Ich habe allezeit euern Geſchmak geliebet, und eure Grillen verehrt. Ich kenne die unerſaͤttliche Be - gierde, die ihr nach Neuig - keiten hegt, und ich mache mir eine Ehre daraus euch zu dienen. Jene gemeinen Bege - benheiten, welche euch die klei - nen Miniſters, die ihr in Eu - ropa unterhaltet, die Woche2zwey -4zweymal erzehlen, ſind euch eckel geworden; ihr wollt etwas beſonders, ihr wollt erſtaunli - che Neuigkeiten haben. Eure Miniſters melden euch dann und wann ganz unglaubliche, ſo wahr ſie auch, ohne Zweifel, ſind, doch das iſt noch nicht ge - nung; ihr liebt in der Staats - kunſt die geheimen Sachen: eben dieſe Neigung nun findet ſich auch, nebſt einer großen Geſchicklichkeit, ſie zu entde - cken, bey mir, welches mich in den Stand ſezt, euch von dem, was jezt bey einem gewiſ - ſen Hofe vorgehet, und ſehr verborgen gehalten wird, zu un - terrichten. Ihr koͤnnt, ohne daßich5ich es euch erklaͤren darf, leicht begreiffen, daß in unſrer Zei - tungsſprache ein gewiſſer Hof, den Hof zu Berlin bedeutet. Ich habe dieſe Neuigkeiten aus der erſten Hand; es ſind keine man ſagt, es ſind Begeben - heiten die ihre voͤllige Richtig - keit haben; ich habe erſchrek - liche Sachen entdekt, und ich vertraue ſie euch um ſo viel lie - ber, da mir eure Klugheit und Verſchwiegenheit bekannt iſt, und dieſes Geheimniß alſo un - ter uns Zweyen bleiben wird.
Zittert fuͤr die Ruhe Euro - pens. Wir ſind einem Zufalle nahe, welcher das Gleichge -3wich -6wichte der Maͤchte, das unſre Vaͤter ſo weislich angeordnet haben, uͤber den Hauffen werf - fen kan; es iſt um das Syſtem des Abts von Saint Pierre geſchehen, und nun wird es nimmermehr zur Wirklichkeit kommen. Ich habe erfahren, daß man, vor einigen Tagen, bey Hofe groſſen Rath gehal - ten hat, welchem alle Angeſe - hene beygewohnet haben; es iſt eine Sache darinn vorge - nommen worden, welche an Wichtigkeit ihres gleichen, bey Menſchen Gedenken, nicht ge - habt hat. Ein Tonkuͤnſtler aus Aix in Provence ſchickt zwey Menuets, uͤber die erzehn7 zehn Jahr componirt hat, und bittet, ſie auf dem Karneval ſpie - len zu laſſen: dieſes wird den ſeichten Geiſtern etwas nichts - wuͤrdiges zu ſeyn ſcheinen, aber wir Staatskundige, die wir wiſſen, was hinter allem ſteckt, und den Folgerungen bis zu ihren letzten Schluͤſſen nachge - hen, wir ſind viel zu gruͤndlich, als daß wir ſo was fuͤr eine Kleinigkeit anſehen ſolten. Als man dieſes Begehren in Be - rathſchlagung zog, theilte ſich der Rath; eine Parthey war fuͤr die Menuets, und die an - dere machte die Gegner aus. Die, welche fuͤr die Menuets waren, behaupteten, daß man4ſie8ſie ſpielen muͤſſe, um durch die - ſen Vorzug diejenigen aufzu - muntern, welche einer gewiſſen Macht wohl wollen, deren An - zahl aber, zum Ungluͤcke, nicht allzugroß iſt. Die Gegner verſetzten, daß es wieder die Ehre der Nation ſey, fremde Menuets ſpielen zu laſſen, da in dem Reiche ſelbſt ſo viel neue gemacht wuͤrden. Hier - auf antworteten die andern, daß die Menuets dennoch gut ſeyn koͤnnten, ob ſie gleich an - derwerts gemacht waͤren, und daß die Liebhaber der Kuͤnſte mehr Achtung gegen die Wiſ - ſenſchaft, als gegen das Vater - land, oder den Ort, woher dieMenuets9Menuets gekommen waͤren, haben muͤßten. Dieſe Gruͤnde uͤberredeten die Gegner nicht; ſie behaupteten vielmehr, daß man dieſe Menuets fuͤr Con - trebande halten muͤſſe. Wi - der dieſen Auspruch ſchrien die Menuetiſten ſehr heftig, und bemuͤhten ſich zu beweiſen, daß wenn man fremde Menuets fuͤr Contrebande halten wolte, ſo wuͤrde man andern Voͤlkern dadurch das Recht geben, gleich - falls alle Geburthen, die ihnen Preuſſen liefere, zu verbieten; daß den Handel einſchraͤnken ihn verderben heiſſe, und end - lich, daß es andre Maͤchte wohl nicht mit kaltem Blute dulden5wuͤr -10wuͤrden, wenn man ſich das Anſehen geben wolte, ihre Me - nuets von den Taͤnzen und Fe - ſten auszuſchlieſſen. Ihre An - tagoniſten erhizten ſich hieruͤber nicht wenig, indem ſie behaupte - ten, daß man den Nutzen und alle andere Abſichten der Ehre aufopfern muͤſſe; daß es wider die Wuͤrde eines Hofes ſey, nach andern Toͤnen, als nach den einheimiſchen, zu tanzen; daß die Menuetiſten Neulinge waͤren, welche in dem Lande fremde Gebraͤuche einfuͤhren wolten; daß man ſich von ſei - nen alten Gewohnheiten nie - mals muͤſſe abbringen laſſen, wenn ſie auch ſchon nichts taug -ten;11ten; und endlich, daß dieſe Menuets die Sitten verduͤrben. Der Streit ward hieruͤber ſo hitzig, daß alle zugleich redeten, daß jeder Recht haben wollte, daß die, welche am wenigſten aufgebracht waren, ſchon Vor - ſpiele zu harten Worten mach - ten, und daß man endlich ge - noͤthiget wurde den Rath aus - einander gehen zu laſſen. Er verſammlete ſich den Tag dar - auf aufs neue, dieſe Berath - ſchlagungen wieder vorzuneh - men; der Enthuſiasmus hatte waͤhrender Zeit abgenommen, und es war eine friedliebende Parthey entſtanden. Dieſe Einigkeitsſtifter ſchlugen, damitſie12ſie es jedem recht machen wol - ten, vor, es zu verſtatten, daß man diejenige Menuet, welche uͤber die kleine Terz ſey, mit Ausſchlieſſung der andern, ſpie - len ſolle. Ob nun gleich dieſe Vermittelung, weil ſie vernuͤnf - tig war, nicht angenommen wurde, ſo hinderte ſie dieſes doch nicht, einen neuen Vor - ſchlag zu wagen, welcher dar - inne beſtand, daß man die Me - nuets, ohne ſie zu tanzen, ſpie - len wolle. Dieſes ward durch eine betraͤchtliche Mehrheit der Stimmen verworffen, und man verſichert, daß jezt eine Art von Manifeſt unter der Preſſe iſt, worinne man die Urſachen aus -fuͤhret,13fuͤhret, warum man die Me - nuets nicht habe aufuͤhren laſ - ſen. Dieſes Betragen kan viel - leicht Folgen von der groͤßten Wichtigkeit nach ſich ziehen. Da nun Europa, und beſonders eure Neugierde vielen Antheil daran nehmen muß, ſo will ich nicht unterlaſſen, mich ſorgfaͤl - tig nach dem, was ferner vor - gehen wird, zu erkundigen. So viel iſt gewiß, der Hof be - ſchaͤftigt ſich mit dieſer Angele - genheit ſehr, welches auch ganz natuͤrlich iſt, wenn man ihre Wichtigkeit uͤberlegt: eine Me - nuet kan eine ſehr ernſthafte Sache werden. Wie viel Bey - ſpiele von dieſer Art koͤnnte ichnicht14nicht anfuͤhren? Ein Kopfputz, welchen die Koͤnigin von Eng - land Anna behandelte, und den die Mylady Marlboroug kaufte, zerriß die furchtbare Verbuͤndung der Maͤchte, wel - che Frankreich bekriegten, und verurſachte den Frieden, wel - chen die Koͤnigin Anna im Jahr 1710. ſchloß. Eine Verbeu - gung welche Caͤſar den Herrn des Raths, die ſich in dem Tempel der Eintracht verſamm - let hatten, zu machen vergaß, machte den Brutus vollends ſchluͤßig, ſich wieder ihn zu ver - ſchwoͤren. Und war denn nicht ein Apfel an alle dem Ungluͤcke Schuld, welches der Nach -kom -15kommenſchaft der erſten Be - wohner des irdiſchen Paradie - ſes wiederfahren iſt?
Ihr werdet mir zugeſtehen, daß eine Menuet ſo gut als ein Kopfpuz, eine Verbeugung oder ein Apfel iſt: man muß nur warten und man wird ſchon ſe - hen, zu was er Gelegenheit ge - ben wird. Ich halte jezt, da ich an euch ſchreibe, noch allzu ſehr zuruͤck, weil es daß erſte - mal iſt, daß ich mir dieſe Frey - heit nehme, ich verſpreche euch aber, mich bey der erſten Ge - legenheit nicht mit den gemei - nen Muthmaſſungen zu begnuͤ - gen, ſondern die aller wunder - barſten und ausſchweifendſten,mit16mit weit mehr Unverſchaͤmtheit, wenn es moͤglich iſt, zu wagen, als eure kleinen Miniſters, de - ren Monotonie und abge - ſchmacktes Weſen euch eckel zu werden anfangen. Wenn dieſe Neuigkeiten eure Neugierigkeit nicht reitzen, ſo verſpreche ich euch kuͤnftig eben ſo romannen - hafte, und noch weit ſeltſamere.
N. S. Dieſen Augenblick erfahre ich, daß die andern Hoͤfe an dieſem Handel mit den Menuets Theil genommen haben, und daß ſie in kurzen unſerm Hofe die aller ernſtlich - ſten Vorſtellungen thun wer - den. Das uͤbrige in unſerm naͤchſten Blatte.
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