PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Bekehrungsgeſchichte des vormaligen Grafen und Koͤniglichen Daͤniſchen Geheimen Cabinetsminiſters Johann Friedrich Struenſee,
nebſt deſſelben eigenhaͤndiger Nachricht von der Art, wie er zur Aenderung ſeiner Geſinnungen uͤber die Religion gekommen iſt.
Kopenhagen, beyRothens Erben und Proſt.1772.

Vorrede.

Jch bin weit davon entfernt, die Bekehrung des Grafen Struenſee fuͤr einen betraͤchtlichen Sieg der Religion auszugeben, der ihre Wahrheit beweiſe und auf den ihre Bekenner ſtolz zu ſeyn Urſache haben. Sie iſt zu ſehr bewieſen, als daß ſie eines ſolchen Beweiſes beduͤrfe, und jeder Chriſt, der ſeine Religion verſteht, findet in ihr ſelbſt wichtigere Gruͤn - de zu einer edlen Zufriedenheit mit ſich ſelbſt uͤber die Gluͤckſeeligkeit und Weisheit ihr Bekenner zu ſeyn. Jnzwiſchen ſcheint es mir doch gewiß zu ſeyn, daß in der Seele dieſes Mannes, deſſen Bekehrungsgeſchichte ich hier beſchreibe, der Jrrthum auf eine merkwuͤr - dige Art von der Wahrheit beſiegt worden iſt, und zwar durch ſolche Waffen, die keinen Zweifel daran uͤbrig laſſen, daß der Sieg ganz entſchieden ſey. Freu - de muß das jedem Chriſten verurſachen, den dieſe meine Schrift davon uͤberzeugen kann: denn es iſt ja Freude im Himmel uͤber jeden Suͤnder, der Buße thut.

Jch habe viele Urſachen gefunden, die Ge - ſchichte dieſer heilſamen Veraͤnderung des ungluͤcklichen Mannes zu erzaͤhlen. Warum ſollte ich die Freude, die ich daruͤber empfunden habe, nicht auch andern mittheilen, die uͤber die Errettung einer Seele froh) (2ſeynſeyn koͤnnen. Der Mann hat ſehr viel Aufſehen in der Welt gemacht, alles was uͤber ihn geſchrieben wird, wird mit Begierde geleſen, vielleicht wird dieſe Erzaͤhlung auch von vielen geleſen werden und hin und wieder Nutzen ſchaffen. Vielen Chriſten iſt es noͤthig, daß ſie an die Beweiſe ihrer Religion erinnert werden. Unter denen, die ſo denken, wie Struenſee ſonſt dachte, kann vielleicht einer oder der andere ſeyn, der durch ſein Beyſpiel aufmerkſam gemacht werden wird, uͤber Religion und Sittlichkeit nachzudenken. Er ſelbſt wuͤnſchte es, daß alle diejenigen, die durch ſeine Re - den und Beyſpiele zur Jrreligion und Laſterhaftigkeit verfuͤhrt, oder auch nur in ihren Begriffen von Reli - gion und Tugend irre gemacht worden ſind, von ſeiner Ruͤckkehr zur Wahrheit und rechtſchaffenen Geſinnung, und von dem Wege, auf dem er zuruͤckgekehrt iſt, glaubwuͤrdig unterrichtet werden moͤchten. Er hoffte, daß dadurch der ungluͤckliche Eindruck, den er auf ihre Seelen gemacht haͤtte, wieder wuͤrde ausgeloͤſcht wer - den. Seine Bekehrung wird ihn endlich mit den Edlen unter den Menſchen wieder ausſoͤhnen, die er durch ſeine vorige Denkungsart und Beyſpiele belei - digt hat. Doch ich erzaͤhle eine wahre und in vieler Abſicht nuͤtzliche Geſchichte. Warum will ich es fuͤr noͤthig halten mich deswegen zu entſchuldigen?

Ob ſich nun meine Leſer darauf werden ver - laſſen koͤnnen, daß ich ihnen die Wahrheit berichte, das moͤgen ſie ſelbſt aus folgenden Gruͤnden beurthei - len. Jch erzaͤhle ihnen, was in jeder Unterredung, die ich mit ihm gehalten habe, merkwuͤrdiges und zu unſrer Abſicht gehoͤriges, vorgegangen iſt. So, glaube ich, wird der Gang, den ſeine Bekehrung genommen hat, am deutlichſten und zuverlaͤſſigſten beſchrieben. JchJch habe mich faſt jedesmahl ſorgfaͤltig auf dasjenige zubereitet, was ich ihm vortragen wollte, weil ich nicht glaubte, daß es mir erlaubt waͤre, ihm das erſte das beſte zu ſagen, was mir etwa einfallen wollte. Jch habe alles vorher durchgedacht und aufgeſchrieben, und weiß alſo gewiß, was ich geſagt habe. So bald ich von ihm zuruͤckkam, habe ich in meinem Tagebuch ſeine Aeußerungen nachgetragen, und, wenn ich gleich manches vergeſſen haben kann, ſo bin ich doch uͤber - zeugt, daß er ſelbſt redet, wo ich ihn reden laſſe, und ſo viel es moͤglich iſt, mit ſeinen eigenen Worten.

Jch berichte zuweilen auch Kleinigkeiten. Aber nachdenkende Leſer finden oft durch die kleinſten Zuͤge den Character der Perſon, von der die Rede iſt, ins Licht geſtellt, und dann ſind es keine Kleinigkeiten mehr. Zuweilen rede ich ſelbſt mehr, als es ſcheint, daß ich haͤtte reden ſollen: aber ich muß ja die Bahn genau bezeichnen, die ich mit ihm gegangen bin, ich muß zeigen, welche Vorſtellungarten der Wahrheit am meiſten auf ihn gewuͤrkt haben. Oft wird der Leſer merkliche Luͤcken finden, er wird nicht begreifen, wie der Mann ſo ſchnell und ohne daß die Urſachen davon genau angegeben ſind, zur Erkenntniß und Ueberzeu - gung von dieſer oder jener Wahrheit gekommen iſt. Man muß aber nicht vergeſſen, daß er in meiner Ab - weſenheit beſtaͤndig und mit vielem Nachdenken geleſen hat, daß ich ihn durch die Buͤcher, die ich ihm gab, und die auch in der Erzaͤhlung angezeigt ſind, von Zeit zu Zeit auf das Nachfolgende vorbereitet habe, und daß durch dieſe Buͤcher in einem Monate mehr Licht in ſeine Seele gebracht iſt, als bloße Unterredungen in einem Jahre uͤber ſie haͤtte verbreiten koͤnnen. Gegen das Ende meiner Erzaͤhlung laſſe ich ihn am meiſten) (3reden.reden. Und an den Tagen, deren Geſchichte ich da beſchreibe, ſprach er auch weit mehr als ich. Jch erndtete damals mit Vergnuͤgen die Fruͤchte meiner Bemuͤhungen, und dankte Gott dabey, daß der Saame, den er durch mich hatte ausſtreuen laſſen, einen guten Boden gefunden hatte. Meine Leſer wollen auch in ſeinen letzten Tagen lieber ihm als mir zuhoͤren.

Wie die eigenhaͤndige Nachricht des Grafen Struenſee entſtanden iſt, habe ich in der Erzaͤhlung ſelbſt am gehoͤrigen Orte berichtet. Hat er ſie ſelbſt geſchrieben? Seine Hand iſt in Daͤnnemark bekannt genug, das Papier, worauf er ſchrieb, iſt ihm von ſeinen Richtern dazu gegeben, jeder Bogen iſt gericht - lich numeriert und unterzeichnet. Niemand als er konnte ſie in die Haͤnde bekommen und darauf ſchrei - ben. Habe ich ihm etwa den Jnhalt in die Feder dictirt? Es kann ſo gewiß, als man es verlangen wird, dargethan werden, daß er in meiner Abweſen - heit dieſe ſo und ſo bezeichneten, ihm zugezaͤhlten und ſtuͤckweiſe wieder abgelieferten, Bogen vollgeſchrieben hat. Aber iſt der Abdruck ſeines Aufſatzes, den ich hier mittheilen will, unverfaͤlſcht, iſt er dem Original gleichlautend? Wer daran zweifelt, der kann das Original bey mir ſehen, und es allenfalls auf ſo lange Zeit mit ſich nehmen, als er braucht, um es mit der Copie zu vergleichen. Jch komme mir ſelbſt ſonder - bar vor, da ich mir ſo viel Muͤhe gebe zu beweiſen, daß ich ein ehrlicher Mann bin. Aber ich weiß, wie wenig Glauben die Erzaͤhlung eines Geiſtlichen von der Bekehrung eines Freygeiſtes bey denen findet, deren Parthie er verlaſſen hat. Es iſt alles Betruͤge - rey, ſagen ſie. Das ſollen ſie wenigſtens hier nichtſagen.ſagen. Wollen und koͤnnen ſie behaupten, daß Struenſee aus Poltronnerie Chriſt moͤrder iſt, daß er ſeine Vernunft verlohren hat, daß ich ihn durch meine Declamationes betaͤubt habe u. ſ. w. ſo laſſe ich ihnen ihr Recht zu urtheilen, wie ſie wollen.

Aus dem Struenſeeiſchen Aufſatz ſoll nichts weiter ſichtbar werden, als daß er, uͤber ſein voriges Syſtem ſowohl als uͤber das Chriſtenthum, ſelbſt nach - gedacht hat, und dadurch bewogen worden iſt, jenes zu verlaſſen und dieſes anzunehmen. Die voͤllige Richtigkeit der Begriffe und Ausdruͤcke wird man in der Schrift eines Mannes, der die Religion nur ein paar Monate ſtudiert, in ſeinem vorigen ganzen Leben wenig an ſie gedacht, und ſonſt nie ein Wort uͤber ſie geſchrieben hat, nicht erwarten. Und wenn man ſie hin und wieder, ja durchaus, vermiſſen ſollte, ſo habe ich die Hoffnung zu jedem Chriſten, denn jeder Chriſt ſoll nach der Liebe urtheilen, daß er ihn des - wegen keiner Ketzereyen beſchuldigen wird, die er nie, auch nicht dem Nahmen nach, gekannt hat. Ueber die Hauptſache, daß er nemlich im Vertrauen auf die Gnade Gottes durch Chriſtum Jeſum, und mit ſo ſehr gebeſſerten Geſinnungen, als ſie in ſo kurzer Zeit ohne Wunder gebeſſert werden konnten, aus der Welt gegangen iſt, wird, wie ich hoffen darf, kein Zweifel uͤbrig bleiben. Doch es iſt mir kaum erlaubt uͤber dieſe Bekehrung zu urtheilen. Natuͤrlicher weiſe inter - eſſirt es mich zu ſehr, daß ſie von jedermann fuͤr rechtſchaffen moͤge gehalten werden, als daß ich vor aller Gefahr mich zu betruͤgen ſollte ſicher ſeyn koͤnnen. Jch habe die Geſchichte derſelben ehrlich erzaͤhlt: ver - ſtaͤndige Chriſten moͤgen urtheilen, und ihr Urtheil wird gewiß aufrichtig ſeyn.

Jch

Jch weiß nicht, ob ich noch noͤthig habe zu erklaͤren, daß ich bey dieſer meiner Erzaͤhlung eben ſo wenig die Abſicht habe, das Andenken des Mannes, von dem in derſelben die Rede iſt, verhaßt zu machen, als eine Apologie fuͤr ihn zu ſchreiben. Diejenigen, die wegen ſeiner Verbrechen, an die ich ſie zum Theil wieder erinnere, die gerechteſte Urſache haben wider ihn eingenommen zu ſeyn, werden es von ſelbſt fuͤr billig halten, ihm nun zu verzeihen, und Mitleiden mit ſeiner ehemaligen Verblendung zu haben! Diejenigen, die ſein Betragen in ſeiner letzten Zeit gut und chriſtlich finden, werden es deswegen nicht vergeſſen koͤnnen, wer er vorhin war, und wie unvermeidlich er ſich ſelbſt ein trauriges Ende machte. Kopenhagen den 22ſten Junius 1772.

Der[1]

Der Graf Struenſee hatte ſich weder vor noch in der Zeit ſeines Gluͤcks als einen Freund der Religion und guter Sitten bewieſen. Niemand glaubte wenigſtens ihn dafuͤr halten zu koͤnnen, und ſein Bey - ſpiel ſowohl als einige ſeiner oͤffentlichen Veranſtaltun - gen, auch ſeine Abaͤnderungen ſolcher Geſetze, die die Einſchraͤnkung des Laſters und der ſittlichen Unordnung zur Abſicht hatten, ſchienen unwiderſprechlich zu bewei - ſen, daß man in der Meynung, die man von ſeiner Re - ligion hegte, nicht Unrecht haͤtte. Wer ſehr billig von ihm dachte, der hielt ihn fuͤr einen ſehr leichtſinnigen, den Vergnuͤgungen und dem Ehrgeiz ergebenen Mann, der noch wohl von ſeiner Verirrung zuruͤckkommen koͤnnte. Daruͤber aber waren alle verſtaͤndige Beurtheiler einig, daß unter ſeiner Verwaltung der oͤffentlichen Angelegen - heiten die Religion allen Nachtheil zu befuͤrchten haͤtte, der ihr jemals von Menſchen verurſacht werden kann, und daß die Sitten des Volks, wenigſtens in der Hauptſtadt, in großer Gefahr waͤren wild und zuͤgelloß zu werden.

Dieſe Betrachtungen verurſachten es, daß ſehr viele rechtſchaffene Leute, die nicht faͤhig ſind ſich uͤberAdas2das Ungluͤck eines Menſchen zu freuen, den 17 Januar dieſes Jahrs, den Tag an welchem der Graf Struenſee fiel, fuͤr einen der erfreulichſten ihres Lebens hiel - ten. Sie ſahen nun die Rechte der Tugend und Froͤm - migkeit vor der Gefahr geſichert, von der ſie ihnen be - droht geweſen zu ſeyn ſchienen. Und durch eine natuͤr - liche Folge hofften ſie nun auch allgemeine Sicherheit, Treu und Glauben, Thaͤtigkeit und Ueberfluß, denn das alles war bisher ſehr wankend geweſen und faſt ver - ſchwunden, bald wieder befeſtigt und hergeſtellt zu ſehen. Dem Manne ſelbſt, von dem man nun nichts mehr zu befuͤrchten hatte, und deſſen ungluͤckliches Schickſal man leicht muthmaßen konnte, wuͤnſchten ſie Erkenntniß ſei - ner Jrrthuͤmer und Vergehungen, und dann, Begna - digung von der goͤttlichen Gerechtigkeit.

Als durch die uͤber ſein Verhalten angeſtellte ge - richtlich Unterſuchung ſo viel entdeckt worden war, daß man wiſſen konnte, die Geſetze wuͤrden ſein Leben als ein Opfer der Gerechtigkeit fordern, erhielt ich den Befehl des Koͤnigs ihn in ſeinem Gefaͤngniſſe zu beſuchen, und fuͤr das Beſte ſeiner Seele zu ſorgen. Jch kannte den Mann gar nicht, und war ihm unbekannt; wir waren allem Anſehen nach in unſern Grundſaͤtzen und Geſin - nungen ſehr weit von einander entfernt; ich mußte er - warten, daß er, allenfalls bloß wegen meines Amtes und Geſchaͤffts bey ihm, ſehr mistrauiſch gegen mich ſeyn wuͤrde, ſo wie ich auf meiner Seite auch nicht eben Urſache hatte viel Vertrauen auf ihn zu ſetzen. Weil ich aber doch hoffen durfte, daß er in ſeiner Einſamkeit allenfalls auch den Umgang eines Geiſtlichen ertraͤglich finden wuͤrde; weil ich mir bewußt war, daß ich wah - res Mitleiden mit ihm hatte, und alſo gewiß nicht durch bittere und unzeitige Vorwuͤrfe ſein Gemuͤht wider mich und meine Abſicht bey ihm einnehmen wollte; weil ichend -3endlich von einigen ſeiner ehemaligen Bekannten gehoͤrt hatte, daß er offenherzig und in einem gewiſſen Ver - ſtande aufrichtig ſey: ſo hielt ich die Errichtung einer ſolchen Freundſchaft unter uns, als zur Befoͤrderung meines Endzwecks nothwendig war, nicht fuͤr unmoͤg - lich. Mit dieſer Hoffnung machte ich den Anfang mei - ner Beſuche bey ihm, und ich danke Gott fuͤr den Se - gen, mit welchem er meine Bemuͤhungen um das Heil des ungluͤcklichen Mannes begnadigt hat.

Erſte Unterredung den Iſten Maͤrz.

Jch konnte jetzt noch keine andere Abſicht haben als einigen Grund zur Vertraulichkeit unter uns zu le - gen, ihm den Zweck meines Zuſpruchs wichtig zu ma - chen, und, wenn dazu ſich Gelegenheit zeigen ſollte, uͤber ſein Religionsſyſtem Nachricht von ihm zu erhalten.

Als es ihm gemeldet ward, daß ich mit ihm zu reden wuͤnſchte, erkundigte er ſich, ob ich Befehl haͤtte zu ihm zu kommen. Man bejahte ihm dieſes, und er ließ ſichs gefallen. Er empfieng mich mit einem finſtern Geſicht, und in der Stellung eines Menſchen, der ſich darauf gefaßt macht, eine Menge bittrer Vor - wuͤrfe mit verachtendem Stillſchweigen anzuhoͤren. Wir waren allein, und ich fuͤhlte mich durch den Anblick des Elendes ſehr geruͤhrt, in welchem ich den Mann ſah, der noch vor wenigen Wochen unter allen Unterthanen des Koͤniges der erſte und maͤchtigſte geweſen war. Jch konnte dieſe meine Empfindung nicht verbergen, wollte es auch nicht. Herr Graf, ſagte ich. Sie ſehen, ich kom - me mit einem geruͤhrten Herzen zu Jhnen. Jch weiß und fuͤhle, was ich einem ungluͤcklichen Mann ſchuldig bin, den Gott gewiß nicht zu einem ſolchen Ungluͤck hat geboren werden laſſen. Jch wuͤnſchte ſehr, daß ichA 2Jhnen4Jhnen meine Beſuche angenehm und nuͤtzlich machen koͤnnte. Er verließ hier ſeine gezwungene Stellung, ſein Geſicht ward heiterer, er gab mir die Hand und dankte mir fuͤr meine Theilnehmung an ſeinem Schickſale. Jch fuhr fort: Unſre Unterredungen werden zwar zuweilen fuͤr Sie und fuͤr mich unangenehm ſeyn. Aber daruͤber gebe ich Jhnen die heiligſte Verſicherung, daß ich Jh - nen auch die traurigen Wahrheiten, die ich Jhnen zu ſagen glaube verbunden zu ſeyn, ohne alle Bitterkeit und Schadenfreude ſagen werde. Jch weiß, daß es mir nicht erlaubt iſt, Sie ohne Noth betruͤben zu wollen. Glauben Sie mir das; ich betheure es Jhnen, daß ich die Wahrheit ſage. Und ſollte mir ja in der Geſchwin - digkeit der Unterredung zuweilen ein Wort entfallen, das Sie fuͤr beleidigend halten koͤnnten, ſo ſeyn Sie verſichert, daß ich es nicht in der Abſicht geſagt habe, Sie zu beleidigen, und uͤberſehen Sie in dieſem Falle meine Uebereilung. Mit einer Miene und mit einem An - ſtand, die mir nicht vortheilhaft in die Augen fielen, antwortete er mir hierauf: O, Sie koͤnnen mir ſagen, was Sie wollen!

Jch will Jhnen gewiß nichts anders ſagen, Herr Graf, als was mein herzliches Verlangen, zur Verbeſſerung, zur Gluͤckſeeligkeit Jhrer Zukunft, ſo viel als mir moͤglich ſeyn wird, beyzutragen, mir noth - wendig machen wird. Jch moͤchte Sie gerne auf Jhren moraliſchen Zuſtand und auf Jhre Verhaͤltniſſe zu Gott aufmerkſam machen. Sie koͤnnen nicht wiſſen, wie Jhr Schickſal in dieſer Welt entſchieden werden wird, und das Chriſtenthum, das ich lehre und glaube, macht es mir zur Pflicht, ſehnlich zu wuͤnſchen, daß es Jhnen in der kuͤnftigen wohl gehen moͤge. Sehen Sie meine Be - ſuche und alle meine Unterredungen mit Jhnen bloß von dieſer Seite an, ſo werden Sie ſie, nach meinen Grund -ſaͤtzen5ſaͤtzen wenigſtens, in Anſehung ihrer Abſicht nicht tadel - haft finden. Jch haͤtte mehr als eine Vorwand gehabt, den Befehl abzulehnen oder zu verbitten, der mich zu Jhnen fuͤhrt. Aber die Hoffnung Sie in Jhrem Un - gluͤcke troͤſten, und Jhnen zur Vermeidung eines noch groͤßeren Raht geben zu koͤnnen, iſt mir viel zu wichtig geweſen: Kleine Nebenabſichten muͤſſen Sie mir ja nicht zutrauen. Vortheile ſind von dieſer Arbeit nicht zu erwarten, und Ehre Ja, wenn Sie wollen, ſo iſt es freylich Ehre ein Werkzeug in der Hand Gottes zur Befoͤrderung der Gluͤckſeeligkeit eines Ungluͤcklichen zu ſeyn. Aber bedenken Sie auch die Beſchwerden, die damit verknuͤpft ſind, und die Verantwortung, die ich vor Gott zu haben glaube, wenn etwa durch meine Schuld, und waͤre es auch nur aus Uebereilung oder Mangel der noͤthigen Kenntniſſe, mein Geſchaͤft bey Jhnen keinen erwuͤnſchten Erfolg haben ſollte; bedenken Sie, welchen entſetzlich unangenehmen Empfindungen ich mich ausſetze, wenn etwa Jhr Proceß ſo ungluͤcklich fuͤr Sie ausfallen ſollte, als Sie befuͤrchten werden: ſo werden Sie mir zugeben, daß ich nicht um meinetwil - len, ſondern in der Abſicht Jhnen nuͤtzlich zu werden, zu Jhnen komme. Er geſtund mir hierauf zu zweyenmah - len, daß er voͤllig uͤberzeugt ſey, ich ſuche nichts als ſein Beſtes.

Wenn Sie davon uͤberzeugt ſind, fuhr ich mit Empfindung fort, ſo goͤnnen Sie mir auch das Ver - trauen, das Sie dem, der Jhr Beſtes ſucht, mit Billig - keit nicht verſagen koͤnnen. Jch werde es, und wenn Sie mich auch Anfangs fuͤr einen ſchwachen und von Vorurtheilen eingenommenen Mann halten, mit der dankbarſten Freundſchaft erwiedern; ich werde in dieſer Freundſchaft nicht ermuͤden, ſondern Sie Jhnen bis aufs auͤßerſte, da ich Jhr einziger Freund auf Erden ſeyn, daA 3Sie6Sie gewiß Troſt von Jhrem einzigen Freunde fordern werden, zu Jhrer Beruhigung nuͤtzlich zu machen ſuchen. Er ſah mich hiebey ſtarr an, und wie mirs ſchien mit Thraͤnen in den Augen, und druͤckte mir die Hand.

Jch ſah ihn geruͤhrt und ſuchte dieſen vortheil - haften Augenblick zu nutzen. Wenn Sie des Troſtes faͤhig ſeyn wollen, ſagte ich, den ich Jhnen, als den einzigen wahren verſprechen zu koͤnnen glaube, ſo muͤſſen Sie ja nicht auf den unſeeligen Gedanken gerahten, als ein philoſophiſcher Held ſterben zu wollen. Und das wuͤrden Sie auch ſchwerlich bis aus Ende ausfuͤhren. Jhr Muth, und wenn Sie ſich auch zwingen koͤnnten, aͤußerlich Miene zu halten, wuͤrde Sie doch in der That verlaſſen. Standhaftigkeit und Ruhe in der Stunde des Todes iſt ganz gewiß nur das Erbtheil eines guten Ge - wiſſens. Er antwortete; er waͤre bisher unter allen ſeinen Schickſalen ſtandhaft geweſen, und wuͤrde auch ſeinem Character gemaͤß nicht als ein Heuchler ſterben koͤnnen. Heucheley, ſagte ich hierauf, wuͤrde in dem Augenblicke faſt noch ſchlimmer ſeyn, als eine erzwun - gene Standhaftigkeit, obgleich dieſe auch eine Art von Heucheley ſeyn wuͤrde. Jch verlangte ja aber auch keine Heucheley von ihm, ſondern nur dieß, daß er mit Ehr - furcht gegen Gott, mit ſichtbarem Gefuͤhl der nahen Ewigkeit, mit Empfindung ſeines Unrechts aus der Welt gehen moͤchte. Dann wuͤrde er geſchickt ſeyn, die Suͤßigkeit des Troſtes zu empfinden, zu deſſen Quelle ich ihn gern fuͤhren wollte. Uebrigens baͤte ich ihn, daß er ſich ja auf die Standhaftigkeit, die er ſonſt glaubte bewieſen zu haben, in dieſem Falle nicht verlaſſen moͤchte. Seine vorigen unangenehmen Schickſale, die etwa in Krankheit oder Duͤrftigkeit moͤchten beſtanden haben, wuͤrde er ſelbſt wohl mit dem, welches ihn jetzt erwartete, nicht vergleichen wollen. Ueber dieß machte er ſich viel -leicht7leicht jetzt noch einige Hoffnung. Nein, antwortete er, ich mache mir gar keine! So ſehen Sie wenigſtens den Tod noch nicht in der Naͤhe. Sie wiſſen ihr Ziel noch nicht genau zu beſtimmen. Es kann etwa noch auf einige Monate hinausſtehen. Aber, hier nahm ich ihn bey der Hand, aber, Herr Graf, wenn ich nun Befehl haͤtte Jhnen zu ſagen, uͤbermorgen, morgen, heute ſollen Sie ſterben, wuͤrden Sie dann auch nicht den Muth ſinken laſſen? Das weiß ich freylich nicht, ſagte er. Wie aber, fuhr ich fort, wenn Sie dann nun Jhre vermeynte Standhaftigkeit verließe, und es dann zu ſpaͤt waͤre, Troſt und Hoffnung zu ſuchen und zu finden, was meynen Sie denn wohl, wie Jhnen zu Muhte ſeyn wuͤrde? Er ſchwieg ſtille.

Sie ſehen hieraus fuhr ich fort, die Abſicht un - ſrer Unterredungen iſt wichtig fuͤr Sie und verdient alle Jhre Aufmerkſamkeit. Jch ſuche nichts geringeres als Sie auf Jhren vielleicht nahe bevorſtehenden Schritt in die Ewigkeit zuzubereiten, daß Sie ihn mit guter Hoff - nung moͤgen thun koͤnnen. Jch vermuhte nun zwar, daß wir uͤber den Zuſtand des Menſchen nach dem Tode nicht einerley Meynung haben. Aber wenn Sie ſich gleich bisher moͤgen uͤberredet gehabt haben, es ſey kein kuͤnftiges Leben, und alſo auch kein Lohn und keine Strafe: ſo haben Sie doch gewiß nicht davon uͤberzeugt ſeyn koͤnnen. Unzaͤhlige mahl wird Jhnen Jhr inneres Gefuͤhl widerſprochen haben. Sie werden vor der Ewig - keit oft erſchrocken ſeyn, ob Sie gleich ſo geſchickt zu Jhrem Ungluͤck geweſen ſeyn koͤnnen, dieſe Empfindung jedesmahl in der Geburt zu erſticken. Wenigſtens koͤn - nen Sie es jetzt und nimmermehr beweiſen, daß keine Ewigkeit iſt.

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Er hoͤrte mir aufmerkſam zu: aber das wollte er nicht geſtehen, daß er die Unſterblichkeit gefuͤhlt, und ſich davor gefuͤrchtet haͤtte. Es koͤnnte wohl ſeyn, ſagte er, aber er erinnere ſich nicht daran. Der Gedanke, daß er nun bald ganz aufhoͤren wuͤrde zu ſeyn, ſey ihm freylich gar nicht angenehm, er fuͤrchte ſich davor, und wuͤnſche zu leben, ſelbſt mit minderer Gluͤckſeeligkeit als er jetzt in ſeinem Gefaͤngniß habe. Aber das koͤnne er doch auch nicht ſagen, daß ihm die Erwartung, ganz ver - nichtigt zu werden, ſo erſchrecklich fuͤrchterlich ſey, als manche ſelbſt unter denen, die mit ihm uͤber die Sache einerley Meynung hegten, ſie gefunden haͤtten.

Jch knuͤpfte den abgeriſſenen Faden der Unter - redung wieder an, und fuhr ſo fort: Sie muͤſſen nun doch wenigſtens die Moͤglichkeit eines Lebens nach dem Tode zugeben, und dieſe iſt eben ſo wahrſcheinlich, als die Unmoͤglichkeit deſſelben, die Sie vielleicht glauben aber nicht beweiſen koͤnnen. Jch koͤnnte Jhnen aus der bloßen Vernunft die hoͤchſte Wahrſcheinlichkeit davon, die in ſolchen Dingen faſt Gewißheit iſt, darthun: aber ich finde das zu meiner jetzigen Abſicht uͤberfluͤſſig. Jch will nur die bloße Moͤglichkeit annehmen, die Sie ſchon zugeben muͤſſen. Wenn aber nur dieß iſt, ſo muß es Jhnen ſchon aͤußerſt wichtig ſeyn, bald zu wiſſen, wie es Jhnen in dem moͤglichen kuͤnftigen Leben ergehen koͤnne, damit Sie, wenn etwa in demſelben ein trauriges Schick - ſal fuͤr Sie zu erwarten waͤre, die beſten Mittel ſuchen koͤnnen, es zu verbeſſern oder gar von ſich abzuwenden.

Er erkannte dieſen Schluß fuͤr richtig, und ſich fuͤr verbunden dafuͤr zu ſorgen, daß, wenn ja eine Ewig - keit waͤre, ſie fuͤr ihn, wo nicht gluͤcklich, doch wenig - ſtens ertraͤglich ſeyn moͤchte. Aber daß ein kuͤnftiges Le - ben ſeyn wird, ſetzte er hinzu, das werden Sie michſchwer -9 ſchwerlich glauben machen. Meinen Verſtand koͤnnen Sie vielleicht uͤberzeugen, und mir Beweiſe vorlegen, gegen die ich nichts einwenden kann. Aber ich fuͤrchte, mein Herz wird nicht Theil daran nehmen. Meine ent - gegengeſetzte Meynung iſt ſo feſt in meine Geſinnung hineingewebt, ich habe ſo viele Gruͤnde fuͤr ſie geſammlet, ſo viele Bemerkungen aus der Anatomie und Phyſik zu ih - rer Beſtaͤtigung gemacht, daß es mir unmoͤglich ſcheint, ſie verlaſſen zu koͤnnen. Das verſpreche ich Jhnen in - deſſen, daß ich mich nicht nur Jhren Bemuͤhungen mich zu erleuchten nicht muthwillig wiederſetzen, ſondern Jh - nen, ſo weit als es mir moͤglich iſt, entgegen kommen will. Jch will auch nie heucheln, ſondern Jhnen alle - mahl aufrichtig ſagen, wovon ich uͤberzeugt und wovon ichs nicht bin. Jch will offenherzig mit Jhnen umgehen, das iſt meinem Character gemaͤß, und meine Freunde koͤnnen es Jhnen bezeugen. Jch bat ihn noch ſich bey unſern Unterſuchungen vor der leichtſinnigen Denkungs - art zu huͤten, der er, wie ich glaubte, bisher ergeben geweſen waͤre, und die ihn in dieſe Tiefe des Elends ge - ſtuͤrzt haͤtte. Jch leugne es nicht, ſagte er, ich habe leichtſinnig in der Welt gelebt, ich erkenne auch die Folgen davon.

Jch verlaſſe mich auf Jhr Verſprechen, ſetzte ich hinzu, daß Sie aufrichtig mit mir umgehen werden. Wollten Sie das nicht thun, ſo wuͤrden Sie vielleicht mich, obgleich nur auf einige Tage, aber gewiß nicht das allwiſſende hoͤchſte Weſen und Jhr eigenes Gewiſſen hintergehen koͤnnen. Jch werde mich unausſprechlich freuen, wenn ich in meiner gewiß guten Abſicht bey Jh - nen gluͤcklich bin. Aber naͤchſt Gott koͤnnen und muͤſſen Sie alles dabey thun. Jch kann nichts weiter, als Sie leiten. Es iſt ja auch Jhre eigene Angelegen - heit ſich um Jhr Heil zu bemuͤhen, und Sie ſindA 5ver -10verbunden alle Zeit, die Sie noch uͤbrig haben, dar - auf zu wenden.

Jch bat ihn nun mir von ſeinem Religionsſyſtem Nachricht zu geben, um darnach beurtheilen zu koͤnnen, wie weit wir etwa in unſern Meynungen von einander abſtuͤnden. Jch vermuhte ſehr, ſagte ich, daß Sie kein Chriſt ſind. Sie koͤnnen leicht einſehen, wie ſehr ich wuͤnſchen muͤſſe, daß Sie es werden moͤgen. Dennoch iſt es gar nicht meine Abſicht Jhnen das Chriſtenthum aufzudringen: ich hoffe vielmehr es Jhnen ſo wichtig und liebenswuͤrdig machen zu koͤnnen, daß Sie es ſelbſt fuͤr ein unentbehrliches Beduͤrfniß fuͤr ſich halten werden. Er antwortete mir: Er ſey freylich weit davon entfernt ein Chriſt zu ſeyn, indeſſen erkenne und verehre er ein hoͤchſtes Weſen, und glaube, daß die Welt und das menſchliche Geſchlecht von Gott ihren Urſprung haben. Daß der Menſch aus zwo Subſtanzen beſtehe, davon habe er ſich nie uͤberzeugen koͤnnen. Er hielte ſich und alle Menſchen fuͤr bloße Maſchinen. Er habe dieſe Hy - potheſe nicht aus dem la Mettrie genommen, welchen er nie geleſen habe, ſondern ſich dieſelbe ſelbſt durch eignes Nachdenken gebildet. Gott ſey es, der die menſchliche Maſchine zuerſt in Bewegung ſetze, wenn ſie aber ſtocke, das iſt, wenn der Menſch ſterbe, ſo ſey fuͤr ihn nichts weiter zu hoffen noch zu fuͤrchten. Die Freyheit wollte er dem Menſchen nicht abſprechen, doch wuͤrden ſeine freyen Handlungen durch die Empfindun - gen beſtimmt. Es ſey alſo allerdings Moralitaͤt in den Handlungen, aber nur in ſo fern ſie fuͤr die Geſellſchaft Folgen haͤtten. An ſich ſelbſt ſey alles, was der Menſch thun koͤnne, gleichguͤltig, Gott bekuͤmmere ſich um un - ſre Unternehmungen nicht, und wenn der Menſch die Folgen ſeiner Handlungen in ſeiner Gewalt haͤtte, und verhindern koͤnnte, daß ſie der Geſellſchaft nicht nach -theilig11theilig wuͤrden, ſo habe ihm niemand Vorwuͤrfe daruͤber zu machen. Er ſetzte noch hiezu, er muͤſſe geſtehen, daß er uͤber einige ſeiner Handlungen ſehr unruhig ſey, am meiſten daruͤber, daß er andere mit ſich ins Ungluͤck gezogen habe. Er fuͤrchte aber nach dieſem Leben fuͤr ſich keine uͤbeln Folgen oder Strafen davon. Er ſehe nicht ein, daß ſolche Strafen zur Befriedigung der Ge - rechtigkeit Gottes noͤthig waͤren, wenn er auch zugeben wollte, daß Gott an dem Thun und Laſſen der Men - ſchen Antheil naͤhme. Der Menſch wuͤrde ſchon hier fuͤr ſeine Vergehungen genung geſtraft. Er ſelbſt ſey in ſeiner Groͤße gewiß nicht gluͤcklich geweſen. Wenigſtens habe er in den letzten Monaten ſeines ſo ſehr beneideten Gluͤcks mit vielen unangenehmen Gemuͤthsbewegungen kaͤmpfen muͤſſen.

Gegen das Chriſtenthum habe er vornehmlich dieß einzuwenden, daß es nicht allgemein ſey. Waͤre es eine goͤttliche Offenbarung, waͤre es der wahre und ein - zige Weg zum Wohlgefallen Gottes, ſo muͤßte es noth - wendig dem ganzen menſchlichen Geſchlechte bekannt gemacht ſeyn.

Jch ſagte dießmahl wenig zur Widerlegung ſei - nes Syſtems und ſeines Einwurfs gegen die Religion, ſondern ſchlug ihm vor, ein vortreffliches Buch zu leſen, welches, wie ich ſehr vermuhtete, vieles zur Aufklaͤrung ſeiner Begriffe von der Religion beytragen wuͤrde. Er fragte mit einer mistrauiſchen Miene: Welches Buch? Jeruſalems Betrachtungen uͤber die Religion, antwor - tete ich, ein Buch, das ſie bloß um ſeiner vortrefflichen Schreibart willen mit dem groͤßeſten Vergnuͤgen leſen werden. Er bat mich ihm daſſelbe zu bringen.

Jch hatte bemerkt, daß er wuͤrklich unruhig uͤber einige ſeiner Handlungen war, und hielt es fuͤrnuͤtzlich,12nuͤtzlich, dieſe ſeine Unruhe zu vermehren. Jch ſetze zum Voraus, daß meine Leſer wiſſen, wie viel er ſich uͤber ſein Verhalten gegen den Grafen Bernſtorf vorzuwerfen hatte. Jch erzaͤhlte ihm alſo, als ich weggehen wollte, den Tod deſſelben. Jſt er geſtorben? rief er mit Lebhaf - tigkeit, und fuhr zuſammen. Ja, ſagte ich, er iſt ge - ſtorben, er hat durch Weisheit, Religion und Froͤmmig - keit den Character des großen Mannes bis ans Ende behauptet, und man glaubt allgemein, daß der Gram ſeiner letzten Jahre, Herr Graf, ſeinen Tod befoͤrdert hat. Jch ſah ihn hiebey mit einer Miene an, die er gut zu verſtehen ſchien, denn er erroͤthete.

Zwote Unterredung, den 3ten Maͤrz.

Meine erſte Bemuͤhung bey dem Grafen Struenſee mußte nun dieſe ſeyn, ihn von der Falſchheit ſeiner Hypotheſe, der Menſch ſey nichts als eine Maſchine, zu uͤberzeugen. Daraus ſchloß er, daß kein kuͤnftiges Leben ſey, ob es gleich nicht daraus folgt; und ſo lange er die Ewigkeit fuͤr nichts hielt, konnte Religion und Moralitaͤt ihm nicht wichtig werden.

Jch erinnerte ihn an ſein Verſprechen, der Wahr - heit nicht vorſetzlich zu widerſtehen, ſondern ihr entgegen zu kommen. Sie ſtehen nun, ſagte ich, ſeit unſrer erſten Unterredung der Ewigkeit um zwey Tage naͤher. Ein Tag iſt Jhnen jetzt ſo viel als ſonſt ein Jahr. Sie muͤſſen alſo eilen ihre Seele zu retten. Jch weiß wohl Sie glauben itzt weder, daß eine Ewigkeit iſt, noch daß Sie eine Seele haben. Sie kennen Jhre Vortheile noch nicht. Sie halten Jhre Meynung, der Menſch ſey eine bloße Maſchine, noch fuͤr Wahrheit, und folgern daraus mehr, als darin liegt. Doch werden Sie ſie wohl fuͤr nichts weiter als fuͤr eine philoſophiſche Hypotheſe ausge -ben13ben wollen. Aus dieſem Geſichtspuncte wollen wir ſie heute betrachten. Es iſt zwar nicht noͤthig, daß ich mich auf eine umſtaͤndliche Beurtheilung Jhrer Hypotheſe einlaſſe; denn daß kein kuͤnftiges Leben ſey, kann doch niemand aus derſelben beweiſen. Jch will es aber den - noch thun, damit Sie mich nicht in Verdacht haben moͤ - gen, daß ich Sie uͤberraſchen wolle.

Er war ſehr aufmerkſam, und folgte mir bey der Unterſuchung, die ich nun anſtellte, Schritt vor Schritt. Jch an meiner Seite warnte ihn, ſo oft ich an einen Satz kam, der ſeiner Meynung beſonders ge - faͤhrlich war, und forderte ihn auf ſich zu vertheidigen, weil er nun in Gefahr ſey, uͤberwunden zu werden.

Zuerſt ſetzte ich folgende logicaliſche Regeln uͤber die philoſophiſche Hypotheſe ins Licht, und legte ſie zum Grunde. Eine philoſophiſche Hypotheſe iſt ein Satz, den ich annehme, um andere Saͤtze, Erſcheinungen u. ſ. w. daraus zu erklaͤren. Ein ſolcher Satz braucht keine erwieſene oder ausgemachte Wahrheit zu ſeyn, wenn er nur nicht in ſich ſelbſt oder andern gewiß erkannten Wahr - heiten widerſprechend, und hinreichend iſt, die unbekann - ten Dinge zu erklaͤren, zu deren Erklaͤrung er angenom - men wird. Deswegen iſt die Hypotheſe um ſo viel beſſer, je leichter und ungezwungener dasjenige, das man gerne durch ſie erklaͤren will, durch ſie erklaͤrt werden kann: aber ſie iſt um ſo viel ſchlechter, je weniger ſie dazu brauchbar iſt. Muß ich neue Hypotheſen zu Huͤlfe ru - fen, um das, was durch jene unerklaͤrbar bleibt, zu er - klaͤren, ſo wird ſie immer unwahrſcheinlicher und ver - daͤchtiger, je mehr ſolcher Huͤlfshypotheſen noͤthig ſind. Wenn ich z. Ex. zeigen will, wie es zugeht, daß Tag und Nacht, daß die waͤrmern und kaͤltern Jahrszeiten mit einander abwechſeln, ſo kann ich es auf dieſe Artanfan -14anfangen. Die Sonne bewegt ſich alle vier und zwanzig Stunden um die Erde. Daher kommt Tag und Nacht. Aber was verurſacht die Jahrszeiten? Sie bewegt ſich in einem Schneckengange. Dadurch koͤmmt ſie allmaͤhlig der Erde naͤher, und macht die waͤrmern Jahrszeiten. Wie verurſacht ſie aber die kaͤltern? Sie geht zu rechter Zeit in dieſem Schneckengange wieder zuruͤck und ent - fernt ſich von der Erde. Nun iſt freylich Tag und Nacht, Sommer und Winter erklaͤrt. Aber die erſte Hypotheſe, daß die Sonne ſich alle vier und zwanzig Stunden um die Erde bewege, war dazu nicht hinlaͤnglich. Sie mußte noch durch andre Hypotheſen unterſtuͤtzt werden. Die copernicaniſche Hypotheſe hingegen bedarf dieſer Um - ſchweife nicht und erklaͤrt alles allein. Die Erde bewegt ſich um die Sonne, ſo daß ſie ſich taͤglich um ihre Axe, und jaͤhrlich einmahl um die Sonne waͤlzt. Jſt nun nicht dieſe letzte der erſtern weit vorzuziehen, und hat ſich nicht die Vernunft ſchon laͤngſt wuͤrklich fuͤr ſie er - klaͤrt? Alle dieſe Vorausſetzungen nahm der Graf ohne Widerſpruch fuͤr wahr und vernuͤnftig an.

Jch wandte nun dieſe Regeln auf die Hypotheſe an: der Menſch iſt eine Maſchine. Dieſer Satz, ſagte ich, wird von Jhnen zur Erklaͤrung der Erſcheinungen, die bey dem Menſchen erblickt werden, angenommen. Sie geben ihn, wie ich hoffe, fuͤr keine ausgemachte und erweisliche Wahrheit aus, ſonſt muͤßte ich Sie bitten mir einen richtigen Beweis davon zu fuͤhren. Er mag vielleicht ausgeſchmuͤckt, und durch einige anatomiſche Bemerkungen glaublich oder wohl gar wahrſcheinlich ge - macht werden koͤnnen. Aber der Zergliederer kennt doch ja nur die groͤberen Theile des Menſchen. Die ſeinern und feinſten entziehen ſich ſeinen Blicken. Daher iſt kein hinlaͤnglicher Beweis davon moͤglich. Der Graf erbot ſich zwar zum Beweiſe. Aber alles lief darauf hinaus,daß15daß er durch eine ſehr unvollſtaͤndige Jnduction, wobey er ſich auf Hallers Phyſiologie berufen wollte, ſehr drin - gende Gruͤnde fuͤr ſeine Meynung glaubte gefunden zu haben. Nachdem ich ihm hierauf durch Beyſpiele die Natur und Beweiskraft einer ſolchen Jnduction erlaͤu - tert hatte, erklaͤrte er ſich, er wolle ſeinen Satz fuͤr nichts weiter als fuͤr eine Hypotheſe ausgeben: doch be - hauptete er, er wuͤrde ihn zu einer andern Zeit und unter andern Umſtaͤnden unwiderſprechlich haben demonſtri - ren koͤnnen.

Es kam alſo nun zufoͤrderſt auf die Frage an, ob auch der Satz, der Menſch iſt eine Maſchine, in ſich ſelbſt oder andern ausgemachten Wahrheiten widerſpre - chend ſey? Hier mußte der Begriff der Maſchine zum Grunde gelegt werden. Wir bildeten ihn mit einander, und wurden daruͤber einig, eine Maſchine ſey eine Ver - bindung verſchiedener nicht willkuͤhrlich wuͤrkender Din - ge, die ſo verknuͤpft ſeyn, daß immer eins die Bewegung des andern beſtimmte. Wollte ich nun gleich zugeben, ſagte ich hier, daß ihr Satz an ſich ſelbſt nicht widerſpre - chend ſey, ſo muͤßten Sie doch geſtehen, er ſtreite mit andern erwieſenen Wahrheiten. Der Menſch z. Ex. kann ohne koͤrperliche Bewegung wuͤrken. So iſt ein einfacher Gedanke, das Bewußtſeyn ſeiner ſelbſt, eine Wuͤrkung, die von aller ſolcher Bewegung frey iſt. Waͤre er eine Maſchine, ſo muͤßte er das nicht koͤnnen, denn die Wuͤrkungen einer Maſchine beſtehen allein in der Be - wegung. Ferner laͤugnen ſie es ſelbſt nicht, daß der Menſch willkuͤhrliche und freye Handlungen hervorbringt. Eine Maſchine aber beſteht ihrem Begriffe nach aus lauter unwillkuͤhrlichen Theile, die alſo auch durch ſich ſelbſt nicht willkuͤhrlich wuͤrken koͤnnen. Soll nun der Menſch eine bloße Maſchine ſeyn, wie kann er denn will - kuͤhrlich und frey handeln?

Sie16

Sie ſehen, Herr Graf, es iſt ſchon um Jhre Hypotheſe gethan. Sie iſt ein falſcher Satz. Sie iſt alſo nicht wuͤrdig von einem verſtaͤndigen Manne beybe - halten zu werden. Doch wir wollen ſie dem ohnge - achtet noch nicht wegwerfen. Laſſen Sie uns erſt unter - ſuchen, ob ſie zu der Abſicht hinlaͤnglich iſt, die bey dem Menſchen vorkommenden Erſcheinungen zu erklaͤren. Wir wollen dieß nur mit einigen derſelben, ſo wie ſie uns zuerſt einfallen, verſuchen. Das Leben und den Tod des Menſchen kann ich aus dem Satz erklaͤren, der Menſch ſey eine Maſchine. Die Maſchine iſt in Bewe - gung, das iſt, der Menſch lebt. Sie iſt zerbrochen, ihre Theile ſind verſchoben, ſie ſtockt, das iſt, der Menſch iſt todt. Schwerer moͤchte es ſchon ſeyn die Zeugung und Geburt daraus herzuleiten? Man koͤnnte ſagen, Maſchi - nen pflegten nicht gezeugt und gebohren, ſondern von einem Meiſter, der da weiß, was er macht, und wozu ers macht, gebauet zu werden. Viele koͤrperliche Verrichtun - gen des Menſchen ſind aus der Maſchine erklaͤrbar; denn unſer Leib iſt wuͤrklich eine Maſchine. Dieß ſind aber auch nur ſolche, deren Gegentheil nicht erfolgen kann. Die große Menge der willkuͤhrlichen und freyen Hand - lungen, wozu wir den Leib und ſeine Glieder brauchen, kann niemand aus dem Satze, der Menſch iſt eine Ma - ſchine, begreiflich machen. Denn die Maſchine kann keine andre Bewegungen hervorbringen, als diejenigen, die durch ihren Bau beſtimmt ſind, und deren Gegen - theil durch denſelben unmoͤglich gemacht iſt. So iſt es unmoͤglich, daß der Zeiger an einer Uhr von ſelbſt zuruͤck - gehe. Der Menſch aber thut augenſcheinlich vieles, deſſen Gegentheil er auch haͤtte thun koͤnnen, wenn er gewollt haͤtte. Was wollen Sie endlich von den ab - ſtrakten Jdeen ſagen? Dieſe, antwortete er, koͤnnen nicht ohne Bilder gemacht werden, und dieſe Bilder werden aus der Empfindung hergenommen. Die Empfindungaber17aber liegt in der Maſchine. Der Eindruck der auͤßern Gegenſtaͤnde, ſagte ich hierauf, wird in die Maſchine gemacht, aber derjenige, der ſich dieſes Eindrucks be - wußt iſt, der das Bild denkt, der viele Bilder mit ein - ander vergleicht und aus dieſer Vergleichung allgemeine Begriffe bildet, der bringt in dem allen Wuͤrkungen hervor, zu der die Maſchine ſelbſt unfaͤhig iſt. Noch mehr. Erklaͤren Sie mich doch aus dem Bau der Ma - ſchine des Menſchen die Wuͤrkungen des Gedaͤchtniſſes, den Wunſch und die Hoffnung der Fortdauer nach der Zerſtoͤrung der Maſchine, die der Menſch doch nicht eher verlaͤugnen kann, bis er ſeine geheimen Urſachen dazu hat, auch die Freuden und die Schmerzen des Ge - wiſſens, und ſ. w. Der Graf hoͤrte mich kaltſinnig an, und ſchwieg ſtille.

Jhre Hypotheſe, ſchloß ich hieraus, iſt alſo auch nicht geſchickt zu der Abſicht zu der Sie ſie angenommen haben. Es waͤre denn, daß Sie, um ſie doch noch zu behaupten, zu allerley Huͤlfshypotheſen Jhre Zuflucht nehmen wollten. Aber Sie wiſſen, was man von einem Gebaͤude halten kann, das ſo vieler Stuͤtzen bedarf. Sie werden mir nun ſagen, die Maſchine werde durch die Empfindungen zu den Wuͤrkungen beſtimmt, die wir willkuͤhrlich oder frey nennen. Ja, ſagte er, und uͤber - ſchuͤttete mich mit einer Menge von Kunſtworten. Da iſt die Senſibilitaͤt, die Jrritabilitaͤt u. ſ. w. Er ver - ſteckte ſich hier hinter dem Worte determiniren. Als ich ihm aber zeigte, determiniren ſey ſo viel, als das Ge - gentheil der determinirten Handlung unmoͤglich machen, und er doch dem Menſchen Willkuͤhr und Freyheit nicht abſprechen wollte, ſo gab er nach. Nun ſetzte ich hinzu: Die Empfindungen koͤnnen gelegentliche Urſachen zu freyen Handlungen ſeyn, ſie koͤnnen dem Menſchen dazu einen Antrieb geben, aber ſie determiniren ihn nicht, ſieBmachen18machen das Gegentheil der Handlung, zu der ſie ihn reizen, nicht unmoͤglich. Z. Ex. Da ſteht die Tabatiere. Jhr Anblick, ein gewiſſes Gefuͤhl in meiner Naſe, kurz die Empfindung reizt mich eine Priſe zu nehmen. Was werde ich nun thun, Herr Graf? Sie werden eine Priſe nehmen! Jch ſage Jhnen aber, ich werde keine nehmen. Die Empfindung giebt mir nur einen Antrieb, aber ſie determinirt mich nicht. Es ſteht bey mir, das Gegentheil von dem zu thun, wozu ſie mich reizt. Sie ſehen hieraus, Herr Graf, Jhre Hypotheſe hat auch den Fehler, daß ſie Huͤlfshypotheſen noͤthig hat, und dieſe ſind zum Ungluͤck eben ſo unzulaͤnglich, als ſie ſelbſt iſt.

Jch hatte vorhin erwaͤhnt, daß auch die Vor - wuͤrfe des Gewiſſens unerklaͤrbar blieben, wenn man an - naͤhme, der Menſch ſey eine Maſchine. Er erinnerte ſich daran und behauptete, ſie ließen ſich doch daraus herleiten, denn ſie entſtuͤnden aus der Empfindung des Uebels, das man ſich zugezogen haͤtte. Jch gab ihm zu, ſie entſtuͤnden aus der Empfindung dieſes Uebels, wenn er wollte; aber durch einen Schluß, den die Maſchine nicht machen koͤnnte, ſondern nur das vernuͤnftige We - ſen, das mit der Maſchine verbunden waͤre. Er hatte bey unſrer erſten Unterredung geſagt, er mache ſich uͤber einige ſeiner Handlungen Vorwuͤrfe. Jch bildete ihm den Schluß, den er ſelbſt daruͤber gemacht haben muͤßte, und fuͤgte einige practiſche Anmerkungen hinzu, die auf ſeinen Zuſtand giengen. Dieß ſchien ihm einleuchtend zu ſeyn, und er ward dadurch auf einige Augenblicke in ſich ſelbſt vertieft.

Nachdem er wieder von ſeinem tiefen Nachden - ken zuruͤckgekommen war, fuhr ich ſo fort: Sie wiſſen, Herr Graf, daß die copernicaniſche Hypotheſe, weil ſiever -19 vernuͤnftiger und bequemer war, die tychoniſche ver - draͤngt hat. Die Vernunft erkannte es fuͤr ihre Pflicht, dieſe fahren zu laſſen und jene anzunehmen. Sie ſind itzt in einem aͤhnlichen Falle. Sie haben geſehen, ihre bisherige Hypotheſe iſt widerſprechend, unbequem und unbrauchbar. Wenn ich Jhnen nun eine andre angeben koͤnnte, die beſſer waͤre, wuͤrden Sie ſich nicht fuͤr ver - bunden halten, ſich fuͤr ſie zu erklaͤren? Dieſe Hypotheſe druͤcke ich ſo aus: Der Menſch beſteht aus zwo Sub - ſtanzen, Leib und Seele. Erinnern Sie ſich daran, ich gebe dieſen Satz itzt noch fuͤr nichts weiter als fuͤr eine Hypotheſe aus. Jch glaube aber, dieſe hat alle die Maͤngel nicht, die Sie an der Jhrigen entdeckt haben, ſie hat vielmehr die entgegengeſetzten Vortheile. Der Leib, die eine der beyden Subſtanzen, woraus der Menſch beſteht, iſt und bleibt eine Maſchine. Jn ſo weit koͤnnen Sie Jhre alte Meynung beybehalten. Und daruͤber iſt auch gar kein Streit, daß die in dem vor - hergehenden Zuſtande gegruͤndeten Bewegungen des Lei - bes, und auch gewiſſe Empfindungen der Seele, aus der Einrichtung dieſer Maſchine muͤſſen erklaͤrt werden koͤn - nen. Die Seele hingegen iſt von ihrem Urheber mit Verſtand und Willen, Vernunft und Freyheit begabt. Denn wir koͤnnen Begriffe bilden, ſie mit einander ver - gleichen, wir ſind faͤhig Zuneigungen und Abneigungen zu haben, und aus zwey entgegengeſetzten Faͤllen einen zu waͤhlen. Alſo muͤſſen wir zu allen dieſen Wuͤrkungen Faͤhigkeiten haben, und dieſe Faͤhigkeiten fuͤhren die an - gefuͤhrten Nahmen. So bald Sie dieſe meine Hypo - theſe annehmen, ſo ſind die willkuͤhrlichen und freyen Handlungen des Menſchen nicht mehr unerklaͤrbar. Jch gieng hierauf diejenigen Erſcheinungen bey dem Men - ſchen durch, die ſich aus der Maſchine nicht herleiten laſſen, und zeigte ihm, wie ſie aus meinem Satze leicht und natuͤrlich floͤſſen. Er hoͤrte mir aufmerkſam zu, gabB 2ſich20ſich keine Muͤhe Einwendungen zu machen, erklaͤrte ſich aber nicht, ob er glaube, daß ich recht haͤtte, oder nicht.

Nun bat ich ihn noch beyde Hypotheſen in Beziehung auf Gott und den Menſchen zu vergleichen, und zu unterſu - chen, welche von beyden dann den Vorzug behaupten wuͤr - de. Jch zeigte ihm, es ſey immer der Vernunft gemaͤß, unter zweenen Saͤtzen, die beyde nicht fuͤr ausgemachte Wahrheiten ausgegeben wuͤrden, denjenigen ſo lange, bis das Gegentheil erwieſen waͤre, fuͤr wahr zu halten, der fuͤr die Ehre Gottes und fuͤr die Wuͤrde und Gluͤckſeeligkeit des Menſchen der vortheilhafteſte waͤre. Die Anwen - dung hievon war dieſe: Wenn der Menſch eine bloße Maſchine iſt, ſo hat Gott freylich in ihm eine ſehr kuͤnſt - liche Maſchine gemacht, die von der unnachahmlichen Geſchicklichkeit ihres Urhebers zeugt, und jedermann zu ſeiner Bewunderung auffordert. Aber ich ſehe keine Abſicht dabey, keine Guͤte und Weisheit des Schoͤp - fers, die ich doch bey den Werken eines Gottes mit Recht vermuhte. Gott kommt mir hier vor, wenn die - ſer Ausdruck nicht unehrerbietig iſt, wie der kuͤnſtlichſte Marionnettenſpieler. Beſteht aber der Menſch aus Leib und Seele, ſo hat Gott in uns vernuͤnftige freye Ge - ſchoͤpfe hervorgebracht, ich kann aus ihrer Vernunft und Freyheit ſchließen, daß Gott ſehr wohlthaͤtige und ſeiner wuͤrdige Abſichten mit ihnen habe, ich lerne ſeine Guͤte und Weisheit verehren, und ihn lieben. Hier erſcheint er mir als die Liebe, als ein Vater ſeiner Kinder. Nach der erſten Hypotheſe iſt der Menſch ein Spielwerk, ein ſklaviſches, unbedeutendes Weſen, nicht beſſer oder gluͤcklicher als das Vieh, und wenn er ſtirbt vielleicht ein Nichts. Nach der andern iſt er ein Geſchoͤpf, das zu wichtigen Abſichten da iſt, das ſich ſelbſt regieren ſoll, und unter den Werken Gottes eine erhabene Stelle ein - nimmt, das ſich großer Vorzuͤge vor unzaͤhligen ſeinerMitge -21Mitgeſchoͤpfe bewußt iſt, und nach dem Tode eine herrli - che Verbeſſerung zu erwarten hat. Wer es nur weiß, daß er von Gott nicht zu wuͤrdig denken kann, wer wahre Liebe und Achtung gegen ſich ſelbſt hat, der wird wohl nicht zweifelhaft ſeyn, welche von beyden Hypotheſen er anzunehmen habe.

Jch ſah es itzt dem Grafen an, daß er uͤber ſeine Maſchine ſehr verlegen war. Er gab mir auch zu, daß ſeine Hypotheſe gewaltig gegen die meinige zuruͤckſtehe. Deſto unbegreiflicher war es mir, daß er ſich doch we - gerte die ſeinige aufzugeben. Bey ſeiner Meynung zu bleiben, ſagte er, haͤtte er dieſe Gruͤnde. Die menſch - liche Erkenntniß ſey uͤberhaupt ſehr ungewiß. Es koͤnne wohl ſeyn, daß er ſich bisher eine Jlluſion gemacht haͤtte. Aber er waͤre auch immer in Gefahr, wenn er neue Begriffe annaͤhme, ſich aufs neue zu betriegen. Ueber dieß habe er unter ſeinen itzigen Umſtaͤnden nicht Ruhe und Heiterkeit genug dazu ſeine bisherigen Grundſaͤtze zu unterſuchen; er habe es freylich fruͤher thun ſollen, itzt ſey es zu ſpaͤt dazu. Jch antwortete ihm auf dieſe Gruͤnde folgendes. Die Wahrheit ſowohl als der Jrr - thum haͤtten ihre unfehlbare Merkmahle, woran man ſie von einander unterſcheiden koͤnnte, zumahl wenn man ſie von der moraliſchen Seite anſaͤhe. Es ſey z. Ex. nicht moͤglich, daß jene den Menſchen ungluͤcklich machen koͤnnte, wie dieſer es thaͤte. Ueber dieß haͤtte er in dem gegenwaͤrtigen Falle Beweiſe, die ſeine Vernunft uͤber - zeugten. Und wo ſolche Beweiſe waͤren, da hoͤrte die Ungewißheit auf. Er habe ſich freylich bisher illudirt. Das koͤnne er aus den Folgen ſeiner Grundſaͤtze ſehen. Zu welchen Vergehungen habe ihn nicht ſeine Hypotheſe verleitet und wie ungluͤcklich ihn dadurch gemacht! Er ſolle nur unterſuchen, zu welcher Tugend und zu welcher Gluͤckſeeligkeit ihn die meinige haͤtte erheben koͤnnen,B 3wenn22wenn er ſie nicht verleugnet haͤtte. Daraus allein koͤnne er beurtheilen, ob er einer Jlluſion ausgeſetzt waͤre, wenn er ſie noch annaͤhme. Daß er nicht fruͤher daran gedacht, ſein Religionsſyſtem zu pruͤfen, das ſey freylich ſchlimm und ſeine Schuld. Das berechtigte ihn aber nicht nun noch ferner die Sache dahingeſtellt ſeyn zu laſſen. Er habe itzt noch Zeit dazu, und Ruhe und Heiterkeit wuͤr - den ihm nicht fehlen, denn die pflegten die redliche Un - terſuchung der Wahrheit zu begleiten. Wenigſtens ſey er hier aus allen ermuͤdenden Zerſtreuungen herausge - riſſen. Auch wuͤrden ſolche redliche Bemuͤhungen Gott nicht misfallen. Gott koͤnne und werde ſie ſegnen, und wenn er auch nicht zu dem Ziele kaͤme, wohin ich ihn zu fuͤhren wuͤnſchte, ſo wuͤrde doch gewiß kein guter Ge - danke, keine edle Entſchließung, die itzt noch bey ihm entſtehen koͤnnten, ohne Folgen fuͤr ihn in der Ewigkeit ſeyn. Sie wuͤrden wenigſtens die Summe der Uebel, die er zu befuͤrchten haͤtte, um etwas verringern.

Aber wenn Sie denn ja, fuhr ich mit einiger Lebhaftigkeit fort, ihre Meynung, die Sie von allen wohl - thaͤtigen Wuͤrkungen der Religion ausſchließt, nicht wollen fahren laſſen, vermuhtlich um den elenden Troſt zu haben, daß Sie nach dem Tode ganz aufhoͤren und alſo nichts zu befuͤrchten haben werden: ſo muß ich Jh - nen ſagen, daß Sie ſich in Jhrer fuͤrchterlichen Hoff - nung ſehr betriegen. Wenn es auch unwiderſprechlich erwieſen waͤre, daß der Menſch eine Maſchine ſey, ſo kann Gott, der die Maſchine einmahl gebauet hat, wenn er will, ſie nach ihrer Zerruͤttung auch wieder herſtellen. Das kann der Uhrmacher bey einer zerbrochenen Uhr thun. Wenigſtens werden ſie alſo in einer ſchrecklichen Ungewißheit uͤber ihr kuͤnftiges Schickſal aus der Welt gehen muͤſſen, und ſie koͤnnten doch noch daruͤber gewiß werden, und mit Hoffnung und Troſt ſterben. Erwollte23wollte es nicht wiſſen, daß er Troſt in der Erwartung ſuche, daß er nach dem Tode nicht mehr ſeyn werde, die Thraͤnen ſtunden ihm in den Augen, aber nachgeben wollte er nicht.

Jch redete ihm noch einmahl ſo zaͤrtlich und nach - druͤcklich zu, als es mir moͤglich war, und beſchwor ihn die letzten Wochen ſeines Lebens doch nicht fruchtlos fuͤr die Ewigkeit verſtreichen zu laſſen, ſondern ſein moͤglich - ſtes zu thun, um noch gute Hoffnung fuͤr dieſelbe zu erlangen. Er ſah mich ſtarr an, ſchlug darauf die Au - gen nieder, und ſagte: Sie muͤſſen einen großen Fond von Guͤte, Menſchenliebe, Ueberzeugung und Amtstreue haben, daß ſie fuͤr mich ſo beſorgt ſind, und nicht unge - halten auf mich werden, daß ich Jhnen nicht naͤher kom - me. Jch verſicherte ihn, ich wuͤrde bis auf den letzten Tag ſeines Lebens nicht ablaſſen ihn zu ermahnen und zu bit - ten, und ich hoffe gewiß Gott wuͤrde meine Bemuͤhun - gen bey ihm ſegnen. Jch beſorge, ſetzte ich hinzu, Herr Graf, es iſt die unſeelige Neigung, die ſo viel zu Jhrem Ungluͤck beygetragen hat, es iſt der Ehrgeiz, es iſt die Begierde Recht zu behalten, die Sie gegen die Wahrheit ſo ungerecht macht. Wie iſt es moͤglich, daß Sie eine Neigung noch lieben koͤnnen, die Sie in ein ſolch Elend geſtuͤrzt hat? O, ſagte er, die iſt ſchon vor - bey. Jch bin ſehr klein in meinen eignen Augen. Und wie kann ich auch hier ehrgeizig ſeyn? Die Leidenſchaft, antwortete ich, wuͤtet noch ganz gewiß in ihrer Seele. Jhr iſt nur die Gelegenheit zu ihren vorigen Ausbruͤchen genommen. Aber gegen die Wahrheit kann ſie ſich noch immer empoͤren, wenn Sie es ihr verſtatten wollen. Huͤ - ten ſie ſich davor: die verachtete Wahrheit raͤcht ſich!

Weil mir itzt viel daran gelegen ſeyn mußte, ſein Herz menſchlichen und warmen Empfindungen zuB 4eroͤffnen,24eroͤffnen, denn ich hoffte dadurch auch fuͤr die Religion einen Eingang in daſſelbe zu finden, ſo bat ich ihn zu bedenken, wie unendlich er ſeine frommen Eltern betruͤbt haͤtte, und wie ſehr es daher ſeine Pflicht waͤre, dar - nach zu ſtreben, daß er ihnen doch den einzigen Troſt verſchaffen moͤchte, der noch fuͤr ſie uͤbrig waͤre, den Troſt, daß ſie uͤber ſeine Zukunft nicht bekuͤmmert ſeyn duͤrften. Mein Vater, antwortete er, iſt ein rechtſchaf - fener Mann, er iſt gewohnt nach ſeiner Ueberzeugung zu handeln, aber ich glaube, er iſt zu hart gegen mich geweſen. Das denken Sie nun wohl ſo: aber ich vermuhte, Sie irren darin. Sie ſind ohne Zweifel von Jugend auf ausſchweifend geweſen, und das hat der redliche Vater nicht zugeben wollen. Dieß haben Sie fuͤr Haͤrte gehalten. Das iſt freylich wahr, aber Aber Sie wußten doch, daß Er Vater und Sie Sohn waren. Wußten Sie denn nicht auch, daß Sie, als Sohn, verbunden waren, einem Vater, der noch dazu ein retſchaffener Mann war, zu gehorchen? Das habe ich auch bis zu gewiſſen Jahren gethan! Waren Sie denn nach dieſen gewiſſen Jahren weni - ger Sohn, und er weniger Vater? Confucius, deſſen Moral Sie, wie ich mich erinnere gehoͤrt zu haben, der chriſtlichen vorziehen, haͤtte Sie daruͤber belehren koͤn - nen. Sie haben freylich Recht!

Jch ließ ihm Jeruſalems Betrachtungen zuruͤck, die er mit Nachdenken zu leſen verſprach. Jch nahm ge - ruͤhrt und mit Thraͤnen uͤber ſein Elend Abſchied von ihm, und er bat mich bald wieder zu kommen.

Dritte25

Dritte Unterredung, den 5ten Maͤrz.

So ſehr ſich der Graf Struenſee bey unſrer letzten Unterredung gewegert hatte ſeinen Lieblingsſatz auf - zugeben, ſo war ich doch ſchon des Sieges der Wahr - heit uͤber ihn ziemlich gewiß. Es war in der That nichts mehr, als die Schaam in einer ſo wichtigen und zugleich ſo klaren Sache Unrecht gehabt zu haben, was ihn zu - ruͤckhielt ſich zu ergeben. Jch ließ es ihn merken, daß ich mir von unſrer heutigen Unterredung etwas verſpraͤche. Mein Herz, ſagt mir, ſo redete ich ihn an, daß ich heute mit Jhnen einen Schritt weiter kommen werde. Jch ſehe, Sie leſen im Jeruſalem. Wie weit ſind Sie gekommen, und wie gefaͤllt Jhnen das Buch? Jch bin ſchon in der Betrachtung uͤber die Moralitaͤt des Menſchen. Das Buch iſt vortrefflich geſchrieben, und ich finde nichts darin, das meiner Vernunft widerſpraͤche. Jch habe hier auch noch was wider meine Meynung ge - funden, daß der Menſch eine Maſchine ſey. Aber mich deucht doch immer, die Senſibilitaͤt beweiſt es und erklaͤrt alles. Jch antwortete ihm hierauf, daß die Werkzeuge der Sinne doch nichts weiter als der Spiegel oder der Tubus waͤren, wodurch wir die Ge - genſtaͤnde wahrnaͤhmen, daß der Spiegel oder der Tubus ſelbſt nichts ſehen koͤnnten, ſondern, daß noch ein drittes da ſeyn muͤßte, nemlich derjenige, der durch das Werk - zeug die Gegenſtaͤnde beobachtete. Dieſer dritte ſey die Seele oder unſer Jch.

Er begriff dieß, aber ſein Unrecht zu geſtehen, das ſchien ihm noch zu ſchwer zu ſeyn. Und gleichwohl war dieß nothwendig, ehe ich weiter gehen konnte. Jch nahm mir alſo vor, ihm zu zeigen, daß die Art, wie ſeine Meynung bey ihm entſtanden waͤre, und ſein Herz ſo ſehr intereſſirt haͤtte, ihm weder Ehre machte noch ſei -B 5nem26nem wahren Beſten gemaͤß ſey. Jch hielt dieß fuͤr ein gutes Mittel, eine Schaam durch die andre zu vertreiben. Jch redete daruͤber ungefaͤhr in folgenden Worten.

Sie haben es eingeſehen und Jhre Vernunft iſt uͤberzeugt, daß Jhre Hypotheſe, der Menſch ſey eine bloße Maſchine, auf alle Weiſe ungegruͤndet, unzulaͤng - lich und Gottes und des Menſchen unwuͤrdig iſt. Sie koͤnnen die entgegengeſetzte beſſere Beſchaffenheit des Satzes, daß wir aus Leib und Seele beſtehen, nicht leugnen, und Vernunft und Erfahrung muß Sie von der Wahrheit deſſelben uͤberzeugen. Gleichwohl wollen Sie jenen Gedanken nicht fahren laſſen, und dieſen nicht anneh - men. Was kann und was muß davon die Urſache ſeyn?

Sie ſelbſt ſagen: Jhre Meynung ſey zu tief bey Jhnen eingewurzelt; die menſchliche Erkenntniß ſey un - gewiß; wenn Sie ſich bey der Annehmung ihrer bisheri - gen Meynung eine Jlluſion gemacht haͤtten, ſo befuͤrch - teten Sie bey der Annehmung einer andern auch einer neuen Jlluſion ausgeſetzt zu ſeyn. Sind dieß gegruͤndete Urſachen Jhres Widerſtandes? Oder ſind es nur Aus - fluͤchte? Jch befuͤrchte das letztere.

Jhre Hypotheſe iſt zu tief bey Jhnen eingewur - zelt. Jn Jhrer Vernunft? Oder in Jhrem Herzen? Jenes iſt nicht moͤglich. Es iſt die Natur und Pflicht der Vernunft, dasjenige fuͤr wahr zu halten, von deſſen Wahrheit ſie uͤberzeugt iſt. Sie ſind von der Falſchheit Jhrer Meynung und von der Wahrheit der entgegenge - ſetzten uͤberzeugt. Alſo muͤſſen Sie nothwendig jene fuͤr falſch, und dieſe fuͤr wahr halten, das iſt, ſie anneh - men. Thun Sie das nicht, ſo muß Jhre Meynung, der Menſch ſey eine Maſchine, zu tief in Jhrem Herzen eingewurzelt ſeyn. Davon nachher.

Die27

Die menſchliche Erkenntniß iſt ungewiß; Sie wollen ſich nicht gerne eine neue Jlluſion machen. Fuͤr den Satz, der Menſch hat eine Seele, iſt Beweis da. Fuͤr den, er iſt eine Maſchine, iſt keiner. Wo Beweis iſt, da iſt kein Ungewißheit mehr, da iſt keine Jlluſion zu befuͤrchten. Und waͤre eine zu befuͤrchten, ſo wollte ich mich doch lieber von einer Lehre hintergehen laſſen, die mir ſo vortheilhaft werden koͤnne, als von einer andern, durch die ich ſchon in das tiefſte Elend geſtuͤrzt waͤre.

Das alles fuͤhlen Sie, und ich bin gewiß, Sie werden es auch nicht leugnen. So muͤſſen Sie alſo auch zugeſtehen, daß Sie nur Ausfluͤchte machen, wenn Sie von der Ungewißheit der menſchlichen Erkenntniß, von der Moͤglichkeit einer neuer Jlluſion u. ſ.w. reden. Sol - che Ausfluͤchte zu machen muͤſſen Sie doch Jhre gehei - men Urſachen haben. Die will ich zu ergruͤnden ſuchen.

Es iſt nicht anders, ungluͤcklicher Herr Graf, Jhre Meynung, daß der Menſch nur eine Maſchine ſey, iſt in Jhrem Herzen zu tief eingewurzelt. Sie lieben ſie, Sie befuͤrchten etwas zu verlieren, das Jhnen ange - nehm iſt, wenn Sie ſie fahren laſſen. Deswegen halten Sie ſie bey allem Widerſpruch Jhrer geſunden Vernunft ſo feſt. Das will ich Jhnen aus der Geſchichte Jhres eigenen Herzens beweiſen.

Wann haben Sie angefangen leichtſinnig zu han - deln, den Trieben des Ehrgeizes zu folgen und den Reizen der Wolluſt nachzugehen? Ganz gewiß in Jhrer fruͤhen Jugend, ehe Sie noch auf den Gedanken verfie - len, der Menſch ſey eine ſeelenloſe Maſchine. Das Ge - fuͤhl, das Gott von der Sittlichkeit der Handlungen auch in Jhre Seele gelegt hatte, verurſachte Jhnen zuweilen Unzufriedenheit mit ſich ſelbſt. Die ſuchten Sie zu un -terdruͤcken.28terdruͤcken. Etwa von ungefaͤhr hoͤrten oder laſen Sie den Satz: der Menſch iſt nur eine Maſchine. O dachten Sie, ſo iſt ja mit dem Tode alles aus. So darf ich ja leichtſinnig, ehrgeizig, wolluͤſtig ſeyn. Wenn ich mich nur vor den Strafen der Suͤnden huͤte, die ſie in dieſer Welt nach ſich ziehen koͤnnen, ſo habe ich in der kuͤnftigen nichts zu befuͤrchten.

Nun nahmen Sie den bequemen Satz an, und ſuchten nach und nach Beweiſe fuͤr denſelben, um Jhre wenigſtens zweifelnde Vernunft zu befriedigen. Sie funden, als Sie den menſchlichen Koͤrper in der Abſicht ſtudirten ein guter Medicus zu werden, o waͤren Sie der Abſicht treu geblieben! ſie funden da hin und wieder etwas, das einem Beweiſe Jhrer geliebten Meynung aͤhnlich ſah. Das ergriffen Sie mit Freuden, und hiel - ten es, weil es Jhren Abſichten gemaͤß war, fuͤr feſten unwiderleglichen Beweis. So, mein armer Freund, ſo haben Sie ſich hintergangen!

Von nun an glaubten Sie, daß Sie ſich alles erlauben duͤrften, wozu Sie ſich von Jhren Begierden gereizt fuͤhlten. Jede Ausſchweifung der Leidenſchaft war Jhnen nun unverboten. Sie begiengen ſie mit Freuden, und glaubten uͤber Religion und Tugend zu triumphiren. Der Gedanke: ich bin ja nur eine Ma - ſchine, ſchlaͤferte ihr Gewiſſen ein, wenn es ſich ja zuwei - len regte. Darf ich mich wohl wundern, daß Sie dieſen Jhren Grundſatz ſo lieb haben, da er Jhnen ſo lange zum Schilde wider alle Angriffe des Gewiſſens gedient hat?

Nun endlich muß ich, als Jhr Freund, der es auf ſich genommen hat, fuͤr die Rettung Jhrer Seele zu ſorgen, ihnen ſagen, daß die Zeit der Jlluſion vorbey iſt, daß Sie mehr als eine Maſchine ſind, daß Sie eineunſterb -29 unſterbliche Seele haben. Jch muß Jhr Syſtem an - greifen, Jhre eigne Vernunft kommt mir zu Huͤlfe, Sie werden uͤberwunden: aber Sie wollen nicht weichen. Die einzige Urſache davon iſt dieſe: Jhre Meynung iſt zu tief in Jhrem Herzen eingewurzelt!

Sie ſind ihr gleichſam dankbar fuͤr alle die Be - friedigungen der Begierden, die Sie Jhnen verſtattet hat. Aber die Hauptſache iſt dieſe: Sie ſehen zum Voraus, daß Jhr Gewiſſen auf einmahl aus ſeiner Be - taͤubung erwachen, daß eine unzaͤhlige Menge von Suͤn - den Jhnen zur Laſt fallen, daß die bitterſten Vorwuͤrfe Jhr Herz zerfleiſchen werden, ſo bald Sie anfangen ſich fuͤr eine Seele zu halten. Um dieß zu vermeiden halten Sie ſo feſt an einem falſchen gefaͤhrlichen Gedanken, be - kennen ihn und wollen ihn wider Jhre Ueberzeugung glauben. Vielleicht iſt auch die Begierde Recht zu be - halten, oder die Schaam nachzugeben, mit Schuld daran. Vielleicht haben Sie Jhren Satz andern beyge - bracht, und wollen nun nicht gern von Jhren Schuͤlern fuͤr einen Lehrer gehalten werden, der ſeiner Sache doch nicht gewiß geweſen iſt.

Vergeſſen Sie es doch nicht, was ich Jhnen ge - ſagt, und was Sie mir eingeſtanden haben, daß ſelbſt der elende Troſt, um welchen es Jhnen itzt ſo ſehr zu thun iſt der jammervolle Troſt, ich werde nach der Zer - ſtoͤrung meiner Maſchine nicht mehr ſeyn, nicht einmahl aus Jhrem Satze folgt, wenn er auch ſo wahr waͤre, als dieſer: Es iſt ein Gott! Gott, der die Maſchine ge - macht hat, kann ſie auch nach ihrer Zerſtoͤrung wieder herſtellen, wenn er will. Sie koͤnnen alſo eine Maſchine ſeyn, wenn Sie wollen, aber deswegen ſind Sie nicht ſicher, daß Sie nach dieſem Leben nicht wieder leben werden.

Was30

Was wollen Sie denn nun thun? Der Wahr - heit ferne widerſtreben und alle meine Bemuͤhungen um Jhr Heil vergeblich machen? So iſt Jhnen mein Raht unnuͤtz, und Jhre Verantwortung vor Gott, dem Va - ter der Wahrheit und Tugend, wird Jhnen deſto ſchwe - rer werden. Jhren falſchen verfuͤhreriſchen Satz fahren laſſen? So will ich fuͤr Sie Gott danken, und mich mehr freuen, als ich ſagen kann, daß ich einen Schein von Hoffnung habe, Sie in der Zukunft noch gluͤcklich zu ſehen.

Liebſter Herr Graf, ihre Tage ſind abgekuͤrzt und abgezaͤhlt. Jhrer ſind nur noch ſehr wenige. Eilen Sie und erretten Jhre Seele! Dieß iſt es, warum ich Sie ſo ſehnlich bitte, daß ich vor dem Gedanken zittre, Sie moͤchten mir vielleicht meine Bitte abſchlagen.

Er unterbrach mich waͤhrend dieſes Vortrages ſelten, hoͤrte mich mit vieler Aufmerkſamkeit an, und geſtand, daß er genau auf die Art, die ich angegeben haͤtte, zur Annehmung ſeiner Meynung gekommen ſey. Nach einer kurzen Pauſe von beyden Seiten, waͤhrend welcher er als in einem tiefen Nachdenken ſaß, rief er aus: O ich hoffe und wuͤnſche itzt die Unſterblichkeit. Jch vermuthete gleich, daß Jeruſalem ihn ſo weit ge - bracht haͤtte. Er ſagte es bald darauf ſelbſt: Es iſt unmoͤglich durch das Buch nicht gewonnen zu werden.

Da er nun die Unſterblichkeit hoffte und wuͤnſchte, ſo hielt ich es nicht fuͤr noͤthig mich auf weitlaͤuftigen Un - terſuchungen uͤber das Daſeyn der Seele, ihre Natur und Unſterblichkeit einzulaſſen. Jch befuͤrchtete auch, die ſpe - culativiſchen Wahrheiten moͤchten uns zu lange aufhalten, und uns auf mancherley das Herz nicht beſſernde Spitz - fuͤndigkeiten fuͤhren. Mir war es genug, daß er itztwenig -31wenigſtens zum Gefuͤhl der Ewigkeit gekommen war. Doch redeten wir heute noch von dem Beweiſe, daß der Menſch eine Seele habe. Jch legte ihm denſelben etwa ſo vor: Koͤnnen die Kraͤfte der Empfindung, wohin nicht bloß die Faͤhigkeit der Maſchine gehoͤrt die Eindruͤcke anzunehmen, ſondern auch diejenige Faͤhigkeit, wodurch wir uns dieſer Eindruͤcke bewußt ſind, koͤnnen die Kraͤfte des Bewußtſeyns, des Verſtandes, der Vernunft, des Willens, der Freyheit, nicht anders als Kraͤfte einer Subſtanz ſeyn, die wir die Seele nennen, ſo muͤſſen wir eine Seele haben, u. ſ. w.

Die falſche Beruhigung, die den Grafen bisher ſo fuͤhllos gemacht hatte, und die ſich auf ſeiner Ueber - redung gruͤndete, daß kein kuͤnftiges Leben zu erwarten ſey, war nun unterbrochen. Jch mußte ſie ihm ganz zu nehmen ſuchen, ehe ich ihm eine wahre Ruhe zu ver - ſchaffen ſuchen konnte. Jch mußte ihm alſo zeigen, daß er ſich in dem kuͤnftigen Leben, welches er hoffte und wuͤnſchte, keine angenehmen Schickſale zu verſprechen haͤtte. Sollte er dieß einſehen, ſo mußte er erſt richtige Begriffe von der Moralitaͤt der Handlungen haben. Meine Leſer erinnern ſich, daß er die menſchlichen Hand - lungen nur in ſo fern fuͤr gut und boͤſe hielt, in wie ferne ſie fuͤr die Geſellſchaft gute oder boͤſe Folgen haben. Ehe ich dieſen Satz gerade zu angreifen wollte, hielt ich es fuͤr gut ihm zu zeigen, wie wenig er, ſelbſt nach dieſem Grundſatz, im Stande ſeyn wuͤrde, uͤber ſeine Thaten vor Gott Rechenſchaft abzulegen. Jch koͤnnte Jhnen nun, ſagte ich, Jhre Regel, wornach Sie die Sittlich - keit der Handlungen beurtheilen, fuͤrs erſte unangefochten laſſen: Jhre Handlungen, Herr Graf, wuͤrden doch ſehr bey der Unterſuchung zu kurz kommen. Jch ver - wunderte mich, als er mir antwortete: Jch finde doch nun, daß es beſſer und ſicherer iſt, die Bewegungsgruͤndezu32zu unſerm Thun und Laſſen aus Gott herzuleiten, und ihn dabey als den Beobachter derſelben zu betrachten. Er wies, indem er dieß ſagte, auf Jeruſalems Buch, und ich dankte in meinem Herzen dieſem vortrefflichen Mann, daß er mir ſchon ſo weit fortgeholfen hatte.

Jnzwiſchen bat ich doch den Grafen zu uͤberlegen, wie unmoraliſch ſeine Handlungen ſelbſt nach ſeinem bis herigen Grundſatze von der Moralitaͤt geweſen waͤren. Jch hatte die Seite entdeckt, wo ihn die Wunden ſeines Gewiſſens ſchmerzten. Bey weitem war es nicht ſo ſehr der Gedanke, ich habe Gott beleidigt, ich habe mich ſelbſt ungluͤcklich gemacht, als dieſer, ich habe meine Freunde mit mir ins Verderben gezogen, was ihn be - kuͤmmerte. Dieſe Empfindung ergriff ich, ſuchte ſie zu unterhalten und zu vermehren, und hoffte, ſein Schmerz wuͤrde nach und nach allgemeiner werden, und ſich auch uͤber ſeine uͤbrigen Vergehungen ausbreiten. Kaum fieng ich an dieſe ſeine empfindliche Seite zu beruͤhren, ſo vergaß er haͤufige Thraͤnen, geſtand, daß er ſich hier ſehr ſtraͤflich finde, und durchaus nichts zu ſeiner Ent - ſchuldigung zu ſagen wiſſe.

Wenn Sie ſich denn auch nur, fuhr ich fort, dieß einzige vorzuwerfen haͤtten, daß Sie die Urſache des Ungluͤcks ſind, in welchem ſich nun dieſe Jhre Freunde befinden, ſo muͤßte Jhnen ſchon Jhre Verantwortung vor Gott ſehr ſchwer und unmoͤglich werden. Jch er - kenne das, antwortete er, aber ich will mich auch vor Gott nicht verantworten, ich hoffe nicht, daß er das von mir fordern wird, ich verlaſſe mich auf meine Reue und auf ſeine Guͤte. Meynen Sie nicht, daß Gott mir meine Vergehungen auf eine philoſophiſche Buße verge - ben wird? Nach meiner Ueberzeugung kann ich Jh - nen dazu keine Hoffnung machen. Jch kenne nur einMittel33Mittel zur Begnadigung bey Gott, und das iſt nicht die philoſophiſche, ſondern die chriſtliche Buße. Jch kann es Jhnen itzt noch nicht beweiſen, daß ich ſo denken muß: Aber denken Sie nur uͤber die Guͤte Gottes nach, auf die Sie ſich verlaſſen, ſo werden Sie finden, daß es eben dieſe Guͤte iſt, die es ihm nothwendig macht, ge - recht zu ſeyn, und ſeinen Abſcheu an dem moraliſchen Uebel zu beweiſen. Und eine ſolche Guͤte, als die goͤtt - liche, die nicht in Schwachheit ausarten kann, iſt gewiß demjenigen, der ſie beleidigt hat, ſehr furchtbar. Jch bitte Sie ſehr, ſetzen Sie kein blindes ungegruͤndetes Zutrauen auf ſie! Jch mochte dieß mit merklicher Empfindung geſagt haben. Sie muͤſſen viel Menſchen - liebe haben, ſo unterbrach er mich, daß ſie nicht un - geduldig uͤber mich werden. Jch werde es gewiß nicht werden. Aber unruhig und bekuͤmmert bin ich um Sie. Sie muͤſſen ſich, antwortete er, nicht ſo leb - haft fuͤr mich intereſſiren. Was wollten ſie thun, wenn ich ſo ungluͤcklich waͤre, nicht uͤberzeugt zu werden? Jch wuͤrde mich unausſprechlich betruͤben, und gerne Gutes fuͤr Sie hoffen wollen, aber nicht duͤrfen! Thun Sie doch nur Jhr moͤglichſtes. Gott wird gewiß Jhre Bemuͤhungen ſegnen. Sie werden noch aus ſichern Gruͤnden ſich fuͤr begnadigt von Gott halten lernen, und mit Ruhe und Hoffnung ſterben koͤnnen. Hier rief er mit einem tiefen Seufzer aus: Gott gebe es!

Sie wuͤnſchen freylich wohl, ſetzte er hinzu, und ich glaube, Sie wuͤnſchen es aus guten Gruͤnden, daß ich ein Chriſt werden moͤge. Das wuͤnſche ich frey - lich ſehr: aber Sie wiſſen, Wohlthaten koͤnnen nicht auf - gedrungen werden. Es iſt natuͤrlich, daß Sie die groͤße - ſte unter allen, die Jhnen wiederfahren kann, ſelbſt ſu - chen. Lernen Sie es nur erſt recht empfinden, wie ge - faͤhrlich Jhr Zuſtand ſey, ſo wird Sie Jhre BeduͤrfnißCſchon34ſchon treiben, Gottes Gnade da zu ſuchen, wo ſie allein zu finden iſt. Aber ſagen Sie mir, antwortete er, wie kann das Chriſtenthum der von Gott offenbahrte ein - zige Weg zur Gluͤckſeeligkeit ſeyn, da es ſo wenig Men - ſchen bekannt iſt, da ſelbſt unter den Chriſten ſo wenige die Vorſchriften deſſelben erfuͤllen?

Aus dem erſten Zweifel, antwortete ich, wollen Sie ſchließen, es ſey wider die Guͤte und Gerechtigkeit Gottes, eine Lehre, durch die allein der Menſch gluͤck - ſelig werden kann, nicht allen Menſchen bekannt gemacht zu haben. Koͤnnen wir aber wohl wiſſen, ob nicht Gott diejenigen, denen das Chriſtenthum nicht bekannt wird, durch die in demſelben gemachte Veranſtaltung gleichwohl ſeelig machen werde, wenn ſie ſich ſonſt ſo gut betragen, als es nach ihren Umſtaͤnden moͤglich iſt? Und kann ſich jemand, dem Gott irgend ein Gut ſchenkt, das er andern verſagt, deswegen fuͤr berechtigt halten, dieß Gut nicht einmahl anzuſehen und zu unterſuchen, weil Gott es ihm, und nicht zugleich allen, zugeſtanden hat? Hat nicht Gott alles Gute, das wir Menſchen von ſeiner Liebe haben, ungleich ausgetheilt, z. Ex. Ehre, Reichthum, Geſundheit, Gaben des Geiſtes, ſelbſt die Erkenntniß der natuͤrlichen Religion? Sie ſehen, aus Jhrem Einwurf folgt weit mehr, als daraus Jhrer Ab - ſicht nach folgen ſoll.

Aus dem andern Zweifel, wollen Sie dieß ſchlie - ßen: Weil das Chriſtenthum von ſo wenig Menſchen be - folgt wird, ſo kann es kein hinlaͤngliches Mittel zu der Abſicht ſeyn, wozu es Gott verordnet haben ſoll, es kann alſo auch nicht von Gott ſeinen Urſprung haben. Hier muͤſſen Sie nur bedenken, daß es eine Religion freyer Geſchoͤpfe iſt, daß dieſe in einer Sache, die ihre Gluͤckſeeligkeit betrifft, unter keinem Zwange ſtehen, daßVor -35Vorurtheil, Jrrthum und Begierden, auch die ſtaͤrkſten moraliſchen Bewegungsgruͤnde unwirkſam machen koͤn - nen. Jnzwiſchen iſt es doch nicht zu laͤugnen, daß das menſchliche Geſchlecht im Ganzen betrachtet, ſeit der Einfuͤhrung der chriſtlichen Religion, unendlich verbeſſert worden iſt, und daß ſie alſo weit mehr Gewalt uͤber das menſchliche Herz bewieſen hat, als Sie ihr zuzutrauen ſcheinen.

Aber ſelbſt gute Chriſten, ſetzte er hinzu, bege - hen doch oft Suͤnden! Soll und kann denn der Menſch in dieſer Welt ganz vollkommen werden? Und hat denn das Chriſtenthum das zur Abſicht, Wuͤrkungen bey uns hervorzubringen, die unſrer gegenwaͤrtigen Verfaſſung nach ganz unmoͤglich ſind? Ueber dieß iſt auch ein großer Unterſchied zwiſchen der Suͤnde eines wahren Chriſten, denn von dem iſt hier allein die Rede, und eines Laſter - haften. Bey jenem iſt ſie ein Fall, von dem er ſich wieder aufrichtet. Bey dieſem wird ſie beſtaͤndig fortge - ſetzt und erneuret. Und wenn endlich auch nur ein ein - ziger Chriſt auf Erden waͤre, deſſen Wandel ſeinem Be - kenntniſſe Ehre machte, ſo waͤre das ſchon genung, jeden der ihn kennte, zur Pruͤfung der Religion dieſes einzigen Chriſten, und zur Annehmung derſelben, wenn er ſie gegruͤndet faͤnde, zu verbinden.

O ich habe der Zweifel ſo viele, ſagte er hierauf, daß ſie mir ſchwerlich alle werden gehoben werden koͤnnen. Er ſagte dieß mit einer Miene, die ſeine Bekuͤmmerniß daruͤber ausdruͤckte. Beunruhigen Sie ſich daruͤber nicht, antwortete ich ihm. Jch bin gewiß, der groͤßte Theil ihrer Zweifel wird daraus entſpringen, daß Sie das Chriſtenthum nicht kennen, und die Beweiſe deſſel - ben noch nie ſorgfaͤltig durgedacht haben. Sehen Sie es nur erſt von der rechten Seite an, und pruͤfen dieC 2Gruͤnde36Gruͤnde, auf denen es ſich ſtuͤtzt, ſo werden Sie ſich wun - dern, wie Jhre Zweifel verſchwinden werden. Auf die Unterſuchung dieſer Einwuͤrfe wollen wir uns auch nicht viel einlaſſen. Wann wollten wir damit fertig werden? Es iſt beſſer, daß wir uns in den Stand ſetzen, Sie zuletzt alle gleichſam mit einem Streiche wegzuwiſchen. Und bliebe ja noch uͤber dieſen oder jenen Punct einige Ungewißheit uͤbrig, ſo koͤnnte ich Sie damit troͤſten, daß Gott Sie gewiß nach der Zeit, die Sie haben, nach Jhren itzigen Umſtaͤnden, und nach der Aufrichtigkeit beurtheilen wird, mit der Sie die Wahrheit ſuchen, und annehmen werden. Es geht mancher rechtſchaffene Chriſt mit einigen Zweifeln aus der Welt, und freut ſich darauf, daß dort alles Gewißheit und Licht werden wird. Das Chriſtenthum iſt ja uͤberhaupt mehr eine Angelegenheit des Herzens als des Verſtandes.

Meine Leſer werden ſelbſt urtheilen, daß ich nun viel Gutes von ihm hoffen durfte. Der vorſetzliche Widerſtand war gehoben, er wuͤnſchte heimlich ein Chriſt zu werden, und befuͤrchtete nur, er werde es nicht koͤn - nen. Jch fand nicht Urſache ihm meine Hoffnung zu verhehlen. Er ſchien ſich zu freuen, als ich ſie ihm ent - deckte. Jch rieht ihm an, Gott um Erleuchtung anzuru - fen. Er fragte: Ob nicht ein herzlicher Wunſch, auf Gott gerichtet, ſchon Anrufung Gottes ſey? Allerdings, ſagte ich, und wenn ſie oft dergleichen Wuͤnſche vor Gott aͤußern, ſo werden Sie, außer der Hoffnung erhoͤrt zu werden, noch dieſen großen Vortheile davon haben, daß Sie ſich den Gedanken von der Allgegenwart Gottes und von Jhrer Abhaͤngigkeit von ihm gelaͤufig machen, und dadurch den Grund zu einem wahren Vertrauen auf ihn in Jhrer Seele legen. Und dadurch werden manche Gott gefaͤllige Empfindungen in Jhrem Herzen veranlaßt wer - den. Halten Sie ja viel auf dieſe, und ſuchen Sie, ſienicht37nicht wieder zu verlieren. Jhre Geſinnungen werden dadurch verbeſſert werden, und dieſe Verbeſſerung muß mit Jhr Hauptgeſchaͤfft ſeyn. Dieſe gebeſſerten Geſin - nungen muͤſſen Sie zu Jhrer eignen Beruhigung wirk - ſam zu machen ſuchen. Denken Sie vor Gott daruͤber nach, was Sie etwa noch Gutes thun koͤnnen, und was beſonders in Jhrem gegenwaͤrtigen Verhaͤltniß Jhre Pflicht von Jhnen fordert.

Jch hatte ihm Reimari vornehmſte Wahrheiten der natuͤrlichen Religion mitgebracht. Jch rieth ihm dieß Buch mit Fleiß zu ſtudiren, um ſeine vernuͤnftige Erkenntniß von Gott zu berichtigen und vollſtaͤndig zu machen.

Vierte Unterredung, den 8ten Maͤrz.

Jch hatte nun ſchon große Vortheile in Haͤnden. Der Graf Struenſee fuͤhlte die nahe Ewigkeit, und konnte und wollte ſich nicht mehr gegen die Eindruͤcke wehren, die ihr Anblick auf ihn machte. Er war uͤber ſeinen moraliſchen Zuſtand bekuͤmmert: aber noch nicht genug, noch nicht, wenigſtens nicht ſo ſehr als es ſeyn ſollte, aus dem Grunde, daß er Gottes Misfallen an ſich bemerkte. Er wuͤnſchte, durch das Chriſtenthum beruhigt zu werden, aber er hielt es noch nicht fuͤr moͤg - lich, von demſelben eine feſte Ueberzeugung zu erhalten. Jch beſtimmte daher nun den Plan meines Verfahrens bey ihm ſo, daß ich, ohne ſehr lebhaft zur Annehmung des Chriſtenthums in ihn zu dringen, ihm daſſelbe durch das Gefuͤhl ſeines Elendes und ſeiner Gefahr nothwendig zu machen ſuchen wollte. Unterdeſſen wollte ich ihm von Zeit zu Zeit Gelegenheit geben, die Beweiſe der chriſtli - chen Religion kennen zu lernen, damit in eben dem Maaße, in welchem ſein Verlangen nach dem TroſteC 3derſelben38derſelben anwuͤchſe, auch die Schweirigkeiten, die er da - bey zu finden glaubte, abnehmen moͤchten. Ehe ich ihm aber die Gefahr, in welche ihn ſein unmoraliſches Leben geſtuͤrzt hatte, mit Nachdruck zeigen konnte, mußten wir uͤber die richtigen Gruͤnde der Moralitaͤt in den menſchlichen Handlungen einig werden. Naͤher war er mir auch in dieſem Stuͤcke ſchon gekommen.

Sie haben mir zwar, ſo fieng ſich unſre Unter - redung an, noch nicht ausdruͤcklich zugeſtanden, daß Sie eine Seele haben. Jnzwiſchen bin ich zufrieden, wie Sie dasjenige nennen, was eigentlich Jhr Jch ausmacht. Bey mir heißt es Seele, und Sie wuͤnſchen und hof - fen, ſo wie ich die Unſterblichkeit deſſelben. Ueber Worte wollen wir nicht ſtreiten. Nun muͤſſen wir unterſuchen, wie moraliſch oder unmoraliſch ſich Jhr Jch oder Jhre Seele in der Welt betragen hat, und dann will ich es Jhnen uͤberlaſſen zu entſcheiden, ob Jhr gutes oder boͤſes Verhalten nach dem Tode Folgen fuͤr Sie haben kann.

Moralitaͤt iſt in den Handlungen. Das geben Sie zu. Alſo laͤugnen Sie auch die Freyheit des Men - ſchen nicht. Den einzigen Zweifel, den Sie dagegen machen koͤnnten, werden Sie im Jeruſalem S. 280. auf - geloͤſt gefunden haben. Er erinnerte ſich an dieſe Stelle und geſtand, ſie ſey ihm ſehr uͤberzeugend geweſen. Man ſey gar nicht genoͤthigt, bey dem erſten Eindruck, den ein Gegenſtand auf uns machte, ſtehen zu bleiben, und dar - nach ſeine Entſchließung zu beſtimmen. Man muͤſſe viel - mehr die Sache weiter uͤberlegen, und erſt nach erlangter hinlaͤnglicher Einſicht waͤhlen. Das ſey wahre Frey - hed. Wir wurden nun leicht daruͤber einig, daß zu den moraliſchen Handlungen erſtlich diejenigen gehoͤren, die wuͤrklich frey ſind, das iſt, deren Gegentheil dem Men - ſchen moͤglichſt, und zu denen er ſich nach vorhergehenderUeber -39 Ueberlegung entſchließt: dann aber auch diejenigen, die von ſeiner Freyheit abhaͤngen konnten, die er begeht, ohne vorher daruͤber nachgedacht zu haben, wie er es doch haͤtte thun ſollen und koͤnnen.

Nun entſtand die Frage, was macht denn die Handlungen gut oder boͤſe? bloß ihre Folgen? bloß die - jenigen, die ſie fuͤr die Geſellſchaft haben? Das letztere war bisher ſeine Meynung geweſen, die er aber doch nun ſchon faſt aufgegeben hatte. Es war noͤthig, ſie von Grund aus wegzunehmen. Jch zeigte ihm deswegen, daß es unmoͤglich ſey, die Folgen, die unſre Handlungen haben koͤnnten, nach allen ihren Verhaͤltniſſen vorher zu entdecken; daß derjenige, der das unternehmen wollte, Jahre lang unterſuchen muͤſſe, ehe er uͤber eine einzelne That zu Entſchließung kommen koͤnnte; daß die Folgen der Handlungen ſich auf allen Seiten verbreiten, und bis ans Ende der Welt ja bis in die Ewigkeit fortlaufen koͤnnten, und daß niemand als der Allwiſſende im Stande ſey, ſie alle zu uͤberſehen, und die Summe des Guten und Boͤſen, die aus ihnen entſtehen koͤnnte, zu berech - nen um daraus ein zuverlaͤſſiges Urtheil von ihrer Mo - ralitaͤt zu faͤllen. Der Menſch koͤnnte bloß, und wenn er der weiſeſte Sterbliche waͤre, einige der naͤchſten Fol - gen vorherſehen. Ferner bin ich in Gefahr, wenn ich die Moralitaͤt der Handlungen aus den Folgen entſchei - den will, die ſie fuͤr die Geſellſchaft haben koͤnnen, in meinem Urtheile zu irren, und eine That fuͤr gut oder doch unſchaͤdlich zu halten, von der mir nachher der Er - folg zeigt, daß ſie es nicht iſt. Meine Begierden werden mich verblenden, ſie werden mich verfuͤhren, die Sachen in einem falſchen Lichte und von der unrechten Seite anzuſehen, ſie werden durch ihre Heftigkeit verurſachen, daß ich mir die Zeit nicht nehme, die zur Unterſuchung noͤthig iſt. Hier erfand er ſelbſt eine Anmerkung, dieC 4ich40ich eben im Begriff war hinzuzuſetzen. Ohne Zweifel nahm er ſie aus ſeiner eignen Erfahrung her. Die Nei - gungen, ſagte er, werden mich uͤberreden, wenn ich gleich einſehe, daß die Handlung, zu der ſie mich trei - ben, fuͤr die Societaͤt Nachtheil nach ſich ziehen koͤnne, ich wuͤrde ihre Folgen in meiner Gewalt haben, es ſtuͤnde bey mir ihnen mit Vorſicht auszuweichen, oder ſie durch Heimlichkeit und Vorbeugung abzuwenden. Sie werden mir allerhand ſcheinbare Entſchuldigungen an die Hand geben und mich ſehr geneigt machen, dieſe fuͤr wahr und gegruͤndet zu halten. Dieß alles ward mit Beyſpielen erlaͤutert, die er mir aus ſeiner perſoͤnlichen Erfahrung herzunehmen verſtattete.

Sie ſehen hieraus, fuhr ich fort, daß in den Handlungen ſelbſt etwas liegen muß, welches ſie gut oder boͤſe macht, und daß wir, wenn wir anders mora - liſch gut handeln ſollen, eine gewiſſe und unfehlbare Richt - ſchnur in Haͤnden haben muͤſſen, nach der wir in vor - kommenden Faͤllen mit Sicherheit entſcheiden koͤnnen, was uns erlaubt oder verboten ſey. Dieſe Richtſchnur iſt der Wille Gottes. Hat uns Gott den bekannt gemacht, ſo haben wir eine eben ſo unfehlbare Regel unſers Ver - haltens, als Gott ſelbſt unfehlbar in ſeinen Urtheilen iſt. Jch behaupte hier nicht, daß die Handlungen deswegen gut oder boͤſe ſind, weil Gott es gewollt hat, daß ſie gut oder boͤſe ſeyn ſollten. Das gute und boͤſe liegt in den Handlungen ſelbſt. Wenn Gott keine Menſchen geſchaf - fen haͤtte, ſo wuͤrde ſein Verſtand die Handlungen, in ſo ferne ſie bloß moͤglich waren, eben ſo in Anſehung ih - rer Moralitaͤt beurtheilet haben, als er ſie itzt beurtheilt, da er Menſchen geſchaffen hat. Gott will und kann nichts anders wollen, als was nach ſeiner Erkenntniß gut iſt, und er erkennt die Dinge ſo, wie ſie wuͤrklich ſind.

Nun41

Nun mußte ich beweiſen, daß uns Gott ſeinen Willen uͤber unſer Thun und Laſſen, oder uͤber die Mo - ralitaͤt der Handlungen, wuͤrklich offenbahrt habe. Auf die Bibel durfte ich den Grafen nocht nicht verweiſen, denn da haͤtte ich erſt den Beweis fuͤhren muͤſſen, daß ſie Gottes Wort ſey. Und dazu war er noch nicht vorbe - reitet, auch lag dieſer Beweis nicht in dem Zirkel der Wahrheiten, uͤber die wir bisher einig geworden waren. Jch berief mich alſo auf das Gewiſſen, oder auf das allen Menſchen angebohrne moraliſche Gefuͤhl.

Herr Graf, ſagte ich, ſo wie alle Menſchen dar - in uͤbereinſtimmen, daß der Zucker einen andern Eindruck auf die Zunge mache, als der Eſſig, daß ein durch die Blattern zerriſſenes Geſicht nicht ſchoͤn, und eine feine ebene Haut nicht haͤßlich in die Augen falle, ſo ſind ſie auch alle daruͤber einig, daß Rauben und Morden nicht moraliſch gut, gerecht aber und menſchenliebend ſeyn nicht boͤſe iſt. So wenig alle, die von dem Eindruck urtheilen, den Zucker oder Eſſig auf ihre Zunge, und ein ſchoͤnes oder heßliches Geſicht auf ihre Augen macht, die phyſiſchen Regeln verſtehen und uͤberlegen, nach denen dieſer Eindruck erfolgt und erfolgen muß, eben ſo wenig denkt der Menſch, wenn er gleich beym erſten Anblick einer Handlung ſein Urtheil uͤber ihre Moralitaͤt faͤllt, an die moraliſchen Regeln, durch die die Richtigkeit deſſel - ben erwieſen werden kann. Das Urtheil kommt der Ueberlegung und Unterſuchung zuvor. Es entſpringt aus einem innern Gefuͤhl, welches man das moraliſche, oder in einem gewiſſen Verſtande, das Gewiſſen nennt. Alle Menſchen haben es, nur mit dem Unterſchiede, daß es bey dem einen feiner und empfindlicher iſt, als bey dem andern. Und Sie, Herr Graf, haben es auch. Um ihm dieß fuͤhlbar zu machen, laß ich ihm aus Gellerts moraliſchen Vorleſungen die Charactere Damons undC 5Sem -42Semnons vor, und bat ihn ſogleich mir zu ſagen, wel - cher von beyden ihm am beſten gefiele. Er erklaͤrte ſich natuͤrlicher weiſe fuͤr den letzten. Sehen Sie hier, ſagte ich, ein Urtheil Jhres moraliſchen Gefuͤhls oder Jhres Gewiſſens. Ob Sie ſich gleich in dem Damon zum Theil muͤſſen erkannt haben, ob ſie gleich in dieſem Au - genblicke nicht Zeit gehabt haben beyde Charactere zu vergleichen, und die Grundzuͤge derſelben nach morali - ſchen Grundſaͤtzen zu pruͤfen, ſo finden Sie doch gleich, daß Semnon der beſſere Mann iſt; und wenn Sie nun ihr Urtheil regelmaͤßig unterſuchten, ſo wuͤrden Sie ge - wahr werden, daß es ganz richtig gefaͤllt ſey.

Als ich ihm nun hierauf ſagte, dieß moraliſche Gefuͤhl ſey uns angebohren, und gehoͤre mit zu unſrer Natur, ſo mußte ich mich darauf gefaßt halten, Ein - wuͤrfe zu beantworten. Er bezeugte mir hier zwar, daß er gar keine Luſt haͤtte, welche zu machen, ſondern daß er ſich vielmehr aller Zweifel entſchlagen wollte. Aber es erfordre doch unſre Abſicht, daß er mir offenherzig ſagte, wovon er nicht uͤberzeugt waͤre. Er finde zwar ein ſolch moraliſches Gefuͤhl bey dem Menſchen, aber ob es ihm angebohren ſey, wiſſe er nicht. Ob es nicht ein gewiſſes Vorurtheil ſeyn koͤnnte? Wie kaͤmen denn alle Menſchen, antwortete ich, zu einem und demſelben Vorurtheil? Wie gienge es denn zu, daß der Laſter - hafte daſſelbe Vorurtheil hat, als der Tugendhafte, ob es gleich ſeinem Jntereſſe ſo ſehr zuwider iſt? Denn Sie wiſſen der Laſterhafte kann der Tugend doch nicht ſeinen innern Beyfall verſagen, wenn er ihn gleich nicht aͤußer - lich bezeugt. Woher kommt das anders, als von ſei - nem moraliſchen Gefuͤhl? So koͤnnte es denn doch wohl eine Wuͤrkung der Erfahrung oder auch der Ge - wohnheit ſeyn, die wir Menſchen haben, die Handlun - gen anderer in Beziehung auf uns zu denken. Jchantwor -43antwortete ihm, es koͤnne zwar dieß Gefuͤhl durch Erfah - rungen von den Folgen der Handlungen, und durch die Vorſtellung einer Beziehung derſelben auf uns, geſtaͤrkt, gewiſſer und empfindlicher gemacht werden. Es ſey aber eher in uns vorhanden, es wuͤrke fruͤher, als wir ſolche Erfahrungen haͤtten, und dergleichen Beziehungen auf uns daͤchten. Es befaͤnde ſich in allen Menſchen, auch in den duͤmmſten und unwiſſendeſten, ſelbſt in kleinen Kindern, die ſo weit nicht nachdenken koͤnnten. Wir haͤtten ja auch ein Gefuͤhl von der Moralitaͤt ſolcher Hand - lungen, die wir gar nicht im Stande waͤren auf uns zu beziehen. Er wuͤrde z. Ex. allezeit den Gehorſam eines Menſchen gegen Gott gut und ſeinen Ungehorſam boͤſe fuͤhlen, ob er ſich gleich von jenem keinen Nutzen, und von dieſem keinen Schaden fuͤr eine Perſon vorſtellen koͤnnte. So kann am Ende doch wohl dieß Gefuͤhl eine Folge der Erziehung ſeyn? Auch das nicht! Das unerzogene Kind hat es ſchon. Es ſpricht aus wil - den Groͤnlaͤnder und aus dem Hottentotten, und das zwar uͤber gewiſſe Handlungen entſcheidender und richti - ger, als aus dem Engellaͤnder und Franzoſen, bey dem es durch Erziehung und Lebensart verfaͤlſcht worden iſt.

Er gab mir nun zu, das moraliſche Gefuͤhl muͤſſe uns angebohren ſeyn, und tief in unſrer Natur liegen. Es iſt uns alſo von dem Urheber unſrer Natur ins Herz gelegt, und wir vernehmen in den Urtheilen dieſes Ge - fuͤhls den Willen Gottes von dem Guten und Boͤſen in unſern Handlungen.

Jch zeigte ihm hierauf kurz, daß das Urtheil des Gewiſſens durch die Folgen der Handlungen beſtaͤ - tigt werde. Denn dieſe ſtimmten mit jenem uͤberein. Z. Ex Gutthaͤtigkeit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Men - ſchenliebe wuͤrden von dem moraliſchen Gefuͤhl gebilligt,und44und die Erfahrung zeige, daß Gutthaͤtigkeit Freunde, Dankbarkeit Wohlthaͤter, Ehrlichkeit Zutrauen, Liebe Gegenliebe erwuͤrbe u. ſ. w. Endlich leiteten wir aus verſchiedenen eizelnen Urtheilen des moraliſchen Gefuͤhls folgende allgemeine Regeln zur Beſtimmung der Mora - litaͤt der menſchlichen Handlungen und ihrer Grade her. Jede freye Handlung des Menſchen, oder die von ſeiner Freyheit abhaͤngen konnte, die dem moraliſchen Gefuͤhl oder dem Willen Gottes widerſpricht, und noch dazu boͤſe Folgen nach ſich zieht oder nach ſich ziehen kann, iſt boͤſe. Sie iſt um ſo viel mehr boͤſe, um wie viel mehr ſie dem Willen Gottes entgegen iſt, um wie viel ſchwe - rer, ausgebreiteter und unerſetzlicher ihre Folgen ſind. Sie iſt deswegen und in eben dieſem Verhaͤltniſſe boͤſe, weil ſie ein Ungehorſam gegen den hoͤchſten Geſetzgeber, eine Beleidigung ſeiner Majeſtaͤt, eine Empoͤrung gegen ſeine heiligen und wohlthaͤtigen Abſichten iſt. Alle Hand - lungen des Menſchen gegen andre Menſchen ſind boͤſe, durch die er ihnen das thut, was er von ihnen nicht wuͤr - de haben wollen, und in denen er ihnen das nicht thut, was er von ihnen fordert oder fordern wuͤrde. Jch ſah es dem Grafen an, daß er die Regeln ſchon vorlaͤufig auf ſich anwendete, und ſein Urtheil darnach faͤllte. Seine Thraͤnen, die er fallen lies, bewieſen es mir. Jch hatte den Jnhalt meines heutigen Vortrags fuͤr ihn be - ſonders aufgeſchrieben, wie ich es vorher und nachher immer gethan habe, und uͤbergab ihm das Blatt zu noch - maliger Unterſuchung.

Jch wll Jhnen nun ſagen, fuhr ich fort, wozu ich dieſe moraliſchen Regeln, uͤber die wir einig gewor - den ſind, zu brauchen gedenke. Wollen Sie Jhre Be - gnadigung bey Gott ſuchen, ſo muͤſſen Sie doch noth - wendig Jhre Vergehungen erkennen. Dazu ſollen Jh - nen dieſe Regeln helfen. Sie muͤſſen Jhre Handlungendagegen45dagegen halten und darnach beurtheilen. Jhnen dazu Anlaß zu geben ſehe ich nur zwey Wege. Der erſte: Sie zu bitten, daß Sie ſelbſt nach den veſtgeſetzten Re - geln Jhr Verhalten pruͤfen. Koͤnnte ich mich darauf verlaſſen, daß Sie das ernſtlich und unpartheiiſch genug thun wuͤrden, ſo koͤnnte ich mir das Misvergnuͤgen Jh - nen tauſend unangenehme und demuͤthigende Dinge zu ſagen, und Jhnen die Beſchaͤmung des Geſtaͤndniſſes erſparen. Aber ich darf mich darauf nicht verlaſſen. Sie wuͤrden ſich ohne beſondere Anleitung auf manches viel - leicht nicht beſinnen, nicht tief genug eindringen, und ſich oft mit unzulaͤnglichen Entſchuldigungen befriedigen. Das iſt alles wahr, antwortete er. Jch muß alſo, ſetzte ich hinzu, den andern Weg waͤhlen: Jhnen nemlich, ſo weit ich Sie beurtheilen kann, ein Gemaͤhlde Jhres Le - bens und Jhrer Handlungen vorlegen, und ſie dann ſtuͤck - weiſe beurtheilen. Dabey muß ich weit zuruͤckgehen in Jhre Jugend. Und Sie muͤſſen mir dabey als ein ver - ſtaͤndiger Mann, der gruͤndlich geheilt und gebeſſert zu werden wuͤnſcht, zu Huͤlfe kommen. Ja, ſagte er, ich will Jhnen alles geſtehen. Jch werde ſtrenger gegen Sie ſeyn, ſetzte ich hinzu, als Sie es vielleicht fuͤr noͤthig halten werden. Meine Seele iſt itzt an die Jhrige ge - bunden. Jch muͤßte es vor Gott und meinem Gewiſſen verantworten, wenn ich, ſelbſt um Jhnen Schmerzen zu erſparen, nachgiebieger und ſanfter mit Jhnen um - gienge, als ich ſollte. Aber ich begehre deswegen kein Geſtaͤndniß uͤber alles von Jhnen. Erkennen Sie es nur vor Gott und vor Jhrem Gewiſſen, wer Sie bisher ge - weſen ſind. Entſchuldigen Sie ſich nicht gegen mich, wenn Jhnen Jhr Herz ſagt, daß Sie keiner Entſchuldi - gung faͤhig ſind. Aber, wo ich Jhnen zu nahe thue, da ſagen Sie es mir, ich will Jhnen auf Jhr Wort glau - ben. Jch frage Sie nach Jhren Handlungen nicht als ein Richter, der Sie fuͤr Jhre Vergehungen ſtrafenwill46will, ſondern als ein Freund, der willens iſt, mit Jh - nen daruͤber nachzudenken, und Jhnen Raht zu geben, wie Sie Gottes Misfallen von ſich abwenden koͤnnen. Unſre naͤchſten Unteredungen, lieber Herr Graf, werden alſo nothwendig fuͤr Sie ſehr traurig werden muͤſſen. Jch weiß, Jhr Herz iſt ſchon verwundet: ich muß die Wun - den deſſelben noch zu vergroͤßern ſuchen. Jch bitte Gott darum, daß er meine Abſicht befoͤrdre, Sie unausſprech - lich betruͤbt zu machen. Deſto begieriger werden Sie dann nach Troſt werden, deſto zuverſichtlicher den einzi - gen wahren annehmen, den ich Jhnen darbieten kann, und ihn auch deſto beruhigender finden. Jch ſehe Sie itzt als einen Kranken an, der entweder ohne Ret - tung ſterben, oder ſich einer ſehr ſchmerzhaften Operation von der Hand des Arztes unterwerfen muß. Handelt der Kranke vernuͤnftig, wenn er den Tod waͤhlt, um den Schmerzen zu entgehen? Handelt er vernuͤnftig, wenn er unter der Operation ungeduldig, und auf den Arzt, der es doch gut mit ihm meynet, ob er ihm gleich Schmer - zen verurſacht, ungehalten wird? Er war hiebey ſehr geruͤhrt, und verſprach mir mit Darreichung der Hand, daß er ſich ganz und willig meiner Leitung uͤberlaſſen wolle.

Nach einigem Stillſchweigen von beyden Seiten, und mitten unter ſeinen Thraͤnen, ſah er mich mit einer Miene an, die zugleich Aengſtlichkeit und Zutrauen ver - rieth, und ſagte: Wenn nur meine Thraͤnen aus der rechten Quelle fließen! Jch vermuhte, Herr Graf, ant - wortete ich, woruͤber Sie weinen. Gewiß, uͤber das Ungluͤck, worin Sie Jhre Freunde geſtuͤrzt haben. Dieß iſt Jhre empfindliche Seite. Sie darf nur leicht beruͤhrt werden, ſo ſchmerzt es. Pruͤfen Sie ſich, iſt es bloße perſoͤnliche Freundſchaft, Erinnerung der ehemaligen ge - meinſchaftlich genoſſenen Vergnuͤgungen, Betruͤbniß die Gelegenheit zu ihrer Fortſetzung verlohren zu haben,oder47oder iſt es das Bewußtſeyn, daß Sie Gott und Religion und Tugend in Jhren ungluͤcklichen Freunden beleidigt, iſt es das Gefuͤhl Jhres ganzen Unrechts, was Sie ſo weich macht? Er dachte eine Weile nach, und rief aus: O, es iſt entſetzlich ſchwer, daruͤber zur Gewißheit zu kommen!

Gleich darauf ſetzte er hinzu: Wenn es auch nur nicht itzt fuͤr mich zu ſpaͤt iſt, bey Gott zu ſuchen! Jch thue es ja auch itzt nur aus Noth! Sie haben Ur - ſache, Herr Graf, ſich daruͤber die ſchmerzlichſten Vor - wuͤrfe zu machen, daß Sie Jhr ganzes Leben bis hieher faſt ohne an Gott zu denken, ohne ſich um ſein Wohlge - fallen zu bemuͤhen, haben dahingehen, ſich durch alle ſeine Guͤte nicht gewinnen, ſondern es ihm nothwendig gemacht, Sie in das tiefſte Elend verſinken zu laſſen, um Sie dadurch noch zur Ruͤckkehr zu ihm zu bewegen. Aber an der Moͤglichkeit Jhrer Errettung haben Sie deswegen noch nicht Urſache zu zweifeln. Vor Gott iſt kein Un - terſchied zwiſchen fruͤh und ſpaͤt, und Ein Antrieb muß es doch ſeyn, der den Suͤnder auf ſeinen Zuſtand auf - merkſam macht, und ihm Verlangen nach ſeiner Begna - digung bey Gott erweckt, ſollte es auch nur das Elend ſeyn, womit ihn ſeine Suͤnde belohnt. Auf Jhre Auf - richtigkeit, mit der Sie Gnade ſuchen werden, wird es ankommen, ob Gott Sie Jhnen wird ſchenken koͤnnen. Der, den ich als meinen Heyland anbete, und den Sie, wie ich zu Gott hoffe, auch noch dafuͤr werde erkennen lernen; ſagt, ohne Zeit und Bewegungsgrund zu beſtim - men: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus - ſtoßen. Jch koͤnnte es auch wohl, ſetzte er hinzu, aus Gefaͤlligkeit gegen ſie thun. Dieſer Gedanke hat mir ſchon Unruhe gemacht. Pruͤfen Sie ſich wohl dar - uͤber. Wenn Sie aus Achtung fuͤr die Freundſchaft, die ich fuͤr Sie habe, ſich entſchloſſen haͤtten, mich nichtdurch48durch einen vorſetzlichen Widerſtand zu betruͤben, ſo glaube ich nicht, daß Gott das misfallen wuͤrde. Aber beruhigen Sie ſich nur uͤber dieſem Zweifel an Jhrer Aufrichtigkeit. Es iſt und kann kein Gefaͤlligkeit gegen mich ſeyn, daß Sie ſo traurig und bekuͤmmert ſind, daß Sie ſo viele Thraͤnen vergießen. Nach einem kurzen Nachdenken ſagte er: Waſ haͤtte ich auch davon? Nein, hier gab er mir die Hand, es iſt nicht Gefaͤllig - keit gegen Sie! Endlich ſagte er: Jch erinnere mich aus dem Unterricht vom Chriſtenthum, den ich in mei - ner Jugend erhalten habe, daß ein Chriſt mit der groͤ - ßeſten Freudigkeit und Zuverſicht muͤſſe ſterben koͤnnen. Und mir iſt ſo bange vor Zweifeln. Sie kommen immer wieder. Jch entſchlage mich Jhren zwar, und will ſie nicht aufkommen laſſen. Jch vermuthete hieraus, und fand, als ich nachforſchte, ich haͤtte die Wahrheit vermuhtet, daß er auf die wunderbaren Gefuͤhle zielte, die manche Chriſten zu haben glauben, und fuͤr unfehl - bare Folgen der Begnadigung halten. Jch antwortete ihm alſo, daß dergleichen Empfindungen, wenn ſie ja wuͤrklich vorhanden waͤren, doch nicht fuͤr nothwendig und unausbleiblich gehalten werden koͤnnten. Jch haͤtte viele rechtſchaffene Chriſten gekannt, die ſie nicht gehabt, und ich ſelbſt, der ich mies doch bewußt waͤre ein Chriſt zu ſeyn, haͤtte ſie auch nicht bey mir wahrgenommen. Jch habe ſelbſt, unterbrach er mich, einen ſehr frommen Mann ſterben ſehen, der mit vieler Aengſtlichkeit aus der Welt gieng. Die Ruhe, Herr Graf, ſetzte ich hinzu, die ich Jhnen beym Sterben wuͤnſchen kann, und die Sie auch erlangen koͤnnen, kann nicht in einer ſichtbaren Freude beſtehen, ſondern ſie wird eine gewiſſe Stille der Seele ſeyn, die aus der Ueberzeugung enſtehen wird, daß Sie die Bedingungen erfuͤllt haben, die Gott als die einzigen vorſchreibt, unter denen er uns begnadigen will. Sie muͤſſen auch einen Unterſchied machen, zwiſcheneinem49 einem Chriſten, der eine lange Reihe von Jahren her - durch, ein wahrer Chriſt geweſen iſt, und zwiſchen ſich, ſo wie Sie noch ein Chriſt werden koͤnnen. So wenig es Jhnen ſelbſt wahrſcheinlich ſeyn wird, daß Sie, auch bey der aufrichtigſten Bekehrung, einer der erſten unter den Seeligen werden wuͤrden; ſo wenig koͤnnen Sie ſich auch die Freudigkeit im Tode verſprechen, die vielleicht nur das Erbtheil der gepruͤfteſten Chriſten iſt. Ach, ſagte er hierauf, wie wankend iſt doch mein bisheriges Syſtem geweſen, und wie habe ich gleichwohl mich ſo ſehr von der Wahrheit deſſelben uͤberreden koͤnnen! Jch hatte mir nach demſelben vorgenommen, wenn ich ſterben ſollte, meinen Grundſaͤtzen treu zu bleiben, ſie als ausgemacht vorauszuſetzen, und ohne alle weitere Unterſuchung den Tod zu erwarten. Deswegen hatte ich es mir auch ver - beten einen Geiſtlichen zu ſehen. Sie ſehen hieraus, Herr Graf, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen Wahrheit und Jrrthum iſt. So dachten Sie noch vor acht Tagen. Und nun leſen Sie den Jeruſalem mit ſolchem Fleiß, ob er gleich Jhren Grundſaͤtzen durchaus widerſpricht. O antwortete er, es iſt ein vortreffliches Buch! Wollen Sie mir nicht die folgenden Theile bringen? Wie ſehr mußte ich es nicht beklagen, daß noch kein folgender Theil da iſt! Koͤnnten Sie denn nicht dieß Buch, fuhr er fort, dieſem und jenem von meinen Freunden, die ſo uͤber die Religion denken, als ich gedacht habe, und die vielleicht durch mein Exempel und Reden dazu veranlaßt worden ſind, zu leſen geben? Jch verſprach ihm, dazu Gelegenheit zu ſuchen.

Jch durfte ihn nun nach und nach auf das Ge - biet des Chriſtenthums fuͤhren, denn an der Graͤnze deſſelben ſtand er ſchon. Von der moraliſchen Seite mußte ich es ihm zuerſt bekannt machen, denn wie un - widerſtehlich dringt es ſich nicht auf dieſer Seite derDmenſch -50menſchlichen Seele auf! Auf der dogmatiſchen ſchien er auch ſchon mehr von den Wahrheiten deſſelben im Gedaͤcht - niß zu haben, ob er es gleich fuͤr unmoͤglich hielt, die Ge - heimniſſe zu glauben. Doch wußte ich gewiß, daß ſich die - ſer Glaube von ſelbſt finden wuͤrde, wenn er nur erſt ſaͤhe, wie vortrefflich die Sittenlehre Jeſu ſey, und ihm die Geheimniſſe, von menſchlichen Erklaͤrungen abgeſondert, nach dem Sinn der Schrift vorgeſtellt wuͤrden. Um Jhm die Moral des Evangelii bekannt zu machen, hielt ich fuͤr das beſte Mittel, ihn die Geſchichte Jeſu leſen zu laſſen. Und dazu bereitete ich ihn auf folgende Art.

Gelingt es mir nun, Herr Graf, wie ich hoffe, Sie in unſern naͤchſten Unterredungen zur Erkaͤnntniß Jhrer Vergehungen auf mehr als der einen Seite zu bringen, ſo werden Sie gewiß die aͤußerſte Gefahr er - blicken, in der Sie ſich in Abſicht auf die Ewigkeit be - finden. Jch will es Jhnen dann uͤberlaſſen in Jhrer Vernunft Huͤlfe und Beruhigung zu ſuchen. Finden Sie ſie aber nicht, ſo werden Sie es meiner Ueberzeu - gung und meiner Begierde, Sie gluͤcklich zu wiſſen, nothwendig gut heißen muͤſſen, daß ich Sie auf Jeſum verweiſe. Jch ſage es Jhnen zum Voraus, Sie werden ſich doch zu ihm wenden muͤſſen. Jch wuͤnſchte, daß Sie ihn erſt von der hiſtoriſchen und moraliſchen Seite kennen lernten, um zu ſehen, welch ein guter, zuverlaͤſſi - ger, goͤttlicher Mann er geweſen iſt. Vielleicht erweckt es Jhnen ſchon ein gut Vorurtheil fuͤr die Perſon Chriſti, daß Voltaire, der ihn auch auf dieſer Seite gern laͤſtern moͤchte, wenn er nur den geringſten Schein finden koͤnnte, ſeiner Moral und ſeinem Character Gerechtigkeit wieder - fahren laͤßt. Thut er das? fragte der Graf. Jch will Jhnen daruͤber einige Stellen aus dem Evangile du jour vorleſen, welches doch vermuhtlich Voltairens Werk iſt. Roußeau, ſetzte ich hinzu, iſt ganz entzuͤcktuͤber51uͤber die Sittenlehre und den Tod Jeſu. Er erinnerte ſich, das im Emile gefunden zu haben. Jch koͤnnte Jhnen wohl in dieſer Abſicht das neue Teſtament zu le - ſen geben. Aber da die Geſchichte Jeſu in allen vier Evangeliſten zerſtreut iſt, da manche Stelle nicht richtig uͤberſetzt, und mehrere wegen ihrer Beziehung auf die Sitten der damaligen Zeiten und Voͤlker, auf die Lage der Oerter u. ſ. w. Jhnen unverſtaͤndlich ſeyn moͤchten, da Sie endlich auch vermuhtlich gewohnt geweſen ſind, einige bibliſche Ausdruͤcke zum Spott zu misbrauchen, ſo will ich das itzt noch nicht thun. Ja, ſagte er, Sie haben Recht. Jch verſprach ihm alſo die in Zuͤrich her - ausgekommene Geſchichte der drey letzten Lebensjahre Jeſu zu bringen, worin die Begebenheiten geſammlet und geordnet, alles ins Licht geſetzt, und in einer moder - nen Sprache vorgetragen ſey. Jch beklagte aber, daß auch dieß Buch noch nicht vollſtaͤndig ſey, ſondern daß der Tod Jeſu, das intereſſanteſte und ehrwuͤrdigſte Stuͤck ſeiner Geſchichte, noch fehle.

Cramer hatte mir einen Gruß an ihn aufgetra - gen, und mich gebeten ihm zu melden, daß der Graf Bernſtorf ihm verziehen habe, und noch in den letzten Ta - gen ſeines Lebens ſehr bekuͤmmert um den Zuſtand ſeiner Seele geweſen ſey. Er fragte: Hat Bernſtorf meine Ar - retirung erlebt? Ja, er iſt etwa erſt vor vierzehn Ta - gen geſtorben. Die Thraͤnen ſtuͤrzten ihm hier wieder aus den Augen. Er bat mich, Cramern zu melden, daß er wuͤnſchte, ſeines Andenkens wuͤrdig zu ſeyn, und daß er ihm ſehr fuͤr dieſe Nachricht dankte.

Jch ließ ihm heute Gellerts moraliſche Vorleſun - gen. Den Reimarus hatte er ſchon beynahe halb vollen - det. Er hat ſich bisher in meiner Abweſenheit faſt im - mer mit den Buͤchern, die ich ihm gebracht, beſchaͤfftigt.

D 2Fuͤnfte52

Fuͤnfte Unterredung, den 10ten Maͤrz.

Der Graf las bey meiner Ankunft in Gellerts morali - ſchen Vorleſungen, und wußte die Vortrefflichkeit dieſes Buches nicht genung zu ruͤhmen. Haͤtte ich nur noch vor einem Jahre, ſagte er, ſolche Buͤcher in der Entfernung von Zerſtreuungen geleſen, in der ich itzt lebe, ſo wuͤrde ich gewiß ein ganz anderer Menſch ge - worden ſeyn. Aber ich lebte im Traum! Doch wo findet man auch ſolche Chriſten! Jch glaube, antwortete ich, Gellert war ein Chriſt von dieſer Art. Jch geſtehe Jhnen gerne, ſolche Muſter ſind ſehr ſelten. Aber es iſt auch nicht moͤglich, daß ſich alle gleich hoch erheben koͤnnen. Dieß Buch zeigt die Vollkommenheit, nach welcher billig alle trachten ſollten. Wer allen Fleiß an - wendet gut und rechtſchaffen zu werden, der wird auch gut und rechtſchaffen, wenn er gleich das Muſter, nach wel - chem er ſich bildet, nicht ganz erreichet. Thun Sie auch nur in dieſer Abſicht, was Sie noch thun koͤnnen, ſo werden Sie bald merken, daß Sie im Guten zunehmen, und dann zweifle ich nicht daran, daß Gott ſie begna - digen wird.

Sie erinnern ſich nun wohl an die Abrede, die wir mit einander genommen haben, daß wir in unſren naͤchſten Unteredungen uns bemuͤhen wollten, eine auf - richtige Pruͤfung Jhres moraliſchen Zuſtandes anzuſtellen. Sie werden dadurch faͤhig werden richtig zu beurtheilen, ob Sie ſo, wie Sie ſich nun ſelbſt finden werden, mit Ruhe und Hoffnung aus der Welt gehen koͤnnen. Sie wiſſen noch die Regeln uͤber die Moralitaͤt, die wir neu - lich feſtgeſetzt haben. Dieſe wollen wir bey unſerer Un - terſuchung zum Grunde legen. Jch muß Sie nochmahls bitten, mir hiebey mit Aufrichtigkeit und der noͤthigen Offenherzigkeit zu Huͤlfe zu kommen, und ſich ſelbſt nichtmit53mit unzulaͤnglichen Entſchuldigungen zu befriedigen. Seyn Sie mistrauiſch gegen jede Jhrer Handlungen, die Sie zu entſchuldigen ſuchen muͤſſen. Jch kenne Sie ferner auch viel zu wenig, als daß Sie glauben duͤrften, dasjenige, was ich Jhnen von der Menge und Groͤße Jhrer Suͤnden ſagen kann, ſey alles oder auch nur das meiſte von dem, was davon geſagt werden koͤnnte. Weit mehr als ich, wird Jhnen Jhr Gewiſſen entdecken, wenn Sie ſich, wie es um Jhres eignen Heils willen Jhre Pflicht iſt, die Muͤhe geben ernſtlich uͤber Jhr Le - ben nachzudenken. Und Gott weiß alles, was Sie wi - der ſeinen Willen gethan haben: Erkennen Sie es alſo auch vor ihm, daß Sie weit mehr geſuͤndigt haben, als Sie ſelbſt wiſſen. Bedenken Sie, daß jede Jhrer ein - zelnen Uebertretungen ihre ſchlimmen Folgen hat, und haben muß, die ſich immer weiter verbreiten und weiter fortlaufen, ja vielleicht ſelbſt noch nicht aufhoͤren werden, wenn die Welt untergeht. Bedenken Sie, daß alle dieſe Folgen Jhnen, als dem Urheber der erſten Urſache nothwendig zur Laſt fallen muͤſſen, und daß Gott, der den Zuſammenhang aller Dinge aufs genaueſte durch - ſchaut, ſie Jhnen gewiß zurechnen wird. Jch weiß wohl, ſagte er hierauf, ich kann meine Handlungen nicht entſchuldigen. Aber ich hoffe und wuͤnſche auch darum eine Ewigkeit, weil Gott, der die Verwicklung der Umſtaͤnde, unter denen ich geweſen bin, und meine jedesmalige Lage am beſten weiß, auch den Grad der Moralitaͤt meiner Handlungen am zuverlaͤſſigſten, und richtiger als alle Menſchen, beſtimmen kann.

Jch entwarf nun die Hauptzuͤge ſeines Charac - ters, ſo wie ich Sie muthmaßen konnte. Gott hat Jh - nen, ſagte ich, eine nicht gemeine Vernunft, und, wie ich glaube, eine gute Anlage des Herzens gegeben. Aber durch Wolluſt, Ehrgeiz und Leichtſinn haben Sie JhrenD 3Charac -54Character verderbt. Er erklaͤrte dieſe meine Muthma - ßung fuͤr richtig, und ſetzte noch hinzu, die Wolluſt ſey ſeine Hauptleidenſchaft geweſen, die am meiſten zu ſeinem moraliſchen Verderben beygetragen haben. Bey dieſer Neigung Jhres Herzens wollen wir alſo den Anfang ma - chen, und unterſuchen, zu welchen Suͤnden ſie Sie ver - fuͤhrt haben wird.

Die Wolluſt, fuhr ich fort, iſt die ausſchwei - fende Begierde nach ſinnlichen Vergnuͤgungen. Sie iſt ausſchweifend, wenn der Menſch das Vergnuͤgen un - maͤßig ſucht, ſeine Hauptſache daraus macht, und ver - gißt, daß es ihm nur zur Herſtellung ſeiner durch die Arbeit ermuͤdeten Kraͤften erlaubt, und auch dann nur nuͤtzlich und ein wahres Vergnuͤgen iſt. Sie iſt aus - ſchweifend, wenn er das Vergnuͤgen in einem ſolchen Genuſſe ſucht, der ihm durch goͤttliche oder menſchliche Geſetze unterſagt iſt. Sie iſt endlich ausſchweifend, wenn ſie uns uͤberredet, jedes Mittel, das ſie zu ihrer Befriedigung fuͤr dienlich haͤlt, ohne Ruͤckſicht auf die Moralitaͤt deſſelben anzuwenden.

Er nahm dieſe Saͤtze an, ohne Beweis davon zu fordern, und geſtand mir mit vieler Bewegung, ſeine Meynung ſey immer geweſen, daß er bloß dazu vorhan - den ſey, ſich angenehme Empfindungen zu verſchaffen. Darauf habe er alles zuruͤckgebracht, und wenn er ja zu - weilen etwas Gutes gethan, es nicht als eine Pflicht der Liebe und des Gehorſams gegen Gott, ſondern allein als ein Mittel zur Befoͤrderung ſeines Vergnuͤgens betraͤch - tet. Jn der erſten Jugend habe er ſich blindlings allen Arten der Ausſchweifungen uͤberlaſſen. Wie er endlich die Folgen ſeiner Unordnungen in ſchmerzhaften Krank - heiten empfunden haͤtte, ſo habe er um das Vergnuͤgen laͤnger genießen zu koͤnnen, durch Ordnung und Enthalt -ſamkeit55ſamkeit ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen geſucht. Nachdem er ſie wieder erlangt, habe er zwar den wilden zuͤgelloſen Ausſchweifungen entſagt, aber doch immer noch die Unordnungen der Wolluſt unter einer ſehr nach - giebigen Aufſicht ſeiner Vernunft fortgeſetzt. Was ihn am meiſten demuͤthige ſey dieſes, daß er nicht einmahl jemand anklagen koͤnne, der ihn verfuͤhrt haͤtte, ſondern daß er geſtehen muͤſſe, ſich ſelbſt durch das Leſen gewiſ - ſer Buͤcher, die er mir nannte, zu ſeinen Ausſchwei - fungen angefuͤhrt zu haben.

Die beſondere Pruͤfung ſeines Lebens in Bezie - hung auf ſeine vornehmſte Leidenſchaft, die Wolluſt, ward nach folgenden Fragen angeſtellt. Waͤhrend dieſer ganzen Unterſuchung hoͤrte er nicht auf zu weinen. Es ſchien, als wenn er eine Erleichterung darin faͤnde, mir den Kummer ſeines Herzens uͤber dieſe Art ſeiner Vergehungen anzuvertrauen. Man wird gewahr wer - den, daß ich alles mit Muͤhe zuſammengeſucht habe, was der ausſchweifendeſte Wolluͤſtling ſich vorzuwerfen haben kann. Er ſelbſt aber ſetzte noch hin und wieder etwas hinzu, wodurch ſeine Schuld vergroͤßert ward. Jch will die Fragen herſetzen, ſo wie ich ſie ihm vorge - legt habe, und diejenigen ſeiner Antworten hinzufuͤgen, die mehr als ein ſimples Geſtaͤndniß ſind, und zur Auf - klaͤrung ſeiner ehemaligen Denkungsart, oder auch zur Vermehrung des Abſcheues an den Laſtern der Wolluſt bey meinen Leſern, etwas beytragen koͤnnen.

Wie viele Zeit, die zur Befoͤrderung des Guten in der Welt haͤtte angewendet werden koͤnnen und ſollen, iſt dadurch verſchwendet worden, daß Sie mit ſolcher Heftigkeit den Vergnuͤgungen nachgejagt haben? Er ant - wortete: Jch habe mich immer damit betrogen, daß ich geglaubt habe, weil ich mit Geſchwindigkeit arbeitenD 4koͤnne,56koͤnne, und zu den jedesmaligen Geſchaͤfften meines Ver - haͤltniſſes weniger Zeit brauche als andere, ſo gehoͤre die uͤbrige Zeit meinen Luͤſten, und ſey fuͤr ſie gewonnen. Jch ſehe aber nun ein, da es zu ſpaͤt iſt, wie ſehr es meine Pflicht geweſen waͤre, nach dem Maaße der Kraͤfte, die mir Gott anvertrauet hatte, auch wuͤrkſam zum Gu - ten zu ſeyn.

Wie viel Gutes, das Jhre Pflicht war, iſt da - durch unterblieben? Wie unerſaͤttlich ſind Sie in Be - luſtigungen geweſen?

Wie werden Sie darauf raffinirt haben, ſich im - mer neue angenehme Empfindungen der Sinne zu ver - ſchaffen. Die Ueberhaͤufung mit Vergnuͤgungen zieht eine unvermeidliche Leere nach ſich, und um dieſe auszu - fuͤllen, ſinnt man denn immer auf Veraͤnderungen in den Ergoͤtzlichkeiten.

Wie ſehr iſt die Bildung Jhres Geiſtes und Her - zens dadurch verſaͤumt worden? Erinnern Sie ſich hier an Jhre Schul und Univerſitaͤtsjahre. Jch bin da - durch ſehr zuruͤckgeſetzt worden, und habe erſt in ſpaͤtern Jahren angefangen die Kenntniſſe zu ſuchen, die ich ſchon auf der Schule haͤtte erlangen koͤnnen. Auf der Univer - ſitaͤt habe ich nachher oft ganze Monate umhergeſchwaͤrmt, dann aber auch wieder eine Zeitlang ſtudirt. An die Bil - dung meines Herzens dachte ich vor meinem zwey oder drey und zwanzigſten Jahre gar nicht. Von der Zeit an habe ich mir nach und nach meine Grundſaͤtze uͤber die Moralitaͤt geſammlet und eingepraͤgt, die ich Jhnen eroͤffnet habe.

Wie nachlaͤſſig hat Sie die Wolluſt in Jhren Pflichten gegen Gott, andre Menſchen und ſich ſelbſt,auch57auch wohl in Jhren beſondern Amtspflichten gemacht? Auf Gott habe ich meine Gedanken wenig gerichtet, auch nicht geglaubt ihm ſonſt etwas als eine allgemeine Dankbarkeit fuͤr mein Daſeyn ſchuldig zu ſeyn. Meine beſondern Amtspflichten kann ich freylich wohl oft um des Vergnuͤgens willen verſaͤumt haben. Doch habe ich zu andrer Zeit als Arzt mich meiner Kranken ernſtlich ange - nommen.

Wie haben Sie durch den beſtaͤndigen Genuß der Wolluſt Jhre Einbildungskraft erhitzt und mit ſchmutzigen Bildern angefuͤllt, von denen Sie vielleicht itzt noch beun - ruhigt, und am ernſten Nachdenken verhindert werden?

Jn welchem Taumel der Begierden haben Sie gelebt, und nicht gelebt, ſondern getraͤumt? Wenn er itzt zuruͤckdenke, ſo finde er allerdings, daß ſein Leben ein bloßer Traum geweſen ſey. Er wiſſe ſich an wenig Gutes zu erinnern, das er gethan, und woran er wiſſen koͤnne, daß er wuͤrklich gelebt habe.

Wie leer iſt dadurch Jhr Leben von guten Tha - ten, und Jhr Herz von guten Geſinnungen geworden? Wie leichtſinnig haben Sie dadurch uͤber Jhre Be - ſtimmung in der Welt, uͤber Religion, Tugend und Gott denken gelernt, und was hat das fuͤr andre ſowohl als fuͤr Sie ſelbſt, fuͤr traurige Folgen gehabt? Jch erinner - te ihn hier wieder an ſeine durch ſeine Schuld ungluͤcklich gewordenen Freunde.

Wie ſehr haben Sie durch die Wolluſt Jhre menſch - liche Wuͤrde verlaͤugnet, und ſich zu den Thieren, deren Vergnuͤgen bloß das ſinnliche iſt, herabgeſetzt? Jch hielt mich auch, antwortete er, fuͤr nichts mehr als ein Thier, und glaubte nicht der Art, ſondern nur dem Grade nach, von ihnen verſchieden zu ſeyn.

D 5Wie58

Wie ſo ganz haben Sie Jhren guten Nahmen dadurch verloren! Jch habe immer geglaubt, ich duͤrfe mir aus dem allgemeinen Urtheil nichts machen. Daher habe ich nur einigen zu gefallen geſucht. Jtzt erfahre ichs, wie viel an einem durch Tugend erworbenen guten Nahmen gelegen iſt.

Wie gleichguͤltig ſind Sie dadurch gegen mora - liſche Freuden geworden, welche eine der wuͤrkſamſten Triebfedern zur Tugend, und ein weſentliches Stuͤck der wahren Gluͤckſeeligkeit ſind! Jn meinen juͤngern Jah - ren bin ich gegen die Freude an guten Geſinnungen und Thaten ganz gleichguͤltig geweſen. Nachher habe ich zwar wohl Vergnuͤgen daran empfunden, wenn ich etwas gethan, das ich fuͤr gut hielt. Aber nie habe ich unter dieſer edlen Freude und den Ergoͤtzungen der Wolluſt ei - nen Unterſchied gemacht.

Wie viele Menſchen haben Sie durch Jhre Wol - luſt ungluͤcklich gemacht? Wie oft junge Mannsper - ſonen durch Jhr Exempel, auch wohl durch Ermunte - rungen und durch Mittheilung Jhrer Grundſaͤtze zu Aus - ſchweifungen verfuͤhrt? Sind Sie nicht dadurch Ur - ſache geworden, daß dieſe Ungluͤcklichen alle obigen und nachfolgenden Suͤnden begangen haben, oder doch bege - hen konnten? Wie mancher Jhrer Verfuͤhrten wird ſeinen guten Nahmen verlohren und ſeine Geſundheit zer - ſtoͤrt, wie mancher wohl gar ſeinen Tod auf den Wegen der Wolluſt gefunden haben? Jſt es nicht moͤglich, daß verlaſſene Wittwen und verwaiſete Kinder, deren Maͤnner und Vaͤter durch die von Jhnen erlernte Wol - luſt getoͤdtet worden ſind, wider den verborgenen Urheber ihres Ungluͤcks, fuͤr den der Allwiſſende Sie erkennt, zu Gott ſeufzen? Vielleicht iſt dieſer oder jener durch die Ausſchweifungen, zu denen Sie ihn angefuͤhrt haben, zuden59 den Gott, dem Vater der Lebendigen, ſo wichtigen Pflichten der Ehe, in Anſehung der Fortpflanzung des menſchlichen Geſchlechts, untuͤchtig geworden. Oder wenn dieſe auch nur ſo weit durch die Wolluſt geſchwaͤcht worden waͤren, daß ſie nur eine ſchwache und kuͤmmerli - che Nachkommenſchaft erzeugen koͤnnten, was fuͤr große und fortdaurende Verwuͤſtungen in dem Reiche Gottes haͤtten Sie, Herr Graf, dann nicht veranlaßt! Mit einer ſehr lebhaften Reue erkannte er ſich in allen dieſen Stuͤcken ſchuldig. Seine Ausdruͤcke, ſeine Mienen, ſeine Stellung ſchienen mich zu bitten, daß ich nicht weiter fortfahren moͤchte.

Wie manches junge, unerfahrne Frauenzimmer, fuhr ich fort, werden Sie nicht auch verfuͤhrt haben? Wie vorſetzlich und mit was fuͤr niedrigen Kuͤnſten haben Sie wohl nicht Religion, Ehre und Tugend bey dieſen Opfern Jhrer Wolluſt unterdruͤckt? Auch manche gewiß zeitlich ungluͤcklich gemacht, ſie an vortheilhaften Ehen gehindert, ſie in Verachtung und Armuth geſtuͤrzt? Jch kann es nicht laͤugnen, ich bin ein gefaͤhrlicher Verfuͤhrer geweſen. Jch habe durch meine Grundſaͤtze die Unſchuld oft betrogen. Auch gutdenkende Frauen - zimmer habe ich uͤberwunden, und ſie noch dazu uͤber ihre Vergehungen wieder beruhigt. Es war faſt keine, an die ich mich wagte, im Stande mir in die Laͤnge zu widerſtehen, wenn ſie ſich nicht gleich auf die Flucht be - gab. Es fehlte mir nie an Liſt ſie zu uͤberwaͤltigen, doch muß ich auch dieß ſagen, daß ich keiner etwas verſpro - chen habe, das ich ihr nicht habe halten wollen. Ob ich gleich that, was ich vermochte, um diejenigen, die durch meine Verfuͤhrung aͤußerlich ungluͤcklich worden waren, vor dem Elende der Armuth in Sicherheit zu ſetzen, ſo iſt doch das nichts, um mich entſchuldigen zu koͤnnen.

Viel -60

Vielleicht haben Sie auch vaterloſe Kinder in die Welt geſetzt, die nun aus Mangel der Erziehung der Geſellſchaft zur Laſt werden koͤnnen, und in Gefahr ſind zeitlich und ewig verlohren zu gehen. Er bat mich hier, mich eines gewiſſen zweyjaͤhrigen Kindes, welches ihm zugehoͤre, anzunehmen, und fuͤr die Erziehung deſſelben zu ſorgen. Jch hatte es kaum ausgeforſcht, ſo erhielt ich ſchon die Nachricht, daß es geſtorben ſey. Jch fuͤhre dieſen Umſtand an, weil er ein Beweis ſeiner Aufrich - tigkeit iſt.

Auch eheliche Verbindungen, die doch nach dem uͤbereinſtimmenden Urtheile aller geſitteten und ungeſitte - ten Voͤlker heilig ſollen gehalten werden, werden Sie ohne Zweifel zerriſſen haben? Welch unerſetzliches Unrecht iſt dadurch beyden Theilen wiederfahren! Und wie muß die Empfindung dieſes Unrechts den beleidigten Theil betruͤbt haben? Welche Gewiſſensangſt iſt die Folge davon fuͤr die ungluͤcklichen Perſonen geworden, die ſich von Jhnen haben verfuͤhren laſſen, oder kann es noch werden? Womit wollen Sie ſich entſchuldigen, wenn[et]wa der Kummer oder die Verzweiflung des un - ſchuldigen oder ſchuldigen Theils ihrer Geſundheit oder ihrem Leben nachtheilig geworden waͤre?

Sollte nicht durch dieſe Jhre Vergehungen der eheliche Friede, das beſte Gluͤck haͤuslicher Geſellſchaften vielfaͤltig geſtoͤrt worden ſeyn? Oft, ſagt er hierauf, haͤtte der leidende Theil ſein Unrecht nicht erfahren. Jn einigen Faͤllen haͤtte er den Hausfrieden durch guten Raht, den er den Verbrecherinnen gegeben, vielmehr befoͤrdert. Mit dergleichen Entſchuldigungen habe er ſich ſonſt befriedigt. Jtzt fuͤhre er ſie nicht in dieſer Abſicht an.

Muͤſſen61

Muͤſſen nicht vielleicht durch Jhre Schuld recht - ſchaffene Vaͤter Kinder ernaͤhren, von denen ſie nicht uͤberzeugt ſeyn koͤnnen, daß ſie die ihrigen ſind? Was fuͤr Verwirrungen, Feindſchaften, Proceſſe koͤnnen nicht dadurch, noch lange nach Jhrem Tode, in den Familien verurſacht werden, die ruhig und gluͤcklich haͤtten bleiben koͤnnen, wenn Sie ſie ungeſtoͤrt gelaſſen haͤtten?

Haben Sie nie unnatuͤrliche Mittel zur Befrie - digung wolluͤſtiger Triebe gebraucht, oder um unange - nehme und unerwartete Folgen derſelben abzuwenden? Jn ſeinen juͤngern Jahren habe er ſich freylich alles erlaubt, wozu ihn ſeine Leidenſchaft getrieben: doch uͤber den letzten Theil der Frage wiſſe er ſich unſchuldig. Und dieß war auch bey der ganzen heutigen Unterſu - chung die einzige Anklage, gegen die er ſich zu verthei - digen begehrte.

Jn welch Elend haben nun endlich dieſe Aus - ſchweifungen Sie ſelbſt geſtuͤrzt? Vergeſſen Sie es, auf eine kurze Zeit, wenn Sie koͤnnen, daß Sie Gott da - durch aͤußerſt beleidigt, daß Sie ſo viel Unordnung in der Welt angerichtet, und eine Menge von Menſchen auf mancherley Art ungluͤcklich gemacht haben. Denken Sie nur allein uͤber dieſe Frage nach: womit hat mich die Wolluſt dafuͤr belohnt, daß ich ihr ſo unermuͤdet nachge - gangen bin? Mit fluͤgtichen, ekeln Freuden, die Jhre Begierden nie geſaͤttigt haben, hat ſie Sie belohnt, mit Schande, Verachtung und Vorwuͤrfen von allen gutge - ſinnten Menſchen, denen Jhr ſuͤndliches Leben bekannt worden iſt, mit der ſchmerzlichſten Gewiſſensangſt, mit dem furchtbaren Misfallen Gottes, mit Gefaͤngniß und Banden, mit einem fruͤhzeitigen, ſchmachvollen Tode, mit der aͤußerſten Gefahr einer ungluͤcklichen Ewigkeit.

Ueber -62

Ueberlegen Sie endlich: wenn nun ich und je - dermann ſo leben wollte, was wuͤrde aus dem menſchli - chen Geſchlechte werden? Jch habe mir thoͤrichterweiſe eingebildet, die Geſellſchaft koͤnne dabey beſtehen. Die Großen in Engelland und Frankreich, dachte ich, fuͤhren ja eine ſolche ungebundene Lebensart. Aber, antwor - tete ich, macht denn dieſe ungebundene zuͤgelloſe Lebens - art der Großen in Engelland und Frankreich ihre Nation gluͤcklich? Befinden ſie ſelbſt ſich ſo wohl dabey, als ſich der Mittelſtand bey ſeiner gebundenern und geſetztern Auffuͤhrung befindet? Und machen endlich dieſe Großen die ganzen Geſellſchaften aus, oder ſind Sie nicht viel - mehr nur ein kleiner, und, wenn es auf die Zahl an - kommt, unbetraͤchtlicher Theil derſelben?

Jch habe es meinen Leſern ſchon vorhin geſagt, daß der Graf Struenſee waͤhrend dieſer ganzen Unterre - dung ſehr geruͤhrt und weich war. Jch ſah es ihm an, wie empfindlich ihn der Anblick ſeines ſo uͤbel gefuͤhrten Lebens nur von dieſer einen Seite demuͤthigte. Wie iſt es doch moͤglich, ſagte er, als wir dieſe Gewiſſenspruͤ - fung geendigt hatten, daß ich von meinen vorigen Grund - ſaͤtzen ſo uͤberzeugt ſeyn, und mich ſo habe vergeſſen koͤn - nen? Was muͤſſen ihm nicht noch fuͤr Vergehungen ins Gedaͤchtniß gekommen ſeyn, die nicht mir, ſondern ſei - nem Gewiſſen bekannt waren! Und wie hoch mußte nicht die Summe ſeiner Suͤnden itzt vor ſeinen Augen anwach - ſen, da er auf einmahl viele Jahre eines ausſchweifend gefuͤhrten Lebens uͤberſah! Je ernſter er daruͤber nach - dachte, und je genauer er ſich ſelbſt kennen lernte, deſto beſſer war es fuͤr ihn. Jch forderte ihn deswegen auf, in ſeiner Einſamkeit die ganze Kette ſeiner wolluͤſtigen Synden noch einmahl durchzudenken. Um ihm dieſe Ar - beit zu erleichtern gab ich ihm meinen Aufſatz davon, und er verſprach mir uͤber alles ſorgfaͤltig nachzudenken, undſich63ſich durch die Schmerzen, die ihm das verurſachen wuͤr - de, nicht davon abhalten zu laſſen. Er ſetzte auch die Verſicherung hinzu, er wolle ſich gern vor Gott noch fuͤr weit ſchlechter und boͤſer erkennen, als er ſelbſt es zu ſeyn glaubte. Selbſtliebe und Vorurtheile koͤnnten ihn ſonſt leicht verleiten partheiiſch in ſeinem Urtheil uͤber ſich zu ſeyn.

Jch hatte ihm die beyden erſten Theile der Ge - ſchichte der drey letzten Lebensjahre Jeſu mitgebracht, und bat ihn, ſich nun den Mann, zu dem ihn, wie ich zum Voraus ſaͤhe, das Gefuͤhl ſeines Elendes gewiß noch treiben wuͤrde, von der hiſtoriſchen und moraliſchen Seite nach und nach bekannt zu machen. Er verſicherte mich, daß er die Sittenlehre des Chriſtenthums ſehr hochſchaͤtz - te, und ſie eines goͤttlichen Urſprungs wuͤrdig hielte; er befuͤrchtete aber ſehr, ſeine Zweifel gegen die Geheimniſſe, fuͤr die die Religion ſeinen Glauben fordern wuͤrde, moͤch - ten ihn verhindern, von ihrer Wahrheit uͤberzeugt zu werden. Doch verſpraͤche er mir, daß er allen Fleiß anwenden wolle, um noch zur Ueberzeugung davon zu gelangen. Wenn Sie das wuͤrklich thun wollen, ant - wortete ich, ſo verſpreche ich Jhnen im Vertrauen auf die Kraft der Wahrheit und auf die Gnade Gottes, daß Jhre Bemuͤhungen nicht vergeblich ſeyn werden. Sie werden bald ſehr vernuͤnftige Urſache finden ſich uͤber Jhre Zweifel zu beruhigen. Sie wiſſen, was ich Jh - nen ſchon daruͤber geſagt habe. Wenn Sie an Jhren Zweifeln nur kein Wohlgefallen haben, wenn Sie ſie nur nicht aus Feindſeeligkeit gegen die Wahrheit fortſetzen und ernaͤhren, wenn Sie nur dagegen Jhren moͤglichſten Fleiß anwenden, ſich die Beweiſe des Chriſtenthums be - kannt zu machen und ihre Staͤrke zu empfinden, ſo wer - den Sie bald die Nichtigkeit dieſer Zweifel wahrnehmen, oder doch wenigſtens einſehen, daß ſie viel zu ſchwachſind64ſind die Gruͤnde der Religion umzuſtoßen. Sie ſchaͤtzen itzt ſchon die Sittenlehre des Chriſtenthums hoch, und halten ſie fuͤr wuͤrdig eines goͤttlichen Urſprungs. Wenn denn nun mit dieſer Moral einige theoratiſche Lehren verbunden ſind, die Sie nicht begreifen koͤnnen, finden Sie denn die Forderung unvernuͤnftig, daß Sie dieſe Leh - ren, wegen der genauen Verbindung, in der ſie mit der Moral Jeſu ſtehen, gegen die Sie nichts einzuwenden haben, annehmen ſollen? Derjenige, der Sie eine ſo vortreffliche Moral lehrt, und fuͤr dieſe unbegreiflichen Lehrſaͤtze zugleich Jhren Glauben fordert, muß doch wohl ſeine guten Urſachen dazu haben, daß er beydes mit einander verbindet. Was haben Sie fuͤr Grund zu befuͤrchten, daß er Sie vielleicht hintergehen wolle. Ein Betruͤger und zugleich der vortrefflichſte Sittenlehrer, fin - den Sie dieſe beyden Charactere zu gleicher Zeit in einer Perſon vertraͤglich? Dazu kommt noch dieß. Jn der Ewigkeit werden die Finſterniſſe verſchwinden, welche hier gewiſſe Wahrheiten der Religion verhuͤllen. Dort wird alles Licht werden. Und dieſer Ewigkeit, Herr Graf, ſind Sie ſehr nahe. Wenn Sie denn nun auch mit einigen Zweifeln, die Sie noch dazu ungerne haͤtten und deren Sie ſich nicht erwehren koͤnnten, in die andre Welt eingiengen, ſo duͤrfte ich zur Gnade Gottes hoffen, daß ſie Sie nach Jhrer Zeit und Aufrichtigkeit beurthei - len wuͤrde. Und dann wuͤrden dieſe Zweifel, durch die darauf gewiß erfolgende richtigere und vollſtaͤndigere Ein - ſicht bald gehoben werden.

Er verlangte nun meine Erklaͤrung uͤber einige Zweifel zu wiſſen, die ihn eben itzt beunruhigten. Der erſte war der Mangel der Lehre von der Unſterblichkeit in den Schriften Moſis. Vorausgeſetzt, ſagte ich, daß in Moſis Buͤchern gar keine gewiſſe Spuren von dieſer Lehre angetroffen werden, vorausgeſetzt auch, daßMoſis65Moſes in ſeinem muͤndlichen Unterricht ihrer nie Erwaͤh - nung gethan hat, ſo folgt doch aus dieſem Stillſchwei - gen weder dieß, daß dieſe Lehre den Juden ganz unbe - kannt geweſen und geblieben iſt, noch dieſes, daß die Wahrheit der Sache ſelbſt dadurch zweifelhaft wird. Sie wiſſen, das juͤdiſche Volk hatte in Egypten in der Unter - druͤckung gelebt, und ohne Zweifel die Religionskennt - niſſe ſeiner Vaͤter groͤßtentheils verlohren. Es fieng nun an unter Moſe ſich zu einem Volke zu bilden, es war in ſeiner Kindheit, und beſtand aus lauter rohen und ſinn - lichen Leuten. Konnte nun Gott nicht hinlaͤngliche Ur - ſache haben, dieſen Leuten, weil er ſie noch unfaͤhig fand, ſich zur Betrachtung ſo hoher Wahrheiten zu erheben, die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele vors erſte noch nicht eroͤffnen zu laſſen? Sie werden uͤberhaupt finden, daß Gott in ſeinen Offenbahrungen ſtufenweiſe fortgegangen iſt, und die Menſchen durch die vorherge - henden zu den nachfolgenden zubereitet hat. Und das war ja ſeiner Weisheit gemaͤß. Die ſpaͤtern bibliſchen Buͤcher enthalten allerdings Beweiſe und Spuren von dieſer Lehre, die in Moſis Schriften vermißt zu wer - den ſcheint. Und der Geiſt der juͤdiſchen Religion laͤßt uns auch meiner Einſicht nach nicht daran zweifeln, daß ſie wenigſtens den verſtaͤndigen Juden bekannt ge - weſen iſt.

Sein anderer Zweifel betraf die Lehren, daß Chriſtus Gottes Sohn, und in dem einigen goͤttlichen Weſen drey Perſonen ſeyn ſollen. Jch ſagte hieruͤber weiter nichts, als daß ich mich itzt noch nicht auf dieſe Einwuͤrfe einlaſſen koͤnnte, weil ihre Widerlegung rich - tige bibliſche Vorſtellungen von dieſen Geheimniſſen vor - ausſetzten, die ich itzt noch nicht bey ihm vermuthen koͤnnte. Jnzwiſchen moͤchte er vorlaͤufig dieß bedenken, daß dieſe geheimen Lehren nicht anders haͤtten offenbahrtEwerden66werden koͤnnen, als durch ſolche Worte aus der Sprache der Menſchen, die unter allen moͤglichen am beſten ge - ſchickt waͤren, die Sache ſelbſt unſerer Vorſtellung ſo nahe zu bringen, als es moͤglich waͤre. Nun muͤßten wir uns aber huͤten, daß wie nicht dieſe Worte, in der ganzen Ausdehnung ihrer Begriffe und mit allen ihren Nebenbegriffen, auf die geoffenbahrte Wahrheit anwen - deten. Wer dieſe Vorſicht nicht brauchte, der faͤnde in den Geheimniſſen der chriſtlichen Religion Widerſpruͤche, die doch in ihnen ſelbſt nicht vorhanden waͤren.

Sechſte Unterredung, den 12ten Maͤrz.

Jch fuͤhrte nun den Grafen Struenſee zu der zwoten Hauptquelle ſeiner Vergehungen, welche ich in ſei - nem Ehrgeiz entdeckt zu haben glaubte. Wir legten die - ſen Begriff des Ehrgeizes zum Grunde: er beſtehe in einer unmaͤßigen Begierde nach aͤußerlicher Ehre, und alſo auch nach allem, was die aͤußerliche Ehre befoͤrdern kann, ohne von der Tugend, dem einzigen wuͤrdigen Mittel wahrer Ehre abzuhaͤngen, z. Ex. Gewalt, Pracht, hohen Ehrenſtellen u. ſ. w. Die Unmaͤßigkeit dieſer Be - gierde beſtimmen wir nach eben den Regeln, nach wel - chen vorher die Unmaͤßigkeit der Begierde nach ſinnlichen Vergnuͤgungen beurtheilt worden war. Jch uͤberließ es ihm nun ſelbſt zu entſcheiden, ob ihn nicht dieſe ſeine un - gluͤckliche Neigung, beſonders in den letzten Jahren ſei - nes Lebens, zu folgenden Vergehungen gegen Gott, die menſchliche Geſellſchaft, und ſich ſelbſt verleitet habe.

Sie haben ſich zu hohe Vorſtellungen von Jh - rem Verſtande und von der Guͤte Jhrer Abſichten ge - macht, welche Sie doch nur am Ende als Mittel Jhrer Hauptleidenſchaft begehrten. Er ſey ſo thoͤricht gewe - ſen, ſich von jemand, der zu viel auf ihn gehalten habe,uͤber67uͤberreden zu laſſen, ſein Verſtand ſey ſo groß, daß er alles, was je durch einen Menſchen moͤglich ſey, zu Stande bringen koͤnne. Er ſey durch die Meynung des Helvetius, den er fleißig geleſen habe, daß, da alle Menſchen einerley Organiſation haͤtten, jeder zu allem dem faͤhig ſeyn muͤſſe, wozu jeder andre faͤhig waͤre, geneigt gemacht worden, das zu glauben. Von der Guͤte ſeiner Abſichten habe er ſich auch uͤberzeugt gehal - ten, ob er gleich itzt geſtehen muͤſſe, daß er nach ſehr ver - werflichen Bewegungsgruͤnden gehandelt habe, und ſein letzter Zweck nur ſeyn Vergnuͤgen geweſen ſey.

Sie haben alſo auch wohl ohne Zweifel andere, und unter ihnen wuͤrdige und vortreffliche Leute, die Jh - nen im Wege ſtunden, in Gedanken, auch wohl in Geſpraͤchen, unter ſich herabgeſetzt. Wie werden Sie nicht geſucht haben, die Verdienſte derſelben zu verklei - nern, und durch was fuͤr unmoraliſche Mittel, z. Ex. Verlaͤumdung, Vergroͤßerung ihrer Fehler, Beymes - ſung boͤſer Abſichten, Spoͤttereyen u. ſ. w. Auf welchen unerlaubten Wegen haben Sie nicht ſich ſelbſt zu erheben, und durch welche Suͤnden ſich auf Jhrer Hoͤhe zu erhalten geſucht? Wie viele Menſchen haben Sie ungluͤcklich gemacht, oder doch wenigſtens beleidigt, um Jhren Ehrgeiz zu befriedigen? Zu welcher Haͤrte und Ungerechtigkeit haben Sie ſich dadurch, ungeachtet das natuͤrliche Gefuͤhl Jhres Herzens Jhnen widerſprach, verleiten laſſen!

Mit welchem Eigenſinn haben Sie oft Jhre Meynungen durchgeſetzt, und Perſonen, die die Ge - ſchaͤffte und den Vortheil des Staats beſſer kannten, als Sie, durch Jhre Gewalt gezwungen, Jhnen Recht zu laſſen, ob Sie gleich einſahen, oder einſehen konnten, daß Sie Unrecht haͤtten?

E 2Was68

Was fuͤr gewaltſame und gefaͤhrliche Anſtalten haben Sie gemacht, um ſich in Jhrer Groͤße zu erhal - ten? Wie haben Sie dadurch die Unterthanen des Koͤnigs, beſonders in der Hauptſtadt, in Gefahr geſetzt? Er habe ſich freylich zu erhalten und zu befeſtigen ge - ſucht, und deswegen dieſe Verfuͤgungen getroffen. Daß ſie aber gefaͤhrlich werden koͤnnten, habe er ſich nicht vorgeſtellt, weil ihm Beyſpiele bekannt geweſen, daß bloß durch den Anblick ſolcher Anſtalten oft drohende Un - ruhen unterdruͤckt worden waͤren. Nun, da er die Um - ſtaͤnde genauer uͤberlegt haͤtte, ſaͤhe er wohl ein, daß da - durch viel Ungluͤck haͤtte verurſacht werden koͤnnen.

Vielleicht ſind Sie auch, um Jhre Pracht hoch zu treiben, Jhre Parthie zu vermehren, ſich vor kuͤnfti - gen Faͤllen in Sicherheit zu ſetzen, mit dem Vermoͤgen des Staats nicht gewiſſenhaft umgegangen. Welchen Stolz, welche Haͤrte haben Sie, zumahl in der letzten Zeit, gegen diejenigen bewieſen, die beſonders von Jh - nen abhiengen! Was fuͤr Veranſtaltungen zur Pracht machten Sie zuletzt, und wie unſchicklich war dieſe fuͤr den Mann, der immer ſo ſehr gegen den Luͤxe declamirte, und andere ſo bitter tadelte, die nicht aus dem Vermoͤ - gen des Staats ſondern aus ihren eigenen Mitteln Auf - wand gemacht hatten!

Auf welch einen gefaͤhrlichen Poſten haben Sie ſich geſetzt, und welch eine geſetzwidrige und der Conſti - tution des Reichs nachtheilige Gewalt ſich angemaßt! Wie ſehr ſich durch Jhren Ehrgeiz verblenden laſſen, die Gefahr, in der Sie ſich befanden, entweder nicht zu ſehen, oder nicht zu achten! Wie ſehr die wahre er - laubte Ehrliebe verkannt, die die aͤußerliche Ehre nicht um ihrer ſelbſt willen, als eine Abſicht, ſondern in ſo ferne ſie eine Folge des Verdienſtes und der Tugend iſt, zu erlangen ſucht!

Wie69

Wie groß iſt nun nicht das Elend, in welches Sie durch Jhre Ambition gerahten ſind! Wie tief ſind Sie bloß deswegen gefallen, weil Sie viel zu hoch geſtie - gen waren! Sind Sie nicht Gott Rechenſchaft dafuͤr ſchuldig, daß nun Jhr Leben in der Bluͤte Jhrer Tage durch Jhre Schuld verkuͤrzt wird, daß durch Jhren fruͤhzeitigen Tod alles das Gute verlohren geht, welches Sie bey einem laͤngern Leben und einer beſſer geordneten Liebe zur Ehre, haͤtten ſtiften ſollen und koͤnnen?

Wolluſt und Ehrgeiz waren die beyden Hauptnei - gungen des Grafen geweſen: ein großer Leichtſinn hatte die Ausbruͤche dieſer beyden Leidenſchaften begleitet, und ſie fuͤr ihn ſelbſt und fuͤr andere weit gefaͤhrlicher gemacht, als ſie ſonſt haͤtten werden koͤnnen. Jch hielt mich des - wegen fuͤr verbunden, ihm noch zu zeigen, wie viel er ſich auch aus dieſem Grunde vorzuwerfen habe, daß er ohne Nachdenken und Ueberlegung in ſeinen Urtheilen und Entſchließungen zugefahren ſey. Der Leichtſinn, ſo fieng ich dieſe Unterſuchung an, iſt keine beſondere Nei - gung, ſondern eine Art zu denken und zu handeln, die faſt immer bey denen herrſcht, die ſich von heftigen Be - gierden leiten laſſen, und die eben durch dieſe Heftigkeit der Begierden veranlaßt wird. Er beſteht in der Ge - wohnheit, alles ohne Bedenken zu glauben und zu thun, was den Begierden gefaͤllt, ohne die Wahrheit der Mey - nungen oder die Folgen der Thaten ſorgfaͤltig und hinrei - chend zu unterſuchen. Der Leichtſinnige ſetzt ſich uͤber alles hinaus, was ſeinen herrſchenden Neigungen wider - ſpricht, und erkennt keine andre Bewegungsgruͤnde zu ſeinen Handlungen fuͤr guͤltig, als diejenigen, die ſie ihm geben. Dieſer Leichtſinn, deſſen Sie ſich ſelbſt ſchul - dig erkennen, hat Sie ohne Zweifel zu folgenden und aͤhnlichen Vergehungen verleitet.

E 3Jn70

Jn derjenigen Sache, worin Sie ſich am aller - wenigſten haͤtten uͤbereilen ſollen, in der Pruͤfung und Wahl Jhrer Religion, haben Sie dieſen Fehler began - gen. Jch weiß gewiß, Sie haben das Chriſtenthum nicht unterſucht, noch die Beweiſe deſſelben durchgedacht. Sie ſind zufrieden geweſen, einige Schriften der Wider - ſacher deſſelben geleſen zu haben. Auf den einſeitigen Aus - ſpruch dieſer partheiiſchen Richter, noch mehr aber, weil Sie ſchon zum Voraus dazu entſchloſſen oder doch we - nigſtens geneigt waren, eine Lehre zu verwerfen, die Jhren Begierden widerſprach, haben ſie dieſe wohlthaͤ - tige Religion verlaͤugnet.

Eben ſo leichtſinnig werden Sie auch in Jhren Ausſpruͤchen uͤber die Religion geweſen ſeyn. Unterſu - chen Sie, ob Sie nicht mit dieſer ehrwuͤrdigſten Sache in der Welt Jhren Spott getrieben, ob Sie ſich nicht bemuͤht haben, andern Jhre Meynungen mitzutheilen, und, wenn das geſchehen iſt, was das fuͤr dieſe fuͤr ge - faͤhrliche Folgen gehabt hat, oder noch haben kann. Er koͤnne es freylich nicht laͤugnen, daß die Religion oft ein Gegenſtand ſeiner Spoͤttereyen geweſen ſey. Doch habe er dieſen Leichtſinn wohl nur mehrentheils in Gegenwart ſolcher Perſonen begangen, die ſchon gegen die Religion eingenommen geweſen waͤren. Proſelyten habe er nicht zu machen geſucht, aber doch ſeine Jrreligion nicht ver - hehlt. Er erkenne ſich in dem allen vor Gott und ſei - nem Gewiſſen ſtrafwuͤrdig.

Mit welchem Leichtſinn haben Sie uͤber Gott gedacht, ihn fuͤr einen Schoͤpfer gehalten, der ſich um ſeine Schoͤpfung nicht bekuͤmmere, dem Tugend und Laſter, Gluͤck und Ungluͤck der Menſchen gleichguͤltig, und der alſo ohne Weisheit und Guͤte, und kein Vater ſeiner Kinder, ſey! Eben ſo unanſtaͤndig, haben Siedie71die Tugend nur fuͤr ein Mittel gehalten die Begierden zu befriedigen, nicht fuͤr Pflicht der Verehrung und des Gehorſams gegen Gott; und die Gluͤckſeeligkeit in die Befriedigung bloß thieriſcher Triebe geſetzt! Wie leicht haͤtten Sie Jhren Jrrthum entdecken koͤnnen, wenn Sie ſich nur die Muͤhe haͤtten geben wollen nachzudenken!

Die ehrwuͤrdigſte und edelſte Beſtimmung des Menſchen zur Ewigkeit haben Sie mit Wohlgefallen in Zweifel gezogen, ja ſich ein angelegentliches Geſchaͤfft daraus gemacht, ſichs zu beweiſen, daß die Erwartung der Zukunft nach dem Tode ein Traum ſey, welche, wenn Sie auch nur in der Einbildung beſtuͤnde, doch ſchon wegen ihres Einfluſſes auf die irdiſche Gluͤckſeeligkeit des Menſchen, ſehr wichtig waͤre. Ja, ſagte er, ſie iſt allerdings in jedem Falle fuͤr Tugend und Gluͤckſeeligkeit eine ſehr wichtige Sache!

Leichtſinnig, Herr Graf, haben Sie uͤberhaupt gedacht und gehandelt, nicht uͤberlegt, was Jhre Unter - nehmungen fuͤr Folgen haben koͤnnten oder wuͤrden, ſich eingebildet, daß Sie wenigſtens die naͤchſten dieſer Fol - gen in Jhrer Gewalt haͤtten, und die entferntern ohne Bedenken dem Zufall uͤberlaſſen duͤrften, und ſich bloß dem Raht und Eindruck ſinnlicher Triebe anvertraut.

Mit einem Leichtſinn, von dem man ſchwerlich ein Beyſpiel kennt, haben Sie ſich ans Ruder des Staats geſetzt. Wie konnten Sie ſich dazu fuͤr geſchickt halten? Vielleicht hatten Sie durch Jhre Lectuͤre einige gute Grundſaͤtze der Regierungskunſt geſammlet: aber Sie wiſſen, jede Kunſt, jedes noch ſo kleine und leichte Hand - werk, erfordert gewiſſe Handgriffe, die man nur nach und nach durch die Uebung lernen kann, und dieſe Ue - bung hatten Sie nicht. Mit welcher UebereilungE 4haben72haben Sie die Geſchaͤffte verwaltet, ohne Kenntniß der Geſetze, der Sprache, des Ganzen, der einzelnen Theile, ohne ſich um die Kenntniß aller dieſer Dinge zu bemuͤ - hen, ohne ſich die noͤthige Zeit zu den Geſchaͤfften zu nehmen, und im beſtaͤndigen Geraͤuſche der Zerſtreuun - gen! Jch bitte Sie, Herr Graf, uͤberlegen Sie, wie wichtig an ſich ſelbſt die irdiſche Gluͤckſeeligkeit einiger Millionen Menſchen iſt, wie wichtig ſie Gott, dem Va - ter der Menſchen, ſeyn muß!

Leichtſinnig haben Sie Geſetze gegeben, ohne zu unterſuchen, was ſie fuͤr die Nation, der Sie ſie ga - ben, fuͤr Folgen haben koͤnnten. Auf eine bloß eilfer - tige Wahrnehmung einiger Maͤngel haben Sie faſt alle alten Einrichtungen des Staats umgeſtuͤrzt; nicht uͤber - legt, ob ſie nicht ſo feſt ins Ganze eingefugt waͤren, daß ſie nicht ohne Gefahr des ganzen Gebaͤudes herausgeriſſen werden koͤnnten; nicht bedacht, daß Jhre neuen Einrich - tungen noch groͤßere Maͤngel nach ſich ziehen koͤnnten, und gewiß mit der Zeit nach ſich ziehen wuͤrden. Mit eilfertiger Entſchließung haben Sie Bediente des Staats gewaͤhlt, oft und mehrentheils ohne ſie zu kennen, ohne von Jhrer Faͤhigkeit und Treue gewiß zu ſeyn, und zu ſehr haben Sie ſich gleichwohl auf ſie verlaſſen. Eben ſo unuͤberlegt haben Sie rechtſchaffene, allgemein fuͤr ſehr brauchbar erkannte Leute von den Geſchaͤfften ent - fernt, um in Jhren Unternehmungen keinen Widerſtand von ihnen befuͤrchten zu duͤrfen, oder, weil Sie ihre Plaͤtze fuͤr andre Perſonen beſtimmt hatten, die Sie fuͤr Jhre Freunde hielten. Oft haben Sie das Ungluͤck der Familien, deren Vaͤtern Sie ihre Aemter nahmen, in einem Augenblicke entſchieden, und es nicht em - pfunden, wie ſehr das dieſe Unſchuldigen betruͤbt ha - ben muͤſſe.

Leicht -73

Leichtſinnig haben Sie uͤber die Sitten gedacht, es zum Grundſatz angenommen, daß die Regierung ſich darum nicht zu bekuͤmmern haͤtte, und durch Beyſpiele, Darbietung verfuͤhreriſcher Gelegenheiten, ja gar durch Geſetze und oͤffentliche Anordnungen das Verderben der Sitten befoͤrdert. Er habe geglaubt, die Sitten ſtuͤnden allein unter der Aufſicht der Geiſtlichen. Uebri - gens habe er die Geſinnungen der Nation nach den ſeini - gen beurtheilt, und ſich vorgeſtellt, daß jedermann, ſo wie er, das Vergnuͤgen und eine ganz ungebundene Le - bensart fuͤr ſeine ganze Gluͤckſeeligkeit hielte.

Die Nation, die Sie regieren wollten, und alſo lieben und ehren mußten, haben ſie vielmehr geringe - geſchaͤtzt und verachtet. Mit Gleichguͤltigkeit das Elend angeſehen und die Nahrloſigkeit, die ſich waͤhrend Jhrer Adminiſtration aus ſehr begreiflichen Urſachen, beſonders ſichtbar in der Hauptſtadt, verbreitet hat. Er haͤtte das freylich wohl wahrgenommen, waͤre auch nicht ſo ganz gleichguͤltig dabey geweſen, ſondern haͤtte darauf gedacht, wie etwa neue Quellen der Nahrung eroͤffnet werden koͤnnten.

Sie haben endlich das allgemeine Misvergnuͤgen geſehen und empfunden. Sie ſind von Freunden und Feinden gewarnet worden. Aber Sie achteten das alles nicht, weil Jhre herrſchenden Begierden Jhnen kein ernſtliches Nachdenken verſtatteten. Er habe ſich immer mit der Hoffnung hingehalten, daß dieſe Unzu - friedenheit ſich endlich legen, und ſeine Maaßregeln ihn in Sicherheit ſetzen wuͤrden.

So ernſtlich und demuͤthigend dieſe Vorwuͤrfe waren, ſo bemerkte ich doch an dem Grafen nicht die geringſte Empfindlichkeit daruͤber. Etwas weniges ſagteE 5er74er hin und wieder zu ſeiner Entſchuldigung, auf welches ich mich aber nicht einlaſſen konnte, weil es Dinge betraf, die außer meinem Geſichtskreiſe lagen, und uͤber die ich nicht unterrichtet war. Seine politiſchen Einſichten zu berichtigen, hatte ich weder Beruf noch Faͤhigkeit, und ich durfte hoffen, daß ſein eignes Nachdenken, und die Empfindung der Folgen, die ſeine Fehlſchluͤſſe in dieſem Stuͤcke fuͤr ihn ſelbſt hatten, ihn von ſeinen Jrrthuͤmern in der Staatswiſſenſchaft zuruͤckbringen wuͤrden. We - nigſtens fand ich ihn voller Reue uͤber das Ganze, wenn er gleich ſein Betragen in einem oder dem andern einzel - nen Falle fuͤr nicht ſo ſehr unfaͤhig entſchuldigt zu wer - den halten mochte. Er bezeugte ſie mir ausdruͤcklich, und aͤußerte ſo gar Bekuͤmmerniß daruͤber, daß ſie noch nicht ernſtlich genug ſeyn moͤchte, daß ſie wenigſtens uͤber einige ſeiner Vergehungen ſtaͤrker und anhaltender ſey, als uͤber andere. Jch antwortete ihm hierauf, daß mir dieſer ſein Zweifel an der Ernſtlichkeit ſeiner Reue ſehr lieb ſey. Jch ſaͤhe ihn als einen Beweis ſeiner Auf - richtigkeit an. Jch mußte aber doch zu ſeiner Beruhi - gung ſagen, daß ich ihn bisher von einer Unterredung zur andern immer mehr erweicht faͤnde. Er moͤchte ſich erinnern, daß er anfaͤnglich nur Eine empfindliche Seite gehabt haͤtte. Jtzt waͤre die Wunde ſeines Gewiſſens ſchon groͤßer und ſein Schmerz ausgebreiteter und allge - meiner. Ueber dieſes waͤre es natuͤrlich und der Sache gemaͤß, daß er uͤber einige ſeiner Vergehungen bekuͤm - merter waͤre, als uͤber andere, denn jene waͤren etwa die groͤßeſten, uͤber die er ſich ſelbſt gar keine Entſchuldi - gung zu erſinnen wuͤßte, und die auch die traurigſten Folgen haͤtten. Wenn er fortfuͤhre ſeine Suͤnden unpar - theiiſch und mit ihren betruͤbten Folgen, ſo weit er ſie in Gedanken verfolgen koͤnnte, zu erwaͤgen, und dann beſon - ders die Liebe Gottes gegen ihn und ſeine Undankbarkeit gegen Gott dagegen zu halten, und dieſe daraus zu beur -theilen,75theilen, ſo zweifelte ich nicht, daß ſeine Reue ſo lebhaft und allgemein werden wuͤrde, als es zu einer wahren Buße noͤthig waͤre. Von der Liebe Gottes gegen ihn wuͤrde er in ſeinem Leben viele Beweiſe finden. Unter andern koͤnnte er ſie daraus erkennen, daß Gott ihm hier noch in ſeinem Gefaͤngniſſe Zeit und Gelegenheit zur Bekehrung goͤnnte. Wie leicht haͤtte er durch einen Meuchelmord, der ihm ſo oft gedroht worden, und ſo leicht zu vollziehen geweſen waͤre, koͤnnen hingeriſſen werden, wie unwiederbringlich waͤre dann ſein Heil ver - lohren geweſen! u. ſ. w.

Seit unſerer letzten Unterredung hatte der Graf die beyden erſten Theile der Geſchichte Jeſu geleſen. Jch fragte ihn nun, wie ihm der Mann gefiele? Seine Mo - ral, antwortete er, und ſein perſoͤnliches Verhalten iſt vortrefflich. Jene iſt unſtreitig fuͤr die Menſchen in allen Staͤnden die beſte Anweiſung zur Gluͤckſeeligkeit. Jch habe zwar hin und wieder etwas gefunden, das ich nicht ver - ſtehe, und das vermuhtlich aus den Sitten und andern Umſtaͤnden der damaligen Zeit erklaͤrt werden muß. Aber es iſt mir auch vieles vorgekommen, das mir ſehr ans Herz gedrungen iſt. Es hat mich ſehr gedemuͤthigt, daß ich hier vieles wiederfinde, was ich in meiner Jugend aus der Bibel gelernt, aber nachher geglaubt habe an - dern Buͤchern verdanken zu muͤſſen. Dieſe gute Mey - nung, ſagte ich hierauf, die Sie von der Perſon und der Sittenlehre Jeſu haben, muß Jhnen ſchon ein gut Vorurtheil fuͤr die mit ſeiner Moral verbundenen That - ſachen und Lehrſaͤtze erwecken. Sagen Sie mir, finden Sie es wahrſcheinlich, daß der Mann, der eine ſo vor - treffliche Sittenlehre predigte; der alles, was je die Phi - loſophen brauchbares uͤber das Thun und Laſſen der Menſchen, in tauſend Buͤchern zerſtreut, geſagt haben, in einer fruchtbaren Kuͤrze, mit ſo vieler Einfalt undDeut -76Deutlichkeit, aber auch zugleich mit ſolcher Hoheit und Wuͤrde vorgetragen hat; der ſelbſt ſeiner Moral ſo ſehr gemaͤß handelte; und, dieß ſetzte er ſelbſt hinzu, der das alles ohne den mindeſten Eigennutz that, und ſo gar ſein Leben fuͤr die Wahrheit, die er predigte, aufopferte: ſagen Sie mir, finden Sie es wahrſcheinlich oder auch nur glaublich, daß dieſer Mann die Welt habe hinterge - hen wollen, daß er ihr Blendwerke fuͤr Wunder aufge - drungen, oder ſich fuͤr einen Geſandten Gottes ausgege - ben habe, der ihr geheime Wahrheiten bekannt machen ſolle, wenn er es doch nicht geweſen waͤre? Nein, ant - wortete er, das iſt nicht wahrſcheinlich.

Von der Wahrſcheinlichkeit zu der in dieſer Sa - che moͤglichen Gewißheit iſt noch ein ziemlicher Weg. Jch will Jhnen nun ſagen, wie ich glaube, daß Sie denn aufs kuͤrzeſte und ſicherſte zuruͤcklegen koͤnnen. Jch muß noch einmahl mit Jhnen uͤber Jhre Vergehungen reden. Wenn ich dann Jhnen Jhre moraliſche Geſtalt gezeigt haben werde, wie ich glaube, daß ſie iſt, ſo will ich es Jhnen ſelbſt uͤberlaſſen, Jhre Vernunft zu fragen, ob ſie Jhnen ein zuverlaͤſſiges Mittel zur Beruhigung Jhres Gewiſſens und zur Verſicherung, daß Gott Sie begnadigt habe oder begnadigen werde, entdecken koͤnne. Finden Sie dann, daß Jhre Vernunft Sie huͤlflos laͤßt, und daß ich, der ich Jhnen dieß zum Voraus ſage, recht darin habe, ſo bleibt Jhnen nichts uͤbrig, als daß Sie das einzige Mittel ergreifen, das in der Welt be - kannt, und von vielen einſichtsvollen und rechtſchaffenen Leuten bewaͤhrt erfunden worden iſt. Ja, ſagte er, das iſt wahr. Dann aber, fuhr ich fort, ſollen Sie dieß Mittel noch nicht auf meine und andrer Menſchen Auto - ritaͤt ſo ungepruͤft annehmen. Das wuͤrde ich Jhnen zumuhten, wenn Gott die Offenbahrung nicht mit Be - weiſen verſehen haͤtte. Aber ſie hat ſo uͤberzeugendeBeweiſe,77Beweiſe, daß jeder der ſeine Vernunft gewiſſenhaft brau - chen will, und nur nicht beſchloſſen hat, der Wahrheit zu widerſtehen, nothwendig die Wahrheit finden muß.

Zweene Wege ſind uͤberhaupt zur Gewißheit von der chriſtlichen Religion vorhanden. Der erſte und ſicher - ſte iſt eine fortdaurende Ausuͤbung der Vorſchriften Jeſu. Hier wird der Menſch bey dem Gebrauch der Mittel von ihrer Wuͤrkſamkeit durch ſeine eigne Erfahrung uͤberzeugt. So erfaͤhrt es der Fieberkranke, wenn er die Rinde in der gehoͤrigen Ordnung braucht, daß ſie ein vortreffliches Mittel gegen ſeine Krankheit iſt. Demonſtriren kann ihm der Arzt es nicht, daß ſie dieſe Wuͤrkung haben werde und muͤſſe; anderer Erfahrungen kann er ihm vorlegen: aber die eigne des Kranken giebt dieſem erſt die voͤllige Gewißheit. Eben ſo kann ich Jhnen keine Demonſtra - tion davon vorlegen, daß der Gebrauch der Mittel, die Jhnen Jeſus anpreiſt, oder die treue Befolgung ſeiner Vorſchriften, Jhr Gewiſſen beruhigen und Sie von Jh - rer Begnadigung bey Gott gewiß machen werde. Jch kann mich nur auf meine und anderer Chriſten Erfahrung davon berufen. Die voͤllige Gewißheit muß Jhnen Jhre eigne Erfahrung geben, und die ſetzt dann die richtige Anwendung der Mittel voraus, die Jhnen das Chriſten - thum darbietet. Wenn Sie dann nun ſelbſt empfuͤnden, daß Jhr Glaube und Jhr Gehorſam Sie beruhigte, Sie mit Vertrauen auf Gott, mit Hoffnung einer gluͤck - lichen Ewigkeit, mit Staͤrke zum Guten erfuͤllte, ſo wuͤrden Sie durch Jhre eigne Erfahrung von der Wahr - heit des Chriſtenthums ſo gewiß werden, daß Sie ſich durch keinen Zweifel, auch wenn Sie ihn nicht heben koͤnnten, wuͤrden irre machen laſſen. Wie weit Sie nun auf dieſem Wege werden fortgehen koͤnnen, das wird von der Zeit, die Jhnen Gott noch goͤnnen wird, und von Jhrem Fleiß und Jhrer Aufrichtigkeit abhaͤngen. Heil -78Heilſame Veraͤnderungen, deren Sie ſich bewußt ſeyn werden, wird die Annahme und Befolgung des Evan - gelii gewiß bey Jhnen wuͤrken. Und dadurch werden Sie immer noch von der Wuͤrkſamkeit des Mittels, wo durch ſie ſind hervorgebracht worden, uͤberzeugt wer - den koͤnnen.

Der andere Weg, der wenigſtens von verſtaͤn - digern Unterſuchern des Chriſtenthums zuerſt ſollte voll - endet werden, iſt die Pruͤfung, ob ſich Jeſus wuͤrklich als einen Geſandten Gottes erwieſen habe. Das konnte er nicht anders, als durch eine goͤttliche Lehre oder durch einen Antrag an die Menſchen, der Gottes wuͤrdig war, und durch Wunder. Jenes geben Sie, in Abſicht auf die Sittenlehre Jeſu, ſchon zu. Koͤnnte Jhnen nun be - wieſen werden, daß Jeſus wuͤrkliche Wunder gethan habe, ſo wuͤrden Sie ſo ſchließen muͤſſen: Wunder ſind Wuͤrkungen, die die Kraͤfte eines Menſchen uͤberſteigen. Hat Jeſus ſolche Wuͤrkungen hervorgebracht, ſo muß er von einer hoͤhern Kraft dazu geſchickt gemacht worden ſeyn. Dieſe hoͤhere Kraft kann keine andere ſeyn als die goͤttliche. Gott wuͤrde ihm ſie aber nicht mitgetheilt ha - ben, wenn er die Menſchen durch eine falſche Lehre haͤtte hintergehen wollen. Alſo muß ſeine Lehre wahr ſeyn, und ich bin verbunden ſie anzunehmen und zu befolgen.

Unter den Wundern, die Jeſu zugeſchrieben wer - den, iſt ſeine Auferſtehung das groͤßeſte. Jſt dieſe erwie - ſen, ſo folgt, daß alle uͤbrigen auch wahr ſind oder doch ſeyn koͤnnen, und daß ſeine Lehre, auch die Geheimniſſe in derſelben, kein Betrug ſeyn koͤnnen. Das iſt unſtrei - tig, antwortete er. Nun wirds darauf ankommen, fuhr ich fort, ob ſeine Auferſtehung erwieſen werden kann. Jch thue wohl am beſten, ſagte er, daß ich das auf Jhre Autoritaͤt annehme. Nein, Herr Graf, meineAuto -79 Autoritaͤt kann Jhnen hoͤchſtens nur dieß beweiſen, daß ich die Sache unterſucht und richtig befunden habe. Sie muͤſſen feylich, da die Auferſtehung Jeſu eine Thatſache iſt, und deswegen durch Zeugniſſe bewieſen werden muß, ſich auf die Autoritaͤt verlaſſen. Aber dieſe Zeugniſſe muͤſſen Sie ſelbſt pruͤfen. Jch will Jhnen in dieſer Ab - ſicht ein Buch geben, das von einem Freygeiſt, der durch die Unterſuchung der Auferſtehung Jeſu bewogen ward ein Chriſt zu werden, geſchrieben iſt. Er be - zeugte uͤber dieſe Nachricht eine lebhafte Freude, die mir ſeine Hoffnung bewies, daß er auch dadurch werde uͤberzeugt werden.

Jch gab ihm den dritten und vierten Theil der Lebensgeſchichte Jeſu, und verließ ihn mit der beſten Hoffnung.

Siebende Unterredung, den 14den Maͤrz.

Der Commendant der Citadelle, wo der Graf gefan - gen ſaß, der Herr Generallieutenant von Hoben, erzaͤhlte mir, daß jener ſeit meinem letzten Beſuch ſehr unruhig geweſen ſey. Er war zu verſchiedenen mahlen auf ſeinem Lager, denn er lag die ganze Zeit ſeiner Ge - fangenſchaft herdurch beſtaͤndig auf einem Canapee, ploͤtzlich in die Hoͤhe gefahren; er hatte dann wieder halbe Stunden lang in ernſtem Nachdenken mit herunterhaͤn - gendem Haupte gelegen, und mit tiefen Seufzern haͤufige Thraͤnen vergoſſen. Bey meinem Eintritt ins Gefaͤngniß traf ich ihn im Gellert leſend an, und leſend habe ich ihn immer gefunden, ſo oft ich zu ihm gekommen bin. Alle Vernunft, ſagte er, muͤßte ich verlohren haben, wenn ich nicht geſtehen wollte, daß ich ſo haͤtte leben muͤſſen, wie es in dieſem Buche gelehrt iſt. Ach haͤtte ich doch in meinem Gluͤcke ſolche Buͤcher geleſen! Jch weißgewiß,80gewiß, ſie haͤtten mich uͤberzeugt und gebeſſert! Seine Mienen druckten viel Betruͤbniß, Schaam und Unzufrie - denheit mit ſich ſelbſt aus. Auf meine Frage, wie er ſich befinde, antwortete er mir: Seit geſtern ſehr unru - hig. Jch kann es nicht genug bereuen, daß ich ſo ſchlecht gelebt, nach ſo boͤſen Bewegungsgruͤnden gehandelt, und ſo uͤble Mittel angewendet habe. Meine itzigen Um - ſtaͤnde und mein Tod ſelbſt bekuͤmmern mich eben nicht: aber meine ſchlechten Handlungen! Und es iſt ſo ganz unmoͤglich, daß ich einige Erſetzung des Schadens leiſten koͤnne, den ich in der Welt verurſacht habe. Jch bitte Sie, wehrter Freund, ermuͤden und verlaſſen Sie mich nicht! So ſehr mich ſeine innigſte Betruͤbniß ruͤhrte, ſo war ſie ihm doch viel zu heilſam, als daß ich ſchon haͤtte ſuchen duͤrfen ihn zu beruhigen. Jch verſicherte ihn alſo nur, daß ich mit ſeiner Unruhe ſehr zufrieden waͤre. Sie wuͤrde, wie ich zu Gott hoffte, ihn geneigt machen, das einzige Mittel der Beruhigung zu ergrei - fen, das ich ihm anzuzeigen wuͤßte. Er koͤnne freylich wenig thun, um das Uebel, welches er verurſacht habe, wieder wegzunehmen. Aber es ſey einer vorhanden, der das bereits fuͤr ihn gethan habe. Zu dieſem muͤſſe er, durch ſeine Gewiſſensangſt getrieben, ſeine Zu - flucht nehmen. Wenn es nur nicht zu ſpaͤt iſt, ſagte er hierauf. Haͤtten Sie, antwortete ich, bis auf den letz - ten Tag Jhres Lebens Jhre Buße verſchoben, ſo wuͤrde ich ſelbſt befuͤrchten, es ſey zu ſpaͤt, wenigſtens wuͤrden Sie ſichs nicht haben beweiſen koͤnnen, daß Jhre Bekeh - rung aufrichtig und wahr ſey. Nun aber haben Sie noch Zeit Ueberzeugung von der Religion zu ſuchen und zu finden, ſie mit williger Seele anzunehmen, und nach ihren Vorſchriften zu denken und zu handeln. Zu ſpaͤt iſt es alſo nicht, wenn Sie itzt nur noch eilen. Jch will Jhnen als ein treuer Freund be[yſte]hen, und eher thaͤti - ger zu jhrem Beſten werden, als ermuͤden. JhreGefahr,81Gefahr, Herr Graf, und Jhre Furcht und Beſorgniß, muntert mich dazu auf.

Jch hatte mir vorgenommen dießmahl noch uͤber ſeine Vergehungen mit ihm zu reden, und ihm beſonders diejenigen zu Gemuͤthe zu fuͤhren, die er gegen einzelne Perſonen begangen, und deren ich bisher noch nicht erwaͤhnt hatte. Jch fand auch nicht fuͤr gut dieſen mei - nen Vorſatz fahren zu laſſen; aber der Anblick ſeiner außerordentlichen Gemuͤhtsunruhe, und die Beſorgniß, daß ſie etwa zu ſehr uͤberhand nehmen moͤchte, bewog mich ihn mehr zu ſchonen, als ich ſonſt wuͤrde gethan haben, und uͤber manches leichter hinzugehen. Jch weiß nicht ob ich recht daran that, aber ich habe doch nachher nicht Urſache gefunden in dieſem Stuͤcke unzufrieden mit mir zu ſeyn.

Unter andern kamen wir auch auf den Schmerz und Kummer, den er ſeinen rechtſchaffenen Eltern von ſeiner fruͤhen Jugend an, und nun zuletzt am meiſten, verurſacht habe. Jch bat ihn zu uͤberlegen, wie ſo ſehr oft er ſie durch Ungehorſam und Widerſetzlichkeit, durch ſeine ihnen gewiß ſichtbare Entfernung von der Religion, und durch ſeine Ausſchweifungen werde beleidigt und be - truͤbt haben. Und wie muͤſſen nicht, fuhr ich fort, dieſe ehrwuͤrdigen Perſonen durch die uͤbereilten Schritte geaͤngſtigt worden ſeyn, die Sie ſeit Jhrem hieſigen Auf - enthalte wagten! Wird ihnen nicht jede Nachricht von dem gar zu ſchnell anwachſendem Gluͤcke ihres Sohns, von den Mitteln, wodurch er es erlangt hat, von dem Gebrauch, den er von ſeiner Gewalt machte, Todes - ſchrecken verurſacht haben? Wie muͤſſen ſie nicht von einem Tage zum andern vor der Gefahr gezittert haben, von der Sie, Herr Graf, taͤglich bedroht wurden! Jn welch einen unausſprechlichen Schmerz muß ſie itztFnicht82nicht Jhr ploͤtzlicher Fall vertiefen! Was werden ſie fuͤr eine fuͤrchterliche Erwartung des Ausgangs Jhrer Sache haben! Mit welchem nagenden Kummer wer - den ſie die Gefahr erblicken, in der ſich Jhre Seele befin - det! Und wie wird ſie die Art Jhres Todes beugen! Werden ſie ſich jemals wieder zufrieden geben koͤn - nen? Werden ſie nicht unter der Laſt ihres gerechten Schmerzes erliegen muͤſſen, und vielleicht Geſundheit und Leben daruͤber verlieren? Und derjenige, der ihnen alle dieſe Leiden verurſacht hat, iſt ihr Sohn, der ſind Sie.

Jch hatte ſchon ſeit einigen Tagen einen Brief von dem Vater des Grafen, an dieſen ungluͤcklichen Sohn bey mir. Dieſen Augenblick hielt ich fuͤr den beſten, ihm denſelben zu uͤberreichen. Jch darf ihn um ſeines erbaulichen Jnhalts, und um der Vollſtaͤndigkeit dieſer Geſchichte willen, meinen Leſern nicht vorenthalten, und ich hoffe, daß mir der wuͤrdige Vater die Bekannt - machung deſſelben erlauben wird, zumahl da er ſchon in oͤffentlichen Blaͤttern abgedruckt iſt.

Jſt es moͤglich ſo wuͤnſche, daß dieſe Zeilen von dir empfangen und geleſen auch beherziget werden. Die Traurigkeit, Wehmuth und Beklemmung deiner El - tern uͤber ihre Soͤhne vermag ich nicht auszudruͤcken. Unſre Augen thraͤnen Tag und Nacht. Unſre See - len ſchreien um Erbarmung zu Gott ohne Aufhoͤren. Doch ich will hievon ſchweigen. Nur eine Sache liegt mir und deiner bekuͤmmerten Mutter auf dem Her - zen. Du kenneſt unſere Geſinnung. Du weiſt, was fuͤr einen Zweck wir bey deiner Erziehung gehabt haben. Es iſt dir erinnerlich wie oft, wie nachdruͤck - lich, dir dieſe Wahrheit eingeſchaͤrft iſt, daß die ungeheuchelte Gottſeeligkeit zu allen Dingen nuͤtze ſey. So83So oft ich mit dir, da du ſchon im Amte ſtundeſt, zu reden Gelegenheit gehabt, habe ich dich auf den allge - genwaͤrtigen Gott gewieſen, und zur ſorgfaͤltigen Be - wahrung eines guten Gewiſſens ermahnet. Dein Herz wird es dir ſagen, ob und in wie ferne du meinen vaͤterlichen Vermahnungen nachgekommen biſt. Schon ſeit geraumer Zeit haben deine Eltern vielen Kummer deinetwegen empfunden. Da wir in der Stille leben und wenige Bekannten haben, du uns auch von deinen Umſtaͤnden nichts gemeldet haſt, ſo ſind unſere Seufzer fuͤr dich im verborgenen mit be - beklemmten Herzen zu Gott hinauf geſtiegen, und wir haben bekuͤmmert zu ihm gerufen, daß doch deine Seele nicht verlohren gehen moͤchte. Dreymahl nem - lich in Halle, Gedern und Altona, biſt du in den Augen derer, die um dein Krankenbett geſtanden, bereits todt geweſen. Gott hat dich errettet und beym Leben erhalten, gewiß nach ſeiner Liebes Abſicht nur zu dem Ende, dich in der Gnadenzeit zur ſeligen Ewig - keit zuzubereiten. Und dieſen Zweck will der treue Er - barmer an dir auch vornehmlich in deinem Gefaͤngniß erreichen. Du biſt ſein Geſchoͤpf, er liebet dich, du biſt mit Jeſu Blut erloͤſet: er iſt ein verſoͤhnter Vater. Du biſt auf den Nahmen des dreyeinigen Gottes getauft: er will einen ewigen Bund mit dir machen, und nicht ablaſſen dir gutes zu thun. Kehre zu deinem Gott, mein Sohn, er will ſein Gnaden Ant - litz zu dir wenden. Jn dieſer Abſicht merke auf die Stimme deines Gewiſſens, und auf die Ueberzeugun - gen, die Gottes Geiſt in deiner Seele wirket. Laß dir deinen innern Seelen Zuſtand recht gruͤndlich auf - decken: damit du dein tiefes Verderben in Gottes Licht recht einſehen lerneſt. Wende deine Einſamkeit dazu an, daß du deinen ganzen Lebenslauf vor dem allwiſſenden Gott unterſucheſt, und deine Suͤnden inF 2ihrer84ihrer Abſcheuligkeit und Groͤße recht erkenneſt. Schmeichele dir nicht. Nimm es genau mit dir. Klage dich an, und richte dich ſelbſt vor Gottes Rich - terſtuhl noch in dieſer Gnadenzeit. Wenn du deine Suͤnden-Banden als eine ſchwere Laſt fuͤhleſt, ſo wird dein Herz gebeugt vor Gott und du wirſt nach Gnade ſeufzen, auch alle Uebertretungen ernſtlich haſſen und verabſcheuen. Nun wird dir Chriſti Ver - dienſt wichtig und nothwendig. Du nimmſt deine Zu - flucht zu dem, der die Suͤnder annimmt, und fuͤr uns zur Suͤnde gemacht iſt, ja alle unſre Suͤnden-Schul - den bezahlet und die Strafen fuͤr uns ausgeſtanden hat: damit wir wuͤrden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und in ihm erlangten die Erloͤſung durch ſein Blut, nemlich die Vergebung der Suͤnden, nach dem Reichthum ſeiner Barmherzigkeit. Noch redet Jeſu Blut fuͤr dich. Noch recket der Erbarmer ſeine Liebes-Haͤnde zu dir aus. Außer Jeſu iſt kein Heil. Er iſt die Urſache unſrer Seeligkeit. Auch fuͤr dich hat er Gaben empfangen. Auch du kannſt in ihm bekommen Gerechtigkeit zu deiner Beruhigung und zu deiner Heiligung. O daß Jeſus in deinem Herzen moͤchte verklaͤret werden! Bey ihm haben wir es gut im Leben, Leiden, Tode und nach dem Tode. Die Mama gruͤßet. Sie weinet und betet mit mir fuͤr unſere ungluͤcklichen Soͤhne. Mein Sohn! Mein Sohn! wie gar tief beugeſt du uns. Ach koͤnnten wir doch nur den einzigen Troſt erlangen, daß unſre Soͤh - ne von ganzem Herzen ſich zu dem Herrn ihren Gott bekehrten, und wir ſie vor dem Throne des Lammes in der Ewigkeit mit Freuden ſehen moͤchten! Deine Verbrechen, warum du gefangen ſitzeſt, ſind uns eigentlich und hinlaͤnglich nicht bekannt. Was im Pu - blico davon geredet und geleſen wird, iſt ſo etwas, das deine Eltern verfluchen und verabſcheuen. Achwaͤreſt85waͤreſt du ein Medicus geblieben! Deine Erhoͤhungen, die wir durch die Zeitungen erfahren haben, ſind uns nicht erfreulich geweſen, ſondern wir haben ſie mit Kummer geleſen. Ach daß du in allen deinen Ge - ſchaͤften, ein lauteres Auge mit vieler Weisheit, Got - tesfurcht und Demuht zum wahren beſten des Daͤni - ſchen Landes bewahret, und den Befehlen deines Allerhuldreichſten Souverains mit aller Unterthaͤnig - keit dich unterworfen haͤtteſt! Wir koͤnnen hieruͤber aus Mangel der Erkenntniß nicht urtheilen: aber wiße, daß, ſo ſehr wir unſre Kinder lieben, wir doch ihre Vergehungen nicht billigen, nicht entſchuldigen, nicht bemaͤnteln, nicht gut nennen, ſondern vielmehr alle Suͤnden haſſen, deteſtiren, verfluchen, verabſcheuen, und Gott preiſen, wenn er ſeinen gerechten Zorn uͤber die Gottloſen offenbaret, und ſeine Barmherzigkeit Bußfertigen und Glaͤubigen beweiſet. Der Herr un - ſer Gott ſey in deiner Gefangenſchaft dein Arzt und heile deinen Seelenſchaden gruͤndlich. Wir Eltern empfehlen dich der Vater - und Mutter-Liebe deines ewigen Erbarmers. Jeſus, der mitleidige Hoheprieſter, gedenke zur Rechten Gottes deiner im beſten, und laße vor ſeinem Gnaden-Thron dich Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu deinem ewigen Heyl. Ja Jeſu, du groſſer Menſchenfreund, der du keinen hin - ausſtoͤßeſt wer zu dir koͤmmt, hilf Eltern und Kindern zum ewigen Leben. Rendsburg d. 4 Maͤrz 1772.

Als ich dem Grafen ſagte, daß ich ihm hier einen Brief von ſeinem Vater zuzuſtellen haͤtte, ergriff er ihn mit Begierde, und fieng an zu leſen. Er konnte ihn noch nicht halb geleſen haben, als er ihn bitterlich wei - nend bey ſich niederlegte, mich vertraulich anſah und ſagte: Es iſt mir itzt unmoͤglich weiter zu leſen, ich will nachher wieder anfangen. Leſen Sie ihn, antworteteF 3ich86ich, allein und oft. Es iſt ein Brief eines rechtſchaffe - nen, tiefgebeugten und zaͤrtlichen Vaters. Suchen Sie den redlichen Mann und Jhre fromme Mutter durch eine chriſtliche Antwort zu troͤſten. Sie wiſſen wohl, was ſie allein troͤſten kann. O mein Gott, ſagte er, auf eine unbeſchreiblich ruͤhrende Art, ich kann nicht an ſie ſchrei - ben, ich weiß nicht, wie ichs machen ſoll. Sie werden noch Zeit haben, erwiederte ich, daruͤber nachzudenken. Er ruͤhmte hierauf ſeinen Vater, als einen redlichen Mann, deſſen Handlungen mit ſeinen Geſinnungen uͤber - einſtimmen, und ſeine Mutter, als eine ehrwuͤrdige wahrhaftig fromme Frau, von der er die beſte Gelegen - heit gehabt haͤtte das thaͤtige Chriſtenthum zu lernen. Er bat mich bald an ſeine Eltern zu ſchreiben, ihnen nach der Wahrheit zu berichten, wie ich ihn faͤnde, und ſie zu verſichern, daß er allen moͤglichen Fleiß anwenden wuͤrde, und den beſten Willen haͤtte, als ein Chriſt zu ſterben. Er war ſo ſehr bewegt, daß er kaum im Stan - de war dieſe Worte hervorzubringen.

Nun glaubte ich ihm zur Pruͤfung ſeines ſittli - chen Zuſtandes hinlaͤngliche Anleitung gegeben zu haben. Jch konnte auch nicht anders, als mit der Wuͤrkung, die ſie bey ihm hatte, zufrieden ſeyn. Er war ſo betruͤbt und gebeugt uͤber ſeine Suͤnden, daß es gefaͤhrlich haͤtte werden koͤnnen, wenn ich ihn noch mehr zu demuͤthigen haͤtte ſuchen wollen. Aufrichtig war ſeine Reue gewiß; darauf konnte ich mich um ſo viel mehr verlaſſen, da er ein ſehr kaltbluͤtiger Mann war, der uͤber dieß durch Grundſaͤtze und Uebung viele Gewalt uͤber die Gemuͤths - bewegungen erhalten hatte, und der durch nichts als durch die ernſtlichen Vorſtellungen, die ihm ſein Gewiſſen that, wuͤrde geruͤhrt worden ſeyn. Um ihn nun weiter zu fuͤhren, erinnerte ich ihn an die Hoffnung, die er geaͤußert hatte, daß ihn Gott wohl auf eine bloß philoſo -phiſche87phiſche Buße begnadigen wuͤrde. Jch bat ihn mir zu ſagen, ob er das itzt noch fuͤr wahrſcheinlich hielte. Er wußte nicht, was er antworten wollte, er fuͤhlte es zu ſehr, daß er keinen Grund zu dieſer Hoffnung habe, und war auch nicht mehr geneigt, wie er es ſonſt geweſen war, ſich ſelbſt zu betruͤgen. Sie empfinden es ſchon, ſagte ich, daß die philoſophiſche Reue nicht hinlaͤnglich iſt ein unruhiges Gewiſſen zu beruhigen. Weiß Jhnen etwa Jhre Vernunft ein beſſeres Mittel dazu vorzuſchlagen? Laſſen Sie uns das in unſrer naͤchſten Unterredung un - terſuchen. Sie wiſſen, ich will Jhnen das Recht nicht ſtreitig machen, ſich ſelbſt zu heilen, wenn Sie es koͤn - nen, ich will Jhnen die Huͤlfe des Evangelii nicht auf - dringen.

Sie werden aber doch wohl thun, Herr Graf, wenn Sie ſich mit den Beweiſen des Chriſtenthums vor - laͤufig bekannt machen, damit Sie, wenn Sie etwa finden ſollten, daß Sie des Rahts beduͤrfen, den es Jhnen anbietet, durch Zweifel an der Wahrheit deſſel - ben nicht aufgehalten werden moͤgen, ihn bald anzuneh - men um bald die Wuͤrkung deſſelben empfinden zu koͤn - nen. Jch habe Jhnen in dieſer Abſicht Weſts Buch uͤber die Auferſtehung Jeſu mitgebracht. Leſen Sie es mit Aufmerkſamkeit, und wenn Sie dann etwa finden ſollten, daß die Auferſtehung Jeſu alle erforderliche Glaubwuͤrdigkeit hat, ſo fragen Sie Jhre Vernunft, ob Sie ſich nicht fuͤr verbunden halten muͤſſe, den Aufer - ſtandenen fuͤr einen goͤttlichen Geſandten an die Men - ſchen, und ſeinen Antrag oder ſeine Lehre fuͤr Wahrheit zu halten.

F 4Achte88

Achte Unterredung, den 16ten Maͤrz.

Die Wunden Jhres Gewiſſens, ſo fieng ich dieſe Un - terredung an, ſind tief und ſchmerzhaft. Sie wuͤnſchen ſehr ernſtlich ſie gruͤndlich geheilt zu ſehen. Laſſen Sie uns nun nach Mitteln forſchen, wodurch das moͤglich iſt. Jch weiß, das Gefuͤhl Jhrer Beduͤrfniß hat Sie ſchon geneigt gemacht, den Raht, den Jhnen das Chriſtenthum in dieſer Abſicht giebt, anzunehmen. Aber Sie muͤſſen ſich, ſelbſt in einer heilſamen Ent - ſchließung, nicht uͤbereilen. Unterſuchen Sie erſt, ob Jhnen die Vernunft zu rahten weiß. Kann ſie das, ſo brauchen Sie keine Offenbahrung. Sehen Sie aber, daß Sie von der Vernunft huͤlflos gelaſſen werden, ſo koͤnnen Sie deſto mehr Vertrauen auf das einzige Mittel der Begnadigung bey Gott ſetzen, welches Jhnen die chriſtliche Religion anpreiſt.

Sollten wohl Suͤnden, die in dieſer Welt began - gen werden, zumahl vorſetzliche, oft wiederhohlte, ge - liebte und wegen ihrer Folgen ſchreckliche Suͤnden, in der kuͤnftigen Welt beſtraft werden? Dieß war die erſte Frage, die ich dem Grafen vorlegte. Wenn man die Sache bloß vernuͤnftig anſaͤhe, antwortete er, ſo koͤnnte es ſcheinen, daß die Unruhe des Gewiſſens und die natuͤr - lichen Folgen der Suͤnden, ſchon genugſame Strafen derſelben waͤren. Jch zeigte ihm hierauf, daß zwiſchen dieſen Strafen der Suͤnde, und ihrer Groͤße, in ſo ferne ſie Empoͤrung gegen Gott und Beleidigung ſeiner hoͤch - ſten Majeſtaͤt waͤre, und dem Schaden, den ſie in dem Reiche Gottes ſtiftete, kein Verhaͤltniß waͤre: und eine goͤttliche Gerechtigkeit muͤßte doch Verbrechen und Stra - fen genau gegen einander abwaͤgen. Viele Suͤnder, ſetzte ich hinzu, gehen auch aus der Welt, ohne auch nur von ihrem Gewiſſen beſtraft werden zu ſeyn, ohnenatuͤr -89 natuͤrliche Folgen ihrer Vergehungen empfunden zu ha - ben: ſollten dieſe denn ganz ungeſtraft hingehen? Wir koͤnnen endlich ſelbſt durch die Vernunft einſehen, daß die natuͤrlichen Folgen der Suͤnden noch in der Ewigkeit fort - dauren koͤnnen und werden, und daß alſo noch jenſeits des Grabes Strafen zu erwarten ſind, denn dieſe Folgen ſind ja Strafen. Wer z. Ex. in dieſer Welt die Gelegen - heit verſaͤumt Gott und ſeinen Willen erkennen zu lernen, wird der nicht in die kuͤnftige unwiſſend daruͤber eintreten, und aller der Vortheile entbehren muͤſſen, die ihm eine richtige und ausgebreitete Erkenntniß wuͤrde gewaͤhrt haben?

Er gab ſeinen Zweifel auf, und ich legte ihm nun die Gruͤnde vor, weswegen ich uͤberzeugt waͤre, daß in der Ewigkeit Strafen ſeyn wuͤrden. Es iſt der Analogie gemaͤß. Viele Suͤnden ziehen ſchon hier in ihren Folgen mancherley Elend nach ſich. Was haben wir fuͤr Urſache zu glauben, daß Gott dort dieß Verhaͤlt - niß zwiſchen Urſache und Wuͤrkung aufheben werde? Die Weisheit und Guͤte Gottes machen in der kuͤnftigen Welt die Strafen nothwendig. Weil er weiſe und guͤtig iſt, ſo will er ſeine Geſetze, durch die die Abſichten ſei - ner Weisheit und Guͤte befoͤrdert werden ſollen, gehalten wiſſen. Waͤren nun in der Zukunft keine Strafen der Suͤnde zu erwarten, ſo haͤtten die Geſetze Gottes keine Kraft, keine Sanction; ihre Abſicht wuͤrde nicht erreicht werden, und es waͤre faſt einerley, ob wir ſie hielten oder nicht. Wir verſprechen uns ja in der Ewigkeit Belohnungen der Tugend: warum wollen wir denn nicht glauben, daß das Laſter dort werde beſtraft werden? Der unbekehrte Suͤnder geht mit allen ſeinen boͤſen Nei - gungen und Fertigkeiten aus der Welt. Wird er nicht in der kuͤnftigen fortfahren zu ſuͤndigen, und werden nicht dadurch ſtrafende Folgen ſeiner Suͤnden erzeugtF 5wer -90werden? Endlich ſcheint auch ein Vorgefuͤhl von den Strafen der Suͤnde in der Ewigkeit tief in unſrer Natur zu liegen, oder, welches mit andern Worten geſagt daſſelbe iſt, unſer Gewiſſen bezeugt es uns. Warum fuͤrchten wir uns, wenn wir ein boͤſes Gewiſſen haben, vor dem Tode, und koͤnnen ſeine Annaͤherung mit Ruhe und Freudigkeit ſehen, wenn unſer Gewiſſen unbefleckt iſt? Warum fuͤrchtet ſich auch der Suͤnder, der ſich ganz vom Joche der Religion losgeriſſen hat, wenigſtens dann, wann er ſeinen Tod gewiß vor Augen ſieht. Hier meynte der Graf, dieſe Furcht koͤnne wohl nur die bloße natuͤrliche Todesfurcht ſeyn. Er fand aber dieſen Zweifel durch ſeine eigne Empfindung widerlegt. Er geſtund, daß er ſich itzt weniger vor dem Tode als ſeiner Suͤnden wegen fuͤrchte, ob er gleich vermuhte, daß er ohne ſonderliche Furcht geſtorben ſeyn wuͤrde, wenn wir nicht mit einander bekannt geworden waͤren, und er nicht dieſe Buͤcher geleſen haͤtte.

Sind alſo fuͤr den Suͤnder in der Ewigkeit Stra - fen zu erwarten, oder auch nur zu vermuhten, und dieß iſt doch das wenigſte, was aus den angefuͤhrten Gruͤn - den folgt, ſo hat er große Urſache, ſich zu bemuͤhen, daß er ſie von ſich abwenden moͤge. Was kann die Vernunft ihm dazu fuͤr Raht geben? Sie weiß nur dieſe drey Mit - tel vorzuſchlagen: Reue, Erſetzung des verurſachten Schadens und kuͤnftige Beſſerung. Sie koͤnnte auch noch wohl die Opfer hinzuſetzen. Aber ſie wuͤrde doch auch gleich begreifen, daß die Opfer an ſich ſelbſt Gott nicht verſoͤhnen, ſondern daß ſie nur in ſo ferne fuͤr Mittel dazu gehalten werden koͤnnen, in wie ferne ſie ein Beweis der Reue des Suͤnders und ſeiner Entſchießung ſind, lieber etwas, das ihm angenehm und wehrt iſt, zu ent - behren, als ſich des goͤttlichen Unwillens uͤber ſich und ſeine Handlungen laͤnger bewußt zu ſeyn. Und ſo waͤreReue91Reue und Opfer nur als Urſache und Wuͤrkung, oder als Empfindung und Ausdruck oder Erklaͤrung derſelben unterſchieden. Es kommt alſo nun darauf an, ob die von der Vernunft vorgeſchlagenen Mittel zu ihrer Abſicht hinreichend ſind, und ob ſie in unſrer Gewalt ſtehen.

Die Reue, fuhr ich fort, iſt die Bekuͤmmerniß, die ich uͤber meine Suͤnden empfinde. Sie ſey ſo auf - richtig und ſo lebhaft, als es moͤglich iſt, darf ich denn wohl hoffen, daß ſie die Strafen, die ich verdient habe, von mir abwenden werde? Wenn ein weltlicher Richter, Herr Graf, es ſich zur Regel machte, jedem Verbrecher, der eine ernſtliche Reue bezeugte, die verdiente Strafe zu ſchenken, was wuͤrden Sie von ihm halten? Jch wuͤrde denken, er ſey ein guter Mann, aber ſchwach, nicht weiſe noch gerecht, und nicht geſchickt Richter zu ſeyn. Duͤrfen wir denn wohl glauben, daß Gott ſo urtheilen werde? Und haͤtte er ſeine guten Urſachen in eizelnen Faͤllen auf die bloße Reue des Suͤnders Begna - digung folgen zu laſſen, ſo koͤnnte doch niemand gewiß ſeyn, daß ſein Fall einer von dieſen einzelnen ſeyn werde. Auch lehrt uns die Erfahrung, daß Gott in dieſer Welt, wenn er die Suͤnder durch natuͤrliche Folgen ihrer Vergehungen ſtraft, nach der Regel handelt: Die Reue des Suͤnders ſoll ihn nicht von der Strafe befreyen. Wer ſich durch ſeine Vergehungen Krankheit, Armuth, Schande, zugezogen hat, der wird durch ſeine Reue nicht wieder geſund, beguͤtert oder geehrt. Jſt es denn wohl wahrſcheinlich oder gar erweislich, daß Gott in der kuͤnf - tigen Welt nach einer entgegengeſetzten Regel urtheilen werde? Endlich beſſert auch die bloße Reue uͤber be - gangne Suͤnden nichts. Alles bleibt, wie es war. Der Schade, den die Suͤnde verurſacht hat, bleibt in der Welt, und wird durch die Reue nicht weggenommen. Gott muͤßte mit Schwachheit guͤtig ſeyn, er muͤßte auf -hoͤren92hoͤren mit wahrer Guͤte und Weisheit zu regieren, wenn er auf eine bloße unthaͤtige Reue vergeben wollte.

Der Graf folgte mir mit ununterbrochener Auf - merkſamkeit, und geſtand, daß die bloße Reue keine ge - gruͤndete Hoffnung der Begnadigung gebe. Wir nahmen alſo das andere von der Vernunft empfohlene Mittel vor uns, und dieſes war die Erſetzung des verurſachten Schadens. Dieſe Erſetzung, ſagte ich, waͤre freylich weit mehr, als bloße Reue. Aber bey aller Erſetzung waͤre doch noch der bewieſene Ungehorſam gegen Gott, die Beleidigung ſeiner Majeſtaͤt, die Empoͤrung gegen ſeine wohlthaͤtigen Abſichten, hoͤchſt ſtrafbar. Es waͤre immer noch die Frage, ob Gott das alles ungeſtraft hin - gehen laſſen wolle, und ob er es, nach den Regeln, nach welchen er ſeine Welt regiert, ungeſtraft hingehen laſſen koͤnne. Was wollen wir aber auch von Erſetzung des geſtifteten Schadens reden? Kann der Suͤnder ſie jemals leiſten? Es ſind einige wenige Faͤlle moͤglich, wo er vielleicht glauben moͤchte, daß er das verurſachte Boͤſe wieder gut machen koͤnne. Aber im Ganzen? Kennt er alle ſeine Suͤnden? Weiß er alle ihre Folgen? So muͤßte er allwiſſend ſeyn! Kann er den Fortlauf dieſer Folgen verhindern? Kann er ſie aus dem Ganzen, in welchem ſie verwickelt ſind, losreißen? Kann er ihnen noch nach ſeinem Tode, ja bis ans Ende der Welt, nachgehen, und ſie uͤberall hemmen, wohin ſie ſich verbreiten? So muͤßte er allmaͤchtig und allgegenwaͤrtig ſeyn! Nein, Herr Graf, es iſt nichts mit der Erſetzung des Schadens. Sie iſt nicht hinreichend, ſie iſt ſo gar ganz unmoͤglich!

Wir giengen nun zu der Beſſerung des Lebens, als dem dritten der von der Vernunft an die Hand gege - benen Mittel fort. Sie iſt gut, ſagte ich, muß auch wenigſtens dieſe Wuͤrkung haben, daß ſie dem Richterder93der Welt dieſen Theil meines Lebens empfielt. Wer indeſſen einen Verſuch gemacht hat ſeine geliebten und gewohnten Suͤnden zu haſſen und zu meiden, der wird auch gefunden haben, daß eine ſolche Beſſerung durch bloß natuͤrliche Mittel, wo nicht unmoͤglich, doch wenig - ſtens nichts leichtes ſey. Aber hat denn die Beſſerung meines Verhaltens in den Jahren, die mir bevorſtehen, irgend einen Einfluß in mein boͤſes Verhalten, womit ich meine zuruͤckgelegten Jahre erfuͤllt habe? War ich Gott den Gehorſam, den ich ihm von nun an leiſten will, vorher nicht auch ſchuldig? Nicht in jedem Augenblick meines Daſeyn? Wenn ich verbunden bin taͤglich eine gewiſſe Summe zu bezahlen, ich habe die Zahlung geſtern verweigert und leiſte ſie heute fuͤr den gegenwaͤrtigen Tag, bleibe ich dann nicht im Ruͤckſtande fuͤr geſtern, und be - haͤlt derjenige, dem ich ſchuldig bin, nicht ſein Recht an mir. Er kann ſeinem Recht entſagen, wenn er will. Aber kann mir die Vernunft Gewißheit geben, daß Gott das in dieſem Fall wolle oder koͤnne? Jhm iſt daran ge - legen, daß ſeine Geſetze gehalten werden. Er muß alſo ihre Beobachtung ernſtlich einſchaͤrfen, das iſt, er muß mit Stafen drohen, und Gottes Drohungen duͤrfen nicht ohne Erfolg ſeyn. Hieraus folgt: Die Vernunft kann mirs nicht gewiß, nicht einmahl wahrſcheinlich machen, daß Gott um der kuͤnftigen Beſſerung willen die Strafen der vorigen Suͤnden erlaſſen werde.

Dieß alles ließ ſich nun leicht auf den Grafen anwenden. Bekuͤmmert war er uͤber ſeine Suͤnden. Aber auf dieſe ſeine Reue allein konnte und wollte er auch nicht mehr ſich verlaſſen. Erſetzung des verurſachten Schadens zu leiſten, iſt keinem Suͤnder moͤglich, und war es ihm, bey der Kuͤrze ſeiner Zeit und den ausgebrei - teten und verwickelten Folgen, die ſeine Vergehungen ſchon hatten, am wenigſten. Beſſerung fuͤr die Zukunftgiebt94giebt uͤberhaupt wenig Hoffnung, und ſeine Zukunft war die Ewigkeit. Freylich, ſagte ich zu ihm, muͤſſen Sie die kurze Zeit uͤber, die Sie noch zu leben haben werden, allen moͤglichen Fleiß anwenden, Gutes zu thun, und ſo viel Sie koͤnnen zur Erſetzung des geſtifteten Schadens beyzutragen. Vielleicht koͤnnen Sie durch Jhre Geſpraͤ - che und durch Jhr ganzes Betragen bey dieſem oder je - nem von denen, die hier bey Jhnen ſeyn werden, die boͤſen Eindruͤcke wieder ausloͤſchen, die Jhr voriger Wan - del auf ſie gemacht hat. Aber was ſie auch thun moͤgen, ſo koͤnnen Sie ſich doch nie vor Gott ein Verdienſt dar - aus machen, oder glauben, daß Jhnen Gott deswegen Jhre Suͤnden vergeben werde. Es dient Jhnen nur dazu, ſich in guten Geſinnungen zu befeſtigen, und Sie zu Jhrer eignen und anderer Ueberzeugung von der Recht - ſchaffenheit Jhrer Bekehrung an den Tag zu legen. Er verſicherte mich hier, daß er das ſchon ſelbſt fuͤr ſeine Pflicht gehalten haͤtte. Er habe deswegen ſchon mit einem Officier uͤber die Moral des Chriſtenthums geſpro - chen, und ihn ermahnt, die Vorſchriften derſelben ge - wiſſenhaft zu befolgen. Als ein voͤllig uͤberzeugter Chriſt habe er aber nicht geredet, weil er es noch nicht waͤre, und es ihm nicht erlaubt ſeyn koͤnnte zu heucheln. Wollte Gott, ſetzte er hinzu, ich koͤnnte nur etwas zur morali - ſchen Verbeſſerung derjenigen unter meinen Freunden beytragen, deren Geſinnungen ich durch meine Reden und Beyſpiele verderbt habe! Jch bat ihn ſelbſt daruͤber nachzudenken, und verſprach es an meiner Seite auch zu thun.

Wir waren nun voͤllig daruͤber einig, daß die bloße Vernunft kein zuverlaͤſſiges Mittel zur Vergebung der Suͤnden kenne. Jſt nun noch ein Mittel in der Welt, fuhr ich fort, das Sie von Jhrer Begnadigung bey Gott gewiß machen kann, ſo werden Sie es dochanwen -95anwenden oder wenigſtens verſuchen. Jn den Graͤnzen der Vernunft kann es nicht liegen, denn ſie weiß nur die drey, die wir gepruͤft und unzulaͤnglich gefunden haben. Jſt alſo ein ſolch Mittel vorhanden, ſo muß es von Gott außerordentlich offenbahrt ſeyn. Jch kenne dieſes Mittel der Vergebung fuͤr jeden Suͤnder. Es iſt der Glaube an Jeſum. Von der moraliſchen Seite kennen und ehren Sie den Mann, auf den ich Sie verweiſe. Die Vortrefflichkeit ſeiner Sittenlehre und ſeines Wandels muß Sie auch ſeinen theoretiſchen Lehrſaͤtzen geneigt machen. Daß einige unter ihnen Jhrer Vernunft un - begreiflich ſind, das kann Jhnen nun ſchon nichts uner - wartetes mehr ſeyn: denn hat Gott ſich durch ihn den Menſchen offenbahrt, ſo kann es uns nicht anſtoͤßig ſeyn, daß er uns Wahrheiten lehrt, die wir durch die Ver - nunft weder erfinden noch erklaͤren koͤnnen. Daß er aber von Gott geſandt ſey, davon erwarten wir billig Beweiſe. Er ſelbſt verweiſet uns auf ſeine Wunder, als auf ſeine Legitimation. Unter ſeinen Wundern iſt ſeine Auferſtehung das groͤßeſte. Jch habe Sie gebeten die Glaubwuͤrdigkeit derſelben zu unterſuchen. Was iſt das Reſultat Jhrer Unterſuchung?

Sie wiſſtn, antwortete der Graf, daß ich ſeit einigen Tagen ſehr unruhig im Gemuͤht und krank am Leibe geweſen bin. Jch muß geſtehen, ich bin durch beydes verhindert worden, denjenigen Theil des Buches uͤber die Auferſtehung Jeſu, welcher aus der Unterſu - chung und Vergleichung der Umſtaͤnde dieſer Begebenheit beſteht, mit hinreichendem Nachdenken zu leſen. Jch habe aber in dem letztern Theile folgende Beweisgruͤnde gefunden, die ſehr viel Eindruck auf meinen Verſtand gemacht haben. Die Juͤnger Jeſu waren nicht leicht - glaͤubig, ſondern ließen ſich nur mit Muͤhe und durch das uͤbereinſtimmende Zeugniß faſt aller ihrer Sinne vonder96der Wahrheit der Auferſtehung Jeſu uͤberzeugen. Die Juden ſtellten gar keine gerichtliche Unterſuchung der Sache an, ob Sie gleich die beſte Gelegenheit dazu hatten, und ihnen viel daran gelegen war, zu zeigen, daß nichts daran ſey. Auch rechne ich die Ausbreitung des Chriſtenthums hieher, die ohne die Wahrheit der Auferſtehung Jeſu auf die Art nicht moͤglich geweſen waͤre, wie ſie geſchehen iſt, und mit der die Ausbreitung der Lehre Mahomets in Anſehung der beyderſeitigen Mit - tel gar nicht verglichen werden kann. Jch wuͤnſchte aber doch noch zu wiſſen, ob man nicht in Profanſeribenten von Chriſto und ſeiner Auferſtehung Zeugniſſe findet?

Jch erzaͤhlte ihm hierauf, was im Sveton, Ta - citus, Plinius und Joſephus von Chriſto und den erſten Chriſten vorkommt. Von der bekannten Stelle des letztern, deren Jnhalt ich ihm faſt mit den da ſtehenden Worten vortrug, geſtund ich ihm ſogleich, daß ſie ſelbſt von chriſtlichen Gelehrten fuͤr untergeſchoben erklaͤrt wuͤr - de, ich faͤnde es ſelbſt auch nicht glaublich, daß ſie ganz, ſo wie ſie da ſtuͤnde, von Joſephus herruͤhren ſollte. Hier zeigte ich ihm, wie ſie etwa habe verfaͤlſcht werden koͤnnen. Es ſey nicht zu vermuhten, daß Joſephus, der ſo viele Kleinigkeiten erzaͤhlte, von einer ſo merkwuͤr - digen Perſon, als Jeſus doch immer geweſen, gar nichts ſollte geſagt haben. Und haͤtte er wuͤrklich ſeiner nicht Erwaͤhnung gethan, ſo ſey daß ein ſicherer Beweis, daß er, aus welcher Urſache es auch ſey, es nicht habe wagen wollen; und ſchon darin liege ein ſtillſchweigendes Geſtaͤndniß u. ſ. w.

Ob ich gleich geſtehen muß, fuhr er fort, daß die Auferſtehung Jeſu ſehr glaubwuͤrdig iſt, ſo iſt es mir doch bedenklich, daß Jeſus nach ſeiner Auferſtehung ſich ſeinen Feinden nicht gezeigt hat. Man hat dieſenZwei -97Zweifel, antwortete ich, wenn es anders ein Zweifel iſt, auf mancherley Art gehoben. Was mich daruͤber beru - higt hat, iſt folgendes. Die Feinde Jeſu, die ſeine Wunder zum Theil mit eignen Augen geſehen hatten, und alſo unmoͤglich betrogen werden konnten, gaben ſie vor und nach ſeinem Tode fuͤr Wuͤrkungen des Teufels aus. Sie wuͤrden alſo gewiß, wenn er ihnen nach ſei - nem Tode lebendig erſchienen waͤre, uͤber dieſe Erſchei - nung eben ſo geurtheilt haben, und dadurch nicht uͤber - zeugt worden ſeyn. Sie erwarteten in ihrem Meſſias einen maͤchtigen ſiegreichen Held, der ihr verfallenes Reich wieder herſtellen ſollte. Deswegen war ihnen Chriſtus in ſeiner niedrigen Geſtalt ſo verhaſſt, daß die ſtaͤrkſten Beweiſe, die von ſeiner goͤttlichen Sendung gegeben werden konnten, keinen Eindruck auf ſie machten. Es waͤre alſo ganz vergeblich geweſen, wenn Chriſtus ihnen erſchienen waͤre.

Er war mit dieſer Aufloͤſung ſeines Zweifels zu - frieden, und erklaͤrte ſich, daß er gegen die Wahrheit der Auferſtehung Jeſu nichts weiter einzuwenden wiſſe. Halten Sie dieſe Begebenheit fuͤr wahr, ſetzte ich hier - auf hinzu, ſo muͤſſen Sie auch zugeben, daß Jeſus ſich hinlaͤnglich als einen goͤttlichen Geſandten legitimirt habe. Sie ſind folglich allem, was er ſagt, Jhren Glauben ſchuldig. Alſo iſt auch das wahr, daß Sie durch ſeine Veranſtaltung mit Gott verſoͤhnt ſind, wenn Sie ſich nur darauf verlaſſen, und, ſo lange Sie noch leben, ſich ernſtlich bemuͤhen nach ſeiner Moral zu handeln. Jch will es Jhnen aber doch noch nicht zumuhten die Lehre von der Verſoͤhnung der Menſchen durch Chriſtum ohne weitere Unterſuchung anzunehmen. Jch will Jh[ne] n zuvor zeigen, was das eigentlich nach dem Sinne der Bibel heiße: Chriſtus hat uns erloͤſet. Und dann wol - len wir uͤberlegen, ob die Vernunft mit Recht etwasGgegen98gegen dieſe Lehre einwenden koͤnne. Das wollen wir in unſern naͤchſten Unterredungen thun.

Jch ermahnte ihn nun zum Gebet, und er ver - ſicherte mich, daß er itzt ſchon oft bete. Aber, ſetzte ich hinzu, beten Sie nun nicht mehr bloß zu Gott, als zu Jhrem Schoͤpfer, dem Weſen aller Weſen, dem Unend - lichen, ſondern als zu Jhrem Vater, der die Liebe iſt, der ſich Jhrer erbarmen und alle Strafen Jhrer Suͤnden von Jhnen abwenden will, der ſie einladet, durch den Glauben an Chriſtum an ſeinen Begnadigungen Theil zu nehmen.

Jch hielt mich noch eine Zeitlang bey ihm auf, und er klagte mir wieder ſeine Beſorgniß, ob auch ſeine Reue aufrichtig ſey. Wenigſtens, ſagte er, iſt ſie nicht immer gleich ſtark, ſie iſt auch uͤber gewiſſe Handlungen und in Beziehung auf gewiſſe Perſonen ernſtlicher. Jch fand ihn auch wuͤrklich heute weniger betruͤbt, als ſonſt, vielleicht weil er nun ſchon ſah, wo er Troſt und Beru - higung finden wuͤrde. Jch antwortete ihm, es ſey nach der Natur der Seele unmoͤglich, einerley Empfindung immer in gleicher Staͤrke zu haben, auch faͤnde ich es ſehr natuͤrlich und den Forderungen der Menſchlichkeit gemaͤß, daß er uͤber das Ungluͤck, welches er den Per - ſonen, die er mir genannt haͤtte, ſeinen Eltern, ſeinen Bruͤdern, dem Grafen Brandt, zugezogen, in einem hoͤhern Grade betruͤbt ſey. Die Aufrichtigkeit ſeiner Reue zu pruͤfen, habe er darauf zu ſehen, ob er noch ein Wohlgefallen an ſeinen ehemaligen Suͤnden habe, oder ob er ſie von Herzen verabſcheue. Er dachte einige Zeit nach, und gab mir dieſe Antwort: Jch weiß nicht gewiß, wenn ich wieder in die Welt kaͤme, ob ich nicht durch Jrrthum und Begierde moͤchte hingeriſſen werden. So wie ich mich aber itzt finde, ſo verabſcheue ich meineAus -99 Ausſchweifungen, auch die, welche mir am meiſten Freude gemacht haben, und glaube wenigſtens, daß, wenn ich auch Gelegenheit dazu haͤtte, ich ſie nicht wie - der begehen wuͤrde. So ſeyn Sie denn nur zufrieden mit Jhrer Reue, und bemuͤhen ſich, dieſe Geſinnungen beyzubehalten, und ſich gewoͤhnlich zu machen. Aber huͤten Sie ſich auch vor jeder Suͤnde, Herr Graf, be - ſonders vor denen, zu denen Sie ſelbſt von Jhren gegen - waͤrtigen Umſtaͤnden gereizt werden koͤnnten. Keine vor - ſetzliche Uebertretung duͤrfen Sie ſich erlauben, wenn Sie von Gott begnadigt zu werden wuͤnſchen, keine Un - wahrheit vor Jhren Richtern, keine Ausfluͤchte, keine unzulaͤngliche Entſchuldigung, keine Verheelung der Wahrheit. Sie merken wohl, Herr Graf, worauf ich ziele. Jch weiß, antwortete er, daß ich durch ein auf - richtiges Geſtaͤndniß in der Meynung rechtſchaffener Leute von mir gewinne. Jch bin uͤberzeugt, daß alle meine Seeligkeit, die ich noch zu erlangen hoffe, ver - lohren gehen wuͤrde, wenn ich die Wahrheit zu verbergen ſuchte. Jch glaube ſogar nach der chriſtlichen Moral, daß eine Luͤge, die ich in guter Abſicht, ſelbſt um das Chriſtenthum und die Tugend zu befoͤrdern, fuͤr Wahr - heit ausgaͤbe, vor Gott ſtrafbar ſeyn wuͤrde. Verlaſſen Sie ſich alſo darauf, daß ich ohne Zuruͤckhaltung alles geſtehen werde, woruͤber ich mich ſchuldig weiß.

Jch glaube zwar gewiß, ſagte er bey einer an - dern Gelegenheit, daß alle Zweifel gegen das Chriſten - thum gehoben werden koͤnnen: aber ich kann Jhnen doch nicht ſagen, wie ſehr ich mich vor den meinigen fuͤrchte, auch davor, daß ſie mir Gottes Misfallen zuziehen moͤch - ten. Wuͤrde Gottes Gnade es nicht uͤberſehen, fragte ich ihn, wenn in mir ploͤtzlich boͤſe Gedanken oder Be - gierden aufwallten, die ich aber verabſcheute, denen ich nicht Folgen leiſtete, die ich gleich wieder unterdruͤckte? G 2Eben100Eben ſo wird Gott Jhnen die Zweifel gegen die Wahr - heit nicht zurechnen, die Jhnen wider Jhren Willen ein - fallen, und an denen Sie kein Wohlgefallen haben. Seyn Sie nur aufrichtig gegen die Wahrheit, ſuchen Sie nur nach ihrer Anleitung gut zu werden und gut zu handeln. Sie werden ſehen, Jhre Zweifel werden mit jedem Tage abnehmen und ſchwaͤcher werden. Jch gebe mir auch ſelbſt Muͤhe, ſetzte er hinzu, meine Zweifel auf - zuloͤſen. Jch ſtelle mir z. Ex. die Gottheit Chriſti, die mir immer ſehr anſtoͤßig geweſen iſt, itzt ſo vor: Gott mußte zu Menſchen durch einen Menſchen reden. Dieſer Menſch war Chriſtus, und den belebte er durch ſich ſelbſt u. ſ. w. Laſſen Sie uns nur die rechte Zeit abwarten, Herr Graf, da wir von dieſer Sache reden koͤnnen, ſo hoffe ich, werden wir einig daruͤber werden, daß die Gottheit Chriſti nichts widerſprechendes iſt.

Als ich Abſchied von ihm nahm, ſagte er zn mir: Jch ſehe, wie ſehr Sie ſich fuͤr mein Heil interes - ſiren, daß Sie mich lieben, und als ein redlicher Freund mein Beſtes ſuchen. Jch halte Sie auch fuͤr meinen einzigen Freund in der Welt. Wann kann ich Sie nun wieder erwarten? Jch ſehne mich nach Jhnen, wenn Sie nicht hier ſind. Uebermorgen komme ich gewiß, Herr Graf! So wie aber die Entſcheidung Jhres Schick - ſals naͤher herbeyruͤckt, werde ich Sie fleißiger beſuchen und laͤnger bey Jhnen bleiben. Er ſah mich freundlich an, und ſagte: Wenn Sie nur nicht krank werden! Jch gab ihm heute Bonnetſ philoſophiſche Unterſuchung der Beweiſe des Chriſtenthums.

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Neunte Unterredung, den 18ten Maͤrz.

Das Mittel der Vergebung der Suͤnden, Herr Graf, welches wir nun genauer wollen kennen lernen, hat Jeſus, der Auferſtandene, uns ſelbſt angeprieſen, und das verbindet uns ſchon, es wenigſtens nicht gleich beym erſten Anblick zu verwerfen. Seine Moral iſt ja ſo vortrefflich. Er ſelbſt war ſo ein guter unſtraͤflicher Mann, daß die ganze Geſchichte uns keinen andern zu nennen weiß, der ihm zu vergleichen waͤre. Er war auch ein weiſer verſtaͤndiger Mann, in deſſen Leben man keine Spur von Schwaͤrmerey, Einfalt oder Leichtglaͤu - bigkeit findet. Ueber dieß hat er Wunder gethan, deren Glaubwuͤrdigkeit nicht gelaͤugnet werden kann. Wer Wunder thut, mit dem muß Gott ſeyn. Sollte aber Gott wohl eine Unwahrheit unterſtuͤtzen und befoͤrdern, zumahl in dieſem Falle, da Jeſus ausdruͤcklich ſagte, er thue ſeine Wunder um die Wahrheit ſeiner Lehre dadurch zu beweiſen? Aus dieſem allen ſollen Sie noch weiter nichts ſchließen, als dieſes: daß ein uͤber ſeine Suͤnden bekuͤm - merter Menſch doch gewiß Urſache habe, die Lehre von der Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum kennen zu ler - nen und zu unterſuchen. Wer ſie kennen lernen will, der muß ſie billig aus der Quelle ſchoͤpfen, aus der heiligen Schrift. Und dieſe uͤbergebe ich Jhnen nun Herr Graf, zu Jhrem Gebrauch. Sie ſind darauf zubereitet Sie zu leſen. Forſchen Sie in dieſem Buche, Sie werden ge - wiß das ewige Leben darin finden, und halten Sie ſich, da Jhre Zeit nur kurz iſt, vornehmlich an das neue Teſtament. Doch muͤſſen Sie nicht glauben, daß das alte Teſtament nichts von der Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum wiſſe. Davon will ich Jhnen gleich das Ge - gentheil beweiſen.

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Jch ſchlug ihm nun die Stellen Jeſ. 53, 4-12. und Daniel 9, 24. auf, erklaͤrte ſie ihm, wandte ſie auf Chriſtum an, rechnete ihm vor, wie lange etwa Jeſaias und Daniel vor Chriſto gelebt haͤtten, bewies ihm end - lich, daß ihre Schriften lange vor Chriſto bekannt gewe - ſen, und daß eine Verfaͤlſchung derſelben nach Chriſto, allein ſchon durch die Bemuͤhungen der Maſſorethen unmoͤglich geworden ſey. Nun ſehen Sie, ſetzte ich hinzu, daß das alte und neue Teſtament uͤber den Punct einig ſind, Chriſtus habe die Menſchen erloͤſet. Dieſe Uebereinſtimmung muß Jhnen ſchon wieder eine nicht unbetraͤchtliche Vermuthung von der Wahrheit der Sache geben.

Wenn man argwoͤhniſch ſeyn wollte, ſagte er hierauf, ſo koͤnnte man ſagen: Chriſtus habe ſich uͤber - haupt nach den Weißagungen der Propheten von dem Meſſias zu bilden geſucht, um dieſe große Perſon zu ſpielen. Haͤtte er das gewollt, ſetzte ich hinzu, ſo wuͤrde er ſie wohl nach den Vorurtheilen der Juden geſpielt, und einen irdiſchen Held haben vorſtellen wollen. Aller - dings, antwortete er, er wuͤrde dann ganz andre Mittel gebraucht haben. Ein Betruͤger kann nicht ſo ganz den ehrlichen Mann nachmachen. Ueber dieß kommen in den Propheten Umſtaͤnde des Meſſias vor, die Chriſtus gar nicht in ſeiner Gewalt hatte. Z. Ex. daß das Loos uͤber ſeinen Rock geworfen, und daß er gekreuzigt ward. Je - nes hieng ſowohl als dieſes von zufaͤlligen Umſtaͤnden ab. Waͤren damals nicht die Roͤmer Herren in Jeruſalem geweſen, ſo wuͤrde nicht gekreuzigt ſondern etwa geſteinigt worden ſeyn.

Wir giengen nun folgende Stellen des neuen Teſtamentes mit einander durch. Jch erklaͤrte jeden vor ſich, und zeigte ihm, daß in allen der Satz liege vondem103dem die Rede ſey: Chriſtus hat fuͤr uns gelitten, und uns dadurch von den Strafen der Suͤnde in der Ewigkeit befreyt. Joh. 1, 29. Matth. 20, 28. Matth. 26, 28. Roͤm. 3, 24. Roͤm. 4, 25. Roͤm. 8, 31-34. Col. 1, 14. 1 Tim. 2, 5-6. 1 Tim. 1, 15. 1 Petr. 1, 18. 1 Petr. 3, 18. 1 Joh. 1, 7. 1 Joh. 2, 12. Jch erinnerte zuletzt, daß ich dieſe Stellen noch nicht als Beweiſe angefuͤhrt haͤtte, ſondern nur in der Abſicht aus denſelben den wah - ren bibliſchen Sinn der Lehre von der Verſoͤhnung durch Chriſtum herzuleiten.

Ehe ich nun von Jhnen verlangen kann, ſetzte ich hinzu, daß Sie dieſe Lehre mit voͤlliger Ueberzeugung fuͤr Wahrheit erkennen und alſo an Chriſtum glauben ſollen, iſt es noͤthig, daß wir vorher unterſuchen, ob ſie mit den uns bekannten goͤttlichen Eigenſchaften uͤberein - ſtimme, das iſt, ob ſie von Gott offenbahrt ſeyn koͤnne. Sollten wir durch dieſe Unterſuchung finden, ſie wider - ſpraͤche etwa der Weisheit oder Guͤte Gottes, ſo waͤre ich verbunden ſie fahren zu laſſen, und Sie, ſie nicht anzunehmen. Faͤnden wir ſie aber damit uͤbereinſtim - mend, ſo ſehe ich nicht, wie Sie ſich vor Gott und Jh - rem Gewiſſen rechtfertigen koͤnnten, wenn Sie ſie nicht annehmen wollten. Denn ſie wird durch den Character, die Moral und die Wunder der Hauptperſon beſtaͤtigt, ſie iſt der einzige Troſt, den ein bekuͤmmertes Gewiſſen finden kann, ſie iſt der maͤchtigſte Antrieb zur Rechtſchaf - fenheit und zu aller Tugend. Der Graf geſtand ein, daß wenn in dieſer Lehre kein Widerſpruch gegen irgend eine goͤttliche Eigenſchaft laͤge, ſo koͤnne man nicht anders als ſie fuͤr wahr erkennen.

Zu dieſer Unterſuchung, ob die Lehre von der Verſoͤhnung Gottes wuͤrdig ſey, oder mit ſeinen Eigen - ſchaften uͤbereinſtimme, ſind wir berechtigt und verbunden:G 4aber104aber nicht tauſend unnoͤthige und unbeantwortliche Fra - gen aufzuwerfen. Z. Ex. Warum denn dieſe Art der Verſoͤhnung nothwendig ſey? Warum Gott ſie nicht fruͤher veranſtaltet habe? u. ſ. w. Dieſe Lehre iſt keine Erfindung der Vernunft. Sie haͤtte ohne Offenbahrung in keines Menſchen Verſtand kommen koͤnnen. Die Vernunft kann ſie ſich alſo auch nicht von allen Seiten ins Licht ſetzen, eben ſo wenig als ſie ſie hat erfinden koͤnnen. Alle ſolche Fragen ſind uͤberfluͤſſig und unbe - ſcheiden, wenn einmahl ausgemacht iſt: Gott hat die Sache offenbahrt. Die Vernunft muß dann zufrieden ſeyn, wenn ihr nicht zugemuthet wird, Widerſpruͤche fuͤr Wahrheiten zu erkennen. Den ganzen Zuſammenhang zu durchſchauen iſt ſie zu kurzſichtig. Sie iſt auch gewohnt natuͤrliche Wahrheiten ohne eine ſolche vollkommene Ein - ſicht zu glauben. Und Gott, wenn er ſich deutlich offen - bart, hat das Recht von uns zu fordern, daß wir ihm allenfalls auf ſein Wort glauben ſollen. Solche Fragen, von denen ich rede, ſind vorwitzige Fragen eines Kindes. Der kluge Vater, welcher weiß, daß das Kind die Ant - worten nicht zu faſſen faͤhig iſt, oder aus ihnen Materie zu tauſend andern unnuͤtzen Fragen nehmen wird, ver - weiſet es mit Recht zur Gedult, und verlangt, es ſolle ſich auf ſeine Verſicherung von der Wahrheit der Sache verlaſſen. Der Graf bezeugte auch hier ſeinen voͤlli - gen Beyfall.

Die Lehre von der Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum iſt das weſentliche des chriſtlichen Glaubens. Wer ſie laͤugnet, der kann ein verſtaͤndiger, natuͤrlich guter Menſch ſeyn, aber ein Chriſt iſt er nicht: und ha - ben die Chriſten, als Chriſten, in der Ewigkeit vorzuͤgliche Vortheile zu erwarten, ſo kann er darauf keinen Anſpruch machen. Wer hingegen dieſe Lehre annimmt, nach der Anweiſung derſelben an Jeſum glaubt, und ſeinen Vor -ſchriften105ſchriften gemaͤß handelt, ſo viel er Zeit und Gelegenheit dazu hat, der iſt ein Chriſt, und darf ſich zuverſichtlich die Begnadigung verſprechen, die Gott den Chriſten durch Chriſtum verheißen hat. Daraus folgt, daß wir allenfalls, wenn Jhre Zeit, Herr Graf, zu kurz ſeyn ſollte, andere theoretiſche Lehrſaͤtze des Chriſtenthums unausgemacht laſſen koͤnnen, zumahl ſolche, uͤber die die Chriſten unter einander ſelbſt nicht einig ſind. Nur die - jenigen muͤſſen Sie nothwendig annehmen, die mit der Lehre von der Verſoͤhnung durch Chriſtum ſo genau zu - ſammenhaͤngen, daß Sie aufhoͤren muͤßten dieſe fuͤr wahr zu halten, wenn Sie jene laͤugnen wollten.

Herr Graf, Jhre Seeligkeit liegt mir ſehr am Herzen. Die Gewißheit davon wuͤrde mir mein ganzes Leben herdurch eine beruhigende und aufheiternde Sache ſeyn. Jch bin aber uͤberzeugt, es iſt fuͤr Sie kein Heil als durch Jeſum. Jch bitte Sie alſo aufs angelegent - lichſte, daß Sie nun, da Sie ihm ſchon ſo nahe gekom - men ſind, nicht ablaſſen noch ermuͤden. Eilen Sie, ſo ſehr Sie koͤnnen. Die Wahrheit muß noch Zeit haben ſich in Jhrer Seele zu befeſtigen. Wir muͤſſen auch Zeit zur Uebung des Chriſtenthums uͤbrig behalten. Er verſicherte mich, daß er mir und ſich nicht nur gar keine Schwuͤrigkeiten machen, ſondern vielmehr allen ſeinen Fleiß anwenden wuͤrde, von einer Wahrheit, an der ihm ſo viel gelegen ſeyn muͤße, ſo bald es moͤglich waͤre, uͤber - zeugt zu werden. Er haͤtte ja keinen Troſt als von dieſer Seite zu hoffen; warum er denn nicht begierig ſeyn ſolle deſſelben bald theilhaft zu werden?

Jch fand ihn hier wieder auf einmahl ſehr ge - ruͤhrt, und er klagte mir mit Thraͤnen in den Augen, daß ſeine alte Vorſtellung von dem gaͤnzlichen Aufhoͤren der Exiſtenz nach dem Tode ihm noch zuweilen einfiele, undG 5ihn106ihn beunruhigte. Jch antwortete ihm, es ſey freylich ſehr ſchwer ſolche Jdeen ganz abzulegen, mit denen man ſich aus Liebe zu ſeinen Luͤſten lange und mit Wohlgefallen beſchaͤfftigt haͤtte. Doch hoffe ich gewiß, es wuͤrde ihm gelingen ſich voͤllig von der ſeinigen loszumachen, wenn er nur die entgegengeſetzten Gruͤnde beſtaͤndig vor Augen zu behalten ſuchte. Sollten ihm dieſe ja zuweilen nicht helle und eindringend genug gegenwaͤrtig ſeyn, ſo muͤſſe er ſich nur gleich daran erinnern, in welchem Licht und mit welcher Ueberzeugung er die Ewigkeit in den Schrift - ten, die er daruͤber geleſen, erwieſen gefunden haͤtte. Er fragte mich hier: ob ich denn nie an der Ewigkeit gezweifelt haͤtte. Nein, antwortete ich, ich habe ſie von jeher meiner Natur und meinen Wuͤnſchen gemaͤß gefunden, ich habe fruͤhzeitig ihre Beweiſe kennen gelernt.

Auch dieſes mahl bezeugte er mir ſeinen Kummer daruͤber, daß er befuͤrchte, ſeine Reue moͤchte nicht leben - dig genug ſeyn. Ach! ſetzte er hinzu, moͤchte ich nur recht gewiß von der Rechtſchaffenheit meiner Bekehrung werden! Wie mache ich das? Haben Sie nichts in den Reden Jeſu geleſen, das Jhnen dieſe Frage beant - wortet? Er antwortete: Jeſus ſagt, an ihren Fruͤch - ten ſollt ihr ſie erkennen. Nun, ſo bringen Sie denn Fruͤchte der Beſſerung. Dieſe ſind das einzige Mittel wodurch Sie ſelbſt und andere Menſchen von der Recht - ſchaffenheit Jhrer Bekehrung gewiß werden koͤnnen. Der Allwiſſende, der Herzen und Nieren pruͤft, braucht zwar ſolche Beweiſe nicht um Sie richtig zu beurtheilen, ob er ſie gleich mit Recht fordert. Aber Sie ſelbſt und ich koͤnnen derſelben nicht entbehren. Denken Sie daruͤber nach, was Sie etwa noch gutes thun koͤnnen. Waͤhlen Sie ſich ſolche gute Handlungen, wobey Sie Jhre Ambition, Jhre ehemaligen uͤbertriebenen Vor - ſtellungen von der Unfehlbarkeit Jhrer Einſichten aufopfernmuͤſſen;107muͤſſen; die es beweiſen, daß Sie nun demuͤthig ſind, wodurch boͤſe Eindruͤcke, die Sie bey andern veranlaßt haben, wieder ausgeloͤſcht werden koͤnnen. Finden Sie ſich willig zu ſolchen Entſchließungen, ſo koͤnnen Sie ſehen, daß Jhre Geſinnungen geaͤndert und gebeſſert ſind, und darin beſteht ja die retſchaffene Bekehrung und Sin - nesaͤnderung. Jch will Jhnen gleich einen Vorſchlag thun. Es betruͤbt Sie, daß Sie manche von Jhren ehemaligen Freunden gegen die Religion durch Mitthei - lung Jhrer Grundſaͤtze eingenommen haben. Widerrufen Sie dieſe Grundſaͤtze oͤffentlich. Setzen Sie eine Nach - richt fuͤr die Welt auf, von den Geſinnungen, mit wel - chen Sie zu ſterben gedenken, und von der Art, wie ſie bey Jhnen entſtanden ſind. Dieſer Vorſchlag gefiel ihm. Das will ich thun, ſagte er, ich will daruͤber nachdenken, wie ich einen ſolchen Aufſatz am nuͤtzlichſten einrichten koͤnne.

Endlich wuͤnſchte er ſehr, daß er doch eine leb - hafte Empfindung von dem Troſte der Religion erlangen moͤchte. Er riefe Gott herzlich darum an. Und Gott, antwortete ich, wird Jhr Gebet erhoͤren. Wenn Sie erſt vom Chriſtenthum uͤberzeugt, und ſichs bewußt ſind, daß Sie Jhre Geſinnung, ſo weit es Jhnen moͤglich iſt, nach den Vorſchriften deſſelben gebeſſert haben, ſo wird dieſe Empfindung von ſelbſt folgen. Ueberzeugt, ſagte er hierauf, hoffe ich zu werden. Jch habe ſonſt immer geglaubt, das Chriſtenthum ſey eine Sache, wo - bey man aller Vernunft entſagen muͤſſe. Und nun ſehe ich ſchon, daß nichts vernunftmaͤßiger bewieſen werden kann, als eben das Chriſtenthum. Und das verſpreche ich Jhnen auch, daß ich allen Fleiß anwenden will, meine Geſinnungen nach dem Willen Gottes einzurichten. So werden Sie auch, ſetzte ich hinzu, ruhig werden und den Troſt des Evangelii empfinden. Bey dem allen aberkoͤnnen108koͤnnen Sie doch wohl in den letzten Tagen Jhres Lebens und beym Hingange zum Tode Furcht und Aengſtlichkeit verſpuͤren. Jch ſage Jhnen dieß zum Voraus, damit Sie alsdann nicht glauben moͤgen, es fehle der Religion an Troſt im Tode. Die natuͤrliche Furcht vor dem Tode, die ſchrecklichen Umſtaͤnde des ihrigen, das Bewußtſeyn, daß Sie ſich ihn ſelbſt durch Jhre Vergehungen zugezo - gen haben, wird ſie nicht wegnehmen. Aber in die Èwigkeit werden Sie durch ſie mit Ruhe und Hoffnung hinausblicken lernen.

Er hatte den Bonnet durchgeleſen, und bezeugte ſeine große Zufriedenheit uͤber dieß Buch. Die Bonnet - ſche Hypotheſe zur Erklaͤrung der Wunder hatte ihm be - ſonders wohlgefallen, und viele Zweifel bey ihm auf ein - mahl gehoben. Da ich wußte daß Rouſſeau einer von ſeinen liebſten Schriftſtellern geweſen war, ſo beſorgte ich, die Einwuͤrfe dieſes Verfaſſers gegen die Wunder Chriſti moͤchten ihm etwa wichtig ſcheinen. Jch brachte ihm deswegen des Herrn Claparede Schrift von den Wundern des Evangelii, um ihm zu zeigen, wie ſchwach ſelbſt Roußeaus Einwendungen gegen dieſe Thatſachen ſind. Die Glaubwuͤrdigkeit der Wunder, ſagte ich, unterſteht ſich niemand durch Pruͤfung der Zeugniſſe zu widerlegen, auf welchen ſie beruht. Laͤugnen aber moͤchte man ſie doch gerne, deswegen macht man bald Vernunft - ſchluͤſſe gegen dieſe Thatſachen, bald will man ſie zu Allegorien umſchaffen, bald laͤugnet man, gegen die ausdruͤcklichen Ausſpruͤche Jeſu, der es doch am zuver - laͤſſigſten ſagen konnte, in welcher Abſicht er Wunder that, daß er ſie gethan habe, um die Wahrheit ſeiner Lehre dadurch zu beweiſen. Dieß letztere iſt der Weg, den Roußeau am meiſten betritt. Sie muͤſſen ſelbſt in der Geſchichte Jeſu die Stellen angetroffen haben, wo er ſich zum Beweiſe der Goͤttlichkeit ſeiner Sendung aufſeine109 ſeine Wunder beruft. Urtheilen Sie nun ſelbſt, was in dieſem Stuͤcke von Roußeau zu halten iſt, ob er nicht entweder unredlich zu Werke geht, oder doch wenigſtens gegen Wahrheiten ſchreibt, die er ſich nicht einmahl die Muͤhe gegeben hat, in ihren Quellen zu unterſuchen.

Zehnte Unterredung, den 20ſten Maͤrz.

Jn dieſer Unterredung wollte ich den Grafen zu uͤber - zeugen ſuchen, daß die Vernunft nichts gegruͤndetes gegen die Lehre von der Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum einwenden koͤnne. Jch habe ſelbſt uͤber die Sache, von der wir heute handeln wollen, ſchon nach - gedacht; ſo fieng er unſre Unterredung an. Vielleicht will Gott dadurch, daß er fuͤr die Lehre von der Erloͤſung unſern Glauben fordert, unſre Geſinnungen gegen ſeine Vorſchriften pruͤfen. Und wenn das iſt, ſo ſind wir ſchon aus dieſem Grunde verbunden ſie anzunehmen. Wir ſind freylich verbunden alles zu glauben, wovon wir gewiß ſind, daß es Gott offenbahrt hat. Jch hoffe aber Jhnen heute noch zu zeigen, daß die Lehre von der Verſoͤhnung noch naͤher zu unſrer Vernunft gebracht wer - den kann, in ſo ferne ſie fuͤr die Eigenſchaften Gottes ſo verherrlichend und unſrer Gluͤckſeeligkeit ſo ſehr gemaͤß iſt. Verlangen Sie nur nicht verborgene Rahtſchluͤſſe Gottes einzuſehen, ſondern ſeyn Sie damit zufrieden, uͤberzeugt zu werden, daß Gottes Vollkommenheiten uns durch die Lehre von der Verſoͤhnung der Welt weit verehrungswuͤrdiger werden, als wir ſie ſonſt erkennen wuͤrden, und daß unſer Heil durch ſie augenſcheinlich befoͤrdert wird: ſo wird Jhre Vernunft gewiß befrie - digt ſeyn.

Derjenige wuͤrde gewiß zu viel wagen, der die Lehre von der Verſoͤhnung deswegen fuͤr unvertraͤglich mitden110den Eigenſchaften Gottes halten wollte, weil ihm etwa die Methode Gottes bey dieſer Sache nicht gefiele, oder weil er nach ſeiner eingeſchraͤnckten Einſicht glaubte, Gott haͤtte ſeine Abſicht, uns mit ſich zu verſoͤhnen, auf einem andern bequemern Wege erreichen koͤnnen. Wenn ein Verſtaͤndigerer als ich mich gluͤcklich machen will, und ich ſehe ein, daß der Vorſchlag, den er mir in die - ſer Abſicht thut, ſeiner wuͤrdig und mir vortheilhaft iſt, iſt es dann anſtaͤndig, daß ich ihn mistrauiſch frage: Warum machſt du es ſo, und nicht anders? Wir koͤnnen ja dieſen Weg Gottes nicht ganz uͤberſehen, wir koͤnnen ja nicht wiſſen, wie unumgaͤnglich nothwendig eben dieſe Art der Verſoͤhnung nach den Abſichten Gottes war, und was fuͤr große Wuͤrkungen ſie in dem Plan der goͤtt - lichen Regierung haben ſoll, der aufs Ganze geht. Wir finden auch ſelbſt in der ſichtbaren Welt, in der Schoͤ - pfung und Vorſehung, vieles, das nach unſern Vorſtel - lungen unſchicklig iſt, und wovon doch der Erfolg zeigt, daß es wuͤrdig ſey, von Gott herzuruͤhren. Die Eigen - ſchaften Gottes, die hier in Betrachtung kommen, ſind die Liebe, die Weisheit, die Heiligkeit, die Gerechtig - keit. Die Erloͤſung der Welt iſt eine moraliſche Ope - ration: es kommt alſo hier auf Gottes moraliſche Eigen - ſchaften an.

Jn welch ein ehrwuͤrdiges Licht ſehen Sie die Liebe Gottes durch die Lehre von der Verſoͤhnung geſetzt! Wenn Gott die Menſchen den Folgen ihrer Vergehun - gen huͤlflos uͤberlaſſen haͤtte, ſo haͤtte ihn niemand beſchul - digen koͤnnen, er habe keine Liebe gegen ſeine Geſchoͤpfe. Man haͤtte denken muͤſſen, es gienge nun nicht anders an, die Menſchen haͤtten es ja ſelbſt nicht beſſer haben wollen. Aber nun will Gott die Suͤnder, die ſich ſelbſt ungluͤck - lich gemacht haben, indem ſie feindſeelig gegen ihn und ſeine Abſichten handelten, gleichwohl gluͤcklich machen. Er111Er will es ſo ernſtlich, daß er das, was ihm ſelbſt das theuerſte iſt, die Perſon, welche er ſeinen Sohn nennt, und mit der er durch die innigſte Liebe verbunden iſt, fuͤr die Uebertreter aufopfert. Das Heil, welches er ihnen dadurch zuwenden will, uͤbertrifft alle ihre Erwar - tungen, iſt eine Gluͤckſeeligkeit, deren gleichen nicht in der Welt iſt, und die ewig fortdauren und anwachſen ſoll. Koͤnnen Sie ſich eine goͤttlichere Liebe vorſtellen als dieſe: fuͤr ſeine Feinde giebt Gott ſeinen Sohn dahin, um ſie ewig hoͤchſt gluͤcklich zu machen? Glauben Sie wohl, daß die menſchliche Vernunft, wenn ſie ihre Vorſtellun - gen von der Liebe Gottes aufs hoͤchſte haͤtte treiben wollen, eine ſolche Groͤße derſelben auch nur haͤtte fuͤr moͤglich halten koͤnnen? Sagen Sie mir nun, ob die Lehre von der Verſoͤhnung durch Chriſtum der goͤttlichen Liebe wi - derſpricht, oder ſie vielmehr unendlich verherlicht. Dieſe Vorſtellung machte ſehr viel Eindruck auf den Grafen. Er ward ſo ſehr von Bewunderung und Dank - barkeit durchdrungen, daß er Freudenthraͤnen vergoß. Nimmer, ſagte er, haͤtte die Vernunft es wagen duͤrfen, ſich die Liebe Gottes ſo groß vorzuſtellen, ſie wuͤrde auch nie von ſelbſt auf einen ſolchen Gedanken gerathen ſeyn.

Auch die Weisheit Gottes, fuhr ich fort, wird durch die Lehre von der Verſoͤhnung verherrlicht. Nie zeigt ſich die Weisheit eines Regenten ſichtbarer, als wenn er durch eine ganz einfache Operation alle ſeine Un - terthanen in den Stand ſetzt gluͤcklich zu werden. Eine ſolche Operation Gottes iſt die Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum. Ein einziger leidet die Strafe, und alle werden dadurch von derſelben frey. Wenn etwa Gott den zehnten oder hunderten oder tauſenden Suͤnder beſtraft haͤtte, um die uͤbrigen begnadigen zu koͤnnen, ſo waͤre das ſchon weit einfacher geweſen, als ſie alle zu ſtrafen. Nun aber legt er die Laſt des ganzen menſchlichenGeſchlechts112Geſchlechts auf einen Einzigen, der ſtark genug iſt, ſie zu tragen. Konnte wohl die Veranſtaltung, die Gott machte, einfacher ſeyn? Und ſo einfach ſie iſt, ſo kann doch allen dadurch geholfen werden. Alles, was ein jeder dabey zu thun hat, iſt dieſes, daß er die angebotene Wohlthat annehme, das iſt, an Jeſum glaube, und ſich ſorgfaͤltig vor neuen Suͤnden huͤte. Jenes ſetzt nichts weiter voraus, als Gefuͤhl des Elendes der Suͤnde und Gebrauch der geſunden Vernunft: zu dieſem wuͤrde der Menſch verbunden ſeyn, wenn auch kein Erloͤſer waͤre. Wie einfach, wie billig, wie weiſe ſind auch dieſe Bedingungen! Sagen Sie nicht: die Abſicht Got - tes, daß allen geholfen werden ſoll, wird doch nicht erreicht. Gott kann niemand mit Gewalt zwingen gluͤckſeelig zu werden. Es iſt die eigne Schuld derer, die das Evan - gelium haben, wenn ſie gleichwohl verloren gehen. Die es nicht haben, die verdammt die Schrift auch nicht. Wir koͤnnen nicht wiſſen, auf welche uns verborgene Art ſie durch die Gnade Gottes in Chriſto gleichwohl ſeelig werden koͤnnen. Jch ſchlug ihm hiebey Roͤm. 1, 19. auf, erklaͤrte ihm die Stelle, und zeigte ihm daraus, daß die Heiden nicht deswegen als Suͤnder beſchrieben wuͤrden, die keine Entſchuldigung haͤtten, weil ihnen die Lehre von der Verſoͤhnung unbekannt waͤre, ſondern weil ſie die natuͤrliche Erkenntniß von Gott, die ſie doch haben koͤnnten, vernachlaͤſſigten, und ſich den Begierden und Laſtern uͤberließen. Er begriff es auch, daß die Weisheit Gottes durch die Lehre von der Verſoͤhnung geprieſen werde. Jch hatte dieſe Wendung des Vortra - ges gewaͤhlt, weil ich wußte, daß er das Einfache in der Lebensart, in den Wiſſenſchaften, in den Regierungsfor - men immer fuͤr das Vorzuͤglichſte erklaͤrt hatte.

Jch mußte ihm nun noch zeigen, daß die Lehre von der Verſoͤhnung auch mit der Heiligkeit und GerechtigkeitGottes113Gottes uͤbereinſtimme. Gott iſt heilig, ſagte ich hier, weil er einen unuͤberwindlichen Abſcheu an dem morali - ſchen Uebel hat. Finden Sie nun etwas in der Haupt - lehre des Chriſtenthums, das der Heiligkeit Gottes nach - theilig iſt? Warum machte Gott ſeine große Veranſtal - tung durch Chriſtum? Seine Liebe konnte ſeiner Heiligkeit nicht widerſprechen. Haͤtte er jene an den Suͤndern bewieſen, ohne ſeinen Abſcheu an ihren Suͤnden zu er - klaͤren, ſo haͤtte der Menſch denken koͤnnen, Gott mache ſich nichts daraus, ob man ſuͤndige oder nicht. Und waͤre es dann nicht um unſre Erkenntniß und Ueberzeu - gung von ſeiner Heiligkeit geſchehen geweſen? Nun aber ſehen wir, ſeine Heiligkeit, ſeine Verabſcheuung der Suͤnde, iſt eben ſo groß als ſeine Liebe. Er will den Suͤndern vergeben; er kann es aber nicht, ohne ſie von ſeinem Haß gegen ihre Suͤnde zu uͤberzeugen. Er laͤßt alſo ſeinen Sohn fuͤr ſie ſterben, ehe er ſie begnadigt. Denken Sie nach, ob Sie ſich eine Art erſinnen koͤnnen, wie Gott, ohne die Menſchen ſelbſt zu ſtrafen, ihnen nachdruͤcklicher haͤtte zeigen koͤnnen, wie verhaßt ihm das moraliſche Uebel ſey.

Endlich faͤllt es auch ſehr in die Augen, daß die Gerechtigkeit Gottes nicht allein mit der Lehre der Ver - ſoͤhnung ſehr wohl beſtehe, ſondern auch in unſern Vor - ſtellungen von ihr viel dadurch gewinnen muß. Gerecht mußte ſich Gott gegen die Suͤnder beweiſen; ſeine Guͤte wuͤrde ſonſt nicht zugleich Weisheit, ſie wuͤrde Schwach - heit geweſen ſeyn. Er verzeiht alſo nicht ohne geſtraft zu haben. Nun ſtraft er, aber nur Einen, aber einen ſolchen, der durch die Hoheit ſeiner Natur und ſeines Characters wuͤrdig iſt, das ganze menſchliche Geſchlecht vorzuſtellen. Hier koͤnnte Jhnen nun freylich einfallen, daß dieſer Einzige gleichwohl unſchuldig war. Aber er ward ja auch nicht gezwungen die Strafen der SuͤnderHauf114auf ſich zu nehmen. Er war Gottes beſonderſter Freund, und that es mit Freuden um die liebſte Abſicht Gottes zu befoͤrdern; er war der erſte Menſchenfreund, ward ſelbſt ein Menſch, und that es willig, um ſeine Bruͤder, die er unausſprechlich liebte, gluͤcklich zu machen. Jch erin - nerte ihn hier an denhonnéte criminel des Favart, und er geſtand zu, er habe die Handlung des Sohns, der ſich fuͤr den Vater auf die Galeren bringen ließ, immer ſehr edel gefunden; es koͤnne alſo der Analogie nicht zuwider ſeyn, daß ein Unſchuldiger fuͤr einen oder mehrere Schuldige litte.

Wir betrachteten endlich noch die Lehre von der Verſoͤhnung in Beziehung auf die menſchliche Gluͤckſee - ligkeit. Wir fanden in ihr ein ſehr wuͤrkſames Mittel derſelben. Sie bietet uns das beſte Heil an. Sie weiſet uns an, ſie macht uns geſchickt zum Gebrauch alles deſſen, wodurch uns dieß Heil gewiß gemacht werden kann. Zur Liebe gegen Gott. Denn nichts kan uns ihn liebens - wuͤrdiger machen, als dieſer Gedanke: Er hat uns ſo ſehr geliebt, daß er ſeinen einigen Sohn fuͤr uns dahin gab! Zum Gehorſam gegen ſeine Gebote, die ganz auf unſer Beſtes abzielen. Jch wuͤßte dazu keinen ſtaͤrkern Bewegungsgrund als dieſen: Gott iſt das heiligſte We - ſen, der gerechteſte Richter. Er iſt es ſo ſehr, daß ſelbſt die Verſoͤhnung durch Chriſtum an mir vergeblich iſt, wenn ich nicht meinen moͤglichſten Fleiß anwende, moraliſch gut, das iſt, fromm zu ſeyn. Sie ſehen hieraus, ſetzte ich hinzu, wie ſehr diejenigen dem Chri - ſtenthum Unrecht thun, welche vorgeben, der Glaube an Jeſum befoͤrdere die Suͤnden. Nach dem Sinne der Schrift iſt kein andrer Glaube wahr, als der, welcher Rechtſchaffenheit und Froͤmmigkeit wuͤrkt. Es iſt auch nur unter der Bedingung dem Glauben die Seeligkeit verſprochen, daß er ſolche Fruͤchte bringe, ſo weit derMenſch115Menſch Zeit und Gelegenheit dazu hat. Aus dem Grun - de, Herr Graf, dringe ich auch ſo ſehr darauf, daß Sie noch ſo viel Gutes thun ſollen, als Sie koͤnnen.

Jch ſehe nun nichts mehr, was Sie hindern koͤnnte ein Chriſt zu werden. Jhre Beduͤrfniß treibt Sie dazu an. Sie ſehen die Ewigkeit ganz nahe vor ſich. Jhr Gewiſſen iſt beſchwert, und fuͤrchtet den Zorn Gottes. Jhre Vernunft weiß Jhnen nicht zu rahten, und das einzige Mittel der Beruhigung und des Troſtes, wornach Sie ſich ſehnen, das in der Welt zu finden iſt, und das viele tauſend verſtaͤndige Leute bewaͤhrt gefunden haben, iſt der Glaube an Jeſum. Sie wiſſen, dieſer Jeſus iſt von Gott vollkommen beglaubiget, als ein Ge - ſandter Gottes an die Menſchen. Und Sie ſehen itzt, daß das Mittel, welches er Jhnen anpreiſt, Gottes wuͤr - dig iſt. Sie koͤnnen alſo nun, wenn Sie Jhre Gluͤck - ſeeligkeit lieben, nicht anders, als dieſes Mittel ergreifen, das iſt, an Jeſum glauben. Hoͤren Sie auf, Herr Graf, ein ungluͤcklicher Mann zu ſeyn. Glauben Sie an Jeſum, ſo ſind Jhnen Jhre Suͤnden vergeben, und Jhr Tod wird Jhnen der Eingang in eine gluͤckſeelige Ewigkeit werden.

Nun folgte ein Auftritt, der mir unausſprechlich ruͤhrend war. Nie habe ich eine ſolche Freude empfun - den, nie bin ich mir der Gluͤckſeeligkeit, einen Suͤnder vom Jrrthum ſeines Weges zuruͤckgebracht zu haben, ſo gewiß und mit einer ſolchen zaͤrtlichen Erhebung meines Herzens bewußt geweſen. Jch will dieſer feyerlichen und freudenvollen Stunde nie vergeſſen, nie aufhoͤren Gott dafuͤr zu danken. Jch muͤßte der groͤßeſte Thor ſeyn, ſagte der Graf, wenn ich bey ſo uͤberwiegenden Bewei - ſen, bey einer ſolchen Wohlthaͤtigkeit, das Chriſtenthum nicht mit Freuden annehmen wollte. Es wuͤrkt auch ſoH 2ſehr116ſehr auf mein Herz. Wenn ich die Geſchichte Jeſu leſe, ſo weine ich oft vor Empfindung. Jch gedenke auch ſchon mit Hoffnung an meinen Tod. Jch habe mich mit den fuͤrchterlichen Umſtaͤnden deſſelben bekannt gemacht. Jch weiß nicht, wie mir zu Muthe ſeyn wird, wenn die Stunde kommt. Jtzt bin ich nicht unruhig daruͤber, und finde nichts mehr, das mich an das Leben binde. Jch will die Hoffnung der Vergebung meiner Verge - hungen getroſt auf Chriſtum gruͤnden. Und Jhnen, wehrteſter Freund, danke ich von Herzen, daß Sie mich ſo weit gebracht haben. Jch umarmte ihn, ver - mahnte ihn Gott dafuͤr zu danken, und wir beteten mit einander.

Jch wollte ihn nun verlaſſen, aber er wuͤnſchte, daß ich noch eine halbe Stunde bey ihm bleiben moͤchte. Folgendes iſt das merkwuͤrdigſte von dem, was wir noch mit einander redeten.

Wir waren einig darin, daß die bloße Vernunft die Lehre von der Verſoͤhnung nicht haͤtte erfinden koͤnnen. Auch die feurigſte Einbildungskraft, ſetzte ich hinzu, wuͤrde es nicht haben wagen koͤnnen, ſich vorzuſtellen, Gott habe ſeinen Sohn fuͤr die Suͤnder dahingegeben. Schon dieß macht es vermuthlich, daß dieſe Lehre einen hoͤhern Urſprung hat. Und geſetzt, ein Menſch haͤtte ſich das einfallen laſſen, und nun ſeinen Gedanken an - dern mitgetheilt, was meynen Sie, wuͤrde er den Bey - fall und Glauben gefunden haben, den die Apoſtel doch wuͤrklich fanden? Nein, antwortete er, man wuͤrde dieſen Gedanken fuͤr den ausſchweifendeſten gehalten haben, den jemals ein Menſch gehabt haͤtte, er wuͤrde mit ſeinem Erfinder wieder verlohren gegangen und vergeſſen worden ſeyn.

Jch117

Jch habe an dem Grafen Struenſee ein merk - wuͤrdiges Exempel geſehen, wie ſehr ſchwer es iſt, ſich von falſchen Meynungen loszumachen, die man aus Liebe zur Suͤnde angenommen und lange mit Wohlgefal - len ernaͤhrt hat. Er war nun nicht allein von der Falſch - heit ſeines ehemaligen Grundſatzes, daß auf dieſes Leben kein anderes folge, voͤllig uͤberzeugt; er hatte das Chri - ſtenthum, welches ganz auf der Erwartung einer Ewig - keit gegruͤndet iſt, nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſeiner Be - weiſe feyerlich angenommen; er haßte ſeinen vorigen Gedanken, als die Quelle alles ſeines Ungluͤcks, und hatte keinen Troſt und keine Hoffnung als in der Erwar - tung einer beſſern Zukunft: gleichwohl verfolgte ihn die Jdee, es iſt vielleicht keine Ewigkeit, noch immer, und verließ ihn erſt ganz einige Tage vor ſeinem Tode. Jch wuͤnſchte, daß ſein Beyſpiel diejenigen warnen moͤchte, die ſo ſehr geneigt ſind, jede noch ſo ungereimte Mey - nung mit Freuden anzunehmen, wenn ſie nur ihren Luͤ - ſten ſchmeichelt. Es koͤmmt mir noch zuweilen in den Sinn, ſagte er mit Unwillen und Bekuͤmmerniß, wie, wenn deine alte Jdee von der gaͤnzlichen Aufhoͤren unſrer Exiſtenz nach dem Tode doch noch wahr waͤre? Mein Troſt dabey iſt, daß ich mit Schrecken daran denke, daß ich mir allemahl zugleich dieſer Empfindung bewußt bin: es waͤre doch ewig Schade, wenn alle meine Wuͤn - ſche und Hoffnungen vergeblich ſeyn ſollten! Jch zittre, wenn mir der unſeelige Gedanke einfaͤllt, und bewaffne mich ſogleich gegen ihn durch die Erinnerung an ſo viele uͤberzeugende Gruͤnde, die ich nun fuͤr das Chriſtenthum und alſo auch fuͤr die Ewigkeit weiß. Jch bin feſt ent - ſchloſſen, die Regel, nach der ich mir ſonſt vorgenom - men hatte mich zu verhalten, wenn ich einmahl ſterben ſollte, nach meiner itzigen Ueberzeugung zu beſtimmen und zu befolgen. Mein Vorſatz war nemlich dieſer, bey der Annaͤherung des Todes ſo zu denken: Du haſt jaH 3deine118deine Jdee, daß mit dieſem Leben alles zu Ende ſey, gepruͤft und wahr befunden. Du ſollſt dich alſo, wenn du einmahl ſterben ſollſt, durch nichts irre machen laſſen, ſondern in dem Vertrauen ſterben, daß Gott, wenn du ja geirret haben ſollteſt, ein guͤtiges Weſen ſey. Nun ſehe ich ein, daß ich mir damals von der Guͤte Gottes unwuͤrdige Begriffe gemacht habe. Jch habe nun das Chriſtenthum viel gruͤndlicher unterſucht, als vorhin mein altes Syſtem, und bin von der Wahrheit deſſelben durch dieſe Unterſuchung uͤberzeugt worden. Jch will alſo nun feſt dabey bleiben, und mich weder durch meine alten Jdeen noch durch neue Zweifel, die mir etwa noch einfallen moͤchten, wenn ſie auch unaufloͤslich ſeyn ſollten, wankend machen laſſen. Wenn mir jemand unbeantwort - liche Einwuͤrfe gegen die Erfahrung machte, daß auf den ordentlichen Gebrauch der China das Fieber ausbleibt, ſo wuͤrde ich mich ja daran nicht kehren.

Jn der Bibel, ſagte er auch, laͤſe er fleißig, ſeit dem ich ſie ihm gegeben haͤtte. Er moͤchte aber wohl wiſſen, aus was fuͤr Gruͤnden man gewiß waͤre, daß die bibliſchen Buͤcher wuͤrklich von den Verfaſſern waͤren, denen man ſie beylegte. Jch hatte eben in der Abſicht, ihn mit dieſen Gruͤnden bekannt zu machen, des Herrn D. Leß Buch von der Wahrheit der chriſtlichen Religion fuͤr ihn mit gebracht. Jch bat ihn daſſelbe zu leſen. Er wuͤrde dadurch uͤberzeugt werden, daß man nicht ohne hinlaͤnglichen hiſtoriſchen Beweis, und ein anderer Be - weis koͤnnte nach der Natur der Sache nicht davon gefuͤhrt werden, die Buͤcher des neuen Teſtaments fuͤr Schriften der Evangeliſten und Apoſtel hielte, denen ſie zugeſchrie - ben wuͤrden; zugleich wuͤrde er auch durch Huͤlfe dieſes Buchs Gelegenheit haben, die uͤbrigen Beweiſe des Chriſtenthums noch einmahl durchzugehen, auch ſie wohl hin und wieder noch verſtaͤrkt finden. Hat manauch,119 auch, fragte er, hinlaͤngliche Beweiſe fuͤr die Avthenti - citaͤt der Buͤcher des alten Teſtaments? Doch, ſetzte er hinzu, darnach brauche ich nicht zu fragen. Jſt das neue Teſtament wahr, ſo muß es das alte auch ſeyn. Jch bete nun oft zu Gott um Erleuchtung und Befeſti - gung in der Wahrheit, und ich bin gewiß, er wird mein Gebet erhoͤren und meine Bemuͤhungen ſegnen.

Eilfte Unterredung, den 22ſten Maͤrz.

Jch wußte, daß der Graf nun eine Zeitlang durch Ge - ſchaͤffte, die ſeine ehemalige Situation und ſeinen Proceß angiengen, ſehr zerſtreut werden wuͤrde. Jch beſchloß deswegen erſt eine ruhigere Zeit fuͤr ihn abzu - warten, ehe ich zu den uͤbrigen Hauptlehren des Chri - ſtenthums in der Ordnung fortgienge, die ich mir vorge - ſchrieben hatte. Die noͤthige Zeit, ſahe ich, wuͤrde uns nicht mangeln, und es konnte ihm auch nuͤtzlich ſeyn, etwas auf dem Wege, auf welchem wir bis hieher ſo gluͤcklich fortgegangen waren, ſtille zu ſtehen, und ſich an alles wieder zu erinnern, was er auf demſelben beſſern - des fuͤr ſeinen Verſtand und fuͤr ſein Herz gefunden hatte. Unterdeſſen beſuchte ich ihn doch faſt taͤglich, theils um ihn zu beobachten, und aus ſeinem Reden und Verhal - ten zu ſchließen, wie Gnade und Wahrheit bey ihm wuͤrkten; theils, nach der Veranlaſſung, die ich finden wuͤrde, an der Befoͤrderung meiner Abſicht bey ihm un - vermerkt fortzuarbeiten.

Er beſchaͤfftigte ſich, als ich zu ihm kam, mit dem Leßiſchen Buche, welches ich ihm das letzte mahl gebracht hatte. Es waͤre doch bedenklich, ſagte er, daß aus dem erſten Jahrhundert ſo wenige Zeugniſſe fuͤr die Avthenticitaͤt der neuteſtamentlichen Buͤcher vorhanden waͤren. Doch, ſetzte er hinzu, erinnere ich das garH 4nicht,120nicht, als wenn es mich zweifelhaft oder unruhig machte. Wenn ich nicht ſehr irre, antwortete ich ihm, ſo muͤſſen Sie im Leſen ſelbſt ſehr natuͤrliche und beruhigende Urſa - chen von der Seltenheit dieſer Zeugniſſe bemerkt haben. Sie werden ſie ſich auch ſelbſt erklaͤren koͤnnen, wenn Sie nur bedenken wollen, daß die Buͤcher des neuen Teſtaments nahe an der Mitte und groͤßtentheils erſt in der letzten Haͤlfte des erſten Jahrhunderts geſchrieben ſind. Aus dieſer Anmerkung folgt, daß ſie im erſten Seculo noch nicht in vieler Leute Haͤnden ſeyn konnten, zumahl da ſie großentheils an einzelne Perſonen und Ge - meinen gerichtet waren, die die Originale ohne Zweifel ſorgfaͤltig aufhoben, und vielleicht auch nicht ſogleich Abſchriften an andre mittheilten. Uberdieß haben wir auch aus dem erſten Jahrhunderte wenig Schriftſteller, die fuͤr die Avthenticitaͤt der Buͤcher des neuen Teſta - ments haͤtten Zeugniſſe ablegen koͤnnen, und in denen wir berechtigt ſind ſie zu erwarten. Deſto reicher iſt aber die Erndte derſelben in den naͤchſtfolgenden Zeiten. u. ſ. w.

Aus der kurzen Anzeige der vornehmſten natura - liſtiſchen Schriften, die in dieſem Buche enthalten iſt, ſetzte der Graf hinzu, habe ich geſehen, daß die Ein - wuͤrfe der beruͤhmteſten Widerſacher der Offenbahrung von gar keiner Bedeutung ſind. Nicht allein das, ant - wortete ich, werden ſie geſehen haben, ſondern auch die Unbilligkeit, den Leichtſinn und die Unzuverlaͤſſigkeit dieſer Schriftſteller, die ſo oft den nicht ungegruͤndeten Verdacht gegen ſie erwecken, daß ſie gar nicht willens geweſen ſind, die Wahrheit zu pruͤfen, ſondern nur ſie zu unter - druͤcken. Wie oft ſind ſie nicht aufgefordert worden, wenn ſie ja feindſeelig gegen die Religion handeln woll - ten, ſie in ihren Beweiſen und Gruͤnden anzugreifen! Aber anſtatt ſich darauf einzulaſſen, ob dieß gleich dieeinzige121einzige vernunftmaͤßige Art des Angriffs ſeyn wuͤrde, begnuͤgen ſie ſich damit, hin und wieder einzelne Saͤtze aus dem Zuſammenhange herauszureißen und ſie aus einem falſchen Geſichtspuncte anzuſehen; chronologiſche und geographiſche Schwuͤrigkeiten aufzuſuchen; Ein - wuͤrfe zu machen, die nur etwa das Bekenntniß dieſer oder jener Kirche, ja wohl gar nur einzelner Lehrer, treffen; gewiſſe bibliche Ausſpruͤche, oft nur nach den Ueberſetzungen gefliſſentlich falſch zu erklaͤren; die Lehren der Religion von einer laͤcherlichen Seite vorzuſtellen u. ſ. w. Das alles iſt dem leicht, der Luft dazu hat, und dem es nicht an der Kunſt fehlt, es auf eine einnehmende Art vorzutragen; es macht Aufſehen und findet bey denen Beyfall, deren Herz ſich ſchon wider das Chriſtenthum erklaͤrt hat: aber es beweiſt nichts, ſo lange der Grund deſſelben nicht umgeſtuͤrzt wird. Dieſe Art des Angriffs kommt mir vor, als wenn ſich jemand vorgenommen haͤtte, ein feſtgebautes Haus uͤber den Haufen zu wer - fen, aber nun den Grund und die Verbindung deſſelben unangetaſtet ließe, ſondern nur hin und wieder eine Hand voll Koth an die Mauer wuͤrfe, oder einige Fenſterſchei - ben zerbraͤche, oder mit einem Federmeſſer an einigen Stellen die Farbe abſchabte. Der Bewohner des Hauſes wuͤrde ſich deswegen nicht fuͤrchten, daß es ihm uͤber den Kopf zuſammenfallen moͤchte. Faͤnde er es einmahl der Muͤhe wehrt, ſo ließe er vielleicht die Flecken abwa - ſchen, neue Fenſterſcheiben einſetzen, und den muhtwilli - gen Beſchaͤdiger ſeines Hauſes abſtrafen.

Sie haben Recht, antwortete er, ich finde die Sache ſo wie Sie ſagen, und ich ſchaͤme mich es beken - nen zu muͤſſen, daß ich mich durch ſo nichts bedeutende Einwuͤrfe ſo lange von der Wahrheit habe entfernen laſſen. Nimmermehr haͤtte ich es geglaubt, daß ſo gute Beweiſe fuͤr das Chriſtenthum verhanden waͤren, undH 5daß122daß ſie mich uͤberzeugen wuͤrden. Jch hingegen, ſagte ich, habe es gleich bey unſern erſtern Unterredungen gehofft, daß die Wahrheit uͤber Sie ſiegen wuͤrde, und ich bin dieſes Sieges taͤglich gewiſſer geworden. Wie konnten Sie das? Jch wußte ja was fuͤr Beweiſe das Chriſtenthum hat, und dieſe mußten doch nothwen - dig auf Jhre Vernunft wuͤrken, wenn Sie es nur fuͤr der Muͤhe wehrt hielten ſie zu unterſuchen, und den Eindruck, den ſie auf Sie machen mußten, nicht vorſetzlich wieder ausloͤſchen wollten. Jch merkte gleich, daß Sie die Sache wichtig funden, ich ſah, Sie laſen mit Fleiß und An - wendung auf ſich: nun durfte ich hoffen, und meine Hoffnung durfte zunehmen, ſo wie Sie fortfuhren. Waͤ - ren Sie ſpoͤttiſch, leichtſinnig, oder auch nur traͤge gewe - ſen, ſo haͤtte ich weniger und vielleicht gar keine Hoffnung gehabt, wenigſtens haͤtten wir in ſo kurzer Zeit ſo weit nicht kommen koͤnnen, als wir nun, Gottlob, gekommen ſind. Ja, ſagte er, die Buͤcher haben ſehr viel gethan, beſonders auch Gellerts moraliſche Vorleſungen, und die Jdee, welche ich von der Vernunft und dem Cha - rakter des Mannes hatte, wodurch er ſehr viel Autoritaͤt bey mir bekam.

Moͤchte ich nur noch, ſetzte er mit Bewegung hinzu, die Freude erleben, daß meine Freunde, die durch meine Reden und Beyſpiele von Religion und Tugend entfernt worden ſind, auch von ihrer Verirrung zuruͤck kaͤmen. Beſonders liegt mir in dieſer Abſicht Graf Brandt am Herzen. Jch hoͤre, er ſoll noch immer ſehr leichtſinnig ſeyn. Jch glaube aber, es wuͤrde Eindruck auf ihn machen, wenn er hoͤrte, wie meine Einſichten und Geſinnungen veraͤndert worden ſind. Ob er gleich nicht tugendhafter geweſen ſeyn mag, als ich, ſo hat er doch immer mehr als ich von der Religion geglaubt. Wollen Sie nicht ſo guͤtig ſeyn, und zu ihm gehen, um ihm zuſagen123ſagen, wie Sie mich finden, und ihn in meinem Nah - men bitten, daß er nun endlich ernſthafter werden moͤge? Oder wollen Sie es ihm lieber ſchreiben? Beydes, ant - wortete ich, hat ſeine Schwuͤrigkeiten. Und denen koͤnnten wir ausweichen, wenn Sie ſelbſt dem Geiſtli - chen, der den Grafen Brandt beſucht, dieſen Auftrag geben wollten. Haben Sie dazu Ueberzeugung gnug, und koͤnnen Sie ſich dazu entſchließen? Ja, ſagte er, bringen Sie den Herrn Probſt Hee zu mir. Jch will ihn in Jhrer Gegenwart darum bitten. Jch ſchaͤme mich nicht, das zu bekennen, wovon ich uͤberzeugt bin, und wuͤnſchte, daß ich Gelegenheit haͤtte, es allen meinen Bekannten zu ſagen.

Er ſagte hierin die Wahrheit, denn er fieng um dieſe Zeit an mit den Officiers, die die Wache bey ihm hatten, viel und gerne uͤber Religion und Moralitaͤt zu reden, an ſtatt daß er ſonſt faſt kein Wort mit ihnen geſprochen hatte. Jch erfuhr von dem Herrn Commen - danten, daß er ſeit meinem letzten Beſuche eine lange chriſtliche Unterredung mit einem unter ihnen gehalten habe. Jch erkundigte mich darnach bey dem Grafen ſelbſt. Er erzaͤhlte mir mit einer Art von Freude, er habe einem Officier die Religion und ein tugendhaftes Leben angeprieſen. Dieſer habe ihm geantwortet, daß er zwar gegen die Religion nichts einzuwenden habe, aber ihre Vorſchriften, beſonders die die koͤrperliche Wolluſt betraͤfen, zu erfuͤllen, das ſchiene ihm unmoͤglich zu ſeyn. Er habe ihm hierauf ſein eignes Beyſpiel vor - gehalten, wie ſehr er ſelbſt die Ausſchweifungen fuͤr un - entbehrliche Beduͤrfniſſe gehalten habe, und wie ungluͤck - lich er durch ſie geworden ſey. Leſen Sie den Gellert fleißig, hatte er ihm angerahten, Sie haben Zeit dazu, und werden ſie wenigſtens finden, wenn Sie ſie ſuchen. Er wird Sie uͤberzeugen, wie vortheilhaft es iſt, dieſegeliebten124geliebten Suͤnden zu meiden. Jch gebe Jhnen zu, Sie werden zu kaͤmpfen haben, ehe Sie die Neigung dazu uͤberwinden. Aber Sie ſind ein Officier, Sie muͤſſen auch aus dem Grunde die heroiſchen Tugenden lieben. Je ſtaͤrker die Verſuchung iſt, je mehr Muͤhe es koſtet ſie zu uͤberwinden, deſto angenehmer wird Jhnen auch Jhre Zufriedenheit mit ſich ſelbſt, und deſto groͤßer das Wohl - gefallen Gottes an Jhrer Tugend werden. Jch habe mich bey dieſer Gelegenheit, ſagte er zu mir, an etwas erinnert, das ich im Gellert geleſen habe. Er hat mich uͤberzeugt, daß der Menſch ohne Offenbahrung unmoͤg - lich gut und tugendhaft werden kann. Waͤre ſie nicht, ſo waͤre es am beſten, auf eine feine Art laſterhaft zu ſeyn. Und das dann wuͤrde das Hoͤchſte ſeyn, wohin man es bringen koͤnnte.

Was iſt doch, ſetzte er hinzu, fuͤr ein Unter - ſchied zwiſchen der Tugend, die das Chriſtenthum fordert, und einer in der Welt ſo genannten honneten Auffuͤhrung! Wenn bloße Weltleute, die ſo denken, als ich gedacht habe, meine Handlungen moraliſch beurtheilen ſollten, ich glaube ſie wuͤrden ſie, wie ich ſelbſt gethan habe, fuͤr honnet halten. Sie muͤſſen ſich ja noch itzt in Acht nehmen, antwortete ich, daß Sie uͤber gewiſſe Sachen, die Sie gethan haben, nicht zu gut denken. O, ſagte er hierauf, ich erkenne es ſehr wohl, daß an meinen Handlungen, bey welchen ich gute Abſichten zu haben glaubte, Wolluſt und Ambition doch immer wenigſtens eben ſo viel Antheil gehabt haben, als die Liebe zum Guten. Vor Gott und meinem Gewiſſen kann ich gar nichts darauf rechnen. Jch dachte, wenn ich in meinem vorigen Zaſtande recht gut und loͤblich zu handeln glaubte, gerade ſo, wie der Phariſaͤer im Evangelio. Jch bruͤ - ſtet[e]mich daruͤber, daß ich dieß und jenes Boͤſe doch nicht thaͤte, daß ich nicht waͤre, wie der und der. Aberum125um das Boͤſe, das ich wuͤrklich that, bekuͤmmerte ich mich nicht.

Um dieſe Zeit fieng ich an eine gewiſſe ruhige Heiterkeit an dem Grafen zu bemerken, die mir von ſei - ner ernſtlichen Reue, ſeiner Ueberzeugung, daß ihn Gott um Chriſti willen begnadigen werde, und dem Bewußtſeyn, das er von der Verbeſſerung ſeiner Geſin - nungen haben konnte, eine gute Wuͤrkung zu ſeyn ſchien. Noch ſichtbarer war dieſe ſeine Gemuͤhtsverfaſſung in dem letzten uͤber ihn gehaltenen Verhoͤr ſeinen Richtern geweſen. Dieſe hatten ihn ſeit der Zeit, da ich ihn be - ſucht hatte, nicht geſehen, und konnten alſo dieſe bey ihm vorgegangene Veraͤnderung zuverlaͤſſiger wahrneh - men als ich, der ich ihn in dieſer Zeit ſo oft geſprochen hatte. Einer unter ihnen ſagte mir: er habe ſich in die - ſem Verhoͤr auf eine ſehr gute Art betragen, und bey Gelegenheit ſich mit einer gewiſſen ſichtbaren Freudigkeit auf die Seeligkeit berufen, die er zu erlangen hoffe. Er ſey unter ihnen als unter ſeinen Freunden geweſen, und habe von ſeinen Sachen geſprochen, wie man von ganz gleichguͤltigen Dingen redet. Sie waͤren alle durch ſein Betragen geruͤhrt worden.

Bey dem allen ſchien es mir doch, als wenn er noch irgend ein beſonderes Gefuͤhl von ſeiner Begnadi - gung bey Gott erwartete. Er hatte ſchon mehrmals ſo etwas geſagt, das mich in dieſer Vermuhtung beſtaͤrkte. Es war auch aus der Lehrart, nach der ihm in ſeiner Jugend das Chriſtenthum vorgetragen war, mehr als wahrſcheinlich, daß er wohl ſolche Vorſtellungen haben moͤchte. Suchte ich ihm nun nicht uͤber dieſe Sache ſeine Begriffe zu berichtigen, ſo war von zweyen uͤbeln Erfol - gen einer zu befuͤrchten. Jn dem einen Falle konnte er ſich uͤberreden, daß er ſolche Gefuͤhle wuͤrklich habe,und126und dann war er in Gefahr auf den Abweg der Schwaͤr - merey zu gerathen, der ihn eben nicht nothwendig zum Verderben gefuͤhrt haͤtte, auf dem er aber doch vielleicht traͤge geworden waͤre, in ſeiner ruhigen Unterſuchung des Chriſtenthums fortzufahren, und ſeine Geſinnungen nach den Vorſchriften deſſelben zu beſſern. Ueber dieß mußte bey ſeiner Bekehrung auch nicht der geringſte Schein von Enthuſiaſterey verhanden ſeyn, damit diejenigen, die etwa ihre Urſachen haben moͤchten ſie in Zweifel zu ziehen, daraus nicht einen Grund ihres Zweifels machen koͤnnten. Jm andern Falle konnte er dieß Gefuͤhl lange aͤngſtlich erwarten, und uͤber das Auſſenbleiben deſſelben ohne Noth beunruhigt werden, ja wohl gar an der Wuͤrk - ſamkeit der Religion zweifeln. Jch hielt es aus dieſen Gruͤnden fuͤr meine Pflicht, ihn vor beyden beſorglichen Gefahren in Sicherheit zu ſetzen, und ich hoffe, daß ſelbſt diejenigen, die in dieſer Sache nicht mit mir uͤber - einſtimmend denken, mir die Gerechtigkeit werden wieder - fahren laſſen, zu geſtehen, daß ich nach der Ueberzeu - gung meines Gewiſſens handeln mußte. Jch ſagte ihm daher, daß es mit den Gefuͤhlen im Chriſtenthum eine mißliche Sache ſey, daß ich zwar ihr Daſeyn und ihren Wehrt nicht gaͤnzlich laͤugnen wollte, aber doch im Worte Gottes von ihrer Nothwendigkeit, und von ihrer unfehl - baren Folge auf Buße und Glauben nichts faͤnde. Jch ſchlug ihm hier die vornehmſten Spruͤche in der Bibel auf, aus denen ſie beweiſen will, z. Ex. Roͤm. 8, 16. Roͤm. 15, 13. Phil. 4, 7. und zeigte ihm, daß ſie einer andern und natuͤrlichern Erklaͤrung, die alſo die beſte ſey, faͤhig waͤren. Mir iſt zwar, ſetzte ich hinzu, die Erfahrung frommer Chriſten, die ſolche Empfindun - gen zu haben glauben, immer ſehr ehrwuͤrdig, aber es kann doch moͤglich ſeyn, daß ſie irren, und in der Waͤrme ihrer Andacht Spiele der Einbildungskraft nicht genug - ſam von uͤbernatuͤrlichen Empfindungen unterſcheiden. Das127Das beſte und zuverlaͤſſigſte Gefuͤhl von der Begnadi - gung des Suͤnders iſt ſein Bewußtſeyn, daß er ſeine Suͤnden herzlich bereut habe, und Jeſum fuͤr ſeinen Er - loͤſer erkenne, und die Wahrnehmung, daß er im Guten zunehme und ſeine Geſinnungen und Thaten nach dem Willen Gottes einzurichten ernſtlich bemuͤht ſey. Wer andere Empfindungen fuͤr nothwendig haͤlt, der kann leicht enthuſiaſtiſch werden. Er verſicherte mich hier, daß er die Schwaͤrmerey in der Religion nie habe dulden koͤnnen, und daß ſie eine von den Urſachen ſey, die ihn dem Chriſtenthum ſo abgeneigt gemacht haͤtten. Er erin - nere ſich noch, daß einmahl in der oͤffentlichen Schule, auf welcher er ſeinen Unterricht in der Religion erhalten habe, einige hundert junge Leute fuͤr auf einmahl erleuch - tet und bekehrt ausgegeben worden waͤren, unter denen er doch viele als ſehr unmoraliſch und ſelbſt laſterhaft gewiß gekannt haͤtte. Mit dieſen bekehrten Kindern waͤren damals viele wunderliche Dinge vorgenommen, und er und andere, die nicht zu ihrer Zahl gehoͤrt, waͤren dadurch an der Religion nicht wenig geaͤrgert wor - den. Jch verſprach ihm, damit er die Sache, von der wir redeten, ſelbſt unterſuchen koͤnnte, Spaldings vor - treffliches Buch vom Wehrt der Gefuͤhle im Chriſten - thum mitzubringen.

Zwoͤlfte Unterredung, den 24ſten Maͤrz.

Der Herr Probſt Hee, dem ich des Grafen Verlangen ihn zu ſprechen eroͤffnet hatte, kam nun in meiner Begleitung zu ihm. Der Graf, den es itzt keine Ueber - windung mehr koſtete, die vormaligen Jrrthuͤmer ſeines Verſtandes und Herzens zu geſtehen, erzaͤhlte demſelben umſtaͤndlich, denn das hielt er fuͤr noͤthig zu ſeiner Ab - ſicht, wie er zuerſt die Tugend verlaſſen und darauf ſich auch von der Religion losgeriſſen habe, und auf welchemWege128Wege er nun von ſeiner Verirrung zuruͤckgekommen ſey. Er aͤußerte die Beſorgniß, die er hatte, daß ſein Freund, der Graf Brandt, durch ſeine natuͤrliche Lebhaftigkeit noch an dem Ernſt gehindert werden moͤchte, mit wel - chem er itzt uͤber die Religion und ſeinen Zuſtand billig nachdenken muͤßte. Da der Graf Brandt immer noch mehr von der Wahrheit der Religion geglaubt als er, und auch wohl in ſeinen Unterredungen ihm das zu er - kennen gegeben haͤtte, ſo hoffe er, es ſolle demſelben nicht allein angenehm ſeyn, wenn er hoͤrte, daß er nun zur Ueberzeugung gekommen ſey, ſondern auch auf das Herz ſeines Freundes einen guten Eindruck machen. Er habe ſich zwar ſonſt nicht darauf eingelaſſen, wenn Graf Brandt mit ihm uͤber die Religion habe reden wollen: itzt hielte er es fuͤr ſeine Pflicht ihm ſeine gegenwaͤrtigen Geſinnungen daruͤber bekannt machen zu laſſen. Und das um ſo viel mehr, da er an dem Ungluͤcke deſſelben mit Schuld ſey.

Das Buch des Herrn D. Leß von der Wahrheit der chriſtlichen Religion, war in dieſen letzten Tage die Lectuͤre des Grafen geweſen. Er hatte in demſelben den Beweis vollendet, der aus den Weißagungen Chriſti fuͤr die Goͤttlichkeit ſeiner Sendung gefuͤhrt wird, und laß eben die Betrachtung uͤber die Wunder des Abts Paris. Er konnte es nicht begreifen, warum man in Frankreich uͤber dieſe Sache, die ſo ſehr viel Aufſehen machte, damals keine gerichtliche Unterſuchung anſtellte, und wuͤnſchte, daß dieß itzt noch, da vermuhtlich noch Augen - zeugen vorhanden waͤren, geſchehen moͤchte. Jnzwiſchen ſagte er, waͤre er ſehr geneigt, die ganze Geſchichte, ob man gleich vieles in derſelben aus natuͤrlichen Urſachen ſchwerlich werde zu erklaͤren wiſſen, fuͤr eine Wirkung der Schwaͤrmerey zu halten. Das Betragen des Monge - ron, als er die Sache unterſucht, ſey wuͤrklich enthuſiaſtiſch,und129 und er wiſſe aus eigner Erfahrung, da er einmahl in Altona als Phyſicus eine Convulſionsgeſchichte habe un - terſuchen muͤſſen, was eine ausſchweifende Einbildungs - kraft fuͤr unerwartete und wunderbare Wuͤrkungen haben koͤnne. Er erinnerte ſich auch bey dieſer Gelegenheit des chemnitziſchen Maͤdgens, und hatte die ſemleriſche Schrift davon geleſen. Jch ſetzte hinzu, man moͤchte die Wunder des Abts Paris halten, wofuͤr man wolle, ſo wuͤrden die Wunder Chriſti und der Beweis, der in ihnen fuͤr das Chriſtenthum liege, nichts dabey verlieren. Man brauche nur Chriſti Wunder in Anſehung ihres hiſtoriſchen Beweiſes, ihrer innern Wuͤrde, ihrer Ab - ſichten und Wuͤrkungen gegen jene Erſcheinungen zu hal - ten, ſo wuͤrde es gleich ſichtbar, wie verdaͤchtig dieſe letztern waͤren, und wie wenig ſie zu bedeuten haͤtten.

Solche Dinge, fuhr er fort, ſind nun auch gar nicht mehr faͤhig mich zweifeln zu machen. Den wenn dieſe pariſiſchen Wunder auch wahr waͤren, ſo wuͤrden die Wunder des Evangelii es deswegen nicht weniger bleiben, als ſie es vorher geweſen ſind. Von dieſen iſt die Abſicht deutlich: von jenen ſieht man gar keine. Jch wuͤrde dieſe immer zu der Abſicht brauchen, wozu ſie geſchehen ſind, und mich um jene, von denen ich keine weiß, weiter nicht bekuͤmmern. Jch muß Jhnen aber ſagen, daß mir zuweilen andere Zweifel einfallen, die mir wichtiger zu ſeyn ſcheinen. Doch habe ich mir nun vorgenommen, mich ganz ruhig dabey zu verhalten, und nicht einmahl daruͤber nachzudenken, wie ſie etwa geho - ben werden koͤnnten. Wollte ich mich darauf einlaſſen, ſo ſetzte ich mich in Gefahr in der Hauptſache nie weiter zu kommen, ſo wuͤrde ich immer gleichſam von forn wieder anfangen. Jch habe nun einmahl durch eine ru - hige Unterſuchung die Beweiſe des Chriſtenthums richtig befunden, und das iſt mir genug. Jch braucheJmeine130meine Zeit daſſelbe naͤher kennen zu lernen und auf mich anzuwenden.

Er klagte mir, daß ihm dieſen Morgen, da er im Matthaͤo die Geſchichte der Geburt Jeſu geleſen, viele Laͤſterungen uͤber Maria und ihren Sohn eingefal - len waͤren, die er vordem irgendwo in einem freygeiſteri - ſchen Buche gefunden zu haben glaubte. Wo ich nicht irre, ſo waren es dieſelbigen, die in der bekannten juͤdi - ſchen Laͤſterſchrift ſtehen. Jtzt, ſetzte er hinzu, verachte ich ſolche Dinge. Jm Anfange wuͤrden ſie mich zu ſpoͤt - tiſchen Gedanken uͤber dieſe Geſchichte verleitet, und wenigſtens meinen Fortgang in der Wahrheit aufgehalten haben. Jch ward hier uͤberzeugt, daß ich nicht un - recht gethan, ihm die Bibel nicht eher zu geben, bis er hinlaͤnglich zubereitet war, ſie mit Ehrerbietung gegen die Wahrheiten zu leſen, welche in ihr enthalten ſind.

Jch brachte ihm nach meinen Verſprechen, Spaldings Buch vom Wehrt der Gefuͤhl im Chriſten - thum, erinnerte ihn an die Abſicht, warum ich es ihm gaͤbe, und bat ihn es mit beſtaͤndiger Anwendung auf ſich aufmerkſam zu leſen. Sie werden, ſagte ich, durch dieſes Buch in den Stand geſetzt werden, uͤber ſich ſelbſt richtig zu urtheilen, ob Sie ſich nun fuͤr begnadigt von Gott halten duͤrfen. Sie werden finden, es kommt alles dabey auf die Rechtſchaffenheit des Herzens im Glauben und im Thun an. Die Religion wird Jhnen noch lie - benswuͤrdiger erſcheinen, wenn Sie ſehen werden, wie ſie ſo ganz der Natur unſrer Seele gemaͤß eingerichtet iſt, und keiner Unbegreiflichkeiten, keiner Wuͤrkungen ohne Urſachen, keiner Erſcheinungen bedarf, uͤber die man immer zweifelhaft bleiben muß, ob ſie auch Gott anſtaͤn - dig ſeyn. Das hoffe ich auch, antwortete er. Die Offenbahrung muß ja vernunftmaͤßig ſeyn, da Gott ſiever -131vernuͤnftigen Geſchoͤpfen gegeben hat. Jemehr eine ge - ſunde geſetzte Vernunft ſie pruͤft, je mehr muß ſie gewin - nen. Wenn man nur alles das, was Menſchen in die Religion hineingetragen haben, von den Kanzeln und aus den Lehrbuͤchern wegließe, ſo wuͤrden die Waffen der Freygeiſter faſt alle ſtumpf werden. Jch erinnere mich ſehr lebhaft daran, wie ſehr ich durch manche, ohne Zweifel gut gemeynte Predigten, die ich in H. gehoͤrt, in meinem Unglauben geſtaͤrkt worden bin. Jch fuͤhlte es zu ſehr, daß das nicht lauter von Gott geoffenbahrte Wahrheiten ſeyn koͤnnten, was mir da geſagt ward, ob man es gleich mit der groͤßeſten Zuverſichtlichkeit dafuͤr ausgab. u. ſ. w.

Dreyzehende Unterredung, den 25ſten Maͤrz.

Jch konnte dieſesmahl nur eine kurze Zeit bey dem Grafen bleiben. Jch finde nur folgendes von unſe - rer Unterredung anmerkungswuͤrdig.

Zu ſeinen ehemaligen Einwuͤrfen gegen die Re - ligion, ſagte er, habe auch die Meynung des Boulanger in ſeiner antiquité devoilée gehoͤrt, daß die Furcht der Urſprung aller Religion bey den alten Voͤlkern gewe - ſen ſey. Die Menſchen haͤtten Erdbeben, Feuersbruͤnſte, Ueberſchwemmungen, Krieg, Seuchen, lauter Uebel, die ſie aus ganz natuͤrlichen Urſachen haͤtten erklaͤren ſollen, fuͤr Gerichte der Goͤtter gehalten, und um den Zorn derſelben zu beſaͤnftigen ſich Religionen erdacht. Es waͤre ihm damals vorgekommen, als wenn Boulan - ger das alles ſehr richtig aus der Geſchichte bewieſen haͤtte. Wenn Sie geglaubt haben, antwortete ich ihm, daß Sie ſich auf Bonlangers Treu und Glauben, auf ſeine Kenntniß der Geſchichte, der Alterthuͤmer und der Sprachen verlaſſen duͤrften, ſo haben Sie ſehr UnrechtJ 2gehabt.132gehabt. Dieſer Mann hat ſich in ſeiner antiquité devoilée ſowohl als in ſeinem despotisme oriental wie der groͤßeſte Jdiot und Charlatan zugleich bewieſen. Er giebt ſich ein uͤber alle Maaße großes Anſehen von Gelehrſamkeit und Ehrlichkeit, und betruͤgt dadurch die - jenigen, die ihm nicht auf die Spur kommen koͤnnen. Aber Leute von Einſichten ſagen, daß er mit der groͤße - ſten Unverſchaͤmtheit die ausgemachteſten Falſa behaupte, daß er in den Sprachen, in der Kritik, in der Geſchichte Fehler begehe, die ſelbſt Anfaͤngern in dieſen Kenntniſſen nicht verziehen werden koͤnnten, daß er ſich auf Buͤcher berufe, die er gar nicht kenne, und in denen kein Wort von demjenigen ſtehe, was er daraus beweiſen wolle. Aber ſo machen es dieſe Halbgelehrte, wenn Sie das Chriſtenthum verſchreyen wollen. Sie haͤufen Unwahr - heit auf Unwahrheit, widerſprechen ſich ſelbſt, ſo oft es noͤthig iſt, dichten in die Geſchichte Dinge hinein, die niemals geſchehen ſind, wenn ſie ſie zu ihrer Abſicht brauchen. Mir faͤllt eben ein Exempel ein, das hieher gehoͤrt. Jn dem Evangile du jour ſoll bewieſen wer - den, daß kein Moſes gelebt hat, und daß alſo die ganze alte juͤdiſche Geſchichte eine Fabel iſt. Waͤre Moſes in der Welt geweſen und haͤtte ſo große Dinge gethan, ſo wuͤrde Sanchuniathon, ein phoͤniciſcher Geſchichtſchrei - ber, der in der Nachbarſchaft des Landes wohnte, wo die Geſchichte Moſis ſich zugetragen haben ſoll, ſeiner doch Erwaͤhnung gethan haben. Wir finden aber in den wenigen Fragmenten, die wir noch von dem Phoͤni - cier haben, kein Wort von Moſe. Alſo iſt die Erzaͤhlung der Bibel von ihm nicht wahr, es iſt alles Betrug und Erdichtung. Jn eben dieſem Evangile du jour ſoll Moſi die Ehre genommen werden, daß er der aͤlteſte Schriftſteller ſey. Nun heißt es: Moſes iſt augen - ſcheinlich neuer als Sanchuniathon, denn dieſer hat vor jenem gelebt. Vergleichen Sie nun beydes miteinan -133einander, und ſagen mir uͤberhaupt, wo Sie mehr ge - ſunde Vernunft, Wahrheitsliebe und Redlichkeit gefun - den haben, im Voltaire, Boulanger und ihres gleichen, oder im Jeruſalem, Reimarus, Bonnet, Leß, u. ſ. w. Er antwortete: ſehr viel mehr in den letztern. Voltaire, ſetzte er hinzu, und andere ſolche Schriftſteller, ſind nur durch ihren Witz gefaͤhrlich und einnehmend.

Wenn es nun aber auch wahr waͤre, fuhr ich fort, was Boulanger vorgiebt, daß die Furcht die Mut - ter der Religion bey den alten Voͤlkern geweſen ſey, ſo folgt doch daraus noch nicht, daß die Religion eine leere Einbildung iſt. Konnten gleich jene natuͤrlichen Uebel aus natuͤrlichen Urſachen erklaͤrt werden, ſo konnte ja darum doch ein hoͤchſtes Weſen ſie brauchen, ſein Mis - fallen an dem moraliſchen Uebel zu beweiſen. Und fuͤrch - teten ſich die alten Voͤlker vor dem hoͤchſten Weſen, weil ſie jene Begebenheiten fuͤr Strafgerichte deſſelben hielten, ſo mußten ihnen die erſten Begriffe aller Religion, von dem Daſeyn des hoͤchſten Weſens, von der Suͤndlichkeit der Menſchen, von der Beleidigung des hoͤchſten Weſens durch die Suͤnde, und von der Nothwendigkeit daſſelbe zu verſoͤhnen, doch ſchon zum Voraus bekannt ſeyn. Sie hatten alſo in gewiſſem Verſtande Religion, ehe ſie ſich fuͤrchteten: die Furcht trieb ſie nur an die Religion anzuwenden.

Als ich den Grafen hierauf verlaſſen mußte, ſagte er mir noch, daß er wuͤnſche dem Grafen Brandt ſelbſt von ſeinen itzigen Geſinnungen gegen Religion und Froͤmmigkeit Nachricht geben zu koͤnnen. Er wolle es entweder im Gerichte thun, wenn er etwa noch mit dem - ſelben ſollte confrontirt werden, woran er aber doch zweifle, weil ihre beyderſeitigen Auſſagen mit einander uͤbereinſtimmten: oder er wolle um Erlaubniß bitten, ihnJ 3beſuchen134beſuchen und es ihm in Gegenwart von Zeugen ſagen zu duͤrfen. Wenn ichs ihm ſelbſt ſagte, ſetzte er hinzu, ſo wuͤrde es doch den meiſten Eindruck auf ihn machen, und ſein Zuſtand beunruhigt mich zu ſehr, als daß ich nicht alles moͤgliche zur Verbeſſerung deſſelben beytragen ſollte.

Vierzehende Unterredung, den 26ſten Maͤrz.

Jch wuͤnſchte ſehr, ſagte er bey meiner Ankunft, mit den Geſchaͤfften, die ich itzt habe, und die uns an der ordentlichen Fortſetzung unſrer Unterredungen und mich am Leſen hindern, bald fertig zu ſeyn. Jch weiß, ich habe alle meine Zeit zu den weit wichtigern Angele - genheiten meiner Seele hoch noͤthig. Jch habe aber doch nun den Leß vollendet, und dieſem Buche habe ich viel zu danken. Jch bin dadurch uͤber die hiſtoriſche Glaub - wuͤrdigkeit der Wunder zu noch mehrerer Gewißheit ge - bracht, und weiß mir nun auch die Wahrheit des Chri - ſtenthums aus den Weißagungen Chriſti zu beweiſen. Das Buch iſt mit großer Gruͤndlichkeit geſchrieben. Die Deutſchen thun ſich itzt in ſolchen Schriften recht hervor. Jch ſagte ihm, daß wir noch ein ſolches vortreffliches Original, nemlich des Herrn D. Noͤſſelt Vertheidigung der chriſtlichen Religion haͤtten, welches er auch noch, wenn ihm nicht die Zeit dazu zu kurz wuͤrde, mit großem Nutzen wuͤrde leſen koͤnnen.

Jn den Propheten des alten Teſtaments finde ich viele Weißagungen, fuhr er fort, die nicht Chriſtum, ſondern ganze Voͤlker, auch heidniſche, angehen. Kann man darthun, daß dieſe auch erfuͤllt worden ſind? Von ſehr vielen, antwortete ich, giebt uns die Geſchichte Beweiſe ihrer bewundernswuͤrdigen Erfuͤllung. So z. Ex. verkuͤndigten Jeſaias und Jeremias die EroberungBaby -135Babylons zum Voraus, und zwar mit eben den Um - ſtaͤnden, unter welchen dieſe große Stadt durch den Cyrus eingenommen ward. Und ihre gaͤnzliche Zerſtoͤ - rung, in welcher ſie nun ſeit einer langen Reihe von Jahr - hunderten liegt, iſt der Beſchreibung, die die Propheten davon machen, auch in den kleinſten Umſtaͤnden gemaͤß. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit der Weißagung Ezechiels wider Tyrus. Jch will einen bloßen Fels aus ihr ma - chen, ſagt Gott bey dieſem Propheten, und ein Wehrd im Meer, darauf man die Fiſchgarne ausſpannet. Und die neuern Reiſebeſchreiber erzaͤhlen uns, daß dieß bis auf dieſen Tag erfuͤllt werde. Leſen Sie ferner die Weißagungen Moſis uͤber die Juden, ſo werden Sie ihre Erfuͤllung in den beſondern Schickſalen dieſes Volk, ſeiner Zerſtreuung uͤber den ganzen Erdboden, ſeiner Verachtung und Separation von allen den Voͤlkern, unter denen es zerſtreut iſt, mit Jhren Augen ſehen. Andere Weißagungen koͤnnen in Erfuͤllung gegangen ſeyn, ob man es gleich nicht vollſtaͤndig beweiſen kann, weil etwa die Begebenheiten, die ſie vorherſagten, in der alten Geſchichte, ſo weit wir ſie haben, nicht aufbehalten wor - den ſind. Noch andere werden ohne Zweifel zu ihrer Zeit noch durch den Erfolg wahr befunden werden. Dieß iſt vornemlich von denen zu erwarten, die noch nicht ein - getroffene Schickſale des juͤdiſchen Volks verkuͤndigen. Unſtreitig iſt es wenigſtens, daß Gott dieſe Nation nicht, ohne Abſichten mit ihr zu haben, auf eine ſo wunderbare Art erhalte, und verhindere, daß ſie ſich nicht unter den Voͤlkern verliere, unter denen ſie wohnt und von welchen ſie unterdruͤckt wird.

Die Worte Jeſu, Matth. 13, 13., waren dem Grafen aufgefallen. Jch erklaͤrte ſie ihm in Beziehung auf Jeſ. 6, 9. 10. und befriedigte ihn dadurch. Bey dieſer Gelegenheit bat ich ihn die Evangeliſten in Ver -J 4gleichung136gleichung mit der Geſchichte der drey letzten Lebensjahre Jeſu zu leſen, ſo wuͤrde er ſich ſolche Schwuͤrigkeiten ſelbſt heben koͤnnen. Um ihm das Leſen der Apoſtelge - ſchichte und der apoſtoliſchen Briefe auf gleiche Art zu erleichtern, verſprach ich ihm Benſons Pflanzung der chriſtlichen Kirche und die Lynariſche Umſchreibung.

Die Ruhe und Heiterkeit des Grafen nahm itzt ſo ſehr zu, daß ſie mir bedenklich ward. Jch hielt es deswegen fuͤr noͤthig ihn zu bitten, daß er ſich ja nicht einer gar zu ſchnellen Beruhigung uͤberlaſſen, und bey ſeiner gegruͤndeten Hoffnung zur Begnadigung bey Gott, es nicht vergeſſen moͤchte, wer er vor ſeiner Bekehrung geweſen ſey. Sein vormaliger Leichtſinn koͤnnte ſonſt leicht wieder einige Gewalt uͤber ihn bekommen, er koͤnnte nachlaͤſſig in der Berichtigung ſeiner Geſinnungen nach dem Willen Gottes werden, und ſich dadurch viele Un - ruhe und Angſt auf die letzten Tage ſeines Lebens veran - laſſen. Jch verſichere Sie, antwortete er, daß ich mich noch keinen Augenblik nachgiebig beurtheilt, und nie aufgehoͤrt habe, die ſchmerzlichſte Reue uͤber meinen vorigen Wandel zu empfinden. Jch bin vielmehr uͤber - zeugt, daß ich ſelbſt in der Ewigkeit, ſo gluͤckſeelig ſie auch fuͤr mich werden moͤchte, mit Betruͤbniß und Abſcheu an meine Suͤnden zuruͤck denken werde.

Sagen Sie mir, fragte er bey einer andern Ge - legenheit, wie es zugeht, daß die Medici ſo leicht wider die Religion eingenommen werden? Jch weiß, antwor - tete ich ihm, daß die Religion der Aerzte fuͤr verdaͤchtig gehalten wird, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Es giebt wohl in allen Staͤnden verhaͤltnißmaͤßig gleich viele, die dem Chriſtenthum abgeneigt ſind. Und es muͤſſen, Jhnen ſelbſt mehr große Aerzte bekannt ſeyn, die unſtrei - tig zu den Chriſten gehoͤren, als die von der entgegenſetztenGeſin -137Geſinnung ſind. Boerhave, Stahl, Junker, Hoff - mann, Werlhof, waren alle Chriſten. Meads zur Be - ſtaͤtigung des Chriſtenthums dienende Chriſten werden Sie kennen. Haller hat noch neulich ein Buch fuͤr die Religion geſchrieben, welches ich Jhnen zu leſen geben wuͤrde, wenn es ſchon hier zu haben waͤre. Unſer Berger, welch ein uͤberzeugter frommer Bekenner der Religion iſt er nicht! Auch Zimmermann, ſetzte er hinzu, iſt ein Chriſt. Sie muͤſſen uͤberhaupt nicht denken, daß ich mit dieſem Einfalle etwas ſagen wolle. Eben ſo wenig als damit, daß ich mich erinnere gehoͤrt zu haben, Michaelis und Semlor waͤren Naturaliſten. Wenn ſie das waͤren, Herr Graf, ſo wuͤrden ſie ſich ſchwerlich ſo viel Muͤhe geben das Chriſtenthum zu befoͤrdern und auszubreiten, als ſie wuͤrklich thun. Dieß iſt ohne Zwei - fel eine Beſchuldigung intoleranter Chriſten, welche durch die Dienſte, die dieſe Maͤnner der Religion leiſten, hinlaͤnglich widerlegt wird.

Funfzehende Unterredung, den 27ſten Maͤrz.

Meine Leſer werden ſich aus der vorigen Unterredung erinnern, daß der Graf uͤber die Erfuͤllung der Weißagungen mehr Unterricht zu haben wuͤnſchte. Um ihm dieſen zu verſchaffen brachte ich ihm nun Neutons Abhandlungen uͤber die Weißagungen, die merkwuͤrdig erfuͤllt ſind.

Jch erkenne itzt, ſagte er, wie wichtig die mora - liſche Regel iſt, daß man ſich vor der erſten Suͤnde huͤten muͤſſe. Wenn man das nicht thut, wenn man ſich nur das Wohlgefallen an boͤſen Luͤſten erlaubt, und nicht gleich ihre erſten Aufwallungen unterdruͤckt, ſo hat mans nachher oft gar nicht mehr in ſeiner Gewalt gut und tugendhaft zu handeln. Jch habe es erfahren. MirJ 5ſchien138ſchien das ſehr uͤbertrieben zu ſeyn, was Jeſus ſagt: Wer ein Weib anſieht ihr zu begehren, der hat ſchon die Ehe mit ihr gebrochen. Das Anſehen, dachte ich, wenn es auch mit Begierde verbunden iſt, kann ja nichts boͤſes ſeyn, wenn weiter nichts geſchieht. Aber nun folgte auf die Begierde das Nachdenken uͤber die Mittel ſie zu befriedigen von ſelbſt. Sah ich erſt Mittel, ſo ſchien es mir zu viel gefordert zu ſeyn, daß ich ſie nicht auch anwenden ſollte. Jch wendete ſie an, ich ſaͤttigte meine ausſchweifende Triebe, und nun hatte ich eine ganze Reihe von Suͤnden begangen, die ich alle vermie - den haben wuͤrde, wenn ich vor der erſten Suͤnde, vor dem Wohlgefallen an der boͤſen Luſt und vor ihrer Unter - haltung geflohen waͤre. Nun ſuchte ich mich zu entſchul - digen. Jch kann ja nichts davor, ſagte ich, daß ich ſo viel Temperament, ſo viel Neigung zur Wolluſt habe. Es muß alſo mir wenigſtens nicht unerlaubt ſeyn wolluͤ - ſtig zu leben. Jn ſolchen Vorſtellungen beſtaͤrkte mich dann die wuͤrklich uͤbertriebene Strenge der Sittenlehrer meiner Jugend. Daß Jeſus uns alles unſchaͤdliche erlaube, daß die Moral des Chriſtenthums uns keine unſchuldige Freude verbiete, das ward mir nicht geſagt. Alles ohne Unterſchied, wozu ich Luſt hatte, ward mir zur Suͤnde gemacht. Manſchetten tragen, Puder in die Haare werfen, das ward mit eben ſolcher Ernſtlichkeit fuͤr gottlos erklaͤrt, als offenbahre ſuͤndliche Ausſchweifun - gen. Nun dachte ich: jenes kann doch unmoͤglich Suͤnde ſeyn, und laͤßt ſich auch nicht in der Welt vermeiden, alſo werden dieſes auch unſchuldige und unvermeidliche Dinge ſeyn. Jch weiß, ich ſchloß falſch, aber ich war jung, meine Begierden wuͤteten und meine Anfuͤhrer haͤtten verſtaͤndiger ſeyn ſollen.

Auf eine aͤhnliche Art, ſetzte er hinzu, richten auch diejenigen Lehrer des Chriſtenthums wider ihrenWillen139 Willen vielen Schaden an, die immer auf einen blinden Glauben dringen, und ihren Zuhoͤrern keine Beweiſe von der Autoritaͤt vorlegen, auf die ſie die Wahrheit annehmen ſollen. So habe ich in meiner Jugend immer hoͤren muͤſſen: das muͤßt ihr glauben, denn Gott hats geſagt. Daß aber die Bibel Gottes Wort ſey, das bewies man mir nicht. Jch dachte alſo, meine Lehrer hielten ſie nur davor, weil ihre Lehrer ſie davor gehalten haͤtten. Und dieſe Autoritaͤt hielt ich nicht fuͤr hinlaͤng - lich. Haͤtte man mich doch nur gelehrt, warum ich die Bibel fuͤr Gottes Wort erkennen muͤſſe! Jſt die Offen - bahrung goͤttlich, ſo muß ſie die ſtrengſte Pruͤfung aus - halten koͤnnen, und die haͤlt ſie auch aus, und gewinnt gewiß am meiſten dabey. Eine ſolche Unterſuchung iſt auch dem Willen Chriſti nicht zuwider. Er forderte von Johanne nicht, daß er ihn ohne Pruͤfung fuͤr den Meſſias erkennen ſollte. Er verwies ihn auf ſeine Werke, und uͤberließ es ihm nun ſelbſt daraus zu ſchließen, wer er wohl ſeyn muͤſſe. Wer ſich nur die noͤthige Zeit dazu nimmt, und die Muͤhe des Nachdenkens nicht ſcheut, der wird das Chriſtenthum nicht unterſuchen, ohne davon uͤberzeugt zu werden. Alles haͤngt in demſelben natuͤr - lich und ordentlich zuſammen, und empfielt ſich ſchon dadurch einer jeden nachdenkenden Seele. Jch habe nie in den freygeiſteriſchen Schriften, die ich geleſen habe, ein ſolch zuſammenhaͤngendes Syſtem gefunden, und glaube uͤberhaupt nicht, daß irgend ein ordentliches Lehr - gebaͤude des Unglaubens vorhanden iſt.

Jch habe, ſagte er bey einer andern Gelegenheit, den Chriſten wohl auch einen Vorwurf daraus gemacht, daß ſie auf Belohnungen hoffen, und daraus Bewe - gungsgruͤnde zu einem guten, tugendhaften Leben herneh - men. Jch wußte, daß einige beruͤhmte Philoſophen das fuͤr einen niedrigen Eigennuz hielten. Aber ich ſehe itzt,daß140daß man weder die menſchliche Seele noch das Chriſten - thum recht kennet, wenn man ſo denkt. Liebe zu Gott, ohne alle Beziehung auf uns ſelbſt, iſt eine bloße Jdee. Jch fuͤhle es, daß ich einen Freund, der ſich immer kalt - ſinnig gegen mich bewieſe, in die Laͤnge nicht wuͤrde lie - ben koͤnnen. Und dem hoͤchſten Weſen kann auch eine Liebe nicht misfaͤllig ſeyn, wobey wir auf unſer eignes Beſte ſehen, denn ihm kann unſre Zuneigung nie vortheil - haft werden, ſondern allein uns ſelbſt. Und warum ſoll - ten wir die Belohnungen nicht ſuchen und annehmen wollen, die er ſelbſt uns angeboten und verſprochen hat?

Bey meiner ſo ſtarken Neigung zur koͤrperlichen Wolluſt habe ich mir immer vorgeſtellt, daß die Freuden des Himmels, weil jene nicht mit zu dieſen gehoͤrte, fuͤr mich nicht ſehr viel Reiz haben koͤnnten. Die koͤrper - liche Wolluſt, von der ſie reden, Herr Graf, werden freylich die Seeligen eben ſo wenig empfinden, als ſie ſie begehren werden. Alle diejenigen Vergnuͤgungen, deren Endweck dort nicht mehr noͤthig ſeyn wird, vermuhtlich auch diejenigen Werkzeuge der Sinne, durch welche ſie hier empfunden werden, werden dort aufhoͤren. Dahin gehoͤren z. Ex. die Annehmlichkeiten der Tafel und der Ehe. Sie werden in der Geſchichte Jeſu einen Aus - ſpruch derſelben gefunden haben, der hieher gehoͤrt. Matth. 22, 30. Daß wir aber in der kuͤnftigen Welt gar keine angenehme ſinnliche Empfindungen ſollten erwarten koͤnnen, ſcheint mir nicht wahrſcheinlich zu ſeyn. Wir werden ja einen organiſchen Leib haben, und alſo auch Sinne. Dieſe werden durch die Eindruͤcke aͤußer - licher Gegenſtaͤnde auf eine angenehme Art geruͤhrt wer - den koͤnnen. Sie werden, weil die Materie des Leibes ſehr viel feiner ſeyn wird, als diejenige, woraus itzt unſer Koͤrper gebaut iſt, auch feiner, empfindlicher und ſchaͤrfer ſeyn, alſo auch uns richtigere und genauergetroffe -141getroffene Bilder der ſinnlichen Gegenſtaͤnde darbieten koͤnnen, die wir durch ſie betrachten werden. Und ſchon dieß wird ein großes Vergnuͤgen ſeyn, wie es z. Ex. mir, der ich nicht in die Ferne ſehen kann, etwas ſehr ange - nehmes iſt, durch einen Teleſcop eine entfernte ſchoͤne Gegend als in der Naͤhe zu betrachten. Und endlich, welches das vortheilhafteſte ſeyn wird, wir werden dieſe Vergnuͤgungen nicht misbrauchen, Gott nicht dadurch beleidigen, ihrer nicht uͤberdruͤßig werden u. ſ. w. Viel - leicht wird dort unſer Koͤrper auch neue Sinne haben, von denen wir uns hier keine Vorſtellung machen koͤn - nen. Und uͤberhaupt wird es uns dort an keinem Gute und keiner Freude fehlen, die unſrer dortigen Beſtim - mung und Faͤhigkeit gemaͤß ſeyn werden.

Sechszehende Unterredung, den 28ſten Maͤrz.

Jch habe nun, ſagte der Graf, die Apoſtelgeſchichte geleſen, und die wunderbare Gruͤndung der Kirche daraus kennen gelernet. Es iſt ganz augenſcheinlich, daß eine hoͤhere Hand dieſe Sache befoͤrdert hat, denn wie haͤtte ſie ſonſt durch ſolche Perſonen, als die Apoſtel waren, und bey einem ſolchen Widerſtand, als ihnen auf allen Seiten geleiſtet ward, in ſo kurzer Zeit zu Stande kommen koͤnnen? Eine Sache hat mich aufmerk - ſam gemacht. Jch fand daß Paulus und Petrus ein - mahl nicht recht einig geweſen ſind. Als ich aber auf der andern Seite wieder wahrnahm, wie ſehr ſie in der Hauptſache, von der Auferſtehung Chriſti, von der Buße und dem Glauben, mit einander uͤbereinſtimmten, ſo konnte mich das nicht irre machen. Sie waren ja Men - ſchen und alſo in ihren Meynungen nicht unfehlbar. Bey dieſer Gelegenheit redeten wir von der Jnſpiration der bibliſchen Buͤcher. Jch zeigte ihm, daß jeder der bibli - ſchen Schriftſteller ſeinem eignen Genie gemaͤß rede,und142und daß man zum Exempel in Pauli Briefen eine ganz andre Schreibart, Folge der Gedanken und Methode wahrnehme, als in denen, die wir von Petro oder Jo - hanne haͤtten. Sie haͤtten alſo ſelbſt gedacht, und waͤren von Gott bey der Abfaſſung ihrer Schriften nicht als bloße Maſchinen gebraucht worden. Weil aber die Sachen, die ſie aufgezeichnet haͤtten, von der aͤußerſten Wichtigkeit fuͤr das ganze menſchliche Geſchlecht geweſen waͤren, ſo haͤtte Gott durch ſeinen Einfluß auf ſie, ihnen die richtigſten Vorſtellungen davon mitgetheilt, und ver - hindert, daß ſie nichts falſch gedacht oder vorgetragen, nichts ausgelaſſen haͤtten, was ſeinen Willen von dem Wege zur Seeligkeit betraͤfe und damit in Verbindung ſtuͤnde. Ob ſie ſelbſt es gewußt haͤtten, daß ihre Schriften einmahl die Richtſchnur des Glaubens fuͤr die ganze chriſtliche Welt bis ans Ende der Zeiten wer - den ſollten, das ſey zweifelhaft und kaum glaublich, da ſie ihre Briefe an einzelne Gemeinen und Perſonen geſchrieben, und ſie nach den Beduͤrfniſſen derſelben ein - gerichtet haͤtten. Auch ſey man nicht genoͤthigt zu be - haupten, daß Gott ihnen alles ohne Unterſchied inſpirirt habe, welches in Anſehung der Gruͤße, die ſie an gute Freunde zu beſtellen bitten, der perſoͤnlichen Nachrichten, dee ſie geben, der Commiſſion, die Paulus dem Timo - theus giebt, ihm ſeinen Mantel mitzubringen, nicht geſagt werden koͤnne. u. ſ. w.

Mir faͤllt zuweilen wohl ein, ſagte er unter andern, an meine vorige Situation zu denken. Waͤre es nicht beſſer fuͤr dich, dachte ich heute bey dieſer Gele - genheit, wenn du dich in deiner Hoheit und Wolluſt haͤt - teſt erhalten koͤnnen? Aber als ich es nur ein paar Minu - ten uͤberlegt hatte, ſo fand ich gleich, daß ich itzt ſehr viel gluͤcklicher bin, als ich in meinem groͤßten Gluͤcke war. Jch habe ſelbſt damals meinem Freunde, demGrafen143Grafen Brand, oft geſagt, wenn er glaubte, daß ich es doch viel beſſer als er haͤtte, ich waͤre nichts weniger als gluͤcklich. Sie glauben nicht, was fuͤr unzaͤhlige Dinge mich immer beſchaͤfftigten, die aͤußerlichen Um - ſtaͤnde beunruhigten mich, ich mußte auf Anſtalten zur Sicherheit denken, ich mußte mich zu gleicher Zeit zwin - gen, meine Unruhe mir ſelbſt und andern zu verbergen, den Tag brachte ich unter verdrießlichen Geſchaͤfften und langweiligen Zerſtreuungen zu, zu meinen Arbeiten mußte ich einen Theil der Nacht brauchen. Konnte ich in einer ſolchen Situation gluͤcklich ſeyn? Nun aber bin ich viel heiterer und ruhiger. Jch beſchaͤfftige mich mit der Re - ligion, die mich ſehr intereſſirt und mein einziger Troſt iſt, ich ſehe eine erwuͤnſchte Ausſicht in die Zukunft vor mir, und mein Tod beunruhigt mich nicht ſehr und nicht oft. Jch weiß nicht, wie mir weiter hin ſeyn wird, aber daß weiß ich, daß ich itzt gluͤcklich und ruhig bin, und nicht begehre in meine vorige Lage zuruͤckzukehren.

Er fragte mich noch, ob nicht die Kirche lehre, daß Chriſtus vom heiligen Geiſte gezeugt ſey. Er berief ſich dabey auf die Worte des Engels: Der heilige Geiſt wird uͤber dich kommen. Setzen Sie die folgenden Worte hinzu, antwortete ich: die Kraft des Hoͤchſten wird dich uͤberſchatten, ſo werden Sie ſehen, daß hier von keiner eigentlichen Zeugung die Rede ſey. Es wird nur dieß geſagt: Gott wolle durch ſeinen Geiſt und durch ſeine Allmacht veranſtalten, daß Maria ohne Zu - thun eines Mannes die Mutter des ihr verheißenen Sohns werden koͤnne.

Sieben -144

Siebenzehende Unterredung, den 30ſten Maͤrz.

Jemehr ich, ſagte der Graf, das Chriſtenthum aus der Bibel ſelbſt kennen lerne, deſto mehr werde ich uͤber - zeugt, wie ungerecht die Vorwuͤrfe ſind, die demſelben gemacht werden. So z. Ex. finde ich daß das, was Vol - taire und andere von der Jntoleranz der Chriſten, und von dem Blutvergießen ſagen, welches dadurch veranlaßt worden iſt, auf keine Weiſe der Religion zur Laſt gelegt werden kann. Nein, antwortete ich, ſie predigt die Liebe, die Sanftmuth, ſie will nicht durch aͤußerliche Gewalt, ſondern allein durch die Macht der Wahrheit ſiegen. Aller Zwang, die Menſchen zu ihrer Annehmung zu bringen, iſt ganz ihrem Geiſt und ihrer Natur zuwider. Man ſieht es auch, ſetzte er hinzu, wenn man die Un - menſchlichkeiten, die der Religion beygemeſſen werden, von der rechten Seite betrachtet, daß ſie durch menſchli - che Leidenſchaften, durch Eigennutz und Herſchſucht oder wenigſtens durch Einfalt ſind verurſacht worden, und daß die Religion nur einen Vorwand hat geben muͤſſen. Man braucht nur die Geſchichte der Grauſamkeiten zu leſen, die die Spanier in America veruͤbt haben um da - von uͤberzeugt zu werden.

Er hatte nun den Neuton uͤber die Weißagungen vollendet, und fand es ſehr beweiſend fuͤr die Wahrheit des Chriſtenthums, daß die Erfuͤllung derſelben durch die Geſchichte ſo gut erwieſen werden koͤnnte. Dieß ſey beſonders in die Augen fallend bey denen, welche Baby - lon, Tyrus, Jeruſalem und die itzt noch fortdaurenden Schickſale des juͤdiſchen Volks betraͤfen. Jch muß zwar geſtehen, ſetzte er hinzu, einige Weißagungen ſind mir zu dunkel. So z. Ex. kann ich mich nicht darin finden, was Chriſtus unter den Zeichen am Himmel verſtandenhat,145hat, die um die Zeit der Zerſtoͤrung Jeruſalems geſche - hen ſollten. Aber alles uͤbrige, antwortete ich, wird Jhnen deſto deutlicher geweſen ſeyn, und Sie werden es durch den Erfolg nach allen Umſtaͤnden erfuͤllt gefunden haben? Jch muß geſtehen dieſe Uebereinſtimmung der Begebenheiten mit der Weißagung iſt ſehr entſcheidend fuͤr das Chriſtenthum. Und bleibt es auch, wenn gleich einige Stellen der Weißagung dunkel ſind. Stel - len Sie ſich vor, dieſe dunkeln Ausdruͤcke waͤren in einer unbekannten Sprache oder mit unleſerlichen Buchſtaben geſchrieben, ſo daß man die Worte entweder nicht ver - ſtuͤnde oder auch nicht einmahl herausbringen koͤnnte, wuͤrde man denn wohl Urſache haben deswegen, daß man dieſe Stelle nicht leſen oder verſtehen koͤnnte, die ganze Weißagung fuͤr verdaͤchtig zu halten, vornemlich wenn man wuͤßte, daß ſie allen uͤbrigen Umſtaͤnden nach aufs genaueſte erfuͤllt worden waͤre? Jn Anſehung der noch immer fortdaurenden Zerſtreuung der Juden und ihrer Erhaltung unter derſelben, ſetzte er hinzu, iſt mir zwar eingefallen, daß ich geleſen habe, wie ſich eine gewiſſe Nation in Africa, wo ich nicht irre ſo heißen ſie die Guebern, auf eine aͤhnliche Art in der Zerſtreu - ung erhalte. Aber ihre Zerſtreuung iſt nicht allgemein noch vorher geſagt, wie der Juden ihre, ſie leben nicht unter dem Drucke wie dieſe, und man kann uͤber die Nachrichten von ihnen nicht gewiß ſeyn.

Meine irdiſchen Geſchaͤffte, fuhr er fort, ſind nun alle bis auf einige Geſpraͤche mit meinem Defen - ſor und ein paar Briefe nach, die ich noch ſchreiben will, geendigt. So koͤnnen wir alſo, ſagte ich, in unſern Unterredungen mit Zuſammenhang und Ordnung fortfah - ren. Laſſen Sie uns nun die uͤbrige Zeit gewiſſenhaft auf die Sache Jhrer Seeligkeit verwenden. Das will ich gewiß, antwortete er, ſehr ernſtlich thun. Jch bin,KGottlob,146Gottlob, voͤllig von der Wahrheit des Chriſtenthums uͤberzeugt, und ich empfinde auch bey mir die Kraft deſſel - ben zur Beruhigung meines Gewiſſens und zur Beſſerung meiner Geſinnungen. Jch hoffe die Zweifel, die mir etwa noch einfallen moͤchten, und die leichten Aufwallun - gen der Begierden, von denen ich mich ſonſt ganz habe beherrſchen laſſen, und die mich itzt noch wohl beunru - higen, wird mir Gott verzeihen, da ich an beyden kein Wohlgefallen habe, ſondern mich beſtrebe, ſie ſo gleich zu unterdruͤcken. Jch bin bereit mich zu jeder Aufopfe - rung meiner bisherigen Neigungen durch die That ſelbſt zu verſtehen, die Sie von mir fordern werden. Nim - mermehr wuͤrde ich das ſonſt gethan haben, da ich durch die Religion noch nicht erleuchtet war. Jch weiß nun nicht, ob Sie Urſache finden mit mir zufrieden zu ſeyn. Pruͤfen Sie mich, auf welche Art Sie es fuͤr noͤthig halten, und wenn Sie dann mit mir zufrieden ſind, ſo bitte ich Sie, laſſen Sie ſich dadurch nicht beunruhigen, wenn etwa dieſer oder jener nach ſeinen Einſichten urthei - len ſollte, Sie haͤtten mich zu ſehr durch die Vernunft zu gewinnen geſucht. Jch erkenne es mit Dank vor Gott, daß Sie dieſen Weg mit mir gegangen ſind. Auf keine andere Art wuͤrde bey mir etwas auszurichten geweſen ſeyn, ich wuͤrde mich mit Hartnaͤckigkeit widerſetzt haben, vielleicht waͤre ich in einige Bewegung geſetzt worden, aber eine feſte dauerhafte Ueberzeugung waͤre gewiß nicht zu Stande gekommen. Es kann Gott auch nicht mis - fallen, da die Religion ſo vernunftmaͤßig iſt, daß man die Menſchen durch die Vernunft fuͤr dieſelbige zu gewin - nen ſucht. So machte es Jeſus ſelbſt, und Paulus richtete ſich zu Athen und vor dem Felix und Agrippa nach der Denkungsart der Leute, mit denen er zu thun hatte. Dieſe Art, wie ich zur Aenderung meiner Geſin - nungen in Abſicht auf Religion und Tugend gekommen bin, hoffe ich, ſoll auch andere, die ſo daruͤber denken,als147als ich gedacht habe, aufmerkſam machen. Die Frey - geiſter wollen ja immer den Bekehrungen ihrer Bruͤder zum Chriſtenthum, die in den letzten Tagen ihres Lebens geſchehen, nicht trauen. Sie ſagen, ſie muͤßten durch das Declamiren der Prediger uͤberraſcht worden ſeyn, ſie muͤßten ihre Vernunft verlohren, oder in der Betaͤubung der Krankheit und aus Todesfurcht ſelbſt nicht gewußt haben, was ſie thaͤten. Nun, da ich auf dieſem Wege zum Chriſtenthum gekommen bin, ſoll niemand das von mir ſagen koͤnnen. Jch habe bey voͤlliger Geſundheit des Leibes mit aller Vernunft, die ich habe, das Chri - ſtenthum gepruͤft, ich bin alle Beweiſe durchgegangen, ich empfinde keine Furcht, die mich betaͤuben ſollte, und ich habe mir Zeit genommen und nichts uͤbereilt. Es kommt nun noch zu meiner eigenen Beruhigung alles darauf an, daß ich unterſuche, ob ich die Kennzeichen bey mir finde, die daſeyn muͤſſen, wenn ich mich mit Grunde fuͤr begnadigt von Gott halten will. Dazu, Herr Graf, habe ich Jhnen Spaldings Buch vom Wehrt der Gefuͤhle im Chriſtenthum gegeben. Leſen Sie es um richtige Begriffe von dieſen Kennzeichen der Begnadigung zu erhalten.

Jch uͤbergab ihm noch einen Brief von ſeiner frommen Mutter, den er mit einer zaͤrtlichen und ruhigen Miene annahm, und allein zu leſen verſprach. Nie - mals, ſagte er, habe ich eine ſolche Liebe zu meinen El - tern empfunden als itzt, nie bin ich ſo ſehr davon uͤber - zeugt geweſen, wie gut ſie es immer mit mir gemeynet haben. Und meine gute Mutter! Hier ſtuͤrzten ihm die Thraͤnen aus den Augen. Sie hat mich immer vor - zuͤglich geliebt! Hier iſt dieſer Brief.

K 2Anſtatt148

Anſtatt dich und mich mit unſerm gemeinſchaftlichen Kummer und Schmerzen zu unterhalten, finde mich vielmehr gedrungen, die gegenwaͤrtige uͤberwiegende Empfindung meines Herzens wegen deines jetzigen Zuſtandes dir bekannt zu machen. Seit Jahre und Tage iſt der Jnhalt meines Gebets und Flehns zu dem dreyeinigen Gott dahin gerichtet geweſen, daß er deinen unſterblichen Geiſt von dem ewigen Verderben erretten moͤge, mit Aufopferung meiner ſonſt zaͤrtli - chen Neigung, da ich als Mutter gewuͤnſcht, daß es ihren Kindern nach Seele und Leib wohl ergehen moͤgte. Wenn aber das Heil und die Wohlfahrt deines Geiſtes durch Gott auf keine andere Weiſe zu erreichen ſey, als durch die haͤrteſten und fuͤr den aͤußern Men - ſchen ſchmerzhafteſte Mittel hiebey zu gebrauchen, daß ich dieſem ewigen Erbarmer mit demuͤthigen und ge - laſſenen Gemuͤth ſeinem heiligen und vollkommenen Gottes Willen mich unterwerfen wolle. Aber nim - mer habe deine gegenwaͤrtige betruͤbte Umſtaͤnde ver - muthen koͤnnen. Mein muͤtterliches Herz iſt daruͤber ganz zermalmet, und ich bin wie vermauert. Nur die einzige Zuflucht bey Gott bleibt mir offen. Mein einziger Troſt bey ſo hartem Leiden wird die Errettung deiner Seele ſeyn, und ich werde Gott mit Freuden - thraͤnen danken, wenn ich erfahre, daß der Liebhaber der ſuͤndigen Menſchen auch Gedanken des Friedens noch uͤber dich habe, und deinen Weg zum ewigen Untergang mit Dornen vermacht hat. Jch zweifle nicht, daß der Geiſt Gottes von dieſer ſeeligen Abſicht Gottes, albereits deinem Gemuͤth eine Ueberzeugung wird gegeben haben, wie Gott dich als ſein Eigen - thum nicht ewig verlohren wiſſen wolle. Merke nur ferner auf die zuͤchtigende Gnaden Arbeit des heiligen Geiſtes in deiner Seele. Dieſer wird dir mehr ſagen, und bekannt machen, als eine menſchliche Zunge zuſagen149 ſagen vermoͤgend iſt. Denke, du habeſt es nur mit dem dreyeinigen hoͤchſten Weſen und dir allein in die - ſer Welt zu thun, und entferne daher deine Gedanken von allem was außer dir und in der Welt vorgeht. Wird der Geiſt Gottes in ſeiner vollen Kraft nur erſt Jeſum, den Suͤnder-Freund deinem Herzen recht verklaͤren, und deſſen vollguͤltige Erloͤſung deiner Seele mit Ueberzeugung zueignen koͤnnen, ſo wirſt du bey dieſer uͤberſchwaͤnglichen Erkenntniß alles fuͤr Schade, Koth und Dreck halten, und dein ewiger und unſterb - licher Geiſt wird hier ſchon mehr Ruhe, Troſt und Freude genieſſen, als die Welt in ihrer groͤßten Herlich - keit und Luſt uns nicht geben kann. Dieſe Ueberzeu - gung hat Gott von meiner Jugend an mir in meiner Seele zu theil werden laſſen, daß kein ſchaͤtzbarerer Stand in der Welt iſt, als der wahre Chriſtenſtand, ſowohl in guten als boͤſen Tagen. Und gerne haͤtte ich es geſehen, daß alle meine Kinder dieſen ſo ſeeligen Eindruck auch von Jugend auf von Gott haͤtten in ſich wuͤrken laſſen. Jch bin dabey aber auch gewahr wor - den, daß dieſes ein Werk Gottes und nicht der Men - ſchen ſey. Nun, mein lieber Sohn, was hiebey von Menſchen verſehen, verſaͤumt oder vernachlaͤßiget worden, das wollen wir mit Herzens Reue erkennen, und Gott demuͤthigſt abbitten. Aber durch Verzagen an dem Reichthum ſeiner Barmherzigkeit, welche er in Chriſto Jeſu unſerm Erloͤſer ſo deutlich geoffenbaret, Gottes Willen auch nicht ſchmaͤlern noch verringern, ſondern den wahrhaftigen Zeugnißen der heiligen Schrift einen glaͤubigen Beyfall geben: Alſo hat Gott die in Suͤnde liegende Welt geliebt, daß er ſeinen eingebohrnen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glau - ben nicht verlohren werden ſondern das ewige Leben haben. Es ſind dieſes aber Wahrheiten, die uns die bloße menſchliche Vernunft nicht uͤberzeugend undK 3kraͤftig150kraͤftig aufklaͤren kann, auch hiezu muß die Wuͤrkung des Geiſtes Gottes erbeten und angerufen werden. Er iſt es der Jeſum, und ſein ganzes Verſoͤhnungs - werk uns durch ſein Wort heilſam bekannt machet. Wirſt du nur mit aufrichtiger und redlicher Geſin - nung, in die Unterſuchung dieſer Grundwahrheiten unſrer heiligen Religion, unter Seufzen und Flehen um eroͤfnete Augen deines Verſtaͤndniſſes, dich anhal - tend einlaßen; ſo wirſt du gar bald ein mehr als na - tuͤrliches Licht im Verſtande zur Einſicht und Beſtaͤti - gung dieſer Heils-Lehren in dir aufgehen ſehen. Jch ſchreibe dieſes nach dem geringen Maaß der Erkenntniß, ſo mir Gott aus Gnaden verliehen. Mein Glaube hat, bey aller buchſtaͤblichen Wiſſenſchaft der geoffen - barten Wahrheiten, durch die ſcheinbarſten Einwuͤrfe ebenfals hiedurch arbeiten muͤſſen. Aber gelobt ſey der Herr und ſein Geiſt, der meinen Glauben durch das Wort Gottes, und die ſeelige Erfahrung der darin enthaltenen Wahrheiten, ſo befeſtiget hat, daß denſel - ben die Pforten der Hoͤllen nicht uͤberwaͤltigen werden, ſo lange ich mich nur an den maͤchtigen Gott halten werde, und ich mich nicht ſelbſt von ihm loßreißen will. Und dieſes iſt auch in dem hoͤchſten Leiden der Anker, an welchem ich mich anjezo feſt halte, da ſonſten die Wellen der Truͤbſale das Schiff meines Glaubens gar ſehr herumtreiben wuͤrden. Nun dieſe Grundfeſte des Glaubens wuͤnſche und erflehe ich dir mit inbruͤnſtigem Gebet von Gott. Jeſus Chriſtus iſt und bleibt in Ewigkeit der bewaͤhrte Eckſtein, auf welchem das Gebaͤude unſrer Seeligkeit muß angefan - gen und vollendet werden. Du haſt von Kindheit an einen unverſtellten und aufrichtigen Gemuͤths Character von dir blicken laßen. Laß nun dieſe natuͤrliche Anlage durch den Geiſt Gottes heiligen, auch aufrichtig in deiner Zukehr zu Gott zu Werk zu gehen. Er laͤßt esdem151dem Aufrichtigen gelingen. Wohl dem Menſchen in des Geiſt kein Falſch iſt! Nur lerne dich in deinem Verderben recht fuͤhlen, und komme als ein verfluch - ter Suͤnder, zu dem, der auch fuͤr dich ein Fluch geworden iſt. Dein Vater und ich werden fortfahren fuͤr dich um Erbarmung zu Gott zu ſchreyen, und ich ins beſondere verharre deine ſchmerzlich betruͤbte Mutter. Rendsburg d. 17 Maͤrz 1772.

Der Herr Probſt Hee kam heute wieder zu dem Grafen, und brachte ihm die Nachricht, daß ſich der Graf Brandt ſehr uͤber ſeine Bekehrung erfreue, daß er mit ihm allein in der Religion Troſt ſuche, daß er nie das Gefuͤhl derſelben gaͤnzlich verlohren gehabt habe, und ihm von ganzen Herzen ſeine Schuld an ſeinem Ungluͤcke vergebe. Graf Struenſee antwortete mit vieler Ruͤh - rung, und der Herr Probſt Hee nahm mit einem chriſt - lichen Wunſche von ihm Abſchied.

Achtzehende Unterredung, den 31ſten Maͤrz.

Der Graf Struenſee hatte ſchon, wie meine Leſern ſich erinnern werden, die Lehre von der Verſoͤhnung der Welt duch Chriſtum angenommen, und war alſo ein Chriſt. Er war auch voͤllig geneigt, die uͤbrigen mit dieſer Lehre verbundenen Geheimniſſe der Religion fuͤr goͤttliche Wahrheiten zu erkennen: ich hielt es aber doch fuͤr meine Pflicht ihm die Vernunftmaͤßigkeit und den Nutzen derſelben zu zeigen, damit ihn keine Zweifel dar - uͤber beunruhigen, und er ſie mit deſto gegruͤndeterm Beyfall annehmen moͤchte. Jch machte in dieſer Abſicht zuerſt folgende allgemeine Anmerkungen uͤber die Geheim - niſſe der Religion.

K 4Hat152

Hat es Gott gefallen, ſagte ich, ſich den Men - ſchen durch Jeſum außerordentlich zu offenbahren, ſo muß er entweder die Abſicht gehabt haben, die natuͤrliche Religion aus dem Verfall, in den ſie gerahten war, wieder herzuſtellen, und den Menſchen die Wahrheiten derſelben geſammlet und mit hoͤchſter Autoritaͤt vor Au - gen zu ſtellen, die in tauſend bloß menſchlichen Schriften zerſtreut waren; oder ſein Zweck war dieſer, ihnen andere der Vernunft unbekannte Lehren, deren Erkenntniß ihnen zu ihrem Heile noͤthig war, zu eroͤffnen: oder er wollte auch beydes zugleich.

Die erſte Abſicht war fuͤr die Menſchen ſehr wohlthaͤtig und Gottes wuͤrdig. Die natuͤrliche Erkennt - niß Gottes hatten die Menſchen, das juͤdiſche Volk und allenfalls einige heidniſche Philoſophen ausgenommen, faſt ganz verlohren, und das wenige, was davon uͤbrig blieben war, war doch dem gemeinen Mann, der immer den groͤßten Theil des menſchlichen Geſchlechts aus - macht, unbekannt. Dieſe verlohrnen und gleichwohl ſo noͤthigen Kenntniſſe wieder herzuſtellen, zu ſammlen und nach der Faſſung des großen Haufens bekannt zu machen, das war alſo eine wuͤrdige Abſicht der goͤttlichen Offenbahrung. Aber ſie war nicht die einzige. Denn haͤtte Gott durch Jeſum bloß die natuͤrliche Religion leh - ren wollen, ſo ſcheinen die Veranſtaltungen, die er ge - macht hat, ihm bey dem Menſchen Glauben zu verſchaf - fen, zu groß geweſen zu ſeyn. Jeſus predigte in dieſem Falle allein ſolche Wahrheiten, die die allgemeine Men - ſchenvernunft, ſo bald ſie ſie nur genau anſah, begreiflich und wahr finden mußte. Wozu waͤre es noͤthig geweſen die Lehre Jeſu durch ſo viele Wunder, durch ſeine Auf - erſtehung, durch die Ausgießung des heiligen Geiſtes uͤber die Apoſtel, zu beweiſen?

Gott153

Gott hat alſo neue und der Vernunft unbekannte Wahrheiten durch Jeſum bekannt machen wollen, und ihm zugleich aufgetragen die natuͤrliche Religion zu leh - ren. Beydes hat Jeſus wuͤrklich gethan: alſo hat er es thun ſollen. Nun war eine außerordentliche Beglaubi - gung ſeiner goͤttlichen Sendung, nun waren Wunder noͤthig, um den Menſchen zu zeigen, daß auch die neuen der Vernunft unbegreiflichen Lehren, die Jeſus predigte, von Gott kaͤmen. Sie ſehen hieraus, eine Religion, deren Stifter Wunder thut, muß ihrer Abſicht nach Geheimniſſe enthalten.

Ueber dieß ſind auch die unbegreiflichen Lehren der chriſtlichen Religion lauter ſolche Saͤtze, die uns von der Natur Gottes und von ſeinem Willen unterrichten, wie der ſuͤndige Menſch ſelig werden ſoll, und die uns in beyder Abſicht mehr ſagen, als die Vernunft. So z. Ex. lehrt uns die Vernunft die Einigkeit Gottes. Die Offenbahrung ſetzt hinzu: in dem einigen goͤttlichen We - ſen ſind drey. Die Vernunft ſucht vergeblich ein zuver - laͤſſiges Mittel der Verſoͤhnung mit Gott: die Offenbah - rung lehrt, worin dieß Mittel beſtehe. Duͤrfen wir uns denn wohl daruͤber verwundern, daß dieſe, indem ſie von dem unendlichen, unbegreiflichen Weſen und von ſeinem der Vernunft verborgenen Rahtſchluß redet, uns neue Auſſichten eroͤffnet, deren Ende wir nicht abſehen koͤnnen, oder, welches einerley iſt, daß ſie uns Geheim - niſſe lehrt, und fuͤr ſie unſern Glauben fordert? Wer ſich alſo durch den Anblick der Geheimniſſe von der Reli - gion abſchrecken laͤßt, der beweiſt dadurch, daß er ihre Abſicht und ihren Gegenſtand nicht kennt. Er betraͤgt ſich gegen die Religion ganz anders als gegen menſchliche Wiſſenſchaften. Denn obgleich dieſe weit mehr Geheim - niſſe haben, als das Chriſtenthum, ſo verwirft er ſie deswegen doch nicht. Sie ſelbſt, und dieß geſtund derK 5Graf154Graf zu, muͤſſen tauſend Unbegreiflichkeiten in der Me - dicin, in der Phyſik, in der Chymie angetroffen haben, und es wird Jhnen nie eingefallen ſeyn, dieſe Wiſſen - ſchaften deswegen fuͤr Traͤume und Jrrthuͤmer zu halten.

Hat uns nun Gott, fuhr ich fort, in der chriſt - lichen Religion der Vernunft unbegreifliche Wahrheiten offenbahren wollen, die ihn und ſeinen Willen betreffen, ſo mußte er das durch Zeichen thun, die wir verſtehen konnten, und dieſe Zeichen konnten keine andre als Worte ſeyn. Jn der Sprache der Menſchen aber waren keine Worte vorhanden, mit denen genau die Begriffe verbun - den waren, die er uns mittheilen wollte. Denn wir koͤn - nen ja zur Bezeichnung uns ganz unbekannter Begriffe keine dieſen Begriffen voͤllig anpaſſende Worte haben. Gott mußte alſo, um uns ſeine geheimen Wahrheiten bekannt zu machen, ſolche uns bekannte Worte brauchen, deren Begriffe den uns unbekannten Wahrheiten, die er uns eroͤffnen wollte, unter allen moͤglichen am naͤchſten kamen. Dieſe Worte koͤnnen alſo Nebenbedeutungen haben, ſie koͤnnen etwas zu viel oder zu wenig ſagen, in den Begriffen, die wir mit ihnen verbinden, kann irgend etwas unvollkommenes liegen. Daher duͤrfen wir ihre Bedeutungen nicht in ihrer ganzen Ausdehnung und mit allen ihren Folgen auf die uns durch ſie bekannt gemach - ten geheimen Wahrheiten anwenden: ſondern wir muͤſſen nur ihren naͤchſten und allgemeinen Sinn dazu brauchen, und alles Unvollkommene davon abſondern.

Jch erlaͤuterte dem Grafen dieſe Anmerkung durch ein paar Beyſpiele, durch die er ſie ſehr ins Licht geſetzt fand. Bey dem Verhaͤltniſſe zwiſchen einem Vater und Sohn, ſagte ich, haben wir dieſe Nebenvorſtellungen: der Vater muß vor dem Sohn geweſen ſeyn, er muß ein gewiſſes Alter erreicht haben, ehe er dem Sohn gezeugthat,155hat, er muß mit einer Perſon von dem andern Geſchlecht in Verbindung getreten ſeyn. Wollte nun jemand dieſe Nebenbegriffe und Folgerungen auf den Fall anwenden, wenn die Schrift ſagt, Chriſtus ſey Gottes Sohn, ſo wuͤrde er nicht nur die Sache falſch verſtehen, ſondern auch Widerſpruͤche darin finden. Stellen Sie ſich ferner vor, daß ein Jslaͤnder einem Jndianer das Zufrieren des Meeres bekannt machen wollte. Jn der Sprache des Jndianers iſt kein Wort vorhanden, das dieſe Erſchei - nung genau ausdruͤckt, und der Jslaͤnder muß doch mit ihm in ſeiner Sprache reden. Er muß alſo entferntere Worte und Bilder zu Huͤlfe rufen. Er kann ſich z. Ex. ſo ausdruͤcken: Jn meinem Lande wird zu gewiſſen Jahreszeiten das Meer durch eine Beſchaffenheit, die die Luft alsdann hat, wie dieſer Stein. Nun darf der Jn - dianer wohl denken, daß das Meer in Jſland zu gewiſſen Zeiten Stein ſey, das iſt, ſo hart und feſt wie Stein. Aber er iſt in Gefahr ſich ganz falſche Vorſtellungen von den Wuͤrkungen der Kaͤlte auf das Meer zu machen, wenn er die uͤbrigen Eigenſchaften und allen Gebrauch des Steines auf den vorliegenden Fall anwenden will. Z. Ex. Aus Steinen baut man Haͤuſer, alſo baut ſich der Jslaͤnder aus Waſſer, welches zu Stein worden iſt, Pallaͤſte. Es giebt Steine, die man zur Feuerung brau - chen kann; alſo kocht der Jslaͤnder ſeine Speiſen bey ſolchem verſteinerten Waſſer. u. ſ. w.

Jch bat nun den Grafen dieſe allgemeine An - merkungen uͤber die Geheimniſſe der Religion immer vor Augen zu behalten, da ich ihm dieſe nun einzeln vortra - gen, ihren bibliſchen Sinn erklaͤren, ihre Entfernung von allem Widerſpruch gegen die geſunde Vernunft zeigen, und ihre Wohlthaͤtigkeit entdecken wolle.

Das156

Das erſte dieſer mit der Lehre von der Verſoͤh - nung verbundenen Geheimniſſe iſt dieſe Wahrheit: Chri - ſtus iſt der Sohn Gottes. Die vornehmſten Ausſpruͤche der Bibel, worin uns dieſer Satz bekannt gemacht wird, ſind folgende. Marth. 3, 17. Marc. 9, 7. Joh. 3, 16. Dieſe letzte Stelle zeigt durch die Beſtimmung, einge - bohrner Sohn, daß Chriſtus nicht etwa in dem Verſtande, in welchem die Menſchen, als Geſchoͤpfe Gottes, und beſonders die Glaͤubigen, Gottes Kinder heißen, ſon - dern in einem ganz vorzuͤglichen Sinne Gottes Sohn ſey.

Wenn nun alſo Gott Chriſtum ſeinen Sohn nennt, was ſollen wir dabey denken? Chriſtus hat ſein Weſen von Gott, wie ein Sohn von ſeinem Vater, aber nicht auf die in der Welt gewoͤhnliche Art, mit welcher Unvollkommenheiten verknuͤpft ſind, ſondern auf eine hoͤ - here uns unerklaͤrbare Weiſe. Chriſtus hat eben das Weſen, welches der Vater hat, und iſt ihm alſo voll - kommen aͤhnlich und gleich. Hebr. 1, 3. Chriſtus, als der erſtgebohrne einzige Sohn Gottes hat ein voͤlliges Recht an allem, was Gott hat, wie der erſtgebohrne einzige Sohn der alleinige Erbe ſeines Vaters iſt. Chri - ſtus iſt endlich mit Gott durch die innigſte Liebe verbun - den, wie ein einziger Sohn mit ſeinem Vater. Sie ſehen hieraus, Gott hat uns die Verhaͤltniſſe, in denen er mit Chriſto ſteht, unter dem Bilde eines Vaters und eines Sohnes offenbahrt, weil in der ganzen uns bekann - ten Natur kein anderes Bild vorhanden iſt, das dieſe innig - ſte Vereinigung genauer und vollkommener anzeigen koͤnne. Finden Sie nun in dieſer Vorſtellung etwas widerſprechendes? Nein, antwortete der Graf, hier iſt gar kein Widerſpruch. Das ganze Geheimniß liegt nur in der unerklaͤrlichen Art, wie Chriſtus ſein Weſen von Gott dem Vater hat. So kann alſo, ſetzte ich hinzu, die Vernunft gegen den Satz, Chriſtus iſt Gottes Sohn,mit157mit Grund nichts einzuwenden haben, ſondern muß ihn aus Ehrfurcht gegen das Zeugniß und die Autoritaͤt deſſen, der ihn uns bekannt gemacht hat, ohne Wider - rede als Wahrheit annehmen.

Jch machte nun die Anmerkung, daß alle Ge - heimniſſe des Chriſtenthums wohlthaͤtig fuͤr die Menſchen waͤren, und daß unſer eigner Vortheil, wenn wir ihn anders wohl verſtuͤnden, uns ſchon geneigt machen muͤſſe, ſie zu glauben. Jch verſprach ihm das nach und nach bey allen zu zeigen. So iſt es, fuhr ich fort, ſehr vor - theilhaft fuͤr uns, daß Chriſtus Gottes Sohn iſt. Der Sohn Gottes iſt alſo unſer Freund und Wohlthaͤter, un - ſer Erretter und Fuͤrſprecher. Kann er uns etwas gutes zugedacht haben, das er uns nicht ſollte geben koͤnnen? Jſt nicht alles Gute im Himmel und auf Erden ſein, wie ſeines Vaters? Wenn er fuͤr uns redet, uns vertritt, unſre Sache bey Gott fuͤhrt, kann und wird Gott ihn, ſeinen einzigen weſentlichen Sohn, nicht hoͤren? Kann und wird er ihm, mit dem er durch die innigſte Liebe ver - bunden iſt, ſeine Bitte fuͤr uns abſchlagen? Und duͤrfen wir je befuͤrchten, daß Gott, der ſeines einigen Sohns nicht verſchont, ſondern ihn fuͤr uns alle dahin gegeben hat, uns mit ihm nicht alles uͤbrige, was uns gluͤckſeelig machen kann, ſchenken werde? Roͤm. 8, 32.

Theurer Freund, dieſer Sohn Gottes iſt Jhr Erloͤſer. Dafuͤr erkennen Sie ihn. Urtheilen Sie nun, was Sie von ihm fuͤr Gnade und Heil zu erwarten ha - ben, wenn Sie ſich mit Beſtaͤndigkeit und Zuverſicht auf ſeine Verſoͤhnung verlaſſen, und allen moͤglichen Fleiß anwenden, die noch uͤbrige Zeit Jhres Lebens ſo zu den - ken und zu handeln, wie Sie wiſſen, das er gedacht und gehandelt hat. Wird Gott nun Jhre Suͤnden in der Ewigkeit ſtrafen? Hat doch ſein Sohn, ſein Ewiggelieb -teſter,158teſter, Sie mit ihm verſoͤhnt! Wird er Jhnen die Gnade des ewigen Lebens verſagen? Jſt doch Chriſtus, der Sohn Gottes, Jhr alles vermoͤgender Fuͤrſprecher! Gott ſey hochgelobt, der Sie faͤhig gemacht hat, ſo herrliche Hoffnungen zu haben, die Jhnen keine Macht und Herr - lichkeit und Luſt der Welt, die Jhnen keine Vernunft geben konnte. Er erhalte ſie Jhnen bis ans Ende um ſeines Sohns willen!

Der Graf war ſehr geruͤhrt, und verſprach den ſchriftlichen Aufſatz, den ich ihm uͤber die heute abgehan - delte Materie zuruͤckließ, mit Nachdenken durchzugehen, wie er dann auch die vorigen Blaͤtter vor ſich liegen hatte, um ſie wieder durchzuleſen, und ſich in der Ver - bindung zu erhalten.

Er erinnerte ſich, wir waͤren einmahl uͤber den Gedanken einig geweſen, daß die Vernunft nicht von ſelbſt die Lehre von der Verſoͤhnung haͤtte erfinden koͤnnen. Aber es haͤtten doch viele heidniſche Voͤlker Gott durch Opfer zu verſoͤhnen geſucht. Jch antwortete: daß der ſuͤndige Menſch ſuchen muͤſſe, Gott zu verſoͤhnen, das lehre ihn wohl ſein Gewiſſen. Daß man dazu die Opfer fuͤr ein dienliches Mittel gehalten habe, das koͤnne ſich in der juͤdiſchen Offenbahrung gruͤnden, auch haͤtte wohl die bloße Vernunft darauf verfallen koͤnnen, weil die Opfer ein thaͤtiger Beweis waͤren, daß man ſich lieber von ſeinen Guͤtern etwas entziehen, als das Gefuͤhl und Bewußtſeyn des goͤttlichen Misfallens an ſich beybehal - ten wolle. Daß aber Gott ſelbſt ſeinen Sohn zum Opfer hingeben ſollte, das ſey die Art der Verſoͤhnung, von der wir beyde behauptet haͤtten, daß die Vernunft ſie nicht von ſelbſt haͤtte erfinden koͤnnen. Und davon ſey auch ihre Abgeneigtheit gegen dieſe Lehre ein ſicherer Beweis.

Noch159

Noch einer meiner alten Einwuͤrfe faͤllt mir ein, fuhr er fort. Jch habe mir nie vorſtellen koͤnnen, daß Gott ein ſo veraͤchtliches Volk, als die Juden, zu ſeinem beſonders geliebten Volke ſollte gewaͤhlt haben. Die Ur - ſache, antwortete ich, warum Gott ein Volk vor den uͤbrigen durch ſeine beſondere Theilnehmung daran gleich - ſam auszeichnete, war unter andern dieſe, ſeine wahre Erkenntniß bis auf die Zeit, da der Erloͤſer der Welt kommen ſollte, durch daſſelbe zu erhalten, daß ſie nicht ganz verlohren gienge. Was ſollte er zu dieſer Abſicht fuͤr ein Volk waͤhlen? Natuͤrlich war es ja, daß er die Juden dazu beſtimme, theils weil ſie Nachkommen ſei - nes Freundes Abrahams waren, von dem ſie die natuͤr - liche Religion, deren Depoſitairs ſie gleichſam werden ſollten, durch eine beſtaͤndige Ueberlieferung erhalten hatten, theils weil eben aus den Nachkommen Abra - hams, und alſo aus ihrem Mittel der Erloͤſer der Welt hervorgehen ſollte. Nun ſind zwar die Juden itzt und ſeit langer Zeit eine veraͤchtliche Nation. Aber was bey den Menſchen verachtet wird, iſt es deswegen nicht auch bey Gott. Es ſind auch Zeiten geweſen, da die Juden ein ſehr reſpectables und tapfres Volk waren. Dieß erlaͤuterte der Graf ſelbſt durch einige Beyſpiele ihrer Tapferkeit gegen ihre ehemaligen Unterdruͤcker. Man kann freylich nicht, ſagte er, von ihrer gegenwaͤrtigen Veraͤchtlichkeit zuruͤckſchließen. Und uͤberhaupt iſt die Sache ſehr relativ. So verachtet der Engellaͤnder den Franzoſen, und der Franzoſe haͤlt wieder ſeine Nation fuͤr die reſpectabelſte auf dem Erdboden.

Neun -160

Neunzehende Unterredung, den 1ſten April.

Die Lehre von der Verſoͤhnung der Welt durch Chri - ſtum iſt zwar unter den Geheimniſſen das einzige, deſſen Glauben die heilige Schrift mit dem ausdruͤckli - chen Zuſatz anbefielt, daß derjenige nicht ſeelig werden koͤnne, der es nicht glaube. Weil ſich aber die uͤbrigen Geheimniſſe auf eben der Autoritaͤt gruͤnden, auf welche Sie die Lehre von der Verſoͤhnung angenommen haben und nun an Chriſtum glauben, ſo werden Sie einſehen, daß Sie verbunden ſind, auch dieſe der Vernunft unbe - kannte Lehren fuͤr Wahrheiten zu erkennen. Jch werde daruͤber, antwortete der Graf, keine Schwuͤrigkeiten machen. Jſt das eine wahr, ſo muß es das andere auch ſeyn. Sie haben bisher meine Vernunft befriedigt, und ich zweifle nicht, daß Sie es auch ferner werden thun koͤnnen.

Wenn Chriſtus, fuhr ich nun fort, der einge - bohrne Sohn Gottes iſt, Joh. 3, 16. und alſo von Gott ſein Weſen, das goͤttliche Weſen hat, ſo muß er wahrer Gott ſeyn. Denn Gott iſt Gott durch ſein Weſen, oder durch ſich ſelbſt. Dieſe Lehre des Chriſtenthums wird im neuen Teſtament vielfaͤltig wiederhohlt. Jeſus ſelbſt, in ſeiner Rede an die Juden, Joh. 5, traͤgt davon mehr alseinen Grund vor. Der 18te Verſ beweiſet, daß ihn die Juden verſtunden. Sie trachteten ihn zu toͤdten, weil er ſagte: Gott ſey ſein Vater, und mache ſich ſelbſt Gott gleich. Jeſus beſtaͤtigt das, was er geſagt hatte, durch ſeinen ganzen folgenden Vortrag, beſonders v. 21-23. Achten Sie hier auf folgende drey Gruͤnde. Der Sohn macht lebendig, welchen er will. Der Sohn hat alles Gericht, das iſt, er iſt der Richter der Welt. Sie ſollen alle den Sohn ehren, wie ſie den Vater ehren.

Paulus161

Paulus handelt auch Ebr. 1. ſehr umſtaͤndlich von der Gottheit Chriſti. Er zeigt den aus dem Juden - thum geſammleten Chriſten, wie viel Vorzuͤge Chriſtus, der Stifter des Chriſtenthums, vor den Propheten des alten Bundes haben. Er ſagt deswegen v. 2. : Chriſtus ſey Gottes Sohn, der Erbe uͤber alles, durch welchen Gott die Welt geſchaffen habe. v. 3. Er ſey der Glanz der Herrlichkeit Gottes und das Ebenbild ſeines Weſens, er erhalte alle Dinge, er ſitze zur Rechten der Majeſtaͤt in der Hoͤhe, das iſt, er habe Theil an der Herrlichkeit und Macht Gottes. Er faͤhrt in den folgenden Verſen fort, und zeigt wie viel vortrefflicher Chriſtus, als die Engel ſey, bey welcher Gelegenheit er v. 8. einen Aus - ſpruch des Pſalms 45, 7. in welchem Gott angeredet wird, von Chriſto erklaͤrt und ihm nicht nur eine ewige Herrſchaft, ſondern auch ausdruͤcklich den Nahmen Gottes beyleget.

Das iſt unlaͤugbar, ſagte der Graf, nachdem ich ihm beyde Stellen, Joh. 5. und Ebr. 1. umſtaͤndlich erklaͤrt hatte, daß ſo wohl Jeſus als Paulus die Abſicht gehabt haben, den Juden zu zeigen, daß der Sohn Gott ſey. Damit wir nun aber nicht denken moͤgen, ſetzte ich hinzu, Jeſus ſey nicht im hoͤchſten Verſtande, ſondern nur wegen gewiſſer Aehnlichkeiten, die er mit Gott hatte, wie etwa die Obrigkeiten, Gott genannt werden, ſo fehlt es auch nicht an bibliſchen Ausſpruͤchen, die uns vor dieſem Jrrthum bewahren koͤnnen. z Ex. 1 Joh. 5, 20. Dieſer iſt der wahrhaftige Gott. Es faͤllt ſehr in die Augen, daß dieſes Praͤdicat, der wahrhaftige Gott, auf niemand ſonſt gezogen werden kann, als auf das un - mittelbar vorhergehende Subject, Jeſus Chriſtus.

Das iſt alſo gewiß, daß die heilige Schrift die Gottheit Chriſti lehret. Widerſpricht ſie nun darin irgendLeiner162einer Wahrheit der geſunden Vernunft? Wenn das Chriſtenthum lehrte, die Gottheit Chriſti, oder ſein goͤttliches Weſen, ſey von der Gottheit oder dem goͤttli - chen Weſen des Vaters unterſchieden, ſo wuͤrde folgen, daß zwey Goͤtter waͤren. Und dieß ſtritte mit der von der Vernunft erkannten und durch die Offenbahrung be - ſtaͤtigten Wahrheit von der Einheit Gottes. Aber die chriſtliche Religion behauptet, Gott, der Vater, habe eben das Weſen, welches er ſelbſt hat, ſeinem Sohne mitgetheilt. Folglich ſind nicht mehrere Goͤtter, ſondern nur Ein Gott. Die Moͤglichkeit davon begreift die Ver - nunft nicht, da ſie keinen aͤhnlichen Fall in der Natur kennt, in welchem zwey voͤllig einerley oder daſſelbe We - ſen haͤtten. Doch kann ſie auch nicht beweiſen, daß es unmoͤglich ſey. Alſo iſt ihr dieſe Lehre ein Geheimniß, welches ſie verbunden iſt, auf die Autoritaͤt desjenigen, der es ihr offenbahrt hat, zu verehren. Sie ſehen nun von ſelbſt, daß die Annahme dieſer Wahrheit, Chriſtus iſt Gott, eben die Vortheile gewaͤhrt, die wir davon zu erwarten haben, wenn wir glauben, daß Chri - ſtus Gottes Sohn iſt. Jch wiederhohlte hier mit eini - gen Zuſaͤtzen dasjenige, was ich in der letzten Unterre - dung daruͤber geſagt hatte. Gegen dieß alles hatte der Graf nichts einzuwenden.

Nun fuhr ich fort. Die Bibel lehrt nun auch, daß Chriſtus zugleich wahrer Menſch ſey. Das wird jedermann ohne Widerſpruch zugeſtehen. Er ward von einem Weibe gebohren, er ward von allen, die ihn per - ſoͤhnlich kannten, fuͤr einen Menſchen erkannt: er hatte alle weſentlichen Stuͤcke des Menſchen, Leib und Seele mit allen Giedern, Kraͤften und Faͤhigkeiten, die dazu gehoͤren; er war den Menſchen ſelbſt in ihren weſentli - chen Schwachheiten gleich: nur in dem einigen Stuͤcke war er von den uͤbrigen Menſchen unterſchieden, daß erohne163ohne Suͤnde war, und die Suͤnde gehoͤrt ja nicht zu unſerm Weſen. Dieß letztere war wegen der innigen Vereinigung, in der in Chriſto die menſchliche Natur mit der goͤttlichen ſtand, nothwendig, und auch deswe - gen, weil er ſonſt nicht fuͤr anderer, ſondern nur fuͤr ſeine eignen Suͤnden, haͤtte leiden koͤnnen. So ungezwei - felt nun dieſe Wahrheit iſt: Chriſtus iſt wahrer Menſch, ſo finden die Apoſtel es doch noͤthig, ſie mehrmals zu wiederhohlen, und ins Licht zu ſetzen. Ebr. 2, 14. Ebr. 4, 15. Phil. 2, 6-7. Wie haͤtten ſie das fuͤr noͤthig hal - ten koͤnnen, wenn ſie ihn nicht zugleich fuͤr den wahren Gott erkannt haͤtten, wenn ſeine Gottheit nicht von den Chriſten, an die ſie ſchrieben, waͤre geglaubt worden? Sie mußten dadurch verhindern wollen, daß man nicht etwa denken ſollte, Chriſtus ſey allein Gott, und nicht zugleich im eigentlichen Verſtande Menſch. Es ſind alſo eben dieſe Stellen, die die Menſchheit Chriſti bezeugen, Beweiſe ſeiner Gottheit. Er fand dieſe Folgerung gegruͤndet, und geſtand, daß der Erweis der Menſchheit Chriſti in den angefuͤhrten Stellen uͤberfluͤſſig ſehn wuͤrde wenn man nicht geglaubt haͤtte, daß Chriſtus zugleich wahrer Gott ſey.

Was iſt nun der Vernunft hier unbegreiflich? Chriſtus iſt Menſch, ohne von einem menſchlichen Vater gezeugt zu ſeyn. Muͤſſen wir aber nicht zugeben, daß es in der Macht Gottes ſtehet, wenn ſeine Weisheit es noͤthig findet, den ordentlichen Weg der Natur zu ver - laſſen, und durch außerordentliche Mittel zu thun was er will? Konnte er nicht das bey der Zeugung des Sohns der Maria fehlende Zuthun eines Mannes durch ſeine alles vermoͤgende Kraft erſetzen? Luc. 1, 34. 35. Dieß, ſagte der Graf, halte ich, ſo bald ich vorausſetzte, daß Gott es noͤthig gefunden hat den ordentlichen Weg der Natur zu verlaſſen, nur fuͤr eine kleine Schwuͤrigkeit.

L 2Ferner164

Ferner kann es die Vernunft nicht begreifen, wie die Gottheit und Menſchheit in Chriſto vereinigt ſeyn koͤn - nen. Aber ſie findet nichts widerſprechendes darin, wenn ſie ſich nur vor falſchen Vorſtellungen von dieſer Verei - nigung huͤtet. Die Offenbahrung ſagt nicht: die Gott - heit Chriſti iſt ſeine Menſchheit, oder umgekehrt, oder eins iſt in das andere verwandelt worden. Das waͤre ein Widerſpruch, denn das Endliche kann nicht unend - lich, und das Unendliche nicht endlich werden. Sie lehret nur dieſes: Beyde, die Gottheit und Menſchheit, ſind in Chriſto, ſie ſind in ihm aufs innigſte verbunden. Die Art dieſer Verbindung iſt das unbegreifliche. Des - wegen redet die Schrift davon durch Bilder. z. Ex. Coloſſ. 1, 19. Col. 2, 9. Daß das unmoͤglich ſey, kann niemand beweiſen. Wir finden ſo gar entfernte Aehn - lichkeiten davon in der Natur. So iſt die Seele, ein geiſtliches Weſen, mit dem Leibe, einer groben Materie, verbunden. So ſagen wir auch: die Seele wohnt in dem Leibe. Jch geſtehe es Jhnen offenherzig, ſagte der Graf, daß ich, auch wenn ich gerne wollte, nichts dagegen wuͤrde erinnern koͤnnen. Jch kanns mir nicht erklaͤren, aber ich ſehe keinen Widerſpruch, und die Sache hat zu große Autoritaͤt, als daß ich ſie wegen ihrer Unbegreiflichkeit laͤugnen duͤrfte.

Nun wollte ich ihm noch zeigen, daß die Lehre, Chriſtus iſt zugleich Gott und Menſch, eine ſehr wohl - thaͤtige Lehre ſey. Laßt uns annehmen, ſagte ich, er ſey allein Gott. So konnte er nicht leiden und ſterben, und folglich, da dieß nach der Weisheit Gottes, die wir nicht fragen duͤrfen, warum? das einzige Mittel unſrer Erloͤſung war, uns nicht erloͤſen. Alles, was er als bloßer Gott haͤtte thun koͤnnen, das konnten wir nicht berechtigt ſeyn, als fuͤr uns gethan anzuſehen. Nun aber, da er zugleich wahrer Menſch iſt, nun warLeiden165Leiden und Tod bey ihm moͤglich, nun konnte das, was er that und litt, uns gleichſam zugerechnet werden, als ſeinen Blutsfreunden, ſeinen Verwandten. Ebr. 2, 14. Er erfuhr nun auch ſelbſt, was der Menſch iſt, von wel - chen Schwachheiten er zum Abfall von Gott verſucht wird: er kann alſo auch um ſo viel mehr Mitleiden mit uns haben, um ſo viel treuer wegen ſeiner Verwandtſchaft mit uns unſer Vertreter und Tuͤrſprecher ſeyn. Ebr. 4. 15. Laßt uns annehmen: er ſey allein Menſch. Wie konnten wir denn gewiß ſeyn, er ſey ohne Suͤnde? Und davon mußten wir doch gewiß ſeyn, wenn wir glau - ben ſollten, er ſey fuͤr unſre Suͤnden und nicht fuͤr ſeine eignen, er ſey der Gerechte fuͤr die Ungerechten geſtorben? Sein Tod ſoll ja die Verſoͤhnug fuͤr alle Welt Suͤnden ſeyn. 1 Joh. 2, 1-2. War er bloßer Menſch, wie konnten wir das fuͤr wahr halten? Was iſt fuͤr ein Ver - haͤltniß zwiſchen Einem und vielen Millionen? Jſt er aber zugleich Gott, ſo wird uns die Sache in ein ehr - wuͤrdiges Licht geſtellt. Wenn der Menſch, der zugleich Gott iſt, fuͤr ſeine Bruͤder leidet und ſtirbt, ſo muß ſein Tod vor Gott einen unausſprechlichen Wehrt haben, und alle Suͤnden aller Menſchen ſind nicht ſo groß als dieſes Opfer.

Jch kann Jhnen nicht beſchreiben, ſagte der Graf, wie ſehr meine Vernunft uͤber dieſe Geheimniſſe der Religion befriedigt iſt. Jemehr man uͤber ſie nach - denkt, jemehr goͤttliche Weisheit entdecket man in ihnen. Nur davor muß man ſich huͤten, daß man nicht uͤberall frage: warum? Man muß mit der Autoritaͤt des Urhe - bers zufrieden ſeyn. Selbſt in menſchlichen Wiſſenſchaf - ten iſt dieſe Beſcheidenheit noͤthig, man wuͤrde ſonſt uͤber nichts zur Gewißheit kommen. Man koͤnnte in ganz gemeinen Sachen lebenslang nachgruͤbeln, ehe man die erſte Urſache entdeckte. Jedes warum? wuͤrde unzaͤhligeaͤhnliche166aͤhnliche Fragen nach ſich ziehen, und unſre Vernunft iſt nicht dazu gemacht ins Unendliche hineinzugehen. Wir ſehen wenigſtens, ſetzte ich hinzu, die Geheimniſſe der Religion ſind Weisheit, obgleich verborgene Weisheit. Weisheit aber, zumahl ſo wohltaͤtige, ſo beruhigende, muß die Vernunft demuͤthig verehren.

Der Graf hatte in dieſen Tagen die Leidensge - ſchichte Jeſu geleſen, und die bey dem Tode Jeſu geſche - henen Wunder ſehr merkwuͤrdig gefunden. Er fragte mich, ob nicht auch andere Geſchichtſchreiber außer den Evangeliſten derſelben gedaͤchten. Phlegon Trallian, antwortete ich ihm, ein griechiſcher Geſchichtſchreiber aus dem erſten Jahrhundert, redet von einer wunderbaren Sonnenfinſterniß und zugleich von einem Erdbeben, und bezeichnet die Zeit, da beydes bemerkt worden, gerade ſo als Matthaͤus. Tertullian und ein gewiſſer Lucian, beydes alte chriſtliche Schriftſteller, berufen ſich, jener in einer Apologie des Chriſtenthums, und dieſer in einer Geſchichte der Waͤrtyrer, auf die in dem Archive des Reichs aufbehaltenen Jahrbuͤcher, die dieſe außerordent - liche Verfinſterung der Sonne bezeugten. Das Zeugniß des Phlegon wird von einigen Gelehrten als nicht hierher gehoͤrig angeſehen: aber die Zuverſicht, mit der die bey - den zuletzt erwaͤhnten Verfaſſer verlangen, daß man die Jahrbuͤcher, nachſchlagen ſolle, ſcheint gewiß zu beweiſen, daß ſie uͤberzeugt geweſen ſind, die Begebenheit, wovon die Rede iſt, ſey in denſelben angemerkt. Jch ſprach geſtern mit jemand, ſetzte der Graf hinzu, uͤber dieſe Wunder, der mir nicht zugeben wollte, daß ſie wahre Wunder geweſen waͤren, indem dieſe Finſterniß und dieß Erdbeben gar wohl natuͤrliche Urſachen haͤtte haben koͤn - nen. Jch zeigte ihm aber, daß, wenn das auch ſeyn ſollte, man immer noch fragen koͤnnte, wie es denn zuge - gangen ſey, daß dieſe Erſcheinungen gerade am TodestageJeſu167Jeſu und ſelbſt in der Stunde deſſelben erfolgte. Dieß gaͤbe ſchon die ſtaͤrkſte Vermuthung, daß Gott es ſo beſtimmt habe, um die Menſchen auf den Tod Chriſti aufmerkſam zu machen. Sie haͤtten noch hinzu ſetzen koͤnnen, Herr Graf, daß eine Sonnenfinſterniß am Tage vor dem juͤdiſchen Oſterfeſte, aus den natuͤrlichen Urſa - chen wenigſtens, woraus dieſe Erſcheinung ſonſt entſteht, nicht moͤglich war. u. ſ. w.

Der Vater des Grafen hatte mich neulich in einem Briefe gebeten, ſeinen Sohn von ſeiner fortdau - renden Liebe und Fuͤrbitte zu verſichern. Jch gab ihm den Brief zu leſen. Er wollte etwas antworten, konnte aber vor Wehmuth nicht. Als ich eine halbe Stunde darnach weggieng, bat er mich mit heißen Thraͤnen an ſeine Eltern zu ſchreiben, und ihnen in ſeinem Nahmen zu ſagen, daß er gewiß hoffte ihnen den einzigen Troſt zu verſchaffen, den ſie ſich wuͤnſchten, daß ſie nemlich erwarten duͤrften, ihn einſt unter den Begnadigten Got - tes wieder zu finden.

Zwanzigſte Unterredung, den 3ten April.

Die Abſicht dieſer Unterredung war, dem Grafen die Lehre der Schrift vorzutragen, daß mit dem Vater und Sohne auch der heilige Geiſt wahrer Gott ſey. Jch erklaͤrte ihm, als ich anfieng davon zu reden, daß die Lehre vom heiligen Geiſte nicht ſo deutlich und ausdruͤck - lich in der Bibel vorgetragen ſey, als die von Chriſto; daß der Ausdruck heiliger Geiſt und Geiſt des Herrn oder Geiſt Gottes ſehr viele und verſchiedene Bedeutun - gen in der Schrift habe; und daß man nicht gewiß beweiſen koͤnne, der heilige Geiſt werde gerade zu und mit ausdruͤcklicher Beylegung des goͤttlichen Nahmens, Gott genannt. Weil aber doch die heilige Schrift ihnL 4als168als unterſchieden vom Vater und Sohn vorſtelle, weil ſie ihm Praͤdicate beylege, die niemand als dem wahren Gott beygelegt werden koͤnnten, ſo folge nothwendig, daß er nicht der Vater, nicht der Sohn, ſondern ein dritter ſey, und an der Gottheit Theil haben muͤſſe. Die Gottheit aber ſey untheilbar, niemand koͤnne ſie anders als ganz beſitzen: der heilige Geiſt muͤſſe alſo mit dem Vater und Sohn wahrer Gott ſeyn. Da uns nun Gott uͤber dieſe geheime Wahrheit nicht mehr offenbahrt haͤtte, ſo wuͤrde er auch nicht fordern, daß wir mehr davon wiſſen und glauben ſollten. Er antwortete mir: Jch bin nun von der goͤttlichen Autoritaͤt der Schrift feſt uͤber - zeugt, und erachte mich fuͤr verbunden ihre Ausſpruͤche zu glauben. Jch habe in ihren Geheimniſſen noch keinen Widerſpruch gefunden, ſondern viel mehr wahrgenommen, daß ſie mit der Lehre von der Verſoͤhnung in genauer Verbindung ſtehen, und fuͤr uns Menſchen ſehr wohl - thaͤtig und beruhigend ſind. Er folgte mir bey meinem Vortrage mit vieler Aufmerkſamkeit, und machte, anſtatt Zweifel aufzuwerfen, verſchiedene zur Beſtaͤtigung der Lehre, mit welcher wir uns beſchaͤfftigten, dienende An - merkungen.

Der Vater und der Sohn, ſagte ich, ob ſie gleich eins und daſſelbige goͤttliche Weſen haben, ſind gleichwohl durch das Verhaͤltniß, in welchem ſie zu ein - ander als Vater und Sohn ſtehen, unterſchieden. Jn der Schrift wird nun noch ein dritter, der heillige Geiſt, genannt, der zu Gottheit gehoͤrt. Dieſer wird nicht nur als verſchieden vom Vater und Sohne, ſondern auch als theilhaft des goͤttlichen Weſens beſchrieben. Ob gleich das Wort Perſon nicht bibliſch iſt, ſo kann man deſſelben doch nicht wohl entbehren, weil wir kein ande - res haben, das in Uebereinſtimmung mit den Aeußerun - gen der heiligen Schrift von dem Vater, dem Sohn unddem169 dem heiligen Geiſt, in der Lehre von den dreyen, die zur Gottheit gehoͤren, gebraucht werden koͤnnte. Wir wollen es alſo brauchen, und uns nur vor unrichtigen Folgerun - gen aus dem Begriffe deſſelben huͤten.

Jeſus befielt ſeinen Juͤngern, Matth. 28, 19. die Heiden im Nahmen des Vaters, des Sohns und des heiligen Geiſtes zu taufen. Dieſe Stelle laͤßt uns nicht zweifeln, daß der Geiſt eine vom Vater und Sohne ver - ſchiedene Perſon ſey. Sollen hier die Ausdruͤcke, Vater und Sohn, nicht bloße abſtrakte Kraͤfte oder Wuͤrkungen anzeigen, ſo kann unter dem heiligen Geiſt auch nicht ſo etwas verſtanden werden. Nun aber hat ohne Wider - ſpruch nach dem Sinn der Schrift der Vater ſowohl als der Sohn jeder fuͤr ſich ſeine eigne Subſiſtenz, und ſind von einander verſchiedene Perſonen: alſo muß der heilige Geiſt auch ſeine eigene Subſiſtenz haben, und eine vom Vater und Sohne verſchiedene Perſon ſeyn. Es waͤre ſonderbar zu glauben, daß in der angefuͤhrten Stelle der Vater und Sohn von einander unterſchiedene Perſonen, der heilige Geiſt aber nur eine Kraft oder Wuͤrkung ſeyn ſollte, da doch alle drey in einer Suppoſition ſtehen, und die Taufe auf einerley Weiſe im Nahmen des Vaters, Sohnes und Geiſtes anbefohlen wird. Betrachten Sie noch uͤber dieſes die Worte Jeſu, Joh. 16, 13-15. Hier verſpricht Jeſus ſeinen Juͤngern den heiligen Geiſt, legt ihm Wuͤrkungen bey, die er hervorbringen ſoll, und unterſcheidet ihn merklich vom Vater und von ſich, dem Sohne.

Nun entſteht die Frage, ob dieſer Perſon des heiligen Geiſtes entſcheidende Merkmahle der Gottheit in der heiligen Schrift beygelegt werden: denn daß der Geiſt eben ſo ausdruͤcklich als Chriſtus Gott genannt werde, das moͤchte wohl nicht ohne allen WiderſpruchL 5erwieſen170erwieſen werden koͤnnen. Es iſt genug, wenn nur ſolche Praͤdicaͤte von ihm vorkommen, die niemand ſonſt zukom - men koͤnnen, als der Gott iſt. Das finden wir aber 1 Cor. 2, 10-11. Hier wird dem Geiſte die Allwiſſenheit beygelegt, die genaueſte Erkenntniß auch des Verborgen - ſten, was in Gott iſt. Paulus ſetzt hinzu: So wie das, was im Menſchen verborgen iſt, niemand wiſſen kann, als der Geiſt des Menſchen ſelbſt, ſo weiß auch keiner die Geheimniſſe der Gottheit, als der Geiſt Gottes. Der Geiſt Gottes erkennet alſo das, was niemand als Gott ſelbſt erkennen kann: folglich muß er Gott ſeyn. Auch in der ſchon angefuͤhrten Stelle, Matth. 28, 19. liegt ein guͤltiger Beweis der Gottheit des heiligen Gei - ſtes. Die Heiden ſollen auf ſeinen Nahmen eben ſowohl, als auf den Nahmen des Vaters und Sohns getauft, daß iſt, verpflichtet werden alle drey auf einerley Art zu verehren. Nun aber ſollen ſie den Vater und Sohn als Gott verehren. Alſo auch den heiligen Geiſt.

Dieß iſt nun, fuhr ich fort, das Geheimniß der Dreyeinigkeit. Ob es etwas der Vernunft widerſpre - chendes enthalte, das laͤßt ſich auf eben die Art beurthei - len, wie ſchon beurtheilt iſt, ob die Lehre, Chriſtus iſt Gott, wie der Vater Gott iſt, widerſprechen ſey. Die Schwuͤrigkeit, die wir bey der Sache finden, liegt nicht darin, daß gerade drey Perſonen in dem einigen goͤttli - chen Weſen angenommen werden, ſondern darin, daß ihrer mehrere, als eine einzige, ſind. Haben wir alſo geſehen, daß Vater und Sohn, ohne der Einheit Gottes Abbruch zu thun, und alſo der Vernunft zu widerſpre - chen, beyde Gott ſeyn koͤnnen, ſo muß es auch, wenn es in der Schrift gelehrt wird, keinen Widerſpruch in ſich faſſen, daß nebſt dem Vater und Sohne auch der heilige Geiſt Gott ſey.

Endlich171

Endlich zeigte ich dem Grafen noch, daß dieſe Lehre wohlthaͤtig und beruhigend fuͤr uns ſey. Man laͤugne, ſagte ich, von den drey Perſonen der Gottheit, welche man will, ſo iſt in der Lehre von unſrer Verſoͤh - nung, der Zuſammenhang, die Zuverlaͤſſigkeit, der Troſt und die Hoffnung nicht mehr, die wir itzt darin finden. Nun verlaſſen wir uns auf die Verſicherung des Vaters, daß er uns um ſeines Sohns willen begnadigen wolle. Nun troͤſten wir uns der Leiden des Sohns, und ſind gewiß, daß ſie das Mittel unſrer Verſoͤhnung ſind. Nun kennen wir in dem heiligen Geiſt einen zuverlaͤſſigen Fuͤhrer, der uns durch die Kraft der Wahrheit unter - richtet und beſſert, und uns dadurch faͤhig macht, Ver - ſoͤhnte und Begnadigte Gottes zu ſeyn und zu bleiben. Warum ſollten wir uns alſo wegern eine Lehre anzuneh - men, die zwar der Vernunft unbekannt, aber doch durch die goͤttliche Offenbahrung erwieſen, und in ihren Folgen fuͤr uns ſo vortheilhaft iſt?

Dieß war das weſentliche von demjenigen, was ich uͤber das Geheimniß der Dreyeinigkeit zu ſagen fuͤr noͤthig hielt. Der Graf verſicherte mich, daß er nun dieſe Lehre von einer Seite kenne, von der ſie ihm hoͤchſt - ehrwuͤrdig erſchiene. Daruͤber bin ich gewiß, ſetzte er hinzu, daß ich nun mit voͤlliger Ueberzeugung ein theore - tiſcher Chriſt bin. Waͤre ich es nur eben ſo von der practiſchen! Jch wuͤnſche Jhnen Gluͤck dazu, antwortete ich, daß Sie nun voͤllig und von ganzem Herzen die Lehre Jeſu angenommen haben. Verlieren Sie nun gleich Jhr Leben, ſo werden Sie doch in der Ewigkeit Jhren Scha - den uͤberſchwenglich erſetzt finden. Gewiß, ſagte er, ich verliere nichts. Es wuͤrde vielmehr unerſetzlicher Verluſt fuͤr mich geweſen ſeyn, wenn ich in meiner vori - gen Situation geblieben waͤre, denn ſo waͤre ich nach aller Wahrſcheinlichkeit nie ein Chriſt worden. Aber dasweiß172weiß ich auch gewiß, wenn es moͤglich waͤre, daß ich noch lange in der Welt leben koͤnnte, ſo wuͤrde ich nun die Religion nimmer wieder fahren laſſen. Jch bin oft opiniatre in meinen Meynungen geweſen: hier wuͤrde ich es mit Grund ſeyn!

Sie wuͤnſchten ſich vorhin, Herr Graf, daß Sie nun auch ein practiſcher Chriſt ſeyn moͤchten. Sich als ein ſolcher zu beweiſen, das muß von nun an Jhr ganzes Geſchaͤfft ſeyn. Wir wollen nun mit allem Fleiß daran arbeiten, ihre Geſinnungen nach dem Willen Got - tes zu berichtigen. Um Zweifel, Einwuͤrfe, Widerle - gungen und Beweiſe wollen wir uns nicht mehr bekuͤm - mern, ſondern das ſoll das Ziel unſrer Bemuͤhungen ſeyn, daß Sie ungeheuchelte Fruͤchte der chriſtlichen Rechtſchaffenheit bringen. Geduld, Demuth, Aufrich - tigkeit, Liebe gegen jedermann und auch gegen ihre Feinde, willige Unterwerfung unter den Willen Gottes, ernſtliche Bemuͤhung zur Erſetzung des Schadens, den Sie in der Welt verurſacht haben, dieß alles gehoͤrt zu den Pflichten Jhres Verhaͤltniſſes, in deren Beobachtung ſich Jhr Glaube fruchtbar und lebendig beweiſen muß. Dadurch koͤnnen Sie ſich uͤberzeugen, daß Sie auch ein practiſcher Chriſt ſind. Jch verſichere Sie, antwortete er, ich finde mich zu allem willig, was Sie von mir fordern. Und ich freue mich, daß ich mich willig dazu finde. Jch ſehe das als ein gutes Zeichen an. Dazu wuͤrde ich ſonſt nicht willig geweſen ſeyn. Jch haͤtte gewiß meine Neigungen nicht aufgeopfert. Jch will ſelbſt daruͤber nachdenken, wie ich Jhnen und mir von meiner itzigen Geſinnung thaͤtige Beweiſe geben koͤnne.

Sie haben mir mehr als einmahl zu erkennen gegeben, fuhr er fort, daß Sie befuͤrchteten, ich hielte noch zu viel auf meine Adminiſtration der oͤffentlichenAngele -173Angelegenheiten. Jch habe mir Zeit genommen, ich bin ins Detail daruͤber gegangen, ich habe den Quellen nachgeſpuͤrt. Jch will Jhnen das Reſultat meiner Un - terſuchung nicht verheelen. Glauben Sie mir nun auf meine Verſicherung: ich habe nicht die Abſicht gehabt, Ungluͤck anzurichten. Aber Wolluſt und Eitelkeit ſind die Triebfedern meiner Unternehmungen geweſen. Bey den uͤbertriebenen Vorſtellungen, die ich mir von meinen Faͤhigkeiten machte, und welche von andern in meiner Seele unterhalten wurden, habe ich mir ſeit meiner An - kunft in Daͤnnemark vorgenommen gehabt, eine große Rolle zu ſpielen. Jch kann zwar nicht ſagen, daß ich gleich an die dachte, die ich geſpielt habe, aber Sie wiſſen, wie man durch Gelegenheit und Umſtaͤnde weiter gefuͤhrt werden kann, als man gehen wollte. Ein Schritt zieht den andern nach ſich. Schließen Sie hieraus, daß ich die ganze Kette meiner Unternehmungen vor Gott und meinem Gewiſſen nothwendig verwerflich finden muß. Daß ich aber uͤberhaupt kein Feind von dem geweſen bin, was man in der großen Welt Tugend und Ehrlichkeit nennt, das bin[ich]mir auch bewußt. Jch ſage Jhnen das nicht um mich zu ruͤhmen. Jch weiß, das iſt nicht mein Werk, ſondern die Folge meiner natuͤrlichen Denkungsart geweſen, und alle Menſchen haben auch eine gewiſſe allgemeine Tugendliebe. Daß ich meines Ziels verfehlte, das war meine eigne Schuld. Jch habe das Gute geſucht, aber nicht gefunden, weil ich mich nicht durch Vernunft und Religion ſondern durch meine Begierden leiten ließ.

Spaldings Buch vom Wehrt der Gefuͤhle im Chriſtenthum hatte er nun durchgeleſen, und dankte mir, daß ich es ihm gegeben haͤtte. Meine Vorſtellun - gen, ſagte er, von der Veraͤnderung, die durch die Be - kehrung in dem Menſchen gewuͤrkt werden muß, ſinddurch174durch dieſes Buch ſehr berichtigt worden. Jch geſtehe Jhnen mit Freuden, ich finde das Chriſtenthum immer liebenswuͤrdiger, je mehr ich es kennen lerne. Jch habe es nie gekannt, ich glaubte es ſey der Vernunft und Natur des Menſchen, deſſen Religion es doch ſeyn ſollte, ganz widerſprechend, ich hielt es fuͤr eine gekuͤnſtelte, ge - ſchraubte Lehre, voll von Unbegreiflichkeiten. Wenn ich vor Zeiten zuweilen in einigen ernſten Augenblicken an Religion dachte, ſo hatte ich immer ein Jdeal vor Augen, wie ſie beſchaffen ſeyn muͤßte, nemlich ſimpel und den Faͤhigkeiten des Menſchen in allen Staͤnden ge - maͤß: und gerade ſo finde ich itzt das Chriſtenthum, und ſo ganz meinen eigenen Gedanken von der Beſchaffenheit einer wahren Religion angemeſſen. Haͤtte ich es in mei - ner vorigen Lage ſo kennen lernen, aber dazu wuͤrde ich mir keine Zeit genommen haben, ſo weiß ich gewiß, ich waͤre nicht erſt in meinem Gefaͤngniſſe ein Chriſt gewor - den. Aber ich habe das Ungluͤck gehabt, zufoͤrderſt durch meine Neigungen, dann aber auch durch ſo viele menſch - liche Einfaͤlle, die man in die Religion hineingetragen hat, deren Ungrund ich begreifen konnte, und die man doch fuͤr weſentliche Wahrheiten des Chriſtenthums aus - gab, gegen ſie eingenommen zu werden. Wie anſtoͤßig iſt es mir z. Ex. oft geweſen, daß man Gott, von dem ich wußte, daß er die Liebe iſt, von dem ich nun weiß, daß er ſtrafen muß, aber es ungerne thut, und viel lie - ber ſegnet und begnadigt, als einen zornigen, eiferſuͤch - tigen Richter vorſtellte, dem recht viel daran gelegen ſey, bey jeder Gelegenheit ſeine Rache auszulaſſen! Von Ju - gend auf habe ich wenig Chriſten gekannt, die mich nicht durch ihre Schwaͤrmerey, und oft durch ihre unter dem Schein der Heiligkeit verſteckte Gottloſigkeit geaͤrgert haͤtten. Jch wußte wohl dunkel, daß nicht alle Chriſten ſo waͤren, und eine ſo ausgezeichnete Sprache fuͤhrten, aber ich war zu leichtſinnig, mich bey dieſen beſſern Chriſtennach175nach dem wahren Geiſte ihrer Religion zu erkundigen. Sehr oft habe ich in meiner Jugend Predigten gehoͤrt, aber ſie machten keinen Eindruck auf mich. Man wie - derhohlte mir immer dieſe Wahrheit, daß außer Jeſu kein Heil ſey, in unzaͤhligen gleichbedeutenden Ausdruͤcken, niemals aber, oder doch ſehr ſelten, ſetzte man ſie recht ins Licht und bewies ſie. Jch ſah die Leute in der Kirche weinen, aber wenn ich ſie nun nach abgetrockneten Thraͤ - nen in ihrem Verhalten zu betrachten Gelegenheit hatte, ſo fand ich, daß ſie nichts beſſer geworden waren, ſon - dern ſich unter dem Vorwande ihres Glaubens alles Boͤſe erlaubten. Endlich konnte ich auch die Gefuͤhle nicht begreifen, die viele Chriſten zu haben glaubten. Es kam mir alles ſo unnatuͤrlich, ſo wunderbar vor. Gleich - wohl hat es mich waͤhrend unſrer Bekanntſchaft, wie Sie wohl werden gemerkt haben, oft beunruhigt, daß ich nichts von dieſen Gefuͤhlen bey mir wahrnahm. Jch fand meine wuͤrklich aufrichtige Traurigkeit uͤber meine Suͤnden den Ausdruͤcken nicht gemaͤß, die ich ſo oft in meiner Jugend gehoͤrt hatte, und vor denen ich immer erſchrocken war. Jch wollte meinen Schmerz gern zu einem ſolchen Grade erhoͤhen: aber ich ſah auch auf der andern Seite wieder, daß ſo ein Zwang, den ich mir vielleicht durch Huͤlfe der Jmagination haͤtte anthun koͤn - nen, das nicht ſeyn wuͤrde, was ich ſuchte, und daß Gott daran kein Gefallen haben koͤnnte. Nun bin ich durch meinen Spalding daruͤber voͤllig ruhig geworden. Jch weiß nun gewiß, alles kommt auf das Vertrauen zu Gott durch Chriſtum an, und auf die wahre Sin - nesaͤnderung vom Boͤſen zum Guten. Und das muß ich empfinden koͤnnen, daruͤber, ob ich dieß Vertrauen habe, ob dieſe Aenderung bey mir vorgegangen iſt, muß ich ſelbſt im Stande ſeyn, mit Gewißheit zu urtheilen.

Jch176

Jch hatte dem Grafen Gellerts und Cramers geiſtliche Lieder mitgebracht, und bat ihn zuweilen eins davon zu leſen. Vielleicht wuͤrde er dadurch Anlaß zur andaͤchtigen Richtung des Herzens auf Gott finden. Er antwortete mir: er ſey nie ein Liebhaber der Poeſie gewe - ſen, er habe immer den ſimplen ungeſchmuͤckten Vortrag vorgezogen. Doch wolle er die Buͤcher bey ſich behalten, und einen Verſuch machen, ob er ſich dadurch erbauen koͤnnte. Jch erinnerte ihn, daß ſich geiſtliche Lieder vornemlich durch ihre Simplicitaͤt von andern Poeſien unterſchieden. u. ſ. w.

Ein und zwanzigſte Unterredung, den 4ten April.

Der Graf Struenſee war von der Wahrheit des Chri - ſtenthums voͤllig uͤberzeugt. Jch mußte alſo nun meine Bemuͤhungen bey ihm darauf richten, zu unter - ſuchen, wie weit ſeine Geſinnungen bisher durch die Kraft der Wahrheit gebeſſert waͤren, und dann mußte ich mich bemuͤhen die Maͤngel, die ich finden wuͤrde, durch Anwendung der Mittel, die das Evangelium dar - beut, zu heben.

Jch bat ihn alſo, er moͤchte mir, als in der Ge - genwart Gottes, ſagen, ob er nun die Lehre Jeſu mit Ueberzeugung glaube. Er antwortete mir: Jch habe ſonſt immer, wie Sie wiſſen, geglaubt, daß das Chri - ſtenthum ohne alle Beweiſe ſey, und bloß auf die Auto - ritaͤt der Geiſtlichen angenommen werden muͤſſe. Nun ſehe ich ein, was fuͤr Gruͤnde es fuͤr ſich hat, glaube ſie auch hinlaͤnglich zu kennen, und ihre Kraft genug zu empfinden, als daß ich befuͤrchten ſollte, auch in dem Falle, wenn ich noch lange Zeit zu leben haͤtte, mich jemals wieder durch die Luſt zur Suͤnde oder durch ſolchenichts -177nichtsbedeutende Einwuͤrfe und Spoͤttereyen, als die Freygeiſter dieſen Beweiſen entgegenſetzen, gegen das Chriſtenthum einnehmen zu laſſen.

So kommt es alſo nun, fuhr ich fort, zur voͤlli - gen Beruhigung Jhres Gewiſſens noch darauf an, daß Sie auch thun, was Jhnen Gott durch Chriſtum befielt, und Jhre Geſinnungen durch das Evangelium nach dem Wohlgefallen Gottes beſſern laſſen, ſo viel es nach Jhrer Zeit und Jhren Umſtaͤnden moͤglich iſt. Jch muß Jhnen nun zeigen, was in dieſer Abſicht Jhre Pflicht iſt, und wir wuͤrden beyde Urſache haben uns zu freuen, wenn wir wahrnehmen ſollten, daß Sie ſchon in einigen Stuͤcken den Vorſchriften des Evangelii gemaͤß gehandelt haͤtten.

Die Gnade, die uns Gott in Chriſto Jeſu erwei - ſet, iſt eine voͤllig freye Gnade. Dieß gilt von allen Wohlthaten Gottes, auch von denen, die zur Erhaltung unſres Lebens noͤthig ſind. Aber wir haben doch einigen Grund dieſe von Gott zu erwarten, wenn er uns einmahl das Leben gegeben hat, und will, daß wir daſſelbe bis zu einem gewiſſen Ziele fortſetzen ſollen. Die Gnade der Erloͤſung, beſonders durch die Aufopferung ſeines Soh - nes, haͤtten wir nie erwarten koͤnnen, und Gott wuͤrde darum doch der Allguͤtige geblieben ſeyn, wenn er ſie uns auch nicht bewilligt haͤtte. Eine ſolche freye Gnade muͤſſen wir alſo auch mit Freyheit annehmen. Dazu ge - hoͤrt, daß wir uns um Erkenntniß der Lehren und Vor - ſchriften des Chriſtenthums, und um Ueberzeugung von der Wahrheit und Goͤttlichkeit deſſelben bemuͤhen: wobey es ſich aber von ſelbſt verſteht, daß Gott von niemand mehr Nachdenken und Pruͤfung fordern wird, als ſeine Faͤhigkeiten und Umſtaͤnde verſtatten. Ohne dieſe Unter - ſuchung iſt die Annahme des Chriſtenthums ein blinder, traͤger Glaube, ohne Vernunft und Freyheit.

MJch178

Jch muß Jhnen das Zeugniß geben, daß Sie dieſe Forderung mit Treue und Rechtſchaffenheit erfuͤllt haben. Sie haben zuerſt die natuͤrliche Religion unter - ſucht, und Jhre derſelben widerſprechenden Jrrthuͤmer willig fahren laſſen, nachdem ſie den Ungrund und die Schaͤdlichkeit derſelben wahrgenommen hatten. Erin - nern Sie ſich hier an die Wuͤrkung, die Jeruſalems, Geller[t]s und Reimarus Buͤcher bey Jhnen gehabt haben, und die Sie nicht haͤtten haben koͤnnen, wenn Sie ſie nicht mit Nachdenken und redlicher Geſinnung geleſen haͤtten. Hierauf haben Sie Jhren moraliſchen Zuſtand und Jhre Verhaͤltniſſe zu Gott unterſucht, ich bin Jhnen dabey zu Huͤlfe gekommen, und Sie mir wieder durch ein aufrichtiges Geſtaͤndniß Jhrer Vergehungen. Sie haben ferner mit mir nachgeforſcht, ob Jhnen die bloße Vernunft eine beruhigende Verſicherung Jhrer Begna - digung geben koͤnne, und Sie geſtunden, ſo bald Sie es einſahen, daß der Troſt, den Sie von Jhr erwarten konnten, ſehr ungewiß und unzulaͤnglich ſey. Nun gien - gen wir weiter zur chriſtlichen Religion. Zuerſt lernten Sie den Stifter derſelben von ſeiner hiſtoriſchen Seite und ſeine Lehre von der moraliſchen kennen. Sie laſen in dieſer Abſicht die Geſchichte der drey letzten Lebensjahre Jeſu, und lernten bald den großen Mann und ſeine Moral lieben und bewundern. Jch halte es fuͤr unmoͤg - lich, ſagte hier der Graf, daß ein vernuͤnftiger Menſch, der die Sittenlehre und den moraliſchen Charakter Chriſti kennen lernt, dadurch nicht ſollte eingenommen werden. Sie funden es, fuhr ich fort, ganz unglaublich, daß eine ſo vortreffliche Moral ſich auf falſchen und erdichte - ten Lehrſaͤtzen gruͤnden, daß ſo ein weiſer und guter Mann ein Schwaͤrmer oder ein Betruͤger ſeyn ſollte. Sie hielten es alſo fuͤr Jhre Pflicht, zu unterſuchen, ob ſich Jeſus als einen Geſandten Gottes an die Menſchen erwieſen habe. Sie pruͤften in dieſer Abſicht die hiſtoriſcheGlaub -179 Glaubwuͤrdigkeit ſeiner Auferſtehung; Sie dachten uͤber die Weißagungen der Bibel nach, und funden auf bey - den Seiten mehr Beweiſe, als noͤthig waren Sie zu uͤberzeugen, daß Jeſus von Gott geſandt, und daß ſein Wort Wahrheit ſey. Hier laſen Sie den Bonnet, den Leß, den Neuton. Jtzt lernten Sie die theoretiſchen Lehren des Chriſtenthums kennen. Wir fiengen bey der Hauptlehre von der Verſoͤhnung an, wir giengen fort zu dem Unterricht des Chriſtenthums von der Perſon Chriſti und des heiligen Geiſtes. Wir ſchoͤpften unſre Kenntniſſe davon aus der heiligen Schrift, der einzigen unverfaͤlſchten Quelle. Sie glaubten dieſe Wahrheiten auf die Autoritaͤt Gottes, und auf das Zeugniß Jhrer Vernunft, daß Sie nichts in denſelben entdeckte, das der Gottheit unanſtaͤndig oder andern gewiß erkannten Wahrheiten widerſprechend ſey.

Auf dieſe Art erinnerte ich den Grafen an den Weg, welchen wir bisher mit einander zuruͤckgelegt, wiederholte kurz die Reihe der Beweiſe, die am meiſten auf ihn gewuͤrkt hatten, und hatte das Vergnuͤgen aus ſeinen Antworten zu ſehen, daß er ſie gut gefaßt, und daß ſie ihm gegenwaͤrtig waren. Das Reſultat, ſetzte ich noch hinzu, von dieſen Jhren Bemuͤhungen iſt dieſes, daß Sie ſich nun mit wahrer Ueberzeugung zum Chri - ſtenthum bekennen, Jeſum als Jhren Erloͤſer anbeten, und ſchon die Wuͤrkungen Jhres Glaubens in der unge - kuͤnſtelten Ruhe und Heiterkeit ſpuͤren, die Jhre Seele empfindet. Jch entwickelte dieſe letztern Saͤtze umſtaͤnd - lich, und fragte ihn bey einem jeden beſonders, ob ich ſeinen Sinn getroffen haͤtte, welches er jedesmahl mit Empfindung bejahete. Von ſeiner gegenwaͤrtigen Ruhe ſagte er, daß ſie ganz etwas anders waͤre, als diejenige, die er vorhin zu haben geglaubt haͤtte. Jtzt fuͤhle er ſich heiter: vorhin habe er ſich gezwungen es zu ſcheinen. M 2Er180Er wuͤrde zwar auch in ſeinem unbekehrten Zuſtande es viel - leicht dahin haben bringen koͤnnen, mit allem aͤußerlichen Anſtande der Standhaftigkeit zu ſterben: aber in ſeinem Herzen wuͤrde er gewiß ganz etwas anders dabey empfun - den haben, als er nun bey ſeinem Tode zu empfinden hoffe.

Jch glaubte ihm nun das Zeugniß geben zu duͤr - fen, daß er die erſte Forderung, die das Evangelium an uns thut, gewiſſenhaft erfuͤllt habe. Sie haben ſich, ſagte ich, um Erkenntniß und Ueberzeugung bemuͤht, Sie haben Jhre geliebten Jrrthuͤmer willig fahren laſſen, ſobald Sie ſie fuͤr Jrrthuͤmer erkannten. Haͤtten Sie das nicht gethan, haͤtten Sie nicht ſelbſt gearbeitet, ſon - dern alles auf mich und meine Unterredungen mit Jhnen ankommen laſſen, wie weit wuͤrden Sie dann noch zuruͤck ſeyn! Preiſen Sie Gott dafuͤr, daß er Jhnen die Sache Jhrer Seeligkeit wichtig und Sie geneigt gemacht hat, ſich um die dazu nothwendige Erkenntniß zu bemuͤhen, und ſie willig anzunehmen.

Die foͤrmliche fiscaliſche Anklage des Grafen ſollte in dieſen Tagen vor ſich gehen, und er war vorge - laden worden ſie anzuhoͤren, und was er zu ſeiner Ver - theidigung zu ſagen wuͤßte anzubringen. Er erzaͤhlte mir dieſes, und fragte mich um Raht, ob er die Sache nun gehen laſſen ſolle, wie ſie gehen wuͤrde, oder ob es ihm erlaubt ſey, zur Milderung ſeines Urtheils zu ſagen, was er etwa noch ſagen zu koͤnnen glaubte. Jch ant - wortete ihm, das Chriſtenthum verboͤte es ihm nicht, wenn er rechtmaͤßige Mittel zu ſeiner Rettung wuͤßte, ſie anzuwenden. Unter meinen Verbrechen, woruͤber ich werde angeklagt werden, ſagte er hierauf, iſt eines, das gar keiner Entſchuldigung oder Milderung faͤhig iſt. Jch ſehe alſo ein, daß die Wahrſcheinlichkeit, die ich habe, mein Leben zu erhalten, gegen die Wahrſcheinlichkeit meinesTodes,181Todes, ſehr klein iſt. Jch ſehe auch nichts angenehmes vor mir, wenn ich mit dem Leben davon kaͤme. Ein ewiges Gefaͤngniß wuͤrde mir ein unertraͤglicher Zuſtand ſeyn. Gleichwohl kann ich nicht laͤugnen, es ſchaudert mich, wenn ich an den Augenblick des Todes unter ſol - chen Umſtaͤnden denke! Ueberlegen Sie, was Sie mir rathen koͤnnen. Jch ſehe keine Hoffnung fuͤr Sie, ant - wortete ich ihm. Die Regierung hat Jhnen einen De - fenſor zugeordnet. Er kennt die Geſetze genauer, als ich ſie kennen kann. Er wird Jhnen alſo auch zuverlaͤſſi - ger als ich ſagen koͤnnen, was Sie hoffen, und was Sie nicht hoffen duͤrfen. Ueber dieß ſind Jhre Richter ſehr gewiſſenhafte und einſichtsvolle Maͤnner. Davon bin ich uͤberzeugt, ſagte er, ſie ſind als rechtſchaffene Leute mit mir umgegangen. Aber darum muß ich Sie bitten, Herr Graf, ſetzte ich hinzu, laſſen Sie den Wunſch zu leben ja nicht zu lebhaft werden, zumahl da Sie ſelbſt erken - nen, daß Sie ſo viel wie gar keine Wahrſcheinlichkeit haben, ihn erfuͤllt zu ſehen. Sie wiſſen, eine jede maͤch - tige Begierde ſtoͤrt die Seele in ihrer Ruhe, und dieſe beſonders koͤnnte auf den Fortgang Jhrer Ruͤckkehr zu Gott einen uͤblen Einfluß haben. Er gab mir die Hand darauf, daß er ſich davor huͤten wolle. Jch glaube, ſagte er, Gott wird es nicht misbilligen, daß ich den Trieb der Conſervation empfinde, den er ſelbſt mir einge - pflanzet hat. Jch hoffe aber auch, wenn ich ſterben muß, daß ich mich daruͤber beruhigen werde, da ich gewiß erwarte, daß es mir in der Ewigkeit wenigſtens nicht ſchlechter als itzt ergehen wird. Thue ich denn auch unrecht, wenn ich beym Hingange zum Tode meine na - tuͤrliche oder durch Uebung erlangte Standhaftigkeit mit zu Huͤlfe rufe? Wenn ſie nicht aus falſchen, Gott misfaͤlligen Grundſaͤtzen fließt, wenn ſich kein Stoltz kein Leichtſinn darin miſcht, wenn Sie ſich bloß dadurch ſtaͤr - ken, aber nicht die Augen der Zuſchauer auf ſich ziehenM 3und182und Ehre bey ihnen einlegen wollen, ſo ſehe ich nicht ein, daß das unrecht iſt. Aber ich hoffe, die Religion ſoll Jhnen beſſern und zuverlaͤſſigern Troſt und ſo viel Muth geben, als Sie dann noͤthig haben werden.

Er las itzt die Briefe Pauli an die Corinthier, und ſagte, er faͤnde in Paulo einen großen Geiſt, viele Klugheit und wahre Philoſophie. Unter andern habe ihm dieſes Apoſtels Entſcheidung der ſtreitigen Frage, ob es erlaubt ſey Goͤtzenopfer zu eſſen, die Klugheit deſſel - ben ſehr ſichtbar gemacht. Er ſagte daruͤber vieles, das ich wuͤnſchte angemerkt zu haben. Jch gab ihm zur Unterhaltung ſeiner Lectuͤre beyde Theile von Spaldings Predigten, die er voll Hochachtung und Dankbarkeit gegen ihren Verfaſſer annahm.

Zwey und zwanzigſte Unterredung, den 6ten April.

Die Bemuͤhungen, ſagte ich, welche Sie angewendet haben, vom Evangelio Erkenntniß und Ueberzeu - gung zu erlangen, der Beyfall, womit Sie die Lehren deſſelben angenommen haben, ſind gut und Gott wohlge - faͤllig: aber das iſt noch nicht alles, was Sie zu thun haben, wenn Sie an den Begnadigungen, die Gott Jh - nen in demſelben darbietet, Theil haben wollen. Der Glaube, den Gott von uns fordert, ſoll lebendig oder fruchtbar ſeyn. Er muß unſre Geſinnungen auf eine heilſame Art veraͤndern. Er muß unſre Handlungen dey Abſichten Gottes und unſers Erloͤſers gemaͤß beſtimmen. Unſre moraliſche Verbeſſerung muß die Folge deſſelben ſeyn, nach welcher wir das Boͤſe, das wir vorher geliebt haben, nun haſſen und meiden, das Gute aber, gegen welches wir vorher feindſeelig oder gleichguͤltig geſinnt waren, nun lieben und thun. Daß dieß billige Forde -rungen183rungen ſind, das zeigt Jhnen die Natur und Abſicht der Erloͤſung, die Gott fuͤr uns veranſtaltet hat, und daß das Evangelium ſie auch wuͤrklich an uns thut, davon uͤberzeugen Sie folgende Schriftſtellen. Roͤm. 2, 13. Tit. 1, 16. Matth. 7, 21. Jac. 2, 17.

Wollen Sie daher gewiß daruͤber werden, ob Sie ſich Hoffnung machen duͤrfen von Gott begnadigt zu ſeyn, ſo muͤſſen Sie ſich pruͤfen, ob durch die Erkenntniß und Annahme des Evangelii dieſe Veraͤnderung bey Jh - nen bewuͤrkt worden iſt. Forſchen Sie alſo nach, ob Sie Jhre Vergehungen alle, ohne Ausnahme, ohne ſich ſelbſt zu ſchmeicheln, wuͤrklich verabſcheuen, ob Sie ſie von Herzen bereuen, ob Sie ſie, wie ſie es denn in der That ſind, fuͤr die groͤßeſten unter allen Uebeln halten, von denen Sie itzt gedruͤckt werden? Und das nicht etwa allein deswegen, weil Sie die unangenehme Folgen der - ſelben erfahren, ſondern vornemlich darum, weil Sie Gott, Jhren wohlthaͤtigen Vater, der aus Liebe zu Jh - nen ſeines einigen Sohnes nicht verſchont hat, dadurch beleidigt haben. Hat die Religion bey Jhnen dieſe Ver - aͤnderung hervorgebracht, ſo wird ſie auch in Jhrer Seele eine Neigung zu dem entgegengeſetzten Guten, und uͤber - haupt zu allem, was gut und Gott wohlgefaͤllig iſt, gewuͤrkt haben. Auch daruͤber muͤſſen Sie ſich pruͤfen. Sie haben bey dieſer Unterſuchung nicht ſo ſehr auf den Grad Jhrer Veraͤnderung, als auf das Daſeyn und die Wahrheit derſelben zu ſehen. Das Evangelium beſtimmt nirgends, welchen Grad der Reue uͤber die Suͤnde, des Vertrauens auf Gott und der Liebe zu ihm wir haben muͤſſen. Aber das ſagt es, daß wahre unverſtellte Reue uͤber alle unſre Suͤnden, ernſtliches Verlangen nach Gnade, kindliche Zuverſicht zu Gott durch Chriſtum, aufrichtige Liebe gegen Gott und unſern Erloͤſer, und feſter allgemeiner Vorſatz dieſe Liebe in allen uns moͤglichenM 4guten184guten Geſinnungen und Thaten zu beweiſen, unumgaͤng - lich nothwendig ſind.

Ehe Sie vom Chriſtenthum uͤberzeugt waren, unterſuchten wir Jhren moraliſchen Zuſtand: laſſen Sie uns nun, da Sie ein Chriſt ſind, dieſe Unterſuchung wie - derhohlen. Damals war meine Abſicht die, Jhr Gewiſſen unruhig, und nach dem Troſte der Religion dadurch be - gierig zu machen: itzt iſt es dieſe, beurtheilen zu koͤnnen, ob Sie faͤhig ſind, die Troͤſtungen des Evangelii auf ſich anzuwenden. Jhre Reue wird dadurch erneuert, ſie wird durch die Erinnerung an die durch Chriſtum offen - bahrte Liebe Gottes, die Sie damals noch nicht erkann - ten, verſtaͤrkt werden. Und dieſe Reue darf Sie auch nie verlaſſen, ſo lange Sie leben. Sie wird aber nun nicht mehr eine erſchuͤtternde aͤngſtliche Empfindung ſeyn, denn Sie wiſſen itzt ſchon, wo Sie Vergebung der Suͤnde finden werden.

Jch ſtellte hierauf dem Grafen vor, daß es nun darauf ankaͤme, wie er ſich in dieſer Unterſuchung finden wuͤrde, ob und was fuͤr Hoffnungen er zu Gott faſſen duͤrfe. Jch wollte ihm diejenigen Fragen vorlegen, die ich dabey fuͤr noͤthig hielte, und ich baͤte ihn mir dieſelben aufrichtig zu beantworten, damit er mich nicht in die Gefahr ſetzte, ihm falſche Hoffnungen zu machen, und ſich ſelbſt, ſich einer ungegruͤndeten Beruhigung zu uͤber - laſſen. Zugleich erſuchte ich ihn, mir ſeine Antworten in die Feder zu dictiren, damit ich zu Hauſe mit Nachden - ken uͤber die Beſchaffenheit ſeiner Geſinnungen urtheilen, und wo ich noch etwas mit dem Sinne des Evangelii nicht uͤbereinſtimmendes faͤnde, auf Mittel denken koͤnnte, es zu verbeſſern. Er verſprach mir heilig, daß er mir ſein Herz ganz entdecken wolle, und folgende Antworten auf meine Fragen ſind ganz genau ſeine eignen Worte.

Jſt185

Jſt es Jhnen von Herzen leid, daß Sie Gott durch die wolluͤſtigen Gedanken und Handlungen beleidigt haben, deren Sie ſich ſchuldig wiſſen? Jch ſehe das an als eines meiner groͤßten Verbrechen, und weiß, daß ich dadurch immer mehr von der Wahrheit entfernt wor - den bin, die ich in der Erkenntniß der Religion haͤtte finden koͤnnen, und ich halte davor, daß dieß die Haupt - quelle aller meiner Vergehungen und Laſter iſt.

Denken Sie aus eben dieſem Grunde mit Abſcheu an diejenigen Ausſchweifungen zuruͤck, die Jhnen nach Jhrer ehemaligen verderbten Geſinnung die meiſte Freude gemacht haben? Jch denke nicht bloß mit der groͤße - ſten Gleichguͤltigkeit an alle die Freuden, die ich im Sinnlichen geſucht; und um ſo viel mehr, da ich itzt empfinde, daß die wahre Gluͤckſeeligkeit in ganz entgegen - geſetzten Geſinnungen beſteht, haſſe ich daher die erſten eben ſo ſehr, als ich wuͤnſche die andern zu erhalten, indem ich wuͤnſche Gott durch die Berichtigung meiner Geſinnungen gefaͤllig zu werden.

Glauben Sie gewiß zu ſeyn, daß Sie kuͤnftig, wenn Sie Gelegenheit zu dieſen Suͤnden haͤtten, ſie aus Gehorſam gegen Gott vermeiden wuͤrden? Jch bin verſichert, daß ich ſie aus keiner andern Urſache zu vermeiden im Stande ſeyn wuͤrde. Daher, da ich einen lebhaften Vorſchmack von der Gluͤckſeeligkeit der Tugend habe, und ich gewiß verſichert bin, daß ich dieſe nicht anders, als durch die wahre Furcht Gottes und die Be - gierde mich ſeinem Willen gemaͤß zu verhalten, erlangen koͤnnen wuͤrde, ſo habe ich auch den gewiſſen Vorſatz ge - faßt, ſolche nie aus der Acht zu ſetzen, ſondern alle meine Geſinnungen und Handlungen durch den kraͤftigen Bey - ſtand dieſer Mittel, welche ich durch die wahre Erkennt - niß Gottes und ſeiner Lehre habe kennen gelernt, zu berichtigen.

M 5Bekla -186

Beklagen Sie es ernſtlich, und weil Sie empfin - den, wie ſehr Sie ſich auch dadurch gegen Gott vergan - gen, daß Sie nicht etwa allein dieſe oder jene Perſon, ſondern auch andere Menſchen durch Jhre Wolluſt unmo - raliſch und ungluͤcklich gemacht haben? Jch empfinde nichts heftiger, als daß ich durch meine Grundſaͤtze, Leichtſinnigkeit und Neigung zur Wolluſt gewiſſe Perſo - nen ungluͤcklich gemacht habe. Nicht allein in Abſicht ihrer zeitlichen Wohlfart, ſondern auch in Anſehung der Verderbung ihres moraliſchen Characters. Doch bereue ich zugleich ſehr lebhaft das Verderben, welches ich in den Sitten anderer Menſchen durch mein Exempel veran - laßt. Um ſo viel mehr, da ich erkennen gelernt, wie ſehr misfaͤllig Gott die Veranlaſſung der Zerſtoͤrung ſeiner heiligen Ordnung durch gegebene Aergerniſſe ſey. Jch mache mir auch große Vorwuͤrfe uͤber diejenigen Perſo - nen, welche ich thaͤtlich verfuͤhrt habe.

Verabſcheuen Sie aus eben dieſem Grunde der Liebe zu Gott alle Vergehungen, zu denen Sie der Ehr - geiz verleitet hat? Auch die falſchen Grundſaͤtze, auf denen ſich Jhre Ambition ſtuͤtzte? Auch die unerlaubten Mittel, deren Sie ſich bedient haben? Da die erſten morali - ſchen Grundſaͤtze, nach denen ich handelte, vor Gott nichts taugten; da ſie bloß in einem mir ſelbſt gemachten Syſtem uͤber die Ehre beſtanden; da ſie allein in den, in der ſogenannten honnetten Welt angenommenen Be - griffen von der Rechtſchaffenheit gegruͤndet waren; da ich mich bloß, mit Ausſchließung aller aus der goͤttlichen Lehre fließenden Erkenntniß, durch meine den Begierden gehorſame Vernunft leiten ließ; da ich mir zu vortheil - hafte Vorſtellungen von meinen Einſichten machte, und da niemals dabey mein Endzweck der war, Gott gefaͤllig zu werden, oder ſeinen Willen zu erfuͤllen, ſondern bloß zeitliche Abſichten, wenn ſie auch nicht allezeit auf mich allein gerichtet waren: ſo kann ich nach meiner itzigenUeber -187Ueberzeugung nicht anders, als vor Gott dieſen ganzen Zuſammenhang meiner Handlungen in Abſicht auf die Ehre fuͤr verwerflich halten, ſelbſt wenn ich ſie auch vor der Welt entſchuldigen und rechtfertigen koͤnnte.

Sind Sie daruͤber bekuͤmmert, daß ſo vieler Menſchen Gluͤck, nicht bloß Jhrer Freunde, die nun mit Jhnen leiden, ſondern auch anderer, die in der Zeit Jhrer Groͤße gelitten haben, ein Opfer Jhrer ehrgeizigen Unternehmungen geworden iſt? Jndem ich oft zu leichtſinnig uͤber die Gluͤckſeeligkeit anderer geurtheilt, und den Satz gemißbraucht, daß einzelne Perſonen um des Beſten des Ganzen willen leiden muͤßten, ſo muß ich geſtehen, daß ich dieß nicht vor Gott entſchuldigen kann, da derſelbe die Liebe des Naͤchſten ſo ſehr und als die hauptſaͤchliche Tugend empfohlen hat, welche will, daß ein jeder, der ſich dazu im Stande befindet, auch das zeitliche Wohl einzelner Perſonen ſo viel moͤglich be - foͤrdere, oder wenigſtens nicht zernichte. Und es koͤnnen ſelbſt alle die politiſchen Urſachen, die mich dazu veran - laßt, in meinem Gewiſſen mich nicht daruͤber entſchuldi - gen und beruhigen. Das Ungluͤck meiner Freunde empfin - de ich um ſo viel heftiger, da meine natuͤrliche Empfind - lichkeit mich ohnehin dazu diſponirt.

Glauben Sie, daß Sie nun, wenn es moͤglich waͤre, daß Sie wieder in die Welt treten koͤnnten, aus Grundſaͤtzen der Religion alle unordentliche Ehrbegierde vermeiden wuͤrden? Nach meinen itzigen Geſinnun - gen bin ich gewiß verſichert, daß ich mich darnach beſtre - ben, und ohne Unterlaß Gott um Beyſtand, um mir die Kraͤfte dazu zu geben, anrufen wuͤrde.

Sind Jhnen Jhre leichtſinnigen Vergehungen gegen die Religion und die Sitten aus dem Grunde von Herzen leid, weil Sie nun einſehen, daß Sie dadurch den Abſichten Gottes entgegen gearbeitet haben? Auchder188der Leichtſinn und die Unehrerbietung, womit Sie ſelbſt uͤber Gott, Religion und Tugend gedacht haben? Sie ſind mir nicht allein leid, ſondern es demuͤthigt mich gar ſehr, daß ich ſo lange in Jrrthum gelebt, und aus ſtolzer Einbildung und Zuverſicht auf meine damaligen Grund - ſaͤtze, die ich einer leichtſinnigen Unterſuchung der Wahr - heit zu danken habe, mich ſo ſehr von dieſer letztern ent - fernt, und mich ſo lange des Vergnuͤgens, welches ich itzt aus der Erkenntniß derſelben ſchoͤpfe, beraubt habe. Da ich itzt uͤberzeugt bin, daß die wahre Gluͤckſeeligkeit der Menſchen bloß in der Religion und den guten Sit - ten beſtehe, ſo empfinde ich um ſo viel heftiger den Schmerz des Bewußtſeyns, das ich auch durch meine Leichtſinnigkeit Schaden angerichtet, und Gelegenheit gegeben, daß manche vielleicht von Tugend und Religion ſind zuruͤck gebracht worden.

Bereuen Sie den Leichtſinn, mit welchem Sie ſich ans Ruder des Staats geſetzt, Geſetze gegeben, und die Gluͤckſeeligkeit der Nation behandelt haben? Jch finde mich in meinem Gewiſſen auch daruͤber ſchuldig. Wenn ich auch aus den Umſtaͤnden, in denen ich mich befunden, und welche mich weiter hineingezogen, als ich anfaͤnglich gedacht, einige Entſchuldigung deswegen ma - chen koͤnnte, ſo bleibt es doch immer meine Schuld, daß ich mich nicht ernſtlicher widerſetzt, und aus der Religion diejenigen Bewegungsgruͤnde, die ich darin finden koͤn - nen, hergenommen habe.

Bereuen Sie alle Jhre Suͤnden, keine einzige ausgenommen? Jch habe mich genau unterſucht, und finde alle diejenigen Handlungen, welche Gott an mir misfaͤllig ſind, als eine reiche Quelle mir Schmerz und Reue zu verurſachen. Auch habe ich bey genauer Unter - ſuchung meiner vorhergehenden Geſinnungen gefunden, daß ich noch zu viel mehreren Vergehungen faͤhig geweſen waͤre, wenn ich nicht durch Nebenumſtaͤnde oder einenatuͤr -189 natuͤrliche Diſpoſition meiner Neigungen davon waͤre ab - gehalten worden, daß ſie nicht zur Wuͤrklichkeit gekom - men ſind. Jch erinnere mich keiner Suͤnde ohne Reue.

Wuͤnſchen Sie, und wuͤrden Sie ſich beſtreben, wenn Sie dazu Gelegenheit haͤtten, den Schaden, den Sie in der Welt verurſacht haben, ſo viel es moͤglich waͤre zu erſetzen? Da es mir itzt nicht moͤglich iſt, durch Handlungen meinen aufrichtigen Abſcheu gegen alles Boͤſe zu beweiſen, und mein Verlangen, ſo viel Gutes als moͤglich zu thun, und den verurſachten Scha - den zu erſetzen, ſo geht mein einziges Beſtreben dahin, meine Geſinnungen ſo zu berichtigen, daß ſie Gott wohl - gefaͤllig und ich dadurch faͤhig werde, alle meine noch moͤglichen Handlungen ſo einzurichten, wie ſie ſeinem Endzweck und Willen gemaͤß ſind.

Wuͤrden Sie ſuchen, diejenigen, die Sie zum Unglauben und zur Suͤnde verleitet haben, wieder zuruͤck - zubringen? Da ich hoffe, daß ich beſtaͤndig die Gluͤck - ſeeligkeit meiner Veraͤnderung gleich ſtark empfinden wuͤr - de, und da ich immer meine Zufriedenheit darin geſetzt habe, andre an meinem Vergnuͤgen Theil nehmen zu ma - chen, ſo bin ich verſichert, daß ich auch alles anwenden wuͤrde, diejenigen, die ſich von Wahrheit und Tugend entfernt, zuruͤckzubringen, zumahl die, welche ich durch mein Exempel oder Reden irre gemacht, und andre im Guten zu befeſtigen.

Wuͤrden Sie das Chriſtenthum ſtandhaft beken - nen und uͤben, und ſind Sie feſt entſchloſſen, es bis ans Ende zu bekennen und nach den Vorſchriften deſſelben zu handeln? Jch mache mir itzt eben ſo viel Ehre daraus ſolches zu bekennen, und zu geſtehen, daß ich vorher im Jrrthum gelebt habe, als ich vorher vielleicht einen Ruhm darin geſucht habe, es geringe zu ſchaͤtzen. Mein Ent - ſchluß, welcher in einer vollkommenen Ueberzeugung,und190und nicht in blindem Gefuͤhl, gegruͤndet iſt, giebt mir die zuverſichtliche Hoffnung, daß ich unter allen Umſtaͤnden und bis ans Ende darin beharren, und darnach handeln werde.

Sind Sie ſichs bewußt, daß Sie keine feindſee - lige Geſinnungen gegen diejenigen hegen, die Sie etwa fuͤr Jhre Feinde halten, auch nicht gegen die, welche Jhr gegenwaͤrtiges Ungluͤck befoͤrdert haben? Da ich uͤberhaupt nach meinem Temperament nicht rachſuͤchtig bin, ſo bin ich es in dieſem Falle um deſto weniger, da ich denen Perſonen, die an meinem Ungluͤcke Schuld ſind, zutraue, daß Sie aus Ueberzeugung und in der Abſicht, das Beſte des Koͤnigs und des Landes zu befoͤrdern, die Sache ausgefuͤhrt haben. Und ſollte auch jemand aus perſoͤnlicher Feindſchaft gehandelt haben, ſo vergeſſe ich es doch mit derſelbigen Bereitwilligkeit.

Bitten Sie in Jhrem Herzen alle, die von Jh - nen beleidigt worden ſind, ohne Ausnahme, um Ver - gebung? Da ich aufrichtig bereue andre beleidigt zu haben, ſo iſt das wenigſte, das ich thun kann, dieſes, daß ich dieſe Perſonen um Verzeihung bitte.

Sind Sie ſichs bewußt, daß Sie vor Jhren Richtern und auch in Jhren Unterredungen mit mir, die lautere Wahrheit geredet haben, und in dem, was Sie etwa mit Jhrem Defenſor zu Jhrer Vertheidigung ver - abreden moͤgen, ſagen werden? Jch kann mich nicht erinnern, daß ich vor meinen Richtern eine vorſetzliche Unwahrheit geſagt habe, wenn ſich nicht etwa aus Man - gel meines Gedaͤchtniſſes etwas unrichtiges eingeſchlichen hat. Jhnen bin ichs mir noch weniger bewußt, habe auch den Vorſatz nichts zu meiner Vertheidigung zu ſa - gen, daß nicht mit der Wahrheit uͤbereinſtimmt.

Empfinden Sie ein wahres Verlangen nach Jh - rer Begnadigung von Gott, und zwar durch die ver -ſoͤhnung191ſoͤhnung Jeſu Chriſti, und trauen Sie es Gott zu, daß er Jhnen dieſelbe nicht verſagen werde? Jch habe keine andere Hoffnung, als in der Begnadigung von Gott, und bin uͤberzeugt, daß kein anderes Mittel fuͤr mich ſey ſolche zu erhalten, als durch das Verdienſt Chriſti. Jch beſtrebe mich derſelben wuͤrdig zu werden durch aufrichtigen Glauben an dieſen Erloͤſer, und daß ich alle meine Gedanken und Geſinnungen nach ſeinem Sinn einrichte, um dadurch faͤhig zur Gemeinſchaft Got - tes zu werden. Jch bitte Gott mir dazu Kraft zu geben, da ich in mir ſelbſt nur Unvermoͤgen und Schwaͤche dazu empfinde.

Halten Sie dieſe Begnadigung fuͤr die hoͤchſte Wohlthat, die Jhnen wiederfahren kann, fuͤr eine weit groͤßere, als die Erhaltung Jhres zeitlichen Lebens ſeyn wuͤrde? Die Erhaltung meines zeitlichen Lebens und aller Vortheile ſcheinen mir nur gering in Ruͤckſicht auf die Erlangung dieſer Gluͤckſeeligkeit, wovon mir meine innere Empfindungen ſchon Erfahrungen gegeben haben.

Erkennen Sie ſich um dieſer Begnadigung willen fuͤr verbunden zur herzlichen Liebe Gottes und Jhres Er - loͤſers, und werden Sie allen Fleiß anwenden, in dieſer Liebe zuzunehmen? Je laͤnger ich es fuͤhle, und je mehr ich davon uͤberzeugt werde, deſto mehr Eindruck macht die Guͤte Gottes und meines Erloͤſers auf mich, und meine eifrige Liebe und Dankbarkeit gegen Gott und Jeſum wird dadurch immer groͤßer und lebhafter.

Sind Sie entſchloſſen, dieſe Jhre Liebe zu Gott, ſo lange Sie noch Zeit dazu haben werden, durch einen willigen Gehorſam gegen ſeinen Willen zu beweiſen? Da ich hoffe immer mehr und mehr von der Liebe Got - tes auch gegen mich uͤberzeugt zu werden, da ich erkenne, daß auch das, was er uͤber mich beſchloſſen, in aller Ab - ſicht, zumahl in Hinſicht meiner Seele, mir das vortheil -hafteſte192hafteſte iſt, ſo bin ich verſichert, daß ich mich in alles, was ſein Wille iſt, ohne Murren und Widerwillen erge - ben werde.

Auch wenn unter der Regierung Gottes Jhr Tod in wenig Tagen unvermeidlich wird, wollen Sie ihn, mit allen den ſchrecklichen Umſtaͤnden, die mit ihm verbunden ſeyn koͤnnen, demuͤthig und mit Vertrauen auf Gott leiden? So viel in meinen Kraͤften iſt, und durch das Vertrauen, ſo ich auf Gott ſetzen werde, hoffe ich den Tod in Gott wohlgefaͤlliger Faſſung zu leiden.

Sind Sie entſchloſſen, dabey Jhren Troſt aus der Religion herzuleiten, und nicht irgend einen verſteck - ten Ehrgeiz oder eine erzwungene Standhaftigkeit zu Huͤlfe zu rufen? Nachdem ich ſo ſehr auf alles, was Ehrgeiz iſt, Verzicht gethan und habe thun muͤſſen, ſo bin ich verſichert, daß ich auch in dem Augenblick keine Regung dieſer Leidenſchaft empfinden, ſondern daß ich bloß meine Standhaftigkeit aus den Grundſaͤtzen und Troſtgruͤnden der Religion herzuleiten ſuchen werde. Selbſt mein vormaliger Ehrgeiz wuͤrde mich nicht zur Affectation getrieben haben. Jch wuͤrde auch ohne Reli - gion gerade mit einem ſolchen aͤußerlichen Bezeugen ge - ſtorben ſeyn, wie es meiner innern Empfindung gemaͤß geweſen ſeyn wuͤrde. Jch bin eigentlich nur in Behaup - tung meiner Meynungen opiniatre geweſen, und darin habe ich oft ſtandhaft zu ſeyn affectirt.

Beym Schluſſe dieſer Pruͤfung verſicherte mich der Graf, daß er mir in allen Stuͤcken ganz genau die Geſinnungen ſeines Herzens eroͤffnet habe. Jch hatte auch waͤhrend des Dictirens ſeine Aufrichtigkeit an ſeinem ganzen Bezeugen, und beſonders daran gemerkt, daß er ſorgfaͤltig auf die Bedeutung der Worte achtete, und oft eines oder das andere zuruͤcknahm, weil es ſeinen Gedanken nicht ganz angemeſſen waͤre, und zu wenig oderzu193zu viel ſagte. Jch verſprach ihm, daß ich nun uͤber dieſe ſeine Aeußerungen von ſeiner gegenwaͤrtigen Geſinnung ſorgfaͤltig nachdenken, und ihm alsdann aufrichtig nach meiner Ueberzeugung ſagen wolle, ob dieſe mit dem Sin - ne des Evangelii uͤbereinſtimme, und er ſich alſo fuͤr begnadigt von Gott halten koͤnne.

Als ich ihn verlaſſen wollte, bat er mich noch ein wenig bey ihm zu bleiben, weil er mir noch etwas zu ſagen haͤtte. Jch habe, ſagte er hierauf, uͤber die Sache nachgedacht, uͤber die ich Sie neulich um Raht fragte. Jch ſehe es ein, mein Leben kann nicht gerettet werden. Jch bin auch daruͤber ruhig, und hoffe der Wunſch zu leben ſoll mich nicht mehr beunruhigen, ob ich gleich itzt nicht wiſſen kann, wie mir ſeyn wird, wenn ich dem Tode ganz nahe ſeyn werde. Wenn nur der ſchreckliche Augenblick erſt uͤberſtanden iſt, ſo habe ich nichts verloh - ren. Bin ich bey meinem Hingange zum Tode nur im Stande zu denken, ſo bin ich gewiß, daß ich in der Re - ligion Ruhe und Troſt genug finden werde. Und wenn Sie ſich nicht darauf beſinnen koͤnnten, Herr Graf, ſo will ich Sie daran erinnern. Jch weiß zwar auch nicht, wie mir dann ſeyn wird. Wenn Sie nur nicht, ſagte er hierauf, zu ſehr afficirt werden! Das wuͤrde mich ſehr beunruhigen. Jch will mein moͤglichſtes thun mich in meiner Faſſung zu erhalten, und ich hoffe, ich werde es koͤnnen, wenn ich dann nur die Hoffnung habe, daß Sie als ein Chriſt ſterben werden.

Jch habe aber, fuhr er fort, uͤber eine andre Sache viel Unruhe gehabt. Sie wiſſen mein Hauptver - brechen. Sie wiſſen, daß durch mein Geſtaͤndniß deſſel - ben auch andre Perſonen, denen ich viel ſchuldig bin, ungluͤcklich worden ſind. Dieſe Betrachtung hat mir den Gedanken erweckt, ob es nicht meine Pflicht geweſenNwaͤre194waͤre, um ihrentwillen die Wahrheit zu verſchweigen, ob mich nicht Dankbarkeit und Freundſchaft dazu verbunden haͤtten. Jch bin ſehr unruhig daruͤber geweſen. Aber, wie ich es itzt immer mache, wenn mir aͤngſtlich iſt, ich nahm ſo gleich meine Zuflucht zum Gebet, und dachte darauf die Sache, mit beſtaͤndiger Richtung meines Her - zens auf Gott, von allen Seiten durch. Jch fand bald, daß mein Laͤugnen doch ohne Zweifel die Wahrheit nicht haͤtte verhindern koͤnnen offenbar zu werden. Jch fand, daß ich ſehr uͤbel gethan haben wuͤrde, wenn ich ein Ver - brechen mit dem andern haͤtte bedecken wollen, daß mich das nicht allein mit neuer Gewiſſensangſt erfuͤllt, ſondern mich auch aller Begnadigung von Gott unfaͤhig gemacht ha - ben wuͤrde. Und das waͤre doch zu viel gefordert, daß ich um andre zu erhalten, meine Seeligkeit aufopfern ſollte. Jch fand endlich, daß, wenn ich auch bis itzt alles ge - laͤugnet gehabt haͤtte, ich es Jhnen nun doch noch, mein wehrter Freund, geſtehen, und Sie bitten muͤßte, es meinen Richtern zu eroͤffnen. Durch dieſe Gruͤnde bin ich ſo gluͤcklich geweſen beruhigt zu werden. Jch mache mir auch nun nichts daraus, wenn Leute, die keine Vorſtellung davon haben, was es heißt um ſein ewiges Heil bekuͤmmert zu ſeyn, mich fuͤr einen Treuloſen und Verraͤther halten. Mein Geſtaͤndniß muß doch den Bey - fall rechtſchaffener und verſtaͤndiger Chriſten haben. Jn - zwiſchen bekuͤmmert mich das Ungluͤck, welches meinen Freunden durch mein Geſtaͤndniß zugezogen worden iſt, mehr als ich ſagen kann. Jch kann nichts thun um ihnen ihren Schaden gut zu machen, als daß ich Gott um den Troſt der Religion und Tugend fuͤr ſie anſtehe. Darum bitte ich ihn unablaͤßig, und wird mein Gebet erhoͤrt, ſo bin ich uͤberzeugt, daß ihnen ihr Verluſt reichlich er - ſetzt iſt.

Drey195

Drey und zwanzigſte Unterredung, den 7ten April.

Jch habe alles genau uͤberlegt, Herr Graf, was Sie mir geſtern auf meine Fragen geantwortet haben. Jch finde nichts darin, das den Vorſchriften des Evan - gelii widerſpricht. Zum Voraus geſetzt alſo, daß Sie aufrichtig gegen mich geweſen ſind, wie ich denn keine Urſache habe daran zu zweifeln, ſo haben Sie durch Got - tes Gnade die Bedingungen bis hierher erfuͤllt, unter denen uns Gott ſeine Begnadigung verſprochen hat. Gottlob, antwortete er, meine Gemuͤthsruhe iſt mir auch ein Beweis davon, daß mich Gott nicht verworfen hat. Jch kann es mir gar nicht verhehlen, daß ich itzt in mei - nen Banden und in der Naͤhe eines ſchrecklichen Todes viel gluͤcklicher bin, als ich in meiner vorigen irdiſchen Groͤße war.

Daß ich Jhnen keine falſche Hoffnung mache, das will ich Jhnen aus dem Worte Gottes zeigen. Es verſteht ſich aber von ſelbſt, daß Sie in Jhren gegen - waͤrtigen Geſinnungen bis ans Ende beharren, und ſie, ſo ſehr Sie koͤnnen, zu befeſtigen, zu vermehren und fruchtbar zu machen ſuchen muͤſſen, wenn folgende Schriftſtellen Jhnen die Zuverlaͤſſigkeit Jhrer Hoffnung beweiſen ſollen. Joh. 3, 16. Matth. 10, 32. Matth. 6, 14. 1 Joh. 2, 5. Roͤm. 8, 35-39. Tit. 3, 3-7. 1 Tim. 1, 12-16. Roͤm. 6, 20-22. Luc. 15, 11-32. Wir giengen alle dieſe Ausſpruͤche der Schrift mit einander durch, ich zeigte ihm, wie in einem jeden derſelben die Hoffnung, die ich ihm gemacht haͤtte, gegruͤndet waͤre, und einige unter ihnen, die ganz beſonders auf ihn angewendet wer - den konnten, z. Ex. die drey letztern, waren ihm vorzuͤg - lich beruhigende Zeugniſſe.

N 2Es196

Es wird Jhnen nun ſehr erfreulich ſeyn, die Vor - theile genauer kennen zu lernen, die Sie von Jhrer Be - kehrung zu erwarten haben. Das wird Sie im Glauben befeſtigen, das wird Jhnen uͤberſchwenglichen Troſt gegen den Tod geben. Ja, ſagte er, ich werde ſehen, daß mein Tod nur Ein ſchwerer Schritt iſt, und daß mir alles, was ich durch denſelben verliere, herrlich erſetzt werden wird.

Wer durch wahren Glauben an Jeſum, fuhr ich fort, und durch rechtſchaffene Sinnesaͤnderung mit Gott verſoͤhnt iſt, der hat Vergebung aller ſeiner Suͤnden, ſo groß, ſo mannigfaltig ſie auch ſeyn moͤgen, ſo lange Zeit er auch im Dienſt derſelben mag verſchwendet haben. Gott ſieht ihn an, als wenn er nie geſuͤndigt haͤtte, und hat alſo an ihm kein Misfallen weiter, ſpricht ihn auch frey von aller Strafe, die er mit derſelben fuͤr die Ewig - keit verdient hat. Roͤm. 8, 1. 1 Cor. 6, 11. Auch die Suͤn - den der Schwachheit und Uebereilung, die er nach ſeiner Bekehrung noch begehen moͤchte, womit aber keine muht - willigen und vorſetzlichen Vergehungen zu verwechſeln ſind, werden ihm nicht weiter zugerechnet. 1 Joh. 2, 1.

Jhre Suͤnden waren gewiß groß, ihrer waren unzaͤhlige, unter zehn tauſend Suͤndern war vielleicht kaum einer, der mit einer ſo guten natuͤrlichen Anlage ſo boͤſe geworden, ſo viel Schaden in der Welt Gottes ver - urſacht haͤtte, als Sie. Jhr ganzes Leben, von Jhrer erſten Jugend an, bis auf die Zeit, da der Nebel Jhrer Jrrthuͤmer anfieng ſich zu zertheilen, war eine Kette von Vergehungen. Je mehr ein Menſch geſunde Vernunft, moraliſches Gefuͤhl, natuͤrliche Ehrlichkeit hat, um ſo viel ſchwerer muß ſein Urtheil vor Gott ausfallen, wenn er gleichwohl boͤſer wird, und mehr Schaden ſtiftet, als andre, die jene Vortheile in einem geringen Grade haben. Was hatten Sie nun fuͤr ein Urtheil an dem großenGerichts -197Gerichtstage zu erwarten! Was ſtund Jhnen fuͤr eine furchtbare, ſchreckliche Ewigkeit bevor! Wenden Sie aber nun die Worte Pauli auf ſich an. 1 Tim. 1, 15-16. Sie paſſen ſo genau auf Sie, als wenn ſie allein zu Jh - rem Troſt geſchrieben waͤren. Sie ſagen mit einer ge - gruͤndeten voͤlligen Ueberzeugung: Das iſt je gewißlich wahr, es iſt ein theuer wehrtes Wort, daß Jeſus Chri - ſtus in die Welt kommen iſt, die Suͤnder ſeelig zu machen. Sie waren einer der vornehmſten unter den Suͤndern: aber Jhnen iſt Barmherzigkeit wiederfahren. Gott und Jhr Erloͤſer hat an Jhnen den Reichthum ſeiner Geduld und Langmuth erwieſen, andern zum Beyſpiel, die an ihn zum ewigen Leben glauben ſollen. Jch hoffe ſehr, da itzt aller Welt Augen auf Sie gerichtet, und Jhre vorige Jrreligion und Laſterhaftigkeit ſo allgemein bekannt ſind, daß mancher, der bisher noch eben ſo denkt und handelt, durch die Nachricht von Jhrer vernuͤnftigen und aufrichtigen Bekehrung zu einer gleichen Sinnesaͤn - derung erweckt werden wird.

Vor Gott ſind Sie alſo von aller Schuld und Strafe Jhrer Suͤnden losgeſprochen, vor ihm werden Sie angeſehen, als wenn Sie nie geſuͤndigt haͤtten. Menſchen moͤgen noch uͤbel von Jhnen denken: haſſen werden ſie Sie wenigſtens nicht, wenn ſie Chriſten ſind. Jhr eignes Gewiſſen mag Sie noch daran erinnern, wer Sie geweſen ſind, aber es wird Jhnen auch ſagen, daß Sie nun beſſer denken und handeln. Zeitliche Strafen werden noch auf Jhre Vergehungen folgen: aber der Tod iſt auch die letzte. Jn der Ewigkeit iſt fuͤr Sie nichts weiter zu fuͤrchten, ſondern alles zu hoffen. Denn wo Vergebung der Suͤnde iſt, da iſt auch Leben und Seeligkeit. Und die Suͤnden der Schwachheit, die Sie etwa noch begeben moͤchten, koͤnnen Jhnen dieſe Vor - theile nicht entziehen.

N 3Bey198

Bey dieſer Gelegenheit redeten wir von der taͤg - lichen Buße, ich zeigte ihm worin ſie beſtehe, und wie noͤthig ſie uns ſey, wenn wir uns nicht in Gefahr ſetzen wollten, nach und nach von unſern Begierden uͤberwun - den zu werden, und unſre Vortheile wieder zu verlieren. Er antwortete mir, er ſey ſchon von der Nothwendigkeit der Sache ſelbſt durch Nachdenken oder Leſen uͤberzeugt worden, ob er ſie gleich nicht unter dieſem Nahmen gedacht habe. Jch unterſuche mich itzt, ſagte er, jeden Abend, ob ich den Tag uͤber etwas gethan oder gedacht habe, das Gott misfaͤllig iſt, und finde ich etwas, ſo bitte ich Gott gleich im Nahmen meines Erloͤſers um Ver - gebung, und wiederhohle meine guten Vorſaͤtze mit ihren Gruͤnden. Mich deucht auch, ich kann itzt mit mehr Freudigkeit beten. Bisher fuͤhlte ich mich noch immer unwuͤrdig dazu: aber ich habe es doch im Vertrauen auf Gottes Guͤte oft gewagt zu beten.

Danken Sie alſo auch, fuhr ich fort, unſerm Gott taͤglich in Jhrem Gebet, daß er Sie durch die Kraft der Wahrheit zum Glauben, an Jeſum und zu der Beſſe - rung Jhrer Geſinnungen gebracht, wodurch Sie auch itzt zu der Zuverſicht berechtigt werden, daß an Jhnen nichts verdammliches mehr iſt. Danken Sie ihm, daß er Jhre Aufmerkſamkeit auf Jhren moraliſchen Zuſtand gelenkt, daß er Jhnen den Willen gegeben, Jhr Elend einſehen zu lernen, daß er Sie geneigt gemacht durch den einzigen zuverlaͤſſigen Weg der Ueberzeugung von Jh - ren Jrrthuͤmern zuruͤck zu kommen und der Wahrheit entgegen zu eilen. Danken Sie ihm fuͤr jede heilſame Ruͤhrung, die ſein Wort in Jhrer Seele verurſacht, fuͤr jeden guten Gedanken, den es Jhnen eingefloͤßt, fuͤr jede gottſeelige Entſchließung, zu der Sie durch daſſelbe ver - anlaßt wurden, fuͤr die ganze Reihe der Vorſtellungen und Empfindungen, deren Ende Jhre wahre und aufrichtigeBekeh -199 Bekehrung geweſen iſt. Er erinnerte ſich hier mit Dank - barkeit an die maͤchtigen Eindruͤcke, die viele Stellen in den geleſenen Buͤchern, zumahl in der Lebensgeſchichte Jesu, auf ſein Herz gemacht haͤtten, und geſtand, daß dadurch ſeine Neigung die Wahrheit zu ſuchen und anzu - nehmen von Zeit zu Zeit waͤre geſtaͤrkt worden.

Jch bin nun mit mir ſelbſt daruͤber einig worden, ſagte der Graf noch kurz vorher, ehe ich ihn verließ, wie ich mich in Anſehung meiner Defenſion verhalten will. Mein Leben kann nicht erhalten werden, und rechtfertigen kann ich meine Handlungen auch nicht. Doch glaube ich zeigen zu koͤnnen, daß einige derſelben nicht ſo ſehr boͤſe ſind, als ſie zu ſeyn ſcheinen. Denn Sie wiſſen, es iſt zweyerley, ſein Verhalten moraliſch und politiſch, vor Gott und vor der Welt beurtheilen. Jch weiß, wie ſchlecht alle die meinigen in jener Abſicht geweſen ſind, aber es folgt nicht, daß eine Sache, die moraliſch ſehr boͤſe iſt, es von der politiſchen Seite betrachtet in eben dem Grade auch ſeyn muͤſſe. Jch will zufrieden ſeyn zu zeigen, und mehr kann ich auch nicht, daß meine politi - ſchen Fehler Fruͤchte des Jrrthums, der Uebereilung und der Begierden, aber keine Folgen eines Vorſatzes Ungluͤck zu ſtiften geweſen ſind. Jch glaube dieſes mir, der Wahr - heit und ſelbſt der Religion ſchuldig zu ſeyn, in ſo fern ihr durch meine Bekehrung Vortheil oder Schaden zu - wachſen kann. Gebe ich es gleichſam ſtillſchweigend zu, daß ich boͤſe Abſichten gehabt habe, da ich mich ihrer doch nicht bewußt bin, ſo kann man leicht meine Bekeh - rung fuͤr Schwachheit oder Gemuͤhtsverwirrung halten, da ſie doch das Reſultat einer ernſtlichen vernunftmaͤßigen Unterſuchung iſt. Man kann ſagen, derjenige, dem es gleichguͤltig iſt, ob man ihn fuͤr einen durch Jrrthum und Begierden verfuͤhrten Menſchen, oder fuͤr einen er - klaͤrten Boͤſewicht haͤlt, kann auch wohl ſeine Religions -N 4meynungen200meynungen eben ſo leichtſinnig aufgeopfert haben. Jch konnte gegen dieſe ſeine Entſchließung nichts einz[u] - wenden haben, und bat ihn nur, ſich dieſe Sache nicht zu viele Zeit koſten zu laſſen.

Vier und zwanzigſte Unterredung, den 9ten April.

Jch hatte die Abſicht in dieſer Unterredung mit der Un - terſuchung der Vortheile fortzufahren, die der Graf von ſeiner Bekehrung zu erwarten haͤtte.

Gott iſt durch ſeine Liebe, ſagte ich, weſentlich geneigt, die Menſchen ſo gluͤcklich zu machen, als Sie es werden koͤnnen, und ihre Suͤnde iſt die einzige Urſa - che, wodurch dieß verhindert werden kann. So bald dieß Hinderniß gehoben iſt, ſo ergießt ſich die Liebe Got - tes mit allen ihren Wuͤrkungen uͤber ſie, ſo wie z. Ex. die Stralen der Sonne ſich in einem Zimmer verbreiten, ſo bald die Fenſterladen eroͤffnet werden. Sind alſo dem Suͤnder ſeine Suͤnden vergeben, huͤtet er ſich in ſeinen gebeſſerten Geſinnung vor neuen Suͤnden, und verzeiht ihm Gott, wie er es denn wuͤrklich thut, die noch vor - kommenden Fehler der Schwachheit, ſo iſt die Urſache gehoben, wodurch Gottes Liebe zuruͤckgehalten ward, ſich mit aller ihrer Staͤrke an ihm wuͤrkſam zu beweiſen, und die ihn zugleich verhinderte mit Zuverſicht und Freudigkeit an Gott zu denken. Jeſ. 59,2. Jeſ. 1,15-18. Er iſt alsdann berechtigt, alles Gute von Gott zu erwarten, was ihm Gott geben kann, deſſen er faͤhig iſt, und das die Weis - heit Gottes fuͤr ihn vortheilhaft findet. Er darf mit kindlicher Geſinnung zu Gott beten, und hat nicht mehr zu befuͤrchten, daß er unwuͤrdig ſey vor dem Angeſichte des heiligſten Weſens zu erſcheinen. Roͤm. 8, 14-17. Roͤm. 5, 1-2. 1 Joh. 3, 19-22. Wer alſo gewiß iſt, daßihm201ihm Gott ſeine Suͤnden vergeben habe, deſſen Seele wird ruhig, und in den groͤßeſten Truͤbſalen verſichert ſeyn, daß ſie Gott zum Freunde und Vater habe. Roͤm. 8, 28-34.

Jch wendete nun dieſe allgemeinen Wahrheiten auf den Grafen an. Vergeſſen Sie, ſagte ich, keinen Augenblick, ſelbſt nicht in den letzten und furchtbarſten Jhres Lebens, daß Sie ein ſolcher Begnadigter Gottes ſind. Mit Wohlgefallen ſiehet nun Gott auf Sie, Jhr Heil iſt theuer vor ihm geachtet, mit aller ſeiner Liebe iſt er zu Jhrer Gluͤckſeeligkeit geſchaͤfftig. Alles, was Jh - nen nuͤtzlich iſt, duͤrfen Sie ſich mit Zuverſicht von ſeiner Gnade verſprechen, und was es auch ſey, das Jhnen wiederfaͤhrt, ſelbſt die zeitliche Strafe Jhrer Suͤnden, iſt fuͤr Sie wahrer Vortheil: denn es begegnet Jhnen unter der Regierung Gottes, der Sie liebt, und keinen Augenblick aufhoͤrt ſeine Liebe an Jhnen zu beweiſen. Bisher haben Sie wenigſtens mit einiger Schuͤchternheit zu ihm gebetet. Sie wußten, wer Sie waren, ein Suͤn - der, ein Abtruͤnniger. Sie wußten, wer Gott iſt, der Heiligſte unter den Heiligen. Nun ſtehen Sie mit ihm in der ſeeligſten Uebereinſtimmung. Er iſt Jhr Vater und Sie ſein Kind. Mit Zuverſicht koͤnnen Sie nun beten, mit Gewißheit erwarten, daß er Jhnen alles geben werde, warum Sie ihn bitten, und das ſeinen wohlthaͤtigen Ab - ſichten mit Jhnen gemaͤß iſt. Nun koͤnnen Sie ſichs erklaͤren, woher die heitre Ruhe der Seele ruͤhrt, die Sie ſeit einiger Zeit ſchon empfunden haben, und die von nun an noch immer feſter und unzerſtoͤrbarer werden wird. Denken Sie zuruͤck an die vorigen Tage der Weltluſt und der irdiſchen Groͤße. War ein einziger unter ihnen ſo heiter, ſo voll von wahrer Zufriedenheit fuͤr Sie, als Jhnen itzt die Zeit Jhres Gefaͤngniſſes und Jhrer Bande iſt? Sie haben ſehr recht, antwortete er mir, und wenn mich auch ſonſt in meinem Gluͤcke nichts ungluͤcklichN 5gemacht202gemacht haͤtte, ſo haͤtte es doch die Unerſaͤttlichkeit mei - ner Begierden gethan, die durch den haͤufigſten Genuß nicht befriedigt wurden. Empfinden Sie es nicht ſchon, fuhr ich fort, daß ſelbſt Jhre Todesſtunde, nur die natuͤrliche Furcht des Todes, nur die ſchrecklichen Um - ſtaͤnde des Jhrigen ausgenommen, nichts fuͤrchterliches, nichts beunruhigendes fuͤr Sie haben wird? Davon bin ich verſichert, ſagte er, denn ich weiß wohin mich der Tod fuͤhrt. Jch erinnerte den Grafen hier, wenn etwa in ſeinen letzten Tagen, oder beym Hingange zum Tode, ihm ſein Herz ſchwer und beklommen ſeyn ſollte, ſo muͤſſe er dieſe aͤngſtlichen Empfindungen nicht fuͤr Mangel der - jenigen Seelenruhe halten, zu der ihn ſeine aufrichtige Bekehrung berechtige, und die er itzt ſchon empfinde. Er koͤnne dieſe nicht anders wieder verlieren, als durch einen Ruͤckfall aus der Gnade Gottes, durch Liebe des Jrrthums und der Suͤnde. Und davor, hoffe ich gewiß, werde Gott ihn bewahren.

Bloß um dieſer vortheilhaften Veraͤnderung un - ſrer Verhaͤltniſſe zu Gott, fuhr ich fort, bloß um dieſer Seelenruhe willen, waͤre es der Muͤhe wehrt ein Chriſt zu ſeyn, und ſich den Forderungen des Evangelii zu un - terwerfen, wenn ſie gleich, ſo lange wir ſie noch nicht kennen, und ihre Vernunftmaͤßigkeit und ihren Einfluß auf unſer Heil noch nicht einſehen, unſern Begierden ſchwer und unnatuͤrlich vorkommen moͤgen. Aber Gott hat uns noch weit mehr Vortheile von der willigen Annahme und Befolgung der Wahrheit verſprochen. Eine ſeelige Zukunft nach dem Tode ſoll der Lohn unſrer glaͤubigen Sinnesaͤnderung ſeyn. Die Hoffnung, die der Chriſt dazu hat, macht ihn ſchon hier gewiſſermaaßen ſeelig. Roͤm. 8,24.

Durch den Tod wird die Verbindung des Leibes und der Seele, in der ſie hier mit einander leben, aufge -hoben.203hoben. Der Leib wird durch die Verweſung zerſtoͤrt. Von der Seele wiſſen wir, aus der Vernunft mit vieler Wahrſcheinlichkeit, aus der Offenbahrung mit Gewißheit, daß ſie nicht mit ſterbe. Von dem Zuſtand der Seele des Gerechten nach dem Tode des Leibes und waͤhrend deſſelben, giebt uns die Schrift dieſe Nachrichten. Sie iſt in Gottes Haͤnden, in ſeinem Schutz, in ſeiner Be - wahrung. Pſ 31,6. Luc. 23,46. Ap. Geſch 7,28. Sie iſt von allem Uebel erloͤſt, vor aller Gefahr in Sicherheit, alſo auch vor der Gefahr ihre kuͤnftige Gluͤckſeeligkeit noch zu verlieren. 2 Tim. 4,18. Sie iſt bey Chriſto, in ſeiner Vereinigung, und alſo ſchon im Beſitz und Genuß himm - liſcher Gluͤckſeeligkeit. Phil. 1, 21-24. Genauere und umſtaͤndlichere Belehrung giebt uns die Offenbarung hieruͤber nicht. Aber wir brauchen auch nichts mehr da - von zu wiſſen, um uns voͤllig zu beruhigen. Der Graf erinnerte mich hier noch an die Worte Chriſti: Heute wirſt du mit mir im Paradieſe ſeyn.

Dieſer ſeeligen Veraͤnderung, ſo wendete ich dieß auf ihn an, ſind Sie nun ſehr nahe: denn ſeelig iſt ſie fuͤr Sie gewiß, wenn Sie in Jhrer itzigen Geſinnung ſterben. Jhr Leib wird ruhen, und in ſeiner Ruhe zer - ſtoͤrt werden. Jnzwiſchen ſagt Jhnen Jhre Vernunft ſchon, daß auch kein Staͤubchen, das zu demſelben ge - hoͤrt, verlohren gehen kann, ſondern gewiß in der Natur vorhanden bleibt, und von dem allwiſſenden Herrn der - ſelben gekannt und erhalten wird. Ob Sie ſich nun gleich keine Vorſtellung von dem Vergnuͤgen machen koͤn - nen, das Jhre Seele im Stande der Abſonderung von dem Leibe genießen wird, ſo wiſſen Sie doch, daß ein ſolches Vergnuͤgen moͤglich iſt. Denn es giebt ja Freu - den des Geiſtes, an denen der Leib gar nicht Theil hat, z. Ex. die Wolluſt in der Erkenntniß der Wahrheit in dem Bewußtſeyn guter Geſinnungen und Thaten. Wenn204Wenn auch die Meynung wahr ſeyn ſollte, ſagte hier der Graf, daß die Seele waͤhrend ihrer Trennung vom Leibe, ſich in einem Zuſtande dunkler Vorſtellungen und Em - pfindungen, oder in einem Schlafe, befinden werde, ſo wuͤrde mich das gar nicht beunruhigen. Denn, wenn meine Seele ſich ihrer nicht bewußt waͤre, und wuͤrde nur ſicher aufgehoben, ſo litte ſie ja nichts. Und ob dieſer Schlaf ein oder zehn tauſend Jahre daurete, das machte ſie auch nicht ungluͤcklich, denn waͤhrend des Schlafs wuͤßte ſie ja von nichts. Aber weit angenehmer iſt es mir, ſetzte er hinzu, aus den angefuͤhrten Schrift - ſtellen zu lernen, daß ſie gleich nach dem Tode des Lei - bes zum Genuß und Bewußtſeyn ihrer Gluͤckſeeligkeit gelangen wird.

Gott hat es verheißen, ſagte ich hierauf, daß die Seelen der Gerechten waͤhrend ihrer Trennung vom Leibe es gut haben ſollen: ſo wird es alſo auch der Jhri - gen in dieſer Zwiſchenzeit nicht an Freude und Zufrieden - heit fehlen. Gott wird ſie in ſeinen Schutz und unter ſeine Bewahrung nehmen. Und welcher Feind, welcher Zufall wird ihr dann ſchaden koͤnnen! Sie wird von allem Uebel befreyt ſeyn. Alſo von aller Unruhe, von allen unangenehmen Gemuͤthsbewegungen, von aller Angſt des Gewiſſens, vornemlich von aller Suͤnde. Jtzt ſind Sie noch immer in einiger Ungewißheit, ob Sie auch ſtandhaft in Jhrer heilſamen Verbeſſerung beharren werden, Sie muͤſſen ſich immer noch vor dem Betruge des Jrrthums und der Suͤnde in Acht nehmen, was Paulus Phil. 3, 12-14. ſagt, das muͤſſen auch Sie noch ſagen. Aber dann wird Jhre Seele ſich Jhres Heils vollkommen gewiß bewußt ſeyn, ſie wird ihr Kleinod ſchon ergriffen haben, es wird nicht mehr moͤglich ſeyn, daß Sie es noch verlieren koͤnnte. Und noch mehr. Sie wird bey Chriſto ſeyn. Alſo in der Gemeinſchaft JhresErloͤſers,205Erloͤſers, in ſeiner naͤheeren Gegenwart. Und ſollte es bey ihm, den Gott zum Herrn uͤber alles gemacht hat, an wuͤrklicher Gluͤckſeeligkeit und Freude fehlen? Haͤtte Jhre Seele in ihrer Vereinigung mit ihm auch weiter nichts zu erwarten, ſo muͤßte es ihr doch ſchon ein unaus - ſprechliches Vergnuͤgen ſeyn, ihn und ſeine Geſinnungen naͤher kennen zu lernen, ſie ſich gewoͤhnlich zu machen, und in ſeiner Liebe zuzunehmen, die eine der groͤßeſten Freuden und Gluͤckſeeligkeiten der Zukunft ſeyn wird.

So wenig beſtimmtes, ſagte er beym Schluſſe dieſes Vortrages, uns die Schrift uͤber den Zuſtand der Seele waͤhrend ihrer Trennung vom Leibe ſagt, ſo iſt doch dieß wenige ſehr troͤſtend. Wenn Gott es noͤthig und nuͤtzlich gefunden haͤtte uns daruͤber naͤheren Unter - richt zu geben, ſo wuͤrde es auch geſchehen ſeyn. Meine Seele zu beruhigen iſt dieſes ſchon voͤllig zureichend, daß ich weiß, ſie wird in der Hand Gottes ſeyn. Urthei - len Sie aber nun, ſetzte er hinzu, wie ſehr mich das auf mich ſelbſt verdrießen muß, daß mir noch zuweilen der verhaßte Gedanke einfaͤllt, vielleicht iſt keine Ewigkeit. Jch habe mich heute noch aufs genaueſte gepruͤft, ob ich etwa ein heimliches Wohlgefallen an ihm habe, oder ihn dunkel fuͤr wahr halte: aber ich verſichere Sie heilig, ich habe keines von beyden gefunden. Jch weiß nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit fuͤr ihn, und die vielen und ſtarken Beweiſe des Gegentheils ſind mir auch immer vor Augen. Jch bin uͤber dieſes ſo ſehr fuͤr meine itzige beſſere Ueberzeugung intereſſirt, daß ich mir um keinen Preis ſie nehmen laſſen, oder ihr vorſetzlich zuwider handeln wollte. Koͤnnte ich durch ein Verbrechen, und ſollte es auch in der Welt nicht davor gehalten werden, alle moͤglichen irdiſchen Vortheile erlangen, ſo weiß ich gewiß, ich be - gienge es nicht. Wenn mir die gewiſſe Verſicherung gege - ben wuͤrde, ich ſollte mein Leben behalten, und voͤllig inmeine206meine vorige Situation wieder hergeſtellt werden, unter der Bedingung, daß ich das Geſtaͤndniß, welches ich von meinen Verbrechen abgelegt habe, wieder zuruͤcknaͤh - me, und meine neue Auſſage durch einen Eid bekraͤftigte, ſo bin ich uͤberzeugt, ich wuͤrde lieber ſterben, als die Wahrheit wiederrufen und den Eid ablegen. So wuͤrde ich gewiß nicht denken, wenn ich nicht von der Ewigkeit uͤberzeugt waͤre, ſondern vielmehr wuͤnſchte und glaubte, daß ſie eine leere Einbildung ſey. Aber ich ſehe nun, wie ſchwer es iſt, ſolche falſche Jdeen, die man ſonſt gerne gedacht hat, ganz auszurotten.

Er hatte Spaldings Predigten durchgeleſen, und verſicherte mich, daß er ſehr dadurch erbaut worden waͤre. Einige von ſeinen Buͤchern, die am meiſten zu ſeiner Erleuchtung und Beſſerung beygetragen hatten, hatte er ſeinem Freunde, dem Grafen Brandt, zugeſchickt, fuͤr den er die zaͤrtlichſte Sorgfalt bezeugte. Jch hatte ihm ſchon bey meinem letzten Beſuch Schlegels Paſſions - predigten gebracht, und heute gab ich ihm den Doddrid - ge vom Anfange und Fortgange der wahren Gottſeelig - keit. Er bat mich auch an ſeine Eltern zu ſchreiben, und ſie durch die Nachrichten zu troͤſten, die ich ihnen nun von ihm wuͤrde geben koͤnnen.

Fuͤnf und zwanzigſte Unterredung, den 11ten April.

Dieſe Unterredung hatte keinen gewiſſen und beſtimm - ten Zweck. Wir ſprachen uͤber verſchiedene Wahr - heiten der Religion. Folgendes halte ich nicht fuͤr un - wuͤrdig angemerkt zu werden.

Es hatte in dieſen Tagen jemand dem Grafen geſtanden, daß er nicht gern in der Bibel laͤſe, weil dieSchreib -207Schreibart derſelben nicht modern waͤre. Sie haben wohl von Sully reden gehoͤrt, antwortete ihm der Graf. Er ward zu ſeiner Zeit fuͤr einen der groͤßten Maͤnner gehal - ten, und man erkennt ihn noch davor. Dieſer große Mann war eine geraume Zeit vom franzoͤſiſchen Hofe entfernt geweſen, als ihn der Koͤnig in Frankreich wie - der zuruͤckberief. Waͤhrend ſeiner Entfernung hatte der Hof die alte franzoͤſiſche Kleidertracht abgelegt, und die italiaͤniſche war Mode geworden. Sully war der alten Mode treu geblieben, und erſchien bey Hofe in der Tracht, die nicht mehr gebraͤuchlich war. Und er ward, ſo ein großer und allgemein dafuͤr gehaltener Mann er war, von den jungen Hofleuten ausgelacht. Eben ſo, mein Herr, machen Sie es mit der Bibel. So ein vortreffliches Buch ſie iſt, ſo gefaͤllt ſie Jhnen nicht, weil der Ton, welcher in ihr herrſcht, nicht der herrſchende unſrer Zei - ten iſt. Sie ſollten aber bedenken, daß die heiligen Schriftſteller zunaͤchſt fuͤr ihre Zeiten geſchrieben, und vielleicht gar nicht daran gedacht haben, daß Gott ihre Schriften noch nach vielen Jahrhunderten brauchen wuͤrde, die Welt zu erleuchten. Dazu aber hat Gott ſie uns nun aufbehalten. Wie haͤtten denn wohl dieſe Maͤnner ſich nach dem heutigen Geſchmack richten koͤnnen? Und haͤtten ſie das thun koͤnnen und wuͤrklich gethan, ſo wuͤr - den ihre Schriften fuͤr diejenigen, um deren willen ſie eigentlich geſchrieben wurden, fuͤr ihre Zeitgenoſſen, ganz unſchicklich geweſen ſeyn. Dieſe wuͤrden ſie gar nicht haben verſtehen koͤnnen, da es uns hingegen nicht an Huͤlfsmitteln fehlt, uns ihre Art zu ſchreiben gewoͤhn - lich zu machen, und ſie ſelbſt angenehm und vortrefflich zu finden.

Die Spoͤttereyen der Freygeiſter uͤber Chriſtum und ſeine Lehre, ſagte der Graf bey dieſer Gelegenheit zu mir, zeugen augenſcheinlich, daß ſie nicht aufrichtighandeln208handeln wollen. Es iſt uͤberhaupt unverſchaͤmt eines tu - gendhaften Mannes zu ſpotten. Der antike und unge - woͤhnliche Ausdruck der heiligen Schrift kann es im Grunde auch nicht ſeyn, wodurch ſie ſich fuͤr berechtigt zu ihren Spoͤttereyen halten koͤnnen. Sie lachen ja nicht uͤber andre alte Schriften, die in eben einem ſolchen Tone geſchrieben ſind. Wenn ſie z. Ex. des Confucius Buͤcher leſen ſollten, ſo weiß ich gewiß, ſie wuͤrden ſich uͤber die Schreibart deſſelben nicht aufhalten, ſondern ſeine Moral loben. So erheben ſie Aeſops Fabeln: Chriſti Gleich - niſſe und Erzaͤhlungen aber wollen ihnen nicht gefallen, ob ſie gleich aus einer weit tiefern Kenntniß der Natur geſchoͤpft, weit reichhaltiger an Moral, und mit einer edlern Simplicitaͤt vorgetragen ſind, als alle aͤhnlichen Aufſaͤtze alter und neuer Schriftſteller. Die ſeiner ſpot - ten muͤſſen alſo ſonſt etwas wider ihn haben, und ich wuͤßte nicht, was das anders ſeyn koͤnnte, als die Wider - ſetzlichkeit ihres Herzens gegen ſeine Vorſchriften.

Seit einigen Tagen hatte der Graf die Erlaub - niß zu ſchreiben, und er ſagte mir, daß er dieſe nun brauchen wolle die Nachricht von ſeiner Bekehrung auf - zuſetzen, die er mir zu hinterlaſſen verſprochen haͤtte. Sie wird mir ein ſehr angenehmes Vermaͤchtniß ſeyn, antwortete ich ihm. Schreiben Sie ſie mit Ueberlegung. Jch hoffe ſie wird nicht ohne Nutzen bleiben. Sie ſoll ein avthentikes Document Jhrer Geſinnungen gegen Re - ligion und Froͤmmigkeit ſeyn: deswegen uͤberlaſſe ich es Jhnen ganz allein Jhre Gedanken in Ordnung zu bringen und aufzuzeichnen. Jch darf und will weiter kein Theil daran nehmen, als daß ich Jhnen uͤberhaupt ſage, wie ſie ihrem Zweck gemaͤß eingerichtet werden muß. Jhre Abſicht dabey iſt, theils die Eindruͤcke, die Sie auf andre wider Religion und Tugend gemacht haben koͤnnen, auszuloͤſchen, theils andre Jrrende, die ſo denken alsSie209 Sie gedacht haben, aufmerkſam zu machen. Es muß alſo ſichtbar daraus ſeyn, daß Jhre Geſinnung in Abſicht auf Religion und Tugend wuͤrklich geaͤndert worden iſt. Zugleich aber muͤſſen Sie zeigen, auf welchem Wege Sie zu dieſer Veraͤnderung Jhrer Denkungsart gelangt ſind. Dieß halte ich fuͤr noͤthig, damit niemand an der Wahr - heit der Sache zweifeln koͤnne. Jn Anſehung der Aus - druͤcke muͤſſen Sie Jhre Wahl ſo zu treffen ſuchen, daß Weltleute ſich nicht daran ſtoßen, andre aber auch un - widerſprechlich uͤberzeugt werden koͤnnen, daß Sie ein Chriſt worden ſind. Jch will ſuchen, ſagte er hierauf, dieſe Regeln immer vor Augen zu behalten. Finden Sie aber, daß ich gefehlt, daß ich dieſe oder jene Wahrheit nicht recht begriffen habe, daß einzelne Stellen anſtoͤßig ſind, ſo behalten Sie immer das Recht der Ausbeſſerung. Nein, Herr Graf, ich darf mir nicht erlauben nur ein einziges Wort zu aͤndern. Es werden immer Leute ſeyn, die dieſen Aufſatz fuͤr untergeſchoben erklaͤren wer - den, und deswegen iſt in dieſer Sache die puͤnctlichſte Rechtſchaffenheit noͤthig. Es koͤnnte bey weitem nicht ſo anſtoͤßig ſeyn, wenn man in Jhrer Schrift hin und wie - der eine unrichtige Vorſtellung oder einen falſchen Aus - druck entdeckte, als wenn man auch nur den geringſten Vorwand haͤtte zu ſagen, ſie ſey nicht ganz von Jhrer Hand. So will ich ſie denn, ſagte er, auf gebroche - nem Papier ſchreiben, und wenn Sie dann nach ſorgfaͤl - tiger Pruͤfung und in Uebereinſtimmung mit meiner Ueber - zeugung Zuſaͤtze oder Aenderungen noͤthig finden, ſie mit eigenen Worten und mit eigner Hand machen.

Aus einem an mich gerichteten Aufſatz des Gra - fen, den er an dieſem Tage geſchrieben hat, und der eine Angelegenheit ſeines Herzens betrifft, will ich meinen Leſern folgende Stellen mittheilen, die von der Beſchaffen - heit ſeiner Geſinnungen die zuverlaͤſſigſten Zeugniſſe ſind. Jch vertraue Jhnen mein Herz an. Sie haben dasORecht210Recht in dem Jnnerſten meiner Seele zu leſen: Sie haben ſie erleuchtet. Sie ſind Zeuge davon, wie ſehr mein Herz durch Schmerz, Reue und Vorwuͤrfe uͤber mein voriges Leben zerriſſen worden iſt. Mein Gewiſſen macht mir die bitterſten Vorwuͤrfe uͤber den Eindruck, den meine Beyſpiele und Reden auf die Herzen anderer gegen die Religion koͤnnen gemacht haben. Es wuͤrde ein Troſt fuͤr mich ſeyn, wenn ich etwas dazu beytragen koͤnnte den - ſelben auszuloͤſchen. Meine Vernunft, meine Unterſu - chungen, mein Nachdenken haben mich uͤberzeugt, daß keine andre Quelle der Gluͤckſeeligkeit iſt, als diejenige die die Religion uns kennen lehrt. Moͤchten doch diejenigen, die ich verfuͤhrt habe, ſich auch davon zu uͤberzeugen ſu - chen! Sie werden ſich an die Unzufriedenheit und Unruhe erinnern, die ihnen die Entfernung von der Tu - gend verurſacht hat, und wie wenig die Zerſtreuungen und Ergoͤtzlichkeiten ſie haben befriedigen koͤnnen. Koͤnnen wir hoffen ruhig zu ſeyn, wenn unſer Gewiſſen uns Vor - wuͤrfe macht, und wenn wir es innerlich empfinden, daß wir ſie verdient haben? Wir koͤnnen uns betaͤuben, aber wir kommen immer wieder zu uns ſelbſt, waͤre es auch nur im Ungluͤck. Was haben wir dann fuͤr Troſt? Das Andenken an die vergangene Zeit? Es iſt voll von Bit - terkeit, die Gegenſtaͤnde die uns vorhin intereſſirten, ruͤhren uns itzt nur durch den Verdruß, daß wir ſie ver - lohren haben! Die Hoffnung einer gluͤcklichern Zukunft? Unſer Schickſal haͤngt nicht von uns ſelbſt ab! Die Ver - nunft? Sie iſt unterdruͤckt, die maͤchtige Stimme des Gewiſſens dringt wider ihren Willen durch! Und wenn es auch moͤglich waͤre, daß wir uns uͤber alle Schick - ſale unſers Lebens beruhigen koͤnnten, ſind wir denn allein fuͤr dieſes Leben gemacht? Alles beweiſt uns davon das Gegentheil. Die Ewigkeit ſtellt ſich uns dar, und erfuͤllt uns mit Furcht, wenn unſre Geſinnungen unregelmaͤßig geweſen ſind, wenn unſre Handlungen die von der Reli -gion211gion vorgeſchriebene Ordnung verletzt haben. Wir wollen gluͤcklich ſeyn; dieß verlangen wir alle, und es iſt auch mein Wunſch geweſen. Um dazu zu gelangen, erlaubte ich mir alles, wovon ich glaubte, daß es mir und andern keinen Schaden verurſachen wuͤrde. Die Vernunft, durch meine Neigungen geleitet, war meine Fuͤhrerinn, und ich beſtimmte mich nach Grundſaͤtzen, die ich aus einer Moral geſchoͤpft hatte, welche nach mei - nem Geſchmack war. Durch meine Klugheit hoffte ich den boͤſen Folgen meiner Handlungen zuvor zu kommen, die ich in ſich ſelbſt fuͤr gleichguͤltig hielt. Es fehlte mir ſelbſt nicht an Gruͤnden, ſie ſo gar fuͤr unſchuldig, fuͤr uͤbereinſtimmend mit meiner und anderer Gluͤckſeeligkeit zu halten. Wie muß ich nicht itzt dieſe Grundſaͤtze verabſcheuen, muͤßte ich es auch nur darum thun, weil ſie mich verfuͤhrt haben Perſonen ungluͤcklich zu machen, die aller meiner Dankbarkeit wuͤrdig ſind! Dazu kommt noch ein ſtaͤrkerer Grund, den ich empfinde, ſeitdem ich durch die Religion erleuchtet bin, daß ich nemlich Gott dadurch beleidigt habe. Urtheilen Sie nun ſelbſt von der Lebhaftigkeit meiner Reue und meiner Qual! Zum Gluͤck fuͤr mich hat dieſe Erkenntniß mir zugleich Mittel gewieſen, von meiner Verirrung zuruͤck zu kommen, und durch aufrichtige Buße, durch Glauben an die Wahr - heiten, die uns Gott offenbahrt hat, durch die Berichti - gung meiner Geſinnungen nach ſeinem Willen, meine Suͤnden vor ihm auszuloͤſchen, und mich ſeiner Begna - digung faͤhig zu machen. Dieß iſt mein Troſt worden, der einzige, der fuͤr mich vorhanden war! Jch richte nun meine eifrigſten Wuͤnſche und Gebete zu Gott, daß er meine durch meine Beyſpiele und Reden verfuͤhrten Freunde auf den Weg der Tugend zuruͤckfuͤhren wolle. Jch beſchwoͤre ſie, ihre Gluͤckſeeligkeit nur in dieſer Quelle zu ſuchen, und keine andre zu hoffen, als diejenige, die uns die Zufriedenheit mit uns ſelbſt, die Religion undO 2das212das gute Gewiſſen geben koͤnnen. Sie wiſſen, wie ſehr ich von Zweifeln wider die Religion eingenommen war, daß ich mich ungeachtet meines ſtarken Vorurtheils nach einer ſehr ſorgfaͤltigen Pruͤfung von ihnen losgemacht habe, und daß ich nun mit einer vollkommenen Ueberzeu - gung die Wahrheiten glaube, die uns unſer Erloͤſer ge - lehrt hat. u. ſ. w.

Der Graf erinnerte ſich des ſeeligen Alberti in Hamburg, den er von Perſon gekannt hatte, und wuͤnſchte die Predigten deſſelben zu leſen, die ich ihm auch zuſchickte.

Sechs und zwanzigſte Unterredung, den 13ten April.

Alberti Predigten, ſagte der Graf, haben mich ſehr erbaut. Sie haben auch etwas dazu beygetragen, daß ich von Tage zu Tage mehr fuͤr die Religion einge - nommen, und zugleich ruhiger und gluͤcklicher werde. Jch hoffe Sie auch heute, antwortete ich, mit einer Be - trachtung zu unterhalten, die ihre Liebe zum Chriſten - thum und Jhre Zufriedenheit mit Jhrem itzigen Zuſtand nicht vermindern wird. Wir haben noch nicht von der Auferſtehung des Leibes geredet, und nun iſt es die rechte Zeit dazu, da wir zuletzt von dem Zuſtande der Seele waͤhrend Jhrer Trennung vom Leibe gehandelt haben.

Sie wiſſen, die chriſtliche Religion verſpricht uns, daß dieſe Trennung nicht ewig dauren ſoll. Es wird ein Tag kommen, an welchem der Ueberwinder des Todes alle Todten auferwecken wird. Seine eigne Aufer - ſtehung, die eine Wuͤrkung ſeiner eignen Kraft war, Joh. 10, 17. 1 Cor. 15, 12-22. iſt uns eine hinlaͤngliche Verſicherung, daß er uns auferwecken koͤnne, und ſeine wiederhohlte Zuſage davon, daß er es wolle. Joh. 5, 25[-]29. Nicht der ganze Leib des Gerechten, mit allen ſeinen groben, irdiſchen und zufaͤlligen Theilen, mit allem,was213was bey ſeinem Tode zu demſelben gehoͤrt hat, wird wie - der lebendig werden. So wie der Menſch, ſagte hier der Graf, bey ſeiner erſten Entſtehung gleichſam in einem Punct concentrirt iſt, ſo kann es ſich auch wohl bey der Wiederherſtellung ſeines Leibes nach dem Tode verhalten. Vielleicht iſt der Nervenſaft der Keim des neuen Leibes, und das Weſentliche des alten, welches Gott zur Aufer - ſtehung aufbewahrt. Gewiß iſt wenigſtens, fuhr ich fort, daß der neue Leib aus dem alten, der gleichſam der Saame des neuen iſt, hervorwachſen, und das Weſent - liche des alten Leibes in ſich faſſen wird. 1 Cor. 15, 35-38. Wir koͤnnen alſo mit Wahrheit behaupten, jeder werde ſeinen eignen Leib wieder erhalten. Der neue Leib wird den alten an Vollkommenheit weit uͤbertreffen. 1 Cor. 15, 42-44. Er wird zu den Abſichten, Geſchaͤfften und Freuden des kuͤnftigen Lebens geſchickt ſeyn, ſo wie die - ſer unſer Leib fuͤr das itzige gemacht iſt. Er wird nach dem Ausſpruche Pauli Phil. 3, 21. dem verklaͤrten Leibe Chriſti aͤhnlich ſeyn.

Was verſteht man denn unter einem verklaͤrten Leibe? fragte mich hier der Graf. Jch antwortete: Ei - gentlich kann ich Jhnen das nicht ſagen. Verſtehen Sie darunter einen Leib, der nach der Beſchaffenheit des kuͤnf - tigen Lebens veredelt und verfeinert iſt, ſo werden Sie ſich wenigſtens keinen unrichtigen Begriff machen, wenn er gleich die Sache nicht erſchoͤpft. Sie wiſſen, daß es viel feinere Materie giebt, als diejenige, woraus dieſer unſer Leib beſteht. Z. Ex. Licht, Aether. Vielleicht werden wir in der Auferſtehung Leiber von ſo gerei - nigter und feiner Materie erhalten. Und der gewoͤhnli - che Begriff des Worts verklaͤren, ſcheint damit uͤber - einzuſtimmen.

Die Vernunft kann es nicht beweiſen, daß die Auferſtehung der Todten unmoͤglich ſey. Soll der Menſch,O 3wie214wie es die Religion verheißt, in der Ewigkeit wieder leben, ſo muhtmaßt die Vernunft ſchon eine Wiederher - ſtellung des Leibes, denn nicht die Seele allein, ſondern die Verbindung der Seele mit dem Leibe, macht den ganzen Menſchen aus. Ja, ſie hat es gemuhtmaßt, ehe ſie den Unterricht der Religion davon gehabt hat. Das beweiſen die Begraͤbnißgebraͤuche der alten heidniſchen Voͤlker, und ihre fabelhaften Erzaͤhlungen von dem koͤr - perlichen Aufenthalt ihrer Verſtorbenen in angenehmen oder unangenehmen Gegenden. Als Darius gegen die Scythen zu Felde zog, und ſie der Feigherzigkeit beſchul - digte, weil ſie ihm immer auswichen, ließen ſie ihm ſagen, er moͤchte ſich nur an den Graͤbern ihrer Vaͤter vergreifen, ſo ſollte er erfahren, ob ſie eine feige Nation waͤren. Warum ſahen ſie die Verletzung dieſer Grabſtaͤtten fuͤr eine ſolche Beleidigung an, die ſie nothwendig raͤchen muͤßten, wenn ſie den Staub ihrer Vorfahren fuͤr nichts anders als gemeinen Staub, wenn ſie ihn nicht fuͤr ein koſtbares Depot hielten, das einmahl wieder abgefordert werden ſollte? Man hat nun zwar gegen die Moͤg - lichkeit der Auferſtehung mancherley Einwendungen ge - macht, ja ſo gar berechnen wollen, daß die ganze Ober - flaͤche des Erdbodens zu klein ſeyn wuͤrde, allen Aufer - ſtandenen Platz zu geben, worauf ſie ſtehen koͤnnten. Es iſt aber auch gewieſen worden, daß man ſich ſehr ver - rechnet hat, und uͤberhaupt zeigen alle dieſe Einwuͤrfe, wie eingeſchraͤnkte und ſinnliche Vorſtellungen diejenigen von der Auferſtehung haben, die ſie machen. Sie treffen folgende Wahrheiten gar nicht, auf denen die Moͤglich - keit der Auferſtehung beruht. Die Theile des alten Lei - bes, aus denen der neue zuſammengeſetzt werden ſoll, koͤnnen ſich nicht aus der Natur der Dinge verlieren, wie oft ſie auch in der allgemeinen Circulation der Mate - rie mit andern fremden Theilen vermiſcht werden moͤgen. Der Allwiſſende, der ſie zum fernern Gebrauch beſtimmthat,215hat, muß immer wiſſen, wo ſie anzutreffen ſind, und wem ſie zugehoͤren. Der Allmaͤchtige, der einmahl im Stande geweſen iſt, einen menſchlichen Leib aus ihnen zuſammenzuſetzen und zu beleben, muß dieſen Leib auch wieder aus ſeinem Verfalle herſtellen, und der Seele noch einmahl zur Wohnung einraͤumen koͤnnen. Jch glaube, ſagte der Graf hierauf, man hat nicht eher Ein - wuͤrfe gegen die Auferſtehung gemacht, bis ſie durch die poſitive Verſicherung Chriſti gewiß worden iſt. Von der Zeit an haben ſich diejenigen, die kein gutes Gewiſſen hatten, davor gefuͤrchtet, und ſich durch dieſe Einwuͤrfe vor ihrer aͤngſtlichen Erwartung in Sicherheit zu ſetzen geſucht.

Jch lerne uͤberhaupt, ſetzte er hinzu, immer mehr einſehen, wie klein und unwuͤrdig die itzigen ſogenannten Philoſophen uͤber Gott denken. Sie ſollten ſich als Phi - loſophen aus der eingeſchraͤnkten Sphaͤre, in der der Menſch lebt, hervorzuheben und Gott und der geiſtigen Natur mehr zu naͤhern ſuchen. Aber ſie haͤngen ſo ſehr an Materie und Sinnlichkeit, daß ſie ſelbſt uͤber Gott nur ſinnlich denken koͤnnen, und ſeine Vollkommenheiten und Kraͤfte nach dem Maaße der ihrigen beſtimmen. So ſagen ſie: Gott bekuͤmmere ſich um die Menſchen nicht, weil ſie fuͤr ihn zu klein waͤren. Gerade, als wenn in Beziehung auf Gott irgend etwas groß oder klein ſeyn koͤnnte. Gott gewinnt ja dadurch in unſern Vorſtellun - gen, wenn wir glauben, daß auch kein einziges noch ſo unbekanntes und verachtetes Geſchoͤpf exiſtirt, das er nicht genau kenne und eben ſo gut zu ſeinem Ziele leite, als ein ganzes Weltenſyſtem. So werfen ſie es Jeſu, als einen Beweis gegen ſeine Hoheit und goͤttliche Sen - dung vor, daß er ein Jude, daß ſein Pflegevater ein Zimmermann war. Sollten ſie nicht denken, daß Gott nicht die Vorurtheile gegen die Juden haben kann, welche uns dieſe Nation veraͤchtlich machen, und daß vor ihmO 4ein216ein Zimmermann eben ſo viel iſt, als ein Koͤnig. Und eben ſo kommen mir ihre Einwuͤrfe gegen die Auferſte - hung vor. Weil ſie den in der Natur uͤberall umherge - ſtreuten Staub der Verſtorbenen nicht aufſuchen, zuſam - menſetzen und beleben koͤnnen, ſo ſoll Gott dazu auch nicht im Stande ſeyn.

Jhr Leib alſo, fuhr ich nun fort, den in kurzer Zeit die Verweſung angreifen und zerſtoͤren wird, dieſer Leib, den Jhre Seele als Jhr Werkzeug und Jhre Woh - nung liebt, und deſſen ſie nicht wohl entbehren zu koͤnnen glaubt, wird wieder hergeſtellt werden. Er wird die Stimme des Erweckers hoͤren, und Leben und Bewegung fuͤhlen. Und verbeſſert, veredelt, verfeinert werden Sie ihn aus der Bewahrung des Todes wieder empfangen. Hier war er Jhnen immer eine ſchwere Laſt, die mit Muͤhe fortbewegt werden mußte; dort wird er, von gro - ber irdiſcher Materie frey, leicht, behend und geſchwinde ſeyn. Hier war er der Schwachheit, dem Schmerz, der Krankheit unterworfen; dort wird er nur angeneh - mer Empfindungen faͤhig ſeyn, eine ewig bluͤhende Ge - ſundheit genießen, und mit Kraft erfuͤllt werden. Hier iſt er Jhnen die maͤchtigſte Verſuchung zur Suͤnde gewe - ſen; dort wird er heilig ſeyn, keine Aufwallung boͤſer Luͤſte wird durch ihn veranlaßt werden, keine verfuͤhreri - ſche Empfindungen wird er der Seele mittheilen. Hier ſteht ihm der Tod bevor; dort wird er ihn nicht wieder zu befuͤrchten haben. Vielleicht, ſagte hier der Graf, werden wir in der kuͤnftigen Welt noch manche Epoche unſrer Exiſtenz zu erwarten haben, und alſo aus einem Zuſtande in den andern uͤbergehen. Aber gewiß nicht durch den unangenehmen Weg des Todes, der eine Folge der Suͤnde iſt. Gott haͤtte uns auch von hier aus auf einem andern angenehmern Wege zu unſrer naͤchſten Be - ſtimmung fuͤhren koͤnnen, wie die Beyſpiele Enochs und Elias beweiſen, wenn nicht durch die Suͤnde der Todnoth -217nothwendig geworden waͤre. Gott wird endlich, ſetzte ich noch hinzu, ihren kuͤnftigen Leib ſo bilden, wie er Jh - nen dort brauchbar ſeyn wird: er wird das Unvollkommene, das hier noͤthig war, von ihm abſondern. So iſt z. Ex. der grobe Stoff, aus welchem hier unſer Koͤrper beſteht, eine nothwendige Unvollkommenheit, da wir hier mit lauter groben koͤrperlichen Dingen umgeben ſind, die wir mit Gliedern von feiner Materie gar nicht wuͤrden hand - haben koͤnnen. Uebergeben Sie alſo Jhren Leib mit Ruhe und Hoffnung der Bewahrung und Zubereitung des We - ſens aller Weſen, das jedes Staͤubchen, worin er zer - fallen mag, ganz gewiß kennt und zu ſeinen Abſichten brauchen wird.

Der Graf verſicherte mich hier, daß ihm der Tod zwar nicht gleichguͤltig, aber doch auch nicht ſchrecklich ſey. Er koͤnne und wolle es ſich freylich nicht verhehlen, daß er große Urſache habe alles dasjenige zu bereuen, wodurch er ihn beſchleunigt habe. Da aber nun das nicht zu aͤndern, und er der Vergebung ſeiner Suͤnden gewiß ſey, ſo binde ihn, außer dem natuͤrlichen Triebe der Con - ſervation, gar nichts an das Leben, und er ſey bereit, ſo bald ihn Gott abriefe, die Welt zu verlaſſen. Er bekuͤm - mere ſich auch gar nicht darum, was etwa nach ſeinem Tode mit ſeinem Koͤrper vorgehen moͤchte. Er ſey unter der Aufſicht Gottes uͤberall ſicher aufgehoben.

Jnzwiſchen, ſagte er, will ich meine Zeit gewiſſen - haft anwenden und mich bemuͤhen taͤglich beſſer und Gott wohlgefaͤlliger zu werden. Jch leſe in dieſer Abſicht, ich bete, ich denke uͤber meinen vorigen und itzigen Zuſtand nach und vergleiche ſie mit einander, ich rede mit den Officiers, aber ohne Zudringlichkeit und Affectation uͤber Religion und Tugend. Jch ſagte in dieſen Tagen einem unter ihnen, daß man mit der Bibel immer mehr bekannt wuͤrde, daß man ſie taͤglich verſtaͤndlicher und ihren Jn - halt lehrreicher faͤnde, wenn man ſie nur fleißig ſtudirte. O 5Dieſer218Dieſer junge Menſch antwortete mir, es waͤren doch ſo viele Ausdruͤcke in derſelben ſehr auſfallend. Daruͤber, ſagte ich ihm, ſetzt man ſich bald hinaus, wenn man ſie nur in der Abſicht lieſt, wozu Gott ſie uns gegeben hat. Jch ſtoße nun nirgends mehr an, als wenn ich etwa eine Stelle nicht verſtehe, auſfallend iſt mir nichts mehr. Aber ſagen Sie mir doch, was iſt Jhnen zum Exempel anſtoͤßig? Ja, wenn Chriſtus zu ſeiner Mutter ſagt: Weib, was habe ich mit dir zu ſchaffen? ſo iſt das doch hart, und wenn ichs ſagen darf, unanſtaͤndig. []Jch will Jhnen ſagen, wie ich mir das vorſtelle. Wenn zum Exempel drey verſchiedene Perſonen, die eine aus dem niedrigen Stand, die andre aus dem mittlern, die dritte aus dem hoͤhern, unter eben ſolchen Umſtaͤnden, denſel - bigen Gedanken ausdruͤcken wollten, wie wuͤrden ſie ihn ungefaͤhr ſagen? Die erſte wuͤrde etwa ſprechen, wie Je - ſus ſprach, von dem ſie wiſſen werden, daß er in dem Hauſe eines Zimmermanns erzogen war: Mutter, oder Frau, was geht es uns an, daß die Brautleute keinen Wein mehr haben? Die andere wuͤrde ſich ungefaͤhr ſo ausdruͤcken: Meine liebe Mutter, beunruhigen Sie ſich daruͤber nicht. Die dritte wuͤrde vielleicht gar nichts ſagen, ſondern eine leichte Verbeugung machen. Haͤtten ſie nun aber nicht im Grunde alle drey einerley geſagt? Man muß wenn man den Wehrt eines Menſchen beurtheilen will, nicht auf den Rock ſehen, den er traͤgt, und die Guͤte ſei - ner Geſinnungen kann nicht aus der Feinheit und Zier - lichkeit der Ausdruͤcke geſchloſſen werden, worin er ſie einkleidet.

Sieben und zwanzigſte Unterredung, den 14ten April.

Auf die Auferſtehung wird das Gericht folgen. Laſſen Sie uns, theurer Freund, heute von dieſer großen Begebenheit reden. Zu eben der Zeit, da JeſusChriſtus219 Chriſtus die Todten auferwecken wird, wird er auch Gericht uͤber das menſchliche Geſchlecht halten, und das wird mit einer Feyerlichkeit geſchehen, die der Wuͤrde eines ſolchen Richters und eines ſolchen Gerichts gemaͤß iſt. Jeſus ſelbſt hat uns dieſen großen Tag umſtaͤndlich be - ſchrieben Matth. 25, 31-46. Er wird mit Guͤte und Ge - rechtigkeit richten. Sie wiſſen, Gottes Gerechtigkeit iſt die vollkommenſte Guͤte. Mit Guͤte wird er diejenigen zum ewigen Leben beſtimmen, die die Wahrheit ange - nommen, und ſo viel ihnen moͤglich war nach den Vor - ſchriften derſelben gehandelt haben: mit Gerechtigkeit die zum Verderben verurtheilen, die der Wahrheit nicht ge - horchten und Boͤſes thaten Roͤm. 3, 6-10.

Hier wuͤnſchte der Graf die Lehre der Schrift von den Hoͤllenſtrafen und von ihrer Dauer zu wiſſen. Jch trug ſie ihm vor, nebſt den Gruͤnden fuͤr und wider die Ewigkeit dieſer Strafen. Jch berief mich vornehmlich auf die Worte Chriſti, Matth. 25, 46. um ihm zu zeigen, daß es uns nicht erlaubt ſey, ein Ende des Verderbens der Verdammten zu hoffen oder zu lehren, wenn wir nicht auch zugleich die Ewigkeit des Heils der Gerechten in Zweifel ziehen wollten. Die Guͤte Gottes, ſetzte ich hinzu, leidet darunter auch nicht, wenn die Gottloſen ewig un - gluͤcklich ſind, denn ſie werden es nur darum ſeyn, weil es unmoͤglich ſeyn wird, daß ſie nicht ewig ungluͤcklich ſeyn ſollten. Jhre Strafen werden zwar fuͤrchterlich und peinlich ſeyn, aber ich zweifle doch nicht, daß es ihnen immer noch eine Wohlthat ſeyn wird zu exiſtiren, und daß ſie auch an gewiſſen allgemeinen Vortheilen Antheil haben werden, wie etwa in dieſer Welt die Gottloſen an dem Licht und an der Waͤrme der Sonne, an der Frucht - barkeit des Landes u. ſ. w. Ein Verbrecher, der hier zu lebenswieriger Feſtungsarbeit verurtheilt iſt, wird doch ſein trauriges Leben fuͤr beſſer halten als den Tod. So ſteht es auch in der Gnade des Koͤnigs ihm noch ſeineFreyheit220Freyheit zu ſchenken: aber niemand iſt berechtigt ihm die Hoffnung zu machen, oder die Verſicherung zu geben, daß das geſchehen werde. So behaͤlt auch Gott ſeine freye Macht das Schickſal der Verdammten zu beſtimmen, ſo wie es ſeiner Guͤte und Weisheit in Anſehung einiger oder aller gemaͤß ſeyn wird. Und wenn auch die Stra - fen in der kuͤnftigen Welt nur ein Menſchenleben durch dauren ſollten, ſagte hierauf der Graf, ſo waͤren ſie fuͤrchterlich und von der Suͤnde abſchreckend genug. Es waͤre auch ſchon ſehr ſchrecklich verdammt zu ſeyn, wenn dieſe Strafen ohne weitere Veranſtaltung Gottes bloß in den natuͤrlichen Folgen der Suͤnde beſtehen ſollten. Jch habe den Gedanken gehabt, daß die Menſchen, die ſich hier durch ihre Begierden haben beherrſchen laſſen, durch ihre Begierden ſelbſt in der Ewigkeit beſtraft werden koͤnnten. Sie gehen z. Ex. mit allen ihren Luͤſten, mit aller wuͤtenden Staͤrke derſelben aus der Welt. Dort aber iſt nichts, wodurch ihre Begierden gekitzelt oder be - friedigt werden koͤnnten. Sie werden ſich alſo gleichſam in ungeſaͤttigten Trieben und leeren Wuͤnſchen verzehren. Gott koͤnnte ihnen nur ſagen: Jch will euch weiter nichts thun, aber ihr ſollt bleiben, wie ihr ſeyd. Doch man kann daruͤber wohl nichts beſtimmtes und gewiſſes ſagen. Allerdings, atwortete ich ihm, werden die unbefriedigten Begierden auch eine von den Strafen der Verdammten ſeyn. Aber es kommen auch Stellen in der Bibel vor, die nicht anders als von poſitiven Schmerzen und Quaa - len verſtanden werden koͤnnen. Sie ſelbſt muͤſſen noch außer dem Mangel an allem, wozu dieſe Ungluͤckſeeligen Luſt haben moͤgen, noch mehr Elend entdecken koͤnnen, das ſie druͤcken wird. Denken Sie ſich einmahl eine Ver - ſamlung ſtolzer, geiziger, wolluͤſtiger, ungerechter, treulo - ſer, undankbarer, feindſeeliger Menſchen, und ſagen Sie mir, ob es nicht fuͤr jeden unter ihnen ein unertraͤglicher Zuſtand ſeyn muß in der Geſellſchaft aller der uͤbrigen zu leben, und ihnen nie ausweichen zu koͤnnen?

Es221

Es mag nun aber, fuhr ich fort, das Elend der Verdammten und die Dauer deſſelben beſchaffen ſeyn, wie es will: Sie, mein theurer Freund, haben davon durch die Gnade Gottes nichts zu befuͤrchten. Sie wer - den mit Freudigkeit im Gerichte Jeſu Chriſti ſtehen, denn Sie haben ſich vom Jrrthum zur Wahrheit, und von der Suͤnde zu heiligen und Gott wohlgefaͤlligen Geſinnungen bekehrt. Wenn nicht dieſe ſeelige Veraͤnderung mit Jh - nen vorgegangen waͤre, mit was fuͤr ſchrecklichen Empfin - dungen haͤtten Sie dann aus der Welt gehen muͤſſen! Welch eine traurige Begebenheit wuͤrde Jhnen Jhre Auferſtehung geworden ſeyn! Mit welcher unheilbaren Verzweiflung haͤtten Sie vor dem Angeſichte des Welt - richters erſcheinen muͤſſen! Sie haben es erfahren, was es heiße, mit einem verwundeten Gewiſſen vor Richtern zu erſcheinen, die nur Menſchen ſind, die nur nach einem und dem andern Verbrechen fragen, die die geheimen Gedanken nicht richten, vor denen man die Wahrheit noch wohl verhehlen kann, und die hoͤchſtens nur mit dem zeitlichen Tode drohen und ſtrafen koͤnnen. Wie unaus - ſprechlich viel ſchrecklicher wuͤrde es fuͤr Sie geweſen ſeyn, vor dem Richter aufzutreten, der Gott iſt, der alle Jhre Suͤnden bis auf die verborgenſten boͤſen Geſinnungen nach ſelbſt geſehen hat, und Leib und Seele zugleich haͤtte ver - derben koͤnnen, und verderben muͤſſen, wenn Sie unge - reinigt von ihren Suͤnden, und ungeheiligt durch den Glauben und gute Geſinnungen aus der Welt gegangen waͤren! Liebſter Freund, wie koͤnnen Sie Gott genug danken, daß er Sie durch Jhre Bekehrung vor dieſem ſchrecklichſten Auftritt in Sicherheit geſetzt, daß er Jhnen zum Voraus ſchon alle Jhre Suͤnden vergeben, daß er Sie faͤhig gemacht hat, nicht nur ohne Entſetzen an das letzte Gericht zu denken, ſondern ſich ſogar darauf zu freuen. Ja, Sie duͤrfen ſich freuen: denn Sie wiſſen und ſinds gewiß, daß der Weltrichter Jhr Freund iſt,der222der Jhnen Gnade und Vergebung angeboten hat, und deſſen menſchenfreundliches Anerbieten Sie im Vertrauen auf ſeine Wahrheit angenommen haben. Sie koͤnnen ſeinem Urtheile mit freudiger Zuverſicht entgegen ſehen, denn es kann nicht anders als vortheilhaft fuͤr Sie ſeyn, wie er ſelbſt es Jhnen verheißen hat. Jch verſichere Sie, ſagte er hier, daß ich mich wuͤrklich darauf freue, und mich auf Gottes Gnade verlaſſe.

Halten Sie nun, ſo beſchloß ich dieſen Vortrag, auf Jhren Glauben und auf Jhre gebeſſerte Geſinnung, als auf Jhr einziges, und zugleich als auf ein unſchaͤtz - bares Gut. Tragen Sie, je naͤher Sie Jhrem Ziele kommen, mit deſto groͤſſerer Sorgfalt Jhre Seele, wie ein koſtbares und zerbrechliches Kleinod, immer in Jh - ren Haͤnden, damit ſie nicht noch verwahrloſet werde. Wachen Sie uͤber ſich ſelbſt, Jhre Gedanken, Neigun - gen und Thaten, mit einer Aufmerkſamkeit, die der Wich - tigkeit des großen Schrittes gemaͤß iſt, dem Sie entge - gen eilen. Erlauben Sie ſich nichts, das Sie nicht vor Jhrem nun erleuchteten Gewiſſen rechtfertigen koͤnnen, nichts, daß einer Entſchuldigung bedarf. Je weiter Sie noch in der ſo gluͤcklich angefangenen Beſſerung kommen, um ſo viel freudiger werden Sie am Tage des Gerichts, um ſo viel erwuͤnſchter wird fuͤr Sie der Ausſpruch des Richters ſeyn. Er betheurete mir, daß er die Wich - tigkeit dieſer Ermahnungen erkenne, und ſich auch bewußt ſey, daß er ihnen gemaͤß handele. Er finde ſich auch dadurch immer mehr in der Erkenntniß der Wahrheit ge - ſtaͤrkt, und in guten Geſinnungen befeſtigt. Seine ihm vordem ſo unuͤberwindlich vorgekommene Einwuͤrfe waͤren itzt ganz verſchwunden, oder doch wenigſtens ſo ſchwach, daß ſie ihn eben ſo wenig an der Wahrheit der Reli - gion zweifeln machten, als er daran zweifelhaft gemacht werden koͤnnte, daß ich wuͤrklich bey ihm ſaͤße, und daß dieß keine Jlluſion der Einbildungskraft ſey. Er ſeyauch223auch itzt ſo gewiſſenhaft, daß er alles, was er daͤchte und thaͤte, ſorgfaͤltig pruͤfe, ob es auch dem Willen Gottes gemaͤß ſey. Und dabey befinde er ſich ſo gut, und fuͤhle ſich ſo ruhig und gluͤcklich, daß er gewiß wiſſe, er werde nicht wieder aufhoͤren, ſo zu denken und zu handeln. Er ſagte bey dieſer Gelegenheit noch vieles, das mich ſehr erfreute, und das wuͤrdig geweſen waͤre aufbehalten zu werden, wenn ich mich wieder daran haͤtte erinnern koͤnnen.

Jch hielt es bey der Herannaͤherung ſeines Todes fuͤr nuͤtzlich ſeine Seele mit Vorſtellungen von der Ewig - keit zu erfuͤllen, und gab ihm in dieſer Abſicht Lavaters Ausſichten in die Ewigkeit. Jch machte ihn vorher mit dem Character des Verfaſſers bekannt, und beſchrieb ihm das Buch ſelbſt als ein Product einer ſtarken Einbil - dungskraft, vieler geſunden Vernunft und uͤberwiegen - der Froͤmmigkeit.

Acht und zwanzigſte Unterredung, den 17ten April.

Je naͤher der Graf Struenſee ſeiner Ewigkeit kam, deſto noͤthiger und nuͤtzlicher war es ihm, ſich mit Vorſtellungen von derſelben zu beſchaͤfftigen. Um ihn dazu zu veranlaſſen, hatte ich ihm Lavaters Auſſichten gegeben, und in eben dieſer Abſicht entſchloß ich mich itzt ihn in unſern Unterredungen mit Betrachtungen uͤber die Ewigkeit zu unterhalten.

Jch erinnerte ihn an die Wiedervereinigung des Leibes und der Seele, die am Tage der Auferſtehung erfolgen ſoll, und von deren Moͤglichkeit und gewiſſer Zukunft wir das letztemahl gehandelt hatten. Von die - ſem Zeitpunct an, fuhr ich fort, nimmt alſo auch erſt die voͤllige Gluͤckſeeligkeit des ganzen Menſchen ihren Anfang, der in Gott wohlgefaͤlligen Geſinnungen geſtorben iſt. Von der Beſchaffenheit dieſer Gluͤckſeeligkeit ſagt uns dieSchrift224Schrift etwas, etwas kann die Vernunft aus analogi - ſchen Gruͤnden davon muthmaßen: aber alles, was wir davon gewiß wiſſen oder muthmaßen koͤnnen, kann nur fuͤr einen ſehr unvollkommenen und unausgebildeten Ab - riß des wuͤrklichen Heils der Ewigkeit gehalten werden. Nicht eher, als bis wir es lange werden erfahren haben, werden wir es recht kennen lernen. Wir ſind hier faſt an lauter irdiſche und vergaͤngliche Guͤter gewoͤhnt, wie ſollten wir uns himmliſche und ewige Vortheile richtig und deutlich vorſtellen koͤnnen?

Wir werden dort wieder unſern organiſchen Leib haben, von welchem die Sinne ein weſentliches Stuͤck zu ſeyn ſcheinen. Jch vermuhte daher, daß wir dort auch angenehme ſinnliche Empfindungen werden erwarten duͤrfen. Unſer Leib wird verklaͤrt ſeyn, das iſt, verfei - nert, veredelt und den Abſichten und Geſchaͤfften des kuͤnftigen Lebens gemaͤß eingerichtet. Alſo werden auch jene ſinnliche Freuden in eben dem Verhaͤltniſſe edler, feiner und himmliſcher ſeyn, als wir ſie hier haben koͤn - nen. Der angenehme Eindruck, den hier Schoͤnheit, Harmonie, Erhabenheit, in den Werken der Natur und Kunſt, auf uns macht, iſt immer von undeutlichen Vor - ſtellungen begleitet, und gruͤndet ſich oft in der Jlluſion. Dort werden wir ohne Zweifel mit unſern Sinnen tiefer in die Gegenſtaͤnde eindringen, mehr auf einmahl faſſen, keinem Betruge der Sinne unterworfen ſeyn, und daher auch mehr und deutlicher erkannte Urſache zur Freude uͤber die Empfindung ſinnlicher Annehmlichkeiten haben. Es koͤnnen auch wohl mehr Sinne fuͤr den verklaͤr - ten Leib moͤglich ſeyn, als der irdiſche hat. Dadurch koͤnnen unzaͤhlige Quellen neuer Freuden eroͤffnet werden, von denen wir uns hier, wegen unſrer gaͤnzlichen Unbe - kanntſchaft mit ihnen, gar keine Vorſtellungen machen koͤnnen. Die richtigere und ausgebreitetere Erkenntniß der Werke Gottes, von denen wir hier nur ſehr wenigein225in der Naͤhe zu betrachten Gelegenheit haben, wird gewiß eine von den angenehmſten Wuͤrkungen ſeyn, die dort der Gebrauch unſrer verbeſſerten und vielleicht auch vermehr - ten Sinne fuͤr uns haben wird. Und worin auch nun im - mer die ſinnlichen Freuden in der Ewigkeit beſtehen wer - den, ſo werden ſie doch nie ſuͤndlich ſeyn, ſo wird die Begierde nach ihnen nie eine Gott misfaͤllige Art der Be - friedigung ſuchen, und uns zur Abweichung von ihm ver - leiten koͤnnen.

Noch groͤßere Freuden wird uns die Verbeſſerung unſrer hoͤhern Kraͤfte und die Gelegenheit gewaͤhren, die wir finden werden, ſie immer vollkommener zu machen. Dem Jrrthum werden wir dann nicht mehr unterworfen ſeyn. Unſre Seele wird nur die lauterſte und fruchtbarſte Wahrheit denken. Welch ein unerſchoͤpfliches Meer von Wahrheiten, deren Erkenntniß die ſeeligſte Wolluſt ver - urſachen wird, wird fuͤr uns die Uendlichkeit Gottes ſeyn! Was fuͤr neue Vollkommenheiten werden wir nicht an ihm entdecken, und in welch einem hellern Lichte diejenigen kennen lernen, die wir hier ſchon, da wir ſie nur in dunk - ler Ferne erblicken, an ihm bewundern! Seine Guͤte, ſeine Weisheit, ſeine Macht, die wir hier aus ſeinen Werken hervorſtralen ſehen, von denen wir nur ſehr we - nige kennen, und keines ganz durchſchauen, erfuͤllen uns ſchon mit Freude, ſo oft wir uͤber ſie nachdenken: was werden wir dort fuͤr Luſt daran haben, wenn wir einen ſo viel groͤßern Schauplatz derſelben betreten, und mit un - ſern Nachforſchungen immer tiefer in ihre innere Beſchaf - fenheit eindringen werden! Hier erblicken wir nur hin und wieder einige Fußſtapfen Gottes auf den Wegen ſei - ner Vorſehung: dort werden wir den weiſen und einfachen Plan ſeiner Weltregierung voͤlliger uͤberſehen, und Gott uͤberall finden, ihn uͤberall ſeiner wuͤrdig handeln ſehen, wo wir hier vielleicht geglaubt oder befuͤrchtet haben, daß er nicht Theil an den Begebenheiten der Welt nehmenPmoͤchte.226moͤchte. Hier muͤſſen wir in Anſehung ſeines Raht - ſchluſſes von unſrer Seeligkeit mit Schwuͤrigkeiten kaͤm - pfen, und uns durch Finſterniſſe hindurch arbeiten: dort wird ſich alles, was uns itzt in der Religion ſchwer und dunkel iſt, in die einfachſte Wahrheit, in das hellſte Licht aufloͤsen, ſo daß wir uns mit Freuden daruͤber verwundern werden, wie vortrefflich alles zuſammenhaͤngt, und wie unmoͤglich es anders und beſſer ſeyn konnte, als es iſt. 1 Joh. 3, 2. 1 Cor. 13, 9-12.

Bey Gelegenheit der Worte Pauli in der ange - fuͤhrten Stelle ward der Zuſammenhang unſrer Unterre - dung ein wenig unterbrochen. Jch erklaͤrte ſie ihm, und zeigte, wie ſchoͤn ſich Paulus hier ausdruͤcke. Der Graf bewunderte das Richtige und Treffende in den Bildern, deren er ſich bediene. Jch finde nun, ſagte er, da ich mit der Schreibart der Apoſtel immer mehr bekannt werde, daß ſie ſehr gut ja zuweilen unnachahmlich ſchoͤn und zu - gleich ſimpel und verſtaͤndlich ſchreiben. Er fuͤhrte mir verſchiedene Stellen zum Beyſpiele an, beſonders aus Roͤm. 8. Es moͤgen einmahl, ſetzte er hinzu, andere Fi - ſcher oder Zoͤllner oder Teppichmacher es verſuchen ſo zu ſchreiben, als die Evangeliſten und Apoſtel.

Endlich, fuhr ich hierauf fort, wird auch unſer Herz, deſſen Freuden immer die empfindlichſten und ſuͤße - ſten ſind, beſtaͤndig der angenehmſten Empfindungen voll ſeyn. Was muß nicht ſchon das Bewußtſeyn, daß man von aller Suͤndlichkeit befreyt ſey, daß man gewiß nichts anders denke und wolle, als was Gott gefaͤllt, was muß nicht die davon abhaͤngende Seelenruhe fuͤr eine Gluͤckſee - ligkeit ſeyn? Beurtheilen Sie das aus Jhrer eignen Empfindung, die Sie itzt ſchon haben. Wie ſuͤß iſt es Jhnen nicht zu wiſſen, daß Sie itzt beſſer denken und han - deln, als vormals, daß Sie ſich, weil Sie nun glau - ben und thun, wie Gott es Jhnen vorſchreibt, ſeines Wohlgefallens an Jhnen getroͤſten duͤrfen! Gruͤndet ſichnicht227nicht darin Jhre, unter den Umſtaͤnden, in denen Sie ſich befinden, ganz außerordentliche und mir ſelbſt uner - wartete, Seelenruhe? Sie iſt ganz gewiß, antwortete er mir, eine Folge meiner feſten Ueberzeugung von meiner Begnadigung durch Chriſtum, und meines Bewußtſeyns daß meine Geſinnungen gebeſſert ſind. Jch kann es nun begreifen, wie man auf die unerweislichen Vorſtellungen von den Gefuͤhlen im Chriſtenthum verfallen iſt. Die Ruhe der Seele, die das Chriſtenthum giebt, iſt ein ſolch Gefuͤhl. Jch habe es itzt ſelbſt. Man hat nur in der Er - klaͤrung der Urſachen davon geirret. Gott braucht ſolche Empfindungen nicht unmittelbar und durch Wunder zu wuͤrken. Sie ſind das natuͤrliche Reſultat einer gegruͤn - deten Ueberzeugung und wahrer Sinnesaͤnderung.

Die moraliſche Vollkommenheit der Seeligen, ſetzte ich hinzu, wird immer zunehmen, und zugleich mit ihr ihre gegruͤndete Selbſtzufriedenheit. Denn die hoͤhere, richtigere und ausgebreitetere Erkenntniß von Gott und ſeinem Willen, die wir dort nach und nach erlangen wer - den, wird ganz gewiß ihre Kraft an unſrer Seele aͤußern, unſre Geſinnungen den goͤttlichen immer naͤher zu bringen und aͤhnlicher zu machen. Alle die ſuͤßen Empfindun - gen der Liebe, der Freundſchaft, des Wohlwollens, der Geſelligkeit, die ſchon hier fuͤr fuͤhlende Herzen das Gluͤck des Lebens ausmachen, werden dort von aller Unvollkom - menheit gereinigt, und vor aller unangenehmen Abwech - ſelung geſichert, unaufhoͤrlich in unſern Seelen herrſchen. Jn der naͤhern Gegenwart Gottes werden wir ſeine un - ausſprechliche Liebenswuͤrdigkeit erſt recht empfinden, und eine Liebe zu ihm hegen, die wir hier gar nicht kennen. Jm perſoͤnlichen Umgange mit unſerm Erloͤſer, Joh. 17, 24. werden wir aus ſeinem eigenen Munde himmliſche Weisheit hoͤren, die hier in keines Menſchen Verſtand kommen iſt; wir werden es noch mehr als hier erfahren, wie ſehr er uns liebt, wie hoch er uns, ſeine TheuererloͤſtenP 2ſchaͤtzt228ſchaͤtzt. Unſere Geſellſchaften werden die weiſen und heili - gen Geiſter des Himmels ſeyn, und die ſeeligen Menſchen. Ebr. 12, 22-23. Jeder unter ihnen wird bey aller perſoͤn - lichen Verſchiedenheit, einerley Geſinnungen, einerley Geſchaͤffte der Wahrheit und Tugend, einerley Jntereſſe mit allen uͤbrigen haben. Welch eine vertraute allgemeine Freundſchaft wird ſich darin gruͤnden! Vergleichen Sie die beſte irdiſche Freundſchaft mit dieſer himmliſchen, und ſchließen Sie dann von der Freude, die jene bey aller ihrer Unvollkommenheit einer guten Seele gewaͤhrt, auf die Wolluſt, die wir uns dort von dieſer werden verſpre - chen koͤnnen.

Setzen Sie endlich noch hinzu, daß dieſer gluͤck - liche Zuſtand der Seeligen nie ein Ende haben, wohl aber eines allmaͤhligen und unausgeſetzten Fortganges zur hoͤchſtmoͤglichen Vollkommenheit faͤhig ſeyn wird. Die Vollkommenheit endlicher Weſen muß aber doch irgend eine hoͤchſte Stufe haben, wie hoch dieſe auch ſtehen mag. Es ſcheint mir daher zu erwarten zu ſeyn, daß die Seeli - gen endlich aufhoͤren werden in der Vollkommenheit zuzu - nehmen, nur den Wachsthum in der Erkenntniß Gottes ausgenommen, denn die iſt, weil Gott unendlich iſt, un - erſchoͤpflich. Daraus iſt mir muhtmaßlich, daß alle See - ligen einmahl zu einerley, oder doch ungefaͤhr zu einerley, Grad von Gluͤckſeeligkeit gelangen werden. Der Abſtand zwiſchen den Faͤhigkeiten einzelner Menſchen, der hier oft ſehr betraͤchtlich iſt, wird es dort vielleicht weniger ſeyn. Doch dieß ſind nur meine unerwieſene und noch unreife Vorſtellungen. Sollte es aber auch ſich ſo verhalten, daß alle Seeligen einmahl in gleichem Grade ſeelig ſeyn werden, ſo werden ſie ſich doch in der Auferſtehung, im Anfange ihrer himmliſchen Gluͤckſeeligkeit nicht gleich ſeyn. Der Richter der Welt wird ſie auf verſchiedene Stufen ſtellen, und dieſe Stufen werden in Verhaͤltniß mit dem Grade der moraliſchen Guͤte ſtehen, welche ſie aus dieſerWelt229 Welt in die kuͤnftige hinuͤber bringen werden. 1 Cor. 15, 40-42. 2 Cor. 9, 6. Aber es wird doch ohne Zweifel kei - nen, auch dem geringſten nicht, an irgend einer von den Seeligkeiten fehlen, von denen wir geredet haben.

Jch verſprach dem Grafen dieſe allgemeine Be - trachtung in unſrer naͤchſten Unterredung auf ihn anzu - wenden. Er war ſehr ruhig, und bezeugte mir, daß er ſich gluͤcklich ſchaͤtze der Ewigkeit nahe zu ſeyn, ob ihm gleich die Art ſeines Einganges in dieſelbe betruͤbt ſeyn muͤſſe. Er wolle inzwiſchen allen ſeinen Fleiß anwenden, ſich in eine ſolche Verfaſſung zu ſetzen, in der er hoffen duͤrfe, die Schrecken dieſes Todes uͤberwinden und einer ſeeligen Ewigkeit gewiß ſeyn zu koͤnnen. Er glaube daß ſeine Pflichten, die ihm in dieſer Abſicht oblaͤgen, darin beſtuͤnden, daß er erſtlich ſein voriges Leben beſtaͤndig vor Augen behielte, um ſeine Reue daruͤber bis ans Ende lebhaft zu erhalten, und dann unaufhoͤrlich daran arbei - tete ſeine gegenwaͤrtigen Geſinnungen zu befeſtigen, ſich gewoͤhnlich zu machen und zu verbeſſern.

Dieß, ſetzte er hinzu, iſt nun meine ganze Be - ſchaͤftigung, und ſie intereſſirt mich auch ſo ſehr, ich finde ſo viel Befriedigung darin, daß ich an nichts ſonſt Ge - ſchmack finde. Jch habe noch vor kurzem zuweilen eine Stunde in der hiſtoire generelle des Voïages geleſen, und es Jhnen damals, wie Sie ſich erinnern werden, auch geſagt. Jch habe es auch zu der Zeit ſchon gefuͤhlt, daß ich meine Stunden nuͤtzlicher brauchen koͤnnte. Aber, weil ich nicht gleichſam ſcheinheilig gegen mich ſelbſt thun wollte, ſo wollte ich mich auch nicht mit Gewalt zwingen meine Luſt zu dieſem Buche zu unterdruͤcken. Jtzt hat ſie ſich von ſelbſt verlohren. Jch kann nichts anders leſen und denken, und es intereſſirt mich ſonſt nichts, als was mit meinem einzigen Geſchaͤffte, mich auf die Ewigkeit zuzu - bereiten, in Verbindung ſteht. Jch bin auch nun, Gott - lob, ſo weit gekommen, daß meine Zweifel mich gar nichtP 3mehr230mehr beunruhigen. Was Sie mir von Anfang an geſagt haben, das habe ich nun erfahren. Es faͤllt mir kein Zweifel mehr ein, den ich mir nicht ſelbſt zu meiner voͤlli - gen Beruhigung ſollte heben koͤnnen.

Die chriſtliche Religion, ſagte er bey einer andern Gelegenheit, hat ſo viel einnehmendes, daß ſie nothwen - dig einem jeden gefallen muß, der ſie nur recht kennen lernt. Sie wuͤrde ſelbſt bey dem gemeinen Volke die vor - trefflichſten Wuͤrkungen hervorbringen, und die Welt auf das vortheilhafteſte veraͤndern, wenn ſie immer von der rechten Seite vorgetragen wuͤrde, und man es den Leuten nach ihrer Faſſung begreiflich genug machte, daß ſie ſelbſt fuͤr dieß Leben nicht gluͤcklicher werden koͤnnten, als wenn ſie die Vorſchriften des Chriſtenthums erfuͤllten; Jeder - mann wuͤrde es bald einſehen, daß, wenn es auch moͤg - lich waͤre, daß dieſe Religion ein Jrrthum ſeyn koͤnnte, ſie ein ſolcher Jrrthum ſeyn muͤßte, der der Natur des Jrrthums ganz widerſpraͤche, indem er der beſte und wahre Weg zur Gluͤckſeeligkeit waͤre. Jedermann wuͤrde dann finden, daß es der Muͤhe wehrt ſey, dieſen Jrrthum ſorgfaͤltig zu ernaͤhren und auszubreiten.

Jch wuͤnſchte, fuhr er fort, daß Sie und andre Geiſtliche allerley kleine fliegende Blaͤtter ſchrieben, um den Leuten die Vortheile des Chriſtenthums bekannter zu machen, als es, wie ich glaube, durch das bloße Predi - gen moͤglich iſt. Man koͤnnte, z. Ex. die Kalender zu die - ſer Abſicht brauchen, und anſtatt der vielen aberglaͤubi - ſchen Dinge, womit ſie gewoͤhnlich angefuͤllt ſind, nach der Faſſung des gemeinen Haufens Religion und Tugend darin lehren. Der Bauer wuͤrde dann dieſe Sachen taͤg - lich leſen, und wenn ſie ihm denn immer wieder in einer andern Geſtalt unter die Augen kaͤmen, ſo muͤßte er doch nothwendig zuletzt beſſer denken und handeln lernen. Auf die Art ſchreibt Voltaire, wie Sie wiſſen, unzaͤhlige kleine Piecen gegen die Religion, die immer unter veraͤndertenNahmen231Nahmen und Geſtalten wieder daſſelbe enthalten. Ver - nuͤnftige Verehrer des Chriſtenthums ſollten ihm dieſe Maxime, wodurch er viel Unheil anrichtet, ablernen um Gutes dadurch zu ſtiften. Voltaire thut ſich viel darauf zu gut, daß er dieß Mittel, wie er ſagt, erfunden hat die Welt zu erleuchten. Jch erinnere mich, daß Alembert in Paris, als ich ihn auf meiner Reiſe ſprach, von dieſer Me - thode viel Ruͤhmens machte, und Voltairens Weisheit darin bewunderte. Jnzwiſchen glaube ich nicht einmahl daß er der Erfinder derſelben iſt. Er kann wohl gar dieſe Art ſeine Gedanken auszubreiten und allgemein zu machen von Chriſto ſelbſt gelernt haben. Denn eben ſo lehrte Chriſtus die Wahrheit, bald in Parabeln, bald in Fra - gen und Antworten, bald in Predigten.

Alembert ſagte mir damals auch, daß er das Chriſtenthum ſorgfaͤltig unterſucht und nichts vernunftwi - driges in demſelben gefunden habe. Daß er aber es gleich - wohl nicht annehme gruͤnde ſich darin, daß er kein Ge - fuͤhl davon habe. Dieß Gefuͤhl ſey eine Wuͤrkung Gottes. Wenn ihm Gott daſſelbe verſage, ſo glaube er entſchul - digt zu ſeyn, daß er es nicht habe, und daher auch kein Chriſt ſey.

Endlich klagte mir der Graf noch, daß er ſeit eini - gen Tagen boͤſe Traͤume haͤtte, und begehrte meine Mey - nung zu wiſſen, in wie ferne ſolche Traͤume moraliſch ſeyn und dem Menſchen, der ſie haͤtte, zugerechnet werden koͤnn - ten. Jch antwortete ihm, in ſo ferne ſie ſich in freyen Vorſtellungen der Seele waͤhrend des wachenden Zuſtan - des gruͤndeten. Dieß, ſagte er hierauf, beruhigt mich, denn ich verſichere Sie, ich denke itzt gar nicht an die Dinge, worauf ſich meine Traͤume beziehen. Ueberhaupt habe ich bey mir angemerkt, daß die Materie zu meinen Traͤumen faſt nie aus nahe vorhergehenden, ſondern immer aus entfernten Empfindungen und Vorſtellungen hergenom - men iſt. So habe ich in der erſten Woche meiner Gefan -P 4genſchaft232genſchaft von nichts als von meinen Eltern getraͤumt, die ich doch lange nicht geſehen hatte. Jch glaubte im - mer in ihrem Hauſe und in ihrer Geſellſchaft zu ſeyn, und viele Begebenheiten meiner Jugend, die ich in ihrer Ge - genwart erlebt habe, ſtellten ſich mir wieder vor Augen.

Neun und zwanzigſte Unterredung, den 20ſten April.

Die Anwendung der in der letztern Unterredung vorge - tragener Erwartungen von dem Heil der Ewigkeit auf den Grafen zu machen, war dieß mahl meine Haupt - abſicht. Jch erinnerte ihn alſo, daß er, als ein Erloͤſter Jeſu Chriſti, der auch an ihn glaube und ſich ernſtlich bemuͤhe, ſeine Geſinnungen und noch moͤglichen Hand - lungen nach dem Wohlgefallen Gottes einzurichten, eine gegruͤndete Hoffnung zu aller dieſer Seeligkeit habe.

Sie haben die ſinnliche Freude, ſagte ich hierauf, in dieſer Welt geliebt. Sie iſt hier die Urſache Jhres Verderbens geworden, weil Sie ſich durch Jhre Begierde nach ihr zum Jrrthum und zur Suͤnde haben verleiten laſſen. Dieſe Verfuͤhrung werden Sie dort nicht zu be - fuͤrchten haben. Sie werden ihr Vergnuͤgen nicht in Din - gen ſuchen, deren Genuß Sie ungluͤcklich machen kann. Der unerſchoͤpfliche Reichthum der Schoͤnheit in den Wer - ken Gottes wuͤrde allein ſchon Jhre Sinne auf die edelſte Art beſchaͤfftigen, und Jhnen ewig eine Quelle der rein - ſten Freude ſeyn. Die Erkenntniß der Werke Gottes in der Natur, antwortete er, hat mir hier ſchon, ſo oft ich ſie geſucht und gefunden habe, viel Vergnuͤgen verurſacht. Sie iſt die einzige Urſache geweſen, die mich vom Atheis - mus, zu dem ich ſonſt gewiß auch verfallen ſeyn wuͤrde, zuruͤckgehalten hat.

Sie haben, fuhr ich fort, wenn es nicht eher ge - ſchehen iſt, doch gewiß hier in Jhrem Gefaͤngniſſe empfun -den,233den, wie ſuͤß es ſey der Wahrheit nachzuforſchen und ſich durch ſie erleuchten zu laſſen. Welch eine goͤttliche Freude wird es Jhnen dort verurſachen, ein unermeßliches Feld der edelſten Kenntniſſe vor ſich zu ſehen, und, von aller Gefahr des Jrrthums befreyt, eine Frucht der Weisheit nach der andern von demſelben zu erndten! Sie lieben nun das Chriſtenthum, weil Sie es ſo gut, ſo wohlthaͤ - tig finden: wie viel liebenswuͤrdiger wird es Jhnen dort werden, wo Sie den Plan Gottes in Anſehung unſrer Erloͤſung vollkomner werden einſehen lernen! Welch eine Wolluſt wird ihnen beſonders das verurſachen, noch mehr uͤberzeugt zu werden, wie wohl Sie gethan haben, daß Sie noch durch Jeſum zu Gott zuruͤckkehrten! u. ſ. w.

Sie empfinden itzt eine Ruhe der Seele, die Sie ſonſt in allem Jhrem Gluͤcke nie geſchmeckt haben. Sie iſt eine Folge Jhrer Ueberzeugung, daß Jhnen Jhre Suͤn - den vergeben ſind, und daß Sie ſich vor neuen Abwei - chungen von Gott huͤten. Welch eine Zufriedenheit wer - den Sie dort haben, wo Sie ſo ſehr im Guten befeſtigt ſeyn werden, daß Sie gar nicht mehr werden ſuͤndigen koͤnnen! Sie wiſſen aus der Erfarung, wie viel Reize ſelbſt eine verbotene ſinnliche Liebe fuͤr den Menſchen hat, wenn er vom Jrrthum und der Begierde beherrſcht wird. Wie ſuͤß wird Jhnen dort nicht die reinſte, ſeeligſte Liebe, die eine Folge der Wahrheit und Tugend iſt, die Liebe Gottes und Jhres Heilandes, die Freundſchaft der Engel und Heiligen im Himmel ſeyn! Und wie theuer werden Sie vor Gott und Jhrem Erloͤſer geachtet ſeyn, dem Sie faſt verlohren gegangen waren, und zu dem Sie ſich von Jhrer Verirrung wieder gewendet haben! Erinnern Sie ſich hier an die Erzaͤhlung Chriſti vom ver - lohrnen Sohn, die ſo viel Eindruck auf Sie machte, als Sie ſie in der Lebensgeſchichte Jeſu laſen. Dieſer mein Sohn, ſagte der erfreute Vater, war todt, und ſiehe, er lebet!

P 5Zwar234

Zwar werden Sie nicht hoffen, daß Sie in der Auferſtehung der Todten einer der erſten unter den Be - gnadigten Gottes ſeyn werden: aber dieß duͤrfen Sie hof - fen, daß Sie den erſten endlich nachkommen werden. Jch muͤßte ſehr zufrieden ſeyn, antwortete er, wenn mich Gott nur nicht ungluͤcklicher wollte werden laſſen, als ich itzt bin. Gott wird um meinetwillen die Ordnung nicht un - terbrechen, die er fuͤr die kuͤnftige Welt beſtimmt hat. Fahren Sie alſo fort, ſetzte ich hinzu, ſo lange Sie Zeit dazu haben werden, ſich um Wachsthum im Guten zu bemuͤhen. Jede, auch kleine Nachlaͤſſigkeit in dieſem Geſchaͤfte, welches itzt Jhr einziges iſt, wuͤrde Suͤnde ſeyn, und Sie zuruͤckſetzen. Jeder Schritt aber, den Sie noch vorwaͤrts thun, bringt Sie auch in Anſehung Jhres kuͤnftigen Heils weiter. Eher koͤnnte Gott aufhoͤren Gott zu ſeyn, als er auch nur einen einzigen guten Gedanken, eine einzige edle Entſchließung, unbelohnt laſſen koͤnnte. Eilen Sie, ſo ſehr Sie koͤnnen, denn Jhr Ziel iſt nun ſehr nahe! Mit einer ſo ſanften und ruhigen Miene, als ich ſie noch nie auf ſeinem Angeſicht geſehen hatte, ant - wortete er mir: Gottlob, ich bin bereit, und wenns auch Morgen ſeyn ſollte!

Die Freygeiſter, fuhr er fort, werden nun ſagen: Jch haͤtte, ohne zur Religion meine Zuflucht nehmen zu duͤrfen, in mir ſelbſt Staͤrke genug gegen mein Elend ſu - chen und finden muͤſſen. Nun haͤtte ich mich als ein Pol - tron bewieſen, und waͤre aus dieſem Grunde meines Gluͤcks nicht wuͤrdig geweſen. Wollte Gott, daß ich deſſelben aus andern Gruͤnden nicht unwuͤrdig geweſen waͤre! Jch moͤchte ſie aber doch wohl fragen, wie ich das haͤtte anfan - gen ſollen, Troſt in mir ſelbſt zu finden. An meine Ver - gebungen, an meinen itzigen Zuſtand, an meine Zukunft durfte ich nicht denken, wenn ich mich beruhigen wollte. Es blieb mir nichts uͤbrig, als mich zu betaͤuben und meine Gedanken zu zerſtreuen. Aber wie haͤtte ich das in einerſolchen235ſolchen Einſamkeit und Entfernung von aller Gelegenheit zur Zerſtreuung thun und in die Laͤnge fortſetzen koͤnnen? Und wenn das auch moͤglich geweſen waͤre, ſo wuͤrde es mich doch nichts geholfen haben, denn die Urſache zur Furcht, zur Aengſtlichkeit, waͤre doch immer da geblieben, und wuͤrde mich oft genug aus meiner erkuͤnſtelten Betaͤu - bung zu mir ſelbſt zuruͤck gerufen haben. Jn den erſten Wochen meines Gefaͤngniſſes, ehe ich auf meinen Zuſtand aufmerkſam geworden war, habe ich dieß Mittel der Be - ruhigung verſucht. Jch lag oft drey und mehrere Stun - den an einander auf meinem Bette, machte in Gedanken Romanen, durchreiſte die Welt, und meine Jmagination ſchuf mir tauſend Bilder, die ich betrachtete und die mir die Zeit vertrieben. Aber ich glaubte damals noch allerley moͤgliche Faͤlle meiner Rettung vor mir zu ſehen. Jch wußte noch nicht, ob und wie weit meine Verbrechen ent - deckt worden waͤren. Ein gewiſſer Umſtand, mit welchem zugleich alle meine Hoffnung hinfallen mußte, war mir noch unbekannt. Und ſelbſt damals wollte das Mittel der Zerſtreuung doch nicht recht anſchlagen. Wenn ich gleich einige Stunden vertraͤumen koͤnnte, ſo waren doch nach - her alle meine Schrecken und Aengſtlichkeiten wieder da. Vielleicht wird man wollen, ich ſollte nun ſtolz ſeyn, und durch mein Verhalten beweiſen, daß mich doch nichts de - muͤthigen ſolle. Aber elender Stolz wenn man kein gut Gewiſſen hat und auf der Blutbuͤhne ſterben muß! Nein, ich befinde mich beſſer dabey, meinen Troſt aus der einzigen wahren Quelle, aus der Religion herzuleiten, und ich wuͤnſche allen denen, die mich tadeln moͤgen, daß ich zu ihr meine Zuflucht genommen habe, einſt bey ihrem Tode eben die Ruhe, die ſie mir giebt.

Es iſt nur eine Sache in der Welt, die mich wuͤrklich und anhaltend beunruhigt, nemlich das Bewußt - ſeyn, daß ich andre Menſchen zur Jrreligion und Laſter - haftigkeit verleitet habe. Jch glaube, ich wuͤrde in jenerWelt236Welt meine Seelichkeit nicht recht empfinden koͤnnen, wenn ich jemand von meinen Verfuͤhrten ungluͤcklich wuͤßte. Kein Wunſch iſt mir daher wichtiger als dieſer, und die Erfuͤllung deſſelben haͤngt mit meinem eignen Heile feſt zuſammen, daß Gott allen denen, die ich auf irgend eine Art von ihm entfernt habe, die Gnade erweiſen wolle, die mir wiederfahren iſt, daß ſie nemlich zur Religion und Tugend zuruͤckgefuͤhrt werden moͤgen. Jch rufe Gott von Herzen darum an.

Sie ſagen mir itzt, Herr Graf, und haben es mir mehrmals geſagt, daß Sie oft zu Gott beten. Jch habe mich auf Jhr Wort verlaſſen und deswegen nur ſel - ten mit Jhnen gebetet. Sie muͤſſen ſelbſt Jhre Beduͤrf - niſſe am beſten empfinden, und ich kann Jhnen auch zu - trauen, daß Sie im Stande ſind, ſie mit Richtung Jhrer Gedanken auf Gott, und mit der Zuverſicht zu ihm, wozu Sie der Glaube an Chriſtum berechtigt, durchzudenken oder in Worten auszudruͤcken. Meine Gebete mit Jhnen wuͤrden fuͤr Sie nur Formeln ſeyn koͤnnen, und es koͤnnte leicht geſchehen, daß dieſe Formeln, wenn ich mich nicht vollkommen in Jhren Fall ſetzen koͤnnte, nicht recht an - paſſend auf ihren Zuſtand und Jhre jedesmaligen Empfin - dungen waͤren. Jch halte es alſo fuͤr beſſer, daß Sie allein Jhr Gebet vor Gott darbringen, da Sie es koͤnnen, und nicht noͤthig haben, meine Empfindungen und Worte gleichſam zu borgen. Sollte ich aber wahrnehmen, daß Sie etwa ganz nahe am Tode, Jhre Gedanken nicht ſelbſt zuſammenfaſſen koͤnnten, ſo will ich Sie im Gebet zu un - terſtuͤtzen ſuchen. Er antwortete, daß er ſehr oft bete, in dem er nemlich mit Erhebung ſeines Herzens zu Gott Selbſtgeſpraͤche in ſeinem Herzen hielte, ſich zur Beybe - haltung und mehrerer Berichtigung ſeiner Geſinnungen ermunterte und Gott auch ſelbſt anredete und ihn um Beyſtand und Gnade fuͤr ſich und ſeine Freunde anriefe.

Er237

Er bat mich um einige Predigten von Cramer. Zugleich moͤchte ich ihm doch den Meſſias mitbringen. Er habe es mehr als einmahl verſucht dieß Gedicht zu leſen, aber nie Geſchmack daran finden koͤnnen. Ohne Zweifel aber habe die Schuld an ihm gelegen, weil er ſich mit den Wahrheiten der Religion, auf die es gegruͤndet ſey, nicht bekannt gemacht gehabt, ſie auch nicht fuͤr wichtig gehal - ten habe. Jtzt da er mehr Erkenntniß davon habe, und ganz anders daruͤber denke, wolle er es doch wieder ver - ſuchen, ob nicht auch Klopſtock gute Empfindungen in ſeiner Seele veranlaſſen wuͤrde.

Dreißigſte Unterredung, den 21ſten April.

So weit ich nun den Grafen Struenſee beurtheilen konnte, und ich ſah ihn faſt taͤglich, beobachtete ihn ſehr genau und verglich ſein ganzes Verhalten mit ſeinen Worten, glaubte ich mit ihm zufrieden ſeyn zu duͤrfen. Wenigſtens war ich gewiß, daß alle, die ihn vorhin ge - kannt hatten, ihn ſehr vortheilhaft veraͤndert finden wuͤr - den, wenn ſie ihn itzt ſaͤhen, und ich fand auch einige ſeiner ehemaligen Freunde, die es fuͤr unglaublich hielten, als ich ihnen ſeine gegenwaͤrtige Geſinnung beſchrieb. An ſeiner Aufrichtigkeit gegen mich und die Wahrheit, fand ich nicht die mindeſte Urſache zu zweifeln. Jch konnte gar keine Abſicht entdecken, warum er mich haͤtte ſollen hin - tergehen wollen, die Verſtellung war ſeinem Character nicht gemaͤß, alle, die Gelegenheit hatten ihn zu ſehen, fanden ihn ſo wie ich ihn fand, es zweifelte faſt niemand daran, daß er wuͤrklich ſo waͤre, wie er ſich zeigte, und ich war mirs bewußt, daß ich immer auf meiner Hut ge - weſen waͤre, mich nicht betruͤgen zu laſſen. Vornemlich war mir ſeine gegenwaͤrtige Ruhe ein gar zu ſicherer Be - weis von den Wuͤrkungen der Religion auf ſein Herz. Jch zweifelte alſo gar nicht daran, daß ich durch die GnadeGottes238Gottes die Abſicht meines Berufs bey ihm gluͤcklich erreicht haͤtte, und entſchloß mich nun in freyen Unterredungen an der Befeſtigung ſeiner itzigen Geſinnungen zu arbeiten, und ſo oft ich noch Maͤngel entdecken wuͤrde, auch fuͤr ihre Verbeſſerung zu ſorgen. Jch werde von nun an in meiner Erzaͤhlung ſeltener ſelbſt reden, und meine Leſer mehrentheils mit dem unterhalten, was er geſagt hat.

Jch denke itzt, ſagte er, ſehr viel an den Zuſtand der Seele nach dem Tode. Unter andern habe ich den Gedanken gehabt, daß die Seele waͤhrend ihrer Trennung vom Koͤrper doch wol in einem Stande dunkler Vorſtel - lungen, aber doch mit dem Bewußtſeyn ihrer Gluͤckſee - ligkeit, ſeyn koͤnnte. Die Sinne ſind ja die Quelle wor - aus ſie ihre Begriffe ſchoͤpft, und die fehlen ihr dann. Jch antwortete ihm, man koͤnne nicht wiſſen, ob nicht die Seele irgend ein feines unſichtbares Schema perceptio - nis mit ſich aus dem Koͤrper nehmen werde, durch deſſen Huͤlfe ſie klare Vorſtellungen haben, und auch aͤußerliche Dinge werde empfinden koͤnnen. Die Begriffe, die ſie ſich hier geſammelt haͤtte, werde ſie, auch ohne einen Koͤr - per zu haben, beybehalten und verbinden koͤnnen. Und wenn ja auch eine Dunkelheit in ihren Vorſtellungen ſtatt finden ſollte, ſo wuͤrde es doch nur in Beziehung auf ihren kuͤnftigen Zuſtand in der Verbindung mit dem neuen Leibe ſeyn koͤnnen, nicht aber in Beziehung auf dieß zu - ruͤckgelegte Leben. Denn ſonſt wuͤrde ſie ja gewiſſermaaßen unvollkommener nach, als vor dem Tode ſeyn, wovon doch das Gegentheil zu erwarten waͤre. Sie wird frey - lich auch, ſetzte er hinzu, nach dem Ausſpruche der Schrift bey Chriſto ſeyn, und dabey laͤßt ſich kein Zuſtand dunk - ler Vorſtellungen denken. Jch habe uͤber dieſen Aufent - halt der Seelen bey Chriſto dieſes gedacht. Jch glaube, ich habe es irgendwo geleſen. Eine unſrer vornehmſten Seeligkeiten ſoll das Anſchauen Gottes ſeyn. Von Ange - ſicht zu Angeſicht koͤnnen wir aber Gott im eigentlichenVer -239 Verſtande nicht ſehen, ſondern es muͤſſen uns durch Un - terricht, durch Aufklaͤrung und Erweiterung der Begriffe neue und vollkommene Kenntniſſe von Gott mitgetheit werden. Das muß durch jemand geſchehen, der Gott voͤllig kennt, und zugleich ſich zu uns herabzulaſſen und ſich nach unſern Faͤhigkeiten zu richten weiß. Dieſer wird Chriſtus ſeyn. Er iſt Gott, und weiß alſo, was in Gott iſt. Er iſt Menſch, und kann alſo ſeinen Unterricht von Gott, den er uns geben wird, uns verſtaͤndlich machen.

Jch finde in der goͤttlichen Einrichtung zur Ver - ſoͤhnung und Verbeſſerung des menſchlichen Geſchlechts, ſagte er ferner, eine weiſe Gradation. Jm alten Teſta - ment hat Gott um die Menſchen auf ſeine Heiligkeit und Gerechtigkeit aufmerkſam zu machen, die Opfer angeord - net. Die Juden mußten etwas, das ihnen lieb war, hergeben, wenn ſie geſuͤndigt hatten, und das ſollte ihnen das Suͤndigen ſchwer machen. Nach und nach aber ver - gaßen ſie die Abſicht und blieben an dem Sinnlichen des Mittels haͤngen. Nun opferte Gott ſelbſt Chriſtum ſei - nen Sohn auf, um den Menſchen dadurch noch weit ſtaͤr - ker ſeinen Abſcheu an der Suͤnde und zugleich ſeine Liebe zu beweiſen. Sollte ein tauſendjaͤhriges Reich oder irgend eine aͤhnliche Begebenheit zukuͤnftig ſeyn, wo ſich ihnen Gott in großer Herlichkeit zeigte, ſo wuͤrde das ſie viel - leicht noch ſtaͤrker ruͤhren.

Es kommt mir itzt ſehr thoͤricht vor, fuhr er fort, daß ſich die Freygeiſter an der niedrigen Geſtalt Chriſti und der erſten Lehrer des Chriſtenthums aͤrgern. Denn zu geſchweigen, daß in Beziehung auf Gott nichts klein oder groß iſt, ſo iſt dieſe niedrige Geſtalt zur Erreichung des Zwecks, den Chriſtus hatte, etwas weſentliches ge - weſen. Wenn z. Ex. ein großer Herr ein Dorf voll Bauern in Perſon reformiren wollte, ſo wuͤrde er nicht viel aus - richten, wenn er in aller ſeiner Groͤße unter ihnen er - ſchiene. Sie wuͤrden ihn dann fuͤr ein Weſen voneiner240einer hoͤhern Art halten, deſſen Antraͤge ihnen zu hoch waͤren, oder das dabey vielleicht keine wohlthaͤtigen Abſichten fuͤr ſie haͤtte. Wenn aber dieſer Große ſich zu ihnen herabließe, mit ihnen lebte und umgienge, und den Bauer vorſtellte, ſo wuͤrde er viel weiter mit ihnen kommen. Deswegen, glaube ich, ließ ſich Chriſtus in einer ſo niedrigen Geſtalt ſehen. Nun hielt ihn der große Haufen fuͤr einen von ſeines gleichen, und faßte Zutrauen zu ihm. Deswegen waͤhlte er auch zu ſeinen Apoſteln lauter geringe Leute. Deswegen hielt er ſowohl als die Apoſtel ſich am meiſten unter dem gemei - nen Mann auf. Und der gemeine Mann konnte die Wun - der, die ſie thaten, eben ſo gut anſchauen, als eine Ver - ſamlung von Philoſophen, denn ſie waren alle von der Beſchaffenheit, daß nur geſunde Sinne und allgemeiner Menſchenverſtand dazu gehoͤrten, ſie zu beobachten. Ein gemeiner Soldat waͤre vielleicht faͤhiger eine ſolche Er - ſcheinung genau anzuſehen, als ein General, der etwa den Kopf von andern Dingen voll haͤtte, oder es der Muͤhe nicht wehrt ſchaͤtzte darauf zu achten. Das Zeugniß der Sinne gemeiner Leute von den Thaten Chriſti, in denen ſeine Wunder beſtehen, iſt alſo ſehr zuverlaͤſſig. Nun koͤnnen ja die Gelehrten und Philoſophen uͤber dieſe hin - laͤnglich bezeugten Thatſachen nachdenken, ſie pruͤfen ob ſie Wunder ſind, und dann ſchließen, was ſie fuͤr Jeſum und ſeine Lehre beweiſen.

Es iſt nun kein einziger Zweifel mehr uͤbrig, auch dieß ſind des Grafen Worte, der mich beunruhigen, oder uͤber meine Begnadigung bey Gott unſicher machen koͤnnte, als etwa dieſer: ob nicht meine Verbeſſerung durch die Religion mehr im Verſtande als in den Geſin - nungen beſtehe. Jch habe daruͤber nachgedacht, und folgendes zu meiner Beruhigung gefunden. Jch bin mirs bewußt, daß ich alles moraliſche Boͤſe ohne Aus - nahme verabſcheue, und das entgegengeſetzte Gute liebe. Jch241Jch beſſere unermuͤdet an meinen Geſinnungen. Jch em - pfinde in meiner Seele eine wahre Liebe gegen Gott und meinen Erloͤſer. Sinnlich iſt dieſe Liebe nicht, aber das kann ſie nach der Natur des Gegenſtandes nicht ſeyn. Sie zeigt ſich zwar in keinen andern Wuͤrkungen, als in meinem ernſtlichen Verlangen und Beſtreben Gott durch Berichtigung meiner Geſinnungen und durch ſo viele gute Thaten wohlgefaͤllig zu werden, als noch durch mich moͤg - lich ſind: aber ich ſehe auch nicht, daß der Menſch ſeine Liebe zu Gott auf eine andre Art beweiſen kann. Jch freue mich auf das Heil der Ewigkeit: aber ich kann nicht ſa - gen, daß ich die Zeit nicht abwarten koͤnne, biß ich dazu gelange. Daß meine Vorempfindung davon nicht ſo leb - haft iſt, das gruͤndet ſich theils in meiner natuͤrlichen Denkungsart, nach welcher ich mich nie auf einen kuͤnfti - gen gluͤcklichen Zuſtand mit Ungeduld gefreut habe, theils in meiner Ueberzeugung, daß ich beſſer thue, mich mit Ruhe und geſetztem Nachdenken auf die Gluͤckſeeligkeit der Zukunft zuzubereiten, um ihrer, wenn die Zeit dazu kommt, deſto gewiſſer zu ſeyn. Endlich muß ich geſtehen, daß meine Reue uͤber meine Suͤnden itzt nicht mehr ſo lebhaft iſt, als ſie vorhin war. Jch glaube z. Ex. nicht, daß ich itzt uͤber meine Vergehungen wuͤrde weinen koͤnnen, es waͤre denn, daß ich mir wieder Zeit dazu naͤhme ſie von allen Seiten durchzudenken. Aber es iſt auch nicht moͤglich, daß meine Reue itzt ſo heftig als ſonſt ſeyn koͤnnte, weil ich ſchon den Troſt des Evangelii kenne, und zur Beruhigung meines Gewiſſens auf mich anwenden darf. Jch bitte Sie, ſetzte er hinzu, denken Sie daruͤber nach, ob Sie mich ſo finden, wie ich ſeyn ſoll. Schreiben Sie es auch an Cramern und bitten ihn mich zu beurtheilen. Jch will gern alles thun, was Er oder Sie mir noch vor - ſchreiben werden.

Der Graf wußte, daß ich mit Cramern uͤber den Fortgang ſeiner Bekehrung correſpondirte. Jch pflegteQihm242ihm die Briefe deſſelben, in ſo weit ſie ihn betrafen, mit - zutheilen, und er machte ſich Cramers Anmerkungen und Zweifel uͤber ihn mit Freuden zu Nutze. Er war ſehr begierig nach dieſen Briefen, und fragte mich heute und noch am letzten Morgen ſeines Lebens ob keiner gekommen waͤre, der ihn angienge.

Ein und dreißigſte Unterredung, den 22ſten April.

Jch weiß nicht aus welchem Grunde der Graf befuͤrch - tete, daß mir uͤber die Methode, nach welcher ich ihn zum Chriſtenthum angefuͤhrt hatte, Vorwuͤrfe ge - macht werden moͤchten. Er hatte mich ſchon mehr als einmahl gebeten mit derſelben wegen der Wuͤrkung, die ſie bey ihm gehabt haͤtte, zufrieden zu ſeyn und zu blei - ben, wenn man auch hin und wieder glauben ſollte, daß ich dieſen Weg nicht mit ihm haͤtte gehen ſollen. Heute wiederhohlte er dieſe ſeine Bitte, und zwar ſehr umſtaͤnd - lich. Jch will das vornehmſte, was er uͤber dieſe Sache ſagte, mittheilen, weil es nachdenkenden Leſern Gelegen - heit giebt, den Character des Mannes noch beſſer kennen zu lernen.

Jch bitte Sie ſehr, ſagte er, laſſen Sie ſich nicht dadurch beunruhigen, wenn etwa jemand ſagen wollte, Sie haͤtten weniger philoſophiſch und mehr evangeliſch bey mir verfahren ſollen. Jch verſichere Sie, Sie haͤtten auf keinem andern Wege einen Eingang in meine Seele finden koͤnnen, als auf dem, welchen Sie gewaͤhlt haben. Drey Wege waren uͤberhaupt nur moͤglich: Declamation, Erregung der Einbildungskraft, und kaltbluͤtige Unter - ſuchung. Haͤtten Sie declamirt, ſo wuͤrde ich gleich ge - dacht haben: wenn der Mann eine gute Sache hat, warum legt er mir nicht ſeine Gruͤnde ungekuͤnſtelt vor Augen? Hat Gott eine Religion offenbahrt, ſo muß ſieeine243eine vernuͤnftige Pruͤfung aushalten koͤnnen. Jch wuͤrde Sie alſo unbeweglich angehoͤrt haben. Haͤtten Sie meine Jmagination zu Jhrem Vortheil brauchen wollen, ſo wuͤrden Sie haben ſuchen muͤſſen, ſie mit ſchreckenden Bildern von der Ewigkeit zu erfuͤllen. Und da wuͤrden Sie noch weniger ausgerichtet haben, als durch die De - clamation. Jch glaubte viel zu feſt, daß ich nach dem Tode nichts zu hoffen noch zu fuͤrchten haͤtte, und uͤber dieſes wuͤrde auch aller Eindruck, den Sie etwa durch die Furcht bey mir gemacht haͤtten, bald wieder geſchwaͤcht und durch die darauf folgende Wiederhohlung meines alten Syſtems ganz ausgeloͤſcht worden ſeyn. Es blieb alſo kein andrer Weg fuͤr Sie uͤbrig, als der, welchen Sie mit mir gegangen ſind, die ruhige Unterſuchung. Jch will Jhnen nun erzaͤhlen, was ich fuͤr eine Entſchließung gefaßt hatte, ehe Sie zu mir kamen, und aus welchen Gruͤnden ich mich mit Jhnen einließ. Etwa acht Tage vor Jhrem erſten Beſuch, fragte mich der Herr Commendant, ob ich nicht mit einem vernuͤnftigen Geiſtlichen ſprechen wollte? Weil ich mir vorſtellte, daß jeder Geiſtliche mir entwe - der viel vorpredigen, oder mich mit fuͤrchterlichen Vor - ſtellungen uͤberhaͤufen wuͤrde, ſo verbat ich mir den Vor - ſchlag des Generals. Jch ſagte: ich und jeder Geiſtliche werden in unſern Meynungen unendlich weit abſtehen, und zu diſputiren habe ich keine Luſt. Jnzwiſchen konnte ich mir wohl vorſtellen, daß mir die Regierung gleichwohl einen Prediger ſenden wuͤrde. Jch nahm mir alſo vor den Prediger, wenn er ſich meldete, anzunehmen, ihm hoͤflich zu begegnen, ihn ruhig und anſtaͤndig anzuhoͤren, und ihm bey Endigung des erſten Beſuches zu ſagen, daß, wenn er Befehl haͤtte, mich fleißig zu beſuchen, er mir immer willkommen ſeyn ſollte. Jch baͤte ihn aber, er moͤchte ſich keine Hoffnung machen, daß er bey mir etwas ausrichten wuͤrde, denn ich ſey von meinen Meynungen viel zu ſehr uͤberzeugt, und werde mich daher in keineQ 2unnuͤtze244unnuͤtze und ermuͤdende Diſputation einlaſſen. Nun kamen Sie, mein wehrteſter Freund! Jch ſah gleich, daß Sie die Abſicht nicht hatten, ſich bey mir niederzulaſſen und zu predigen, oder mich in Furcht und Schrecken zu ſetzen und meine Jmagination zu erhitzen. Sie baten mich nur, da die Sache doch ſo wichtig ſey, meine Meynun - gen und das Chriſtenthum zu unterſuchen. Den Vorſchlag fand ich billig. Jch hatte Zeit dazu. Jch ſtellte mir vor, ich wuͤrde durch dieſe Unterſuchung den Ungrund des Chri - ſtenthums noch gewiſſer erkennen lernen, und deſto feſter von meinen Grundſaͤtzen uͤberzeugt werden. Nun fuͤhr - ten Sie mich alſo auf den dritten moͤglichen Weg, wir fiengen unſre Unterredungen mit kaltem Blute an, und ich las die Buͤcher, die Sie mir gaben, mit Mistrauen, aber doch mit Nachdenken. Es dauerte nicht lange, ſo konnte ichs mir nicht mehr verhehlen, daß ich geirret haͤtte. Jch kann Jhnen nicht ſagen, wie viel Ueberwindung mich das gekoſtet hat, mir ſelbſt zuerſt und dann Jhnen, mei - nen Jrrthum zu geſtehen. Sie werden ſich erinnern, ich habe es Jhnen von Anfang an nicht gelaͤugnet, daß ich viel Unrecht gethan haͤtte, daß ich in meinem vorigen Zu - ſtande nicht gluͤcklich geweſen waͤre, daß mein Gewiſſen mir itzt Vorwuͤrfe machte u. ſ. w. Aber daß ich meine vorigen Grundſaͤtze fuͤr falſch erklaͤrte, das war nach mei - ner ehemaligen in Behauptung meiner Meynungen hoͤchſt eigenſinnigen Denkungsart ein großer Sieg uͤber mich ſelbſt. Mich dazu zu bringen, das war auf keine Art als durch die bloße Vernunft moͤglich. Sie wiſſen die aus der Natur der Sache hergenommenen Gruͤnde beſſer als ich, durch die Sie bewogen worden ſind, ſo mit mir zu handeln, als Sie gehandelt haben. Und der Erfolg recht - fertigt Sie auch. Die Abſicht meiner Bekehrung iſt durch Gottes Gnade gluͤcklich erreicht. Auf welchem Wege das geſchehen iſt, das kann jedem dritten gleichguͤltig ſeyn, und vernuͤnftige Chriſten, die ſich daruͤber freuen werden,daß245daß meine Seele errettet iſt, werden ſich auch daruͤber freuen, daß Sie die Methode gewaͤhlt haben, die wenig - ſtens bey mir die einzige gute war.

Nach einigen Betrachtungen, die wir mit einan - der uͤber die Gruͤnde ſeiner Beruhigung und Hoffnung anſtellten, deren Jnhalt ſchon in den vorigen Unterredun - gen erzaͤhlt iſt, und den ich deswegen nicht wiederhohlen will, benachrichtigte ich ihn, daß dieſe Woche vermuht - lich die letzte ſeines Lebens ſeyn wuͤrde. Jch wußte ſo viel gewiß, daß am naͤchſten Sonnabend das Urtheil uͤber ihn gefaͤllt werden, und daß zwiſchen dem Spruch und der Vollziehung nur wenig Tage verſtreichen wuͤrden. Er blieb bey dieſer Nachricht bey aller ſeiner Faſſung und Heiterkeit. Jch hoffe gewiß, ſagte er, daß ich meinem Tode ohne betaͤubende Furcht und Angſt entgegen gehen werde. Jch beſorge nur, daß Sie bey dieſem furchtba - ren Auftritte viel leiden werden. Wenn es nicht auf die Zuſchauer einen widrigen Eindruck machen koͤnnte, ſo woll - te ich Sie bitten mich lieber nicht zu begleiten. Nein, Herr Graf, ich bin ihr einziger Freund, und darf Sie nicht verlaſſen. Jch will mich mit der Hoffnung zu ſtaͤr - ken ſuchen, die ich ſo zuverlaͤſſig haben darf, daß es Jh - nen in der Ewigkeit wohlgehen wird, und ſo will ich Jh - nen, ſo viel mir moͤglich ſeyn wird, bey dieſem ſchweren Schritte beyſtehen, und meine Belohnung ſoll die ſeyn, daß ich ſehe, wie Sie als ein Chriſt ſterben.

Zwey und dreißigſte Unterredung, den 23ſten April.

Was kann doch die Urſache davon ſeyn, ſagte der Graf, daß viele Menſchen, die von der Wahrheit des Chri - ſtenthums uͤberzeugt ſind, ſich gleichwohl wegern den Vor - ſchriften deſſelben Folgen zu leiſten? Wahrhaftig uͤber - zeugt, antwortete ich, ſind dieſe wohl nicht; ſie haltenQ 3allen -246allenfalls die Religion fuͤr wahr, ohne ſie je unterſucht zu haben; haben falſche Vorſtellungen von ihren Vorſchrif - ten; machen ſich uͤber dieſe und jene Suͤnden, die ihnen die liebſten ſind, Entſchuldigungen, welche ſie wohl gar durch Lehren der Religion beſtaͤtigen zu koͤnnen glauben; oder hoffen zu der Guͤte Gottes, daß ſie es ſo genau nicht nehmen werde. Seichte oder falſche Erkenntniß kann man allemahl ſicher bey demjenigen annehmen, der die Lehre des Evangelii fuͤr wahr und goͤttlich haͤlt, und es ſich doch erlaubt, ihre Vorſchriften zu uͤbertreten. Jch habe in dieſen Tagen, fuhr der Graf fort, mit jemand eine Unterredung gehabt, die mich veranlaßt Jhnen dieſe Frage vorzulegen. Dieſer Mann geſtund, daß er das Chriſtenthum fuͤr wahr erkenne, aber es doch nicht fuͤr moͤglich halte die Geſetze deſſelben zu erfuͤllen. Die Sitten der Zeit, die Zerſtreuungen des Lebens, die einmahl ange - nommenen und allgemein reſpectirten Vorurtheile, und tauſend andere Umſtaͤnde erlaubten das nicht. Jch ant - wortete ihm, daß ich mir davon keine Vorſtellung zu ma - chen wuͤßte, wie man Grundſaͤtze fuͤr wahr halten koͤnnte, ohne ſie befolgen zu wollen. So lange ich von der Wahr - heit derjenigen uͤberzeugt geweſen waͤre, die ich vormals gehabt haͤtte, waͤre ich mich ihrer bey meinen Handlun - gen meiſtentheils bewußt geweſen und ihnen treu geblieben. Und nun wuͤrde ich auch gewiß denen gemaͤß handeln die ich itzt aus Ueberzeugung angenommen haͤtte. Jch zeigte ihm uͤber dieſes, daß der Vorwand von den Schwuͤrig - keiten, die die Beobachtung der Vorſchriften des Evan - gelii unmoͤglich machen ſollten, ſehr ungegruͤndet ſey. Wenn Jhnen, zum Exempel, ſagte ich, Jhr Oberſter eine Compagnie verſpraͤche, mit der Bedingung, daß Sie ſich ein Jahrlang gaͤnzlich nach ſeinen Vorſchriften richten ſollten, wuͤrden Sie dieſe Bedingung nicht willig erfuͤllen, wenn auch der Oberſte noch ſo ſonderbar und eigenſinnig in ſeinen Forderungen waͤre? Er bejahete dieſes. Nun,fuhr247fuhr ich fort, machen Sie die Anwendung. Welch ein Heil verſpricht Jhnen das Evangelium, als die Beloh - nung des Gehorſams, den Sie den Vorſchriften deſſelben leiſten ſollen! Jſt das nicht einer ſolchen Bemuͤhung wehrt? Ja, ſagte der Officier, man hofft denn mit der Zeit, wenn man aͤlter wird, froͤmmer zu werden. Wenn Sie aber, antwortete ich, in dem angenommenen Falle eben ſo handeln, wenn Sie ſich in den eilf Monaten des Jahrs an die Befehle des Oberſten nicht weiter binden wollten, als es Jhnen bequem waͤre, und nur den zwoͤlf - ten und letzten aufmerkſam darauf ſeyn: wie viel Hoffnung meynten Sie denn wohl zu der Compagnie zu haben? Es iſt freylich wahr, man muß jene Schwierigkeiten zu uͤberwinden ſuchen!

Jſt nun das nicht, fragte mich hierauf der Graf, die Suͤnde wider den heiligen Geiſt, wenn jemand das Chriſtenthum glaubt und davon uͤberzeugt iſt, und es doch nicht halten will? Jch entwickelte ihm den Begriff dieſer Suͤnde aus den Worten Jeſu, die hieher gehoͤren, und zeigte ihm daß und warum ſie itzt nicht mehr koͤnne began - gen werden. Doch, ſagte ich, hat die Suͤnde, von der Sie reden, viel Aehnlichkeit und Verwandtſchaft mit der Suͤnde wider den heiligen Geiſt, und jene kommt dieſer um ſo viel naͤher, um wie viel mehr der Menſch, der ſie begeht, Beweiſe von der Wahrheit der Religion kennet. So zum Exempel wuͤrden Sie eine Suͤnde begehen, die ſehr nahe an die Suͤnde wider den heiligen Geiſt graͤnzte, wenn Sie bey Jhrer itzigen Einſicht von der Wahrheit des Chriſtenthums noch wieder abfallen, und etwa um den Beyfall der Freygeiſter zu gewinnen, oder um als ein philoſophiſcher Held zu ſterben das Evangelium foͤrm - lich verleugnen wollten. Vor der Suͤnde, antwortete er, bin ich gewiß ſicher, Gott bewahre mich nur vor andern, die mich leichter uͤbereilen koͤnnten.

Q 4Zuletzt248

Zuletzt bat mich der Graf ihm einen Tag zu be - ſtimmen, an welchem er das heilige Abendmahl empfan - gen koͤnnte. Jch vermuhtete daß der naͤchſte Donnerſtag ſein Todestag ſeyn wuͤrde, und er wuͤnſchte dieſe heilige Handlung nicht ganz nahe an dieſem Tage zu begehen. Wir ſetzten alſo den bevorſtehenden Montag dazu an. Bey dieſer Veranlaſſung unterredeten wir uns noch uͤber die Natur und Abſicht dieſer Stiftung Jeſu, und ich ver - ſprach noch beſonders davon mit ihm zu handeln.

Drey und dreißigſte Unterredung, den 24ſten April.

Der Graf war geſtern mit ſeinem Aufſatz uͤber ſeine Bekehrung fertig worden, und uͤbergab mir denſel - ben. Er verſicherte mich, er habe mit einer gewiſſen Aengſtlichkeit daran gearbeitet, um ja nichts zu ſagen, was nicht ſeinen vormaligen oder itzigen Geſinnungen ge - maͤß waͤre. Daher waͤre die Arbeit langſam von ſtatten gegangen. Er beſorgte, daß er ſich hin und wieder nicht deutlich oder beſtimmt genug moͤchte ausgedruckt haben, indem er theils ſeit verſchiedenen Jahren nicht vieles in deutſcher Sprache, und niemals uͤber ſolche Materien ge - ſchrieben, theils ſich bemuͤhet habe, ſeine Gedanken kurz zuſammen zu faſſen, damit er nicht zu weitlaͤuftig wuͤrde. Uebrigens ſey ihm dieſe Beſchaͤfftigung ſehr angenehm ge - weſen, weil ſie ihm Gelegenheit gegeben haͤtte noch ein - mahl die ganze Reihe der Beweiſe durchzudenken, die ſeine Ueberzeugung verurſacht haͤtten: und er habe dieſe itzt ſo ſtark gefunden, daß er gewiß ſey, er wuͤrde ſein Leben mit aller irdiſchen Gluͤckſeeligkeit durch keine Hand - lung erkaufen, die derſelben widerſpraͤche. Er baͤte mich nun ſeinen Aufſatz durchzuleſen und zu beurtheilen, ob ich ihn der Abſicht gemaͤß faͤnde, wozu er geſchrieben waͤre. Weil wir nur wenig Zeit mehr vor uns ſahen, ſo ent - ſchloſſen wir uns diejenige, die wir nun gleich haͤtten,dazu249 dazu zu gebrauchen. Jch las alſo in ſeiner Gegenwart den ganzen Aufſatz laut vor. Jch fand hin und wieder undeutliche Stellen, auch Ausdruͤcke und Gedanken, die etwa von Chriſten oder Unchriſten gemißdeutet werden koͤnnten, und machte ihm daruͤber meine Anmerkungen. Einige dieſer Stellen verbeſſerte er mit eigner Hand. An - dre aber wollte er gern laſſen, wie ſie waͤren. Jch habe dieſe Nachricht, ſagte er, geſchrieben, ſo wohl die Chriſten als diejenigen die es nicht ſind, und denen dieſe Blaͤtter in die Haͤnde fallen moͤchten, zu uͤberzeugen, daß ich mit Ueberlegung ein Chriſt worden bin, und als ein Chriſt ſterbe. Die Denkungsart der letztern kenne ich ziemlich genau. Will ich verhindern, daß ſie keinen Vorwand finden zu ſagen, ich ſey aus Poitronnerie oder Schwach - heit des Verſtandes ein Chriſt worden, ſo muß ich es ih - nen ſichtbar machen, daß ich ſelbſt nachgedacht und raiſon - nirt habe, ſo muß ich ihnen z. Ex. zeigen, wie meine Vernunft uͤber die Geheimniſſe der Religion denkt, und warum ich ſie nicht widerſprechend finde. Findet der andre Theil der Leſer, die Chriſten, meine Vorſtellungen nicht uͤberall richtig und meine Ausdruͤcke zuweilen ſchief oder unbeſtimmt, ſo werden dieſe ſich daruͤber nicht wundern, wenn ſie nur bedenken wollen, wie neu ich in dieſen Wahr - heiten bin, und wie ungeuͤbt daruͤber zu reden oder zu ſchreiben. Sie wiſſen, wehrter Freund, daß ich ohne weitere Erklaͤrung oder Einſicht in den Zuſammenhang der Sachen, alles ohne Ausnahme, auf Chriſti Wort glaube, was er gelehrt hat.

Ob die runden Zahlen, fragte er mich heute, die in der Bibel, zumahl im alten Teſtamente vorkaͤmen, wohl immer zuverlaͤſſig waͤren, und nothwendig dafuͤr gehalten werden muͤßten? Jch antwortete ihm: Voltaire und an - dre haͤtten dagegen viele Einwendungen gemacht. Weil man aber Maaß, Gewicht, Wehrt des Geldes u. ſ. w. worauf ſich dieſe Zahlen bezoͤgen, unmoͤglich allemahlQ 5genau250genau beſtimmen koͤnnte, ſo waͤren die Einwendungen eben ſo unbedeutend, als die Antworten nicht immer befriedi - gend waͤren. Zuweilen koͤnnten ſich auch Schreibfehler in die Codices eingeſchlichen haben, hin und wieder haͤtte man auch wohl nicht die richtige Bedeutung der Worte gefunden. Jch erlaͤuterte ihm das mit einigen Beyſpielen aus den alten Teſtament. Jn Schweden koͤnnten unge - heure Summen berechnet werden, wenn man nach Kupfer - dalern rechnete. Wenn nun eine ſolche Rechnung nach vie - len Jahrhunderten, da man etwa nicht mehr wuͤßte, wie hoch der Wehrt eines Kupferdalers geweſen waͤre, und vielleicht ihn aus Jrrthum fuͤr gleich mit dem Wehrt eines Reichsthalers annaͤhme, beurtheilt werden ſollte, ſo wuͤr - den ſich gegen dieſelbe unaufloͤsliche Schwuͤrigkeiten ma - chen laſſen.

Der bevorſtehende Montag war, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, zur Communion angeſetzt. Da dieſe feyer - liche Handlung, ſagte ich zu dem Grafen, zugleich ein oͤffentliches Bekenntniß des Chriſtenthums iſt, ſo halte ich es nicht fuͤr anſtaͤndig, daß Sie ſie ohne Zeugen begehen. Billig ſollte doch irgend ein wahrer Chriſt, der dafuͤr be - kannt iſt, dabey gegenwaͤrtig ſeyn. Jch wuͤnſchte, antwor - tete er, daß ich zugleich mit dem Grafen Brandt das heilige Abendmahl empfangen koͤnnte. Weil das aber Schwuͤrig - keiten haben kann, ſo bitte ich Sie den Herrn Commendan - ten zu erſuchen, daß er Zeuge dabey ſeyn wolle.

Der Graf ſchien mir heute nicht voͤllig ſo heiter zu ſeyn, als er ſonſt zu ſeyn pflegt. Jch erkundigte mich bey ihm nach der Urſache davon. Sie wiſſen, antwortete er, daß ich morgen mein Urtheil erwarte. Dieß hat mich veran - laßt uͤber die vorigen Zeiten nachzudenken. Es iſt mir dabey eingefallen, wenn ich dieß nicht gethan und jenes anders gemacht haͤtte, ſo wuͤrde ich nicht ſo ungluͤcklich geworden ſeyn. Und das hat mich ein wenig beunruhigt. Jnzwiſchen verlaſſen Sie ſich darauf, daß dieſe Unruhe nur ein kleinerUeber -251Uebergang iſt. Jch habe ſchon hinglaͤngliche Urſachen gefun - den, mich uͤber alle ſolche Betrachtungen hinauszuſetzen, und das um ſo viel mehr, da ſie itzt doch ganz uͤberfluͤſſig und unzeitig ſind.

Vier und dreißigſte Unterredung, den 25ſten April.

Die Wolluſt, ſagte der Graf iſt die Quelle alles meines Ungluͤcks. Der Ehrgeiz hat es nur beſchleunigt und fruͤher zur Reife gebracht. Jch habe Jhnen zwar einmahl geſagt, daß ich gleich von meiner Ankunft in Daͤnnemark an entſchloſſen geweſen bin, den Umſtaͤnden nach eine große Rolle zu ſpielen, wobey ich eben nicht mein Abſehen auf die Wuͤrde und Macht gerichtet habe, wozu ich gelangt bin, ſondern auch allenfalls zufrieden geweſen ſeyn wuͤrde, in mei - ner Wiſſenſchaft mich hervorzuthun. Eigentlich iſt es aber doch nicht der Ehrgeiz geweſen, der mich ſo ſehr wuͤnſchen machte hierher zu kommen. Sie werden dieß aus folgender Erzaͤhlung ſehen. Jch hatte mich damals entſchloſſen, Alto - na zu verlaſſen und mein Amt daſelbſt niederzulegen. Nun war ich Willens entweder nach Mallaga zu gehen, und mich da als Medicus niederzulaſſen, oder nach Oſtindien zu reiſen. Zu jener Abſicht hatte ich folgende Urſachen. Jch war damals kraͤnklich, und glaubte ein milderes Klima wuͤr - de meiner Geſundheit zutraͤglicher ſeyn. Auch kam dabey der Gedanke, daß in einer waͤrmern Gegend die Freuden der Wolluſt ſtaͤrker und reizender ſeyn wuͤrden, ſehr mit in Betrachtung. Die vielen meine Jmagination ruͤhrenden Dinge, die ich von Oſtindien in Reiſebeſchreibungen gele - ſen hatte, und die Begierde mir daſelbſt Geld zu machen, beſtimmten mich, vereinigt mit jenen Urſachen, noch mehr fuͤr Oſtindien als fuͤr Mallaga. Nun eroͤffnete ſich die Aus - ſicht nach Daͤnnemark. Jch waͤhlte das Gluͤck, das ſie mir darbot. Und warum? Jch ſchaͤme mich es zu ſagen. Es war eine wolluͤſtige Bekanntſchaft, die mich hierher zog. Wie252Wie muß ich nicht meine vorige Denkungsart verabſcheuen, daß ich immer einer wilden und blinden Leidenſchaft folgte! Wie nachdruͤcklich werde ich itzt dafuͤr beſtraft!

Er redete nun noch von verſchiedenen Angelegenhei - ten ſeines Herzens, von ſeinen Geſinnungen gegen ſeine El - tern und Geſchwiſter, von ſeiner Zufriedenheit mit dem Wege, auf welchem ihn Gott zu ſeiner Beſtimmung fuͤhrte, als ſein Defenſor ins Zimmer trat, ihn von dem uͤber ihn ge - faͤllten Urtheile zu benachrichtigen. Herr Graf, ſagte er, ich bringe Jhnen eine ſchlechte Nachricht. Hier zog er die Abſchrift des Urtheils aus der Taſche. Das habe ich mir nicht anders vorgeſtellt, antwortete der Graf, laſſen Sie michs nur ſehen. Er las es. Jch beobachtete ihn ſehr genau, und bemerkte nicht die geringſte Veraͤnderung in ſeinem Ge - ſichte. Als er es geleſen hatte, gab ers mir. Es lautete ſo. Zufolge des daͤniſchen Geſetzes ſechsten Buchs, vierten Kapitels, erſten Artikels, wird hiemit fuͤr Recht erkannt: Der Graf, Johann Friedrich Struenſee ſoll ſich ſelbſt zur wohlverdienten Strafe und andern Gleichgeſinn - ten zum Beyſpiel und Abſcheu, ſeine Ehre, Leib und Gut verbrochen haben, derſelbe ſeiner graͤflichen und aller an - dern ihm verliehenen Wuͤrden entſetzt, und ſein graͤfliches Wapen von dem Scharfrichter zerbrochen werden. So ſoll auch Johann Friedrich Struenſees rechte Hand, und dar - auf ſein Kopf ihm lebendig abgehauen, ſein Koͤrper gevier - theilt und aufs Rad gelegt, der Kopf mit der Hand aber auf einen Pfahl geſteckt werden.

Waͤhrend der Zeit, da ich das Urtheil las und zit - terte, fieng er an ganz ruhig mit ſeinem Defenſor zu reden, und ihn zu fragen, ob alle Puncte der Anklage wider ihn zur Deciſion gebraucht waͤren. Der Defenſor bejahete es. Und was wird Brandts Schickſal ſeyn? Sein Urtheil iſt dem Jhrigen voͤllig gleichlautend. Hat denn ſein De - fenſor gar nichts thun koͤnnen um ihn zu retten? Er hat alles geſagt, was er ſagen konnte, aber Graf Brandt hatzu253zu viel wider ſich. Dieß ruͤhrte den Grafen mehr, als ſein eigenes Schickſal, doch faßte er ſich gleich, ſchrieb noch etwas an einen Aufſatz, den er ſeinem Defenſor mitgeben wollte, und ſtellte ihm denſelben zu.

Als wir wieder allein waren bezeugte ich ihm mein herzliches Mitleid, und ermahnte ihn ſein trauriges Schick - ſal mit chriſtlicher Geduld und Unterwerfung zu ertragen. Jch verſichere Sie, ſagte er, ich bin daruͤber ruhig. Der - gleichen Strafen ſollen ja Eindruck bey andern machen, deswegen muͤſſen ſie hart ſeyn. Jch habe mich auf dieſes und mehreres gefaßt gemacht. Jch habe mir vorgeſtellt, daß ich vielleicht geraͤdert werden koͤnnte, und ſchon uͤber - legt, ob ich auch die Schmerzen einer ſolchen Hinrichtung mit Geduld wuͤrde uͤberwinden koͤnnen. Habe ich dieſen Tod verdient, ſetzte er hinzu, ſo wuͤrde meine Schande nicht ausgeloͤſcht werden, wenn auch die beſchimpfenden Umſtaͤnde deſſelben nicht damit verbunden waͤren. Und haͤtte ich ihn nicht verdient, welches ich nicht behaupten kann noch will, ſo wuͤrden mir verſtaͤndige Leute Gerechtig - keit wiederfahren laſſen, und dann gewoͤnne ich wieder an meiner Ehre. Und was iſt mir nun uͤberhaupt irdiſche Ehre und Schande wehrt? Meine Richter haben das Geſetz vor ſich, und konnten nicht anders urtheilen. Jch geſtehe, mein Verbrechen iſt groß, und ich kann nicht laͤugnen, daß ich die Majeſtaͤt des Koͤnigs beleidigt habe. Vieles wuͤrde ich nicht gethan haben, wenn ich das Geſetz genug gekannt haͤtte. Aber warum machte ichs mir nicht bekannt? Sie koͤnnen freylich, antwortete ich, niemand als ſich ſelbſt an - klagen. Das eine Verbrechen, woruͤber auch nicht der mindeſte Zweifel ſtatt findet, iſt nicht allein Beleidigung der Majeſtaͤt des Koͤniges ſondern auch der Nation, und wuͤr - de es in jedem Lande ſeyn. Die ungeſetzmaͤßige ja widerge - ſetzliche Gewalt, die Sie ſich angemaßt haben, iſt es nach der daͤniſchen Conſtitution gleichfalls. Jch glaube zwar wohl, daß Sie nicht gedacht haben, ſich dadurch des Ver -brechens254brechens der beleidigten Majeſtaͤt ſchuldig zu machen. Aber das kann Sie nicht rechtfertigen; das Factum iſt erwieſen und das Geſetz iſt deutlich. Er geſtand mir dieß alles zu, und es that mir wehe ihm ſo viel Unangenehmes geſagt zu haben. Aber ich glaubte dazu verbunden zu ſeyn, damit er nicht etwa heimlich uͤber Unrecht oder ungeſetzmaͤßige Haͤrte klagen moͤchte.

Jch will Sie nur bitten, ſetzte er hinzu, auf Jh - rer Hut zu ſeyn, daß Sie bey meinem Hingange zum Tode nicht zu ſehr bewegt werden. Meine einzige empfindliche Seite iſt die Freundſchaft. Es wuͤrde mich ſehr beunruhi - gen, wenn ich Sie leiden ſaͤhe. Laſſen Sie uns bis zuletzt unſre Unterredungen gelaſſen und ruhig fortſetzen. Auf dem Richtplatz ſelbſt ſprechen Sie ſo wenig zu mir, als moͤg - lich und anſtaͤndig ſeyn wird. Jch werde gewiß alle meine Kraͤfte zuſammenfaſſen, um meine Gedanken auf Gott und unſern Erloͤſer zu richten. Abſchied werde ich nicht von Jhnen nehmen. Glauben Sie mir ohne dieſe Ceremonie, die mich leicht aus meiner Faſſung bringen koͤnnte, daß ich weiß und fuͤhle, wie viel ich Jhnen ſchuldig bin.

Meine Leſer werden ſich erinnern, wie heftig der ungluͤckliche Mann durch den Brief ſeines Vaters zu einer Zeit erſchuͤttert ward, als er noch voll von ſeinen irreligioͤ - ſen Grundſaͤtzen war. Jtzt haben Sie geſehen, mit welcher Gelaſſenheit er nun, da er ein Chriſt war, ſich ein ſolch To - desurtheil ankuͤndigen hoͤrte.

Er ſtellte mir nachfolgenden Brief an ſeine Eltern zu, und uͤberließ es mir, ob ich ihnen denſelben itzt oder erſt nach ſeinem Tode zuſchicken wollte. Jch waͤhlte das letztere, weil ich wußte daß ſeine Hinrichtung ſehr bald vor ſich gehen wuͤrde, und ich ihnen die traurige Erwartung derſelben erſparen wollte.

Jhre Briefe, ſo lautet dieſer Brief, haben meinen Schmerz vermehrt, aber ich habe zugleich die Geſin -nungen255nungen der Liebe, ſo Sie jederzeit fuͤr mich gehabt, darin gefunden. Das Andenken der Betruͤbniß, und itzt der ſtaͤrkſten, die ich Jhnen veranlaßt, da ich Jhren Geſin - nungen zuwider gelebt, iſt mir um ſo viel fuͤhlbarer, da die Erkenntniß der Wahrheit mein Unrecht mir lebhafter zeigt. Mit der aufrichtigſten Reue bitte ich Sie deswe - gen um Vergebung. Jch habe meinem itzigen Zuſtande die Annehmung des Glaubens an die Verſoͤhnung Chri - ſti zu danken. Jhr Gebet und die Erinnerung Jhres Beyſpiels haben viel dazu beygetragen. Seyn Sie ver - ſichert, daß Jhr Sohn das Gut gefunden, welches Sie fuͤr das einzige wahre halten. Sehen Sie ſein Un - gluͤck als das Mittel an, ſo ihn verhindert deſſelben zu verfehlen. Der Eindruck von dieſer Seite wird alle die uͤbrigen bey Jhnen ſchwaͤchen, ſo wie er ſie mir ganz aus - geloͤſcht hat. Jch empfehle mich Jhrer fernern Vorbitte bey Gott, ſo wie ich Chriſtum meinen Erloͤſer unaufhoͤr - lich bitte, Jhnen Jhr itziges Leiden ſo ertraͤglich zu ma - chen, wie ich es ſeinem Beyſtand zu danken habe. Mit kindlicher Ergebenheit und Begruͤßung meiner Geſchwi - ſter verharre ich u. ſ. w.

Fuͤnf und dreißigſte Unterredung, den 26ſten April.

Jch erfuhr von dem Herrn Generallieutenant von Hoben, daß Struenſee in der abgewichenen Nacht ſehr unru - hig geweſen ſey, Er habe mit den Fuͤßen geſtampft, mit den Zaͤhnen geknirſcht, ſich an den Fingern gebiſſen. Der wachhabende Officier ſey hinzugetreten, habe ihm aber im tiefen Schlafe gefunden. Jch erkundigte mich bey meinem ungluͤcklichen Freunde, ob er etwa beunruhigende Traͤume gehabt habe. Er antwortete mir, er habe ſich des Morgens beym Aufwachen an nichts anders erinnert, als daß ihm im Schlafe die Reihe ſeiner Ueberzeugungsgruͤnde vom Chri - ſtenthum durchs Gedaͤchtniß gegangen waͤre. Von aller dieſer koͤrperlichen Unruhe wiſſe er nichts.

Jch256

Jch hatte ihm die traurige Nachricht zu bringen, daß ſein Urtheil in allen Stuͤcken beſtaͤtigt ſey, und daß es uͤbermorgen vollzogen werden ſolle. Was ich vermuhtet hatte, daß er ſie mit der moͤglichſten Gelaſſenheit anhoͤren wuͤrde, das geſchah auch. Jn Anſehung der beſchimpfen - den Umſtaͤnde ſeiner Todesſtrafe druͤckte er ſich ſo aus: Jch habe mich uͤber das alles weit hinausgeſetzt, und wuͤnſche nur daß mein Freund Brandt das auch thun moͤge. Hier in der Welt kann mich, der ich im Begriff bin, ſie zu verlaſſen, weder Ehre noch Schande mehr treffen. Ob mein Fleiſch in der Erde oder in der Luft verweſet, ob es von Wuͤrmern oder Voͤgeln verzehrt wird, das iſt in Beziehung auf mich ſelbſt voͤllig einerley. Gott wird die Theile meines Koͤrpers, die bey der Auferſtehung deſſelben zu meinem kuͤnftigen verklaͤr - ten Leibe noͤthig ſeyn werden, ſchon aufzubewahren wiſſen. Jch bin ja das nicht, was aufs Rad gelegt wird. Jch weiß Gottlob ſehr gut, wie wenig dieſer Staub mein Jch aus - macht. Als ich ihm ſagte, daß der bevorſtehende Dien - ſtag ſein Todestag ſeyn werde, antwortete er: Jch dachte es wuͤrde der Freytag ſeyn. Aber ich wuͤnſchte mir nicht ein - mahl dieſen kurzen Aufſchub. Das wuͤrde eben ſo viel ſeyn, als wenn ich eine ſchmerzhafte zu meiner Geſundheit noth - wendige Operation auszuſtehen haͤtte, und ſie nun, da ſie vor ſich gehen ſollte, auszuſetzen verlangte. Jch wuͤrde mich ihr ja doch endlich unterwerfen muͤſſen, und um ſo viel ſpaͤter geſund werden. Er gieng hierauf noch beſonders alle mit ſeinem Tode verknuͤpften Umſtaͤnde einzeln durch, ver - glich ſie mit den Umſtaͤnden des Todes Jeſu, und fand daß Jeſus aus Liebe zu ihm unendlich viel mehr gelitten habe, als er um ſeiner Suͤnden willen werde leiden muͤſſen. Er ruͤhmte auch die Kraft des Gebets zu ſeiner Beruhigung, wenn er zuweilen uͤber den ſchweren Schritt, der ihm bevor - ſtuͤnde bekuͤmmert waͤre.

Die Ruhe und Zufriedenheit, mit der er uͤber das alles redete, weiß ich nicht zu beſchreiben. Sehr viel hatteich257ich von den Wuͤrkungen der Religion auf ſein Herz erwartet, aber ſie that weit mehr als ich hatte hoffen duͤrfen. Er verſi - cherte mich, daß er der Religion, und der Gewißheit, die er durch ſie von ſeiner Begnadigung bey Gott haͤtte, dieſe ſeine Gemuͤhtsverfaſſung zu danken habe. Er werde zwar durch ſein natuͤrlich kaltes Blut, durch ſeine vieljaͤhrige Gewohnheit die Einbildungskraft in Schranken zu erhal - ten, und ſich vielmehr mit Ueberlegungen der geſunden Vernunft als mit Bildern der Jmagination zu beſchaͤffti - gen, dabey unterſtuͤtzt. Aber er fuͤhle zu ſehr, daß das alles ihn ohne die Religion nicht wuͤrde beruhigen koͤnnen. Da Gott ſie ſo eingerichtet habe, daß ſie ſich fuͤr alle Arten der menſchlichen Temperamente und Charactere ſchicke, und den Menſchen unter allen Umſtaͤnden angemeſſen ſey, ſo faͤnde ſie ſo zu ſagen bey ihm einen guten Boden, in welchem ſie dieſe ihre Frucht, Ruhe und Standhaftigkeit in den Truͤbſalen, erzeugen koͤnnte.

So unangenehm der Weg iſt, ſetzte er hinzu, auf welchen Gott mich aus der Welt fuͤhrt, ſo habe ich doch große Urſache ihm dankbar dafuͤr zu ſeyn, daß er ihn ge - waͤhlt, mir den Tod eine Zeitlang zum Voraus gezeigt, und mich zugleich ganz aus den Luͤſten und Zerſtreuungen des Lebens herausgeriſſen hat. Auf keine andre Art wuͤrde ich zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Verbeſſerung meiner Geſinnungen haben gebracht werden koͤnnen. Jch weiß zwar gewiß, daß ich unter allen Umſtaͤnden das Chri - ſtenthum angenommen haͤtte, wenn ich es ſo haͤtte kennen lernen, als ich es nun kenne. Aber ich haͤtte mir die Zeit nicht gegeben es zu unterſuchen. Wenn ich ſonſt an den Tod dachte, machte dieſe Erinnerung nie einen Eindruck auf mich. Jch unterdruͤckte vielmehr dieſen Gedanken immer wieder, bald durch die Vorſtellung, daß der Tod ein un - vermeidliches Schickſal ſey, welches man ruhig abwarten aber nicht in Gedanken gleichſam vor der Zeit herbeyrufen muͤſſe; bald durch den Gedanken, man muͤſſe ſich dasRGegen -258Gegenwaͤrtige nicht durch die Betrachtung des Zukuͤnfti - gen verbittern. Selbſt in Lebensgefahren habe ich mich immer vor der Auſſicht in die Zukunft gehuͤtet. Jch bin einigemahl toͤdtlich krank geweſen, ich bin mit großer Ver - wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber nie iſt es mir eingefallen nur einen Schritt uͤber das Leben hinauszudenken.

Jch bat ihn nun ſorgfaͤltig nachzudenken, ob noch in ſeinen Geſinnungen etwas vorhanden ſey, das Gott mis - faͤllig ſeyn und noch gebeſſert werden koͤnne. Jch ſey zwar uͤber ſeine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wuͤnſchte daß er ſo rein vom moraliſchen Uebel und ſo Gott gefaͤllig, als es unter ſeinen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, in die Ewigkeit eintreten moͤchte. Um deſto beſſer wuͤrde auch dort ſogleich ſein Zuſtand werden. Jch verſichere Sie, antwortete er mir, daß es mein einziges und liebſtes Geſchaͤfft iſt, dieß zu unterſuchen. Jch beurtheile mich mit der groͤßeſten Ge - nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf daruͤ - ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Geſin - nungen keinen groͤßern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber ich habe gefunden, daß ich nicht noͤthig habe daruͤber unru - hig und mistrauiſch gegen mich zu ſeyn, da ichs mir bewußt bin, daß ich nichts in der Welt ſo lebhaft oder lebhafter em - pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung geſtehe ich gern ein, daß ſie vor Gott und meinem Gewiſſen, auch vor den Menſchen, wegen der ſchlechten Bewegungsgruͤnde, des Leichtſinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen - nutzens, die mich dabey geleitet haben, ſehr verwerflich iſt. Jn wie weit ſie im Ganzen und ſtuͤckweiſe betrachtet po - litiſch ſchlecht geweſen iſt, das unterſtehe ich mich nicht zu beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich vermuhten, daß ich in meinen politiſchen Grundſaͤtzen, wie in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch uͤberlaſſe willig die Entſcheidung dieſer Frage den Nachle -benden,259 benden, und unterwerfe mich ihrem Urtheil. Nur das darf ich ſagen und muß es ſagen, weil ich ſonſt die Unwahrheit reden wuͤrde: ich bin mirs bewußt, daß ich keine boͤſen Ab - ſichten gehabt habe. Ueber meine Ueberzeugung vom Chri - ſtenthum und uͤber die Aufrichtigkeit meiner Reue bin ich ganz ruhig. Jch verabſcheue alle meine Suͤnden, ich kenne keinen Zweifel an der Wahrheit des Evangelii, und meine Gewißheit davon iſt nicht ploͤtzlich, ſondern durch eine ſorg - faͤltige Unterſuchung nach und nach entſtanden. Jch weiß mich an drey oder vier Tage zu erinnern, da ich gleichſam auf dem Scheidewege zwiſchen Glauben und Unglauben ſtand, und nicht wußte, auf welche Seite ich mich wenden ſollte. Aber ſeit der Zeit habe ich die Wahrheit von Tage zu Tage mehr eingeſehen, und nun kann ich mit voͤlliger Ueber - zeugung ſagen: Jch weiß, an wen ich glaube.

Jch hatte ihm verſprochen in dieſer Unterredung mit ihm vom heiligen Abendmahl zu handeln. Er kam mir zuvor. Jch habe uͤber dieſe Stiftung Jeſu, ſagte er, ſelbſt nachgedacht. Jch finde ſie zu ihrer Abſicht weislich gewaͤhlt. Chriſtus wollte das Andenken an ſeine Liebe und Wohltha - ten durch eine ſinnliche Handlung unterhalten und erneuren. Er waͤhlte dazu eine ſolche, die zu allen Zeiten und an allen Orten vorgenommen werden kann. Jn dieſer Anſtalt iſt weder etwas unnatuͤrliches noch ungewoͤhnliches. Gewiſſe Voͤlker in America pflegen zum Andenken ihrer verſtorbe - nen Freunde Gedaͤchtnißmahlzeiten zu halten. Ein Be - weis, daß die Jdee, ſich bey Speiſe und Trank eines andern zu erinnern, der menſchlichen Vernunft nichts fremdes iſt. Wenn nun Chriſtus ſaget, dieß iſt mein Leib, und dieß iſt mein Blut, ſo laſſe ich mich gar nicht darauf ein, mir das erklaͤren zu wollen. Genug, er, der immer die Wahrheit geſagt hat, kann darin nichts widerſprechendes geſagt ha - ben. Man muß ſich nur die Sache nicht gar zu ſinnlich und koͤrperlich vorſtellen. Eben ſo halte ich auch die Taufe nicht allein fuͤr eine ſehr gut gewaͤhlte Jnitiationsceremonie, ſon -R 2dern260dern ſie iſt auch ein ſehr paſſendes Bild der Reinigung von der Suͤnde. Durch bloßes Waſſer wird die Unreinigkeit des Leibes weggenommen, und eben ſo die Unreinigkeit des Geiſtes, oder die Suͤnde, durch den Glauben an Jeſum.

Sie ſehen hieraus, ſetzte ich hinzu, wie Sie ſich auf den Genuß des heiligen Abendmahls zubereiten muͤſſen. Sie wollen ſich der Liebe und alſo des Leidens und Todes Jeſu auf eine feyerliche Weiſe erinnern, und darin zugleich Jhr Bekenntniß ablegen, daß Sie ihn fuͤr den Erloͤſer des menſchlichen Geſchlechts halten, deſſen Tod das Mittel auch Jhrer Verſoͤhnung mit Gott iſt, und ſich fuͤr verbun - den, die Bedingungen zu erfuͤllen, die er Jhnen vorge - ſchrieben hat. Die Abſicht davon iſt, ſich die Vortheile, die Sie von Jhrer Erloͤſung haben ſollen, die Vergebung Jh - rer Suͤnden und alle Hoffnung, die ſich darin gruͤndet, durch den Glauben an Jeſum zuzueignen. Dieß erfordert Erinnerung an Jhre Vergehungen, Demuͤthigung daruͤ - ber vor Gott, Standhaftigkeit im Glauben und im Be - kenntniſſe, herzliche Liebe zu dem, der Sie von dem Elen - de, welches Sie ſich durch Jhre Uebertretungen zugezogen hatten, errettet hat, feſte Entſchließung ſich nicht wieder durch Suͤnde zu beflecken, ſondern durch voͤlligen Gehor - ſam gegen Gott und beſonders durch wahre Liebe gegen alle Menſchen, ſelbſt gegen Jhre Feinde, ſich der Liebe Jeſu wuͤrdig zu beweiſen. Nehmen Sie eine von dieſen Forde - rungen weg, welche Sie wollen, ſo iſt die Erinnerung an den Tod Jeſu durch den Genuß des Abendmahls fruchtlos fuͤr Sie und geſchicht ohne die Abſicht wozu Jeſus dieſe Stiftung verordnet hat. Dieß war der Jnhalt unſrer Unterredung uͤber das heilige Abendmahl.

Ein Bauer, der mir heute auf der Straße begeg - net war, hatte mir zugerufen: Vater, ſucht Struenſee zu uͤberzeugen, daß er ſich wider unſern Herrn Jeſum vergan - gen hat. Wenn er das erkennt, ſo wird er ſeelig. Jch erzaͤhlte ihm dieſen kleinen Umſtand bey Gelegenheit. Ererfreute261erfreute ſich uͤber die chriſtliche Liebe, die dieſer Mann gegen ihn geaͤußert hatte, und machte die Anmerkung, daß man daraus ſaͤhe, wie das Chriſtenthum auch einfaͤltige und durch keine Erziehung bearbeitete Seelen mit Empfindun - gen der Menſchenliebe erfuͤllte.

Das Leſen, ſagte er, will mich nicht recht unter - halten, deswegen habe ich mich heute mit Schreiben be - ſchaͤfftigt. Unter andern hatte er folgenden Brief an die Frau von Perkentin in Pinneberg aufgeſetzt, den er mir zu beſtellen gab.

Jch bediene mich, gnaͤdige Frau, des erſten Augen - blicks, da es mir erlaubt iſt, an Sie zu ſchreiben. Die Geſchaͤffte, die Pflichten, die Beziehungen der vergan - genen Zeit haben vielleicht das Andenken an meine Freun - de geſchwaͤcht, aber nie ausloͤſchen koͤnnen. Die Muße meines gegenwaͤrtigen Zuſtandes hat daſſelbe deſto leb - hafter wieder hergeſtellt. Hat mein Stillſchweigen Ver - dacht gegen meine Geſinnungen erweckt, ſo bitte ich alle diejenigen deswegen um Vergebung, die ein Recht an meine Erkenntlichkeit haben, und Sie, gnaͤdige Frau, vornehmlich. Dieß iſt gleichwohl nicht der einzige Vor - theil, den mir die Veraͤnderung meines Schickſals ge - bracht hat. Jch bin ihr die Erkenntniß der Wahrheit ſchuldig, ſie hat mir ein Gluͤck verſchafft, wovon ich gar keine Erwartung mehr hatte, ſo ſehr hatte ich mich da - von entfernt. Sehen Sie gnaͤdige Frau, mein Ungluͤck nie anders, als mit Geſinnungen der Religion an. Es giebt mir unendlich viel mehr, als ich durch daſſelbe ver - liere. Mit Ueberzeugung, mit Ruhe und Freude in meinem Herzen, verſichere ich Sie davon. Jch bitte Sie ſehr, wiederhohlen Sie dieſes in dem Hauſe des Herrn von Ahlefeld und zu Ranzau. Jch bin dieſen beyden Haͤuſern unendlich viel Dank ſchuldig, und es iſt mir um ſo viel empfindlicher geweſen Perſonen mit mir hin -R 3einzuziehen,262einzuziehen, die ihnen angehoͤren. Erlauben Sie mir, gnaͤdige Frau, daß ich noch Empfehlungen an das Fraͤu - lein von Thun und an das Haus des Herrn von Waiz hinzufuͤge. Jch habe die Ehre mit den ehrerbietigſten Geſinnungen zu ſeyn u. ſ. w. den 26 April 1772.

Sechs und dreißigſte Unterredung, den 27ſten April.

Jch kam in Begleitung des Herrn Generallieutenants von Hoben, der auf meine Bitte bey der Communion des Vorurtheilten gegenwaͤrtig ſeyn wollte. Dieſer verſi - cherte jenen mit vieler Bewegung, daß ihm dieſes eine ſehr wichtige und freudenvolle Handlung ſey. Jch hielt eine kurze Anrede an ihn, abſolvirte ihn nach dem Gebrauch der Kirche und reichte ihm das heilige Abendmahl. Der Mann, der ſein fuͤrchterliches Todesurtheil ohne die min - deſte in die Augen fallende Bewegung empfieng, war bey dieſer feyerlichen Erinnerung an den Tod Jeſu ſo weich, daß er in Thraͤnen zerfloß. Jch habe nie eine Thraͤne in ſeinen Augen wahrgenommen, ſo oft auch von ſeinem Ungluͤcke und Tode unter uns die Rede geweſen iſt: aber uͤber ſeine Suͤnden, uͤber das Elend, vornehmlich das moraliſche, in welches er andre geſtuͤrzt, uͤber die Liebe Gottes gegen ihn und das menſchliche Geſchlecht, hat er mehr geweint, als ich ſelbſt glauben wuͤrde, wenn ich es nicht geſehen haͤtte.

Als die heilige Handlung mit Gebet beſchloſſen war, bat er den Herrn Commendanten um Erlaubniß, die Kleinigkeiten an Betten und Waͤſche, die er bey ſich hatte, und das wenige Geld, welches ihm von ſeinem taͤglichen Reichsthaler uͤbrig geblieben war, verſchenken zu duͤrfen. Jch habe itzt kein Eigenthum, ſagte er. Aber das edelſte Geſchenk, unterbrach ich ihn, das Jhnen Gott anvertraut hat, Jhre unſterbliche Seele, iſt ganz das Jhrige und Gottes. Er nahm hierauf von dem Commendanten auf eine ruͤhrende Art Abſchied, dankte ihm fuͤr alle ſeine Guͤte, undbezeugte,263bezeugte, daß ihm derſelbe keine Gefaͤlligkeit verſagt habe, die ihm erlaubt geweſen ſey ihm zu erweiſen. Der ehrwuͤrdi - ge Greis verließ ihn mit den Worten: Jch weiß gewiß, wir werden uns einſt vor dem Angeſichte Gottes wieder ſehen.

Mir iſt alles daran gelegen, ſagte er nun zu mir als wir wieder allein waren, gewiß zu ſeyn, daß ich in der moͤglichſten Rechtſchaffenheit meiner Geſinnungen vor Gott erſcheinen werde. Jch habe mich deswegen noch ein - mahl ſorgfaͤlltig gepruͤft, und ich finde darin ſehr viel Ver - gnuͤgen, weil es meine Pflicht iſt. Jch bin es mir vor Gott bewußt, daß ich alles, was ich in meiner Erleuchtung durch das Chriſtenthum fuͤr meine Pflicht halten gelernt habe, mit Vergnuͤgen und ohne den mindeſten Widerſtand thue. So habe ich es fuͤr meine Schuldigkeit erkannt, die Nachricht von meiner Bekehrung aufzuſetzen, die Sie von mir in Haͤnden haben, um wenigſtens den uͤblen Eindruck, den meine Geſpraͤche und Beyſpiele bey andern gemacht haben, ſo gut als es durch mich moͤglich iſt, wieder auszuloͤſchen. Und ich kann Sie verſichern, daß ich dieß mit ungemein vielem Vergnuͤgen gethan habe, mit weit mehrerem, als ich bey meinen uͤbrigen Aufſaͤtzen, die zum Theil meine De - fenſion zur Abſicht hatten, empfunden habe. Jch habe auch noch genauer als vorher uͤber meine Staatsverwaltung nachgedacht, und kann nach meiner Ueberzeugung nicht anders davon urtheilen, als ich Jhnen geſtern geſagt habe. Jch nehme das Bewußtſeyn meines Gewiſſens mit mir in die Ewigkeit, daß ich dem Koͤnig und das Land nicht habe ungluͤcklich machen wollen. Es iſt wahr, ich habe mir in kurzer Zeit betraͤchtliche Summen zugewendet, ich habe mir darin des Koͤnigs Gnade auf eine Art zu Nutze gemacht, die ich nicht verantworten kann. Aber die Rechnung daruͤ - ber habe ich nicht verfaͤlſcht, ob gleich alle Wahrſcheinlich - keit in dieſem Stuͤcke wider mich iſt, und ich es niemand verdenken kann, der mich darin fuͤr ſchuldig haͤlt. Es iſt ſehr ſchwer uͤber dieſe Sache allen Verdacht gegenR 4Struen -264Struenſee fahren zu laſſen. Und wie ſo ganz keinen Wehrt haͤtte ſeine Bekehrung, wenn er ſchuldig waͤre! Jch bin oft daruͤber bekuͤmmert geweſen, und bin es noch zuweilen nach ſeinem Tode. Der Augenſchein, ſein Geſtaͤndniß daß er nicht vermoͤgend ſey, dieſen Verdacht von ſich abzu - lehnen, und noch andre ſehr wahrſcheinliche Beweiſe zeu - gen wider ihn. Auf der andern Seite beruhigt mich dann wieder die Betrachtung, daß er groͤßere und noch ſtrafwuͤr - digere Verbrechen ohne allen Zwang geſtanden, dieſes aber mit einer Standhaftigkeit, mit einer Ruhe und Zuverſicht gelaͤugnet hat, die, ſo unerklaͤrbar die Sache immer noch bleibt, es wieder ſchwer machen zu glauben, daß er ſich ſollte ſchuldig gewußt haben.

Jch habe ferner, fuhr er fort, nach den Quellen ge - forſcht, aus denen meine itzige Ruhe und Gelaſſenheit fließt. Jch bin gewiß, daß es ganz andre ſind, als diejeni - gen, aus welchen ich ſonſt in meinen unangenehmen Schick - ſalen Troſt geſchoͤpft habe. Zerſtreuung und Entfernung der Gedanken von der bevorſtehenden Gefahr iſt itzt gar nicht moͤglich. Der andringende Tod wuͤrde ſich gewiß nicht aus den Gedanken vertreiben laſſen. Vom Stolz verſpuͤre ich nicht die geringſte Regung. Jch empfinde es viel zu ſehr, wie klein ich itzt bin. Den Gedanken, daß nach dem Tode nichts zu erwarten ſey, verabſcheue ich. Nichts als die Verſicherung der goͤttlichen Gnade durch mein Vertrauen auf Chriſtum, und das Bewußtſeyn, daß ich allen Fleiß anwende meine Geſinnungen Gott wohlgefaͤllig zu machen, troͤſtet und beruhiget mich.

Jnzwiſchen, ſetzte er hinzu, hebt dieſe meine Ruhe meine Thaͤtigkeit nicht auf, ſondern ich fahre fort, und werde bis ans Ende fortfahren, ernſtlich nachzuforſchen, was noch Gott misfaͤlliges an mir iſt, um es ſo viel moͤglich iſt zu beſſern. Unter verſchiedenen Beweiſen, die er mir davon gab, will ich nur folgenden anfuͤhren, weil er zeigt, wie genau er es mit ſich nahm. Jch halte itzt, ſagte er, dasGebet265Gebet bey Tiſche fuͤr eine chriſtliche Pflicht, ob ich gleich nicht aberglaͤubiſch daruͤber denke. Es iſt nichts billiger, als daß man auch bey dem Genuſſe der Speiſe und des Tranks ſeine Gedanken auf den guͤtigen Geber dieſer Beduͤrfniſſe mit Dankbarkeit richte. Jch habe es mir deswegen ſeit eini - ger Zeit zum Geſetz gemacht bey Tiſche zu beten. Aber die Gewalt meiner alten Gewohnheit iſt noch ſo ſtark geweſen, daß ich mehrentheils, wenn meine Mahlzeit gekommen iſt angefangen habe zu eſſen, ohne gebetet zu haben. Nun iſt es freylich an ſich einerley, ob man vor dem erſten oder beym dritten oder vierten Loͤffel der Suppe an Gott denkt: aber es hat mich doch ſehr auf mich und meine leichtſin - nige Gewohnheit verdroſſen, daß ich nicht aufmerkſamer auf das geweſen bin, was ich fuͤr meine Pflicht halte. Wie gefaͤllt meinen Leſern dieſe Gewiſſenhaftigkeit des Mannes, der ſich ſonſt alles erlaubte, wozu ihn ſeine Be - gierden trieben?

Sieben und dreißigſte Unterredung, den 27ſten April.

Jch fand ihn in aller der ungekuͤnſtelten Stille der Seele, die ich ſeit verſchiedenen Wochen bey ihm gewohnt war,[die mir a]ber in dieſer Naͤhe eines ſolchen Todes immer ehr - wuͤrdiger ward. Wie preis ich Gott in meinem Herzen, der an dem ungluͤcklichen Manne ſo große Barmherzigkeit that! Wie wuͤnſchte ich, daß ich doch nicht der einzige Sterbliche ſeyn moͤchte, der ihn mit ſolcher Ruhe uͤber ſeinen Tod reden hoͤrte!

Er hatte noch einen Brief an den Bruder ſeines mit ihm ungluͤcklichen Freundes, den Herrn Kammerherrn von Brandt geſchrieben, den er mir zuſtellte. Einige andre Aufſaͤtze von ſeiner Hand wurden in ein Couvert gelegt, und in ſeiner Gegenwart von dem Herrn Commendanten, der deswegen noch einmahl ſo guͤtig geweſen war zu uns zu kommen, und von mir verſiegelt. Die uͤbrigen Papiere,R 5die266die aus meinen ihm von Zeit zu Zeit gegebenen Aufſaͤtzen und den beyden Briefen ſeiner Eltern beſtunden, hatte er zu - ſammengelegt und ſtellte mir ſie zu. Nun hatte er ſein Haus beſtellt.

Der Brief an den Herrn von Brandt iſt dieſer.

Erlauben Sie, daß ich mit Jhnen und Jhrer Frau Mutter das Schickſal unſres lieben Enevolds beweine. Halten Sie mich nicht fuͤr unwuͤrdig dazu, ob ich gleich unſchuldiger weiſe die Urſache davon bin. Sie wiſſen, wie ſehr ich ihn liebe. Er iſt der einzige Menſch in der Welt geweſen, der meine ganze Freundſchaft beſeſſen hat. Sein Ungluͤck verurſacht mir die lebhafteſten Schmerzen, und von dieſer Seite iſt mir das meinige am empfindlichſten geworden. Er hat mein Gluͤck mit mir getheilt, und wir werden mit einander der Gluͤckſee - ligkeit genießen, die unſer Erloͤſer uns verſprochen hat. Jch weiß nichts zu Jhrem Troſte hinzuzuſetzen. Sie kennen die Religion. Jch habe in ihr meine Zuflucht ge - funden, um mich uͤber den Reſt meines Ungluͤcks zu be - ruhigen. Jch bitte Gott, daß er Sie in dieſem Augen - blick alle Kraft derſelben empfinden laſſe. Jch werde nicht aufhoͤren, die lebhafteſte Erkenntlichkeit gegen alle die Perſonen zu hegen, die mir zu Ranzau lieb ſind. Ganz der Jhrige. den 27. April 1772.

Jch habe gehofft und ich ſchmeichle mir noch, daß das Schickſal meines Freundes wird gemildert werden.

Wir redeten heute zuerſt von der Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum. Jch wiederhohlte das mehreſte von dem, was ich ihm damals vorgetragen hatte, als wir ei - gentlich von dieſer Sache handelten. Er ſagte ungemein viel ſchoͤnes und erbauliches daruͤber, das ich aber theils, wegen der Gemuͤthsbewegung, in der ich mich befand, nicht feſt genug ins Gedaͤchtniß gefaßt hatte, um es anmer - ken zu koͤnnen. Was mir noch davon gegenwaͤrtig gebliebenwar,267war, iſt folgendes. Die Verſoͤhnung der Menſchen mit Gott durch den Tod Chriſti halte ich fuͤr das einzige Mittel der Vergebung der Suͤnden. Alles, was ſonſt in der Welt fuͤr ein Mittel dazu iſt ausgegeben worden, iſt augenſchein - lich unzureichend. Dieſes aber iſt allen unſern Begriffen von Gott gemaͤß, es erweckt uns die wuͤrdigſten Vorſtel - lungen von ſeinen Eigenſchaften, es iſt durch die kraͤftig - ſten Beweiſe dargethan, und giebt uns Ruhe und Freudig - keit im Tode. Wer es nicht annehmen und gebrauchen will, der erklaͤrt dadurch, daß er auch nicht tugendhaft ſeyn und Gott fuͤrchten wolle. Denn er verwirft darin die ſtaͤrkſten Bewegungsgruͤnde, die je zur Tugend und Furcht vor Gott gegeben werden koͤnnen, und zugleich verachtet er den Beyſtand Gottes ſelbſt, ohne den man nicht rechtſchaffen und gut werden kann.

Jch gehe mit der voͤlligſten Ueberzeugung, ſetzte er hinzu, von der Wahrheit der chriſtlichen Religion aus der Welt. Haben Sie noch die geringſte Unruhe oder Unge - wißheit daruͤber, ſo erbiete ich mich das apoſtoliſche Glau - bensbekenntniß, als das meinige, foͤrmlich zu unterſchreiben. Jch kann es mit gutem Gewiſſen thun, denn es ſteht nicht ein Wort darin, das ich nicht auf das Zeugniß der heiligen Schrift glaube. Jch antwortete ihm, daß es dieſes Be - weiſes nicht beduͤrfe. Bey ſeinen mir bekannten Geſinnun - gen, waͤre er uͤberfluͤſſig, und wenn ich dieſe nicht kennte, ſo wuͤrde mich eine ſolche Unterſchrift nicht beruhigen.

Nachdem er mir auf dieſe Art mit ſichtbaren Merk - mahlen der Aufrichtigkeit und Empfindung ein Bekenntniß ſeines Glaubens an Chriſtum wiederhohlt hatte, ſo lenkte ich unſer Geſpraͤch auf die Liebe eines durch den Glauben an Chriſtum Begnadigten zu Gott, zeigte ihm wie groß die Verbindlichkeit der Erloͤſten zu dieſer Liebe ſey, und bat ihn, mir zu ſagen, wie er nun ſeine Liebe zu Gott und un - ſerm Erloͤſer finde. Jch ſehe Gott und Chriſtum, ſagte er, fuͤr meinen beſten Freund an, und aus dieſem Geſichts -puncte268puncte ſtelle ich mir die Pflichten der Liebe vor, die ich ge - gen Gott und meinen Erloͤſer empfinde. Jch muß erſtlich wiſſen und fuͤhlen, was ich meinem Freunde und Wohlthaͤ - ter ſchuldig bin. Er wuͤnſcht mich gluͤcklich zu machen, er bemuͤht ſich darum, er opfert mir auf, was ihm lieb und wehrt iſt. So lange ich das alles nicht erkenne und zu ſchaͤtzen weiß, ſo lange bin ich ſeiner Freundſchaft noch un - wehrt, ich liebe ihn nicht. Jch bin ihm aber auch ſchuldig thaͤtig zu ſeyn, um ſeinen Abſichten gemaͤß zu handeln. Sonſt bin ich undankbar, liebe ſeine Freundſchaft aus blo - ßem Eigennutz, und thue nichts ihrer wuͤrdig zu ſeyn. Hier ſehen Sie, nach welchen Grundſaͤtzen ich Gott und meinen Erloͤſer liebe. Jch weiß, was Gott an mir gethan, was Chriſtus an mich gewendet hat, um mich ſelig zu machen. Jch weiß, welch ein Heil ich dadurch erlangen ſoll. Aber ich bin mirs auch bewußt, daß ich alle meine Kraͤfte anwende nach dem Willen Gottes thaͤtig zu ſeyn, meine Geſinnungen zu berichtigen, mich zu einer Gott gefaͤlligen Faſſung beym Tode zuzubereiten. Jch unterwerfe mich auch ohne den mindeſten Widerſtand dem Willen Gottes mit mir, weil ich weiß, daß er mich liebt. Jch ſehe meinen Tod, und ſelbſt alles Schreckliche und Beſchimpfende, was mit dem - ſelben verbunden iſt, als Dinge an, die Gott zu meinem Beſten noͤthig findet. Jm Anfange meiner Gefangenſchaft dachte ich daruͤber ganz anders, wenn es mir zuweilen ein - fiel, daß dieſer Ausgang meiner Sache wahrſcheinlich waͤre. Jch wuͤnſchte, daß ich krank werden und ſterben moͤchte. Auch habe ich wohl den Gedanken gehabt, nicht zu eſſen und todt zu hungern: aber die Hand wuͤrde ich doch nie an mich gelegt haben, wenn ich auch Gelegenheit dazu gehabt haͤtte. Jtzt danke ich Gott von Herzen, daß keines von beyden geſchehen iſt.

Jch verſicherte ihn hierauf, daß ich bey dieſen ſei - nen Geſinnungen uͤber ſeine Seeligkeit ſehr getroſt waͤre, und daß ich ſaͤhe, wie ſehr er Urſache haͤtte, ſo ruhig undheiter269 heiter zu ſeyn, als ich ihn faͤnde. Ja, Gottlob, ſagte er, ich bin ſo zufrieden, als man ſeyn muß, wenn man die groͤ - ßeſte Gluͤckſeeligkeit vor ſich ſieht. Jch verehre deswegen dankbar die Gnade Gottes und die Kraft der Religion. Wenn ja meine Ruhe zuweilen noch auf einige Augenblicke unterbrochen wird, ſo geſchicht es allein durch den Wunſch gewiß zu wiſſen, ob ich alle Bedingungen der Gnade Got - tes erfuͤllt habe, ob ich auch ſo beſchaffen bin, als Gott mich itzt haben will. Jch habe deswegen meinen Spalding wie - der hervorgenommen, um durch Huͤlfe deſſelben daruͤber zu Richtigkeit zu kommen. Jch antwortete, mir waͤren keine andere Bedingungen des Heils bekannt, und in der Bibel ſtuͤnden auch keine andere, als dieſe beyden, nemlich, uneingeſchraͤnktes Vertrauen auf Gott durch Chriſtum, und ernſtliche Bemuͤhung in allem nach dem Willen Gottes zu denken und zu handeln, oder, welches einerley waͤre, der Glaube, der durch die Liebe thaͤtig iſt. Und er ſey ſichs ja bewußt, daß er an Jeſum glaube und Gott liebe. Jch habe alles unterſucht, ſagte er hierauf, ich habe mich von allen Seiten, die ich nur habe erdenken koͤnnen, gepruͤft, und ich finde nichts, daß mich beunruhigen koͤnnte. Jch wuͤr - de es Jhnen ſonſt ſagen und Sie um Raht bitten. Aber wie leicht kann ich etwas uͤberſehen haben: Gott kann und wird noch vieles finden. Wenn Gott denn nun noch unmoraliſche Geſinnungen in mir ſieht, die ich mir nicht entdecken und beſſern kann? So wird Jhnen doch Gott gnaͤdig ſeyn. Sie haben ja gethan, was Sie unter Jhren Umſtaͤnden konnten, der Menſch kann ſich nicht bis zur Untadelhaftig - keit vor Gott erheben, Gott iſt die Liebe und Chriſtus iſt geſtorben, damit wir den Troſt haͤtten: Ob jemand ſuͤndigt, ſo haben wir einen Fuͤrſprecher bey dem Vater, Jeſum Chriſtum, der gerecht iſt. u. ſ. w.

Nun nahmen wir noch uͤber einige Dinge Abrede, die auf unſer beyderſeitiges Verhalten an dem morgenden Tage ihre Beziehung hatten. Jch verſprach ihm amMorgen270Morgen vor ſeinem Hingange zum Tode noch ein paar Stunden mit ihm zuzubringen. Mit ihm duͤrfte ich nicht, nach einer Koͤniglichen Verordnung, zum Richtplatz fah - ren, ſondern ich muͤßte voraus gehen, und ihn erwarten. Er bat mich, ich moͤchte auch morgen ſo wie bisher meine Unterredungen mit ihm ruhig und kaltbluͤtig fortſetzen, mich ſo gut als mir moͤglich ſeyn wuͤrde in Faſſung zu erhalten ſuchen, damit er mich nicht leiden ſaͤhe, und auf der Blut - buͤhne mein Geſchaͤfft ſo kurz, als es ſeyn koͤnnte, vollen - den. Er werde daſelbſt nichts reden, als was hoͤchſtnoͤthig ſeyn werde, denn er wolle ſeine Gedanken ganz auf Gott und ſeinen Eingang in die Ewigkeit richten. Jch ſagte ihm, daß ich zwar ihm nach dem Ritual eine ziemlich lange Reihe von Fragen vorlegen ſollte, daß ichs mir aber fuͤr erlaubt hielte, ſie kurz zuſammen zu faſſen. Jch that dieß in ſeiner Gegenwart, ſchrieb die Fragen, die ich an ihn thun wollte, auf, und las ſie ihm vor.

Jch mag um der Zaͤrtlichkeit der Situation willen, ſagte er, meinen Bruder nicht ſehen und Abſchied von ihm nehmen. Jch bitte Sie, thun Sie es in meinem Nahmen. Jch bitte ihn um Vergebung, daß ich ihn mit ins Ungluͤck gezogen habe, aber ich hoffe und bin gewiß, daß ſeine Sache einen guten Ausgang haben wird. Jch verſichere ihn, daß ich mit wahrer bruͤderlicher Liebe gegen ihn aus der Welt gehe. Sagen Sie ihm auch, mit welchen Geſinnungen ich ſterbe, und wie Sie mich finden. Dieſen Auftrag, den zaͤrtlichſten und ruͤhrendeſten, den ich je gehabt habe, rich - tete ich mit Erlaubniß des Herrn Commendanten noch die - ſen Abend aus, und brachte auch die Antwort des ſehr be - wegten Bruders zuruͤck.

Acht und dreißigſte Unterredung, den 28ſten April.

Nach der Erzaͤhlung des wachthabenden Officiers hatte der nun gewiß nicht mehr ungluͤckliche Mann ſich amvorigen271vorigen Abend fruͤhzeitig zu Bette gelegt und eine ziemliche Zeit geleſen. Fuͤnf bis ſechs Stunden hatte er ruhig geſchla - fen. Als er den Morgen erwacht war hatte er eine lange Weile im tiefem Nachdenken zugebracht, war darauf auf - geſtanden, hatte ſich angekleidet, und mit dem Officier eine ruhige Unterredung gehalten.

Jch traf ihn voͤllig ſo angekleidet, wie er nach dem Richtplatz gehen wollte, auf ſeinem Kanapee liegend an. Er las in Schlegels Paſſionspredigten, und empfieng mich mit ſeiner gewoͤhnlichen ruhigen und freundlichen Miene. Jch dachte geſtern Abends, ſagte er, daß es mir vielleicht meinen Hingang zum Tode erleichtern koͤnnte, wenn ich nun meine Jmagination mit angenehmen Bildern von der Ewigkeit und ihren Freuden erfuͤllte. Jch haͤtte dazu Lavaters Auſſichten gut gebrauchen koͤnnen. Aber ich habe es doch nicht wagen moͤgen. Jch halte es fuͤr beſſer, daß ich meinen großen Schritt mit ſtiller Ueberlegung thue. Die Einbildungskraft, wenn ſie einmahl in Bewegung ge - ſetzt iſt, kann leicht eine falſche Wendung machen. Sie koͤnnte jene angenehme Bilder fahren laſſen, und auf die ſchrecklichen Umſtaͤnde meines Todes fallen, und mich da - durch um meine Faſſung bringen. Jch will mich ſelbſt unter - weges ihr nicht uͤberlaſſen, ſondern meine Vernunft mit dem Andenken an den Hingang Jeſu zu ſeinem Tode und mit Anwendungen daraus auf mich beſchaͤfftigen.

Er bat mich hierauf in ſeinem Nahmen, wenn ich es fuͤr noͤthig hielte, nochmahls gehoͤrigen Orts die Verſi - cherung zu geben, daß ſeine vor ſeinen Richtern geſchehenen Auſſagen in allen Stuͤcken der Wahrheit gemaͤß waͤren, und daß er nichts vorſetzlich verhehlt haͤtte, was ihm ſelbſt oder andern zur Laſt fallen koͤnnte.

Als ich dieſen Morgen, ſagte er, erwachte, und ſah, daß es Tag war, uͤberfiel mich ein heftiges Zittern am ganzen Leibe. Jch nahm aber gleich meine Zuflucht zumGebet,272Gebet, und dachte meine Beruhigungsgruͤnde aus der Religion durch. Jch betete zugleich fuͤr den Koͤnig, daß ihn Gott mit Weisheit und Gnade regieren, und ihn auch perſoͤnlich hoͤchſtgluͤcklich machen wolle. Da bekam ich bald meine Faſſung wieder. Jch bin nun ruhig und zufrieden, und ich weiß gewiß, ich werde es bleiben. Warum ſollte ich unruhig ſeyn, da ich von meinem Heile voͤllig uͤberzeugt bin? Gott hat mir meine Suͤnden vergeben, auch diejeni - gen, deren ich mich nicht erinnert habe, auch das, was ihm an mir noch misfaͤllig iſt, und das ich durch mein Nachfor - ſchen nicht habe entdecken, und alſo auch nicht ablegen koͤn - nen. Gott kann nicht das genus ohne die individua verge - ben. Das Andenken an die Leiden Jeſu, der fuͤr alle Suͤn - den aller Menſchen genug gethan hat, giebt mir dieſe Ver - ſicherung. Bey dieſer Gewißheit meines Heils fuͤrchte ich mich vor dem Tode nicht. Sobald ich Gottes Guͤte und meine Hoffnung erkenne, iſt es mir nicht erlaubt, mich zu fuͤrchten. Jch darf an jener nicht zweifeln, und dieſe nicht fuͤr ungewiß halten. Beydes wuͤrde ich thun, wenn ich mich fuͤrchten wollte zu ſterben, da ich ſehe, daß Gott es ſo will. Jch kann mich auch nicht beſchweren, daß mir zu viel ge - ſchehe. Jch weiß und erkenne, ich habe dieß und noch mehreres verdient. Aber wer will mich nun, da ich ein Auserwaͤhlter Gottes bin, beſchuldigen? Wer will mich verdammen?

Jch ergriff die Gelegenheit, die er mir hier gab, ihm das ganze achte Kapitel des Briefes Pauli an die Roͤ - mer vorzuleſen, und die vielen Stellen in demſelben, die ſo vortrefflich auf ihn paßten, durch eine beſtaͤndige Anwen - dung auf ſeinen vorigen und itzigen Zuſtand, und mit einge - miſchten kurzen Gebeten, ihm ans Herz zu legen. Die ſichtbarſte Ruhe war uͤber ſeinem Angeſicht ausgebreitet, und er nahm mir oft die Worte gleichſam aus dem Munde, um ſich das ſelbſt zu ſagen, was ich eben im Begriff war zur Staͤrkung ſeines Glaubens vorzutragen.

Wie273

Wie weit, fragte er mich nun, iſt es mir erlaubt, mich durch natuͤrliche Mittel geſetzt und ſtandhaft zu erhal - ten? z. Ex. Dadurch, daß ich ſuche bey moͤglichſter Ueber - legung zu bleiben, daß ich der Jmagination nicht verſtatte mich hinzureißen u. ſ. w. Hat Jhnen Gott, antwortete ich, eine gewiſſe Staͤrke der Seele gegeben, ſo will er auch, daß Sie ſie itzt anwenden, da ſie Jhnen am meiſten noͤthig iſt. Nur muß ſich kein heimlicher Stolz, keine Selbſtgefaͤlligkeit mit einmiſchen. Sie muͤſſen nichts thun, um bey den Zu - ſchauern ein guͤnſtiges Urtheil von Jhrer Standhaftigkeit und Freymuͤthigkeit zu veranlaſſen. Ueber alle ſolche Be - trachtungen muͤſſen Sie ſich weit hinausſetzen. Gott liebet die Aufrichtigkeit, und die beſteht in der Uebereinſtimmung des aͤußerlichen Bezeugens mit der innerlichen Verfaſſung. Zeigen Sie ſich alſo voͤllig ſo, wie Sie ſich fuͤhlen. Und ſollten Sie bis zum Weinen weich werden, ſo ſuchen Sie die Thraͤnen nicht zuruͤckzuhalten, und ſchaͤmen ſich ihrer nicht, denn ſie machen Jhnen keine Schande. Sie koͤnnen ſichs ja bis auf den letzten Augenblick nicht verhelen, warum Sie ſterben muͤſſen. Sie wuͤrden alſo ſuͤndigen, und ver - ſtaͤndigen Chriſten ein Aergerniß geben, wenn Sie mit ei - ner Freymuͤthigkeit ſterben wollten, die nur derjenige bewei - ſen kann, der um der Wahrheit und Tugend willen leidet. Jch wuͤnſche Sie mit ſichtbaren Merkmaalen der Reue und Traurigkeit, aber auch der Seelenruhe, die aus der Zuver - ſich entſteht, daß Gott Jhnen Jhre Suͤnden vergeben hat, auf dem Blutgeruͤſte zu erblicken. Jch wuͤrde es ſo gar un - gern ſehen, wenn Sie die natuͤrliche Furcht vor dem Tode verlaͤugneten. Jch bin gewiß nicht Willens, ſagte er, einige Parade vor den Menſchen zu machen. Mir kann itzt an nichts etwas gelegen ſeyn, als Gott zu gefallen und die Schrecken des Todes zu uͤberwinden. Wollte ich mich zwin - gen aͤußerlich eine fremde Geſtalt anzunehmen, ſo wuͤrde es mir gehen, wie einem Menſchen, der vor einem großen Herrn reden ſoll, alles, was er reden will, vorher wohlSuͤber -274uͤberlegt hat, nun anfaͤngt zu ſtammlen, und uͤber der Be - muͤhung nicht zu ſtammlen, ganz verſtummt. Jch will, ſo ſehr ich es koͤnnen werde, meine Gedanken auf Gott richten, und mich durch keine Beſtrebung, die Erwartung der Zu - ſchauer zu befriedigen, zerſtreuen. Deswegen werde ich auch auf dem Richtplatz nichts reden, als wozu Sie mich veranlaſſen werden. Jch verſichere Sie, daß das ſehr wenig ſeyn ſoll. Dort iſt weder fuͤr Sie noch fuͤr mich der Ort viel zu ſprechen. Wenn Sie erſt da ſind, ſo iſt es Zeit fuͤr Sie in der ſtaͤrkſten Bedeutung zu denken: Jch ver - geſſe, was dahinten iſt, und ſtrecke mich nach dem, was daforne iſt.

Jtzt, da ich ſo nahe am Tode ſtehe, ſagte er hier - auf, empfinde ich erſt recht, wie noͤthig die poſitive Verſi - cherung Chriſti von der Ewigkeit, und welch eine Wohl - that ſie fuͤr die Menſchen iſt. Haͤtte ich ſie nicht, ſo wuͤrde mir die bloße Vernunft wenig Befriedigung uͤber die Frage geben koͤnnen, ob nach einigen Stunden noch etwas von mir uͤbrig ſeyn und leben werde. Auch kann ich Jhnen itzt aus meiner Erfahrung ſagen, daß das boͤſe Gewiſſen ein weit groͤßeres Uebel iſt, als der Tod. Gegen dieſen finde ich itzt Beruhigung: aber ſo lange als jenes daurete, war kein Friede in mir. Jch glaube, ich waͤre verſtockt worden, wenn dieſe Wunde nicht geheilt worden waͤre.

Sie werden wahrgenommen haben, daß ich die vor - theilhaften Vorſtellungen, die mir die Gewißheit meiner Begnadigung bey Gott verurſacht hat, nicht ſehr lebhaft habe werden laſſen. Sie haͤtten ſonſt meine Thaͤtigkeit in Verbeſſerung meines Herzens und in der Berichtigung mei - ner Geſinnungen leicht aufhalten und verringern koͤnnen. Nun habe ich den Troſt des Bewußtſeyns, daß ich gethan habe, was mir moͤglich geweſen iſt, um Gott noch wohl - gefaͤllig zu werden.

Jm dem Briefe an den Kammerherrn Brandt ſagt er, er ſey unſchuldiger weiſe Urſache an dem Ungluͤck ſeinesBruders.275Bruders. Er bat mich demſelben dieſe Worte ſo zu erklaͤ - ren: Er habe ſeinen Freund Brandt aus guter Abſicht hie - her zuruͤckgebracht, und ihn abgehalten ſich herauszuzie - hen, da er Gelegenheit dazu gehabt haͤtte.

Nun eroͤffnete ſich die Thuͤr des Gefaͤngniſſes, nach welcher ich oft, er aber nie, einen furchtſam erwartenden Blick gerichtet hatte. Ein Officier trat hinein und bat mich nun voraus zu fahren. Jch ward ſehr weich. Der Verur - theilte, als wenn ihn die Sache gar nicht angienge, redete mir zu. Beruhigen Sie ſich, ſagte er, mein wehrteſter Freund, durch die Betrachtung meiner Vortheile, und durch Jhr Bewußtſeyn, daß Gott Sie gebraucht hat, mir dieſelben zu verſchaffen. Jch umarmte ihn, empfohl ihn der Liebe Gottes und eilte nach dem Richtplatz.

Als er bald nach mir abgerufen worden war, war er ſogleich von ſeinem Lager aufgeſtanden, und denen ge - folgt, die ihn begleiten ſollten. Beym Herausgehen aus dem Gefangenhauſe nach dem Wagen hatte er die Umſte - henden gegruͤßt. Auf dem Wege nach dem Richtplatz hatte er ſich theils mit dem bey ihm ſitzenden Officier geſprochen, theils nachdenkend vor ſich geſeſſen.

Sobald beyde Verurtheilte, jeder in ſeinem beſon - dern Wagen, nahe am Blutgeruͤſte angelangt waren, und Brandt daſſelbe zuerſt beſtieg, ſetzte ich mich zu Struenſee ein, und ließ die Kutſche umwenden, damit wir nicht die A[u] ſſicht aufs Schafot haben moͤchten. Jch habe ihn ſchon geſehen, ſagte er. Jch konnte mich nicht ſogleich in Faſſung ſetzen. Er merkte meine Unruhe, ſah mich mit ei - ner laͤchelnden Miene an, und ſagte: Attendriren Sie mich ja nicht. Jch ſehe, Sie leiden. Erinnern Sie ſich daran, daß Sie das Werkzeug Gottes geweſen ſind, mich gluͤcklich zu machen. Jch kann mir vorſtellen, wie ſuͤß es Jhnen ſeyn muß ſich das bewußt zu ſeyn. Jch werde mit Jhnen Gott in der Ewigkeit dafuͤr danken, daß Sie meine Seele gerettetS 2haben.276haben. Noch mehr als vorhin geruͤhrt, antwortete ich, daß ich mein Geſchaͤfft bey ihm, wegen des belohnenden Erfolgs, womit es Gott benadigt haͤtte, lebenslang fuͤr eines meiner wichtigſten halten wuͤrde. Es ſey mir auch eine erwuͤnſchte Ausſicht, daß ich hoffen duͤrfe, unſre Freund - ſchaft in der kuͤnftigen Welt fortſetzen zu koͤnnen. Jch ſollte ſein Troͤſter ſeyn, und er troͤſtete mich.

Er bat mich hierauf, verſchiedene ſeiner Bekann - ten von ihm zu gruͤßen, und einigen unter Jhnen zu ſagen, daß, wenn er Sie etwa durch ſeine Reden oder Handlungen in Jhren Begriffen von Tugend und Religion irre gemacht haͤtte, er ſie als ein Sterbender, der dieß ſein Unrecht er - kenne, bitten ließe, dieſe Eindruͤcke wieder auszuloͤſchen, und es ihm zu vergeben, daß er ſie veranlaßt haͤtte.

Nachdem wir beyde eine kurze Zeit ſtille geſchwie - gen hatten, fragte er mich: Wenn nun Gott nach ſeiner All - wiſſenheit ſaͤhe, daß ich auf den Fall, da ich laͤnger gelebt haͤtte, meinen itzigen Grundſaͤtzen und Geſinnungen nicht treu geblieben waͤre, koͤnnte das einen nachtheiligen Einfluß auf das Urtheil haben, das ich nun bald empfangen werde? Jch antwortete ihm: Gott urtheilt aus wuͤrklichen nicht aus ungeſchehenen Thaten; er richtet den Menſchen, wie er ihn bey ſeinem Ausgange aus der Welt findet, er iſt die Liebe und hat ſo wenig Gefallen am Tode des Suͤnders, daß er gewiß keinen dazu verurtheilen wird, der in ſolchen Ge - ſinnungen ſtirbt, denen er Begnadigung verheißen hat.

Jch bin freylich, ſagte er ferner, ſehr ſpaͤt zu Gott zuruͤckgekehrt. Aber ich weiß, der ewige Gott achtet nicht auf die Laͤnge oder Kuͤrze der Zeit, in der ſich der Menſch bemuͤht ihm wohlzugefallen. Unſer Heiland ſagt, ohne die - ſen Umſtand zu beſtimmen: Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausſtoßen. Jch will mich alſo nun daruͤber nicht beunruhigen, daß ich ſo lange von Gott und Wahrheit und Tugend entfernt geblieben bin.

Bey277

Bey dem Anblick der großen Menge von Zuſchau - ern ſagte ich ihm, daß gewiß unter dieſen Tauſenden auch viele ſeyn wuͤrden, die Gott anriefen ihm gnaͤdig zu ſeyn. Das hoffe ich, ſagte er, und dieſer Gedanke erfreut mich. Unmittelbar darauf ſetzte er hinzu: Es iſt ein großer An - blick ſo viele tauſend Menſchen beyſammen zu ſehen. Aber was ſind dieſe tauſende, wenn man ſie mit der ganzen Sum - me der Geſchoͤpfe Gottes vergleicht? Und wie ſogar nichts wird in dieſer Vergleichung ein einzelner Menſch? Gleich - wohl liebt Gott einen jeden einzelnen Menſchen ſo ſehr, daß er durch die Aufopferung ſeines Sohns die Seeligkeit deſſel - ben veranſtaltet hat. Welch eine Liebe Gottes!

Sie ſehen mich itzt, fuhr er fort, aͤußerlich gerade ſo, wie ich innerlich bin. Jch fand ihn waͤhrend dieſer Unterredung im Wagen weiter nicht veraͤndert, als daß er blaß war, und daß es ihn mehr Muͤhe koſtete zu denken und zu reden als ſonſt, und noch dieſen Morgen. Er war uͤbrigens voͤllig gegenwaͤrtig, erkannte unter den Umſtehen - den dieſen und jenen, gruͤßte ſie mit Abziehung des Huts, einige auch mit einer freundlichen Miene. Meine Ruhe, ſetzte er hinzu, iſt nicht erzwungen. Und ich bin mir keine Urſache derſelben bewußt, die Gott misfallen koͤnnte. Jch denke gar nicht daran bey Menſchen Ehre einzulegen. Jch verſpreche auch nicht, daß ich auf dem Schafot keine Unru - he werde blicken laſſen. Sinnliche unangenehme Empfin - dungen habe ich itzt, ich werde ſie dort noch mehr haben, und ſie nicht zu verhehlen ſuchen. Aber ſeyn Sie verſichert, meine Seele wird mit Ruhe und Hoffnung uͤber den Tod hinausſehen. Und wie wenig iſt es auch, was ich zu leiden habe, wenn ich es mit den Leiden Jeſu bey ſeinem Tode ver - gleiche. Erinnern Sie ſich an ſeine Worte: Mein Gott, mein Gott, warum haſt du mich verlaſſen? Und ſtellen Sie ſich vor, welche unſaͤgliche Schmerzen ihm, bloß das Haͤn - gen am Kreuz einige Stunden lang, muß verurſacht haben. Jch ermahnte ihn ja bey ſeinem Vorſatz zu bleiben, und inS 3den278den letzten Augenblicken keine Standhaftigkeit zu affectiren, die er nicht haͤtte. Gott muͤßte eine ſolche Verſtellung noth - wendig ſehr misfallen, und, wenn es fuͤr ihn noch Zeit waͤre, ſich um das Urtheil der Menſchen zu bekuͤmmern, ſo wuͤrde ich ihm ſagen, daß nur einige nicht weit ſehende Leute eine erzwungene Freymuͤthigkeit fuͤr Wahrheit halten wuͤrden.

Jch ſagte hierauf: Jeſus betete noch am Kreuz fuͤr ſeine Moͤrder. Kann ich mich nun feſt darauf verlaſſen, daß Sie mit aͤhnlichen Geſinnungen der Liebe gegen diejeni - gen, die Sie etwa fuͤr Jhre Feinde halten moͤgen, aus der Welt gehen? Erſtlich, antwortete er, will ich gar nicht glauben, daß ich perſoͤnliche Feinde habe, ſondern daß die - jenigen, die mein Ungluͤck befoͤrdert, es aus Liebe zum Guten thaten. Ferner weiß ich, daß ich mich itzt ſchon als einen Buͤrger der zukuͤnftigen Welt anzuſehen habe, und daß ich alſo zu ſolchen Geſinnungen verbunden bin, die dort herſchend ſeyn werden. Jch bin gewiß verſichert, wenn ich diejenigen, die hier etwa meine Feinde ſeyn moͤgen, dort in eben der Gluͤckſeeligkeit erblickte, die ich zu erlangen hoffe, daß mir das die lebhafteſte Freude verurſachen wuͤr - de. Und ich rufe Gott an, wenn meine etwanigen Feinde ihre feindſeelige Geſinnung gegen mich je gereuen ſollte, daß dieſe Reue die Veranlaſſung fuͤr ſie werden moͤge, ſich um das Heil zu bemuͤhen, das ich mir durch Gottes Gnade gewiß verſpreche.

Ob ich gleich das Blutgeruͤſt nicht ſehen konnte, ſo merkte ich doch aus den Bewegungen der Zuſchauer, daß Struenſee es nun gleich werde beſteigen muͤſſen. Jch ſuchte ihn durch ein kurzes Gebet dazu vorzubereiten, und in wenig Augenblicken wurden wir gerufen. Er gieng mit Anſtaͤndigkeit und Demuth durch die Zuſchauer und gruͤßte einige unter ihnen. Mit einiger Beſchwerde ſtieg er die Treppe hinan. Als wir oben kamen, redete ich ganz kurz und ohne Erhebung der Stimme zu ihm uͤber die WorteChriſti:279 Chriſti: Wer an mich glaubt, der wird leben ob er gleich ſtuͤrbe. Es waͤre mir ganz unmoͤglich geweſen viel und laut zu reden, wenn ich es auch gewollt haͤtte.

Jch bemerke hier noch, daß ich in ſeinem Betragen auf dem Schafot nicht die geringſte Kunſt wahrgenommen habe. Jch erkannte in ihm den Mann, der es wußte, daß er itzt um ſeiner Suͤnden willen unter der Hand des Scharf - richters ſterben ſollte. Er war blaß, es ward ihm ſchwer zu reden, die Furcht des Todes war auf ſeinem Geſichte kenntlich. Aber es war auch zugleich Gelaſſenheit, Ruhe und Hoffnung, was ſeine Mienen ausdruͤckten.

Jhm ward nun das Urtheil und die koͤnigliche Con - firmation deſſelben vorgeleſen, ſein graͤfliches Wapen vor - gezeigt und zerbrochen. Waͤhrend der Zeit, da ihm die Ketten abgenommen wurden, legte ich ihm folgende Fragen vor. Bereuen Sie von ganzem Herzen alles, wo - mit Sie Gott und Menſchen beleidigt haben? Sie ken - nen daruͤber meine Empfindungen, und ich verſichere Sie, daß ſie noch in dieſem Augenblicke dieſelbigen ſind. Ver - laſſen Sie ſich, um von Gott begnadigt zu werden, allein auf die Verſoͤhnung Jeſu Chriſti? Jch kenne kein ande - res Mittel bey Gott Gnade zu erlangen, und verlaſſe mich daher allein auf dieſes. Gehen Sie aus der Welt ohne feindſeelige Geſinnungen gegen irgend jemand, wer es auch ſey? Jch will nicht glauben, daß mich jemand perſoͤnlich haßt. Uebrigens wiſſen Sie uͤber dieſen Punct meine Ge - ſinnung, und ich berufe mich daher auf das, was ich Jh - nen ſo eben davon geſagt habe. Jch legte ihm die Hand aufs Haupt, und ſagte: So gehen Sie hin im Friede Got - tes, wohin Gott Sie ruft! Seine Gnade ſey mit Jhnen!

Er fieng hierauf an ſich auszukleiden, erkundigte ſich bey den Scharfrichtern, wie weit er ſich entbloͤßen ſollte, bat ſie ihm zu helfen, eilte nach dem Blocke, der noch vom Blute ſeines Freundes gefaͤrbt war, legte ſichS 4geſchwinde280geſchwinde nieder, und bemuͤhete ſich den Hals und das Kinn recht einzupaſſen. Als die Hand abgehauen war ward der ganze Koͤrper von Convulſionen ergriffen. Jn dem Augen - blick, da der Scharfrichter das Beil hob, die Hand ab - zuhauen, fieng ich an ihm langſam zuzurufen: Halt im Gedaͤchtniß Jeſum Chriſtum, den Gekreuzigten, der geſtorben iſt, der auch auferſtanden iſt! Ehe ich dieſe Worte ganz vollendet hatte, lag der Kopf, vom Koͤrper getrennt, zu meinen Fuͤßen.

Wie wunderbar iſt Gott, und wie ſorgfaͤltig nimmt er ſich der Menſchen an, die noch zur Wahrheit zuruͤck zu bringen ſind! Wie ſehr iſt aber nicht auch das Urtheil, welches man uͤber ſolche Menſchen nach den Grundſaͤtzen des Reichs Gottes faͤllen muß, von demje - nigen unterſchieden, das die Welt uͤber ſie ausſpricht! Waͤre Graf Struenſee in ſeinen vorigen Umſtaͤnden ge - blieben, und einſt eines natuͤrlichen Todes geſtorben, ſo wuͤrde er vielleicht in den Augen der nach dem aͤußerli - chen Schein urtheilenden Welt ein großer und erleuchte - ter Mann fuͤr allen Zeiten geheißen haben, wenn er auch im Grunde ein Lotterbube geweſen waͤre. Jtzt hat ihn die Welt als einen Boͤſewicht ſterben ſehen; aber die Art ſeines Betragens im Sterben verurſacht, daß verſtaͤndige Chriſten ihm die Schande verzeihen, mit der er ſein Leben befleckt hat, und Gott danken, daß er gut geſtor - ben iſt.

Eigen -281

Eigenhaͤndige Nachricht des Grafen Struenſee von der Art, wie er zur Aenderung ſeiner Geſinnungen uͤber die Religion gekommen iſt. An den Herrn D. Muͤnter.

Sie verlangen, wehrter Freund, daß ich meine Ge - danken uͤber die Art, wie ich zur Aenderung meiner Kenntniß und Geſinnungen in Abſicht der Religion gekom - men bin, hinterlaſſen ſoll. Sie iſt unter Jhren Augen ge - ſchehen, Sie haben mich dabey geleitet, und ich bin Jhnen deswegen unendlichen Dank ſchuldig. Jch erfuͤlle Jhr Ver - langen mit ſo viel mehrerem Vergnuͤgen, da ich dabey Ge - legenheit haben werde, die Reihe von Begriffen und Ein - druͤcken, ſo meine jetzige Gemuͤhtsverfaſſung hervorgebracht haben, mir in Erinnerung zu bringen, und meine Ueber - zeugung zu beſtaͤrken.

Mein Unglaube und meine Abneigung gegen die Re - ligion ſind eben ſo wenig auf eine genaue Unterſuchung der Wahrheiten derſelben, als auf eine regelmaͤßige Pruͤfung der Zweifel, ſo man gegen dieſelbe macht, gegruͤndet gewe - ſen. Sie ſind entſtanden, ſo wie es wohl in den meiſten Faͤllen geſchicht: allgemeine und ſeichte Kenntniß von der Religion auf der einen Seite und auf der andern viele Neigung, die Vorſchriften derſelben nicht befolgen zu duͤr - fen, mit einer großen Bereitwilligkeit alle die Zweifel an - zunehmen, ſo ich gegen dieſelbe fand. Sie kennen den gewoͤhnlichen Unterricht im Chriſtenthum, den man aufS 5oͤffent -282oͤffentlichen Schulen erhaͤlt: doch war es meine Schuld, daß ich mir die beſondern Unterweiſungen und das Beyſpiel meiner Eltern nicht beſſer zu Nutze machte. Seit meinem vierzehenden Jahre beſchaͤfftigte ich mich bloß mit der Erler - nung der Arzneywiſſenſchaft. Wenn ich nachher viele Zeit auf die Lectuͤr anderer Art gewendet habe: ſo geſchah es allein zu meinem Vergnuͤgen, und um die Kenntniſſe, mein Gluͤck zu machen, zu erweitern. Die Heftigkeit der Begier - den, mit welcher ich mich allen ſinnlichen Vergnuͤgen und Ausſchweifungen in meiner Jugend uͤberließ, erlaubte mir kaum an die Sittlichkeit, noch viel weniger an die Reli - gion, zu denken.

Als die Erfahrung mich nachher lehrte, wie wenige Zufriedenheit in dem unordentlichen Genuß dergleichen Vergnuͤgungen zu finden ſey, und ich durch Nachdenken uͤberzeugt ward, daß meine Gluͤckſeeligkeit eine gewiſſe in - nere Befriedigung erfordere, die weder durch die Erfuͤl - lung einzelner Pflichten, noch durch die Unterlaſſung groͤ - berer Laſter erhalten werden koͤnne: ſo ſuchte ich mir gewiſſe Grundſaͤtze einzupraͤgen, die ich dieſem Endzweck gemaͤß hielt. Allein mit was fuͤr einer Verfaſſung unternahm ich dieß? Mein Gedaͤchtniß, angefuͤllt mit moraliſchen Grundſaͤtzen, aber auch zugleich mit den Entſchuldigungen einer gefaͤlligen Vernunft gegen die Schwachheiten und Fehler des menſchlichen Herzens; mein Verſtand einge - nommen mit Zweifeln und Schwierigkeiten gegen die Unſi - cherheit der Huͤlfsmittel zur Wahrheit und Gewißheit zu kommen; und mein Wille, wo nicht feſt entſchloſſen, doch heimlich ſehr geneigt, meine Pflichten ſo zu beſtimmen, daß ich nicht genoͤthigt ſeyn moͤchte meine Lieblingsneigungen dabey aufzuopfern: das waren die Fuͤhrer bey den Unterſu - chungen, ſo ich anſtellte.

Jch ſetzte zum Voraus, daß in einer Sache, ſo die einzelne Gluͤckſeeligkeit eines Menſchen betraf, weder Tief - ſinnigkeit, noch Scharfſinnigkeit oder Gelehrſamkeit, ſon -dern283dern bloß eigene Erfahrungen, und die Begriffe, wovon ſich jeder ſelbſt uͤberzeugen koͤnnte, zur Findung der Wahr - heit vonnoͤthen ſeyn. So wie die Nothwendigkeit alle unan - genehme Empfindungen der Schmerzen, der Krankheiten, meiner eignen Vorwuͤrfe und der Vorwuͤrfe anderer, zu ver - meiden, die ſorgfaͤltige Beobachtung der Pflichten gegen mich ſelbſt und gegen meinen Naͤchſten ſehr wichtig mach - ten: ſo glaubte ich jedoch durch die Betrachtung Gottes der Natur und des Menſchen, keine beſondere Verpflichtungen gegen das hoͤchſte Weſen zu finden, als die, ſo aus der Bewunderung ſeiner Groͤße, und der allgemeinen Dank - barkeit wegen meines Daſeyns floͤſſen. Des Menſchen Handlungen, beſtimmt durch Vorſtellungen, ſo die natuͤr - lichen Triebe, der angenehme oder unangenehme Eindruck der aͤußern Gegenſtaͤnde, die Erziehung, die Gewohnheit und die Verſchiedenheit der Umſtaͤnde, worin er ſich befin - det, hervorbringen, ſchienen mir eben ſo wenig in einzelnen Faͤllen Gott gefallen oder misfallen zu koͤnnen, als die ver - ſchiedenen Begebenheiten in der Natur, ſo in den feſtgeſetz - ten phyſiſchen Regeln ihren Grund haben. Es war mir genug zu bemerken, daß alles, ſowohl in dieſem als in je - nem Fall zu Einem Endzweck, nemlich zur Erhaltung des Allgemeinen, abziele: und dieſen hielt ich allein der Vorſor - ge des hoͤchſten Weſen wuͤrdig. Meine Aufmerkſamkeit ward daher groͤßtentheils auf die Pflichten gegen den Naͤch - ſten gezogen. Die Erfuͤllung derſelben beſtimmte mein aͤußeres Gluͤck, und ich hoffte auch darin meine innere Be - friedigung zu finden.

Der Wunſch, den jeder fuͤhlt, tugendhaft zu ſeyn, und eine natuͤrliche Neigung zu geſellſchaftlichen guten Handlungen, bewogen mich, mich eifrigſt zu bemuͤhen die Tugend kennen zu lernen. Aber wo konnte ich die wahre finden, da ich ſie nicht da ſuchte, wo ſie allein anzutreffen iſt? Was fuͤr eine Verſchiedenheit herrſcht nicht in den Meynungen der Weltweiſen uͤber die Natur und Bewe -gungsgruͤnde284gungsgruͤnde derſelben, und wie widerſprechend iſt nicht das Urtheil der Menſchen uͤber die Wuͤrkungen, ſo ſie in einzel - nen Faͤllen hervorbringt? Jedoch ſollten dieſe mich richten, wenn Gott es nicht thut, und ich mich nicht allein auf mein Gewiſſen verlaſſen wollte, das ſo leicht verblendet, von den Begierden uͤberſtimmt, und meiſtentheils gar nicht gehoͤrt wird. Wenigſtens fand ich, daß es ſehr leicht ſey, ſich in Abſicht ſeiner Geſinnungen zu betruͤgen, und dieſe waͤren doch jedem ſelbſt allein zu beurtheilen uͤberlaſſen. Wie viele bemerkte ich nicht auf der andern Seite, die bey der groͤßten Unthaͤtigkeit voll von guten Geſinnungen zu ſeyn ſchienen! Dieſe und andre Betrachtungen verfuͤhrten mich, die Tugend allein in die Handlungen, ſo einen nuͤtz - lichen Einfluß in die Geſellſchaft haͤtten, in der ich lebte, und in die Begierde ſolche hervorzubringen, zu ſetzen. Die Bewegungsgruͤnde dazu, die Ehrbegierde, die Va - terlandsliebe, ein natuͤrlicher Trieb zum Guten, eine wohl - verſtandne Selbſtliebe, oder ſelbſt die Kenntniß der Reli - gion, ſchienen mir gleichguͤltig, je nachdem einer mehr oder weniger auf die Geſinnungen einzelner Perſonen wuͤrkte. Der Verſtand, die Ueberlegung muͤſſe allein die Anwendung und Ausfuͤhrung der Tugend beſtimmen. Derjenige ſey der tugendhafteſte, der die nuͤtzlichſten, die ſchwerſten und weit ausgebreiteſten Handlungen hervor - bringe. Niemand duͤrfe ſich Vorwuͤrfe machen, wenn er nur in der Wahl der Mittel die Landesgeſetze, und die ohne Vorurtheile feſtgeſetzten Grundſaͤtze der Ehre ſorg - faͤltig beobachte.

Jch glaubte in der Natur des Menſchen hinlaͤngliche Kraͤfte und Triebfedern zu finden, die ihn zur Tugend be - wegen koͤnnten, ohne daß eine geoffenbahrte Religion dazu noͤthig ſey, die bloß eine Verbindlichkeit bey weniger aufge - klaͤrten Menſchen zu Wege bringen koͤnne. Das Gefuͤhl, die Empfindungen, ſo ſie erregen ſollte, hatte ich nie erfahren, oder wenigſtens nicht darauf geachtet. Die Wahrheitendes285des Glaubens ſchienen allen meinen uͤbrigen Begriffen zu widerſprechen, ihre Lehre zu ſtreng, und glaubte ich ſolche, wo nicht mehr, doch eben ſo deutlich, vollkommen und nutz - bar in den Schriften der Weltweiſen ausgefuͤhrt zu finden. Fuͤgen Sie dahinzu die Zweifel, ſo ich gegen dieſelbe fand; in dem engen Zirkel der Menſchen, welchen ſie bekannt war, in der kleinen Anzahl, auf welche ſie Eindruck machte, die uͤbeln Folgen, welche fuͤr das menſchliche Geſchlecht aus ihrem Misbrauch entſtanden waren wie wenige ihr gemaͤß handelten, wenn ſie auch ſolche glaubten die wenige Hoffnung, ſo ich mir von meiner Fortdauer nach dieſem Leben machte den Begriff von der Guͤte Gottes, daß ſolcher die Fehler des Jrrthums und der Uebereilung ohne hin vergeben wuͤrde endlich den Wi - derſpruch und nicht zu uͤberwindenden Widerſtand, ſo ich in der Natur des Menſchen wahrzunehmen glaubte, die Vorſchriften der Religion zu erfuͤllen: und Sie werden leicht den Schluß errahten, welchen ich mich daraus zu fol - gern berechtigt hielt.

Die Vernunft, geleitet vom Verſtande und unter - ſtuͤtzt durch die Ehre, die Selbſtliebe und der natuͤrliche Trieb zum Guten waren nun die Fuͤhrer, ſo meine Hand - lungen beſtimmten. Wie vielen Jrrthuͤmern und Verge - bungen war ich nicht ausgeſetzt? Jch fand es nicht mehr ſchwer meine Lieblingsneigungen zu entſchuldigen und gar mit Beruhigung mich ihnen zu uͤberlaſſen. Die Verge - hungen und ſelbſt die Laſter der Wolluſt ſchienen mir hoͤch - ſtens Schwachheiten zu ſeyn, wenn ſolche nur keinen ſchaͤd - lichen Erfolg auf mich ſelbſt oder auf andre haͤtten, und dieſem koͤnnte Vorſicht und Klugheit vorbeugen. Viele, die Anſpruch auf Ehre und Tugend machten, entſchuldigten es und erlaubten ſie ſich. Die Sitten der Zeit erlaubten ſtillſchweigends Freyheiten, ſo nur ſtrenge Sittenlehrer ver - dammten, billigere aber mit der Kenntniß des menſchlichen Herzens gelinder und mit mehrerer Nachſicht anſaͤhen. Die286Die Enthaltſamkeit ſey eine Tugend des Vorurtheils, und ganze Nationen beſtuͤnden, und haͤtten beſtanden, ohne dieſe Tugend zu kennen noch auszuuͤben.

Es gereicht zu meiner wahren Demuͤthigung, mein wehrteſter Freund, daß ich Jhnen Scheingruͤnde wieder - hohle, die mir itzt hoͤchſtabgeſchmackt ſind, die Sie aber bey allen denjenigen mehr oder weniger werden gefun - den haben, die nicht ganz gedankenlos handeln, und bey der unregelmaͤßigſten Lebensart in dem Verſtande Mittel zu ihrer Beruhigung ſuchen. Wie leicht koͤnnen nicht auf dieſe Art alle unſre Begierden bemaͤntelt und gerechtfertigt werden! Der Ehrgeizige ſiehet in ſeinen Unternehmungen Liebe zum Vaterland und eine edle Ehrbegirrde; der Einge - bildete edlen Stolz auf ſeine Verdienſte und die Gerechtig - keit, ſo er ſich ſelbſt ſchuldig iſt; der Verlaͤumder Wahr - heitsliebe und unſchuldigen Scherz. u. ſ. w.

Dieſen Jrrthuͤmern hoffte ich durch eine ſtrenge Pruͤ - fung und Unterſuchung meiner ſelbſt, und der Folgen, ſo meine Handlungen haben koͤnnten und haben wuͤrden, aus - zuweichen. Bin ich darin gluͤcklich geweſen, und iſt es moͤg - lich, wenn ich auch nur fuͤr die unmittelbaren Folgen der - ſelben einſtehen ſollte? Betrog ich mich nicht ſelbſt, wenn ich mich mit dem lebhaften Vorſatz, ſo viel Gutes zu thun als ich konnte, und der Ueberzeugung, daß ich es, ſo viel die Umſtaͤnde, in denen ich mich befand, thaͤte, zu befriedigen glaubte? War es Betaͤubung, Unempfindlichkeit, Affec - tation, wenn ich in mir ſelbſt Ruhe, Standhaftigkeit und Gelaſſenheit bey meinem itzigen Ungluͤck zu finden hoffte? Unterſuchte ich die Urſachen deſſelben, ſo blieb ich bey den politiſchen ſtehen, und wie viel konnte ich nicht in den Zu - faͤlligen und der Natur meiner Situation zu meiner Ent - ſchuldigung entdecken? Meine moraliſchen Geſinnungen ſah ich nur von ferne: und wie konnte ich ſie verdammen, wenn ich mich nicht auf einmahl aller Beruhigung berauben wollte? Was ich von der Zukunft hoffte, habe ich vorhingeſagt,287geſagt, und da ich wußte, daß eine anhaltende Vorſtellung und beſtaͤndiges Nachdenken uͤber den nemlichen Vorwurf den Eindruck deſſelben nur um ſo viel lebhafter auf uns macht, ſo ſuchte ich durch Zerſtreuung und Beſchaͤfftigung meiner Gedanken mit andern Vorwuͤrfen, mein Ungluͤck mir weniger fuͤhlbar zu machen, und meine natuͤrliche Ge - muͤhtsverfaſſung dadurch zu unterſtuͤtzen.

Jn dieſem Zuſtande fanden Sie mich, mein wehrte - ſter Freund, und wir fiengen unſre Unterredungen an. Sie erinnern ſich, wie ſehr ich von meinen Grundſaͤtzen uͤber - zeugt zu ſeyn glaubte, wie feſt ich mir ſie eingepraͤgt, und wie ſehr ich gegen alle Leidenſchaften, die in mir erregt wer - den konnten, auf meiner Hut war. Dieß fand ich billig, daß eine Sache, ſo meine Gluͤckſeeligkeit betraͤfe, die noch einen Einfluß auf die Zukunft haben koͤnnte, eine Unterſu - chung verdiene; eine Meynung, darin die groͤßte Wahr - ſcheinlichkeit die Gewißheit ſey, erhalte neue Staͤrke durch die Pruͤfung der entgegengeſetzten, und die Widerlegung der Zweifel erfordre wenigſtens ſo viel Aufmerkſamkeit, als auf die Ueberlegung der Gruͤnde bey ihrer Annehmung ſey gewandt worden.

Bey der Betrachtung meiner moraliſchen Grundſaͤtze und ihrer Folgen erregte ſich gar bald der Zweifel, ob ich nicht durch jene meines Zwecks, der innern Beruhigung und Zufriedenheit uͤber meine Handlungen, verfehlt haͤtte. Jch konnte mir nicht verbergen, daß ich Vorwuͤrfe von mir ſelbſt und andern verdiente, wenn es auch nur von der Seite meiner mit mir ungluͤcklichen Freunde ſey, welche mich am lebhafteſten ruͤhrte. Wuͤrde es nicht ſichrer geweſen ſeyn, dachte ich, wenn ich meine Handlungen mehr nach ihrem Urſprung, als nach den Verhaͤltniſſen und Folgen beurtheilt haͤtte? Wie wenig Vergnuͤgen und Thaͤtigkeit waͤre alsdann in meinem Leben geweſen! Jetzt weniger Reue und Misvergnuͤgen, aber vorhin mehr Kampf und Wider - ſtand gegen mich ſelbſt. Die Zeit des Leidens ward bloßveraͤn -288veraͤndert. Mit jenem Falle ſind lebhafte und kurze Schmer - zen, mit dieſem Einfoͤrmigkeit und anhaltende unangeneh - me Empfindungen verknuͤpft. Jch wuͤrde aber nur allein gelitten haben. Und wie viel Zufriedenheit hat mir der Ge - nuß alles deſſen, was ich vom Gluͤck erwarten konnte, gege - ben? Die Befriedigung von Begierden, die eine un - vermeidliche Leere nach ſich zieht; die Erfuͤllung von Wuͤn - ſchen, deren Reiz durch die unruhige Geſchaͤfftigkeit ſich darin zu erhalten vermindert wird; vervielfaͤltigte Vergnuͤ - gungen, die ihrer Natur nach ſich unter einander zerſtoͤren, und endlich nichts als hoͤchſtens Zerſtreuungen ſind; die Unempfindlichkeit, eine natuͤrliche Folge des Beſitzes alles deſſen, was das Leben geſchwind und leicht angenehm ma - chen kann. Das Vergnuͤgen der Freundſchaft und der Geſelligkeit wird man mir doch nicht abſprechen koͤnnen? Nein, wenn eine Situation voller Zerſtreuungen, voller Aufmerkſamkeit auf hundert Kleinigkeiten, mit der Unmoͤg - lichkeit den Gedanken von ihrer Unſicherheit zu entfernen, ſolches geben konnte, und es nicht vielleicht ſeiner Natur widerſpraͤche. Geſetzt aber, ich ſey mir bloß guter Abſich - ten und erlaubter Mittel bewußt, und meine moraliſchen Vergehungen waͤren die Folgen des Leichtſinns und der Schwachheit? So raubten mir doch itzt die Vorwuͤrfe von dieſen alle Beruhigung uͤber jene. Vermieden wuͤrde ich ſie haben, wenn ich ihre Folgen nach allen Verhaͤltniſſen uͤber - dacht haͤtte. War dieſer Entſchluß aber moͤglich, wenn auf der andern Seite die Leidenſchaft mir, die Gluͤckſeeligkeit meiner und andrer, die Verachtung der Gefahr, die Unge - wißheit der entfernten Folgen, und die Sicherheit die naͤch - ſten in der Gewalt zu haben, ſo lebhaft vorſtellen? Der Ausſchlag mußte nothwendig auf die Seite fallen, wo das Vergnuͤgen nahe und der Schmerz entfernt und ungewiß war: der Fall aber, wo Vernunft und lebhafte Begierden ſtreiten, und der Verſtand entſcheiden ſoll, kann nicht anders gedacht werden. Die Ehre und Selbſtliebe, der Einfluß ſoeine289 eine Handlung auf andre haben kann, und andre Bewe - gungsgruͤnde ſind leicht erklaͤrt, und bey der Anwendung dem vorgeſetzten Endzweck gemaͤß gefunden. Konnte ich nun wohl anders als zugeſtehen, daß meine Grundſaͤtze mir keine moraliſche Beruhigung geben koͤnnten, daß die Leidenſchaf - ten meine Handlungen beſtimmt haͤtten, und daß mir kein andrer Troſt, als der aus dem Zufaͤlligen und Unvermeidli - chen des menſchlichen Schickſals hergenommene, uͤbrig blie - be? Mein Gluͤck konnte ich ihnen zu verdanken haben, und daß ſie mir Wuͤrkſamkeit in Erfuͤllung der Pflichten gege - ben: wenn ſie mich aber nur einmahl verleitet, eine Handlung zu begehen, die ich vermeiden koͤnnen und ſollen, woruͤber ich mit Recht Vorwuͤrfe verdiene, und deren Andenken meine innere Gluͤckſeeligkeit zerſtoͤrt: ſo mußte ich ſie verwerfen.

Dieß war ich bereit zu thun, wenn ich beſſere fin - den konnte. Jch bemerkte vornehmlich zwey Maͤngel bey ihnen. Die Beurtheilung der Handlungen nach ihren Ver - haͤltniſſen und Folgen hob alle Gewißheit und Sicherheit auf, zu einer moraliſchen Ueberzeugung meiner ſelbſt zu kom - men; die von mir angenommenen Bewegungsgruͤnde zur Tugend koͤnnen eben ſo leicht zur Befriedigung, als zum Widerſtande der Begierden dienen, ſie wuͤrken nicht lebhaft genug, auch ſind ſie leicht einer Misdeutung faͤhig, wenn die Seele etwas heftig begehrt. Das Gewiſſen, die innere Empfindung des Guten und des Boͤſen und die Furcht Got - tes ſchienen mir nicht dieſem abzuhelfen. Mein Verſtand war reich an Gruͤnden ſie zu verkennen, und die Sinnlich - keit erlaubte mir nicht ihren Eindruck zu bemerken. Haͤtten mich dieſe unter allen Umſtaͤnden richtig handeln lehren und beruhigen koͤnnen, wenn gleich die Folgen, das Urtheil der Menſchen und die Vorwuͤrfe meiner Freunde wider mich waͤren? Ohne Zweifel. Aber dann haͤtten meine Handlun - gen in den Geſinnungen ihren Urſprung nehmen, und dieſe eine ſichre Richtſchnur haben muͤſſen, nach welcher ſie nicht irren konnten.

TDer290

Der Jrrthum war klar, daß ich die Tugend in die Handlungen und nicht in die Geſinnungen geſetzt, und da - durch meines Endzwecks, der innern Beruhigung verfehlt haͤtte. Gellert zeigte mir die Regeln, nach welchen ich ihn haͤtte vermeiden koͤnnen; Jeruſalem uͤberfuͤhrte mich von der Kraft und Staͤrke, ſo die wahre Verehrung Gottes giebt, ſolche zu beobachten, und Reimarus bewies mir die Nichtigkeit der Zweifel, ſo der Verſtand findet, den An - theil Gottes an den einzelnen moraliſchen Handlungen zu laͤugnen. Jch will nicht die Reihe der Betrachtungen wie - derholen, die mich von den Wahrheiten, ſo dieſe vortreffli - chen Schriftſteller lehren, uͤberzeugten. Es wird genug ſeyn, mir einige in Erinnerung zu bringen, die ſich mir am lebhafteſten darſtellten.

War es nicht die Sinnlichkeit, ſo mich Wahrheiten, die mein Verſtand kannte, verlaͤugnen, und mir andre Ge - genſtaͤnde und falſche Begriffe wichtig machte? Jſt Sicherheit und Weisheit da, wo ich einfache Grundſaͤtze finde, die in allen Faͤllen ohne Ausnahme mit Deutlichkeit anzuwenden ſind, oder dort, wo die mannichfaltigen Mey - nungen, und Bedingungen ohne Zahl, mehr Zeit zum Un - terſuchen als zum Handeln erfordern? Jſt der morali - ſche Unterſchied von Tugend und Laſter nicht wirklich in den Geſinnungen, ſo kann niemand auf Tugend Anſpruch ma - chen, wenigſtens haͤngt ſie nicht von ſeinem Willen ab. Der Kluge, der Vorſichtige, der Liſtige, der Heuchler iſt recht - ſchaffen: der Einfaͤltige, der Leichtſinnige, der Ungluͤckli - che, der Aufrichtige wird laſterhaft ſeyn. Die innere Beruhigung haͤngt von der Meynung anderer und dem Zu - faͤlligen ab, wenn ich nicht meine Geſinnungen nach feſtge - ſetzten Regeln beurtheilen kann.

Jſt der Begriff nicht ſehr eingeſchraͤnkt, wenn ich das Ganze bloß Gottes Aufmerkſamkeit wuͤrdig finde? Wir wiſſen, daß die Kenntniß und Combinaiſon vieler einzelnen Mittel und wuͤrkenden Urſachen, in ſo ferne ſolche zu EinemEndzweck291Endzweck angewendet werden, die moraliſchen großen Handlungen hervorbringen. Die Faͤhigkeiten des Men - ſchen erlauben ihm nicht, ſich jene gleich deutlich auf ein - mahl vorzuſtellen. Er verliert das Ganze aus dem Geſicht, wenn er ſich zu viel mit dem Einzelnen beſchaͤfftigt. Daher iſt er genoͤthigt ſeine Aufmerkſamkeit allein auf die naͤchſten und wuͤrkſamſten Urſachen zu richten, und die entferntern dem Zufaͤlligen zu uͤberlaſſen, oder, welches damit uͤberein kommt, vorauszuſetzen, daß ſolche nicht fehlen werden, ob er ſie gleich nicht in ſeiner Gewalt hat. Jedoch laſſen Sie uns hiebey nicht ſtehen bleiben. Derjenige, welcher die meiſten und entfernteſten Mittel zugleich uͤberſehen, jedes nach ſeinem Endzweck beſtimmen und anwenden, und alle Schwierigkeiten leicht und geſchwinde zuvorkommen und abwenden koͤnnte, der wuͤrde mit Recht den Nahmen eines großen Mannes verdienen. Je mehr Ordnung und Ueber - einſtimmung er jedem Theile geben kann, deſto ſicherer iſt der Erfolg. Misvergnuͤgen muß es ihm erwecken, wenn er es nicht uͤberall kann. Verſchiedene fehlerhafte Bewegun - gen einzelner Soldaten koͤnnen im Treffen einem General kein Vergnuͤgen machen, wenn er ſie bemerken kann, und er wird jede einzeln empfinden. Viele kleine Unordnungen machen das Ganze unvollkommner. Muͤſſen wir ſolche uͤberſehen, weil unſre Faͤhigkeiten es nicht anders erlau - ben, und pflegen wir zu verachten, was wir aus Mangel der Kraͤfte nicht erreichen koͤnnen: ſo iſt doch ungereimt, dieſen Begriff auf Gott anzuwenden, und zu glauben, daß er unſerm Beyſpiel folge und ſich mit dem Ganzen, ohne auf die einzelnen Fehler zu ſehen, beſchaͤfftigte. Der Satz, daß Gott die Einrichtung des Ganzen ſo gemacht, daß die ein - zelnen Fehler der Menſchen nichts dabey ſchaden, und ſie ihm daher gleichguͤltig waͤren, kommt beſtaͤndig darauf hin - aus, ich mag ihn betrachten, von welcher Seite ich will, wenn ich nicht annehme, daß der Menſch nach einer feſtge - ſetzten Nothwendigkeit handeln muͤſſe. Gott wird daherT 2gewiß292gewiß bemerken, in wie fern jeder einzeln nach ſeinem freyen Willen ſich deſſen Beſtimmung gemaͤß verhaͤlt. Die Ab - ſicht der allgemeinen Gluͤckſeeligkeit kann nicht erreicht wer - den, wenn nicht alle darin uͤbereinſtimmen.

Gott habe ſo viele Guͤter in die Natur, und ſo man - nichfaltige Triebe in den Menſchen gelegt, daß jeder gluͤcklich werden koͤnne: iſt ein Scheingrund. Ein groͤßerer Beſitz und mehrere Befriedigung geſchicht allezeit auf Unkoſten und zum Misvergnuͤgen anderer. Die Begierde darin einen groͤßern Zuwachſ zu erhalten, iſt daher ſchon eine Abweichung von meiner Beſtimmung. Nur die Erweite - rung der moraliſchen Vollkommenheit kann ohne Schaden und zum Vortheil des Ganzen geſchehen. Die geringſte Ausweichung hierin kann nicht anders als Gott misfaͤllig ſeyn. Was koͤnnen wir uns fuͤr eine Entſchuldigung deswe - gen machen? Diejenige, ſo dem Hofmann erlaubt, ſeinen Herrn zu hintergehn um ſeinen Freunden zu dienen, und dem Miniſter, den Vortheil des Ganzen aus perſoͤnlichen Abſichten aus den Augen zu verlieren.

Jſt es nicht Stolz und Einbildung von unſrer innern Staͤrke, wenn wir durch unſre eigenen Kraͤfte tugendhaft zu werden hoffen? Wenn wir in den Gegenſtaͤnden gemei - niglich ſehen, was wir wollen; wenn es unendlich ſchwer iſt, alle Begriffe im Gedaͤchtniß gegenwaͤrtig zu haben, die zu einem richtigen Schluß erforderlich ſind; wenn wir die - jenigen am leichteſten finden, die zu unſerm Endzweck die - nen; wenn der kalte Weltweiſe oͤfters dasjenige findet, was er vor der Unterſuchung als wahr angenommen: ſo kann man leicht uͤberzeugt werden, wie unſicher die Vernunft - ſchluͤſſe ſeyn muͤſſen, die uns den Genuß einer Sache, die wir heftig begehren, erlauben oder verbieten ſollen. Nur ein lebhafter Eindruck, der uns gegenſeitige Vorſtellungen gleich gegenwaͤrtig macht, kann uns vom Jrrthum zuruͤck - halten. Jſt aber einer, der bey allen Gemuͤhtsverfaſſungen gleich ſtark wuͤrken kann, als das Andenken an Gott?

Wie293

Wie viel Misvergnuͤgen uͤber mich ſelbſt erregten mir nicht dieſe Betrachtungen? Es war genug, daß ich uͤber - fuͤhrt ward, wie weit ich mich von meinem Entzweck entfernt, wie wenig ich meiner Beſtimmung gemaͤß gehandelt, und wie viele Vorwuͤrfe ich verdiente. Empfindlich demuͤthi - gend fuͤhlte ich, falſchen Grundſaͤtzen und eingeſchraͤnkten Vorurtheilen gefolgt zu ſeyn. Sie wiſſen, wie heftig ich beſonders das Ungluͤck derjenigen Perſonen empfand, mit denen ich in Verbindung geſtanden: und nun blieb mir nichts uͤbrig meinen Schmerz zu lindern, da ich mich allein die Urſache deſſelben zu ſeyn fand. Er ward um ſo viel leb - hafter, wenn ich ihn von der Seite anſah, die jetzt den mei - ſten Eindruck auf mich machte. Die vielen Folgen, ſo meine moraliſchen Vergehungen nach ſich ziehen, und der Gedan - ke, Gott beleidigt zu haben, wuͤrkten auf mich am heftigſten.

Meine mir zur Gewohnheit gewordenen Vorſtellun - gen erregten mir jedoch oͤfters das Mistrauen, ob nicht meine itzige Gemuͤthsverfaſſung mehr als die Ueberzeugung des Verſtandes dieſe Geſinnungen verurſache. Die Ungewiß - heit uͤber die Natur der Seele, und ihrer Fortdauer nach dieſem Leben, hielt mich vornemlich zuruͤck mich Jhnen voͤllig zu uͤberlaſſen. Bonnet ließ mir keinen Zweifel deswe - gen uͤbrig, in ſo fern die Vernunft darin zur Gewißheit kom - men kann. Jch konnte nicht laͤugnen, daß meine jetzige Gemuͤhtsverfaſſung, verglichen mit der vorigen, weit faͤ - higer ſey, die Wahrheit zu unterſuchen und zu finden. Die - ſe uͤberſah fluͤchtig, was meinen Neigungen misfiel, und fand wahr, was ſie wuͤnſchten. Jene war weit vorſichtiger, voller Mistrauen, und es koſtet viel zu geſtehen, daß man ſich geirrt habe. Jemehr ich meinen uͤbrigen Zweifeln nach - dachte, deſto weniger Urſache fand ich ſolche gegruͤndet zu halten. Jch gieng alles einzeln durch, was ich mir zur Be - ſtaͤtigung meiner Meynungen ſo oft wiederhohlt hatte: aber endlich mußte ich mit Gellert geſtehen, wenn das was wir von Gott, von der Seele, und von unſrer moraliſchenT 3Gluͤck -294Gluͤckſeeligkeit aus der Vernunft erkennen, nicht gewiß iſt, ſo muß Wahrheit Thorheit, und Jrrthum Weisheit ſeyn.

Sie wiſſen, wehrter Freund, wie die Erkenntniß dieſer Wahrheiten meine Unruhe vermehrte. Es zeigten ſich mir beſtaͤndig neue Gegenſtaͤnde, die durch die Lebhaf - tigkeit der naͤhern Eindruͤcke verborgen geblieben waren. Die Gleichguͤltigkeit meine Geſinnungen in Ordung zu bringen, die Verabſaͤumung jeder einzelnen Pflicht, die Nachlaͤſſigkeit das Gute zu thun, wozu ich Gelegenheit und Faͤhigkeit gehabt, das Uebel, ſo mein Beyſpiel und die Ausbreitung meiner Grundſaͤtze verurſachen koͤnnten, das Misfallen, ſo meine Vergehungen bey Gott verdienten: dieß alles erregte mir die empfindlichſten Schmerzen. Wie konnte ich ſolche lindern? Den Vorſatz faßte ich, den er - kannten Wahrheiten mich gemaͤß zu verhalten; meine Reue uͤber die begangenen Fehler fuͤhlte ich aufrichtig: aber konnte ich hoffen, das Vergangene zu erſetzen und auszuloͤſchen? Es iſt ungewiß, ob ein guter Vorſatz beſtaͤndig gleich ſtark ſeyn, ob nicht neue Reizungen und Jrrthuͤmer des Verſtan - des ihn zernichten, ob das Andenken an Gott, das Gewiſſen, die Erinnerung des Schmerzens nicht geſchwaͤcht werde. Tugenden koͤnnen den Schaden des Laſters nicht verhin - dern, noch weniger erſetzen. Die Zeit, die Gelegenheit, die vorigen Verhaͤltniſſe, waren fuͤr mich verlohren. Von dieſer Seite konnte ich wenig Troſt zu meiner Beruhigung finden. Die Betrachtung Gottes aus der Vernunft gab mir nicht mehrere Hoffnung zur Vergebung meiner Verge - bungen. Wenn ich mir auch noch ſo vortheilhafte Begriffe von ſeiner Guͤte machen wollte, daß er bey deren Beurthei - lung auf die Unvollkommenheit und Schwaͤche der menſch - lichen Natur Ruͤckſicht nehmen werde: ſo zeigte ſich mir doch zugleich ſeine Gerechtigkeit und Unveraͤnderlichkeit, welche dieſem widerſprechen. Die Folgen der Handlungen geſchehen im moraliſchen, wie im phyſiſchen, nach feſtgeſetz - ten Regeln. Dieſer Ordnung uͤberlaͤßt Gott das Schickſaldes295des Menſchen, und dieſer hat es in ſeiner Gewalt, da er mit Freyheit handelt. Die Erfahrung kann uns deutlich uͤberfuͤhren, daß keine Ausnahme davon gemacht werde. Jedes Vergehen und jedes Laſter zieht ſchon hier ſeine Be - ſtrafung nach ſich. Es wird vielleicht kein Fall ſeyn, wo man nicht von dieſer Wahrheit uͤberfuͤhrt werden kann, wenn man die Gluͤckſeeligkeit eines Menſchen nach den in - nern Empfindungen, und nicht nach dem, was man Gluͤck nennt, beurtheilt. Unordentliche und gehaͤufte Begierden ſind Uebel, und das ſchmerzhafte Bewuſtſeyn eines began - genen Laſters verlaͤßt uns nie. Wird Gott aus dem Uebel etwas Gutes machen, um das Ungluͤck, ſo der Beweis ſei - nes Misfallens iſt, von uns abzuwenden?

Von dieſen Wahrheiten bin ich jederzeit uͤberzeugt ge - weſen, aber ich ſah ſie als nothwendige unſerm Schickſale eingeflochtene Uebel an, die mit dieſem Leben aufhoͤren wuͤr - den, wenn ſie auch Strafen genannt werden koͤnnten. Die Standhaftigkeit der Seele, der durch Uebung erlangte Kalt - ſinn, und die Betrachtung der Uebel ſelbſt ohne Einbil - dungskraft, glaubte ich, verminderten den lebhaften Ein - druck derſelben. Die Geduld mache uns gleichguͤltig dage - gen und die Zerſtreuungen braͤchten ſie in Vergeſſenheit. Mit dieſen Huͤlfsmitteln ertrug ich das Ungluͤck, ſo ich nicht vermeiden konnte, gelaſſen, und ſchien es mir weniger ſchrecklich. Wir glauben zuletzt einen Jrrthum, wie eine Unwahrheit, die man oft wiederhohlt. Die Hoffnung, daß der Tod das Ende des Ungluͤcks ſey, erforderte die groͤßte Standhaftigkeit und Kaltſinn, und Sie wiſſen die Beruhi - gungsgruͤnde uͤber das zukuͤnftige Leben, wenn man ſich nach meinen vorigen Grundſaͤtzen beurtheilt, und es aus dem Ge - ſichtspuncte, wie ich gethan, anſieht. Die Ungewißheit daruͤ - ber wuͤrde mir vielleicht unendliche Unruhe verurſacht haben, wenn ich auch noch kein Mistrauen in meine Kraͤfte ſetzte.

Die Fortſetzung meiner moraliſchen Unterſuchungen verminderte wenigſtens jene nicht. Das Gedaͤchtniß wirdT 4das296das weſentliche ſeyn, was unſern kuͤnftigen Zuſtand mit dem gegenwaͤrtigen in Verbindung erhalten wird. Wie ſollte ich das Andenken der Vorwuͤrfe ausloͤſchen, die mich itzt quaͤlten, und meinen Geſinnungen die erforderliche re - gelmaͤßige Ordnung geben? Alles erneuerte das Andenken von jenen, und die Richtung, an welche dieſe gewoͤhnt, iſt vielleicht noch ſchwerer zu veraͤndern, als eine koͤrperliche Gewohnheit zu unterlaſſen. Jch fand es bey mir ſelbſt, mit aller Ueberzeugung des Verſtandes dachte, zweifelte, entſchuldigte ich mich, und ſah die Moͤglichkeit mich nicht geirrt zu haben. Die Wiederhohlung der Reihe von Be - griffen, ſo mir meinen Jrrthum gezeigt, brachte mich zur Wahrheit zuruͤck; jedoch konnte ich wegen des Zuſtandes in jenem Leben und der Folgen meiner Vergehungen in Ab - ſicht Gottes zu keiner Gewißheit kommen. Die Erinnerung der Wahrheiten der geoffenbahrten Religion machte noch keinen Eindruck auf mich.

Sie gaben mir die Geſchichte der drey letzten Jahre Jeſu zu leſen. Wie vortrefflich fand ich nicht die darin ent - haltenen Lehren? Jhre moraliſchen Saͤtze ſind einfach, deutlich und auf alle Faͤlle paſſend. Wer da weiß, wie ſchwer es ſey eine Wiſſenſchaft auf allgemeine Grundſaͤtze zu brin - gen, der wird dieß nicht ohne Bewunderung bemerken, wenn er Chriſtum bloß als einen Menſchen betrachtet. Es gereichte zu meiner Beſchaͤmung hier wieder zu finden, was ich vorhin vergeſſen, und nachher der Leſung unendlich vie - ler moraliſchen Schriftſteller zu danken haben glaubte. Daß die Empfindung der Rache ein Uebel ſey, hatte ich mir be - wieſen, und nicht dabey gedacht, daß es Chriſtus gelehrt habe. Die Liebe ſeiner Feinde war vorhin niemand in den Sinn gekommen, und ſie ſchien mir jederzeit der menſchli - chen Natur widerſprechend. Jch wuͤnſchte nicht allein hier - von, ſondern von allen uͤbrigen Grundſaͤtzen der Lehre Chriſti, die einen lebhaften Eindruck auf mich machten, uͤberzeugt zu werden. Die Zweifel, ſo aus ſeiner Herkunft,Erzie -297Erziehung in Egypten, Unterricht in den juͤdiſchen Wiſſen - ſchaften hergenommen ſind, gaben mir vielmehr Anlaß ih - ren außerordentlichen Urſprung zu vermuhten. Wie haͤtte er ſich uͤber die Vorurtheile von jenen hinausſetzen, und dieſe verrahten koͤnnen, indem er ihnen entgegengeſetzte Mey - nungen behauptete? Es finden ſich keine Widerſpruͤche in ſeinen Geſpraͤchen und Handlungen. Es iſt leicht, ſich von dieſem allen zu uͤberzeugen, wenn man nur nicht glaubt, daß unſre Sitten, Gebraͤuche und Vorurtheile bey der Un - terſuchung zum Grunde geleget werden muͤſſen. Das Evangelium ſich nicht bekannt machen wollen, weil Chri - ſtus ein Jude war, iſt eben ſo viel, als Mendelſons Schrif - ten nicht zu leſen, weil er es noch iſt. Die Lebensgeſchichte Jeſu, ſo in Zuͤrich herausgekommen, verhindert, daß man ſich nicht beym Ausdruck und der Art zu erzaͤhlen aufhaͤlt, und zeigt den Zuſammenhang der Begebenheiten. Dieſe Hinderniſſe haben zwar nicht den meiſten Eindruck auf mich gemacht: doch moͤgen ſie mich abgehalten haben, gruͤndli - chere Unterſuchungen uͤber die Offenbahrung anzuſtellen, da ich beſtaͤndig die Schriften las, welche ſie von der Seite angriffen.

Die Offenbahrung ſchien mir nicht nothwendig, ihre hiſtoriſche Glaubwuͤrdigkeit zweifelhaft, und die darin er - zaͤhlten Begebenheiten wenig wahrſcheinlich. Von dem erſten war ich itzt uͤberzeugt. Die Ungewißheit uͤber die bey - den vorhin angezeigten Puncte, und die Nothwendigkeit, ſtaͤrkere Bewegungsgruͤnde zur Tugend zu finden, als die, ſo die Vernunft uns giebt, ließen mich nicht laͤnger daran zweifeln. Die hiſtoriſche Glaubwuͤrdigkeit und die Moͤg - lichkeit der Wunder bewieſen mir Leß und Bonnet. Es waͤre hinlaͤnglich geweſen, durch Weſt die Gewißheit von der Auferſtehung Chriſti erhalten zu haben: aber Sie wiſſen, ich bin alle uͤbrigen Beweiſe durchgegangen. Jch hatte vorhin viele Thatſachen in der Naturlehre geglaubt, wovon ich den Zuſammenhang zwiſchen der Urſache undT 5Wuͤr -298Wuͤrkung nicht begriff: warum zweifelte ich an den Wun - dern, deren Endzweck deutlich iſt? Gewiß, bloß weil ich wollte. Jch bin itzt von den hiſtoriſchen Wahrheiten, worauf die Gewißheit der Offenbahrung hauptſaͤchlich ankommt, ſo gewiß, als wenn ich ſie mit Augen geſehen haͤtte. Die Uebereinſtimmung glaubwuͤrdiger Zeugen, wo es bloß auf ſinnliche Beobachtung ankommt, iſt mir ſo ſicher, als meine eigne Erfahrung. Es war mir noͤthig darin zur groͤßten Gewißheit zu kommen, um alle die Zweifel zu ent - fernen, die ſich ohne Unterlaß meinem Verſtande zeigten, und ich danke Gott mit der lebhafteſten Empfindung, daß ich darin gluͤcklich geweſen bin.

Sie kennen, wehrter Freund, die Gemuͤthsver - faſſung, mit der ich dieſe Unterſuchung anſtellte. Meine vorigen Grundſaͤtze lehrten mich die Nothwendigkeit, ge - gen alle heftige Leidenſchaften auf meiner Hut zu ſeyn. Die Uebung, die Art meiner Beſchaͤfftigungen, und der Weg, auf dem ich mein Gluͤck gemacht, hatten mir eine Fertigkeit gegeben, in allen Umſtaͤnden mit Kaltſinn zu handeln. Jch war mich nur einer empfindlichen Seite bewußt, nemlich der Freundſchaft. Dieſe machte mir meinen itzigen Zuſtand allein fuͤhlbar, da mich der Beſitz und Verluſt des vorigen außer dem wenig geruͤhrt hat. Gegen meine Einbildungs - kraft, die meinen Abſichten hinderlich ſeyn konnte, ſuchte ich mich jederzeit in Sicherheit zu ſetzen, ſo daß ich weder Poeten noch andre Schriftſteller las, ſo ſolche in Be - wegung ſetzen konnten. So wie ich anfaͤnglich mistrauiſch und zweifelhaft war, ſo verließ ich doch nachher nicht leicht eine Meynung, die ich fuͤr wahr hielt, weil ich uͤberzeugt war, daß oft wiederhohlte Unterſuchungen und Aenderun - gen die Thaͤtigkeit aufhuͤben. Wenn dieſe Hartnaͤckigkeit, die auhaltende Verfolgung Eines Gegenſtandes und der Kaltſinn im Handeln vieles zu meinem Gluͤck und Ungluͤck beygetragen: ſo wuͤrden ſie auch mich verfuͤhrt haben, mei - ner ewigen Gluͤckſeeligkeit zu verfehlen, haͤtten mich nichtdie299 die vielen Beweiſe, ſo ich geleſen und von Jhnen gehoͤrt, von meinem Jrrthum zuruͤckgebracht.

Es gereicht anitzt zu meiner Beruhigung und Ueber - zeugung, daß ich die Beweiſe der hiſtoriſchen Gewißheit der Offenbahrung mit aller Vorſicht und Behutſamkeit ge - pruͤft habe. Nachdem ich davon gewiß war, ſo konnte ich alle uͤbrige Zweifel mir ſelbſt heben. Von der Nothwen - digkeit eines ſtaͤrkern Bewegungsgrundes, als den die Vernunft uns giebt, war ich uͤberzeugt. Die wohlver - ſtandene Selbſtliebe, die Ehre, die Liebe zur Tugend, leiden ſo viele Erklaͤrungen, und der Verſtand kann ſich bey ihrer Anwendung ſo leicht irren, wenn er nicht durch einen ſtarken Bewegungsgrund zuruͤckgehalten wird, die Sache, ſo er begehrt, bloß von der Seite, die ihm die angenehmſte iſt, anzuſehen. Nichts iſt kraͤftiger als die Erinnerung, daß ich Gott wohlgefaͤllig geſinnt ſeyn und handlen ſoll. Wenn ich in dieſer Abſicht die Religion jeder - zeit fuͤr nuͤtzlich gehalten, ſo glaubte ich doch, daß eine richtige und deutliche Kenntniß der Pflichten, und der Wille ſolche zu erfuͤllen, demjenigen, ſo ſich gewoͤhne nach Grundſaͤtzen zu handeln, hinlaͤnglich zur Tugend ſey.

Jch fand den Urſprung der Religionsgebraͤuche in der natuͤrlichen Furcht und Schwaͤche der Menſchen, ſo durch die verſchiedenen Revolutionen der Erde noch vermehrt waͤre, welche nachher durch die Sitten, Gewohnheiten und Denkungsart der Nationen verſchiedene Geſtalten be - kommen haͤtten. Dieſe Betrachtung machte mich gegen die chriſtliche Religion wegen ihrer Zuverlaͤſſigkeit und Deut - lichkeit dankbarer. Wir gewoͤhnen uns an die Begebenhei - ten, ſo wir taͤglich ſehen, wir finden die naͤchſten Urſachen derſelben, und die außerordentlichen verlieren mit der Zeit den Eindruck, ſo ſie auf uns machen. Deswegen wird das Andenken Gottes und der Wuͤrkungen, ſo uns daran erin - nern koͤnnen, meiſtentheils nur ſchwach empfunden. Die innern Empfindungen, das Gewiſſen, die Betrachtungder300der Natur, die außerordentlichen Begebenheiten derſel - ben, fuͤhren uns ſelten dahin zuruͤck: und wenn es geſchicht, ſo machen wir daraus keine moraliſche Anwendung auf uns. Der Wille Gottes in Abſicht unſrer Gluͤckſeeligkeit bleibt der Vernunft zweifelhaft, ſo lange der Verſtand ihn finden ſoll. Die verſchiedenen Offenbahrungen im alten Teſtament, die Strafen, die Weißagungen, das Geſetz, ließen noch Zweifel uͤbrig, ob ſolche nicht natuͤrliche Urſachen und Menſchen zum Urſprung haben koͤnnten. Jtzt aber, da Chriſtus in die Welt gekommen iſt, und geſagt, daß er den Willen Gottes lehre, daß er zu dieſem Endzweck geſandt, und daß er ſelbſt Gott ſey: ſo bleibt keine Entſchuldigung der Unwiſſenheit und des Jrrthums uͤbrig. Jeder, der die Gelegenheit dazu hat, und es will, kann ſich davon uͤberzeugen.

Ein glaubwuͤrdiges Zeugniß iſt eben ſo zuverlaͤſſig, als wenn ich einer Begebenheit aus meiner Erfahrung ge - wiß bin, und wer das letzte verlangt, kann noch taͤglich die Beſtaͤtigung der Weißagung Chriſti in Abſicht der Juden mit ſeinen Augen ſehen. Ein Volk, das durch keine Ver - achtung, Verfolgung und Unterdruͤckung dahin gebracht werden koͤnnen, ſich mit andern Nationen zu vermiſchen und ihre Sitten und Gebraͤuche anzunehmen. Die Wun - der, wodurch Chriſtus ſeine goͤttliche Sendung beſtaͤtigt hat, koͤnnen mit gleicher Gewißheit bewieſen werden. Sie ſind ohne Vorbereitung, ohne Nebenumſtaͤnde, ſo die Sinne verblenden koͤnnen, gelegentlich, unerwartet und in Gegenwart mistrauiſcher Zuſchauer geſchehen, ſo daß kein Betrug dabey vermuhtet werden kann. Es waren außerdem Handlungen, von denen jedermann ohne be - ſondre Einſichten begreifen konnte, daß ſolche nicht durch das Mittel, ſo dazu angewendet ward, hervorzubringen moͤglich ſey. Ein Blindgebohrner ward ſehend, ein vier Tage im Grabe gelegener Todter lebendig und einer durch die Gicht contract gewordener geſund: und dieß geſchahauf301auf ein Wort. Es mag nun in der Ordnung der Natur vor - herbeſtimmt geweſen ſeyn, daß ſolches um die Zeit erfolgen ſollte, oder Gott wuͤrkte es unmittelbar: ſo mußte Chri - ſtus im erſten Fall davon benachrichtigt ſeyn, und im an - dern von Gott erhoͤrt werden. Beydes war ein Wunder und Beweis ſeiner goͤttlichen Sendung.

So bald ich hievon gewiß war, ſo blieb mir weiter nichts uͤbrig als zu unterſuchen, ob etwas in deſſen Lehre und was er zu glauben befielt enthalten ſey, ſo meiner Ver - nunft widerſpricht. Er will, daß ich gluͤcklich und tugend - haft ſeyn, daß ich meine Gluͤckſeeligkeit nicht in dem ſinnli - chen Vergnuͤgen und in der Befriedigung meiner Begier - den ſuchen, daß ich Gott uͤber alles lieben und mit meinem Naͤchſten ſo handeln ſoll, als ich wuͤnſche von ihm begegnet zu werden. Er befielt mir zu glauben, daß ein Leben nach dieſem ſeyn, in welchem die Geſinnungen und Handlungen des itzigen meinen Zuſtand beſtimmen werden; daß ich ohne Gottes Beyſtand keine hinlaͤngliche Kraͤfte in mir ſelbſt ha - be, beſtaͤndig gleich tugendhaft geſinnt zu ſeyn und zu han - deln; daß Gott nichts außerordentliches fuͤr mich allein thun werde, um die uͤbeln Folgen meiner Vergehungen im kuͤnftigen Leben von mir abzuwenden; daß Gott ihn ge - ſandt habe um mir die ſtaͤrkſten Verſicherungen von ſeiner Gerechtigkeit und Unveraͤnderlichkeit zu geben; daß es aber zugleich der ſicherſte Beweis ſeiner Liebe ſey, indem Gott mir durch ihn das zuverlaͤſſigſte Mittel anzeige, unter deſſen Gebrauch ich dieſem hoͤchſten Weſen gefaͤllig werden koͤnne. Alles dieſes ſtimmte mit meiner Vernunft uͤberein.

Aber Chriſtus befohl mir außerdem zu glauben, daß er wahrer Gott und Menſch, daß er Gottes Sohn ſey, und daß in Gott, Vater, Sohn und heiliger Geiſt Eins ſeyn. Dieß ſchien allen meinen bisherigen Begriffen zu widerſpre - chen. Jedoch wußte ich, daß Chriſtus in allem die Wahr - heit geſagt, daß ihm dieſe Geheimniſſe voͤllig bekannt ſeyn muͤßten, und das nicht die geringſte Vermuthung da ſey,er302er wolle mir etwas, ſo meiner Vernunft widerſpreche, zu glauben heißen. Ueber meinen Verſtand konnte es ſeyn; allein wie viele Sachen ſind nicht in der Natur, daran wir nicht zweifeln, ohne ihren Zuſammenhang zu begreifen! Jch hielt mich fuͤr verbunden, dieſe Geheimniſſe auf die Verſicherung Chriſti anzunehmen. Jedoch dachte ich viel daruͤber nach, ohne etwas widerſprechendes darin zu finden, Gott wollte ſich uns auf eine Art zu erkennen geben, ohne daß die Art und Weiſe, die Zeichen und der Endzweck, ſo wie bis dahin geſchehen, aus natuͤrlichen Urſachen erklaͤrt werden koͤnnten. Gott erwaͤhlte dazu die Sprache der Menſchen, den Unterricht der verſtaͤndlichſten Zeichen, wo - durch wir uns unter einander unſere Gedanken mittheilen. Der Gott, ſo durch Chriſtum redete, war derſelbige, ſo dieſer uns nachher als Vater und heiligen Geiſt bekannt ge - macht hat. Es kann niemand laͤngnen, das Weſen Gottes koͤnne nicht mit allen ſeinen Eigenſchaften verſchiedene Wuͤr - kungen zu gleicher Zeit hervorbringen, ohne daß man den Begriff damit verbinde, er habe noͤthig ſich deswegen zu theilen. Es war alſo das hoͤchſte Weſen, ſo wir aus der Vernunft als Eins erkennen, welches durch Chriſtum, der uͤbrigens alle Eigenſchaften eines Menſchen hatte, auf uns wuͤrkte, ſich uns bekannt machte und zeigte, da wir es ſelbſt durch unſre Sinne nicht empfinden koͤnnen. Wir ſind ge - wohnt fremde Begriffe auf uns bekannte Gegenſtaͤnde anzu - wenden um ſie begreiflicher zu finden. Jch habe mich dabey der Schwere erinnert, die in verſchiedenen Koͤrpern ver - ſchiedene Wuͤrkungen hervorbringt, und doch immer die - ſelbige Kraft iſt. Jn dem Begriff ſelbſt, den ich ſehr oft viel weitlaͤuftiger, als ich hier ihn wiederhohle, und auf alle mir bekannte Arten durchgedacht, habe ich nie etwas wider - ſprechendes gefunden. Eben ſo wenig als daß Chriſtus uns Gott als Vater und heiligen Geiſt hat kennen gelehrt.

Wie leicht faͤllt man nicht in Jrrthum, wenn uns je - mand einen unbekannten Gegenſtand mit einem uns bekann -ten303ten vergleicht? Es iſt mir nicht erlaubt alle Nebenbegriffe, ſo ich von dieſem habe, auf jenen anzuwenden. Wenn man einem Jndianer ſagt, daß Waſſer im Winter hier ſo hart als Stein werde, und er wollte daraus ſchließen, man koͤnne das Eis gluͤhend machen und zum Bau eines Hauſes ge - brauchen, ſo wuͤrde er etwas ungereimtes denken. Chri - ſtus hat uns Gott als Vater gezeigt, um den Begriff der Liebe deſſelben mit einer uns bekannten Art der Liebe zu ver - gleichen. Eine philoſophiſche Umſchreibung wuͤrde ihn nicht deutlicher gemacht haben. Wollen wir aber dabey alles den - ken, was wir uns unter einem Vater vorſtellen, ſo geht es uns als dem Jndianer. Auf dieſe Art wird auch begreiflich, daß Chriſtus, Gottes Sohn, von ihm als Vater, gezeugt iſt. Von Ewigkeit her wollte Gott uns durch Chriſtum ſich zu erkennen geben, und hievon gab uns der Ausdruck, zeu - gen, den erforderlichen Begriff. Wir koͤnnen uns daraus zugleich eine Vorſtellung von den Verhaͤltniſſen Gottes des Vaters und Chriſti machen, indem wir dieſen als Gottes Sohn denken. Nur muͤſſen wir davon abſondern, was die Vernunft uns lehrt nicht auf Gott angewendet werden zu koͤnnen. Der Sohn hat ſein Weſen vom Vater, deſſen We - ſen iſt dem des Vaters gleich, dieſer liebt ihn, und die Guͤter, ſo er beſitzt, gehoͤren auch ſeinem Sohne zu.

Endlich verſpricht Chriſtus, daß nach ſeinem Tode der Geiſt Gottes die Wahrheit, ſo er gelehrt, beſtaͤtigen werde. Dieß geſchah auch auf eine ſinnliche Art durch die Faͤhigkei - ten, ſo die Apoſtel erhielten: und er wuͤrkt auf diejenigen, ſo die Lehre Chriſti in Andenken haben, und durch dieſe leb - hafte Erinnerung an Gott im Stande ſind richtige Ent - ſchluͤſſe zu nehmen, und ſo geſinnt zu ſeyn und zu handeln, wie ſie wiſſen, daß es Gott gefaͤllt.

Gott hat ſich mir nun auf dreyerley Art zu erkennen ge - geben, und dieß bringt mir ihn auf eine dreyfache Art in Erinnerung, wenn ich uͤber meine Beſtimmung und Gluͤck - ſeeligkeit nachdenke. Wir ſind gewohnt zuſammengeſetzteVor304Vorſtellungen und Begriffe unter Einer Benennung zu erinnern, um nicht jedesmahl die einzelnen im Reden oder Denken zu wiederhohlen: und dazu hat man das Wort Perſon fuͤr das Beſte gehalten. Finde ich alsdenn einen Widerſpruch, wenn ich ſage: Es iſt ein Gott, aber ich erkenne in ihm drey Perſonen, ſo iſt es die Schuld meines Verſtandes, daß er die richtigen Begriffe nicht ge - genwaͤrtig hat, und andre, die ihm zuerſt einfallen, oder die er gewoͤhnlich mit dem Worte Gott und Perſon denkt, damit verbindet. Es wuͤrde mir wie dem Jndianer gehen, wenn ich die Sache als ungereimt verwerfen wollte, da jener nachher glaubt, ich habe ihm eine Unwahrheit geſagt, weil er erfahren, daß Eis im Sommer oder beym Feuer wieder zu Waſſer werde.

Jch denke mir die Verſoͤhnung Chriſti, ohne daß mein Verſtand den geringſten Anſtoß dabey findet. Ueber - zeugt von der Wichtigkeit zu meiner Gluͤckſeeligkeit, gewiß zu wiſſen, daß meine Handlungen Gott nicht gleichguͤltig ſind, erfahre ich mit der groͤßeſten hiſtoriſchen Gewißheit, daß Chriſtus gelebt, und bewieſen, er ſtehe mit Gott in Verbindung, indem er Sachen that, die durch keine natuͤr - liche Urſachen erklaͤrt werden koͤnnen. Er verſichert mich ſeiner Freundſchaft, ich kann keinen Vortheil, den er von mir erwarte, noch Abſicht erdenken, die ihn mich zu hin - tergehen veranlaſſen koͤnnten. Jch bin geneigt, meinem Freunde in einer Sache zu glauben, von der ich aus ſei - nen vorhergegangenen Handlungen geſehen, daß er mehr Kenntniß als ich habe, wenn nur der Verſtand nichts widerſprechendes darin findet. Chriſtus ſagt mir, daß er die Geſinnungen Gottes wiſſe, und daß Gott ſelbſt durch ihn mit mir rede; die beſte Art, ſo ich hoffen konnte, jene zu erfahren. Die Lehren, ſo er mir giebt, ſtimmen mit demjenigen uͤberein, was ich aus der Vernunft zu meinem Gluͤck fuͤr noͤthig erkenne: ich wußte aber zugleich, daß ich bey der Anwendung derſelben leicht in Jrrthum verfallenkoͤnnte,305koͤnnte, wenn ich nicht beſtaͤndig gleich lebhaft den Antheil, ſo Gott an meinen Handlungen nimmt, erinnerte. Was es vorhin thun koͤnnen, hatte ich andern Urſachen und Ab - ſichten zugeſchrieben, und vielleicht wuͤrde ich die Hand - lungen und Freundſchaft Chriſti auf gleiche Weiſe erklaͤrt haben. Chriſtus bringt mir alles ins Gedaͤchtniß, was ich hievon aus der Geſchichte und Kenntniß der Natur weiß, und verſichert mich, daß beſonders die außeror - dentlichen Begebenheiten zu dieſem Endzweck von Gott be - ſtimmt waren. Alles dieſes zieht er in den Begriff zuſam - men, daß Gott den Menſchen als Vater liebe. Nun zeigt ſich Gott als ein Freund. Chriſtus wird verſpottet, fuͤr einen Betruͤger gehalten, ob er gleich bloß lehrt, wie wir gluͤcklich werden koͤnnen, und dienſtfertige Handlungen ausuͤbet. Um mir keinen Zweifel an ſeiner Aufrichtigkeit uͤbrig zu laſſen, ſo giebt er mir die ſtaͤrkſte Probe der Freund - ſchaft: er leidet den Tod, um eine Wahrheit zu beſtaͤtigen, ohne deren Gewißheit und Befolgung ich nicht gluͤcklich ſeyn kann. Gott, mit dem Chriſtus als Sohn in Ver - haͤltniß ſteht, erlaubt ihm dieſes. Kann ich nun jemals wieder zweifeln, daß Gott Antheil an mir nehme? Jch weiß aus der Vernunft, daß die Regelmaͤßigkeit, nach welcher ich handle und geſinnt bin, mich Gott wohlgefaͤl - lig mache, und daß ich ſolche ohne eine lebhafte Erinne - rung Gottes nicht erhalten koͤnne. Jtzt kenne ich ihn als Vater und Freund. Dieſe beyden Arten mir ihn vorzu - ſtellen, will ich nie vergeſſen!

Chriſtus empfielt mir vornehmlich an ihn zu glauben, mich ſeiner Freundſchaft zu erinnern, ohne dem koͤnnte ich meinen Endzweck nicht erreichen. Jemehr ich den Wahr - heiten, ſo er mir hinterlaſſen, nachdenke, deſto mehr finde ich, wie weit ich von der Ordnung entfernt war, deren Beobachtung allein mich Gott gefaͤllig machen konnte. Soll ich nicht auf das empfindlichſte bereuen einen Freund beleidigt zu haben, den ich geringſchaͤtzte und nicht kennenUwollte?306wollte? Jch bin ungewiß ob ein kuͤnftiges Leben ſey, und ob die uͤblen Folgen meiner Vergehungen keinen Ein - fluß darauf haben werden. Chriſtus verſpricht mir, daß Gott, den ich als Vater kenne, ſolches von mir abwen - den werde, wenn ich von nun an ein uneingeſchraͤnktes Zutrauen in ſeine Freundſchaft ſetze. Jch beruhige mich uͤber das Vergangene, jedoch weiß ich aus der Er - fahrung, wie leicht es ſey, eine entfernte durch eine ge - genwaͤrtige Vorſtellung zu ſchwaͤchen: und dieß iſt der Fall, wenn ich etwas heftig begehre, ſo ich mir unterſagen ſoll. Chriſti Lehre giebt mir auch hievon Unterricht. Gott, der heilige Geiſt, wird dieſe Eindruͤcke erneuren, wenn ich mir die Wahrheiten der Lehre genau bekannt mache, und mit dem Vorſatze ſie zu befolgen mir wiederhohle.

Nichts iſt nunmehr in meiner Vernunft, welches mich zuruͤckhaͤlt vollkommen uͤberzeugt zu ſeyn, die Mittel, ſo Chriſtus mich lehrt, ſind die einzigen, ſo mich tugendhaft und Gott gefaͤllig machen koͤnnen. Es iſt meine Schuld, wenn ich ſie nicht annehme und gebrauche: Jch will nicht gluͤcklich ſeyn. Gott wird nicht in jenem Leben die Ordnung der Dinge um meinetwillen unterbrechen, und ich werde die uͤbeln Folgen meiner Nachlaͤſſigkeit, Leichtſinns und eiteln Hoffnung von deſſen Guͤte, empfinden muͤſſen. Bin ich ihm nicht ohnehin unendlichen Dank ſchuldig, daß er ſich mir auf eine außerordentliche Art zu erkennen gegeben hat? Jch konnte es nicht erwarten, wie ich auch die gluͤck - lichen Folgen meines Vorſatzes, mich den Lehren Chriſti gemaͤß zu verhalten, nicht verdienen werde. Ohne die be - ſtaͤndige Gegenwart des Geiſtes Gottes kann ich ſolchen nicht ausfuͤhren, und wie oft werde ich mich dem ohngeach - tet durch Uebereilung hinreißen laſſen ihn zu vergeſſen!

Dieß alles ſtimmt genau mit der Lehre Chriſti uͤberein. Jch denke beſtaͤndig an Einen Gott, und die verſchiedenen Begriffe, unter denen ich mir ihn vorſtelle, ſind keine ein - zelne Goͤtter. Alles ſtimmt mit meiner Vernunft uͤberein. Nur307Nur wagte ſie nie zu hoffen, wenn ſie Gott und mich be - trachtete, daß dieſes hoͤchſte Weſen ſo unausſprechlich guͤtig ſeyn, und mich lehren wuͤrde, den Erkenntnißkraͤften mei - ner Seele gemaͤß gluͤcklich zu ſeyn. Voller Dankbarkeit, mit demuͤthigem Bewußtſeyn meiner Unwuͤrdigkeit, bete ich es an, und werde nie aufhoͤren, die Gnade, ſo es mir durch Chriſtum erwieſen, mit Verehrung zu erinnern.

Jch las die Lebensgeſchichte Jeſu mit vieler Empfin - dung. Sie vermehrte meine Schmerzen, und erregte mir neue. Allein ich fuͤrchtete, es ſey mehr meine Ge - muͤhtsverfaſſung, weil ich noch voller Zweifel war. Die Unterſuchung der Wahrheit der chriſtlichen Religion machte mir mehr Vergnuͤgen, je weiter ich darin kam. Meine Vernunft nahm ſie an, aber ich empfand nicht das Gefuͤhl, ſo ich nach einer undeutlichen Vorſtellung mit der Annehmung derſelben verbunden zu ſeyn gehoͤrt. Spalding berichtigte meine Begriffe daruͤber. Jch erfuhr wie ſchwer es ſey, Meynungen und Geſinnungen, ſo zur Gewohnheit geworden zu verlaſſen, ob ich gleich von ihrer Unwahrheit und Schaͤdlichkeit uͤberzeugt war. Meine Zweifel zeigten ſich mir wider meinen Willen, und ich verlohr ſie nicht eher, bis jeden einzeln unterſucht, und die Beweiſe fuͤr die Religion oͤfters durchgedacht hatte.

Die Anwendung ihrer Wahrheiten erregte mir leb - hafte Reue, Traurigkeit, Schaam, Demuͤthigung. Ohne Angſt und Verzweifelung erwartete ich die Beruhigung, ſo mir das Evangelium verſprach. Meine Geſinnungen nach deſſen Vorſchrift in Ordnung zu bringen, beſchaͤff - tigte mich am meiſten. Die beſtaͤndige Erinnerung der großen Guͤte Gottes, ſo mir beſonders durch die Verſoͤh - nung Chriſti wiederfahren, uͤberwand die Schwierigkei - ten, ſo ich in meiner Gemuͤhtsverfaſſung fand. Das Vergnuͤgen eine Gluͤckſeeligkeit zu finden, von der ich mich vorſetzlich entfernt, konnte keine lebhafte Freude ver - anlaſſen, weil ich mich erinnerte, daß ich ſie auf eineU 2Gott308Gott misfaͤllige Art vorhin geſucht haͤtte. Zu ruhig konnte ich nicht daruͤber werden. Der Gedanke verhin - derte es, daß ich mit meiner itzigen Erkenntniß die Per - ſonen, deren Vertrauen ich vorhin beſeſſen, haͤtte auf - muntern koͤnnen, dieſelbe Gluͤckſeeligkeit zu ſuchen. Jtzt bete ich zu Gott, daß er es thun moͤge, und ich bin ver - ſichert erhoͤrt zu werden, denn Chriſtus hat es zugeſagt. Das Gebet hebt meine Unruhe uͤber dieſe oder andre Er - innerungen. Jch richte meine Gedanken an Gott, wie - derhohle die Lehren des Evangelii, denke uͤber ihren Zu - ſammenhang nach, wende ſie auf mich an, und wenn ich ſo im Nahmen meines Erloͤſers bete, ſo finde ich das Mittel meiner Beruhigung, und bewundre dankbar die Kraft der Wahrheit.

Jch weiß itzt, wie wenig der Chriſt den Vorwurf des Eigennutzes verdient. Er bittet und erhaͤlt keine Belohnung, als durch die Bemuͤhung Gott wohlgefaͤllig zu ſeyn, indem er nach der ihm gegebenen Vorſchrift ſeine Geſinnungen in Ordnung bringt. Wird er erhoͤrt, ſo erkennt er mit Dankbarkeit, die Mittel dazu in Chriſti Lehre empfangen zu haben, erinnert ſich ſeiner Schwaͤche und des Beyſtandes Gottes. Kein blindes Zutrauen der Guͤte Gottes noch die Hoffnung der Gluͤckſeeligkeit des kuͤnftigen Lebens erhitzt ſeine Einbildungskraft. Dieſe wird verhaͤltnißmaͤßig nach ſeiner itzigen Gemuͤhtsver - faſſung beſtimmt werden. Bonnet und Lavater haben mich ſtufenweiſe zur Empfindung der Ewigkeit gefuͤhrt. Aber ich beſchaͤftige mich lieber mit Spaldings, Alberti und aͤhnlichen Schriften.

Das Andenken, wie lange und beſtaͤndig ich meine vorigen Grundſaͤtze gedacht und befolgt, noͤthigt mich aufmerkſam zu ſeyn, damit ſie nicht unvermerkt einen Einfluß auf meine Geſinnungen habe. Wie ſehr wuͤn - ſche ich nicht den Eindruck, ſo ſie auf andre machen koͤn - nen, auszuloͤſchen! Ohne ſie zu lehren, habe ich ſie dochnie309 nie gelaͤugnet. Wenn ich gleich kein Verbrechen, ſo man vor der Welt, die ſo denkt, wie ich gedacht habe, zu geſtehen ſich ſcheuen muß, zu beweinen haͤtte: ſo fuͤhle ich um ſo viel lebhafter diejenigen, deren ich mir vor Gott bewußt bin. Das Gefuͤhl der Freundſchaft und der Menſchenliebe erinnert mich ohne Unterlaß an das Beyſpiel, den Leichtſinn, die Verfuͤhrung, wodurch ich andre verleitet, die ſinnlichen Vergnuͤgen als den Haupt - zweck ihrer Beſtimmung anzuſehen. Außer dieſer und aͤhnlichen Betrachtungen ruͤhrt mich nichts, was eine Beziehung auf meinen itzigen Zuſtand hat. Schrecken und die Vernunft betaͤubende Furcht habe ich vorhin wenig gekannt. Der Tod ruͤhrte mich wenig, da ich ihn als die Folge natuͤrlicher Urſachen und eines unvermeid - lichen Schickſals anſah. Jtzt iſt er mir nichts ſchreckli - ches, da ich weiß, daß ich von Gott abhange, da ich von der Wahrheit der geoffenbarten Religion uͤberzeugt bin, und eine gluͤckliche Ewigkeit erwarte.

Jch danke Gott unendlich zu dieſer Ueberzeugung gelangt zu ſeyn, und erkenne es mit der lebhafteſten Dankbarkeit, mein wehrteſter Freund, daß Sie mich dahin gefuͤhrt haben. Sie haben die einzige Art gewaͤhlt, ſo meine Gemuͤhtsverfaſſung zuließ. Bilder und Decla - mationes wuͤrden wenig auf mich gewuͤrkt haben. Haͤtten Sie meine Einbildungskraft und Leidenſchaften in Be - wegung ſetzen koͤnnen, ſo wuͤrden meine Grundſaͤtze ſie bald wieder beruhigt haben. Die Wahrheiten der Re - ligion waren in meinem Gedaͤchtniſſe. Jn meinem erſten Alter hatte ich haͤufig die Bibel geleſen, aber mit ganz andern Vorſtellungen als ich ſie itzt leſe. Jhre Aus - druͤcke waren mir bekannt, und ich hatte nachher eine Fertigkeit erlangt, alle die Zweifel und Begriffe, ſo meiner Meynung gemaͤß waren, damit zu verbinden. Ehe der Verſtand mir die Falſchheit der letztern erwie - ſen, konnten Sie keine aufrichtige Annehmung derU 3Offen -310Offenbahrung bey mir hoffen. Meine moraliſchen Ver - gehungen erkannte ich leicht: aber meinen Jrrthum mir ſelbſt zu geſtehen, koſtete mich mehr Ueberwindung, als Sie wiſſen, und ich Jhnen geſagt habe. Die Vor - ſtellung der Furcht vor der Ewigkeit wuͤrde meinen Stolz ermuntert haben, auch dieſe Furcht, wie andre Arten derſelben zu uͤberwinden. Die Begierde hier ſo gluͤck - lich als moͤglich zu ſeyn, hatte mich alle Arten Gefahr verachten gelehrt, und zwar mehr durch kaltes Nach - denken uͤber dieſe, als durch eine lebhafte Empfindung des Gluͤcks. Die Wahrheit konnte mich allein zuruͤck - bringen, und dieſe uͤberließen Sie meinen Unterſuchun - gen. Sie zeigten bloß meinen Vorſtellungen die Folgen, ſo meine Art zu denken und zu handeln auf meine Freun - de, diejenigen ſo Antheil an mir genommen, und auf deren Schickſal ich einen Einfluß gehabt, machen koͤn - nen. Dieſe Seite war mir ohnehin fuͤhlbar und die ein - zige, ſo meine Empfindungen in Bewegung ſetzte. Je - doch wuͤrde ſie mich nicht ohne eine deutliche Erkenntniß der Wahrheit zur Annehmung der Religion gebracht ha - ben. Jch bin gewiß verſichert, daß ich ſolches vorhin, als ich der Ueberlegung faͤhig war, unter jeden Umſtaͤn - den gethan haͤtte, wenn Sie mir ſo gezeigt und gelehrt worden, als Sie gethan. Jch habe in der Religion gefunden, was ich gewuͤnſcht, aber zu hoffen mir nicht erlaubt ſchien. Jch kannte ihre Wahrheiten bloß unter Bildern, und gewiſſen Redensarten, die mir durch die oͤftere Wiederholung zur Gewohnheit geworden, ohne daß ich Begriffe damit verband. Der erſte Unterricht kann nur durch ſinnliche Bilder oder Vorſtellungen ge - ſchehen, und nachher erinnerte ich mich derſelben um Zweifel dagegen zu finden. Dieß hielt mich ab bey ihr zu vermuhten, was ich ſuchte.

Zwey311

Zwey Urſachen vermochten mich vornehmlich keine genauere Pruͤfung der Beweiſe fuͤr die Religion anzuſtellen. Sie wiſſen, was man wider die hiſtoriſche Glaubwuͤr - digkeit der Begebenheiten und der Wunder einwendet. Leß und Bonnet kannte ich nicht, und die Einwuͤrfe, ſo man dagegen macht, ſchienen mir ſo gegruͤndet, daß ich ſie als wahr annahm. Auf der andern Seite, wenn ich der Verſoͤhnung Chriſti nachdachte, ſo fand ich ſie allen meinen Begriffen widerſprechend. Um die Gerech - tigkeit und Liebe Gottes den Menſchen lebhafter einzu - druͤcken, ſo wird ſie gemeiniglich ſo vorgeſtellt: daß Gott wegen der Suͤnde auf die Menſchen zornig ſey, ſie aber doch auch ſo ſehr liebe, daß er wuͤnſche ihnen verge - ben zu koͤnnen. Dieß habe nicht anders, als durch den Tod ſeines eingebohrnen Sohns, welcher Gott wie er ſey, geſchehen koͤnnen. Hiebey ward meine Aufmerk - ſamkeit am meiſten auf den Begriff, ſo ich von Gott hatte, gezogen: und wie konnte ich damit die Nothwen - digkeit einer ſolchen Veranſtaltung einſehen? Konnte Gott nicht ohnehin vergeben? fragte ich. Die Bezie - hung auf Gott erregte mir den Anſtoß. Sobald Sie mich aber gelehrt, daruͤber nachzudenken in Ruͤckſicht auf die Beſchaffenheit des Menſchen, ſo hoben ſich die Schwuͤrigkeiten. Jch ſah die Nothwendigkeit davon, und die Groͤße der Guͤte Gottes, der ſeines Sohnes ſelbſt nicht verſchonet, um die Menſchen gluͤcklich zu machen.

Bey der Anwendung des Chriſtenthums iſt mir beſonders anſtoͤßig geweſen, wenn ich gefunden, daß bey vielen die Geſinnungen und Handlungen mit der Lebhaf - tigkeit ihres Glaubens und ihrer Empfindung der Wahr - heiten nicht uͤbereinſtimmten. Jch entdeckte die Wuͤr - kungen der Einbildungskraft und des Selbſtbetrugs, da ſie ſich beruhigten die ſinnlichen Ausſchweifungen vermie - den zu haben, und hingegen dem Stolz, dem Neid,Haß312Haß und Verfolgungsgeiſt unter dem Schein des Eifers ſich uͤberließen. Dieſer Misbrauch zeigte mir die Reli - gion als eine Verblendung, die zu allen Zeiten auf die menſchliche Geſellſchaft mehr ſchaͤdliche Folgen gehabt, als der unordentliche Genuß der ſinnlichen Vergnuͤgen. Die Einbildungskraft uͤberſieht die Mittel, und waͤhlt aus Uebereilung unrichtige, wenn ſie ſich zu lebhaft mit dem Endzweck beſchaͤfftigt. Die Anwendung der Wahr - heiten der Religion ſorgfaͤltig auf ſich ſelbſt zu machen, die Rechtſchaffenheit und die Erfuͤllung der Pflichten ſeines Verhaͤltniſſes zu ſuchen, halte ich daher fuͤr das nothwendigſte, um ein wahrer Chriſt zu ſeyn. Jn die - ſer Abſicht habe mit Vergnuͤgen dieſen Aufſatz geſchrie - ben. Jch uͤbergebe ihn Jhnen, wehrteſter Freund, zur Beurtheilung, und uͤberlaſſe Jhnen den Gebrauch, den Sie davon zu machen fuͤr nuͤtzlich finden werden.

den 23ſten April 1772.

Struenſee.

Gedruckt im Wayſenhauſe, bey Gerhard Gieſe Salikath.

About this transcription

TextBekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen und Königlichen Dänischen Geheimen Cabinetsministers Johann Friederich Struensee
Author Balthasar Münter
Extent326 images; 88486 tokens; 8258 types; 605051 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen und Königlichen Dänischen Geheimen Cabinetsministers Johann Friederich Struensee nebst desselben eigenhändiger Nachricht von der Art, wie er zur Aenderung seiner Gesinnungen über die Religion gekommen ist Balthasar Münter. . [4] Bl., 312 S. Rothens Erben und ProstKopenhagen1772.

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Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, AB 22 19/i, 18 (1)

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Theologie; Gebrauchsliteratur; Theologie; core; ready; mts

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