PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Geiſter und Geiſterſeher oder Leben und fruͤhes Ende eines Nekromantiſten.
Eine warnende Anekdote unſrer Zeit
Kuͤſtrin, beyFerdinand Oehmigke.1789.
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Wilhelm Walter*)Theils aus den eigenen Papieren und Briefen dieſes ungluͤcklichen Mannes, theils aus muͤnd - lichen Erzaͤlungen und Nachrichten ſeiner ehma - ligen Freunde iſt dieſe Geſchichte genommen, die, wenn ſie auch mit hunderten dieſes und des vorigen Jahrhunderts viel Aehnlichkei - ten beſizt, dennoch bekannter zu werden ver - dient, und neugierige Forſcher zu warnen, ſich weder in das Gewebe geheimer Geſellſchaften, noch in andere Spiegelfechtereien der Magie verflechten zu laſſen..

Wir verlachen herzlich die Albernheiten voriger Zeiten, und doch ſind die un - ſrigen nicht minder reich daran. Wir zaͤlen Mesmers, Gasners, Wunderdoktoren und Proſelitenmacher zu unſern Zeitgenoſ - ſen, ungeachtet ſich die weiſeſten Maͤnner, die Hyder des Aberglaubens zu bekaͤmpfen,A 2das4Wilhelm Walter.das Angelegentlichſte ſein lieſſen. Wir hat - ten Warnung und unſre Vorfahren ſtatt deſ - ſen Aufmunterung und verdoppelten Reiz; bei ihnen trug jede Wiſſenſchaft, jeder Um - ſtand, jeder geringe Zufall ſein Quantum zur Vermehrung des Hanges zu geheimen Wiſ - ſenſchaften bei. Alles beſas Myſterien, af - fektirte ſie wenigſtens zu beſizzen; alles ſprach in dunkeln Reden, die der Zuhoͤrer nur halb verſtehen duͤrfte, und der Redner ſelbſt nur halb verſtand.

Die Theologen traten hin und ſprachen: das Gebet wirkt uͤberirrdiſche Dinge; ent - zuͤkt uns; klaͤrt unſre truͤben Blikke; erhebt zum Anſchaun der Gottheit, macht zu Heili - gen; giebt todten ohnmaͤchtigen Gegenſtaͤn - den eine magiſche, verborgene Kraft, Zei - chen und Wunder zu thun. Die Chemiſten hingegen benuzten den Hang zum Sinnlichen, welcher tief den Menſchenherzen eingepflanzt iſt; ſchufen vielſagende Karaktere; machten durchſchimmernde Vorſpieglungen luͤſtern nach den verborgnen Geheimniſſen der Na -tur;5Wilhelm Walter.tur; ermunterten tiefer einzudringen in die dunkle Werkſtatt derſelben; ſprachen vom Stein der Weiſen, von niegeſehenen Schaͤz - zen; vom Schluͤſſel zur Herſchaft uͤber das aͤtheriſche Reich der Geiſter; ruͤmten nahe da - ran zu ſein, mit einem Blik die ganze weite Schoͤpfung zu uͤberſpannen und zu durch - ſpaͤhn, und waren vielleicht noch eben ſo weit von ihren ſuͤſſen Jdealen am Ende ihres Lebens entfernt, als damals, da ſie begon - nen noch den Fantomen zu haſchen. Der Aſtronom ſchwieg auch nicht, machte auf - merkſamer aller Augen auf die Konſtellazio - nen des Himmels; enthuͤllte die unbekann - ten, allmaͤchtigen Jnfluenzen der Geſtirne auf Laͤnder und Menſchenſchikſale, weiſſagte iedermann und den Goͤttern der Erde die Stunde des Todes u. ſ. m. vorher aus den geheimen Zuͤgen der Sterne; eine halbe Welt bebte, da der Aſtrolog Stoͤffler 1524 allge - meine Suͤndflut predigte. Die Alter - thumsforſcher fanden in den Schriften und Denkmaͤlern der Vorzeit vorhandne, untruͤg -A 3liche6Wilhelm Walter.liche Spuren, daß die Welt mit noch uner - forſchten Myſterien angefuͤllt ſei; aus dem Orfeus, Homer, Virgil ꝛc. zogen ſie Zau - berſpruͤche und behaupteten ſtreng, daß ſchon Weiſe im Dunkeln exiſtiret haͤtten, welche die Kraͤfte der Natur in Haͤnden gehabt. Pilgrimme kehrten von ihren Fahrten heim, erzaͤlten viel von Abentheuern in Hoͤlen; von ihren wunderbaren Schiffarthen; vom Ruͤ - bezal und der Lapplaͤndiſchen Zaubertrom - mel, alles horchte, alles ſtaunte, und leichtglaͤubige Unwiſſenheit, die damalige Philoſophie iaͤhnte von Herzen ihr: Amen! dazu. Trete nun einer auf, und ſpreche, was konnten die guten Leute in ſolcher Ver - faſſung anders thun, als glauben?

Der Wahn der vergangenen Zeiten hat ſich fortgepflanzt bis auf unſre Tage; er naͤhrt ſich im Verborgnen noch und wird nicht ausgerottet werden koͤnnen, weil nicht der gemeine Mann allein, ſondern auch ge - lehrte Leute ihn zu ihrer geheimen Lieb - lingsbeſchaͤftigung machen. Jch ken -ne7Wilhelm Walter.ne einen ſehr wuͤrdigen, groſſen Gelehrten, welcher ſelbſt zur Steuer des Aberglaubens ſchrieb, und dennoch mir behauptete, daß Gott ein uͤberirrdiſches, unbekanntes Et - was durch alle Koͤrper gegoſſen haben muͤſ - ſe, durch welches, wer es zu ergruͤbeln faͤ - hig waͤre, man ungeheure Kenntniſſe uͤber das allgemeine Ganze zu ſeiner Selbſtver - vollkommnerung erhalten, ſich uͤber ſeine Menſchenſphaͤre erheben und etwa zu einem naͤhern, vertrauten Umgang mit hoͤhern Weſen faͤhig machen koͤnnte!

Kein Wunder, daß, wenn ſelbſt Maͤnner bereichert mit Erfarung und weitumfaſſender Wiſſenſchaft, an ſolchen truͤglichen Jdeen zu ſaugen ſich nicht erbloͤden, auch andre mit maͤſſigen Einſichten darnach forſchen, und ihre geſunde Vernunft berauſchen, wo nicht toͤd - ten. Das Beiſpiel Walters, der nun ſeit etlichen Jahren ſchon unter der Erde ſchlummert, aber deſſen Familie noch exi - ſtirt, mag warnende Lehre den Unerfahr - nen ſein!

A 4Er8Wilhelm Walter.

Er wurde im Jahre 1759 in einer mit - telmaͤſſigen Stadt im Reiche geboren; verlor fruͤh ſeinen Vater und behielt nur ſeine Mut - ter noch, die ihn zum Studieren beſtimmte. Mit der Beihuͤlfe einiger wolthaͤtiger Goͤn - ner, war er in ſeinem zwanzigſten Jahre nach durchwanderten Schulen, fuͤr die Univerſitaͤt geſchikt; darum ſaͤumte er nicht laͤnger, ſon - dern verlies die Vaterſtadt und reiſete mit geringer Baarſchaft nach H**, wo er bald neue Freunde, neue Unterſtuͤzzung fand und mit unermuͤdendem Eifer ſeine Studien fort - ſezte. Er gewann auch fuͤr ſchoͤne Wiſſen - ſchaften und Lektuͤre neuerer Schriftſteller Ge - ſchmack und Gefuͤl, da er ſich bisher auf Schulen nur immer mit Sprachen beſchaͤftigt hatte und ſich wenig oder gar nicht nach Er - werbung anderer Kenntniſſe bemuͤhen konn - te. Beſonders gefielen ihm die Feenmaͤrchen Gallands, die Perſiſchen Erzaͤlungen u. ſ. w. in denen wolthaͤtige Feen die Menſchen be - gluͤkken und der Weiſe durch anhaltendes For - ſchen es dahin bringt, daß Weſen hoͤhererArt9Wilhelm Walter.Art ſeinem Winke gehorchen, ſeine Befehle vollfuͤhren, daß er, geſchaͤrften Blikkes, ſogar die Geſchichten der Zukunft aus dem Buche des ewigen Schickſals leſen kann. Dies gab Walters Fantaſie den Stos, gab Sporn und Fittige ſeinem ſchmachtenden Geiſte; er hing ganz mit ſeiner Seele an den lieblichen Schimaͤren, und fand ſich dann gluͤklich.

Seine Notdurft zu haben, muſte er fuͤr ſei - ne reichern Mitſtudierenden Kollegien ſchrei - ben oder Noten; er lebte immer einſam, ent - ſagte allem Vergnuͤgen des akademiſchen Le - bens; hatte nur einige Freunde und auch von dieſen ward er nur aͤuſſerſt ſelten beſucht. Sich alſo beſtaͤndig ſelbſt uͤberlaſſen, gieng ſeine ehmalige frohe Stimmung, welche er noch aus den Kinderiahren mit her gebracht hatte, zur ſtillen Schwermuth uͤber; wenn ſein Geiſt abgemattet war vom ununterbroch - nen Studieren, ſezte er ſich hin, vergrub er ſich in ſich ſelbſt, beweinte er ſein Schikſal und die truͤben Ausſichten in die Zukunft, welche duͤſter ſich vor ihm hinlagerte, vergroͤſ -A 5ſerte10Wilhelm Walter.ſerte ſein Leiden, welches er nur ſich ſelbſt klagte. Was Leidende in ſolchen Stun - den allein noch fuͤr ihr Gluͤk halten, und was es vielleicht allein auch nur noch etwa ſein kann, iſt, daß ſie ſich beßre Tage, beßre Welten fantaſiren. Da iſt ewiger Maien - himmel; kein ſtummer Harm entpreßt ihnen Thraͤnen da; ſie fuͤhlen ſich ſelig, und ſehen ihre Bruͤder umher gluͤklich. Dies war auch Walters angenemſter Troſt. Um dieſe Zeit fieng er an den Tauſend und einen Tag, Tauſend und eine Nacht, Tauſend und eine Viertelſtunde, und wie die Konſorten dieſer Romanenrace ſich ſonſt noch nennen moͤgen, zu leſen; er empfand dabei ein nie - gefuͤhltes Vergnuͤgen und ergoͤzte ſich beſon - ders uͤber die dienſtbaren Genien und Schuz - geiſter. Er wuͤnſchte ſich nicht ſelten Ala - dins Lampe zu beſizzen, und was man ſich Suͤſſes, Seelenerquikkendes in ſolcher Lage dabei traͤumen kann, traͤumte ſich dann Walter.

Er11Wilhelm Walter.

Er ging bald aber weiter.

Sollte es, dachte er oft, nicht irgend moͤglich ſein, daß in verborgenen, unbekann - ten Gegenſtaͤnden uͤbernatuͤrliche Kraͤfte und Eigenſchaften laͤgen? Der Menſch iſt ein ſo ſehr erhabenes Geſchoͤpf, ſollte er nicht auch Mittel durch ſeine Vernunft auffinden koͤnnen, wodurch er ſich noch eine untere Klaſſe der Geiſter, welche vielleicht nur zum Dienſte der Sterblichen erſchaffen wurden, unterwuͤrfig zu machen vermoͤgte? Und wa - rum ſprechen die alten Weltweiſen ſo viel von dieſem noch zu wenig beſegelten Reiche der Schoͤpfung? Die Kraͤfte ihres Nachſin - nens, welche bei uns auf ſo vielerlei Wiſ - ſenſchaften verwandt werden muͤſſen, konnten bei ihnen nur einen groſſen Punkt zum Ziel der Erforſchung waͤlen; viel von denſelben widmeten ſich alſo vielleicht ganz nur der Er - werbung groſſer, geheimer Weisheit. Ganz wahrſcheinlich hatte dieſe Wiſſenſchaft bei ih - nen ſchon einen gewiſſen Grad der Vollkom - menheit erreicht; aber ſie wurde vernachlaͤſ -ſigt12Wilhelm Walter.ſigt von den Enkeln, deren Aufmerkſamkeit allmaͤlig auf mehrere Gegenſtaͤnde gezogen, ſich zerſtreute; wurde von andern wieder, als ein lautrer, lichter Silberquell mit Schlamm verunreint, gemisbraucht, ſo, daß er ganz endlich vergeſſen ward und dieſe erhabene Wiſſenſchaft fuͤr uns verloren ging. (Siehe den Brief eines Landprieſters uͤber die Worte, was heißt es, mit Zungen reden? in Goͤ - thens Schriften!) Zwar ruͤmten ſich in den folgenden Jahrhunderten noch manche den Schaz dieſer goͤttlichen Kenntniſſe zu beſizzen und hatten doch nur leere Worte aber ſollte nicht hin und wieder ein einſamer Denker durch vieles Forſchen und Streben wieder gefunden haben das Verlorne? ſollte auch mir es nicht moͤglich ſein es wieder zu finden, und hoͤhere Einſichten in erhabnern Regionen der erſchaffnen Welt zu erklimmen, wenn ich ganz die Kraͤfte meines Verſtandes der verlorengegangenen Wiſſenſchaft widme; wenn ich die einzelnen Spuren aufforſche, welche noch hin und wieder vorhanden ſind,und13Wilhelm Walter.und ihnen mit ſtrenger Vorſicht durch die ver - wilderten Labyrinte folge? Jch will's wer weiß es, wozu mich das Schikſal aufge - ſpart hat; dort bluͤht vielleicht mein Gluͤk, wo daſſelbe von mir am wenigſten geahndet wird.

Dies mag ohngefaͤhr ein Abris von Walters Gedanken ſein; wie eine Jdee bei ihm aus der zweiten entſprang, und ſo ſich am Ende ein vollkommnes Ganze ausbildete.

Er gab ſich von dieſer Zeit an alle Muͤhe vor's erſte Materialien zu ſammeln; keine Buͤcheraukzion, keine alte Bibliothek oder derlei Gelegenheiten aͤltere, ſeltne Werke auf - zuhaſchen, durften ihm bekannt werden, ſo war er da, ſie zu benuzzen. Seine Mitbur - ſche pflegten ihn deswegen ſpottweiſe den Nekromantiſten zu nennen; er aber hoͤrte ſie nicht, wandelte entſchloſſen ſeine vorgeſezte Straſſe und offenbarte niemanden etwas von dem, was er ſich vorgenommen hatte. Er beſas wirklich nach einigen Monaten eineklei -14Wilhelm Walter.kleine, auserleſene Bibliothek von den be - kannteſten Werken, welche die magiſchen Wiſſenſchaften behandeln, und ich will nur folgende von ihnen, als die vorzuͤglichſten, auszeichnen. Sein Lieblingswerk war vor allen Philoſophia occulta des Kornelius Heinr. Agrippa, ſonſt las er auch fleiſſig Wiers Buch de praeſtigiis et incantationibus*)Man lernt hieraus Geiſterbeſchwoͤrungen im Groſſen und Kleinen, die Hoͤlle wird hierin um - ſtaͤndlich geſchildert, man findet zugleich auch die Zunamen der 572 hoͤlliſchen Fuͤrſten und der 7405926 geringern Geiſter., Alk - tzendi de theoria magicarum artium, Mſcrpt. Hieron. Cardani liber de ſubtilitate, Al - berti Magni liber de mirabilibus; J. Gaffa - relli curioſitates inauditae; Trithemii Stega - nographia und viel andre.

Unaufhoͤrlich ſas er nun bei dieſen Schrif - ten; Tag und Nacht verſchwendete er bei ihrer Durchleſung, und wirklich glaubte er naͤher ſeinem Zwekke zu kommen. Man ſprach von ihm in der ganzen Stadt, denn er ſah ſich ſelbſt nicht mehr aͤhnlich; ſeineMie -15Wilhelm Walter.Mienen waren verzogen und blas; er ſprach vor ſich ſelber und mit Muͤhe nur entlokten ihm ſeine beſten Freunde dann und wann ein Wort. Mit jedem Tage verſtaͤrkte ſich ſein Glaube an Magie und immer tiefer drang er in das Reich derſelben ein. Er war feſt von der Exiſtenz der Daͤmonen uͤberzeugt; verfocht die Allgewalt der Beſchwoͤrungen uͤber dieſelben; und wagte ſelbſt einige Schritte weiter noch, als er Vorgaͤnger hatte. Anderthalb Jahre waren ihm bei dieſen Be - ſchaͤftigungen wie anderthalb Stunden ver - floſſen; er fuͤlte ſich genug eingeweiht in die groſſen Myſterien der Magie und nahm ſich ſogar vor, um ſeine Einſichten in die Ge - heimniſſe der Geiſterwelt thaͤtiger zu zei - gen. Er wollte den Schatten eines Ver - ſtorbenen aus dem Grabe hervorrufen; eines Verſtorbenen, welchen er im Leben perſoͤnlich gekannt hatte, und der war ſein Vater.

Er beſtimmte die Sylveſternacht zu dieſem ſchauerlichen Experimente, zu welchem ſchon alle Vorbereitungen gemacht worden waren.

Den16Wilhelm Walter.

Den ganzen Abend uͤber, habe ich, ſag - te er nachgehends in einem Briefe an ſeinen Freund S**, allein auf meinem Zimmer geſeſſen; gebetet und die Bitten an die heil. Korona durchgeblaͤttert. Jch mus es geſte - hen, daß mich ein kalter Graus anwandelte, welches mir doch noch nie geſchehen war, als die Kirchenglocke ein Uhr ſchlug; denn zu eben dieſer Stunde wollte und mußte ich die In - cantationes anheben, wenn ich nicht meinen Vorſaz, wie er war, aufgeben wollte. Jch that ein andaͤchtiges Gebet zu dem allerhoͤch - ſten Beherrſcher der Geiſter, Menſchen und anderen Geſchoͤpfe, ſtund zitternd auf und ſtieg in den Kreis, welcher ſchon ſeit zwo Stunden fertig war. Jch weiß aber nicht, wie mir es ward; denn meine Kraͤfte ver - lieſſen mich ſehr, daß ich kaum die zwote Be - ſchwoͤrung vollenden konnte. Als ich dieſe gluͤklich beendiget hatte und ich alle mein Vermoͤgen ſammlete, auch die dritte und lezte anzufangen, hoͤrte ich ein fernes, wiewohl vernehmliches Rauſchen uͤber den Saal, alswie17Wilhelm Walter.wie wenn man einen großen Baum mit ſei - nen Zweigen auf dem Erdboden hinter ſich her zoͤge, welches Geraͤuſch immer naͤher herbei kam, ſo daß ich feſt uͤberzeuget gewe - ſen bin, es ſeye die Anweſenheit eines andern Weſens geweſen, welches durch die Kraft der Beſchwoͤrung angezogen worden iſt. Aber mich uͤberfiel ein groſſer Schrekken, alſo, daß ich zur Erden ſtuͤrzte und erſt gegen Morgen zu mir ſelber kam. Weil es um mich dun - kel war und ich mich kaum habe beſinnen koͤnnen, legte ich mich uͤber das Bette in den Kleidern und erwachte erſt um neun Uhr des andern Tages. Jch fand alles unver - ſehrt und das Licht war in der Nacht abge - brannt.

Ohne uns nun damit zu befaſſen, wel - ches Bewandnis es mit dem Geraͤuſche ge - habt habe, wollen wir zu einer merkwuͤr - digern Begebenheit Walters uͤbergehn, der ſich noch nicht durch den erſten, fruchtlos ab - gelaufnen Verſuch ſchrekken lies, ſondern kuͤh - ner vielmehr noch andre wichtigere SchritteBzu18Wilhelm Walter.zu wagen ſich vorgeſezt hatte, als urploͤzlich ein Brief aus der Vaterſtadt erſchien, in welchem er nach Hauſe gerufen wurde, den lezten Willen ſeiner ſterbenden Mutter anzuhoͤ - ren. Er ſaͤumte nicht, brachte ſeine Geſchaͤf - te noch an eben dem Tage, als er die Hiobsbot - ſchaft erhielt, in Ordnung und machte ſich fruͤh des folgenden Morgens zu Fus auf die Reiſe.

Es war am Pfingſtmontage Abends ziem - lich ſpaͤt, als er die erſte Tagereiſe vollbracht, in ein an der Landſtraſſe belegenes Wirths - haus einkehrte und Nachtlager und Abend - eſſen verlangte. Der Wirth gewilligte ihm beides und er legte ſein Reiſebuͤndel ab, luͤf - tete ſich, und miſchte ſich, aufgeheitert durch den ſchoͤnen Abend und die ungewohnte Lei - besbewegung, zu den Gaͤſten, die bei ihrem Bierkruge viel uͤber Staͤdte und Schloͤſſer, Kaiſer und Fuͤrſten ſprachen, wohinzu er auch ſein Scherflein fuͤgte. Der freundliche Wirth ermunterte die ganze Geſellſchaft durch ſeine Wizreden, und davor lieſſen ſich die Gaͤ - ſte fein fleiſſig die Kruͤge fuͤllen.

Wal -19Wilhelm Walter.

Walter aber fiel allen beſonders auf, daß er mit ſeinen Worten ſo kaͤrglich umging, un - geachtet er ziemlich heiter zu ſein ſchien; der Wirth fragte ihn deswegen offenherzig und Walter beantwortete alles. Jndem aber ſprang ein kleines unanſehnliches Maͤnnchen, das immer unbemerkt in einem Winkel geſeſſen hatte, hervor; ſtellte ſich vor Waltern hin; die Geſellſchaft beobachtete ein feierliches Stillſchweigen; der Mann im grauen Rokke, mit ungeheurem Hoͤker auf dem Ruͤkken ſchien etwas ſagen zu wollen, aber er trat wieder zuruͤk, wurde blutrot im Geſicht, ſazte ſich wieder in den vorigen Winkel und ſprach kein halbes Woͤrtchen. Die Anwe - ſenden verwunderten ſich hoch darob; ſie ſahn ſich an; lachten und vergaſſen des ſonderba - ren Schwanks, ohne weiter neugierig dar - nach zu forſchen.

Aber gemach wurde das Frohgeſpraͤch leiſer einer nach dem andern nam Ab - ſchied es war die Mitternachtsſtunde; auch Walter legte ſich zur Ruhe und erwachteB 2fol -20Wilhelm Walter.folgenden Tags nicht eher, als bis ihn die Morgenſonne durch die runden Fenſterſchei - ben blendete und Waͤrme uͤber ihn gos.

Er gieng zum Wirth, bezalte ſeine Schuld und wollte ſchon ſeiner Straſſe ziehn, als ihm leiſe der Bukklichte im grauen Rokke beim Aermel zupfte und zu ihm ſprach: Herr, ein Woͤrtchen mit Jhnen im Vertraun; es ſoll Sie nicht gereun, wenn Sie etliche Minuten bei mir zu verweilen haben! Er fuͤhrte ihn darauf abſeits und ſagte: Herr, es waltet unter den Menſchen ein Gewiſſes ob, was ſie mit einander verbindet, wie mit Demantketten und ihr Leben mit Freude wuͤrzt. Dies Etwas pflegen wir Sym - pathie zu nennen und eben dies iſt es, wel - ches Sie mir beim erſten Augenblik empfal. Verachten Sie mich nicht wegen meiner aͤrm - lichen Figur etwa, ich bin nicht das, was ich ſcheine. Empfinden Sie Luſt zu wiſſen, wer ich ſei, ſo folgen Sie mir!

Walter ſah den Fremden ſchweigend an und konnte ſich nicht in die offne Dreiſtigkeitdeſ -21Wilhelm Walter.deſſelben finden; doch entſchlos er ſich ihm zu folgen und hies ihm, voran zu gehen; iener that's und er wanderte ihm gedankenvoll nach. Der Wirth zerklopfte ſeine Fenſter - ſcheiben faſt; pfiff, biſchte, umſonſt; Wal - ter vertieft in ſeinen Gedanken, hoͤrte die Warnungen des wolmeinenden Wirthes nicht.

Der Weg ſchlaͤngelte ſich einem kleinen Luftholze entgegen, und es verflos keine Vier - telſtunde, ſo befanden ſich unſre beiden mit - ten in demſelben, auf einem gruͤnen Bezirk, dicht mit hohen Baͤumen umgeben. Der Fremde fing hier an ſich zu entkleiden; ſeinen Hoͤker abzunemen, welcher aus verſchiednen Materialien, zwo Schmelztigeln, Zinnble - chen und etlichen Rollen von Louisd'oren be - ſtand; dann auch ein verpfropftes Glaͤschen hervorzuziehn, in welchem ein haͤslicher ſtal - gruͤn ſchimmernder Kaͤfer hauſete. Walter ſah mit den Aeuſſerungen des groͤſten Erſtau - nens alle dem zu, war eben entſchloſſen das lange Schweigen durch ein halb DuzzendB 3Fra22Wilhelm Walter.Fragen zu brechen, als iener ihm ſeiner Muͤ - he uͤberhob.

Sie werden ſich freylich uͤber mein ſon - derbares Betragen gewundert haben, mein Herr; aber die Notwendigkeit heiſchte es von mir, daß ich uͤber alles dies Jhnen nicht eher als iezt Aufſchluß gab. Mein Na - me iſt R**, bin ein geborner, Franzoͤſi - ſcher Graf; leidenſchaftliche Spielſucht mach - te mich arm ich wurde von meinen Freun - den, nach der Mode unſrer Zeitgenoſſen, verlaſſen, da ich ihrer am meiſten vonnoͤthen hatte; mir blieb deswegen nichts uͤbrig, als mich ſchaamvoll in die Einſamkeit zuruͤkzu - ziehn. Hier fing ich an zu ſchriftſtellern, um mir Lebensunterhalt zu erwerben, und vorzuͤglich waren Voltairens Werke, die man bei ihren erſten Ausgaben gierig ver - ſchlang, hizzig verfocht 'und tadelte, neuer Stoff fuͤr die meinen; ob ich den Mann gleich im Herzen verehrte, verachtete ich doch heftig ſeine Schriften um mir dadurch ein gutes Honorar zu erwuchern. Unteran -23Wilhelm Walter.andern ſeiner Aufſaͤzze war mir der uͤber die Genien merkwuͤrdiger, als alle; denn er fuͤhrte mich auf ernſtere Gedanken. Jch hatte es mir einmal feſtgeſezt dem Voltaire in al - lem zu wiederſprechen; hier mußt 'ich nun die Schuzgeiſter vertheidigen; ich ſtudierte des - wegen alte Folianten von vorigen Jahrhun - derten, um aus ihnen guͤltige Beweiſe und Gruͤnde zu ſaugen aber ich lernte unver - mutet mehr aus ihnen; wurde eingenom - men fuͤr nekromantiſche und alchemiſtiſche Wiſſenſchaften, und die zwoͤlf Jahre, welche ich auf ihr Studium verwandte, haben mich noch nicht gereut, denn ſie machten mich zum Gebieter in der Region der Geiſter, zum Eigenthuͤmer des Lapis philoſophorum, zu mehr, als einem Fuͤrſten. Sie werden meinen Worten nicht glauben koͤnnen und doch iſt es alſo; ich ziehe izt in Geſchaͤften des hohen Alhaazeel umher*)Da Kaglioſtro bei der verehrungswuͤrdigen Frau Graͤfin von Medem ſein Gaukelſpiel trieb, gab er vor, in Geſchaͤften ſeiner Obern nach Nor - den reiſen zu muͤſſen., verkleideB 4mich24Wilhelm Walter.mich in ein ſchlechtes Gewand, um deſto unbelauſchter die Falten des menſchlichen Herzens erforſchen zu koͤnnen. Jch finde Sie hier ein geheimer, ſympathetiſcher Zug reißt mich fuͤr Sie hin ich will Sie gluͤklich machen und einweihen in das dunkle Allerheiligſte des Myſtizismus, wozu Sie ſchon ſeit anderthalb Jahren den Grundſtein gelegt haben. Sie ſtaunen, woher ich dies weis? ſehn Sie dieſen Kaͤfer im Glaſe, er iſt ein ungezogner Daͤmon; der offenbart mir die tiefſten Geheimniſſe des Koͤniglichen Kabinets; auch Jhre Schikſale hat er mir kund gethan! *)Daß der Teufel, oder will man ihn feiner be - nennen, der Daͤmon nicht ſelten das Schikſal hatte in Glaͤſern und Kruͤgen logiren zu muͤſſen, will ich meinen Leſern aus folgender, allerdings glaubwuͤrdigen Legende beweiſen. Der Teufel und der heil. Lupus waren einander erklaͤrte Feinde, wo ſie ſich alſo einen Poſſen ſpielen konnten, geſchah's, wie man denken kann, nur zu gern. Da einſt der Heilige bis in ſpaͤter Nacht im Gebet verharrete, wurde er auf Anſtel - lung des Teufels durſtig, ſo daß er friſchesWaſ -

Mei -25Wilhelm Walter.

Meine Schikſale? fragte Walter erſtaunt.

B 5Ohne

*)Waſſer verlangte, welches man ihm gab. Der ſchlaue Feind benuzte dieſe Gelegenheit in den heiligen Mann fahren zu koͤnnen; kroch hurtig in den Krug um von ienem mit dem Waſſer verſchlukt zu werden; welcher aber Unrath wit - terte, den Krug mit ſeinem Kiſſen bedekte und ſo den armen Teufel gefangen hielt! die ganze Nacht muſt 'er drinnen heulen; erſt am Tage lies er ihn heraus, auf daß er ſollt zu Schanden werden vor jederman, die weilen er ihn heim - lich betriegen hette woͤllen O kranker Moͤnchs - kopf! ſiehe Casp. Finckii Cen[t]ur. II legendo - rum papiſticorum p. 64. So wie ſich unſre Damen izt Puzzen und neue Moden von Paris und Lion verſchrei - ben, verſchrieb man ſich ehmals kleine Teufel - chen (ſpiritus Familiares, Geheimgeiſter) aus Jtalien, Frankreich und Spanien. Die alten Skribenten behaupten einhellig, daß auf ſolche Art, leider! viel dergleichen Thierchen nach Deutſchland gekommen ſein. Phil. von Sitt - waldt (im Ruperto experto) erzaͤlt uns, daß, als er mit zwei jungen von Adel nach Jtalien reiſete, einem von dieſen von einem guten Freun - de 12 Kronen gegeben worden waͤren, von daher einen allerliebſten Daͤmon mitzubringen. Jm Jahre 1450 wollte ein Augſpurgiſcher Kaufmann ſogar aus Teufeln einen Handlungs -zweig

26Wilhelm Walter.

Ohne eine Antwort zu geben faßte der Nekromantiſt, oder aus welchem Lichte er dem guten Walter in dem Augenblik ſonſt erſchienen ſein mag? die Hand deſſelben, ſah ihm ernſt, mit ſtarren durchdringenden Blikken in's Auge, ſtand zwei Minuten lang unbeweglich vor ihm und begann darauf mit halbleiſer, feier - licher Stimme unſern Novize in der Magie ſein Leben ohne des mindeſten Umſtandes zuver -*)zweig machen und (eigne Worte des Autors) ſolche ſaubere Dingerchen in Glaͤſern wie Flie - gen oder Ameiſen auf die Leipziger Meſſe ver - ſenden. Allein ahndete es ihm oder ſagten es ihm ſeine Teufelchen ſelbſt, daß er dieſer Kraͤme - rei willen Verantwortung haben duͤrfte, es un - terblieb. Zeiler berichtet uns (in ſeiner Schazkammer goͤldner Sendſchreiben p.813.) unter andern mit vertraulicher Miene, daß wei - land ein Edelmann in der Pikkardie bei Villiers Koßeret einen[ſ]piritum Familiarem in einem Ringe gehabt habe, welchen er ſehr ſklaviſch hielt, weil er ihn von einem Spanier glaubte zu theuer gekauft zu haben. Da er ihn endlich gar ins Feuer warf fuhr der Teufel aus dem Ringe in den Herrn Ritter, und dieſer ward toll. Der Diable boiteux des Herrn le Sage war gewis auch von der Race. 27Wilhelm Walter.vergeſſen, durchaus hiſtoriſch und kronologiſch - richtig zu erzaͤlen und dann ihm, zu noch groͤſ - ſerm Staunen des leztern, ſeine kuͤnftigen Be - gebenheiten zu weiſſagen, die theils noch ſehr unwahrſcheinlich, theils auch ſchon ſehr wahrſcheinlich waren.

Walter war auſſer ſich zweifelnd ſtand er da, ob er den guͤtigen, freund - ſchaftlichen Mann, welcher fuͤr ihn, als ei - nen Unbekannten, ſo viel that, umarmen, oder dem groſſen unendlich weiſen Mann vol - ler Ehrfurcht zu Fuͤſſen fallen ſollte.

Flammel, Lulle und Treviſano haben den Stein der Weiſen, fuhr iener laͤchelnd fort, nachdem ſie uͤber ein halbes Jahrhun - dert vergebens darnach ſuchten, gefunden auch ich beſizze das groſſe Geheimnis, halte es aber vor das geringſte von allen denen, mit wel - chen mich die hohen Unſterblichen begabten denn nur den Ungeweihten, den niedern Poͤ - bel kann todtes Gold blenden, und der Wei - ſe macht nur in ſo fern davon Gebrauch, als er es bedarf, ſeine Abſichten bei den Sterbli -chen28Wilhelm Walter.chen zu erreichen denn dieſe ſind in ſeinen Augen dem groͤſten Theile nach nur Mario - netten auf der Buͤhne man zieht den Fa - den, und ſie bewegen ſich! Jch kenne Jhre duͤrftigen Umſtaͤnde, mein Herr, und eben deswegen bin ich ſo frei Jhnen dieſe Rolle von Louisd'oren zum Geſchenk anzu - bieten; bedienen Sie ſich derſelben nach ihrer Lage und ihren Beduͤrfniſſen, ohne dabei den Geber zu vergeſſen.

Der entzuͤkkte Juͤngling warf ſich in eben dieſem Augenblikke dem Grosmuͤthigen zu Fuͤſſen er dankte ihm tauſendmal fuͤr ſei - ne Liebe und weinte. R** hob ihn aber ſanft - laͤchelnd auf; verbat ſich ieden Dank, form - te ſeinen Hoͤker wieder, zog den entſtellen - den Graurok an, nam Waltern bei der Hand und fuͤhrte denſelben aus dem Walde.

Unterwegs ſprachen ſie beide viel von uͤberirrdiſcher Lebensweisheit und Geiſterun - terwerfung Walter lernte aus dieſem Geſpraͤche doppelt ſoviel, als er ſeit andert - halb Jahren aus ſeinen Folianten gelernt hatte.

Es29Wilhelm Walter.

Es ſind Dinge zwiſchen dem Mond und der Erde, ſprach R** unter andern, von denen, wie Hamlet ſagt, unſer Kompendium nichts weis. Er hat Recht! Freund, ſollten Jhnen die Schuppen vom Auge geriſſen, ſoll - te Jhnen die Welt in ihrer wahren Geſtalt, unbeſchleiert, gezeigt werden, ſie wuͤrden ausrufen: Himmel, was ſind wir; wie tief geſunken; wie große Sklaven der Unvollkom - menheit; wie tief beugen wir uns unter ei - nem Tyranniſchen Joche, welches wir mit jeder Stunde abwerfen koͤnnten und welchen unbeſchreiblich hoͤhern Grad irrdiſcher und geiſtiger Vollkommenheit koͤnnen wir erlangen!

Aber warum, wenn ich fragen darf, gegenredete Walter, zeigen die Weiſen nicht ihren Bruͤdern die Mittel, durch welche man dies Joch abzuſchuͤtteln vermoͤgte?

Lieber Freund, dies erfordert unnenn - bare Vorbereitungen, die nur dem bekannt ſind, welcher mit ſeinem Blik das allgemei - ne Ganze auf einmal uͤberfluͤgeln kann. Ne -men30Wilhelm Walter.men Sie einen Knaben und zeigen Sie ihm die groſſen Vortheile der Algebra fuͤr den menſchlichen Verſtand wird er Sie ver - ſtehn? Erſt durch viele verworne Zuͤge und muͤhſame Wege fuͤhren Sie ihn zum Anſchaun und zur großen Erkenntniß. Die geometriſchen Anfangsgruͤnde ihm alſo beizubringen, gilt die mehrſte Muͤhe. Schade, daß nur zu oft die mehrſten, bei aller ihrer Neugierde das Allerheiligſte der Magie zu erkennen, dennoch auf dem Pfade dahin ermuͤden.

Jch wuͤrd 'es unmoͤglich!

Wol, mein Herr, ich begleite Sie mit zu Jhrer Vaterſtadt; beſtehen Sie die Pruͤfungen, find ich Sie als ein wuͤrdiges Subiekt fuͤr die myſtiſche Weisheit, ſo ſein Sie uͤberzeugt, ich werde Sie an meiner Hand dahin leiten. Aber keine neu - gierige, vorwitzige Frage nur Glau - be und That macht hier gluͤkklich! denn ich wuͤrde ſie Jhnen mit nichts andern beant - worten koͤnnen, als was man dem Knabenant -31Wilhelm Walter.antwortet, wenn er fraͤgt: wozu der viele unnuͤtze Wirwar von dieſem und ienem? ich will nicht dies, ſondern die Algebra lernen.

Erſt am Abend des folgenden Tages ka - men beide in der Heimath an Walter eilte zu ſeiner Mutter und fand ſie ſchon ge - ſtorben. Seine Gefuͤle fuͤr andre Gegenſtaͤnde auſer der heiligen Magie, und wenn ſie die auffallendſten, ruͤhrendſten in dieſem Erdele - ben geweſen waͤren, waren durch ſeinen al - zugroſen Hang nach dem einzigen, Groſen ganz abgeſtumpft er konnte nicht weinen, nicht Mitleid empfinden; troknen Auges ſah er ſie auf dem Stroh liegen er ging von ihr und durchſuchte die hinterlaſſene Erb - ſchaft, welche an baarem Gelde in 200 Rthlr. beſtand. Er war zufrieden; und waͤr es noch weniger geweſen, er haͤtte ſich das nicht kuͤmmern laſſen ſo ſehr war er hingeriſſen fuͤr ſein Jdeal, nach dem all ſein Streben ging, nach welchem er immer und vergebens haſchte, wie in der Fabel der Knabe nach dem Regenbogen. Er lies ſeine Mutter zurErde32Wilhelm Walter.Erde beſtatten, und wollte, nachdem er ſich endlich aus den Unruhen, welche ihm das Begraͤbnis erregte, geriſſen hatte, ſchon wi - der zuruͤk nach H** gehn, um da die be - gonnenen Studien zu enden, als er ploͤzlich, ohne darnach ſich bemuͤht zu haben, vom Magiſtrat zum Stadtſekretair gemacht wur - de. Er war's zufrieden und ſuchte ſich durch Treue und Fleis dieſes Amtes werth zu machen; lies von H** ſeine magiſche Bibliothek heruͤberkommen und lebte von nun an ſeine Tage ſuͤſſer und behaglicher in der kleinen Vaterſtadt, als ie.

Was den Nekromantiſt anbetrift, ſo lies er ſich anfaͤnglich bei ihm nur ſehr ſelten ſehn allein, da Walters haͤusliche Um - ſtaͤnde erſt zur beſſern Ordnung gediehen waren, wurden ſeine Viſiten haͤufiger und dem Stadtſekretair von Tage zu Tage ange - nehmer. R** ging itz nicht mehr wie auf ſeiner Reiſe im grauem Kittel und mit dem Goldmacherhoͤker; ſondern zu Walters Ver - wunderung ungemein wolgekleidet; er trugein33Wilhelm Walter.ein blaues Kleid mit ſchmalen, goldnen Treſ - ſen; auf der Seite einen Stuzzerdegen und Chapeau-bas. Er war in den vornemſten Geſellſchaften willkommen; hatte mit den er - ſten Magiſtratsperſonen einen ſehr vertrauten Umgang und that, als haͤtte er ſie ſchon ſeit langer Zeit gekannt. So ſehr Waltern dies auffiel, wollte er doch nie durch eine Frage dem raͤtſelhaften Magiker ſeine Neugierde verraten; ſondern begnuͤgte ſich damit, wenn iener ihn nur recht oft beſuchte und in der geheimen Wiſſenſchaft unterrichtete

Von Tage zu Tage fuͤhlte er ſich voll - kommner, ward aber auch tiefſinniger; ſelten ſprach er, arbeitete beſtaͤndig in einem verſchloſſenen Zimmer; ſprach ſehr wenig mit andern, vieles aber vor ſich. Er ſchrieb vieles von ſeinen Experimenten und Selbſt - erfarungen nieder, aber in einer ganz unbe - kannten Sprache und Schrift, und damit auch nichts von dieſem etwa in ungerechte Haͤnde ſich verirrte, ſo warf er es iedesmal ſorgfaͤltig ins Feuer.

C Das34Wilhelm Walter.

Das ganze Weltall betracht 'ich izt, ſagte er einmal, aus einem ganz andern Ge - ſichtspunkte; das Weſen meiner Seele; die hohen Eigenſchaften des dreieinigen Gottes; die geheimen Kraͤfte der Natur; die ſichtbare und geiſtige Welt, alles liegt unverhuͤllter vor meinen Blikken. Alle Dinge ſind von der Gottheit ſelbſt durch ein uͤberirrdiſches Band zuſammengekettet; ieder Sterbliche iſt darin ein Glied und ein Sterblicher kann daher die Kette der ganzen menſchlichen Geſellſchaft willkuͤhrlich in Bewegung ſezzen. Es liegt in der heiligen Werkſtatt der Natur eine Subſtanz verborgen, welche mit zum Ur - ſtof aller Elemente gehoͤrt, in den Tempera - menten aller Sterblichen wohnt und nur von dem hermetiſchen Weiſen ausgefunden wer - den kann. Dieſes Weſen iſt von Gott durch alle moͤgliche Koͤrper gewebt; kann von den Geiſtern empfunden werden und haͤlt die ganze Koͤrperwelt wie Glieder eines Leibes zuſammen. Es aͤuſſert ſich oft, ohne daß wir es wiſſen. Wenn z. B. ein Menſch im To -des35Wilhelm Walter.deskampfe ringt und ſeine Seele halb losge - riſſen von ihrer Huͤlle iſt; dann kann ſie ſich einer andern Seele fuͤlbar machen, welche dadurch ſehr beaͤngſtigt wird und dies pflegen wir Ahndungen zu nennen. Dieſe Ahndun - gen entſtehen durch den ſympathetiſchen Zu - ſammenhang aller Glieder in der Koͤrper - welt, in welcher das eine nicht leiden kann, ohne daß das andere den Schmerz mit empfindet. Eben hierdurch koͤnnen Er - ſcheinungen bewirkt werden, die ſchlechter - dings nicht zu laͤugnen ſind, weil ſie ſich auf zuviel glaub - und merkwuͤrdige Erfahrungen gruͤnden; eben hierdurch kann man ſich uͤber ſich ſelbſt und zum Umgang andrer denken - den, freien Weſen erhoͤhen, welche noch etwa mit in dies ſympathetiſche Band verflochten ſind. Der Weiſe, welcher nun den Weg gefunden hat, wodurch er ſich dem Urquell von dieſem allen naͤhert, aus welchem er zu - gleich auch die wahren Mittel, ſich aller in den Stoffen der Welt ausgeſtreuten ſympa - hetiſchen Kraͤfte nach eigenmaͤchtigem WillenC 2zu36Wilhelm Walter.zu bedienen ſchoͤpfen kann, der hat eine hohe Staffel der magiſchen Weisheit erſtiegen; kann aller Herzen nach ſeinen Abſichten lenken; kann im Verborgenen den wichtigſten Einflus auf das Wol einer halben Welt haben; kann die groͤſten Revoluzionen in den Staaten er - zeugen; kann ſelbſt Geiſter von der niedern Klaſſe, durch Beruͤhrung dieſes ſympatheti - ſchen Bandes unaufhoͤrlich an ſeinen Willen feſſeln, welches ſonſt auf keine andre Art moͤglich iſt. Moſes lebte lang im Ver - borgenen, ehe er aufſtand um einen ganzen Staat zu veraͤndern; er ſtudierte die gehei - men Werke der aͤgyptiſchen Weiſen, welche ſich damals faſt einzig nur, angereizt durch das Vorſpiel der Kaldaͤer, die ſehr viel am Hofe galten, der heiligen Magie gewidmet hatten. Dann trat er auf, und lies den Voͤlkern ſeinen verborgenen Einflus fuͤh - len. Jeſus Chriſtus wurde erſt kurz vor ſeinem dreiſigſten Jahre etwas merkwuͤrdi - ger; ſeine Geſchichte vor dieſer Zeit iſt uns unbekannt, wahrſcheinlich verlebte er ſie in -nerhalb37Wilhelm Walter.nerhalb ſeines Zimmers, umringt von den Werken aller auslaͤndiſcher Weltweiſen. Er hat in der Zeit beſonders auch die Juͤdiſche Kabala ſtudiert, und ſie von den vielen Feh - lern und Unreinigkeiten derer Unwiſſenden ge - ſaͤubert; durch ſie lernte er die ganze Fuͤlle des Goͤttlichen Namens und die groſen Ge - heimniſſe ſeiner Eigenſchaften; durch ſie er - hob er ſich hoͤher, indem er den wahren Geiſt derſelben nachforſchte und ſich nicht an die Zeremonien und niedern Zuſaͤzze der Unver - ſtaͤndigen band; durch ſie gewann er den groſen Einflus auf Menſchen und Religions - verbeſſerung. Auch Apollon von Tyana war ein Geſchwiſter der heiligen Magie, nur auf ei - ner etwas niedern Stufe, denn Chriſtus. Das groſe Myſterium und den lichtloſen Pfad dahin zu finden, iſt nicht ſo ſehr ſchwer. Man mus zuerſt die geheimen Werke der Philoſo - fen und deren reinen Sinn ſtudieren; iede ſeiner Leidenſchaften daͤmpfen, ſeinen Willen brechen, ſich kalt und fuͤhllos gegen alle Ereigniſſe machen, keine Wuͤnſche nach irrdi -C 3ſchen38Wilhelm Walter.ſchen Gluͤk kennen, Freude und Traurigkeit wegbannen und uͤberhaupt ſo viel als moͤglich ſich von menſchlichen Schwachheiten reinigen. Dann vorzuͤglich iede Arten von Menſchen - karaktern ausforſchen, pruͤfen und durch ſtrenge Faſten ſich vollkomner machen um der Gemeinſchaft andrer Weſen theilhaftig zu werden.

Walter konnte nicht ermuͤden immer tiefer einzudringen; iedes Hinderniß, welches ſich ihm in den Weg lagerte, war ihm nur Sporn es zu uͤberſteigen, ſtatt daß er davor zuruͤk wich.

An einem Sonntage Nachmittags kam R** mit einer ungewoͤhnlichen Heiterkeit zu ihm; erzaͤhlte dies und das, fragte um ver - ſchiedene Sachen und rief endlich aus: Freund, Sie ſind mein! Sie ſind gepruͤft von mir ich fuͤhre Sie eine Stufe hoͤ - her! Zwar noch nicht die allerhoͤchſte werden Sie beſteigen; aber doch ſollen Sie unendlich zufrieden mit ihrer baldigen Wuͤr - de ſein.

Wie39Wilhelm Walter.

Wie ſo, mein Herr? ich wuͤſte nicht wie ſehr ich Jhnen dankbar ſein wuͤrde, wenn Sie Jhr hohes Verſprechen, welches Sie mir bei unſerer erſteu Bekantwerdung tha - ten, hielten?

Jch will Sie in einen Orden, in wel - chem die groͤſten Weiſen Geweihte ſind, hin - fuͤhren Sie ſollen ein Freimaurer wer - den.

Lang hab ich mich darnach geſehnt, die Geheimniſſe dieſes groſen Orden zu wiſ - ſen. Vielleicht fuͤhrten ſie mich naͤher zum einzigen Zwek.

Daran zweifeln Sie nicht!

Doch hab ich gefunden, daß es in un - ſern Tagen der ſogenannten Winkellogen ſehr viel geben ſoll

Leider!

Und woran erkennt man nun die Aecht - heit derſelben?

Sie werden es erfahren, wenn ſie mit Aufmerkſamkeit meine Worte anhoͤren wollen. Wol der Menſchheit und Selbſterhebung iſtC 4die40Wilhelm Walter.die groſe Abſicht des Ordens, welcher in den fruͤheſten Zeiten ſchon ſeinen Urſprung nam, aber nach und nach, beſonders in den Jahrhunderten der allgemeinen Unwiſſenheit ſo tief ſank durch die Jgnoranz ſeiner Glie - der, daß nur in wenigen Logen noch die ein - zige hohe Weisheit, zu welcher man ſich in ſiebenfachen Staffeln emporarbeitet, zu fin - den iſt. Die Loge der Dreifaltigkeit iſt die, zu welcher ich mich zaͤle, und welche noch das wahre, heilige Arkanum beſizt ich will Jhnen von ihrer innern Einrichtung nur folgendes wenige ſagen, damit ich Sie in den Stand ſezze, ſich einen klaren Begrif vom Zwekke und der Wuͤrde derſelben bilden zu koͤnnen. Die Welt iſt anizt alſo beſchaffen, daß man nur den Mann nach Kleidern und Titeln zu ſchaͤzzen pflegt; bei - des ſind dem wahren Weiſen Taͤndeleien, aber mehr ſind ſie ihm alsdann, wenn ſie zu Mitteln werden, wodurch groſe Jdeen zur Wirklichkeit gebracht werden. Die ge - weihten Bruͤder der Dreifaltigkeit uͤben alſoge -41Wilhelm Walter.gegen ſich die erſte Pflicht der Menſchheit, Liebe aus; und befoͤrdern ſich ſelbſt allmaͤlig zu des Staates unentbehrlichſten Poſten, denn von hier aus erhalten ſie zugleich fuͤr ihre edeln Abſichten einen ausgedehntern Wir - kungskreis. Sie wurden z. B. Stadtſekretair; doch will ich es Jhnen dieſen Abend noch be - weiſen, daß es durch uns geſchah. Die - ſer Orden iſt durch Jtalien, Frankreich, Deutſchland, Daͤnnemark und Polen verbrei - tet und in drei Graden abgetheilt, zu wel - chen man nicht durch andre erhoben wird, ſondern ſich ſelbſt mit anhaltendem Fleis im Forſchen der urerſten Warheit empor - ſchwingt, wozu die aͤltern Logenbruͤder nur Fingerzeig und Anweiſung geben. Der hoͤch - ſte Grad der Dreifaltigkeit iſt von den we - nigſten Gliedern beſezt; aber die Geheimniſſe, welche dort enthalten ſind, uͤberſteigen den Glauben des Eingeweihten. Jhre Kent - niſſe begraͤnzen die Kentniſſe eines Engels; ſie ſizzen bald am Staatenruder, bald ver - borgen in einer willkuͤhrlich erwaͤlten einſa -C 5men42Wilhelm Walter.men Huͤtte. Sie kennen das Weſen der Gott - heit und beherrſchen die menſchlichen Herzen am Zaume der Temperamente; die ver - ſchwiegenſten Geheimniſſe der goͤttlichen Schoͤpfung ſind vor ihren Augen aufgethan; ſie haben eine magiſche Gewalt uͤber die Geiſter ieglicher Klaſſe bis zur unterſten Engelklaſſe hinan: ſie ſind faͤhig ihre Seele aus den Nerven des Koͤrpers zu ziehen und in andre Regionen erſcheinen zu laſſen: ſie wiſſen um den Urquell aller menſchlichen Sprachen, ihre Worte ſind nicht artiku - lirte Toͤne und dennoch mit uͤberirrdiſcher Kraft verſehen, ſo daß ſie von Maͤnnern ie - des Volkes verſtanden werden koͤnnen; ſie ſehn die Zukunft allwiſſend vorher, ohne aſtrologiſche Thorheiten deswegen zu Huͤlfe zu nemen, denn ſie uͤberſehen den ganzen Zuſammenhang aller vergangenen Begeben - heiten mit einem Blikke und ſehen daraus ſo untruͤglich ſich Folge um Folge entwikkeln, wie wir es voraus wiſſen, daß, wenn wir ein Saitenſpiel beruͤhren, es toͤnen mus. Mit43Wilhelm Walter.Mit einem Worte, lieber Walter, ihr Geiſt iſt zu Geheimniſſen gelangt, die zu bezeich - nen die deutſche Sprache zu unfaͤhig iſt, und es der heiligen Sprache der groſſen Frei - maurer ſelbſt bedarf. Jm zwoten Grade der Dreifaltigkeit ſtehen wir; doch giebt es auch in dieſen noch unzaͤlige hoͤhere oder nie - dere Stufen. Uns liegt die Propagazion des Ordens ob und unſre Mitbruͤder empor - zuhelfen; wir muͤſſen in das fuͤrſtliche Ka - binet, in die Weinſchenke des Poͤbels und in das Sinedrium der Klerifei dringen; wir muͤſſen ieden Misbrauch im Staate ausſpuͤ - ren und mit vereinten Kraͤften ihn abzukeh - ren ſtreben; wir kennen das Jntreſſe der Monarchen; kennen die Zal der Weiſen in einem Volke; kennen ihre Talente und Faͤ - higkeiten, ihre Karaktere und Schikſale, ſo daß wir uns, ohne uns ihnen zu entdekken, ihrer nach unſern geheimen Abſichten bedie - nen und die dem Orden faͤhigſten auswaͤ - len. Nie mit Gewalt, ſondern immer im Verborgnen und allmaͤlig ſuchen wir gro -ſen44Wilhelm Walter.ſen Uebeln, welche zum Schaden des allge - meinen Menſchenwols ſind, zu wehren und wenn auch funfzig und mehrere Jahre daruͤ - ber verfloͤſſen. Wir beſizzen Geheimniſſe, doch der eine mehr, der andre weniger; alle ſtreben wir die Geſezze der Natur und Pfade der heiligen Magie zu erforſchen. Unſre Religion iſt: ſich weiſer und andre gluͤkli - cher zu machen; keine andere kennen wir; ſie iſt verfeinert genug und doch beſizzen die Glieder des erſten Grads der Dreifaltigkeit eine noch heiligere, beſſere. Wir ſind daher weder Lutheraner, noch Arianer, noch Ka - tholiken, noch Mennoniten, doch iſt es uns Pflicht, daß ſich ieder oͤffentlich zu einer Haupt - ſekte bekennt. Religion iſt das Gaͤngelband, in welchem man von Anbeginn her Voͤlker lei - tete, und dieienige iſt dem groſſen Haufen die angenemſte, welche des meiſten Zeremo - niels voll iſt, daher die Katholiſche noch immer die groͤßte Zal der Anhaͤnger beſizt. Dieſe iſt die tuͤchtigſte von allen das Volk im Zaum zu halten, daß es nicht in trun -kenen45Wilhelm Walter.kenen Ausſcheifungen ſeinem eignen Wol auf Jahrhunderte ſchade, wenn wir dieſer beſonders alſo nebenbei mit aufzuhelfen uns bemuͤhn, ſo helfen wir das Gluͤk des Volkes empor. Denn zu groſſe Aufklaͤrung des gemeinen Mannes iſt, wie ieder Vernuͤnftige es weis, Gift fuͤr den Staat. Um unſern Wir - kungskreis zu erweitern, nemen wir auch aus der Mitte des Volks Mitglieder an, die wir aber zum dritten Grade beſtimmen, welche von wenigen, oder gar keinen My - ſterien wiſſen und mit leeren, auffallenden Zeremonien und den fuͤrchterlichſten Schwuͤ - ren an uns gekettet werden. Wir kennen zu genau den Karakter des gemeinen Hau - fens; wir koͤnnen von ihm nicht verraten werden, weil er keine Geheimniſſe kennt und doch ein ſuͤſſes, wiewol eitles Vergnuͤgen da - ran findet, mit denſelben zu pralen und ſie zu verfechten. Mehr ſag ich Jhnen nicht, ob es mir gleich nicht verboten worden iſt empfinden Sie aber Hang zu unſern Orden uͤberzugehen, ſo entdekken Sie ſich.

Wal -46Wilhelm Walter.

Walter, der bis dahin ſtill und ernſt die Worte ſeines Freundes anhoͤrte, ſtrekte ſeine Hand aus und ſagte: topp! ich bin euer. Die glaͤnzenden Vorſpieglungen von magiſcher Vollkommenheit; ſein groſſer Hang nach allem was Geheimnis hies; ſeine melankoli - ſche Laune verfuͤhrten ihn zu dieſem Schritt er nannte den Tag den gluͤklichſten ſeines Lebens, ungeachtet er der Quell alles ſeines erfolgenden Ungluͤks war.

Der Abend kam und R** fuͤhrte ſeinen Rekruten in die verſammelte Loge, welche erſt ſehr ſpaͤt in der Nacht wieder auseinan - der gelaſſen wurde. Zwar kann man nicht mit Gewisheit ſagen, was Walter hier that, und vielleicht zu thun gezwungen war, doch mus ſeine Sucht nach Myſterien hier volle Befriedigung erhalten haben; denn er kam auſſerordentlich froh zu Hauſe, lies ſich Licht anzuͤnden und arbeitete in ſeinem Studier - zimmer die Nacht hindurch bis an den fol - genden Morgen. War er vorher ein Schwaͤrmer geweſen, ſo war er's iezt dop -pelt;47Wilhelm Walter.pelt; traͤumend nur verrichtete er die Geſchaͤfte, welche ſein Amt von ihm heiſchte; er kannte keinen ſeiner Freunde und Bekann - ten mehr; lag Tag und Nacht unter ſeinen myſtiſchen Schriften vergraben und kei - ner, als etwa R**, welchen er gewoͤhnlich den Vertrauten der Geiſter zu nennen pfleg - te, hatte Zutritt zu ihm.

Laͤnger vermochte aber ſeine Natur, die ohnedem nur von ſehr wandelbarer Konſi - ſtenz war, nicht die unendlichen Strapazen, Faſten, Nachtwachen, Geiſtesanſtrengungen zu ertragen; ſie erlag und er verfiel in eine ſchwere Krankheit, welche zulezt in ein hiz - ziges Fieber uͤberging. Jedermann verzwei - felte an ſeinem Leben, nur er blieb ruhig und behauptete von ſeinem Genius zu wiſſen, daß er noch nicht ſterben wuͤrde; man nam zween Aerzte zur Wiederherſtellung ſeiner Geſund - heit an es verfloſſen zwei Vierteliahre, ehe es ſich mit ihm zur Beſſrung anlies und er wollte in dieſer Zeit oft Erſcheinungen von Daͤmonen gehabt haben.

Ge -48Wilhelm Walter.

Gemach aber kehrten ſeine verſchwun - denen Kraͤfte wieder zuruͤck, ſo daß er wieder umher gehn und vernuͤnftig denken konnte; allein die Aerzte unterſagen ihm die gewohn - te Lektuͤre, auch ſorgten ſeine Freunde davor, daß ihm keines ſeiner alten Buͤcher vor die Augen kam; ia, man ging ſoweit, alles was nur myſtiſch roch und mit unverſtaͤnd - lichen Karakteren bemalt war, in's Feuer zu werfen. Man ſuchte das Angedenken der - ſelben aus ſeiner Seele zu reiſſen, R** wur - de gar nicht mehr zu ihm gelaſſen; man las ihm Schriften wider Magie und Nekroman - tie vor; machte allenthalben die Freimaͤu - rer laͤcherlich; ſuchte ihn zu zerſtreuen und ſeinen Stoizismus durch Freude und Scherz zu verbannen. Es gelang ihnen in der That endlich, daß er ſelbſt theilnehmend und em - pfindſam gegen Freundſchaft und Liebe und ſeine Seele fuͤr Harm und Wonne empfaͤng - lich wurde. Er lachte, koſ'te fing ſogar an unterweilen auf Myſtik zu ſpoͤtteln und die Geheimniſſe der Magie ein Schatten -ſpiel49Wilhelm Walter.ſpiel an der Wand zu nennen. Jn ſolch einer Stunde brachte man ihm es bei, wie man mit ſeiner Bibliothek verfaren haͤtte; allein dieſe Nachricht war Donnerſchlag in ſeine Seele. Er aͤuſſerte zwar ſeinen Ver - drus uͤber dieſe That nicht; doch ſahe man es wie ſehr er ſich bemuͤhte ihn in ſeinem Buſen zu verbergen. An eben dem Tage verlies er zum erſtenmale wieder nach der halbiaͤh - rigen Krankheit ſeine Wohnung; er that ei - nen Spaziergang nach einem oͤffentlichen Ort des Vergnuͤgens, auſſer der Stadt; ver - traͤumte da in der heimgekehrten, ſpleene - tiſchen Laune den ganzen Tag und dachte am ſpaͤten Abend noch nicht wieder an die Ruͤkkehr. Es war ſchon dunkel; der Mond ſchien ſehr hell am wolkenloſen Himmel, als er eine herrliche Lindenallee heraufgewandelt kam, und, ungeſtoͤrter ſeinen tiefſinnigen Betrachtungen nachzuhaͤngen, ſich auf eine bequeme Raſenbank ſezzen wollte. Aber o! wie ſehr erſtaunte er, als er den ver - geſſenen Freund R** unverhoft erblikte,Dnur50Wilhelm Walter.der nur wie von ohngefaͤhr hier zu liegen ſchien.

Angedonnert ſtand er vor ihm, wollte ſprechen und die Worte ſtarben ihm auf den Lippen, iener aber zog ihn bei der Hand ne - ben ſich nieder, uͤberſtroͤmte ihn mit ſeinen Feuerkuͤſſen, und machte ihm zaͤrtliche Vor - wuͤrfe. Alle Szenen der Freundſchaft verfloſſener Tage kehrten nun vor Waltern zuruͤk, er umarmte ſeinen alten Liebling und kuͤßte ihn innig wieder.

Jch glaubte, Freund, Sie wuͤrden ſchon in das Reich der Schatten hinuͤber ge - wandelt ſein und mus Sie noch hier ſehen? deſto beſſer; wie ſtehts mit den Fortſchritten auf dem Pfade der hoͤhern Weisheit?

Walter ſchwieg betroffen ſtill.

Sie ſcheinen mich nicht zu verſtehn kontinuirte iener ſpoͤttiſch: Walter, Wal - ter! nimmer haͤtt ich geglaubt, daß ſie ſo wankelhaft ſein und laſſ auf einer ſo himmli - ſchen Bahn werden koͤnnten, die ſie ſchon halb zuruͤckgelegt hatten. Verheelen Sie miralles51Wilhelm Walter.alles und ich weis doch ſoviel was mir ge - gruͤndete Urſach giebt auf Sie recht boͤſe zu ſein. Sie haben ſich durch das Gewaͤſch un - wiſſender Laien bethoͤren, durch truͤgliche Sofismen unverſtaͤndiger Menſchen blenden laſſen; haben die Heiligtuͤmer der Magie verachtet, und ſind zum Narren moͤgt 'ich ſagen, herabgeſunken. Jhr Leute glaubt nicht eher, bis Engel vom Himmel ſteigen und Zeichen und Wunder thun; darum kom - men Sie mit, ich will Jhnen beweiſen, durch Thatſachen es beweiſen, daß die Myſterien der Magie mehr, als Schattenſpiel ſind.

Jndem fuͤhrte er ihn in eine naheſte - hende Laube zog Pergamentblaͤtter aus ſeiner Taſche und fing an die Hieroglyphenſchrift derſelben mit lauter Stimme abzuleſen, wo - bei er einen Kreis um ſich zog, in welchem er mit ſeinem Stokke unterſchiedne aſtrono - miſche Zeichen ſchrieb. Walter war noch kaum von ſeinem Erſtaunen zu ſich ſelbſt ge - kommen und ſtand harrend da, wie die Sa - che verlaufen wuͤrde. Jndem wehte es kaltD 2durch52Wilhelm Walter.durch die Laube; es ſchien, als wuͤrde ſie dann und wann von einem matten Schimmer erhellt; ploͤtzlich rollte es wie ein fernes Don - nerwetter uͤber ihn weg, es grauſte ihm das Haar vor Entſezzen und vor ſeinen Augen ſchwebte eine ſonderbare Figur, halb dunkel, halb licht, die immer anderthalb Schritt um - den magiſchen Kreis that. R** redete ſie zwar an, doch hoͤrte man keine Antwort zu - ruͤk; ſie glich einem Frauensbilde aus den 13ten und 14ten Jahrhundert, in verſchlieſſener, altfraͤnkiſcher Tracht, das Geſicht ſchien nur halb hinter dem grauen Schleier hervor. Zuweilen ſah ſie ſich um und hob die linke Hand empor, in welcher ſie einen Zettel, oder dergleichen, hielt; der Nekromantiſt frag - te, wer ſie waͤre? was ſie in der Hand truͤ - ge? ob ſie etwas verlangte? Der Schat - ten ſtarrte ihn aber mit holen Augen an, wandte ſich und ward in eben dem Augen - blikke unſichtbar.

So ſehr wahrſcheinlich ſich auch dieſe wunderbare Begebenheit erklaͤren lieſſe, ſowollen53Wilhelm Walter.wollen wir doch hiebei nicht laͤnger ſaͤu - men; ein ieder Leſer mag ſie ſich ſelbſt aus - einander ſezzen*)Jch kann nicht umhin, dieſe Gelegenheit zu benuzzen eine aͤhnliche Geſchichte meinen Leſern mitzutheilen, die mich ſehr frappirte und auch wahrſcheinlich eines ieden Aufmerkſamkeit rege machen mus.Da ein beruͤmter Mann, der noch izt lebt in iuͤngern Jahren auf dem halliſchen Waiſenhauſe ſtudierte, erhielt er von einem ſeiner Lehrer die Freiheit, die Bibliothek deſſelben durchſuchen und nach Wunſch gebrauchen zu duͤrfen. Er nam mit Freuden das Anerbieten an und fand unter andern des Lehrers Stammbuch, in wel - chem er nach einigem Durchblaͤttern auf ein ſon - derbares Bild ſties. Daſſelbe ſtellte naͤmlich drei iunge Maͤnner vor, in deren Mitte eine Men - ſchengeſtalt, ganz rot bekleidet, mit hoher, ſpizzer Muͤzze, gelben Pantoffeln und langen roten Abſaͤzzen ſtand. Unter dem Bilde war geſchrieben: gedenk Bruder, des Mannes mit den roten Hakken! unſer Schuͤler bat ſei - nen Lehrer um Aufſchlus uͤber das ſonderbare Ge - maͤlde und iener, anfaͤnglich etwas ungehalten auf den neugierigen Blaͤtterer, ſagte ihm folgendes: Er wird, wie es anizt unter unſern iungen Ge -〈…〉〈…〉 ien Mode iſt, uͤber das, was ich ihm erzaͤlen werde, freigeiſteriſch laͤcheln; aber ſei Er ver -ſichert,54Wilhelm Walter.hatte ſie den Effekt, welchen der Nekromantiſt durch ſie hervorbringen wollte. Er um -armte*)ſichert, daß ich ihm keine Luͤgen ſage und daß fuͤrwahr in der Natur Dinge verborgen ſind, bei denen unſer Verſtand ſtille ſteht. Jch legte mich in meinen Studenteniahren nebſt noch einigen guten Freunden auf Nekromantiſche Wiſſen - ſchaften, um zu erforſchen was dahinter ſei. Da wir dies Studium lange genug getrieben zu haben glaubten, wollten wir mit dem Zitiren der Geiſter einen Verſuch machen und beſtimm - ten uns hiezu die heil. Kriſt Nacht. Wir kamen vor dem Thore in einem nahen Walde zuſammen und fingen die Beſchwoͤrungen getroſt an, weil wir wuſten, daß nichts darauf erfolgen konnte. Unvermuthet aber ſtand ein ſtarker Mann unter uns, grade ſo gekleidet, wie auf dem Bilde hier. Wir erſchraken, glaubten un - ſern Augen nicht, was ſie ſahen, und einer war ſo kuͤhn nach den langen Pantoffelhakken zu faſſen, worauf die Erſcheinung ploͤtzlich ver - ſchwand und wir erſchrokken nach Hauſe eilten. Zum Beweis, fuhr der Lehrer fort, daß nicht alles ſo ganz unwahr iſt, was Maͤnner leugnen die ſich nicht darauf legten, naͤher die Sache zu erforſchen: ſo will ich ihm Seine Schikſale profezeien ꝛc. Hierauf fing er an unſerm Ge - waͤhrsmanne Dinge vorherzuſagen, die, ob ſie gleich damals ſehr unwahrſcheinlich waren, in dieſer Stunde mehrentheils ſchon in Erfuͤllungge -55Wilhelm Walter.armte ihn, bat viel um Verzeihung, gelobte Beſſerung an und erbat ſich zugleich von ihm ein Geſchaͤft, welches er, gleichſam als zur Buſſe ſeiner Vergehung, im Namen des ganzen Ordens vollbringen koͤnnte. R** verſprach's ihm und trennte ſich, nach man - cher Drohung und Warnung von dem guten Walter, der, taub an allen Sinnen, nach Hauſe taumelte und nur halb wuſte, ob er traͤume oder wache?

Nach etlichen Tagen kam R** mit einer ziemlich ernſten Miene zu ihm und faͤdelteD 4das*)gegangen ſind. Auch ſich ſelbſt weiſſagte er die Hauptbegebenheiten ſeines Lebens; z. B. daß er noch weit in die Welt verſchleudert und kei - nes natuͤrlichen Todes ſterben wuͤrde. Jn der Folge ward er nach Rusland, und von da von Jhro Maieſtaͤt der Ruſſiſchen Kaiſerin nebſt andern Gelehrten zu Schiffe nach den noͤrdlichen Kuͤſten Siberiens geſchikt das Land zu meſſen, aufzu - nemen und von ſeinem natuͤrlichen Zuſtande Bericht abzuſtatten. Vier Jahr nachher erhielten die El - tern dieſes Mannes die Nachricht, daß ihr Sohn auf dieſer Farth wegen der Kaͤlte ſich zu ſehr dem Brantewein ergeben, und von zu vielem Genus deſſelben iaͤmmerlich geſtorben ſei.56Wilhelm Walter.das Geſpraͤch ſo ein, daß Walter nach eini - gen gleichguͤltigen Fragen und Antworten daſſelbe von ſelbſt auf den Hauptpunkt wen - den muſte, um welchen ſich izt alle ſeine Ge - danken und Empfindungen drehten. Wie ſtehts, Bruder, haben Sie ſich Muͤhe ge - geben fuͤr mich ein Geſchaͤft des Ordens aus - zuwuͤrken? Jch hab es gethan, nur be - fuͤrcht 'ich, antwortete iener, daß es fuͤr Jhre Schultern zu ſchwer ſei. Zu ſchwer? ſobald es fuͤr meine Kraͤfte nur an Moͤg - lichkeit graͤnzt, uͤbernehm ich's. Entdekken Sie mir's.

R** raͤusperte ſich ſehr bedenklich, ſtarr - te ihn darauf zwei ganze Minuten an und ſagte: Sie haben in Jhren Geſichtslinea - menten einen fatalen Zug! doch ſcheint es mir vielleicht anizt nur alſo ich liebe Sie und Sie koͤnnen unmoͤglich ein Teufel ſein. Hoͤren Sie an! Unſer Orden hat anizt ein groſſes, ſehr groſſes Vorhaben zur Ausfuͤh - rung vor ſich; der Befehl dazu kam uns von dem erſten Grade der Dreifaltigkeit, und eser -57Wilhelm Walter.erfordert zu dieſer wichtigen Operation ver - ſchiedener ſehr geſchikter Maͤnner Huͤlfe. Sie ſind erleſen einer von dieſen zu ſein, und im Namen des hohen Abſtrals der uner - forſchlichen Gottheit, im Namen Allaazeels kuͤndige ich Jhnen an, ſich hiezu wuͤrdig zu machen. Der erſte Schritt dazu iſt, daß Sie ſich einer groſſen Pruͤfung freiwillig un - terwerfen; beſtehen Sie dieſe, ſo wird man Jhnen wichtigere Plaͤne zur Ausfuͤhrung uͤber - geben, wodurch Sie ſich ewig gluͤklich ma - chen und einen hoͤhern Grad der Dreifaltig - keit erſchwingen koͤnnen. Faſt ſollt 'ich Sie beneiden, wenn ich nicht ein Maurer und Jhr Bruder waͤre; aber dauren ſollten Sie mich, wenn Sie die Stunden der Pruͤfung zu ertragen, zu ſchwach waͤren. Dann, wiſ - ſen Sie's nur, dann ſind in der Welt ge - nug Dolche fuͤr Sie geſchliffen und Aqua - toffanaflaͤſchgen gefuͤllt!

Und worin beſteht dieſe Pruͤfung?

Der Orden wird Jhnen Briefſchaften und Geheimniſſe anvertraun; damit muͤſſen SieD 5nach58Wilhelm Walter.nach W .... reiſen und bei der dortigen Loge gewiſſe Geſchaͤfte gut und gluͤklich expediren.

Nicht mehr?

Spielen Sie nicht, lieber Walter, den Grospraler! mir graut ſchon izt!

Mehr ſagte er nicht, ſondern brach ſchnell das Geſpraͤch ab und lenkte es auf andre unbedeutende Dinge. Es verſtrichen eini - ge Wochen, ohne daß Walter mehr erfuhr; indeß beſchaͤftigte er ſich aͤmſig mit ſeinem Lieblingsſtudium, und war bald eben ſo ſehr wieder darinnen verſunken, als vor ſeiner Krankheit. Er gruͤbelte nach unerforſchten Geheimniſſen, weihte ſich taͤglich mehr ein in den groſſen Tempel der heiligen Magie, ſchwebte mehr in der Geiſter - als Koͤrper - welt umher und waͤre bei ſeinen ſpekulativen Betrachtungen wieder zum ehmaligen, un - empfindlichen Narren geworden, wenn die Loge nicht bald ihre Hauptſizzung gehalten und ihm darin gewiſſe geheime Auftraͤge an eine Loge zu W ... gegeben haͤtte, die man von ihm aber niemals hat erfahren koͤnnen.

Er59Wilhelm Walter.

Er muſte zu Anfang des Julymondes abreiſen und zwar unter dem Vorwande, ſeine Geſundheit durch Veraͤnderung der Luft zu befoͤrdern. Sein Amt ward in dieſer Abweſenheit von einer andern Magiſtrats - perſon verwaltet.

Binnen acht Tagen war er zu W ...

Er miethete ſich ſogleich in den erſten beſten Gaſthof ein; erhielt ſein eignes Zim - mer und, da er am folgenden Tage von ei - nem Logenbruder erfuhr, daß der Orden erſt uͤber 8 Tagen groſſe Sizzung halte, nam er ſich vor in dieſer Zeit die Merkwuͤrdigkeiten von W ..., die ihm ſo ſehr geruͤmt worden waren, in Augenſchein zu nehmen. Er beſuchte auch wirklich alle oͤffentliche Plaͤzze, Gebaͤude, Bibliotheken, Gaͤrten u. ſ. w. und war nur ſelten uͤber eine Stunde am Tage zu Hauſe.

Eins Abends ſas er in Gedanken veloren in einem der ſchoͤnſten Gaͤrten der Stadt, als ſich ihm ein artiges, innges Maͤdchen nahte, welcher frohe Unſchuld aus den Mie - nen laͤchelte. Sie ſezte ſich frei neben ihnhin,60Wilhelm Walter.hin, taͤndelte ein Weilchen mit ihrer Buſen - ſchleife, dann mit ihrem Faͤcher, endlich ſagte ſie zu dem hermetiſchen Weltweiſen: Mein Herr, Sie ſind ganz in ihren Fantaſien ver - tieft; ſie moͤgen freilich ſehr ſchoͤn ſein, aber erlauben Sie, daß ich Sie ein paar Minu - ten in denſelben ſtoͤre.

Walter hatte ſie noch nicht bemerkt, und fuhr zuſammen, da er ſie gewahr ward.

Ei warhaftig, ich ſollte faſt glauben, ſagte das mutwillige Maͤdchen, Sie fuͤrch - teten ſich vor mir; bin ich denn ſo gar haͤslich?

Walter fand nichts weniger, als dies an dem Maͤdchen, vielmehr ſchien es in ſei - nen Augen das Gegentheil. Sein truͤber Humor ward auf einmal heiterer; ſeine muͤrriſche Philoſophenlaune wandelte ſich zur galanten Gefaͤlligkeit um; vielleicht hoffte er bei dieſer Schoͤnen neue Karakterzuͤge und geheime Falten des menſchlichen Herzens zu entdekken, durch welche er zu dem groſſen Urquell der allgemeinen Sympathie geleitetwuͤrde61Wilhelm Walter.wuͤrde, denn er verwirrte ſich gar zu ſchnell mit ihr in ein Geſpraͤch, aus welchem er ſich hernach eben ſo wenig herauswikkeln konnte, als wenn er mit dem dreifaltigen Markis R** uͤber die magiſchen Koniunkzionen aller vorhandenen Subſtanzen disputirt haͤtte.

Das Frauenzimmer hat eine beſondre Forſche den Ton eines Geſpraͤchs unvermerkt nach Willkuͤhr zu ſtimmen es weis ſich geſchmeidig an die Jdeen der unbiegſamern Maͤnner zu ſchmiegen und ſie nach ihren Ab - ſichten zu modeln, ohne daß dieſe nur einen Gedanken an Verdacht hegen es durch - ſpaͤht mit einem fluͤchtigſcheinenden Blik die Tiefen und geheimen Winkel der Maͤnnerher - zen und kann in den erſten Minuten der erſten Konverſazion ſchon den Karakter derſelben ausſtudieren. Dieſe Wiſſenſchaft des ſchoͤ - nen Geſchlechts, welches vielleicht die einzige iſt, worinnen ſie die maͤnnlichen Weiſen, und haͤtten ſie auch drei Univerſitaͤten bezogen oder waͤren ſie Mitglieder dreier Akademien, uͤbertreffen, findet man beſonders in groſſen Staͤdten undbei62Wilhelm Walter.bei gewiſſen Demoiſellen, denen der vinaigre de virginité*)Unglaublich iſt es faſt, wie hoch Luxus und Ueppigkeit in unſerm Jahrhundert ſtieg; wie ſehr man ſich bemuͤhte den Reiz der Wolluſt zu erhoͤhn und dennoch den Schein unverlorner Tu - gend zu erhalten ſtrebte. Der Vinaigre de vir - ginité mag Beweis davon ſein und mancher ehr - liche Mann wurde durch ihn getaͤuſcht. Die Kunſt die verlorne Jungfrauſchaft des Maͤdchens wiederherzuſtellen, geht ſchon uͤber unſer Saͤku - lum hinaus; denn im Jahre 1635 erſchien zu Amſterdamm eine bogenſtarke Piece in duodez unter dem Titel: Des remedes de rendre la Vir - ginité à une Filie, par Cupido. Der Autor em - pfielt: La vapeur d'un peu de vinaigre, ou l'on aura jetté un Fer ou une brique rouge; la de - coction adſtringente de gland, de prunelljes ſauvages, de myrrhe, de roſes de Provinz, et de noix de cyptés, l'onguent adstringent de Fernel, les eaux diſtillées de myrrhe, ces ſont tous de remédes, qui resſerent les parties na - turelles des Femmes qui ſont trop ouvertes. Der Heilige Hieronimus wußte ganz gewis noch nichts von dieſer ſchoͤnen Kunſt, welche wahr - ſcheinlich Frankreich zum Vaterlande hat; denn einſt ſchrieb er an ein iunges Maͤdchen Euſtochian uͤber die Worte in der heiligen Schrift: die Ruthe Jſraels iſt gefallen und keiner iſt der ſie aufhebe, folgendes: Jch geſtehe es frei, wer -thes nicht gar unbekannt iſt, zurvoͤl -63Wilhelm Walter.voͤlligen Reife gediehen. Man darf von mir nicht erwarten, daß ich hier den Grund an - gebe, warum? und wodurch? ſondern ich gehe zu meinem Paͤrchen zuruͤk, welches ich in der vertraulichſten Situazion auf der Ra - ſenbank finde. Das Obige mag dem Leſer indeß ein Wink ſein, aus welchem Geſichts - punkte man Walters ſchoͤne Geſellſchafterin betrachten muͤſſe, welche den gutherzigen Kleinſtaͤdter ſchon ſchlau in ihre Nezze ver - ſtrikt und von ihm herausgelokt hatte, daß er Freimaurer ſei, und an die W .... ſche Loge geheime Depeſchen habe.

Maͤdchen.

Es iſt doch ſehr unartig von Jhnen, daß Sie mir auch keine Sylbe ent - dekken wollen warum machten Sie mich neugierig?

Wal -

*)thes Maͤdchen, daß Gott, obwohl er allmaͤch - tig iſt einem Frauenzimmer die Jungfrau - ſchaft welche ſie einmal verloren hat, nicht wiedergeben kann; er kann ihr die Suͤnde vergeben, aber nicht wiedergeben die Blume der Maͤdchenehre, welche ſie ſich hat rau - ben laſſen.

64Wilhelm Walter.
Walter.

Warum? ich abtheure es Jh - nen heilig, Mamſell, daß dies ſchlechterdings nicht meine Abſicht war.

Maͤdch.
(ſcherzend.)

Ha, ich kenne die lo - ſen Maͤnner ihre Betheurungen ſind mir nur immer ſo, ſo!

Walter.

Beim heilgen Himmel! bei mir nicht denn ich mus Jhnen ſagen, daß ich mehr, als mancher andre an Recht und Pflicht gebunden bin.

Maͤdch.

A ha! warlich weil ſie ein Freimaurer ſind; wenn alle Mitglieder Jhres Ordens ſo wenig galant, als Sie ſind, ſo wuͤrd 'ich den ganzen Maurerorden haſſen.

Walt.

Auch mich?

(indem er ſchuͤchtern ihre Hand faſſt und druͤkt.)
Maͤdch.

Nicht anders, mein Herr machen Sie Jhr Vergehn den Augenblik gut ſonſt werd ich Sie verlaſſen.

Walt.

Nein, bleiben Sie, meine Schoͤne, und ſagen Sie mir, womit ſoll ich's?

Maͤdch.65Wilhelm Walter.
Maͤdch.

J nun, mit dem Geſtaͤndnis, was das vor Geheimniſſe ſind, die Sie an die hieſige Loge uͤberbringen muͤſſen?

Walt.

Allein, warum dringen Sie ſo ſehr in mich dieſelben zu erfahren?

Maͤdch.

Weil, weil weil ich glaubte, Sie wuͤrden unmoͤglich einem neu - gierigen Maͤdchen, welches Jhnen doch nicht ganz boͤſe iſt, eine ſo geringe Bitte ab - ſchlagen koͤnnen.

Walt.

Fuͤrwahr, keine Minute wuͤrd 'ich ſaͤumen Sie Jhnen zu geſtehen, wenn ich es wagen duͤrfte.

Maͤdch.

O wagen Sie's nur immer, ich gebe Jhnen meine Erlaubnis!

Walt.
(raͤuſpert ſich.)
Maͤdch.
(boͤſe und weinerlich.)

So werden Sie ſich nicht erbitten laſſen? wol! aber warten Sie nur; ein Maͤdchen, wie ich, weis ſich immer zu raͤchen, ſo unbekannt wir uns auch noch ſind.

Walt.
(bittend.)

Liebe!

EMaͤdch.66Wilhelm Walter.
Maͤdch.
(ſchlingt ihren Arm um ihn.)

Herr Walter, darf ich nichts nichts! hoffen?

Walt.
(kuͤſſt ſie trunken.)

Machen Sie mich nicht wanken!

So haderten beide noch eine Viertel - ſtunde hindurch; das Maͤdchen beſtand ei - genſinnig darauf die Geheimniſſe zu wiſſen und Walter, eingedenk der Worte ſeines N**: es ſind Dolche genug geſchliffen und Aqua - rofanaflaͤſchchen gefuͤllt! hielt ſich iederzeit wieder ihre meiſterhaft angelegten Beſtuͤr - mungen ſtandhaft.

Sie ſtand endlich auf und er fuͤhrte ſie am Arme einigemal durch den Garten und dann nach der Stadt. Der Abend war zu ſchoͤn; der Mond gos ſein Silber ſo liebreich uͤber die verworrenen, abendlichen Gruppen; der Wind wandelte kuͤhl und leiſe und die Straſſen wimmelten von Spaziergaͤngern, ſo, daß unſre beiden es einſtimmig vor Suͤnde hielten, ſich fruͤher zu trennen, als es der Wolſtand gebot. Sie ſchlenderten alſo, im - mer in ihrem vorigen Geſpraͤch verloren, ruhigvor -67Wilhelm Walter.vorwaͤrts und dialogiſirten ſich unvermutet in ein enges Gaͤschen hinein. Wie kom - men wir hieher? rief ſie und ſpielte die Ver - wunderte hier iſt meine Wohnung; wollen wir noch einmal umkehren? nein, Sie kommen auf etliche Augenblikke noch zu mir hinauf; nur hurtig! rief's und zog den beginnenden Abentheurer hinter ſich her in ein niedliches Haus, welches von innen noch netter in's Auge fiel. Sie oͤffnete ihm ihr Zimmer, bat ihn ſich zu ſezzen, zuͤndete Licht an, hing ihre Enveloppe ab und lagerte ſich nach einem Weilchen in dem allerliebſten Neglige auf einer Bergere neben ihn. Sie muͤſſen verzeihen, ſagte ſie, ich liebe Kom - moditaͤt! nun laſſen ſie uns beginnen, wo wir zulezt in unſerm Plaudern abbrachen zuvor erfriſchen Sie ſich. Sie langte Wein und einen Teller Konfekt hervor, fuͤllte ihm ſelbſt das Glas und ſprach hernach mit einer liebenswuͤrdigen Schuͤchternheit, die nur noch mehr wirkte, was ihre Worte vermeiden machen ſollten: Es iſt ſchon ſpaͤt; die UhrE 2zeigt68Wilhelm Walter.zeigt uͤber halb neun, und wenn man wuͤßte, daß eine iunge Mannsperſon allein bei mir auf meinem Zimmer waͤre, und kein Menſch hier ſonſt im Hauſe ſei ich glaube die Leute wuͤrden recht was Uebels von mir den - ken. Doch laſſ 'ſie! ſezte ſie hinzu und warf ſich laͤchelnd neben den verwandelten Schwarz - kuͤnſtler hin, der auch deswegen nicht boͤſe ward, daß er noch einige Zeit in ſolcher an - genehmen Geſellſchaft verzoͤgern duͤrfte.

Der Wein machte ihn lebhaft und ge - ſchwaͤzzig, er ſchaͤkerte und nekte und ſie un - terlies nicht wolbedaͤchtig zu gewiſſen Augen - blikken ihr altes Liedchen von vorn an zu repetiren.

Hier werf 'ich iedem meiner Leſer die kri - tiſche Gewiſſensfrage auf, was er in dieſer Lage gethan haben wuͤrde? man denke ſich eine iunge ſchlanke Dirne, im ſchoͤnſten Rei - ze ihrer Jugendbluͤte; ſchoͤn gebaut, verfuͤh - reriſch in ihren Reden, mit wolluſtſchwerem Blikke um ein Geheimnis bittend, welches ſie heilig zu verſchweigen beſchwor, (obgleichFrauen -69Wilhelm Walter.Frauenzimmerſchwuͤre in cauſa ſilentii nur Nothſchwuͤre ſind, welche man brechen zu duͤrfen glaubt ohne Suͤnde zu begehn!) Jch bin uͤberzeugt man wuͤrde eben das fuͤlen, was iener Paladin empfand, als er eine nakte Nymfe (obgleich die unſre mehr, als nakt war,) fand, und er ſie

Wie Roſ 'und Lilie, wie Milch und Blut,
Vom feinſten Teint und etwas abgemattet
Suͤs ſchlummern ſah, halb in der lichten Flut
Halb auf dem weichen Lager, Bluͤt umſchattet.
Jhr Schwanenbuſen ſtieg, als ſchwellte Zaͤrtlichkeit
Und Liebe ihn, gewekt von Fantaſien
Des Traums; und ſchoͤner ſah man einer Maid
Noch nie die kleinen Roſenwangen gluͤhen;
Und Amoretten ſpielten unſichtbar,
Bald in des Buſens Schnee, bald in des Hauptes Haar.
Nun denkt euch unſern guten Paladin,
Daſtehend, gierig ieden Reiz verſchlingend
Mit einem Blik der, durch des Baches Spiegel dringen[d]
Erſpaͤhte, was in der Kriſtallflut ſchien:
Bald auf des Buſens elaſtiſchen Huͤgel,
Umſeufzt von kuͤlender Weſte Fluͤgel,
Die iungen purpurnen Roſenknoſpen, da
Von einem Liebesgotte hingepflanzet, ſah;
Bald wie die Wellen, die der Nymfe Naͤhe fuͤhlten,
Wolluͤſtig um der Schenkel Ruͤndung wuͤhlten.
E 3Bald70Wilhelm Walter.
Bald ſah den kleinen halbgeoͤffneten Mund,
Jn dem zwo dichte Reihn der ſchoͤnſten Perlen ſchimmern[;]
Bald ein Paar Waden, nett und rund
Gedrechſelt aus dem Grund des Baches flimmern:
Bald ſich des Marmorleibes Gliederbau
Jn ſeinen ſchoͤnen Theilen kunſtgenau
Mit allen Praͤdikaten detaillirte
Und was noch mangelte, hinzu ſich fantaſirte
Kurz, malt euch ganz die Gruppe, ſie und ihn:
Und ſagt, was fuͤhlte hier der eiſigſte Paladin
*)Aus einem noch ungedrukten, romantiſchen Ge - dichte: die Helmaiden, erſtes Buch.
*)

Jch wollte darauf wetten, man wuͤrde Geheimnis, Geheimnis ſein laſſen her - plaudern was man auf dem Herzen haͤtte und ſich davor den Minneſold des ſchoͤnſten Maͤd - chens erkaufen. Mancher Leſer wird frei - lich zuͤchtiglich laͤugnen; allein dem gebuͤrte, wenn anders Narrenzuͤnfte**)Wer es weis, daß er ein Narr ſei, iſt es ſchon weniger, als der, welcher es von ſich nicht glaubt. Jn den Tagen unſrer Vaͤter war Offenherzigkeit noch keine Schande und da ge - ſtand man es gern; errichtete ſogar, worauf der Herr Verfaſſer der Walterſchen Biografie vielleicht anſpielt, im J. 1381 einen groſſen Nar -ren noch ſo Sitte,als71Wilhelm Walter.als im vierzehnten Jahrhundert, waͤren, eine feierliche Beſtallung zum Oberaufſeher uͤber des Grosherrns naktes Serail, mit Lebens - ſtrafe, wenn er ſich vergaffte.

Und Walter? ich geſteh es, war Menſch, doch zugleich Weiſer! Er be -E 4haup -**)ren-Orden, in welchen ſehr viel Hohe eintraten. Graf Adolf von Kleve ſtiftete ihn; er hatte iedesmal ſeinen Koͤnig, ſeine 6 Ratsherrn, Fi - nanziers, Schazmeiſter, Maitres de Plaiſirs, Kaſtellane, Feldmarſchalle u. ſ. w. Sobald man einen vornehmen Thoren auswitterte, ſandte man ihm die Beſtallung zu irgend einer Charge, welche ſeiner Narrheit angemeſſen war, zu. Nie - mand durfte ſich der Aufname weigern, wollte er ſich nicht noch groͤſſern Ungelegenheiten und Satyren Preis geben; ſo ward mancher gros - pralender Junker, dem ſeine Heldenthaten be - ſtaͤndig die Zunge beſchaͤftigten zum General - feldmarſchall, ein alter Gek zum Hofnarren, ein abgefeimter Heuchler zum Pater u. ſ. w. er - hoben. Das auf den Kleidern eingeſtikte Or - denszeichen war ein Pikkelhering mit halbro - ter, halb ſilbergeſtikter Kappe, gelben Schellen, ſchwarzen Schuhen, einer goldnen Schuͤſſel in der Hand, voller Obſt. Jm Kleviſchen Archive ſoll ſich noch ein Brief befinden, den die Stifter des Narrenordens (Respublicae babinenſis) ſaͤmtlich mit ihren Namen unterzeichnet haben.72Wilhelm Walter.hauptete ſein Geheimnis, ſelbſt da die ſchoͤne Prieſterin der Zythere ihm ihr Alles Preis gab und davor auch Alles zu gewinnen hoff - te. Umſonſt! es ward Nacht und Wal - ter lag immer noch in den Armen, am Buſen der wolluͤſtigen Phryne, und ſanft ſtreute Morfeus uͤber ihn ſeine Schlummer - koͤrner aus.

Er erwachte erſt ſehr ſpaͤt am folgenden Morgen und fand alles um ſich her dunkel. Er ſtand auf, tappte erſtaunt umher und konnte ſich ſeine Begebenheiten bei allem Nachſinnen nicht erklaͤren! denn was er bei dem matten Stral des Tageslichtes, welches oben durch die Dekke in diagonaler Richtung in ſein unbequemes Behaͤltnis herein brach, erkannte, hatte mit einem fatalen Kerker die ſeltenſte Aehnlichkeit. Er betaſtete, ganz aus ſeiner ſtoiſchen Faſſungskraft gehoben, die Waͤnde und fand feuchte, ausgeſchlagene mit Spinneweben uͤberflorte Mauern, an welchen hin und wieder ein einſames Hals - eiſen nebſt Zubehoͤr hing, welches durch dieBe -73Wilhelm Walter.Beruͤhrung ihm ſchauerlich durch die Ohren klirrte. Auch eine Thuͤr fand er in einem Winkel, die fuͤr ihn aber ſo wenig zur Aus - flucht dienſam war, als eine Eiſenmauer. Niemals hatte er ſich noch in ſolcher Situa - zion befunden; zwiſchen beſtaͤubten Buͤchern hatte er den groͤſten Theil ſeines Lebens hin - durch vegetirt; ſein Herz ſehnte ſich nimmer nach Abentheuern und anizt auf einmal in einer Sfaͤre, die, wer weis wie viel Delin - quenten ſchon, beatmet hatten, verlaſſen und ſich keines ruͤgeheiſchenden Verbrechens be - wuſt! Hier ſank gaͤnzlich der durchaus er - ſchuͤtterte Stoizismus ſeines Geiſtes von ſei - ner Exiſtenz herab, der ſich doch in dem Studierzimmer ſo ſtandhaft erhalten hat - te; Angſterpreſſte Thraͤnen befluteten izt die Wangen des hermetiſchen Weiſen und in banger Verzweiflung rang er die Haͤnde, welche einſt durch magiſche Karaktere das Geiſterreich in Schrekken ſezten.

Nachdem er genug geweint, genug ge - iammert hatte, ohne daß er dadurch HuͤlfeE 5ge -74Wilhelm Walter.gewann, ſezte er ſich hin auf den Boden, wo er nicht all zu ſumpfigt war, den Zu - ſammenhang ſeiner Begebenheiten pragma - tiſch durchzudenken, ob er nicht irgend eine Grundurſach ſeiner traurigen Metamorfoſe hervorklauben koͤnnte. Keine Thraͤne rann nun mehr, er ward, bei allem Ungluͤk, ſtill, wie es einem Weltweiſen anſtehet, denn er konnte nicht mehr weinen.

Er blieb den ganzen Tag allein; man ſchien von ihm und ſeinem Auffenthalt in der Welt nichts zu wiſſen; alles war weit um ihn her tod und ſchweigend, daß er faſt ver - zweifelte. Die Nacht trat herein, mit ihr erſchien ein leiſer Schlaf und der ehrliche Ge - fangene benuzte denſelben, um ſich einiger - maaſſen des triſten Aufenthalts und ſeines nagenden Hungers vergeſſen zu machen.

Es war kaum Morgen, als er von ei - nem fuͤrchterlichen Kerl aus dem Schlaf ge - wekt wurde, der ihm Brod und eine Flaſche Bier zum Fruͤhſtuͤk brachte, dann ihn nach genoſſner Malzeit mit ſich hinaus auf einenge -75Wilhelm Walter.geraͤumigen einſamen Hofplaz fuͤhrte, von dem verſchiedne Pforten und Thuͤren den Ausgang machten. Es ward geklingelt der mannhafte Kerkerretter ſties den duldenden Weiſen ſehr unſchiklich einer kleinen Thuͤr zu, von der eine ſchmale ſteinerne Windeltreppe Waltern in einen langen Saal brachte, uͤber welchen er ging und in ein angenemes Zim - mer hereintrat.

Mein Freund! fing ſogleich ein an - ſehnlicher, vornehm gekleideter Herr an, der neben einem Pater ſas: wir bedauern Jhr Schikſal, welches ſie ſich ſelbſt zuzogen; thuen Sie das noch, um es etwas zu mindern, und geſtehen Sie ohne Ruͤkhalt die Urſach ihres Auffenthalts allhier widrigenfalls noch Mittel vorhanden ſein werden, Jhren Mund zu eroͤfnen!

Walter ſchwieg betroffen; bat mit ſeinen Blikken Gnade!

Sie haben eine hieſige Buͤrgerstochter verfuͤhrt; der Vater hat Sie bei JhremVer -76Wilhelm Walter.Verbrechen ertappt und unſern Haͤnden uͤber - liefert!

Erſchrokken ſtammelte der arme Jnquiſit zwei Woͤrter, der ſich deſſen nicht verſah und aͤngſtlich die Haͤnde rang.

Sie haben ſich gegen die Verfuͤhrte ei - niger Worte von geheimen Auftraͤgen an hie - ſige verborgne Geſellſchaften verlauten laſ - ſen wir verlangen dieſelben rein und un - geheuchelt zu wiſſen!

Dieſes, geſprochen mit einem donnern - den, furchtbaren Ton, dekontenenzirte Wal - tern ganz. Demungeachtet laͤugnete er doch alles leztere noch mit ziemlicher Hartnaͤkkig - keit; wandte dies und ienes vor, und be - hauptete weder von geheimen Auftraͤgen noch den Geſellſchaften zu wiſſen.

Allein es fruchtete nicht! Wir ſind, ſprach unter andern der Jnquiſitor, voͤllig von dem uͤberzeugt, deſſen wir Sie bezuͤchtigen; wir beſizzen Jhre Briefſchaften, Jhr Alles in Haͤnden wozu denn noch die weither - geholten Entſchuldigungen und Vertheidi -gungs -77Wilhelm Walter.gungsgruͤnde, die erkuͤnſtelten, maskirten, kniffigen Wendungen und Ausfluͤchte? Ent - dekken Sie den geheimen Orden, geben Sie der Warheit die Ehre und leiſten Sie als ein braver Mann dem Staate eine groſſe Pflicht. Wir kennen keinen, fuͤr den Staat und die allgemeine Ruhe gefaͤhrlichern Skorpion, als derlei heimliche Brut, wel - che im Dunkeln umherſchleicht, Proſeliten macht, Raͤnke ſchmiedet, ſich in alle Larven, alle Wuͤrden, alle Aemter hineinſchmiegt, den Saamen der Jrreligion ausſtreut indem ſie Aufklaͤrung zu predigen luͤgt; die nur Ver - wandte ihres Gelichters liebt und andere ehr - liche Leute hintanſezt; die ſich zu groſſen Po - ſten im Reiche unter einander befoͤrdert, in - des oft der weiſere Mann in Armut darben mus, blos weil er ſich nicht zu ihrer Fahne bekannte. Wie gings mit den Jeſuiten? die - ſe ſpielten ihre Rollen anfangs im Dunkeln; allmaͤlig erhuben ſie ihr tuͤkkiſches Haupt, ver - dekt von der Demut Schleier; ſie gewannen die Gemuͤter des Volks, beſoldeten Spione,lieſ -78Wilhelm Walter.lieſſen iede Mine ſprengen; ſtahlen dem Mo - narchen den Zepter aus der Hand und lieſ - ſen ihm nur die Krone; lenkten das Jntreſſe des Staates zu ihrem eignen Jntreſſe; zogen die Faden der Regierung abwechſelnd zu ih - rem Vortheil an und bauten in der Nacht an dem groſſen Werke einer allgemeinen Hie - rarchie. Muͤhſam hat man das Unkraut ausgeriſſen, indes doch unaufhoͤrlich noch die zerriſſnen Wurzeln fortwuchern und neue Sproͤslinge nur mit fremdſcheinenden Blaͤt - tern liefern. Jeder geheime Orden iſt Gift des allgemeinen Voͤlkergluͤks, der Staaten - ruhe; darum, mein Freund, entdekken Sie, was Sie wiſſen und ranzioniren ſich Jhr Le - ben! Oder koͤnnen Sie vor Gott dem Allwiſſenden, vor dem alle Scheinmaͤntel und Selbſtvertheidigungen blendender Sofis - men, als Spinngewebe zernichtet werden, ihre gaͤnzliche Unwiſſenheit von einem Orden und ſeinen Mitgliedern beſchwoͤren, ſo knuͤ - pfen Sie in Gottes und unſerer Gegen - wart Jhre Zeitlichkeit an den Jammer einerun -79Wilhelm Walter.unendlichen Ewigkeit, wenn Sie falſch ſchwuren!

Pauſe! es war ſchreklich, was der Mann ſo feierlich-ernſt daher ſprach; auch Walter zitterte; ſein Gewiſſen uͤberredete ihn faſt Gott und dem Reiche dieſen verlangten Dienſt zu leiſten, aber doch blieb er ſtoͤrrig, ſobald er nur die Kraͤfte ſeines Geiſtes geſam - melt, und an die groſſen Geheimniſſe ſeiner Loge zuruͤkgedacht hatte. Sie verlangte auch Standhaftigkeit in der Pruͤfungsminute, und dieſe Minute iſt izt da, ſprach er bei ſich ſelbſt, iſt izt da, und ich bin ſtandhaft, um mich der hohen, heiligen Weisheit ganz wuͤr - dig zu machen; verlache das Jrrdiſche, und der Schwur der dienſtwilligen Zunge, bei dem das Herz ſchweigt, kann nur fuͤr den Bigotten, fuͤr Ungeweihte der groſſen Er - kentnis zur Feſſel werden. Jch ſchwoͤre! ſagte er gefaſſt und man entband ihn des ſchreklichſten, ausgekuͤnſtelten Eides.

Er glaubte nun frei zu ſein von allem; allein man lies ihn wieder zuruͤkfuͤhren in dasvorige80Wilhelm Walter.vorige Gefaͤngnis und mit Brod und Bier ſpeiſen. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß er nach dieſem noch oͤftre, aͤhnliche Verhoͤre uͤberſtehen, ia, wie ganz gewis aus ſeinen Briefſchaften hervorſcheint, ſelbſt Foltern aushalten muͤſſen, nichts deſto weniger lokte man ein Geſtaͤndnis aus ihm hervor.

Ein ganzer Monat verſtrich beinah, ohne daß Walter ie nur Hoffnung zu einer Be - freiung in ſich naͤhren durfte. Er war ab - geſchnitten von allem menſchlichen Umgange; ſas Tage und Naͤchte eingemauert in dem Mittelpunkt der Erde, wo er vergeblich ſich im Rufen und Wehklagen ermuͤdete, denn keines Menſchen Gehoͤr reichte ſo tief hinunter. Und die Urſach, welche man vorgab, war, daß er einen falſchen Eid geſchworen, und ein unſchuldiges Maͤdchen verfuͤhrt habe. Seine Vorſtellungen wurden ungehoͤrt ab - gewieſen.

Eines Tages trat ſein eiſenveſter Huͤter abermals zu ihm herein und fuͤhrte ihn, wie immer, mit wenigen Umſtaͤnden zu dem obi -gen81Wilhelm Walter.gen Stuͤbchen. Hier ſahe er Gott! wer ſchildert ſein Erſtaunen! den lieben Freund R** nebſt ſeinen Jnquiſitoren auf einem Sofa ſizzen. Walter wollte ſchon ſchaamvoll nach einer Pauſe zuruͤktreten, aber R** ging laͤchelnd auf ihn zu, und zog ihn an ſeine Bruſt, an ſeinen Mund. Waltern traten Thraͤnen in die Augen; mit ſtummer Wehmut druͤkt er des Freundes Hand, als flehte er, ein Vorwort fuͤr ihn einzulegen. Jch werd es nicht mehr lange hinbringen koͤnnen; die vielen Qualen haben meine Ge - ſundheit getoͤdtet machen Sie mich los von dieſen; ich will dankbar ſein und alles Jh - nen, wenn ſie es noch nicht wiſſen, nachher erzaͤlen, dies lispelte er ihm verſtolen bei der Umarmung ins Ohr, allein R** erwiederte lachend: Jch weis mehr denn du, braver Junge! du biſt frei, dieſe Herren ſind deine Bluts - und Seelenfreunde, und zum Allerheiligſten der groſſen Myſtik, der ewigen, allumfaſſenden Weisheit haſt du ei - nen Rieſenſchritt gethan!

FEin82Wilhelm Walter.

Ein Traͤumender ſtand der Befreite da, lies ſich bruͤnſtig von ſeinen vorigen Richtern umarmen, ohne mit Gegenumarmungen ver - gelten zu koͤnnen. Sein Erſtaunen laͤhmte tauſend Fragen auf der Zunge er glaubte getaͤuſcht zu werden, R** aber nam ſeine Furcht von ihm, indem er ihn mit ſich in ſeine ſehr praͤchtige Wohnung fuͤhrte.

Hier verſah ihn iener mit ſeiner, rein - licher Waͤſche und Kleidung; ſtaͤrkte ihn mit Suppen und Weinen, lies ihn ausruhen einige Tage und in einem vertraulichen Ge - ſpraͤch entdekte er ihm folgendes:

Jch haͤtt es nimmer geglaubt, daß du ſoviel zu ertragen faͤhig waͤrſt; aber wol dir, daß du es konnteſt; denn izt biſt du benei - denswuͤrdig gluͤklich. Du biſt gepruͤft und der Verſchwiegenheit unſers Ordens treu fun - den worden; deine Leiden werden dir tau - ſendfach verguͤtet werden nun will ich dir uͤber die verworrenen Szenen, ſeit deiner Abreiſe aus der Vaterſtadt, Licht ſtreuen. Du reiſ'teſt ab, und deiner Pruͤfung entge -gen;83Wilhelm Walter.gen; die hieſige Loge war von dir ſchon laͤngſt berichtet, und von allem, was mit dir zu unternemen ſei. Das iunge Maͤdchen welches dir den fatalen Streich ſpielte, war erkauft und wider dich abgeſchikt; ſie mußte deine Wege und Gaͤnge mit ſtrengen Augen beobachten; dich ins Nez lokken und in die Falle ſtuͤrzen. Du gingſt, wie gewuͤnſcht; ein guter Schlaftrunk hinderte, daß du nicht eher, als in dem Gefaͤngniſſe erwachteſt; deine Sachen wurden eingezogen und du muſteſt von einigen Deputirten der Loge die Jnquiſitionen uͤber dich dulden, welche deinem Gedaͤchtnis noch nicht entfallen ſein werden. Man wandte iedes Mittel an den Grund deiner Treue zu erforſchen, die dir izt die Liebe der Obern und unſerer Logen gewann. Erprobte Verſchwiegenheit iſt zu dem wich - tigen Geſchaͤfte vonnoͤten, welches dir von Seiten unſers Ordens uͤbertragen werden wird. Jzt wollen wir Hand in Hand den Pfad der geheimen Magie wandeln; mit groͤſter Bequemlichkeit ſollſt du ihre Myſte -F 2rien84Wilhelm Walter.rien ſtudieren; du biſt nahe an dem groſſen Punkt, welcher dich unendlich erhebt, denn der groͤſte Fels iſt uͤberſtiegen!

Jn dieſen Tagen erhielt Walter 500 Thaler im Golde geſchikt, ohne zu wiſſen, von welcher Hand; es ſtand fuͤr ihn ein ſchoͤner Englaͤnder in R**s Stall mit koſt - barem Sattelzeug; die nobelſten Geſellſchafen waren fuͤr ihn offen; geiſtliche und weltliche Herren und Groſſe unterhielten ſich oft ſtun - denlang mit ihm. Eine ſolche von der ehe - maligen ſo auffallend verſchiednen Lebensart, konnte ihn leicht, mit dem, was er vorher gelitten hatte ausſoͤhnen, wenn es nur eben - fals ſeine wankende Geſundheit vermocht haͤtte, welche durch die haͤufig eingeſchlukten Kerkerduͤnſte, durch den Harm, durch Nacht - wachen, Abmattungen, unbekannten Leiden heftige Alterazionen und ſo weiter, den lez - ten, fuͤrchterlichſten Stos erhalten hatte.

Er wohnte oft der W ..... ſchen Logen - ſeſſion bei, und ſcheint darinnen iedesmal einer vorzuͤglichen Ehre genoſſen zu haben;er85Wilhelm Walter.er erhielt von allen Seiten herrliche Geſchenke, nichts aber war ihm intreſſanter als die ſelt - nen Werke einiger Adepten und Theurgen, welche er mehrentheils von ſeinem Freund R** bekam, der auch hier eine ſehr glaͤn - zende Rolle ſpielte. Jndes ſehnte ſich unſer Freimaurer heftig nach der Vaterſtadt, um dort den geheimen Wiſſenſchaften ungeſtoͤrter obliegen und ſeiner einſinkenden Geſundheit pflegen zu koͤnnen. Er eroͤfnete dem Freund und Bruder ſein Vorhaben, allein wie ſehr beſtuͤrzte Walter, als er im Namen der ganzen Dreifaltigkeitsloge den Auftrag einer wichtigen Reiſe zum Nuzzen des Ordens er - hielt. Es iſt ſehr ungewis zu welchem Endzwek die Reiſe unternommen werden ſolte, weil man in Walters Papieren nicht eine Spur davon antrift. Zuverlaͤſſiger laͤſſt ſich etwa beſtimmen, daß er nach einem deutſchen Fuͤrſten - hofe habe verſchikt werden und dort zum Beſten des Ordens (oder des Katholizismus?) wirken ſollen. Mit einem Worte, er verweigerte den Schritt, indem er hiezu ſich zu wenigF 3kuͤhn86Wilhelm Walter.kuͤhn, und geſchikt hielt, auch ſeinen ſchwaͤch - lichen Koͤrper vorſchuͤzte. Er hatte die - ſerwegen mit R** manchen Wortwechſel, welcher aber bald beigelegt wurde, nachdem ihm von dem Orden Konzeſſion gegeben war, nach Hauſe kehren, und ſein Amt ſowol als ſeine Geſundheitsumſtaͤnde beſorgen zu duͤrfen, doch mit dem Beding, ſobald ſich leztere ver - beſſern wuͤrden, das nur aufgeſchobene Ge - ſchaͤft zu vollbringen.

Walter kam in ſeiner vaͤterlichen Woh - nung an, bleich, entſtellt und beſtaͤndig truͤbe. Seine Worte waren mit einem gewiſſen Un - willen begleitet, welcher ieden aus ſeiner Geſellſchaft vertrieb, ihn in kurzer Zeit ein - ſam, ſein Haus aber zur Einſiedelei machte. Er korrespondirte unterdeſſen fleiſig mit R**, der ſich noch immer in W .... befand; las und ſchrieb; bearbeitete auch ein Werk fuͤr den Druk, von welchem ich nur noch einige Frag - mente aufgefunden habe. Er betitelte es: Geſtaͤndniſſe eines ehrlichen Erdenbuͤr - gers, der ſich der geheimen Wiſſenſchaftenbeflis.87Wilhelm Walter.beflis. *)Der Herr Verfaſſer dieſer Biografie iſt ſo guͤ - tig geweſen uns von den Fragmenten dieſes paradoxen Werks Kopien zu uͤberſenden. Wir ſagen ihm noch einmal unſern Dank und ver - ſichern, ſollten ſie den Kunſtrichtern und dem Publikum nicht unwilkommen ſein, in einer Fortſezzung unſrer Narrenkronik, Gebrauch davon zu machen. Hierin kramt er nun all ſeine Kent - niſſe aus; ſpricht ziemlich heterodox von Gott - heit, Menſchenſeele, Menſchenweſen und Uni - verſum; ſchildert die Verhaͤltniſſe des Geiſter - reichs mit dem Menſchen und in wie fern unſer Geiſt mit ſeinen Bruͤdern (den Geiſtern) hoͤhrer Gattung Umgang haben koͤnne. Zuweilen hat er kein Unrecht; er ſezt ſich oft uͤber herr - ſchende Vorurtheile hinweg und baut ſich neue Syſteme zuſammen; wagt kuͤhne Hypotheſen und ſpinnt Gedanken, auf die Kriſtus und Schrift nur einen Fingerzeig warfen in's Unendliche hinaus. Doch hat er ſein Opus - kulum nicht vollenden koͤnnen.

Das Uhrwerk ſeines Koͤrpers war einmal zerſtoͤrt und gerieth durch die anhaltende ſiz - zende Lebensart und Geiſtesanſtrengung vonF 4neuen88Wilhelm Walter.neuen ins Stokken. Symptome ſeiner vo - rigen Krankheit zeigten ſich nur zu deut - lich. Freunde riethen ihm einen erfahrnen Arzt anzunemen, daß er nicht im Sommer ſeines Lebens eine Welt verlaſſen muͤſſte, in der er noch Nuzzen ſchaffen ſollte und koͤnnte aber er verwarf Vorſtellungen und Bitten; beſtimmte ſein Teſtament; bereitete ſich ernſt - lich zum Tode und betete oft zu Gott. Warum quaͤlt ihr mich, ſprach er einſt zu denen, welche ihm Arzenei empfalen; wozu all die Medizin, da ich meines Todes gewis bin? geht zum Arzt und fragt ihn, ob er die Sonn in ihrer Bahn aufhalten koͤnne? meine Stunde iſt vorhanden, in der ich auf - geloͤſet werden ſoll es wird kein Mond verflieſſen: ſo iſts geſchehn lange ſah ich das voraus!

Da man ſich bemuͤhte ihn von dieſen duͤſtern Gedanken loszureiſſen, ſagte er mit kaltlaͤchelnder Miene: Es iſt unendlich ſeltſam, daß ihr Menſchen nicht des Augenbliks ge - denken moͤget, der es doch am meiſten ver -dient!89Wilhelm Walter.dient! Mitternachts zwiſchen ein und zwei Uhr wird der meinige ſein!

Er hatte wahr geredet. Sorgfaͤltig ſammlete er vorher alle Papiere und Briefe die ihm von groſſer Wichtigkeit ſchienen und warf ſie mit eignen Haͤnden in die Flam - me. Er bekam fieberhafte Zufaͤlle, welche doch aber abwechſelnd waren. Jn einer ruhigen Stunde lag er auf dem Bette, als ich einſt zu ihm hereintrat und mich nach ſeinem Befinden erkundigte; er atmete auſſer - ordentlich ſchnell und mit gebrochnen Worten bat er mich, einen Brief an ſeinen Freund R** zu W .... zu ſchreiben. Jch ſezte mich und er diktirte folgendes Wenige:

Die Krankheit iſt geſtiegen bei mir und ich laſſe Jhnen darum noch durch eine fremde Hand mein leztes Lebewol ſchreiben. Jch danke Jhnen von Herzensgrunde fuͤr iede Gefaͤlligkeit, welche Sie mir bei Lebzeiten erwieſen, der Sie mein einziger Freund wa - ren. Leben Sie wol fuͤr dieſes Zeitliche. Jch hoffe Sie wieder zu finden. Die Ant -F 5wort90Wilhelm Walter.wort erſparen Sie nur, weil ſie mich nicht mehr lebend treffen wuͤrde. Das Uebrige iſt beſorgt!

Fuͤnf Tage nachher, Mitternachts und ¾ auf zwei Uhr, im ein und dreiſſigſten Jahre ſeines Lebens gab er in einem ſanften erquiklichen Schlummer den Geiſt auf, nach - dem er vorher zwei Tage heftig im hizzigen Fieber gerungen hatte.

Dies iſt das traurige Leben eines Man - nes, welcher izt in andern Welten lebt; deſ - ſen Karakter ohne Falſchheit und Stolz war; der den Armen viel gutes that (wie er z. B. ſein ganzes Vermoͤgen am baaren Gelde dem Armeninſtitute ſeiner Vaterſtadt vermachte;) der herrliche Anlagen und Talente beſas und doch nicht die Pflichten eines redlichen Er - denbuͤrgers ganz in Erfuͤllung brachte. Kei - ner bezweifle die Avthentizitaͤt dieſer Ge - ſchichte, und ſollte man es wuͤnſchen, meinen Namen, den ich guter Gruͤnde willen nicht oͤffentlich nennen mag, zu wiſſen verlangen, ſo will ich ihn privatim nennen dem, welcheraus91Wilhelm Walter.aus rechtlichen Abſichten mich darum, durch irgend einen Kanal, erſucht, oder erſuchen laͤſſt, um ganz die Warheit der Geſchichte zu verbuͤrgen. Walters Familie lebt noch, doch will ich weder das Staͤdtlein, noch einige Freunde des ungluͤklichen Walters namentlich bekannt machen, weil ſie mir zwar ſeine Lebensumſtaͤnde, ſo weit man ſie weis, doch nicht ienes, zu publiziren erlaubten.

Ein Wort der Warnung moͤgen dieſe Blaͤtter, welche Walters Leben faſſen, fuͤr dieienigen ſein, welche, wie er, nur ſuchen den Hang zur Magie zu befriedigen. Es iſt traurig, daß in unſern hellen Tagen noch des Gasners, Kaglioſtros und Walters im dunkeln ſo viel leben; daß ſo mancher ehrliche Mann ſein Hab und Gut im Schmelz - tiegel auffliegen laͤſſt, oder ſeine Hirnfaſern bei dem myſterioͤſen Unſinn der Magie und Goetie anſtrengt. Unſre Gelehrten waͤhnen die Flekken des Aberglaubens ganz hinweg, und das achtzehnte Jahrhundert zur ſpie -gel -92Wilhelm Walter.gelhellen Flaͤche polirt zu haben, allein noch ſind dunkle Flekke vorhanden, die man, ehe ſie fuͤrder um ſich wuchern und einmal eine zweite Finſternis zeugen, wegzuſchaffen hat. Bigotterie, Fanatismus und Aber - glaube ſind noch in vielen deutſchen Staͤdten herrſchend und geheime Geſellſchaften ſchlei - chen ſich nur zu oft unter der Kappe der Freimauͤrerei ein!

Ungenanter.

About this transcription

TextGeister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten
Author Heinrich Zschokke
Extent100 images; 13207 tokens; 4248 types; 93934 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGeister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten Eine warnende Anekdote unsrer Zeit Heinrich Zschokke. . 92 S. OehmigkeKüstrin 1789.

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Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, Goe 3178

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; mts

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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