die letzte Stadt Jerkutski an dem Chineſiſchen Rei - che. Gegen Abend endiget es ſich an dem Mon - galen, Ajakaiſchen / Kontaiſiſchen (welche beyde letztere von ihren 2. Puiſſancen Ajuka und Kon - taiſch die Benennung haben) und Buchariſchen Tartarn, die dem Kontaiſch unterwuͤrffig. Die letztere werden vor kluge und civiliſirte Leute ge -halten /3halten / und ſollen der Lebens-Art der Chineſi - ſchen in allem ſehr nahe kommen.
§. 3. Ein alter Rußiſcher Anonymus, giebt von Siberien en general dieſen Bericht / welches im Teutſchen uͤberſetzet folgender maſſen lau - tet: Siberien iſt eine mitternaͤchtliche Seite, und liegt von Moscau 2000. Wuͤrſt. Die viele und hohe ſteinerne Gebuͤrge / ſo ſich biß unter die Wolcken ſtrecken / ſcheiden dis Koͤnigreich und Rußland von einander. Dieſe Berge ſind durch GOttes Fuͤrſehung wie eine Mauer beve - ſtiget, und wachſen darauf allerhand Baͤume / Cedern und dergleichen. Die Einwohner fan - gen Thiere von unterſchiedener Art, zur Beklei - dung und Zierath vor die Menſchen. Die / welche ſie zur Kleidung gebrauchen, ſind Elende / Rehe, Hirſche, Haaſen. Zum Zierath aber / Bieber / Vielfraſſe / Grauwercke / Zobeln / Fuͤchſe und deꝛgleichen. Aus obgedachten Bergen und Felſen flieſſen auch heraus viele Stroͤme / deren einige in Rußland, einige aber in Siberien fallen. Und iſt es kein geringes Wunder / daß aus ſo hohen Felſen ſo groſſe Stroͤme und ſo ſuͤſſes Waſſer quellen koͤnne / die eine Menge von allerhand Fiſchen in ſich beſchlieſſen. Der erſte Strom ſo in Siberien fließt, heiſt Tura, ſeine Bewohner ſind die Vogulitzen, die ihre eigene Sprache haben / und den Teuffel in ihren Goͤtzen anbeten; der andere Strom heiſt Tagill, der dritte Nitza, und kommen die drey Stroͤme in einer Muͤndung zuſammen. Der Ort aberA 2wo4wo ſie zuſammen ſtoſſen / heiſt noch immer Tura, biß er in die Tobol faͤllt / und da wohnen die Tar - tarn. Tobol faͤllt in die Irtis, Irtis aber in den groſſen Obi. An dieſen Stroͤmen wohnen viele Heydniſche Tartarn, Calmucken, Mongalen, die Piejaga, Horda, Oſtiacken, Samogiten und dergleichen Heyden / die von GOtt nicht wiſſen. Die Tartarn ſind Mahometiſch, die Calmucken aber halten ein Geſetz, welches die Eltern denen Kindern vorſchreiben / den rechten Grund weiß keiner hievon / maſſen keine Schrifft bey ihnen gefunden wird. Die Piejaga, Horda, Oſtia - cken und Samogiten beten die Abgoͤtter an / ſie leben ſonder Geſetze / opffern und bringen denen ſelbſt gemachten Goͤtzen Gaben / und bilden ſich ein / daß ſie von denen Goͤtzen den Auffenthalt ih - rer Nothdurfft und Nahrung haben. Sie eſſen auch nicht was menſchlich iſt / ſondern roh Fleiſch / und Aaß von allerhand Thieren unge - kocht / Graß und Wurtzeln / ſie wiſſen von keinem Brodt / und trincken Blut wie Waſſer. Der groſſe Strohm Obi laufft in die Guba Manga - ſea. Die Guba hat eine Oeffnung / und laufft im groſſen Oceano um / und bey dieſer Muͤndung ſind groſſe Eyß-Berge von alters her / und thau - et die Sonne ſelbige nimmer auf / ſondern wer - den denn und wenn vom Winde erſchuͤttert, es kan auch niemand dahin kommen / daher alles unbekannt iſt. (biß hieher der Anonymus.)
§. 4. Ob nun Siberien von Anfange dieſen Nahmen gefuͤhret / kan man nicht eigentlich wiſ -ſen.5ſen. Dis aber melden etliche Scribenten, daß ein Siberiſcher Fuͤrſt / Nahmens Mahmet, ihm an dem Fluß Irtis habe eine Stadt erbaut / die er Sibir genannt, welches auf Tartariſch ſo viel heiſſen ſoll, als die vornehmſte / und ſey nachge - hends das gantze Land unter dem Nahmen Sibe - rien betitult.
§. 5. Von den Regierungen dieſer Fuͤrſten / hat man hin und wieder folgende Nachricht. An dem Fluſſe Iſchim, der in die Irtis faͤllt / regierte ein Czaar oder Koͤnig / Nahmens On, Mahometi - ſcher Religion. Zingidi ein gemeiner Unter - than / war mit ſeiner Regierung nicht zu frieden / ſondern brachte das gemeine Volck auf ſeine Seite; Er jagte den Koͤnig On von Land und Leuten / und bemeiſterte in kurtzen ſich des Koͤnig - reichs / nachdem er On erwuͤrget hatte. Er fuͤhrte ſeine Regierung gar gluͤcklich, und wie ihm nach wenig Jahren berichtet wurde / daß des ermordeten Ons Sohn Taibuga, vermittels der Flucht echapiret ſey / und bey denen Untertha - nen ſich unbekannt aufhielte / nahm er ihn mit Hoͤfflichkeit auf / und beſchenckte ihn mit einem Fuͤrſtenthum. Taibuga blieb einige Jahre bey Hofe / gewann des Zingidi Gnade durch ſeine gute Auffuͤhrung / ſolcher geſtalt / daß er ihm auch eine Armée anzufuͤhren vertrauete. Womit dieſer junge Herr ſich die Irtis hinauf nach dem Obi Fluß begab / und nach erhaltenem Siege mit groſſem Raube bey Zingidi ſich wieder einfunde. Hierdurch ſetzte er ſich bey dem Koͤ -A 3nige6nige in ſolchen Credit, daß er ihm auch erlaubte zu wohnen / wo es ihm beliebte. Sothanen Vorſchlag ſchlug Taibuga nicht aus / ſondern begab ſich mit ſeinem Hauffen und Angehoͤrigen an den Fluß Tura, bauete ihm eine Stadt, und nannte ſie Onzingiddin, auf demſelbigen Platz / wo Tumeen heutiges Tages ſtehet.
§ 6. Zingiddin ſtarb ohne Erben / und ließ das Reich dem Taibuga. Dieſem folgte ſein Sohn Chod, nach Chod deſſen Sohn Mar, Mar verheyrathete ſich mit des Caſaniſchen Koͤniges Upaks Schweſter / welcher den Mar mit Krieg uͤberzog / ſein Reich einnahm / und ſich in Siberien niederließ. Er regierte viele Jahr / biß die beyde Soͤhne des Mar, Nahmens Obder und Jerbelak natuͤrlichen Todes ſturben / und des Obders Sohn Mahmet ihm eine Macht zu wege brach - te / womit er den Caſaniſchen Upak uͤbern Hauf - fen warff / ihm das Leben nahm / und die Stadt Onzingiddin, die Taibuga an der Tura ge - bauet / ſchleiffete. Er begab ſich auch weiter in Siberien, und bauete ihm eine Stadt an dem Fluſſe Irtis, die er Sibir nannte / welche nachge - hends von den Ruſſen beſſer angelegt und Tobolski genannt wurde. Jhm folgete Jerbe - laks Sohn / Agyſch. Dieſem Mahmets Sohn / Kuſim, deſſen Soͤhne waren Götiger und Bek - bula, welche von dem Czaaren Kutſium, einem Fuͤrſten der Koſakiſchen Horden, getoͤdtet wur - den.
§. 7. Kutſium nahm das gantze Siberien ein /und7und nannte ſich erſten Koͤnig davon. Seine Re - ligion war Mahometiſch. Er hatte nicht lange dem Reiche vorgeſtanden, als ein Hettmann oder Befehlshaber, Nahmens Germak Thimophe - witz, (welcher eine Zeitlang mit ſeinen Coſſaken laͤnaſt der Wolga ſtreiffete / und von ſeiner Czaa - riſchen Majeſt. Jwan Waſiliovvitz in ſolche Enge getrieben wurde / daß nachdem unterſchiedene ſeiner Leute im Raub ertappt, und zur Juſtice ge - zogen wurden, er ſelbſt aber mit 540 Coſſaken nach Solikamski die Flucht genommen hatte, und von dorten in Siberien ſich begeben) mit ſeinen Coſſaken den Kutſium in unterſchiedenen Hand - Gemengen uͤbern Hauffen warff / und von Land und Leuten verjagte. Weil aber dieſer Germak ſelbiges Koͤnigreich zu mainteniren unvermoͤ - gend zu ſeyn ſich urtheilete / auch ohnedem eine Ausſoͤhnung bey ſeiner Czaariſchen Majeſt. ver - langte / uͤbertrug er dem Rußiſchen Scepter ver - mittelſt ſeiner Geſandten dis Reich / und erhielte ſein Propos. Das Koͤnigreich aber wurde mit etlichen Ruſſen beſetzt / und durch Woivvoden re - gieret, Tumen und Tobolski in beſſern Stand geſetzt / und dieſe Nahmen ihnen beygeleget.
§. 8. Das Land an ſich ſelbſten iſt reich an Mineralien und Metallen / inſonderheit von Kupffer und Eiſen / das Kupffer wird an vielen Oertern in ſchoͤnen Handſteinen gefunden / ſo die Natur zu Tage austreibt. Weil aber noch keine Anſtalt gemacht iſt / zu ordentlicher Be - reit und Einrichtung der Bergwercke / als ha -A 4ben8ben die Einwohner auch noch zur Zeit wenig Nu - tzen davon; Eiſen aber wie auch Stahl hat man hier zur Gnuͤge / und von ziemlicher Guͤte. Es ſind auch hin und wieder gute Anzeigungen von Silber-Ertz, wie dann zu Argun Se[.]Groß-Czaariſche Majeſtaͤt ſchon ein Werck an - legen laſſen, wie viel aber die jaͤhrliche Aus beu - te ſich betraͤgt / kan man noch eigentlich nicht wiſſen / weil das Werck zu ſeiner perfection noch nicht gediehen.
§. 9 Jn den hohen Gebuͤrgen bey Werka[-]turia findet man ſehr viel Cryſtall / welches viel haͤrter als an andern Oertern Europæ, und dem unechten Jaſpis ziemlich gleich iſt. Der O[-]bi wirfft allerhand ſaubere Steine an ſeinem Uf - fer aus, worunter man klare und durchſichtige / rothe und weiſe Steine findet / denen Agathen nicht ungleich. Die Ruſſen graben darinnen Blumen und Figuren / und faſſen ſelbige in ihre Ringe.
§. 10. Unter vielen andern curieuſen Merck - wuͤrdigkeiten / ſo meines Wiſſens ſonſt an kei - nem andern Ort in der Welt gefunden wer - den / als in Siberien alleine / iſt inſonderheit das von denen Einwohnern ſo genandte Mamont, welches hieſelbſt an vielen Orten in der Erden gefunden wird. Es ſiehet faſt in allen Stuͤcken dem Helffenbein gleich an Farbe und Wachs - thum / man findet es mehrentheils an ſandich - ten Oertern. Viele von denen Einwohnernhal -9halten es vor Elephanten Zaͤhne / ſo ſeit der Suͤndfluth in der Erden gelegen. Einige der Unſrigen meynen / es ſey das bekandte Ebur fos - ſile, und alſo ein Gewaͤchs der Erden, wie ich denn lange in derſelben Opinion auch geſtanden. Noch finden ſich viele welche vorgeben / es waͤ - ren Hoͤrner eines in den ſumpfichten Hoͤlen und Loͤchern der Erden lebenden ſehr groſſen Thie - res / welches im Schlamm ſeine Nahrung haͤt - te / und mit dieſen Hoͤrnern den Koht und die Erde von ſich wegarbeite / wenn es aber alſo unterdeſſen in eine ſandichte Gegend kaͤme / koͤnte es wegen des ſtets nachſchieſſenden San - des / und ſeiner ungeheuren Groͤſſe ſich nicht wie - der umwenden, ſondern es muͤſte alſo beſtecken bleiben und verrecken. Jch habe viele geſpro - chen / welche hinter Bereſova in den Speluncken des hohen Gebuͤrges dergleichen Thiere geſehen zu haben hoch betheuren / deren Geſtalt ſie ſehr abſcheulich beſchreiben / nehmlich ſie ſollen 4. à 5. Arſchin hoch / und ohngefehr 3. Faden lang ſeyn. Graulicht von Haaren / eines laͤnglich - ten Kopffes / und einer ſehr breiten Stirn, an der Seiten derſelben / ſollen dieſem die Hoͤrner gleich uͤber die Augen ſiehen / doch ſo / daß ſie dieſelben von einer Seite zur andern bewegen / und Creutzweiſe uͤber einander ſchieben koͤnnen. Jm Gehen ſollen ſie ſich ſehr lang ſtrecken / auch wiederum kurtz zuſammen ziehen koͤnnen. Jh - re Beine ſollen nach advenant im Wachsthum ſeyn / wie die Baͤren-Fuͤſſe; Bey allen dieſenA 5Er -10Erzehlungen iſt dennoch ungewiß / was man davon eigentlich glauben ſolle / weil dieſe Nation ſich keine Muͤhe giebt / der Wahrheit recht nach - zuforſchen / wie ſie leicht thun koͤnte / auch auf keine Curioſite groß achtet / wo ſie keinen ſon - derbahren groſſen Nutzen dabey findet / woran ſie hart gebunden ſeyn. Daß es aber keine E - lephanten-Zaͤhne ſeyn koͤnnen, erhellet daraus / weil in dieſem Lande dergleichen Thiere gantz unbekannt ſind / auch wegen des kalten Climatis, darin nicht ſeyn koͤnnen / dieſe Zaͤhne oder Hoͤr - ner aber an den kalteſten Oertern in Siberien, als bey Jakutski, Bereſova, Obder, Mangajea, am meiſten geſunden werden[.]Noch laͤcherli - cher iſt es zu glauben / daß ſie Zeit der Suͤnd - fluth daſelbſt in der Erden gelegen haben; Daß es auch das bekandte Ebur fosſile, oder ein in der Erden von der Natur operirtes Gewaͤchs ſeyn ſolte, haͤtte wol mehr wahrſcheinliches an ſich. Denn ſo bezeiget ja auch die taͤgliche Erfahrung / daß die Erde ein gleiches in ihrem Schooße bil - de / was ſie ober ſich tragen und ernaͤhren muͤſ - ſe / und findet man in Engeland und Sicilien, daß die Einwohner aus Mangel des Waldes / das Holtz aus der Erden graben / weiches von Jahr zu Jahr / in der Erde zuwaͤchſt / auch fin - det man Kohlen in der Erde / imgleichen Saltz in und auf derſelben. Und warum koͤnte die ſinnreiche Natur nicht eben ein Helffenbein o - der Knochen an dieſen Oertern ſo wol als an - dern hervor bringen. Alleine die wunderlichenMerck -11Merckmahle von dieſem beſchriebenen Thiere / werffen auch dieſe raiſon uͤbern Hauffen / denn weil man offt ſolche Hoͤrner findet / die an der Erden noch gantz blutig ſeyn / auch durchgehends an allen die Wurtzel hohl / und mit ſolcher Ma - terie angefuͤllet / wie ein verſtocktes Blut, eini - ge mahl auch die Hirnſcheitel und Kinnbacken mit unglaublichen Backen-Zaͤhnen dabey gefun - den worden, von denen man ſchwer zu urtheilen / ob ſie von Knochen oder Stein, oder keinem der ſelben / ſondern eine unbekannte Materie ſeyn / und habe ich vielmahlen / nebſt unterſchiedenen meinen mitgefangenen Cameraden dergleichen Backen-Zaͤhne geſehen, die uͤber 20. à 24. Pfund und noch mehr koͤnten wiegen. Man findet von gedachten Hoͤrnern einige / ſo uͤber 80. biß 90. Pfund ſchwer ſind. Die Einwoh - ner wiſſen davon allerhand Arbeit zu machen / und iſt ſolches in allen Stuͤcken unſerm Elfenbein gleich / nur daß es viel ſproͤder iſt, auch leicht ſeine weiſe Farbe veraͤndert und gelb wird / wann es ins Waſſer oder Hitze kommt.
§ 11. Das unvergleichliche Muſcus - Thier macht ſich oͤffters uͤber die Graͤntzen Siberiens; Es ſoll von der Groͤſſe eines Rehes ſeyn, und erzehlet man von ihm / daß unterweilen in der Brunſt fuͤr gar zu hefftiger Geilheit ihm der Nabel ſpringet, daß das Blut haͤuffig heraus flieſſe / alsdeñ die Waͤlder von dem angenehmſten Geruch angefuͤllet werden. Und iſt der Muſ - cus-Sack nicht ein Teſticul dieſes Thieres / wiebiß -12bißhero der irrige Wahn geweſen / ſondern ſein Nabel iſt eigentlich die Behaͤltnis dieſes treffli - chen parfums.
§. 12. Noch wird hieſelbſt auf den hoͤchſten Gebuͤrgen und Felſen ein ſeltzames Mineral gefunden, ſo ſie Kamine Masla Stein-Butter nennen, dieſes ſchwitzet bey der Sonnen - Waͤrme aus ſolchen Feiſen / und ſetzet ſich wie ein weißgelber Kalch an dieſelbe an; Es diſ - ſolviret ſich im Waſſer wie ein ander Saltz, und hat einen vitrioliſchen ſehr aſtringirenden Ge - ſchmack / man will ihm viele Wuͤrckung zu - ſchreiben, und bedienen ſich hieſige Einwohner deſſen in vielen Kranckheiten / ſonderlich in der diſſenterie, wiewol es unſerm Magen nicht ſo gar wohl bekommen duͤrffte, auch meines Wiſ - ſens von denen Unſrigen nicht gebraucht worden. Daß aber die Ruſſen gefaͤhrlichere Mittel brau - chen / ſiehet man daraus, daß ſie in ihren Fran - tzoſen-Curen, den Mercurium ſublimatum eſſen / entweder ohne Vehiculo, oder auch in einem ſau - ren Brey von Habermehl gekocht / und auf die Kranichs-Augen einen ſtarcken Eßig gieſſen / den ſie eine Zeitlang in der Waͤrme ſtehen laſ - ſen / wovon ſie denen mit dieſer Kranckheit infi - cirten einen Trunck alle Tage geben / welcher von ſolcher Wuͤrckung iſt, daß er alle Schaͤrf - fe aus den Knochen und dem Gebluͤthe ziehet / und in einigen Wochen die Patienten gluͤcklich curiret; Es greifft dieſer Trunck die Leute ſo an / als wenn ſie 2. à 3. Stunden ſtarck be -ſoffen13ſoffen waͤren; Nehmen ſie aber zu viel / ſo em - pfinden ſie gleich Zerruttung / als waͤren ſie von der Schweren Noth geplaget, die ihnen Fuͤſſe und Haͤnde zuſammen ziehet / welches aber ein Glaß Brandtwein wieder ſtillet. Dabey brauchen ſie gar keine Diæt, ſondern gehen wenn dieſer paroxismus vorbey / wieder in die freye Lufft.
§. 13. Wir wenden uns zur Oſtiackiſchen Nation, die ſich anfaͤngt 3. Tage-Reiſe von der Haupt-Stadt Tobolski in Siberien, und brei - tet ſich aus laͤngſt dem Fluß Irtis, wo er in den Obi faͤllt, von dannen theilet ſie ſich gegen er - wehnten Obi biß Natim, der andere Theil er - ſtreckt ſich laͤngſt mit demſelbigen Fluſſe bey Sa - maroff, Ketskoi, Kaſim, Bereſova, und ſo weiter biß an die Guba oder Golfo, von der Guba aber an das bekandte Fretum Weigats o - der Naſſovium. Dis Volck breitet ſich aus bey den haͤuffigen Fluͤſſen / die in den Obi gegen Abend fallen, als Conda, Lappinſesva, Sob und dergleichen; An der Conda haben ſie zu Nachbahren die Vogulitzen, und bey dem freto gegen Morgen die Samogiten.
§ 14. Der Obi iſt einer von den groͤſſeſten und notabelſten Fluͤſſen Europæ, zumahlen die Geographi insgemein die Graͤntzen Europæ ge - gen Norden an dieſem Fluß zu ſeyn geſetzet. Er giebt nicht allein die reichlichſte Nahrung denen Oſtiacken, ſondern verſorget auch mit ſeinen mañigfaltigen Sorten von Fiſchen einen groſſenTheil14Theil der Einwohner Siberiens. Seine Ufer umgiebt mehrentheils ein dicker Wald / und fin - det man ſelten eine Flaͤche / er macht hin und wie - der eine ziemliche Anzahl kleiner Inſuln, die we - der bebauet noch bewohnet ſind. Zuforderſt flieſſet er in einen Golfo, den die Ruſſen Guba - taſſavskoja nennen
§. 15. Dieſe Guba iſt eine Zuſammenſtoſ - ſung vieler Fluͤſſe / welches Wort im Sclavoni - ſchen eigentlich dieſe Bedeutung hat. Und fließt nicht allein darin die Obi, ſondern auch die Teuſſe, Nadim, Pu[r]und Taſſ. Sie iſt uͤber - aus groß, und wie man davor haͤlt / wol einige 100. Meilen lang, und wol 20. Meilen / wie wol an allen Orten nicht gleich / breit. Die groſſe Kaͤlte laͤſt nicht zu / daß im Sommer die Eyßſchollen ſchmeltzen / ſondern ſie flieſſen auf dem Waſſer. Selbige verurſachen auch, daß man mit Fahrzeugen nicht wohl auf der Guba fahren koͤnne / zumahlen das Eyß ſich an die ſo genannten Struſſen ziehet / und wenn man be - muͤhet iſt die Schollen mit langen Stangen ab - zuſtoſſen / ſo ziehen ſich andere an der andern Seite ſo feſt wieder an, daß es faſt unmuͤglich ſcheinet weiter fortzugehen / zu dem iſt der Grund dieſer See uͤberall leimicht und mora - ſtig / und wenn die Arbeiter mit langen Stan - gen / wo ſie Grund finden / das Fahrzeug fort - ſtoſſen / ſo haͤlt der zaͤhe Leim die Stangen im Ausziehen ſo feſt / daß es eben ſo weit zuruͤcke gehet / als es durch das von ſich ſtoſſen iſt avan -cirt15cirt geweſen. Jnsgemein zerſcheitert die Struſ - ſen der gewoͤhnliche Sturm / und iſt es ſehr ge - faͤhrlich ſich auf dieſe Guba zu wagen.
§. 16. An dem Fluſſe Paſſ, 4. Tage-Reiſen / bevor er in die Guba faͤllt / liegt die Stadt Stara Mangaſea, deren Einwohner Griechiſcher Re - ligion, und ſich Suetolobi nennen. Jhre Le - bens-Art iſt ſehr ſchlecht / und wiſſen ſie von kei - nem Brodte / woferne es ihnen von andern Oer - tern mit der groͤſten Muͤhe und Gefahr nicht zu - gefuͤhret wird. Jhre Speiſe ſind Fiſche / die ſie entweder roh weg eſſen, oder auch auftruck - nen / und trincken Fiſch-Thran / oder das Waſ - ſer aus der Guba.
§. 17. Dieſe miſerable und harte Lebens - Art / hat den Einwohnern von Stara Manga - ſea alle Luſt benommen / laͤnger den elenden Ort zu bewohnen / wannenhero ſie ihn verlaſſen / und nach der Oeſtlichen Seite auf dem feſten Lande ihnen eine andere Stadt erbauet, die ſie Nova Mangaſea nennen. Doch ſind die Leute nicht ſo gaͤntzlich weggegangen / daß nicht etliche ſol - ten uͤbrig geblieben ſeyn / die noch heutiges Ta - ges mehr erwehnten Ort bewohnen / und das Elend bauen. Den Winter uͤber koͤnnen ſie mit ihren Hunden oder Rennthieren uͤberall wo ſie wollen, auch auf die Guba fahren, zu - mahlen an dieſer Seite ihnen keine Berge ver - hindern / auſſer daß ſie vor denen wilden Thie - ren ſich behutſam in acht nehmen muͤſſen. Jm - gleichen kan es ſich auch begeben, daß ſie aufdem16dem Eyſe ein Sturm uͤbereilet / welcher die Gu - ba auf bricht und flieſſend macht. Die Ruſſen for - dern auch des Winters vor ihre hohe Landes-O - brigkeit die Contribution gemeiniglich ein / und waͤre es ihnen ſehr profitabel, wenn ſie mit Schlitten, oder im Sommer mit Fahrzeugen / Korn und Mehl dahin bringen koͤnten.
§. 18. Aus der Guba nimmt der Obi ſeinen Einfluß in die Meeres-Enge / oder das ſo ge - nannte Fretum Weigats oder Naſſovium. Diß Fretum aber hat die Natur auf beyden Sei - ten mit hohen Felſen, die continuirlich mit Schnee und Eyß bedecket, eingefaſſet / welcher Felß nach der gemeinen Relation, uͤber 100. Meil Weges lang ſeyn ſoll / und gleichſam vor dem Pol zur Balance des Centri der Erden liege.
§. 19. Jenſeit dem Freto ſiehet man das neue Land / oder wie es auf Rußiſch heiſt, Nova Zembla. Es iſt die von denen Hollaͤndern be - titulirte Inſul Weigats, und lieget gerade gegen uͤber / wo der Obi ins Mare glaciale faͤllt. Die Oſtiacken und Samogiten wagen ſich etliche mahl uͤber die hohen Felſen nach dem Lande / und ſchlagen daſelbſt Elende und Rennthiere. Sie muͤſſen aber ſehr behutſam des Winters ſich in acht nehmen / zumahlen wo ſie mercken / daß der Wind von Nova Zembla, und alſo aus Norden wehen wolle, welches / wenn ſie es aus gewiſſen Merckmahlen abnehmen, ſo iſt es nicht rath - ſam ſich laͤnger auf dem flachen Felde zu verwei - len / ſondern muͤſſen Grufft und Hoͤhlen ſuchen /wor -17worinnen ſie ſich ſo lange verſtecken und vor dem Winde bewahren / biß er nachgelaſſen und ein andrer Wind zu wehen angefangen. Sind ſie aber ſo ungluͤcklich daß ſie keine Hoͤhle ſo fort antreffen koͤnnen / ſo toͤdtet ſie der rauhe Wind / und geſchicht es alſo daß ſie nicht groß nach Nova Zembla zu gehen ſich hazardiren / ge - ſtalt die wenigſten davon wieder zuruͤck kommen. Ob aber auf dieſen Lande Menſchen wohnen kan man von ihnen keinen rechten Grund erfah - ren; Einige wollen Menſchen darauf geſehen haben, womit ſie doch nicht geredet, ſondern ſelbige nur von weiten erblicket. Andere aber halten dieſen das Gegentheil / und behaupten / daß Menſchen wegen den toͤdtenden Nord - Winde daſelbſt nicht leben koͤnnen.
§. 20. Gleichwie nun die Sonne ihre Wuͤr - ckung zwiſchen dieſen Felſen nimmer haben kan / zumahl das Clima an ſich ſelbſten kalt / und unter der Zona frigida Septentrionali lieget / ſo iſt leicht zu ermeſſen / daß das Eyß darinnen nim - mer ſchmeltze / ſondern Winter und Sommer daure / es ſey dann, daß im Sommer der ſtar - cke Wind / wenn er das[f]retum durchſtreichen kan / ſelbiges aufreiſſe. Das aus dem Obi in das Eyß-Meer fallende Waſſer erſtarret gleich - ſam in dieſer Enge / und bleibt die Hoͤhe des Eyßes einerley / da doch ſonſten zu vermuthen / daß Jaͤhrlich durch die Gewaͤſſer des Obi, und andern darinn fallenden Stroͤhmen / das Eyß im - mer hoͤher und hoͤher werden ſolte / und weil disBvon18von Erſchaffung der Welt gedauert, waͤre zu ſchlieſſen / daß das Waſſer im freto laͤngſt hoͤ - her als das in Obi waͤre geworden / und alſo aus dem freto wieder in den Obi nunmehro zu - ruͤck gehen muͤſſen. Hiervon wiſſen dieſe Leute raiſon zu geben / gleichwohl geſtehen ſie, daß der Wind das auf den Bergen liegende Eyß er - ſchuͤttere / und das in dem freto ſich befindende oͤffters eine Borſte und Grube gewinne. Dieß iſt meines Erachtens ein Zeichen / daß das Waſſer im freto, oder ſo genandten Eyß-Meere einen nahen Abfluß aber / und entweder bey oder ohnweit denſelben ein Schlund ſeyn muͤſſe / der das Waſſer zu ſich ſchlinge, wie man dann in dem groſſen Welt-Meere / ſowohl als anderen Seen dergleichen Strudel uͤberall findet. Wenn nun das Eyß ſich oben haͤufft / ſo ſchmel - tzet das untere auf eine unempfindliche Art im - mer weg. Welches man damit probiret / wenn man ein Stuͤck Eyß an einem Faden im Waſſer herunter laͤſt / ſo zerſchmeltzet es / und einen erfrornen Fiſch thauet man mit kaltem Waſſer wieder auf / denn ſo wenig der Froſt wegen dem unterirrdiſchen Feuer in der Erde tieff hinein dringen kan / ſo wenig kan auch das Eyß ſich oben ſo haͤuffen, daß eben dieß Feuer ſel - biges unten nicht flieſſend machen ſolle. Wenn nun das Waſſer unten abflieſt / und das Eyß ſei - ne Haltung verliehret / bauet es ſich wieder auf der ſurface des gefallenen Waſſers, und ver - urſachet durch dieß Sincken und unterm Weg -ſchmel -19ſchmeltzen / daß das fretum weder ſeichter noch hoͤher werden koͤnne. Und iſt ja nicht eben noͤ - thig zu ſtatuiren / daß unter dem Polo Arctico muͤſſe der Euripus ſeyn / der alle Gewaͤſſer ein - ſchlucke, hingegen der Antarcticus ſelbiges wie - der ausgebe / weilen die hin und wieder ſich be - findende Strudell zu der Abflieſſung der Ge - waͤſſer genug ſeyn koͤnnten. Zudem hat man ja die Nachricht / daß man bereits weit naͤher an dem Polo, als dieß fretum liegt / geweſen / nemlich an der andern Seiten von Nova Zem[-]bla, da man von einem ſo groſſen Voragine nichts remarquiret. So iſt ja auch an der Ame - rikaniſchen Seite das Fretum Daviſii und nicht weit davon des Hudjonis hoch genug an Polo, es hindert aber die Reiſende nichts mehr / als Eyß und Kaͤlte / daß ſie den Weg weiter fortſe - tzen koͤnnen. Von dem groſſen Strudell und an ſich Ziehen an Polo weiß keiner / wie es aber muͤglich daß man auſſer dem freto Weigats naͤ - her an dem Pol kom̃en koͤñen / maſſen man daſelbſt Waſſer u. kein continent finde iſt wohl die raiſon, daß in ſolchen Engen die Bewegung des Waſ - ſers nicht ſo ſonderlich ſeyn koͤnne; Wo aber Be - wegung da iſt Waͤrme / wo keine Bewegung da iſt Erſtarrung und alſo Eyß und keine Auffdau - ung. Zu dem haben die Engen eine Haltung vom Lande / und empfinden keine innwendige Trennung / ohne zu der Zeit / wenn der Wind recht auf die Enge ſtreicht / und alſo einen Riß und Erſchuͤtterung macht / und wenn dieß Waſ -B 2ſer20ſer unten faͤllt welches man an den Stroͤhmen bemercken kan.
§. 21. Weil der Wind von Nova Zembla faſt mehrentheils wehet / ſo machet er die Lufft der daſelbſt bewohnten Oerter ſo rauh und ſtrenge daß auch in Tobolski unter dem 57. gr. und eini - gen Minuten keine Baum-Fruͤchte wachſen / noch in und bey Bereſova unter dem 60. und 6[2]. grad die geringſte Garten-Frucht zur perfection kom - men kan / weder das Land faͤhig iſt mit Korn gebauet zu werden. Weßfalls die in denen Staͤd - ten wohnende Ruſſen ſich in der Zeit mit benoͤh - tigtem Korn auf ein gantzes Jahr von andere Oerter zu proviantiren ſorgfaͤltig ſeyn muͤſſen / da man doch bey Stockholm das Land nicht al - lein wohl bebauet findet, ſondern das ſchoͤnſte Obſt und allerley Garten-Fruͤchte haben kan.
§. 22. Woher dieſe groſſe Veraͤnderung bey gleicher und mehrer Diſtance vom Polo ge - ſchehe / davon iſt wohl der ſtrenge Wind von No - va Zembla und denen Eyß-Bergen ſchuld, wel - cher des Commers gar offt wehet / und die in Linea recta liegende Laͤnder / wo das Land platt und von keinen groſſen Bergen umgeben wird / durchſtreichen und kalt machen kan; Dahinge - gen die Nordliche Seite Schwedens mit ho - hen Gebuͤrgen umfaſt und in Linea parallela die Krafft des Windes aufgehalten und disſipi - ret wird. Daß aber auch um Abo, welches im 61. grad, und weiter zum Polo an ſelbiger Seite biß 63. à 64. gradus Berge gebe, darinnenman21man Silber-Ertz annoch finde, und das Land ſeine Frucht gar reichlich bringe / muß wohl am meiſten daß unterirrdiſche Feuer verurſachen / welches vielleicht unter den feſten Wurtzeln der hohen Berge einige Aushoͤhlungen findet und durchſtreichet / und naͤher an die Croͤſte der Er - den ſich hebet, um ſo viel ſtaͤrckere Ausdaͤmpf - fungen der innerlichen Hitze der Erden zu ver - urſachen, und durch die Zeit allerley Gewaͤch - ſe zu befordern / welches im Gegentheil an die - ſem Orthe viel tieffer nach dem Centro ſich len - cken muß entweder denen Meeres Strudelln ei - ne paſſage zu laſſen / oder dem Durchbruch deſ - ſelben durch die loͤcherichte oder undichte Erde zu wehren. Daß aber das unterirrdiſche Feuer ſich insgemein zu denen Bergen ziehe / und auch nicht nach der Kaͤlte frage, probiren ſo viel Feu - erſpeyende Berge / inſonderheit der Hecla in kalten Groͤnlande / welche Feuerſpeyende Ber - ge dem Igni Subterraneo gleichſam Lufft geben, damit es nicht im Bauche der Erden erſticke.
§. 23. Durch dieſes macht die Natur in dem Freto dem Einfluße des Obi eine Oeffnung und hoͤhlet ſich der Fluß auf beyden Seiten, daß der Strohm einflieſſen koͤnne. Wenn nun das Fruͤh-Jahr trocken / und das von den andern Stroͤhmen einflieſſende Eyß eher zerſchmeltzen kan biß es an die Hoͤhlung des Freti ſtoͤſt / ſo ſind die Stroͤhme deſſelben Jahres gantz ſeichte / nemlich der Obi, Irdis, Conda, Doſva und dergleichen; Jſt aber das Fruͤh-Jahr naß undB 3kalt /22kalt, ſo ſetzet ſich das aufflauffende und haͤuf - fende Eyß vor dem Einfluſſe, und thauet das Waſſer ſolcher Geſtalt / daß an allen Oertern ſich die Gewaͤſſer ergieſſen und die niedrige Laͤn - der uͤberſchwemmen.
§. 24. Jndem nun dieſes rauhe und wilde Land ſehr wenig Luſt und Muth erwecket, ſelbi - ges zu beſuchen / als haben die Oſtiacken von de - nen / ſo noch dahin gekommen, den Goͤtzen - dienſt mit dem Chriſtl. zu veraͤndern ſich bereden laſſen. Zumahlen aus denen Uhrkunden etli - cher alten Schrifften beweißlich iſt / daß dieß Volck in der Landſchafft Veliki Perma bey Soli - kamski gewohnet habe / woſelbſt der alte Bi - ſchoff Stephanus die Heyden zur Chriſtlichen Re - ligion gebracht / unter welchen einige ſelbige an - genommen und im Lande geblieben / andere aber ihre Wohnung und Sitz verlaſſen und ſich in dieſen rauhen Oertern verſteckt haben / wel - ches dann aus ihre Sprache leicht abzunehmen / die annoch mit der Permiſchen in vielen uͤberein kommt; Bey Tobolski und Narim aber we - gen der daſelbſt wohnenden Tartarn gemiſcht iſt / allein von denen die bey dem Freto wohnen und von Werkaturien, laͤngſt den Felſen gera - de uͤber gangen, eine naͤhere Ubereinſtimmung beybehalten worden.
§. 25. Die Ruſſen nennen dieß Volck Oſti - ackii, gleichſam Oſtiancki uͤbrig gebliebene / der Reſt eines verloffenen Volcks. Sie ſelbſt aber haben den Nahmen ihrer Vorfahren veraͤndert /und23und heiſſen ſie Contiſchi oder Contica, und den Diſtrict welchen ſie bewohnen Gandimich, wel - che Woͤrter in ihrer Sprache nicht die geringſte Bedeutung haben / daß ſie aber ſich nicht Per - miski oder Permianer nennen / ſondern ihren Nahmen veraͤndert, moͤchte wohl die Furcht Urſache geweſen ſeyn / maſſen ſie ſich unbekandt machen wollen, daß ſie auch weder nachgefragt noch aufgeſucht werden moͤchten.
§. 26. Jhre Sprache iſt von der Samogiti - ſchen und Vagolitſchen gaͤntzlich unterſchieden / und ohngeachtet ſie ſelbige zu Nachbahren ha - ben, ſo kan doch keiner den andern ohne Ver - dolmetſchung verſtehen Es finden ſich auch gar wenige Lateiniſche Woͤrter darinnen / als: Juva hilff / Nemen fuͤr Nomen der Nahme / und noch mehrere Oſtlaͤndiſche die ſehr wenig zer - ſtuͤmmelt, vornehmlich iſt die Benennung der Zahlen einerley / als üx eins / kaks zwey / kolm drey / und ſo ferner. Was nun dieſe ſo weit von einander gelegene Voͤlcker in denen vergan - genen Zeiten vor Commerce unter ſich gehabt / daß von ihren Sprachen ein Ruͤckſtaͤndiges die - ſer Nation geblieben, iſt wegen Mangel der aufgezeichneten Nachrichten unmuͤglich nachzu - forſchen.
§. 27. Die Poſitur des Leibes dieſes Volcks iſt mittelmaͤßig / und findet man gar ſelten große Leute unter ihnen / ihr Anſehen iſt wohlgeſtalt gleich andern Europæern, ohne daß etlichen die miſerable Kleidung verunzieꝛet, die ſie wegẽ gꝛoſ -B 4ſer24ſer Duͤrfftigkeit und eigener Nachlaͤßigkeit ih - nen nicht verbeſſern koͤnnen. Jhre Nachbah - ren ſind von ungeſtalten Geſichtern / wiewohl ſie doch denen heßlichen Calmucken nicht glei - chen.
Von der Lebens-Art der Oſtiacken.
§. 1.
WAnn ihnen Kinder zur Welt gebohren werden / hat ſich der Vater entweder bey denen Ruſſen eines Nahmens womit er ſein Kind benennen will, erkundiget: Jm entſtehenden Fall aber, legt er ihm den Nahmen von denjenigen Thieren bey / welche ihm zur ſelbigen Zeit zu erſt begegnen / und weil ihre gantze Viehzucht in Hunden und Rennthieren beſtehet / ſo tꝛifft es ſich gemeiniglich daß die Benennung von ihnen genommen werde. Dahero ſich viele Sabatski, Hunde nennen. An - dere aber haben die Gewohnheit die Kinder nach der Ordnung ihrer Gebuhrt, wie ſie jung ge - worden zu nennen, den aͤlteſten / mittlern und juͤngſten / den vierdten / fuͤnfften und wie ſie die Reihe trifft. Haben aber die Kinder einen na - tuͤrlichen Fehl / daß ſie entweder lahm / uͤberſich -tig /25tig / pockengruͤbig, mit rothen oder weiſſen Koͤ - pfen und dergleichen ſind / ſo werden ſie auch hie - durch in der Benennung diſtinguiret.
§. 2. Gleich wie nun dieſe Leute von keiner Wiſſenſchafft / freyen Kuͤnſten, noch vom Leſen und Schreiben etwas wiſſen / ſondern in Statu Naturali leben / ſo iſt leicht zu erachten / daß we - der Sitten-Lehren noch Statuten ſelbige unter ſich verbindlich machen; Auſſer daß eine allge - meine Gewohnheit durch oͤfftere Wiederhoh - lung gleichſam ihnen ein Geſetze giebet, und das allgemeine Recht der Natur ihnen was recht und billig zur Conſervation ihrer menſchlichen Societe eindruͤcket / worauff ſie dann um deſto feſter halten / je mehr die natuͤrliche Schande ſie davon abzutreten / auf eine verborgene Weiſe abhaͤlt.
§. 3. Hieraus iſt leicht zu ermeſſen, welcher geſtalt die Erziehung der Kinder von ihren El - tern geſchaͤhe. Ein Adler fuͤhrt ſeine Jungen auff eine genereuſe Arth zur Sonnen an / die Kraͤhe aber gewehnt die ihrigen zur niedrigen Flucht. Zu keinen Kuͤnſten und hohen Wiſſen - ſchafften / auch nicht einmahl zu einen Handwer - cke kan der Vater ſeinen Sohn bequemen / weil ihm alles dieſes gaͤntzlich unbekant / ſondern uͤbt ihn von Jugend auff zum Fiſchfang / Bogen ſchieſſen / die Wildnuͤſſe durchzuſuchen / Thiere zu erſchlagen / und dergleichen damit er geſchickt ſey / ſich ſelbſt hinfuͤhro in dieſen muͤhſeligen Stande zu ernaͤhren. Den Sommer fangenB 5ſie26ſie ſo viel Fiſche / die ſie aufftrucknen / als ſie des Winters uͤber benoͤthiget zu ſeyn erachten / im Winter aber gehen ſie mit ihren Hunden in den dicken Wald, woſelbſt ſie Zobel / Hermeline / Fuͤchſe / Baͤhre / Elende, Rennthiere, Bieber, Grauwercke und dergleichen fangen und erſchla - gen. Wovon ſie der hohen Landes-Obrigkeit ein gewiſſes Contingent jaͤhrlich zahlen / und den Reſt an derſelben gegen einen geſetzten Preiß erlegen / oder auch ſonſten an privat-Leuten die - jenige Wahren, deren Vereuſſerung ihnen ver - goͤnt, verhandeln.
§. 4. Jhre Speiſe beſtehet mehrentheils aus Fiſchen, welche ihnen der Obi und die darinnen ſich ergieſſende Stroͤhme reichlich mittheilen. Die allerwenigſten eſſen Brodt und Saltz, ge - ſtalt der meiſte Theil unter ihnen ſo unvermoͤ - gend iſt / daß er ihm dieſe ſo nothwendige Lebens - Mittel nicht anſchaffen kan, woferne ſie gleich an etlichen Oertern zu bekommen waͤren; ſondern muß ſich mit ungeſaltzenen Fiſchen behelffen / wel - che an ſtat Brodts und Zukoſt ſind. Des Win - ters fangen ſie Voͤgel und erſchlagen Rennthie - re / die ihnen zur Speiſe gleichfalls dienen. Des Sommers nehmen ſie die wilden Gaͤnſe und Endten aus, welche in den Suͤmpffen und Tei - chen hieſelbſt in groſſer Anzahl neſten. Sie bemercken ihre Zeit wenn die Alten ihre Federn fallen laſſen / und die jungen noch nicht fliegen koͤnnen. Mit keinen andern Tranck ſtillen ſie ihren Durſt, als mit dem Waſſer aus demFluſ -27Fluſſe, welches ſie mit einer Bircken-Burcke ſchoͤpffen. Faͤllen ſie aber ein Wild es ſey von welcher Gattung es wolle / oder ſie ſchlachten Rennthiere / Pferde und was ſie ſonſten attrapi - ren / ſo ſaͤttigen ſie ſich mit dem warmen Bluthe. Jedennoch wann ſie ſich reche delectiren wollen / ſo tauchen ſie ein ſtuͤck Fiſch im Fiſch-Trahn / und nehmen auch wohl gar einen guten Trunck da - von / uͤber alles aber lieben ſie den Chineſiſchen Char oder Toback / und zwar rauchen ſie ihn nicht wie andere Nationen, die den Rauch wieder von ſich blaſen; Sondern ſie nehmen zuvor etwas Waſſer im Munde / und nachdem ſie ſich zur Erden geſetzt, ſchlucken ſie den angezogenen Rauch herunter / welcher ſie nach etlichen Zuͤgen gantz benimt / biß ſie mit verſtelleten Geberden wieder zu ſich ſelbſten kommen und einen Schleim von ſich werffen. Solche Ubung wiederhohlen ſie des tages ſo offt es ihnen be - liebt, und ſie von erwehnten Char einen Vor - rath haben; Auch brauchen denſelben nicht al - lein die Maͤnner, ſondern auch die Weiber / und gewehnen ihn ihren Kindern von Jugend auff an, weil er gleichſam an ſtat der Medicin dienet / die den tranichten Fiſch-Schleim ziemlicher maſſen ihnen wieder abzapfft.
§. 5. Jhre Wohnungen ſind kleine viereck - ichte Huͤtten von Strauch aufgebauet / und mit Bircken-Burcke belegt, der den Regen und Schnee abhaͤlt. An denen Waͤnden nehmen ſie ihre Schlaff-Stellen / mitten ein iſt der Feu -er -28er-Heerd, darauf ſie continuirlich Strauch brennen / um der Kaͤlte ſich zu erwehren. Jhr Hauß-Geraͤth beſtehet aus Kannen / Netzen / Pfeil und Bogen / und denen Geſchirn von Bir - cken-Burcke woraus ſie eſſen und trincken. Bey einigen trifft man zur Zeit ein Beil, viele aber haben das auch nicht / ſondern behelffen ſich mit Meſſern / von keiner Vieh-Zucht wiſſen ſie / ſon - dern ihre Hunde ſind ihre Waͤchter, dieſelbe nehmen ſie mit auff der Jacht, und ſpeiſen ſie mit Fiſchen. Die Armuth druͤckt ſie auf beyden Seiten / und wo ja einige vor reich unter ihnen pasſiren, ſo beſtehet der eingebildete Reichthum in der Menge der Rennthiere, deren etliche bey tauſend halten. Die miſerable Wohnungen veraͤndern ſie / wann es ihnen beliebt / und in ſol - chen Wildnuͤſſen da es andern Leuten zu leben unmoͤglich waͤre, woſelbſt ſie im Schnee und Eyße ihnen unterweilen Gruͤffte hauen, darinnen ſie ſich vor der hefftigen Kälte præſerviren / im Sommer aber leben ſie an den Uffern der Fluͤſſe / damit ſie den Fiſch-Fang mit groͤſſerer Commo - dite abwarten koͤnnen. Dieſes hin - und her - Ziehen iſt ihnen gar nicht beſchwerlich / weil ſie an allen beliebigen Oertern bequeme Materien zur Auffſetzung neuer Jurthen finden / und ihre Meublen mit leichter Muͤhe von einem Orte zum andern unter der Anfuͤhrung der vergeſellſchaff - teten Armuth bringen koͤnnen.
§. 6. Die Hunde und Rennthiere dienen ih - nen an ſtat der Pferde / ſie ſpannen 6. à 12. Hun -de /29de / wann es geſchwinde gehen ſoll / vor einen Schlitten, und reiſen damit in der groͤſten Ge - ſchwindigkeit von einem Orte zum andern. Die Schlitten ſind 4. à 5. Ellen lang und eine hal - be breit, man kan ſie mit einer Hand auffheben / denn die Sohlen darunter nicht ein Zoll breit duͤck, und die Lehnungen noch duͤnner. Es iſt nicht leicht zu glauben was dieſe Hunde / welche von der Groͤſſe als in Teutſchland die Bauer - und Fleiſcher-Hunde / vor Kraͤffte zu ziehen und vor Geſchickligkeit ſolche Schlitten fortzubringen haben. Die Paſſagiers koͤnnen aus Mangel der Pferde (die auch ohne dem bey dem groſſen Schnee auf dieſem Wege nicht geſchickt ſeyn,) kein ander Vorſpann als Hunde und Reñthiere haben / ihre bey ſich habende Sachen packen ſie auff dieſen Schlitten / und legen ſich mit Renn - thier-Haͤuten oder andern Peltzen wohl verwah - ret oben darauff; Die Hunde aber wiſſen ihren Weg biß zur Abloͤſung / woferne aber der Jam oder die Abloͤſung allzuweit und die Hunde er - muͤden / legen ſie ſich vor den Schlitten nieder / alsdenn futtert man ſie mit Fiſche / und wann ſie ſich geſaͤttiget und ausgeruhet / ſetzen ſie ihren Weg unter ſteten Heulen und Bellen biß zum erwehnten Jam fort woſelbſt der friſche Vor - ſpann parat ſtehet.
§. 7. Einige Oſtiacken und ſonderlich die Samogaiten fahren auch des Sommers mit Rennthieren / allermaſſen ſie ihr Fahrzeug, das einen Schlitten nicht ungleich ſiehet / mit Renn -thier30thier-Haͤuten unten beziehen, forne aber wo es an dem Graſſe ſtoͤſt die glatte Haut vom Bei - ne ſetzen / daß es deſto leichter ohne ſonderlichen Aufenthalt fortgehe; Kommen ſie an einen Fluß, ſo ſchwimmt das Rennthier uͤber und zie - het hinter ſich her dieß beſchriebene Fahrzeug.
§. 8. Von der Erde / die aus ihrem Schooſ - ſe Menſchen und Vieh ſonſt ernaͤhret, wiſſen ihnen dieſe Leute gar keinen Nutzen zu machen / auſſer daß etliche die wilden Wurtzelln / welche das unfruchtbahre Land bey der groſſen Kaͤlte noch hervor bringen kan / ausgraben und ſich damit ſaͤttigen. Der Ackerbau iſt ihnen gantz unbekandt / wegen der Viehzucht leben ſie gantz unbekuͤmmert / und halten weder Kuͤhe noch Pferde, weder Schaafe noch Huͤner / welche von ihren Hunden bald angepackt und zerriſſen werden duͤrfften. Wie dann ſolches die taͤgliche Erfahrung bey denen Ruſſen, die in denen Staͤdten wohnen, lehret, und derglei - chen Hunde zu ihrer Nothdurfft halten muͤſſen / denen ihre Kuͤhe gar oͤffter auf dem Felde ange - fallen und zerriſſen werden.
§. 9. Das weibliche Geſchlecht hat in Er - mangelung des Flachſes wenige Ubung. Doch aber wiſſen ſie die Neſſel auf gleiche Weiſe wie das Flachs zu handthieren / und ihnen Leinwand daraus zu wuͤrcken / welches ſie zu Umhaͤnge auf ihre Lagerſtelle ſich bedienen / damit ſie ſich des Sommers der Muͤcken erwehren, wofuͤr ſie ſonſt unmuͤglich in denen Waͤldern Friedehaͤt -31haͤtten, ſie brauchen auch ſelbiges Leinwand / ohngeachtet es ſehr ſteiff / zu Hembden und Tuͤchern auf ihren Koͤpffen. Die Hembden be - nehen ſie laͤngſt der Bruſt mit allerhand Far - ben / imgleichen die Tuͤcher ſo ſie auf dem Kopff tragen / und iſt dieſe Ausſtaffierung bey ihnen ſonderlich beliebt.
§. 10. Jhre Kleider nehen ſie von Fiſchhaͤu - ten zuſammen / welche ſie von denen Hechten / Quappen und andern Fiſchen abziehen, und ſo lange zuſammen lappen / biß ſie Rock, Hoſen / Struͤmpffe, Wams und Socken daraus for - miren, ſie ziehen auch die Haͤute von Schwa - nen / wilden Gaͤnſen / Endten und Raub-Voͤ - geln / die ihnen dienlich zu ſeyn beduͤncken / her - unter / und nehen davon Peltze / ſammt anderen benoͤthigten Bekleidungen. Wann ein Oſtia - ker einer Muͤtze bedarff / faͤngt er ihm einen Wey - he oder andern Raub-Vogel / zieht ihm die Haut ab / ſetzet ſelbige an ſtatt der Muͤtze auf den Kopff. Des Winters aber verhuͤllen ſie ſich gemeiniglich in Rennthier - oder Elends-Haͤuten / die ſie gedoppelt anziehen. Der Oberrock iſt von einem Stuͤcke und bedeckt die Fuͤſſe, den Leib / den Kopff und Nacken vor der ſtrengen Kaͤlte / die Weiber ſind auf gleiche Art beklei - det, auſſer daß ſie bunte ausgenehete Tuͤcher, wie erwehnt / auf den Haͤuptern / laͤngſt denen Geſichtern hangen haben / die ſie vor einen frem - den und Unbekannten / damit ſie nicht in dem Geſichte geſehen werden, nicht aufheben duͤrf -fen /32fen / welches ſo wohl Junge als Alten obſer - viren, und vor ein Zeichen der weiblichen Zucht und Ehrbarkeit halten. Die vornehmſten Weiber verhuͤllen ſich mit Damaſch oder Ki - taick, nachdem ſie es vermoͤgend ſind anzuſchaf - fen.
§. 11. Die menſchliche Geſellſchafft kan nimmer ſo eingeſchrenckt ſeyn / daß die allgemei - ne Unvollkommenheiten einen Umgang und Handel mit einen Frembden nicht erfordern ſol - ten. Die weiſe Natur hat ihre Gaben gar duͤrfftig mitgetheilet / damit ſie denenſelbigen Menſchen deſto groͤſſeren Anlaß zur Unterhal - tung der Societe und Verbindung des menſch - lichen Geſchlechtes gaͤbe / hingegen alle Læſion aufs aͤuſſerſte zu fliehen recommandire. Da - hero was ſie dem einen vergoͤnnt / dem andern verſagt hat / auf daß der eine des andern Huͤlf - fe jederzeit beduͤrfftig ſey. Auf gleiche Weiſe verbindet auch eben die groſſe Duͤrfftigkeit dieſe Leute, daß ſie durch den Umgang mit Frembden ihren Nothwendigkeiten Rath ſchaffen muͤſſen. Weilen ſie aber auch kein Pfand aufzuſetzen ha - ben / und weder Schreiben noch Leſen, wie be - reits erwehnt / verſtehen / vermittelſt welchen ſie einen Contract aufrichten / oder mit einer Hand - ſchrifft ſich verbindlich machen koͤnnten, ſo bren - nen ſie ihnen auf den Haͤnden allerhand Merck - mahle, Figuren der Voͤgel oder auch beſondre Puncte / welche ſie denen Creditoren als ein Zeichen / wobey er ſie gewiß kennen und wiederfin -33finden werde / zeigen. Haben ſie ſich abeꝛ entweder in die Haͤnde geſchnitten / gehauen oder ein Mahl im Geſichte / ſo zeigen ſie bey Schlieſſung des Contracts die Wundmahlen auf / und ſetzen gleichſam dieſelbe zum Unterpfande; Jmmit - telſt ruͤhmt man ſie, daß ſie ſolche Verpflichtun - gen feſt halten / und auf beſtimmten Termin ent - weder mit Fiſchen / Rauchwercken / oder auch mit Gelde die gemachte Schuld bezahlen, und alsdenn ihre Marquen wieder aufzeigen, als neh - men ſie ihre zu Pfande geſetzte Verſicherung wieder zuruͤck / und annullirten ihre Verbindung. Die Weiber brauchen die Figuren auf den Haͤn - den ſo ſehr, daß ſie es auch fuͤr eine Schoͤnheit und Zierlichkeit halten / wann ſelbige uͤberall blau angelauffen und marquiret ſeyn.
§. 12. Auſſer der hohen Landes-Obrigkeit / welche die Volck mit Woiwoden regieret / und den aufgelegten tribut einfordern laͤſt / haben ſie unter ſich keinen ſonderlichen Unterſcheid der Staͤnde; Etliche / die was mehr ſeyn wollen als die andern / und wenig mehres einzubrocken haben / nennen ſie Kneſen. Sie maſſen ſich ei - ner Herrſchafft uͤber einen gewiſſen Strohm an / werden aber von denen andern gar wenig und bißweilen gar nicht reſpectiret / weil ſie weder Urtheil noch Recht bey ihnen ſuchen, noch die - ſe ſie vermittelſt einigen Statuten verbindlich ma - chen duͤrffen / und hat ein jeder Hauß-Vater die Inſpection uͤber ſeine Haußhaltung. Woferne aber enorme Exceſſe ſolten begangen werden /Cſu -34ſuchen ſie die Entſcheidungen bey denen Woi - woden, oder auch bey ihren Goͤtzen-Pfaffen, welche unter dem Schein einer ihnen vom Schei - tan oder dem Abgotte gegebenen Ausſchlag die Streitigkeiten ſchlichten; Was maſſen ſie aber vermittelſt des Eydes ihre Streitigkeiten ab - thun / wird in folgendem Capittel erwehnet wer - den.
§. 13. Ein ſolches irregulieres Leben kan nichts andeꝛs als eine Verwirꝛung in allen ihꝛem Thun verurſachen. Denn gleichwie die Geſe - tze die Unbaͤndigkeit der zum Boͤſen geneigten Menſchen im Zaum halten / maſſen dieſelben zu allem Verbohtenen die angebohrne Neigung zie - het / ſo oͤffnet ein Stand ſonder Geſetze denen Laſtern Thor und Riegel / und die ungeſtraffte Gewohnheit zu ſuͤndigen bahnet den ſchaͤndli - chen Luͤſten den breiten Weg zu allem Ubertreten / daß auch das natuͤrliche einwohnende Geſetze mit ſeinen innerlichen Beſtraffungen kein Gehoͤr mehr findet. Wie vormahls das Roͤmiſche Volck auf ihre gar zu groſſe Freyheit pochte / und ihm einbildete / daß es ſonder Geſetze und Obrigkeit leben koͤnte, tꝛat ein Redneꝛ pro roſtris, und bejammerte einen Krancken, dem der Magen verdorben / und keine Speiſe mehr zu ſich zu neh - men vermoͤgte. Die andere Glieder haͤtten ſich ſeiner Faulheit halber beſchweret / der Kopff habe dem faulen Magen / der ſich von einem Or - the zum andern tragen lieſſe, und nichts zu ver - richten ſchiene, in etlichen Tagen nicht die Spei -ſe35ſe goͤnnen, die Fuͤſſe ſeiner Nahrung halber ſich nicht ruͤhren / noch die Haͤnde durch ihre Arbeit ihm etwas verdienen wollen; Zuletzt waͤre der Magen wegen Hunger eingeſchrumpelt, die ſaͤmtliche Glieder aber waͤren auch krafftloß geworden / weilen ſie ihren Safft und Zuſchub von demſelben nicht weiter haben koͤnnen. Da rieff das Volck: Es haͤtten die Glieder des Lei - bes thoͤricht gehandelt / und muͤſſe man den Ma - gen fuͤr allen Dingen wieder zurecht helffen, woferne der Menſch wieder geneſen ſolte. Nach - dem aber die Application auf die krancke Roͤmi - ſche Republique gemacht, und der Magen mit denen Geſetzen und der Obrigkeit / die Glieder aber mit dem Volcke in Comparaiſon gezogen wurden / aͤnderte dis kluge Volck die unan - ſtaͤndige Begierden zur F eyheit An einer viel gefaͤhrlichern Etats[.]Kranckheit liegt dis arm - ſeelige Volck / maſſen ſie ihren vorgenommenen Willen ſonder Scheu vollbringen / und die un - umſchraͤnckte Begierden erſaͤttigen nach der Maſſe des Geluͤſtens; Weßfalls die Zerruͤttun - gen in allem ihren Thun Meiſter ſpielen / daß es ihnen nicht moͤglich auf einen gruͤnen Zweig, wie man ſagt / zu kommen / woferne nicht die Annehmung der Chriſtlichen Religion und die dabey eingerichtete Veranſtaltungen derer Me - tropoliten, welche ſie zu einem eingeſchrenckten Leben verbinden / ein beſſeres fruchten wird.
§. 14. Dis iſt wohl eigentlich die Urſache ih - res groſſen Mangels und Duͤrfftigkeit / und da -C 2her36her geſchicht es auch, weil ſie den Leib nicht or - dentlich in acht nehmen / ſondern allerhand un - geſunde tranichte Getraͤncke und Speiſen genieſ - ſen, daß ſie mit denen Scorbutiſchen Kranckhei - ten / die dem Auſſatze nicht ungleich / ſo hart in - ficirt ſind, daß auch ihrer viele bey lebendigem Leibe verzehret werden. Die angebohrne Lie - be zu ſich ſelbſten und ſeiner Erhaltung pflegt bey andern Menſchen zum allerſenſibleſten in dieſem Fall zu ſeyn; Geſtalt ſie auch keine Mittel unge - pruͤfft laſſen, wodurch ſie die Faͤulniſſe abſchaf - fen / und den krancken Leib vor andern Zufaͤllen ihnen præſerviren. Allein man trifft auch dis bey ihnen nicht / ſondern wann ſich eine ſolche Kranckheit aͤuſſert / daß der Fuß / Ruͤcken oder auch ein ander Theil des Leibes / auch gar das Geſicht zu faulen beginnet, ſo laſſen ſie es ſo lan - ge wegfreſſen / bis das Fleiſch an den Knochen verzehret worden / und der Menſch nicht wei - ter leben mag. Die Hunde lecken ſonſt ihre Schwaͤren aus / und die andere unvernuͤnfftige Thiere ſuchen ihnen auf dem Felde ein Kraut zu ihrer Heilung; Aber dieſe entſchuldigen ihre Nachlaͤßigkeit in der Conſervation des Leibes mit der finſtern Unwiſſenheit / daß ſie keine Be - lehrung von ihren Eltern gehabt, die ſich bis an ihr Ende mit ſolchen Kranckheiten geſchleppt / vielweniger haͤtten ſie es von andern erfahren koͤnnen, wie dieſer Kranckheit abzuhelffen / wei - len ſie nicht ſonderlich mit ihnen converſirten.
§. 15. Woferne nun die Liebe auf Reinlich -keit37keit und Schoͤnheit alle ihre Neigung wuͤrffe / ſo wuͤrde das Volck von dieſer an ſich ziehenden pasſion gar nichts wiſſen, allein es iſt mehr als zu gewiß, daß ſie ſich auch in der Unreinigkeit erſaͤttige / und ihren Brand in der Garſtigkeit ſelbſten abkuͤhle. Dieſe Nation kan zwar nicht ungeſtalt genannt werden, wie im vorhergehen - den erwehnt; Sondern ihre Geſtalt gleichet de - nen andern Europæern, doch bey dem weibli - chen Geſchlechte findet ſich die Schoͤnheit nicht ſo gar. Doch macht ihre elende Lebens-Arth, die duͤrfftige Bekleidung / und die freſſende Kranckheit den mehrern Theil gantz unange - nehm zu lieben / und wuͤrde man hieraus ſchlieſ - ſen / daß ein auf beſchriebene Weiſe conditio - nirter Mann oder Weib ſonder ſeinen Ehegat - ten leben muͤſſe; Allein die blinde Liebe per - ſuadiret dieſem Volcke / daß der Mann nicht mit einem / ſondern vielen Weibern ſeine Luſt buͤſſen koͤnne / wannenhero ſie ihnen gemeiniglich eine Alte / die der Haußhaltung vorſtehet / und eine Junge zum Beyſchlaff zugeſellen.
§. 16. Wann der Braͤutigam bey der Braut Vater ſeine Anwerbung verrichten laͤſt, ſo ca - pituliren die Abgeordneten mit ſelbigem ſo lange / biß ſie des Preiſes einig werden / und wird ge - meiniglich der Vater nicht unter 100. Rubeln fordern; Der Braͤutigam gehet den Kauff ein / und rechnet ſeinen Kahn auf 30. Rubel / ſeinen Hund, den er dem Schwieger-Vater angiebt, 20 und noch mehr, biß er ſo weit von dieſer Bet -C 3teley38teley zuſammen wardiret / als die prætenſion und der geſetzte Kauff geweſen. Damit iſt der Schwieger-Vater zufrieden / und verſpricht die Braut auf einen gewiſſen Termin zu lieffern. Waͤhrender Zeit daß dieſe Verliebten noch ge - trennet, darff der Braͤutigam ſeine Braut en particulier nicht beſuchen, will er aber denen Schwieger-Eltern aufwarten, geht er ruͤck - lings zur Thuͤr hinein / und darff auch nicht mit freyen / ſondern abgewandten Augen vor ſelbi - ge treten / zum Zeichen des reſpects und der tief - fen Submisſion, gleich als waͤre er / wie ein an - genommener Sohn / nicht wuͤrdig / mit geradem Angeſicht dieſe ſeine neue Eltern anzureden / es muͤſſe denn von hinten zu geſchehen.
§. 17. Wann nun die Abliefferung vor ſich geht / uͤbergiebt der Vater ſeine Tochter mit der recommendation, daß ſie eine beſtaͤndige Freundſchafft unter ſich halten, und wie Mann und Weib ſich lieben moͤgen. Jmmittelſt præ - ſentiren die / ſo etwas zum Beſten haben / ihren Gaͤſten einen Trunck ſchlechten Brandtweins. Die Kneſen als die Vornehmſten / bekleiden ihre Toͤchter / wo ſie es vermoͤgend ſind / im roh - ten Tuch, wie die Tartern; Bey denen andern fuͤhrt die Armuth insgemein die Wirthſchafft / der Hunger macht ihnen den leckernden Appe - tit und die Duͤrfftigkeit beſchmuͤckt die Geliebten mit dem Gewandt der Bloͤſſe. Es obſerviret dis Volck auch nicht / nach aller Voͤlcker Recht / das weibliche Geſchlecht / nachdem es Mann -bahr39bahr geworden / auszuſteuren / ſondern ſie ge - ben ihre Toͤchter von 7. biß 8. Jahren von ſich / damit ſie von Jugend auf zu den Ubungen der Liebe gewohnt / und denen Maͤnnern nach ihren humeuren auferzogen werden.
§. 18. Solte aber dem Manne ſein Weib eckelhafftig werden / ſo verſtoſt er dieſelbe / und nimmt eine andre; Doch ſieht man / daß die na - tuͤrliche Triebe des eingepflantzeten Geſetzes ih - re Wuͤrckungen haben / ohngeachtet die wieder - ſtrebende Neigungen ſich zu dem Verbohtenen ohne Unterlaß ziehen. Die eingefuͤhrte Ge - wohnheit dieſer Nation iſt ſehr loͤblich / daß ſie nicht allein ihre Kindbetterinen eine Zeitlang in eineꝛ a parten Huͤtten bleiben laſſen / biß ſie wieder geneſen, ſondern es darff auch der Mann ſein Weib nicht beſuchen, ſo lange ſie ihre Zeit hat / geſtalt ſelbige ſich auch in ermeldeter Huͤtte biß zur Reinigung aufhaͤlt.
§. 19. Die Zeit der Gebuhrt æſtimiren die Weiber gar nicht, und ſcheinets als gebaͤhren ſie ohne Schmertzen. Es arrivirt ihnen gar offt, daß ſie im Winter von einem Orthe zum andern ziehen / wann nun keine Jurthe auf der Naͤhe / und die Commoditæt fuͤr der Gebaͤhrerin keines weges zu finden, ſo verrichtet ſie das Jhrige im gehen / verſcharret die Gebuhrt im Schnee / damit ſie hart / und der Kaͤlte jugendlich gewohnt werde / biß ſie anfaͤngt zu weinen / alsdenn ſteckt ſie ſelbige im Buſem, und vollfuͤhrt mit den an - dern ihren Weg. Kommt ſie aber zu dem Ort /C 4wo40wo ſie ihre Huͤtten aufſchlagen, ſo bleibt ſie in einer beſondern, und darff weder der Mann / noch irgend ein Fremder / auſſer ein altes Weib / das ihr die Handreichung thut / zu ſie gehen, biß 4. a 5. Wochen vollbracht, ſo wird ein lan - ges Feuer in der Mitten der Huͤtten gemacht / daruͤber die Kindbetterin dreymahl ſpringt / durch welche Spruͤnge ſie gereiniget zu ſeyn ih - nen einbilden / nach ſolchen Ceremonien begiebt ſie ſich wieder zum Manne, der ſie nebſt dem Kinde wieder aufnimmt / oder auch nach ſeinem Belieben verſtoͤſt. Es koͤnnen dieſe Leute un - gemein die Kaͤlte vertragen, und iſt es zu ver - wundern, daß ſie in dem kalten Fruͤhjahr und Herbſt, wie wohl der Sommer wegen des ſte - tig wehenden Nord-Windes, herbe und froſtig / mit der elenden Bekleidung von Fiſch-Haͤuten ſich behelffen koͤnnen.
§. 20. Daß ſie zum Waffen und Kriege zu fuͤhren in denen vorigen Zeiten nicht muͤſſen un - geſchickt geweſen ſeyn / iſt leicht aus ihrer wilden Lebens-Art abzumeſſen. Von Jugend auf ge - woͤhnen ſie ſich zu den muͤhſamſten Travaillen, und ihre gantze Ubung beſtehet in Bogen ſchieſ - ſen und wilde Thiere zu faͤllen. Es finden ſich auch hin und wieder einige marquen ihrer vori - gen bravoure; Denn die Einwohner von Bereſo - va ihre Stadt mit Palliſaden vor ihren Anfaͤllen vor Zeiten haben umgeben muͤſſen / und erzehlet man, daß ſie oͤffters ihre abgenommene Poſſes - ſion durch einige muhtiche Unterwindungen ha -ben41ben wieder behaupten wollen. So meldet auch vorangezogener Anonymus hin und wieder von einigen tapfferen Entrepriſen, womit ſie nicht einen ſchlechten Dienſt in denen alten Zei - ten denen Heydniſchen Koͤnigen erwieſen, in derer Alliance ſie damahls geſtanden. Die Vor - nehmen unter ihnen / ſonderlich die ſo genannten Kneſen, halten noch heutiges Tages ihre Pantzer und einen außerleſenen Bogen und Pfeil in der Verwahrung, und ob gleich ihre Hauß-meu - blen von ſchlechtem Werth, ſo fuͤhren ſie doch dieſe in allen ihren peregrinationen mit herum.
§. 21. Dieſe unbeſtaͤndige Wallfahrten / die von keiner Ruhe wiſſen / ſind ohne Zweiffel in denen Wildnuͤſſen / wo die grauſamſten Thie - re ihre Wohnungen haben / und von ihnen ſte - tig aufgeſuchet werden, nicht ſonder Gefahr des Lebens; Dahero bey ihnen es nichts ſeltſames / daß ſie von Baͤhren zerriſſen und erwuͤrget wer - den / oder ſonſt durch einige fatale Zufaͤlle um ihr Leben kommen. Sterben ſie ſonſt ihres na - tuͤrlichen Todes / ſo verſcharren die Nachgeblie - bene ſie in der Erde, des Winters aber im Schnee / und werffen der Verſtorbenen Pfeile und Bogen / Beil und Meſſer mit hinein; Wo ſie aber ſo reich / daß ſie in ihrem Haußgerath Toͤpffe oder Keſſel gehabt / ſo verſcharren ſie auch dieſelbe mit ihnen. Dis iſt eine uhralte Gewohnheit / die ſie von den vorigen Voͤlckern, ſo ſich Tſchut nennten / und nunmehro erloſchen und ausgeſtorben / beybehalten. SelbigesC 5Volck42Volck hat um Samaroff Narim und der Orthen ſich ausgebreitet gehabt / und nahmen dieſe Leuthe / als ſie aus Perma kahmen / unter ſie zu wohnen auf; Man ſiehet auch noch heutiges Ta - ges die Rudera von ihren Schantzen bey Sama - roff, und in denen Gegenden / wo ſie vorhin ge - wohnet. Die Oſtiacken haben ihre alte Goͤ - tzen / die dieſe Voͤlcker aus China ihnen ver - ſchafft / von ihnen geerbet / nunmehro aber iſt dis gantze Volck ſo ausgegangen / daß kaum die Spuhr mehr davon. Die Urſache / daß ſie denen Verſtorbenen die Pantzer und Haußgerath mit in die Grufft werffen / iſt die eitle Einbildung / die ſie glauben macht / daß ſie in der andern Welt bey denen Goͤttern allerley Haußgerath und Kriegs-Zuruͤſtungen noͤthig haͤtten. Sonderlich gebrauchten ſie die Toͤpf - fe und Schuͤſſel dazu / daß ſie ihnen in der an - dern Welt ihre Speiſe darin kochen koͤnten / wenn ſie bey ihren Goͤttern zur Mahlzeit nicht invitiret waͤren / und ſey ſolcher Haußgerath daſelbſt nicht gar wol zu bekommen, man muͤſte ihn denn theuer anſchaffen.
§. 22. Sonſten wiſſen ſie von dem Zuſtan - de des Menſchen nach dem Tode nichts / auſſer daß es aus den vorigen Umſtaͤnden ſchiene / daß die Vernunfft die Unſterblichkeit der Seelen ih - nen gleichwohl kund mache. Gleichwie ſie aber in allen ihren Wuͤrckungen im Geiſtlichen blind und verfinſtert, ſo ſtellt ſie den Menſchen die Beſchaffenheit des andern Lebens in denen bloſ -ſen43ſen Wolluͤſten und Ergoͤtzlichkeiten des Leibes vor. Welche difficultæten nur wenige aus de - nen vorigen Welt - Weiſen uͤberſtiegen / und durch muͤhſahmes Speculiren die Unſterblichkeit der Seelen in dem andern Leben ausgeſonnen haben.
Von der Religion und dem Goͤtzendienſt der Oſtiacken.
§ 1.
DEr Goͤtzendienſt war bey denen Grie - chen / Roͤmern und andern civiliſirten Heyden / eine bloſſe Erfindung der Ge - waltigen / vermittelſt welcher ſie das ge - meine Volck deſto beſſer im Zaum hielten / und ihre Ausſchweiffungen unter dem Mantel des Aberglaubens bedecken konten. Geſtalt ſie ih - nen denn ſothanen Dienſt nach Beſchaffenheit und dem Intereſſe ihres Etats formirten. Es iſt nicht zu glauben / daß ſo viele kluge Leute denen albernen Fabeln von denen Goͤttern / die bald wie Moͤrder / bald wie Hurer und Ehebrecher und andere Ubelthaͤter aufgefuͤhret wurden / Glauben beygemeſſen / und ſie als wahrhafftige Goͤtter erkannt haben. Dem Volcke aber mu - ſte ein Wahn uͤberredet werden / der ſie deſto beſſer im Zaum hielte. Maſſen denn der Con -cept44cept von der Religion eine maͤchtige Stuͤtze iſt / worauf die Welt ſich fuſſet, und wie das Leben ſelbſt defendiret werden muß. So wuſten auch ihre Philoſophen gar wohl, daß Holtz und Steine ihnen nichts koͤnten gewehren / und daß ein gemachtes Bild weder eine vergeltende / noch ſtraffende Krafft in ſich haͤtte. Das thoͤrichte Volck aber hatte ſo weites Nachdencken nicht / ſondern bildete ihm ein / es muͤſſe der Creatur / ſie moͤchte ein Leben in ſich hegen / oder auch gar lebloß ſeyn, von welcher ſie einen Nutzen ver - muhteten, eine Erkaͤnntlichkeit erwieſen werden. Dahero man in den erſten Zeiten die vornehmſte Abgoͤtterey an der Sonnen, oder an dem / was einem Vortheil ſchaffe / bemerckte. Und hier - zu iſt die blendende Liebe Schuld / die auch durch den Glantz des Goldes die Jſraeliten, das Volck GOttes / zur Abgoͤtterey verfuͤhrete.
§. 2. Unſere einfaͤltige Oſtiacken ſind biß hieher eben dieſer Blendung gefolget / weßfalls ſie ihnen theils ſelbſt einige Goͤtzen aus Holtz ge - bildet / theils aber einige aus Ertz gegoſſen / die ſie von ihren Vorfahren / wie erwehnt / ſo ſich Tſchut nannten, geerbet / welchen ſie die Ehre der Anbetung erwieſen / ihnen opfferten / und ihre Huͤlffe in allerhand Begebenheiten ver - langten.
§. 3. Bey denen beruͤhmten Voͤlckern im Heydenthum wuſte des Kuͤnſtlers Hand die Goͤtzen nicht ſauber genug zu bilden / maſſen die allerberuͤhmteſte Bildhauer / Steinmetzen /Ertz -45Ertzgieſſer und Mahler aufgeſucht wurden / die alle ihre Geſchicklichkeit in der Bildung eines Goͤtzens anzubringen ſuchten. Hier aber hau - et ein jeder ihm nach Belieben ſeinen Goͤtzen aus / ſchafft ihn wieder ab / und zerſtuͤmmelt ihn / oder wirfft ihn gar ins Feuer / wie ſeine Phan - taſie es ihm uͤberredet. Es war aber ſolches insgemein ein Klotz / woran ſie oben eine Runde / wie eines Menſchen-Kopff / ausgehauen / und ihm eine abgeſchmackte Naaſe / nebſt einer Ker - be in die Quaͤre, die den Mund bedeuten ſolte, formiret hatten.
§. 4. Die von ihren Vorfahren geerbte wa - ren meiſt von Ertz in der Figur einer Ganß / ei - ner Jungfer mit ausgeſtrecktem Arm, einer Schlangen und dergleichen / ſelbige waren kuͤnſtlich genug gegoſſen / und ſcheinet / daß ſie von denen ingenieuſen Chineſern an ſie gekom - men ſeyn muͤſſen. Andere aber haben gar keine Geſtalt; Denn es war ein dicker laͤnglichter Klotz auf der Erde gelegt, mit allerhand Lum - pen und Zeug bewunden, oben auf lag ein Stuͤck vom abgebrochenen Spiegel, welches von der Sonnen / wann ſie ſchiene / einen Schim - mer von ſich gab.
§. 5. Sothane Abgoͤtter ſtellen ſie auf erha - bene und nach Gelegenheit des Ortes luſtige Berge / ſetzen ſie insgemein in ein Haͤußgen vom Holtz im dicken Walde / wonebenſt eine klei - nere Huͤtte ſtehet / darinnen ſie die Knochen vom Geſchlachteten zuſammen tragen. Jedennochfin -46findet man in der Arth der Verehrung nichtes regulieres; Denn gleichwie bey denen Civiliſir - ten Heydniſchen Voͤlckern gewiſſe Stunden des Tages / oder auch wohl gantze Tage denen Ab - goͤttern zum Dienſte gewidmet waren, ſo rich - ten hingegen dieſe Leute ihre Andacht nach eige - nem Intereſſe ein / wann die Noth es erfordert, oder die Liebe zum Gewinſt ſie anſpornet / als - denn flehen ſie erſt die Goͤtzen an / um Erhaltung des Verlangten / oder auch um Errettung aus der obhandenen Gefahr; Gleichwohl treiben auch die Pfaffen das Volck an zum Goͤtzendien - ſte / und beſtraffen mit hefftigen Worten ihre Schlaͤffrigkeit und Unterlaſſung, wozu ſie dieſe perſuaſion gebrauchen / als haͤtten ſie von denen Goͤttern den muͤndlichen Befehl erhalten / daß ſie ihre Verehr - und Anruffung fleißiger ver - richteten, und die erzuͤrneten Goͤtzen mit etwas Leinwand, Dammaſch und anderen Bekleidun - gen wieder verſoͤhnen / oder ein Thier zum Opf - fer ſchlachten ſolten.
§. 6. Zu denen Pfaffen erwehlen ſie eigent - lich keine gewiſſe Perſohnen / ſondern ein jeder Haußvater oder der Aelteſte von der Familie, welcher ihm einen Klotz verfertiget / nahm ihm ſelber die Muͤhe, vor den Goͤtzendienſt zu ſorgen / und die gewoͤhnliche Ceremonien zu verrichten: geſtalt mit dem grauen Alter insgemein die Liebe zur Heiligkeit und dem Geitze zu wachſen pflegt / wann die wolluͤſtige Liebe auszutrocknen begin - net / im Fall aber dieſer ſolcher Unternehmun -gen47gen ſich ungeſchickt zu ſeyn bedeucht / finden ſich auch ſolche Leuthe / die aus Liebe zum Schmaro - tzen zu dieſem Handwercke ſich erbiethen / und durch oͤfftere Practicirung ſich gleichſam ſignali - ſiret haben. Jhre Geſchicklichkeit beſtehet dar - innen / daß ſie aus vollem Halſe / was von den Goͤtzen begehret wird / bey der Opfferung aus - ſchreyen / bey denen Wahrſagungen mit groſſer Standhafftigkeit das Tractament des Satans ausſtehen / und nachgehends dem thoͤrichten Volcke allerhand Fabeln und Gauckelſpiehle von der erhaltenen Antwort ausſchwatzen koͤn - nen.
§. 7. Selbiges Wahrſagen verrichten ſie nach der gemeinen Erzehlung folgender maſſen: Der Goͤtzen-Diener wirfft ſich gebunden auf der Erde nieder / erwartend mit verſtellten Ge - behrden die Beſitzung des Satans / der ihm zu - kuͤnfftige Dinge auf die ihm gegebene Fragen verkuͤndigen / einen Orth zeigen / wo ein pre - ticuſes Wild zu fangen / oder auch denen Streit-Sachen eine abhelffliche Maſſe geben ſolle. Waͤhrender Zeit ſtehen die / welche die Wahrſagungen verlangen / mit continuirlichem Heulen, und klingen auf den Becken und an - dern Geſchirren / die ein Getoͤs von ſich geben / um ihn herum, biß ſich ein blauer Dunſt / wel - cher vor den wahrſagenden Geiſt von ihnen ge - halten wird / weiſet / die Umſtehenden ausein - ander jagt / den Satans Diener ergreifft und nieder wirfft / nachdem er ihn in die Hoͤhe geho -ben;48ben; Da er mittlerweile ſo uͤbel zugerichtet wird, daß er in der Lebloſigkeit einer Stunden lang und noch laͤnger ſich quaͤlen muß / biß er zu voͤlligen Kraͤfften kommen / alsdenn er ſeinen Clienten die erhaltene Antwort vorſchwatzt und einen betruͤglichen Beſcheid auf ihre neugierige Fragen giebt.
§. 8. Wie ſchlecht aber dieſer unflaͤthige Geiſt die arme Einfaͤltige belohne / und wie er ihnen ſo theuer vor der Luͤgen die Wahrheit ver - kauffe / iſt leicht zu ermeſſen / weil jenes ſein E - lementiſt / womit er die gantze Welt benebelt / vor dieſer aber erſchrickt / weil ihre Bloͤſſe ihm ſeinen verdammlichen Zuſtand und den Ab - grund ſeiner Argheit aufdecket. Eine Zeitlang hatte der boͤſe Geiſt denen Goͤtzen-Dienern ein - gegeben / daß die, welche in der Gegend Sama - roff und Bereſova ihren Verbleib haben / ihm Pferde zum Opffer ſchaffen ſolten / welchem nach - zukommen ſie mit der groͤſten Muͤhe und uner - traͤglichen Unkoſten ihnen Pferde angeſchafft / bis ſie aller Mittel entbloͤſt / ſo tieff ſich in Schulden geſetzt / daß viele zuletzt ihre alte Lum - pen auf dem Leibe nicht behalten / ſondern mit ihrem groͤſten Schaden gewahr worden / was vor eine betriegliche Abſicht unter einer ſothanen Opfferung ſtecke.
§. 9. Allein wie betrieglich der Dienſt des Satans / ſo gefaͤhrlich iſt er auch; Er fuͤhrt zu - vor die Menſchen auf das ſchluͤpfferige ſo weit, daß ſie ſonder Quaal und Plage ſo leicht nichtvon49von ihm loß werden. Doch mercken ſie den Betrug gleichwol / und lehret ihnen ihr beyge - brachter Sch[a]de am Ende / was ſie vor einen Gaſt an ihm haben / dieſe arme Leute / ſo lange ſie ſich bey ihm befragten / wurden zum oͤfftern betrogen, und wann ſie meynten / daß nach der Auſſage des Pfaffen an angewieſenen Oertern das verlangte Wild / oder die Menge der Fiſche anzutreffen; ſo bemuͤheten ſie ſich aufs hoͤchſte in der Nachſuchung, funden aber gemeiniglich nichts. Welcher Betrug ſie zur revange auf - munterte, peitſchten und pruͤgeiten ihre ausge - hauene Goͤtzen gewaltig bey der Zuruͤckkunfft, biß ſie den Betrug genug reſſentirt zu haben ver - meynten; nachdem der Zorn voruͤber / ſoͤhneten ſie ſich wieder aus, hiengen ihm einen Umhang von oben beſchriebenem Zeuge an / und nahmen es nach Belieben / wann er wieder kein Wort gehalten; Es geſchahe aber hiedurch / daß ſie mit boͤſen Kranckheiten geplagt, und entweder ſie ſelbſt, oder auch ihre Kinder aufs grauſamſte gefoltert wurden.
§. 10. Die Ehrerbietung gegen die mit eige - nen Haͤnden gemachte Goͤtzen ſchiene nicht ſon - derlich zu ſeyn / die oͤffentliche aber verehrten ſie en general vielmehr / und ſchafften ſie nicht nach Belieben ab, ſondern wurden als bewaͤhrte Goͤtzen von Tag zu Tage beybehalten. So war auch das Vertrauen viel groͤſſer zu denen Alten / denn ſie bildeten ihnen ein, es haͤtte das Ertz oder der halb verfaulte Klotz mit denen un -Ddenck -50dencklichen Jahren auch unerforſchliche Weiß - heit geſchoͤpffet / und muͤſſe alſo was unſterbli - ches bey ihnen ſeyn / je weniger man von ihrer Verweſung in ſo verjahrter Zeit vernommen. Denen Kindern wurden auch dieſe zum aller - meiſten von ihren Eltern angeprieſen / geſtalt ſie von der Furcht und Liebe zu ihrem Schoͤpffer / als rude Voͤlcker wenig wuſten, und das Licht der Natur ſolches denen Klugen und Nachfor - ſchenden im Heydenthum nur entdecket / wes - falls die Philoſophi durch tieffes Nachſinnen erſt ergruͤndeten / daß der Schoͤpffer von der Creatur aus Danckbarkeit zu lieben und zu fuͤrchten ſey / wie dann ſothane Liebe in der Na - tur gegruͤndet, und in der Schoͤpffung dem Menſchen einpflantzt worden; Welcher geſtalt aber / daß die Pflicht und der Dienſt muͤſſe ein - gerichtet ſeyn, koͤnte ihnen die verarmete Ver - nunfft nicht anweiſen / denn jemehr man ſelbige zum Geiſtlichen fuͤhret / je blinder und tunckler ſie anzutreffen iſt / die Affecten aber ſcheinen zu der Erkaͤnntniß und Nachforſchung im Geiſtli - chen gar gefeſſelt zu ſeyn, ſolchergeſtalt / daß ſie mit aller Macht zu ſolcher Betrachtung anzu - treiben / und der Menſch von ihm ſelbſten die Widerſtrebung abzuhalten nicht faͤhig ſey.
§. 11. Zudem iſt des Menſchen Neigung ſo abgeſchmackt / daß er zur Zeit der Gefahr / oder obhandenen Schadens / nicht eben zu den bewehrten Mitteln, ſondern auch zu dem ge - ringſten Lebloſen, natuͤrlicher Weiſe lauffe, demer51er ſein Vertrauen widmet / wenn er von ſelbi - gem nur eine Huͤlffe / ſeiner perſuaſion nach / ver - muthend ſeyn kan. Dahero man taͤglich erfaͤh - ret, daß auch Chriſten aus einer unanſtaͤndlichen Neugierigkeit kuͤnfftiges zu wiſſen / oder damit ſie einer Gefahr zu entrinnen / oder auch zu ihrem Nutzen gelangen / ſo weit verfallen / daß ſie die Wahrſager befragen / auf Geſchrey der Voͤ - gel und leere Traͤume acht geben / ja wenn es muͤglich / bey ſothanen aͤngſtlichem Zuſtande eine Veraͤnderung nach ihrem Wunſch zu erlangen, bey den Lebloſen ſelbſt Huͤlffe ſuchen wuͤrden. Und ob es gleich nicht allezeit auf eine grobe Weiſe geſchicht, weil ſie die natuͤrliche Schan - de im Gewiſſen der Grobheit bezuͤchtiget / und ihnen zum Zeichen ihres Unfugs die Roͤhte auf den Wangen mahlet / ſo kan ſie es doch nicht verwehren / daß er auf eine ſubtilere Arth das Vertrauen von ſeinem Schoͤpffer zu den Huͤlflo - ſen Creaturen / und duͤrfftigen Deutungen o - der Zeichen wende, imgleichen / daß er durch puncten, die eine bebende Hand aufs Papier wirfft / eine Conſequence der kuͤnfftigen Bege - benheit zu erzwingen verſuche / in welcher Fin - ſterniß ſo viele kluge Koͤpffe ſtecken.
§. 12. Nun ſcheint zwar / daß der vernuͤnfftige Menſch / dem der weiſe Schoͤpffer eine geſunde Vernunfft eingepflantzt / wo ihn ſeine Augen und Sinnen nicht betriegen / den Schluß machen wer - de: daß / ſo fern die Vernunfft mit der Sache ſelbſt beſchaͤfftig ſeyn, und kein Gedancke auf der Man - nigfaltigkeit der puncten ausſchweiffen / noch dieD 2Hand /52Hand, wo ſie anfangen und endigen ſolle / anfuͤh - ren muͤſſe, (wo eꝛ andeꝛs ein richtiges facit haben will) der impetus animalis oder der Trieb / den der Menſch mit dem Vieh ſonder Wuͤrckung der vernuͤnfftigen Seelen gleich hat / (zum E - xempel, daß er den Arm ausſtreckt / ehe er ihn gedenckt auszuſtrecken / daß er den Fuß / ehe er gedenckt, zum gehen ausſetze / und dergleichen) die Hand alleine ruͤhre / und die Conſequence nicht aus der Wuͤrckung der vernuͤnfftigen See - len / die zur Fuͤhrung der Hand nichtes beytra - gen / ſondern aus einem Viehiſchen Triebe her - geleitet werde, alſo ſein Vertrauen auf was Unvernuͤnfftiges ſetze / das ihm den Ausſchlag ſeiner Begierden geben ſolle. Jmgleichen daß Holtz / Stein / oder Ertz / was er ſelbſten oder andere zu ſeiner itzigen Geſtalt mit groſſer Muͤ - he verholffen / ihm als ein unvermoͤgendes ſich ſelbſt nicht bilden / auch keiner Huͤlffe gewehren koͤnne; Anbey daß die Schlaͤge die er dem Ab - gotte zufuͤgt, von dem Lebloſen nicht gefuͤhlet, man muͤſſe ihm denn einbilden, daß der Satan, oder eine im Goͤtzen wohnende Krafft / ſelbige leide. Allein ſo ſagt auch die Vernunfft / daß ein geiſtliches Weſen eine ſolche Leidenſchafft zu empfinden nicht geſchickt ſey. Dahero er eine vergebliche Arbeit thaͤte / und ſich nur ſelbſt be - truͤge.
§. 13. Wer erfähret aber nicht in ſeinem gantzen Leben / daß wir armſelige Menſchen al - len Fleiß anwenden / wie wir uns zum inventi - euſeſten betruͤgen / und mit einem leeren Windeder53der ſchmeichelnden Hoffnung / unſere truͤbe Ge - dancken aus einander zu jagen emſig ſeyn? Weßfalls wir das Wahrſcheinliche vor dem wahrhafftigen Gute erwehlen. Und dis ruͤhrt daher, daß die Vernunfft in ſich ſelbſt verfin - ſtert / die ſtrebende Begierden in der Jrre tap - pen / die ſuͤſſe Einbildung aber / auch das ſchaͤdli - che / als wann es noch ſo tauglich waͤre / anneh - me. Dahero conſideriret der irrige Menſch nicht, von wem er Huͤlffe haben koͤnne, ſondern folgt ſeiner Einbildung / greifft zum Schatten / und laͤſt das Weſen fahren.
§. 14. Bey dem Opffer brauchen ſie folgen - de Ceremonien: Sie bringen entweder leben - dige Fiſche vor den Abgott / legen ſie eine Zeit - lang vor ihm nieder, kochen ſie nachgehends ab / und freſſen ſie ſelbſt auf / nur beſchmieren ſie das Maul des Goͤtzen mit dem Fiſch-Fett / oder ſie præſentiren ihm die mehr erwehnte Kleidungen, und verhuͤllen den Klotz damit; andere bringen zum Opffer Rennthiere oder Elende / und die, ſo die Tartern zu Nachbahren haben / Pferde / welche die arme Leute anſchaffen muͤſſen. Sel - biges Thier bringen ſie lebendig vor den Goͤtzen / alsdenn binden ſie ihm die Fuͤſſe / die Pfaffen ſchreyen aus vollem Halſe was ihr Begehren / und zu welchem Zweck ſie das Opffer bringen. Unter waͤhrenden ſolchem Singen ſtehet einer mit ausgeſpantem Bogen und aufgelegtem Schoſſe bey dem Opffer / und druckt ſelbigen nicht ehe loß / biß der Pfaffe nach vollendetemD 3Ge -54Geſange ihm den erſten Schlag vor den Kopff gegeben / der dritte wirfft ihm einen Spieß in den Bauch / und wann ſie es ſolcher geſtalt getoͤdtet / nehmen ſie das Pferd beym Schwantz / und zie - hen es 3. mahl um den Goͤtzen / das Bluth zapf - fen ſie vom Hertzen ab in ein darzu geweyhetes Gefaͤſſe / beſprengen damit ihre Huͤtten, ſauf - fen auch ſelbſt davon, und mit dem Reſt be - ſchmieren ſie das Maul des Goͤtzen. Die Haut des geſchlachteten Viehes hangen ſie zum Zier - raht auf Baͤume, mit dem Kopff / Schwantz und Fuͤſſen / das Fleiſch kochen ſie, und verzehren es mit der groͤſten Freude / ſingen dabey aller - hand leichtfertige Lieder / und beſchmieren letzlich wieder das Maul des Goͤtzen mit dem Fette des Geſchlachteten. Was ſie nicht verzehren koͤn - nen / nehmen ſie mit nach Hauſe / verehren es an ihre Nachbarn / oder geben es ihren Wei - bern zu freſſen / die nicht mit bey der Opfferung geweſen / der Haußgoͤtze bekommt auch zuwei - len ein fettes Maul davon. Nachdem die Mahlzeit vollbracht, ſchlagen ſie mit Stecken in die Lufft / und ſchreyen wieder aus vollem Hal - ſe / womit ſie den getractirten Geiſt des Goͤtzen wieder nach der Lufft convoyren / und ihm gleichſam dancken / daß er mit ihrem tractament verlieb nehmen wollen.
§. 15. Wann der Mann ſeinen Weibern abgeſtorben / und ſie ſonderlich beweiſen wol - len / wie ſchmertzlich der Tod ihres Geliebten ihnen geweſen / machen ſie ihnen einen Abgott /zie -55ziehen ihm die Bekleidung des Verſtorbenen an, und nehmen ſelbigen des Nachts in ihre Ar - men / des Tages aber ſtellen ſie ihn vor ihre Au - gen / und beweinen in der Geſtalt des Goͤtzen ih - ren verſtorbenen Mann. Dis continuiren ſie ein gantzes Jahr, und wann ſelbiges verfloſſen / nehmen ſie die Kleider und umgewundene Lum - pen wieder zuruͤck / und werffen den Goͤtzen biß auf eine kuͤnfftige Benoͤhtigung bey ſei - te. Woferne aber dieſe Ceremonien von etli - chen Weibern nicht ſo ſtreng in acht genommen werden / halten die andern ſie vor leichtfertig / und blamiren ſie, daß ſie ihrem Manne bey Leb - zeiten untreu geweſen / und nicht nach Gebuͤhr geliebt haben.
§. 16. Nachdem ſie einen Baͤren erſchla - gen / ziehen ſie ihm die Haut ab / hangen ſie bey dem Goͤtzen / auf einen erhahenen Baum, und thun derſelbigen eine groſſe Verehrung an / ent - ſchuldigen ſich mit einem lauten Geplaͤr und ver - ſtelltem Klagen / daß ſie nicht Schuld an ſeinem Tode / ſie haͤtten das Eiſen / womit er getoͤdtet / nicht geſchmiedet, noch den Pfeil gefiedert / es waͤren auch nicht ihre / ſondern fremder Voͤ - gel Federn / die die Flucht des Pfeiles ſo ſchnell gemacht / ſie bitten um Vergebung, daß ſie nur den Pfeil abgedruͤckt, der ihn getroffen. Die Urſache dieſer Excuſe iſt die Furcht / die ſie ih - nen einbilden / es koͤnne die vernuͤnfftige Seele des Baͤren ihnen in den Waͤldern / noch ſcha - den, und muͤſten ſie ſich bey Zeiten mit der See -D 4len56len ausſoͤhnen / daß ſie den Coͤrper zu raͤumen ihr angemuhtet / woferne ſie nicht von ihr ange - taſtet und beſchaͤdiget ſeyn wolten.
§. 17. Werden ſie der hohen Landes-Obrig - keit an den verordinirten Woiwoden den Eyd der Treue zu ſchweren angehalten / ſo fuͤhrt man ſie auf die Gerichts-Stube / und legt ihnen vor eine Baͤren-Haut und Beil, imgleichen præ - ſentiret man ihnen ein Stuͤck Brodt auf einem Meſſer zu eſſen / dabey huldigen ſie mit folgen - den formalien: Woferne ich meiner hohen Lan - des-Obrigkeit biß an mein Ende nicht getreu ſeyn ſolte / ſondern mit Wiſſen und Willen ob - truͤnnig wuͤrde / meine mir auferlegte Pflicht richtig abzutragen mir entzoͤge / und ſonſten auf irgend eine Weiſe mich gegen der hohen Ma - jeſtaͤt verbreche / ſo ſoll dieſer Baͤr in denen Waͤldern mich zerreiſſen / dis Brodt das ich ge - nieſſe / im Halſe beſtecken bleiben, dis Meſſer mich toͤdten / und dis Beil meinen Kopff herun - ter hauen.
§. 18. Unter ihnen ſelbſten / wann eine Streitigkeit ſoll geſchlichtet werden, erwehlen ſie von beyden Parthen einige Schieds-Leute, welchen ſie ihre ſtrittige Sachen vortragen / und wann ſie wegen zweifelhaffter Umſtaͤnde zur end - lichen Entſcheidung nicht kommen koͤnnen, wird einem von ihnen, nach Gutduͤncken der Arbitran - ten / der Eyd aufgelegt / den ſie folgender Geſtalt leſten: Es wird zuvor der Schwerende zum Goͤtzen gefuͤhret / und wegen des Meineydes eꝛnſt -lich57lich vermahnt, anbey ſtellen ſie ihm die Exempel des geſtrafften Meineyds vor / hernach wird ihm ein Meſſer gegeben, womit er dem Goͤtzen die Naſe beſchneidet / imgleichen ein Beil / mit welchem er in denſelben hauet, mit dieſen Ex - presſionen: Woferne ich unrecht in dieſer Streit-Sache ſchwere, und nicht die reine Wahrheit bekenne / ſo will ich auf gleiche Wei - ſe, daß mir meine Naſe abgeſchnitten werde, oder verfaule / daß dis Beil / womit ich den Hieb verrichte / mich gleicher Geſtalt zerſtuͤm - le / daß der Baͤr im Walde mich zerreiſſe / und das Ungluͤck an allen Orthen mich verfolge.
§. 19. Eben dieſe Ceremonien gebrauchen ſie auch, wann der Zeuge bewaͤhren ſoll / was ihm in der Sache bekannt. Und ob gleich eini - ge von der Boßheit geweſen / daß ſie entweder falſch vor einem andern gezeuget, oder ihnen mit Unrecht entweder an - oder etwas abgeſchworen / ſo iſt ihnen die Straffe ſo fort darauf gefolget / daß ſie GOttes Gericht handgreiflich erkennen / wie ernſthafft er den Meineyd ſtraffe / und der Luͤ - gen feind ſey. Unter andern Exempeln iſt ſehr merckwuͤrdig / daß einer von dieſem Volcke leichtfertiger Weiſe oͤffters geſchworen / und ob - gleich ſein Meineyd durch die Laͤnge der Zeit ent - deckt geworden / hat er ſich doch wenig wegen der Straffe, die er ihm ſelbſt bey Verrichtung des Eydes angewuͤnſchet / bekuͤmmert / zumah - len ſelbige ihn in ſeinem Leben nicht getroffen. Nachdem er aber Anno 1713. geſtorben / undD 5von58von ſeinen Befreundten am Ufer im Sande tieff verſcharrt geworden, hat ſich ein Baͤr gar oͤffters gewieſen / welcher denen andern Leuten keinen Schaden zugefuͤget / auch von der Viel - heit der Hunde nicht hat koͤnnen abgetrieben werden / immittelſt aber die Stelle des Be - grabenen nachgeſpuͤhrt / biß er ſelbige dis Jahr im Ausgange Julii gefunden, den Coͤrper aus der tieffen Erden ausgekratzet, und ihm das Geſichte / in welches er den Scheitan bey geleiſte - tem Eyde oͤffter gehauen / ſamt den Haͤnden / womit er den Hieb vollfuͤhret / abgefreſſen / nachgehends aber ſich niemahlen wieder gewie - ſen hat. Die Leuthe / welche auf der Naͤhe ihre Jurthen hatten / erzehlten dem Metropoliten in meinem Beyſeyn dieſe Umſtaͤnde / mit der groͤ - ſten Beſtuͤrtzung / und weilen ſie im 1713. Jahr bereits getaufft waren / in dem vorigen Stande aber ſolche fremde Begebenheiten nicht erlebet hatten / ſchienen ſie daruͤber ziemlich confus zu ſeyn.
§. 20. Die Anzahl der Goͤtzen oder Schei -[r]anen iſt unmoͤglich zu berechnen, weil ein jeder ihm ſeinen particulairen bildet / auch die Wei - ber in ihren Jurthen a parte Hauß-Goͤtzen hat - ten, als ſie noch im Heydenthum lebten / doch waren in allem nur 3. die ſie vor die bewehrteſten hielten. Zwey ſtunden neben einander in den Biehorkiſchen Jurthen oder Huͤtten, davon der eine / welcher keinen Nahmen hatte / der aller - vornehmſte von ſie allen war. Dieſem Abgotttha -59thaten ſie die groͤſte Ehre an / und lieffen zu ihm / ſeine Huͤlffe in allen Begebenheiten zu erbitten. Seine Geſtalt kan man wohl nicht eigentlich be - ſchreiben / weiln diß blinde Volck aus Furcht / daß er nicht verbrandt wuͤrde, ihn aus dem Wege geſchafft, als ſie den Bericht erhielten / daß der Ertz-Biſchoff, der ſie auf allergnaͤdig - ſten Befehl Jhro Czaariſchen Majeſte tauffen ſolte, in der Naͤhe waͤre. Doch bemercken ſie ihn in ihren Erzehlungen folgender maſſen: Er ſey aus Holtz / auf eine / nach ihrer Gewohnheit / rude Arth / ſonder Leib gebildet, und eine Figur eines Menſchen-Kopffs am Ende des Klotzes ausgehauen geweſen / den Klotz ſelbſten haͤtten ſie mit einem rothen Kleide behangen / woran auch andre ihre Lumpen und Stuͤcke / die ſie die - ſem Scheitan widmen wollen / gehefftet. Auf dem Kopffe aber ſey ihm eine Muͤtze mit einem koſtbahren Brehm von Fuchsſchwaͤntzen beſetzt geweſen.
§. 21. Der andere Scheitan, ſo nechſt bey ihm ſtunde / war eine Ganß aus Ertz gegoſſen, mit ausgebreiteten Fluͤgeln; ſie wurde lange nicht ſo hoch æſtimiret als der vorige, ohngeach - tet er aus Ertz war / denn der Hoͤltzerne war aͤl - ter, und alſo verſtaͤndiger und probirter, als die Ganß, zudem hatte ſie nur Inſpection uͤber Enten / Gaͤnſe und ander Feder-Vieh / welche Herrſchafft nicht eben von groſſer Conſequence. Wenn ſie nun appetit hatten wilde Gaͤnſe zu eſ - ſen, ſo opfferten ſie der Ganß, oder verſprachenihr /60ihr / wenn ſie durch ihre Huͤlffe Feder-Vieh er - haſchen koͤnnen / ein fettes Maul von dem ge - fangenen zu machen, geſtalt ſie glauben / es ja - ge ihnen die Ganß das Feder-Wild zu. Jm - gleichen daß ſie uͤber die ſchlechte Zobeln zu ſa - gen haben, und ſelbige ihnen zu lieffern vermoͤ - gend waͤre; Es haͤtten aber die naͤchſt beyſte - hende die Herrſchafft uͤber ihr (die Ganß) und commendire ſie nach ſeinem Willen: Auch muͤ - ſte ſie ſich fertig halten / wenn er Luſt zu prome - niren haͤtte / ſo ſetzte er ſich auf ihre Fluͤgel, und begebe ſich an den Orth, dahin er verlange.
§. 22. Den dritten betitulirten ſie mit dem Nahmen Starick Obskii, der Obiſche, Alte. Er ſtund dismahl gegen dem Flecken Samaroff uͤber / und hatte er zwey Wohnungen, die eine war Samaroff, die andere bey dem Ausfluß / wie erwehnet / unweit der Jurthis in dem Obi. Sie veraͤnderten alle 3. Jahr ſein Behaͤltnis / und nachdem er 3. Jahr bey Samaroff geſtanden, fuͤhrten ſie ihn in einem a parten Bohte / ihrer Arth nach mit groſſen Solennitæten zu der andern Huͤtten / die am Obi ſtunde. Dieſen glaubten ſie einen Goͤtzen der Fiſche zu ſeyn / zumahlen er alle Fiſche aus dem Meer in den Obi und ihnen zufuͤhren koͤnne. Er war hoͤltzern, und hatte ei - nen groſſen Ruͤſſel mit Eiſen beſchlagen, welches die Bedeutung hatte / daß er da - mit koͤnne die Fiſche aus dem Meer zu dem Obi ziehen. Auf dem Kopffe ſtunden ihm 2. kleine Hoͤrner / Augen aber hat er von Glaß / wasdis61dieß zu bedeuten / wiſſen ſie ſelbſt nicht zu de - monſtriren; Bey ihm legten ſie ihre Pantzer / die den Sieg / welchen er uͤber alle Meer-Goͤt - ter erhalten / vorſtellen / und daß kein groͤſſer Goͤtze auf dem Meer ohne ihn regiere. Wenn das Eyß begunte zu brechen / und die Stroͤhme ſich ergoſſen, kamen ſie zum haͤuffigſten zu die - ſem Scheitan, ein jeder der ſich aufmachte / Fiſch zu fangen / bate / daß er ihm einen guten Fang gewehren / und die Fiſche aus dem Meer nach ſeinem Willen leiten wolle. Es geſchehen dieſe Bitten nicht allezeit mit einer Demuth, ſondern ſie erpochten auch von ihm die Gewehrung / maſſen ein Klotz keinem ſo leicht eine Furcht ein - jaget, zudem alle ihre Verehrungen aus purem Intereſſe geſchahen / auſſer welchem ſie nimmer - mehr zu den Goͤtzen lauffen wuͤrden. Doch war ſolches Pochen gleichwohl mit einem Schein der Demuth untereinander Abwechſe - lungs Weiſe vermiſcht / welchen die Liebe zum Gewinſt / nach der Groͤſſe ihres hefftigen Ver - langens / wuͤrckte; waren ſie denn ſo gluͤcklich / daß ſie eine Menge der Fiſche hatten beſchloſſen und gefangen / ſo bildeten ſie ihnen ein, ſelbiges waͤre durch ihr Pochen und ernſtliches Bitten erſtritten. Die Erſtlinge / ſonderlich wenn ſie einen Fiſch fiengen / den ſie Nelm nennen / und dem Lachſe gar nahe kommt, brachten ſie dem Stara Obskii zum Opffer: Sie ſelbſten ge - noſſen zwar der Fiſche / allein mit dem Fiſch-Fett beſchmierten ſie ihm den Mund und die Lippen,da -62dahero alle die Scheitanen, ob ſie wohl nicht ſo hoch von ihnen æſtimiret wurden, man ſie doch mit beſchmutzten und glaͤntzenden Maͤulern an - antraff / und ein jeglicher mit ſchmutzigem Mun - de aus der Huͤtten guckte.
§. 23. Nach aufgehobenem Panquet ſchlu - gen ſie mit Stoͤcken, nach Gewohnheit in die Lufft, und convoyrten den Geiſt wieder nach ſei - nem Element. Wenn ſie aber ungluͤcklich in ihrem Fangen waren, und nach offenem Waſ - ſer ſo fort nicht nach ihrem Willen von denen Fi - ſchen aus dem Meer erhielten / bunden ſie dem Goͤtzen einen Strick am Halß / und wurffen ihn in ein unflaͤtiges Loch / peitſchten ihn zuvor / und worffen mit unempfindlichen Schelt-Woͤr - tern um ſich / daß er entweder geſchlaffen / wie er von ihnen ſey angeruffen worden / oder daß er nicht mehr zum Goͤtzen tauge / vielleicht daß ihm die Kraͤffte mit den Jahren abnehmen / ihren Vor-Eltern haͤtte er noch groſſe Dienſte gethan / nun wuͤrde er faul und unvermoͤgend. Sie ſpo - lirten ihn auch aller Bekleidung, und ruͤckten ihm auf / daß ſie gleichwohl in groſſen Hunger und Mangel ſeiner verboſten Nachlaͤßigkeit hal - ber gerahten waͤren. Jn ſolchem Loche wurde er ſo lange arreſtiret gehalten, und mit den ſchmaͤlichſten und unverdaulichſten Worten zu - geſetzt / biß ſie von ohngefehr nach der Jahrzeit die Fiſche aus dem Meer wieder fiengen, als - denn vergaſſen ſie alles zugewandte Hertzeleid, nahmen den geſchimpfften Goͤtzen wieder ausder63der garſtigen Verwahrung / wuſchen ihn ab / und nachdem ſie ihn mit den ordinairen Be - kleidungen behangen / ſetzten ſie ihn an den ge - woͤhnlichen Orth / und gaben ihm auch wohl zur Verſoͤhnung ein fettes Maul.
Von dem Anfange der Be - kehrung der Oſtiacken zur Chriſtli - chen Griechiſchen Reli - gion &c.
§. 1.
JN ſolchem bejammerden Zuſtande lebten dieſe Leute bißhero / und ſchiene faſt kei - ne Huͤlffe zu ſeyn / vermittelſt welcher ihnen die Augen geoͤffnet wuͤrden / daß ſie von dem Satan zu GOtt koͤnten gefuͤhret werden. Das Reich China erregte dem Fran - ciſco Xaverio den appetit, daſelbſt bey gelehrten und ſcharffſinnigen Leuten das Werck der Be - kehrung zu treiben / und ſeinen Nachkoͤmmlin - gen Kloͤſter zu ſtifften; Allein er wolte ſich nicht bemuͤhen, die angelegenſten Oerter der Welt durchzukriechen / und die in denen Wildniſſen irrende Schaffe aufzuſuchen. Das Land iſt viel zu unluſtig / der herbe Nord-Wind allzu -kalt /64kalt / und die Armuth der elenden Einwohner, ſamt den grasſirenden freßigen Kranckheiten / benehmen allen appetit, daß alſo ein jeder fro - ſtig ſeyn wuͤrde / dieſe unluſtige Reiſe zu wagen / und um den Schaden Joſephs bekuͤmmert zu ſeyn. Dennoch gefiehl es dem groſſen GOtt ein Werckzeug auszuruͤſten / daß dieſe muͤhſeli - ge Menſchen zur andern Erkaͤnntniß gebracht wurden.
§. 2. Jn der Haupt-Stadt Siberiens war dazumahl Ertz-Biſchoff / Seine Eminenz, der Hoch Ehrwuͤrdige und Hoͤchſtandaͤchtige P. Phi - lotæus; Seibiger hatte im Anfang ſeiner geiſtli - chen Wuͤrde einen ſonderlichen innerlichen An - trieb, die Herumliegende zum Chriſtlichen Glau - ben zu bringen; Wannenhero er ihm angele - gen ſeyn ließ / ſeine Misſionarios nach den Mon - galen und ihrem vornehmſten Prieſter Kutuchta zu ſenden; Wobey er ihnen adſociirte zwey ſeiner Bedienten / die die Mongalſche Leſ - und Schreib - Arth nebſt der Sprache lernen ſolten.
§. 3. Kutuchta wird von denen Mongalen, Contaiſiſchen, Ajukaiſchen und Buchariſchen Voͤlckern / als ihr[Hoherpreſter] hoch und heilig gehalten; eine Menge Soldaten begleiteten ihn / gleichwie auch ſeine Pfaffen / die ſie La - maen nennen / ihm zur Hand gehen. Dieſe Heyden ſind eben ſolche Goͤtzen-Diener / wie die meiſten Chineſer und Jndianer, derer obriſter Pfaffe genannt wird Dalailama, der wie einErtz -65Ertz-Biſchoff und oberſter Prieſter dem Ku - tuchta, als ſeinem Biſchoff, vor einiger Zeit ein Geſetz / und zu dieſen Voͤlckern / weil er die Menge allein zu beſtreiten ſich unfaͤhig geur - theilet / geſandt, doch ſo / daß er ſeine Depen - dence von ihm hatte, welcher Kutuchta aber vor kurtzer Zeit ſich entzogen / und ſich nunmehro von dem Volck als ein obriſter Prieſter vereh - ren laͤſt. Dalailama hat ſeinen Verbleib auſ - ſerhalb der Chineſiſchen Mauer / jenſeit der letz - ten Rußiſchen Stadt Selinga; und an der an - dern Seite einer See / die ſie Baikæ More nen - nen.
§. 4. Gleichwie nun die Mongalen ſich nicht an einem Orte aufhalten / ſondern des Win - ters in Gezelten von Filtz, die ſie Woiloken nennen / des Sommers aber in Seyden und Sammeten leben / und ſelbige an beliebigen Oer - tern aufſchlagen / alſo ihre Lager-Staͤte und Wohnungen taͤglich oder nach Verflieſſung ei - niger Zeit veraͤndern; So hat auch Kutuchta keinen gewiſſen Ort zu ſeiner Reſidence, ſon - dern ziehet hin mit trefflichen Gezeltern, und einer anſehnlichen Menge ſeiner Solda - ten / wo er ſeinem Gutduͤncken nach einen luſti - gen Ort antrifft / er fuͤhrt die gewoͤhnliche Ab - goͤtter, und ſonderlich die, welche das Volck am hoͤchſten verehrt / mit ſich / und ſetzet ſelbige in a parte Gezelter.
E§. 5.66§. 5. Das gemeine Volck bildet ſich ein / daß er ſich alle neue Mond verjuͤngere / bey denen alten Vor-Eltern. Allein die Misſio - narii des Metropoliten erwehnen / daß weil ſie ſonderliche Liebe von ihm genoſſen / und die audience nach Verlangen haben koͤnnen / ſie es eigentlich remarquiret / daß er biß zum al - ten Mond ſeinen grauen Bahrt wachſen laſſe / und ein falſches klatterichtes Haar / das ihm eine alte Geſtalt mache, im alten Mond auf - ſetze / ſo bald aber das neue Licht zu ſcheinen be - ginnet / den alten Bahrt abſchneide / und ſich im Geſichte roth und weiß / gleich dem weib - lichen Geſchlechte in Rußland, ſchmincke und anmahle. Sie ſtatuiren Metemplychoſin Pythagoricam, und glauben / daß des Men - ſchen Seele nach dem Tode in ein Thier o - der Menſchen wieder einziehe, weßfalls ſie nicht gerne einen Vogel oder ander Thier er - ſchlagen / aus Furcht / ſie moͤchten ihre Vor - Eltern in ihnen ertoͤdten; Woferne ſie aber der Creatur gleichwohl das Leben nehmen, haben ſie die Abſicht, die Seele avanciren zu machen; ſonſten ziehe des Menſchen Seele, wenn er in ſeinem Leben ſchweiniſch geweſt, in ein Schwein wieder ein u. ſ. w. biß ſie ſich durch vielfaͤltige Veraͤnderung endlich einen Menſchen zu beziehen geſchickt mache. Die von mehrerm Nachſinnen / halten eigentlich nicht dafuͤr / daß die Seele aus einem Coͤrperin67in den andern fahre / ſondern die Wuͤrckun - gen derſelben; Des Kutuchtæ Seele aber zie - he von einem Kutuchta zum andern / ſolcher Geſtalt / daß / weil noch bey ſeinen Lebzeiten ein ander, der ihm ſuccediren ſoll / erwehlet wird / und ihm jederzeit zum nechſten iſt / die Kraͤffte und Eigenſchafften der Seele des Alten / dem jungen Nachfolger / nach ſeinem Tode wieder einverleibt werden, und des Jungen Seele durch den Umgang mit dem Alten bey ſeinem Leben bequem gemacht werde, den Verſtand und die Gemuͤths-Gaben nach ſeinem Tode deſto beſſer zu faſſen und zu beherbergen.
§. 6. Wenn er ſich dem Volck zeiget / er - hebt er ſich unter dem Schall ſo vieler Trom - peten und Paucken nach einem praͤchtigen Sammeten Gezelte / worinnen ein erhabenes Kuͤſſen mit vielen niedrigen an der Runde ſte - het. Wenn er ſich umkehret zum ſitzen / und ſeinen Platz eingenommen / hoͤren die Paucken und Trompeten auf / und ſetzen ſich ſeine Prie - ſter oder Lamaen bey ihm in der Runde. Dieſem jetzigen Kutuchta ſitzt ſeine Schweſter, die auch eine Lama geworden / und gantz kahl beſchoren nach Arth der Lamaen, zur Rechten / die uͤbrige Lamaen werffen ein Kraut / das wir Poſt nennen / auf ihre Rauchfaͤſſer / und be - raͤuchern erſtlich den Goͤtzen, nachgehends den Kutuchta, und ferner das Volck / letzlich brin -E 2gen68gen ſie das Rauchfaß vor den oberſten Prie - ſter, und die Vornehmſten von ihrem Orden ſetzen ſieben Schalen des feinſten Porcellains vor den Goͤtzen / und ſieben vor ihn; Sel - bige ſind gefuͤllet mit weiſem Honig / Zucker / Meth / Brandtwein / Thee, Milch und Wein / oder in der Stelle legen ſie eingemachte can - diſirte Sachen. Das Volck rufft dabey mit lauter Stimme: Ge Gen Kutuchta, d.i. Kutuch - ta iſt ein heller Paradies.
§. 7. Unter andern Fragen, die er den Misſionarien gethan, iſt dieſe ziemlich laͤcher - lich / (Erbarmens wuͤrdig) daß er von ihnen begehret zu wiſſen / die Zahl derer die geſtorben waͤren / ſie haben ihm aber verſetzt: Daß ſie von ihm zu wiſſen verlangten die Zahl derer die noch lebten. Worauf er geantwortet / er koͤn - te es nicht wiſſen / maſſen die Welt ſehr groß ſey, und in dieſem Augenblick, daß er die Zahl determinire, koͤnten wieder welche gebohren werden. Die Misſionaires hatten repliciret: Es waͤre einerley Beſchaffenheit mit denen die geſtorben waͤren: Womit er zufrieden ge - weſt.
§. 8. Nachdem nun dieſe Bemuͤhung ſeinen vorgeſetzten Zweck nicht erreichte, und der Metropolit in ſeinem Alter die Regierung des Ertz-Biſchoffthums ablegte / hingegen ſei - nen Stand in eines Einſiedlers verwandelte /war69war er intentionirt, ſich nach dem Kioviſchen Klo - ſter, welchem er ſeine Jugend gewidmet ge - habt, zu verfuͤgen / und daſelbſt ſein Leben zu beſchlieſſen. Allein er wurde durch den Durchl. Fuͤrſten und Gouverneuren Siberiens, Knees Matphei Petrowitz Gagarin beweglich erſucht, dis ſein Gouvernement ſobald nicht zu quittiren / ſondern eine Zeitlang ſich daſelbſt noch aufzuhalten; Dieſem leutſeligen Herrn / der durch ſein genereuſes Gemuͤth ihm einen je - den verbindlich gemacht / zu willfahren / bat er ihm die Freyheit aus / die Oſtiacken aus dem Heydenthum zu ſeiner Religion zu bringen. Welches ihm denn um deſto mehr gewaͤhret wurde / je mehr die Abſicht Jhro Groß-Czaa - riſchen Majeſtaͤt dahin geziehlet geweſen.
§ 9. Dieſes Vornehmen ins Werck zu ſetzen, war keine fertige Arbeit, vielweniger ge - ziemte es ſich mit geſtieffelten Evangeliſten / wie heutiges Tages die Gewohnheit zu refor - miren / ſondern er begab ſich mit einigen Geiſtlichen an die Oerter / da ſie ihre vor - nehmſte Abgoͤtter ſtehen hatten: Und weil das Volck daſelbſt zuſammen kam / zeigte er ihnen die groſſe Thorheit, ein hoͤltzernes Bild zu ehren / und wieß ſie auf den warhafftigen GOTT / dem allein die Anbetung zukaͤme.
§. 10. Ob nun gleich der Dienſt des Sa - tans in ſeinen Kindern muͤhſam und ſchaͤdlich,E 3ſo70ſo ſuchen ſie gleichwol ihren gefaͤhrlichen Zu - ſtand und die Kranckheit der Seelen nicht zu changiren / ohngeachtet die einfaͤltige Men - ſchen den Betrug des Boͤſewichts mehr als zu wohl erkennen / ſondern defendiren ihre Blindheit, wie ihr Leben ſelbſt, allermaſſen die Liebe zum Alterthum ihnen die Veraͤnde - rung nicht zulaͤſt / als die ihnen weiß macht, es haͤtten gleichwol ihre Vaͤter und Vor-Vaͤ - ter von undencklichen Jahren keinem andern geopffert / noch angebetet / haͤtten ſich auch ziemlich wohl / ihrer Einbildung nach / dabey be - funden. (Derſelbige Greuel haͤngt uns / die wir wollen Chriſten ſeyn / ziemlich an / daß wir uns auch nach der Vorfahren Exempel richten wollen, und zwar nach ihrer Boß - heit; Wuͤrden wir aber ſolches fahren laſſen / und ein neues Leben anfangen / ſo moͤchte uns bald geholffen werden.) Der Dienſt des Schei - tans waͤre ihnen zum beſten gewohnt / und ſey es ihnen zutraͤglicher / daß ſie bey dem / was ſie von Jugend auf geſehen und gehoͤret / verbleiben / als eine ſolche Veraͤnderung er - wehlen / darinnen ſie den Zuſtand ihrer Vor - fahren gefaͤhrlich, und ihre Seelen verdammt halten muͤſten. (iſt eben die Antwort ſo ge - meiniglich von denen Maul-Chriſten auf treue Warnung / das Leben zu aͤndern / erfolget) Solche und dergleichen Entſchuldigungen ſetz - ten ſie denen Ermahnungen des Metropolitenent -71entgegen / und reſolvirten ſich zuletzt ihr Le - ben lieber dabey zu zuſetzen / als das gering - ſte von ihren vorigen Gewohnheiten zu ver - geben.
§. 11. Der Anfang wurde gemacht Anno 1712. bey Samaroff, woſelbſt ſie ihren Fiſch - Goͤtzen, den ſie / wie erwehnt Starick Obskoi nannten, vor dißmahl ſiehen hatten / das Volck war zu allen Beredungen taub, und wolte von keiner Veraͤnderung, vielweniger von der Abſchaffung ihres uhralten Goͤtzens / der ihnen und ihren Vaͤtern die Menge der Fiſche verſchafft / den ſie auch mit ſchimpfli - chen und heßlichen Tractamenten zu ihrem Willen bringen konten / wiſſen, vielmehr verbunden ſie ſich mit Gewalt und Aufſetzung ihres Lebens ihn beyzubehalten. Gleichwie aber das menſchliche Gemuͤth denen Verneu - erungen nicht ſo gar abhold / ſo fiengen ſie all - gemaͤchlich an in ihren Neigungen zweiffelhafft zu werden, und aufmerckſamer die Vermah - nungen anzuhoͤren. Dahero ſie es denn end - lich geſchehen lieſſen / daß ihr Goͤtze dem Feuer geopffert und verbrandt wurde.
§. 12. Damit ſie aber auch dis Ungeheu - er nicht ſo platterdinges quittirten / ſondern von ihm gleichwol ein Andencken behielten, machten einige unter ihnen ein falſches Ge - ſchrey ruchtbar / als haͤtten ſie vermerckt / daßE 4ein72ein weiſſer Schwan im Feuer / worinnen das Abendtheuer verbrandt wurde, ſich haͤtte ſe - hen laſſen / ſelbiger waͤre mit der Flamme im Rauch in die Lufft geflogen / und dis waͤre der Geiſt / den ſie und ihre Vorfahren in dem ungeſchickten Klotze verehret haͤtten. Weiln aber von dem Gefolge des Metropoliten kei - ner das geringſte davon remarquiret / und wie die Sache weiter nachgefraget wurde, auch die Uhrheber dieſer Fabel kaum wolten zu er - kennen geben, ſo wurde der leere Wahn de - nen einfaͤltigen Leuten deſto eher benommen, je kuͤrtzer Fuͤſſe die Luͤgen zu haben pfleget.
§. 13. Doch war dis Feuer ſo bald nicht geſtillet, als die weiter abgelegene ſich feſter vornahmen, ihre liebe Goͤtzen vor ſo ſchlech - ten Preiß nicht von ſich zu laſſen, ſondern mit geſamter Hand abzuwehren / daß dem heili - gen Alterthum keine Gewalt geſchaͤhe / und hierzu wurden ſie veranlaſſet durch einige Pfaffen aus ihrem Mittel / welche bey ihrem Wahrſagen vom Scheitan die Vertroͤſtung erhielten, daß ſie ſich nur freymuͤthig zur Ge - genwehr ſtellen moͤchten / auch ſpargirten ſie / es haͤtte der Scheitan ſelbſt vor acht Tagen, vor des Metropoliten Ankunfft aus dem Klo - tze geredet / und ſie ermahnet / daß ſie ſich nicht ergeben, ſondern feſt an ihm ſich halten ſolten / er ſelbſt wolle ſich wohl defendiren /und73und alle Unternehmungen der Chriſten Krafft - loß machen. Es war der Biſchoff, nachdem er die vorigen auf gedachte Art beſaͤnfftiget, und den Alten von dem Obi〈…〉〈…〉 Strohm ver - brandt / weiter hinaus biß an die Schorhau - ſche Jurthen avanciret, woſelbſt er dieſen Ab - gott antraff / welcher ſolcher geſtalt das Volck inſtigiret haben ſolte. Selbiges verſammle - te ſich zu einer gewaltſamen Unternehmung / allein ſie wurden durch die Motiven dieſes Mannes in kurtzem zu ſolchen Gedancken ge - bracht, daß ſie zulieſſen / auch dieſen Goͤtzen dem Feuer zu widmen.
§. 14. Der Weg wurde weiter nach einem Kloſter fortgeſetzt, welches den Nahmen Kotskoi hat / daſelbſt hatte vor Zeiten ein reicher Oſtiack gewohnet / welcher nachgehends zur Rußiſchen Kirche ſich bekant. Umb ſelbiges Kloſter wohne - ten etliche wenige Ruſſen / die meiſten aber wa - ren Oſtiacken, und dem Heydenthum zugethan; Dieſe ließ der Biſchoff zu ſich kommen / und un - terwieſe ſie in den Lehr-Setzen ſeiner Religion, hingegen zeigte er ihnen den gefaͤhrlichen Dienſt, welchen ſie dem Satan erwieſen, worinnen ihre arme Seele periclitirte, was hingegen vor ein ewiges Leben, die, welche Chriſto anhiengen / zu gewarten haͤtten; Es fand ſich unter ihnen ein Knees, Nahmens Alatſcho, welcher ſeinen Uhrſprung aus der uhralten Familie derer Be -E 5fehls -74fehlshaber dieſes Volcks herfuͤhrete / dieſer hatte der Ermahnung des Biſchoffs / weil er ziemlich Rußiſch verſtunde / eine Zeit lang mit groſſer Auffmerckſamkeit zugehoͤret / und wurde in ſei - nem Gewiſſen ſo uͤberzeuget, daß er umb mehre - re Information und Erleuchtung anhielte. Es gab ihm der Metropolit unter andern auch zu verſtehen / daß die gantze Rußiſche Nation auch vor Zeiten in dem Heydenthum auch gleicher Geſtalt geſteckt haͤtte / und von dem Uladimiro waͤhrender ſeiner Regierung alle Goͤtzen in Kiov zu erſt abgeſchafft und verbrandt worden / daher nahm er ſich vor / die Beſchaffenheit dieſer ange - prieſenen Umſtaͤnde beſſer zu pruͤfen, und eine Reiſe nach Kiov zu wagen / daſelbſt die Graͤber der verſtorbenen und von ihnen hochgeachteten Heiligen / derer Gebeine ſie vor unverweßlich ausgeben / zu beſehen. Welche Reiſe er auch ſofort ins Werck ſetzte / nachdem er ſich nebſt ſei - nen Angehoͤrigen tauffen laſſen.
§. 15. Das Jahr verlieff mit dieſen Bege - benheiten / und der kalte Winter ließ nicht zu, den Weg vor dis mahl weiter fortzuſetzen. Wan - nenhero der Biſchoff auff die Reiſe ſich begab / und zu dem folgenden Jahre die Veranſtaltung machte / ſeine Intention zum endlichen Zweck zu bringen, nachdem er diß Jahr nicht mehr dann 10. biß 11. Seelen getaufft.
Welcher geſtalt im Jahr 1713. & 1714. uͤber5000.755000. Menſchen von dieſer Nation getaufft worden / und wie es durch ſonderliche Schickung GOttes arrivirte / daß dieſe Leute / die meiſtens in der Wildniß leben, in dieſen Jahren eben bey - ſammen geweſt / da man ſelbige ſonſten in 10. Jahren nicht haͤtte ſammlen koͤnnen / wird auff eine bequemere Zeit dem geneigten Leſer zu communiciren verſpahret.
GOTT allein die Ehre.
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