PRIMS Full-text transcription (HTML)
Freymuͤthige Doch Beſcheidene Unterredungen Von Kirchen - Religions - Politiſchen - und Natur - Sachen
Franckfurt und Leipzig,Auf Koſten des Autoris. 1737.

Vorrede des Concipienten an den ge - neigten und auch unguͤtigen Leſer.

D uͤber dieſe Unterredungen mancherley Urtheile gefaͤllet werden doͤrfften, iſt leicht vor - herzuſehen. Da der in denen Vorurtheilen ſeiner Partie er - zogene, nichts vor wahr und recht anſie - het, als das, was mit denenſelben uͤberein kommt. Ein anderer mit Affecten der Ei - genliebe Eingenommener, nur das billi - get, was ſeine Paßionen behaget. Und da nicht alle Menſchen die Gaben beſitzen) (2dasdas Wahre vom Falſchen, und das Gute vom Boͤſen richtig zu entſcheiden: ſo doͤrf - ten wohl nicht die allermeiſte, welche die - ſes zu ſehen bekommen, ſo billig ſeyn, ein unpartheyiſches Urtheil daruͤber zu faͤl - len. Solten einige aus Liebe zu der Wahrheit, uͤber ein oder anderes eine Erlaͤuterung beſcheidentlich verlangen: denenſelben wird, wo GOtt der HErr Leben und Geſundheit verleihet, wohl willfahret werden koͤnnen. Welche ſich aber als infallibele quaſi-Paͤpſte und In - quiſitores ſic dictæ hæreticæ pravitatis als ungebetene Richtere aufzuwerffen belie - ben moͤgten: denen zu antworten, wird man ſich nicht bemuͤhen: ſondern die Frey - heit, die ſie ſich andere zu verketzern neh - men, großmuͤthig verachten, und ihnen ein geſunderes Hertz und Verſtand anwuͤn - ſchen. Valete.

Von[1]

Von Gnade und Wahrheit will ich reden, und ein neues Lied ſingen, zum Ruhm des Schoͤpfers aller Dingen; von dem, zu dem und durch den alles iſt im Himmel und auf Erden.

Die hoffaͤrtige Hertzen ſollen und wer - den gedemuͤthiget, und die hohe Augen erniedriget werden. Ein Menſch der ſich auf ſeinen Reichthum verlaͤſt, und mit ſeinem Hertzen vom HErren weichet, wird Gram zu Lohn und Kummer vor Freude haben. Der iſt verflucht, welcher Fleiſch vor ſeinen Arm haͤlt, und auf Fuͤrſten mehr als auf GOtt vertrauet.

AWehe2

Wehe denen, die nur das ſuchen, was dem Fleiſch behaget; welche die Abgoͤtter aller Weit: die Fleiſches-Luſt, Augen - Luſt und hoffaͤrtiges Leben verehrende an - beten; und in allen Dingen mit ihrer verfinſterten eigenliebigen Vernunfft zu rathe gehen; den HErrn der Heerſchaa - ren aber nicht um Rath fragen, und in wahrer Hertzens-Demuth anbeten.

Selig und aber ſelig ſind die Sanfft - muͤthige, Demuͤthige und reines Hertzens: Die da leutſelig, beſcheiden, friedfertig, geduldig und barmhertzig ſind. Denn das Reich GOttes iſt in ihnen; Gerech - tigkeit, Gnade und Frieden vom GOtt des Friedens und unendlicher Freude ruhet auf ihnen. Halleluja!

Erſte
[3]

Erſte Converſation.

Da einige gute Freunde zuweilen zuſammen kamen, und ſich von allerhand nuͤtzlichen Dingen unterredeten; deren einer das merckwuͤrdigſte ihrer Diſcurſe aufnotiret, hat ſel - biger nicht undienlich geachtet, es dem Publico zu communiciren.

Einer dererſelben, ein Philoſoph, Nahmens Ni - cander, finge einſten an Herrn Modeſtinum alſo an - zureden: Da ſo vielerley Meinungen in Religions - Sachen ſind, als Voͤlcker und Nationen auf Er - den; und ein jeder ſich einbildet, ſeine Religion ſey die beſte; ſo ſage er mir doch offenhertzig: Welche Religion haͤlt er vor die beſte?

Modeſtin.

Hierauf will ich meinen Freund auf - richtig dienen, und nichts verhalten von dem, wo - von ich meines Theils verſichert bin, daß es zum Grund und Fundament der beſten Religion ge - hoͤre. Wir muͤſſen aber erſt einig ſeyn: Wie wir das Wort Religion verſtehen und nehmen.

Alamodan.

Man pfleget ja meines Erachtens da - durch nichts anders zu verſtehen: als die Weiſe und Art GOtt zu dienen; und die Glaubens - Formul oder Bekaͤnntnis, welche ein jeder nachA 2ſeiner4ſeiner Secte, darinnen er ſtehet, von denen Glau - bens-Sachen hat.

Modeſtin.

Wir wollen uns um eine genaue Be - ſchreibung des Worts Religion nicht bekuͤmmern; welche einige von religare, das iſt, verbinden, her - leiten: Weil die Religion den Menſchen mit GOtt wieder verbinden ſoll. Nur waͤre zwiſchen denen Woͤrtern Religion und Glauben ein Unterſcheid zu machen; ſo, daß man durch die Religion uͤber - haupt alle Arten derer Meinungen und Ceremo - nien verſtehe, welche die Menſchen als Glaubens - Articul noͤthig achten, entweder GOtt, oder ihre Goͤtzen, zu verehren. Das Wort Glauben aber heiſſet eigentlich ſo viel als vertrauen; daher auch das Wort Glaͤubiger, Creditor, bey Handels-Leu - ten ſo viel iſt; als dem man etwas anvertrauet und borget. Welches zu Vermeidung einiger Undeut - lichkeit und Confuſion dienen koͤnte. Denn es gibt ſehr religioͤſe aberglaͤubiſche Leute, welche doch kei - nen wahren Glauben haben.

Nicander.

Dieſes mag alſo ſeyn: alleine der Herr beliebe mir denn nur zu ſagen: Was er glau - be noͤthig zu ſeyn GOtt zu verehren; oder welches nach ſeinem Begriff die richtigſte Religion ſeye? Weilen ja mehr verſchiedene Meinungen und Ge - braͤuche in dieſer Sache in der Welt ſind, als Na - tionen und Herrſchafften. Wie denn in der eini - gen Stadt Amſterdam und London mehrere Se - cten ſind, als Tage in einem Monath.

Modeſtin.

Meinem Freund meine Bekaͤnntnis hievon zu eroͤffnen, koͤnte zwar mit gantz wenigenWor -5Worten geſchehen, wenn ich ſagte: Daß GOtt uͤber alles, und ſeinen Naͤchſten als ſich ſelbſt zu lie - ben, der gantze Jnhalt des Geſetzes und der Pro - pheten, und deme nach die beſte Religion ſeye; al - leine dieſes muß nothwendig etwas erklaͤret werden, damit wir einander beſſer verſtehen.

Alamodan.

Dieſes iſt freylich ein gar unzulaͤug - licher Bericht. Denn wo man damit auskommen koͤnte; wo blieben unſere Evangeliſche Glaubens - Articul, welche man in unſern Kirchen hat, und die in ſo wenig Worten nicht begriffen werden koͤnnen.

Nicander.

Jch bin mit Herr Modeſtin darin - nen einig: Daß zur Verehrung des Allmaͤchtigen Majeſtaͤtiſchen Schoͤpfers und Erhalters aller Dinge, von welchem uns die gantze Natur; das praͤchtige ſchoͤne Gebaͤude Himmels und der Er - den; ja die Betrachtung nur eines derer geringſten Geſchoͤpfe in ſeinen Organis und Symetria zum Zweck, wozu es geordnet iſt, uͤberzeugen kan, daß es ein hoͤchſt weiſes, maͤchtiges, guͤtiges Weſen ſey; von welchem auch der Menſch ſo viele unzaͤhlige Wohlthaten, Leib, Leben, Verſtand, Unterhalt etc. genieſſet. Daß, ſage ich, er zur Verehrung und Anbetung deſſelbigen hoͤchſtens verbunden ſeye. Welches meines Erachtens nicht fuͤglicher geſche - hen kan; als wenn er vor dieſes unbegreiffliche Weſen die tiefeſte Veneration des Hertzens hegende, ſelbiges im Geiſte ſeines Gemuͤthes anbetet, und das Geſetz der Natur, (welches GOtt der HErr dem Menſchen eingepraͤget hat) beobachtet, wel -A 3ches6ches will: daß man einem andern das erweiſen ſoll, was man will, das einem erwieſen werde; und das was man nicht will; auch dem andern nicht thue.

Alamodan.

Es ſcheinet Herr Nicander ſeye dem Naturalismo ziemlich geneiget. Allein wo man damit auskommen koͤnte, ſo wuͤrden die Heyden auch bey ihrer Religion koͤnnen ſelig werden; es wuͤrde unſere Chriſtliche Religion wenig Vorzug vor andern haben; ja eine der bekanten Catholiſch, Lutheriſchen, Reformirten, Quackeriſchen, Wie - dertaͤufferiſchen, Socinianiſchen u. d. g. ſo gut ſeyn als die andere.

Nicander.

Wegen des Unterſcheids derer Reli - gionen will ich mit ihme nicht ſtreiten; als welcher mehrentheils auf die unterſchiedene Erziehung, bey - behaltene Landes-Gewohnheiten, und mit einem Wort auf ein Præjudicium Autoritatis ankommt.

Modeſtin.

Jch erachte, daß hievon mit Unter - ſcheid und gehoͤriger Beſcheidenheit zu urtheilen ſeye, weshalben auch oben erwehnet habe: Daß der angefuͤhrte Fundamental-Articul einer Erleuterung werde noͤthig haben. Damit mich aber deutlich erklaͤren koͤnne; werden ſie mir einige Weitlaͤuff - tigkeit zu gut halten, und die Sachen, wie ich ſie in ihrem Zuſammenhang betrachte, beliebig ver - nehmen.

Nicander und Alamodan.

Wir wollen ihn gerne hoͤren, und denn unſere Meinung auch ſagen.

Modeſtin.

Jch ſetze als ein zugegebenes Axioma oder Grund-Satz: Daß GOtt der HErr den Menſchen zu einer ewigen Gluͤckſeligkeit geordnet;und7und ihm dahero mit einem viel groͤſſern Licht, Ver - ſtand und Gaben des Gemuͤthes ausgeruͤſtet, als alle andere ſichtbare und bekante Geſchoͤpffe auf Erden. Und daß alle die Kraͤffte, Neigungen, Verlangen, welche ſich in dem Menſchen aͤuſſern, nicht verge - bens in ihn geleget ſeyn: ſondern ihren Zweck und Gegenwurff haben. Und weilen ſich in allen ver - nuͤnfftigen Menſchen ein Verlangen nach einer ewigen Gluͤckſeligkeit findet: ſchlieſſe ich, daß auch dieſes Verlangen koͤnne und muͤſſe erfuͤllet und ge - ſaͤttiget werden. Da wir aber einen ſo groſſen Un - terſcheid unter den Menſchen-Kindern in allen Lan - den finden: Da ſich hier und da einige wenige tugendhaft und gottesfuͤrchtig; andere aber laſter - haft und ruchlos auffuͤhren: ſo folget auch daraus, daß in Anſehung der ewigen Gluͤckſeligkeit noth - wendig auch ein Unterſcheid ſeyn muͤſſe. Da die Fromme eine Belohnung, die Boͤſe hingegen eine Straffe oder Zuͤchtigung zu gewarten. Ferner: Da GOtt das hoͤchſte Licht den Menſchen ewig gluͤckſelig machen will, welches auſſer deſſen Ge - meinſchafft und Genuß dieſes ewigen hoͤchſten Gu - tes nicht vollkommen ſeyn kan; indem unſern ewi - gen unendlichen Hunger keine Creatur ſaͤttigen kan, ſo erhellet daraus: daß dieſes Licht ſich in denen, welche ſich befleißigen nach dem Maas ihrer Er - kaͤnntnis, deſſen heiligen Willen gemaͤs zu leben; ihren Verſtand und Willen auszubeſſern ein ſehn - liches Verlangen haben; GOtt den Geber aller guten und vollkommenen Gaben darum anflehen, je mehr und mehr in Mittheilung ſeiner GabenA 4offen -8offenbahren koͤnne und werde: als in ſolchen, die wie das unvernuͤnfftige Vieh dahin leben, die nie - mahls in ihr Hertz einkehren, nach GOtt und na - tuͤrlicher Billigkeit nicht einmahl fragen. Da nun unter allerley Voͤlckern mancherley Offenbahrun - gen vorgegeben werden: iſt es allerdings noͤthig einen gewiſſen Grund zu haben, um nicht betro - gen zu werden, und die Offenbahrungen zu ent - ſcheiden.

Nicander.

Jch weiß nichts von Offenbahrun - gen, als was mich das Licht der Natur und die ge - ſunde Vernunft uͤberzeuget wahr zu ſeyn, das neh - me ich an; das andere laß ich an ſeinen Ort geſtel - let ſeyn; dabey viele Traumereyen, auch Betruͤ - gereyen ſeyn moͤgen.

Alamodan.

Behuͤte GOtt! Wie redet der Herr von denen Offenbahrungen ſo frey.

Modeſtin.

Lieber Herr Nicander mir iſt ſein red - liches Gemuͤht zur genuͤge bekannt; ich halte auch daß er dieſes mehr auf die betruͤglich vorgegebene falſche Offenbahrungen, als uͤberhaupt auf die Ohnmuͤglichkeit einer goͤttlichen Offenbahrung werde verſtanden haben. Will dahero, wo er mich guͤtig anhoͤren will, trachten ihn zu uͤberzeugen: daß man ein ſicheres und hoͤheres Licht, als das Ver - nunfft-Licht iſt, haben koͤnne: welches man das Licht der Gnaden, und nach deſſen unterſchiedenen Maas und Zweck, Offenbahrung, Weiſſagung, und noch mit andern Nahmen belegen kan.

Nicander.

Jch will den Herrn gerne hoͤren, wo man mir nur die Freyheit laͤſſet, alles ohnpartheyiſchzu9zu pruͤfen, zu con - und dis-ſentiren, nachdeme ich von der Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit der Sa - chen werde uͤberzeuget ſeyn. Maſſen es mir albern vorkomt, eine Sache deswegen vor wahr oder falſch zu halten: weilen es der Hauffen, darunter ich er - zogen bin, vor wahr oder falſch angenommen hat.

Alamodan.

Wir muͤſſen doch das Zeugnis der Heil. Schrifft annehmen: wann wir ſchon die be - ſondere Ceremonien und Gebraͤuche dieſer oder jener Kirche nicht billigen wolten.

Nicander.

Ehe ich das Zeugnis eurer Bibel als eine unſtreitige Wahrheit und Richtſchnur anneh - me, muͤſſet ihr mich erſt uͤberzeugen: daß ſolche ohn - fehlbar von GOtt denen Verfaſſern auf eine goͤttli - che Weiſe eingegeben worden. Denn faſt alle Re - ligionen in der Welt ihre Glaubens-Articul von ei - nem beſondern heiligen Urſprung und Offenbah - rung herleiten. So halten die Tuͤrcken ihren Ma - homet, die Chineſer ihren Confutium, andere ihre Vorfahren vor Heilige und ſonderbahre erleuchtete Propheten und Lehrer.

Modeſtin.

Jch kan es dem Herrn Nicander nicht verdencken, daß er nicht alles unter einander ſo gleich - hin ohne Pruͤfung, und ohne gruͤndliche Ueberzeug - ung annehmen kan. Ehe wir uns aber entſchlieſſen, uͤber eine ſo wichtige Sache ein geſundes und wohl - gegruͤndetes Urtheil zu faͤllen; iſt es ja billig, daß wir uns erſt ſelbſt wohl pruͤfen: ob wir auch in dem Licht und in der Krafft ſtehen, das Wahre vom Falſchen; das Licht von Finſterniß; die Krafft der Tugend von der Eitelkeit und Thorheit zu entſchei -A 5den.10den. Denn wo der Menſch nur ein auffrichtiges Hertz gegen GOtt und ſeinen Naͤchſten hat; und GOtt unablaͤßig um die Leitung ſeines guten Gei - ſtes, um Weisheit und Verſtand, nach deſſen heili - gen Willen zu leben, anflehet, ſo wird er bald erken - nen, daß ein Ruchloſer von GOtt Abgekehrter nicht geſchickt ſeye, das Wahre vom Schein-Guten und vom Boͤſen; noch das Licht und Lichtes-Wercke von denen Wercken der Finſterniß zu entſcheiden. Denn wie will derjenige, ſo im Finſtern wandelt, das entſcheiden und beurtheilen, was nur vermit - telſt des Lichtes geſchehen kan.

Nicander.

Allein was will der Herr Modeſtin daraus ſchlieſſen? Was thut dieſes zur Entſcheid - ung unſerer Frage; da ſich eine jede Parthey des Lichtes ruͤhmet, und jede ſich einbildet die kluͤgeſte zu ſeyn; man auch denen Tuͤrcken und Heyden, Per - ſianern, Chineſern und andern Nationen und vie - lerley Religions-Verwandten nicht abſprechen kan: Daß unter ihnen ja ſo kluge und verſtaͤndige Leute gefunden worden, als bey uns Europaͤern nimmer - mehr.

Modeſtin.

Wie das Licht unterſchiedlich: Ein natuͤrliches erſchaffenes, und Goͤttliches unerſchaf - fenes; ſo iſt auch eine zweyfache Klugheit u. Weis - heit. Eine irdiſche, welche nur die Dinge dieſer Zeit, das aͤuſere ſichtbare Leben, deſſen Nutzen, Ge - maͤchlichkeit, Ehrbarkeit u. d. gl. betrifft; und denn eine himmliſche Weisheit, welche von dem uner - ſchaffenen Lichte die Erleuchtung und Bewuͤrckung des Geiſtes Gottes ſelbſten in dem innerſten Grun -de11de des Gemuͤthes urſtaͤndet; welches auch von de - nen Kraͤfften der natuͤrlichen Seele etwas gantz un - terſchiedenes iſt. Welche Weisheit das ewige Wohlſeyn des Geiſtes auch nach der Auffloͤſung des Leibes beauget, die himmliſche Guͤter betrach - tet, in GOtt ſolche Freude und Frieden geneuſt, davon der irdiſche fleiſchliche Menſch nichts weiß, verſtehet, noch in ſeinem verderbten Zuſtande erfaͤh - ret, biß er aus GOtt neu gebohren iſt.

Nicander.

Mein lieber Herr Modeſtin! Es iſt noch eine ſchwere Frage: Wo die Seele bleiben werde, wenn der Leib als ihr Wohnhauß zerfaͤllt? da dieſe ſo genan mit einander verbunden ſind, daß ſie zugleich mit einander fortgepflantzet werden, mit einander an Kraͤfften wachſen, zu - und auch wieder abnehmen.

Alamodan.

Behuͤte GOtt Herr Nicander! in was vor gefaͤhrlichen Jrrthuͤmern ſteckt er nicht. Es ſcheinet ja er glaube keine Aufferſtehung der Tod - ten, kein ewiges Leben, und muß ihm demnach al - les gleich gelten, Gut und Boͤſes; Laſter und Tu - gend.

Nicander.

Mein lieber Herr Alamodan! daß die Seele ewigbleibend, eine ewige Gluͤckſeligkeit und himmliſche Belohnung vor Tugend-liebende Gemuͤther ſeyn moͤge; wuͤnſche ich von gantzem Hertzen: daß aber ſolches auch in der That und Wahrheit, und nicht nur in einem Wahn alſo ſeye, davon bin ich nicht gaͤntzlich uͤberzeuget; wiewohl ich auch nicht abſolut leugne, daß es nicht ſeyn koͤnte.

Modeſtin. 12
Modeſtin.

Mir gefaͤllt unſeres lieben Freundes Aufrichtigkeit; Jch zweiffele auch eben wegen ſeines redlichen Hertzens gar nicht: daß er durch die Gna - de GOttes noch wohl mit der Zeit davon werde ver - ſichert und uͤberzeuget werden. Wie mir ſchon mehr dergleichen Exempel bekannt ſind. Jch will zu dem Ende nur einige wenige, meiner Empfindung nach buͤndige Gruͤnde, anfuͤhren, wo ſie mich zu hoͤren gelieben.

Nicander.

Es wird mir ſolches ſehr angenehm ſeyn.

Modeſtin.

Aus des Herrn vorigen Reden habe angemercket / da er erwehnet: daß mit dem Wachs - thum und denen Kraͤfften des Leibes, auch die Kraͤff - te der Seelen zu - und wieder abnehmen, und will daraus ſchlieſſen: daß eines mit dem andern verge - he. Alleine vors erſte iſt hauptſaͤchlich der Unter - ſcheid des ewigen Geiſtes und der thieriſchen See - len, welche wir mit den Thieren gemein haben, wohl zu betrachten. Zu deme werden oͤffters ſehr alte Leute gefunden, deren Leibes-Kraͤffte zwar abgemat - tet, der Geiſt des Gemuͤthes doch noch ſehr lebhafft geſund und ſtarck iſt: wie von dergleichen viele Ex - empel in der profan - und Kirchen-Hiſtorie zu finden, wie denn Ageſilaus in ſeinem hohen Alter bey dem Plutarcho mit Wahrheit ſaget: Corporis vim con - ſeneſcere, animi vero robur præſtantibus viris nullo tempore deeſſe. So iſt demnach ſein Schluß auf einen ſehr ſchlechten Grund gebauet: ob gleich bey vielen, zumahlen thieriſchen Menſchen, es mehren - theils eintrifft, daß mit Abnahme des Leibes auchdie13die natuͤrliche Seelen-Kraͤffte Berg-ab gehen. Al - lein eben das ſolte uns erwecken zu unterſuchen: ob denn alle Menſchen einerley Kraͤffte der Seele, des Geiſtes oder Gemuͤthes haben, da ſich denn finden wuͤrde, daß die Menſchen und deren Kraͤffte zu un - terſchieden ſind.

Nicander.

Magis & minus non variunt rem. Die Sache iſt derentwegen nicht unterſchiedenen We - ſens, ob gleich einer mehr Verſtand, Gedaͤchtnis und Beurtheilungs-Krafft hat, als der andere; wie auch dieſem oder jenem Affect mehr ergeben und unterworffen. Zudem iſt es auch noch eine Frage: ob alle dieſe Eigenſchafften nicht von dem Tempera - ment des Leibes und der verſchiedenen Diſpoſition derer Saͤffte dependiren.

Modeſtin.

Da der Unterſcheid des Geiſtes und der Seelen; oder des natuͤrlichen und uͤbernatuͤrli - chen Lebens, dem natuͤrlichen ſinnlichen, thieriſchen Menſchen aus dem Licht der Natur an und vor ſich ſelbſt nicht begreifflich, es ſey denn daß er vom Va - ter der Lichtern erleuchtet, erneuert und wiederge - bohren werde; ſo muß man ſolches GOtt uͤberlaſ - ſen: indem menſchliche Ueberredungen hier wohl ſchwerlich zulaͤnglich ſeyn werden. Wo aber der Menſch nur in ſich ſelbſt gehet, GOtt im Geiſt und der Wahrheit umb ſeine Erleuchtung innigſt anruf - fet, ſoll ſichs wohl geben. Doch will ich noch eins verſuchen. Er wird mir hoffentlich zugeben: daß noch vortrefflichere oder maͤchtigere Kraͤffte und Gei - ſter ſeyn koͤnnen, welche keine ſo grobe, unſern irdi - ſchen Augen ſichtbahre und betaſtliche Leiber haben, wie wir.

Nicand. 14
Nicander.

Das will ich gern zugeben; ich will auch alle Erſcheinungen der Geiſter, und die Hiſto - rien die man von dergleichen erzehlet, nicht uͤber - haupt gaͤntzlich der Luͤgen beſchuldigen: ob ſolche gleich meiſtens menſchliche Erfindungen, und zum groͤſten Theil Schelmereyen ſeyn moͤgen. Sed quid tum?

Modeſtin.

Nun ſo es mancherley unſichtbahre Kraͤfften giebt, welche man Geiſter nennet; ſo iſt es ja nicht unwahrſcheinlich, daß auch unſere See - le (welche ja was gantz anders iſt als der Leib, dar - innen ſie wohnet, und mit dem ſie in dieſem Leben ſo genau verbunden iſt) auch ohne dieſen Leib beſtehen koͤnne. Und eben daraus, daß der weiſeſte Schoͤp - fer aller Dinge, (welcher nichts vergeblich geord - net) feinen Seelen einen ſolchen Eindruck und Ver - langen nach einem ewig bleibenden Gute gegeben, ſchlieſſe ich billig, daß es beynahe eine ſo gut als ma - thematiſche Wahrheit ſey: daß die Seelen ein ewi - ges Leben zu gemeſſen haben; und daß hierinnen zwiſchen Menſchen und Thieren ein Himmel-wei - ter Unterſchied ſeye. Uber diß iſts der unendlichen Guͤtigkeit, Heiligkeit und allergerechtſamſten We - ſen GOttes gemaͤß, daß da oͤffters die froͤmmſte, redligſte und tugendhaffteſte Leute in dieſer Zeit, das meiſte Ungemach, Wiederwaͤrtigkeit, Verfolgung und mancherley Truͤbſal ausſtehen; hingegen es denen groͤſten Spitzbuben oͤffters gar gluͤcklich ge - het: nach dieſer Zeit, die Frommen dagegen eine Erquickung und Belohnung; die Gottloſen aber Straffe zu gewarten haben werden.

Nic. 15
Nicander.

Den erſten Schluß laſſe als wahr - ſcheinlich genug paſſiren; der andere aber koͤmmt mir gar nicht buͤndig vor. Denn erſtlich: Was von GOttes Gerechtigkeit, Barmhertzigkeit / Zorn u. d. g. geſagt wird, ſind ſolche Eigenſchafften, wel - che nur Gleichnis-weiſe ihm beygelet werden, und mehr eine Unvollkommenheit, als Allervollkommen - ſtes impliciren. Maſſen deſſen unendliches ewiges hoͤchſtvollkommenſtes gute Weſen, uns ſchwachen Creaturen gantz unbegreifflich. Zum andern, was den Begriff von Gluͤck und Ungluͤck, guten und boͤſen Tagen betrifft; iſt ſolche bey denen Menſchen auch nicht einerley, ſondern gar unterſchieden: da der eine die Tugend, der andere Ehre, der dritte Reichthum, der vierte Wolluſt, vors beſte, ja das hoͤchſte Gut haͤlt; und ſolches zu erlangen alle Kraͤffte anwendet.

Modeſtin.

Weilen dem Herrn Nicander der erſte Theil ſeines Satzes ſo unwahrſcheinlich vorkommt, ſo will ihm erſt auf den in ſeinem zweyten Satz ent - haltenen Einwurff antworten, und hernach das uͤbrige weiter beſehen. Er ſagt die Menſchen haͤt - ten von gut und boͤs, Gluͤck und Ungluͤck gar unter - ſchiedene Begriffe und Meinungen; und dem iſt allerdings alſo. Daß die Menſchen ein falſches oder ein Schein-Gut, welches ihre Seele in kein beſtaͤndiges Vergnuͤgen ſetzen kan, uͤber alles lieben, und dabey doch immer unruhig ſind. Aber auch eben daraus, daß ſolche Goͤtzen das menſchliche Ge - muͤth, den unſterblichen, immer weiter begehrenden und hungerenden Geiſt nicht vollkommen vergnuͤ -gen16gen und ſaͤttigen koͤnnen, ſolten die Menſchen bil - lig ſchlieſſen: daß ſie zum Genuß eines weit hoͤhern Guten erſchaffen worden, und ein unendliches Ver - langen nach einem hoͤchſten Gut nicht vergebens empfangen haben. Welches auſſer der hoͤchſtſe - ligen Gemeinſchafft mit GOtt nicht zu erlangen iſt; Die Gottloſen auch, beſaͤſſen ſie gleich auch aller Welt Herrlichkeit, doch darinnen ohnmoͤglich Ruhe und Befriedigung finden, ſondern ob ſie gleich in Ehren, Reichthum und Fleiſches-Luͤſten ſitzen: doch oͤffters von Zorn, Neid, Haß, Furcht und dergleichen Affecten gepeiniget und geplaget werden: Da hingegen der Fromme und Tugend - haffte des ſuͤſſen Goͤttlichen Friedens auch mitten in denen Wiederwaͤrtigkeiten, ja ſelbſten im Tode geneuſt. Daher denn billig zu ſchlieſſen: daß der Friede GOttes das hoͤchſte Gut des Menſchen ſey: welches auſſer einem dem Willen GOttes und der Natur gemaͤſſen Leben nicht zu erlangen iſt. Wor - aus denn auch ferner der Zuſammenhang des Fun - damental-Articuls der beſten Reliaion, mit dem Genuß der daraus flieſſenden Gluͤckſeligkeit zu er - ſehen iſt: Daß wer GOtt uͤber alles liebet, ex eo ipſo auch die Faͤhigkeit erlange, eine vollkommene Gluͤckſeligkeit zu genieſſen. Welches auch die Tu - gend-liebende Heyden nach ihrem Maas erkannt haben; wenn ſie bezeuget: daß die Tugend dem Beſitzer derſelben, ſelbſt eine Belohnung ſey.

Alamodan.

Ob ich zwar wohl weiß, daß in denen beyden Stuͤcken: GOtt uͤber alles, und ſeinen Naͤchſten als ſich ſelbſt zu lieben, das gantze Geſetzund17und die Propheten begriffen; und daß die Liebe des Geſetzes Erfuͤllung ſey: ſo ſind doch nach unſerer Chriſtlichen Lehre noch gar viele Articul noͤthig zu wiſſen, ohne welche ein Menſch ohnmoͤglich ſelig werden kan. Denn auſſer der Chriſtlichen Reli - gion gar keine Seligkeit zu hoffen noch zu erlan - gen iſt.

Nicander.

Unſer Herr Alamodan iſt ein ſtarcker Eifferer vor ſeine Religion, wie die meiſte Men - ſchen, jeder in der ſeinigen zu ſeyn pfleget, worin - nen jeder gebohren und gezogen worden. Allein, ich ſolte faſt glauben, und darauf ein groſſes wet - ten koͤnnen, daß wo das Verhaͤngniß ihn von Juͤdiſchen, oder Mahometaniſchen, oder Heydni - ſchen Eltern haͤtte laſſen gebohren werden, er die - ſelbe Religion ohne allen Zweifel vor die allerbeſte wuͤrde gehalten haben. Denn dieſes kommt mir als die wahrſcheinlichſte Urſache derer gefaſſten Vorurtheile bey allen Religionen vor: daß man das, was einem von Jugend auf eingeblaͤuet wor - den, als unſtreitige Wahrheiten anſiehet, daran man nicht einmahl zweiffeln doͤrffe. Nichts zu ſagen von dem Haß und Verfolgung derer Geiſtli - chen, wider diejenige, ſo ihnen nicht blindlings bey - fallen wollen; und der dahero entſtehenden Furcht, um Ehre, Reputation. Haab und Gut, ja gar um Leib und Leben zu kommen, und der heiligen Inqui - ſition in die Haͤnde zu fallen.

Alamodan.

Wir Proteſtanten haben ja, GOtt Lob, keine ſolche Inquiſition; und geſtehe meines Ortes gern: daß ſolche eine gantz unvernuͤnfftige,Bun -18unbillige, wider alle Liebe und Grund der Chriſtli - chen Religion ſtreitende Sache ſey, um verſchiede - nen Begriffs willen einen zu verfolgen, oder gar um das Leben zu bringen. Und halte ſelbſten viel auf eine Chriſtliche Tolerantz; und daß man einen gebuͤhrenden Unterſcheid mache: zwiſchen den Zweck einer buͤrgerlichen Geſellſchafft, und dem, was einer Chriſtlichen Gemeinde oder Kirchen zukommt. Da aber die Frage iſt: Welches die beſte Religion ſey? bin der Meinung, daß ſolches aus dem Grunde hei - liger Schrifft decidiret werden muͤſſe.

Nicander.

Wo ich aber eurer heiligen Schrifft nicht mehr Autoritaͤt als dem Alcoran, oder des Confutii, Senecæ, Socratis oder eines andern ver - nuͤnfftigen Heyden Schrifften zutraue, wie wollt ihr mich eines beſſern uͤberzeugen?

Modeſtin.

Wir haben zuvor ſchon erwehnet: daß wo ſich einer als einen billigen Beurtheiler und Richter in einer ſo wichtigen Sache erweiſen will, er auch nothwendig die gehoͤrige Eigenſchafften dazu an ſich haben muͤſſe: als eines Aufrichtigen, GOtt uͤber alles Liebenden, in deſſen Ehrfurcht be - ſtaͤndig Wandelnden. Und wenn einer ſo geruͤſtet alles ohnpartheyiſch pruͤfen wird, ſoll er wohl er - fahren, welche Lehre aus GOtt ſey. Dabey ich nicht laͤugne, daß Chriſtus, als die ewige Weisheit und das Licht der Welt, auch denen Tugend - und Weisheit-liebenden Heyden geleuchtet, und deren Verſtand in einiger Maaſſe erleuchtet habe. Denn er das Licht iſt, welches alle Menſchen erleuchtet, ſo in die Welt kommen.

Ala -19
Alamodan.

Aber ſo koͤnten auch die Heyden ſelig werden auſſer Chriſto, da doch in keinem andern Heyl zu finden.

Modeſtin.

Wer wohl entſcheidet, pflegt man zu ſagen, der lehret wohl. Daß auch viele tugend - haffte, GOtt im Geiſt und in der Wahrheit anbe - tende Heyden einen groſſen Grad der wahren Gluͤck - ſeeligkeit erlanget haben, wird ihnen niemand, als die blinde alles verketzernde Sectirer gaͤntzlich abſpre - chen; und ein beſcheidener wird ſich vor GOTT fuͤrchten, ſolche die es im Tugendwandel denen meiſten Nahm-Chriſten weit bevorgethan, zu ver - dammen. Ob aber die Heyden, da ſie keine buch - ſtaͤbliche Erkaͤnntnis von Chriſto gehabt, auſſer Chriſto das Heyl erlanget haben; iſt eine andere Frage. Denn es einmahl dabey bleibet: Daß er das Licht der Welt. Uber das geſchehen in dem Menſchen viele Dinge von ſeiner Seelen ſelbſt, oder von dem ihn belebenden Geiſt, davon der tauſende nicht weiß, wie es zugehet: wo er die Erkaͤnnt - nis ſeiner nach Seel und Leib nicht gruͤndlich erler - net hat. So koͤnnen die Heyden auch von GOtt viele Gnade, Licht, Heyl und Frieden empfangen ha - ben, ob ihnen gleich die Art und Weiſe verborgen geblieben waͤre. Denn, iſt GOtt nicht auch der Heyden GOtt? kommen von ihme nicht alle gute Gaben? Was waren vor Glaubens-Articul auff - gerichtet ehe ein Buchſtaben von der Heil. Schrift verfaſſet war? Ja was gabe GOtt der HErr dem Ertz-Vater Abraham vor ein Haupt-Geſetz als die - ſes: Wandele vor mir, und ſey fromm. WelchesB 2eben20eben ſo viel iſt: als GOtt uͤber alles und den Naͤch - ſten als ſich ſelbſt lieben. Maſſen der Wandel vor GOtt, alle die Pflichten die wir dem Schoͤpfer; und das Fromm-ſeyn diejenige, welche wir unſern Naͤchſten ſchuldig ſind in ſich begreiffet.

Alamodan.

So haͤlt denn Herr Modeſtin davor, daß der einige oͤffters angefuͤhrte Articul: der Liebe GOttes und des Naͤchſten genugſam ſeye die ewige Seligkeit zu erlangen.

Modeſtin.

Jch bin der Meynung: Daß wenn jemand die Pflichten gegen GOTT und ſei - nen Naͤchſten genau beobachtet, (welches gar vieles, ja unſer gantzes Thun und Laſſen in ſich begreiffet) er in und durch dieſe Beobachtung eo ipſo gluͤckſelig ſeye: Das iſt das Reich GOttes, Gerechtigkeit / Friede und Freude in dem Heiligen Geiſt wuͤrcklich genieſſe; und von einer beſſern Gluͤckſeligkeit weiß man in dieſer Zeit noch nichts; ſondern gehoͤret in die Schule der Ewigkeit.

Nicander.

Jn ſo weit, was dieſen Punct betrifft, koͤnnte mit Herr Modeſtin ſchon uͤberein kommen: ob ich gleich denen Chriſten uͤberhaupt noch zur Zeit eben kein beſonderes Vorrecht zugeſtehe; worinnen derſelbe aber mit mir nicht d’acort iſt. Herr Ala - modanus aber wird Zweiffels ohne noch (nach ſeiner Manier) vieles einzuwenden haben.

Alamodan.

Allerdings! Denn wo es damit aus - gemacht waͤre, was haͤtten wir vor Vortheile bey unſerer Chriſtlichen vor andern Religionen? und ſo waͤre es gleich viel zu welcher man ſich bekennete.

Modeſtin.

Der Herr uͤbereile ſich nicht. Dennwo21wo derſelbe beſcheidentlich zu uͤberlegen gelieben will; daß zwiſchen einem groͤſſern und kleinern Lichte gar ein mercklicher Unterſcheid bleibet, wird er leicht be - greiffen: Daß die Chriſtliche allerdings einen groͤſ - ſern Vorzug vor andern habe; ob wir gleich zuge - ben, daß verſchiedene Heyden, welche dem Licht GOttes in ihren Seelen Raum gegeben, und dem Trieb des zuͤchtigenden Gnaden-Geiſtes in ihrem Gewiſſen treulich Gehoͤr gegeben und gefolget, die Seligkeit erlanget haben. Uber dieſes iſt zu erwe - gen, daß die Menſchen aus dem Mangel, da ſie ein - ander nicht recht verſtehen; indem einer eine Sache mit andern Worten und Ausdruͤcken als der andere giebet; ſie einander zu wiederſprechen ſcheinen: dieſelbe in der Hauptſache doch gantz einig ſeyn koͤnnen. Waͤre alſo wohl der Muͤhe werth dieſe Sache etwas genauer zu unterſuchen.

Nicander.

Wie die weiſeſten unter denen Heyden mit denen Chriſten uͤbereinkommen ſollen, begreiffe ich nicht: da die Heyden nur von einem Licht der Natur, die Chriſten aber viel von einer Gnade durch Chriſtum; von einer gantz beſondern Wuͤrckung eines Heiligen Geiſtes; und das auch dazu nur in denen die an Chriſtum glaͤuben, reden.

Modeſtin.

Jch hoffe doch meinem Freund noch wohl zu zeige: daß dieſes mehr eine contraritaͤt im Schein; als in der That ſeye. Wo wir als einen ohnfehlbaren Grund annehmen: Wer GOtt von Hertzen fuͤrchtet, liebet und ehret, der iſt ihm angenehm. Dahero, ob ein ſolcher gleich in einer andern Nation, Schule, Sprache u. d. g. erzogen iſt; und dahero ſich un -B 3ter -22terſchiedener Ausdruͤcke gebrauchet, welche der an - dere im Grunde nicht verſtehet; ſo bin ich verſichert, daß wo dergleichen zween redliche Maͤnner Gele - genheit haben wuͤrden, ſich gegen einander zu erklaͤ - ren, und einander das anvertrauete Licht leuchten zu laſſen: ſo wuͤrden ſie bald einig werden, und das geringere Licht dem groͤſſern weichen: Da ſolches auch die Natur ſelbſten mit ſich bringet. Halte auch davor, daß das, was man Natur und Gnade nen - net, nicht contradictoria oder ſich widerſprechende Dinge ſtyen; ſondern nur ein geringeres und groͤſ - ſeres Maas des Lichtes GOttes in der Seelen. Ma - jus & Minus autem non variat rei Eſſentiam.

Alamodanus.

Es ſcheinet der Herr Modeſtin in - clinire mit Herr Nicandern zum Naturaliſmo. Unſere Herren Theologi ſind gar anderer Meynung; und werden denſelbẽ gewiß mit in die Ketzer-Rolle ſetzen.

Modeſtin.

Der Herr Alamodanus ſaget gar wohl: Es ſchiene, daß ich mit Herrn Nicandern zum Natu - raliſmo inclinirete: Alleine was ſo zu ſeyn ſcheinet; das verhaͤlt ſich deßwegen in der That nicht alſo. Denn er ſelbſten wohl weiß, daß zwiſchen ſeyn und ſchein ein gar groſſer Unterſcheid ſich befinde. Man - cher ſcheinet wohl ein ehrlicher Mann, auch wohl ein guter Chriſt zu ſeyn, der es doch in der That und Wahrheit nicht iſt. Wie es gar deutlich erhellet, wenn man ſolche auf die rechte Wagſchaale, oder an den rechten Pruͤffſtein bringet. Was aber die Herren Theologi von dieſer oder jener Partie in ei - nem blinden Eiffer ohne Goͤttliches Licht ſtatuiren, benimmt und giebt der Sache nichts; iſt auch ei -nem23nem ehrlichen Mann und wahren Chriſten wenig daran gelegen: ob dergleichen phariſaͤiſche Heiligen einen ſelig preiſen oder verdammen. Denn ſolche vernehmen doch ſelbſt nicht, was des Geiſtes GOt - tes iſt; oder was von ihrer fleiſchlich-geſinneten Na - tur und ihren Affecten herkommt. Da ſie gemei - niglich von Stoltz, bochmuͤthigen Eigenſinn, Ei - genduͤnckel, Geitz, Neid, Haß u. d. g. eingenom - men, blind, und Leiter der Blinden ſind, welche man nur muß fahren laſſen.

Alamodan.

Wo Herr Modeſtin dieſe Worte nicht mit ſolcher beſcheidenen Gelaſſenheit, in unſerer Ge - genwart, mit einer ſo leutſeligen Mine vorbraͤchte; ſollte man dencken, er hegete einen Haß gegen das Ehrwuͤrdige Miniſterium.

Modeſtin.

Lieber Herr Alamodan ich kann ihm auffrichtig verſichern, daß ich wieder keinen Men - ſchen in der Welt, wer er auch ſeyn mag, den gering - ſten Haß oder Feindſchafft hege: und daß ich auch rechtſchaffene Theologos, ſie ſeyen von welcher Par - tie wollen; wie auch deren Schrifften recht hoch hal - te, als da ſind: Taulerus, à Kempis, Rusbroch, Arnd, Arnold, Hoburg, Weigel, du Moulin, Trelincourt, Tillodſon, Baxter u. d. gl. mehr. Wenn wir aber unſern erſten Grundſatz von der Lie - be GOttes und des Naͤchſten, genauer betrachten und appliciren wollen, wuͤrde ſich zeigen: daß we - nige in allerley Staͤnden und Partheyen eine Pruͤ - fung aushalten und beſtehen doͤrfften. Und wie der HErr Chriſtus ſchon zur Zeit ſeines Wandels auff Erden geſaget: Daß viele von Morgen und vonB 4Abend24Abend (als Heyden) kommen, und das Juͤdiſche Volck (die damahlige Kirche) richten; und mit Abraham und Jſaac zu Tiſche ſitzen wuͤrden. So muß man auch leyder zu dieſer unſerer Zeit von de - nen meiſten Chriſten aͤrgerlichen Leben ſagen: daß faſt kein gottloſeres und allen Laſtern ergebeneres Volck auff Erden ſeye, als eben dieſe.

Alamodan.

Dieſes kan ich zwar ſelbſten nicht wohl in Abrede ſeyn, daß viele Chriſten eben kein gar gottſeliges Leben fuͤhren; alleine der Glaube an Chriſtum macht uns rein von allen unſern Suͤn - den, und erwirbet uns die Seligkeit.

Modeſtin.

Mein Freund wird Zweiffels-ohne wohl gehoͤret haben: daß zwiſchen einem hiſtori - ſchen - und wahren ſeligmachenden-Glauben ein gar groſſer Unterſcheid ſey. Die Teuffel wiſſen die Ge - ſchichte von Chriſto ſo gut als die Menſchen, und daß er der Heyland der Welt ſeye, und erzittern darob. Wer JEſum als einen Heyland und Se - ligmacher mit rechtem Glauben und Vertrauen in ihm annehmen ſoll, muß ſich von ihm auch heilen, heiligen, und an der Seelen und deren verderbten Neigungen geſund, rein und alſo ſelig machen laſ - ſen. Denn wie kann man ſagen: daß ein ſolcher Menſch, der ſich von ſeinen Affecten und Begier - den, als: Fleiſches-Luſt, Augen-Luſt, hoffaͤrti - gem Leben, Zorn, Zanck, Haß, Neid u. d. g. im - merfort treiben, lencken und beherrſchen laͤſſet, eine geſunde, geheilete und geheiligte Seele habe: da ohne wahre Heiligung niemand mit GOtt verei - niget, und folglich auch nicht ſelig ſeyn kan.

Alamo -25
Alamodan.

So gar genau muß man die Sache nicht nehmen, wer wuͤrde ſonſt ſelig werden: da auch die allerbeſten vielfaͤltig fehlen; und muß das Verdienſt Chriſti alles erſetzen, was uns fehlet.

Nicander.

Jhr habet doch einen artigen Glau - ben, daß ihr einen ſolchen Buͤrgen, und wie einige reden, einen ſolchen Suͤnden-Bock aus Chriſto machet, der der gantzen Welt Suͤnde auf ſich ge - nommen; damit alle Schelmen und Dieben, Gei - tzige, Wucherer, Hurer und Ehebrecher, Spitzbu - ben und Tyrannen frey in den Himmel paſſiren koͤn - nen, wenn ſie ſich nur zu eurer Religion bekennen, und nur mit Worten bezeugen: daß es ihnen leid ſeye.

Modeſtin.

Vergebet mir Herr Nicander: Die - ſen euren Satz und Auslegung wird kein Chriſt ſo frey paſſiren laſſen. Denn alle Partheyen der Chri - ſten erfodern auch dazu einen Chriſtlichen Wandel. Nur in der praxi und application nehmen es die mei - ſten eben ſo gar genau nicht; und ſehen gemeiniglich mehr auff die aͤuſſerliche Beobachtung ihres ceremo - nialiſchen Gottesdienſtes; als auff eine wahre Sinnesaͤnderung, rechtſchaffenes Weſen, heiliges, maͤßiges, nuͤchternes, ſanfft - und demuͤthiges ge - nuͤgſames Leben.

Nicander.

Ja ja, Geitz, Schinderey, Schrap - perey iſt kein Laſter / ſondern heiſt Sparſamkeit, Rathhaͤltigkeit: Ambition, Herrſchſucht, Ehrſucht, ſind loͤbliche Tugenden. Einen guten ſtarcken Trunck zu ſich nehmen koͤnnen, iſt eine heldenmuͤ - thige Eigenſchafft. Jch habe auch noch nicht gehoͤ -B 5ret26ret oder geſehen, daß man dergleichen Leute von de - nen Chriſten ſollte ausſchlieſſen; und ſie nicht ſollte ſelig preiſen; wenn ſie ſich nur zur Kirche halten und zu ihrem Abendmahl kommen; zumahlen, wo ſie dem Prieſter die Haͤnde zu fuͤllen nicht vergeſſen.

Alamodan.

Der Herr Nicander kann ſein ſcopti - ciren und ſcherzen nicht laſſen, und hat uͤber alles ſei - nen Hohn: aber er ſollte doch billig bedencken, daß man von heiligen Sachen ernſtlich und nicht ſo ſpoͤt - tiſch reden ſollte.

Modeſtin.

Heilige Sachen ſollen billig heiliglich tractiret werden, da aber unſer Freund nach ſeinem Naturell zum Schertz geneigt iſt; und die Sachen mit einem andern Auge anſiehet als wir: ſo iſts uͤber dis auch billig, daß wir ſelbſten einen rechten Unter - ſcheid machen zwiſchen deme, was in der That hei - lig iſt; und denn deme, was nur den Nahmen da - von fuͤhret; in dem Weſen unheilig, unrein und boͤſe iſt. Nach meiner Art ſage ich, man ſollte billig Mittleiden haben und faſt beweinen den klaͤglichen und confuſen Zuſtand der Kirchen, welcher ſich noch faſt bey allen Partheyen der Chriſtenheit befindet. Sehe auch noch nicht, wie eine ſonderliche Beſſerung zu hoffen: Wo GOtt der HErr nicht ſelbſten nach ſeinem allweiſen und allmaͤchtigen Rath mit ſeinem Licht alle Finſternis und die Kraͤfften der Finſterniß durchbricht und vertreibet. Menſchen werden es nicht ausrichten, wo ſie nicht durch GOtt dazu tuͤchtig gemacht und geſand werden.

Nicander.

Liebe Herren! ſie werden mir es nicht uͤbel nehmen; wenn ich nach vernuͤnftigen Gruͤndenund27und nach meinem Begriff von denen Sachen rede. Denn welcher geſcheiter Menſch ſollte nicht lachen, wenigſtens heimlich, da er es nicht oͤffentlich thun darff: wenn er ſiehet, daß die einfaͤltigen Menſchen bey allerhand, mir zum theil recht albern vorkom - menden Ceremonien (welche von der Taſchen - Spieler hocus pocus oͤffters wenig unterſchieden ſind, nur daß es anders klinget) ſich einbilden et - was ſonderliches zu thun: warum ſie einen ſolchen Charlatan eine weile zuhoͤren und zuſehen. Hernach des Jahres drey oder vier mahl mit groſſer Reve - rentz zu einem Tiſch oder Altar gehen, da von ei - nem Prieſter ein bisgen Brod oder eine Oblade (Hoſtie) empfangen, vermeynende: ſie vereinig - ten ſich da mit GOtt; oder haben gar, die allen Sinnen wiederſprechende perſuaſion, das Bisgen ſey in ein wahres Fleiſch und Blut verwandelt; und ſeye damit GOtt in ſie eingegangen. Gibt man aber auf dieſer Leute Conduite, Leben und Wandel Acht: ſo ſiehet man offenbahrlich, daß die meiſten ſolcher Leute nichts beſonderes heiliges an ſich ha - ben: ja ich habe bey denen wenigſten nicht einmahl etwas redliches und honetes finden koͤnnen; und da - bey bilden ſich die Gecken doch Wunder ein, wie ſie GOtt im Schooſſe ſaͤſſen; und daß wenn ſie ſter - ben, (wo ſie nur erſt auch den heiligen Zehrpfennig mit auff den Weg bekommen) ſporenſtreichs in Himmel fuͤhren, und ewig gluͤckſelig wuͤrden.

Modeſtin.

Es iſt nicht zu laͤugnen, daß ein ſehr groſſer Misbrauch hiemit bey vielen vorgehe; wor - uͤber aber auch ſchon laͤngſtens viele fromme redlicheLeh -28Lehrer unter allen Partheyen viele Klagen gefuͤhret. Und iſt freylich wohl eine Thorheit, wo man ſich einbilden wollte mit dergleichen an und vor ſich ſelbſt indifferenten Ceremonien und Gebraͤuchen, GOtt gleichſam einen blauen Dunſt zu machen, und einen beſondern Gefallen damit zu thun: wenn das Hertz von der wahren Ehrerbietigkeit und Liebe GOttes ſo ſehr entfernet iſt. GOtt iſt ein Geiſt, und die ihn anbethen, muͤſſen ihn im Geiſt und in der Wahr - heit anbeten. Joh. 4. Und iſt eine ausgemachte Sache: Daß wer vorgiebet, er liebe und venerire GOtt: der muß auch ſeine Gebote halten; und laͤſt ſich ja kein vernuͤnfftiger Menſch mit Ceremonien und Complimenten abſpeiſen; wo das uͤbrige Thun und Laſſen denſelben wiederſpricht.

Alamodan.

Es iſt doch gar nuͤtzlich und hoͤchſt noͤthig einen aͤuſſerlichen wohlgeordneten Gottes - dienſt zu haben, und demſelben fleißig beyzuwohnen.

Modeſtin.

Daß es nuͤtzlich und noͤthig ſeye die Unwiſſende zu unterweiſen, zur Anbetung GOt - tes und zur Liebe des Naͤchſten zu vermahnen und anzufuͤhren; auch mit ihnen GOtt zu loben und zu preiſen, iſt gantz loͤblich. Wo man ſich aber ein - bildet: daß man ohne ſolche aͤuſſerliche Ceremonia - liſche Satzungen, nicht heiliglich und ſeliglich leben und ſterben koͤnnte, iſt ein ziemlich aroſſer Misver - ſtand. Und wo man alte Juͤnger Chriſti, welche laͤngſtens ſelbſten Lehrer ſeyn koͤnnten und ſollten, noch immer an alte duͤrfftige Satzungen binden will, geſchiehet es wohl hauptſaͤchlich aus einem paͤpſtlichen Ehr - und Geld-Geitz, fleiſchlichen Ab -ſichten29ſichten und Vortheilen. Und wo Hauß-Vaͤter ihre Pflichten als Chriſten beobachteten, und das Recht des geiſtlichen Prieſterthums verſtuͤnden; wuͤrde das Kirchenweſen wohl ein gantz anderes Anſehen gewinnen. So lange aber nur die auff Univerſitaͤ - ten mit der hohen Schulen-Weisheit begabete, mei - ſtens noch ſehr rohe, in wahren Chriſtenthum recht unerfahrne, ungeuͤbte, auffgeblaſene Juͤnglinge, denen Gemeinden als Hirten und Lehrer vorgeſetzt und auffgebuͤrdet werden, hat man von groſſer Beſ - ſerung ſich auch nicht viel Hoffnung zu machen; wo GOtt der HErr nicht ins Mittel tritt und immer mit ſeinem Geiſt ſie dazu ſonderbahr ausruͤſtet und ausſendet.

Alamodan.

Alleine mein lieber Herr Modeſtin es iſt doch noͤthig und gut, daß junge Leute auff Uni - verſitaͤten die rechte reine Glaubens-Lehre faſſen, da - mit ſie nicht nur geſchickt ſeyen, die Unwiſſende zu lehren; ſondern auch denen Ketzern Wiederſtand thun zu koͤnnen; und was wuͤrde daraus nicht vor eine Unordnung in Kirchen, Schulen und Regi - ment entſtehen, wo denen Gemeinden nicht gelehrte Leute vorgeſetzet werden ſollten.

Nicander.

Es ſcheinet der Herr Alamodan ſeye ſehr um das Wohlſeyn des gemeinen Weſens beſor - get; wenn man aber den Flor des Engliſchen und Hollaͤndiſchen Staats betrachtet; allwo allerley Religionen toleriret werden, und jedem frey ſtehet GOtt nach ſeinem Begriff zu verehren; wird dar - aus nicht zu erſehen ſeyn, daß der Unterſcheid in Re - ligions-Sachen keine Unordnung im gemeinenWeſen30Weſen nach ſich ziehe; und dieſe ſich vor denen Ke - tzereyen eben nicht ſo ſehr fuͤrchten.

Modeſtin.

Jch halte daß man die Pflichten eines guten Buͤrgers, und die Eigenſchafften eines guten Chriſten wohl zu unterſcheiden und nicht zu confun - diren habe. Der iſt ein guter Buͤrger, welcher nur die Pflichten treulich beobachtet, welche die Ruhe des gemeinen Weſens unterhalten und nicht ſtoͤhren, welche hauptſaͤchlich darinnen beſtehen: niemanden verletzen, ehrlich (honeſte) leben, und einem jeden das Seine laſſen und geben. Die Pflichten aber des wahren Chriſtenthums erfodern noch uͤber das etwas mehrers: GOtt uͤber alles zu lieben, ſich ſelbſt, ſeine eigene Ehre, Ruhm, Nutze, Wolluſt nicht zu ſuchen; ſondern zu verlaͤugnen und allem abzuſagen auch ſelbſt ſeinem eigenen Leben. Da kei - ner ſich mit Fug ruͤhmen kan: daß er ein rechtſchaf - fener Juͤnger und Nachfolger Chriſti ſey, welcher ſolche Eigenſchaften nicht an ſich beweiſet: wie Chriſtus der HErr ſelbſten bezeuget. Was die Ke - tzereyen belanget, waͤre zuerſt zu unterſuchen und zu ſehen; was eigentlich Ketzerey ſeye, ehe man dar - uͤber ein groſſes Geſchrey und Lermen machte.

Alamodan.

Der iſt ja ein Ketzer, welcher irrige Meynungen heget und an den Tag leget wieder die Gleichfoͤrmigkeit des Glaubens; und ſind dem - nach alle diejenige vor Ketzer zu achten, welche es in denen Glaubens-Articuln nicht mit unſerer Kirche halten.

Modeſtin.

Alleine ſo muͤſſen wir es erſtlich gruͤnd - lich ausmachen: wo eigentlich die wahre Kirche an -zutref -31zutreffen; da eine jede Parthey die ihre vor die einige wahre Kirche, und ihre Religion vor die richtigſte haͤlt; zudeme habe ich in der Heiligen Schrifft eine ſolche Ketzermacherey nicht gefunden. Vielmehr ſehe ich, daß der Zweck GOttes, und derer Maͤn - ner, welche durch den Geiſt GOttes bewuͤrcket und getrieben worden, jederzeit mehr geweſen: die Men - ſchen zu GOtt ihrem hoͤchſten Gut, und von der un - ordentlichen Eigenliebe und Abgoͤtterey abzufuͤhren; als die Koͤpfe mit beſondern Ideæn, Bildern und Glaubens-Articuln anzufuͤllen. Und wo der Zweck GOttes geweſen waͤre, denen Menſchen beſondere Glaubens-Articul zu geben; haͤtte Chriſtus der HErr, als der vollkommenſte Lehrmeiſter es ja leicht in einem kurtzen Begriff thun koͤnnen: wovon ich keinen deutlichern, als den in oͤffters angezogenen Worten finde: GOtt nemlich uͤber alles, und den Naͤchſten als ſich ſelbſt zu lieben. Und wo wir nur nach dieſer Richtſchnur die Chriſten pruͤfen und examiniren wollen; wuͤrde ſich befinden, daß viele von denen Herren Ketzermachern, ihrer reinen vor - geſchuͤtzten Lehre ohnerachtet, in das Regiſter rech - ter Ertz-Ketzer als Unreine, Wolluͤſtige, Hochmuͤ - thige, Herrſchſuͤchtige, Eigenſinnige, Geitzige; theils als Epicurer, theils als Saducaͤer oder als Phariſaͤer gehoͤren moͤgten.

Alamodan.

Es iſt nicht die Frage, in was vor eine Claſſe unordentlich wandelende Menſchen gehoͤ - ren: ſondern, ob nicht eine reine Lehre ſo wohl, als ein Chriſtlicher Wandel in der Kirche erfodert werde.

Mode -32
Modeſtin.

Jch gebe ihm gerne zu, daß je naͤher der Begriff oder die Ideæn mit der Wahrheit derer Sachen, (worauff ſie ſich gruͤnden) uͤbereinkommt, je beſſer es ſey. Jch bin aber auch gewiß 1) daß je unpartheyiſcher einer iſt, und beſſer ſein Verſtand die Ideæn zu combiniren weiß; je geſchickter iſt er das wahre vom falſchen zu entſcheiden. 2) Daß zu regulirung eines Chriſtlichen Wandels, und zur Vereinigung mit GOtt, als dem hoͤchſten Guth, nicht viele Bilder; ſondern Liebe erfodert werde. Daß man auch die Sache meiſtens gantz verkehrt anfange: indeme, daß da man die Liebe zum Grund und Fundament ſetzen und GOtt um die Erleuch - tung des Verſtandes bitten ſollte: man es gemeinig - lich gantz umkehret und nur bemuͤhet iſt den Hirn - Kaſten mit mancherley Fragen, Bildern und von vielen ſelbſt geformten; ja gar auch mit falſchen der Wahrheit zuwiderlauffenden Articuln anzufuͤllen. Und ſolches nennet man denn einen Echten ortho - doxen ſeligmachenden Glauben. Und mag das Leben dem Willen GOttes ſo wenig gemaͤs und gleichfoͤrmig ſeyn, als ein Ætiopiſcher Mohr einem weiſſen Europaͤer: ſo preiſet man einen ſolchen doch gar ſelig; wenn er nur glaubet was die Kirch glau - bet (wenn er auch gleich ſelbſt den zehenden Theil davon nicht weiß noch verſtehet,) wenn man nur ſei - nen Catechiſmum gelernet, fleißig in die Kirche und zum Sacrament kommt, und haͤlt ihn vor einen recht guten Chriſten, ob er gleich ſonſten voller Eigen - Liebe, Geitz, Hochmut, Wolluſt u. d. g. iſt. Was das nun vor eine ſeine Chriſtliche Gemeinde ſeye, die mei -ſten -33ſtentheils aus ſolchen ſaubern Gliedern beſtehet; laſſe ich einen jeden verſtaͤndigen unpræoccupitten ur - theilen.

Nicander.

Hier hat Herr Modeſtin unſerm lieben Alamodano den Schwehren recht geſtochen; was ſagt er nun dazu.

Alamodan.

Der Herr verzeihe mir; unſere Leh - rer ſind mit einem ſchlechten Glaubens-Bekaͤnnt - nis nicht zufrieden; ſie erfodern auch ein gottſeliges ehrbahres Leben dazu, ſo viel uns moͤglich iſt zu thun.

Modeſtin.

Ja wohl ſagt er: So viel uns moͤglich iſt: Dabey ſie denn eine gute reſervation oder Hin - terhalt haben; das was man nicht will (als die Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt) gemeiniglich unmoͤglich bleibet; und alſo das, was mit der einen Hand ein - geraͤumet, mit der andern wieder genommen wird, welches man proteſtationem facto contrariam zu nennen pfleget.

Alamodan.

Wir koͤnnen ja von uns ſelbſt als von uns ſelbſten nichts gutes thun, und muͤſſen alles von der Gnade GOttes erwarten.

Modeſtin.

Dieſes iſt an ſich ſelbſt gantz wahrhaff - tig: Alleine GOtt iſt ſo guͤtig und willig zu geben; als der Menſch nur begierig ſeyn kann zu nehmen; wo wir GOtt nur ernſtlich und unablaͤßig umb Weißheit und Gnade bitten; will er uns nichts verſagen, warum wir ihn bitten: weniger als ein guͤtiger Vater ſeinen Kindern gute Gaben verſaget, die er in Uberfluß beſitzet. Er hat uns auch keine ſolche Gebote gegeben, die wir nicht halten koͤnnten; und iſt ja auch der Natur nach ungereimt / einemCetwas34etwas zu befehlen das er ohnmoͤglich leiſten kann. Will aber Herr Alamodan haben, daß ich ihme den rechten Grund entdecke: warum viele Heyden, wel - che doch von Chriſto nichts wiſſen, ein beſſeres ehr - bahres, nuͤchterneres, maͤßigeres, keuſcheres, ohn - intereſſirteres Leben fuͤhren; als die meiſten Chriſten, wie man es aus ohnpartheyiſchen Geſchicht-Schrei - bern und Reiſe-Beſchreibungen zur Genuͤge erſehen kann.

Alamodan.

Das moͤchte ich doch gerne hoͤren.

Modeſtin.

Solches koͤmmt daher: Weilen die meiſten Europaͤer in Fleiſches-Luſt, Augen-Luſt und hoffaͤrtigem Leben gantz erſoffen ſind: Dieſe Goͤtzen in der That weit uͤber GOtt lieben, es auch vor keine Suͤnde halten Guͤter zuſammen zu ſchrap - pen, zu ſtoltzieren, andere zu unterdruͤcken; da ein jeder nur darauff bedacht, vor andern gros, reich, geehrt und wolluͤſtig zu leben; ſeinem armen Naͤch - ſten gehe es denn auch wie es wolle; wenn nur Hanß ego hat, wornach ſein Hertz verlanget.

Nicander.

Ein vernuͤnfftiger Menſch muß trach - ten honet und vergnuͤgt zu leben; wer keine Ehre und kein Geld hat, wird nichts geachtet, und nur vor einen Lumpen gehalten: ſaͤuiſch und elend leben ſtehet keinem honetten Menſchen an; alleine reinlich, niedlich und proper, auch freudig mit guten Freun - den leben, ſtaͤrcket und unterhaͤlt die Geſundheit. Mir genuͤget nach der geſunden Vernunfft mich zu richten; welche mir auch dictiret; daß es nicht un - recht, nach Reichthum, Ehre und gemaͤchlichenTagen35Tagen zu ſtreben und mit allen Leibes - und Seelen - Kraͤfften darnach zu bemuͤhen.

Modeſtin.

Mein lieber Herr Nicander! in dieſer Sache werden ihme die meiſten Chriſten von gan - tzem Hertzen Beyfall geben: ob aber in dieſen ver - gaͤnglichen Dingen des Menſchen hoͤchſtes Gut be - ſtehe; und wie es mit dem Fundament der Chriſt - lichen Religion: als der Verlaͤugnung ſein ſelbſt, und Abſagung der fleiſchlichen Eigenliebe uͤberein - ſtimme, wollen wir kuͤnfftig geliebtes GOtt ein - mahl beſehen; vor dieſesmahl aber unſere Unter - redung beſchlieſſen.

Zweyte Converſation.

Nachdem dieſe Herren zu einer andern Zeit wiederum zuſammen gekommen, fienge Ala - modan an, und ſprach: Es hat Herr Mo - deſtinus in unſerer vorigen Converſation zu behau - pten geſchienen; als ob in der Erwerbung zeitlicher Guͤter, Ehre, Reichthum etc. nicht allein kein wah - res hohes Gut beruhe, ſondern es auch einem Chri - ſten nach ſeiner Chriſten-Pflicht nicht zuſtehe, ſich um ſolche Guͤter hoͤchſten Fleiſſes zu bemuͤhen, und derſelben froͤlich mit Vergnuͤgen zu genieſſen.

Modeſtin.

Mein werther Herr Alamodan! daß in dergleichen zeitlichen vergaͤnglichen Dingen, des Menſchen hoͤchſtes Gut nicht beſtehe, haben auch viele verſtaͤndige Heyden ſelbſt erkannt, und werden es auch die meiſten Chriſten (ſonderlich unter denenC 2Theo -36Theologis) mit dem Munde willigſt zugeben: Wenn man aber derſelben praxin und Leben be - trachtet, ſiehet man bey denen meiſten augenſchein - lich, daß dieſelbe im Hertzen gantz andere und con - traire Sentimens hegen. Ein wahrer Chriſt aber iſt nicht alleine kraͤfftig und gruͤndlich uͤberzeuget: daß in denen ſinnlichen Dingen das hoͤchſte Gut nicht beruhen koͤnne, ſondern weilen er GOtt als das alleinige hoͤchſte Gut uͤber alles von gantzem Hertzen, Seele und Gemuͤth zu lieben innigſt ver - bunden; darinnen auch ſein allerhoͤchſtes Vergnuͤ - gen ſuchet und weſentlich wahrhafftig findet: ſo kan auch dieſe Liebe gegen ſeinen Schoͤpffer und Erhal - ter nicht beſtehen, ohne ein voͤlliges Vertrauen auf ihn, als einen allmaͤchtigen, allweiſen, allgegen - waͤrtigen Schoͤpffer, Erhalter, Beherrſcher und Regierer aller Dinge. Dann, ſo wir einen ſolchen allgegenwaͤrtigen, allmaͤchtigen, guͤtigſten GOtt von Hertzen glauben: ſo kan auch ein rechtſchaf - fenes voͤlliges Vertrauen auf deſſen allweiſe voll - kommen gute Vorſehung davon mit nichten ge - trennet werden.

Alamodan.

Man muß GOtt ja vertrauen; man muß aber auch ſeine Vernunfft, Verſtand und Leibes-Kraͤffte brauchen; ſo, daß man nicht nur ehr - lich leben, ſondern auch andern helffen zu koͤnnen im Stande ſey. Und iſt einem Chriſten nicht ver - boten, nach Ehre, Reichthum und einem gemaͤch - lichen Leben zu ſtreben, und ſich allen Fleiſſes darum zu bemuͤhen.

Modeſtin.

Sie erlauben mir dieſe Sachen etwasgruͤnd -37gruͤndlicher und tiefer zu unterſuchen und zu be - leuchten, da man hoffentlich beſſer von der Sache wird urtheilen koͤnnen. GOtt der HErr hat in den Menſchen verſchiedene Kraͤfte geleget, nach dem Unterſcheid der Objecten oder des Gegenwurffs. Er hat uns einen mit vielen Gliedern begabeten Leib; eine Seele als den Sitz der Vernunfft zu deſſen Regierung und Bewuͤrckung in denen aͤuſſer - lichen, ſinnlichen und zum natuͤrlichen Leben gehoͤ - rigen Dingen gegeben, welche wir mit denen Thie - ren gemein haben. Und einen ewigen aus ihm urſtaͤndenden Geiſt, als ſein Ebenbild; welcher ſich nach dieſem ſeinem principio ſehnet, und auſſer dem - ſelben keine Ruhe findet: Wie der natuͤrliche oder thieriſche nach der thieriſchen; ſo der himmliſche nach dem himmliſchen. Dieſer himmliſche Geiſt ſolte der Director aller uͤbrigen Kraͤfften in dem Menſchen ſeyn, und den gantzen Menſchen in einer wohl-harmonirenden Ordnung halten. Da er mit dem Auge dieſes goͤttlichen Gemuͤthes ſtets auf GOtt ſchauende; in heiliger Ehrfurcht vor ihm wandelnde, ihn im Geiſt und Wahrheit anbetende, von deſſen Liebe ſo erquicket einen himmliſchen Frie - den und Freude in dem Heiligen Geiſte genieſſende, wuͤrcklich einen Vorſchmack der ewigen Freuden empfindet und erfaͤhret, welche alle Vernunfft und ſinnliche Freude weit uͤbertrifft. Teſtibus expe - rientia vieler Millionen Heiligen. Welches Goͤtt - liche Principium aber in dem natuͤrlichen, ſinnlichen, thieriſchen Menſchen gantz verdunckelt, verfinſtert und als todt darnieder leget. Daher es kommt:C 3daß38daß der natuͤrliche Menſch nicht vernimmt, was des Geiſtes GOttes iſt, ſondern wirfft alles unter - einander: Da ſoll die Vernunfft, der natuͤrliche Menſch, welcher des Goͤttlichen Lichtes und Ver - ſtandes ermangelt, und in hoc paſſu gantz blind iſt, alles richten und urtheilen. Und dahero koͤmmt auch eben ſo vieles confuſes Zeug in Religions - Sachen an den Tag: da man Vernunfft und Verſtand, Natur und Gnade vermenget; oder da - mit mich (ſo viel moͤglich denen Unverſtaͤndigen zu faſſen) deutlicher erklaͤre. Daß man die Kraͤffte, die GOtt der HErr in den Menſchen geleget, erſt - lich ihn ſelbſt zu erkennen und zu lieben; von denen Kraͤfften, die nur zur Erkaͤnntnis der ſichtbahren Geſchoͤpffe, zu Erhaltung des ſinnlichen thieriſchen Lebens, gehoͤren, nicht gebuͤhrend entſcheidet.

Alamodan.

Dieſe Rede iſt mir gar zu ſubtil, daß ich ſie nicht wohl verſtehe. Jch weiß von keinen andern Kraͤfften, als von Verſtand, Willen, Ge - daͤchtnis, und Einbildungs-Krafft oder Phantaſie. Verſtand und Vernunfft ſind weiter nicht unter - ſchieden, als daß was der Verſtand faſſet und be - greifft, die Vernunfft durch Ueberlegungen raiſon - niren, daraus verſchiedene Schluͤſſe formiret, und oͤffters etwas neues und zuvor noch unbekanntes hervorbringet; und erfodert der Unterſcheid des Objects oder Gegenwurffs, meines Erachtens keine beſondere Krafft, oder Weſen des Begriffs und Erkaͤnntniſſes.

Nicander.

Jch muß geſtehen, daß ich den Herrn Modeſtin auch nicht faſſe. Denn meine Seele,wel -39welche die ſichtbare begreiffliche Objecta betrachtet; davon durch die Sinne der Augen, Ohren etc. die Bildniſſe empfaͤhet, daruͤber raiſoniret; dieſelbe auch abweſend ſich vorſtellen und tauſenderley Ver - gleichungen davon machen kan; hat auch die Krafft ſich zu einem angenehmen zu neigen, und das wi - drige zu fliehen. Und eben mit dieſer Anneigung des Willens koͤnnen wir uns zu GOtt als unſerm Schoͤpffer und Wohlthaͤter nahen; und iſt dazu kein drittes Principium im Menſchen noͤthig.

Modeſtin.

Jch werde meinen werthen Freunden meinen Begriff und Erfahrung nicht auf dringen: Daß aber nach der Maas und Verhaͤltniß eines jeden Objects, auch das Jnſtrument, womit und und wodurch das Object begriffen und erkannt wer - den ſoll, unterſchieden ſeye, lehret die gantze Natur. Wo hat GOtt der HErr zu Betracht - und Ent - ſcheidung der Farben das Auge; zum Klang und Thon das Ohr; zum Geſchmack die Zunge u. ſ. w. gegeben, welches durch eine vernuͤnfftige Seele er - kannt, beurtheilet und entſchieden wird. Da aber der Schoͤpffer vom Geſchoͤpffe uͤber alle maſſen weit unterſchieden iſt: ſo hat auch GOtt der HErr dem Menſchen eine gantz beſondere Krafft des Gemuͤthes gegeben, zu ſeines GOttes Selbſt-Erkaͤnntnis, An - neigung und Veneration. Worinnen hauptſaͤch - lich ein verſtaͤndiger GOtt-liebender Menſch von denen Beſtern, und von denen thieriſchen Men - ſchen unterſchieden iſt, da die Thiere ſowohl als der Menſch etwas vernuͤfftiges in ſich haben; Wie ein vernuͤnfftiger Naturkuͤndiger ſolches an Hun -C 4den,40den, Pferden, Affen, etc. genugſam ſehen kan. Daß aber die meiſte Menſchen den ſich in ihnen regenden Funcken des Geiſtes GOttes in ihrem Ge - wiſſen, oder den zuͤchtigenden beſtraffenden Gna - den-Geiſt kein Gehoͤr geben, ſondern ſelben unter - druͤcken und erſticken, durch ihre Luͤſte und thieri - ſches Leben, daran kan ein unpartheyiſcher, dem die Augen geoͤffnet ſind, wohl ſchwerlich zweiffeln. Denn die Eigen - und Creatur-Liebe hat alle Staͤn - de und Nationen dergeſtalt durchdrungen, daß man das Wahre vom Falſchen, das Gute vom Boͤſen, faſt nicht mehr zu entſcheiden weiß, will, oder kan.

Nicander.

Nach unſeres Herrn Modeſtini Be - ſchreibung muͤſte zwiſchen einem Chriſten und einem andern vernuͤnftigen Menſchen ein mercklicher Un - terſcheid ſeyn, welches ich an ſeinem Ort geſtellt ſeyn laſſen will. Jch habe aber auf meinen Reiſen oͤffters Gelegenheit gehabt allerley Leute kennen zu lernen, und unter denen ſo genannten Pietiſten, feinen, und beſonders fromm ſich anſtellenden, Leu - te von allerley Caracteren gefunden: theils honette, rechtſchaffene, ehrliche Leute; theils aber auch ſolche, welche unter dem Mantel der Pietaͤt allerhand pias fraudes, Schrappereyen, Fuͤntgens auszuuͤben wu - ſten; theils auch ihrem herrſchſuͤchtigen Eigenſinn ein ſolches Futter zu verſchaffen, daß es ſubtile Spitzbuben und liſtige Betruͤger nicht beſſer und feiner haͤtten ins Werck richten koͤnnen. Andere, welche ihrem Leibe auch etwas zu gute zu thun wu - ſten. Welche alle zuſammen im Grunde des Her - tzens (die Worte ausgenommen) von der Ver -laͤugnung41laͤugnung ſeiner ſelbſt nicht viel hielten; weiß ich demnach zwiſchen ſolchen und einem andern natuͤr - lichen Menſchen keinen Unterſcheid zu finden.

Alamodan.

Der Herr Nicander kan ſein Hecheln nicht laſſen. Es klebet uns armen Menſchen frey - lich noch viele Schwachheit an; und iſt wahr, daß wir ſo heilig und unſtraͤfflich nicht wandeln koͤnnen, wie wir wohl thun ſolten; und daß wir von man - cherley Sorgen der Nahrung; von fleiſchlichen Luͤſten und Begierden; vom Verlangen in der Welt etwas uͤber andere erhaben zu ſeyn u. d. g. uns nicht frey ſprechen koͤnnen. Wenn wir aber al - les nur maͤſſig brauchen; ſo hat GOtt keinen Miß - fallen daran.

Modeſtin.

Die heilige Schrifft bezeuget: daß dasjenige, was nicht aus Glauben und im Glauben geſchehe, Suͤnde ſey. Und wo der Menſch nicht von neuem aus GOtt gebohren wird, ſo flieſſen ſeine meiſte Actiones, ſein Thun und Laſſen aus einem unreinen eigenliebigen Grunde; nuͤtzen nicht viel, und koͤnnen demnach auch GOtt dem HErrn nicht gefallen. Denn vor ihme gilt nichts als eine neue Creatur, oder der Glaube, welcher NB. durch die Liebe thaͤtig iſt, wie Paulus die neue Creatur ſelbſten beſchreibet und erklaͤret in der Epiſtel an die Galater.

Nicander.

Alleine, mein Herr Modeſtin, was halten ſie denn von denen alten weiſen Maͤnnern unter denen Griechen und Roͤmern, welche ſehr tu - gendhafft gelebet, als zum Exempel: Socrate, Epicte - to, Ariſtide, Seneca, u. d. g. wie auch der ChineſerC 5Con -42Confutio: welche es gewißlich euren heutigen à la mode Chriſten in Ausuͤbung derer Tugenden weit zuvor gethan haben. Sind dieſe denn auch neu gebohren geweſen?

Modeſtin.

Jch trage meines Theils kein Beden - cken auch denen frommen Heyden ſowohl, als denen Vaͤtern vor und nach der Suͤndfluth die neue Ge - burth aus GOtt zuzuſchreiben: Da es ohnmoͤglich, ohne Beyſtand und die Gnade GOttes etwas Gu - tes zu wollen, vielweniger zu vollbringen; auch kommen ja alle gute und vollkommene Gaben von oben herab vom Vater des Lichtes. Zwar will ſolchen groſſen Leuten, (als auch Hermestrismegi - ſtus, Jamblichus, Proclus und andere Weiſe auch unter alten Aegyptiern, Chaldaͤern und andern Nationen geweſen) den Geiſt der Weißheit nicht abſprechen: ſintemahlen dieſelbe nach dem Maaß ihrer Erkaͤnntnis auch eine beſondere Veneration GOttes und Liebe gegen ihren Naͤchſten bezeuget haben. Confutii und anderer Moral iſt billig zu bewundern und hochzuachten; als welche von der Chriſtlichen wenig unterſchieden. Doch muͤſſen wir billig einen Unterſcheid machen, zwiſchen einem Kinde, Juͤngling und Mann in Chriſto; auch den Unterſcheid der zwiſchen einen pur Natuͤrlichen und Wiedergebohrnen iſt, und worinnen ſolcher beſtehe, mit ihrer Genehmhaltung unterſuchen und in un - ſere Betrachtung ziehen.

Nicander.

Jch laſſe einem jeden nicht alleine ſeine Meinung und Sentimens gerne frey paſſiren; nehme mir auch die Freyheit alles zu pruͤfen, unddas43das Gute zu behalten: Wenn man mir nur nichts, deſſen ich nicht uͤberzeuget bin, mit einer albernen Auctoritaͤt aufbinden und aufbuͤrden will.

Modeſtin.

Jch ſetze denn dieſes Axioma oder Grund-Satz, nach denen Natur-gemaͤſſen Eigen - ſchafften der Sache ſelbſten: Der natuͤrliche Menſch trachtet nur nach natuͤrlichen, zeitlichen, vergaͤng - lichen Dingen. Der Wiedergebohrne aus GOtt trachtet vornemlich nach dem, was oben iſt, nach dem Reich GOttes und ſeiner Gerechtigkeit. Da - hin gehet ſein Sehnen, Dichten und Trachten. Wenn nun dieſe zwey widerwaͤrtige Principia des Geiſtes und Fleiſches in dem Menſchen rege wer - den, ſo entſtehet ein Kampf und Streit. Das Fleiſch geluͤſtet wider den Geiſt, und der Geiſt im Gemuͤthe beſtraffet die aufſteigende Gedancken und Begierden derer eiteln Dinge. Jſt nun der Menſch recht beſorget um den edelſten Theil, aufmerckſam auf die innerliche Zucht, ſo waͤchſt und nimmt er im guten zu, wird immer ſtaͤrcker in der Weißheit, Gnade und Tugend. Fuͤhlet einer aber gar keinen Streit, Beſtraffung und Zuͤchtigung in ſeinem Ge - wiſſen; oder achtet gaͤr nicht darauf, ſondern lebet ſo in den Tag hinein, wie ein Beſtgen nach ſeinen Luͤſten und Begierden, nachdem ſein Tempera - ment und Natur-Rad ihn treibet, achtet und fuͤhlet das Leben aus GOtt in ſich nichts: Da ſtehets allerdings ſchlecht um einen ſolchen Menſchen; und ob er mitten in dem Schooß der Chriſtlichen Kir - chen lebte, ſo iſt doch zwiſchen einem ſolchen, und einem Heyden, Juͤden, Tuͤrcken, und dergleichen einſchlech -44ſchlechter Unterſcheid, waͤre auch ſein Verſtand noch ſo polirt, und haͤtte dazu die gantze Bibel im Kopff.

Nicander.

Der HErr ſagt mir viel von Zuͤchti - gung im Gewiſſen: Wenn ich aber die Geſchichte und Geſetze auch der vernuͤnfftigſten Voͤlcker auf Erden anſehe; ſo kan ich nicht finden, daß die Leute einerley Dictamen Conſcientiæ, oder einerley Uber - zeugung von Wahrheiten und Tugenden haben. Denn z. E. bey einigen Voͤlckern wird es vor gar kein Laſter gehalten, einem Fremdling eine Dirne zur Beyſchlaͤferin zu geben, ſondern macht ſich noch wohl eine Ehre daraus: So haben auch die Chri - ſten vom Krieges-Weſen, von Ruhm der Helden u. d. g. mehr, nicht einerley Gedancken mit andern Voͤlckern. Daß es demnach ſcheinet; das Ur - theil des Gewiſſens richte ſich gar ſehr nach denen vorgefaſten Ideæn der Erziehung.

Modeſtin.

Daß viel nach vorgefaſten Meinun - gen gerichtet werden, iſt nicht zu laͤugnen: Daß aber auch die wichtigſte Grund-Wahrheiten allen Voͤlckern ins Hertz gepraͤget, als nemlich unſer Fundamental-Articul: GOtt uͤber alles und den Naͤchſten als ſeines gleichen Geſchoͤpf zu lieben; woraus viele andere von ſelbſten flieſſen und herge - leitet werden koͤnnen, als bey der Wahrheit zu bleiben, nicht zu luͤgen, betruͤgen u. d. g. wird wohl ſchwerlich ein Verſtaͤndiger in Abrede ſeyn: Und wo der Menſch ſich aufrichtig nach dem Maaß ſei - ner Erkaͤnntniß befleißiget, vor GOtt und ſeinem Naͤchſten zu wandeln und zu handeln, wird ihmdie45die Weißheit von oben wohl weiter leiten. Wie es an dergleichen Exempeln in denen unpartheyiſchen Geſchichten nicht fehlet. Und eben darinnen er - weiſet ſich auch die Vortrefflichkeit der Chriſtlichen Religion vor andern, daß ſie die allerreineſte und herrlichſte Moral hat, als da iſt, auch ſelbſt ſeine Feinde zu lieben; die zu ſegnen, welche uns fluchen; gutes zu thun denen, die uns haſſen und verfolgen.

Nicander.

Jch muß geſtehen, daß die Moral des Evangelii vortrefflich iſt: Allein man wird auch Exempel einer beſondern Großmuth, Generoſitaͤt, Maͤßigkeit, Vergnuͤgſamkeit u. d. g. Tugenden unter denen Heyden finden. Uber das aber, wo ſind denn die Chriſten, welche dieſe Moral ihres Lehrmeiſters, HErrn und Heylandes in acht neh - men? Kriegen, rauben, pluͤndern, haſſen, verfol - gen, morden und toͤdten ſie nicht ſowohl als andre Voͤlcker, welche das Evangelium nicht angenom - men haben? Wo ſind die, welche die Regeln und Geſetze JEſu Chriſti nach dem Buchſtaben beobachten? Vielleicht ſind ſie in Utopia, oder etwa hier und da einer in der Welt anzutreffen.

Alamodan.

Der Herr Nicander bleibet bey ſei - ner ſcoptiſchen Weiſe. Man muß doch die Leute nach ihrem Glauben und Bekaͤnntnis urtheilen, und iſt ein groſſer Unterſcheid zwiſchen einem Hey - den und Chriſten. Und ob wir gleich nicht alles vollkoͤmmlich halten koͤnnen, ſo haben wir doch einen Vorſprecher im Himmel, und einen Buͤrgen, wel - cher vor uns das Loͤſe-Geld bezahlet, und vor uns genug gethan hat. Davon die Heyden nichtswiſ -46wiſſen, und auf ſelbigen kein Vertrauen haben, demnach ſelbige auch nichts angehet.

Nicander.

Jch meineté der Menſch wuͤrde ge - richtet nach ſeinen Wercken, und nicht nach ſeinen Bildern und Meinungen, welche er in ſeinem Hirn - Kaſten heget. Was duͤnckt aber meinen Herrn davon? Wenn er im Handel betrogen wird, iſts ihm lieber wenns von einem Chriſten als von einem Juden oder Heyden geſchicht? Jch meines Ortes, wenn ich mit jemanden zu thun oder zu contrahi - ren habe, bekuͤmmere ich mich wenig darum, was vor einer Religion er zugethan ſey: ſondern ſehe hauptſaͤchlich darauf, daß es mit einem ehrlichen Biedermann geſchehe, welchem ich ſicher trauen koͤnne. Jndem mich die Erfahrung gelehret: daß es unter allerley Voͤlckern ehrliche, aber auch mit - ten unter denen Chriſten, liſtige Betruͤger, Spitz - buben und dergleichen Burſche haͤuffig giebet. Und muß geſtehen: daß ſo viel ich auf meinen Reiſen mit mancherley Leuten zu thun gehabt, ich faſt un - ter allen, die ich jemahlen kennen lernen, in Engel - land die meiſte Quacker, und Holland die Meno - niſten als die redlichſte; doch auch in Teutſchland viele redliche Seelen angetroffen habe, welche ihrer Glaubens-Bekaͤnntniß gemaͤß leben. Wiewohl ich auch etlicher Scrupuloſitaͤt in indifferenten aͤuſ - ſerlichen Dingen, (als zum Exempel: Hut-abziehen, einen Ehren-Titul denen, die es alſo haben wollen, zu geben) billig verachte, und es einen Mangel eines ſcharffen geſunden Judicii zuſchreibe. Sed in his & ſimilibus ſuo quisque abundet judicio.

Mo -47
Modeſtin.

Man thut uͤbel, wo man die gute Wercke von dem Glauben abſondert, und contra - diſtinguiret. Wo ein rechtſchaffener Glaube, auf - richtiges feſtes Vertrauen und Liebe zu GOtt iſt, kan ſolcher ohnmoͤglich ohne gute Wercke, und ohne wahre aufrichtige Liebe des Naͤchſten ſeyn noch be - ſtehen. Wo man das Wort Glauben, nur vor Meynungen, Concepte und den Beyfall hiſtoriſcher Wahrheiten haͤlt, und einem gottſeligen durch die Liebe thaͤtigen Wandel entgegen ſetzet; ſo iſt es wohl ſicher und gewiß, daß ein ſolcher Meynungs - Kram dem Menſchen zur Seeligkeit wenig helffe. Denn vors erſte, ſo glauben und wiſſen die Teufel die Hiſtorie von Chriſto ſo gut und gewiß als die beſte hiſtoriſche Chriſten. Zum andern, wenn man erweget, was das eigentlich heiſſe: ſeelig ſeyn; ſo ergiebets die Sache ſelbſt, daß auſſer der Liebe GOttes und derjenigen Vereinigung mit dieſem hoͤchſten Gute, der Menſch ohnmoͤglich eine wahre vollkommene Gluͤckſeeligkeit beſitzen koͤnne. Jndem nichts den Hunger des aus GOtt urſtaͤndenden Geiſtes des Menſchen ſaͤttigen und vergnuͤgen kan, als GOtt ſelbſt: welches das Reich GOttes im Menſchen iſt; ſo in Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem Heiligen Geiſte beſtehet.

Nicander.

Alleine, mein werther Herr Modeſtin, ſolte dieſe Vereinigung mit GOtt, worein er die hoͤchſte Gluͤckſeeligkeit des Menſchen zu ſetzen belie - bet, nicht etwa ein ſuͤſſer Traum, Einbildung und Chimere ſeyn? Wie kan ein Menſch, ein armer Erden-Wurm, mit dem unendlichen Schoͤpfferver48vereiniget werden? Dieſes, geſtehe ich, kan ich nicht begreiffen.

Modeſtin.

Das will ich ihm wohl glauben: Wo wir aber die Urſachen deſſen zu unterſuchen die Zeit, Muͤhe, Fleiß und aufrichtige Sorgfalt uͤber uns nehmen wollen, wird es ihm hoffentlich nicht mehr ſo ſeltzam und unbegreifflich vorkommen. Denn wenn wir erwegen erſtlich: Wie ein Menſch, der aufrichtiges Hertzens iſt, GOtt uͤber alles zu ve - neriren, und deſſen Gebote und heiligen Willen zu vollbringen, ſich allen Fleiſſes angelegen ſeyn laͤſſet; in ſich einen ſtarcken Hunger und Verlangen nach einer ewigen Gluͤckſeeligkeit empfindet: ſo zeiget auch die Natur ſelbſt und die Erfahrung, daß dieſer Hunger durch alle zeitliche Dinge nicht geſaͤttiget noch vergnuͤget werden kan; Jm Gegentheil aber auch, daß diejenige, welche beſtaͤndig nach dem Reich GOttes trachten, mit wachen und ſtetem Gebet zu GOtt, ſolche endlichen zu dem Genuß dieſer Gluͤckſeeligkeit des Friedens mit GOtt gelan - get; welche Freude alles ſinnliche Vergnuͤgen ſo weit uͤbertrifft, als das helle Sonnen-Licht den Schein einer truͤben Wolcken, darein ein ſchwa - cher Schein des Monden faͤllet. Wie hievon eine Menge Zeugen angefuͤhret werden koͤnten, wo ſel - biges zu Ueberzeugung unglaͤubiger Thomas-Bruͤ - der dienen koͤnte. Am beſten aber iſts: Wenn ein jeder in ſein Hertz gehet, denen Spuhren der Weiß - heit nach dem Maas ſeines Begriffes einfaͤltig fol - get, wider ſein Gewiſſen und Ueberzeugung, in deme was zu thun und zu laſſen, nicht handelt: ſo wirder49er mit der Zeit wohl zu einer feſten Gewißheit ge - langen, welche auch die| Pforten der Hoͤllen nicht werden uͤberwaͤltigen koͤnnen. Und wo mein wer - ther Herr Nicander dieſe Mittel ergreiffen wil, wird er wohl erfahren: ob dieſe Lehre aus GOtt, oder ob es erdichtete Chimeren ſeyn.

Nicander.

Jch beſorge mein Herr begehe eine petitionem Principii: da er eine Sache durch eine ſolche beweiſen will, die noch ſelbſten bewieſen zu werden noͤthig iſt. Jch ſehe auch nicht, was das Gebet mich helffen ſoll.

Alamodan.

Behuͤte GOtt! Betet der Herr denn nicht? ruffet GOtt um ſeine Gnade, Huͤlffe und Beyſtand nicht an; danckt ihm auch nicht vor ſeine unermeßlich viele Wohlthaten.

Nicander.

Vor GOtt habe ich die tiefeſte Veno - ration deren ich faͤhig bin. Weilen ich aber GOtt dem HErrn nichts geben kan; ihme auch durch meine Complimenten und Lieder nichts an ſeiner Majeſtaͤt und Herrlichkeit zuwaͤchſt; weiß ich nicht wozu ich dergleichen Complimenten machen ſoll, als womit ihme wenig gedienet ſeyn moͤchte.

Modeſtin.

GOtt koͤnnen wir freylich nichts geben noch nehmen: er hat auch unſerer nicht noͤthig: wir aber koͤnnen ſeiner Gnade und Huͤlffe nicht entbeh - ren. Zudem iſt ja ein Unterſcheid zu machen zwiſchen einem à la mode beten, plappern und bloſſen Mund - Werck; und hingegen einem hertzlichen aufrichti - gen Verlangen, Bitten und Flehen zu GOtt dem guͤtigen Geber aller guten Gaben, mit einem kindli - chem Vertrauen, dem HErrn im Hertzen, und auchDwohl50wohl mit Worten aͤuſſerlich, erhebende, lobend und preiſende. Wie nun allerdings das von vielen Menſchen gebraͤuchliche Gewohnheits-Gebet ohne Hertzens-Andacht ein leeres unnuͤtzes Gewaͤſch iſt, und nichts nuͤtzet: ſo iſt hingegen das aufrichtige, andaͤchtige, hertzinnige Gebet ein kraͤfftiger Magnet, welcher die Gnade GOttes an ſich ziehet, und GOtt gleichſam beweget ſolches zu erhoͤren. Wir koͤnnen freylich GOtt nichts geben oder nehmen: alleine der Herr Nicander (welcher alles nach ſeiner Ver - nunfft abmeſſen will) wird mir doch das zugeben: daß es auch raiſonabler in dem Licht der Natur ſelb - ſten gegruͤndet: daß der Schoͤpffer ſich ehender zu denen, die ihn anruffen und verehren, wenden werde; als zu denen, welche ihm gleichſam den Ruͤcken keh - ren, ſeiner keinesweges achten, ſondern gleich dem Viehe dahin leben.

Nicander.

Daß man GOtt als das hoͤchſte Weſen billig venerire, und dem Geſetz der Natur nach ſeiner Erkaͤnutnis gemaͤß tugendſam leben ſolle; bin ich gar nicht in Abrede: daß man aber durch das Gebet viel erlangen ſolle, weiß ich nicht. Sintemahlen auch die Erfahrung lehret: daß oͤff - ters die allertugendhaffteſte und froͤmmſte Maͤnner eben nicht die gluͤcklichſten ſind, ſondern oͤffters in groſſe Leiden, Noth und Tod gerathen.

Modeſtin.

Hier muͤſſen wir das vorhergehende richtig zu entſcheiden, erſtlich feſt ſetzen: daß die hoͤchſte Gluͤkſeeligkeit, auch in allerley Truͤbſalen, Leiden und dem Tode ſelbſt doch beſtehen koͤnne: und da wird ſichs zeigen, daß zwiſchen einem Got -tes -51tesfuͤrchtigen frommen nothleidenden, und einem gotrloſen in Noth gerathenden Menſchen ein maͤch - tiger Unterſcheid ſey. Da der erſtere den Goͤttli - chen Troſt in ſeiner Seeln, der ander aber ſolches nicht erfaͤhret.

Nicander.

Jch habe doch geſehen und erfahren: daß auch Fromme in groſſe Seelen-Angſt gera - then ſind; da von dieſem Frieden, davon er ſaget, wenig zu ſehen und zu ſpuͤhren war. Weiß dem - nach nicht, wo ich dieſen vorgegebenen Unterſcheid hinſchreiben ſoll. Denn es gehet doch dem From - men wie dem Boͤſen: ob ich gleich einem ehrlichen Mann einem malhonetten Spitzbuben weit vor - ziehe.

Modeſtin.

Mein lieber Herr Nicander! Jn GOt - tes gerechte und heilige Gerichte koͤnnen wir arme Menſchen nicht ſehen: ſondern uns gebuͤhret in al - len Dingen die Hand auf den Mund zu legen; GOttes Gerichte und Fuͤgungen demuͤthigſt zu veneriren, verſichert ſeyende, daß doch alles denen, die GOtt lieben, zum beſten dienen muͤſſe.

Nicander.

Wer wird mich verſichern koͤnnen: daß dieſem oder jenem zuſtoͤſſt, von GOtt, und nicht ex connexione cauſarum gar vieles ſo von ohnge - fehr, wie man zu reden pfleget, zuſtoſſe.

Modeſtin.

Wer GOtt uͤber alles liebet, und auf den von gantzem Hertzen hoffet, trauet und ſchauet: auf den wird GOtt auch ein beſonderes Auge ſei - ner allweiſen Vorſehung haben, und der wird auch im Tode nicht zu Schanden werden. Die Gott - loſen aber werden vom Angeſichte des HErrn ver -D 2worffen,52worffen, und in ihrer Seelen Pein leiden. Denn es iſt Recht bey dem Heiligen und Gerechteſten zu vergelten gutes denen die gutes thun, und boͤſes denen die da boßhafft handeln; und da ſolches nicht in dieſer Zeit geſchicht, ſo erfoderts die Gerechtig - keit und Heiligkeit GOttes, daß es nach dieſem geſchehe.

Nicander.

Wenn ich das Thun und Laſſen derer Menſchen, nach ihren unterſchiedenen Gemuͤths - Neigungen und Temperamenten betrachte: ſo kommt mir gar wahrſcheinlich vor: daß ihre Fata ihr Wohl und Uebel ſeyn, das groͤſte Theil ihres Gluͤcks und Ungluͤcks, Geſundheit und Kranckheit, Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen, dieſem ihrem gluͤcklichen oder ungluͤckſeligen boͤſen Temperament und dahero ruͤhrenden feinen oder uͤbeln Conduite, Auffuͤhrung und Betragen zuzuſchreiben ſey. Da - bey die Goͤttliche Providence wohl wenig thun mag: ob ich zwar nicht leugne, daß der Fleiß und gute Education ein Temperament (das nicht eben das beſte iſt, und dahero ungluͤcklich waͤre, wo es dem - ſelben allzeit folgen wolte) ſehr aͤndern und verbeſ - ſern koͤnne. Und daß eben von der unterſchiedenen Erziehung und Landes-Gewohnheiten (wozu auch das Clima vieles beytraͤget) es herkomme, daß ei - nige Voͤlcker kriegeriſch, mehr zur Ambition, andere geitzig, neidiſch, haͤmiſch; andere mehr zur Wol - luſt, Gelindigkeit, Barmhertzigkeit, Mitleiden u. d. g. hauptſaͤchlich geneiget ſind.

Modeſtin.

Daß die Actiones derer Menſchen, deren Thun und Laſſen natuͤrlicher Weiſe nachderer53derer Menſchen verſchiedenen Temperamente unter - ſchieden ſeye; dahero ein Cholericus ambitioſus, herrſchſuͤchtig, ein Sanguineus zur Wolluſt, ein Me - lancholicus oder vielmehr Erd-ſuͤchtiger zum Geitz, Neid, Mißtrauen etc. geneigt, will ich nicht in Abre - de ſeyn. Daß auch einer vor dem andern ein ſehr guͤtiges Temperament, Naturell und Gemuͤths - Neigungen von der Natur empfangen; mancher hingegen von der Geburth ein ſehr ungluͤckliches; dieſes alles beſtaͤtiget die Erfahrung. Daß aber auch ein ſehr ungluͤckliches Temperament (welches von Mißtrauen, Eigenſinn, Stoltz, Haß, Neid, Zorn, Furcht u. d. g. geplaget, und von dergleichen pas - ſionen hin und wieder gezogen und gezerret wird, und gleichſam in der Finſterniß, Hoͤlle und Pein ſtehet) nicht ſolte durch die Gnade GOttes, von ſolcher Finſterniß, Pein und Plage koͤnnen erloͤſet, befreyt werden, und hingegen in das ſanffte Liebes - und Freuden-Reich JEſu Chriſti durch die Gnade GOttes eingehen koͤnte, ſtreitet ja auch mit der Erfahrung.

Nicander.

Daß durch Education, anhaltenden Fleiß und Uebung die boͤſe Neigungen im Zaume gehalten und verbeſſert werden koͤnnen, zeigen die Exempel vieler beruͤhmten Leute des Alterthums un - ter denen Griechen, Roͤmern, Perſern, Aegyptiern, Chineſern und anderer Voͤlcker, ſehe alſo nicht, was das Chriſtenthum hierinnen vor andern Voͤl - ckern vor Vorzug hat, ſo lang er mir unter denen heutigen keine beſſere Exempel darſtellen kan, als man gemeiniglich ſiehet.

D 3Mo -54
Modeſtin.

Mein lieber Herr Nicander! es iſt frey - lich wohl zu beklagen, daß die meiſten heutigen Chri - ſten von denen uͤbrigen Heyden in nichts als dem Nahmen nach unterſchieden ſind; und die Krafft des Todes und der Auferſtehung Chriſti mit ihrem ungottſeligen Wandel verlaͤugnen; woruͤber auch viele fromme gottſelige Maͤnner immer bittere Kla - gen gefuͤhret; und wenn ihme beliebet die geiſtliche Geſchichte einiger frommen Maͤnner unſerer Zeit zu leſen, (wo ihm ſelbe nicht bekannt ſind) wird er fin - den: daß der alte GOtt in dem Hertzen derer Glaͤu - bigen noch lebe, und deſſen Hand noch nicht ver - kuͤrtzet ſey.

Nicander.

Was ſind denn dieſes vor Schrifften.

Modeſtin.

Wo er dem Zeugnis derer Evgngeli - ſten und Apoſtel keinen gnugſamen Glauben zuſtel - len will, und neuere Zeugniſſe von auſſerordentli - chen Gnaden-Gaben haben will: ſo will ihm in die Hiſtorie der Wiedergebohrnen, und das Leben der Glaͤubigen, Gottfried Arnolds, in Partagens himm - liſche Metaphyſic, und die Sammlungen auserle - ſener Materien zum Ban des Reichs GOttes wei - ſen. Da er merckwuͤrdige Exempel von Wunder - wercken und Bekehrungen wird finden koͤnnen.

Alamodan.

Jch habe gemeinet die Wunderwer - cke haͤtten aufgehoͤret, und ſeyn zu unſerer Zeit nicht mehr noͤthig: da das Chriſtenthum ſchon gepflan - tzet, und nicht erſt zu pflantzen iſt.

Modeſtin.

Mein lieber Herr Alamodan! zu wuͤn - ſchen waͤre es, daß es in aller Hertzen recht gepflan - tzet waͤre, welche ſich Chriſten nennen; und daßdas55das Reich GOttes, das iſt, Gerechtigkeit, Frie - de und Freude im Heiligen Geiſte, ſich in ihnen befaͤnde und bezeugete. Alleine, alleine! Wer ſiehet nicht den maͤchtigen Unterſcheid zwiſchen dem Nah - men und der Sache ſelbſt. Zudeme, wo ſtehet es geſchrieben? daß GOTT der HErr nicht eben ſo kraͤfftig heute als vor zwey und mehr tauſend Jah - ren ſich in und unter denen Seinigen erweiſe? iſt etwa deſſen Hand verkuͤrtzet oder veraltet? will er nicht mehr in denen Glaͤubigen wohnen und wandeln? nach ſeiner Verheiſſung, und ſoll man es etwa nicht erkennen und entſcheiden koͤnnen: wo GOtt oder boͤſe Geiſter ihre Herberge und Woh - nung haben?

Alamodan.

Mein Herr, ſeine Reden kommen mir etwas Enthuſiaſtiſch und Quackeriſch vor.

Modeſtin.

Mein guter Herr Alamodan! ich weiß gar wohl, daß diejenige, welche den Grund der wahren Religion mehr im Kopf als im Hertzen ſuchen und ſetzen; mehr in Ideæn, Bildern und Mei - nungen als Sinnes-Veraͤnderung und wahren durch die Liebe thaͤtigen Glauben und Vertrauen auf GOtt, mit dergleichen und andern verketzernden Ehrentituln gar freygebig ſind. Es iſt und bleibet aber in heiliger Schrifft eine ausgemachte Sache: daß wer Chriſti Geiſt nicht in ſich wirckend hat; wem der Geiſt GOttes nicht, ſondern der Welt - Geiſt in Fleiſches-Luſt, Augen-Luſt und hoffaͤrtigem Leben treibet, der iſt kein Chriſt; wenn er auch noch ſo ſchoͤne Ideæn, Bilder und Glaubens-Meinungen in ſeinem Hirn-Kaſten gefaſſet haͤtte: Und denD 4Spruch:56Spruch: Aus allerley Volck, wer GOtt fuͤrchtet und recht thut, der iſt ihm angenehm; den werden mir die Herren Ketzermacher nicht aus der Bibel und aus meinem Hertzen kratzen.

Nicander.

Jch bln allerdings mit dem Herrn Modeſtino hierinnen eines: daß man nicht ſo ſehr auf Opinionen oder Meinungen, als auf Redlich - keit zu ſehen habe, und daß unter allerley Volck, wer GOtt fuͤrchtet und recht thue, GOtt dem HErrn angenehm ſeye; und daß unter allerley Voͤlckern ehrliche und redliche gefunden werden. Wie denn unter denen Tuͤrcken und Heyden, noch heut zu Tage ſowohl als unter denen alten Griechen, Roͤmern, Chineſern und andern Voͤlckern vortreff - liche Maͤnner geweſen, welche es denen meiſten heu - tigen Chriſten, wo nicht weit zuvor, doch wenigſtens in den Tugenden gleich gethan: Und zweiffele ich ſehr: ob die heutige Chriſten (daß ich nichts von dem gemeinen unwiſſenden Volck unter allen Secten, ſondern auch von groſſen vornehmen Leuten ſage) in der That beſſer (wo nicht ſchlimmer) als viel Mahometaner und Heyden ſeyn. Wie denn auch Mr. Montagne ſo gar die Canibalen, als Men - ſchenfreſſer, wider die grauſame Spanier defendi - ret, und ſie dieſen weit vorgezogen hat.

Alamodan.

Alleine es heiſſet ja: Was nicht aus Glauben geſchiehet, das ſeye Suͤnde. Wie koͤnnen aber die Actionen derer Tuͤrcken und Heyden aus Glauben geſchehen, da ſie keinen rechten, ſondern verkehrten Glauben haben.

Modeſtin.

Wir werden uns aus dieſem Zweiffelund57und Schwierigkeit nicht auswickeln koͤnnen: ſo lange wir den Glauben nur alleine oder vornemlich in dem Begriff und Meinungen ſetzen, und an Mei - nungen und Conceptes binden. Wenn wir aber obiges feſte ſetzen: daß der wahre Glaube die Liebe GOttes und des Naͤchſten mit einem feſten Ver - trauen auf GOtt zum Grunde legen: Welchen Glauben auch Enoch, Abraham, Jſaac, Jacob und andere Vaͤter unter der Verheiſſung gehabt, noch ehe ein Buchſtabe von heiliger Schrifft verfaſſet ware: ohnerachtet dieſelbe gewißlich die Erkaͤnntnis von Chriſto, deſſen Leyden, Sterben und Auferſte - hung u. d. g. Glaubens-Articuln nicht ſo wie wir heute zu Tage gehabt haben: ſo wird man aus ſolchem Zweiffel und Schwierigkeit gar leichte kom - men koͤnnen.

Alamodan.

So waͤre es denn gleichviel was vor einen Glauben und Religion man haͤtte; ſie moͤchte Heydniſch, Mahometaniſch oder Chriſt - lich ſeyn.

Modeſtin.

Der Herr verzeihe mir, dieſes folget derowegen noch lange nicht, und confundiret er mir Glauben und Religion. Die Religion kan und iſt wircklich bey gar vielen ohne wahren durch die Liebe thaͤtigen Glauben: unter denen in der Welt uͤblichen Religionen iſt allerdings ein gar groſſer Unterſcheid; und hat allerdings die wahre Chriſt - liche vor der Mahometaniſchen und Heydniſchen, (welche mit vielen groben Jrrthuͤmern vermiſchet ſind) einen gar groſſen vortrefflichen Vorzug; wel - cher aber doch diejenige wenig helffen wird, welcheD 5durch58durch Verderbung des Sinnes und des durch die Liebe thaͤtigen Glaubens ermangeln.

Nicander.

Daß die Herren ihre Religion ſo ſehr uͤber andere erheben, ſcheinet mir aus dem Vorur - theil der Gebuhrt und Erziehung herzuruͤhren; und wo ſie unter denen Heyden, Tuͤrcken, Juͤden, oder einem andern Volcke gebohren und erzogen worden waͤren; wuͤrden ſie eben ihrer Vaͤter Meinungen beypflichten, und die Chriſtliche Religion ſchwerlich vorziehen. Jndem man bey euch ja faſt ſo abſurde Denteleyen und Grimmaſſen derer Pfaffen bey ih - rem Gottesdienſt ſehen und wahrnehmen kan, als bey verſchiedenen anderer Voͤlcker Religions-Ge - brauch und Ceremonien.

Modeſtin.

Mein werther Herr Nicander, er wirfft die Sachen, die zu entſcheiden ſind, auch ziemlich durcheinander: Weßwegen man den Grund der Sache etwas tiefer ſuchen, und das Aeuſſere von dem Jnnern, den Kern von denen Schaalen wohl entſcheiden muß, wo man die Sachen recht einſe - hen und beurtheilen will. GOtt iſt ein Geiſt, und die wahren Anbeter, beten ihn im Geiſte und der Wahrheit an, verehren, veneriren ihn von gantzem Hertzen, und ſetzen all ihr Vertrauen auf ihn. Was die aͤuſſerliche Ceremonien anlangt, ſind es gewißlich wohl recht indifferente Manieren; und iſt wohl wenig daran gelegen: ob man den aͤuſſer - lichen Reverentz gegen einen groſſen Herren nach der Landes-Art, nach Orientaliſcher, Griechi - ſcher, Jtaliaͤniſch, Spaniſcher, Frantzoͤſiſch oder Teutſcher Art mache: wenn nur das Hertz auf -richtig59richtig GOtt, ſeinen HErrn, und den Naͤchſten treulich meinet.

Alamodan.

So iſt es nach meines Herrn Mei - nung gleichviel: ob man in eine Roͤmiſche oder in eine Proteſtantiſche Kirche gehe; und dieſe oder jene Ceremonien ſo mitmache, wie es des Landes Brauch und Gewohnheit oder Mode mitbringet.

Modeſtin.

Jch halte das Land vor ſehr gluͤcklich, wo ein jeder die Freyheit hat, GOtt nach ſeiner Erkaͤnntniß, es ſey oͤffentlich oder ins beſondere zu dienen: Und daß es eine abſurde Gottesvergeſſene abominable Tyranney ſey, uͤber die Gewiſſen zu herrſchen; als welches GOtt dem HErrn alleine zuſtehet: welcher doch ſelbſten niemahlen, ſo wenig als auch Chriſtus der HErr, jemanden gezwungen zu einigen aͤuſſerlichen Satzungen, ſondern zu allen Zeiten nur hauptſaͤchlich das Hertz begehret. Und beſtehet die Vortrefflichkeit des Chriſtenthums vor andern Religionen nicht in pompoͤſen Ceremonien, ſondern es muß ſich in der Krafft beweiſen, daß es den Menſchen veraͤndert, erneuert, verbeſſert; und aus einem ſchnaubenden, herrſchſuͤchtigen, eifferen - den Saulo, einen ſanfften und demuͤthigen Pau - lum; aus einem geitzigen neidiſchen eigennuͤtzigen, einen liebreichen mittheilenden barmhertzigen; aus einem Wolluͤſten, Freſſer, Saͤuffer, Spieler u. d. g. einen maͤßigen keuſchen arbeitſamen Menſchen ma - che. Wo das Chriſtenthum nur in verſchiedenen Ceremonien, Meinungen, Begriffen beſtehet; ohne Aenderung des Sinnes und des Hertzens; da achte ich meines Ortes ein ſolches Bilder-Chri -ſten -60ſtenthum ſo gut als das Heyden - und Tuͤrcken - thum.

Alamodan.

Das iſt eine harte Rede. Wir Men - ſchen ſind ſchwache Creaturen; und iſt ja doch ein groſſer Unterſcheid zu machen zwiſchen einem Ma - hometaner, welcher Chriſtum nicht annim̃t; einem abgoͤttiſchen Heyden und einem Chriſten, welcher ſein Vertrauen auf Chriſtum als ſeinen Heyland und Seligmacher ſetzet.

Modeſtin.

Jch mache allezeit einen Unterſcheid zwiſchen einem wahren und einem Nahm-Chriſten. Ein wahrer muß von neuem gebohren ſeyn; und gilt in Chriſto weder Beſchneidung noch Vorhaut etwas, weder Tauff noch Abendmahl, ohne den wahren durch die Liebe thaͤtigen Glauben. confer. ad Galat. V. v. 6. c. VI. v. 15. Es iſt nicht genug zum Chriſtenthum von aͤuſſerlicher groben Abgoͤtterey frey zu ſeyn; es wird dazu auch erfodert: daß das Hertz (welches ein Tempel des Heiligen Geiſtes ſeyn ſoll) gereiniget werde von denen drey Univerſal - Goͤtzen, welche die Menſchen ohne Unterſcheid derer Religionen faſt bey allen Secten veneriren.

Alamodan.

Unſere Suͤnden zu tilgen haben wir doch einen Vorſprecher im Himmel, welcher vor uns genug gethan hat; und wenn wir das Wort GOttes fleißig anhoͤren, die Sacramenta oͤffters gebrauchen: koͤnnen wir verſichert ſeyn, daß wir ſeelig ſterben und mit GOtt vereiniget werden.

Modeſtin.

Daß der Gebrauch derer Ceremonien, welche man Sacramenta nennet, von denen heu - tigen Chriſten gar ſehr mißbrauchet werde, liegetam61am Tage: Wenn man derer meiſten Wandel ohn - partheyiſch ohne Vorurtheil anſiehet; und muß ſich uͤber unverſtaͤndiger Leute Urtheil verwundern; wenn ſie ſolchen aͤuſſerlichen Ceremonien eine ab - ſolute Macht oder Krafft ſelig zu machen beylegen will, welches ſich in der That und Wahrheit an ihnen nicht befindet. Denn ſelig ſeyn iſt Friede mit GOtt und ſich ſelbſt; ja mit allen Menſchen haben, ſo viel an uns iſt.

Nicander.

Wo ich meine Meinung hievon eroͤff - nen doͤrffte, wolte ich ein Gleichniß von denen Ta - ſchenſpielern nehmen, welche mit ihrem hocus pocus denen Leuten die Augen zu verblenden ſuchen: aber unſer Herr Alamodanus wuͤrde ſich uͤber mich aͤr - gern und erzuͤrnen: daß ich ſeine Heiligthuͤmer nicht beſſer reſpectirte. Allein er beliebe dabey zu erwe - gen: daß das, was er als ein beſonders Heilig - thum anſiehet, bey mir eine gantz indifferente Sa - che ſey; als der ich mich nach meiner Freyheit zu keiner andern, als einer der Vernunfft gemaͤſſen Religion bekenne. Solte mich Herr Modeſtin oder ein anderer convinciren: daß die Chriſtliche die wahrhafftigſte und beſte ſey, werde ich mich derſel - bigen gemaͤs zu betragen trachten.

Modeſtin.

Mein werther Herr Nicander! Jch als ein ſchwacher Menſch maſſe mir ſolches Ver - moͤgen ihn zu bekehren oder zu veraͤndern nicht an; GOtt muß es durch ſein Gnaden-Licht ſelbſt in ihm wuͤrcken; doch zweiffele ich nicht, daß wo er GOtt nur aufrichtig und inſtaͤndig anruffen wird, ohne Vorurtheil das neue Teſtament leſende, und gegenalle62alle Religionen haltende, er einen mercklichen Un - terſcheid gewahr und uͤberzeuget werden; daß ſolche Lehre aus GOtt ſey. Dabey er ſich an keine Exempel (ſie ſeyn boͤſe oder ſchwachglaͤubige) zu kehren; als welche nicht der Religion, ſondern de - rer Menſchen verkehrten Hertzen zuzumeſſen ſind. Will er aber Exempel anſehen: ſo betrachte er ſol - che, die da redliches und aufrichtigen Hertzens ſind. Da ihn die Erfahrung und genaues Aufmercken wohl lehren wird, was vor ein Unterſcheid unter Gnade und Natur ſeye. Zumahl wo er auf die We - ge der Goͤttlichen Haußhaltung mercken und acht haben will. Wie nemlich die Goͤttliche Weißheit diejenige, welche ſie in ihre Zucht nimmt, nicht ohne mancherley Zuͤchtigungen (ſonderlich inwendig) zu dero eigenen beſten ſeyn laͤſſet. Worinnen zwar die Goͤttliche Fuͤhrungen ſehr mannigfaltig und un - terſchieden ſind: Da aber endlich das Reich GOt - tes mit ſolcher Krafft in Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem Heiligen Geiſte ſich erweiſet; daß es auch die Pforten der Hoͤllen nicht uͤberwaͤltigen moͤgen.

Nicander.

Wenn ich die Geſchichte derer alten Weiſen, als Confutii, Epicteti, Socratis, Epami - nondæ, Ageſilai, Ariſtidis, u. d. g. derſelben Tha - ten und tugendhafftes Leben betrachte; definde ich, daß das gute Temperament, Education und ange - wandter Fleiß zwiſchen ſolchen und dem gemeinen Hauffen einen maͤchtigen Unterſcheid gemachet. Alſo laß ich es auch gelten: daß wo Menſchen der Chriſtlichen Morale folgen, ſolche ſich vor anderndiſtin -63diſtinguiren, und alſo auch aller Ehren werth ſind: ob aber derentwegen die Chriſtliche Reli - gion die einige wahre ſeligmachende ſey, zweiffele ich noch; indem ja unter denen Heyden aller - dings ſolche Exempel angewieſen werden koͤnnen; welche dieſe Gluͤckſeligkeit, Ruhe und Frieden des Gemuͤths ſo wohl als verſchiedene Chriſten beſeſſen haben.

Modeſtin.

Lieber Herr Nicander, ich will ihm dieſes nicht beſtreiten; wie ich ihm es auch ſchon oben zugeſtanden habe: daß unter denen Heyden ſich welche befunden, die dem Lichte der Natur und der allgemeinen Gnade GOttes Folge leiſtende, zu der wahren Gluͤckſeligkeit eines Goͤttlichen Friedens und Ruhe des Gemuͤthes gelanget ſind; ob ſie gleich eine ſo groſſe und genaue Erkaͤnntniß von der Goͤttlichen Weißheit nicht gehabt haben moͤgen, als wir zu unſerer Zeit erlangen koͤnnen: indem ſich die Geheimniſſe der ewigen Weißheit von Grad zu Grade eroͤffnen, und nach ihrem Wohlgefallen austheilen. Doch iſt auch kein Zweiffel, daß ſie GOtt dem HErrn als das hoͤchſte vollkommenſte Weſen aller Weſen im Geiſte veneriret, angebetet, und in der Liebe ihres Naͤchſten dem Dictamini Na - turæ Folge geleiſtet haben, nach dem Maaß ihrer Erkaͤnntniß: wodurch ſie eben zu der Tugend ge - langet ſind. Wo ihme aber beliebet die Geſchichte genau einzuſehen und zu unterſuchen, wird er doch zwiſchen dem Leben und Thaten derer meiſten Phi - loſophen; und zwiſchen dem Leben, Thun und Lei - den; wie auch der Morale JEſu Chriſti, ſeinerApo -64Apoſtel, Juͤnger und derer erſten Chriſten einen großmaͤchtigen Unterſcheid finden.

Nicander.

Worinnen beſtehet denn derſelbe?

Modeſtin.

Es erhellet von ſelbſten; daß alle Voͤl - cker und Heyden zu allen Zeiten einen ſehr partheyi - ſchen Unterſcheid gemachet haben, zwiſchen ihren Landsleuten, Bunds-Genoſſen, und andern Men - ſchen. Dahero gar leicht um geringer Urſachen willen, theils aus Ambition, theils aus Geitz Kriege angefangen und miteinander gefuͤhret haben: Wel - ches aber durch und nach der Morale Chriſti gaͤntz - lich aufgehaben ſeyn ſollen: da derſelbe Matth. 5. befiehlet: Liebet eure Feinde, ſegnet die euch flu - chen, thut wohl denen die euch haſſen und beleidi - gen etc. Die Chriſtliche Religion erfodert eine all - gemeine Liebe gegen alle Menſchen: als welche alle nach dem Urſprung der Schoͤpffung und nach dem Grunde der Herwiederbringung durch Chriſtum Kinder eines Vaters ſind.

Alamodan.

So haͤlt denn der Herr Modeſtin da - vor: es ſeye denen Chriſten nicht erlaubet Kriege zu fuͤhren; das waͤre ja recht Quackeriſch!

Modeſtin.

So muß nothwendig Chriſtus ſelbſt und die heiligen Apoſtel in obangezogenen und an - dern dergleichen Spruͤchen; ja auch ſein und ſeiner Juͤnger Exempel, den Grund zu dieſer Quackerey geleget haben. Jhm aber auch ohne Partheylich - keit die Wahrheit zu bekennen: geben denen Qua - ckern, (auch ſelbſt unter denen Roͤmiſch-Catholi - ſchen) welche das Zeugniß: daß ſie in ihrem Lebenund65und Wandel unſtraͤfflich ſind; wie hievon des be - ruͤhmten Herrn Voltaire Lettres ſur les Anglois nachgeſehen werden koͤnnen. Daß aber die meiſte Partien unſerer heutigen Chriſten eine gantz con - traire Lehre und Leben fuͤhren; und ratio ſtatus: das iſt Ehr - und Geld-Geitz mehr gilt als die Gebote Chriſti / benimmt der Wahrheit gar nichts.

Alamodan.

Haͤlt er denn die da Kriege fuͤhren / deßwegen vor keine rechtſchaffene Chriſten? Es iſt ja nach dem Geſetz der Natur und aller Voͤlcker er - laubet ſich zu defendiren / und Gewalt mit Gewalt zu vertreiben.

Nicander.

Jch halte davor: daß Herr Alamodan hierinnen allerdings recht habe. Soll man ſich be - ſchimpffen / berauben und unrecht thun laſſen? Das waͤre ja wieder alle Billigkeit und Recht.

Modeſtin.

Dieſe Sach und Frage laſſe ich eines jeden Gewiſſen zu decidiren anheim geſtellet ſeyn: Wobey ich aber das bedinge: daß er mehr dem Geiſt Chriſti / als dem Geiſt der Welt in ſich Raum und Gehoͤr gebe. Was einem Kinde / oder auch einem Menſchen von ſchwachem Verſtande zuweilen er - laubet iſt / und an ſelbigem entſchuldiget wird; iſt hin - gegen einem verſtaͤndigen tugendhafften Mann nicht zugelaſſen. Je mehr der Menſch am Jnwen - digen / in der neuen Gebuhrt aus GOtt zunimmt und ſtarck wird im Glauben und Vertrauen auff den allmaͤchtigen / allgenugſamen / allgegenwaͤrti - gen GOtt; und je mehr er im Gegentheil ſein eigen Nichts erkennet: jemehr uͤberlaͤſſet er ſich GOtt in gewiſſeſter Zuverſicht / daß wenn dieſer groſſe all -Emaͤch -66maͤchtige Jehova (welcher alles lencken kann nach dem heil. Wohlgefallen ſeines Willens / und der ſein Auge gerichtet hat auff die ſo ihn von Hertzen lieben) ihn erhalten / beſchuͤtzen und beſchirmen will; ihme gewiß auch keine Macht werde ſchaden koͤnnen noch wollen. Es lehren es auch die Exempel / daß diejenige, die ſich von gantzem Hertzen auff den HErrn verlaſſen haben / viel gluͤcklicher gefahren / als diejenige / welche ſich auff ihren Arm und Macht verlaſſen haben.

Alamodan.

Will er denn die Soldaten und deren Profeßion verdammen.

Modeſtin.

Das ſey ferne von mir! ich weiß / daß unter allerley Volck und Profeßion fromme gotts - fuͤrchtige Leute gefunden werden. Jch ſehe die Sol - daten an / als ſcharffe Richter und Executores der goͤttlichen Gerechtigkeit: Laſſe aber einem jeden Ver - ſtaͤndigen / der GOtt uͤber alles und ſeinen Naͤch - ſten als ſich ſelbſt wahrhafftig liebet / urtheilen: Ob es nicht beſſer ein Werckzeug der Liebe / der Barmhertzigkeit / und des Friedens zu ſeyn / als des Zorns / Grimmes und Verderbens? Da ein jeder der nicht blind ſeyn will / den Unterſcheid leicht ſehen und erkennen kan; wo ihn nicht ratio ſtatus verblendet.

Nicander.

Wir leben in einer boͤſen und verkehr - ten Welt; und wo man ſich denen Boͤſen nicht wie - derſetzen wollte / wuͤrde es bald drunter und druͤber gehen. Dahero auch Obrigkeiten / als Goͤttliche Ordnunzen / das Schwerdt nicht umſonſt fuͤhren.

Modeſtin.

Der Herr hat in dieſem Stuͤck gantzrecht;67recht; es iſt auch die Goͤttliche Ordnung in tiefeſter Demuth zu verehren; und denen Obern billig im aͤuſſern allen Gehorſam zu leiſten. Und was ſolche Obere betrifft / welche ſich als Amptleute und ſub - ordinirte unter GOtt betrachten; und gegen ihre Unterthanen ſo auffuͤhren / die werden auch nichts leichtſinnig unternehmen / welches mit dem Willen ihres Souverainen ſtreitet. Solche Unterthanen ſind ſehr gluͤcklich zu ſchaͤtzen / welche dergleichen Herren haben / die ſich nicht als eigenmaͤchtige und eigen - ſinnige Tyrannen auffuͤhren: ſondern einen GOtt uͤber ſich erkennen / welchem ſie von ihrem Regiment Rechenſchafft zu geben alle Augenblick bereit ſind; auch ſind ſolche Herren aller Liebe und Ehren werth.

Nicander.

Alleine mein werther Herr Modeſtin, da die Chriſtliche Religion nach denen Befehien ih - res HErrn JEſu Chriſti erfordert: ſich ſelbſt zu verlaͤugnen / Gewalt mit Gewalt nicht zu vertreiben; ſondern dem / der dich auff den einen Backen ſchlaͤget / den andern auch darzuhalten; und dem der den Mantel nehmen will / auch den Rock fahren zu laſ - ſen / welches der Natur gantz zuwider iſt; ſo halte ich die natuͤrliche Religion vor viel beſſer und raiſo - nabler, als dieſe Befehle.

Alamodan.

Dieſe Dinge ſtreiten nicht miteinan - der; und iſt der Zweck Chriſti nicht / daß alle Ge - walt ſollte auffgehoben werden; ſondern er will nur / daß man ſich ſelbſt nicht raͤchen / die Sache aber der Obrigkeit uͤbergeben und zu decidiren uͤberlaſſen ſoll.

Modeſtin.

Der Herr Nicander ſagte in ſeinem ge - machten Einwurffe / daß die Verlaͤugnung ſeinerE 2Selbſt68Selbſt der Natur zuwieder; und dahero die natuͤrli - che Religion / welche zulaͤſt / Gewalt mit Gewalt zu vertreiben / ihme viel raiſonabler vorkomme. Darauf dienet ihm: Daß eben daraus die Vor - trefflichkeit der Chriſtlichen vor andern Religionen hervorleuchte: als welche die verdorbene eigenliebige Natur wiederum zu recht zu bringen; und ſich ihrem Schoͤpfer / Erhalter und ſouverainen Beherrſcher recht kindlich zu unterwerffen / gruͤndlich unterwei - ſet. Er ſagt auch daß es ihm raiſonabler, das iſt vernuͤnfftiger vorkomme ſich zu wehren / als ſich ge - dultiger weiſe Unrecht anthun zu laſſen. Worin - nen ihm auch Herr Alamodan und die meiſten heuti - gen Chriſten in der That gerne beypflichten / und mit ihren ſchoͤnen diſtinctionen die Befehle Chriſti gantz Krafftlos machen und auffheben: Wo ſie mir aber erlauben wollen die Sache etwas liefer zu unterſuchen / werden ſie finden und ſehen koͤnnen: Daß in den Lehr-Saͤtzen von einem voͤlligen Ver - trauen in GOtt / als einen allmaͤchtigen / allwei - ſen / hoͤchſt liebreichen Vater; und in einer demuͤthi - gen gaͤntzlichen Ubergebung / Erlaſſung und Auff - opfferung ſeiner ſelbſt / eine ſolche Connexion ſey: daß wer das eine auffrichtig; und nicht nur blos mit Worten dem Scheine nach bekennet: das andere nothwendig auch eingehen muß. Darinnen aber der natuͤrliche Menſch / als ein Feind GOttes und ſeiner eigenen Seelen Heyl / allerley Ausfluͤchte und Diſtinctiones ſuchet / und durch ſolche das Reich GOttes von ſeinem Hertzen abhaͤlt; wo er es nicht gar davon verbannet. Denn die Welt und dasWelt -69Welt-geſinnete Fleiſch / koͤnnen mit Chriſto nicht in einem Hertzens-Hauſe ruhig beyſammen woh - nen. Eines muß weichen: entweder Chriſtus oder der alte Adamiſche Sinn.

Alamodan.

Wir muͤſſen doch unſere Vernunfft gebrauchen / und natuͤrliche Mittel: Es fliegen ei - nem keine gebratene Tauben ins Maul. Wer in der Welt ehrlich fortkommen und honet leben will / muß ſich viele Muͤhe geben. Vertraue einer GOtt und lege derweilen ſeine Haͤnde in den Schoos / und ſehe zu was er bekommen wird.

Modeſtin.

Mein werther Herr Alamodan, er con - fundiret gar zu gerne das / was ſeinen richtigen Un - terſcheid in der Natur der Sachen ſelbſt hat; und entſcheidet hingegen Dinge / die in der genauſten Verbindung mit einander ſtehen: da durch Auff - hebung des einen / das andere nothwendig mit zu Grunde gehen muß. Es wird kein verſtaͤndiger Menſch leugnen: daß man in NB. natuͤrlichen irr - diſchen Sachen; deren Erfindung / Bereitung u. d. g. nicht ſeine Vernunfft gebrauchen ſolle. Als welche von GOtt dem HErrn eigentlich zur Be - trachtung derer natuͤrlichen Dinge geordnet; und die natuͤrliche Sachen der eigentliche Gegenwurff derer aͤuſſeren Sinne und der Vernunfft ſind. Was aber die geiſtlichen Dinge / und das Heyl der Seelen betrifft: ſo zeiget die Natur und Eigenſchafft der Sache ſelbſt / daß das durch die Eigenliebe verfin - ſterte Brillen-Glas der Vernunfft / nicht das rechte Mittel ſeye / geiſtliche Dinge einzuſehen und zu beur - theilen; ſondern es gehoͤre dazu ein gantz anderesE 3Licht70Licht von oben. Der natuͤrliche Menſch vernimmt nicht was des Geiſtes GOttes iſt / es iſt ihm eine Thorheit und kan es nicht begreiffen. Und eben da - hero / daß die wenigſten Menſchen mit dieſem Licht aus GOtt verſehen ſind / und nicht aus Waſſer und Geiſt von neuem gebohren; und doch alles nach dem unzulaͤnglichen Maasſtab ihrer Vernunfft abmeſ - ſen und entſcheiden wollen; entſtehen ſo viele Jrrun - gen und Mißſchlaͤge. Jch uͤberlaſſe aber eines jeden Gewiſſen / ſich ſelbſt vor GOtt zu pruͤfen: wie auff - richtig / hertzlich / ſtarck / kalt oder lau ſeine Liebe; und wie voͤllig ſein Vertrauen auf den allgenugſa - men GOtt ſeye. Ob er nicht mehr auff eigene Kraͤff - te / Vernunfft / Liſt / Sorgen / Ehre / Geld und Gut ſehe; ſolches ſuchet / und zu dieſen Goͤtzen mehr Zutrauen / als auff die unſichtbahre Hand GOttes habe. Da einem jeden ſein Hertz ſchon ſagen wird: Wie es umb ihn vor GOtt ſtehe. Verdam - met euch euer Hertz nicht: ſo habt ihr Freudigkeit in und vor GOtt; heuchelt und ſchmeichelt ihr euch aber / ſo wird es doch in die Laͤnge keinen Stich hal - ten: ſondern das Licht oder der zuͤchtigende Geiſt GOttes in demſelben wird euer Richter ſeyn / und euer unrichtiges Thun beſchuldigen / ſtraffen und verdammen. Wohl dem der auffrichtigen Her - tzens iſt; (welches der eigentliche Character nicht nur eines Chriſten; ſondern auch eines Tugend-lieben - den ehrlichen Menſchens iſt) da wird ſich die Weiß - heit zugeſellen: wo aber keine Auffrichtigkeit und Redlichkeit ſich findet; da iſt alles vergebens und verlohren / es gleiſſe auch von auſſen wie es wolle;und71und wenn einer auch noch ſo viel Schein-Tugenden von ſich blicken lieſſe / und ermangelte der Auffrich - tigkeit und Treue; ſo haͤlt ihn auch ſelbſt die honete Welt nicht einmahl vor einen ehrlichen rechtſchaffe - nen Biedermann. Wie ſollte ein ſolcher denn vor einen rechtſchaffenen Chriſten paßiren koͤnnen. Wei - len es aber ſpaͤth / beſchloſſen ſie vor dieſesmahl ih - ren Diſcurs, und ſchieden von einander.

Dritte Converſation.

Nachdem nun unſere Freunde wieder zuſam - men gekommen waren / finge Herr Nicander den Diſcurs an und ſprach: Mein werther Herr Modeſtin, ich habe ſo wohl in einigen alten / als neuerer Zeiten Schrifften vieles von einem En - thuſiasmo geleſen und gehoͤret. Jch moͤchte hier - uͤber deſſen Gedancken vernehmen; was er von ſol - chen auſſerordentlichen Bewuͤrckungen halte? Denn mir kommen ſolche Sachen ſeltſam / oder wo ich es teutſch ſagen darff: recht thoͤricht vor.

Modeſtin.

Jhme auff ſeine Frage beſcheidentlich, deut - und gruͤndlich zu antworten; muͤſſen wir feſt ſetzen: 1) Daß es gute und auch boͤſe Geiſter und Genios gebe. 2) Daß dergleichen Geiſter mit dem Menſchen eine Gemeinſchafft und eine Wuͤrckung haben koͤnnen; und auch oͤffters in der That haben / wie ſolches viele glaubwuͤrdige Geſchichte bezeugen. Woraus meines Erachtens Sonnen-klar der Un - terſcheid erſcheinen wird / welcher da iſt: eines theils,E 4zwi -72zwiſchen einer wahren / goͤttlichen / heiligen Inſpira - tion, Enthuſiasmo / Weiſſagungen / Magia di - vina, Gebeths-Erhoͤrung und wunderthaͤtigen Glauben: Andern theils einer falſchen / boͤſen zum Verderben und Verfuͤhrung des Menſchen abzie - lenden und gereichenden Inſpiration, Euthuſiasmo / wie auch teuffeliſchen Magia und Bezauberung. Es iſt in der Natur und Gnade gegruͤndet: daß gleich ſeines gleichen ſuche / liebe und demſelben anhange; ſimile enim ſimile gaudet, & Natura Naturæ - tatur. Ein Menſch nun der ſeine Begierden und innigſtes Verlangen gantz in GOtt als ſein hoͤchſtes Gut einwendet / und ſich gleichſam gantz in ihn mit allen Kraͤfften verſencket; wird die ihme zu Huͤlff kommende Gnade / (welche er gleichſam als durch einen heiligen geiſtlichen magnetiſmum, Glaubens - Krafft anziehet) ein gantz anderer Menſch / ſtarck in GOtt; und ziehet durch dieſen Magnetiſmum Spiritualem oder Goͤttliche Glaubens-Krafft / im - mer mehrere Staͤrcke und Kraͤffte aus der Licht - Welt an ſich / nach der Maas ſeiner Faſſung. Wo - durch denn auch / (nachdem es dem Geber aller gu - ten Gaben gefaͤllt) der eine dieſe; ein anderer jene Geiſtes Kraͤffte erhaͤlt. Einer zu weiſſagen; kuͤnff - tige Dinge zu ſehen und zu verkuͤndigen. Ein an - derer Wunderwerck zu thun. Ein dritter die Gabe geſund zu machen u. d. gl. bey welchem allen doch die Liebe GOttes und des Naͤchſten / der Grund und Fundament ſeyn muß. Wer hingegen auf der an - dern Seiten bey dem verkehrten Enthuſiasmo und der falſchen teuffeliſchen Magia, die Eigen-Liebe ge -gen73gen ſich ſelbſt, und der Haß ſeines Neben-Menſchen / bey einem natuͤrlichen (oͤffters grand-genie oder groſ - ſen Gemuͤths-Gaben) das Fundament und Wur - tzel iſt; daraus erſtaunliche Kraͤffte und Wuͤrckun - gen hervorbrechen. Wer in denen Geſchichten etwas bewandert iſt / und ein unpartheyiſches nuͤchternes Auge beſitzet; wird hin und wieder viele Spuhren / wunderbahrer Begebenheiten von guten und boͤſen Geiſtern finden.

Nicander.

Jch habe zwar von vielen Geſchichten derer Geiſter-Erſcheinungen; Geſpenſtern / Zau - bereyen u. d. gl. geleſen und von dergleichen Sachen gehoͤret: alleine wenn mans beym Licht beſehen hat; ſind es mehrentheils erdichtete / oder von muthwilli - gen Burſchen geſpielte leichtfertige Haͤndel geweſen; und wird man in keinem Lande mehr von Geſpen - ſtern / Zauberey und dergleichen Haͤndeln hoͤren / als wo der Aberglauben herrſchet. Dahero hoͤret man in Holland nichts von dergleichen.

Modeſtin.

Der Herr ſaget gantz recht / daß gar viele dergleichen Begebenheiten entweder erdichtet; oder von leichtfertigen Burſchen / die Leute zu aͤffen und zu ſchrecken / geſpielet worden. Dannenhero allerdings Vorſichtigkeit; aber dabey auch Beſchei - denheit in Beurtheilung aller Dinge noͤthig iſt: daß man nicht das Kind mit dem Bade ausſchuͤtte. Man kann ihnen verſchiedene wahrhaffte Geſchichte unſerer Zeiten anfuͤhren / aus welchen erhellet: daß die Gaben ſo wohl guter als boͤſer magiſchen Kraͤffte / die Gabe wunderthaͤtiger Geſundmachung / au - genſcheinlicher Erhoͤrung des Gebeths / heute zuE 5Tage74Tage noch wahrgenommen werden koͤnnen. Es lebet der alte GOtt in ſeinen glaͤubigen Kindern noch und laͤſt ſich nicht unbezeuget: Allerhand Geiſter zeigen ihre Macht auch in denen Kindern / ſo wohl des Lichts als der Finſterniß: wir haͤtten gar manche Geſchichte; unter andern von ſogenannten weiſen Maͤnnern; Andungen; Vorſagungen von Sterb - Faͤllen / zeigen koͤnnen.

Alamodan.

Daß GOtt der HErr im Alten Te - ſtament; wie auch zu der Apoſtel Zeiten / da die Chriſtliche Kirche noch erſt gepflantzet werden muſte / viele Zeichen und Wunder gewuͤrcket; finden wir genugſam in Heiliger Schrifft: alleine wir haben keine Verheiſſung davon / daß ſolche auch zu unſern Zeiten geſchehen ſollen; und ſind dermahlen nicht mehr noͤthig.

Modeſtin.

Mein werther Herr Alamodan! wo ſtehet es denn im Gegentheil geſchrieben? daß keine Zeichen und Wunder mehr in denen letzten Zeiten geſchehen ſolten; oder gar nicht mehr noͤthig waͤren. Jch zweiffele ſehr / daß zu unſern Zeiten ſo viele / will nicht ſagen mehrere / wahre glaͤubige Chriſten als zu der Apoſtel Zeiten / auff dem Erden-Kreiß ſollten gefunden werden: obgleich die aͤuſſere Meynungs - Religion ſich etwas weiter ausgebreitet hat. Daß aber GOtt der HErr auch noch heut zu Tage durch Glaͤubige Wunder thue / davon koͤnnen in Gottfr. Arnolds Leben der Glaubigen Exempel geſehen wer - den / p. 1090. Ao. 97. als: ein kurtzer und gruͤnd - licher Bericht von zweyer Kauffleute Wunder - Glauben. 1) Wie durch Joh. Thomſen zu Hu -ſum75ſum eyffriges Gebeth uͤber 100. Menſchen ge - ſund worden. Unter welchen ſich ein Mann befun - den / welcher 38. Jahre contract geweſen. Eine Frau / welche 18. Jahre ſtumm und taub geweſen. Ein Mann der 5. Jahr raſend und in Ketten gele - gen; wie auch einer / welcher 7. Jahre blind geweſen: ſo alleſammt innerhalb wenigen Tagen auf deſſen Vorbitte geſund worden. Wie ſolches vom Mini - ſterio daſelbſten mit mehrerem atteſtiret worden. Wie Juͤrgen Freſe zu Hamburg / einen gluͤenden ſtarcken eiſernen Ring / im Nahmen JESU aus dem Feuer gezogen und umb den bloſſen Arm ge - henckt; auch dadurch einen gantz deſperaten Men - ſchen wieder zu rechte gebracht. Ferner kann auch nachgeſehen werden ein erbauliches Theologiſches Reſponſum; welches Ao. 1697. von der Univerſitaͤt zu Kiel / uͤber einen Caſum ausgefertiget worden / von dem Wunderthaͤtigen Glauben einer Schwe - diſchen Jungfer / (welche dato noch bey Leben ſeyn mag) kann der 2te Tomus der Sammlung auser - leſener Materien zum Bau des Reichs GOttes / pag. 499. 504. & 1005. mit mehrerem nachgeſehen wer - den. Anderer vieler wunderbahrer Begebenheiten zu geſchweigen: von welchen die geiſtliche Fama und andere dergleichen Schrifften Nachricht geben koͤn - nen. Nur muß noch einen beruͤhmten / rechtſchaf - fenen / gottfuͤrchtigen und in der Geiſtes Schule be - wehrten Autorem anfuͤhren / nemlich des Portage Himmliſche Metaphyſic, worinnen erzehlet und be - zeuget wird: daß in einer Verſammlung von mehr als 30. Perſonen / zu verſchiedenen Zeiten ſich ſo wohlboͤſe76boͤſe als gute Engel oder Geiſter / mit wunderbahren Kraͤfften gezeiget haben. Und da man ſonſten das Zeugniß zwey oder dreyer uͤbereinſtimmender redli - licher Leute nicht ſchlechterdings verwirfft: ſo kann ein vernuͤnfftiger Menſch das Zeugniß ſo vieler nicht billig in Zweiffel ziehen.

Nicander.

Jch geſtehe dem Herrn gerne zu / daß ich dieſe Dinge nicht verſtehe noch begreiffe.

Modeſtin.

Mein Freund wird aber ſo viel leicht verſtehen: daß nach dem Unterſcheid des Tempera - ments; natuͤrlichen Gemuͤths-Kraͤfften und Ga - ben alles ſeine gewiſſe Graͤntzen und Schrancken habe; welche ein natuͤrlich vernuͤnfftiger Menſch auch einiger maſſen ermeſſen kann. Was nun den ordentlichen Lauff der Natur; und die gemeine Kraͤffte eines Menſchen weit uͤbertrifft; das muß auſſerordentlicher Weiſe entweder von GOtt durch den Glauben auf ihn; oder durch Beyhuͤlffe ande - rer verborgener unſichtbahrer Geiſter mitwuͤrcken - den Kraͤfften herkommen. Ob ſolche aber gut oder boͤſe: kann aus keinem andern Grunde als dem Un - terſcheid des Guten und Boͤſen ſelbſt; und aus dem Unterſcheid des Lichtes und der Finſterniß / und de - ren guten und widrigen Eigenſchafften beurtheilet werden. Je mehr und ſtaͤrcker einer nun in das Licht - und Liebes-Principium eindringen kann; je geſchick - ter wird er auch werden / gutes zu thun / und das Gute vom Boͤſen; das Wahre vom Falſchen zu entſcheiden. Wozu auch nicht wenig beytragen kann: die Retirade von dem weltlichen Getuͤmmel. Daß ſich der Menſch oͤffters / und ſo viel es die Um -ſtaͤnde77ſtaͤnde ſeines Ampts oder Standes leyden / in ſein Kaͤmmerlein einſchluͤſſe; oder ins verborgene ſeines Hertzens einkehre; und den Vater der Lichtere in - nigſt um die Leitung ſeines allein guten Geiſtes an - flehe; auff die auffſteigende Gedancken ſeines Her - tzens fleißig wache und acht habe. Daß iſt das rechte Wachen und Beten ohne Unterlaß.

Alamodan.

Jch achte wohl das Beten ſeye ſehr noͤthig; aber wer kann allzeit beten. Unſere Ge - ſchaͤffte hindern uns offt den gantzen Tag / daß man oͤffters nicht einmahl recht an GOtt dencken kann.

Modeſtin.

Das iſt ſchlimm genug / daß die mei - ſten Menſchen nur theils aus Sorge der Nahrung und zeitlichen Gewinſtes wegen; theils aus Begierde zu hohen Ehrenſtellen zu gelangen und unterdruͤcken zu koͤnnen; theils ihre Zeit in Luͤſten des Fleiſches zu - bringen zu moͤgen / ſich ſo viele Muͤhe geben / daß ſie weder an GOtt / noch die Pflichten welche ſie ihrem Naͤchſten ſchuldig ſind / gedencken koͤnnen noch wol - len. Gar wohl hat Chriſtus der HErr geſaget: Wo euer Schatz iſt / da iſt auch euer Hertz. Wo es dem Menſchen ein rechter Ernſt iſt ſeine wahre ewig bleibende Gluͤckſeligkeit zu ſuchen: da wird es ihme nach und nach bey angewandtem Fleiß leicht fallen auch bey und mitten unter ſeinen Beruffs-Ge - ſchaͤfften in ſein Hertz-Kaͤmmergen einzugehen / und da den Vater der Lichteren / welcher in das Verbor - gene ſiehet / im Geiſt und in der Wahrheit anzube - ten / und ſolche Anbeter will GOtt haben / und wird ſie nicht von ſich ſtoſſen / ſondern ihr Gebet erhoͤren.

Nic. 78
Nicander.

Alleine wie wird einer erhoͤret / wenn er lange bittet und bettelt / und krieget doch nichts. Jch kenne gute ehrliche Leute / welche viel beten, und haben doch nichts womit ſie ſich der aͤuſſerſten Ar - muth erwehren koͤnnen; ſind und bleiben arme elende Schlucker alle ihr Lebenlang.

Modeſtin.

Mein werther Freund / er faͤllt mit ſei - nen Gedancken immer auf das aͤuſſere Anſehen der Sachen. Es beſtehet ja die wahre Gluͤckſeligkeit nicht in aͤuſſerlichen Dingen: in Geld / Gut / koſt - bahren Kleidungen / Mobilien, groſſer Ehre / nied - lichen Eſſen und Trincken u. d. gl. ſondern in Ruhe / Friede und Freude des Gemuͤthes. Es iſt ein groſ - ſer Reichthum wenn einer gottſelig iſt / und laͤſſet ſich genuͤgen. Es finden ſich unter denen Frommen auch Reiche und Arme / wie unter denen Boͤſen: wie - wohl es ſchwehr iſt: daß die Reichen dieſer Welt in das Reich GOttes eingehen / nach dem Zeugniß JEſu Chriſti und der Erfahrung ſelbſt. Denn die Guͤter dieſer Welt verfuͤhren und verſencken die Menſchen leichtlich in mancherley Luͤſte und Laſter; wo nicht oͤffentlich / doch im verborgenen.

Nicander.

So viel ich in meiner Erfahrung wahrnehmen koͤnnen / dependiret der Unterſcheid de - rer loͤblichen tugendhafften Auffuͤhrungen; und hingegen der boͤſen laſterhafften Thaten / haupt - ſaͤchlich von dem Unterſcheid derer Temperamenten / angebohrnen Gemuͤths-Neigungen / guter oder ſchlimmer Education. Etliche Menſchen haben ein dergeſtalt boͤſes und ungluͤckliches Naturell / ange - bohrne Neigung zum Stehlen; andere zu Zorn /Haß79Haß / Tyranney und Blutvergieſſen; andere zu ſaͤuiſchen Wolluͤſten / daß ſolche faſt auff keine Weiſe emendiret oder gebeſſert werden koͤnnen. Andere haben von Natur ein ſo gluͤckliches und guͤtiges Temperament; daß ſie zu loͤblichen Thaten und ei - nem tugendſamen Leben eine ſtarcke Neigungen ha - ben; etliche mehr zur Beſcheidenheit / Sanfftmuth / Gelindigkeit; andere mehr zu einem ernſthafften / großmuͤthigem und gerechtem Weſen; welche / wo ihnen mit gutem Unterricht und dem Fleiß geholffen wird / vortreffliche Maͤnner abgeben. Wie ſolches die mannigfaltigen Exempel unter denen alten Grie - chen und Roͤmern ſo wohl / als noch heut zu Tage unter allerley Voͤlckern mit mehrerm ausweiſen.

Modeſtin.

Jch bins nicht in Abrede / daß der Un - terſcheid derer Temperamenten bey denen meiſten Menſchen den groͤſſeſten Einfluß uͤber ihr Thun und Laſſen habe. Ja daß der natuͤrliche Menſch blos durch ſeine angebohrne Neigungen faſt wie ein bru - tum ſich treiben und lencken laſſe. Dahero der Gei - tzige Tag und Nacht auff die Vermehrung ſeines Guts bedacht iſt. Der Ehrgeitzige nach hohen Eh - renſtellen und zu herrſchen trachtet. Der Wolluͤ - ſtige uͤber alles die Fleiſches-Luſt und ſenſibilitaͤt zu vergnuͤgen ſuchet. Daß auch einige Menſchen ein dergeſtalt ungluͤckliches Naturell haben; daß ſelbige auch faſt auf keine Weiſe von denen Ausbruͤchen ihrer laſterhafften Neigungen abgehalten werden koͤnnen. Hingegen aber hat man doch auch Ex - empel ſolcher gottloſen Menſchen / welche durch die Gnade GOttes dergeſtalt geaͤndert worden / daß ſieſich80ſich gar nicht mehr aͤhnlich geweſen / wenn man das folgende mit dem vorigen Leben verglichen. Da - von verſchiedene Exempel ſo wohl in Jacobi Janoway Exempel-Buch fuͤr Kinder; als in der Hiſtorie der Wiedergebohrnen; dem Leben derer Glaͤubigen und andern dergleichen Schrifften mehr / befindlich ſind. Darinnen auch eben ſonderbarlich der Unterſcheid der Gnade und der natuͤrlichen Philoſophie hervor - leuchtet: daß auf einmahl aus einem ſchnaubenden Saulo ein heiliger Paulus wird; benebſt deme / daß die neue Gebuhrt aus GOtt ſich immerdar nach die - ſem ihren Urſprung ſehnet / und begierig iſt ihres Himmliſchen Vaters Willen zu thun. Es iſt auch nicht ohne; daß die Arme mehr von Sorgen der Nahrung / der Natur nach; Reiche hingegen von Ubermuth und denen Luͤſten des Fleiſches ſtaͤrcker angefochten werden; daß auch die Armuth an und vor ſich ſelbſten niemanden fromm mache; wie auch der Reichthum an ſich ſelbſt niemanden verdamme. Da aber ein jeder von dem ihm anvertrauten Gut und Gaben dereinſten wird Rechenſchafft geben muͤſſen: ſo kommts darauff an; wie ein jeder das anvertrauete Gut zu Lobe des Schoͤpffers / und zu Nutz und Huͤlffe ſeines Neben-Menſchens anwen - det. Weme vieles anvertrauet worden; der hat auch eine groͤſſere und ſchwerere Rechnung auff ſich; als der wenig empfangen hat. Diejenige nun / die in groſſem Reichthum und Guͤtern ſitzen / und ſolche nur zu ihrem Staat / koſtbahren Banquetten und Wolluͤſten anwenden; oder gar in Kiſten / Kaſten und Gewoͤlbern verſchlieſſen; ihren armen Naͤch -ſten81ſten aber hungern und darben ſehen, oder auch gar das Blut ausſaugen koͤnnen: die haben wohl kei - nen andern Lohn zu gewarten, als von welchem bey dem Evangeliſten Mattheo am 25ſten ſtehet: Ge - het hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welches bereitet iſt dem Teuffel und ſeinen Engeln.

Alamodan.

Allerdings iſt es ein ſchaͤndliches Ding um einen geitzigen Menſchen, welcher mit niemanden Mitleiden hat; auch keiner Seelen was zu gute thut, ja ſich ſelbſten nicht einmahl. Ein honeter Menſch, und ein Chriſtlich Hertz, wird ſich auch gerne ſeines: nothleidenden armen Naͤchſtens erbarmen. Jnzwiſchen bleibet doch der Unterſcheid derer Staͤnde, welcher ſich auch im aͤuſſern Leben diſtinguiren muß. Ein Koͤnig, Fuͤrſt, Graf oder Herr muß ſich auch ſeinem Stande gemaͤß koſtbar und anſehnlich in Mobilien, Train, Livreen, Ta - fel und dergleichen halten; und kan nicht leben, wie der gemeine Mann.

Modeſtin.

Das Chriſtenthum hebet den Unter - ſcheid derer Staͤnde im gemeinen Weſen allerdings nicht auf: Ob aber der Glantz und Vortrefflich - keit eines Regenten mehr in koſtbaren aͤuſſerlichen Dingen, als Gebaͤuden, Mobilien, Kleider u. d. g. beſtehe: oder aber vornemlich in der Tugend, Liebe gegen ſeine Unterthanen, Leutſeligkeit, Beſcheiden - heit, ſanfftmuͤtiger Großmuͤthigkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit u. d. g. hervor leuchten ſolle, (wo er ſich anders als einen recht Chriſtlichen Regenten diſtin - guiren will) laſſe ich verſtaͤndige Philoſophos ſo -Fwohl,82wohl, als wahre von GOtt erleuchtete Chriſten, beurtheilen.

Nicander.

Unſer Herr Modeſtin bedienet ſich ver - ſchiedener Redens-Arten, welche mir ſehr meta - phoriſch und unverſtaͤndlich, oder wie ſie ſchon oben benannt worden, Enthuſiaſtiſch vorkommen. Denn was iſt das: Von GOTT erleuchtet ſeyn? Der Menſch hat ſeinen natuͤrlichen Verſtand. Die - ſem mag durch Unterweiſung, Fleiß und Erfahrung wohl aufgeholffen werden, daß er penetranter, weit - ſichtiger, groͤſſer und ſtaͤrcker wird. Was ſoll aber hier das Wort Goͤttliche Erleuchtung heiſſen?

Modeſtin.

Die Philoſophie oder Liebe zur Weiß - heit und zur Tugend; der Fleiß und die Uebung helffen freylich wohl zur Ausbeſſerung des Verſtan - des und des Willens: Dabey doch die Eigenliebe bey denen meiſten Philoſophen und Helden der Grund und der Endzweck ihrer Actionen geblieben. Die Gnade aber kehret den Menſchen oͤffters auf einmahl dergeſtalt um, daß ſie ihm einen gantz an - dern neuen Sinn giebet: und ſeinen Verſtand ohne Kunſt und Muͤhe, mit ſolchen Eigenſchafften bega - bet, daß er ein Ding gantz anderſt als zuvor und in einem andern Licht und Geſicht als die Vernunfft, einſiehet. Daß aber zwiſchen der Vernunfft und dem experimentalen Gnaden-Lichte ein maͤchtiger Unterſcheid ſey; erhellet, theils aus deme, was ſchon vorhero davon erwehnet worden; theils aus der Betrachtung des Unterſcheids derer Gegenwuͤrffe (objectorum) und zu dem Begriff dererſelben auch nothwendig unterſchiedenen Mitteln. Gleich wienun83nun der HErr zur Begreiffung aͤuſſerlicher Gegen - wuͤrffe oder Sachen: den Menſchen und auch ſelb - ſten die Thiere die fuͤnf Sinne gegeben hat: als zu Entſcheidung der Farben u. d. g. das Geſicht; zu Entſcheidung des Klanges und Thones, das Ge - hoͤr, und ſo ferner. Woruͤber die vernuͤnfftige Seele raiſoniret, eines mit dem andern vergleichet, gegeneinander haͤlt, urtheilet; ſich entſchlieſſet, das eine anzunehmen, das andere zu verwerffen, oder zu fliehen, u. d. g. So iſt auch beſonders dem Menſchen zur Sehung, Hoͤrung, Fuͤhlung und Empfindung derer denen aͤuſſerlichen Sinnen un - empfindlichen Kraͤfften, ein gantz anderes hoͤheres Principium cognoſcendi, oder Krafft der Empfin - dung und Erkaͤnntniß noͤthig, weſſen er ſonderlich in der neuen Geburth vergewiſſert wird. Denn das Trachten des natuͤrlichen irrdiſchen thieriſchen Menſchen iſt irrdiſch und der thieriſchen Natur ge - mein: Das Trachten des neuen Menſchen aber iſt himmliſch: ſehnet ſich nach denen himmliſchen Guͤ - ten, und vornehmlich den Willen des himmliſchen Vaters zu thun, und in ſelbigem zu ruhen. Und iſt dem natuͤrlichen ſinnlichen Menſchen gantz ohn - moͤglich zu begreiffen, was des Geiſtes GOttes iſt. Daß aber die Weltgelahrte, ſonſten ſcharffſinnige Jdaͤiſten, welche nur mit ſinnlichen Bildern zu ſpielen gewohnet ſind, dieſen Unterſcheid nicht faſſen koͤnnen, noch zugeben wollen: ſondern alles vor fanatiſch und phantaſtiſch ausſchreyen, daruͤber iſt ſich eben nicht groß zu verwundern. Denn wo man einem Blinden, oder Tauben, dem einen noch ſoF 2viel84viel von Unterſchied herrlicher Farben und Gemaͤhl - den; dem andern von lieblichen Muſiquen vor - ſchwatzen moͤgte: ſo werden ſich ſolche doch keine deutliche Idæen oder eigentlichen Begriff davon machen koͤnnen. Das rechtſchaffene Wiſſen, muß im innern Gnaden-Reich, ſowohl als im aͤuſſern Natur-Reich aus lebendiger Erfahrung herkom - men: ſonſten iſt es ein todtes Weſen; ein Papo - gayen-und Affen-Werck. Es bleibet dabey! Wer GOtt von Hertzen uͤber alles ſuchet und liebet, der wird erfahren: ob dieſe Lehre nicht in GOtt, als der ewigen Wahrheit, gegruͤndet ſeye. Daß aber auch ſo wenige gruͤndliche Erfahrung und maͤnn - licher Wachsthum, auch bey denen, welche Kinder des Lichtes ſind, geſpuͤhret wird; kommt theils vom Mangel des rechten anhaltenden behutſamen oder wachtſamen Ernſtes; Mangel rechter Aufrichtig - keit, vielen Zerſtreuungen; und der gar zu ſtarck eingewurtzelten Eigenliebe.

Alamodan.

Der Herr ſeye ſo guͤtig und erklaͤre mir dieſes etwas deutlicher; denn ich ſeinen Sinn noch nicht recht verſtehe.

Modeſtin.

Jch will ihm mein Sentiment, wel - ches ich aus der Erfahrung habe, gerne mittheilen; wo ſie belieben mir etwas Gehoͤr zu geben, und ich es mit einer kleinen Deduction ihnen nicht zu lange machen moͤgte.

Nicander.

Der Herr beliebe nur ſeine Gedan - cken freymuͤthig zu ſagen: ſie werden mir denn her - nach auch vergoͤnnen, die meinige offenhertzig zueroͤff85eroͤffnen, wo dagegen etwas einzuwenden, nach un - ſer Freyheit, vorkommen ſolte.

Modeſtin.

Jch ſetze denn zum Grunde: daß der Menſch von Natur verdorben; mehr zum thieri - ſchen ſinnlichen Leben, unordentlichen gewaltſamen Affecten, geneiget: als zum himmliſchen Goͤttlichen Leben und Wandel. Und deme nach, wo er nicht neu-oder wiedergebohren wird aus Waſſer und Geiſt, er untuͤchtig zum Himmelreich ſeye, in daſ - ſelbe nicht eingehen; noch das Reich GOttes im alten Adamiſchen Menſchen wurtzeln koͤnne, wo dieſes nicht weichet.

Alamodan.

Jch laſſe dieſes paſſiren.

Nicander.

Jch aber habe dabey noch einige Dubia. Denn aus dem Licht der Natur nicht er - wieſen werden kan: daß der Menſch verdorben, und mehr zum boͤſen als guten geneigt ſey. Denn vors erſte fraget ſichs: Was gut oder boͤſe ſey? Davon haben nicht alle Menſchen einerley Begriff. Und was eine Nation, nach ihrer Landes-Art, Edu - cation oder Erziehung vor gut und erlaubt haͤlt; das achtet die andere Suͤnde zu ſeyn. So iſt z. E. der Concubinatus, Polygamia; Expoſitio & Ven - ditio liberorum bey einigen Voͤlckern erlaubet und Mode; welches andre als ſuͤndlich verdammen und verwerffen. Wiewohl ſich ihre aͤuſſerliche Glau - bens-Bekaͤnntniß, und Praxis maͤchtig contradici - ren und in gar keiner harmonirenden Connexion ſtehen. Jch laͤugne nicht: daß eine Morale und politiſche Guͤte in dem menſchlichen Thun und Laſſen ſeye: Dieſe aber dependiret mehr a legibusF 3Civi -86Civilibus, & conſuetudine, quam a bonitate intrin - ſeca. Was der Schoͤpffer gemacht hat, iſt alles gut, und wird nur moraliter & politice boͤſe reſpectu legum Societatis darinnen man lebet.

Modeſtin.

Was will aber der Herr Nicander daraus weiter inferiren und ſchlieſſen.

Nicander.

Dieſes: Jſt alles, was GOtt der HErr gemacht hat, gut; ſo brauchts keiner Refor - mation oder Wiedergebuhrt, ſondern die Geſetze, Vertraͤge, aͤuſſerliche Gewalt, Furcht der Straffe, Liebe ſeines und des gemeinen Weſens Wohlſeyn: ſind ſchon genugſame Mittel den Menſchen von ſolchen Ausbruͤchen zuruͤck zu halten, welche ihm oder ſeiner Societaͤt koͤnten nachtheilig und ſchaͤd - lich ſeyn.

Modeſtin.

Jch hoffe aber ihn zu uͤberzeugen, daß er hierinnen irre; oder wenigſtens zu zeigen: daß er ſeiner Meinung nicht ſo gewiß ſeye; als er das Anſehen haben will: Wo ihnen nur beliebig mir auf einige Fragen aufrichtig zu antworten.

Nicander.

Daran hat mein Herr im geringſten nicht zu zweiffeln; wir leben ja in einer mutuellen Freyheit, da einem jeden frey ſtehet ſein Sentiment offenhertzig zu ſagen. Er beliebe ſeine Fragen nur vorzuſtellen!

Modeſtin.

Er gibt ja zu: Daß ein Leib, und ein Geiſt zwey gantz unterſchiedene Dinge ſind? und daß ein Geiſt wohl ohne einen Leib ſeyn und beſte - hen koͤnne?

Nicander.

Jch gebe es zu.

Modeſtin.

Wo nun der Geiſt ewig beſtehet: ſomuß87muß er entweder in Ruhe, Friede, Freude; oder aber in Angſt, Quaal und Pein ſeyn.

Nicander.

Das koͤnte zwar wohl ſeyn: aber das kan doch aus der Natur nicht erwieſen werden, daß es ſo ſeye. Denn es koͤnte auch ſeyn: daß der Geiſt in ſein Chaos eingienge, und keine abſonderliche Empfindung mehr haͤtte; weder vom Wohl-noch Weh-ſeyn.

Modeſtin.

Wir wollen es noch ſehen. Daß ein groſſer Unterſchied ſeye zwiſchen Wohl-und Weh - ſeyn, braucht keines Beweiſes; ingleichen auch, daß verſchiedenes Thun und Laſſen phyſice und ſeiner Natur nach ein Wohl oder hingegen Wehe nach ſich ziehe. Wo nun auch ingleichen moraliter die Wercke, welche der Menſch bey Leibes-Leben ge - wohnt iſt zu thun, demſelben im Tode folgen: iſt es nicht probabel, daß ſeine Seele oder Geiſt nach der Abſcheidung vom Leibe noch Vergnuͤgen oder Mißvergnuͤgen, Freude oder Pein empfinde.

Nicander.

Dieſes kan zwar ſeyn: aber das iſt dahero auch noch nicht erwieſen; wie ſchon oben geſagt.

Modeſtin.

Nun wohlan! Wo aber eine Sache von aͤuſſerſter Wichtigkeit iſt, das ſicherſte Theil zu erwaͤhlen: ſo iſts ja auch allerdings der Muͤhe werth darum beſorget zu ſeyn. Dieſes wird er mir verhoffentlich zugeſtehen.

Nicander.

Gantz gerne.

Modeſtin.

Da mein Freund mir zugeſtanden: daß es nicht unwahrſcheinlich ſeye, daß der Geiſt des Menſchen nach dieſem Leben beſtehen, oder auchF 4Freude88Freude oder Pein empfinden koͤnne. Ueber dieſes auch faſt alle, oder doch die allermeiſten Voͤlcker auf Erden, eine Unſterblichkeit der Seelen; und eine Belohnung oder Straffe nach dieſem Leben zuge - ben und glauben. Die heilige Schrifft aber ins beſondere, und die Erfahrung frommer heiliger Maͤnner, (gegen welche man wegen eines Mangels eines ſcharffen Verſtandes mit Grunde nichts ein - wenden kan) dieſe Wahrheiten beſtaͤtigen; wie auch unſere obangezogene rationes ex differentia objectorum deſumta; zu einem allerwahrſcheinlich - ſten Beweiß dienen: ſo iſt es ja gewißlich das ver - nuͤnfftigſte (um mich ihnen zu accommodiren) und ſicherſte: den Weg einzuſchlagen, welcher mich durch lebendige Erfahrung vergewiſſern kan, was das beſte ſey: Nemlichen zu thun in Aufrich - tigkeit des Hertzens vor GOtt, den Willen deſſen der Himmel und Erden geſchaffen hat.

Nicander.

Jch wuͤnſche von Hertzen durch leben - dige Erfahrung uͤberzeuget zu werden; aber ich moͤchte doch noch etwas deutlicher von ſeinem Be - griff der Wiedergebuhrt benachrichtiget werden.

Alamodan.

Dieſes verlanget mich ſelbſten zu ver - nehmen: ob mir gleich nicht unbekannt iſt, was die heilige Schrifft davon ſaget.

Modeſtin.

Jch werde mich bemuͤhen ihnen dieſes durch GOttes Beyſtand und Gnade ſo deutlich als nur moͤglich vorzuſtellen. Jch ſetze demnach zum Grunde: Daß gleich wie zweyerley gantz unter - ſchiedene Objecta unſerer Betrachtung und des Ver - langens ſind; als nemlich irrdiſche, ſichtbare, zeit -liche89liche blos zum aͤuſſerlichen Leben und Wohlſeyn dienende; und hingegen auch geiſtliche, himmliſche, unſichtbare Ewigbleibende: alſo hat auch GOtt der HErr in den Menſchen zweyerley, in dieſer Zeit untereinander ſtreitende Kraͤffte und Neigungen ge - leget: Da der Geiſt wider das Fleiſch, und das Fleiſch wider den Geiſt ſtreiten. Da der thieriſche ſinnliche Theil (der alte Adam, wie ihn die heilige Schrifft nennet) nur was irrdiſch, vergaͤnglich beaͤuget und ſuchet; der Geiſt des Gemuͤths aber nach dem himmliſchen Ewigbleibenden trachtet. Da nun dieſe Dinge, ſo weit als der Himmel von der Erden entſchieden ſind; und zugleich in einer Balance oder Gleichgewicht nimmermehr beruhen koͤnnen, ſondern nothwendig das eine dem andern weichen muß: Jndem man nicht GOtt und der Welt zugleich dienen kan; ſo hat nicht alleine der liebreicheſte Menſchen-Freund, JEſus Chriſtus, dem Menſchen die Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt und der Welt, als eine Fundamental-Regul und Lection: ſondern es haben ſolches auch ſchon lange vor der Menſchwerdung Chriſti verſchiedene weiſe Maͤnner eingeſehen, als Hermes Trismegiſtus, da er im Py - mandes cap. 4. ſaget: GOtt der HErr habe zwar allen Menſchen die Rede und die Vernunfft ver - liehen, das Gemuͤth aber nicht. Quoniam voluit eam in medio tanquam certamen præmiumque Ani - morum proponere. Da er ferner hinzufuͤget: Daß diejenige, welche die Stimme GOttes in ſich hoͤ - ren; welche den Endzweck erkennen und betrachten, warum ſie geſchaffen ſind, des Gemuͤths theilhaff -F 5tig90tig und zu vollkommenen Menſchen wuͤrden; wel - che aber dieſer Stimme nicht achteten, unwiſſende, wozu ſie in die Welt gekommen: deren Sinn und Begierden ſeyen thieriſch und denen Thieren gleich; welches er daſelbſten mit mehrerem ausfuͤhret. Da er endlich mit dieſen Worten ſchleuſſt: Niſi prius o fili tuum corpus oderis, te ipſum amare non poteris. Impoſſibile eſt utrisque ſimul intendere, mortalibus videlicet atque divinis: Nam cum duo tantum in ordine rerum inveniantur: corpus & in - corporeum; & illud quidem mortale, hoc divinum dicatur; electione unius; omittimus alterum. Arduum autem eſt conſueta ac præſentia linquere, ad ſuperiora potioraque converrere. Illa enim quæ oculis cernimus, nimium nos delectant. Daher entſtehet der Streit zwiſchen dem Fleiſch und Geiſt: da das thieriſche ſinnliche Theil dem Geiſte wider - ſtrebet. Wo aber gar kein Streit vorgehet noch empfunden wird, da iſt zwiſchen dem Menſchen und einem Thier kein groſſer Unterſcheid. Ein ſolcher iſt lebendig todt, hat von denen Goͤttlichen Wuͤrckungen kein Gefuͤhl noch Empfindung. Wo aber dieſe neue Gebuhrt im Menſchen anfaͤhet: da findet ſich ein Hunger und Verlangen nach GOtt, und deſſen allerheiligſten Willen zu thun: achtet ſein natuͤrliches Leben viel geringer als die Liebe GOttes und deſſen Befehle. Und nach dem Maaß da dieſes neue Leben waͤchſet: vermehret ſich auch die Liebe GOttes und des Naͤchſten in dem Men - ſchen, und wird dem Bilde Chriſti immer aͤhnli - cher; trit aus des Kindes-und Juͤnglings; und ausdie -91dieſem ins maͤnnliche Alter. Da er zunimmt an Goͤttlicher Weißheit, Verſtand und Kraͤfften, das thieriſche ſinnliche Leben maͤnnlich zu beherrſchen. Sehet, liebe Freunde! diß iſt kuͤrtzlich mein Be - griff von der Wiedergebuhrt und dem neuen Men - ſchen. Empfindet der Menſch nicht einen beſtaͤn - digen Hunger und Verlangen in ſich GOttes hei - ligſten Willen zu erkennen und zu thun, ſondern trachtet nur immer Tag und Nacht nach denen Dingen dieſer Welt: Fleiſches-Luſt, Augen-Luſt, Divertiſſements, Geld, Gut, Reichthum, Ehre, Ruhm und dergleichen Eitelkeiten: Da ſtehets mit der Wiedergebuhrt auf gar ſchwachen Fuͤſſen; oder iſt wohl nichts anders als ein natuͤrliches thieriſches Leben vorhanden. Wornach ſich ein jeder leicht - lich wird pruͤfen koͤnnen: wes Geiſtes Kind er ſeye. Von denen Stuffen und Eigenſchafften eines maͤnnlichen Alters in CHriſto iſt wohl nicht gar noͤthig vieles zu reden. Da ohnedem wenig Kin - der, noch weniger Juͤnglinge, und am wenigſten ſtarcke Maͤnner angetroffen werden. Dieſen letz - tern auch kein Unterricht noͤthig iſt: ſondern ſie viel - mehr ſelbſten durch das ihnen beywohnende Licht der Gnaden andere lehren koͤnnen! welche ſich aber oͤffters muͤſſen gefallen laſſen von der Welt mit de - nen Ehren-Tituln der Quacker, Enthuſiaſten, Phantaſten und dergleichen belegen zu laſſen. Da doch die heilige Schrifft (welche dergleichen Titul - liberale Leute mit dem Munde vor ihre Richtſchnur annehmen) mit ausdruͤcklichen Worten bezeuget: Daß wer Chriſti Geiſt nicht hat, nicht ſein ſeye. Und92Und welche nicht durch den Geiſt GOttes getrie - ben wuͤrden; auch nicht GOttes Kinder ſeyen.

Nicander.

Wir wollen dieſen Dingen nachden - cken, und weilen es nun ſchon ſpat unſern Abſchied vor dieſes mahl nehmen, uns ihnen empfehlende; und hiemit giengen ſie von einander.

Vierte Converſation.

Nach dem unſere drey Freunde etliche Tage her - nach wiederum zuſammen gekommen, fien - ge Modeſtinus den Diſcours folgender Weiſe an: Wir haben in unſerm vorigen Diſcours etwas von der Wiedergebuhrt geſprochen. Wo es ihnen nicht zuwider, wollen wir jetzo einmahl auch in et - was unterſuchen und ſehen: welches die Hinder - niſſe der neuen Gebuhrt und des Wachsthums der - ſelben ins beſondere ſeyen.

Alamodan.

Jch will demſelben gerne anhoͤren.

Nicander.

Mir ſoll es gleichfals nicht zuwider ſeyn, deſſen Sentiment daruͤber zu vernehmen: es wird mir denn auch wiederum frey ſtehen, meine Dubia dawider vorzubringen.

Modeſtin.

Es iſt nicht mehr als billig, daß ein jeder unter uns gleiche Freyheit habe; und waͤre etwas ſehr ungereimtes, wo unter gleich freyen Leu - ten einer uͤber oder vor dem andern ſich etwas vor - aus nehmen wolte in der Unterſuchung der Wahr - heit; wovon einem jeden gleich ſo viel als dem an -dern93dern gelegen ſeyn ſoll, dieſelbe ohne Vorurtheile ein - zuſehen und zu erkennen.

Nicander.

Die Unpartheylichkeit und Beyſeit - ſetzung derer Vorurtheile, iſt allerdings zur Erkaͤnnt - niß der Wahrheit unumgaͤnglich noͤthig; und aus dieſen verdorbenen Quellen kommt eben der meiſte Zanck und Streit bey denen Religions-Sa - chen her.

Modeſtin.

Herr Nicander ſaget gantz wohl, daß aus dem Fundament der Partheylichkeit und derer Vorurtheile und den vorgefaſten Meinungen die meiſte Streitigkeiten herkommen; und Hinderniſſe ſind an einer gruͤndlichen Erkaͤnntniß der Wahr - heit, ſo viel nemlich den Verſtande betrifft. Wie aber das Hertz daran auch einen groſſen Antheil hat: ſo iſt eben der verdorbene Wille und die ver - kehrte Neigungen des Hertzens; das iſt, die unor - dentliche Eigenliebe, die Haupt-Hinderniß an der Wiedergebuhrt, der Erneuerung und Heiligung des Menſchen. Welches wir denn jetzo etwas deutlicher, und in denen verſchiedenen Ausbruͤchen des menſchlichen Thun und Laſſens betrachten wol - len. Es iſt ja meinen werthen Freunden ſchon aus der Erfahrung zur Genuͤge bekannt: daß die Men - ſchen nicht einerley Hauptneigungen haben; ſon - dern, daß der eine mehr zur Wolluſt; der andere zu Ehrgeitz und Herrſchſucht; der dritte zum Geitz, Sorgen der Nahrung, Reichthum u. d. g. geneiget ſey; welches alles aus der unordentlichen Eigen - liebe herſtammet. Aus dieſem Haupt-Grunde ent - ſtehen die verſchiedene Hinderniſſe; ſowohl was dieEr -94Erkaͤnntniß der Wahrheit zur Gottſeligkeit, als die Ausbeſſerung des Willens und die Ausuͤbung der Tugend betrifft. Welche wir nach denen theolo - giſchen Redens-Arten die Wiedergebuhrt und die Heiligung zu nenneu pflegen.

Nicander.

Wegen derer Worte wollen wir nicht miteinander ſtreiten; wo wir nur in der Sache uͤberein kommen koͤnnen: als woran Weißheit-lie - benden Gemuͤthern mehr als an denen, oͤffters nichts bedeutenden Worten, gelegen; wo man einander nur recht verſtehet.

Alamodan.

Es iſt doch beſſer, daß man ſich ſol - cher Ansdruͤcke bediene, welche unter denen Chriſten gebraͤuchlich, als daß man Heydniſche Redens - Arten einfuͤhre.

Nicander.

Unſer Herr Alamodan iſt gleich be - ſorget; man moͤchte der heiligen Orthodoxie etwas begeben, da es nur auf Redens-Arten ankommt; dabey dazu oͤffters einer des andern Sinn nicht recht verſtehet, und nur um Worte, Huͤlſen und ledige Schalen gezancket wird.

Modeſtin.

Wir wollen denn die Schalen fahren laſſen, und uns zum Kern der Sache wenden. Jch habe oben erwehnet: daß die Eigenliebe, und deren verſchiedene Aeſte und Ausfluͤſſe nach denen unter - ſchiedenen Temperamenten und Haupt-Neigungen derer Menſchen, die eigentliche Hinderniſſe des Wachsthums im wahren lebendigen Chriſten - thum, in der neuen Gebuhrt, oder in der wahren Weißheit ſeye. Denn dieſe ſind bey mir gleich - guͤltige Worte.

Ala -95
Alamodan.

Die Heydniſche Philoſophie oder Welt-Weißheit, iſt doch vom Chriſtenthum gar weit unterſchieden.

Modeſtin.

Jn ſo fern die Philoſophie nur irrdiſche Dinge betrachtet, und darinnen beruhen bleibet, welches eigentlich zur Phyſic oder Natur-Lehre ge - hoͤret, ſind ſie von denen das Chriſtenthum betref - fenden Wahrheiten unterſchieden, ratione objecti conſiderationis: das iſt, in Anſehung des Gegen - wurffs der Betrachtung: ob ſie gleich in Anſehung des rechten Endzwecks (ratione finis principalis) von theologiſchen Betrachtungen in der That nicht un - terſchieden ſeyn ſolten. Da alle Natur-Betrachtun - gen uns zur Erkaͤnntniß des Schoͤpfers und unſer Pflichten leiten ſollten. Sintemahlen die Natur das groſſe, vom Finger GOttes ſelbſt geſchriebene Buch iſt; und in ſicherm Verſtande, wenn man die Philoſophie oder Liebe der Weißheit: GOtt, dem Menſchen und deſſen Pflichten zu erkennen, betrachtet: iſt ſie von der Theologie weiter nicht unterſchieden, als nach verſchiedenen Stuffen oder Graden. Magis & minus autem non variant rem.

Nicander.

Jch bin begierig des Herrn Modeſti - ni Begriff von denen Hinderniſſen des Wachs - thums in der Weißheit, oder der Wiedergebuhrt (wie ers beliebt zu nennen) weiter zu vernehmen.

Modeſtin.

Wenn wir auf das verſchiedene Thun und Laſſen derer Menſchen acht geben; unſer Hertz aufrichtig, ohne Schmeicheley, vor GOtt pruͤfen, werden wir finden: daß diejenige, welche von Na - tur vor andern zur Fleiſches-Luſt, Unmaͤßigkeit,Geil -96Geilheit und Fuͤllerey geneigt ſind, von dieſen La - ſtern, oder der ſtarcken Neigung zu derſelben, gar leicht in eine Traͤgheit, Unachtſamkeit, Schlaͤffrig - keit und Unbeſtaͤndigkeit gerathen; und dahero an dem Fortgang und Wachsthum im Chriſtenthum, und an der Erneuerung ihres Sinnes gehindert und aufgehalten werden. Diejenige hingegen, welche pro paſſione Dominante den Ehrgeitz und Herrſch - ſucht haben; wie ſie von Natur zur Gewaltthaͤtig - keit, Zorn, Eigenſinn, Unterdruͤckung des Naͤchſten geneigt ſind, werden dadurch ebenfals am Reich GOttes, und in dieſes einzudringen oͤffters ſehr ge - hindert. Und ob dieſe zwar ſehr wachtſam zu ſeyn pflegen ihren Zweck im Reich der Natur zu erlan - gen: ſo finden ſie doch einen ſtarcken Wiederſtand von dieſen in ihnen wohnenden Feinden des wah - ren Chriſtenthums; und kommt ſie die gruͤndliche Verlaͤugnung ihrer ſelbſt ſauer und ſchwer an. Ja wenn es mit einem HErr HErr ſagen gethan waͤre, um in das Reich GOttes einzugehen; und dem HErrn der Heerſchaaren nur mit Worten und Ceremonien ein Compliment abzuſtatten: wuͤrden dieſe dazu uͤberaus geſchickt ſeyn. Aber ſeinen Neben-Menſchen als einen Bruder zu betrachten, und ihm als einem Bruder mit Sanfft - und De - muth zu begegnen; iſt ihnen eine ſchwere und faſt unanſtaͤndige Lection, und maͤchtige Hinderniß des Wachsthums im Chriſtenthum. Vom aͤuſſerli - chen Mund - und Nahm-Chriſtenthum (welches nur in Bildern, Concepten und in der That nichts reales bedeutenden Woͤrter-Kram beſtehet,) iſt hierun -97unſere Rede nicht. GOtt und verſtaͤndige Men - ſchen achten der falſchen luͤgenhafften Worte und Complimenten nicht; ſie ſehen auf Realitaͤt und etwas Weſentliches.

Alamodan.

Unſer Herr Modeſtin will auch alles gar zu genau haben. Jn der Welt muß doch ein Unterſcheid der Menſchen und der Staͤnde ſeyn.

Modeſtin.

Das Chriſtenthum hebet den Unter - ſcheid der Staͤnde nicht auf; wie oben erinnert; es giebt aber das Chriſtenthum dem Regiment doch ein gar anderes Anſehen, (wo es anders mit denen Regeln Chriſti beſtehen ſoll) als es die unterdruͤ - ckende herrſchſuͤchtige und eigenſinnige Eigenliebe haben will; wovon wir vielleicht hernach noch et - was weiter melden koͤnnen, wenn wir erſt zuvor noch die Haupt-Hinderniſſe bey der Paſſion des Geld-Geitzes werden vorgeſtellet haben.

Nicander.

Jch kan leicht ermeſſen: daß er die - ſen die Laudes trefflich leſen werde: da der Geitz eine Wurtzel alles Uebels genannt wird; und auch dieſe Paſſion, wo ſie ſich in einem exceſſiven hohen Grad befindet, die villaineſte iſt; welche einen Menſchen auch bey allen honetten Leuten gantz ver - aͤchtlich und abſcheulich vorſtellet.

Alamodan.

Es iſt doch auch ſchoͤn und gut, Geld zu haben! Wer reich iſt: iſt auch geehrt und werth geachtet; den Armen aber verachtet jederman; waͤre er auch noch ſo verſtaͤndig. Und was vor Verſuchungen iſt nicht ein Armer unterworffen: von Sorgen der Nahrung, und andern Reitzungen, Falſchheit, Luͤgen, Betruͤgen, Stehlen u. d. g.

GMo -98
Modeſtin.

Unſer Herr Alamodan wirfft das / was vom Temperament des Geitzes herkommt; mit dem was die Armuth betrifft / unter einander; welches doch gantz unterſchiedene Dinge ſind. Es iſt zwar nicht ohne: daß ein armer Menſch / doch nach Un - terſcheid der Temperamenten / die meiſte Verſu - chung habe / von der Sorge der Nahrung: wie hingegen der Reiche vom wolluͤſtigen Leben. Es iſt aber doch dabey noch nicht ausgemacht: welches am ſichreſten zu ertragen / und zu welchem von beyden die ſtaͤrckſte Schultern erfodert werden: zum Reich - thum / oder zur Armuth? Gewiß iſt es / daß beyde Extremitaͤten ſehr beſchwerlich und gefaͤhrlich / Ar - muth aber an ſich ſelbſten reitzet den Menſchen nicht zu mißhandeln gegen ſeinen Naͤchſten; ſondern ei - gentlich das Boͤſe / zum Geitz / Falſchheit / Betrug / Liſt und Luͤgen geneigte Hertz. Jſts nun / daß gar der unterdruͤckende Ehrgeitz und ein brutelle Wolluſt dem herrſchenden Geitz ihre huͤlffliche Hand leiſten: ſo entſtehen daraus die gewaltthaͤtigſte Schinde - reyen / Diebſtahl / Morden / Freſſen und derglei - chen Tyranney; und Summa alle grauſamſte Un - gerechtigkeiten und himmelſchreyende Suͤnden. Wie weit aber dieſe und dergleichen Laſter von dem wahren Chriſtenthum entfernet ſeyen / (ob ſie gleich unter denen ſo genannten Chriſten taͤglich practici - ret werden und faſt aller Orten im Schwange ge - hen /) laß ich einen jeden Verſtaͤndigen ſelbſt urthei - len. Wir wollen aber noch von denen Subtilern Hinderniſſen reden / welche nicht jederman ſo in die Augen leuchten / als da ſind: Der Mangel einerrecht -99rechſchaffenen Auffrichtigkeit gegen GOtt und ſei - nen Naͤchſten / Verſtellungen / Flatterien oder Schmeicheley / ſubtile Luͤgen / Unwahrheiten / Staats-Raͤncke / polite Hintergehungen / ſtarcke Bedruͤckungen unter dem Schein des Rechtens und der Gerechtigkeit; Liebe geringerer Creaturen als der Menſch iſt / und vor deren Wohlſeyn weit mehrere Sorge / als vor den nothleidenden Naͤch - ſten / als z. E. vor Hunde / Katzen / Pferde u. d. gl. Sich freuen uͤber des andern Ungluͤck und Schmertzen. Warlich wer nur ein geſundes auff - richtiges Hertz vor GOtt hat / wird leicht erkennen / daß die wahre Weißheit in denen ſcheinheiligen / falſchen / aufgeblaſenen / die Wahrheit im Grunde nicht liebenden Menſchen nicht wohnen koͤnne. Wie wird ſie denn bleiben bey denen unflaͤtigen / unreinen / unbarmhertzigen / feindſaͤligen und grauſamen Men - ſchen. Es iſt eine ausgemachte Sache: Das Reich GOttes iſt Gerechtigkeit / Friede und Freude in dem Heiligen Geiſt: und die dem Reich GOttes Ge - walt anthun / die reiſſen es zu ſich. Es iſt dazu ein rechtſchaffener / aufrichtiger und beſtaͤndiger Ernſt noͤthig; und eine ſolche innige bruͤnſtige Liebe gegen GOtt: lieber das Leben zu verliehren als das ge - ringſte wider deſſen allerheiligſten / offenbahren oder erkannten Willen zu thun / und wider ſein eigen Ge - wiſſen zu ſuͤndigen. Dabey es der Muͤhe wohl wehrt reifflich zu erwegen: Wie ſchwer es ſey / daß ein Reicher in das Reich GOttes eingehe; und GOtt nicht viele Hohe / nicht viele Edle; ſondern was ge - ring und verachtet iſt in der Welt / erwehlet habe. G 2Die -100Dieſes aber faſſen wenige: weilen ſie keine rechte Luſt zur Verlaͤugnung ihrer Selbſt / als dem A. B. C. des Chriſtenthums / haben; ſondern mit ihrer Flei - ſches-Luſt / Augen-Luſt und hoffaͤrtigem Leben in den Himmel wollen. Dahero bleiben ſie mehren - theils zuruͤck / und will mit der neuen Creatur / der Erneuerung und Heiligung (ohne welche nichts vor GOtt gilt / und ohne welche niemand den HErrn ſehen kann) keinen Fortgang noch Wachsthum ge - winnen.

Jndeme nun unſere drey Freunde alſo miteinan - der diſcurireten: meldete ſich bey Herrn Modeſtino ein Fremder / welcher deſſen alter bekannter Freund ware: nach deſſen vernommenen Nahmen / er dem - ſelben entgegen eilete; aufs zaͤrteſte empfinge und in das Zimmer zu denen beyden andern fuͤhrete; ſpre - chende: Jch weiß daß meinen beyden Freunden all - hier nicht entgegen ſeyn wird; daß dieſen alten lieben Freund in ihre Bekanntſchafft bringe. Jndeme ſie als Liebhaber der Weißheit und curioͤſer Sachen / von ihme als einem Erfahrnen und Weitgereiſeten / verſchiedenes merckwuͤrdiges werden vernehmen koͤn - nen. Hierauff replicirte Herr Nicander und ſagte: Jch freue mich meines Theils den Herrn Theogenes (denn alſo hieſſe dieſer) von Perſon kennen zu lernen: da ich von Herr Modeſtin ſchon bey anderer Gelegen - heit vieles ruͤhmliches von demſelben vernommen habe; und werde mich gluͤcklich ſchaͤtzen von deſſen erwuͤnſchten und angenehmen Converſation etwas profitiren zu koͤnnen.

Alamodan.

Und mir wird es gleichfalls gar ange -nehm101nehm ſeyn / wo derſelbe uns die Guͤtigkeit erweiſen wolte / etwas von ſeinen Reiſen zu communiciren.

Theogenes.

Es wird mir ein Vergnuͤgen ſeyn / wo denenſelben etwas angenehmes und nuͤtzliches werde mittheilen koͤnnen.

Modeſtin.

Wie iſt es ihme denn ergangen / mein wertheſter Freund / ſeiter der Zeit / da wir in Hol - land von einander geſchieden.

Theogenes.

Auf meinen vielen beſchwerlichen / und zum Theil gefaͤhrlichen Reiſen iſt es mir / dem HErrn ſey Lob und Danck davor geſaget / noch allezeit er - traͤglich gegangen. Die meiſte Gefahr und Be - ſchwerden habe ich auf meinen Morgenlaͤndiſchen Reiſen ausgeſtanden.

Nicander.

So iſt der Herr auch in Orient ge - weſen.

Theogenes.

Ja mein Herr / und zwaren in Egy - pten / klein Aſien / Conſtantinopel und der Orten.

Modeſtin.

Aber was hat doch meinen wertheſten Freund wohl bewogen / ſo beſchwerliche weite Rei - ſen auf ſich zu nehmen: da er bey ſeiner profeſſione Medica, ſich haͤtte koͤnnen begnuͤgen laſſen / einige Theile von Europa geſehen zu haben.

Theogenes.

Er weiß liebſter Freund: daß ich von Jugend auf eine groſſe Begierde gehabt / alles was mir nur moͤglich ware zu erforſchen; und was thun - lich ware / zu ſehen. Eines theils den Grund der Wahrheit / deſto beſſer einzuſehen. Die verſchie - dene Sitten / Landes-Arten und Gebraͤuche der verſchiedenen Voͤlcker kennen zu lernen. Andern theils auch die mannigfaltige Wunder der NaturG 3und102und Kunſt / die vielfaͤltige Wercke GOttes zu be - trachten und kennen zu lernen; und denn den Schoͤ - pfer aller Dinge in Demuth daruͤber an allen Orten zu preiſen. Auch in der Medicin mich mehr und mehr zu perfectioniren: als welchen Nutzen ich hauptſaͤch - lich auf meinen Reiſen intendiret und geſuchet habe.

Alamodan.

Eben dieſes kann man ja auch wohl aus dem Leſen guter Buͤcher haben: als aus Reiſe - Beſchreibungen / Hiſtorien-Buͤcher und andern / welche in allerley Kuͤnſten und Wiſſenſchafften haͤuffig am Tage liegen.

Modeſtin.

Jch kenne des Herrn Theogenes ha - meur wohl. Er laͤſt ſich nicht gern mit Bildern und Worten abſpeiſen: als welche oͤfters auſſer der Phantaſie und dem Munde oder der Feder deſſen der ſie ſpricht oder ſchreibet / wenig Grund haben. Son - dern er will gerne von der Wahrheit der Sachen / durch eigene Erfahrung vergewiſſert ſeyn. Es iſt zwar nicht zu laͤugnen / daß das ſtudium hiſtoricum eines der anmuthigſten und nuͤtzlichſien ſeye: indem dadurch abweſende und vergangene Dinge dem Ge - muͤthe als gegenwaͤrtig vorgeſtellet werden; und gantz unbekannte Sachen zu unſerer Kundſchafft gelangen. Es iſt aber auch nicht zu laͤugnen: daß die Beſichtigung verſchiedener Landſchafften und Na - tivnen ihre Anmuth / und weit lebendlgern Eindruck als die bloſſe Hiſtorien oder Beſchreibungen davon haben. Uber diß iſt auch gewiß / daß viele Ge - ſchichte und Reiſe Beſchreibungen / ſehr partheyiſch / mit vielen Luͤgen und falſchen Dingen geſpickt ſind.

Nicander.

Jn ſpecie, was die Sitten / Ge -braͤuche /103braͤuche / und Religions-Sachen anderer Voͤlcker betrifft: da die meiſten Reiſende entweder die Sa - chen nicht gruͤndlich unterſuchet; oder nach ihren vorgefaſſten Meynungen und Partheyligkeit / an - dern gantz falſche Dinge angedichtet haben.

Theogenes.

Es iſt allerdings wahrzunehmen: daß die Vorurtheile unſerer Erziehung und Gewohn - heiten / uns oͤffters in einen gantz falſchen und irrigen Wahn fremder Sachen und Nationen bringen. Wie ſolches ein unpartheyiſcher Reiſender oͤffters er - faͤhret. Jch will zum Exempel nur die Tuͤrcken und Tatern anfuͤhren; welche man uns von Jugend auf durchgehends als die grauſamſte Barbaren vor - bildet; und ſo vorſtelt: als ob wir Europaͤer Engel in Anſehung ihrer waͤren. Wer aber mit dieſen Voͤl - ckern weißlich umgehet / erfaͤhret in der Wahrheit: daß es unter allerley Voͤlckern rechtſchaffene honete Leute giebet / welche GOtt fuͤrchten und recht zu thun ſich befleißigen; und daß demnach GOtt der HErr auch die Seinige unter dieſen Voͤlckern habe / ohnerachtet verſchiedener Jrrthuͤmer ihrer Religion. Und daß mehrentheils die Europaͤer gar eine zu ſchlechte Opinion von andern Voͤlckern hegen / zu - mahlen die lieben Herren / welche immer hinter dem Ofen geſteckt / und welchen nichts gefaͤllt / als was mit denen Vorurtheilen ihrer lieben Landsmann - ſchafft uͤberein kommet.

Nicander.

Jch lobe des Herrn Theogenes offen - hertzige Anmerckungen; und falle ihnen hierinnen gaͤntzlich bey. Was haben ſie aber auf ihren Rei - ſen beſonders Merckwuͤrdiges erfahren / davon wirG 4uns104uns ohne deſſen Beſchwerung / eine guͤtige commu - nication ausbitten doͤrfften.

Theogenes.

Jn Egypten habe ich mich ſonderlich verwundert uͤber die maͤchtig groſſe und ſchoͤne Py - ramide / und viele andere vortrefflich Kunſt-reiche reliquien der Weißheit und des Verſtandes der al - ten Egyptier / mit deren weitlaͤufftigen Erzehlungen ich meine Herren nicht incommodiren will: da ſchon viele acurate Beſchreibungen von dieſen Dingen mit ſchoͤnen Kupfern heraus gegeben worden; worun - ter inſonderheit die von unſerm guten bekandten Freund Paul Lucas / nicht zu tadeln ſind. Was die Sitten dieſer Voͤlcker betrifft: iſt bekannt / daß die Morgenlaͤndiſche Voͤlcker groͤſtentheils ihren Alcoran ſo hoch halten / als wir unſere Bibel: doch ſind deren uͤbrige Sitten / Gebraͤuche / Lebens-Ar - then und Gewohnheiten ſo verſchiedene; als bey uns in Europa viele Dinge ſich an einem Ort an - derſt / als an einem andern Ort befinden. Auch ſind in Aſien noch ſehr viele Heyden / welche ohner - achtet ihrer mancherley thoͤrichten Aberglauben und abſurde Abgoͤttereyen / ſonſten doch zum Theil auch noch feine qualitaͤten an ſich haben / und muß geſte - hen: daß man hin und wieder honete Leute antrifft. Kommen auch aller Orten meiſtens in dieſem Stuͤck uͤberein: daß ſie einen unbekannten GOtt anbe - ten und zu dienen gedencken; ob es gleich bey denen meiſten auf eine gar alberberne und abgeſchmackte Weiſe zu geſchehen pfleget; wovon man aber auch unter uns in Europa / bey dem gemeinen Mann dergleichen Spuhren genugſam findet. Unter an -dern105dern klugen Leuten habe ich in klein Aſien einen gantz beſondern Mann angetroffen / welcher nicht alleine in Hiſtoria; ſondern auch in allen andern hohen Wiſſenſchafften; mancherley Sprachen Europaͤ und Aſiaͤ; in der Medicin, Chymia und Magia uͤberaus erfahren ware. Er hatte bey ſich einen wun - derbahren magiſchen Spiegel; wenn er da hinein ſahe / oder einem hineinzuſehen Anweiſung gabe; erblickte man die / durch die Haupt-Neigungen der Menſchlichen Affecten bezeichnete Thiere / der Hunde / Katzen / Loͤwen / Affen / Pfauen / Beren / Schweine u. d. g. hat mir auch einige Anleitung gegeben: wie dergleichen Spiegel zu bereiten und zu poliren ſey; und andere ſchoͤne Geheimniſſe communiciret.

Alamodan.

Das mag eine artige Kunſt ſeyn. Aber was haͤlt mein Herr denn von der Alchymie, oder dem ſogenannten Goldmachen?

Theogenes.

Was eigentlich die Alchymie, oder die Kunſt der Saamen derer Metallen zu vermehren / und ſelbigen zu exaltiren betrifft: halte ich aus wohlgegruͤndeten Urſachen der Vernunfft und der Erfahrung davor; daß ſolche in der Natur ſelbſt gegruͤndet / und daß die Metallen ſo wohl; als die Vegetabilia und Animalia ihren Saamen in ſich ha - ben: daß aber die Goldhungrige und aus purem Geitz nach dem Gold und Gelde ſchnappenden See - len / dergleichen Licht-Weſen und Tinctur nicht er - langen koͤnnen; weilen ſie verblendet ſind und im finſtern wandeln und tappen; auch viel beſſer thaͤ - ten / wo ſie nicht an ſolche Sachen gedaͤchten / welche ihnen doch zu hoch und ſchwer ſind. GOTT derHErr106HErr hat auch wohl ſeine heilige Urſachen, warum er dieſe und andere noch hoͤhere Wiſſenſchafften (welche einige wenige weiſe Maͤnner, ſo ſich verbor - gen halten, beſitzen) nicht gemein werden laͤſſet.

Modeſtin.

Es iſt auch allerdings dieſe Wiſſen - ſchafft (worinnen auch wohl die hoͤchſte Medicin nach der Theologie begriffen ſeyn mag) eine derer wichtigſten auf Erden. Da nach dem Wohlſeyn der Seelen, uͤber des Leibes Geſundheit nichts edlers und vortrefflicheres dem Menſchen ſeyn kan.

Theogenes.

Es ſind gewißlich die Erkaͤnntniß deſ - ſen, was zu des Menſchen ewigen Heyl, und zur Erhaltung der Geſundheit deſſelben dienet, die we - ſentliche Stuͤcke, welche der Betrachtung eines Phi - loſophi oder Weißheit-Liebenden am wuͤrdigſten ſind. Alleine, weilen der allergroͤſſeſte Theil derer Menſchen, eines Theils mit denen Sorgen der Nahrung Tag und Nacht geplaget iſt; andern Theils ihre Zeit in Wolluſt, Eitelkeit und Thor - heiten zubringen: denen allermeiſten theils die Vor - urtheile, theils der Mangel der Gelegenheit und der Zeit, theils auch die Verborgenheit und Dunckel - heit der Sachen ſelbſten, den Zugang zu dieſen edlen Wiſſenſchafften gantz unmoͤglich machen. Ein groſſer Theil weiß gar nichts davon, und denckt nicht daran; ein anderer, welcher davon hoͤret; gedenckt es ſeye Thorheit und Phantaſey: da ſon - ſten dieſe Sache viel gemeiner ſeyn muͤſte, und ſo viele hochverſtaͤndige Koͤpffe es auch wiſſen koͤnten: mit deren Wiederlegung ich mich gar nicht auf - halten will. Nur melde hiebey: daß wie der Glau -be,107be, welcher die Welt beſieget, nicht jedermans Ding, ſondern eine Gabe GOttes iſt: ſo hat es auch mit dem hoͤchſten Natur-Geheimniß, der Tinctura Phyſicorum eben die Bewandtniß. Wel - che ohnedem nicht ſo noͤthig iſt, als das univerſale Theologicum des Geiſtes GOttes zur Bekehrung und Heiligung. Und wer dieſes in der That, Krafft und Wahrheit erkannt und erfahren hat: kan des andern wohl entbehren. Gleich wie aber wenige Philoſophi veri Adepti in der Welt ſich be - finden: ſo ſind auch die Chriſtiani a Spiritu Dei vere uncti, oder vom Geiſt GOttes Geſalbete eben ſo gar univerſaliter dick nicht geſaͤet.

Alamodan.

Behuͤte GOTT! Was ſagt der Herr? Sind nicht ſo viele Chriſten allenthalben in Europa, und auch in andern Theilen der Welt; der Herr urtheilet gar zu hart, und wo ichs ſagen darff, kommt er mir gar zu lieblos vor.

Theogenes.

Mein werther Herr! ich wuͤnſchete von Hertzen: daß die gantze Erde moͤgte voll ſeyn, des Lichtes, Erkaͤnntniß und der Liebe GOttes und des Naͤchſten. Jch laſſe aber einen jeden beſchei - denen unpartheyiſchen urtheilen: es nach dem Grun - de des Zeugniſſes des Heiligen Geiſtes erſtlich in der heiligen Schrifft, und denn zweitens nach dem Grunde der Natur und der Erfahrung. An ihren Fruͤchten ſollt ihr ſie erkennen! Jch richte nieman - den: GOtt der HErr richtet einen jeden, und wird eines jeden Wercke vors Gerichte bringen, ſie ſeyen gut oder boͤſe. Wohl denen, die in der Feuer - Probe des Gerichts und der Scheidung beſtehen,als108als ein gelaͤutertes und mit einem herrlichen Licht - Glantz durchtingirtes Gold. Die werden leuch - ten: wie die Sterne am Firmament.

Nicander.

Hat mein Herr ſonſten etwas beſon - deres in Medicina erlernet und erfahren, davon er uns etwas zu communiciren beliebete.

Theogenes.

Was die Wiſſenſchafften uͤberhaupt betrifft, als nemlich die Philoſophie, Medicin, Me - chanic &c. muß man geſtehen, daß dieſelbe in Orient nicht ſo, wie in Europa an vielen Orten, excoliret werden: doch findet man unter ihnen auch einige ſehr kluge und verſtaͤndige Maͤnner, in deren Umgang ein Europaͤer auch noch wohl etwas gu - tes zu lernen Gelegenheit finden kan. Die Medicin iſt mehrentheils ſchlecht. Jn der Jurisprudence hat man nicht ſo weitlaͤufftige Chicane als in Europa bey denen Proceſſen an denen meiſten Orten ge - braͤuchlich.

Alamodan.

Wird denn der Orten in Orient die Juſtitz prompt, und nach der Billigkeit admi - niſtriret?

Theogenes.

Die Orientaliſche Voͤlcker ſind in Execution derer Sachen mehrentheils geſchwind; daß es aber allemal der Billigkeit und der Gerech - tigkeit gemaͤß ergehen ſollte, kan ich eben nicht ſa - gen. Die Vice-Regenten, Cadis oder Richter ſind Menſchen, wie in Europa; welche oͤffters dem Geitz ziemlich ſtarck ergeben ſind; und dahero al - lerley Plackereyen und Schindereyen ausuͤben. Deßwegen aber kan ich ſie doch in Vergleich mit denen Europaͤern an manchen Orten, eben nichtviel109viel ungluͤckſeliger achten. Denn weme iſt nicht bekannt? daß in Europa es auch Regenten, Rich - ter und Advocaten genug giebet: welche allerley Exactiones, liſtige und betruͤgliche Streiche ſpielen. Wer unſere Welt ein wenig kennet, dem wird es an Exempeln nicht mangeln.

Alamodan.

Unſere Europaͤiſche Weiſe iſt in allen Dingen doch viel beſſer und ertraͤglicher.

Theogenes.

Dieſes mag dem Herrn Alamodan wohl alſo vorkommen, wegen ſeiner Gewohnheit und Erziehung. Wenn wir aber die Sache ohne Vorurtheil unpartheyiſch erwegen, moͤgten wir vielleicht wohl befinden: daß viele Voͤlcker, welche wir vor barbariſch und einfaͤltig oder dumm hal - ten, gluͤcklicher geweſen, als ſie noch keine Europaͤer geſehen hatten, als nachdem ſie theils von ſelbigen bedruͤcket, theils beruͤcket und theils von ihren La - ſtern inficiret und corrumpiret worden. Wer die Hiſtorien und Reiſe-Beſchreibungen zu fremden Nationen mit Verſtande lieſet, wird leicht die Wahrheit hierinnen entſcheiden koͤnnen.

Nicander.

Jch muß meines Ortes geſtehen: daß ich aus der Leſung guter aufrichtiger Hiſtori - corum und dergleichen unpartheyiſchen Reiſe-Be - ſchreibungen mehreren Nutzen geſchoͤpffet, als aus denen Schul-gelehrten Grillen, deren Weißheit meiſtens in Buchſtaben und vorgefaſſten oͤffters al - bernen Meinungen beſtehet; und bilden ſich dieſe Leute oͤffters wunder dabey ein: was ſie vor kluge Koͤpffe vor andern ſeyen, welche dergleichen ſchoͤne Sachen nicht wiſſen.

Modeſtin. 110
Modeſtin.

Unſer Herr Nicander redet etwas zu veraͤchtlich von unſern Studiis. Es iſt doch billig ein gebuͤhrender Unterſcheid zu machen zwiſchen dem was an und vor ſich ſelbſt gut oder boͤß; oder auch gantz indifferent iſt; wie nicht weniger zwiſchen einem guten Gebrauch einer Sache und deren Mißbrauch.

Nicander.

Jch bin dem Herrn Modeſtino hierin nicht entgegen: Wo ich aber dem ſatyriſchen Ge - nio den Zuͤgel etwas wollte uͤberlaſſen, haͤtte man hier gewißlich Gelegenheit, die Grillen, Thorheiten und Boßheiten mancher gelehrten Narren recht derbe durchzuziehen. Weilen es ſich aber zu un - ſerer Converſation eben nicht ſchicket, ſo enthalte ich mich deſſen billig.

Theogenes.

Es iſt auch allerdings viel beſſer die Wahrheit mit Beſcheidenheit und Liebe des Naͤch - ſten vorzutragen und zu vertheidigen, als mit ſtach - lichten Redens-Arten, welche die Jrrenden ehender mehr verbittern als convinciren und bekehren: ob ſie gleich auslachens-wuͤrdig geachtet werden moͤch - ten. Eine beſcheidene Vorſtellung iſt eine Tochter der wahren Liebe: Die Satyra aber hat zwar zur Mutter die Liebe der Wahrheit, zum Vater aber den Ehrgeitz. Alldieweilen es aber Zeit iſt von denen - ſelben mich zu beurlauben: als dancke ihnen aller - ſeits das Vergnuͤgen deren angenehmen Converſa - tion genoſſen zu haben. Worauf dieſe Herren ihr Gegen-Compliment machten, und ſaͤmtlich von Herrn Modeſtino ihren Abſchied nahmen.

Fuͤnfte111

Fuͤnfte Converſation.

Es fuͤgete ſich nach etlichen Tagen: daß da eben Herr Theogenes unſern Modeſtinum zu beſuchen ſich bey dieſen wiederum einge - funden hatte: Herr Nicander ohngefehr in eben ſolcher Abſicht dazukame; da ſelbige im Diſcours auf die Vortrefflichkeit und Groͤſſe des menſchlichen Verſtandes, und die Kraͤffte der Imagination und Willens geriethen. Von welchen Herr Modeſti - nus folgender Geſtalt zu reden anhube: So offt ich an die vortreffliche Gaben des Verſtandes, des Willens, Gedaͤchtniſſes, der Einbildungs-Krafft und derer Sinnen gedencke, womit der allweiſe und guͤtigſte Schoͤpffer den Menſchen gezieret und begabet hat: muß ich die ewige Weißheit, Liebe und Guͤte deſſelben in tiefeſter Demuth des Hertzens venerirend bewundern und preiſen; ja mit Hertz und Munde inniglich davor Danck ſagen.

Theogenes.

Dieſes ſollte wohl auch die ſtete Pflicht aller vernuͤnfftigen Geſchoͤpffe ſeyn: den Schoͤpffer immerdar im Geiſte und der Wahrheit anzubeten; als worinnen hauptſaͤchlich der wahre Gottesdienſt beſtehet, nebſt Beybehaltung der Liebe und Pflichten, welche wir unſerm Neben-Menſchen ſchuldig ſind. Und wer aus der Betrachtung de - rer ſchoͤnen Kraͤfften des Verſtandes, und derer guten Eigenſchafften eines liebreichen Hertzens oder Willens, ſich ſelbſt nicht erkennen; und dem Schoͤpffer auch gebuͤhrend veneriren lernet: mußdum112dummer als ein Vieh, und unerkaͤnntlicher als ein Hund und Ochſe ſeyn.

Nicander.

Daß aus gruͤndlicher Betracht - und Erwegung der Kraͤffte unſerer Seelen, der Menſch zu einer gluͤcklichen Erkaͤnntniß ſeiner ſelbſt gelange, daran iſt wohl kein Zweiffel; und daß der Menſch auch dahero ſowohl, als aus der Betrachtung der erſtaunenden Wercke der Natur, billigſt zum Lobe des allmaͤchtigen und allweiſen Schoͤpffers ſollte bewogen werden, iſt meines Erachtens bey Ver - ſtaͤndigen eine ausgemachte Sache. Doch iſt ſich hoͤchlich zu verwundern: daß Menſchen gefunden werden, welchen es an Subtilitaͤt und Scharffſin - nigkeit nicht fehlet, welche auf die Abſurditaͤt gera - then zu behaupten: Es ſeye kein GOtt.

Modeſtin.

Wo ſolche arme Eſprits forts (wie ſie ſich belieben zu achten) betrachteten: das erſtau - nende Gebaͤude Himmels und der Erden, Sonne, Mond mit denen unendlich vielen, in einer ſo un - ermeßlichen Weite ſpielenden helleuchtenden Ster - nen (und Welten) darunter die meiſte viel groͤſſer ſind, als unſere Erd-Kugel; ſo, daß dieſe, in Ver - gleichung gegen die unermeßliche Weite des Him - mels, wohl als ein Staͤubgen oder das kleinſte Sandkoͤrngen in Anſehung unſerer Erde zu erach - ten: Wo ſie ferner zu erwegen beliebten die herr - liche Ordnung und Zierde, welche der Schoͤpffer in dieſe ſeine Geſchoͤpffe geleget: ſollten ſie wohl ſicher - lich glauben koͤnnen: daß dieſe Dinge alle ſo von ohngefehr von ſich ſelbſt entſtanden und ſo ordent - lich erhalten und regieret wuͤrden. Mein Lieberfrage113frage dich doch ſelbſten: Solte der / von deme du Krafft und Augen haſt zu ſehen / und Ohren zu hoͤren; ja in verborgene Dinge zu penetriren: ſolte der Geiſt von deme du alles haſt gar keine derglei - chen / und nicht noch unendlich viele hoͤhere Kraͤff - ten beſitzen / als du armer eine kurtze Zeit hier leben - der Erden-Wurm? Gewiß du muſt dir ſehr viel einbilden / und aus uͤberſteigenden Hochmuth gar aberwitzig und in der eingebildeten Weißheit gewiß - lich ein rechter Thor ſeyn / von dergleichen der Koͤ - nig David wohl recht ſaget: Der Narr ſpricht in ſeinem Hertzen: Es iſt kein GOtt!

Theogenes.

Ja wo man nur ein Thier oder ſon - derlich den Menſchen mit denen Kraͤfften ſeiner Sin - ne / Augen, Ohren, Mund / Naſe / Verſtand u. ſ. m. auffmerckſam betrachtet: wie alles / an einem jeden zu ſeinem Zweck / (wozu es geordnet iſt) gebil - det; die Bildniſſe der Sachen dem Verſtande vor - zuſtellen / ſolche zu beurtheilen / das Angenehme zu erwaͤhlen; das Widrige zu meiden und zu fliehen u. d. gl. tauſend andere Sachen mehr: ſollte man nicht nachdencken und fragen: Wer iſt der weiſe Meiſter der alles ſo herrlich und weißlich formiret hat? Sollte deme wohl etwas verborgen ſeyn? welcher das Licht heiſſet hervorgehen aus der Fin - ſterniß / und welcher ſelbſt ein unerſchaffenes ewiges Licht iſt.

Nicander.

Es iſt ohnſtreitig / daß wir in Betrach - tung der Geſchoͤpfen / und in ſpecie in der Unterſu - chung unſerer ſelbſten eine vortreffliche Bibliothee haben; und daß derjenige / welcher ſich ſelbſten / undHdie114die Geſchoͤpfe neben ſich recht kennen lernet / billig den Nahmen eines Philoſophi meritiret.

Modeſtin.

Zumahl wie auch eines Theologi; Wenn er dieſe Betrachtungen zu demuͤthigſter Ve - neration GOttes des Weſens aller Weſens an - wendet; auf dieſen allmaͤchtigen / allweiſen / all - gegenwaͤrtigen GOtt / Schoͤpfer und Erhalter aller Dinge / ein recht kindliches / zuverſichtliches / feſtes Vertrauen ſetzet. Verſichert ſeyende: daß wo die - ſer Allmaͤchtige ihn ſchuͤtzen und erhalten will: ihme keine Macht werde ſchaden koͤnnen. Dabey denn auch die Haupt-Pflichten der Liebe gegen ſeinen Naͤchſten / nicht unterlaͤſſet.

Theogenes.

Wenn wir die Kraͤffte unſeres Ver - ſtandes und Willens / recht gruͤndlich verſtuͤnden / und gehoͤrig zu gebrauchen wuͤſten; wuͤrden wir Wunder thun koͤnnen; oder ſolche Dinge / welche den Begriff nicht nur des gemeinen Mannes / ſon - dern auch ſelbſt derer Gelehrten dieſer Welt uͤber - treffen; daß aber die wahre Magia, ſo wenigen be - kannt iſt / kommt hauptſaͤchlich von zweyerley Ab - weichungen des Verſtandes und Willens her. De - ren die eine die rechtſchaffene innigſte Furcht und Liebe GOttes betrifft: die andere aber von der heut zu Tage ſaſt uͤberall a la mode gewordenen Philo - ſophia Mechanica herruͤhret. Da die Herren Phi - loſophi in cortice rerum behangen bleibende / de rebus ſpiritualibus wenig wiſſen / noch glauben; ja ſich um die Wuͤrckung des Geiſtes wenig bekuͤm - mern. Dahero denn dieſe edle Wiſſenſchafft ſehr wenige zu Theil wird.

Nic. 115
Nicander.

Was mein hochgeehrter Herr von Magiſchen Wiſſenſchafften erwehnet, wird wohl unter die Entia Rationis & ſcientias imaginarias zu referiren ſeyen; und wenn man die Geſchichte / welche von Hexereyen / Zaubereyen u. d. gl. erzehlet wer - den / beym Licht beſiehet / wird ſich befinden: daß ſolche mehrentheils auf einer gauckeleriſchen Ge - ſchwindigkeit / Liſt und Betrug beruhen.

Modeſtin.

Herr Nicander ſaget gantz wohl: daß das meiſte / was von dergleichen Sachen pfleget vorgegeben und erzehlet zu werden / ſich auff Un - wiſſenheit / Leichtglaubigkeit / Liſt und Betrug gruͤnde. Daß aber auch in dem Menſchlichen Willen erſtaunende Kraͤffte liegen / entweder aus eigener Geiſtes angebohrnen Krafft und Vermoͤ - gen; oder auch per aſcititiam cooperationem tam rerum naturalium qum ſpirituum aliorum, tam bo - norum quam malorum, gantz ungemeine Dinge zu Werck zu bringen / wird ein verſtaͤndiger erfahre - ner / ſich ſelbſt und die Natur kennender nicht wohl in Abrede ſeyn koͤnnen. Dahero auch die Magia in Divinam Naturalem, ac diabolicam eingetheilet zu werden pfleget.

Theogenes.

Dieſe Eintheilung hat ihren Grund in der Sache ſelbſt. Denn diejenige welche durch die Mitwuͤrckung guter Geiſter operiren / ſind Magi ſancti; welche per res Naturales ſympatheticas ope - riren zum Nutzen ihres Naͤchſten; ſind Magi Na - turales boni; welche aber dieſe mißbrauchen oder gar per cooperationem Kakodæmonum oder boͤſer Geiſter ihrem Naͤchſten Schaden zufuͤgen / werdenH 2billig116billig Magi diabolici genannt; und werden dahero auch billig als Miſſethaͤter von der Obrigkeit ge - ſtraffet / wenn ſie deſſen klaͤrlich uͤberwieſen werden koͤnnen. Dabey doch allerdings groſſe Behutſam - keit noͤthig / und die vor dieſem ſo gemeyne Hexen - Proceſſe billig zu verwerffen: als wodurch viele tau - ſend unſchuldige Leute hingerichtet worden ſind.

Nicander.

Hiebey moͤchte man nun wohl fragen: Ob die denunciation und tortur ein vernuͤnfftiges Mittel ſeye, die Wahrheit zu erfaͤhren; oder ob nicht vielmehr durch ſolche henckermaͤßige procedu - ren oͤffters die unſchuldigſte Leute zur Geſtaͤndniß einer Sache forciret werden / davon ihnen nicht das geringſte bewuſt iſt: lieber zu ſterben waͤhlende; als ſolche Torturen auszuſtehen.

Modeſtin.

Es haben bereits verſchiedene vernuͤnff - tige und Chriſtliche Juriſten genugſam und deutlich erwieſen: daß die Tortur gar kein vernuͤnfftiges Mittel ſeye die Wahrheit an den Tag zu bringen. Und hat es die vielfaͤltige Erfahrung gelehret: daß verhaͤrtete Boͤſewichter die Tortur hartnaͤckig aus - gehalten: da hingegen unſchuldige zarte Leute / durch ſolche ihnen unertraͤgliche ſaubere Mittel zum Tode condemniret und hingerichtet worden: deren Un - ſchuld nachhero Sonnen-klar an den Tag gekom - men. Da beſcheidene und kluge Richter andere Mittel genug haben zum Grunde der Wahrheit zu gelangen / und die Boßhafften abzuſtraffen. Jn - deme vor offenbahre Boßhafftige die Zuchthaͤuſer / und nach Unterſcheid des delicti auch wohl die To - des-Straffe: vor ſolche aber da es nicht klaͤrlich aus -gemacht117gemacht werden kann: ob ſie ſchuldig oder unſchul - dig ſeyn moͤchten / ein denen Umſtaͤnden gemaͤßer Arreſt oder honetes Gefaͤngniß und vernuͤnfftige Unterſuchung / weit heylſamere / ſichere und Chriſt - lichere Mittel ſind: eines Theils der Boßheit zu widerſtehen und dieſelbe zu beſtraffen; andern Theils auch die noch unerkannte Wahrheit an den Tag zu bringen.

Theogenes.

Chriſtliche Richter und Raͤthe / welche nichts aus Paßion thun: ſondern unpartheyiſch ſind, und GOtt uͤber alles / auch ihren Naͤchſten auffrichtig lieben / GOtt in allen zweiffelhafften Sachen umb Weißheit uud Leitung ſeines allſehen - den guten Geiſtes anruffen; uͤberzeuget ſeyende / daß Sie als ſubordinirte unter GOtt dem HErrn / dieſem und nach deſſen Wohlgefallen eigentlich das Regiment und Gericht fuͤhren ſollen / werden von dem Allmaͤchtigen nicht ohne Rath und Huͤlffe ge - laſſen werden. Wenn aber hingegen der Richter nach ſeiner Caprice, Haͤrtigkeit ſeines Tempera - ments / Geitz / falſchen Gerechtigkeit / Ubereilung u. d. gl. Umſtaͤnden / zufaͤhret / verurtheilet und richtet: da kann es wohl ohne grobe Fehler nicht hergehen. Dannenhero ſind auch diejenigen Laͤnder wohl gluͤcklich vor andern zu ſchaͤtzen: Wo ein wei - ſer GOtt-fuͤrchtender Regent das Ruder fuͤhret; und der ſolche Bedienten hat, die ſich nach dem Exempel ihres Herrn richtende / dem Geitz feind ſind; uns den Zorn / Rachierde u. d. gl. Paßionen nicht uͤber ſich herrſchen laſſen.

Nicander.

Der Herr bringet wohl feine SachenH 3vor;118vor; welche aber mehr zu wuͤnſchen als zu hoffen ſtehen. Denn erſtlich ſind dergleichen Regenten etwas rar; und moͤchte wohl in manchem Seculo kaum einer oder zween zu finden ſeyn. Zum andern / wenn auch ſchon ein ſo weiſer Gottfuͤrchtender Re - gente ſich finden: wo krieget er dergleichen Raͤthe / Bediente und Beamten her? Die wird man wohl zum Theil in Utopia ſuchen muͤſſen. Auff dieſer Welt findet man nichts vollkommenes.

Modeſtin

Jch muß bekennen: wenn ich die Chriſt - liche Sitten-Lehre / und eine darauff gegruͤndete Policey und Regierung betrachte / ich ein ſolches Volck unter einem ſolchen Regiment recht gluͤcklich ſchaͤtzen muͤſſe. Da man aber in Europa (allwo die Chriſtliche Religion dem Nahmen nach floriret) dergleichen doch wenig findet: Weiß ich nicht / ob diejenige Americaner / welche mit denen Europaͤern noch wenig oder gar keine Gemeinſchafft haben / nicht eben ſo gluͤcklich / wo nicht in manchen Stuͤ - cken gluͤcklicher als die meiſte Europaͤer ſind. We - nigſtens werden ſie nicht ſo vom Geitz / Neid / Hoch - muth und andern Affecten geplaget.

Theogenes.

Mein werther Freund! es waͤre von dergleichen Sachen vieles zu ſagen: ſed non omnes capiunt. Der Glaube welcher die Welt und welt - liche Luͤſte beſieget; und in der Liebe thaͤtig iſt; iſt nicht jedermanns Ding. Wo es auf ein HErr HErr ſagen ankaͤme: wuͤrde die Welt voller Chriſten ſeyn. Wenn es aber heiſſet: allem abſagen / ſich ſelbſt ver - laͤugnen / ſeine Luͤſten und Begierden kreutzigen / in einem neuen Leben vor GOtt wandeln; ſo faſſen die -ſes119ſes Wort wenige; und die meiſte die es hoͤren bleiben dabey all ihr Lebenlang rechte A. B. C. Schuͤler; oder weichen von Chriſto ab und zuruͤck / die Welt mehr liebende als GOtt. Und dahero kommt das Verderben in allen Landen und Staͤnden / daß ſo wenige ſind welche dem Himmelreiche Gewalt anthun.

Modeſtin.

Wenn man den Grund alles Unheils und der Verwirrungen in denen Menſchlichen Ge - ſellſchafften tieff unterſuchet: wird man gewißlich finden: daß Ehrgeitz / Geldgeitz und Wolluſt / die Haupt-Wurtzeln ſind / daraus alles Unheil entſte - het und aufwaͤchſet. Und wo man die melange, verſchiedene Miſchungen dieſer Haupt-Neigungen Natur-gemaͤs betrachtet: iſt ſich zu verwundern; wie mancherley Characteres / Sitten / Arten und Gattungen der Menſchen auff der Schau-Buͤhne dieſer Welt ſich præſentiren.

Nicander.

Jch habe mich in Betrachtung man - cherley Characteren der Menſchen vielfaͤltig beluſti - get; auch ſolche Schrifften gerne geleſen / darinnen dergleichen auf eine lebhaffte Arth vorgeſtellet wer - den; doch auch oͤffters mit einigen ungluͤckſeligen Naturellen Mitleiden gehabt: wenn ich geſehen: daß ſie entweder mit einer ſo gar elenden Leibes-Ma - chine; oder mit einer ſo gar verdorbenen Gemuͤths - Diſpoſition begabet geweſen. Dannenhero einige die laͤcherlichſte Creaturen von der Welt ſind; als Bouffons, kurtzweilige Raͤthe u. d. g. Derẽ manche von ſcharffſinnigem Verſtande aus Geitz und Wolluſt / zu ſolcher veraͤchtlichen Profeßion ſich brauchen laſ -H 4ſen;120ſen; andere / welche eben nicht ſo viel Vernunfft haben / aber doch ſo boßhafft / daß es nicht gut iſt ſich an ſelbige zu reiben. Andere auch einfaͤltig / welche mehr durch anderer Thorheit zu Narren ge - macht / als aus eigener Willkuͤhr dazu kommen. Und wenn man alle die Thorheiten derer Menſchen betrachtet: auf was mannigfaltige Weiſe des Men - ſchen Gehirn derangiret wird; ſolte man mit deren Portraits nicht nur einen Saal; ſondern wohl ein groſſes Laſt-Schiff damit anfuͤllen koͤnnen?

Modeſtin.

Daß die meiſte Actiones derer Men - ſchen blos nach deren natuͤrlichen Temperamenten / verſchiedenen Bewegungs-Urſachen gleichſam me - chanice herflieſſen / kan man ſano ſenſu nicht in Abrede ſeyn; in Betrachtung: daß ein Ehrgeitzi - ger / Geldgeitziger / Wolluͤſtiger zu Erlangung ſei - nes Zweckes / ſeine Actiones gleichſam mechanice einrichte; doch iſt ein ziemlicher Unterſcheid zwi - ſchen einer Machine die nicht anderſt wuͤrcken kann / als ihre beſtimmte Ausarbeitung es mit ſich bringet; und einer ſolchen Creatur die nach Belieben ihre Actiones einrichten kann / welche mit Verſtand und Willen begabet iſt. Da dem Verſtand die Be - trachtung und Uberlegung der Sachen; dem Wil - len aber die Freyheit zukommt / ſich auf eine oder andere Seite zu lencken, eine feſte oder zweiffelhaffte reſolurion zu ergreiffen. Wobey das Gleichniß von Machinen woh paſſiret werden kann: wenn auch ge - wiß iſt / daß ein Menſch gleichſam als eine Machine ſeine Rolle ſpielet.

Theog. 121
Theogenes.

Die Actiones derer Menſchen wohl zu entſcheiden / iſt allerdings nicht genug / nur auff den natuͤrlichen Unterſcheid derer Temperamenten zu ſehen; woraus meiſtentheils das Thun und Laſ - ſen derer Menſchen flieſſet: ſondern es iſt dabey auch auf den Unterſcheid der Natur und der Gnade; oder den Zuſtand eines Natuͤrlichen und hingegen auch Wiedergebohrnen zu ſehen: Da das Thun und Laſſen des Menſchen ein gantz anderes Anſehen ge - winnet; ob gleich das natuͤrliche Temperament blei - bet / und der Wiedergebohrne ſtets uͤber ſich ſelbſt zu wachen Urſache hat. Conſtitutio hominis Phy - ſica manet; Moralis autem mutatur.

Nicander.

Jch geſtehe / daß in Betrachtung des Menſchlichen Thun und Laſſens / man zu bewun - dernde Kraͤffte des Geiſtes gewahr wird: daß wo ich eine Zauberey zu glauben beredet waͤre / ich faſt Beyfall geben ſollte: daß es nicht mit rechten Din - gen zuginge; alleine wenn man die Urfachen etwas tiefer unterſuchet und einſiehet; findet ſichs: daß es gantz natuͤrlich zugehe: Mich beſſer verſtehen zu koͤnnen / will die Sache durch ein gleicheres Exem - pel erklaͤren. Ein vornehmer Herr hat viele Bedien - ten; unter welchen ein und anderer mit einem Ta - lent begabet des Herren Paßionen zu ſchmeicheln; ohnerachtet dieſe eben keine groſſe Leute waͤren / und oͤffters grobe Fehler ihres Unverſtandes blicken lieſ - ſen: ſo iſts doch vor bloͤden Augen / als ob der Herr von ſolchen beiaubert waͤre / daß er die Fehler der - ſelben nicht wahrnimmt. Alleine ein Kluger ſiehet das Fundament dieſer bezaubernden Krafft leichtH 5ein /122ein / und trehet ſich auch oͤffters das Gluͤcks-Rad bey dergleichen Leutgens ploͤtzlich um: daß deren Bloͤſſe erkannt und der Grund ihrer eigennuͤtzigen Schmeicheley eingeſehen wird. Und eine gleiche natuͤrlich bezaubernde Bewandniß hat es auch bey denen meiſten ſterblich in einander verliebten jungen Gecken / deren Begierde oͤffters nicht ſo bald geſaͤt - tiget / da die hefftige Liebe nicht nur in eine Kaltſin - nigkeit / ſondern auch wohl gar in einen toͤdlichen Haß verwandelt wird. Denn wo die Liebe nicht auf Tugend und Gleichheit derer Gemuͤths-Nei - gungen gegruͤndet iſt / hat ſie ſo wenig in der ver - traulichen Freundſchafft / als einer recht harmoni - renden Ehe ſelten Beſtand. Ob gleich nicht zu laͤug - nen / daß durch mumialiſche Magneten Wunder - Dinge auszurichten ſtehen.

Modeſtin.

Es iſt ſicher / daß alles was unmaͤßig geſuchet und verlanget wird / dem Menſchen kein wahrhafftiges / beſtaͤndiges und dauerhafftes Ver - gnuͤgen geben kann: ſondern ſo bald der Hunger des zu einem unendlichen Gute geſchaffenen und ge - widmeten Geiſtes / durch den Genuß der Creatur geſaͤttiget worden: darob ehender ein Eckel / oder wenigſtens indifference; als ein beſtaͤndiges Ver - gnuͤgen erfolge. Es hat dannenhero der Menſch wohl trifftige Urſachen ſeine Begierden nach einem ſolchen Gut zu wenden / deſſen Genuß weder durch den Wechſel der Zeit / noch durch Widerwaͤrtigkeit geſtoͤhret / geraubet / noch auff einige Weiſe ihme eckelhafft gemacht werden kann. Deſſen Beſitz ihn auf die innigſte und alle ſinnliche Freude weituͤber -123uͤberſteigende Weiſe; auch mitten in der Truͤbſaal vergnuͤget / troͤſtet / erquicket und unterſtuͤtzet / deſ - ſen Beſitz alle Ehre / Reichthuͤmer / Schaͤtze und Herrlichkeiten dieſer Welt ſo weit uͤbertrifft / als die Himmele das Erdkloͤsgen.

Nicander.

Aber wo iſt ſolches Gut zu finden? beſtehet es nicht etwa auch in einer Einbildung / ſuͤſ - ſen Traͤumen und vorgefaſſten Meinungen?

Theogenes.

Dieſes edelſte Gut / welches die Hei - lige Schrifft das Reich GOttes benennet / und in Gerechtigkeit Friede und Freude in dem Heiligen Geiſte beſtehet; und in Vereinigung aller Geiſtes - Kraͤfften des Menſchen mit dem ewigen Liebes - Willen GOttes; oder nach dem Maas der Faͤ - higkeit des endlichen mit dem unendlichen ewigen Geiſtes GOttes; iſt kein bonum imaginatum oder Wahn-Gut. Es hat ſeine weſentlichſte realitaͤt / ſo wohl in Anſehung des weſentlichſten Vorwurffs ſelbſten; als in der unſtreitigen Erfahrung vieler millionen Menſchen und deren Weiſeſten unter al - len Voͤlckern und Nationen: welche zu allen Zeiten den weſentlichen Genuß dieſer uͤberſchwenglichen Freude und Friedens GOttes geruͤhmet; ob gleich nur noch in einem Vorſchmack; in Betrachtung ei - nes voͤlligen und vollkommenen Genuſſes dieſer Freude in der ſeligen Ewigkeit. Da wir von der Hin - derniß des leiblichen / dem Geiſte ſo viel zu ſchaffen machenden Kerckers / und von der Welt-Geſinnet -heit124heit gantz befreyet / derer unendlichen ewigen Schaͤ - tzen / nebſt denen GOtt uͤber alles Liebenden berei - tet ſind / erſt recht voͤllig genieſſen koͤnnen.

Modeſtin.

Liebe Freunde! wenn wir dieſe himm - liſche Freude hier nur in einem geringen Vorſchmack genieſſen / ſo vergeſſen wir daruͤber gar leicht aller ſinnlichen Welt-Freude und Luſt. Und laͤſſet ſich ſolches ein ſelbſt Erfahrender ſo wenig und weniger bereden / daß es nur in der Einbildung beſtehe: als wenig ein Hungriger oder Durſtiger ſich bereden laͤſſet / daß wenn er von geſunden guten Speiſen und Tranck geſaͤttiget / erquicket und geſtaͤrcket wird / ſolches nur in Einbildung beruhe. Denn was einer empfindet / ſichet / ſchmaͤcket / erfaͤhret wird einem Vernuͤnfftigen durch ſophiſtiſche und ſceptiſche argumenta nicht abdiſputiret. Gluͤckſelig ſind diejenige / welche ſolche himmliſche Freude in ihren Seelen erfahren / den HErren ſtets im Geiſt und in der Wahrheit anbeten; dieſe Freude in ſanfftmuͤthigem und demuͤthigem Wandel wachent und betende bewahren. Und allhrer nahmen dieſe drey Freunde vor dieſes mahl wiederum Abſchied von einander.

Sechſte125

Sechſte Converſation.

Nach etlichen Tagen lieſſe Herr Theogenes dieſe drey Freunde auf eine kleine collation zu ſich bitten. Als dieſelbe auf die beſtimmte Zeit ſich bey ſelbigem eingefunden / und nach gewoͤhnli - cher leutſeliger Empfahung ſich niedergeſetzet hatten / wobey Herr Alamodan ſich entſchuldiget / daß er wegen wichtiger Geſchaͤfften bey der vorigen Con - verſation nicht gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnen: fienge Theogenes die Unterredung folgender Weiſe an: Werthe Herren und Freunde! Wir haben beym Beſchluß unſerer vorigen Zuſammenkunfft etwas von der wahren Chriſten Freude und Vergnuͤgen, dem Reich GOttes inwendig in uns, Erwehnung gethan, und dabey behauptet: daß ſolche nicht in Chimeren oder Einbildungen, ſondern in einer weſentlichen Empfindung und Erfahrung beruhe. Welche Sache wir noch nicht ſo ausgefuͤhret ha - ben, daß nicht noch eines und anderes dabey zu erinnern ſeyn moͤchte. Dahero, wo es denenſelben nicht entgegen, wollen wir dieſe Betrachtung noch ferner fortſetzen.

Modeſtinus, welcher mit denen Sentiments Herrn Theogenes ohnedem ſehr harmonirte, und viel gleiche Neigungen hatte: Dahero auch mit ihme in einer ſehr vertraulichen Freundſchafft ſtunde -repli -126replicirte darauf: Daß dieſe Sache von ſolcher Wichtigkeit ſeye, und wohl werth, ſie niemahlen aus der acht kommen zu laſſen. Und wie der Hey - land ſaget: Daß man dem Reich GOttes Gewalt anthue, wo man es anderſt zu erlangen und zu be - ſitzen gedencket.

Theogenes.

Es iſt ein der Natur gegruͤndeter Ma - gnetismus; daß gleich ſeines gleichen gerne anzie - het, annimmt, und ſich mit ſelbigem aufs innigſte vereiniget. Es iſt auch in dem menſchlichen Ge - muͤthe, in deſſen Sehnen und Verlangen, Bitten, Begehren um die Erlangung und Vereinigung des Willens mit denen Vorwuͤrffen deſſelben ein ſol - cher Magnetismus in der That und Erfahrung ſatt - ſam wahrzunehmen. Dannenhero ermahnet Chri - ſtus ſeine Juͤnger nicht vergebens, wenn er ſaget: Bittet, ſo wird euch gegeben; ſuchet, ſo werdet ihr finden; klopffet an, ſo wird euch aufgethan. Nur kommt es darauf an: daß der Menſch recht ernſt - lich, aufrichtig und beſtaͤndig anhaltende ſuche und bitte. Dabey auch das noͤthigſte und wichtigſte Object unſerer Freude und Vergnuͤgens, allem andern auch weit vorgezogen werde, und man ſich vor vieler Diſtraction derer Welthaͤndel huͤte und bewahre.

Alamodan.

welcher auf die Gedancken kame: daß ſonderlich ihme dieſes gelten und geſagt ſeyn moͤchte; antwortete hierauf: Meine liebe Herren! Man127Man kan ja nicht immer an himmliſche Dinge gedencken: man muß ja auch ſeine Beruffs-Ge - ſchaͤffte beobachten und nicht hindan ſetzen; ſon - ſten wuͤrde es in unſern Haußhaltungen oͤffters wunderlich ausſehen.

Modeſtin.

Mein lieber Herr Alamodan! das iſt auch unſere Meinung gar nicht: daß man alle aͤuſſerliche Beruffs-Geſchaͤffte hindan ſetze und ver - wahrloſe. Nur iſt ſich dabey wohl zu pruͤfen: wohin das Hertz ſich am meiſten lencke. Denn wo unſer Schatz iſt, was wir hoch ſchaͤtzen und lieben: da iſt unſer Hertz, unſer Tichten, Trachten und Verlangen. Unſer eigen Gewiſſen gibt es uns leicht zu erkennen: ob Ehre, Reichthum, zeitlich Wolleben und dergleichen; oder ob das Reich GOttes der Haupt-Magnet ſey, der uns ziehet. Ueberdis iſt auch wohl zu erwegen: ob das, was wir die Geſchaͤffte unſeres Beruffs nennen, ein ſolches Geſchaͤffte ſey, dadurch wir auch unſern Naͤchſten in Goͤttlichem Gehorſam und Liebe wahr - hafftig dienen. Welchergeſtalt auch die aͤuſſer - liche Beruffs-Geſchaͤffte eine Gottesdienſtliche oder Gottgefaͤllige Arbeit und Bemuͤhung genannt wer - den koͤnnen, und in der That ſind.

Nicander.

welcher bishero zugehoͤret hatte, fin - ge nach ſeiner Weiſe an, ſeine Dubia vorzubrin - gen, ſagende: Was ich hier vergnuͤgendes genieſ - ſe; in Eſſen, Trincken, Spielen, Erwerb - und Er -haltung128haltung zeitlicher Guͤter und allerley Ehrbezeigun - gen, das weiß ich. Was ſie mir aber vom Reich GOttes inwendig, oder von einer ſolchen Freude ſagen, welche auf keine ſinnliche Objecta gerichtet iſt, ſondern aus der Liebe GOttes urſtaͤnden ſoll; davon habe ich noch keinen Begriff; kan auch da - von nichts ſagen, ſondern halte es ſano ſenſu mit Epicuro nach der Art, wie ſelbigen Gaſſendus und S. Evremont unter andern vertheidiget haben: Das hoͤchſte Gut des Menſchen beruhe in voluptate ac tranquillitate Animi. Das iſt auf gut Teutſch: in der Wolluſt der Ergoͤtzlichkeit des Gemuͤths. Es werde nun dieſes Vergnuͤgen in maͤßigen Eſſen, Trincken, honeten Vermoͤgen, Ehre, Spielen, Jagen, honeter Conſervation, oder dergleichen Divertiſſements genoſſen, und in einer feinen Ab - wechſelung erhalten.

Theogenes.

Der Herr Nicandar wird gar viele, ja wohl die meiſte unſerer heutigen Chriſten finden, welche mit ihme in der That vollkommen einig ſeyn werden: wo ſie ſchon mit Worten ein anderes Bekaͤnntniß ablegen. Wir wollen aber mit ſeiner guͤtigen Erlaubniß ſeine Saͤtze zergliedern, und et - was genauer beym Tage beſehen.

Nicander.

Der HErr beliebe ſeine Meinung nur offenhertzig zu ſagen, ich werde es beſcheidentlich und gerne hoͤren.

Theo -129
Theogenes.

Dem Herrn Nicander nehme ich es gar nicht uͤbel, daß er ſeine Gedancken frey und aufrichtig eroͤffnet: ſondern lobe vielmehr ſeine Red - lichkeit, und daß er keinen Heuchler abgiebet. Daß er nun die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit des Menſchen in die Vergnuͤgung ſetzet: iſt in richtigem Verſtande gantz gut, und ſind wir in ſo weit mit ihme einig. Ob aber eine wahre vollkommene Gemuͤths-Ruhe in dem Genuß derer Dinge zu finden ſeye, welche er vorgeſtellt hat; und ob des Menſchen Gemuͤth nicht zum Genuß eines weit edlern und wichtigern Guts geſchaffen und geordnet ſeye, als dieſe irrdi - ſche vergaͤngliche Dinge ſind, welche wir mit denen Thieren gemein haben, wollen wir jetzo unterſu - chen und erwegen. Wir haben in unſerm vorigen Diſcours von denen ſchoͤnen Kraͤfften des meuſch - lichen Willens und Verſtandes ſchon einige Er - wehnung gethan. Wo wir nun das ſehnliche Verlangen und den Hunger unſeres Geiſtes nach einer wahren beſtaͤndigen Gluͤckſeligkeit recht er - wegen, werden wir befinden: daß erſtlich alle dieſe eitele vergaͤngliche Dinge den unendlichen Hunger nicht erſaͤttigen koͤnnen; und dahero auch billig und vernuͤnfftig zu ſchlieſſen: daß unſer Gemuͤth zum Genuß eines unendlichen Guten geſchaffen ſeye. Denn ſonſten wuͤrde der guͤtigſte Schoͤpffer, als das hoͤchſte vollkommenſte Gut, ſolches Seh - nen und Verlangen vergeblich in den Menſchen geleget haben, da er doch nichts vergebens thut. Zum andern lehrets die Erfahrung, und bezeugenJes130es viele tauſend Heiligen: daß der wuͤrckliche Ge - nuß dieſes hoͤchſten Guts in der Vereinigung mit demſelben nicht nur moͤglich, ſondern auch in der That und Wahrheit gegruͤndet. Warum aber ſo wenige in dieſer Zeit zu einem hohen Grad ſol - chen Genuſſes und Vorſchmacks der himmliſchen Freuden gelangen; iſt wohl der Muͤhe werth etwas zu unterſuchen und zu behertzigen.

Modeſtin.

Es kan es der Menſch einiger maſſen aus dem Natur-Licht erkennen, was ihm an dem Genuß dieſes hoͤchſten Gutes hindert: wenn er nur ſich, GOtt, und die Natur erkennen lernen will. Denn wenn er aus der Erkaͤnntniß ſeiner ſelbſt und der Creatur gefunden: daß die zeitliche Dinge ihme kein vollkommenes und beſtaͤndiges Vergnuͤgen geben koͤnnen: ſondern, daß dazu al - lerdings ein ewiges unendliches Gut erfodert wer - de; ſo kan er auch einigermaſſen ſchlieſſen: daß dieſes hoͤchſte Gut ſich einem ſolchen Hertzen nicht in groͤſſerer Maaß mittheilen koͤnne, als in ſo fern es von andern geringern Sachen ledig; und nicht ſchon mit andern Gegenwuͤrffen gantz angefuͤllet iſt, und daß die Liebe des Himmliſchen, der Liebe des Jrrdiſchen, und hinwieder dieſes jenem weichen muͤſſe. Man kan nicht zweyen Herren dienen, GOtt und der Welt. Noch deutlicher aber er - hellet ſolches aus vielen Zeugniſſen der heiligen Schrifft. Worinnen die Chriſtliche Religion ei - nen groſſen Vorzug hat vor allen andern auf dem gantzen Erd-Kreiß.

Theo -131
Theogenes.

Es erwehnte Herr Nicander vorhin, daß er ſein Vergnuͤgen in einer Abwechſelung von Spielen, Jagen, Tantzen und andern dergleichen Divertiſſementes finde. Darinnen Herr Alamo - danus ebenfalls mit ihme gleichgeſinnet ſeyn doͤrffte; ſo viel ich die Ehre habe denſelben, in dem wenigen Umgang den ich noch mit ihme gehabt, kennen zu lernen.

Alamodan.

Wer ſollte dieſes verwerffen? Wir ſind ja nicht derentwegen in der Welt, daß wir ſie nur anſehen: oder uns darinnen zu tode ſchaf - fen: ſondern daß wir auch derſelben brauchen und uns darinnen ergoͤtzen.

Modeſtin.

Ja wohl gebrauchen, aber auch nicht mißbrauchen; uns beluſtigen, aber ſo, daß die Creatur und unſere Luͤſte den ewigen Geiſt (der GOtt hauptſaͤchlich gewidmet ſeyn ſollte) nicht beherrſchen und unter einem ſclaviſchen Joch ge - fangen halten ſollten, wie leyder bey denen meiſten Menſchen geſchiehet, die unter der Tyranney derer Feinde ihres eigenen wahren Wohlſeyns ſie derge - ſtalt gefangen halten, daß ſie die Augen ihres Ge - muͤthes kaum aufthun koͤnnen.

Theogenes.

Laſſt uns einmahl beſehen: wie die ſo genannte honete Welt (von andern will ich nichts ſagen) ihre edelſte Zeit des Lebens anwen - det; welche GOtt der HErr uns zu Wuͤrckung unſerer Seeligkeit goͤnnet. Herr Nicander hatJ 2vor -132vorhin ſchon erwehnet, daß ſolche theils mit Spie - len, Jagen, Tantzen allerhand Luſtbarkeiten, und wenn mans im Lichte beſiehet, auch zum Theil mit allerley liſtigen Erfindungen u. d. g. feinen Sachen zugebracht werde. Laſſet uns aber einmahl die verſchiedene Arten dieſer Luſtbarkeiten ins beſon - dere ein wenig betrachten; und erſtlich, was das Spielen betrifft, deucht mich, daß ſolches Kindern, welche noch nicht ſonderliches nuͤtzliches verrichten koͤnnen, gewiſſer maſſen wohl erlaubet werden koͤnne; wobey vornehmlich auf den Zweck und die Weiſe des Spielens zu ſehen; bey welcher die Art, wo eine maͤßige Bewegung, oder Aufmerckſamkeit und Aufmunterung des Verſtandes gebrauchet wird, vor andern zu erwehlen ſind. Die meiſte erwachſene honete Leute bedienen ſich deſſelben meh - rentheils, die lange Weile oder Zeit zu vertreiben; oder beſſer zu ſagen, die edle Zeit, die wohl nuͤtzli - cher anzuwenden waͤre, zu verderben. Denn hat wohl ein vernuͤnfftiger Menſch keine beſſere Gele - genheit die Zeit mit einer nuͤtzlichen und dabey doch angenehmen Occupation zuzubringen? Ob es ſol - chen gezieme, welche ihre Seeligkeit mit Furcht und Zittern ſchaffen ſollen, laſſe ich einen jeden, der einen Schritt in das innere Heiligthum gethan hat, ſelbſten beurtheilen. Was diejenige betrifft, welche aus Gewinnſucht ſpielen, (bey welchen es auch ſelten ohne liſtige und betruͤgliche Griffe ab - zugehen pfleget) ſind dergleichen auch ſelbſt bey der ehrbaren Welt veracht und verhaſſt.

Modeſtin. 133
Modeſtin.

Eine nicht viel beſſere Bewandniß hat es auch mit dem weltuͤblichen Tantzen, welches ſich vor Trunckene und Kaͤlber beſſer, als vor ſol - che, welche ſich Chriſten nennen, ſchicket. Das Jagen iſt eine Luſt mehrentheils groſſer Herren: welches aber, wo man es nach dem Maas-Stabe des wahren Chriſtenthums abmeſſen ſollte, in ziem - lich enge Schrancken eingeſpannet werden doͤrffte. Alleine was hilfft es denen Tauben liebliche Mu - ſiquen bringen; oder denen Blinden die ſchoͤnſte Farben oder Gemaͤhlde vorlegen? Jch wiederhole meinen, oder vielmehr des HErrn Chriſti, in vori - ger Unterredung ſchon angezogenen Rath, und Verſicherung; daß wer den Willen GOttes auf - richtig zu thun ſich angelegen ſeyn laſſen, (nach der Maaß ſeiner Erkaͤnntniß,) und ſelbigen ohne Un - terlaß um den Geiſt der Weißheit anruffen wird: dem wird es nicht fehlen von einer Stuffe der Er - kaͤnntniß zur andern, und zum Genuß des Goͤttli - chen Friedens gewiß zu gelangen. Welche Gna - de der HErr HErr auch in uns allen nach ſeiner erbarmenden Liebe gruͤnden, befeſtigen und ver - mehren wolle.

Nicander.

Was halten meine Herren denn vom Krieg? Zweiffels ohne werden ſie dieſen unter de - nen Chriſten auch nicht ſo gar frey paſſiren laſſen wollen. Da ſie alles Thun und Laſſen des Men - ſchen nach denen Regeln Chriſti genau eingerichtet haben wollen. Denn ſo viel ich im neuen Teſta -J 3ment134ment geleſen habe, deucht mich: daß der Krieg und Feindſeligkeiten mit Chriſti Ausſpruͤchen nicht gar zu compatibel ſeye: ob gleich die Ratio Status ein gantz anderes erfodert.

Alamodan.

Warum ſollte der Krieg nicht erlau - bet ſeyn? Es haben ja die Kinder Jſrael, als das Volck GOttes, vielfaͤltig ſelbſten, auf GOttes Be - fehl, Kriege gefuͤhret: ſo wird es ja auch denen Chriſten eben ſo wohl erlaubet ſeyn.

Theogenes.

Es iſt kein geringer Verſtoß: daß man die Oeconomie des Alten Teſtaments mit des Neuen vermenget und untereinander wirfft. Wel - ches denn bey denen, welche eben nicht allemahl den aufrichtigſten und lauterſten Vorſatz haben, Chriſto einfaͤltig in der Verlaͤugnung ihrer ſelbſt zu folgen, nothwendig Jrrungen und Verwirrun - gen urſachen muß: da der Menſch ohnedem gar geneigt iſt mit denen Feigen-Blaͤttern des alten Adams ſeine Schaam zu bedecken. Ueberdiß iſt es klar: daß wenn die Juden im Alten Teſtament ohne GOttes ausdruͤcklichen Befehl Kriege ge - fuͤhret haben, dieſelbe allemahl wacker geklopfft worden.

Modeſtin.

Was die von Herrn Nicandern an - gezogene Rationem Status anlanget, moͤgte man wohl fragen: ob auch ein vernuͤnfftiger Menſch ſich dabey einbilden koͤnne, daß ſie eine ſolcheRicht -135Richtſchnur ſeye, die Sache nur nach der natuͤrli - chen Billigkeit und Gerechtigkeit zu ermeſſen; und nicht mehr nach eigener Ambition, Herrſchſucht und Intereſſe. Wie will denn dieſe ſchoͤne Ratio Status mit dem wahren Chriſtenthum beſtehen.

Nicander.

Hat es eine ſolche Bewandtniß mit dem Chriſtenthum: ſo iſt es nicht gut ein Chriſt zu ſeyn. Denn wo man ſich nicht wehren ſoll, wenn man angegriffen wird; oder einem das Seine entzogen und genommen werder ſollte; ſo iſt man ja allen Boͤſewichtern immerfort exponiret.

Theogenes.

Er erlaube mir, mein werther Herr! derſelbe faſſet den gruͤndlichen Zuſammenhang der Chriſtlichen Religion; ſo wie er von GOtt und in denen Hertzen derer Wiedergebohrnen ſich befin - det, nicht recht. Wo ſie belieben ein guͤtiges Ge - hoͤr zu geben, will ihnen ſolches deutlich vorlegen, daß ſie hoffentlich geſtehen ſollen wie dieſe Sa - chen in einer feinen Harmonie und Connexion zu - ſammen hangen.

Nicander.

Es ſoll mir ſehr angenehm ſeyn.

Theogenes.

Vors erſte ſupponire als eine Grund - Wahrheit: daß wir in GOtt leben, weben und ſind; und daß ohne deſſen allerheiligſten Willen uns nicht ein Haar gekraͤncket werden kan: das iſt deſſen Goͤttliche Providence und Auſſicht beſon -J 4ders136ders uͤber die ſo ihn fuͤrchten und von gantzem Her - tzen lieben. Zum andern ſupponire ich: daß ein Kind GOttes ein vollkommenes Vertrauen auf den allmaͤchtigen allgegenwaͤrtigen GOtt, als ſei - nen Schoͤpffer und Erhalter ſetze. Jſt dieſes feſt: Wer kan uns denn ſchaden? und was richten doch oͤffters die arme Menſchen mit aller ihrer Sor - ge, Vertrauen auf ihren fleiſchlichen Arm, Staͤr - cke und Widerſtand aus? als daß ſie vielfaͤltig mehr Schaden leiden: als wenn ſie ſich recht vor GOtt demuͤthigten, (welcher auch die Hertzen de - rer Koͤnige in ſeiner Hand hat, und lencket ſie, wo - hin er will) und denn um Frieden bey GOtt und den Menſchen anhielten, und ſolchen ernſtlich ſuch - ten. Aber dieſes waͤre contra Rationem Status; nicht aber wider den Willen des hoͤchſten Souve - rains aller Herren. Und ſo weit hatte es auch der weiſe Chineſer Confutius gebracht, daß er bezeugete: Wo ihme der Himmel gewogen ſeye; ſo frage er nach keiner Menſchrn Macht. Wie in deſſen Mo - rale zu ſehen.

Nicander.

Jch muß geſtehen: daß ich wider ſo vernuͤnfftige Gruͤnde nichts einzuwenden habe; und daß ich mich gluͤcklich ſchaͤtze, mit meinem hochwer - then Herren bekannt geworden zu ſeyn. Will mir auch deſſen fernere Gewogenheit und Freundſchafft ausgebeten haben. Dannenhero erſuche dieſelben allerſeits bey dero naͤchſter Gelegenheit mir in mei - nem Quartier die Ehre dero werthen Zuſpruch zugoͤn -137goͤnnen. Welches dieſe drey Freunde ihme zuſa - gende, wiederum ihren Abſchied mit ziemender Hoͤflichkeit von einander nahmen.

Siebende Converſation.

Nach einigen Tagen beredeten ſich unſere drey alte Freunde dem Herrn Nicander die ver - ſprochene Viſite zu geben, beraumten zu dem Ende einen gewiſſen Nachmittag, an welchem ſie ſich bey demſelben einfinden wollten; welches ſie ihme melden lieſſen. Als ſie nun daſelbſten erſchienen, richtete ſich Herr Nicander zufoderſt an Herrn Theogenes, ſprechende: Es iſt mir eine beſondere Freude und Vergnuͤgen mit meinem geehrteſten Herren bekannt geworden zu ſeyn, und nehme ei - nen groſſen Antheil an der Freundſchafft, welche ich beſonders zwiſchen demſelben und unſerm wer - theſten Herrn Modeſtino wahrnehme, nichts ſehn - licher wuͤnſchende, als das Gluͤck zu haben, in die - ſem ihrem vertraulichen Umgang den dritten Mann abgeben zu koͤnnen, welche Gunſt-Gewogenheit zu verdienen ich mir ſorgfaͤltigſt angelegen ſeyn laſ - ſen werde.

Theogenes.

Es wird gantz bey ihnen ſtehen unſer Freundſchafft und vertraulichen Umganges mit theilhafftig zu werden. Sintemahlen uns ſelbſtenJ 5nichts138nichts angenehmers iſt, als mit tugendliebenden Ge - muͤthern vertraulich zu leben.

Modeſtin.

Dem Herrn Nicander iſt ſchon zur Genuͤge bekannt; daß ich meines Ortes eines derer groͤſſeſten Vergnuͤgen daraus ſchoͤpffe, wenn mit aufrichtigen redlichen Gemuͤthern in vertraulicher Converſation zubringe. Ob gleich unſere Meinun - gen im Begriff Theologiſcher und Philoſophiſcher Sachen unterſchieden ſeyn moͤgen.

Alamedan.

Alleine wie macht mans; daß man zu einer recht vertrauten Hertzens-Freundſchafft ge - lange? mich deucht: daß wenn man nicht einerley Religion und Glaubens-Bekaͤnntniß zugethan iſt, koͤnne man nicht in einer recht einigen vertrauten Freundſchafft leben: ob man gleich einander des - wegen eben nicht haſſen, weniger verfolgen ſoll.

Nicander.

Deswegen hat auch Herr Alamodan kein rechtes Vertrauen zu mir: weilen er mich vor einen Ketzer haͤlt; nichts deſtoweniger liebe ich ihn doch, wegen ſeiner aufrichtigen Redlichkeit. Woll - te aber Herr Theogenes die Guͤtigkeit haben, uns zu ſagen: wie ſie mit Herr Modeſtin in eine ſo ge - naue Freundſchafft und Vertraulichkeit gelanget, wie ich an ihnen wahrnehme, daß ſie faſt als eine Seele zu ſeyn ſcheinen, werden ſie mich ſehr ver - binden.

Theo -139
Theogenes.

Das will ihnen gerne eroͤffnen, und wo ich etwas vergeſſen oder auslaſſen ſollte: wird Herr Modeſtin ſo gut ſeyn es zu erſetzen: Da ich ohnedeme auch nicht gerne alleine das Wort fuͤhren will.

Modeſtin.

Unſer lieber Herr Theogenes iſt von ſolcher Modeſtie, Beſcheidenheit, Complaiſence und ſo unintereßirten Weſen: daß er zweiffels ohne wohl vieles, was zu ſeinem Vortheil der Tugend dienen moͤchte, auslaſſen wird.

Theogenes.

Der liebe Herr Modeſtin beſchaͤmet mich recht mit ſeinen Lobreden, welche mir nicht zukommen. Alleine zur Sache ſelbſt zu ſchreiten. Es fuͤgte ſich, daß wir auf einer gewiſſen Univerſi - taͤt ſtudierens halben zuſammen kamen; und zwar erſtlich in denen Collegiis bekannt wurden, nach - gehends auch an einem Tiſche zu Koſt gingen. Und da unſer Herr Profeſſor einigen unter ſeinen Audito - ribus ins beſondere recommendiret hatte, woͤchent - lich ein oder zweymahl zuſammen zu kommen, uns nach Gefaͤlligkeit uͤber eine oder andere gelehrte Materien zu unterreden; es ſeye von Philoſophi - ſchen, Mediciniſchen, Juriſtiſchen oder Theologi - ſchen Sachen, nach der Maaß unſers Begriffs. Und wo Dubia vorkaͤmen, daraus wir uns ſelbſten nicht helffen oder auswickeln wuͤrden koͤnnen, da wollte er uns behuͤlfflich ſeyn. Bey dieſer Gele - genheit geſchahe es, daß wir oͤffters einige Moral -Diſcourſe140Diſcourſe mit einander fuͤhreten: Wobey ich mei - nes Freundes durch-redliches tugendliebendes Ge - muͤthe je mehr und mehr kennen lernete, und eine ſolche Neigung zu ihme gewonnen: daß bey nie - manden lieber ware, als bey ihm: Dahero auch mir eiffrigſt angelegen ſeyn lieſſe, ihme bey aller Ge - legenheit alle Gefaͤlligkeit zu erweiſen, und meine aufrichtige Liebe zu bezeigen.

Modeſtin.

Und eben eine ſolche Neigung empfand ich auch gegen meinen lieben Theogenes. Dan - nenhero, da wir einen uͤbereinſtimmenden Zweck hatten, nicht nur unſern Verſtand zu ſchaͤrffen und mit guten Wiſſenſchafften auszuzieren; ſondern vornemlich auch unſer Hertz mit Tugend zu ſchmuͤ - cken, machten wir ein Verbindniß: dasjenige, was einer an dem andern, als unanſtaͤndig wahrneh - men ſollte; oder zum Schaden gereichen koͤnte, einander offenhertzig und vertraulich anzuzeigen: hiedurch geſchahe es, daß wir je laͤnger je vertrau - licher wurden; und nun uͤber dreyßig Jahr einan - der als Bruͤder geliebet. Es iſt mir jederzeit die groͤſſeſte Freude geweſen: wenn meinem Freunde einige Gefaͤlligkeit erweiſen koͤnnen, und haben mich weder Muͤhe noch Koſten (nach meinem Vermoͤ - gen) gedauret, wenn ihme einen nuͤtzlichen und an - genehmen Dienſt erweiſen koͤnnen.

Nicander.

Jch muß geſtehen, daß es ein beſon - ders Gluͤck und Vergnuͤgen iſt, wenn man einentreuen141treuen unintereßirten und ſo beſtaͤndigen Freund findet. Jch habe auf meinen Reiſen hin und wie - der auch mit manchem mich in eine Freundſchafft eingelaſſen: allein gar wenige recht aufrichtige und beſtaͤndige angetroffen.

Theogenes.

Ob der Herr auf den rechten Grund geſehen und gebauet, auf welchem eine wahre be - ſtaͤndige Freundſchafft beſtehen kan, laſſe demſelben zu beurtheilen anheim geſtellet ſeyn. Gewiß iſt es, und in der Erfahrung wohl gegruͤndet: daß auſſer einer aufrichtigen Tugend-Liebe, keine Freund - ſchafft rechten Beſtand haben mag; und daß wer einen redlichen treuen Freund zu haben verlanget, ſich nothwendig ſelbſten der Tugend befleißigen muͤſſe, nach der bekannten Grund-Regel: Si vis amari, ama. Das iſt: So du wilt geliebet wer - den; liebe. Denn ob gleich auch die allergroͤſſeſte Spitzbuben auch ihre Societaͤt und Freunde glei - cher Laſter haben: ſo iſt doch ſelbe mit vielem Miß - trauen, Furcht, und oͤffters mit der Deſperation verknuͤpffet, welches keine vertrauliche Freund - ſchafft zu nennen.

Nicander.

Mich deucht doch, daß es nicht genug ſey aufrichtig zu lieben, um eines andern Freund - ſchafft dadurch zu erlangen. Sintemahlen man ſich oͤffters viele vergebliche Muͤhe giebt eines Mannes Freundſchafft zu erwerben, welche doch entweder gar nicht zum Stande koͤmmt; oderbey142bey der geringſten Gelegenheit wiederum gebro - chen wird.

Modeſtin.

Allein, mein werther Herr Nicander, er beliebe nur die eigentliche Urſachen des angefuͤhr - ten etwas gruͤndlicher zu unterſuchen; ſo wird ſichs wohl ergeben, wo der Haaſe im Pfeffer lie - get. Hat die Bemuͤhung ſich nur auf einen aͤuſ - ſerlichen Schein der Tugend, oder gar auf eitele Ehre, Intereſſe, Schoͤnheit oder dergleichen etwas gegruͤndet: ſo iſt ſich gar nicht zu verwundern, daß einer ſeines Zwecks verfehlet hat. Dannenhero iſt es noͤthig, ein Gemuͤth zuvoren erſt recht kennen zu lernen, ehe man ſich in eine beſondere gar ver - trauliche Freundſchafft einlaͤſſet: dabey man doch kein argwoͤhniſches Mißtrauen hegen muß. Denn ſolche Temperamenten, die von Natur zum Arg - wohn und Mißtrauen ſehr geneigt ſind, ſich zu einer vertraulichen Freundſchafft gar uͤbel ſchicken, auch ſelten dazu gelangen.

Alamodan.

Man muß aber auch nicht zu leicht - glaͤubig ſeyn, ſonſten wird man mannigmahlen heßlich betrogen: Wie es Kauffleute oͤffters mit groſſem Schaden erfahren; da denn ein gebrann - tes Kind, nach dem gemeinem Sprichwort, das Feuer ſcheuet.

Theogenes.

Es finden ſich Menſchen, welche nach ihrem Naturel ein ſehr bequemes Temperamentzu143zu einer aufrichtigen Freundſchafft haben; zumah - len wo es durch die Gnade GOttes, oder beſondere Liebe zur Tugend rectificiret, und gleichſam puri - ficiret und exaltiret wird. Da hingegen andere Natureile ſo ungluͤcklich ſind, oder eine ſo unartige Gemuͤths-Diſpoſition haben, daß es natuͤrlicher Weiſe faſt unmoͤglich iſt: daß dergleichen Leute einen wahrhafftigen treu-beſtaͤndigen Freund er - langen und erhalten koͤnten.

Modeſtin.

Unter ſolche ungeſchickte Tempera - mente zur vertraulichen Hertzens-Freundſchafft ſind Zweiffels ohne alle diejenige zu zehlen: welche zu Argwohn, Mißtrauen, Furcht, Hochmuth, heff - tigen nachtragenden Zorn, Geitz und dergleichen Affecten ſehr ergeben ſind. Welches lauter Ge - genſaͤtze einer wahren Tugend, eines liebreichen, beſcheidenen, ſanfftmuͤthigen, gefaͤlligen Weſens ſind, als welche Tugenden unumgaͤnglich zur Er - langung und Beybehaltung einer vertraulichen Freundſchafft erfodert werden.

Nicander.

Es iſt wahr: daß ein Geitz-Halß, ein murriſcher Saturnus, und ein hoffaͤrtiger Eigen - ſinniger, ſich uͤber andere immer Erhebender, und allzeit vor andern etwas voraushaben Wollender, keine geſchickte Subjecta zu einer intimen Freund - ſchafft ſeyen: Da die Seele der Freundſchafft in einer wechſelsweiſen Hochachtung, gleicher Liebe und aufrichtigen hertzlichen Vertrauen beruhet. Da -144Dahero ich auch nicht glaube: daß, wo der Stand zweyer Perſonen gar ſehr unterſchieden iſt (als z. E. eines Koͤniges und geringen Unterthanen) zwi - ſchen ſolchen eine recht intime Freundſchafft Platz haben koͤnne. Sondern es muß dabey der Gerin - gere des Obern entweder Eſel oder Narr ſeyn. Welches einer intimen Freundſchafft widerſpricht.

Theogenes.

Herr Nicander raiſoniret hiebey gantz wohl. Die Freundſchafft unter gleichen Gemuͤ - thern, und deren Stand nicht zu ſehr unterſchieden, iſt wohl die beſte und feſteſte. Und ſind die von gleichen Neigungen wohl die bequemſten zur Auf - richtung und Erhaltung einer vertraulichen wah - ren Freundſchafft, wo ſie einander recht kennen zu lernen Gelegenheit haben, und ſich darum die Muͤhe geben wollen.

Modeſtin.

Je redlicher, aufrichtiger, beſcheide - ner, leutſeliger und unintereßirter ein Tugendlie - bender gegen einen andern ſeines gleichen verfaͤh - ret, und mit ſorgfaͤltiger Gefaͤlligkeit einer dem an - dern zuvor zu kommen bemuͤhet iſt: je eher wird der Zweck der vertraulichen Freundſchafft erhalten. Welches in der That ein halber Himmel auf Erden iſt, warum ſich doch wenige bemuͤhen moͤgen.

Alamodan.

Ey! wer ſollte nicht gerne gute auf - richtige Freunde haben wollen, auf welche man ſich in Zeit der Noth verlaſſen koͤnte? Alleine wofindet145findet man dieſe redliche Leute, welche ohne Jn - tereſſe ſind.

Theogenes.

Der Herr fange nur erſt an ſich ſelb - ſten an; verlaͤugne ſich ſelbſten aufrichtig; liebe ſeinen Naͤchſten als ſich ſelbſt: ſo will ich ihme Buͤr - ge davor ſeyn, daß er gewiß ſeines gleichen finden werde, mit welchen er ſich aufs genaueſte und in - nigſte wird verbinden koͤnnen, welche auch bey vor - fallender Gelegenheit das in der That werckſtellig machen werden, wozu ſie ſich verbunden.

Modeſtin.

Die Menſchen ſind nach ihrer Eigen - liebe meiſtens ſo geartet: daß ſie die Schuld ihres Mißvergnuͤgens, ihrer Unruhe, und den Mangel guter Freunde immer auſſer ſich ſuchen: da ſie es vornemlich in ſich ſelbſten erſten ſuchen ſollten. Hat jemand Friede mit GOtt und mit ſich ſelbſt: wird er gar leicht zum Frieden mit ſeinem Naͤchſten ge - langen koͤnnen. Jſt ein Menſch tugendhafft, oder ein rechtſchaffener Chriſt, und kein Heuchler, ſo kan es nicht fehlen; andere ſeines gleichen, welche in ſeiner Bekanntſchafft gelangen, muͤſſen ihn noth - wendig lieben. Denn es iſt in der Natur gegruͤn - det; daß gleich ſeines gleichen ſich erfreue, und ſich gerne damit vereinige.

Nicander.

Herr Modeſtin erinnerte vorhin: daß je aufrichtiger und offenhertziger einer gegen an - dere verfuͤhre, je eher wuͤrde ein ſolcher zum ZweckKder146der vertraulichen Freundſchafft gelangen. Alleine die Erfahrung lehret: daß wer, ſonderlich bey Hofe, allzu offenhertzig und vertraulich verfaͤhret, oͤffters gar blind ankommt; Und iſt wohl an einem Ort in der Welt Behutſamkeit vonnoͤthen, iſts ge - wißlich an Herren Hoͤfen.

Theogenes.

Dieſes iſt man nicht in Abrede; es ſtoͤſſet aber obigen Satz nicht um: daß die Aufrich - tigkeit und vertrauliche Offenhertzigkeit die naͤchſte Mittel zu einer ſoliden Freundſchafft ſeyn. Und hat ein recht redlicher Menſch in deſſen Mund und Hertzen kein Betrug noch Falſch iſt, allemahl den Vortheil von ſeiner Aufrichtigkeit, wenn ſelbe mit noͤthiger Vorſichtigkeit vergeſellet iſt: daß er auch den andern deſto eher kennen lerne; ob er ſeiner Freundſchafft wuͤrdig oder nicht; und Redlich lan - ge wehret: da hingegen die Falſchheit keinen Be - ſtand hat.

Alamodan.

Sollte man einem jeden allezeit die Wahrheit ſagen; ſo wuͤrde man gewißlich oͤffters ſehr uͤbel ankommen.

Modeſtin.

Mein lieber Herr Alamodan! Es iſt ein groſſer Unterſcheid: jederman alles zu ſagen, was man weiß: und denn anderſt zu reden, als man denckt: Die Beſcheidenheit und Klugheit ver - bieten oͤffters das zu eroͤffnen, was einem bekannt iſt: die Wahrheit aber erfodert: daß man nichtan -147anderſt rede, als man in ſeinem Hertzen uͤberzeuget iſt. Schweigen iſt erlaubt und noͤthig; aber falſche Luͤgen zu ſagen iſt einem ehrlichen Mann ſehr un - anſtaͤndig. Zudeme haben wir ja gleich anfangs zum voraus geſetzet: Daß eine rechtſchaffene ver - trauliche Freundſchafft bey keinen andern, als tu - gendliebenden redlichen Gemuͤthern ſtatt finde. Dergleichen bey Hoͤfen ſowohl, als an andern Orten auch welche gefunden werden: ob ſie gleich uͤberall nicht ſo gar dick geſaͤet ſind.

Nicander.

Jch gebe ihnen Beyfall; und bin uͤber - zeuget: daß einer aufrichtigen Freundſchafft nichts mehr entgegen ſeye, als Falſchheit und Heucheley: da ſich einer freundlich und vertraulich anſtellet, entweder den andern nur auszulocken, oder ihme gar Schaden zuzufuͤgen. Welcher Honig im Munde und Galle im Hertzen hat.

Theogenes.

Die allgemeine Liebe erfodert gegen jederman leutſelig, beſcheiden und vertraͤgſam zu ſeyn: aber nicht offenhertzig und vertraulich, wel - ches nur der beſondern vertrauten Liebe wahren Freunde zukommt: Da eine Wechſels-weiſe offen - hertzige Vertraulichkeit gleich ſam die Seele der Freundſchafft iſt.

Nicander.

Jch weiß wohl, daß bey Stifftung einer vertraulichen Freundſchafft vieles beytraͤget: wenn die Gemuͤther nicht nur gleiche NeigungenK 2haben,148haben, ſondern auch uͤber dieſes gleiche Meinungen (in Religions-Sachen ſonderlich) hegen; doch deucht mich dabey: daß man bey denen verſchiede - nen Begriffen und Meinungen in wahrſcheinlichen Dingen (denn bey unſtreitigen Wahrheiten iſt kein Diſſenſus) billig einen Unterſcheid zu beobach - ten habe: Zwiſchen ſolchen Meinungen und Be - griffen, welche pure oder nur in der Speculation und Betrachtung des Verſtandes beruhen, und in das Leben oder Thun und Laſſen des Menſchen keinen beſondern Einfluß haben: und denn andern Theils ſolcher Idæen oder Concepte, nach welchen ſich das menſchliche Thun und Laſſen, entweder auf eine tu - gendſame oder laſterhaffte Weiſe zu richten haͤtte. So deucht mich koͤnne zwiſchen einem NB. redli - chen Reformirten, Lutheraner, Catholiquen u. d. g. Philoſophen gar wohl eine recht vertrauliche Freundſchafft ſtatt haben. Als welche zu ihrem Zweck eine Wechſels-weiſe Liebe, Gefaͤlligkeit und Gutthaͤtigkeit hat: wozu verſchiedene Bgriffe und Meinungen in denen Religions-Geheimniſſen an und vor ſich nichts thun; ſo fern ſie in nudis ſpe - culationibus ac conceptibus cerebri beruhen. Und halte ich meines Ortes davor, (anderer Freyheit nichts benommen) daß ob zwar das Hirn mit dem Hertzen in genauer Gemeinſchafft und Verbindung ſtehet, doch ein groſſer Unterſchied ſeye: Zwiſchen guten Neigungen des Hertzens, (welche auch wohl bey unrichtigen Begriffen des Verſtandes ſeyn koͤnnen) und dieſen Idæen, Concepten und Bildun -gen,149gen, welche in dem Hirn-Kaͤſtgen formiret werden; ſie ſeyen wahr oder falſch. Welche, ob ſie gleich bey manchen Menſchen der Wahrheit der Sachen gemaͤß ſeyn moͤgen; das Hertz deſſelben doch gar nicht dauget, voller boͤſen Luͤſte und Betrug ſeyn kan.

Alamodan.

Wo aber ein Menſch mit irrigen und ketzeriſchen Meinungen befleckt, ſoll man mit ſolchen nichts zu ſchaffen haben, vielweniger Freund - ſchafft pflegen, nach dem Ausſpruch Pauli: Einen ketzeriſchen Menſchen meide.

Modeſtin.

Was die irrige Meinungen des Ver - ſtandes betrifft, welche bloß in uͤbelem Begriff ei - niger Sachen beſtehen, dabey keine Boßheit des Hertzens oder Willens mit involviret wird; mit dergleichen, erachte ich, erfodere die Chriſtliche Liebe und Sanfftmuth ein erbarmendes Mitlei - den zu haben; und ſollte man trachten ſolche mit Beſcheidenheit und ſanfftmuͤthigem Geiſte ihres Jrrthums zu uͤberzeugen. Kan man ſolches aber nicht auf eine gruͤndliche Weiſe thun: ſo erfodert ja die allgemeine Liebe, daß man ſie tolerire; und iſt gewißlich die allergroͤſſeſte Antichriſtiſche Tyranney, jemanden bloß um Meinungen willen zu verfolgen.

Theogenes.

Es iſt auch noch nicht ſo klar ausge - macht, was eigentlich ein Ketzer ſey. Denn wo ein Menſch, welcher etwa einige unrichtige, mit derK 3Wahr -150Wahrheit ſtreitende Begriffe von geiſtlichen und Goͤttlichen Sachen hat, derentwegen ein Ketzer ſeyn ſollte: befuͤrchte ich, die Welt wuͤrde voller Ketzer ſeyn. Maſſen wir noch nicht einmahl die natuͤrliche leibliche uns immer vor Augen liegende Sachen recht begreiffen: will geſchweigen die geiſt - liche und himmliſche. Wenn man aber die Praxin und Gewohnheit derer meiſten herrſchenden Reli - gions-Verwandten anſiehet: ſo erhellet, daß ſie zur Richtſchnur ihrer Ketzermacherey ihre vorge - faſſte Meinungen nehmen, und daß die groͤſſeſte Ketzermeiſter recht blinde Eyfferer ihrer vaͤterlichen Satzungen ſeyen, welche die Ambition und der Geitz hauptſaͤchlich (unter dem Schein der Ehre GOttes) animiret. Daß auch die maͤchtigſte Ketzermacher, wo man ſie nach dem Maaß-Stab der ſanfft - und demuͤthigen Liebe Chriſti abmeſſen, und nach dem Gewichte des Heiligthums abwie - gen ſollte, als die groͤſſeſte Ketzer ſelbſt doͤrfften er - funden werden.

Alamodan.

Behuͤte GOTT! Was ſagen ſie, mein Herr Theogenes? Sollten wir bey unſerer reinen Lehre denn auch wohl ſolche Ketzer haben? welche ja vor die reine Lehre Gut und Blut aufzu - opffern bereit ſind.

Nicander.

Von einem blinden Eyffer will ich nichts ſagen: nur was hilfft die reine Lehre ein unreines Hertz? Er wird Zweiffels ohne miteinem151einem Spruͤchelchen vom Verdienſt Chriſti parat ſeyn? Aber ich befuͤrchte, es doͤrfften ſolche Feigen - Blaͤtter die unreine mit Geitz und Hochmuth an - gefuͤllete Hertzen wenig helffen.

Modeſtin.

Das Mittler-Amt JEſu Chriſti iſt allerdings hoch zu ſchaͤtzen: daß aber die meiſte Menſchen den Grund ihrer Gluͤckſeligkeit mehr in Speculationen, Bilder, Gedancken oder Concepte ſetzen, als in ein tugendhafftes, Chriſtliches, ſanfft - und demuͤthiges Leben und Weſen, iſt wohl zu beklagen. Jch beſorge aber dabey, daß es wohl ſo bald auf Erden noch nicht beſſer werden moͤgte; und vielleicht auch nicht vor der endlichen Ver - brennung dieſes Erden-Kloſſes: nach welcher wir eines neuen Himmels und einer neuen Erden ge - waͤrtig feyn ſollen, worauf Gerechtigkeit und Hei - ligkeit wohnen wird.

Theogenes.

Von dieſer Materie koͤnte wohl vie - les geſaget werden: ich will aber jetzo nur noch ein Wort von der Aufrichtigkeit des Hertzens ſagen, wovon wir vorhin Erwehnung gethan haben; und ohne welche ein Menſch nicht vor einem honet homme oder ehrlichen Mann; vielweniger vor ei - nen rechtſchaffenen Chriſten paſſiren mag. Und wie die Aufrichtigkeit und Redlichkeit der Character das eigentliche Merckzeichen eines rechtſchaffenen Biedermanns iſt: ſo giebt hingegen die Liſt und Falſchheit einen Betruͤger und Spitzbuben zu er -kennen.152kennen. Wobey noch als ein Stuͤck politiſcher Klugheit zu bemercken iſt: daß man ſich vor Pra - lern, Großſprechern und Windmachern huͤte; als welche von Betruͤgern nicht ſehr unterſchieden ſind.

Modeſtin.

Mein werther Freund hat gar recht; weilen es aber ſchon ſpat iſt, wollen wir Herr Ni - cander nicht laͤnger beſchwerlich ſeyn, ſondern uns vor dieſes mahl beurlauben, und ſo es GOtt ge - faͤllt, zu einer andern Zeit unſere Unterredungen ferner fortſetzen.

Worauf dieſe Freunde auf einige Zeit von ein - ander Abſchied nahmen; da Herr Theogenes vor - habens ware, wiederum eine Reiſe anzutreten; und machten hiemit dieſer Converſation ein ENDE.

[figure]

About this transcription

TextFreymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen
Author Theophilus Modestinus
Extent162 images; 31688 tokens; 5882 types; 228611 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationFreymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen Theophilus Modestinus. . [2] Bl., 152 S. SelbstverlagFrankfurt (Main)Leipzig1737.

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Universitäts- und Landesbibliothek Halle ULB Halle, Ig 4821 (3)

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; Gebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; Traktat; core; ready; china

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