PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Der reiſende Engellaͤnder,
Welcher, Die Schwermuth ſeiner Gedancken Zu vertreiben, Durch Die vornehmſten Laͤnder reiſet, Sich Derſelben Groͤſſe, Vortrefflichkeit, Macht und Schwaͤche bekand macht, Der Einwohner Sitten, die Art des Regiments, und beſondere Merckwuͤrdigkeiten in Betrachtung ziehet, Auch Mit Perſonen allerley Standes Unterredung pfleget, Und ſeine Reiſe zu Waſſer und Lande Vor dißmahl aber nur durch einen Theil Von den Vereinigten Niederlanden Fortſetzet.
Franckfurt und Leipzig,1734.
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Vorrede.

Hochgeehrteſter Leſer.

DJr tritt jetzo abermahls eine neue Schrifft vor die Augen, derer Du vielleicht Dich wegen Menge der Buͤcher, die taͤglich an das Licht kommen, nicht vermuthet haben wirſt. Und dieſes iſt auch gantz wahrſchein - lich, da Du von unſerer Arbeit nichts gewuſt, wuͤrdige aber dennoch dieſe Zeilen einiger Betrachtung, welche Dir zu einer Erlaͤuterung unſers Entzwecks dienen wer - den. Vermuthe dahero nicht, theuerſter Leſer, eine Reiſe-Beſchreibung alhier anzutreffen, deren Anzahl) (2ohne -ohnedem alle Buchlaͤden druͤcket. Dencke nicht, daß unſer reiſende Engellaͤnder Dich mit Erzehlung unnuͤtzer Dinge, wie in den meiſten geſchicht, aufhalten, und alle Poſt-Stationes, und wie viel er davor bezahlt, was er in den Wirthshaͤuſern gegeſſen, wie es ihm ge - ſchmeckt, ob er eine unruhige Nacht gehabt, ꝛc. erzehlen werde. Nein! das iſt unſere Meynung nicht. Wir wuͤr - den nur eine gethane Sache thun, und dahero mit nichts neuen Dir aufwarten, ſondern unſere Abſicht iſt vor - nehmlich dieſe, Dir eine Hiſtorie von allen Laͤndern, mit denen darinnen befindlichen Merckwuͤrdigkeiten vorzu - ſtellen. Wir haben uns bemuͤhet, zugleich eine genaue Nachricht von der Macht und Schwaͤche, Regiments - Regeln, und andern curioͤſen Dingen einzuziehen, und durch koſtbare Correſpondencen das zu erfahren, was in gedruckten Nachrichten nicht leichtlich anzutreffen ſeyn moͤchte. Es kommen dahero in unſern reiſenden En - gellaͤnder diejenigen Wiſſenſchafften zuſammen vor, welche man ſonſten eintzeln ſuchen muß. Du findeſt hier in abwechſelnden Geſpraͤchen alles dasjenige, was zu Erkennung des Staats der vereinigten Niederlande zu wiſſen noͤthig, ohne die Muͤhe eine anſehnliche Anzahl Scribenten aufzuſchlagen zu haben, welche doch gemei -ni -niglich nur von eintzeln Dingen geſchrieben. Das an - genehme Buch, les delices de la Hollande, iſt von uns in et - was gebraucht worden, das andere aber, aus viel Teut - ſchen, Lateiniſchen, Frantzoͤſiſchen, Jtaliaͤniſchen, Engliſchẽ und Hollaͤndiſchen Schrifften, oder gar aus ſchrifftlichen, oder muͤndlichen, doch beyderſeits wahrhafftigen Rela - tionen genommen. Solte dahero dieſe erſte REJSE das Gluͤck haben, von Dir mit Vergnuͤgen geleſen zu werden, ſo verſichere Dich, daß eine ſo guͤtige Aufneh - mung, uns zu einer gerechten Aufmunterung eines noch mehrern Fleiſſes dienen werde. Der Uberfluß der hier vorzutragenden Materie, hat verurſacht, daß die Bo - gen unvermerckt angewachſen, und wir, weil eine jede Reiſe aus 12. Bogen beſtehen ſoll, mitten in der Erzeh - lung abbrechen muͤſſen. Es wird aber dieſe Reiſe unter obiger Bedingung gewiß Vierteljahrweiſe fort geſetzt, und alles Anmerckenswuͤrdige mit moͤglichem Fleiſſe re - ferirt werden. Die kuͤnfftige alſo wird eine Beſchrei - bung von dem Reſt ſo wohl der vereinigten als oͤſterreichiſchen Niederlande in ſich halten, wo - bey zuweilen angenehme Begebenheiten, ſo nicht leicht bekand aber doch wahr ſind, mit eingemiſcht werden ſol - len. Wenn darauf GOtt Leben und Geſundheit goͤn -) (3netnet, ſo wird nach und nach eine vollſtaͤndige Reiſe durch gantz Europa, und durch die uͤbrigen Theile der Welt zum Vorſchein kommen, welches vielleicht vermoͤgend ſeyn wird, Dir bey muͤßigen Stunden ſtatt eines ergoͤtz - lichen Zeitvertreibs zu ſeyn. Nimm dahero dieſe Bo - gen geneigt auf und an, und rechne nicht dasjenige, was nach menſchlicher Weiſe etwa verſehen ſeyn moͤchte, uns als eine Suͤnde an, ſondern erſetze das durch eine lobens - wuͤrdige Gefaͤlligkeit, was unſer Unvermoͤgen zu verbeſ - ſern nicht im Stande iſt. Denn einen jeden geringen Fehler dem andern zumahl mit anzuͤglichen Worten vor - zuwerfen, iſt einer faſt teufliſchen Boßheit ſo aͤhnlich, als ein Tropfen Waſſers dem andern. Wir werden dem - nach wohlmeynende Errinnerungen mit Danck anneh - men, hingegen aber auch bitten, es mit einer gehoͤrigen Modeſtie zu thun, widrigenfals wir nicht zu verdencken ſeyn werden, wenn wir auch ſpitzig geſchnidtene Federn zu unſerer Vertheidigung brauchen.

Mylord
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MYlord. Bingley. war durch den fruͤhzeitigen Hintritt ſeiner un - vergleichlichen Gemahlin in einen ſo bedaurenswuͤrdigen Stand gerathen, daß er ein ſchwartzes Gewoͤlbe den praͤchtigſten Zim - mern, ein Schau-Gerichte den angenehmſten Speiſen, und eine troſtloſe Einſamkeit der ſonſt vergnuͤgenden Geſellſchafft vorzuziehen kein Bedencken trug. Sein Schmertz ſchien ihm taͤglich un - ertraͤglicher, und ſein Verluſt groͤſſer, ob ſeit dem Tode ſeiner Amaria - ne gleich mehr als ein Jahr vorbey gefloſſen. Jhr Bild ſchwebete ihm im Traume ſo lebhafftig vor den geſchloſſnen Augen, daß er es ge - wiß wiedererlangt zu haben meynte, da er hingegen bey der Eroͤfnung der - ſelben von ſeinem unſchaͤtzbaren Verluſt noch mehr verſichert wurde. Und dieſer Schmertz war mehr als zu gerecht, da er ihn einer Perſon widmete, deren Erlangung ihm unſaͤgliche Muͤhe gekoſtet, und welche ſeine Treue mit einer unverfaͤlſchtem Aufrichtigkeit unausgeſetzt vergolten hatte. Er ſaß des Tags uͤber an einer mit ſchwartzem Sammet bezogenen Tafel, und ſahe das vor ihm ſtehende Bildniß ſeiner theuerſten Gemahlin mit ſchmachtenden Au - gen an, als wenn er noch aus den Farben Troſt und Linderung ſchoͤpfen wolte. Allein dieſes Vergnuͤgen war allzuſchlecht, als daß es ihm eine voll - kommene Zufriedenheit zu wege bringen koͤnnen. Seine Freunde hatten ein billiges Mitleyden mit ſeinem Verhaͤngniß, und haͤtten gern einen Theil von ihrer Gemuͤths-Ruhe entbehret, wenn dieſes nur ihm die ſeinige wider zu - ſchaffen vermoͤgend geweſen waͤre. Mylord Childron war uͤber dieſe Be - ſchaffenheit eines Freundes, welchen er von Hertzen liebte, beſonders geruͤh - ret, und ſahe mit einem traurigen Mißvergnuͤgen, daß alle ſein Zureden nur in den Wind geredet zu ſeyn ſchiene. Er ergriff endlich die Gelegenheit, noch einmahl ſein aͤuſſerſtes zu thun, um bey ihm dieſe Vangigkeit zu lindern, als erAMylord2Mylord Bingley einſt in obbeſchriebener Geſtalt vor ſeinem geliebten Bild - niß ſitzend antraf. Wie lange Mylord, war ſeine Anrede, ſoll euer Trauern waͤhren? Eure verblichene Amariane liebt euch viel zu - ſehr, als daß ſie nach ihrem Tode euch durch Wehmuth ſelbſt zu verzehren, zugeben ſolte. Mein Trauren iſt rechtmaͤßig, ver - ſetzte Bingley, und mein Verluſt ſo groß, als daß ich in dem Stan - de waͤr, ihn ſo bald zu vergeſſen. Euer Zureden, Mylord, er - wecket nur noch mehr die Betruͤbniß, und ihr reiſſet mir die Wunde dadurch wider auf, die ohne dem noch mehr als zu friſch iſt. Jch weiß es allzuwohl, wertheſter Freund, war des Childron Gegenrede, daß eure Thraͤnen nicht um eines ſchlechten Verluſts willen vergoſſen werden, aber die Zeit iſt ſchon zu lange, und die Art iſt zu hefftig, welcher ihr noch immer mit Traurigkeit nach - haͤnget. Folget, Mylord, meinem aufrichtigen Vorſchlag, den ich euch thue. Der Ort iſt euch zu betruͤbt, und dieſes Bildniß allzugefaͤhrlich, dahero faſſet eine benoͤthigte Entſchlieſſung, wo ihr nicht ſelbſt euer Leben in Gefahr ſetzen wollet. Veraͤn - dert dieſe ungluͤckliche Gegend mit einer entfernten, und verwech - ſelt das Land mit einem ſolchen, welches mit eurem Betruͤbniß keine Gemeinſchafft har. Reiſet ein oder etliche Jahr in fremde Reiche, und bemuͤhet euch, durch ein ſolches Mittel die entzo - gene Ruhe wider herzuſtellen. Nach der Freundſchafft, die ich mit euch von Jugend auf unterhalten, erbiete ich mich euch an alle Orte und Enden hinzubegleiten, wohin es euch gefaͤllig ſeyn wird. Ach Mylord, antwortete Bingley, ſo verhaſt mir auch die Stelle iſt, wo ich meine Amariane eingebuͤſſet, ſo ſchwer wuͤrde es mir demnach fallen, mich von derſelbigen zu entfernen, und das thraͤnende Opfer ihrem Andencken zu entziehen. Dieſer treue Freund war mit dieſer Antwort ſo wenig zu frieden, daß er vielmehr zu weiteren Ermahnungen angetrieben wurde, und dem troſtloſen Bingley mit ſeinen Ein - wuͤrfen ſo hefftig zuſetzte, daß er ſich endlich, wiewohl mit noch ziemlich zwei - felhafftem Gemuͤthe, deſſem Willen gemaͤß erklaͤrte. Childron nahm die - ſes Verſprechen mit einer ſolchen Freudigkeit auf, als ein aufrichtiges Hertze wegen ſeines Freundes zu thun pflegt. Er unterhielt ihn noch eine Zeitlang mit verſchiedenen Geſpraͤchen von ihrer vorhabenden Reiſe, und brachte es ſo weit, daß der Schluß gefaſſet wurde, binnen dreyen Tagen nach Holland zuſeglen, und ſo lange als es ihnen gefaͤllig waͤre, mit der Fortſetzung ihrer Reiſe auch in fremde Laͤnder fortzufahren. Childron nahm dasjenige zu -beſorgen3beſorgen auf ſich, was zu ihrem Vorhaben benoͤthiget ſeyn wuͤrde, und nach - dem ſie beyderſeits eine anſehnliche Summe Geldes, und Juwelen, um ſich ihrem hohen Stande gemaͤß aufzufuͤhren, zu ſich genommen hatten, bega - ben ſie ſich nach der verfloſſnen Friſt nach Greenvvich, allwo ſie zu Schif - fe giengen, und mit einem gluͤcklichen Winde in kurtzem das Engliſche Ufer aus dem Geſichte verlohren. Die See war ungemein ſtille, und das ſchoͤ - ne Wetter reitzte unſre Reiſende an, oben auf dem Schiff dieſe weite Ebene zu betrachten. Sie ſaſſen bey einer Pfeife Toback allda und ergoͤtzten ſich mit den vertraulichſten Geſpraͤchen, welche groͤſten theils von der erblaſten Amariane handelten. Childron, welcher lange begierig geweſen, die Um - ſtaͤnde von ihrem Leben vollkommen zu wiſſen, ließ dieſe Gelegenheit nicht vorbeygehen, ſondern bate ſeinen Freund ihm bey jetzigen muͤßigen Stun - den von den gehabten Zufaͤllen, und beſondern Begebenheiten, ſeiner ver - blichenen Gemahlin vollſtaͤndige Nachricht zu geben, weil er zwar vie - les davon, aber doch in keinem Zuſammenhang gehoͤret, ihm auch alles was von ihm, dem Mylord, handelte, angenehm zu erfahren waͤr. Bin - gley wuſte allzuwohl, daß er mit einem treuen Freunde redete, und trug alſo kein Bedencken, ſeinem Verlangen ſtatt zu geben. Wenn ich, ſagte er, euch nicht ſo hoch verbunden waͤr, wuͤrde ich nimmermehr in dergleichen Vortrag willigen, in Anſehung, ich mir durch die Erzehlung der verlangten Begebenheiten nur die groͤſte Marter zuziehe. Es wuͤrde aber ein unverantwortlicher Fehler ſeyn, euch dieſes abzuſchlagen, und euch nicht die Groͤſſe des Verluſts zu entdecken, welchen ich in meiner Amariane erlidten habe. Sie war, wie ihr wiſſt, aus einem der vornehmſten Graͤflichen Haͤuſer dieſes Koͤnigreichs, und hatte in ihrer Kindheit den Vater eher eingebuͤſſet, als ſie ihn noch zu kennen vermoͤgend geweſen. Sie verfiel alſo in die Haͤnde des Grafens von Landhorſt, welcher ſie nach der Ordnung der Nechte als Vormund auferziehen ſolte. Er vor ſeine Perſon hielte ſie als ſein eignes Kind, konte es aber bey ſeiner Gemahlin nicht dahin bringen, daß ſie ihr eine gleiche Gewogenheit gewidmet haͤtte. Sie that Amarianen allen erſinn - lichen Verdruß an, und die unſchuldige Wayſe muſte ſich von ihr als eine bloße Sclavin handeln laſſen. Alle Verſehen, welche an ſich nichts bedeu - ten, und bey einer noch fruͤhen Jugend nicht ungewoͤhnlich ſind, muſten gleich Zeichen eines boßhafftigen, und wie ſie redete, teufliſchen, oder doch wenigſtens dummen Gemuͤthes ſeyn. Jhr Gemahl urtheilte weit vernuͤnffti - ger hiervon, und bemuͤhte ſich oͤffters, die dieſem Kinde gehaͤßige Graͤfin auf vortheilhafftigere Gedancken zu bringen, welche aber allezeit uͤbrig Recht zuA 2haben4haben meynte, und durch dieſe Vorſtellungen nur noch mehr erbittert wur - de. Jn ſolchen ungluͤcklichen Umſtaͤnden wuchs die bedaurenswuͤrdige A - mariane in die Hoͤhe, und ihr Elend nahm mit den Jahren zu, da es we - gen ihres hervorleuchtenden Verſtandes und damit verknuͤpften ungemeinen Schoͤnheit haͤtte ſollen vermindert werden. Das Geruͤchte breitete ſich hier - von in der gantzen Gegend aus, und ich erfuhr ſolches kaum, da ich ſo gleich auf eine unbekandte Art ein zaͤrtliches Mitleyden in mir fuͤhlte. Jch war ſo wohl begierig, die rechte Urſache zu wiſſen, als auch dieſe Schoͤne zu ſe - hen, wovon mir ſo viel Wunderwuͤrdiges erzehlet wurde, biß ich dazu Gele - genheit erlangte, als der Graf von Landhorſt mich nebſt einer anſehnlichen Anzahl von andern Standes-Perſonen zu Feyrung ſeines Gebuhrts-Tags auf ſein Schloß einladen ließ. Jch ermangelte nicht, mich verlangtermaſſen einzufinden, und wurde keines Frauenzimmers an den Tafeln gewahr, wel - ches ich vor die betruͤbte Amariane haͤtte halten koͤnnen. Meine Neugie - rigkeit wurde endlich ſo groß, daß ich mich nicht laͤnger nach ihr zu fragen, enthalten konte. Es erfolgte darauf der Bericht, daß es diejenige Perſon ſey, welche in dem Schloſſe zu dieſem Feſtin alles zu beſorgen, und anzu - ordnen haͤtte, und ſich faſt durch nichts als eine gelaſſene, und dabey uͤber - aus angenehme Mine von den andern Bedienten unterſcheiden ließ. Jch gab genauere Achtung als zuvor, und erblickte bald ein Frauenzimmer, von einer ſo vollkommen ſchoͤnen Geſtalt, daß ich ſie augenblicklich vor diejenige hielte, die ſie in der That war. Jhr Bildniß praͤgte ſich durch dieſen An - blick ſo ſtarck in mein Gemuͤthe ein, daß es nach dieſem nie wieder heraus zu bringen geweſen. Eine auſſerordentliche Gewogenheit, ſo ich ihr ſo gleich widmete, zeigte von einer bevorſtehenden Liebe und ein ſorgſames Nach - dencken erfuͤllte mich ſo gar uͤber der Tafel, daß die luſtigſten Geſpraͤche mich daraus zu verſtoͤren nicht im Stande waren. Dieſe Zuneigung nahm alle Minuten zu, und zwang mich, dem Grafen von Landhorſt das Geheim - niß meines Hertzens zu eroͤfnen, und ihn zu verſichern, daß ich mich vor den gluͤckſeeligſten in der Welt achten wuͤrde, wenn ich mit ſeiner unvergleichlichen Pflege-Tochter den Neſt meines Lebens hinbringen koͤnte. Er war uͤber dieſe Erklaͤrung ſehr erfreut, und bat mich, ſo lange in Gedult zu ſtehen, biß er mit ſeiner Gemahlin und meiner Geliebten ſelbſt hiervon geſprochen haͤt - te, da denn der Ausſpruch ohnfehlbar zu meinem Vergnuͤgen ausfallen wuͤr - de. Jch war hiermit in ſoweit zu frieden, und nahm alſo in des Grafens Schloß die unruhige Ruhe, indem mir das Bildniß der Amariane nicht den geringſten Schlaf vergoͤnnte. Der Graf hatte nach meiner Entfernung mit ſeiner Gemahlin geſprochen, und ihr meine Meynung entdecket, woruͤ -ber5ber ſie einigermaſſen beſtuͤrtzt geſchienen, aber dennoch es vor eine vortheil - hafftige Parthey gehalten welche nicht auszuſchlagen ſey. Jhr Gemahl war uͤber dieſen Entſchluß nicht wenig vergnuͤgt, und erwartete den Morgen mit Schmertzen um der Amarianen Einwilligung zu dieſem Vorhaben zu - vernehmen. Er ware kaum aufgeſtanden, ſo war ſein erſtes, daß er nach derſelbigen ſchickte, und ſie zu ſprechen verlangte, allein es kam die unverhoffte Antwort zuruͤcke: Sie waͤr nicht da, und es wuͤſte kein Menſch wo ſie ſey. Er forſchte bey allen Bedienten nach, und durchſuchte alle Win - ckel, es fand ſich aber faſt keine Spur, daß ſie jemahls da geweſen. Wie groß mein Erſtaunen bey Anhoͤrung dieſer Poſt geweſen ſeyn muͤſſe, iſt leicht zu vermuthen. Jch war gantz troſtloß, und machte mir ſo gefaͤhrliche Vor - ſtellungen, welche mich auf tauſendfache Art quaͤlten. Der Graf zeigte ei - ne wehmuͤthige Sorge, nur die Graͤfin ſchien bey dieſem allen gleichguͤltig. Jch ſahe keine Urſach noch Vorwand mehr mich allhier aufzuhalten, und wurde demnach zum Aufbruch von mir ſelbſt genoͤthiget, welcher auch nach einer verpflichteten Danckſagung vor die erwieſene Hoͤflichkeit nach meinem Schloſſe zu erfolgte. Den Weg biß dahin brachte ich mit lauter ſchwermuͤ - thigen Gedancken zu, und befuͤrchtete mich einer gaͤntzlichen Beraubung mei - ner Geliebten. Jch langte in halber Verzweifelung allda an, und mein Ge - muͤthe war um deſto unruhiger, da ich dasjenige ſo gleich entbehren ſolte, welches ich noch nicht einmahl recht geſehen. Jch wuͤrde dieſen traurigen Einfaͤllen noch weiter nachgedacht haben, wenn mich nicht mein treuer An - ton durch ſeinen Eintritt in das Zimmer darinnen verſtoͤret, und mir den Aufenthalt meiner Amarianen eroͤfnet haͤtte. Jch weiß, ſagte er, gnaͤdiger Herr, wo dieſes Frauenzimmer ſo ſchleunig hingekommen, und ich habe es auf eine ſo wunderliche Art ausgeforſcht, daß es ohne dieſem wohl noch eine Zeitlang wuͤrde verborgen geblieben ſeyn. Sie iſt auf dem Schloſſe Don - rich, allwo ſie aus Haß der Graͤfin von Landhorſt, welche ſie, gnaͤdiger Herr, ihr nicht zum Gemahl goͤnnet, auf behalten wird. Dieſe Graͤfin hat ſie in der Nacht, da Ewr. Gnaden auf ihrem Schloſſe geweſen, und dero Zunei - gung entdecket haben, aus dem Bette wegnehmen, und ohne Vorwiſſen ih - res Gemahls auf gedachtes Schloß fuͤhren laſſen, allwo ſie in einer duͤſtern Kammer als die groͤſte Miſſethaͤterin verwahret wird. Dieſe Nachricht beweate mich nicht anders, als wenn man einem Tyger ſeine Jungen entreiſ - ſen will, und ich ließ augenblicklich ein halb dutzend meiner Bedienten her - bey rufen, welche mich an den betruͤbten Ort begleiten, und meine Geliebte allenfals mit Gewalt erledigen ſolten. Jch kam in dieſer Geſellſchafft mit dem einbrechenden Abend allda an, und man wegerte ſich nicht, mich in dasA 3Schloß6Schloß einzulaſſen. Jch ſchickte meine Bedienten allenthalben herum, um das Gefaͤngniß dieſer Schoͤnen auszukundſchaffen, es war aber alle Muͤhe vergebens. Mein treuer Anton that in dieſer Ungewißheit wiederum das beſte. Denn er berichtete mich, daß ſie von hier weg, und in einen benach - barten Meyerhof gebracht waͤr. Jch machte mich in groͤſter Geſchwindigkeit auf, um dieſe Stelle zu erreichen, muſte aber zu meinem groͤſten Verdruß laͤnger als ſechs Stunden zu bringen, ehe ich an dem verlangten Ort ankam. Da erfuhr ich abermahl zu meinem aͤuſſerſtem Schrecken, daß ſie vor einer halben Stunde abgeholet, und in Begleitung von 12. gewafneten Perſonen davon gefahren waͤr. Weder die Unerfahrenheit daſiger Gegend, noch die geringe Anzahl meiner Leute konte mich zuruͤcke halten, der Spur des Wagens in moͤglichſter Eile zufolgen. Mein Bemuͤhen war auch nicht vergebens, indem ich ſie nach Verflieſſung einer Stunde an einem Wald ein - holte. Sie hatten mit der Kutſchen mir nicht entweichen koͤnnen, ob ſie mich gleich von weiten geſehn, und hielten alſo in einer kleinen Schlacht-Ord - nung ſtille. Jch kehrte mich an dieſe Anſtalten wenig, und rennte da ich vor Liebe gantz blind war, in vollem Eyfer auf den Anfuͤhrer loß, welchem ich ohne ein Wort zu ſprechen ein paar Kugeln durch den Kopf jagte. Sei - ne Gefaͤhrten und meine Bedienten wurden daruͤber gleichfals uneinig, und die Piſtohlen feyerten auf beyden Seiten ſo wenig, daß von der Gegen-Par - they achte auf dem Platze blieben, und die uͤbrigen die Flucht zu nehmen ge - noͤthiget wurden. Meine Leute behielten alſo mit Verluſt zwey von den ih - rigen den Platz, und ich war im Begrif mich der Kutſche zu nahen, und vor meiner angebetheten Amariane niederzuwerfen. Alleine eine feindliche Ku - gel, welche mir oben in die rechte Bruſt gedrungen, verſetzte mich in eine ſo jaͤhlinge Schwachheit, daß ich ohnmaͤchtig vom Pferde ſanck. Der Reſt von meinen Bedienten lief eilig herzu, mich aufzuhalten, ſahen aber mit kei - nen geringen Erſtaunen, daß kein Leben mehr in mir, und ich mehr zu den Todten als Lebendigen zu rechnen war. Sie ſetzten mich zu der ungluͤcklichen Amariane in den Wagen, und eilten nach einem nicht weit entlegenen Dorf - fe zu, allwo ſie einen beruͤhmten Doctor herbey holen, und mich in der Ge - ſchwindigkeit ſo gut als es ſeyn konte, verbinden lieſſen. Dieſer bezeigte we - nige Hofnung zu meiner Aufkunfft, woruͤber meine Geliebte ein zaͤrtliches Mitleyden blicken ließ, welches ſich durch einen Strohm von Thraͤnen Linde - derung zu machen ſuchte. Die Huͤlfe des Himmels, die Kunſt des Do - ctors, und meine gute Natur, thaten inzwiſchen eine ſo gute Wuͤrckung, daß nach Verflieſſung dreyer Tage es ſich mit mir beſſerte, und ich wieder re - den konte. Die beſtuͤrtzte Amariane betrachtete mich als ihren Erretter, undſorgte7ſorgte nicht allein vor die Mittel zu meiner Geneſung, auf das emſigſte, ſon - dern ſaß auch faſt den gantzen Tag mit thraͤnenden Augen vor meinem Bet - te. Dieſes war das erſtemahl, daß ich ſie, und zwar in meiner groſſen Un - paͤßlichkeit zu ſprechen das Vergnuͤgen hatte. Jch unterließ keines weges, ſo viel meine Mattigkeit zuließ, ihr die Leidenſchafft zu entdecken, welche ihre Schoͤnheit in mir erreget, und die mich auch mein Leben geringe zu halten, angetrieben. Sie bezeugte mir ihr Mitleyden auf die aufrichtigſte Art von der Welt uud erklaͤrte ſich ſo guͤtig, daß ich nicht eher auf hoͤrte, ſie um ihre Gewogenheit anzuflehen, biß ich die vollkommene Zuſage dazu erhielte. Wir verſiegelten unſeres mit meinem Blut beſtaͤtigtes Buͤndniß durch unzehlige Kuͤſ - ſe, und begaben uns nach voͤlliger Erlangung meiner Geſundheit nach mei - nem Schloſſe. Wir hielten vor das ſicherſte, uns von der Wiſſenſchafft der von der Graͤfin ausgeuͤbten Boßheit nichts mercken zu laſſen, und baten dahero ſie und ihren Gemahl auf das inſtaͤndigſte, unſerm Vermaͤhlungs - Feſt beyzuwohnen. Die Graͤfin trug dieſes zu thun ein billiges Bedencken, und hatten wir alſo nur die Ehre, den Grafen von Landhorſt, nebſt viel andern Lords dabey zu ſehen. So vollkommen ich nun meine Gluͤckſeelig - keit durch den Beſitz meiner Amariane ſchaͤtzte, ſo vollkommen wurde auch kurtz darauf mein Ungluͤck, indem ich, wie ihr euch noch zu errinnern wiſ - ſen werdet, kaum ein Jahr lang dieſer unſchaͤtzbaren Zufriedenheit genieſſen koͤnnen, da ein hitziges Fieber, aller angewandten Mittel ungeachtet, mir meine theuerſte Gemahlin aus den Armen riß. Er konte ohnmoͤglich ſeine Erzehlung endigen, ohne hierbey einige Thraͤnen fallen zu laſſen, und der Lord Childron hielt dieſes vor ſeines Freundes Beruhigung ſo wenig zu - traͤglich, daß er ihm vielmehr in die Rede fiel, vor die bezeigte Guͤtigkeit ſo er in Erzehlung ſeiner traurigen Begebenheiten erwieſen, verpflichteſten Danck ſagte, und ihn auf andre Geſpraͤche zu bringen ſuchte. Er unterhielte ihn von allerhand Begebenheiten der Welt, als ſie der Zuruf der Matrofen ſtoͤrte, und ihnen das obwohl noch entlegene Hollaͤndiſche Ufer zeigte. Sie er - goͤtzten ſich im voraus an deſſen anmuthigen Anſchauen, und erwarteten die Stunde mit keiner kleinen Ungedult, welche ſie an das verlangte Land brach - te. Sie verweilten ſich hier nicht lange, ſondern ſetzten ihren Weg nach der Haupt-Stadt dieſes Landes fort. Sie ſahen in kurtzem die praͤchtigen Spitzen von Amſterdam in die Luͤffte hervor ragen, und kamen endlich in dieſer ſogenannten Hollaͤndiſchen Perl gluͤcklich an. Sie ſahen ſich ſorg - faͤltig nach einer anſtaͤndigen Wohnung um, da Mylord Bingley unverſe - hens einen anſehnlichen Mann an dem Fenſter eines koſtbaren Hauſes er - blickte, welcher ihm ſo kentlich ſchiene, daß er ſo gar ſtehen zu bleiben ſichnicht8nicht entbrechen konte. Jener ſahe dieſen gleichfals mit unverwendeten Ge - ſichte an, und kam, ehe ſie ſichs verſahen, ihnen aus der Thuͤr entgegen. Er fiel dem Lord Bingley mit der aufrichtigſten Mine um den Hals, daß dieſer dadurch ſo weit zuruͤcke zu ſinnen, bewogen wurde, wie er mit ihm in ſeiner Jugend eine wahre Freundſchafft aufgerichtet hatte. Beyderſeits be - zeugten eine ausnehmende Freude uͤber ihre unverhoffte Zuſammenkunfft, und der treue Mercanto, wie er ſich nennete, ließ nicht eher mit Bitten nach, biß die beyden Lords in ſein Hauß zu kommen ſich gefallen lieſſen. Er raͤumte ihnen das mittlere Stockwerck ein, und ließ ihren Bedienten durch die Seinigen aufwarten. Er ſaß mit ihnen an einer mit den rareſten Spei - ſen beſetzten Tafel, und ihre Reden giengen in einer kleinen Verwirrung von einer Materie zur andern, daß wir ſie herzuſetzen unmoͤglich im Stande ſind. Endlich aber verfiel der Diſcours auf die groſſe Handels-Stadt, in wel - cher ſie ſich dazumahl auf hielten, und dieſes Geſpraͤche iſt ſo merckwuͤrdig, daß wir es unmoͤglich vorbey laſſen koͤnnen. Wle gehts denn zu, fragte Bingley, daß dieſe kleine Welt mit einem ſo erſtaunenden Reichthum, welchen ich doch nur zur Helffte von weiten betrachtet habe, angefuͤllet iſt, da doch dieſe Stadt keines weges zu der Handlung ſo bequem als die Lage manches kleinen Orts ſcheinet, welcher dennoch ſich nicht den tauſendſten Theil dieſes Gluͤcks verſprechen kan.

Mercanto.

Es iſt oͤffters ein Verhaͤngniß darunter verborgen, welches der oder jener Stadt etwas beſonders vor viel hundert andern goͤnnet, und es auch wohl dieſer wieder entziehet, damit ſie eine andere damit uͤberſchuͤtten moͤge. Das Exempel von dem, was ich geſagt, liegt an Tage. Denn Amſter - dam fuͤhret den Urſprung ſeiner jetzigen Hoheit aus der Aſche des verſtoͤr - ten Antwerpens her. Der Hertzog von Alba, welcher an Unbarmher - tzigkeit wenig ſeines gleichen haben wird, war die groͤſte Urſach dazu. Denn als wegen den Neligions-Streitigkeiten unter der Regierung Philippi II. dieſe Laͤnder auf das aͤuſſerſte gedruckt wurden, und Antwerpen ſonderlich wegen ſeiner damahligen Macht ſich zu wiederſetzen Mine machte, ſo kam gedachter Hertzog als Stadthalter mit einer zahlreichen Armee davor, und ließ ihr 1567. eine Brille auf die Naſe ſetzen. Dieſes daurete, wiewohl unter beſtaͤndigen Pluͤnderungen biß 1583. da ſie ſich dem Hertzog von Alen - con unterwarf, welcher ſich zum Herrn der Niederlande zu machen ſuchte. Weil aber ſein Regiment wie die Seifenblaſen war, welche anfangs glaͤn - tzen, nicht aber lange dauern, ſo nahm der Hertzog von Parma auf Befehl des Koͤnigs von Spanien 1585. an 17. Auguſt. dieſe Stadt wieder weg,und9und preſſte die Kaufmannſchafft mit den unertraͤglichſten Abgaben, daß ſie dieſen Ort zu verlaſſen, und den Handel nach Amſterdam zuziehen be - wogen wurde.

Bingley.

Jn was vor einem Zuſtande aber war damahls Amſterdam?

Mercanto.

Jn einem ſolchen, wie Staͤdte, welche keine rechte Nahrung haben, zu ſeyn pflegen, und dennoch iſt ſie ihres elenden Anfangs ungeachtet, zu einer ſolchen Macht gediehen, daß ſie der vornehmſten Stadt in der Welt den Vorzug ſtreitig machen kan. Jhr Anfang war allerdings elende, denn ein paar hundert arme Fiſcher und Hirten bauten ſo viel kleine Huͤtten an dieſen Ort, welcher nach und nach groͤſſer, und von dem Gieſelbart von Am - ſtel, dem er eigenthuͤmlich gehoͤrte, und biß jetzo noch ſeinen Nahmen fortfuͤhret, mit Bruͤcken und Graben verſehen, und zu einem Staͤdtgen ge - macht wurde. Graf Wilhelm von Holland gab ihm 1342. die wichtig - ſten Freyheiten, daß es ſich hernach zu den Hanſee-Staͤdten rechnete, und von Kayſer Maximilian. 1482. eine Ringmauer bekam, biß es 1585. wie oben gemeldet, durch die Ankunfft der Antwerper einen groſſen Zuwachs erhalten, und ſich nach und nach zu derjenigen Hoheit, worinnen man ſie jetzo bewundert, erhoben hat.

Bingley.

Auf was Art iſt denn die Handlung der Herrn Hollaͤnder in ſolchem Flor gekommen, und wie iſt es moͤglich geweſen, die entlegenſten Laͤnder in Zaum zu halten?

Mercanto.

Gluͤck und Geſchicklichkeit nebſt Geld und Waffen ſind ohnfehlbar die ſicherſten Mittel dazu. Den Anfang haben die Spanier gemacht, da ſie die wiederſpenſtigen Niederlande auf einmahl zu Grund zu richten meynten, und ihnen zu dem Ende den Handel nach Jndien unterſagten. Dieſes brachte ſie zur Verzweifelung, daß ſie den Spaniern zum Trotz den Weg dahin ſuchten, und zu deren unausſprechlichen Schaden ſich bißher darinnen geſchuͤtzet. Sie richteten nach der geſperreten Handlung die weltberuͤhm - te Oſt-Jndianiſche Geſellſchafft auf, welche 1602. ihre voͤllige Freyheit erhielte, nach Oſt-Jndien zu handeln. Es wurden vier Kammern, zu Amſterdam, Delfft, Rotterdam, und Enckhuyſen aufgerichtet, uͤber welche 60. Directeurs beſtellt ſeyn, die alle 10. Jahr ihre Rechnungen abzu - legen haben. Dieſe Compagnie hat ſich ſo ausgebreitet daß ſie mehr Mei - len in den Jndianiſchen Laͤndern, als hierauſſen Ellen beſitzet. Die Re -Bgie -10gierung uͤber die eroberten Provintzen iſt zu Batavia, auf der Nordlichen Kuͤſte der Jnſul Java, allwo die Reſidentz des General-Stadthalters, und der Zuſammenfluß aller Jndianiſchen Reichthuͤmer iſt. Eine groſſe Menge Koͤnige ſind ihre Vaſſallen, und iſt es ihnen etwas leichtes, ſie wenn ſie ſich im geringſten widerſpenſtig erzeigen, bey den Koͤpfen zuneh - men, und entweder ewig gefangen zu halten oder ſie auf andre Art abzu - ſtrafen. Und dieſes iſt das Mittel, ſo viel barbariſche Nationen zu baͤn - digen, indem ſie ihren Lehn-Leuten wenig Gewalt zu befehlen uͤbrig laſſen, und ihnen den Daumen auf den Augen halten, zu dem Ende ſie beſtaͤndig etliche 20000. Europaͤer in Dienſten, und eine ziemliche Anzahl Kriegs - und andere Schiffe in Bereitſchafft haben.

Bingley.

Es iſt aber zuvermuthen, daß die maͤchtigen Monarchen des Aſiati - ſchen Welttheils mit dieſer Herrſchafft nicht zufrieden ſeyn werden?

Mercanto.

Sie ſind es auch nicht, indem ſie gar zu oͤffters dieſer Compagnie Tort zuthun geſucht aber allezeit dabey zu kurtz gekommen. Denn ihre Macht iſt zwar gegen ihres gleichen groß, nicht aber in Betrachtung der Europaͤer. Dieſe ſchieſſen jene immer mit ihrem Gewehr auf den Peltz, da jene entweder mit ihren Pfeilen, oder auch zuweilen mit Flinten aufgezo - gen kommen, mit welchen ſie eher einen groſſen Elephanten als Menſchen zu treffen wiſſen. Es iſt nichts neues daß die Compagnie mit dem ſo ge - nannten Kayſer von Java der unter den Europaͤiſchen Koͤnigen vor einen Zaun-Koͤnig paſſiren muß, ſo gar mit dem groſſen Mogol in Krieg gerathen, welchen ſie aber ſo fein zu paaren getrieben, daß ſie allezeit noch mehr Vortheile, als ſie vorher gehabt, davor von ihnen erhalten.

Bingley.

Jſt denn dieſes die eintzige Compagnie in Holland, welche in andre Laͤnder Handlung treibt?

Mercanto.

Keines weges. Es ſind noch unterſchiedliche, als die Weſt-Jndia - niſche, und Moſcowitiſche Compagnie. Dieſe handelt nach Moſcau, und bringt Zobel und andere rare Felle, Peltzwerck ꝛc. heraus. Jene erſtre - cket ihr Commercium nach America, und nahm ihren Anfang 1621. und alſo ſpaͤter als die Oſt-Jndiſche, und hatte zu ihrer Errichtung 8. Millio - nen aufgebracht. Jhre Eroberungen waren erſtaunlich, indem ſie den Por - tugieſen und Spaniern alle bey America herum liegende Jnſuln, aus den Zaͤhnen riß, ſie aber auch nicht lange behielt, ſondern ſie biß auf Saba,S. Eu -11S. Euſtachii, Baelovento, und Tabago ihren vorigen Beſitzern uͤberlaſ - ſen muſte. Sie iſt demnach ſo wenig als die Moſcowitiſche mit der Oſt - Jndianiſchen in Vergleichung zuziehen, indem dieſe ohnfehlbar durch ihre Macht und Reichthum den Rang behaupten wird.

Bingley.

Auf ſolche Art iſt kein Wunder, daß die Kauf-Leute von dieſer Ge - ſellſchafft zu den wichtigſten Schaͤtzen gelangen?

Mercanto.

Allerdings. Dieſes bezeuget nicht allein der allgemeine Ruf, ſondern auch die in ihren Haͤuſern und Kleidern hervorſcheinende Koſtbarkeit. Ob ſie nun gleich meiſtentheils einen zu weilen mehr als Fuͤrſtlichen Staat ma - chen, ſo iſt doch die Regel allezeit zum Grunde geſetzt, daß ſie niemahls mehr verthun, als ſie einnehmen, und dieſes wird ſchon vor verſchwen - deriſch geachtet, indem die Klugheit des Landes erfordert, daß ſie jaͤhrlich noch etwas ſamlen ſollen. Jhr werdet, mir es, Mylord, geſtaͤndig ſeyn, daß ein ſolcher Pracht in Amſterdam kaum zu vermuthen ſey, wenn ich mir morgen die Ehre nehmen werde, euch an die merckwuͤrdigſten Oer - ter hinzufuͤhren, und euch deſſen mit augenſcheinlichen Proben zu uͤber - zeugen.

Bingley.

Jhr werdet mich, wehrteſter Mercanto, durch dieſe Bemuͤhung zu ei - ner groſſen Verbindlichkeit bewegen. Saget mir aber inzwiſchen, ob denn dieſes der Wahrheit gemaͤß ſey, daß ein Portugieſiſcher Jude allhier einen faſt Koͤniglichen Pallaſt beſitze, in welchem die vornehmſten Zimmer mit guͤldenen Lavors, Spiegeln, Leuchtern ꝛc. ausmeubliret ſind.

Mercanto.

Dieſes iſt nicht nur alles andem, ſondern ſein Reichthum erſtrecket ſich ſo weit, daß er ſo gar einen etliche zwantzig Schritte langen Saal mit puren Ducatons, und zwar nicht in der Breite, ſondern der Laͤnge nach neben einander eingeſchlagen, habe pflaſtern laſſen. Sein baares Geld ſteht in ſo groſſen Saͤcken, worinnen die Becker das Mehl zu haben pflegen, nach der Reyhe weg, welche in lauter Sorten, als Ducaten, Louisd’or, Gulden ꝛc. abgetheilt ſind.

Bingley.

Was haͤlt man denn am meiſten ſehenswuͤrdig allhier, und worin - nen beſtehet es?

Mercanto.

Die Erzehlung davon wuͤrde euch vielleicht wegen ihrer Weitlaͤuftig -B 2keit12keit allzuverdrießlich fallen, und wird euch der Augenſchein ohne zweifel eine vollkommene Satisfaction geben. Doch nur aus vielen Merckwuͤrdigkeiten die Vornehmſten heraus zu leſen, ſo ſind dieſes vornehmlich die oͤffentli - chen Gebaͤude. Das Rathhauß wenn es auch das einige koſtbare waͤre, ſo man allhier faͤnde, wuͤrde doch Amſterdam zu einem unvergleich - lichen Zierrath dienen, da ſo wohl das Gebaͤude als der Grund dazu vier Millionen Thaler zubauen gekoſtet. Auf dem Thurm dieſes Rath - hauſes iſt eine Welt-Kugel von Ertz, welche ſo groß iſt, daß man nicht allein bequem hineinſteigen, ſondern auch die herum liegende Gegend durch die darinnen befindliche Fenſter beſchauen kan. Der alte und neue Doll - hof iſt ebenfals von einer beſondern Annehmlichkeit, indem man etliche Jrr - garten, kuͤnſtliche Waſſer-Wercke, und Glockenſpiele darinnen zuſehen be - komt.

Bingley.

Jch wuͤrde mir von dieſem Orte ohne eure Erklaͤrung einen gantz an - dern Begriff gemacht haben, indem ich es vor ein Dollhauß gehalten haͤt - te, worinnen man die vornehmſte Art der Narren, als unbedachtſam Verliebte und Hochmuͤthige eingeſperret hielte.

Mercanto.

Die Banco iſt eines von den merckwuͤrdigſten Oertern dieſer Stadt und die reichſte in der Welt. Sie beſteht aus einem Gewoͤlbe unter dem Rathhauſe, welches mit ſo viel Thuͤren und Schloͤſſern verwahret iſt, daß wenn man auch die bey den alten Weibern beruͤhmte Spring-Wur - tzel dabey brauchte, es doch wohl eine vergebliche Muͤhe ſeyn duͤrffte. Es liegen faſt beſtaͤndig auf 30000. Millionen drinnen, welchen Noth-Pfen - nig noch beſſer zu bewachen, des Nachts eine Parthie Buͤrger da herum patroulliren muß. Es kan ein jeder ſein Geld hinein legen, wer will, er muß aber Einſchreibe-Geld geben, und kriegt kein Intereſſe. Bey dem Frantzoͤſiſchen Einbruch 1672. waren alle Intereſſenten in Aengſten, und ſoderten ihr Geld zuruͤck, welches ſie aber nach verſchwundener Gefahr wie - der hinein legten. Ein Flecke von der Stadt ſtehet das wohl eingerichtete Peſt-Hauß. Dieſer Pallaſt des Todes zeigt von keiner geringen Koſt - barkeit, und kan deſſen Groͤſſe daraus beurtheilt werden, daß man 365. Fen - ſter daran zehlet.

Bingley.

Es iſt curieux, daß eben ſo viel Fenſter und weder mehr, noch weni - ger, dran ſind. Vielleicht iſts den Leuten zu gefallen geſchehen, welche im -mer13mer an Fenſter liegen, damit ſie taͤglich eine Veraͤnderung haben, und alle Jahr einmahl herumkommen moͤgen.

Mercanto.

Jch weiß es nicht warum es geſchehn, doch iſt nicht zu glauben, daß der Rahmen, welchen dergleichen muͤßige Leute wegzubeiſſen pflegen, in dieſem Jahr wieder gewachſen ſeyn werde. Die Boͤrſe, das Ad - miralitaͤts - und Oſt-Jndianiſche-Haus, der Printzen-Hof, und das Arſenal verdienen gleichfals einer genauen Betrachtung, und werdet ihr, Mylord, morgen den gantzen Tag damit zuzubringen haben. Von der Groͤſſe dieſer Stadt nur noch dieſes zu gedencken, ſo kan man davon leicht urtheilen, wenn man weiß, daß 300. Nachtwaͤchter allhier unterhal - ten werden.

Bingley.

Dieſe Nachricht wird mir morgen um deſto mehr zu ſtatten kommen, wenn ich das, wovon ihr mir Eroͤfnung gethan, ſelbſt zu betrachten Gelegen - heit haben werde. Sie verfielen hierauf auf andre Diſcourſe, und Mylord Childron, welcher bißher ohne ein Wort darein zu reden, ſtille geſeſſen hat - te, wurde gleichfals munter. Er gab Mercanto von vielen Engliſchen Din - gen auf ſein Befragen Nachricht, und dieſes dauerte, biß die hereinbrechende Mitternacht ſie zu der benoͤthigten Ruh ermahnte. Fruͤh Morgens mach - ten ſie ſich mit ihrem freygebigen Wirth auf, und nahmen durch ſeine An - fuͤhrung alles in Augenſchein, wovon er ihnen ſchon geſagt hatte. Sie fun - den alles ſo, und noch koſtbarer und geſtunden ihm, daß ſie dergleichen Pracht hier anzutreffen faſt nicht vermuthen ſollen. Mylord Bingley be - trachtete zugleich die vielen Canaͤle in dem ſumpfigten Boden, und er - kundigte ſich bey ſeinem Fuͤhrer:

Bingley.

Wie es doch moͤglich ſey, daß auf einer ſo luckern Erde ſo groſſe Pal - laͤſte, ohne Geſahr zu ſincken, ſtehn koͤnten?

Mercanto.

Von dieſer an ſich rechtmaͤßigen Furcht befreyen uns die unzehligen Pfaͤhle, welche in den Grund eingerammelt ſind, und trifft es dahero rich - tig ein, wenn man ſagt, daß die Unkoſten zu Befeſtigung des Grundes ge - meiniglich die zu dem Ober-Gebaͤude uͤberſtiegen. Da nun alſo unſere gan - tze Stadt auf purem Holtze ruht, ſo koͤnnet ihr, Mylord, leicht ermeſſen, in was vor Schrecken wir geſetzet wurden, da vor einem Jahr und druͤber ſich die ſchaͤdlichen Wuͤrmer Millionen-Weiſe meldeten, und an den Daͤm - men und Pfaͤhlen unbeſchreiblichen Schaden verurſachten.

B 3Bin -14
Bingley.

Jch kan mich noch gar wohl entſinnen, daß in der gantzen Welt ſich das Geruͤchte davon ausbreitete. Es iſt aber meines Wiſſens nicht bekand gemacht worden, auf was Art ſie wiederum vergangen.

Mercanto.

Das iſt auf verſchiedene Art geſchehn. Denn es kan ſo wohl das ernſtliche Bitten der beaͤnſtigten Jnwohner, als die aus vielen Laͤndern her - geſchickte Gegen-Mittel dazu beygetragen haben. Wiewohl ſie noch nicht gaͤntzlich vertilget ſind, wovon ſich zu Ausgang des verfloſſenen Jahres eine Probe an den Tag legte, da ein Amſterdammer Schiff in den Sche - ren vor Stockholm einlief, und in dem Begriff ſtund, unterzuſincken. Man errettete es aber noch mit vieler Noth, und war begierig, die Urſach von dieſem Unfall zu erfahren, welche ſich gar bald zeigte, da man in dem Boden des Schiffs eine unzehlige Menge von gedachten Pfahl-Wuͤrmern fand, welche ihn durch viel tauſend Loͤcher wie ein Reib-Eiſen gemacht hatten. Die Schwediſche Admiralitaͤt gerieth hieruͤber in keine geringe Verwunderung, und befahl, damit ſich dieſe Art nicht auch in den Schwe - diſchen Pfaͤhlen einniſteln moͤgte, daß Schiff mit ſeinen Wuͤrmern zu Pul - ver zu verbrennen.

Bingley.

Und dieſe Vorſicht iſt allerdings hoͤchſtnoͤthig. Denn wie leicht haͤt - te es geſchehen koͤnnen, daß dieſes Ungeziefer mit ſeinen ſpitzigen Zaͤhnen auch die Schwediſchen Schiffe angefallen haͤtte. Wiewohl man doch noch, dieſer gebrauchten Vorſicht ungeachtet, vieles dabey zu befuͤrchten haben kan, indem wenn das Schiff auf dem Waſſer verbrandt worden, ſich die Wuͤr - mer wohl haben heraus retiriren koͤnnen, iſt es aber auf dem Lande geſchehn, ſo koͤnnen ſowohl einige im Meer zuruͤck geblieben, als auch auf der Erde herausgekrochen ſeyn.

Mercanto und Mylord Childron billigten dieſen Einwurff, hielten aber auch davor, daß man ſchon in Schweden dieſen zu begegnen geſucht haben wuͤrde. Sie nahmen ihren Weg wieder nach ihres guͤtigen Wirths Haufe, und nachdem ſie ihm vor die erwieſene Gefaͤlligkeit den verbunden - ſten Danck abgeſtattet und unter deſſen Bedienten vor ihre Aufwartung 20. Guinées ausgetheilt hatten, machten ſie ſich fertig, ihre Reiſe weiter fort - zuſetzen. Jhre Abſicht war, das weltberuͤhmte Haag zu beſchauen, wel - ches in der qualitè eines Dorfs den praͤchtigſten Staͤdten den Vorzug ſtrei - tig machen kan. Sie pasſirten vorher durch das Volckreiche Harlem, welche groſſe Handels-Stadt an dem Fluß Sparen 5. Stunden von Am -ſterdam15ſterdam lieget. Sie trafen allda ſo viele Merckwuͤrdigkeiten an, daß ſie ſich ohnmoͤglich ohne ſie geſehn zu haben, zu der Abreiſe entſchlieſſen konten. Da nun unſerm reiſenden Engellaͤnder vorlaͤngſt bekand war, daß dieſe Stadt die Erfindung der Buchdruckerey von 1440. her ſich zueignet, ob dieſe Ehre ihr gleich von Straßburg, Mayntz, und Germersheim in Zwei - fel gezogen wird, ſo lieſſen ſich die beyden Lords auf den Harlemmiſchen Rath - hauſe das Buch zeigen welches allda zuerſt gedruckt worden ſeyn ſoll. Der Band iſt das ſchoͤnſte dran, und ſein Behaͤltniß iſt ein ſilbernes Kaͤſtchen, in wel - chem es in einem ſeidenem Tuch umwickelt liegt. Der Titel iſt: Specu - lum humanæ ſalvationis, Spiegel der menſchlichen Erloͤſung. Sie betrachteten vornehmlich als Liebhaber der Wiſſenſchafften die Statue des Erfinders, Lorentz Coͤſters, eines daſigen Buͤrgers, und die uͤber der Thuͤr des Rathhauſes mit guͤldenen Littern ſtehende Uber - ſchrifft:

Vana quid Archetypos & prela Moguntia jactas? Harlemi archetypos prelaq. nata ſcias. Extulit hic monſtrante Deo, Laurentius artem, Diſſimulare viru[m], diſſimulare Deum eſt.

Wir wollen an ſeinem Ort geſtellet, und die Unterſuchung der Wahrheit den ſtreitigen Partheyen uͤberlaſſen, ſagte Mylord Bingley zu ſeinem Freun - de, dieſes aber kommt mir um deſto bedencklicher vor, was ich noch in Engel - land geleſen, daß nehmlich die Harlemmer dem Koͤnig in Franckreich, Lud - wig dem Heiligen ein Mittel gezeigt, den Hafen der Stadt Damiata zuerobern.

Childron.

Was war denn dis vor eine Erfindung, wehrteſter Bingley, und duͤrf - te ich mir wohl eine deutlichere Erklaͤrung davon ausbitten?

Bingley.

Die Umſtaͤnde beſtehn kuͤrtzlich hierinnen. Als gedachter Koͤnig aus dem bekandten unbedachtſamen Eyfer der damahligen Zeiten die Saracenen mit Strumpf und Stiel auszurotten vorhatte, und zu dem Ende anno 1249. mit einer anſehnlichen Armee in Egypten einbrach, ſo gieng er auf die an dem Nilo liegende feſte Handels-Stadt Damiata loß, konte aber den Hafen nicht einbekommen, welcher theils durch eine natuͤrliche Feſtigkeit, theils eine davor gezogene Arms-dicke Kette beſchuͤtzet wurde. Da mach - ten die Harlemmer auf Anleitung Florentins nachmahligen Grafens in Holland vorne an ein Schiff eine groſſe Saͤge an und ſaͤgten die Ketteentzwey16entzwey zu deſſen Beweiß noch in der hieſigen Haupt-Kirche das Modell dieſes Schiffs gewieſen wird.

Childron.

Erlaubet, Mylord, euch dieſer Begebenheit wegen unmaßgeblich mei - ne Gedancken zu eroͤfnen, welche darinnen beſtehen, daß ich mich ohnmoͤg - lich dieſes zu glauben bereden kan. Denn uͤberleget doch, Mylord, ob es wohl moͤglich iſt, eine ſo ſtarcke Kette entzwey zu ſaͤgen, da die Saͤge nicht einmahl von Menſchen regieret, zu dergleichen Verrichtung aber eine gewiſſe Bewegung erfordert wird, welche bey einem in Waſſer hin und her wanckenden Schiff nicht anzutreffen iſt. Jch ſolte es faſt eher vor wahr - ſcheinlich hatten, wenn es hieß, ſie haͤtten die Kette entzwey geſegelt, indem die Force eines mit vollen Seegeln gehenden Schiffes euch genugſam be - kand iſt, in welchem Fall aber nicht eben eine Saͤge, ſondern ein ander Stuͤck Eiſen oder auch gar nichts, als ein feſtes Schiff noͤthig geweſen. Dieſer war mit ihm hierinnen einig, doch dieſe Erzehlung hatte ihnen ſo viel Begierde erwecket das Modell des Schiffs zu ſehen, daß ſie ſich ohn - verzuͤglich in die Kirche begaben, welche wegen ihres beſondern Umfangs die groſſe genennet wird. Sie funden es in der That, allda konten ſich aber noch nicht voͤllig der Wahrheit verſichert halten. Nach eingenomme - ner kleinen Mahlzeit verlieſſen ſie das angenehme Harlem, welches ſich durch ſeinen Reichthum den andern Platz unter den vornehmſten Staͤdten Hollands zu wege gebracht hat, und ſetzten ihre Reiſe nach dem benachbar - ten Leyden fort. Dieſes liegt wenige Stunden von Harlem, und weil ſie des Abends erſt dort anzulangen willens waren begiengen ſie eine kleine Aus - ſchweifung, und wendeten ſich nach den Duͤnen zu, deren Anmuth ſie nicht genug bewundern konten. Sie geſtunden, daß die Duynen auf dem Eng - liſchen Ufer von Kent noch lange nicht dieſe Annehmlichkeit beſaͤſſen. Denn hier ſahen ſie auf einer Seite gedachte Duynen, oder Sand-Huͤgel, auf der andern aber die weite See, die eine unzehlige Menge Fahrzeuge mit un - tergemiſchten groſſen Schiffen bedeckte. Der Boden an ſich war ſo eben, als wie hier zu Lande die vor groſſe Herren gebahnten Wege, und die Ca - ninchen liefen unter dem Wagen haͤufig herum, welche in Holland unter die delicatſten Speiſen gerechnet werden, aber von Niemand, welches Ver - both unſern Lords mehr als zu bekand war, bey hoͤchſter Strafe getoͤdet werden duͤrfen. Dieſe unvergleichliche Ausſicht gab ihnen ein ausnehmen - des Vergnuͤgen, und ſie ſahen ſich faſt mit Mißfallen, nach Leyden den Weg zu nehmen genoͤthiget. Sie langten mit einbrechendem Abend in dieſem ſogenannten Auge, und Garten von Holland an, und die Daͤm -merung17merung verhinderte nicht die beſondre Reinligkeit der Gaſſen als etwas vortrefliches zu betrachten. Die Begierde, mehr Nachricht von dieſer Stadt zuerlangen, bewegte ſie, ſich den folgenden Tag bey dem beruͤhmten Tul - ſching, deſſen Schrifften die gelehrte Welt als ein eroͤfnetes Geheimnis be - trachtet, anmelden zu laſſen. Dieſer Profeſſor der Academie dieſer Stadt empfieng ſie mit einer ſolchen Art, welche die Hochachtung, ſo ſie ohnedem vor ihn hegten, verdoppelte. Er unterhielt ſie mit den ſinnreich - ſten Geſpraͤchen, biß endlich Mylord Bingley ſich von ihm einen kurtzen doch genugſamen Bericht von dieſer Univerſitaͤt ausbat. Tulſching entſchul - digte ſich zwar, daß er nicht im Stande waͤr, ihrem Verlangen zu repon - diren, als ſie aber ihn mit einer anſtaͤndigen Hoͤflichkeit widerleget, fieng er alſo an:

Tulſching.

Leyden erkennet den tapfern Heer-fuͤhrer der Angel-Sachſen Hengiſt um das Jahr 450. zu ſeinen Erbauer, wiewohl mit Wiederſpruch anderer, welche dieſes dem Noͤmiſchen Druſo zuſchreiben. Sie iſt die Hauptſtadt des Rhynlandes, und ihre lange und ſaubere Gaſſen erwerben ihr den Nahmen der reinlichen. Jhre Zufaͤlle waͤren angefuͤhret zu werden mehr als zu wuͤr - dig, doch Dero Gedult nicht zu mißbrauchen, will ich mit dero Erlaubniß nur der harten Belagerung gedencken, welche ſie 1574. ausgehalten. Denn da ſie 2. Jahr vorher von dem Koͤnig in Spanien abgefallen war, ſahe ſie ſich durch den tyranniſchen Alba mit einer zahlreichen Armee 7. Monat lang umgeben, und von den drey Land-Plagen, Krieg, Hunger und Peſt auf einmahl gequaͤlet. Dieſe Noth zwange ſie den Printzen von Oranien um Huͤlfe anzuflehen, welches in Ermangelung anderer Mittel durch hierzu ab - gerichtete Tauben geſchah. Weil ihr aber der Printz auf keine andre Art als zu Waſſer helfen konte, wurden die Daͤmme durchſtochen, und die Spanier durch dieſe einbrechende Fluth vertrieben, welche Begebenheit in einer Tapete, ſo ein Advocate damahls geſtickt, allhier anzutrefen.

Bingley.

Vielleicht hat dieſer Advocate beſſer mit der Nadel, als mit der Fe - der umzugehn gewuſt, da er eine ſo weitlaͤuftige Geſchichte geſticket, wie - wohl er auch in beyden hat excelliren koͤnnen.

Tulſching.

Von dieſer Belagerung ſind noch einige Reliquien uͤbrig, als die oben - gedachte Tauben, welche, wie noch in den Morgen-Laͤndern gewoͤhn - lich iſt, ſtatt der Poſtillions gebraucht werden, auf dem Rathhauſe ein - balſamirt zu ſehen ſind, wie auch ein Stuͤck von dem damahls gepraͤg -Cten18tem papiernem Gelde. Sie erhielte das Jahr darauf 1575. mitten un - ter den Unruhen zu ihrer Zierde die noch in groͤſtem Flor ſtehende Univer - ſitaͤt, welche wegen ihres Anatomiſchen Schauplatzes und Medicini - ſchen Gartens ſich in der gelehrten Welt einen ausnehmenden Ruhm er - worben.

Bingley.

Soll denn das Geruͤchte gegruͤndet ſeyn, daß die, ſo auf der hieſigen Academie Doctores werden, in Teutſchland nicht davor erkennet wuͤr - den?

Tulſching.

Sonſt hat man ihnen wohl deßwegen Schwierigkeiten gemacht, nach dem die Republick aber durch den Weſtphaͤliſchen Friedens-Schluß 1648. vor frey erklaͤret, und ihr hierdurch zugleich das Recht Univerſitaͤten aufzurichten, zugeſtanden worden, ſo wird dieſes nun in keinen Zweifel mehr gezogen.

Bingley.

Was vor Bewandniß aber hat es denn mit den hieſigen Rechts - Spruͤchen, und aus was vor einem Recht flieſſen ſie her?

Tulſching.

Eine jede Provintz der vereinigten Niederlande hat ihre eigene Landes - Ordnungen, welche ſie Willkuͤhr nennen, und hat es hierinnen faſt eine gleiche Bewandniß wie mit den teutſchen Staͤnden, nur das hier in buͤrger - lichen Faͤllen an kein hoͤheres Gerichte, wie in Teutſchland an die Reichs - Cammer, oder den Reichs Hof-Rath appellirt werden kan. Das Roͤ - miſche Recht brauchen wir nur alsdenn, wenn die Landes-Geſetze nicht zulangen. Jnzwiſchen haben ſich dennoch die geſchickteſten Maͤnner dieſes Staats durch ihre vortrefliche Auslegungen uͤber das Roͤmiſche Recht einen allgemeinen Beyfall zugezogen. Eine jede Provintz hat ihr hoͤchſtes Gericht fuͤr ſich, wiewohl Holl - und Seeland eins zuſammen haben, von welchem aber la Cour de Braband, der Hof zu Braband unterſchieden iſt. Denn die Verſamlung der General-Staaten weiß von keiner Ober-Herr - ſchafft uͤber die andern Provintzen. Es ſind die dazu gehoͤrige Perſonen nichts anders als Geſandten, deren jede Provintz einen oder zwey nebfl ei - nem Secretario ſchickt. Jhnen koͤmmt zwar die Macht zu, Krieg und Frieden zuerwaͤhlen, waͤhrendem Krieg dem commandirenden Gene - ral Deputirte an die Seite zu ſtellen, Buͤndniſſe zu machen, Geſanden Audientz zu geben, und deren abzuſenden, es geſchieht aber auch offt, daß ſie deßwegen erſt Bericht erſtatten muͤſſen. Man nennet ſie gemeiniglichHoch -19Hochmoͤgende Herrn General-Staaten, Hooge ende mogende, da die Staͤnde der uͤbrigen Provintzen nur Großmoͤgende, Edle mogende, oder grosmogende, genennet werden. Jn dieſer Hohen Verſamlung hat der Stadthalter keinen Sitz und Stimme, wohl aber in dem Staats - Rath, welcher de Raedt van Staaten genennet wird. Sonſt war dieſer und die General-Staaten einerley, wurde aber aus einer Staats-Ma - xime von einander getrennet. Denn weil zu den Zeiten der Engliſchen Koͤ - nigin Eliſabeth ein Geſandter von dieſem Koͤnigreich in dieſer Verſam - lung geſeſſen hatte, und ihr Nachfolger Jacobus I. durch die Zuruͤckforde - rung der ihm von der Republick ſchuldig gebliebenen Gelder ſich durch die - ſe geitzige Auffuͤhrung in ſchlechtes Anſehen ſetzte, ſo machten ſie den Staats - Rath beſonders, in welchem der Geſandte ſeinen Sitz hatte, welcher aber von ſich ſelbſt abzuziehen genoͤthigt war, weil die wichtigſten Dinge in der Verſamlung vorgebracht wurden, und er alſo in dem Staats-Rath nichts als einen bloßen Zuſchauer abgab. Dieſes Conſeil beforgt hauptſaͤchlich das Kriegsweſen, und die Ausfuͤhrung desjenigen, was von den General - Staaten beſchloſſen wurde oder vielmehr wenn ſie von ihren Principalen da - zu Befehl erhalten haben. Denn daß die General-Staaten nichts Befehls - ſondern vielmehr Bittweiſe an die Provinzen ergehen laſſen, erſiehet man aus der in Edicten ꝛc. gewoͤhnlichen Formul: Wy entbieden ende verſoecken onſen lieven ſeer beminden, de Staten, Stadthouder, Gecommit - teerde Raden ende Gedeputeerde Staten van de Provincien Reſpe - ctive van Gelderlandt &c. in dieſer Verſamlung hat eine jede Provintz eine Stimme, und eine Woche um die andre das Directorium, welches im Vortrag, und Colligirung der Stimmen beſteht. Das See-We - ſen iſt in 5. Admiralitaͤten eingetheilet, die erſte iſt an der Maaß, die andre zu Amſterdam, die dritte zu Horn und Enckhuyſen, die vierdte zu Middelburg, die ſuͤnfte zu Harlingen, und bey einer jeden ein Præ - ſident. Die Generalitats-Rechen-Kammer iſt in dem Haag mit, und hat 12. Raͤthe und Einnehmer, und die Einkuͤnfte der Repu - blick zu beſorgen. Jn dieſen dreyen Collegiis, dem Staats-Admirali - taͤts und Rechnungs-Rath ſitzt der Stadthalter oben an.

Bingley.

Befindet ſich denn dieſes in der Wahrheit alſo, daß ein Stadthalter der vereinigten Niederlande eine ſo groſſe Gewalt beſitze, und auf ihn der Ausſpruch faſt allein ankomme?

Tulſching.

Keinesweges, Mylord, Denn ſein Anſehn iſt nicht viel von desC 2Vene -20Venetianiſchen Doge ſeinem unterſchieden. Der Stad-houder wie er in unſerer Sprache genennet wird, iſt eigentlich derjenige, ſo zu Waſſer und Lande commandiret. Jn manchen Stuͤcken hat er allerdings groß Anſehn. Denn die Soldaten, ob er ſie gleich nicht vor ſein Geld gewor - ben, muͤſſen ihm, doch auch zugleich den General-Staaten ſchweren; er ver - gibt zu Kriegs-Zeiten alle Officiers-Dienſte, welches aber in Frieden nicht geſtattet wird. Jm Kriege iſt er Oberſter-General, und Ober-Admiral, es ſind ihm aber allezeit Deputirte an die Seite geſetzet, daß er nicht zu weit greife. Er beſetzet aus 3. vorgeſchlagenen Perſonen die Obrigkeitli - chen Aemter und hat das Recht, die Verbrecher zubegnadigen, welches ’t Recht van Perdonneeren genennet wird. Jn den Gerichten werden alle Befehle unter ſeinem Nahmen ausgefertiget, welches von den Tribu - nalien zu verſtehen iſt, die in unſerer Sprache ’t Hof van Juſtitie heiſ - ſen. Da dieſe Republick noch einen Stadthalter hatte, wurden in ſeinem Nahmen an die Jndianiſchen Koͤnige Geſandten geſchickt, weil dieſe von keiner Republick etwas wiſſen wolten, und wenn wider Geſandten aus Jn - dien kamen, ſo ſaß bey der Audientz der Printz auf einem drey Stufen hohen Throne. Dem Stadthalter gehoͤret auch die Ober-Aufſehung uͤber die Academien, mit welchem das Recht, die erledigten Profeſſor - Stellen zu beſetzen verknuͤpft iſt.

Bingley.

Wie koͤmmts aber, daß die General-Staaten nach dem Tode des Koͤ - nigs Wilhelmi III. von Engelland keinen Stadthalter wider erwehlet ha - ben?

Tulſching.

Hieran ſind vielerley Politiſche Maximen ſchuld, davon wir nur eini - ge erwehnen wollen. Der Stadthalter hat ſein groͤſtes Anſehn im Kriege, und befuͤrchtet man, deſto eher Urſach zum Krieg zu bekommen, wenn man einen Stadthalter haͤtte. Und dieſes iſt einer von den vornehmſten Bewe - gungs-Gruͤnden, warum der jetzige Printz von Oranien und Weſt-Frieß - land Wilhelm Carl Heinrich Friſo, nicht von allen Provintzen, ſon - dern nur von einigen, nehmlich Frießland, Geldern, und Groͤningen dazu angenommen worden. Dieſes iſt zugleich eine Neben-Urſache, daß Holland ſich zur Neutralitaͤt verſtanden, weil es einen Stadthalter in Kriege noͤthiger als in Friedens-Zeiten zuſeyn meynet. Es ſtoͤſſet ſich auch daran weil es ſeit der Zeit der Union beſtaͤndig die Stadthalter aus dem Hauß Oranien gewehlet, mit welchem ſie aber in der Perſon Hoͤchſtge - dachten Printzens zeither einige Mißhelligkeiten wegen ſeiner in dieſem Staatgele -21gelegenen Guͤter gehabt, und ſich nun durch deſſen Hohe Vermaͤhlung mit der Engliſchen Printzeßin in keiner geringen Ombrage befinden, daß er ihnen zu maͤchtig und von dieſer Crone unterſtuͤtzet werden moͤgte, wiewohl gedachte Streitigkeiten nunmehro beygelegt ſind.

Bingley.

Ein Stadthalter dieſer Republick hat ohne Zweifel eine wichtige Pen - ſion zu genieſſen, welches vielleicht gleichfals dazu etwas beytraͤgt?

Tulſching.

Dieſes iſt nicht zu vermuthen, indem wie bekand, das Geld in dieſen Provintzen im Uberfluß einlaͤuft. Es iſt aber an ſich richtig, daß der Stadthalter ein ziemliches einzunehmen hat, indem ihm monathlich 12000. Hollaͤndiſche Gulden, und in Kriegszeiten zu Fuͤhrung des Staats noch mehr zugeſtanden werden, wiewohl dieſes andre als eine ungewiſſe und un - bekandte Summe ausgeben wollen.

Bingley.

Verzeihet, wertheſter Tulſching, meiner Freyheit, euch ſo offt in die Rede zu fallen. Jhr gedachtet vorhin, daß die Stadthalter beſtaͤndig aus dem Hauſe Oranien geweſen waͤren. Jch errinnere mich aber, daß die Koͤnigin Eliſabeth ihren Favoriten den Grafen von Leiceſter in die - ſer Qualitè hieher geſendet habe.

Tulſching.

Jhr habt Recht, Mylord, und ich geſtehe daß ich das Wort beſtaͤn - dig mit Unbeſtand gebraucht, indem ohne dieſem Leiceſter noch ein paar fremde dazu gelanget ſind.

Bingley.

Jch bin begierig die eigentlichen Umſtaͤnde hiervon zu wiſſen, welche ich zwar geleſen, mir aber aus eurem Munde zu hoͤren ein beſondres Vergnuͤ - gen ſeyn wuͤrde.

Tulſching.

Der Anfang des Abfalls von dem Spaniſchen Scepter gehoͤret in das Jahr 1566. da die Strengigkeit des politiſchen Koͤnigs Philippi II. denen vereinigten Niederlanden die Roͤmiſch-Catholiſche Religion aufdringen, und zu deren Befoͤrderung die Inquiſition einfuͤhren wolte. Die - ſes ſtund den Unterthanen keinesweges an, und brachte ſie dahin, daß mehr als 400. vornehme Staͤnde, darunter Henrich, Graf von Bredero - de, Ludwig Graf von Naſſau, die Grafen von Culemburg und Ber - gen begriffen waren, ſich zur Gouvernantin nach Bruͤſſel erhuben, um dieſer Neuerungen wegen geziemende Vorſtellung zuthun. Hierbey ver -C 3gieng22gieng ſich der Geheimde Rath der Regentin, Graf von Barlemont ent - ſetzlich, und machte durch ein einziges Wort, daß dieſer Aufſtand zu ſeinen voͤlligen Kraͤfften kam. Denn er ſagte zu der Margaretha, Hertzogin von Parma, als Stadthalterin: Sie haͤtten von dieſen Geuſen, das iſt, Bettlern nichts zu befuͤrchten. Dieſe ſo einfaͤltig als boßhafftige Re - de feuerte den Grafen von Brederode ſo an, daß er nicht allein in der Ver - ſamlung der malcontenten mit einem Bettel-Sack erſchien, ſondern auch die Glaͤſer auf die Geſundheit der Geuſen wichtig herum wandern ließ, wo - rauf die gantze Geſellſchafft mit abgeſchornen Baͤrten und Bettel-Saͤ - cken auf den Achſeln durch die Gaſſen gieng, und eine Muͤntze gepraͤget wurde, da auf der einem Seite des Koͤnigs Bildniß mit der Beyſchrifft: Fideles au Roi, und auf der andern ein Bettel-Sack, mit den Worten: jusqu a porter la beſace, zu ſehen war, welches teutſch heiſt: wir ſind dem Koͤnige getreu biß an Bettel-Sack.

Bingley.

Dieſe Ausdruͤckung iſt zweydeutig, wertheſter Tulſching, und weiß man nicht, ob das Wort biß in - oder excluſive genommen wird. Denn es kan auch heiſſen: wir ſind dem Koͤnige getreu, biß dahin, wenn er uns den Bettel-Sack auflegen will, welches wir aber nicht zugeſtehen wollen.

Tulſching.

Darauf wurde das Volck vollends in Harniſch gebracht, und die Bild - ſtuͤrmerey gieng in den meiſten Kirchen an, wobey die unvergleichlich-ſchoͤ - ne Kirche zu Antwerpen ihren koſtbarſten Zierath einbuͤſte. Dieſes und viel andre Urſachen bewogen den Koͤnig auf Anrathen des grauſamen Her - tzogs von Alba die Gelindigkeit zu verbannen, und die Bekehrung dieſer Rebellen, wie ſie an Spaniſchen Hofe genennet wurden, durch geſtie - felte Apoſtel vorzunehmen. Dieſes wuſte man wohl, und deßwegen hielt der Printz Wilhelm von Oranien vor gefaͤhrlich, ſich laͤnger allhier auf - zuhalten. Er war der maͤchtigſte Vaſall und ob er ſich gleich nicht an die Spitze der Verſchwornen ſtellte, ſo kam doch alles auf ſeinen Rath und Meynung an. Er ſtellte in einer Zuſammenkunfft obgedachten Grafen vor, wie noͤthig es waͤr, auswaͤrtig auf Sicherheit zudencken, worein aber der Graf von Egmond nicht willigen wolte, und aus einem vor ihm un - gluͤcklichen Verhaͤngniß der Gnade des Koͤnigs allzuviel zutraute. Dieſes bewog den Printzen uͤberlaut zu ſagen: Nun ſo nehme ich denn Ab - ſchied, und verſichre euch, daß ihr den Spaniern zur Bruͤcke dienen, und hernach von ihnen keiner Barmhertzikeit werdetgewuͤr -23gewuͤrdiget werden. Er umarmte hierauf den Grafen mit einer zaͤrtli - chen Wehmuth, welcher noch zu ihm ſprach: Adieu Printz ohne Land, Prince ſans biens, von dieſem aber die Antwort erhielt: adieu Graf ohne Kopf, Comte ſans tête.

Bingley.

Dieſe wenigen Worte haben gewiß einen beſondern Nachdruck. Denn die Perſonen, ſo dieſelbe geſprochen, und der Erfolg, welcher ſie mit ei - nem traurigen Ausgang beſtaͤtiget, machen dieſen Propheceyungs-vollen Abſchied auf ewig merckwuͤrdig.

Tulſching.

Allerdings, Mylord, traf dieſes bey beyden ein. Der Printz fluͤchte - te ſich nach Teutſchland, und muſte die gehabten Gouvernements von Holl - und Seeland, Utrecht, und Bourgogne nebſt ſeinen eigenen Guͤ - tern verlaſſen. Der Graf von Egmond aber verlohr in Geſellſchafft des Grafen von Horn, und 18. anderer Standes-Perſonen bey der An - kunfft des Alba auf dem Marckt zu Bruͤſſel ſein Leben. Der aufgerich - tete Blut-Rath, Conſeil des Troubles, forderte zwar den Printzen, Grafen von Hochſtrade, und Culenburg, und andere abweſenden Her - ren mehr vor ſich, welche aber nach dem Exempel des Fuchſes ſagten: Ve - ſtigia me terrent.

Bingley.

Jſt es denn an dem, daß dieſes Blut-Gerichte aus ſo vortreflichen Maͤnnern beſtanden, welche die Leute mit Schuhen, Kleidern, und an - dern Nothwendigkeiten verſorgen, und dieſes als ihr Handwerck zu trei - ben gewohnt geweſen?

Tulſching.

Dieſes hat alles ſeine Richtigkeit, und kan man leicht die Wahrheit auch davon urtheilen, daß ihr Preſident, Antonius Vargas, ein ſo vortref - licher Latiniſte geweſen, daß ſein Ausſpruch gemeiniglich hierinnen beſtan - den; Hæretici fraxerunt templa, bona nihil faxerunt contra, ergo debent omnes patibulare, und, der wenn ſie ſich auf ihre Privilegia be - rufen haben, zu antworten gepflegt: Non curamus veſtros privilegios. Der Printz inzwiſchen erſchien nicht, und wurde nach geſetzter Friſt des Laſters der beleidigten Majeſtaͤt ſchuldig erkant, und ihm alle ſeine Guͤter weggenommen. Dieſes brachte ihn ſo in Harniſch, daß er eine in Teutſchland geworbene Armee unter dem Commando ſeiner Bruͤder, Ludewig und Adolph, Grafen von Naſſau in die Niederlande ruͤcken lies, welche den gegenſeitigen Generalen, Grafen von Aremberg, voͤlligſchlu -24ſchlugen, der noch darzu ſelbſt nebſt dem Grafen Adolph von Naſſau auf dem Platze blieb, die einander in der Schlacht begegnet, und auf dieſe toͤdt - liche Weiſe bezahlet hatten. Einige ungluͤckliche Schlachten aber vor die Niederlaͤnder, inſonderheit die bey Tillemont machte die Spanier noch hochmuͤthiger, daß ſich auch Alba bey der Nachricht von Eroberung des Hafens von Briel zu ſagen nicht ſcheuete: Nada, Nada, und davor hiel - te, es haͤtte dieſes nichts zu ſagen, welches zu dem Vers Gelegenheit gege - ben: Crevit in immenſum, quod fuit ante nihil. Endlich brach das 1579ſte Jahr ein, welches den Spaniern ſo fatal, den Niederlaͤndern be - gluͤckt, und der Grund zu der jetzigen Freyheit geweſen. Denn der Printz brachte es dahin, daß fuͤnf Provintzen, Holl-See - und Weſt-Frießland, Geldern und Utrecht einen Bund zuſammen aufrichteten, welchem Groͤ - ningen und Ober-Jſſel kurtz darauf beytraten, und zu ihrem Wappen einen Loͤwen mit ſieben zuſammen gebundnen Pfeilen, und der Uberſchrifft: Concordia res parva creſcunt, erwehlten.

Bingley.

Es iſt merckwuͤrdig, daß eben in gedachtem 1579ſten Jahre Portu - gall und Spanien vereiniget wurde, und es alſo ſcheinet, als wenn, das was dieſem durch Holland auf der einen Seite abgegangen, auf der an - dern Seite wieder erſetzet worden waͤr.

Tulſching,

Ehe noch dieſer Bund zu Stande kam, waren die Hollaͤnder uͤber den Printzen wegen ſeiner Neigung zur Oberherrſchafft dermaſſen mißver - gnuͤgt, daß einige Provintzen den Ertz-Hertzog Matthiam von Oe - ſterreich 1577, und Franciſcum Herculem, Hertzog von Alencon, ei - nen Bruder, Heinrichs des III. Koͤnigs von Franckreich 1578. zum Stadthalter erwehlten. Weil aber an dem erſten das nahe Gebluͤte mit Spanien und an dem andern, die vornehmen Gedancken, von einer Heyrath mit der Engliſchen Koͤnigin Eliſabeth, und einer eingebilde - ten Souverainité uͤber die Niederlande auszuſetzen waren, ſo war ihr Regi - ment von kurtzer Dauer, und der Printz hatte die groͤſte Hoffnung, an ih - re Stelle zu gelangen, als er 1584. zu Delft ermordet wurde. Der Thaͤ - ter hieß Franciſcus Guyon von Beſanzon, wie er ſich ausgab, da er doch ſeinem rechten Nahmen nach Balthaſar Gerhard hieß, und aus der Grafſchafft Burgund von Villefranche buͤrtig war. Er gab ſich vor einen Reformirten aus, hatte aber dabey das Abſehn, den Printzen hinzu - richten, und die von Philipp dem II. auf deſſen Kopf geſetzte 30000. Tha - ler zu verdienen. Er ſchoß zu dem Ende ihn mit 3. Kugeln, als er an derTafel25Tafel ſaß, durch den Leib, daß er nichts mehr als dieſes: HErr, erbar - me dich meiner Seele, und dieſes armen Volcks, zu ſagen ver - mochte.

Bingley.

Dieſe klaͤglichen Worte eines durch moͤrderiſche Faͤuſte ſterbenden Printzens haben noch eine gewiſſe Zaͤrtlichkeit in ſich, welche zeiget, daß er die Niederlaͤnder aus aufrichtigem Gemuͤth geliebt habe. Ubrigens aber hat der Thaͤter ſein Werck auf eine recht einfaͤltige Art angefangen, indem er ohne Zweifel nichts von der verſprochenen Belohnung geſchmeckt haben wird.

Tulſching.

Es ergieng nicht anders, als wie ihr ſaget, Mylord. Denn ſeine Belohnung beſtund in einer entſetzlichen Todes-Strafe. Die Hand wo - mit er den Schuß verrichtet, wurde ihm bey lebendigen Leibe gebraten, und er 8. mahl mit gluͤenden Zangen geknippen welches ihn aber ſo wenig ſchmertzte, daß er durch keine Mine einige Empfindung, hingegen bey dem Tode eines ungluͤcklichen Menſchen, welchen, da dieſes mit dem Moͤrder vor - gieng ein herabfallender Ziegel den Kopf einſchmiß, durch ein helles La - chen das Boßhafftige Weſen noch ſterbend blicken ließ. Die zwey unmuͤndigen Soͤhne, Moritz und Henrich des erblaſten Printzen, wur - den durch ihr zartes Alter dem wichtigen Wercke ihres unvergleichlichen Vaters vorzuſtehn verhindert, und dieſes bewog die Niederlaͤnder, der Koͤnigin Eliſabeth Oberherrſchafft ſich zu unterwerfen, welche dieſes aber anzunehmen Bedencken trug und den Grafen von Leiceſter, Robert Dudley 1585. zum Stadthalter dahin ſendete und ſich dagegen den Beſitz von Briel und Vlißingen wegen aufgewandter Unkoſten vorbehielt, die hernach der Koͤnig Jacob I. wieder alle Politiſche Staats-Regeln ge - gen Erlegung anderthalb Million Thaler wieder abtrat. Der Graf von Leiceſter wurde indeſſen bey ſeiner Stadthalterſchafft nicht alt, denn weil er ſich nicht gehoͤriger maſſen mit den Hollaͤndern vertragen konte, berief ihn ſeine Koͤnigin 1587. wider nach Hauſe, allwo er das folgende Jahr darauf ſtarb.

Bingley.

War dieſes, wehrteſter Tulſching, nicht eben der Graf von Leice - ſter, der bey der Eliſabeth, als ein uͤberauswohl gebildeter Herr, in ſo groſſen Genaden geſtanden, und die Hoffnung gehabt ſein Gluͤcke durch ei - ne eheliche Verbindung mit ihr auf den hoͤchſten Gipfel zu bringen.

DTul -26
Tulſching.

Ja, dieſer iſt es, Mylord, die Gewogenheit aber gegen ihn hatte bey ſeiner Abſendung nach Holland ſchon ziemlich abgenommen, weil er durch den Grafen von Eſſex abgeſtochen worden war. Nach des Leiceſters Abzug wurde der Sohn eines tapfern Vaters, der obengemeldete Moritz in dem 22. Jahr ſeines Alters einmuͤthig zum Stadthalter angenommen, welche hohe Wuͤrde er auch 38. Jahr mit einem unſterblichem Ruhme ver - waltet hat. Seine Progreſſen waren erſtaunend, und er eroberte die be - ſten Feſtungen mit ausnehmenden Gluͤck und Tapferkeit. Unter ihm fieng die Handlung hauptſaͤchlich zu bluͤhen an. Denn die Hollaͤnder holten ihre Waaren von Portugall, weil aber dieſes den Spaniern ein Mittel zu der Hollaͤnder Verderben ſchiene, ſo hoben ſie dieſes Commercium auf, welches die Niederlaͤnder zu dem Entſchluß brachte, den Weg nach Oſt - und Weſt-Jndien ſelbſt zu ſuchen, und richteten zu deſto beſſerer Befoͤrderung dieſes Vorhabens 1602. die noch in Flor ſtehende Oſt-Jn - dianiſche Geſellſchafft auf, welche ſich auf viele hundert Meilen nunmehro ausgebreitet. Die Spanier ſahen wohl, daß ſie nur dadurch uͤbel aͤrger gemacht hatten, und machten 1609. einen Stillſtand mit den vereinig - ten Niederlanden auf 12. Jahr, welcher 1621. ſeine Endſchafft erreichte. Waͤhrendem Stillſtande gab es allhier allerhand innerliche Unruhen, wozu der Streit zwiſchen den Arminianern und Gemaniſten nicht wenig bey - trug, in welchen Streitigkeiten der 72. jaͤhrige Johann von Oldenbarne - veld als ein eifriger Arminianer 1619. ſeinen Kopf verlohr.

Bingley.

Dieſer iſt meines Wiſſens derjenige, welcher dem Koͤnig Jacob, wie oben gedacht worden, die Summe Geldes vor die zum Unterpfand geblie - bene Feſtungen auszahlte, und zu dem Ende nach Engelland uͤbergieng.

Tulſching.

Jhr habt Recht, Mylord. Denn er wurde dahin geſendet, weil ge - dachter Jacob durch Antrieb eines unbedachtſamen Eigennutzes die Bezahlung dieſes Geldes verlangte. Nach geendigtem Stillſtande 1621. hoͤrte auch die aͤuſſerliche Ruhe auf, und der Krieg wurde von beyden Seiten mit groͤſtem Eyfer fortgeſetzt. Hier ſah es vor dieſe Republick windig aus, denn der Churfuͤrſt von der Pfaltz und aufgeworfene Koͤnig von Boͤhmen, Frid - rich der fuͤnfte wurde bey Prag auf dem weiſen Berge geſchlagen, Koͤ - nig Jacob hatte nicht das Hertz den Degen zuziehen, und der dreyſig - jaͤhrige Krieg hatte ſeinen grauſamen Anfang genommen, daß alſo keine Huͤlfe von den Proteſtanten zu hoffen war. Printz Moritz verlohr zu -gleich27gleich die Schlacht bey dem Entſatz von Breda 1524. welches ihn der - maſſen kraͤnckte, daß es 1525. wie von allen Menſchen vor ihm, ein paar ausgenommen, hieß: Er ſtarb, und ward begraben zu ſeinen Vaͤ - tern.

Bingley.

Dieſer Printz ſtarb eher, als ſeine Tapferkeit werth war, denn er hat - te ſich durch ſeinen unerſchrockenen Muth in ſolche Hochachtung bey inn - und auslaͤndiſchen geſetzt, daß man keinen vor einen rechtſchaffenen und er - fahrnen Soldaten hielte, wer nicht unter ihm gedienet hatte.

Tulſching.

Allerdings war er der groͤſte Capitain ſeiner Zeit, Mylord, und es faͤllete der groſſe Heinrich IV. Koͤnig in Franckreich ein gleiches Ur - theil von ihm, wie er denn zu ſagen gepflegt hat, er kenne nur drey Generals in der Welt, die ſeiner Admiration wuͤrdig waͤren, erſtlich Printz Moritz von Naſſau, der waͤre klug, tapfer und gluͤcklich, zum andern der Hertzog von Bouillon, der waͤr klug und tapffer, und endlich ſich ſelbſt, der zwar gluͤcklich waͤr, aber ob er auch klug und tapfer ſey, wiſſe er nicht. Noch dieſes eintzige von dieſem Printzen zugedencken, ſo iſt deſſen Vergleichung der 4. vornehmſten Nationen mit dem Ungeziefer bekand. Denn er ſagte, die Teutſchen waͤren wie die Laͤuſe, die ſich auf der Stelle todt ſchmeiſſen lieſſen, die Jtaliener wie die Wantzen, die nichts als einen groſſen Geſtanck bey ſich fuͤhrten. Die Spanier wie die Filtzlaͤuſe, die wo ſie ſich einmahl eingeniſtelt, nicht leichtlich wie - der heraus zubringen waͤren.

Bingley.

Dieſes bezeugen ſie jetzo. Denn da ſie kaum aus Gnade und Barm - hertzigkeit in Florentz Poſto gefaſt, ſo quaͤlen ſie die Jnwohner auf das aͤrgſte, und ſuchen ſich immermehr und mehr einzuniſteln, welches man ih - nen aber ſchon verwehren wird.

Tulſching.

Und endlich die Frantzoſen waͤren wie die Floͤhe, welche bald da bald dorthin huͤpften:

Bingley.

Der an Geſtalt zwar kleine aber an verliebten Eigenſchafften rieſenmaͤßige Hertzog von Luxemburg pflegte ſich immer die Krafft zu wuͤnſchen, daß er ſich in einen Floh verwandeln koͤnte, wenn er wolte, wie - wohl es nicht deßwegen geſchach, weil er ein Frantzoſe, und zum herum Huͤpfen geneigt war, ſondern er vermeynte, in Geſtalt eines Flohs beyD 2dem28dem Frauenzimmer eher Ingreſſ zu finden, und verſtohlner Weiſe leichter etwas zu genieſſen, als wenn er mit ſeinem Naͤh-Pult auf dem Ruͤcken erſchiene.

Tulſching.

Dieſes Hertzogs Auffuͤhrung uͤberhaupt war einer Atheiſtiſchen ſo aͤhnlich, als ſein Leib einem Bucklichten, welches zu der Fabel Gelegenheit gegeben, als wenn er mit dem Teufel ein Buͤndniß gemacht, und von ihm lebendig geholt worden waͤr. Wir wollen aber wieder zu unſerer Hiſtorie kehren. Nachdem Tode des Printzen Moritzens gelangte in Ermange - lung maͤnnlicher Erben deſſen Bruder Heinrich zu der Wuͤrde eines Stadt - halters, welchem wichtigen Poſten er von 1625. biß 1644. 19. Jahr, und faſt biß an den Frieden ruͤhmlich vorgeſtanden. Unter ſeinem Regiment wurde den Spaniern 1628. durch den Hollaͤndiſchen Admiral Peter Hayn ein empfindlicher Streich angebracht, da dieſer ihnen die Silber-Flotte mit 30. Millionen wegſchnappte.

Bingley.

War dieſer Peter Hayn nicht von Gebuhrt eines Herings-Ein - packers Sohn?

Tulſching.

Ja, Mylord, er war es, und der Ort ſeiner Gebuhrt und Auferzie - hung war Delftshagen. Er brachte ſich durch ſeine zur See bezeigte Ge - ſchicklichkeit ſo hoch, daß er, nach dem er von unten auf gedienet, 1624. bey der Weſt-Jndiſchen Flotte Vice - Admiral wurde. Er that in dieſer Qualitè ſeinen Herren wichtige Dienſte, biß er durch Hinwegnehmung der obgedachten Flotte ſeinen Ruhm verewigte, und das Jahr darauf 1629. vor Duynkirchen mit einer Stuͤck-Kugel getoͤdet wurde. Der Printz ſetzte unterdeſſen den Krieg hefftig fort, und nahm viel Oerter ein, da 1639. unvermuthet eine groſſe Spaniſche Flotte in dem Canal erſchien, wel - che der beruͤhmte Admiral Tromp gaͤntzlich zu Grunde richtete. Er war den 23. April. 1597. in Briel gebohren, und hatte ſich von der unterſten Staffel eines Matelots biß zu der hoͤchſten eines Lieutenant - Admiral von Holland geſchwungen. Er erhielt von dem Koͤnig in Franckreich den Adel 1639. und ruinirte mit ohngeſehr 20 Schiffen die in mehr als 70. Kriegs-Schiffen beſtehende Spaniſche Flotte. Sein Leben endigte er durch eine feindliche Kugel 1653. den 10. Auguſt, in einem groſſen See - treffen mit der Engliſchen Flotte, wobey ſeine letzten Worten waren: Jch habe das meinige gethan. Ach! HErr ſey mir und dieſem Volck genaͤdig.

Bin -29
Bingley.

Es iſt wahr, daß dieſer Tromp den vornehmſten Rang mit unter den Hollaͤndiſchen See-Helden behaupten kan, er iſt aber auch in dem Ruf, daß ſeine Auffuͤhrung etwas plumpes an ſich gehabt habe.

Tulſching.

Printz Henrich erwieß ſich nach dieſem wichtigen Siege deſto mehr zu Lande geſchaͤfftig, und nahm den Spaniern 1644. die Feſtung Saas von Gent weg, welches Jahr aber auch ſein preißwuͤrdiges Leben mit einem fruͤh - zeitigen Tode bekroͤnte. Sein Nachfolger war Wilhelm der II. von Ora - nien, ein Vater des nachmahligen Koͤnigs von Engelland Wilhelm des III. die Zeit ſeiner Regierung war kurtz, die in derſelben vorgegangene Dinge aber von der groͤſten Wichtigkeit. Denn die Hollaͤnder erhielten 1648. in dem Weſtphaͤliſchen Friedens, Schluß die ſo lange Jahre ver - theidigte Freyheit, und der Koͤnig von Spanien hatte die faſt unaus - ſprechlichen Summen Geldes, welche ſich ſchon zu Zeiten Philippi II. wie er auf dem Todt-Bette bekand, ſich auf 430. Millionen belaufen haben, nebſt den Kraͤfften ſeiner Koͤnigreiche umſonſt verſchwendet, um dieſe Na - tion wieder unter das Joch zu bringen.

Bingley.

Was hat es denn vor eine Beſchaffenheit mit dem Streite, welcher ſich bey gedachtem Friedens-Schluß wegen der Freyheit ereignete?

Tulſching.

Die Geſandten des Koͤnigs von Spanien wolten abſolument nicht in die Freyſprechung der Niederlande willigen, und machten Mine, den Krieg eher fortzuſetzen. Als ihnen aber von denen uͤbrigen Koͤnigen die uͤblen Folgerungen, da ſie den Hollaͤndern beyzuſtehn nicht ermangeln wuͤr - den, vorgeſtellet wurden, ſo erklaͤrten ſie dieſe endlich tanquam liberos, gleich als freye Leute, welches zu neuen Diſputen Anlaß gab, biß das Wort tanquam nur als ein Neben-Werck angeſehen, und die noch dau - ernde Freyheit dieſer Republic dadurch befeſtiget wurde. Nach dieſem gluͤcklichen Erfolg, da die Ruhe ihnen von auſſen hergeſtellet war, erei - gnete ſich eine Unruhe, welche deſto gefaͤhrlicher war, weil ſie innerlich entſtund. Denn es entſtund dieſe Uneinigkeit daher, weil der Printz die Sol - daten auf den Beinen zubehalten begehrte, die Staͤnde aber gerade das Gegentheil vertheidigten. Die Staͤdte erwieſen ſich gegen den Stadt - halter hierbey entſetzlich importun, und gaben ihm, da er ſie durch ſeine Gegenwart zu beſaͤnfftigen vermeynte, die ungebuͤhrlichſten Reden. Die -D 3ſes30ſes aͤrgerte ihn dermaſſen, daß er nicht allein in der Stille Amſterdam uͤberrumpeln wolte, welches aber durch den Hamburger Poſtilion ver - rathen wurde, ſondern auch ſechs der vornehmſten unter den Widerſpen - ſtigen auf die Feſtung Loͤwenſtein ſetzen ließ, von welcher Paſſage die gan - tze Sache unter dem Titel der Loͤwenſteiniſchen Haͤndel bekand iſt. Er erlangte auch in ſo weit Satisfaction, daß die ſechs gefangene ihrer Buͤr - germeiſter - und anderer Stellen entſetzet wurden, endete aber kurtz darauf im 24. Jahr ſeines Alters nicht ohne Verdacht beygebrachten Giffts ſein Leben. Nach ſeinem Tode wolten die vereinigten Niederlande von keinem Stadthalter mehr wiſſen noch hoͤren, und verſchworen ſich, kuͤnfftig hin keinen mehr zu dieſer Wuͤrde gelangen zu laſſen.

Bingley.

Es hatte ja Wilhelm der II. einen Printzen hinterlaſſen, warum wurde denn dieſer nicht zu der Stadthalterſchafft genommen?

Tulſching.

Diefer Printz iſt der nachmahlige Koͤnig von Engeland Wilhelm der III. nnd kam erſt acht Tage nach des Vaters Tode als der letzte Reiß des Oraniſchen Stammes auf die Welt, wurde aber auf das boßhafftige Anſtifften des Cromwels und aus Haß gegen des Printzens hoͤchſtſeel. Vater durch einen theuren Eyd auf ewig von der Stadthalter - ſchafft ausgeſchloſſen. Dieſes dauerte biß 1672. in welcher Zeit die Hol - laͤnder zweymahl Krieg mit den Engellaͤndern, und mit den Por - tugieſen und Schweden einmahl gefuͤhret, und faſt allezeit die Ober - hand behalten hatten.

Bingley.

Der Schwediſche Krieg ſcheinet mir beſonders merckwuͤrdig, weil die Hollaͤnder damahls die wanckende Crone Friederichs des III. Koͤnigs in Daͤnnemarck befeſtigten, und den von den Schweden verſperrten Sund mit ihren Schiffen durch eine rechtmaͤßige Gewalt oͤfneten. Welches gedach - te Hollaͤnder noch in ſo friſchem Andencken haben, daß ſie dem Koͤnige von Daͤnnemarck, wenn er ihnen die paſſage durch den Sund verweigern, oder den Zoll erhoͤhen wollen, mehr als einmahl zur Antwort gegeben: Sie haͤtten den Schluͤſſel zum Sunde noch, welchen ſie 1658. machen laſſen.

Tulſching.

Mit dem 1672ſten Jahre aͤnderten ſich die Umſtaͤnde ſo entſetzlich, daß der Printz Wilhelm zum Stadthalter wiewohl mit groſſen Verdrießlich - keiten erwehlet wurde. Der Koͤnig von Franckreich Ludwig der XIV. griff31griff ſeiner herrſuͤchtigen Art nach die Niederlande mit einer aus 100000. Mann beſtehenden Armee an, und eroberte in einem Feldzug drey Pro - vintzen, Geldern, Utrecht und Ober-Jſſel, und kam biß nach Muy - den 3. Meilen von Amſterdam. Hier durch gerieth das gemeine Volck in das aͤuſſerſte Schrecken, und hielte davor, es kaͤm dieſer Unfall daher, weil ſie keinen Stadthalter haͤtten. Dieſes ſuchten zwey ſo wohl am Ver - ſtand als am Boßheit vollkommene Bruͤder, Iohannes, und Cornelius de Witt, davon der erſte Rath-Penſionarius und der andere Buͤrger - meiſter in Dordrecht war, aus einem toͤdtlichen Haß gegen das Hauß Oranien zu verhindern, welches das Volck zu einem ſo barbariſchem Ey - fer trieb, daß es dieſe 1672. an 20. Auguſt. in Haag auf eine unerhoͤrte Weiſe ermordete, ihre Leiber zerfleiſchete und die abgeſchnidtenen Glieder auf das theuerſte verkaufte. Da nun dieſe das meiſte bißher zu ſagen gehabt hatteu, ſo unterſtund ſich hierauf niemand mehr der Erhebung des Printzen zur Stadhalterſchafft zu widerſprechen.

Bingley.

Daß dieſes die gefaͤhrlichſten Leute ſeyn, welchen der Himmel viel Verſtand goͤnnet den ſie zu lauter boͤſen und andrer Ungluͤck anwenden, iſt eine ausgemachte Sache. Und hat mir ein Jtaliaͤniſches Sprich-Wort be - ſonders wohlgefallen wenn ſie ſagen: Il buono intendimento con una cattiva volontà è un matrimonio moſtruoſo. Ein guter Ver - ſtand der ſich mit einem boͤſen Willen vereiniget, macht eine monſtröſe Ehe.

Tulſching.

Die Jtaliaͤner haben hierinnen den Vorzug vor vielen andern Voͤl - ckern daß ſie ihre Gedancken auf eine ſcharfſinnige Weiſe eroͤfnen koͤnnen. Der Printz trat ſeine Stelle mit einer benoͤthigten Authoritaͤt an, und ließ ſich angelegen ſeyn, eine maͤchtige Armee auf die Beine zu bringen, und die bißher eingeſchlichenen Fehler nach Moͤglichkeit zuverbeſſern.

Bingley.

Jſt es denn an dem, daß die Feſtungen bey dem Einbruch des Koͤnigs von Franckreich mit ſo geſcheuten und tapfern Commendanten beſetzt geweſen, daß auch einer, als ihm einen Paß bey Grave mit 1000. Pfer - den zubeſetzen anbefohlen worden, die wichtige Frage aufgeworfen habe. Ob die Pferde alleine dahin gehn, oder ob man Kerl darauf ſetzen ſolte?

Tulſching.

Freylich iſt dieſes mehr als zuwahr, und koͤnte man noch mehr Strei - che beybringen, die dieſe Heldenmuͤthige Commendanten vorgenommen haben, wenn es die Kuͤrtze der Zeit leyden wolte. Der Printz ſahe wohldaß32es hieß: mit unſerer Macht iſt nichts gethan, und that ſich daher nach maͤchtigem Beyſtand auswerts um, welchen er bey dem groſſen Leopold dem Roͤmiſchen Kaͤyſer, Carl dem II. Koͤnige von Spanien, und Frie - drich Wilhelm Churfuͤrſten von Brandenburg fand. Die Hollaͤnder ſchlugen mit denen wider ſie mit Franckreich vereinigten Engellaͤndern vier - mahl zur See, welche letztern 1674. einen beſondern Frieden eingiengen. Lude - wig der XIV. eroberte die vor unuͤberwindlich gehaltene Feſtung Maſtrich mit Verluſt 12000. der Seinigen, wobey er ſelbſt zu gegen war, und das Gluͤcke wechſelte auf beyden Seiten ab, biß es durch den Nimwegiſchen Frieden 1679. befeſtiget wurde. Der Koͤnig in Franckreich muſte alles und ſo gar Maſtrich wieder hergeben, welches ihm am ſchwerſten ankam.

Bingley.

Es kam meines Wiſſens bey dieſer Gelegenheit eine Muͤntze zum Vor - ſchein, auf welcher Ludwig in Geſtalt eines Vomir enden erſchien, und al - le eroberte Staͤdte von ſich brach, aber Maſtrich nicht von ſich geben wolte, welches ihm in Halſe ſteckte. Jnzwiſchen erwarben ſich die Hollaͤn - der damahls keine guten Freunde an ihren großmaͤchtigſten Bundesgenoſſen, da ſie den Frieden zuerſt eingiengen, und die ihnen geleiſtete Huͤlfe in eine undanckbare Vergeſſenheit ſtellten.

Tulſching.

Die Republicken machen es nicht anders, und die Buͤndniſſe gelten bey ihnen nicht laͤnger, als ſie ihre Handlung zu befoͤrdern gedencken. Doch dieſer Friede war von kurtzer Dauer. Denn der Koͤnig Jacob II. in En - gelland ſuchte nicht nur die Evangeliſche Religion, und die Freyheit des Engliſchen Volcks zu unterdruͤcken, ſondern auch den Stadthal - ter, welcher ſich mit dieſes Koͤnigs aͤlteſten Printzeßin Tochter Maria vermaͤhlet, durch einen unterſchobenen Sohn, den jetzigen Praͤtenden - ten, von der Nachfolge auf dem Engliſchen Thron auszuſchlieſſen.

Bingley.

Sagt mir doch, wertheſter Tulſching, eure Meynung, ob dieſer Praͤtendente wohl ein rechter Sohn des Koͤnig Jacobs II. oder ein Muͤller von Gebuhrt ſey?

Tulſching.

Das iſt eine Sache, wovon man nichts gewiſſes melden kan. Jndeſ - ſen hat ſich doch ſein angegebener Vater durch das unrechtmaͤßige Verfahren bey ſeiner Geburth, und der ſo genante Praͤtendentiſche Printz durch ſeine ſacktraͤgeriſche Auffuͤhrung ſo verdaͤchtig gemacht, daß man ihn eher vor einen Muͤllers-Printz, als einen Erben dreyer Cronenhalten33halten muß. Dieſes Bezeigen Jacobs II. brachte die Hollaͤnder dahin, daß ſie dem Printzen Wilhelm mit einer maͤchtigen Flotte beyſtunden, den Schwieger-Vater nach Franckreich fliehen lernten, und durch ei - nen biß zum Ryßwickiſchen Frieden 1697. daurenden Krieg den Koͤnig Wilhelm und ſeine Gemahlin auf dem Engliſchen Throne beſtaͤtig - ten. Dieſer Koͤnig bezeigte waͤhrendem Krieg in vielen Schlachten eine wunderwuͤrdige Tapferkeit, und regierte die Groß-Brittaniſchen Koͤnigrei - che als ein weiſer Monarche, und die vereinigten Niederlaͤnder als ein un - vergleichlicher Stadthalter, biß er 1702. zu Anfang des Succeſſion-Krie - ges nach einem ungluͤcklichen Fall vom Pferde ſein koſtbares Leben ein - buͤſte. Die Hollaͤnder ſetzten darauf den Krieg fort, und haben biß hieher einen Stadthalter zuerwehlen ſich geweigert. Ob nun wohl Frießland und Groͤningen den Fuͤrſten von Naſſau-Dietz zu ihrem Erb-Stadt - halter hatten, ſo iſt doch dieſe Wuͤrde von dem Poſten eines General - Stadthalters der vereinigten Niederlande, wie leicht zu erachten weit unterſchieden. Erſtermeldeter Fuͤrſt hieß Wilhelm Friſo und ver - lohr ſein Leben im Waſſer 1711. Seine Gemahlin, eine Heſſen-Caſ - ſeliſche Printzeßin brachte nach deſſen Todte den letztlebenden Printzen von Oranien zur Welt, welcher durch die Verbindung mit der Engliſchen Prinzeßin ſeinem hohen Hauſe ein neues Luſtre zugebracht, hierdurch aber auch bey den General-Staaten ein groſſes Aufſehen erwecket hat. Ob er nun mit der Zeit die Stelle ſeiner Durchlauchtigſten Vorfahren erlan - gen werde, muß man dem Gluͤck, und dem weiſen Entſchluß der General - Staaten anheim ſtellen.

Die Lords waren mit dieſer ziemlich weitlaͤuftigen Nachricht vollkommen zufrieden, und danckten dem unvergleichlichen Tulſching auf eine ſo verbindliche Weiſe, welche ihre Hochachtung gegen ihn dentlich be - wieß. Sie nahmen zugleich von dieſem groſſen Lehrer der Rechte ver - pflichteſten Abſchied, und beyderſeits verſicherten einander einer unzertrenn - lichen Freundſchafft. Sie bewunderten hierauf unter ſich die angenehme Art, womit dieſer Gelehrte ihnen die verlangten Nachrichten gegeben, und ſahen ſich in der Stadt Nachmittags nach den vornehmſten Merckwuͤr - digkeiten um. Sie giengen in die daſige Peters-Kirche, und lieſſen ſich das zu Stein gewordene Brodt zeigen, welches bey der Gelegenheit geſche - hen, da eine Schweſter die andere ſo ſie um Brodt angeſprochen, mit die - ſen Worten abgewieſen: Sie wolte, daß das Brod, wo ſie deſſen haͤtte, zu Steine wuͤrde, welches auch geſchehen ſeyn ſoll. Mylord Childron ſagte hierbey, er errinnere ſich, daß ein Dieb neulichſt einemEBrodt -34Brodt-Schranck aufgemacht, die Brodte herausgenommen, und an deſ - ſen Statt etliche Pflaſter-Steine mit dieſen auf einen Zettel geſchriebenen Worten hinein gelegt habe: HErr, gib daß dieſe Steine Brodt werden. Sie lachten uͤber die ſinnreiche Application dieſer Worte, welche eben ſo wohl zu unrechter Zeit als damahls von dem Teufel ge - braucht worden, und weil ſie von der Schneider-Werckſtaͤdte des be - ruͤhmten Johann Beckolds ſo viel gehoͤret hatten, wuͤrdigten ſie dieſelbe noch ihrer Beſchauung. Sie hielten ſich hierauf nicht lange mehr in Leyden auf, ſondern ſetzten ſich nebſt ihren Bedienten in eine Treck - ſchuyte, um nach dem Haag ihre Reiſe fortzuſetzen. Dieſe Manier, ge - ſchwinde von einem Ort zum andern zu kommen, gefiel ihnen uͤberaus wohl. Denn weil Holland allenthalben mit Canaͤlen durchſchnidten iſt, ſo findet man unzehlige kleine Fahrzeuge, welche Trekſchuyten genennet und von Pferden, an einem Seile gezogen werden. Da ſie nun auf dieſer kurtzen Reiſe dennoch ein muͤßig Stuͤndgen hatten, ſo kamen die beyden Lords wieder auf die obengedachte Schneider-Werckſtadt zu reden, und dieſe gab Gelegenheit, daß ſich Childron bey ſeinem Freunde erkundigte, ob er ihm dieſe Hiſtorie zuerzehlen nicht belieben wolte? dieſer war ohnedem zu al - len, was ſeinem Freunde vergnuͤgen machte, willig, und berichtete ihn alſo von dieſes Schneiders Leben und Zufaͤllen.

Bingley.

Johann Beckhold, ſagte er, war ſeines Handwercks ein Schnei - der, aus Leyden buͤrtig, und iſt heut zu tage unter dem Nahmen Jo - hann von Leyden bekand. Die damahls in Schwang gehende Ana - baptiſten - oder Wiedertaͤufer Secte brachte ihn zu dem naͤrriſchen Ent - ſchluß, ſein an ſich ehrliches Handwerck an den Nagel zu haͤngen, und die - ſem ſchwaͤrmenden Haufen zu folgen, dieſer vermehrte ſich auf eine unglaub - liche Weiſe, und theilte ſich wieder in verſchiedene Secten ab, worunter die Adamiten ohne Zweifel die ſchlimmſten waren. Denn die wolten nach dem Exempel Adams im Stande der Unſchuld wandeln, und brachten es dahin, daß ſich Maͤnner und Weiber in den Kirchen nackend auszo - gen, und in einer unverantwortlichen Entbloͤſung unter einander ſaſſen.

Childron.

Wie wuͤrden nicht die Kirchen mit Leuten angefuͤllet ſeyn, wenn man heut zu tage dergleichen geſtatten koͤnte und wolte. Gewiß eine unzehlige Menge geiler Boͤcke wuͤrde ſich dieſe Gelegenheit vortreflich zu Nutze ma - chen, ihre, mit der galanten Welt zu reden, verliebte Augen an einem ſo angenehmen Spectacul zu ergoͤtzen. Jch bin verſichert, daß man gar nichtUrſach35Urſach haben wuͤrde, uͤber den ſchlechten Eyfer in den Kirchen mehr zu kla - gen, au contraire man wuͤrde genoͤthiget werden, dieſe noch dreymahl groͤſſer zu bauen, als ſie jetzo waͤren.

Bingley.

Dieſe geile Augen-Weyde trug auch nicht wenig bey, daß die Ana - baptiſten ſich ſo entſetzlich vermehrten. Jhr Anfang war das 1521. Jahr, wovon die Feinde der Evangeliſchen Religion Gelegenheit ge - nommen, den unſchuldigen D. Luther vor den Uhrheber dieſer Ketzerey auszugeben. Sie breitete ſich in kurtzem in viele Laͤnder aus, und ihre An - haͤnger ſetzten unter ſich in den volckreichſten Staͤdten ordentliche Biſchoͤf - fe. Sie unterfingen ſich, nicht allein Aemter auszutheilen, ſondern auch Todtes-Urtheile zuſprechen, und ſie auf die foͤrmlichſte Art zur Execu - tion zu bringen. Sie nennten den Ehebruch eine erlaubte Sache, und geiſtliche Vermiſchung, und fiengen noch unzehlig andere gottloſe Streiche mehr an. Dieſes bewog die Obrigkeiten dieſem Ubel zuſteuren, und in Amſterdam ſo wohl, wo ſie am ſtaͤrckſten waren, als andern Hol - laͤndiſchen Staͤdten, hatte man alle Haͤnde voll, mit Koͤpfen, Hencken, und Raͤdern zuthun. Da nun Johann Beckold ſahe, daß es ſo ge - faͤhrlich ſtunde, ſo nahm er mit noch vielen andern ſein Buͤndel, und mach - te ſich nach Muͤnſter, wo er ſich bey einem ſo genanten Propheten, Nah - mens Knipperdolling, den 24. Nov. 1532. einlogierte. Jhr Anhang vermehrte ſich dergeſtalt, daß ſie den Rath, Dom-Herren, Geiſtlichen, nnd alles was ſich nicht zu ihnen bekennte, zu Ende des 1533. Jahres aus der Stadt jagten. Sie beſtellten einen neuen Stadt-Rath, der aus zwey Buͤrgemeiſtern, und zwey und zwantzig Raths-Herren beſtunde, und hiengen ihre Geſetze auf Tafeln nach Art der alten Roͤmer bey den Stadt-Thoren auf. Sie beſetzten Muͤnſter mit dem tapferſten ihres Volcks, und beſchuͤtzten ſie wieder die Armee des Biſchoffs von Muͤnſter, welcher an 14. Febr. 1534. vor die Stadt kam, mit ſolchem Erfolg, daß er die Belagerung in eine Bloquade verwandeln muſte. Nach dem Tode des Anabaptiſtiſchen Haupt-Propheten, Iohannis Matthæi, welcher in ei - nem Ausfall erſchlagen wurde, war Iohann Beckold alles in allen. Er brachte es durch die vorgegebenen Himmliſchen Offenbahrungen bey dem Volcke dahin, daß zwoͤlf Richter in Jſrael wie er ſagte, geſetzt wurden, welche nicht das geringſte ohne ſein Wiſſen und Willen vorneh - men durfften. Denn er hatte die Stelle des ermordeten Matthaͤi erhal - ten, und ſeine Worte wurden alle als goͤttliche Ausſpruͤche angeſehen. Er war einer uͤberaus verliebten Natur, und dieſe noͤthigte ihn, faſt alleE 2Nacht36Nacht bey einer artigen Magd ſeinen wolluͤſtigen Zeitvertreib zu ſuchen. Aus Verſehen war einmahl ein aus dem Biſchoͤflichen Lager uͤbergelaufner Soldat, in die Cammer, wo das Rendezvous zu geſchehen pflegte, gele - get worden, welcher dieſe artige Auffuͤhrung des vornehmſten Propheten ſtillſchweigend mit an ſahe. Fruͤh morgends gab er einigen durch Reden zu verſtehen, was der Prophete dieſe Nacht vor eine Wallfahrt gehalten haͤtte. Dieſes wurde ihm alſobald hinterbracht, welcher die Beſchimpfung zu vermeyden, in einer Verſamlung des Volcks die vorhin mit vielen abge - redete Frage aufwarf: Ob es nicht erlaubet waͤre, mehr als eine Frau zu nehmen? Dieſes billigten die Wider-taͤuferiſchen Geiſtlichen augenblicklich, nur einer aus dem Volcke ſperrte ſich dawieder, und bemuͤhte ſich, das Gegentheil aus vielen Spruͤchen der Heil. Schrifft darzuthun. Weil dieſes aber dem Propheten nicht in Kram diente, ſo faͤllete er uͤber die - ſen armen Mann ein ſo ſtreng-als ſchleuniges Todes-Urtheil, welches an ihm durch Abſchlagung des Kopfes auf der Stelle vollzogen wurde. Nach dieſer ſchoͤnen Verrichtung nahm er eine andere vor, die nicht viel beſ - ſer war, denn alle junge Maͤdgen von dreyzehendten Jahre an wurden ausgeſuchet, und unter die Maͤnner ausgetheiler, wovon er zwoͤlfe der ſchoͤnſten auf ſeine Portion heraus nahm. Sein Ehrgeitz wuchs mit dem elenden Zuſtand der Stadt, welcher in Betracht der Bloquade immer groͤſ - ſer wurde, und zu einer zuſammen-Verſchwerung Anlaß gab, da funf - zig Miß[v]ergnuͤgte die Thore aufhauen, und die Stadt dem Biſchoff uͤberliefern wolten, welche aber insgeſamt, gehenckt, geviertheilt, geraͤdert, gekoͤpft, arquebuſirt, und einige lebendig von einander geſchnitten wurden. Sein Ehrgeitz, ſage ich, nahm immer zu, und eine tolle Ambition ver - leitete ihn, nach dem Titul eines Koͤnigs zu ſtreben. Zu dem Ende bere - dete er einen Goldſchmidt, mit Nahmen Tuſcoſchierer, daß er ſich vor einen Propheten ausgeben, und in Gegenwart einer groſſen Menge Volcks eine offenbahrung erzehlen muſte, in welcher GOtt befohlen hatte, Johann Beckolden zum Koͤnige von Sion zu kroͤnen. Dieſes geſchah auch den 24. Junii 1534. wiewohl nicht ohne Widerſpruch, der zwoͤlf Richter, die dadurch ihre Aemter verlohren. Dieſer neue Karten-Koͤnig richtete nach ſeiner Erhebung auf den Sionitiſchen Thron einen geheimen Rath von vier Perſonen auf, und fuͤhrte einen ſeiner Wuͤrde gemaͤſſen Staat. Er gab auf dem Marckte auf einem vier Stufen erhoͤhten Throne Audientz. N[e]ben ihm ſtunden 2. Juͤnglinge, davon der zur rechten Hand eine Bibel, in der einen, und eine guͤldene und mit Diamanten beſetzte Crone in der andern Hand hielte. Der zur lincken trug ein Schwerdt, deſſen Griffvon37von Gold und gleichfals mit Diamanten garnirt war. Auf der andern Stufe des Throns ſaß der General-Lieutenant, und Scharf-Rich - ter, Knipperdolling, und auf der unterſten die vier Geheimde Raͤthe.

Childron.

Wo hatte denn dieſer Muͤnſteriſche Monarche dieſe Koſtbarkeiten alle hergenommen, und wie ſchicken ſich die zwey Chargen des Knipper - dollings zuſammen?

Bingley.

Jhr thut 2. Fragen an mich, die ſich auf einmahl nicht beantworten laſſen. Die erſte anbelangend, ſo war dieſes in einer ſo reichen und maͤch - tigen Stadt als Muͤnſter war, gar wohl moͤglich. Denn er ließ bey Leib - und Lebens-Strafe ausruffen, daß ein jeder, was er von Gold, Silber, Edelgeſtein und andern Koſtbarkeiten beſaß, auf ſein Koͤnigliches Schloß liefern muſte, welches hernach zu ſeinem, ſeiner Weiber, und Be - dienten, auch der Zimmer Ausſchmuͤckung angewendet wurde. Die ande - re Frage anbetreffend, ſo war das Scharf-Richter-Amt bey dieſen Ketzern vor keine geringe Wuͤrde gehalten, und ihr Koͤnig ſchaͤmte ſich ſelbſt nicht es zu weilen mit eigner Hand zu verrichten. Alleine ſeine Ge - walt war wie der Mertzen-Schnee, welcher ſo bald vergehet, als er koͤmt. Die Stadt war in aͤuſerſten Noͤthen, und Schmalhans regierte mit dieſem Koͤnige in gleicher Wuͤrde. Sein Regiment nahm an eben dem Tage nemlich den 24. Junii, 1535. ein ſo ſchreckliches Ende, als es vor dem Jahre einen praͤchtigen Anfang gewonnen hatte. Haͤnſel von der langen Straſſe, ein uͤbergelaufener Biſchoͤflicher Soldat war die Haupt - Urſach dieſer ploͤtzlichen Veraͤnderung. Dieſem gereute es, daß er ſeinem Fuͤrſten untreu worden, und ſuchte ſich durch eine kuͤhne That bey demſel - ben wieder in Gnade zu bringen. Er unterſuchte demnach unvermerckt die Stadt-Graben, und fand einen Ort, alwo das Waſſer nicht uͤber ei - ne Elle tief war. Er that den Verſuch zu erſt, indem er dadurch zuruͤck in das Lager ſeinen Weg nahm, und daſelbſt eroͤfnete, daß man die Stadt auf dieſe Art leichtlich uͤberrumpeln koͤnte. Man folgte ihm ungeſaͤumet nach, und die Biſchoͤflichen kamen in die Stadt, ehe ſichs jemand ver - muthete. Der Koͤnig und ſeine geheime Raͤthe hatten das Ungluͤck, lebendig in der Feinde Haͤnde zu fallen, und der Biſchoff hielt mit 1500. Pferden ſeinen Einzug. Mehr als achthundert Anabaptiſten wurden aus ihren Schlupfwinckeln hervorgezogen, und der Scharf - richter bekam volle Arbeit, indem keinem einigem das Leben geſchencketE 3wurde38wurde. Der Koͤnig empfieng gleichfals eine ſeinen Miſſethaten gemaͤſſe Straſe. Der Tag ſeines Todes war der 22. Jan. 1536. da er zu Muͤn - ſter ſein Leben auf eine entſetzliche Weiſe endigen muſte. Er wurde an einen Pfal gebunden, und um ihn ein kleines Feuer angemacht, welches ihn von ferne lebendig bradte, da man ihn unter dieſer Marter beſtaͤndig mit gluͤenden Zangen riß. Sein zerfleiſchter Coͤrper wurde an den Thurm der Lamberts-Kirche in einem eiſernen Kaͤfig zum ewigen Gedaͤcht - niß aufgehenckt, welcher auch noch alda zu ſehen iſt. Knipperdolling und das geweſene geheime Conſeil erhielte gleichfals eine in einem ſchmertz - haften Tode beſtehende Belohnung, wodurch der Friede in dieſer Stadt wieder hergeſtellt, und dieſe Anabaptiſtiſche Monarchie zerſtoͤret war.

Childron.

Beliebet mir doch noch dieſes eintzige zuſagen, Mylord, ob die Ana - baptiſten ausgerottet und ihre Secten vertilget ſind?

Bingley.

Keines weges, Mylord. Denn ob man ihrer gleich eine groſſe An - zahl hingerichtet, ſo ſind ſie doch nicht zu tilgen geweſen, ja ſie haben ſo gar in Holland unter den Nahmen der Mennoni ſten die Freyheit ihrer Ke - tzerey erhalten / wie ſie ſich denn noch beſtaͤndig des Jahrs zweymahl zu Rhynsbourg, einem zwey Meilen von Leyden gelegenen Dorfe verſam - len, und ihren Gottesdienſt halten, wobey ſo wohl Maͤnnern als Wei - bern zu predigen, und das heil. Abendmahl auszutheilen frey ſteht. Hiermit endigte ſich ihr Anabaptiſten-Geſpraͤche, und ſie beſahen en paſſant das jetzt gemeldete Dorf Rhynsbourg, und auf der andern Seite das von Haag eine Stunde entlegene Schevelingen, wo ſie die Wind - Wagen des Printzens Moritzens von Oranien als eine curieuſe Er - findung betrachteten. Dieſer Printz pflegte oͤffters in Geſellſchafft vieler Standes-Perſonen damit zu fahren, indem 28. Menſchen Platz darinnen finden. Es iſt ein Werck des beruͤhmten Mathematici, Simon Stevini welcher dieſe Wagen mit Raͤdern und Seegeln verſehen hat. Sie gehen auf dem Sande durch die Gewalt des Windes mit ſolcher Geſchwindig - keit fort, daß man in 2. Stunden 14. Hollaͤndiſche Meilen zuruͤck legen kan. Ja die im Wege ſeyende Pfuͤtzen und Graben ſind ihren Lauf aufzuhalten nicht vermoͤgend. Kein Pferd iſt im Stande, ihnen gleich zu laufen, und die darinnen ſitzende Perſonen ſind wegen der unglaublichen Eile denen bey - bergehenden gaͤntzlich unkantbar. Wovon der vortrefliche Hugo Grotius folgende Verſe gemacht:

Ica -39

Icarios hoſpes noli trepidare volatus, Præſcripto poteris dædalus eſſe modo.

Die Lords bezeugten dieſes Kunſt-Stuͤcks wegen eine gerechte Admiration, und kamen endlich in dem ſchoͤnſten Dorfe von der Welt, dem Haag, gluͤcklich an. Sie ruhten dieſe Nacht von denen an dieſem Tage ausgeſtandenen und auf der Reiſe gewoͤhnlichen Beſchwerlichkeiten aus, und nachdem ſie an dieſem Ort, welcher der Verſamlung der General-Staaten eigentlich gewidmet iſt, die deutlichſte Nachricht von dem Hollaͤndiſchen Staat zu erlangen hoffeten, ſo begaben ſie ſich zu dem Raths-Penſionario, Jſaac von Hornbeck, welcher ſie als ſeine alten und noch in dem vorigen Succeſſi - ons-Kriege bekand gewordene Freunde mit der erſinnlichſten Hoͤfflichkeit empfieng, und ſie in ſein beſtes Zimmer einzuſprechen noͤthigte. Sie errin - nerten einander allerhand luſtiger Jugend-Streiche wieder, die ſie in ihrem bluͤhenden Alter vorgenommen hatten, und brachten auf dieſe Weiſe den gantzen Morgen zu, ſahen ſich auch endlich durch die guͤtige Gewalt ihres Freundes gezwungen, Mittags bey ihm zur Tafel zu bleiben. Hier ſahe nun Mylord Bingley Gelegenheit, dem Rath Penſionario ſein Verlangen zu eroͤfnen, welcher ihm darinnen ſoviel als moͤglich zu dienen, und was nicht wider ſeinen Eyd und Gewiſſen lief, zu entdecken verſprach.

Hornbeck.

Das Regiment dieſer Republic, ſagte er, gruͤndet ſich auf unterſchied - liche Regeln, welche man ans den Laͤufften der Zeit und denen dabey ge - fundenen Vortheilen herausgezogen. Die erſte iſt, daß die Hollaͤnder ſu - chen, mit allen und beſonders mit ihren Nachbarn in Fried und Einig - keit zu leben. Denn wie ſie auch in den Haushaltungen bloß darauf ſehen, wie ſie ſich gluͤcklich machen, und alles zu ihrer Familie Wohlfarth ausfuͤh - ren moͤgen, ſo hat dieſes in ihrem Regiment den vornehmſten Grund, daß ſie nichts, was dem Aufnehmen der Republick entgegen zu ſeyn ſcheinet, vor - nehmen werden. Dieſe Ruh zu befoͤrdern, halten ſie die mit auswaͤrtigen geſchloſſene Allianzen ſo viel als moͤglich heilig, und ſehen darauf, die alten zu befeſtigen, und zu verneuern, und nebſt dieſen noch einige andere, ſo das Commercien-Weſen hauptſaͤchlich betreffen, zu errichten. Man bemuͤht ſich in beſtaͤndigen Frieden zu leben, und der Krieg wird als eine vor die Handlung ſchaͤdliche Peſt betrachtet. Vornehmlich huͤtet man ſich mit Franckreich oder Engelland anzubinden, und dieſes geſchieht nicht eher als wenn keine guͤtliche Mittel verfangen wollen. Dennoch aber geben ſie Franckreich fleißig auf die Finger Acht, daß es ſich nicht ſo weit an ihren Grentzen ausbreite, oder ſich mit Engelland alzugenau vereinige.

Bin -40
Bingley.

Dieſes war ohnfehlbar die Urſach, wertheſter Hornbeck, warum die Hollaͤnder den Printzen von Oranien 1688. wider den Koͤnig Jacob II. un - terſtuͤtzten, und dieſen ſo gar vom Throne jagen halfen.

Hornbeck.

Allerdings, Mylord. denn die Macht dieſer beyden vereinten Cronen war alzu gefaͤhrlich, da die hochmuͤthigen Abſichten Ludewigs XIV. und Jacobs II. aller Welt und vornehmlich dieſer Republic Augen auf ſich zie - hen muſten. Denn der erſtere ſuchte den Reſt der vereinigten Niederlan - de, wie ein Morgenbrod wegzuſchnappen, und der andere die Engliſche Freyheit zu unterdruͤcken, und eine tyranniſche Gewalt alda einzufuͤhren. Dieſes war auch der Grund, daß die Hollaͤnder Ludwig XIV. den un - rechtmaͤßigen Beſitz der Spaniſchen Monarchie in ſeinem Enckel Philipp dem V. durch einen ſo langwierigen Krieg ſtreitig machten. Nechſt dieſen zweyen Cronen unterhalten ſie mit den Teutſchen Printzen, beſonders mit dem Hauſe Oeſterreich, und dem Koͤnige von Preuſſen eine genaue Freundſchafft, und alle proteſtantiſche Fuͤrſten ſind ihre Allurten. Mit den Nordiſchen Cronen bemuͤhen ſie ſich gleichfals in gutem Verſtaͤndniß zu le - ben, und geben nicht zu, daß einer den andern unterdruͤcke. Die andre Re - gel beſteht in einer vollkommenen und unpartheyiſchen Juſtiz. Dieſe trifft ohne Unterſchied hoch und nieder, und die Fremden erhalten ſo wohl einen gerechten Ausſpruch, als die b[e]kandteſten und angeſehenſten Leute des Lan - des; welcher doch in zweifelhafften Faͤllen zum Vortheil der Kauſmannſchafft ausfaͤlt. Dieſes loͤbliche Werck in einen deſto vortreflichern Stand zu ſe - tzen, werden nicht nur die Richter aus ſolchen Leuten, welche die Rechte die - ſer Provintzen ſattſam verſtehen, beſtellet, ſondern ihnen auch genau auf die Finger Acht gegeben, daß ſie ſich nicht durch Geld oder andere Geſchen - cke blenden laſſen.

Bingley.

Deßwegen mahlet man die Gerechtigkeit blind, weil ſie kein Anſehn der Perſon beobachten ſoll, und es wird als etwas beſonders angeſehn, daß die Gerechtigkeit auf einem gewiſſen Rathhauſe in Teutſchland mit offenen Augen zu finden iſt. Hierbey faͤlt mir die Hiſtorie von dem Helmſtaͤdti - ſchen Profeſſor Eberlin ein, der kein Geſchencke in ſeinem Leben anzunehmen ſich bewegen laſſen, dahero ſein Bildniß ohne Haͤnd alda mit der Umſchrifft gezeiget wird:

En41
En Eberlinum tibi, qui dum prætulit auro
Iusque fidemque, & opum noluit eſſe cliens.
Munera non cepit, quamuis oblata frequenter,
Hinc eſt effigies, quod careat manibus.

Hornbeck.

Dergleichen Richter ohne Haͤnde, ſind ein rares Geſchenck des Him - mels, welches die dahin entwichene Aſtraͤa noch zu weilen den Sterblichen als ein Zeichen ihrer nicht gaͤntzlich beraubten Gegenwart uͤberlaͤſt. Die dritte Regel, ſo bey dem hoͤllaͤndiſchen Regiment zum Grunde gelegt wird, iſt die Freyheit der Religionen. Denn alhier werden alle Arten Leute gedultet, und iſt faſt keine Secte zu finden, von der man nicht einige Anhaͤnger an - treffen ſolte, und koͤnnen ſie, Mylords, hiervon bey einem beruͤhmten Geiſt - lichen mehrere Erlaͤuterung empfangen. Die vierdte Regel ſtuͤtzet ſich auf die mit ſo viel Stroͤmen Bluts befeſtigte Freyheit, dieſe iſt der Aug-Apfel, woruͤber dieſe Republic ſo ſorgfaͤltig haͤlt, und ſo wohl auf die auswaͤrtigen, daß ſie keinen Schaden leidet, als auch innerlich auf die Jnwohner, und beſonders auf die Perſonen, ſo hohe Aemter verwalten Achtung gibt, daß ſie ſich nicht etwa durch ihr verlangtes Anſehn in die Hoͤhe ſchwingen, und nach der Ober-Herrſchafft ſtreben moͤgen. Viele haben daher Ehre und Leben eingebuͤſſet, welche den Verdacht auf ſich hatten, als haͤtten ſie ge - faͤhrliche Dinge wider den Staat vor. Es erſordern dennoch die oͤffent - lichen Aemter eine unverſaͤlſchte Treue, und bedachtſame Verwaltung der damit verknuͤpften Geſchaͤffte, damit nicht das geringſte zu einigem Miß - trauen Anlaß gebe. Die Wuͤrde eines Raths-Penſionairs, welche ich jetzo zu beſitzen die Ehre habe, iſt vornehmlich von der groͤſten Wichtigkeit.

Bingley.

Duͤrfte ich mir denn eine weitlaͤuftigere Nachricht von euren Verrich - tungen, und was dem anhaͤngig iſt, ausbitten?

Hornbeck.

Hertzlich gerne, Mylord. Ein Rath-Penſionarius von Holland, oder wie er ſonſt genennet wurde, General-Advocat, hat den unterſten Sitz bey der Verſammlung der General-Staaten, und thut den Vortrag von denjenigen Dingen, welche in Berathſchlagung gezogen werden ſollen, iſt aber nicht beſugt, eine Stimme oder Votum deßfals zu geben. Er ſpricht mit allen auswaͤrtigen Geſandten zu erſt, und hoͤrt ihren Vortrag an, ehe ſie in der voͤlligen Verſammlung Audientz haben, ſammlet die Stimmen, uud bringt die Schluͤſſe in ſeine gehoͤrige Ordnung, traͤgt auch vor die Einkuͤnffte und Gerechtigkeiten der Republic Sorge. Bey denFVer -42Verſam̃lungen des Adels ſitzt er mit auf der Adelichen Banck, und iſt ein Mit - glied von dem Staats-Rath. Seine Arbeit iſt entſetzlich, und dieſes iſt leicht zu glauben, wenn man bedencket, daß alle Schreiben aus der gan - tzen Welt, ſo an die Republic gerichtet ſind, von ihm eroͤfnet, und in Vor - trag gebracht werden muͤſſen. Und dennoch iſt die Beſoldung dieſer unſaͤg - lichen Muͤhe nicht gemaͤß, indem ſie ſich kaum auf 24000. hollaͤndiſche Gul - den erſtrecken wird, dahero die Sportuln das beſte thun muͤſſen. Bey die - ſen Umſtaͤnden hat ein ſolcher Staats-Bedienter allerdings alle Gelegenheit zu vermeyden, um durch eine untreue Auffuͤhrung ſich nicht in Gefahr zuſe - tzen, wovon ich unterſchiedliche Exempel beybringen koͤnte, wenn es die Zeit leyden wolte.

Bingley.

Jhr werdet ohne Zweifel, wertheſter Hornbeck, den ſeines grauſamen Todes wegen beruͤhmten Johann von Witt darunter verſtehen, oder ſind es noch andere, die ihr wiſſet, und mir hingegen unbekand ſeyn?

Hornbeck.

Dieſer Witt iſt es nicht allein, der ſich durch ſein Bezeigen Gefahr und Schande zugezogen. Denn wenn wir nur das verfloſſene Seculum mit fluͤchtigen Augen betrachten, ſo finden wir drey merckwuͤrdige Exempel, welche das, was ich geſagt, mehr als zu deutlich beſtaͤrcken. Der erſte Rath-Penſionarius, oder General-Advocat Johann von Olden - barneweld muſte wegen uͤbelgefuͤhrter Verwaltung des ihm anvertrau - ten Amtes, und unzeitiger Einſehung in die Arminianiſchen Haͤndel ſeinen grauen Kopf auf dem Schavot herunter ſchlagen laſſen. Wiewohl er das Gegentheil noch in der letzten Todes-Stunde ſich darzuthun bemuͤhte, da er uͤberlaut ſagte: Jhr lieben Buͤrger, ich ſterbe nicht als ein Lan - des-Verraͤther, ſondern als ein getreuer Patriarch. Der andre war Adrian Paw, welcher aus Gnade und Barmhertzigkeit das Leben zwar behielt, hingegen aber ſeiner Wuͤrde mit ewigen Schimpf entſetzet wurde. Der dritte war gemeldter Johann von Witt, welcher wegen der ſchlechten Verfaſſung bey den Feſtungen, und Militz, auch ungerechtem Haß gegen den Printz von Oranien von dem Poͤbel in dem Haag 1672. auf eine erſtaunlich-tyranniſche Weiſe nebſt ſeinem Bruder, hingerichtet und zerfleiſchet wurde. Hieraus ſehet ihr, Mylord, daß bey dieſer anſehnli - chen Wuͤrde eine Centner ſchwere Buͤrde befindlich iſt.

Bingley.

Jhr gedachtet vorhin, theureſter Hornbeck, daß ein Rath-Penſio -narius43narius zugleich die Einkuͤnffte der Republic zu beſorgen haͤtte. Woher aber nehmen dieſelbigen ihrem Urſprung?

Hornbeck.

Der allgemeine Urſprung iſt aus der Handlung, und denen auf alle Dinge gemachten Anlagen. Denn obgleich das Meer und die Hollaͤn - diſchen Waſſer Fiſche von allerhand Art im Uberfluß hervorbringen: ob die Fruͤchte, Milch, Kaͤſe, Butter, Voͤgel, und fettes Rindvieh gleich in groſ - ſer Anzahl vorhanden iſt, und ob wohl Korn und andere nothwendige Din - ge, die man verlangen kan, aus allerhand Oertern der Welt herbey ge - ſchafft werden, ſo muß man doch geſtehn, daß alles ſehr theuer ſey. Denn die Anzahl der Einwohner iſt faſt unzehlig, und die Jmpoſten ſind auf alle erdenckliche Sachen gelegt. Dieſe werden unvermerckter Weiſe alſo eingeſamlet, daß man ſich daruͤber verwundern muß. Denn das meiſte iſt auf die Eß-Wahren gelegt, dahero diejenigen am meiſten geben muͤſſen, die am meiſten verzehren, auf welche Art zugleich die Acciſe und der Preiß der Waaren in eins gebracht wird. Jhr koͤnnet alſo Mylord, erachten, daß dieſes nicht der geringſte Weg zu unſern Einkuͤnfften ſey, da die daraus - gezogene Summen eine unbeſchreibliche Anzahl ausmachten. Denn euch um deſto mehr davon zu beſtaͤrcken, ſo kan ich verſichern, daß keine Schuͤſ - ſel Fleiſch auf den Tiſch koͤmt, ohne vorher zwantzigfachen Acciß bezahlt zu haben. Und dennoch wiſſen die wenigſten, daß ſie Acciſe bezahlen, ſon - dern halten es vor den ordentlichen Preiß, an welchen ſie einmahl gewoͤh - net, da zumahl dieſe Auflagen nicht zu einer Zeit, ſondern nach und nach bey erheiſchender Nothdurfft entſtanden ſind, wiewohl es doch nicht allezeit ſo leer abgegangen, daß nicht in manchen Staͤdten ein Tumult entſtanden waͤr, welcher aber durch die Klugheit der Magiſtrate bald wider geſtillet worden. Wenn die Republic in Krieg geraͤth, iſt ein jeder den 200ſten Pfennig von ſeinem Vermoͤgen abzugeben ſchuldig, wovon aber diejenigen ausgenommen ſind, welche mit einem Eyde verſichern, daß ſie nicht 600. Rth. an Capitalien beſitzen. Der groͤſte Acciß iſt auf Bier und Wein, denn er iſt gedoppelt. Die Buͤrger bezahlen 1. Gr. von jeder Kanne, die aber, ſo Wirthſchafft treiben, muͤſſen bey nahe 2. Gr. geben. Dieſe muͤſſen ei - nen Rthl. und 18. Gr. von jeder Tonne Bier geben, da die Buͤrger nur 1. Rthl. und drittehalben Groſchen bezahlen, wiewohl auch die Acciſe nicht in allen Staͤdten gleich ſind.

Bingley.

Aus eurer Erzehlung, unvergleichlicher Hornbeck! kan man urtheilen,F 2daß44daß die Hollaͤnder, welche mit ſo groſſer Hartnaͤckigkeit vor die Freyheit ge - ſtritten haben, und zum Theil von den Laſten, ſo ihnen von Spanien aufge - legt werden wollen, befreyet zu ſeyn, jetzo weit mehr damit uͤberladen ſind, als damahls. Wie geht es demnach zu, daß ſie zu dieſen Auflagen eine ſo ungewoͤhnliche Gedult bezeigen?

Hornbeck.

Davon iſt die vortrefliche Auffuͤhrung und Polidique der Magiſtrate ſchuld. Denn man fordert nichts mit dem Pruͤgel in der Hand, oder mit einer vor Sclaven gehoͤrigen Wildheit von ihnen. Sie ſehen, daß das Geld nicht unnuͤtze Weiſe verſchwendet, ſondern zu Behauptung der unſchaͤtzbaren, und mit ſo vielem Blut erworbenen Freyheit angewendet wird. Wozu die Sicherheit ihrer Guͤter und Leben mitgerechnet werden muß, welche haupt - ſaͤchlich mit in Erbau - und Unterhaltung der koſtbaren Daͤmme und Schleu - ſen beſtehet, um von den oͤffters aufgeſchwollenen Wellen nicht uͤberſchwem - met zu werden.

Bingley.

Gewiß, die Erfindungen, ſo groſſe Summen Geldes zu erheben, ſind zu verwundern. Wiewohl es richtig iſt, daß man mit Leutſeeligkeit drey - mahl mehr auch bey den wildeſten Gemuͤthern ausrichten koͤnne, als mit ei - ner hochmuͤthigen Brutalitaͤt. Als die Trouppen des groſſen Alexanders in voͤlliger Rebellion, und von den noch treugebliebenen Feldherrn nicht mehr zu baͤndigen waren, ſo wurde dennoch der bezeigte Trotz geſchwinde in eine de - muͤthige Unterwerſung verwandelt, da dieſer Koͤnig ſelbſt erſchien, und ſie mit der ihm angebohrnen angenehmen Gelindigkeit in Augenblick beſaͤnfftig - te. Eben ſo ergieng es bey denen wegen der Acciſe entſtandenen Tumulten, wovon ihr wertheſter Hornbeck, vorhin gedachtet, indem das ſanfftmuͤthige Bezeigen, der Magiſtrats-Perſonen, einen beſſern Erfolg, als etliche tau - ſend Soldaten zu wege brachte. Von dem, was ihr mir zu eroͤfnen beliebt gehabt, iſt mir zwar das meiſte ſchon bewuſt, ich habe es aber dennoch mit groſſem Vergnuͤgen angehoͤret, weil es aus eurem Munde gefloſſen, und ihr wuͤrdet dieſes Vergnuͤgen verdoppeln, wenn ihr durch eine kurtze Nachricht von dem Urſprung und Merckwuͤrdigkeiten des weltberuͤhmten Haag mich zu noch mehrerer Verbindlichkeit bewegen woltet.

Hornbeck.

Eure Hoͤflichkeit iſt zu groß, und mein Unvermoͤgen zu bekand, als daß ich euren Worten, welche ich nur als einen Befehl anſehe, Glauben beymeſſen koͤnte. Man nennet dieſen Ort gemeiniglich das ſchoͤnſte Dorf von der Welt, welches einigermaſſen wahr iſt, ſintemahl er weder Man -ren,45ren, noch das Recht hat, deputirte zu den Landes-Staͤnden zu ſchicken. Doch wenn man die Anzahl ſeiner Einwohner, die Menge der daſelbſt ſich aufhaltenden Standes-Perſonen, die illuſtren Verſammlungen, ſo darinnen gehalten werden, und andre Umſtaͤnde mehr in Erwegung ziehet, ſo wird ihr Niemand den Rang einer Stadt, den ſie ohne dem vermoͤge eines Privilegii fuͤhren koͤnte, ſtreitig machen. So wenig ſie einem hollaͤndiſchen Platze, zwey oder drey ausgenommen, an Reichthum und Groͤſſe weicht, ſo wenig, gibt ſie ihnen auch in Betrachtung des Alterthums etwas nach. Denn des Gravenhags iſt ſchon lange vor Zeiten Florentin des II. Grafens von Holland, der um die Mitte des 11ten Seculi lebte, gedacht worden. Sei - ne Lage iſt, wie ihr ſelbſt geſtehen muͤſſet Mylord, ohne Zweifel die Luſtig - ſte dieſes Landes. Er iſt nicht weiter als eine Stunde von Meere entlegen, von dem er durch nichts, als die Sand-Huͤgel, ſo man Duͤnen nennet, geſchieden wird. Er begreifft in ſeinem Umfang zwey kleine Stunden, und iſt ſtatt der Mauren mit einem breiten Graben umſchloſſen, uͤber welchen bey den vornehmſten Eingaͤngen Zug-Bruͤcken gehen. Rund herum ge - hen die lieblichſten Alleen, und auf dreyen Wegen ſind ihrer desgleichen, biß nach Delfft, Losduin, und dem Strand des Meeres. Die Gaſ - ſen ſind breit, ſauber, und prangen zum Theil mit den koſtbarſten Pallaͤ - ſten. Sie ſind beſtaͤndig mit einer groſſen Anzahl allerhand Leuten angefuͤl - let, und die Caroſſen gehen ſo haͤufig, daß man oͤffters ſtille zu ſtehen genoͤ - thiget wird. Man ſiehet alhier ſechs biß ſieben Plaͤtze, welche theils zum Zierrath, theils Handel und Wandel dienen. Der Buitenhof, welcher ein laͤnglich viereckichter Platz iſt, wird von lauter ſchoͤnen Gebaͤuden, und in Ordnung geſtellten Baͤumen umgeben, auſſer an einer Seite, da man hingegen eine vortrefflich ſchoͤne Ausſicht davon genieſſet. Etliche hundert Schritt drauf koͤmt man auf den Voorhut, der ein groſſer Platz iſt, da mit - ten durch eine mit Sand beſtreute Allee geht. Sie iſt zum Spatziergehen gewidmet, daher man Sontags ſonderlich bey ſchoͤnem Wetter den groͤſten Zulauf von allerhand Arten Menſchen wahrnimmt. Die Damen kommen oͤffters in ihren Nacht-Habiten dahin, und die Buͤrger in Schlaf-Roͤcken. Man trifft Baͤncke zum Niederſitzen, und vielerley wohlklingende Jnſtru - mente alda an, damit der duͤrre Sand auch nicht durch ſein Aufſteigen be - ſchwerlich fallen moͤge, muß des Sommers ihn ein dazu verordneter Kerl etliche mahl des Tags durch eine Maſchine anfeuchten, welche voll Waſſer iſt und von 2. Pferden gezogen wird. Der ſogenannte Hoff iſt der ehe - mahligen Grafen von Holland. Wilhelm der II. ſiebzehendter Graf von Holland, und Roͤmiſcher Koͤnig, ließ ihn nebſt der Capelle 1250. F 3auf -46aufbauen. Der groſſe Saal iſt ein Zeichen von der Pracht der damahligen Zeiten. Das Gelaͤnder iſt von dem Jrrlaͤndiſchen Holtze gemacht, wel - ches von keinen Wuͤrmern zerfreſſen werden kan, und dahero noch vollkom - men gut iſt. Er iſt mit vielen eroberten Flaggen, Fahnen und Standar - ten ausgezieret, die den Feinden des Staats abgenommen worden, wovon ſonderlich eine ziemliche Anzahl von denen, ſo man 1704. von den Frantzo - ſen bey Hoͤchſtaͤdt erbeutet, zu finden iſt, dieſes Hauß war ſonſt die Woh - nung der Stadthalter, und noch jetzo der Ort, wo ſich die General-Staa - ten und die andern vornehmen Collegia, als der Staats-Rath verſamm - len. Daran ſtoͤſt ein praͤchtiges Gebaͤu, welches ſeine Erbauung dem Printz Moritz von Naſſau zu dancken hat. Dieſer war Stadthalter in Braſilien, welches die Hollaͤnder damahls beſaſſen, und ſchmuͤckte es mit den rareſten Americaniſchen Dingen aus. Jetzo iſt es das Hauß, wo die ankommende Geſandten auf Koſten der Republic drey oder vier Tage lang auf das koſt - barſte tractiret werden. Der Magiſtrat von Haag beſtehet aus 26. Perſonen. Das Rathhauß iſt klein, und hat nichts beſonders an ſich. Das Zuchthauß, welches man das Spinnhauß nennet, begreift viel lie - derliche Weibs-Bilder in ſich, und iſt ſo groß, daß es auch ein oͤffentliches Gefaͤngniß abgibt, und der Lombard darinnen befindlich iſt.

Bingley.

Jſt dieſes nicht ſo viel, als das, was man anderwerts Mont de pietè heiſt, da man gegen Pfand um einen leidlichen Zinß, Geld nach belieben be - kommen kan?

Hornbeck.

Ja, Mylord. Das eigentliche Abſehen davon iſt, damit die Geld - beduͤrfftigen Leute, nicht etwa gar, wie an einigen Orten geſchieht, Pfen - nig-Zinß geben muͤſſen. An Kirchen iſt alhier ſo wenig als andern Din - gen ein Mangel. Die Reformirten haben auſſer dem Tempel im Hoff, noch drey, wovon die ſogenannte groſſe merckwuͤrdig iſt. Man ſiehet da - rinnen das marmerne Grabmahl des 1665. in der Schlacht mit den En - gellaͤndern in die Lufftgeſprengten Amirals Waſſenaer d Obdam. Die Arminianer haben auch eine groſſe Kirche bey dem Canal von Prin - ce-Graft. Der Lutheraner ihre iſt nicht weit davon, und die Catho - liquen haben auch ihre beſtimmte Oerter. Selbſt die Juden haben zwey Synagogen, wenn man bey dem Voorhout her koͤmmt. Hoſpitaͤler ſind gleichfals vorhanden, und ihr Einkommen iſt zu Unterhaltung vieler armen Leute vermoͤgend. Man hat auch in unterſchiedlichen Gegenden der Stadt gewiſſe Haͤuſer, ſo den Nahmen Hoffes fuͤhren, wo alte und un -vermoͤ -47vermoͤgende Perſonen umſonſt unterhalten werden. Die ſchoͤnen Haͤuſer ſind hier ſo gemein, daß euch, Mylord, die Beſchreibung davon verdruͤß - lich fallen wuͤrde. Eine jede Stadt, ſo eine Stimme zu geben befugt iſt, unterhaͤlt hier ein praͤchtiges Hauß, welches die Oſt-Jndiſche Geſellſchafft dergleichen thut. Die anſehnlichſten Pallaͤſte aber ſind laͤngſt dem Canal, Princegrafft in Buitenhof, bey dem Plain, Vivier, und in dem Voor - hout. Das Hauß, worinnen einige Printzen und verwittwete Printzeßin - nen von Oranien gewohnet, iſt eines der praͤchtigſten. Es liegt in der Straſſe, ſo Noorteinde heiſt, und iſt durch unterſchiedene Veraͤnderungen, auf Befehl Jhro Maj. des Koͤnigs von Preuſſen, welche es aus der Orani - ſchen Erbſchafft beſitzen, auf das koſtbarſte vermehret, und der Eintritt in die unvergleichlichen Gaͤrten einem jeden erlaubet worden. Jedoch die vor - treffliche Gegend, die geſunde Lufft, und die praͤchtigen Gebaͤude ma - chen nicht allein Haag angenehm und Volckreich, ſondern ohne die Ge - ſandten, deren Wuͤrde ihnen dieſen Ort zum Aufenthalt beſtimmet, ſind noch ſo viel Standes-Perſonen, Deputirte aus den Provintzen, Civil - und Militair-Bedienten, reiche und ohne Handlung lebende Leute, mit einem Wort, ſo vielerley Menſchen da, welche durch ihren groſſen Staat und Auffuͤhrung machen, daß es nothwendig ſchoͤne hier ausſehen muß. Daher mangelt es auch an Ergoͤtzlichkeiten nicht. Faſt taͤglich iſt Opera oder Comoͤdie in frantzoͤſiſcher und flaͤmmiſcher Sprache, und im Winter ſiehet man die ſchoͤnſten Schlitten von der Welt bey Voorhout und Vivier herum fahren. Die Maͤrckte oder Kermis ſind nicht weniger zu den vergnuͤgenden Dingen zu rechnen.

Bingley.

Vielleicht hat das Kermis mit dem Teutſchen Kirmſe, wie die da - ſigen Bauern ſprechen, eine Gemeinſchafft, und kan wohl gar eins von den andern herkommen.

Hornbeck.

Jhr ſchertzet, Mylord, und ich bin verſichert, daß ihr den Unter - ſcheid beſſer wiſſet, als ihr euch ſtellet. Der Jahrmarckt, ſo in Haag zu - ſeyn pflegt, iſt in May, und dauert acht Tage, binnen welcher Zeit das Frauenzimmer in Maſquen erſcheinet, und Koͤrbgen mit allerhand Klei - nigkeiten traͤgt, welche es denjenigen mit welchen es bekand iſt, austheilt, und davor, doch alles masquirt, wider Geſchencke von gleichem Werth erhaͤlt.

Bin -48
Bingley.

Hierbey faͤlt mir eine Begebenheit ein, welche ſich zu der Zeit, da ich auch einmahl hier war, zugetragen. Ein gewiſſer Graf, welcher mit ei - ner vornehmen Dame in ziemlich genaue Bekandſchafft gekommen ſeyn mochte, oder es doch wenigſtens wuͤnſchte, indem man ihn alle Tage zehn - mahl durch die Straſſe, wo ſeine Amaſia wohnte, laufen ſah, ergriff die Gelegenheit des Jahrmarckts, unter der Maſque mit ihr zu ſprechen. Er war ſeiner Meynung nach auch ſo gluͤcklich, ſie anzutreffen, und von ihr ein paar ſilberne Hemde-Knoͤpffe zum Jahrmarckt zu erhalten. Die Liebe ſpornte ihn an, ſich recht bey ihr einzuſchmeicheln, und kaufte ihr alſo im Augenblick eine goldene Tabattiere, und uͤberauskoſtbaren Fiſchbein - Rock. Sie machte ihm davor ein verpflichtetes Compliment, und er meyn - te nun, er ſaͤß der Liebe voͤllig im Schooſſe. Aber wie erſchrack der arme Graf nicht, da er kurtz darauf, in Compagnie kam, und ein ihm unbekand - tes Frauenzimmer in dem geſchenckten Reif-Rock erblickte. Er vermeynte ſeinem Zweifel abzuhelfen, wenn er mit ihr ſprechen koͤnte, und hierzu fand ſich Gelegenheit. Doch ſein Erſtaunen war nicht geringe, da ſie mit der Tabattiere heraus gewiſcht kam, und ihm ein Schnuͤpfgen praͤſentirte. Er ſahe alſo, daß er ſein Angebinde an einem unrechten Orte angebracht hatte, und war doch noch ſo geſcheut, daß ers ſich nicht mercken ließ, aber dennoch nicht verhindern konte, daß es nicht auf andre Art bekand worden waͤr.

Hornbeck.

Dergleichen Streiche widerfahren noch mehrern, und mancher wird durch die Sprache, ſo mit ſeiner Geliebten ihrer eine Gleichheit hat, dahin verfuͤhret, daß er ihr ſo viel ſuͤſſes vorſchwatzt, welches hernach zu lauter Raillerien Anlaß gibt. Jch koͤnte noch weit mehrers von dem beliebten Haag erzehlen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤſte, eure Gedult, Mylord, alzulange auf die Probe zuſtellen. Denn was ich anjetzo geſagt, iſt nur das vornehmſte, und ich habe aus dem Uberfluß das merckwuͤrdigſte heraus ge - nommen. Mylord Bingley war damit vollkommen zufrieden, und bezeugte ſeine Erkentlichkeit durch eine weitlaͤufftige Abſtattung des verbundenſten Dancks. Nachdem er ſich auch noch etwas aufgehalten, nahm er mit ſeinem Freunde, Mylord Childron, von dem vortreflichen Hornbeck Ab - ſchied, und begab ſich nach ſeiner Wohnung. Sie brachten das uͤbrige des Tages zu, um dasjenige, wovon fruͤh geſprochen worden war, in Augen - ſchein zu nehmen, und nahmen ſich darauf vor, den andern Morgen drauf aufzubrechen, und die da herum liegende Schloͤſſer, gleichfals zu beſchauen. Jhren49Jhren Vorſatz richteten ſie demnach ins Werck. Sie beſahen zufoͤrderſt das ſchoͤne Hauß, ſo la Princeſſe genennet wird, und von Amelie von Solms, Wittwe des Printz Friedrich Henrichs erbauet iſt. Es be - ſtehet faſt bloß aus einem groſſen Saal, ſeine Annehmlichkeiten aber, ſind dennoch, ſonderlich wegen der darinnen befindlichen Gemaͤhlde vortreflich. Das artige Hauß, Clingendall, nebſt dem daran liegenden ſchoͤnen Gar - ten, nicht weniger das praͤchtige Voorburg war nicht weniger vermoͤgend, ſie einige Zeit aufzuhalten. Endlich kamen ſie nach Ryswick, welches ſie einer genauen Betrachtung vornehmlich wuͤrdig ſchaͤtzten. Dieſes uͤberaus - angenehme Dorf liegt nicht weiter als eine kleine Stunde von Haag, und man kan durch einen ebengemachten und mit Alleen beſetzten Weg dahin ge - langen. Es gehoͤrte ſonſt dem Koͤnig Wilhelm III. von Engelland, jetzo aber aus der Oraniſchen Erbſchafft Jhro Maj. dem Koͤnige von Preuſſen. Auf dem alhier befindlichen Pallaſt, der nur einen Piſtolen-Schuß von dem Dorfe liegt, wurde 1697. der beruͤhmte Ryßwickiſche Friede geſchloſſen. Das Gebaͤude, ſo ſeinen Urſprung dem obgedachten Printz Friederich Hen - rich zuzuſchreiben hat, beſtehet aus drey Fluͤgeln, davon der mittelſte zwey - mahl ſo breit iſt, als die andern beyde. Dieſer Ort wurde zu den Friedens - Conferenzen um deſto bequemer gehalten, weil er auf dem halben Wege zwiſchen Haag, wo die Bevollmaͤchtigten der hohen Alliirten waren, und Delfft liegt, wo die Frantzoͤſiſchen ſich aufhielten. Die Beſcheffenheit des Gebaͤudes war auch ſo beſchaffen, daß man die Strittigkeiten wegen des Rangs vermeyden konte. Der vornehmſte Eingang war allein dem Me - diateur welches der Koͤnig von Schweden war, deſſen Geſandten der Graf Bande, und Baron von Lilienroth geweſen, vergoͤnnet. Auf beyden Sei - ten des daran liegenden Waͤldgens waren bloß zu dieſem Wercke zwey Ein - gaͤnge gemacht, welche zu den zwey Fluͤgeln, wovon ich geredet fuͤhrten, von da man ſich durch die Gallerien in den mittelſten begeben konte. Die Miniſter der hohen Alliirten hatten wegen Jhrer Kayſ. Maj. die rechte Seite des Wegs, und die Frantzoͤſiſchen die Lincke, und dergleichen geſchah auch mit den Fluͤgeln, da der Mediator in den mittelſten war, und auf bey - den Seiten vermittelte. Die Zugaͤnge und Thuͤren waren durch hollaͤn - diſche Soldaten beſetzt, welche aber von dem Mediateur dependirten. Nachdem ſie dieſen weltberuͤhmten Ort genugſam beſchauet hatten, begaben ſie ſich nach Loßdrin, welches zum theil der Gerichtsbarkeit von Delfft, theils von Haag unterworfen iſt. Dieſes iſt der andre Weg, da man von dem letztern Platze aus in einer mit Alleen beſetzten Straſſe biß hieher kom - men, und an den Ufer eines ſchoͤnen Canals fortgehen kan. Die KircheGwar50war ſonſt ein Adeliches Nonnen-Cloſter, und durch die Margaretha, Graͤ - fin von Holland, deren Tochter die beruͤhmte Machtilde geweſen, 1267. ge - ſtifftet. Hierbey fragte Childron ſeinen Freund:

Childron.

Was iſt denn die Urſach, daß ihr ſie vor beruͤhmt ausgebt, Mylord?

Bingley.

Es iſt eine curieuſe Hiſtorie, darzu ein ſtarcker Glauben gehoͤret. Es iſt einſtens zu dieſer Graͤfin eine Bettelfrau gekommen, die zwey Kinder auf den Armen getragen, und von der Graͤfin angefahren worden, daß die - ſe Kinder unmoͤglich von einem Manne, und folglich Hur-Kinder waͤren. Die Frau aͤrgerte ſich daruͤber und wuͤnſchte der Graͤfin, daß ſie ſo viel Kin - der auf einmahl, als Tage im Jahre gebaͤhren moͤchte. Dieſes geſchah noch in demſelben Jahre 1276. und zwar an dem Freytage vor Oſtern in dem 42. Jahr ihres Alters. Dieſe 365. Kinder wurden noch an dem Ta - ge von Otto, dem Biſchof von Utrecht, oder wie andre ſagen, Wilhelm, Biſchoffen von Trier getauft, und die Knaben Johannes, die Maͤdgen aber Eliſabeth genennet, ſtarben aber noch alle denſelben Tag. Jnzwi - ſchen kan ich mich nicht diſpenſiren zu ſagen, daß es mir zu glauben unmoͤg - lich vorkoͤmmt.

Childron.

Warum, Mylord, ſolte dieſes nicht moͤglich ſeyn. Hat man doch mehr Exempel, da eine Frau auf einmahl viele Kinder gebohren.

Bingley.

Ja, etwa drey oder vier, aber nicht 365. Jch moͤchte nur die Kin - dergen geſehen haben, was ſie vor eine Geſtalt gehabt haͤtten.

Childron.

Man weiß zwar keine Hiſtorie mehr, daß eine Frau 365. Kinder auf einmahl zur Welt gebracht haͤtte, aber doch weniger. Albertus Ma - gnus erzehlet, daß zu ſeiner Zeit eine Frau in Teutſchland 150. Kinder ge - bohren. Und Johannes Picode Mirandula berichtet, daß in ſeinem Lande eine Frau auf 2. mahl eine Gebaͤhrerin von 21. Kindern, als das erſtemahl 9. und darauf 11. geweſen waͤre. Und es mangelt nicht an mehrern Exempeln, die ich euch auch zuerzehlen bereit bin, wenn es euch gefaͤllig iſt.

Bingley.

Jch bin euch vor dieſe Muͤhe verbunden, Mylord, aber noch nicht von der Wahrheit uͤberzeugt, denn ohne die bekandte Regel: Exempla nonpro -51probant ſed illuſtrant, hierzu gebrauchen, ſo iſt bey euren Exempeln nichts Grundfeſtes, da der Albertus ſchon lange den Ruhm hat, daß er Maͤhrgen einzuſtreuen pflege, und ſein Maul kein Evangelien-Buch ſey, auch die an - dre Hiſtorie zu nichts diene, weil ſie gar zu ſehr abſchnapt, und von 150. auf einmahl auf 11. herunter koͤmt.

Childron.

Man ſiehet aber dieſe Geſchichte in beſagter Kirche auf einer langen Tafel, neben welcher die beyden meßingernen Becken, woraus dieſe Kinder getauft, worden, haͤngen, ausfuͤhrlich beſchrieben, wobey ſo gar dieſe Verſe ſtehen:

En tibi monſtroſum nimis & memorabile factum
Quale nec a mundi conditione dalum,

und unten drunter:

Hæc lege, mox animo ſtupefactus, Lector, abibis.
Bingley.

Jch kan es euch zu gefallen, wohl endlich glauben, daß aber dieſes letztere, was ihr geſagt, gleichfals nicht unwiderleglich ſey, iſt daraus zu - ſehen, daß auch in einer gewiſſen Kirche bey den Catholiſchen der Herr Chri - ſtus mit ſeinen Juͤngern an Tiſche ſitzend abgemahlet iſt, und in der Schuͤſ - ſel einen groſſen Fiſch vor ſich liegen hat, da man doch gewiß weiß, daß es ein Lamm geweſen. Jedoch dem mag ſeyn wie ihm will, ſo iſt es gut, daß heute zu tage die Weiber nicht mehr ſo viel Kinder kriegen ſonſt man - cher Mann ſich wuͤrde verlaufen muͤſſen.

Childron.

Jhr habt Recht, Mylord, und ich entſinne mich wie einsmahls ei - nem ſo Angſt geweſen, welcher bey herannahenden Gebuhrts-Schmertzen ſei - ner Frau in den Garten gegangen, und daſelbſt wegen gluͤcklicher Entbin - dung den Himmel anflehen wollen. Da er nun eine Weile gebetet, koͤmt die Bothſchafft, daß ſie eines Sohns geneſen. Er danckt dem Himmel davor, und indem koͤmmt ein anderer, und ſagt, ſeine Frau haͤtte noch ei - nen Sohn, er laͤſt ſich auch dieſes gefallen, und betet fort, als aber der dritte Bote mit der Nachricht erſcheinet, daß ſie noch eine Tochter gebohren haͤtte, ſo hoͤrt er voller Ungedult auf, und ſpricht: Jch muß nur das Beten ſeyn laſſen, denn wenn ich damit continuire bete ich mir die gantze Stube voll. Bingley lachte uͤber dieſe Begebenheit, und ſie ſetzten ihren Weg unter vielerley Geſpraͤchen fort, daß ſie, ehe ſie ſichs vermu - theten, in dem luſtigen Delfft anlangten. Da ſie noch eine Stunde davon wa - ren, hoͤrten ſie ſchon das unvergleichliche Glockenſpiel, welches aus mehr alsG 2800.52800. Glocken von allerhand Groͤſſe beſtehet, und durch die vortreffliche Zu - ſammenſtimmung die Gemuͤther zu einer beſondern Aufmerckſamkeit und An - dacht anzulocken weiß. Jhr erſtes war, da ſie in dem Gaſthoſe zum ſil - bernen Loͤwen abgetreten waren, daß ſie ſich beyderſeits zu dem weltbe - ruͤhmten Mathemathico, Anton von Loͤwenhoeck, vermoͤge der mit die - ſem grundgelehrten Mann in vorigem Succeßions-Krieg gepflogenen Freundſchafft, hinbegaben. Er empfieng ſie alſo, wie man mit Freunden, die man in ſo langen Jahren zu ſprechen das Vergnuͤgen nicht gehabt, umzu - gehen pflegt, und fuͤhrte ſie ſo gleich in ſeine Studier-Stube, weil er ſich noch wohl zu errinnern wuſte, daß der Lord Bingley vor dem mehr Luſt in dieſer, als in der ſchoͤnſten Gaſt - und Audienz-Stube gefunden. Er zeigte ihm die koſtbaren Jnſtrumenta, und Microſcopia, die er zu er - finden das ausnehmende Gluͤck gehabt. Er bewieß ihm, daß in dem Eßig viel Millionen kleine und in einander gewickelte Schlangen, in dem menſch - lichen Saamen nicht weniger Wuͤrmer, und die Kaͤſe-Moͤllen, ſo tauſendweiſe herum kriechen, den kleinen Schweinen aͤhnlich waͤren. Er zeigte ihm durch die zaͤrteſten Microſcopia, daß das Saltz aus lauter Spitzen und Ecken, welche die Zunge biſſen und ſtaͤchen, der Zucker, aus lauter Kuͤgelgen, welche der Zunge angenehm fielen, beſtuͤnde. Die - ſes bewog den Lord uͤberlaut zu ſagen:

Bingley.

Unvergleichlicher Loͤwenhoeck! Wie hoch ſteigt nicht der Menſchen - Witz, und wie viel iſt euch die gelehrte Welt nicht dieſer Erfindungen we - gen ſchuldig? Solte man wohl Schlangen in Eßig, und Wuͤrmer in den Saamen zu ſeyn glauben, wenn nicht die Augen zu deſſen Verſicherung dabey dienten?

Löwenhœck.

Ach! Mylord. Dieſes ſind noch lange nicht alle Geheimniſſe, wel - che in der Natur verborgen ſtecken, und durch die Microſcopia eroͤfnet wor - den ſind. Sehet nur, Mylord, ein Haar an, und geſtehet mir offenher - tzig, ob es nicht wie ein dicker runder Balcken, der noch dazu durch und durch hohl iſt, ausſieht.

Bingley.

Es iſt wahr, und man kan ſich uͤber dieſe Betrachtungen nicht genug verwundern. Denn wenn man bedencket, wie zart und klein ein Haar ſey, ſo muß man uͤber deſſen Structur in Erſtaunen gerathen.

Löwen -53
Löwenhœck.

Der Fluͤgel eines Sommer-Vogels beſtehet aus unzehlig viel klei - nen Edergen, und auch die kleinſten Thiere, die Wuͤrmer in Saamen, Schlangen in Eßig, und Moͤllen in Kaͤſe mit eingeſchloſſen, muͤſſen ihre vollkommenſte Gliedmaſen habin, welche zur Reinigung, Zeugung, Nahrung ꝛc. gehoͤren. Man ſiehet, Mylord, wie in dem kleinſten Fiſch - gen das Gebluͤte in den Adern herum walle, indem dieſes nichts anders als kleine Kuͤgelgen ſcheinen. Der Fuß einer Muͤcke hat vorne rechte Klauen, welche einer Baͤren-Tatze ziemlich gleich koͤmmt. Jedoch wer wolte im Stande ſeyn, alle Experimenta von den Microſcopiis in ſo kurtzer Zeit her zuerzehlen.

Bingley.

Jch bin euch vor dieſe Muͤh verbunden, vortrefflicher Loͤwenhoeck, und werde mir Gelegenheit ausbitten, mit euch dieſer wegen einandermahl etwas weitlaͤufftiger zu ſprechen. Setzet aber, bitte ich, dieſer Gewogen - heit noch ein Zeichen zu, und gebet mir einige Nachrichten, als die mir nicht voͤllig bekandt, auch zum Theil wegen Laͤnge der Zeit wieder entfallen ſind, von dem Urſprung und Beſchaffenheit der Stadt Delfft.

Löwenhœck.

Delfft iſt die dritte unter den Hollaͤndiſchen Staͤdten, ſo Deputirte zu der Verſammlung der Staaten ſchicken. Den Nahmen fuͤhret ſie ohne Zweifel von dem Graben, welche Ludovicus Bavarus den Buͤrgern aus dem Fluß Scia in die Maaß zufuͤhren erlaubt hat: wie denn Delven oder Dilven in Holland ein Graben heiſt. Jhre Erbauung ſchreibt ſie dem bucklichten Hertzog von Lothringen, Gottfried, zu, welcher bey dem kur - tzen Beſitz der Niederlande ſie 1075. erbauet, oder wenigſtens erweitet ha - ben ſolle. Das Waſſer lauft, wie ihr ſehet, durch alle Gaſſen, und traͤgt nicht wenig zu einer bequemen Reinlichkeit bey. Das Rathhauß iſt ein praͤchtiges Gebaͤude, und pranget mit vielem vortrefflichen Thuͤrmen und Glockenſpiel. Uber der Thuͤr des Rathhauſes ſtehen folgende bekande doch artige Verſe:

Hic locus odit, amat, punit, conſervat, honorat,
Nequitiam, pacem, crimina, jura, probos.

Nahe dabey iſt das Agathen-Kloſter, oder ſogenannte, Hippolydi-Kir - che, alwo der Printz Wilhelm von Oranien den 10. Julii 1584. an der Tafel ermordet wurde, und die Merckmahle der an die Wand geprallten Kugeln geben noch ein trauriges Andencken. Dieſe Stadt iſt eine von denG 3rein -54reinlichſten und anſehnlichſten in Holland, und das Spruͤchwort: Man wuͤrde Delfft bewundern, wenn es nicht in dem Lande der ſchoͤ - nen Staͤdte laͤg, hat ſeine vollkommene Richtigkeit.

Bingley.

Was hat es denn vor eine Bewandniß mit dem Delfftiſchen Wei - ber-Lerm.

Löwenhœck.

Es war 1615. von dem Magiſtrat alhier eine neue Auflage auf die Eß-Wahren aufgebracht worden, weil nun die Weiber die Kuͤche zu be - ſorgen pflegen, und gleichwohl alle gern ein Kuͤchen-Bißgen vor ſich be - halten wolten, durch dieſen Jmpoſt aber groͤſtentheils darum gebracht wor - den, ſo geriethen ſie in eine ſolche Wuth, daß ſie mit um den Kopf fliegen - den Haaren zuſammen liefen, das Rath und-Accis-Hauß ſtuͤrmten, und den Magiſtrat, zwangen, die Anlage wieder abzuſchaffen.

Bingley.

Es iſt wahr, wertheſter Loͤwenhoeck, eine boͤſe Frau iſt ein rechter eingefleiſchter Kobold, und aͤrger als die Hoͤlle. Dieſes iſt, die taͤg - liche Erfahrung vor dißmahl bey Seite geſetzt, aus folgender Hiſtorie zu erſehen. Es kamen einsmahls in einem Jahre mehr als drey Millionen Maͤnner in die Hoͤlle, welche einmuͤthig bejahten, daß ſie von ihren boͤſen Weibern in dieſes Ungluͤck geſtuͤrtzt worden waͤren. Der Regent dieſer feu - rigen Reiche, Pluto, gerieth hieruͤber in keine geringe Verwunderung, und trug dieſes in ſeinem geheimen Conſeil zur Uberlegung vor, ob es wohl moͤg - lich waͤre, daß die Weiber dergleichen, als von ihnen geſagt wuͤrde, bege - hen koͤnten. Die wenigſten Stimmen gaben dieſem Geruͤchte Beyfall, und ſchrieben es einem ungerechten Haß zu, den die Maͤnner nach ihrem Tod - te zu den Weibern truͤgen. Jnzwiſchen war der maͤchtige Pluto dennoch ſo neugierig, die Gewißheit davon zu erfahren, daß er einen von ſeinen teuf - liſchen Unterthanen in die Welt zu ſchicken entſchloß. Keiner wolte ſich zu dieſer gefaͤhrlichen Commißion gebrauchen laſſen, daß endlich der Ausſpruch fiel, es ſolte einer durch das Loß erwehlet werden. Dieſes traf nun den Belfegor, welcher einer von den anſehnlichſten Teufeln war, und den Poſten eines Generals der Koͤniglich-Plutoniſchen Leib-Garde beſaß. Er ſahe ſich durch den Befehl ſeines Herrn, und das Urtheil des Gluͤckes ver - bunden, ſich auf die Reiſe in die Ober-Welt zu machen. Es wurde ihm dabey dieſe Jnſtruction mitgegeben, daß er vor die erhaltene Million Tha - ler zehn Jahr auf der Welt zu leben ſuchen, ſich alda mit einer vornehmenDame55Dame verehlichen, und nicht eher als nach verfloſſener Zeit ohne in der hoͤch - ſten Noth zuruͤck kommen, auch die Auffuͤhrung der Weiber wohl unterſu - chen ſolle. Er trat dahero ſeine Reiſe, unter der Geſtalt eines artigen Ca - valliers, in Begleitung unterſchiedlicher Bedienten an. Das angenehme Jtalien, wovon er ſo vieles, als von einem Paradiß der Erden gehoͤret hat - te, zog ihn ſo gleich zu ſich. Er beſahe die vornehmſten Staͤdte dieſes Lan - des, und kam folglich auch nach Florentz, alwo es ihm ſo wohl gefiel, daß er ſich einige Zeit hier aufzuhalten entſchloß. Seine praͤchtige Auffuͤhrung bahnte ihm den Weg zu allen Baͤllen, Compagnien, Aſſembleen, Redou - ten, und andern Luſtbarkeiten mehr. Hier kam er mit dem ſchoͤnſten Frau - enzimmer in Bekandſchafft, und ihr Bezeigen, nahm ihn ſo ſehr ein, daß er den Vorgeben der in die Hoͤlle gefahrnen Maͤnner nicht den geringſten Glauben beymaß, ſondern ſie vielmehr vor Engel der Welt, und die vollkommenſte Zierde der Sterblichen hielt. Eine unter ihnen ge - fiel ihm ſonderlich uͤber alle maſſen, und unſer Belfegor wurde verliebt ehe ers dachte. Er gab ſich dahero die erſinnlichſte Muͤhe, ſie zur Gegenliebe zu be - wegen. Er gieng alle Tage zwanzig mahl vor ihrem Hauſe vorbey, und hielt den Tag vor gluͤcklich, wenn er ſie einmahl zu ſehen, und ein ge - neigtes Compliment von ihr bekam. Er hatte erfahren, daß von Reich - thum nicht viel bey ſeiner geliebten Liſette, ſo hieß ſie, uͤbrig war, drum machte er ſich durch Huͤlffe allerhand Geſchencke mit ihrer Cammer-Jung - fer bekand, welche ihn bey ihrer Maitreſſe einſchmeicheln ſolte. Er hoͤrte zwar wohl ein Voͤgelgen ſingen, welches ihm von der Treue ſeiner Gelieb - ten nichts gutes prophezeyte, indem ſie alle Abend ein paar Anbether von ihr zu ſich bitten ließ, und mit ihnen biß des Nachts um zwoͤlf Uhr L’hombre ſpielte. Aber er war vor Liebe blind, und hielt dieſes entweder vor ein Ge - dichte, oder wenigſtens einen kleinen Fehler, der ſich wohl geben wuͤrde. Denn er war einmahl uͤber ihre Schoͤnheit erſtaunet, und ließ dahero mit ſpendiren nicht eher nach, biß er einen gleichmaͤßigen Zutritt zu ihr er - langte. Hier hielte er ſich vor den gluͤcklichſten der Welt, und meynte, ſich recht beliebt zu machen, wenn er Liſetten, und ihre Eltern taͤglich mit Caffe, Chocolade und andern Erfriſchungen tractirte. An ihrem Geburts-Tage uͤberlieferte er ihr eine goldene und mit ſeinem Bildniß verſehene koſtbare Tabattiere, und die haͤuffigen Nacht-Muſiquen muſten ſeine Neigung entdecken. Endlich ſchien ihm das Gluͤck beſonders guͤnſtig, da ein einge - fallener Schnee die vornehmſten der Stadt auf ein luſtig Land-Gut in der Naͤhe lockte, und Belfegor vor andern Erlaubniß erhielt, ſeine angebethete Schoͤne, in einem praͤchtigen Schlitten dahin zu fuͤhren. Er fuͤhrte ſie beyder56der Hand durch die halbe Stadt an hellem Tage durch, biß zu dem beſtimm - ten Sammel-Platz, worauf ſie in Geſellſchafft etlicher 20. anderer ſich nach dem Land-Gut begaben. Er wuſte bey dieſer Gelegenheit ſeine Schmeiche - leyen ſo wohl anzubringen, daß er von ihr etliche Kuͤſſe und das Verſpre - chen ihrer Gegenliebe erhielt. Seine Freude war hierauf unausſprechlich, und er verehrte ſeine Liſette mit der aͤuſſerſten Ehrfurcht, biß daß die einge - brochene Mitternacht ſie insgeſamt aufzubrechen ermahnte. Auf dem Ruͤckweg aber waͤr Belfegors Freude bey nahe verſaltzen worden, da der Schlitten mit der groͤſten Hefftigkeit wider einen im Wege liegenden Stein ſtoß, und dadurch machte, daß er um - und die ſchoͤne Liſette die Laͤn - ge lang heraus fiel. Belfegor bat ſie tauſendmahl um Verzei - hung, und ſie war ſo guͤtig, ihm dieſelbige augenblicklich zuzugeſtehen. Des andern Tages machte er bey ihren Eltern ſeine Aufwartung und hielt mit ge - ziemender Ehrerbietung um ihre unvergleichliche Tochter an. Weil nun die - ſes eine vortheilhafftige Parthey war, machten ſie nicht die geringſten Schwuͤ - rigkeiten, und ihre Ehe wurde mit dem groͤſten Pracht vollzogen. Acht Ta - ge giengen in der vollkommenſten Einigkeit vorbey, und ſie ſchienen nicht an - ders als eine Seele in zweyen Leibern zu ſeyn. Nach dieſem aber zeigte ſie, was vor ein Geiſt in ihr ſteckte. Sie fieng Anfangs Zaͤnckereyen mit ihrem Geſinde, und endlich auch mit ihrem Manne an. Sie war ſeinet - wegen entſetzlich eyferſichtig, und durffte mit keiner Weibs-Perſon re - den, da er doch zu ſehen muſte, wie ſie in ſeiner Gegenwart ſich von an - dern die Haͤnde, und das Maul kuͤſſen, auch die Backen auf das ver - liebteſte ſtreichen ließ. Keinen Heller Geld bekam er in die Hand, da doch alles das ſeinige war, und dieſes bewog ihn, wenn er ſich etwas zu gute ihun wolte, in ihrer Abweſenheit den Schloͤſſer holen, und den Geld-Ka - ſten eroͤfnen zu laſſen, da es wichtige Schlaͤge auf Belfegors Ruͤcken ſetzte, wenn es Liſette merckte. Bey Tiſche durffte er nicht mehr eſſen, als ſie ihm gab, und dieſes gieng ſehr kaͤrglich zu, ob ſie gleich gegen die Gaͤſte verſicherte daß ihr Liebſter uͤberaus viel aͤß. Dieſe und viel andere unanſtaͤndige Poſſen ſtifftete ſie an, und kein Tag vergieng ohne Zanckeu. Jhre Eltern wurden zugleich von Belfegors Vermoͤgen ernaͤhrt, und ſie ver - that in Kleidern und andern Dingen, ſo zum Staat gehoͤren, ſo viel, daß noch nicht drey Jahr verfloſſen waren, als die mitgebrachte Million nicht allein verthan, ſondern auch der gute Belfegor noch darzu in groſſe Schulden gerathen war. Er ſahe dahero kein ander Mittel, ſich vor ſeinen Glaͤubigern in Sicherheit zu ſetzen, als den Weg zum Thore hinaus zu ſu - chen. Er nahm noch an Koſtbarkeiten mit ſich, was er an bequemſten tra -gen57gen konte, und verließ ſeine Frau und Schwieger-Eltern, welche ihres Zu - ſtandes ungeachtet, einen entſetzlichen Staat fuͤhrten. Er war aber noch nicht weit von Florentz, und kaum in einem kleinen Doͤrfgen angelangt, da er die Haͤſcher ſchon von weiten hinter ſich drein kommen ſahe. Er bat ſei - nen baͤuriſchen Wirth, Himmel hoch, ihn vor dieſen Anpackern zu ver - bergen, und er that es. Er verſteckte ihn unter einen Haufen Heu, und dieſe Ausſpaͤher waren nicht ſo gluͤcklich, ihn in ſeinem Schlupf-Winckel zu finden. Nach ihrem Abſchied bedancket ſich der beaͤngſtigte Belfegor gegen den Bauer, ſeinem Wirth, und entdeckte ihm, daß er von Nation ein Teufel waͤr, und in zweyer Printzeßinnen Leiber, weil er noch nicht nach Hauſe duͤrffte, fahren wuͤrde, da er denn dieſen Platz beydesmahl verlaſ - ſen wolte, ſo bald als er der Bauer, erſchien. Dieſes wuͤrde ihm ohne Zweifel ein gut Stuͤck Geld erwerben, und er koͤnte darmit zufrieden ſeyn, deßwegen wolle er ihm nicht verhalten, daß er auf ſein Verlangen das drit - temahl nicht ausfahren wuͤrde, und moͤchte ers ja nicht weiter als zwey - mahl wagen. Der Bauer war mit dieſem Verſprechen vergnuͤgt, und Belfegor machte ſich fort. Es vergieng eine kurtze Zeit, da das Geruͤchte allenthalben erſcholle, des Hertzogs von Friaul Printzeßin Tochter waͤr von einem leibhafftigen Teufel beſeſſen. Der Bauer hatte nicht vergeſſen, was ihm Belfegor verſprochen hatte, und machte ſich alſo auf und gab ſich bey dem Hertzog an, daß er den Teufel vertreiben wolte. Anfangs wolte man ihm keinen Glauben zuſtellen, biß er endlich durch ſeine haͤufige Verſicherun - gen machte, daß ihm die Printzeßin vorgeſtellet wurde. Er bewieß allhier, ſo wohl als Belfegor, daß ein ehrlicher Mann ſein Wort haͤlt, und trieb ihn gluͤcklich aus. Seine Belohnung war nicht geringe und er kehrte mit vielen Geſchencken nach ſeinem Dorfe. Der Ruf breitete ſich von die - ſer wunderbaren Cur kaum aus, da man von Otranto hoͤrte, daß die Tochter dieſes Fuͤrſten das Ungluͤck haͤtte, einen Teufel im Leibe zu haben. Der Bauer wurde ſo gleich dahin verſchrieben, und ſeine Kunſt gieng zum andernmahl gluͤcklich von ſtatten. Die Prinzeßin wurde dieſes uͤblen Ga - ſtes entlediget, und der Teufels-Banner bekam ſeinen Weg und Muͤhe reichlich bezahlt. Belfegor durfte noch nicht in ſein Vaterland, und ſuch - te folglich eine dritte Herberge. Dieſe fand er in dem ſchoͤnen Coͤrper der vortrefflichen Bellante, einer Prinzeßin des Dariſchen Koͤniges. Wie ſehr ihre Koͤnigliche Eltern uͤber dieſen Zufall erſchrocken ſeyn muͤſſen, iſt leicht zu erachten. Sie wendeten unſaͤgliche Koſten an, ihr einiges Kind von die - ſem troſtloſen Stande zu befreyen, und erfuhren endlich, daß ein Bauer bey Florentz ſey, welcher in gleichen Zufaͤllen ſchon eine gedoppelteHProbe58Probe abgelegt haͤtte. Es wurde alſo an deſſen Landes-Herrſchaft ge - ſchrieben, und Hans Urian muſte erſcheinen. Er vermeynte, ſich mit der Entſchuldigung loß zuwickeln, daß er dazu nicht im Stande waͤr, es wolte aber nichts helfen. Man gab ihm anfaͤnglich die beſten Worte, und verſprach ihm eine Tonne-Goldes, wenn er den Teufel verjagen wuͤrde, weil dieſes aber nichts bey ihm verfieng, drohte man ihm, mit dem lichten Galgen. Der gute Bauer war in tauſend Aengſten. Er haͤtte ſich nicht lange bitten laſſen, wenn er es haͤtte thun koͤnnen, ſo aber konten auch die Drohungen ihm nichts als einen wehmuͤthigen Seufzer uͤber ſein Schickſahl auspreſſen. Er ließ ſich zwar etlichemahl zu der Prinzeßin fuͤh - ren, und vermeynete den Belfegor mit Schmeicheln zum Abmarſch zu be - wegen, dieſer aber lachte ihn der teufliſchen Art nach nur aus, und verſicher - te, daß es ihm eine rechte Freude ſeyn wuͤrde, ihn am Galgen bammeln zu ſehen. Da nun der Bauer keine weitere Ausflucht wuſte, ſo fiel ihm eine Liſt ein, die ihm gluͤcklich gelung. Er ordnete nehmlich an, daß ein praͤch - tiger Schauplatz aufgebauet und die Prinzeßin hernach dahin gefuͤhret werden ſolte. Es ſolte auch eine groſſe Anzahl Trompeter, Paucker und Tambours von ferne ſtehen, welche auf ein gegebenes Zeichen mit dem Hute auf einmahl anfangen muͤſten. Es wurde alles ſeinem Verlangen gemaͤß eingerichtet, und da die beſtimmte Zeit herbey gekommen, und die Prinzeßin auf dem Theatro erſchienen war, verſuchte der Bauer noch - mahls, den Belfegor in Guͤte wegzuſchaffen, als aber dieſes nichts helſen wolte, ſchwenckte er endlich ſeinen Hut in die Hoͤhe, worauf ſich ein entſetz - licher Lerm von Trompeten, Paucken und Trommeln erhob. Belfe - gor, der nicht wuſte, auch nicht wiſſen ſolte, was dieſes zu bedeuten haͤtte, fragte den Bauer nach der Urſach. Dieſer antwortete gantz gelaſſen: daß jetzo Belfegors Frau die Liſette kaͤm, und ihn wieder holen wolte. Dieſe wenigen Worte hatten einen ſo gewaltigen Nachdruck, daß Belfegor nicht einen Augenblick laͤnger verweilte, ſondern ſich, als wenn ihm die Frau ſchon in Nacken ſaͤß, fortmachte. Er hielte auch dieſes vor eine ſo wichtige Entſchuldigung, daß er ſich ſo gleich wieder nach der Hoͤllen begab, und allda von ſeinem geſchwinden Zuruͤckkommen, Nachricht ertheil - te. Er erzehlte dem Koͤnige der Hoͤllen ſo viel Streiche und Arten von Martern, die ihm ſeine Frau angethan hatte, daß Pluto ihm voͤllig glaubte, und den Maͤnnern, ſo vorher daruͤber mit Recht geklaget hatten, kein fernerer Zweifel erregt wurde.

Löwenhoeck.

Dieſes Hiſtoͤrgen iſt mir auch nicht unbekand, welches von einem demFrauen -15Frauenzimmer uͤbelwollenden Gemuͤthe erſonnen ſeyn mag, wiewohl ich eine Wette antreten wolte, daß man allezeit gegen zwey Begebenheiten, ſo von boͤſen Weibern handeln, vier Erzehlungen von frommen und gelaſſenen Frauen beybringen koͤnte. Es war auch Mylord Byngley Meinung nicht, das Frauenzimmer dadurch anzugreiffen, als vor dem er jederzeit alle Ehrfurcht getragen, und das Andencken ſeiner Amariane in einem be - truͤbten Gedaͤchtniß behaͤlt, dahero er dem unvergleichlichen Loͤwenhoek vollkommen Recht gab, und ſich mit ſeinem Freunde nach einigen andern vor - gegangenen Unterredungen und verbindlichen Abſchied, von ihm ſeparirte. Sie brachen noch denſelben Tag nach der zwey Meilen von Delfft gelege - nen Stadt Rotterdam auf, und langten mit einbrechenden Abend ver - mittelſt einer artigen Treckſchuyte allda an. Beyde Lords bezeigten wegen dem praͤchtigen Anſehn dieſer Stadt ein ungemeines Vergnuͤgen, und verſicherten, daß man nicht unrecht thaͤt, wenn man es klein Venedig nennte. Sie ruhten dieſe Nacht um deſto ſanffter, da ſie den Tag uͤber die Bewegung des Waſſers in etwas ausgeſtanden hatten, und begaben ſich des Morgens fruͤh beyderſeits an die denckwuͤrdigſten Oerter. Sie beſchau - ten vornehmlich die Statue des weltberuͤhmten Eraſini Roterodami, welche in Lebens-Groͤſſe auf dem Marckte ſtehet, und auf einem marmor - ſteinernen, und mit einen eiſernen Gitter eingefaſten Piedeſtal ruhet. Er ſtehet in einem Doctor-Habit, und hat in der Hand ein aufgeſchlagen Buch, von welchem man zum Schertz zuſagen pflegt: daß er alle Stunden ein Blat umwendete, und wenn er fertig waͤr, das Ende der Welt kaͤm. Jndem die Lords hiervon weg zugehen Willens waren, kam ihnen ein Mann von ziemlich ehrwuͤrdigen Anſehn in das Geſichte, welcher bey ſei - ner Annaͤherung ſo was angenehmes an ſich hatte, das ſie veranlaſte, ihn zu ſprechen. Er beantwortete ihre Fragen mit einer beſondern Leutſeeligkeit, und dieſe brachte die Lords zu dem Entſchluß, ihn mit ſich zur Tafel zu noͤ - thigen. Er machte keine groſſen Schwuͤrigkeiten, dieſem Befehl, wie er ſagte, Platz zu geben, und die Lords waren daruͤber ungemein vergnuͤgt. Als nun unterſchiedliche Diſcourſe auf die Bahn gekommen waren, welche ihre Begierde zu wiſſen nur noch mehr angefeuert hatten, ſo nahm ſich endlich der Lord Bingley die Freyheit, den unbekandten folgender maſſen zu fragen.

Bingley.

Doͤrfte ich mir denn, werther Freund, nicht eine deutlichere Erklaͤrung von eurem Nahmen und Umſtaͤnden ausbitten oder hindert euch vielleicht an deſſen Entdeckung ein wichtiges Geheimniß?

H 2Rami -60
Raminio.

Kein Geheimniß ſteckt dahinter, Mylord, ſondern einigermaſſen eine Betruͤbniß, die mir die ungluͤckliche Menge meiner Lebens-Begebenheiten einfloͤſſet. Mein Nahme iſt Raminio, welchen die Gebuhrt zu einem Jn - dianer, die nunmehrige Wohnung aber zu einem Hollaͤnder gemacht hat. Mein Vater befand ſich in Dienſten der Oſt-Jndianiſchen Geſellſchafft in dem ſo viel hundert Meilen von hier entlegenen Batavia, und heyrathete eine Meſtizin.

Bingley.

Was bedeutet dieſer Nahme, mein Freund, und iſt vielleicht dieſes ei - ne andre Art von Weibes-Perſonen, als hier zu Lande?

Raminio.

Einigermaſſen, Mylord, aber nicht voͤllig. Denn man theilet das Ba - tavianiſche Frauenzimmer in fuͤnf Ordnungen, nehmlich in Europaͤe - rinnen, welche gantz weiß ſeyn, und entweder mit den Schiffen aus Eu - ropa kommen, oder zu Batavia von Europaͤiſchen Eltern gebohren werden. 2.) Meſtizinnen, deren Vater ein Europaͤer, und die Mutter eine von den Portugieſen herſtammende Schwartze iſt. Die Farbe ihrer Haut iſt braungelb, und ihre Kleidung am Ober-Leib ein Baytgen, oder Bruͤſt - gen, von der zaͤrteſten Leinwand, wodurch man das Bruſtwerck ſo gut als wenn es ohne Decke waͤr, ſehen kan. 3) in Caſtizinnen, welche von Eu - ropaͤern und Meſtizinnen zuſammen gezeuget ſind. 4.) Poſtizinnen, die einen Europaͤer und eine Caſtizinn zu Eltern haben. 5.) endlich in die von den Protugieſen abſtammende Schwartzen. Jhre Haut iſt pechſchwartz, ihre Augen weiß und gelblicht, ihre Lippen wie Purpur, und ihre Zaͤhne wie Schnee. Mein Vater heyrathete, wie gedacht eine von der andern Ordnung, nehmlich eine Meſtizin. Als ich mein 16. Jahr erreichet hat - te, wurde ich von meinem Vater ſchon auf die See geſchickt, um auf einer Barque nach einer etliche zwantzig Meilen von da entfernten Stadt unter - ſchiedene Wahren zu uͤberbringen. Mein Schickſal zertheilte zugleich mit meinem Schiffe die Wellen, nicht aber mein bevorſtehendes Ungluͤck. Denn wir hatten kaum Batavia aus den Augen verlohren, als uns eine Rauberi - ſche Barque auf den Hals kam, und unſer Schiff vermoͤge ihrer Menge uͤbermeiſterte. Sie ſchleppten uns als Gefangene hin nach der Jnſul Cu - ma, und mir wurde noch den Tag angeſaget, daß weil ich mich vor andern etwa gewehret haben moͤchte, die Koͤnigin dieſes Landes ein Exempel an mir ſtatuiren, und ich mit einer neu erfundnen Art von Marter morgen fruͤh hingerichtet wuͤrde. Als dieſer vor mich betruͤbte Tag angebrochenwar,61war, wurde ich gewoͤhnlicher maſſen unter einem fuͤrchterlichen Gethoͤß von Becken, Trommeln und Pfeifen unter der Koͤnigin Fenſter weg zum Richt-Platz gefuͤhret. Jch war noch nicht allda angelanget als mein Hertz nicht wenig Troſt erhielt, da der Koͤnigliche Befehl kam, mich wieder in das Gefaͤngniß zufuͤhren. Jch wuſte nicht, was die Urſach dazu ſeyn mochte, welche ich aber gar bald erfuhr, da ein ſchwartzer Caffer mit einigen ſchoͤ - nen Kleidern zu mir kam, und mir entdeckte: was maſſen ſeine Koͤnigin durch meine weiſſe Haut (ſintemahl ich nackend zum Tode gefuͤhret worden war) und artige Minen Begierde bekommen haͤtte, mich zu ſprechen, ich ſolte alſo auf den vor dem Gefaͤngniß auf mich wartenden Elephanten ſteigen, und mich dahin bringen laſſen, wohin ich beſtimmet waͤr. Dieſer Befehl hat etwas ſo reitzendes an ſich, und die Mittel zum Ungehorſam wa - ren ſo ſchwach, daß ich mich alſo halbgezwungen, und halbfreudig auf mei - nen praͤchtigen Elephanten ſetzte, und die Leute, ſo dabey hergiengen, als weit unter mir, mit veraͤchtlichen Augen anſahe. Jch langte endlich in dem Koͤ - niglichen Pallaſt an, und das mir angewieſene Zimmer zeigte durch den an allen Ecken hervorſcheinenden Pracht, die Hoheit der Beherrſcherin von die - ſem Hauſe an. Als die herbeykommende Nacht die Ruhe als ein Recht zu verlangen ſchiene, wurde mir ein mit den koſtbarſten Tapeten behaͤngtes Bette gezeiget, worein ich mich ohne viele Umſtaͤnde legte, und vor aller - hand Gedancken aber nicht die Suͤßigkeit des Schlafs ſchmecken konte. Jch hatte meines Erachtens wohl ein paar Stunden in ſolchem Zuſtande mich befunden, da jemand ohnverſehens zu der einen Thuͤr hinein geſchlichen kam, und die brennenden Lichter wie der Blitz ausloͤſchte. Jch erſchrack daruͤ - ber nicht wenig, mein Entſetzen aber wurde um ein groſſes vermehret, da jemand jaͤhling ſich in mein Bette neben mich legte, und mir einem Kuß mit ſolcher Hitze gab, daß augenblicklich das Blut aus den Lippen drauf folgte. Sie war damit noch nicht vergnuͤgt, ſondern foderte eine kraͤfftigere Loͤſung ihrer unkeuſchen Flammen, brachte es auch endlich durch ihre unzuͤchtigen Betaſtungen dahin, daß ich endlich ihrem Wil - len Folge leiſten muſte. Jch wuſte noch nicht, wer meine Bett-Geſell - ſchaffterin war, noch wie ſie ausſah, biß ich bey einbrechenden Tage meines Zweifels entledigt wurde, da ich die Koͤnigin bey mir fande, wel - che ich an dem Fenſter bey meiner Ausfuͤhrung zum Tode das erſtemahl ge - ſehen hatte. Hilf ---

Bingley.

Verzeihet, daß ich euch in die Rede falle, mein Freund, war die Koͤ - nigin denn auch ſchoͤn?

H 3Ra -62
Raminio.

Ja, nach Jndianiſcher Art. Sie war etwas groͤſſerer Geſtalt als die Landes-Art mit ſich bringet, die Haud war zart aber gelblicht, die Augen munter und verliebt, die Lippen wie der ſchoͤnſte Carmin, und ein paar Rey - hen Schneeweiſſer Zaͤhne boten dem reinſten Helfenbein einen Wettſtreit an. Von den Geheimniſſen ihres Leibes will ich nichts gedencken, dencket nicht, Mylord, daß ich ſo unverſchaͤmt von Natur ſey, euch alles ſo offenhertzig zu erzehlen, ſondern weil meine Hiſtorie in gantz Jndien und zum Theil auch in Holland bekand iſt, ſo trage ich kein Bedencken, euch davon Nachricht zu ge - ben. Jedoch ich wende mich wieder zuruͤck. Hilf Himmel! wie erſchrack ich da ich dieſe Perſon erblickte. Jch vermuthete, ſie wuͤrde nunmehro die - ſe verdaͤchtige Bekandſchafft durch mein Blut der Unwiſſenheit anbefehlen wollen, da ſie unvermuthet auferwachte, und mich auf die liebreichſte Art anſahe. Die Worte muſten endlich dem innerlichen Vergnuͤgen Platz ma - chen, und ſie bat mich noch dazu um Verzeihung, daß ſie mich zu ſich haͤt - te fordern laſſen, und verſprach mir eine Vergeltung nach meinem Wunſch, wenn er nur ihrem Bermoͤgen gemaͤß waͤr. Sie machte mich zum Fuͤr - ſten und Geheimden Rath, und jedermann wuſte, daß ich der Koͤni - gin Mann war, welches man bey den kleineſten Kinderu ſehen konte, wel - che mit Fingern auf mich wieſen. Dieſe Herrlichkeit daurete nicht laͤnger als ein Jahr, da ſie einen ſo ſchluͤpfrigen Grund hatte. Die Koͤnigin ſtarb jaͤhling, und ſetzte dadurch ihre Unterthanen in den Waͤyſen-mich aber in den erbarmens wuͤrdigen Wittwer-Stand. Jch liebte ſie nach und nach recht hertzlich, und der Verluſt meiner Ehre und Titel ſchmertzte mich um deſtomehr, da ich nicht ſahe, wie ich mich laͤnger dabey erhalten konte. Denn die Hollaͤnder hatten kaum Nachricht in Batavia von dem Abſter - ben dieſer Koͤnigin erhalten, da ſie ihr Land ſo gleich als daß ihrige anſahen, und etliche Schiffe, es wegzunehmen, hinſchickten. Sie eroberten es auch gluͤcklich, und ich war ſo ungluͤcklich, in Ketten und Banden nach Bata - via gebracht zu werden. Mir wurden allda einige Dinge vorge - leget, die ich wieder den Nutzen meines Vaterlandes ſolte vorgenom - men haben, worunter die Anſchlaͤge, die ich der Koͤnigin das Pulver zu machen gegeben haͤtte, nicht die geringſten waren. Man ſchwatzte ſtarck davon, mich auf ewig in die Gold-Gruben zu ſchicken, mein Verhaͤng. niß war mir aber doch noch ſo guͤnſtig, und der Vorſpruch meiner Freunde ſo maͤchtig, daß ich nur den Befehl erhielt, Jndien zu meyden. Jch ſetzte mich auf ein Schiff, und trat meine Reiſe nach Europa an, muſte aber die Tuͤcke des Meeres unterſchiedliche mahl erfahren, biß ich endlich in Hollandan -63anlangte, und mir Rotterdam zu meiner kuͤnfftigen Wohnung auserſah. Jch habe mein Leben hier auf eine weit ehrlichere aber nicht ſo koſtbahre Wei - ſe, als bey meiner Koͤnigin hingebracht, und befinde mich weit beſſer, da ich in Ruhe leben, und meine Gedancken uͤber die Handlungen der Menſchen anſtellen kan.

Bingley.

Worinnen aber, mein Freund, beſtehet das Mittel ſo wohl eure Ru - he zu befoͤrdern, als den benoͤthigten Unterhalt zu finden?

Raminio.

Jch will euch, Mylord, nichts verhalten. Jch bin meiner Religion nach ein Arminianer, welche mir Gelegenheit gibt, als ein Geiſtlicher meinen reichlichen Unterhalt zu finden.

Bingley.

Duͤrffte ich mir denn, mein Freund, von der Beſchaffenheit eurer Re - ligion ſowohl als auch der uͤbrigen Hollaͤndiſchen einige Nachricht ausbit - ten, weil mir es kein geringes Vergnuͤgen ſeyn wird, dasjenige, was mir ſchon zum Theil bekand, aus eines Geiſtlichen Munde anzuhoͤren.

Raminio.

Jch bin bereit, euch zu gehorſamen, Mylord. Es iſt bekand, daß in keinem Lande unter der Sonnen eine ſolche Freyheit der Religionen herrſcht, als in Holland. Der Abſcheu den dieſe Provintzen vor der Spa - niſchen Jnquiſition trugen, und die koſtbare Bemuͤhungen, die ſie zu Ab - werfung dieſes Jochs anwendeten, legten den Grund zu der allgemeinen Er - laubniß, daß ein jeder eine Religion, oder Secte erwehlen, und ohne Ein - trag ruhig bey derſelbigen leben koͤnte. Um deßwillen genieſſen wir gleichfals dieſer Freyheit, und kommen jaͤhrlich zweymahl zu Rhynsbourg zuſammen, um den Gottesdienſt nach unſrer Art abzuwarten, den Nahmen haben wir von Jacob Arminio, einem Theologiſchen Profeſſor zu Leyden, welcher we - gen einiger Lehr-Saͤtze mit Franciſco Gomaro, ſo ebenmaͤſig Profeſſor allda war, in Streit kam. Die Anhaͤnger des erſten erhielten den Nah - men als Arminianer, die andern aber als Gomariſten. Arminius en - digte zwar 1609. vor ſeine Perſon durch den Todt dieſe Streitigkeiten, wel - che hingegen deſto hitziger von ſeinen Adhaͤrenten fortgeſetzt wurden. Gantz Holland theilte ſich daruͤber in zwey Secten, davon die eine die Lehren des Arminii, die andere des Gomari billigte.

Bingley.

Worinnen waren denn dieſe zwey Partheyen hauptſaͤchlich von einan - der unterſchieden?

Ra -64
Raminio.

Die Lehre des Arminii, wodurch er ſich von den Reformirten getrennet, gehet vornehmlich dahin, daß GOtt keinen Menſchen erwaͤhlet, oder verworfen habe, als nur in ſo weit, weil er, vermoͤge ſeiner All - wiſſenheit vorher geſehen, daß der Menſch entweder im Glau - ben, oder Unglauben, und in der Unbußfertigkeit verharren wer - de. Gantz anderer Meynung waren die Gomariſten, welche auf die von denen Arminianern 1611. denen Herren General-Staaten uͤbergebene Re - monſtration eine Contra-Remonſtration einbrachten, wovon wir noch beſtaͤndig die Remonſtranten, die Gomariſten aber die Contra-Remon - ſtranten genennet werden, dieſe hatten zu ihren Vertheidigern das Volck und die Prieſter, wozu der damahlige Stadhalter Printz Moritz von O - ranien, durch ſeinen Beytritt, das groͤſte Gewichte brachte. Die Staats - Leute hingegen hielten es mit den Arminianern, welche ſich auf ihre Macht und die Wichtigkeit ihrer Saͤtze ſo verlieſſen, daß ſie ein National - Concilium 1618. zu Dordrecht veranlaſten. Dieſes beſtund aus Hol - laͤndiſchen, Teutſchen, Engliſchen und Schweitzeriſchen Geiſtlichen. Dieſe unterſuchten es genau, und ſtritten hefftig mit einander, biß endlich der Ausſpruch erfolgte, daß die Lehre der Arminianer verdammlich waͤr. Hier war jedermann wieder dieſe im Harniſch, und die Bekenner dieſer Leh - re muſten groͤſtentheils zum Lande hinaus marſchiren, und ihr Buͤndel auf den Ruͤcken nehmen.

Bingley.

Koͤmmt es vielleicht daher, wertheſter Raminio, daß ihr und euere Glaubens-Genoſſen biß dato noch nicht zu Dordrecht euren Gottesdienſt abwarten duͤrfft?

Raminio.

Allerdings, Mylord. Denn dieſer Synodus hat in den Gemuͤthern dieſer Jnwohner einen ſo groſſen Eindruck hinterlaſſen, daß ob uns wohl durch gantz Holland die Gewiſſens-Freyheit zugeſtanden iſt, dennoch derglei - chen uns niemahls zu Dordrecht hat vergoͤnnet werden wollen. Der Printz, welcher wie oben gemeldet auf der Gomariſten Seite geſtanden, miß - brauchte ſeines Anſehens ziemlich, und nahm die Religion zum Vorwand, diejenigen, welche nicht nach ſeiner Pfeife tantzen wolten, zu ſtuͤrtzen. Die - ſes betraf vornehmlich den beruͤhmten Oldenbarneveld. Er war ein ge - ſchickter Mann, und Raths-Penſionair von Holland, aber dabey entſetz - lich geitzig. Seine Raͤncke giengen alle dahin, um die Freyheit des Volcks in rechte Sicherheit zu ſetzen, zu dem Ende er dem Gelehrten aber ſonſt nichtallzu65alzu klugen Koͤnige Jacob in Engeland, die Feſtungen Ramecken, Briel und Vließingen aus den Haͤnden ſpielte. Er that dem Printzen, welcher die Freyheit zu unterdruͤcken Willens war, alles zum Verdruß, woruͤber dieſer auf jenen einen toͤdtlichen Haß warf. Er ruhete nicht eher, als biß er den Oldenbarneveld in Verdacht und um den Kopf brachte. Er beſchul - digte ihn oͤffentlich: er haͤtte mit den Feinden verbotene Handlung gepflogen, ſich beſtechen laſſen, und wieder die Union zu Utrecht als Groß-Penſionair gehandelt, weil darinnen verſehen wor - den, daß keine andere als die reformirte Religion in Holland gedultet werden ſolte, und er ſuchte doch eine ſolche Religion, welche die gefaͤhrlichſten Lehren haͤtte, einzufuͤhren. Olden - barneveld muſte demnach 1619. ſeinen grauen Kopf in 72. Jahr ſeines Alters auf dem Schavot herunter ſchlagen, und ſich vor einen Verraͤ - ther ſeines Vaterlandes erklaͤhren laſſen. Seine Anhaͤnger muſten ent - weder zum Lande hinaus, oder in die Gefaͤngniſſe ſpatzieren. Unter die - ſen ward auch der beruͤhmte Hugo Grotius, welcher aber auf eine artige Manier aus ſeinem Gefaͤngniß befreyet wurde.

Bingley.

Was war denn dieſes vor eine Manier, wertheſter Raminio?

Raminio.

Hugo Grotius hatte durch vieles Bitten die Erlaubniß erhalten, ſich eine Anzahl Buͤcher in die Feſtung Loͤwenſtein, wo er gefangen ſaß, bringen zu laſſen. Seine Frau, welche eine von den Liſtigen war, er - griff dieſe Gelegenheit mit Freuden, und practicirte in einem langen Buͤ - cher-Kaſten ein hoͤltzern Bild in Lebensgroͤſſe mit hinein, welchem ſie ihres Mannes Schlaf-Rock anzog, deſſen Peltz-Muͤtze ihm auf, und es an den Tiſch in der Poſitur eines Schreibenden ſetzte. Jn den Buͤcher - Kaſten legte ſie ihren Mann, und ließ ihn durch die Wache hinunter tragen, da er als denn gluͤcklich davon kam.

Bingley.

Eine Wache aber darf ja ſonſten nichts von einer ſolchen Groͤſſe, wie ein Kaſten iſt, unbeſichtiget durchpaßiren laſſen, wie koͤmt es denn, daß hier nicht dergleichen geſchehen?

Raminio.

Das an dem Tiſche ſitzende Bild betrog die Waͤchter, welche ohne - dem an Verſtand von einer Rindvieh-Sorte und nicht alzu aufmerckſam geweſen ſeyn moͤgen. Wiewohl dennoch einer einigen Verdacht blickenJlaſſen,66laſſen, da er den Kaſten mit herunter tragen helffen und geſagt: Wenn Grotius auch ſelbſt drinnen laͤge, ſo koͤnte der Kaſten nicht ſchwe - rer ſeyn. Woruͤber dieſem das Hertz aus Furcht entdeckt zu werden, nicht wenig gepocht haben wird. Den andern Arminianern gieng es nicht beſſer, und weil die reichſten Leute mit unter ihrer Zahl waren, ſo retirirten ſie ſich Haufenweiſe, nach Hollſtein und Altona, biß endlich 1625. ihnen die Erlaubniß, nach Holland zuruͤck zu kehren, und ihre Religion dort zu treiben, gegeben wurde. Wir leben alſo hier, und bemuͤhen uns in der groͤſten Gelaſſenheit unſern Gottesdienſt abzuwarten, dabey wir doch nicht verhindern koͤnnen, je mehr und mehr gedruͤckt und eingeſchraͤnckt zu wer - den.

Bingley.

Jch meynte aber, es wuͤrde niemand um der Religion willen alhier verfolget?

Raminio.

An ſich iſts richtig, aber es geht doch nicht ſo leer ab. Denn der Haß zwiſchen uns und den Gomariſten, die anjetzo die Oberhand haben, iſt einmahl ſo eingewurtzelt, daß immer eine Parthey der andern Tort zu thun ſucht. Die uͤbrigen Religionen anbelangend, ſo will ich nach eurem Befehl, Mylord, ein paar Worte davon gedencken. Die drey Haupt - Religionen in der Chriſtenheit, die Lutheriſche, Reformirte und Pa - piſtiſche haben allein das Recht, Kirchen in Holland zu haben, die Secten und Ketzer muͤſſen zufrieden ſeyn, daß ſie ihren Gottesdienſt in Privathaͤuſern halten koͤnnen. Man findet dahero hier Anabaptiſten, oder Mennoniſten, Socinianer, Arminianer, Gomariſten, Quaͤ - cker oder Enthuſiaſten, Juͤden, Armenier, Griechen, Tuͤrcken, und noch viel andere Secten mehr. Die Haupt-Religion aber in Hol - land, iſt die Reformirte, welches von dem Printz Wilhelm, und ſeinen reformirten Gemahlinnen herkoͤmt. Dieſes eintzige will ich noch, Mylord, hiervon gedencken, daß die Geiſtlichen in Holland keinen Rang vor an - dern, wie in den uͤbrigen Europaͤiſchen und andern Laͤndern geſchicht, ver - langen koͤnnen, ſondern ſie ſind alle einander gleich. Da gibt es keine Patriarchen, keine Primate, keine Ertz - und Biſchoͤffe, keine Aebte und Proͤbſte, keine General - und Special-Superintendenten, keine Archidiaconos, Diaconos, Jnſpectores, und wie ſie alle heiſſen, ſondern man erwehlet in jeder Gemeinde Aelteſten, welche die Ober - Aufſicht in Geiſtlichen haben, und nicht zugeben, daß die Prediger ſich in gerichtliche Dinge, wie anderwerts geſchicht, miſchen duͤrffen. Erbe -67beſchloß hiermit ſeine Rede, und die Lords waren uͤber ſeine Erzehlung recht vergnuͤgt, indem ſie ihnen Gelegenheit gegeben hatte, ſich unterſchiedlicher Dinge, die ſie wegen Laͤnge der Zeit ſchon vergeſſen hatten, wieder zu errinnern. Sein Umgang gefiel ihnen auch ſo wohl, daß ſie ihn baten, wenn es ſeine Geſchaͤffte zu lieſſen, ſie nach dem wenig Meilen von da ent - legenen Briel zu begleiten. Er war ſo gleich willig, und nachdem er wie er gieng und ſtund, ſich mit ihnen zu Schiffe begeben, und ſich uͤber die Maaß bringen laſſen, ſo kamen ſie alda ohne Anſtoß an. Dieſer kleine Ort und an dem Ausfluß der Maaß auf der Jnſul Voorn gelegene wichtige Hafen, brachte ihnen die Geſchichte des Hertzogs von Alba wieder in den Sinn. Denn dieſes war der erſte Platz, den die vereinigten Niederlaͤnder 1572. den 1. Aprill den Spaniern in dem allgemeinen Aufſtande abjagten, welches auf folgende Art zugieng. Der Printz von Oranien, Wilhelm, hatte dem Grafen Lumay de la Marc Beſehl gegeben, von Douvres, einem Engellaͤndiſchen Hafen, mit denen alda ausgeruͤſteten Schiffen, nach Holland uͤberzugehen. Als nun dieſer von einem entſetzlichen Sturm uͤber - fallen, und biß vor Briel verſchlagen wurde, und alſo in Gefahr kam ge - fangen zu werden, ſo entſchloß er ſich, lieber das Blaͤtgen umzuwenden, und die Stadt ſelbſt anzugreifen. Er ſetzte auch ſeinen Vorſatz ins Werck und zwar ſo gluͤcklich, daß er ſie ohne ſonderlichem Verluſt eroberte. Da nun der Hertzog von Alba dieſes hoͤrte, ſo hielt ers vor eine Kleinigkeit, und ſagte auf Spaniſch: Nada, nada, das iſt, nichts, nichts. Weil aber dieſe Eroberung den Grund zu der zukuͤnfftigen ſo maͤchtigen Republique von Holland legte, ſo wurde der bekande Vers darauf gemacht:

Crevit in immenſum, quod fuit ante nihil.

Sie hielten ſich nicht lange hier auf, ſondern machten ſich auf den Weg, um das angenehme Holland zu verlaſſen und ſich nach Seeland nach Mittelburg zu verfuͤgen. Raminio begleitete ſie ihrem Verlangen gemaͤß auch dahin, und unterhielte ſie zu Verkuͤrtzung der Zeit mit allerhand Diſcour - ſen, biß endlich Mylord Bingley anfieng:

Bingley.

Jhr habt euch nun ſehr lange hier aufgehalten, wehrteſter Raminio, und nach eurem eigenen Ausſpruch euch bemuͤhet, die Handlungen der Menſchen zu unterſuchen, deßwegen erſuche ich euch inſtaͤndigſt, uns um die Reiſe deſto kuͤrtzer zu machen, von dem Temperamente der Nieder - laͤnder, und vornehmlich der Hollaͤnder einige Nachricht zu geben.

J 2Ra -68
Raminio.

Jch bin zu allen bereit, was ich zu verrichten im Stande bin. Das Temperament der Hollaͤnder iſt vermiſcht, und kan man nichts gewiſſes davon melden. Sie ſind etwas melancholiſch, welches ſo gar auch den Frantzoſen widerfaͤhrt, wenn ſie ſich lange alda aufhalten. Jhr wiſſet, Mylords, daß ein Melancholicus in ſeinen Sachen beſtaͤndig, und nicht leicht wanckelmuͤthig iſt, dahero koͤmt es, daß die Hollaͤnder dasjenige, was ſie verſprochen, richtig erfuͤllen. Sie ſind tapfer, und wehren ſich rechtſchaffen, welches aber nicht eher geſchieht, als biß ſie darzu recht ge - zwungen ſind, und kein Mittel ſehen, die Streitigkeiten in der Guͤte beyzu - legen. Daher auch das Sprichwort entſtanden ſeyn mag: Er geht durch wie ein Hollaͤnder, wiewohl ſich heut zu Tage in Betracht der ehemahligen Zeiten auch vieles geaͤndert. Die Bauern ſind wie in den meiſten Laͤndern einfaͤltig, auſſer wo eine anliegende Stadt ſie in etwas hoͤflicher macht. Man ſetzet das auch an vielen andern Hollaͤndern aus, die keine Bauren ſeyn, daß die Hoͤflichkeit oͤffters ſo viel von ihnen entfer - net iſt, und ſie faſt in allen Compagnien ihr Sprichwort: Es iſt beſſer in die weite Welt, als in den engen Bauch, anzufuͤhren wiſſen, wenn ſie eine unanſtaͤndige Tobacks-Freyheit zu einem Schnitzer wider die Erbarkeit noͤthiget. Die daſigen Bauern ſonderlich ſind entſetzlich auf ihre Freyheit erpicht, und nichts in der Welt wuͤrde ſie beſaͤnfftigen koͤn - nen, wenn ſie ſehen ſolten, daß dieſe in Gefahr waͤr. Sie verlangen von denen ſo mehr ſind, als ſie, hoͤfflich tractirt zu werden, und die Stadthal - ter haben dahero die Liebe des Volcks nicht beſſer gewinnen koͤnnen, als wenn ſie mit den gemeinen Leuten freundlich und familiair umgegangen. Wie vielmahl ſind nicht Boots - und Schiffer-Knechte dem beruͤhmten Held, Hertzog von Marlborough mit offenen Armen entgegen gelaufen gekom - men, ihm um den Hals gefallen, und geſchrien: Seyd mir willkom - men, mein lieber Hertzog von Marlborough, welcher es dennoch mit einem freudigen Geſichte angenommen. Die Auffuͤhrung der Mate - lots iſt uͤberhaupt ſehr ſchlecht. Denn wenn man bedencket, daß ſie die meiſte Zeit ihres Lebens, unter Leuten, von gleicher Sorte, als ſie ſind, auf einem Element zubringen, welches keine Herbergen, oder Staͤdte verſtattet, und ſie alſo beſtaͤndig nichts als Himmel und Waſſer ſehen, ſo muß man ſich daruͤber nicht mehr verwundern. Da uͤberdiß dieſe Art von Menſchen faſt aus dem Zuſammenfluß der gottloſeſten Gemuͤther aus den meiſten Laͤndern der Welt beſtehet, welche wegen Armuth, Ubelthaten, Unge - horſam gegen ihre Eltern und Vorgeſetzte, auch anderer Urſachen mehr,die -69dieſe Lebens-Art erwehlen, und ſich einem breternen Hauſe anvertrauen. Daher koͤmt es auch, daß die See-Officiers in Holland ſelten eine ga - lante und artige Auffuͤhrung haben, und es iſt bekand, daß die weltbe - ruͤhmten Admirals Ruyter und Tromp eben dergleichen Weiſe an ſich gehabt. Die Kauffleute ſind in Anſehung der Sitten von dieſen wie - derum gaͤntzlich unterſchieden. Bey dieſen regiert hauptſaͤchlich die Spar - ſamkeit, und ihr Reichthum verfuͤhret ſie nicht ſo weit, mehr zu verthun, als ſie bequemlich entbehren koͤnnen. Die Auslaͤnder ſelbſt, wenn ſie auch ſonſt wacker das Geld zu verſchleudern und die Mutter-Pfennige durchzubringen gewohnt geweſen, lernen alhier menagiren. Sie ſehen nichts anders, und hoͤren nichts anders, als von Profit, und wie man ſich be - muͤht, denſelbigen auch in einem Bagatell zu finden, dahero ſie endlich aufmerckſam, und ſparſam zugleich werden. Bey den hieſigen Gaſterey - en ſiehet man nicht auf ſolche unnoͤthige Depenſen, wie in Teutſchland und anderwerts geſchicht, ſondern man iſt mit einigen Gerichten zu frieden, und verlanget nicht, daß die Tafeln vor der Laſt der uͤbereinander gehaͤufften Speiſen zerbrechen moͤgten. Es iſt keine Nothwendigkeit, daß man ſich allezeit bey Feſtins recht volltrincken, oder wenigſtens ein Chriſtlich Raͤuſch - gen mit nach Hauſe bringen muͤſſe, ſondern man haͤlt davor, daß auch ei - ner ohne Uberladung vergnuͤgt und luſtig geweſen ſeyn koͤnne. Die Kauf - leute halten vor eine Schande, wenn einer alles verthut, was er jaͤhrlich einnimmt, geſchweige wenn er noch mehr verthut, ſondern es wird durchge - hends erfordert, daß er noch etwas zuruͤcke legen, und wenn es moͤglich iſt, noch einige ſaubere Meublen dazu ſchaffen muͤſſe. Daher koͤmts, daß in Holland ſo ausnehmend viel von der Reinlichkeit gehalten wird. Die Haͤu - ſer werden offtmahls gewaſchen, und ſo gar die Ziegeln zu Zeiten gefaͤrbet. Die Glaß-Scheiben ſpiegeln wie ein Criſtall, und an jeden Fenſter iſt ent - weder ein roth oder gruͤn gemahlter Sonnenſchirm, welches das Geſicht uͤber - aus vergnuͤgt. Jn ihren Schiffen wird es ſo nett und ſauber gehalten, als immermehr in den Haͤuſern. Es werden ſo gar die Staͤlle geſcheuert, und den Kuͤhen die Schwaͤntze durch ein oben an der Decke befeſtigtes Strickgen angezogen, damit ſie ſelbige ja nicht etwa unrein machen. Jhre Kuͤchen ſehen ſo gut als die artigſten Zimmer, und die Boden glaͤntzen, daß man ſich darinnen beſpiegeln koͤnte, dahero ſie nicht gerne leyden, wenn man aus - ſpeyet, und alſo Flecken darauf macht.

Bingley.

Da koͤnte man zu weilen jenem luſtigen Kopf folgen, welcher gleich -J 3fals70fals in ein Hauß kam, da der Wirth alſobald bey dem Eintritt in das Zim - mer nicht dahin auszuwerfen, ſondern es an einen ſchlimmern Ort zu ver - ſparen bat. Der Gaſt ſchien damit zufrieden, und kam des Wirths Ver - mahnung vortrefflich nach. Denn als ihm der Speichel auszuwerfen noͤ - thigte, ſo geſchah es mit einer beſondern Fertigkeit dem Wirth in das Ge - fichte. Dieſer hielt es vor eine entſetzliche Jnjurie, und ſetzte den Thaͤter daruͤber bey nahe mit Faͤuſten zur Rede, welcher ſich aber bald entſchuldig - te, und die Schuld ſelbſt auf den Wirth ſchob, als welcher ihm befohlen haͤtte, an einen ſchlimmen Ort auszuſpucken. Weil er nun keinen ſchlim - mern finden koͤnnen, ſo waͤre er alſo zu excuſiren.

Raminio.

Dieſer Vorſchlag laͤſt ſich hoͤren. Jndeſſen iſt doch ſoviel richtig, daß mancher lieber was anders drum gaͤbe, als daß man ihm auf ſolche Art ſeine Zimmer beſchmutzet. Sonnabends und an den Tagen vor groſſen Feſten ſind ſie ſonderlich bemuͤht, alles recht reine zu machen, und die we - nigſten halten dieſem Tag ordentliche Mittags-Mahlzeit, und begnuͤgen ſich, ein ſtuͤckgen Eſſen in die Hand zu nehmen, und dabey die Reinigung ihrer Haͤuſer zu verrichten. Jn Kleidung bemuͤhen ſie ſich dergleichen zu thun, und iſt dieſes was ſonderliches, daß ein jeder ſich nach ſeinem Kopfe kleidet, und deßwegen doch von niemand ausgelacht oder aufgezogen wird. Man ſiehet noch viele, die nach derjenigen Art, die vor ein oder zwey hundert Jahren Mode geweſen, gekleidet einhergehen, bloß darum, weil ſie ihr Ver - gnuͤgen daran finden.

Bingley.

Wie iſt aber die Auffuͤhrung des hieſigen Adels uͤberhaupt beſchaffen, und wie koͤmt es, daß die Auswaͤrtigen in der wunderlichen Meynung ſtehen, als wenn in Holland keine Perſonen von gutem Adel waͤren?

Raminio.

Das koͤmt von den Traditionen her, da etwa ein oder ein paar un - verſtaͤndige Kerl, die mit nach Oſt-Jndien gereiſet ſeyn, wider in ihr Va - terland zuruͤcke kommen, und alda von allerhand beſondern Dingen auf - ſchneiden wollen, und dieſe einfaͤltige Gloſſe mit untergemengt haben. Denn ich kan euch verſichern, Mylord, daß ihr weder in Franckreich, noch Enge - land, noch Spanien, noch Portugall, noch Jtalien und Pohlen, einen ſo alten und unverfaͤlſchtem Adel antreffen werdet, als in Holland. Denn weil man alhier nicht die Gewohnheit eingefuͤhrt, Buͤrgerliche, wie in an - dern Reichen geſchicht, in den Adelſtand zu erheben, ſo muß man folglichgewiß71gewiß glauben, daß da der alte Adel mit keinen neuern vermiſcht wird, die vorigen und noch bluͤhenden Geſchlechter in deſto groͤſſern Anſehen ſtehn muͤſ - ſen. Es ſind zwar nicht ſo viel Edelleute hier, als in Pohlen, oder Spa - nien, weil die Familien oͤffters durch Krieg und Zufaͤlle in dem letzten ihres Geſchlechts das Ende ſehen, aber wie ſchon geſagt, ſie geben keinen Auswaͤr - tigen an Alterthum und Artigkeit der Sitten etwas nach. Sie fuͤhren ſich praͤchtig auf, und ihre Lebens-Art richtet ſich faſt durchgehends nach der Frantzoͤſiſchen, indem ſie nach Franckreich zu reiſen und dort neue Moden, neue Complimente, und neue Sprache herzuholen pflegen. Die Handlung iſt bey ihnen eben ſo wohl als bey dem teutſchen Adel verhaſt, und ſie ma - chen vielmehr von dem Degen Profeßion, wie ſie denn in den letztern Krie - gen genugſam gezeiget haben, daß der Heldenmuth nicht in ihnen erloſchen, und die Tapferkeit der Teutſchen, als von welchen ſie urſpruͤnglich herſtam - men, bey ihnen in einer ruhmwuͤrdigen Nachahmung feſte geſetzet ſey. Jch koͤnte noch weit mehrers davon reden, wenn die verfloſſne Zeit, und das vor uns liegende Mittelburg mich nicht abzubrechen noͤthigte. Mylords wa - ren uͤber deſſen Erzehlung ſehr vergnuͤgt, und nachdem ſie ſich voͤllig genaͤ - hert, und ausgeſtiegen waren, begaben ſie ſich bey eingebrochenem Abend in ihr voraus beſtelltes Quartier, und nahmen die Abend-Mahlzeit mit de - ſto groͤſſerer Begierde ein, je mehr die gehabte Bewegung des Tages ſie da - zu antrieb. Uber der Tafel ſagte Mylord Bingley:

Wie koͤmts denn, wertheſter Raminio, daß ihr nicht ein Wort von dem Temperament des hollaͤndiſchen Frauenzimmers gedacht habt, ſeyd ihr denn etwa dieſem ſchoͤnen Geſchlechte ſo gehaͤßig, daß ihr auch nicht einmahl von ihnen reden moͤgt?

Raminio.

Ach nein, Mylord, ich bin dem Frauenzimmer gar nicht feind, ob ſie gleich oͤffters obwohl unſchuldig, die Urſach geweſen, daß ich viel Gefahr, Verdruß und Beſchwerlichkeiten habe ausſtehen muͤſſen. Jch bin mit ih - nen gnugſam umgegangen, und habe Gelegenheit gefunden, ihr Gemuͤth zum Guten und Boͤſen groͤſtentheils auszuforſchen. Jch muß aber nicht dabey einen allgemeinen Ausſpruch thun, ſondern ſie in 2. Claſſen, nehm - lich in die Adeliche und Buͤrgerliche ſetzen. Die Adeliche iſt an ihrer Auffuͤhrung, welche man galant zu nennen pfleget, untadelich. Sie wiſſen ſich ſo nett und artig in Compagnie zu bezeigen, als die wohlgearteſte Frantzoͤſin, Teutſchin oder von einem andern Volck. An Schoͤnheit man - gelt es ihnen auch nicht, ob man gleich eben ſo wohl unter ihnen Knochen - und Gießformen-Geſichter antrifft, als bey andern Nationen. Sie ler -nen72nen gerne auslaͤndiſche Sprachen, und die andern ſinnreichen Zeitvertreibe, als Stuͤcken, Mahlen ꝛc. werden keines weges auf die Seite geſetzet. Das buͤrgerliche Frauenzimmer iſt von dieſem ſo wohl am Stande als Sit - ten weit unterſchieden. Denn ob es ihnen gleich auch nicht an Schoͤnheit fehlet, ſo wiſſen doch die wenigſten ſich derſelben, wie auslaͤndiſche zu ge - brauchen. Denn ihre Minen zeigen oͤffters von einem ſo ſproͤden und ver - aͤchtlichen Hochmuth, daß die Liebhaber von einer gantz beſondern Beſtaͤn - digkeit und Geſchmack ſeyn muͤſſen, denen ſie auf ewig gefallen ſollen. Sie machen inzwiſchen gerne Amour, und ihr Entzweck geht hauptſaͤchlich auf eine Heyrath, welche ſie bloß nach ihrem Vergnuͤgen vollziehen, und ihrer Eltern und Vorgeſetzten Meynung ſelten erſt daruͤber vernehmen.

Bingley.

Jch halte dieſes vor nichts unbilliges, daß ſie nach ihrem Gemuͤthe freyen, indem doch ein vor allemahl richtig iſt, daß dergleichen Perſonen oͤffters weit gluͤckſeeliger in nachfolgenden Eheſtande mit einander leben, als die, ſo bloß der Eltern Caprice folgen muͤſſen, und nicht diejenige Perſon er - wehlen duͤrffen, denen ſie doch ihr Hertze gewidmet.

Raminio.

Ja man kan nicht tadeln, daß zwey junge Leute, ſo einander Zeit Le - bens zugeſellet werden ſollen, vorher ſich zuſammen verbinden, doch muß es mit der Bedingung geſchehen, wenn die Eltern darein willigen wuͤrden. Jn - dem es, doch ein vor allemahl wider die Geſetze iſt, diejenigen, denen man Leben und Auferziehung ſchuldig iſt, in einem ſo wichtigen Wercke, da man oͤffters bloß den Augen trauet, zu uͤbergehen.

Bingley.

Jch will euch darinnen, weil es der Billigkeit gemaͤß, nicht widerſpre - chen, aber da wir jetzo ohnedem nichts anders vorzunehmen haben, euch ein Exempel erzehlen, da dergleichen Ehe, nach vielen ausgeſtandenen Zufaͤllen gluͤcklich abgelaufen, und noch jetzo in vollkommenen Flor dauret, ob ſie gleich bloß auf die Augen gebauet, und eine ſchleunig entſtandene Liebe der Grund und Urſprung davon iſt.

Victoria, ein junges Frauenzimmer aus einem alten und vornehmen Geſchlechte, deſſen Nahmen ich um gewiſſer Umſtaͤnde zu nennen Beden - cken trage, hatte ſich nach dem fruͤhzeitigen Abſterben ihres Gemahls in ein praͤchtiges Schloß begeben, welches von den vorbey flieſſenden Wellen ei - nes groſſen Fluſſes benetzet wurde, und dadurch nebſt der ſchoͤnen Ausſicht zueinem73einem einſamen Vergnuͤgen Anlaß gab. Sie war eine friſche Wittwe von ſiebzehn Jahren, in welchem Stand ſie durch den Todt ihres Mannes, der ein Oſt-Jndianiſcher Kaufmann, von reichen Guͤtern war, und ſein Leben 6. Monat nach der Vermaͤhlung auf dem Meer endigte, geſetzet war. Sie begab ſich nach deſſen Hintritt auf dieſes Schloß, alwo ſie 3. Jahr lang ein ſo lobens - wuͤrdiges und rares Leben fuͤhrte, daß auch die aͤlteſten Matronen dieſe muntere Wittwe ihren Toͤchtern als ein Exempel vorſtellten. Sie ihres Orts genoß gleichfals eines ſtillen Ergoͤtzens und vertrieb ihre Zeit mit den erbaulichſten Unternehmungen: Als ihr eines Tages fruͤh ihre Hirten zwey Mannes Perſonen zu brachten, welche ſie in dem elendeſten Zuſtande, da die Haͤnde der Raͤuber ſie mit Beraubung ihrer Kleider an Baͤume ange - bunden hatten, angetroffen. Das Mitleiden der Schaͤffer hatte ihnen ein paar zerriſſene Kappen zugeworfen, in welchem Aufzug ſie vor den Augen der Victoria erſchienen. Die Armuth des Habits benahm der vortreffli - chen Geſtalt des juͤngſten nicht das geringſte, welcher ihr mit einer freyen, doch dabey modeſten Art entdeckte, daß er ein Edelman aus Amſterdam ſey, und den Nahmen Joſeph von Reinſtadt fuͤhrte. Er kaͤm von die - ſer Stadt her, in der Meynung, nach Bruͤſſel zu reiſen, um alda Sachen von der groͤſten Wichtigkeit zu Stande zu bringen. Er waͤr wegen der Eil auch die Nacht durchgereiſet, und in dem nur eine halbe Stunde von hier entlegenen Walde von unterſchiedlichen Raͤubern angefallen, und auf die vorhin erzehlte Art tractiret worden. Victoria zweifelte nicht im geringſten an der Wahrheit dieſer Worte, und ließ ihm ſo wohl als ſeinem Diener, zwey Habite von ihrem erblaſten Gemahl reichen. Jhre Guͤtigkeit gegen dieſen unbekandten gieng noch weiter, indem ſie ihn mit ſich zu Mittag ſpei - ſen ließ, und davor hielt, daß ſie dieſe Großmuth an keinem Orte beſſer haͤtte eroͤfnen koͤnnen. Die Nacht waren beyderſeits uͤber Gewohnheit unru - hig, und das Hertze ſagte einem jeden, daß ſchon mehr als die Helffte da - von in des andern Haͤnden ſey. Fruͤh wolte Joſeph ſeinen Diener zuruͤck ſchicken, um von neuen Geld zu holen, welches aber die ſchoͤne Wittwe kei - nes weges zu ließ, ſondern ihm verſprach, ſo viel zu geben, als er benoͤthi - get ſeyn wuͤrde. Er ſahe, daß ſie ihn wohl leyden mochte, und dieſes mach - te ihn ſo behertzt, ihr noch dieſen Tag von ſeiner Liebe vorzuſchwatzen, und ſie war ſo geneigt, ihn anzuhoͤren. Endlich machte die Bequemlichkeit des Orts, die Gleichheit zwey junger Perſonen, die Menge der Schwuͤre auf der einen, und eine allzuleichtſinnige Leichtglaͤubigkeit auf der andern Seite, daß die ſchoͤne Victoria einen Fehler begieng, welchen man ihr niemahls zutrauen ſollen, da ſie in Gegenwart zweyer Zeugen, des alten Barthels,Kund74und einer Magd der Victoria dieſen unbekandten in den Beſitz ihrer Per - ſon ſetzte. Acht Tage giengen unter lauter Hertzen und Lecken vorbey, biß Joſeph von Reinſtadt ihr eroͤfnete, daß die Wichtigkeit ſeiner Sache ihn auf eine kurtze Zeit aus ihren Armen entreiſſen muͤſte, worein ſie auch end - lich nach vieler angewandten Muͤhe willigte. Er war aber kaum etliche Stunden auf der Reiſe, da eine Magd ſeine Schlaf-Kammer reinigen wol - te, und ein Bildniß in einen Brief eingewickelt ſahe. Sie trug es alſobald zu der Victoria, welche das Bildniß vollkommen ſchoͤn befand, und in dem Briefe folgende Worte laß:

Mein Herr.

Jch ſchicke euch das Portrait der ſchoͤnen Elvira von Bruͤſſel, wel - che ihr, wenn ihr ſie ſehen ſoltet, noch viel ſchoͤner befinden wuͤrdet, als ſie der Pinſel hier abſchildert. Jhr Herr Vater erwartet euch mit aͤuſſerſtem Verlangen, und die Artickel von eurer Verbindung ſind ſo eingerichtet, wie ihr ſelbſt verlanget, und nach meiner Meynung vor euch ſehr vortheilhafftig. Eilet derowegen, und beſchleuniget eure Reiſe. ꝛc.

Stellet euch, bitte ich, das Entſetzen vor, welches die Victoria bey Leſung dieſes Briefes uͤberfiel, der an niemand anders als ihren Joſeph ge - ſchrieben ſeyn konte, und Liebe und Rachgier ſtritten in ihr, da ſie ſich deſ - ſen Untreu ſo lebhafftig einpraͤgte. Hier uͤberlegte ſie erſt aber zu ſpaͤte, die Groͤſſe ihres Fehlers, da ſie ſich auf den erſten Anblick einem fremden, und unbekandten uͤberlaſſen hatte. Jedoch ihr Fehler war noch lange nicht ſo groß, als ihr Gemuͤthe, und dieſes brachte ſie zu dem Entſchluß, ihm nachzufolgen. Sie that es auch, und nahm niemand mit ſich, als ihren alten Barthel und die Magd, ſo als Zeugen bey ihrer Verheyra - thung geweſen waren. So bald als ſie zu Bruͤſſel angelangt, bekuͤm - merte ſich, um die Wohnung des Vaters der Elvira zu erfahren. Sie miethete ſich eine Stube in eben demſelben Hauſe hintenaus, und be - kam die Nachricht noch deſſelben Tages, daß die Elvira ſich an einen Edel - mann von Amſterdam vermaͤhlen wuͤrde. Der Vater dieſer Schoͤnen war von Gebuhrt ein Spanier, insgeheim der Reformirten Religion zugethan, und hieß Don Petro. Er ſuchte ſchon tuͤchtige Perſonen zu Bedienten vor ſeine Tochter, und dieſes gab der Victoria Gelegenheit bey ihn um eine Stelle anzuhalten. Sie that es mit veraͤnderter Kleidung und unter der Ge - ſtalt einer armen Wittwe, welche durch den fruͤhen Verluſt ihres Mannes in dieſes Elend gerathen waͤr. Sie war ſo gluͤcklich, daß Don Petro et - was angenehmes an ihr fand, und ſie augenblicklich zur Hofmeiſterin ſei -ner75ner Tochter machte. Es vergiengen acht und mehr Tage, und ihr ungetreu - er Liebhaber war noch nicht da. Dieſes ſetzte endlich die Elvira, ihren Va - ter, und die Victoria in Unruh, was wohl die Urſach davon ſeyn moͤchte. Man ſchickte dahero unterſchiedene Boten aus, welche ihn unterwegens in einem Dorfe in einem elenden Zuſtand antrafen. Denn ſelbſt den Tag noch, da er von der Victoria fortreiſte, ſtraffte ihn der Himmel wegen ſeiner Untreu. Denn da er vor einem Hauſe vorbey ritt, kam ein groſſer Bollen - Beiſer ohnverſehens heraus gefahren, wodurch ſein Pferdt ſchuͤchtern, und er ſo ungluͤcklich herab geworfen wurde, daß er das rechte Bein davon zer - brach. Er wurde auf Befehl ſeines Schwiegervaters in dieſer betruͤbten Ge - ſtalt nach Bruͤſſel gebracht. Er war zwar unterdeſſen ſchon etwas wider ge - heilet, und wurde in wenig Tagen durch den Fleiß der Aertzte in den Stand geſetzt, daß er ſeiner Braut unter die Augen treten konte. Er machte ihr die erſinnlichſten Careſſen, und ſagte zu ihr und ihrem Vater, alles das was ein verhoffter Schwieger-Sohn bey einer ſo ſchoͤnen Braut vorzubringen pflegt. Nach ſeinem Abſchiede bemuͤhten ſich die Bedienten der Elvira um die Wet - te, den Braͤutigam herauszuſtreichen, aber Victoria allein war kaltſinnig. Elvira merckte dieſes, und begab ſich auf die Seite, um ſich bey ihr wegen die - ſer Unempfindlichkeit zu erkundigen. Victoria ſagte ihr darauf offenhertzig, daß ihr Stillſchweigen nicht aus einer Mißgunſt oder Unwuͤrdigkeit des Braͤutigams herkaͤm, ſondern daß ſie vielmehr der Elvira einen Gemahl wuͤnſchte, der ihr ſeine Liebe alleine widmete, und ſie nicht mit andern zu theilen pflegte. Elvira, welche wie leicht zu erachten, uͤber dieſe unvermu - thete Nachricht uͤberaus beſtuͤrtzt war, wolte die Entdeckung dieſes Geheimniſ - ſes mit aller Gewalt wiſſen. Victoria, welche eben dieſes haben wolte, ſag - te nach einiger Wegerung, daß Joſeph von Reinſtadt zu Amſterdam ein artiges doch dabey armes Maͤdgen mit Nahmen Lucretia liebte, daß er taͤglich zu ihr gieng, und ſie unter Hoffnung zu einer Heyrath ſchon drey - mahl zur Mutter gemacht haͤtte. Elvira erzuͤrute ſich uͤber dieſe Poſt ent - ſetzlich, und gab ihrem Vater alſobald davon Nachricht. Da dieſes vor - gieng, kam eben der Diener des Joſephs, welchen Victoria damahls ſo großmuͤthig aufgenommen und bewirthet hatte, und wolte zu ſeinem Herrn um ihm ein Paquet Briefe, ſo er von Amſterdam jetzo bekommen, einzuhaͤn - digen. Victoria ließ ſich das Paquet geben, um es ihm in das Zim - mer, wo er, ihrer Rede nach, bey ſeiner Liebſten waͤr, zubrin - gen. Victoria eilte geſchwind damit in ihre Kammer, alwo ſie es eroͤfnete, und einen geſchwind geſchriebenen Brief hinein practicirte. Sie brachte es darauf ihrer Untergebenen, der Elvira, und erregte die Neugie -K 2rigkeit76rigkeit bey ihr ſo ſehr, daß ſie das Paquet aufmachte, und in dem unterge - ſchobenen Brief dieſe Zeilen antraf:

  • Eure Abweſenheit, und die Nachricht, welche ich empfangen, daß man euch zu Bruͤſſel verheyrathen wollen, werden euch bald eine Perſon entziehen, die euch mehr als das Leben liebet, wenn ihr nicht bald kom - men werdet, um dasjenige zu erfuͤllen, was euch weiter zu verſchieben unmoͤglich faͤlt, ohne dabey eine offenbahre Kaltſinnigkeit, oder Untreu gegen mich an Tag zu legen. Wenn das, ſo man von euch ſpricht, wahr iſt, und wenn ihr euch wenig um die Erfuͤllung des Verſprechens bekuͤmmert, ſo ihr mir und meinen Kindern gethan, ſo werdet ihr in Gefahr eures Lebens ſeyn, welches euch meine Verwandten ſo bald rauben werden, als ich mich genoͤthiget ſehe, ſie darum zu bitten, weil ſie es euch bloß auf meine Bitte noch goͤnnen.

Lucretia.

Elvira zweifelte nun im geringſten nicht mehr an der Wahrheit von dem, was die Victoria geſagt hatte, und zeigte den Brief Don Pedro, welcher ſich nicht genugſam uͤber die Verwegenheit des Joſephs verwundern konte. Nach deſſen Abtritt kam der vermeynte Braͤutigam, ſeine Briefe ſelbſt von ſeiner Geliebten abzuholen, welche ihm deutlich ſagte, daß ſie das Paquet eroͤfnet haͤtte, weil ſie gemeynet, daß ein ſo galanter Menſch, wie er waͤre, ohnfehlbar noch eine Nebenliebſte haben wuͤrde, worinnen ſie ſich auch nicht betrogen befaͤnd, mit welchen Worten ſie ihm das Paquet, und den Brief der Lucretia gab, ſich aber alſobald von ihm entfernte. Joſeph ſchien als wenn ihn der Blitz geruͤhret haͤtte, und wuſte nicht was er dazu ſagen ſolte. Er redete die gegenwaͤrtig gebliebene Victoria an, ohne auf ihr Geſicht acht zu haben, daß er nicht wuͤſte, waß vor ein boßhafftiger Mitbuhler ihm die - ſen Streich ſpielte, da er bey Verluſt ſeines Kopfs verſichern koͤnte, daß er von dieſem allem nichts wuͤſte. Victoria antwortete: Daß er zwar wohl unſchuldig ſeyn, aber die Vermaͤhlung gewiß nicht eher zu Stande bringen koͤnte, biß er Don Pedro eines andern uͤberwieſen haͤtte. Das iſt eben was ich will, ſagte der beſtuͤrtzte Joſeph, und ich bitte euch, mir offenhertzig zu ſagen, ob ihr bey der Elvira wohl angeſchrieben ſteht. Jch hoffe es, ver - ſetzte Victoria, und ſchmeichele mir damit. Nun ſo thut mir doch einen Gefallen, antwortete er, welchen ich zu Verſoͤhnung meiner Liebſten von euch verlange. Jch verſpreche euch eine ſolche Belohnung als in meinem Kraͤfften ſteht, zu deſſen Beweiß ich euch alſobald ein Blanquet geben will, damit ihr ſelbſten den Aufſatz davon machen koͤnnet. Victoria, welche die -ſes77ſes als eine gewuͤnſchte Gelegenheit anſah, nahm dieſes Anerbieten mit Freuden an, und brachte ihm alſobald Feder, Dinte und Papier, um ſeinen Nahmen auf ein leeres Blat zu ſchreiben. Er, der vor Liebe gantz blind war, verrichtete es in Augenblick, und die Victoria verſicherte ihn dargegen, daß ſie bey dieſer Affaire ſo groſſe Sorge anwenden wolte, als wenn es die ihrige waͤr. Und ſie hielt ihr Verſprechen richtig. Er gieng voller Hoffnung von ihr fort, und ſie rufte ſo gleich ihren alten Bartel, welchem ſie das Blanquet zeigte, und entdeckte, wie ſie willens waͤr, den leeren Platz mit einer Ehe-Verſchreibung auszufuͤllen. Barthel verrichtete dieſes, und er und die alte Magd unterſchrieben ſich als Zeugen. Da dieſe liſtigen Streiche geſpielet wurden, kam die bekuͤmmerte Elvira noch denſelben Abend zu ihrer Hofmeiſterin, und ſagte ihr frey heraus, daß ſie eher gegen ih - ren Vater ungehorſam, als eine Gemahlin des Joſephs ſeyn wolte, inmaſſen ſie ſich mit einem vornehmen Edelmann, Don Die - go, eingelaſſen, welcher ihr weit beſſer als jener anſtuͤnd, und Joſeph ſich auch durch ſein uͤbles Bezeigen ihrer Gewogenheit gaͤntzlich unwuͤrdig gemacht haͤtte. Victoria verſtaͤrckte ſie, wie leicht zu erachten, in ihrem Vorſatz, und Elvira war daruͤber ſo vergnuͤgt, daß ſie ſich noch weiter entdeckte, da ſie ſagte: Don Diego waͤr zwar uͤber ihre bißherige Unbeſtaͤndigkeit ſehr mißvergnuͤgt, ſie wuͤſte aber gewiß, daß wenn ſie ihm nur wider einen freundlichen Blick gaͤb, er der vorige Liebhaber ſeyn wuͤrde. Schreibet ihm doch, verſetzte die Gouvernantin, ſchreibet ihm doch, wertheſte El - vira, ich offerire mich, ihm den Brief ſelbſt zu uͤberbringen. Dieſe war vor Entzuͤcken gantz auſſer ſich, und ſchrieb alſobald ein Billet an ihren Don Diego, welchen Victoria ihrem Verſprechen gemaͤß, zu uͤber - liefern, ſich in eine Kutſche ſetzte, und nach ſeinem Hauſe fuhr. Sie ſchrieb zugleich auch vor ſich einen Brief an den Vater der Elvira, den ſie auch ge - ziemend erſuchte, ſich wegen einer wichtigen Sache zu dem Don Diego zu bemuͤhen. Sie erſchien alda nicht in ihrer elenden Wittwen-Geſtalt, ſon - dern ſie batte ſich auf das ſchoͤnſte heraus geputzet, und ließ ihre guldnen Haare, wie die Aurora, wenn ſie am ſchoͤnſten glaͤntzet, um die Schultern herumfliegen. Don Diego empfieng ſie mit einer Verwunderung, die man ihm nicht verdencken konte, da er nicht wuſte, was ein unbekandtes Frau - enzimmer von ihm verlangte. Don Petro kam ſo gleich, als ſie ſich kaum niedergeſetzt hatten, und ſie bat den Don Diego ſich etwas zu entfernen, und auf der andern Seite ſich durch eine verborgene Thuͤr hinter die Tapeten zu be - geben, um ihr Geſpraͤche anzuhoͤren. Don Pedro kante ſie nicht in derK 3koſt -78koſtbaren Tracht, welche ihre Schoͤnheit nicht wenig vermehrte, und Vi - ctoria redete ihn, nachdem ſie ſich an einem bequemen Ort niedergelaſſen, alſo an: Jch halte vor noͤthig mein Herr, euch anfangs gleich meinen Stand und Nahmen zu eroͤfnen, um euch nicht in der Ungedult alzulange zu laſſen, worinnen ihr ſeyd, um es zu wiſſen. Jch bin aus Hoiland von einem vornehmen Geſchlecht, und habe das Ungluͤck gehabt, in meinem ſiebzehenden Jahre mei - nen Gemahl zu verlieren. Nach dieſen habe ich 3. Jahr in Wittwen - Stande gelebt, biß mich endlich Joſeph von Reinſtadt zu dem Fehler gebracht, mich mit ihm in ein eheliches Verbuͤndniß ein - zulaſſen. Womit ſie ihm die Eheverſchreibung uͤbergab, und nach deren Durchleſung ihre Rede fortſetzte: Meine Verwandten ſind maͤchtig genug, mir zu meinem Rechte zu verhelffen, ich habe aber, al - le Weitlaͤuftigkeiten zu vermeiden, vor billig erachtet, euch von meinen Forderungen zufoͤrderſt Nachricht zu geben, damit ihr nicht etwa in der Heyrath weiter fortfahren moͤget. Eure vor - treffliche Tochter verdienet etwas beſſers als einen ungetreuen Gemahl, und ich weiß, daß ihr viel zu gerecht ſeyd, euch da - rinnen zu widerſetzen. Wenn es ein Graf waͤr, (antwortete Don Pedro, gantz entruͤſtet,) ſo ſolte er doch nicht bey ſolchen Umſtaͤn - den mein Schwieger-Sohn ſeyn. Jch habe ohnedem ſchon von dem Joſeph von Reinſtadt ſo viel gehoͤret, daß er ein Menſch ſey, welcher ſeinen Appetit, bey allen wo es angeht, zu ſtillen pflegt, und einen ſolchen verlange ich nicht vor meine Tochter. Jch will ihm ſo gleich mein Haus verbieten, und alle Hofnung zur Vollziehung der Vermaͤhlung unterſagen laſſen. Mit welchen Worten er um Erlaubniß bat, ſich nach Hauſe zu begeben, nach deſſen Ab - ſchied der erfreute Don Diego ſich alſobald aus ſeinem Schlupfwinckel her - vorbegab, und zur Bekraͤfftigung deſſen was er gehoͤret, noch dazu den Brief der Elvira aus der Victoria Haͤnden erhielt. Er antwortete ſeiner Geliebten ſo gleich in den verpflichteſten Ausdruͤckungen wieder, welches Billet Victoria zu beſtellen auf ſich nahm, und geſchwinde zuruͤck nach ihrer Wohnung kehrte, alwo ſie in moͤglichſter Eil den praͤchtigen Habit, und dargegen ihre Wittwen-Kleider anzog. Don Pedro traf den ungetreuen Joſeph eben bey ſeiner Tochter an, welcher ſich wegen dem nachgemachten Brief rechtfertigen wolte, aber ſo wenig angehoͤret wurde, daß vielmehr der entruͤſtete Schwiegervater ſagte: Daß wenn auch wegen der Lucre - tia ein Betrug mit untergelaufen waͤr, ſo haͤtte er doch alle weilemit79mit einer vornehmen Dame mit Nahmen Victoria geſprochen, welcher er die Ehe zugeſagt, und einen ſchrifftlichen Contract daruͤber aufgerichtet haͤtte. Er ſetzte auch hinzu: Daß es einem Edel - mann nicht anſtuͤnde, wenn er ſich zu Bruͤſſel verheyrathen wol - te, da er ſchon anderwerts gebunden waͤr. Womit er dem beſtuͤrtz - ten Liebhaber die Eheverſchreibung uͤberreichte, ſich mit ſeiner Tochter von ihm begab, und ihn in der groͤſten Verwirrung von der Welt ſtehen ließ. Er wuſte nicht, wo dergleichen Handſchrifft hergekommen, ob ihn ſein Ge - wiſſen gleich uͤberzeugte, daß es die Wahrheit, und die Unterſchrifft ſeine Hand ſey. Victoria kam endlich in ihrer Wittwen-Kleidung zu der Elvi - ra, und uͤberbrachte ihr den Brief des Don Diego, welche ihr ſogleich er - zehlte, daß Joſeph von neuem eines groſſen Fehlers beſchuldigt waͤre, deſſen ihn eine vornehme Dame mit Vorzeigung eines Eheverſprechens uͤberwie - ſen haͤtte. Victoria ſparte nicht, dieſe That noch verhaſter vorzuſtellen, wie ſie denn an ſich auch genug zu tadeln war, und dachte dabey auf nichts, als den falſchen Joſeph noch mehr zu uͤberfuͤhren. Hierzu ereignete ſich ei - ne vortreffliche Gelegenheit, da die Elvira von unterſchiedlichen guten Freun - dinnen erſucht wurde, einer Comoedie, ſo bey ihren Verwandten vorgeſtel - let werden ſolte, zuzuſehen. Sie ſchmeichelte der Elvira, daß ſie jetzo das Vergnuͤgen haben koͤnte, Don Diego zu ſprachen, da die Comoedie erſt um Mitternacht ihren Anfang nahme, und ſie alſo zu guter Zeit ausfahren, und ſich mit ihm unterreden koͤnte. Elvira welche Don Diego wahrhaff - tig liebte, und welche bloß aus Gefaͤlligkeit vor ihren Vater Joſeph von Reinſtadt heyrathen wollen, machte bey den Worten der Victoria nicht die geringſte Schwuͤrigkeit. Sie ſetzten ſich ſobald es dunckel worden in eine Caroſſe, und fuhren nach dem von der Victoria beſtimmten Hauſe zu. El - vira ſchrieb ſo gleich ein Billet an ihren Don Diego, und Victoria hinge - gen eins unter dem Nahmen der Elvira an Joſeph, worinnen enthalten war, daß es an niemand als an ihm laͤge, daß ihre Heyrath nicht vollzogen wuͤrde, daß ſie bereit dazu ſey, und daß ſie ſeiner alhier erwarte. Wobey ſie ihm das Hauß ſo eigen beſchrieb, daß ers unmoͤglich verſehlen konte. Victoria verfertigte endlich auch den dritten, welchen ihr alter Barthel zu dem Don Pedro, dem Vater der Elvira tragen muſte, worinnen ſie ihm in der Qua - litaͤt der Hofmeiſterin von ſeiner Tochter Nachricht gab, daß die Elvira ſtatt in die Comoedie zu gehen, ſich in dieſes Hauß verfuͤget, und Joſephen von Reinſtadt ſchrifftlich erſucht haͤtte, die Ehe mit ihr zu vollziehen. Sie, Victoria, habe ihrer Schuldigkeit gemaͤß zu ſeyn erachtet, ihm davon Be - richt zu erſtatten, weil ſie wuͤſte, daß er nimmermehr dergleichen Heyrathzuge -80zugeben wuͤrde. Don Pedro war ſchon zu Bette, da er dieſe ſchoͤne Poſt erhielt, und kleidete ſich ſo geſchwind als moͤglich, in groͤſtem Zorne an. Ehe er aber noch an dem verlangten Orte anlangte, ſo kam Don Diego, welchen Victoria zu der Elvira in eine abſonderliche Kammer ließ, wo ſie einander tauſenderley Careſſen erwieſen. Unterdeſſen erſchien auch Joſeph, welchen ſie ebenfals in eine dunckle Kammer fuͤhrte, mit dem Bedeuten, Elvira wuͤrde im Augenblick zugegen ſeyn, und er moͤchte die Finſterniß der Schamhafftigkeit eines jungen Frauenzimmers zuſchreiben, welche in einer ſo kuͤhnen Handlung ſich nicht ſo gleich faſſen koͤnte. Hierauf gieng ſie von ihm weg, kleidete ſich geſchwinde anders an, und beſtrich ſich mit dem koſtbar - ſten Balſam, womit ſie in die Kammer trat, und dadurch Joſephen ſo be - trog, daß er ſie vor die leibhafftige Elvire hielte. Da dieſes vorgieng, kam Don Pedro mit ein paar Laquaien, und trat unvermuthet in die Kammer, wo die Elvira mit ihrem Geliebten war, wodurch dieſe beyde wie von dem Blitz geruͤhret wurden. Don Pedro wolte in Zorn Don Diego erſtechen, weil er ihn vor Joſeph von Reinſtadt hielt, welcher ihm aber in die Arme, und hernach zu Fuͤſſen fiel, und die Groͤſe ſeiner Liebe entdeckte. Hier klaͤr - te ſich das finſtre und woͤlckichte Geſichte des Don Pedro wieder aus, und er ließ ſich das mit ſeiner Tochter ihrem vereinte Bitten des Don Diego be - wegen, ſeine Einſtimmung zu ihrer Vermaͤhlung zu geben. Worauf ei - ner von den Laquaien, welcher von der Conferentz der Victoria Wind hat - te, Don Pedro hin in die Cammer fuͤhrte, wo ſie ſich mit dem Joſeph gantz alleine befand. Joſeph fragte, was man von ihm haben wolte, es waͤre niemand bey ihm, als ſeine Gemahlin, Elvira. Worauf aber Don Pedro antwortete: Daß er ſich entſetzlich betroͤg, weil El - vira an einen andern vermaͤhlet ſey, und daß er nicht laͤnger leugnen koͤnne, ſich mit der Victoria nicht eingelaſſen zu haben. Victoria gab ſich hiermit dieſem ungetreuen zu erkennen, welcher dadurch der verwirrteſte Menſch von der Welt wurde. Sie ſtellte ihm ſeine Un - danckbarkeit ſo nachdruͤcklich vor, daß er nichts darauf zu antworten ver - mochte, biß endlich ſein beiſſendes Gewiſſen, der Victoria weinende Augen, des Don Pedro ernſtliches Vermahnen, und die nicht geringe Schoͤnheit ſeiner Verlaßnen, nebſt einem Reſt der Großmuth ihn bewegten, ſich vor der Victoria nieder zuwerfen, und ſie tauſendmahl um Verzeihung ſeines Fehlers anzuflehen. Sie erzeigte ſich hierbey nicht im geringſten ſchwuͤrig, und ertheilte ihm dieſelbige mit den angenehmſten Worten. Woruͤber Don Pedro, Elvira und Don Diego ihre Gluͤckwuͤnſche abſtatteten, und dergleichen von ihnen wider empfingen. Worauf in wenig Tagen dieſegedop -81gedoppelte Vermaͤhlung erfolgte, deſſen Perſonen noch jetzo diejenigen Suͤſ - ſigkeiten koſten, welche eine rechtſchaffene und nicht flatterhaffte Liebe zu ſchen - cken vermag.

Raminio.

Jch geſtehe es, Mylord, daß mir dieſe Erzehlung vieles Vergnuͤgen gegeben, ob man wohl nicht daraus ſchlieſſen kan, daß alle Winckel - und ohne der Eltern Wiſſen, oder mit unbekandten vollzogene Ehen einen ſo gluͤcklichen Ausgang jederzeit zu gewarten haben. Man koͤnte hieruͤber noch viele Anmerckungen machen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤſte, euch, Mylord, von der Ruhe allzulange abzuhalten. Womit ſie ſich von einander ſcheideten, und ein jeder in ſein angewieſenes Zimmer gieng, um aldort, die Nacht durch, die Ruhe zu ſuchen. Fruͤh morgends war dieſes ihr erſtes, daß ſie alſobald die merckwuͤrdigſten Dinge von Middelburg beſahen. Dieſe Stadt iſt die vornehmſte in der Provintz Seeland, wel - che auf der Jnſul Walcheren liegt. So klein ihr Anfang iſt, da ſie 1121. nur noch ein Dorf geweſen, ſo groß iſt ihr jetziger Fortgang, da ſie ſich den Rang unter den vornehmſten Staͤdten mit erworben. Das reiche Praͤ - monſtratenſer-Kloſter zu S. Nicolai iſt ihr jetziges Land-Haus, alwo ſich die Admiralitaͤt-Muͤntze - und Rent-Kammer befindet, auch die See - laͤndiſchen Land-Taͤge gehalten werden. Sie hat die Stapel-Gerechtig - keit von den Frantzoͤſiſchen, Spaniſchen und andern Weinen, wodurch ſie ihr Commercium ſo hoch gebracht, daß ſie vor eine der ſchoͤnſten, groͤ - ſten und reichſten Handels-Plaͤtze in den Niederlanden paßiren kan. Auch iſt dieſes von ihr merckwuͤrdig, daß 1609. die Perſpective alhier erfunden ſeyn ſollen, welche nach ihrer verſchiedenen Art einen weltbekanten Nutzen haben. Nachdem ſie nun dieſes zur Gnuͤge geſehen, ſo begaben ſie ſich nach dem nur eine Meile von Middelburg entlegenen Vließingen, als demjenigen Hafen an der Schelde, der nicht unbillig der Schluͤſſel zu den Niederlanden genennet wird. Mylord Bingley fragte unterwegs den Raminio, in Gegenwart ſeines Freundes Mylords Childron, wo denn dieſe Stadt den Nahmen herfuͤhrte, er haͤtte gehoͤrt, von dem Ulyſſe?

Raminio.

Nein, Mylord, das kan wohl nicht ſeyn, weil Ulyſſes nicht in dieſe Gegenden gekommen, und man bloß ihm zu Ehren nicht leichtlich eine Stadt nach ihm genennet haben wird. Andere ſagen, und mit mehrerer Wahrſchemlichkeit, daß der Nahme Vließingen, oder Fließingen, welchesLeiner -82einerley iſt, von der Flaſche herruͤhre, die dieſe Stadt noch in dem Wap - pen fuͤhret.

Bingley.

Was hat es denn damit vor eine Bewandniß?

Raminio.

Die Jnwohner dieſer Stadt, und ſonderlich die Weibs-Perſonen, ſollen vor Alters gewohnt geweſen ſeyn, gerne Wein zu trincken, zu dem Ende ſie beſtaͤndig Flaſchen voll dieſes Getraͤncks getragen haben, welches ſich aber jetzo vielleicht geaͤndert haben mag.

Bingley.

Das will ich nicht widerſtreiten, aber daß doch dieſe Sache in an - dern Laͤndern noch biß auf dieſe Stunde ihre Richtigkeit habe, iſt gewiß. Denn ich kenne eine Frau, welche ein Glaͤßgen Wein vor ihr Labſal haͤlt, und den gantzen Tag eine Flaſche, ſo damit angefuͤllet, bey ſich traͤgt, wel - che ſie, wenn ſie leer iſt, wiederum vollfuͤllet, wodurch ſie ihren Mann, der von dieſer Saufbulle nichts weiß, oͤffters in groſſes Erſchrecken geſetzet, wenn ſie jaͤhling in der Stube / oder im Hauſe umgefallen, und mit ſtam - lenden Munde vorgegeben, daß ihr eine Ohnmacht zuzoͤg, wodurch ſie zu - weilen gemacht, daß man Doctor und Balbier rufen muͤſſen.

Raminio.

Ach ja! das glaube ich wohl, Mylord, und ich wolte euch mehr dergleichen Exempel erzehlen, wenn es die Zeit lidte. Vließingen iſt 1400. noch ein Dorf geweſen, darauf es mit Mauren verſehen worden, und nach und nach zu ſolcher Feſtigkeit gelangt, daß Kayſer Carl V. ſeinem Sohne Philippo II. die Erhaltung dieſes Orts hauptſaͤchlich anbefohlen, welcher aber 1572. durch die Strengigkeit des Alba verlohren gegangen, da er die Einwohner durch Forderung des zehnten Pfennigs zum Abfall bewegt. Dieſe Stadt gehoͤrt nebſt Veer unter dem Titel einer Marggrafſchafft den Durchlauch - tigſten Erben des Koͤnig Wilhelms als Printzen von Oranien. Der heu - tige Printz dieſes Nahmens hat bißhero unterſchiedliche Verdrießlichkeiten mit den General-Staaten als ſeinen Vormuͤndern gehabt, welche aber zu Anfang dieſes Jahrs zum Theil beygelegt worden. Jn dieſer Stadt ſiehet man ſo wohl bey Freuden - als Trauer-Faͤllen beſondere Ceremonien, denn wenn jemand in einem Hauſe geſtorben, ſo legt man einen Stroh - wiſch vor die Thuͤr, wenn aber jemand gebohren iſt, wird ein Stuͤck Leinwand mit einem Puͤpgen vor die Thuͤr gehaͤnget, und noch ein Fe -der -83der-Kiel dazu, wenn es ein Knaͤbgen iſt. Er muſte hiermit ſeinen Diſ - cours beſchlieſſen, weil ſie in Vließingen anlangten, und ſich alſobald in das vornehmſte Gaſthauß einlogierten, und fruͤh Morgends ein paar Stun - den anwendeten, ſich umzuſehen, darauf ſie ihren Weg weiter fortſetzten, und nach der Jnſul Sud-Beveland ſchifften, wo ſie in dem Hafen Goes, der an dem oͤſtlichen Einfluß der Schelde liegt, ausſtiegen. Dieſe groſſe und ſchoͤne Stadt aber war nicht vermoͤgend, ſie in ihren Mauren lange zu behalten, ſondern nach einem kurtzen Verweilen, verlieſſen ſie Goes und zu - gleich die Provintz Seeland, indem ſie ſich in das hollaͤndiſche Brabant und in die zufoͤrderſt gelegene Stadt Bergenopzoom verfuͤgten. Es gefiel den Lords alhier ſo wohl, daß ſie ſich einen Tag hier zu arretiren vornahmen, und dieſen damit zubrachten, daß ſie die daſige Feſtungs-Wercke genau in Augenſchein nahmen. Da ſie nun Mylord Bingley ſo fuͤrtreflich und re - gulair fand, ſo ſagte er zu dem Raminio:

Dieſer Platz muß ohne Zweifel einer von den wichtigſten in den Nie - derlanden ſeyn, indem die Fortification daran ſo richtig und ſchoͤne iſt, als ich an wenig Orten geſehen?

Raminio.

Es iſt wahr, Mylord, und man hat dieſen Ort nicht unbillig vor un - uͤberwindlich gehalten, biß er in der letzten Belagerung das Gegentheil er - wieſen. Wiewohl man mit Unrecht eine Feſtung vor unuͤberwindlich aus - giebt, indem man heut zu tage ſchon Mittel weiß ſie durch allerhand Mittel, als Bloquaden, Bombardirungen, auch wohl durch Beſtechung der Commendanten ſie zur Ubergabe zuzwingen. Vor hundert Jahren hielte man davor, Bergenopzoom koͤnte ohnmoͤglich eine Real-Veſtung abge - ben, weil ſeine Lage dazu nicht vortheilhafftig waͤr, nachdem aber geſchickte Jngenieurs die Hand ans Werck geſchlagen, ſo iſt es gar wohl moͤglich ge - weſen. Dieſe Stadt und die dazugehoͤrigen Dorfſchafften fuͤhren den Ti - tul eines Marquiſats, welchen Rang ſie von dem Kayſer Carl V. 1533. erhalten, und 1577. in der Hollaͤnder Gewalt gekommen.

Bingley.

Koͤnt ihr mir denn aber, wertheſter Raminio, nicht einige Nachricht von dem Geſchlechte geben, welches dieſe Marggrafſchafft beſeſſen?

Raminio.

Es ſind gar viel Veraͤnderungen unter den Beſitzern dieſer Landſchafft vorgegangen. Sie war ehemahls ein Theil der Herrſchafft Breda, denn mit Jſabella, Henrichs, Herrn von Breda und Bergenopzoom Erbin kam ſie an Arnold von Loͤven. Dieſer zeugte mit ihr 2. Toͤchter, davon AlciteL 2ihrem84ihrem Gemahl Raſoni von Gavere die Stadt Breda Maria aber, die mit Gerharden von Waſemalen vermaͤhlet wurde, Bergenopzoom zu - brachte. Von dem letztern kam es auf die Bouterzemen, und von dieſen an Johannem von Glimes, Johannis III. Hertzogs von Braband natuͤrlichen Sohn. Darauf bekamen ſie nach und nach die Freyherrn von Me - rode, die Witthemen, die von Heerenberg, und die Grafen zu Berg, von denen es Hohenzollern bekommen, von da es durch Vermaͤhlung der Hen - riette Franciſca, Friedrichs Fuͤrſten von Hohenzollern, und der Maria, Graͤfin von Berg Tochter 1662. an Friedrich Moritzen, de la Tour d Auvergne gebracht worden, deſſen Sohn Franciſcus Ego in Holland Ge - neral-Lieutenant war, und 1710. verſtarb, auch Mariam Annam, als Erbin des Marquiſats Bergenopzoom hinterließ, die unter der Vormund - ſchafft der General-Staaten ſtund, und 1722. an Johann Chriſtian, Pfaltzgrafen von Sultzbach vermaͤhlet worden. Der Beſitzer dieſer Marg - grafſchafft hat uͤbrigens weiter nichts als die Jurisdiction, Revenuen, und etliche andere Gerechtigkeiten darinnen, indem die Oberherrſchafft, oder Lan - des-Hoheit den General-Staaten zuſtehet. Mylord Bingley war mit die - ſer kurtzen Nachricht vollkommen zufrieden, und ſie wurden eins ſich nach Breda zu verfuͤgen. Sie hatten die Reiſe dahin ſchon angetreten, und ein gut Stuͤck Wegs hinter ſich gelegt, da ihnen eine anſehnliche Perſon mit vielen Dienern begleitet entgegen kam. Anfangs konte ſich Mylord Bingley nicht entſinnen, ihn zu kennen, biß er naͤher hinzu kam, und in ſeinem Geſich - te alſobald die heldenmuͤthigen Minen des beruͤhmten General Dopfs be - merckte. Und dieſer war es auch, welcher in dem Succeßions-Krieg ſo viel tapfere Thaten gethan, und mit dem Mylord Bingley ſchon damahls eine genaue Freundſchafft unterhalten hatte. Er redete ihn dahero alſobald an, und die Laͤnge der Zeit hatte gleichfals bey dem General nicht gemacht, daß er des Lords vergeſſen haͤtte. Sie fielen einander auf die zaͤrtlichſte Weiſe um den Hals, und verſicherten einander, wie ſie ſich dieſen Tag keines weges eines ſol - chen Gluͤcks vermuthen geweſen waͤren. Der General entſchloß ſich zugleich mit ihnen nach Breda zu reiſen, um Gelegenheit zu haben, ſich in einer ſo lan - ge Zeit entbehrten Geſellſchafft noch einmahl zu ergoͤtzen. Sie langten in einer praͤchtigen Wohnung an. Sie verfielen auf allerhand Diſcourſe, und die Begebenheiten, ſo ſich Zeit ihres ehemahligen Umgangs zugetragen, gaben ihnen durch ein widerholtes Andencken kein kleines Vergnuͤgen. Endlich ſagte

Mylord Bingley.

Doͤrfte ich mir wohl, wertheſter Herr Bruder, die Freyheit nehmen, mir einige Nachricht von dem jetzigen Zuſtand der hollaͤndiſchen Macht zuWaſ -85Waſſer und Lande auszubitten, ſo kan ich verſichern, daß mir hierdurch ein ausnehmender Gefallen geſchehen wuͤrde?

Der General.

Hertzlich gerne, ſo viel als in meiner Wiſſenſchafft, und ohne Verle - tzung meines geleiſteten Eydes geſchehen kan. Der Unterſchied, zwiſchen der ehemahligen und jetzigen Macht der Hollaͤnder iſt ſehr groß. Denn da die Republique geſtifftet wurde, ſo ſtund ſie noch in keiner ordentlichen Verfaſ - ſung, weil die Commercia noch nicht floriſant waren, und erſt nach und nach zu einer ſolchen Vortrefflichkeit gediehen, welche man bewundern muß, wie denn in dem 1733 ſten Jahre faſt 1700. Schiffe in dem Texel eingelaufen ſeyn. Denn da der Umfang des Landes nicht allzugroß, und folglich dieſes keine ſtar - cke Armee von puren Jnwohnern hervorbringen kan, ſo iſt kein anderes Mit - tel, als ſie von andern Orten herzulocken. Darzu gehoͤrt Geld, und folglich Commercien, denn wo keine Handlung bluͤhet, da iſt auch nicht viel Geld in Lande. Dieſe aber brachten die Hollaͤnder bald in Stand, und widerſetz - ten ſich tapfer ihren Feinden, ob es wohl 1672. bey dem entſetzlichen Ein - bruch des Koͤnigs in Franckreich etwas anders hergieng, als welcher in kur - tzer Zeit faſt gantz Holland eroberte, und Amſterdam auch ſeine worden waͤr, wenn der daſige Buͤrgermeiſter, Borell, nicht die Schleuſſen faſt mit Ge - walt oͤffnen laſſen. Wie wohl daran nichts als die uͤble Anſtalt ſchuld war, weil die Feſtungen, mit lauter Schwaͤgern, Gevattern, Soͤhnen, Vet - tern ꝛc. von den vornehmſten des Landes commandiret wurden, die wohl eine Taſſe Caffee trincken, aber kein Pulver riechen konten, und dahero ſich ſo bald ſie nur die Feinde von den Spitzen der Thuͤrmen erblickten, ergaben. Wie denn die reichſten Kaufleute ſchon Schiffe beſtellet hatten, um wenn es gefaͤhrlicher werden ſolte, mit alle dem ihrigen, nach Oſt-Jndien zu fluͤch - ten. Nach der Zeit aber iſt die Verbeſſerung der Kriegs-Ruͤſtungen, als eine Nothwendigkeit zu Conſervirung ihrer Republique angeſehen worden und die Trouppen ſind dahero in dem Succeßions-Krieg ſtarck genug erſchienen, wie ich denn verſichern kan, daß damahls mehr als 35000. Mann in hollaͤndiſchen Dienſten geſtanden, welche groͤſten - theils von Teutſchen Fuͤrſten angeworben worden. Sie haben tapfe - re Generals gehabt, und auch noch, worunter ſonderlich der beruͤhm - te Baron von Coehorn ſich hervorgethan, welcher durch die von ihm erſonnene Kunſt, auf eine gantz neue Art die Staͤdte durch das Feuer zur Uber - gabe zu zwingen, ſich einen ewigen Ruhm erworben. Der General-Stadt - halter iſt zugleich General-Capitain, und weil alſo des Stadthalters groͤſtes Anſehen in dem Kriege beſteht, ſo haben die Hollaͤnder nach KoͤnigL 3Wil -86Wilhelms Tode keinen wider erwehlet, weil ſie in der Meynung ſtehen, als wenn ſie ſonſt viel eher in Kriege verwickelt wuͤrden. Jhre Macht zur See iſt noch anſehnlicher als die zu Lande. Denn ohne zu gedencken, von demjenigen, was ſie in Oſt-Jndien an Schiffen haben, womit ſie wohl ehemahls den groſſen Mogul, den Kayſer von Java, und andre Aſi - atiſche Potentaten zu Paaren getrieben, auch den Portugieſen ihre beſte Laͤnder weggenommen haben, ſo will ich nur mit ein paar Worten von ihrer See-Macht hier zu Lande reden. Es iſt ein gemeines Sprichwort: daß in Holland alleine mehr Schiffe waͤren als in der gantzen Welt zuſammen, welches man aber auch bedachtſam nachreden muß, indem die Schiffe von vielerley Art ſind. Nun mag wohl das ſeine Richtigkeit haben, daß in keinem Land ſo viel Barquen, Treckſchuyten, und andere kleine Fahrzeuge ſind, ſintemahl faſt kein Bauer iſt, der nicht ein paar Bar - quen habe, und ſeine Sachen, ſo er zu verkaufen hat, vermittelſt der haͤufigen Canaͤle darauf zu Marckte bringt, wenn man aber dieſes Sprichwort von Kriegs-Schiffen verſtehen wolte, ſo waͤr es wider die offenbare Wahr - heit gehandelt. Denn ob wohl Holland ſich mit Spanien, Engelland und Schweden in See Gefechte eingelaſſen, und zum Theil dabey die Oberhand gewonnen hat, ſo iſt doch die Flotte des eintzigen Großbrittan - niens weit zahlreicher, als der Hollaͤnder ihre. Denn zu Anfang dieſes Jahres kam in Engelland eine Liſte von den paratſeyenden Kriegs-Schif - fen hervor, welche ſich auf 200. beliefen, und wegen ihrer Geſchicklichkeit und Menge dem gantzen Europaͤ Furcht einzujagen vermoͤgend ſind. Die Hollaͤnder koͤnnen aber doch wenigſtens 70. biß 80. Schiffe von der Linie in See ſtellen, welche Macht ſchon Franckreich und Spanien in Zaum zu halten im Stande iſt. Wiewohl man eben dieſes in der Politique nicht zu billigen pflegt, daß die Hollaͤnder den Spaniern die Waffen, womit ſie ſelbſt beſtrit - ten werden, in die Haͤnde geben. Denn weil die Spanier groͤſtentheils ein ſchlaͤffriges Temperament haben, und lieber Schildwache ſtehen, als arbeiten, ſo bauen ſie wenig oder gar keine Schiffe, ob ſie gleich faſt alle Materialien dazu im Lande haben, ſondern kaufen ſie lieber von den Hollaͤndern, welche ſie ihnen denn vor wichtige Bezahlung geben, und bey ereignetem Krieg wider ab - nehmen. Dieſes eintzige will ich nur hiervon noch gedencken, daß die Bauern in dem Dorfe Sardan, ſo eine Stunde von Amſterdam liegt, die Schiff - Baukunſt ſo vollkommen verſtehen, daß wenn man es ihnen zwey Monat voraus ſagt, um Materialien anzuſchaffen, ſie hernach in jeder Woche, ſo in den 10. uͤbrigen Monaten des Jahrs begriffen ſind, ein ſeegelfertiges Kriegs - Schiff bauen koͤnnen.

Bingley. 87
Bingley.

Warum aber thun denn dieſes die Hollaͤnder, daß ſie den Spaniern Schiffe verkauffen, zu denen ſie ſich doch niemahls etwas guts zu verſehen haben?

Der General.

Teutſch zu ſagen: Die Liebe zum Gelde. Denn die Privat-Perſonen und vornehmen Kaufleute gewinnen ein anſehnliches dabey, und es ſoll offt ein ſolcher Handel geſchloſſen werden, ohne daß Erkundigung deßwegen eingezogen wuͤrde. Wiewohl es freylich ſicherer waͤr, die Feinde eines Staats in An - fang gleich nicht zu verſtaͤrcken, als ſich ihrer hernach mit Gefahr zu erwehren. Er endigte mit dieſen Worten ſeine Rede, und weil ſeine Verrichtungen ihm nicht laͤnger alhier ſich aufzuhalten erlaubten, ſo nahm er zugleich von ſeinen Freunden Abſchied, welche zwar uͤber ſeine Abreiſe ſehr betruͤbt waren, aber ihm dennoch auch nichts zumuthen konten, ſo ſeiner Pflicht zuwider waͤr. Nachdem ſie dieſen tapfern General entbehren muſten, erkundigte ſich Mylord Childron bey ſeinem Freunde ob er ihm nicht einige Nachricht von dem Zu - ſtande der Stadt Breda geben wolte, damit ſie bey dieſen muͤßigen Stunden einigen Zeitvertreib haͤtten. Bingley war dazu willig und ſagte:

Bingley.

Breda iſt die Hauptſtadt einer Bargnie, welche dem Printz Wil - helm von Oranien ſchon damahls gehoͤrte, da ſich die groſſe Revolution in Holland ereignete. Sie wurde ihm aber durch die Spanier, weil er aus dem Lande gegangen, ſo lange entzogen, biß ſie durch die Waffen wider erobert wurde. Nachdem iſt ſie beſtaͤndig bey der Oraniſchen Familie geblieben, und aus der Erbſchafft des Koͤnig Wilhelms von Engelland an den Printzen von Oranien, und Naſſaudietz gediehen. Dieſe Stadt, iſt, wie ihr, Mylord, ſelbſten in Obacht genommen haben werdet, eine regulaire Feſtung, und die Garniſon iſt hollaͤndiſch. Sie iſt wegen des 1667. zwiſchen Engelland und Holland geſchloſſenen Friedens merckwuͤrdig, indem dadurch die bißher ge - dauerte Zwiſtigkeiten zwiſchen beyden Staaten beygelegt wurden. Sie hat in den langwierigen Kriegs-Troublen unterſchiedliche Fata gehabt. Denn 1581. wurde ſie von dem Grafen von Barlemont erobert, und rein ausge - pluͤndert. Hingegen kam ſie 1590. wider in der Hollaͤnder Gewalt, indem ſie von einem Walloniſchen von Adel, Carln von Heraugnieres, mit einer be - ſondern Kriegs-Liſt eiugenommen wurde. Denn er hatte 70. tapfere Kerl in ein Schiff, ſo mit Torf beladen war, verſteckt, davon einer der den Hu - ſten nicht verbergen konte, ſeinen Cameraden bat, ihn todt zu ſtechen, damit ihr Vorhaben durch ihn nicht verrathen wuͤrde, womit er biß in die Stadt fuhr, und ſie alsdenn ausſteigen ließ, die denen nachkommenden Trouppen die Thoreoͤffne -88oͤffneten, und die Stadt zum Gehorſam brachten. Dieſes Schiff iſt biß 1625. verwahrt behalten worden, da es auf Befehl des Marquis de Spinola, welcher Breda damahls wider eroberte, verbrennet wurde, welche Stadt dennoch Printz Friedrich Henrich von Oranien 1637. den Spaniern wieder wegriß, ungeachtet der Cardinal Jnfant mit einer ſtarcken Armee entſetzen wolte.

Raminio.

Haltet ihr denn die Krieges-Liſten vor erlaubt Mylord? Jch daͤchte, es waͤr etwas unbilliges darhinter, weil man ſeinem Feind heimlich und unver - muthet ſchadet, da es doch oͤffentlich geſchehen ſolte, welches dem Uberwinder auch mehr Ruhm dringen wuͤrde.

Bingley.

Jch kan euch darinnen nicht Beyfall geben, weil eure Meynung etwas wunderlich heraus koͤmt. Denn wenn ein oͤffentlicher Feind eines ſouverai - nen Herrn Lande anfaͤlt, ſo iſt er ſo gleich befugt, ihm vermoͤge der raiſon de guerre, auf alle moͤgliche Weiſe zuſchaden. Eine wohl ausgeſonnene Liſt hilfft oͤffters mehr, als wenn ich die groͤſte Gewalt brauchte. Denn warum gibt der Contrapart nicht beſſer Achtung, und warum iſt er nicht vorſichtiger, ſich wider feindliche Liſt in Sicherheit zu ſetzen. Wenn eine ſolche Liſt nun wohl ausgeſonnen iſt, ſo erwirbt ſich der Erfinder einen ewigen Ruhm ob der Erfolg gleich ſich nicht in allem nach Wunſch gefuͤget. Jn dieſem Seculo haben wir ein merckwuͤrdiges Exempel erlebet, da der heldenmuͤthige Printz Eugenius in Cremona vermittelſt eines Canals hinein kam, und den Frantzoͤſiſchen Ge - neralißimum, Hertzog von Villeroi heraus holte. Alle Welt bewundert noch biß jetzo dieſes Unternehmen, und die Feinde ſelbſt, ermangeln nicht, dieſes als einen coup d’éclat, oder eine ſolche Liſt auszugeben, die etwas ungemei - nes in ſich fuͤhrte. Denn ein jeder muß auf ſeiner Hut ſeyn, und es iſt die letz - tere Begebenheit niemand anders als den Frantzoſen in Anſehung des Verſe - hens zuzuſchreiben, als welche Cremona genauer beſichtigen, und den fatalen Canal beſſer verwahren ſollen.

Mylord haͤtte noch weiter in dieſem Diſcours fortgefahren, wenn er nicht durch die Ankunfft eines Couriers, der ihm wichtige Briefe aus Engelland uͤberbrachte, daran ver - hindert worden waͤr, indem er zu deren Expedition Anſtalt machen muſte. Dieſe waren von ſolcher Wichtigkeit, daß er einige Tage hier ſich aufzuhalten vor noͤthig befand. Wir wollen ihn alſo alhier ſo lange wegen ſeiner Verrichtungen bemuͤhet ſeyn laſſen, und ihn nach deren Endigung auf ſeiner Reiſe weiter begleiten.

ENDE.

  • Die wegen Eilfertigkeit des Drucks eingeſchlichene Fehler beliebe der geneigte Leſer folgen - der maſſen zu aͤndern: pag. 41. l. 18. erlangtes, ſtatt verlangtes. l. 21. demnach ſtatt dennoch. p. 42. l. 22. Patriot vor Patriarch. p. 44. l. 7. daran, ſtatt davon. b. Politi - que, ſtatt Polidique. p. 49. Loßduin vor Loßdrin, p. 50. l. 2. 1276. vor 1267. p. 51. l. 12. datum ſtatt dotum. p. 53. l. 3. Aedergen ſtatt Edergen, p. 62. l. 3. haut vor Haud.

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TextDer reisende Engelländer
Author N. N.
Extent100 images; 33211 tokens; 7100 types; 233517 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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Bibliographic informationDer reisende Engelländer Welcher, Die Schwermuth seiner Gedancken Zu vertreiben, Durch Die vornehmsten Länder reiset Sich Derselben Grösse, Vortrefflichkeit, Macht und Schwäche bekand macht, Der Einwohner Sitten, die Art des Regiments, und besondere Merckwürdigkeiten in Betrachtung ziehet, Auch Mit Personen allerley Standes Unterredung pfleget, Und seine Reise zu Wasser und Lande Vor dißmahl aber nur durch einen Theil Von den Vereinigten Niederlanden Fortsetzet N. N.. . [4] Bl., 88 S. : Frontispiz (Kupferst.) FrankfurtLeipzig1734.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Reiseliteratur; Gebrauchsliteratur; Reiseliteratur; core; ready; china

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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