Das von uns weit entfernte Africa giebt uns bald von dem Umſturtz faſt unuͤberwindlicher Mauern, und von ploͤtzlicher Verſchlingung vieler hun - dert Perſohnen, die betruͤbteſten Nachrichten: daſelbſt ſind den 1. Nov. in Marocca die meiſten oͤffentlich und privat Haͤuſer nebſt 12000. Per - ſohnen verſchuͤttet worden. Acht Meilen von der Stadt hat die Erde ein Fort, das die Araber bey ihrem Lager gehabt und worinnen ſich wenigſten 5000. Per - ſohnen befunden, verſchlungen, und 6000. Mann Cavallerie. Mit Furcht und Zittern erinnern wir uns, was in dieſen Tagen, in eben nicht allzuweit entfernten Laͤndern ſich zugetragen. Wir erblicken das Kennzeichen des zornigen GOttes, daß wir dadurch ſollen zur Buſſe geleitet werden. Liſſabon, ja das gantze Koͤnig - reich Portugall ruffet uns gleichſam zu: Wo ihr euch nicht beſſert, ſo werdet ihr alle allſo umkommen, Luc. 13. v. 5. Ja in nachgeſetzten Schreiben vom 24. Nov. laͤſt uns faſt jedes Wort, dem HErrn, fuͤr deſſen Zorn die Erde bebet, auch mitten im Zorn, nach ſeiner Barmhertzigkeit, erkennen.
Mein Herr! ſeit etlichen Tagen fange ich an, mich mit meinem Ungluͤcke bekannt zu machen. Das Verlangen, die Umſtaͤnde dieſer entſetzlichen Begeben - heit zu erfahren, hat dem Schrecken, damit ich befallen war, Platz gemacht. Jch habe den Muth gehabt, auf die ſchreckbaren Ueberreſte unſerer ungluͤckſeligen Haupt-Stadt, die ich kaum habe erkennen koͤnnen, ein achtſames Auge richten; und ich kan ihnen gegenwaͤrtig die Verwuͤſtungen, welche durch das grimmige Erdbeben von 1. Nov. zuwege gebracht worden, getreulich abſchildern. Anfaͤng - lich waren einige geringe und ſchwache Erſchuͤtterungen. Der erſte empfindliche Stoß warf alle Kirchen uͤbern Hauffen, in welche die Heiligkeit des Tages viele Andaͤchtige gefuͤhret hatte. Die groſſen Palaͤſte thaten nicht mehr Widerſtand. Die meiſten von ihnen ſtuͤrtzten durch eben dieſe Erſchuͤtterung; und allſo waren die herrlichſten und praͤchtigſten Gebaͤude, die Liſſabon nur hatte, mit einem mahl und wie durch einen Ruthen-Streich zerſtoͤhret. Unter den merckwuͤrdigſten Kir - chen, welche eingeſtuͤrtzet ſind, bedauert man das Profeß-Haus der Jeſuiten ſehr, darinn die St. Johannis-Capelle war, die eine unſaͤgliche Menge Reichthuͤmer an Gold, Silber, Diamanten und andern Edelgeſteinen, und an Meiſterſtuͤcken von Mahlerey und Bildhauer-Kunſt enthielt. Es war faſt kein Haus, welches nicht durch dieſen erſten Stoß litte. Einige fielen gantz und gar ein, andere ver - lohren nur ihre Facade; diejenigen aber, welche gantz ſtehen blieben, bekamen auf allen Seiten Riſſe, und ſchienen denen, die ſie bewohnten, den baldigſten Tod zu drohen. Auf dieſen erſten Stoß folgten verſchiedene andere, welche ander Gebaͤu - de umworffen. Dieſe ſchreckliche Verwuͤſtung dauerte ohngefaͤhr 10. Minuten. Jch ſage ohngefaͤhr, denn ich glaube nicht, daß wohl eine eintzige Perſohn gewe - ſen, die in dieſem Augenblicke der Zerſtoͤhrung ſich ſo ruhig gefaſſet haͤtte, auf die Zeit genau acht zu geben. Jedermann war nur beſchaͤfftiget, ſich aufs geſchwin - deſte von ſeinem Hauſe zu entfernen. Man achtete ſich gluͤcklich, durch die erſten eingeſtuͤrtzten Gebaͤude nicht zerqverſchet worden zu ſeyn, und erwartete lediglich ſein Heil in der geſchwindeſten Flucht. Ein Particulier, der in ſeiner Stube unter den Ruinen von den obern Stock-Werck faſt begraben war, wurde zugleich von ei - nem Balcken dergeſtalt beklemmet, daß er ſchwerlich Athem holen konnte, und bey deſſen geringſter Bewegung ſeines Todes gewaͤrtig ſeyn mußte. Jndem er nun allſo glaubte, ſeiner letzten Stunde nahe zu ſeyn, hatte er ſchon der Welt abge - ſaget, als ein neuer Stoß, durch den er ſich ſein Ende verſahe, zu ſeinem Gluͤck zu ſeiner Errettung kam. Dieſer neue Stoß machte, daß der Balcke und der groͤſte Theil von dem, was mehr auf ihm lag, vom Hauſe hinab fiel, allſo, daß er ſich von der ſchweren Laſt, die ihn druͤckte, befreyet fand, und im Stande war, aus einer Stadt zu gehen, wo der Aufenthalt ſo gefaͤhrlich war. Man hat mir geſagt, daß ein hier zu Lande wohlbekannter Mann, der ſich in dem dritten Sto - cke ſeines Hauſes befunden, das ſich geſencket, ſo viel entſchluͤſſung gehabt, durch das Fenſter in dem Augenblicke, da eben dieſes Fenſter ſich faſt der Erde gleich be - funden, zu ſpringen, und daß er durch dieſes erſtaunliche Mittel ſo gluͤcklich gewe - ſen, der Gefahr, verſchlungen zu werden, zu entgehen. Da in verſchiedenen Haͤu - ſern die Treppen zuerſt eingefallen, haben die in den Zimmern befindliche Leuthe, nicht heraus kommen koͤnnen. Man hat ſie mit dem groͤſtem Geſchrey um Huͤlffe ruffen hoͤren, die man ihnen aber nicht leiſten koͤnnen, weil in dieſem abſcheulichen Augenblicke jedermann nur auf ſeine eigene Erhaltung bedacht ſeyn muͤſſen. Die - ſer allgemeinen und erſchrecklichen Unruhe ohngeachtet, haben ſich gleichwohl Leu - the gefunden, die ſoviel Mitleiden gehabt, an einige von ſolchen Haͤuſern Leitern zu bringen, und dadurch denen, die darinn verſperret geweſen, den Ausgang zu verſchaffen. Die Meynungen uͤber die Anzahl der Todten, ſind verſchiedentlich; allein nach einer reiffen Unterſuchung halte ich mich dießfalls an das, was ich, wie ich mich beſinne, ihnen ſchon in meinem erſten Briefe gemeldet habe. Ohne die Sache zu vergroͤſſern, kan man ſie auf 100000. ſetzen. Unter dieſer Zahl ſind 6000. Moͤnche oder weltliche Prieſter begriffen, die unter den Ruinen der Kirchen begraben worden, und es ſind nur diejenigen davon gekommen, die in ſolchen Au - genblicke dem Gottesdienſte nicht beygewohnet.
Zu eben der Zeit, da die Stadt von dem Erdbeben ſtarck erſchuͤttert worden, fiel das Waſſer des Tago mercklich. Die Tauen, welche die Schiffe am Ancker hielten, ſchienen loßgelaſſen. Doch die Sorge, die dieſer Zufall den Steuer-Leu - then machte, war von keiner langen Dauer: Die Waſſer kamen den Augenblick hernach demſelben wieder gleich, und wuchſen gar dermaſſen an, daß veranſtaltet werden muſte, den Tauen eine groͤſſere Laͤnge zu geben, als ſie vor den Erd-Er - ſchuͤtterungen gehabt hatten. Bis dahin zeigte die Erhebung der Waſſer keine Ge - fahr, allein, eine Stunde nach den letzten Stoͤſſen, ſahe man aus dem Orcan ei - ne ſo erſtaunliche Fluth heran kommen, die uͤber 6. Fuß hoͤher war, als wenn ſie ſonſt am ſtaͤrckſten iſt. Solche Fluth hat den Tago aus ſeinen Ufern gebracht, und den niedern, und von Kauffleuthen bewohnten Theil der Stadt Liſſabon uͤber - ſchwemmet. Dieſe ausgetretene Waſſer haben alles was in den Magacinen, und abſonderlich in de - nen vor dem Zolle befindlich war, verdorben. Die meiſten Tauen, welche die Schiffe hielten, haben die nicht wohl befeſtigten Ancker zerbrochen, oder mit ſich fort geriſſen. Ohne dieſen gluͤcklichen Zufall wuͤrde alles, was in den Hafen war, geſuncken ſeyn, dahingegen allſo nur etliche Barcken von wenig Erheblichkeit untergegangen ſind. Dieſe Ueberſchwemmung hat nicht nur das Dorff Setuval zu Grun - de gerichtet, ſondern es haben auch die Gewaͤſſer bey ihrem Ablauff, die Ruinen der Haͤuſer mit ſich fortgefuͤhret, und iſt keine Spur davon mehr uͤbrig. Das Terrain, worauf dieſes Dorff gebauet ge - weſen, iſt auch ſo leer, als ob niemahls Menſchen allda gewohnet haͤtten. Statt der Haͤuſer, die man vor dem Erdbeben daſelbſt geſehen hatte, erblicket man anietzo nichts als Sand. Die Waſſer des Tago ſind nicht die eintzigen die aus ihren Ufern getreten ſind. Die Guadiana, der Mucho und der Douro, haben gleichfalls in verſchiedenen Theilen des Koͤnigreichs Ueberſchwemmungen verurſachet. Es iſt an dem, daß dieſe mit Gewalt aufgeſchwollene Gewaͤſſer bald wieder gefallen ſind; ſie haben aber viel Unheil angerichtet, alle Graͤber, alle niederige Laͤndereyen gefuͤllet, und aus Portugall ein ſumpfigtes Erdreich gemacht, deſſen verſchiedene Theile durch Lachen, uͤber die man nicht kommen kan, getrennet ſind. Die Gebuͤrge, als wie Strella, Arabida, Marvon und Manttunio ſind ſtarck erſchuͤt - tert worden. Einige ſind ſo gar zerborſten, und man hat ungeheure Felſenſtuͤcke von ihren Spitzen bis in die Ebene mit Krachen herunter waltzen ſehen. Es iſt keine Stadt, Dorff noch Flecken in Portu - gall, ſo nicht von den erſchrecklichen Erſchuͤtterungen, die ſich bey dem Erdbeben geaͤuſſert, viel gelit - ten haben ſollte. Die Staͤdte, Porto, Santariem, Guimaraens, Viana, Bragantza, Villareal, Ca - ſtello, Beja, Branco, Portalegre, und verſchiedene andere, die ich ihnen aufuͤhren koͤnnte, weiſen die er - ſtaunlichen Denckmahle des ſchrecklichen Schickſaals, das dieſes Koͤnigreich in die groͤßte Kuͤmmernuͤß geſetzet hat. Jndem der Umſturtz der Gebaͤude uͤberall in der Stadt Schrecken und den Tod brachte, war ich ſo gluͤcklich, mich auf freyen Felde zu befinden. Jch merckte daß das Erdreich bis in ſeinen innern Grund erreget ward. Jch ſahe daſſelbe ſich an verſchiedenen Orten oͤfnen, und ungeſtuͤme Feuer mit einem ſchwartzen dicken Rauche daraus aufſteigen. Das Schrecken uͤber einen ſo fuͤrchterlichen An - blick wird niemahls aus meinen Gedaͤchtniſſe kommen, und es ſchien mir alle Augenblick, als wenn ich unter den Feuern in das Centrum der Erde geſtuͤrtzet werden wuͤrde. Nachdem ich der Gefahr entgan - gen, richtete ich meinen Weg traurig gegen Liſſabon, wobey mein Sinn mit dem erſchrecklichen Bilde, das ich jetzo geſehen hatte, beſchaͤfftiget war. Jch machte mir gar den Vorwurff, warum ich nicht in der Stadt geblieben, wo ich glaubte daß man in Sicherheit geweſen waͤre, als ich vernahm, daß eben dieſe Stadt Liſſabon, wohin ich fliehen wollte, nicht mehr verhanden waͤre; ich erfuhr, daß mein Ver - moͤgen und meine Freunde unter den Ruinen begraben laͤgen. Stellen ſie ſich, wenn ſie es vermoͤgend ſind, vor, wie ſehr ich bey vernehmung einer ſo betruͤbten Nachricht nieder geſchlagen worden ſeyn muͤſſe. Jch blieb gantz auſſer mir, und der hefftige Schmertz geſtattete mir nicht, daß ich ein eintziges Wort vorbringen konnte. Jch folgte der Menge nach, und ward in das Lager gebracht. Die 3. erſten Tage gebrach es daſelbſt an Lebens-Mitteln; allein die Vorſicht unſers Monarchen iſt zu dem Zwecke gelan - get, einen Ueberfluß davon zu verſchaffen. Seit dieſer Zeit iſt faſt kein Tag vergangen, da wir nicht einige Erſchuͤtterungen verſpuͤret haͤtten. Jeden Tag haben wir auch von den Ueberbleibſeln der Stadt Liſſa - bon Nachrichten empfangen. Wuͤrde man ſich wohl jemahls eingebildet haben, daß Boͤſewichter ſich die - ſes Ungluͤck zu Nutze machen ſollten, um die wenige Haͤuſer, welche nicht eingeſtuͤrtzt, in Brand zu ſte - cken? gleichwohl aber iſt ſolches geſchehen; der Koͤnigl. Palaſt, das Hotel von Bragantza, die Juwe - len und die Diamanten der Crone, ſind durch dieſe Feuers-Brunſt darauf gegangen. Der Koͤnig hat die Boͤſewichter, welche uͤberzeuget worden, das Feuer angeleget zu haben, aufknuͤpffen, und diejenigen ſchuͤchtern zu machen, welche etwa Luſt bekommen moͤchten, einen ſo abſcheulichen Exempel zu folgen, um die Ruinen der Stadt Galgen ſetzen laſſen. Ob wir gleich ſeit dem 1. Nov. bis zum 24. als an dem Tage, da ich ihnen ſchreibe, Erd-Erſchuͤtterungen gehabt; ſo zehlen wir doch darunter 2. hefftige, nehmlich die erſtere, und die in der Nacht vom 18. zum 19. Wir wohnen unter Zelten, welche uns aber bey dem beſtaͤndig anhaltenden Regen-Wetter nicht voͤllig decken koͤnnen. Es gehet faſt keine Nacht voruͤber, da die Waͤrme unſers Leibes zu etlichen mahlen unſere Decken und Tuͤcher trocknet. So un - angenehm ſind unſere gegenwaͤrtigen Umſtaͤnde.
P. S. Nachſtehendes ihnen zu berichten, kan nicht umhin. Ein gewiſſer fremder Schiffs - Capitain, wollte ohne Vorwiſſen der Admiralitaͤt unſern Hafen verlaſſen. Bey genauer Unterſuchung des Koͤnigl. Zoll-Amtes, fand es ſich, daß er eine ſtarcke Ladung, an Silber-Geſchirr, Juwelen, Gold, Barren und Silber-Kuchen hatte, welche von ihm aus den Ruinen unſerer Stadt, in denen Tagen unſers Schreckens geraubet worden. Da er nun der That uͤberwieſen, ſo ließ das Koͤnigl. Zoll-Amt allſo bald an dem Capitain, ſeinen Subalternen Officiers und Matroſen die Gerechtigkeit ergehen, und ſie alle durch den Stranck vom Leben zum To - de bringen.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.