PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ausfuͤhrliche und ſicherſte Nachricht, des entſetzlichen Erdbebens / der Stadt Liſſabon /
So den 1ten December 1755. uͤberſchrieben worden; Wobey die Nachricht, von der Haupt-Stadt Cagliari, So den 1ten November, nebſt den umliegenden Laͤndern, auf 7. Jtaliaͤniſche Meilen weit, durch eine hefftige Aufwal - lung des Waſſers, in einer Zeit von 6. Minuten, uͤberſtroͤmet, und daß dadurch ein groſſer Schade geſchehen ſey.
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Gedruckt nach dem Leipziger Exemplar.
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Am Tage Allerheiligen, des Morgens um 9. Uhr, fuͤhlte man durch gantz Portugall, und hauptſaͤchlich in der Haupt-Stadt Liſſabon, ein ſolches erſchreckliches Erdbeben, als jemals in irgend einem Welt - Theile geweſen iſt. Dieſe Stadt, welche die reichſte in gantz Eu - ropa war, welche alle Nationen mit Diamanten verſahe, wo faſt nichts als Gold im Schwange gieng, iſt gegenwaͤrtig nichts, als ein Stein-Hauffen, worunter mehr, als 100000. Menſchen lebendig begraben worden. Gluͤcklich ſind die Einwohner, welche bey dieſem fuͤrchterlichen Vorfalle ſich außerhalb Landes befunden! Sie haben wenigſtens das Leben erhalten, welches ſie viel - leicht lieber verlohren haͤtten, da ſie nun aller ihrer Verwandten und Freunde beraubet ſind. Das Erdbeben erfolgte gleich nach einem Orcan, welches ein erſchreckliches See-Waſſer verurſachte, das den Tago unglaublich hoch auf - ſchwellete. Zu gleicher Zeit barſten die Haus-Thuͤren, und ſprangen aus ih - ren Angeln; auch die Mauer und Ercker ſtuͤrtzten ein. Kurtz, es ſchien, als ob der juͤngſte Tag gekommen ſey, und kein Stein auf dem andern bleiben ſol - te. Diejenigen, welche noch im Schlaffe lagen, wurden durch die hefftige Erſchuͤt - terung ihrer Haͤuſer und das Einſtuͤrtzen der Wohnungen ihrer Nachbarn fuͤrch - terlich aufgeweckt, und verſuchten ſich mit der Flucht zu retten; allein, die meh - reſten wurden von ihren Haͤuſern elendig zerſchmettert. Die aber, welche bey dieſer groſſen Noth noch das Gluͤck hatten, auf die Gaſſe zu gelangen, flohen aus der Stadt. Das Fuͤrchterliche dieſes traurigen Anblicks, laͤßt ſich nicht mit Worten beſchreiben. Maͤnner und Weiber, Vornehme und Geringe lief - fen halb nackend, halb bekleidet, zitternd durcheinander. Die vornehmſten Herren und Damen waren in ihren Unter-Kleidern gefluͤchtet, und die Angſt hatte ihnen nicht erlaubet, an ihre Kleider zu dencken. Wohin man die Au - gen wendete, ſahe man Haͤuſer einſtuͤrtzen, und unter derſelben Ruinen eine un - zaͤhlbare Menge Menſchen begraben. Ja, wenn man bey dieſer Umkehrung der gantzen Natur bey vollen Sinnen und Verſtand geblieben waͤre, ſo haͤtte man keinen Ort der Sicherheit ausdencken koͤnnen, da man den Tod von allen Seiten mit offenen Augen ſahe. Hier ſahe man Menſchen durch die Erd-Er - ſchuͤtterung auf den Gaſſen niedergeworffen, und dorten Ungluͤckliche, die durch den unglaublichen Staub, den das Einſtuͤrtzen der Haͤuſer verurſachte, erſtickt waren. Weil es um die Zeit war, daß in allen Haͤuſern Anſtalten in der Kuͤ - che zur Mittags-Mahlzeit gemacht wurden, und alſo, zumal in den groſſen Kuͤ - chen, viel Feuer auf den Herden war; ſo geriethen die Haͤuſer, wann ſie ein - ſtuͤrtzten, in Brand. Das Blut-Bad bey Einnehmung einer Stadt mit ſtuͤr - mender Hand iſt ſo erſchrecklich nicht, als das Erdbeben, ſo man hier ausge - ſtanden hat. Dieſe Stadt ſchloß in ihrem Umkreis 3. Gebirge, alle mit Haͤuſer beſetzet, ein, und von dieſen ſind nur wenige, ausgenommen die, welche ſehr hoch ſtunden, ſtehen geblieben, die aber nachher auch von dem Feuer verzehret worden ſind. Die hier befindlichen Engliſchen Kauffleute haben am meiſten gelitten, weil ſie die groͤßte Handlung hier fuͤhren, und viele mit Waaren an - gefuͤllte Magazine hatten; und da dieſelben an dem Fuſſe des Gebirges lagen, um nahe bey dem Fluſſe zu ſeyn, ſo ſind ſie alle mit den Menſchen und den da - rinn befindlichen Koſtbarkeiten weggeſpuͤhlet worden. Dreyhundert Jeſuiten ſind mit ihren Haͤuſern verſchlungen worden. Die Gefangenen der Jnqviſiti - on oͤffneten, wie ihre Waͤchter ſie verlieſſen, ihre Gefaͤngniſſe, und machten ſich die allgemeine Verwirrung zu Nutze, eine unmenſchliche Rache an ihren Rich - tern zu nehmen. Zum groſſen Gluͤcke befand ſich der Koͤnig auf dem Luſt - Schloſſe Belem, welches Sr. Majeſtaͤt laͤngs dem Tago haben bauen laſſen. Das Koͤnigliche Schloß in dieſer Stadt iſt gaͤntzlich verwuͤſtet; und wenn Sr. Majeſtaͤt hier geweſen waͤren, wuͤrden ſie unfehlbahr das Leben verlohren haben. Dieſe erſchroͤckliche Verwuͤſtung iſt in weniger als 10. Minuten geſchehen. Aus den Haͤuſern, welche zuletzt umgeſtuͤrtzt ſind, haben die Menſchen ſich mit genauer Noth gerettet. Was den unausſprechlichen Schaden noch vergroͤſſert, iſt, daß die Braſiliſche Flotte, welche groſſe Schaͤtze mitgebracht hatte, kurtz vorher auf dem Tago angekommen war, und daß man weder die Diaman - ten, noch das Gold oder Silber, welches daraus geloͤſcht worden, wird wie - der finden koͤnnen. Verſchiedene Engliſche und Portugiſiſche Schiffe, wel - che auf der Rheede gelegen, ſind von den wuͤttenden Wellen auf das trockene Land geworffen worden. Die kleine Anzahl Menſchen,[welche] das Gluͤck gehabt aus der Stadt zu kommen, begab ſich theils faſt nackend, und theils halb gekleidet nach einer groſſen Ebene unweit der Stadt. Unter denſelben ſa - he man auch den Frantzoͤſiſchen Ambaſſadeur nebſt ſeiner Gemahlin, in bloſſen Unter-Kleidern. Andere vornehme Damen ſahen noch viel unordentlicher aus. Die Menſchen haben ſich 3. Tage lang unter Zelten, welche man aufge - ſchlagen hatte, aufgehalten, und der Koͤnig ſelbſt hat ſich in dieſen Tagen im offe - nen Felde, und ſogar in ſeinem Reit-Zeuge behelffen muͤſſen. Durch die Be - ſtuͤrtzung und Unordnung hat man an keine Lebens-Mittel dencken koͤnnen; und mehr als 2000. Menſchen, die hier zuſammen gefluͤchtet waren, haben im 24. Stunden keinen Biſſen Brodt gehabt. Der Koͤnig von Spanien hat ſogleich, da er von dieſem Ungluͤcke und dem Mangel die Nachricht erhalten, ſeinem Un - terthanen befohlen, nach dem Orte, wo Liſſabon geſtanden, ohne Entgeld Le - bens-Mittel zu ſenden. Durch den hefftigen Schrecken und den erlittenen Hunger, fielen viele Menſchen in Ohnmacht. Da man die Wagen und Fahrzeuge mit Lebens-Mitteln ankommen ſahe, fiel jedermann dieſelben mit der groͤßten Hungers-Begierde an, und man hielt ſie fuͤr ein ſichtbares Ge - ſchencke vom Himmel. Einige unerſchrockene Perſonen haben es gewagt, ſich nach den Ruinen dieſer ungluͤcklichen Stadt zu begeben, allwo ſie noch das Winſeln von Maͤnnern, Frauen und Kindern, die halb erſtickt geweſen, hoͤ - ren muͤſſen. Jn einer Zeit von 10. Stunden, hat man das Erdbeben zu ver - ſchiedenenmahlen noch gefuͤhlet. Die ſtaͤrckſten Erſchuͤtterungen aber ſind in den 10. erſten Minuten geweſen. Jn den Haͤuſern die noch ſtehen geblieben, iſt ein Brand entſtanden, dem man mit Loͤſchen nicht hat zu Huͤlffe kommen koͤnnen.

Aus Sardinien hat man, daß die Haupt-Stadt Cagliari den 1. No - vember, nebſt den umliegenden Laͤndern, auf 7. Jtalieniſche Meilen weit, durch eine hefftige Aufwallung des Waſſers, in einer Zeit von 6. Minuten, uͤberſtroͤ - met, und daß dadurch ein groſſer Schade verurſacht worden. Alle Corallen - Fiſcher an den Kuͤſten ſind mit ihren Weibern und Kindern umgekommen. Der Graf de Bachi d’Aubigne, Geſandter des Koͤnigs zu Liſſabon, berichtet, daß er mit der groͤßten Lebens-Gefahr mit ſeiner Gemahlin dem nahen Tode entronnen waͤre; daß 3. von ſeinen Bedienten das Leben eingebuͤſſet, da ſie den Sohn des ungluͤcklichen Grafen von Perelada, des Spaniſchen Geſandtem, ge - rettet; daß er alle ſeine Meublen, den groͤßten Theil ſeiner Eqvipage, und unter andern 3. von ſeinen Einzugs-Karoſſen, welche ihm 300000. Livres gekoſtet, verlohren haͤtte, und daß man ihm nichts, als ſein Silber-Service und 23. Pferde, von 50. ſo er in ſeinem Stalle gehabt, in Sicherheit bringen koͤnnen.

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TextAusführliche und sicherste Nachricht, des entsetzlichen Erdbebens/ der Stadt Lissabon
Author N. N.
Extent4 images; 1141 tokens; 556 types; 8201 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationAusführliche und sicherste Nachricht, des entsetzlichen Erdbebens/ der Stadt Lissabon N. N.. . [2] Bl. s. e.s. l.1755.

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SLUB Dresden SLUB Dresden, Coll.diss.A.242,5,misc.3

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Flugschrift; Gebrauchsliteratur; Flugschrift; core; ready; china

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