PRIMS Full-text transcription (HTML)
Eines zehen-jaͤhrigen Knabens Chriſtlieb Leberecht von Exter / aus Zerbſt / Chriſtlich gefuͤhrter Lebens-Lauff /
Nebſt deſſen angefangenen Tractaͤtlein vom Wahren Chriſtenthum / ingleichen ſeine Briefe und Lieder / &c.
Zum Lobe Gottes / und allgemeiner / ſonderlich aber der lieben Jugend Chriſtl. Erbauung zum oͤffentlichen Druck gegeben / und Sr. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. Herrn Anton Guͤnthern / Fuͤrſten zu Anhalt ꝛc. ꝛc. unterthaͤnigſt dediciret
Halle/zu finden im Buchladen des Waͤyſenhauſes.1708.

Ordnung der hierinnen enthaltenen Materien.

Nach der Dedication / worinnen die dem Chriſtlichen Leſer etwa noͤthige Nachricht und Erinnerungen anzutreffen ſind / folget

  • 1. Des ſel. Chriſtlieb Leberecht von Exter gefuͤhrter Lebens-Lauff / von ſeinem geweſenen Informatore aufgeſetzet. pag. 1. bis 46.
  • 2. Sr. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. Herrn An - ton Guͤnther Fuͤrſten zu Anhalt ertheiltes Zeugniß vom dieſem ſel. Kinde und deſſen Schrifften. p. 47-52.
  • 3. Des ſel. Kindes angefangenes und bis aufs zwoͤlffte Capitel verfertigtes Tractaͤtlein vom Wahren Chri - ſtenthum. p. 53. bis 134.
  • 4. Deſſelben Briefe an unterſchiedene Perſonen geſchrieben / wie ſie nach dem Dato auf einander folgen. p. 135. bis 155.
  • 5. Deſſen geiſtliche Lieder. p. 156. bis 169.
  • 6. Etliche ſeiner Gebethe. p. 170. bis 174.
  • 7. Seine Meditation uͤber den V. Pſ. pag. 175. bis zu Ende.

Dem Durchlauchtigſten Fuͤr - ſten und Herrn / HERRN Anton Guͤn - thern / Fuͤrſten zu Anhalt / und Hertzogen zu Sach - ſen / ꝛc. ꝛc. Meinem Gnaͤdigſten Fuͤr - ſten und HerrnWuͤn -Wuͤnſche von dem Himmliſchen Vater in Chriſto JESU allerley geiſtlichen Segen in him - liſchen Guͤtern / durch Chriſtum / und Preis / Ehre und Herrlichkeit / ſo Er allen denen verheiſſen hat / Welche die Herrlichkeit dieſer Welt durch den Glauben an Jhn verleugnen / Und Jhn mit wahrhafftigen und glaͤubigen Hertzen vor dieſer gegenwaͤrtigen argen Welt bekennen.

Durchlauchtig - ſter Fuͤrſt und Hertzog / Gnaͤdigſter Herr /

EWr. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. das gegen - waͤrtige Buͤchlein in aller Unterthaͤnigkeit zu dedi - ciren haͤtte ich ein und an -) (3dererDedicatio. derer Urſachen wegen Bedencken tragen koͤnnen. Denn erſtlich iſt es nicht eben gewoͤhnlich / dergleichen bey einer unter Haͤnden habenden fremden Arbeit zu thun. Hierinnen aber finden Ew. Durchl. nicht / was ich / ſondern was ein anderer geſchrieben / und zwar am meiſten das / was GOTT nach dem Reichthum ſeiner herrlichen Gnade ei - nem unmuͤndigen in Chriſto / und auch an Jahren noch zarten Kinde / verliehen und dargereichet hat. Jmmaſſen vorn an ſtehet der Lebens-Lauff des ſeli - gen Chriſtlieb Leberecht von Exter aus Zerbſt / den GOTT nach zuruͤck - gelegten ſeinem zehenden Jahr und drey Monaten in den Schooß der ewigen Freude hingenommen. Dieſen Le - bens-Lauff aber habe nicht ich / ſon - dern (wie deſſen Unterſchrifft zeiget) des liebſten Kindes geweſener treuer Infor - mator Wilhelm Eraſinus Arends / ietzo wohlverdienter Paſtor zu Crot -torffDedicatio. torff im Fuͤrſtenthum Halberſtadt / zu Papier gebracht; das uͤbrige / ſo in dieſem Buͤchlein befindlich iſt / ſind die erbaulichen Meditationes, ſo ietzt-er - waͤhntes gottſeliges Kind in den Stun - den / die andere ſeines Alters mit kin - diſchen Spielen zubringen / nach dem Maaß ſeiner aus GOTTES Wort erlangten Erkaͤntniß aufgeſchrieben und hinterlaſſen hat: Welchem auch noch eben deſſelben Chriſtliche Brieflein / Lieder und Gebethe beygefuͤget ſind. Ob ich nun wol um ietzt ange - zeigeter Urſache willen der Dedication mich hier enthalten moͤgen / ſo iſt mir dennoch hierzu eine Freyheit dadurch er - wachſen / daß diejenigen / welche das fuͤrnehmſte Recht zu dieſen Sachen ge - habt / fuͤr genehm gehalten / daß ſelbige von mir und unter meinem Namen her - aus kaͤmen. Da nun Ew. Hoch - Fuͤrſtl. Durchl. Jhnen dieſes auch gnaͤ - digſt gefallen laſſen / und ich Dero Wil -) (4lens -Dedicatio. lens-Meynung billig als einen hohen Befehl reſpectiret / ſo kan ich mich zur Gnuͤge verſichern / daß Dieſelben dieſe Dedication gnaͤdigſt aufnehmen wer - den.

Waͤre es ſonſt ohne dieſe ietzt ange - fuͤhrte beſondere Conſideration gewe - weſen / haͤtte mich hiervon noch vielmehr das geringe Anſehen / ſo dieſes Buͤchlein vor der Welt hat / zuruͤck halten koͤnnen. Denn es iſt der Lebens-Lauff nicht ei - nes Groſſen in der Welt / ſondern eines Kindes / und zwar eines ſolchen / wel - ches nicht wegen einiges weltlichen und aͤuſſerlichen Vorzuges / ſondern wegen ſeiner Gottſeligkeit geruͤhmet wird. So ſind es auch Meditationes nicht eines Mannes / der durch vieler Jahre Fleiß / Arbeit und Erfahrung endlich zu einer ſonderbaren Wiſſenſchafft gelanget / ſon - dern eines Kindes / welches Chriſtum lieb zu haben fuͤr viel beſſer gehalten /alsDedicatio. als alles Wiſſen / welches in ſeiner Ein - falt vom Wahren Chriſtenthum ſo ge - ſchrieben / wie es ihm ums Hertz geweſen / welches kuͤnſtlich Briefe zu ſchreiben nie gelernet / und nur / was es fuͤr noͤthig und nuͤtzlich erkañt / nach Gelegenheit in einem Brieflein verfaſſet; welches endlich Poë - ſin nie ſtudiret / aber dennoch / zur Er - munterung ſeines Hertzens / dann und wann ſeine ihm von GOtt verliehene gu - te Gedancken in ein Liedlein gebracht. Das ſind gewiß Dinge / die vor der Welt keinen groſſen Schein haben / und / weil ſie nur ein Kind betreffen und von einem Kinde herkommen / duͤrffte ſie die Welt nur fuͤr kindiſche / und folglich aller Verachtung wuͤrdige Dinge anſehen / die nicht werth waͤren / daß jemand die Muͤhe und Zeit drauf wendete / ſie zu le - ſen / geſchweige daß man ſie / als waͤrs was ſonderliches / einem Fuͤrſten dedi - ciren ſolte.

) (5EsDedicatio.

Es hat mich aber der Welt ihr gewoͤhn - liches Urtheil von dergleichen Dingen ſo wenig abſchreckē moͤgen / Ewr. Durchl. dieſelben in gegenwaͤrtiger Dedication unterthaͤnigſt zu uͤbergeben / als mich ſel - biges abgeſchrecket hat / die Edirung derſelben zu uͤbernehmen. Denn daß Ew. Durchl. gantz anders und beſſer / als die Welt / davon urtheilen / ſolches haben Dieſelben durch ein eigenhaͤndi - ges Poſtſcriptum zu bezeugen kein Be - dencken getragen / und / welches noch mehr iſt / daß daſſelbe P. S. gedrucket und dem Lebens-Lauffe des ſel. Kindes beygeſetzet wuͤrde / (wie hier auch geſchehen) gnaͤdigſt permittiret. Allermaſſen Dieſelben nicht aufs aͤuſſerliche / wie die Welt thut / ſondern auf die Gnade GOttes / deren Wirckungen ſich hierinnen klaͤrlich zei - gen / ihre Augen gerichtet / alſo daß Sie nicht ſo wohl das Kind / als die Gnade GOttes in demſelben mit Dero wohlge - gruͤndeten Zeugniſſe beehret haben.

UndDedicatio.

Und das iſt / Gnaͤdigſter Herr / recht Fuͤrſtlich und Preis-wuͤrdig / daß man ſich GOttes und ſeines Wercks gantz und gar nicht ſchaͤmet / ſondern daſſelbe vielmehr frey bekennet / preiſet und ruͤh - met / ob es ſich gleich in ſolchen Perſonen und in ſolchen Umſtaͤnden hervor thut / welche bey der Welt in keinem oder doch allzugeringen Anſehen ſind. Denn was thoͤricht iſt vor der Welt / das hat GOtt erwehlet / daß er die Wei - ſen zu ſchanden mache / und was ſchwach iſt vor der Welt / das hat GOtt erwehlet / daß er zu ſchanden mache was ſtarck iſt / und das unedele vor deꝛ Welt und das veꝛachtete hat GOtt erwehlet / und das da nichts iſt / daß er zu nichte mache / was et - was iſt / auf daß ſich vor ihm kein Fleiſch ruͤhme (1 Cor. 1, 27. 28. 29.) Alſo lehren Ew. Durchl. in der That / daß man nach der heylſamen Lehre JEſu Chriſti (Matth. 18, 1-4. ) muͤſſe um -) (6kehren /Dedicatio. kehren / und werden wie die Kinder / wo man nicht zum Himmelreich unge - ſchickt erfunden werden wolle. Es ha - ben Dieſelben vorhin gethan / was recht Fuͤrſtlich und Chriſtl. iſt / indem Sie den Vater dieſes ſel. Kindes / Dero getreuen Diener und Leib-Medicum, D. Johann Eberhard von Exter / da er fuͤr ſeine Perſon und mit ſeinem gantzen Hauſe GOtt mit beſſerem Ernſt angefangen zu dienen / als er zuvor gethan zu haben ſich nicht ſchaͤmet zu bekennen / um deß wil - len deſto mehr Jhro Fuͤrſtl. Gnade und Hulde gewuͤrdiget. Aber gewiß durch das gute Zeugniß / welches Ew. Durchl. von der Gnade GOttes / ſo in dem ſeli - gen Kinde gewohnet / jedermann hiemit vor Augen zu legen gnaͤdigſt verſtatten / beweiſen Dieſelben noch viel klaͤrlicher / daß der Sinn JEſu Chriſti wahrhafftig in Jhnen ſey / als durch welchen Sie nicht allein Licht und Finſterniß wohl von ein - ander zu unterſcheiden wiſſen / ſondernSichDedicatio. Sich auch von Hertzen uͤber die Gabe GOttes / wo ſie auch in unſcheinbare Gefaͤſſe geleget iſt / erfreuen / und dem Nechſten alle moͤgliche Anleitung zu ge - ben befliſſen ſind / daß auch er den groſ - ſen GOtt in ſeinen Wercken gebuͤhrlich preiſen / und deſſen Wercke zu ſeiner Erbauung und Beſſerung anwenden moͤge.

Wie denn ja hoffentlich mancher ſo weit nachdencken wird / es wuͤrde dieſes von Ewr. Durchl. nicht approbiret ſeyn / wenn es nicht vorhero reifflich von Jhnen gepruͤfet / und in ſolcher Pruͤfung nicht ſo wohl fuͤr was kindiſches / als fuͤr ein reales Exempel der goͤttlichen lieb - reichen Gnaden-Wirckung erkannt wor - den waͤre.

Und gewiß / weil auch ich daſſelbe eben dafuͤr erkannt habe / (der ich auch das liebe ſelige Kind in ſeinem Leben ge - ſehen / und ſeines wohl regulirten We - ſens / ſonderlich aber ſeiner hertzlichen) (7Begier -Dedicatio. Begierde / ſich ſtets durch ſtilles Anhoͤ - ren des Worts der Wahrheit zu erbau - en / ein Zeuge bin) ſo iſt es ferne von mir geweſen / daß ich mich haͤtte ſchaͤmen ſol - len / dieſes unter meinem Namen in oͤf - fentlichen Druck zu geben. Denn ſo es hierinnen die Welt nach ihrer Gewohn - heit machet / ſo duͤrffte ihr unbeſonnenes Urtheil hiervon dieſes ſeyn: Man habe nichts beſſers / daß man nun mit ſol - chen kindiſchen Dingen aufgezogen komme. Und weil doch der Welt ihr Symbolum gleichſam iſt: Omnia in de - teriorem partem; alles aufs ſchlimm - ſte ausgeleget; ſo kan ſie ihre Kunſt nun hier am leichteſten beweiſen / und in dem / was das ſel. Kind geredet und geſchrie - ben / vieles tadeln und meiſtern. Denn haben ſie des gruͤndlich gelehrten und wohl durchuͤbten Mannes GOttes / Johann Arndts / ſein Wahres Chri - ſtenthum nicht ungetadelt gelaſſen; wie ſolte dieſes liebe Kind in ſeiner Einfalt ih -rerDedicatio. rer Tadel-Sucht entfliehen koͤnnen? Und zwar moͤchten ſie es leicht um des willen am meiſten tadeln / damit ſie mit einer Muͤhe auch dem Editori was vor - zuruͤcken haͤtten. Sie moͤgen aber wiſ - ſen / daß ichs nicht achte / ob auch ein je - der / wie es ihm duͤncket / davon urtheile. Alle Beurtheilungen / ſo nicht aus dem Geiſte Chriſti flieſſen / will ich durch die Gnade GOttes als einen unnuͤtzen Staub von mir leicht abſchuͤtteln; aber den Segen und die Erbauung / ſo aus die - ſem Buͤchlein / welches ich hie in den Druck gebe / flieſſen / will ich durch Chri - ſtum mit mir dahin nehmen / wohin der kleine Exter voran gegangen iſt / da ſolls zum Lobe und Preiſe GOttes ſte - hen immer und ewiglich. Die aber ihre Erbauung nicht darinnen ſuchen / ſon - dern nur eine Urſache zu zancken heraus zwacken wollen / an deren Loben oder Schelten iſt mir gleich viel gelegen; ich werde es ihnen doch nimmer recht ma -chen /Dedicatio. chen / ſo lange ichs dem HErrn Chriſto / dem ich diene / recht machen will.

Sonſt hat mir auch nicht gebuͤhren wollen / in fremder Arbeit nach Gefallen etwas zu aͤndern; und da ſonderlich in den 12. Capiteln vom wahren Chri - ſtenthum / die aus des ſel. Kindes Fe - der gefloſſen / eine und andere Redens - Art leicht mit einigen Worten fuͤr einer Mißdeutung verwahret werden koͤnnen / iſt doch um des willen nichts darinnen veraͤndert / ſondern zur Erlaͤuterung nur irgend hie und da eine kleine Anmer - ckung beygeſetzet: Woran ſich ein jeder / der nicht unnuͤtzen Zanck ſuchet / wird be - gnuͤgen laſſen.

Jnzwiſchen kan von des ſel. Kindes Erkaͤntniß dieſes mit Grunde der Wahr - heit verſichert werden / daß es in dem Ar - tickel von der Rechtfertigung des ar - men Suͤnders vor GOtt nicht irrig ge - weſen iſt / ſondern daß es ſich in groſſer Lauterkeit des Hertzens allein des HErrn JEſu und ſeines hochheiligen Verdien -ſtesDedicatio. ſtes getroͤſtet / und anders nicht als durch den Glauben an ihn gerecht und ſelig werden zu koͤnnen feſtiglich geglaubet; wie ſolches diejenigen werden gewiſſen - hafftig bezeugen koͤnnen / die dieſen lau - teren Evangeliſchen Grund mehrmals aus ſeinem Munde gehoͤret. Und aus dieſem Grunde iſt es dann zu beurthei - len / was er von einem thaͤtigen Chriſten - thum / von einem heiligen Wandel und von guten Wercken hier und da redet / denn er ſolches durchaus nicht anders als eine Frucht des wahren Glaubens / welcher allein dem Menſchen zur Gerech - tigkeit gerechnet wird / wollen angeſehen wiſſen: Welche Frucht aber gleichwohl auch nicht auſſen bleiben / ſondern von dem Baum / daß er guter Art ſey / Zeug - niß geben muͤſſe. Jn dieſem lauteren Evangeliſchen Grunde hat er auch ſein Leben beſchloſſen.

Ubrigens darff niemand gedencken / weil man die Schrifften des lieben Kin - des nicht veraͤndern / ſondern ſo / wie manſieDedicatio. ſie gefunden / heraus geben wollen / als wolle man ihm gleichſam eine unmit - telbare〈…〉〈…〉 zuſchreiben / da we - der in den Worten noch in der Sache etwas von andern erleuchteten Chriſten zu verbeſſern ſey. Giebt doch kein al - ter Lehrer ſeine Schrifften ſo hoch an / und giebt dieſelben dennoch wol zur all - gemeinen Erbauung in den Druck: Warum ſolten denn eines Kindes Sa - chen / dabey goͤttliche Gnaden-Wir - ckung zu erkennen iſt / um des willen zu - ruͤck bleiben / weil ſie nicht aus unmittel - barem Eingeben des Geiſtes gefloſſen oder vollkommen ſind? Jſt unſer / der Lehrenden / Wiſſen und Weiſſagen Stuͤckwerck / warum wolten wir nicht bey einem Gottſeligen Kinde auch mit dem Stuͤckwerck vorlieb nehmen? Hat einer mehr Weisheit / ſo dancke er GOtt dafuͤr / und ſehe nur zu / daß er ſein groͤſſeres Maaß der Erkaͤntniß ſo an - wende / daß er nicht deſto ſchwerere Verantwortung habe. Waͤre es auchins -Dedicatio. insgemein den Alten zu alber / ſo wirds doch die Kinder nicht ohne Erbauung laſſen: welchen zugefallen ich hier und da gern die Worte etwas anders und deutlicher haͤtte ordnen moͤgen / als das ſel. Kind gethan hat / damit ihr unge - uͤbter Verſtand deſto leichter faſſen moͤchte / was ſeine Meynung ſey; aber weil ihm doch nichts ſo undeutlich in die Feder gefloſſen / daß man ſeinen rechten Sinn nicht finden koͤnne / habe ichs lie - ber ſo / wie es iſt / laſſen wollen. So ie - mand was nicht gleich faſſet / kan er leicht einen verſtaͤndigern fragen. Auch iſt es insgemein klar und deutlich / und fuͤr die Kinder gar wohl zu gebrauchen / daß ſie es leſen / und dadurch erwecket werden koͤnnen. Es iſt ohne dem itzt eine Zeit / da GOtt die Alten durch die Kinder vielfaͤltig beſchaͤmet. Das geſchiehet gewißlich auch durch dieſes Exempel. Und wenn dieſes von andern Kindern wird geleſen werden / ſo wird / wie ich zu Goͤttlicher Gnade die Hoffnung ha -be /Dedicatio. be / manches Kind in ſich ſchlagen / und gedencken: Ey ſiehe / dieſes Kind hat ſich mit ſo groſſem Ernſt zu GOTT ge - wendet / es hat einen ſolchen lebendi - gen Glauben von GOTT empfangen / es hat den HERRN Chriſtum ſo lieb gehabt / es iſt ſo gern und ſo fleißig mit GOttes Wort umgegangen / es hat ſo andaͤchtig gebetet / GOTT hat ihm ſo groſſen Verſtand und ſo ſchoͤne Erkaͤnt - niß ſeiner Wahrheit verliehen / es iſt ſo fromm / ſo ſtill / ſo gehorſam / ſo gedultig / ſo demuͤthig / ſo beſtaͤndig und getreu bis an den Tod geweſen / und hat ein ſolches ſchoͤnes und ſeliges Ende gehabt; Ach ſo wird mir ja GOtt ſeine Gnade und Ga - ben auch nicht verſagen / ſo ich ihn drum bitte / ſein Wort gern hoͤre und lerne / und guten Ermahnungen folge; Ach ich will mirs zu einem Exempel dienẽ laſſen / und den HErrn JEſum bitten / daß er mich auch ſo mit ſeiner Gnade und Liebe erfuͤlle / wie dis Kind. Dieſe gute goͤtt - liche Bewegungen / die durchs Leſen die -ſesDedicatio. ſes Buͤchleins bey manchen Kindern ent - ſtehen werden / wird denn der liebe ge - treue GOtt ferner ſegnen / daß ſie zur Krafft kommen / und alſo das liebe ſelige Kind durch ſeine gute Lehren und gutes Exempel viele andere Kinder nach ſich ziehe / daß ſie ſich ewig mit einander im Himmel freuen moͤgen.

Dieſes aber iſt nicht dahin zu deuten / als wenn alte und erwachſene Leute nichts zu ihrer Erbauung hierinnen fin - den wuͤrden. Da es noch nicht gedruckt geweſen / haben ſich aus dem geſchriebe - nen ſchon manche erbauet / und haben auch Lehrer / die es geleſen / bekennet / daß ſie dadurch ſonderlich geruͤhret wor - den. Nun es dann auch maͤnniglichen im Druck vor Augen geleget wird / zweifele ich nicht / es werden ſich ſo viel mehrere finden / die ihre daraus ge - ſchoͤpffte gute Erbauung bekennen wer - den.

Durch -Dedicatio.

Durchlauchtigſter Fuͤrſt und Hertzog /

Um Dero hohen Perſon willen haͤtte ich wol nicht bedurfft dieſes alles an - zufuͤhren / als welche auch ohne meine Vorſtellung dieſes alles in dem Lichte der Gnaden / ſo in Dero Hertzen ange - zuͤndet iſt / ſelbſt wohl erkennen. Denn dieſes erhellet ja genug aus Deroſelben mehr erwaͤhntem und hierinnen mit ge - druckten Zeugniſſe von den ſeligen Kin - de; auſſer daß Dieſelben in der That blicken laſſen / es ſey Dero gruͤndlicher Ernſt / Sich Dero aͤuſſerlichen Stand vor der Welt von der Ubung des wahren Chriſtenthums im geringſten nicht | ab - halten zu laſſen / und daſſelbe auch bey andern auf alle moͤgliche Weyſe zu befoͤr - dern / nicht weniger auch / daß Sie ſich / wie es billig iſt / darinnen gar nicht an der Welt ihr Urtheil kehren: in welchem wahren Sinne Chriſti Dieſelben noch in dem letztverwichenen Monat die ſchoͤ -neDedicatio. ne und bewegliche Buß-Predigt Ar - thur Dents, eines Engliſchen Lehrers / auf Dero Befehl und Koſten wieder auflegen laſſen / um dadurch manche aus dem Schlaff der fleiſchlichen Sicherheit aufzuwecken. Aber um der Liebe der Wahrheit willen werden es Ew. Durchl. dennoch nicht mißbilligen / daß ich dem Leſer zum Beſten obige Erin - nerungen in dieſe unterthaͤnigſte Dedica - tion einflieſſen laſſen. Jch thue denn auch nun ein mehrers nicht hinzu / als daß ich den / der der rechte Vater iſt uͤber alles / was Kinder heiſſet im Himmel und auf Erden / demuͤthiglich bitte / daß er Ewr. Durchl. Preis-wuͤrdiges Exempel / ſo Dieſelben in Dero ernſtli - cher Beſtrebung nach der Liebe von reinem Hertzen / von gutem Gewiſſen und von ungefaͤrbten Glauben jeder - mann geben / zum groſſen Segen ſetzen / und Dieſelben durch ſeinen Geiſt darin - nen taͤglich mehr und mehr beſtaͤtigen / als auch die Gottſeligkeit des ſeligen Kin -des /Dedicatio. des / deſſen Lebens-Lauff und Schrifft - lein nun unter Ewr. Durchl. hohem Na - men in die Welt gehen / zu einer reichen und tauſendfaͤltigen Frucht an den Leſern dieſes Buͤchleins ſegnen / und es ein kraͤff - tiges Saltz zu vieler Menſchen Bekeh - rung und Erbauung ſeyn laſſen wolle. GOtt erhoͤre und erfuͤlle es in Gnaden. Gegeben zu Glauche an Halle den 24. Maj. 1708.

Ewr. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. unterthaͤnigſter Fuͤrbitter bey GOtt A. H. Francke.

I. Des
[1]

I. Des Sel. Chriſtlieb Leberechts von Exter Lebens-Lauff / von ſeinem geweſenen Infor - matore aufgeſetzet. Das Gedaͤchtniß des Gerechten bleibet im Segen.

CHriſtlieb Leberecht von Exter iſt gebohren den 27. Junii / welches war der TagAJaco -2Lebens-Lauff. Jacobi / Anno 1697. und hat gelebet bis den 12. Novembr. Anno 1707.

Selbigen Tages / da er geboren / iſt er annoch dem HErrn JESU durch die heilige Tauffe einverleibet wor - den.

Er war ein Kind guter Art / und hatte empfangen eine feine Seele. Sein wahrhafftiger Lebens-Lauff findet ſich in ſeinen beyden Tauff-Namen / ſo ihm ſeine lieben Eltern / Tit. Herr Johann Eberhard von Exter / Med. Doctor, Sr. Koͤnigl. Majeſt. in Preuſſen / wie auch Sr. Fuͤrſtl. Durchl. zu Anhalt Leib - Medicus in Zerbſt / und Tit. Frau Eli - ſabeth gebohrne Poͤckelin / beygeleget / deutlich ausgedrucket.

Dieſes zu bezeugen iſt gegenwaͤrtiges denen Angehoͤrigen zum Troſt und zur Erweckung / aus ſeinem GOtt-geheilig - ten zarten Liebes-Wandel angemer - cket.

Jetzt gedachte ſeine wertheſte Eltern haben ihm von Kindheit auf / und da erkaum3Lebens-Lauff. kaum 3. Jahr alt geweſen / Informato - res von Wittenberg im Hauſe gehalten / die ihn nebſt ſeinen andern Geſchwiſtern / zu Erlernung des Catechiſmi Lutheri, und Leſung heiliger Schrifft nicht nur angewieſen / ſondern auch bey anwach - ſenden Jahren zur Latinitaͤt angehal - ten; Da man denn von ſeinen erſten Jahren an / wegen hervorblickender be - ſondern Gottesfurcht / Fleiß und guten Ingenii, ſich groſſe Hoffnung von ihm gemachet.

Jm achten Jahre ſeines Alters iſt er zu ſeinem Herrn Vater kommen / mit ſehr freudigen Geberden ſprechend: Lie - ber Papa, ich freue mich ja ſo / ich freue mich ja ſo innerlich; Da ihm dann ohne Zweifel der treue GOTT die Suͤßigkeiten ſeiner Liebe / als einen Zu - cker-Stengel zu koſten gegeben; ob er gleich nicht hat ausdruͤcken koͤnnen / was ihm wiederfahren. Es iſt ihm geant - wortet: Ey liebes Kind / was iſt dir denn? Wie denn gar keine aͤuſſerliche UrſacheA 2vor -4Lebens-Lauff. vorhanden geweſen / die ihm eine irdiſche Freude verurſachen moͤgen. Ob aber wol die weitere Bezeugung empfindli - cher ungemeinen Freude von denen lieben Eltern damals wenig attendiret wor - den / ſo haben ſie doch nachhero / und da ihnen ſelbſt von GOTT mehr Erkaͤnt - niß ſeiner Goͤttlichen Wahrheit verlie - hen worden / dieſelbe ihres Kindes Freu - de als einen Vorboten der ferneren ſich an ihm kraͤfftig erzeigenden Gnade GOt - tes angeſehen.

Es hat dieſer unſer Chriſtlieb Le - berecht unter ſeinen Eltern / Geſchwi - ſtern und Haußgenoſſen allezeit geleuch - tet / als der Mond unter den Sternen / dergeſtalt / daß er mit recht Goͤttlicher Weißheit das gantze Hauß zum Glau - ben aufgemuntert / und durch ſeine ge - heiligte Converſation in jedes Gemuͤth gedrungen / und es uͤberzeuget hat. Die Gaben der Natur aͤuſſerten ſich bey die - ſem Kinde durch ſein herrliches Gedaͤcht - niß ſowol als durch ſeinen Verſtand:Er5Lebens-Lauff. Er war geſchwind und aufgeweckt et - was zu faſſen. Weilen aber die Liebe JESU alle ſeine Kraͤffte bald an ſich zog / ſo befliſſe er ſich bald / alles / was er Gutes faſſete / zur wahren Erbauung ſeiner Seelen anzuwenden.

Er brachte ohne muͤhſames Nach - dencken uͤber einen ieden Bibliſchen Text ſolche Meditationes vor / die wol manchem Theologo nicht allemal bey - fallen moͤgten. Und weil er ſchon bey jungen Jahren einen guten Schatz der Goͤttlichen Erkaͤntniß in ſeinem Hertzen trug / ſo war ihm nicht ſchwer / offt bey einer halben Stunde von einer Sache zu reden / alſo daß man ihn des Endes erinnern muſte. Dabey man denn auch keinen Mangel des Judicii, noch Tavtologien / oder ſonſt was affectir - tes wahrnahm. Es floſſen ihm auch die Worte / daß er nicht nur ohne An - ſtoſſen / ſondern auch mit Bibliſchen und Theologiſchen Redens-Arten und mit bequemen Gleichniſſen die Materien zuA 3jeder -6Lebens-Lauff. jedermans Verwunderung vortrug und erlaͤuterte.

Er war unermuͤdet im Leſen / Beten / Studiren und Meditiren; welches dann GOtt durch die Gnaden-Wir - ckung ſeines Heiligen Geiſtes dergeſtalt herrlich an ihn geſegnet / daß er zu ſo un - gemeiner Geſchicklichkeit gediehen.

Sein Studiren dependirte ſo gar von dem Willen ſeines Informatoris, daß ich mich nicht beſinnen kan / daß bey denen Lectionibus, oder bey der ſich verziehenden Information, was eigen - williges von ihme vorgenommen ſey / und uͤber dergleichen habe erinnert wer - den muͤſſen.

Nach vollendeter Information ſahe er ſich nie nach dem Spiel oder Muͤßig - gang um / oder nach andern Zeitvertreib. Er vermahnte deshalben offt ſich ſelbſt und andere die Zeit auszukauffen / als welche kurtz; (Eph. V, 16.) und hielte ſie alſo viel zu theuer / ohne die nuͤtzlichſte Anwendung ſie vorbey gehen zu laſſen /oder7Lebens-Lauff. oder nur eine Stunde davon zu verlie - ren. Dahero ſahe man ihn die meiſte Zeit ſeiner Frey-Stunden bey dem Ge - ſinde / ſelbiges durchs Wort GOttes und Gebeth erwecken. Und ob wol ſei - ne Jugend anfangs hierunter veraͤchtlich ſcheinen / und die Vermahnungen kin - diſch und ohne Nachdruck dem Geſin - de vorkommen wollen / hat er doch durch ſeine ſtille Gedult die harte Antwort dererſelben nicht nur widerleget / ſondern auch ſeine Vermahnungen ſo lange wie - derholet / und ſich mit bittlichen und gut - hertzigen Worten dermaſſen beliebt ge - macht / daß ſie ihn hernach ſehr gern ge - litten / das Wort GOttes von ihm willig gehoͤret und angenommen / auch oͤffters mit ihm zum Gebeth ihre Andacht ver - einiget; da denn dieſes Kind die Haus - genoſſen gewoͤhnet / ihr Hertz ſelbſt vor GOtt auszuſchuͤtten.

Es war der Geiſt der Gnaden und des Gebeths ſo reichlich uͤber ihn ausge - ſchuͤttet / daß ſeine Geberden dabey vol -A 4ler8Lebens-Lauff. ler Demuth / die Worte voller Krafft / Glauben und kindlichen Vertrauens waren. Wenn ihm bey und mit andern ein Gebeth zu thun befohlen wurde / that er ſolches immer mit niedergeſchlagenen Augen. Seine aͤlteſte Schweſter und aͤltern Bruder Gottlieb Leberecht / auch den juͤngern Gottlob Johann Eberhard / hat er ein ums ander mit freundlichen Liebes-Worten gelocket auff den Altan und andere ſtille Stuben des Hauſes / uͤber ſie und mit ihnen da - ſelbſt gebetet / ſie bruͤderlich vermahnet / und dabey oͤffters gehertzet und gekuͤſſet; ihnen angezeiget / in was empfindlicher Freude ſeine Seele vor GOtt wandelte / mit welcher GOtt auch ſie als mit dem Vorſchmack des ewigen Lebens und ver - borgenen Manna erquicken wuͤrde / wo - ferne ſie ſich von Hertzen zu GOtt be - kehreten.

Offt hat er von dem innern Zuſtand ſeiner Seelen zu ſeiner lieben Schwe - ſter (ſo damals im eilften und er im zehen -den9Lebens-Lauff. den Jahre geweſen) mit groſſer Jnbruͤn - ſtigkeit geredet / und ſie mit ihm zu beten auffgemuntert.

Offt hat er ſie oder den Bruder zum Gebet auff ein verſchloſſen Kaͤmmerlein geholet mit den Worten: Kommt / wir haben Zeit und Raum zu beten / wir muͤſſen die Zeit auskauffen; wel - che Emphaſin des Grund-Texts er in der Information uͤber die Worte: Schi - chet euch in die Zeit Eph. V. ſich ſehr wohl angemercket / und andere damit immer ermahnet / auch ſelbſt ja keine Stunde muͤßig verderben laſſen; Wie er denn die Zeit auſſer der Schule / ſo er nicht im Gebethe entweder fuͤr ſich ſelbſt / oder mit andern / oder zur Vermahnung und Auslegung der Schrifft bey dem Geſinde angewandt / mit herrlichen Me - ditationibus conſumiret.

Es ſind davon noch vorhanden ſchoͤne Lieder / ſo er gedichtet / item ein Buch / das er aus eigener Bewegung zu ſchrei - ben angefangen / welchem er ſelbſt denA 5Titul10Lebens-Lauff. Titul des Wahren Chriſtenthums gegeben. Er hat in ſelbigem Buche 25. Capita voran geſetzet / und erbauli - che Materien in Theologia Morali dar - innen abzuhandeln ſpecificiret / aber es ſind nur 12. Capita in ſeinem Leben vol - lenzogen: Dabey dann zu mercken / daß er die Sachen / ſo er darinnen ab - handelte / ohne Bemuͤhung ſchriebe / auch ſich nicht hindern lieſſe / wenn an - dere in der Stube redeten / und ſeine Ge - dancken daruͤber zerſtreuet werden moͤ - gen. Wegen der ihm beywohnenden herrlichen Erkaͤntniß trug er die Materi - en nach dem Sinn des Heiligen Geiſtes alſo vor / daß dabey / wann man auf die Sache ſelbſt ſahe / wenig zu erinnern vorfiel. Er wuͤrde auch zweiffels oh - ne durch Verleihung goͤttlicher Gnade dieſes ſein fuͤrgenommenes Buch nach dem Entwurff der Capitum zu Ende ge - bracht haben / wenn ihn nicht ſein von GOTT zugeſchicktes ſchweres Haupt - Wehe daran gehindert; weswegen erauch11Lebens-Lauff. auch bey den zwey letztern Capitibus ab - brechen muͤſſen / wie beym eilfften zu - ſehen / da er ſein Gebeth aufs kuͤrtzeſte faſ - ſen muͤſſen (ſintemal er ein jedes Capit - tel mit einem daraus gezogenen Gebeth zu ſchlieſſen gewohnet) bey dem zwoͤlfften aber ſolches nicht beyſetzen und verferti - gen koͤnnen.

Seine Vermahnungen waren ſehr beſcheiden / geſchahen mit Bitten und guten Worten; wurde ihm eigenwillig widerſprochen / ſo trug er Gedult und ſchwieg ſtille. Er nahm auch die Zeit wohl in acht / wenn mit der Beſtraffung denen Gemuͤthern beyzukommen war / und ließ die Hitze und hefftige Bewe - gung derſelben voruͤber gehen. Eins - mals da er eines von dem Geſinde er - mahnet / und dieſe aus einem verunru - higten Gemuͤthe das Wort der Ermah - nung / das ſie mit Sanfftmuth anneh - men ſollen / mit einem Fluche von ſich geſtoſſen / hat er ſich ſehr gegen ſeine Ge - ſchwiſter beklaget / und GOtt dieſe ſeineA 6Unvor -12Lebens-Lauff. Unvorſichtigkeit in der Vermahnungs - Zeit abgebeten.

Als er ſeinen aͤlteſten Bruder Gott - lieb einſt denen zuͤchtigenden Vermah - nungen ſeiner lieben Frau Mutter wi - derſprechen hoͤrete / mißfiel ihm ſolches dermaſſen / daß er dieſen ſeinen Bruder bey der erſten Gelegenheit ſeiner unor - dentlichen Eigenliebe hierunter uͤber - wieſe / und ihm dabey die Lehre gab: Er muͤſte auch / wenn er unſchuldig waͤ - re / denen Eltern nicht alſo wider - ſprechen / ſondern leiden und GOtt fuͤr ſie bitten / daß er ihnen ſolche Ubereilungen in dem angethanen Unrecht vergeben moͤgte. Das heiſ - ſet: Ehret eure Eltern mit Gedult / Sir. 3 / 9.

Als er zu einer andern Zeit eben die - ſen ſeinen aͤlteſten Bruder unter der Beſtraffung ſeines Informatoris ſtill und demuͤthig wahrgenommen / hat er bald Gelegenheit geſucht alleine an ihn zukommen / ihn ſehr gebeten / daß erdoch13Lebens-Lauff. doch nicht ſtoltz werden wolle / ſo wolte er ihm etwas ſagen; und ob dieſer es ihm wol zuſagete / ſo wiederholete er doch ſol - che Bitte mehrmals mit beweglichen Worten: doch ja ſich nicht daruͤber zu erheben. Darauf bezeugete er ihm / was er vor eine hertzliche Freude empfunden uͤber ſeiner ſtillen und gehorſamen Be - zeigung unter der Zucht des Informato - ris, lobete ihn hierinn / vermahnete fer - ner alſo die Zucht anzunehmen / kuͤſſete ihn / und bezeugete / daß er ihn um des willen hertzlich lieb habe.

Jm Gegentheil hat er die groſſe Traͤg - heit im rechtſchaffenen Chriſten-Wan - del an dem Geſinde mit inniger Empfin - dung ſich betruͤben laſſen: wie er auf eine Zeit ſolches mit traurigen Worten an den Tag geleget.

Das Gewaͤchs des Glaubens hat ſich in ſeiner Seele trefflich ausgebrei - tet. Das Wort GOttes / als den Saamen des Glaubens / hat er Tag und Nacht gehandelt fuͤr ſich und mit an -A 7dern /14Lebens-Lauff. dern / auch allezeit mit dem groͤſſeſten Hunger und vieler Freudigkeit.

Wenn ſein lieber Herr Vater nach Muͤhlingen oder ſonſt wohin reiſen muͤſ - ſen / und ſeinen aͤlteſten Bruder Gott - lieben mit genommen / iſt er zu ſeiner lieben Frau Mutter kommen voller Freude / und hat geſagt: Nun liebe Frau Mutter / heute / da ich wegen meines Bruders Abweſen von der Schule frey bin / wollen wir uns in GOtt recht freuen; Heute wollen wir mit einander ſchoͤne leſen und ſingen.

Er faſſete aber einige ſonderliche Spruͤche / daraus ſein Glaube die Kraͤf - te zog / als: GOtt iſt mein Schild Pſ. VII, 11. CXIX, 114. Und eben dis war ſein Symbolum. Jn welchem Worte auch ſein Glaube den Sieg uͤber die Welt erhalten. 1. Joh. V, 2.

Jn der Heiligung iſt er aufgemuntert durch die verheiſſenen und noch unſicht - baren Belohnungen / aus den Worten:Wer15Lebens-Lauff. Wer ſie (die Gebote) haͤlt / der hat groſſen Lohn. Pſ. XIX, 12. gleich wie es von Moſe heiſſet: Denn er ſahe an die Belohnung. Hebr. XI, 26.

Sein Kampff des Glaubens zeigete ſich in den erſten Fußſtapffen Chriſti / das iſt / in der Sanfftmuth und De - muth / fleißig und ſieghafft.

Die Sanfftmuth in ſeiner Seele zu erlangen gab ihm / nach ſeinen Bekaͤnt - niß / die groͤſte Muͤhe / wiewol man aͤuſ - ſerlich den Affect des Zorns auf keinerley Weyſe bey ihm wahrgenommen: Er ſelbſt aber hat in der geiſtlichen Wach - ſamkeit die Bewegungen zum Zorn am meiſten bey ſich obſerviret / und treulich darwider gekaͤmpffet / wie er denn ein - mal zu Gottlieben / ſeinem aͤlteſten rech - ten Bruder / geſprochen: Nun heute habe ich GOtt verſprochen mich von keinem Dinge bewegen zu laſſen / ich will nicht boͤſe werden / es komme auch was da wolle; GOtt wird mir helffen.

Die16Lebens-Lauff.

Die Demuth oder geiſtliche Armuth hat GOtt unter ſchweren Anfechtun - gen trefflich bey ihm gegruͤndet.

Es iſt ein herrlicher Brief vorhan - den / den er 26. Wochen vor ſeinem ſel. Abſchiede an ſeine Schweſter geſchrie - ben / darinnen er ſeine tieffeſte Seelen - Angſt gantz geheim entdecket / und ihr Ge - beth fuͤr ſich ausbittet. Dieſer Brief iſt erſt nach des Kindes Tode hervorkom - men / weil ihn die Schweſter auf ſein Begehren heimlich halten muͤſſen / bey - des vor den Eltern und den beyden Bruͤ - dern. Die Expreſſiones darinnen ſind von groſſem Nachdruck / und beſchrei - ben eine Seele / die auſſer aller Gnaden - Empfindung unter GOttes Zorn und im Schatten des Todes ſitzet.

So hat ihn auch GOtt einmal ſehr gedemuͤthiget bey ſeinen Gaben: Denn weil ſelbige gar offt zu ſeinem Lobe An - laß gaben / und viele / die ihn etwas er - bauliches vorbringen oder beten hoͤreten / ihre groſſe Verwunderung dem Kindeſpuͤ -17Lebens-Lauff. ſpuͤren lieſſen / hat er ſich einmal in Ge - genwart eines Fremden bey der Mahl - zeit was zu reden gantz incapable befun - den. Seine Frau Mutter und ich / als ſein damaliger Informator, reitzeten ihn ſehr dazu an / achteten auch ſein unge - woͤhnliches Stillſchweigen fuͤr einen Ei - genſinn / der mit Worten zugleich an ihm beſtraffet wurde. Er hat aber auf der letzten Reiſe von Roßlau bekannt / wie ihn GOtt dazumal ſo ungeſchickt gemacht / daß er nichts reden koͤnnen / und zwar dieſes darum: weil er ſich einmal das Lob ſeiner Gaben ſo wohlgefallen und aufblehen laſſen.

Seine Seele iſt auch fleißig unter ſol - cher Gefahr der ſo offt an ihm geprieſe - nen Gaben zur wahren Demuth aufge - wecket und gereitzet worden. Da die Leſung der Schrifft das 27. Capitel der Spruͤche Salomonis in der Mor - gen-Andacht unter der Information traff / hat man ihm den 21. Vers zu dem Ende auch eingeſchaͤrffet. Welche Wor -te er18Lebens-Lauff. te er denn alſo in ſein Gemuͤth gefaſſet / daß er zu ſagen pflegen: der Mund des Lobers bewaͤhret.

Weil ihm denn die Gunſt und das Lob der Menſchen den Kampff um die Demuth ſo ſchwer machte / ließ er ein Viertel-Jahr vor ſeinem Abſchiede aus der Welt die von GOTT empfangene Gnade nicht ſo frey und offenbar aus - flieſſen / ſondern begab ſich mehr und mehr in die Stille / ſagte auch zu ſeinen lieben Eltern / wenn dieſe ſeine aufgeſetz - ten Meditationes und Lieder zu ſehen verlangeten: Er koͤnte ſie nicht vor - zeigen / denn man lobte ihn nur / und das machte ihm nur einen Kampff in ſeiner Seele. Zu Gottloben ſei - nem juͤngern Bruder hat er geſagt: Wenn euch die Leute loben / ſo thut als hoͤretet ihr es nicht. Jch habe mich nach dem Spruch Prov. 27 / 21. gewoͤhnet: alles Lob anzuhoͤren / als waͤre mir nichts drum.

Jn ſeinem Briefe an mich / ſeinen ge -weſenen19Lebens-Lauff. weſenen Informatorem, ſchreibet er: Jch dancke hertzlich / daß Sie mir in ihrem Schreiben auch unter andern ſonderlich die Demuth recommendi - ret haben / welche zum Chriſtenthum ſehr noͤthig iſt. Zwar habe ich ſie durch GOttes Gnade eines Theils erlanget / aber dennoch ſchaͤtze ich mich nicht / als wenn ich ſie ergrif - fen haͤtte / und beſtrebe mich darnach / ſie immer noch mehr zu erlangen / bis ich ſie voͤllig ergreiffe / und zwar durch GOttes Gnade / und ſo in al - len andern guten Dingen / auf daß meine Lampe moͤge voll Oele ſeyn / wenn ich etwan ſolte von dieſer Welt genommen werden.

Nach empfangenem Erkaͤntniß hat er auch das Schema der Welt / ſo weit ſeine Sinnen von der Einfalt Chriſti da - durch verruͤcket werden wolten / in aͤuſ - ſerlicher Kleidung abgeleget. Aber in allen ſolchen aͤuſſerlichen Dingen ſuchte er nichts; Er wuſte wohl / daß weder dieSpeiſe20Lebens-Lauff. Speiſe noch die Kleidung uns vor GOtt foͤrdere / und daß das auswendige Kleid uns nicht geringer / auch nicht beſſer vor ihm mache: ſondern daß ſolche aͤuſſerliche Dinge nach der Inclination des Her - tzens entweder gut oder boͤſe wuͤrden. Er verſtunde in praxi die rechte geiſtli - che Freyheit / dadurch die Chriſten auſſer allen Satzungen und knechtiſchen Zwang lebeten. Er wuſte / daß die gantze Crea - tur denen / die die Wahrheit erkennen / und ſie durchs Wort heiligen / zu eigen von GOtt gegeben; Er wuſte / daß ihm alles erlaubet; gleichwohl aber erwehle - te er nichts in dem Brauch der Creatu - ren / als was da frommete / das iſt / das weder ſein eigen Fleiſch irritirte / oder ſei - nen Glauben muͤßig ließ / noch was den Nechſten an ſeiner Perſon aͤrgern / oder ohne Beſſerung deſſen ſeyn koͤnte.

Dieſer geiſtlichen Freyheit recht auf oberwaͤhnte Weyſe zu genieſſen / und dem Fleiſche dabey keinen Raum zu geben / hat er ſich offt des erlaubten Genuſſes derCrea -21Lebens-Lauff. Creaturen enthalten / damit nicht die Begierden in ihrer natuͤrlichen Unord - nung dabey ohne Furcht fuͤhren / und aus der Freyheit eine Frechheit machten. Da - rum als ihm auf eine Zeit geluͤſtete Weintrauben zu eſſen / und den Garten - Schluͤſſel deshalben forderte / reſolvir - te er ſich bald anders / gab den Schluͤſſel zuruͤck und ſagte: Jch will meinen Ap - petit brechen / weil er ſo groß iſt. Alſo ſorgfaͤltig war er die Luͤſte des Leibes zu - bewahren und ihnen Zuͤgel anzulegen / daß ſolche den Geiſt nicht daͤmpffen und uͤbertaͤuben moͤgten.

Keinesweges aber machte er ſich in ſolchen Mittel-Dingen unnoͤthige Geſe - tze und Gewiſſens-Stricke / ob haͤtte er den Geiſt der Furcht empfangen; ach nein! ſein gantzes Leben war ſo bewandt / daß die Freyheit und Freudigkeit aus allem ſeinem Thun hervor leuchtete.

Er wuſte / daß die Chriſten allein an denen Creaturen Recht bekommen we - gen ihrer Verſoͤhnung mit dem Schoͤpf - fer.

Er22Lebens-Lauff.

Er bezeugete auch gegen ſeine Bruͤder und Schweſtern oͤffters / wie ſie mit Danckſagung eſſen ſolten / ſo offt ſie eſſen / und was ſie eſſen. Zu Gottloben ſei - nem juͤngern Bruder ſagte er / als er ihn ſahe einen Apfel eſſen: Eſſet ihn mit Danckſagung und nicht zur Wol - luſt. Jn welcher Vermahnung er kurtz zuſammen faſſet den rechten Brauch der Creatur nach Pauli beyden Regulen 1. Tim. IV, 4. Alle Creatur iſt gut / wenn ſie mit Danckſagung empfan - gen wird. Und Rom. XIII, 14. War - tet nicht des Leibes / wie es ſeine Wolluſt begehret.

Wo er auch gemercket hat / daß ſeine Bruͤder einer Veraͤnderung des Ge - muͤths bedurfft / hat er ſolche befoͤrdert / aber nicht zur Wolluſt / weswegen er ſeinen juͤngern Bruder erinnerte / nicht ſtets mit dem Kinder-Wagen die Zeit zu vertreiben: man muͤſſe ſie kauffen. fuͤr den aͤltern Bruder hat er offt inter - cediret bey dem Herrn Vater / daß er ihnmit23Lebens-Lauff. mit nach Muͤhlingen auff die Reiſe neh - men moͤgte. Wenn deſſen Gemuͤthe einer Aufmunterung aus aͤuſſeren Din - gen bedurfft / hat er ihm auf ſolchen Rei - ſen ſeine Stelle cediret.

Dieſe ſeine jetzt beruͤhrte geiſtliche Wachſamkeit / welche ihn lehrete der Welt zu gebrauchen und nicht zu miß - brauchen / verband er beſtaͤndig mit dem Gebeth nach CHriſti Vermahnung: Wachet und betet. Er wuſte / daß / wer ſeine Augen des Glaubens nicht GOtt und die Ewigkeit zu beſchauen ge - woͤhnete durch ein unablaͤßiges Gebeth / der vergaffe ſich an den Eitelkeiten und den vergaͤnglichen Dingen / weil er nichts beſſers kennen lernen. Daher ließ ſich der ſelige Chriſtlieb offt im Verborge - nen finden / mit ſeinem himmliſchen Va - ter / der ins Verborgene ſiehet / ſich zu be - ſprechen. Gottlob ſein juͤngerer Bru - der hat ihn einmal auf ſeinem Angeſicht gefunden; in welcher Demuth er nicht ſelten die Majeſtaͤt ſeines Schoͤpffersvereh -24Lebens-Lauff. verehrete. Er hat auch ſehr offte einen Bruder oder die Schweſter zu ſeinem verborgenen Gebeth gezogen / um dieſe auch hiedurch in genauere Gemeinſchafft mit GOtt zu bringen.

Vier Wochen vor ſeinem Ende hat er ſeine Schweſter mit ſich auf den Al - tan genoͤthiget mit den Worten: Kom - met / wir wollen einen Bund mit GOTT machen / jetzo haben wir Zeit / wir muͤſſen ſie auskauffen zum Gebeth. Als dieſe ihm willig gefolget / hat er ſonderlich der Formalien ſich im Gebeth bedienet: Sie wolten hiemit unter JEſu Fahne geſchworen ha - ben nicht mehr zu ſuͤndigen.

Jnſonderheit hatte er wider die un - nuͤtzen Worte / und wider das Lachen ſein Gebeth zu GOtt gerichtet / weilen den Tag zuvor eine Sache unter den Kin - dern vorgefallen / die unter einem unge - ziemenden Gelaͤchter gehandelt worden; dis hatte er GOtt abgebeten und geſpro - chen: Die Freude dieſer Welt iſt toll /und25Lebens-Lauff. und die da lachen / wiſſen nicht was ſie thun.

Mit eben dieſer Schweſter iſt er auch einmal auf den Altan gegangen / als ein groſſes Gewitter voruͤber geweſen / hat GOtt gedancket / gelobet und ſich im HErrn erfreuet. Auf eine andere Zeit kommt er zu ihr und ſpricht: Marie Ließchen! moͤgte ich eine Braut Chriſti werden! Jch will darnach ſtreben / ſtrebt ihr auch darnach. Und als ſie ihn gefraget / wie mans ma - chen muͤſſe? Antwortete Er / man muͤſſe keuſch und unſtraͤfflich ſeyn.

Den 8t. Octob. als er von Roßlau zu - ruͤck gereiſet mit ſeinem lieben Hn. Va - ter und deſſen Herrn Bruder / hat er ſich ſo bruͤnſtig im Geiſt gefunden / daß er erſt viel herrliche Sachen zu Aufwe - ckung der Gemuͤther mit einem groſſen Zufluß geredet / ſo / daß ſein Herr Vetter / als gedachter ſeines lieben Vaters Bru - der / darob erſtaunet / und bald darauf hat Erlaubniß gebeten / ſein Hertz imBGebeth26Lebens-Lauff. Gebeth vor GOtt auszuſchuͤtten. Da - bey denn eine ſolche Krafft ſich ſpuͤren laſſen / daß ſein lieber Vater von ſeinem Herrn Bruder etliche mal heimlich an - geſtoſſen und ins Ohr erinnert worden: Er werde das Kind nicht lange be - halten; es hat auch nur 5. Wochen ſein Leben noch gewaͤhret. Was ſonſt hier in den Gemuͤthern den Reiſenden vor Uberzeugungen gewircket worden / iſt hier nicht zugedencken.

So bald der Knabe auch von dieſer Reiſe heimkommen / hat er ſeine Schwe - ſter mit auf den Altan genommen zum Gebeth / welches er ſehr bruͤnſtig gethan / und nachmals zur Schweſter geſaget: Wenn ſie die Freude empfinden ſolte / die er haͤtte / ſie gaͤbe ſie nicht / wenn ihr alle Haͤuſer in Zerbſt voll Du - caten und Diamanten geboten wuͤr - den. Solche empfindliche Freude des Geiſtes hat er oͤffters gehabt / dabey er dann bezeuget / er habe einen Eckel an der Welt.

Bald27Lebens-Lauff.

Bald nach der Freudigkeit des Her - tzens / ſo er im 8ten Jahr empfunden / iſt er / als eben ſeines lieben Herrn Vaters Frau Schweſter / die Frau Doct. Krauſin aus Wittenberg / dazumal da geweſen / des Abends zum Geſinde ge - gangen / hat ihnen den Spruch ausge - leget: Das Blut JEſu Chriſti / des Sohnes GOttes / machet uns rein von allen Suͤnden / und unter andern geſaget: Er frage nichts nach Reich - thum / Ehre und Geld / wenn er nur Chriſtum haͤtte; denn ein einiges Troͤpfflein des theuren Blutes JE - ſu im Glauben ſich zugeeignet / uͤber - waͤge die gantze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit / ſtellete auch dabey mit ex - presſis verbis vor / daß ſo wenig Rei - che ins Reich GOttes kommen wuͤr - den; Ja er that eine ſolche bewegliche Rede / daß unter andern Geſinde der Kutſcher / ein Mann von 50. Jahren / ſo wol als die Frau D, Krauſin / auch die lieben Eltern ſelbſt viel Thraͤnen ausB 2Be -28Lebens-Lauff. Bewegniß ihres Hertzens darob flieſſen lieſſen.

Jn einem Briefe an mich ſchreibet er: GOtt hat mich etwan nun 3. Ta - ge her ſehr mit ſeiner Gnade geſpei - ſet / daß ich auch ſehr weit in meinem Chriſtenthum fortgangen bin / daß ich gantz bin voll geweſen der Liebe meines Heylandes; fuͤr welche Er - quickung ich GOtt Danck zu ſagen ſchuldig bin / und auch wuͤrcklich Danck ſage. Ja lieber Herr Arends, der liebe GOtt hat aus lauter Gna - de meinen Sinn geaͤndert / und aufs Himmliſche gezogen / daß ich es auch nicht ſagen kan / und GOTT nicht gnug dafuͤr dancken kan. Er hat aber auch wohl verſtanden / daß Kinder GOttes an ſolchen ſuͤſſen Empfindun - gen nicht hangen bleiben ſollen / weil ſol - che nur als Zucker-Stengel ihnen ver - ordnet ſind / unter der Angſt / Truͤbſal / Verfolgung und abwechſelnden An - fechtungen in der ſtreitenden Kirche aus -zu -29Lebens-Lauff. zudauren / bis das Gold des Glaubens in deren Hitze durchlaͤutert / und ein Chriſt zu ſeinem Theil der verordneten Herrlichkeit bereitet iſt. Darum ſchrei - bet er in jetzt bemeldeten Briefe / gleich nach den angefuͤhrten Worten: Jch freue mich daruͤber ſehr / und nehme es von GOtt an als eine ſuͤſſe Speiſe / die er ſeinen Kindern ſchicket und mit - theilet; will er ſie aber wieder von mir nehmen / will ich dem himmli - ſchen Vater auch dancken / und da - mit vorlieb nehmen. O wuͤrdige Worte eines GOttgelaſſenen Chriſten!

Dieſe ſeine Gelaſſenheit und Gedult blicket auch mit gleichen Strahlen her - vor aus einem andern Briefe an mich / wenn er von ſeiner Leibes-Conſtitution alſo referiret: Die liebe Vater - Hand GOttes hat mir nun 14. Ta - ge her ſehr ſtarcke Kopf-Schmertzen aufgeleget / daß ich auch alſo nicht habe koͤnnen beywohnen die officia ſcholaſtica, (daß ich ſeinen TerminumB 3behal -30Lebens-Lauff. behalte) welche Kopf-Schmertzen nun ziemlich vorbey ſeyn / dennoch aber ſich taͤglich etwas davon noch ſpuͤren laͤſſet: Jch hoffe aber / ſie wer - den es ſo gut aufnehmen / als wenn ich geſund waͤre. Denn Kinder GOttes nehmen mit dem vorlieb / was der Vater ſchicket; wie dann auch damit vorlieb nehme / indem es von der lieben Vater-Hand kom - met / es ſey Kranckheit oder Geſund - heit / Freude oder Leid / Leben oder Tod.

Jn einem andern Briefe ſchreibet Er: GOtt gebe / daß wir dasjenige / was er uns zu tragen giebt / es ſey am geiſt - lichen oder leiblichen / willig tragen und damit zu frieden ſeyn: denn Er iſt Vater und wir ſind Kinder / dar - um ſollen wir ihm gehorſam ſeyn. Und zu dem ſo wird er uns nichts Ley - des thun / ob es gleich dem Fleiſche und alten Adam Spaniſch vorkom̃t.

Er hat ein Viertel-Jahr vor ſeinemAble -31Lebens-Lauff. Ableben die allerempfindlichſten Kopf - Schmertzen gehabt: Wenn der Schmertz angetreten / hat er nichts ge - ſagt / das Haupt vor ſich auf den Tiſch geleget / oder iſt bey Seite allein gegan - gen / bis es voruͤber geweſen.

Als dieſes Leiden ſo lange bey dem Kinde anhielt / fragte es ſeine liebe Frau Mutter und ſprach: Du liebes Chriſt - liebchen / bitteſt du denn GOtt nicht / daß er dir dieſe Schmertzen abnehme? Da antwortete er: Meine liebe Mam̃a / ich weiß / daß der liebe Vater im Himmel mir dis nicht auflegen wuͤrde / wenn mirs nicht gut und nuͤtzlich waͤre; Jch will Gedult darunter lernen / wenn ichs aber nicht mehr aushalten kan / alsdenn will ich um Linderung GOtt bitten. Solche ausdaurende Gedult iſt bey ihm bis ans Ende verſpuͤ - ret worden.

Sein Ende aber hat er lange gewuͤn - ſchet / wie ſolches aus folgendem abzu - nehmen. Da am 2. Sept. 9. WochenB 4vor32Lebens-Lauff. vor ſeinem Tode / ein Chriſtlicher Freund bey dem Herrn Vater des lieben Kindes angeſprochen / und das Kind ihm gekla - get / was fuͤr groſſe Kopf-Schmertzen er etliche Wochen lang ausgeſtanden / und noch ausſtehe / und daß er glaube / daß er daran noch ſterben wuͤrde / hat derſelbe Freund ihn gefraget / ob er denn auch gern ſterben wolte / wenn ihn ſein himm - liſcher Vater durch dieſe Kranckheit zu ſich nehmen wolte? Worauf er mit freudigem Muthe ohne Bedencken ge - antwortet / ach ja! und als derſelbe wei - ter gefraget / warum er denn ſo gern ſter - ben wolte / was ihn denn zu ſolcher Glau - bens-Freude bewege? Hat er geant - wortet: Wir wiſſen / daß wir ihm gleich ſeyn werden: Denn wir wer - den ihn ſehen wie er iſt.

Und als er einſt von ſeinen lieben El - tern gefraget worden / wie ihm denn zu Muthe geweſen / da er ſich vor 2. Jah - ren immer ſo gefreuet / und doch keine aͤuſſerliche Urſache der Freude vorhan -den33Lebens-Lauff. den geweſen? hat er zur Antwort gege - ben: Es waͤre eben eine ſolche Suͤßig - keit und Freudigkeit geweſen / wie er jetzo zum oͤfftern in ſeiner Seele em - pfuͤnde / die mit nichts in der gantzen Welt zu vergleichen waͤre / und mit nichts als mit JEſu dem Geliebten ſelbſt koͤnte erſaͤttiget werden.

Nicht allein aber hat er oben beſagter maſſen ſein Ende gewuͤnſchet / ſondern auch / da es heran geruͤcket / vielen vor - her angezeiget und ſich dazu berei - tet.

Gewuͤnſchet hat ers mit groſſer Freu - de / um eine Braut Chriſti balde zu werden / wie ſeine Weyſe zu reden war. Einsmals koͤmmt er zu ſeiner lieben Fr. Mutter und ſpricht: Ach liebe Mam - ma / eine Braut Chriſti werde ich wol nicht werden / wenn ich nur un - ter denen Geſpielen ſeyn moͤgte: Welche Worte keines weges einen Zweifel ſeines Glaubens und Hoffnung anzeigen / ſondern ſie ſind aus ſeinem ſoB 5viel -34Lebens-Lauff. vielfaͤltigen Glaubens-Kampf hergeruͤh - ret / als welcher ihm dieſen demuͤthigen Wunſch ausgepreſſet / mit David / wel - cher auch hie auf Erden lieber ein Thuͤr - huͤter in ſeines GOttes Hauſe ſeyn wol - te / denn lange wohnen in den Huͤtten der Gottloſen.

Vorher hat er ſein Ende angezeiget unterſchiedenen im Hauſe / auch ſeines lieben Herrn Vaters Herrn Bruder / dem Cammer-Diener und Leib-Chirur - go bey Sr. Fuͤrſtl. Durchl. Fuͤrſt An - ton Guͤnthern / Fuͤrſten zu Anhalt / zu Muͤhlingen.

Als er von Roßlau kommen 3. Wo - chen vor ſeinem Abſterben / ſagete er zu ſeinem Bruder Gottlieben: Ach wenn ich doch noch einmal nach N. kaͤme / ehe ich ſtuͤrbe / wenn doch mein lie - ber Herr Vater bald hin reiſete! Denn er hatte ſich zu N. wohl erbauet be - funden.

Auf eine andere Zeit / da er ſeinen herannahenden Tod vermuthete / hat erge -35Lebens-Lauff. geſagt: Wenn ihn GOtt hingenom - men / ſo wolte er GOtt bitten / daß er die lieben Eltern und Geſchwiſter auch bald voͤllig erloͤſen moͤgte von dieſer gegenwaͤrtigen argen Welt.

Bereitet hat er ſich zu ſeinem Abſchie - de durch ſeinen treuen Kampf wider alle Unreinigkeit / ſo er in ſeiner Natur wahr - genommen. Jn einem Briefe an mich von 15ten Septemb. 1707. ſchreibet er: Gleichwie das nicht gnug waͤre / wenn ein Bettler vor einer hohen Perſon erſcheinen wolte / daß er nur etliche grobe Sachen ablegte / ſon - dern er muͤſte gar andere Sitten / Mores und Gebehrden lernen / und ſein angethan werden; alſo auch wir / wenn wir wollen vor GOtt erſcheinen / muͤſſen wir gar anders werden an Hertz / Muth und Sinn und Kraͤfften / daß wir fuͤr GOtt beſtehen koͤnnen / und vor ſein Ange - ſichte treten.

Jn dem letzten Briefe / den er 3. Wo -B 6chen36Lebens-Lauff. chen vor ſeinem Tode geſchrieben / befieh - let er ſich in mein Gebeth / verſpricht / mich wieder in ſeine Fuͤrbitte zunehmen / und ſetzet darauf dieſe Worte: GOtt mache uns aber durch ſolche gleich - ſam Wechſel-Gebethe recht heilig und unſchuldig / daß wir dem Bilde Chriſti gemaͤß leben / ihn mit Suͤnden nicht beleidigen / und ihn ſeiner Eh - re nicht berauben. Ja er behalte uns heilig in ſeiner Liebe (laſſe uns aber erſt recht heilig leben) bis auf die Erſcheinung JESU CHRJ - STJ.

Seine Worte hielte er auf einer ſol - chen Waag-Schaale / daß ich die Zeit meines Umganges mit ihm ſo wenig an ſeinen Reden als an ſeinen Wercken ſtraͤffliches funden. Er ſelbſt aber ge - woͤhnete mit ſeinen Erinnerungen das Geſinde dahin / daß ſie auch gegen das Vieh keinen unnuͤtzen Zorn oder unzei - tige Haͤrtigkeit erzeigen moͤchten. Wel - che Erinnerungen er aber nicht durchver -37Lebens-Lauff. verdrießliches Tadeln / ſondern mit we - nigen bittenden Worten / Minen / auch Seuffzen an den Tag legete. Denn durchaus keine Tadel-Sucht bey ihm Statt funde.

Gottloben ſeinen juͤngern Bruder / welcher vor Pfingſten Anno 1707. noch was ungebrochen war / aber ein paar Wochen darauff ein gantz ander We - ſen an ſich leuchten ließ / (darin die Treue GOttes ihn bis itzo um dem Advent er - halten hat / und ferner beſtaͤndig erhal - ten wolle) wurde offt von dem ſeligen Bruder vermahnet und zum Gebeth mit gezogen; und als dieſer ſeinen ſeligen Bruder fragte / wie er es denn machẽ ſol - te / daß er fromm wuͤrde? ſagte Chriſt - lieb: Er ſolte fleißig beten. Er fra - gete weiter / wie man beten muͤſſe? ant - wortet Chriſtlieb: Erſtlich muͤſſet ihr um Buſſe / Glauben und Liebe bitten / um anders nichts; wenn ihr denn die habet / ſo koͤnnet ihr weiter bitten. Alſo war des ſeligen Kindes Mund uͤber -B 7all38Lebens-Lauff. all mit Vermahnungen / Straffen / Leh - ren und Beten geſchaͤfftig / und in die - ſem allen harmonirte ſein Leben.

Sonderlich iſt merckwuͤrdig / daß er in der von GOtt empfangenen Erkaͤnt - niß von Widerſprechenden / in der Un - wiſſenheit eiffernden und in der Welt angeſehenen Perſonen ſich niemals Scrupel machen laſſen / wie disfalls ſein aͤlteſter Bruder viel Anfechtung ge - lidten. Sein Hertz war feſt und unbe - weglich / und in der Schrifft war er ſo maͤchtig / daß man nur ihn zu fragen pfleg - te / wenn man wiſſen wolte / wo etwa die - ſer oder jener Spruch ſtuͤnde.

Auch hatte er die Lieder aus ſeinem Geſangbuche ſo fleißig geſungen / daß er den Text von vielen fertig auswendig konte / und vorzuſingen pflegte / wenn die Geſangbuͤcher auf Reiſen nicht bey der Hand / oder man auf den Eß-Altan in dem Garten kein Licht des Abends tragen wolte; auch hatte er die Blaͤtter dergeſtalt inne / daß / ſo offt ein Lied erweh -let39Lebens-Lauff. let wurde / er daſſelbe wuſte wo es ſtun - de.

Als einsmals vom Tode geſprochen wurde / dabey mir die Umſtaͤnde der Re - de nicht gnugſam bekant / ſagte Chriſt - lieb unter andern: Liebe Mam̃a / mey - net ſie / daß ich mich ſo ſehr betruͤben wolte / wenn ſie ſtuͤrbe? nein das thaͤ - te ich nicht; uͤber den lieben Vater wuͤrde ich mich wol ein klein wenig betruͤben / aber auch eben nicht gar zu viel: denn ich weiß ja / zu was fuͤr einer Herrlichkeit ſie gelangen wuͤr - den.

Daß ich aber zum Beſchluß des Le - bens komme / den man bey dieſem lieben Kinde ſonderbar angemercket / ſo hat er mit dem angefangenen Julio 1707. einige Kopf-Schmertzen geklaget / die nur zu - weilen ſich gefunden; nachdem ihm a - ber ſolche oͤffters angeſtoſſen und acutis - ſimi dolores draus worden / hat er ſehr groſſe Gedult daruͤber ſpuͤren laſſen / wie ſchon oben ſein Bezeigen dabey angefuͤh -ret40Lebens-Lauff. ret worden / und ſonderlich die Gelaſſen - heit aus denen damals geſchriebenen und hier excerpirten Briefen herrlich hervor ſtrahlet.

Er hat ſich auch dabey ſo ſtandhafft bezeiget / daß er ſich bis 3. Wochen vor ſeinem Ende auſſer Bette gehalten / da er die Schule / Tiſch und taͤgliche Betſtun - den noch mit beſuchet / und wenn der Schmertz angetreten / ſich gantz ſtill ge - halten / den Kopf niedergeleget oder auf die Seite gegangen / bis es voruͤber ge - weſen.

Vierzehen Tage vor ſeinem Abſchiede / da ihme der Schmertz uͤber die Maſſen ſtarck zugeſetzt / und kaum der Paroxyſ - mus voruͤber / ſagte er: Wie ſuͤſſe wer - de ich in den JEſus-Armen ruhen / Papa wie wohl wirds thun! Und als ſein Herr Vater ihn fragte / wie er denn dieſe Worte verſtuͤnde / ob er wolte durch Glauben und Gedult ſich ferner in JE -ſus41Lebens-Lauff. ſus Arme legen und ruhen? da ſagte er: ja auch lieber Papa / aber noch mehr / wenn ich nicht mehr im Fleiſche ſeyn werde / und das Fleiſch den Geiſt nicht mehr beſchweren kan.

Bald darauf / als ſein groͤſſeſter Bru - der Gottlieb Leberecht ihn zum An - dencken um ein Spruͤchlein bat / ſprach er: Jaget nach dem Frieden und der Heiligung / ohne welche wird nie - mand den HErrn ſchauen; woraus zu erkennen / daß er vor ſeinem Ende mit ſolchen Gedancken ſehr beſchaͤfftiget ge - weſen / wodurch ſeine Seele zu einer mehrern Laͤuterung koͤnte gebracht wer - den.

Wobey noch zu gedencken ſeyn moͤch - te / daß er zu ſeiner Schweſter und klei - neſten Bruder Gottlob Johann E - berhardt etliche Wochen vor ſeinem Tode geſagt: Ach wie werde ich michim42Lebens-Lauff. im Himmel betruͤben / wenn ihr den HErrn mit Suͤnden in der Welt creutzigen werdet.

Nach der Zeit hat er etliche Tage gantz ſtille weg gelegen und nichts mehr geſprochen / auſſer daß er etwa 2. Stun - den zuvor / ehe ſich ſein Todes-Kampf anhub / ein Geſangbuch mit lallender Stimme forderte / und das Lied ſingen ließ von allen ſo in der Stube waren: Nun lob meine Seele den HErren. (Den Tag vorher aber ließ er ſich vor - ſingen das Lied aus dem Geſangbuch: Jauchtzet all mit Macht ihr From - men etc: und das Lied: Was iſt doch dieſe Zeit / was ſind die Leiden etc:

Eine Stunde nach vollendetem Ge - ſange: Nun lob meine Seele den HErren etc: hub ſich ſein Todes - Kampff an / in welchem er 3. gantzer Tage zugebracht / gantz ſtille gelegen inſtar -43Lebens-Lauff. ſtarckem kalten Schweiß / mit halbge - brochenen Augen / ohne ſich zu ruͤhren o - der umzuwenden / auſſer wo man ihn hin - wendete. Jndeſſen wurde mit Beten und Singen abgewechſelt / und vor ſeinem Bette continuiret ſo Tages als Nachts; und da ich / ſein vorhin geweſener Informator, ihn fragte: Ob er denn etwas verſtuͤnde / und ob er noch von ſei - nem liebſten Heylande ſo reichlich wie ehemals erquicket wuͤrde? ſo moͤchte er doch / weil er nicht mehr reden koͤnte / ein Zeichen von ſich geben; hat er die Au - gen aufgethan / den Mund beweget / aber keinen Laut von ſich gegeben / und den lincken Arm in die Hoͤhe gehoben.

Jn der letzten Nacht wachete bey dem ſeligen Kinde ein Studioſus Theologiæ, der anitzo Pagen-Hofmeiſter an dem Hochfl. Hofe zu Muͤhlingen iſt / damals aber etliche Wochen in des Herrn D. Ex - ters Hauſe ſich auf halten muſte. Er la - ſe ihn unter andern vor das Lied: DerBraͤut -44Lebens-Lauff. Braͤutgam wird bald ruffen: Kom̃t all ihr Hochzeit-Gaͤſt / welches im Halliſchen Geſangbuche pag. 1147. ſte - het. Als nun der 4te Vers kam: GOtt wird ſich zu uns kehren / einem jeden ſetzen auf eine guͤldne Cron der Ehren und hertzen freundlich drauf ꝛc. hat das liebe Kind beyde Augen aufgeſperret / und den Mund mit einer laͤchelnden Mi - ne verzogen / den rechten Arm in die Hoͤhe gerecket / mit dem Zeige-Finger nach dem Himmel gewieſen / und gedachtem Studioſo mit dem Finger 3mal gewin - cket / und iſt endlich in ſelbiger Nacht nem - lich den 12ten Nov. 1707. morgens um 4. Uhr / als bey anbrechenden Ruhe-Tage des HErrn / in JEſu entſchlaffen / ſeines Alters 10. Jahr und 3. Monath.

Nach ſeinem Tode hat man unter ſei - nen Schreibe-Sachen gefunden vieler - ley geiſtliche Sachen / ſo er verfertiget / welche er aber bey ſeinem Leben nieman -den45Lebens-Lauff. den bekant gemacht. Mein Ende wer - de wie dieſes Ende!

Dieſen Lebens-Lauff habe ich des ſel. Kindes hinterbliebenen Eltern zum Troſt und Erweckung aufzuſetzen nicht unterlaſſen wollen / weil ich ſo wohl bey ſeinem Leben kurtz zuvor / ehe ich vom Halberſtaͤdtiſchen Conſiſtorio | aus Zerbſt hinweg gefordert und zum Pre - dig-Amt beruffen worden / ſein Infor - mator geweſen / als auch kurtz vor ſei - nem Ende / da ich einiger Geſchaͤffte hal - ber nach Zerbſt reiſete / und einige Tage bey ſeinen lieben Eltern mich aufhielte / uñ zwar zu eben derſelbigen Zeit / da dieſe ſelige Seele zu ihrem Heylande aufge - nommen wurde / aus ſonderbarer goͤttli - chen Schickung / ſo wol bey ſeinem Ende / als bey ſeiner Beerdigung / ich mich ſo occaſionaliter einfinden / und demſel - ben beywohnen muͤſſen. Daß alſo von allem / was ich hier geſchrieben / gar ge -naue46Lebens-Lauff. naue und genuͤgliche Nachricht / Ver - ſicherung und Gewißheit habe / es vor dem Angeſichte des allwiſſenden GOt - tes als ein ocularis teſtis zu ſchreiben.

Geſchrieben in Halberſtadt d. 20. Decembr. 1707. Wilhelm Eraſmus Arends / Paſtor zu Crottorff im Fuͤr - ſtenthum Halberſtadt.

II. Sei -[47]

II. Seiner Hochfuͤrſtl. Durchl. Herrn Anton Guͤnthers / Fuͤrſten zu Anhalt / von Dero eigenhaͤndigen Original eines erhaltenen Poſtſcripti abgedrucktes Zeugniß.

WAs anbelanget Herrn D. Ex - ters Sohn Chriſtlieb Le - berecht ſeligen / ſo iſt die - ſes Exempel ausnehmendge -48Zeugniß. genug / wie der groſſe GOTT offters mit ſeiner groſſen Gnade in denen Un - muͤndigen / als in noch nicht verdorbenen und dem Heiligen Geiſt widerſtreben - den Gefaͤſſen / kraͤfftiger und ausneh - mender wircke / als in Erwachſenen; Weil jene ihre durch die heilige Tauf - fe und durch das Blut Chriſti gereinigte Seele noch nicht wieder durch die Luſt - Begierden in Einwilligung fuͤrſetzlich grober Suͤnden zum Scheuſal vor dem groſſen GOtt gemacht / und noch nicht mit Præjudiciis, Limitationen und Philoſophiſchen Vernūfft-Schluͤſſen (womit Erwachſene und Hochgelahrte offte dem Geiſt GOttes zu widerſtreben / ja wol gar dem groſſen GOtt ſein heili - ges Wort entgegen zu ſetzen und da - durch zu wiederſtreben pflegen) zu wie - derſtreben eingenommen ſind / ſondern in kindlicher Einfalt dem Eindruck / Zie - hung und Lockung des Geiſtes GOttes Statt geben und ſich leiten laſſen.

Jch meines Theils halte dafuͤr / daß /wenn49Zeugniß. wenn ſolche Exempel oͤffters von Chriſt - lichen Theologis oder andern GOtt-lie - benden Seelen colligiret und publique gemacht wuͤrden / daß ſolches bey der Jugend und bey Chriſtlichen Alten / bey den erſten nicht ohne Erbauung und Aufmunterung / und zur Erweckung zum Lobe und Preiſe GOttes denen andern gereichen werde.

Jch habe dieſen Chriſtlieb Lebe - recht ſehr offt in ſeines Vaters D. Ex - ters Hauſe geſehen / wenn ich aus der Kir - che zur Heil. Dreyfaltigkeit in Zerbſt aus der Freytags-Predigt gekommen / und zu dem Hn. D. Extern / mit ihm ei - nes und das andere zu verabreden / mit hingefahren; Da ich denn / als er 7. Jahr alt war / mich uͤber ſein Gedaͤchtniß ver - wundert / daß er nicht allein einen ziemlich langen Lateiniſchen Vers reim-weyſe geſetzet uͤber das vergangene Sonntags - Evangelium absq; hæſitatione her re - citirte / ſondern wenn man zuruͤck bis auf vier / fuͤnff und weiter vorhergegangeneCSonn -50Zeugniß. Sonntage ihn fragte / waren auch ſelbi - ge ihm gelaͤuffig her zu ſagen.

Was nun ſonſt die Capita anbelan - get / ſo in ſeinem wahren Chriſten - thum er verzeichnet / ſo habe ich mich dar - ob theils hoͤchlich erfreuet / theils derer mich hoͤchſt verwundert / daß / da alles in kindlicher Einfalt verfaſſet / dennoch mit kraͤfftigen Worten / Realitaͤten und Schrifft-Krafft er der Sachen den Aus - und Eindruck giebet. Jch habe deren ſieben aus ſeinem Originali noch bey ſeinem Leben geleſen / auch 11. oder 12. ſeiner geiſtl. Lieder gleichmaͤßig aus ſeinem Concept, ſo er mit eigener Hand geſchrieben; welche nicht minder von der in ihm wohnenden Gnade Gottes ge - nuͤglich Zeugniß darſtellen koͤnnen. Nach ſeinem Tode aber habe ich die andern 5. Capita in demſelben zuſammen geheff - teten Original-Buche / und alſo 12. an der Zahl geſehen / geleſen / und mich hertzlich darob erquicket / deßgleichen auch noch 6. ſeiner letzten verfertigten Lieder /zwar51Zeugniß. zwar auch von ſeiner eigenen Hand ge - ſchrieben / aber in einem andern zuſam - men geheffteten Buͤchlein / dabey mir berichtet wurde / daß er die erſten Lieder jemand von Halle kommend im Ver - trauen mit gegeben / und alſo damals nicht zu handen.

Was aber die von ihm an ein und an - dern geſchriebene Briefe anbelanget / in welchen ich Paſſagen gefunden / da die - ſer Knabe ſel. ſolche kraͤfftige und geiſt - reiche Ausdruͤcke gefuͤhret / und ſolche Aufmunterungen gethan / welche bejahr - ten und in Theologia kundigen offt nicht beyflieſſen ſolten; hiervon habe ich die an den Hn. Paſtor Arends / als ſeinen ehemals geweſenen Informatorem, ge - ſchrieben in Originali geſehen / auch den Brief / den er an ſeine Schweſteꝛ geſchrie - ben / als er damals in ſo zarter Jugend auch empfinden muͤſſen / was die ſchwe - re Hand des HErrn uͤber einem Men - ſchen ſey.

Dieſes iſt es nun / was mir von O -C 2rigi -52Zeugniß. riginalien ſo wol bey ſeinem Leben als nach ſeinem Tode zu Hand und Geſicht gekommen / ſo ich mit denen habenden Copien genau collationiren laſſen / und alſo verſichert bin / daß die Worte mit dem Original uͤberein kommen / und hoffentlich frey von Schreib-fehlern ſeyn werden.

Anton Guͤnther / Fuͤrſt zu Anhalt.

III. Das[53]

III. Das Wahre Chri - ſtenthum / Wie daſſelbe von denen / ſo ſich heute zu Tage Chriſten nennen / ſoll ins Werck geſetzet werden / vorgeſtellet von Chriſtlieb Leberecht von Exter. Symb. Chriſto Liberatus Exulto. Angefangen Jn Zerbſt den 12. Jun. 1707.

C 3Das[54]
〈…〉〈…〉

Das Erſte Buch / verfaſſet in XXV. Capitel.

  • 1. Vom Wahren Glauben / wel - cher die Welt uͤberwindet.
  • 2. Wer Chriſti Juͤnger ſeyn wol - le / muͤſſe ſein Creutz auf ſich nehmen / und ihm folgen.
  • 3. Wer zu dem Abendmahl des HErrn kommen wolle / muͤſſe ein hochzeitlich Kleid an ha - ben.
4. Wer55Jnhalt.
  • 4. Wer Chriſti Diener ſeyn wol - le / muͤſſe gekleidet ſeyn / wie er ſelbſt.
  • 5. Von der Wachſamkeit uͤber unſere Seele / desgleichen auch von der Klugheit / die der See - len noͤthig iſt.
  • 6. Von der Nachfolge GOttes / als die lieben Kinder.
  • 7. Von der ungleichen Uberein - ſtimmung Chriſti und Beli - als / Lichts und Finſterniß.
  • 8. Wir ſollen im Licht wandeln / weil wir das Licht haben / auf - daß uns nicht die Nacht uͤber - eile.
  • 9. Von Chriſto muͤſſen wir alles erlernen / denn Er iſt unſer Lehrmeiſter.
  • 10. Wie wir ſollen ſtarck ſeyn in dem HErrn / ſtreiten und kaͤmpfen.
C 411. Wie56Jnhalt.
  • 11. Wie wir ſollen in den Wein - ſtock Chriſtum eingepflantzet ſeyn.
  • 12. Wir ſollen allen Heuchel - ſchein meiden.
  • 13. Chriſtum lieb haben iſt beſſer / denn alles wiſſen.
  • 14. Die Welt haͤlt uns als Ster - bende etc. aber wir leben.
  • 15. Wer dem HErrn anhanget / ſey ein Geiſt mit ihm.
  • 16. Der Welt Weißheit / die Phi - loſophia u. d. g. ſey Thorheit vor GOtt.
    (a)zu verſtehen nach dem Sinn des Apoſtels 1, Cor. I, 20. III, 19. Col. II, 8.
    (a)
  • 17. Chriſtus iſt allein die Aufer - ſtehung und das Leben.
  • 18. Die Goͤttliche Traurigkeit wircket eine Reue zur Selig - keit / die niemand gereuet.
19. GOt -57Jnhalt.
  • 19. GOttes Liebe gegen die Men - ſchen.
  • 20. Wie Kinder GOttes bey al - ler Verfolgung doch ruhig ſeyn / und die Tugenden mehr zunehmen.
  • 21. Die Kinder GOttes kann nichts abwenden von der Lie - be JEſu.
  • 22. GOTT wohne gern bey de - nen / die demuͤthiges Hertzens ſind.
  • 23. Was Kinder GOttes fuͤr Troſt kriegen vor der Verfol - gung.
  • 24. Wie GOttes Haͤufflein klein iſt.
  • 25. Chriſtus wird ſcheiden die Frommen und Boͤſen.
C 5Noch58Erinnerung an den Leſer.
〈…〉〈…〉

Noch eine Erinnerung zuvor An den Leſer.

MEr ſich will zu GOtt bekehren / der thue es bald / und ſaͤume nicht; denn man muß entwe - der GOtt recht zu dienen an - fangen / oder muß es gar bleiben laſſen: Denn GOtt will unſere Hertzen gantz inne haben und beſitzen. Alſo gehet es nun nicht an / daß man will GOtt und der Welt dienen / ſondern man muß ſein Hertz allein GOtt ergeben; dieſes erlanget man durch andaͤchtiges Gebeth. Halleluja!

Jm59Wahres Chriſtenth. Cap. I.

Jm Namen JEſu!

Cap. I. Vom wahren Glauben / wel - cher die Welt uͤberwin - det.

Unſer Glaube iſt der Sieg / der die Welt (Tod / Teufel und Hoͤlle) uͤber - windet.

UNd alſo kan ein glaͤubiger Chriſt von GOtt im wahren Glauben (am Geiſtlichen) al - les bitten / was ihm nuꝛ noͤthig iſt / welches er auch empfaͤhet. 1. Joh. 5, 4. Und unſer Glaube iſt der Sieg / der die Welt uͤberwunden hat. Jn die - ſen Worten iſt ſehr viel geredet / ob es zwar wenig Worte ſind; und iſt das wahr / daß durch den Glauben man alles Creutz und Truͤbſal uͤberwinden koͤnne / ſowol im Geiſtlichen / als im Leiblichen.

C 6Als60Wahres Chriſtenth. Cap. I.

Als zum Exempel: Stoͤſſet mir ein Ungluͤck zu im Leiblichen / ich dencke aber / GOTTES Wille iſt es / und zu dem bete ich im Gebeth des HErrn / dein Wille geſchehe / habe auch dabey auf ihn (auf GOTT) das Vertrauen / er werde / wañ es ſein Wille iſt / mich wieder erloͤſen von ſolchem Ungluͤck: da kan man ſagen / dieſes iſt der rechte Glaube / und man uͤberwindet alſo das Ungluͤck / nem - lich daß man alle ſeine Sorge auf GOtt ſetzet und ihm vertrauet.

Von geiſtlichen Sachen ein Exem - pel zu ſetzen: Habe ich etwan groſſe An - fechtung oder groſſe Traurigkeit des Hertzens / und ich dencke / es iſt dieſe Traurigkeit vielleicht zu meiner Selig - keit. Oder: von dieſer Traurigkeit ge - dencket CHriſtus Matth. 5. Selig ſind / die da Leyde tragen / denn ſie ſollen getroͤſtet werden. CHriſtus aber meynet hier / die um ihrer Suͤnde traurig ſeyn / denn Paulus ſpricht 2. Cor. 7, 10. Die goͤttliche NB. die goͤttli -che61Wahres Chriſtenth. C. I. che Traurigkeit wircket zur Selig - keit eine Reue / die niemand gereuet.

Wir finden aber in unſern Text - Worten(a)So nennet er den Spruch 1. Joh 5 / 4. Weil auf denſelben dieſes erſte Capitel ge - richtet iſt. noch eine groͤſſere Verheiſ - ſung / daß wir gar die Welt (leicht zu - ſchlieſſen auch den Teufel) uͤberwinden koͤnnen durch unſern Glauben; und wir - berwinden nicht nur den Satan oder die Welt / ſondern (eine groſſe Verheiſſung!) wir / als Kinder GOTTES / haben ſie durch den wahren Glauben all uͤber - wunden. Jſt ſo zu verſtehen / als wenn ich leſe die Worte Hebr. 6 / 4. Denn es iſt unmuͤglich / daß die / ſo einmal erleuch - tet ſind und geſchmecket haben die Suͤßigkeit etc. und ich glaube nun die - ſe Worte / (wie ſie denn auch in der That wahr ſind) ſo werde ich ja nicht wieder von GOtt abfallen; und den Teufel nun / der mich begehret zu ſich zu haben / - berwinde ich nun mit dem / daß ich anC 7GOtt62Wahres Chriſtenth. C. I. GOtt hangen bleibe. Siehe nun / lieber Menſch / dieſes iſt das / was Johannes ſaget in der 1. Epiſt. 5 / 4.

Jch will aber noch ein Exempel herbey fuͤgen vom Glauben / zum Exempel: wenn ein Soldat will in den Krieg gehen wider ſeinen Feind zu ſtreiten / ſo kan er nicht e - her anfangen zu kriegen / als er habe erſt einen Pantzer an / und habe Gewehr in ſeiner Hand / alsdenn kan er beſtehen; alſo auch wir muͤſſen erſt gewapnet ſeyn NB mit dem Glauben / alsdenn koͤnnen wir wider den Satan beſtehen / und koͤnnen ihn uͤberwinden.

Weil aber der Glaube in dieſer letzten Zeit faſt gar verloſchen iſt / und der Glau - be ſehr duͤnne geſaͤet iſt / daß nur die Maul-Chriſten meynen / wenn ſie ſagen / ich glaube an GOTT Vater / Sohn / Heiligen Geiſt / ſo haben ſie ſchon den Glauben: So ſage ich hiemit / daß / wenn ſie ſagen: Jch glaube Vater / Sohn und Heiligen Geiſt / ſie doch be - dencken / wenn ſie glauben / es ſey einGOTT /63Wahres Chriſtenth. C. I. GOTT / der ſie erſchaffen / ein Erloͤſer / der ſie erloͤſet / Heiliger Geiſt / der ſie ge - heiliget hat / daß der GOTT ſie koͤnne wegen einer Suͤnde gleich zu Boden / ja in Abgrund der Hoͤllen werffen(b)Die Meynung iſt / daß der wahre Glau - be an den dreyeinigen GOtt nicht ohne Furcht GOttes ſey / die der Suͤnde wehret.. Und ſo muß der Glaube beſchaffen ſeyn an Vater / Sohn / Heiligen Geiſt.

Gebeth.

OHeiliger / gerechter / ewiger / zugleich auch liebreicher GOtt! ich dancke dir / daß du noch uns / wegen nicht allein einer / ſondern vieler unwiſſentlichen Suͤnden(c)d i. ohnerachtet wir vielmals unwiſſend ſuͤndigen. / dennoch gnaͤdig biſt. Da wir(d)od. Und weil wir. im Catechiſmo ſagen oder leſen: Jch glaube anGOtt64Gebeth ad Cap. I. GOtt Vater / GOtt Sohn / GOtt Heiligen Geiſt: Ach ſo laß uns doch auch recht beden - cken / was wir in dieſen Worten beten / und laß uns dadurch auch erkennen / daß du allzeit bey uns biſt / und ſieheſt unſer Thun / un - ſer Gehen und Stehen / ja alle Geſchaͤffte / die wir treiben / und laß uns daſſelbe nicht allein er - kennen / ſondern uns auch vor Suͤnden huͤten. O GOtt! laß uns den Teufel und die Welt / unſer Fleiſch und Blut / ja alle Suͤnden uͤberwinden durch den Glauben / und dort in der ewi - gen Seligkeit die Krone dafuͤr(e)Verſiehe aus Gnaden und nicht aus Ver - dienſt / wie 2. Tim. 2, 5. Cap. 4, 7. 8. erlangen. Dieſes alles um JE - ſu Chriſti willen / deſſen Zuſageuns65Wahres Chriſtenth. C. II. uns die Erhoͤrung verſichert / Amen! Amen!

Cap. II. Wer Chriſti Juͤnger ſeyn will / muß ſein Creutz auf ſich nehmen / ſich verleug - nen und ihm folgen.

Matth. 16 / 24. Will mir jemand nachfolgen / der verleugne ſich ſelbſt / und nehme ſein Creutz auf ſich / und folge mir.

ES wird uns in dieſem Spruͤch - lein das gantze Chriſtenthum / ſo wir an uns haben ſollen / be - ſchrieben. Chriſtus aber ſaget am al - lererſten: Er verleugne ſich ſelbſt; Welches ſoll ſeyn der Anfang des Chri - ſtenthums.

Gleichwie ein Krancker / wenn er will geſund werden / muß er am aller -erſten66Wahres Chriſtenth. C. II. erſten die Speiſen meiden / die ihm ſcha - den; wir ſind demnach nun auch kranck / und muͤſſen alſo einen Artzt haben / der uns kan geſund machen: wollen wir nun geſund werden / das iſt / wollen wir von Suͤnden frey werden / ſo muͤſſen wir die boͤſen Luͤſte fliehen / und muͤſſen dencken: ſiehe / nun will der Satan uns verfuͤhren / und zu Suͤnden reitzen / dennoch wollen wir uͤberwinden / und das Feld / das iſt / die Seligkeit / behalten.

Es iſt aber ein beſſer Exempel zuge - ben auf dieſes erſte Wort zum Chriſten - thum gehoͤrig / verleugnen. Nem - lich / als wenn einem eine boͤſe Luſt auf - ſteiget dem alten Adam angehoͤrig / ſo ſpricht gleichſam der Teufel zu uns: Jſt mein Mittgeſell / der Adam / das iſt die Suͤnde / nicht zu Hauſe? Alsdenn ſoll man gleichſam ſagen: Er iſt nicht zu Hauſe / ſondern es iſt ein neuer Menſch drein / der / wenn der Teufel hinein kommet / weichet / oder wenn der Teufel weichet / er hinein kommet. Nuniſts67Wahres Chriſtenth. C. II. iſts aber am allerbeſten / wenn man Chri - ſtum in der Seelen hat / denn der ſoll oh - ne dem in uns ſeyn und ſeinen Beſitz in uns haben.

Jch muß aber noch ein wenig erin - nern von dieſem erſten Worte des Chri - ſtenthums / nemlich Verleugnung; daß es gewiß ein ſchwerer Kampf ſey / den man muß(f)antreten. ablegen; und nicht allein ein Kampf / ſondern denn auch ein Sieg: Denn der Satan kommt gantz gewiß nicht mit wenig Teufeln / oder mit einer geringen Macht / ſondern er iſt der groſſe Fuͤrſt der Finſterniß / der mit einem maͤchtigen Heer gezogen koͤm̃t.

Auch iſt das noch der ſchwereſte Kampf und Sieg / den die Ehriſten er - tragen muͤſſen / nemlich / daß der Sa - tan ſo ſachte mit ſeinem Heere koͤmmt / und laͤßt ſichs nicht ſo bald mercken; als wie ein maͤchtiger Feind laͤßts nicht jedermann wiſſen / wo er Krieg anfangenwill /68Wahres Chriſtenth. C. II. will / ſondern er haͤlts ſehr geheim; alſo auch koͤmmt der Satan mit ſolcher Mo - de / als wie man es nicht vermercket.

Als erſtlich kommt er etwan mit einer Luͤgen / die etwan einem entfaͤhret ohne Willen; und wo man ſie nicht beſeuffzet / oder bereuet / das iſt / daß man den Vor - ſatz hat / die Suͤnde nicht mehr zu thun / oder durch GOttes Gnade alle ſeine Worte recht zu bedencken / damit man ja nicht luͤgen moͤge: So kommt der Sa - tan mit einer groͤſſern Suͤnde / etwa mit Laͤſtern GOttes / und denn immer mit groͤſſern Suͤnden / bis er die Seele gantz inne hat / bis ſie in ſeinem Weſen erſof - fen iſt.

Hingegen muͤſſen Chriſten / wenn ſie etwan fallen / ſich gleich aufrichten / und durch GOttes Gnade wieder in ihn ver - ſencket werden. Dieſes iſt die Verleug - nung.

Wir haben das andere Stuͤck / oder das andere Wort des Chriſtenthums ferner zu betrachten / nemlich: Er neh - me ſein Creutz auf ſich.

Es69Wahres Chriſtenth. C. II.

Es laſſe ſich kein Menſch beduͤncken / wenn er etwan in Noth iſt / (ich rede jetzt von Welt-Kindern) daß das eine Strengigkeit Gottes ſey; ſondern GOtt iſt ein liebreicher GOtt(g)Nach ſeiner allgemeinen Liebe; wie das folgende zeiget. auch gegen die Gottloſen / denn er ſpricht Matth. 5, 45. Er laͤſſet regnen uͤber Gerechte und Ungerechte. Die Ungerechten laͤſ - ſet er zwar ſeinen Segen genieſſen / aber es geſchicht mit ſolcher vaͤterlicher Liebe nicht / als gegen die Frommen.

Es beſtehet ſonderlich die Feindſchafft GOttes gegen die Gottloſen darin / (ich meyne nicht / daß GOtt Feindſchafft auf den gottloſen Menſchen habe /(h)Verſtehe / daß er ihm keine Gnade anbie - ten ſolte / und nur auf ſein Verderben be - dacht ſeyn. ſondern er hat vielmehr Erbarmen mit ihm; und haben wir auch das Exempel von Chri - ſto / da er ſpricht zu ſeinem Verraͤther Ju - da: Freund! Noch ein Exempel: Dader70Wahres Chriſtenth. C. II. der Haushalter (GOtt) wird ſprechen zu den Gottloſen: Wie ſeyd ihr herein kommen / Freunde! Lernen hieraus / Daß / wenn ein Mittel waͤre / die Gott - loſen wieder aus der Hoͤllen zuerretten / ſo thaͤte es GOtt; und alſo haben ſie (die Gottloſen) vielmehr wider GOTT eine Feindſchafft / indem ſie ihn mit der Suͤn - de beleidigen) daß er ſie dahin giebt in ihres Hertzens Sinn / denn ſie empfan - gen dafuͤr die Verdammniß. Son - dern das Creutz iſt manchmal eine Liebe oder Ziehung zur Bekehrung; bey einem Frommen aber offt noch ein mehres An - dencken zu GOtt. Und alſo ſaget Chri - ſtus nicht vergebens: Er nehme ſein Creutz auf ſich. Dieſes iſt das ande - re Stuck des Chriſtenthums.

Weil aber im 2. Stuͤck des Chriſten - thums nur faſt von der Welt-Men - ſchen ihrem Creutz geredet iſt(i)Diß kommt zwar mit dem Jnhalt und Zweck des Spruchs nicht uͤberein; iſt doch aber auch kein wider die Aehnlichkeit des Glaubens ſtreitender Jrrthum. / ſo ha -ben71Wahres Chriſtenth. C. II. ben wir eine Anleitung / mehr davon zu reden / und zwar von Kindern GOttes ihrem Creutz; Und zu dem giebt uns das 3te Stuͤck des Chriſtenthums An - laß / welches lautet: er folge mir.

Nun von der Kinder GOttes ihrem Creutz zu reden; haben ſie / zum Exempel / keine Andacht zu beten / und koͤnnen nicht dazu gelangen /(k)Diß referiret er zur Nachfolge Chriſti / weil dergleichen dem Glaͤubigen in und bey der Nachfolge Chriſti begegnet / nicht aber / als ob Chriſtus auch dergleichen Anfechtung erfahren / und wir ihn darin alſo zum Vor - gaͤnger haͤtten. ſo gehen und ſeuftzen ſie ſo lange nach der Andacht / und em - pfahen denn endlich ſo eine inbruͤnſtige Andacht / daß ſie GOtt dafuͤr dancken; und ſonſt iſt ihnen dieſe Kaltſinnigkeit zum Gebeth ein groſſes Creutz / und doch macht dieſes Creutz oder dieſe Kaltſin - nigkeit des Gebeths ſie immer emſiger zu ſuchen die Andacht.

Ja GOTT ſchicket einem Chriſtenman -72Wahres Chriſtenth. C. II. manche Anfechtung / manche Pruͤfung / ja manch Creutz im Geiſtlichen / daß der Menſch ihn emſiger ſoll ſuchen / und mehr an ihn ſoll dencken. Darum dencke doch nicht ein Chriſt / wenn er Anfech - tung hat / es ſey eine Straffe GOt - tes; es iſt zwar eine Straffe GOttes vor die Suͤnde / aber dennoch auch eine Urſache zu mehrerern Andencken an GOtt und an ſein heiliges Wort. (l)Und ſey alſo mehr eine zu ihrem Beſten ge - meinte vaͤterliche Zuͤchtigung als eigentliche Strafe zu nennen.

Nun iſt auch noͤthig recht auf die 3te Sache des Chriſtenthums / nemlich / er folge mir nach / zu ſehen. Aus dieſen Worten ſollen wir lernen / daß / wer Chriſti Juͤnger ſeyn wolle / muͤſſe auch ihm folgen in allen ſeinen Wegen.

Nun Chriſtus gehet / NB. Chriſtus gehet mit uns durch krumme Wege / und die dennoch gerade ſind. Welche ſind denn die Wege / wodurch wir ge - hen muͤſſen?

Ant -73Wahres Chriſtenth. C. II.

Antwort:

Verfolgung / Verachtung / Creutz / Widerwaͤrtigkeit des Satans und der Welt. u. d. g.

Nun ſolte mancher dencken / gehet es denen Chriſten alſo / ſo will ich nim - mermehr in die Wege Chriſti treten.

Aber lieber Unverſtand! hoͤre doch! zum Exempel / worzu dienet Verfolgung? Sie iſt gewiß eine ſchoͤne Artzney. Denn woher hat David die Pſalmen ge - macht / als von der Verfolgung? und noch mehr / man empfaͤngt dafuͤrm)Aus GOttes unverdienter Gnade und Lie - be / Matth. 5, 11. 12. die ewige Seligkeit und die ewige herrliche Freude.

Verachtung iſt eben dergleichen Artz - ney. Creutz iſt ſchon erklaͤret im an - dern Theil des Chriſtenthums. Letz - lich / was richtet Widerwaͤrtigkeit des Sataus an? Sie richtet einen ſchweren Kampf an / aber durch den Kampf und Siegn)Ap. Geſch. 14, 22. gelanget man zur ewigen Se - ligkeit.

DSiehe74Gebeth ad Cap. II.

Siehe nun liebes Hertz / das ſind krumme und doch gerade Wege. Erſt - lich ſeyn ſie krumm / wenn man es be - dencket / als Verfolgung / daß einen kein Menſch achtet; es iſt dem alten Adam krumm genug / auch wol den anfangen - den Chriſten; Aber ſie ſind gerade / daß ſie die Seligkeit bringen / und gleichſam Helfero)Jſt ſo zu verſtehen / als wie wir ſingen: Wenn es gieng nach des Fleiſches Muth in Gunſt etc. ſind / die uns die Seligkeit verherrlichen.

Gebeth.

OHeiliger / barmhertziger / e - wiger / liebreicher / herrli - cher GOTT und Vater / ich preiſe deine groſſe Guͤte / daß du uns das zu gute gethan haſt / und haſt deinen Sohn JEſum CHriſtum in die Welt geſandt / daß er uns hat ſollen erloͤſenaus75Gebeth ad Cap. II. aus dem Schlamm / darinnen wir ſtecken; ich lobe dich aber auch dafuͤr / daß du ihn nicht al - lein haſt in die Welt geſandt uns zu erloͤſen / ſondern haſt ihn auch laſſen ſeinen Mund aufthun / und uns lehren / daß / wer ſein Juͤnger ſeyn wolle / muͤſſe ſich verleugnen / und ihm folgen / und muͤſſe denn auch ſein Creutz auf ſich nehmen. Laß mich dieſes nicht allein wiſſen / ſondern auch thun; und in der Verleugnung gib / daß ich die Liſt des Satans moͤge mercken / wie er ſo ſachte koͤmmet. Jn dem Creutz nach-tragen gib / daß ich es geduldig / und nicht allein geduldig / ſondern auch freudig nachtrage. Jn dem Nachfol - gen gib / daß ich dir in allen We -D 2gen76Wahres Chriſtenth. C. III. gen folge / ſie ſeyn krumm oder gerade. Verleihe es / Vater / um CHriſti willen. Amen! amen!

Cap. III. Wie wir muͤſſen ein hochzeit - lich Kleid an haben / ſo wir wollen das Abend - mahl des HErrn ſchme - cken.

Matth. 22, 11-15. Da ging der Koͤnig hinein die Gaͤſte zu beſehen / und ſahe alda einen Menſchen / der hatte kein hochzeitlich Kleid an / und ſprach zu ihm: Freund / wie biſt du herein kommen / und haſt doch kein hochzeitlich Kleid an? er aber verſtummete. Da ſprach der Koͤ - nig zu ſeinen Dienern: Bindet ihm Haͤnde und Fuͤſſe / und werffet ihn in die Finſterniß / da wird ſeyn Heulenund77Wahres Chriſtenth. C. III. und Zaͤhnklappen. Denn viel ſind beruffen / aber wenig ſind auser - wehlet.

VOr dieſem Spruch oder vor die - ſen Worten ſollen wir doch er - ſchrecken; ſonderlich da CHri - ſtus ſpricht: der Koͤnig wuͤrde ſagen zu denen Gottloſen: Freund / oder Freun - de / wie ſeyd ihr herein kommen / und habt doch kein hochzeitlich Kleid an? NB. er aber verſtummete. Hier vor Menſchen koͤnnen wir uns alſo recht - fertigen / daß man meynete / es ſey die Sa - che gantz richtig alſo / und waͤre nicht ſo recht die Beſchuldigung auf ihnen; a - ber vor GOTT gilt das nicht / denn David ſpricht in 7. Pſalm v. 10. du pruͤfeſt Hertzen und Nieren. Ein Menſch kan einem nicht ins Hertz ſehen / daß die oder die Entſchuldigung wahr ſey; hingegen vor GOTT beſtehet man dort mit ſeinen Entſchuldigungen / die man hier gethan hat gegen MenſchenD 3alſo /78Wahres Chriſtenth. C. III. alſo / daß man da wird muͤſſen verſtum - men. Wohl dem nun / der / was er ge - than hat / geſtehet / und dieſes nicht allein geſtehet / ſondern auch ſein Leben aͤn - dert.

Wir haben aber ſonderlich zu ſehen auf das hochzeitliche Kleid / und was das vor ein Kleid ſey. Johannes ſpricht in der Offenb. 7 / 14. Es haͤtte einer der Aelteſten geſagt: (nach dem er ihn / den Johannem / gefraget / wer dieſe waͤ - ren) dieſe ſinds / die da kommen ſind aus groſſem Truͤbſal / und haben ih - re Kleider gewaſchen / und haben ihre Kleider helle gemacht im Blu - te des Lammes. Hier beſchreibet Johannes das hochzeitliche Kleid / indem er ſpricht: ſie haben ihre Kleider hel - le gemacht in dem Blute des Lam̃es.

Wir lernen demnach hieraus / daß / wie Chriſtus das Lamm GOttes hat muͤſſen getoͤdtet werden / auch wir gleich - ſam durch die Laͤſterung / Verfolgung und Verachtung muͤſſen getoͤdtet wer -den /79Wahres Chriſtenth. C. III. den / ja wol gar recht leiblich getoͤdtet werden ſollen. Und dann heißt es recht: ſie haben ihre Kleider helle gemacht im Blute des Lammes / und wir koͤn - nen mit dieſem Verachtungs-Kleid vor GOTT beſtehen(a)d. i. Es gefaͤllt GOtt / wenn wir / die wir durch die Gnade des HErrn JEſu ſelig zu werden hoffen / uns auch nicht wegern / um ſeinet willen Schmach zu leiden.. Denn die Welt verachtet nur die / ſo ein heilig Leben fuͤh - ren wollen; und wenn den Frommen je - mand etwas Leides thut / ſo wird GOtt den Frommen hundertfaͤltige Freude da - fuͤr geben / und ſo erlanget alſo der From - me Freude fuͤr Verfolgung; und indem er die Seligkeit oder Freude erlanget / ſo muß er ja erſt vor GOTT beſtehen / denn wer nicht beſtehet vor GOTT / der empfaͤngt Verdamniß und ewige Hoͤllen-Pein. Dieſes iſt das hochzeit - liche Verachtungs-Kleid.

Wir haben aber auch noch zu betrach - ten das 2te hochzeitliche Kleid / welchesD 4Chri -80Wahres Chriſtenth. C. III. CHriſtus ſelber iſt. Wollen wir fer - ner vor GOTT beſtehen / ſo muͤſſen wir CHriſtum ſelber an haben / als das rechte Kleid / womit wir auch vor GOTT beſtehen; ja wodurch wir am allermeiſten(b)d. i. Chriſtus iſt allein die verdienſtliche Urſach unſerer Seligkeit. die Seligkeit erlangen. Paulus ſpricht Hebr. 12 / 14. Jaget nach dem Frieden gegen jedermann / und der Heiligung / ohne welche wird niemand den HErrn ſehen. Die - ſe Heiligung nun iſt CHriſtus: wenn wir nun die nicht in oder an uns haben / ſo koͤnnen wir nimmermehr GOTT ſchauen: denn GOTT iſt ein heilig Weſen / und wer vor ſein Angeſicht will kommen / muß Heiligkeit haben / und gleichſam mit Heiligkeit bekleidet ſeyn / als mit einem ſchoͤnen Kleide. Wenn nun einſten der Koͤnig wird am Juͤng - ſten Tage ſehen das ſchoͤne Kleid CHri - ſtum JEſum / das wir an haben / wird er ſprechen / als Matth. 25 / 34. Kommether81Wahres Chriſtenth. C. III. her zu mir / ihr Geſegneten meines Vaters. ꝛc.

Wenn aber GOTT wird ſehen / was die Gottloſen vor ein unhochzeitlich Kleid an haben / wird er ſprechen: als Matth. 25 / 41. Gehet hin ihr Gottlo - ſen / in das ewige Feuer ꝛc.

Wer aber will das heilige Kleid an - ziehen / der muß erſt das Kleid auszie - hen / welches ihm die Welt angeleget hat / und ſich alsdenn nicht mit Loths Weib wieder nach des irdiſchen So - doms Pracht umſehen / und nach der Welt Schmuck herum gaffen; Denn die Kinder des Reichs werden aus - geſtoſſen in das Finſterniß hinaus / da ꝛc. Wohl dem nun / der bald das hochzeitliche Kleid CHriſtum JEſum in Zeiten anziehet durch wahre Buſſe und Bekehrung von Suͤnden.

Gebeth.

DAllmaͤchtiger / heiliger und liebreicher Vater / ich lobe deine Majeſtaͤt und dei -D 5nen82Gebeth ad Cap. III. nen heiligen Namen / lobe aber auch deine Guͤte / daß du mich haſt wiſſen laſſen dein heiliges Wort / und haſt daher laſſen durch deine heilige Propheten und Apoſtel die H. Schrifft auf - ſetzen / daß wir unſer Leben dar - nach fuͤhren ſollen / als nach ei - ner Regel und Richtſchnur / ja auch darum / daß ich moͤge Chri - ſtum darin finden und mit ihm vor dir beſtehen / als welcher das rechte hochzeitliche Kleid iſt. Dar - um / o Vater / gib / daß ich allhier ſchon moͤge mit den Kleidern des Heyls bekleidet ſeyn / und laß mich auch mein Leben darnach fuͤhren / daß Chriſtus moͤge in und an mir ſeyn; denn ohne ihn bin ich ja nichts / und bin gantz verloren / wo ich ihn nicht beyoder83Wahres Chriſtenth. C. IV. oder in meiner Seelen habe. O du gerechter Artzt JEſu / komm / mich Elenden zu laben / und deꝛ ich kranck bin / zu erfreuen / daß ich geſund an meiner Seelen moͤge eingehen in die ewige Herlichkeit. Amen / HErr JEſu / Amen! Amen.

Cap. IV. Wer Chriſti Diener ſeyn will / muß bekleidet ſeyn / wie er auch iſt bekleidet geweſen.

Matth. 10, 25. Haben ſie den Haus - Vater Beelzebub geheiſſen / wieviel mehr werden ſie ſeine Hausgenoſſen alſo heiſſen.

WEr da will mit CHriſto in die Seligkeit eingehen / der muß daſſelbige Kleid an haben / das CHriſtus hat an gehabt / nemlich Ver -D 6folgung.84Wahres Chriſtenth. C. IV. folgung. Denn er ſpricht ſelbſten zu ſei - nen Juͤngern: Haben ſie den Hausva - ter (ihn ſelbſt) Beelzebub geheiſſen / wieviel mehr werden ſie es euch thun.

Es kommet unſer Text-Spruch faſt mit dem andern Capitel dieſes Chri - ſtenthums uͤberein / da es auch heißt: er folge mir durch Verachtung / Ver - folgung. u. d. g. m. Denn es iſt gleich - ſam mit unſerer Seligkeit ſo beſchaffen: wir muͤſſen erſt durch eine enge Straſ - ſe / da uns CHriſtus vorgehet / reiſen / ja es iſt eine enge Pforte / da wir durch muͤſſen.

Auf dem engen Wege nun verfolget uns erſtlich die Welt / die iſt hinter uns her mit Laͤſtern / Luͤgen und Verleum - den / nur uns wieder zu ſich zu ziehen; wer nun wieder zu derſelben gehet / der wird einmal groſſe Angſt an ſeinem En - de leiden muͤſſen / nemlich dieſe Angſt / daß die Welt ihn allein laͤßet durch das enge Loch des Todes durch kriechen / und zie - het nicht mit ihm / wenn er ſtirbt. Jadort85Wahres Chriſtenth. C. IV. dort wird ſie ihm auch nicht zur Seligkeit wieder helffen / und zum Himmel hinein bringen / ſondern ſie laͤßt denſelben dann immer zur Hoͤllen hinfahren. Nun wer wolte denn bey dieſer untreuen Welt gerne ſeyn / die uns dort keinen Troſt kan geben!

Hingegen Chriſtus iſt ſo ein treuer Heiland und Helffer / der mit uns dort in die ewige Seligkeit hinein gehet / und uns nicht allein laͤßt / wenn wir ihn nur nicht allein laſſen.

Nun iſt zum andern auch in dieſem engen Wege der Teufel / der uns hindern will: Und mit dem groſſen Fuͤrſten der Welt muͤſſen wir nun ſtreiten in der en - gen Straſſe / da wir faſt weder uns ruͤh - ren noch regen koͤnnen.

Ja der Satan rufft dann die Welt ſei - ne liebe Getreue noch zu Huͤlffe / uns mehr zu plagen. Der Satan giebt oder pfeifft ihr denn alle Laͤſterungen ein / daß wir denn alſo von Satan und Welt ge - plaget werden / daß / wenn Chriſtus nichtD 7bey86Wahres Chriſtenth. C. IV. bey uns waͤre / wir vergehen muͤſten.

Es ſind aber auf dem Wege noch groſ - ſe Kettenhunde und Loͤwen / die uns wi - derſtehen wollen / und auch wuͤrcklich widerſtehen; fuͤr denſelbigen muͤſſen wir uns denn nicht ſcheuen / ſondern tapfer durchgehen: Denn wir haben Chriſtum bey uns.

Zum letzten ſind auch noch ſehr tieffe Suͤmpfe in dem engen Wege / daß man manchmal drin beſtecken bleibet; durch die muß man auch getroſt durch - ſumpfen / ob einer gleich viel Dreck an Leib und Fuͤſſe krieget: denn dorten an der Pforte iſt das ſchoͤne reine Waſſer der Freuden / damit waͤſchet uns Chriſtus wieder ab / ja wir empfangen denn noch die Crone darzu.

Dieſe erzehlte Dinge ſind nun ſo auf der engen Himmels-Straſſe / und noch viel mehr Anfechtungen ſind darauf zu - finden. Wer nun zum Himmel will / muß dieſe Straſſe wandeln.

Gebeth.87Gebeth ad Cap. IV.

Gebeth.

ACh barmhertziger Vater / wenn ich bedencke die ſchwe - re Reiſe / die ich noch vor mir habe zum Himmel zu ziehen / und da ſo viele Verhinderungen uns zuſtoſſen; ſo bitte ich von Grund meines Hertzens / du wol - leſt mir auf demſelbigen Wege Krafft geben / immer fort zu zie - hen / und nicht wieder abzuſte - hen und zu der Welt zu gehen. Ach gib mir Chriſtum den rech - ten Fuͤhrer auf dem Wege / der mich nicht laͤßt irre gehen / ſon - dern bey der Hand leitet / damit ich nicht gleite. Ach GOTT gib auch / daß ich auf dem engen Wege wider den Satan recht ſtreiten moͤge / und den Sieg behalte. Ach laß mich auch durch die man -chen88Wahres Chriſtenth. C. V. chen Suͤmpfe getroſt durchge - hen / in dem Bedencken: Chri - ſtus ſey bey mir. Jn Summa / ſey du in mir / und ich in dir / ſo werde ich nicht gleiten. Amen! Amen.

Cap. V. Von der Wachſamkeit uͤber unſere Seele / desgleichen auch von der Klugheit / die der Seelen noͤthig iſt.

1. Petr. 5, 8. Seyd nuͤchtern und wa - chet / denn euer Widerſacher der Teufel gehet umher / wie ein bruͤllen - der Loͤwe / und ſuchet / welchen er verſchlinge.

WEil der Satan ſo ein bruͤllender Loͤwe iſt / und den GOtt-lieben - den Menſchen ſtets will ver - ſchlingen / ſo iſt ſehr noͤthig die Wach - ſamkeit uͤber unſere Seele; Denn derTeu -89Wahres Chriſtenth. C. V. Teufel / wenn wir nicht auf unſerer Hut ſtehen / uͤberfaͤllet uns manch - mal / daß wir es nicht haͤtten gemeynet; als wie Chriſti Juͤnger im Garten / da ſie ſchlaͤffrig waren / und nicht wa - chen wolten / ſiehe / da kamen die Juden mit ihrer gantzen Schaar / und griffen Chriſtum. Ja alſo iſt es auch mit den meiſten Menſchen; wenn Chriſtus an - klopfet an ihren Hertzen / daß ſie ſolten aufwachen / und denn ſtets wachen und beten ꝛc. ſo ſchlaffen ſie dennoch immer getroſt in Suͤnden hin / und wol - len ſich von dem liebſten Heilande nicht erwecken laſſen / bis endlich der Teufel in ihre Seelen kommt / und Chriſtum heraus treibet / daß ſie im ewigen Schlaff der Suͤnden bleiben und nimmermehr daraus errettet werden.

Wer nun recht Chriſti Juͤnger will ſeyn / der muß alsbald / wenn ihn Chri - ſtus rufft: Menſch ſtehe auf! aufſte - hen. Denn indem Chriſtus ſolches zu dem Menſchen ſaget / iſt der Teufel ſchonauf90Wahres Chriſtenth. C. V. auf dem Wege mit ſeinem Heer / die Seele einzunehmen; Welche Seele nun gleich aufwachet / die iſt wohl dran: Denn wenn nun der Teufel will kom - men / oder wenn er kommet / ſie (die See - le) gantz in ſeiner Macht zu haben / ſo ſteht ſie ſchon wider den Riß / und ſtrei - tet denn ſo lange / bis ſie gewinnet.

Und denn huͤtet ſie (eine rechtſchaffe - ne Seele) ſich vor dem Suͤnden - Schlaff ſo / als vor der Hoͤllen: Denn ſie befuͤrchtet / der Teufel wuͤrde ſie wie - der einnehmen / und ſie alſo zur Hoͤllen bringen.

Sie dencket offt an die Worte / 1. Cor. 16, 13. Wachet / ſtehet im Glauben / ſeyd maͤnnlich und ſeyd ſtarck. Ja ſie erkennet / daß dieſe Wor - te / die hier Paulus ſagt / merckwuͤrdig ſind / daß / da er erſt ſage: wachet! er auch ferner ſpricht: ſeyd maͤnnlich und ſeyd ſtarck. Welche Wach - ſamkeit auch einen Kampf erfordere.

Ja ſie gedencket ferner / wenn eineSeele91Wahres Chriſtenth. C. V. Seele in Suͤnden hinſchlaͤfft / ſo kan ſie bald der Satan ohn einigen Streit uͤber - fallen. Aber bey denen Glaͤubigen heißt es: Wache! Und indem die glaͤubige Seele wachet / will ſie ſich vom Satan nicht gewinnen laſſen; und alſo muß ſie ſtreiten / und den Sieg behalten in dieſer Wachſamkeit.

Es ſpricht auch Paulus Col. 4, 1. Haltet an am Gebeth / und wachet in demſelben mit Danckſagung. Wel - cher Spruch denn anzeiget / daß / die da wachen wollen uͤber ihre Seele / muͤſſen auch beten; und dieſes Gebeth muß ge - ſchehen mit Danckſagung und Glau - ben.

Es iſt aber noch merckwuͤrdiger / daß Paulus das Gebeth zuvor ziehet / und hernach das Wachen; Anzuzeigen / daß / weil die meiſten Chriſten / die noch kom - men ſolten / nur wuͤrden auf das aͤuſſer - liche Mund-Gebeth ſehen / wir das Ge - beth nicht ſolten bleiben laſſen der Kalt - ſinnigkeit halben / ſondern immer im an -daͤchti -92Wahres Chriſtenth. C. V. daͤchtigen Gebeth oder Seuffzen vor GOtt erfunden werden; aber auch nicht dabey das Wachen bleiben laſſen.

Die Maul-Chriſten aber meynen / wenn ſie nur beten etwa ihr Morgen-Ge - beth / Abend-Gebeth u. d. g. ſo haben ſie den voͤlligen Segen. Ach nein! lieber Maul-Chriſt / dein Gebeth oder dein Plerren gefaͤllt GOtt nicht. Ja der Heilige in Jſrael ſpricht ſelbſt zu dem Gottloſen: Amos 5, 23. Thue nur weg von mir das Geplerr deiner Lie - der etc. Sondern ey lieber! beweiſe dein Gebeth an dem Segen / den dir GOtt gibt. Auch iſt nichts / darum du beteſt am geiſtlichen / recht von Hertzen.

Jch meyne aber / wenn einer ſagte: bete nur huͤbſch andaͤchtig / du ſolt dieſen oder jenen Reichthum empfangen / ach wie wuͤrdeſt du andaͤchtig beten. Aber da Chriſtus ſpricht: betet (leicht zu ver - ſtehen) um die Seligkeit; da iſt kein Menſch / der hoͤret / ob ſie wol hoͤren.

Ja ſie beten wol / aber gantz ohneAn -93Wahres Chriſtenth. C. V. Andacht / und alſo empfangen ſie es nicht. Jhr Morgen - und Abend-Gebeth beten ſie ohne Andacht; welches ſchoͤne Gebether ſind / aber es iſt Schade / daß ſie die ſchoͤnen Gebether ins Maul neh - men ſollen; warum? ideo, weil ſie nicht mit Andacht dieſelbigen beten; ja zu dem empfangen ſie den Segen (wie ſchon ge - ſaget iſt) nicht davon. Wer aber will den Segen des Gebeths genieſſen / der muß mit Andacht beten / und muß bey dem Beten auch wachen uͤber ſeine Seele: und das iſt denn kein Maul - Chriſt.

Die Wachſamkeit der Seelen beſte - het darin / daß man alle ſeine Worte / ſeine Tritte und Schritte betrachte / ob ſie auch geſchehen nach GOttes Willen. Als zum Exempel: Gehe ich etwa hier o - der dahin / ſo ſoll ich bedencken / ob ich ietzt auf dem Wege gehe / den mir entweder GOTT geboten oder verboten habe; Finde ich nun in meinem Gemuͤthe die Verſicherung / GOTT habe es verbo -ten /94Gebeth ad Cap. V. ten / ſo ſoll ich nicht auf den Weg mehr treten oder gehen / ſondern als - bald von demſelben Wege abweichen; und ſo mit allen andern Sachen.

Wer nun ſo wachet / den wird der Teufel nicht uͤberwaͤltigen.

Gebeth.

LIebreicher / gnaͤdiger und barmhertziger Vater / da dein Sohn JEſus Chriſtus hat wollen gecreutziget werden / und die Juͤnger im Garten des Oel - berges ſchlieffen / ſprach er zu ih - nen: wachet und betet! ach! laß mich auch recht / der ich dein Juͤn - ger ſeyn will / wachen / und ja recht Acht habẽ auf mein Gehen / Ste - hen / Sitzen / Liegen / Willen und Anſchlag / damit ich dich nicht dadurch verunehre / ſondern da - durch deine Ehre und Ruhmmehr95Gebeth ad Cap. V. mehr ſuche und befoͤrdere. Denn du groſſer GOTT biſt ja lobens und ehrens wuͤrdig / da du uns taͤglich alle Guͤte und Wohlthat erweiſeſt. O Vater / du giebeſt uns Brodt am leiblichen / du giebeſt uns Brodt am geiſtlichen / nemlich Chriſtum JEſum / der da ſelbſt von ſich bekennet / er ſey das Brodt des Lebens. Ja Va - ter / ich bekenne dir / daß ich ſolches edlen Brodts / nemlich Chriſti JEſu / nicht werth bin / ſondern vielmehr deine Straffe und ewi - ge Verdammniß verdienet habe. Ach laß mich nicht unter die Maul-Chriſten gerechnet ſeyn / ſondern laß mich unter das kleine Haͤufflein der Gerechten gezehlet ſeyn / daß / wenn ich einſten ſoll vor dich treten / beſtehen moͤge. Amen! Amen!

Cap. 96Wahres Chriſtenth. C. VI.

Cap. VI. Von der Nachfolge GOttes als die lieben Kinder.

Epheſ. 5, 1. So ſeyd nun GOttes Nachfolger / als die lieben Kinder. ꝛc.

JLeichwie es denen Eltern eine groſſe Freude iſt / wenn ſie feine Kinder haben / die alles thun / was ſie ihnen gebieten; alſo iſts dem himmliſchen Vater / dem groſſen GOtt / eine groſſe Freude / wenn er kan ſol - che Kinder haben / ja wenn er kan ſolche Chriſten haben / die ihm fein ge - horchen und thun / was er ihnen ge - bietet in ſeinem heiligen Worte. Und dieſes iſt es dann / was in unſerm Text Paulus ſaget: als die lieben Kinder ſollen wir GOtt folgen.

Es zeiget aber unſer Text noch an / daß wir muͤſſen auch in aller Demuth vor GOtt wandeln; gleichwie die Kin - der duͤrffen ſich nicht empoͤren / oder hoͤ -her97Wahres Chriſtenth. C. VI. her ſchaͤtzen als ihre Eltern / die ſie er - naͤhren und erhalten / und ihnen gleich - ſam das Leben geben.

Wollen wir aber noch ein Exempel nehmen von einem Kinde / ſo hat es auch an ſich die Einfalt / und laͤßt ſeine Mut - ter und Vater ſorgen fuͤr ſeine Wohl - fahrt / ja es befiehlet ihnen alles: Alſo ſollen wir auch huͤbſch einfaͤltig vor GOtt wandeln / und ihm alles anbefeh - len / was er uns gegeben hat.

Jn Summa: Man ſehe nur ein klei - nes Kind an; es wird nicht haben an ſich Zanck / Zwietracht / Haß / Neid / Geitz / Feindſchafft / Unverſoͤhnlichkeit / oder ſonſt dergleichen Laſter / ohne was die kindli - che Natur mit ſich bringet. Alſo ſollen wir uns nun auch an denen Kindern ſpiegeln / gleichwie daſſelbe keinen Geitz hat / alſo ſollen wir Groſſen auch keinen Geitz haben / wir daſſelbe keinen Neid hat / alſo ſollen wir auch keinen Neid haben; und ſo mit allen andern Laſtern. Oh - ne was die ſuͤndliche Erb-Natur mit ſich bringet.

EWir98Wahres Chriſtenth. C. VI.

Wir finden auch / daß JEſus / Matth. 18, v. 1. 2. 3. da ſeine Juͤnger ihn fragten / welcher doch der Groͤßte wuͤrde ſeyn im Himmelreich? ein Kind rief / und mit - ten unter ſie ſtellete: Anzuzeigen / daß / wer wandele / wie dis Kind / der wuͤrde ins Himmelreich kommen / wie er denn auch ſelbſten ſprach: v. 3. wo ihr nicht umkehret / und werdet wie dis Kind - lein / ſo werdet ihr nicht in das Reich GOttes kommen.

Ey! ſolte mancher ſprechen: liebſter JEſu / warum iſt denn das eben ſo noͤ - thig / daß man werde wie ein kleines Kind? Ja lieber Menſch / wilt du ein Chriſt ſeyn / ſo muſt du ſo werden / wie ein klein Kind; Denn Chriſtus hat darum ein Kind zum Exempel geſetzet / weil es / wie ſchon erzehlet / viel Tugenden an ſich habe / und manchen groſſen beſchaͤ - met / und wir nach ſeinem Exempel wan - deln ſollen.

Nun iſt hier kuͤrtzlich erklaͤret das Wort in unſerm Text: wir ſollen GOttfol -99Wahres Chriſtenth. C. VI. folgen / als die lieben Kinder. Nun wollen wir auch ferner ſehen / worinn wir ihm denn folgen ſollen.

Laßt es uns ein wenig unterſuchen / und zwar in der Berg-Predigt Chriſti, Wir wollen nur betrachten die vor - nehmſten Dinge darinnen. Er ſpricht im 21. Vers des 5ten Cap. Matth. Jhr habt gehoͤret / daß zu denen Alten geſaget iſt / du ſolt nicht toͤdten; er gibt uns aber auch die Recommendati - on(a)Explication oder Erklaͤrung. dabey / daß / wer nur zuͤrne mit ſeinem Bruder / der ſey des Gerichts ſchuldig. Es koͤmmt nun noch eine hoͤ - here Stuffe der Straffe / daß / wer ſage Racha! zu ſeinem Nechſten / der ſey des Raths ſchuldig. Es koͤmmt aber jetzt am allerhoͤchſten die Straffe / nem - lich: wer ſage zu ſeinem Bruder du Narr! der ſey des ewigen Feuers ſchuldig. Jn dieſem Stuͤck ſollen wir nun auch GOtt folgen / als die liebenE 2Kin -100Wahres Chriſtenth. C. VI. Kinder; Wiewol es nur bey man - chem in acht genommen wird. Will man vors erſte und andere nicht erſchre - cken / ſo erſchrecke man doch vors dritte / woſelbſt ſtehet / daß / wer Narr zu ſeinem Bruder ſage / ſey der Hoͤllen ſchuldig.

Nun moͤchte ich wol fragen / ob die - ſes denn bey den Menſchen in acht ge - nommen wird? ich mag wol unparthey - iſch ſagen: nein; nur bey wenigen / we - nigen. Denn man hoͤre nur / wie ein Narr-Wort nach dem andern aus des Boͤſen Maul gehet; wie einer auf den andern ſchilt und allerhand Laͤſter - Worte braucht / welche alle des ewigen Feuers ſchuldig ſind. Denn durch das Wort Narr wird verſtanden alle grobe Laͤſterung / die man auf ſeinen Nech - ſten ſchilt.

O es wird hie dieſes Verboth des Laͤſterns auf ſeinen Nechſten wenig be - trachtet / und ſehr viel in Wind geſchla - gen / da es doch ein groſſes Laſter iſt. O lieber Menſch / ſey bald willfertig dei -nem101Wahres Chriſtenth. C. VI. nem Widerſacher / den du ſo geſcholten haſt / weil du noch auf dem Wege des Lebens bey ihm biſt / daß nicht der Rich - ter dich uͤbereile / und in die ewige Ver - damniß werffen laſſe.

Wiederum ſpricht er: Aergert dich dein Fuß / Hand oder Glied / ſo haue es ab; welches alſo zu verſtehen iſt: Wenn ich etwa Luſt habe an einen verbotenen Ort zu gehen / oder ſonſt der - gleichen; ſo ſoll ich meine Fuͤſſe nicht laſ - ſen auf dem Wege fort gehen / oder ſoll mich von ſolchen Wegen wenden und ſie nimmermehr betreten / i. e. wenn ich eine ſolche Luſt habe.

Ja aber leider / wie wird dieſes in acht genommen bey denen Fleiſchlichen? koͤmmt ihnen eine Luſt an zu huren / ſie thuns; koͤmmt ihnen eine Luſt an zu ſtehlen / ſie ſtehlen; und ſo machen ſie es mit allen andern Laſtern; Jn Sum - ma / ſie leben wie das Vieh; Koͤmmt demſelbigen Vieh eine Luſt an zu ſtoſſen / zu beiſſen / zu bellen / es thut es / ja wasE 3einem102Wahres Chriſtenth. C. VI. einem ſolchen Thier ankoͤmmt / das thuts. So ſind wir Menſchen leider! auch nach dem Fall.

Aber lieber GOtt! warum iſt denn Chriſtus in die Welt gekommen? Ant - wort: daß er uns nach dem Fall von ſolchem Verderben erloͤſete. Nehmen denn nun die Menſchen dieſes an / daß Chriſtus gekommen iſt / oder nehmen ſie denn die Lehre an / die Chriſtus / als GOtt und Menſch gelehret? ach nein / ſie thun es nicht; ſie leſen wol die Wor - te / ja ſie wiſſen wol etliche von dieſen Worten auswendig / aber das Leben darnach kann man ihnen nicht in den Kopf blaͤuen. Darum thue doch ein jeder nach dieſen Worten / wenn er ſie lieſet / und ſetze doch das Chriſtenthum ins Werck / das er in der Bibel lieſet; das iſt: er lebe darnach / denn es hangt ja ſeine gantze Seligkeit daran.

Weiter ſpricht Chriſtus / man ſolle gar nicht ſchweren / ſondern ſein Wort ſolle ſeyn: Ja / ja / Nein / nein; unddas103Wahres Chriſtenth. C. VI. das druͤber ſey / waͤre vom Ubel. Jm Griechiſchen heißt es: was druͤber ſey / ſey vom Teufel. Wird dieſes nun auch in acht genommen NB. bey denen Fleiſchlichen? Ach! auch leider nicht / ſondern wahrhafftig / fuͤrwahr / ja wol gar bey den meiſten: Mein Seel! gehet im Schwange. Und alſo lebet man wieder nicht nach CHriſti Ge - both / und man weiß doch / daß / wer GOtt nicht gehorchet / wird zur Hoͤlle verdammt.

Nun ſpricht auch Chriſtus / man ſoll nicht widerſtreben dem Ubel. Wird das aber gethan? ach auch nicht! Wird man geſcholten / man ſchilt wieder; Wird man geſchlagen / man ſchlaͤgt wieder / u. ſ. w. da doch der H. Paulus ſpricht: die Rache waͤre GOttes / er muͤſſe vergelten. Ja ich moͤchte nun Deutſch heraus ſagen: Man folget Chri - ſto nicht im geringſten / und GOtt ge - horcht man nicht als ein liebes Kind / ſonſten wo man noch zu Chriſto kommt /E 4ſo104Wahres Chriſtenth. C. VI. ſo iſts meiſten gezwungen worden / und iſt nicht freywillig geſchehen / wie es denn ſo in der Welt zugehet.

Chriſtus ſpricht ferner: Man ſolle ſei - ne Feinde lieben; Aber dieſes thut man auch nicht / ſondern man iſt nur gegen ſeine Freunde freundlich / welches die groͤbſten Suͤnder auch thun. Chri - ſtus aber redet hier auch von denen Fein - den / nemlich / daß man ſie liebe; und dieſe Sache koͤmmt manchem ſehr Spa - niſch vor / in dem wenn er einen Feind hat / der ihm Boͤſes erzeiget / daß er ihm ſolle Gutes erzeigen; Aber wer Chriſti Juͤnger iſt / der fraget nach des alten Adams ſeinem Creutz nicht / ob es gleich ſchwer iſt / (denn wenn ich was Gutes thue / iſt es dem alten Adam ein Creutz) daß man ſeine Feinde lieben ſoll / ſon - dern nimmt das Creutz immer auf ſich und folget Chriſto. Wer dieſes nun thun will / der thue es; wer es nicht will / der laſſe es bleiben: denn GOtt will kei - nen zum ewigen Leben zwingen / oder mit Haaren zu ſich ziehen.

Nun105Gebeth ad Cap. VI.

Nun iſt alſo in wenigem vorgeſtellet / was GOttes Wille waͤre; doch aber iſt noch etwas mehrers / was GOtt von uns haben will / welches zu finden iſt im Worte GOttes. Nun muß man auch dieſes fein annehmen.

Gebeth.

Lebendiger / ewiger und ma - jeſtaͤtiſcher GOtt und Va - ter / wenn ich bedencke deine Ma - jeſtaͤt / und wie herrlich du biſt / ſo muß ich faſt erſtaunen / aber auch muß ich bekennen / daß du die Menſchen nicht mit Haaren zum Him̃elꝛeich zieheſt / da du doch ſo maͤchtig biſt und es wohl koͤnn - teſt; darum laß doch mich dir recht folgen / als ein liebes Kind / daß du moͤgeſt Gefallen an mir haben: denn / liebſter GOtt / - ber dich kann ich ja nicht klagen /E 5daß106Gebeth ad Cap. VI. daß du uns deinen Befehl nicht deutlich genug wiſſeſt laſſeſt / o - der ich muͤſte ein Laͤſterer deines Wortes ſeyn; Denn deinen Be - fehl haſt du uns ja in deinem Worte ſo deutlich offenbaret und geſaget / daß wir ſchon genug draus koͤnnen ſehen / was du von uns haben wilt. Liebſter GOtt / darum gib doch auch / daß ich die - ſen Befehl auch ausriehte / und nicht daß du mich erſt dazu trei - ben moͤgeſt / ſondern daß ichs freywillig aus Liebe zu dir und zur Gewinnung meines Nech - ſten / auch zu meiner eigenen Se - ligkeit thun mag / damit ich dir wolgefaͤllig ſeyn moͤge in Chri - ſto JEſu meinem HErrn. Amen!

Cap. 107Wahres Chriſtenth. C. VII.

Cap. VII. Wie Satan und Chriſtus / Licht und Finſterniß / Wahrheit und Unwahr - heit ſo eine ungleiche Uber - einſtimmung haben.

2 Cor. 6, 14. 15. Was hat das Licht fuͤr Gemeinſchafft mit der Fin - ſterniß? wie ſtimmet Chriſtus mit Belial? etc.

DEr Menſch / wie bekant / iſt vom Teufel und zwar durch den Fall Adams dahin gebracht / daß der Menſch / nachdem er das ſchoͤ - ne Bild GOttes verloren / immer mehr zum Boͤſen / als zum Guten Luſt hat; oder doch diejenigen / die ſich mit dem Maul koͤnnen Chriſten nennen / gerne wollen / daß die boͤſen Luͤſte doch noch mit in ihren Hertzen wohnen / oder daß ſie ſie doch noch ſo mit vollbringen koͤnnten / indem Chriſtus doch ſolte bey ihnen wohnen;E 6aber108Wahres Chriſtenth. C. VII. aber dieſes widerſpricht hier Paulus ſchoͤn / da er ſpricht: Licht und Finſter - niß koͤnnen nicht beyſammen ſeyn.

Und alſo ſiehet man / daß / wenn man Chriſto wolle dienen / muͤſſe man allem andern abſagen / und ſich ihm allein ergeben: Denn Chriſtus iſt ein ſolcher HErr / der da zwar nicht gerne den Tod des Suͤnders ſiehet / ſondern viel lieber hat / daß ſich der Gottloſe bekehre von ſeinem boͤſen Weſen und Leben; Aber wenn er auch ſiehet / daß man ihm ſein Hertz nicht gantz will einraͤumen / daß er ſeinen voͤlligen Beſitz moͤge drin haben / und immer noch der Welt will mit die - nen; ſo fleucht er denn auch diejenigen Menſchen / die ihm nicht wollen gantz ergeben ſeyn / und wendet ſich zu denen / die ihm von gantzen Hertzen dienen / und die es fein treu mit ihm meynen. Denn der Heilige Geiſt / ſo recht lehret / fleucht die ruchloſen / abgoͤttiſchen und heuchle - riſchen Menſchen / die da halb an GOtt und halb an der Welt hangen / und esmit109Wahres Chriſtenth. C. VII. mit keinem treu meynen: ja der Heilige Geiſt iſt ſo ein heilig Weſen / daß keine Suͤnde / ſie ſey ſo geringe / wie ſie wolle / koͤnne Statt(b)Nemlich dergeſtalt / daß ſie uͤber den Men - ſchen herrſchen. finden / wo der Heilige Geiſt wohnet.

Darum muͤſſen wir nun / ſo wir wol - len von dieſem Ungluͤck der Heucheley befreyet werden / andaͤchtig und im - bruͤnſtig zu dem HErrn unſern GOtt be - ten / alsdenn werden uns die Verheiſ - ſungen ſehr erfreuen / da es heißt: des Ge - rechten Gebeth vermag viel / ſo es ernſtlich geſchicht / u. a. m. ſo wird uns denn auch warlich unſer GOtt / wenn es im Geiſt und Wahrheit geſchicht / er - hoͤren / und uns von ſolcher Heucheley befreyen / denn ſein Vater-Hertz muß gegen uns zerbrechen / daß er dasjenige uns giebet / warum wir ihn im Geiſt und in der Wahrheit anbeten; denn Chri - ſtus ſpricht ja ſelber: Wo iſt ein Va - ter / den ſein Sohn bittet um einenE 7Fiſch /110Wahres Chriſtenth. C. VII. Fiſch / der ihm eine Schlange biete. u. ſ. w. Und alſo ſehen wir / daß es nur an uns lieget; GOtt iſt bereit zu geben / wir aber ſind nicht bereit zu beten.

Und alſo erkennen wir hieraus / wie wir ſo undanckbar ſeyn / und wie wir GOttes Gaben ſo gering achten / indem ſie doch ſo hoch ſind. Denn wie iſt man im leiblichen nicht ſo dahin bemuͤ - het / daß man Ehre / Reichthum / Macht und Anſehen habe / aber das Geiſtliche wird ſo gering geachtet / daß man ſich wenig bemuͤhet um die Seligkeit und ſelten dran gedencket / daß man zur Se - ligkeit gelange und ererbe / da doch die - ſes unſere groͤſte Sorge und Arbeit ſoll ſeyn; denn es beſtehet ja unſere eigene ewige Seligkeit darin / daß wir uns be - muͤhen um das ewige Gut.

Dieſer Welt Guͤter vergehen ja / und unſer Leben waͤhret eine kurtze Zeit / und dennoch bemuͤhen wir uns weit weit mehr darum / als um das Ewige / das man ewig haben ſoll; Und was nochmehr111Wahres Chriſtenth. C. VII. mehr iſt; die tolle Welt muß ſich doch erſt bemuͤhen / wenn ſie das zeitliche Gut haben will / und hat alſo hier erſt Muͤhe und Sorge / ehe ſie es empfaͤngt / und dort faͤngt dann erſt die ewige Pein drauf an; Daß die Gottloſen alſo hier und dort Quaal und Pein haben.

Aber die Gerechten / ob ſie wol hier verfolget werden / ſo empfangen ſie doch noch die ewige Freude drauf. Darum ſollen wir doch das beſte Theil erwehlen / nemlich Verachtung / und den Lohn darauf / nemlich die ewige Seligkeit / als hier kurtze Seligkeitc)Er meynet die vergaͤngliche Luſt der Welt / in dero Genuß viele ihre groͤßte Vergnuͤ - gung ſetzen. und ewige Ver - achtung in der Hoͤllen.

Gebeth.

LIeber Vater / ich dancke dir / daß du mir deinen heiligen Willen ſo gnaͤdiglich offenbahret haſt / und mich haſt wiſſen laſſendeine112Gebeth ad Cap. VII. deine Befehle. Gib denn nun auch / Heiliger Vater / daß ich denſelben deinen Willen auch vollbringen moͤge / und zwar mit gehorſamen / freudigen und frey - willigen Muthe / daß du moͤgeſt einen rechten Gefallen an mir ha - ben / und daß ich dein liebes Kind moͤge ſeyn; gib auch / daß ich an - deren / meiner Schweſter und Bruͤdern nach dem Fleiſche / mit einem guten Exempel moͤge vor - leuchten / damit ſie / wo nicht duꝛch Worte / doch durch mein Exem - pel auch moͤgen zur Wahrheit ge - langen. Amen!

Cap. VIII. Von der zu ſpaͤten und noch zeitigen Buſſe. Und wie wir im Licht wandeln ſollen / weil wir es haben.

Joh. 113Wahres Chriſtenth. C. VIII.
Joh. 12, 35. Es iſt das Licht noch eine kleine Weile bey euch / wandelt im Licht / dieweil ihr das Licht habt / daß euch die Finſterniß nicht uͤberfalle.

JN dieſem Spruch werden wir von dem Evangeliſten Johan - ne angemahnet zur Buſſe / und zwar / daß wir die Zeit / die wir hier ha - ben zu leben / nicht uͤbel oder zu Suͤn - den anwenden ſollen / ſondern vielmehr daß wir ſollen machen / daß wir zur Buſ - ſe oder zum Lichte kommen / damit wir nicht von der Finſterniß uͤberfallen wer - den / das iſt / daß nicht einſten / wenn wir die Buſſe ſuchen / ſie uns verſchloſſen iſt / und wir ſie nicht findē moͤgen; ſondern daß wir ſie in der Gnaden-Zeit wohl an - wenden / wenn ſie uns GOtt anbeut / und daß wir ſie annehmen; denn GOttes Hand reichet uns taͤglich dar allerley Gu - tes am Geiſtlichen: daß wir alſo nicht klagen duͤrffen / GOtt gebe oder legeuns114Wahres Chriſtenth. C. VIII. uns den Reichthum ſeiner Gnade nicht vor die Augen / ſondern es ligt nur an unſerer Seiten / daß wir die Gnade GOttes nicht annehmen wollen / und ſie nur von uns ſtoſſen.

Ach laſſet uns doch die Gnade GOt - tes ja wohl bedencken / wohl in acht neh - men und auch recht erwegen / und auch uns dahin beſtreben / daß wir die - ſelbe Gnade GOttes wohl annehmen / und zwar bald: Denn wir wiſſen nicht / wie lange wir leben / daß wir die Buſſe auffſchieben koͤnten auf das Alter / oder auf andere Zeit; GOtt kann uns bald weg nehmen aus dieſer Zeit.

Wenn wir denn nun nicht fertig ſeyn abzuſcheiden / wie werden wir beſtehen koͤnnen vor dem groſſen Richter / wenn er uns wird beſehen wollen / als die da Gaͤſte des Himmels ſeyn ſolten? Wird er nicht zu uns ſprechen: Gehet von mir ihr mit dem Kleide Chriſti unangezoge - ne Gaͤſte / gehet von mir zu eurem Gaſt dem Satan / ich begehre euch nicht.

Dar -115Wahres Chriſtenth. C. VIII.

Darum ihr Menſchen bekehret euch bald / bald / bald / ja bekehret euch in Zei - ten / da ihr noch ſuͤndigen koͤnnet; neh - met in acht die Zeit der Heimſuchung; und wann euch GOtt locket / ſo folget ihm doch. Sehet / er will ja nicht et - wan euch ſtraffen / oder euch einiges Leid zufuͤgen / ſondern vielmehr / wenn ihr fromm lebet / die ewige Seligkeit ſchen - cken. Hingegen giebet euch ja der Sa - tan die ewige Verdamniß zu Lohn / wann ihr ihm gedienet habt.

Darum werdet doch klug! wollet ihr denn lieber die Verdamniß nehmen fuͤr die ewige Seligkeit / das Leid fuͤr die Freu - de / oder Traurigkeit fuͤr Froͤlichkeit? Es iſt ja beſſer / hier dieſe kurtze Lebens-Zeit dulden und dort gekroͤnet werden / als hier gekroͤnet werden / (da es doch nur Schat - ten-Werck iſt) und dort gehoͤhnet wer - den.

Es iſt ja die ewige Seligkeit ſo ein groſſes Werck / daß wir gewiß auch et - was dulden muͤſſen / ſo wir ſie erlangenwol -116Wahres Chriſtenth. C. VIII. wollen. Bemuͤhete man ſich doch wol mehr darum / und duldete auch mehr / wenn man nur ſolte ein Fuͤrſt werden in dieſer Welt / da man doch bald kan ſter - ben und weggenommen werden; wie viel mehr ſoll man ſich nun nicht dahin be - muͤhen / und dafuͤr etwas dulden / daß man moͤge ein Himmels-Koͤnig werden / und zwar in Ewigkeit. Ja wenn die Schmach noch laͤnger waͤhrete als die Ewigkeit oder ewige Seligkeit / ſo waͤre es ja wol noch der Muͤhe werth / daß man ſich in dieſer Zeit luſtig machte / und dort was lidte; aber da die Schmach nur etwan 50 / 40 / 30 / 20 Jahr / ja manch - mal wenige Zeit wird / und die Seligkeit in Ewigkeit waͤhret / darum ſoll man ſich doch um die Seligkeit mehr bekuͤmmern / als ums zeitliche.

Wann ſich auch die Menſchen ent - ſchuldigen wolten / die Seligkeit ſey ſo ſchwer zu erlangen; ſo laß ich dieſes in ge - wiſſer Maaſſe ſtehen / und zwar / daß die Seligkeit nicht ſo ein geringes Ding ſey /und117Wahres Chriſtenth. C. VIII. und mit groſſer Muͤhe muͤſſe erlanget werden; Doch aber ſage ich die - ſes: Daß / wo man nur will ein wenig Fleiß anwenden / und ſich ein wenig bemuͤhen um ein heilig Leben / ſo wird GOtt ſchon helffen: Denn wenn GOtt den Willen bey einem Menſchen ſiehet / ſo hilfft er auch mit / und wann GOtt hilfft / ſo wird das Chriſtenthum ſo leich - te / daß mans mit Luſt thut.

Und zu dem haben wir nicht viel dar - an zu thun / ſondern GOtt allein; denn wir muͤſſen uns nur gantz gelaſſen hinle - gen vor GOtt / und GOtt allein wircken laſſen / der wird denn ſchon aus uns ma - chen / zu was er uns haben will; und al - ſo duͤrffen wir gar nichts darzu thun / ſondern GOtt muß alles in uns wircken. Sollen wir kaͤmpffen / GOtt muß es thun; Sollen wir nicht ſuͤndigen / GOtt muß uns dafuͤr bewahren; ſollen wir ihn lieben / er muß es in uns ma - chen. Jn ſumma GOtt muß alles in uns wircken / beyde das Wollen und Vollbringen.

Dar -118Gebeth ad Cap. VIII.

Darum iſt das Chriſtenthum nicht ſchwer / ſondern gantz leichte /c)Matth. 11, 30. 1. Joh. 5, v. 3. und duͤrffen uns alſo nur / wenn uns GOtt ruffet / und wenn uns das Licht noch ſcheinet / herzu nahen und nicht verſaͤu - men; ſonſt wenn wir die Gnade verſaͤu - men / wird es ſchlecht mit uns ausſehen.

Gebeth.

HEiliger / ewiger / majeſtaͤti - ſcher GOtt und Vater / ich bitte dich / laß mich doch die Gna - den-Zeit nicht verſaͤumen / ſon - dern gib / daß / wenn du mich ruf - feſt / und mir das Licht zeigeſt / ich auch dir folgen moͤge / und die Gnaden-Zeit nicht verſaͤu - men / damit es nicht einmal dort uͤbel mit mir ausſehen moͤ - ge / und ich von deinem Ange - ſicht verſtoßẽ ſey. Laß mich auch /wenn119Wahres Chriſtenth. C. IX. wenn ich zu deinem Licht gekom - men bin / nicht ſtill ſtehen / oder zuruͤck gehen / ſondern gib / daß ich moͤge beſtaͤndig dabey verblei - ben / und immer voͤlliger werden / bis ich endlich zum rechten Alter kommen moͤge. Amen!

Cap. IX. Wie wir von Chriſto alles erlernen muͤſſen / denn Er iſt unſer Lehrmeiſter.

Pſalm. 32, 8. Jch will dich unter - weiſen / und dir den Weg zeigen / den du wandeln ſolt / ich will dich mir meinen Augen leiten.

JN dieſem Spruch will oder laͤßt uns Chriſtus zeigen durch den David / daß Er allein der rechte Lehrmeiſter ſey / der da den Weg zum Leben koͤnne zeigen / und daß man beykeinem120Wahres Chriſtenth. C. IX. keinem andern den Weg zum Leben und Wahrheit ſuchen duͤrffe / denn bey ihm. Auch will er uns dieſes lehren / daß alles / was man ohne ihn thue / nichts waͤre / Joh. 15, 5. Ohne mich koͤnnet ihr nichts thun. Und daß es eben nicht daran gelegen waͤre / daß man / (wie die Welt ſagt) wenn man lehren will / auf Univerſitaͤten muͤſſe geweſen ſeyn / ſon - dern daß er dieſes ſchon lehren koͤnte ei - nen jedweden / er ſey Bauer / Buͤrger / Doctor / Edelmann / Fuͤrſt oder Koͤnig / wenn er ſich nur will lehren laſſen von ihm. Denn alſo heißt es: ich / ich / NB. ich / nicht der oder der Doctor / will dich unterweiſen und dir den Weg zei - gend)Menſchliche Unterweiſung wird hiermit nicht verworfen / ſondern nur angezeiget / daß GOtt an dieſelbe nicht gebunden / und daß er der rechte und beſte Lehrer ſey..

Es waͤre ja ein ſchrecklich Wunder / wenn Chriſtus nicht einen / der auf Uni - verſitaͤten nicht geweſen waͤre / ſolte leh -ren121Wahres Chriſtenth. C. IX. ren koͤnnen / ja wol noch mehr / als einer auf Univerſitaͤten lernet: Chriſtus iſt ja aller Dinge Urſprung / warum ſolte er denn nicht in einem Bauren ſo viel / als in einen Edelmann (da ſie doch aus ei - nem Fleiſch gekommen) Weisheit legen? Aber dieſes iſts / die Welt kennet Chri - ſtum mit ſamt ihrer gottloſen Univer - ſitaͤt nicht /(e)Jn dem folgenden Periodo wirds erklaͤret / wie es gemeynet iſt. ſonſt wuͤrde ſie ihn wol hoͤher halten.

Jch laſſe dieſes zwar ſtehen / und hal - te es im geringſten nicht veraͤchtlich / daß man Univerſitaͤten haͤlt und hat / aber dieſes iſt nicht recht / daß man eben die verwerffen will / die da lehren wollen /f)Nicht eben oͤffentlich wie Lehrer und Predi - ger / ſondern ſo viel ihnen aus dem Recht des geiſtlichen Prieſterthums zukoͤmmt 1. Theſſ. 5 / 14. Roͤm. 15 / 14. Col. 3 / 16. und ſind nicht auf Univerſitaͤten gewe - ſen; ich meyne die / welche erleuchtet ſind.

Wir erkennen aber nun auch fernerFaus122Wahres Chriſtenth. C. IX. aus unſerem Spruch / daß wir im Geiſt - lichen nach dem Fall gantz blind ſind; denn wenn uns Chriſtus ſoll lehren und ſehend machen / ſo muͤſſen wir ja freylich unwiſſend und blind ſeyn. Die ſich a - ber fuͤr wiſſend und ſehend halten / die koͤnnen nicht erleuchtet werden / denn ſie ſind ja ſchon (ihrem Verſtande nach) ſehend. Ja wenn auch Chriſtus ſie ſchon erleuchten will / und ſie nicht wollen / wie kan ihnen denn geholffen werden? Wenn ein Krancker zum Artzt wolte ſagen: ich bin all geſund / ich begehre eure Artzney nicht; ſo wird ihm ja auch der Artzt mit ſeiner Artzney nicht helffen / noch helffen koͤnnen.

Wer nun alſo von Chriſto will ge - lehret ſeyn / der muß gewiß auch un - wiſſend und muͤhſelig ſeyn; denn alſo ſte - het geſchrieben: Kommet her zu mir alle / die ihr NB. muͤhſelig und be - laden ſeyd; nicht / die ihr euch ſchon fuͤr weiſe / aufgerichtet und nicht beladen haltet. Und alſo koͤnnen wir / wennwir123Wahres Chriſtenth. C. IX. wir uns fuͤr unweiſe achten / und erkennen / daß es auch ſonſt niemand kan als Chri - ſtus / von Chriſto gelehret werden.

Wenn wir denn alſo von Chriſto ge - lehret ſeyn / und huͤbſche Mores(g)Goͤttliche und rechtſchaffene Tugenden. bey ihm gelernet haben / ſo koͤnnen wir vor GOtt beſtehen / und koͤnnen ihm gefaͤl - lig ſeyn; gleichwie ein Bettler nicht kann mit ſeinem alten Lumpen-Rock vor ei - nes Fuͤrſten Angeſicht kommen / ſon - dern er muß erſt andere Sitten lernen und fein erbar werden / und mit einem feinen Kleide angethan werden; als - denn kann er vor eines Hohen Angeſicht kommen.

Ach ihr Menſchen / laßt euch doch ja bekehren / und zwar rechtſchaffen / nicht etwan zur Beichte gehen und wieder anfangen zu ſuͤndigen; ſondern nehmet euch vor / nicht zu ſuͤndigen / und laſſet euch von Chriſto lehren und unterweiſen / da - mit wir einſten vor dem Angeſichte GOttes beſtehen moͤgen.

F 2Gebeth.124Wahres Chriſtenth. C. X.

Gebeth.

SO gib denn Heiliger Vater / daß ich deinem Sohn fol - ge / mich fuͤr nichts und unwiſſend erkenne / auf daß ich von dir moͤge unterwieſen werden; und endlich wann ich informiret bin von dir / daß ich endlich vor dei - nem Angeſicht moͤge erſcheinen und dir gefaͤllig ſeyn.

Cap. X. Wie die Chriſten ſollen ſtarck ſeyn in dem HErrn / ſtrei - ten und kaͤmpfen.

Epheſ. 6, 10. Zuletzt / meine Bruͤder / ſeyd ſtarck in dem HErrn und in der Macht ſeiner Staͤrcke.

NAchdem der Heilige Apoſtel Paulus die Epheſer angemah - net zu einem tugendhafften Le -ben /125Wahres Chriſtenth. C. X. ben / und ihnen das heilige Leben Chriſti genug vorgeſtellet; ſo kan er nicht unterlaſſen / ſie auch anzumahnen recht zu ſtreiten und zu kaͤmpfen: da wir denn die Lehre draus zunehmen haben / daß wir in unſerm Chriſtenthum ja das Kaͤm - pfen nicht vergeſſen ſollen. Deñ wenn ein Soldat nicht ſtreiten will / was wirds ihm helffen / daß er ein Soldat genennet wird? Alſo auch / wenn wir wider den Satan / Welt / Tod / Teufel und Hoͤlle nicht ſtreiten wollen / was wirds uns helf - fen / daß wir Chriſten oder Streiter ge - nennet werden? Auch iſt das Kaͤm - pfen ein groß Stuͤck des Chriſten - thums / und zwar das allergroͤßte: denn wo wir nicht kaͤmpfen / kan uns die Seligkeit dadurch abgeſaget werden. Es heißt: wer nicht ſtreitet / wird nicht gekroͤnet / und kan nicht zu Ehren kom - men.

Darum laßt uns doch Fleiß anlegen / daß wir kaͤmpfen und ſtreiten: denn wo nicht Kampf und Streit in der See -F 3len126Wahres Chriſtenth. C. X. len iſt / da wird die Seele bald ſchlaͤff - rig und laulich; gleichwie man bald ein - ſchlaͤfft / wenn man nichts zu thun hat; aber wenn man etwan was widerliches hat / wider welches man ſtreiten muß / da wird man ſehr wach ſeyn / daß man nicht moͤge davon uͤberwunden werden. Sitzet man aber ſo in Friede und Ru - he / hat nichts zu ſtreiten noch zu arbei - ten / ſchlaͤfft man bald ein: alſo auch wenn wir ſo wollen in Friede und Ruhe ſeyn / und nicht wider den Satan ſtreiten / ſo werden wir laulich / ſchlaͤffrig und traͤge im Chriſtenthum. Wer aber ſich nicht will zum Streit begeben / und ſich uͤber - winden laͤſſet / empfaͤngt nicht die ewige Seligkeit / denn er hat nicht darum ge - beten. (h)Und gekaͤmpfet.

Gebeth.

HEiliger Vater / du biſt ja ſo ein ſtarcker / maͤchtiger und kraͤftiger GOtt / theile mir dochauch127Wahres Chriſtenth. C. XI. auch ſolche deine Staͤrcke mit / daß ich wider den Satan beſte - hen moͤge / und endlich zu Ehren kommen moͤge. Laß doch nicht ge - ſchehen / daß ich mich uͤberwin - den laſſe / ſonſt wird es ja ſehr ſchwer halten / bis ich wieder be - kehret werde / und wieder zu Gnaden komme / wenn ich wieder zuruͤck kehre; ſondern laß mich ſtreiten und kaͤmpfen und gewin - nen / daß ich das Feld behalte. Amen!

Cap. XI. Wie wir ſollen in den Wein - ſtock Chriſtum eingepflan - tzet ſeyn.

Joh. 15, 1. Jch bin der rechte Weinſtock und mein Vater ein Weingaͤrtner. Einen jeglichen Re - ben an mir ꝛc.
F 4Die -128Wahres Chriſtenth. C. XI.

DIeſe Worte lehren uns die groſſe Nothwendigkeit / in Chriſto eingepflantzet zu ſeyn und denn auch Frucht zu bringen: ſonſt wird es uns nichts helffen / daß wir in Chriſto eingepflantzet ſeyn / ſo wir nicht Frucht bringen; denn es heißt: ein jegli - cher Reben an mir / der NB. nicht Frucht bringet / wird abgehauen / und ins Feuer geworffen.

Denn wer nicht in Chriſto einge - pflantzet iſt / der iſt uͤbel dran und ein e - lender Menſch; denn ohne Zweifel iſt er im Satan eingepflantzet und gehoͤret deme zu; aber wehe dem / der dem Sa - tan angehoͤret: Denn dieſer untreue Herr gehet gar uͤbel mit ſeinen Die - nern und Kindern um / und gibt ihnen keinen Lohn / wie ſchon gemeldet / fuͤr ihre Dienſte. Wer aber will von der Hand des Satans errettet werden / der muß denn auch ſich in Chriſto laſſen ein - pfropfen / und in ſeine Haͤnde laſſen ein -ſchlieſ -129Wahres Chriſtenth. C. XI. ſchlieſſen / welches durch ihn ſelber und durchs Gebeth geſchiehet: denn wenn Satan erſiehet / daß man noch nicht recht in JEſu Hand iſt / ſo feyret er nicht / ſich noch auf zu machen / und dieſe See - le zu erhaſchen; wo denn mannichmal die Seele nicht auf ihrer Hut ſtehet / wird ſie erhaſchet.

Wer aber alsdann / wann der Sa - tan ſo herum ſchleichet / einen zu verſchlin - gen / recht in JEſu Haͤnden iſt / ſo ſpricht Chriſtus zu ihm: gehe nur fort / das Schaͤfchen iſt in meiner Hand / und nie - mand ſoll es heraus reiſſen.

Jn JEſu Haͤnden aber eingeſchloſ - ſen ſeyn / oder in JEſu eingepfropfet ſeyn / iſt ſo viel geredet / daß man erſtlich ſich dahin befleiſſe / nicht zu ſuͤndigen und GOtt nicht zu beleidigen; Zum andern bitte / daß JEſus einen nicht verlaſſen wolle / und ihn beſchuͤtzen fuͤr allem Ubel; Und drittens / daß man nicht moͤge aus ſeiner Gnade fallen.

Welcher denn nun es ſo weit ge -F 5bracht130Wahres Chriſtenth. C. XI. bracht hat / daß er in Chriſto iſt / der ſoll ſich daran nicht begnuͤgen laſſen / ſon - dern / wie hier ſtehet / auch bitten / und darnach ſtreben / daß er Frucht bringe; denn das Chriſtenthum beſtehet nicht al - lein darin / daß man das Boͤſe laſſe / ſon - dern daß man auch Gutes thue. Denn man muß entweder Boͤſes oder Gutes thun! laͤßt man das Boͤſe / muß man Gu - tes thun; laͤßt man das Gute / muß man Boͤſes thun / beyden kann man nicht die - nen. Wer es aber dahin gebracht hat / daß er beydes hat: der muß ſich denn auch hieran nicht vergnuͤgen laſſen / ſondern auch der Heiligung nachſtreben:(i)Daß er darin ferner wachſe und zunehme. Denn ohne Heiligung kann niemand GOtt ſchauen / oder zur Seligkeit(k)Welche in dem Anſchanen GOttes beſtehet. gelangen.

Gebeth.

BOtt gebe auch / daß wir dieſe 3. Stuͤcke an uns haben moͤ -gen131Wahres Chriſtenth. C. XII. gen (1) in Chriſto zu ſeyn; (2) gu - te Sachen zu thun; und (3) die Het - ligung zu haben / daß wir koͤn - nen geſchickt zum Himmel einge - hen. Amen!

Cap. XII. Wie man allen Heuchelſchein ſoll meiden.

1. Theſſ. 5, 22. Meidet allen boͤſen Schein.

WAs alle Heuchler dencken und im Sinn haben / nemlich daß / wenn ſie nur aͤuſſerlich ſchei - nen / ſie ſchon vor Gott durchkommen koͤn - nen / wird uns hier deutlich widerſpro - chen von Paulo; und ob wol nicht hier - bey geſetzet iſt / wie man von der Heuche - ley / zumal da man GOttes Wort weiß / ſo vielen Schaden hat; ſo kan man es doch leicht ſchlieſſen; denn GOtt laͤßt ſich nichtF 6betrie -132Wahres Chriſtenth. C. XII. betriegen mit dem aͤuſſerlichen Schein; Sondern er ſiehet auf das Hertz.

Und man kan auch damit am juͤngſten Tage nicht auskommen / daß man wolte ſich entſchuldigen / und ſagen: ich habe ja auch gut geſchienen vor den Leuten. GOtt wird aber vielmehr ſagen: weil du haſt des HErrn Willen gewuſt / und dich nicht recht von Hertzen beſtrebet dar - nach zu thun / ſo gehe nur hin von mir / und leide doppelte Streiche.

Zu denen wahren Verleugnern aber wird er ſagen: weil ihr habt nicht gut ge - ſchienen /(a)Vor den Augen der Boͤſen. und ſeyd doch fromm gewe - ſen / ſo ſollet ihr nun gut ſcheinen / und dop - pelte Freude haben.

Nun ſind hier vorgeſtellet beydes die Heucheley und wahres Chriſtenthum / und auch beyder Lohn.

Wer wolte denn nun nicht die boͤſe / verderbliche / betriegliche Heucheley lie - gen laſſen / und die Rechtglaͤubigkeit ohne Heucheley nehmen? Denn von jenerem -133Wahres Chriſtenth. C. XII. empfaͤngt man den Fluch / von dieſer den Segen.

Haben nun die Menſchen die Selig - keit lieb / ſo moͤgen ſie das wahre Chri - ſtenthum erwehlen / und einmal durch - brechen / und nicht achten / daß ſie uͤbel ſcheinen; denn dort werden ſie beſſer ſcheinen.

Denn das mag man nur gewiß ſeyn; je mehr hier Freude / je mehr dort Leiden; je mehr hier wohl / je mehr dort uͤbel; Je mehr hier gut / je mehr dort boͤſe. Hingegen je mehr hier Leid / je mehr dort Freude; je mehr hier Angſt / je mehr dort Luſt / je mehr hier Quaal / je mehr dort Er - quickung.

Es kan ſich gar nicht zuſammen rei - men / hie Himmel und dort Himmel / gleichwie nicht kann Sommer und Sommer ſeyn / es muß erſt / ehe Som - mer kommt / auch Winter ſeyn. Wer es denn nun meynt zu haben / hier Him - mel und dort Himmel / der wird ſich betriegen / denn da er wird meynen in denF 7Him -134Wahres Chriſtenth. C. XII. Himmel zu kommen / wird er in die Ver - damniß kommen.

Auch wer ſich dadurch (durch Laͤſtern) will vom Himmelreich laſſen abziehen / der machts alſo / als einer / der wolte nach einem Kleinod lauffen / und wolte darum aufhoͤren zu lauffen / weil ihn ei - ner etwan auf den Puckel ſchluͤge / der ihn doch nicht verwunden koͤnte.

Darum muß bald der Schluß ge - macht werden / daß / ſo man will ein Chri - ſte werden / man Verfolgung haben wolle / anders gehts nicht an.

IV. [135]

IV. Etliche Briefe Des ſel. Chriſtlieb Leberechts von Exter / ſo derſelbe an unterſchiedene Perſonen geſchrieben.

(An ſeine Schweſter / ſo damals eilff Jahr alt geweſen)

Allerliebſte Schweſter Marie Ließgen /

ES iſt mir zu Muthe geweſen / als wenn ich der Gnade GOttes gantz beraubet waͤre: Denn ich liege in ſolcher Noth / als ich wol mein Tage nicht gehabt habe. Es iſt mir gar kein Troſt zur Seiten / ſondern ich bin alsein136Etliche Briefe. ein verlohren Schaf / das keiner will annehmen / und iſt mein Gemuͤth zuſchla - gen / daß mein Hertz in blutigen Thraͤ - nen ſchwimmet / und iſt / als wenn ich kei - ne Seligkeit mehr zu hoffen haͤtte / ſon - dern als wenn mir die Hoͤlle zubereitet waͤre. Jch bitte euch / lachet uͤber mein Elend nicht / ſondern weinet vielmehr daruͤber / und ſchlieſſet doch mich allezeit in euer Gebeth ein. Geſtern abend o - der wenn ich nur zu GOtt ſeuffze / iſt mir gleichſam / als wenn ich verzweifeln wol - te an GOttes Gnade. Wenn ihr wie - der nach Hauſe kommet / will ich ſchon ein mehrers mit euch reden. Euch / liebe Schweſter / hab ich es vertrauet / ſagets keinem Menſchen wieder.

Note: (Dieſes Kind iſt von Jugend auf ein recht ge - horſames / frommes und gottfuͤrchtiges Kind geweſen / ſo ſeine liebe Eltern faſt nie - mals beleidiget hat. Geſchiehet nun ſol - ches am gruͤnen Holtz / was will am duͤrren werden.)
An137Etliche Briefe.

(An einen Freund.)

Lieber Freund /

ICh finde es noͤthig / euch etliche Zei - len zu ſchreiben wegen euren An - ſtoß des Moſcowiters / nemlich daß Jhr noch ſo wenig Vertrauen auf den HErrn euren GOtt habet / da Jhr euch doch einen Chriſten nennet. Jſt er denn nicht der groſſe GOtt / der alle Menſchen er - haͤlt / und auf den man ſein Vertrauen ſoll ſetzen? Oder (ich frage nur nach ein - faͤltiger Art) iſt euch denn das Lied nicht bekant / wer nur den lieben GOtt laͤßt walten? welches ein ſehr gemein Lied / da denn auch ſtehet: wer nur dem Allerhoͤchſten traut / der hat auf kei - nen Sand gebaut. Aber ey lieber! ich will euch ſagen / was die Urſach ſey ſolcher Furcht: weil ihr noch allzufleiſchlich ſeyd / denn Paulus ſpricht Roͤm. 8. die aber fleiſchlich ſind / moͤgen GOtt nicht ge - fallen / leicht zu ſchlieſſen / die empfangen auch als Feinde GOttes nicht die Gaben / die die Frommen empfahen / als Glau -be /138Etliche Briefe. be / Liebe Hoffnung etc: Es ſpricht aber Paulus: Ohne Glauben iſts unmuͤglich GOtt zu gefallen; dar - um rathe ich euch als ein lieber Freund / ihr wollet nur euer Leben fein nach GOt - tes Willen einrichten / und wenn ihr leſen wollet GOttes Befehl / ſo leſet nur das 5. 6. und 7. Capitel Matthaͤi / da ein Chriſt recht beſchrieben iſt. Jhr muͤſſet aber die Worte mit groſſem Nachdencken le - ſen / und euch auch dahin befleißigen / dasjenige zu thun / was darinn geboten iſt: Und wenn ihr euch dahin befleißiget / dasjenige zu thun / ſo werdet ihr auch die Krafft von GOtt es zu thun empfangen / und alsdenn werdet ihr auch den Glau - ben und das feſte Vertrauen zu GOtt empfahen. Wollt ihr aber wiſſen / wie der Glaube beſchaffen ſey / ſo leſet Jac. 2 / 17. 20. 26. da werdet ihr ihn recht finden. Dencket doch einmal an / ob der Moſcowiter gleich ſo maͤchtig waͤre / und alles verſchlingen wolte; iſt denn GOtt nicht groͤſſer als er? (der Moſcowiter) Er(GOtt)139Etliche Briefe. (GOtt) kan ihn (den Moſcowiter) ja den Augenblick als eine Made zerdruͤ - cken. Aber wer hierinn will einen Glau - ben haben / muß auch ein gut Gewißen haben; nur ich ſage: ihr wollet doch den rechten Vater / GOtt / um Rath fra - gen / wohin ihr ſollet weichen vor dem Hoͤlliſchen Moſcowiter / daß der euch nicht aus eurer Veſtung treibe / das iſt / den Frieden der Seele mit GOtt verſtoͤ - re. Wollet ihr wiſſen / wie ich es ma - che: ich fuͤrchte mich nicht fuͤr den Pola - cken / fuͤr dem Tuͤrcken / fuͤr den Schwe - den / fuͤr den Moſcowiter / ja fuͤr dem Teufel ſelbſt nicht; denn ich weiß / daß / wenn ich GOtt bey mir habe / ſo kan er fuͤr allen den Feinden mich behuͤten und beſchuͤtzen: denn er iſt der groſſe GOtt / der HErr aller Herren / und NB. Koͤnig aller Koͤnige; ſo machet ihr es auch. Wer nun bey dieſem groſſen HErrn bleibet und ihm treulich dienet / der empfaͤnget das ſchoͤne Kleinod Chri - ſtum JEſum / und wer den hat / der kanin140Etliche Briefe. in der Welt durchkommen: Der iſt das rechte Geld / mit dem man ſich ernehren kan. Jch verſichere euch / wenn ihr die - ſes Geld / Chriſtum JEſum / habet / ſo wird der Kaſten eures Hertzens voll wer - den. Jhr erlanget aber dieſes ſchoͤne Kleinod durch wahres und andaͤchti - ges Gebeth. Glaubet nur / ich kan euch dis nicht ſagen / wie man ſich freuet / wenn man Chriſtum hat. Ach bittet doch ja GOtt / daß ihr nach ſeinem Wil - len lebet / und daß er euch denn zu Lohn gebe das edle Kleinod Chriſtum. Mein lieber Freund / wenn ihr den (Chriſtum) habt / ſo brauchet ihr kein Geld mehr / ſondern er iſt ja das rechte Geld; und GOtt verſorget ja ohne dem alle Men - ſchen / ſo wird er euch ja / wenn ihr ihm von Hertzen dienet / noch vielmehr vaͤter - lich verſorgen. Darum ſetzt nur euer Vertrauen auf GOtt / thut nur ſo / als wenn GOtt euer eintziger und liebſter Vater waͤre / und kein Menſch mehr in der Welt waͤre / der mit euch etwas zuthun141Etliche Briefe. thun haͤtte; und wenn euch etwa ein Un - gluͤck widerfaͤhret / ſo gehet alsbald zu GOtt und ſprechet: Mein Vater / dieſes oder jenes Ungluͤck widerfaͤh - ret mir / ſiehe da / ich weiß mir nicht heraus zu helffen / hilff du mir her - aus aus dieſem oder jenem Ungluͤck / wenn es dein heiliger Wille iſt. Wenn denn nun GOtt ſiehet / es ſey noͤ - thig / daß er euch heraus ziehe aus dieſem oder jenem Ungluͤck / ſo wird er es thun; findet er es nicht noͤthig / ſo wird er es auch nicht thun / und doch zu eurem Beſten. Und ſo machet es doch mit eu - rem lieben GOtt / und nehmet allein zu ihm Zuflucht. Jhr wiſſet es ja wohl / was GOtt fuͤr ein treuer liebreicher und gnaͤdiger Vater iſt / hoffet und verlaſ - ſet ihr euch nur auf ihn; man verlaͤßt ſich ja wol in der Welt auf Koͤnige / ſo ver - laſſet ihr euch doch auf GOtt. Jch wol - te euch / (ſo zu reden) wenn GOtt nicht allmaͤchtig waͤre / nicht ſo ſehr auf GOtt weiſen; aber bedencket doch / wie er all -maͤch -142Etliche Briefe. maͤchtig iſt: er kan ja aus Steinen Brodt machen / er kan aus ſteinernen Hertzen fleiſcherne Hertzen machen; und darum ermahne ich euch ſo zu ihm an / und meiſtens darum / daß er aus eurem und unſer aller Hertzen / die da ſteinern ſind / moͤge fleiſcherne machen. Jch vermah - ne euch aber auch letztens / lieber Freund / befleißiget euch doch dahin / daß ihr GOtt moͤget recht folgen. Trachtet doch dar - nach / daß ihr moͤget auf dem engen We - ge zur Seligkeit gehen; und trachtet nicht allein darnach / (durch welches bloſſe Trachten viele betrogen werden) ſondern wandelt auch wircklich darauf: Denn darinnen beſtehet das Chriſten - thum recht. Ach ich bitte euch / dienet doch GOtt recht lauter / und ſeyd nicht laulich in eurem Chriſtenthum: denn ich weiß es / wenn einer GOtt dienet / ſo iſt er immer mehr begieriger ihm zu dienen / und GOtt erquicket einen dann in ſei - nem Hertzen / welches ihr / wenn ihr GOttes Willen thun werdet / auch em -pfin -143Etliche Briefe. pfinden werdet. Hanget nicht der Welt mit an / und ſcheuet euch nicht / wenn ſie euch verachten und verfolgen: Denn Chriſtus ſpricht ja Matth. 10. Jhr muͤſſet gehaſſet werden von je - dermann / nicht um dieſes oder jenes Menſchen halben / ſondern NB. um meines Namens willen. Ja ſchaͤ - met euch nicht vor der Welt / daß ſich Chriſtus dorten am juͤngſten Gericht nicht euer ſchaͤme in die Seligkeit ein - zunehmen. Dencket doch an / wenn einmal Chriſtus wird ſagen: Gehe von mir du Verfluchter ins ewige Feu - er. etc. Aber zu den Frommen: Kommet her ihr Geſegneten etc. welche Stimme wollet ihr lieber hoͤren? ich glaube / die freundliche Stimme. Darum (ich meyne es ſehr gut mit euch) richtet doch fein euer Leben nach GOt - tes Willen / daß ihr moͤget zur ewigen Seligkeit gelangen. Jch wolte auch gern / daß ihr hier ſchon ſchmecketet das verborgene Manna / welches ich ſchme -cke /144Etliche Briefe. cke / ihr werdet es ſchon empfinden / wenn ihr GOtt gehorchet / und das thut / was euch GOtt geboten hat. Der HErr ſegne euch / erhalte euch / erleuchte euch / und laſſe euch wachſen mit Chriſto an Weisheit / Alter und Gnade bey GOtt und den Menſchen. Jch verbleibe

Euer geliebter Freund Zerbſt / den 17. Jul. 1707. C. L. von Exter.

P. S. Euer Brief kam eben / da wir faſt gegeſſen hatten / und weil ich hoͤrete / daß der liebe Papa und liebe Mamma von dem Briefe redeten / wurde ich bewe - get (durch GOtt) euch etwas zu ant - worten.

(An Herrn Inſpect. Wincklern zu Magdeburg)

Jmmanuel! Lieber Herr Inſpector!

ES daurete mich ſelbſten (nachdemich145Etliche Briefe. ich ihren Brief vom lieben Papa le - ſen hoͤrete) wegen ihres juͤngſten Soh - nes / daß er ſo ploͤtzlich / ehe man ſichs verſehen / hat den Tod ſchmecken muͤſſen / welches ihnen / als lieben El - tern / eine groſſe Betruͤbniß macht. GOtt leget ſeinen Kindern eine Laſt auf / aber er NB. hilfft ihnen auch wieder / und alſo haben ſie ſich zu troͤſten / daß es von der Hand des HErrn kommt / der da ihnẽ wieder helffen kan; ja ſie haben auch den ſchoͤnen Troſt von Paulo / da er ſaget / daß alle Dinge den Frommen zum Beſten dienen / ſie ſeyn gut oder boͤſe. GOtt der Allerhoͤchſte / der ihnen die - ſen Sohn von der Welt genommen hat / wird Sie wiederum nicht ungeſeg - net laſſen: denn er iſt ſo ein treuer GOtt / der / wenn er ſeinen Frommen einen Se - gen entzogen hat / (ihnen zur Pruͤfung / und wenn ſie redlich aushalten) ſo gibt er ihnen wieder einen neuen / und wol noch einen reichern. Gleichwie Hiob / als der redlich aushielt in ſeinem Creu -Gtze /146Etliche Briefe. tze / da ihm alles entnommen war von der Hand des HErrn / empfieng er noch mehr / als er vorhin hatte. Glauben ſie nur / es wird ihnen auch ſo kommen / GOtt wird ja ſeine Kinder (wie ſchon geſagt) nicht in Noth ſtecken laſſen: denn ſeine Guͤte gehet ja auch gegen Gottloſe / ſo weit wie Himmel und Er - den iſt; wie vielmehr nun nicht gegen ſeine Frommen? Darum getroͤſten ſie ſich GOttes Guͤte und Gnade / die er gegen alle Menſchen hat / und vielmehr gegen ſie / als die GOtt fuͤrchten. Es iſt nur dieſer Fall des Kindes eine liebe Vater-Ruthe / womit er ſie als ſeine Kinder ſtaͤupet / und ſie koͤnnen ſonderlich daran erkennen / daß GOtt ſie lieb habe: Denn welchen der HErr lieb hat / den zuͤchtiget er auch / es mag nun ſeyn mit dieſer oder jener Zucht. Der HErr troͤſte ſie derohalben nun wieder mit der ſuͤſſen Freudigkeit des Heiligen Geiſtes / und erquicke ihrer beyderſeits Seelen mit ſeinem heiligen Worte; ja er ſegne dasgantze147Etliche Briefe. gantze Haus mit ſeinem Segen ſeines heiligen Wortes in alle ewige Ewigkeit. Jch aber verbleibe

Jhr lieber Freund Zerbſt / d. 26. Jul. 1707. C. L. von Exter.

(An ſeinen geweſenen Informatorem.)

Jmmanuel! Freude zuvor. Lieber Herr Arends /

WEnn ſie noch wohl auf ſeyn / wird es mir lieb ſeyn; was mich anbe - langet / ſo kan ich von Geſundheit nicht viel ſagen: denn die liebe Vater-Hand GOttes hat mir nun 14. Tage her ſehr ſtarcke Kopf-Schmertzen aufgeleget / daß ich auch alſo nicht habe koͤnnen beywoh - nen die officia Scholaſtica, welche (Kopf - Schmertzen) nun ziemlich vorbey ſind / dennoch aber ſich taͤglich etwas noch da - von ſpuͤren laͤſſet. Jch hoffe aber / ſie werden es ſo gut aufnehmen / als wenn ich geſund waͤre; denn Kinder GOttesG 2nehmen148Etliche Briefe. nehmen mit dem vorlieb / was der Va - ter ſchicket / wie denn auch ich damit vor - lieb nehme / indem es von der lieben Va - ter-Hand kommt / es ſey Kranckheit oder Geſundheit / Freude oder Leyd / Leben o - der Tod / und ich trachte nur dahin / daß ich moͤge die Seeten-Speiſe (Verbum Dei) genieſſen und theilhafftig werden; (wie ich denn nicht zweifele / daß Sie dieſe Seelen-Speiſe ſtets genieſſen werden.) Und GOtt gibt mir denn reichlich / dar - um ich bitte / ja wohl noch uͤber meine Bitte. GOtt der liebreiche erzeiget mir und uns allen ſo viel Gnade im Geiſtli - chen und Leiblichen / daß wir ihm billig Danck ſagen muͤſſen. Friedrich laͤſſet ſie auch ſchoͤne gruͤſſen / und bittet / daß / wenn ſie heruͤber kommen / ihm doch das wahre Chriſtenthum Joh. Arnds 2. oderz 3. Groſchen guͤltig mit bringen moͤ - gen / welches er ihnen mit allem Danck / wenn ſie heruͤber kommen / bezahlen will. Marie Ließchen laͤſſet ihn auch freund - lich gruͤſſen / und bittet einen freundlichenGruß149Etliche Briefe. Gruß abzuſtatten bey der Frau Mutter / Jungfer Schweſtern und Herren Bruͤ - dern. Jch aber verbleibe

Jhr getreuer Freund

Zerbſt / den 26. Aug. 1707. C. L. von Exter.

P. S. Brevitas litterarum mearum Tibi placeat, nam non|materiam mul - tam habui in ſcribendo ad Te.

(An eben denſelben.)

Jn manuel! GOtt mit uns! Der HErr ſegne uns und erleuch - te uns.

ICh ſage ihnen Danck fuͤr die gute Er - innerungen / die ſie mir in ihrem Briefe ſchreiben; GOtt gebe / daß wir dann auch dasjenige / was er uns zu tra - gen gibt / es ſey im geiſtlichen oder leib - lichen / willig tragen und damit zufrie - den ſeyn: Denn er iſt Vater und wirG 3ſind150Etliche Briefe. ſind Kinder / darum ſollen wir ihm ge - horſam ſeyn; und zu dem wird er uns nichts leydes thun / ob es gleich dem Flei - ſche und alten Adam ſpaniſch vorkoͤmmt. Am geiſtlichen (dem Allerhoͤchſten ſey Danck!) bin ich durch GOttes Gnade noch wohl auf / und GOtt hat mich et - wan nun drey Tage her ſehr mit ſeiner Gnade geſpeiſet / daß ich auch ſehr weit in meinem Chriſtenthum fortgangen bin / daß ich gantz bin voll geweſen der Liebe meines Heylandes / fuͤr welche Erqui - ckung ich GOtt Danck zu ſagen ſchuldig bin / und auch wircklich Danck ſage. Jch erfreue mich daruͤber ſehr / und neh - me es von GOtt an als eine ſuͤſſe Speiſe / die er ſeinen Kindern ſchicket und mit - theilet. Will er ſie aber wieder von mir nehmen / will ich dem himmliſchen Vater auch dancken und damit vorlieb nehmen. Ja liebſter Herr Arends / der lie - be GOtt hat aus lauter Gnade mei - nen Sinn ſehr geaͤndert und aufs Him̃ - liſche gezogen / daß ich es auch nicht ſagenkan /151Etliche Briefe. kan / und GOtt nicht gnug dafuͤr dan - cken kan. Wann ſie auch am geiſtli - chen noch wohl auf ſeyn / wird es mir von Hertzen lieb ſeyn: denn ich erfreue mich ſo ſonderlich im HErrn / wenn ich ſehe / daß Kinder GOttes ſo wohl am Geiſt und an geiſtlicher Geſundheit zu - nehmen / wie man ſich denn billig freu - en ſoll und kan. Jch aber bleibe

Sein treuer Freund Zerbſt den 13. Sept. 1707. C. L. von Exter.

(An eben denſelben.)

Jmmanuel! Lieber Herr Arends.

ICh dancke wiederum hertzlich / daß ſie mir in ihrem Schreiben auch un - ter andern ſonderlich die Demuth re - commendiret haben / welche zum Chri - ſtenthum ſehr noͤthig iſt; zwar habe ich ſie durch GOttes| Gnade eines Theils erlanget / aber dennoch ſchaͤtze ich michG 4nicht152Etliche Briefe. nicht / als wenn ich ſie ergriffen haͤtte / und beſtrebe mich / darnach ſie |immer noch mehr zu erlangen / bis ich ſie voͤllig ergreif - fe / und zwar durch GOttes Gnade / und ſo in allen andern guten Dingen / auf - daß meine Lampe moͤge voll Oele ſeyn / wenn ich etwan ſolte von dieſer Welt genommen werden. Denn gleichwie das nicht genug waͤre / wenn ein Bettler vor einer hohen Perſon erſcheinen wolte / daß er nur allein etliche grobe Sachen ablege / ſondern er muß gantz andere Sit - ten / Mores und Gebehrden lernen / und fein angethan werden; alſo auch wir / wenn wir wollen vor GOtt erſcheinen / muͤſſen wir gantz anders werden an Hertz / Muth und Sinn und Kraͤften / daß wir vor GOtt beſtehen und vor ſein Angeſicht treten koͤnnen. Was anbe - langet mein Haupt / ſo haben die Schmertzen daran ſich faſt gemehret / und laſſen ſich noch taͤglich mercken. Ma - rie Ließchen hat zwar ihre Beſchwe - rung nicht mehr ſo hefftig / dennoch iſt ſienicht153Etliche Briefe. nicht gantz davon befreyet. Was aber ihren geiſtlichen Zuſtand anlanget / iſt ſie zwar nicht weit kommen / dennoch aber hat ſie ein hertzlich Verlangen / daß ſie moͤge zur Vollkommenheit kommen / und gruͤſſet ihn auch freundlich ſamt GOtt - lobchen. Der HErr Jnformator wolle mir doch etwan ohngefehr zu wiſſen thun / wenn er wieder kommen will. Kan es aber nicht ſeyn / daß ſie es ſelber nicht wiſſen / ſo kan es wohl bleiben. Jch ha - be auch etliche Lieder durch die Huͤlffe GOttes gemacht / welche ich ihnen wol uͤberſenden werde in einem andern Briefe. Jch verbleibe der goͤttlichen Obhut empfehlende

Sein treuer Freund Zerbſt den 15. Sept. 1707. C. L. von Exter.

(An eben denſelben)

Lieber Herr Arends /

ICh dancke ihnẽ hertzlich fuͤr die Liebe / die ſie gegen mir haben / daß ſie michG 5mit154Etliche Briefe. mit etlichen Erinnerungs-Briefen in meinem Chriſtenthum erwecken wollen / welches mir auch ſehr angenehm ſeyn wird / und ſtets hertz-erfreulich iſt / wenn ich von ſie Briefe empfange / da ſie mir denn manchmal ſehr erbaulich ſind. Jch bitte derohalben / daß ich (welches wenn ſie es thun werden / mir ſehr hertz-erfreu - lich ſeyn wird / wie ich michs denn ohne dem wohl von ſie verſehen kan) mit in ih - rem Gebeth eingeſchloſſen werden moͤge / (wie denn wir ohne dem nicht gnug be - ten koͤnnen und Vorbitte gnug noͤthig haben) ich will auch ihrer gedencken in meinem Gebeth. GOtt mache uns aber durch ſolche gleichſam Wechſel-Gebethe recht vollkommen / heilig und unſchul - dig / daß wir dem Bilde Chriſti gemaͤß leben / ihn mit Suͤnden nicht beleidigen / und ihn ſeiner Ehre nicht berauben; ja er behalte uns heilig in ſeiner Liebe / laſſe uns aber erſt recht heilig leben bis auf die Erſcheinung JEſu Chriſti. Sie haben mir in ihrem Briefe geſchrieben / ich ſolteihnen155Etliche Briefe. ihnen ſchreiben / was Marie Ließchen macht / ſie wird es ihm aber wol ſelbſten berichten. Das Kopf-Wehe faͤnget bey mir wieder an / und die Kraͤtze will mich auch nicht mit frieden laſſen. GOtt wen - de es nur nach ſeinem heiligen Willen / und mache es mit uns / wie es ſein heili - ger Wille iſt. Jch aber bleibe

Sein treuer Freund Zerbſt den 20. Oct. 1707. C. L. von Exter.

Note: (Zwey Tage nach dieſem Briefe hat er ſich ge - leget / und iſt nicht wieder aufgeſtanden.)
G 6V. [156]

V. Des ſel. Chriſtlieb Leberecht von Exter Beiſtl. Lieder / ſo derſelbe aufzuſetzen angefangen den 12. Jul. 1707.

Jm Namen JEſu. Ein Lied vom geiſtlichen Kampf. Mel. Auf Chriſten-Menſch / auf etc.

DIEſu Chriſt / weil ietzt die Zeit /
daß wir recht ſollen kaͤmpfen / ja
gantz in dieſer Eitelkeit die boͤ -
ſen Luͤſte daͤmpfen / ſo hilff du uns doch
ſtreiten recht / daß wir nicht werden Sa -
tans Knecht.
2. Denn wer nicht ſtreit’t zu jeder
Friſt / der wird auch nicht empfangen
das Kleinod / welches JEſus Chriſt den
Frommen wird anhangen; er wird zu
ſeiner157Geiſtliche Lieder.
ſeiner Lincken ſtehn / und mit dem Sa -
tan muͤſſen gehn.
3. Wohl dem nun / der hier hat ge -
ſiegt / und Satanam bezwungen / ja wel -
cher tapffer ihn bekriegt / der wird mit
neuer Zungen hier reden / und dort e -
wig ſeyn / wo alle Frommen gehen ein.
4. Der Satan ſetzt zwar maͤchtiglich
ſich gegen alle Frommen / doch ſeine
Macht zerſtreuet ſich / eh er zum Sieg
kan kommen / er wendet groſſe Muͤhe
an / daß er beraube Chriſti Fahn.
5. Wer uͤberwind’t durch GOttes
Krafft / dem wird der HErr auch geben
vom Paradieſe ſchoͤnen Safft dort in
dem ewigen Leben; ja er wird hier auch
haben ſchon den Vorſchmack von dem
Gnaden-Lohn.
6. Wer uͤberwind’t ſein Fleiſch und
Blut / der wird am juͤngſten Tage ent -
gehen jener ſtrengen Glut / die der ver -
dammten Plage; er wird entgehen
GOttes Zorn / der dem Gottloſen iſt
ein Dorn.
G 77. Wenn158Geiſtliche Lieder.
7. Wohl dem nun / der hier recht ge -
ſiegt / und Satanam bezwungen / ja
welcher tapffer ihr bekriegt / der wird mit
neuer Zungen hier reden / und dort ewig
ſeyn / wo alle Frommen gehen ein.

Vom Zuſtande der kleinen Heerde.

Mel. Ach GOtt vom Himmel etc.

1. OIEſu Chriſte / GOttes Sohn /
wie iſt die Welt verdorben / die
Menſchen ſprechen dir nur Hohn / ja du
biſt gantz erſtorben zu dieſer Zeit in die -
ſer Welt; am Glauben man auch gar
nicht haͤlt / dein Licht iſt gantz erloſchen.
2. Gar wenig ſind der Chriſten noch /
die dein Wort recht annehmen / ach
GOtt erbarm dich ihrer doch / ſieh / wie
wir uns drum graͤmen; ach reute doch die
Boßheit aus / und mach die Hertzen zu
dein’m Haus / daß du kanſt darin woh -
nen.
3. O GOtt / mach doch dein Haͤufflein
groß / und thu es doch vermehren / ach laß
es159Geiſtliche Lieder.
es leiden keinen Stoß / daß man dich
moͤge ehren / und ſagen: GOtt iſt doch
noch HErr / denn er beſchuͤtzt ſein armes
Heer / und laͤßt es nicht verderben.
4. Ja du wirſt doch beſchuͤtzen noch /
das glaub ich / deine Heerde / und du
wirſt dich erbarmen doch / daß ſie noch
groͤſſer werde; ja GOtt du wirſt auch lei -
den nicht / daß man dein Haͤufflein ſo zu -
richt / und es gantz woll zerſtreuen.
5. Die Welt meynt / wenn ſie laͤſtern
kan / ſeyn Chriſten zuverfuͤhren / doch gantz
gewiß / es geht nicht an / ſie laſſen ſich nicht
ruͤhren: ſie werden feſter in der Lieb / ja
auch des heiligen Geiſtes Trieb / thut ſich
in ſie vermehren.
6. Der Winter ſchad’t den Baͤumen
nicht / er macht nur beſſer gruͤnen; alſo
das Laͤſtern iſt gericht und muß uns nur
bedienen / zu gruͤnen beſſer in der Zeit / da
GOttes liebe Freundlichkeit uns taͤglich
wird erquicken.

Ein Lob-Lied.

Mel. Mein JEſu / der du mich / etc.

MEin Hertz iſt eine Quell / die dein
Wort160Geiſtliche Lieder.
Wort klar und hell kann her erzehlen: /:
doch Unvollkommenheit iſt noch zu dieſer
Zeit in meiner Seelen: /:
2. Jch lobe / Vater / dich / daß du mich
ewiglich haſt angenommen: /: daß Chri -
ſtus meine Seel hat aus der Suͤnden
Hoͤl gantz abgewonnen: /:
3. GOtt iſt der Frommen Schutz / ſie
koͤnnen ſagen Trotz der Welt und Hoͤl -
len: /: die Welt verfolgt ſie zwar / aber im
der Gefahr iſt GOtt zur Seelen: /:
4. GOtt reiſſet aus der Noth / die ihn
recht nennen GOtt nach ſeinem Wil -
len: /: Er iſt zu jeder Zeit bey ſie in allem
Leid / daſſelb zu ſtillen: /:
5. O Seele dancke doch / nimm ja auf
dich ſein Joch / es iſt gantz leichte: /: Leb
doch nach ſeinem Will’n / daß er dich moͤ -
ge ſtill’n / und auch erleuchten: /:
6. Brich meine Seele aus Chriſtum
den beſten Straus / du muſt ihn haben: /:
er kann ja allzeit dich in groſſem Seelen -
Stich erfreulich laben: /:
7. Chriſtus erleuchtet gantz die Seel
mit161Geiſtliche Lieder.
mit ſeinem Glantz / daß ſie kann leben: /:
Er will ſich ihr auch gar in Jammer und
Gefahr zu eigen geben: /:
8. Nun GOtt gib mir den Geiſt der
mich auch allermeiſt im Glauben lehre: /:
gib du mir Gnad und Krafft / daß ich an
keine Macht mich irgend kehre: /:

Ein Lied von JEſu Reinigkeit.

Mel. Wo ſoll ich fliehen hin / ꝛc.

1. OIEſu du biſt rein / ach laß uns auch
rein ſeyn / daß wir mit dir dort o -
ben / den Vater koͤnnen loben; laß uns
doch heilig werden alhier auf dieſer Er -
den.
2. O HErr / wir ſind voll Suͤnd / ach
mach / daß ſie verſchwind / daß ſie nicht
laͤnger quaͤle die arm betruͤbte Seele / ach
laß uns ſelig ſterben / und auch den Him -
mel erben.
3. Wirff erſt der Suͤnden Heer hin in
das tieffe Meer / ach laß ſie doch verge -
hen / und ja nicht bleiben ſtehen im Buch /
da du thuſt ſchreiben / was alle Menſchen
treiben.
Wie162Geiſtliche Lieder.

Wie wir vor GOtt einſt treten ſollen.

Mel. JEſu Krafft der bloͤden etc.

1. WEg mit dieſem Welt-Geſchmeide /
ich fahr nun hin aus der Welt
nach der ſchoͤnen Himmels-Weide / gantz
hinauf zu meinem Held / der mir beyge -
leget hat / was mir auch verſprochen
ward.
2. Nun wer will vor GOtt beſtehen /
der muß haben Heiligkeit / und wer will
zum Himmel gehen / der muß ſeyn voll
Reinigkeit; denn GOtt will nur haben
Leut / die da ſeyn voll Heiligkeit.
3. Auch muß man das Kleid anzie -
hen / das uns da vor GOtt recht macht /
Suͤnd und alles Ubel fliehen / damit uns
der Feind nachtracht’t; ja will man vor
GOtt beſtehn / muß man aus ſich ſelber
gehn.
4. Nun wer will zu JEſu gehen / der
muß erſtlich laſſen ab von dem / was nicht
kann beſtehen / eh er komme in das Grab /
daß er moͤge dort beſtehn / und zum Him -
mel froͤlich gehn.
Nun163Geiſtliche Lieder.
5. Nun ſo will ich mich auch wenden
zu der ew’gen Seligkeit / und will nun
mein Leben enden / GOtt der HErr mach
mich bereit. Ja GOtt bringe mich da -
hin / wohin ſtehet gantz mein Sinn.

Von der groſſen Macht GOttes.

Mel. Wer nur den lieben GOtt etc.

1. WEr auf die Wunder GOttes ach -
tet / der preiſet ſeine Majeſtaͤt /
und wer ſie kluͤglich recht betrachtet /
der ſiehet / daß von ſtatten geht / was
GOtt noch einſten vorerſehn / ja er ſieht /
daß es muß geſchehn.
2. Man ſehe nur an was man wolle /
es iſt nur lauter Wunder-Werck / und
man betrachte / wie man ſolle / die groſſe
Krafft und GOttes Staͤrck / ſo wird
man wahrlich werden inn / wie heilig
heilig iſt ſein Sinn.
3. O GOtt du biſt allein zu loben / dich
mag man wohl recht nennen GOtt und
HErr auf Erden / und dort oben erheben /
Helffer in der Noth. Ja dich mag
man164Geiſtliche Lieder.
man erhoͤhen wohl / und ſagen / GOtt
iſt Guͤte voll.
4. Das Brodt gibſt du uns / lieber
HErre / aus lauter Erden nur formirt /
zu zeigen / daß kein Menſche waͤre / wie
du / der alles ſo regiert; du biſt gantz vol -
ler Guͤtigkeit / erzeigeſt uns viel Freund -
lichkeit.

Mel. Jch dancke dir ſchon durch etc.

1. MEin heil’ger Vater heil’ge mich
durch Chriſtum deinen Sohne /
daß ich moͤg ſeyn ein helles Licht vor dei -
nem heiligen Throne.
2. Gib mir die wahre GOttes Lieb /
die mich recht kan erleuchten / und da -
bey auch des Geiſtes Trieb / mich ſte -
tig zu erweichen.
3. Ohn Sanfftmuth laß mich HErr
auch nicht in dieſem Leben leben / denn
wenn ſie nicht von mir geſchicht / bin ich
an dir kein Reben.
4. Die Demuth aber gib mir auch
vor allen andern Gaben / daß ich mich
nicht in meinem Muth vor andern duͤnck
erhaben.
5. Da -165Geiſtliche Lieder.
5. Daher im Creutz geduldig ſey /
wenn du mir was zuſchickeſt von Truͤb -
ſal / Leyden / Angſt und Pein / und damit
gleichſam ſchmuͤckeſt.
6. Gib / daß ich auch recht Leyde trag
fuͤr mein begangne Suͤnde / daß ich nicht
dort die ew’ge Plag fuͤr ſie erſt muß em -
pfinden.
7. Jn dieſer Reu und Leiden gib / daß
ich auch ſey ſanfftmuͤthig / und alles in
Gedult und Lieb ertrage / und ſey guͤtig.
8. Gib aber auch / daß ich recht ſey
hungrig nach deinem Worte / und einen
rechten Vorſatz frey dabey von Hertzen
habe /
9. Zu werden beſſer in der Lieb / und
allen andern Gaben / und zuzunehmen
in dem Fried / darin man Ruh kan haben.
10. Laß mich recht reines Hertzens
ſeyn / daß ich vor dich kan treten / und
nicht gehn in die ewge Pein / daraus nie -
mand kan retten.
11. Friedfertigkeit laß zeigen ſich in
meinem armen Hertzen / daß ich den
Hader166Geiſtliche Lieder.
Hader / Zanck und Zwiſt gleichſam ſtets
moͤg abkertzen.
12. Wenn ich alſo verfolget werd ob
allen dieſem Guten / ſo gib / daß ich bey
deiner Heerd auch laſſe mich behuͤten
13. Vor allem Wut und Sturm der
Welt und allen Satans Liſten / daß ſie
mich nicht mit Muͤhe faͤll’t / und Satan
lachen muͤſte.
14. Laß mich mit dir vereinigt ſeyn /
und kein Zertrennung werden / laß uns
nicht ſcheiden Angſt und Pein alhier auf
dieſer Erden.
15. Gib aber / daß ich ſey wachſam /
damit Satan nicht raube mir armen
meine Perlen-Kron / die du geſchenckt im
Glauben.
16. Den Weg laß mich auch rennen
frey / der zu dem Himmel fuͤhret / damit
doch keine Heucheley man in dem Her -
tzen ſpuͤret.
17. Wenn ſich Anfechtung bey mir
find’t / ſo ſey doch HErr mein Troͤſter / daß
ich nicht in Unglauben ſinck an dich / o
Allerhoͤchſter.
18. Laß167Geiſtliche Lieder.
18. Laß mich den Kampf vollenden
recht / den du mir haſt befohlen / und gib /
daß ich in Einfalt ſchlecht / auf dich ſeh
unverholen.
19. Gib mir die wahre GOttes-Lieb /
die mich recht kan erleuchten / dabey
des heil’gen Geiſtes Trieb / mich ſtetig zu
erweichen.
20. Wenn ich denn ausgekaͤmpfet
hab den Kampf / der mir gegeben / ſo
gib / daß ich denn Ruhe hab dort in dem
ewigen Leben.

Ein Lied vom Leiden Chriſti.

Mel. Ach HErr mich armen etc.

1. ACh wenn man recht bedencket /
wie GOtt geſtorben iſt / und an
das Creutz gehencket der Heyland JE -
ſus Chriſt / ſo iſts eine groſſe Liebe / die
unausſprechlich iſt: drum dich im Lieben
uͤbe / weil du auf Erden biſt.
2. Sein Juͤnger ihn hatte verrathen /
Judas Jſcharioth; wegen ſeiner guten
Thaten ſtund ihm nach dem Leben die
Rott /168Geiſtliche Lieder.
Rott / bis ſie ihn endlich fiengen / ſtellten
ihn Pilato dar / wie es aber Judam gien -
ge / zeigt die Schrifft offenbar.
3. Er ward verſpeyt / verhoͤhnet von
der Gottloſen Schaar / mit Dornen gar
gekroͤnet / uns zu erretten aus der Ge -
fahr; es iſt eine groſſe Liebe / die unaus -
ſprechlich iſt: Drum dich im Lieben uͤbe /
weil du auf Erden biſt.
4. Dis alles hat er erduldet / dich zu
erretten aus der Pein / du haſts alles ver -
ſchuldet / ſeine Liebe iſt geweſen rein: o
Menſch / doch recht betrachte / was JE -
ſus hat erduld’t / das Zeitliche verachte /
ſo findeſt du die Huld.
5. Denck doch ſtets an ſein Leiden /
das er fuͤr dich gethan / du wirſt die Suͤn -
de meiden / und denn auch fangen an /
ein Chriſtlich Leben zu fuͤhren / das wird
gefaͤllig ſeyn dem groſſen GOtt der Eh -
ren / und wird dich loben fein.

Ein Buß-Lied / wenn man ſich bekehret von ſeinem Weſen.

1. ACh betruͤbt iſt meine Seele / weil
ich169Geiſtliche Lieder.
ich ietzt voll Suͤnden bin / und hat nun
gar keine Hoͤle / weil ich gantz mit mei -
nem Sinn gar zu deme bin gekehrt / was
der Welt beliebt und ehrt / weiß auch
keine Huͤlff noch Rath / als bey dir / o
treuer GOtt.
2. Doch ich will auf dich verlaſſen
mich / du wirſt auch meinen Schmertz
lindern / und denn auf die Straſſen brin -
gen mein betruͤbtes Hertz / da gar kein
Menſch mich betruͤbt / auch der Teufel
gar nicht uͤbt / ja gar nicht darff an mir -
ben ſeine Tuͤck und ſein Belieben.
3. Du wirſt lindern meinen Schmer -
tzen / denn du biſt der groſſe GOtt / der
uns ſtets zuſagt von Hertzen / nun ich bin
in ſolcher Noth: du wirſt mich auch gnaͤ -
dig hoͤren / ich will dich dann ewig ehren /
nicht nur in der Sterblichkeit / ſon -
dern auch in Ewigkeit.
HVI. [170]

VI. Etliche Bebethe / welche der ſel. Chriſtlieb Leberecht von Exter aufgeſetzet.

Ein Gebeth zu beten / wenn man will.

(Weil das ſelige Kind aus einer gewiſſen im Druck befindlichen kleinen Schrifft zur Auffſe - tzung dieſes Gebeths Anlaß genommen / in wel - cher die Pflichten eines wahren Chriſten nach dem A B C. geſetzt ſind; ſo hat man um des wil - len in dieſem Gebeth den Anfang der Worte / worauf das Kind gezielet / mit Lateiniſchen Ver - ſal Buchſtaben drucken laſſen.)

OIEſu / mein treuer Heyland und Seelen-Hirt / gib / daß ich moͤge mit Maria zu deinen Fuͤſſen ſitzen / und dein heiliges Wort mit rechter Aufmerck -ſam -171Etliche Gebethe. ſamkeit hoͤren / nicht allein aber hoͤren / ſondern auch Frucht bringen laſſen in meinem Hertzen; mir kan ichs aber nicht zumeſſen und zuſchreiben / daß ich es thun koͤnte / ſondern du allein / o JEſu / der du biſt der rechte Fruchtſchaffer / mußt es thun. Du leiteſt mich aber bald zum Beten an / da du ſprichſt (Matth. 7, 7.) bittet / ſuchet / klopfet. So bitte ich dann auch / laß dein Wort fallen (wel - ches iſt ein Saame) auf einen guten Acker / befeuchte es (das Wort GOttes) offt und viel mit dem fruchtbaren Regen deiner Gnade / deiner Liebe und deines Troſtes / und daß ich alſo deinen Wil - len thue. Thue ich denn das / ſo bin ich dein Bruder / ja ich bin dein allerver - traulichſter Freund und Mit-Erbe in dei - nem Reiche / ich habe alsdenn zu genieſ - ſen das Erbtheil / das du mir durch dein Leiden erworben haſt. Es iſt mir aber auch die Bruͤnſtigkeit im Geiſte ſehr noͤ - thig im Gebeth / ja noch mehr der Glau - be / welcher iſt der Grund aller Weisheit /H 2ja172Etliche Gebethe. ja aller Krafft und Verſtaͤndniß; ſo gib mir denn auch die beyden Stuͤcke / welche ich auch im Glauben von dir bitte / ja gib mir um deiner Zuſage das wahre Chri - ſtenthum des Gebeths / in welchem auch eingeſchloſſen iſt die wahre Demuth des Hertzens / die Erbarkeit / die Froͤmmig - keit / ja die Treue und nicht die Falſchheit gegen meinen Nechſten. O GOtt / gib mir Glaͤubigkeit / darum ſchon gebeten iſt. Vor allen andern aber / wie ich moͤge dir gefallen / und ſtets nach Himm - liſchen Dingen trachten / die Suͤnde und alle Eitelkeit verfluchen / die mir meine Seligkeit verſchertzet. In ſolchen himm - liſchen Sinnen gib mir auch ein Keuſches / ja ein reines Hertz / und reiß mein Hertz aus meinem Hertzen / reiß das ſteinerne aus / (das iſt dasjenige Hertz / das Gottes Wort nicht annehmen will) und gib mir das fleiſcherne Hertz / das da deinen Willen thut und dein Wort annimmet; Laß auch dasjenige fleiſcherne Hertz / das du mir gebenwolleſt / Lauter ſeyn in derLiebe173Etliche Gebethe. Liebe gegen meinen Nechſten / in Mitlei - digkeit gegen Arme / und gib / daß ich Nuͤchtern moͤge ſeyn zum Gebeth; laß mich ſeyn Ordentlich in allen Verrichtun - gen / Praͤchtig am innerlichen Schmuck meiner Seelen; gib mir auch das ſchoͤne freye Gewiſſen von Suͤnden und von al - ler Ungerechtigkeit / daß ich vor GOtt und Menſchen ein gut und frey Gewiſſen habe. Laß mich denn auch ſeyn Reich an Gaben des heiligen Geiſtes / Sanfftmuͤ - thig gegen jedermann / welches auch eines von den Haupt-Stuͤcken im Chriſten - thum; Treu dir bis in den Tod / Unter - than meinen Eltern und Obern / Wa - cker allezeit / Zunehmend und wachſend an der Weisheit / Alter und Gnade bey GOtt und den Menſchen. Dieſes um Chriſti willen / Amen! amen!

Ein klein Morgen-Seuff - zerlein.

OLiebſter Vater / es bricht jetzund der Tag an / ach laß es auch inH 3mei -174Etliche Gebethmeiner Seelen Tag werden; ja komm / mache Wohnung bey mir armen ſuͤndi - gen Menſchen / daß alles / was ich heute thun werde / mir wohl von ſtatten gehe / und daß es geſchehe zu deines Namens Preis und Ruhm. Ach Vater / laß mich nicht in Suͤnden fallen / ſondern laß mich in Gerechtigkeit mit dir zeitlich und ewig leben / amen! amen!

Ein klein Abend-Seuff - zerlein.

OIEſu / mein treuer Braͤutigam meiner Seelen / bewahre mich auch dieſe Nacht gnaͤdiglich / und ſiehe nicht an die Menge meiner Suͤnden: Denn vor dir iſt ja kein Menſch gerecht; und meiſtens verzeihe mir die verborgenen Fehler / und laß den Teufel nicht an mei - ne Seele gelangen / der ſtets herum ge - het wie ein bruͤllender Loͤwe / und uns ſuchet zu verſchlingen / Amen / Amen!

VII. [175]

VII. Des ſel. Chriſtlieb Leberecht von Exter MEDITATION uͤber den V. Pſalm.

Der fuͤnfte Pſalm.

HErr / hoͤre mein Wort / mercke auf meine Rede. Vernimm mein Schreyen / mein Koͤnig und mein GOtt / denn ich will vor dir beten. HErr fruͤh wolteſt du meine Stimme hoͤren / fruͤh will ich mich zu dir ſchicken und drauf mercken. Denn du biſt nicht ein GOtt / dem gottlos Weſen gefaͤllt / wer boͤſe iſt / bleibet nicht vor dir. Die Ruhmredi - gen beſtehen nicht vor deinen Augen / du biſt feind allen Ubelthaͤtern. Du brin - geſt die Luͤgner um / der HErr hat Greu - el an den Blutgierigen und falſchen. Jch aber will in dein Haus gehen aufH 4dei -176Meditationdeine groſſe Guͤte / und anbeten gegen deinen heiligen Tempel in deiner Furcht. HErr / leite mich in deiner Gerechtigkeit / um meiner Feinde willen / richte deinen Weg vor mir her. Denn in ihrem Munde iſt nichts gewiſſes / ihr inwendi - ges iſt Hertzleyd / ihr Rachen iſt ein offe - nes Grab / mit ihren Zungen heucheln ſie. Schuldige ſie GOtt / daß ſie fallen von ih - rem Vornehmen / ſtoſſe ſie aus um ih - rer groſſen Ubertretung willen / denn ſie ſind dir widerſpenſtig. Laß ſich freuen alle / die auf dich trauen / ewiglich laß ſie ruͤhmen / denn du beſchirmeſt ſie / froͤlich laß ſeyn in dir / die deinen Namen lieben. Denn du HErr ſegneſt die Gerechten / du kroͤneſt ſie mit Gnaden / wie mit einem Schilde.

Meditation uͤber dieſen Pſalm.

JM Anfange dieſes Pſalms wird uns ſehr fein gewieſen / wie GOtt das Gebeth erhoͤre / und zwar / wenn mannicht177uͤber den V. Pſalm. nicht boͤſe / luͤgenhafft / ruhmredig / |ſtoltz und gottlos ſey: denn nachdem er um Erhoͤrung gebeten / ſo ſpricht er ferner: denn du / o GOtt / biſt nicht ein GOtt / dem gottlos Weſen gefaͤllt / wer boͤ - ſe iſt / bleibet nicht vor dir etc. als wolte er ſagen: Lieber GOtt / weil kei - ner erhoͤret wird von dir / er laſſe denn ab vom Boͤſen / und thue Gutes / ſo bitte ich dich / kehre auch mein Hertz ab vom Boͤſen / von Stoltz / Bosheit und Hoch - muth / damit du mich gnaͤdig erhoͤren koͤnneſt / und daß mein Gebeth dir ge - falle.

Und alſo nehmen wir hieraus zur Lehre / daß / wenn GOtt uns erhoͤren ſoll / wir auch ablaſſen muͤſſen vom Boͤ - ſen und von aller Ubelthat / ſonſt werden wir ſamt unſerm Gebeth GOtt mißfal - len: denn ſo ſpricht er: denn du biſt nicht ein GOtt / dem gottlos Weſen gefaͤllt / werboͤſe iſt / bleibet nicht vor dir.

GOtt iſt ſelbſten die Heiligkeit / und einſehr178Meditationſehr heiliges Weſen; darum kan er nicht leiden / daß etwas Unheiliges ſich zu ihm nahe / ſondern die mit ihm reden wollen / muͤſſen ſehen / daß ſie durch Chriſtum die Heiligkeit erlangen / und alsdenn koͤnnen ſie ſich zu ihm nahen / und von ihm erhoͤret werden / und mit dem Da - vid in das Haus GOttes gehen / und ihn loben. Alsdenn koͤnnen ſie gefaͤllig erſchei - nen vor GOttes Angeſicht / und als - denn koͤnnen ſie von GOtt Erhoͤrung er - langen / und koͤnnen verſichert ſeyn / ſie werden von GOtt Huͤlffe und Troſt empfahen / und der HErr werde ſie lei - ten in ſeiner Gerechtigkeit / um ihrer Fein - de willen.

Es wird uns denn nun auch in un - ſerm Pſalm letzlich vorgeſtellet / wie der HErr die Frommen ſegne / und wie der Hoͤchſte ihr Schild ſey; denn ſo heißt es im letzten Vers: du HErr ſegneſt die Gerechten / du kroͤneſt ſie mit Gnade / als mit einem Schilde. Anzuzeigen /daß179uͤber den V. Pſalm. daß GOtt der Frommen Huͤlffe und Schutz ſey / ob auch alle Gottloſen wi - der ſie ihre Macht ausuͤben wolten; und daß er auch ein ſolcher HErr ſey / der ſo viel Gnade gibt denen / die ihn lieben / daß ſie gleichſam davon gekroͤnet werden / und damit beſchuͤtzet werden wider alle leibliche und geiſtliche Anlaͤuffe.

Darum ſollen wir uns nun auch zu dem HErrn wenden / der da kan geben die Gnade ſo reichlich; und / weil wir ſo viel Schutzes beduͤrffen / zu dem HErrn wenden / der da kan ſo reichlich behuͤten und beſchuͤtzen: ſo werden wir gewiß in groſſe Sicherheit und Ruhe der Seelen gelangen / daß uns kein Feind et - was wird ſchaden koͤnnen.

[180][181][182][183][184]

About this transcription

TextEines zehen-jährigen Knabens Christlieb Leberecht von Exter/ aus Zerbst/ Christlich geführter Lebens-Lauff
Author Arnds Wilhelm Erasmus
Extent210 images; 25914 tokens; 4633 types; 168700 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEines zehen-jährigen Knabens Christlieb Leberecht von Exter/ aus Zerbst/ Christlich geführter Lebens-Lauff Nebst dessen angefangenen Tractätlein vom Wahren Christenthum/ ingleichen seine Briefe und Lieder/ &c. Zum Lobe Gottes/ und allgemeiner/ sonderlich aber der lieben Jugend Christl. Erbauung Arnds Wilhelm Erasmus. . [12] Bl., 179 S. FranckeHalle (Saale)1708.

Identification

Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, AB 71 B 3/b, 24 (5)

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; Gebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:28:27Z
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Holding LibraryUniversitäts- und Landesbibliothek Halle
ShelfmarkULB Halle, AB 71 B 3/b, 24 (5)
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