PRIMS Full-text transcription (HTML)
Nachrichten von ſeinen Reiſen
in Deutſchland, Rußland, die Tartarey, Tuͤrkey, Weſtindien u. ſ. f. nebſt geheimen Nachrichten von Peter dem Erſten Czar von Rußland.
Aus dem Engliſchen uͤberſetzt.
Mit Churfuͤrſtl. Saͤchſ. gnaͤdigſtem Privilegio.
Leipzig,bey Johann Friedrich Junius. 1784.

Vorbericht.

Die folgenden Nachrichten ſind aus der Hand - ſchrift eines Officiers von großen Ver - dienſten, und von unbezweifelter Ehre genom - men. Es iſt unnoͤthig, hinzuzuſetzen, daß ſie aͤcht ſind, indem ſie innere Merkmale ihrer aͤchten Be - ſchaffenheit bey ſich fuͤhren, welche weiter keine Zweifel verſtatten.

Geheime Nachrichten, welche einen ſo außer - ordentlichen Mann betreffen, als der Czar Peter war, muͤſſen dem Leſer nothwendig angenehm ſeyn,2undund es muß ihm doppelt lieb ſeyn, ſie aus der Fe - der eines Mannes zu erhalten, welcher in deſſen Dienſten ſtand, und deſſen Vertrauen genoß. Eben um deswillen bedarf auch die Schreibart keiner weitern Vertheidigung, deren vornehmſtes Ver - dienſt in der Wahrheit, ohne allen Anſpruch auf Reiz und Schoͤnheit, beſtehet.

Da die Handſchrift mitten in dem Aufruhre von 1745 ploͤtzlich aufhoͤret, ſo iſt nothwendig zu bemerken, daß ſich der Verfaſſer um dieſe Zeit mit der Befeſtigung der Stadt Berwick beſchaͤftigte. Nachdem er dieſelbe vollbracht hatte, begab er ſich auf ſein Landgut, wo er 1757 ſtarb.

Erſtes[1]

Erſtes Buch.

Geſchlecht des Verfaſſers. Sein Großvater geht in Preuſſiſche Dienſte. Johann Bruce’s Ver - maͤhlung und Kinder, und des Verfaſſers Geburt, u. ſ. f. Er gehet in Preuſſiſche Dienſte. Ei - ne merkwuͤrdige Geſchichte von des Verfaſſers Wirthinn. Sein erſter Feldzug. Sein zwey - ter Feldzug. Niederlage der Franzoſen. Be - lagerung von Liſle. Ein merkwuͤrdiger Zufall des Prinzen Eugen. Hauptmann Dubois. Ein uͤbler Zufall der feindlichen Reiterey. Wi - tziger Einfall des Herzogs von Marlborough. Belagerung von Gent. Dritter Feldzug. Belagerung von Dornick. Schlacht bey Mal - plaquet. Geſchichte eines ſchweitzeriſchen Re - cruten. Belagerung von Mons. Vierter Feldzug. Belagerung von Douay. Bela - gerung von Bethune. Ein uͤbler Zufall ſechs ſchottiſcher Offiziers. Belagerungen von Aire und S. Venant. Schreckliche Geſchichte der Jeſuiten zu Dornick.

Das folgende Tagebuch war urſpruͤnglich im Deutſchen, meiner Mutterſprache, geſchrie - ben; da ich aber vor kurzem die Muße eines laͤndlichenAAufent -2Aufenthalts genoß, ſo habe ich ſelbiges in dieſem Jahre 1755 ins Engliſche, (welches fuͤr mich eine fremde Sprache iſt,) zur Unterhaltung meiner Freun - de, und zum Unterricht meiner Familie uͤberſetzt, da - mit ſie ihre Verwandte in Deutſchland, und die be - ſondern Umſtaͤnde eines Lebens, welches ich in verſchied - nen Theilen der Welt viele Jahre im Kriege zuge - bracht habe, moͤchten kennen lernen. Wir ma - chen alſo den Anfang.

Geſchlecht des Verfaſ - ſers.

Jacob Bruce und Johann Bruce, leibliche Vettern und Abkoͤmmlinge der Familie Airth in der Grafſchaft Stirling (eines Zweigs der Familie Clack - mannan) in Schottland, faßten, waͤhrend der Unru - hen des Olivier Cromwell, den Entſchluß, ihr Vaterland zu verlaſſen, und ihr Gluͤck auswaͤrts zu ſuchen. Da ſich eben einige Schiffe in dem Hafen von Leith befanden, die bereit waren, nach der Oſtſee un - ter Segel zu gehen, ſo wurden ſie einig, ſich mit ein - ander dahin zu begeben. Allein es trug ſich zu, daß zwey von dieſen Schiffern einen und eben denſelben Nahmen fuͤhrten, ſo daß die beyden Vettern aus ei - nem ſonderbaren Verſehen zwey verſchiedne Schiffe betraten, wovon eins nach Preuſſen, und das andre nach Rußland gieng, durch welchen Zufall ſie einan - der niemals wieder zu ſehen bekamen.

Sein Groß - vater geht in Preuſſiſche Dienſte.

Johann Bruce, mein Großvater, ſtieg zu Koͤnigsberg in Preuſſen an das Land; von da gieng er nach Berlin, und trat in die Dienſte des Churfuͤr - ſten von Brandenburg, in welchen er von einer Stufe zur andern bis zu der Anfuͤhrung eines Regiments ge - langte, welches die hoͤchſte militairiſche Ehrenſtelle war, die er jemals erlangte, ungeachtet ihm der Chur -fuͤrſt3fuͤrſt ſonſt viele Gnade erwies, wovon folgendes kein geringes Beyſpiel iſt. Mein Großvater begleitete ei - nes Tags den Churfuͤrſten auf die Jagd, als derſelbe bey heftiger Verfolgung des Wildes in einen groſ - ſen Wald gerieth, und von allen ſeinen Begleitern ge - trennet ward, meinen Großvater ausgenommen, der bey ihm blieb. Die Nacht uͤberfiel ſie im Walde; ſie mußten daher abſteigen, und ihre Pferde fuͤhren, da ſie denn endlich, nachdem ſie eine betraͤchtliche Zeit im Finſtern herumgetappt hatten, in einer kleinen Entfernung ein Licht erblickten, und zu der elenden Huͤtte eines armen Theerbrenners kamen, der ſich meiſtentheils im Walde aufhielt. Als ſie von dem armen Bewohner derſelben erfuhren, daß ſie ſich ſehr weit von einer Stadt, einem Dorfe, oder einem an - dern Ort befaͤnden, und der Churfuͤrſt muͤde und hun - gerig war, ſo fragte er denſelben, was er zu eſſen ha - be; worauf der arme Mann ein grobes Brot und ein Stuͤck Kaͤſe herbey brachte, wovon der Churfuͤrſt mit vie - ler Begierde , Waſſer dazu trank, und ſagte: daß er noch nie mit ſo vielem Appetite gegeſſen habe. Er fragte hierauf, wie groß der Wald ſey, und erfuhr, daß er ſehr groß ſey, und an das Herzogthum Meck - lenburg Strelitz graͤnze. Mein Großvater aͤußerte bey dieſer Gelegenheit, daß es Schade ſey, daß eine ſo große Gegend ungenuͤtzt bleiben ſollte, und bat den Churfuͤrſten, ihm ſelbige zu ertheilen, da er denn ein Dorf in der Mitte, und ein anderes an demjenigen Orte, wo ſie ſich jetzt befanden, anlegen wollte. Der Churfuͤrſt war es zufrieden, und beſtaͤtigte nicht lange hernach dieſe Schenkung durch eine weitlaͤufige Ur - kunde, in welcher er ihm zugleich anſehnliche Freyhei -A 2ten4ten ertheilte. Mein Großvater legte hierauf ein Dorf in der Mitte des Waldes an, welches er Bruͤcen - Wald nannte, und ein anderes bey der Huͤtte des Theerbrenners, welches den Nahmen Jetzkendorf be - kam, indem bereits vorher ein Dorf dieſes Nah - mens an dieſem Orte geſtanden hatte, wie man noch aus den Ruinen ſehen konnte. Der Churfuͤrſt ſchlief auf ein wenig Stroh bis zu des Tages Anbruch, da er von dem Geraͤuſche ſeiner Leute aufgeweckt ward, welche ihn die ganze Nacht geſucht hatten, und mit welchen er wieder nach Berlin gieng.

Des Verfaſ - ſers Geburt.

Mein Großvater heirathete zu Berlin eine Da - me von Vermoͤgen, aus der Familie Arnsdorf, mit welcher er verſchiedene betraͤchtliche Guͤter bekam. Er zeugte mit ihr zwey Soͤhne und drey Toͤchter. Sein juͤngſter Sohn war mein Vater; ſeine aͤlteſte Tochter ward an den Oberſten Dewitz verheirathet, welcher nachmals Statthalter in Pommern ward, und das Gut Malchin in dieſer Provinz mit ihr bekam. Die zweyte Tochter ward Aebtiſſinn in einem, fuͤr Er - ziehung junger Frauenzimmer vom Stande, geſtifte - ten proteſtantiſchen Kloſter, heirathete aber nachmals den Oberſt-Lieutenant Rebeur, welcher Bruͤcen - Wald mit ihr bekam. Seine juͤngſte Tochter ward mit dem General-Major Lattorf verheirathet, dem ſie ſeine beyden beſten Guͤter Konikendorf und Woletz zu - brachte. Solchergeſtalt gab er alle mit ſeiner Frau erhaltenen Guͤter ſeinen Toͤchtern, und ſeine Soͤhne bekamen weiter nichts, als Erziehung und eine kleine Summe Geldes. Nachdem er ſie bey der großen Musketier-Garde des Churfuͤrſten angebracht hatte, ſo uͤberließ er ihnen, ihr Gluͤck bey der Armee ſelbſtzu5zu machen, ſo wie er es ehedem gemacht hatte. Sein aͤlteſter Sohn Carl blieb als Lieutenant in der Bela - gerung von Namur. Sein juͤngſter Sohn, mein Vater, heirathete Eliſabeth Catharina Detring aus einer angeſehenen Familie in Weſtphalen, und ſtand damals als Lieutenant bey einem Schottiſchen Regi - mente, welches der Graf von Leven in Dienſten des Churfuͤrſten commandierte. So ward ich zu Det - ring-Schloß, dem Stammgute dieſer Familie, 1692 gebohren.

Da dieſes Regiment nach Flandern befehliget ward, ſo nahm mein Vater meine Mutter mit dahin, wo wir bis 1698 blieben, da das Regiment wieder nach Schottland gieng, wohin wir es begleiteten. Als es nunmehr nach Fort-William zur Beſatzung kam, ſo ward ich, der ich damals fuͤnf Jahr alt war, einem Groß-Onkel, dem juͤngſten Bruder meines Großvaters anvertrauet, welcher ein kleines Gut bey Cupar beſaß, wo ich in die Schale gieng und drey Jahr blieb, da denn mein Vater mich nach Fort - William hohlen ließ, wo ich noch drey Jahr blieb.

Jm Jahr 1704 nahm mein Vater bey dem1704. Regimente Urlaub und gieng mit ſeiner Familie nach Deutſchland, einen Beſuch daſelbſt abzuſtatten; und nachdem er ſich ein Jahr bey ſeinen Verwandten auf - gehalten hatte, ſo gieng er wieder nach Schottland und ließ mich bey ſeinen Freunden zuruͤck, welche mei - ne Erziehung und Verſorgung uͤber ſich nahmen. Das erſte, was ſie in dieſem Stuͤcke thaten, beſtand darinn, daß ſie mich als Pagen bey dem Koͤnige von Preuſſen anzubringen ſuchten. Als ich dieſem nun von dem Marſchall, Grafen von Witgenſtein, vorge -A 3ſtellet6ſtellet werden ſollte, fragte der Kronprinz denſelben, wer ich ſey, und als man ihm die verlangte Nachricht gegeben, und zugleich geſagt hatte, daß ich Pagen - Dienſte ſuchte, ſo that er verſchiedene Fragen an mich, und ſagte hierauf zu dem Marſchall, daß er ſelbſt mich zum Pagen behalten wollte. Wir giengen alſo zuruͤck, ohne daß ich dem Koͤnige waͤre vorgeſtellet worden; aber als ich meinen Verwandten dieſe Nach - richt brachte, wollten ſie keines Weges darein willi - gen, indem ſie ſagten, daß der Kronprinz ſeine Pagen nicht gut halte, welches mein Vetter, ein Sohn des General Lattorf, erfahren hatte, welcher gleichfalls Page bey ihm geweſen, jetzt aber Kammerherr bey dem Koͤnige war.

Da ſie nun nicht zugeben wollten, daß ich dieſe Stelle annehmen ſollte, ſo ſuchten ſie mich den folgen - den Tag als Cadet in die koͤnigliche Akademie zu brin - gen, erfuhren aber, daß dieſes jetzt unmoͤglich ſey, weil ich des Kronprinzen Dienſte ausgeſchlagen hatte. 1706.Sie ſchickten mich deſſen ungeachtet auf ihre Koſten in die Akademie, die Kriegsbaukunſt und andere noͤthige Wiſſenſchaften zu erlernen. Um dieſe Zeit kam auch mein Onkel Rebeur aus Flandern an, welcher damals Oberſt-Lieutenant bey dem Regimente des Marquis de Varen war, und als er wieder zuruͤck reiſen wollte, aͤußerte ich mein Verlangen, mit ihm zu gehen. Er be - willigte es mir ſehr guͤtig, und da meine Freunde den Einwurf machten, daß mir dieſes an meiner Erzie - hung nachtheilig ſeyn koͤnnte, ſo verſicherte der Ober - ſte ihnen, daß es mir vielmehr zum Vortheil gereichen wuͤrde, indem ſich faſt in jeder Stadt in Flandern vortreffliche Lehrer in der Kriegsbaukunſt und Ar -tillerie7tillerie befaͤnden, und daß ich doppelten Vortheil haben koͤnnte, indem ich nicht allein die Theorie, ſon - dern auch vieles von der Ausuͤbung erlernen wuͤrde. Er erboth ſich zugleich, nicht allein mich um ſich zu be - halten, ſondern auch nichts an meiner Erziehung zu verſaͤumen. Dieſes guͤtige Anerbiethen war meinen Freunden ſehr angenehm, und er hat auch ſein Ver - ſprechen als ein Vater an mir erfuͤllet.

Jch reiſete alſo mit ihm zu dem Regimente,Er gehet in Preuſſiſche Dienſte. welches ſich damals zu Maſtricht befand, wo wir im April 1706 ankamen, da ich denn Gemeiner bey des Oberſten Compagnie ward, und die Uebungen ſehr bald begriff, worauf ich mich ſehr wohl befand, in - dem ich die Woche nur einmal auf die Wache ziehen durfte, meine uͤbrige Zeit aber den Kriegeswiſſenſchaf - ten widmete.

Dieſes Jahr ward durch die Niederlage der Franzoſen unter dem Marſchall Villeroy bey Ramil - lies merkwuͤrdig. Das Treffen fiel den 12ten May vor, da denn der Herzog von Marlborough einen voll - ſtaͤndigen Sieg erfocht, worauf die Uebergabe vieler Staͤdte, ſo wohl in Flandern als Brabant, folgte. Jn dieſem Jahre ruͤckte auch der Koͤnig von Schwe - den in Sachſen ein, und hob daſelbſt 20 Millionen Thaler Kriegesſteuern. Unter den Gefangenen, wel - che nach dem Treffen bey Ramillies eingeſchickt wur - den, befand ſich auch ein Marquis, welcher Oberſter bey einem Cavallerie-Regimente war. General Dopf, der Gouverneur der Stadt, erlaubte ihm nicht allein, frey in der Stadt herum zu gehen, ſondern gab ihm auch die Freyheit, auf dem Lande zu jagen. Allein, dieſer Hoͤflichkeit, und ſeines Ehrenwortes un -A 4geach -8geachtet, ließ er ſich einfallen, zu entwiſchen, ward aber gleich darauf von dem Marſchall Villeroy mit einer Wache zuruͤck geſchickt, worauf er unter Begleitung ei - nes Sergeanten nur in der Stadt herum gehen durfte.

Merkwuͤrdi - ge Geſchich - te mit des Verf. Wir - thinn.

Jn dem Hauſe, in welchem ich mit dem Oberſten logierte, hoͤrte ich eine merkwuͤrdige Geſchichte, wel - che ſich zwiſchen unſrer Wirthinn und ihrem erſten Manne zugetragen hatte, welcher aus dieſer Stadt ge - buͤrtig geweſen war. Er hieß Niepels, war Haupt - mann unter einem Hollaͤndiſchen Dragoner-Regimen - te, und ward mit ihr im Haag bekannt, wo ſie eines Kaufmanns Tochter war, da er ſie unter dem Ver - ſprechen der Ehe verfuͤhrte, und ſie ſchwanger verließ. Jhr Vater war ſo aufgebracht uͤber ſie, daß er ſie aus dem Hauſe ſtieß; allein eine Tante hatte Mitlei - den mit ihr, behielt ſie bey ſich, bis ſie niedergekom - men war, und gab ihr hernach ein wenig Geld, mit welchem ſie ſich, ohne von jemand erkannt zu werden, Mannskleider und ein Pferd kaufte, und ſich als ei - nen Freywilligen bey des Capitaͤn Niepels Compagnie annehmen ließ. Hier blieb ſie eine Zeitlang, und der Capitaͤn ſagte mehrmahls zu ſeinem unbekannten Freywilligen, daß er einer ſeiner alten Liebſten ſehr aͤhnlich ſaͤhe, ohne den geringſten Verdacht zu haben, daß er es ſelbſt war. Sie blieb bey der Compagnie bis zu Ende des Feldzuges, da der Capitaͤn nach ſei - nes Vaters Tode ſeinen Abſchied, und ſein vaͤterliches Haus und Vermoͤgen in Beſitz nahm. Hierdurch verlohr ſie nun alle Gelegenheit, den Capitaͤn zur Rechenſchaft zu fordern, welches die einzige Abſicht ihrer Verkleidung war. Sie legte alſo wieder weib - liche Kleidung an, und folgte ihm nach Maſtricht,wo9wo ſie ſeine Magd mit ein wenig Geld beſtach, daß ſie ſelbige in einem abgelegenen Zimmer in dem Hauſe eine Nacht beherbergte, damit ſie als ein fremdes Frauenzimmer nicht in einem oͤffentlichen Gaſthofe ein - kehren duͤrfte. Nachdem ſie es ſo weit gebracht hat - te, beſichtigte ſie das Haus, und beſonders das Schlaf - zimmer des Capitaͤns, welcher den ganzen Tag abwe - ſend war, und nur Abends ſpaͤt nach Hauſe kam. Sie hielt ſich ſtill, bis ſie glaubte, daß alles im Hauſe zu Bette ſey, da ſie denn mit einem Lichte in der einen, und einem Dolche in der andern Hand vor ſein Bett trat, ihn aufweckte, und ihn fragte, ob er ſie kenne. Als er nun wiſſen wollte, was ſie hier zu ſuchen haͤtte, erklaͤrte ſie ihm, daß er ſich jetzt ent - ſchließen muͤſſe, entweder ihr ſein Wort zu halten, oder zu ſterben. Der Capitaͤn ſuchte Ausfluͤchte, und rief zugleich ſeine Leute; aber ehe noch jemand herbey kommen konnte, ſtieß ſie ihn in die Bruſt, und gab ihm, ſo ſehr er ſich auch wehrete, noch verſchiedene Stiche an andern Orten ſeines Leibes. Endlich ka - men ſeine Leute ihm zu Huͤlfe, und da ſie ihren Herrn in ſeinem Blute ſchwimmen ſahen, ſo ſchickten ſie nach der Wache, ſich ihrer zu verſichern. Sie mach - te indeſſen keine Mine, zu entfliehen, ſondern fuhr fort, ihm ſeine Niedertraͤchtigkeit vorzuwerfen, ob er gleich ſelbſt ſie bath, auf ihre Sicherheit zu denken, indem er ſich fuͤr toͤdtlich verwundet hielt. Endlich kam die Obrigkeit mit einer Wache, ſie in das Gefaͤngniß zu fuͤhren, welches aber der Capitaͤn nicht zugeben wollte, ſondern bath, einen Prieſter hohlen zu laſſen, welchem er bey deſſen Ankunft geſtand, wie ſehr er dieſes jun - ge Frauenzimmer beleidiget habe, und ihn bath, ihnA 5ohne10ohne Zeitverluſt in Gegenwart der Obrigkeit mit ihr zu copulieren, welches auch geſchahe. Da nun auch der Wundarzt verſicherte, daß keine der Wunden toͤdt - lich ſey, ſo gieng die Wache ab, und durch die Sorg - falt des Wundarztes und der zaͤrtlichen Pflege ſeiner Gattinn ward der Capitaͤn ſehr bald wieder hergeſtellt. Sie lebten hierauf verſchiedene Jahre in dem beſten Vernehmen, bis ihn endlich ein ungluͤcklicher Zufall um das Leben brachte. Als er eines Abends mit ihr vor dem Trowen-Thore ſpatzieren gieng, und ſich bey einem Zeughauſe befand, wo eine Menge alter un - brauchbarer Gewehre lag, kam ein Frauenzimmer aus ihrer Nachbarſchaft zu ihnen, mit welchem ſie in großer Vertraulichkeit lebten, nahm eine alte verroſte - te Piſtole, und ſagte im Scherze zu dem Capitaͤn Nie - pels, es ſey beſchloſſen, daß er von der Hand eines Frauenzimmers ſterben ſollte, welches denn auch ſo gleich eintraf, indem die Piſtole los gieng und ihn auf der Stelle toͤdtete. Er hinterließ drey Toͤchter, wel - che jetzt mannbar waren; ſeine Wittwe, unſere Wir - thinn aber, heirathete einige Zeit nach ſeinem Tode ſeines Bruders Sohn.

1706.

Als ich in einer Nacht mit unſerm Lieutenant auf dem Petersberge auf der Wache war, und mit meiner Muskete Schildwache ſtand, und dieſe auf dem Kies - boden nachlaͤßig hinter mir her zog, gieng ſie von un - gefaͤhr los, und brachte die ganze Beſatzung in Be - wegung. Der Lieutenant mußte dieſen Zufall durch einen Sergeanten in Peters-Hafen melden laſſen, da ich denn den folgenden Tag vor den Gouverne[u]r ge - fuͤhret ward, wo ich in großer Angſt war, we[il]man mir ſagte, daß ich von Gluͤck wuͤrde zu ſagen haben,wenn11wenn ich mit Gaſſenlaufen davon kaͤme. Allein zu meiner großen Freude blieb es bey einem Verweiſe, wo - bey man mir ſagte, daß, wenn ein gemeiner Soldat einen ſolchen Fehler begangen haͤtte, er ſehr ſtrenge wuͤrde ſeyn beſtraft worden. Dieſer Verweis machte mich indeſſen auf die Zukunft in ſolchen Faͤllen vor - ſichtiger. Jch ward dieſen Winter Sergeant, indem man bey den Preuſſen von unten auf dienen muß, wenn man Officier werden will. Durch meine Be - foͤrderung uͤberhuͤpfte ich indeſſen die ſonſt gewoͤhnli - chen zwey Staffeln. Jm April 1707 kam der1707. Kronprinz bey uns an, und muſterte unſer Regiment. Als ich bey ihm vorbey marſchierte, und ihm auf Befragen meinen Nahmen ſagte, erinnerte er ſich meiner, und gab dem Oberſten einen Verweis, daß er bey ſeiner Compagnie ein Kind zum erſten Ser - geanten gemacht hatte. Allein da der Oberſte ihm ſagte, daß ich den Dienſt ſehr gut verrichtete, und ſehr viel Lernbegierde beſaͤße, ſchien der Prinz damit zufrieden zu ſeyn.

Jm May brach unſer Regiment von MaſtrichtSein erſter Feldzug. auf und ſtieß bey Mildert zur Armee, und den 9ten Auguſt ruͤckten wir nach Genap, in der Abſicht, den Feind anzugreifen. Den 10ten giengen wir in der Nacht bey Florinal uͤber die Deyle und marſchierten bis an den Morgen. Mit Tages Anbruch langten wir zu Maveren an, fanden aber, daß ſich der Feind zuruͤck gezogen hatte, worauf wir wieder nach Genap zuruͤck giengen. Die Franzoſen zogen ſich den ganzen Feldzug uͤber ſo eilfertig vor uns zuruͤck, daß wir nicht im Stande waren, ſie zu einem Treffen zu bringen, welches unſere Truppen durch die vielen fruchtloſenMaͤrſche12Maͤrſche und Gegenmaͤrſche ſehr abmattete. Gegen den Winter ruͤckte die Armee nach Aſche, wo wir uns trennten, und in die Winterquartiere giengen. Um dieſe Zeit ward der Prinz von Oranien zum Befehls - haber der Hollaͤndiſchen Truppen ernannt, ob er gleich erſt 21 Jahr alt war. Unſer Regiment gieng nach Huy in die Winterquartiere, wo der Schwe - diſche General Oxenſtein Gouverneur war. Dieſe Stadt liegt zu beyden Seiten der Maaß und iſt nur ſchlecht befeſtiget; doch hat ſie ein Caſtell und noch drey Forts, welche auf Anhoͤhen liegen und die Stadt decken. Jch zog eines Mahls mit einem Hollaͤndi - ſchen Lieutenant auf die Wache, der ſehr einfaͤltig war, und weder leſen noch ſchreiben konnte, indem er we - gen eines außerordentlichen Beyſpiels perſoͤnlichen Muthes und guten Verhaltens von einem Sergeanten zum Lieutenant war gemacht worden. Die Franzo - ſen hatten naͤmlich eine gewiſſe Stadt mit allen ihren Feſtungen eingenommen, einen einigen Thurm aus - genommen, auf welchem dieſer Sergeant mit 20 Mann ſtand, und welchen er gegen alle Verſuche des Feindes behauptete, bis der Platz im folgenden Jahre wieder erobert ward, wozu er folglich durch ſeine Stel - lung viel beygetragen hatte.

Als ich an einem Tage mit einer Patrouille aus - gieng und bey einem Kloſter vorbey kam, ſahen wir ein Frauenzimmer laufen, welches von verſchiedenen Perſonen verfolgt ward, daher wir auf ſie zu giengen. Als ſie hoͤrte, daß wir zu der Beſatzung von Huy ge - hoͤrten, war ſie vor Freude außer ſich, und nachdem ſie von ihrer Furcht ein wenig zu ſich ſelbſt gekommen war, ſagte ſie uns, daß ſie nach Namur gehoͤre, undſich13ſich wider Willen ihrer Aeltern mit einem Franzoͤſi - ſchen Officier verſprochen habe, daher ſie von ihnen in dieſes Kloſter ſey geſteckt worden, aus welchem ſie eben entſprungen ſey, und nach Luͤttich gehen wollte, wo ſie Verwandte habe, die ſich ihrer annehmen wuͤr - den. Der Erfog beſtaͤtigte ihre Ausſage, denn als ſie daſelbſt ankam, wirkten ihre Freunde einen Paß fuͤr ihren Liebhaber aus, mit welchem ſie darauf ge - trauet ward.

Jm May 1708 brachen wir von Huy auf und1708. Sein zweyter Feld - zug. ſtießen zur Armee. Wir kamen den 23ten nach Ander - lech, wo die Preuſſen, Hannoveraner und Hollaͤnder anfiengen, ſich zu formiren. Den 26ten ruͤckten wir nach Bellingen, wo wir zu den Englaͤndern und den uͤbrigen Truppen ſtießen; da denn die Armee aus 180 Escadrons und 112 Bataillons beſtand. Die Franzoͤſiſche Armee formirte ſich unter dem Herzog von Vendome zu St. Ghislain, und beſtand aus 197 Escadrons und 124 Bataillons. Die beyden Koͤniglichen Prinzen, die Herzoge von Bourgogne und Berry, befanden ſich bey ihrer Armee zu Bellin - gen, es kamen der damalige Churprinz von Hannover und der Prinz Eugen zu uns, deſſen Truppen von der Moſel nach Maſtricht geruͤckt waren, und bald dar - auf zu uns ſtießen.

Die Franzoſen oͤffneten den Feldzug mit der Ue -Niederlage der Franzo - ſen. berrumpelung der Staͤdte Gent und Bruͤgge. Auf Damme machten ſie einen vergeblichen Angriff, al - lein ſie eroberten dafuͤr Plaſſendahl zwiſchen Bruͤgge und Oſtende. Den 9ten Julii berenneten ſie Oude - narde, hoben aber bey unſerer Annaͤherung die Bela - gerung wieder auf, und zogen ſich uͤber die Schelde. Wir14Wir ſetzten ihnen auf dem Fuße nach und brachten ſie den 11ten zu einem Treffen. Es war Abends ſechs Uhr, ehe unſere Linie ſich formiren konnte. Prinz Eugen fuͤhrte den rechten, und der Herzog von Marl - borugh den linken Fluͤgel. Nach einem ſehr lebhaf - ten und gut geleiteten Angriffe wurden die Franzo - ſen geſchlagen, und entkamen durch Huͤlfe der Nacht, da ſie ſonſt wuͤrden ſeyn niedergehauen worden. Den folgenden Tag fanden wir von dem Feinde 4000 Mann Todte auf dem Wahlplatze, 7000 aber wurden gefangen gemacht; außer dem bekamen wir 535 Of - ficiers (die Generals mit eingeſchloſſen,) 34 Standar - ten, 25 Fahnen und 5 Paar Pauken, aber keine Kanonen, weil das Treffen ohne alles ſchwere Ge - ſchuͤtz von beyden Seiten geliefert ward. Unſer Ver - luſt beſtand in 2972 Mann an Todten und Ver - wundeten.

Belagerung von Ryſſel.

Nach dieſem Treffen zogen die Franzoſen ſich hin - ter den Canal zwiſchen Gent und Bruͤgge, und der Preuſſiſche General Lottum ward mit einem anſehnli - chen Corps abgeſchickt, die Linien von Ypern anzugrei - fen, welche wir nach einem geringen Widerſtande er - oberten und ſchleiften. Die Armee berennete hierauf Ryſſel, welches der Prinz Eugen bald darauf foͤrm - lich belagerte, da indeſſen der Herzog von Marlbo - rough die Belagerung deckte. Dieſe Belagerung, welche ſo langwierig und blutig war, ward von ver - ſchiedenen merkwuͤrdigen Begebenheiten begleitet.

Zufall des Prinzen Eu - gen.

Waͤhrend derſelben begegnete unter andern dem Prinzen Eugen folgendes. Er bekam einen Brief von einer unbekannten Hand, und als er denſelben oͤffnete, fand er in demſelben ein fettiges Papier,welches15welches er zum Gluͤcke auf die Erde fallen ließ. Sein Adjutant hob es auf und roch daran, bekam aber ſo gleich den Schwindel, ſo daß man ihm ein Gegengift geben mußte. Man band hierauf das Papier einem Hunde um den Hals, worauf er in vier und zwanzig Stunden ſtarb, ob man ihm gleich ein Gegengift bey - gebracht hatte. Als die Officiers, welche um ihn waren, ihr Erſtaunen uͤber dieſen Zufall an den Tag legten, verſetzte er ganz kaltbluͤtig: wundern ſie ſich daruͤber nicht, meine Herren, ich habe bereits mehrere ſolche Briefe bekommen.

Da der Herzog von Bourgogne begierig war, zu1708. erfahren, in was fuͤr einem Zuſtande ſich die Beſa - tzung befaͤnde, ſo erboth ſich ein gewiſſer Capitaͤn du Bois, ſich in die Feſtung zu wagen. Er kam unerkannt bis an die Außenwerke, zog ſich aus, nahm ſeine Kleider auf den Kopf, ſchwamm uͤber ſieben Canaͤle und Graͤben, kam ſicher in die Stadt, und auf eben dieſelbe Art wieder zuruͤck, und brachte dem Herzoge noch dazu einen Brief von dem Marſchall von Boufleurs mit, welchen er bey dem Schwimmen in den Mund nahm, ſo daß er ihn ganz trocken uͤber - brachte.

Den 28ten September in der Nacht wurden wirTrauriger Zufall bey der feindli - chen Caval - lerie. von einem ſtarken Knall beunruhiget, worauf in einer halben Stunde noch ein anderer folgte, und um Mit - ternacht hoͤrten wir ein ſolches Gekrach, daß die Erde unter uns bebte. Die ganze Armee ward dadurch ſo beunruhiget, daß wir auch bis zu Tages Anbruch un - ter dem Gewehre zubrachten. Den folgenden Tag erfuhren wir, daß 1200 Mann feindlicher Reiterey, von welchen jeder 53 Pfund Pulver in Saͤcken hinter ſichauf16auf dem Pferde hatte, ſich in die Stadt hatten ſchlei - chen wollen. Allein da man ſie entdecket und auf ſie gefeuert hatte, ſo waren ſie nach der Stadt zu galop - pieret, wodurch einige Saͤcke los giengen, und das Pulver auf die Erde fiel. Die Funken, welche die Pferde mit ihren Hufeiſen machten, zuͤndeten dieſes Pulver, und dieſes zuͤndete das Pulver in den Saͤcken, ſo daß alles in die Luft flog. Ungefaͤhr 50 Mann kamen bey dem Eintritte in die Linien um, und 100 nahe an dem Thore. Es war den folgenden Tag ein fuͤrchterlicher Anblick, den Weg mit halb ver - brannten Koͤpfen, Gliedern und Koͤrpern von Men - ſchen und Pferden beſtreuet zu ſehen. Die uͤbrigen hatten ihr Pulver abgeworfen, und ſich auf die Flucht gemacht. Allein man glaubte, daß ihrer doch 300 in die Stadt gekommen waren.

Wenig Tage darauf wurden 50 Bauern gefan - gen genommen, welche auf ihren Schubkarren Pul - ver in die Stadt fuͤhren wollten. Da ſie Erlaubniß hatten, Milch bey der Armee zu verkaufen, ſo brach - ten ſie ſelbige in Faͤſſern, zwey auf einem Schubkar - ren; allein man fand, daß eines dieſer Faͤſſer voll Pulver war. Da ſie nun insgeſammt uͤberfuͤhret waren, ſo wurden ſie auch insgeſammt aufgeknuͤpft.

Um dieſe Zeit kamen der Koͤnig Auguſt, und ver - ſchiedene andere fuͤrſtliche Perſonen in das Lager, die - ſe beruͤhmte Belagerung mit anzuſehen. Der Feind ſuchte uns die Zufuhre von Oſtende her abzuſchneiden, verurſachte ſich aber dadurch eine Niederlage bey Wey - nendahl. Er hatte ſich durch dreyfache Linien in ſei - nem Lager bey Oudenarde verſchanzt, welches unſere Zufuhr aus dieſer Gegend gar ſehr erſchwerte, undda17da der Herzog von Bayern zu gleicher Zeit Bruͤſſel be - lagerte, ſo waren wir eine Zeit lang genoͤthiget, bloß von großen Ruͤben und Zwiebeln zu leben. Uns von dieſer Verlegenheit zu befreyen, und uns die Ge - meinſchaft mit unſern Vorraͤthen wieder zu oͤffnen, ward ein hinlaͤngliches Corps von der Armee abge - ſchickt, welches durch einen forcierten Marſch in der Nacht uͤber die Schelde gieng, und den folgenden Tag die feindlichen Linien angriff, wo wir weniger Wider - ſtand fanden, als wir erwartet hatten, indem die Feinde ſich in der groͤßten Eil auf die Flucht begaben, und ihr ganzes Lager, ihr Gepaͤck und alles im Stiche ließen. Bey dem Nachſetzen machte unſre Reiterey eine Menge Gefangene, und wir fanden hier einen großen Vorrath der beſten Lebensmittel von aller Art. Wir ruͤckten hierauf fort, Bruͤſſel zu entſetzen; allein ehe wir noch ankamen, hatte der Herzog die Belage - rung bereits aufgehoben, und 15 ſchwere Kanonen und zwey Moͤrſer zuruͤck gelaſſen. Nachdem uns nun unſer Vorhaben ſo gut gegluͤcket war, kehrten wir wieder in das Lager vor Ryſſel zuruͤck.

Als wir uns auf dem Glacis oder bedeckten We -Ryſſel ero - bert. ge feſt ſetzten, befand ich mich bey den Pionniers. Da der Jngenieur, welcher die Arbeit commandierte, getoͤdtet ward, und unſere Leute dem feindlichen Feuer zu ſehr ausgeſetzt waren, ſo unternahm ich es, dasje - nige zu endigen, was er angefangen hatte, und es ge - lang mir ſehr bald, uns durch Eingraben zu ſichern. Der General, welcher dieſe Nacht in den Laufgraͤben commandierte, empfahl mich deshalb unſerm Chef, dem General Graf Lottum, welcher zu meinem Be - ſten an den Koͤnig ſchrieb, daher ich in dem folgendenBWinter18Winter Faͤhndrich ward*)Das Patent ward an ſeinen Onkel den Oberſten Re - beur geſchickt, der es aber vor dem Herrn Bruce zur Zeit noch geheim hielt, weil er noch ſehr jung und erſt 16 Jahr alt war. Als dieſer ſolches erfuhr, gieng er auf ſeines Onkels Gezelt los, ſtieß ſein Kurz - gewehr unwillig in die Erde, und ſagte: hier ſtehet der Sergeant! worauf er einige Schritte zuruͤck gieng, und ausrief: hier ſtehet der Offizier! wor - auf er denn ſein Patent erhielt., aber dabey Jngenieurs - Dienſte thun mußte. Die Stadt ergab ſich den 23ſten October; und da wir nunmehr in die Barra - ken einquartieret wurden, ſo konnten wir die Belage - rung der Citadelle, welche ſich noch immer hielt, de - ſto bequemer fortſetzen. Endlich bekamen wir ſie den 9ten December durch Sappiren bey ſehr ſtrenger Kaͤlte und hartem Froſte, unter Anfuͤhrung des Ge - nerals Coehorn, und den 10ten marſchierte der Mar - ſchall Boufleur mit ſeiner Beſatzung aus, und ward nach Douay gefuͤhret.

Waͤhrend der Belagerung, als wir uns auf der zweyten Contreſcarpe feſtgeſetzt hatten, verließ ein Hol - laͤndiſcher Capitaͤn, welcher daſelbſt ſtand, bey Annaͤ - herung des Feindes ſeinen Poſten, ohne den gering - ſten Widerſtand zu leiſten. Sein Sergeant, der das Schimpfliche dieſes Ruͤckzuges fuͤhlte, ſuchte ihn zu bereden, umzukehren, und den Poſten wieder zu ero - bern, allein vergebens. Der Sergeant wandte ſich hierauf an die Gemeinen, und ſagte, wenn ſie ihm folgen wollten, ſo wollte er ſich des verlaſſenen Po - ſtens wieder zu bemaͤchtigen ſuchen. Dieſe waren ſo gleich willig, ſtellten ſich, und griffen den Feind ſoherzhaft19herzhaft an, daß der Poſten ſehr bald wieder erobert ward. Als dieſe That gemeldet ward, ward der Of - ficier degradiert, der Sergeant aber nach Verdienſt belohnet. Ein Soldat ohne Herz gleicht einer Leiche; Gram haͤngt auf den Geſichtern ihrer beſten Freunde, ſo lange bis ſie begraben, und ihren Augen entzo - gen iſt.

Man ſprach um dieſe Zeit in dem Lager viel vonScherz des Herzogs von Marlbo - rough. einem witzigen Einfalle des Herzogs von Marlbo - rough. Als der Koͤnig von Pohlen wieder nach Sachſen gehen wollte, und der Herzog ſich bey ihm beurlaubte, wuͤnſchte der Koͤnig ihm eine gluͤckliche Reiſe nach England, worauf der Herzog ihm auf Franzoͤſiſch antwortete, da es kalt ſey, ſo wolle er nicht ohne Handſchuhe uͤber See reiſen. Der Scherz liegt in der Aehnlichkeit des Klanges zwiſchen dem Worte Gand, ein Handſchuh, und Ghent, die Stadt Gent. Der Herzog hielt nachmals ſein Wort wirklich.

Unſere Armee ruͤckte, der ſtrengen Kaͤlte ungeach -Eroberung von Gent. tet, ſo gleich vor Gent, und noch den 17ten deſſelben Monathes ward die Stadt bloquiret. Der Herzog von Marlborough commandierte die Belagerung und der Prinz Eugen deckte ſie. Die Beſatzung beſtand aus 30 Bataillons und 19 Escadrons; allein da die Graͤben zugefroren waren, und ſie einen Ueberfall be - fuͤrchteten, ſo hielten ſie es fuͤr das Beſte, ſich den 31ſten December zu ergeben. Die Beſatzung mar - ſchierte den 2ten Jan. 1709 aus und ward nach1709. Dornick gebracht, worauf der Herzog von Argyle die Stadt und Citadelle ſogleich in Beſitz nahm. Der Feind raͤumte gleich darauf auch Bruͤgge, Redfort,B 2Plaſſen -20Plaſſendahl und Leffinghen, womit dieſer beruͤhmte Feldzug beſchloſſen ward, und unſere Armee in die Winterquartiere gieng. Unſer Regiment ward nach Bruͤſſel verlegt. Die Franzoſen thaten dieſen Win - ter Friedensvorſchlaͤge, welche aber von keinem Erfolge waren.

Dritter Feldzug.
1

Mit dem Anfange des folgenden Junius ruͤckten wir zur Armee, welche ſich den 21ſten zwiſchen Cor - trick und Menin, 110000 Mann ſtark, formirte, worauf wir uͤber die untere Deyle giengen, und auf den Ebenen von Ryſſel das Lager aufſchlugen. Die Franzoͤſiſche Armee, welche aus 130000 Mann be - ſtand, hatte ſich auf den Ebenen von Lens gelagert, wo ſie ſich ſo feſt verſchanzte, daß es unweiſe geweſen ſeyn wuͤrde, wenn wir ſie haͤtten angreifen wollen, da -Belagerung Dornicks. her beſchloſſen ward, Dornick zu belagern. Der Feind war ſich dieſes ſo wenig vermuthen, daß er auch einen Theil der Beſatzung heraus gezogen, und die Armee damit verſtaͤrket hatte. Die Stadt ward alſo den 27ſten von dem Herzog von Marlborough beren - net, und den 30ſten wurde der Anfang mit den Linien gemacht. Der Graf Lottum fuͤhrte den Angriff auf die Citadelle, wobey ich das erſte Mahl als Jnge - nieur gebraucht ward. Die beyden uͤbrigen Angriffe auf die Stadt wurden von den Generals Schulenburg und Fagel commandiret, und der Prinz von Naſſau bemaͤchtigte ſich der beyden Forts St. Amand und Mortagne, welche uns zur Bedeckung der Belage - rung ſehr nothwendig waren. Den 6ten Julii ka - men die Linien zu Stande; den 7ten in der Nacht wurden die Laufgraͤben geoͤffnet, und den 13ten fien - gen unſere Batterien an, auf die Stadt zu ſpielen. Kurz,21Kurz, die Stadt ergab ſich den 28ſten, und die Beſa - tzung zog ſich 4000 Mann ſtark in die Citadelle; 2 Capitaͤns, 4 Lieutenants und 150 Gemeine deſer - tierten und kamen in unſer Lager, 800 ihrer Ver - wundeten aber wurden nach Douay gebracht. Wir hatten bey dieſer Belagerung 3210 Mann an Tod - ten und Verwundeten, und der Graf von Albemarle ward zum Gouverneur in der Stadt ernannt.

Den 1ſten Auguſt fieng der Feind an, aus der1709. Citadelle auf uns zu feuern, welches aus unſern Bat - terien ſo gleich erwiedert ward, und den 3ten fiel eine unſerer Bomben in ein Pulver-Magazin, welches daher in die Luft flog. Gleich darauf verglich man ſich wegen eines Waffenſtillſtandes, und die Beſa - tzung verſprach, ſich den 5ten September zu ergeben, wenn ſie inzwiſchen nicht entſetzt werden ſollte. Waͤh - rend des Waffenſtillſtandes ſuchten die in der Citadel - le befindlichen Ausreiſſer von unſerer Armee zu ent - kommen, allein ſie wurden insgeſammt erhaſchet und aufgeknuͤpft.

Als der Koͤnig von Frankreich die Bedingungen des Waffenſtillſtandes erfuhr, ſo wollte er in die Ue - bergabe nicht willigen, daher die Feindſeligkeiten wie - der angiengen: der Feind ließ viele Minen ſpringen, und unſere Gegenminen veranlaßten viele kleine Ge - fechte unter der Erde. Den 26ſten ſprengten ſie ver - mittelſt einer Mine 400 Mann von unſern Leuten in die Luft und toͤdteten den Herrn du May unſern erſten Jngenieur. Sie ließen hierauf noch verſchiedene Mi - nen ſpringen, welche uns vielen Schaden thaten, be - ſonders eine, welche eine Oeffnung ſechzig Schritt lang und zwanzig Fuß tief machte, und beynahe einB 3ganzes22ganzes Regiment Hannoveraner in die Luft geſprengt haͤtte, wenn ſie nicht noch bey Zeiten waͤre entdeckt worden, daher wir nur eine einzele Schildwache da - bey verlohren. Den 30ſten beſchoſſen wir ſie ſo hef - tig, daß ſie den 31ſten des Morgens zu capitulieren verlangten; allein da wir ſie ſchlechterdings zu Kriegs - gefangenen verlangten, ſie aber dazu noch keine Luſt hatten, ſo giengen die Feindſeligkeiten wieder an, und da wir ihnen auf das neue heftig zuſetzten, ſo mußten ſie ſich endlich den 5ten September zu Kriegesgefan - genen ergeben, und 3500 Mann ſtark, die Kranken und Verwundeten ungerechnet, ausmarſchiren.

Vor Dornick kam ein Expreſſer von dem Fuͤrſten Menzikoff an den Herzog von Marlborough an, der ihm die Nachricht brachte, daß der Czar den 8ten Julii bey Pultawa einen vollſtaͤndigen Sieg uͤber den Koͤnig von Schweden erfochten habe.

Treffen bey Malplaquet.
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Unſere naͤchſte Unternehmung war auf Mons ge - richtet; als daher der Churfuͤrſt von Bayern, welcher ſich daſelbſt aufhielt, ſolches erfuhr, ſo begab er ſich nach Namur. Marſchall Boufleur ward nunmehr von dem Koͤnige von Frankreich abgeſchickt, dem Marſchall Villars beyzuſtehen, mit dem Befehle, eher ein Treffen zu wagen, als uns Mons einnehmen zu laſſen. Den 8ten ſtieß der Prinz Eugen mit ſei - ner Armee zu uns, da wir denn ſehr abgemattet wur - den, weil wir in beſtaͤndigem Regenwetter und auf ſchlechten Wegen Tag und Nacht marſchiren mußten. Den 9ten bemerkten wir, daß ſich der Feind nach Blarignies zog, die Waͤlder und Hecken bey Taniers und Malplaquet zu beſetzen, worauf wir in Schlacht - ordnung vorwaͤrts ruͤckten. Allein, da die Englaͤn -der23der fouragieren waren, ſo konnten ſie dieſen Tag nicht zu uns ſtoßen, und beyde Armeen fiengen an, einan - der zu canonieren, welches bis in die ſpaͤte Nacht dauerte, und den folgenden Morgen erneuert ward. Da wir noch 23 Bataillons aus Dornick erwarteten, ſo hielten wir es nicht fuͤr rathſam, uns dieſen Tag mit dem Feinde einzulaſſen. Jch waͤre an dieſem Tage von einem unſerer eigenen Soldaten beynahe er - ſchoſſen worden, denn da er aus ſeinem Gliede getre - ten war, und ich ihm befahl, ſich wieder zu ſtellen, er aber nicht gehorchen wollte, ſo ſchlug ich ihn uͤber die Schulter und ſtieß ihn in die Linie, worauf er zuruͤck ſprang und mir ſein Gewehr mit aufgezogenem Hahne auf die Bruſt ſetzte. Jch parierte es ſo gleich unter - waͤrts, da denn die Kugel zwiſchen meinen Fuͤßen in die Erde fuhr. Der Kerl warf ſogleich ſein Gewehr weg und lief davon, ward aber ſogleich von dem Adju - tanten zu Pferde verfolgt, und da er ein ſtarker Menſch war, ſo ergriff er den Adjutanten bey dem Fuße, warf ihn aus dem Sattel und war eben im Begriffe, ſich auf ſein Pferd zu ſchwingen, als der Major dazu kam und ſich ſeiner bemaͤchtigte. Doch wieder zur Sache.

Unſer Verzug verſchaffte dem Feinde Zeit, das Gehoͤlz niederzuhauen und ſich zu verſchanzen. Den Abend unterredeten wir uns mit den Franzoͤſiſchen Of - ficiers, und bewirtheten einander mit dem, was jeder hatte, auf das freundſchaftlichſte. Wir wurden dazu um ſo viel mehr bewogen, weil wir auf beyden Sei - ten glaubten, daß ein Waffenſtillſtand als der Vor - laͤufer des Friedens vor der Thuͤr ſey. Allein um Mitternacht erfuhren wir ein anderes, indem jeder Befehl erhielt, auf ſeinem Poſten zu erſcheinen undB 4ſich24ſich zu dem Angriffe auf den naͤchſten Morgen anzu - ſchicken.

Den 11ten verrichteten wir des Morgens um 2 Uhr unſer Gebeth, und ſtellten uns alsdann in Schlachtordnung. Um 8 Uhr ruͤckten wir vor und griffen die feindlichen Verſchanzungen an, deren wir uns bemaͤchtigten und den Feind in großer Unordnung und Verwirrung in ſeine Laufgraͤben trieben, aus wel - chen wir ihn, obgleich mit betraͤchtlichem Verluſte auf beyden Seiten, gleichfalls wieder jagten. Das - jenige Regiment, mit welchem das unſrige handge - mein war, war eben dasjenige, mit deſſen Officiers wir die Nacht vorher ſo freundſchaftlich umgegangen waren. Es befand ſich ein Lieutenant dabey, wel - cher einen Bruder, der gleichfalls Lieutenant war, bey unſerm Regimente hatte. Der Franzoͤſiſche Lieute - nant gab ſich ſeinem Bruder zum Gefangenen, und ward von ihm auf das zaͤrtlichſte in Schutz genom - men; allein zum Ungluͤck rann ein Soldat von den Unſrigen ihn in demſelben Augenblicke durch den Leib, ſo daß er ſeinem Bruder todt in die Arme fiel. Der Soldat entſchuldigte ſich damit, daß er ſolches zur Vertheidigung ſeines Officiers gethan, und den an - dern nicht gekannt habe; und doch hatte er den Abend vorher geſehen, daß beyde als Bruͤder mit einander umgegangen waren. Dergleichen traurige Verſehen fallen bey ſtreitenden Feinden in der Wuth des Ge - fechtes nur zu oft vor, und es iſt unmoͤglich, den ar - men Menſchen eines boͤſen Vorſatzes bey dieſer Gele - genheit mit Gewißheit zu beſchuldigen. Die Fran - zoſen zogen ſich uͤber einen Verhau, und wir folgten ihnen auf dem Fuße nach; da wir aber fanden, daßſie25ſie ſich verſtaͤrket hatten, ſo mußten wir uns nunmehr zu - ruͤck ziehen, da wir denn in dem Verhaue unſern Ober - ſten und verſchiedene von unſern Leuten verlohren. Jndeſ - ſen wurden wir aus unſerer Reſerve verſtaͤrkt, da wir denn den Feind zum zweyten Mahle aus dem Verhau trieben, und ihn bis zu ſeiner zweyten Verſchanzung verfolgten, ihn auch hier uͤber den Haufen warfen und bis zur dritten trieben, bey welcher Gelegenheit ich durch das Dickbein geſchoſſen ward, daher man mich aus dem Felde bringen mußte. Man trug mich in eine kleine Huͤtte, wo ich den Leichnam meines Ober - ſten fand, und mich verbinden ließ. Nach einem ſehr hitzigen Gefechte von ſechs Stunden wich der Feind uͤberall und uͤberließ uns das theuer erkaufte Schlachtfeld, indem es uns nicht weniger als 20300 Mann koſtete. Da die Umſtaͤnde dieſes ſo beruͤhm - ten Treffens von weit geſchicktern Federn beſchrieben ſind, ſo will ich nichts mehr davon ſagen, als daß von dem Feinde, ſeinen eigenen Berichten nach, 540 Officiers blieben, 1068 verwundet, und 301 gefan - gen gemacht wurden; von Gemeinen aber ſein Ver - luſt an Gebliebenen, Verwundeten und Gefangenen ſich auf 15000 Mann erſtreckte. Wir verlohren zwey Generals, die Grafen Lottum und Fettace.

Nach dieſem Treffen gieng das Geruͤcht, daß der Marſchall Villars ein neues Treffen wagen wolle, die Eroberung der Stadt Mons zu hindern, allein den Marſchall Boufleur wider ſich habe, daher der Koͤnig den Herzog von Berwick abgeſchickt habe, die zwiſti - gen Meynungen dieſer beyden geſchickten Feldherren zu vereinigen. Der Herzog kam, und nachdem er das Schlachtfeld mit ſeinen Verſchanzungen beſehen hatte,B 5ſo26ſo bewunderte er ihre außerordentliche Feſtigkeit, und ſagte, da ſie aus einem ſolchen Poſten waͤren vertrie - ben worden, ſo wuͤrde es ſehr unbeſonnen ſeyn, ein Treffen auf freyem Felde zu wagen.

Jndem der Wundarzt meine Wunde, bey wel - cher ich das Zimmer huͤten mußte, beſorgte, ſo er - zaͤhlte er mir eine luſtige Geſchichte von einem neu an - geworbenen jungen Schweitzer, der, als die Montie - rungsſtuͤcke verfertiget wurden, ſich eine runde eiſerne mit kleinen Loͤchern durchbohrte Platte machen ließ, und verlangte, daß der Schneider ſie uͤber der linken Bruſt inwendig in dem Rocke befeſtigen ſollte, damit er nicht durch das Herz geſchoſſen werden koͤnnte. Der Schneider, der ein Spaßvogel war, naͤhete ſie ihm in den Sitz der Hoſen, und ſo bald er die Mon - tierung angezogen hatte, mußte er in das Feld, da - her er keine Gelegenheit hatte, den bemerkten Fehler zu verbeſſern. Er kam gleich darauf in ein Treffen und da er vor dem Feinde fliehen mußte, und uͤber eine Dornhecke ſpringen wollte, blieb er ungluͤcklicher Weiſe ſitzen, ſo daß er von einem feindlichen Solda - ten eingeholet ward, der ihm mit dem Bajonette in den Hintern ſtieß, aber zum Gluͤck die eiſerne Plat - te traf, und durch den Stoß den Schweizer aus der Hecke half, der nunmehr geſtand, daß ſein Schneider mehr Verſtand als er ſelbſt habe, und beſſer wiſſe, wo er ſein Herz habe. Doch nunmehr zu edlern Thaten.

Belagerung von Mons.
1

Unſere Feldherren, die durch die wiederholten Niederlagen des Feindes von ihrer Ueberlegenheit uͤberzeugt waren, bloquierten ſogleich Mons, da denn die Laufgraͤben den 25ſten unter Commando des Prin - zen von Naſſau geoͤffnet wurden. Die Belagerungward,27ward, des anhaltenden heftigen Regens ungeachtet, ſo lebhaft fortgeſetzt, daß die Stadt ſich den 20ſten Octo - ber ergeben mußte, und die Beſatzung 8000 Mann ſtark auszog, 1000 etwa ausgenommen, welche zu - ruͤck blieben, und bey uns Dienſte nahmen.

Der Sieg bey Malplaquet, und die Eroberung der Staͤdte Dornick und Mons beſchloſſen dieſen Feld - zug, daher unſere Armee aus einander und in die Winterquartiere gieng. Unſer Regiment kam nach Maſtricht, und da ich von meiner Wunde noch nicht wieder hergeſtellet war, ſo ward ich mit noch acht ver - wundeten Soldaten auf einem Wagen und unter der Aufſicht eines Sergeanten nach Bruͤſſel gefahren. Den 20ſten Abends kamen wir zu Notre-Dame de Hall an, auf dem halben Wege zwiſchen Mons und Bruͤſſel, wo eines unſerer Raͤder brach, und als der Fuhrmann hoͤrte, daß ſich eine Franzoͤſiſche Parthey in der Stadt befand, ſo machte er ſich mit den Pfer - den aus dem Staube. Als die Franzoſen von uns Nachricht erhielten, kamen ſie auf uns zu, erkundig - ten ſich nach den Pferden, und ſetzten, als ſie den Vorgang hoͤrten, ihnen nach. Zu meinem Gluͤcke war ich ehedem einige Zeit in dieſer Stadt geweſen, und war daſelbſt ſehr gut bekannt, daher mich die Ein - wohner in Sicherheit brachten, und mich dadurch vor der Pluͤnderung ſchuͤtzten; denn als die Franzoſen zu - ruͤck kamen, pluͤnderten ſie die acht verwundeten Sol - daten, und fuͤhrten den Sergeanten gefangen nach Namur. Als dieſer daſelbſt ankam, und dem Gou - verneur in dem Verhoͤre ſagte, daß er im Dienſte ge - weſen, und dieſe Verwundete in das Hoſpital nach Bruͤſſel habe bringen ſollen, daß ſie aber von denFran -28Franzoſen nackend waͤren ausgezogen und eines Mo - nathes Loͤhnung beraubet worden, ſo gab der Gouver - neur dem Officier einen derben Verweis, ſagte, daß er armen verwundeten und wehrloſen Leuten lieber haͤt - te Beyſtand leiſten, als ſo mit ihnen umgehen ſollen, und befahl ihm, dem Sergeanten ſowohl die Klei - dungsſtuͤcke als auch das Geld wieder heraus zu ge - ben; den Sergeanten aber ſchickte er mit einem Paſſe nach Maſtricht. Ein Beyſpiel des Edelmuthes, welchen man ſelten bey einem Feinde antrifft. Da ich an meiner Wunde noch immer unpaß war, ſo beſchloß ich zu Hall zu bleiben, ob es gleich ein offner Ort war, der faſt taͤglich von Franzoͤſiſchen Partheyen be - ſucht ward. Jch hatte hier einen geſchickten Wund - arzt, der niemand als mich ſelbſt zu beſorgen hatte, und daher meine Wunde deſto beſſer abwarten konnte, dagegen in Bruͤſſel alles voll von unſern Verwunde - ten war. So lange ich hier war, genoß ich viele Hoͤf - lichkeit von der Geiſtlichkeit dieſes Ortes, hielt mich aber nicht laͤnger auf, als bis ich auf Kruͤcken gehen konnte, da ich denn einen Franzoͤſiſchen Paß bekam, und mich nach Maſtricht begab, wo ein Lieutenants - Patent auf mich wartete.

1710. Vier - ter Feldzug.
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1710 verließen wir ſchon im April unſere Win - terquartiere und kamen den 15ten bey Dornick an, wo unſer allgemeiner Sammelplatz war. Den 20ſten, nachdem die Armee formiret war, brach ſie Nachmit - tags um 5 Uhr auf, und marſchierte die ganze Nacht in zwey Colonnen. Unſer Aufbruch war ſo unerwar - tet, und ward mit ſo vieler Verſchwiegenheit und Ord - nung vollzogen, daß wir den folgenden Morgen ohne den geringſten Widerſtand in die Franzoͤſiſchen Linieneinruͤckten.29einruͤckten. Der Feind hatte dieſen Morgenbeſuch ſo wenig erwartet, daß er ſogar war fouragiren gegan - gen. Unſere Ankunft verbreitete ſo viele Unruhe un - ter ſeinen Truppen bey Lens, daß ſie ſich in aller Eil zuruͤck zogen, und wir in ihrem Lager auf den Ebe - nen bey Lens Poſto faßten.

Den 22ſten ſchlugen wir des Morgens unſereBelagerung von Douay. Bruͤcken uͤber die Scarpe; die Armee gieng die fol - gende Nacht daruͤber und berennete den naͤchſten Morgen die Stadt Douay. Den 25ſten fiengen wir unſere Linien an; der Fuͤrſt von Anhalt-Deſſau, der dem Grafen Lottum in dem Commando der Preuſſi - ſchen Truppen folgte, kam an dieſem Tage bey uns an, und fuͤhrte den einen Angriff auf die Stadt, der Prinz von Naſſau aber den andern. Den 29ſten waren unſere Linien fertig, und die Reiterey hatte eine große Menge Faſchinen und Schanzkoͤrbe zur Bela - gerung herbey geſchaffet. Den 1ſten May beſetzten unſere Truppen das Schloß Pignonville, und den 3ten Chateaux-Loway, wo ſich 340 Mann gefan - gen gaben. Den 4ten wurden unſere Laufgraͤben auf beyden Angriffen geoͤffnet, und unſere Leute gru - ben ſich ohne Verluſt ein, weil man ſie aus der Stadt nicht war gewahr geworden. Den 9ten Abends um 10 Uhr that der Feind einen lebhaften Ausfall auf des Prinzen von Naſſau Angriff, welches die Arbei - ter in große Unordnung brachte. Sie ſchleiften eini - ge Theile unſerer Parallele, wurden aber endlich mit betraͤchtlichem Verluſte zuruͤck getrieben, und bis an die Contreſcarpe verfolgt. Das Gefecht war ſo leb - haft, daß wir 300 Mann Todte und Verwundete hatten, und vermuthlich war der feindliche Verluſtnicht30nicht geringer. Die Parallele ward in eben derſelben Nacht wieder hergeſtellet, und den folgenden Morgen mit Anbruch des Tages fieng eine Batterie von acht Kanonen und vier Moͤrſern, von des Fuͤrſten von Anhalt Angriff, an, mir großer Heftigkeit auf die Stadt zu feuern. Die Batterie ſtand auf einem Bollwerke in einem Moraſte, der uns ſehr gehindert hatte, unſere Laufgraͤben zu flankiren, und ſie ward ſehr bald unbrauchbar gemacht. Der Feind that in derſelben Nacht einen Ausfall auf unſere Seite, ward aber mit betraͤchtlichem Verluſte zuruͤck geſchlagen. Den 10ten kam unſere ſchwere Artillerie an, und den 11ten kam auf jedem Angriffe eine Batterie von 24 Kanonen und 8 Moͤrſern zu Stande. Den 12ten waren unſere Laufgraͤben bis an den erſten Graben ge - kommen. Den 14ten waren unſere Batterien im Stande und mit 48 Kanonen und 32 Moͤrſern und Haubitzen beſetzt, daher wir anfiengen, die feindlichen Außenwerke zu beſchießen, aber vornehmlich auf des Fuͤrſten von Anhalt Seite, indem der Boden auf der andern ſo weich war, daß man nicht ſo ordentlich ap - prochiren konnte. Der Feind that den 17ten einen Ausfall, ward aber ſo lebhaft empfangen, daß er ſich in großer Unordnung zuruͤck zog und uͤber 100 Ge - fangene im Stiche ließ. Den 22ſten that er einen andern Ausfall, der auf beyden Seiten viele Leute ko - ſtete. Unſere Armee hatte ſich in den Linien nun - mehr ſo ſehr verſchanzt, daß wir nicht befuͤrchten durf - ten, in der Belagerung gehindert zu werden, obgleich der Feind um 10000 Mann ſtaͤrker war, als wir, wir auch aus ſeinen beſtaͤndigen Bewegungen vom 26ſten bis zum 30ſten glauben mußten, daß er unsangrei -31angreifen und zur Aufhebung der Belagerung zwingen wollte. Den 30ſten lagerte er ſich einen Kanonen - ſchuß von unſern Verſchanzungen, welches uns an der Belagerung hinderte, indem jedes Regiment, wel - ches wir nur auf einige Art erſparen konnten, zur Verſtaͤrkung der Armee gebraucht ward. Der Feind blieb vier Tage in dieſer Stellung, ohne uns zu be - unruhigen, da denn der Marſchall von Villars es fuͤr das Beſte hielt, ſich auf eine Stunde weit zuruͤck zu ziehen, worauf die Belagerungs-Regimenter wieder auf ihre Poſten giengen, und die Belagerung mit dem groͤßten Eifer foͤrtgeſetzt wurde. Der Feind that haͤufige Ausfaͤlle und ließ viele Minen ſpringen, wel - ches uns doch nicht hinderte, uns den 5ten Junii der Contreſcarpe zu bemaͤchtigen. Den 17ten liefen wir Sturm und eroberten ein Ravelin, und nachdem wir den Graben mit Faſchinen ausgefuͤllet hatten, ſchlugen wir unſere Bruͤcke nach der Haupt-Breſche. Jn der Nacht auf den 22ſten wurden die Laufgraͤben auf das Fort Scarp geoͤffnet, welches ein regulaͤres Fuͤnfeck war, worauf der Feind den 25ſten Nachmit - tags um 2 Uhr Chamade ſchlug, und den 26ſten ſo wohl die Stadt als das Fort uͤbergab. Die Bela - gerten hatten ungefaͤhr 3000 Mann Todte, unſer Verluſt aber beſtand in 8000 Mann an Todten und Verwundeten. Den 29ſten marſchierte der Mar - ſchall Albergotti mit ſeiner Beſatzung, die noch aus 4725 Mann beſtand, aus. General Hompeſch ward Gouverneur der Stadt, und der Brigadier des Roques, der erſte Jngenieur, ward Commendant des des Forts Scarp.

Nach32
Belagerung von Bethune.
1

Nach einer Erholung von einigen Tagen nach ei - ner ſo ſchweren Arbeit brachen wir auf, in der Abſicht Arras zu belagern. Als der Feind ſolches merkte, gieng er in ſeine neuen Linien und vereitelte dadurch unſer Vorhaben, daher wir Bethune zu belagern be - ſchloſſen, und die Stadt den 13ſten Julii berenneten. Den 23ſten wurden die Laufgraͤben auf zwey Seiten eroͤffnet, die eine von dem General Schuylenburg und die andere von dem General Fagel. Die Fran - zoͤſiſche Armee machte eine Bewegung, als wenn ſie die Stadt entſetzen wollte; als ſie aber ſahe, daß wir bereit waren, ſie zu empfangen, ſo zeigte ſie ſich bloß und zog ſich hierauf wieder hinter ihre Linien. Die Belagerung ward ſehr lebhaft gefuͤhret. Den 29ſten that die Beſatzung einen Ausfall auf Fagels Seite, wo er faſt ein ganzes Regiment Preuſſiſcher Garde zu Grunde richtete, welches zum Ungluͤcke auf ein - mal gefeuert, ſich dadurch verſchoſſen hatte, und da - her von dem Feinde mit großem Verluſte uͤber den Haufen geworfen ward. Unſer Regiment eilte ihm ſo gleich zu Huͤlfe, und hinderte, daß es nicht abge -Ungluͤck ſechs Schot - tiſcher Offi - ciers. ſchnitten ward. Denſelben Tag begegnete ſechs Of - ficieren von einem Schottiſchen Regimente, welche in einer Reihe auf dem Banquette ſaßen, das Ungluͤck, daß eine Kanonenkugel ihnen allen die Fuͤße wegnahm, einen einigen ausgenommen, der den einen Fuß auf dem Banquette liegen hatte, und ihn dadurch rettete. Er war auch der einige, der mit dem Leben davon kam, die uͤbrigen mußten ſterben. Dieſe ungluͤckliche Ku - gel kam aus einer unſerer eigenen Kanonen auf Schuy - lenburgs Seite, welche auf ein Baſtion gerichtet war, aber ungluͤcklicher Weiſe unſere eigenen Laufgraͤbenflankierte.33flankierte. Die Stadt warf eine große Menge Bom - ben auf unſere Batterien, welche aber zu kurz gerich - tet waren, und groͤßtentheils in unſere Laufgraͤben rolleten, welches die Mannſchaft in denſelben in be - ſtaͤndiger Bewegung erhielt, ihnen auszuweichen. Jch mußte einmal in einen demolierten Keller ſteigen, und als ich kaum hinein war, rief die Schildwache: Huͤtet euch vor der Bombe! ſogleich lag ſie in meinem Keller, und ich eilte, ſo ſehr ich konnte, hin - aus, worauf ſie ſo gleich platzte, und eine Menge Steine und Schutt um mich her warf, ohne mich doch zu beſchaͤdigen. Den 28ſten Auguſt ſchlug die Beſatzung Chamade, und den 31ſten marſchierte der General von Vauban mit 1700 Mann aus, die ihm noch uͤbrig waren, indem er beynahe 2000 Mann verlohren hatte. Sie koſtete uns 3665 Mann an Todten und Verwundeten. Der General-Major Keppel ward zum Gouverneur ernannt.

Hierauf folgte die Belagerung von Aire und St.Belagerung von Aire und St. Venant. Venant; wir brachen den 2ten September dahin auf, und beyde Orte wurden den 5ten berennet. Der Fuͤrſt von Anhalt fuͤhrte die Belagerung von Aire, der Prinz von Naſſau aber die von St. Venant. Um dieſe Zeit fieng der Feind einen Transport von Kriegs - geraͤthſchaften und Lebensmitteln auf, welcher auf dem Fluſſe Lys in Bothen zu uns gefuͤhret ward, welchen er wegnahm und verwuͤſtete, eine große Anzahl von der Bedeckung niedermachte oder verwundete, und 800 Gefangene machte. Dieß hielt indeſſen die Bela - gerung keinen Augenblick auf; denn St. Venant ergab ſich den 30ſten, und Herr Bruyn, der Jngenieur, ward daſelbſt zum Commendanten ernannt. Wir hattenCdabey34dabey 940 Mann an Todten und Verwundeten verloh - ren. Der Franzoͤſiſche Befehlshaber ward nachmals we - gen ſeiner ſchlechten Gegenwehr in die Baſtille geſchickt.

Vor Aire wurden die Laufgraͤben den 12ten September auf zwey Seiten geoͤffnet. Den 21ſten thaten die Belagerten einen Ausfall, der aber mit Verluſt von 40 Mann zuruͤck geſchlagen ward. Den 23ſten bemaͤchtigten wir uns einer Redoute nach geringem Widerſtande. Um dieſe Zeit uͤber - gab der Marſchall Villars das Commando der fran - zoͤſiſchen Armee dem Marſchall Harcourt, welchen der Koͤnig zu dem Ende abgeſchickt hatte. Den 8ten October nahmen wir eine andere Redoute mit ſtuͤrmender Hand ein, und bemaͤchtigten uns in der Nacht des bedeckten Weges. Nach vielen Arbeiten und Beſchwerden von unſerer Seite verlang - te der Feind den 3ten November zu capitulieren, und den 12ten marſchierte General Goesbriant der Gouverneur mit 3628 Mann aus, 1500 Verwun - dete nicht mitgerechnet, welche in der Stadt blieben. Unſer Verluſt beſtand in dieſer Belagerung in 7000 Mann an Todten und Verwundeten. Der Graf von Naſſau-Waldenburg ward zum Gouverneur der Stadt ernannt, worauf unſere ganze Armee auf die Ebenen von Ryſſel ruͤckte, wo ſie ſich den 15ten trennte, und in die Winterquartiere gieng. So endigte ſich dieſer Feld - zug, der zugleich fuͤr mich der letzte in dieſer Gegend war.

Vielleicht hat man zu keiner Zeit und in keinem Lande, ſelbſt die durch Caͤſars Siege ſo beruͤhmten Ge - genden nicht ausgenommen, ein Beyſpiel von einem ſo ſchnellen Fortgange der Waffen, als die alliirte Ar - mee in dieſem Kriege hatte. Sie ſchlug jederzeitweit35weit zahlreichere Armeen wohl disciplinierter, und mit allem uͤberfluͤßig verſehener Truppen, welche noch dazu von verſuchten und beruͤhmten Feldherren befeh - liget wurden, die ihr jeden Schritt ſtreitig machten. Und doch konnten ſie in ihren ſtark befeſtigten Staͤdten nicht die geringſte Sicherheit finden; ſie fielen in je - dem Feldzuge in die Haͤnde der Alliirten, und die ſiegreichen Helden glaͤnzen auf jeder Seite der kriege - riſchen Geſchichte. Allein wie wenig Bewunderung verdienen ſie, nach den Grundſaͤtzen des buͤrgerlichen Lebens betrachtet, wo uns die Menſchlichkeit zwinget, die kinderloſen Aeltern, huͤlfloſen Waiſen, klagenden Wittwen und traurenden Freunde zu bejammern, wel - che Ludwigs XIV Ehrgeiz ungluͤcklich und elend machte.

Wir bezogen unſere Winterquartiere in Dornick,Schreckliche Geſchichte von den Je - ſuiten zu Dornick. wo der Graf von Albemarle jetzt Gouverneur war. Kurz vorher trug ſich in dem Jeſuiter-Collegio eine Geſchichte zu, welche die ganze Stadt in Erſtaunen ſetzte. Ein Schuſter, welcher nahe an dem Collegio wohnte, hatte eine huͤbſche Frau, und ward daher von einem der heiligen Vaͤter mehrmals beſucht, wel - cher Schuhe und Pantoffeln fuͤr ſich und ſeine Colle - gen beſtellte. Endlich befahl er der Frau, wenn ſie fertig waͤren, ſie zu ihm zu bringen, und das Geld dafuͤr abzuholen, welches die Frau auch that. Sie ward in das Collegium gelaſſen, kam aber nicht wie - der zuruͤck, welches den armen Mann und ſeine Nach - barn ſehr beunruhigte, als welche ganz natuͤrlich in dem Collegio nach ihr fragten, aber zur Antwort erhielten, daß ſie das Geld empfangen habe, und damit fortgegangen ſey. Da man in die Wahr - heit der heiligen Vaͤter kein Mißtrauen ſetzte, ſoC 2durfte36durfte in dem Collegio auch keine weitere Unterſu - chung angeſtellt werden, und das Schickſal der Frau blieb unbekannt. Einige Tage darauf ſchlich ſich ein Knabe in der Nacht in einen Garten nahe an dem Garten der Jeſuiten, Aepfel zu ſtehlen und ſahe bey dem Mondſcheine von dem Gipfel des Baumes, daß die heiligen Vaͤter beſchaͤftiget waren, einen tod - ten Koͤrper in ihrem Garten zu begraben. Der Knabe, welcher wußte, daß man die Schuſterfrau vermißte, erzaͤhlte ſeinem Vater, was er geſehen hat - te. Der Vater, welcher nicht weit von dem Schu - ſter wohnte, gab ihm ſogleich davon Nachricht, und beyde giengen mit dem Knaben zu dem Gouverneur, welcher zu der Obrigkeit ſchickte, die ſich auch in das Collegium verfuͤgte. Als man in den Garten kam, zeigte der Knabe die Stelle, wo man den Koͤrper begraben hatte, und als man nachgrub, ſo fand man wirklich die Schuſterfrau mit abgeſchnittener Gurgel und ganz zerriſſenen Kleidern. Die Vaͤ - ter ſtellten ſich als wenn ſie von der ganzen Sache nicht das mindeſte wuͤßten, und ſchoben die ganze ſchaͤndliche That auf zwey ihrer Collegen, welche unſichtbar geworden waren. Dieß war aller Erſatz, welchen der arme Mann fuͤr den Verluſt ſeines Wei - bes erhalten konnte, obgleich der Knabe betheuerte, daß er acht Perſonen mit Begrabung des Koͤrpers be - ſchaͤftigt geſehen habe. Der Schuſter, deſſen Nach - bar und ſein Sohn hielten es fuͤr das Kluͤgſte, ſich nach Holland zu begeben, wo ſie Proteſtanten wurden, um der unbarmherzigen Rache dieſer heiligen Vaͤter zu ent - gehen. Dieſe Geſchichte ward mir von verſchiedenen Of - ficiers erzaͤhlt, welche damals hier in Garniſon lagen.

Zweytes37

Zweytes Buch.

Er gehet als Capitaͤn in Ruſſiſche Dienſte. Hohlt den General Bruce zu Preuſſiſch-Holland ein. Merkwuͤrdige Geſchichte von einem Manne in El - bingen. Sie kommen zu Jaweroff an, wo ſich der Czar in der Stille vermaͤhlet. General Bruce’s Rang und Anſehen. Nachricht von der Ruſſi - ſchen Armee. Jhre Staͤrke und Kleidung. Feldzug wider die Tuͤrken. Kriegesrath am Dnieſter. Prinz Cantemir kommt zu ihnen, aber ohne alle Truppen. Ein Schwarm Heu - ſchrecken. Die Tuͤrken kommen zum Vor - ſchein. Die Ruſſen ſtellen ſich an dem Pruth. Fechten drey Tage mit den Tuͤrken. Die Cza - rinn rettet die ganze Armee. Der Koͤnig von Schweden uͤberwirft ſich mit dem Groß-Vezier. Ruͤckmarſch der Ruſſen. Die Tartarn fuͤhren des Oberſten Pitt Gemahlinn und Tochter weg. Der Groß-Herr beſtaͤtigt den Frieden. Capi - taͤn Bruce wird als Expreſſer nach Conſtantinopel geſchickt. Beſchreibung dieſer Stadt. Jhre Moſcheen. Gelegenheit fuͤr Fremde. Staͤr - ke. Das Serail. Scutari, ſchoͤne Ausſicht. Der Hafen. Vorſtaͤdte. Das Zeughaus. Die Luft und das Clima. Haͤuſer der Tuͤr - ken. Jnnere Regierung des Landes. Reli - gion. Gottesdienſt. Die Peſtſpiele der Tuͤr - ken. Jhr Eſſen und Trinken. Ruhe. Ue - bungen in ihrer Jugend. Kleidung des andern Geſchlechtes. Herrſchender Eigennutz. Frey -C 3heiten38heiten der Ehen. Concubinat. Politik ihrer Religion. Strenge gegen verliebte Fremde. Jhre Geſetze in Schuldſachen. Jn peinlichen Faͤllen. Jhre Strafen. Woher der Capi - taͤn ſeine Nachrichten gehabt. Neue Schwierig - keiten in Anſehung des Friedens. Veraͤnderung des Miniſterii. Neuer Tractat. Der Frie - de wird von neuem gebrochen. Der Czar thut dagegen Vorſtellungen. Das Miniſterium wird abermals veraͤndert. Der Ruſſiſche Ambaſſa - deur wird in die ſieben Thuͤrme geſchickt. Groſ - ſe Kriegesruͤſtungen.

1710. Er gehet in Ruſſiſche Dienſte.
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Dieſen Winter lud mich der General Bruce, welcher Ruſſiſcher Feldzeugmeiſter und ein Großenkel des Jacob Bruce war, welcher mit meinem Großva - ter Schottland verlaſſen hatte, ein, in Ruſſiſche Dienſte zu treten, wenn ich es fuͤr rathſam hielt, die Preuſſi - ſchen zu verlaſſen. Er meldete mir zugleich, daß er ſich jetzt zu Elbingen in Preuſſen befinde, wo er ſich einige Zeit aufhalten wuͤrde, daher ich dahin kommen ſollte, wenn ich ſein Anerbiethen annehmen wuͤrde. So ſehr mir auch dieſer Antrag gefiel, ſo konnte ich mich doch nicht eher entſchließen, als bis ich meine Verwandten zu Berlin befragt hatte, von deren Freundſchaft ich hinlaͤnglich uͤberzeugt war, und dieſe riethen mir einmuͤthig, den Antrag anzunehmen. Nachdem ich nun meinen Abſchied als Capitaͤn bekom - men hatte, ſchickte ich mich zur Abreiſe an, und gieng1711. den 25ſten Maͤrz 1711 von Dornick ab. Jch rei - ſete uͤber Oudenarde, Gent und Saß, und kam den 30ſten nach Rotterdam, worauf ich uͤber Delft undHaag39Haag gieng, und den 1ſten April zu Amſterſtam an - kam, wo ich mit einem Hollaͤndiſchen Schiffe nach Koͤnigsberg ſegelte. Wir ſegelten den 13ten aus dem Texel, liefen den 2ten May in den Sund ein, und ankerten den 7ten zu Pillau, welches ein Fort und Hafen iſt, der dem Koͤnige von Preuſſen gehoͤret. Jch machte ſogleich dem Gouverneur meine Aufwar - tung, welcher mir ſagte, daß General Bruce an ihn geſchrieben und ihn gebethen habe, mich, wenn ich an - kommen ſollte, nach Elbingen zu befoͤrdern. Weil nun der Gouverneur glaubte, daß der General nicht ſo bald von Elbingen abreiſen wuͤrde, ſo bath er mich, ein Paar Tage bey ihm zu bleiben, und ihm einige Nachricht von dem letzten Feldzuge zu ertheilen. Nach dem Eſſen trat ein Officier herein, welcher dem Gou - verneur meldete, wie er von einem Herrn, der eben von Elbingen gekommen ſey, erfahren habe, daß der General denſelben Tag habe von Elbingen abreiſen wollen. Jch beſchloß daher, ſogleich abzureiſen, ließ mich in einem Bothe an das andere Ufer ſetzen, nahm ein Pferd nach Elbingen, und kam noch denſelben Abend daſelbſt an. Hier erfuhr ich, daß der General den Nachmittag abge - reiſet ſey, nachdem er einen Expreſſen von dem Czar er - halten hatte, ſo geſchwinde als moͤglich zu ihm zu kommen.

Der General-Major Balk, Gouverneur zuEr hohlt den General Bruce ein. Elbingen, ſagte mir, der General Bruce habe ihn gebethen, mich, ſo bald ich ankommen wuͤrde, ihm ſo gleich nachzuſchicken. Jch nahm alſo ſo gleich ein Pferd, ritt die ganze finſtere Nacht durch, und hohlte ihn den folgenden Morgen, den 9ten May, in Preuſſiſch-Holland ein, eben da er ſeine Reiſe fort - ſetzen wollte. Er empfieng mich ſehr guͤtig, und daC 4er40er ſahe, daß ich ſehr ermuͤdet war, ſo verlangte er, daß ich mich in ſeinen Schlafwagen ſetzen ſollte, wo ich wirklich den ganzen Tag ſchlief, indem ich ſeit der Mahlzeit in Pillau weder gegeſſen noch geſchlafen hat - te. Ein ſolcher Schlafwagen iſt in jeder Ruͤckſicht ein Wagen; nur der Boden iſt ſo lang, daß man in einem Bette ausgeſtreckt darinn liegen kann. Jch fand nachmals, daß jeder Officier bey der Ruſſiſchen Armee einen ſolchen Wagen hatte, welches bey ihren langen Maͤrſchen durch wuͤſte Gegenden gewiß ſehr nothwendig iſt. General Bruce hatte verſchiedene Preuſſiſche Artillerie-Officiers zu Ruſſiſchen Dienſten beredet, wovon ihrer zwey Jngenieurs wurden.

Geſchichte von einem Manne zu Elbingen.
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Unter Weges unterhielt mich der General mit ei - ner Geſchichte, welche ſich waͤhrend ſeines Aufent - haltes zu Elbingen zugetragen hatte, wo ein Mann durch ihn von dem Scheiterhaufen war gerettet wor - den. Dieſer alte Mann hatte einen einigen Sohn, welcher ein Wuͤrzkraͤmer in der Stadt war, und wel - chem er ſein ganzes Vermoͤgen unter der Bedingung abgetreten hatte, daß er ihn, ſo lange er lebte, unter - halten ſollte. Der Sohn war ihm gut begegnet, al - lein deſſen Frau behandelte den alten Mann ſo grau - ſam, daß er ausziehen, und ſich eine eigene Wohnung ſuchen mußte, worauf der Sohn, auf Anſtiften ſeines Weibes, ſich weigerte, etwas zu ſeinem Unterhalte zu gebeu, oder die Miethe fuͤr ihn zu bezahlen, und ſo gar drohete, ihn in Verhaft nehmen zu laſſen. Dieſe ſchaͤndliche Begegnung gieng dem armen Man - ne ſo nahe, daß er auch daruͤber von Sinnen kam, und in ſeinem Wahnwitze mit ſeinem Blute eine Handſchrift aufſetzte, worin er ſich mit Seel und Leibedem41dem Teufel ergab, wenn er ihm dafuͤr eine gewiſſe Summe Geldes verſchaffen wuͤrde. Um nun des Teufels Geſinnung zu erfahren, trug er das Papier auf einen Kreuzweg und grub es daſelbſt ein, kam auch mehrmals wieder an den Ort, zu ſehen, ob der Teufel ſeinen Antrag angenommen habe. Da er nun kein Geld fand, ſo ward er wider den Teufel aufgebracht, und ſchmaͤhete auf ihn. Einige Arbei - ter, die in der Naͤhe waren, und ihn mehrmals an dieſem Orte bemerket hatten, giengen einmal in ſeiner Abweſenheit dahin, gruben das Papier auf, und brachten es zur Obrigkeit, welche den alten Mann in Verhaft nahm, ihm den Proceß machte, und ihn zum Scheiterhaufen verurtheilte. Als der General die Geſchichte hoͤrte, ſo nahm er ſich des alten Man - nes an, und uͤberzeugte ſeine Richter, daß bloß ſeine gegenwaͤrtige bedraͤngte Lage, und die Furcht vor kuͤnftigem Mangel den alten armen Mann wahnwitzig gemacht habe, und daß nicht er, ſondern ſein unna - tuͤrlicher Sohn geſtraft werden muͤßte. Der Be - weis war leicht, und die Wahrheit entdeckte ſich ſehr bald ſelbſt. Der alte Mann ward in Freyheit ge - ſetzt, und der Sohn verurtheilt, ihm alle Vierteljahr ſeinen Unterhalt zu bezahlen, worauf der Vater voͤllig wieder zu Verſtande kam.

Den 17ten kamen wir zu Warſchau an, und denGeheime Vermaͤhlung des Czars. 29ſten zu Jaweroff, wo ſich der Czar ins Geheim mit der Czarinn vermaͤhlte, wobey der General gegen - waͤrtig war, und bey dieſer Gelegenheit zum General - Feldzeugmeiſter ernannt ward. General Bruce warDes Gene - ral Bruce Anſehen. damals Ritter von vier Orden, naͤmlich von dem An - dreas -, weißen Adler -, ſchwarzen Adler - und Elephan -C 5ten -42ten-Orden, und hier erhielt ich mein Patent als Ca - pitaͤn bey dem Artillerie - und Jngenieur-Corps. Jch begab mich von hier nach Lemberg, mich meinem neuen Corps gemaͤß zu kleiden, und ward daſelbſt an einen Kaufmann, Nahmens Gordon, empfohlen, welcher mir viele Hoͤflichkeit erwies. Als ich wieder nach Jaweroff kam, brach die Armee auf, und wir reiſeten in des Kaiſers Gefolge nach Soroka an dem Dnieſter, wo wir zu der Ruſſiſchen Armee ſtießen. Der Ort liegt 600 (Engliſche) Meilen in Suͤden von Elbingen.

Nachricht von der Ruſ - ſiſchen Ar - mee.
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Die Ruſſiſche Armee wird von einem Feldmar - ſchalle und in deſſen Abweſenheit von dem General von der Artillerie commandiret, welcher einen Gene - ral-Lieutenant und einen General-Major unter ſich hat. Ein Regiment Artillerie beſteht aus 2400 Mann Bombardier, Kanonier, Minierer und Hand - langer; außer welchen jedes Bataillon von der Ar - mee ein Feldſtuͤck von drey Pfund bey ſich hat. Die Armee wird nach Diviſionen gerechnet, deren jede aus neun Regimentern beſtehet, wovon immer eines Grenadier ſind. Jede Diviſion wird von einem Ge - neral, einem General-Lieutenant, einem General - Major und einem Brigadier commandiret. Ein Regiment beſteht aus zwey Bataillons oder acht Com - pagnien, und wird von einem Oberſten, einem Oberſt - Lieutenant und zwey Majors commandiret; eine Com - pagnie aber beſtehet aus 150 Gemeinen, welche von einem Capitaͤn, zwey Lieutenants, einem Faͤhndrich, zwey Sergeanten, und einem Fahnjunker comman - diret werden. Ueberdieß befinden ſich bey jeder Com - pagnie ein Capitaͤn des Armes, ein Quartiermeiſter,ein43ein Geiſtlicher, ein Feldſcherer, zwey Tambours, ein Zimmermann, fuͤnf Denzigs, oder Unterofficier, und funfzehn Fuhrknechte, zuſammen 183 Mann. Je - de Compagnie hat ihre eigene Fahne, daher deren bey jedem Bataillon fuͤnf ſind. Die Generals haben ſo wenig Regimenter, als die Feld-Officiers Compa - gnien; auch haben die Capitaͤns mit dem Solde, den Montierungs-Stuͤcken, dem Gewehre und der Re - crutierung ihrer Compagnien nichts zu thun, indem dieſes von einem Commiſſaͤr oder Zahlmeiſter beſorgt wird. Die Recruten werden allemal von den Gou - verneurs der Provinzen gefordert, und von ihnen ge - ſtellet. Ein Regiment bekommt ſeinen Nahmen von der Stadt oder Provinz, wo es zuerſt iſt errichtet worden, und behaͤlt denſelben zu allen Zeiten; ausge - nommen die Grenadier-Regimenter, welche nach dem commandirenden General der Diviſion genannt werden. Die Compagnien jedes Regimentes werden gemeinig - lich mit Zahlen von 1 bis 8 unterſchieden. Sie ſte - hen in einem Treffen jederzeit vier Mann hoch, daher die beyden vorderſten Glieder niederfallen. Des Czars eigene Diviſion beſtand damals aus vier Regi - mentern, deren jedes eine Compagnie Grenadiers hat - te, welche ſonſt kein Regiment hat. Das erſte die - ſer Regimenter, welches das Prebaſinskiſche hieß, beſtand aus vier Bataillons; das zweyte oder das Samenofskiſche beſtand aus drey, das dritte oder das Jngermanlandiſche aus drey, und das vierte oder das Aſtrachanſche aus zwey Bataillons; in allem dreyzehn Bataillons, die vier Grenadier-Compagnien mit ein - geſchloſſen. Jede Compagnie bey dieſer Diviſion hatte uͤberdieß noch einen Capitaͤn-Lieutenant. Auſ -ſer44ſer dem befanden ſich bey des Kaiſers Diviſion noch zwey andere Grenadier-Compagnien, welche aus Bombardierern, Kanonierern und Minirern beſtan - den. Bey jedem Bataillon in der ganzen Armee be - findet ſich wenigſtens ein Officier, welcher ein Jnge - nieur iſt.

Jhre Staͤrke und Montie - rung.
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Die Ruſſiſche Macht beſtehet, die Beſatzungen mit eingeſchloſſen, aus 200000 Mann zu Fuß, und 100000 Mann zu Pferde; die Koſaken und Kal - mucken nicht mitgerechnet, welche, wenn es noͤthig iſt, 150000 Mann in das Feld ſtellen koͤnnen. Die ganze Armee traͤgt weiße Huthſchleifen; die Cavalle - rie iſt blau gekleidet mit roth eingefaſſet; das Fußvolk gruͤn mit roth und die Artillerie roth mit blauer Ein - faſſung.

Die Armee, zu welcher wir uns zu Soroka be - gaben, beſtund aus fuͤnf Diviſionen, jede von 6000 Mann, welche von dem Feldmarſchall, Grafen Tſche - remetof, commandieret wurden. Die erſte Diviſion war des Czars eigene, die zweyte des Generals Wey - de, die dritte des Fuͤrſten Repnin, die vierte des Ge - neral Hallard, und die fuͤnfte des General Rentzel, in allem 30000 Mann zu Fuß, wobey ſich eine zahl - reiche Artillerie befand. Die Armee war zu einer Unternehmnng gegen die Tuͤrken beſtimmt. Es ſoll - ten noch 30000 Dragoner zu uns ſtoßen, welche ab - geſchickt waren, ein Tuͤrkiſches Magazin an dem Dnie - ſter ein wenig uͤber Bender zu zerſtoͤren, welches ſie auch bewerkſtelligten und die Tuͤrken daſelbſt ſchlugen, aber verhindert wurden, zu uns zu ſtoßen, daher wir auch nicht laͤnger auf ihre Ruͤckkunft warteten. Ue - berdieß befanden ſich 50000 Kalmucken und Tartarnund45und 20000 Koſaken in voͤlligem Marſche zu uns, mit welchen Verſtaͤrkungen wir 130000 Mann ſtark waren.

Da der Kaiſer nun entſchloſſen war, aufzubre -Feldzug ge - gen die Tuͤr - ken. chen, ohne auf die uͤbrige Macht zu warten, ſo ward Befehl gegeben, alle bey der Armee befindliche Wei - ber fortzuſchicken. Allein die Kaiſerinn drang dar - auf, daß ſie ihren Gemahl begleiten wollte, welches ihr auch zugeſtanden ward, worauf die Generals um eben dieſelbe Freyheit fuͤr ihre Gemahlinnen anhielten, damit ſie der Kaiſerinn aufwarten koͤnnten, welches ſie auch erhielten. Die uͤbrigen Officier-Weiber glaub - ten nun, daß ſie eben daſſelbe Recht haͤtten, und blie - ben, des Befehls ungeachtet, bey der Armee. Ob nun gleich dadurch das Gepaͤck unſerer Armee anſehn - lich vermehret ward, ſo war uns doch dieſer Umſtand am Ende außerordentlich vortheilhaft.

Es ſcheinet, daß unſer ploͤtzlicher Aufbruch durch das geheime Verſtaͤndniß mit Brancowen, Fuͤrſten der Moldau, veranlaſſet worden, welcher nicht allein mit ſeiner ganzen Macht zu uns zu ſtoßen, ſondern uns auch hinlaͤnglich mit Lebensmitteln und rauhem Futter zu verſehen verſprach, wovon er doch nichts halten konnte. Denn ſo bald der Großherr von ſeiner Em - poͤrung Nachricht erhielt, entſetzte er ihn ſeines Fuͤr - ſtenthums und gab daſſelbe dem Cantemir, Fuͤrſten der Wallachey, mit dem Befehle, ſich des Branco - wen zu bemaͤchtigen, und denſelben nach Conſtantino - pel zu ſchicken. Zugleich ward demſelben aufgetra - gen, eine Bruͤcke uͤber die Donau zu ſchlagen, den Uebergang der Tuͤrken uͤber dieſen Fluß zu erleichtern, indem ſie uns entgegen ruͤcken wollten. Allein, dieTuͤrken46Tuͤrken wurden in ihrer Rechnung eben ſo ſehr betrogen, als wir; denn da einige ihrer Befehlshaber dem Fuͤr - ſten Cantemir ſehr uͤbel begegneten, ſo verzoͤgerte er den Bau der Bruͤcke, an Statt ihn zu beſchleunigen, und ſchickte indeſſen einen Officier an den Czar, und ließ denſelben bitten, in aller Eil mit 30000 Mann zu ihm zu ſtoßen, indem er glaubte, daß dieſe Macht nebſt ſeinen eigenen Truppen hinlaͤnglich im Stande ſey, die Tuͤrken an dem Uebergange uͤber die Donau zu hindern. Da der Czar eben von dem Branco - wen war hintergangen worden, (denn er machte ſich nachmals bey den Tuͤrken ein Verdienſt daraus,) ſo trauete er dem Fuͤrſten Cantemir anfaͤnglich nicht, und hernach war es zu ſpaͤt, den Uebergang zu hindern.

Kriegesrath am Dnieſter.
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Den 14ten Jun. gieng unſere Armee uͤber den Dnie - ſter, worauf der Czar einen Kriegesrath berief, der in des General Bruce’s Zelt gehalten ward, wobey man zugleich den Brief des Fuͤrſten Cantemir verlas. Der Czar war nunmehr der Meynung, vorwaͤrts zu ruͤcken, ohne auf die uͤbrigen Truppen zu warten, und alle Generals billigten ſolches, den General Hallard ausgenommen, welcher nichts ſagte. Da der Czar deſſen Stillſchweigen bemerkte, ſo befahl er ihm, ſei - ne Meynung frey zu ſagen. Der General verſetzte, da der Kriegesrath ſo einmuͤthig ſey, ſo wuͤrde er ſich nicht unterſtanden haben, einen Einwurf zu machen, wenn der Czar es nicht ausdruͤcklich befohlen haͤtte. Er ſagte hierauf, wie er ſich ſehr wundere, daß man das Schickſal des Koͤniges von Schweden nicht als ei - ne hinlaͤngliche Warnung anſehe. Dieſer Monarch ſey durch den Verraͤther Mazeppa zu einem Fehltritteverlei -47verleitet worden, und er glaube, daß ſich die Ruſſi - ſche Armee jetzt in aͤhnlichen Umſtaͤnden befinde. Der Fuͤrſt der Moldau, ſagte er, hat uns be - reits hintergangen, und der Fuͤrſt der Wallachey kann ein gleiches thun. Und wenn auch er ſelbſt es gut meynet, ſo kann es ihm an Macht fehlen, uns zu die - nen; denn es iſt ſehr zu fuͤrchten, daß ſeine Truppen, welche ſeit langer Zeit an die Tuͤrkiſche Regierung ge - woͤhnt ſind, nicht gleicher Meynung mit ihm ſeyn werden. Und dieß traf auch vollkommen ein.

Nichts deſto weniger ward der Marſch beſchloſ -Cantemir kommt allein zu uns. ſen, und wir brachen noch dieſelbe Nacht auf, die große Hitze am Tage zu vermeiden. Wir marſchir - ten drey Naͤchte lang durch eine wuͤſte duͤrre Heide, wo wir auf dem ganzen Wege keinen Tropfen Waſſer hatten, welches ſowohl die Menſchen als das Vieh aͤußerſt mitnahm. Den 18ten langten wir an dem Pruth an, wo wir viele von unſern Bagage-Pferden einbuͤßten, welche zu gierig getrunken hatten. Den 19ten giengen wir bey Jaſſy, der Haupt - und Reſi - denzſtadt des Fuͤrſten der Moldau, uͤber den Fluß. Hier kam der Fuͤrſt Cantemir mit einer geringen Be - gleitung ganz allein zu uns, indem ſowohl die Mol - dauiſchen als Wallachiſchen Truppen ihn aus Furcht vor den Tuͤrken verlaſſen hatten. Wir ſetzten unſern Marſch laͤngs dem Pruth fort, bis zum 21ſten, daEin Schwarm Heuſchrecken. wir auf einen fuͤrchterlichen Schwarm Heuſchrecken ſtießen, der, wenn er ſich erhob, die ganze Armee als eine Wolke uͤberſchattete. Sie hatten nicht allein al - les Gras auf dem Felde, ſondern auch die Blaͤtter und die zarte Rinde an den Baͤumen aufgefreſſen. Hier verlohren wir wieder einen Theil unſerer Bagage -Pferde48Pferde aus Mangel an Futter. Es war dabey merk - wuͤrdig, daß die Heuſchrecken unſere Armee niemals verließen, und ſo bald wir nur unſere Gezelte aufſchlu - gen, ſo ließen ſie ſich nieder und bedeckten das ganze Lager. Wir feuerten die Kanonen und das kleine Gewehr ab, und ſtreueten Pulver auf den Boden und zuͤndeten es an, ſie zu vertreiben; aber alles verge - bens. Sie begleiteten uns auf unſerm MarſcheDie Tuͤrken kommen zum Vorſchein. laͤngs dem Fluſſe, bis zum 27ſten, da wir die Tuͤrki - ſche Armee entdeckten, welche eben uͤber den Fluß ge - hen wollte. Der General Janus ward zwar ſogleich mit einem Corps und 12 Kanonen abgeſchickt, ihnen den Uebergang ſtreitig zu machen. Allein es war zu ſpaͤt, denn die Haͤlfte der Armee war bereits uͤber den Fluß, ehe er ankommen konnte, daher er es fuͤr das kluͤgſte hielt, ſich zur Armee zuruͤck zu ziehen. Es war in der That erſtaunlich, daß wir von einer ſo zahlrei - chen Armee, welche aus nicht weniger als 200000 Mann beſtand, nicht eher die geringſte Nachricht hat - ten, als bis wir ſie vor Augen ſahen.

Die Ruſſen ſtellen ſich in Schlachtord - nung.
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Unſere Armee ſtellete ſich in einiger Entfernung von dem Fluſſe in Schlachtordnung, in der Hoffnung, ſie zu einem Treffen zu bringen. Allein, ſie hielten ſich uͤber einen Kanonenſchuß von uns entfernt, und dehn - ten ihre zahlreiche Armee aus, um uns zu umringen, und uns von dem Fluſſe abzuſchneiden. Wir blieben unter dem Gewehre bis in die Nacht, und da wir ihre Abſicht entdeckten, ſo zogen wir uns in großer Unord - nung zuruͤck, den Fluß zu behaupten, wobey alle unſere Diviſionen in der Finſterniß von einander ge - trennet wurden, und da wir jetzt großen Mangel an Pferden litten, ſo verbrannten wir einen Theil unſererBagage -49Bagage-Wagen, damit ſie dem Feinde nicht in die Haͤnde fallen moͤchten. Es war zu verwundern, daß der Feind aus den vielen Feuern, welche wir in der Nacht machten, unſere Verwirrung nicht merkte, welche ihm die beſte Gelegenheit wuͤrde gegeben ha - ben, unſere ganze Armee zu Grunde zu richten, wel - ches er mit einem kleinen Theil der ſeinigen haͤtte be - werkſtelligen koͤnnen. Allein zu unſerm Gluͤcke ſchie - nen die Tuͤrken mehr auf ihre eigene Sicherheit, als auf unſern Untergang bedacht zu ſeyn, denn ſie waren ſo geſchaͤftig, ſich zu verſchanzen, daß ſie daruͤber auf uns keine Acht hatten. Bey Anbruch des Tages wurden unſere zerſtreuten Truppen wieder in Ordnung gebracht, und unſere Armee ſtellte ſich in ein geſchloſ - ſenes Viereck, wobey der Fluß die vierte Seite aus - machte, welches den Vortheil brachte, daß wir un - ſer Viereck laͤnger ausdehnen konnten. Unſere Wa - gen wurden zur Bedeckung der Damen in die Mitte genommen.

Auf der andern Seite des Fluſſes und uns gegen uͤber ſtanden die Crimmiſchen Tartarn, unter welchen der Koͤnig von Schweden ſein Lager aufgeſchlagen hatte, die Bewegungen unſerer Armee zu beobachten. Die Tartarn fielen uns, ſo oft wir zu Waſſer giengen, ſehr beſchwerlich; allein ſo bald wir nur einige Kano - nen gegen ſie ſpielen ließen, hielten ſie ſich in einiger Entfernung. Unſere Armee ward mit Spaniſchen Reitern umgeben, welches die einige Schutzwehr war, welche wir hatten.

Die Tuͤrkiſche Armee umgab uns auf allen Sei -Wir fechten drey Tage mit den Tuͤr - ken. ten, in der Abſicht, uns durch Hunger zur Uebergabe zu bringen, und dieß wuͤrden ſie gewiß in kurzer ZeitDbewerk -50bewerkſtelliget haben, wenn ſie nicht zu hitzig geweſen waͤren, uns anzugreifen, welches ſie drey Tage und drey Naͤchte hindurch thaten. Allein zum Gluͤck fuͤr uns griffen ſie immer nur eine Seite unſers Viereckes auf einmal an, welches uns denn in den Stand ſetzte, unſere abgematteten Truppen, ſo wie ſie es bedurften, abzuloͤſen, und unſere zahlreiche Artillerie zu gebrau - chen, welche eine große Niederlage unter ihnen an - richtete, und zum Gluͤcke war ihr Geſchuͤtz noch nicht bey ihnen angekommen.

Die Czarinn rettet die Ar - mee.
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Den vierten Tag, da der Czar erfuhr, daß wir nur noch drey Patronen ſowohl fuͤr das grobe Ge - ſchuͤtz, als auch fuͤr das kleine Gewehr hatten, gab der Czar Befehl, daß alle Officiers bey der ganzen Ar - mee nebſt einer gewiſſen Anzahl auserleſener Leute auf - ſitzen, und ihm folgen ſollten. Seine Abſicht war, ſich in der Nacht durch die Tuͤrkiſche Armee zu ſchla - gen, und durch Siebenbuͤrgen nach Ungarn zu gehen. Allein als die Czarinn von dieſem verwegenen Ent - ſchluſſe Nachricht bekam, und ſowohl die Gefahr vor - aus ſahe, in welche ſich ihr Gemahl ſtuͤrzen wollte, als auch das Ungluͤck, welches die ganze Armee be - treffen mußte, ſo fiel ſie gluͤcklicher Weiſe auf ein beſ - ſeres Mittel, welches uns alle von dem Untergange rettete. Sie ſammelte alles Geld, Silbergeſchirr und Geſchmeide, welches ſich bey der ganzen Armee befand, und ſtellte dafuͤr eine Obligation von ſich, daß ſie es den Eigenthuͤmern wieder bezahlen wollte. Mit dieſem anſehnlichen Geſchenke bewegte ſie den Groß - Vezier, daß er ſich zum Frieden willig finden ließ. Die Sache ward auch ſehr bald von dem Feldmar - ſchalle zu Stande gebracht, ohne daß der Czar das ge -ringſte51ringſte davon wußte, indem er ſeine gefaͤhrliche Unter - nehmung eben antreten wollte, welche aber nunmehr von der Czarinn gehindert ward, indem ſie ihm melde - te, daß der Groß-Vezier geneigt ſey, auf billige Be - dingungen Frieden zu ſchließen. Dieſes Beyſpiel weiblicher Klugheit ward von der puͤnktlichſten Erfuͤl - lung ihres Verſprechens begleitet, indem ſie nach ih - rer Ruͤckkunft das entlehnte Geld, Geſchmeide u. ſ. f. richtig wieder bezahlte. Die vornehmſten Bedingun - gen des Friedens von unſerer Seite waren, daß wir den Tuͤrken Azoph, Taganrock und Caminieck abtreten, und unſere Truppen aus Pohlen ziehen ſollten, zu deſ - ſen Sicherheit der Vice-Kanzler Schaffirow und der General-Major Tſcheremetof als Geißel ausgehaͤndi - get wurden. Sie beſtanden auch darauf, daß der Fuͤrſt Cantemir von der Moldau ihnen ausgeliefert werden ſollte; allein man gab vor, daß er bereits das Lager verlaſſen habe, welches denn auch die meiſten bey unſerer Armee glaubten, denn ſo bald man den Vergleich auf die Bahn brachte, verbarg die Cza - rinn ihn in ihrer eigenen Kutſche, wovon niemand et - was wußte, als der Bediente, der ihm zu eſſen brach - te. Der Czar ſchaͤtzte nachmals den Fuͤrſten Cante - mir jederzeit ſehr hoch, und gab ihm verſchiedene Laͤn - dereyen, ſowohl in Rußland als der Ukraͤne, nebſt ei - nem Jahrgelde von 20000 Rubeln.

Sobald der Koͤnig von Schweden von dem Frie -Der Koͤnig von Schwe - den uͤber - wirft ſich mit dem Groß - Vezier. densſchluſſe Nachricht bekam, kam er mit dem Tar - tar-Chan, mit welchem er damals auf das genaueſte verbunden war, zu dem Groß-Vezier, und fragte denſelben, was ihn bewogen habe, einen ſo uͤbereilten Frieden zu ſchließen, da er doch den Czar und ſeineD 2ganze52ganze Armee haͤtte gefangen bekommen koͤnnen. Der Vezier verſetzte, da der Großherr ihm voͤllige Gewalt aufgetragen habe, Krieg und Frieden zu ſchließen, ſo habe er den Ruſſen den Frieden nicht verſagen koͤnnen, da ſie ihn auf Bedingungen erwarteten, welche dem Großherrn ſo ruͤhmlich waͤren, und wodurch man mehr gewoͤnne, als man jemals haͤtte erwarten koͤnnen. Der Koͤnig antwortete, wenn er den Czar gefangen nach Conſtantinopel gefuͤhrt haͤtte, ſo haͤtte er alles eingehen muͤſſen, was man nur von ihm wuͤrde ver - langt haben, und ſetzte hinzu, daß, wenn der Vezier ihm nur 20000 Mann ſeiner beſten Truppen ge - ben wollte, ſo wollte er ſich anheiſchig machen, das Verſaͤumte wieder einzubringen. Der Groß-Vezier erwiderte: Gott behuͤte uns, daß wir den Frieden ohne Urſache brechen ſollten, indem ich bereits die Geißel angenommen habe! Poniatowsky, ein Pohlniſcher General von des Stanislaus Parthey, der gegenwaͤrtig war, und ſahe, daß der Koͤnig nun - mehr ſchwieg, antwortete: Es iſt noch ein Mittel, ohne den Frieden zu brechen, und dieſes beſtehet dar - inn, daß man dem Koͤnige 20 oder 30000 Mann der beſten Truppen gebe, womit er den Czar angreif - fen und ihn zu beſſern Friedensbedingungen zwingen kann. Der Vezier verſetzte: Das wuͤrde wenig - ſtens eine mittelbare Verletzung des Friedens ſeyn, indem darinn verglichen worden, daß der Koͤnig mit einer zahlreichen Tuͤrkiſchen Bedeckung durch das Ruſſiſche Gebieth in ſeine eigene Staaten ſoll zuruͤck gehen koͤnnen, worauf er, wenn er Luſt hat, ſeinen Frieden ſelbſt mit dem Czar machen kann.

Koͤnig ſahe den Groß-Vezier hoͤhniſch an, und lachteihm53ihm in das Geſicht, ohne zu antworten, und als er weggehen wollte, drehete er ſich ſo kurz um, daß er auch des Groß-Veziers Kleid mit ſeinen Spornen fort - zog. Er ſetzte ſich hierauf zu Pferde und ritt im groͤßten Verdruſſe fort. Er machte hierauf allerley Anſchlaͤge mit dem Chan, uns mit den Tartarn unter Weges anzugreifen, daher der Groß-Vezier, als er ſolches erfuhr, uns mit 30000 Spahis verſtaͤrkte, welche uns bis an den Nieſter begleiteten. Der Ve - zier ſchickte uns auch verſchiedene Wagen mit Lebens - mitteln als ein Geſchenk zur Armee.

Da die Sachen nunmehr verglichen waren, ſoRuͤckmarſch der Ruſſen. brachen wir den 2ten Julii in guter Ordnung auf und marſchirten mit klingendem Spiele und fliegenden Fah - nen ab. Unſer Geſchuͤtz und Gepaͤck marſchirte zwi - ſchen uns und dem Fluſſe, unſere Spaniſchen Reiter aber wurden, jeder von zwey Mann, zwiſchen uns und den Tuͤrken getragen, damit ſie in Bereitſchaft waͤren, wenn etwa die Tartarn darauf beharren ſoll - ten, uns anzugreifen. Wir marſchirten dieſen Tag im Angeſichte der Tuͤrkiſchen Armee. Als wir auf - brachen, hatte der Oberſte Pitt das Ungluͤck, ſeineUngluͤck des Oberſten Pitt. Gattinn und Tochter, ein ſehr ſchoͤnes Frauenzimmer, zu verlieren, indem ein Rad an ihrem Wagen brach, daher ſie ſo weit zuruͤck blieben, daß die Tartarn ſich ihrer bemaͤchtigten, und ſie davon fuͤhrten. Der Oberſte wandte ſich zwar ſo gleich an den Groß-Ve - zier, welcher befahl, daß auf das ſtrengſte nachge - forſcht werden ſollte; allein es war nichts heraus zu bringen. Als der Oberſte nachmals erfuhr, daß ſie[beyde]nach Conſtantinopel gefuͤhret, und dem Groß - herrn uͤberreicht worden, ſo wirkte er ſich einen PaßD 3aus,54aus, und gieng nach Conſtantinopel, ſie daſelbſt auf - zuſuchen. Er ward daſelbſt mit einem Juͤdiſchen Doctor bekannt, welcher Medicus in dem Seraglio war, und ihm ſagte, daß vor kurzem zwey ſolche Per - ſonen, als er beſchrieb, in das Seraglio waͤren ge - bracht worden; ſetzte aber auch hinzu, daß, wenn ſich ein Frauenzimmer einmal daſelbſt befinde, es nie wie - der heraus gelaſſen wuͤrde. Der Oberſte wandte nichts deſto weniger alle nur moͤgliche Mittel an, we - nigſtens ſeine Gattinn wieder zu bekommen, wenn er ſie auch nicht beyde erhalten koͤnnte, und ward endlich ſo ungeduldig und klagte ſo ungeſtuͤm, daß man ihn auch in das Gefaͤngniß ſteckte, und es viele Muͤhe ko - ſtete, ihm durch Vorſprache einiger Geſandten wieder die Freyheit zu verſchaffen. Der Juͤdiſche Arzt ſag - te ihm nachmals, daß ſie beyde an der Peſt geſtorben waͤren, mit welcher Nachricht er ſich begnuͤgen und wieder nach Hauſe reiſen mußte.

Der Groß - herr billigt den Frieden.
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Sobald der Großherr die Nachricht von dem ge - ſchloſſenen Frieden und den dadurch erlangten Vor - theilen erhielt, ließ er auf drey Tage oͤffentliche Freu - densbezeigungen anſtellen, und billigte das Verhalten des Groß-Veziers nicht allein durch einen ehrenvollen Empfang, ſondern auch durch ſchmeichelhafte Briefe und praͤchtige Geſchenke. Aus Mangel an Pferden gieng unſer Marſch ſo langſam von Statten, daß wir erſt den 11ten Julii nach Stepanowa kamen, wo wir uͤber den Pruth giengen, und den 14ten wieder an dem Dnieſter anlangten. Den folgenden Tag gien - gen wir uͤber dieſen Fluß, und kamen zu dem Lager, wo wir unſere Dragoner, Koſaken und Tartarn fan - den, welche ſich jetzt uͤber unſere Ruͤckkunft freueten,indem55indem ſie von unſerer traurigen Lage Nachricht gehabt hatten. Als der Baſſa, welcher uns bis dahin be - gleitete, dieſe Truppen ſahe, ſo ſagte er, daß wenn wir ſie bey uns gehabt haͤtten, wir der Tuͤrkiſchen Ar - mee uͤberlegen geweſen ſeyn wuͤrden. Unſere Armee trennete ſich jetzt und nahm verſchiedene Wege. Der Czar gieng nach Deutſchland und nahm den General Bruce mit ſich, ſchrieb aber erſt neue Verhaltungs - befehle fuͤr den Baron Schaffirow, und ſchickte michCapitaͤn Bruce wird nach Con - ſtantinopel geſchickt. damit, als einen Expreſſen, nach Conſtantinopel, daher ich mit dem Baſſa zuruͤck gieng, welcher uns hierher begleitet hatte, und welcher jetzt nur noch 2000 Mann bey ſich hatte, indem die uͤbrigen zu - ruͤck gegangen waren, ſo bald ſich die Tartarn ent - fernt hatten. Jndeſſen hatte der Großherr auf An - ſtiften des Koͤniges von Schweden den Frieden bereits zweymal gebrochen, und ihn eben ſo leichtſinnig wie - der erneuert. Der Czar hatte dieß befuͤrchtet, und darauf bezogen ſich denn die Verhaltungsbefehle, welche ich uͤberbringen mußte.

Auf unſerm Wege nach Adrianopel erfuhr ich vie - le Hoͤflichkeiten von dem Baſſa. Wir kamen den 2ten Auguſt daſelbſt an, und fanden daſelbſt den Baron Schaffirow und Grafen Tſcheremetof, welche bald darauf mit uns nach Conſtantinopel giengen, wo wir den 25ſten ankamen. Jn einiger Entfernung von der Stadt kam der Graf Tolſtoi, unſer Geſand - ter zu uns, welcher ſeit der Kriegeserklaͤrung in die ſieben Thuͤrme war geſperret, jetzt aber in Freyheit ge - ſetzt worden.

Dieſe Stadt liegt auf einer Landſpitze, welche inBeſchrei - bung dieſer Stadt. die See hinein gehet; ſie hat eine dreyeckige Geſtalt,D 4und56und 14 Engliſche Meilen im Umfange. Die Haͤu - ſer ſind faſt insgeſammt von Holz gebauet, und die Straßen ſo enge, daß in den meiſten zwey beladene Pferde nicht neben einander gehen koͤnnen. Die Haͤuſer ragen auch mit den obern Stockwerken ſo weit vor, daß man an manchen Orten bequem aus dem Fenſter des einen Hauſes in das Fenſter des gegen uͤber liegenden ſteigen kann. Dieſer große Fehler ruͤhret nicht von einem Mangel an Raum her, weil die Stadt einen Ueberfluß an Gaͤrten, großen freyen Plaͤtzen und geraͤumigen Hoͤfen hat. Er iſt indeſſen Urſache, daß eine Feuersbrunſt hier allemal ſo ſchreck - liche Verwuͤſtungen anrichtet, weil es jederzeit ſo lan - ge fortbrennet, bis ein Garten oder freyer Platz deſſen Wuth Einhalt thut. Der regulaͤrſte Theil der Stadt iſt der Beſeſtin, der mit Mauern und Thoren umge - ben iſt, wo die Kaufleute ihre Gewoͤlber haben, die nach einer ſo ſchoͤnen Ordnung eingerichtet ſind, daß ein Kaͤufer ſein Geſchaͤft in einer Viertelſtunde voll - bringen kann. Jede Art des Handels hat hier ihren eigenen Platz, und Abends um zehn Uhr werden alle Thore geſchloſſen. An einem andern Orte der Stadt befindet ſich der Hippodromus, ein laͤngliches Viereck, 400 Schritte lang und 200 breit, wo die Uebungen zu Pferde gehalten werden. Gegen das Ende, dem Seraglio gegen uͤber, befinden ſich zwey Obelisken, wovon der erſte, der aus einem einigen Steine beſte - het, 70 Fuß hoch iſt, und auf einem viereckigen Fußgeſtelle von Marmor ſtehet, welches mit verſchie - denen erhabenen hieroglyphiſchen Figuren gezieret iſt. Der andere iſt eine gewundene Pyramide, welche aus Steinen zuſammen geſetzt iſt, aber weder Zierrathennoch57noch Aufſchrift hat. Nahe dabey ſtehet die Schlan - genſaͤule von Metall und von betraͤchtlicher Hoͤhe, welche aus drey verſchlungenen Schlangen beſtehet, die mit ihren Schwaͤnzen auf dem Boden ſtehen, und oben drey Koͤpfe mit aufgeſperrten Rachen und ausgeſtreckter Zunge zeigen. Jn einiger Entfernung davon befinden ſich zwey andere Saͤulen, und zwar in einem großen Hofe, der zur Uebung mit Pfeilen und Bogen beſtimmt iſt, wo die Schuͤtzen ſehr oft nach einem Ziele, welches nicht groͤßer als ein Engliſcher Schilling iſt, aus einer Entfernung von 100 Schrit - ten ſchießen. Der Maidan, oder Paradeplatz iſt ſehr groß und geraͤumig, und dienet allen Staͤnden zur Erfriſchung.

Die vornehmſte Moſchee iſt die Moſchee St.Jhre Mo - ſcheen. Sophia, welche ehedem eine chriſtliche Kirche-war. Sie iſt 120 Schritt lang und 80 breit. An jeder Seite befindet ſich eine Halle oder ein Vorgebaͤude, welches auf 30 Saͤulen, jede 16 Fuß hoch, und mit ſchoͤnen Capitaͤlen geziert, getragen wird. Sie hat eine Kuppel, welche ſchoͤn vergoldet und mit vortreffli - cher Muſiv-Arbeit gezieret iſt. Der Fußboden iſt von Marmor und mit Decken belegt. Das Grab Conſtantins des Großen iſt noch vorhanden, und wird von den Tuͤrken ſehr verehret, ob ſie gleich ſonſt weder Gemaͤhlde noch Bildſaͤulen in ihren Moſcheen dulden. Dieß iſt aber auch das einige alte Gebaͤude dieſer Art, welches hier vorhanden iſt. Denn alle uͤbrige Moſcheen ſind von Groß-Sultans oder Groß - Sultaninnen gebauet, deren Nahmen ſie auch fuͤhren. Sie ſind nach eben dem Muſter gebauet, und nur in der Groͤße verſchieden, und haben dabey eine MengeD 5Spring -58Springbrunnen mit verſchiedenen Gemaͤhlden, ſo daß man nur eine beſchreiben darf, um ſich alle vorzuſtel - len. Die naͤchſte nach jener iſt die Moſchee der Sul - taninn Valide, welche mitten in einem großen vier - eckigen Hofe ſtehet, und mit gewoͤlbten Hallen umge - ben iſt, worunter ſich Springbrunnen mit Haͤhnen be - finden, damit ſich das Volk daſelbſt waſchen kann, ehe es in die Moſchee gehet. Sie hat nur ein eini - ges Thor, welches von einer ſehr hohen und mit weiſ - ſem und ſchwarzem Marmor gepflaſterten Halle um - geben iſt, welche auf 64 Saͤulen von rothem Mar - mor ruhet, deren acht von Porphyr ſind und nahe an dem Eingange ſtehen. Die Decke iſt mit Gemaͤhl - den und Figuren nach Tuͤrkiſcher Art gezieret. Die Halle iſt mit kleinen Kuppeln bedeckt, welche ſich rings um eine groͤßere befinden, und welche insgeſammt mit Bley gedeckt ſind. An den vier Ecken des Gebaͤudes befinden ſich vier hohe Thuͤrme, welche ſich mit einer Kugel oder einem halben Monde endigen, von wel - chen Thuͤrmen die Prieſter das Volk zu dem Gebethe rufen, indem ſie keine Glocken haben.

Bequemlich - keit fuͤr Fremde.
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Die Hans oder Caravanſerais, welche eigentlich fuͤr fremde Kaufleute beſtimmt ſind, ſind eine große Bequemlichkeit. Die Hans beſtehen aus einem vier - eckigen Gebaͤude, welches in der Mitte einen großen Hof hat, in welchem ſich allemal ein Springbrunnen befindet. Die Mauern ſind ſehr ſtark, und die Fen - ſter ſind zur Sicherheit der daſelbſt wohnenden mit ei - ſernen Stangen hinlaͤnglich verwahret. Die Zim - mer beſtehen aus kleinen mit Bley gedeckten Kuppeln, wie an den Moſcheen. Die Hans beſtehen nur aus zwey Stockwerken, deren Zimmer nicht die geringſteGemein -59Gemeinſchaft mit einander haben. Das untere Stock iſt in Waarenlaͤger, das obere aber in Wohnzimmer fuͤr die Kaufleute getheilet, welche ſich aber alles uͤbri - ge zu ihrer Bequemlichkeit ſelbſt ſchaffen muͤſſen, weil ſie hier nichts als die leeren Mauern finden. Die Caravanſerais ſind ſchlechter, aber doch auf eben dieſelbe Art gebauet. Sie dienen fuͤr aͤrmere Fremde und fuͤr die Bedienten der Caravanen, daher ſie auch Staͤlle fuͤr die Kameele haben. Außer dieſen beyden Arten von Gebaͤuden giebt es keine oͤffentlichen Her - bergen.

Die Stadt iſt mit einer hohen und dicken MauerFeſtigkeit der Stadt. mit Zinnen nach morgenlaͤndiſcher Art umgeben, wel - che von einer Entfernung zur andern Thuͤrme hat, die von einem flachen Graben vertheidiget werden. Auf der Landſeite ſind dieſe Werke doppelt. Dieſe machen nebſt den ſieben Thuͤrmen die ganze Befeſti - gung der Stadt aus.

Das Seraglio ſtehet auf der aͤußerſten SpitzeDas Sera - glio. der Landzunge, und hat 4 Engliſche Meilen im Um - fange, wovon doch die Gaͤrten den groͤßten Raum einnehmen. Die ganze Bauart iſt irregulaͤr, indem es aus einem unordentlichen Gemiſch verworrener Ge - baͤude beſtehet, welche mit einer Menge leicht vergol - deter Spitzen und Kugeln ohne Schoͤnheit und Ord - nung gezieret ſind. Der vornehmſte Eingang iſt bey St. Sophia, und gleicht dem Thore einer alten ſchlechten Stadt, ohne Architectur und Verzierungen. Durch dieſes Thor giengen wir in einen großen Hof, wo ſich zur rechten Hand die Krankenzimmer, auf der linken aber Gewehrvorraͤthe fuͤr 1000 Mann befin - den. Aus dieſem Hofe kamen wir in einen andern,der60der mit zwey großen bedeckten Gaͤngen umgeben iſt. Zur Rechten befinden ſich die Kuͤchen und zur Linken Staͤlle fuͤr 100 Pferde. Weiter durften wir nicht gehen. Das Seraglio iſt mit ſeinen Gaͤrten u. ſ. f. mit einer hohen Mauer von grauen Steinen umgeben, welche oben ein Parapet und Zinnen hat, wie die Stadtmauer. Sie ſchließet das alte und neue Sera - glio ein. Jn dem alten ſchließet der regierende Sul - tan die Weiber ſeines Vorgaͤngers ein, welche bey ihrem Eintritte den Vergnuͤgungen des Lebens auf immer entſagen. Das neue Seraglio ſtoͤßet an ſei - nen eigenen Pallaſt. Die großen Staatsbeamten wohnen ſehr ſchlecht, und ihre meiſten Haͤuſer ſind in eine Art von Park eingeſchloſſen, der einen Garten, und einen großen Hof enthaͤlt, an deſſen einen Seite ſich allemal die Kuͤchen, an der andern aber die Staͤl - le befinden. Die vielen vergoldeten Kuppeln, Ku - geln und Spitzen, welche man in allen Theilen der Stadt ſiehet, tragen viel dazu bey, der Stadt ein großes Anſehn zu geben, beſonders in einiger Ent - fernung.

Scutari. Schoͤne Aus - ſicht.
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Dem Seraglio gegen uͤber anderthalb Engliſche Meilen uͤber dem Waſſer, auf der Aſiatiſchen Seite liegt Scutari, welches eine große Stadt mit einer Koͤniglichen Moſchee und einem Luſthauſe des Groß - herrn iſt. Der Gipfel eines Huͤgels bey Scutari giebt eine der groͤßten und ſchoͤnſten Ausſichten, wel - che vielleicht in der Welt iſt. Hier uͤberſiehet man mit einem Blicke die Staͤdte Conſtantinopel, Galata und Pera, den Bosphorus und Propontis und die Kuͤſten der umliegenden Laͤnder.

Der61

Der Hafen und die Bay haben ihre eigenenDer Hafen. Schoͤnheiten. Die Bay iſt 3 Engliſche Meilen lang und eine breit, durchaus rein und tief, und hat ein ſo ſteiles Ufer, daß auch die groͤßten Schiffe ſo nahe an das Land kommen koͤnnen, daß man von dem Ufer darein ſteigen kann, und kein Both noͤthig hat. An der Muͤndung des Hafens ſtehet Leanders Thurm, ein hohes viereckiges Gebaͤude, wo ſich eine Quelle in dem Felſen befindet. Es iſt mit einigen Kanonen beſetzt, die Stadt im Nothfalle von dieſer Seite zu vertheidigen.

Dem Hafen gegen uͤber befinden ſich vier betraͤcht -Vorſtaͤdte. liche Staͤdte, welche aber als Vorſtaͤdte betrachtet werden, indem ihre Entfernung von der Stadt uͤber dem Hafen ſo geringe iſt, daß man leicht jemanden zurufen kann. Sie heißen Pacha, Galata, Pera und Tophana, und halten 8 Engliſche Meilen im Umfange. Pera iſt der Ort, wo die fremden Ge - ſandten und alle Franken wohnen, indem ſie ſich in der Stadt nicht aufhalten duͤrfen. Galata iſt eigent - lich eine eigene Stadt, iſt ganz artig gebauet und mit Mauern und großen Vorſtaͤdten umgeben. Es iſt uͤberaus volkreich, und wird groͤßten Theils von Fran - ken und Chriſten bewohnt, und treibt große Hand - lung. Alle fremde Chriſten werden hier Franken ge - nannt. Am Ende des Hafens ſtehet das große Zeug -Arſenal. haus, welches einen betraͤchtlichen Raum einnimmt, und fuͤr 60000 Mann Gewehr enthaͤlt. Hier wer - den auch die Galeren in 120 Boͤgen verwahret.

Die Luft iſt hier außerordentlich rein und ſo ge -Luft und Clim[a.] ſund, daß die Einwohner keiner epidemiſchen Krank - heit ausgeſetzt ſind, außer der Peſt, welche ſie alleJahr62Jahr beſucht, und alsdann eine ſchreckliche Niederla - ge anrichtet. Man glaubt, daß die Einwohner bloß vor Alter ſterben wuͤrden, wenn dieſe Krankheit nicht ihr Leben verkuͤrzte. Sie ſind auch mit andern Krank - heiten ſo unbekannt, daß, wenn man ihnen ſagt, daß die Peſt in Europa ſehr ſelten iſt, ſie fragen, woran denn die Menſchen daſelbſt ſterben. Da die Stadt unter 41 Grad 30 Minuten noͤrdlicher Breite liegt, ſo iſt das Clima hier ſo gemaͤßigt, daß die Winter ſelten kalt ſind, und die Sommerhitze gemeiniglich von den Seewinden gemildert wird.

Sitten der Tuͤrken.
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Die Tuͤrken ſind faſt in allen ihren Sitten das Widerſpiel von uns. Bey uns iſt es jederzeit Sitte geweſen, nur eine Frau zu haben, ſie haben deren mehrere. Wir halten unſere Kleidung fuͤr bequem, weil ſie kurz iſt; ſie tragen ſie lang bis auf die Ferſen. Wir ſchaͤtzen langes Haar und ein glattes Kinn; ſie ſcheren den Kopf und laſſen den Bart wachſen. Wir ſchreiben gerade von der Linken zur Rechten; ſie ma - chen krumme Zeilen von der Rechten zur Linken. Sie hucken nieder, wenn ſie ihr Waſſer laſſen, wie die Weiber.

Jhre haͤusli - che Bequem - keit.
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Sie haben in ihren Haͤuſern keine ſolche Geraͤth - ſchaften als wir, z. B. Betten, Tiſche, Stuͤhle, Spiegel, oder Gemaͤhlde. Die bloßen Waͤnde mit einem Taͤfelwerke und Sopha machen alle Meublen und Zierrathen in ihren Zimmern aus. Die Rei - chen laſſen ihre Waͤnde und ihr Taͤfelwerk im Mohri - ſchen Geſchmacke bemahlen; ihre Sophas ſind 2 Fuß hoch, gehen von einem Ende des Zimmers bis zum andern unter den Fenſtern hin, ſind 10 Fuß breit, und werden mit Tuͤrkiſchen oder Perſiſchen Tapetenbedeckt.63bedeckt. Ueber dieß liegen laͤngs der uͤbrigen Seiten des Zimmers Matten 5 bis 6 Fuß breit, welche mit Zeug oder Sammt bedeckt ſind, worauf große mit Haar oder Wolle ausgeſtopfte Kuͤſſen liegen. Jn den Haͤuſern der Großen ſind dieſe Kuͤſſen kuͤnſtlich geſtickt, oder mit reichem Goldſtoff uͤberzogen. Auf dieſen Kuͤſſen oder Sophas lebt der Tuͤrke, mit kreuz - weiſe gelegten Beinen wie ein Schneider, ſeine Tage in Traͤgheit und Unthaͤtigkeit dahin, raucht Toback und trinkt Kaffee oder Sorbet, ohne ſich auf andere Art zu beluſtigen oder zu vergnuͤgen, als mit Scha - len, Tricktrack, oder das Gaͤnſeſpiel zu ſpielen.

Jhre Provinzen und Staͤdte werden von Beſſen,Regierung. Unter-Baſſen, Woiwoden, Kadis oder Richtern, und Einnehmern regiert. Der Baſſa hat die hoͤchſte ausuͤbende Gewalt, und muß dem Großherrn fuͤr die Einkuͤnfte aus ſeiner Provinz ſtehen. Um aber in derſelben ein ſo unumſchraͤnkter Tyrann zu ſeyn, als der Großherr in ſeinem Reiche iſt, ſo pachtet er die Erlaubniß, die Einwohner nach eigenem Gefallen zu druͤcken, gegen einen jaͤhrlichen Tribut an Geld und Sclaven, worunter doch die gewoͤhnlichen Abgaben und Zoͤlle der Provinz nicht gehoͤren. Da nun da - durch der Raubgier der herrſchſuͤchtigen Baſſen freye Haͤnde gelaſſen werden, ſo uͤben ſie auch alle Arten der grauſamſten Bedruͤckungen aus, wenn nur etwas dabey zu gewinnen iſt, ohne dabey auf den Stand oder die uͤbrige Beſchaffenheit der Gedruͤckten zu ſehen; Wittwen und Waiſen haben hier vor andern kein Vorrecht. Die Reichthuͤmer, welche einige dieſer Baſſen auf ſolche Art zuſammen ſcharren, ſetzen ſie in den Stand, aus eigenen Mitteln eine ſtehende Armeezu64zu unterhalten, wodurch ſie denn nicht ſelten dem Großherrn ſelbſt furchtbar werden, der alsdann zu ih - ren Verbrechen durch die Finger ſehen muß, weil er es nicht wagen darf, ſie zu ſtrafen. Denn ſo lange der Baſſa ſeine Truppen bezahlen kann, ſo lange kann er ſich auf ſie verlaſſen. Der Woiwode iſt eine Stadtobrigkeit; der Einnehmer nimmt die Zoͤlle ein, und hat große Gewalt uͤber alle Betruͤgereyen und Unterſchleife bey den Einkuͤnften zu erkennen, und iſt in allen ſolchen Faͤllen ſo wohl der Richter als der Ur - theilsverfaſſer; ſeine Urtheile werden immer nach dem Gewinne, welchen ſie ihm bringen, beſtimmt. Der Kadi iſt Richter in allem, was das Geſetz betrifft.

Religion.
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Die Tuͤrkiſche Religion erkennet vier Propheten, Enoch, Moſes, Chriſtus und Mahomed. Sie glauben, daß Judas, welcher ſeinen Herrn den Ju - den verrathen wollte, von ihnen an deſſen Statt ge - kreuziget, Chriſtus aber in den Himmel verſetzet wor - den. Sie werfen den Chriſten Gottloſigkeit und Wahnſinn vor, wenn ſie glauben, daß derjenige, wel - chen ſie als Gott verehren, eines ſo ſchimpflichen To - des geſtorben ſey; der bloße Anblick eines Crucifixes erfuͤllet ſie daher ſchon mit Zorn und Wuth. Sie glau - ben; daß Chriſtus kommen wird, die Welt zu rich - ten, daß er aber erſt tauſend Jahr auf Erden regie - ren, heirathen und Kinder zeugen wird. Allein von der Dreyeinigkeit wollen ſie nichts wiſſen, ſondern be - haupten, daß ein ſolcher Gedanke ungereimt ſey, und die Einheit des hoͤchſten Weſens, ohne welche es nicht Gott ſeyn koͤnne, aufhebe. Sie behaupten, auf Chriſtum ſey Mahomed gefolget, nach welchem weiter kein Prophet kommen werde. Sie glauben,daß65daß es eine unzaͤhlige Menge ſo wohl guter als boͤſer Engel, ſo wohl weißer als ſchwarzer Engel gebe, und behaupten, jeder Menſch habe zwey Engel, welche ihn beſtaͤndig begleiten; der eine ſchreibe ſeine guten und der andere ſeine boͤſen Handlungen auf. Die Seelen der Gottloſen kommen, ihnen zu Folge, nicht eher als am großen Gerichtstage in die Hoͤlle, bis dahin bleiben ſie bey ihren Koͤrpern in dem Grabe, wo ſie von den ſchwarzen Engeln bis zum juͤngſten Tage ge - martert werden, worauf ſie in die Hoͤlle geſchickt wer - den, und daſelbſt, nach der Groͤße ihrer auf dieſer Welt begangenen Verbrechen, eine gewiſſe Zeit noch haͤr - tere Strafen leiden. Nach Verlauf dieſer Zeit wer - den ſie erloͤſet, und kommen in das Paradies, wo ſie eben dieſelbe Gluͤckſeligkeit, welche den Tugendhaften beſtimmt iſt, genießen werden; denn, ſagen ſie, es iſt wider die Guͤte Gottes, fuͤr die Vergehungen eines ſo kurzen Lebens ewig zu ſtrafen.

Sie bethen fuͤnfmal des Tages; bey AnbruchJhr Gottes - dienſt. deſſelben, zu Mittage, Nachmittags um drey und ſechs, und eine Stunde nach Untergang der Sonne. Am Freytage, der ihr Sabbath iſt, kommen ſie zum oͤffentlichen Gottesdienſte zuſammen, da denn der Jmam oder Prieſter Gebethe herſagt, und eine Art Predigt oder Ermahnung an die Zuhoͤrer haͤlt; allein keines ihrer Weiber darf bey der oͤffentlichen Andacht erſcheinen. Jhre große Faſten dauert dreyßig Tage, da ſie denn dieſe ganze Zeit uͤber jeden Tag von Mor - gen bis in die Nacht faſten muͤſſen, und weder eſſen noch trinken, noch Tobak rauchen duͤrfen. Dieſe Faſten endigt ſich mit dem Monde, und jeder iſt ſo begierig, den Neumond, als den Befreyer von dieſerEbeſchwer -66beſchwerlichen Enthaltſamkeit zu erblicken, daß ſie auch auf die Daͤcher der Haͤuſer, und ſelbſt auf die Gipfel der Berge ſteigen, ihn zu erblicken. So bald er nur an dem Horizonte ſchimmert, begruͤßen ſie ihn mit verſchiedenen ehrerbiethigen Verbeugun - gen. Aus ihren Schloͤſſern wird dieſe angenehme Neuigkeit durch mehrmalige Abfeuerung ihres groben Geſchuͤtzes bekannt gemacht. Die drey folgenden Tage werden in Ueppigkeit und Froͤhlichkeit zuge - bracht. Sie duͤrfen zu keiner Zeit Schweinfleiſch eſſen, oder Wein trinken. An die Vorherbeſtim - mung glauben ſie ſo feſt, daß ſie auch zur Zeit der Peſt nicht die geringſte Vorſicht gebrauchen, und ſich aͤrgern, wenn ſie ſehen, daß die Chriſten zu einer ſolchen Zeit die angeſteckten Haͤuſer meiden, und fuͤr ihre Geſundheit Sorge tragen, indem ſie ſagen, man muͤſſe Sterbende oder Verſtorbene nicht verlaſſen.

Die Peſt, welche jaͤhrlich eine ſo große Menge Einwohner aufreibet, ſcheinet zur Erhaltung des Landes gewiſſer Maßen nothwendig zu ſeyn, indem ſich die Einwohner jaͤhrlich um ein Fuͤnftel vermehren; wovon man die Urſache leicht begreifen kann, wenn man erwaͤget, daß jeder Mann vier Weiber nehmen und ſich uͤber dieß noch verſchiedene Beyſchlaͤferinnen halten darf. Ueber dieß werden alle Jahr 50000 Sclaven in die Tuͤrkey gebracht, ſo daß das Land ſehr bald mit Einwohnern uͤberfuͤllet ſeyn, und das Volk in Gefahr gerathen wuͤrde, Hungers zu ſterben, wenn nicht dieſe Krankheit deſſen Anzahl verminderte. Da - her iſt das Land, dieſer Plage ungeachtet, immer mit Menſchen angefuͤllet.

Die67

Die Sitten und Gebraͤuche der Tuͤrken ſind denGemuͤths - art. unſrigen, wie ich bereits bemerkt habe, faſt in allen Stuͤcken entgegen geſetzt. Sie wiſſen ſo wenig von Studieren, ihren Verſtand aufzuklaͤren, daß ſie ſich gewiſſer Maßen ihrer Unwiſſenheit ruͤhmen. Jhr Ehrgeiz iſt dabey ſo ſchwach, daß ſie nichts unterneh - men, wobey ſie nicht niedrige eigennuͤtzige Abſichten haben. Da ſie die meiſte Zeit in der Einſamkeit und Traͤgheit zubringen, ſo blicken ſie kaum uͤber den en - gen Kreis ihrer eigenen Familien hinaus; und wenn nur ihre Weiber huͤbſch ſind, ihre Pferde gut laufen, und ihre Sclaven ihnen ehrerbiethig begegnen, ſo be - kuͤmmern ſie ſich um die ganze uͤbrige Welt nicht. Mit ihrem Schickſale zufrieden, ſitzen ſie ganze Tage auf dem Sopha, ohne andere Beſchaͤftigung, als Kaf - fee zu trinken, Tobak zu rauchen, oder mit ihren Weibern zu taͤndeln; ſo beſtehet ihr ganzes Leben aus Eſſen, Trinken und Schlafen, mit wenigen plumpen Vergnuͤgungen untermiſcht. Und dennoch kann man ihnen keine Schwelgerey im Eſſen vorwerfen, denn ein mit Reiß, Coriander und Zucker gekochtes Huhn, welches Pillau genannt wird, iſt ihr herrlichſtes Ge - richt, welches nebſt einem Gerichte Fiſche u. ſ. f. und einem Nachtiſch von Confect ihre ganze Mahlzeit ausmacht. Wenn die Speiſeſtunde kommt, ſo bringt ein Sclave einen achteckigen mit Elfenbein ausgeleg - ten Tiſch von Nußholz, der nicht uͤber anderthalb Fuß im Durchmeſſer haͤlt, welchen er auf den Sopha ſetzt, ein Tuch daruͤber deckt, und die Gerichte, eines nach dem andern, auftraͤgt. Ein anderer Sclave breitet ei - ne Serviette auf ſeines Herrn Knie und ſtehet hinter ihm, ihm die Speiſen zu ſchneiden, und bey demjeni -E 2gen68gen zu helfen, was ihm zu nehmen beliebt; denn es iſt unter der Wuͤrde eines Tuͤrken, etwas ſelbſt zu thun. Sie trinken nie uͤber dem Eſſen, ob ſie ſich gleich hinlaͤngliche Zeit dazu nehmen; allein, ſo bald der Tiſch weggeſchaffet iſt, bringt ein Sclave einen Becher mit Sorbet, und hernach Kaffee und Tobak, womit ſein Herr den Ueberreſt des Tages zubringt. Jhre Gefaͤße ſind insgeſammt irden oder von Porzellan. Jhr Schlaf.Gegen die Nacht werden eine Matte, Betttuͤcher und eine Decke gebracht, und ſie ſchlafen an eben demſel - ben Orte, wo ſie eſſen, trinken, rauchen, ſpielen und den Tag in Muͤſſiggang zubringen.

Uebungen in der Jugend.
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Dieß iſt ihre beſtaͤndige Lebensart, ſo bald ſie die Jugendjahre verlaſſen haben; denn von dem funfzehn - ten Jahre an bis zum zwanzigſten uͤben ſie ſich in den Waffen, im Reiten, den Bogen und den Wurfſpieß zu gebrauchen, in andern aͤhnlichen Fertigkeiten. Sie ſind auch, ihrer hohen Saͤttel und kurzen Steig - buͤgel ungeachtet, vortreffliche Reiter, indem ſie ihre Pferde ohne Gerte und Spornen ſehr geſchickt zu re - gieren wiſſen, wobey ſie ſich eines Stabes 3 Fuß lang bedienen, welchen ſie in die Mitte faſſen, und mit den beyden Enden die Bewegung des Pferdes, ſo wie es noͤthig iſt, leiten. Jhre Pferde ſind ſehr ſchnell, und ſtrecken ſich im Laufen ſo lang, daß ſie mit den Baͤuchen die Erde zu beruͤhren ſcheinen. Die Tuͤrken werfen den Spieß zu Pferde ſo geſchickt, daß ſie in vollem Jagen ſelten das Ziel verfehlen; und was noch mehr zu bewundern iſt, ſo werfen ſie ihren Spieß ſo weit vor ſich her als ſie koͤnnen, folgen in vollem Gallop, und heben ihn im Vorbeyſprengen vonder69der Erde wieder auf ohne ſich im geringſten an - zuhalten.

Die Kleidung der Mannsperſonen beſtehet inJhre Klei - dung. langen Beinkleidern, die bis an die Knoͤchel herunter gehen, nebſt ledernen Struͤmpfen, die unten an den - ſelben befeſtiget ſind, und ein Chackſir genennet wird, und kurzen rothledernen Stiefeln; in einem Hemde von feinem baumwollenen Zeuge, das wie ein Frauen - zimmer-Hemde gemacht, und nur beſonders an den Aermeln etwas weiter iſt, welche offen ſind. Ueber die - ſes tragen ſie einen Caftan, der eine Art von einem langen Prieſterrocke iſt, mit Ermeln, die unten an der Hand zugeknoͤpft ſind; der Sommer-Caftan iſt von weißem baumwollenen Zeuge, im Winter aber tragen ſie ſeidne, die mit Baumwolle gefuͤttert ſind. Um die Weſte guͤrten ſie eine ſeidene Scherpe, worein ſie ihren Dolch ſtecken, deſſen Griff von Silber oder El - fenbein, und mit Juwelen beſetzt iſt; ſie gehen nie - mals mit einen Saͤbel, außer wenn ſie aufs Land rei - ſen. Das Oberkleid iſt ein weiter Rock von Zeug, welchen ſie Weſt nennen; im Sommer iſt er mit Taf - fet, und im Winter mit koſtbarem Pelze gefuͤttert. Dieſe machen nebſt dem Turban die voͤllige Kleidung einer Mannsperſon aus.

Die Kleidung der Frauenzimmer iſt wenig un -Kleidung des andern Ge - ſchlechts. terſchieden, und beſtehet hauptſaͤchlich darin, daß ſie viel reicher iſt. Sie tragen einen goldbrocatenen Caftan, den ſie vorne mit großen Perlen oder einem kleinen Knopf von Diamanten befeſtigen. Der Caf - tan bedeckt die Schultern voͤllig, iſt aber vorne eben ſo tief ausgeſchnitten, daß ihre Bruͤſte bloß bleiben wuͤrden, wenn ſie nicht mit dem Hemde, und einerE 3kleinen70kleinen Weſte, die ſie daruͤber tragen, bedeckt waͤren. Dieſe Weſte liegt feſt am Leibe an, und haͤlt die Bruͤ - ſte in der Hoͤhe. Ueber dieſen Caftan tragen ſie ei - nen ledernen Guͤrtel, der mit goldenen und ſilbernen Plaͤttchen und Knoͤpfen beſchlagen, und mit koſtbaren glaͤnzenden Steinen beſetzt iſt. Jhr Hemde iſt je - derzeit von der feinſten gebluͤmten Seide, und haͤngt uͤber ihren Chackſir, welcher im Sommer gleichfalls von Seide iſt, weil dieſe in der großen Hitze am bequem - ſten iſt. Jhr Oberkleid iſt entweder von feinem Tu - che oder Sammt beſetzt, oder von reichem goldenen Stoffe. Jhr Kopfputz iſt ſehr ſchoͤn und anſtaͤndig; die Talpo iſt eine weite hohe Sammet-Muͤtze, und gleicht faſt einer engen Krone; ſie ſchließt feſt am Kopfe an, und wird oben weiter. Sie iſt mit Gol - de, Silber und Perlen ſehr reich geſtickt, und iſt ſo hoch, daß ſie auf die Schultern zuruͤck fallen wuͤrde, wenn ſie nicht kuͤnſtlich auf dem Kopfe unterſtuͤtzet wuͤrde, wo ſie ſelbige mit vieler Kunſt in Falten le - gen. Sie iſt uͤberdieß mit langen Schnuren von Per - len, die kuͤnſtlich unter einander geſchlungen und mit Diamanten, Rubinen und allen Arten von Juwelen beſetzt ſind, verſehen, und wird mit einem Stirnban - de, das zwey Finger breit und ſo reich beſetzt iſt, daß es einem Diadem gleichet, an den Kopf befeſtiget. Um dieſes Stirnband herum gehen kleine goldene Ket - ten, an deren einem Ende ein Demant und an dem andern ein Smaragd haͤngt, die auf der Stirne und auf beyden Seiten des Geſichts baumeln. Jhr Haar iſt in einen langen Zopf, der vier Finger breit iſt, und ſehr weit, bey einigen bis auf die Ferſen her - unter gehet, geflochten. Sie tragen an beydenSeiten71Seiten der Stirne eine kleine Locke, die geringelt an der Seite des Geſichts herab haͤngt, und dieſen Lo - cken widmen ſie viele Aufmerkſamkeit; ſie faͤrben ſie ſchwarz, ſo wie ihre Augenbraunen, die ſehr regelmaͤſ - ſig ſind, denn ſie geben ihnen mit dem Scheermeſſer die gehoͤrige Geſtalt. Die Frauenzimmer uͤberhaupt ſchminken ſich, und ſind deſſen ungeachtet ſehr ſchoͤn. Sie ſcheinen zur Liebe geſchaffen zu ſeyn; ihre Hand - lungen, Gebaͤrden, Rede und Blicke, ſind verliebt und ſehr bequem, dieſe angenehme Leidenſchaft zu er - wecken. Da ſie ſonſt nichts zu thun haben, ſo ma - chen ſie es zu ihrem einzigen Geſchaͤfte, den Manns - perſonen zu gefallen. Außer ihrer Zierlichkeit und Schoͤnheit, iſt ihre Reinlichkeit nicht einer ihrer ge - ringſten Reize. Sie baden ſich woͤchentlich zwey Mahl, um ſich rein zu halten, und dann knacken mit beſonderer Geſchicklichkeit alle Gelenke ihrer Glieder; und um die uͤberfluͤßigen Haare zu vertreiben, ſalben ſie die Haut mit Pilaw, welches macht, daß die Haa - re ausgehen, und die Haut ſchoͤn weiß und weich wird.

Die Tuͤrken, die bey ihren Heirathen gemei -Jhre Heira - then. niglich auf den Gewinn ſehen, muͤſſen durch Unter - haͤndler heirathen, und mit einer Beſchreibung an - ſtatt einer Unterredung zufrieden ſeyn, die ihnen erſt, wenn ſie wirklich heirathen, geſtattet wird. Allein es werden ihnen ſo viel andere Bequemlichkeiten geſtat - tet, daß ſie nicht die geringſte Urſache haben, ſich zu beklagen; denn ſie koͤnnen vier rechtmaͤßige Weiber heirathen, und diejenigen, die noch mehr verlangen, koͤnnen bis auf zwanzig Concubinen nehmen, wie es ihnen beliebet, denn dieſes iſt auch eine Art von Hei -E 4rath,72rath, der ſchoͤnen Sclavinnen, die ſie kaufen und verkaufen, nicht zu erwaͤhnen. Diejenigen, die ih - rer Weiber uͤberdruͤßig ſind, koͤnnen ſie entlaſſen, wenn ſie wollen, wenn ſie ihnen nur ihren Wittwengehalt bezahlen. Es iſt zu bedauern, daß dieſes nicht auch bey uns Mode iſt; denn wenn dieſes waͤre, ſo wuͤrden wir manches ungluͤckliche Band aufgeknuͤpfet ſehen.

Concubinen.
1

Die Concubinen-Heirath iſt noch bequemer, als jene. Die Mannsperſon fuͤhret das Frauenzimmer, welches ihm gefaͤllt, zum Cadi, und ſagt ihm, daß er geſonnen ſey, ſie fuͤr dieſen Preis zu nehmen, und ihr, wenn er ſie weiter nicht noͤthig habe, eine gewiſſe Summe Geld zu bezahlen.

Strenge ge - gen die Frem - den.
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Dieſes iſt auch die gewoͤhnliche Zuflucht der Frem - den; denn wenn ſie entdeckt werden, daß ſie mit Tuͤrkiſchen Weibern vertraut umgehen, ſo laufen ſie Gefahr, dem Sub-Baſſa mit einer ſchweren Strafe in die Haͤnde zu fallen, und wenn ſie dieſe nicht bezah - len koͤnnen, ſo bekommen ſie gewiß die Baſtonade. Was aber die arme Suͤnderinn betrifft, ſo wird ſie ſo gleich auf einen Eſel, mit dem Geſichte nach dem Schwanze, den ſie in der Hand haͤlt, geſetzt, und in dieſer Poſitur durch die Stadt gefuͤhret, und alsdenn als Sclavinn verkauft. Dieſe Strenge macht, daß die meiſten Fremden bey dem Concubinate bleiben, oder ſich eine Sclavinn kaufen, um mit dem Baſſa nichts zu thun zu haben. Ob die Frauenzimmer gleich nicht grauſam ſind, ſo iſt es doch wegen der Strenge des Baſſa, und der argwoͤhniſchen Wach - ſamkeit des Ehemannes, einem Verliebten faſt un - moͤglich, hier ſeine Abſicht zu erreichen.

Die73

Die Tuͤrken haben keine geſchriebene Geſetze, auſ -Jhre Civil - Geſetze. ſer denen, die im Alkoran enthalten ſind; alle buͤr - gerliche Angelegenheiten werden von dem Cadi nach dem Beweiſe durch einen Eid, ohne Ruͤckſicht auf Schriften entſchieden, und der, ſo am meiſten bietet, iſt verſichert, daß das Urtheil zu ſeinem Beſten aus - fallen wird. Derjenige, welcher verlieret, muß, wenn es Schulden wegen iſt, ſogleich bezahlen oder ins Gefaͤngniß gehen, und wenn es ſich zutraͤgt, daß ſein Vermoͤgen nicht zureicht der Forderung Gnuͤge zu thun, ſo muß der arme Schuldner Stockſchlaͤge auf ſeine Fußſohlen fuͤr jeden Piaſter, der noch fehlet, aus - halten, doch darf die Summe nicht uͤber Fuͤnf hundert ſeyn; denn ſie ſtrafen nicht mit einer groͤßern Anzahl Schlaͤgen, indem der ſtaͤrkſte Mann ohne offenbare Lebensgefahr keine groͤßere Anzahl wuͤrde aushalten koͤnnen. Alsdenn kann ſein Glaͤubiger ihn behalten oder als einen Sclaven verkaufen.

Das Urtheil in Criminal-Sachen ſpricht derPeinliche Ge - ſetze. Baſſa, der auf eben die Art verfaͤhrt; denn Geld macht das grauſamſte Verbrechen gut, und ohne daſ - ſelbe wird die Gerechtigkeit zur Grauſamkeit, ſo daß der Pfahl und der Galgen die einzige Beſtimmung des armen Verbrechers ſind. Man hat auch keinen ſtaͤrkern Beweis von eines Mannes Armuth, als wenn er des Raubens oder Mordens wegen hingerich - tet wird. Allein es giebt fuͤr Moͤrder noch einen an - dern guͤnſtigen Umſtand; denn wie der Thaͤter ſo gluͤcklich iſt, davon zu kommen, ehe er entdeckt wird, ſo koͤnnen der Baſſa und Woiwode das Blut von denjenigen fordern, vor deren Thuͤre der Mord be - gangen worden, wenn er in einer Stadt oder einemE 5Dorfe74Dorfe geſchehen iſt, und ihnen eine Strafe von vier - zig tauſend Aspern (welches der feſtgeſetzte Preis iſt) auflegen; ſo daß alſo ſelten viel Fleiß angewendet wird, den Verbrecher ſebſt zu bekommen. Eben ſo guͤnſtig ſind auch die Gerichte den Raͤubern, die das Land beunruhigen.

Todesſtra - fen.
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Die gewoͤhnlichſten Strafen fuͤr Hauptverbre - cher in der Tuͤrkey ſind das Kopfabſchlagen, Erſaͤu - fen, Haͤngen, Stranguliren, Verbrennen, Spießen und die Strappador; die beyden letzten ſind die grau - ſamſten, und bloß fuͤr diejenigen Tuͤrken beſtimmt, die dem Mahometaniſchen Glauben entſagen, oder fuͤr Mamelucken, die wieder zur chriſtlichen Religion zuruͤcke kehren. Die Raͤuber und Moͤrder werden gehaͤngt, die Weiber erſaͤuft; Perſonen, die der Rebel - lion oder des Aufruhrs uͤberfuͤhrt worden, werden enthauptet, und das Verbrennen trifft die Chriſten und Juden, die den Mahomet oder den Koran laͤſtern, oder mit einer Tuͤrkinn zu thun haben.

Woher der Capitaͤn ſei - ne Nachrich - ten hatte.
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Der Baſſa, unter deſſen Bedeckung ich von dem Fluße Neiſter nach Conſtantinopel kam, bewies mir unter Weges viel Hoͤflichkeit, und behandelte mich nach unſerer Ankunft ſehr guͤtig. Jch habe es meiner Bekanntſchaft mit ihm zu danken, daß ich die meiſten von dieſen Nachrichten von ihrer Regierung, Geſetzen, Gebraͤuchen und Lebensart erhalten habe.

Schwierig - keiten in An - ſehung des Friedens.
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Wir lebten bey unſerer Ankunft hier anfaͤnglich ſehr angenehm; allein dieſes wurde durch die unruhi - gen Raͤnke des Koͤnigs von Schweden, des Tartar - Chans und des franzoͤſiſchen Geſandten ſehr bald un - terbrochen. Der Groß-Vezier hatte ſich in einem Artikel des Tractats am Pruth anheiſchig gemacht,daß75daß der Koͤnig von Schweden das Tuͤrkiſche Gebiethe verlaſſen ſollte. Da aber der Koͤnig keine Luſt zur Abreiſe bewies, ſo hielten wir auch Azof uͤber die fuͤr uns zur Uebergabe deſſelben beſtimmte Zeit zuruͤck, und dieſes verurſachte eine zweyte Kriegserklaͤrung, welche deſto weniger Schwierigkeiten fand, da der Vezier, der mit uns unterhandelt hatte, war abgeſe - tzet worden, und ihm ein anderer folgte, der gaͤnzlich Schwediſch geſinnet war. Als aber der Sultan er - fuhr, daß dieſer Miniſter durch Geſchenke ſey gewon - nen worden, ſo ſetzte er ihn ab, und es wurde durch die Vermittelung des Herrn Robert Sutton und Graf Colyar, der Brittiſchen und Hollaͤndiſchen Geſandten an dieſem Hofe, den 16 April 1712 abermals ein1712. Neuer Frie - de. Friede geſchloſſen, welchen der Großherr dem Koͤnige von Schweden meldete, und ihn erſuchte zur Ruͤckkehr in ſeine Laͤnder Anſtalt zu machen.

Dieſer Friede war von keiner langen Dauer, dennUnterbre - chung deſſel - ben. die Schweden unterbrachen ihn in Pohlen, wo der Staroſt Gruzinski, der mit dem Koͤnige von Schwe - den in der Tuͤrkey geweſen war, mit 4000 Walla - chen, Koſaken ꝛc. einen Einfall that und in Groß - Pohlen eindrang, wo er ein ganzes Regiment Ruſſen uͤberfiel und wegfuͤhrte, die keinen Feind vermuthet hatten. Eine andere Parthey gieng uͤber Poſen, wo ſie ein Magazin und 300 Ruſſen wegnahm. Als der General Bauer erfuhr, was ſich zugetragen hatte, ſo begab er ſich in aller Eil nach Poſen und zog ein Corps von 4000 Ruſſen zuſammen, mit welchem er den Gruzinski uͤberfiel und angriff, der dieſes ſo wenig vermuthete, und ſo wenig auf ſeiner Hut war, daß er ſich nicht einen Augenblick widerſetz -te,76te, ſondern das Lager verließ, ſo wie es ſtand. Der General Bauer verfolgte ihn Tag und Nacht, bis er ihn endlich in Kruterſchien einholte, wo Gruzinski, da er kein Treffen mit ihm wagen wollte, ſeine Offi - ciers mit ſich nahm, ſeine Truppen verließ, und ſich nach Schleſien begab; das ganze Corps ergab ſich hierauf zu Kriegsgefangenen.

Vorſtellun - gen des Czar.
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Der Czar beſchwerte ſich nun uͤber dieſe Ueber - tretung des Tractats bey den Tuͤrken, und der Koͤnig von Schweden, ob er gleich den Anfang gemacht hat - te, machte ein großes Geſchrey wider die Ruſſen, die einige Koſaken bis in des Großherrn Gebiethe verfol - get hatten. Da ſich nun der Sultan ſelbſt von dem Tartar-Chan, dem Franzoͤſiſchen Geſandten, (M. Deſaleurs) und dem Schwediſchen Miniſter hinterge - hen ließ, ſo brach er, unter dem Vorwande, daß noch einige Ruſſiſche Truppen in Pohlen waͤren, den Frieden von neuem. Um indeſſen hieruͤber gewiſſe Nachricht einzuziehen, ſchickte der Großherr einen Aga nach Pohlen, um zu erfahren, ob einige von un - ſern Truppen ſich in dieſem Koͤnigreiche befaͤnden. Da aber dieſer Aga gleichfalls die Suͤßigkeiten des ſchwe - diſchen Einfluſſes gekoſtet hatte, ſo richtete er auch ſeinen Bericht darnach ein, und da auch der Groß - Vezier in den Verdacht kam, als ob er es mit dem Czar hielte, ſo wurde er abgeſetzt, und Solyman Baſſa zum Vezier erwaͤhlet. Die Folge von dieſem allem war eine neue Kriegserklaͤrung, und ein Befehl an den Ruſſiſchen Geſandten, die Geißeln, und alle Perſonen in ihrem Gefolge, ſich nach den ſieben Thuͤr - men zu begeben.

Dieſe77

Dieſe ploͤtzliche Kriegserklaͤrung war mit Befeh -Kriegsruͤ - ſtungen. len an alle Baſſas, Truppen zu werben, begleitet, und der Sultan begab ſich mit ſeinem ganzen Hofe nach Adrianopel. Der Koͤnig Auguſtus und die Re - publik Pohlen hatten ſich indeſſen auf eine feyerliche Geſandtſchaft an den Sultan gefaßt gemacht, die jetzt unter Weges war, und an deren Spitze ſich der Woi - wode von Maſovien befand, welcher ein praͤchtiges Gefolge von 300 Perſonen hatte. Allein der Sul - tan, der nur den Stanislaus fuͤr den Koͤnig von Poh - len erkannte, verhinderte die Ankunft dieſer Geſandt - ſchaft, indem er ſich derſelben unter Weges bemaͤchtig - te, und ſie in Gefaͤngniſſe ſetzen ließ. Der Koͤnig Auguſtus beſaß indeſſen Geſchicklichkeit genug, den Tartar-Chan auf ſeine Seite zu bringen, und Ali Cumurgi, des Großherrn Liebling, der von dem Czar war gewonnen worden, fand Mittel, ſeinen Herrn zu uͤberreden, daß der Aga, der nach PohlenEndlicher Friede. war geſchickt worden, einen falſchen Bericht in Anſe - hung der Ruſſiſchen Truppen daſelbſt gemacht habe. Der Vezier Solyman und der Mufti, welche wieder Guͤnſtlinge des Lieblings waren, hatten zwar beyde zum Kriege gerathen; als ſie aber jetzt ſahen, daß Ali Cumurgi kein Vergnuͤgen mehr daran fand, ſo be - wegten ſie ihren unbeſtaͤndigen Herrn, daß er, aller die - ſer großen Zubereitungen ungeachtet, einem Verglei - che Gehoͤr gab, woran denn auch gearbeitet wurde. Die Unterhandlungen wurden alſo angefangen, da der Kanzler Schaffirow und der Graf Tſcheremetof hin - laͤngliche Vollmachten hatten, und im Nahmen des Czars verſprachen, daß ſeine Truppen Pohlen wirk - lich raͤumen ſollten. Der Großherr machte ſich da -gegen78gegen anheiſchig, den Koͤnig von Schweden zu noͤthi - gen, die Tuͤrkiſchen Laͤnder zu verlaſſen. Nachdem die Sachen ſo weit waren zu Stande gebracht worden, wurde ich nach Petersburg abgeſchickt, wo ich den 13ten anlangte; allein unſere Truppen hatten, ehe ich noch daſelbſt ankam, Pohlen bereits verlaſſen. Dieſer Friede, der auf 25 Jahre war gemacht wor - den, wurde hernach von dem Czar genehm gehalten, und als ſich der Koͤnig von Schweden weigerte, in des Großherrn Verlangen zu willigen, und die Tuͤrki - ſchen Laͤnder zu verlaſſen, ſo erhielten der Chan und der Baſſa Befehl, ihn dazu zu zwingen. Dieſes veranlaßte denn das beruͤhmte Gefecht bey Bender, wovon die Umſtaͤnde ſo bekannt ſind, daß ich es fuͤr unnoͤthig halte, ſie zu wiederholen.

Drittes79

Drittes Buch.

Des Czarowitz Vermaͤhlung. Des Czars Feyer ſeiner vorigen Vermaͤhlung. Der General Bauer entdeckt ſich ſeinen Freunden und Nebenoffi - cieren. Der Kaiſerinn Catharina Herkunft und Erhoͤhung. Des Fuͤrſten Menzikofs Erhebung, und wie der Czar der Vergiftung kaum entgieng. Expedition wider die Schweden. Beſchreibung der Stadt Moskau. Ein Geſandter aus Perſien; ein großes Feuer in Moskau. Ein junger Arzt wird von der Geiſtlichkeit verbrannt, der daher die Gewalt uͤber Tod und Leben genommen wird, und die Feyertage und Kloͤſter vermindert werden. Sitten der Adelichen. Beſchreibung der Frauen - zimmer. Ergoͤtzlichkeiten des gemeinen Volks. Heirathen. Der Prinzeßinn Natalia Einfall, Zwerge zu verheirathen. Drey Weiber, die ihre Maͤnner erſaͤuft hatten, werden beſtraft. Die Strafe der Knute. Des Czars Geburt und Hei - rath. Ein tugendhaftes Frauenzimmer. Moscowitiſche Raͤubereyen und Mordthaten. Des Czars Gefahr von denſelben. Merkwuͤrdi - ger Mord einiger Schwediſchen Officiers von Ju - den. Ausrottung der Raͤuber. Die Reſidenz wird von Moskau nach Petersburg verlegt. Ei - ne Beſchreibung der Perſon und Sitten des Czaro - witz. Ruſſiſche Einſchraͤnkung der Heirathen in Anſehung der Blutsverwandtſchaft. Laͤcher - licher Gebrauch beym Begraben. Jhre Bil - der. Jhre Baͤder. Art zu reiſen. Kirch - liche Faſten.

Der80
1712. Vermaͤhlung des Czaro - witz.
1

Der Czar war in Deutſchland geweſen, ſich mit ſeinen Alliirten zu berathſchlagen, und gieng alsdenn in das Carlsbad, und bediente ſich wegen ſei - ner Geſundheit des Geſundbrunnens, der ihm auch gute Dienſte leiſtete. Von da gieng er uͤber Dresden nach Torgau, wo er ſeinen Sohn, den Czarowitz, an - traf, der im Begriffe war, die Prinzeßinn von Wol - fenbuͤttel, eine Schweſter der Kaiſerinn, Carls des ſechsten Gemahlinn, zu heirathen. Der Czarowitz war im 22ſten und die Prinzeßinn im 18ten Jahre. Die Koͤniginn von Pohlen machte große Anſtalten zu dieſer Vermaͤhlung, und die Feyerlichkeit wurde den 25ſten October 1711 den Tag nach des Czars An - kunft ohne großen Pomp von einem griechiſchen Geiſt - lichen vollzogen. Den Czarowitz fuͤhrte der Czar, und die Prinzeßinn der Herzog von Wolfenbuͤttel ihr Großvater, zum Altare; die Koͤniginn von Pohlen war mit ihrem Hofſtaate, ſo wie der Herzog von Wol - fenbuͤttel, der Braut Vater, und die Herzoginn ihre Mutter, gegenwaͤrtig. Es folgte ein praͤchtiges Feſt in dem Pallaſte der Koͤniginn von Pohlen, und wenn es der Czar zugegeben haͤtte, daß der alte Herzog von Braunſchweig den Aufwand uͤbernehmen duͤrfen, ſo wuͤrde die Pracht bey der Vermaͤhlung ſeiner Enkelinn ihres Gleichen nicht gehabt haben. Allein es waͤre zu wuͤnſchen geweſen, daß anſtatt der Pracht im An - fange, mehr Gluͤckſeligkeit in der Folge bey dieſer Vermaͤhlung geweſen waͤre, welche aber hier kaum zu erwarten war, indem der Prinz auf ſeiner Seite keine Neigung zu dieſer Verbindung hatte. Der Czaro - witz war den niedrigen, ſinnlichen Vergnuͤgungen, und niedriger laſterhafter Geſellſchaft gaͤnzlich ergeben,hatte81hatte nicht die geringſte Luſt zu heirathen, und hegte jetzt keine andere Abſicht, als ſich ſo zu erhalten, daß er der Gefahr, in der er ſich befand, die Nachfolge zum Throne zu verlieren, entgehen moͤge. Die Prin - zeßinn, deren liebenswuͤrdige Perſon und reizende Voll - kommenheiten ein beſſer Schickſal verdienten, ver - fehlte daher den Weg zur Gluͤckſeligkeit gaͤnzlich.

Einige Tage nach der Vermaͤhlung begab ſichDer Czar feyert ſeine eigene Ver - maͤhlung. das junge Ehepaar nach Wolfenbuͤttel, und der Czar gieng durch Schleſien nach Petersburg, wo ſeine Vermaͤhlung mit der Czarinn den 20ſten Februar auf folgende Weiſe feyerlich und oͤffentlich begangen wurde. Herr Kyking, einer von der Admiralitaͤt, und Jaguzinski, General-Adjutant, wurden abge - ſchickt, Geſellſchaft zu ſeiner Majeſtaͤt alten Hochzeit (dieſes waren die Worte, deren ſie ſich zu bedienen Befehl erhalten hatten,) einzuladen. Der Czar ließ ſich in ſeiner Admirals-Uniform trauen, und dieſes machte, daß die Admiralitaͤts-Beamten den groͤßten Antheil an den Feyerlichkeiten dieſes Tages hatten. Der Vice-Admiral Kruys, und der Admiral der Galeeren, waren des Braͤutigams Vaͤter; die verwittwete Kaiſerinn, und des Vice-Ad - mirals Gemahlinn, ſtellten der Braut Muͤtter vor; die Brautjungfern waren zwey Toͤchter der Kaiſerinn Catharina ſelbſt; da aber dieſe Prinzeſſinnen noch zu jung waren, dieſes Amt in Perſon zu verrichten, ſo vertraten des Czars zwey Nichten, die Toͤchter des Czars Johannes, des Kaiſers aͤlteſten Bruders, ihre Stellen. Nach der Ceremonie begab ſich die ganze Geſellſchaft, ſo wie ſie waren eingeladen worden, in des Czars Pallaſt. Der Prinz Menzikof trug denFMar -82Marſchallsſtab, und der Vice-Admiral Kruys ſaß auf dem Schlitten und hatte den Czar zur Rechten. Das Gaſtmahl war ſehr praͤchtig. Des Abends machte ein Ball und Feuerwerk den Beſchluß. Die Stadt war die ganze Nacht erleuchtet, und hier - mit endigte ſich die alte Hochzeit.

Kurz darnach wurde der Fuͤrſt Menzikof nach Pommern geſchickt, das Commando uͤber die Ruſſi - ſche Armee, die aus 36000 Mann beſtand, zu uͤber - nehmen, zu welcher alsdenn die Daͤnen und Sachſen ſtießen. Der Czar folgte in kurzem nach, nahm ſei - nen Weg uͤber Berlin, und hielt eine Unterredung mit dem Koͤnige von Preuſſen; von da gieng er uͤber Hamburg nach Holſtein, wo er mit dem Koͤnige von Daͤnnemark Friedrichſtadt wegnahm. Er nahm hierauf von dem Koͤnige von Daͤnnemark Abſchied und gieng nach Schoͤnhauſen, wo er zum zweyten Mahle mit dem Koͤnige von Preußen zuſammen kam. Die in Holſtein gelaſſenen Truppen ſtanden den Daͤ - nen bey der Einnahme von Toͤnningen bey, und mach - ten den General Steinbock und ſeine Armee zu Kriegs - gefangenen, und die Truppen in Pommern nahmen Stettin weg, und bloquirten Stralſund. Der Fuͤrſt Menzikof ließ ſich damals von der Stadt Hamburg 250000, von Luͤbeck 100000, und von Danzig 150000 Kronen Contribution bezahlen.

General Bauer ent - deckt ſich.
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Waͤhrend der Zeit, da unſere Truppen in Hol - ſtein waren, nahm der General Bauer, der die Ca - vallerie commandirte, und ſein Gluͤck von unten auf gemacht hatte, deſſen Familie und Vaterland aber bisher jedermann ein Geheimniß geweſen war, Gele - genheit, ſich zu entdecken, woruͤber ſich diejenigen, dieum83um ihn waren, wunderten und freuten. Da er na - he bey Huſum, in Holſtein, im Lager ſtand, ſo bat er alle ſeine Feldofficiers und einige andere zu Tiſche, und ſchickte ſeinen Adjutanten ab, einen Muͤller und deſſen Frau, die in der Nachbarſchaft wohnten, dazu zu holen. Das arme Paar kam mit vieler Furcht vor dem Ruſſiſchen General, und war ganz beſtuͤrzt, als es vor ihm erſchien, der ſie aber, als er dieſes ge - wahr ward, guter Dinge ſeyn hieß, und ſagte, er wolle ihnen bloß eine Hoͤflichkeit bezeigen, und haͤt - te deswegen nach ihnen geſchickt, daß ſie heute mit ihm eſſen ſollten, redete auch freundlich von den Um - ſtaͤnden des Landes mit ihnen. Nachdem das Mit - tagseſſen aufgetragen war, ſetzte er den Muͤller und deſſen Frau neben ſich, eines zur Rechten und das an - dere zur Linken an der Tafel oben an, bewies ihnen große Hochachtung und bat ſie, ohne Furcht und Zwang zu eſſen. Waͤhrend der Mahlzeit that er vie - le Fragen wegen ſeiner Familie und ſeiner Anverwand - ten an den Muͤller. Der Muͤller ſagte ihm, daß er der aͤlteſte Sohn ſeines Vaters ſey, der gleichfalls in eben der Muͤhle, die er jetzt beſaͤße, Muͤller geweſen ſey; daß er zwey Bruͤder habe, die Kaufleute waͤren, und eine Schweſter, die an einen Kaufmann verhei - rathet ſey, und daß ſeine eigene Familie aus einem Sohn und drey Toͤchtern beſtehe. Der General frag - te ihn, ob er außer den erwaͤhnten keinen Brude mehr gehabt habe, worauf er antwortete, daß er n[och]einen Bruder gehabt habe, der aber ſeit vielen Jah - ren todt ſey, weil ſie niemals etwas von ihm gehoͤret haͤtten, denn er habe, als er noch ſehr jung geweſen, Dienſte genommen, ſey mit den Soldaten fortgegan -F 2gen,84gen, und muͤßte gewiß im Kriege geblieben ſeyn. Als der General merkte, daß ſich die Geſellſchaft ſehr uͤber ſein Verhalten gegen dieſe Leute wunderte, weil ſie glaubte, daß er dieſes bloß zum Vergnuͤgen thue, ſo ſagte er: Meine Herren, ſie ſind beſtaͤndig neugie - rig geweſen, zu wiſſen, wer und woher ich ſey; ich ſage ihnen alſo, dieſes iſt mein Geburtsort; und ſie haben von meinem aͤlteſten Bruder jetzt gehoͤrt, was meine Familie iſt. Hierauf wandte er ſich zu dem Muͤller und deſſen Frau, umarmte ſie zaͤrtlich, und ſagte ihnen, daß er ihr Bruder ſey, den ſie fuͤr todt gehalten haͤtten, und um ſie hierinn zu beſtaͤtigen, er - zaͤhlte er alles, was in der Familie, ehe er ſie verlaſ - ſen hatte, vorgegangen war. Der General lud hier - auf die ganze Geſellſchaft ein, den folgenden Tag in des Muͤllers Hauſe mit ihm zu eſſen, wo ein herrli - ches Gaſtgebot veranſtaltet war, wobey er ihnen ſagte, daß dieſes das Haus ſey, worinn er ſey gebohren wor - den. Der General Bauer beſchenkte hierauf alle ſei - ne Verwandten reichlich, und ſchickte des Muͤllers einzigen Sohn nach Berlin zur Erziehung, aus wel - chem hernach ein vollkommen geſchickter Menſch wurde.

Da der General Bauer die Perſon war, durch deren Vermittelung die Kaiſerinn Catharina hernach z[u]ſo großem Anſehen gelangte, ſo bringt mich dieſes daauf, ihre Geſchichte zu erzaͤhlen, wie ich ſie von de - nen gehoͤret habe, die ſie von ihrer Kindheit an ge - kannt haben.

Herkunft der Kaiſerinn Catharina.
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Sie war zu Runghen, einem kleinen Dorfe in Liefland, von ſehr armen Aeltern, die bloße Bauern oder Vaſallen waren, gebohren worden. Jhre Ael -tern,85tern, die, da ſie noch ſehr jung war, ſtarben, verlieſ - ſen ſie in großer Armuth, daher der Schulmeiſter ſie aus Mitleiden zu ſich in ſein Haus nahm, und ſie ſchreiben lehrte. Als Doctor Glack, ein Geiſtlicher aus Marienburg, ſie daſelbſt ſahe, ſo fragte er, wer ſie waͤre, und als er erfuhr, daß ſie eine arme Waiſe ſey, die er bloß aus Mitleiden in ſein Haus genom - men habe, ſo nahm er ſie, theils den Schulmeiſter von einer Laſt zu befreyen, die er nicht wohl zu tragen im Stande war, theils weil ihm die kleine Waiſe ge - fiel, mit ſich nach Hauſe, ob er gleich ſelbſt eine zahl - reiche Familie hatte. Hier hatte ſie beſſere Geſellſchaft und mehr Gelegenheit, etwas zu lernen, und ihr Be - tragen war ſo, daß ſie ſich bey dem Doctor, ſeiner Frau und Kindern zugleich beliebt machte. Jhre an - haltende, fleißige und ſorgfaͤltige Aufmerkſamkeit auf alle ihre haͤusliche Angelegenheiten, erwarb ihr bey dem Doctor und deſſen Frau eine ſolche Gunft, daß ſie zwiſchen ihr und ihren Kindern keinen Unterſchied machten. Sie bezeigte auch hernach allezeit ihre Er - kenntlichkeit mit der groͤßten Dankbarkeit, indem ſie alle diejenigen reichlich verſorgte, die nur einiger Maſ - ſen mit dem Doctor verwandt waren. Sie vergaß ſogar ihren erſten Wohlthaͤter den Schulmeiſter in Runghen nicht. Jn dieſem gluͤcklichen Zuſtande wuchs ſie auf, als ſich ein Lieflaͤndiſcher Sergeant, der in Schwediſchen Dienſten ſtand, heftig in ſie verliebte, und da ſie ihn gleichſalls liebte, ſo war ſie es zufrie - den ihn zu heirathen, wenn es anders mit des Do - ctors Bewilligung geſchehen koͤnne, der, nachdem er des Mannes Charakter unterſuchet hatte, und nichts darwider einzuwenden fand, dieſelbe ohne AnſtandF 3gab.86gab. Der Hochzeittag wurde beſtimmt, und kam auch wirklich, als der Sergeant an eben demſelben Morgen ploͤtzlich Befehl erhielt, mit ſeinem Detaſche - ment nach Riga zu marſchiren, wodurch er denn ver - hindert wurde, ſeine geliebte Braut zu erhalten. Kurz darauf kam der General Bauer mit einer Ar - mee vor dieſer Stadt, und nahm ſie 1702 ein, da denn alle Einwohner, und unter andern auch dieſe lie - benswuͤrdige Braut zu Gefangenen gemacht wurden. Als der General ſie unter dem Volke, das ſich uͤber ſein ungluͤckliches Schickſal in Thraͤnen badete, ge - wahr wurde, ſo ſahe er, ich weiß nicht was, in ihrer ganzen Geſtalt, das ihn bewegte, verſchiedene Fragen wegen ihres Zuſtandes an ſie zu thun, die ſie mit mehr Verſtande, als bey Perſonen von ihrem Stande gewoͤhnlich war, beantwortete. Er bat ſie daher, ſich nicht zu fuͤrchten, denn er wolle ſelbſt fuͤr ſie ſor - gen, und gab ſo gleich Befehl, ſie in ſein Haus zu nehmen, woruͤber er ihr die ganze Aufſicht uͤbergab, und ſie uͤber ſeine ganze Bedienung ſetzte, von welcher ſie auch, weil ſie freundlich mit denſelben umgieng, ſehr geliebt wurde. Der General hat hernach oͤfters geſagt, daß ſein Haus niemals ſo gut beſtellt geweſen, als da er ſie bey ſich gehabt habe.

Da der Fuͤrſt Menzikof, der des Generals Goͤnner war, ſie einmal in deſſen Hauſe ſahe, und etwas ſehr außerordentliches in ihrer Miene und Ver - halten wahrnahm, ſo fragte er, wer ſie ſey, und auf was fuͤr einem Fuße ſie ſich bey ihm befinde. Der General ſagte ihm das, was bereits erzaͤhlet worden, und zwar mit vielen Lobeserhebungen uͤber ihre Ver - dienſte und Verhalten in ſeinem Hauſe. Der Fuͤrſtſagte,87ſagte, daß ihm eine ſolche Perſon ſehr nuͤtzlich ſeyn wuͤrde, denn er war damals in dieſer Ruͤckſicht ſehr ſchlecht verſorgt; worauf der General antwortete, daß er ſeiner Hoheit zu viel ſchuldig ſey, als daß es ihm moͤglich ſeyn ſollte, ihm etwas abzuſchlagen, woran er einen Gefallen habe. Er ließ auch die Catharina ſo gleich vor ſich kommen, und ſagte ihr, daß dieſes der Fuͤrſt Menzikof ſey, daß er eine ſolche Bediente, wie ſie ſey, brauche, und daß der Fuͤrſt mehr Macht habe, als er, ihr gutes zu thun; worauf er hinzu ſetz - te, daß er eine zu große Hochachtung fuͤr ſie habe, als daß er ihr an einer ſolchen Ehre und großem Gluͤ - cke hinderlich ſeyn wolle. Sie antwortete durch eine bloße Verbeugung, welche, wenn ſie auch ihre Ein - willigung nicht bewies, doch verrieth, daß ſie das ge - genwaͤrtige Anerbiethen nicht ausſchlagen konnte. Kurz, der Fuͤrſt nahm ſie an eben dieſem Tage zu ſich, und ſie blieb bey ihm bis 1704, als der Czar, der einmal bey dieſem Fuͤrſten ſpeiſte, ſie ungefaͤhr zu ſehen bekam, und mit ihr ſprach. Sie machte ei - nen noch ſtaͤrkern Eindruck auf dieſen Monarchen, der ſie gleichfalls zu ſeiner Bedienten haben wollte, und ſie hernach zur Kaiſerinn von Rußland machte.

Da der Prinz Menzikof auch eine aus niedrigemHerkunft des Fuͤrſten Menzikof. Stande erhabene Perſon war, ſo ſind mir folgende Umſtaͤnde von ſeiner Erhebung erzaͤhlt worden. Er war von adelichen, aber ſehr armen Aeltern gebohren; und als dieſe ſtarben, veließen ſie ihn ſehr jung ohne alle Erziehung, ſo daß er weder leſen noch ſchreiben konnte, wie er es denn auch bis an ſeinen Tod nicht gekonnt hat. Seine Armuth noͤthigte ihn, in Mos - cau Dienſte zu ſuchen, wo ihn ein Paſtetenbecker inF 4ſein88ſein Haus nahm, der ihn dazu brauchte, daß er Ge - backenes auf den Straßen herum tragen mußte. Da er eine gute Stimme hatte, ſo ſang er auch allerley Lieder, wodurch er ſo bekannt geworden war, daß er in aller Vornehmen Haͤuſer kommen durfte. Der Czar ſollte einmal bey einem Bojaren oder großen Herrn zu Mittage ſpeiſen, und da Menzikof von un - gefaͤhr in die Kuͤche kam, ſo bemerkte er, daß der Bo - jar ſeinem Koche zu einem Gerichte Anweiſung gab, von dem er ſagte, daß es der Czar gern eſſe, und ſelbſt ein Pulver, als eine Art von Gewuͤrze, daran that. Der Knabe merkte ſich genau, woraus dieſes Gericht beſtand, gieng darauf fort, ſang ſeine Lieder, und hielt ſich in der Straße ſo lange auf, bis der Czar ankam, worauf er ſeine Stimme erhob. Der Czar bemerkte ihn, ſchickte ihm nach, und fragte ihn, ob er ſeinen Korb mit Paſteten verkaufen wollte. Der Knabe antwortete, daß er nur die Paſteten verkaufen duͤrfe, was den Korb betraͤfe, ſo muͤſſe er erſt ſeinen Herrn um Erlaubniß fragen; da aber ſeiner Majeſtaͤt alles zugehoͤre, ſo brauche er ihm nur zu befehlen. Dieſe Antwort gefiel dem Czar ſo ſehr, daß er ihm befahl, bey ihm zu bleiben, und ihm aufzuwarten, welches er mit vieler Freude that. Menzikof ſtand bey der Mahlzeit hinter des Czars Stuhle, und als er ſahe, daß das vorerwaͤhnte Gericht aufgetragen und ihm vorgeſetzet wurde, ſo lispelte er ſeiner Majeſtaͤt ins Ohr, und bat, daß er nicht davon eſſen ſollte. Der Czar gieng ſogleich mit dem Knaben in ein an - deres Zimmer, und fragte nach der Urſache, warum er ihm dieß zugelispelt habe, da er denn ſagte, was er in der Kuͤche geſehen, und daß der Bojar ſelbſtPulver89Pulver daran gethan habe, ohne daß es der Koch ge - wahr geworden ſey, welches ihm dieſes Gericht be - ſonders verdaͤchtig gemacht; daher er es fuͤr ſeine Schuldigkeit gehalten habe, ſeine Majeſtaͤt zu war - nen. Der Czar kam, ohne die geringſte Veraͤnde - rung der Miene, und ſeiner gewoͤhnlichen Munterkeit wieder an die Tafel, da denn der Bojar ihm dieſes Gericht empfahl, und ſagte, es ſey ſehr gut. Der Czar befahl dem Bojaren, ſich neben ihm zu ſetzen, denn es iſt in Moskau gebraͤuchlich, daß der Herr des Hauſes bey Tiſche aufwartet, wenn er ſeine Freunde bewirthet. Der Czar that hierauf etwas von dem Gerichte auf einen Teller, und erſuchte ihn, zu eſſen, und ihm ein gutes Beyſpiel zu geben. Der Bojar antwortete mit der groͤßten Beſtuͤrzung, daß es dem Diener nicht zukomme, mit ſeinem Herrn zu eſſen, worauf denn der Teller einem Hunde vorgeſetzet wur - de, der dasjenige, was darauf befindlich war, in kur - zem abraͤumte, aber auch gleich darauf Verzuckungen bekam und ſtarb. Der Hund wurde geoͤffnet, und als man die Wirkung des Giftes deutlich fand, ſo wurde der Bojar ſo gleich bewacht, aber den naͤchſten Morgen in ſeinem Bette todt gefunden, und dadurch alle fernere Entdeckung verhindert.

Des Menzikof merkwuͤrdiger Anfang erwarb ihm gar bald das Zutrauen ſeines Kaiſers, der ihn, da er einer von den Geringſten und Aermſten war, zu einem der reichſten Unterthanen des Ruſſiſchen Reichs mach - te. Er hatte nicht nur den Titel eines Fuͤrſten in Rußland, ſondern ward auch in den Fuͤrſtenſtand des Roͤmiſchen Reiches erhoben. Er war groß, wohl gebildet von Perſon, und hatte viel Verſtand. ErF 5handelte90handelte als Vice-Czar an dem Kaiſerlichen Hofe, der Czar ſelbſt erſchien in allen oͤffentlichen Zuſam - menkuͤnften als eine Privatverſon, und hatte aufs hoͤchſte zwey Bedienten bey ſich, und anſtatt einen Gefallen an Pracht und Hoheit zu haben, war ſein groͤßtes Vergnuͤgen, ſein Reich zu verbeſſern, welches er uͤberall in Perſon beſuchte.

1713. Feldzug wi - der die Schweden.
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Der Czar kam auf ſeiner Ruͤckreiſe aus Deutſch - land nach Riga, wo er die Czarinn antraf, die mit einer Tochter niedergekommen war, und begab ſich kurz darauf nach Petersburg, wo er 300 Schiffe ausruͤſten ließ, ſich zu Anfange des May 1713 mit 12000 Mann zu Schiffe ſetzte, und bey Helſingfu in Finland landete. Er gieng gleich darauf wieder nach Petersburg zuruͤck, ließ noch 6000 Mann ein - ſchiffen, gieng ſelbſt mit aller Eil zuruͤck, und ſetzte ſie an eben demſelben Orte ans Land. Dem Fuͤrſten Galitzin gab er das Commando uͤber die Armee, die aus 20000 Mann Jnfanterie, 4000 Mann Ca - vallerie, und einem großen Train Artillerie beſtand, zu Lande zu agiren, und er ſelbſt gieng mit 20 Kriegs - ſchiffen, und ſuchte die feindliche Flotte auf, die er aber ſo vortheilhaft geſtellet fand, daß er es nicht fuͤr rathſam hielt, ſelbige anzugreifen, ſondern zuruͤck zur Armee gieng, die bey Schrendo ſtand. Von da marſchirte er nach Abo, belagerte es, welches ſich auch den 8ten September uͤbergab; hierauf ließ er ſei - nen Generalen Befehl, die Schweden aus Finland zu treiben, und kehrte nach Petersburg zuruͤck, wo er verſchiedene Kriegsſchiffe und Galeeren von Sta - pel ließ.

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Da dieſe Stadt damals noch in ihrer Kindheit war, und viele tauſend Arbeiter in Erbauung derſel - ben beſchaͤftiget, und die Wohnungen ſehr koſtbar waren, ſo hatte ich das Gluͤck, mich in des General - Lieutenants Bruce Hauſe ſehr wohl zu befinden, wel - cher Commandant von Petersburg, und ein Bruder des General-Feldzeugmeiſters war. Da der Gene - ral-Feldzeugmeiſter aber in Deutſchland geblieben war, ſo ſchickte er mir Befehl, nach Moskau zu ge - hen, und bis zu ſeiner Ankunft bey ſeiner Gemahlinn in ſeinem Hauſe zu bleiben, daher ich zu Anfange die - ſes Jahres abreiſete. Als ich die Stadt von weitem ins Geſicht bekam, und eben ein ſchoͤner Tag war, ſo habe ich niemals einen ſchoͤnern Anblick geſehen, als mir dieſe Stadt in einiger Entfernung mit ihren ver - goldeten Thuͤrmen darſtellte. Meine Erwartung wurde aber ſehr getaͤuſcht, als ich hinein kam, und bloß von Holz erbaute Haͤuſer und Straßen fand, in welchen die Kirchen und hoͤlzerne und ſteinerne Haͤuſer unter einander ſtanden, die große Hoͤfe und Gaͤrten hatten, und die Wohnungen der Großen und Reichen waren. Als ich in des Generals Bruce Haus kam, wurde ich von ſeiner Gemahlinn wohl aufgenommen, die mich wie meine Mutter behandelte, denn ſie hat - ten damals kein Kind.

Moskau iſt in vier Theile eingetheilet; der erſteBeſchrei - bung der Stadt Mos - kau. wird die mittlere oder rothe Stadt genannt, und iſt mit einer ſtarken Mauer umgeben. Einen Theil davon macht das Schloß, der Kremelin genannt, aus, welches zwey Engliſche Meilen im Umfange hat, mit drey Mauern, die immer eine hoͤher als die ande - re ſind, und außer denſelben mit einem tiefen Grabenumgeben92umgeben iſt. Die Mauern ſind mit vielen Kano - nen beſetzt, und die zwey Fluͤſſe, die Moskau und Neglina, fließen auf beyden Seiten dieſes Theiles der Stadt. Das Schloß iſt ſo groß, daß ſich des Czars Pallaſt und die Wohnhaͤuſer fuͤr ſeine Hofleute, des Erzbiſchofs Pallaſt nebſt vielen andern, wie auch zwey Kloͤſter, eines fuͤr Moͤnche und das andere fuͤr Nonnen, darinn befinden; außer dieſen Gebaͤuden ent - haͤlt es noch funfzig Kirchen, die alle viereckig gebauet ſind; jede hat fuͤnf Kuppeln, davon die groͤßte in der Mitte, und die vier kleinen auf den Ecken ſtehen; al - le aber ſind mit vergoldetem Kupfer gedeckt. Mitten im Schloſſe ſtehet ein ſehr hoher Thurm, Jvan Weliki, oder der große Johann genannt, in wel - chem ſich eine Glocke befindet, die 336000 Pfund wiegt; ſie iſt 19 Fuß hoch, hat 23 Fuß im Durch - ſchnitte, 64 im Umfange, und iſt 2 Fuß dick. Sie wurde zu des Czars Boris Gudanofs Zeiten gegoſ - ſen, und 24 Mann muͤſſen auf jeder Seite den Kloͤp - pel von einer Seite zur andern ziehen. Die Glocke ſelbſt kann gelaͤutet werden, welches aber nur bey wichtigen Gelegenheiten geſchieht. Der andere Theil dieſer Abtheilung außer dem Schloſſe wird meiſtens von Großen bewohnet. Hier iſt auch der große vier - eckige Markt, der in Gaſſen eingetheilet iſt, wo die Kauf - und Handelsleute ihre Gewoͤlber haben. Da alle Arten von Waaren oder Manufacturen ihren ei - genen Platz auf dem Markte haben, ſo iſt es fuͤr die Kaͤufer ſehr bequem, die alles ohne große Muͤhe fin - den koͤnnen. Alle Gewoͤlber werden mit Sonnenun - tergange geſchloſſen, und die vier Thore des Markts werden von dem Officier von der Garde zugemacht,der93der rings herum Wache ſtellt, und fuͤr die darinn be - findlichen Guͤter ſtehen muß. Die Gewoͤlber wer - den bey Anbruche des Tages wieder geoͤffnet. Die - ſes iſt der einzige zum Verkauf der Guͤter beſtimmte Ort, und iſt faſt wie der Beſeſtin in Conſtantinopel.

Der zweyte Haupttheil der Stadt wird Czargo - rod genennet, und iſt mit einer ſtarken mit Schieß - ſcharten verſehenen Mauer umgeben, die nach orien - taliſcher Art erbauet iſt, und Thuͤrme hat, die in ge - hoͤriger Entfernung von einander ſtehen. Sie wird auch Bela-Stena, oder die weiße Mauer genannt. Der Fluß Neglina fließt dadurch. Hier befinden ſich des Czars Staͤlle, eine Stuͤck - und Glockengießerey, das Zeughaus, des Fuͤrſten Menzikofs Pallaſt, des Generals Bruce Haus, und vieler anderer vorneh - mer Herren Haͤuſer.

Der dritte Theil wird Skorodom, oder der Haus - markt genannt: denn ſkoro bedeutet geſchwinde, und dom, ein Haus. Hier kann man ein hoͤlzernes Haus von jeder Groͤße kaufen, und es innerhalb drey Tagen auf dem Orte, wo es ſtehen ſoll, aufſetzen laſ - ſen und bewohnen. Dieſer Platz iſt mit lehmernen Waͤnden, die mit Planken unterſtuͤtzet ſind, umgeben, und der Fluß Jaguſa fließt dadurch.

Die vierte Abtheilung wird Strelitza-Slaboda genannt, wo die Soldaten einquartiret ſind, und iſt mit einem Walle umgeben. Sie ſtehet auf der an - dern Seite des Fluſſes Moscow, woruͤber eine ſchoͤne Bruͤcke gehet, die der Fuͤrſt Galitzin gebauet hat, der Guͤnſtling der Prinzeßinn Sophia, des Kaiſers aͤlte - ſten Schweſter, die ihm ſo viele Unruhe waͤhrend der Regierung des Czars Johannes machte.

Gemei -94

Gemeiniglich zaͤhlt man in dieſem Theile der Stadt 1500 Kirchen, Capellen und Kloͤſter, von welcher erſtaunenden Menge dieſes die Urſache ſeyn ſoll, weil ein jeder Großer ſeine eigene Capelle und Prieſter hat. Moskau liegt im 55ſten Grade, 36 Minuten noͤrdlicher Breite, und hat 16 Eng - liſche Meilen im Umfange. Es wohnen eine große Menge Fremde, als Griechen, Armenianer, Perſer, Tuͤrken und Tartarn in dieſer Stadt, und haben alle die Erlaubniß ihren Gottesdienſt zu uͤben. Nicht allzuweit von der Stadt iſt eine große Vor - ſtadt Jnoiſemska-Slaboda, oder die fremde Stadt genannt, wo Englaͤnder, Hollaͤnder und Deutſche wohnen. Es ſind darinn vier proteſtantiſche und eine katholiſche Kirche, deren keine aber einen Thurm oder Glocken haben darf. Sie liegt ſehr angenehm am Fluſſe Neglina, an deſſen Ufern eine Menge Luſthaͤu - ſer mit ſchoͤnen Gaͤrten befindlich ſind. Der be - ruͤhmte General le Fort ließ hier einen praͤchtigen Pal - laſt bauen. Die Einwohner leben hier ſehr angenehm unter einander, ohne ſich mit den Ruſſen, außer in Geſchaͤften, einzulaſſen. Da das Land an allen nothwendigen Lebensmitteln einen Ueberfluß hat, ſo leben die Menſchen hier ſehr wohlfeil, und bewirthen einander mit Baͤllen und Gaſtereyen, welches ſie ſehr wohlfeil haben koͤnnen. Jm Sommer ſchlagen ſie in den benachbarten Waͤldern Zelte auf, worinn ſie bis in die Nacht auf dem Gruͤnen tanzen. Als der Czar in Moskau war, fand er ſich ſehr oft bey ihren Ergoͤtzlichkeiten ein, und ſtattete ihnen oͤfters Be - ſuche ab.

Es95

Es kam hier ein Geſandter aus Perſien an, undAnkunft ei - nes Perſi - ſchen Ge - ſandten. wartete bis auf die Ankunft des Czars. Die Ge - ſchenke, welche er mit brachte, beſtanden in 10 Per - ſiſchen Pferden, in einem ſehr großen Elephanten, einem Loͤwen, einem Tiger, einem Strauße, und vie - len Arten von Papageyen und andern Voͤgeln, wie auch in einer Menge Perſianiſcher ſeidener Tapeten und andern Koſtbarkeiten. Kurz darnach kam einGroße Feuers - brunſt. großes Feuer aus, welches den groͤßten Theil der Stadt, beſonders die hoͤlzernen Haͤuſer, in die Aſche legte. Es kam in einem Nonnenkloſter außerhalb der Stadt aus, und ein ſtarker Wind aus Weſten trieb das Feuer in die Stadt, die dadurch ganz in Flammen gerieth. Jhre einzige Art das Feuer zu loͤſchen iſt, daß ſie in einer Entfernung davon die Haͤuſer nieder - reißen, indem ſie ſich keiner Spritzen bedienen koͤnnen. Da auch die Straßen von Holz ſind, ſo verbrennen ſie mit den Haͤuſern zugleich. Als bey dieſer Gele - genheit ein armer aberglaͤubiſcher Mann das Feuer auf ſein Haus zukommen, und alles das Seinige verzehren ſahe, ſo nahm er des Heil. Nicolaus Bild, hielt es zwiſchen ſich und dem Feuer, und bat inbruͤn - ſtig um dieſes Heiligen Schutz; aber vergebens, denn die Flamme ergriff in kurzem ſein Haus, woruͤber er ſo erzuͤrnt wurde, daß er den Heiligen ins Feuer warf und ſagte, da er ihn nicht retten wolle, ſo moͤge er ſich nun ſelbſt retten. Als die Geiſtlichkeit dieſes er - fuhr, ſo wurde dieſer Mann verurtheilt, lebendig ver - brannt zu werden. Alle Gebaͤude von Steinen, als Kirchen und andere Bethhaͤuſer, der Adelichen und vornehmer Herren Haͤuſer blieben ſtehen, und es waren bloß die Daͤcher auf den letztern verbrannt, ohnedaß96daß ſie ſonſt Schaden gelitten hatten; denn alle Haͤu - ſer von drey oder vier Stockwerken ſind bis unter das Dach gewoͤlbt, und die Thuͤren und Fenſter, die auf die Straße gehen, und die Fenſterladen ſind von Eiſen.

Die Stadt wurde von dem vorher erwaͤhnten Skorodom in kurzem wieder erbauet, wo ſich jeder - mann mit einem Hauſe von beliebiger Groͤße verſehen kann. Man mußte in Wahrheit erſtaunen, wenn man ſahe, mit welcher Geſchwindigkeit das Bauholz herbey geſchafft, und mit welcher Geſchicklichkeit es von den Zimmerleuten aufgeſetzt wurde. Jn zwey Tagen war das Haus unter Dache, und nachdem der Kaͤufer Anweiſung gegeben hatte, wo die Thuͤren und Fenſter ſeyn ſollten, ſo hieben ſie die Stuͤtzen aus und ſetzten die Pfoſten und Raͤhmen ein, die alle ſchon fertig ſind.

Ein junger Arzt wird von der Geiſtlichkeit verbrannt.
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Ein Beyſpiel von dem Aberglauben und der Ge - walt der Geiſtlichkeit trug ſich kurz vor dem Brande zu. Ein junger Menſch, den der Czar zur Erziehung nach Leiden geſchickt hatte, war, nachdem er Medicin ſtudiret hatte, und Doctor geworden war, wieder zu - ruͤck gekommen, und da er einmal in einer Zuſam - menkunft von Freunden aufgeraͤumt war, ſo fragten dieſe ihn wegen ſeiner Religion. Da er ein wenig be - trunken war, ſo ſagte er, daß er es noch eben ſo ſehr mit der griechiſchen Kirche halte, als jemals, aber an die Bilder der Heiligen allen Glauben verlohren haͤtte, und um das, was er ſagte, zu beweiſen, ſo nahm er eines von der Wand und warf es ins Feuer. Hierauf wurde er ſogleich ergriffen und der Geiſtlich - keit uͤbergeben, die ihn zum Feuer verurtheilte, undauf97auf die grauſamſte Art verbrannte, indem man das Feuer von ihm entfernt legte, um ihn deſto laͤnger zu quaͤlen. Als der Czar die Grauſamkeit der Geiſtli -Der Kaiſer zuͤchtigt ſie dafuͤr. chen erfuhr, und vorher ſchon die Wuͤrde des Patriar - chen abgeſchafft hatte, ſo nahm er ihnen nunmehr auch die Gewalt uͤber Tod und Leben, und machte ein Ge - ſetz, daß die ganze Geiſtlichkeit ſtudiren ſollte, wozu er ihr vier Jahre einraͤumte. Hierauf ſollten ſie exa - miniret werden, und diejenigen, die beſtehen wuͤrden, ſollten befoͤrdert, die uͤbrigen aber abgeſetzt werden. Da auch drey Viertel vom Jahre Feyertage zum Andenken dieſes oder jenen Heiligen waren, wobey das meiſte Volk muͤßig gieng, ſo machte er ein Geſetz, daß weiter kein Tag außer den Tagen zum Andenken unſers Heilandes, der Jungfrau Maria, der zwoͤlf Apoſtel, und des Heil. Andreas und Nicolaus, welches die Schutzheiligen von Rußland ſind, ge - feyert werden ſollte. Da es ferner viele tauſend Kloͤ - ſter im Lande gab, die voll muͤßiger Moͤnche waren, die in Faulheit lebten, ſo ſchraͤnkte er dieſelben bis auf funfzig ein, in deren keinem mehr als funfzig Moͤnche ſeyn ſollten, wovon jeder uͤber 40 Jahr alt ſeyn muͤßte; die uͤbrigen ſollten zu Hospitaͤlern fuͤr ſol - che, die bey der Armee oder bey der Flotte zum Dien - ſte untuͤchtig geworden, und fuͤr andere Perſonen, die ſich zu erhalten nicht im Stande waͤren, gemacht, und ihre Einkuͤnfte zum Unterhalte derſelben angewen - det werden. Alle Moͤnche aber, die keine Profeßion gelernet, und zum Dienſte tuͤchtig waͤren, ſollten bey der Armee gebraucht werden.

Die Perſonen vom Stande leben jetzt in Mos -Art zu leben. kau, nachdem ſie die alten Gebraͤuche und SittenGihrer98ihrer Vorfahren abgeleget haben, ſehr vergnuͤgt, klei - den ſich nach der franzoͤſiſchen Mode, und gehen viel freyer als vorher mit einander um. Da auch dem Frauenzimmer in Geſellſchaft alle Freyheit erlaubt iſt, ſo leben ſie in einem immerwaͤhrenden Vergnuͤgen und Ergoͤtzen, bringen das Meiſte von ihrer Zeit auf Baͤl - len und bey Gaſtmaͤhlern zu, und laden einander wechſelsweiſe in ihre Haͤuſer ein. Da ſie von ihren Ehemaͤnnern, die meiſtens auswaͤrtige Geſchaͤfte ha - ben, allein gelaſſen wurden, ſo nahmen die Damen Schwediſche Officiers, die bey Pultawa waren ge - fangen worden, in ihre Familien; einige als Haus - hofmeiſter, andere als Hofmeiſter fuͤr ihre Kinder, und andere als Muſik - und Tanzmeiſter, ſo daß endlich alle ihre Baͤlle aus Schwediſchen Herren und andern Auslaͤndern, denen ſie ſehr gewogen waren, beſtanden.

Beſchrei - bung der Frauenzim - mer.
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Die Ruſſiſchen Frauenzimmer ſind von mittel - maͤßiger Statur; die meiſten ſind wohl proportioniret, und koͤnnten in jedem Theile von Europa fuͤr ſchoͤn gehalten werden. Jhre Geſichter waͤren auch nicht zu verachten, wenn ſie nur nicht die haͤßliche Gewohnheit haͤtten, ſich zu ſchminken, welches ſie in ſolcher Ue - bermaaße thun, daß man ſicher ſagen kann, daß ſie ſich der Schminke als eines Schleyers bedienen, ihre Schoͤnheit zu verbergen.

Unterhal - tung des ge - meinen Volks.
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Was den Mittelſtand des Volkes betrifft, ſo be - halten ſie noch viel von ihrer alten Lebensart bey. Bey ihren Gaſtmahlen erſcheinen bloße Mannsperſo - nen. Der Herr des Hauſes wartet ſeinen Gaͤſten auf, bis der Nachtiſch vom Gebackenen aufgeſetzt wird, da er ſich denn zu ihnen ſetzt, und ſein moͤg -lichſtes99lichſtes thut, ſie zum Trinken aufzumuntern, denn es wuͤrde eine große Schande fuͤr ſie ſeyn, wenn einer von der Geſellſchaft das Haus, ohne betrunken zu ſeyn, verlaſſen ſollte. Wenn die Gaͤſte fortgehen wol - len, ſo erſcheint die Wirthinn, nachdem ſie gerufen worden, tritt aber nur in das Zimmer, wendet ſich nach dem Winkel, wo die Familienheiligen ſtehen, kreuziget und buͤckt ſich tief, und hierauf macht ſie der Geſellſchaft ein Compliment, ohne einen Schritt wei - ter zu kommen, ſondern bleibt ſtehen. Sie iſt da - bey in einem weiten mit Pelz gefuͤtterten Rocke geklei - det, hat eine Haube von Zobel auf, und ihr Geſicht iſt uͤber und uͤber mit Schminke und Schminkpflaͤſter - chen belegt. Der ganze Leib aber iſt frey, indem ſie weder eine Schnuͤrbruſt noch Mieder, oder Unterrock, ja nicht einmal Struͤmpfbaͤnder traͤgt, ſondern nur Pantoffeln mit ſehr hohen Abſaͤtzen anhat. Jn die - ſem Aufzuge noͤthiget der Herr alle ſeine Gaͤſte, einen nach dem andern, ſeiner Frau ihr Compliment zu ma - chen. Hinter ihr ſtehet ein Bedienter mit einem Tel - ler und vier Glaͤſern, die mit Brandweine, Weine, Meth und Biere angefuͤllet ſind, die jedermann auf die Geſundheit der Dame zu trinken verbunden iſt. Hierauf begiebt ſie ſich wieder weg, ohne ein Wort zu ſagen; alsdenn werden andere Frauenzimmer von der Familie auf eben dieſe Art herein gebracht, und ſo be - ſchließen ſie ihre Gaſtmaͤhler ſehr betrunken.

Jn Rußland heirathet man gemeiniglich ſehrJhre Heira - then. jung, und die Aeltern ſtiften die Heirath ohne auf die Neigung ihrer Kinder zu ſehen, die einander nicht zu ſehen bekommen, als bis ſie in ihre Schlafkammer gefuͤhret werden. Dieſes war ehedem auch bey Vor -G 2nehmen100nehmen Mode, bis es der Czar aufhob und den jun - gen Leuten erlaubte ihre Werbungen perſoͤnlich zu thun, ohne einander eine Heirath wider ihre Neigun - gen aufzudringen, wodurch denn viele ungluͤckliche Heirathen verhuͤtet wurden; die alte Mode iſt indeſſen noch bey Niedrigen uͤblich. Wenn die Jungfer mannbar wird, ſo ſchicken die Aeltern nach einem Kuppler, (welches gemeiniglich eine alte Frau iſt,) und ſagen ihr, daß ſie einen geſchickten Ehemann fuͤr ihre Tochter ſuchen ſoll. Sie uͤbergeben ihr zugleich ein Verzeichniß, was ſie der Jungfer an Gelde, Ju - welen, Geſchirre, Hausrath und Kleidern, auch ſo gar an Hemden, mitgeben wollen, desgleichen auch die Anzahl der Bauern oder Vaſallen, deren einer gemeiniglich auf zehn Rubel des Jahres geſchaͤtzt wird. Mit dieſem Verzeichniſſe gehet dieſe Frau von einem Junggeſellen zu dem andern, von welchen ſie glaubt, daß ſie ſich zur Heirath fuͤr dieſes Frauen - zimmer ſchicken, und fragt ſie, ob ſie geſonnen ſind, zu heirathen, indem ſie ſie einem ſchoͤnen jungen Frauenzimmer mit einem anſehnlichen Vermoͤgen em - pfehlen koͤnne, und zeigt ihnen zugleich das Verzeich - niß. Wenn das Verzeichniß den jungen Menſchen gefaͤllt, ſo ſchreibt er ſeinen Nahmen dazu, und nach - dem ſich alſo verſchiedene unterſchrieben haben, ſo uͤbergiebt ſie das Papier denjenigen wieder, die ſie ſchickten; hierauf unterſuchen die Aeltern den Charak - ter und die Umſtaͤnde derer, ſo ſich unterſchrieben ha - ben, und wenn ſie deren dreye oder viere gewaͤhlet ha - ben, ſo werden ſie vom Vater auf ein Gaſtgebot ge - beten, da denn die Freunde zuſammen kommen und bey dieſer Gelegenheit tuͤchtig herum getrunken wird. Die101Die Mutter, die Tochter und andere weibliche Anver - wandte, bleiben im Hauſe ſtehen, ſo daß ſie die Ge - ſellſchaft ſehen koͤnnen, ohne von ihr geſehen zu werden. Sie fragen das Maͤdchen, welchen von den Freyern ſie zum Manne waͤhlen wolle, und nachdem dieſer Punkt in Anſehung ihrer Wahl ausgemacht iſt, ſo gehet die Geſellſchaft, wenn ſie wacker gezecht hat, aus einander, ohne zu wiſſen, wer der gluͤckliche Mann iſt. Den folgenden Tag werden etliche von des Maͤdchens Verwandten abgeſchickt, um ſich mit den Freunden des erwaͤhlten Braͤutigams zu berath - ſchlagen. Wenn die Heirath eingegangen wird, ſo werden zwey oder drey Weiber von dem Braͤutigam abgeſchickt, denen es erlaubt iſt, die Braut zu unter - ſuchen, ob ſie einen perſoͤnlichen Fehler hat, da ſie denn ganz nackend vor ihnen erſcheinen muß. Hier - auf ſchließen die Freunde die Heirath, dem neuen Paare aber iſt es nicht erlaubt, einander zu ſehen, als bis ſie in der Schlafkammer zuſammen kommen.

Die Prinzeſſinn Natalia, die einzige SchweſterEinfall der Prinzeſſinn Natalia. des Czars von eben der Mutter, ließ um dieſe Zeit Anſtalten zu einer großen Hochzeit zweyer von ihren Zwergen machen, die einander heirathen ſollten. Bey dieſer Gelegenheit wurden viel kleine Kutſchen gebauet und kleine Schottlaͤndiſche Pferde angeſchafft, dieſelben zu ziehen. Alle Zwerge, die ſich im Reiche befan - den, deren Zahl ſich auf 93 belief, wurden zuſam - men gefordert, dieſe Hochzeit zu begehen. Sie gien - gen in einer großen Proceſſion durch alle Straßen in Moskau; vor ihnen gieng ein großer offener Wagen, der mit ſechs Pferden beſpannt war, auf welchem Muſikanten mit Pauken, Trompeten, WaldhoͤrnernG 3und102und Hobojen ſaßen; hierauf folgte der Marſchall und ſeine Begleiter, zwey und zwey zu Pferde, alsdenn der Braͤutigam und die Braut in einer Kutſche mit ſechs Pferden, nebſt ihren Braͤutigams - und Braut - fuͤhreru, die vor ihnen in der Kutſche ſaßen. Jhnen folgten 15 kleine Kutſchen, jede mit Schottlaͤndiſchen Pferden, und in jeder vier Zwerge. Es war etwas erſtaunendes, auf einmal ſo viel ſolche kleine Ge - ſchoͤpfe in einer Geſellſchaft zu ſehen, beſonders da ſie mit einer nach ihren Staturen eingerichteten Equipage verſehen waren. Die Proceſſion wurde von zwey Compagnien Dragonern begleitet, das gemeine Volk zuruͤck zu halten, und viel vornehme Perſonen waren zur Hochzeit eingeladen, die in ihren Kutſchen mit in die Kirche fuhren, wo das kleine Paar getrauet wur - de. Von hier gieng die Proceſſion in guter Ord - nung zu der Prinzeſſinn Pallaſt zuruͤcke, wo ein groſ - ſes Tractement fuͤr die Geſellſchaft zubereitet war. Es waren zwey lange Tafeln, auf jeder Seite in ei - nem langen Saale gedeckt, woran die Geſellſchaft der Zwerge ſpeiſte; die Prinzeſſinn nebſt ihren zwey Nich - ten, die Prinzeſſinnen Anna und Eliſabeth, des Czars Toͤchter, ſorgten dafuͤr, daß ſie ordentlich geſetzt und bewirthet wuͤrden, ehe ſie ſich an ihre eigene Tafel ſetz - ten. Jn der Nacht fuͤhrten die Prinzeſſinnen, von dem Adel begleitet, das verheirathete Paar mit vieler Pracht zu Bette. Nach dieſer Ceremonie wurde der Geſellſchaft von Zwergen ein großes Zimmer einge - raͤumet, ſich luſtig zu machen. Das Gaſtmahl en - digte ſich mit einem Balle, der bis an den hellen Tag dauerte. Die Geſellſchaft, die bey dieſer Gele -genheit103genheit den Prinzeſſinnen ihre Aufwartung machte, war ſo zahlreich, daß ſie viele Zimmer einnahm.

Kurz darauf ſahe ich drey Weiber lebendig be -Drey Wei - ber erſaͤufen ihre Maͤn - ner. graben, die ihre Maͤnner erſaͤuft hatten. Sie waren, wie es ſchien, alle drey in einem Kahne uͤber die Mos - cow gefahren ihre Maͤnner aufzuſuchen, die ſie in ei - nem Wirthshauſe betrunken fanden. Da ſie ſich nun bemuͤheten, ſie durch gute Worte nach Hauſe zu bringen, ſo waren ſie ſehr von ihnen geſchlagen wor - den. Sie brachten ſie aber doch durch anderer Leute Huͤlfe endlich in den Kahn, worinn ſie einſchliefen. Die Weiber, um ſich fuͤr die Schlaͤge an ihren Maͤn - nern zu raͤchen, warfen einen nach dem andern, als ſie mitten auf dem Fluße waren, hinein, und kamen, nachdem ſie ſie erſaͤuft hatten, ſehr gleichguͤltig an das Ufer. Die Sache wurde aber ſogleich bekannt; ſie wurden ergriffen, verhoͤrt und verurtheilt, lebendig bis an den Hals vergraben zu werden, und ſo zu ſter - ben. Zwey davon lebten 10 und die dritte 11 Ta - ge. Die erſten drey Tage beklagten ſie ſich uͤber große Schmerzen, aber hernach nicht mehr; wahr - ſcheinlicher Weiſe hatte man ihnen des Nachts einige Nahrung gegeben, ſonſt haͤtten ſie nicht ſo lange leben koͤnnen; die aͤlteſte davon war noch nicht zwanzig Jahr alt.

Wenn ein Mann ſeine Frau, oder ſeinen Scla -Beſtrafung mit der Knute. ven unter der Zuͤchtigung, (wie ſie es nennen) toͤdtet, ſo bekommt er die Knute, die folgender Maßen voll - zogen wird. Es nimmt ihn ein ſtarker junger Menſch auf ſeinen Ruͤcken, und ein anderer bindet ihm die Fuͤße mit einen Stricke, der demjenigen, der ihn traͤgt, zwiſchen den Beinen durchgehet. Jn dieſer PoſiturG 4wird104wird er ſo feſt gehalten, daß er ſich nicht ruͤhren kann, und iſt bis auf den halben Leib ausgezogen. Hier - auf giebt ihm der Henker die Knute, welches ein an einem Stock befeſtigter Riemen von getrockneter und ungegaͤrbter Elendshaut iſt, die er ſo geſchickt zu fuͤh - ren weiß, daß das Blut auf jeden Hieb herausſpringt, oder eine Schwiele wie ein Finger dick entſtehet. Dieſes wird die gelinde Knute genannt; wenn ſie aber nach dem Urtheile ſtrenger ſeyn ſoll, ſo kommt der Henker drey oder vier Schritte gegangen, bis er den Verbrecher erreichen kann, und giebt ihn den er - ſten Hieb mitten auf den Ruͤcken, tritt bey jeden Hie - be zuruͤck, und iſt ſo geſchickt, daß er niemals zwey - mal auf einen Ort ſchlaͤgt; jeder Hieb nimmt das Fleiſch mit weg. Wenn die allerſchaͤrfſte Knute ver - ordnet iſt, ſo haut er in die Seiten, und durchſchnei - det oͤfters das Eingeweide, welches wenige uͤberleben. Es iſt eine allgemeine Anmerkung, daß magere Leute nach der Knute fett werden; und daß ſie ein un - truͤgliches Mittel fuͤr diejenigen iſt, die ſteif (hide - bound,) ſind.

Sie haben außer dieſer noch eine andere Art der Strafe, die Batoke genannt, deren man ſich in Fa - milien, die Kinder und Sclaven zu zuͤchtigen, desglei - chen auch bey der Armee bedient. Die Perſon, die ſo beſtraft werden ſoll, muß die Kleider bis auf die Beinkleider ausziehen, und ſich mit dem Leibe auf die Erde legen; hierauf ſetzt ſich einer auf ſeinen Kopf und Hals, und ein anderer auf ſeine Fuͤße; jeder hat ei - ne gute Ruthe, womit ſie ihn den Ruͤcken tuͤchtig kitzeln.

Waͤhrend105

Waͤhrend meines Aufenthalts in Moskau wur -Des Czars Geburt und Vermaͤh - lung. den mir folgende beſondere Umſtaͤnde von dem Czar erzaͤhlt. Er war 1672 gebohren, und 1690 im 18 Jahre ſeines Alters an Ottokeßa, eines Bojaren Tochter, verheirathet worden, mit welcher er den Prinzen Alexis gezeuget hatte. Einige Zeit hernach verſtieß er ſie, und that ſie in ein Kloſter, weil er ſie in Verdacht hatte, als ob ſie ihm untreu ſey. Man ſagt, daß ſie dem Fuͤrſten Menzikof einsmals aus Ei - ferſucht aufgetragen, zwey Huren zum Czar zu fuͤh - ren, die er vorher gekannt und welchen er Kuchen ab - gekauft hatte, und ihm alſo dadurch ſein voriges Verhalten vorgeworfen haͤtte, und daß Menzikof her - nach einen unverſoͤhnlichen Haß gegen ſie und gegen ihren Sohn gehabt habe. Nach dieſer Trennung ſtand eine gewiſſe Jungfer Mons, ein ſehr ſchoͤnes Frauenzimmer, die in Moskau von fremden Aeltern gebohren war, bey dem Czar in großen Gnaden; als er aber auf Reiſen war, machte ſich Herr Keyſerling, damaliger Geſandter des Koͤnigs von Preußen in Moskau, an ſie, und heirathete ſie. Als der Czar zuruͤck kam, war er uͤber den Keyſerling ſo aufge - bracht, daß er ihm ſich von Moskau zu entfernen be - fahl, worauf er denn ſogleich von dem Koͤnige ſeinem Herrn zuruͤck berufen wurde, der einen andern an ſei - ne Stelle ſchickte. Man glaubt, daß er, wenn ihn ſein Charakter nicht geſchuͤtzt haͤtte, ſeiner Majeſtaͤt Mißfallen nachdruͤcklich gefuͤhlt haben wuͤrde.

Der Czar verliebte ſich kurz darauf in ein anderesEin tugend - haftes jun - ges Frauen - zimmer. ſchoͤnes junges Frauenzimmer, die Tochter eines frem - den Kaufmanns in dieſer Stadt. Er ſahe ſie zum erſten Mahle in ihres Vaters Hauſe, wo er einsmals zuG 5Mittage106Mittage ſpeiſte. Er war von ihrer Schoͤnheit ſo ein - genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn ſie mit ihm leben wollte, welches aber dieſes tugend - hafte junge Frauenzimmer mit aller Beſcheidenheit ausſchlug; weil ſie ſich aber vor den Wirkungen ſei - ner Macht furchte, ſo faßte ſie den Entſchluß, des Nachts Moskau zu verlaſſen, ohne ihren Aeltern etwas davon zu ſagen. Da ſie ſich nur mit wenigem Gelde zu ihrem Unterhalte verſehen hatte, ſo reiſte ſie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis ſie end - lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih - rem Manne und ihrer Tochter, dieſes jungen Frauen - zimmers Milchſchweſter, wohnten, denen ſie ihre Abſicht, ſich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor zu kommen, machte ſie ſich noch dieſe Nacht auf den Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten ſie. Der Mann, der ein Zimmermann und ſehr wohl in dem Walde bekannt war, fuͤhrte ſie auf einen kleinen trocknen Fleck, der mitten in einem Moraſte war, und baute ihr darauf eine Huͤtte, darinnen zu wohnen. Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelaſſen, ihr das Nothwendigſte zu kaufen, das ihr auch des Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu - getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer eine von ihnen bey ihr blieb.

Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih - rem Vater, ſie zu beſuchen, und da er die Aeltern aͤngſtlich um ihre Tochter bekuͤmmert, und ſich ſelbſt hintergangen fand, ſo glaubte er, daß es ihre eigene Veranſtaltung ſey. Er wurde daher zornig, und drohete ihnen mit den Wirkungen ſeines Zorns,wenn107wenn ſie nicht herbey gebracht wuͤrde. Es war den Aeltern, außer den buͤndigſten Verſicherungen und außer den Thraͤnen, die auf ihren Wangen herunter liefen, nichts uͤbrig, ihn von ihrer Unſchuld und Un - wiſſenheit zu uͤberzeugen, und ſie verſicherten ihn, daß ihr ein ungluͤcklicher Zufall begegnet ſeyn muͤſſe, da ſie nichts, was ihr zugehoͤre, vermißten, als was ſie damals angehabt haͤtte. Als der Czar von ihrer Aufrichtigkeit uͤberzeugt war, ſo befahl er, daß ſie mit allem Fleiß geſucht werden ſollte, und bot demje - nigen eine große Belohnung an, der entdecken wuͤrde, wo ſie hingekommen ſey. Allein es war alles verge - bens, daher die Aeltern und Verwandten glaubten, ſie ſey todt, und die Trauer anlegten.

Ein Jahr darnach wurde ſie durch einen Zufall entdeckt. Ein Oberſter, der von der Armee zuruͤck gekommen war und ſeine Freunde beſuchte, gieng in dieſen Wald auf die Jagd, kam, als er ſein Wild durch den Moraſt verfolgte, zu dieſer Huͤtte, und wurde, indem er hineinſahe, ein ſchoͤnes junges Frauenzimmer in geringer Kleidung gewahr. Nach - dem er ſie gefragt hatte, wer ſie ſey, und wie ſie an einen ſo einſamen Ort gekommen, entdeckte er endlich, daß ſie das Frauenzimmer ſey, deſſen Entfernung ſo großen Laͤrm gemacht hatte. Sie bat ihn mit der groͤßten Beſtuͤrzung und auf das beweglichſte auf ih - ren Knien, ſie nicht zu verrathen, worauf er antwor - tete, er glaube, daß ihre Gefahr nunmehr voruͤber ſey, da ſich der Czar mit einer andern eingelaſſen habe, und daß ſie ſich nunmehr ſicher, zum wenigſten ihren Aeltern entdecken koͤnne, mit denen er ſich daruͤber be - rathſchlagen wolle, wie die Sache anzufangen ſey. Das108Das Frauenzimmer willigte in ſeinen Vorſchlag, und er begab ſich ſogleich zu ihnen, und erfreute ſie durch dieſe gluͤckliche Entdeckung. Der Erfolg ihrer Be - rathſchlagungen war, die Madame Catharine, (wie ſie damals noch genannt wurde,) um Rath zu fragen, auf welche Art man dem Czar die Sache hinterbrin - gen ſollte. Der Oberſte nahm alſo das Geſchaͤft uͤber ſich, und erhielt von der Madame die Antwort, morgen wieder zu kommen, da ſie ihn denn zu ſeiner Majeſtaͤt fuͤhren wolle, er aber ihm dieſe Entdeckung machen und die verſprochene Belohnung fordern ſollte. Er gieng abgeredeter Maßen hin, und erzaͤhlte, nach - dem er war eingefuͤhret worden, den Zufall, durch welchen er das Frauenzimmer entdeckt habe, und ſtell - te die elende Lage, in der er ſie gefunden, vor, und was ſie wegen der Zaͤrtlichkeit ihres Geſchlechts aus - geſtanden haben muͤſſe, da ſie ſo lange an einem ſo ſchlechten Orte eingeſperret geweſen. Der Czar be - zeugte eine große Reue daruͤber, daß er die Urſache zu ihrem Leiden geweſen ſey, und verſprach es wieder gut zu machen. Hier ſagte Madame Catharine, ſie glaube, der beſte Erſatz, den ihr Seine Majeſtaͤt machen koͤnne, ſey, ihr ein anſehnliches Heirathsgut, und den Oberſten, der das groͤßte Recht dazu habe, da er ſie in Verfolgung ſeines Wildprets gefangen haͤtte, zum Manne zu geben. Der Czar war mit dem Vorſchla - ge der Madame Catharine vollkommen zufrieden, und gab einem von ſeinen Lieblingen Befehl, mit dem Oberſten zu gehen, und das Frauenzimmer zuruͤck zu bringen, da ſie denn, zu unausſprechlicher Freude ihrer Aeltern und Anverwandten, ankam, die alle um ſie getrauert hatten. Der Czar machte alle An -ſtalten109ſtalten zur Hochzeit, welche auch auf ſeine Koſten voll - zogen ward, wobey er ſelbſt die Braut dem Braͤuti - gam zufuͤhrte, und ſagte, daß er ihm eine der tugend - hafteſten Frauenzimmer uͤbergaͤbe. Er begleitete die - ſe Worte mit ſehr koſtbaren Geſchenken, und ſetzte ihr und ihren Erben jaͤhrlich 3000 Rubel aus. Die - ſes Frauenzimmer wurde vom Czar und von jeder - mann, der ſie nur kannte, ſehr geliebt. Sie hat mir dieſe Geſchichte, welche ich aber auch von andern gehoͤret habe, ſelbſt erzaͤhlet.

Es geſchehen in Moskau ſo viel Todtſchlaͤge,Raͤubereyen und Mord - thaten. daß wenig Naͤchte vergehen, da nicht den andern Morgen etliche Leute todt auf den Straßen gefunden werden. Die Raͤuber gehen in großen Parthien, und ermorden, ehe ſie rauben, und dieſes thun ſie mit ſo wenig Furcht, daß ſie einen Menſchen vor ſeiner eigenen Thuͤre toͤdten. Die Furcht vor den Spitzbu - ben iſt dabey ſo groß, daß niemand von den Nach - barn dem ungluͤcklichen Opfer beyſtehet, aus Furcht, ſelbſt ermordet zu werden, oder daß man ihm ſein Haus anzuͤnde. Dieſes noͤthiget alſo die Leute, die des Nachts auf den Straßen ſind, in großen Geſell - ſchaften zu gehen, oder eine hinlaͤngliche Bedeckung von Bedienten zu Pferde zu haben, die ſie begleiten. Das Gewehr, deſſen ſich der Moͤrder bedienet, wird ein Dubien genannt, welches ein langer Stock mit einem runden Knopfe an einen Ende iſt, der mit Ei - ſen ſchwer gemacht wird, womit ſie einen Menſchen auf einen einzigen Schlag todt ſchlagen. Wenn es ſich zutraͤgt, daß einer ergriffen wird, ſo macht ihn eine gute Summe Geld von der Bande, zu welcher er gehoͤret, wieder los. Es wird ſo gar behauptet,daß110daß einige Adeliche dieſe Banden ſchuͤtzen, und an der Beute Antheil nehmen, welches ich aber fuͤr ungegruͤn - det halte.

Die Landſtraßen werden gleichfalls ſehr von die - ſen Rasbonicks, wie ſie genennet werden, beunru - higet, welches denn das Reiſen in jedem Theile Ruß - lands ſehr gefaͤhrlich macht. Sie haben ihre Spione in den Staͤdten, die ihnen Nachricht geben, wenn je - mand abreiſen, und wie er begleitet werden wird, und vermoͤge dieſer Nachricht machen ſie ihre Anſtalten zu einem Angriffe, und lauern in einem Buſche auf, durch welchen er gehen muß.

Des Czars Gefahr von Raͤubern.
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Ein vornehmer Mann, der Knipercron hieß, deſ - ſen Vater vor dem Kriege Schwediſcher Reſident ge - weſen war, erzaͤhlte mir, daß der Czar in ſeinen juͤn - gern Jahren ſelbſt ſey angegriffen worden. Er be - ſuchte ſeiner Aeltern Haus oͤfters, und bezeugte eine große Hochachtung fuͤr ihre Familie. Als der Czar ſie einen Abend beſuchen wollte, und nur zwey Be - dienten bey ſich hatte, von denen der eine vor dem Schlitten herritt, und der andere darauf ſtand, ſo kam ein Schlitten mit 8 Moͤrdern gefahren, die eben im Begriff waren, ſeinen Schlitten mit einem Haken an den ihrigen zu ziehen, deſſen ſie ſich bey ſolchen Gelegenheiten gemeiniglich bedienen. Allein der Czar, der damals noch jung, ſtark und beherzt war, ſtand auf, ergriff einen von den Raͤubern bey den Haaren, und zog ihn aus ihrem Schlitten heraus, hielt ihn feſt, fuhr ſo geſchwinde, daß ſie ihn nicht einholen konnten, und ſchleppte den Kerl mit ſich, bis er an des Reſidenten Haus kam, welches nicht weit entfernt war, und trat zu ihrem Erſtaunen vollerSchweiß111Schweiß herein, und hatte den Kerl noch bey den Haaren. Er ließ hierauf ſogleich die Thuͤren zuma - chen, daß keiner von den Bedienten hinaus gehen konnte, bis er den Raͤuber examinirt hatte. Als die - ſer ſahe, daß es der Czar ſelbſt ſey, den ſie angegrif - fen hatten, ſo zitterte und bebte er, und ſagte, wenn ſie gewußt haͤtten, wer er waͤre, ſo wuͤrden ſie ihn nicht angefallen haben, und bat hierauf, daß er, ohne auf die Tortur gebracht zu werden, hingerichtet werden moͤchte. Dieſes bewilligte der Czar mit dem Bedinge, wenn er die uͤbrigen von ſeiner Bande an - zeigen wuͤrde. Allein dieſes wollte er nicht thun, wenn ihm nicht das Leben und eine Belohnung ver - ſprochen wuͤrde, da ihm der Czar auch dieſes bewillig - te, ſo gieng er mit einem Detaſchement Soldaten zu ihrem Sammelplatze, und als er an das Haus kam, rufte er ihnen zu, das Haus zu oͤffnen. Als ſie ſeine Stimme hoͤrten, machten ſie es ſogleich auf, da denn die Soldaten hinein drungen, und nicht allein ſeine 7 Mitgeſellen, ſondern auch 13 andere von eben der Bande ergriffen, die in kurzem, außer dem Verraͤ - ther, insgeſammt hingerichtet wurden.

Ein ander Mahl wurde der Czar auf der Straße von Moskau nach Novogorod angefallen, da er nicht mehr als vier Bedienten bey ſich hatte. Als er von Twer abreiſete, wurde er von einer ſtarken Bande Rasbonicks angegriffen, worauf er ſogleich aus ſeinem Schlitten ſprang, in der einen Hand einen bloßen Degen, und in der andern ein aufgezogenes Piſtol hielt, ihnen ſagte, er ſey der Czar, und ſie zugleich fragte, was ſie wollten? Sie antworteten ihm, ſie waͤren ſehr arme Leute, und da er ihr Herr und Be -herrſcher112herrſcher waͤre, ſo ſey er auch die geſchickteſte Perſon - ihnen zu helfen. Er verſetzte, daß er kein Geld bey ſich habe, worauf ſie antworteten, wenn er auch wel - ches haͤtte, ſo wuͤrden ſie doch keines von ihm nehmen, ſondern baten ihn, daß er ihnen eine geſchriebene Or - dre an den Gouverneur von Novogorod auf die Sum - me, die es ihm gefaͤllig ſey, ihnen zu bewilligen, ge - ben moͤchte, die aber ſo beſchaffen ſeyn muͤßte, daß ſie dadurch aus ihrer Noth kaͤmen. Hierauf fragte ſie der Czar, ob 1000 Rubel genug ſeyn wuͤrden, und als ſie ja ſagten, ſo ſchrieb er, dieſe Summe ſo gleich beym erſten Anblicke zahlbar, worauf ſie ſogleich ei - nem von ihrer Anzahl abſchickten, der auch ſehr bald mit dem Gelde zuruͤck kam. Sie noͤthigten hierauf den Czar nach Twer zuruͤck zu gehen, und ſein kaiſer - liches Wort zu geben, ſie niemals zu verfolgen, oder ſich nach ihnen zu erkundigen, wogegen ſie verſpra - chen, ihr Leben zu beſſern und in Zukunft gute Unter - thanen zu werden. Anſtatt alſo nach Novogorod zu gehen, begab ſich der Czar wieder nach Mokau.

Ermordung eines Schwe - diſchen Of - ficiers.
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Jch kann nicht umhin, dasjenige anzufuͤhren, was zu meiner Zeit zwey Schwediſchen Officieren, die bey Pultawa waren gefangen worden, widerfuhr. Sie wurden vermißt, und es wurde große Unterſu - chung und vieles Nachfragen angeſtellt; man konn - te aber nichts von ihnen erfahren, woraus denn ge - ſchloſſen wurde, daß ſie waͤren ermordet worden. Ei - ne kurze Zeit darnach verlohren ſich vier andere, die aber nicht eher vermißt wurden, als bis einer von ih - nen, der Capitaͤn Horn, zuruͤck kam, der mit einer Piſtolenkugel durch die Schulter geſchoſſen war, ſich ins geheim an einen Lieutenant von unſerer Artilleriewandte,113wandte, den er vorher in Schwediſchen Dienſten ge - kannt hatte, und ihm das Ungluͤck, das ihm und ſei - nen Cameraden widerfahren war, erzaͤhlte. Der Lieutenant hinterbrachte ſo gleich dem Generalmajor von der Artillerie, was den Schwediſchen Officieren widerfahren ſey, und daß die Spitzbuben jetzo in ei - nem Hauſe in dem Theile der Stadt waͤren, wo die Artilleriſten einquartiret waren. Der General gab ſo gleich Befehl ſie zu arretiren, deren vier waren. Die Geſchichte war mit kurzem dieſe. Ein Jude, der die griechiſche Religion angenommen hatte, und der ſeinem Gewerbe nach ein Kupferſtecher war, mach - te Paͤſſe mit des Kanzlers Siegel nach, und wurde mit den zwey erſten fuͤr eine Summe Geld einig, ſie nach Pohlen zu bringen, woher ſie ſicher wieder in ihr Land zuͤruͤck kommen koͤnnten. Jn dem Paſſe waren ſie als zwey Officiers, die zur Armee giengen, jeder mit einem Bedienten, beſchrieben. Sie kamen alſo ohne den geringſten Aufenthalt oder Verdacht auf den Pohlniſchen Grenzen an. Der Jude hatte ſie er - ſucht, wenn ſie bey Smolensko vorbey ſeyn wuͤrden, an ihre Geſellſchafter in Moskau zu ſchreiben, und ih - nen Nachricht zu geben, daß ſie gluͤcklich durchgekom - men waͤren. Dieſes thaten ſie, und lobten den Ju - den als die geſchickteſte Perſon, deſſen ſie ſich bedie - nen koͤnnten, wenn einer von ihnen geſonnen ſey, zu entkommen, wie ſie gethan haͤtten. Nachdem der Jude dieſe Empfehlungsbriefe erhalten hatte, ſo er - bot er ſich, ſie eine Tagereiſe weiter zu bringen, wel - ches ſie auch annahmen; aber als die Officiers mit einander durch einen Wald ritten, und ſich uͤber ihre gluͤckliche Flucht freuten, nahm der Jude und ſeinHGeſell -114Geſellſchafter, die als Bedienten hinter ihnen herritten, jeder ein Piſtol heraus, und zielten ſo gut, daß ſie beyde Officiers erſchoſſen, und nachdem ſie ihnen al - les abgenommen hatten, giengen ſie wieder nach Mos - kau zuruͤck, wo ſie den Capitaͤn Horn und noch drey andere in ihre Schlinge lockten, indem ſie ihnen die Briefe von denjenigen zeigten, die bereits entkommen waͤren. Sie reiſeten alſo mit einem Paſſe auf vier Officiers und eben ſo viel Bedienten ab, kamen gleichfalls auf den Pohlniſchen Grenzen an, und da ſie ſpaͤt in der Nacht ritten, ſo feuerten die Bedien - ten auf ſie, und jeder toͤdtete ſeinen Herrn, ausge - nommen den Capitaͤn Horn, der, weil er durch die Schulter geſchoſſen war, vom Pferde fiel, da ſie ihn denn wie die andern fuͤr todt hielten, und den Pferden nachſetzten, die uͤber die Schuͤſſe erſchrocken und davon gelaufen waren. Jndeſſen hatte ſich der Capitaͤn Horn wieder erholt, war ins Holz gelaufen und hatte ſich darinnen verborgen. Die Moͤrder kamen zuruͤck, ver - mißten und ſuchten ihn; da es aber ſehr finſter war, und ſie ihn nicht finden konnten, und die uͤbrigen drey gepluͤndert hatten, ſo kehrten ſie wieder nach Moskau zuruͤck, und bekuͤmmerten ſich wenig um den Capitaͤn Horn, weil ſie glaubten, daß er ſich nicht unterſtehen wuͤrde, zuruͤck zu kommen und ſie zu ver - rathen. Allein, um dieſe Spitzbuben zu verhindern, mehreres Ungluͤck zu ſtiften, und ſie zur Strafe zu bringen, entſchloß ſich der Capitaͤn dennoch, zuruͤck zu gehen; er entdeckte ſich dem Hofmeiſter eines Edel - manns nahe bey Smolensko, und da dieſer damals etliche Wagen mit Proviant an ſeinen Herrn ſchickte, ſo ergriff er dieſe Gelegenheit, und gieng mit ihnen,und115und entdeckte bey ſeiner Ankunft, was ich hier erzaͤh - let habe. Die vier Moͤrder wurden eingezogen, ver - hoͤret, und geſtanden, was ich hier geſagt habe, gaben aber vor, daß ſie eine verdienſtvolle That gethan, und ſeiner Majeſtaͤt Feinde getoͤdtet haͤtten, die aus ihrer Gefangenſchaft entwiſchen wollen. Horns Erhal - tung war alſo ein gluͤcklicher Umſtand, denn ſie haͤt - ten noch vieles Ungluͤck anrichten koͤnnen, wenn ſie nicht waͤren entdeckt worden, da ſie nunmehr auch Empfehlungsſchreiben von den letzten vier ungluͤckli - chen Herren hatten. Die Moͤrder wurden auf die Tortur gebracht, verurtheilt, und lebendig geraͤdert.

Als der Czar von den vielen Mordthaten undAusrottung; der Rauber. Raͤubereyen, wodurch er viele von ſeinen nuͤtzlichſten Unterthanen verlohr, Nachricht bekam, ſo ſchickte er dem Knes Romadanofski, den er als Vice-Czar in ſeiner Abweſenheit geſetzt hatte, einen nachdruͤckli - chen und ſcharfen Befehl, dieſen Unordnungen auf ſeine Gefahr Einhalt zu thun. Der Vice-Czar ließ ſogleich einen Befehl an alle Wirthe ergehen, die Nahmen derer, ſo zu ihren Familien gehoͤrten, ein - zugeben, und bey Strafe des Lebens fuͤr jeden zu ſte - hen, der ſich unter ihrem Dache aufhalte, alle ver - daͤchtige Perſonen anzuzeigen, und diejenigen, die ſich nicht hinlaͤnglich legitimiren koͤnnten, in Verhaft zu nehmen. Es wurden alle Ausgaͤnge der Straßen beſetzt, und des Nachts durfte ſich niemand, der nicht einen Paß von dem Vice-Czar hatte, auf den Straßen ſehen laſſen. Die Straßen außer der Stadt wurden mit Dragonern beſetzt, und die Leute auf dem Lande mußten ebenfalls fuͤr diejenigen, die ſich bey ihnen aufhielten, wie die Einwohner in denH 2Staͤdten,116Staͤdten, ſtehen. Es wurden viele eingezogen, und auf eine ſehr ungewoͤhnliche Art hingerichtet, indem ſie mit einer Ribbe an einem eiſernen Haken aufge - hangen wurden, und in dieſer Quaal acht oder neun Tage lebten: ich habe ſie zu Dutzenden an einem Tage aufhaͤngen ſehen. Dieſe Hinrichtungen thaten ſolche Wirkungen, daß man uͤberall bey Tage und bey Nacht, ſo ſicher als in einem andern Lande, in Ruß - land reiſen konnte.

1714. Petersburg wird die Re - ſidenz.
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Der General Bruce kam den erſten Januar 1714 nach Moskau, ſeine Familie nach Petersburg abzuholen, nachdem 1000 der beſten und reichſten Fa - milien Befehl erhalten hatten, ſich dazu gefaßt zu ma - chen, die zur Kaiſerlichen Reſidenz beſtimmte Stadt zu bevoͤlkern. Es reiſeten alſo dieſen Fruͤhling nach Petersburg ab, die verwittwete Kaiſerinn, Gemah - linn des Czars Feodor, (die Schweſter des Generals Apraxin) mit ihrer Hofſtatt, die Kaiſerliche Wittwe des Czars Johannes, nebſt ihren drey Toͤchtern, naͤmlich, der Prinzeſſinn Anna, verwittweten Herzo - ginn von Curland (nachmaligen Kaiſerinn von Ruß - land), der Prinzeſſinn Catharina, nachmaligen Her - zoginn von Mecklenburg, und der Prinzeſſinn Prosco - via, (die unvermaͤhlt geſtorben iſt,) die Prinzeſſinn Natalia, des Czars einige Schweſter muͤtterlicher Seits, und ſeine zwey Toͤchter die Prinzeſſinn Anna und Eliſabeth; wie auch alle Familien vom Range und Stande, nebſt allen auslaͤndiſchen Kaufleuten, indem nun keine Waaren mehr uͤber Archangel nach Moskau kommen durften, ſo daß dieſe Hauptſtadt, eine der angenehmſten Staͤdte in Rußland, ganz wuͤſte ward, und niemand als gemeine Leute darinnblieben.117blieben. Es war dieſes eine große Unbequemlichkeit fuͤr alle Perſonen vom Stande, weil ſie einen Ort, wo alles im Ueberfluſſe war, gegen einen, wo alles theuer und ſelten war, verlaſſen mußten.

Dieſen Winter kam der Czarowitz nach Moskau,Perſon und Sitten des Czarowitz. wo ich ihn zum erſten Mahle ſahe. Er hatte ein ge - ringes Finlaͤndiſches Maͤdchen zur Maitreſſe. Wir haben ihm oͤfters mit dem General unſere Aufwartung gemacht, und er kam auch mehrmals zu dem Gene - ral, und hatte gemeiniglich niedrige und geringe Per - ſonen um ſich. Er hielt ſich ſehr ſchmutzig in der Kleidung; er war lang und wohl gewachſen, hatte ein braͤunlichtes Geſicht, ſchwarzes Haar und Augen, ein ernſthaftes Anſehen und eine grobe Stimme. Er that mir oͤfters die Ehre an, deutſch mit mir zu ſpre - chen, weil er dieſe Sprache vollkommen konnte. Das gemeine Volk betete ihn an, dagegen die Vor - nehmen ihn wenig ſchaͤtzten, gegen die er niemals die geringſte Hochachtung bewies. Er war beſtaͤndig von einer Menge ſchwelgeriſcher unwiſſender Prieſter, und anderer geringer Perſonen von ſchlechtem Charak - ter umringet, in deren Geſellſchaft er beſtaͤndig wider ſeines Vaters Abſchaffung der alten Gewohnheiten dieſes Landes eiferte, und ſagte, daß er, ſo bald er zur Regierung gelangen wuͤrde, Rußland wieder in ſeinen vorigen Zuſtand ſetzen wolle. Er drohete zu - gleich oͤffentlich, ſeines Vaters Lieblinge alle auszu - rotten. Dieſes that er ſo oft und mit ſo wenig Vor - ſicht, daß es dem Kaiſer beygebracht werden mußte, und man glaubte durchgaͤngig, daß er jetzt den Grund zu ſeinem Ungluͤcke, das ihm hernach widerfuhr, ge - legt habe. Der Czarowitz blieb, bis der Kaiſer nachH 3Peters -118Petersburg kam, in Moskau, und als er ſahe, daß ſein Sohn ſeine Gemahlinn in einem traurigen Zuſtande gelaſſen hatte, ſo ſchickte er dem Prinzen den Befehl, ohne Verzug zu ſeiner Familie zuruͤck zu kommen.

Verbotene Grade der Verwandt - ſchaft.
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Die Ruſſen duͤrfen niemanden heirathen, der im vierten Grade mit ihnen verwandt iſt. Diejenigen, ſo vom gleichen Grade der Blutsfreundſchaft ſind, nennen einander Bruder und Schweſter, mit dem Unterſchiede des erſten und des zweyten, und ſo ferner, bis zum vierten Grade; diejenigen aber, welche von einem hoͤhern und niedern Grade ſind, werden Vet - tern, Nichten u. ſ. f. genennt, mit eben dem Unter - ſchiede. Bey ihren Taufen haben ſie gemeiniglich drey oder vier Gevattern und eben ſo viel Gevatterinnen, die ſich nach der Ceremonie fuͤr ſo nahe verwandt hal - ten, daß ſie einander eben ſo wenig heirathen koͤnnen, als wenn ſie Kinder von einerley Aeltern waͤren.

Jhre Be - graͤbniſſe.
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Bey ihren Begraͤbniſſen haben ſie eine ſehr laͤ - cherliche Gewohnheit. Ehe der Sarg zugemacht wird, giebt der Beichtvater dem Verſtorbenen ein Zeugniß oder Paß in die andere Welt mit dieſen Worten zwiſchen die Finger: Wir N. N. bekennen durch gegenwaͤrtige (Zeilen), daß der Ueberbringer der - ſelben ſich beſtaͤndig unter uns verhalten und gelebt, wie es einem guten Chriſten geziemet, und ſich zur grie - chiſchen Religion bekannt hat; und, ob er gleich etliche Suͤnden begangen hat, ſo hat er ſie doch bekannt, die Abſolution erhalten und das Abendmahl fuͤr die Bege - hung ſeiner Suͤnden genoſſen; daß er Gott und ſeine Heiligen geehret, ſein Gebet nicht verabſaͤumet, und in den von der Kirche verordneten Stunden und Tagen gefaſtet hat, daß er ſich jederzeit gegen mich, der ichſein119ſein Beichtvater bin, auf eine ſolche Art verhalten hat, daß ich keine Urſache habe, mich uͤber ihm zu beſchweren, oder ihm die Vergebung ſeiner Suͤnden zu verſagen. Dieſes zu beſtaͤtigen, haben wir ihm dieſes Zeugniß in der Abſicht ertheilet, daß ihm der heilige Petrus, ſo bald er dieſes ſiehet, die Thuͤre zur ewigen Seligkeit oͤffnen wolle.

Was ihre Bilder betrifft, ſo leiden ſie weder inJhre Bilder. ihren Kirchen noch Haͤuſern einige, die geſchnitzt oder gehauen, ſondern bloß ſolche, die mit Oelfarbe von ihren eigenen Religions-Verwandten auf Holz ge - malet ſind. Sie raͤumen niemals ein, daß ſie ihre Heiligen gekauft haben, ſondern gehen auf den Markt, und wenn ſie ſich ein Bild erwaͤhlet haben, das ihnen gefaͤllt, ſo legen ſie das Geld fuͤr den Tauſch deſſelben hin. Wenn es der Verkaͤufer nicht fuͤr hinlaͤnglich haͤlt, ſo ſchiebt er es zuruͤck, und der andere iſt ver - bunden mehr dazu zu legen, bis er damit zufrieden iſt. Die Mauern in ihren Kirchen ſind damit an - gefuͤllt; uͤber den Thuͤren ihrer Kirchen, auf den Marktplaͤtzen und uͤber den Stadtthoren, findet man gewiß das Bild eines oder des andern Heiligen, ſo daß, man mag gehen wohin man will, man allezeit ei - ne Menge Leute findet, die ſich kreuzigen, ſehr tief buͤcken und Gospodi Pomilui, oder Gott ſey mir gnaͤdig, ſagen. Dieſe Bilder halten ſie fuͤr ſo un - umgaͤnglich nothwendig, daß ſie ihre Andacht ohne dieſelben nicht verrichten koͤnnen. Sie ſind die groͤß - te Zierde ihrer Haͤuſer, und wer darein kommt, er - zeigt ſeine Ehrerbietung erſt dem Heiligen, und als - denn erſt der Familie. Als einmal ein Ruſſe in ei - ner Verrichtung zu mir kam, ſahe er ſich in der StubeH 4nach120nach einem Bilde um, und als er keines gewahr wur - de, fragte er mich, wo iſt dein Gott? Jch antwortete, im Himmel; hierauf gieng er ſogleich unverrichteter Sachen wieder fort. Jch erzaͤhlte dieſen Umſtand dem General, und er ließ ſogleich ein Bildniß eines Heiligen in meiner Stube aufhaͤngen, um kuͤnftig kein ſolches Aergerniß zu geben.

Jhre Baͤder.
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Alle Ruſſen, ſie moͤgen ſeyn wer ſie wollen, ſchlafen nach der Mittagsmahlzeit, ſo daß gegen Mittag alle Gewoͤlber geſchloſſen werden, und man, als wenn es Mitternacht waͤre, mit niemanden ſpre - chen kann. Sie baden ſich ſehr oft. Perſonen von Stande haben ihre eigene Baͤder, und baden ſich we - nigſtens woͤchentlich zwey Mahl, ihre oͤffentlichen Badeplaͤtze aber ſind alle nahe an den Fluͤſſen. Jh - re Stuben ſind enge und haben Oefen, die ſie ſehr ſtark heizen, und, um deſto mehr Dunſt zu machen, oͤfters kaltes Waſſer an den Ofen gießen. Rings herum ſind in einiger Entfernung Baͤnke eine uͤber der andern angebracht, ſo daß ſich jeder den Grad der Hi - tze erwaͤhlet, der ſich am beſten fuͤr ihn ſchickt. Auf eine von dieſen Baͤnken legen ſie ſich ganz nackend, und wenn ſie ſo lange, als ſie es fuͤr gut befinden, ge - ſchwitzet haben, ſo laſſen ſie ſich mit warmem Waſſer waſchen und mit einer Handvoll Kraͤuter reiben. Hierauf trinken ſie einen Schluck Brandwein und ge - hen ihren Gang. Das wunderbarſte aber iſt, wenn ihnen die Hitze zu groß iſt, ſo gehen ſo wohl Manns - als Weibsperſonen, ſo nackend, wie ſie ſind, aus der Stube heraus, werfen ſich in den Fluß, und ſchwim - men einige Zeit darinn, oder waͤlzen ſich im Winter im Schnee. Dieſe oͤffentlichen Baͤder ſind ſo leichtgebaut,121gebaut, daß man die Leute ſehr leicht durch die Oeff - nung der Breter, die dazwiſchen ſind, ſehen kann, woraus ſich die Frauenzimmer, die dieſe Baͤder be - ſuchen, nicht viel machen, weil ſie ſich nicht ſcheuen, nackend geſehen zu werden; beyde Geſchlechte gehen zu einer Thuͤre nackend heraus, wenn ſie ſich abkuͤhlen wollen. Dieſe Baͤder ſind bey den Moskowitern die einzigen Mittel zur Geſundheit und Reinlichkeit; und ſie ſind von ihrer Kindheit ſo an die groͤßte Hitze und Kaͤlte gewoͤhnt, daß ſie gemeiniglich ſtark und feſt werden, wenig den Krankheiten ausgeſetzt ſind und gemeiniglich lange leben. Die meiſten leben alſo oh - ne Aerzte, und viele von ihnen werden gar nicht krank. Sie fangen ihren Tag mit Aufgang der Sonne an, und beſchließen ihn auch wieder mit derſelben, ſo daß ſich ihre Nacht, ſobald die Sonne unter iſt, anfaͤngt, und mit dem Aufgange derſelben wieder endiget.

Die Art zu reiſen iſt in Rußland, beſonders imArt zu reiſen. Winter uͤberaus bequem, indem ihre Schlitten auf dem Eiſe oder Schnee in einem flachen Lande, mit unglaublicher Geſchwindigkeit gehen, und den Pfer - den ſo leicht werden, daß man leicht 50 oder 60 Engliſche Meilen an einem Tage reiſen kann. Jhre Schlitten ſind von Lindenrinden, nach der Groͤße eines Menſchen eingerichtet, mit einem dicken Filz gefuͤttert, und wenn jemand darinn liegt, ſo wird er in gute Pel - ze eingewickelt und damit ganz bedeckt. Der Knecht laͤuft meiſtens bey dem Schlitten her, um ſich zu er - waͤrmen, oder ſitzt zu des Reiſenden Fuͤßen. Weil die Schlitten ſehr niedrig gebauet ſind, ſo iſt wenig Gefahr zu befuͤrchten, wenn ſie auch umfallen ſollten. Bey dieſer Art zu reiſen wird die Zeit meiſtens ſchla -H 5fend122fend zugebracht, da die Bewegung, die man kaum empfindet, vieles dazu beytraͤgt. Wenn ſie durch große Wuͤſteneyen oder Waͤlder reiſen, wo ſie die gan - ze Nacht unter freyem Himmel bleiben muͤſſen, ſo machen ſie ein großes Feuer, ſetzen ihre Schlitten rings herum, damit ſie auf allen Seiten wohl einge - ſchloſſen ſind, und, wenn ſie ſich mit Pelzen wohl bede - cken, bequemer ſchlafen, als in einer Bauerhuͤtte, wo die Ruhe, da Menſchen und Thiere in einer Stu - be wohnen, ſehr geſtoͤret wird. Die groͤßte Unbe - quemlichkeit, in dieſen Gegenden zu reiſen, iſt der Man - gel an Wirthshaͤuſern, der die Reiſenden noͤthiget, alle Lebensmittel, und was ſie brauchen, mit ſich zu fuͤhren. Diejenigen, die allein reiſen, gehen gemei - niglich auf der Poſt, da ſie denn den ganzen Weg bey der Abfahrt bezahlen, und nicht eher wieder in die Taſche greifen duͤrfen, als am Ende derſelben, wel - ches denn ſehr bequem iſt. Der Poſtillion bekommt eine geſchriebene Ordre, die er dem naͤchſten, der nach ihm folget, uͤbergiebt, und ſo geht es fort, bis zu En - de der Reiſe. So reiſet man Tag und Nacht, und bekommt alle 10 Meilen friſche Pferde, und der Rei - ſende kann den ganzen Weg in ſeinem Schlitten ſchla - fen, wenn es ihm gefaͤllt. Sie reiſen gemeiniglich in 24 Stunden 150 Engliſche Meilen. Jch habe oͤfters 3 Stationen gemacht, ohne daß ich einmal aufgewacht bin.

Jm Sommer reiſen ſie entweder zu Waſſer, auf den Fluͤſſen, deren das Land voll iſt, oder zu Lande zu Pferde, in Kutſchen oder Schlafwagen. Die Straßen in Rußland ſind ſehr breit, ſchoͤn, und leicht zu reiſen. Auf den Fluͤſſen zu fahren, haben ſie eineArt123Art von Floͤßen, die von dicken Tannenbaͤumen ge - macht ſind, und eine große Laſt tragen koͤnnen. Aber die große Hitze und große Menge Muskitoes und Flie - gen ſind ſehr beſchwerlich, und hindern das Vergnuͤ - gen ſehr, das ein Fremder an der Schoͤnheit der Waͤl - der, Fluͤſſe und Seen, indem er durchreiſet, haben wuͤrde.

Es kann in der Welt keine Religion gefunden werden, die es ihren Bekennern ſchwerer macht, als die Ruſſiſche. Denn außer dem, daß ſie woͤchentlich zwey Faſttage haben, Mittwochs und Freytags, und die Tage vor den Feſten faſten, an welchen ſie ſich aller Arten Fleiſches enthalten muͤſſen, und weder Butter, noch Eyer oder Milch koſten duͤrfen, ſo haben ſie des Jahres noch vier Faſten. Die laͤngſte dauert ſieben Wochen; die erſte davon heißt die Butterwoche, und da dieſes ihr Carneval iſt, ſo haben ſie die Freyheit, alles zu eſſen, nur keine Fiſche. Jn dieſer Woche ſchweifen ſie auf eine faſt unglaubliche Art aus, und wenden ſie, gleichſam als wenn ſie zu der Zubereitung zu der Faſten von ſechs Wochen beſtimmt waͤre, zu den groͤßten Ausſchweifungen im Brandweintrinken und geſchmolzene Butter zu eſſen an, die ſie ſo haͤuſig verſchlingen, daß man glauben ſollte, daß der gering - ſte Feuerfunke ihre Koͤrper anzuͤnden koͤnnte. Ja ſie ſehen ſich oft genoͤthiget, dieſe Entzuͤndung mit Milch zu loͤſchen, damit ſie nicht auf der Stelle ſterben, wel - ches ſich auch oft zutraͤgt. Wehe den Fremden, der dieſen Trunkenbolden des Nachts entgegen kommt! Wenn er nicht wohl bedeckt iſt, ſo gehen ihre Grob - heiten ſo weit, daß deren jede Nacht eine Menge um - gebracht werden, diejenigen nicht zu rechnen, die,wenn124wenn ſie ſich betrunken, und niemanden haben, der ſie nach Hauſe fuͤhrt, in den Schnee fallen und erfrie - ren. Jn dieſer Woche iſt es etwas ſehr gewoͤhnli - ches, ob es gleich ein haͤßlicher Anblick iſt, 10 oder 12 an einem Morgen in einem offenen Schlitten fuͤhren zu ſehen, die erfroren ſind. Dieſes ſind Gegenſtaͤn - de, die man des Morgens taͤglich auf den Straßen in Moskau ſiehet. Alles, was ſie zu Erſetzung dieſer Abſcheulichkeiten, wenn die Woche voruͤber iſt, thun, iſt, daß ſie die Baͤder beſuchen, um die Unreinigkei - ten, die ſie waͤhrend ihren entſetzlichen Ausſchweifungen bekommen haben, abzuwaſchen. Die uͤbrige Zeit der Faſten leben ſie maͤßig, und die Strengſten eſſen die ganze Zeit nicht ein einziges Mahl Fiſch, ſondern leben von Honig, Kraͤutern und Brey, und trinken bloß Quas oder Waſſer.

Das Oſterfeſt feyern ſie ſo wohl zum Andenken der Auferſtehung unſers Heilandes, als auch wegen Endigung der Faſten, die ſie waͤhrend der Faſtenzeit ausgehalten haben, mit großen Ceremonien und Freuden. Sie freuen ſich nunmehr 15 Tage, eſſen recht gut mit einander, und um ſich das Leiden waͤh - rend der Faſten wieder zu erſetzen, ſind die oͤffentlichen Haͤuſer nunmehr von allen Arten von Leuten, Weibs - und Mannsperſonen, Geiſtlichen und Weltlichen an - gefuͤllt, und auf den Straßen kann man vor Trunken - bolden kaum durchkommen. Waͤhrend dieſen 15 Tagen haben ſie allerley gefaͤrbte Eyer, die ſie einan - der zu Geſchenken ſenden oder geben, und wenn ſie zu der Zeit zuſammen kommen, ſo gruͤßen ſie einander mit den Worten: Chriſtos wos Chreſt, das heißt, Chriſtus iſt erſtanden da denn der andere daraufantwortet,125antwortet, Woiſtin wos Chreſt, das iſt, er iſt gewiß auferſtanden und dann kuͤſſen ſie einander. Derjenige, der zuerſt gruͤßet, iſt verbunden, dem an - dern ein Ey zu geben. Niemand, von was fuͤr Stande oder Geſchlechte er auch ſey, unterſtehet ſich, das Ey oder den Kuß auszuſchlagen. Perſonen von Stande laſſen ſie mit goldnen oder ſilbernen Blaͤttchen belegen, oder laſſen ſie aus - und inwendig niedlich malen.

Sie begehen die meiſten Feſte mit Proceſſionen, davon die am Palmſonntage, die unſers Heilandes Einzug in Jeruſalem vorſtellet, beſonders ſehr feyer - lich iſt. Ehe die Wuͤrde des Patriarchen aufgehoben worden, pflegte der Patriarch bey der Proceſſion auf einem Eſel zu reiten, den der Czar von dem Schloſſe bis an die Kirche Jeruſalem genannt, die außer dem Schloſſe liegt, beym Zaume fuͤhrte, und der Pa - triarch gab ihm, zur Erkenntlichkeit der ihm dadurch erwieſenen Ehre, einen Beutel mit 100 Rubeln.

Viertes126

Viertes Buch.

Die Stadt Novogorod. Der Sterlet-Fiſch. Des Marſchalls Tſcheremetofs Fehler im Kriegswe - ſen. Die beſte Art aus den Ruſſiſchen Dienſten zu kommen. Die Stadt Petersburg. Des Czars gewoͤhnliche Tafel. Seine Luſtbarkei - ten. Geſchenke an Fahrzeugen und Bothen und gute Abſicht dabey. Ein Abgeſandter aus der Uspeckiſchen Tartarey. Uebungen zur See zu deſſen Vergnuͤgen. Cronſtadt und Crone - let. Oranienbaum, Peterhof und Catharinen - hof. Geburt der Großherzoginn, und des Prinzen Verhalten dabey. Sein Ungehorſam gegen den Czar. Feldzug zur See, bey welchem der Czar Contre-Admiral war. Sein großmuͤ - thiges Betragen gegen Ehrenſchield. Er nimmt Aland weg. Sein triumphirender Einzug in Petersburg. Seine Befoͤrderung zum Vice - Admiral. Er lobt Ehrenſchields Tapferkeit. Seine Rede an den Senat. Sein Zorn uͤber des Czarowitzes Ungehorſam. Er ſtiftet oͤfte - re geſellſchaftliche Verſammlungen und eine Koͤ - nigliche Akademie. Kriegsgericht uͤber den Admiral Kruys. Der St. Catharinen-Or - den. Verwirrungen in den Einkuͤnften, und das daraus entſtehende Ungluͤck. Viele Ver - brecher werden geſtraft. Fiscale werden ein - geſetzt. Des Czars oͤffentliche Luſtbarkeiten. Herrn Slitter’s Perpetuum Mobile. Der alte Finlaͤnder. Starker Froſt in Petersburg. Verſuche mit Baͤren. Art ſie zu toͤdten.

Der127

Der General Bruce reiſete den erſten Maͤrz mit1714. Stadt No - vogorod. ſeiner Familie von Moskan nach Petersburg ab. Wir giengen durch Twer, uͤber die Wolga, und kamen den 10ten in Novogorod an. Dieſe Stadt liegt in einer ſchoͤnen großen Ebene an der Wo - logda, einem Fluß, der von der Wolga noch unter - ſchieden iſt. Die Wologda kommt aus dem See Jlmen, ohngefaͤhr 3 Meilen uͤber dieſer Stadt, von da ſie in die See Ladoga faͤllt, und alsdenn nahe bey der Feſtung Noͤteburg in die Newa und endlich durch den Finlaͤndiſchen Meerbuſen in das Baltiſche Meer faͤllt. Dieſer Fluß bringt der Stadt Novogorod, nicht allein durch den Ueberfluß an allen Arten von ſehr vortrefflichen Fiſchen, womit er ihren Markt um einen ſehr billigen Preis verſiehet, ſondern auch da - durch, daß er bis zu ſeinem Urſprunge ſchiffbar iſt, großen Nutzen. Das herumliegende Land iſt ſehr fruchtbar, und hat einen Ueberfluß an Weizen, Flachs, Hanf, Honig und Wachs. Das Ruſſiſche Leder iſt eine von ihren Hauptwaaren, weil man glaubt, daß es hier beſſer, als irgendwo in Rußland, zuberei - tet wird, und Novogorod wird fuͤr eine der beruͤhmte - ſten Handelsſtaͤdte in ganz Rußland gehalten. Jn den vorigen Zeiten wurde dieſe Stadt fuͤr eine der reichſten in Europa angeſehen, und war ſo beruͤhmt, daß es zum Spruͤchwort wurde: wer kann ſich Gott und der großen Stadt Novogorod widerſetzen. Nach - dem aber der Czar Jvan Waſilowitz, der große Ty - rann in Moskau, ſie gepluͤndert, und das meiſte von der Stadt in die Aſche geleget, zog er die angeſehen - ſten Buͤrger nach Nibni - oder Klein-Novogorod, Der große Umfang der ruinirten Mauern, und dieMenge128Menge der Thuͤrme, die noch vorhanden ſind, ſind ein hinlaͤnglicher Beweis von ihrem ehemaligen Glanze, und daß ihre gegenwaͤrtige Beſchaffenheit keine Aehn - lichkeit mehr mit dem hat, was ſie vor ihrer Einaͤſche - rung geweſen iſt, indem ſie jetzt nur mit einer hoͤlzer - ner Mauer umgeben iſt, und lauter hoͤlzerne Haͤuſer hat. Der Stadt gegenuͤber, jenſeits des Fluſſes, ſtehet eine Feſtung, die durch eine Bruͤcke mit der Stadt verbunden iſt. Dieſe Feſtung hat eine ſtarke Mauer von Steinen, und iſt die Wohnung des Gou - verneurs und des Erzbiſchofs. Jn dieſer Stadt, dem Schloſſe gegen uͤber, iſt ein Kloſter, welches dem Heil. Antonius gewidmet iſt, von dem ſie ſehr groſ - ſe Wunder erzaͤhlen. Unter andern zeigen ſie an der Mauer des Kloſters einen großen Muͤhlſtein, auf welchem der Heil. Antonius, wie ſie ſagen, ſeine Rei - ſe von Rom bis hieher gethan hat. Sie verſichern, daß er auf dieſem Steine die Tiber herunter ins Mittel - laͤndiſche Meer, durch die Meerengen, uͤber alle Seen, uͤber die er auf ſeinem Wege in das Baltiſche Meer mußte, gegangen, und auf der Wologda herauf ge - kommen iſt, und ſich endlich in Novogorod niederge - laſſen hat. Nach ſeiner Ankunft iſt er mit etlichen Fiſchern um den erſten Zug ihres Netzes einig gewor - den, da ſie denn einen großen Kaſten heraus zogen, worinn dieſes Heiligen Kleider, Buͤcher und Geld waren, wovon er denn dieſes Kloſter bauete, und dar - inn ſein Leben endigte, wie denn auch ſein Koͤrper da - ſelbſt noch unverweſet vorhanden ſeyn ſoll. Als ich den Moͤnch, der mir dieſes erzaͤhlte, fragte, in wel - chem Schiffe dieſer Heilige auf ſeinem Muͤhlſteine an - gekommen ſey, und wie er da uͤber die Waſſerfaͤlle inder129der See Lagoda herauf gekommen, wurde er boͤſe, und ſagte, ich ſey ein Unglaͤubiger und kein Chriſt, und gieng fort, ohne mir den unverweſeten Koͤrper ſeines Heiligen zu zeigen.

Jn dieſer Stadt befinden ſich gegenwaͤrtig 144 Kloͤſter, außer einer großen Anzahl Kirchen und Ca - pellen. Von hier wird Petersburg mit allen Arten von Lebensmitteln und Nothwendigkeiten verſehen, die in Schiffen mit einem flachen Boden dahin gefah - ren werden, von denen viele in den Waſſerfaͤllen der See Ladoga verloren gehen, wenn ſie auf die Felſen kommen, die unter dem Waſſer verborgen liegen, und durch die Geſchwindigkeit des Stroms ſo darauf geworfen werden, daß ſie ſcheitern. Um dieſen haͤu - figen Verluſt zu verhindern, befahl der Czar, daß ein Canal von der Wologda zum Fluſſe Newa in gera - der Linie gezogen werden ſollte, und es arbeiten alle Sommer 30000 Mann, und eben ſo viel Soldaten und Bauern an dieſem Werke. Dieſer Canal iſt beynahe 100 Engliſche Meilen lang, und 80 Fuß breit. Die an dieſem Canal von der ausgegrabenen Erde erhoͤheten Ufer, ſind 60 Fuß breit, und machen eine Straße auf beyden Seiten. Das Land iſt eben und gleich, und gehet gegen Norden etwas abwaͤrts, hat aber ſehr viel Waͤlder und Moraͤſte. Wenn die - ſes Werk zu Stande ſeyn wird, ſo wird das Land ſehr großen Nutzen davon haben, weil die Communication zwiſchen Novogorod und Petersburg nicht nur kurz, ſondern auch ſicher ſeyn wird. Es wird auch eine große Bequemlichkeit fuͤr diejenigen ſeyn, die dieſen Weg im Sommer zu Lande reiſen, da ſie jetzt, um dieſen Moraͤſten zu entgehen, einen großen UmwegJmachen130machen muͤſſen. Wenn dieſer Canal zu Stande ſeyn wird, ſo iſt der Czar geſonnen, die Wolga und Wologda mit einander zu vereinigen, ſo daß man aus dem Caspiſchen in das Baltiſche Meer, und folg - lich nach jedem Hafen in Europa wird ſegeln koͤnnen.

Der Sterlet - Fiſch.
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Vor einiger Zeit ſcheiterten einige Schiffe, die mit lebendigen Fiſchen, Sterlette genannt, nach Pe - tersburg giengen, indem ſie uͤber die Waſſerfaͤlle der Ladoga fahren wollten, wodurch die Fiſche ihre Frey - heit erhielten, davon einige hernach bey Cronſtadt, und einer bey Stockholm gefangen, und fuͤr große Seltenheiten angeſehen wurden, weil man noch nie - mals einen in dieſen Seen geſehen hatte. Sie ſind ohngefaͤhr 18 Zoll lang, und von einer ihnen eigenen Geſtalt. Jhr Kopf gleicht dem Kopfe eines Hechts, iſt aber etwas laͤnger, und anſtatt der Schuppen, ha - ben ſie eine Art Schale auf den Ruͤcken, die der Schale einer Meer-Schildkroͤte ziemlich aͤhnlich iſt, haben aber keine Graͤten. Wenn ſie zugerichtet wer - den, ſind ſie die beſten Fiſche in der Welt, weil ſie ſehr fett ſind und einen angenehmen Geſchmack haben. Jn Petersburg koſtet einer gemeiniglich einen Duca - ten. Als der Brigadier le Fort, der damals als Gefangener in Stockholm war, dieſen Fiſch auf dem Markte ſahe, ſo kaufte er ihn, und bat den Fuͤrſten Dolgoruky und den General Weyde, ebenfalls Ge - fangene, mit ihm zu Mittage zu eſſen, die ſich denn, als dieſer Fiſch auf die Tafel kam, ſehr wun - derten, weil ſie wußten, daß er bloß im Caspiſchen Meere oder in der Wolga anzutreffen ſey. Jch habe niemals gehoͤret, daß ſie ſich in dieſen Seen fortge - pflanzet haͤtten.

Da131

Da der General Bruce Gouverneur von dieſerTſcherems - tofs Fehler. Provinz war, ſo hielt dieſes ihn etliche Tage zuruͤck, die ſein Gouvernement betreffenden Sachen durchzu - gehen, da er denn, ſo lange er ſich aufhielt, von den vornehmſten in der Stadt bewirthet wurde. Als er einmal bey dem Vice-Gouverneur ſpeiſete, fiel die Rede auf einige von dem Feldmarſchall Tſcheremetof begangene Fehler, als der Czar erſt anfieng ſeine Ar - mee nach der deutſchen Kriegszucht einzurichten. Um die auslaͤndiſchen Officiers anzulocken, zu ſeiner Ar - mee zu kommen, hatte er dem Feldmarſchall Befehl gegeben, daß er ſie, wenn ſie gut empfohlen wuͤrden, eiren Grad hoͤher befoͤrdern ſollte, als der geweſen, den ſie verlaſſen haͤtten. Es trug ſich zu, daß ein Brigadier aus Oeſterreichiſchen Dienſten kam, den der Kaiſer ſehr empfohlen hatte, und nach des Czars Vorſchrift Generalmajor zu werden verlangte. Da der Feldmarſchall ſahe, daß dieſes eine zu hohe Stelle ſey, ſo ſagte er zu demſelben, daß er zufrieden ſeyn ſolle, wenn er erſt Generallieutenant wuͤrde. Als dieſer Officier dem Feldmarſchall zu gefallen darein willigte, ſo wurde ſein Diplom zur Beſtaͤtigung an den Czar uͤberſchickt, und der Feldmarſchall machte ſich ein Verdienſt daraus, daß er den Fremden ſo wohlfeil befriediget hatte. Der Czar lachte ſehr uͤber des Feldmarſchalls Jrrthum, beſtaͤtigte aber deſſen Diplom doch, und warnte den Marſchall, ſich in Zu - kunft vor dergleichen Fehlern zu huͤten. Dieſer War - nung ungeachtet gieng doch wieder ein aͤhnliches Ver - ſehen vor. Ein Deutſcher Capitaͤn des Armes, der noch weniger als ein Sergeant iſt, und der nur auf das der Compagnie zugehoͤrige Gewehr Achtung gebenJ 2muß,132muß, hielt um Dienſte bey der Armee an. Der Feldmarſchall ſragte ihn durch ſeinen deutſchen Dol - metſcher, in was fuͤr einem Poſten er gedienet haͤtte, und bekam zur Antwort, als Capitaͤn des Armes. Da das Wort arm in der deutſchen Sprache arm bedeutet, ſo ſagte der Dolmetſcher, daß er ein armer Capitaͤn geweſen ſey. Wenn das der Fall iſt, ſagte der Feldmarſchall, ſo will ich ihn zum reichen Capi - taͤn machen, und fertigte ein Capitaͤns-Diplom fuͤr ihn aus. Allein der Czar, anſtatt ſelbiges zu beſtaͤ - tigen, machte ihn nur zum Faͤhndrich, und ſchon die - ſes machte den armen Capitaͤn ſehr gluͤcklich.

Beſte Art aus Ruſſi - ſchem Dien - ſte zu kom - men.
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Damals war es viel leichter, Dienſte zu erhal - ten, als wieder los zukommen, wie man aus des Ge - neralmajors Gordon Beyſpiele ſehen konnte, dem viel daran gelegen war, den Dienſt zu verlaſſen, und der da - her, ſo oft er nur konnte, um ſeine Erlaſſung, aber alles vergebens, anhielt. Als er daher nach dem Treffen bey Pultawa allein mit einem Commando in Pohlen ſtand, ergriff er dieſe Gelegenheit, ließ ſeine Frau und Toͤchter nach Pohlen kommen, und gieng mit ih - nen nach Danzig, und von da zu Schiffe nach Schott - land. Ein gleicher Fall trug ſich zu meiner Zeit mit einem Rittmeiſter bey den Dragonern zu, der, nach - dem er lange gedienet hatte, um ſeinen Abſchied anſuch - te, und ihn zwar ohne große Schwierigkeit erhielt, aber kein Mittel ausfuͤndig machen konnte einen Paß zu er - halten, um aus dem Lande zu kommen, weil er beſtaͤn - dig mit ſchoͤnen Worten abgewieſen wurde, womit ſie ihn ſo lange aufhielten, daß er ſich endlich genoͤthiget ſahe, Wechſelbriefe an ſeine Freunde in Deutſchland zu ſtellen, um in Rußland leben zu koͤnnen. DieRuſſiſche133Ruſſiſche Policey will, daß das bey der Regierung er - worbene Geld auch im Lande bleiben ſoll, und da man gemerkt hatte, daß dieſer Officier, als er mit ſei - nem Regimente in Pohlen ſtand, betraͤchtliche Sum - men an ſeine Freunde in Deutſchland geſchicket hatte, ſo war man darauf bedacht, nachdem er ſeinen Ab - ſchied bekommen, ſeine Perſon zuruͤck zu halten, um wiederum etwas von dieſem Gelde zuruͤck zu bekom - men. Als dieſer Rittmeiſter ſahe, daß er ſich rui - niren wuͤrde, ohne Hoffnung zu haben aus dem Lande zu kommen, ſo wandte er ſich an einige auslaͤndiſche Generals, und erſuchte ſie um Rath, die ihm ſogleich riethen wieder um Dienſte anzuhalten. Er that es, und ſahe ſich in kurzem wieder an der Spitze eines Regiments. Als dieſes Regiment nach Pohlen be - ordert worden, machte er ſich daſelbſt die Gelegenheit zu Nutze, gieng, nachdem er ſich hinlaͤnglich mit Gelde verſehen hatte, nach Deutſchland, und ſchrieb von daher an den Fuͤrſten Menzikof und entſchuldigte ſich, daß er auf dieſe Art die Dienſte verlaſſen muͤſſen, indem er keine andere Wahl gehabt haͤtte, denn es ſey ihm nicht erlaubt geweſen, es auf eine beſſere Art zu thun. Er rieth dem Fuͤrſten, die Auslaͤnder nicht wider ihren Willen in Dienſten zu behalten, denn dieſes wuͤrde geſchickte und verdiente Maͤnner ab - halten, in ihre Dienſte zu gehen. Hierdurch wurde aber die Sache nicht beſſer, und es wuͤrde zu ver - drießlich fallen, wenn ich mich in eine Beſchreibung der Schwierigkeiten einlaſſen wollte, die man den Fremden macht, wenn ſie aus dieſem Lande wollen. Wir fuhren den 25ſten von Novogorod ab und ka - men den 1ſten April in Petersburg an. Moscau iſtJ 3541134541 Engliſche Meilen, oder 812 Ruſſiſche Werſte von Petersburg entfernt.

Stadt Pe - tersburg.
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Der Adel, die vornehmen und reichen Perſonen, die ſich mit ihren Familien von Moskau hieher bege - ben hatten, fanden hier einen traurigen Tauſch ihrer Umſtaͤnde. Anſtatt ihrer geraumen Pallaͤſte und ho - hen Haͤuſer in Moskau, und ihrer Landhaͤuſer und Guͤter in deren Nachbarſchaft, wo ſie alles im Ueber - fluß hatten, fanden ſie hier allen Vorrath ſelten und die meiſten Bequemlichkeiten fehlten. Allein da die - ſer Ort ſowohl den Abſichten als auch der Gemuͤths - beſchaffenheit des Czars gemaͤß war, ſo achtete er die Klagen derjenigen wenig, die mehr auf ihre Ruhe und Schwelgerey als auf den Nutzen ihres Landes ſahen. Die Kaufleute machten ihr Gluͤck in dieſer neuen Stadt, wo alles außerordentlich theuer war.

Dieſe Stadt war jetzt in ihrer Kindheit, da es kaum zehn Jahr war, daß der Grund dazu war gele - get worden. Als der Czar Noͤteburg und Neu - Schanz eingenommen hatte, gieng er bis an den Aus - fluß der Newa, wo ſie in das Baltiſche Meer faͤllt und durch verſchiedene Stroͤme viel Jnſeln macht. Dieſe Lage gefiel ihm ſo ſehr, daß er dieſe Stadt zu bauen beſchloß. Er fand hier nur 4 Fiſcherhuͤtten; zu dieſen ſetzte er ein Haus fuͤr ſich auf eine Jnſel ge - gen Norden des Fluſſes, und nannte es Petersburg. Dieſes Haus war nur eine Zuflucht vor dem Wetter und darinn zu ruhen; es iſt ein niedriger von Holz ge - bauter und mit einem hoͤlzernen Gange umgebener Saal, wo uͤber der Thuͤre das Jahr 1704 ausge - hauen iſt. Es iſt aber zum Andenken dieſes großen Unternehmens ſeit der Zeit immer beybehalten worden. Der135Der Generallieutenant Bruce, Commandant der Stadt, hat die Aufſicht und den Gebrauch dieſes er - ſten Saals, und hat ein ſehr ſchoͤnes Haus fuͤr ſich daran gebauet, welches eines der erſten war, das die - ſem Orte ein Anſehen gab. Das erſte, was unternom - men wurde, war, zwey Feſtungen zu bauen, die eine hier und die andere in Cronſtadt, um dieſen Ort wi - der den Anfall von den Schweden zur See zu decken, indem er wider einen Anfall zu Lande ſchon durch die Natur befeſtiget iſt, und rings herum moraſtigen Boden hat.

Jedermann ſahe nun den Fortgang und den Wachsthum dieſer Stadt in einer ſo kurzen Zeit mit Verwunderung und Erſtaunen, indem bereits viele tau - ſend Haͤuſer gebauet waren. Jn dem Theile, der Petersburg genannt wird, ſtehet ein großes viereckig - tes Gebaͤude von Ziegelſteinen, worinn ein großer Hof fuͤr Kauf - und Handelsleute iſt, wo ſie ihre Gewoͤl - ber unten und Waarenlager oben haben, und der jede Nacht verſchloſſen wird, und eben ſo wie der große Marktplatz in Moskau eingerichtet iſt; wie denn auch alle Kaufleute in dieſem Theile der Stadt wohnen. Hier iſt auch ein großes langes Gebaͤude von Ziegeln, worinn das Rathhaus, alle hohe Gerichte im Reiche, die Canzley, das Obergerichte, die Admiralitaͤt und Artillerie, das Kriegsamt ꝛc. ſich befinden. Der Praͤſident von jedem Gerichte iſt ein Senator. Da alſo der Sitz der Handlung, die Gerichte, als oͤffent - liche Aemter, und das große Concilium des Reichs an einem ſo kleinen Orte ſo nahe beyſammen ſind, ſo iſt dieſes eine große Bequemlichkeit zur Beſchleuni - gung der Geſchaͤfte. Auf einer andern Jnſel, dieſerJ 4gegen136gegen Norden, wohnen die aſiatiſchen Kaufleute, naͤmlich, Armenianer, Perſianer, Tuͤrken, Tartarn, Chineſer und Jndianer; aber Juden iſt es nicht er - laubt im Ruſſiſchen Reiche zu handeln oder zu wohnen. Dem Senathauſe gegenuͤber, auf einer kleinen Jnſel, ſtehet die Feſtung, und da ſie in der Mitte liegt, ſo kann ſie die ganze Stadt beſchießen. Die Feſtung iſt ein mit Ravelinen verſtaͤrkter Sechseck; die Waͤlle ſind alle gewoͤlbt und bombenfeſt. Sie hat Haͤuſer fuͤr die Officiers und Baraken fuͤr die Soldaten von der Garniſon, ein großes Zeughaus, Vorrathshaͤu - ſer und Magazine, und eine ſchoͤne große Kirche, mit einem ſehr hohen Thurme, worauf ſich ein Glocken - ſpiel befindet, welches alle Tage von 11 Uhr bis 12 ſpielet. Jn dieſer Kirche iſt ein großes Begraͤb - niß fuͤr die Kaiſerliche Familie. Die Werke, und alle inwendige Gebaͤude ſind von Mauerſteinen, und man kann nur auf Zugbruͤcken, die dem Senathauſe gegen uͤber ſind, hineinkommen. Weiter unter der Feſtung, auf eben der Seite des Fluſſes, iſt Waſilio - Oſtrof (oder Jnſel), darauf der Fuͤrſt Menzikof einen ſehr großen Pallaſt, und eine Menge Haͤuſer aus Zie - geln zur Bequemlichkeit ſeiner Hofleute hat erbauen laſſen. Dieſe Jnſel iſt groß, und mit ſchoͤnen Gaͤr - ten und Spatziergaͤngen gezieret, und hier ſiehet man alle Kaiſerliche Pracht, und alle fremde Geſandten und Miniſter haben hier Audienz. Bey dieſer Gele - genheit erſcheint der Czar allemal als eine Privatper - ſon, wie auch ſonſt uͤberall, und wird nur von einem Pagen und einem Bedienten begleitet, der ihm ſeine mathematiſchen Jnſtrumente und Zeichnungen traͤgt, denn er iſt ein vortrefflicher Zeichner und verſtehet alleZweige137Zweige der Mathematik, und iſt im Feſtungsbaue, in der Architektur, Schiffbaue, und Einrichtung al - ler mechaniſchen Werke, ſehr gut bewandert. Da er ein Prinz iſt, der von allen Dingen Kenntniß hat, ſo kann er nicht leicht von andern hintergangen werden. Waliſio-Oſtrof an der ſuͤdlichen Seite des Fluſſes, iſt die Admiralitaͤt oder das Werft, Schiffe und Ga - leren zu bauen. Da dieſe Jnſel vor dieſem tief und moraſtig war, ſo wurden viele Canaͤle gegraben, und der Boden erhoͤhet, und ſie dadurch zu der Abſicht, wozu ſie gebraucht wird, bequem gemacht. Sie iſt von dem Fluſſe umgeben, und hat wie das Uebrige dieſer Stadt, ihre natuͤrliche Vertheidigung von den moraſtigen Ufern des Fluſſes. Alle Schiffbauleute, wie auch die Officiers und Seeleute, die zur Flotte ge - hoͤren, haben ihre Wohnungen darauf.

Hinter der Admiralitaͤt ſtehet die Jnoiſemka Slo - boda, oder die fremde Stadt, wo alle Fremde aus Europa wohnen, und proteſtantiſche und katholiſche Bethhaͤuſer haben. Hier ſteht des Admirals Apraxin ſchoͤner Pallaſt. Auch dieſe Jnſel war tief und mo - raſtig; das Waſſer wurde aber durch Canaͤle abgelei - tet und die Jnſel erhoͤhet. Auf dieſer Jnſel hat der Czar ſeinen Winter - und Sommer-Pallaſt. Der erſte ſtehet nahe am Fluſſe, und der letzte gegen Oſten, oder am obern Ende der Jnſel, wo ſeine Jachten und Luſtbothe nahe vor der Thuͤre ſtehen. Hier ſind uͤber - aus ſchoͤne Gaͤrten und ein großer Park, die von ei - nem breiten und tiefen Canale umgeben ſind. Die Gaͤrten ſind voll Waſſerkuͤnſte, Jtaliaͤniſcher Sta - tuen, und bedeckter Spatziergaͤnge und Lauben. Eine ſchoͤne Allee von großen Baͤumen, die am FluſſeJ 5ſtehet,138ſtehet, ward mitten im Winter nebſt einrr großen Menge Erde an ihren Wurzeln ausgegraben, hieher gebracht, und in dieſe Ordnung geſetzt, wo ſie zu aller Erſtaunen, die ſie ſahen, bluͤheten. Jm Park wur - de ein Haus gebauet, worinn ſich alle Arten mathe - matiſcher Jnſtrumente befinden, wie auch der beruͤhm - te Gothorpſche Globus, den Tycho de Brahe erfun - den, worinn 12 Perſonen an einer Tafel ſitzen, und das Geſtirne am Himmel beobachten koͤnnen, wie es ſich um ſeine Achſe drehet. Jn dem Garten war ein langer Gang, oder Saal, worinn ſich der Czar alle Tage von 11 bis 12 Uhr des Vormittags aufhielt, da jedermann freyen Zutritt hatte, und er die Bitt - ſchriften von allen Staͤnden ſeiner Unterthanen an - nahm. Nach dieſem war es Niemanden, außer in ſehr wichtigen Angelegenheiten, erlaubt, zu ihm zuDes Czars Tafel. kommen. Er ſpeiſte gemeiniglich um 12 Uhr, und nur mit ſeiner Familie. Es wurde nur ein einziges Gerichte auf einmal aufgeſetzt, und um dieſes warm zu haben, ſpeiſte er in einem Zimmer, daran die Kuͤche ſtieß, aus welcher es der Koch zu einem Fenſter her - ein gab. Um 1 Uhr legte er ſich nieder und ſchlief eine Stunde; den Nachmittag und den Abend brachte er bis 10 Uhr bey dieſem oder jenem Vergnuͤgen zu, gieng hernach zu Bette, und ſtand des Morgens im Sommer und Winter um 4 Uhr auf.

Seine Luſt - barkeiten.
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An den Feſttagen erfand er alle Arten von Ver - gnuͤgen, und hatte ſehr oft Geſellſchaft auf ſeinem langen Saale in dem Garten; und da dieſer mit Waſſer umgeben iſt, ſo kamen die Gaͤſte in ihren Bo - then, die, wenn die Geſellſchaft ausgeſtiegen war, in dem Hafen bewacht wurden, damit niemand entwi -ſchen139ſchen konnte, ehe die ganze Geſellſchaft aufbrach, wel - ches ſelten vor dem andern Morgen geſchah. Kut -Der Czar verſchenkt Fahrzeuge. ſchen oder ander Fuhrwerk mit Raͤdern kann in dieſer Stadt wenig gebraucht werden, da ſie ganz von Fluͤſ - ſen oder Canaͤlen umringt iſt, uͤber die keine Bruͤcken gehen, ſo daß jedermann zu Waſſer fahren muß. Die - ſe Unbequemlichkeit zu erleichtern, ſchenkte der Czar je - dem vom erſten Range eine Jacht, einen Buͤyer, welches ein Both mit Seegeln iſt, und nach Hollaͤndi - ſcher Art eine große Cajuͤte in der Mitte hat, eine Barke mit 10 oder 12 Rudern, und ein kleines Both mit 2 oder 4 Rudern; denen vom zweyten Range einen Buͤyer und ein kleines Both, und denen vom niedrigern Range nur ein kleines Both. Jeder muß - te ſein Fahrzeug im baulichen Stande erhalten, und es auf ſeine Koſten wieder bauen laſſen, wenn dieſes nicht mehr zu brauchen war. Dieſes war zugleich ein politiſches Geſchenk, denn es war ein Tag in der Woche zur Muſterung aller dieſer Fahrzeuge beſtimmt, wie es dem Czar gefiel, und das Zeichen dazu wurde von der Feſtung gegeben. Wenn ſie ruderten, ſo ge - ſchah es auf dem breiten Fluſſe, in den kleinern Fahr - zeugen, welches ein ſchoͤnes Anſehen gab, und das Vergnuͤgen wurde durch die Geſellſchaften von Mu - ſikanten vergroͤßert. Die meiſten von erſten Range hatten ihre eigenen Muſikanten. Wenn das Zeichen nach Cronſtadt zu ſegeln gegeben wurde, ſo giengen alle Jachten und Buͤyers in 3 Escadrons ab; auf die - ſem Zuge wurden ihnen die verſchiedenen Uebungen einer Kriegsflotte durch Zeichen gewieſen, als das Ausſpannen und Einziehen der Segel, das Lavieren, eine Linie zum Treffen zu formiren, das Ankern ꝛc. wodurch140wodurch dem jungen Adel und andern Vornehmen die Beſchaffenheit dieſes Dienſtes bekannt wurde, und viele andere die Handgriffe der Seeleute lernten, und dadurch bey einer Flotte brauchbar gemacht wurden. Dem Sommer-Pallaſte gegenuͤber ſtehet auf einem trocknen erhabenen Boden, das große Zeughaus, die Gießerey zu Stuͤcken und Moͤſern, und ein ſchoͤnes Haus, welches der General-Feldzeugmeiſter erbauet hat. Hier wohnen alle Beamte ꝛc. der Artillerie. Wegen der ſchoͤnen Tage und geſunden Luft wohnen auch alle Verwandte des Kaiſerlichen Hauſes hier, da dieſe Gegend der Stadt der Ueberſchwemmung nicht, wie die andern, ausgeſetzt iſt. Der Czarowitz und ſeine Gemahlinn haben ihren Hof hier, desgleichen die Prinzeſſinn Natalia des Kaiſers Schweſter, die zwey Kaiſerlichen Wittwen des Czars Feodor und Johannes, nebſt einer Menge adelicher Familien. An dem Ende gegen Morgen aber ſtehet das Alexan - der-Newſki-Kloſter, wo der Erzbiſchof wohnet. Das Getuͤmmel, das man in allen Theilen dieſer Stadt ſahe, war unbeſchreiblich; man ſahe und hoͤrte den ganzen Tag nichts als Kaufleute und Arbeiter, die entweder ihre Schiffe und Galeeren, oder ſteinerne oder hoͤlzerne Haͤuſer bauten, Canaͤle gruben und Straßen pflaſterten. Der Fluß war beſtaͤndig mit großen Schiffen angefuͤllt, die alle Arten von Mate - rialien, als Ziegelſteine zu Mauern und Daͤchern und Steine zum Pflaſtern, brachten. Es kamen taͤglich große Holzfloͤßen zu Erbauung der Schiffe und Haͤu - ſer den Fluß herunter. Und da jedermann auf dieſe oder eine andere Art beſchaͤftiget war, ſo ſahe man nicht eine einzige muͤſſige Perſon.

Den141

Den 17ten May kam ein Geſandter von demEin Usbecki - ſcher Geſand - ter. Chan der Usbeckiſchen Tartarn an, der den folgenden Tag vom Czar zur Audienz gelaſſen wurde. Sein Auftrag beſtand in drey Artikeln, erſtlich, daß ſich der Chan uͤber Seiner Majeſtaͤt Gluͤck im Kriege, und uͤber den Wachsthum ſeiner Macht erfreue, und ſich ſeiner Gunſt und ſeinem Schutze empfehle; zwey - tens erſuchte er den Czar, ſeinem Unterthan, dem Chan der Calmuckiſchen Tartarn, anzubefehlen, gute Nachbarſchaft und Frieden mit ihm zu halten, denn er ſchien geneigt zu ſeyn, ſich mit den Tartarn, die Un - terthanen von China ſind, zu vereinigen, und andere von ſeinen Nachbarn wider ihn aufzuwiegeln. Zur Erkenntlichkeit dafuͤr erbot ſich der Chan von Usbeck, beſtaͤndig 50000 Mann zum Dienſte des Czars be - reit zu halten, die auf ſeinen Befehl marſchiren ſoll - ten. Drittens bot er, zum Zeichen der Freundſchaft des Chans, einen Durchzug fuͤr die jaͤhrlich nach Chi - na gehenden Caravanen durch ſeine Laͤnder an, und daß er ſich in einen Handlungstractat mit Rußland einlaſſen wolle, davon Seiner Majeſtaͤt ein unglaub - licher Vortheil zuwachſen koͤnne, indem die Carava - nen damals mit großer Unbequemlichkeit nach Pecking reiſen mußten, und ein ganzes Jahr brauchten, durch ganz Siberien durchzureiſen, wo kein gebahnter Weg war, dagegen ſie durch ſeines Herrn Laͤnder auf einer guten Straße in vier Monathen dahin kommen koͤnn - ten. Der Geſandte legte hierauf viele Seide, und an - dere Chineſiſche und Perſiſche Waaren nebſt beſondern Pelzen, als ein Geſchenke von ſeinem Herrn, zu des Czars Fuͤßen, ſagte, daß er etliche Perſianiſche Pfer - de und andere Thiere in Moskau gelaſſen habe, undbeklagte,142beklagte, daß ihm ein ſchoͤner Leoparde und ein Affe unter Weges geſtorben ſey.

Uebungen zur See.
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Bey dieſer Gelegenheit wurde das Zeichen zu den Jachten, und zugleich allen Bojaren Befehl gegeben, daß ſie Seine Majeſtaͤt nach Cronſlot begleiten ſollten. Jch gieng mit dem General-Feldzeugmeiſter in ſeiner Jacht, und wir kamen des Abends zu Cronſlot an, wo wir auf der Jacht ſchliefen. Der Czar hatte den Tartariſchen Geſandten erſucht, ihm dem Tag mit dem Groß-Canzler, dem Grafen Golofkin, auf einer Snaue nachzufolgen, und ſie fuhren gegen Mittage nebſt 7 Senatoren ab. Das Wetter war ſchwuͤhl, und ſie fuhren mit gutem Winde, bis ſie ohngefaͤhr 7 Meilen von Petersburg durch die Ungeſchicklichkeit des Ruſſiſchen Capitaͤns auf die ſeichten Oerter kamen, und das Schiff auf den Sand zu ſitzen kam. Die Matroſen arbeiteten bis 7 Uhr des Abend, ehe ſie es wieder los brachten, und gegen 9 Uhr entſtand ein ſo heftiger Sturm, dergleichen man in vielen Jahren hier nicht erlebt hatte. Gegen 12 Uhr waren ihre Bothe alle in Stuͤcken zerbrochen; ihr beſter Anker, und mit dieſem alle ihre Hoffnung gieng verlohren, ſo daß ſie nunmehr nichts als den Tod erwarteten. Der Geſandte, der vorher niemals auf einer ſolchen See geweſen war, wurde blaß, und wickelte ſich end - lich in eine ſeidene Madratze, ließ ſeinen Prieſter ſich ihm zu den Fuͤßen ſetzen, und ſich etwas aus einem Buche von dem Propheten Ali vorleſen, denn er war Perſianiſcher Religion. Gegen Morgen fieng der Sturm an nachzulaſſen, das Schiff wurde gluͤcklich aus der Untiefe gezogen, und ſo bald als es geankert hatte, begab ſich der Czar darauf, gratulirte ihm zuſeiner143ſeiner gluͤcklichen Ankunft, und blieb uͤber zwey Stun - den bey ihm in der Cajuͤte. Der Geſandte ließ ver - ſchiedene Arten von den Fruͤchten ſeines Landes aufſe - tzen, rief ſeine Saͤnger und Muſikanten mit Jnſtru - menten, und tractirte den Kaiſer. Der Czar that verſchiedene Fragen an den Geſandten von ſeinem Lan - de, beſonders von dem Fluſſe Darien, welcher durch daſſelbe laͤuft und ins Caspiſche Meer faͤllt. Man findet viel Gold auf dem Boden dieſes Fluſſes, das von den Bergen abgeſpuͤhlet wird, wo reiche Gold - erze ſind. Der Czar fuͤhrte den Geſandten an das Ufer, und zeigte ihm ſeine Flotte und Haͤfen, woruͤ - ber er ſich nicht wenig wunderte, indem er niemals dergleichen geſehen hatte.

Wir wurden hier drey Tage aufgehalten, undCronſtadt und Cron - ſlot. ich nahm mir Gelegenheit, die Retuſary zu beſehen, die mir neu war, und auf welcher der Czar eine neue Stadt, Cronſtadt genannt, zu bauen angefangen hat - te. Die Haͤuſer ſind alle von Ziegeln und groß; die unterſten Stockwerke ſind zu Gewoͤlben und Niederla - gen, zur Bequemlichkeit der fremden Kaufleute, die hier handeln oder ſich niederlaſſen wollen, beſtimmt, weil ihnen die Art auf den großen Marktplaͤtzen in Moskau und Petersburg, wo ſie ihre Gewoͤlber in ei - nem Theile der Stadt haben, und in einem andern wohnen, nicht gefiel. Hier ſind die Straßen breit, und in der Mitte ſind Canaͤle, daß die Guͤter auf dem Waſſer deſto leichter hergebracht und wieder ab - gefuͤhret werden koͤnnen. Hier ſind zwey ſchoͤne Haͤ - fen, der eine fuͤr die Kaiſerliche Flotte, der andere fuͤr Kauffarthey-Schiffe, und alle Schießſcharten ſind mit Kanonen beſetzt. Jnnerhalb eines Kanonen -ſchuſſes144ſchuſſes vom Hafen ſtehet die Feſtung Cronſlot auf ei - ner Sandbank in der See. Der Grund dazu wurde im Winter auf dem Eiſe mit ſtarken hoͤlzernen mit Steinen angefuͤllten Kaſten gelegt, worauf alsdenn das obere Gebaͤude von Holze gebauet und mit Erde angefuͤllet wurde. Dieſe Feſtung iſt rund und hat rings herum drey Gaͤnge einen uͤber den andern, die alle mit Kanonen wohl beſetzt ſind, daher der Zugang nach Petersburg, gegen jedes feindliche Unternehmen zur See, hinlaͤnglich geſchuͤtzt iſt. Ueber dieſes kann man auch ohne einen guͤnſtigen Wind wider die ſtar - ken Stroͤme nicht herauf kommen, und es wird auch ein geſchickter Steuermann erfordert, ſie durch die ſeichten Oerter und Sandbaͤnke, die jaͤhrlich ihre Lage aͤndern, durchzubringen.

Es liegt hier eine Flotte von 30 Schiffen von der Linie, außer den Fregatten und Jachten, zum Aus - laufen bereit, und die in der Nachbarſchaft einquar - tirten Truppen waren bereit, ſich auf 8 Galeeren und 100 Scampavies, oder halben Galeeren, einzu - ſchiffen. Der Czar befahl, daß alle Schiffe und Galeeren in See auslaufen ſollten, wo ſie daſelbſt ei - ne Linie machten, und eine Generalſalve mit allen Kanonen gaben, woruͤber der Tartariſche Geſandte er - ſtaunte, da er vorher niemals dergleichen geſehen hat - te. Nachdem dieſes geſchehen war, wurden die Schif - fe wieder vor Anker geleget, und die Galeeren kamen ans Ufer.

Oranien - baum, Pe - tershof und Catharinen - hof.
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Der Czar gieng von hier nach Oranienbaum, ein Landhaus des Fuͤrſten Menzikofs, Cronſlot gegen - uͤber, an der Seite von Jngermannland, wo auf ſeine Verordnung ein großes Gaſtmahl veranſtaltet war. Von145Von da gieng er nach Petershof, ein ihm gehoͤriges Landhaus, und alsdenn nach Catharinenhof, ein der Czarinn zugehoͤriger Pallaſt; in beyden wurde die Geſellſchaft mit kaiſerlicher Pracht tractiret. Der Kaiſer kehrte nunmehr wieder nach Cronſlot zuruͤck, um mit der Flotte zur See zu gehen, und die Kaiſe - rinn und die uͤbrige Geſellſchaft gieng nach Peters - burg. Von Oranienbaum nach Petersburg gehet das Land vom Ufer an etwas aufwaͤrts, und iſt mit Landhaͤuſern der Großen angefuͤllt, die ohngefaͤhr eine halbe Meile von einander entfernt liegen, welches von der See einen ſchoͤnen Proſpect giebt.

Den 29ſten Junii, nahm der Gouverneur von Wyburg, in Finland, Nyslot, die Hauptfeſtung in der Provinz Savalaxia weg, und machte die Be - ſatzung zu Kriegsgefangenen.

Die Kaiſerliche Prinzeſſinn, Gemahlinn desGeburt der Großher - zoginn. Czarowitz, kam den 23ſten Julii mit einer Prinzeſ - ſinn nieder, die Natalia getauft und ihr der Titel Großherzoginn gegeben wurde. Der Czarowitz hatte ſich damals, unter dem Vorwand einer Unpaͤß - lichkeit, mit ſeiner Finlaͤndiſchen Maitreſſe nach Carlsbad begeben, eigentlich aber bloß deswegen, um bey der Entbindung ſeiner liebenswuͤrdigen, aber un - gluͤcklichen Gemahlinn nicht zugegen zu ſeyn. Jn dieſem unangenehmen Zuſtande hatte ſie bloß die Prin - zeſſinn von Oſt-Friesland, eine von ihren Anver - wandten, bey ſich. Der Czar, den ihr Ungluͤck ruͤhr - te, behandelte ſie mit der groͤßten Hochachtung, gab ihr einen praͤchtigen Hofſtaat, und ſchonte keine Ko - ſten, ihn zu vergroͤßern, ſtellte auch oͤfters Baͤlle und Verſammlungen in ihrem Hauſe an, um ihr ein Ver -Kgnuͤgen146gnuͤgen zu machen, wie ihr denn auch die Czarinn alle Liebe und Hochachtung erwies. Sie hatte ſich durch ihr ſanftmuͤthiges Betragen bey beyden ſehr be - liebt gemacht, aber das thieriſche Verhalten ihres Ge -Schlechtes Verhalten des Czaro - witz. mahls verbitterte ihr alles. Als der Czarowitz auf ausdruͤcklichen Befehl des Czars aus dem Carlsbad zuruͤck kam, bewies er dieſer Prinzeſſinn nicht allein die groͤßte Verachtung, ſondern mißhandelte auch al - le von ihrem Hofe ſo, daß ſie ihn alle verlaſſen wollten, welche Mißhandlung ſie in große Traurigkeit verſetzte. Die oͤftern Verweiſe ſeines Vaters, die er deswegen bekam, ſchienen es nur zu verſchlimmern, denn er beſchuldigte ſie, daß ſie ſich uͤber ihn bey dem Czar beſchwere, und ſagte ihr frey heraus, daß er, wenn er ſich nicht vor dem Zorne ſeines Vaters fuͤrch - te, ihre ganze Hofſtatt fortjagen, und ſie nach der al - ten ruſſiſchen Gewohnheit zu leben zwingen wolle. Ob ſie gleich in einem Hauſe wohnten, ſo waren ſie doch ſo fremd gegen einander, daß man ſie niemals mit einander ſpeiſen oder umgehen ſahe, ausgenommen wenn er kam, und ihr ihren zahlreichen Hof vorwarf. Dieſes war nicht die einzige Kraͤnkung, die dieſe lie - benswuͤrdige Prinzeſſinn auszuſtehen hatte; niemand von den Großen machte ihr ſeine Aufwartung, aus Furcht vor dem Prinzen, ausgenommen wenn er von Seiner Majeſtaͤt Befehl bekam; ſo daß es nur die auslaͤndiſchen Miniſter wagen konnten, ihr einige Hochachtung zu erweiſen.

Ueber die uͤble Behandlung einer ſo guten Prin - zeſſinn mußte man ſich um ſo viel mehr wundern, wenn man uͤberlegte, daß er ſie freywillig gewaͤhlet hatte. Der Czar ſchickte ihn, damit er Lebensartlernen147lernen ſollte, auf Reiſen, und empfohl ihm, daß er ſich eine auswaͤrtige Prinzeſſinn zu ſeiner Gemahlinn erwaͤhlen ſollte, und als er auf ſeinen Reiſen die Prin - zeſſinn von Wolfenbuͤttel, die Schweſter der roͤmiſchen Kaiſerinn, ſahe, ſo trug er ihr die Heirath an, und ſchrieb an den Czar um ſeine Einwilligung, die er auch ſogleich erhielt. Der Czar kam kurz darauf nach Torgau, und ſchloß dieſe ungluͤckliche Heirath.

Es iſt merkwuͤrdig, daß der Prinz niemals beySeine Unehr - erbietung ge - gen den Czar. einigen oͤffentlichen Verſammlungen erſchien, wenn alle Perſonen vom Stande, als bey Geburtstagen, Siegesfeſten, wenn Schiffe vom Stapel gelaſſen wur - den, ꝛc. dem Czar ihre Aufwartung machten. Der General Bruce, der gleich neben dem Prinzen wohn - te, hatte Befehl, dem Prinzen allemal den Tag vor - her von ſolchen oͤffentlichen Tagen oder Verſammlun - gen Nachricht zu geben, und ich hatte die Ehre, ſel - bige zu uͤberbringen. Um aber dieſe oͤffentliche Er - ſcheinung zu vermeiden, nahm der Prinz entweder Arzeney ein, oder ließ zur Ader, und entſchuldigte ſich beſtaͤndig, daß er wegen Unpaͤßlichkeit ſeine Aufwar - tung nicht machen koͤnne; da doch durchgaͤngig be - kannt war, daß er ſich in den ſchlechteſten Geſellſchaf - ten betrank, und ſeines Vaters Unternehmungen be - ſtaͤndig tadelte.

Sobald der Czar nach Cronſlot zuruͤck gekom -Feldzug zur See. men war, gieng er, auf erhaltene Nachricht, daß die Schwediſche Flotte, unter dem Admiral Watrang in der Abſicht, ihn im Hafen zu bloquiren, abgeſegelt ſey, und ihr Vice-Admiral Ehrenſchield den Hafen Twerwin in Finland weggenommen, wo er viele von unſern Schiffen verſenkt, und gegen 200 GefangeneK 2gemacht148gemacht habe, mit der Flotte aus. Die Schweden glaubten nunmehr im Stande zu ſeyn, die Landung auf der Jnſel Aland abzuhalten. Unſere Flotte, die der Admiral Apraxin, der Vice-Admiral Kruys und der Czar ſelbſt als Contre-Admiral, commandirten, gieng gerades Weges den Feind aufzuſuchen. Der Czar wurde abgeſchickt, ihre Unternehmungen zu beob - achten, er gab gar bald von ihrer Stellung Nach - richt, und daß ihr Vice-Admiral Lilie mit vielen Kriegs - und Bombenſchiffen abgeſchickt ſey, und auf Revel zuſegele. Er erſuchte zugleich den Admiral, mit der Flotte vorzuruͤcken, und wenn er ſie eingeholt haben wuͤrde, ſo war beſchloſſen, den Vice-Admiral Kruys abzuſchicken, den Schwediſchen Vice-Admiral aufzuſuchen und 20 Galeeren, unter dem Commando des Generals Weyde und des Capitaͤns Jsmaiewitz, abzuſchicken, ſich innerhalb der feindlichen Flotte dem Ufer ſo viel als moͤglich zu nahen. Die Galeeren fuͤhrten dieſes vermittelſt einer Windſtille aus; der Feind bemuͤhte ſich zwar, ſie abzuhalten, und that viele Canonenſchuͤſſe auf ſie, die aber, wie ſie mit ih - ren großen Schiffen nicht nahe genug kommen konn - ten, keine Wirkung thaten. Hierauf wurden un - ter dem Brigadier le Fort noch 15 Galeeren abge - ſchickt. Der Schwediſche Admiral gab ſeinem Vi - ce-Admiral ein Zeichen, daß er zuruͤck kommen ſollte, welches er auch that, ohne daß ihn der Admiral Kruys, ob er gleich ſtaͤrker war, aufzuhalten ſuchte. Daher er auch ſogleich in Verhaft genommen, und hernach vor ein Kriegsgericht in Petersburg geſtellet wurde.

Den149

Den folgenden Tag gieng unſere Flotte nahe beyBetragen des Czars ge - gen den Eh - renſchield. der feindlichen vorbey und hielt ihr ganzes Feuer aus, wobey ſie nicht mehr als eine Galeere verlohr, die das Ungluͤck hatte, auf den Grund zu kommen, und blo - quirte den Admiral Ehrenſchield, der, weil er ſich auf des Czars Aufforderung, die er durch den General - Adjutanten Jaguzinski an ihn thun ließ, nicht ergab, um 3 Uhr des Nachmittags von des Czars, der nun - mehr Vice-Admiral war, eigener Diviſion tapfer an - gegriffen wurde. Das Gefecht wurde auf beyden Sei - ten zwey Stunden lang tapfer unterhalten, als, der feindlichen Ueberlegenheit an Kanonen ungeachtet, die Schwediſchen Schiffe erſtiegen und weggenommen wurden, und Ehrenſchield, der ſieben Wunden im Gefechte empfangen hatte, ſich unſerm Vice-Admi - ral ergab, von dem er ſehr hoͤflich aufgenommen, und auf ſeinen ausdruͤcklichen Befehl, waͤhrend der Hei - lung ſeiner Wunden, von denen keine toͤdtlich war, ſorgfaͤltig gepflegt wurde; wie ihm denn auch der Czar hernach jederzeit alle Hochachtung bezeigte.

Jn dieſem Gefechte verlohren die Schweden eine Fregatte von 24 Kanonen, 6 große Galeeren, jede von 14 Kanonen, und 3 halbe Galeeren, jede von 4 Kanonen, die alle weggenommen wurden. Sie ver - lohren in dieſem Treffen auch 930 Soldaten und Ma - troſen, davon 577 zu Kriegsgefangenen gemacht wurden. Der Verluſt auf unſerer Seite beſtand aus 1 Oberſten, 2 Capitaͤns, 4 Lieutenants, 1 Ad - jutanten, 103 Soldaten und 8 Matroſen, die ge - blieben waren; 1 Brigadier, 7 Capitaͤns, 7 Lieute - nants, 1 Faͤhndrich, 309 Soldaten und 16 Matro - ſen, waren verwundet worden; und wir hatten uͤber -K 3haupt150haupt 124 Todte und 341 Verwundete. Die Schwediſchen Schiffe und Gefangenen wurden nach Revel geſchickt.

Der Czar nimmt Aland weg.
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Nach dieſem Siege gieng die Flotte nach der Jn - ſel Aland, wo der Czar 16000 Mann ans Land ſetz - te, und die Feſtung und andere Poſten wegnahm, und geſonnen war, ſeine Truppen, die bey Abo cam - pirten, an dieſen Ort zu ziehen, der ungefaͤhr 12 Meilen von der Schwediſchen Kuͤſte entfernt iſt, in der Abſicht, eine Landung auf Stockholm zu machen. Dieſes noͤthigte die Schweden, ihre Flotte zuruͤck zu rufen, und ihre Kuͤſten zu bewahren. Da es aber jetzt zu ſpaͤt im Jahre war, als daß man ein ſo wich - tiges Unternehmen haͤtte anfangen koͤnnen, ſo gieng der Czar uͤber Revel nach Cronſlot, wo er ſich einige Tage aufhielt, und von da den 18ten September in Catharinenhof ankam, und daſelbſt die Czarinn von einer zweyten Prinzeſſinn entbunden fand, der er den Nahmen Anna gab.

Sein Einzug in Peters - burg.
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Nachdem den 25ſten September ein Theil von unſerer Flotte nebſt den Schwediſchen Schiffen und Gefangenen angekommen war, hielt der Czar ſeinen triumphirenden Einzug in Petersburg, und wur - de, als er ſich der Admiralitaͤt und der Feſtung nahe - te, von 150 Kanonen begruͤßet. Sie kamen in fol - gender Ordnung den Fluß herauf:

  • 1. Drey Ruſſiſche Galeeren.
  • 2. Die drey Schwediſchen Halbgaleeren.
  • 3. Die ſechs Schwediſchen Galeeren.
  • 4. Die Schwediſchen Fregatten, alle mit herun - terhangenden Schwediſchen Flaggen.
  • 6. Alle unſere uͤbrige Galeeren.
Als151

Als die Galeeren dem Triumphbogen gegenuͤber ka - men, der an der Fronte des Senathauſes der Feſtung gegenuͤber errichtet war, ſo gruͤßten ſie mit allen Ka - nonen, welches mit einer gleichen Salve aus den Ka - nonen von der Feſtung und Admiralitaͤt beantwortet wurde; alsdann ſtieg die ganze Mannſchaft ans Ufer, und fieng die Proceſſion in folgender Ordnung an:

  • 1. Eine Compagnie von der Garde, die der Ge - neralmajor Galitzin auffuͤhrte.
  • 2. Die Kanonen, die der Fuͤrſt Galitzin den vori - gen Winter dem Generalmajor Armfelt bey Waſa ab - genommen hatte.
  • 3. Drey und ſechzig Fahnen und Standarten, die bey dieſer Action waren erobert worden.
  • 4. Zwey hundert Schwediſche Subalternofficiers, Soldaten und Matroſen.
  • 5. Zwey Compagnien von der Garde.
  • 6. Die Schwediſchen Officiers.
  • 7. Die Schwediſche Admiralsflagge.
  • 8. Der Schwediſche Contre-Admiral Ehrenſchield.
  • 9. Der Czar, als Contre-Admiral; ihm folgte

das Uebrige von dem Regimente von der Garde.

So bald der Czar unter den Triumphbogen kam, kamen die großen Senatoren und auslaͤndiſchen Mini - ſter, ihm zu ſeinem Siege zu gratuliren; allein der Czarowitz erſchien weder in Perſon, noch durch einen Abgeordneten. Der Gouverneur von Moskau wuͤnſchte Seiner Majeſtaͤt zu dieſer Tapferkeit Gluͤck, und dankte fuͤr ſeine großen und hohen Dienſte. Der Triumphbogen war mit vielen emblematiſchen Vorſtellungen praͤchtig gezieret; und unter andern ſa - he man den Ruſſiſchen Adler, der einen ElephantenK 4ergriff,152ergriff, welches auf die Schwediſche Fregate, der Ele - phant genannt, anſpielte, mit der Ueberſchrift: Aqui - la non capit Muſcas.

Er wird Vi - te-Admiral.
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Jn eben dieſer Ordnung gieng die Proceſſion bis in die Feſtung, wo der Vice-Czar Romadanofsky, vom Senate umgeben, auf dem Throne ſaß, den Con - tre-Admiral Peter vor die Verſammlung rufen ließ, und eine ſchriftliche Beſchreibung von dem erhaltenen Siege von ihm erhielt, die ſie, nachdem ſie war vor - geleſen worden, in Berathſchlagung nahm, dem Contre-Admiral verſchiedene Fragen vorlegte, und ihn hierauf zur Belohnung ſeiner treuen Dienſte, die er ſeinem Vaterlande geleiſtet hatte, einſtimmig zum Vice-Admiral erklaͤrte. Nachdem dieſes in der Ver - ſammlung bekannt gemacht worden, ertoͤnte das gan - ze Haus: Lange lebe der Vice-Admiral! Nach - dem ihnen der Czar gedanket hatte, begab er ſich auf ſeine Schaluppe, und ließ, nachdem er viele Gluͤck - wuͤnſche erhalten hatte, ſeine Admiralsflagge wehen.

Seine Ach - tung gegen Ehrenſchield.
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Der Czar begab ſich hierauf, von dem Adel und Officieren begleitet, in des Fuͤrſten Menzikofs Pallaſt, wo ein großes Gaſtmal veranſtaltet war. Nach der Mittagsmahlzeit bezeugte er dem Contre-Admiral Ehrenſchield beſondere Hochachtung, redete die Ge - ſellſchaft an, und ſagte: Meine Herren, hier ſehen ſie einen tapfern und treuen Diener ſeines Herrn, der ſich wuͤrdig gemacht hat, daß er die groͤßten Belohnungen von ihm erhalte, und der meine Gewogenheit haben ſoll, ſo lange er bey mir bleiben wird, ob er mir gleich manchen tapfern Mann getoͤdtet hat. Jch vergebe es Jhnen, fuhr er fort, indem er ſich zu dem Schwe - den wandte und laͤchelte, und Sie koͤnnen ſich jederzeitauf153auf meine Gewogenheit verlaſſen. Ehrenſchield dank - te dem Czar und antwortete: So rechtſchaffen ich auch immer gegen meinen Herrn gehandelt habe, ſo habe ich doch nichts als meine Schuldigkeit gethan; ich ſuchte zu ſterben, aber der Tod flohe vor mir; es iſt aber bey meinem Ungluͤcke kein geringer Troſt fuͤr mich, Jhro Majeſtaͤt Gefangener zu ſeyn, und ſo viele Gunſt und Hochachtung von einem ſo großen Seehelden, und nun wuͤrdigen Vice-Admiral zu genießen. Ehrenſchield bekraͤftigte es, daß die Ruſſen wie Loͤwen gefochten haͤtten, und daß ihn nichts als ſeine eigene Erfahrung uͤberzeugen koͤnnen, daß der Czar ſo gute Soldaten aus ſeinen Unterthanen ge - macht habe. Dieß war eine Folge einer ſtrengen Zucht, der Zeit und der Klugheit. Die Truppen waren jetzt ſo disciplinirt, und hatten ſich ſolchen Ruhm, beſonders die Jnfanterie, erworben, daß es keine Truppen in der Welt gab, denen ſie etwas nach - gegeben haben wuͤrden.

Bey dieſer Gelegenheit hielt der Czar folgendeSeine Rede an die Sena - toren. Rede an die Senatoren.

Wer iſt unter Jhnen, meine Bruͤder, der vor zwanzig Jahren geglaubt haͤtte, daß er ſich hier mit dem Schiffbaue auf dem Baltiſchen Meere mit mir beſchaͤftigen, und ſich in den Laͤndern niederlaſſen ſollte, die wir durch Muͤhe und Tapferkeit erobert ha - ben? Daß er es erleben und ſo viel tapfere und ſieg - reiche Soldaten und Seeleute aus Ruſſiſchem Blute erblicken, und unſere Soͤhne als vollkommene Maͤn - ner aus fremden Laͤndern zuruͤckkommen ſehen ſollte? Die Geſchichtſchreiber ſetzen den alten Sitz aller Wiſſenſchaften in Griechenland; von da breiteten ſieK 5 ſich,154 ſich, durch die ungluͤcklichen Zeiten vertrieben, in Jta - lien, und hernach in ganz Europa aus, konnten aber wegen Verkehrtheit unſerer Vorfahren nicht weiter, als bis nach Pohlen, durchdringen. Die Pohlen ſo wohl als die Deutſchen tappten vor die - ſem in eben der Finſterniß, in der wir bisher gelebt haben; aber die Regenten oͤffneten endlich durch un - ermuͤdete Sorgfalt ihre Augen, und bemeiſterten ſich derjenigen Kuͤnſte, Wiſſenſchaften und des ge - ſellſchaftlichen Unterrichts, deren ſich Griechenland vor dieſem ruͤhmte. Jetzt haͤngt es von Jhnen ab, ob Sie meine Abſichten ernſtlich unterſtuͤtzen, und zu Jhrem willigen Gehorſame noch Wiſſenſchaften fuͤ - gen wollen. Jch kann dieſe Wanderung der Wiſ - ſenſchaften mit nichts beſſer, als mit dem Umlaufe des Blutes im menſchlichen Koͤrper, vergleichen; und mein Geiſt ſagt mir faſt voraus, daß ſie dereinſt ih - re Wohnung in Britannien, Frankreich und Deutſch - land verlaſſen, und ſich auf etliche Jahrhunderte un - ter uns niederlaſſen, und vielleicht alsdann wieder zu ihrem erſten Sitze, nach Griechenland, zuruͤck keh - ren werden. Unterdeſſen empfehle ich Jhnen ernſt - lich die Ausuͤbung der lateiniſchen Worte, Ora & Labora (bete und arbeite); alsdenn koͤnnen Sie uͤber - zeugt ſeyn, daß Sie andere geſittete Voͤlker ſchamroth machen, und den Ruhm des Ruſſiſchen Nahmens bis auf den hoͤchſten Gipfel erheben werden. Die Senatoren hoͤrten die Rede ihres Monarchen mit ei - nem ehrerbietigen Stillſchweigen an, und antworteten, daß ſie alle geſonnen waͤren, ſeinen Befehlen zu ge - horchen und ſeinem Beyſpiele zu folgen. Ob ſie inihrer155ihrer Antwort aufrichtig geweſen ſind, das iſt eine an - dere Frage.

Den folgenden Tag ward ein großes GaſtmahlSeine Ahn - dung gegen den Czaro - witz. in des Vice-Czars Romadanofky Pallaſte gegeben, wohin ein Bataillon von der Garde zur Parade, und eine Compagnie Grenadiers zur Aufwartung befehli - get waren. Nachdem ſie durch die ganze Stadt mar - ſchiret waren, ſtellten ſie ſich vor des Vice-Czars Pal - laſte, und machten ihre Uebungen. Da der Czaro - witz nur noch Sergeant bey den Grenadieren war, ſo marſchirte er den ganzen Weg, mit ſeiner Hellebar - de auf der Schulter, auf der rechten Seite mit. Als er bey ſeinem eigenen Pallaſte vorbey zog, und die Prinzeſſinn ſeine Gemahlinn, die mit ihrer Freun - dinn der Prinzeſſinn von Oſt-Frießland heraus ſahe, ihn auf eine ſo große Art marſchiren ſahe, ward ſie ohnmaͤchtig und wurde zu Bette gebracht. So bald die Uebungen gemacht waren, wurden alle Officiers zur Tafel eingeladen; die Gemeinen blieben aber un - ter Gewehr ſtehen, und der Czarowitz blieb auf ſeinem Poſten, bis das Bataillion wieder abmarſchirte.

Dieſe Kraͤnkung wurde dem Czarowitz deswegen angethan, weil er ſeine Schuldigkeit verabſaͤumet und ſeinem Vater bey ſeinem triumphirenden Einzuge nicht entgegen gekommen war, und ihm zu ſeiner gluͤcklichen Ankunft Gluͤck gewuͤnſchet hatte. So viel iſt gewiß, daß ihm ein Sieg zur See groͤßere Freude machte, als jeder andere Sieg gethan haben wuͤrde; ſo daß al - ſo dieſe Nachlaͤßigkeit viel uͤbler als eine andere aufge - nommen wurde. Als der Czar die Unpaͤßlichkeit der Prinzeſſinn vernahm, und was Gelegenheit dazu gege - ben habe, ſo beſuchte er ſie, und ſagte, daß ſie ſichnicht156nicht wundern ſollte, daß der Prinz Sergeant ſey, denn er ſelbſt habe auch die niedrigſten Dienſte zu Lande und zur See gethan, bis er durch ſeine Verdien - ſte geſtiegen, und General bey der Armee und nun - mehr Vice-Admiral bey der Flotte geworden ſey. Ob nun gleich der Prinz ſeine Schuldigkeit, wie er haͤtte thun ſollen, nicht beobachtet hatte, ſo empfohl er ihn doch dem Vice-Czar, verſchaffte ihm eine Faͤhndrichsſtelle bey der Garde, und ſagte, daß er gekommen ſey ihr zu ihres Gemahls Befoͤrderung Gluͤck zu wuͤnſchen. Dieſe Herablaſſung des Czars machte, daß ſich die Prinzeſſinn wieder erholte.

Bey dieſer Gelegenheit dauerten die Luſtbarkeiten eine ziemliche Zeit, denn die Großen ſtellten ebenfalls einer nach dem andern Feyerlichkeiten an. So ſehr nun auch der Czar wegen ſeines vorigen Verhaltens auf den Prinzen uͤbel zu ſprechen war, ſo erſchien dieſer doch bey keiner von dieſen oͤffentlichen Zuſammenkuͤnf - ten, ob ihm gleich der General Bruce allemahl Nach - richt davon gab, und mich verſchiedene Mahle zu ihm ſchickte, ihm Seiner Majeſtaͤt Mißfallen anzuzeigen, wenn er nicht erſchiene. Er wandte aber bey jeder Gelegenheit die alte Entſchuldigung, den Mangel an Geſundheit, vor.

Der Czar be - foͤrdert die geſellſchaftli - chen Zuſam - menkuͤnfte.
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Da dem Czar die Wohlfahrt und Vergroͤßerung ſeines Volks ſehr am Herzen lag, ſo verſaͤumte er kei - ne Gelegenheit, ſeine Unterthanen vollkommener zu machen. Er machte damals eine Einrichtung, wie die Aſſembleen gehalten werden ſollten. Er verord - nete, daß deren woͤchentlich zwey in den Haͤuſern der Großen wechſelsweiſe ſeyn, und ein Zimmer zur Un - terredung, eines zum Spielen, und eines zum Tanzenbeſtimmt157beſtimmt ſeyn ſollte; daß man ſich um 8 Uhr ver - ſammeln, und um 11 Uhr wieder auseinander ge - hen ſollte; daß der Herr des Hauſes einen Nebentiſch mit Liqueurs, die aber nicht eher angebothen werden ſollten, als bis ſie verlangt wuͤrden, und Karten und Muſik veranſtalten ſollte; alle Herren, fremde ſowohl als einheimiſche, wie auch ihre Gemahlinnen und Toͤch - ter, ſollten freyen Zutritt haben. Dieſe neue Ein - richtung gefiel den Frauenzimmern uͤber die Maßen wohl, da ſie ſelbige von der ſtrengen Einſchraͤnkung befreyte, worunter ſie ſich befanden, weil es ihnen nicht erlaubt war, in oͤffentlicher Geſellſchaft zu er - ſcheinen. Hierdurch lernten ſie mit Menſchen umge - hen und ſich mit Geſchmack kleiden.

Waͤhrend dieſes Winters errichtete der Czar auchStiftet eine Akademie. eine Akademie zu Erziehung junger Edelleute, und gab ſich alle Muͤhe, geſchickte Lehrer zu bekommen, die verſchiedenen Wiſſenſchaften zu lehren. Er gab auch der Admiralitaͤt Befehl, gegen den folgenden Fruͤhling 50 Schiffe von der Linie und eben ſo viel Galeeren und andere Schiffe in Bereitſchaft zu hal - ten, um ihn in den Stand zu ſetzen, kuͤnftiges Jahr eine Landung in Schweden zu machen, und ſeinen Truppen zu thun zu geben, da er ſich genoͤthiget geſe - hen, ſie aus Deutſchland zuruͤck zu ziehen, weil der Koͤ - nig von Daͤnnemark Holſtein, und der Koͤnig von Preuſ - ſen Pommern in Sequeſtration genommen hatten. Dieſes mißfiel dem Czar uͤberaus ſehr, da er gern ei - nen Fuß in Deutſchland haben, und ein Glied von dieſem Reiche werden wollte. Allein der Kaiſer und die uͤbrigen deutſchen Fuͤrſten, die ſeine zunehmende Macht mit eiferſuͤchtigen Augen anſahen, ergriffendieſes158dieſes Mittel, ſeine Truppen aus ihrem Lande los zu werden. Der Koͤnig von Schweden kam indeſſen bloß mit dem Oberſten Duͤring und zwey Bedienten, nachdem er in 16 Tagen 300 deutſche Meilen gerei - ſet war, den 22ſten November in Stralſund an, und fieng ſogleich die Feindſeligkeiten wider Preuſſen an, welches das ganze Syſtem des deutſchen Reichs ver - eitelte, das ſich, indem der Koͤnig nichts von der Se - queſtration wiſſen wollte, einen neuen Feind zuzog, und dem Czar einen guten Vorwand gab, wieder mit ſeiner Armee in Pommern einzufallen.

Kriegsge - richt uͤber den Admiral Kruys.
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Es wurde nunmehr ein Kriegsgericht ernannt, welches das Verhalten des Vice-Admirals Kruys, welcher, wider ſeine Ordre, die Schwediſche Flotte nicht angegriffen hatte, unterſuchen ſollte. Er ward von derſelben ſchuldig befunden, und verurtheilet, fuͤr ſeine Zaghaftigkeit und Vernachlaͤßigung ſeiner Schul - digkeit todtgeſchoſſen zu werden. Kruys beſchwerte ſich uͤber die Strenge dieſes Urtheils, und ſagte, daß keine Seemacht ein ſolches Urtheil uͤber ſein Verhal - ten bey dieſer Gelegenheit geſprochen haben wuͤrde. Als dieſes dem Czar hinterbracht wurde, ſchickte er an alle benachbarte Seemaͤchte Abſchriften von dieſent Verhoͤr, beſonders aber nach Holland, welches des Admirals Vaterland war, daß ſie ihren Ausſpruch uͤber dieſes Urtheil thun ſollten. Sie waren aber al - le einſtimmig, daß es gerecht ſey, und daß es an jedem Officier in ihren Dienſten, der ſich ſo verhalten haͤtte, wuͤrde ſeyn vollzogen worden. Als man dem Admi - ral dieſe Erklaͤrung gezeiget hatte, bat er um Gnade, die ihm der Czar, was ſein Leben betraf, gewaͤhrte, ihn aber auf die uͤbrige Zeit ſeines Lebens nach Olontzverwies.159verwies. Allein, als er bereits abgereiſet und ſchon einen Tag unter Weges geweſen war, berief ihn der Czar zuruͤck, ertheilte ihm Pardon, und machte ihn zum Admiralitaͤts-Commiſſaͤr; er wurde aber zur See niemals wieder gebraucht, und beſchloß alſo in dieſem Amte ſein Leben.

Jn eben dieſem Jahr ſtiftete der Czar zur EhreStiftung des Catharinen - Ordens. der Czarinn den St. Catharinen-Orden, das Anden - ken der Liebe und Treue zu verewigen, die ſie ihm in ſeiner ungluͤcklichen Lage, als er am Prut von den Tuͤrken umringet und in die aͤußerſte Verlegenheit verſetzt war, erwieſen hatte. Das Zeichen dieſes Ordens iſt eine Schaumuͤnze mit Diamanten und mit dem Bilde der heiligen Catharina und den Worten: Fuͤr Liebe und Treue. Die Medaille haͤngt an ei - nem weißen breiten Bande, das auf der rechten Schulter getragen wird. Die Kaiſerinn hatte die Freyheit, den Orden von ihrem Geſchlechte zu geben, wem ſie wollte, und ſie erſchien am St. Andreasfeſte zum erſten Mahle damit. Die Czarinn ertheilte ihn zuerſt ihren beyden Toͤchtern, der Prinzeſſinn Anna, die hernach an den Herzog von Holſtein vermaͤhlet wurde, und der Prinzeſſinn Eliſabeth, nachmaligen Kaiſerinn von Rußland, und einige Zeit hernach gab ſie ihn auch des Kaiſers drey Nichten, den Toͤchtern des Czars Johannes, naͤmlich der Anna, verwittwe - ten Herzoginn von Curland, der Herzoginn Cathari - na von Mecklenburg, und der Prinzeſſinn Paskovia, wie auch der Prinzeſſinn Menzikof.

Nachdem der Czar mit unendlicher Muͤhe und1715. Verwirrung in den Fi - nanzen. Fleiße die Urſachen der Unordnungen, die ſich in die Verwaltung ſeiner Finanzen eingeſchlichen, unterſuchtund160und endlich entdeckt hatte, woher es gekommen war, daß ſeine Armee und Flotte ſo ſchlecht bezahlet wur - den und ſo viel gelitten hatten, daß viele tauſend Ar - beiter aus Mangel an Lebensmitteln elend umgekom - men waren, (es wurde berechnet, daß faſt 100000 Menſchen ihr Leben in Petersburg verloren hatten,) daß ſeine Handlung abgenommen, und die Einkuͤnfte in Verwirrung waren: ſo faßte er einen feſten Ent - ſchluß, dieſen Uebeln abzuhelfen, und ſetzte zu Anfan - ge 1715, unter der Aufſicht des Knes Dolgoruky, ein großes Gericht nieder, gewiſſe Perſonen von aller - ley Stande zu verhoͤren, von denen man ſagte, daß ſie ihn um viele Millionen betrogen haͤtten.

Beſtrafung vieler Ver - brecher.
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Dieſe Unterſuchung traf die Meiſten von den Großen in Rußland, und ſie mußten Rechenſchaft von ihrem Verhalten geben. Der Groß-Admiral Apraxin, Fuͤrſt Menzikof, und Feldzeugmeiſter Bru - ce, entſchuldigten ſich, daß ſie entweder in fremden Laͤndern, oder mit der Armee zu Felde geweſen waͤren, daß ſie alſo nicht im Stande geweſen waͤren, das uͤble Verhalten ihrer Untergeordneten zu entdecken oder zu verhindern, und alſo nicht wuͤßten, was zu der Zeit in ihren eigenen Haͤuſern vorgegangen ſey, und dieſe Entſchuldigung wurde angenommen. Allein ihre un - getreuen Beamten litten fuͤr ihre Untreue, wie auch alle andere, die ſich nicht rechtfertigen konnten. Kor - ſakof, der Vice-Gouverneur von Petersburg, Kekin, der Praͤſident, und Sinawin, erſter Commiſſaͤr der Admiralitaͤt, nebſt einer unglaublichen Menge ande - rer Beamten vom zweyten und dritten Range, wur - den zur Rechenſchaft gefordert. Korſakof bekam die Knute oͤffentlich, desgleichen auch Apuchin undWolchon -161Wolchonſky, beyde Senatoren, und es wurden ihnen die Zungen mit gluͤhenden Eiſen gebrannt. Einige vom niedrigern Range wurden mit der Batogge ge - zuͤchtiget, und nach Siberien und in andere entlegene Oerter geſchickt, und ihr ganzes Vermoͤgen confiscirt. Viele kamen auf die Tortur, daß ſie die Wahrheit bekennen ſollten, indem nach ihren Geſetzen niemand, wenn auch die Sache noch ſo deutlich wider ihn bewie - ſen wird, beſtraft werden kann, wenn er die That nicht ſelbſt geſtehet.

Die ſchaͤrfſte Tortur, die ſie haben, iſt die Stra - pado, die folgender Maßen geſchieht. Man bindet dem Uebelthaͤter die Haͤnde auf den Ruͤcken und ein ſtarkes Holz an die Fuͤße, und haͤnget ihn ſo auf. Hierauf zieht der Henker ihn zu verſchiedenen Mahlen in die Hoͤhe, und renkt ihm die Arme aus, welches ſehr große Schmerzen verurſacht. Es wird ein Feuer unter ſeinen Fuͤßen gemacht, deſſen Rauch ihn beyna - he erſtickt und die Hitze brennt. Wenn man dieſe Tortur noch ſchaͤrfer machen will, ſo ſchiert man ihm den Kopf, und wenn er nun, wie oben erwaͤhnet wor - den, aufgehangen iſt, ſo laͤßt man kaltes Waſſer aus einer ziemlichen Hoͤhe auf ſeinen Wirbel herab triefen, welches die ſchmerzhafteſte Quaal iſt, die nur erfunden werden kann.

Nachdem dieſe Jnquiſition, wodurch ganz Pe -Der Czar er - richtet Fis - caͤle. tersburg mit Beſtuͤrzung war erfuͤllet worden, geen - diget war, ſo wurden die Angelegenheiten, um kuͤnf - tig dergleichen Betruͤgereyen bey den Commiſſarien zu verhuͤten und dem Volke die Laſt zu erleichtern, auf einen viel beſſern Fuß geſetzet, und eine ganz neue Art von Beamten, die Fiscaͤle oder Angeber hießen,Leingeſe -162eingeſetzet. Der General-Fiscal mußte beſtaͤndig bey dem Czar ſeyn; auch bey der Armee wurde ein Ober-Fiscal beſtellt, desgleichen geſchah auch bey der Flotte und in jedem Gouvernement. Bey jedem Re - gimente, Schiffe oder Garniſon, und in jedem Ge - richte der Nation, wurde ein ordentlicher Fiscal ge - ſetzt, deren Geſchaͤft war, alles, was ſie unrechtes in dem Dienſte oder der Verwaltung wahrnahmen, an die Ober-Fiscaͤle zu berichten, die es wieder dem Ge - neral-Fiscal melden mußten, der alsdann ihre Berich - te dem Czar vorlegte.

Vor dieſer Art Leute fuͤrchtete man ſich mehr, als vor dem Czar ſelbſt. Einige von ihnen waren ſehr zaͤnkiſch, und brachten oft Leute ohne Urſache in Un - gelegenheit, wovon es mehr als zu viele Beyſpiele gab. Als der Czar dieſes wahrnahm, ſo ließ er ih - nen, um dieſes zu verhindern, eben dieſe Strafe an - thun, wenn ſie ihren Bericht nicht beweiſen konnten, als ſie andern zuzuziehen gedachten, und dieſes noͤ - thigte ſie, kuͤnftig vorſichtiger zu ſeyn. Deſſen un - geachtet mußten diejenigen, von denen etwas einge - geben war, vieles leiden, indem ſie von dem Augen - blicke an, da ſie in Arreſt genommen wurden, ih - res Gehaltes beraubet wurden, und keinen Anſpruch eher darauf machen konnten, bis ſie ihre Unſchuld be - wieſen hatten und wieder in ihr Amt geſetzet worden waren; und wenn ſie dieſes noch ſo gut thaten, ſo be - kamen ſie doch den ruͤckſtaͤndigen Sold ſehr ſelten. Beym Urlaube bekam keiner eher Sold, als bis er wieder Dienſte that. Wenn ein Officier, der ein ge - bohrner Ruſſe war, von einem Kriegsgerichte fuͤr ſchul - dig erkannt wurde, daß er ſeine Pflicht verſaͤumethabe,163habe, ſo wurde er gemeiniglich verurtheilt, als Ge - meiner zu dienen, und gelangte nie wieder zu ſeinem vorigen Range, wenn ihn nicht ſein Verdienſt beſon - ders erhob, und auch alsdann verlohr er das Recht des Dienſtalters. Hier muß ich bemerken, daß, wenn dieſes nicht bey den Ruſſen geſchaͤhe, ſo wuͤrde ſich der groͤßte Theil bemuͤhen reduciret zu werden, um von den Soldaten los zu kommen. Der Unter - ſchied unter dem Solde der Eingebohrnen und der Fremden verurſacht bey ihnen vieles Mißvergnuͤgen, und das mit Recht. Officiers von gleichem Range und in eben demſelben Regimente, werden auf drey verſchiedene Arten beſoldet: z. E. ein Capitaͤn, der ein Auslaͤnder iſt, hat monatlich 18 Rubel; ein Ca - pitaͤn, von auslaͤndiſchen Aeltern, aber in Rußland gebohren, hat 14; und ein gebohrner Ruſſe nur 12 Rubel; und ſo durch alle Staͤnde der Soldaten nach Beſchaffenheit. Dieſes macht, daß ſie die Auslaͤnder mit ſcheelen Augen anſehen.

Der Czar ſtellte nunmehr oͤfters in ſeinem Win -Luſtbarkeite bey Hofe. ter - und Sommer-Pallaſte, und nicht wie vorher in Menzikofs Pallaſte, Baͤlle und Luſtbarkeiten an. Weil ihm dieſes aber zu unbequem war, ſo ließ er zwiſchen beyden in der Mitte ein großes Haus zu ei - nem General-Poſtamte mit großen Zimmern eine Treppe hoch zu oͤffentlichen Baͤllen und Unterhaltun - gen bauen. Aber an großen Feſttagen und bey auſ - ſerordentlichen Gelegenheiten wurden ſie auf dem Se - nathauſe gehalten. Zwiſchen dieſem und der Fe - ſtung war ein großer Platz, worauf die Feuerwerke abgebrannt wurden. Bey dieſen oͤffentlichen Zuſam - menkuͤnften wurden viele Tafeln fuͤr Perſonen vonL 2allen164allen Staͤnden gedeckt: eine fuͤr den Czar und die Großen, eine fuͤr die Geiſtlichkeit, eine fuͤr die Offi - ciers von der Armee, eine fuͤr die von der Flotte, eine fuͤr Kaufleute, Schiffbauleute und auslaͤndiſche Schif - fer ꝛc. alle in verſchiedenen Zimmern. Die Czarinn und die Frauenzimmer hatten ihre Zimmer eine Trep - pe hoͤher. Dieſe Tafeln wurden alle mit kalten Spei - ſen, mit Gebacknem von aller Art und etlichen warmen Gerichten beſetzt, und zu Ende derſelben wurde ge - meiniglich ſtark getrunken. Nach der Mahlzeit gieng der Czar aus einem Zimmer und von einer Tafel zur andern, und unterhielt ſich mit allen Gaͤſten von ihrem Geſchaͤfte und Gewerbe, beſonders aber mit den Herren auslaͤndiſcher Kauffartheyſchiffe, und erkundig - te ſich nach den verſchiedenen Waaren, womit ſie han - delten. Bey dieſer Gelegenheit habe ich geſehen, daß die hollaͤndiſchen Schiffer auf eine ſehr vertraute Art mit ihm umgiengen, denn ſie nannten ihn nicht anders als Schiffer Peter, welches der Czar uͤber - aus gerne hoͤrte. Er machte ſich die von ihnen erhal - tenen Nachrichten ſehr wohl zu Nutze, und ſchrieb ſie beſtaͤndig in ſeine Schreibtafel.

Slitters Perpetuum mobile.
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Der Czar hatte einen gewiſſen Herrn Slitter, ei - nen beruͤhmten Baumeiſter, nebſt einer Menge ge - ſchickter Arbeiter in ſeine Dienſte genommen, und ih - nen eine Wohnung in ſeinem Sommerpallaſte gege - ben, damit er beſtaͤndig nahe bey ihm ſeyn moͤge. Dieſer Herr war damals mit Erbauung vieler Pal - laͤſte, Haͤuſer, Akademien, Manufacturen, Buch - druckereyen ꝛc. uͤberaus beſchaͤftiget, und da er zu Ent - werfung ſeiner Plane ſehr wenig Gehuͤlfen hatte, ſo bot ich ihm hierinn meinen Beyſtand an, wenn ermich165mich in der Baukunſt unterrichten wollte, welchen er auch willig annahm, ſo daß ich taͤglich bey ihm war. Da nun der Czar ſehr oft bey ihm war und meine Zeichnungen ſahe, ſo gefielen ſie ihm ſo ſehr, daß ich ihm hernach viele Plane in der Kriegs - und Civil - Baukunſt machen mußte.

Da Herr Slitter von ſehr ſchwacher und kraͤnk - licher Leibesconſtitution war und durch die immerwaͤh - renden Geſchaͤfte ſehr abgemattet wurde, ſo ward er krank und ſtarb, nachdem er nur ein einziges Jahr in Petersburg geweſen war. Er hatte ſehr viel Zeit auf die Erfindung eines Perpetuum Mobile gewendet, und dadurch ſeine Geſundheit ſehr geſchwaͤcht. Doch hatte er es, ehe er ſtarb, noch dahin gebracht, daß es gieng. Das Modell war eine runde meſſingene Ma - ſchine, die 18 Zoll tief und 2 Ellen im Durchſchnitte breit war, und inwendig rings herum meſſingene hohle Platten 4 Zoll lang hatte, worein eine Kanonenku - gel geleget wurde. Die Platten wurden von Federn bewegt, und trieben die Kugel beſtaͤndig herum. Jede von dieſen Platten trieb verſchiedene Raͤder, die viele verſchiedene Bewegungen verurſachten. Weil aber die Federn und Raͤder oft zerbrachen, ſo wurde ſehr viel Zeit zu ihrer Ausbeſſerung erfordert. Wenn Herr Slitter daran arbeitete, ſo ſchloß er ſich beſtaͤn - dig ein, und es war außer dem Czar, der oͤfters mit ihm eingeſchloſſen war, niemanden erlaubt, hinein zu gehen. Nach ſeinem Tode beſchaͤftigte ſich ſein Nach - folger damit; da aber auch dieſer kurz darauf krank wurde und ſtarb, ſo ward die Maſchine eingeſchloſſen, und ich habe niemals erfahren, ob es nach dieſem Je - mand unternommen hat, ſie fertig zu machen. DennL 3ich166ich habe ſie, waͤhrend der Zeit, da ich mich auf die Baukunſt legte, nicht mehr als zweymal geſehen.

Der alte Finlaͤnder.
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Um dieſe Zeit ſchickte der Knes Golitzin, Gene - ral unſerer Armee in Finland, einen Mann, der 120 Jahr alt, und noch von geſunder Leibesbeſchaffenheit war, den Gebrauch aller ſeiner Sinne hatte, und noch gut gehen konnte, nach Petersburg. Der Czar mach - te ſich ein großes Vergnuͤgen daraus, ſich mit ihm zu unterhalten, und bot ihm an, bey Hofe zu bleiben, und daſelbſt ſein Leben in Ruhe zu endigen. Aber der alte Mann bat, ihm die Erlaubniß zu geben, wie - der in ſein Vaterland zuruͤck zu gehen, und ſagte, daß er an ſchwere Arbeit und ſchlechte Koſt gewohnt ſey, und, wenn er jetzt ſeine Lebensart aͤndern ſollte, dieſes in kurzem ſeinen Tod beſchleunigen wuͤrde. Wenn es ihm alſo erlaubt ſey, nach ſeiner vorigen Art zu leben, ſo hoffe er, daß Gott noch einige wenige Jahre zu ſeinen vorigen Tagen hinzufuͤgen wuͤrde. Der Czar machte ihm alſo ein Geſchenk und ſchickte ihn wieder nach Hauſe, und ich erfuhr ſechs Jahre hernach, daß er noch lebe.

Dieſen Winter war hier ein ſo ſtrenger Froſt, daß vielen ihre Naſen, Ohren, Finger und Zaͤhen er - froren. Es war auch etwas gewoͤhnliches, daß Leu - te, wenn ſie bey einander vorbey giengen, einander zuriefen, die Naſe in Acht zu nehmen, denn dieſer Theil empfindet die Kaͤlte nicht, hingegen wird es ein anderer gewahr, indem die Naſe alsdann weiß wird. Das einzige Mittel iſt, ſie ſo lange mit Schnee zu reiben, bis ſie ihr Gefuͤhl wieder bekommen hat. Alsdann iſt es gefaͤhrlich, in eine Stube zu gehen, weil gemeiniglich der Verluſt des erfrornen Theiles die Folge davon iſt. Zu Ende des Septembers ge -fror167fror die Newa in 24 Stunden ſo ſtark, daß man dar - uͤber gehen konnte, welches von den großen Eisſchol - len herruͤhrte, die aus der Ladogaſee herunter kamen. Sie gefroren an einander an, und weil der ſtarke Strom ein Stuͤck auf das andere trieb, ſo ward das Eis ſehr dick und uneben, ſo daß man die Wege von ei - nem Theile der Stadt zu dem andern hauen mußte. Das Eis brach nicht eher als den 1 ſten May auf, und es wurde dem Volke durch einen Kanonenſchuß ein Zeichen gege - ben, daß es ſich nicht mehr darauf wagen ſollte. Es gieng hierauf ploͤtzlich mit einem großen Getoͤſe auf, und nach 2 oder 3 Stunden war alles fort; ein Theil davon geht in die See, aber der groͤßte Theil ſinkt zu Boden. Die - ſer Warnung ungeachtet, ertrinken jeden Fruͤhling, weil der Aufbruch ſo ploͤtzlich geſchieht, viele Perſonen.

Da man mir oͤfters geſaget hatte, daß die BaͤrenVerſuch mit einem Baͤ - ren. den ganzen Winter unter dem Schnee begraben laͤgen, und weiter nichts zu leben haben, als daß ſie an den Pfoten ſaugen, und mir dieſes unglaublich zu ſeyn ſchien, ſo ſchaffte ich mir einen jungen Baͤren an, und erzog ihn, bis er ſehr groß wurde. Jch befeſtigte einen Pfahl, worauf ein Rad lag, in die Erde, machte dem Baͤr eine Kette um den Hals und einen Ring um den Pfahl, und ſetzte ihm einen großen Kaſten hin, daß er darinn liegen konnte. Er kletterte an dem Pfahl hinauf, ſetzte ſich auf das Rad, und machte ſeltſame Poſſen, die ſehr luſtig anzuſehen waren. Jch fuͤr - terte ihn mit Brot und Hafer, und gab ihm niemals Fleiſch. Er riß ſich zuweilen los, und lief in ein Gewoͤlbe, das in meiner Nachbarſchaft war, wo ſie Honig verkauften, und fraß ſich ſatt, weil ſich jeder - mann vor ihm fuͤrchtete, und ihn niemand fortjagte. L 4Sobald168Sobald zu Anfange des Winters Schnee gefallen war, begab er ſich in ſeinen Kaſten, und blieb einen Monat darinn, ohne heraus zu kommen, und hatte alſo nichts zu freſſen, als an ſeinen Pfoten zu ſaugen. Jch legte Brot an die Thuͤr ſeiner Huͤtte, er kam aber niemals heraus, es zu freſſen; doch fraß er es, wenn es ihm hineingeworfen wurde. Jm Fruͤhlinge kam ein junges Schwein ſeiner Huͤtte zu nahe; dieſes zog er hinein, daß wir es mit aller Muͤhe nicht retten konnten, und als er einmal Fleiſch und Blut gekoſtet hatte, ſo wur - de er ſehr grauſam, und griff jedermann an, der ihm zu nahe kam. Jch mußte ihn alſo toͤdten, und bediente mich ſeiner Haut zur Satteldecke. Es iſt merkwuͤrdig, daß er, wenn er geſchlagen wurde, ſeine Naſe zwiſchen ſeine Vorderpfoten ſteckte, weil er aus einer einge - pflanzten Kenntniß die Schwaͤche ſeiner Natur kennt, denn der geringſte Schlag auf die Naſe toͤdtet ihn.

Art ſie zu toͤdten.
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Die Ruſſen toͤdten deren jeden Winter viele tauſend, um ihre Haͤute zu bekommen, und eſſen bloß ihre Pfoten, die fuͤr ein gutes Gericht gehalten werden. Sie ſchieſ - ſen keinen, weil ſie die Haut verderben moͤchten, ſon - dern, weil die Baͤren gemeiniglich ihre Huͤtten an den Wurzeln eines Baumes bauen, ſo merken ſie ſich den Baum, und wenn ſie nun unter dem Schnee begra - ben liegen, ſo macht der heraufſteigende Brothem ihres Athems ein Loch in den Schnee, wodurch man ihre Hoͤlen entdeckt. Die Landleute gehen ihrer viele mit einander auf dieſe Jagden, um nicht im Schnee zu verſinken; ſie umringen den Ort, wo er iſt, machen einen Laͤrm, und ſcheuchen ihn aus ſeiner Huͤtte, und da er nicht in dem lockern Schnee gehen kann, ſo wird er gemeiniglich durch einen Schlag auf die Naſe getoͤdtet.

Fuͤnftes169

Fuͤnftes Buch.

Landung in Schweden. Die Geburt Peters des Enkels des Kaiſers, und der Prinzeſſinn ſeiner Mutter Tod. Die Geburt des Peter Petrowitz, Sohnes des Kaiſers. Ein Carneval. Des Czars doppelter Adler. Des Czars Aufmerkſamkeit, ſeine Hauptſtadt und ſein Land zu verbeſſern. Seine Belohnungen und Strafen bey der Miliz. Dreyßig große Grenadiers fuͤr den Koͤnig von Preuſſen. Ein ſchrecklicher Mord in Riga. Contributionen in Danzig. Sein Entwurf Wißmar weg zu nehmen. Unterredung mit dem Koͤnige von Daͤnnemark und Ankunft in Ko - penhagen. Die vereinigten Flotten. Die Daͤnen werden in Schrecken geſetzt. Schlagen den Truppen die Lebensmittel ab. Eine Unterre - dung mit dem Koͤnige in Daͤnnemark in ſeiner Hauptſtadt, und deren Folgen. Geſchichte des Generallieutenants Bohn. Unterdruͤckungsſy - ſtem des Herzogs von Mecklenburg. Das Elend ſeines Volks. Der Czarowitz verſchwindet. Der Capitaͤn ſchlaͤgt die Erlaubniß, die Ruſſiſchen Dienſte zu verlaſſen, aus. Des Czars Zuruͤck - kunft von Paris. Die Zuruͤckkunft ſeiner Ar - mee nach Petersburg. Denen in ſeiner Abwe - ſenheit vorgefallenen Unordnungen wird abgehol - fen. Verſuch einen Weg durch Norden nach Jndien zu finden. Die ungluͤckliche Expedition des Fuͤrſten Bockwitz. Eine neue Einrichtung in Petersburg, und Seidenmanufactur in Moskau.

L 5Was170
Landung in Schweden.
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Was die Operationen der Campagne dieſes Jah - res betrifft, ſo wurde der Feldmarſchall, Graf Tſcheremetof, im Monat Maͤrz mit 12000 Mann abgeſchickt, die Armee der Alliirten in Pommern zu verſtaͤrken, die Wißmar, den einzigen Ort, den der Koͤnig von Schweden noch in Deutſchland hatte, wegnehmen ſollte.

So bald als kein Eis mehr auf dem Fluſſe und auf der See war, ſetzte der Czar ſeine Truppen auf Galeeren, und gieng mit ihnen nach Cronſlot, wo er zu ſeiner Flotte ſtieß, die aus 50 Schiffen von der Linie beſtand. Von hier ſegelte er nach Reval, blieb bis zu Ende des Junii daſelbſt, und gieng hierauf nach Gothland, und ſtellte ſeine Flotte ſo, daß die Schweden keine Verſtaͤrkung aus Stockholm nach Pommern ſchicken konnten. Unterdeſſen wurde ein Corps Cavallerie von der Armee in Finland um den Bothniſchen Meerbuſen herum geſchickt, in die noͤrd - lichen Provinzen von Schweden einzudringen, wel - ches dieſes Koͤnigreich in große Beſtuͤrzung verſetzte. Gegen die Mitte des Septembers gieng der Czar nach der Kuͤſte von Suͤdermannland, und landete bey Je - vel mit 15000 Mann wenige Meilen von der Schwe - diſchen Armee, und nachdem er das Land rings um ſie herum verwuͤſtet hatte, gieng er mit einer großen Beute wieder zu Schiffe nach Reval und von da nach Petersburg, wo er zu Anfange des Octobers ankam.

Geburt eines Enkels des Kaiſers.
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Den 22ſten dieſes Monats wurde die Kaiſerliche Prinzeſſinn, Gemahlinn des Czarowitz, von einem Sohne entbunden, der in der Taufe den Nahmen Peter, und zu großer Freude des Czars den Titel Großherzog erhielt. Allein dieſe Freude wurde balddurch171durch den Tod der Prinzeſſinn, die ihn zur WeltTod der Prinzeſſinn. gebracht hatte, wieder unterbrochen, indem ſie den 9ten Tag nach ihrer Niederkunft, im 21ſten Jahre ihres Alters verſtarb, nachdem ſie 4 Jahre und 6 Tage an einen Gemahl, der einer ſo tugendhaften und wuͤrdigen Prinzeſſinn gaͤnzlich unwuͤrdig war, vermaͤhlt geweſen war. Als ſie uͤberzeugt war, daß ſich ihr Ende herannahe, ſo verlangte ſie den Czar zu ſprechen, von dem ſie, als er zu ihr kam, auf die ruͤhrendſte Art Abſchied nahm, und ihre zwey Kinder ſeiner Sorgfalt und ihre Bedienten ſeinem Schutze empfahl. Nachdem ſie ihre Kinder umarmet und mit den Thraͤnen muͤtterlicher Liebe benetzt hatte, ſo uͤbergab ſie ſelbige dem Czarowitz, der ſie in ſeine Zim - mer trug, aber nicht wieder zuruͤck kam, oder ſich im geringſten nach ihrer Mutter und ſeiner liebenswuͤrdi - gen Gemahlinn erkundigte. Er hatte ſeit dem Tage ihrer Vermaͤhlung bis an ihren Tod niemals, auch nicht einmal bey der gegenwaͤrtigen ruͤhrenden Scene, die geringſte zaͤrtliche Hochachtung oder Sorgfalt fuͤr ſie bezeiget, daß man alſo von ihr ſagen kann, daß ſie wirklich ungluͤcklich geweſen iſt. Als ihr die Aerz - te einige Arzeney einzunehmen riethen, ſagte ſie mit einiger Bewegung des Gemuͤths: Quaͤlen ſie mich nicht mehr, laſſen ſie mich ruhig ſterben, denn ich will nicht laͤnger leben. Sie ſtarb den erſten Novem - ber, und ihr entſeelter Leichnam wurde, weil ſie es verlangt hatte, den 7ten in der großen Kirche der Feſtung, mit allem ihrer Geburt gehoͤrigen Pomp und Ehrenbezeugungen, ohne einbalſamiret zu werden, beygeſetzt.

Gleich172
Geburt des Peter Petro - witz.
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Gleich den Tag darauf, als die Prinzeſſinn war beerdiget worden, gebahr die Kaiſerinn, zur unaus - ſprechlichen Freude des Czars, einen Prinzen. Bey dieſer Gelegenheit waͤhrten die Freudenbezeugungen acht ganzer Tage, und er erhielt in der Taufe eben - falls den Nahmen Peter. Die Solennitaͤten wur - den bey dieſer Gelegenheit mit außerordentlichem Pomp begangen, als praͤchtigen Gaſtmahlen, Baͤllen und Feuerwerken. Bey einem dieſer Gaſtmahle wur - den drey ſehr beſondere Paſteten aufgeſetzt. Als die erſte auf der Tafel der Großen geoͤffnet wurde, ſo trat eine nackende Zwerginn heraus, die nichts als einen Kopfputz aufhatte; ſie hielt eine Rede an die Geſell - ſchaft, und hierauf wurde die Paſtete weggetragen. Auf die Tafel der Damen wurde auf eben dieſe Art ein Zwerg aufgeſetzt, und aus der dritten, auf der Ta - fel der Herren, kam ein Flug von zwoͤlf Rebhuͤnern, mit einem ſolchen Laͤrm, daß die ganze Geſellſchaft daruͤber erſtaunte. Des Abends wurde ein praͤchti - ges Feuerwerk zu Ehren des neugebohrnen Peters ab - gebrannt, wobey verſchiedene Deviſen brannten, oben darauf aber ſahe man mit großen Buchſtaben folgen - de Jnſchrift:

Hoffnung mit Geduld.

Ein Carne - val.
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Auf dieſe Freudenbezeugungen folgte ein Carne - val. Nachdem der Czar die Wuͤrde des Patriarchen aufgehoben und die großen Einkuͤnfte derſelben mit der Krone vereiniget hatte, und den Charakter des Pa - triarchen dem Volke laͤcherlich machen wollte, ſo mach - te er ſeinen Hofnarren Sotof, der jetzt in ſeinem 84ſten Jahre war, zum Spott-Patriarchen, der bey dieſer Gelegenheit an eine muntere Wittwe von34 Jah -17334 Jahren verheirathet, und die Hochzeit dieſes auſ - ſerordentlichen Paares von ungefaͤhr 400 Perſonen beyderley Geſchlechts in einer Masquerade begangen wurde, wobey allemal vier Perſonen ihre beſondere Kleidung und Muſik hatten. Die vier Perſonen, die die Geſellſchaft einladen mußten, waren die vier groͤßten Stammerer im ganzen Reiche; die vier Laͤu - fer waren die allerlangſamſten, dickſten Podagriſten, die nur gefunden werden konnten; die Brautfuͤhrer, Aufſeher und Aufwaͤrter waren ſehr alte Manner, und der Prieſter, der ſie traute, war faſt 100 Jahr alt. Die Proceſſion, die von des Czars Pallaſte aus und auf dem Eiſe uͤber den Fluß in die große Kirche nahe beym Senathauſe gieng, geſchah in fol - gender Ordnung. Zuerſt kam ein Schlitten mit vier Laͤufern; dann ein Schlitten mit den Stammerern, den Brautfuͤhrern, Aufſehern und Aufwaͤrtern; hier - auf folgte der Knes Romadanofski, der After-Czar, der in ſeiner Kleidung den Koͤnig David vorſtellte, anſtatt der Harfe aber eine mit einer Baͤrenhaut be - deckte Leyer hatte, darauf zu ſpielen. Da er die Hauptperſon in dem Schauſpiele war, ſo war auch ſein Schlitten wie ein Thron gebauet, und er hatte des Koͤnig Davids Krone auf dem Kopfe, an jede Ecke des Schlittens aber war ein Baͤr ſtatt der Laͤufer gebun - den, und einer ſtand hinten darauf und hielt den Schlitten mit ſeinen zwey Pfoten. Die Baͤren wurden die ganze Zeit uͤber mit Stacheln geſtochen, und bruͤllten auf eine fuͤrchterliche Art. Hierauf folg - ten Braut und Braͤutigam auf einem mit Fleiß erhoͤhe - ten Schitten, der von Liebesgoͤttern umgeben war, von denen jeder ein großes Horn in ſeiner Hand hielt. Vorne174Vorne auf dem Schlitten war anſtatt des Kutſchers ein großer Bock mit großen Hoͤrnern, und hinten ſtatt des Bedienten ein Ziegenbock. Hinter dieſem folgte eine Menge Schlitten, deren jeder von vier andern Thieren, als Boͤcken, Ziegen, Rehen, Ochſen, Baͤ - ren, Hunden, Woͤlfen, Schweinen und Eſeln gezo - gen wurden. Alsdann kamen viele Schlitten, jeder mit ſechs Pferden, auf welchen ſich die Geſellſchaft befand. Die Schlitten waren lang, und hatten in der Mitte eine lange mit Haaren ausgeſtopfte und mit Tuch beſchlagene Bank, ſo daß in jedem Schlit - ten 20 Perſonen wie auf einem Pferde hinter einander ſaßen. Als die Proceſſion ihren Anfang nahm, wurden alle Glocken in der Stadt gelaͤutet, und alle Trommeln in der Feſtung, darauf ſie zugieng, wur - den auf den Waͤllen geruͤhret. Die verſchiedenen Thiere wurden gezwungen, zu ſchreyen; die ganze Geſellſchaft ſpielte oder rumpelte auf ihren verſchiede - nen Jnſtrumenten, und machte einen unbeſchreibli - chen verwirrten Laͤrm. Der Czar und ſeine drey Ge - ſellſchafter, der Fuͤrſt Menzikof, und die Grafen Apra - xin und Bruce, waren wie Frieslaͤndiſche Bauern ge - kleidet, jeder mit einer Trommel. Aus der Kirche gieng die Proceſſion in den Pallaſt zuruͤck, wo die ganze Geſellſchaft bis um Mitternacht bewirthet wur - de, und alsdann gieng die Proceſſion mit Fackeln in das Haus der Braut, das verheirathete Paar zu Bet - te zu bringen.

Dieſes Carneval dauerte zehn Tage. Die Ge - ſellſchaft gieng taͤglich von einem Hauſe zum andern, wo immer Tafeln mit kalten Speiſen beſetzt ſtanden; uͤberall wurde ſo vieles ſtarke Getraͤnk gegeben, daßwaͤhrend175waͤhrend dieſer Zeit kaum eine nuͤchterne Perſon in Petersburg zu finden war. Den 10ten Tag gab der Czar im Senathauſe ein großes Gaſtmahl, und zu Ende deſſelben bekam jeder Gaſt ein großes Glas mit einem Deckel, der doppelte Adler genannt, worinn ei - ne große Bouteille Wein war, die jeder austrinken mußte. Um dieſes zu vermeiden, ſchlich ich mich davon, und machte dem wachhabenden Officier weiß, daß ich von dem Czar weggeſchickt wuͤrde, welches er auch glaubte und mich gehen ließ. Jch begab mich daher in des Herrn Keldermanns Haus, der vor die - ſem einer von des Czars Hofmeiſtern geweſen war, und noch in großen Gnaden bey ihm ſtand. Herr Keldermann folgte mir bald nach, hatte aber ſeinen doppelten Adler getrunken, und beklagte ſich, daß er vom Trinken krank ſey. Er ſetzte ſich an ſeinen Tiſch, legte ſich mit dem Kopfe darauf, und ſchien einge - ſchlafen zu ſeyn. Da dieſes etwas gewoͤhnliches bey ihm war, ſo gaben ſeine Frau und ſeine Toͤchter nicht Achtung darauf, bis ſie nach einiger Zeit gewahr wur - den, daß er ſich nicht bewegte und keinen Athem holte, und endlich nahe zu ihm kamen, und ihn ſtarr und todt fanden, wodurch die Familie in große Verwir - rung gerieth. Weil ich die Hochachtung wußte, in der er bey dem Czar geſtanden, ſo gieng ich und hin - terbrachte ihm den ploͤtzlichen Tod des Herrn Kelder - manns. Seine Beſtuͤrzung uͤber dieſe Begebenheit fuͤhrte ihn ſogleich in das Haus, wo er die Wittwe wegen des Verluſts ihres Ehemannes bedauerte, und ein anſtaͤndiges Begraͤbniß fuͤr den Verſtorbenen auf ſeine Koſten veranſtaltete, ihr auch einen jaͤhrlichen Gehalt ausſetzte. So endigte ſich das Geraͤuſch desCarne -176Carnevals. Allein es dauerte einige Zeit, ehe die Glieder deſſelben wieder zu Verſtande kommen konnten.

1716.
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Am 14ten Januar 1716 ſtarb Martha Apra - xin, verwittwete Czarinn, Wittwe des Czars Feodor, des Kaiſers aͤlteſten Bruders, im 51ſten Jahre ihres Alters, welche nicht laͤnger als vier Wochen im Ehe - ſtande gelebt hatte. Jhr Begraͤbniß geſchahe bey Fackeln und ihrem hohen Stande gemaͤß. Der Leichnam wurde in die Kirche in der Feſtung beyge - ſetzt, wo bereits ein Prinz, zwey Prinzeſſinnen, des Czars Kinder, und die Kaiſerliche Prinzeſſinn ſtanden.

Verbeſſerun - gen im Rei - che und in der Haupt - ſtadt.
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Waͤhrend dieſer Zeit war der Kaiſer unermuͤdet, ſein Land zu verbeſſern, und baute nicht allein Schiffe, Feſtungen und Haͤuſer, ſondern verſah auch ſeine Akademie mit geſchickten Lehrern, alle Zweige der zur Erziehung junger Edelleute noͤthigen Wiſſenſchaf - ten vorzutragen. Er errichtete auch Druckereyen, die mit geſchickten Ueberſetzern aus allen Sprachen verſe - hen waren, die alle damals in Europa vorhandenen guten Buͤcher in die Ruſſiſche Sprache uͤberſetzten, und ſeine auswaͤrtigen Agenten kauften in Auctionen die beſten Buͤcher und ganze Bibliotheken. Man muß in der That erſtaunen, daß man deren ſchon eine ſol - che Menge in Petersburg ſiehet. Es befand ſich hier auch bereits ein ſchoͤnes Cabinet von Seltenhei - ten, worinn man alles fand, was in allen Theilen der Welt nur merkwuͤrdiges vorhanden iſt, wie auch eine ſchoͤne Sammlung von Muͤnzen, Medaillen ꝛc. wor - uͤber Herr Schuhmacher, ein rechtſchaffner und ge - lehrter Mann, der vor dieſem bey dem Doctor Er - ſkine, dem Leibarzte des Kaiſers, Secretair geweſen,geſetzt177geſetzt war. Der beruͤhmte Gottorpiſche Globus, der mit großen Koſten nach Petersburg gebracht wor - den, war ein Geſchenke von dem Koͤnige in Daͤnne - mark. Der Koͤnig von Preuſſen machte dem Czar mit einem Bernſtein-Cabinette ein Geſchenk, welches unter die groͤßten Seltenheiten dieſer Art in Europa gerechnet wurde. Man ſahe daſelbſt auch eine ſchoͤne Sammlung wilder Thiere, Voͤgel ꝛc. einen der groͤß - ten Elephanten in ganz Aſien, Rennthiere mit ihren Schlitten und lapplaͤndiſche Bauern, Venetianiſche Gondeln mit ihren Gondelieren ꝛc. welches alles bewei - ſet, daß der Czar die Abſicht hatte, Rußland mit der Zeit der Aufmerkſamkeit jedes Reiſenden wuͤrdig zu machen.

Jn Moskan errichtete er große Tuch - und Lein - wand-Manufacturen, wie auch unter der Direction der Englaͤnder Glashuͤtten, Fenſter - und Spiegelglaͤ - ſer zu machen. Die Ruſſen hatten ſich vorher zu ih - ren Fenſtern und Kutſchen bloß des Marienglaſes be - dienet, und bey der Erbauung Petersburgs mußten ſie alles Glas aus England holen. Ob ſie gleich jaͤhrlich eine große Menge Hanf in alle Theile von Europa ausfuͤhrten, ſo waren ſie doch genoͤthiget, ihr Seegeltuch und Seilwerk, das auswaͤrts aus ih - rem Hanfe verfertiget worden, nach Rußland zu ho - len. Dieſem Uebel abzuhelfen, errichtete der Czar in Moskau, Novogorod und Petersburg Seegeltuch - und Tau-Manufacturen; und damit es zur Verbeſſe - rung ſeines Landes an nichts fehlen moͤge, ſo ließ er geſchickte Bergleute aus Ungarn und Sachſen kom - men, welche Metalle von allen Arten, Gold, Silber, Kupfer, Bley und Eiſen, entdeckten, welchen letztenMArtikel178Artikel ſie vor dieſem den Schweden abkaufen mußten, jetzt aber andere Laͤnder damit verſehen koͤnnen.

Es war zum Erſtaunen, wenn man ſo große Dinge ſahe, die eine einzige Perſon, ohne allen Bey - ſtand, unternommen und ausgefuͤhret hatte; wenn man ſeinen großen Geiſt und unermuͤdeten Fleiß er - wog, wie er ſelbſt alles regierte, und alles mit eigenen Augen ſahe, ohne ſich auf die Nachrichten anderer zu verlaſſen, ſo daß niemals ein Monarch weniger als er hintergangen worden iſt. Jch muß hier noch er - waͤhnen, daß die Ruſſen, vom Hoͤchſten bis zum Nie - drigſten, wenn ſie eine Sache vom Werthe auf ihrem Grunde und Boden entdecken, es mag auch ſeyn was es will, es geheim halten, damit ihre Leibeige - nen nicht gebraucht werden, es zu bearbeiten, ſo, daß alſo alle Entdeckungen von dieſer Art von Auslaͤndern herruͤhren. Auf dieſe Art bleiben alſo viel koſtbare Dinge unentdeckt, die dieſer Nation zum Reichthume gereichen koͤnnten.

Jm Monat Februar kam der Oberſte Swarts aus Caſan zuruͤck. Er war mit einem deutſchen Re - gimente von 12000 Mann, welches aus Schwedi - ſchen Gefangenen errichtet war, dahin geſchickt wor - den, und brachte nun Nachricht, daß er auf 6000 Cubaniſche Tartarn geſtoßen ſey, die einen Einfall in Caſan gethan haͤtten, und die eben zuruͤck gehen und ohngefaͤhr 8000 Ruſſen mit ſich in die Sclave - rey nehmen wollten, die ſie zu Gefangenen gemacht haͤtten; daß er nicht allein die Gefangenen befreyet, ſondern die Cubaner geſchlagen und eine große Menge Gefangene bekommen haͤtte, unter denen ſich des Chans Sohn befunden habe, den er ſogleich nebſt verſchie -denen179denen ſeiner Mitgenoſſen der Raͤuberey habe haͤngen laſſen. Der Czar machte ihm dafuͤr ein Geſchenke von ohngefaͤhr 100 Bauern.

Es war eine feſtgeſetzte Regel bey dem Czar,Militaͤriſche Belohnun - gen und Strafen. das Verdienſt zu belohnen, wo er es fand. Nach ei - nem Siege zur See oder zu Lande bekam jeder Offi - cier eine goldene Kette mit einer Medaille, deren Werth ſeinem Range angemeſſen war, und jeder Soldat eine ſilberne oder ſtatt derſelben die Loͤhnung eines Monats. Ein Officier, der ſich beſonders her - vorgethan hatte, erhielt das erſte Avancement. Jm Gegentheil aber wurde der Soldat oder Officier, der ſich uͤbel gehalten hatte, ſehr ſtrenge beſtraft. Der Czar ſahe nicht auf hohe Geburt oder Familie, ſondern be - foͤrderte das Verdienſt in jedem Stande, ſo gar bey dem geringſten, und ſagte, daß hohe Geburt nur ein bloßer Zufall ſey, und keine Achtung verdiene, wenn ſie ſonſt keine Verdienſte habe. Man findet in der Geſchichte kaum ein Beyſpiel, daß Leute von niedriger Geburt ſo waͤren befoͤrdert worden, als unter des Czars Peter Regierung, oder wo ſo viele von hoher Geburt und Vermoͤgen in den niedrigſten Stand ſind verſetzet worden.

Am 6ten Februar reiſeten der Czar und ſeine Gemahlinn in Geſellſchaft der Prinzeſſinn Catharina, zweyten Tochter des Czars Jvan (oder Johannes), des Kaiſers Nichte, nach Danzig ab, und kamen den 29ſten daſelbſt an. Den 19ten April wurde die Prinzeſſinn an Carl Leopold, Herzog zu Mecklenburg, vermaͤhlet.

Es wurde dieſen Winter befohlen, 30 großeGroße Gre - nadiers. Grenadiers zu uͤben, die zu einem Geſchenke fuͤr denM 2Koͤnig180Koͤnig von Preuſſen beſtimmt waren. Sie waren aus verſchiedenen Theilen von des Czars Laͤndern zuſam - men geſucht wurden, und waren von 6 Fuß 6 Zoll, bis 6 Fuß und 9 Zoll, die Schuhe nicht gerechnet, hoch. Sie mußten das Preuſſiſche Exercitium ler - nen, bekamen Preuſſiſche Waffen, Montirung und Muͤtzen. Unter dieſen befand ſich auch ein Jndianer, der den Elephanten gewartet hatte, ein Tuͤrk, zwey Perſianer, und drey Tartarn, und man konnte mit Gewißheit ſagen, daß kein Koͤnig in der Welt eine ſolche Garde, die aus ſo verſchiedenen Nationen be - ſtand, hatte, als der Koͤnig von Preuſſen, wenn man die Geſchenke dieſer Art, die ihm aus allen Theilen Europens gemacht wurden, erwaͤget.

Jch reiſete auf Befehl des Fuͤrſten Menzikof den 25ſten Maͤrz von Petersburg ab, und fuͤhrte die - ſe 30 Grenadiers nach Berlin, und da die Straßen noch gut waren, weil man noch auf dem Schnee rei - ſen konnte, ſo bekamen wir bis nach Riga Pferde und Schlitten. Wir kamen den 30ſten nach Narva und den 12ten April waren wir in Riga, wo ich mich zu Erholung der Leute drey Tage aufhielt. Hier ſahen wir zwoͤlf Perſonen lebendig raͤdern; ihr Verbrechen war folgendes.

Schreckli - cher Mord zu Riga.
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Ein Mann, der ein Wirthshaus vor einem Tho - re der Stadt, und auch eine Windmuͤhle auf ſeinem Grund und Boden beſaß, hatte einen von ſeinen Leu - ten auf verſchiedenen Betruͤgereyen ertappt, und ihn alſo weggejagt, und ihm ſeinen Lohn, als eine kleine Schadloshaltung, zuruͤck behalten. Als der Kerl fortgieng, drohete er ſeinem Herrn, daß es ihn ge - reuen ſollte, ſeinen Lohn zuruͤck behalten zu haben. Er181Er gieng und geſellte ſich zu eilf andern, die noch ſchlimmer als er waren. Sie giengen kurz hierauf mitten in der Nacht auf dieſes Haus zu, und da ih - nen eine Magd begegnete, die nach Waſſer gieng, ſo brachten ſie dieſe um, und ſteckten ihren Koͤrper unter das Eis. Hierauf giengen ſie in das Haus und in die Staͤlle, und ermordeten drey Maͤgde und fuͤnf Knechte. Endlich giengen ſie in des Beſitzers Stu - ben, und brachten ſeine Frau und drey von ſeinen Kindern vor ſeinen Augen um; das vierte, ein Kna - be von 5 Jahren, hatte ſich in der Beſtuͤrzung unter einem Bette unvermerkt verborgen. Hierauf zwan - gen ſie den Wirth alle ſeine Kuͤſten und Kaſten auf - zumachen, und trugen alles, was tragbar und vom Werthe war, aus dem Hauſe. Sie banden ihn hierauf mit Haͤnden und Fuͤßen an das Geſtell eines großen Tiſches, an den ſie ſich ſetzten, und es ſich bey dem Beſten, was ſie im Hauſe fanden, recht wohl ſeyn ließen. Sie machten endlich den Beſchluß da - mit, daß ſie Heu und Stroh in die Stuben ſtreuten, und das Haus anzuͤndeten, damit der niedertraͤchtige Wirth, wie ſie ihn nannten, mit den ermordeten Koͤr - pern lebendig verbrennen moͤchte, und folglich nichts entdeckt werden koͤnnte. Um recht ſicher zu gehen, holten ſie auch den Koͤrper der Magd unter dem Eiſe hervor, und legten ihn zu ihrem lebendigen Herrn. Nach dieſem wohl uͤberlegten Plane zuͤndeten ſie das Haus an, und machten ſich mit ihrer Beute davon. Der kleine Knabe, der ſich unter dem Bette verbor - gen hatte, wurde durch den Rauch verdraͤnget, und als der Vater hoͤrte, daß ihn das Kind rufte, hieß er ſelbiges ein Meſſer aus ſeiner Taſche nehmen, undM 3den182den Strick von ſeinen Haͤnden los ſchneiden, welches das Kind auch that. Da der Vater alſo los war, ſo nahm er ſeinen kleinen Sohn auf ſeine Arme, gieng durch die Flammen durch, und begab ſich ſogleich in den bedeck - ten Weg der Stadt, damit einige von den Moͤrdern, die noch in der Naͤhe lauren koͤnnten, ihn nicht entde - cken moͤchten. Als das Haus und die Nebengebaͤude in Flammen ſtanden, ließ der Gouverneur die Thore oͤffnen, und ſchickte einige Mannſchaft hinaus, zu ret - ten, was ſie aus dem Feuer retten koͤnnten; es war aber, ehe ſie dahin kommen konnten, ſchon alles nie - der gebrannt, ſo daß der Plan der Moͤrder ſo gut ausgeſonnen war, daß ihre Bosheit, wenn das Kind und der Vater nicht ſo wunderbarer Weiſe waͤren er - halten worden, vielleicht noch jetzt verborgen ſeyn wuͤr - de. Der Wirth entdeckte ſich dem Officier, der die - ſes Commando anfuͤhrte, und bat, daß er in geheim zum Gouverneur gebracht werden moͤchte, dem er ſei - ne ganze ſchreckliche Scene entdeckte, und der auch ſo gleich Befehl gab, daß alle Perſonen, die dieſen Mor - gen in die Stadt kommen wuͤrden, in Verhaft ge - nommen und unterſucht werden ſollten. Durch die - ſe Vorſicht wurden die Moͤrder, die ſich von aller Ent - deckung frey zu ſeyn glaubten, da aller Beweis im Feuer verbrannt ſey, als ſie in die Stadt giengen, ſaͤmmtlich eingezogen.

Den 16ten April reiſete ich von Riga ab, gieng uͤber Mietau und Polangen, und kam den 24ſten in Memel an, nachdem ich dieſen ganzen Weg in Wagen gemacht hatte. Von hier gieng ich zu Waſ - ſer nach Staken, fuhr uͤber das Curiſche Haf, wel - ches 15 deutſche Meilen lang iſt, nach Koͤnigsberg,wo183wo ich den 26ſten ankam, und ſehr freundſchaftlich aufgenommen wurde; es wurde auch ſehr gut fuͤr die - ſe Leute geſorget, weil ſie zu des Koͤnigs Garde ſollten. Da es in der Stadt bekannt geworden war, daß dieſe Leute von verſchiedenen Nationen waͤren, ſo verſamm - lete ſich viel Volk ſie zu ſehen. Hier hatten wir freye Quartiere und blieben bis auf den 2ten May, da ich denn nach Elbingen abreiſete und den 5ten nach Dan - zig kam, wo ich die Stadt ſo voll antraf, daß ich kein Quartier fuͤr meine Leute bekommen konnte, und alſo bis ins Kloſter Oliva gehen mußte. Damals hielten ſich der Czar und die Czarinn, Auguſtus der Koͤnig von Pohlen, und der Herzog und die Herzoginn von Mecklenburg mit ihrem zahlreichen Gefolge in Danzig auf. Der Czar war nach Pillau gegangen, 44 von ſeinen Galeeren zu beſehen, die von Petersburg da - ſelbſt angekommen waren, und 8000 Mann am Bord hatten; ich machte alſo der Czarinn meine Aufwartung, die mir befahl, bis zur Zuruͤckkunft des Czars in Oli - va zu bleiben, welche den 9ten erfolgte. Den fol - genden Tag kam er mit dem Herzoge von Mecklen - burg nach Oliva, wo er die Grenadiers muſterte, ſie ihre Exercitia machen ließ, und ſehr wohl mit ihnen zufrieden war. Er befahl mir hierauf, mit langſa - men Maͤrſchen nach Berlin zu gehen, damit die Leute nicht abgemattet wuͤrden.

Die Danziger ſchienen damals ſo wohl mit demDie Danzi - ger werden gebrannt - ſchatzet. Czar als mit dem Koͤnige von Pohlen nicht ſonderlich zufrieden zu ſeyn, weil ſie die Stadt gezwungen hat - ten, nicht allein allen Handel mit den Schweden auf - zugeben, ſondern auch vier Kriegsſchiffe auszuruͤſten und wider ſie zu kreuzen, und dem Czar 100000M 4Reichs -184Reichsthaler zu bezahlen. Als dieſer mit ſeinem Ge - folge den 10ten von hier nach Mecklenburg abreiſete, ſo begruͤßten ſie ihn mit 150 Kanonen, ihn zu uͤber - zeugen, daß es ihnen nicht an Geſchuͤtze fehle. Jch marſchirte mit meinen Leuten den folgenden Tag ab, und kam den 15ten nach Stolpe, wo ich erfuhr, daß der Czar und der Koͤnig von Preuſſen vor drey Tagen eine geheime Conferenz mit einander gehalten haͤtten, in welcher ſie, wie man mir hernach ſagte, einig ge - worden waren, nicht zuzulaſſen, daß der Koͤnig von Schweden einige Unternehmungen auf Daͤnnemark mache; aber auch den Daͤnen in keinem Unternehmen wider die Schweden beyzuſtehen, indem dieſe ſchon ohnedem hinlaͤnglich gezuͤchtiget waren, und alle ihre auslaͤndiſche Provinzen verloren, und nun weiter nichts als Schweden hatten.

Abſicht des Czars bey der Einnah - me Wiß - mars.
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Jch kann hier nicht unterlaſſen, des Czars Ab - ſichten auf die Stadt und Feſtung Wißmar zu erwaͤh - nen, welche dem Herzoge von Mecklenburg ſo ſehr bequem iſt, und nahe bey Schwerin und Roſtock liegt. Der Czar hatte dem Herzoge verſprochen, dieſen Ort den Schweden wegzunehmen, und ihm den Beſitz deſſelben zu geben; in dieſer Abſicht zog er eine Armee von 26000 Mann zuſammen, ihn zu belagern. Da aber die Daͤniſchen, Preuſſiſchen und Hannoͤveri - ſchen Truppen davon Beſitz genommen und jede Macht zwey Bataillons Beſatzung darein geleget hatten, oh - ne einige von den Ruſſiſchen Truppen dazu zu nehmen, ſo wurde dieſe Abſicht, zu nicht geringem Verdruſſe des Czars, vereitelt. Dieſen Vergleich der Alliirten hat er niemals verdauen koͤnnen, ſondern ihn bey jeder Ge - legenheit, wie wir hernach bey der vorgehabten Lan -dung185dung in Schonen, und bey andern Vorfaͤllen ſehen werden, geahndet. Es lag dem Czar beſtaͤndig ſehr am Herzen, einen Fuß in Deutſchland zu bekommen. Er bot daher anfaͤnglich dem Kaiſer an, ihm mit 25000 Mann, auf ſeine eigene Koſten, wider Frank - reich beyzuſtehen, wenn man ihm zum Gliede des Roͤ - miſchen Reichs aufnehmen wolle; dieſes wurde ihm aber abgeſchlagen. Hierauf ſuchte er es durch die Vermaͤhlung ſeiner Nichte an den Herzog von Meck - lenburg zu erhalten, indem er ihm Wißmar verſprach, und dadurch einen ſichern Hafen, in dieſe Laͤnder zu ſchiffen, zu bekommen gedachte. Hierauf wurde dem Herzoge vorgeſchlagen, Mecklenburg gegen ein Aequi - valent zu vertauſchen, welches entweder Curland oder Liefland haͤtte ſeyn muͤſſen. Weil aber die Reichsfuͤr - ſten uͤber des Czars außerordentliche Macht eiferſuͤch - tig waren, ſo vereitelten ſie ihm alle Abſichten, einen Fuß in dieſem Reiche zu erlangen. So gar der Re - gent in Frankreich ruhete nicht eher, bis der Czar ver - ſprochen hatte, ſeine Truppen aus Deutſchland zu ziehen.

Den 16ten May reiſete ich von Stolpe ab, und kam den 27ſten mit meinen Leuten, die alle geſund und friſch waren, in Berlin an. Jch ward von dem wachthabenden Officier zu dem Feldmarſchall, Graf Wartensleben, gefuͤhret, dem ich den Brief von dem Fuͤrſten Menzikof uͤbergab. Der Feldmarſchall ließ den Leuten ſogleich Quartiere zu ihrer Erholung geben, bis der Koͤnig von Potsdam zuruͤck kommen wuͤrde, welches in zwey Tagen hernach erfolgte, und als der Koͤnig ſie beſahe, ſagte er, daß es die ſchoͤnſten und wohlgeſtalteſten Leute waͤren, die er jemals von ihrerM 5Groͤße186Groͤße geſehen habe, und hatte einen großen Gefallen an ihnen. Als ich meinen Auftrag verrichtet hatte, begab ich mich weg, und der Feldmarſchall gab mir den folgenden Tag eine Boͤrſe mit 200 Stuͤck Duca - ten. Die Entfernung von Petersburg bis Berlin iſt 1210 Ruſſiſche Werſte, oder 807 Engliſche Meilen.

Da viele von meinen Verwandten, von welchen ich zehn Jahre abweſend geweſen war, in und um Berlin herum wohnten, ſo brachte ich drey Monate ſehr angenehm bey ihnen zu. Sie wollten mich uͤber - reden, die Ruſſiſchen Dienſte zu verlaſſen und in Preuſſiſche zu treten, weil ſie glaubten, daß ich dieſes jetzt leicht erlangen koͤnnte, da ich dem Koͤnige das angenehmſte Geſchenk, das er nur bekommen koͤnnte, uͤberbracht haͤtte. Meine Freunde fragten den Feld - marſchall und den General Gersdorf deswegen um Rath, die beyde der Meynung waren, daß es jetzt leicht geſchehen koͤnne, wenn ich von den Ruſſiſchen Dienſten loskommen koͤnnte. Jndem nun meine Verwandten ſich alle Muͤhe gaben dieſe Veraͤnderung zu Stande zu bringen, bekam ich einen Expreſſen von dem Feldmarſchall, Grafen Tſcheremetof, mit dem Befehl, mich ſogleich nach Roſtock in Mecklenburg zu ihm zu verfuͤgen, und mit ihm als Adjutant nach Daͤnnemark zu gehen, indem er damals niemanden hatte, der dieſe Sprache verſtund. Jch reiſete hier - auf ſogleich von Berlin ab und kam den 24ſten Au - guſt nach Roſtock. Der Marſchall gieng den folgen - den Tag nach Warnemuͤnde, wo unſere Truppen ein - geſchifft wurden.

Der187

Der Czar und der Koͤnig von Daͤnnemark hattenUnterredung mit dem Koͤ - ge von Daͤn - nemark. zu Ham und Horn, nahe bey Hamburg, eine lange Conferenz gehalten, die vom 28ſten May bis den 4ten Junii gedauert hatte, und worinn eine Landung in Schonen war beſchloſſen worden. Den 5ten Junii gieng der Czar nach Pyrmont, den Brunnen zu trin - ken, und kam den 31ſten wieder nach Schwerin, der Reſidenz des Herzoges von Mecklenburg, zuruͤck. Den 4ten Julii gieng er nach Roſtock und Warnemuͤnde, wo die 45 Galeeren von Danzig, die 8000 Mann am Bord hatten, angekommen waren, mit welchen er alsdann nach Daͤnnemark abſegelte. Der KoͤnigDer Czar kommt in Ko - penhagen an. von Daͤnnemark kam zu Proveſtein zu ihm, da ſie denn auf des Czars Galeere abfuhren, und den 17ten mit einander in Kopenhagen ankamen.

Den 28ſten Auguſt fuhr der Marſchall Tſchere - metof mit 10000 Mann von Warnemuͤnde ab, und kam den 29ſten in Kopenhagen an. Der Marſchall begab ſich in das fuͤr ihn in der Stadt beſtimmte Haus; die Zollbedienten kamen auf das Schiff, ſeine Bagage zu durchſuchen, wurden aber durch den wachthabenden Officier verhindert. Da ſie nun das Schiff nicht in den Hafen ließen, ſo ward ich an das Zollhaus abgeſchickt, um zu hoͤren, warum des Mar - ſchalls Bagage nicht in den Hafen einlaufen duͤrfe? Sie ſagten mir, daß es der Waaren wegen unterſuchet werden muͤſſe. Jch antwortete, daß es bey den Ruſ - ſiſchen Generalen nicht Mode ſey, Kaufleute abzuge - ben, und verſicherte ſie, daß keine Kaufmannswaaren auf dem Schiffe waͤren, und daß der Marſchall ge - wiß eine ſo beleidigende Bewegung ahnden wuͤrde. Hierauf wurde Befehl gegeben, das Schiff in denHafen188Hafen zu bringen, und als das Gepaͤck an das Land gebracht wurde, gaben die Zollbedienten auf alles, was ausgeſchifft wurde, ſehr genau Achtung. Den folgenden Tag wurde ein Herr vom Hofe an den Mar - ſchall abgeſchickt, das ungeziemende Verhalten des Zollhauſes zu entſchuldigen, und ihm zu verſichern, daß alle in dieſer Unhoͤflichkeit begriffene Beamte be - ſtraft und abgeſetzt waͤren.

Vereinigte Flotte.
1

Zu eben der Zeit lag der Admiral Norris und der Contre-Admiral Graves mit einer Engliſchen und Daͤniſchen Flotte vor Kopenhagen, welchen der Czar nunmehr den Vorſchlag that, die Daͤniſche und Ruſſiſche Flotte mit einander zu vereinigen, und die Schweden in den Hafen zu treiben. Dieſes wurde auch angenommen, und beſchloſſen, daß der Czar mit dem Admiral Norris die vereinigte Flotte, Norris die vorderſten Schiffe, der Czar das Centrum, und der Daͤniſche Vice-Admiral die hintern Diviſionen commandiren, der Admiral Graves aber die Handels - ſchiffe beyder Nationen in ihre Hafen begleiten ſollte. Der Czar ſteckte alſo ſeine Kaiſerliche Flagge auf, und gieng mit der Flotte ab. Jndem ſie aber bey Born - holm vorbey fuhr, erfuhr er, daß die Schwediſche Flotte nach Carlscron gegangen ſey. Hierauf trenn - te ſich die vereinigte Flotte; der Czar gieng nach Stralſund, ſetzte ſeine daſelbſt einquartirten Solda - ten auf Schiffe, und fuͤhrte ſie nach Kopenhagen.

Unruhe der Daͤnen.
1

Durch dieſe Verſtaͤrkung beſtand unſere Armee aus 24000 Mann, die alle nahe bey Kopenhagen im Lager ſtanden. Dieſes ſetzte die Daͤnen in ein ſolches Schrecken, daß ſie ihre Truppen aus allen Theilen Seelands nach Kopenhagen zuſammen zogen. Ein189Ein großer Theil davon ſtand rings herum auf den Waͤllen; ſie beſetzten auch die Thore ſtark, mit dem ſtrengen Befehle, nicht uͤber hundert Ruſſen auf ein - mal, um Waſſer zu holen, in die Stadt zu laſſen, da ſonſt nirgends welches zu bekommen war. Die - ſes Waſſer wurde in einer ziemlichen Entfernung aus dem Koͤniglichen Park durch Roͤhren in die Stadt ge - leitet. Da aber 100 Mann fuͤr eine ſolche Armee nicht Waſſer genug herbey ſchaffen konnten, ſo er - laubten ſie, daß 150 auf einmal herein kommen durf - ten, da denn die eine Parthie bereit war, hinein zu gehen, ſo bald als die andere heraus kam. Da ſie aber oͤfters von den Daͤniſchen Soldaten abgehalten wurden, ſich mit Waſſer zu verſehen, indem jene das Recht zu haben glaubten, zuerſt Waſſer bekommen zu muͤſſen, ſo verurſachte dieſes große Unordnungen. Endlich kam es zu Schlaͤgen, und es wurden auf bey - den Seiten einige getoͤdtet und verwundet. Als nun die Ruſſen ſahen, daß die Wache zu partheyiſch gegen ihre eigene Leute war, ſo bemaͤchtigten ſie ſich derſel - ben, und jagten ſie fort. Nachdem ſie ins Lager zu - ruͤck gekommen waren, fiengen ſie uͤberall an nach Waſſer zu graben, und trafen von ungefaͤhr eine von den Roͤhren, die Waſſer in die Stadt fuͤhrte. Sie hieben dieſe entzwey, und hatten hernach Waſſer ge - nug. Da ſie aber nicht gehoͤrig mit Holz, ihre Speiſen zu kochen, verſehen waren, ſo fiengen ſie an, die Baͤume in dem Park umzuhauen, und hatten de - ren ſchon eine Menge nieder gehauen, ehe ihnen durch ihre Officiers Einhalt gethan werden konnte. Es wurden indeſſen viele von den Anfuͤhrern hart beſtraft.

Die190
Sie verſagen den Ruſſen die Lebens - mittel.
1

Die Daͤnen hatten uns nur fuͤr die 16000 Mann Proviant verſprochen, die der Czar ihnen zu Huͤlfe zu bringen verſprach, und nun weigerten ſie ſich, den von Stralſund heruͤber gebrachten 8000 Mann Un - terhalt zu geben, und ſagten, daß ſie ohne ihr Wiſſen und Einwilligung gekommen waͤren, ſo daß von nun an auf beyden Seiten nichts als Eiferſucht und Mißtrauen herrſchte. Doch unterbrach dieſes die Ergoͤtzlichkeiten, als Baͤlle, Aſſembleen und Masque - raden, bey Hofe im geringſten nicht. Der Czar be - ſuchte waͤhrend der drey Monate, die er ſich in Ko - penhagen aufhielt, ihre Collegia und Academien ſehr fleißig, und beſahe alles, was merkwuͤrdiges an die - ſem Orte war. Er fuhr auch taͤglich in einem Bo - the aus, erforſchte die Tiefen und Kuͤſten von Daͤn - nemark und Schweden ſo genau, daß ihm die klein - ſte Sandbank nicht entwiſchte, und brachte alles zu - ſammen auf eine Charte. Als er einmal bey Scho - nen vorbey fuhr, einen bequemen Platz zum Landen zu entdecken, hatte er bey ſeiner Ruͤckkehr einen widri - gen Wind, und konnte alſo bey Tage Kopenhagen nicht erreichen. Die Czarinn ſchickte an den Gou - verneur, ihn zu erſuchen, das Thor bis zu des Czars Ankunft offen zu laſſen, welches auch verſprochen wur - de. Als ich aber von dem Marſchall abgeſchickt ward, zu ſehen, ob es geſchehen ſey, fand ich es geſchloſſen, und bekam von dem Officier die Nachricht, daß die Schluͤſſel dem Koͤnige waͤren uͤbergeben worden. Jch meldete dieſes dem Marſchall, der ſogleich ſelbſt zum Gouverneur gieng, der nach einer kahlen Ent - ſchuldigung, daß die Schluͤſſel aus Jrrthum dem Koͤ - nige waͤren uͤberſchickt worden, zu ihm ſagte, derKoͤnig191Koͤnig ſey zur Ruhe, und er unterſtehe ſich nicht, ihn zu ſtoͤren. Es war um 1 Uhr des Morgens, ehe der Czar das Land erreichen konnte, und da es nicht moͤg - lich war, in den Hafen, oder mit dem Bothe nahe an das Ufer zu kommen, ſo ſprang er bis an den Hals ins Waſſer, watete bis ans Ufer, und gieng in ſeinen naſ - ſen Kleidern bis an das Thor. Als er nun dieſes ge - ſchloſſen fand, ſo gieng er zuruͤck in die Vorſtadt, und begab ſich in das Quartier eines Officiers von ſeiner eigenen Garde, wo er des Officiers Waͤſche und Klei - dung anzog, und die Nacht uͤber da blieb. Des Morgens zog er des Officiers Montirung an, und ob ihm dieſe gleich viel zu kurz war, gieng er doch in der - ſelben in die Stadt, wo ihm die Czarinn, der Mar - ſchall und verſchiedene andere entgegen kamen. Der Entſchuldigungen wegen dieſes Verſehens waren viel, und der Gouverneur und der Oberſte von der Garde kamen in Arreſt; allein der Czar lachte daruͤber und bat fuͤr ſie, und ſagte, daß ſie bloß ihre Pflicht ge - than haͤtten, und alſo kamen ſie wieder los.

Wenige Tage darauf kamen dieſe zwey gekroͤntenConferenz mit dem Koͤ - nige von Daͤnnemark. Haͤupter zuſammen und hielten einen Kriegsrath, wobey bloß ihre erſten Miniſter und Feldmarſchaͤlle zu - gegen waren, um die Maßregeln, die ſie beſchließen wuͤrden, ſehr geheim zu halten. Bey dieſer Zuſam - menkunft wurde beſchloſſen, ohne Zeitverluſt in Scho - nen zu landen. Ob nun gleich dieſes Vorhaben ſehr geheim gehalten werden ſollte, ſo hoͤrte ich doch alle Schritte, die dabey beobachtet werden ſollten, auf ei - nem oͤffentlichen Kaffeehauſe von einem Daͤniſchen Officier. Als ich dieſes dem Marſchall hinterbrachte, ſo wunderte er ſich ſehr daruͤber; und als der Czar undder192der erſte Miniſter damals zu ihm zur Tafel kamen, und er ihnen ſagte, was ich in der Stadt gehoͤret hatte, ſo ſchien der Czar ſehr mißvergnuͤgt daruͤber zu ſeyn.

Die Truppen machten indeſſen alle Anſtalten zum Einſchiffen, und es wurde auf einen Monat Proviant fuͤr die Armee verlangt. Wir bekamen darauf zur Antwort, daß wir keinen noͤthig haͤtten, weil in Scho - nen eine reiche Ernte geweſen ſey, und wir dort alles finden wuͤrden, was wir noͤthig haͤtten; und da uͤber dieſes die Communication zwiſchen Kopenhagen offen ſey, ſo koͤnnten wir ihn von da erhalten, wenn wir ihn noͤthig haͤtten. Der Czar, der ſich darauf nicht verlaſſen wollte, ſagte hierauf zu dem Koͤnige, daß es zu dieſer Unternehmung nun zu ſpaͤt im Jahre ſey, indem noch keine Anſtalten dazu waͤren gemacht wor - den, und es alſo beſſer ſey, ſie bis auf den kuͤnftigen Fruͤhling zu verſchieben. Wenn aber der Koͤnig ent - ſchloſſen ſey, dieſe Landung jetzt zu wagen, ſo wolle er ihm, den Stralſunder Tractaten gemaͤß, mit den darinnen bewilligten 15 Bataillonen gerne beyſtehen. Der Koͤnig verlangte uͤber dieſes noch 13 Bataillons, die aber der Czar abſchlug, und ſagte, daß er ſeine Truppen anderswo noͤthig habe. Hierauf erwiederte der Koͤnig, daß er bey ſo geſtalten Sachen keine von ſeinen Truppen brauche, und wuͤnſchte, daß ſie eiligſt aus ſeinen Laͤndern gezogen werden moͤchten, und daß die Transporte, die ihn monatlich 40000 Rthlr. gekoſtet haͤtten, bezahlet werden moͤchten. Es wur - den alſo alle unſere Truppen den 19ten September eingeſchifft. Allein, da ſie wegen widrigen Windes beynahe einen Monat vor Kopenhagen liegen mußten, ſo litten ſie am Holze zum Brennen großen Mangel, alswelches193welches fuͤr kein Geld zu haben war. Der Czar gab daher Befehl, daß zehn von ſeinen Galeeren zer - hauen, und unter die Flotte vertheilet wurden.

Als wir uns in Kopenhagen befanden, begegneteGeſchichte des General - lieutenants Bohn. einem Generallieutenant in unſern Dienſten, welcher Bohn hieß, etwas, das ich nicht unerwaͤhnt laſſen kann. Er war auf der Jnſel Bornholm geboren, wo ſein Vater Prediger geweſen war, und ſeine Mut - ter als eine arme Wittwe hinterlaſſen hatte. Als dieſe jetzo hoͤrte, daß ihr Sohn in Kopenhagen und in ruſſiſchen Dienſten General ſey, ſo kam ſie, ihn zu beſuchen, erhielt aber von ſeinen Bedienten die Ant - wort, daß er nicht zu Hauſe ſey. Sie bat ſeine Be - dienten, ihm zu ſagen, daß ſie ſeine Mutter ſey, und in der Abſicht ihn zu beſuchen von Bornholm gekom - men ſey, und daß ſie kuͤnftigen Morgen wieder kom - men wolle. Bey dieſer Nachricht wurde der Gene - ral ſehr boͤſe, und ſagte, daß ſeine Mutter ſchon vor vielen Jahren todt ſey, und daß dieſes eine andere ar - me oder unſinnige Perſon ſeyn muͤſſe, und befahl ſei - nem Adjutanten, wenn ſie wieder kaͤme, ihr 10 Du - caten zu geben, und ſie fort zu ſchicken, damit ſie ihn nicht ferner beunruhigen moͤchte. Die Mutter kam den andern Morgen, und der Adjutant that, was ihm befohlen war, und bot ihr 10 Ducaten, als ein Almo - ſen, an. Allein ſie warf ſie mit Verachtung auf die Er - de, und ſagte mit thraͤnenden Augen, ſie ſey nicht ge - kommen um ein Allmoſen zu bitten, ſondern ihren Sohn zu ſehen; und da er ſeine Mutter verleugnen und ver - achten koͤnne, ſo wolle ſie gehen, wo ſie hergekommen ſey, und ihn nicht weiter beunruhigen. Dieſes mach - te einen ſolchen Laͤrm in der Stadt, daß es die CzarinnNerfuhr.194erfuhr. Sie ſchickte daher nach der Frau, die ihr in kurzem bewies, daß ſie des Generals Mutter ſey. Es wurde ſogleich nach ihm geſchickt, und er bekam fuͤr ſein unnatuͤrliches Verhalten einen Verweis, und den Befehl, ſeiner Mutter jaͤhrlich 200 Rubel auf Lebenszeit auszuſetzen, welches er auch that. Es wurde ihm dabey das Verhalten des General Bauers gegen ſeine armen Verwandten vorgeſtellet, der ſich ihrer nicht geſchaͤmet hatte, ob ſie gleich von gerin - germ Stande geweſen, als die ſeinigen. Dieſer Verweis machte den General ſehr beſchaͤmt, und er wurde hernach von jedermann verachtet.

Wir fuhren den 12ten October ſehr fruͤh mit ei - nem friſchen Nordwinde ab, und kamen den folgenden Tag nach Warnemuͤnde in Mecklenburg, wo die gan - ze Armee ans Land gieng, und ein Lager aufſchlug. Zwey Tage nach unſerer Abfahrt wurde der Czar von dem Daͤniſchen Monarchen praͤchtig bewirthet, und den folgenden Tag fuhr er mit der Kaiſerinn nach Hamburg ab, und nachdem er uͤber den Belt gegan - gen war, und Toͤnningen und Friedrichſtadt beſehen hatte, gieng er nach Luͤbeck und Schwerin.

Anſchlaͤge des Herzogs von Meck - lenburg.
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Der Feldmarſchall, Graf Tſcheremetof, bekam nunmehr Befehl, mit 12000 Mann durch Pom - mern nach Pohlen zu marſchiren, 12000 Mann aber wurden auf des Herzogs eigenes Verlangen in dem Mecklenburgiſchen einquartiret, ſeine Adelichen zu peinigen und zu demuͤthigen, die am Kaiſerlichen Ho - fe, wegen Behauptung ihrer Rechte, einen Proceß mit ihm hatten. Da der Marſchall mit einem Thei - le der Armee nach Pohlen abgeſchickt wurde, ſo bekam ich auf des General Weyde Verlangen, der die Trup -pen195pen in Mecklenburg commandirte, die Ordre, wegen der Sprache als Adjutant bey ihm zu bleiben. Wir beka - men unſer Quartier in Guͤſtrow, und die Armee wurde, auf ausdruͤcklichen Befehl des Herzogs, auf die Guͤter der Adelichen gelegt, die er in ſehr ſchwere Contribu - tionen ſetzte, und ſie gaͤnzlich ruinirte. Dieſe wand - ten ſich um Abwendung ihrer Beſchwerden an den Kaiſerlichen Hof und den Reichstag, die auch alles thaten, was ihnen moͤglich war, den Czar dahin zu bringen, ſeine Truppen aus Deutſchland zu ziehen. Allein der Czar war von Schwerin nach Havelberg ge - gangen, wo er ſich zwey Tage lang mit dem Koͤnige von Preuſſen unterredete, und alsdann nach Hamburg, und von da nach Amſterdam gieng, wo er den 6ten December ankam, und auf die Ankunft der Kaiſerinn wartete, die, als ſie ſich zur Abreiſe von Weſel gefaßt gemacht hatte, den 2ten Januar 1717 von einem1717. Prinzen entbunden wurde, der aber noch an eben dem - ſelben Tage ſtarb, ſo daß ſie erſt den 10ten Februar in Amſterſtam ankam. Hierauf giengen beyde Ma - jeſtaͤten den 9ten Maͤrz nach Haag, wo ſie ſich bis den 4ten April aufhielten.

Es wurde indeſſen ein Geruͤcht verbreitet, daß die Kreistruppen des Reichs auf der Granderheyde nahe bey Hamburg eine Armee formirten, und unſere Truppen aus Mecklenburg vertreiben wollten. Hier - auf ruͤckte unſere Armee, unter dem Commando des Ge - nerallieutenants Lacy, des Generalmajors Schlippen - bach, und des Generalbrigadiers le Fort, bey Gadebuſch ins Lager. Der General Weyde lag in Guͤſtrow krank und ſchickte mich auf die Granderheyde, zu ſe - hen, wie viel Truppen daſelbſt ſtuͤnden. Als ich aberN 2dahin196dahin kam, hoͤrte und ſahe ich nichts von Truppen. Jch begab mich daher zu unſerm Reſtdenten nach Hamburg, etwas von ihm zu erfahren; aber, anſtatt etwas von Kreistruppen, die ſich wider uns zuſammen zoͤgen, zu vernehmen, wurde geſagt, daß unſre Ar - mee einen Einfall ins Churfuͤrſtenthum Hannover thun wollte. Dieſes falſche Geruͤcht ſetzte die Hanno - veraner in ein ſolches Schrecken, daß viele vermoͤgende Leute ihre Sachen nach Hamburg, und an andere ſich - re Oerter ſchafften, um ſie daſelbſt in Sicherheit zu bringen. Dieſes Geruͤcht ruͤhrte indeſſen daher, daß wir bey Gadebuſch ein Lager aufgeſchlagen hatten, und uns alſo auf beyden Seiten ohne die geringſte Urſache fuͤrchteten. Nachdem ich nach Guͤſtrow zu - ruͤck gekommen war und erzaͤhlet hatte, was vorge - gangen war, wurde ich ſogleich in unſer Lager mit dem Befehl abgeſchickt, daß unſere Armee wieder aufbre - chen und in ihre Quartiere zuruͤck gehen ſollte. Als dieſes falſche Schrecken voruͤber war, beruhigte ſich auch das Publicum in kurzem wieder; allein die armen Mecklenburgiſchen Unterthanen wurden auf Befehl ihres unbarmherzigen Herzogs von unſern Truppen taͤglich immer mehr gequaͤlet, welches denn machte, daß viele Bittſchriften von adelichen und andern Frauenzimmern an die Herzoginn kamen, mit ihrem elenden Zuſtande Mitleiden zu haben. Sie hatte auch wirklich mit ihnen Mitleiden, konnte aber den Herzog nicht bewegen, ihnen die geringſte Gnade wi - derfahren zu laſſen. Sie entſchloß ſich hierauf, ei - nen Expreſſen an den Czar abzuſchicken, fuͤr das arme Volk zu bitten, und ihm einige Beſchwerden, die ſie ſelbſt betrafen, vorzutragen. Da ſie nun keinen vonihren197ihren Bedienten ohne des Herzogs Wiſſen ſenden konn - te, ſo ſchickte ſie den Herrn Beſtuchef, ihren damali - gen Kammerherrn (nachmaligen Großkanzler von Rußland), an den General Weyde, und erſuchte ihn, einen Expreſſen in ſeinem Nahmen an den Czar zu ſenden. Hierauf ſchickte der General mich mit dem Herrn Beſtuchef nach Schwerin, ohne Vorwiſſen des Herzogs, der ſehr eiferſuͤchtig war, zu der Her - zoginn, und ihre Befehle zu empfangen. Wir gien - gen durch einen Garten hinein, und als wir in das Schloß kamen, ſo war er gerade die erſte Perſon, der wir begegneten, welches uns in einige Verwirrung ſetzte. Wir machten ihm indeſſen ein tiefes Compli - ment, und er gieng, ohne ein Wort zu ſagen oder uns zu bemerken, fort. Allein Herr Beſtuchef fuͤhrte mich nunmehr, anſtatt gerade zur Herzoginn zu gehen, wie wir Willens geweſen waren, in ſeine Zimmer, wo ich ſo lange blieb, bis es finſter ward, da ich denn zur Herzoginn gefuͤhret wurde, die mir ihre Befehle gab, mit denen ich mich noch dieſelbe Nacht bis Guͤ - ſtrow begab. Da der General indeſſen ſeine Briefe fertig gemacht hatte, ſo machte ich mich den folgen - den Tag auf den Weg nach Holland, und kam den 8ten May in Amſterdam an. Weil aber der Czar nach Paris abgereiſet war, ſo machte ich der Czarinn meine Aufwartung, die mir dem Czar zu folgen be - fahl. Als ich daher ihre Briefe bekommen hatte, reiſete ich den folgenden Tag ab, und kam den 13ten, 6 Tage nach Seiner Majeſtaͤt Ankunft, in Paris an. Die Aufnahme des Czars, und die ihm erwieſenen Ehrenbezeugungen ſind ſo bekannt, daß es verdruͤß - lich ſeyn wuͤrde, wenn ich ſie hier wiederholen wollte. N 3Jch198Jch will daher nur bemerken, daß der Herzog von Orleans (damaliger Regent von Frankreich) bey dieſer Gelegenheit das Verſprechen von ihm erhielt, daß er ſeine Truppen aus Deutſchland ziehen wollte.

Sobald ich des Czars Depeſchen nach Amſter - dam am 3ten Junii erhalten hatte, reiſete ich ab und kam den 9ten daſelbſt an. Nachdem ich daſelbſt der Czarinn Befehle erhalten hatte, ſo reiſete ich den Tag darauf wiederum nach Schwerin ab, wo ich den 16ten anlangte, und der Herzoginn die Kaiſerlichen Depeſchen in ihre eigene Haͤnde uͤbergab. Der Jn - halt deſſen, was ich uͤberbrachte, war ſo angenehm, daß ich ſehr gnaͤdig aufgenommen wurde, und ein gu - tes Geſchenk bekam. Um aber nicht verrathen zu werden, gieng ich des Nachts in geheim von Schwe - rin ab und wieder nach Guͤſtrow. Des Czars Be - fehl an den General Weyde war, daß er den Einwoh - nern dieſes Landes keine Contributionen mehr abfor - dern ſollte.

Bedruͤckung der Mecklen - burger.
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Der Herzog war mit dieſem neuen Befehle ſo unzufrieden, daß er ſich ſeiner eigenen Truppen be - diente und noch viel ſtrenger als vorher Contributio - nen von ſeinen Unterthanen forderte, welches ſeine Adelichen noͤthigte, ihr Silberzeug und Juwelen, und zuletzt ihre Equipage und Hausrath zu verkaufen, wo - durch ſie ſo ruiniret wurden, daß ſie das Land verlaſ - ſen mußten. Jhre Bauern giengen meiſtens in die Preuſſiſchen Laͤnder, wo ſie ſich nebſt ihren Weibern und Kindern, als Vaſallen oder Leibeigene, anboten. Auf einiger meiner Freunde Verlangen, und mit Bewilligung ihrer Herren, welche ſagten, daß ſie ſel - bige nun nicht mehr noͤthig haͤtten, indem ſie ſo her -unter199unter gekommen waͤren, daß ſie ihr Feld aus Mangel des Viehes und des Saamens nicht mehr bauen koͤnn - ten, nahm ich viele von dieſen armen Familien in Dienſte. Jhre Noth und ihr Elend waren nicht zu beſchreiben, welches auch viele Fuͤrſten im Reiche be - wog, daß ſie ihrentwegen den Czar ernſtlich erſuchten, ſeine Truppen weg zu ziehen, welches auch kurz dar - auf bewilliget wurde, und die Sache endigte ſich end - lich mit dem gaͤnzlichen Verderben des Herzogs, denn ſein Land wurde ſequeſtrirt, und er mußte viele Jahre in Danzig als ein Verbanneter leben.

Als wir nach Daͤnnemark abgiengen, bekam derFlucht des Czarowitz. Czarowitz ausdruͤcklichen Befehl von ſeinem Vater, ihn zu begleiten; er machte ſich aber, anſtatt zu gehor - chen, lieber davon, und verbarg ſich, ſo daß niemand etwas von ihm wußte. Es wurden daher Bothen durch ganz Europa geſchickt ihn aufzuſuchen, und er wurde endlich von dem Capitaͤn der Garde, Ro - manzof, zu Neapel entdeckt. Der Capitaͤn gab dem Grafen Tolſtoi, unſerm Geſandten in Wien, von die - ſer Entdeckung Nachricht, worauf der Graf zu ihm nach Neapel gieng, und ihn endlich beredete, nach Moskau zu gehen und ſich der Gnade ſeines Vaters zu unterwerfen. Er verſicherte ihn zugleich, daß es kein Fuͤrſt in Europa wagen wuͤrde, ſich des Czars Zorn zuzuziehen und ihn zu ſchuͤtzen.

Zu eben der Zeit hatten mir meine Freunde beyDer Capitaͤn darf die Ruf - fiſchen Dien - ſte nicht ver - laſſen. des General Gersdorfs Regimente unter der Preuſſi - ſchen Armee eine Compagnie verſchafft, wenn ich mei - nen Abſchied bey den Ruſſen bekommen koͤnnte. Da ich aber eine Compagnie bey der Artillerie unter dem General Bruce hatte, und Adjutant des GeneralsN 4Weyde200Weyde war, ſo konnte ich ihn keinesweges erhalten, und mußte alſo in Ruſſiſchen Dienſten bleiben, ob es mir gleich ſehr zuwider war; ich konnte ſie auch ohne Abſchied nicht verlaſſen, weil ich wußte, daß ich ohne denſelben keine Preuſſiſche Dienſte erhalten konnte.

Flucht des Herzogs von Mecklenburg nach Dan - zig.
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Zu Ende des Junii erhielten wir vom Czar Be - fehl, aus Mecklenburg abzumarſchiren, nachdem wir neun Monate freye Quartiere daſelbſt gehabt hatten. Wir ließen auf des Herzogs Verlangen 4 Bataillons zu ſeinen Dienſten daſelbſt, und fiengen den 1ſten Ju - lii an zu marſchiren. Mit dieſen und ſeinen 4000 Mann glaubte er die Kreistruppen von ſeinem Lande abzuhalten. Unſere Armee war aber kaum abmar - ſchirt, als er Nachricht bekam, daß die Hannovera - ner auf dem Marſche waͤren und in ſein Land einfallen wollten, worauf er dem General Schwerin Befehl gab, mit ſeinen und den Ruſſiſchen Truppen den Paß zu beſetzen, durch den die Hannoveraner herein - kommen mußten; des Herzogs Truppen verſchanzten ſich alſo daſelbſt und beſetzten ihn mit vielen Kanonen. Als die Hannoveraner anruͤckten, wollten ſie mit Ge - walt durchdringen, und es erfolgte daher ein blutiges Gefecht, worinn auf beyden Seiten viele getoͤdtet und verwundet, und die Hannoveraner gezwungen wurden, ſich zuruͤck zu ziehen. Als hierauf Klagen bey dem Czar einliefen, daß ſeine Truppen den Angriff gethan haͤtten, gab er ihnen Befehl, Mecklenburg zu verlaſ - ſen und zu unſerer Armee zu ſtoßen. Des Herzogs Truppen folgten ihnen in kurzem nach; der Czar be - hielt ſie in ſeinen Dienſten, und der Herzog retirirte ſich nach Danzig.

Den201

Den 13ten verſammlete ſich unſere Armee in Neu-Brandenburg, und wir marſchirten durch Stet - tin und Landsberg nach Pohlniſch-Schwerin, wo wir den 25ſten ankamen. Da wir nunmehr auf Pohlniſchem Gebiete waren, ſo blieben wir bis den 7ten Auguſt ſtehen, worauf wir uͤber Friedland nach Tuchol ruͤckten, wo wir den 1ſten September anka - men, und bis auf weitern Befehl daſelbſt bleiben mußten.

Der Czar reiſete den 21ſten Julii von Paris ab,Des Czars Ruͤckkunft von Paris. und nahm ſeinen Weg uͤber Soiſſons, Charleville, Namur, Huy und Luͤttig, beſahe alle Feſtungen, die ihm in Wege lagen, ſonderlich aber Namur, wo ihm der Gouverneur waͤhrend ſeines Aufenthalts ganz be - ſondere Hochachtung erwies. Den 28ſten kam er nach Spaa, bediente ſich des Brunnen, und gieng den 2ten Auguſt nach Amſterdam ab, in welcher Stadt die Czarinn ſeine Zuruͤckkunft mit Ungeduld erwartet hatte. Er hielt ſich einen Monat in Amſterdam auf, waͤhrend welcher Zeit er in Loo (ein dem Prinzen von Oranien gehoͤriger Pallaſt) viele geheime Conferenzen mit dem Baron Goͤrtz, Miniſter des Herzogs von Holſtein, hielt. Der Czar begab ſich hierauf den 2ten September auf die Reiſe nach Berlin, und kam den 19ten daſelbſt an, und die Czarinn drey Tage hernach, welcher die Koͤ - niginn von Preuſſen und die Margraͤfinn von Bran - denburg vor der Stadt entgegen kamen, und ſie nach Berlin fuͤhrten, wohin auch der Herzog und die Her - zoginn von Mecklenburg kamen, und ihren Beſuch bey ihnen abſtatteten.

N 5Hier202
Seine Armee geht nach Pe - tersburg zu - ruͤck.
1

Hier hielt ſich der Czar nicht laͤnger als drey Ta - ge auf, und gieng von hier nach Danzig, wo er den 15ten September ankam, und wo der General Wey - de demſelben ſeine Aufwartung machte, um ſeine Be - fehle zu empfangen. Der Czar reiſete hierauf nach Petersburg ab, und wir giengen nach Tuchol zuruͤck, wo wir den 1ſten October ankamen. Herr Gruzins - ky, ein von dem Koͤnige von Pohlen dazu beſtimmter Commiſſar, begleitete uns durch Pohlen, bis wir auf Ruſſiſches Gebiete kamen. Wir traten den 2ten October unſern Weg an, und giengen uͤber Warſaw, Wilda (die Hauptſtadt in Lithauen) Riga und Nar - va, wie auch uͤber viel Fluͤſſe, naͤmlich zweymal uͤber die Weichſel, zweymal uͤber die Weper, und uͤber die Zaas, Memel, Wilda, Swenta, Dwina und Narva. Da wir nicht eilten, ſo blieben wir jede Woche vier Tage in guten Quartieren, und da wir Proviant genug hatten, ſo brachten wir auf dieſem Marſche ſieben Monate ſehr angenehm zu, und kamen den 19ten Februar in Petersburg an. Die Entfer - nung von Guͤſtrow, unſerm Hauptquartiere in Meck - lenburg, bis Petersburg, iſt 1959 Ruſſiſche Werſte oder 1306 Engliſche Meilen. Der Pohlniſche Commiſſar, Gruzinsky, wurde von dem Czar dafuͤr, daß er ſeine Truppen ſo gut verſorget hatte, reichlich belohnet.

Unordnun - gen in Ruß - land.
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Nachdem der Czar den 1ſten October, nach ei - ner Abweſenheit von 16 Monaten, in Petersburg an - gekommen war, ſo erwartete eine Menge wichtiger Angelegenheiten ſeine Zuruͤckkunft. Es liefen wider diejenigen, denen die Regierung in ſeiner Abweſenheit war anvertrauet worden, viele Klagen ein. Um diewider203wider die Partheyen angebrachten Beſchuldigungen zu unterſuchen, kam er jeden Morgen um 4 Uhr in den Senat; als er aber ſahe, daß viel Zeit zu den Pro - ceſſen erfordert werden wuͤrde, ſo ſetzte er ein außeror - dentliches Gericht nieder, welches dieſe Sachen unter - ſuchen ſollte. Wolchonsky, der Gouverneur in Ar - changel, und viele andere wurden uͤberfuͤhret und am Leben geſtraft; viele andere bekamen die Knute und wurden ins Elend verwieſen.

Es waren auf des Czars Befehl von ArchangelNoͤrdlicher Weg nach Jndien. verſchiedene Verſuche gemacht worden, einen Weg in Norden nach Oſt-Jndien zu entdecken, die aber we - gen der großen Eisſchollen, die wie Jnſeln auf dieſen Meeren herum ſchwimmen, fuͤr unmoͤglich befunden wurde. Ehe der Czar nach Deutſchland abreiſete, ſchickte er jemanden, der die Mathematik verſtand, mit Geſchenken an verſchiedene nordiſch-tartariſche Fuͤrſten, damit er entdecken ſollte, ob die See im Norden der Tartarey ſich bis nach China erſtrecke. Als dieſer zuruͤck kam, berichtete er, daß ihn viele tartariſche Fuͤrſten ſehr freundſchaftlich aufgenommen und hoͤflich behandelt, und ihm einer zu dem andern Bedeckung gegeben haͤtten, bis er in den 70ſten Grad noͤrdlicher Breite, zu einer Provinz, Jakuti genannt, am Fluſſe Lena, gekommen ſey, der im 80ſten Gra - de, nahe bey einer Jnſel, Tazata genannt, in das Eis - meer faͤllt. Dieſer Fuͤrſt wollte weder ſeine Geſchen - ke annehmen, noch ihn auf dem Fluſſe herunter gehen laſſen, ſondern drohete ihm, wenn er nicht zuruͤck gien - ge, Befehle zu geben, ihn und ſeine Leute in Stuͤcken zu zerhauen; dieſes endigte alſo ſeinen weitern Fort - gang und ſeine Entdeckungen. Er verfertigte vonden204den verſchiedenen tartariſchen Koͤnigreichen, durch die er gegangen war, eine Karte, mit einer umſtaͤndli - chen Beſchreibung der Laͤnder und Einwohner, welche viel mehr enthielt, als man von dieſen wilden Gegen - den gewußt hatte, und dieſe uͤbergab er dem Czar. Er ſagte, daß es lauter herumſchweifende Tartarn waͤren, welche in Zelten wohnten, und ihre Woh - nungen von einem Orte zum andern aufſchluͤgen, wo ſie Futter fuͤr ihr Vieh faͤnden, weil ihr ganzer Reich - thum darinn beſtehe. Doch bemerkte er eine Art von Haͤuſern oder Huͤtten an den Fluͤſſen, worinn alle - zeit ihre Chams wohnten, wie auch ein wenig Getrei - de. Da aber die nordiſchen Tartarn ſo wild bleiben, ſo wird es wohl unmoͤglich ſeyn, dieſe Gegenden voll - kommen zu entdecken.

Expedition des Fuͤrſten Beckewitz.
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Faſt um eben dieſe Zeit bekam der Czar eine ſehr unangenehme Nachricht von dem Ausgange des Unternehmens, welches an der oͤſtlichen Seite des Cas - piſchen Meeres gegen die Usbeckiſche Tartarey war ge - macht worden. Da der Czar erfahren hatte, daß mit dem Fluß Daria eine große Menge Goldſand herunter kaͤme, ſo ſchickte er den Fuͤrſten Alexander Beckewitz mit 3000 Mann ab, daß er an dem Aus - fluſſe dieſes Fluſſes landen, eine Feſtung daſelbſt an - legen, und alsdann im Lande weiter herauf gehen und die Berge entdecken ſolle, aus denen dieſer Goldſand kam. Der Fuͤrſt baute ohne den geringſten Wider - ſtand eine Feſtung, ob ſich gleich die Usbeckiſchen Tartarn eben daſelbſt befanden, die ihm, anſtatt zu hindern, allen nur moͤglichen Beyſtand thaten, die Truppen mit allen Arten von Proviant verſahen, und den freundſchaftlichſten Umgang mit einander hielten. Als205Als die Feſtung fertig war, wollte der Fuͤrſt auf dem Fluſſe weiter herauf gehen und die Erzgruben entde - cken; allein die Tartarn ſagten ihm, als ſie dieſes merkten, daß er den Fluß, wenn er ſeinem Lauſe zu folgen geſonnen ſey, wegen ſeiner vielen Wendungen und Kruͤmmen unfahrbar finden wuͤrde; wenn er aber bloß zu den Erzgruben wollte, ſo gebe es einen viel naͤhern Weg zu Lande, den ſie in drey Tagen zuruͤck legen koͤnnten, und daß ſie ihn denſelben fuͤhren wollten. Der Fuͤrſt, der ihrer ſcheinbaren Freundſchaft trauete, und wegen ihrer unbetraͤchtlichen Anzahl auch keine Urſache ſich zu fuͤrchten hatte, ließ einen Capitaͤn mit 200 Mann zuruͤck, der die Feſtung beſetzen und die Schiffe bewachen ſollte, und marſchirte mit ſeinen tartariſchen Fuͤhrern durch eine Wuͤſte ab. Als ſie, anſtatt drey, ſieben Tage marſchiret waren, befanden ſie ſich, wegen Mangel an Waſſer, in der aͤußerſten Verlegenheit, und kamen endlich nach vielen Be - ſchwerlichkeiten zu den Bergwerken, fanden aber vor denſelben den Cham von Usbeck mit 50000 Mann ſeiner Tartarn, der mit allem Scheine der Freund - ſchaft dem Fuͤrſten von Beckewitz allen Beyſtand, ſo viel ihm nur moͤglich ſey, anbot. Da er auch merk - te, daß der Fuͤrſt eine Feſtung daſelbſt anlegen wollte, ſo verſprach er, ſeinem Volke Befehl zu geben, Bau - materialien anzuſchaffen, und erbot ſich, die Armee, da ſie auf ihrem Marſche durch die Wuͤſte wegen Mangel am Waſſer viel ausgeſtanden haͤtte, und nun wegen des Proviants in Verlegenheit kommen koͤnnte, bey ſeinen eigenen Leuten in den Kibbits oder Zelten cantoniren zu laſſen. Der Cham begegnete dem Fuͤrſten und allen ſeinen Officieren mit ſo vieler ſchein -baren206baren Vertraulichkeit, daß ſie ſich fuͤr recht gluͤcklich hielten. Als der Fuͤrſt den Vorſchlag that, daß ſei - ne Leute bey den Tartarn cantoniren ſollten, ſo prote - ſtirten alle ſeine Officiers, nicht einen einzigen ausge - nommen, dawider, und ſagten, daß man den Tar - tarn nicht trauen muͤſſe; denn ſo lange als ſie beyſam - men blieben, haͤtten ſie, ihrer großen Menge unge - achtet, nichts von ihnen zu befuͤrchten; ſo bald ſie ſich aber trennten, wuͤrden ſie in Gefahr ſeyn, ins - geſammt von ihnen niedergemacht zu werden.

Als der Tartarcham merkte, daß ſie einiges Mißtrauen in ihn ſetzen wollten, ſo ſagte er zu dem Fuͤrſten und ſeinen Officieren, daß ſie keine Ur - ſache haͤtten, ein Mißtrauen auf ſeine Freundſchaft zu ſetzen, und daß er dieſes bloß aus Hochachtung ge - gen den Czar, ihren Herrn, thue, von dem er wiſſe, daß er in große Kriege in Europa verwickelt ſey, die er nicht ohne Gold fuͤhren koͤnne. Er gebe ihnen daher auch freywillig die Freyheit, zu nehmen, ſo viel als ihnen gefaͤllig ſey. Was ihn betreffe, ſo ſchaͤtze er weder Gold noch Silber, da es in ihrem Lande keinen Nutzen habe, denn ſie lebten ohne daſſelbe, und koͤnn - ten ſogar das Brot entbehren, folglich haͤtten ſie bey - des nicht noͤthig, weil ihr ganzer Reichthum in Heer - den von Viehe beſtehe, mit denen ſie ſich nebſt ihren Zelten begeben koͤnnten, wohin es ihnen beliebe. Da ſie auch weder Feſtungen, noch Staͤdte oder Doͤrfer haͤtten, ſo duͤrften ſie auch nicht fuͤrchten, daß ſie ih - nen wuͤrden genommen werden, weil ſie einen Tag hier und den andern an einem andern Orte wohnten. Was das Anerbieten betreffe, ihre Leute bey ſeinen Leuten einzuquartieren, ſo habe er es aus guter Mei -nung207nung gethan, um ſie bis zur Ankunft ihres Pro - viants von ihren Schiffen zu verſorgen, der nicht lange ausbleiben koͤnne, da er eine Parthie von ſeinen Leuten mit Kameelen, ihn deſto geſchwinder herbey zu ſchaffen, abgeſchickt habe.

Der General ließ ſich endlich wider den Rath ſei - ner Officiers durch die Schmeicheleyen bereden, ſeine Leute unter die Tartarn einzuquartieren. Jndem dieſes geſchahe, bewirthete der Cham den Fuͤrſten und ſeine vornehmſten Officiers in ſeinem eigenen Zelte bis ſpaͤt in die Nacht, da denn, indem ſie in der groͤßten Freude waren, ein Tartar herein trat, und ſagte, daß ſeine Befehle vollzogen waͤren. Hier - auf nahm der Cham eine grauſame Miene an, und befahl, daß alle Officiers entwaffnet und gebunden wuͤrden, welches auch ſogleich geſchahe. Hierauf ſagte er zu dem Fuͤrſten, daß ſeine Leute alle ermor - det waͤren, und daß er und ſeine Officiers, weil ſie ſich ohne Erlaubniß in ſein Gebiete zu kommen unterſtanden haͤtten, gleichfalls umgebracht werden ſollten. Die Officiers wurden dieſen Augenblick von ſeinem Angeſichte weggebracht, und dem Fuͤr - ſten Beckewitz wurde befohlen, auf ein Stuͤck ro - thes Tuch niederzuknien, welches auf die Erde aus - gebreitet war und daſelbſt ſein Schickſal zu erwar - ten. Der Fuͤrſt fieng ſtatt deſſen an, dem Cham ſeinen Betrug vorzuwerfen, und verſicherte ihn, daß es der Czar auf die empfindlichſte Art ahnden wuͤrde. Hierauf hieben ſie ihn ſo gleich mit ihren Saͤbeln in die Beine, bis er nieder fiel, da er denn unmenſchlicher Weiſe in Stuͤcken zerhauen wurde. Zu eben der Zeit uͤberfiel die nach dem Proviantenach208nach der Feſtung geſchickte Parthey die darinn be - findliche Beſatzung, machte ſie nieder, zerſtoͤrte die Feſtung und verbrannte die Schiffe, und ließ nicht die geringſte Spur uͤbrig, daß jemals etwas von dieſer Art daſelbſt geweſen ſey.

Dieſes Ungluͤck verurſachte in ganz Rußland verſchiedene Muthmaßungen und Betrachtungen, indem nicht die geringſte Nachricht weder von der Mannſchaft noch von den Schiffern eingegangen war, bis endlich geſchloſſen wurde, daß ſie alle auf dem Caspiſchen Meere umgekommen ſeyn muͤßten. Die ganze Sache wurde endlich dem Czar von einem Officier hinterbracht, der von Geburt ein Deutſcher war, in dem Treffen bey Pultawa in Schwediſchen Dienſten war gefangen worden, und mit dem Ge - neral als Capitaͤn und Adjutant auf dieſe Expedition gegangen, auch vom Anfange bis zu Ende bey die - ſem Vorfalle ein Augenzeuge geweſen war. Er war in dem allgemeinen Blutbade von ſeinem Wir - the, um ihn zu verkaufen, erhalten worden. Weil er aber keiner ſchweren Arbeit gewohnt war, ſo ward er oft von einem Herrn an den andern ver - kauft, bis er endlich an einen Armeniſchen Kauf - mann kam, der eine Correſpondenz mit Armenia - nern in Aſtracan hatte. Dieſem entdeckte er ſich, der ihm denn, nachdem er ſeines Geldes wegen, das er ihn gekoſtet hatte, Sicherheit bekommen, ſeine Freyheit gab. Von ihm erhielten wir alſo dieſe Nachricht, die vielleicht ſonſt ewig wuͤrde ver - borgen geblieben ſeyn.

Der209

Der Fuͤrſt Alexander Beckewitz war der einzige Sohn des Fuͤrſten Archilla, aus Jberien und Min - grelien, der bey dem Perſiſchen Monarchen des - wegen in Ungnade fiel, weil er ihm ſeine Gemah - linn, (die Mutter dieſes Fuͤrſten) eine ſehr ſchoͤne Frau, abgeſchlagen hatte. Dieſes noͤthigte den Fuͤrſten, ſein Land zu verlaſſen und ſich unter den Schutz des Czars zu begeben. Da er nun kurz dar - auf verſtarb, ſo hinterließ er ſeinem einzigen Soh - ne, dem Fuͤrſten Alexander, den ganzen unermeß - lichen Reichthum, den er mitgebracht hatte. Die - ſer Fuͤrſt heirathete eine Prinzeſſinn aus dem Hauſe Galitzin, die die groͤßte Schoͤnheit in ganz Ruß - land war. Allein ſie ertrank ungluͤcklicher Weiſe in der Wolga, als ſie ſich zu ihrem Gemahl nach Aſtracan begeben wollte.

Als der Czar ſahe, daß die Mißbraͤuche in derNeue Ein - richtung zu Petersburg. Verwaltung ſeiner Einkuͤnfte hauptſaͤchlich von der verworrenen Methode ſeiner Dicaſterien herruͤhrte, ſo richtete er ſie nunmehr nach einem neuen Plane ein, den er, vermittelſt ſeiner eigenen Beobachtun - gen in Paris, entworfen hatte. Das erſte war der Senat; das zweyte das Collegium der auslaͤndiſchen Angelegenheiten; das dritte das Finanzcollegium; das vierte zu Handhabung der Gerechtigkeit; das fuͤnfte zur Reviſion; das ſechste zum Kriegswe - ſen; das ſiebente fuͤr die Marine; das achte fuͤr die Handlung; das neunte, Sachen anzunehmen und auszufertigen, und das zehnte fuͤr Kuͤnſte, Wiſ - ſenſchaften, Bergwerke, Gebaͤude ꝛc. Zu eben der Zeit errichtete er auch eine Seidenmanufactur inOMoskau,210Moskau, und hatte eine Menge Seidenweber in Paris angenommen. Er bekam dazu rohe Seide genug aus der Provinz Gilan, auf der ſuͤdlichen Kuͤ - ſte des Caspiſchen Meeres, die fuͤr die beſte in Per - ſien gehalten, und auf dieſem Meere nach Aſtra - can, und von da auf den Fluͤſſen Wolga und Acka nach Moskau gebracht wird.

Sechstes211

Sechstes Buch.

Des Czarowitz Zuruͤckkunft nach Moskau und deſſen Ausſchließung von der Thronfolge. Seine Mitſchuldigen. Die Prinzeſſinn Maria iſt eben - falls darinn begriffen. Das Verhoͤr des Cza - rowitz in Petersburg. Sein Tod und Charak - ter. Des Schwediſchen Feldmarſchalls Rein - ſchield Ruͤckkehr nach Schweden. Der Alan - der Friedenstractat wird vereuert. Des Koͤ - nigs von Schweden Tod. Tod des Baron Goͤrtz. Des Fiscals Angeben wider das uͤble Verhalten der Großen, und ihr Verhoͤr. Des Fuͤrſten Gagarins unverantwortliches Betra - gen. Noch mehrere von des Czarowitz Mit - ſchuldigen. Der Tod des Prinzen Peter Pe - trowitz. Prinz Peter Alexowitz wird zum Ser - geanten gemacht, lernt exerciren, und wird Faͤhn - drich. Friedenshandlungen werden erneuert, aber vergebens. Der Czar entſchließt ſich den Frieden zu erzwingen. Merkwuͤrdige Landung in Schweden. Die Brittiſche Flotte kam zu ſpaͤt. Der Czar zerfaͤllt mit Großbritan - nien. Die Jeſuiten werden vertrieben. Der Czar wird in Reval krank. Des Generals Weyde Krankheit, und des Czars Sorge fuͤr ihn. Schwediſche Angelegenheiten. Marſchall Wey - des Tod. Ueble Behandlung ſeiner Familie. Deſſen Begraͤbniß. Der Czar verſtoͤßt Menzi - kofen. Des Capitaͤns Bruce vergebliches Be - muͤhen die Ruſſiſchen Dienſte zu verlaſſen. DerO 2neue212neue Koͤnig von Schweden laͤßt ſeine Thronbeſtet - gung melden. Ein zweyter Einfall. Die Schweden greifen unſere Flotte mit Verluſt an. Der Czar nimmt den Herzog von Holſtein in ſei - nen. Schutz. Kriegsgericht uͤber den Oberſt - Lieutenant Graves. Ein ſeltner Proceß zwi - ſchen zwey Bruͤdern in Reval. Neue Zuruͤſtun - gen wider Schweden. Die von ihrer Seite ge - machten Vorſchlaͤge zu einer Aufhebung der Feind - ſeligkeiten werden verworfen. Dritte Landung in Schweden, wodurch ſie genoͤthiget werden, die Praͤliminarien zu unterſchreiben, und den Frieden zu ſchließen. Die Flotte und Armee in einem Sturme, und ein auf eine merkwuͤrdige Weiſe er - haltenes Kind. Die Flotte kommt in Peters - burg an. Dem Czar wird von ſeinem Senate der Titel Peter der Große ꝛc. gegeben. Weiſe Verbeſſerung in Anſehung der Geſetze. Dem Capitaͤn wird die Abdankung zum zweyten Mahle abgeſchlagen. Triumphirender Einzug in Moskau. Befehl und Eid die Thronfolge be - treffend.

1717. Ruͤckkunft des Czaro - witz nach Moskau.
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Der Czar reiſete den 3ten Februar nach Moskau ab, nachdem er vernommen hatte, daß der Graf Tolſtoi mit dem Czarowitz von Neapel unter Weges ſey, welche auch den 11ten gleichfalls daſelbſt ankamen. Bey dieſer Gelegenheit wurde ein großer Rath in Moskau gehalten, weil der Czar entſchloſſen war, ſeine Gerechtigkeit auf die feyerlichſte Art an dieſem Prinzen wegen ſeines Ungehorſams auszuuͤben. Nachdem ſich der Rath verſammlet hatte, wurde derCzaro -213Czarowitz als ein Gefangener vor denſelben in den Saal gefuͤhret. Bey ſeinem Eintritte uͤbergab er dem Czar ein Schreiben, worinn er ſein Verbrechen geſtand. Der Czar fragte ihn, worinn ſein Suchen beſtehe; der Prinz bat um Gnade und daß ihm das Leben geſchenkt werden moͤchte. Der Czar ge - waͤhrte ihm dieſe Bitte, mit der Bedingung, wenn er alle ſeine Mitſchuldigen entdecken und ſeinem An - ſpruche und Rechte auf die Thronfolge ſchriftlich ent - ſagen wolle. Hierauf unterzeichnete er eine Schrift, in der er geſtand, daß er ſich zur Regierung untuͤchtig befaͤnde, und alſo allem Rechte auf die Thronfolge entſage, welches er auch hierauf eidlich beſtaͤtigte, und ſeinen Bruder Peter fuͤr den rechtmaͤßigen Erben der Krone erklaͤrte. Als dieſes geſchehen war, lei - ſteten alle Miniſter und Große, die gegenwaͤrtig wa - ren, den Eid der Treue, ſchloſſen den Prinzen Alexis von der Krone aus, erkannten den Prinzen Peter fuͤr den wahren Nachfolger derſelben, und machten ſich verbindlich, ihm mit ihrem Leben wider alle diejenigen, ſo ſich ihm widerſetzen wuͤrden, beyzuſtehen, auch un - ter keinem Vorwande dem Prinzen Alexis anzuhan - gen, oder ihm zur Wiedererhaltung beſagter Thronfol - ge behuͤlflich zu ſeyn. Eben dieſen Eid mußte auch die Armee und Flotte innerhalb und außerhalb des Landes, wie auch jeder Unterthan des Ruſſiſchen Reichs, ſchwoͤren. Deſſen ungeachtet wurde der Prinz noch gefaͤnglich verwahret, und außer den Grafen Tolſtoi, und noch einigen, die der Czar dazu ernannt hatte, nie - mand zu ihm gelaſſen.

Nachdem dieſes geſchehen war, wurden des Prin -Seine Mit - ſchuldigen. zen Mitſchuldige eingezogen, worunter ſich auch ſeineO 3Mutter,214Mutter, die vormalige Ezarinn, jetzige Aebtiſſinn im Kloſter Susdale, und ihr Liebling, der Bojar Gle - bof befanden, der nicht allein ein boͤſes Leben mit der Mutter gefuͤhret hatte, ſondern auch die vornehmſte Triebfeder der Verſchwoͤrung, zwiſchen ihr und ihrem Sohne, dem Czarowitz, geweſen war. Die Briefe, die ſie an einander geſchrieben hatten, wurden bekannt gemacht, und waren nicht allein verraͤtheriſch, ſondern auch ſchaͤndlich. Nebſt dieſen wurden auch der Bojar Abraham Lapuchin, der verſtorbenen Czarinn Bru - der, und Oheim des Prinzen, Alexander Kikin, er - ſter Commiſſar bey der Admiralitaͤt, vor dieſem ein großer Liebling des Czars, der Biſchof von Roſtof und Puſtinoi, der vorigen Czarinn Beichtvater und Schatzmeiſter, verhoͤrt und zum Tode verurtheilt. Glebof wurde lebendig geſpießt, und die andern vier lebendig geraͤdert. Hierzu wurde vor dem Schloß - thore ein hohes Viereck erbauet; der geſpießte Koͤrper Glebofs wurde in der Mitte und die Koͤpfe der vier andern an den Ecken auf vier hohen Pfaͤhlen aufge - ſteckt. Es wurden auch zu eben der Zeit viele ande - re hingerichtet, worunter ſich auch 50 Prieſter und Moͤnche befanden, die die letzten Geſellſchafter des Czarowitz geweſen waren, und ihn zu allen Arten der Schwelgerey verfuͤhret hatten, denen die Koͤpfe auf einem Blocke, welches ein dazu gemachter Baum war, daß ſie alle zugleich Platz hatten, abgehauen wurden.

Die Prinzeſ - ſinn Maria iſt mit dar - unter.
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Die Prinzeſſinn Maria, eine Halbſchweſter des Czars, war ebenfalls mit in dieſer Verſchwoͤrung ver - wickelt; ſie ward nachmals in ein nahe an der Lado - gaſee gelegenes Kloſter eingeſperrt; die vorige CzarinnOttakeſa215Ottakeſa Lupochin aber wurde in die Feſtung Schluͤſ - ſelburg, die auf einer Jnſel in dieſem See ſtehet, ein - geſchloſſen. Alle Bedienten des Czarowitz und ſeine Maitreſſe Euphroſina, wurden eingezogen, wie auch der Fuͤrſt Waſilia Dolgoruky, Generallieutenant und Oberſter bey der Garde, Ritter des Elephanten-Or - dens, und Generaldirector der zur Unterſuchung des Finanzenzuſtandes des Czars niedergeſetzten Commiſ - ſion, in welchem Poſten er ſich ſehr ſtolz gegen den Fuͤrſten Menzikof, den Admiral Apraxin und ver - ſchiedene andere bezeiget hatte. Er wurde auf Zeit - lebens nach Caſan in das Elend geſchickt. Der Si - beriſche Czarowitz und die Senatoren Woinof, Wo - rof, und Johann Kikin, der Bruder Alexander Ki - kins, wurden ebenfalls in das Elend geſchickt; aber die Senatoren Graf Peter Apraxin, des Admirals Bruder, und der Graf Samarin wurden frey ge - ſprochen. Einer von des Czars Pagen und viele Nonnen wurden hart am Leibe gezuͤchtiget, und mit den meiſten von des Czarowitz Bedienten in das Elend geſchickt; Euphroſina aber bewies, daß der Prinz auf ihre Ueberredung zuruͤck gekommen, und daß ſie, nachdem ſie zum erſten Mahle niedergekom - men, die Ruſſiſche Religion angenommen, und wirk - lich auf ihrer Reiſe mit dem Prinzen von einem grie - chiſchen Prieſter copuliret worden, welcher in Leipzig eingezogen und als ein Gefangener nach Moskau ge - bracht ward; ſie wurde alſo nicht allein wieder in Freyheit geſetzt, und erhielt viele von des Czarowitz Juwelen zuruͤck, ſondern bekam auch aus der Schatz - kammer ein betraͤchtliches Vermoͤgen zu ihrem Unter - halte. Sie konnte nachmals nie wieder zur HeirathO 4beweget216beweget werden; ſie war von niedrigem Herkommen und eine Gefangene aus Finland.

Kriegesruͤ - ſtung.
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Als dieſe große Unterſuchung in Moskau zu En - de war, reiſete der Czar von da wieder ab, und kam den 4ten April in Petersburg an. Der Czarowitz langte zwey Tage ſpaͤter an, und wurde in die Feſtung geſetzet. Kaum war der Czar angekommen, ſo gieng er auf das Schiffwerft, und befahl, daß die fertigen Kriegsſchiffe von Stapel gelaſſen und ſeine Flotte in aller Eil ausgeruͤſtet werden ſollte, Großbritannien und Holland zuvor zu kommen, welche den Koͤnig von Schweden zu einem beſondern Frieden mit der erſtern Macht zwingen wollten.

Gegen das Ende des Mayes wurde die erſte Conferenz auf der Jnſel Aland gehalten, wohin ſie auf Verlangen des Baron Goͤrtz war verlegt worden, weil ſie Stockholm naͤher und daher zu dem Geſchaͤfte bequemer ſey. Die Gevollmaͤchtigten des Czars bey dieſem Congreſſe waren, der Graf Bruce, General - Feldzeugmeiſter, und der Baron Oſtermann, gehei - mer Rath, und von dem Koͤnige in Schweden, der Baron Goͤrtz und der Graf Gyllenborg. Von den fremden Miniſtern wurde keiner zu dieſen Conferenzen gelaſſen, außer der Baron Mardefelt, Envoye des Koͤnigs von Preuſſen.

1718. Verhoͤr des Czarowitz zu Petersburg.
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Wegen der großen Menge der Hinrichtungen und Beſtrafungen, nach der in Moskau gehaltenen Jnquiſition, glaubte jedermann, daß die Sache nun - mehr zu Ende ſey. Allein es erhellete aus den Ent - deckungen, die noch taͤglich gemacht wurden, daß der Prinz in Entdeckung ſeiner Mitſchuldigen nicht auf - richtig geweſen war. Da nun die Mitſchuldigen ſozahlreich217zahlreich und das Complot ſo tief gegruͤndet war, ſo fand der Czar fuͤr unumgaͤnglich nothwendig, den Prinzen vor ein foͤrmliches Verhoͤr zu ziehen. Jn die - ſer Abſicht berief er den ganzen Adel und die Geiſtlich - keit, die vornehmſten Officiers von der Armee und der Flotte, die Gouverneurs in den Provinzen, und noch viele andere von verſchiedenen Range und Staͤnden zu - ſammen, ſich in dem Senathauſe zu verſammeln, und dem Verhoͤre des Prinzen beyzuwohnen. Das Ver - hoͤr wurde den 25ſten Junii angefangen, (die Um - ſtaͤnde davon ſind von andern ſo umſtaͤndlich erzaͤhlet worden, daß ich die Wiederholung derſelben fuͤr un - noͤthig gehalten habe,) und dauerte bis den 6ten Ju - lii, da dieſes hohe Gerichte dem Prinzen einſtimmig das Leben abſprach, die Art des Todes aber Seiner Majeſtaͤt Ausſpruche uͤberließ. Der Prinz wurde dem zu Folge vor das Gericht gefuͤhret, ihm ſein Ur - theil vorgeleſen, und er wiederum zuruͤck in ſein Ge - faͤngniß in der Feſtung gebracht.

Den folgenden Tag begab ſich der Czar, in Be -Sein Tod und Charak - ter. gleitung der Senatoren und Biſchoͤfe, in die Feſtung und in die Zimmer, worinn der Czarowitz gefangen ſaß. Kurz hierauf kam der Marſchall Weyde her - aus, und befahl mir, zu dem Herrn Bear, dem Apo - theker, zu gehen, deſſen Gewoͤlbe nahe dabey war, und ihm zu ſagen, daß er den Trank, den er beſtellt habe, ſehr ſtark machen ſolle, weil der Prinz ſehr krank ſey. Als ich dem Herrn Bear dieſe Nachricht uͤberbrachte, wurde er ganz blaß, fieng an zu zittern und zu beben, und ſchien in der groͤßten Verlegenheit zu ſeyn, woruͤber ich mich ſo ſehr verwunderte, daß ich ihn fragte, was ihm fehle; er konnte mir aberO 5nicht218nicht antworten. Jndeſſen trat der Marſchall ſelbſt herein, faſt in eben dem Zuſtande, wie der Apothe - ker, und ſagte, daß er mehr haͤtte eilen ſollen, da der Prinz an einem Anfalle vom Schlage ſehr krank ſey. Der Apotheker uͤbergab ihm hierauf einen ſilbernen Becher mit einem Deckel, den der Marſchall ſelbſt in des Prinzen Zimmer trug, und den ganzen Weg wie ein Betrunkener taumelte. Eine halbe Stunde her - nach begab ſich der Czar nebſt allen ſeinen Begleitern mit ſehr traurigen Angeſichtern weg, worauf der Marſchall mir befahl, in des Prinzen Zimmer zu bleiben, und, im Fall eine Veraͤnderung vorfallen ſoll - te, ihm ſogleich Nachricht davon zu geben. Es be - fanden ſich zwey Aerzte, zwey Wundaͤrzte, und der wachthabende Officier daſelbſt, mit welchen ich das Mittagsmahl , welches fuͤr den Prinzen war berei - tet worden. Die Aerzte wurden ſogleich herein be - rufen, auf den Prinzen Acht zu haben, der aus einer Convuſion in die andere fiel, und nach einem heftigen Todeskampfe des Nachmittags um 5 Uhr verſchied. Jch gieng ſo gleich, den Marſchall davon zu benach - richtigen, der ſolches in dem Augenblicke dem Czar hinterbrachte. Dieſer befahl, daß das Eingeweide aus deſſen Koͤrper genommen werden ſollte; worauf er in einen mit ſchwarzem Sammet uͤberzogenen Sarg gelegt, und uͤber denſelben ein reiches mit Gol - de geſticktes Leichentuch gedeckt wurde. Alsdann wurde er aus der Feſtung in die heilige Dreyfaltig - keits-Kirche getragen, wo er bis den 11ten auf ei - nem Paradebette lag, und alsdann des Abends wie - der in die Feſtung gebracht, und in das Kaiſerliche Begraͤbniß neben den Sarg ſeiner verſtorbenen Ge -mahlinn219mahlinn beygeſetzet wurde; bey welcher Gelegenheit der Czar und die Czarinn, wie auch die vornehmſten Adelichen in Proceſſion mitgiengen. Die von die - ſem Tode verbreiteten Nachrichten waren ſehr verſchie - den. Es wurde oͤffentlich bekannt gemacht, daß ihm, als er ſein Todesurtheil ſprechen hoͤrte, die Furcht da - vor einen Schlagfluß verurſachet habe, woran er ge - ſtorben ſey. Allein es glaubten es nur ſehr wenige, daß er eines natuͤrlichen Todes geſtorben ſey; indeſſen war es gefaͤhrlich, zu ſagen, was man dachte. Dem Kaiſerlichen und dem Hollaͤndiſchen Geſandten ward der Hof verboten, weil ſie bey dieſer Gelegenheit zu frey geredet hatten, und wurden, weil man ſich uͤber ſie beſchweret hatte, beyde zuruͤck berufen.

Auf dieſe Art ſtarb der fuͤr dieſe große Monar - chie beſtimmte Erbe, und wurde ſehr wenig von Per - ſonen von Stande bedauert, weil er ihren Umgang und Bekanntſchaft beſtaͤndig vermieden hatte. Man ſagte, daß der Czar uͤberaus große Muͤhe auf die Erziehung dieſes Prinzen gewendet habe, die aber ins - geſammt vergebens war, weil er von Natur traͤge und ungeſittet war, und mit der niedrigſten Geſellſchaft umgieng, mit der er allen Arten von Laſtern und Schwelgerey nachhieng. Um dieſes zu verhindern, ſchickte ihn ſein Vater auf Reiſen, auslaͤndiſche Hoͤfe zu beſuchen, und glaubte, ihn dadurch zu beſſern; aber auch dieſes war ohne Nutzen. Hierauf befahl er ihm, ihn auf ſeinen Reiſen zu begleiten, um ſelbſt ein wach - ſames Auge auf ihn zu haben; aber dieſem entgieng der Prinz dadurch, daß er beſtaͤndig vorgab, er ſey krank, welches auch wohl ſeyn konnte, weil er die meiſte Zeit betrunken war. Zuletzt glaubte derCzar220Czar ihn dadurch zu beſſern, daß er ihn an eine aus - laͤndiſche Prinzeſſinn verheirathete; was dieſes aber fuͤr eine Wirkung gethan hat, iſt bereits gemeldet worden. Nach dem Tode ſeiner liebenswuͤrdigen Ge - mahlinn befahl der Czar demſelben, ihn auf ſeiner Reife nach Deutſchland zu begleiten; allein als er, unter dem Vorwande, ſich nach Mecklenburg zu ihm zu begeben, auf der Reiſe war, machte er ſich in ge - heim auf die Flucht, und begab ſich zu ſeinem Schwa - ger, dem Roͤmiſchen Kaiſer, den er zu einem Kriege wider ſeinen Vater aufzuwiegeln ſuchte.

Aus ſeinem Verhoͤr erfuhr man, daß er gedro - het hatte, wenn er auf den Thron kommen wuͤrde, al - les, was ſein Vater gethan, uͤber den Haufen zu ſtoſ - ſen, ſich an dem Fuͤrſten Menzikof und ſeiner Schwaͤ - gerinn, wie auch an dem Großkanzler, dem Grafen Golofkin, und deſſen Sohne zu raͤchen, und ſie le - bendig ſpießen zu laſſen, weil ſie ihn uͤberredet haͤtten, die Prinzeſſinn von Wolfenbuͤttel zu heirathen; daß er alle Lieblinge ſeines Vaters ins Elend jagen, und alle Auslaͤnder aus ſeinem Lande vertreiben wollte; daß er ſeine Mutter aus dem Gefaͤngniſſe laſſen, und die Dame Catharina und ihre Kinder an ihre Stelle ſetzen wollte; hierauf wollte er ſeinen Hof aus ſolchen Perſonen erwaͤhlen, denen die alten Gebraͤuche und Lebensarten Rußlands am meiſten am Herzen laͤgen, denn er haßte alle Neuerungen. Nichts ruͤhrte den Czar empfindlicher, als die Drohung, alles umzuſtoſ - ſen, was er ſo viele Jahre mit ſo vieler Gefahr und ſaurer Arbeit, ohne dabey ſeine eigene Perſon zu ſcho - nen, fuͤr die Wohlfahrt und den Ruhm ſeines Landes gethan hatte. Dieſes erbitterte ihn ſo, daß er auchmit221mit vieler Heftigkeit ſagte, er wolle ſeine Laͤnder lieber einem wuͤrdigen Auslaͤnder, als einem ſo unwuͤrdigen Sohne geben. Zu der Zeit, als er dieſes ſagte, hat - te er keinen andern Sohn als den Czarowitz, welches alſo deutlich bewies, daß ihm das Wohl ſeines Lan - des mehr als die Thronfolge ſeiner Familie am Her - zen lag.

Der Schwediſche Feldmarſchall, Graf Rein -Der Schwe - diſche Gene - ral Rein - ſchield gehet zuruͤck. ſchield, der ſeit dem Treffen bey Pultawa als Gefan - gener in Caſan geweſen war, kam jetzt nebſt 20 Offi - cieren in Petersburg an, um gegen zwey Ruſſiſche Geuerale, den Knes Trubetzkoi und den Grafen Gol - lowin, die beyde, ſeit der Bataille bey Narva, als Gefangene in Stockholm geweſen waren, ausgewech - ſelt zu werden. Der Graf Reinſchield wurde ſehr gnaͤdig von dem Czar aufgenommen, und er empfahl ihn dem Feldmarſchall Weyde zu ganz beſonderer Sorgfalt. Er war taͤglich bey einem oder dem an - dern von den Großen zu Gaſte, wobey ſich der Czar jederzeit gleichfalls befand, und bey dieſen Gelegenhei - ten gieng er ſehr vetraut mit dem Grafen um, und ſagte einmal zu ihm, daß er nichts ſo ſehr wuͤnſche, als mit ſeinem Bruder, dem Koͤnige Carl, perſoͤnlich bekannt zu ſeyn, welches, wie er hoffe, in kurzem ge - ſchehen wuͤrde, wenn ſie zu ihrem beiderſeitigen Ver - gnuͤgen einen dauerhaften Frieden wuͤrden geſchloſſen haben. Er hoffe in kurzem eine perſoͤnliche Zuſam - menkunft mit demſelben zu haben, wo ſie Sachen mit einander verabreden wollten, wobey nicht viel Zeugen zugegen ſeyn ſollten. Da der Graf Reinſchield viel laͤnger, als er vermuthet hatte, aufgehalten ward, ſo befuͤrchtete er, der Koͤnig, ſein Herr, moͤchte nicht indie222die Auswechſelung willigen, welches ihn ſo unru - hig machte, daß er ſich deswegen bey unſerm Mar - ſchall beklagte, der ihn aber verſicherte, daß, wenn der Koͤnig in Schweden dieſe Auswechſelung ausſchla - gen ſollte, er nicht laͤnger aufgehalten werden ſollte, ſondern der Czar ihn auf ſeine Parole fortlaſſen wuͤr - de. Jch wurde aber wenig Tage nachher um Mit - ternacht mit der angenehmen Nachricht zu ihm ge - ſchickt, daß er den Morgen nach Stockholm abfah - ren ſollte, indem eine Jacht bereit laͤge, die ihn und ſeine Officiers an Bord nehmen ſollte. Der Mar - ſchall ſchlief, als ich zu ihm kam, ich meldete aber die angenehme Nachricht ſeinen Officieren, die ſie ſo freudig aufnahmen, daß ſie den Grafen durch ihr Laͤr - men aufweckten. Als er fragte, was es gaͤbe, trat ich vor ſein Bette, und richtete das mir aufgetragene aus, welches ihn auf eine ſo angenehme Art uͤber - raſchte, daß er aufſtand, mich umarmte, und ſagte, daß er, wenn ich jemals nach Schweden kommen ſollte, mir die uͤberbrachte angenehme Nachricht ver - gelten wollte, indem er jetzt nichts habe, womit er mich gehoͤrig belohnen koͤnnte. Jch blieb bey ihm, bis der Tag anbrach, und begleitete ihn alsdann auf die Jacht. Gegen 11 Uhr kam der Czar von dem Marſchall Weyde begleitet, um Abſchied von dem Grafen zu nehmen, gab ihm ſeinen eigenen Degen von der Seite, der mit Diamanten beſetzt war, und wuͤnſchte ihm eine gluͤckliche Reiſe nach Stockholm.

Friedens - handlungen auf Aland.
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Nachdem der Baron Goͤrtz von dem Koͤnige von Schweden mit deſſen letzten Entſchließungen zuruͤck gekommen war, ſo wurde die Conferenz zwiſchen un - ſern und den Schwediſchen Miniſtern in Aland fort -geſetzet.223geſetzet. Der Czar gieng im Monat Auguſt mit ſei - ner Flotte von Cronſ lot nach Reval, und von da nach Abo, um dem Orte, wo die Conferenzen gehalten wur - den, nahe zu ſeyn. Man verglich ſich, daß der Czar dem Koͤnige von Schweden Finland und einen Theil von Carelia abtreten, und an deſſen Stelle Wiburg, einen Theil von Carelia, ganz Jngermann - land, Eſtland und Liefland bekommen, dagegen aber den Schweden zur Wiedereroberung von Pommern, Bremen und Verden behuͤlflich ſeyn, wie auch den Herzog von Holſtein wieder in ſein Herzogthum ein - ſetzen, und den Herzog von Mecklenburg uͤberreden ſollte, ſein Herzogthum den Schweden auf immer zu uͤberlaſſen, wofuͤr er anderswo ein Aequivalent erhal - ten ſollte (man glaubte, daß es auf Curland abgeſe - hen geweſen). Zugleich ſollte der Czar den Stanis - laus, nach dem in Alt-Ranſtadt mit dem Koͤnige Auguſtus gemachten Vergleiche, wieder auf den Pohlniſchen Thron ſetzen; und wenn ſich Großbri - tannien in die Zuruͤcknahme von Bremen und Verden mengen ſollte, ſo wollten ſie alsdann mit vereinigter Macht und Flotten mit dem Praͤtendenten eine Lan - dung thun, und dieſen auf den Thron ſetzen.

Hierauf wurde beſchloſſen, daß der Baron Goͤrtz noch einmal mit dieſen Vorſchlaͤgen zu dem Koͤnige von Schweden zuruͤck gehen ſollte. Dieſer reiſete auch zu Ende des Septembers in der voͤlligen Hoff - nung ab, den Koͤnig dahin zu bewegen, ſie anzuneh - men. Jndeſſen geſchahe nichts, den Koͤnig von Schweden in ſeiner Unternehmung wider Norwegen zu hindern, indem der Czar mit ſeiner Flotte nach Cronſlot gieng, und den 15ten September in Pe -tersburg224tersburg anlangte, wo er die Czarinn von einer Prin - zeſſinn, der er den Nahmen Natalia gab, entbunden fand. Der Czar befahl, daß die Flotte in Cronſlot abgetakelt werden ſollte, ſo daß jedermann den Frie -Tod des Koͤ - nigs von Schweden. den mit Schweden fuͤr nahe anſahe. Dieſe Hoff - nung verſchwand aber nach dem Tode des Koͤnigs von Schweden gar bald, der in der Nacht zwiſchen dem 29ſten und 30ſten November erfolgte, als ihm vor Friedrichshall in Norwegen eine Kugel durch den Kopf geſchoſſen ward, wovon jedermann glaubte, daß es von einem ſeiner eigenen Leute geſchehen ſey. Der General-Feldmarſchall Reinſchield, der damals in den Trancheen war, und dem Koͤnige ſeine Aufwartung machen wollte, fand ihn auf einem Ab - ſatze kniend mit dem Kopfe auf der Bruſtwehr nach einer Seite geneigt liegen; der Marſchall glaubte er ſchliefe, und bemuͤhte ſich, ihn aufzuwecken, fand aber, daß er todt und kalt war.

Tod des Ba - ron Goͤrtz.
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Der Baron Goͤrtz wurde hierauf, als er ſich zu dem Koͤnige begeben wollte, in Verhaft genommen, kurz darauf enthauptet und ſein Koͤrper unter den Gal - gen begraben. Es wurden auch verſchiedene andere Perſonen, die mit Goͤrtzen Umgang hatten, eingezo - gen, wie denn auch ein Officier nach Aland geſchickt wurde, den Secretair Stamble in Verhaft zu neh - men und ſich aller ſeiner Schriften zu bemaͤchtigen. Durch dieſen erfuhren wir, daß der Koͤnig von Schwe - den todt, und ſeine Schweſter, die Prinzeſſinn Ulrica, zur Koͤniginn erklaͤret worden. Der Secretair Stamble gieng nach Petersburg, wo er unter des Czars Schutze blieb, und hernach in Ruſſiſche Dien - ſte trat. Dieſe ploͤtzliche Veraͤnderung ſtieß alle zumFrieden225Frieden gethane Vorſchlaͤge wieder uͤber den Haufen, der damals, wie es ſchien, eben unterſchrieben wer - den ſollte.

Bey der Zuruͤckkunft des Czars gab der General -Proceß wi - der viele Große. Fiscal viele Große bey der Regierung an, daß ſie die Unterthanen druͤckten und den Czar um große Sum - men betroͤgen. Der Czar ſetzte ſogleich ein Gericht nieder, dieſe Sachen zu unterſuchen, ernannte den Marſchall Weyde zum Praͤſidenten deſſelben, und ſagte, daß er der einzige Mann ſey, den er noch in keiner Sache falſch befunden habe. Zu Beyſitzern gab er ihm die Generallieutenants Butterlin und Schlippenbach, die Generalmajors Galitzin und Ja - guſinsky, wie auch die Generalbrigadiers Wolkof und Mamonof. Dieſes Gericht ſollte das uͤble Ver - halten derjenigen Perſonen unterſuchen, die der Gene - ral-Fiscal anzeigen wuͤrde, und diejenigen, die ſie ſchuldig befinden wuͤrden, verurtheilen, ſo wie es die Beſchaffenheit ihres Verbrechens erfordern wuͤrde, ohne Ruͤckſicht auf die Perſonen zu haben. Der er - ſte, der vor dieſes Gericht gefordert wurde, war der Fuͤrſt Menzikof, welcher der wider ihn ange - brachten Klage ſchuldig erkannt wurde, und, nach - dem er ſich dem Ausſpruche dieſes Gerichts unterwor - fen hatte, ſeinen Degen uͤbergab, und in ſein Haus gieng, wo er ſo lange im Arreſte bleiben ſollte, bis man des Kaiſers Willen erfahren wuͤrde. Die fol - genden waren der Großadmiral Apraxin und ſein Bru - der, ein Senator und Gouverneur in Aſtrakan, wie auch Generaldirector der Salzwerke. Nachdem ſie alle drey waren ſchuldig befunden worden, wurde ihnen das Urtheil geſprochen, daß ſie ihre Aemter verlieren,Pihre226ihre Guͤter zu Seiner Majeſtaͤt Gebrauche confiscire und ſie in das Elend geſchicket werden ſollten. Sie wurden alſo abgeſetzt und ihr Proceß durch den Druck bekannt gemacht. Hierauf wurde der Fuͤrſt Dolgo - ruky, der Generalzahlmeiſter, vorgefodert, der aber ſeine Sache ſo gut vertheidigte, daß er fuͤr unſchuldig erkannt wurde. Es wurden noch verſchiedene andere verhoͤrt und ſchuldig befunden; allein als jedermann glaubte, daß ihr Urtheil vollzogen werden wuͤrde, ſo nahm der Czar ſie wegen ihrer vorigen Verdienſte und treuen Dienſte wieder zu Gnaden an, nachdem ſie vorher große Summen in die Schatzkammer be - zahlet hatten.

Betragen des Fuͤrſten Gagarin.
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Hierauf wurde der Fuͤrſt Gagarin, Gouverneur in Siberien, von dem General-Fiscal angegeben und beſchuldiget, daß er mit Haufen von Tartarn, die er dazu gehalten, die Kaiſerliche Caravane aus China uͤberfallen und gepluͤndert habe, wobey viele Perſonen von dem Detaſchement, welches beſagter Fuͤrſt abge - ſchickt gehabt, die Caravane zu decken, getoͤdtet wor - den, ſo daß das Verbrechen nicht allein in der Pluͤn - derung Seiner Majeſtaͤt Caravane, ſondern auch dar - inn beſtehe, daß ſo viele von ſeinen unſchuldigen Un - terthanen ihr Leben verloren hatten, durch welche un - gerechte und boshafte Mittel er unendlichen Reich - thum zuſammen gebracht habe. Die Beweiſe gegen ihn waren ſo offenbar, daß das Gericht ihn in die Fe - ſtung ins Gefaͤngniß bringen ließ, bis man wiſſen werde, was der Czar ferner uͤber ihn beſchließen wuͤr - de. Nachdem er war eingezogen worden, begab ſich der Czar ſelbſt in die Feſtung, verhoͤrte ihn und ſagte, daß, wenn er freywillig geſtehen wolle, in wie weit erder227der beſchuldigten Verbrechen ſchuldig ſey, er ihm auf ſein Kaiſerliches Wort vergeben wolle. Hierauf ge - ſtand der Fuͤrſt, daß er aller wider ihn angebrachten Verbrechen ſchuldig ſey, und uͤbergab dieſes Bekennt - niß ſchriftlich mit ſeinem Nahmen unterzeichnet. Der Senat erhielt nunmehr Befehl, ſich den folgen - den Tag zu verſammeln; des Fuͤrſten Gagarins Be - kenntniß ward vorgeleget und vor dem Senate verle - ſen, worauf der Czar ſagte, daß er dem Fuͤrſten, weil er dieſes Geſtaͤndniß gethan, voͤllig vergeben ha - be; und daß er ſie in der Abſicht zuſammen kommen laſſen, ihnen zu zeigen, daß er mehr zur Gelindigkeit als zur Strenge geneigt ſey, weil er dadurch diejeni - gen, die bisher in ihrer Pflicht nachlaͤßig geweſen, zu beſſern glaube. Nachdem der Fuͤrſt hierauf aus der Feſtung vor den Senat war gebracht, und ihm ſein ſchriftliches und von ihm ſelbſt unterſchriebenes Be - kenntniß oͤffentlich vorgeleſen, und er gefraget worden, ob er eben dieſes vor dem Senate eingeſtehe, ſo ſagte er, daß er in Anſehung des ihn beſchuldigten Ver - brechens unſchuldig ſey; allein der Czar habe ihn er - ſchreckt und gezwungen, ſein Geſtaͤndniß wider ſeinen Willen ſchriftlich aufzuſetzen und zu unterſchreiben. Dieſe Erklaͤrung ſetzte den Czar in ſolches Erſtaunen, daß er einige Augenblicke ſtille ſchwieg, und alle Se - natores waren faſt außer ſich. Endlich ſagte der Czar, obgleich der Fuͤrſt ihn ſo offenbar einer Un - wahrheit beſchuldige, und ſo ſehr auf ſeiner Unſchuld beſtehe, ſo ſolle ihm doch die Vertheidigung ſeines Le - bens erlaubt ſeyn. Hierauf befahl er, daß die Zeu - gen wider ihn erſcheinen ſollten, an deren Spitze ſein eigener Secretair war, welcher unleugbare ThatſachenP 2wider228wider ihn bewies. Der Fuͤrſt, der bisher nicht wußte, daß ſein Secretair ſein Angeber ſey, wurde ſo beſtuͤrzt, daß er auf die Knie niederfiel, und ſagte, daß er ein verſtockter Suͤnder geweſen, und keine Gnade verdiene.

Dieſes unverantwortliche Bezeigen des Fuͤrſten Gagarin, nachdem er voͤllig Pardon erhalten hatte, ſetz - te jedermann in großes Erſtaunen; einige hielten ihn fuͤr unſinnig, andere glaubten, daß er ſich geſchaͤmet, vor der ganzen Welt ſo oͤffentlich zu bekennen, daß er ſo ſchreckliche Verbrechen begangen habe, indem er beſtaͤndig fuͤr einen frommen und tugendhaften Mann war gehalten worden. Er war in einem hohen Gra - de mildthaͤtig, und die Gefangenen in Siberien ver - loren einen ſehr warmen Freund an ihm, beſonders aber die Schwediſchen Officiers, die ſeine Freygebig - keit gegen ſie nicht genugſam erheben konnten. Bey ſeiner Ankunft in Petersburg war er mit ſeinen Ge - ſchenken ſehr verſchwenderiſch, beſonders gegen die Czarinn, der er einige nicht nur ſeltene ſondern auch koſtbare Gefchenke machte, wie er es denn auch dem maͤchtigen Vorſpruche dieſer Dame zu danken hatte, daß er Pardon erhielt. Nachdem er aber den Czar ſo oͤffentlich im vollen Senate beſchimpfet hatte, un - terſtand ſich niemand mehr, ein einziges Wort fuͤr ihn zu reden. Der Czar, der im hoͤchſten Grade wider den Fuͤrſten aufgebracht war, befahl daher, daß, nach dem Beyſpiele Hamans, ein 50 Ellen hoher Galgen vor dem Senathauſe aufgerichtet wer - den, und er in Gegenwart aller Senatoren, unter welchen er mit den meiſten verwandt oder auf andere Art verbunden war, daran gehaͤnget werden ſollte. Sein229Sein Urtheil war, ſo lange zu haͤngen, bis er ſtuͤck - weiſe herunter fallen wuͤrde; um aber jemanden da - hin zu bewegen, ihn eher abzuſchneiden, ſteckte der Fuͤrſt zwey Beutel mit Gelde in ſeine beyden Hoſen - taſchen zu ſich. Allein dieſes ward dadurch ver - eitelt, daß jede Nacht eine ſtarke Wache dahin geſtellt wurde, die ſeinen Koͤrper bewachen mußte, daß er alſo wirklich ſo lange hieng, bis das Geld mit ſeinen Gliedern herab fiel. Dieſes Geld theilten die Sol - daten unter einander, und der Galgen ward endlich mit dem Uebrigen ſeines Koͤrpers weggeſchafft.

Um dieſe Zeit wurden noch verſchiedene von des ver -Noch mehr Mitſchuldige des Czaro - witz. ſtorbenen Czarowitz Bedienten am Leben geſtraft, als z. B. ſein Beichtvater Puſtinoi, Aßonaſief, ſein Be - reiter, Woinof, ſein Haushofmeiſter, Dubrofsky, ei - ner von ſeinen Kammerherren, und vier andere von ſeinen Bedienten. Die vier erſtern wurden gekoͤpft und auf Raͤder geflochten, die uͤbrigen bekamen die Knute.

Am 15ten Januar 1719 kam Herr Jefferies,1719. Friedens - handlungen. der Engliſche Reſident am Schwediſchen Hofe, von Stockholm nach Petersburg; aber anſtatt, wie[man]vermuthet hatte, Vorſchlaͤge zu einem Vergleiche zu bringen, ſagte er, daß er dieſelben von dem Ruſſi - ſchen Hofe zu empfangen gekommen ſey. Zu An - fange des Februars ward der Baron Oſtermann von Aland nach Petersburg geſchickt, neue Jnſtructionen zu holen, und die Conferenzen wurden indeſſen von den Grafen Bruce und Guͤllenberg fortgeſetzet. Al - lein der Baron Oſtermann wurde zu Anfange des Aprils nach Schweden geſchickt, die Erklaͤrung zu thun, daß, wenn der Hof innerhalb zwey MonatenP 3die230die vor dieſem eingegangenen Bedingungen nicht an - naͤhme, derſelbe einen Beſuch von 40000 Gevoll - maͤchtigten zu erwarten habe, die ihn mit dem Schwerte in der Hand dazu zwingen wuͤrden.

Tod des Prinzen Pe - trowitz.
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Den 6ten May ſtarb der Prinz Peter Petrowitz, des Czars einziger Sohn, in vierten Jahre ſeines Al - ters, zu großem Leidweſen ſeines Vaters. Er lag ei - nige Tage auf dem Paradebette, und wurde alsdann mit vieler Pracht in die Kirche der Feſtung gebracht, und in das Kaiſerliche Begraͤbniß beygeſetzet.

Prinz Peter Alexowitz.
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Hierauf wurde der Großherzog, Peter Petrowitz, ein Sohn des verſtorbenen Czarowitz und des Czars Enkel, aus der Aufſicht ſeiner Hofmeiſterinn (die ſeine Mutter erzogen hatte) genommen, zum Ser - geanten bey der Garde gemacht, und ihm Lehrer ge - geben, die ihn in allen Arten der Wiſſenſchaften un - terrichten ſollten. Jch bekam Befehl, taͤglich zwey Stunden bey ihm zu ſeyn, und ihn in dem Kriegsweſen, der Artillerie und der Fortification zu unterrichten. Es zog taͤglich ein Corporal mit 24 Mann und einem Tambour als ſeine Wache auf; der Prinz exercirte dieſe Leute jeden Morgen ſelbſt, hatte ſeine Hellebarde n der Hand und fand großes Vergnuͤgen daran. Nach dem Exerciren feuerte er jederzeit drey meßin - gene einpfuͤndige Kanonen ab, die zu ſeinem Vergnuͤ - gen vor ſeiner Thuͤre ſtanden. Der Czar kam oft und ſah ihn ſeine Uebungen machen, und hatte an ſeiner Lebhaftigkeit und Aufmerkſamkeit große Freude. Als er einmal einige Zeichnungen und Modelle zu Fe - ſtungen auf dem Tiſche liegen ſahe, ſo fragte er den jungen Prinzen um den Gebrauch und Nutzen eines jeden Werks, worauf er ſo hurtig, und mit ſo vielerKlugheit231Klugheit in Betrachtung ſeiner Jahre, antwortete, daß ſein Großvater ſo wohl damit zufrieden war, daß er ihn herzlich umarmte, ihm ſein mit Diamanten reich beſetztes Portrait gab, und ihn zum Faͤhndrich bey dem erſten Regimente der Garde machte. Da er auch fand, daß ſein Verſtand ſein Alter weit uͤbertraf, ſo gab er verſchiedenen Kuͤnſtlern, als Schiffsbauleu - ten, Baumeiſtern ꝛc. Befehl, zu ihm zu gehen, und ihm ihre Zeichnungen zu zeigen und ſie ihm zu erklaͤren. Es war merkwuͤrdig, daß er ſich mit kei - nem Kinderſpiele beſchaͤftigte, und wenn ihm ſeine Schweſter, die Großfuͤrſtinn, einen Vorſchlag that, mit ihr zu ſpielen, ſo ſagte er zu ihr, daß es ſich fuͤr ſie beſſer als fuͤr ihn ſchicke, denn er muͤſſe ſeine Zeit beſſer anwenden, wie es einem Prinzen gezieme. Dieſes Verhalten machte, daß er von jedermann be - wundert wurde, und man ſich große Hoffnung von ihm machte, indem er damals der einzige Erbe der Ruſſiſchen Krone war.

Die Koͤniginn von Schweden ernannte endlichErneuerung der Friedens - handlungen. den Baron Lilienſtaͤd, anſtatt des Baron Goͤrtz, zum Miniſter auf dem Congreſſe in Aland. Dieſer kam in Monat Junii daſelbſt an; allein durch den Tod des Koͤnigs von Schweden, deſſen Ehrgeiz alle ſeine Nachbarn in große Furcht geſetzt hatte, waren auch alle Geſinnungen der Europaͤiſchen Fuͤrſten gegen die - ſes Koͤnigreich veraͤndert worden. Der Koͤnig von Großbritannien ſchickte den Lord Carteret, ſeinen Ge - ſandten, nach Schweden, einen Tractat und Buͤndniß mit dieſer Krone zu ſchließen, worinn man ſich ver - glich, daß Britannien Bremen und Verden fuͤr eine Million Kronen behalten, und, im Fall der Krieg mitP 4Rußland232Rußland fortgeſetzet wuͤrde, jaͤhrlich 300000 Kronen an Schweden bezahlen, und demſelben mit ſeiner Macht wider den Czar beyſtehen ſollte. Gleich darauf machten die Schweden faſt auf gleiche Be - dingungen mit dem Koͤnige von Preuſſen Frieden, und traten demſelben Stetin und deſſen Zubehoͤr ab. Zu eben der Zeit hatte auch der Koͤnig von Pohlen einen Tractat mit dem Kaiſer und dem Koͤnige von England geſchloſſen.

Landung in Schweden.
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Als ſich der Czar nunmehr von allen ſeinen Al - liirten verlaſſen ſahe, ſo beſchloß er, eine Landung in Schweden zu thun und dieſes Reich dadurch zum Frieden zu zwingen. Er gab daher Befehl, daß alle ſeine Galeeren und Kriegsſchiffe in Bereitſchaft gehalten werden ſollten, ſchiffte 40000 Mann, unter dem Commando des Apraxin ſeines Großadmirals, ein, und gab ihm Befehl, alles auf den Schwedi - ſchen Kuͤſten zu verwuͤſten und zu verheeren. Der Admiral hielt auf der Jnſel Capel Kriegsrath, und richtete ſeine Fahrt nach den Dalder Jnſeln, wo er viele Vornehme zu Gefangenen machte. Er gieng hierauf weiter, ruinirte die Kupferbergwerke, und zuͤndete die Waͤlder und viele in dieſen Gegenden be - findliche Haͤuſer der Adelichen an. Von hier gieng er nach Suͤd-Telle, und ſetzte 50 Koſacken zu Pfer - de ans Land, die bis auf eine Meile nach Stockholm vorruͤckten, eine Wache wegnahmen, und 1 Major und 8 Mann Gefangene zuruͤck brachten. Den 19ten Julii kam die Flotte bey Landfort an, nachdem ſie zwey mit Getreide beladene Schiffe, die nach Stock - holm fuhren, auf dieſer Fahrt weggenommen hatte. Die Galeeren waren in 3 Escadren vertheilet; dieeine233eine landete zwiſchen Nord - und Suͤd-Talle, die an - dere auf der Kuͤſte bey Gefle, und die dritte bey Ni - koͤping. Jn Sandmar wurden viele Dragoner und Koſacken ans Land geſetzet, die alles auf dem Lande um Stockholm herum verwuͤſteten und verbrannten. Zu eben der Zeit kam unſere Flotte an der Muͤndung des Fluſſes bey Stockholm an, wo ſie fuͤnf mit Pro - viant beladene Barken wegnahm. Von hier gieng ſie nach Norden, wo eine Menge Staͤdte und Doͤrfer verwuͤſtet wurden, beſonders diejenigen, die nahe an den betraͤchtlichen Eiſenbergwerken des Reichs lagen, deren Verwuͤſtung ein unerſetzlicher Schade fuͤr Schweden war. Mit einem Worte, da die Ruſſi - ſchen Truppen an ſo verſchiedenen Orten des Koͤnig - reichs landeten, ſo war es der Schwediſchen Armee unmoͤglich, ſelbiges zu verhindern; denn ſobald ſie ei - nen Ort in Lande verwuͤſtet hatten, zogen ſie ſich ſo - gleich zu einem andern. Nach der Beſchreibung des auf den Kuͤſten von Schweden erlittenen Schadens, beſtand derſelbe in der Einaͤſcherung von 8 Staͤdten, 11 Pallaͤſten, und 130 Haͤuſern, die adelichen und andern Herren gehoͤret hatten, 1361 Doͤrfern, 43 Muͤhlen, 26 Magazinen, 2 Kupfer - und 4 Eiſen - gruben, nebſt allem darinn befindlichen Viehe und Getreide. Alle Einwohner, die ſie antrafen, alt und jung, Manns - und Weibsperſonen, wurden weggenommen und in Transporten nach Finland ge - ſchafft, deren Zahl ſich uͤber 60000 belief, wo ſie bis zum Schluſſe des Friedens behalten wurden. Allein da ſich die Schweden zu ſehr auf die von ihren Alliirten ihnen verſprochene Huͤlfe verließen, ſo woll - ten ſie die zwiſchen dem Czar und ihrem verſtorbenenP 5Koͤnige234Koͤnige getroffenen Vertraͤge noch immer nicht einge - hen; der Czar drang daher nunmehr darauf, daß er uͤber das, was er vorher von Schweden verlangt hat - te, auch ganz Carelien und Kecksholm behalten woll - te; weil aber dieſe Vorſchlaͤge mit Verachtung ver - worfen wurden, ſo hoͤrte der Congreß in Aland auf, und die Miniſter giengen aus einander.

Die Engli - ſche Flotte kommt zu ſpaͤt an.
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Den 21ſten Auguſt kam die Engliſche Flotte, unter dem Admiral Norris, acht Tage hernach, als ſich unſere Flotte bereits in ihre verſchiedene Haͤfen zuruͤck begeben hatte, vor Stockholm an. Kurz dar - auf kam Herr Berkeley mit Briefen von dem Lord Carteret und dem Admiral John Norris an den Czar in Aland an, und wollte von dem Grafen Bruce einen Paß nach Petersburg haben. Weil aber der Graf von dem Jnhalte derſelben unterrichtet war, ſo ſchlug er es aus, dem Czar dieſe Briefe zu uͤberſchi - cken, und gab auch dem Herrn Berkeley keinen Paß nach Petersburg, ſondern ſchickte ihn mit einer Ant - wort an den Lord Carteret fort, worinn er ihm ſagte, daß er den Jnhalt der Briefe, die ſie an Seine Ma - jeſtaͤt uͤberſchickt haͤtten, ſo ſonderbar, und ſo wenig mit dem Buͤndniſſe und der Freundſchaft, die noch zwiſchen ſeiner Czariſchen und Brittiſchen Majeſtaͤten beſtuͤnden, uͤbereinſtimmend gefunden, daß er das unmoͤglich thun koͤnne, was ſie von ihm verlangten, bis er nicht vom Czar, ſeinem Herrn, Befehl dazu er -Bruch mit England. halten habe. Ueberdieſes ſey er auch uͤberzeugt, daß ſeine Britanniſche Majeſtaͤt nicht unterlaſſen wuͤrde, dem Czar Dero Gedanken oder die Anſpruͤche in einer ſo wichtigen Sache, entweder durch Briefe an ihn ſelbſt, oder durch Jhren Miniſter in Petersburg, be -kannt235kannt zu machen. Nach dieſer Antwort bekamen die Herren Jefferis und Weber, der Brittiſche und Han - noͤveriſche Miniſter, Befehl, den Hof in Petersburg zu verlaſſen, wie denn auch alle Englaͤnder aus den Ruſſiſchen Dienſten giengen. Hierauf ließ der Czar alle Engliſche Kaufleute in ſeinem Gebiete in Ver - haft bringen, und drohete, wenn die Brittiſche Na - tion wider ihn Krieg fuͤhren wuͤrde, alle ihre Guͤter zu confisciren, die ſich auf 50 Millionen Rubel beliefen.

Um dieſe Zeit wurden die Jeſuiten, welche aufVerbannung der Jeſuiten. Empfehlung des Roͤmiſchen Kaiſers einen Fuß in Rußland bekommen hatten, weil ſie ſich zu ſehr in Staatsſachen gemiſcht hatten, verbannet, und beka - men Befehl, ſich in vier Tagen, von der Zeit der Bekanntmachung an, aus Rußland zu begeben, weil die Welt hinlaͤnglich von ihren gefaͤhrlichen Unterneh - mungen, und von ihrer Stoͤrung der oͤffentlichen Angelegenheiten jedes Landes, wo ſie aufgenommen worden, uͤberzeuget ſey. Dieſe Vaͤter befanden ſich daher jetzt in großer Verlegenheit und Eil, da ſie ſich genoͤthiget ſahen, ſo gleich abzureiſen, und ihre rei - chen Capellen den Capucinern zu uͤberlaſſen, welches der einzige Orden von der Roͤmiſchen Religion war, der in Rußland gedecket wurde, und zwar wegen der Catholiken, deren es ſehr viele bey der Ruſſiſchen Armee gab.

Jn dem letztern Verhoͤre des Fuͤrſten Menzikofs hatte man entdeckt, daß Herr Weſalofsky, ſein ehe - maliger Secretair, mit den zwey Solowiofs, den Agenten des Fuͤrſten, zu großem Nachtheil der Nation einen unerlaubten Handel gefuͤhret hatte. Die zweySolo -236Solowiofs wurden deswegen beſtraft, und da Weſa - lofsky damals Envoye am Brittiſchen Hofe war, ſo bekam er Befehl, zuruͤck zu kommen, und Herr Be - ſtuzof ſollte ſein Nachfolger an dieſem Hofe ſeyn. Weil aber Weſalofsky nicht ohne Urſache beſorgte, daß er wegen ſeiner Vergehungen zur Rechenſchaft moͤchte gefordert werden, ſo fand er fuͤr gut, anſtatt zuruͤck zu gehen, einen Brief an den Kaiſer zu ſchrei - ben, worinn er ſein Verbrechen bekannte, und demſel - ben meldete, daß er, um den gerechten Zorn Seiner Majeſtaͤt zu vermeiden, ſeinen Nahmen geaͤndert ha - be, und entſchloſſen ſey, niemals wieder nach Ruß - land zuruͤck zu kommen, ſondern ſeine uͤbrige Lebens - zeit in einem entfernten und freyen Theile der Welt zuzubringen, wo man niemals mehr etwas von ihm hoͤren ſollte. Es wurde aber doch durchgaͤngig ge - glaubet, daß er ſich in England verheirathet, und ſich hernach daſelbſt nationaliſirt habe. Herr Beſtu - zof war nicht lange in England geweſen, als er den Hof in London durch ein Memorial beleidigte, und daher Befehl bekam, das Land zu verlaſſen.

Unpaͤßlich - keit des Czars.
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Als der Czar ſich im Monat September nach Reval begab, die Feſtung zu beſehen, bekam ich Be - fehl, ihn zu begleiten. Er war willens, dieſen Ort zu einem der feſteſten Plaͤtze in Europa zu machen und zu der Ausruͤſtung ſeiner Flotte zu beſtimmen. Als er an einem Tage die Feſtungswerke beſahe, und zu denjenigen, die er noch fuͤr noͤthig hielt, Befehl gab, wurde er von einer heftigen Colik befallen, die ihm den Tod drohete, die er aber, vermoͤge ſeiner guten Leibesconſtitution, noch uͤberſtand. Er begab ſich kurz darauf wieder nach Petersburg, und machte da -ſelbſt237ſelbſt große Anſtalten zum kuͤnftigen Feldzuge. Jch blieb auf ſeinen Befehl noch ſechs Wochen in Reval, die Plane zu entwerfen, und die noͤthigen Anweiſun - gen zu Errichtung der Außenwerke zu geben. Der vielen Geſchaͤfte, damit der Kaiſer beſtaͤndig uͤber - haͤuft und beſchaͤftiget war, ungeachtet, machte er ſich doch alle Abende, wenn die Geſchaͤfte des Tages vor - uͤber waren, ein oder das andere Vergnuͤgen, beſon - ders mit Aſſembleen, die jeden Abend in den Haͤuſern der Perſonen vom Stande wechſelsweiſe gehalten wur - den, und gieng in dieſen Zuſammenkuͤnften mit Per - ſonen von allen Staͤnden ſehr vertraut um, welches denn machte, daß dieſe Aſſembleen ſtark beſucht wurden.

Bey meiner Zuruͤckkunft nach Petersburg warKrankheit des General Weyde. der Marſchall Weyde eben von Olonitz, wo er ſich ſeiner Geſundheit wegen der mineraliſchen Waſſer be - dienet hatte, zuruͤck gekommen; allein, anſtatt ihn zu curiren, hatten ſie die Sache noch ſchlimmer gemacht. [D]er Czar war fuͤr des Marſchalls Geneſung ſo be - ſorgt, daß er ihn alle Tage beſuchte, und den Aerzten genauen Befehl gab, ihn niemals zu verlaſſen, und ihr moͤglichſtes zu ſeiner Erhaltung zu thun. Er ſag - te bey dieſer Gelegenheit, daß er, wenn Weyde ſter - ben ſollte, den beſten General und den getreuſten Die - ner, den er im ganzen Reiche habe, verlieren wuͤrde. Durch die viele Sorgfalt und Aufmerkſamkeit erholte ſich auch der General wieder.

Der Czar hatte dem Marſchall Weyde vor eini - gen Jahren ein Gut in Liefland, das jaͤhrlich 12000 Rubel eintrug, fuͤr ihn und ſeine Erben, zum Ge - ſchenke gemacht. Er hatte nur zwey Toͤchter, davondie238die eine an den Generalmajor le Fort, einen Enkel des großen le Fort, des groͤßten Lieblinges des Czars, ver - heirathet geweſen, kurz darauf geſtorben war, und nur eine einzige Tochter hinterlaſſen hatte. Die juͤngſte und damals einzige Tochter verlangte Herr Weber, der Hannoͤveriſche Miniſter zur Ehe, die ihm aber aus der Urſache, weil er zu einem andern Hofe gehoͤrte, abgeſchlagen wurde, zumal da dem Czar die - ſe Heirath auch aus andern Urſachen nicht gefiel. Hierauf warb Herr Romanzof, des Czars General - adjutant, um ſie, aber dieſen wollte das Frauenzim - mer nicht, weil er ein Ruſſe und von anderer Reli - gion war. Weil der Marſchall beſorgte, daß der Czar auf dieſe Heirath dringen moͤchte, ſo verlobte er ſie wider ihren Willen mit dem Generallieutenant Bohn, einem Manne, den ſie weder lieben noch hoch - achten konnte, weil er ſeines Alters wegen eher ihr Vater als Ehemann ſeyn konnte. Der Gram, den dieſes junge Frauenzimmer daruͤber hatte, zog ihr ei - ne Auszehrung zu.

Schwediſche Angelegen - heiten.
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Der Czar erfuhr nunmehr, daß die Koͤniginn von Schweden die Krone an ihren Gemahl, den Erbprinzen von Heſſen Caſſel, abgetreten hatte, und daß der Koͤnig von Frankreich 600000 Kro - nen ruͤckſtaͤndige Gelder an Schweden bezahlet, und zugleich die Verſicherung gegeben hatte, daß die Subſidiengelder in Zukunft richtig bezahlet wer - den ſollten; und daß Schweden außer dieſem auch eine Million Kronen von England fuͤr Bremen und Verden und die verſprochenen Subſidien von 300000 Kronen, ſo lange der Krieg mit Rußland dauerte, bekommen hatte. Alles dieſes zuſammenmachte,239machte, daß die Schweden neuen Muth bekamen, und dem Czar erklaͤrten, daß er keinen Frieden zu er - warten habe, wenn er nicht alle Provinzen zuruͤck gaͤ - be, die er ihnen ſeit dem Anfange des Krieges weg - genommen hatte. Als nun der Czar ſahe, daß ſein Feind ſo reichlich mit Gelde verſehen war, daß er von einer Engliſchen Flotte, dem Koͤnige von Preuſſen und von dem Koͤnige von Daͤnnemark unterſtuͤtzet wurde, und im Begriff ſtand, mit Pohlen Friede zu machen, er im Gegentheil von allen ſeinen Alliirten verlaffen wurde: ſo ſchickte er eine zahlreiche Armee nach Finland, und bemuͤhte ſich durch eine ſtarke Flot - te den Bothniſchen Meerbuſen in Beſitz zu nehmen.

Jm Jahre 1720 kam der Admiral Norris im1720. Fruͤhlinge bey Zeiten mit einer Brittiſchen Flotte im Sunde an, und ſtieß bald darauf bey Stockholm zur Schwediſchen Flotte. Den 5ten Maͤrz kam der Woiwode von Maſovien als Pohlniſcher Geſandter nach Petersburg, und erſuchte den Czar in Verbin - dung mit Pohlen mit Schweden Friede zu machen. Allein der Czar hatte bereits den Entſchluß gefaßt, Schweden zu einem beſondern Frieden zu zwingen, und die Welt zu uͤberzeugen, daß er es, Trotz des maͤchtigen Beyſtandes, den man ſeinem Feinde leiſte, ungeachtet er allein ſey, dennoch in ſeiner Gewalt habe, Schweden nach ſeinem Gefallen zu zwingen.

Der Marſchall Weyde verlohr jetzt ſeine einzigeTod des Ge - neral Weyde. Tochter, die an eben dem Tage, da ſie wider ihren Willen an den General Bohn verheirathet werden ſollte, vor Gram ſtarb. Sie hatte ihre Neigung auf Herr Webern, den Hannoͤveriſchen Miniſter, geworfen. Jhrem Vater gieng der Verluſt ſeineseinzigen240einzigen Kindes ſo zu Herzen, daß er wieder krank wurde, und am 4ten Junii gleichfalls ſtarb, und von beyden Majeſtaͤten und von allen Staͤnden des Volks ſehr bedauert ward; beſonders aber von der Armee, die ihn, ſeiner ſtrengen Zucht ungeachtet, an - betete, denn er beſaß die Kunſt, ſie dahin zu bringen, daß ſie ihm mit Vergnuͤgen gehorchte, weil er denje - nigen, die ſeine Befehle uͤbertraten, nur in geheim einen Verweis gab, ſo daß waͤhrend ſeines Comman - dos Kriegsgerichte und Strafen ſehr ſelten bey der Armee vorkamen. Dieſer Gelindigkeit ungeachtet iſt die Ruſſiſche Armee doch niemals beſſer discipli - nirt oder in ſchoͤnerer Ordnung geweſen. Der Mar - ſchall war in Moskau von deutſchen Aeltern geboren; er hatte in ſeiner Jugend viele Feldzuͤge unter dem Fuͤrſten Eugen in Ungarn gemacht, bey dem er Ad - jutant geweſen war, und unter welchem er, wie er jederzeit ſagte, die Kriegskunſt gelernet hatte. Er war im Jahre 1700 bey Narva gefangen worden und bis 1710 in Stockholm geweſen, da er denn ausgeloͤſet und zum Feldmarſchall gemacht wurde, nachdem der Graf Tſcheremetof nach ſeinem Marſche durch Pohlen geſtorben war.

Ueble Be - handlung ſeiner Fa - milie.
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Der Marſchall war kaum todt, als der General - lieutenant Romanzof in des Czars Nahmen in das Haus kam und in des Generals le Fort und meiner Ge - genwart alles verſiegelte, und hierauf ein Verzeichniß von allem Silbergeſchirre und Hausgeraͤthe verfertigte, zu großem Erſtaunen des Generals, der der Vater von des Marſchalls Enkelinn, der einzigen Erbinn dieſes großen Vermoͤgens, war. Der General le Fort ver - langte hierauf zu wiſſen, weil alles Geld, faſt 60000Ducaten,241Ducaten, verſiegelt worden, wie ſein Schwieger - vater begraben werden ſolle, da er kein Geld zu den Koſten habe. Hierauf ſagte Romanzof, des Czars Wille ſey, daß des Marſchalls Leiche praͤchtig begraben und keine Koſten geſparet werden ſollten, worauf er einen Kaſten oͤffnete, 10000 Rubel her - aus nahm, und ſelbige mir uͤbergab, mit dem Befeh - le, ſie ſo anzuwenden, wie mir der General le Fort befehlen wuͤrde; wenn dieſe alle waͤren, ſollte ich nur mehr fordern. Jch ſchrieb alſo alles genau auf, was ausgegeben wurde, weil ich nach dem Begraͤb - niſſe mit Quittungen berechnen ſollte.

Dieſe uͤble Begegnung ruͤhrte von einer Empfind - lichkeit des Romanzof gegen den Herrn le Fort her, weil er glaubte, daß dieſer Schuld daran geweſen, daß er des Marſchalls Tochter nicht bekommen hatte. Um ihn nun noch nachdruͤcklicher zu kraͤnken, ſo bat er den Czar um des Marſchalls Vermoͤgen, und erhielt es auch, weil er ihm nichts abſchlug, weil er damals ein ſteigender Liebling war. Um ſeine Rache vollkom - men zu machen, that er dem Nereskin, einem nahen Verwandten des Czars, der eben von ſeinen Reiſen gekommen war, und ein Haus brauchte, den Vor - ſchlag, daß er des Marſchalls Haus nebſt dem ganzen Hausgeraͤthe und Silberzeuge kaufen ſollte, welches auch geſchahe, nachdem alles auf Befehl des Hofes war geſchaͤtzet worden. Allein es wurde von dem ge - ſchaͤtzten Preiſe niemals etwas bezahlt, und die Er - binn, die damals noch ein Kind war, bekam nur ei - nige Juwelen, die ihr ihr Großvater hinterlaſſen hatte, und 12000 Rubel zu ihrer Ausſtattung; das uͤbrige hatte Romanzof, wie durchgaͤngig geglaubet wurde,Qzu242zu ſeinem eigenen Nutzen angewendet. Bey dieſer allgemeinen Pluͤnderung mußte ich ebenfalls leiden; der Marſchall hatte mir in ſeinem Teſtamente 200 Ducaten, ſein beſtes Kleid und das ſchoͤnſte Pferd nebſt dem dazu gehoͤrigen Reitzeuge vermacht. Jch bekam zwar das Geld und das Kleid, aber das Pferd und Geſchirr wurde in des Czars Stall gebracht, wo - fuͤr mir 300 Ducaten verſprochen wurden, die ich aber niemals erhalten habe. Alles dieſes ruͤhrte haupt - ſaͤchlich von des le Fort zweyten Frau her, die er in Deutſchland geheirathet hatte, und die immer ſehr ſtrenge gegen des Romanzofs Betragen geweſen war, welches er denn auch zum Theil an mir zu raͤchen ſuch - te, indem ſie meine nahe Verwandte war, ob ich ſonſt gleich bey ihm in großen Gnaden ſtand.

Da dieſes das erſte Beyſpiel von der willkuͤhrli - chen und ungerechten Behandlung der Fremden war, ſo gab es Perſonen von allen Staͤnden viel Gelegen - heit zu Betrachtungen, beſonders, da es bey einem Manne von ſo großem perſoͤnlichen Verdienſte und allgemeiner Hochachtung vorgefallen war; bey einem Manne, der der Enkel und Erbe des großen le Fort, und der Schwiegerſohn des Marſchalls Weyde war, beyde große Lieblinge des Czars, ſo daß ſich kuͤnftig niemand in Anſehung ſeines Vermoͤgens fuͤr ſicher halten konnte. Dieſe ungerechte Behandlung mach - te mir einen ſolchen Begriff von Rußland, daß mich nach dieſem nichts bewegen konnte, aller angetragenen Befoͤrderungen und Vortheile ungeachtet, mich dar - inn niederzulaſſen.

Sein Leichen - begaͤngniß.
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Nachdem man das Eingeweide aus dem Koͤrper des Marſchalls heraus genommen und ihn einbalſami -ret243ret hatte, wurde er zwoͤlf Tage in einem Sarge unter einem Himmel, in einem weißen geſtickten Kleide, in Stiefeln und einer Peruque, und den Andreasorden umhabend, auf ein Paradebette geſtellt. Jede Nacht wurde der Koͤrper nach der Gewohnheit des Landes von vielen Frauenzimmern und Herren be - wacht. Da niemand in des Marſchalls Hauſe war, als ſeine Bedienten, ſo hatte ich alles unter mir. Als ich die letze Nacht mit der Geſellſchaft, die dieſe Nacht wachen ſollte, auf den Abend ſpeiſte, bekam ich den Einfall, ſie zu erſchrecken; ich ließ daher den Koͤrper in ein anderes Zimmer bringen, und legte mich an deſſen Stelle in den Sarg. Nachdem nun die Geſellſchaft in das Zimmer gekommen war, und einige Zeit geſeſſen hatte, ſieng ich an, mich unter der Decke, die auf mich gedeckt war, zu bewegen, wor - auf ſich die Geſellſchaft voll Schrecken aufmachte und aus dem Hauſe lief, auch nicht wieder zuruͤck kam, ſondern vielmehr eine fuͤrchterliche Erzaͤhlung von der Erſcheinung ausbreitete, die ſie geſehen haͤtte. Den folgenden Morgen kamen die Leute in Menge, das Wunder der vorigen Nacht zu unterſuchen, die aber eben wieder ſo fortgiengen, wie ſie gekommen waren. Die Erzaͤhlung kam vor den Czar, der mir befahl, zu ihm zu kommen, und mich fragte, was an der Sache ſey. Jch erzaͤhlte ohne Anſtand vor der Cza - rinn und den zwey Prinzeſſinnen, wie es geweſen ſey, woruͤber ſie ſehr lachten; allein der Czar gab mir des - wegen einen derben Verweis.

Der 16te Junii war zur Beerdigung beſtimmt, und die Proceſſion wurde mit vielem Pomp in folgen - der Ordnung gehalten.

Q 21. Ein244
  • 1. Ein Bataillon von der Garde, die Officiers mit ſchwarzen Scherpen und die Trommeln ſchwarz uͤberzogen.
  • 2. Ein Herold zu Pferde, im Trauermantel.
  • 3. Ein Marſchall mit einem Stabe, der mit ſchwarzem und weißem Krepp uͤberzogen war.
  • 4. Ein Paar Pauken ebenfalls ſchwarz uͤberzogen, und von zwey ſchwarzgekleideten Maͤnnern getragen.
  • 5. Vier Trompeter, vier Hoboiſten und Baßons, paarweiſe.
  • 6. Eine weiße Fahne, mit des Verſtorbenen Wappen.
  • 7. Ein Herr zu Pferde, in voͤlliger Ruͤſtung und den Degen in der Hand.
  • 8. Eine ſchwarze Fahne.
  • 9. Ein Trauerpferd, von zwey ſchwarzgekleideten Maͤnnern gefuͤhrt.
  • 10. Ein Ceremonienmeiſter.
  • 11. Ein Kriegspferd mit voͤlliger Ruͤſtung, wel - ches zwey Officiers in ihren Monturen fuͤhrten.
  • 12. Ein Helm.
  • 13. Ein Kuͤraß.
  • 14. Ein Paar goldene Spornen.
  • 15. Ein Marſchallsſtab.
  • 16. Ein Degen.
  • 17. Der Sanct Andreasorden; jedes beſonders auf ſammtnen Kuͤſſen von Officieren getragen.
  • 18. Zwey Officiers mit Degen, die Spitze ge - gen die Erde gerichtet, denen 24 Hellebarden paar - weiſe folgten.
  • 19. Die Leiche des Marſchalls, gezogen von ſechs mit ſchwarzem Tuche behangenen Pferden, jedes voneinem245einem ſchwarzgekleideten Stallknechte gefuͤhret. Ne - ben der Leiche giengen auf jeder Seite drey Herren; der Himmel wurde von acht Oberſtlieutenants getra - gen; die Quaſten des Himmels von acht Oberſten gehalten, und die Zipfel des Leichentuches wurden von vier Brigadiers getragen.
  • 20. Ein Marſchall.
  • 21. Mademoiſelle le Fort, des Verſtorbenen En - kelinn.
  • 22. Eines Oberſten Frau (ſeine Nichte).
  • 23. Des Generals le Fort Gemahlinn. Jedes die - ſer Frauenzimmer wurde von zwey Herren gefuͤhret.
  • 24. Eine große Anzahl vornehmer Frauenzim - mer, paarweiſe.
  • 25. Der Czar, von allen Großen des Landes und auslaͤndiſchen Miniſtern begleitet.
  • 26. Die Officiers von der Armee und der Flotte.
  • 27. Die proteſtantiſchen Geiſtlichen, Kaufleute und Buͤrger.
  • 28. Ein Bataillon von der Garde, welches die Proceſſion beſchloß.

Jn dieſer Ordnung gieng die Proceſſion bis zu dem Alexander-Newsky-Kloſter, welches drey Engli - ſche Meilen entfernt iſt. Die ganze Zeit uͤber wur - den alle Minuten die Kanonen von der Feſtung geloͤ - ſet, bis die Leiche beygeſetzet war; endlich machten drey Salven der zwey Bataillons Garde den Be - ſchluß. Der Czar gieng mit der uͤbrigen Geſellſchaft in des Verſtorbenen Haus zuruͤck, wo ein großes Gaſtmahl fuͤr ſie zubereitet war. Jeder von der Ge - ſellſchaft wurde mit einem Trauerringe beſchenkt, der zwey Ducaten werth war, worauf des MarſchallsQ 3Geburts -246Geburts - und Sterbetag geſtochen war; dergleichen Ringe wurden beynahe 700 unter die Geſellſchaft vertheilet.

Bey dieſer Gelegenheit entſtand eine Zwiſtigkeit zwiſchen dem Fuͤrſten Menzikof und dem Fuͤrſten Galitzin, die einander ziemlich unhoͤflich begegneten. Der Czar, der im naͤchſten Zimmer war und ſie be - horchte, ließ den Menzikof holen, und gab ihm ei - nen derben Verweis, indem er zu ihm ſagte, daß er ſich nicht vergeſſen, ſondern uͤberlegen ſollte, daß er nur von geſtern, hingegen der Fuͤrſt Galitzin von der alten Familie der Jagellons ſey, die Fuͤrſten von Li - thauen und nachher Koͤnige von Pohlen geweſen waͤ - ren. Hierauf befahl er ihm, es dem Fuͤrſten Gali - tzin vor der ganzen Geſellſchaft abzubitten, welches er auch thun mußte. Beyde Fuͤrſten lebten hernach be - ſtaͤndig in Feindſchaft; allein die Familie des Gali - tzin war zu maͤchtig, als daß ſie ſich vor dem Zorne Menzikofs haͤtte fuͤrchten ſollen.

Der Verfaſ - ſer haͤlt um ſeinen Ab - ſchied an.
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Den Tag nach dem Begraͤbniſſe wurde der Knes Repnin zum Feldmarſchall gemacht, der ſogleich nach mir ſchickte und mich fragte, ob ich kein Adjutant werden wollte. Jch antwortete ihm, daß ich dieſes bereits unter zwey Feldmarſchaͤllen geweſen ſey, und hoffte alſo, da ich ſo lange in dieſer Stelle geweſen waͤre, daß er mich entſchuldigen wuͤrde. Er nahm meine abſchlaͤgige Antwort ſehr uͤbel, und drohete mir, daß ich es bereuen ſollte. Da ich nun der Ruſſi - ſchen Dienſte bereits uͤberdruͤßig war, ſo ſahe ich die - ſes fuͤr eine guͤnſtige Gelegenheit an, um meinen Ab - ſchied anzuhalten, welches ich auch den folgenden Tag that, und dem Czar ſelbſt ein Bittſchreiben uͤber -gab.247gab. Der Czar fragte mich, warum ich ſeine Dien - ſte verlaſſen wolle? Jch antwortete, daß, da mir der Marſchall Repnin, weil ich es ausgeſchlagen haͤtte, ſein Aide de Camp zu werden, gedrohet haͤtte, es un - ſicher fuͤr mich ſeyn wuͤrde, laͤnger bey der Armee zu bleiben. Der Czar antwortete, daß ich nicht unter des Marſchalls Commando ſtehen ſollte, und alſo nichts von ihm zu befuͤrchten habe. Jch getraute mich alſo nicht, auf meinen Abſchied zu dringen, da - mit es mir nicht wie dem Dean, der Capitaͤn bey der Flotte war, ergehen moͤchte, der deswegen nach Si - berien geſchickt wurde, weil er ſeinen Dienſt, auf Be - fehl des Koͤnigs George I, der allen Brittiſchen Un - terthanen Rußland zu dienen verbot, niedergelegt hat - te. Der Capitaͤn kam nach einiger Zeit wieder los, und wurde, als er nach England zuruͤcke kam, als Conſul nach Oſtende geſchickt.

Nachdem mich der Czar bey ſeiner eigenen Divi - ſion zum Capitaͤn gemacht hatte, bekam ich eine Compagnie bey dem Aſtrakaniſchen Regimente, wel - ches damals in Reval ſtand, und erhielt ſogleich Be - fehl, mich an dieſen Ort zu begeben, um daſelbſt die Aufſicht uͤber die Feſtungswerke, die der Czar im vori - gen Jahre entworfen hatte, zu haben, und ſie zu be - ſchleunigen. Bey meiner Ankunft, den 24ſten Julii, fand ich, daß ſie ſeit meiner Abreiſe ſehr weit gekom - men waren. Jch wurde nunmehr bey einem Kauf - manne in der Stadt einquartiret, der mich in ſein Luſthaus fuͤhrte, welches er am Ende ſeines Gartens hatte, und aus einem Keller, einer Stube fuͤr die Bedienten, und zwey ſchoͤn ausmoͤblirten Zimmern uͤber denſelben, beſtand. Als der Wirth ſahe, daßQ 4mir248mir meine Wohnung ſehr gefiel, ſagte er, er beſorge, daß ich des Nachts von einem Laͤrme wuͤrde beunru - higet werden, und nannte mir einen Officier in der Stadt, den ich kannte, der dieſes Haus deswegen verlaſſen muͤſſen. Jch fragte ihn, was fuͤr ein Laͤrm mich in einem von andern Haͤuſern ſo entfernten Orte ſtoͤren koͤnnte? Er ſagte, daß es von einem Gei - ſte beunruhiget wuͤrde; ich antwortete ihm, daß ich, wenn dieſes der Fall ſey, bey Gelegenheit auch einen Geiſt vorſtellen koͤnne, und da ſich ihrer zwey von ei - nerley Profeſſion ſelten in einem Hauſe vertruͤgen, ſo wollte ich den andern ſchon zu vertreiben ſuchen. Jch befahl hierauf meinen Bedienten, in Gegenwart des Wirths und ſeiner Leute, ihr Gewehr mit Kugeln zu laden, damit ſie, im Fall ein Laͤrm entſtehen ſollte, bereit ſeyn moͤchten, auf diejenigen zu feuern, die ihn machten. Dieſer Befehl verhinderte die Unruhe, ſo lange ich darinn wohnte, und andere fuͤrchteten ſich nach mir auch nicht mehr, darinn zu logiren.

Neuer Koͤnig von Schwe - den.
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Um dieſe Zeit ſchickte der neue Koͤnig von Schwe - den einen Generaladjutanten nach Petersburg, und ließ dem Czar melden, daß er mit Bewilligung der Koͤniginn, ſeiner Gemahlinn, und der Reichsſtaͤnde, den Thron beſtiegen habe. Da er nun eine vorzuͤg - liche Hochachtung gegen den Czar habe, ſo wuͤnſche er nichts mehr, als einen feſten und dauerhaften Frie - den mit ihm zu ſchließen, wozu er alles moͤgliche bey - zutragen willig und bereit ſey. Der Czar antwor - tete, daß er dem Koͤnige von Schweden vom Herzen Gluͤck zu ſeiner Thronbeſteigung wuͤnſche, und ihm fuͤr dieſe Nachricht danke; daß es ſein ernſter Wille ſey, einen dauerhaften Frieden mit Schweden zuſchließen,249ſchließen, wenn Seine Schwediſche Majeſtaͤt einen feſten Entſchluß dazu faſſen wuͤrden. Der Geſandte wurde einige Zeit in Petersburg aufgehalten, damit er ein Augenzeuge von den großen Zuruͤſtungen zum naͤchſten Feldzuge ſeyn moͤchte, wie ihm denn auch alle Schiffe, Galeeren und Truppen gezeiget wurden. Nachdem ihm viele Hoͤflichkeiten erwieſen worden, ward er endlich mit des Czars Antwort auf des Koͤ - nigs von Schweden Brief wieder nach Stockholm abgefertiget.

Dieſes Compliment zu erwiedern, ſchickte der Czar den Generaladjutanten Romanzof nach Stock - holm, und ließ dem Erbprinzen von Heſſen-Caſſel zu ſeiner Thronbeſteigung Gluͤck wuͤnſchen, ihn ſeiner wahren Hochachtung, die er jederzeit gegen ſeine Per - ſon gehabt habe, verſichern, und ihm erklaͤren, wie er ernſtlich wuͤnſche, eben die Neigung zum Frie - den bey ihm zu finden, die er dazu habe. Der Ge - ſandte wurde mit eben ſo großem Pomp in Stockholm aufgenommen, als dem von dem Koͤnige in Schweden in Petersburg war erwieſen worden; er wurde uͤberall hingefuͤhret, wo ſich der Hof befand, und nahm an jedem Vergnuͤgen des Hofes Theil. Nachdem er ſich einige Zeit daſelbſt aufgehalten hatte, kam er mit der Ehre, die man ihm am Schwediſchen Hofe erwieſen hatte, ſehr zufrieden wieder nach Petersburg zuruͤck.

Unſere Truppen in Finland waren indeſſen nichtNeuer Ein - fall in Schweden. muͤſſig. Der Fuͤrſt Galitzin ruͤckte mit ſeinen Galee - ren nahe nach Aland, damit er, ſobald das Eis auf - gehen wuͤrde, und noch vor der Ankunft der Britti - ſchen Flotte unter dem John Norris, eine Landung inQ 5Schwe -250Schweden unternehmen koͤnnte; allein er wurde durch das Eis abgehalten. Deſſen ungeachtet zog er die Aufmerkſamkeit der Schweden auf dieſe Seite, und beſchleunigte dadurch die Ausfuͤhrung einer andern Abſicht. Der Fuͤrſt hatte dem Brigadier von Meng - den Befehl gegeben, 5000 Mann in Waſa einzu - ſchiffen, und gerades Weges nach Uma in Lappland zu gehen, welches dieſer auch that, viele Officiers und Gemeine zu Gefangenen machte, die Stadt, worinn viele Magazine waren, abbrannte, alsdann auf bey - den Seiten weiter ins Land hinein drang, und 2 Ritterſitze, 41 Doͤrfer, darinnen uͤber 1000 Haͤuſer waren, 17 Muͤhlen, 113 Magazine und andere Ge - baͤude verheerte und verbrannte. Hierauf kam er mit Beute beladen, ohne den geringſten Verluſt ge - habt zu haben, wieder nach Waſa zuruͤck.

Angriff der Ruſſiſchen Flotte von den Schwe - den.
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Den 17ten Auguſt griff der Schwediſche Vice - admiral unſere Flotte, die der Fuͤrſt Galitzin comman - dirte, unter Ameland an, ward aber mit ſolcher Hitze empfangen, daß ſie mit einem Verluſte von 4 Fre - gatten, 2 Galeeren, 150 Kanonen und 400 Ge - fangenen, wieder abziehen mußte, und noch uͤber die - ſes 200 Todte und 300 Verwundete hatte. Die Gefangenen ꝛc. wurden nach dieſem im Triumphe in Petersburg aufgefuͤhret, bey welcher Ceremonie der Czar und die Czarinn zugegen waren, und der mit großem Pomp vollzogen wurde, weil der Czar keine Siege ſo hoch ſchaͤtzte, als die, die er zur See ge - wonnen hatte.

Ruͤſtungen des Czars.
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Endlich noͤthigte die Jahreszeit den Admiral Norris, das Baltiſche Meer zu verlaſſen, wo er da - durch viel gethan hatte, daß er die Ruſſen wenig thunließ.251ließ. Der Czar zweifelte nicht, daß die Brittiſche Flotte das kuͤnftige Jahr wiederkommen wuͤrde, und weil er aus dem Verhalten der Schweden ſahe, daß ſie zu dem Frieden, welchen er ihnen angeboten hatte, mit Gewalt gezwungen werden muͤßten, ſo machte er ſich bey Zeiten zu einem entſcheidenden Feldzuge ge - faßt; er vermehrte ſeine Flotte und ſetzte ſich in den Stand, der Brittiſchen und Schwediſchen Flotte die Spitze zu bieten.

Herr Stamke, Miniſter des Herzogs von Hol -Er nimmt den Herzog von Holſtein in Schutz. ſtein, hatte ſich, ſeitdem er nach dem Tode des Koͤ - nigs von Schweden Aland verlaſſen hatte, in Peters - burg aufgehalten, und alles moͤgliche gethan, die Freundſchaft und den Schutz des Czars fuͤr den Her - zog ſeinen Herrn zu gewinnen, der ſich zu Breslau in Schleſien aufhielt und auf den Ausgang dieſer Un - terhandlung wartete. Der Herzog von Holſtein, ein Sohn der aͤlteſten Schweſter des letztverſtorbenen Koͤnigs von Schweden, machte Anſpruch auf ein naͤ - heres Recht zur Krone, als die Prinzeſſinn Ulrica, die die juͤngſte Schweſter war, ihn aber nunmehr fuͤr entfernter anſahe, nachdem die Koͤniginn ihr Recht an ihren Gemahl, den Prinzen von Heſſen, abgetreten hatte. Der Czar, der mit den ungluͤcklichen Um - ſtaͤnden des Herzogs, welchen der verſtorbene Koͤnig von Schweden zu ſeinem Nachfolger beſtimmt hatte, Mitleiden trug, entſchloß ſich, ihn in ſeinen Schutz zu nehmen, und ſchickte ihm, als einen Beweis davon, 100000 Kronen, nebſt einer Einladung, von Bres - lau nach Riga zu kommen.

Dieſen Winter hatte der Oberfiscal den Oberſt -Kriegsgerich - te uͤber Gra - ves. lieutenant von der Artillerie, Graves, einen Englaͤn -der252der angegeben, daß er Seiner Majeſtaͤt Schiffsvor - raͤthe veruntreuet, und an auslaͤndiſche Schiffherren verkauft habe. Jch ſaß mit in dem Kriegsgerichte, und wir fanden dieſe Beſchuldigung bey dem Verhoͤre ganz falſch, indem ſie bloß aus Bosheit herruͤhrte, weil Graves dem Fiscal einige Materialien, welche er brauchte, abgeſchlagen hatte. Dieſer beſtellte aus Rache zwey Canoniers als Zeugen wider den Oberſten, die aber beyde fuͤr meineidig befunden und ins Ge - faͤngniß geſetzt wurden. Der Fiscal, dem unſer Verfahren nicht gefiel, beſchwerte ſich bey dem Gene - ralfiscal uͤber unſere Partheylichkeit; dieſer trug die Sache dem Czar vor, der ſogleich Befehl gab, daß das Kriegsgericht, der Beklagte und die Zeugen nach Petersburg kommen ſollten, wo die Sache als - dann unterſucht ward; da denn die Bosheit des Fis - cals ſo offenbar wurde, daß er und ſeine zwey Zeugen die Knute bekamen und nach Siberien geſchickt wur - den. Wir erhielten unſere Reiſekoſten, und giengen wieder nach Reval zuruͤck. Ob nun der Oberſte Gra - ves gleich fuͤr unſchuldig erkannt und freygeſprochen wurde, ſo konnte er doch den Sold fuͤr die 6 Mona - te, die er im Arreſte geweſen war, niemals erhalten, welches ein hinlaͤnglicher Beweis von der Strenge iſt, unter welcher die Officiere in dieſen Dienſten ſtehen. Der Vorwand war, daß er waͤhrend dieſer Zeit keine Dienſte gethan habe. Dieſe Begegnung verdroß den Oberſten ſo ſehr, daß er ohne Abſchied aus den Dienſten gieng.

Sonderba - rer Proceß zu Reval.
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Bey meiner Zuruͤckkunft nach Reval fieng ſich ein luſtiger Proceß zwiſchen meinem Wirthe und ſeinem Bruder an, die beyde Kaufleute in der Stadt waren. Der253Der Fall war folgender. Beyde Bruͤder hatten be - ſtaͤndig in großer Uneinigkeit mit einander gelebet; daher hatte mein Wirth, der ſehr reich war, beſchloſ - ſen, daß ſein Bruder, im Fall er eher ſterbe, ihn nicht erben ſollte. Er war ſeit vielen Jahren an eine ſehr ſchoͤne Frau verheirathet, hatte aber keine Kinder mit ihr gezeuget. Dieſes ſchrieb er mehr ſich ſelbſt als ſeiner Frau zu; und da er beſchloſſen hatte, daß ſeine Frau, es moͤge auch geſchehen wie es wolle, ein Kind bekommen ſollte, um ſeinem Bruder die Erb - ſchaft zu entziehen, ſo nahm er einen Lieutenant, ei - nen artigen jungen Menſchen, in ſein Haus, und gab ihm alle Gelegenheit, mit ſeiner Frau umzugehen, mit der er vorher die Sache abgeredet hatte, und die auch wirklich ſchwanger ward. Sie machte dem jun - gen Menſchen hierauf ein Geſchenk mit 100 Duca - ten, und bat ihn zugleich, ſich nach einem andern Quartiere umzuſehen, weil ihr Mann eiferſuͤchtig ge - worden waͤre, und ſie im Verdacht zu haben anfienge, daher es unumgaͤnglich noͤthig ſey, daß er auszoͤge; ſie verſprach ihm aber, daß ſie ihn, wenn er etwas noͤthig habe, unterſtuͤtzen wolle, worauf er ſich ver - laſſen koͤnne. Da dieſer ſahe, daß ſie aller ſeiner Vorſtellungen ungeachtet dabey blieb, ſo mußte er endlich einwilligen, und ſchmeichelte ſich, oft Gele - genheit zu finden, mit ihr umzugehen, fand ſich aber darinn betrogen, weil ſie alle Gelegenheit, mit ihm allein zu ſeyn, vermied. Dieſes verdroß ihn ſo ſehr, daß er, als er einmal des Abends wußte, daß ihr Mann nicht zu Hauſe ſey, ſich mit Gewalt in ihr Schlafzimmer drang, und wiſſen wollte, warum ſie ſeine Geſellſchaft vermiede. Sie ſagte ihm alſo ganzfrey,254frey, daß ſie nicht aus Wolluſt, ſondern bloß in der Abſicht mit ihm umgegangen ſey, ein Kind von ihm zu haben, das ihres Mannes Vermoͤgen erben ſolle, und da ſie nunmehr ſchwanger ſey, ſo hoffe ſie, daß er das Kind nicht beneiden wuͤrde, da es der Erbe ei - nes anſehnlichen Vermoͤgens ſey; ſie bat ihn zugleich, alle Gedanken, jemals wieder mit ihr vertraut zu wer - den, gaͤnzlich aufzugeben, weil ſie keine Neigung da - zu empfinde. Sie gab ihm nach dieſer Verſicherung einen Ring mit einem Demant, und einen Beutel mit 50 Ducaten, gieng fort und ſchloß ſich in ein anderes Zimmer ein. Er gieng hierauf mit vielem Verdruſſe fort, erzaͤhlte die ganze Begebenheit einigen Cameraden, die es bald in der ganzen Stadt aus - breiteten. Hierdurch bekam ſein Bruder Nachricht davon, und fieng alſo einen Proceß an; da aber der Mann das Kind fuͤr das Seinige erkannte, ſo hatte der Proceß ein Ende.

Ruͤſtungen wider Schweden.
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Da die Schweden fortfuhren, den Frieden unter den von dem verſtorbenen Koͤnige eingegangenen Be - dingungen auszuſchlagen, ſo war der Czar nunmehr entſchloſſen, ſie dazu zu zwingen, und vermehrte des - wegen des Fuͤrſten Galitzin Armee in Finland mit 5 Bataillons und 2 Grenadiercompagnien von ſeiner eigenen Diviſion, wie auch mit 2 Regimentern aus Reval. Wir ſetzten uns am 9ten May des Mor - gens auf Galeeren, und kamen des Abends in Elſing - foe in Finland an, welches 50 Engliſche Meilen iſt.

1721. Schweden thut Vor - ſchlaͤge.
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Der Schwediſche Monarch hatte indeſſen den Herrn Dahlmann, ſeinen Generaladjutanten, mit den Vorſchlaͤgen zu einem Waffenſtillſtande auf ein Jahr an den Czar abgeſchickt, um waͤhrend dieſerZeit255Zeit die Einrichtungen zu einem dauerhaften Frieden zu machen; weil aber der Czar bereits große Anſtal - ten zum kuͤnftigen Feldzuge gemacht hatte, ſo wollte er keinesweges darein willigen. Deſſen ungeach - tet willigte er doch in die Vermittelung Frankreichs, die Herr Campredon, der Franzoͤſiſche Miniſter am Schwediſchen Hofe, vor einiger Zeit vorgeſchlagen hatte. Auf dieſe Erklaͤrung reiſete Herr Campredon auf Verlangen des Schwediſchen Hofes nach Peters - burg ab, die Vorſchlaͤge des Czars zu vernehmen, der aber den Czar noch bey eben der Geſinnung fand, die er auf dem Congreſſe in Aland gehabt hatte, ob er gleich ſeitdem viele Vortheile erlangt hatte. Herr Campredon gieng wieder nach Stockholm zuruͤck, und Neuſtadt in Finland wurde zum Congreſſe beſtimmt, wo auch die Gevollmaͤchtigten zuſammen kamen.

Der Herzog von Holſtein kam im Monat April in Riga an, wo ſich der Ruſſiſche Hof damals auf - hielt, und wurde von dem Czar und der Czarinn ſehr gnaͤdig aufgenommen, wie denn auch bey dieſer Zu - ſammenkunft der Grund zu einer naͤhern Verbindung geleget wurde. Jn Finland wurden unſere Opera -Dritte Lan - dung in Schweden. tionen mit vieler Hitze fortgeſetzet; denn wir waren kaum in Elſingfoe angelanget, als wir ſogleich unter dem Generallieutenant Lacy abgeſchicket wurden, eine Landung auf den Schwediſchen Kuͤſten zu thun. Es wurden daher den 7ten May 5000 Mann und 370 Coſaken zu Pferde auf 50 Galeeren geſetzt, die nahe bey Gefel auf der Schwediſchen Kuͤſte landeten, und laͤngſt der Kuͤſte bis Sunderham, und von da nach Umaͤ giengen, welches uͤber 100 Meilen iſt. Auf dieſem ganzen Marſche fanden wir ſo wenig Wider -ſtand256ſtand von den Schweden, die, wie es ſchien, ihre Tapferkeit voͤllig verloren hatten, daß wir nur 11 Mann verloren, da auf ihrer Seite 103 blieben. Wir machten 47 Gefangene, bekamen 1 Standarte und 4 Fahnen, 2 meßingene und 5 eiſerne Kanonen, 3 Trompeten und 10 Pauken; wir nahmen ihnen auch 6 neu erbaute Galeeren weg, die wir verbrann - ten, desgleichen auch 2 Kauffartheyſchiffe und 25 andere Fahrzeuge; wie wir denn auch ein Magazin von Gewehr und Ammunition verbrannten und rui - nirten; desgleichen 1 Flintenmanufactur und 2 Ei - ſenſchmieden. Wir verbrannten und verheerten auch 13 Muͤhlen, 4 Staͤdte, 509 Doͤrfer, 80 Kirch - ſpiele und 334 Scheuern ꝛc.

Welche ſie zum Frieden zwinget.
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Dieſe Verheerung ſetzte die Schweden in ſolches Schrecken, daß ihre Gevollmaͤchtigten zu Neuſtadt ſogleich Befehl erhielten, die Praͤliminarien zu unter - ſchreiben. Hierauf bekamen wir Befehl, uns wieder einzuſchiffen und nach Finland zuruͤck zu gehen, wo wir den 9ten September in den Junfer Scheren an - langten, und wo auch der Friede verkuͤndiget wurde. Von hier marſchirten wir den 14ten ab und ſtießen in Elſingfoe zu der großen Armee unter des Fuͤrſten Galitzin Commando, wo der Friede mit allen Freu - denbezeugungen gefeyert wurde, weil jedermann nach dieſem langen und verderblichen Kriege, der 20 Jah - re gewaͤhret hatte, Ruhe zu genießen hoffte. Allein wir fanden uns hierinn betrogen, denn der Schwedi - ſche Krieg war kaum geendiget, als, wie wir hernach ſehen werden, ſchon wieder ein neuer angieng. Jch erhielt am 16ten Befehl, die Werke in Elſingfoe zu demoliren, und da 3000 Mann dazu beſtimmtwurden,257wurden, ſo waren die Materialien in kurzer Zeit in die See geworfen, wodurch der Hafen verſtopft, und die Feſtung ſo vollkommen geſchleift wurde, daß nicht der geringſte Anſchein uͤbrig blieb, daß jemals eine Feſtung daſelbſt geweſen ſey.

Den 7ten Qctober ſetzte ſich die Armee auf Ga -Heftiger Sturm. leeren, um wieder nach Petersburg zuruͤck zu gehen, und der General Lacy ſegelte an eben dieſem Tage mit der Avantgarde ab. Wir folgten ihm den folgenden mit der Hauptarmee, und der Generalmajor von Mengden fuͤhrte die Arrieregarde. Den 10ten uͤber - fiel uns ein heftiger Sturm, in welchem wir viele Galeeren und eine große Menge Mannſchaft verloren. Wir ſahen auf den Felſen viele geſcheiterte Schiffe von des General Lacys Detaſchement, ſahen auch eine Menge Federbetten, Tiſche, Stuͤhle und Faͤſſer ſchwimmen. Unter andern wurde eine Wiege von einer Galeere aufgefangen, in der ein Kind ſchlief, welches einem Major gehoͤrte, der mit ſeiner Frau im Sturme umgekommen war, und da ſie beyde Aus - laͤnder geweſen waren, ſo hatte die Waiſe keinen Ver - wandten, der ſich ihrer angenommen haͤtte. Nach - dem aber die Czarinn dieſen Umſtand erfahren hatte, ſo nahm ſie ſich des Kindes an. Wir erreichten den 11ten die Sandinſel und den 13ten die ſchwarze Jn - ſel; der Wind gieng aber noch ſo kalt mit Froſt und Schnee, daß es unſern Leuten ſehr ſchwer wurde, die Segel zu regieren und zu rudern. Den 17ten er - langten wir die weiße Jnſel, indem wir durch Eis - ſchollen und vielen Schnee fuhren, und vor Kaͤlte ſo erſtarrten, daß wir uns durch ſtarkes Arbeiten erwaͤr - men mußten. Den 18ten erreichten wir Beloſorof,Rwo258wo wir unſere beſchaͤdigten Galeeren ausbeſſerten, und den 20ſten in Cronſ lot ankamen. Hier hielten wir uns nicht auf, ſondern fuhren gleich wieder ab, undDie Flotte kommt in Pe - tersburg an. kamen den folgenden Tag in die Newa, wo ſich die Galeeren verſammelten, und in großer Parade eine hinter der andern den Fluß hinauf fuhren, und jede die Feſtung begruͤßte, indem ſie bey derſelben vorbey fuhr. Als wir dem Senathauſe gegenuͤber kamen, warfen wir die Anker, und ſtellten uns in ſechs Linien queer uͤber den Fluß; ſobald ein Zeichen durch ei - ne Rackete gegeben worden, gaben wir aus unſern Kanonen und kleinem Gewehre eine Generalſalve, welche die Feſtung und Admiralitaͤt mit allen Kano - nen beantworteten. Dieſes geſchah dreymal, und machte uns ſo taub, daß wir in etlichen Tagen her - nach kaum wieder hoͤren konnten. Nachdem dieſe Begruͤßung voruͤber war, ſtiegen alle Officiers, die uͤber den Rang eines Subalternen waren, ans Ufer, und begaben ſich nach geſchehener Einladung in das Senathaus, wo ein großes Tractament fuͤr alle Staͤn - de des Volks zubereitet war, bey welcher Gelegen - heit auch viel Feuerwerke abgebrannt wurden. Der Schmaus dauerte bis an den hellen Morgen, da ſich denn die Officiers wieder auf die Galeeren bega - ben, und ſie in die Werfte brachten, wo ſie verwah - ret werden ſollten. Die Mannſchaft ſtieg ans Land und wir wurden in die Winterquartiere verleget, und hofften nach ſo viel ausgeſtandener Muͤhe und Gefahr einige Zeit Ruhe zu haben.

Es wurden nunmehr im ganzen Reiche große Freudenbezeugungen angeſtellt, und man ſahe nichts als Gaſtmahle, Baͤlle und Masqueraden. DenGefan -259Gefangenen von beyden Seiten wurde die Freyheit ge - geben; es wurde eine Generalpromotion bey der Ar - mee und bey der Flotte vorgenommen; unſere Ge - vollmaͤchtigten wurden mit Gunſtbezeugungen uͤber - haͤuft; der General Bruce wurde in den Reichsgra - fenſtand erhoben, und bekam ein Geſchenk von 10000 Rubeln. Herr Oſtermann wurde zum Ba - ron gemacht, und erhielt 8000, und der Secretair 2000; alle, deren Verbrechen eine willkuͤhrliche Strafe verdiente, erhielten Pardon, und alle die, ſo Abgaben ſchuldig waren, welches ſich auf viele Mil - lionen belief, wurden freygeſprochen.

Bey dieſer wichtigen Gelegenheit verſammelteDer Czar be - kommt den Titel des Großen. ſich der Senat, die Großen des Landes, die vornehm - ſte Geiſtlichkeit und die Deputirten vieler Provinzen, welche ſich insgeſammt zu dem Czar begaben, und ihm fuͤr ſeine vaͤterliche Sorge und den unermuͤdeten Fleiß dankten, welchen er angewendet habe, das Gluͤck und die Wohlfahrt des Reichs zu befoͤrdern. Zugleich baten ſie ihn, daß er ſich gefallen laſſen wolle, die dankbare Erkenntlichkeit ſeines getreuen Volkes, und, nach dem Beyſpiele anderer Monarchen, den Titel des Vaters ſeines Landes, Kaiſers aller Reußen und Peters des Großen anzunehmen. Als ihm dieſe Ti - tel vorgeleget wurden, verlangte er einige Zeit zur Ueberlegung, und nahm nach einiger Erwaͤgung ihr Anerbieten an, worauf der Senat zu drey wiederhol - ten Mahlen ausrief: Lange lebe Peter der Groſ - ſe, der Vater ſeines Landes und Kaiſer aller Reußen! Die ganze Verſammlung bezeugte ihren Beyfall mit Trompeten und Pauken, und zugleich wurden alle Kanonen auf der Feſtung und Admira -R 2litaͤt260litaͤt geloͤſet, worauf eine Salve von 24000 Mann zu Fuße und etlichen Bataillonen von der Garde, die vor dem Senathauſe aufgezogen waren, folgte. Der Kaiſer hielt alsdann eine Rede an die Staͤnde, und dankte ihnen fuͤr ihre Treue. Sie antworteten mit einer tiefen Verbeugung, und dankten ſeiner Kaiſer - lichen Majeſtaͤt fuͤr die vaͤterliche und gnaͤdige Rede, worauf eine zweyte Salve mit den Kanonen und klei - nem Gewehr, und ein lautes Zurufen des Volks er - folgte, das von einer dritten Salve bgleitet wurde. Hierauf gieng der ganze Senat und gratulirte der Kai - ſerinn und den Kaiſerlichen Prinzeſſinnen, die ihm ſehr gnaͤdig dankten. Alsdann begab ſich der Kaiſer und die Kaiſerinn in den Saal des Senats, wo der Herzog von Holſtein mit ſeinem ganzem Gefolge und mit ihm alle auslaͤndiſche Miniſter warteten, und bey - den Majeſtaͤten bey dem Eintritte in den Saal gratu - lirten. Nach dieſer Ceremonie ſetzte ſich die ganze Geſellſchaft zu Tafel, und es wurden uͤber tauſend Perſonen, beyderley Geſchlechts, bewirthet; es ſprang Wein auf den Straßen; es wurde ein ganzer mit Voͤgeln geſpickter Ochſe fuͤr das gemeine Volk gebra - ten, und des Abends die Stadt erleuchtet und Feuer - werke abgebrannt, worauf die Feyerlichkeiten, die 14 Tage zu jedermanns großem Vergnuͤgen gedauert hatten, beſchloſſen wurden.

Verbeſſerung der Juſtiz.
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Als der Kaiſer erfahren hatte, wie viel ſeine Un - terthanen in Proceſſen durch den Geiz derer litten, deren ſie ſich bey denſelben bedienten, indem dieſe den Proceß, ſo lange noch einiges Geld von den Clienten zu ziehen war, zu verzoͤgern ſuchten, ſo nahm er die Sache in Erwaͤgung, und verordnete, daß eine hin -laͤngliche261laͤngliche Anzahl Advocaten und Anwaͤlde geſetzt wer - den, und jeder einen hinlaͤnglichen jaͤhrlichen Gehalt haben ſollte, wofuͤr ſie allen ſeinen Unterthanen in je - der Sache umſonſt dienen ſollten. Damit auch nicht eine Perſon der andern vorgezogen wuͤrde, mußten ſie jeden Proceß, wie er ihnen vorgetragen worden, in ihre Tagebuͤcher eintragen, und in demſelben nach den Tagen des Eintragens, ohne Ruͤckſicht auf die Per - ſonen, arbeiten. Wer befunden werden wuͤrde, daß er Beſtechungen oder Belohnung annaͤhme, oder ei - nen Proceß zu verzoͤgern ſuchte, ſollte die Knute bekom - men und auf Zeitlebens nach Siberien geſchickt wer - den, wie es denn auch jedem Unterthan, wenn er ſich durch den Ausſpruch des Richters fuͤr beleidiget hielt, an den Kaiſer in Perſon zu appelliren, freyſtehen ſoll - te. Dieſe neue Einrichtung war allen ſeinen Unter - thanen, beſonders aber den niedrigſten, hoͤchſt ange - nehm. Da ſie bisher auch kein geſchriebenes Geſetz gehabt hatten, ſo ließ der Kaiſer eine Sammlung von buͤrgerlichen Geſetzen, ſo deutlich, kurz und leicht als moͤglich war, nach der Methode verfertigen, die der Marſchall Weyde vor dieſem bey Zuſammentra - gung der Kriegsgeſetze erwaͤhlet hatte, die in einem kleinen Taſchenbuche enthalten, und Ruſſiſch und Deutſch gedruckt waren, und davon jeder Officier ei - nes zu ſeinem Unterrichte erhalten hatte.

Jch erhielt um dieſe Zeit Nachricht aus Schott -Der Verfaſ - ſer ſucht ſei - nen Abſchied vergebens. land, daß mir daſelbſt ein kleines Gut durch den Tod eines Bruders meines Großvaters zugefallen ſey. Jch bat hierauf den Grafen Bruce, mir von dem Kaiſer die Erlaubniß zu verſchaffen, nach SchottlandR 3zu262zu gehen, meine Freunde zu beſuchen und meine Sa - chen in dieſem Lande in Ordnung zu bringen. Der Kaiſer gab ihm aber zur Antwort, daß er mich auf ei - ne gewiſſe Expedition mit ſich nehmen wolle, wo er Gelegenheit habe mich zu brauchen, und verſprach, daß ich, ſobald dieſe geendiget ſeyn wuͤrde, Erlaubniß haben ſollte, nach Schottland zu gehen.

Triumphi - render Ein - zug in Mos - kau.
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Da der Kaiſer geſonnen war, einen triumphiren - den Einzug in Moskau, der Hauptſtadt ſeines Reichs, zu halten, ſo gab er ſeiner Diviſion oder Garde, die aus 4 Regimentern oder 12 Bataillonen und 4 Com - pagnien Grenadiers beſtand, Befehl, nach Moskau zu marſchiren, wo wir den 26ſten December zuſam - men kommen ſollten, und wobey jedem freygelaſſen wurde, dahin zu reiſen, wie er wollte. Dieſes letz - tere hatte aber ſehr viel Unbequemlichkeiten fuͤr die Officiers, indem wir alle unſere Pferde und Equipa - ge in Reval gelaſſen hatten, wo wir ſie ſehr wohlfeil verkaufen mußten, und nun aus Mangel derſelben in große Verlegenheit kamen, da der gegenwaͤrtige Um - ſtand ſie ſehr rar und uͤberaus theuer machte. Als ich dem Grafen Bruce meine Schwierigkeit vorſtellte, gab er mir ſechs von ſeinen Kutſchpferden, die er oh - nehin nach Moskau ſchicken wollte. Jch reiſete alſo den 1ſten November ab; weil aber der Froſt nicht ſtark genug war, und die Pferde nicht trug, ſo hatte ich ſehr uͤbles Reiſen, und kam mit vieler Schwierig - keit fort. Das Eis, welches bey jedem Schritte brach, verwundete und zerſchnitt den Pferden die Fuͤſ - ſe ſo ſehr, daß ich Novogorod erſt den 25ſten errei - chen konnte, wo ich des Generals Pferde zu Couri -ren263ren hinterließ, mit gemietheten Pferden weiter nach Seragorod gieng, und den 14ten December ankam, und zum Regimente ſtieß, das ſich daſelbſt ſtellte, wo wir alsdann zuſammen marſchirten, und den 26ſten ankamen. Hier ſtießen wir zu den uͤbrigen von unſerer Diviſion, und da noch ein Feldregi - ment zu uns kam, ſo machten wir uͤberhaupt 7 Ba - taillons aus.

Den 29ſten December hielt der Kaiſer ſeinen triumphirenden Einzug in Moskau in einer ſehr ſchoͤ - nen Ordnung. Der Kaiſer gieng dabey zu Fuße, und fuͤhrte das erſte Regiment von der Garde auf. Vor ihm marſchirte eine Grenadiercompagnie, und die Kriegsmuſik, welche aus ein paar Pauken, 2 Trompeten, 2 Waldhoͤrnern, 8 Hoboyen und 4 Baſ - ſons beſtand. Nach dem Kaiſer giengen die zwey Oberſtlieutenants, Menzikof und Butterlin, hinter dieſen die vier Majors, Galitzin, Uſupof, Matus - kin und Romanzof, dieſen folgten vier Capitains, die 4 Capitainlieutenants hinter ſich hatten; hierauf kamen die Fahnen der 16 Compagnien des erſten Regiments der Garde in zwey Reihen. Die andern Regimenter folgten in eben der Ordnung, und die Er - ker, Fenſter und Straßen, durch welche wir mar - ſchirten, waren von Zuſchauern angefuͤllt. Als der Kaiſer bey dem erſten Triumphbogen angekommen war, der in der Tweerſtraße errichtet worden, wurde er mit einer Generalſalve der ganzen Artillerie der Stadt und mit dem Gelaͤute aller Glocken empfangen. Als er zum zweyten Triumphbogen kam, wurde er von dem Erzbiſchof von Novogorod, dem Vice-Praͤ -R 4ſidenten264ſidenten des Synods, an der Spitze der Welt - und regulairen Geiſtlichkeit complimentiret, und einige Zeit mit Vocal - und Jnſtrumentalmuſik unterhalten, die von jungen Studenten in verſchiedenen Sprachen, vor dem Herzoge von Holſtein, den Senatoren und andern von Stande, gemacht wurde. Hierauf gieng der Kaiſer zu dem dritten Bogen, den der Fuͤrſt Menzikof hatte errichten laſſen, wo er ſich eine Zeit lang aufhielt, die Neugierde des Volks zu befriedi - gen, welches viele Freude an den Tag legte. Als - dann begab ſich der Kaiſer zu dem vierten Bogen, den der Rath hatte errichten laſſen, wo er von dem Praͤſidenten des Raths, dem Knes-Trubetzkoi, und von dem ganzen Rathe, von einer großen Anzahl Kaufleute begleitet, empfangen wurde. Von da marſchirten wir nach der Jnoiſemska-Slaboda, wel - ches der Theil der Stadt iſt, wo alle Auslaͤnder woh - nen, wo wir mit Eſſen und Trinken bis in die ſpaͤte Nacht bewirthet wurden, und uns von da in unſere Quartiere begaben.

Auf dieſen triumphirenden Einzug folgten ſechs Wochen lang nichts als Gaſtmahle, Baͤlle, Mas - queraden und andere Ergoͤtzlichkeiten. Unter andern vortrefflichen Verzierungen, die bey dieſer Gelegen - heit angebracht wurden, war eine uͤber und uͤber ver - goldete ſehr ſchoͤn gearbeitete kleine Jacht, mit 12 kleinen meßingenen Kanonen, nebſt Fahnen und flie - genden Wimpeln. Dieſes Fahrzeug ſtand auf einem Schlitten, der von Pferden gezogen wurde, und in demſelben ſaßen der Kaiſer und der Herzog von Hol - ſtein nebſt andern bis auf 24 Perſonen, die alle wieSeeleute265Seeleute gekleidet giengen, und auf dieſe Art etliche Tage lang durch die Straßen in Moskau mit einer Geſellſchaft Muſikanten, von eines Großen Hauſe zu dem andern fuhren, wo große Gaſtgebote fuͤr ſie an - geſtellt waren. Die Kanonen der Jacht wurden bey jedem Hauſe abgefeuert, wo ſie anhielten. Alle Straßen der Stadt wurden jede Nacht erleuchtet. Dieſes Gepraͤnge war den Einwohnern ſehr ange - nehm, indem ſie noch niemals ein Schiff geſehen hat - ten. Waͤhrend dieſer ganzen Zeit dachten alle Ein - wohner von allen Staͤnden auf nichts als auf Ver - gnuͤgen, bis eine neue und unvermuthete Sache ihre ganze Freude unterbrach.

Es wurde naͤmlich den 22ſten Februar 17221722. ein Befehl durch Trompeten bekannt gemacht, wo - durch allen Eingebohrnen des Ruſſiſchen Reichs, und allen damals darinnen befindlichen Auslaͤndern an - befohlen wurde, einen Eid zu ſchwoͤren und zu unter - zeichnen, daß ſie diejenige Perſon, die Jhre Majeſtaͤt zu ihrem Nachfolger ernennen wuͤrde, nach ihrem Tode als Thronfolger erkennen wollten. Dieſer Be - fehl machte alle Gemuͤther niedergeſchlagen, wenn ſie an das Recht des jungen Peters, des Kaiſers En - kel, und einzigen maͤnnlichen Erben der Kaiſerlichen Familie gedachten, der ein ſo viel verſprechender und hoffnungsvoller Prinz war, als einer von ſeinem Alter nur ſeyn konnte. Sie mußten indeſſen dem Befehle gehorchen, ob er gleich von vielen mit widri - gen Herzen vollzogen wurde, indem der unſchuldige Prinz nichts vor ſeines Vaters Vergehungen konnte. Alle Officiers von unſrer Diviſion wurden in verſchie -R 5dene266dene Kirchſpiele vertheilet, dieſen Eid zu betreiben und ihn unterſchreiben zu laſſen; ich bekam eines in der Stadt, welches mich, da es ſehr zahlreich war, fuͤnf Wochen lang, vom Morgen bis in die Nacht beſchaͤftigte. Es war dieſes der unangenehmſte Dienſt fuͤr mich, den ich jemals in Rußland gethan habe, indem ich das vortreffliche Gemuͤth und den Charakter des jungen Prinzen ſo wohl kannte, weil ich die Ehre gehabt hatte, ihn in den militaͤriſchen Uebungen und dem Feſtungsbaue zu unterrichten, die - ſer Eid aber ohne Zweifel zu ſeinem Nachtheile vor - geſchrieben war.

Sieben -267

Siebentes Buch.

Die Urſache zur Expedition wider Perſien. Ein - ſchiffung auf dem Fluſſe Moskau. Nisni-No - vogorod. Einſchiffung auf die Galeeren. Die Czeremiſſiſchen Tartarn. Caſaniſche Tar - tarn. Art, in der zu Wolga fiſchen. Arten der Fiſche. Alabaſter-Bruch. Bulgariſche Tartarn, und der Jungfernberg. Kalmukiſche Tartarn. Aſtrakan. Nogayiſche Tartarn. Kurze Beſchreibung der Tartarn uͤberhaupt. Der Nogayiſchen Tartarn Lebensart. Wuͤſte - neyen nahe bey Aſtrakan, reich am Salze. Fruͤchte in Aſtrakan. Eine Banyaniſche Frau verbrennt ſich bey ihres Mannes Tode ſelbſt. Die Einwohner Jndiens. Die Banyaner.

Nachdem dieſer Punkt war in Richtigkeit gebrachtUrſachen zum Kriege wider Per - ſien. worden, machte der Kaiſer Anſtalt zu einem Feldzuge, ſich wegen der Beleidigungen zu raͤchen, welche ihm die rebelliſchen Perſianer, die am Caspi - ſchen Meere wohnen, angethan hatten. Herr Wo - linsky, welchen er als Geſandten an Myr Maghmut, den, welcher ſich zum Beherrſcher aufgeworfen, abge - ſchickt hatte, war eben mit einer ſehr unbefriedigen - den Antwort aus Perſien zuruͤck gekommen. Die Einwohner um den Berg Caucaſus, auf der weſtli - chen Seite des Caspiſchen Meeres, hatten Schama - chi, in der Provinz Schirvan, weggenommen, 300 Ruſſiſche Kaufleute, die ſich in Handelsgeſchaͤften daſelbſt befanden, niedergehauen, und ſich ihrer Ef - fecten, die ſich gegen eine Million Rubel beliefen, be -maͤchti -268maͤchtiget. Die Ruſſiſche Caravane aus China war von den Usbeckiſchen Tartarn, die mit dem Maghmut im Buͤndniſſe ſtunden, auf gleiche Art behandelt wor - den, und die Einwohner von Androfska, nahe an den Ruſſiſchen Grenzen, hatten viele Einfaͤlle in das Ruſſi - ſche Gebiete gethan, und alles, was ihnen vorgekom - men war, gepluͤndert, verbrannt und verheeret, wie auch eine Menge Menſchen beyderley Geſchlechts in die Sclaverey gefuͤhret. Da Herr Wolinsky, der abgeſchickt worden war, Genugthuung fuͤr dieſe Be - leidigungen zu fordern, ohne die geringſte Befriedi - gung erhalten zu haben, zuruͤck kam, ſo beſchloß der Kaiſer Genugthuung durch Gewalt der Waffen zu ſu - chen, und dieſe Expedition in Perſon zu commandi - ren. Jndem dieſes beſchoſſen wurde, kamen drey Expreſſe vom Schach Hußein, dem abgeſetzten Monarchen in Perſien, an, der den Kaiſer um Huͤlfe und Beyſtand wider den Aufruͤhrer, und zwar unter ſolchen Bedingungen anſprach, die fuͤr einen ſo weiſen Fuͤrſten zu vortheilhaft waren, als daß er ſie ausſchla - gen ſollte, daher ſie auch dieſe Expedition beſchleu - nigten.

Einſchiffung auf dem Fluſſe Mos - kau.
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Als ſich der Kaiſer zu dieſem Kriege entſchloß, gab er ſogleich Befehl, daß zu Nisni-Novogorod eine hinlaͤngliche Menge Galeeren und Proviantſchiffe erbauet werden ſollte, worauf 30000 ſeiner regulai - ren Truppen auf der Wolga nach Aſtrakan gebracht werden koͤnnten. Nachdem er nun alle Anſtalten ge - troffen hatte, wie die oͤffentlichen Angelegenheiten in ſeiner Abweſenheit verwaltet werden ſollten, ſetzten wir uns den 26ſten April auf dem Fluſſe Moskau, zu unſerer Unternehmung nach Aſien, zu Schiffe. Jndem269Jndem wir den Fluß hinunter fuhren, hatten wir ei - ne der ſchoͤnſten Ausſichten in die fruchtbarſten und angenehmſten Laͤnder der Welt. Wir kamen den 3ten May vor der Stadt Columna an, welche zu Waſſer 108 Werſte von Moskau liegt, aber zu Lan - de nicht halb ſo weit iſt. Es iſt dieſes eine betraͤcht - liche Stadt; ſie hat eine Mauer von Steinen und Thuͤrme, und iſt der Sitz eines Biſchofs. Hier faͤllt die Moskau in die Occa. Dieſe kommt aus Suͤden, und iſt nicht allein ein viel breiterer Fluß, ſondern hat auch an ihren Ufern ein vortreffliches Land, welches ſehr volkreich und fruchtbar iſt, und von einer großen Menge praͤchtiger Eichen auf beyden Ufern zu einem der angenehmſten Laͤnder in der Welt gemacht wird. Die Stadt Wolodimer ſtehet zwi - ſchen der Occa und der Wolga, und liegt in dem fruchtbarſten Lande von ganz Rußland; ſie iſt lange Zeit die Reſidenz der Großherzoge geweſen, bis die Kaiſerliche Reſidenz nach Moskau verleget wurde, ſeit welcher Zeit ſie ſehr in Verfall gekommen iſt. An dieſe Provinz ſtoßen die zwey Tartariſchen Fuͤr - ſtenthuͤmer Caßinu und Mordwa; die Hauptſtadt des erſten iſt Caßinogorod, die zur Rechten am Fluſſe Occa liegt, und von einer großen Menge Doͤrfer und Kloͤſter umgeben iſt, die ſehr angenehm zwiſchen den Waͤldern liegen. Die Hauptſtadt des zweyten iſt Moruma, die zur Linken an der Occa lieget, die hier die Clesna aufnimmt, welche von Wolodomer kommt. Hier begegneten uns zwey ungluͤckliche Zufaͤlle; es verlohr ein Soldat ein Bein durch ein Tau, indem er einen Anker herab ließ, und eines Soldaten Frauwurde270wurde zwiſchen zwey Fahrzeugen erquetſcht, indem ſie aus einem in das andere ſtieg und herunter fiel.

Nisni-No - vogorod.
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Den 25ſten May langten wir vor Nisni-No - vogorod an, welches 750 Werſte von Moskau liegt. Dieſe Stadt iſt am Zuſammenfluſſe der zwey groſſen Fluͤſſe, der Occa und der Wolga, erbauet; die Wolga iſt bey der Vereinigung der zwey Fluͤſſe 4500 geometriſche Schritte breit. Dieſer Fluß nimmt ſei - nen Urſprung aus der See die Wolga genannt, in der Provinz Roſchovia, und iſt ohne Zweifel der groͤß - te in Europa, indem er von ſeinem Urſprunge bis an das Caspiſche Meer, in welches er ſich ergießt, gegen 2900 Werſte lang iſt. Von ſeiner Quelle an bis an dieſe Stadt, wobey er ungefaͤhr 400 Werſte durch die ſuͤdlichen Theile von Moskau fließt, iſt er nur mittel - maͤſſig breit, ſtoͤßt auch nur an wenig merkwuͤrdige Oer - ter. Dieſe Stadt erhielt ihren Nahmen von der be - ruͤhmten Stadt Novogorod, deren Einwohner auf Befehl des Tyrannen Jvan Baſilowitz, an dieſen Ort verſetzet worden. Sie iſt mit einer ſtarken ſteinernen Mauer und Thuͤrmen umgeben. Die Vorſtaͤdte ſind groͤßer als die Stadt, indem ſie faſt drey Meilen im Um - fange haben, und von Tartarn, Ruſſen und Hollaͤndern, die meiſtens Kaufleute ſind, bewohnet werden, wie denn auch die Hollaͤnder hier eine proteſtantiſche Kirche haben.

Hier verſammelte ſich die ganze zu dieſer Unter - nehmung beſtimmte Armee, und ſetzte ſich auf die hier erbauten neuen Galeeren; und da dieſe ſehr ſchmal waren, ſo wurden deren fuͤr jedes Regiment 16 be - ſtimmt, welches, mit einer großen Menge Proviant - und Krankenſchiffen, ein ſehr zahlreiche Flotte aus - machte. Der Kaiſer und die Kaiſerinn kamen den27ſten27127ſten in einer in Moskau fuͤr ſie erbauten ſchoͤnen Jacht hier an. Da des Kaiſers Geburtstag den 30ſten einfiel, ſo wurde die ganze Armee an dem Ufer in Ordnung geſtellt, worauf ſie ſich, nachdem ſie drey Salven gegeben hatte, wieder auf die Galeeren begab. Als die Kanonen auf des Kaiſers Jacht abgefeuert wurden, zerſprang eine davon, toͤdtete ei - nen auf der Wache ſtehenden Grenadier, und verwun - dete eine von den Hofdamen ſo gefaͤhrlich, daß ſie in wenig Stunden ſtarb. Bey dieſer Gelegenheit ſtell - te Herr Strogenof, ein Kaufmann, der den Ruhm hatte, daß er den groͤßten Handel und die groͤßten Reichthuͤmer unter allen Kaufleuten in Rußland be - ſaß, ein großes Tractament fuͤr beyde Majeſtaͤten, und alle Feldofficiers, in der Stadt an. Er ſchickte im Ueberfluſſe Bier und Brandwein fuͤr die Soldaten auf die Galeeren, und beym Beſchluſſe des Tracta - ments machte der Kaiſer ihn zum Baron. Der Kaiſer begab ſich an eben dieſem Abende auf die Jacht und fuhr vor uns nach Aſtrakan ab, alle An - ſtalten zu beſehen, die zu der Expedition uͤber das Caspiſche Meer noͤthig waren; aber die Flotte wurde noch etliche Tage durch Herbeyſchaffung aller noͤthigen Beduͤrfniſſe zuruͤck gehalten.

Es befand ſich hier ein Capuciner, der in Schwei - zeriſchen Dienſten Capitain geweſen war, weil er aber einen andern Officier in einem Duelle getoͤdtet hatte, ein Capuciner geworden war, und jetzt als Mißionair nach Perſien gieng. Da ich hoͤrte, daß er predigen ſollte, ſo bekam ich Luſt, einigen catholiſchen Officie - ren Geſellſchaft zu leiſten und ihn zu hoͤren; ſeine Pre - digt war in der That beſſer, als wir vermuthet hatten. Nach272Nach der Predigt wandte er ſich an ſeine Zuhoͤrer, und erſuchte ſie, ihn nach Aſtrakan mitzunehmen. Ob nun gleich damals viele Feldofficiers von ſeiner Religion zugegen waren, ſo war doch keiner ſo hoͤflich, ihm dieſes Anerbieten zu thun, woruͤber er ſehr be - ſtuͤrzt zu ſeyn ſchien. Jch gieng daher zu ihm, und ſagte, wenn er die Reiſegeſellſchaft eines Ketzers an - nehmen wollte, ſo ſolle er mir in meiner Cajuͤte will - kommen ſeyn, welches er mit vielem Danke annahm. Jch muß auch geſtehen, daß ich niemals mit einem angenehmern Geſellſchafter gereiſet bin, der mir bey aller Gelegenheit die groͤßte Dankbarkeit bewieſen hat. Als wir in Aſtrakan ankamen, erhielt er die Stelle ei - nes andern Moͤnches, der unlaͤngſt geſtorben war, und blieb alſo daſelbſt, welches in Anſehung des uͤb - len Zuſtandes, in dem ſich Perſien damals befand, ein gluͤcklicher Umſtand fuͤr ihn war.

Unſere Flotte fuhr den 10ten Junii, unter Com - mando des Admirals Apraxin, ab. Wir fanden ei - ne Menge Spargel, der wild an den Ufern des Fluſ - ſes wuchs, welches von dem Austreten ſeines Waſſers herruͤhrte, das im Fruͤhlinge, wenn der Schnee ſchmilzt, geſchieht. Wir kamen den 11ten nach Baſiligorod, auf der rechten Seite der Wolga, die der Tyrann gleiches Namens als eine Grenzfeſtung wider die Einfaͤlle der Czeremiſſen erbauet hat. Seit - dem aber die Ruſſen ihre Eroberungen auf dieſer Sei - te bis an das Caspiſche Meer uͤber die Tartarn ausge - breitet haben, iſt dieſer Ort ſehr aus der Acht gelaſ - ſen worden, und gelicht jetzt bloß einem Dorfe.

Czeremiſſi - ſche Tar - tarn.
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Die Czeremiſſiſchen Tartarn bewohnen beyde Seiten der Wolga von hier bis nach Cafan. Sieſind273ſind ein barbariſches betruͤgeriſches und grauſames Volk, das bloß vom Raube lebt. Jhre Nahrung ſind wilde Voͤgel, Fiſche und Honig, nebſt einem Ue - berfluſſe an Milch, die ihnen ihre Weiden verſchaffen, wie ſie denn auch das Fleiſch von ihren Pferden und Kuͤhen eſſen, wenn ſie ſterben; denn ſie toͤdten niemals einige davon. Sie haben keine Haͤuſer, ſondern elen - de Huͤtten. Die auf der rechten Seite des Fluſſes wer - den Nagarin oder Bergbewohner genannt, und die zur Linken, heißen Lugoivi, von ihren Wieſen, auf welchen ſie auf beyden Seiten des Fluſſes Heu ma - chen. Sie ſind alle Heiden, und bedienen ſich we - der der Beſchneidung noch der Taufe; ihren Kindern geben ſie die Namen der erſten Perſonen, denen ſie innerhalb ſechs Monaten von dem Tage der Geburt an gerechnet, begegnen. Sie bekennen einen un - ſterblichen Gott, den Urheber alles Guten, den man anbeten muͤſſe, lachen aber uͤber die Unſterblichkeit der Seele. Ob ſie gleich keine Hoͤlle glauben, ſo fuͤrchten ſie ſich doch vor dem Teufel als dem Urheber alles Ungluͤcks, und wollen ihn alſo durch Opfer ver - ſoͤhnen. Wenn ſie Gott ein Opfer bringen, ſo toͤd - ten ſie ein Pferd, eine Kuh oder ein Schaf, ſpan - nen deſſen Fell an einer hohen Stange aus, und rufen es an, damit es bey Gott fuͤr ſie bitten moͤge, daß er die Anzahl ihres Viehes vermehre. Sie bezeigen der Sonne und dem Monde, als den Urhebern aller Fruͤchte der Erden, große Hochachtung. Sie bedie - nen ſich keiner Kirchen, Geiſtlichen oder Buͤcher. Die Vielweiberey iſt bey ihnen gewoͤhnlich, ſo daß ſie zwey oder drey Schweſtern zugleich heirathen. Jhre Weiber und Toͤchter ſind insgeſammt in ein StuͤckSgrobes274grobes weißes Tuch eingewickelt, ſo daß man kaum etwas anders, als ihre Geſichter ſiehet. Die Manns - perſonen tragen einen Rock von Leinwand und Bein - kleider darunter. Sie ſcheren ſich insgeſammt das Haupt, die jungen unverheiratheten Perſonen aber laſſen einen Zopf ſtehen, der zum Unterſchiede auf ih - rem Ruͤcken lang herunter haͤngt. Sie haben eine ih - nen ganz eigene Sprache, die keine Aehnlichkeit weder mit der Sprache der benachbarten Tartarn, noch mit der Tuͤrkiſchen oder Ruſſiſchen hat; obgleich einige, die mit Ruſſen zu thun haben, einige Kenntniß von die - ſer Sprache erlanget haben. Vierzig Werſte von Baſiligorod liegt die Stadt Kasmademiunski, an dem Fuße eines Berges zur Rechten des Fluſſes; das ganze Land in dieſer Gegend iſt ein langer Wald von Erlen, die ungewoͤhnlich groß ſind. Vierzig Werſte am Fluſſe herunter, ſtehet an eben dem Ufer die Stadt Sabakzar, die wegen ihrer Lage eine der ſchoͤnſten in dieſen Gegenden iſt. Wenn man noch 25 Werſte weiter hinunter gefahren, und uͤber drey Jnſeln auf der linken Seite des Fluſſes paßiret iſt, kommt man zu der Stadt Kockſchage. Auf eben der Seite, etliche Werſte hinunter, ſtehet die Stadt Suiatski, an einem Berge erbauet; das Schloß und die Kirchen ſind von Steinen, die uͤbrigen Ge - baͤude und Feſtungswerke beſtehen aus Holz.

Caſaniſche Tartarn.
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Als wir von hier des Nachts ab - und auf den Fluß Caſanski zufuhren, wurde mein Fahrzeug leck, und waͤre beynahe verlohren gegangen, ehe wir es entdeck - ten. Wir hatten ſehr viel Schwierigkeiten, ehe wir ans Ufer kamen, und ſobald wir das Waſſer ausgeſchoͤpfet und die Luͤcke ſo gut wir konnten verſtopft hatten, fuh -ren275ren wir auf dem Fluſſe Caſanski herauf, 7 Werſte von der Wolga auf die Stadt Caſan zu, wo ich mein Fahrzeug ausbeſſern ließ. Dieſe Stadt iſt ſehr groß, und liegt an der linken Seite der Wolga in ei - ner ſehr fruchtbaren Ebene; die Haͤuſer und Feſtungs - werke ſind von Holze, aber das Schloß und deſſen Werke, die aus vier Baſtionen und vielen Thuͤrmen beſtehen, ſind von Steinen erbauet, und der Fluß, der um ſie herum gehet, vertritt die Stelle eines Gra - bens. Die Beſatzung beſtehet bloß aus Ruſſen, die unter einem Gouverneur ſtehen, aber die Stadt wird von Ruſſen und Tartarn bewohnet, die ihren eigenen Gouverneur haben. Jn den vorigen Zeiten fuͤhrten die Koͤnige von Caſan mit den Ruſſen ſehr blutige Kriege, und ſetzten ſie oft unter Contribution, indem ſie gemeiniglich eine Armee von 60000 Mann ins Feld ſtellten; endlich aber wurden ſie von Jvan Ba - ſilowitz in Jahr 1552 unter das Joch gebracht, und die Koͤnigliche Familie gefangen nach Moskau gefuͤh - ret, wo ihre Nachkommen noch wohnen, und ihr Oberhaupt bis auf dieſen Tag der Caſanski Czarowitz genannt wird. Jch muß hier bemerken, daß der Lauf des Fluſſes Wolga von Moskau nach Caſan oͤſtlich, und von da, bis ins Caspiſche Meer, nach Suͤden gehet. Das Koͤnigreich Caſan liegt an der Wolga zur Linken, deſſen Einwohner in Haͤuſern wohnen und vom Ackerbau leben. Sie verſehen die ſuͤdlichen Provinzen mit allen Arten von Lebensmit - teln, und ſind aus eben der Urſache die civiliſirteſten unter allen Tartarn. Sie ſind zum Theil Mahome - taner, aber die meiſten von denen, die in Staͤdten wohnen, ſind griechiſcher Religion; es iſt ihnen beyS 2ſchwerer276ſchwerer Strafe verboten, in eine von den Feſtungen zu gehen. Sie grenzen gegen Suͤden an die Bulga - riſchen, und gegen Norden an die Siberiſchen Tartarn.

Sobald meine Galeere ausgebeſſert war, reiſete ich den 17ten Junii von Caſan ab, konnte aber die Flotte nicht eher einholen, als bis wir nach Aſtrakan kamen, weil ſie weder bey Tage noch bey der Nacht anhielt. Ungefaͤhr 60 Werſte unter Caſan faͤllt der Fluß Kama zur linken Hand in die Wolga; 30 Werſte noch weiter hinunter fließt der Fluß Zer - dick ebenfalls darein, und in einer Entfernung von 30 Werſten weiter hinunter liegt die Stadt Tetus, die wegen der unordentlichen Gebaͤude mehr einem Dorfe als einer Stadt aͤhnlich ſiehet. Zwanzig Wer - ſte unter dieſer faͤllt der Fluß Utka auf der andern Seite hinein, der nahe bey der Stadt Bulgar, der Hauptſtadt des Koͤnigreichs dieſes Namens, ent - ſpringt. Etliche Werſte weiter iſt eine Jnſel Sta - ritza genannt, und nicht weit unter dieſer ſiehet man Rudera von einer betraͤchtlichen Stadt unter den Tar - tarn, die Ureneskora geheißen hat, und von dem Tamerlan iſt zerſtoͤret worden; ſie hat in einer ange - nehmen Gegend gelegen, und iſt heutiges Tages noch wegen eines Begraͤbniſſes eines ihrer Heiligen, dem ſie eine große Verehrung bezeigen, beruͤhmt.

Eine ziemliche Anzahl von Werſten weiter un - ter dieſer, zur Rechten, ſiehet man ebenfalls die Rui - nen von zwey großen Staͤdten nicht weit von einander, die ſehr angenehm an den Ufern des Fluſſes gelegen haben. Die erſte hat Simberska und die zweyte Arbuchim geheißen, die Tamerlan ebenfalls zerſtoͤ - ret hat. Hier holte ich drey Galeeren und ein Pro -viant -277viantſchiff ein; ſie hatten drey Anker eingebuͤßet, und drey Soldaten und ein Canonierer waren ertrunken. Da ich der aͤlteſte Officier war, ſo nahm ich ſie unter mein Commando, und dieſe Zuſammenkunft machte die uͤbrige Reiſe deſto angenehmer, indem etliche Of - ficiersweiber und Muſikanten auf dem Proviantſchiſſe waren. Wir brachten unſere Zeit des Abends mit Tanzen, und des Tages mit Fiſchen und Vogelſchieſ - ſen zu, indem die beſten Arten von Fiſchen ſowohl als Voͤgeln in großem Ueberfluſſe vorhanden waren; alle uͤbrige Arten von Speiſen und Proviant konnte man fuͤr weniges Geld oder faſt umſonſt haben, und da wir einen guten Vorrath von Liqueuren auf unſern Schiffen hatten, ſo brachten wir unſere Zeit auf dem Proviantſchiffe beyſammen ſehr angenehm zu, weil wir darauf Platz genug hatten.

Jn dieſer Gegend iſt die Wolga mit kleinen Jn -Art in der Wolga zu fiſchen. ſeln und Sandbaͤnken angefuͤllt, welche gegen beyde Ufer hie und her zerſtreuet liegen, und daher die Fahrt ſehr ſchwer, und in gewiſſen Jahreszeiten fuͤr Schiffe von großen Laſten unmoͤglich machen, die meiſtens im Monat May und Junius fahren muͤſſen, in welchen, wegen des thauenden Schnees, und der darein fallenden aufgethauten Fluͤſſe, das Waſſer ſo hoch ſteiget, daß die Fahrzeuge oft uͤber die kleinen Jnſeln gehen koͤnnen. Dieſer Fluß fuͤhret einen groſ - ſen Vorrath an Fiſchen aller Arten mit ſich, die eine gute Waare in Moskau ſind, weil ſie ſo viel Feſttage haben, und die ſowohl die Tartarn als die Ruſſen mit Angeln, aber auf verſchiedene Art, fangen. Die Tar - tarn nehmen ein langes Seil, und binden an das eine Ende einen großen Stein, der mit demſelben auf denS 3Boden278Boden herunter gehet, und an dem andern Ende be - feſtigen ſie große Stuͤcken Holz, die in dem Waſſer ſchwimmen. Laͤngſt dieſem großen Seile befeſtigen ſie viel kleine Stricke in einer gewiſſen Entfernung von einander, davon jeder einen Haken hat, daran ein gewiſſer kleiner Fiſch haͤngt, nach welchen die groſ - ſen Fiſche ſehr begierig ſind. Dergleichen Seile le - gen ſie jeden Abend queer uͤber den Fluß, und neh - men ſie des Morgens wieder heraus, da es ſich denn ſelten zutraͤgt, daß nicht an jedem Haken ein Fiſch von dieſer oder jener Art haͤngt, davon einige 10, 12 oder mehr Fuß lang ſind. Die Ruſſen bedienen ſich auch eines Seiles, woran ſie ebenfalls Haken mit Koͤder befeſtigen; ſie haben auch kleinere Seile, wor - an aber kleine hoͤlzerne Fiſche hangen, die mit Zinn uͤberzogen ſind, die, wenn ſie hinter dem Bothe her - gezogen werden, an den Sonnenſtralen wie Fiſche ausſehen, wodurch ſie ſehr große Fiſche zu dem Koͤ - der locken. Unter den verſchiedenen Fiſchen, woran dieſer Fluß einen Ueberfluß hat, iſt der Stoͤhr nicht einer der unbetraͤchtlichſten, deſſen Eyer dasjenige ge - ben, was die Ruſſen Jkari und wir Caviar nen - nen. Der Beluga oder Weißfiſch verdient ebenfalls angemerkt zu werden; er iſt 5 bis 6 Ellen lang, und nach Proportion dick. Man macht ebenfalls Caviar aus ſeinen Eyern oder Rogen, der eine hellgraue Far - be hat, groͤßer und angenehmer von Geſchmack iſt, als der vom Stoͤhre, ſich aber nicht ſo gut verfahren laͤßt, da ſie kein Mittel, ihn zu erhalten, ausfuͤndig machen koͤnnen. Die Eyer des Stoͤhrs ſind ſchwarz und klein, und werden, in 10 oder 12 Tagen nach ihrer Zube - reitung mit Salz, in einen Teig eingeſchlagen und nachallen279allen Theilen Europens verfahren. Dieſe Art Waa - re verſchafft Rußland einen betraͤchtlichen Handel. Außer dem Stoͤhr der Beluga fuͤhrt dieſer Fluß auch den Oſotrin, das ebenfalls ein ſehr großer, delicater und fetter Fiſch iſt. Dieſer Fluß hat auch einen Ue - berfluß an Lachſen, Sterlitzen, einem ſehr guten Fi - ſche, und unzaͤhligen andern Arten von Fiſchen, deren Benennung zu weitlaͤuftig fallen wuͤrde.

Jndem wir den Fluß hinunter fuhren, begegne - ten wir vielen Strußen, oder Schiffen mit flachen Boden, davon eines 8 - bis 900 Tonnen traͤgt, die von Aſtrakan mit Salz, Fiſchen, Caviar und allen Arten Jndianiſchen und Perſiſchen Waaren beladen nach Moskau giengen. Sie fuͤhren wegen der ſchwe - ren Arbeit, wenn ihnen der Wind mangelt, indem ſie den Fluß herauf fahren, welches denn oft geſchieht, ſelten weniger als 200 Mann, und wo das Ufer un - gleich iſt, ſchicken ſie ihre Bothe voraus, die eines hin - ter dem andern in einer ziemlichen Entfernung Anker werfen, wodurch ſie ſich in einer ziemlichen Geſchwin - digkeit wider den Strom hinauf ziehen; die Maͤnner laufen mit dem Wurfſeile auf den Schultern, und loͤſen einander wechſelsweiſe ab. Wo aber das Ufer flach und eben iſt, gehet die Mannſchaft ans Land und ziehet das Schiff fort.

Nahe bey der verwuͤſteten Stadt Arbuchim lag ein Stein der 10 Ellen lang und 6 breit, und tief in den Grund eingeſunken war. Auf dieſem ſtand eine Aufſchrift in Ruſſiſcher Sprache, des Jnhalts: Wer dieſen Stein aufheben wuͤrde, dem ſollte ſeine Muͤhe belohnet werden . Es verſammelten ſich eines Mahls viele von den Einwohnern, die ihn umwand -S 4ten280ten und alsdann folgende Aufſchrift auf der andern Seite fanden: Jhr Thoren, was ſuchet ihr? hie - her iſt nichts geleget worden .

Alabaſter - bruch.
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Von hier kamen wir zu einem Dorfe Teneſowa genannt, wo ein ſchoͤner Alabaſterbruch war, davon ich auch etliche große Stuͤcken mitnahm und ſie in das Proviantſchiff legte, um ſie dem Kaiſer zu zeigen. Den 20ſten Junii kamen wir nach Samara, einer Stadt zur linken Hand des Fluſſes, die zu dem Koͤ - nigreiche Bulgar gehoͤret. Der Fluß Samar, von dem ſie den Nahmen hat, faͤllt hier in die Wolga,Bulgariſche Tartarn. und liegt uͤber 300 Werſte von Caſan. Die Stadt Samara iſt viereckig, die Feſtungswerke und andere Gebaͤude ſind von Holz, die Kirchen und Kloͤſter aus - genommen. Die Beſatzung beſtehet aus einer An - zahl regulairer Truppen und Coſaken, die unter einem Gouverneur ſtehen. Der Bulgaren Leben und Sit - ten kommen faſt mit der Caſaner ihren uͤberein. Nicht weit von dieſem Orte, nahe am Fluſſe Ußa, ſtehet ein merkwuͤrdiger Berg, Dewitza Gora oder der Jungfernberg genannt, davon ſie viel fabelhafte Ge - ſchichten erzaͤhlen, die nicht verdienen wiederholet zu werden. Er war vor dieſem der Sammelplatz einer Menge Koſakiſcher Raͤuber, die von deſſen Anhoͤhe in eine betraͤchtliche Entfernung den Fluß herauf und herunter ſehen konnten, und hierdurch in den Stand geſetzt wurden, die Fahrzeuge anzuhalten und zu be - rauben; aber jetzt iſt er in ein Moͤnchskloſter verwan -Jungfern - berg. delt. Der Berg iſt wie ein Hut Zucker geſtaltet, mit einem Wege, der rund herum bis auf den Gipfel hinauf gehet. An dieſem Wege ſtehen kleine Cellen nicht weit von einander, davon jede von einem Moͤnchebewohnet281bewohnet wird, und oben darauf iſt die Wohnung des Superiors, deſſen Haus, wie auch die Capelle auf einer ziemlich großen Ebene von Holze erbauet ſind. Hier iſt eine der ſchoͤnſten Ausſichten, die ich jemals ge - ſehen habe. An den Seiten dieſes ſich herumwinden - den Weges, ſtehen von unten an bis auf den Gipfel große Fichten in ſolcher Ordnung, als wenn ſie mit Fleiß dahin geſetzet waͤren, die einen ſehr angenehmen Eindruck auf das Auge machen. Jn einer nicht großen Entfernung faͤngt ſich ein anderer Berg an, der beynahe 40 Werſte laͤngſt dem Fluſſe hingehet; die Thaͤler zwiſchen demſelben ſind voll von Aepfelbaͤu - men, die einen Ueberfluß an Cyder geben, den die Ruſſen Yablona Quas nennen. Einige von die - ſen Bergen erſtrecken ſich tief ins Land hinein. Auf dieſer ſehr angenehmen Reiſe verſchafften uns die klei - nen zu den Galeeren gehoͤrigen Jachtſchiffe, die jedes 6 bis 10 Ruder hatten, vieles Vergnuͤgen, indem ſie uns in den Stand ſetzten, unſere Neugierde zu be - friedigen, ohne daß wir mit unſern Schiffen von un - ſerer Reiſe abweichen durften.

Den 27ſten Junii kamen wir nach Saratof, das zu Waſſer 708 Werſte von Moskau liegt. Wir fiengen hier zwey große Stoͤhre und einen Belu - ga oder Weißfiſch, der 6 Ellen lang und auch nach Beſchaffenheit dick war, und eine hinlaͤngliche Mahl - zeit fuͤr das ganze auf den 5 Schiffen ſich befindliche Volk abgab. Die Stadt Saratof liegt auf einer ſehr ſchoͤnen großen Ebene an einem Arm der Wolga ohngefaͤhr 4 Werſte vom Hauptfluſſe. Sie wird von einer großen Anzahl Ruſſiſcher Soldaten und Coſaken bewohnt, oder iſt vielmehr mit ihnen beſetzt,S 5die282Kalmucken.die als eine Wache wider die Streifereyen der Kalmu - ckiſchen Tartarn hierher verlegt ſind, welche Tartarn ein großes Stuͤck Land, zwiſchen der Wolga und dem Fluſſe Jaick nach dem Caspiſchen Meere zu, bewohnen, und die linke Seite der Wolga von hier faſt bis nach Aſtrakan beſitzen, wo man in dieſem un - geheuern Strich Landes nicht ein einziges Haus ſie - het, weil ſie alle in Zelten wohnen, und ſich von ei - nem Orte zum andern begeben, wo ſie Weide fuͤr ihre großen Heerden Vieh ſuchen, die aus Pferden, Ka - meelen, Kuͤhen und Schaafen beſtehen. Sie ſaͤen und aͤrnten nicht, wie ſie denn auch kein Heu fuͤr ihr Vieh machen, ſo daß ſie ohne Brot oder andere Ar - ten von Fruͤchten leben. Jm Winter ſucht ſich ihr Vieh wie andere wilde Thiere zu naͤhren. Jhre Speiſe iſt Fleiſch (beſonders das von Pferden), Fi - ſche, wilde Voͤgel und Wildbret, wie ſie denn auch einen großen Vorrath an Milch, Butter und Kaͤſe haben. Sie ziehen die Milch von Pferden aller an - dern vor, und machen einen ſtarken Branntwein dar - aus, den ſie uͤberaus gern trinken; er ſiehet ſo hell aus wie Waſſer, ich habe aber deſſen Zubereitung niemals erfahren koͤnnen. Die Kalmucken ſind in unendlich viele Horden und Clans vertheilet, davon jede unter ihrem eigenen beſondern Chan ſtehet, die aber alle die Oberherrſchaft eines Haupt-Chans er - kennen, der Otchicurti-Chan, oder der Koͤnig der Koͤnige genennet wird, und ſein Geſchlecht von dem großen Tamerlan herleitet. Er iſt ein ſehr maͤchti - ger Fuͤrſt und lebt in großer Pracht; allen benachbar - ten Tartarn und ſelbſt den Ruſſen iſt er fuͤrchterlich, die ſich genoͤthiget ſehen betraͤchliche Garniſonen aufder283der rechten Seite des Fluſſes von Saratof bis nach Aſtrakan zu haben, ihre Streifereyen zu verhindern, indem die Kalmucken das gegenſeitige Ufer inne haben. Die Ruſſen ſind daher auch genoͤthiget, die Negaya - niſchen Tartarn um Aſtrakan herum, zu ihrer Ver - theidigung, mit Gewehr zu verſehen. Die Kalmu - cken pflegten ſonſt alle Sommer das Land der Noya - ger um Aſtrakan zu verwuͤſten; ſeitdem ſie aber die Wirkungen des kleinen Gewehres und der Kanonen empfunden haben, die ihnen die Ruſſen in die Haͤnde gegeben, ſo kommen ſie des Jahrs nur einmal auf die großen Ebenen bey Aſtrakan, weil ſie da Fut - ter fuͤr ihr Vieh zu einer Zeit finden, wenn ihre noͤrd - lichen Gegenden gaͤnzlich davon entbloͤßet ſind. Dieſes geſchieht gemeiniglich mit nicht weniger als 100000 Mann, und ſie gehen ſelten wieder zuruͤck, ohne ihr gewoͤhnliches Geſchenk an Brot, Branntwein und Toback von dem Gouverneur in Aſtrakan erhalten zu haben.

Es iſt gewiß, daß die Ruſſen ſtark genug ſind, dieſe unſtaͤten Voͤlker abzuhalten, wenn ſie es nicht wegen des Nutzens thaͤten, welchen ſie von der Hand - lung mit ihren Pelzen und Pferden haben, die ſie jaͤhrlich im Ueberfluſſe nach Aſtrakan bringen, wie auch wegen der Huͤlfe, die ſie den Ruſſen in ihren Kriegen wider die Tuͤrken und Tartarn in der Crim leiſten, weil ſie fuͤr das geſchwindeſte Volk in der Welt, ihre Zelte aufzuſchlagen und abzubrechen, gehalten werden, wozu ſie durch ihre beſtaͤndige Strei - fereyen, die ſie bald in dieſes bald in ein anderes be - nachbartes Land thun, gewoͤhnt ſind. Aus dieſer Abſicht halten die Ruſſen es fuͤr rathſamer, ihreGrau -284Grauſamkeit durch einige Geſchenke, die ſie freylich durch die Laͤnge der Zeit, als eine Schuldigkeit for - dern, zu zaͤhmen, als ſich wider eine Menge unſtaͤter Raͤuber, die ſo wenig zu verlieren haben, in einen Krieg einzulaſſen, indem ſie weder Haͤuſer noch be - ſtaͤndige Wohnungen in ihrem Lande haben, ſondern das ganze Jahr durch in mit Fellen bedeckten Zelten wohnen, worinn ſie aber, in Anſehung der Reinlichkeit und Bequemlichkeit, alle benachbarte Nationen, ſo - gar diejenigen, die in feſten Wohnungen leben, uͤber - treffen.

Die Kalmucken, wie auch alle andere Nationen der großen Tartarey, ſind Heiden. Was ihre Per - ſon betrifft, ſo ſind ſie klein von Statur, und haben gemeiniglich krumme Beine, welches daher kommt, daß ſie faſt beſtaͤndig reiten, oder im Sitzen die Bei - ne unter ſich haben. Jhre Geſichter ſind breit und flach, haben eine blatte Naſe und kleine ſchwarze Au - gen, die wie bey den Chineſern weit von einander ſte - hen. Sie ſehen olivenfarfig aus, und ihre Geſichter ſind voll Runzeln; ſie haben einen kleinen oder gar keinen Bart; ſie ſcheren ſich die Haare auf dem Kopfe ab, und laſſen nur einen Buͤſchel auf dem Wirbel ſtehen. Die Vornehmſten unter ihnen tragen Roͤcke von Zeug oder Seide, und daruͤber einen großen, weiten mit Schaafsfellen gefuͤtterten Pelz, und eine dergleichen Muͤtze. Jm Kriege bedecken ſie ihren Kopf und Leib mit einer Art eiſerner Netze, die ſie einen Panzer nen - nen, deſſen Maſchen ſo enge beyſammen ſind, daß es alle andere Gewehre, das Feuergewehr ausgenommen, aushaͤlt. Eine Kugel aber gehet durch, und fuͤhret gemeiniglich einige zerbrochene Stuͤcke mit in dieWunde,285Wunde, daher ſie ſich auch vor dem Feuergewehre ſehr fuͤrchten. Jhr Gewehr beſtehet in einem Saͤbel, einer Lanze, Bogen und Pfeilen; ſie fangen aber ſchon an, ſich der Feuergewehre zu bedienen, welche ſie mit der Zeit furchtbarer machen werden. Jhr Vieh iſt groß; ihre Schaafe ſind von der groͤßten Art, und haben große fette Schwaͤnze, die 26 bis 30 Pfund wiegen. Jhre Ohren haͤngen herunter wie bey unſern Hunden; ſie haben anſtatt der Wolle weiches krauſes Haar, daher ihre Haͤute insgeſammt zu Futtern unter die Kleider gebraucht werden. Jh - re Pferde ſind klein und haben ein ſchlechtes Anſehen, ſind aber fluͤchtig, munter und ſtark; viele gehen von Natur einen Paß, und trottiren unglaublich geſchwin - de. Sie eſſen Kameele, Kuͤhe und Schaafe, ziehen aber das Pferdefleiſch allen andern vor.

Sie ſind in ihrer Einbildung die gluͤcklichſten Menſchen von der Welt, weil ſie ſich mit keiner Ar - beit ermuͤden, ſondern ſich mit Fiſchen und Jagen vergnuͤgen. Jch kann mir auch nichts angenehmers vorſtellen, als ihre Lebensart im Sommer; allein im Winter muͤſſen ſie ſich uͤber den Fluß begeben, und auf der duͤrren Ebene von Aſtrakan wohnen, wo ſie nichts als den Miſt ihres Viehes zu brennen haben, und das Vieh bey dem wenigen Grafe einer unfrucht - baren Wuͤſteney beynahe verhungert. Hier bleiben ſie bis auf den Fruͤhling, da ihre vorige Wohnung, auf der oͤſtlichen Seite des Fluſſes, faſt einen ganzen Monat von dem geſchmolzenen Schneewaſſer uͤber - ſchwemmt iſt, und ihr Land wie eine mit Baͤumen bewachſene See ausſiehet. Sobald dieſes Waſſer faͤllt, gehen ſie mit vieler Freude zuruͤck, laſſen ihrebeladenen286beladenen Kameele und Vieh uͤber den Fluß ſchwim - men, wobey die ſich darinn beſindlichen Jnſeln ihre Ueberkunft erleichtern. Man muß wiſſen, daß die Kalmucken, wenn ſie auf eine Unternehmung ausge - hen, weder nach Bruͤcken noch Bothen fragen; denn ſobald ſie an einen Fluß kommen, ſetzen ſie mit ihren Pferden hinein, ſpringen von ſelbigen herunter, halten ſich feſt an ihre Maͤhnen bis ſie durch ſind, ſe - tzen ſich alsdann wieder auf, und reiten fort. Doch ich komme wieder auf unſere Fahrt den Fluß hinunter.

Den 2ten Julii kamen wir nach Kamuſinski, welches eine wohlbefeſtigte Stadt iſt, die am Fluſſe Kamus liegt, und eine ſtarke Beſatzung von Solda - ten und Koſaken hat. Man hatte hier angefangen, einen Canal zwiſchen den beyden Fluͤſſen, der Wolga und dem Don oder Tanais, zu machen, um eine Com - munication zwiſchen dieſen Fluͤſſen herzuſtellen, der aber, nachdem man ſchon weit damit gekommen war, wegen der vielen harten Felſen, die man antraf, und bloß durch Sprengen mit vieler Zeit und großen Ko - ſten weggeſchafft werden mußten, fuͤr unmoͤglich be - funden wurde. Kamus gegenuͤber gehet ein Arm von der Wolga eine Werſte lang gegen Nordoſt in das Land hinein, dem Laufe des großen Fluſſes gerade entgegen, nimmt aber alsdann ſeinen gewoͤhnlichen Lauf gegen Suͤdoſten, und geht ſo fort, bis er in das Caspiſche Meer faͤllt. Ungefaͤhr 40 Meilen von hier, und in einer kleinen Entfernung auf der Seite des Fluſſes, ſiehet man die Ruinen einer großen Stadt, die vor dieſem Czarefgorod geheißen hat, und, wie erzaͤhlet wird, vom Tamerlan erbauet worden iſt. Jhr Schloß und Mauern waren von Ziegelſteinen,welche287welche der Stadt Aſtrakan ſeit vielen Jahren zu Er - bauung ihrer Mauern, Kirchen und Kloͤſter, die Baumaterialien hergegeben haben. Den 4ten Ju - lii kamen wir nach Czaritza, die mit hoͤlzernen Ba - ſtionen und Thuͤrmen befeſtiget iſt, und von Soldaten und Koſaken bewohnet wird. Jn der ganzen Ge - gend herum und ſelbſt bis Aſtrakan, die Jnſel Zer - pinsko ausgenommen, die 12 Werſte lang iſt, und das der Garniſon gehoͤrige Vieh ernaͤhret, iſt der Bo - den ſo unfruchtbar, daß er keine Art Getreide traͤgt. Dieſem Mangel wird aber vermittelſt des Fluſſes leicht abgeholfen, und die fruchtbaren Gegenden in Caſan verſchaffen dieſem Lande und der Stadt Aſtra - kan Weizen und Rocken fuͤr einen ſehr billigen Preis. Vierzig Meilen unter Czaritza macht dieſer große Fluß ſeinen zweyten Arm, der ſich mit dem erſten vereiniget, die alsdann mit einander in die See fallen. Von hier bis an die See waͤchſt auf beyden Seiten der Wolga eine große Menge Suͤßholz, deſſen Staͤm - me ſo dick als eines Mannes Arm, und zuweilen uͤber 4 Fuß hoch ſind; der Saame liegt in Schoten. Allein es iſt doch kleiner und auch nicht ſo ſuͤß, als dasjenige, welches am Fluſſe Araxis in Aſien waͤchſt.

Den 6ten langten wir vor Zornayar an, welches zur Rechten des Fluſſes auf einem hohen Ufer, nahe an einer großen Ebene lieget, darauf man weder Baͤume noch Anhoͤhen findet. Die Geſtalt dieſes Orts iſt viereckig, und hat hoͤlzerne Thuͤrme und Waͤl - le; er iſt mit Soldaten und Koſaken beſetzt, beydes Cavallerie. Etliche Werſte unter dieſem Orte macht die Wolga den dritten Arm, der Buchwoſtowa ge - nannt wird, und in die zwey vorhergehenden faͤllt. Zwanzig288Zwanzig Werſte weiter hinunter macht ſie den vierten, Donitoska genannt, der ſich aber mit keinem von den vorigen dreyen vermiſcht, ſondern in einem be - ſondern Canale ins Caspiſche Meer laͤuft. Jndem wir auf dem linken Ufer hinunter giengen, ſprachen wir den Kalmucken in ihren Kibbits oder Zelten oft zu, die wir allemal an den ſchoͤnſten Orten, die ich je - mals geſehen habe, aufgeſchlagen fanden, weil ihr Land in einer großen Flaͤche beſtehet, die voller Holz und Wieſen iſt. Wir hatten unſere Freude an der Menge ihrer Kinder beyderley Geſchlechts, die na - ckend am Ufer herum liefen, und die, wenn wir Brot ins Waſſer warfen, haufenweiſe hinein ſprangen, und es auffiengen, weil es keines unter ihnen giebt, das nicht vortrefflich ſchwimmen kann. Sechzig Werſte uͤber Aſtrakan iſt der fuͤnfte Arm der Wolga, der Mituska genannt wird, und ſich, in einiger Entfer - nung von dem Hauptfluſſe, wiederum in zwey Stroͤ - me theilet, davon ſich der eine mit der Donitoska ver - einiget, und der andere wieder in die Wolga faͤllt. Fuͤnf und zwanzig Werſte uͤber Aſtrakan liegt die Jnſel Buſan, und 10 Werſte hinter dieſer Jnſel befindet ſich der ſechste Arm der Wolga, Baltzick ge - nannt, und etliche Werſte weiter der ſiebente, den man Kniluße nennt, der die Jnſel Dolgoi macht, worauf die Stadt Aſtrakan ſtehet, und der, nachdem er dieſe Jnſel umfloſſen hat, in verſchiedenen Canaͤlen ins Caspiſche Meer faͤllt.

Jch langte den 10ten Julii in Aſtrakan an, und kam alſo daſelbſt wieder zur Armee. Sie wun - derten ſich alle, als ſie mich ſahen, weil ſie von einer Galeere, die eben dieſe Nacht bey uns vorbeygefahrenwar,289war, als wir uns in der groͤßten Gefahr befanden, erfahren hatten, daß wir alle ertrunken waͤren. Hier kam mein angenehmer Geſellſchafter, der Capuciner, in ein Kloſter von ſeinem Orden, weil durch den Tod eines ihrer Bruͤder eine Stelle offen ſtand, welches auch ein Gluͤck fuͤr ihn war, weil es ihm bey den da - maligen Verwirrungen in Perſien unmoͤglich geweſen ſeyn wuͤrde, dahin zu gehen. Er und ſeine Mitbruͤ - der bezeugten mir den groͤßten Dank und Hoͤflichkeit. Jch ließ, als ich auf unſere Expedition uͤber das Cas - piſche Meer gieng, alles, was ich nicht noͤthig hatte, in ihrem Kloſter zuruͤck, und er ſchickte mir hernach mit jedem Schiffe, welches ankam, Proviant von al - len Arten, wodurch ich alſo beſſer verſorget wurde, als irgend ein anderer Officier von der Armee, und alſo durch meine Hoͤflichkeit gegen den Capuciner nichts verlohr.

Die Stadt Aſtrakan liegt an den Grenzen zwi -Stadt Aſtra - kan. ſchen Europa und Aſien, welche der Fluß Wolga von einander ſcheidet. Sie ſtehet auf der Jnſel Dolgoi, die von einem Arme der Wolga gemacht wird, wie bereits erwaͤhnet worden, im 46ſten Grade, 22 Mi - nuten noͤrdlicher Breite, 2630 Werſte von Moskau, 90 Werſte auf einen Grad gerechnet. Die Stadt iſt ziemlich groß, und wird jetzt faſt von lauter Ruſſen be - wohnet. Es iſt den ehemaligen Einwohnern dieſes Lan - des, den Tartarn, nicht erlaubt, innerhalb der Ring - mauern, ſondern nur in den dabeyliegenden Vorſtaͤd - ten zu wohnen, die nur mit Palliſaden umgeben ſind. Die Feſtungswerke ſind alle von Stein, ſehr hoch, und haben in der Ferne, wegen der vielen großen und kleinen Thuͤrme, ein vortreffliches Anſehen, beſondersTgegen290gegen den Fluß. Die Haͤuſer in der Stadt ſind aber alle von Holz und ſehr niedrig, und folglich ſcheinet ihr Jnwendiges nicht mit dem Uebrigen uͤberein zu kommen. Es iſt hier ein großer Vorrath Artillerie befindlich, der in 500 meßingenen Kanonen und ei - ner verhaͤltnißmaͤßigen Anzahl von Moͤrſern beſtehet. Jn Friedenszeiten iſt die Beſatzung gemeiniglich 6000 Mann ſtark, und ſtehet unter dem Gouverneur und andern Officieren. Da die Stadt Aſtrakan an einer ſchiffbaren Grenze zwiſchen den betraͤchtlichſten Theilen der Welt lieget, ſo iſt es ganz natuͤrlich, daß ſie der Sitz einer großen Handlung iſt, weil ſie nicht allein von den benachbarten Tartariſchen Nationen, ſondern auch von Perſern, Armenianern und Jndia - nern beſucht wird. Den Jndianern iſt ein beſonde - rer Diſtrict in der Stadt zu ihrer Wohnung ange - wieſen.

Nogayiſche Tartarn.
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Als der Czar Jvan Baſilowitz im Jahre 1552 das Koͤnigreich Caſan erobert hatte, richtete er ſeine Waffen gegen die Nogayiſchen Tartarn, nahm Aſtra - kan, ihre Hauptſtadt, 1554 mit Sturm ein, und ließ, um ſeine Eroberung ſicher zu machen, eine ſtar - ke Mauer um die Stadt fuͤhren. Der Czar Michael Fedrowitz baute, außer dem, daß er die Stadt durch einige neue Werke befeſtigte, den Theil, der Strelitza - Gorod, oder die Stadt der Soldaten genannt wird, weil den Soldaten ihre Quartiere darinn angewieſen wurden. Jch will nunmehr eine kurze Beſchreibung von dieſem Lande und deſſen Einwohnern machen.

Kurze Nach - richt von den Tartarn.
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Es ſcheinet ausgemacht zu ſeyn, daß die alten Erdbeſchreiber nichts von Tartarn gewußt haben, ſon - dern ſie unter der allgemeinen Benennung der Scy -then291then und Sarmataner verſtehen. Es iſt offenbar, daß die Tartarn aus verſchiedenen Nationen beſtehen, die ſich durch ihre Nahmen, Sprache und Gebraͤuche unterſcheiden. Von den Nogayiſchen Tartarn, wie wie auch von den Caſaniſchen und einigen andern, die zwiſchen der Wolga und dem Don oder Tanais woh - nen, ſagt man, daß ſie Jndianer geweſen, die wider ihre Oberherren rebelliret haben, um das Jahr 1212 aus ihrem Laͤndern gegangen ſind, und ſich nahe am Euxiniſchen Meere niedergelaſſen, und ihre Erobe - rungen bis an den Don, und von da bis an die Wol - ga ausgebreitet haben, an der ſie auch bis auf den heutigen Tag wohnen. Die Nogayer halten ſich laͤngſt den Ufern des Caspiſchen Meeres, vom Fluſſe Jaick bis an die Wolga, auf. Sie ſagen, daß ihre Hauptſtadt, Aſtrakan, von einem Tartariſchen Koͤ - nige, deſſen Nahme Aſtra geweſen, erbauet worden, und von ihm den Nahmen erhalten habe. Ehe die Ruſſen dieſes Land eroberten, ward ſie von Tartarn bewohnet, aber jetzt iſt ihnen nicht erlaubt dieſe Stadt zu bewohnen, noch eine neue zu bauen, oder einige von ihren Staͤdten oder Doͤrfern zu befeſtigen.

Die Nogayiſchen Tartarn wohnen meiſtens inNogayiſche Tartarn. runden von großen Binſen oder Rohr gemachten Huͤt - ten, die ſelten uͤber 12 oder 13 Ellen im Umfange weit ſind, und oben ein Loch haben, wodurch der Rauch herausgehen kann; und dennoch hat auch die kleinſte von dieſen Huͤtten einen Falken oder Habicht, indem die Tartarn große Meiſter in dieſer Art der Jagd ſind. Sie haben Falken aller Art und Groͤße, davon jeder auf verſchiedene Thiere abgerichtet iſt. Die Ruſſen nennen die Nogayer HerumſchwaͤrmerT 2oder292oder Landſtreicher, weil ſie im Sommer keine gewiſſen Wohnungen haben, ſondern hin und wieder ziehen. Sie packen alsdann ihre Huͤtten auf Wagen, ihre Weiber, Kinder und Guͤter auf Kameele, Pferde und Ochſen, und begeben ſich von einem Orte zum andern, wo ſie beſſere Weide fuͤr ihr Vieh finden. Wenn der Winter herannahet, ſo verſammeln ſie ſich mit ihren Heerden, um ihn in verſchiedenen Haufen bey Aſtrakan zuzubringen, wo ſie mit Waffen verſe - hen werden, die Einfaͤlle der Kalmucken oder anderer Tartarn vom Fluſſe Jaick abzuhalten. Sobald aber der Winter voruͤber iſt, muͤſſen ſie alles Gewehr wie - der zuruͤck geben. Sie geben dem Ruſſiſchen Kaiſer keinen Tribut, ſind aber verbunden, zu Kriegszeiten unter ihren eigenen Befehlshabern ihm zu dienen, da ſie in Friedenszeiten von ihren eigenen kleinen Fuͤrſten und Richtern regieret werden. Jhres Gehorſams verſichert zu ſeyn, hat der Kaiſer beſtaͤndig einige von ihren Fuͤr - ſten oder Mirzas als Geiſeln in der Feſtung Aſtrakan.

Jhre Religion iſt die Mahometaniſche, einige wenige ausgenommen, die ſich zur griechiſchen Kirche bekannt haben. Sie pflegen einige von ihren Kin - dern Gott oder einem andern Heiligen zu widmen, und dieſe unterſcheiden ſich von andern durch einen Ring, den die Knaben am rechten Ohre, die Maͤd - chen aber an der Naſe tragen. Sie leben von ihrem Viehe, von der Jagd und Fiſcherey. Statt des Brotes bedienen ſie ſich an der Sonne getrockneter Fi - ſche; ſie machen auch Kuchen von Mehl und Reiß. Sie eſſen Kameel - und Pferdefleiſch, und ſchaͤtzen der letztern Milch ſehr hoch. Jhr gewoͤhnliches Ge - traͤnke iſt Waſſer und Milch, doch findet man auch,außer293außer dem Weine, Meeth und dem Branntweine, ziem - lich gutes Bier in Aſtrakan. Jhr Vieh iſt faſt wie der Kalmucken ihres. Die Nogayer ſind ſchoͤner von Perſon als die Kalmucken, beſonders ihre Wei - ber. Die Maͤnner tragen einen weiten Rock von grobem Tuche, und uͤber dieſen eine Art eines Man - tels von Schaffellen, die Wolle auswaͤrts gekehret, wie auch dergleichen Muͤtze, nur daß dieſe gemeinig - lich ſchwarz iſt. Jhre Weiber ſind in weiße Lein - wand gekleidet, und haben eine Haube mit Falten auf ihren Koͤpfen, woran eine Menge Silbermuͤnze auf beyden Seiten herab haͤngt. Das Clima iſt hier ſehr heiß, und im Monat September und October iſt die Hitze viel groͤßer als in England in den Hundsta - gen; deſſen ungeachtet iſt der Winter, der aber ſel - ten uͤber zwey Monate dauert, ſo außerordentlich kalt, daß dieſer große Fluß uͤber und uͤber gefriert, und das Eis dick genug iſt, Pferde und Schlitten zu tragen.

An der Seite der Wolga gegen Weſten, nach demSalzſteppen um Aſtrakan. Euxiniſchen Meere zu, liegt eine große Steppe, die uͤber 350 Werſte lang iſt, und gegen Suͤden am Ufer des Caspiſchen Meeres iſt ebenfalls eine befind - lich, die faſt 400 Werſte lang iſt. Jn dieſen uner - meßlichen Weiten iſt weder eine Stadt noch ein Dorf zu ſehen, wie man denn auch weder einen Huͤgel noch ei - nen Baum, ſondern nur hier und da einen mit Gras bewachſenen Fleck findet. Es giebt auch kein Waſſer daſelbſt, als den Fluß Kisliar oder einige ſtehende Suͤmpfe geſalzenen Waſſers. Deſſen ungeachtet fin - det man haͤufiges Salz in dieſen Wuͤſteneyen; denn 10 oder 20 Werſte von Aſtrakan giebt es großeT 3Salzadern,294Salzadern, wo das Salz, wenn es von der Sonne hart geworden iſt, eines Fingers dick auf dem Waſſer ſchwimmt, ſo rein wie ein Cryſtall iſt und wie Veil - chen riecht. Ganz Rußland wird von hier mit Sal - ze verſehen. Die drey vornehmſten Salzquellen heißen Mozakofski, Kainkowa und Gostofski, wo das Salz in ſolchem Ueberfluſſe iſt, daß man einen Centner auf der Stelle fuͤr zwey Stuͤber kaufet. Es wird an die Wol - ga gebracht, und alsdann in andere Theile verfuͤhret.

Fruͤchte um Aſtrakan.
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Die Jnſel Dolgoi oder die lange Jnſel, die Gegend um Aſtrakan, und einige andere Theile dieſer Provinz, haben einen Ueberfluß an vortrefflichen Fruͤchten, die weder an Schoͤnheit noch Geſchmack keinen, auch ſogar denen in Perſien oder Jndien, et - was nachgeben; ihre Aepfel, Quitten, Nuͤſſe, Pfir - ſchen und Melonen ſind von vorzuͤglicher Guͤte, und beſonders die Waſſermelonen, die eine hellgruͤne Rin - de, fleiſchfarbiges Fleiſch und ſchwarze Koͤrner haben, und alſo angenehm fuͤr das Auge und ſehr wohlſchme - ckend fuͤr den Gaumen ſind. Sie ſind ſo wohlfeil, daß man deren zwey fuͤr einen Stuͤber bekommt, und ſo groß, daß ſich zwey Perſonen an einer ſatt eſſen koͤnnen, und ſo erquickend, daß man ſie ohne Gefahr in Fiebern genießen kann. Es iſt noch nicht uͤber hundert Jahr, daß man hier Weintrauben hatte; die Perſianer brachten einige Reben hieher, und dieſe pflanzte ein Moͤnch, der von Geburt ein Deutſcher war, in dem Garten des Kloſters, welches in einer Vorſtadt von Aſtrakan ſtand. Dieſer kleine Anfang hat ſich ſeit der Zeit ſo vermehret, daß nicht allein die Gaͤnge und Lauben in den Gaͤrten, ſondern auch große Weinberge damit bepflanzet ſind. Die Trauben ſind ſoaußeror -295außerordentlich groß und haͤufig, daß man nicht allein bey Tiſche rothen und weißen Wein im Ueberfluſſe hat, ſondern daß auch unſere Armee hinlaͤnglich damit verſorgt wurde. Ueberdieſes giebt es auch nahe bey Aſtrakan und laͤngſt der Wolga in Menge Arzeney - kraͤuter, die ſehr groß daſelbſt wachſen. Die Wolfs - milch waͤchſt hier ſo hoch als ein Mann, und die An - gelikenwurzel wie eines Mannes Arm dick. Unge - faͤhr 30 Meilen unter Aſtrakan iſt eine der beſten Fi - ſchereyen, von welcher dieſe Stadt im Ueberfluß mit Lachſen, Stoͤhren, Belugen, Oſotrin, Sterlitzen und vielen andern Arten guter Fiſche verſehen wird; und auf den kleinen Jnſeln in dieſer Gegend ſind ſehr viel verſchiedene wilde Voͤgel. Obgleich die benachbarten Laͤnder nicht fruchtbar am Getreide ſind, ſo wird doch dieſem Mangel aus dem fruchtbaren Lande Caſan ſo - wohl abgeholfen, daß man dieſe Stadt, wenn man alles zuſammen nimmt, mit Recht fuͤr eine der be - quemſten und angenehmſten in Europa halten kann. Doch ich komme wieder zur Hauptſache.

Den Tag nach meiner Ankunft machte ich dem Kaiſer meine Aufwartung und uͤbergab ihm die drey Stuͤck Alabaſter, die ich aus Teneſowa mitgebracht hatte, die ihm auch ſo wohl gefielen, daß er ſogleich Befehl gab, dieſen Bruch zu bearbeiten, der in ſeiner Art vortrefflich zu ſeyn ſchien. Als ich ſie ihm uͤber - geben hatte, machte der Kaiſer die Anmerkung, daß ihm noch kein Mineral von Ruſſen, aber ſehr viele von Auslaͤndern entdeckt worden. Allein er dachte dabey nicht an die Beſchwerlichkeit, darein diejenigen verſetzet werden, auf deren Boden etwas dergleichen entdecket wird, weil ſie nicht allein den Nutzen deſſel -T 4ben296ben verlieren, ſondern auch verbunden ſind, die Gru - ben mit ihren Bauern zu bearbeiten, ohne den gering - ſten Nutzen davon zu haben, wodurch alſo das Spruͤchwort, welches man in Rußland hat, beſtaͤti - get wird, daß alles, was ſie haben, Gott und dem Kaiſer gehoͤret.

Jch wurde in dieſer Stadt zu einer Wittwe in das Quartier geleget, die eine Magd hatte, die als Sclavinn von den Tartarn war erkauft worden. Die - ſe Magd hatte ihrer Frau verſchiedene Sachen geſtoh - len, und da dieſe bey ihr gefunden wurden, ſo ward ſie wegen ihres Diebſtahls hart beſtraft. Sie dro - hete ſich deswegen an ihrer Frau zu raͤchen, die aber dieſe Drohung damals nicht achtete. Allein etliche Tage hernach bekam ſie einen ſolchen Anfall von Ra - ſerey, daß man ſie binden mußte. Die Magd mach - te ſich hierauf davon, und man fand in ihrer Lade ver - ſchiedene Kraͤuter, Wurzeln und Pulver. Als die Aerzte die Beſchaffenheit derſelben unterſuchten, fan - den ſie ſogleich die Urſache von der Krankheit dieſer Frau, und da ſie die gehoͤrigen Mittel anwandten, ſo wurde ſie wieder vernuͤnftig. Dieſe Sclavinn wurde von einer Parthey Tartarn zuruͤck gebracht, und ge - ſtand, als man ſie verhoͤrte, was ſie gethan hatte; ſie gab dabey vor, daß ſie hexen und ſich an denjeni - gen raͤchen koͤnnte, die ſie beleidigten. Sie wurde hierauf durch die Stadt gepeitſchet und den Tartarn uͤbergeben, ſie in einiger Entfernung zu verkaufen.

Eine Banya - ninn ver - brennet ſich mit ihrem Manne.
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Jn dieſer Stadt iſt den Armenianern eine Vor - ſtadt zu ihrem Aufenthalte angewieſen, die einen groſ - ſen Handel von hier nach Perſien treiben, wozu aber die Banyanen ohne Zweifel vieles beytragen. Dieſeſind297ſind eine Art heidniſcher Jndianer, deren Hauptbe - ſchaͤftigung der Handel iſt, und die ihre Factorey in der Stadt haben. Da nun damals einer von ihren vornehmſten Kaufleuten ſtarb, ſo erſuchte deſſen Witt - we den Kaiſer um Erlaubniß, ſich nach dem Gebrau - che ihres Landes mit dem Koͤrper ihres Mannes ver - brennen zu duͤrfen. Der Kaiſer, der einen ſo bar - bariſchen Gebrauch nicht unterſtuͤtzen wollte, ſchlug ihr ihre Bitte ab, womit die Jndianiſche Factorey ſo uͤbel zufrieden war, daß ſie ſich mit ihren Guͤtern aus der Stadt weg zu begeben drohete. Als nun der Kaiſer ſahe, daß man den Entſchluß dieſer Frau durch keine Gruͤnde aͤndern konnte, ſo gab[e]r ihnen endlich die Erlaubniß, zu thun, was ſie fuͤr gut befaͤnden. Nachdem alſo der Leichnam war bekleidet worden, tru - gen ſie ihn in einige Entfernung von der Stadt, wo ein Scheiterhaufen von trockenem Holze errichtet war, und legten den Koͤrper darauf. Vor dem Scheiter - haufen waren Jndianiſche Teppiche aufgehangen, ſo daß man ihn nicht ſehen konnte. Die Frau wurde in ihrer beſten Kleidung, Ohrgehaͤngen, Ringen an den Fingern und einem Halsbande von Perlen, von einem Bramin oder Prieſter zu dem Scheiterhaufen gefuͤhret, und von vielen Jndianern beyderley Ge - ſchlechts dahin begleitet, der, ſobald ſie dabey ange - kommen war, angezuͤndet wurde. Sie theilte hier - auf ihre Oberkleider und ihren Schmuck unter ihre Freunde und Bekannte aus, von welchen ſie auch mit vielen Ceremonien Abſchied nahm, und als der Schei - terhaufen in voller Flamme ſtand, und die Teppiche weggenommen waren, ſo ſprang ſie mitten in das Feuer hinein. Hierauf goſſen ihre Freunde eineT 5Menge298Menge Oel auf ſie, welches ſie ſehr bald erſtickte und beyde Koͤrper in kurzem in Aſche verwandelte, die ſorg - faͤltig geſammelt und in eine Urne gethan wurde, weil ſie an ihre Freunde nach Jndien geſchickt werden ſollte.

Dieſe barbariſche Gewohnheit wurde anfaͤnglich aus einem politiſchen Grunde eingefuͤhret; denn da die Vielweiberey viele bittere Eiferſucht unter den Weibern, den Mitbuhlerinnen an der Liebe ihrer Maͤnner, verurſachte, ſo pflegte es oft zu geſche - hen, daß diejenigen, die hintenangeſetzt zu werden glaubten, ihre Maͤnner umbrachten. Um ih[n]en alſo das Leben ihrer Maͤnner werth zu machen, wurde ver - ordnet, daß bloß diejenigen Weiber, die entſchloſſen waͤren, ihren Maͤnnern in die andere Welt Geſell - ſchaft zu leiſten, und ſich, wenn er ſterben wuͤrde, mit ſeinem Koͤrper verbrennen ließen, den Ruhm haben ſollten, daß ſie ehrliche und tugendſame Weiber waͤ - ren, und daß diejenigen, die dieſe Probe ihrer Liebe nicht ablegen wollten, nach dem Tode ihres Mannes fuͤr unehrlich angeſehen werden ſollten. Qbgleich die Pflicht, ſich mit ihren Ehemaͤnnern zu verbrennen, den - jenigen, die es ausſchlagen, keine andere Strafe auf - legt, als daß ſie deswegen fuͤr unehrlich gehalten wer - den, ſo war doch die Begierde nach Ehre und die Liebe zum Ruhme bey den Banyaniſchen Weibern ſo groß, daß man unzaͤhlige Beyſpiele unter ihnen von ſolchen hat, die ihr Leben freywillig auf den Scheiterhaufen aufgeopfert haben. Was ſie hierzu bewegt, iſt, daß ſie glauben, wenn eine Frau eine ſo große Liebe zu ihrem Manne hat, ſich nach ſeinem Tode mit ihm zu verbren - nen, ſie in der andern Welt ſiebenmal ſo lange mit ihm leben, und ſiebenfaches Vergnuͤgen von dem, welchesſie299ſie hier gehabt hat, ohne eine Mitbuhlerinn, genießen wird. Sie betrachten alſo dieſe Art des Todes als einen Uebergang, durch den ſie zu dem Genuſſe der - jenigen Ergoͤtzlichkeiten, woran ſie nur einen kleinen Antheil in dieſer Welt hatten, gelangen werden. Dieſe Gewohnheit iſt nur bey den Banyanen, und nicht in ganz Jndien uͤblich.

Jndien wird von drey verſchiedenen Voͤlkern be - wohnet: das erſte ſind die Jndoſtaner, welches die alten Eingebohrnen dieſes Landes ſind, eine traͤge und ſchmutzige Nation; das zweyte die Moguln, die aus der großen Tartarey gekommen ſind, ein kriegeriſches und zu den Waffen ſehr geneigtes Volk; dieſe ſind alle Mahometaner. Das dritte ſind die Banyanen, die urſpruͤnglich aus China herruͤhren, alle Heiden ſind, und ſich einzig und allein auf Manufacturen und den Handel legen. Die Banyanen ſind verſtaͤn - diger, liſtiger und hoͤflicher, als alle andere Jndia - ner. Es giebt keine Art von Handlung in Perſien oder dem Tuͤrkiſchen Gebiete, die nicht groͤßtentheils von ihnen getrieben wird, wie es denn auch in ganz Jndien keine Waaren giebt, womit ſie nicht handeln. Die Banyanen unterſcheiden ſich durch ihre KleidungBanyanen. von den Tuͤrkiſchen Glaubensgenoſſen, denn ſie tragen kein langes Haar, ſcheren auch ihre Koͤpfe nicht, wie denn auch die Weiber ihre Angeſichter nicht, wie die Mahometaner, bedecken. Schwarze Zaͤhne werden bey ihnen ſo hoch geſchaͤtzt, daß ſie die Europaͤer mit weißen Zaͤhnen nur Bondra oder Affen nennen. Sie tragen auch keine Beinkleider, wie die andern Jndia - ner, ſondern nur ein Stuͤck ſeidnen Zeug, welches ſie um ſich wickeln, und welches bis auf die dicken Beineherunter300herunter haͤngt, woruͤber ſie ihre Hemden tragen, und ihr Oberkleid daruͤber anziehen, welches ſie mit einem Guͤrtel guͤrten. Unter dieſem haben ſie eine enge We - ſte, deren Aermel nur bis an die Ellbogen reichen. Sie tragen ſammtne, brocadene oder von vergoldetem Leder gemachte Schuhe, die ſie mit Riemen an die Fuͤße befeſtigen, und ſie ausziehen, wenn ſie in ein Zimmer gehen, worinn der Boden gemeiniglich mit Teppichen bedeckt iſt. Sie tragen aber hoͤlzerne Schuhe, wenn ſie auf dem Lande gehen.

Jhre Braminen, oder Prieſter unterſcheiden ſich nur durch dasjenige von andern, was ſie um ihre Koͤpfe tragen, welches aus Leinwand gemacht, und viele Mahle um ihren Kopf herum gewickelt iſt, ihr heiliges Haar damit zu bedecken, das ſie niemals ab - ſchneiden. Sie tragen auch zwey Stuͤck Bindfaden auf der bloßen Haut, die von den Schultern queer uͤber die Bruſt bis an die Lenden herunter gehen, die ſie niemals ablegen, wenn ſie auch ihr Leben dadurch retten ſollten. Sie ſtehen wegen ihrer Heiligkeit in ſolchem Anſehen, daß keine Heirath fuͤr heilig gehal - ten wird, wenn die Braut nicht dazu von dem Prie - ſter durch den erſten Genuß eingeweihet worden iſt, zu dem ſie jederzeit aus dieſer Abſicht geſuͤhret wird, und der dieſen Theil ſeines heiligen Amtes, außer dem emſigen Bitten des Braͤutigams, ihn dieſer ſauern Arbeit zu uͤberheben, ſehr hoch anrechnet. Auf dieſe Art befriediget der liſtige Prieſter, indem er die Ein - falt ſeiner Heerde hintergehet, ſeinen natuͤrlichen Trieb, und auch zugleich ſeinen Geiz, nach Wunſch. Aber das iſt es noch nicht alles, denn der Ehemann behaͤlt gegen ſeinen Mitgenoſſen eine ſo fromme Hochach -tung,301tung, daß, wenn er eine Reiſe thut, oder ſonſt bey ei - ner Gelegenheit nicht zu Hauſe ſeyn kann, er ihm ſei - ne ganze Familie, beſonders aber die Sorge fuͤr ſeine Frau in ſeiner Abweſenheit empfiehlt, und ſeine Stelle bis zu ſeiner Zuruͤckkunft zu vertreten bittet. Die Frau wendet dagegen ihre Sorge darauf, ſeine ab - nehmenden Kraͤfte durch ſtaͤrkende Mittel zu erſetzen, worinn die Jndianiſchen Weiber die geſchickteſten in der Welt ſind, wie ſie denn auch die leichteſten Me - thoden wiſſen, ihre Maͤnner bey gewiſſen Gelegenhei - ten in die andere Welt zu ſchicken. Dieſes ſind die Nachrichten, die ich in Aſtrakan erhalten habe.

Achtes302

Achtes Buch.

Die Armee ſetzt ſich den 18ten Julii zu Aſtrakan zu Schiffe. Verſchiedene kleine wilde Voͤgel auf den kleinen Jnſeln. Terki, die Hauptſtadt in Circaßien. Heringe in dem Caspiſchen Meere. Reiſe nach Buſtrow. General Waterangs Nachricht von der Provinz Andreof. Circaßien und deſſen Einwohner, ihre Sitten, Religion ꝛc. Fortſetzung der Reiſe und Betrachtung des Berges Caucaſus ꝛc. Die Armee landet bey Agre - chan. Marſch nach Aſien. Hoͤflichkeit der Dageſtaniſchen Tartarn. Die Armee ge - het uͤber den Fluß Sulack. Der General Wa - derang ſtoͤßt zur Armee. Geraͤth auf ihrem Marſche in Noth, und die Officiers von der Gar - de werden beſtraft. Ankunft in Tarku, nebſt einer Beſchreibung der Dageſtaniſchen Tartarn. Unterredung mit den Frauenzimmern. Die Dageſtaniſchen Frauenzimmer machen der Kaiſe - rinn ihre Aufwartung. Errichtung eines Denkmals in Tarku, und Marſch nach Derbent durch ein ſchoͤnes Land. Des Sultans Ude - nach Grauſamkeit, und deren Folgen. Zwan - zig verzweifelte Tartarn. Ein ſehr ſchoͤner er - ſchlagener Tartariſcher Juͤngling. Unerſchro - ckener Entſchuß eines Prieſters. Ankunft in Derbent. Beſchreibung dieſer Stadt. Merk - wuͤrdige Graͤber. Alexander und Melkehatu - ra. Jackalls und Sandhaſen. Dreyzehn Transportſchiffe gehen verlohren und werden imSande303Sande begraben. Zwieback. Zwey Ex - preſſen und ein Geſandter kommen bey der Armee an. Ein Tuͤrkiſcher Geſandter noͤthiget den Kaiſer umzukehren. Gelegenheit zu den Un - ruhen in Perſien. Die Armee geht zuruͤck. Kalte Naͤchte. Gefaͤhrlicher und beſchwerli - cher Marſch. Die neue Stadt Smetago - Kreſt. Ein Fort wird am Fluſſe Nitzi eingeaͤ - ſchert und gerochen. Die Armee geht bey Agre - chan wieder zu Schiffe. Der Vorrath fuͤr des Capitains Galeere geht verlohren; eine Reiſe, wo viele erhungern. Ankunft in Aſtrakan den 15ten October.

Der General Waderang war vor einiger Zeit mit einer Armee von 7000 Dragonern und 10000 Koſaken, nebſt 20000 Kalmuckiſchen Tar - tarn und einem großen Gefolge von Kameelen, die ih - ren Proviant und Waſſer trugen, durch die große Aſtrakaniſche Wuͤſte geſchickt worden, und hatte Be - fehl, die Provinz Andreof anzugreifen und zu verwuͤ - ſten, und die vielen Einfaͤlle zu raͤchen, die ſie bey den Ruſſiſchen Unterthanen gethan hatten. Dieſem Generale folgten in kurzem noch 10000 Koſaken und 20000 Kalmuckiſche Tartarn nach, ſeine Armee zu verſtaͤrken und ihn in den Stand zu ſetzen, dieſe Pro - vinz voͤllig zu verwuͤſten.

Den 18ten Julii ſetzte ſich unſere Armee aufDie Armee ſchifft ſich zu Aſtrakan ein. 250 Galeeren zu Schiffe, und ihr folgten 35 mit Proviant und den Kranken beladene Schiffe. Unſere Armee beſtand aus 33000 alten erfahrnen Solda - ten, die in allen Feldzuͤgen waͤhrend des langen Krie -ges304ges mit Schweden geweſen waren. Wir giengen eben dieſen Abend unter einer allgemeinen Begruͤßung der ganzen Artillerie und der Flotte von Aſtrakan ab. Wir fuhren die ganze Nacht mit dem Strome herab, und kamen den andern Morgen an die Muͤndung des Fluſſes, 60 Werſte von Aſtrakan, an, wo wir die Caspiſche See zum erſtenmal erblickten. Wir gien - gen auf dem Strome der Wolga hinunter, der am meiſten gegen Weſten iſt, welches auch der einzige iſt, der Schiffe mit ſchweren Laſten tragen kann; die uͤbrigen Stroͤme, die eine große Menge kleine JnſelnViele wilde Voͤgel. machen, fließen gegen Morgen und fallen in 32 Ca - naͤlen in das Caspiſche Meer. Jm Sommer weidet eine große Menge Vieh auf dieſen Jnſeln, und da ſie alle von einer Menge dicken und hohen Rohre um - geben ſind, ſo giebt es eine unbeſchreibliche Menge wilder Voͤgel, beſonders aber Seevoͤgel daſelbſt. Wenn eine Kanone abgefeuert wird, ſo ſteigen ſie wie eine Wolke in die Hoͤhe, da man denn mit leichter Muͤhe eine ganze Menge davon toͤdten kann. Man findet ſie in der ganzen Welt nicht ſo verſchieden. Außer den Schwaͤnen und gemeinen wilden Gaͤnſen giebt es hier eine große Art, die von den Ruſſen Ba - ba oder Kropfgans, von andern aber Pelikan ge - nannt wird. Jhre Schnaͤbel ſind anderthab Fuß lang und 2 Zoll breit und am Ende gekruͤmmet. Ei - nige von dieſen Voͤgeln ſind vom Kopfe bis auf die Fuͤße uͤber 7 Fuß lang; ſie haben unter ihrem Schna - bel eine runzelige Haut herab haͤngen, die wie ein Beutel ausſiehet, worein, wenn ſie ausgedehnet wird, auf 12 Kannen gehen. Sie bedienen ſich dieſes Beutels die gefangenen Fiſche darinn zu verwahren,die305die ſie hernach mit Muße verzehren. Es giebt noch eine andere Art Gaͤnſe, die Loͤffelgans genannt; ihre Schnaͤbel ſind lang und rund und am Ende flach, wie ein breit geſchlagener Loͤffel. Wenn dieſer Vogel ſeinen Schnabel ins Waſſer ſteckt, ſo macht er ein ſchreckliches Geſchrey, das faſt dem Geſchrey eines Eſels beykommt. Von noch einer andern Art, die von einigen die Rothgans genannt wird, giebt es große Heerden an den Caspiſchen Ufern. Sie gehen ihrem Anfuͤhrer in ſehr regelmaͤßiger Ordnung nach, und ſcheinen von weitem einem Regimente Soldaten, die ihrem Befehlshaber folgen, nicht ungleich zu ſeyn. Sie haben ſehr lange ſcharlachrothe Fuͤße, lange Haͤl - ſe, und vielfarbige Federn; ihre Koͤpfe ſehen aber wie Scharlach aus. Der Leib hat vielerley Farben, die ſchoͤn gemiſcht ſind; ihre Fluͤgel ſind ſcharlachroth. Es iſt ein auf alle Art ſchoͤner Vogel. Sie uͤber - treffen an der Hoͤhe einen großen Grenadier, wenn er ſeine Muͤtze auf hat, und dennoch iſt ihr Koͤrper nicht viel ſtaͤrker als ein Schwan. Man findet daſelbſt auch ſchwarze Gaͤnſe von gewoͤhnlicher Groͤße; dieſe Art trifft man ſonſt nirgends an, und ſie iſt am Ge - ſchmack allen vorzuziehen. Was die wilden Aenten betrifft, ſo giebt es deren eine unglaubliche Menge, und ihre Verſchiedenheit iſt faſt unbeſchreiblich. Zwey Arten kann ich aber doch nicht unberuͤhrt laſſen, weil ich ſie fuͤr die außerordentlichſten gehalten habe. Die eine wird wegen der Farbe ihrer Federn, die durch andere ſchoͤnfarbige Federn ſchattiret ſind, die Scharlachaͤnte genannt; ſie hat einen großen Buſch Federn auf dem Kopfe, der wie eine Krone aus - ſiehet, und mit allen Farben des Regenbogens ver -Umiſcht306miſcht iſt; ſie iſt groß, und ſchmeckt vortrefflich. Die zweyte iſt die gelbe Aente, deren Federn durch - gaͤngig von dieſer Farbe ſind; dieſe ſind ebenfalls ſehr groß und fett und ſehr ſchmackhaft. Das wunder - barſte iſt, daß ſie ihre Neſter auf die Gipfel der hoͤch - ſten Baͤume bauen, und ihre Jungen, ſobald ſie aus dem Eye herauskommmen, in ihren Schnaͤbeln ins Waſſer tragen. Kein Vogel wird wegen ſeines gu - ten Geſchmacks hoͤher geſchaͤtzt als dieſe, wie ſie denn auch ſehr leicht zu fangen ſind, indem ſie ſich durch ihr Geſchrey verrathen, welches man ſehr weit hoͤren kann. Sie ſind allemal paarweiſe beyſammen, ſo daß, wenn man eine getoͤdtet hat, man die andere ge - wiß auch bekommt, weil dieſer Vogel ſeinen todten Gatten nicht eher verlaͤßt, bis er gleichfalls getoͤd - tet wird.

Terki, die Hauptſtadt von Circaſ - ſien.
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Den 20ſten lichteten wir in der Muͤndung der Wolga, unter dem Commando des Großadmirals Apraxin, die Anker; der Kaiſer und die Kaiſerinn aber waren ſchon vor uns nach Terki, der Hauptſtadt der Circaſſiſchen Tartarey, welches die ſuͤdlichſte Gren - ze von des Kaiſers jetzigen Laͤndern iſt, abgefahren. Dieſe Stadt iſt ſtark befeſtiget, und liegt auf einer Jnſel, welche die Fluͤſſe Terki und Buſtrow machen; die Beſatzung beſtehet aus 1000 Mann regulairer Truppen und 1000 Koſaken, beydes Cavallerie. Den eingebohrnen Circaſſiern iſt es nicht erlaubt, nahe bey der Stadt, ſondern nur auf dem Lande, in einiger Entfernung davon, zu wohnen. Da ſich der Wind uns entgegen wandte, ſo wurde unſere Flotte gegen Abend vor Anker gelegt, und weil wir auch den fol - genden Tag ſchlechten Wind hatten, ſo mußte dieganze307ganze Flotte rudern, und ſich ſo viel als moͤglich an das Ufer halten, wiewohl man wegen des ſeichten Waſſers und des vielen ſtarken Rohres, das daſelbſt am ganzen Ufer waͤchſt, 4 bis 5 Werſte entfernt blei - ben muß, und man alſo nicht einmal mit einem Kah - ne landen kann. Gegen die Nacht erleichterte ein guͤnſtiger Wind die armen muͤden Soldaten, die den ganzen Tag mit ſauerer Arbeit gerudert hatten. Um 1 Uhr des Morgens regnete es ſehr ſtark; zugleich donnerte und blitzte es. Des Morgens den 22ſten klaͤrte ſich das Wetter wieder auf, und da uns der Wind den ganzen Tag guͤnſtig blieb, ſo fuhren wir ſo, daß wir das Ufer im Geſichte hatten, ankerten dieſe Nacht nahe bey Labugin, und hatten 10 Fuß Waſ - ſer. Dieſen Tag machte uns eine Art Fiſche von derHeringe in dem Caspi - ſchen Meere. Groͤße und Geſtalt eines Herings, vieles Vergnuͤgen. Sie ſchwammen und huͤpften beſtaͤndig auf der Ober - flaͤche des Waſſers, ohne in die Tiefe zu gehen, ob wir ſie gleich verfolgten und ſehr viele davon toͤdteten. Wir glaubten, daß dieſes ihre beſtaͤndige Gewohnheit ſey; als wir aber etliche an die Angel geſteckt hatten, ſo fiengen wir einen Stoͤhr und zwey Belugas mit ihnen, welches uns uͤberzeugte, daß ſie deswegen auf die Oberflaͤche gehen, damit ſie dieſen Raubfiſchen entgehen moͤgen, eben ſo wie ſich der fliegende Fiſch erhebt und dadurch der Verfolgung des Delphins ent - gehet. Dieſe kleinen Fiſche haben die Geſtalt und den Geſchmack der Heringe, und ich bin uͤberzeugt, daß ſie nichts anders ſind.

Den 22ſten des Morgens lichteten wir abermalsReiſe nach Buſtrow. ſehr fruͤh die Anker, hatten noch guten Wind und verlohren nunmehr das Land aus unſerm Geſichte, wieU 2denn308denn auch des Nachmittags unſerer Diviſion das Ad - miralsſchiff aus den Augen kam, welches uns nicht wenig beunruhigte, da wir weder einen Piloten noch einen Compaß hatten (wie ſich denn auch die uͤbrige Flotte in eben dieſem Umſtande befand). Da wir nun bey dem Eintritte der Nacht nicht wußten, wo - hin wir fahren ſollten, ſo warfen wir auf 10 Fuß tief Anker und erwarteten den Tag. Des Morgens am 24ſten kamen wir wieder auf unſere Fahrt, und ſahen gegen Mittag zu großer Freude aller, die auf den Schiffen waren, wiederum Land, weil dieſes die einzige Regel war, nach welcher wir unſere Fahrt zu richten hatten. Da aber der Wind entgegen gieng, ſo mußten wir unſere Zuflucht wiederum zum Ruder nehmen. Wir ruderten alſo laͤngs der Kuͤſte hin, uͤber 2 Werſte weit vom Lande, welches uͤberall mit ſtarkem Rohr bewachſen war, welches machte, daß es unmoͤglich war, an dieſer Kuͤſte wo anders, als in der Muͤndung eines Fluſſes, zu landen. Beym Eintritte der Nacht ließ der commandirende Officier das Zeichen zum Ankern geben, welches wir auch thaten, 9 Fuß Tiefe hatten, und verſchiedene ſehr gute Fiſche fiengen. Am 25ſten begaben wir uns nach dem gegebenen Signal wieder auf den Weg, mußten aber, weil uns der Wind entgegen war, ru - dern, welches wir ſo nahe als moͤglich an dem Rohre thaten. Verſchiedene Galeeren ſchickten ihre Jagd - ſchiffe an das Rohr, woraus bey Abfeuerung einer Muskete eine ſolche Menge verſchiedener Waſſervoͤgel aufflog, daß ſie ſehr viele davon toͤdteten. Gegen die Nacht wurfen wir abermal nach einer ſchweren Arbeit die wir den Tag uͤber gehabt hatten, Anker,und309und hatten 14 Fuß Waſſer. Da uns nun den 26ſten der Wind des Morgens guͤnſtig wurde, ſo machten wir uns bey Zeiten auf unſern Weg, kamen gegen Abend in der Muͤndung des Fluſſes Buſtrow an, der bey der Stadt Terki, die 3 Werſte vom Ufer liegt, vorbey fließt, und fanden hier die uͤbrige Flotte, die bey dem Admiral geblieben war.

Hier erhielt der Kaiſer von dem General Wate -Waterangs gluͤckliche Expedition. rang die angenehme Nachricht, daß er ein Corps von 5000 Mann in der Provinz Andreof niedergehauen, ihre Hauptſtadt verbrannt, die ganze Provinz verwuͤ - ſtet, alle Einwohner, die er bekommen koͤnnen, alt und jung, beyderley Geſchlechts, viele Tauſend an der Zahl, weggenommen, ſie unter der Bedeckung von 5000 Koſaken und 15000 Kalmucken nach Aſtrakan geſchickt, und uͤber dieſes viele tauſend Ruſ - ſiſche Sclaven und Sclavinnen in Freyheit geſetzt ha - be, die damals alle nach Terki unter Weges waren, und von da zur See nach Aſtrakan geſchickt werden ſollten. Dieſes gluͤcklichen Erfolges wegen mußten wir aus unſerm großen Geſchuͤtze und mit dem kleinen Gewehr drey Salven geben.

Hier kann ich nicht unterlaſſen, eine naͤhere Be -Beſchrei - bung der Cir - caßier. ſchreibung von Circaßien und deſſen Einwohnern zu machen. Die Hauptſtadt Terki liegt auf einer ſehr großen Ebene, die gegen die See ſehr ſumpfigt iſt, im 43ſten Grade, 23 Minuten noͤrdlicher Breite. Sie hat faſt 3 Werſte im Umfange, wohlbefeſtigte Waͤlle und Baſtionen nach heutiger Art, iſt mit Ka - nonen wohl verſehen, und hat beſtaͤndig eine betraͤcht - liche Beſatzung, die unter dem Commando eines Gouverneurs ſtehet. Dem hier reſidirenden Circaßi -U 3ſchen310ſchen Fuͤrſten iſt eine Wache von 500 Ruſſen zu ha - ben erlaubt, hingegen darf keiner von ſeinen Unter - thanen innerhalb der Feſtung wohnen. Seitdem dieſe Gegenden unter Ruſſiſche Bothmaͤßigkeit ge - kommen ſind, haben ſie in alle feſte Plaͤtze, nicht al - lein Ruſſiſche Beſatzungen und Gouverneurs, ſondern auch Ruſſiſche Obrigkeiten und Prieſter, zu Fortpflan - zung der chriſtlichen Religion, geſetzt. Obgleich die Circaßiſchen Tartarn von ihren eigenen Fuͤrſten, Herren und Richtern regieret werden, ſo verwal - ten dieſe doch die Gerechtigkeit im Nahmen des Kaiſers, und in wichtigen Sachen nicht ohne Gegen - wart der Ruſſiſchen Gouverneurs, indem ſie dem Kai - ſer insgeſammt den Eid der Treue ſchwoͤren muͤſſen. Die Kleidung der Maͤnner iſt faſt eben ſo wie der No - gayer ihre, nur ſind ihre Muͤtzen etwas groͤßer, und ihre Maͤntel, die ebenfalls von grobem Tuche oder Schafsfellen ſind, werden nur oben am Halſe mit ei - nem Riemen zugemacht. Da ſie nicht weit genug ſind, den ganzen Leib zu bedecken, ſo wenden ſie ſel - bige nach dem Wind und Wetter. Die Mannsper - ſonen ſind viel ſchoͤner als die Nogayer; die Frauen - zimmer ſind uͤberaus wohl geſtaltet, und haben ſehr ſchoͤne Geſichtszuͤge, eine glatte reine Haut, und ſchoͤ - ne ſchwarze Augen, die ihnen, nebſt den zwey ſchwar - zen Zoͤpfen, die an jeder Seite des Geſichts herunter hangen, ein reizendes Anſehen geben. Sie tragen einen ſchwarzen Kopfputz auf ihren Koͤpfen, der mit einem feinen weißen Tuche bedeckt iſt, welches unter dem Kinne zuſammen gebunden wird. Jm Som - mer tragen ſie nur Hemden von verſchiedenen Farben, die vorne ſo weit offen ſind, daß man ihren Nabelſehen311ſehen kann. Dieſes und ihre ſchoͤnen Geſichter mit welchen ſie, wider die Gewohnheit der meiſten andern Provinzen in dieſen Gegenden, beſtaͤndig unbedeckt gehen, und ihre muntere Lebensart und lebhafter Um - gang, macht ſie ſehr beliebt. Deſſen ungeachtet ha - ben ſie den Ruhm, daß ſie ſehr keuſch ſind, ob es ih - nen gleich ſelten an Gelegenheit fehlt. Denn es iſt ein feſtgeſetzter Punkt einer guten Lebensart unter ih - nen, daß, ſobald jemand herein kommt mit der Frau zu ſprechen, der Mann aus dem Hauſe gehet. Ob aber ihre Enthaltſamkeit bloß von ihrer Großmuth herruͤhret, oder ob ſie das von ihren Maͤnnern auf ſie geſetzte Zutrauen belohnen wollen, oder ob ſie ihren Grund bloß in dem Geruͤchte hat, will ich nicht ent - ſcheiden. Jhre Sprache haben ſie mit den uͤbrigen benachbarten Tartarn gemein, wiewohl die Vornehm - ſten auch etwas Ruſſiſch koͤnnen. Jhre Religion iſt heidniſch; denn ob ſie ſich gleich beſchneiden laſſen, ſo haben ſie doch weder Prieſter, noch Alcoran, oder Moſchee, wie andere Mahometaner. Hier opfert je - der ſein Opfer nach Gefallen, wozu ſie aber doch auch, wiewohl mehr aus Gewohnheit, als durch ein Gebot, beſtimmte Tage haben. Sie verrichten ihr groͤßtes Opfer bey dem Abſterben ihrer naͤchſten Ver - wandten, wobey Maͤnner und Weiber im Felde zu - ſammen kommen, um bey dem Opfer gegenwaͤrtig zu ſeyn, welches in einem Bocke beſtehet. Dieſem zie - hen ſie, nachdem ſie ihn geſchlachtet haben, die Haut ab, breiten ſie mit dem Kopfe und Hoͤrnern auf einer langen Stange uͤber ein Queerholz aus, ſetzen ſie ge - meiniglich (das Vieh davon abzuhalten) in einen le - bendigen Zaun, und kochen und braten nicht weit da -U 4von312von das Fleiſch, welches ſie hernach eſſen. Sobald das Feſt vorbey iſt, ſtehen die Mannsperſonen auf, und wenn dieſe ihr Gebet vor dieſer Haut verrichtet, und ein und das andere Gebet hergemurmelt haben, ſo hegeben ſich die Weiber weg, und die Maͤnner be - ſchließen dieſe Ceremonie damit, daß ſie eine Menge Branntwein trinken, da es denn gemeiniglich zu ei - nem Streite kommt, ehe ſie aus einander gehen. Der Fluß Buſtrow macht die ſuͤdliche Grenze von Circaßien, und die Bewohner der Provinz Andreof ſind ihre naͤchſten Nachbarn, die zwiſchen dem Fluſſe Koiſu, der auf dem Berge Caucaſus entſpringt, und dem Buſtrow wohnen. Dieſe waren es, welche von dem General Waterang gezuͤchtiget wurden.

Das Gebir - ge Caucaſus.
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Nachdem ſich der Kaiſer den 26ſten des Abends zu Schiffe begeben hatte, ſeegelte die Flotte den 27ſten des Morgens mit einem ſehr guͤnſtigen Winde ab, und gieng bey der Jnſel Trenzini vorbey, da wir denn kurz darnach auf beyden Seiten Land ſahen, welches von einer Halbinſel herruͤhrte, die eine große Bay macht, die 40 Werſte auſwaͤrts gehet. Hier ſahen wir die hohen Gebirge des Caucaſus zum erſten Mah - le, die ihre Spitzen in den Wolken zu verbergen ſchei - nen. Der Taurus und Ararat graͤnzen ſo nahe an den Caucaſus, daß jene nur eine Fortſetzung dieſes Gebirges zu ſeyn ſcheinen, welches von Andreof, oder Mongrelien durch ganz Aſien bis nach Jndien gehet. Der Berg Ararat iſt ein einziger großer Fels, uͤber - trifft den Caucaſus an Hoͤhe, und ſein Gipfel iſt das ganze Jahr durch mit Schnee bedeckt. Man ſagt, daß dieſes der Berg ſey, auf welchem ſich die Arche Noah nach der Suͤndfluth niedergelaſſen hat. DieArme -313Armenier, die ihn Meßina nennen, glauben, daß es noch Stuͤcken von der Arche auf dieſem Berge giebt, die aber durch die Laͤnge der Zeit in Stein verwandelt worden ſind; dieſes muß freylich ungewiß bleiben, in - dem der Berg wegen der ihn umgebenden Abgruͤnde unerſteiglich iſt. Dieſe hohen Gebirge leiſten den Seeleuten in den Gegenden des Caspiſchen Meeres große Dienſte, indem die meiſten unter ihnen ſehr wenig Kenntniß vom Compaße haben. Das ver - ſchiedene Anſehen, das ſie von der See haben, die - net den Steuermaͤnnern zur Beſtimmung der Gegend, wo ſie ſind. Aber, wieder auf unſere Reiſe zuruͤck zu kommen, ſo kamen wir noch eben dieſen Abend in der Muͤndung des Fluſſes Agrechan an, ankerten auf die Nacht, und hatten Regen mit Donner und Blitz.

Nach einem den 28ſten des Morgens fruͤh vonLandung zu Agrechan. dem Admiralſchiffe gegebenen Zeichen, ſetzten wir un - ſere Truppen ans Land, welches mit vieler Beſchwer - lichkeit verbunden war. Unſere Galeeren mußten wegen des ſeichten Waſſers eine ziemliche Entfernung vom Ufer bleiben, und die Mannſchaft mußte ihre Gewehre, Munition, Bagage und Proviant, weit im Waſſer auf dem Ruͤcken tragen. Die ausgelade - nen Schiffe wurden insgeſammt auf das Ufer gezo - gen, und eine ſtarke Schanze um ſie herum zu ihrer Sicherheit aufgeworfen, und der Aufſicht eines Obri - ſten mit 600 Mann nebſt allen unſern Kranken uͤber - geben, der aber hernach mit 1000 Koſaken von des General Waterangs Armee verſtaͤrkt wurde. Hier kamen eine große Anzahl Circaßiſche und Dageſtani - ſche Tartarn zu uns, die Wagen, Pferde, Kameele und Ochſen zum Verkauf brachten, und, weil ſie wuß -U 5ten,314ten, daß wir ohne dieſelben nicht weiter kommen konn - ten, ſich ſelbige, wie es ihnen gefiel, von uns bezahlen ließen. Jch kaufte einen Wagen und zwey Pferde zu meiner Bagage, und eines zum Reiten, wofuͤr ich ſechs - mal ſo viel bezahlen mußte, als ſie werth waren.

Marſch nach Aſien.
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Hier blieben wir bis auf den 4ten Auguſt, da wir aufbrachen und unſern erſten Marſch in Aſien an - traten. Die Hitze war ſo unertraͤglich, daß ſehr vie - le von unſern Leuten umfielen; deſſen ungeachtet mar - ſchirten wir dieſen Tag doch 25 Werſte. Den 5ten marſchirten wir 10 Werſte am Fluſſe weiter hinauf bis zu einem Orte, wo wir unſere ArmeeHoͤflichkeit der Dageſta - niſchen Tar - tarn. in einer Faͤhre uͤberſetzen wollten. Auf dieſem Marſche kam uns der Schafkal, oder Fuͤrſt von Tar - ku mit den vornehmſten Dageſtaniſchen Tartarn ent - gegen, der ein großes Gefolge bey ſich hatte, den Kaiſer auf dem Dageſtaniſchen Gebiete bewi[l]lkomm - te, und ihm ſeinen Beyſtand, ſo viel in ſeinem Ver - moͤgen ſey, anbot. Seine Unterthanen brachten an eben dem Tage allerhand Arten von Erfriſchungen fuͤr die Armee. Als unſere Armee in guter Ordnung bey ihm vorbey zog, ſchien er ſich ſehr uͤber das Re - gelmaͤßige und die gute Disciplin, die er daran wahr - nahm, zu verwundern, da er vorher keine regelmaͤßi - gen Truppen geſehen hatte. Als er uns unſer Lager aufſchlagen geſehen, verließ er uns, wie es ſchien, ſehr zufrieden. Die Tartarn brachten ſo viel Wein - trauben, Melonen, Pomeranzen, Granataͤpfel, Aep - fel und Birnen ꝛc. ins Lager, und unſere Leute aßen ſie ſo begierig, daß viele das Fieber und den Durchfall bekamen. Hierauf durften keine Fruͤchte mehr zur Armee gebracht werden. Hier fanden wir verſchie -dene315dene kleine Bothe, woraus wir zwey Faͤhren machten und unſere Armee uͤber den Sulack ſetzten.

Den 6ten gieng der Kaiſer mit ſeiner eigenenDie Armee gehet uͤber den Sulack. Diviſion und einigen andern Regimentern uͤber den Fluß, und ſchlug auf der andern Seite ein Lager auf. Des Abends kamen der Gouverneur von Gorski und der Gouverneur von Axay, zwey Dageſtaniſche Fuͤr - ſten, dem Kaiſer ihre Aufwartung zu machen. Der erſte brachte ihm drey ſchoͤne Perſianiſche Pferde mit reichen Reitzeugen, und 600 Wagen zur Bagage, wovon jeder mit zwey Ochſen beſpannt war, und 50 fette Ochſen fuͤr die Armee zum Schlachten. Der letzte machte ihm ein Geſchenk mit 6 Perſianiſchen Pferden mit reichen Reitzeugen, und mit 100 Och - ſen fuͤr die Armee, und empfohlen ſich und ihr Land dem Schutze des Kaiſers. Den folgenden Tag hat - ten wir einen ſolchen Sturm, daß er alle unſere Zelte umwarf, und den Fluß ſo ſehr aus ſeinen Ufern trieb, daß wir uns etwas weiter davon begeben mußten. Viele von denen, die zu der Zeit heruͤber fuhren, mußten ertrinken. Unſere Faͤhren wurden durch die - ſen Sturm ſo beſchaͤdiget, daß die ganze Armee vor dem 10ten nicht heruͤber konnte, an welchem Tage der General Waterang mit ſeinen Dragonern und Koſaken zu uns ſtieß, von welchen ſogleich 1000 Mann zuruͤck geſchickt wurden, die diejenigen verſtaͤr - ken mußten, die in den Trancheen und zur Bedeckung der Galeeren an der Muͤndung des Fluſſes Agrechan zuruͤck gelaſſen waren. Der General brachte den Vornehmſten aus der Provinz Andreof gefangen mit, welchen der Kaiſer zum Beyſpiele fuͤr andere noch an eben dem Tage haͤngen ließ. Dieſes erbitterte dieandern316andern Oberſten der Dageſtaner dermaßen, daß ſie den Entſchluß faßten, ſich zu raͤchen, welches uns nicht in wenig Verlegenheit verſetzte.

Die Armee wird beunru - higt.
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Wir traten unſern Marſch den 11ten wieder an; die Haͤlfte der Dragoner und Koſaken machten unſere Avantgarde und die andere Haͤlfte die Arrieregarde aus. Wir marſchirten dieſen Tag, der großen Hitze ungeachtet, 30 Werſte, da denn freylich viele von unſern Leuten unter Weges umfielen. Als wir zu Mittage Halte machten, entdeckten wir eine große Menge bewaffneter Leute, die an den Seiten der Berge ritten. Der Kaiſer befand ſich eben im Nach - zuge; er ritt daher laͤngs der Armee hin, und fragte die Truppen, ob ſie ihre Gewehre geladen haͤtten. Als ſie nein ſagten, ſo gab er Befehl, ſie zu laden, und befahl allen ſeinen Officieren von ſeiner Diviſion, ſich bey der Grenadiercompagnie zu verſammeln. Als wir daſelbſt zuſammen gekommen waren, hielt er eine Rede und gab uns einen ſtarken Verweis, daß wir unſere Schuldigkeit nicht gethan haͤtten. Hier - auf wurden uns unſere Degen abgenommen, (naͤmlich den Feldofficieren, die zugleich Generals waren, und allen Capitains,) welche zuſammen auf einen Wagen geladen wurden. Die Feldofficiers mußten in einem Gliede zu Fuße marſchiren; die Capitains wurden hin - ter ſie in drey Glieder geſtellt, und jedem Officier wur - den vier Musketen auf ſeine Schultern gegeben. Jn dieſer Poſitur waren wir beynahe 2 Stunden in der groͤßten Hitze marſchiret, als die Kaiſerinn, nachdem ſie unſern uͤblen Zuſtand erfahren hatte, in groͤßter Eile heraufgefahren kam, und ſo nachdruͤcklich fuͤr uns bat, daß wir von unſerer ſchweren Laſt befreyet, uns un -ſere317ſere Degen wieder gegeben, und uns erlaubet wurde, dem Kaiſer die Haͤnde zu kuͤßen, der uns ſagte, daß er bloß die Officiers von ſeinen Garden beſtraft habe, weil ſie allen andern bey der Armee ein gutes Beyſpiel geben ſollten. Dieſes war Strafe mit Rache. Der arme Capitain der Grenadiers ſtarb den folgenden Tag von dieſer Strafe, weil er ſehr dick war, und vie - le andere wurden krank, davon ebenfalls auch etliche ſtarben. An eben dieſem Tage verlohren wir auch viel Pferde, theils aus Mangel an Waſſer, theils weil ſie ein giftiges Kraut gefreſſen hatten. Aber den Kameelen und Ochſen widerfuhr nichts, und ich ſchloß daher, daß ſie nicht von dieſem Kraute gefreſ - ſen haͤtten.

Den 12ten marſchirten wir 10 Werſte, undAnkunft zu Tarku. kamen nach der Stadt Tarku. Der Schafkal kam dem Kaiſer auf dem halben Wege entgegen, und fuͤhr - te ihn in die Stadt. Sie liegt an der Seite einer An - hoͤhe, iſt ganz offen und hat keine Mauern, und un - ſere Armee campirte in einer großen Ebene unter der Stadt. Da ich jetzt in der Hauptſtadt der Dageſta -Dageſtani - ſche Tar - tarn. niſchen Tartarey angekommen bin, ſo will ich mich bemuͤhen, die Provinz ſo wohl als die Stadt, ſo viel ich davon erfahren koͤnnen, zu beſchreiben. Jhr Ge - biete gehet vom Fluſſe Buſtrow, ihrer Graͤnze an Circaßien, laͤngs dem Berge Caucaſus bis nach Der - bent, und ſie ſind weder den Tuͤrken noch den Perſia - nern unterthan, ſondern werden von einem Schafkal regieret, der ihr Oberhaupt iſt. Seine Wuͤrde iſt nicht erblich, ſondern er wird erwaͤhlet. Das ganze Land Dageſtan iſt in zwey kleine Diſtricte oder Herr - ſchaften abgetheilet, wovon jede unter der Gerichts -barkeit318barkeit ihres eigenen Herrn oder Mirza ſtehet, der, ob ſeine Stelle gleich erblich iſt, doch nicht unum - ſchraͤnkt regieret, ſondern ſeine Gewalt wird von eini - gen der Vornehmſten unter ihnen eingeſchraͤnkt. Al - le dieſe kleinen Herren erkennen einen fuͤr ihr Ober - haupt, den ſie Schafkal nennen, und welchem ſie Hochachtung, aber keinen Gehorſam aus Zwang be - weiſen. Dieſes Volk iſt uͤberhaupt ſehr boͤſe, bar - bariſch und wild, und lebt meiſtentheils vom Raube und Pluͤndern. Ein großer Theil von dem Unter - halte der Maͤnner beſtehet darinn, daß ſie Kinder ſtehlen, und ſogar der naͤchſten Verwandten ihre nicht verſchonen, die ſie denn an die benachbarten Perſia - ner verkaufen, und waͤhrend ihrer Abweſenheit die Sorge fuͤr ihr Vieh ihren Weibern uͤberlaſſen. Sie heißen Dageſtaner, von dem Worte Dag, welches in ihrer Sprache einen Berg bedeutet, und werden daher Bergbewohner genannt. Sie geben vor, daß ſie die Abkoͤmmlinge der Amazonen ſind, und glauben feſt, daß die Koͤniginn Thaleſtris, die Koͤni - ginn der Amazonen, von hier nach Hircanien gegan - gen iſt, Alexandern den Großen zu beſuchen, und dasjenige von ihm zu erlangen, warum die Frauen - zimmer, wenn ſie es auch noch ſo ſehr wuͤnſchen, doch ſelten bitten. Sie ſind alle Mahometaner, und be - dienen ſich der Beſchneidung und aller andern Cere - monien der Tuͤrken. Jhre Kleidung iſt ein langer enger Rock, gemeiniglich von dunkelgrauem, oder ſchwarzem groben Tuche, woruͤber ſie einen Mantel von eben dieſem Tuche, und im Winter einen von Schafsfellen tragen. Sie tragen eine viereckige Muͤtze, die aus vielen Stuͤcken zuſammen genaͤhet iſt. Jhre319Jhre Schuhe beſtehen meiſtens aus Pferdehaut, und ſind nur an der Ferſe zuſammen genaͤhet. Der Aerm - ſte unter ihnen iſt mit einem Panzer, einer Sturm - haube, einem Helm, und uͤber dieſes mit einem Saͤ - bel, Wurfſpieße, Bogen und Pfeilen verſehen.

Dieſe Stadt Tarku, die Hauptſtadt in Dage -Jhre Frauenzim - mer. ſtan, hat uͤber 3000 Haͤuſer, und iſt mit Einwoh - nern angefuͤllt. Die Haͤuſer ſind alle zwey Stock - werke hoch, oben platt, und ſtehen ſehr nahe an ein - ander. Des Abends gehen die Weiber, ſo wie die Maͤnner, auf den Gaſſen im Kuͤhlen ſpatzieren. Je - des Haus hat einen mit allen Arten von ſchoͤnen Fruͤch - ten verſehenen Garten, die alle ſchoͤne Waſſerquellen haben. Jhre Weiber ſind unvergleichlich ſchoͤn, und wohl gewachſen; ſie haben ſchoͤne Geſichter, ſchwarze Augen und ſchwarzes Haar. Da aber die Maͤnner ſehr eiferſuͤchtig ſind, ſo ſind ſie beſtaͤndig eingeſchloſ - ſen, ſo daß man ſie nicht leicht zu ſehen bekommen kann. Jch glaube, wir wuͤrden keine zu ſehen be - kommen haben, wenn es nicht zweymal zufaͤlliger Weiſe geſchehen waͤre. Wir hatten die Freyheit, in die Stadt zu gehen und das Nothwendigſte zu kau - fen; wir hatten aber Befehl, viele mit einander und ſtark bewaffnet zu gehen, denn wir ſetzten kein großes Vertrauen auf die Einwohner. Als ich einmal mit vielen Officieren und unter einer ſtarken Bedeckung in der Stadt war, ſahen wir einen von den Vornehm - ſten in ſein Haus gehen, und wagten es alſo, uns wider ſeinen Willen hineinzudraͤngen. Als ihm un - ſer Dolmetſcher geſagt hatte, daß wir Officiers vom Range waͤren, und daß wir ihn um die Gewogenheit erſuchten, uns das Jnwendige ſeines Hauſes zu zei -gen,320gen, willigte er endlich, obgleich wider ſeinen Willen, darein, und ließ uns in ſeine Zimmer. Die Fuß - boden waren insgeſammt mit feinen Perſianiſchen Teppichen bedeckt, hatten aber weiter keine Verzierun - gen, ausgenommen einige feine Matratzen und ſei - dene Kuͤſſen, worauf ſie des Nachts liegen. Sie ha - ben weder Tiſche noch Stuͤhle, ſondern ſitzen und lie - gen alle auf dem Boden. Statt der Glasfenſter ha - ben ſie Blinden, die aber ſehr ſchoͤn von geflochtenen Rohr ſind, durch die ſie, ohne geſehen zu werden, ſe - hen koͤnnen, was auf der Gaſſe vorgehet. Die Waͤn - de ſind weiß, und haben keine Verzierungen. Er fuͤhrte uns hierauf in einen viereckigten Hof, durch welchen in der Mitte eine hohe Mauer gieng, die ſei - ne Zimmer von den Zimmen der Frauenzimmer ab - ſonderte. Nachdem er uns auch ſeinen Garten ge - zeiget hatte, in welchem alle Arten von Fruͤchten wa - ren, ſo lud er uns ein, uns mit ihm unter einem Gan - ge auf einen Sofa niederzuſetzen, und bewirthete uns mit Coffee, Fruͤchten und Gebacknem. Der Capi - tain Brunie, einer von unſerer Geſellſchaft, zeigte ihm einen ſehr ſchoͤnen Spiegel, den er bey ſich trug, und als er merkte, daß er ihm ſehr gefiel, ſo machte ihm der Capitain ein Geſchenk damit, welches uns bey ihm in Gunſt zu ſetzen ſchien. Als wir uns einige Zeit mit unſerm Wirthe unterredet hatten, baten wir ihn, uns ſeine Weiber in ihrer Kleidung nur von weitem ſehen zu laſſen, worein er endlich, wiewohl un - gern, willigte, ſelbſt in ihr Zimmer gieng, und ihnen, wie wir glaubten, befahl, ſich bereit zu halten. Er kam ſogleich wieder zuruͤck, ſetzte ſich wieder nieder, und redete noch einige Zeit mit uns. Endlich gieng erwieder321wieder weg, und brachte viere von ſeinen Weibern und acht Concubinen gefuͤhret, und ſtellte ſie alle in eine Reihe, daß wir ſie ſehen konnten. Jn dieſer Stellung ließ er ſie ſtehen, gieng wieder zum Sofa zuruͤck und ſetzte ſich bey uns nieder. Die Frauen - zimmer waren wahrſcheinlicher Weiſe damit unzufrie - den, daß ſie nur von ferne geſehen werden ſollten, und kamen alſo insgeſammt und ſetzten ſich auf einen Sofa uns gegenuͤber, womit unſer Wirth eben nicht ſonderlich zufrieden zu ſeyn ſchien. Sie ſahen ihn aber nicht an, ſondern unterſuchten unſere Kleidung ſehr genau, thaten auch durch unſern Dolmetſcher ei - ne Menge Fragen an uns, beſonders in Anſehung der Gewohnheiten und Kleidung unſerer Weiber, und wie viel Weiber einem Manne in unſerm Lande zu nehmen erlaubet waͤre. Als wir ihnen ſagten, daß keinem Manne mehr als eine Frau zu nehmen erlaubt ſey, und daß ihnen wie den Maͤnnern frey ſtuͤnde, auszugehen, und ihre Nachbarinnen zu beſuchen, ſo klopften ſie in die Haͤnde, und riefen mit Begeiſte - rung aus: O gluͤckliches, gluͤckliches Land! Unſer Wirth, der mit ihrem Bezeigen gar nicht zufrieden war, befahl ihnen, wieder in ihr Zimmer zu gehen, und ſie gehorchten mit vielem Widerwillen. Sie waren alle liebenswuͤrdig, doch uͤbertrafen die Concu - binen die Weiber an Schoͤnheit. Die Urſache iſt offenbar, denn ſie werden durch Unterhaͤndler verhei - rathet, die Concubinen aber gewaͤhlt. Wir nahmen nach einem kurzen Aufenthalte von unſerm Wirthe Abſchied, und erſuchten ihn, uns den folgenden Tag in unſerm Lager zu beſuchen. Wir bewirtheten ihn ſehr hoͤflich, und er ſchien große Freude an unſerer MuſikXzu322zu haben. Als er weggieng, ſagte er, daß wir, da wir ihm ſo viel Hoͤflichkeit erwieſen haͤtten, ſo lange wir in dieſer Gegend blieben, in ſeinen Hauſe jederzeit willkommen ſeyn ſollten; wir konnten aber niemals wieder einen Zutritt erlangen, ob wir uns gleich dar - um bewarben.

Audienz der Dageſtani - ſchen Da - men.
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Das zweyte Mahl ſahen wir die Dageſtaniſchen Frauenzimmer in der Kaiſerinn Zelte, da des Schaf - kals Frauenzimmer, in Begleitung anderer Frauen - zimmer vom Stande, der Kaiſerinn ihre Aufwartung machten. Sie kamen in ſo feſt vermachten Kutſchen, daß man ſie nicht ſehen konnte. Als ſie in der Kai - ſerinn Zelt kamen, ſetzten ſie ſich auf Kuͤſſen von ro - them Sammet, die auf Perſianiſchen Teppichen lagen, auf ihre nach ihrer Gewohnheit kreuzweiſe gelegten Beine. Sobald ſie ſich niedergelaſſen hatten, gab die Kaiſerinn Befehl, daß die Officiers herein gelaſ - ſen werden ſollten, dieſe Frauenzimmer zu ſehen, die in der That alle ſehr liebenswuͤrdig waren. Die Kaiſerinn hatte auch Befehl gegeben, daß, wenn ei - ne Geſellſchaft von Officieren ihre Neugierde befriedi - get haͤtte, ſie andern Platz machen ſollte, und aus der Urſache dauerte der Beſuch dieſer Frauenzimmer bis in die Nacht, da ſie denn von der Kaiſerinn Be - dienten mit vielen Fackeln in die Stadt begleitet wur - den, und mit ihrer Aufnahme uͤberaus wohl zufrie - den waren. Da ſie nicht allein hoͤrten, ſondern auch ſahen, wie uneingeſchraͤnkt unſere Weiber leben, ſo gefiel es ihnen eben ſo ſehr, als den Frauenzimmern unſers Wirths; und ich getraue mich zu ſagen, daß, wenn es uns erlaubt geweſen waͤre, Freywillige unter dieſen ſchoͤnen Toͤchtern der Amazonen anzuwerben,ihre323ihre Maͤnner eben ſo ohne Weiber, wie die in den alten Zeiten, geblieben ſeyn wuͤrden.

Da des Kaiſers Manifeſte nicht nur in Dageſtan,Denkmal zu Tarku. Marſch nach Derbent. ſondern auch in Derbent, Backu und Schamachie waren bekannt gemacht worden, ſo liefen den 15ten Briefe von Derbent mit den Verſicherungen ein, daß die Manifeſte daſelbſt mit großen Freuden angenom - men worden, und daß ſie ſich mit dem groͤßten Ver - gnuͤgen unter des Kaiſers Schutz begeben wollten, ſo - bald er mit ſeiner Armee daſelbſt ankommen wuͤrde. Auf dieſe Nachricht wurde Befehl gegeben, daß je - der, ſo zur Armee gehoͤrte, einen Stein von mittler Groͤße mitten in das Lager bringen ſollte, wo ein Kreuz errichtet und ſie um ſelbiges herum zum ewigen Andenken auf einen Haufen geleget und nach dieſem Gottesdienſt gehalten wurde. Wir brachen den 16ten auf, und marſchirten 25 Werſte in einer brennenden Hitze bis an den Fluß Manas, wo wir Waſſer genug fanden, aber keine Fourage bekommen konnten, ſondern unſere Pferde in die Berge graſen ſchicken mußten, wo uns die Tartarn eine Menge derſelben, und unter andern auch meine drey Pferde, weggnahmen und fortfuͤhrten. Als wir den folgen - den Tag am 17ten aufbrachen, hatte der General Wa - terang die Gewogenheit, zwey Dragoner abſitzen und ihre Pferde an meinen Bagagewagen ſpannen zu laſ - ſen, ich aber mußte zu Fuße gehen, welches mich in der heißen Gegend ſehr abmattete. Als mich Ma - dame Campenhauſen, eine von der Kaiſerinn Hofda - men, zu Fuße vor meiner Compagnie hergehen ſe - hen, ließ ſie des Abends nach der Urſache davon fra - gen, und als ihr mein Ungluͤck erzaͤhlet worden, hatteX 2ſie324ſie die Gewogenheit, es der Kaiſerinn zu hinterbrin - gen, die ſo gnaͤdig war und ihrem Stallmeiſter be - fahl, mir ein Pferd mit Sattel und Zeuge zu geben. Nachdem auch der Kaiſer erfahren, wie nothwendig ich ein Pferd brauche, gab er Befehl, mir noch eines zu geben, ſo daß ich und mein Bedienter nunmehr beritten waren. Deſſen ungeachtet kaufte ich mir dieſen Abend zwey Kameele zu meiner Bagage und bezahlte jedes mit 15 Rubeln, und gab meinen Ba - gagewagen einem meiner Officiers, der ihn brauchte. Jch erfuhr in kurzem den Nutzen der Kameele, die nicht nur eine ſchwere Laſt tragen, ſondern auch da Futter finden, wo kein Pferd ſubſiſtiren kann, und auch viele Tage ohne Waſſer leben koͤnnen, wenn ſie nur ſtatt deſſen eine Hand voll Salz bekommen. Die - ſen Tag giengen wir uͤber den Fluß Manas, und nicht gar zu weit davon uͤber den Boinack, vermittelſt einer ſteinernen Bruͤcke, und ſchlugen unſer Nachtlager in Alt-Boinack auf, nachdem wir 30 Werſte mar - ſchirt und durch große Baumwoll - und Safranfelder gegangen waren. Wir verlohren dieſen Tag wegen der Hitze, Beſchwerde und Mangel am Futter eine Menge Pferde. Jch muß hier von dieſem Lande an - merken, daß die Hitze im Sommer ſo groß iſt, daß alles Gras verwelket und verbrennt, und daß ſich die Einwohner genoͤthiget ſehen, ihr Vieh mit Heu zu fuͤttern, welches ſie im Winter machen, da Wei - de und Gras in Menge in dieſem Lande iſt. Hier ſchickte der Kaiſer drey Koſaken und einen Wegweiſer an den Sultan Udenich ab, der in einiger Entfernung in den Bergen wohnte, und verlangte, daß er eine De - putation zu einer Conferenz zu ihm ſchicken ſollte, ließihn325ihn auch erſuchen, die Armee mit Laſtthieren zu verſehen, die unſere Bagage nach Derbent tragen ſollten.

Den 18ten marſchirten wir 25 Werſte undGrauſamkeit des Sultans Udenich. ſchlugen unſer Lager an den Ufern des Fluſſes Nitzi auf, wo der Wegweiſer, dem die Naſe und beyde Ohren abgeſchnitten waren, mit des Sultans Ude - nichs Antwort zuruͤck kam, und dem Kaiſer ſagte, daß ſie die drey Koſaken in ſeiner Gegenwart auf die grauſamſte und barbariſchſte Art umgebracht haͤtten. Der Sultan hatte ihm befohlen, dem Kaiſer zu ſa - gen, daß jeder, der ihnen von deſſen Leuten in die Haͤnde fallen wuͤrde, eben ſo behandelt werden ſollte; was aber die verlangte Conferenz betreffe, ſo waͤren ſie bereit, ſelbige mit ihren Saͤbeln in der Hand zu halten.

Den 19ten erſchienen die Tartarn an der SeiteFolgen der - ſelben. des Berges, ungefaͤhr 12000 Mann, und wollten ihre Drohungen erfuͤllen. Da wir nach der Zuruͤck - kunft des abgeſchickten Botens hinlaͤnglich auf unſerer Hut waren, ſo trat die Armee ſogleich ins Gewehr, ohne ihre Gezelte abzubrechen, und der Kaiſer mar - ſchirte bloß mit ſeiner Diviſion, die aus 6 Bataillons beſtand, dem Feinde entgegen, und gab nur einem Theile von der Armee Befehl, nachzufolgen. Nach - dem wir uns dem Fuße des Berges genaͤhert hatten, feuerten wir ſtark auf einander, ohne daß von beyden Seiten großer Schade geſchahe. Da ſie auf einer großen Anhoͤhe ſtanden, ſo konnten wir unſere Kano - nen nicht ſo richten, daß ſie ſelbige erreichet haͤtten. Als der Kaiſer gewahr wurde, daß ſie, ohne auf uns anzuruͤcken, ſtehen blieben, ſo ließ er die Dragoner und Koſaken um den Berg herum marſchiren, undX 3ſie326ſie auf demſelben angreifen, welches ſie auch mit groſ - ſer Geſchwindigkeit thaten. Wir ſahen ſie die ganze Zeit als ſie den Berg hinauf ritten, der Feind aber entdeckte ſie nicht eher, als bis ſie nahe hinter ſeinem Ruͤcken waren, da denn ein großes Blutbad erfolgte, und die Tartarn in der groͤßten Eil die Flucht nah - men, und gegen 6 - bis 700 Mann Todte auf dem Platze ließen. Vierzig wurden zu Gefangenen ge - macht. Unter dieſen befanden ſich einige Vornehme, wie auch ihr Mahometaniſcher Prieſter, der einer von ihren Hauptanfuͤhrern geweſen war, und nicht nur die grauſame Ermordung der drey Koſaken gnge - rathen, ſondern ſie auch mit eigener Hand verrichtet, ihnen, da ſie noch gelebet, die Bruſt aufgeſchnitten und die Herzen herausgenommen hatte. Jhre Koͤr - per wurden nachmals von unſern Dragonern nahe bey des Sultans Pallaſte auf Pfaͤhle geſteckt gefunden, als ſie den Feind bis an die Thore verfolgten, und alles was ihnen vorkam, niederhieben, deren Anzahl ſich gegen 3000 Mann belief, denn ſie hatten ihre Weiber und ihre Kinder in das Gebirge geſchickt, ehe ſie auf dieſe Expedition gegangen waren, worauf des Sultans Reſidenz und ſechs andere Doͤrfer verbrannt und gaͤnzlich verwuͤſtet wurden.

Zwanzig ver - zweifelte Tartarn.
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Jn dem Nachſetzen hatte eine Parthey Drago - ner 20 Tartarn in einen engen Platz getrieben, aus welchem ſie nicht entkommen konnten. Als ſie ſich ſo enge eingeſchloſſen ſahen, fielen ſie auf die Knie nieder, und reichten in dieſer demuͤthigen Stel - lung ihre Schießgewehre mit vorwaͤrts gerichteten Kolben dar. Es wurden alſo 20 Dragoner beordert, abzuſteigen und ſie in Sicherheit zu bringen. Alsſich327ſich dieſe naͤherten, ſtanden dieſe verzweifelten Tartarn auf, warfen ihre Wurfſpieße, toͤdteten alle Dragoner, und thaten alsdann mit ihren Saͤbeln einen ſo verwe - genen Angriff, daß ſie noch viele andere verwundeten, und ſich nicht eher ergaben, als bis ſie alle in Stuͤcken zerhauen waren.

Der General Romanzof hatte Befehl erhalten, mit unſern 6 Bataillons zu marſchiren, und den Dragonern in Verwuͤſtung der Reſidenz des Sultans beyzuſtehen. Auf dieſem Marſche wurden wir von einem Corps von 600 Reitern angegriffen, die von einem benachbarten Großen dem Udenich beyzuſtehen kamen. Sie avancirten und retirirten in dieſem Angriffe auf eine ſehr ungewoͤhnliche Art. Jhrer waren in der Fronte nur zwoͤlfe, in der Tiefe aber funfzig, wobey einer dem andern mit gezogenen Saͤ - beln folgten. Wenn die vorderſten Glieder einen Angriff auf unſere aufgepflanzten Bajonette gethan hatten, ſo giengen ſie herum und ſtellten ſich wieder hinten. Nachdem ſie uns faſt eine halbe Stunde lang ſo angegriffen hatten, ſo befanden ſie fuͤr gut, mit dem Verluſt einiger Mannſchaft und Pferde, die getoͤdtet und verwundet waren, abzuziehen. Jn die - ſem Angriffe that einer ihrer Befehlshaber, der ſich durch beſondern Muth auszeichnete, in Perſon ver - ſchiedene Angriffe, und verwundete zwey von unſern Leuten. Als der General Romanzof ihn gewahr wurde, und ſahe, daß ich ein gezogenes Rohr in meiner Hand hatte, ſo ſagte er mir, ihn von Pferde zu ſchießen, welches ich auch bey ſeinem erſten An - griffe that, den er wieder machte, und ihn durchs di - cke Bein ſchoß, daß er von dem Pferde fiel, mit wel -X 4chem328chem er auch ſogleich gefangen wurde. Der General hatte die Gnade, mir mit dem Pferde und Reitzeuge, mit ſeinem Saͤbel, Bogen und Pfeilen ein Geſchenk zu machen. Der Zaum und das Geſchirr war mit vergoldeten ſilbernen Blaͤttchen belegt, der Griff und die Scheide des Saͤbels waren gleichfalls damit aus - gelegt. Jch verkaufte das Pferd fuͤr 60 Ducaten, den Saͤbel, Bogen und die Pfeile nahm ich mit nach England und beſitze ſie noch. Hierdurch machte mir der General Romanzof einigen Erſatz fuͤr das mir von dem Marſchall Weyde hinterlaſſene Pferd, das mir, wie ich oben gemeldet habe, vorenthalten worden war. Als dieſer Scharmuͤtzel voruͤber war, ſetzten wir un - ſern Marſch nach des Udenichs Reſidenz fort, und fanden den ganzen Weg, wo wir marſchirten, mit Todten beſtreuet, die unſere Dragoner im NachſetzenEin ſchoner junger Tar - tar. niedergehauen hatten. Unter andern fanden wir ei - nen Juͤngling zwiſchen 18 und 20 Jahren, dem der Kopf ganz friſch abgehauen war. Sein Geſicht und ſeine Perſon waren auch im Tode ſo außerordentlich ſchoͤn, daß jeder bey ihm ſtehen blieb, der bey dem Koͤrper vorbey gieng, und ſagte, daß er ſeines glei - chen niemals geſehen habe. Weil aber dieſe Bewun - derung unſern Marſch aufhielt, ſo ließ ihn der Gene - ral aus dem Wege ſchaffen. Nachdem wir ohnge - faͤhr 15 Werſte marſchiret waren, kamen uns die Dragoner und Koſaken reich mit Beute beladen ent - gegen. Als der General Waterang dem General Romanzof ſagte, daß alles vorbey und vollkommen geendiget ſey, kehrten wir in einem Corps zuruͤck, und als wir auf die Anhoͤhe kamen, wo ſich der Feind zuerſt gezeiget hatte, fanden wir 21 Gefangene, alsRepreſ -329Repreſſalien fuͤr den grauſamen Tod unſerer drey Ko - ſaken, aufgehangen. Einem derſelben wurden Naſe und Ohren abgeſchnitten, und er in dieſer Geſtalt mit einem Briefe an den Sultan Udenich zuruͤck geſchickt, worinn ihm ſeine Grauſamkeit gegen unſere unſchul - dige Boten vorgeworfen wurde. Der Prieſter wur - de wegen ſeiner unmenſchlichen Barbarey geviertheilt.

Jndem dieſes Detaſchement auf dieſer Verrich -Muth des Prieſters. tung abweſend war, fragte der Admiral Apraxin, der die Armee als Chef commandirte, einige Gefan - gene, warum ſie unſere unſchuldige Boten ſo grau - ſam umgebracht haͤtten. Sie antworteten, daß ſie weiter nichts davon wuͤßten, als daß es auf Befehl ihres Sultans, den der Prieſter aufgehetzet habe, ge - ſchehen ſey. Als der Prieſter deswegen befraget wur - de, antwortete er ſehr entſchloſſen, daß er dieſes an jedem von unſern Leuten, den er in ſeine Gewalt be - kommen haͤtte, wuͤrde gethan haben, das Verhalten zu raͤchen, womit wir die Tartarn von Andreof be - handelt, und ihrem Anfuͤhrer einen ſo ſchaͤndlichen Tod angethan haͤtten, deſſen Freunde und Bundesge - noſſen ſie waͤren. Ueber dieſes waͤren ſie eine freye Nation, und wollten ſich keinem Fuͤrſten auf der Welt unterwerfen. Der Admiral fragte ihn hierauf, wie ſie es denn wagen koͤnnten, eine ſo zahlreiche und re - gelmaͤßige Armee anzugreifen, die aller Macht, die ſie aufbringen, und allem Beyſtande, den ſie von ih - ren Nachbarn erwarten koͤnnten, ſo ſehr uͤberlegen ſey? Hierauf antwortete der Prieſter, daß ſie ſich vor unſerm Fußvolke gar nicht fuͤrchteten, die ihnen in die Berge nicht nachkommen koͤnnten; die Koſaken aber haͤtten ſie ſchon bey verſchiedenen Gelegenheiten ge -X 5ſchlagen.330ſchlagen. Was ſie aber in Verlegenheit ſetze, das waͤren unſere Blauroͤcke, (er meynte die Dragoner) die ſich zu Pferde ſo enge zuſammen hielten. Hier - auf ſagte er zum Admiral, daß er ihn nichts mehr fragen ſollte, denn er ſey voͤllig entſchloſſen, keine Fra - ge mehr zu beantworten, wollte auch ſolche chriſtliche Hunde weder um Gnade bitten, noch einige von ih - nen erwarten; worauf er fortgefuͤhret wurde. Ein anderer Gefangner wollte, nachdem er vor des Ad - mirals Zelt war gebracht worden, auf keine an ihn ge - thane Frage antworten, worauf Befehl gegeben wur - de, ihn auszuziehen und zu peitſchen. Dieſer riß, als er den erſten Hieb bekam, einem Officier den De - gen von der Seite, und lief damit auf den Admiral zu, den er auch gewiß getoͤdtet haben wuͤrde, wenn ihn nicht zwey vor dem Zelte ſtehende Schildwachen, ihre Bajonnette in den Leib geſtoßen haͤtten. Als er ſchon gefallen war, riß er noch einem von den Schildwa - chen die Flinte aus der Hand, und biß ihm, als ſie mit einander um das Gewehr rungen, ein großes Stuͤck Fleiſch aus dem Arme, wurde aber kurz dar - auf niedergemacht. Als der Kaiſer zu eben der Zeit in das Zelt trat, ſagte der Admiral zu ihm, daß er gewiß in das Land gekommen ſey, von tollen Hunden gefreſſen zu werden, indem er in ſeinem ganzen Leben keinen ſolchen Schrecken gehabt habe. Der Kaiſer laͤ - chelte und antwortete, wenn dieſes Volk die Kriegs - kunſt verſtuͤnde, ſo wuͤrde keine Nation im Stande ſeyn, es mit ihm aufzunehmen.

Um nun dieſes Volk in Furcht zu erhalten, gab der Kaiſer Befehl, daß unter der Aufſicht des Jnge - nieurs, Baron Renne, Lieutenants von der Garde,eine331eine Feſtung am Fluſſe Nitzi, erbauet werden, und alle Kalmuckiſche Tartarn wie auch einige Koſaken, zuruͤck gelaſſen werden ſollten, die Werke zu decken und zu vertheidigen.

Die Armee brach den 21ſten wieder auf, mar - ſchirte die ganze Zeit durch Weinberge und Obſtgaͤrten, und kam, nachdem ſie 20 Werſte zuruͤck geleget hat - te, gegen Abend bey dem Fluſſe Durback an. Hier kam uns ein von der feſten Stadt Buku Abgeſchick - ter, mit einem großen Gefolge entgegen, dem Kaiſer zu ſeiner gluͤcklichen Ankunft in dieſen Gegenden Gluͤck zu wuͤnſchen, und ſich und ihre Stadt ſeinem Schutze zu empfehlen. Er bat gar ſehr, daß er ſie von dem Tyrannen Myr Maghmud befreyen moͤchte, wider den ſie ſich zwey Jahre zu vertheidigen Mittel gefunden haͤtten, und erſuchte den Kaiſer, zu eilen und ihnen beyzuſtehen.

Wir marſchirten den 22ten wiederum 15 Wer -Ankunft in Derbent. ſte durch Obſtgaͤrten und Weinberge, und kamen als - dann an einen kleinen Fluß, wo wir Gras in Menge antrafen, nachdem wir den ganzen Marſch von Tarku bis hieher großen Mangel daran gehabt hatten. Den folgenden Tag, den 23ſten, ſetzten wir unſern Marſch durch dieſe ſchoͤnen Weinberge 15 Werſte bis nach Derbent fort. Der Gouverneur und die Vornehm - ſten der Stadt kamen dem Kaiſer den halben Weg entgegen, uͤbergaben ihm die Schluͤſſel der Stadt, und erboten ſich zugleich, ſeinen Truppen die Feſtung zu Bedeckung der Stadt einzuraͤumen, die ſich eine ziemliche Zeit wider die Waſſen des Tyrannen Magh - mud vertheidiget hatte. Dieſes großmuͤthige Aner - bieten wurde ſehr gnaͤdig aufgenommen. Wir mar -ſchirten332ſchirten noch an eben dem Tage unter einer dreyfachen Salve aus ihrer ganzen Artillerie durch die Stadt, und ſchlugen an der ſuͤdlichen Seite derſelben unſer Lager auf, da wir nunmehr den erſten Schritt in Per - ſien gethan hatten. Nunmehr konnten wir den Berg Ararat, der mit ſeiner Spitze weit uͤber den Caucaſus hervorraget, aus unſerm Lager ſehen. Der Kaiſer ernannte ſogleich einen Gouverneur und 3000 Mann zur Beſatzung der Feſtung, welche die Einwohner ih - nen mit vieler Freude einraͤumten, weil ſie dadurch von den Beſchwerlichkeiten befreyet wurden, die ſie, waͤhrend der Vertheidigung der Stadt wider die Truppen des Tyrannen, ausgeſtanden hatten. Die Waͤlle waren mit 100 eiſernen und 60 meßingenen zwoͤlf - und neunpfuͤndigen Kanonen beſetzt, und mit einem großen Vorrathe an Ammunition verſehen. Auf jeder Seite der Feſtung ſtehet in einer kleinen Entfernung ein Wachthurm, von welchem ſie die An - kunft eines Feindes von weitem entdecken koͤnnen.

Beſchrei - bung der Stadt.
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Die Stadt Derbent in der Provinz Schirvan liegt im 41ſten Grade 51 Minuten noͤrdlicher Brei - te am Ufer des Caspiſchen Meeres. Die Mauern ſind 10 Fuß tief im Waſſer aufgefuͤhret, ſo daß alſo niemand dazu kommen kann. Sie iſt von Oſten bis gegen Weſten beynahe 5 Werſte lang, aber nicht nach Verhaͤltniß breit. Sie iſt nicht allein die Graͤnze von Perſien, indem ſie an deſſen aͤußerſtem Ende lieget, ſondern ſie kann auch mit allem Recht das Thor davon genennet werden, indem ſie ſich vom Berge bis in die See erſtreckt. Die Stadt iſt in drey abgeſonderte Theile eingetheilet; die Feſtung lieget auf dem Gi - pfel des Berges, und hat beſtaͤndig eine ſtarke Per -ſianiſche333ſianiſche Beſatzung. Der zweyte und Haupttheil, reichet von dem Fuße des Berges bis an die untere Stadt, welche den dritten Theil ausmacht, und bis an die Seeſeite gehet. Dieſe letzte, die vor dieſem von Griechen bewohnet wurde, hat nicht ſo viel Ein - wohner, weil ſie meiſtens in Gaͤrten verwandelt wor - den iſt, ſeitdem dieſer Platz den Tuͤrken abgenommen worden. Die ganze Stadt iſt mit einer ſtarken Mauer umgeben, die oben ſo breit iſt, daß ein Wa - gen ohne die geringſte Unbequemlichkeit darauf fahren kann, und in gewiſſen Entfernungen viereckigte Tuͤr - me hat. Die Mauern ſind von großen Quaterſtei - nen erbauet, die wie ein Haufen zuſammen gebacke - ner Seemuſcheln ausſehen, und doch ſo hart und dauerhaft als Marmor ſind, und ſehr ſchoͤn ausſehen, wenn ſie poliret werden. Die meiſten Steinbruͤche am Caucaſus ſind von dieſer Art. Die Haͤuſer ſind wie die Haͤuſer in Tarku erbauet, und angeſtrichen. Die Einwohner ſind insgeſammt Mahometaner, ei - nige Juden ausgenommen, deren Hauptgeſchaͤft im Handel mit geraubten Kindern beſtehet, die von den benachbarten Dageſtaniſchen Tartarn zum Verkauf hieher gebracht werden; oder aus einigen Tuͤrkiſchen oder Ruſſiſchen Gefangenen, die ſie auf ihren Strei - fereyen erwiſchen, die die Juden alsdann weiter nach Perſien ſchaffen und verhandeln.

Auf dem Berge hinter der Stadt, der meiſtens mit Waldung bedeckt iſt, ſiehet man die Ruinen einer ſehr alten Mauer, die, wenn man dem Sagen der Einwohner glauben darf, vor dieſem durch das ganze Land beynahe 300 Werſte bis an das Euxiniſche Meer gegangen iſt. So viel iſt aber doch gewiß,daß334daß dieſe Ruinen an einigen Orten 6 Fuß, an an - dern 2 oder 3 hoch ſind, an andern aber die Spur ganz verlohren iſt; wie man denn anch auf einigen benachbarten Huͤgeln die Ruinen von verſchiedenen alten viereckigten Feſtungen ſiehet, davon noch zwey ſtehen und bis auf den heutigen Tag von Perſianern beſetzt ſind. Die Eingehohrnen ſind der Meynung, daß die Stadt Derbent von Alexander dem Großen erbauet worden, und daß die lange Mauer, die bis an den Euxinus gereichet hat, ebenfalls auf ſeinen Befehl errichtet worden, den Einfall der Scythen in Perſien dadurch zu verhuͤten.

Merkwuͤrdi - ge Graͤber.
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Nicht weit von unſerm Lager ſahen wir einige tauſend Graͤber, die mit halbrunden (cylindriſchen) Steinen bedeckt, und groͤßer waren als die gewoͤhnli - che Menſchenlaͤnge iſt. Sie hatten insgeſammt Ara - biſche Jnſchriften. Man ſagte davon, daß in den vorigen Zeiten (doch aber nach dem Mahomet,) ein gewiſſer Koͤnig in Medien, mit Nahmen Kaßan, ge - weſen, der in einem Treffen wider die Dageſtaniſchen Tartarn eine betraͤchtliche Niederlage an dieſem Orte erlitten habe, und daß die in dieſem Treffen gebliebe - nen Officiers in dieſen Graͤbern begraben waͤren. Die Erzaͤhlung ſcheint nicht ganz erdichtet zu ſeyn, weil in einer kleinen Entfernung, nahe bey der See, noch vierzig andere groͤßere und mit einer Mauer um - gebene Graͤber ſind, von welchen man ſagt, daß es die Graͤber der Herren vom erſten Range, und anderer heiliger Maͤnner ſind, die ſie begleitet haben. Hie - her kommen die Perſianer, ſowohl Manns-als Weibs - perſonen, verrichten ihre Andacht, und legen, ſo lan - ge ſie beten, ihre Haͤnde daran.

Die335

Die Einwohner in Derbent haben eine alte Er -Alexander und Melke - hatun. zaͤhlung von Alexandern dem Großen und Melkeha - tun, der Wittwe eines Sultans in der Provinz Jr - van. Alexander kam auf einem Zuge in dieſen Ge - genden an die Stadt Berda, wo ſich dieſe Sultaninn aufhielt, gab ſich fuͤr Alexanders Geſandten aus, und verlangte, daß ſie ſich ſelbſt, die Stadt und das Land auf Gnade und Ungnade an den Eroberer erge - ben ſollte. Melkehatun, welche Geſchmack und Neugier beſaß, hatte ſich einige Zeit vorher ein nach dem Leben gemaltes Bild des Alexander angeſchafft, und erkannte ihn alſo gleich, ſobald er zu ihr kam. Nachdem er ſeinen Antrag verrichtet hatte, erſuchte ſie ihn, mit ihr zu eſſen, worauf er die Antwort, die er ſeinem Herrn uͤberbringen koͤnne, erhalten ſollte. Hierauf ward er in einen großen Saal gefuͤhret, wo eine mit Gold und Silber bedeckte Tafel ſtand, und die darneben ſtehenden goldenen Tiſche mit ihren Ju - welen bedeckt waren. Als ſich nun der große Erobe - rer mit der Koͤniginn niedergeſetzet hatte, noͤthigte ſie ihn ſehr, zu eſſen, woruͤber ſich Alexander verwunder - te, und die Koͤniginn fragte, ob man an ihrer Tafel keine andere Speiſen haben koͤnne, als was er vor ſich ſaͤhe, denn dieſe wuͤrden ihm den Hunger nicht ſehr ſtillen. Hierauf ſagte ſie: O Alexander, ich habe geglaubt, daß du ſonſt von nichts leben kannſt, weil du der Reichthuͤmer wegen ſo viele Laͤnder verwuͤſter haſt, und ſo viel arme Einwohner verhungern laſſen. Du ſieheſt nunmehr, daß du, wenn du alle Schaͤtze der Welt, und keine Speiſen haͤtteſt, umkommen muͤßteſt. Hier ließ ſie einen Vorhang aufziehen, der ihm ſein eigenes Bildniß entdeckte, welches ihmgegenuͤber336gegenuͤber hieng, zeigte ihm, auf was fuͤr Art ſie ihn erkannt hatte, und ſagte ihm zugleich, daß, ob er jetzt gleich in ihrer Gewalt ſey, ſie ihm doch ihren gan - zen Schatz geben wolle, weil ſie ſaͤhe, daß er der Reichthuͤmer wegen die Welt pluͤndere, bat ihn aber, daß es zur Vergeltung ihr und ihren Unterthanen freyſtehen moͤge, ihr Land in Frieden zu bauen und zu genießen. Dieſes weiſe Betragen gefiel dem Alexan - der ſo, daß er ihr alles gewaͤhrte, was ſie nur bitten oder verlangen konnte, und außer ihrem Gemaͤlde nichts von ihr zum Geſchenke annahm, worauf ſie ihn mit wirklichen Speiſen bewirthete, und er ſehr zu - frieden mit ihr und ihrem Gaſtmahle abreiſete. Hier - auf gieng er, ſagen ſie, in die Provinz Schirvan, legte daſelbſt den Grund zu Derbent, und gab Be - fehl, daß von da bis an das Euxiniſche Meer eine Mauer errichtet, und Wachtthuͤrme eine Meile weit von einander darauf erbauet werden ſollten, welches auch geſchahe. Sie ſagen ferner, daß die Koͤniginn der Amazonen Thaleſtris ihn in Derbent beſucht habe, deren Laͤnder ſich von da bis an den Fluß Buſtro, an die Grenzen von Circaßien, erſtreckt haͤtten.

Jackhalls und Sand - haſen.
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Nachdem 13 Schiffe mit Lebensmitteln an der Muͤndung des Fluſſes Millukenti fuͤr die Armee von Aſtrakan angekommen waren, marſchirten wir den 24ſten 15 Werſte weit dahin, und fanden ſie vor Anker liegen. Hier entſchloß ſich der Kaiſer, einen Hafen fuͤr ſeine Schiffe an dem Caspiſchen Meere an - zulegen, weil nahe bey Derbent kein bequemerer Ort dazu war, daher ich Befehl erhielt, eine Feſtung zu deſſen Bedeckung anzulegen. Die Dragoner wur - den ſogleich an die Arbeit geſtellt, Faſchinen und Pal -liſaden337liſaden zu machen, und die Jnfanterie mußte graben. Als wir den erſten Abend unſere Feuer angemacht hatten, bekamen wir einen Beſuch von Thieren, die Jackhals genannt werden, und auf eine jaͤmmerliche Art heulten. Das Licht von unſern Feuern hatte de - ren viele von den Bergen herunter gelockt, und ſie machten nahe an der Fronte unſers Lagers ein ſo un - angenehmes Geſchrey, daß wir die ganze Nacht nicht ſchlafen konnten. Da wir nicht wußten, was es war, ſo dauerte unſer Erſtaunen bis an den hellen Morgen, da wir denn viele davon ſchoſſen, und fan - den, daß es eine Art von Fuͤchſen war. Wir ſchoſ - ſen hernach gegen Abend Kanonen ab, die ſie ſo er - ſchreckten, daß ſie in den Bergen blieben. Hier fanden wir auch eine Menge kleiner Thiere, Sandha - ſen genannt, die etwas groͤßer als eine Ratze waren. Der Kopf, der Vordertheil und der Schwanz ſehen wie ein Loͤwe aus, ihre Vorderfuͤße ſind ſehr kurz und die Hinterfuͤße ſehr lang, ſo daß ſie, anſtatt zu laufen, vor - oder ruͤckwaͤrts ſehr geſchwinde huͤpfen, und voͤl - lig 3 Fuß hoch von der Erde ſpringen. Wir mach - ten uns viel Vergnuͤgen, dieſe Thiere zu jagen, ob wir gleich nur wenige davon fangen konnten, weil ſie gleich in ihre Loͤcher krochen; denn ſie graben wie Kaninchen. Sie ſind fett und gut zu eſſen. Jn dieſer Nacht verlohren wir mehr als 700 Pferde, die alle aufſchwollen und zerborſten, weil ſie ein giftiges Kraut gefreſſen hatten, das in dieſen Gegenden im Ueberfluſſe waͤchſet; aber keines von unſern Kamee - len oder Ochſen litt davon, weil ſie, wenn man es ihnen vorhielt, kaum daran rochen. Die Einwoh - ner halten ihre Pferde ſorgfaͤltig davon ab und laſſenYſie338ſie nicht da graſen, wo dieſes Kraut waͤchſt, das nur nahe an der Seeſeite gefunden wird.

Verluſt an Transport - ſchiffen.
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Den 25ſten hatten wir einen ſo wuͤthenden Sturmwind aus Norden, daß unſere 13 Proviant - ſchiffe mit unſerm Proviante ans Ufer getrieben und zertruͤmmert wurden. Die Mannſchaft wurde zwar gerettet, aber in weniger als drey Stunden war nicht das geringſte von den Schiffen zu ſehen, indem alles unter dem von den kurzen Wellen, die ſo geſchwind auf einander folgten, und viel Sand dadurch in die Hoͤhe hoben, begraben war. Den andern Tag war es ganz ſtille, und jedermann mußte nach unſerm ver - lohrnen Poviante graben, den wir auch mit Muͤhe und Arbeit wieder bekamen. Er beſtand meiſtens in Rocken - und Weizenmehl in Saͤcken; das Salzwaſ - ſer war nicht uͤber einen Zoll hineingedrungen, ſo daß es in der Mitte noch voͤllig gut war. Es wurde ſo - gleich unter die Armee vertheilet, und befohlen, Brot daraus zu backen, und Zwieback davon zu machen. Ruſſiſcher Zwieback.Die Ruſſiſchen Soldaten backen ihr Brot beſtaͤndig ſelbſt, und machen ſich Oefen in die Erde, wo ſie hinkommen, und wenn ſie Befehl erhalten, Zwieback zu machen, ſo ſchneiden ſie die Brote, die gemeinig - lich 6 Pfund ſchwer ſind, in kleine viereckigte Stuͤck - chen, die ſie in einem Ofen oder an der Sonne trock - nen, wodurch ſie ſo leicht werden, daß einer ſehr leicht ſo viel Brot tragen kann, als er in 12 oder 14 Ta - gen braucht. Dieſes Brot iſt ſo hart, daß ſie es einweichen muͤſſen, ehe ſie es eſſen koͤnnen; ſie ma - chen es aber niemals, als wenn es die Noth erfordert. Die Ruſſen eſſen den Zwieback ſo gerne, daß ſie be - ſtaͤndig die beſte Art davon in ihren Haͤuſern habenund339und ihn zu Suppen brauchen. Er ſchmecket gut und haͤlt ſich uͤber ein Jahr.

Hier kamen zwey Deputirte in unſerm Lager an,Ein Geſand - ter kommt bey der Ar - mee an. der eine von der Stadt Schamachie und der andere von Baku, die den Kaiſer um Huͤlfe wider den Ty - rannen Myr Maghmud anſprachen. Kurz nach dieſem kamen noch drey andere Abgeſchickte an, naͤm - lich von den Armenianern, Melitenern und den Geor - gianern, die alle die Griechiſche Religion haben. Sie baten den Kaiſer, ihnen einige von ſeinen Truppen zu ſchicken und ſie dadurch in den Stand zu ſetzen, ſich wider den Tyrannen zu vertheidigen, weil ſie gaͤnzlich entſchloſſen waͤren, ihrem rechtmaͤßigen Sophi treu zu bleiben. Den folgenden Tag kam von dem jungen Sophi ſelbſt ein Geſandter an, der ſehr bat, daß un - ſere Armee mit der groͤßten Eil, ihm beyzuſtehen, anruͤcken moͤchte; er erbot ſich zugleich, dem Kaiſer die feſten Staͤdte Reſcht, Schamachie und Baku ein - zuraͤumen. Wir eilten, ſo viel uns immer moͤglich war, die Feſtung und den Hafen zu Stande zu brin - gen, weil wir alsdann ſogleich dieſe Expedition unter - nehmen wollten. Da ſo viele Haͤnde beſtaͤndig arbei - teten, ſo wurde die Feſtung, die aus vier Baſtionen beſtand, und mit einem Graben umgeben war, dar - ein das Waſſer aus dem Fluſſe geleitet wurde, und einen mit Palliſaden beſetzten bedeckten Weg hatte, den 5ten September fertig, worauf ein Capitain mit 200 Mann regulairen Truppen und 300 Koſaken zur Vertheidigung hineingeleget wurde.

Unſere Armee war im Begriffe, den folgendenDie Tuͤrken noͤthigen den Kaiſer zu - ruͤck zu ge - hen. Tag aufzubrechen, als zu unſerm großen Erſtaunen ein Tuͤrkiſcher Geſandter von Schamachie ankam,Y 2und340und dem Kaiſer die Nachricht brachte, daß die Tuͤr - ken dieſe Stadt beſetzet haͤtten, und er auf Befehl des Großherrn ſeines Herrn kaͤme, Seiner Majeſtaͤt den Argwohn anzuzeigen, den die Pforte uͤber ſeine in dieſen Gegenden gemachten Progreſſen habe, und ihn zugleich zu erſuchen, ſeine Truppen zuruͤck zu ziehen; wenn er ſich aber deſſen weigern ſollte, ſo habe er Be - fehl, ſogleich den Krieg wider Rußland zu erklaͤren. Nach genauer Ueberlegung fand der Kaiſer nicht fuͤr gut, weiter zu gehen, weil er in dieſer Verfaſſung nicht mit den Tuͤrken brechen wollte; vornehmlich aber deswegen, weil er mit ſeinen beſten Truppen ſo weit von ſeinem Lande entfernt war. Er entſchloß ſich daher, ſogleich zuruͤck zu gehen, ſo daß dieſes fuͤr jetzt die aͤußerſte Graͤnze von unſerm Zuge nach Per - ſien war, und die Provinzen, die jetzt ſo eifrig un - fern Beyſtand geſucht hatten, ſich nach dieſem unter den Schutz der Tuͤrken begeben mußten.

Veranlaſ - ſung der Per - ſiſchen Unru - hen.
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Die damals in Perſien entſtandenen Unruhen waren durch die Traͤgheit und Nachlaͤßigkeit des Schah Hußein, ihres Koͤniges, verurſacht worden, der ſich weiter um nichts, als um die Ergoͤtzlichkeiten ſeines Harans (oder Seraglios) bekuͤmmerte, und ſei - ne Verſchnittenen nach ihrem Gefallen regieren ließ. Dieſes bewegte die Tartarn, Moguls und Araber, verſchiedene Einfaͤlle in ſeine Provinzen zu thun, die bloß durch Beſtechungen mit Gelde wieder daraus gebracht wurden. Georgi-Chan, der Fuͤrſt von Georgien, war Gouverneur der Stadt Candahar, an der Graͤnze von Jndien; da dieſer erfuhr oder beſorg - te, daß Myr Weis, der Schatzmeiſter, Willens ſey, eine Empoͤrung unter den Aghvans zu erregen, ſoberichtete341berichtete er dieſes an den Hof in Jspahn. Man ließ alſo den Myr Weis kommen, der ſich durch ſei - ne Geſchicklichkeit in kurzem viel Freunde machte, und zugleich die Schwaͤche eines in Vergnuͤgen erſtickten Hofes entdeckte. Er wußte es ſo einzuleiten, daß er nach Candahar mit einem Befehl zuruͤck geſchickt wur - de, wo er gleich nach ſeiner Ankunft den Fuͤrſten Georgi-Chan meuchelmoͤrdiſcher Weiſe umbrachte, und die Aghvans zur Empoͤrung zwang. So erhob er ſich zu der hoͤchſten Gewalt, die er auch, weil der Perſianiſche Hof nicht im Stande war, ihn zum Ge - horſam zu zwingen, bis an ſein Ende behauptete. Jhm folgte ſein Bruder, der aber bald von ſeinem Neffen Myr Maghmud, einem Sohn des Myr Weis, ermordet wurde. Dieſer war es, der ſich zum Herrn von ganz Perſien machte, und den Schah Hußein vom Throne ſtieß. Man hat von dieſem Fuͤrſten nach ſeiner Flucht nie wieder etwas gehoͤret.

Unſere Armee brach den 6ten September auf,Die Armee geht zuruͤck. und wir marſchirten zu großer Betruͤbniß derjenigen Voͤlker, die ſo lange auf unſern Beyſtand gehofft hat - ten, und deren Geſandten uns jetzt mit ſchweren Her - zen verließen, weil ſie ſich in ihrer Hoffnung betrogen fanden, und nunmehr der Gnade und Ungnade des Tyrannen Myr Maghmud ausgeſetzet waren, nach Derbent zuruͤck. Der Tuͤrkiſche Geſandte begleitete uns, bis wir wieder ins Dageſtaniſche einruͤckten. Wir giengen durch Derbent und ſchlugen unſer Lager zur allgemeinen Freude der ganzen Armee, die keinen Gefallen an dem Zuge unter einem ſo wilden und bar - bariſchen Volke hatte, gegen Norden auf. Den 7ten hatte der Tuͤrkiſche Geſandte ſeine Abſchieds -Y 3Audienz,342Audienz, und gieng nach Derbent zuruͤck, wo er ſich ſo lange aufhielt, bis er vernahm, daß wir uns nach Aſtrakan eingeſchifft hatten. Wir ließen 500 Mann in der kleinen Feſtung am Fluſſe Millukenti, und einen Gouverneur mit 3000 Mann Beſatzung in Derbent zuruͤck, und weil wir dieſen Tag 15 Werſte marſchirten, ſo hielten wir den 8ten Raſttag. Der ſtarke Thau fieng nunmehr an zu fallen, und machte, daß wir kalte Naͤchte hatten. Die ſchnelle Veraͤnde - rung der brennenden Hitze des Tages und der kalten Naͤchte machte es unertraͤglich. Den 9ten mar - ſchirten wir abermals 15 Werſte, und hielten den 10ten Raſttag, da denn dieſe Nacht die Berge mit einem tiefen Schnee bedeckt wurden, der ſie ſo kalt machte, daß wir herzlich bedauerten, daß wir unſere warmen Kleider in Aſtrakan zuruͤck gelaſſen hatten, weil wir geglaubt, daß wir ſie in einem ſo heißen Cli - ma nicht noͤthig haben wuͤrden.

Beſchwerli - cher und ge - faͤhrlicher Marſch.
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Wir marſchirten den 11ten 24 Werſte bis an den Fluß Nitzi, wo wir die Feſtung von dem Baron Roue in den gehoͤrigen Stand geſetzet fanden, zu de - ren Vertheidigung wir 100 Soldaten und 200 Ko - ſaken zuruͤck gelaſſen hatten. Hier war es, wo wir von des Sultan Udenachs Armee waren angegriffen worden, und wir fanden, daß ſie die Koͤrper ihrer Landsleute, die wir aus Repreßalien fuͤr die Ermor - dung der Koſaken aufgehangen, des Nachts weg - geſchafft hatten. Hier kam auch ein von Der - bent Abgeſchickter an, und brachte die Nachricht, daß Udenach nebſt dem Perſiſchen Usmei und dem Sultan Maghmud von Utimiſchof 20000 Mann zu - ſammen gebracht haͤtten, und geſonnen waͤren uns inder343der Nacht anzugreifen, daher wir die ganze Nacht, die ſehr kalt war, bis an den andern Mittag unter dem Gewehr ſtehen blieben, weil der Feind immer vor unſern Augen herum ſtreifte. Deſſen ungeach - tet brachen wir wieder auf und machten dieſen Mittag 12 Werſte, auf denen wir den Feind beſtaͤndig ſahen, der ſich bemuͤhte, uns etliche Mahle auf unſerm Mar - ſche anzugreifen, aber bey unſerer Annaͤherung alle - mal die Flucht nahm, uns aber doch beſtaͤndig nahe blieb und zwey von unſern Koſaken zu Gefangenen machte, wir aber drey von ihren Tartarn bekamen. Der Wind gieng dieſen Tag ſo ſtark, daß wir von Sand und Staube faſt blind wurden, welches ſie ſich gern zu Nutze gemacht haͤtten, wenn wir ihnen durch unſere Wachſamkeit nicht zuvor gekommen waͤren. Wir blieben dieſe ganze Nacht, die ſehr thauigt und kalt war, unter dem Gewehre, weil wir aber bald hier bald dort angegriffen wurden, ſo blieben wir durch unſere Bewegung in Waͤrme. Da wir den folgen - den Tag den Feind ſehr nahe bey uns in Schlachtord - nung ſtehen ſahen, ſo ſtellten wir uns auch darein, und blieben die ganze folgende Nacht ſo ſtehen. Es gieng nicht ein einziger Mann aus ſeinem Gliede, weil wir dieſe Nacht faſt von allen Seiten angegriffen wurden, ob ſie gleich, ſobald wir auf ſie zugiengen, die Flucht nahmen. Wir verlohren hier wegen des vorher erwaͤhnten giftigen Krautes wiederum etliche hundert von unſern Pferden.

Den 14ten marſchirten wir 24 Werſte und hat - ten den Feind beſtaͤndig vor Augen, der immer noch an den Bergen herzog, und uns dann und wann mit kleinen Partheyen angriff, bey welcher GelegenheitY 4wir344wir abermal zwey Gefangene bekamen, aber wieder - um die ganze Nacht unter Gewehr bleiben mußten, ohne daß wir unſere Zelte aufſchlagen oder Feuer ma - chen konnten, wodurch die Officiers und Gemeinen durch immerwaͤhrendes Marſchiren, ſchlafloſe Naͤchte und Kaͤlte ſo abgemattet wurden, daß unſere Armee ſehr ſchwach und zum Dienſte unfaͤhig geworden war. Wir marſchirten den 15ten, unſerer Schwaͤche un - geachtet, dennoch 25 Werſte bis nach Tarku, da ſich denn die Feinde, ehe wir noch dahin kamen, verloh - ren. Hier wurden zwey Trompeter mit zwey Koſa - ken, dem Schafkal unſere Annaͤherung bekannt zu machen, abgeſchickt, die wir aber, indem wir an die Stadt anruͤckten, auf der Straße todt fanden. Jh - re Kleider und Pferde wurden bey ſieben Dageſtani - ſchen nach Tarku gehoͤrigen Tartarn gefunden, die wir gefangen nahmen, und in Gegenwart des Schafkals und der Einwohner der Stadt viertheilten, und die Stuͤcke andern zum Beyſpiele an den erhaben - ſten Orten aufhiengen. Der Kaiſer machte dem Schafkal harte Vorwuͤrfe, ſowohl wegen des Mor - des ſeiner Abgeſchickten, als auch wegen ſeiner be - truͤglichen Verbindung mit ſeinen Feinden zum Nach - theil ſeiner Armee. Der Schafkal verſicherte dem Kaiſer, daß er in Anſehung deſſen, was geſchehen ſey, unſchuldig waͤre, und daß ſich ſein Bruder und zwey von ſeinen Soͤhnen an die Spitze eines uͤbelge - ſinnten Corps von ſeinem Volke geſtellet, und wider ihn rebelliret haͤtten. Da er ſie nunmehr eingezogen habe, ſo erſuche er den Kaiſer, ſie und die uͤbrigen Mißvergnuͤgten zu nehmen, und mit ihnen zu thun, was ihm gefaͤllig ſey. Sie wurden uns alſo alleuͤberge -345uͤbergeben, und als Gefangene oder Geiſeln nach Aſtrakan geſchickt.

Wir marſchirten den 16ten wiederum 10 Wer - ſte von Tarku, ohne daß wir im geringſten beunruhi - get wurden. Auf dieſem Marſche riß einer von den aus Tarku gebrachten Gefangenen einem unſerer Ko - ſaken den Saͤbel von der Seite, und hieb ihm faſt den rechten Arm damit ab; indem er ſich aber be - muͤhte zu entwiſchen, ſchoß ein anderer Koſake ihn durch den Kopf. Wir traten unſern Marſch den 17ten wiederum an, und marſchirten 27 Werſte. Unſer Wegweiſer fuͤhrte uns aber von unſerem Wege ab in moraſtigen und ſumpfigen Boden, der uͤber und uͤber mit Rohr bewachſen war, welches große Ver - wirrung bey unſerer Armee verurſachte, und uns noͤ - thigte, in einer ſehr finſtern Nacht zuruͤck zu kehren und uns daraus zu wickeln. Unſer Fuͤhrer wurde, weil man ihn der Verraͤtherey wegen in Verdacht hat - te, geſchloſſen, und, da er ſchuldig befunden wurde, den Morgen darauf gehangen.

Den 18ten marſchirten wir 25 Werſte bis anNeue Stadt Swetago - Kreſt. die Ufer des Fluſſes Sulack, wo ſich der Fluß Agre - chan von ihm trennet. Hier fanden wir auf beyden Seiten des Fluſſes einen ſchoͤnen ebenen Boden, der mit großen Baͤumen und vortrefflicher Weide bewach - ſen war, welches den Kaiſer bewog, hier eine neue und wohlbefeſtigte Stadt anzulegen, um die Dage - ſtaniſchen Tartarn in Furcht zu erhalten, daher ich Befehl bekam, ihm einen Plan zu entwerfen. Der Plan beſtand aus fuͤnf ganzen, und zwey halben Ba - ſtionen zunaͤchſt an dem Fluſſe gegen die ſuͤdliche Sei - te, nebſt Ravelinen und einem verpalliſadirten bedeck -Y 5ten346ten Wege. Auf der Seite gegen Norden waren ſechs Baſtionen, auch mit Ravelinen und einem be - deckten Wege; die beyden Seiten ſollten durch eine Bruͤcke in der Mitte uͤber den Fluß zuſammen haͤn - gen. Der Kaiſer billigte den Plan, und es mußten ſogleich alle Haͤnde unter meiner Aufſicht arbeiten. Es wurden mir auch noch ſechs andere Jngenieurs zu - gegeben, damit dies Werk deſto geſchwinder von ſtat - ten gehen ſollte. Als die Werke angeleget und die Gaſſen eingerichtet waren, ſo wurden eine Menge Leu - te abgeſchickt, Baͤume zu faͤllen und Haͤuſer daraus zu bauen, ſo daß die Befeſtigung und das Bauen zu - gleich geſchahen. Der Kaiſer nannte dieſe neue Stadt Swetago-Kreſt (oder heiliges Kreuz) und er - nannte den General Waterang zum erſten Befehlsha - ber der Armee, die zur Bedeckung und Vollendung der Werke hier gelaſſen werden ſollte. Sie beſtand aus 7000 Dragonern, 5000 Mann regulairer Jn - fanterie und 6000 Koſaken; uͤberhaupt aus 18000 Mann.

Das Fort am Fluſſe Nitzi wird zerſtoͤret.
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Zu eben derſelben Zeit kam ein Expreſſer von Derbent an, und brachte dem Kaiſer die Nachricht, daß ein Corps von 10000 rebelliſchen Perſianern un - ſere Feſtung an dem Fluſſe Millukenti angegriffen, die Beſatzung aber ſich ſo tapfer gewehret haͤtte, daß ſich der Feind mit einem Verluſte von 600 Mann zuruͤckziehen muͤſſen, daß aber die andere Feſtung an dem Fluſſe Nitzi von dem Sultan Udenach uͤberfallen und weggenommen worden ſey, der die ganze Beſa - tzung auf eben dem Platze, wo wir ſeine Leute vor die - ſem hingerichtet hatten, hatte viertheilen und die Offi - ciers kreuzigen laſſen. Eben dieſer Bothe brachteauch347auch Nachricht, daß, ſobald der Sultan Udenach er - fahren gehabt, daß unſere Armee an den Fluß Su - lack geruͤckt ſey, er ſich fuͤr ſicher gehalten, und ſein ganzes Volk aus ihren Schlupfwinkeln in den Bergen gezogen habe, und daß ſie ſich damals mit großer Sicherheit in den Thaͤlern luſtig machten. Der Kai - ſer verlohr keine Zeit, ſondern ſchickte in aller Eil ein Corps leichter Reiterey, welches aus 10000 Koſa - ken und 15000 Kalmuckiſchen Tartarn beſtand, ab, die auch ſo eilten, daß ſie jene uͤberfielen, als ſie in der groͤßten Sicherheit zu ſeyn glaubten, und viele tauſend von ihren Leuten niedermachten, ſo daß die zwey Sultane Udenach und Maghmut mit genauer Noth entwiſchten, und ihre Weiber, Kinder und Vieh, nebſt ihren Sclaven, die zuſammen viele tau - ſend Perſonen beyderley Geſchlechts ausmachten, den Ueberwindern zur Beute uͤberließen. Unter den Sclaven befanden ſich 437 Ruſſen Manns - und Weibsperſonen, die jetzt zuruͤckgelaſſen wurden, die neue Stadt Swetago-Kreſt zu bewohnen. Der Kaiſer gab denen, die ſie gefangen genommen, 2 Ru - bel fuͤr jeden Ruſſen, die uͤbrigen wurden verkauft. Da die Koſaken und Kalmucken dem Kaiſer zu Kriegszeiten ohne Sold dienen, und weiter nichts als Brot bekommen, ſo ſind alle Gefangene, die ſie machen, und die Beute, die ſie bekommen, ihre, und ſie koͤnnen damit machen, was ſie wollen. Als die bey dieſer Gelegenheit gemachten uͤbrigen Gefangenen zum Verkauf ausgeboten wurden, ſo wurden beynahe 200 Georgianiſche Sclaven darunter gefunden, die alle Chriſten und von der Griechiſchen Kirche waren; fuͤr dieſe wurde mit den Verkaͤufern ein Vergleichvon348von 10 Rubeln fuͤr jeden gemacht, die die Kaiſerinn bezahlte, worauf ſie gleichfalls hier gelaſſen wurden, die neue Stadt zu bevoͤlkern. Die uͤbrigen Koſaken, die nicht gebraucht wurden und die Kalmuckiſchen Tartarn, wurden nun durch Circaßien, und durch die Aſtrakaniſchen Wuͤſteneyen, reichlich mit Sclaven und Viehe von allen Arten in ihr Land nach Hauſe geſchickt, nachdem ſie ſich dieſen Feldzug anſehnlich bereichert hatten.

Einſchiffung der Armee zu Agrechan.
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Der Kaiſer machte nunmehr alle Anſtalten zum Marſche nach Moskau. Jch hatte geglaubt, hier zu bleiben, erhielt aber Befehl, den Kaiſer nach Aſtrakan zu begleiten, und die Einrichtung der Wer - ke in meiner Abweſenheit dem Oberſtlieutenant Bru - nie, als Jngenieur, zu uͤberlaſſen, welches ich auch mit vielem Vergnuͤgen that. Da ich meine Kameele und Pferde noch nicht verkauft hatte, ſo nahm es der General auf ſich, ſie, ſo gut er koͤnne, zu ver - kaufen. Wir marſchirten den 1ſten October 30 Wer - ſte laͤngſt den Ufern des Fluſſes Agrechan, bis zu den Trancheen, die unſere Galeeren deckten, die wir bey unſerer Ankunft alle vor Anker, und uns einzuneh - men bereit fanden. Wir ſetzten uns noch denſelben Abend zu Schiffe, und die Flotte blieb noch die ganze Nacht da. Als den folgenden Morgen ein Both vom Ufer mit Proviante fuͤr meine Galeere kam, ſo gieng es unter, ehe es uns erreichen konnte; die Leute wurden zwar gerettet, aber der Proviant gieng ver - lohren. Jch ſchickte ſogleich eine Nachricht von un - ſerm Ungluͤcke an den Admiral, und verlangte einen Beytrag von Proviant; allein er antwortete, daß er uns nicht dienen koͤnne, da die andern Galeeren auchwenig349wenig zu ihren Unterhalte haͤtten. Makarof, des Kaiſers Secretair, der damals bey mir auf dem Schiffe war, wunderte ſich ſehr uͤber die Antwort, und ſagte, daß man einen kleinen Antheil von jeder Galeere nicht vermiſſen, dieſer aber von ſo vielen fuͤr uns zureichend ſeyn wuͤrde. Der Secretair rieth mir ſogleich, ſo geſchwinde als moͤglich nach Aſtrakan zu ſegeln, ohne auf des Admirals Signale zu warten, und erbot ſich, die Folgen davon zu verantworten, wenn ich zur Rechenſchaft deswegen gefordert werden ſollte. Jch war daher entſchloſſen, dieſem Rathe zu folgen, ſobald ich guten Wind haben wuͤrde.

Nachdem den 2ten des Nachmittags das Zeichen, die Anker zu lichten, gegeben worden und es Wind - ſtille war, ruderten wir laͤngſt dem Ufer, bis es finſter ward, da denn das Zeichen zu ankern gegeben wurde. Weil den folgenden Tag noch Windſtille war, ſo ru - derten wir bis in die Nacht; allein als wir vor Anker lagen, entſtand ein wuͤthender Sturm, der die kur - zen Wellen ſo heftig an unſere Galeere warf, daß ſie leck wurde. Ob wir nun gleich noch ſo ſehr plump - ten, ſo nahm doch das Waſſer ſo uͤberhand, daß wir in kurzem zu Grunde zu gehen glaubten. Jch lief in die Cajuͤte herunter, um zu ſehen, wie viel Waſſer unter ihrem Boden ſey, und als ich herein trat, hoͤrte ich das Waſſer unter des Secretairs Bette rauſchen, und rief ſogleich den Zimmermann, die Breter aufzu - heben, da wir denn das Loch entdeckten, das ſo groß war, daß ich den Kopf haͤtte hinein ſtecken koͤnnen. Wir ſtopften es ſogleich zu, und die Pumpen ſchoͤpf - ten das Waſſer in kurzem zu unſerm großen Vergnuͤ -gen350gen aus. Jn dieſem Sturme giengen viele von un - ſern Galeeren verlohren, doch wurden die meiſten Menſchen gerettet. Als es Tag wurde, ſahen wir, daß vier Galeeren verſunken waren und nur die Maſt - baͤume noch uͤber dem Waſſer hervorragten, woran die Menſchen hiengen, bis Kaͤhne kamen und ſie ab - holten. Drey Galeeren waren ſo beladen, daß ſie unterſanken und alle Menſchen umkamen. Nachdem ſich den 4ten der Sturm geleget hatte und der Wind guͤnſtig war, ſo ſegelte die Flotte den ganzen Tag. Da aber die zwey folgenden Tage Windſtille war, ſo mußten wir unſere Zuflucht wieder zu den Rudern nehmen, und laͤngſt dem Ufer hinfahren, welches fuͤr die armen Soldaten ſehr beſchwerlich war, zumal da ſie wenig Lebensmittel bekamen. Der Secretair und ich theilten unter ihnen aus, was wir am Pro - viant und Branntweine entbehren konnten, welches aber unter ſo vielen Menſchen nicht weit reichte.

Da wir den 7ten guͤnſtigen Wind hatten, ſo ſpann - ten wir nicht allein alle unſere Segel auf, ſondern ruderten auch ſo gut wir konnten, ließen alſo die Flot - te in kurzem hinter uns, daß wir ſie nicht mehr ſahen, und fuhren ſo die ganze Nacht fort. Weil aber des Morgens Windſtille ward, ſo mußten wir rudern, ſo ſchlecht auch unſere Umſtaͤnde waren, indem die ar - men Soldaten den groͤßten Hunger litten. Es ſtar - ben an dieſem Tage zwey von ihnen, mehr aus Man - gel an Nahrung als an Krankheit. Zu Mittage er - hob ſich der Wind und befreyte die armen Soldaten vom Rudern, und wir fuhren die ganze Nacht fort, wiewohl ich noch drey von meinen Leuten verlohr. Den351Den 9ten hatten wir den ganzen Tag guten Wind, den wir uns, ſo gut wir konnten, zu Nutze machten, bis wir des Abends ſitzen blieben, wo wir aber doch ver - mittelſt eines Wurfankers ohne den geringſten Schaden wieder loskamen. Dieſes kleine Hinderniß in unſerer Fahrt, benahm den armen verhungerten Soldaten allen Muth, und dieſe Nacht ſtarben wiederum zwey von ihnen. Die uͤberbliebenen ſahen mehr wie Geiſter als Menſchen aus, und waren nunmehr ſo entkraͤftet, daß ſie weder die Ruder noch die Segel regieren konn - ten, und ſogar um Erlaubniß baten, ihre todten Ge - faͤhrten zu eſſen. Hiervon ſuchten wir ſie aber abzu - halten, weil wir mit gutem Winde ſegelten, und in einem Tag in der Muͤndung der Wolga zu ſeyn hoff - ten. Am 10ten war uns der Wind gleichfalls guͤn - ſtig, bis wir des Abends gluͤcklich auf einen Fiſcherkahn ſtießen, auf welchem Fiſche genug waren. Die ar - men verhungerten Leute fielen ſo begierig darein, daß ſie das Sieden derſelben nicht erwarten konnten. Jch war alſo genoͤthiget, den Kahn fortzuſchicken, damit die Leute ſich nicht um das Leben bringen moͤchten. Da uns aber die Fiſcher einen Sack Zwieback gege - ben hatten, der ihnen in kleinen Portionen ausgethei - let wurde, ſo brachte dieſes ſie nebſt den geſottenen Fiſchen ein wenig wieder zu Kraͤften; und die froͤhliche Nachricht, daß viele Proviantſchiffe in der Muͤndung des Fluſſes laͤgen, ſtaͤrkte ſie noch mehr. Jch be - hielt einen von den Fiſchern zu einem Steuermann, und ließ den Kahn mit den Fiſchern nachfahren, im Fall wir noch einige noͤthig haben ſollten. Wir ſe - gelten die ganze Nacht, und es ſtarben in derſelben doch noch viere von meinen Leuten, die ganz gewißvon352von ihren Gefaͤhrten waͤren gegeſſen worden, wenn wir nicht reichlich mit Fiſchen waͤren verſehen geweſen. Den 11ten kamen wir des Morgens in der Muͤn - dung der Wolga an, wo wir Proviantſchiffe mit allen Arten von Lebensmitteln antrafen, von welchen ich be - kam, was wir noͤthig hatten, ſobald ich den Empfang beſcheinigte. Jch verlohr deſſen ungeachtet noch drey Mann, ehe ich an das Ufer kam, ſo daß mir uͤber - haupt auf dieſer Reiſe 14 Mann verhungert waren, und noch 9 an Ueberladung ſtarben, nachdem wir ans Ufer gekommen waren. Hier erwarteten wir die An - kunft der Flotte, welches den 14ten Abends geſchahe. Da des Admirals Apraxin Galeere die erſte war, die in den Fluß einlief, ſo fragte er, was fuͤr eine Galee - re am Ufer ſey, und als er es erfahren hatte, ſchickte er mir Befehl, auf ſeine Galeere zu kommen. Der Secretair Makarof gieng mit mir, und hatte, als wir auf die Galeere gekommen waren, eine lange Un - terredung mit dem Admiral. Jch wurde hierauf auch in die Cajuͤte gerufen, und erhielt mein Lob fuͤr das, was ich gethan hatte, worauf er mich entließ. Weil er mich aber warnte, nichts von dem zu erwaͤh - nen, was vorgegangen war, ſo hatte ich Urſache zu glauben, daß er ſich fuͤrchtete, daß der Kaiſer ſein Verfahren erfahren moͤchte.

Ankunft zu Aſtrakan.
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Den 15ten gieng unſere Flotte den Fluß hinauf nach Aſtrakan, wo wir bey unſerer Ankunft zu unaus - ſprechlicher Freude der Armee von der ganzen Artille - rie der Stadt begruͤßet wurden. Wir wurden den folgenden Tag ausgeſchifft, und in Erholungsquartiere geleget, die wir auch ſehr noͤthig hatten. Eines vonunſern353unſern Hospitalſchiffen war mit 360 Mann auf die Turkiſtaniſche oder Turkomanniſche Kuͤſte auf der Oſtſeite des Caspiſchen Meeres verſchlagen worden, davon nur ein einziger Faͤhndrich, 1 Prieſter und 7 Gemeine zuruͤck kamen, und uns dieſes Ungluͤck an - zeigten; die uͤbrigen waren alle umgekommen oder von den Tartarn gefangen worden. Wir hatten auf dieſem nachtheiligen Zuge mehr als ein Drittel von unſerer Armee, nicht in der Bataille, ſondern durch Krankheit und Beſchwerden, verlohren.

Zu eben der Zeit kam ein Expreſſer von Reſcht, der Hauptſtadt der Provinz Gilan, an der ſuͤdlichen Kuͤſte des Caspiſchen Meeres, an, und erſuchte den Kaiſer, ihnen eine hinlaͤngliche Anzahl Truppen zu ſchicken, ſie wider den Tyrannen Myr Maghmud zu vertheidigen. Sie erboten ſich zugleich, uns ihre feſte Stadt einzuraͤumen. Der Kaiſer ſchickte einen Ober - ſten und zwey Jngenieurs nebſt tauſend Mann zu ih - rem Beyſtande ab; weil aber der Tyrann bey ihrer Landung mit einer zahlreichen Armee nahe bey der Stadt war, ſo fuͤrchteten ſich die Einwohner, unſere Truppen in die Stadt zu laſſen, die ſich alſo am Ufer verſchanzen mußten. Als dieſe Nachricht zuruͤck kam, ſo wurde der General Lewaſaf mit 4000 Mann nachgeſchickt, welche von den Einwohnern bey ihrer Ankunft in die Stadt gelaſſen wurden. Der Gene - ral ließ den Ort ſogleich durch viele Außenwerke fe - ſter machen, ſo daß wir hernach dieſe Provinz behiel - ten, ohne von dem Tyrannen im geringſten belaͤſtiget zu werden.

ZDer354

Der General Lewaſof hatte Befehl, nach ſeiner Landung nach Baku zu gehen, und 2000 Mann Be - ſatzung darein zu legen. Wir kamen aber zu ſpaͤt, weil die Einwohner, nachdem ſie zu Derbent die von uns gehoffte Huͤlfe nicht erhalten hatten, ſich dem Gehorſam des Myr Maghmud unterwerfen muͤſſen, und unſere Truppen alſo nicht in die Stadt ließen.

Jch muß hier bemerken, daß der Argwohn, welchen der Marſch unſerer Armee in dieſe Gegenden bey den Tuͤrken erreget hatte, und die daraus ge - ſchoͤpfte Furcht, von unſerm Geſandten in Conſtan - tinopel hernach beſtaͤtiget wurde, worauf verglichen ward, daß die Tuͤrken Schamachie behalten, und Armenien, Melitene und Georgien unter ihrem Schutze bleiben ſollten; daß es aber dem Kaiſer frey ſtehen ſollte, alle an das Caspiſche Meer graͤn - zende Provinzen unter ſeine Bothmaͤßigkeit zu bringen.

Da der Kaiſer nunmehr entſchloſſen war, in Zu - kunft alle ſeine Eroberungen zur See zu machen, und ſich nicht wieder in die Gefahr zu begeben, ſeine Ar - mee durch Maͤrſche zu Lande zu Grunde zu richten, ſo gab er Befehl, eine hinlaͤngliche Anzahl Laſtſchiffe zu bauen, und weil er auch ſahe, daß unſere Galee - ren zu einem weiten Zuge ebenfalls zu klein waren, ſo befahl er, eine Menge Doppelgaleeren mit 40 Ru - dern zu bauen, wo auf jeder uͤber 300 Menſchen Platz haͤtten. Nachdem er alle noͤthige Anſtalten ge - macht hatte, ſo ließ er den General Matuskin hier,die355die Armee als Chef zu commandiren, und befahl, daß ihn ſeine Leibgarde, die aus 6 Bataillons beſtand, nach Moskau begleiten ſollte. Wir ließen unſere ſaͤmmtliche Galeeren hier, und giengen in offnen Kaͤh - nen die Wolga hinauf, und ſo mußten wir, anſtatt an dieſem Orte auszuruhen, wieder unertraͤgliche Be - ſchwerlichkeiten antreten. Wir, die wir die Ehre hatten, die Leibwache dieſes unermuͤdeten Monarchen zu ſeyn, mußten groͤßere Beſchwerlichkeiten ausſtehen, und mehr Wachen thun, und wurden dabey, wenn etwas verſehen wurde, bey allen Gelegenheiten ſchaͤr - fer beſtraft, als bey ſeiner uͤbrigen Armee.

Z 2Neun -356

Neuntes Buch.

Reiſe auf der Wolga nach Czaritza. Ein Geſpenſt daſelbſt. Kurze Geſchichte der Koſaken. Stephan Ratzins Rebellion. Der Verfaſſer erhaͤlt Befehl, das Caspiſche Meer in Augenſchein zu nehmen, worauf er nach Jaik und Yembo ge - het. Jnſel Kulala und Turkiſtaniſche Tartarn. Meerbuſen bey Jskander. Der Fluß Oxus und die Usbeckiſchen Tartarn. Meerbuſen Ca - rabuga. Fluß Daria. Fluß Oßa. Meer - buſen Aſtrabat. Die Provinzen Terebat und Maßenderan. Der Meerbuſen Sinſili und die Stadt Reſcht. Beſchwerlicher Fußſteig durch die Pylas. Die Fluͤſſe Arteſchin und Linkeran, und die beruͤhmten Naphthagruben. Der Fluß Cyrus oder Kur. Die Stadt Baku. Die Stadt Schamachie. Stadt Derbent. Der Fluß Sulack. Meerbuſen Agrechan, die Jn - ſel Trentzeni und die Stadt Terki. Allgemei - ne Beſchreibung des Caspiſchen Meeres. Wach - thurm auf der Johannes-Jnſel. Des Gene - rals Matuskin Heirath mit der Wittwe in Thraͤ - nen. Streit zwiſchen den Kalmucken, und Feldzug wider dieſelben. Beſchreibung ihrer Kibbets. Ein Treffen mit den Kalmucken. Einige ungereimte Gewohnheiten unter ihnen. Das Baranetz, oder Lammsfelle. Ruͤckkehr auf der Wolga nach Moskau. Schwierigkeit dem Eiſe zu entgehen. Reiſe zu Lande. Ein grauſamer Raub in den Waͤldern. Eine merk -wuͤrdige357wuͤrdige Entdeckung einer Stadt, nebſt der Be - ſchreibung derſelben. Ein in dem Holze gefan - genes wildes Maͤdchen. Ankunft in Moskau.

Der Kaiſer fuhr den 5ten November von hier ab;Reiſe auf der Wolga nach Czaritza. die erſten drey Tage wurden Soldaten an das Ufer geſetzt, die die Kaͤhne wider den Strom ziehen mußten, und alle Stunden abgeloͤſet wurden. Den 8ten hatten wir guͤnſtigen Suͤdwind, und fuhren vier Tage mit Segeln. Den 11ten trafen wir auf Eis, welches in großen Schollen den Fluß herunter kam, und da noch zwey Bataillons von unſern Leuten hinter uns waren, ſo bat ich, und erhielt von dem Briga - dier Kartzmin, unter deſſen Commando ſie ſtanden, Erlaubniß, meine Reiſe ſo geſchwind zu machen als ich koͤnnte, und kam mit vieler Muͤhe und Arbeit den 16ten nach Zornoyar, eine befeſtigte Stadt mit einer ſtarken Garniſon. Da der Fluß dieſe Nacht uͤber und uͤber zugefroren war, ſo ſahe ich mich genoͤthiget, mein Schiff ans Ufer zu ziehen, und ich war der ein - zige Officier von unſerer Diviſion, der das Gluͤck hat - te, daß mein Schiff bey einem bewohnten Orte einge - froren war. Der Kaiſer wurde mit vier Bataillons 40 Werſte vor uns, und der Brigadier Kartzmin mit zwey Bataillons 40 Werſte hinter uns aufgehal - ten, und konnte zu Lande nicht eher als den 19ten nach Zornoyar kommen. Der Kaiſer gieng zu Lan - de nach Czaritza, und wir blieben in Zornoyar, bis die Kalmuckiſchen Tartarn uͤber das Eis heruͤber kamen, ihre Winterquartiere in der Wuͤſteney einzunehmen. Sie machten einen mit Erde bedeckten Weg uͤber das Eis fuͤr ihr Vieh und ihre Pferde, weil ſie nicht be -Z 3ſchlagen358ſchlagen ſind, und alſo eben ſo wenig als ihr anderes Vieh auf bloßem Eiſe gehen koͤnnen.

Von dieſen Tartarn kauften wir fuͤr einen ſehr geringen Preis Pferde, und marſchirten den 17ten December durch ein unfruchtbares wuͤſtes Land, ohne daß wir auf dieſem ganzen Wege ein einziges Haus antrafen, und mußten vier Naͤchte in ſehr kaltem Wet - ter unter unſern Zelten zubringen, wo wir nicht das geringſte haben konnten. Den 21ſten kamen wir des Nachts in Czaritza an, welches 500 Werſte uͤber Aſtrakan liegt. Als der Kaiſer einige Zeit von un - ſerer Ankunft mit den andern Bataillons, um ſo bald als moͤglich nach Moskau zu kommen, von dieſem Orte abgereiſet war, hatte er Befehl hinterlaſſen, daß unſere zwey Bataillons (naͤmlich das Jngermann - laͤndiſche und Aſtrakaniſche) hier in den Winterquar - tieren bleiben ſollten; welchen Befehl wir mit großem Vergnuͤgen annahmen, weil wir gute Quartiere fan - den, und, der ſtarken Beſatzung an Fußvolke und Ko - ſaken ohngeachtet, alles, was wir wuͤnſchten, haben konnten.

Ein Ge - ſpenſt.
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Als ich einmal bey dem Gouverneur ſpeiſete, un - terhielt er uns mit einer langen Geſchichte von einem Geſpenſte, welches man ſehr oft des Nachts auf den Straßen ſaͤhe. Es habe ſich ſchon etliche Jahre hin - ter einander ſehen laſſen, und begegne den Perſonen, die ihm hinderlich ſeyn wollten, mit Schlaͤgen, thue ihnen aber keinen Schaden. Jch bezeugte meine Verwunderung, daß es niemand unternommen habe, ſich dieſes Geiſtes zu bemaͤchtigen, da es nichts an - ders als eine Perſon ſeyn koͤnne, die ſich ein Vergnuͤ - gen mache, Leute zu erſchrecken. Der Gouverneur,der359der ein ſehr leichtglaͤubiger Mann war, antwortete mit einiger Hitze, daß man ſehr deutlich ſaͤhe, daß ich ein Auslaͤnder ſey, die ſelten etwas glaubten. Jch gab ihm zur Antwort, daß er das, was ich geſagt haͤtte, nicht uͤbel nehmen ſollte, weil ich den Geiſt, wenn er es erlauben wolle, daß erſte Mahl, da er ſich auf den Gaſſen wuͤrde ſehen laſſen, arretiren wolle, welches er mit einem Laͤcheln zuließ. Als ich in mein Quartier nach Hauſe kam, fragte ich einen von meinen Sergeanten, ob er etwas von dem Geiſte in der Stadt gehoͤret habe; er antwortete, daß er ihn oft geſehen habe, und glaube, daß ich ihn, wenn ich neugierig ſey, dieſe Nacht ſehen koͤnne. Hierauf be - fahl ich ihm, ſechs ſtarke Leute auszuſuchen, und mit ihnen in mein Quartier zu kommen, und etliche auszu - ſchicken, mir, wenn er ſich ſehen ließe, Nachricht zu geben. Gegen 11 Uhr wurde mir berichtet, daß er in der naͤchſten Straße gienge, worauf ich ſogleich den Sergeanten mit dreyen von den ſechs Leuten abſchickte, ihm entgegen zu gehen, und ihm befahl, ihn, wo moͤglich, gefangen zu nehmen; mit den drey andern folgte ich dem Geſpenſte, im Fall es umkehren ſollte. Allein es gieng dem Sergeanten entgegen, ohne daß es die geringſte Miene zum Umkehren oder zum Ent - wiſchen machte. Als es ergriffen ward, warf es zwey von den Leuten unter ſich, die es aber hielten, bis ich zu ihnen kam; da denn der Geiſt, als ich ihm ei - ne Piſtole auf die Bruſt ſetzte, um ſein Leben bat, und bekannte, daß er ein Koſak von der Garniſon ſey. Jch fuͤhrte ihn ſogleich zum Gouverneur, der ſich ſehr ſchaͤmte, daß er ſich ſo lange hintergehen laſſen, und ſo erzuͤrnet wurde, daß er dem Kerl mit dem HaͤngenZ 4drohete.360drohete. Weil er aber doch weiter nichts gethan, als die Menſchen in Furcht gehalten hatte, ſo kam er noch ſo davon, daß er eine lange Zeit dem Volke in ſeinem weißen Tuche zur Schau ausgeſtellet, und hernach tuͤchtig gepeitſchet wurde.

Kurze Ge - ſchichte der Koſaken.
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Da ich oͤfters Gelegenheit gehabt habe, der Ko - ſaken zu erwaͤhnen, die ſowohl bey unſern Armeen als in Garniſon gebraucht werden, ſo will ich eine kur - ze Nachricht von ihrem Urſprunge zugeben. Sie waren anfaͤnglich nichts, als eine Bande Raͤuber, die aus einem wilden barbariſchen Volke, meiſtens Bauern, aus den Provinzen in dem Pohlniſchen Rußland, Volhinien und Podolien, beſtand. Nach - dem dieſe ihr Vaterland verlaſſen hatten, ließen ſie ſich auf einigen Jnſeln des Dniepers unter Kiow nieder, und lebten daſelbſt von Rauben und Pluͤn - dern. Sie bekamen ihren Nahmen von ihrer Ge - ſchwindigkeit, weil das Wort Coſſa in der Pohlni - ſchen Sprache dieſe Bedeutung hat. Sie machten ſich beſonders durch ihre Geſchicklichkeit bekannt, durch die vielen kleinen Jnſeln, die in der Muͤndung des Dniepers liegen, zu fahren. Jhre Raͤubereyen wur - den den Tuͤrkiſchen Galeeren auf dem ſchwarzen Mee - re in kurzem ſchrecklich, wie ſie denn auch fuͤr Nato - lien ſelbſt furchtbar wurden, indem ſie nicht allein Trebiſond und Sinope pluͤnderten, ſondern auch die Vorſtaͤdte von Conſtantinopel beunruhigten, und mit ihren Gefangenen und dem Raube ſicher wieder in ih - re Wohnungen zuruͤck giengen.

Der Ruf von ihren Thaten wider die Tuͤr - ken machte ſie bey den Pohlen ſo beruͤhmt, daß der Fuͤrſt Batori, Fuͤrſt in Siebenbuͤrgen und Koͤnig inPohlen,361Pohlen, weil er glaubte, daß dieſe Koſaken der Pohl - niſchen Krone nicht allein wider die Einfaͤlle der be - nachbarten Crimmiſchen Tartarn nuͤtzlich ſeyn, ſon - dern auch die Pohlniſche Armee, die meiſtens aus Reiterey beſtand, verſtaͤrken, und fuͤrchterlicher ma - chen koͤnnten, wenn ſie durch eine ſo betraͤchtliche An - zahl von Fußvolke verſtaͤrket wuͤrde, ſich entſchloß, dieſe herumſchweifenden Soldaten in Zucht und Ordnung zu bringen, welches er auch dadurch bewerkſtelligte, daß er ihnen viele Freyheiten ertheilte, und ihnen einen General aus ihrer Mitte gab, welchen ſie Hetmann nennen, und der die Gewalt hat, ſeine Officiers zu ernennen. Nachdem er alſo ein Corps aus ihnen ge - macht hatte, gab er ihnen die Stadt Techimerof am Dnieſter mit allem dazu gehoͤrigen Lande ein, die ſie zu ihrem Hauptſitze und zur Reſidenz ihres Hetmanns machten. Dadurch wurde alſo der große wuͤſte Strich Landes, der ſich am Dnieſter von Bar, Braclaw und Kiow bis an das ſchwarze Meer erſtreckt, ein be - voͤlkertes, mit kleinen und großen Staͤdten angefuͤll - tes Land, welches jetzt die Ukraine*)Ukraine bedeutet in der Pohlniſchen Sprache Graͤnze. genannt wird. So wie nun dieſes Corps der Pohlniſchen Krone, in - dem es ihre Graͤnzen auf dieſer Seite wider die Strei - fereyen der Crimmiſchen Tartarn deckte, große Dien - ſte that, ſo ward es auch einige Zeit hernach ſehr ge - faͤhrlich fuͤr ſie, indem es verſchiedene Mahle die Waf - fen wider die Republik ergriff, wozu verſchiedene groſ - ſe Pohlen Anlaß gaben, deren Bauern (ihre Vaſal - len) niemals gezwungen werden konnten, ſo lange die Koſaken ihre Freyheiten genoſſen, weil taͤglich ſo vieleZ 5Bauern362Bauern zu ihnen uͤbergiengen, daher ſie die Koſaken dem Koͤnige als gefaͤhrlich vorſtellten. Es ward alſo beſchloſſen, an einem Orte, der Kudak heißt, auf ei - ner Spitze Land, die der Fluß Swamer macht, wo er in den Dnieper faͤllt, eine Feſtung anzulegen, weil dieſer Ort ſeiner Lage nach bequem war, die Koſaken im Zaum zu halten, indem er nicht weit von dem Orte lag, wo ſie ſich gemeiniglich verſammelten. Die Koſaken, die die Abſicht der Pohlen merkten, waren nicht Willens, ſich den Zaum uͤber den Kopf werfen zu laſſen, und nachdem ſie 200 Mann, die unter dem Commando eines Oberſten, bis die Feſtung fer - tig ſeyn wuͤrde, zuͤruͤck gelaſſen worden, geſchlagen hatten, brachten ſie ein betraͤchtliches Corps Truppen zuſammen, den Pohlniſchen General an ſeinem Vor - haben zu hindern, und von dieſer Zeit an gab es be - ſtaͤndig Zwiſtigkeiten und Kriege zwiſchen den Pohlen und Koſaken. Waͤhrend dieſer Unruhen begaben ſich viele Koſaken mit ihren Familien an den Fluß Don oder Tanais, und ließen ſich zwiſchen dem Don und der Wolga nieder, wo ſie lange Zeit von ihren Raͤubereyen auf der Wolga lebten.

Nachdem ſie im Jahre 1653 von den Pohlen ziemlich unter das Joch waren gebracht worden, ſo vereinigten ſie ſich das folgende Jahr mit den Ruſſen, und nahmen durch ihren Beyſtand die Staͤdte Smo - linsko und Wilna weg, ſo daß man es hauptſaͤchlich der Tapferkeit der Koſaken zu danken hatte, daß die Provinzen Smolinsko und Servien nebſt der Woi - wodſchaft Kiow mit dem Ruſſiſchen Reiche verbunden, und ihm in dem Oliver Frieden 1666 eingeraͤumet und beſtaͤtiget wurden. Um dieſe Zeit begaben ſichdie363die Koſaken uͤberhaupt unter Ruſſiſchen Schutz, und werden noch durch die Namen der Ukrainer und Do - niſchen Koſaken unterſchieden; die erſtern dienen mei - ſtens zu Fuße, die letztern aber alle zu Pferde. Es waren die Doniſchen Koſaken, welche dieſes Mahl auf unſerm Zuge gebraucht, und in die Graͤnzſtaͤdte in Beſatzung geleget wurden, da ſie denn Sold und Futter fuͤr die Pferde bekommen. Sie rauben nun - mehr nicht weiter, ausgenommen wenn ſie in ein feind - liches Land geſchickt werden; alsdann iſt die ganze Beute, die ſie machen, ihre, wie auch die Gefange - nen, die ſie bekommen, die ſie als ihre Sclaven ver - kaufen, oder behalten koͤnnen.

Die Koſaken ſind uͤberhaupt groß, ſtark, geſetzt und beſonders lebhaft; ſie ſind auch bis zur Ver - ſchwendung freygebig, indem ſie den Reichthuͤmern keinen großen Werth beylegen, aber große Liebhaber von ihrer Freyheit ſind, die ſie als eine unſchaͤtzbare Sache anſehen. Sie ſind verwegen, unermuͤdet, tapfer, aber große Trunkenbolde und betruͤgeriſch. Jhr Hauptgeſchaͤfte iſt Jagen und Fiſchen, doch le - gen ſie ſich auch auf den Ackerbau und die Waffen; ihre Sprache iſt ein Dialect der Ruſſiſchen und Pohl - niſchen Sprache, aber feiner und angenehmer, als eine von beyden; ſie bekennen ſich zu der Griechiſchen Religion, wie ſie in Rußland eingefuͤhret iſt.

Jm Jahre 1169, als Alexis (des jetzigen Kai -Stephan Ratzins Em - poͤrung. ſers Vater) Kaiſer war, wurde von einem Doni - ſchen Koſaken, Stephan Ratzin, eine gefaͤhrliche Rebellion erreget. Dieſer bemerkte bey den Nogayi - ſchen Tartarn im Koͤnigreiche Aſtrakan, welche unter den ſchweren Bedruͤckungen der Ruſſiſchen Gouver -neurs364neurs in dieſen Gegenden ſeufzeten, eine Neigung, das Ruſſiſche Joch abzuſchuͤtteln, und brachte alſo ein betraͤchtliches Corps zuſammen, und marſchirte, da ihm viele von den Doniſchen Koſaken beyſtunden, an ihrer Spitze wider die Stadt Aſtrakan, die er bela - gerte und nach einem kleinen Widerſtande einnahm. Von da gieng er auf Caſan zu, und drohete nicht al - lein dieſer Stadt, ſondern auch dem ſuͤdlichen Ruß - lande mit einem fuͤrchterlichen Einfalle, weil ſich ſeine Armee durch die vielen Tartarn, die ſich zu ihm bega - ben, ſehr vermehrte. Aber anſtatt ſich dieſer Gele - genheit zu ſeinem Vortheil zu bedienen, uͤberließ er ſich allen Arten von Ausſchweifungen und Schwelge - rey, wodurch die Ruſſen Zeit bekamen, ihre Armee zuſammen zu ziehen und ihn in ſeinem Fortgange auf - zuhalten. Sie eilten hierinn ſo ſehr, daß ſie eher in Caſan ankamen, als er dieſen Ort belagern konnte, und nachdem ſie alſo alle Gemeinſchaft zwiſchen den herumliegenden Gegenden abgeſchnitten hatten, aus denen Aſtrakan und die dabeyliegenden Gegenden mit Korn verſehen werden, ſo gerieth dieſe rebelliſche Ar - mee aus Mangel des Unterhalts in ſolſche Noth, daß die Tartarn, die ſich vor der ihnen naͤhernden Gefahr fuͤrchteten, meiſtentheils ihren Anfuͤhrer verließen. Deſ - ſen ungeachtet hielten die Koſaken tapfer aus, beſchloſ - ſen, das Feld wider die Ruſſen zu behaupten, und verſchanzten ſich daher an den Mauern bey Aſtrakan. Als die Ruſſen den feſten Entſchluß der Koſaken ſa - hen, ſo hielten ſie es fuͤr beſſer, ſie, wo moͤglich, durch gelinde Mittel und durch ein Verſprechen, ihnen alles vergangene zu vergeben, als durch Gewalt der Waf - fen, zum Gehorſam zu bringen, welches auch den ge -wuͤnſchten365wuͤnſchten Erfolg hatte. Denn als Ratzin merkte, daß ſeine Koſaken wankelmuͤthig wurden, und ihm einige von ſeinen Freunden an des Kaiſers Hofe Hoff - nung zur Vergebung machten, ſo ergab er ſich das fol - gende Jahr dem Czar Alexis Michaelowitz auf Gnade und Ungnade. Da ſich nun ſeine Parthey ihres An - fuͤhrers beraubet ſahe, ſo nahm ſie den angebotenen Pardon bereitwillig an; aber Ratzin fand ſich kurz darauf in ſeiner Hoffnung ſehr betrogen, denn er wur - de mitten unter einer Menge Zuſchauer, die ſich ver - ſammelt hatten das traurige Ende eines Mannes zu ſe - hen, vor dem ſie ſich ſeit nicht vielen Monaten, als vor ihrem aͤrgſten Feinde, gefuͤrchtet hatten, auf den groſ - ſen Marktplatz vor dem Schloſſe in Moskau gefuͤhret, wo ihm erſt die Arme, hernach die Beine und zuletzt der Kopf abgehauen wurde. Seit dieſer Zeit ſind die Koſaken in ſehr ſtrenger Zucht und Ordnung ge - halten worden, indem ſie meiſtens in den Graͤnzſtaͤd - ten zur Beſatzung gebraucht werden, von der ſie niemals uͤber ein Drittheil ausmachen. Da ſie alle zu Pferde ſind, ſo werden ſie auch auf Streifereyen gebraucht, die benachbarten Tartarn in Furcht zu er - halten, da hingegen die Ruſſiſchen Soldaten nur in Garniſonen Dienſte thun.

Jndem wir uns Hoffnung machten, nach Mos -1722. Befehl zur Beſichtigung des Caspi - ſchen Meeres. kau zu gehen, erhielten wir dieſen Fruͤhling ſehr zeitig Befehl, nach Aſtrakan zuruͤck zu gehen, und dort in Garniſon zu bleiben, bis der General Matuskin, der Befehl erhalten hatte, nach Baku zu gehen, und die Stadt mit ſeinen Truppen wieder einzunehmen, zu - ruͤck kaͤme. Wir fuhren alſo den 2ten April von Czaritza die Wolga herunter, und kamen den 8ten inAſtrakan366Aſtrakan an, wo wir den General, der ſeine Truppen zu dem Zuge nach Baku einſchiffte, antrafen. Jch erhielt zu eben der Zeit auch einen ſehr unvermuthe - ten Befehl, um das Caspiſche Meer herum zu fah - ren, es zu beſichtigen, deſſen Tiefe zu unterſuchen, und von allen Jnſeln, Fluͤſſen, Baien und Meerbu - ſen nebſt ihren verſchiedenen Tiefen eine Carte zu ver - fertigen. Jch bekam hierzu eine von den neuerbau - ten Galeeren mit 40 Rudern, die zwey 18pſuͤndige Kanonen auf ihrem Vordertheile, 24 Drehbaſſen, und 300 Mann fuͤhrte, und 4 Bothe, zwey mit 8, eines mit 10 und eines mit 12 Rudern, bey ſich hat - te, wovon jedes eine Drehbaſſe fuͤhrte. Ueberdieß wurden mir auch noch zwey Jngenieurs zu meinem Beyſtande gegeben.

Der Verfaſ - ſer geht da - hin ab.
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Meine erſte Sorge war alſo, mich gegen die Wi - derwaͤrtigkeiten, welche meine letzte Galeere, die ich auf dem Caspiſchen Meere commandirte, betrafen, dadurch vorzuſehen, daß ich mir einen großen Vorrath von Proviant anſchaffte. Mein alter Freund, der Ca - puciner, machte mir ein Geſchenk mit zwey Faͤßchen ſehr guten rothen und weißen Wein, und mit einem Viertelfaͤßchen Branntwein, und verſchiednen Arten von Gebackenem, und wurde nicht muͤde, mir ſeine Dankbarkeit fuͤr die kleine Gefaͤlligkeit, die ich ihm auf ſeiner Fahrt erwieſen hatte, zu bezeigen. Der Gene - ral fuhr den 15ten April mit ſeiner Armee ab, und wir giengen den 18ten den Fluß hinunter und ka - men den andern Morgen in der Muͤndung der Wol - ga an. Von da wendeten wir uns gegen Oſten, und fuhren laͤngſt der Kuͤſte, die ſo ſehr mit Rohr be - wachſen war, und in ſo ſeichtem Waſſer, daß wiruns367uns 5 bis 6 Meilen vom Ufer entfernen mußten, doch nur 10 bis 12 Fuß Waſſer hatten, und in acht Tagen keinen Ort finden konnten, wo wir auch nur mit einem kleinen Bothe haͤtten landen koͤnnen. Wir ſahen auf unſerm Wege zwey kleine Jnſeln, zu denen wir aber des Rohres wegen nicht kommen konnten. Wir ſchoſſen indeſſen viele Waſſervoͤgel, die ihre Ne - ſter auf dieſen Jnſeln haben, und hatten auch Fiſche in Menge. Wir ſegelten und ruderten, nachdem es der Wind erforderte, warfen aber alle Abende Anker, damit unſerer Beobachtung nichts entgehen moͤge.

Wir kamen den 6ten in dem Fluſſe Jaik an,Der Fluß Jaik. deſſen Muͤndung 100 Faden breit und 18 Fuß tief iſt. Wir begaben uns nach der Stadt Jaik, die gegen eine Meile an dem Fluſſe hinunter lieget, wohl befeſtiget iſt und eine ſtarke Beſatzung von Ruſſen und Koſaken hat, die Kalmucken und Nogayiſchen Tartarn in Furcht zu erhalten und ſie zu hindern, daß ſie einander nicht angreifen, indem ſie in beſtaͤndiger Feindſchaft leben. Die Nogayer bewohnen das gan - ze Land laͤngſt der Seekuͤſte von Aſtrakan bis Jaik, welches 250 Werſte lang iſt, und die Kalmucken be - wohnen den großen Strich Landes von Saratof und der großen Steppe Beriket, und den Strich, welcher der Stadt Jaik gegen Suͤden lieget, laͤngſt dem Ufer des Fluſſes Yembo, welches von dieſem Orte auf 43 Werſte betraͤgt. Wir hielten uns nur einen ein - zigen Tag in Jaik auf, und verſorgten uns mit fri - ſchen Lebensmitteln und mit Waſſer. Da ich von dem Gouverneur erfuhr, daß von dieſem Orte gegen Suͤden, auf den Fluß Yembo zu, ein großer Meer - buſen, das Waſſer aber zu ſeicht ſey, als daß wirmit368mit unſerer Galeere nahe hinzu konnten, ſo ſchickte ich einen von den Jngenieurs mit zwey Bothen ab, um denſelben herum zu fahren, ihn zu beſehen, und an der entgegen ſtehenden Spitze wieder zu uns zu ſtoßen, in welcher Abſicht wir ſogleich abfuhren, gegen Suͤ -Jnſel Ku - lala. den ſegelten, und den 30ſten zwiſchen der Jnſel Ku - lala, und der Spitze der See in einer Tiefe von 6 Faden ankerten. Wir hatten die Gebirge Karagan vor uns, und von hier an hatten wir reines und hohes Ufer. An dieſem Orte fangen ſich die Turkiſtaniſchen Laͤnder, oder die Turkomanniſchen Tartarn an. Waͤh - rend unſeres Aufenthalts, da wir hier auf die Zuruͤck - kunft des Jngenieurs warteten, und Holz und Waſ - ſer in Menge hatten, vergnuͤgten wir uns mit Fiſch - und Voͤgelfangen. Wir fiengen einen Beluga, der beynahe 6 Ellen lang und nach Proportion dick war, und aus deſſen Rogen wir vortrefflichen Caviar mach - ten, von dem wir uͤber einen Monat zu eſſen hatten. Den 10ten May kam unſer Jngenieur mit den zwey Bothen wieder, und berichtete, daß er in Beſichti - gung der Bay nur von 5 bis 10 Fuß Waſſer gefun - den habe; daß das ganze Ufer ſo mit Rohr bedeckt ſey, daß ſie bloß in der Muͤndung des Fluſſes Yem - bo, der breit und tief ſey, haͤtten landen koͤnnen.

Wir verließen den 11ten die Jnſel Kulala und fuhren auf den Meerbuſen Jskander zu, wo wir den 20ſten ankamen. Laͤngſt dieſer Kuͤſte dahin iſt das Waſſer ſo tief, daß wir mit unſerer Galeere uͤberall lan - den konnten. Es fallen von den Bergen eine Men - ge Fluͤſſe in die See, deren Nahmen wir aber nicht erfahren konnten, ob ich mich gleich darum bemuͤhte, und ein Both mit 12 Rudern nebſt einem Officiermit369mit 24 Mann, und einen Dolmetſcher abſchickte, der mit den Leuten auf dem Ufer reden ſollte. Sie wa - ren aber kaum nahe genug gekommen, als die Tar - tarn eine ganze Menge Pfeile auf ſie abſchoſſen, un - ſere Leute aber dieſe Begruͤßung durch eine Salve aus ihrem kleinen Gewehre erwiederten, worauf wir eine von unſern Kanonen auf ſie abfeuerten, welches ſie denn bewog, ſich mit großer Eile gegen die Berge zuruͤck zu ziehen. Sie kamen allemal in großen Par - thien zum Vorſchein, und wir ſahen in der Ferne verſchiedene von ihren Horden und Lagern, die ſie nach Belieben abbrechen, und damit von einem Orte zum andern ziehen; denn dieſe Tartarn haben keine gewiſſe Wohnung. Sie begleiteten uns taͤglich in großen Parthien, und gaben auf unſere Bewegungen Ach - tung, doch ſo, daß wir ſie mit unſern Kanonen nicht erreichen konnten, und ſie endlich voͤllig verlohren, als wir in den Meerbuſen Jskander ankamen, wel -Meerbuſen Jskander. cher 184 Werſte von der Jnſel Kulala entfernt iſt. Jn dieſem Meerbuſen, der von Oſten gegen Weſten 30 Werſte lang und 18 breit iſt, fanden wir nahe am Ufer von 5 zu 6 Faden Waſſer, wie auch reinen und guten Boden zum Ankern. Er wuͤrde einer der beſten Haͤfen in der Welt ſeyn, indem beyde Seiten ſehr bequem ſind, Feſtungen zu deſſen Vertheidigung anzulegen. Er liegt im 43ſten Grade und 20 Mi - nuten gegen Norden, und es fallen viele kleine Fluͤſſe von den Bergen hinein.

Wir verließen den 26ſten den Meerbuſen Jskan -Fluß Oxus. der, und fuhren zwey Tage laͤngs dem Ufer in guter Tiefe, und kamen endlich in den Fluß Oxus, der 90 Werſte von dem Meerbuſen entfernt iſt. DieſerA aFluß370Fluß iſt breit und ſchnell, und iſt am Eingange un - gefaͤhr einen Flintenſchuß breit. Hier trafen wir einige unbewaffnete Tartarn an, die uns etliche Schafe ver - kauften, und uns ſagten, daß viele Turkomanniſche Tartarn nicht weit davon den Fluß hinauf an den Ufern des Fluſſes ihre Horden aufgeſchlagen haͤtten, und daß die Usbeckiſchen Tartarn, auf der andern Seite des Fluſſes, der dieſe zwey Nationen theile, im Lager ſtuͤnden. Wir hatten bisher nichts als ſchoͤnes Wetter, Stille und ſchwache Winde gehabt; dieſeUsbeckiſche Tartarn. Nacht aber mußten wir einen fuͤrchterlichen Sturm ausſtehen, wobey es regnete, donnerte und blitzte, welches uns noͤthigte, unſere Galeere eine halbe Werſt der Sicherheit wegen den Fluß hinauf zu fahren, wo wir mitten im Strome ankerten, weil wir uns aus Furcht vor den Tartarn auf keine Seite wagten, in - dem die Turkomanniſchen gegen Norden und die Usbeckiſchen in einer kleinen Entfernung herum ſtreif - ten. Der Sturm dauerte bis an den Mittag des an - dern Tages, da wir denn den Oxus verließen, und laͤngs dem Ufer in tiefem Waſſer und reinem Boden ſegelten, und beſtaͤndig von Partheyen und Usbecki - ſchen Tartarn begleitet wurden, die in einiger Entfer - nung von den Seiten der Berge auf unſere Bewe - gungen Achtung gaben. Wir fuhren bey zwey klei - nen mit Baͤumen bewachſenen Jnſeln, (die Labeyie - Jnſeln genannt,) vorbey, wo wir uns mit Holze ver - ſahen, und viele Meervoͤgel ſchoſſen.

Meerbuſen Carabuga.
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Den 2ten Junii kamen wir in dem Meerbuſen Carabuga an, der 105 Werſte vom Fluſſe Oxus entfernt iſt. Der Eingang in den Meerbuſen iſt ohngefaͤhr 2 Werſte breit, und eine Werſt hinein iſteine371eine kleine Jnſel, wo wir mit unſerer Galeere lande - ten und unſere Leute ein Lager aufſchlugen, ſich an dem Lande zu erholen, und unſere Galeere zu reinigen. Hier ſchickte ich meine zwey Gehuͤlfen mit den zwey groͤßten Bothen ab, den Meerbuſen in Augenſchein zu nehmen; ich befahl ihnen an beyden Seiten ſo lan - ge zu fahren, bis ſie zuſammen kommen wuͤrden, und alsdann wieder auf die Jnſel zuruͤck zu kommen. Jn - deſſen unterſuchte ich die Tiefe des Einganges, und fand das Waſſer von 5 bis 6 Faden tief; wenige Werſte hinein aber konnten wir den Boden nicht er - reichen, wie ich denn auch weder einen Ab - noch Zu - fluß wahrnahm. Der Meerbuſen iſt von Norden gegen Suͤden 75 Werſte lang, und von Oſten gegen Weſten 50 breit, hat tiefes Waſſer, einen reinen Boden, und rings herum ein ſteiles Ufer. Er iſt von hohen Bergen umringt, und von Oſten fallen zwey große Fluͤſſe (die Morga und der Herat) darein. Den Eingang machen zwey ſchmale Landſpitzen, daher er leicht ſicher und feſt gemacht werden koͤnnte, wobey dieſe Jnſel, die 2 Meilen im Umfange hat, den Schiffen zum Schutze dienen koͤnnte. Da in dem Caspiſchen Meere keine Ebbe und Fluth iſt, ſo haben einige vorgegeben, daß das Waſſer durch dieſen Meer - buſen abfließe, welches mich begierig machte, ihn ge - nauer zu unterſuchen; ich habe aber nicht den gering - ſten Grund einer ſolchen Muthmaßung gefunden.

Nachdem wir uns unter dem Schatten der Baͤu - me in dieſem heißen Clima, ohne die geringſte Furcht vor den Tartarn, recht wohl befunden hatten, reiſeten wir den 22ſten von hier ab, und fuhren ſechs Tage lang in ſehr heißem Wetter laͤngs der Kuͤſte, ohneA a 2den372den geringſten Wind zu haben, hin, welches den ar - men Soldaten, da ſie beſtaͤndig rudern mußten, ſehr beſchwerlich ward. Wir warfen jede Nacht die An - ker, hatten beſtaͤndig Blitze und auch zuweilen ſchreck - liche Donnerſchlaͤge, die waͤhrend des Sommers in dieſem Lande ſehr gewoͤhnlich ſind. Wir wurden je - den Tag von großen Partheyen Usbeckiſcher Tartarn laͤngs dem Ufer begleitet, die ſehr unzufrieden mit unſern Abſichten zu ſeyn ſchienen, welches uns noͤthig - te, ſo oft wir nach friſchem Waſſer ans Ufer ſchicken wollten, aus unſern großen Kanonen auf ſie zu feuern, die ſie von uns entfernten, und wir uns alſo ver - ſorgten.

Der Fluß Daria.
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Hundert und vierzig Werſte von Carabuga gegen Suͤden, kamen wir den 28ſten in die Muͤndung des beruͤhmten Fluſſes Daria, welche ſich in 39ſten Gra - de 15 Minuten noͤrdlicher Breite befindet. Hier iſt es, wo man den aus den Gebirgen abgeſpielten Gold - ſand findet, und wo der ungluͤckliche Fuͤrſt, Alexander Beckewitz, vor wenig Jahren nebſt einer Armee von 3000 Mann, wie ich oben erwaͤhnet habe, von den Usbeckiſchen Tartarn meuchelmoͤrderiſcher Weiſe um - gebracht wurde. Jch ſahe nunmehr den Ort, wo die Feſtung errichtet worden war, auf einem ſchmalen Strich Landes, der Muͤndung des Fluſſes gegenuͤber, die einen geraumen Hafen macht, worinn eine Men - ge Laſtſchiffe Platz haben, weil daſelbſt bis ans Ufer 3 bis 4 Faden tiefes Waſſer, und ſehr guter Boden zum Ankern iſt, ſo daß es alſo ſehr zu bedauern war, daß ſich dieſer Fuͤrſt von den betruͤgeriſchen Tartarn ſo hintergehen ließ. Wenn dieſer Poſten waͤre be - hauptet worden, welches ohne viel Gefahr haͤtte ge -ſchehen373ſchehen koͤnnen, ſo koͤnnte er mit der Zeit vieles zu dem Wohlſtande der Ruſſiſchen Nation beygetragen haben. Jch war geſonnen, den Fluß ein wenig hinauf zu ge - hen; da aber die Tartarn gleich bey unſerer Ankunft aufgebracht worden waren, und ſchon in fuͤrchterlichen Partheyen aus ihrem Lager ankamen, ſo mußte ich dieſen Vorſatz fahren laſſen und mich von dem Orte weg begeben. Nachdem wir nun bey zwey Meerbu - ſen und drey Jnſeln, die Ziegen-Jnſeln genannt, vorbey gefahren waren, ſo warfen wir bey einer von dieſen Jnſeln auf dieſe Nacht Anker, wo wir ans Land ſtiegen, eine Menge Ziegen ſahen, und fuͤnfe davon ſchoſſen.

Den folgenden Tag, den 29ſten, kamen wir nachFluß Oſſa. Minkislack auf der noͤrdlichen Seite des Fluſſes Oſſa, 60 Werſte von Daria. Dieſer Fluß ſcheidet die Usbeckiſche Tartarey von Perſien, und iſt breit und tief, und die Schiffe koͤnnen hier ſicher vor Anker lie - gen. Wir freuten uns, daß wir hier Leute antrafen, die in Haͤuſern wohnten; denn wir hatten ſeit der Zeit, da wir von Aſtrakan abgereiſet waren, ausgenommen in Jaik, kein Haus geſehen. Die Einwohner in Minkislack waren hoͤflich und freundlich. Sie leben nach Perſiſcher Art, ſind auch Perſiſche Unterthanen, und wir konnten alle Arten von Erfriſchungen fuͤr ei - nen ſehr geringen Preis bekommen, hatten auch nach dieſem nicht mehr die Ehre von Tartarn begleitet zu werden. Von Minkislack fuhren wir an einem reinen Ufer in tiefem Waſſer, wo eine Menge kleine Fluͤſſe in das Meer fielen, und wir uͤberall mit unſerer Galeere landen konnten. Das Land, welches einen Ueberfluß an Doͤrfern hat, iſt mit fruchtbaren Baͤumen bewachſen.

A a 3Den374
Meerbuſen Aſtrabat.
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Den 4ten Julii kamen wir am Eingange des Meerbuſens bey Aſtrabat, 150 Werſte von Minkis - lack, an; wir fuhren hinein und ankerten daſelbſt. Die Stadt Aſtrabat ſtehet am Fluſſe Naren, der 30 Werſte vom Eingange in den Meerbuſen faͤllt. Der Meerbuſen ſelbſt hat 66 Werſte von Oſten gegen Weſten und iſt uͤberall 2 und einen halben Faden tief. Aſtrabat iſt mit hohen und dicken Mauern befeſtiget, und auf den Seiten mit Thuͤrmen umgeben, und iſt ein großer Handelsplatz. Sie macht die aͤußerſte Spitze des Caspiſchen Meeres gegen Suͤden, und liegt 36 Grade 50 Minuten noͤrdlicher Breite. Die - ſe Provinz nebſt den benachbarten Provinzen Terebat, Maßanderan und Gilan erzeugen viel rohe Seide, Kaffee, Safran und Baumwolle; ihre Seide wird fuͤr die beſte in Perſien gehalten, und ſie treiben da - mit einen großen Handel nach verſchiedenen Gegen - den, beſonders aber nach Rußland, wo in Moskau eine Seitenfabrik errichtet iſt. Dieſes Land hat ei - nen Ueberfluß an ſchoͤnen Fruͤchten von allen Arten, beſonders ſind die Weintrauben von außerordentlicher Groͤße. Jndem wir von hier laͤngs dem Ufer an die - ſem Lande fuhren, erkundigten wir uns ſehr genau bey den Einwohnern nach den Wirbeln, die in einigen alten Charten nahe bey dieſem Ufer angegeben ſind, konnten aber weder etwas davon ſehen noch hoͤren. Als wir bey den Provinzen Terebat und Maßanderan vorbey fuhren, ſahen wir ſehr ſchoͤnes Land, das an Pflan - zungen von Maulbeerbaͤumen einen Ueberfluß in Men - ge hatte, deren Ufer mit Haͤuſern beſetzt waren, wo wir ausſtiegen, und viel Hoͤflichkeit von den Leutengenoſſen,375genoſſen, die uns auch alles, was wir noͤthig hatten, um einen ſehr wohlfeilen Preis verſchafften.

Am 18ten kamen wir in den Meerbuſen Sinſili,Meerbuſen Sinſili. Stadt Reſcht. 170 Werſte von Aſtrabat; wir fuhren durch denſel - ben und hatten 16 Werſte lang bis nach Reſcht, der Hauptſtadt in der Provinz Gilan, die an der Muͤn - dung des Fluſſes Kiſiloſein ſtehet, 4 Faden Waſſer. Der Meerbuſen erſtreckt ſich 18 Werſte von Oſten gegen Weſten; die Stadt iſt ins Gevierte gebauet, und eben ſo wie Aſtrabat mit ſtarken Mauern und Thuͤrmen befeſtiget.

Der jetzige Gouverneur hieß Lewaſof und hatte eine Beſatzung von 5000 Mann. Sie waren eben mit Erbauung einer Feſtung von fuͤnf Baſtionen be - ſchaͤftiget, die ſowohl die Stadt als den Hafen be - ſchießen ſollte. Weil aber ihr vornehmſter Jnge - nieur, der Capitain Sager, nach einer ſchweren Krankheit, blind geworden war, und ſie zu Erſetzung ſeiner Stelle einen andern noͤthig hatten, ſo erſuchte mich der General, daß ich ihm den Lieutenant Hart - mann, einen von meinen Gehuͤlfen, als Jngenieur uͤberlaſſen moͤchte, welches ich auch that, zumal da mich der Lieutenant ſelbſt darum erſuchte, weil ich ihn jetzt nicht mehr ſo noͤthig brauchte. Die Beſatzung hatte auch viele von ihren Leuten durch eine in heißen Gegenden ſehr gewoͤhnliche Krankheit verlohren. Die Lebensmittel waren gegenwaͤrtig ſelten und theuer, weil die Rebellen das ganze Land bis Baku gepluͤn - dert und verwuͤſtet hatten, und was ſie zum Unterhal - te der Einwohner und der Garniſon hatten, das beka - men ſie von Aſtrakan. Sie ſchickten die rohe Seide, an der die Einwohner einen großen Ueberfluß hatten,A a 4weil376weil ſie waͤhrend der Unruhen keine verkaufen koͤnnen, in den Transportſchiffen, auf denen die Truppen nach Reſcht gekommen waren, nach Aſtrakan, woher ſie Lebensmittel dafuͤr erhielten.

Der Paß die Pylaͤ ge - nannt.
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Einige Werſte hinter der Stadt iſt eine durch hohe Berge, die Pylaͤ genannt, gehauene Straße, worauf nur ein Kameel oder Pferd gehen kann, ſo daß ſie hinter einander hergehen muͤſſen. Dieſe Straße hat durchaus Stufen fuͤr die Thiere; jeder - mann fuͤhret ſein Pferd lang am Zaume, weil es einen falſchen Schritt thun, und alſo einen tiefen Abgrund hinunter in den Fluß Kiſiloſein fallen kann, der unten mit großem Geraͤuſche vorbey fließt. Auf der andern Seite haͤngen fuͤrchterliche Felſen uͤber die Straße, die auf die Reiſenden herab ſtuͤrzen zu wollen ſcheinen, und es alſo zu keiner angenehmen Reiſe machen. Wenn ſich Reiſende begegnen ſollten, ſo waͤre es kei - nem moͤglich auszuweichen, daher wird allemal einer voraus geſchickt, damit ſich dieſes nicht zutragen moͤge.

Flůſſe Arde - ſchin und Linkeran.
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Nachdem wir uns zwey Wochen in Reſcht auf - gehalten hatten, fuhren wir wiederum gegen Norden an einem reinen Ufer ab, bey dem Fluſſe Ardeſchin vorbey und kamen den 4ten Auguſt in den Fluß Lin - keran. Nicht weit von dieſem Fluſſe iſt der beruͤhm -Naphtha - Quellen. te Berg Barmach, der wegen des Naphtha, das aus 30 verſchieden Gruben, die immer einen Flinten - ſchuß weit von einander liegen, heraus quillt, ſo merk - wuͤrdig iſt. Die Gruben ſind einige 2, etliche 3 Faden tief, worein die Leute auf Stufen ſteigen. Das Oel iſt von zweyerley Art, naͤmlich weiß und braun. Das braune hat einen ſtarken unangenehmen Geruch, und deſſen iſt am meiſten vorhanden, weilman377man es in 27 Gruben findet. Man brennt es in Lampen, bedient ſich deſſen zu Zubereitung des Leders und zu verſchiedenen andern Abſichten. Das weiße, das nur in drey Gruben gefunden wird, hat einen an - genehmen Geruch, iſt das theuerſte, und man be - dient ſich deſſen als eines gewiſſen Mittels bey Ver - renkungen und Quetſchungen. Wenn das Oel in den Gruben ſteigt, ſo kann man es wie das Brauſen eines kochenden Topfs hoͤren. Jch kaufte von jeder Art etliche Flaſchen und nahm ſie mit nach Aſtrakan, wo es ſehr angenehm war. An dieſem Orte hatten wir abermal einen heftigen Sturm, weil wir aber unſere Zuflucht in den Fluß nahmen, ſo lagen wir ſi - cher. Wir hielten uns fuͤr gluͤcklich, daß wir uns in beyden Stuͤrmen in der Muͤndung eines Fluſſes be - funden hatten, weil ſie auf dieſer See ſehr gefaͤhrlich ſind, wo die kurzen Wellen ſo geſchwind hinter einan - der an das Schiff ſtoßen, daß es ziemlich ſtark ſeyn muß, wenn es ihnen widerſtehen ſoll.

Den 18ten kamen wir in den Fluß Cyrus, oderFluß Cyrus oder Kur. Stadt Baku. Kur, mit welchem ſich der Fluß Araxis vereiniget, und welcher der betraͤchtlichſte Fluß auf der weſtlichen Kuͤſte des Caspiſchen Meeres iſt, worein er durch 5 verſchiedene Canaͤle faͤllt. Wir fuhren auf die Stadt Baku zu, wo wir auch den folgenden Tag an - kamen, eben da der General Matuskin unter Weges war und nach Aſtrakan zuruͤck gieng. Baku hatte ſich noch nach einem kurzen Bombardement ergeben, und der Brigadier Knez Baratinski war als Gou - verneur der Stadt mit einer Beſatzung von 4000 Mann zuruͤck gelaſſen worden. Baku liegt 255 Werſte von Reſcht; ſie iſt ſehr ſtark befeſtiget, undA a 5zwar378zwar mit drey Ringmauern, deren jede mit Thuͤrmen verſehen iſt, und welche die Stadt in drey verſchiede - ne Abtheilungen theilen. Die innerſte, die am hoͤch - ſten ſtehet, beſchießt die uͤbrigen wie eine Feſtung, und iſt mit einer Menge meßingenen Kanonen beſetzt. Der Gouverneur nahm mit ſeiner Beſatzung dieſen Theil ein. Die aͤußere Mauer iſt ſtark mit eiſernen Kanonen verſehen, und die Thore werden von Deta - ſchementern von der Feſtung ſtark bewacht. Nicht weit von der Stadt ſtehen drey Wachthuͤrme, die auf Anhoͤhen erbauet ſind, und von denen man einen Feind zu Waſſer oder zu Lande von weitem ſehen kann. An dem ſuͤdlichen Ende der Stadt iſt ein groſ - ſer Meerbuſen, der eine Halbinſel macht, die ſich 15 Werſte gegen Suͤden erſtreckt, und einen ſehr gerau - men und bequemen Hafen abgiebt, wo die Schiffe nahe an den Thoren der Stadt beladen und ausgela - den werden koͤnnen, fuͤnftehalb Faden Waſſer haben, und vor allen Winden, den Suͤdwind ausgenommen, ſicher liegen, wie ſie denn auch gegen dieſen durch ei - nige kleine Jnſeln, auf denen Schafe und Ziegen weiden, gedeckt ſind. Aus dieſen Urſachen iſt dieſer Hafen unſtreitig zur Handlung auf dieſem Meere der bequemſte, beſonders mit Schamachie, die fuͤr die groͤßte und volkreichſte Stadt in dieſen Gegenden ge - halten wird, und nur drey Tagereiſen von dieſer entfernt iſt. Jn Schamachie ſind Factoreyen von allen morgenlaͤndiſchen Nationen, welches auch macht, daß dieſe Stadt aus allen Gegenden ſehr be - ſucht wird.

Stadt Der - bent.
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Wir hielten uns nur drey Tage in Baku auf, fuh - ren laͤngs der Kuͤſte in tiefem Waſſer bey verſchiedenenJnſeln379Jnſeln und Fluͤſſen vorbey, und kamen den 26ſten des Nachts bey Derbent vor Anker. Weil aber ein kalter Wind aus Oſten kam, und bey dieſer Stadt kein ſichrer Ort zu landen iſt, ſo konnte ich nicht aus - ſteigen. Von Baku nach Derbent ſind es zu Lande 90 Engliſche Meilen. Wir fuhren den andern Mor - gen laͤngs am Ufer hin, und kamen den 2ten Sep - tember in den Fluß Sulack. Jch fuhr noch eben dieſen Abend in dem zwoͤlfruderigen Schiffe 15 Wer - ſte den Fluß hinauf bis zu der Feſtung Swetago - Kreſt, oder heiliges Kreuz, wo ich fand, daß man mit der Befeſtigung ſchon weit gekommen war, und auf beyden Seiten des Fluſſes in ordentlichen Straſ - ſen, dem Plane gemaͤß, ſo viel hoͤlzerne Haͤuſer erbauet hatte, daß die ganze Armee jetzt darein einquartieret war. Die hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den Fluß war auch fertig, die an jedem Ende eine Zugbruͤcke hatte, ſo daß man alſo leicht von der einen Seite des Fluſſes auf die andere kommen konnte. Die Truppen waren geſund und munter, und unterhielten eine woͤchentliche Correſpondenz mit den Beſatzungen in Derbent und Terki in Circaßien, von denen keine, ſeitdem wir ſie verlaſſen hatten, einen Anfall von den Dageſtaniſchen Tartarn gehabt hatte. Sehr viele waren beſchaͤfti - get, Ziegeln zu machen, die Werke damit zu decken und Haͤuſer zu bauen. Dieſe Feſtung verſpricht vie - len Nutzen wider die Einfaͤlle der Dageſtaner in das Ruſſiſche Gebiet, wo ſie immer viel Unheil anrichte - ten, und viele Einwohner in die Sclaverey ſchlepp - ten. Da der Fortgang der Werke damals noch ei - nen Jngenieur erforderte, ſo ließ ich meinen zweyten Beyſtand, den Lieutenant Brackley, hier; und nach -dem380dem ich dem Oberſtlieutenant Brunie, welches der oberſte Jngenieur war, noch einige Erklaͤrungen uͤber den Plan gemacht hatte, verſahe ich meine Galeere, die bis an die Stadt war gebracht worden, fuͤr die Reiſe nach Aſtrakan mit Lebensmitteln. Jch machte dem General Waterang meine Aufwartung, um ſeine Befehle zu erhalten und Abſchied von ihm zu nehmen, und nachdem ich eben dieſes bey allen meinen Be - kannten gethan hatte, fuhren wir auf dem Fluſſe Su - lack nach der See.

Meerbuſen Agrechan. Stadt Terki.
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Wir fuhren den 16ten laͤngs der Kuͤſte in tiefem Waſſer, und den 17ten an der Spitze der Halbinſel, hin, die den Agrechaniſchen Meerbuſen macht, und ankerten des Nachts zwiſchen der Spitze des hohen Landes und der Jnſel Trenzeni, der Stadt Terki in Circaßien gegenuͤber, in 6 Faden Waſſer. Dieſer Meerbuſen enthaͤlt von Norden gegen Suͤden 45, und von Oſten nach Weſten 20 Engliſche Meilen.

Die Jnſel Trenzeni iſt die groͤßte auf dem Cas - piſchen Meere, und wird, ihres ſchoͤnen Hafens unge - achtet, doch nicht bewohnt. Es iſt zwar keine von den andern Jnſeln bewohnet, ausgenommen, daß man auf einigen an der Kuͤſte gegen Weſten einige Fiſcherhuͤt - ten findet, dergleichen es an der oͤſtlichen nicht einmal giebt. Sie ſind uͤberhaupt alle von Viehe, Schafen und Ziegen angefuͤllt. Und da die ganze Kuͤſte von hier nach Aſtrakan auf unſerer vorigen Fahrt war un - terſucht worden, ſo hielt ich es jetzt fuͤr unnoͤthig, wie - der dahin zu fahren. Wir fuhren alſo den 18ten von Trenzeni ab, richteten unſere Fahrt nach Aſtra - kan und kamen den 24ſten September in der Muͤn - dung der Wolga an, nachdem wir 5 Monate und 6Tage381Tage auf dieſer Verrichtung zugebracht hatten. Die Entfernung von Trenzeni bis an dieſen Ort iſt 190 Engliſche Meilen.

Das Caspiſche Meer iſt in ſeiner aͤußerſten Laͤn -Beſchrei - bung des Caspiſchen Meeres. ge von Jaik, welches das Ende gegen Norden iſt, und im 46ſten Grade 15 Minuten noͤrdlicher Brei - te liegt, bis nach Aſtrabat, dem aͤußerſten Ende ge - gen Suͤden, im 36ſten Grade 50 Minuten, 9 Grad 25 Minuten lang, welches 646 Engliſche Meilen macht, 69 Meilen auf einen Grad gerechnet. Die Breite deſſelben iſt ſehr verſchieden: ſeine groͤßte Brei - te gegen Norden von Oſten gegen Weſten, iſt zwi - ſchen dem Meerbuſen Yembo und der Muͤndung der Wolga, und enthaͤlt 265 Engliſche Meilen; der breitſte Theil gegen Suͤden iſt von dem Fluſſe Or - xantes an der oͤſtlichen bis an den Fluß Linkeran an der weſtlichen Seite, und begreift 235 Engliſche Meilen. Der ganze Umfang, die Meerbuſen mit dazu gerechnet, iſt 3525 Werſte. Die Kuͤſte des Caspiſchen Meeres, von derjenigen Landſpitze an, die die eine Seite des Agrechaniſchen Meerbuſens gegen Weſten macht, bis an den Fluß Kulala in Turku - mannien gegen Oſten, iſt ringsherum gegen Norden niedrig, flach und moraſtig, mit Rohr bewachſen und das Waſſer ſeicht. Die gerade Entfernung von die - ſem Meerbuſen bis an Kulala iſt 170 Engliſche Meilen. An der uͤbrigen ganzen Kuͤſte von Kulala, gegen Suͤden, und zuruͤck nach dem Meerbuſen Agre - chan iſt das Land gebirgig, hat ein ſteiles Ufer und tiefes Waſſer, wie in der Beſichtigung bereits ange - zeiget worden iſt.

Nahe382
Wachthurm auf der Jo - hannisinſel.
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Nahe bey der Muͤndung der Wolga, auf der Jvans-Jnſel (oder Johannis-Jnſel) ſtehet ein Thurm, worauf ſich immer eine Wache befindet, die beſtaͤndig Achtung geben muß, ob das Seewaſſer ſteigt oder faͤllt. Allein ſie hat noch nicht den ge - ringſten Unterſchied entdecken koͤnnen; daher alſo wohl gewiß iſt, daß es auf dem Caspiſchen Meere weder Ebbe noch Fluth giebt. Was dieſes noch ſon - derbarer macht, iſt, daß im Fruͤhlinge, wenn der Schnee und das Eis ſchmelzen, und ſich von den Bergen ergießen, und alle große und unzaͤhlig kleine Fluͤſſe ſo angeſchwollen ſind, daß ſie aus ihren Ufern treten, und alle wie eine Suͤndfluth in dieſes Meer fallen, es auch zu der Zeit nicht im geringſten an - waͤchſt, daher es ein großes Geheimniß iſt, wo alles Waſſer bleibt oder hinkommt, das beſtaͤndig aus den Wolken und den Fluͤſſen hinein faͤllt. Das Waſſer iſt ſo geſalzen, als im Ocean, ausgenommen nahe bey den Muͤndungen der Fluͤſſe, wo es wegen der Vermiſchung mit ſo vielem friſchen Waſſer nur ein wenig ſalzig ſchmeckt.

Jch muß geſtehen, daß dieſes meine angenehm - ſte Fahrt geweſen iſt, die ich in meinem Leben ge - macht habe. Wir hatten beſtaͤndig Ueberfluß an Le - bensmitteln, und fiengen uͤber dieſes ſo viel Voͤgel und Fiſche, daß wir ſie kaum verzehren konnten, hat - ten auch die ganze Reiſe durch, ob es gleich ſehr heiß war, nicht mehr als ſieben Kranke. Sie wuͤrde mir noch angenehmer geweſen ſeyn, wenn ich mich mit den Turkomanniſchen und Usbeckiſchen Tartarn haͤtte unterreden und folglich eine Beſchreibung von ihnen machen koͤnnen; allein alle Tartarn laſſen, ob ſiegleich383gleich keine gewiſſen Wohnungen haben, keine Frem - den in ihr Land.

Den 25ſten September langten wir in Aſtrakan an, wo ich den General Matuskin mit einer Beſchrei - bung meiner Fahrt aufwartete, und ihm wie den Gouverneur Wolinski einen Riß von dem Caspiſchen Meere uͤberreichte. Der letztere war vor dieſem Abgeſandter in China geweſen, und hernach auch als Abgeſandter nach Perſien geſchickt worden. Jn beyden Faͤllen ſuchte er um Erlaubniß, mich mitzu - nehmen; es wurde ihm aber abgeſchlagen, ob ich gleich ſehr darum bat. Als er von der letzten Ge - ſandtſchaft zuruͤck kam, verheirathete er ſich mit der Prinzeſſinn Nareskin, die des Kaiſers Muhme und ſeiner Mutter Bruders Tochter war, und wurde zu - gleich General-Gouverneur uͤber das Koͤnigreich Aſtrakan.

Nachdem der General Matuskin Baku einge -General Matuskins Heirath. nommen hatte, wurde er zum Generallieutenant und zugleich zum Major bey dem erſten Regimente Garde gemacht, und ſtand bey dem Kaiſer in großen Gna - den. Er war ein alter Junggeſelle, als er eine ſchoͤne und muntere Wittwe heirathete, deren erſter Mann, der Generalmajor Glebof bey den Dragonern, in den letzten Unruhen des Czarowitz verwickelt geweſen und im Gefaͤngniſſe geſtorben war, worauf ſeine Wittwe, da man ſein Vermoͤgen confisciret hatte, in ſchlechte Umſtaͤnde gerieth. Der General Matuskin, der bey dieſer Unterſuchung als Richter geſetzt war, wurde von dieſer traurigen Wittwe auf ihren Knien mit thraͤnenden Augen gebeten, mit ihrem unverdienten Schickſale Mitleiden zu haben, da ſie nunmehr indas384das groͤßte Elend und Duͤrftigkeit ſey verſetzt worden. Jn dieſer wehmuͤthigen Stellung nahm ſie dieſen al - ten Junggeſellen ſo ein, daß er ſich ihr ſogleich ſelbſt und alles, was er hatte, zu ihrem Beyſtande anbot, welches die Wittwe mit Freuden annahm, worauf ſich der General ſogleich an die Kaiſerinn wandte, daß ſie ihm des Kaiſers Einwilligung verſchaffen moͤchte. Als es dem Kaiſer vorgetragen wurde, war er daruͤ - ber ſehr unwillig, daß ſich der General mit der Witt - we eines Rebellen verheirathen wollte, und bot ihm zugleich ein jedes anderes Frauenzimmer an, die ihm gefallen wuͤrde. Allein der General gab zur Ant - wort, daß es ihm unmoͤglich ſey, ein anderes Frauen - zimmer zu lieben, und bat den Kaiſer demuͤthig, ihm ſein Geſuch zu gewaͤhren, weil er ſonſt einen von ſei - nen getreuſten Dienern verlieren wuͤrde. Da die Kaiſerinn ihn in ſeinem Suchen unterſtuͤtzte, ſo wur - de der Kaiſer endlich begierig, dieſe Wittwe, die ei - nen ſolchen Eindruck auf den alten Liebhaber gemacht hatte, zu ſehen, und ſagte, als ſie vor ihn gebracht wurde, daß er ſich nun nicht mehr uͤber die Eroberung wundere, die ſie gemacht haͤtte, und gab nicht allein ſeine Einwilligung, ſondern beehrte auch ihre Hochzeit, in Begleitung des ganzen Hofes, mit ſeiner Gegen - wart. Die Dame behielt nach dieſem beſtaͤndig den Nahmen der Wittwe in Thraͤnen.

Streit unter den Kalmu - cken.
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Es entſtand damals eine große Verwirrung un - ter den Kalmuckiſchen Tartarn, die durch den Tod des aͤlteſten Sohnes des Chans, der 5 Soͤhne hinterließ, verurſacht wurde. Der aͤlteſte davon war mit einer Concubine erzeuget, und die zwey juͤngſten von einer ſehr geliebten Gemahlinn. Der aͤlteſte, mit Nah -men385men Daſan, machte, als der aͤlteſte, Anſpruch auf die Nachfolge, welches auch ein guͤltiges Recht war, ob ſeine Mutter gleich nur eine Concubine geweſen war; die zwey juͤngſten, die Dunduambu und Batu hießen, waren mit der Gemahlinn erzeuget, und wurden von dem alten Cham ihrem Großvater, und von ſeinem zweyten Sohne, Schurundunduck, ihrem Vetter, ge - liebet, der den Prinzen Daſan und ſeine ganze Hor - de oder Clan, die aus 7000 Mann beſtand, nieder - zumachen drohete, wenn er ſich unterſtuͤnde, dem Prin - zen Dunduambu die Nachfolge ſtreitig zu machen. Sie wurden damals von dem alten Cham abgehalten, als dieſer aber ſtarb, ſagte der Prinz Schurundun - duck ſeinem Enkel, dem Daſan, wie er wolle, daß der Dunduambu ſeinem Großvater nachfolgen ſolle, und, wenn er dieſes nicht im Friede zugeben wolle, er dazu wuͤrde gezwungen werden. Als ſie aber ſahen, daß ihre Drohungen keine Wirkungen bey dem Prin - zen thaten, ſo fiengen ſie an, eine Armee von 20000 Mann zuſammen zu ziehen, welches den Prinz Da - ſan und ſeine zwey Bruͤder nebſt ſeiner ganzen Horde noͤthigte, ſich nahe nach Aſtrakan zu ziehen, wo er mit ſeinen Bruͤdern in die Stadt kam, und um Beyſtand wider ihren juͤngern Bruder bat, ſich auch erbot, ſeine Anſpruͤche der Entſcheidung des Kaiſers zu uͤberlaſſen. Hieruͤber hielten der General und der Gouverneur nebſt den uͤbrigen Officieren von der Armee und der Beſatzung einen Rath, worinn beſchloſſen wurde, ih - nen einige Truppen zur Bedeckung zu ſchicken; in - dem der Gouverneur geſonnen war, ſich ſelbſt dahin zu begeben, und die ſtreitenden Partheyen, wo moͤg - lich, auszuſoͤhnen.

B bNach -386

Nachdem dieſes in der Verſammlung war be - ſchloſſen worden, erſuchte der Gouverneur Wolinski mich, dieſen Zug mit ihm zu thun, worauf ich zur Antwort gab, daß mich zwar die Ordnung nicht treffe, daß ich aber herzlich gerne mit ihm gehen wollte, wenn er mir nur hierzu einen Befehl von dem Gene - ral verſchaffte. Jch erhielt den 20ſten October Be - fehl, mich mit 400 Mann von unſern zwey Batail - lons, 100 Dragonern und 4 Feldſtuͤcken zu Schiffe zu ſetzen, und mich den Fluß hinauf an den von dem Prinzen Daſan angewieſenen Ort zu begeben. Da der Gouverneur Willens war, ſogleich mit noch meh - rern Truppen nachzufolgen, ſo ſchickte er mich, den ungeduldigen Prinzen zu befriedigen, voraus.

Beſchrei - bung ihrer Kibbets.
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Wir kamen den 22ſten in der Steppe Beriket, 60 Werſte uͤber Aſtrakan an, und ſchlugen unſere Zelte daſelbſt auf. Da es aber uͤberaus kalt war, ſo gab uns Daſan 60 Kibbets, ſo nennen ſie ihre Zelte, die groß und zugleich warm ſind, weil ſie in der Mit - te ein Feuer, und oben ein Loch haben, wo der Rauch hinaus gehet. Sie ſind 24 Fuß breit, und koͤnnen nach Belieben erweitert und enger gemacht werden. Sie ſind voͤllig rund, die Seiten ſind von einer Art geflochtner Arbeit, und die Queerſtaͤbe ſo niedlich in einander gefuͤget, daß die Gezelte nach Gefallen enger oder weiter gemacht werden koͤnnen. Wenn ſie ein Kibbet aufſchlagen, ſo fuͤgen ſie ſo viele Staͤbe an einander, daß ſie einen Cirkel, ſo groß als ſie ihn haben wollen, ausmachen, und wenn ſie die auswen - dige Seite befeſtiget haben, die 6 Fuß hoch iſt, ſo heben ſie mit ihren Lanzen ein rundes Bret in die Hoͤ - he, das 3 Fuß im Durchſchnitte, in der Mitte einLoch,387Loch, und rings herum am Rande kleine Loͤcher hat. Das große vertritt die Stelle der Feuereſſe, in den kleinen aber ſtecken die Enden ſo vieler ſchmalen Latten, deren anderes Ende an den Seitenſtaͤben befeſtiget iſt, da denn das Dach fertig iſt, welches ſowohl ſinnreich als ſchoͤn iſt. Nachdem ſie alſo das Gebaͤude eines Kibbets errichtet haben, bedecken ſie ſelbiges mit viel oder wenig dicken Fellen, nachdem es kalt oder warm iſt, womit ſie unten den Anfang machen, und alſo bis an den Gipfel fortfahren, worauf ſie einen Schirm ſe - tzen, den ſie nach Belieben nach dem Wind richten, und dadurch den Rauch verhindern koͤnnen. Ein ſol - ches Zelt iſt außerordentlich warm, widerſtehet dem Winde und Regen beſſer als ein Haus, und erfordert weniger Zeit es aufzurichten, als wir ein Officierzelt aufſchlagen koͤnnen. Der Prinz Daſan ſtand mit ſeiner Horde 2 Werſte von uns im Lager, und ſchickte uns Rindvieh und Schafe zu unſerm Unterhalte. Er ſandte auch eine Flaſche aus Pferdemilch deſtillirten Branntwein fuͤr die Officiers, der ſo rein wie Waſ - ſer, aber ſehr ſtark war und einen angenehmen Ge - ſchmack hatte.

Den 23ſten kam noch ein Detaſchement von 200Gefecht mit den Kalmu - cken. Mann von unſern Bataillons und 350 Koſaken an, ſo daß unſer Corps nunmehr 1050 Mann ſtark war. Mit dieſen erhielt ich einen Brief von dem Gouver - neur, der mir meldete, daß er in zwey oder drey Ta - gen nachkommen wolle, aber nicht ein Wort von Be - fehl, was wir thun ſollten, im Fall es noͤthig geweſen waͤre. Da ich der aͤlteſte Officier war, ſo uͤbernahm ich das Commando uͤber das ganze Corps, bis der Gouverneur ankommen wuͤrde. Der Prinz DaſanB b 2ſchickte388ſchickte nach der Ankunft dieſer Verſtaͤrkung mehr Vieh zu ihrem Unterhalte, wie auch eine hinlaͤngliche Anzahl Kibbets zu ihrer Bequemlichkeit. Dieſe Nacht bekamen wir Nachricht, daß Schurundunduck und ſein Enkel, Dunduambu, mit einer Armee von 20000 Mann Zornayer gegenuͤber im Lager ſtuͤnden, und da dieſes auf 150 Werſte von uns war, ſo ſchloſ - ſen wir, daß es einige Zeit dauern wuͤrde, ehe ſie zu uns anruͤcken koͤnnten. Wir ſahen aber, daß wir ge - irret hatten, denn wir wurden den 24ſten ſehr fruͤh beunruhiget, indem der Prinz Daſan ſein Lager auf - brach und wir ſeine Leute in der groͤßten Verwirrung auf uns zukommen ſahen. Jch ſtellte unſere Leute in aller Eil, und gab den Dragonern Befehl, aufzu - ſitzen, und den Prinzen Daſan zu unterſtuͤtzen. Kurz darauf ſahen wir des Schurundunducks Armee anruͤ - cken, welches den Daſan und ſeine Leute noͤthigte, ihre Zuflucht hinter unſere Arrieregarde zu nehmen. Jch bewegte die Reiter, die Flinten hatten, zum Abſitzen, und alle ſeine Leute, die Bogen und Pfeile hatten, ſo wie wir, zu Fuße zu fechten, ſchickte auch etliche Of - ficiers und Sergeanten ab, ſie in Ordnung zu ſtellen. Mit dieſen machten wir ein Viereck gegen den Fluß, und ſtellten ihre Bagage und ihr Vieh hinter unſere Leute. Nachdem die Feinde in Form eines halben Mondes bis auf einen Kanonenſchuß an uns an - geruͤckt waren, machte er Halte, und berathſchlagte ſich, auf was fuͤr Art er den Angriff thun wollte. Daſan war in der aͤußerſten Verlegenheit und er - ſuchte mich, ſie mit unſern Kanonen und Feuerge - wehren abzuhalten, verſicherte mich auch, daß ſie, wenn wir das nicht thaͤten, einen ſchnellen und wuͤ -thenden389thenden Angriff thun, und uns alle in Verwirrung ſetzen wuͤrden.

Jch wußte nicht, was ich in dieſer Verlegenheit thun ſollte, da ich keinen Befehl hatte; ich berath - ſchlagte mich alſo mit den uͤbrigen Officieren, da denn beſchloſſen wurde, einen Dolmetſcher mit einem Tam - bour an ſie abzuſchicken, und ihnen zu melden, daß Seiner Majeſtaͤt Truppen gegenwaͤrtig waͤren, den Prinzen Daſan zu ſchuͤtzen, der die Entſcheidung ſei - nes Anſpruches Seiner Kaiſerlichen Majeſtaͤt gaͤnzlich uͤberlaſſen haͤtte, und daß man alſo hoffe, daß ſie, da ſie ebenfalls Unterthanen des Kaiſers waͤren, ein glei - ches thun wuͤrden. Da der Gouverneur von Aſtra - kan ſtuͤndlich erwartet wuͤrde, der vielleicht Mittel und Wege finden wuͤrde, ihre Streitigkeiten beyzulegen, ſo ſollten ſie deſſen Ankunft erwarten. Der Bothe wurde abgeſchickt, und brachte die Antwort zuruͤck: Es ſey ihnen ſehr wohl bekannt, daß Daſan Ruſſi - ſche Truppen an ſich gezogen haͤtte, die ihn wider ih - ren gerechten Zorn ſchuͤtzen ſollten; weil ſie aber eine ſreye Nation waͤren, ſo wollten ſie ſich ſelber Recht verſchaffen, ohne ſich dem Ausſpruche jemandes, er moͤge auch ſeyn wer er wolle, zu unterwerfen; folg - lich waͤren ſie entſchloſſen, unſerer Truppen ungeach - tet, ihre Bruͤder anzugreifen, es moͤge daraus entſte - hen, was da wolle; wenn wir uns alſo darein men - gen und ihnen beyſtehen wuͤrden, ſo moͤchten wir uns die Schuld ſelbſt geben, wenn wir Schaden davon haben ſollten.

Nach dieſer Antwort fiengen ſie ſogleich an in ei - nem halben Zirkel anzuruͤcken, und wollten uns umrin - gen, ich ließ aber aus den Feldſtuͤcken auf ſie feuern,B b 3und390und ſie alsdann mit Cartetſchen taden. Sie kamen unſern Truppen nicht zu nahe, ſondern richteten ihre ganze Macht auf ihre Landsleute, welches mich noͤ - thigte, zur Linken und zur Rechten Fronte auf ſie zu machen, und alsdann mit Cartetſchen und aus dem kleinen Gewehr auf ſie zu feuern, welches denn eine große Verheerung unter ihnen machte. Da ihre Pferde das Donnern der Gewehre nicht gewohnt wa - ren, ſo wurden ſie wild, und ſetzten das ganze Corps in die groͤßte Verwirrung, worauf unſere Dragoner und Koſaken, die von des Prinzen Daſans Leuten un - terſtuͤtzet wurden, ſie mit ſolchem Muthe angriffen, daß ſie auf allen Seiten wichen und die Flucht nah - men, da wir ſie dann mit unſern Feldſtuͤcken, ſo lange wir ſie erreichen konnten, verfolgten.

Jn dieſem Gefechte wurden uns 2 Dragoner und 5 Koſaken getoͤdtet, und 7 Dragoner und 17 Koſa - ken verwundet, 5 Soldaten aber waren von Pfeilen mit Widerhacken verwundet worden. Allein von Daſans Leuten waren 374 geblieben und auf 500 Mann verwundet worden. Unſere Dragoner und Koſaken kamen mit 63, und Daſans Leute mit etlichen hundert Gefangenen zuruͤck. Wir konnten den Ver - luſt der Feinde in dieſer kurzen Action nicht beſtim - men, der aber betraͤchtlich geweſen ſeyn muß. Als endlich alles vorbey war, kam der Gouverneur des Abends an, und ich erzaͤhlte ihm, was dieſen Tag vorgegangen war. Er war ſehr zufrieden, daß an den Dunduambu und Schurundunduck war geſchickt worden, und beſonders, daß wir nicht den erſten An - griff gethan, und nicht eher auf ſie gefeuert, bis ſie uns angegriffen hatten. Er ſagte, daß er eher ge -kommen391kommen ſeyn wuͤrde; er haͤtte aber nicht geglaubt, daß ſie einen Angriff auf unſere Truppen thun wuͤr - den; da ſie es aber gethan haͤtten, ſo wolle er ſie nun - mehr als Rebellen betrachten, und als ſolchen ein Exempel an ihnen ſtatuiren. Er gab hierauf Befehl, alle Gefangene (deren etliche hundert waren) aufzuhaͤn - gen, und des Daſans Leute vollzogen den Befehl mit großem Vergnuͤgen. Unter dieſen Gefangenen be - fand ſich Dunduambus groͤßter Liebling und Rathge - ber, dem Daſan alle erſinnliche Quaal anthun ließ; ſobald er unter dieſer Quaal ſeinen Geiſt aufgegeben hatte, theilten ſie ſeinen Koͤrper in vier Theile, und hiengen ſie in vier Gegenden an vier Pfaͤhlen und ſei - nen Kopf an dem fuͤnften auf.

Der Gouverneur ſchloß aus dem, was geſchehen war, daß nunmehr eine Ausſoͤhnung unmoͤglich Statt finden wuͤrde, und rieth dem Daſan und ſeinen beyden Bruͤdern, ſich mit ihrem Volke unter die Kanonen von Krasnayar zuruͤck zu ziehen, wo ſie wider alle Unternehmungen ihrer Feinde ſicher ſeyn wuͤrden, in - dem es unmoͤglich war, daß unſere Truppen in der Kaͤlte laͤnger im Felde bleiben konnten, weil ein groſ - ſer Schnee gefallen war, welches ſie auch ſogleich tha - ten. Wir brachen alſo den 25ſten unſer Lager ab, waren aber kaum 5 Werſte marſchiret, als die Fein - de auf eben die Art wie den Tag vorher erſchienen; ſie ſchickten einen Bothen an den Gouverneur, und thaten ihm zu wiſſen, daß ihnen nicht unbekannt ſey, daß er ihren Feind aus ihren Haͤnden befreyen wollte, welches ſie aber zu verhindern geſonnen waͤren, es moͤge daraus entſtehen was da wolle; daß ſie aber entſchloſſen waͤren, wenn der Gouverneur den DaſanB b 4dahin392dahin bringen koͤnne, daß er unter billigen Bedingun - gen die Oberherrſchaft mit dem Dunduambu theilen wolle, eine Unterhandlung deswegen mit ihm zu hal - ten. Hierauf wurde ſogleich beſchloſſen, daß von jeder Parthey 5 Mann auf einem Platze zwiſchen den zwey Armeen zuſammen kommen ſollten, wo ſie ſich auch uͤber 3 Stunden berathſchlagten, ohne daß ſie einig werden konnten, und alsdann wieder zu ihren Partheyen zuruͤck giengen. Als die Feinde wahr - nahmen, daß des Daſans Parthey waͤhrend der Be - rathſchlagung ihre Weiber, Kinder und Vieh uͤber einen Arm der Wolga brachten, ſo griffen ſie des Da - ſans Leute mit einer wuͤthenden Hitze an, und es blie - ben viele auf beyden Seiten ehe wir hinkommen und es verhindern konnten, und auch da vermied der Feind, ſo viel als moͤglich war, uns nahe zu kommen. Als aber unſere Cavallerie an ſie anruͤckte, und wir hitzig aus unſern Kanonen auf ſie feuerten, ſo retirirten ſie ſich voͤllig aus unſerm Geſichte. Als unſere Drago - ner vom Nachſetzen zuruͤck kamen, brachten ſie 25 Gefangene mit, die uns verſicherten, daß ſich Schu - rundunduck nach Zornayar zuruͤck gezogen habe. Hierauf reiſete der Gouverneur wieder nach Aſtrakan ab, und ließ mir Befehl, den Prinzen Daſan und ſeine Kalmucken, uͤber den Fluß und unter die Kano - nen von Krasnayar in Sicherheit zu bringen, wo ich auch den 30ſten ankam. Weil aber der Prinz ſahe, daß ſein Vieh in einem ſo engen Raume nicht beſtehen konnte, ſo theilte er ſeine Horde und verlegte ſie auf die vielen Jnſeln, die daſelbſt von den Armen der Wolga gemacht werden, wo ſie in Sicherheit bleiben ſollten, bis man Seiner Majeſtaͤt Willen wiſſen wuͤrde. Jch393Jch marſchirte den 3ten November ab, und hatte den Prinzen Daſan und ſeine zwey Bruͤder unter meiner Bedeckung; wir kamen dieſen Abend noch nach Aſtra - kan, wo wir alles zu ihrer Aufnahme bereit fanden.

Auf dieſem Zuge nahm ich verſchiedene Gewohn -Jhre Ge - braͤuche. heiten unter den Kalmucken wahr, die ich hier nicht mit Stillſchweigen uͤbergehen kann. Als ich den Gouverneur in Daſans Zelt begleitete, ſo fanden wir den Prinzen uud ſeine zwey Bruͤder mit ſeinen vor - nehmſten Leuten in einen Kreiſe um ein Feuer herum ſitzen, die eine große eiſerne mit Taback angefuͤllte Pfeife hatten, die ſie einem nach dem andern herum gaben, da denn jeder einen Zug daraus that, ſeinen Mund mit Rauche anfuͤllte, und denſelben, nachdem er ihn eine lange Zeit im Munde behalten hatte, end - lich zu den Naſenloͤchern wieder heraus ließ. Sie giengen hierauf ſogleich ohne ein Wort zu ſprechen aus einander, und wir ſahen, daß dieſes das Ende von einer Berathſchlagung unter ihnen ſey.

Da ſie große Liebhaber von Pferdefleiſch ſind, welches ſie allen andern Arten vom Fleiſche vorziehen, und bemerkten, daß wir keinen Gefallen daran hatten, ſo bewirthete uns der Prinz Daſan mit dem Fleiſche von einem ſaͤugenden Fuͤllen, welches er hatte braten und kochen laſſen, und ich muß geſtehen, daß ich nie - mals etwas ſchmackhafteres gegeſſen habe. Als ich dieſer Tartarn oben erwaͤhnte, ſagte ich, daß ſie den Winter in der Wuͤſte bey Aſtrakan zubraͤch - ten; ich erfuhr aber jetzt, daß ſich der groͤßte Theil von ihnen in der Steppe Beriket, gegen die Fluͤſſe Jaik und Yembo zu, aufhaͤlt, und an die Turko - mannen graͤnzet.

B b 5Die394

Die Kalmucken fuͤrchten ſich vor den Blat - tern eben ſo ſehr als vor der Peſt. Wenn je - mand damit befallen wird, ſo brechen ſie ſogleich ihr Lager auf, und nehmen die Flucht, und laſſen die kranke Perſon in einem der ſchlechtſten Kibbets nebſt einem getoͤdteten Schafe, wovon ſie einen Theil bra - ten und den andern roh laſſen, nebſt einer Flaſche Waſſer und etwas Holz zum Brennen, zuruͤck. Wenn ſich dieſe wieder erholt, ſo folgt ſie der Horde nach, welches aber ſelten geſchieht, weil ſie aus Mangel an Pflege gemeiniglich ſtirbt.

Sie halten ſich aufs hoͤchſte nur 4 Monate in der Steppe auf, und bewohnen die uͤbrige Zeit des Jahres eines der angenehmſten Laͤnder. Jhre Le - bensart kommt genau mit der Lebensart der alten Pa - triarchen uͤberein, und ihre ganze Beſchaͤftigung be - ſtehet in Wartung ihrer Heerden, im Fiſchen und Ja - gen. Wenn ſie auf eine Expedition ausgehen, ſo nimmt jeder ein Schaf zu ſeinem Unterhalte, und 3 Pferde mit ſich, wovon er eines um das andere reitet; wenn eines davon umfaͤllt, ſo toͤdten ſie es und theilen das Fleiſch unter ſich, legen Stuͤcke davon unter ihre Saͤttel, reiten eine Zeit lang darauf, und eſſen es ohne fer - nere Zubereitung. Dieſes iſt ihrer Meynung nach die beſte Zurichtung. Sie kommen gemeiniglich nur mit ei - nem Pferde zuruͤck und haben die uͤbrigen alle gegeſſen.

Baranetz oder Lamms - fell.
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Jch hatte von einem Kraute, das um Aſtrakan herum wachſen ſoll und Baranetz oder Lammsfell genannt wird, gehoͤret und geleſen, von dem man ſag - te, daß es auf einem einzigen Stiele in Geſtalt eines Lammes waͤchſet, wenn es reif wird, uͤber und uͤber mit Haar oder Wolle bedeckt iſt, und alles Gras,welches395welches nahe bey ihm waͤchſet, abfrißt, und, wenn es abgepfluͤckt wird, ein ſchoͤnes Futter zu Muͤtzen oder Kleidern abgiebt. Da nun kein ſolches Kraut da - ſelbſt zu finden iſt, ſo konnte ich nicht begreifen, wo - her dieſer Jrrthum entſtanden ſey. Nach einigen Nachfragen wurde mir aber geſagt, daß dieſe Bara - netz, oder Laͤmmchen, den Schafen, kurz vorher ehe ſie werfen, aus ihren Baͤuchen geſchnitten werden, indem die Felle alsdann am ſchoͤnſten ſind, und die Wolle in kurzen, glatten und ſchoͤnen Locken liegt, wel - che verſchiedene Farben haben, und dunkel - und hell - grau, ſchwarz und weiß ſind. Die dunkelgrauen ſind die koſtbarſten, und werden das Stuͤck fuͤr 10 Schil - linge, und die ſchwarzen fuͤr 5 Schillinge, die hellgrauen aber und die weißen fuͤr eine halbe Krone verkauft. Die - ſer Zweig der Handlung traͤgt den Nogaiſchen Tar - tarn viel ein, indem die Jndianer, Perſianer und Ruſ - ſen ſo viel kaufen, als ſie deren nur verſchaffen koͤnnen. Jch kaufte deren fuͤr den Graf Bruce und den Gene - ral le Fort faſt fuͤr 200 Rubel von der beſten Sorte.

Jch erhielt von dem General Matuskin Befehl,Ruͤckreiſe nach Mos - kau. ſo bald als moͤglich nach Moskau zu gehen, und dem Kaiſer meine Beſchreibung des Caspiſchen Meeres zu uͤbergeben. Da es aber unmoͤglich iſt, zu Lande nach Saratof zu reiſen, ſo mußte ich warten, bis die Wolga zugefroren war. Jch fuhr den 8ten Januar 1724 in Geſellſchaft verſchiedener anderer von Aſtra -1724. kan nach Moskau in Schlitten ab; wir waren uͤber - haupt 20 Mann, und alle mit Gewehren wohl ver - ſehen. Weil es aber ſehr ſtark regnete, ſo fuhren wir nur 10 Werſte bis nach Saliterdwor. Da es zwey Tage hirter einander regnete, ſo wurde dasEis396Eis ſo duͤnne, daß die Pferde zu verſchiedenen Mah - len durchbrachen, und wir ſie mit vieler Muͤhe retten mußten, daß ſie nicht ertranken; wir konnten alſo in zwey Tagen nicht mehr als 80 Werſte zuruͤcke legen, und mußten beyde Naͤchte mitten auf dem Fluſſe auf dem Eiſe bleiben, weil wir des Waſſers wegen nicht ans Land kommen konnten.

Da es den 11ten ziemlich gefroren hatte, ſo fuh - ren wir 50 Meilen; doch brach eines von unſern Pferden durch und ertrank, wir aber ſchliefen dieſe Nacht ſicher an dem Ufer. Den folgenden Tag reg - nete es wieder, und wir konnten nicht weiter als 40 Werſte fahren, brachten aber dieſe Nacht ebenfalls am Ufer zu. Ungeachtet es den 13ten wieder gefro - ren hatte, ſo waren doch noch ſo viel Oeffnungen in dem Eiſe, daß wir die Pferde kaum daruͤber bringen konnten; eines derſelben brach ein Bein, daß wir es todtſchießen, und, nachdem wir 40 Werſte zuruͤck geleget hatten, die ganze Nacht auf dem Eiſe bleiben mußten. Den folgenden Tag regnete es wieder, und das Eis bekam ſo viel Riſſe, daß wir oft nicht wuß - ten, wie wir daruͤber kommen ſollten. Zwey von unſern Schlitten brachen durch, die Pferde fielen hin - ein, und wir hatten viel Muͤhe, ſie zu retten. Des Mittags begaben wir uns auf das Land, damit unſere Pferde ausruhen ſollten, und giengen in eine Fiſcher - huͤtte, die nicht weit entfernt war, und wollten Fiſche kaufen. Waͤhrend dieſer Zeit umringte eine Parthey von 50 bewaffneten Kalmucken unſere Schlitten, wo wir unſer ganzes Gewehr bis auf drey Stuͤck gelaſſen hatten; mit dieſen liefen wir mit aufgezogenen Haͤh - nen zu unſern Schlitten, und retteten die uͤbrigen Ge -wehre,397wehre, indem die Kalmucken uns mit Erſtaunen an - ſahen. Jhr Myrza, oder Oberſter, kam zu mir, gab mir die Hand, und ſagte in gebrochener Ruſſi - ſcher Sprache zu mir, daß er mich ſeit der Action mit dem Schurundunduck kenne. Wir gaben ihm einen Trunk Branntwein, und er begab ſich mit ſei - ner Parthey wieder weg. Man darf ihnen nicht trauen, denn die Tartarn rauben, wo ſie es ohne Ge - fahr thun koͤnnen. Dieſer Zufall machte, daß wir uns entſchloſſen, niemals auf unſerer Reiſe ohne Ge - wehr zu ſeyn. Wir reiſeten dieſen Tag 40 Werſte, wagten uns aber wegen der Kalmucken, die in dieſer Gegend ſtanden, die ganze Nacht nicht ans Ufer. Den 15ten legten wir 40 Werſte zuruͤck, erreichten Zornayar und ruheten den 16ten daſelbſt aus. Da uns unſere Pferde nunmehr, ohne daß ſie waren ab - gewechſelt worden, weil wir den ganzen Weg keine be - kommen koͤnnen, 300 Werſte gebracht hatten, ſo verſahen ſich die Knechte mit Lebensmitteln und Fou - rage auf den Weg, ſponnen das Heu, damit ſie es beſſer fortbringen koͤnnten, und wir ſchickten ſie mit einer Beſcheinigung an den Gouverneur wegen des Verluſtes der zwey Pferde, die der Regierung gehoͤ - ret hatten, nach Aſtrakan zuruͤck.

Wir fuhren den 17ten, nachdem wir friſche Pfer - de erhalten, und uns mit Seilen verſehen hatten, unſere Schlitten und Pferde, im Fall ſie einbrechen ſollten, heraus zu ziehen, von hier ab; und da dieſen Tag Regenwetter war, ſo brachen viele von unſern Pferden ein, die aber gerettet wurden, weil jedes an einem Seile befeſtiget war. Wir kamen des Nachts nach Stupingar, nachdem wir 60 Werſte zuruͤck ge -leget398leget hatten, und ob es dieſe Nacht gleich ſtark gefro - ren hatte, ſo brachen den folgenden Tag doch noch viele von unſern Pferden ein. Wir fuhren 70 Wer - ſte, und blieben dieſe Nacht an dem Ufer. Den 19ten fuhren wir 70 Werſte, und erreichten dieſe Nacht Czaritza, wo unſere 2 Bataillons voriges Jahr in den Winterquartieren geſtanden hatten. Hier be - kamen wir wiederum friſche Pferde, fuhren den fol - genden Tag bey Regenwetter 60 Werſte, und kamen bis nach Dubofska. Hier erhielten wir abermals friſche Pferde, und reiſeten 70 Werſte bis nach Be - lekli. Das Eis war durch das Regenwetter ſo duͤnne geworden, daß wir den 21ſten beſiaͤndig in Gefahr waren. Wir kamen den 22ſten nach Kamufinka welches 70 Werſte war. Ob wir hier gleich wieder friſche Pferde bekamen, ſo konnten wir die zwey fol - genden Tage doch nur 80 Werſte zuruͤck legen, weil es beſtaͤndig regnete, und das Waſſer einen Fuß hoch uͤber dem Eiſe ſtand, ſo daß wir mit vieler Schwierig - keit kaum uͤber die gefaͤhrlichen Riſſe kommen konnten. Den 24ſten ſchlugen wir unſer Nachtquartier auf ei - ner mit Holz bewachſenen Jnſel auf, machten ein großes Feuer und trockneten uns wieder ab.

Gefahr auf dem Eiſe.
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Nachdem wir den 25ſten fruͤh nur einen kurzen Weg zuruͤck geleget hatten, fanden wir das Eis ſo voll von großen Riſſen, daß wir unmoͤglich weiter konnten; es brachen ſieben von unſern Schlitten durch, und 5 Pferde ertranken, ehe wir das Ufer erreichen konnten. Die uͤbrigen retteten wir mit großer Ge - fahr, indem das Eis beſtaͤndig unter uns brach, bis wir endlich vermittelſt langer Stangen und Seile alle gluͤcklich ans Land kamen. Allein unſere Schlit -ten399ten und Bagage mußten 6 Stunden im Waſſer lie - gen, und wuͤrden ohnfehlbar verlohren gegangen ſeyn, wenn nicht zum Gluͤck eine Parthie Menſchen, die dieſen Weg reiſeten, dazu gekommen waͤre, und uns ſelbige haͤtte herausziehen helfen, weil das Eis eine halbe Stunde hernach mit großem Krachen brach, und alsdann nichts als Waſſer zu ſehen war, ſo daß wir kaum und wunderbarer Weiſe mit dem Leben davon kamen. Zum Gluͤck waren wir nahe an einem Wal - de, wo wir große Feuer anmachten und uns waͤrmten und trockneten, nachdem wir vor Naͤſſe und Kaͤlte bald umgekommen waren, und es zur Vergroͤßerung unſerer Noth Tag und Nacht ſehr ſtark regnete. Es konnte ſich kein Menſch eines ſolchen Regenwetters im Winter erinnern, oder daß die Wolga zu dieſer Jah - reszeit aufgebrochen ſey. Durch das Umwerfen mit meinen Schlitten verlohr ich eine Tartariſche Ruͤ - ſtung, naͤmlich eine Flinte, ein paar meßingene Pi - ſtolen, einen Saͤbel mit einem ſilbernen Gefaͤße, ei - nen kleinen Coffer, worinn ſich mein Paß und der Befehl, uns mit Pferden zu verſehen, wie auch etwas von meinem Reiſegelde befand.

Nachdem wir die drey folgenden Tage unſere Schlitten mit vieler Muͤhe uͤber den Sand fortge - ſchleppet, und 220 Werſte zuruͤck geleget hatten, ka - men wir den 28ſten Abends in Saratof an. Von hier iſt es auf der Wolga 1000 Werſte bis nach Aſtrakan. Hier hielten wir uns vier Tage auf und trockneten unſere Bagage, die faſt durch und durch naß war. Jch trocknete meine Baranetz oder Lamms - felle ſo ſorgfaͤltig und machte ſie ſo zurecht, daß ſie wieder ſo gut als vorher ausſahen. Der Gouver -neur400neur gab mir einen andern Paß und einen neuen Be - fehl zu Pferden; und da dieſes der erſte Ort iſt, von dem wir zu Lande reiſen konnten, ſo verließen wir die Wolga, und fuhren auf einer guten Bahn durch die - ſes Land, weil wir jetzt in einer ganz andern Gegend waren, wo ſich der Winter in ſeiner voͤlligen Staͤrke zeigte. Der Gouverneur ſagte uns, daß die Straſ - ſen von Raͤubern, wegen der ſchlechen Ernte im vorigen Sommer, unſicher waͤren, und rieth uns, auf unſe - rer Huth zu ſeyn.

Grauſamer Raub.
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Wir fuhren den 2ten Februar von Saratof ab, und kamen des Abends, nachdem wir 60 Werſte zu - ruͤck geleget hatten, zu einem einzelnen Hauſe in ei - nem Walde; und als wir den folgenden Tag 63 Werſte beſtaͤndig im Walde gereiſet waren, kamen wir abermal zu einem einzigen Hauſe. Als wir aber ohngefaͤhr noch 3 Werſte davon entfernt waren, ſahen wir verſchiedene Schlitten, die von Raͤubern angegriffen waren. Wir eilten ſo ſehr wir konnten ihnen beyzuſtehen; ehe wir ſie aber noch erreichen konnten, hatten ſich die Raͤuber mit den Pferden und den mit Waaren beladenen Schlitten in den Wald davon gemacht. Wir fanden 9 nackend ausgezoge - ne Menſchen und 3 ermordete Soldaten, die ihre Begleitung geweſen waren. Wir nahmen ſowohl die Lebendigen als die Todten mit uns in dieſes Haus, wo wir einen einzigen Jungen antrafen, der, als wir ihn fragten, wo die Leute vom Hauſe waͤren, ſagte, daß ſie 60 Werſte weit auf eine Meſſe gegan - gen waͤren, und dieſe Nacht nicht nach Hauſe kom - men wuͤrden. Da wir wohl ſahen, daß wir uns an einem ſehr gefaͤhrlichen Orte befanden, ſo verram -melten401melten wir den Hof, und ſtellten in jeden Winkel ei - ne Wache, hielten dabey unſere Gewehre bereit, und waren ſehr ſtille. Einer von unſerer Geſellſchaft, dem aufgetragen war, auf die Bewegungen des Jungen Achtung zu geben, wurde gewahr, daß er des Mor - gens um 3 Uhr an die Hinterthuͤre gieng und ſie oͤff - nete, und da er ihm auf dem Fuße nachgieng, ſo fand er, daß er ſehr leiſe mit einem Manne redete. Zwey von unſerer Geſellſchaft, die hinter ihm waren, zogen ſogleich den Kerl in das Haus, und machten die Thuͤre feſt zu. Sobald die beraubten Reiſenden ihn erblickten, erkannten ſie ihn, und ſagten alle ein - ſtimmig, daß er einer von der Bande ſey, die ſie be - raubet habe. Wir banden ihm hierauf Haͤnde und Fuͤße, und als wir zur Hinterthuͤre hinausſahen, ent - deckten wir eine Menge Menſchen, die, wie wir glaub - ten, auf Nachricht warteten. Als wir aber etwas Schrot unter ſie geſchoſſen hatten, liefen ſie in das Holz zuruͤcke. Wir fiengen alsdann an, den gefan - genen Kerl zu examiniren, der vorgab, daß er der Wirth vom Hauſe, und als ein ehrlicher Mann be - kannt ſey, auch keine Gemeinſchaft mit Dieben und Raͤubern habe; er drohete uns zugleich, daß wir das ihm in ſeinem eigenen Hauſe angethane Unrecht bereuen ſollten. Die Beraubten aber blieben alle da - bey, daß er das Haupt der Bande ſey, und ſelbſt ei - nen von den Soldaten getoͤdtet habe; wir beſchloſſen alſo, ihn und alles, was im Hauſe war, mit uns zu nehmen, und machten uns auf den Weg.

Wir reiſeten den 4ten 64 Werſte und kamen nach Penſe, einer befeſtigten Stadt mit einer ſtarken Beſatzung, wo wir unſern Gefangenen dem Gouver -C cneur402neur uͤbergaben. Da die gepluͤnderten Kaufleute bey ihrem Verhoͤr ſagten, daß er wirklich das Haupt der Bande ſey, ſo befahl der Gouverneur, ihn auf die Tortur zu bringen, und zu einem Geſtaͤndniſſe zu zwingen, wo die uͤbrigen von ſeinen Mitgenoſſen an - zutreffen waͤren; er war aber ſo halsſtarrig, daß er nicht auf eine einzige an ihn gethane Frage antwor - tete. Hierauf erboten ſich zwey von den beraubten Kaufleuten, daß ſie ſelbige aufſuchen wollten, wenn ihnen der Gouverneur Soldaten mitgeben wollte, und ſagten, daß ſie wegen des Schnees jetzt leicht ausgeſpuͤret werden koͤnnten. Der Gouverneur wil - ligte ſogleich darein, und gab 50 Dragonern und eben ſo vielen Koſaken Befehl, aufzuſitzen, und ſie zu begleiten. Sie kamen den folgenden Tag zuruͤck und brachten 23 Raͤuber nebſt den den Kaufleuten gehoͤ - rigen Schlitten und Pferden zuruͤck, welche ſie in ei - nem dicken Walde in Huͤtten nicht uͤber 3 Meilen weit von dem oben erwaͤhnten Hauſe gefunden hatten. Dieſer Wald gehet von Oſten und Weſten etliche hundert Werſte in der Laͤnge, und iſt, wo er am ſchmaleſten iſt, und wo wir durchgefahren waren, 160 Werſte breit, und wird von keinem Menſchen bewohnet.

Merkwůrdi - ge Entde - ckung einer Stadt.
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Der Gouverneur erzaͤhlte mir, daß vor ohnge - faͤhr 6 Monaten ein großes Dorf oder Stadt von ih - ren eigenen Einwohnern entdecket worden, die deswe - gen eine Deputation an den Kaiſer geſchickt haͤtten. Dieſe Stadt liegt 200 Meilen von Penſe gegen Weſten, und eben ſo weit von jedem andern bewohn - ten Orte. Sie liegt mitten in dieſem großen Wal - de an einem See, und hat uͤber 2000 Familien. Die403Die Einwohner erzaͤhlten von ſich folgendes: Jn den ſehr unruhigen Zeiten, nach dem Tode des Czars Jwan Waſilewitz, des Tyrannen, bis zu der Re - gierung des Czars Michael Feodorewitz, (des jetzigen Kaiſers Großvater,) hatten ſich eine große Anzahl Raͤuber verſammelt, und große Verwuͤſtungen im Lande angerichtet. Jhr Anfuͤhrer war ein abgedank - ter Oberſter und erfahrner Officier; ſie waren in ihren Raͤubereyen ſo verwegen, daß der Czar Mi - chael Feodorewitz noͤthig fand, ſtarke Detaſchements von Soldaten abzuſchicken, die aber von den Raͤu - bern angegriffen und geſchlagen wurden. Hierauf ſetzte der Czar eine große Belohnung auf die Koͤpfe ihrer Anfuͤhrer, und verſprach allen uͤbrigen Pardon. Da ſich nun die Anfuͤhrer fuͤrchteten, daß ſie von ih - ren eigenen Anhaͤngern moͤchten verrathen werden, ſo beſchloſſen ſie, eine Generalpluͤnderung zu unter - nehmen, welches ſie auch thaten, ſehr vieles Korn, Pferde, Vieh, alle Arten von Feldgeraͤthe, und ſo viel Weiber als ſie bekommen konnten, wegnahmen, und ſich in dieſe unwegſamen Gehoͤlze begaben, wo ſie ſich niederließen, den Boden reinigten, bebauten, und ſeit der Zeit nach ihren eigenen Geſetzen daſelbſt lebten, ohne daß ſie jemanden mehr beſchwerlich ge - weſen oder den geringſten Umgang mit einigen von ih - ren entfernten Nachbarn gehabt haͤtten.

Jch erfuhr auch, daß ein wildes Maͤdchen vonEin wildes Maͤdchen. ohngefaͤhr 18 Jahren unlaͤngſt in der Gegend von dieſer Stadt war gefangen worden. Eine Frau, die daſelbſt wohnte, ſagte, es ſey ihr Kind, und fuͤhrte zum Beweiſe an, daß ſie vor ohngefaͤhr 18 Jahren eine kranke Schweſter zu beſuchen durch dieſes HolzC c 2gegangen404gegangen ſey. Da ſie nun damals ſchwanger ge - weſen, und die Stunde ihrer Gebaͤhrung gekommen ſey, ſo habe ſie das Kind zur Welt gebracht. Weil ſie ſehr krank geweſen, ſo habe ſie nicht gewußt, wie ihr das Kind ſey entwendet worden; als ſie aber er - zaͤhlen hoͤrte, daß oͤfters ein wildes Maͤdchen im Holze geſehen wuͤrde, ſo ſagte ſie allezeit, daß es kein anderes als ihr verlohrnes Kind ſeyn koͤnne.

Man hatte viele Verſuche gemacht, ſie zu fan - gen, die aber insgeſammt vergeblich waren, weil ſie ſo geſchwinde auf den Beinen war, daß niemand ſie einholen konnte. Als dieſes der Kaiſer erfuhr, ſchiedte er dem Gouverneur Befehl, das ganze Volk in der Gegend aufzubiethen, den Wald zu beſetzen und mit Netzen einzuſchließen, mit welchen ſie die Rehe fangen; auf dieſe Art wurde ſie unbeſchaͤdi - get gefangen. Das Maͤdchen wurde ſogleich un - ter der Aufſicht ihrer vermeynten Mutter nach Mos - kau abgeſchickt, wo ich ſie auch hernach geſehen habe. Sie war ſchwaͤrzlich vom Geſichte, und man ſagte mir, daß ſie ſtark mit Haaren bewachſen ſey; ſie war ſehr ſcheu, wollte ſich nicht ſehen laſſen, ſaß je - derzeit in einem Winkel und zitterte, wenn ihr je - mand nahe kam. Es wurde durchgaͤngig geglaubt, daß ſie von einer Baͤrinn geſaͤuget worden, wie ſie ſich aber hernach erhalten hat, das wird ſo lange ein Geheimniß bleiben, bis ſie reden und es erzaͤh - len lernt.

Nachdem ich eine Bedeckung von 20 Koſaken erhalten hatte, die mich 70 Werſte bis nach Sa - ranski begleiten ſollten, und meine Reiſegefaͤhrten Willens waren, noch einige Zeit hier zu bleiben, ſoreiſete405reiſete ich den 7ten Februar von Penſe ab, und kam den 8ten gegen Abend in Saranski an, ohne daß mir das geringſte in dem Walde, durch welchen ich beſtaͤndig reiſen mußte, und welcher, wegen des vie - len Raubens und Mordens, ſehr gefaͤhrlich war, widerfahren war. Wir trafen aber auf dieſem gan - zen Wege viele Menſchen an, die wirklich Mitleiden verdienten, und wegen der ſchlechten Ernte, die vo - riges Jahr geweſen war, ſichtbare Kennzeichen der Hungersnoth auf ihren Angeſichtern hatten, welches denn viele zwang, ihren Unterhalt durch Pluͤnde - rung zu ſuchen. Hierauf reiſete ich durch ein wohl bewohntes Land, wo ich nicht das geringſte zu be - ſorgen hatte, und kam nach Arſama, 120 Werſte; von da 120 Werſte nach Murvin; alsdann noch 120 Werſte nach Wolodimer; und endlich von Wo - lodimer 180 Werſte nach Moskau, wo ich den 22ſten Februar ankam. Von Saratof nach Mos -Ankunft zu Moskau. kau iſt es zu Lande 856, zu Waſſer aber 1780 Werſte.

Es wurden eben damals große Anſtalten zu der Kroͤnung der Kaiſerinn gemacht, und alle Große des Reichs zuſammen berufen, bey dieſer Ceremo - nie zu erſcheinen. Der General Matuskin und der Gouverneur Wolinski, nebſt den 2 Bataillons von der Garde, die in Aſtrakan waren gelaſſen worden, erhielten Befehl, in der groͤßten Eil nach Moskau zu kommen, und langten 5 Wochen nach mir da - ſelbſt an. Wenn ich dieſes gewußt haͤtte, ſo wuͤrde es mir nicht nur eine beſchwerliche Reiſe, ſondern auch viele Koſten erſparet haben.

C c 3Jch406

Jch machte den Tag nach meiner Ankunft dem Fuͤrſten Menzikof meine Aufwartung, der mir be - fahl, mit ihm zum Kaiſer zu gehen. Nachdem ich eine Viertelſtunde im Vorzimmer gewartet hatte, wurde ich hinein gerufen, und fand den Kaiſer, nebſt dem Herzoge von Holſtein, den Admiral Apraxin, den Kanzler Golofkin, und die Fuͤrſten Galitzin, Dolgoruki und Romadanofski, die ihm ſeine Auf - wartung machten. Der Kaiſer gieng die Karte von dem Caspiſchen Meere, deſſen Baien, Meerbu - ſen und Tiefen ſehr genau durch, und that viele Fra - gen an mich, beſonders von dem Fluſſe Daria, von dem ich ihm eine Zeichnung vorlegte, mit der er ſehr wohl zufrieden zu ſeyn ſchien, da ſie ihm die Lage die - ſes Fluſſes vorſtellte, die ſich ſehr wohl zu einer Fe - ſtung und ſichern Hafen ſchickte, die wider alle Unter - nehmungen der Usbeckiſchen Tartarn ſicher genug ſeyn koͤnnen. Der Kaiſer erzaͤhlte hierauf dem Her - zoge von Holſtein kuͤrzlich den ungluͤcklichen Zug des Fuͤrſten von Beckewitz, und fuͤgte hinzu, daß, wenn er Geduld gehabt haͤtte, bis er ſich feſt geſetzt gehabt, und ſich nicht von den betruͤgeriſchen Tartarn hinter - gehen laſſen, er jetzt dieſen Fluß nebſt den Goldgru - ben voͤllig in ſeiner Gewalt haben koͤnne. Da er aber nunmehr die Provinzen auf der entgegengeſetzten Seite des Caspiſchen Meeres voͤllig beſetze, ſo ſey er doch noch geſonnen, eine Colonie an dieſem Orte zu errichten, und Feſtungen an den Ufern dieſes Fluſſes bis an die Bergwerke, ſelbige zu decken, an - zulegen. Die Feſtungen koͤnnten aus den benach - barten Provinzen leicht mit Proviant verſehen wer - den, ohne im geringſten in Anſehung derſelben vonden407den Usbeckiſchen Tartarn abhaͤngen zu duͤrfen. Aus dieſer Rede merkte ich, daß ich, wiewohl ſehr wi - der meine Neigung, wieder in dieſe Gegenden wuͤr - de abgeſchickt werden. Nachdem ich von der Be - ſchleunigung der Feſtungswerke von Swetago-Kreſt am Fluſſe Sulack und von unſerer Expedition wi - der die Kalmuckiſchen Tartarn Bericht erſtattet hatte, erhielt ich meinen Abſchied, und bekam von dem Fuͤrſten Menzikof Befehl, den Herzog von Holſtein, ſo lange er in Moskau bleiben wuͤrde, zu begleiten.

C c 4Zehntes408

Zehntes Buch.

Der Herzog von Holſtein. Der Fall des Barons Schafirof. Der Capitain bemuͤht ſich ſeinen Abſchied zu erhalten. Eine aus lauter Cava - lieren errichtete Garde. Beſchreibung der Ka - thedralkirche. Proceßion zur Kroͤnung der Kai - ſerinn. Kroͤnungsceremonie. Proceßion in die St. Michaeliskirche. Proceßion in die Kirche der Auferſtehung. Mittagsmahl im So - lennitaͤtenſaale. Neue Art der Promotion. Der Capitain erhaͤlt ſeinen Abſchied. Der Ca - pitain reiſet von Moskau ab. Ein Schwedi - ſcher Oberſter in Riga iſt im Verdacht, daß er Carl den XII erſchoſſen habe. Der Capitain ſetzt ſich zu Schiffe, nach Schottland zu gehen. Faͤhrt nach Erdholm, einem Daͤniſchen Hafen und Feſtung. Beſchreibung dieſes Hafens. Er faͤhrt nach Helſingoͤr ab. Wird nach Mar - ſtrand getrieben und entmaſtet. Streitigkeit zwiſchen Carnegie und ſeiner Gemahlinn. Er kommt nach Schottland.

Der Herzog von Hol - ſtein.
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Der Herzog Carl von Holſtein war der einzige Sohn der aͤlteſten Schweſter Carls des XII. Koͤnigs von Schweden, den dieſer Monarch zu ſeinem Nachfolger beſtimmt hatte. Er war mit der Prin - zeſſinn Anna, des Kaiſers aͤlteſten Tochter, verlobet; er befand ſich im 25ſten Jahre, war von mittel - maͤßiger Groͤße, und wohl proportionirt; er hatte dicke Lippen und eine breite Zunge, welches machte,daß409daß er ſchwer ſprach. Als er, da er noch ſehr jung war, mit ſeinem Vetter, dem Koͤnige von Schwe - den, eine Wintercampagne in Pohlen machte, wo es ſehr kalt war, und den Koͤnig die Kaͤlte ſo gleichguͤl - tig ertragen ſahe, ſchaͤmte er ſich, daruͤber zu klagen, bis ſeine Zehen ſo erfroren waren, daß er ſich etliche derſelben mußte abloͤſen laſſen. Der Prinz war ſehr geſpraͤchig und aufgeweckt, und zu allen Arten vom Vergnuͤgen geneigt. Er wohnte jetzt in der Jnoi - ſemka Slaboda (oder der Gegend der Fremden). Es wurden alle Arten von Vergnuͤgen zu ſeinem Zeitvertreibe angeſtellt; beſonders hatte er einen groſ - ſen Gefallen an engliſchen Bauertaͤnzen, und da ich dieſe ſehr wohl konnte, ſo war ich bey denſelben alle - mal der naͤchſte bey ihm.

Jch hatte das Gluͤck ihm ſo zu gefallen, daß er mich auch fragte, ob ich in ſeine Dienſte gehen wollte. Jch antwortete, daß ich die Ehre mit vielem Ver - gnuͤgen annehmen wolle, wenn ich meinen Abſchied von dem Kaiſer bekommen koͤnnte; er ſagte hierauf, daß er mit dem Fuͤrſten Menzikof davon ſprechen wollte, wel - ches er auch den folgenden Tag that, und von dem Fuͤrſten die Antwort erhielt, daß es der Kaiſer auf ſein Anſuchen thun wuͤrde, ob er gleich geſonnen ſey, mich zu einer Expedition uͤber das Caspiſche Meer zu ſchicken, den Hafen an der Muͤndung des Daria zu befeſtigen und ſicher zu machen, welche Nachricht mir alle Hoffnung benahm. Dieſes machte, daß ich den Entſchluß faßte, mich aus dieſem Stande der Scla - verey, aus welchem keiner, der nur einigen Nutzen ſchaffte, mit Ehren kommen konnte, zu befreyen, es moͤchte auch koſten, was es wolle.

C c 5Bey410
Fall des Ba - rons Scha - firof.
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Bey meiner Zuruͤckkunft nach Moskau hatte ich das Ungluͤck, die unangenehme Nachricht von dem Falle und der Ungnade meines ehemaligen Wohlthaͤters, des Barons Schafirof, des Vicekanzlers, zu hoͤren, in deſſen Gefolge ich ein Jahr in Conſtantinopel gewe - ſen war, wo er ſich als Geiſel, und hernach als Ge - ſandter befunden hatte. Er war unſtreitig einer der geſchickteſten Miniſter im ganzen Reiche, und bey dem Kaiſer in großen Gnaden, der ihn allezeit bey den wichtigſten Angelegenheiten brauchte. Der Baron hatte ſeinen Fall dadurch verurſachet, daß er den Fuͤrſten Menzikof zu ſtuͤrzen geſucht hatte, welches ſich zuletzt mit ſeinem eigenen Falle endigte. Als der Kaiſer den Zug nach Perſien vornahm, ernannte er den Fuͤrſten Menzikof in ſeiner Abweſenheit zum Re - genten des Reichs. Durch Beyſtand des Baron Oſtermanns entdeckte der Fuͤrſt, daß der Vicekanz - ler große Summen von den oͤffentlichen Einkuͤnften unterſchlagen, und 200000 Ducaten an barem Gelde, und fuͤr 70000 Ducaten Juwelen, die dem verſtorbenen Knez Gagarin gehoͤret hatten, deſ - ſen Tochter an des Baron Schafirofs Sohn verhei - rathet war, verborgen hatte. Als der Fuͤrſt Gaga - rin hingerichtet wurde, ſo ſollte es jedem das Leben koſten, der etwas von ſeinen Effecten verbergen wuͤrde, und der Baron gab dieſen Befehl ſelbſt heraus. Es wurden dem Baron auch noch verſchiedene andere Verbrechen Schuld gegeben, daher er verurtheilet wurde, den Kopf zu verlieren; er war auch der Voll - ziehung dieſes Urtheils ſo nahe, daß ſein Kopf ſchon auf dem Blocke lag, als ſein Urtheil gemildert und in eine Verweiſung auf Zeitlebens nach Siberien ver -wandelt411wandelt wurde. Oſtermann folgte dem Baron in ſeinem Amte und wurde Vicekanzler; der Baron Schafirof hatte ihn von einer niedrigen Stufe hervor - gezogen, wurde aber hernach von ihm mit Undank be - lohnet. Er war von Geburt ein Deutſcher, aus ei - ner kleinen dem Herzoge von Mecklenburg gehoͤrigen Stadt, von niedrigen Eltern, und der Baron hatte ihn, als er durch dieſes Land gereiſet war, zum Be - dienten angenommen. Jn dieſem Dienſte ſetzte er ſich bey ſeinem Herrn in ſolche Gunſt, daß er ihn nach und nach zum Secretair in der Kanzley erhob, und als ſolcher wurde er als Secretair des Grafen Bruce auf den Congreß nach Aland geſchickt, wo er ſich ſo geſchickt verhielt, daß er zum Collegen des Grafen ernannt wurde, in welchem Stande er ſich ſehr hochmuͤthig bezeigte. Deſſen ungeachtet folgte er ſeinem Herrn und Wohlthaͤter, nachdem er ihn verrathen hatte, als Vicekanzler nach, und wurde nach dem Tode des Grafen Golofkin ſogar Kanzler. Als aber die Kaiſerinn Eliſabeth den Ruſſiſchen Thron beſtieg, wurde Oſtermann nach Siberien verbannet, ſeinen Undank daſelbſt zu bereuen, und bekam alſo den undankbaren Perſonen gehoͤrigen Lohn.

Jch uͤbergab zu Anfange des Maͤrzes demDer Verfaſ - ſer ſucht ſei - ne Entlaſ - ſung. Kriegscollegio eine Bittſchrift, und ſtellte darinn vor, daß ich 13 Jahre bey der Armee gedienet haͤtte; daß die Angelegenheit meiner Privatumſtaͤnde in Schott - land, wo ich in 20 Jahren nicht geweſen war, jetzt meine Gegenwart erforderte, ſie in Ordnung zu bringen, und bat alſo aus dieſer Urſache um meinen Abſchied. Der Fuͤrſt Menzikof und die andern Ge - nerals wunderten ſich uͤber mein Suchen, und ſagtenmir,412mir, daß der Kaiſer ſich merken laſſen, daß er ge - ſonnen ſey, mir eines von den Regimentern zu geben, die damals unter dem Commando des Generals Wa - terang in Swetago-Kreſt am Fluſſe Sulack ſtanden. Jch ſahe hieraus deutlich, daß beſchloſſen worden ſey, mich noch einmal uͤber das Caspiſche Meer an den Fluß Daria zu ſchicken, ein elendes Leben unter den Usbecker Tartarn zu fuͤhren. Jch gab ihnen zur Ant - wort, daß es mir unmoͤglich ſey, die Ehre anzuneh - men, die mir Seine Majeſtaͤt zu erweiſen geſonnen waͤre, indem meine Umſtaͤnde es nicht laͤnger erlau - ben wollten, in ihren Dienſten zu bleiben; allein das Kriegscollegium ſchlug mir den Abſchied gaͤnzlich ab. Jch ſtellte ihnen hierauf das von dem Kaiſer allen Auslaͤndern verſprochene Privilegium vor, daß ſie wider ihren Willen nicht in Dienſten ſollten zuruͤckge - halten werden; hierauf antworteten ſie, daß ſie mich nicht als einen Auslaͤnder, ſondern als einen aus ih - rem Mittel betrachteten, worauf ich ein tiefes Com - pliment machte, und mich wegbegab.

Da mir der Kaiſer, ehe wir den Zug nach Per - ſien thaten, verſprochen hatte, daß er mir nach unſe - rer Zuruͤckkunft erlauben wollte, meine Freunde zu beſuchen, ſo ſtellte ich nunmehr meinen Umſtand den Herzoge von Holſtein vor, der mir rieth, den andern Tag um 11 Uhr dem Kaiſer ein Memorial zu uͤber - geben, wenn er bey ihm ſeyn wuͤrde. Jch that es, und erhielt die Antwort, daß mir mein Abſchied nicht gegeben werden koͤnne, daß ich aber auf ein Jahr Urlaub haben ſollte, meine Freunde zu beſuchen und meine Sachen in Ordnung zu bringen, nach deren Verfließung man meine Zuruͤckkunft erwarten wuͤrde. Nachdem413Nachdem ich dieſe Bedingungen eingegangen war, bekam ich des Kaiſers Befehl an den Fuͤrſten Men - zikof, mir Urlaub zu geben. Als ich meinen Be - fehl dem Kriegscollegio vorzeigte, verlangte daſſelbe, daß der Graf Bruce und der General le Fort fuͤr mei - ne Zuruͤckkunft Buͤrge werden ſollten, welches ich aber ausſchlug, und ſagte, daß mir der von Seiner Majeſtaͤt ertheilte Urlaub hinlaͤnglich ſey, und drang alſo darauf. Hierauf zwang mich das Collegium, eine Obligation von mir zu geben, daß ich zu Ende des Jahres zuruͤckkommen wollte, welche ſie ſo bin - dend als moͤglich abfaßten, und mir die Wahl uͤber - ließen, ſie zu unterſchreiben oder zu bleiben, wo ich war. Da nun die Sache ſoweit abgethan war, ſag - ten ſie mir, daß ich meine Abfertigung erhalten ſollte, ſobald die Kroͤnung der Kaiſerinn vorbey ſeyn wuͤrde.

Da die Stadt Moskau ſowohl von Auslaͤndern als Jnlaͤndern, weil alle Perſonen vom Stande im ganzen Reiche zugegen ſeyn mußten, ſo angefuͤllet war, und ſich jeder bemuͤhte, es dem andern an Pracht zuvor zu thun, ſo wurde jetzt weiter an nichts als an Aſſembleen, Baͤlle, Masqueraden und große Gaſt - mahle gedacht, dergleichen man in dieſem Theile der Welt noch nicht geſehen hatte. Es wunderte ſich doch aber jedermann, daß weder der Großherzog, noch ſeine Schweſter, die Großherzoginn, die Kinder des verſtorbenen Czarowitz, bey dieſer Feyerlichkeit zugegen waren, ſondern in Petersburg waren gelaſſen worden.

Der Kroͤnung ein deſto groͤßeres Anſehen zu ge -Chevalier - garde. ben, wurde eine Compagnie Reiter oder Garde zu Pferde errichtet, die ſehr praͤchtige Pferde hatten. Der414Der Generellieutenant Jaguſinski commandirte ſie als Capitain, der Generalmajor Mamonof als Lieu - tenant, der Generalbrigadier Lewentof war Cornet; die Quartiermeiſter waren Oberſten, die Corporale Oberſtlieutenants, und die 60 Reiter waren lauter Capitains. Jhre Roͤcke waren von gruͤnem Tuche, die Weſten von Scharlach reich mit God beſetzt, auf der Bruſt und auf dem Ruͤcken war das Kaiſerli - che Wappen geſtickt; ihre Patrontaſchen waren von rothem Sammet, worein die Nummern mit Golde geſtickt waren; die Granatbeutel und Degengehenke von rothem Sammet mit Gold; ihre Degengefaͤße waren vergoldet; ihre Piſtolenhalftern waren mit Golde numerirt und mit goldenen Treſſen und Fran - zen beſetzt; die Gebiſſe und die Zaͤume, Bruſt - und Schwanzriemen waren mit maßivem Golde uͤberzogen, und ihre Pauken und Trompeten waren von Silber, worauf man das Kaiſerliche Wappen in erhabener Arbeit von Gold und Silber ſahe.

Beſchrei - bung der Ka - thedralkirche.
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Die Kathedralkirche, in welcher dieſe Kroͤnung vor ſich gehen ſollte, war mit einer Menge Kronleuch - tern, in der Mitte aber von einer dergleichen ſehr groſ - ſen ſilbernen von der feinſten Arbeit, erleuchtet. Die Stufen zum Altare und der Boden der Kirche bis an dem Altar, waren mit Tapeten bedeckt, welche reich mit Gold geſtickt waren. Mitten in der Kirche war ein Himmel von rothem Sammet, der mit dem Ruſſiſchen Wappen, naͤmlich mit einem Adler, ge - zieret war, auf deſſen Bruſt man den Ritter St. George ſahe, der den Drachen toͤdtet; rings herum lief das Band des Andreasordens, und an beyden Seiten waren die Wappen der Koͤnigreiche Caſan,Aſtrakan,415Aſtrakan, Siberien ꝛc. Der Himmel war nebſt vie - len Franzen, Baͤndern, Quaſten, goldenen Spitzen ꝛc. mit erhabener Arbeit von Gold eingefaßt, und ſtand auf vier Pfeilern, die mit goldgeſticktem rothen ſeide - nen Zeuge uͤberzogen waren. Unter dieſem Himmel ſtand der Thron, deſſen Stufen und Boden mit ro - them Sammet bedeckt waren, worauf zwey Stuͤhle fuͤr Jhre Kaiſerliche Majeſtaͤten ſtanden, die von Edelgeſteinen glaͤnzten, wie auch eine lange Tafel, die mit Brocad bedeckt war, das bis auf den Boden her - unter hieng. Jhre gewoͤhnlichen Sitze in der Kirche waren in - und auswendig mit Tuch belegt, und der Boden von rothem mit Gold geſtickten Sammet be - deckt. Nahe bey dem Throne war auch ein fuͤr die Kaiſerlichen Prinzeſſinnen, mit Teppichen und golde - nem Tuche gezierter Platz, mit einem mit Gold ge - ſtickten Adler der von Juwelen funkelte.

Die Kaiſerinn bereitete ſich durch dreytaͤgiges Faſten und Gebet zu ihrer Kroͤnung, welche dem Volke von dem Kanzley-Secretair, vor welchem ein Officier mit Trompeten und Pauken vorher gieng, angekuͤndiget wurde.

Am 7ten May, dem zur Kroͤnung beſtimmtenProceßion zur Kroͤ - nung. Tage, zogen 8 Bataillons und 4 Compagnien Garde des Morgens fruͤh im Kremelin, oder der Feſtung auf; unſere Grenadiers beſetzten die Straße vom Schloſſe bis zur Kathedralkirche, der die St. Michae - liskirche gegenuͤber ſtand, und das Begraͤbniß der Kaiſerlichen Vorfahren iſt. Zwiſchen dieſen war die Straße mit 2 Bataillons beſetzt, die Straße aber von der Kathedralkirche bis an das Thor des Kreme - lins war von den andern 6 Bataillons beſetzt. Vondem416dem Thore an bis an das Kloſter der Auferſtehung, wo die Prinzeſſinnen von der Czariſchen Familie be - graben werden, ſtanden die Regimenter des le Fort und Buterski, welche die Stelle der 4 Bataillons von unſerer Diviſion erſetzten, die damals in Peters - burg waren.

Um 9 Uhr des Morgens verſammelte ſich die Geiſtlichkeit in der Kirche, und laſen Gebete fuͤr das Wohl beyder Kaiſerlichen Majeſtaͤten, und giengen alsdann in ihren Prieſterkleidern mit zur Proceßion, die ſich in folgender Ordnung anfieng:

  • 1. Die Haͤlfte von der Garde zu Pferde.
  • 2. Der Kaiſerinn Pagen nebſt ihrem Hofmeiſter.
  • 3. Der Ceremonienmeiſter, Williaminof, mit ſei - nem Stabe.
  • 4. Die Deputirten aus den Provinzen.
    • 5. Die Generalbrigadiers,
    • 6. Die Generalmajors,
    • 7. Die Generallieutenants,
    paarweiſe nach ih - rem Alter.
  • 8. Die zwey großen Herolde mit dem Reichswap - pen, Pleſchof und der Graf Soufe, beyde in roth - ſammetnen goldgeſtickten Kleidern, worauf der Reichsadler geſtickt war, mit ihren Staͤben in der Hand.
  • 9. Der Groß-Ceremonienmeiſter, Schubarof, mit ſeinem Stabe.
  • 10. Der Knez Demetri Galitzin und der Baron Oſtermann, geheime Raͤthe, die auf zwey Kuͤſſen den Kaiſerlichen Mantel trugen, der von Brocad und mit Hermelin gefuͤttert war; die Haften waren mit vielen großen Brillianten beſetzt, und der Kaiſerliche Adler auf den Mantel geſtickt.
11. Der417
  • 11. Der Knez Dolgoruki, geheimer Rath, der den Reichsapfel auf einem Kuͤſſen trug. Dieſer war von Gold, und das Kreuz war mit Diamanten, Rubinen, Saphiren und Smaragden beſetzt. Dieſer Reichsapfel wurde ſehr bewundert, weil er nach alter Roͤmiſcher Art gearbeitet war.
  • 12. Der Graf Puſchkin, geheimer Rath, der den Scepter auf einem Kuͤſſen trug, welches mit Dia - manten und Rubinen beſetzt war, und oben den Reichs - adler hatte. Es war dieſes eben der Scepter, deſſen man ſich bey der Kroͤnung der vorigen Ruſſiſchen Kaiſer bedienet hatte.
  • 13. Der Graf Bruce, geheimer Rath und Feldzeugmeiſter, der die Krone trug, die ſehr reich mit Brillanten beſetzt war, wovon einige ſehr groß waren. Außer dieſen befanden ſich auch orientali - ſche Perlen von außerordentlicher Groͤße darauf. Unter den Edelſteinen von verſchiedener Farbe, war an dieſer Krone ein orientaliſcher Rubin von unge - meinem Glanze, ſo groß als ein Taubeney, und man glaubte, daß es der koſtbarſte in der Welt ſey. Die - ſer vertrat die Stelle des Reichsapfels, und das Kreuz war uͤber und uͤber mit Brillanten bedeckt.
  • 14. Der Graf Tolſtoi, Großmarſchall, mit ſei - nem Stabe in der Handwor, auf der Reichsadler von maßivem Golde und ein Smaragd von der Groͤße ei - nes Huͤnereyes waren.
  • 15. Kaiſer Peter der Große, nebſt dem Fuͤr - ſten Menzikof und dem Knez Repnin.
  • 16. Die Kaiſerinn Catharina, von dem Her - zoge von Holſtein gefuͤhret, und von dem Großad - miral, dem Grafen Apraxin, und dem Großkanzler,D dGrafen418Grafen Golofkin, begleitet. Jhre Schleppe trugen die Fuͤrſtinn Menzikof, die Herzoginn von Trubetzkoi, die Graͤfinn Golofkin, die Graͤfinn Bruce, und des General Butterlins Gemahlinn. Jhnen folgten paarweiſe 12 verheirathete und 12 unverheirathete Damen, in Roben gekleidet.
  • 17. Die verheiratheten Damen waren vier Generallieutenants-Gemahlinnen, naͤmlich Jaguzins - ki, Matuskin, Dolgoruki und Kurakin, acht Gene - ralmajors-Damen, naͤmlich Guͤnther, Zerniſchof, Balk, le Fort, Trubetzkoy, Uſchokof, Romanzof und Cirkaſki. Nach dieſen folgten 12 unverheirathe - te Frauenzimmer vom erſten Range, paarweiſe.
  • 18. Die Oberſten und andere Officiers, nebſt den dazu eingeladenen Adelichen, alle in Paaren.
  • 19. Die andere Haͤlfte von der Leibgarde zu Pferde beſchloß die Proceßion, waͤhrend welcher alle Glocken gelaͤutet, und Muſik mit Trompeten und Pauken gemacht wurde.
Kroͤnungsce - remonie.
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Nachdem die Proceßion in die Kathedralkirche hinein war, wurden die kaiſerlichen Jnſignia auf eine dazu beſtimmte Tafel geſetzt; und nachdem der Her - zog von Holſtein die Kaiſerinn bis an den Thron ge - fuͤhret hatte, begab er ſich an ſeinen Ort, und der Kaiſer fuͤhrte ſie, in Begleitung des Fuͤrſten Men - zikof und des Knez Repnin, wie auch der Grafen Apraxin und Golofkin, und der Frauenzimmer, die die Schleppe trugen, zu ihrem Sitze. Sobald ſich beyde Majeſtaͤten niedergelaſſen hatten, ſetzten ſich die Erzbiſchoͤfe und Praͤlaten ebenfalls nieder, aber die andern Herren und Damen blieben waͤhrend der Ceremonie ſtehen. Als die Geſaͤnge vorbey waren,ſtand419ſtand der Kaiſer auf, nahm den Scepter von der Ta - fel, befahl dem Großmarſchall, die Erzbiſchoͤfe und Praͤlaten zu rufen, und zur Kroͤnung zu ſchreiten. Der Erzbiſchof von Novogorod redete hierauf die Kaiſerinn alſo an: Rechtglaͤubige und große Kai - ſerinn, allergnaͤdigſte Frau, Ew. Majeſtaͤt werden belieben, das Athanaſiſche orthodoxe Glaubensbe - kenntniß in Gegenwart ihrer treuen Unterthanen her - zuſagen . Nachdem dieſes geſchehen war, knie - te die Kaiſerinn auf ein Kuͤſſen nieder, und wurde von dem Erzbiſchofe eingeſegnet; nach einigen Gebe - ten ſtand der Kaiſer auf, und zwey Erzbiſchoͤfe nah - men den Kroͤnungsmantel, und uͤbergaben ihn dem Kaiſer, der ihn der Kaiſerinn umhieng, ohne daß er das Scepter aus der Hand legte. Hierauf knieten beyde Majeſtaͤten nieder, der Erzbiſchof betete, und als dieſes zu Ende war, ſtanden Jhre Majeſtaͤten auf, und der Kaiſer nahm die Krone, und ſetzte ſie der Kaiſerinn auf, wobey er aber beſtaͤndig den Scepter in der Hand behielt. Hierauf ſegnete der Erzbi - ſchof ſie im Nahmen des Vaters, des Sohnes und des heil. Geiſtes ein, und gab ihr die Weltkugel in die Hand. Nach dieſem ließen ſich Jhre Majeſtaͤten wieder nieder, und nahmen, waͤhrend daß das Chor die fuͤr ihre gluͤckliche Regierung gewoͤhnlichen Geſaͤn - ge ſang, die Gluͤckwuͤnſche von den Geiſtlichen und Weltlichen an. Als dieſes zu Ende war, wurden alle Kanonen geloͤſet und alle Glocken in der Stadt gelaͤutet.

Nachdem dieſes geſchehen war, wurden ihre Majeſtaͤten mit eben den Ceremonien von dem Throne gefuͤhret, mit welchen ſie ſelbigen beſtiegen hatten, undD d 2giengen420giengen bis an den Fuß des Altars, und von da in ihre gewoͤhnlichen Stuͤhle. Waͤhrend des Gottes - dienſtes nahm die Kaiſerinn die Krone ab und uͤber - gab ſie dem Cabinetsſecretair; und nachdem die Ge - bete und Geſaͤnge geendiget waren, fuͤhrte der Kaiſer die Kaiſerinn, die ihre Krone auf dem Haupte und den Kaiſerlichen Mantel umhatte, auf einem mit ro - them Sammet und mit goldgeſtickten Teppichen be - deckten Gange zum Allerheiligſten, wo ſie auf ein mit Gold geſticktes Kuͤſſen niederkniete, und der Erzbi - ſchof, neben welchem zwey Biſchoͤfe mit dem heiligen Oel ſtanden, ihr die Stirn, Bruſt und Haͤnde im Nahmen des Vaters, des Sohnes und des heil. Gei - ſtes ſalbte. Die andern Erzbiſchoͤfe wiſchten das Oel mit Baumwolle ab, und der Archidiaconus, der ſie mit dem heil. Sacramente erwartete, ſagte laut: Naͤhere dich mit Andacht und Glauben. Hier - auf empfieng ſie das geſegnete Brot von dem Erzbi - ſchofe und ein wenig warmen Wein. Die zwey Oberprieſter an dieſer Kirche trugen ein goldenes Be - cken, ein Abt hielt eine goldene Kanne ins Waſſer zum Waſchen, und zwey andere Aebte hielten das Handtuch, woran ſich die Kaiſerinn die Haͤnde trock - nete. Nachdem dieſes geſchehen war, begaben ſich beyde Majeſtaͤten wiederum in ihre Stuͤhle, und die Kanonen wurden zum zweyten Mahle geloͤſet und die Glocken gelaͤutet. Bey dem Schluſſe des Gottes - dienſtes hielt der Erzbiſchof von Pleskow eine Rede, worinn er die ſeltenen Tugenden der Kaiſerinn er - waͤhnte, und zeigte, wie ſehr ſie die Krone verdiente, die ſie jetzt von Gott und ihrem Gemahl erhalten haͤtte;und421und ſchloß endlich damit, daß er beyden Majeſtaͤ - ten im Nahmen der Reichsſtaͤnde Gluͤck wuͤnſchte.

Nach Endigung dieſer Ceremonien, gieng derProceßion zur St. Mi - chaeliskirche. Herzog von Holſtein die Kaiſerinn in die St. Michae - liskirche zu begleiten, wohin ſie ſich faſt in eben der Ordnung begab, in welcher ſie aus dem Schloſſe ge - kommen war, ausgenommen, daß ſie den Mantel um - und die Krone auf dem Haupte hatte, und unter ei - nem reichen Himmel gieng, welchen vier Generalma - jors auf filbernen Stangen trugen, an deren jeder ſich acht vergoldete ſilberne Adler mit Kronen und Quaſten von Gold, die an goldenen Schnuren hiengen, be - fanden. Der Scepter und der Reichsapfel wurden vor ihr her, und die Schleppe wie vorher getragen; der Fuͤrſt Menzikof gieng hinter der Kaiſerinn, und hinter ihm Prinzenſtein, der Kanzler von der Schatz - kammer, und Pleskof, der Praͤſident von der Fi - nanzkammer, die jeder einen rothſammetnen mit Gold geſtickten Beutel hatten, worinn goldene und ſilberne Medaillen waren, die der Fuͤrſt auf dem We - ge nach der Kirche unter das Volk warf. Sobald ſich die Kaiſerinn der Thuͤre genaͤhert hatte, kam ihr ein Erzbiſchof mit einem Crucifix entgegen und gieng vor ihr her. Waͤhrend der Zeit, da geſungen wurde, gieng die Kaiſerinn zu den Begraͤbniſſen der glorrei - chen Vorfahren des Kaiſers und verrichtete daſelbſt ihre Andacht. Als ſie aus dieſer Kirche heraus gieng, wurden die Kanonen zum dritten Mahle geloͤſet und die Glocken gelaͤutet, wozu Trompeten und Pauken giengen, und ein freudenvolles Geſchrey des Volks ertoͤnte.

D d 3Von422
Und zur Kir - che der Auf erſtehung.
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Von hier begab ſich die Kaiſerinn in einer Kut - ſche mit acht Pferden in das Kloſter Wosneſinsky, oder der Auferſtehung, wo die Frauenzimmer vom Kaiſerlichen Gebluͤte begraben werden. Sie wurde begleitet

  • 1. Von der Haͤlfte der Garde zu Pferde, und ihren Officieren.
  • 2. Vier und zwanzig Bedienten zu Fuße, 4 neben einander; ihre Roͤcke waren gruͤn und mit Scharlach beſetzt; ihre Weſten von Scharlach mit Gold und Silber. Sie hatten goldene Treſſen auf den Huͤten, und Degen mit vergoldeten Gefaͤßen an der Seite.
  • 3. Zwoͤlf Pagen in gruͤner Liverey, die Auf - ſchlaͤge und Weſten von Brocat, rothſeidene Struͤm - pfe mit goldenen Zwickeln, und ſilberne vergolde - te Degen.
  • 4. Die Kaiſerinn in einer praͤchtigen mit acht Pferden beſpannten Kutſche, mit vier reich bekleide - ten Laufern; 12 Kammerherren und andere Beamten vom Hofe, alle in praͤchtigen Kleidern, giengen auf beyden Seiten neben der Kutſche her.
  • 5. Zwoͤlf Heiducken giengen ebenfalls in einer gehoͤrigen Entfernung von den Kammerherren neben der Kutſche her; ſie hatten gruͤne Roͤcke und reich mit Gold beſetzte Weſten, mit dem Kaiſerlichen Wappen und verzogenen Nahmen, die Aermel waren mit Gold beſetzt und mit rothem Sammet aufgeſchlagen. Jhre rothſcharlachene Muͤtzen waren mit gruͤnem mit Gold durchwuͤrkten Sammet beſetzt, worauf ein Stern mit Gold geſtickt war, nebſt einem Buͤſchel von Silber. An den Seiten waren zwey ſilberneAdler423Adler und zwey ſilberne Reiger, nebſt einem rothen und weißen Federbuſche dahinter. Statt der De - gengehenke trugen ſie zwey ſilberne Ketten, die an einen Streifen von rothem mit Golde durchwirkten Sam - met befeſtiget waren; ſie hatten große vergoldete Ge - faͤße an ihren Saͤbeln; ihre rothen corduaniſchen Stiefeln waren mit Knoͤpfen und andern Zierrathen gezieret, die alle von Gold gearbeitet waren.
  • 6. Der Generallieutenant ritt mit zwey Herol - den hinter der Kutſche, und warf goldene und ſilberne Schauſtuͤcke unter das Volk, die von hierzu beſtimm - ten Beamten in Beuteln getragen wurden.
  • 7. Sechs in ſchwarzen mit Gold beſetzten Sam - met gekleidete Mohren; anſtatt der Scherpen und Armbaͤnder hatten ſie Verzierungen von rothen und weißen Federn, und eben ſolche Buͤſche auf ihren Tur - banen, die mit Neſſeltuch aufgeſchlagen waren. Jh - re Halsbaͤnder waren ſilbern mit Jhrer Majeſtaͤten verzogenen Nahmen.
  • 8. Der Herzog von Holſtein in einer Kutſche mit 6 Pferden; die Bedienten blau reich mit Silber beſetzt gekleidet.
  • 9. Die Grafen Apraxin und Golofkin in einer mit 6 Pferden beſpannten Kutſche, mit ihren Be - dienten in reichen Livereyen.
  • 10. Zwey Kutſchen mit 6 Pferden, mit den Frauenzimmern vom erſten Range.
  • 11. Die andere Haͤlfte von der Garde zu Pfer - de ſchloß die Proceßion, welche von uns, indem ſie vorbey zog, mit unſern Spontons, den Fahnen und mit Ruͤhrung des Spieles begruͤßt wurde.
D d 4Vor424

Vor dem Kloſter wurde die Kaiſerinn von dem Herzoge von Holſtein aus der Kutſche gehoben; ihre Schleppe wurde wie vorher getragen, und als ſie ihre Andacht bey den Begraͤbniſſen der Frauenzimmer von der Kaiſerlichen Familie verrichtet hatte, begab ſie ſich wiederum an den Ort zuruͤck, und wurde von dem Herzoge von Holſtein in ihre Zimmer gefuͤhret, wo der Kaiſer ſie erwartete, und wo ſie ſich einige Zeit aufhielten, bis auf dem Solennitaͤtenſaale alles zubereitet war.

Tafel auf dem Solen - nitaͤtenſaale.
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Dieſer Saal iſt wegen ſeiner Groͤße und Verzie - rungen einer der ſchoͤnſten in Europa, und dabey ſehr hell, indem die Fenſter nach dem Verhaͤltniſſe deſſel - ben groß ſind; das Dach ruhet auf einem einzigen Pfeiler, der in der Mitte ſtehet; die Kraͤnze und Fuß - geſtelle ſind von ſchoͤner Gipsarbeit; das ganze Pa - neelwerk iſt von ſchoͤner Arbeit und 3 Fuß hoch. Er war rings herum mit rothem Sammet und reichem Brocat behangen; der Boden war mit Perſianiſchen Teppichen bedeckt, die außerordentlich groß und ſchoͤn waren. Um die Pfeiler herum war eine Tafel geſetzt, worauf goldene und ſilberne mit Edelſteinen und Per - len gezierte Gefaͤße ſtanden. Die Tafel, woran Jhre Majeſtaͤten ſpeiſen ſollten, ſtand auf einem er - hoͤheten Boden, der mit rothem mit Treſſen beſetzten Sammet bedeckt, und daruͤber ein Himmel von der - gleichen Sammet mit goldenen Franzen war. Die Tafel, woran der Herzog von Holſtein allein ſpeiſen ſollte, war etwas von der andern entfernt und ſtand mitten im Saale; und etwas weiter hinunter, eben - falls mitten im Saale, war die Tafel fuͤr die Da - men, und auf beyden Seiten ſtanden lange Tafeln,eine425eine fuͤr Perſonen vom erſten Range, beſonders fuͤr die, ſo der Kroͤnung beygewohnet hatten; und eine andere fuͤr die Praͤlaten und die vornehmſte Geiſtlich - keit, die bey dieſer Gelegenheit den Gottesdienſt ver - richtet hatten. Unten im Saale befand ſich das Or - cheſter. Jhre Majeſtaͤten und der Herzog von Hol - ſtein ſpeiſeten auf Golde, die uͤbrigen drey Tafeln auf Silber.

Nachdem alles in dem Saale zubereitet war, ſo begab ſich die Geſellſchaft in folgender Ordnung dahin.

  • 1. Der Ceremonienmeiſter.
  • 2. Die zwey Bechertraͤger, und der Graf Apra - xin, der die Stelle des Vorſchneiders vertrat.
  • 3. Der Groß-Haushofmeiſter, dem der Graf Marſchall folgte.
  • 4. Der Kaiſer, und ſeine zwey Begleiter.
  • 5. Die Kaiſerinn, von dem Herzoge von Hol - ſtein gefuͤhret, und wie vorher in der Proceßion beglei - tet; den Schweif des Kaiſerlichen Mantels trugen die vother erwaͤhnten fuͤnf Damen.
  • 6. Die vornehmſten Frauenzimmer vom Stan - de, ſowohl vom Hofe als aus dem Reiche, nebſt der Kaiſerinn Hofdamen.
  • 7. Die uͤbrigen Perſonen vom Stande beyder - ley Geſchlechts, geiſtliche und weltliche.

Sobald ſich Jhro Majeſtaͤten unter dem Himmel befanden, betete ein Erzbiſchof, und die ganze Ge - ſellſchaft ſetzte ſich nach ihrem Range. Bey jedem Aufſatze gab der Großmarſchall dem Ceremonienmei - ſter Befehl, mit zu gehen, und alles nach der Ord - nung zu ſetzen. Alle Beamten, ſo die Aufwartung hatten, ſtanden vor der Thuͤre am Saale vom erſtenD d 5bis426bis zum letzten, die Gerichte anzunehmen, die in fol - gender Ordnung auf die Tafel getragen wurden.

  • 1. Der Großmarſchall.
  • 2. Der Groß-Haushofmeiſter.
  • 3. Der oberſte Vorſchneider.
  • 4. Die Officiers, die die Schuͤſſeln trugen, und lauter Qberſten waren; jedes Gerichte wurde von zweyen von der Leibgarde zu Pferde mit ihren Cara - binern bewacht.
  • 5. Der Ceremonienmeiſter.

Der Groß-Haushofmeiſter ordnete die Gerichte und nahm ſie wieder weg, wobey er jedes Mahl die Knie beugte, und alle andere, die Jhren Majeſtaͤten Teller oder Glaͤſer gaben, bedienten ſie auf den Knien. Sie ſpeiſeten auf Gold und tranken aus goldenen Be - chern, und die Pyramiden bey dem Nacheſſen wur - den auf goldenen Schuͤſſeln aufgetragen. Der Her - zog von Holſtein wurde ebenfalls von hohen Officieren mit Gold bedienet.

Es wurden zugleich Ochſen und alle Arten von Voͤgeln fuͤr das Volk vor dem Saal gebraten, und auf einer daſelbſt errichteten Buͤhne ſprang rother und weißer Wein.

Ehe der Hof von der Tafel aufſtand, gab der Fuͤrſt Menzikof jeder Perſon vom Stande, die der Ceremonie beygewohnet hatte, eine große goldene Medaille, worauf dieſe Ceremonie vorgeſtellet war. Hierauf begaben Jhro Majeſtaͤten ſich in eben der Ordnung, wie ſie gekommen waren, wieder in ihre Zimmer, und die Officiers, die aufgewartet hatten, von der Garde zu Pferde und zu Fuße, ſetzten ſich an die Tafeln, und begaben ſich nach geendigter Mahl -zeit427zeit in unſere Quartiere. Die ganze Nacht wurde mit Ergoͤtzlichkeiten, mit Feuerwerken, Jlluminatio - nen, Freudenfeuern, Trommeln, Muſik und mit Laͤutung der Glocken zugebracht, und die Straßen wimmelten von Menſchen. Die drey folgenden Ta - ge nahm die Kaiſerinn die Gluͤckwuͤnſche von allen auslaͤndiſchen Miniſtern und von den Deputirten aus den Provinzen an.

Den vierten Tag gab die Kaiſerinn ein großes Gaſtmahl, und des Abends wurde ein praͤchtiges Feuer - werk abgebrannt, welches den Kaiſer vorſtellte, wie er ihr die Krone aufſetzte, mit der Ueberſchrift: Von Gott und dem Kaiſer. Die ganze Stadt war ebenfalls erleuchtet, und uͤberall war nichts als Freu - de von aller Art zu ſehen.

Den Beſchluß der ganzen Freude machte eineNeue Art der Promotion. General-Promotion bey Hofe, bey der Armee und der Flotte, die nach venetianiſcher Art, wo die Stim - men mit Kugeln gegeben werden, angeſtellet wurde, und auf folgende Art vor ſich gieng: Es wurde eine weiße blecherne Buͤchſe mit drey Oeffnungen gemacht, vor welchen ſich ein ſo großes rundes Loch befand, daß eine Mannshand darein gieng. Die drey Oeffnun - gen waren weiß, roth und ſchwarz gemahlet; die weiße bedeutete Befoͤrderung; die rothe das Gegentheil, und die ſchwarze zeigte die Unfaͤhigkeit dazu an. Die Buͤchſe wurde mit Scharlach bedeckt, und jede zum Loſen beſtimmte Perſon bekam einen weiß ledernen Ball, den ſie in eine von dieſen Oeffnungen, ohne daß man es wahrnahm, thun konnte. Der Bri - gadier Knez Uſupof, Major bey der Garde, ſollte durch dieſe Kugeln zum Generalmajor gemacht wer -den,428den, und alle Officiers von der Garde, 84 an der Zahl, mußten ihre Stimmen geben. Als aber die Buͤchſen unterſucht wurden, ſo fand man, daß 32 gegen 23 wider ihn waren, und 29 ihn fuͤr unfaͤhig erklaͤrten. Der Kaiſer war daruͤber betreten, weil Knez Uſupof als ein tapferer Officier und als einer, der beſtaͤndig gute Mannszucht gehalten hatte, be - kannt war, welches auch fuͤr die Urſache angeſehen wurde, daß er ſo viel Feinde hatte. Hierauf wurde das Loſen bey Seite geſetzt, und die Promotionen nach der gewoͤhnlichen Art vorgenommen.

Der Verfaſ - ſer erhaͤlt Ur - laub.
2

Mir wurde noch einmal eine Befoͤrderung ange - boten, weil ich aber merkte, daß man mich dadurch in Dienſten behalten wollte, ſo ſchlug ich ſie aus, und bat mich zu entſchuldigen, daß ich vor meiner Zuruͤck - kunft aus Großbritannien keine annehmen koͤnnte. Da ich aber ſahe, daß der Fuͤrſt Menzikof, auf An - ſtiften des Grafen Bruce, die Abſicht hatte, daß ich bleiben ſolle, ſo ſtellte ich dem Grafen meine Umſtaͤnde ſo dringend vor, daß er endlich darein willigte und mit dem Fuͤrſten davon ſprach, der mir denn den 27. May meinen ſehr gewuͤnſchten Urlaub gab. Jch er - hielt meinen Sold und Fouragegeld, welches ich von dem Regimente zu fordern hatte, aber der Sold als Jngenieur, den ich auf zwey Jahre zu fodern hatte, und der ſich auf 1200 Rubel belief, wurde mir nicht ausgezahlt, ſondern ich erhielt zur Antwort, daß das hierzu beſtimmte Geld in Petersburg ſey, und ich alſo dahin gehen muͤßte, welches gewiß meine Reiſe wuͤrde verhindert haben, wenn ich es gethan haͤtte. Jch gab alſo dem Generalmajor le Fort die Voll - macht, dieſe Bezahlung einzucaßiren, mein Hausund429und Hausgeraͤthe in Petersburg zu verkaufen, und mir das Geld nach Schottland zu uͤbermachen. Allein es wurde bis zu meiner Zuruͤckkunft Arreſt darauf ge - leget, und nach Verlauf meines Urlaubs alles, was ich zuruͤckgelaſſen hatte, eingezogen, daß ich alſo kei - ne Urſache hatte mich eines durch meine 13jaͤhrige Dienſte in Rußland erworbenen Vortheils zu ruͤh - men.

Der Kaiſer und ſeine Gemahlinn traten den 27. Der Verfaſ - ſer reiſet von Moskau ab.May ihre Reiſe von Moskau nach Petersburg an; ich reiſete ebenfalls den 28ſten ab, und kam den 7. Junii nach Novogorod. Von da fuhr ich 50 Mei - len uͤber den Jlmen-See bis an den Fluß Solon, und gieng alsdann 20 Meilen an dieſem Fluſſe zu Lande bis nach Sultza, worauf ich uͤber Pleskow und Petzora, zwey feſte Staͤdte, den 15ten nach Wenden, in Liefland, kam. Dieſer Ort war vor dieſem feſt geweſen, aber die Feſtungswerke lagen jetzt in Rui - nen. Endlich langte ich den 17ten in Riga an, welches 1036 Werſte von Moskau entfernt iſt. Der Feldmarſchall, Knez Repnin, der Gouverneur dieſer Stadt, kam zwey Tage nach mir an. Jch machte dem Gouverneur ſogleich meine Aufwartung, und zeigte ihm meinen Paß, und ob wir gleich vor dieſem einige Zwiſtigkeit mit einander gehabt hatten, weil ich mich geweigert, ſein Adjutant zu werden, ſo war er doch ſehr hoͤflich gegen mich, und bot mir ſeinen Tiſch an, ſo lange ich mich in dieſer Stadt aufhalten wuͤr - de. Jch logirte bey dem Artillerie-Oberſten Be - rens, der eine Nichte von der Graͤfinn Bruce geheira - thet hatte.

Der430

Der Oberſte fuͤhrte mich in die Cathedralkirche und zeigte mir ein Zeichen an der Mauer, welches fuͤnfthalb Fuß hoch war, und ſagte, daß im vorigen Jahre, bey dem Aufbruche des Eiſes auf der Dwina, das Waſſer ſo hoch gegangen ſey und die ganze Stadt uͤberſchwemmet habe. Da nun eben zu derſelben Zeit in einem hoͤlzernen Hauſe außer der Stadt nahe am Fluſſe eine Hochzeit geweſen ſey, und das Haus folglich von Menſchen war, ſo ſey ſelbiges durch das ploͤtzliche Steigen des Waſſers, eben da ſie am luſtig - ſten waren, eingeſtuͤrzet, und die ſaͤmmtlichen Gaͤſte mußten ertrinken.

Anecdote von Carls XII. Tode.
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Als ich einmal mit verſchiedenen von meinen Bekannten in einem Wirthshauſe ſpeiſete, fuͤgte ſichs, daß ein ſchwediſcher Oberſter und ein Oberſtlieutenant, der ſtumm gebohren war, und bey dem verſtorbenen Koͤnige von Schweden in großen Gnaden geſtanden hatte, am Tiſche waren. Jndem wir aßen, trat des Gouverneurs Adjutant herein, gieng auf den Schwediſchen Oberſten zu, und befahl ihm im Nah - men des Kaiſers, ſich ſogleich von Riga weg zu bege - ben, ſonſt wuͤrde er als ein Verraͤther behandelt wer - den. Der Schwede ſtand ſogleich vom Tiſche auf, und gieng blaß und zitternd aus dem Zimmer. Als wir nach der Urſache des ploͤtzlichen Befehls an den Oberſten fragten, ſo wurde uns geſagt, daß er im Verdacht ſey, den Koͤnig von Schweden in den Tran - ſcheen bey Friedrichshall erſchoſſen zu haben. Es ſcheint, daß einige von der Geſellſchaft dem ſtummen Oberſtlieutenant die Sache durch Zeichen zu verſtehen gegeben hatten; denn er lief ſogleich mit bloßem De - gen fort, und wuͤrde den Oberſten, wenn ihn nicht derAdju -431Adjutant und noch einige andere zuruͤck gehalten haͤt - ten, gewiß erſtochen haben. Der Oberſte wurde in - deſſen ſicher uͤber die Dwina, die Liefland und Cur - land ſcheidet, gebracht, wohin ihm ſeine Bedienten und Bagage nachfolgten. Es wurde geſagt, daß, ſo lange er in Riga geweſen ſey, ſtarke Wechſel von Stockholm an ihn gekommen waͤren, welches es ſehr wahrſcheinlich machte, daß er durch vieles Geld zu dieſem Koͤnigsmorde war beſtochen worden. Dieſer Oberſte eilte nach Pohlen, und wollte durch dieſes Koͤnigreich nach der Tuͤrkey gehen, weil er daſelbſt wohl bekannt war, und ſich mit dem Koͤnige von Schweden lange in Bender aufgehalten hatte. Da man aber nichts mehr von ihm hoͤrte, ſo wurde durch - gaͤngig geglaubet, daß er in Pohlen ſey umgebracht worden.

Jch hatte mir vorgeſetzt, meinen Weg uͤber Ber -Der Verfaſ - ſer ſegelt nach Schott - land ab. lin zu nehmen, da ich aber das Schiff Jſabella, deſ - ſen Capitain Johann Carnegie hieß, und nach Mont - roſe fuhr, hier antraf, ſo reiſte ich mit ihm, wobey er friſchen Proviant fuͤr uns mitzunehmen verſprach. Das Schiff fuhr den 28ſten Junii den Fluß hinun - ter, und ich folgte den andern Tag nach der Feſtung Duͤnamuͤnde nach, wohin mich viele von meinen Be - kannten begleiteten. Jch ſetzte mich daſelbſt zu Schiffe, da wir denn dieſen Abend bis in die Muͤn - dung dieſes Fluſſes fuhren. Den 30ſten Junii fuh - ren wir mit gutem Winde bey den Jnſeln Runen und Oeſel vorbey; weil ſich aber der Wind gegen Abend uns entgegen wandte, ſo fieng ich an, unſern Pro - viant zu unterſuchen, der aus Boͤkelfleiſch, Erbſen, Graupen, Zwieback und ſaurem Biere beſtand. DerCapitain432Capitain gab vor, daß er in der Eil vergeſſen habe, friſche Speiſen zu kaufen, welches ein ſehr uͤbler Um - ſtand fuͤr mich war, weil ich niemals geſalzenes Fleiſch eſſen koͤnnen. Da aber des Oberſten Berens Ge - mahlinn die Gewogenheit gehabt, ohne mein Wiſſen einen uͤberfluͤßigen Vorrath an Lebensmitteln von al - len Arten auf das Schiff zu ſchicken, ſo wurde des Capitains Mangel reichlich erſetzt. Da der Wind fortfuhr, uns entgegen zu ſeyn, ſo trieb er uns nach der Jnſel Gothland, und wir fuhren den 2ten Julii bey der Stadt Wisby vorbey. Jndem wir alſo laͤngs der Kuͤſte hinfuhren, ſahe ich viele Kirchen mit Thuͤr - men, die nicht uͤber eine Stunde weit von einander lagen. Wir bemuͤhten uns, nach der Jnſel Oeland zu kommen, konnten ſie aber nicht erlangen, und nachdem wir drey Tage lang faſt vergebens gearbei - tet hatten, ſo uͤberredete ich den Capitain, bey den Jungfer-Scheren, nahe an der Schwediſchen Kuͤſte, zu ankern, wo ich mit vier Mann in einem Bothe ans Land zu einigen Fiſcherhuͤtten gieng, wo wir aber niemanden antrafen. Wir giengen alſo ein wenig weiter in den Wald, wo wir viele Leute, Maͤnner und Wei - ber, fanden, die Kalkſteine brannten; ein alter Mann wies uns den Weg durch den Wald nach einem Dor - fe, wo ich mir ein Schaf, etwas Voͤgel, Eyer und Butter kaufte, worauf wir zu unſerm Schiffe zuruͤck kehrten. Weil aber der Wind noch ſchlecht war, ſo konnten wir nicht weiter kommen. Den 8ten bekamen wir endlich Oeland nach einem heftigen Sturme zu ſe - hen, wobey ſich die Wellen den ganzen Tag uͤber uns brachen, und wir einem Hollaͤndiſchen Schiffe be - gegneten, das ſeinen Hauptmaſt verlohren hatte. Den433Den 9ten wurde uns der Wind guͤnſtig, und blieb bis um zehn Uhr des andern Tages, als wir nahe bey der Jnſel Bornholm waren; weil ſich aber der Wind ploͤtzlich aͤnderte, ſo wurden wir zuruͤckgetrieben, und ſahen uns genoͤthiget, in den Hafen Erdholm einzu - laufen. Nach einem gegebenen Zeichen kam ein Pi - lot auf das Schiff, der mit unſerm Schiffe mehr aus Vorſatz als Unwiſſenheit beym Eingange des Hafens auf einen Felſen ſtieß, und zwar ſo nahe am Ufer, daß die daſelbſt ſtehenden Schildwachen unſere Bewegun - gen auf dem Verdecke deutlich ſehen konnten. Ob ſie nun unſere Noth gleich wußten, und Kaͤhne in Men - ge bey ihnen am Ufer waren, ſo that doch keiner ei - nen Schritt uns beyzuſtehen. Als unſer Anker ge - worfen wurde, und der Gouverneur gewahr wurde, daß ich beſſer Anſtalten machen als ſelbſt arbeiten konnte, ſo ſchloß er daraus, daß ich ein Paſſagier ſeyn muͤſſe, ob ich gleich als ein Schiffer gekleidet war. Er ſchickte daher ſeinen Adjutanten mit einem Bothe ab, mich und meine Sachen ans Land zu brin - gen, welches ich bereitwillig annahm. Als ich hier - auf zu dem Gouverneur kam, ſo kannten wir einan - der, und hatten einander ſowohl in Flandern als Co - penhagen, als ſich die ruſſiſche Armee an dem letztern Orte befand, kennen lernen. Ehe ich mich aber noch in ein Geſpraͤch mit ihm einließ, bat ich ihn ſo nach - druͤcklich um Beyſtand, das Schiff von dem Felſen herunter zu bringen, daß er Bothe genug ſchickte, die die Ladung einnahmen und das Schiff ſo leicht mach - ten, daß es ohne den geringſten Schaden los kam. Es war kaum in den Hafen eingelaufen, als ein hef - tiger Sturm entſtand, der es wuͤrde in Stuͤcken zer -E ebrochen434brochen haben, wenn es eine Viertelſtunde laͤnger auf dem Felſen geblieben waͤre. Wir hatten alſo die Ret - tung des Schiffes und der Ladung gaͤnzlich meiner Bekanntſchaft mit dem Gouverneur zu danken.

Der Hafen Erdholm.
2

Dieſer Hafen gehoͤret der Krone Daͤnnemark, und iſt einer der beſten in Europa. Er hat gegen Suͤden und gegen Norden Eingaͤnge, die beyde von Feſtun - gen beſchoſſen werden, und gerade ſo breit ſind, daß ein Schiff bequem genug einlaufen kann. Er iſt rund, und ſo groß, daß hundert Segel Platz darinn haben, und ſo tief, daß ſie nahe am Ufer liegen koͤnnen. Er iſt fuͤr die Kriegsſchiffe des Koͤnigs von Daͤnnemark uͤberaus bequem, weil ſie zur Kriegszeit auf einer Seite ein - und auf der andern wieder auslaufen koͤn - nen. Dieſe ganze Jnſel iſt nichts als ein bloßer Fel - ſen, ohne Sand und Erde; doch haben der Gouver - neur und die andern Officiers Erde von der Jnſel Bornholm, vier deutſche Meilen davon, bringen laſ - ſen, und Gaͤrten angeleget.

Der jetzige Gouverneur war der Oberſte Hirſch - nach, deſſen eigenes Regiment hier in Garniſon lag. Sie ſind gewiſſermaßen von der ganzen uͤbrigen Welt abgeſondert, indem bey gutem Wetter und Winde niemals ein Schiff hieher kommt. Damals lagen zwar auf dreyzehn Hollaͤndiſche und Engliſche Schiffe im Hafen, allein es vergeht oft ein Jahr, ohne daß ſie ein einziges Schiff zu ſehen bekommen. Zu Som - merszeit beſuchen ſie oͤfters ihre Nachbarn in Born - holm, und werden von ihnen beſucht, von denen ver - ſchiedene gegenwaͤrtig waren. Es ward geſpielet und getanzt, welches die einzigen Vergnuͤgen ſind, die ſie ſich an dieſem Orte machen koͤnnen. Zuweilen fuhrenſie435ſie an einem ſchoͤnen Tage in Bothen zu den Felſen, (die in großer Anzahl um dieſe Jnſel ſind,) und ſamm - leten Federn oder Dunen in den wilden Enten-Ne - ſtern, woraus der Gouverneur des Jahres auf vier - hundert Thaler ziehet.

Da die Daͤnen damals glaubten, daß die Ruſſen einen Angriff auf Holſtein, wegen des Herzogs, zu thun geſonnen waͤren, ſo ließ mich der Gouverneur in keine Feſtung, weil er aus meinem Paſſe ſahe, daß ich bloß Urlaub hatte. Als ich ihm aber erzaͤhlte, daß ich nicht geſonnen ſey, wieder in Ruſſiſche Dienſte zu - ruͤck zu gehen, ſo fuͤhrte er mich ſelbſt in beyde, und ich nahm ſeine Entſchuldigung gerne an, als ich ſie beyde in einem wehrloſen Zuſtande fand. Er ſagte, daß er oft, aber vergebens, um einen Jngenieur an - gehalten habe, der ſie in einen beſſern Zuſtand ſetzen moͤchte, und fragte mich jetzt, was zu ihrer beſſern Vertheidigung nothwendig ſey. Da ſie lange nicht waren ausgebeſſert worden, ſo ſagte ich, daß ein Jn - genieur eine ziemliche Zeit darauf wuͤrde wenden muͤſ - ſen, wenn er ſie in einen Vertheidigungszuſtand ſe - tzen wollte. Der Gouverneur ſchlug mir hierauf vor, daß ich in Daͤniſche Dienſte gehen ſollte, und verſicher - te mich, daß ich als Jngenieur ſehr angeſehen ſeyn wuͤrde, weil ſie ſehr uͤbel damit verſehen waͤren, aͤuſ - ſerte auch, daß er mir leicht bey ſeinem eigenen Re - gimente zu einer Compagnie, wie auch zu einem huͤb - ſchen Frauenzimmer verhelfen koͤnnte. Jch erfuhr hernach, daß dieſes mit dem Capitain Fiſcher, einem alten Officier bey dem Regimente, und ſeiner Frau war verabredet geweſen, indem derſelbe mir ſeine Compagnie abtreten wollte, im Fall ich ſeine Tochter,E e 2ein436ein huͤbſches Frauenzimmer von achtzehn Jahren, hei - rathen wollte. Da ſie wußten, daß das Schiff mit dem erſten guten Winde abſegeln wuͤrde, ſo ſchlugen ſie mir vor, das Schiff abfahren zu laſſen, und ver - ſicherten mich, daß es mir nicht an einer andern Ge - legenheit fehlen koͤnnte, wenn auch dieſer Vorſchlag meinen Beyfall nicht finden ſollte. Allein da ich kei - ne Luſt hatte, mich an einem ſo abgelegenen Orte le - bendig zu begraben, ſo entſchuldigte ich mich, ſo gut ich konnte.

Abreiſe nach Helſingoͤr.
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Den 21ſten Julii des Nachmittags giengen alle Schiffe mit gutem Winde aus dem Hafen. Da un - ſer Both zuruͤck gelaſſen worden, mich auf das Schiff zu bringen, ſo begleitete mich der Gouverneur und ſeine ganze Geſellſchaft bis an die Feſtung, wo ich Ab - ſchied von ihnen nahm, und mich auf das Schiff be - gab, wo ich einen guten Vorrath von friſchen Lebens - mitteln fand, den der Gouverneur und Mademoiſelle Fiſcher dahin hatten bringen laſſen. Da ich keine Kanonen auf dem Schiffe hatte, ſo begruͤßte ich ſie mit ſieben Musketen, welches mit fuͤnf Kanonen von der Feſtung beantwortet wurde. Als wir bey Born - holm vorbey fuhren, redete ein Daͤne auf uns, und fragte uns, ob wir etwas von einer Ruſſiſchen Flotte wuͤßten, oder etwas davon auf der See gehoͤrt haͤtten. Aus dieſen wiederholten Fragen war offenbar, daß ſie einen Einfall wegen Holſtein beſorgten, indem der Kaiſer die Zuruͤckgabe dieſes Herzogthums an ſeinen rechtmaͤßigen Herrn in nachdruͤcklichen Ausdruͤcken verlangt hatte. Wir fuhren den 22ſten bey der Jn - ſel Muin vorbey, ankerten den folgenden vor Copen - hagen, und kamen den 24ſten nach Helſingoͤr. Hiergieng437gieng der Capitain ans Land und machte den Zoll richtig; ich begleitete ihn, und er wurde zum Gouver - neur gebracht, ihm meinen Paß zu zeigen, dem ich zugleich einen Brief von dem Gouverneur Hirſchnach uͤbergab. Der Gouverneur behielt mich zum Abend - eſſen, wobey er viele Fragen wegen Rußland an mich that. Weil er aus dem Briefe, den ich ihm uͤber - bracht hatte, erſahe, daß ich nicht geſonnen ſey, in Ruſſiſche Dienſte zuruͤck zu gehen, ſo drang er ſehr in mich, dem Rathe dieſes Herrn zu folgen, und in Daͤ - niſche Dienſte zu treten, welches, wie er bemerkte, deſto leichter bewerkſtelliget werden koͤnnte, da ich ver - ſchiedene Verwandte vom Stande haͤtte, die in die - ſen Dienſten ſtuͤnden. Hierauf antwortete ich ihm, daß er aus meinem Paſſe erſehen koͤnne, daß ich noch nicht von Ruſſiſchen Dienſten los waͤre; und da es wahrſcheinlich ſey, daß dieſe zwey Nationen mit ein - ander brechen wuͤrden, ſo koͤnnte ein ſolcher Schritt die gefaͤhrlichſten Folgen fuͤr mich haben, welches er dann nicht leugnen koͤnnte, wenn der Bruch erfolgen ſollte. Man muß bemerken, daß die Daͤniſche Armee meiſt aus Auslaͤndern beſtehet, und daß die Daͤnen und Norweger nur bey ihrer Flotte gebraucht werden. Hier traf ich den Hrn. Pritzbauer, einen Rittmeiſter, an, mit welchem ich in Mecklenburg umgegangen war. Er ſagte mir, daß zwey von meinen Verwandten, naͤmlich der General Dewitz und der Oberſte Arens - dorf, ein Vetter von meines Vaters Seite, in Co - penhagen waͤren, und gab ſich viel Muͤhe, mich dahin zu bringen, ſie mit ihm zu beſuchen, indem ich taͤg - lich ein anderes Schiff bekommen koͤnnte. Weil ich aber ein ſehr großes Verlangen hatte, meine FreundeE e 3in438in Schottland zu ſehen, ſo konnte ich nicht darein wil - ligen. Deſſen ungeachtet drang Hr. Pritzbauer dar - auf, daß ich die vier Tage, die ich mich in Helſingoͤr aufhielt, in ſeinem Hauſe logiren mußte.

Heftiger Sturm.
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Wir reiſeten den 28ſten von hier ab, und wur - den den 30ſten von einem heftigen Sturme uͤberſal - len, der unſern Hauptmaſt nebſt Segeln und Tau - werke wegfuͤhrte. Jn dieſer Noth erlangten wir mit vieler Schwierigkeit Marſtrand, eine Stadt und Fe - ſtung in Schweden. Hier traf ich wiederum viele bekannte Officiers an, die als Gefangene in Moskau ge - weſen waren, und mir ſehr hoͤflich begegneten; ver - ſchiedene Ruſſiſche Soldaten, die von den Schweden waren gefangen worden, und hernach Dienſte genom - men hatten, baten mich, ein gutes Wort bey dem Gouverneur einzulegen, ſie in ihr Land zuruͤck gehen zu laſſen; er ſagte aber, daß es nicht in ſeiner Gewalt ſtuͤnde, ſie los zu geben, weil ſie freywillig Dienſte genommen haͤtten. Es dauerte acht Tage, ehe wir wieder zur See gehen konnten, und wir fuhren den 7ten Au[g]uſt ab. Zwey Tage darnach mußten wir wegen widrigen Windes nach Hammerſund fahren, ein Ort, der ſehr angenehm an einem großen Walde liegt. Wir brachten die Tage, die wir hier aufge - halten wurden, mit Voͤgelſchießen und Nuͤſſeſamm - len zu. Hier zankte ſich der Capitain mit dem Un - ter-Capitain, ſo daß ſie auch mit bloßen Degen in den Wald giengen, ihre Sache mit einander auszu - machen. Ein Knabe, mit Namen Carnegie, des Capitains Enkel, ſagte mir ihr Vorhaben. Jch gieng ihnen daher mit einer Vogelflinte nach, und der Knabe zeigte mir den Weg. Wir kamen zu ihnen, als ſie eben den Zweykampf anfangen wollten, welchen ichdadurch439dadurch unterbrach, daß ich meine Flinte anlegte, und auf den Anfaͤnger Feuer zu geben drohete. Als ich naͤher kam, redete ich ihnen ihre Thorheit aus, und gieng mit ihnen aufs Schiff, es bey einem Glaſe Punſch auszumachen, wodurch ſie auch gaͤnzlich wie - der verſoͤhnet wurden.

Wir lichteten den 14ten die Anker und fuhren mitDer Verfaſ - ſer kommt in Schottland an. gutem Winde bey Chriſtianſand, und Neus oder Naze vorbey, und verlohren, ehe es Abend wurde, Norwegen aus dem Geſichte. Den 17ten ſahen wir wiederum Land, von dem der Capitain glaubte, daß es der Ein - gang des Firth of Forth ſey, und da er ſich gegen Norden wandte, und Montroſe zu erreichen gedachte, ſo fuhr er, weil es ſehr nebeliges Wetter war, vorbey. Ein Fiſcherboth, auf welches wir ſtießen, gab uns die Nachricht, daß wir Aberdeen gegen uͤber waͤren. Hier verließ ich die Jſabella, und kam in dem Fiſcher - bothe nach einer beſchwerlichen Reiſe von 50 Tagen in Aberdeen an.

Jch nahm von dem kleinen Vermoͤgen, das mir mein Groß-Oncle hinterlaſſen hatte, Beſitz, ließ mich hier nieder, und wurde, nachdem ich mich verheirathet hatte, ein Landmann, bey welcher Beſchaͤftigung ich ſechzehn Jahre blieb, bis der Krieg mit Spanien be - kannt gemacht wurde, da es der Regierung an Jnge - nieuren fehlte. Jch wurde von dem Herzoge von Ar - gyll an den Herzog von Montagu, den General-Feld - Zeugmeiſter, empfohlen, der mich als Jngenieur an - nahm, und mir taͤglich zwanzig Schillinge gab. Jch wurde alſo abgeſchickt, Providence, eine von den Ba - hama-Jnſeln, zu befeſtigen, und fuhr meiner Familie wegen, die ziemlich zahlreich geworden war, noch ein - mal nach einem neuen Theile der Welt ab.

E e 4Eilftes440

Eilftes Buch.

Der Capitain wird als Jngenieur abgeſchickt, Pro - vidence zu befeſtigen, und reiſet in dem Kriegsſchiffe, die Roſe, ab. Kommt auf der Jnſel Madera an. Macht dem Portugieſiſchen Gouverneur ſei - ne Aufwartung. Beſchwerliche Reiſe nach Caro - lina. Kommt um eine ſchoͤne Priſe. Ein hef - tiger Sturm. Die Feſtungswerke in Charles - town. Ankunft in Providence. Die ſchlechte Beſchaffenheit der Feſtung Naſſau. Kurze Ge - ſchichte der Bahama-Jnſeln. Bedruͤckungen des Gouverneurs Fitz-Williams. Der Gouverneur Tinker, ſein Nachfolger. Kurze Nachricht von dieſem Herrn. Der Capitain bringt die Einwoh - ner dahin, daß ſie Materialien zu Erbauung der Feſtung Montagu anfahren. Beſchaffenheit der Steine und des Maſtix-Holzes. Beſchrei - bung der Feſtung Montagu. Des Gouverneurs Brief von derſelben. Ein Streit mit dem Lieu - tenant Stewart. Kommt in Verhaft, und wird wieder frey gelaſſen.

1740. Der Capitain reiſet nach Providence ab.
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Jch wurde den erſten Julii 1740 als oberſter Jn - genieur die Bahama-Jnſeln zu befeſtigen be - ſtimmt, und bekam taͤglich zwanzig Schillinge. Jch fuhr den 8ten Auguſt aus Schottland ab, und kam den 16ten in London an, und ſobald ich daſelbſt Jn - ſtruction bekommen hatte erhielt ich Befehl, mit dem Eſq. Johann Tinker, der zum Gouverneur der Ba - hama-Jnſeln war ernannt worden, in dem Kriegs -ſchiffe,441ſchiffe, die Roſe, welches der Eſq. Thomas Frankland commandirte, der uns dahin bringen ſollte, abzurei - ſen. Wir giengen den 6ten November zu Schiffe, und fuhren den folgenden Tag von Spithead ab, wo wir bis den 9ten vor Anker lagen, und uns hierauf bemuͤhten durch die Nadeln zu fahren, wegen widri - gen Windes aber nach Cowes zuruͤck ſegeln und bis auf den 12ten daſelbſt bleiben mußten; wir fuhren durch die Nadeln, und hatten ſieben Schiffe unter un - ſerer Bedeckung, die Proviant und Recruten nach den Bahama-Jnſeln fuͤhrten. Da uns aber der Wind entgegen war, ſo mußten wir den 15ten in die Torbay einlaufen. Jndem dieſes geſchahe, wurden wir einen ſpaniſchen Caper gewahr, der ein Kauffar - theyſchiff erſtieg; wir kehrten hierauf ſogleich wieder um, verjagten ihn, und holten ihn ein, da er denn, nachdem wir fuͤnf Kanonen abgefeuert hatten, die Se - gel ſtrich. Da wir damals mit vollen Segeln fuh - ren und guten Wind hatten, ſo ließ der Spanier uns fahren, ohne daß ſeine Mannſchaſt zu uns an Bord gekommen waͤre. Als er aber hinter unſere Schiffe kam, ſo bemuͤhte er ſich, zu entwiſchen, worauf der Capitain Befehl gab, mit dem kleinen Gewehr auf ihn zu feuern, da denn ein Matroſe, der eben die Segel aufſpannte, erſchoſſen wurde. Hierauf ſetzten die Spanier ihr Both aus und kamen auf unſer Schiff. Es war nur ein Capitain und zwanzig Mann darauf, nebſt zwey Engliſchen Schiffs - Capitainen, die ſie den vorigen Tag weggenommen, und zugleich ihren Lieutenant nebſt zwoͤlf Mann mit den Priſen nach Spanien geſchickt hatten. Sie mußten ſehr ſchlecht mit Kleidern verſorgt geweſen ſeyn, als ſieE e 5abge -442abgefahren waren, denn ſie waren, wie wir ſahen, mit keinen andern verſehen, als die ſie den Englaͤn - dern abgenommen hatten; ſie hatten am Gelde vier und ſechzig Pfund, und waren ſehr gut mit Gewehr, Ammunition und Proviſion verſehen. Die Englaͤn - der ſagten uns, daß es ein Hauptſegler ſey und ſech - zehn Ruder habe, und wenn das Schiffsvolk nicht ſo verzagt geweſen ſey, ſo wuͤrde es uns nicht moͤglich geweſen ſeyn, es einzuholen; ſie waͤren aber in ſolcher Furcht geweſen, daß ſie bey jedem Kanonenſchuſſe, den wir thaten, mit dem Rudern inne gehalten und ihr Ave Maria gebetet haͤtten. Hier waͤre der Gou - verneur Tinker bald um ſein Leben gekommen, denn es gieng eins von ſeinen Piſtolen von ungefaͤhr los und ihm durch den Rock.

Wir kamen den folgenden Tag nach Torbay, und fanden daſelbſt die Argyle von funfzig Kanonen, wel - che unter dem Capitain Lingen nach Jrrland beſtimmt war, und das Schiff Portmahon von zwanzig Kano - nen, Capitain Paulet, welches nach Gibraltar wol - te. Am folgenden Tage verbrannten wir unſere Priſe und gaben den Capitain auf das Schiff Argyle; er war von Geburt ein Genueſer, und vor dieſem in un - ſerer oſtindiſchen Compagnie Dienſten geweſen. Jhm waren daher unſere Kuͤſten ſehr wohl bekannt, ſo daß wir es alſo fuͤr das beſte hielten, ihn nach Jrrland zu ſchicken. Anfaͤnglich that er, als wenn er kein Eng - liſch verſtuͤnde, da ihn aber der Capitain von der Roſe kannte, und mit ihm nach Jndien gefahren war, ſo konnte er es nicht laͤnger verlengnen. Er bemuͤhete ſich, die Wache auf dem Argyle zu beſtechen, ihn da - von laufen zu laſſen; ſobald dieſes aber entdeckt ward,wurde443wurde er geſchloſſen, und die uͤbrigen von den Gefan - genen wurden ans Ufer gebracht.

Wir fuhren den 23ſten November von Torbay ab, und hatten den folgenden Tag ſtarken Wind und ſtuͤrmiſche See, die ſich uͤber dem Schiffe brach, und daher heftige Bewegungen verurſachte. Jch befand mich damals in des Lieutenants Cajuͤte, und da das Waſſer mit Gewalt oben herein drang, ſo wurden meine Kleider und Betten ſo naß, daß ich die ganze Nacht aufbleiben mußte. Den folgenden Tag hat - ten wir einen ſo heftigen Sturm, daß wir unſere Se - gel einziehen, unſere Maſtbaͤume niederlaſſen, und uns alſo den Wind treiben laſſen mußten. Den 26ſten kamen wir in die Biscajiſche Bay, und wurden von dem Sturme etliche Tage lang in der See herum ge - trieben, wobey wir unfere ganze Convoy aus dem Geſichte verloren. Es brach auch zu eben der Zeit eine anſteckende Krankheit auf unſerm Schiffe aus, dadurch wir ſo viel Leute verlohren, daß wir uns end - lich genoͤthiget ſahen, wieder nach England zuruͤck zu kehren, wo wir den 5ten December in Falmouth ankamen.

Hier trafen wir die Schiffe Argyle und Port-Ma - hon an, die vom Winde aufgehalten wurden; aber von den Schiffen, die unter unſerer Bedeckung gewe - ſen waren, war nicht das geringſte zu hoͤren. Wir ſchickten, ſo lange wir uns hier aufhielten, unſern Chirurgus und viele andere von unſern Leuten krank ans Ufer, und erhielten von einem Kauffartheyſchiffe einen andern Wundarzt und neue Matroſen. Als am Lande Waſſer geholt werden ſollte, gieng unſere Joͤlle in Stuͤcken, wobey ein Matroſe gefaͤhrlich be -ſchaͤdi -444ſchaͤdiget wurde und vier von unſern Leuten deſertirten. Wir brachten unſere Zeit hier angenehm genug zu, und ſtellten oͤfters Baͤlle und Zuſammenkuͤnfte bis auf den 17ten an, da wir wieder in See giengen, und neunzehn Tage hinter einander naſſe Witterung hat - ten, wodurch die Krankheit unter unſern Leuten ver - mehret wurde.

Ankunft auf der Jnſel Madera.
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Den 5ten Jan. erblickten wir die Jnſel Madera, und da außer dem Schiffer von allen, die auf dem Schiffe waren, niemand daſelbſt geweſen war, ſo behauptete er, daß es die Jnſel Porto Sancto ſey, die ein und funfzig Meilen gegen Oſten von Madera liegt. Da wir uns auf ihn verließen, ſo richteten wir unſere Fahrt gegen Weſten, und ſegelten zwey Tage, ohne daß wir Land zu ſehen bekamen. Als wir endlich unſern Jrrthum ſahen, ſo mußten wir wieder umkehren, und kamen den 9ten gegen Abend auf Madera an. Den folgenden Tag brachten uns die Portugieſen in ihren Bothen ans Ufer; denn von unſern Leuten wagte ſich keiner, wegen der ſtarken Bran - dung, welche hier an dem Orte, wo man landet, auch ſogar bey ſtillem Wetter iſt. Dieſes iſt eine eintraͤg - liche Sache fuͤr die Portugieſen, die in Madera alles auf die Schiffe und von denſelben aufs Land fahren. Die Methode, deren ſie ſich bey dem Landen bedienen, iſt dieſe: ſie halten ſich vermittelſt der Ruder auf eine ſehr geſchickte Art auf einer Welle, welche ſie dann an das Ufer wirft, wo eine Menge Leute bereit ſtehen, und das Both ſo weit ziehen, daß die folgende Welle daſſelbe nicht erreichen kann. Wenn ſie zu Schiffe gehen, ſo ſetzen ſie die Paſſagiere und die Waaren auf dem trocknen Lande in das Both; die Bothsleute ſitzendarinn,445darinn, und halten die Ruder bereit; alsdann ſchiebt eine hinlaͤngliche Anzahl Menſchen das Both auf eine Welle, und ſo fahren ſie ohne die geringſte Schwie - rigkeit fort. Jch wunderte mich, als ich ſahe, mit was fuͤr Geſchicklichkeit dieſes unternommen wird. *)Eben dieſes geſchieht auch bey Deal, in Kent, wenn die Brandung am Ufer heftig iſt, welches ſehr oft geſchieht.

Als wir auf dem Ufer angekommen waren, giengBeſuch bey dem Portu - gieſiſchen Gouverneur. ich mit dem Herrn Tinker, der von einer zahlreichen Wache begruͤßet, und hernach von zwey Herren be - gleitet wurde, dem Portugieſiſchen Gouverneur unſere Aufwartung zu machen, der uns oben auf einer hohen auswendigen Treppe empfieng, und uns in einen großen Saal fuͤhrte. Nachdem ſich Herr Tinker mit ſeinem Gefolge auf der einen Seite des Zimmers, und die Portugieſiſchen Herren auf der Seite gegen uͤber niedergelaſſen hatten, nahm der Gouverneur von Madera ſeinen Sitz dem Herrn Tinker gerade gegen uͤber, und nachdem einige Worte auf eine ſehr feyer - liche Art waren gewechſelt worden, begaben wir uns wieder weg, und wurden eben wieder ſo begleitet, wie wir waren herein gebracht worden. Wir ſpeiſeten zu Mittage bey Herrn Bakern, dem Engliſchen Conſul, wohin auch der Portugieſiſche Gouverneur nach der Mahlzeit kam, und dem Herrn Tinker ſeinen Gegen - beſuch machte, der eben ſo kurz war, und mit eben ſo viel Ceremonien, wie der erſte, geſchahe; hiermit hatte der Umgang beyder Gouverneurs ein Ende. Wir giengen hierauf aus, und beſahen ihre Kirchen und Kloͤſter, und wurden von einem Jrrlaͤndiſchen Prieſter begleitet. Den folgenden Tag ſpeiſeten wirbey446bey den Kaufleuten, den Herren Scott, und mach - ten alsdann auf die ſuͤdliche Seite des Huͤgels einen Spaziergang, wo wir viele Luſthaͤuſer antrafen, be - ſonders aber dasjenige, welches dem Providor gehoͤrte, wo drey kuͤnſtliche uͤber einander angebrachte Terraſſen in der Fronte mit Waſſerwerken und BlumentoͤpfenBeſchreibung der Jnſel. gezieret waren. Auf der ganzen Seite gegen Suͤden iſt dieſe Jnſel nichts als ein mit Weinbergen und da - zwiſchen liegenden Haͤuſern bedeckter Berg, worauf Citronen, Pomeranzen und andere Arten von frucht - baren Baͤumen gepflanzt ſind. Die noͤrdliche Seite wird nicht bewohnt, ſondern einzig und allein zur Weide fuͤr ihr Vieh gebraucht. Die Einwohner wohnen alle am ſuͤdlichen Ufer, und die Bay wird von zwey mit Kanonen wohl beſetzten Feſtungen be - ſchoſſen. Den letzten Tag unſers hieſigen Aufenthalts ſpeiſeten wir bey dem Herrn Chambers, und brach - ten den Abend bey dem Herrn Gordon zu, die beyde Kaufleute ſind. Bey dem letzten kaufte ich mir viele Pipen Wein, die Pipe fuͤr eilf Pfund und fuͤnf Schil - linge, die ich in einer Schnaue nach Suͤd-Carolina ſchickte.

1741. Beſchwerli - che Reiſe nach Caroli - na.
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Den 13ten Januar giengen wir wieder zu Schif - fe und fuhren des Nachts ab, da denn des Capitains Franzoͤſiſcher Koch ins Waſſer ſprang und ans Ufer ſchwamm. Wir hatten nunmehr, ſeitdem wir von Spithead abgefahren waren, neunzehn Mann verloh - ren. Den folgenden Tag hatten wir einen ſehr großen Sturm, und die See warf ſo große Wellen, und ſie brachen ſich ſo ſtark uͤber dem vierten Verdeck, daß niemand darauf bleiben und etwas thun konnte, und alle Betten und Haͤngebetten im Schiffe durch unddurch447durch naß wurden. Die Krankheit fieng an, immer mehr und mehr unter uns zu wuͤthen; der Gouver - neur, der Capitain und die meiſten von den Officie - ren waren krank und lagen in den Betten. Dieſes machte, daß jedermann auf dem Schiffe niedergeſchla - gen war. Der Sturm hielt am 15ten den ganzen Tag an, und wir waren waͤhrend dieſer Zeit in un - ſern naſſen Kleidern in einem unangenehmen Zuſtan - de. Am 16ten legte ſich der Sturm, aber die Krank - heit nahm zu, und es kamen ſehr wenige, die davon befallen wurden, mit dem Leben davon, ſo daß taͤg - lich ein oder der andere todte Koͤrper ins Waſſer ver - ſenkt wurde. Den 17ten fuhren wir bey dem Ber - ge Teneriffa und der Jnſel Palma vorbey. Den 18ten kamen wir endlich in den Paſſat Wind, da wir denn gerade nach Weſten fuhren. Da nun das Schiffsvolk hierdurch ſeiner ſchweren Arbeit entledi - get wurde; ſo wurden die Kranken alle auf das Ver - deck gebracht, und das Schiff durch und durch gerei - niget, wodurch die Krankheit ſehr abnahm, und die Leute wurden zu allen Arten von Ergetzlichkeiten auf - gemuntert, um ſie dadurch in immerwaͤhrender Be - wegung zu erhalten. Wir jagten verſchiedenen Schiffen nach, die aber, wenn wir zu ihnen kamen, entweder Engliſche oder Hollaͤndiſche waren. Den 31ſten wurden wir im 24ſten Grade 51 M. noͤrdli - cher Breite von einer Stille aufgehalten, und ſahen eine große Menge Voͤgel, die ſich im Wende-Cirkel aufhalten. An eben dieſem Tage ſtarben noch fuͤnfe von unſern Leuten, und ein Mohr, der dem Ca - pitain gehoͤrte.

Den448
Wir kommen um eine Priſe.
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Den 3ten Februar hatten wir ſtarken Wind und eine ſo unruhige See, daß das Schiff ſeine Bram - ſtange und die obere blinde Stange verlor, die beyde auf das Verdeck herunter fielen. Nach dieſem hat - ten wir ziemlich gutes Wetter. Den 16ten jagten wir abermals des Morgens im 30. Grade 40. Min. ein Schiff, und holten es gegen zehn Uhr ein. Es ſteckte eine Hollaͤndiſche Flagge auf, und ſtrich, als wir auf ſelbiges feuerten. Als wir nahe kamen, gab unſer Capitain Befehl, daß der Capitain deſſelben auf unſer Schiff kommen ſollte; ſie thaten aber als ob ſie ihn nicht verſtuͤnden. Unſer Lieutenant wurde alſo mit zwoͤlf Mann in der Schaluppe abgeſchickt, ihre Briefe zu unterſuchen, der denn die Nachricht brachte, daß es ein Hollaͤndiſches mit Thalern und Tobak beladenes Schiff ſey, welches von Curaßoa nach Amſterdam gehe, und vier Franzoͤſiſche Paſſa - giere habe. Wir waren aber alle (den Gouverneur Tinker ausgenommen) der Meynung, daß es, wenn es genau unterſucht wuͤrde, eine rechtmaͤßige Priſe ſey, und der Capitain ſchien entſchloſſen zu ſeyn, es zu behalten. Herr Tinker gab ſich alle Muͤhe es ihm auszureden, und ſtellte ihm den Verdruß und die Koſten vor, die ſich verſchiedene Capitains zugezogen hatten, wenn ſie Hollaͤndiſche Schiffe an ihrer Fahrt verhindert hatten. Der Capitain Frankland fragte mich um meine Meynung; ich gab ihm zur Antwort, daß ich es, wenn es meine Sache waͤre, nicht an ſei - ner Fahrt hindern, ſondern ſo lange mit ihm fahren wuͤrde, bis ich es genau unterſucht haͤtte, und da ich ſowohl die Hollaͤndiſche als Franzoͤſiſche Sprache ver - ſtand, bot ich ihm meinen Beyſtand an. Allein derGouver -449Gouverneur ſetzte den Capitain, der noch ſehr jung war, und der dieſe Reiſe das erſte Mahl commandir - te, in ſolche Furcht, daß er es ohne weitere Unterſu - chung zu großem Misvergnuͤgen der ganzen Mann - ſchaft fahren ließ, und hernach erfuhren wir, daß es mit 130,000 Pfund Sterlingen gluͤcklich in Cadix eingelaufen war.

Den 18ten hatten wir des Morgens um 6 UhrHeftiger Sturm. im 31ſten Grade 13 Minuten einen ſchrecklichen Or - can mit ſtarkem Regen, Donner und Blitz. Er riß uns unſere Segel am Vordermaſte weg und fuͤhrte ſie fort, hernach unſer Bramſtenge, und um 8 Uhr den Mittelmaſt. Da die Maſtbaͤume unter das Schiff gekommen waren, und durch die naſſen Segel an deſſen Boden befeſtiget wurden, ſo waren wir in großer Gefahr, unterzuſinken, indem die Enden un - ſerer zerbrochenen Maſte und Stengen bey jedem Stoße der See ſo heftig an den Boden ſtießen, daß es ein Wunder war, daß ſie nicht Loͤcher darein mach - ten. Jedermann war beſchaͤftiget die Seile und Se - gel weg zu ſchaffen, und als dieſes geſchehen war, befreyte uns e[nd]lich eine hohe Welle von dieſer Ge - fahr. Jn d[i]eſem elenden Zuſtande wurden wir den Tag uͤber und die folgende Nacht hin und her gewor - fen. N[a]chdem ſich das Wetter den folgenden Tag etwas a[u]sgeheitert hatte, ſpannten wir unſer groͤßtes Segelauf, und richteten Nothmaſte auf. Mit die - ſen fuhren wir bis den 26ſten, da wir denn nicht weit von uns ein Schiff ſahen, welches auf einer Sand - bark geſtrandet war, wie auch einen Schoner, der laͤngſt der Kuͤſte hinfuhr. Nachdem wir eine Kano - ne abgefeuert hatten, den Schoner zu uns zu brin -F fgen,450gen, ſo kam deſſen Schiffer auf unſer Schiff und ſagte uns, daß wir bey dem Vorgebirge Roman ge -Ankunft zu Charles - town. gen Norden von Charlestown in Carolina waͤren. Er fuͤhrte uns bis an die Sandbaͤnke bey Charlestown, da denn ein Pilot aus der Stadt auf das Schiff kam. Jch gieng in dem Schoner nach Charlestown, und fand dieſe Stadt in einem beweinenswuͤrdigen Zuſtan - de, indem die Haͤlfte davon abgebrannt war und die Ruinen noch davon rauchten, und eine Menge Kauf - mannswaaren von einem ſehr betraͤchtlichen Werthe voͤllig verbrannt waren. Da unſer Schiff ſo lag, daß es nicht wohl uͤber die Sandbank gebracht wer - den konnte, ſo wurde es von einem Landwinde wieder in die See zuruͤck getrieben, wo es auch ſeinen Noth - maſt verlohr. Es wurden ihm zwey Schiffe nach - geſchickt, die ihm beyſtehen ſollten; es konnte aber vor dem 2ten Maͤrz nicht uͤber die Bank gebracht werden. Waͤhrend der Zeit, da es in der See her - um getrieben wurde, ſtarben der Capitain und der Kanonier. Wir trafen hier das Schiff Phoͤnix, deſſen Capitain Fanſchaw hieß, und den Tartar an, deſſen Capitain George Townſend wa[r], beydes Schiffe von 20 Kanonen, die an dieſem Orte[a]uf den Poſten ſtanden, wie auch unſer Proviantſchiff, dasbey Biscaya durch die Bay gefahren war, und eine[g]ute Reiſe nach Providence gehabt hatte, wo es ſeine Recruten und Proviant ausgeladen hatte, und hieher zuruͤck ge - kommen war. Die Snow kam ebenfalls mit unſern Weinen von Madera hier an: ich verkaufte die Haͤlfte von den meinigen, und hatte dadurch die andere Haͤlfte umſonſt.

Die451

Die Herren Glieder der Provinzialverſammlung und andere Perſonen in Charlestown erwieſen uns, ſo lange wir uns hier aufhielten, viele Hoͤflichkeit, und ſtellten taͤglich Gaſtmahle und Baͤlle an. Den 23ſten ſahen wir ihre Miliz muſtern, die aus ſechs Compag - nien, jede von 100 Mann, beſtand. Die Officiers er - ſchienen alle in Uniformen, und die Gemeinen mach - ten ihre Uebungen ſehr gut. Die Muſterung wur - de mit einem Schmauſe und des Abends mit einem Balle beſchloſſen. Den folgenden Tag gieng ich mit dem Gouverneur Tinker, und den Capitains Town - ſend und Frankland auf Einladung in des Oberſten Vander Duͤßen Plantage, wo wir etliche Tage recht angenehm zubrachten. Nach unſerer Zuruͤckkunft in die Stadt beſahen wir die Johannisfeſtung, die 2 Meilen von der Stadt entfernt iſt, und den Eingang in den Hafen beſchießt. Der Gouverneur wurde bey un - ſerer Ankunft mit 11 Achtzehnpfuͤndern begruͤßt. Die - ſe Feſtung iſt ein ſehr ſchlecht eingerichteter Triangel, und mit 12 Sechspfuͤndern beſetzt; unter derſelben iſt die Seebatterie, darauf 30 neun -, zwoͤlf - und achtzehn - pfuͤndige Kanonen ſtehen. Bey unſerer Abreiſe wurden wir mit 11 neunpfuͤndigen ſalutirt. Broughtons Batte - rie ſtehet auf einer Landſpitze der Stadt gegen Suͤden, die den Cooper - und Aſchleyfluß beſchießt, und iſt mit 45 neun[-], zwoͤlf - und achtzehnpfuͤndigen Kanonen beſetzt, und zwiſchen den Baſtionen Grenville und Craven, auf der Cortine laͤngſt der Bay dem Cooperfluſſe ge - genuͤber, ſind 130 Kanonen von verſchiedenem Cali - ber, von deren vielen in der letztern Feuersbrunſt die Lavetten verbrannt waren. Es war nicht mehr als ein meßingener Moͤrſer von 11 Zoll, und 8 KoͤhornsF f 2daſelbſt452daſelbſt befindlich, die uͤbrigen waren alle dem Gene - ral Oglethorpe bey ſeiner Expedition wider St. Au - guſtin uͤberſchickt worden.

Da der Gouverneur Tinker ſahe, daß es noch lange waͤhren wuͤrde, ehe das Kriegsſchiff, die Roſe, im Stande ſeyn wuͤrde, abzufahren, ſo erſuchte er den Commodore Fanſchaw, den Tartar abzuſchicken, uns nach Providence zu fahren, welches er auch bewilligte, daher wir den 10ten April zu Schiffe giengen. Wir ſtießen etliche Mahl, indem wir uͤber die Sandbank fuhren, an, litten aber dabey keinen Schaden. Wir hatten eine angenehme Fahrt bis auf den 19ten, da wir des Abends nach der Mahlzeit, als wir eben bey - ſammen ſaßen und alle aufgeraͤumt waren, von einem von unſern Leuten erſchreckt wurden, welcher ſchrie, daß es Brandungen gebe. Der Capitain Townſend lief ſo - gleich auf das Verdeck, und befahl, das Schiff zu wenden, welches auch ſogleich geſchahe, und die Se - gel wurden mit ſo großer Ordnung und Geſchwindig - keit gedrehet, daß keine andere als des Capitains Stimme gehoͤret wurde. Als das Schiff gewendet war, haͤtte man leicht mit einem Steine von dem Hin - tertheile des Schiffes auf die Felſen Abbaco werfen koͤnnen; zum Gluͤck hatten wir hellen Mondenſchein. Herr Buckle, der Lieutenant, der damals im Bette lag und ſich zu der Nachtwache gefaßt machte, glaub - te, nachdem er eine Vergleichung mit des Steuer - manns Berechnung angeſtellet hatte, daß wir 20 Meilen gegen Weſten von der Jnſel Abbaco ent - fernt waͤren; allein zu dieſem Jrrthume gaben die ſtarken Stroͤme Gelegenheit. Den folgenden Tag verlohr der Capitain Townſend einen ſehr ſchoͤnen jun -gen453gen Mohr, der, indem er mit einem Keſſel ſiedenden Waſſers herauf kam, ſiel, und ſich ſo verbruͤhte, daß er kurz darnach, zu großer Betruͤbniß ſeines Herrn, ſtarb.

Den 21ſten April, als wir eben uͤber die Sand -Ankunft zu Providence. bank bey Providence gefahren waren, wurden wir von einem ploͤtzlichen Sturme mit Donner und Bli - tzen uͤberfallen, und es regnete ſo ſtark, und mit einem ſo ſchrecklichen Geraͤuſche, daß wir die Begruͤßung aus den Kanonen von der Feſtung nicht hoͤren konnten, ob wir ihr gleich gerade gegenuͤber waren, welches ei - nige fuͤr ein boͤſes Zeichen hielten. Bey unſerer Lan - dung trafen wir viele von den Einwohnern auf dem Ufer an, die ſich daſelbſt verſammelt hatten, ihrem neuen Gouverneur zu ſeiner gluͤcklichen Ankunft auf der Jnſel Gluͤck zu wuͤnſchen, und ſie verſprachen ſich, wie ſie ſich ausdruͤckten, unter einer mildern Regie - rung zu leben, als ſie unter der uneingeſchraͤnkten Ge - walt ihres letzten Gouverneurs erfahren hatten.

Der Capitain Laws, der eine Kriegsſchaluppe auf dieſem Poſten commandirte, und, da er ſeinen Rang dadurch, daß er das Commando uͤber die Scha - luppe angenommen, verlohren hatte, nicht unter dem Commando eines juͤngern Officiers ſtehen wollte, war etliche Tage vor unſerer Ankunft nach Jamaika gegan - gen, und uͤberließ mir ſein ausmeublirtes Haus (ei - nes der beſten in der Stadt) zu meinem Gebrauche, hatte auch den Miethzins (20 Pfunde jaͤhrlich) auf ein Jahr voraus bezahlet, woran noch neun Monate fehl - ten, wofuͤr ich ihm ſehr verbunden war; es war auch ein Garten und ein großer Wald von Pomeran - zenbaͤumen dabey.

F f 3Es454

Es befand ſich an dieſem Orte auch eine unabhaͤn - gige Compagnie von 150 Mann, davon der Gouver - neur Capitain iſt. Sie hat drey Lieutenants: der aͤlte - ſte von ihnen hieß John Howel. Herr Howe war jetzt Praͤſident uͤber die Bohama-Jnſeln; er war vorher Chirurgus bey den Seeraͤubern geweſen, hatte ſich nach erhaltener Begnadigung die Lieutenantsſtelle ge - kauft, und war auch Wundarzt bey der Compagnie, und wegen dieſes Titels Oberſter von der Miliz. Der zweyte Lieutenant war William Stuart, der Major bey der Miliz war. Dieſer verwaltete zwey Stellen, indem er des Chirurgi Stelle von dem vori - gen gekauft hatte; allein der Gouverneur machte, daß er die Stelle eines Chirurgi dem Jacob Jrwing uͤberließ, der mit uns von Charlestown gekommen war. Der dritte war William Moone, der mit dem Proviantſchiffe mit den Recruten von London kam. Herr Moone war nicht ordentlich angeſtellet, ſondern hatte in Erwartung einer Beſtallung mit des Gouver - neurs Erlaubniß dieſe Stelle lange verwaltet, welches ihm aber endlich durch die Ankunft des Patrick Drom - goles, eines Neffen des vorigen Gouverneurs, der mit einem Patente zur dritten Lieutenantsſtelle ankam, mißlung, welches ein ſehr uͤbler Umſtand fuͤr den Herrn Moone war. Von Perſonen vom Stande war weiter niemand hier, als der Oberrichter Row - land; Jacob Scott, Secretair und Schreiber bey der Admiralitaͤt; Johann Krovin, Provoſtmarſchall; Chaloner Jackſon, der Einnehmer, und der Predi - ger Smith.

Fort Naſſau.
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Als ich die Feſtung Naſſau beſahe, fand ich ſie in ſehr ſchlechtem Zuſtande. Die von Holz erbautenBarra -455Barraquen wollten einfallen, und außer dem war in der Feſtung kein Gebaͤude. Das Pulvermagazin war ein Haus, das in einiger Entfernung davon ſtand, und folglich der Gefahr ausgeſetzt, daß jeder - mann Feuer anlegen konnte. Jch traf nicht mehr als 16 Kanonen an, die auf ſehr ſchlechten Lavetten ſtanden; die uͤbrigen waren alle hin und her gewor - fen, und einige waren von dem hohen Waſſer im Sande vergraben worden; einige waren vernagelt, andere voller Steine und Sand; die Raͤder und Ku - geln lagen gleichfalls hin und her zerſtreuet, ſo daß ich ſie mit vieler Muͤhe kaum zuſammen bringen konn - te. Die Einwohner hatten ſich deren einer großen Menge ſtatt Ballaſtes auf ihren Schiffen bedienet. Nachdem ich ſie alle an einen Ort zuſammen gebracht hatte, bohrte ich die, ſo vernagelt waren, wieder aus, ſauberte ſie alle vom Roſte, und probirte ſie im Schieſ - ſen. Jch hatte nunmehr 44 Kanonen, die alle zu gebrauchen waren, und die ich auf neue Lavetten ſetz - te, die mit dem Proviantſchiffe aus England ange - kommen waren. Meine groͤßte Schwierigkeit war der Mangel an Steinmetzen, deren es nicht einen ein - zigen an dem Orte gab, welches mich alſo noͤthigte, einige aus den nordiſchen Colonien kommen zu laſſen; ich konnte aber nicht mehr als zwey Maurer von Philadelphia bekommen, die nichts von dem Stein - hauen verſtanden. Jch mußte dieſe und einige von den Soldaten unterrichten, Steine zu hauen und zu legen; und da hier keine Arbeiter zu bekommen wa - ren, wenn man nicht fuͤr ihren Unterhalt ſorgte, den man ihnen hier nicht verſchaffen konnte, weil die Ein - wohner ſelbſt meiſtens von Schildkroͤten und Fiſchen le -F f 4ben,456ben, alles andere Fleiſch aber hier eine große Selten - heit iſt, ſo mußte ich nach New-York nach Lebens - mitteln ſchicken. Sowohl der vorhergehende als der jetzige Gouverneur hatten eine Menge Kalk angeſchafft; ſo daß ich nur darauf bedacht ſeyn durfte, mich mit Steinen zu meiner neuen Feſtung zu verſorgen. Der Hafen wird von Hog-Jsland gemacht, die drey Meilen lang iſt; und da der Feind, wenn er dieſe Colonie zerſtoͤren wollte, gemeiniglich am oͤſtlichen Ende des Hafens, drey Meilen von Naſſau, ans Land zu ſteigen pflegte, ſo entſchloß ich mich, meine neue Feſtung auf dieſem Orte zu erbauen, weil es das Weſentlichſte war, in Zukunft dergleichen Anfaͤlle zu verhindern, indem der Eingang nicht einen Kanonenſchuß breit, und der Hafen alſo gedeckt genug ſeyn wuͤrde. Die Jnſel Providence iſt 27 Meilen lang, und 11 breit, und iſt von ſo viel unzaͤhligen unter dem Waſſer lie - genden Felſen umringet, daß es unmoͤglich iſt, daß ein Schiff anders, als in dem Hafen, ans Land kom - men kann; und wenn ja ein Feind in Bothen landen wollte, ſo wuͤrde es ihm unmoͤglich ſeyn, durch das Gehoͤlz zu kommen, ohne ſich vorher einen Weg durch daſſelbe zu hauen. Die andern Jnſeln, ausgenom - men die Jnſel Eluthera und Harbour, ſind nicht be - wohnet.

Die Abreiſe des Capitains George Townſend, welcher den 16ten May nach Carolina zuruͤck gieng, machte dieſen Ort einſam; denn da die Officiers und Seeleute, ſo lange als ſie hier blieben, ſich gemeinig - lich auf dem Lande aufhielten, ſo war es ziemlich leb - haft geweſen. Waͤhrend der Zeit, da ich Bauma - terialien zu Erbauung der Feſtung anſchaffte, ließ ich esmein457mein Geſchaͤft ſeyn, mich nach dem Urſprunge die - ſer Colonie, und nach der Beſchaffenheit dieſer Jnſeln zu erkundigen. Die Nachrichten, welche ich geſam - melt habe, ſind folgende.

Die Zahl der Bahama-Jnſeln erſtreckt ſich bisGeſchichte der Baha - ma-Jnſeln. auf etliche hundert, wovon aber die meiſten ſehr be - traͤchtlich ſind. Sie liegen zwiſchen dem 22ſten und 23ſten Grade noͤrdlicher Breite, und wurden von den Spaniern zuerſt entdeckt, und St. Salvadore, jetzt Katzen-Jsland, war das erſte Land, worauf Columbus ſeinen Fuß in dieſer neuen Welt ſetzte, wel - ches im Jahre 1493 geſchahe, und wo man auch noch die Ruinen und den Grund von ihren Capellen und andern Gebaͤuden ſiehet; denn ihre erſten Colo - nien befanden ſich hier, aber nur ſo lange, bis die Ein - gebohrnen, welche Goldbleche in ihren Lippen trugen, nachdem man ſie durch Zeichen gefraget hatte, wo - her ſie dieſe haͤtten, gegen Suͤdweſten zeigten, wor - auf dieſe Jnſeln fuͤr die Minen in Mexico und Peru verlaſſen wurden. Die Grauſamkeit, die die Spa - nier an dieſen armen Leuten, ſo lange ſie ſich bey ih - nen aufhielten, und hernach noch von Cuba, ausgeuͤ - bet haben, iſt unbegreiflich; ſie haben Hunde abge - richtet, dieſe ungluͤcklichen Leute als ihr Wild zu jagen, und dieſen Zeitvertreib machten ſie ſich ſo lange, bis ſie alle Einwohner vertilget hatten.

Um das Jahr 1607 wurden dieſe Jnſeln aber - mals von dem Capitain William Sayle (der her - nach Gouverneur von Carolina ward) entdecket und von den Koͤnige Carl II. ſechs Eigenthuͤmern in Ca - rolina, naͤmlich dem Herzoge von Albemarle, Lord Craven, Sir John Carteret, Lord Berkeley, LordF f 5Aſchley,458Aſchley, und Sir Peter Coleton, geſchenkt; da aber die Menſchen geneigter ſind, Laͤnder zu haben, als ſelbige zu verbeſſern, ſo ſind ſie ſeit der Zeit ſehr in Verfall gerathen. Es hatten damals verſchiedene Leute, die ohne Geſetze lebten, Providence, welches im 25ſten Grade noͤrdlicher Breite lieget, in Beſitz genommen, wozu ihnen der ſehr bequeme Haſen Anlaß gegeben hatte. Da ſich nun verſchiedene Seeraͤuber zu ihnen geſellten, ſo lebten ſie von ihrer Raͤuberey an den Kuͤſten von Cuba, und nannten dieſes Buc - caniren. Außer dem bereicherten ſie ſich durch die vielen Schiffbruͤche, die auf den Bahama-Baͤnken ge - ſchahen. Dieſes Verfahren brachte die Spanier ganz natuͤrlich ſo auf, daß ſie auch beſchloſſen, dieſe Buccanirer zu vertreiben. Die Eigenthuͤmer be - kuͤmmerten ſich damals ſehr wenig um ihre Jnſeln, und ließen die Einwohner bis 1670 leben wie ſie wollten, da ſie denn den Herrn Collingworth zu deren Gouverneur ernannten. Als dieſer ſich aber nach ſeiner Ankunft bemuͤhte, ſie zu beſſern, ſo nah - men ſie ihn, und fuͤhrten ihn nach Jamaica, weil ſie ſich keiner Regierung unterwerfen wollten.

Jm Jahr 1677 beſtimmten die Eigen[t]huͤmer den Herrn Clarke zum Gouverneur: ihm gieng es aber noch uͤbler, als ſeinem Vorfahren; denn die Spanier, die uͤber jede Engliſche Colonie eiferſuͤchtig waren, landeten in Providence, wo ſie ſich des Gou - verneurs bemaͤchtigten, alle Haͤuſer verbrannten, alles verheerten, und alle Einwohner, die ſie bekommen konnten, wegfuͤhrten; die uͤbrigen verbargen ſich in den Waͤldern. Sie nahmen den Herrn Clark inKetten459Ketten mit, und marterten ihn hernach zu Tode und ließen ihn braten.

Als Herr Lilburn Gouverneur war, uͤberfielen die Spanier 1684 abermals dieſen Platz, verheer - ten den ganzen Anbau, fuͤhrten eine Menge Einwoh - ner auf eben die grauſame Weiſe wie vorher weg, und ließen diejenigen, die entwiſchten, in einem elenden Zu - ſtande in Loͤchern und Waͤldern zerſtreuet zuruͤck, die bis 1687 keine Art von Regierung hatten. Sie verſammelten ſich aber dennoch wieder, erneuerten ihre Plantagen, und erwaͤhlten Herrn Bridges, einen presbyterianiſchen Geiſtlichen, zu ihrem Gouverneur, unter welchem ſie drey Jahre lebten. Jm Jahre 1690 ſchickten die Eigenthuͤmer den Herrn Jones ab, daß er ihr Gouverneur ſeyn ſollte. Dieſer tyranni - ſirte und druͤckte die Einwohner mit ſchwerer Hand, und hielt ſich durch den Beyſtand des Seeraͤubers Avery, der ein Schiff von 40 Kanonen und 120 tapfere Seeleute commandirte, fuͤr vollkommen ſicher. Die Einwohner ſetzten ihn aber in deſſen Abweſenheit ins Gefaͤngniß, und erwaͤhlten den Herrn Aſchley zu ihrem Praͤſidenten, bis Herr Jones verhoͤret werden koͤnnte. Als aber die Seeraͤuber wieder zuruͤck ka - men, wurde er von ihnen in Freyheit geſetzt, worauf er ſich viel haͤrter als vorher betrug, und alle diejeni - gen, die er im Verdacht hatte, ins Gefaͤngniß werfen ließ, und die Seeraͤuber erſuchte, ſie von der Jnſel wegzufuͤhren und ſie umzubringen.

Als dieſes Verfahren vor die Ohren der Eigen - thuͤmer kam, ſchickten ſie den Herrn Trot als ihren Gouverneur dahin ab, ſetzten ihn 1694 an Jones Stelle, und ließen auch ſogleich alle gefangenſitzendeEin -460Einwohner los. Dieſer ließ den Jones auch ohne gehoͤrige Unterſuchung von der Jnſel weggehen, wor - uͤber ſich die Einwohner ſehr betruͤbten. Er erlaubte auch dem Seeraͤuber Avery, der ſich nun Bridge - mann nannte, und deſſen Schiffsvolke, ſich in Pro - vidence niederzulaſſen. Dieſe ließen ihr Schiff, welches ſie Fancy nannten, freywillig verlohren gehen, und die Sachen, die ſie dem großen Mogul geraubet, wurden ans Land gebracht und getheilet, worauf ſie ſich auf der Jnſel niederließen, bis ein Befehl wider die Seeraͤuber den Gouverneur noͤthigte, ſie vor das Gericht, welches er in Providence hatte, zu fordern. Weil er aber nicht maͤchtig genug war, und die See - raͤuber ſich nun mit den Einwohnern vereiniget hatten, ſo unterſtand er ſich nicht ſie zu verhoͤren, aus Furcht, daß er ermordet werden moͤchte, denn es waren waͤh - rend ſeiner Regierung oͤfters Aufſtaͤnde. Die Ein - wohner vereinigten ſich hierauf, bauten eine kleine Fe - ſtung, und beſetzten ſie mit 22 Kanonen, ſich wider die oͤftern Einfaͤlle der Spanier zu ſchuͤtzen. Sie bauten auch eine Stadt von 160 Haͤuſern, und nann - ten ſie Naſſau.

Jm Jahr 1697 folgte Herr Web als Gouver - neur dem Herrn Jones, der zwey Jahr daſelbſt blieb, und in dieſer kurzen Zeit Mittel genug fand, ſich dem Volke ſo verhaßt zu machen, daß er ſich genoͤthiget ſahe, ſeine Sachen nach Penſylvanien zu ſchicken und ſelbſt dahin zu gehen, worauf er, ohne Vorbewußt der Eigenthuͤmer, einen mit Nahmen Elding, einen Halbmohr, abſchickte, der ihm 1699 nachfolgen ſoll - te. Dieſer war ſo verwaͤgen, daß er ſich als Gouver - neur betrug, ob er gleich den ſchaͤndlichſten Chara -cter461cter hatte. Da er aber eine Verbindung mit einer neuen Art Seeraͤubern unterhielt, die die Bahama - Jnſeln oft beſuchten, ſo blieb er durch ihren Beyſtand zwey Jahre Gouverneur, bis

1701 die Eigenthuͤmer den Herrn Hasket zum Gouverneur ernannten, der nach ſeiner Ankunft den Elding verfolgte, und ihn nebſt verſchiedenen andern unter dem Vorwande, das Geſetz wider die Seeraͤuber und ihre Hehler zu vollziehen, ins Gefaͤngniß ſetzte. Allein die Einwohner glaubten, daß Herr Hasket hierinnen zu ſcharf verfahre, und zu ſehr auf ſeinen eig - nen Nutzen ſaͤhe, und da er nicht Macht genug hatte, ſein Anſehen zu behaupten, ſo ergriffen ſie ihn ohnge - faͤhr fuͤnf Wochen nach ſeiner Ankunft in einer offenba - ren Rebellion, und warfen ihn in ein enges Gefaͤng - niß, worinn er ſechs Wochen bleiben mußte. Sie lieſ - ſen ſich indeſſen bewegen, ſeines Lebens zu ſchonen, ſetzten ihn in dem Hafen auf ein Schiff, und gaben dem Herrn deſſelben genauen Befehl, den Herrn Has - ket nach England, woher er gekommen war, zu fuͤh - ren. Hierauf erwaͤhlten ſie einen von ihren Mitge - noſſen, mit Nahmen Lichtwood, und machten ihn an deſſen Stelle zu ihrem Praͤſidenten und Gouverneur. Lichtwood blieb faſt zwey Jahr in dieſem Amte, bis 1703 die Franzoſen und Spanier, welche einen of - fenbaren Krieg mit England hatten, ſie uͤberfielen, in - dem ſie die Einwohner mit ihrem Praͤſidenten im Schmauſe antrafen, und ihre Feſtung ohne alle Be - ſatzung fanden. Die Feinde ruinirten die Feſtung, vernagelten die Kanonen, verbrannten die Stadt und Kirche, pluͤnderten die Einwohner, wovon ſich einige nebſt einigen Schwarzen in den Waͤldern verbargen,und462und fuͤhrten ihren Gouverneur nebſt vielen andern gefangen nach Havannah. Kurz hierauf kamen die - ſe fuͤrchterlichen Feinde wieder, und fuͤhrten alle Ein - wohner und Schwarze, die ſie bekommen konnten, mit ſich fort: einige wenige entwiſchten, nahmen ihre Flucht nach Carolina und Virginien, und ließen die Jnſel voͤllig wuͤſt.

Hierauf war ſie etliche Jahre lang ein Aufent - halt der Seeraͤuber, die ſie zu ihrem allgemeinen Sam - melplatze machten. Sie gruben ſich Loͤcher in den Waͤldern, und verbargen ihre uͤbel erlangten Schaͤtze darinn, wo ſie auch blieben, weil viele von ihnen auf der See getoͤdtet wurden oder ſtarben, und es werden noch jetzt dann und wann bey Gelegenheit einige von ihren vergrabenen Guͤtern gefunden.

Kurz nach dieſer Verwuͤſtung erwaͤhlten die Ei - genthuͤmer den Herrn Birch zum Nachfolger des Hr. Hasket; als dieſer aber in Providence ankam, und die Jnſel voͤllig unbewohnt fand, ſo gieng er wieder nach England zuruͤck. Seit dieſer Zeit haben ſich die Einwohner nicht mehr um dieſe Jnſel bekuͤmmert, ſondern traten ihr Recht an die Krone ab, weil ſie nichts als Koſten und Muͤhe davon gehabt hatten.

Die Kaufleute in London und Briſtol erſuchten nunmehr den Koͤnig, dieſe Jnſeln zu befeſtigen, und ſie fuͤr ihre Handlung ſicher zu machen. George I. willigte in ihr Suchen, ſetzte den Herrn Wood Ro - gers zu ihrem Gouverneur, und ſchickte ihn mit einer unabhaͤngigen Compagnie von 100 Mann u[n]d einer Menge Proviant ab, dieſen Ort zu befeſtigen. Bey des Herrn Rogers Ankunft ergaben ſich die Seeraͤu - ber 1717 freywillig an ihn, nahmen die Wohlthatdes463des allgemeinen Pardons an, der ihnen war verſpro - chen worden, und ſind ſeit der Zeit die vornehmſten Einwohner auf dieſer Jnſel geweſen. Unter der ge - linden Regierung des Herrn Rogers und ſeines Nach - folgers, des Herrn Finney, befanden ſich dieſe Leute wohl,[u]nd es haben ſich außer den Pfelzern viele Fa - milien daſelbſt niedergelaſſen, die durch ihren Fleiß und Anlegung ihrer Plantagen, die Markplaͤtze mit allen Arten von Lebensmitteln verſehen.

Nach des Herrn Finney Tode, wurde der Esq. Richard Fitz William 1733 Gouverneur, der noch 50 Mann zu der unabhaͤngigen Compagnie, nebſt allen Arten von Ammunition, und einen Jngenieur, (den Herrn Thomas More) den Ort zu befeſtigen, mitbrachte, der aber in kurzem ſtarb, und alſo wenig Progreſſen in dieſem Werke machte. Dieſer Gouver - neur uͤbte eine ſo uneingeſchraͤnkte und tyranniſche Ge - walt aus, daß ſich die beſten Einwohner und alle Pfaͤlzer von der Jnſel weg begaben, ihre ſchoͤnen Plan - tagen verließen, und ſich in andern Gegenden nieder - ließen, wo ſie wußten, daß man ſie beſſer behandeln wuͤr - de. Des Gouverneurs Werkzeuge bey Ausfuͤhrung die - ſer Bedruͤckungen waren, der Lieutenant Stuart, einer von dem Concilio; Jacob S[co]tt, Richter der Admi - ralitaͤt, und einer von ſeinen B[e]dienten; Archibald, der jeden darnieder ſchlug, der ſich weigerte des Gou - verneurs Befehle zu befolgen. Hierauf fanden drey von den vornehmſten Einwohnern Mittel, nach Lon - don zu kommen, wo ſie ſich bey dem Koͤnige und dem Miniſterio uͤber den Gouverneur beſchwerten. Dieſe waren Herr Colburg, der Einnehmer Jackſon und Herr White; ihre Bittſchrift iſt zu lang, als daßich464ich ſie hier einruͤcken koͤnnte, und enthielt viel außeror - dentliche Beſchwerden wider den Gouverneur.

Es erhielt alſo Fitz William einige Zeit hernach Befehl, zuruͤck zu kommen und ſich zu verantworten, und verlohr hierauf, nach einer beſchwerlichen und koſtbaren Unterſuchung, ſein Gouvernement, und ihm folgte der Esq. John Tinker, der bey ſeiner Abfahrt entſchloſſen war, das Volk unter ſeiner Regierung ruhig und gluͤcklich zu machen, und des Herrn Fitz Williams Lieblinge abzuſetzen, beſonders diejenigen, die ihm die Unterdruͤckungen gerathen und ihm darinn beygeſtanden hatten. Hierinn machte er in Charles - town mit ſeinem Secondlieutenant, William Stuart, der ſich bey der Ankunft daſelbſt befand, den Anfang, und zwang ihn, ſeine Stelle als Chirurgus an Jacob Jrving abzutreten, der unlaͤngſt in einem Schiffe mit Sclaven von Guinea angekommen war. Als Herr Tinker hierauf nach Providence kann, ſo dankte er die zwey Lieutenants Howel und Stuart, den einen als Oberſtlieutenant, den andern als Major, bey der Miliz ab, und erwaͤhlte anthre Stellen zwey der vor - nehmſten Einwohner. Jacob Scott, der Oberrich - ter, wurde ab -, und Herr Rowland an deſſen Stelle eingeſetzt. Er machte zu großer Freude und Vergnuͤ - gen der Einwohner noch viele andere Veraͤnderungen, ſo daß dieſe nunmehr in voͤlliger Sicherheit zu leben hoffen.

John Tinker war vor dieſem Factor bey der Suͤd - ſee-Compagnie in Panama geweſen, und hernach von der Africaniſchen Compagnie zum Gouverneur von Cape Coaſt in Guinea ernannt worden.

Das465

Das Concilium in Providence beſtand damals nur aus drey Perſonen, den Lieutenanten Howel und Stuart, und John Snow, des Gouverneurs Se - cretair; die gewoͤhnliche Zahl aber iſt ſechs. Dieſen Mangel zu erſetzen, ſchlug der Gouverneur den Capi - tain Frankland und mich vor, Mitglieder von ſeinem Concilio zu werden, welches wir aber beyde ausſchlu - gen; doch ließen wir uns beyde zu Mitgliedern der Provinzial-Verſammlung waͤhlen, die aus zwanzig Perſonen beſtand, und wovon Jacob Scott Sprecher war. Es wurden alſo der Einnehmer Boothby und Herr Thomſon, einer von den Einwohnern, zu Mit - gliedern des Concilii erwaͤhlet.

Jch beſchaͤftigte mich unterdeſſen mit AnſchaffungErbauung des Forts Montagu. der Materialien, die Feſtung Montagu auf der oͤſtli - chen Spitze des Hafens drey Meilen von Naſſau zu erbauen. Da der Kalk, welchen die zwey Gouver - neurs angeſchafft hatten, zu weit entfernt war, ſo ließ ich welchen auf der Stelle machen. Bey Anſchaffung der Steine fand ich große Beſchwerlichkeit, indem ſie von den Schwarzen aus den Waͤldern auf den Koͤ - pfen herzu getragen werden mußten; und weil ſie kei - nen Stein von einiger Groͤße tragen konnten, ſo wuͤr - de dieſes ein unendliches Werk geweſen ſeyn, weil nicht das geringſte Fuhrwerk mit Raͤdern auf der Jn - ſel zu finden war. Herr Bullock, einer von den Ein - wohnern, der den 8ten Junii von Havannah ankam, wo er einige Zeit im Gefaͤngniſſe geſeſſen hatte, ver - ſicherte uns, daß die Spanier zwey Kriegsſchiffe, je - des von 80 Kanonen, und drey große Galeeren aus - ruͤſteten, und eine Landung auf Providence machen wollten. Hierauf nahm ich Gelegenheit, der Aſſem -G gbly466bly den wehrloſen Zuſtand vorzuſtellen, und ihr zu verſichern, daß, wenn ſie mir nur Materialien ver - ſchaffen wuͤrden, ich die oͤſtliche Seite des Hafens in kurzem in den gehoͤrigen Vertheidigungsſtand ſetzen wollte, weil dieſes der Ort war, wo wir am meiſten zu befuͤrchten haͤtten, indem die Feinde allemal an die - ſem Orte gelandet hatten. Sie willigten alle einſtim - mig in dieſes Verlangen, und gaben allen ihren Schiffen und Bothen Befehl, mir eine hinlaͤngliche Menge Steine zu Errichtung einer Feſtung von gehoͤ - riger Groͤße, und eine Menge Maſtix-Baͤume zu Palliſaden zuzufuͤhren. Dieſes ſetzte mich in den Stand, daß ich alle meine Leute zum Baue brauchen konnte, den ich auch mit der groͤßten Eil fortſetzte.

Beſchaffen - heit der Steine.
3

Den 10ten Junii legte der Gouverneur in Ge - genwart der vornehmſten Einwohner den Grundſtein, und nannte ſie Montagus-Feſtung, und die See - Batterie Bladens-Batterie. Auf dieſer und den benachbarten Jnſeln ſind die Steine, wenn ſie aus dem Bruche kommen, ſo weich, daß wir ihnen ohne große Muͤhe alle Geſtalten geben konnten; ſie wer - den aber, wenn ſie einige Zeit an der Luft gelegen ha - ben, ſo hart, als Feuerſteine, und haben die vortreff - liche Eigenſchaft, daß die Kugeln, wenn auf die Mauern geſchoſſen wird, wie in einer Lehmwand ſte - cken bleiben, und nicht die geringſte Breche machen. Jch verſuchte dieſes durch verſchiedene Schuͤſſe aus einem Achtzehnpfuͤnder. Jch hatte nicht geringe Schwierigkeit, ſuͤßes Waſſer zum Moͤrtel zu erhal - ten; erſtlich bekam ich daſſelbe aus einem kleinen Tei - che von Regenwaſſer, und als dieſer ausgetrocknet war, ließ ich in dieſen weichen Felſen einen Brunnengraben.467graben. Als wir ſo tief kamen, daß wir dem See - waſſer gleich waren, fanden wir ſehr ſuͤßes Waſſer, denn das Seewaſſer hatte ſich durchgeſeigt und ſeine ſalzigen Theile zuruͤckgelaſſen. Wir fanden nach die - ſem, daß, je weiter wir von der See gruben, das Waſſer deſto beſſer war. Die Schiffer verſahen ſich mit Filtrirſteinen, worein viele Kannen giengen, das verdorbene Waſſer auf den Schiffen damit zu verbeſ - ſern. Das Maſtix-Holz, welches die EinwohnerMaſtix-Baͤu - me. zu Palliſaden lieferten, war ſo hart und ſchwer wie Eiſen, daher ich ſie mußte hauen laſſen, weil das Holz noch gruͤn war, denn wenn ſie voͤllig ausgetrock - net ſind, iſt es nicht moͤglich, ſie zu bearbeiten. Die Einwohner verſicherten mich, daß ſie uͤber hundert Jahre ſtehen wuͤrden; ſie ſind ſo hart, daß eine Flin - tenkugel keinen Eindruck darauf macht. Sie verſi - cherten mich, daß ſie Schuͤſſe von Drchbaſſen aus - hielten; ich fand aber nicht fuͤr gut, dieſes zu ver - ſuchen.

Das Fort Montagu und Bladens-Batterie wa -Beſchrei - bung des Forts Mon - tagu. ren zu Ende des Julii 1742 fertig, und wurden mit 8 achtzehn -, 3 neun -, und 6 ſechspfuͤndi - gen Kanonen beſetzt. Jnnerhalb des Forts befindet ſich eine Ciſterne, die dreyßig Tonnen Regenwaſſer haͤlt, und ſo eingerichtet iſt, daß alles Regenwaſſer, welches innerhalb der Feſtung faͤllt, darein laͤuft, nebſt einer Waſſerleitung, wo das uͤberfluͤßige Waſſer ab - laufen kann. Es ſind auch Barraken fuͤr Officiers und Soldaten darinn, nebſt einer Wachſtube und ei - nem bombenfeſten Pulver-Magazine, worein fuͤnf und neunzig Faß Pulver gehen. Zwey Seiten da - von ſind nahe an der See, und die zwey SeitenG g 2gegen468gegen das Land ſind wohl mit Palliſaden von Maſtix - Baͤumen beſetzt.

Als das Fort fertig war, ſo lud ich den Gouver - neur und die vornehmſten Einwohner darein, und uͤbergab hierauf ſeiner Excellenz die Schluͤſſel davon unter einer Salve aus allen Kanonen. Der Gouver - neur und die Einwohner freuten ſich, daß ſie ſich im Stande ſahen, den Einfall eines Feindes abzuhalten, indem die Thuͤr, durch welche dieſer Ort oͤfters war uͤberfallen worden, nunmehr verſchloſſen war. Jn dem Vergnuͤgen daruͤber ſchrieb der Gouverneur fol - genden Brief an den Herzog von Montagu.

My Lord,

Jch wuͤrde meine Schuldigkeit gegen Ew. Durchlaucht eher beobachtet haben, wenn ich nicht gewartet haͤtte, bis der Capitain Bruce mit der Fe - ſtung fertig waͤre, die ich mir, als ein Zeichen der Ehrerbietung und Hochachtung, die ich Ew. Durch - laucht Perſon und Verdienſten ſchuldig bin, nach Dero Namen zu nennen die Freyheit genommen habe. Sie iſt ſo angelegt, daß ſie den oͤſtlichen Theil dieſer Jnſel ſehr ſicher bewahret, und iſt ſo feſt, als ſie vermoͤge ihrer Groͤße ſeyn kann. Jch muß dieſem Herrn, der die Direction dieſer Werke gehabt hat, die Gerechtigkeit widerfahren laſſen und ſagen, daß ich glaube, daß vielleicht niemals das oͤffentliche Geld ſparſamer und beſſer angewendet worden iſt, welches ein Beweis von Ew. Durch - laucht vortrefflichen Wahl iſt. Er iſt jetzt mit den andern Werken im Fort Naſſau beſchaͤftiget; und da469 da er willens iſt, Ew. Durchlaucht und der Artille - rie-Deputation die Nothwendigkeit einer ſtarken Redute, die Befeſtigung dieſer Jnſel vollkommen zu machen, vorzuſtellen, ſo wird freylich noch mehr Geld erfordert werden, als die bereits bewilligten 1600 Pfund, welche faſt aufgehen wer - den, die alte Feſtung aus ihrem ruinirten Zuſtande zu ſetzen, worinn ſie ſich jetzt befindet. Jch glaube, nach der genaueſten Schaͤtzung, die wir machen koͤnnen, daß noch 2500 Pfund fehlen werden, die, wenn Ew. Durchlaucht ſelbige mit der großen Summe, die des Herrn Moores Plan erfordert haben wuͤrde, vergleichen, wahre Kleinig - keit iſt; beſonders wenn die uͤbeln Folgen, falls ein ſolcher Platz in Feindes Haͤnde gerathen ſollte, er - wogen werden. Wenn dieſe Werke nach der vorge - ſchlagenen Art zu Stande gebracht werden, ſo koͤn - nen wir ihnen Trotz bieten, weil ich uͤberzeugt bin, daß dieſes alsdann die feſteſte Jnſel im Brittiſchen Amerika ſeyn wird. Jch ſetze allemal voraus, daß eine dazu erforderliche Garniſon abgeſchickt werden wird, die nicht unter dreyhundert Mann ſeyn kann. Das Fort Montagu erfordert einen Officier und funfzig Mann zu ſeiner gewoͤhnlichen Beſatzung. Ew. Durchlaucht werden hieraus die Unmoͤglichkeit ſehen, die erforderlichen Dienſte mit einer einzigen unabhaͤngigen Compagnie zu thun, woraus jetzt un - ſere ganze Macht beſtehet.

Jch habe der Kanzelley ein Memorial uͤber - ſchickt, und um Pulver und kleines Gewehr gebeten, welches, wie ich hoffe, nicht uͤbel wird aufgenom - men werden, wenn man ſehen wird, daß dem Ge -G g 3 neral470 neral Oglethorpe, ehe er nach St. Auguſtin gieng, funfzig Faͤſſer und zwey Moͤrſer uͤberſchickt worden, die niemals wiedergegeben worden ſind, und wovon er jetzt, wie ich glaube, Nutzen genug hat.

Jch habe auch Nachricht, daß uns die Spa - nier, wenn ſie in Georgia gluͤcklich ſind, in kurzem uͤberfallen werden. Jch bitte unterthaͤnig um Ver - gebung fuͤr dieſe Freyheit, und erſuche Ew. Durchl. die Bahama-Jnſeln und ihren Gouverneur unter Dero Schutz zu nehmen.

John Tinker.

Streit mit dem Lieute - nant Stuart.
3

Als mir die vorerwaͤhnten Bau-Materialien von den Einwohnern uͤberliefert wurden, gab man mir den freundſchaftlichen Wink, daß ich ſelbige auf der Regierung Rechnung ſetzen moͤchte, indem dieſes kei - nesweges als eine Untreue angeſehen werden koͤnnte. Da ich aber entſchloſſen war, mich in keine ungerech - ten Sachen einzulaſſen, ſo verwarf ich den Vorſchlag. Wir hatten eine Geſellſchaft errichtet, die woͤchentlich einmal in einem Wirthshauſe zuſammenkommen ſollte; als wir nun das drittemal beyſammen waren, welches kurz nach dieſem freundlichen Winke geſchahe, entſtand zwiſchen mir und dem Lieutenant Stuart ein Streit. Als der Gouverneur ſahe, daß der Streit hitzig zu werden anfieng, ſo machte er ſich davon; ich gieng gleichfalls nach Hauſe, weil ich alle fernere Streitigkeit zu verhuͤten ſuchte. Als ich den andern Morgen bey Anbruch des Tages zu meinem Fenſter heraus ſahe, ſah ich Stuarten mit Degen und Piſto - len bewaffnet vorbey reiten; ich fragte ihn, wo er ſo fruͤh und ſo ausgeruͤſtet geweſen waͤre? Hierauf ant -wortete471wortete er, daß ich gewiß vergeſſen habe, daß ich ihn den vorigen Abend herausgefordert haͤtte. Jch ant - wortete, daß ich mich dergleichen nicht zu erinnern wiſſe, weil er es aber ſage, ſo wollte ich mich ſogleich anziehen, und ihn begleiten, wohin er es haben woll - te. Jch gab ihm deſſen ungeachtet meine Verwun - derung zu verſtehen, daß er unter meinen Fenſtern hin und her ritt, und wuͤßte, daß ich noch ſchlief, ohne mich heraus zu rufen, oder mir ſeine Abſicht wiſſen zu laſſen. Er antwortete hierauf, weil ich mich nicht erinnerte, ihn herausgefordert zu haben, ſo habe er auch nichts weiter zu ſuchen, indem er nicht Willens ſey, ſich mit mir zu zanken. Es ſey eine große Thorheit, wenn man ſich in unnoͤthige Gefah - ren ſtuͤrzen wollte; er wuͤnſchte mir alſo einen guten Morgen und ritt nach Hauſe.

Als ich ohngefaͤhr drey Stunden hernach in mei -Der Capi - tain kommt in Arreſt. nem Alltagskleide mit einem zerſpaltenen Stocke in der Hand laͤngſt der Bay ſpazieren gieng, und des Gouverneurs Fenſtern gegen uͤber gekommen war, kam Stuart auf mich los, und ſchlug mich zu Boden. Nachdem ich wieder zu mir ſelbſt gekommen war, gab ich ihm mit der Schaͤrfe meines geſpaltenen Stockes einen ſolchen Schlag, daß ich ihm den Backen vom Ohre bis an den Mund aufhieb, worauf der Richter Rowland und verſchiedene Einwohner, die Zeugen von Stuarts hinterliſtigem Angriffe geweſen waren, kamen, und uns aus einander riſſen. Als mir hier - auf mein Bedienter meine Piſtolen und Degen brach - te, wurden wir beyde arretirt, und bekamen Wache vor unſere Thuͤren. Jch hatte alſo vierzehn TageG g 4Wache,472Wache, ohne daß der Gouverneur die Sache unter - ſuchte, oder ſich erbot, mir die geringſte Genug - thuung fuͤr die vor ſeinen Augen erhaltene Beſchim - pfung anzubieten. Er war hingegen taͤglich bey Stuarten, der, wie es mir ſchien, nur zum Scheine Wache hatte.

Erhaͤlt ſeine Befreyung.
3

Da nun die Arbeiter nichts thun konnten, wenn ich ihnen nicht taͤglich zeigte, was ſie machen ſollten, ſo wurden die Werke dadurch verhindert, welches ein lautes Murren bey den Einwohnern verurſachte, die ſo vieles beygetragen hatten, daß die Werke in aller Eil fortgeſetzet werden ſollten. Hierauf ſchickte der Gouverneur zu mir, und ſchlug mir einen Vergleich mit Stuarten vor, der, wie er ſagte, ſeinen Fehler erkannt habe, und mich oͤffentlich und ſo weitlaͤuftig, als ich es fuͤr gut befinden wuͤrde, um Vergebung bitten wollte. Jch gab dem Gouverneur zur Ant - wort, daß, da ich vor ſeinen eigenen Augen meu - chelmoͤrderiſcher Weiſe ſey angegriffen worden, ich auch von ihm die Genugthuung erwartet haͤtte. Statt deren aber ſey ich mit zwey Wochen Verhaft geſtraft worden. Da ich nun wohl ſaͤhe, daß mei - ne Perſon hier nicht ſicher ſey, ſo wuͤrde ich genoͤthi - get ſeyn, entweder die Jnſel zu verlaſſen, oder bis auf weitern Befehl aus England mit den Werken einzuhalten. Hierauf that mir der Gouverneur den Vorſchlag, daß, da er gewiſſe Nachricht habe, daß die Spanier auf dieſe Jnſel einfallen wollten, ich fortfahren und den Platz in den gehoͤrigen Ver - theidigungsſtand ſetzen ſollte; er hingegen wollte, wenn ich es ſo verlangte, ſein Wort und Ehre zuPfande473Pfande ſetzen, daß er, ſobald das Fort Naſſau fer - tig ſeyn wuͤrde, Stuarten an jeden Ort, wohin es mir außerhalb der Jnſel gefaͤllig ſeyn wuͤrde, ſchicken wollte, mir daſelbſt Genugthuung zu geben, doch mit dem Bedinge, daß ich bis dahin nichts wider ihn unternehmen ſollte. Jch willigte in dieſe Bedin - gungen, und ſetzte die Werke mit dem groͤßten Fleiße fort; hatte aber allemal meinen Degen und Piſtolen bey mir, damit ich nicht wiederum auf eine ſo niedertraͤchtige Art angegriffen werden moͤchte.

G g 5Zwoͤlftes474

Zwoͤlftes Buch.

Behandlung zweyer Kaper und ihrer Eigenthuͤmer. Brief vom Lieutenant Moone. Brief von einem Freunde. Brief vom Lieutenant Dromgols. Theilung des Queckſilbers. Der Capitain wen - det ſich wiederum an die Provinzial-Verſammlung um Bau-Materialien. Die Verſammlung ent - zieht dem Gouverneur ſeinen Gehalt. Brief vom Lieutenant Moone. Noch ein Brief von Char - lestown. Brief von dem Gouverneur Glen. Producte der Bahama-Jnſeln, und der an dieſel - ben ſtoßenden See. Anmerkungen uͤber St. Sal - vador und die Bimini-Jnſeln. Einwohner auf Providence. Beſchreibung des Forts Naſſau. Koſten beyder Feſtungen. Seine Nachricht von der Staͤrke von Charlestown. Ein Beſuch von einem Cherokeſiſchen Koͤnige. Capitain Frank - lands reiche Priſe. Eine kurze Beſchreibung von Carolina. Der Capitain ſegelt nach England. Kommt in London an.

Behandlung zweyer Ka - per.
3

Jm Monat September brachten Johann Sibbald, Capitain des Schoner George, und William Dowall, Capitain der Schaluppe Joſeph und Ma - ria, beyde Kaper von Philadelphia, ein reiches ſpa - niſches Regiſterſchiff und eine Settee ein. Die Capi - tains der Kaperſchiffe waren dem Herrn Tinker vom Thomas, Gouverneur in Philadelphia, und von ver - ſchiedenen angeſehenen Kaufleuten, den Eigenthuͤ - mern dieſer Schiffe, empfohlen worden. WenigeTage475Tage hernach, nachdem dieſe Schiffe waren einge - bracht worden, langte eine Waffenſtillſtands-Flagge von Havannah an, die der Gouverneur und die koͤ - nigliche Compagnie abgeſchickt hatte, das Regiſter - ſchiff zu ranzioniren, deſſen Ladung ſich bis auf 150000 Stuͤcken von Achten an wah - rem Werth, außer den Waaren der Privat-Perſo - nen, die nicht der koͤniglichen Compagnie gehoͤrten, und auf 30000 Stuͤcken von Achten geſchaͤtzet wurden, belief. Die Settee war mit Queckſilber, Wein und andern Guͤtern beladen. Da der Gouver - neur Tinker von den Eigenthuͤmern Vollmacht hatte, die Priſen auf ihre Rechnung zu verkaufen, ſo wurde er mit dem Don Pedro de Lecaſtro, der deswegen von Havannah hieher gekommen war, einig, daß er ihm das Regiſterſchiff und deſſen Ladung fuͤr 90000 Stuͤcken von Achten uͤberließ; die Waaren der Privat-Perſonen aber und die Settee wurden fuͤr die Eigenthuͤmer der Kaperſchiffe zuruͤck behalten, weil Don Pedro nur Vollmacht hatte, die Effecten der koͤ - niglichen Compagnie einzuloͤſen. Auf dieſe Art ge - wonnen die Spanier an der Ladung 60000 Stuͤck von Achten, außer dem Werthe des Schiffes, welches ein ſchoͤnes neues auf der Themſe erbautes Schiff war, welches die Spanier auf ſeiner erſten Fahrt weggenommen hatten. Da das Geld fuͤr den Werth in Havannah bezahlt werden ſollte, ſo gieng Don Pedro mit der Flagge, in Geſellſchaft des John Snows, Secretair des Gouverneurs, und verſchie - dener ſpaniſcher Gefangenen, die der Capitain Frank - land gemacht hatte, wieder dahin zuruͤck.

Jndeſ -476

Jndeſſen wurde die Mannſchaft der Kaper auf dem Lande aufgemuntert, zu ſchwelgen und zu trinken, und ſich dadurch in Schulden zu ſetzen, und da keiner von derſelben auf das Schiff gehen, und das Seinige thun wollte, ſo ſahen ſich die Capitains und Officiers der Kaperſchiffe genoͤthiget, alles, was auf den Schiffen zu thun noͤthig war, ſelbſt zu verrichten. Die Capitains wandten ſich daher an den Gouverneur, daß er den Leuten befehlen ſollte, auf das Schiff zu gehen und ihre Schuldigkeit zu thun, aber vergebens, indem man ſie ſtatt deſſen verleitete, ſie bey allen Ge - legenheiten zu beſchimpfen und zu ſchmaͤhen. End - lich kam Don Pedro Feron mit dreyßig Kiſten Stuͤ - cken von Achten, in jeder dreytauſend, von Havan - nah an, die er fuͤr das Schiff und deſſen Ladung be - zahlte, worauf ſie ihm, nachdem die Waaren der Privat-Perſonen herausgenommen waren, uͤberge - ben wurden. Mit dieſem Don Pedro Feron kam noch ein anderer Don mit vielem Gelde an, die Waa - ren der Privat-Perſonen einzuloͤſen, und die Kaper ſollten das Regiſterſchiff nach Havannah begleiten. Allein die Capitains konnten nur ſehr wenige von ih - ren Leuten bereden, wieder zu Schiffe zu gehen, und ſie mußten ſich alſo um großen Lohn Seeleute miethen, weil ihre Leute zum Schwelgen aufgemuntert wur - den, damit ſie nichts von ihren Priſen-Geldern mit ſich weg nehmen moͤchten. Sie fuhren alſo den 8ten1743. Februar 1743 nach Havannah ab.

Nach der Zuruͤckkunft der Kaper beſchloſſen die Capitains, nicht wieder in den Hafen einzulaufen, und ankerten an einem Orte, der Salt-Keys hieß. Sie kamen beyde ans Land, und forderten ihr Geld, wel -ches477ches der Gouverneur in Verwahrung hatte, wie auch die Settee und die Waaren der Privat-Perſonen. Allein der Gouverneur gab ihnen zur Antwort, daß ſie hier theilen muͤßten, weil ihre Leute den Einwoh - nern in Providence betraͤchtliche Summen ſchuldig waͤren. Die Capitains erboten ſich, dieſe Schulden zu bezahlen, und ſagten, daß ſie hofften, wenn die - ſes geſchehen ſey, ſo wuͤrde es ihnen frey ſtehen, in ih - ren Hafen zuruͤck zu gehen. Es nahmen aber einige betrunkene Leute von ihrer Mannſchaft, die von ei - gennuͤtzigen Perſonen aufgehetzet waren, einen Pilo - ten und deſſen Both, begaben ſich auf dieſe zwey Schiffe, und brachten ſie unter dem Vorwande, daß ihnen die Capitains ihr Geld von den Priſen entziehen wollten, in den Hafen, und verſicherten ſie zugleich, daß ſie dabey nichts einbuͤßen wuͤrden, weil ihnen die Haͤupter der Jnſel beyſtehen wuͤrden. Hierauf gien - gen ſie auf das Schiff, nahmen die Officiers gefan - gen, brachten die Schiffe ein, und droheten den Of - ficieren, ſie in Stuͤcken zu zerhauen, wenn ſie nicht augenblicklich das Priſen-Geld theilten.

Hierauf giengen die Capitains zu dem Gouver - neur, ſtellten ihm ihre Sache vor, und baten ihn, ſie wider eine ſo gefaͤhrliche Meuterey ihrer Leute zu ſchuͤ - tzen, und ihnen zu befehlen, auf die Schiffe zu ge - hen und ihre Schuldigkeit zu thun, indem ſie nicht zweifelten, daß ſie, ſobald ſie nuͤchtern ſeyn wuͤrden, ſich pflichtmaͤßig verhalten wuͤrden. Der Gouver - neur antwortete, daß ihn Herr Ellis, dem ſie ſchul - dig waͤren, und alle Einwohner gebeten haͤtten, daß alles hier getheilet werden moͤchte, welches er ihnen, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, nichtabſchla -478abſchlagen koͤnnte. Hierauf zeigten ihm die Capitains die von den Schiffsleuten unterſchriebenen Artikel, worinn ſie ſich anheiſchig gemacht hatten, an keinem andern Orte als in Philadelphia zu theilen, und verſi - cherten ihn, daß die meiſten von ihnen Familien da - ſelbſt haͤtten, denen die Eigenthuͤmer auf dieſe Pri - ſen Geld vorgeſchoſſen haͤtten, und daß viele von ih - nen Sclaven waͤren, deren halber Antheil ihren Her - ren gehoͤrte, ſo daß es ihnen alſo unmoͤglich ſey, dar - ein zu willigen, daß die Theilung hier geſchehe, weil ſie nicht wuͤßten, was ſie zu Hauſe ſchuldig waͤren. Jm uͤbrigen waͤren ſie bereit und willig, alle Schul - den zu bezahlen, die die Leute hier gemacht haͤtten, ob ihnen gleich nicht unbekannt ſey, daß ſie ſehr betraͤcht - lich waͤren.

Der Gouverneur antwortete ihnen, da ſie nicht einwilligen wollten, daß die Theilung hier geſchehe, ſo wolle er es ihnen hiermit befehlen. Es wurde hier - auf der Mannſchaft gerathen, den Jacob Jrwing mit einem Gehalte von 5 pro Cent zu ihrem Agenten zu erwaͤhlen; und als dieſes geſchehen war, ſo ſchickte der Gouverneur zwanzig Kiſten, worinn ſechzigtau - ſend Stuͤcken von Achten waren, in des Hrn. Jrwings Haus, die unter die Leute ausgetheilet werden ſollten; welches der Agent auf eine ſo willkuͤhrliche Art that, daß die Officiers, wenn ſie die geringſte Vorſtellung thun wollten, auf eine ſehr unanſtaͤndige Art behan - delt wurden. Sie beſchwerten ſich hieruͤber zwar oft bey dem Gouverueur, der ihnen aber eben ſo oft ant - wortete, daß er ſich nicht in ihre Privat-Zaͤnkereyen mengen koͤnne; dieſes war in allen dergleichen Klagen ſeine gewoͤhnliche Antwort.

Der479

Der Secretair Snow kam jetzt mit verſchiede - nen engliſchen Gefangenen, die er gegen Spanier ausgewechſelt hatte, von Havannah zuruͤck, und brachte noch zwoͤlf andere mit, deren Ranzion Don Pedro Feron mir zur Vergeltung einiger kleinen Hoͤf - lichkeiten, die ich ihm hier erwieſen hatte, ſchenkte, worunter zehn Schiffs-Capitains und ein Wundarzt waren. Herr Snow brachte auch vier Kiſten Tha - ler, (oder 12000 Stuͤck von Achten,) wie geſagt wurde, fuͤr den Gouverneur, und einen Beutel mit tauſend Quadrupeln, einen goldenen Degen, ein Rohr mit einem goldenen Knopfe, goldene Schnallen und Knoͤpfe, und noch andere koſtbare Geſchenke mit; und da die Kiſten nicht in geheim ans Land gebracht werden konnten, ſo wurde vorgegeben, daß der Gou - verneur Realen dahin geſchickt und ſie fuͤr Thaler aus - gewechſelt habe; jedermann ſahe aber den elenden Vorwand leicht ein, denn es war bekannt, daß nicht ſo viel Realen auf der ganzen Jnſel waren; außerdem waren damals uͤber 100000 Thaler an dieſem Orte, weil die Spanier ſehr viele mitgebracht hatten, die Waaren einzuloͤſen und Schiffsvorrath zu kaufen.

Als die Officiers der Kaper, die ihr Leben fuͤr dieſe Priſe gewagt hatten, ſahen, daß ſie keine Ge - rechtigkeit erhalten konnten, ſo baten ſie den Gouver - neur, ihnen, da das Geld nunmehr getheilet ſey, zu erlauben, mit der Settee und ihrer Ladung an Kaufmannsguͤtern abzureiſen, welches er auch auf ſein Wort und Ehre verſprach. Sie wurden aber unter verſchiedenem Vorwande von Zeit zu Zeit zuruͤckgehalten, bis die Leute ihren ganzen Antheil, der 450 Thaler auf den Mannwar,480war, verthan hatten, welches denn in kurzer Zeit geſchahe, indem ſie es eben ſo geſchwinde verſpielten und verſchwendeten, als ſie es bekommen hatten. Sie wurden hierauf von ihrem Agenten aufgewiegelt, bey dem Gouverneur anzuhalten, daß das Queckſilber und die andern Guͤter auf der Settee, und die Privat - Waaren getheilet werden moͤchten, welches ebenfalls geſchehen mußte.

Als die Capitains ſahen, daß dieſes beſondern Verfahrens kein Ende ſey, nahmen ſie die zehn Ki - ſten Geld, die fuͤr die Eigenthuͤmer, als das Drittel der vorigen Theilung, waren zuruͤckbehalten worden, mietheten die Engliſchen Matroſen, die von Havan - nah kamen, bemannten ihre Schiffe damit, und fuh - ren von hier ab, und ließen alle ihre uͤbrige Effecten zuruͤck. Allein der Capitain Dowall mußte, da ihm ſein Hauptmaſt zerſprungen war, wieder zuruͤckkom - men und ihn hier ausbeſſern laſſen, und fand fuͤr gut, lieber das anzunehmen, was ſie ihm geben wollten, als alles zu verlieren. Die armen Matroſen ſelbſt verfluchten und verdammten dieſe Regierung, als ihr Geld verſchwendet war, denn ſie ſahen nun gar bald mit ihrem Schaden, da ihr ſaͤmmtliches Geld verthan war, daß man ſie nicht mehr ſo hoͤflich wie vorher be - handelte, ſondern ſie ins Gefaͤngniß warf, und ſie ſchwere Unkoſten bezahlen ließ. Einige wurden von ihren Cameraden, die noch etwas Geld uͤbrig hat - ten, gerettet, zwey von ihnen aber, die Maͤurer wa - ren, machte ich frey, bezahlte ihre Schulden, und brauchte ſie bey meinen Werken, wo ſie auch blieben, bis die Werke fertig waren. Da etliche von den Soldaten bey dieſer Gelegenheit zu Gelde gekommenwaren,481waren, ſo wurde ihnen zu verſtehen gegeben, daß der, welcher 100 Thaler bezahlen koͤnnte, ſeinen Ab - ſchied haben ſolle; worauf ſich denſelben verſchiedene kauften.

D. Jrwing fieng nunmehr an, ſich ein ſchoͤnes Haus zu bauen, und weil er glaubte, daß alles, was er that, recht ſey, ſo gieng er in die Feſtung, und be - fahl verſchiedenen von den Arbeitern, in ſein Haus zu gehen und einen Keller zu graben. Der Aufſeher wollte keinem von den Leuten erlauben, ohne des Jn - genieurs Befehl aus der Arbeit zu gehen. Jrwing nahm den Leuten die Werkzeuge aus den Haͤnden, und befahl, ſie in ſein Haus zu tragen. Als der Aufſeher dieſes verhindern wollte, wurde er heftig ge - ſchlagen, und bekam verſchiedene Wunden am Kopfe. Er kam darauf uͤber und uͤber blutig zu mir, und be - klagte ſich uͤber die harte Behandlung, mit der man ihm begegnet ſey. Jch ſchickte ihn, wie er war, zum Richter Rowland, ſich daruͤber zu beſchweren; er war aber kaum vor dem Richter, als Jrwing folgte, und den Aufſeher vor des Richters Augen von neuem ſchlug. Sobald ich hoͤrte, wie der arme Mann an einem Orte, wo er Schutz und Huͤlfe finden ſollen, war be - handelt worden, gieng ich ſogleich zu dem Gouver - neur, Beyſtand zu ſuchen, erhielt aber ſeine gewoͤhn - liche Antwort, daß er ſich in keine Privatzaͤnkereyen mengen wolle. Er ließ aber doch Jrwingen holen, der, ſo bald er kam, jedem den Tod drohete, der ſich unterſtehen wuͤrde, Klage wider ihn anzuſtellen, wel - ches aber den Gouverneur ſo aufbrachte, daß er ihn in die Feſtung in Arreſt bringen ließ, ihm aber zu - gleich ſagte, daß es nicht wegen der wider ihn ange -H hbrach -482brachten Klage, ſondern wegen des Mangels der Ehr - erbiethung geſchaͤhe, die er ſeiner Perſon ſchuldig ſey. Nach dieſer Erklaͤrung verließ ich ihn; Jrwing aber kam auf Scotts und Stuarts Vorbitte wieder los.

Als ich des Abends mit dem Prediger, dem Ein - nehmer, dem Lieutenant Dromgole und verſchiede - nen andern in Geſellſchaft ſaß, kam mein Bedienter und ſagte mir, daß D. Jrwing, und ein gewiſſer Cuthbert mir und meinem Aufſeher den Tod ſchwoͤren, und daß ſie vor ihre Thuͤr, die gleich neben der mei - nigen war, und wo ich auf meinem Ruͤckwege noth - wendig vorbey mußte, mit geladenen Piſtolen auf mich warteten. Dieſes erſchreckte die Geſellſchaft, und einige riethen mir, nach der Wache zu ſchicken, andere aber, die ganze Nacht zu bleiben, wo ich war. Als ſie aber ſahen, daß ich entſchloſſen war, nach Hauſe zu gehen, wollten ſie mich begleiten, wofuͤr ich ihnen hoͤflich dankte, und ſagte, da ich wuͤßte, daß alle Prahler verzagte Leute waͤren, ſo wolle ich mit meinem Aufſeher ganz allein gehen; da aber der Mond ſehr hell ſchien, und ſie ſo weit ſehen konnten, als ich gieng, ſo moͤchten ſie an der Thuͤr bleiben, bis ich bey dieſen Meuchelmoͤrdern voruͤber ſey, damit ſie das, was etwa vorfallen moͤchte, bezeugen koͤnn - ten. Wir giengen mit aufgezogenen Piſtolen, aber als wir vor D. Jrwings Thuͤr kamen, befand er fuͤr gut, ſich dahinter zu verbergen; ich blieb eine Zeit lang ſtehen, da ich aber alles ſtill fand, ſo gieng ich ganz ruhig zu Bette. Als dieſes den andern Tag mit allen Umſtaͤnden dem Gouverneur erzaͤhlet wurde, antwortete er nach ſeiner gewoͤhnlichen Art, daß er mit Privatzaͤnkereyen nichts zu thun habe; wennaber483aber einer ſollte getoͤdtet werden, ſo wollte er den an - dern haͤngen laſſen.

Um dieſe Zeit entſtanden mancherley Verwirrun - gen und Mishelligkeiten auf der Jnſel, und der ſchnel - le Tod des Herrn Hodges, des Garniſonpredigers, gab zu verſchiedenen Betrachtungen Anlaß.

Jch erhielt zwey Tage darauf von dem Lieute - nant Moone einen Brief, woraus folgendes ein Aus - zug iſt.

Mein Herr,

Jn einer Unterredung, die ich den 3ten dieſes mit dem Gouverneur Tinker hatte, worinn wir auch auf einige Zaͤnkereyen und Zwiſtigkeiten kamen, die ohnlaͤngſt zwiſchen einigen Herren im Fort Naſſau vorgefallen ſind, ſagte mir der Gouverneur, daß man glaube, als ob er dafuͤr ſtehen muͤſſe, woruͤber er ſehr boͤſe ward, und ſich folgender Maßen er - klaͤrte: daß er ſich kuͤnftig ganz und gar nicht in ihre Zaͤnkereyen mengen wolle, ſondern, wenn einer ge - toͤdtet worden, der andere ſollte gehangen werden; alsdann wuͤrde er zwey unruhige Perſonen los ſeyn. Jch melde ihnen dieſes zur Vorſicht, weil es auf ei - nen von uns beyden gemuͤnzt zu ſeyn ſcheinet. Der ploͤtzliche und unerwartete Tod unſers Geiſtlichen, Herrn Hodges, der am 5ten dieſes geſtorben iſt, obgleich ſeine Krankheit nicht gefaͤhrlich war, giebt den Einwohnern dieſer Jnſel Gelegenheit zu vielen Betrachtungen. Daß der große Gott alle recht -H h 2 ſchaffene484 ſchaffene Maͤnner vor den Haͤnden ihrer Feinde be - huͤten und ſchuͤtzen moͤge, iſt der aufrichtige Wunſch

W. Moones.

Schreiben von einem Freunde.
3

Das wenige Zutrauen, welches der Gouverneur und ich einige Zeit lang zu einander gehabt hatten, und der bedenkliche Zuſtand, in welchem ich mich be - fand, machten, daß ich ernſtlich anfieng, darauf be - dacht zu ſeyn, dieſe Jnſel zu verlaſſen; und die Einla - dungen, die ich von verſchiedenen Colonien zu wieder - holten Mahlen erhalten hatte, machten es nothwen - dig, dem Gouverneur mein Vorhaben anzuzeigen, und ihm zugleich zu erkennen zu geben, daß ich mich hier nicht fuͤr ſicher halten koͤnne; wenn mir aber et - was Widriges widerfahren ſollte, ſo haͤtte ich die groͤß - te Urſache zu glauben, daß ſehr genau nach den Ur - hebern wuͤrde geforſcht werden. Daß ich einigen Grund zu dieſer Furcht gehabt habe, wird aus fol - gendem Briefe erhellen, der mir von einem ſehr guten Freunde zugeſchickt wurde.

Jch redete vorige Woche mit dem Gouverneur Tinker davon, daß Sie geſonnen waͤren, dieſes Gou - vernement zu verlaſſen, ſo bald als das von Jhro Majeſtaͤt zu dieſen Feſtungen beſtimmte Geld alle ſeyn wuͤrde. Hierauf antwortete der Gouverneur, daß weder der Jngenieur, noch ſonſt jemand ohne Erlaubniß dieſe Jnſel verlaſſen ſolle; und daß er ſeinen Officieren Befehl geben wolle, ſie anzuhalten, wenn ſie fort wollten. Jch ſagte dem Gouverneur, daß ich nicht begreifen koͤnne, wie dieſes geſchehen koͤnne, indem Sie nicht von dieſer Regierung, ſon - dern485 dern bloß von dem Artilleriecollegio abhiengen. Der Gouverneur antwortete hierauf mit vieler Hitze und Eifer, daß er in dieſem Gouvernement Koͤnig ſey, und wenn er jemanden zu toͤdten Befehl gaͤbe, ſo muͤßten ihm ſeine Officiers und Beamten, oh - ne die Sache zu unterſuchen, gehorchen. Dieſes melde ich Jhnen zur Warnung, damit Sie auf Jhrer Huth ſeyn koͤnnen. Jch habe den Herrn Moone den Jnhalt dieſes Briefes ebenfalls gemeldet, weil ich ſehe, daß er geſonnen iſt, dieſes Gouvernement mit eben derſelben Gelegenheit zu verlaſſen.

Eine von den Klagen wider den letzten Gouver - neur war, daß er die Einwohner, zur Strafe, ge - zwungen hatte, drey Kalkoͤfen zu bauen. Herr Scott, ſein Agent, wollte, daß ich ihm dieſen Kalk ſehr theuer abkaufen ſollte; ich antwortete ihm aber, daß ich ihn bloß nach dem Maße nehmen, und eben das dafuͤr bezahlen wolle, was ich dem Gouverneur Tin - ker gegeben habe, naͤmlich 6 Stuͤber fuͤr den Scheffel, welches er nicht ausſchlagen konnte. Weil es ihn aber verdroß, daß ich ihm nicht die Summe geben wollte, die er uͤberhaupt, ohne ihn zu meſſen, dafuͤr verlangt hatte, ſo gab er dem Herrn Fitz William davon Nachricht. Herr Fitz William ſchrieb deswe - gen an Herrn Tinker, der mir den Brief zeigte, wor - inn er mir drohete und mich auf das heftigſte verun - glimpfte, daß ich ihm den verlangten Preis nicht ge - geben hatte. Als ich ſagte, daß ich es raͤchen wolle, bat mich ſein Neffe, der Lieutenant Dromgole, nicht zu ſchreiben, weil er gewiß wiſſe, daß Scott die Sa - che falſch vorgeſtellet habe; daher er an ſeinen OnkelH h 3ſchrei -486ſchreiben und ihm die Sache erklaͤren wolle; von wel - chem Briefe der folgende eine Abſchrift iſt.

Schreiben des Lieute - nant Drom - gole.

Den 9ten dieſes bezahlte der Capitain Bruce, unſer Jngenieur, dem Herrn Scott fuͤr Jhren Kalk, den Scheffel mit 6 Pence, ſo wie Scott mit ihm ei - nig geworden war, und welches auch der Preis iſt, der dem Gouverneur Tinker fuͤr den ſeinigen ausge - macht worden iſt. Sie ſind beyde bey der Vorſtel - lung davon hintergangen worden, indem der Jnge - nieur allen Kalk zu Erbauung der Feſtung Monta - gu den Scheffel einen halben Real wohifeiler erhal - ten, und ihn auch der Regierung nicht hoͤher ange - rechnet hat. Als Herr Scott Jhren Brief erhielt, und ſahe, was Sie dieſerwegen an den Gouverneur geſchrieben hatten, ſo weigerte er ſich einige Zeit, das Geld von dem Jngenieur anzunehmen. Wie ich Jhnen aber bereits vorher geſchrieben habe, ſo iſt durch die Nachlaͤßigkeit Jhres Verwalters Jhr Kalk halb geſtohlen und von dem großen Regen wegge - ſchwemmt worden, welches ich den Gouverneur Tin - ker und den Herrn Scott ſelber ſagen hoͤren, ehe ihn der Jngenier angeruͤhret hat; ſonſt wuͤrde der Kauf allerdings ſehr zu Jhrem Vortheile ausgefallen ſeyn. Jch bitte um Verzeihung, Jhnen zu ſagen, daß es mir ſehr leid war, daß der Gouverneur Tin - ker ihm Jhren Brief zeigte, weil Sie gedrohet haben, daß es den Capitain Bruce gereuen ſolle, wenn er Jhrem Suchen nicht Gnuͤge leiſten wuͤrde. Ueber dieſes haben Sie ihn mit ſo viel Unanſtaͤndigkeit und Verachtung behandelt, daß er mit Recht aufgebracht auf487 auf Sie iſt, daher ich uͤble Folgen davon beſorge. Sie bilden ſich vielleicht ein, daß er als ein unwiſ - ſender Neuling abgeſchickt worden iſt. Wenn dem ſo iſt, ſo irren Sie ſehr, denn er iſt einer der beſten Jngenieurs in ſeiner Majeſtaͤt Dienſten, und ein Herr, der im Kriege ſehr erfahren iſt. Er hat 18 Campagnen mitgemacht, und, wie ich glaube, mehr Feſtungen gebauet, als alle Brittiſche Jngenieurs zuſammen, und iſt ein Mann von der ſtrengſten Rechtſchaffenheit; aber er ſteckt von niemanden ei - nen Schimpf ein, er mag ſeyn wer er will, oder noch einen ſo großen Titel haben. Der Capitain Bruce iſt einer meiner beſten Freunde, die ich ſeit meiner Ankunft in Providence habe; und aus eben der Urſache muß mir eine dergleichen Zwiſtigkeit ſehr nahe gehen, und ich hoffe, daß Sie ſich deswe - gen bey dem Capitain Bruce ſchriftlich entſchuldigen werden.

Pat. Dromgole.

Da das Queckſilber unter die Mannſchaft gethei -Theilung des Queckſilbers. let werden ſollte, ſo kaufte ich 28 Antheile von et - lichen Officieren und Gemeinen, die in den Caper - ſchiffen nach Hauſe giengen, und mir Vollmacht zu - ruͤck ließen, daß ich ſie von Jrwing, ihrem Agenten, bekommen ſollte. Jeder Antheil beſtand aus an - derthalb Faͤſſern, und jedes Faß wog 100 Pfund, ſo daß ich alſo 44 Faͤſſer bekommen ſollte. Als die Theilung vor ſich gieng, meldete ich mich wegen dieſer Antheile, konnte aber nicht mehr als 8 Faͤſſer, fuͤr die 42, die ich erhalten ſollen, bekommen, und der Agent ließ mir melden, daß das uͤbrige, weil dieH h 4Saͤcke488Saͤcke in den Faͤſſern aufgegangen waͤren, in den Kel - ler gelaufen ſey; wenn ich aber leere Flaſchen ſenden wollte, darein er es thun koͤnne, ſo wollte er mir deſ - ſen ſo viel, als auf meinen Antheil komme, uͤber - ſchicken. Als ich die Bouteillen uͤberſchickte, ſagte er zu meinem Bedienten, daß er es den andern Tag abholen ſolle. Herr Keowin, der Provoſtmarſchall, gieng alſo auf mein Anſuchen mit, es in Empfang zu nehmen, erhielt aber von Herrn Jrwing die Ant - wort, da er es nicht nach dem Gewichte erhal - ten habe, ſo koͤnnte er es auch nicht nach demſelben ausgeben, und da es in den Keller gelaufen ſey, ſo moͤge er ſelbſt in denſelben gehen, und es aufſam - meln. Als Herr Keowin in den Keller kam, war kein Queckſilber daſelbſt zu ſehen. Jrwing hatte es ſchon vorher in Gefaͤße ſammeln, und von Schwar - zen des Nachts in ſein Haus tragen laſſen, welches alle Leute in der Nachbarſchaft bezeugen wollten. Als bey dem Gouverneur Klage hieruͤber einlief, ſo ſagte er, da das Queckſilber die Saͤcke zerriſſen habe und in den Keller gelaufen ſey, ſo koͤnne er Jrwingen nicht zwingen, es zu uͤbergeben, weil es, ſo viel ihm be - kannt ſey, zu den Gegenfuͤßlern laufen koͤnnen. Es waren mir auch etliche Faͤſſer zu eben der Zeit in meinem eigenen Keller ausgelaufen, und ich hatte es, ohne eine Unze zu verlieren, wieder aufſammeln laſ - ſen. Alle Einwohner wunderten ſich uͤber dieſe ab - geſchmackte und offenbare Ungerechtigkeit des Gou - verneurs.

Der Capi - tain haͤlt um Baumate - rialien an.
3

Nachdem das von der Regierung zu Befeſti - gung dieſes Ortes beſtimmte Geld verbauet war, gab ich dem Gouverneur Nachricht davon, und ſagteihm,489ihm, daß ich ſo lange, bis wieder Geld aus England ankommen koͤnne, das Angefangene zu Stande brin - gen, und nach Charlestown gehen wolle. Er ant - wortete mir aber, daß ich die Jnſel, da der Krone Frankreich der Krieg ſey angekuͤndiget worden, nicht eher verlaſſen koͤnne, bis das Fort Naſſau fertig ſey; er wolle hierzu das noͤthige Geld vorſchießen, und bey dem Artilleriecollegio dafuͤr ſtehen. Jch gab ihm aber zur Antwort, daß ich ſein Geld, ohne aus Eng - land Befehl dazu zu haben, nicht annehmen wuͤrde; wenn er es aber uͤber ſich nehmen wolle, die Kaufleu - te und Arbeiter ſelbſt zu bezahlen, ſo wollte ich das Werk bis zu Ende dirigiren. Dieſes ließ er ſich ge - fallen, und ich beſchleunigte daher die Arbeit ſo gut ich konnte. Da die Provinzialverſammlung damals beyſammen war, ſo nahm ich meine Zuflucht aber - mals zu ihr, und erſuchte ſie um Beyſtand, dem Feinde deſto eher die Gelegenheit, ihnen ſchaden zu koͤnnen, zu benehmen. Die Verſammlung willigte ein - ſtimmig darein, und legte jedem, der auf der Jnſel unter ihr ſtand, auf, ſeinen Antheil zu den zur En - digung des Werkes noͤthigen Steinen und Bauholze zu liefern. Ob dieſes gleich dem Triumvirate ſehr zuwider war, ſo konnten ſie doch, bey gegenwaͤrtiger Beſchaffenheit der Sachen, ihre Einwilligung nicht abſchlagen, und alſo wurde es auch von der Verſamm - lung beſtaͤtiget.

Die ſchoͤnen Hoffnungen, die ſich die EinwohnerDer Gouver - neur wer - liehrt ſeinen Gehalt. gemacht hatten, unter der Regierung des Herrn Tin - ker gluͤcklich zu leben, und die ſie auf den ſchoͤnen An - fang gegruͤndet hatten, den er dadurch machte, daß er alle boͤſe Rathgeber ſeines Vorfahren, von denenH h 5ſie490ſie ſo ſehr waren gedruͤckt worden, abſetzte, hatten die Provinzialverſammlung bey des Gouverneurs An - kunft bewogen, ihm einen jaͤhrlichen Gehalt von 200 Pfund auszuſetzen. Da ſie ſich aber jetzt in ihren Hoffnungen ſo betrogen ſahen, ſo erklaͤrte ſich die Verſammlung, daß ſie nicht im Stande waͤre, dem Gouverneur den Gehalt laͤnger zu geben, und da ſich Herr Scott, ihr Sprecher, ihnen in dieſer Sache widerſetzte, ſo ſetzten ſie ihn von ſeinem Amte ab, und erwaͤhlten Herrn Florentin Cox an ſeine Stelle. Hierauf hub der Gouverneur das Haus der Verſamm - lung auf, und damit er ſie deſto mehr kraͤnken moͤchte, ſo nahm er den James Scott in ſeinen Rath, und machte ihn zum Oberrichter, Schatzmeiſter, Admi - ralitaͤtsofficier ꝛc. und ſetzte ihn alſo hierdurch in den Stand, ſich an den Einwohnern zu raͤchen.

Nunmehr traten die drey herrſchenden Herren zuſammen, baueten auf ihre eigene Koſten eine Scha - luppe, und nannten ſelbige, nach ihrem vorzuͤglichen Titel, das Triumvirat.

Die uͤble Behandlung, mit der man mir bisher begegnet war, machte, daß mich der Gouverneur im Verdacht hatte, als ob ich Schuld daran ſey, daß er ſein Salarium verlohren habe, und auch Klagen uͤber ihn nach England ſchickte. Jch ſagte aber, daß ich weder das eine noch das andere thaͤte; anfaͤng - lich that ich wirklich, was ich thun konnte, die Ver - ſammlung dahin zu bewegen, ihm den Gehalt zu laſſen, ſo bald ich aber erfuhr, daß ſie ihm ſelbigen ſchlechterdings entziehen wollten, entzog ich mich ih - ren Sitzungen, ſo daß ich alſo weder fuͤr noch wider dieſe Sache etwas that. Hierauf ſchrieb mir HerrMoone491Moone aus Fort Montagu folgenden Brief, der den 30ſten December datiret war.

Jch machte den 27ſten dieſes dem GouverneurSchreiben des Lieute - nant Moone. Tinker meine Aufwartung, um zu hoͤren, ob er et - was zu befehlen habe. Sobald ich mich niederge - ſetzet hatte, ſagte er zu mir, daß er ſich wundere, daß ich nicht oͤfter in ſeinem Hauſe aͤße, ſondern vielmehr mit widrig geſinnten Perſonen umgehe, wel - ches auf niemand anders, als auf Sie, den Herrn Cox, und den Capitain Petty, zielen konnte, weil wir oͤfters in Geſellſchaft ſind, wenn ich in die Stadt gehe. Jch antwortete ihm, daß ich nicht wiſſe, was er mit widrig geſinnten Perſonen ſagen wollte, er muͤßte denn einen jeden darunter begreifen, der unzufrieden ſey, daß er wegen der ihm von ſeinem Nachbar zugefuͤgten Beleidigungen keine Genug - thuung erhalten koͤnne. Die ganze Antwort, die mir der Gouverneur darauf gab, beſtand darinn, daß er hoffe, daß es in kurzem in ſeiner Gewalt ſte - hen wuͤrde, zwey oder drey davon aufhaͤngen zu laſ - ſen. Zu einer fernern Beſtaͤtigung der Wahrheit dieſer Rede, verſicherte mich Herr John Thompſon, einer von dem Concilio dieſer Jnſeln, in Gegen - wart ſeines Bruders Richard Thompſon und ver - ſchiedener Einwohner, daß ſich der Gouverneur Tin - ker ohnlaͤngſt in Concilio eben ſo ausgedruͤckt und gedrohet habe, daß er etliche von den Einwohnern wolle aufknuͤpfen laſſen, und daß er ſolches ſogar mit einem Eide beſtaͤtiget habe. Es iſt daher un - ſere Pflicht, auf unſerer Huth zu ſeyn, damit wir nicht unter der Zahl der dazu Beſtimmten ſeyn moͤchten. Daß er das Haus der Verſammlung zu der492 der Zeit aufgehoben hat, weil es ihm ſeinen Gehalt nicht laͤnger geben wollte, iſt ein offenbarer Beweis, daß er ſeinen Nutzen dem gemeinen Beſten vorziehet.

W. Moone.

Es bot ſich indeſſen bald darauf eine Gelegenheit dar, daß ſeine Excellenz die Begierde, Leute haͤngen zu laſſen, befriedigen konnte. Es wurde naͤmlich ein Soldat zum Tode verurtheilet und gerichtet, der ſeinen Sergeanten erſtochen hatte; ingleichen zwey Schwarze, die dem Schiffscapitain Laws gehoͤrten, und fuͤr ihren Herrn in dem Gehoͤlze arbeiteten und Braſilienholz hieben, und von welchen der eine, nach - dem er von einem vom Herrn Scott geſetzten Aufſe - her uͤbel behandelt worden, mit einer Vogelflinte nach dem Aufſeher ſchoß, und ihm einige Koͤrner Schrot in die Schulter ſchoß; wofuͤr er nebſt ſeinem unſchul - digen Geſellſchafter gehangen wurde.

Waͤhrend dieſen Begebenheiten bekam ich von dem Untergouverneur Bull, aus Suͤd-Carolina, fol - genden Brief, der Charlestown, den 22ſten Junii, datirt war.

Da von der hieſigen Regierung beſchloſſen wor - den iſt, daß ein neues Magazin, worein 500 Faß Pulver gehen, in Charlestown erbauet werden ſoll, und Jhro Majeſtaͤt keinen Jngenieur in dieſer Pro - vinz haben, auch ſonſt niemand hier iſt, mit dem ich mich berathſchlagen, oder der mir bey Errich - tung eines ſolchen Werks beyſtehen koͤnne; ſo hat mich die Aſſembly der Provinz erſucht, mich um ei - nen Plan, zu einem Gebaͤude von Ziegeln, an Sie zu wenden. Jch hoffe, daß Sie mir dieſes Geſuch nicht493 nicht abſchlagen, ſondern noch andere Anweiſungen, die Sie fuͤr gut befinden, uͤberſchicken werden. Die hieſige Regierung wird, wie ich hoffe, dieſe Ge - faͤlligkeit dankbarlich erkennen.

W. Bull.

Dieſes Suchen zu erfuͤllen, uͤberſchickte ich zwey Wochen nach Einpfange dieſes Briefes mit einer Schaluppe, die von hier nach Charlestown gieng, ei - nen Plan und Riß, nebſt ſolchen Anweiſungen, die ich fuͤr noͤthig hielt. Jch bat den Lieutenant Moone, der zu Anfange des Septembers dieſe Jnſel verließ und ſeinen Weg nach London uͤber Carolina nahm, nachzufragen, ob der Plan ſey uͤbergeben worden, und dieſer ſchrieb mir folgenden Brief.

Dank ſey dem Hoͤchſten, daß ich aus der Ge -Schreiben aus Char - lestown. walt des Gouverneurs in Providence und ſeines Triumvirats bin. Jch habe mich nach dem Plane zu dem Pulvermagazine erkundiget, der hier ange - kommen und dem Concilio vorgeleget worden iſt. Die Urſache, warum man Jhnen den Empfang nicht gemeldet hat, iſt, wie ich ſehe, die Ankunft des Gouverneurs geweſen, und weil ſich der Untergou - verneur um die Zeit, da er uͤberſchickt worden, aufs Land begeben hatte. Sie wuͤnſchen, Sie wegen ihrer Feſtungswerke hier zu haben, und ich habe des - wegen verſchiedene Mahle an Sie geſchrieben, da - von Sie, wie ich vermuthe, Nachricht erhalten haben. Jch glaube, daß das Triumvirat noch wie gewoͤhnlich, wie Jehu, fortfaͤhret.

Moone.

Jch494

Jch habe aber den Brief, von welchem Herr Moone redet, wie auch noch zwey andere, die der neue Gouverneur an mich erlaſſen hat, niemals erhal - ten, indem Herr Tinker dafuͤr ſorgte, daß ſie nicht in meine Haͤnde gekommen ſind. Jch empfieng aber den dritten, wie er hier folget.

Schreiben des Gouver - neur Glen.

Da einige Werke zu mehrerer Befeſtigung von Charlestown auf Koſten dieſer Provinz errichtet werden ſollten, und gegenwaͤrtig niemand hier iſt, der die Geſchicklichkeit beſitzt, daß er Rath und An - weiſung in dieſer Sache geben koͤnne, ſo hat mir die Aſſembly aufgetragen, an Sie zu ſchreiben und Sie zu erſuchen, ihr hierinnen beyzuſtehen. Jch habe bereits zweymal deswegen geſchrieben, und hoffe, daß Sie anjetzo nach dieſer Provinz abreiſen werden, wo ich fuͤr ihre gute Aufnahme Sorge tragen wer - de. Die Aſſembly hat beſchloſſen, ihnen 300 Pfund hieſiges Geld zu ihren Reiſekoſten zu geben, und auch den Entſchluß gefaßt, Jhnen ein anſehn - liches Praͤſent fuͤr ihre Muͤhe zu machen, mit dem Bedinge, daß Sie innerhalb eines Monats, vom Dato dieſes Briefes gerechnet, hier ankommen.

James Glen.

Es verdienet hier angefuͤhrt zu werden, daß ſich Herr Tinker bey ſeiner Ankunft in Providence ſo leutſelig und hoͤflich gegen alle Fremde bezeigte, daß es in kurzem durch ganz Amerika verbreitet wurde, daß jedermann unter ſeiner gelinden Regierung ſehr gluͤcklich lebe. Dieſe Erzaͤhlung bewog verſchiedene vermoͤgende Perſonen, von den Bermudiſchen und denLewards -495Lewards-Jnſeln hieher zu kommen, und ſich wegen des fruchtbaren Bodens und der geſunden Luft hier nieder - zulaſſen, die aber, nachdem ſie ſahen, wie die Ein - wohner unterdruͤckt wurden, wiederum dahin zuruͤck giengen, wo ſie hergekommen waren, dieſe Nachricht uͤberall verbreiteten, und alſo andere, hieher zu kom - men, abſchreckten. Ueber dieſes waren auch alle un - ſere Caper willens geweſen, dieſen Platz zu ihrem Sammelplatze zu machen; allein die Behandlung des Sibbalds und Dowalls machte, daß uns keiner mehr zu nahe kam. Auch ſogar der Capitain Frank - land, der ſeine Station hier hatte, wagte es nicht, ſeine Priſen in dieſen Hafen zu bringen, ſondern ſchickte ſie nach Charlestown, daſelbſt daruͤber erken - nen und ſie vertheilen zu laſſen, welches denn unſern Gouverneur gar ſehr verdroß, der nunmehr ſahe, daß er, indem er alles hatte haben wollen, alles verlohren hatte. Es iſt ſehr zu beklagen, daß dieſe frucht - baren und koſtbaren Jnſeln, die viele tauſend Fami - lien ernaͤhren koͤnnten, wegen Mangel am Volke ſo unbebauet bleiben; es wird aber ſo bleiben, ſo lange es den Gouverneuren erlaubt ſeyn wird, uͤber die Einwoh - ner zu tyranniſiren, da ſich niemand, der es beſſer ha - ben kann, hier niederlaſſen wird, und ſie folglich unbewohnet bleiben muͤſſen.

Damit der Werth dieſer Jnſeln dem Leſer nichtBeſchrei - bung der Ba - hama-Jn - ſeln. voͤllig unbekannt bleiben moͤge, ſo will ich mich be - muͤhen, folgende Beſchreibung, ſo wie ich ſie ſelbſt kennen lernen, davon zu machen.

Die Bahama-Jnſeln haben die heiterſte und ge - maͤßigſte Luft in ganz Amerika, indem die Hitze der Sonne durch die kuͤhlen Winde von Oſten ſehr ge -mildert496mildert wird. Die Erde und die Luft werden von dem Thaue, der alle Naͤchte faͤllt, und von den ſanf - ten Regen, die es hier zu den gehoͤrigen Zeiten giebt, beſtaͤndig abgekuͤhlet, ſo daß ſie nicht allein von der ſchwuͤlen Hitze unſerer andern Plantagen befreyet ſind, ſondern auch ſehr wenig vom Froſte, Schnee und Hagel, oder den Nordweſtwinden, die in unſern andern Colonien ſowohl Menſchen als Pflanzen nach - theilig ſind, beſchweret werden. Es iſt alſo kein Wunder, daß die kranken und ſchwaͤchlichen Einwoh - ner dieſer Gegenden ihre Zuflucht hieher nehmen und hier Huͤlfe ſuchen, indem ſie ſelbige hier zu finden uͤberzeugt ſind. Eben die Urſachen, die der Ge - ſundheit des Menſchen ſo großen Nutzen ſchaffen, tragen auch vieles zum Wachsthume der Pflanzen und Gewaͤchſe bey, welcher hier uͤberaus groß iſt; ſo daß aus den Limonienkernen, wenn ſie auch nur, ohne die Erde zu bauen, hinein geworfen werden, in zwey oder drey Jahren Baͤume wachſen, die uͤber und uͤber Fruͤchte tragen.

Die Jnſeln ſind in Anſehung der Groͤße ſehr un - terſchieden, und einige erſtrecken ſich uͤber hundert Meilen in der Laͤnge, da hingegen andere ſehr unbe - traͤchtlich ſind. Die Hauptinſeln ſind die Bahamas, Lucayos, (oder Abaco,) die Harbour-Jnſel, Elu - thera, St. Salvador, (oder Katzeninſel,) Exuma, Yumeta, (oder die lange Jnſel,) Andros, die Bi - mines und Providence, die faſt in der Mitte im 25ſten Grade noͤrdlicher Breite lieget, und einen ſchoͤnen Hafen hat, der bey niedrigem Waſſer auf ſei - ner Sandbank noch 15 Fuß tief iſt, und von der Schweininſel, die 3 Meilen lang iſt, gemacht wird,und497und wovon jetzt den Eingang gegen Weſten das Fort Naſſau, und gegen Oſten das Fort Montagu be - ſchießen.

Alle dieſe Jnſeln ſind, ſo wie ganz Amerika, mit Holze bewachſen, nur mit dieſem weſentlichen Unter - ſchiede, daß hier die Baͤume ſchon die Muͤhe, ſie um - zuhauen, bezahlen, ohne auf den Nutzen zu ſehen, den man davon hat, wenn man ein fruchtbares Feld reiniget. Denn ohne des Maſtix-Baumes und an - derer zu Erbauung der Haͤuſer, Muͤhlen ꝛc. ſo nuͤtz - licher Baͤume zu erwaͤhnen, giebt es hier Madeiras, Mahogany’s und Cedern, die alle zum Schiffsbaue gebraucht werden. Außer einer Menge merkwuͤrdi - ger Hoͤlzer, giebt es hier Prinzenholz, gelbes Holz, Buchsbaum, Holz ohne Rinde, (das ſehr ſchoͤne Adern hat und marmorirt iſt,) Lebensbaum, ſchwarzes und rothes Eiſenholz, Ebenholz, Manchinelle, ſchwarze Seney, Hundeholz, Fichten, Wunderbaͤume, und viel Faͤrbehoͤlzer, als Logholz, Braſilienholz, gruͤ - nes und gelbes Faͤrbeholz. Es giebt auch Baͤume mit brauchbaren Rinden, die man nirgends in ſol - cher Menge und ſo gut antrifft; dahin gehoͤret die Eluthera - oder die wilde Zimmetrinde, die hier in ſolchem Ueberfluſſe waͤchſt, daß ſie jaͤhrlich 60 bis 70 Tonnen nach Curaſſao und den andern Hollaͤndi - ſchen Colonien verfuͤhren, wo ſie Zimmetwaſſer dar - aus deſtilliren; die Winter-Rinde, welches eine an - genehm riechende Rinde iſt, die ebenfalls den Hollaͤn - dern zugefuͤhret, und von ihnen alsdann nach der Le - vante verfahren wird, wo ſich die Tuͤrken derſelben zum Raͤuchern bedienen. Die wilden Weinſtoͤcke wachſen im Ueberfluſſe in den Waͤldern, die, wennJ iſie498ſie gewartet werden, ſo gut als irgend einige ſind, die ich jemals geſehen habe; man findet auch den Myr - tenbaum, aus welchem die gruͤnen Wachslichter ge - macht werden.

Es giebt hier Tamarinden, die ſo gut als einige in der Welt ſind; die Lucca-Olive, wie auch die wil - de Art; ſuͤße, ſauere und bittere Pomeranzen, Li - monien, Limes, Citronen, Granataͤpfel, Pflaumen, Zuckeraͤpfel, Ananas, Feigen, Papuen, Sapodyl - len, Piſang, Sowerſops, Waſſer - und wohlriechen - de Melonen, Yams, eine Art große Erdaͤpfel, Gourds, Gurken, Schoten - und Vogel - Pfeffer, Guajava-Fruͤchte, Caſſaren, Moßbaͤume, Stachel - birnen, Caſtor-Oel, Zucker, Jngwer, Coffee, Jndigo, Baumwolle, die der in der Levante vorzu - ziehen iſt, und Tobak; ferner Jndianiſchen Weitzen, Guineſiſches Korn und Erbſen. Ueber dieſes wach - ſen hier alle Europaͤiſche Wurzeln ſehr geſchwinde und zu einer erſtaunenden Groͤße. Die bluͤhenden Straͤu - cher und andere Pflanzen haben einen ſolchen aroma - tiſchen Geruch, daß ſie die Luft eine große Weite durchraͤuchern.

Jhr wildes Federvieh und Voͤgel ſind, der Fla - mingo, den man zuweilen in Heerden von zwey - oder dreyhunderten antrifft. Er iſt ein großer Vogel, ſechs Fuß hoch, der ſehr ſchoͤne Federn hat, uͤber und uͤber roth iſt, und ſchwarze Fluͤgel hat; er iſt vortrefflich zu eſſen; wilde Gaͤnſe, Enten, Tauben, und gruͤne Papageyen. Außer dieſen giebt es auch Pfeif-En - ten, Musketo-Geyer, Tobak-Tauben, Crabfaͤnger, Galdings, Droſſeln, Spottvoͤgel, und Colibrits.

Die499

Die See wimmelt hierum von uns in Europa unbekannten Fiſchen. Die Raubfiſche ſind Kroko - dillen, Alligators, Seehunde, Delphine, Schwert - fiſche, Seeteufel, Wallfiſche, Nordkaper, Meer - ſchweine, Seekaͤlber, Nurſers, und Snappers; die zum Eſſen ſind der Koͤnigsfiſch, Judenfiſch, Schwein - fiſch und Ferkelfiſch, Schoͤpsfiſch, Felſenfiſch, Mar - garetenfiſch, Hahnreyfiſch, Kaninchenfiſch, Angel - fiſch, Schnabelfiſch, Hundfiſch, Garfiſch, Papa - geyfiſch, blaue Fiſch, Saugfiſch, Tangfiſch, Trom - petenfiſch, Porjes, Grupern, Jacks, Hynen, alte Weiber, Grunzer, Scales, Schulmeiſter, Braſſen, Zehnpfuͤnder, Stingern, Ryſpree, Mullets, Se - nets, Baracuden, Ship-Jacks, Albecoren, Re - genbogen, Dreſcher, Mackerellen, Hedge-Hogs, Piloten, Elſen, Sardellen, Sailors-Choice, Eich - hoͤrnchen und der Cavaly. Viele davon ſchmecken vortrefflich; allein die, welche ſich auf den Kupfer - baͤnken aufhalten, ſind giftig, und verurſachen bey denen, die ſie eſſen, juckende Schmerzen; die Krankheit vergehet aber, wenn man nur dieſe Theile reibet. Um dieſe Fiſche zu unterſcheiden, thut man einen ſilbernen Loͤffel oder ein Stuͤck Silber in das Waſſer, worinn ſie geſotten werden, welcher ſchwarz wird, wenn der Fiſch giftig iſt. Sie machen aus den Nurſern, Seekaͤlbern ꝛc. eine Menge Oel, und es koͤnnte hier ein eintraͤglicher Wallfiſchfang angelegt werden, indem dieſe Fiſche in großer Anzahl zwiſchen dieſe Jnſeln kommen, und auch verſchiedene an den Strand geworfen werden, die voll von Sperma Ceti ſind. Es wird auch viel Ambra auf dem Ufer ge - funden. Jhre Schalfiſche ſind Muſcheln, Perri -J i 2winkles,500winkles, Coneys, Sogers, Wilkes, Cukolds, Craw - fiſch, Seekrebſe und Krebſe. Sie haben auch den Land-Krebs und viele andere Arten von Schildkroͤten, von denen der Geyerſchnabel, wegen ſeiner ſchoͤnen Schale, und die gruͤne Art zum Eſſen die beſten ſind. Die meiſten werden auf den Bimini-Jnſeln gefan - gen. Es wird daſelbſt auch viel Ambra auf den Ufern gefunden.

Es giebt hier keine vierfuͤßige Thiere, von denen man ſagen koͤnnte, daß ſie dieſen Jnſeln eigen waͤren, ausgenommen die Guana, die man haͤufig auf der Jnſel Andros antrifft, die fuͤnf Meilen in Suͤdweſt von Providence liegt. Es iſt ein kleines Thier, mit kurzen Beinen und einem kurzen runden ſpitzigen Schwanze, und ſiehet einigermaßen einer Eidexe oder einem Alligator aͤhnlich, und iſt ohngefaͤhr zwey Fuß lang. Es wird fuͤr ſehr delicat gehalten, und in Providence haͤufig gefangen. Auf einigen von den andern Jnſeln giebt es viel wilde Schweine, Schafe und Ziegen, die von etlichen, ſo die Einwohner da - ſelbſt zuruͤckgelaſſen haben, herſtammen, und welche ihnen jetzt friſches Fleiſch liefern, wenn ſie Faͤrbeholz hauen, oder das Salz auf Exuma ſammlen, von welchem ſie jaͤhrlich viele Schiffe in unſere nordiſchen Colonien verfahren.

Mit einem Worte, es iſt der Einwohner eigene Schuld, wenn es ihnen an einigen zum Leben noth - duͤrftigen Dingen mangelt. Sie haben Pferde, Kuͤhe, Schafe, Ziegen, Schweine, und alle Arten von Federvieh, und das ganze Jahr durch Gras genug. Sie pflanzen und ſaͤen aber nicht mehr, als zu dem Unterhalte ihrer Familien noͤthig iſt, daher denn einervon501von den fruchtbarſten Theilen unſers Weſt - Jndiens unbebauet bleibt. Sie verlaſſen ſich auf ihre Ladun - gen vom Salze, Mahogany - und Faͤrbeholz, Schild - kroͤten, Fruͤchte ꝛc. die ſie mit großem Vortheil ver - kaufen; ingleichen auch auf die Schiffbruͤche, die auf dieſen großen Sandbaͤnken oͤfters zu geſchehen pflegen. Dieſes alles zuſammen macht, daß ſie ſich um die Verbeſſerung der Producte dieſes fruchtbaren Landes, das, wenn es einmal wohl bevoͤlkert waͤre, bald in einem bluͤhenden Zuſtande ſeyn wuͤrde, wenig be - kuͤmmern.

Die groͤßte Unbequemlichkeit, die ſie hier haben,Jnſecten. ruͤhret von einer Menge Gewuͤrme oder Jnſecten her, die ſie bey Tage und bey Nacht plagen; als Wanzen, Cock-Roches, Muͤcken, Fliegen, Sandfliegen, Ameiſen und Trigers; die letztern ſind nicht groͤßer als eine Milbe, und machen den Fremden viel Be - ſchwerde. Sie freſſen ſich durch die Fußſohlen, und bleiben zwiſchen Haut und Fleiſch, legen ihre Eyer daſelbſt und bruͤten ſie aus, wenn ihnen nicht bey Zei - ten vorgebeuget wird, welches nicht anders geſchehen kann, als daß man ſie mit einer Nadel ausgraͤbt, worinn die Schwarzen ſehr geſchickt ſind. Man muß aber dafuͤr ſorgen, daß man den Beutel (wie ſie es nennen) mit den Eyern mit bekommt; alsdann fuͤllen ſie die Wunde mit Schnupftobak an; wenn jene aber zuruͤckgelaſſen werden, ſo verurſachen ſie ſehr juckende Schmerzen und große Geſchwuͤlſte in den Beinen, die oͤfters mit Lebensgefahr verbunden ſind. Die Ameiſen ſind ebenfalls ſehr beſchwerlich, indem ſie in die Haͤu - ſer und Betten kriechen, und man ſehr ſorgfaͤltig ſeyn muß, ſie von den Speiſen, beſonders von dem ZuckerJ i 3abzu -502abzuhalten, davon ſie in einer Nacht eine große Men - ge forttragen. Die Muͤcken und Sandfliegen kom - men des Abends in großen Schwaͤrmen aus den Ge - buͤſchen, und man muß die ganze Nacht um die Haͤu - ſer herum Rauch halten, um ſie zu vertreiben. Dieſe Unbequemlichkeit ruͤhrt meiſtens daher, daß ſie die Dickigte nicht aushauen. Wir haben davon ein Beyſpiel im Fort Montagu gehabt, wo ich die Waͤl - der einen Kanonenſchuß weit reinigte, und hierdurch bey Tage und bey Nacht von dieſen Jnſecten befreyet war. Der Gouverneur folgte dieſem Beyſpiele, und ließ auch eine ziemliche Ecke von ſeinem Hauſe an Luft machen, wie denn auch verſchiedene von den Einwohnern eben das zu thun anfiengen.

St. Salva - tor und die Bimini-Jn - ſeln.
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Die Bahama-Jnſeln uͤberhaupt liegen den Spaniern in Kriegszeiten bequemer, als irgend eine von unſern Plantagen, beſonders aber zwey davon. Die erſte iſt die Salvator - oder Katzeninſel, die unter allen am meiſten gegen Oſten liegt; ſie liegt ganz frey von der Bank, und iſt vom Ocean umrin - get. Sie liegt auch am bequemſten, den auswaͤrti - gen Handel Altſpaniens zu verhindern, und befindet ſich zwiſchen dem 24ſten und 25 ſten Grade noͤrdlicher Breite. Sie iſt 45 Meilen lang und 7 breit, 28 Meilen von Eluthera und 90 von Providence entfernt.

Die naͤchſte iſt die Jnſel Biminis, 105 Meilen gegen Weſten von Providence, 120 gegen Norden von der Havannah, und nur 60 vom feſten Lande Florida. Vermoͤge dieſer Lage hat ſie den ganzen Meerbuſen in ihrer Gewalt, durch welchen alle ſpani - ſche Schiffe, wenn ſie aus Weſtindien zuruͤck fahren, gehen muͤſſen. Zur Kriegszeit wuͤrde hier im ganzenBrit -503Brittiſchen Amerika die vortheilhafteſte Station ſeyn. Der Hafen wird von zwey Jnſeln gemacht; die weſt - liche und Haupteinfahrt iſt aus dem Meerbuſen, und nur eine Viertelmeile breit, wo er, und uͤberhaupt inwendig bey niedrigem Waſſer nur 10 Fuß, und bey hohem Waſſer 18 Fuß Tiefe hat. Gegen Norden iſt er durch Felſen ſicher, aber es koͤnnen Schiffe vom erſten Range nahe am Ufer gegen Weſten vor Anker liegen, und ſind frey von allen Winden. Die Einfahrt gegen Morgen iſt nur fuͤr Bothe, und iſt, wenn das Waſſer niedrig iſt, trocken. Dieſe Einfahrten ſind nur 2 Meilen weit von einander, aber der Hafen iſt von Norden gegen Suͤden 6 Meilen lang, und alle amerikaniſche Kaper haͤtten darinnen Platz. Die nach Hauſe fahrenden ſpaniſchen Schiffe verſehen ſich hier gemeiniglich mit Holz und Waſſer; und hier fangen auch die Einwohner von Providence die meiſten von ihren Schildkroͤten, werden aber oͤfters ertappt und gefangen nach der Havannah gefuͤhret. Die Jnſel iſt 12 Meilen lang und 2 Meilen breit. Man glaub - te durchgaͤngig, wenn 2 oder 3 Schaluppen hier ge - ſtanden haͤtten, als der General Oglethorpe St. Au - guſtin belagerte, daß ſie gewiß die Spanier abgehalten haben wuͤrden, ihre Galeeren von der Havannah mit Mannſchaft und Ammunition zu ihrem Beyſtande zu ſchicken, und daß der Platz dem General in die Haͤn - de gefallen ſeyn muͤſſe, da es den Spaniern an bey - den gebrach, und ſie ſich folglich haͤtten ergeben muͤſ - ſen. Dieſer Hafen koͤnnte ſehr leicht durch eine kleine Feſtung nebſt einer Seebatterie, da der Eingang ſo ſchmal iſt, befeſtiget werden. Sie liegt im 25ſten Grade noͤrdlicher Breite. Die Bahama-Jnſel liegtJ i 4von504von dieſer 48 Meilen gegen Norden, und die Jnſel Andros 60 Meilen gegen Suͤden; es iſt aber keine von dieſen ſchoͤnen Jnſeln, außer Providence, Har - bourinſel und Eluthera, bewohnt.

Zahl der Ein - wohner in Providence.
3

Einwohner in Providence, Harbourinſel und Eluthera, die damals aus Englaͤndern, Schotten, Jrlaͤndern, Bermudianern, Mulatten, freyen Schwar - zen und Sclaven beſtanden, waren uͤberhaupt

  • Haͤupter von Familien310
  • Weiber und Kinder689
  • Schwarze Sclaven426
  • Schwarze Weiber und Kinder538
  • Die independente Compagnie, die Officiers dazu gerechnet100
  • Harbour-Jsland und Eluthera uͤberhaupt240
  • Jn allen, Einwohner auf den Bahamas2303

an weißen und ſchwarzen Mannsperſonen, Weibern und Kindern, da ſie doch mehrere Tauſende, als Hun - derte darauf ſind, ernaͤhren koͤnnten.

Fort Naſſau.
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Das Fort Naſſau und die Seebatterie, die ich faſt von Grunde aus wieder aufgebauet habe, weil ich ſie in einem ſehr ſchlechten Zuſtande gefunden hatte, wurden zu Ende des Decembers fertig. Jch fand fuͤr noͤthig, eine neue Baſtion ſtatt eines alten vier - eckigten Thurms zu errichten, und baute das Pulver - und Ammunitions-Magazin fuͤr Kanonen darein, worein in jedes 300 Faß Pulver giengen, und unter die oͤſtliche Courtine drey große Caſematten und ein Thor, alle bombenfeſte; uͤber dem Thore aber ein ge - woͤlbtes Zimmer fuͤr den Gouverneur, woraus er die ganze Stadt und den Hafen uͤberſehen kann. Aufjedem505jedem Ende der Baſtionen befinden ſich ſteinerne Schilderhaͤuſer. Die weſtliche Courtine hat einen Aus - fall und bombenfeſte Caſematten, und vor ſich die Seebatterie. Die ganze Feſtung iſt mit Palliſaden von Maſtixholze umgeben, die 8 Zoll ins Gevierte haben und 3 Zoll von einander entfernt ſtehen, 8 Fuß uͤber der Erde und 2 Fuß tief in dem Felſen; oben und unten ſind ſie mit Queerſtangen und Klammern verbunden. Da vor dieſem keine Gebaͤude in der Feſtung waren, ausgenommen die gaͤnzlich verfalle - nen hoͤlzernen Barraken, ſo baute ich neue von Stei - nen, worinn 600 Mann Platz haben, wie auch be - queme Wohnungen fuͤr die Officiers; desgleichen eine Kuͤche und ein Backhaus mit zwey Oefen, uͤber wel - chen Stuben fuͤr den Capellan, Feldſcheerer, Kano - nier und Waffenſchmidt ſind. Jn der Feſtung iſt ein Brunnen mit friſchem Waſſer, desgleichen auch vor jedem Thore innerhalb der Palliſaden. Die ganze Feſtung iſt mit 54 ſechs - neun - zwoͤlf - und achtzehnpfuͤn - digen Kanonen, alle auf neuen Lavetten, beſetzt, außer 26 metallenen Moͤrſern, wovon 2 von 7, 12 von und 12 von Zoll ſind.

Die Erbauung dieſer beyden Feſtungen koſtete der Regierung nicht mehr als 4000 Pfund, ob ſie gleich vorher auf 12254 Pfund, 9 Schillinge, 10 Stuͤber und 3 Faͤrthinge war geſchaͤtzet worden; weil es ſich aber fuͤgte, daß ich zu einer Zeit hieher kam, da der Krieg war erklaͤret worden, und uns mit einem Ein - falle gedrohet wurde, und wir alsdann den Beleidi - gungen eines Feindes ausgeſetzt geweſen waͤren, ſo ſchafften die Einwohner ihrer eigenen Sicherheit we - gen Baumaterialien herbey, die nebſt andern ſparſa -J i 5men506men Einrichtungen, die ich machte, der Regierung viele tauſend Pfund erſparten. Jch wurde aber ſehr uͤbel fuͤr dieſen getreuen und gefaͤhrlichen Dienſt belohnet.

Nachdem endlich alles fertig war, beſcheinigten der Gouverneur und ich einander unſere Rechnungen, und ich gab ihm eine Anweiſung an das Artillerie - Collegium auf 2400 Pfund, die er zu Vollendung dieſer Werke ausgelegt hatte, und er gab mir zugleich eine Beſcheinigung, daß ich alle Werke, die in Pro - vidence noͤthig geweſen waͤren, in den gehoͤrigen Stand geſetzet habe, die ich bey meiner Ankunft in London dem Artillerie-Collegio uͤbergab.

Da Herr Tinkern nicht unbekannt war, wie ſehr er verdiente, daß Klagen wider ihn gefuͤhret wuͤrden, ſo ſchickte er ſeinen Secretair, John Snow, uͤber Jamaika nach London, allen Klagen, die daſelbſt wider ihn angebracht werden koͤnnten, vorzubeugen. Er haͤtte ſich aber die Muͤhe und Koſten erſparen koͤn - nen, denn ich war nicht Willens, ſeinen Namen in London zu erwaͤhnen, habe es auch nicht gethan, weil ich wohl weiß, daß man nicht ſo leicht Huͤlfe wider Beſchwerden erlangt.

Jndem ich mich zu meiner Abreiſe nach Carolina fertig machte, kam der Capitain von der Kriegsſcha - luppe, die Schwalbe, nebſt ſeinen Officieren in einem Bothe hier an; er war mit 2 metallenen Moͤrſern und einer Menge Bomben, die dem General Ogle - thorpe in ſeiner Expedition nach St. Auguſtin waren geliehen worden, von Charlestown hieher geſchickt worden, allein ſein Schiff war auf die Felſen von Abaco verſchlagen worden. Woruͤber ich erſtaunte,war,507war, daß er eben den Steuermann hatte, der in dem Kriegsſchiffe, der Tartar, mit uns hieher gekommen war, und unter deſſen Fuͤhrung auch wir beynahe auf eben dieſen Felſen Schiffbruch gelitten haͤtten. Der Capitain Jelf war geſonnen geweſen, mich mit ſich nach Carolina zu nehmen, er war aber jetzt ſehr froh, daß er in der Schaluppe, die ich gemiethet hatte, mit mir gehen konnte.

Als alles zu unſerer Reiſe fertig war, und da ich wußte, daß des Stuarts Schaluppe Befehl erhalten hatte, nach Abaco zu gehen, und dasjenige, was von dem Schiffbruche der Schwalbe gerettet werden koͤnnen, hieher zu bringen, ſo ſchickte ich meinen Aufſeher mit einem offenen Briefe zu ihm, und ver - langte, daß er mich nach Abaco begleiten, und mir fuͤr den von ihm erhaltenen Schimpf Genugthuung geben ſollte. Er ließ mir melden, daß er zum Gou - verneur gehen und um Erlaubniß anhalten wolle, ſchickte mir aber bald darauf eine Antwort, daß er ſie nicht erhalten koͤnne. Hierauf ſchrieb ich an den Gou - verneur, und erinnerte ihn an die Beſchimpfung, welche mir Stuart angethan, und an das Verſpre - chen, welches er mir auf ſein Ehrenwort gegeben hatte, ihm, ſobald die Werke zu Stande ſeyn wuͤrden, zu erlauben, mit mir zu gehen. Da nun ſeine Schaluppe nach dem Schiffbruche gienge, ſo hoffte ich, daß er ſein Verſprechen halten wuͤrde, indem dieſes eine be - queme Gelegenheit an die Hand gaͤbe, unſere Sache auszumachen. Herr Tinker ſchlug es mir aber gaͤnz - lich ab, weil er wohl wußte, daß er eben ſo viel Schuld als der andere hatte. Jch ſchrieb hierauf an Stuarten, und ſagte ihm, da ich wiſſe, daß er einenProceß508Proceß in Charlestown habe, der in kurzem ſeine Ge - genwart daſelbſt erfordern wuͤrde, ſo wollte ich fuͤnf oder ſechs Monate daſelbſt auf ihn warten. Hierauf antwortete er, daß er mich daſelbſt antreffen wollte. Jch hatte beſchloſſen, dieſe Ausforderungen ſo oͤffent - lich zu machen, als ich konnte, und that ſie alſo vor dem Capitain Jelf und ſeinen Officieren, dem Col - lecteur Boothby, und dem Capitain Cox, damit er keine Gelegenheit haben moͤchte, ſie zu leugnen. Ob nun gleich Stuarts Freunde und Sachwalter in Char - lestown ſagten, daß er nothwendig ſelbſt kommen muͤſſe, weil der ganze Erfolg ſeines Proceſſes davon abhieng, und er ſelbſt zu wiederholten malen verſichert hatte, daß er gewiß kommen wuͤrde, ſo erſchien er doch in den fuͤnf Monaten, die ich mich daſelbſt auf - hielt, nicht, und verlohr dadurch ſeine Sache, wel - ches denn ein Scherz in Charlestown wurde, wo der Capitain Jelf und ſeine Officiers die Urſache, warum er nicht erſchiene, ſo bekannt als in Providence machten.

1745. Der Capitain verlaͤßt Pro - vidence.
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Jch ſetzte mich den 5ten Januar auf die Pelham - Schaluppe, ein ganz neues von Mahoganyholze von Florentin Cox erbautes Schiff, der es auch comman - dirte, und wir fuhren mit dem Capitain Jelf und ſeinen Officieren an einem Tage ab, und kamen den folgenden Tag in Abaco an, wo der Schiffbruch lag. Wir wurden dadurch, daß wir die Leute von der Schwalbe, die ſich auf der Jnſel zerſireuet hatten, zu - ſammen ſuchten, etliche Tage aufgehalten; und da ihre Anzahl 120 war, ſo bekamen wir nunmehr Leute genug auf die Schaluppe Pelham. Stuarts Scha - luppe nahm die Moͤrſer und Bomben, die Kanonen, Anker, Segel und Taue von der Schwalbe, die allein509in Providence verkauft wurden, und zwar, wie man mich hernach durch einen Brief gewiß verſichert hat, an die Spanier. Wir hatten ſchoͤnes Wetter und eine angenehme Fahrt, und wurden taͤglich von einer Men - ge Seehunde begleitet. Der Capitain Cox, ein ge - bohrner Bermudianer, die fuͤr die geſchickteſten Fi - ſcher in der Welt gehalten werden, fieng deren an ei - nem Tage beynahe auf zwanzig. Seine Methode war, daß er ein Seil heraushieng, an deſſen Ende eine Schlinge war, durch welche er ein Stuͤck Fleiſch hieng. Wenn ſich der Seehund dem Fleiſche naͤherte, ſo wur - de es durch die Schlinge vorwaͤrts gezogen, ſo daß der Seehund, wenn er es verfolgte, am Schwanze, der groß und breit iſt, davon umſchlungen, und auf dieſe Art auf das Schiff gezogen wurde. Einige von den Seehunden waren ſo groß, daß, wenn ihr Schwanz dem Laufe der Kanone gleich war, die Haͤlf - te des Koͤrpers noch unter dem Waſſer ſteckte. Wir ſchnitten die allzugroßen in der Mitte durch, und lieſ - ſen die Haͤlften wieder ins Waſſer fallen, da ſie denn von ihren gefraͤßigen Bruͤdern ſogleich in Stuͤcke zer - riſſen wurden, welches uns einen angenehmen Zeit - vertreib machte. Da aber die jungen gut zu eſſen ſind, ſo brachten wir ſie auf das Verdeck, und hieben ſie fuͤr die Mannſchaft ein, die dadurch zum Ueberfluſſe mit friſchen Lebensmitteln verforget wurden, welches ein gluͤcklicher Umſtand war, indem wir nicht hin - laͤnglich fuͤr ſo viele mit Proviant verſehen waren. Es iſt ein gemeines Spruͤchwort, daß ein Bermudianer zur See niemals Hungers ſtirbt, wenn er nur mit Geraͤthe zum Fiſchen verſehen iſt.

Den510
Ankunft zu Charles - town.
3

Den 21ſten Januar kamen wir des Abends vor der Sandbank bey Charlestown an, und da es anfieng finſter zu werden, das Waſſer niedrig war, und der Wind ſtark gieng, ſo fanden wir nicht fuͤr gut, uns uͤber die Bank zu wagen. Als aber zwey von den Engliſchen Matroſen, die zu der Schwalbe gehoͤrten, dem Capitain Jelf hinterbrachten, daß die Jrrlaͤn - diſchen Matroſen eine Verſchwoͤrung gemacht haͤtten, ſich unſerer zu bemaͤchtigen, und das Schiff nach Au - guſtin zu fuͤhren, ſo bewegte uns dieſes, einen Verſuch zu machen, uͤber die Bank zu kommen. Wir waren kaum auf der Bank, als das Schiff aufſtieß, und achtzehnmal mit ſolcher Gewalt anſtieß, daß wir je - desmal in die Hoͤhe ſprangen. Da aber die Fluth eben anfieng einzubrechen, ſo gluͤckte es uns mit vieler Muͤhe, es zu wenden, und wiederum in die See zu ſtechen, da es denn ſo leck war, daß wir es mit der groͤßten Schwierigkeit erhielten, daß es nicht unterſank. Wir thaten verſchiedene Nothſchuͤſſe, welches die Zu - ſammenverſchwornen verhinderte, ihr Vorhaben aus - zufuͤhren. Der Capitain Jelf hatte mitten in unſerer Verwirrung und vermittelſt der Finſterniß ſeine Offi - ciers mit dem Bothe an den Commodore geſchickt, und ihm von unſerer Gefahr Nachricht geben laſſen; daher am folgenden Morgen bey Anbruch des Tages zwey lange Bothe mit bewaffneter Mannſchaft zu un - ſerm Beyſtande abgeſchickt, und ein Schiff von 20 Kanonen an der Bank hinunter geſchickt wurde, uns im Fall der Noth nachzufolgen. Dieſes benahm den Aufwieglern allen Muth, und ſobald wir in die Bank eingelaufen waren, wurden ſie alle auf dem Kriegs - ſchiffe gefeſſelt, und wir kamen endlich den 22ſtengluͤck -511gluͤcklich nach Charlestown, welches wir hauptſaͤchlich unſerm feſten Schiffe zu danken hatten, weil wir außerdem haͤtten umkommen muͤſſen. Es war aber durch die vielen Stoͤße, die es auf der Bank bekom - men hatte, ſehr beſchaͤdiget worden. Die Entfer - nung von Providence bis an dieſen Ort iſt 7 Grad, oder 420 geographiſche Meilen.

Hier wurde ich von dem Gouverneur, dem Con - cilio und der Aſſembly ſehr wohl aufgenommen, die mich erſuchten, ohne Zeitverluſt den Platz zu beſehen, und ihnen meine Meynung zu ſagen, was ferner zu mehrerer Sicherheit und Vertheidigung zu thun ſey. Nachdem ich den ganzen Platz in Augenſchein genom - men, die Beſchaffenheit des Moraſts, der vor der Stadt iſt, unterſucht, und die Tiefe bey Hog-Jsland - Creek erforſcht hatte, ſo ſtattete ich folgenden Be - richt ab.

Da dieſe Stadt auf einer Landſpitze erbauet, undZuſtand der Feſtung Charles - town. von Oſten, Suͤden und Weſten von dem Cooper und Aſchley, zwey großen ſchiffbaren Fluͤſſen, die dieſe drey Seiten von Natur befeſtigen, umgeben iſt, ſo ſehe ich doch, daß alles, was zur Befeſtigung dieſes Orts gethan worden, bloß gegen dieſe Fluͤſſe gerichtet iſt; da hingegen die Seite der Stadt gegen Norden, wo ſich das meiſte Land befindet, verabſaͤumet und offen gelaſſen, und den Anfaͤllen eines Feindes aus - geſetzt iſt, der wegen der Naͤhe der Waͤlder die Stadt zu jeder Zeit uͤberfallen kann. Der Platz iſt eben der - ſelben Gefahr auch zur See ausgeſetzt; denn obgleich die Bank eine große Sicherheit iſt, und das Fort John die gewoͤhnliche Paſſage nach der Stadt beſchießt, ſo iſt doch noch eine andere Paſſage in Hog-Jsland -Creek,512Creek, wo das Waſſer tiefer als auf der Bank ſelbſt iſt, und ein Feind kann dieſen Weg nehmen, ohne daß er den Kanonen von der Feſtung Johnſon, oder von den Courtinen bey dem Fluſſe ausgeſetzt iſt, und dadurch hinter die Stadt kommen, wo ſie gaͤnzlich ohne Vertheidigung iſt, und ſich alſo der Stadt bemeiſtern.

Jch bin demnach der Meynung, daß bey der Freyſchule ein Canal von dem einen Moraſte bis zum andern, 6 oder 8 Faden breit, und 8 oder 10 Fuß tief, gegraben werde, welches nicht mehr als 120 Ru - then in der Laͤnge ausmacht. Dieſer Canal wuͤrde den Ueberfall zu Lande verhindern. Um aber dem Ueberfalle zur See vorzubeugen, muß auf Rathe’s - Spitze eine Faſchinen-Batterie errichtet werden, weil dieſes der einzige bequeme Ort zum Landen iſt, und noch eine Batterie bey Anſons Hauſe, jede von 6 oder 8 Kanonen vom groͤßten Calibre, um davon die Paſſage durch Hog-Jsland-Creek beſchießen zu koͤn - nen, wenn es ein Feind wagen ſolle, dadurch zu ge - hen. Außerdem koͤnne Rathes-Point auch durch die Kanonen von der Cravens-Baſtion, wie auch von denen bey Anſons Hauſe von der Seite beſchuͤtzet wer - den. Wenn alſo dieſe Paſſage gedeckt worden, ſo wuͤrde noͤthig ſeyn, eine große Batterie auf dem Mo - raſte zu errichten, wovon ein Theil feſt; was aber nicht feſt iſt, muͤßte durch Pfaͤhle ſo gemacht werden. Dieſe Batterie muͤßte die Geſtalt eines Hufeiſens ha - ben, und mit 30 der groͤßten Kanonen beſetzt wer - den, die nicht allein die Rebellion-Straße, ſondern auch beyde Canaͤle, (naͤmlich von Johnſons-Fort und Hog-Jsland,) beſtreichen koͤnnten, wodurch alſo die Unterhaltung von Johnſons-Fort unnoͤthig werdenwuͤrde,513wuͤrde, beſonders wenn die auf der Spitze bey Gran - vills angefangene Baſtion zu Stande gebracht wuͤrde. Dieſe wuͤrde alsdann auch Broughtons-Batterie unnoͤthig machen.

Naͤchſtdem bin ich der Meynung, daß es auch ſehr noͤthig ſeyn wuͤrde, auf der Erdenge eine regelmaͤſ - ſige Feſtung mit vier Baſtionen zwiſchen dem Arbeits - hauſe und der Freyſchule anzulegen, die nicht allein die Stadt decken, ſondern auch beyde Fluͤſſe beſchießen wuͤrde; wie es denn auch ſehr viel zu der Staͤrke bey - tragen wuͤrde, wenn man ſie mit Palliſaden beſetzte, die im Falle eines Angriffs mit Schwarzen, ſowohl aus der Stadt als vom Lande, beſetzt werden koͤnnten. Die Einwohner koͤnnten, wenn ſie ihnen gleich Gewehr an - vertrauten, nichts zu beſorgen haben, weil ihre Herren ſie beſtaͤndig vor Augen haben, und ſie keinen Zutritt zur Feſtung, oder einige Communication mit den Wer - ken, als in den Palliſaden haben, wo ſie dem Feinde ſehr ſchaden koͤnnten.

Je mehr ich die Lage und die Umſtaͤnde des Orts betrachte, deſto mehr werde ich in meiner Meynung von dem Nutzen und der Nothwendigkeit einer Feſtung oder Citadelle beſtaͤtiget, indem die Stadt von dieſer Seite gegen die Streifereyen der Jndianer ganz frey und offen iſt. Zweyhundert von denſelben koͤnnen, wenn ſie ſich in kleinen Parthien durch die Gehoͤlze naͤhern, in einer Nacht großen Schaden thun. Jhre Schwarzen auf dem Lande ſind zwar jetzt ruhig; allein ſie ſind es nicht jederzeit geweſen, und ihre letzten Un - ternehmungen in Antigua, New-York und Jamaika koͤnnen Warnungen genug fuͤr ein Land abgeben, wo ſie ſo zahlreich ſind, ſich vor Ungluͤck vorzuſehen, und eine Macht wohl zu erwaͤgen, die wider ſelbiges gekehrtK kwer -514werden kann. Die Schwarzen in der Stadt werden als - dann getreuer ſeyn, wenn ſie wiſſen werden, daß es ih - nen unmoͤglich iſt, zu entkommen, wenn ſie ſich uͤbel ver - halten ſollten. Jch koͤnnte noch mehrere Vortheile an - fuͤhren, die von der Befeſtigung dieſes wichtigen Paſſes entſtehen werden, denn es iſt kein Zweifel, daß es Per - ſonen in allen Staͤdten giebt, die bey der Annaͤherung eines Feindes wuͤnſchen, ſo weit als moͤglich von der Ge - fahr entfernt zu ſeyn, die aber, wenn ſie wiſſen, daß es unmoͤglich fortzukommen iſt, ihre Schuldigkeit thun muͤſſen. Außerdem wird es auch jeden aufmuntern, al - les Moͤgliche zu thun, wenn ſeine Frau, Kinder und ſei - ne ſchaͤtzbarſten Sachen in Sicherheit ſind. Jch koͤnnte auch erwaͤhnen, daß innerhalb der Feſtung Haͤuſer fuͤr den Gouverneur, das Concilium und die Aſſembly, des - gleichen auch Barraken fuͤr die Officiers und Solda - ten, Arbeitshaͤuſer, Gefaͤngniſſe, Magazine, Zeughaͤu - ſer und Provianthaͤuſer ꝛc. ſeyn koͤnnten. Es iſt dem - nach meine Meynung, daß es kein Feind in der Welt eher wagen wird, dieſe Stadt anzugreifen, als bis er ſich der Feſtung bemaͤchtiget hat; und da dieſe nicht anders als von der Seite zu Lande angegriffen werden koͤnnte, ſo koͤnnte ſie von 2 - oder 300 Mann, einen Hauptſturm ausgenommen, vertheidiget werden.

Jch habe zwey Plane zu einer Feſtung entwor - fen, die ich ihnen hiermit vorlege; die eine mit vier re - gulairen Baſtionen, die zweyte von zwey Baſtionen und einem Ravelin vor der Courtine, gegen das feſte Land, und zwey halbe Baſtionen neben der Stadt. Daß ich ihnen nicht die Koſten von dieſen Werken vorlege, ruͤhret daher, weil ich den Preis der Materialien und der Arbeit nicht weiß; es kann aber von Herren, die mit Bauen zu thun gehabt haben, leicht berechnet wer -den,515den, indem ich die Menge und die Beſchaffenheit der verſchiedenen Arbeiten, die nothwendig verrichtet wer - den muͤſſen, hinzu geſetzt habe. Jm Fall aber dieſe Regierung finden ſollte, daß die Erbauung einer ſol - chen Feſtung ihr Erwarten weit uͤberſteigen, und alſo, ſelbige ins Werk zu richten, abgeſchreckt werden ſollte; ſo waͤre alsdann mein Vorſchlag, einen Graben nebſt einer Courtine vom Cravens-Baſtion bis ans Arbeits - haus zu ziehen, und ihn in der Mitte mit einer Ba - ſtion zu befeſtigen, und eine halbe Baſtion am Aſchley - Fluſſe anzulegen, wodurch die Stadt auf der Landſeite von einem Fluſſe bis an den andern eingeſchloſſen ſeyn wird; alles dieſes kann von Raſen gemacht werden.

Es wurden alſo einige von den Mitgliedern des Concilii und der Aſſembly als ein Ausſchuß beſtimmt, eine Berechnung der Koſten dieſer Werke zu machen; und da der gaͤnzliche Mangel an Steinen in dieſem Lande ſie noͤthiget, ihre feſten Werke von Ziegeln zu bauen, und ſie keinen andern Kalk haben, als den ſie aus Auſter - und andern Schalen brennen, und der Lohn fuͤr die Arbeit hoch zu ſtehen kommt, ſo fanden ſie, daß die Ausfuͤhrung dieſer Plane ſich auf eine be - traͤchtliche Summe belaufen wuͤrde. Da nun ihr Schatz damals nicht in der Verfaſſung war, ſolche Koſten tra - gen zu koͤnnen, ſo waren ſie der Meynung, ſich ein Darlehn auf 3 pro Cent aus England zu verſchaffen, oder eine Acte vom Parlamente zu erhalten, 100000 Pfund von ihrem eigenen Gelde zu heben, und Papier - geld auszugeben, und zu bitten, daß ein geſchickter Jn - genieur von London geſchickt werden moͤchte, dieſe Pla - ne auszufuͤhren, weil ſie ſich nicht getrauten, die Aus - fuͤhrung derſelben dem Obriſten Baile, ihrem gegen - waͤrtigen Jngenieur, anzuvertrauen, indem er ſie ſchonK k 2in516in große Koſten geſetzt, und Werke von keinem Nu - tzen errichtet haͤtte. Sie noͤthigten mich ſehr, bey ihnen zu bleiben, und boten mir an, mein Salarium zu ver - doppeln, und mir noch andere Gefaͤlligkeiten zu erzei - gen. Jch ſagte ihnen, wenn ſie ſich zu der Zeit an mich gewendet haͤtten, da ich nach Providence gekommen ſey, ſo haͤtte ich ihre Werke zugleich beſorgen koͤnnen. Da aber dieſe Gelegenheit nunmehro vorbey ſey, ſo ſey es mir jetzt unmoͤglich, ihrem Suchen, ohne einen Be - fehl von dem Artillerie-Collegio, zu willfahren. Da dieſe Herren uͤberdieſes ſehr mit ihren Entſchließungen zauderten, und in keinem guten Verſtaͤndniſſe mit ih - rem Gouverneur lebten, ſo wuͤrde es mir ſehr ſchwer geworden ſeyn, beyde Partheyen zu befriedigen. Da ſie aber mit meinem letzten Plane, als dem wohlfeilſten, ſehr wohl zufrieden zu ſeyn ſchienen, ſo gab ich, auf Verlangen des Gouverneurs Glen, dem Oberſten Bai - le Unterricht, wie er ausgefuͤhret werden muͤſſe, und empfahl ihn dem Ausſchuſſe zu Ausfuͤhrung deſſelben, mit der Verſicherung, daß ſie ihm ſelbige ſicher anver - trauen koͤnnten. Die zwey Batterien auf Rathes - Point und Anſons-Haus wurden zur Sicherheit der Paſſage durch Hog-Jsland-Creek angefangen. Die Herren in Charlestown machten mir ein Geſchenk von 50 Guineen, und ſagten, da ich auf dem Wege nach England ſey, und nicht in der Abſicht bey ihnen zu blei - ben und ihnen zu dienen gekommen ſey, ſo koͤnnten ſie mir die Belohnung nicht geben, die ſie mir haͤtten ge - ben wollen, wenn ich ausdruͤcklich in der Abſicht ge - kommen waͤre, ihnen zu dienen und meine Plane aus - zufuͤhren.

Beſuch von einem Haup -
3

Wir hatten zu der Zeit einen Beſuch von einem Anfuͤhrer, oder Jndianiſchen Koͤnige, wie ſie ihn nann -ten,517ten, mit ohngefaͤhr 100 Cherokeſen in ſeinem Gefol -te der Che - rokeſen. ge, unter dem Vorwande, ſeine Allianz mit dem Koͤ - nige Georg zu erneuern. Allein ich glaube, es geſchahe bloß, die gewoͤhnlichen Geſchenke in Empfang zu neh - men. Sie kommen bey dieſer Gelegenheit alle nackend, und gehen wohl bekleidet zuruͤck. Sie ſind insgeſammt wohl geſtaltet, gemeiniglich olivenfarbig, und haben ihre Geſichter auf verſchiedene Art gemahlt, nachdem ſie glauben, ihren Feinden damit Schrecken einzujagen. Einige haben die eine Seite ſchwarz, die andere roth; andere mahlen ſie mit vier verſchiedenen Farben; ihre Koͤpfe waren mit allen Arten von Federn, die mit Flaumfedern ſtatt des Puders vermiſcht waren, gezie - ret. Sie bedecken ihre Bloͤße mit einem kleinen Stuͤcke Leder; ſie ſind ſehr große Liebhaber von Branntwein, den ſie ſo lange trinken, bis ſie voͤllig betrunken ſind. Jhr Lager war eine Meile von der Stadt, wohin ſie alle Abende giengen. Nachdem ſie ſich hier eine Wo - che aufgehalten, alle neue Kleidung bekommen, und ihre Geſchenke erhalten hatten, ſo brachen ſie ihr Lager ab, und giengen wieder nach Hauſe. Jch habe vergeſ - ſen zu erwaͤhnen, daß ihr Koͤnig oder Oberſter nebſt zweyen von ſeinen vornehmſten Officieren und drey Weibern neu gekleidet wurden, ehe ſie ihren oͤffentlichen Einzug in die Stadt hielten; hierauf wurde der Ober - ſte nebſt ſeinen zwey Adelichen im Staate in einer Kut - ſche mit ſechs Pferden in das Rathszimmer gebracht, wo ſie ihre Rede hielten, die in ſehr wenig Worten be - ſtand, worinn ſie uns ihrer beſtaͤndigen Ergebenheit gegen die Krone Britannien verſicherten. Nachdem das Feyerliche ihres Beſuchs zu Ende war, gaben ſie jedem, der im Zimmer war, die Hand, nahmen ihren Abſchied, und wurden in eben der Kutſche, die ſie ge -K k 3bracht518bracht hatte, in ihr Lager zuruͤck gefuͤhret. Sie waren weder gemahlt, noch mit Federn gezieret, wie die uͤbri - gen, ſondern geziemend in blaues Tuch gekleidet, und jeder hatte einen Hut mit einer goldenen Treſſe, wor - uͤber ſie große Freude zu haben ſchienen.

Eine reiche Franzoͤſiſche Priſe.
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Der Capitain Thomas Frankland brachte hier eine ſehr reiche Franzoͤſiſche Priſe ein, deren Hauptladung in Piſtolen, einigen wenigen Kiſten Thalern, und viel gearbeitetem Golde und Silber beſtand. Die Quan - titaͤt war ſo groß, daß es, um die Muͤhe, ſelbige zu zaͤhlen, zu erſparen, nach dem Gewichte getheilet wur - de; ſo daß man jetzt mehr Piſtolen in Charlestown ſahe, als man in Providence Thaler geſehen hatte, wel - ches nicht anders als dem Gouverneur Tinker ſehr kraͤn - kend ſeyn mußte, dem alſo der Gewinn, der ihm von der Verurtheilung zuwaͤchſt, entzogen wurde, obgleich der Capitain Frankland ſeine Station daſelbſt hatte; dieſen Verdruß hatte er aber oft, indem, nachdem Sibbald und Dowall ſo uͤbel behandelt worden, keine Kaper mehr mit ihren Priſen in den Hafen bey Pro - vidence einliefen. Nachdem alle Ladung dieſer Priſe ausgeladen war, und das Franzoͤſiſche Schiff verkauft werden ſollte, ſo ſagte der Franzoͤſiſche Capitain zu dem Capitain Frankland, wenn er ihn gut belohnen wuͤrde, ſo wolle er ihm einen verborgenen Schatz ent - decken, von dem niemand als er wiſſe. Der Capitain verſprach ihn gut zu belohnen, und er entdeckte 30000 Piſtolen an einem Orte, wo niemand etwas zu finden haͤtte glauben koͤnnen. Der Franzoͤſiſche Capitain er - zaͤhlte nachmals dem Gouverneur Glen, daß Capitain Frankland ihm bloß 1000 Piſtolen gegeben habe, welche Belohnung, wie er ſagte, fuͤr eine ſo große Entdeckung ſehr geringe ſey. Der Capitain Franklandmachte519machte zufaͤlliger Weiſe noch eine andere Entdeckung. Er hatte einen kleinen muntern Franzoͤſiſchen Knaben in ſeine Dienſte genommen, der dem Franzoͤſiſchen Capitain angehoͤret hatte. Dieſer hatte einen Stock von keinem Werthe, den ihm einer von den Matroſen nahm. Da der Knabe den Verluſt deſſelben ſo ſehr beklagte, ſo befahl der Capitain, den Stock zu ſuchen, und ihn dem Knaben wieder zu geben. Der Stock wurde dem Capitain uͤberbracht, der, als er ſahe, daß der Stock nichts werth war, den Knaben fragte, wie er einen ſo großen Laͤrm um eine ſolche Kleinigkeit ma - chen koͤnne? Der Knabe antwortete geſchwinde, daß er als ein Herr nicht ohne Stock gehen koͤnne, und ſich damit ein Anſehen geben muͤſſe. Als ihm der Ca - pitain den Stock wiedergeben wollte, und ihm bey die - ſer Gelegenheit einen gelinden Schlag auf die Schul - ter gab, und etwas darinn klappern hoͤrte, ſo gieng er ganz allein in ein Zimmer, nahm den Knopf ab, und fand, nach des Franzoͤſiſchen Capitains Verſicherung, fuͤr 20000 Piſtolen Juwelen. Dieſer hatte naͤmlich dem Knaben bey der Uebergabe den Stock, in der Hoffnung, ihn zu retten, uͤbergeben, weil niemand eine ſolche Kleinigkeit in den Haͤnden eines Knabens be - merken wuͤrde. Mit einem Worte, es war eine be - traͤchtliche Priſe fuͤr den Capitain Frankland.

Faſt um eben dieſe Zeit brachte Joſeph Hamer, der Capitain des Kriegsſchiffs Flamborough, hier ei - ne Spaniſche Priſe mit einer ſolchen Menge Thaler ein, daß 12000 auf ſeinen Antheil kamen.

Carolina iſt ſo bekannt, daß ich nicht noͤthig habe,Beſchrei - bung von Carolina. eine Beſchreibung davon zu machen. Jch kann aber doch nicht unterlaſſen, uͤberhaupt zu erwaͤhnen, daß es ſehr niedrig und flach, und der Boden meiſtens ſan -K k 4dig520dig und mit Suͤmpfen und Moraͤſten untermiſcht iſt, welcher großen Ueberfluß am Reiße giebt, womit ſie einen betraͤchtlichen Handel getrieben haben. Da er aber zur Kriegszeit nicht ſo geſucht worden, ſo legten ſich die Einwohner auf die Erbauung des Jndigo, und haben dieſen Artikel ziemlich zur Vollkommenheit gebracht. Sie haben ſehr viel und verſchiedene Fruͤch - te; aber ihre Pomeranzen und Weinſtoͤcke werden oft von den Nordwinden verderbt. Die Maulbeerbaͤume wachſen hier in Menge und ſehr groß, ſo daß ſie recht leicht eine Menge Seidenwuͤrmer halten koͤnnten, wel - ches ihre Handlung mit einem ſehr guten Zweige ver - mehren wuͤrde. Das Land iſt mit Gebuͤſchen bedeckt; ihre lebendige Eiche, die ein Jmmergruͤn iſt, iſt mei - ner Meynung nach der Engliſchen Eiche zum Schiff - baue vorzuziehen. Jhre Waͤlder haben einen Ueber - fluß an Wildpret und wilden Voͤgeln, beſonders an Truthuͤnern und Sommerenten; die letztern kamen, ſeitdem der Reiß war gebauet worden, aus den innern Theilen des Landes her. Sie ſind uͤberaus ſchoͤn, und werden als eine Raritaͤt nahe bey Herren-Haͤuſern ge - halten. Von Sangvoͤgeln giebt es hier ſehr viele Ar - ten, unter denen der Spottvogel der angenehmſte iſt. Sie kommen heerdenweiſe aus den Waͤldern, und ſind ſo zahm und kirre, daß ſie ſich auf die Haͤuſer und auf die Baͤume vor den Fenſtern ſetzen, beſonders wenn ſie Muſik oder ſingen hoͤren, wobey ſie mit großer Auf - merkſamkeit zuhoͤren, und alsdann die Geſaͤnge wie - derholen. Jch nahm davon und von den Sommeren - ten verſchiedene mit, und wollte ſie nach Britannien bringen, ſie ſtarben aber alle, ich mochte ſie warten, wie ich wollte, auf der See.

Da521

Da die Kriegsſchiffe Flamborough und die RoſeDer Capi - tain ſegelt nach Eng - land. zu Ende des Mays Befehl erhalten hatten, nach Eng - land zu gehen, und diejenigen Kauffartheyſchiffe, die bereit waͤren, unter ihrer Convoy mitzunehmen, ſo fuhr ich mit dem Capitain Hamer in dem Flamborough ab. Jch gab eine Menge Queckſilber, Mahoganyholz, Faͤrbeholz und Baumwolle, in gleichen Portionen, auf zwey nach London gehende Kauffartheyſchiffe, weil ich dieſe Sachen nicht aſſecurirt bekommen konnte. Das eine wurde hernach in dem Engliſchen Canal wegge - nommen, und nach St. Malo gefuͤhret; das andere aber kam gluͤcklich auf der Jnſel Wight an. Wir fuhren den 1ſten Junii von Charlestown ab, und hat - ten fuͤnf Kauffartheyſchiffe unter unſerer Convoy. Nachdem wir zwey Tage bey ſchoͤnem Wetter und gu - tem Winde gefahren waren, verließen wir des Nachts unſere fuͤnf Schiffe, und eilten bey ſchoͤnem Wetter nach Hauſe. Wir fuhren gegen Norden bey den Azo - riſchen oder weſtlichen Jnſeln vorbey, und entdeckten an einem Abend drey Schiffe, die dem Winde entge - gen fuhren, und auf uns zu kamen. Des Morgens kam eines, welches ein Hauptſegler war, und die an - dern ziemlich weit hinter ſich gelaſſen hatte, uns ziem - lich nahe, und als wir gewahr wurden, daß es ein Kriegsſchiff war, ſo gab der Capitain Frankland das Zeichen, umzukehren, und ihm entgegen zu fahren. Als es dieſes gewahr wurde, kehrte es fogleich zu ſei - nen Gefaͤhrten zuruͤck, und wir fuhren wieder fort, und ſahen weiter nichts mehr von ihnen. Wir ſahen auch weiter keine Schiffe mehr, bis wir in den Canal ka - men, wo wir ein großes Kriegsſchiff und eine Fregatte mit Hollaͤndiſchen Flaggen antrafen. Als wir ihnen zuriefen, antworteten ſie uns, daß ſie von HelvoetſluysK k 5kaͤmen,522kaͤmen, und nach der mittellaͤndiſchen See fuͤhren, um dort wider die Algierer zu kreuzen, und beym Abſchiede begruͤßten ſie uns mit neun Kanonen, welches wir mit eben derſelben Anzahl erwiederten. Des Abends lie - fen wir in den Hafen bey Plymouth ein, und uns folg - ten zwey Kauffartheyſchiffe, ein Daͤniſches und ein Hollaͤndiſches, welche uns ſagten, daß die beyden Schiffe, denen wir zugerufen haͤtten, Franzoͤſiſche Schiffe geweſen; das Kriegsſchiff ſey die Eliſabeth, das kurz vorher mit dem Loͤwen ein Gefechte gehabt haͤtte, und daß ſich des Praͤtendenten aͤlteſter Sohn auf der Fregatte befaͤnde, welches unſere Capitains nicht glauben wollten, ſondern es fuͤr ein Maͤhrchen hielten, aber der Ausgang bewies hernach, daß es ge - gruͤndet geweſen war. Nachdem wir uns einen Tag im Sunde aufgehalten hatten, ſegelten wir nach den Duͤnen, und kamen den 25ſten Julii in Dower an, nachdem wir, nach unſerer Rechnung, 1200 Meilen von Carolina gefahren waren. Jch ſtieg in Dower ans Land, und kam den 27ſten nach London.

Ankunft zu London.
3

Bey meiner Ankunft war jedermann wegen der Nachricht, daß des Praͤtendenten Sohn in Nord - Schottland gelandet ſey, in der groͤßten Beſtuͤrzung, weil es zu einer Zeit geſchehen war, da weder der Koͤ - nig noch die Armee im Lande waren. Nachdem ich meinen Bericht bey dem Artillerie-Collegio abgeſtat - tet und die Rechnungen uͤbergeben hatte, erhielt ich Befehl, nach Hull zu gehen, deſſen Stadtrath das Col - legium erſucht hatte, ihm einen Jngenieur zu ſchicken, die Aufſicht uͤber ihren Feſtungsbau zu fuͤhren, wel - chen ſie auf ihre eigene Koſten unternehmen wollten. Jch kam den 8ten October an, und fand daſelbſt die Einwohner von allen Staͤnden beſchaͤftiget, einen Gra -ben523ben zu reinigen und tiefer zu machen, und eine Bruſt - wehr zu errichten. Jch gieng den folgenden Tag mit dem General-Lieutenant Jones, dem Deputy-Gou - verneur, dem Burgemeiſter und Rathsherren auf den Waͤllen herum, und erſtaunte uͤber die großen Progreſ - ſen, die ſie in ſo kurzer Zeit, und zwar eben ſo gut ge - macht hatten, als ob ihnen ein geſchickter Jngenieur Anweiſung gegeben haͤtte. Da ſie mich darum er - ſuchten, ſo hinterließ ich ihnen fernere Anweiſungen, was ſie, damit der Ort deſto beſſer vertheidiget wer - den koͤnne, zu thun haͤtten. Nachdem ich viele Hoͤf - lichkeiten von ihnen genoſſen hatte, begab ich mich meiner Ordre gemaͤß zur Armee unter dem Marſchall Wade.

Jch kam den 15ten in Doncaſter an, wo die Hol - laͤndiſchen Truppen zu uns geſtoßen waren. Der Marſchall muſterte den 18ten die Armee, brach den 21ſten mit dem Lager auf, und marſchirte gegen Nor - den. Die Hollaͤnder verhielten ſich auf dieſem Mar - ſche, als ob ſie in Feindes Lande waͤren; ſie pluͤnder - ten und raubten, und behandelten das Landvolk ſo uͤbel, daß eine umſtaͤndliche Beſchreibung dem Leſer nur beſchwerlich fallen wuͤrde. Wir kamen den 31ſten bey Newcaſtle an, wo wir bey ſehr kaltem und ſchlech - tem Wetter im Lager ſtehen blieben. Als wir Nach - richt erhalten hatten, daß die Rebellen Carlisle bela - gert haͤtten, ſo brachen wir auf, ſelbiges zu entſetzen, und ließen faſt den vierten Theil der Armee krank im Hoſpitale zuruͤck.

Wir kamen den 18ten November bey Hexham in Northumberland bey uͤberaus kaltem Wetter an, welcher Marſch, nebſt der ſchnellen Verwechſelung ei - ner warmen Himmelsgegend mit einer kalten, meineGeſund -524Geſundheit gaͤnzlich entkraͤftete. Jch wurde von ei - ner Engbruͤſtigkeit und Durchfall befallen, die mich außer Stand ſetzten, die Beſchwerden einer Winter - Campagne auszuhalten. Es wurde uns hier hinter - bracht, daß ſich Carlisle an die Rebellen ergeben ha - be, worauf wir wiederum nach Newcaſtle zuruͤck mar - ſchirten, und den 22ſten daſelbſt ankamen. Das Wetter war nunmehr ſo kalt geworden, daß die Ar - mee ihre Zelte nicht aufſchlagen konnte, und folglich in die Stadt und die benachbarten Doͤrfer einquar - tirt wurde. Jn dieſer Beſchaffenheit erhielten wir Nachricht, daß die Rebellen nach Wales gegangen waͤren, welches verurſachte, daß wir unſere warmen Quartiere verließen, und ſuͤdwaͤrts marſchirten. Den 6ten December erreichten wir Ferrybridge, von da ſchickten wir unſere Kranken nach Doncaſter, und unſere Cavallerie und Dragoner mußten zu dem Her - zoge von Cumberland ſtoßen; wir aber kamen den 11ten in Leeds an, wo wir Nachricht erhielten, daß ſich die Rebellen nach Norden zuruͤckgezogen haͤtten, worauf unſere Armee ebenfalls wieder zu - ruͤck gieng.

Jnhalt. [525]

Jnhalt.

Erſtes Buch.

  • Geſchlecht des Verfaſſers, Seite 2. Sein Großvater gehet in Preußiſche Dienſte, Ebendaſ. Des Verfaſ - ſers Geburt, 4. Er gehet in Preußiſche Dienſte, 7. Merkwuͤrdige Geſchichte mit des Verfaſſers Wir - thinn, 8. Sein erſter Feldzug, 12. Sein zweyter Feldzug, 13. Niederlage der Franzoſen, Ebendaſ. Belagerung von Ryſſel, 14. Zufall des Prinzen Eu - gen, Ebendaſ. Trauriger Zufall bey der feindlichen Cavallerie, 15. Ryſſel wird erobert, 17. Scherz des Herzogs von Marlborough, 19. Eroberung von Gent, Ebendaſ. Dritter Feldzug, 20. Belagerung Dornicks, Ebendaſ. Treffen bey Malplaquet, 22. Belagerung von Mons, 26. Vierter Feldzug, 28. Belagerung von Douay, 29. Belagerung von Be - thune, 32. Ungluͤck ſechs Schottiſcher Officiers, Ebendaſ. Belagerung von Aire und St. Venant, 33. Schreckliche Geſchichte von den Jeſuiten zu Dornick, 35.

Zweytes Buch.

  • Er gehet in Ruſſiſche Dienſte, Seite 38. Er hohlt den General Bruce ein, 39. Geſchichte von einem Manne zu Elbingen, 40. Geheime Vermaͤhlung des Czars, 41. Des General Bruce Anſehen, Ebendaſ. Nach - richt von der Nuſſiſchen Armee, 42. Jhre Staͤrke und Montierung, 44. Feldzug gegen die Tuͤrken, 45. Kriegsrath am Dnieſter, 46. Ankunft des Fuͤrſten Cantemir, 47. Ein Schwarm Heuſchrecken, Ebend. L lDie[526]Die Tuͤrken kommen zum Vorſchein, S. 48. Die Ruſſen ſtellen ſich in Schlachtordnung, Ebendaſ. Sie fech - ten drey Tage mit den Tuͤrken, 49. Die Czarinn rettet die Armee, 50. Der Koͤnig von Schweden uͤberwirft ſich mit dem Groß-Vezier, 51. Ruͤckmarſch der Ruſſen, 53. Ungluͤck des Oberſten Pitt, Ebend. Der Großherr billigt den Frieden, 54. Capi - tain Bruce wird nach Conſtantinopel geſchickt, 55. Beſchreibung dieſer Stadt, Ebendaſ. Jhre Moſcheen, 57. Bequemlichkeit fuͤr Fremde, 58. Feſtigkeit der Stadt, 59. Das Seraglio, Ebendaſ. Scutari. Schoͤne Ausſicht, 60. Der Hafen, 61. Vorſtaͤdte, Ebend. Arſenal, Ebend. Luft und Clima, Ebend. Sitten der Tuͤrken, 62. Jhre haͤusliche Bequemlich - keit, Ebend. Regierung, 63. Religion, 64. Jhr Gottesdienſt, 65. Gemuͤthsart, 67. Jhr Schlaf, 68. Uebung in der Jugend, Ebend. Jhre Kleidung, 69. Kleidung des andern Geſchlechts, Ebend. Jhre Heirathen, 71. Concubinen, 72. Strenge gegen die Fremden, Ebend. Jhre Civil-Geſetze, 73. Peinli - che Geſetze, Ebend. Todesſtrafen, 74. Woher der Capitain ſeine Nachrichten hatte, Ebend. Schwie - rigkeiten in Anſehung des Friedens, Ebend. Neuer Friede, 75. Unterbrechung deſſelben, Ebend. Vor - ſtellungen des Czar, 76. Kriegsruͤſtungen, 77. End - licher Friede, Ebend.

Drittes Buch.

  • Vermaͤhlung des Czarowitz, Seite 80. Der Czar feyert ſeine eigene Vermaͤhlung, 81. General Bauer ent - deckt ſich, 82. Herkunft der Kaiſerinn Catharina, 84. Herkunft des Fuͤrſten Menzikof, 87. Feldzug wider die Schweden, 90. Beſchreibung der Stadt Moskau, 91. Ankunft eines Perſiſchen Geſandten, 95. Große Feuersbrunſt, Ebendaſ. Ein junger Arzt wird von der Geiſtlichkeit verbrannt, 96. Der Kaiſer zuͤchtiget ſie dafuͤr, 97. Art zu leben, Ebend. Beſchreibung der Frauenzimmer, 98. Unterhaltung des gemeinen Volks, Ebendaſ. Jhre Heirathen, 99. Einfall der Prinzeſſinn Natalia, 101. Drey Wei -ber[527]ber erſaͤufen ihre Maͤnner, S. 103. Beſtrafung mit der Knute, Ebend. Des Czars Geburt und Vermaͤh - lung, 105. Ein tugendhaftes Frauenzimmer, Eben - daſ. Raͤubereyen und Mordthaten, 109. Des Czars Gefahr von Raͤubern, 110. Ermordung ei - nes Schwediſchen Officiers, 112. Ausrottung der Raͤuber, 115. Petersburg wird die Reſidenz, 116. Perſon und Sitten des Czarowitz, 117. Verbotene Grade der Verwandtſchaft, 118. Jhre Begraͤbniſſe, Ebendaſ. Jhre Bilder, 119. Jhre Baͤder, 120. Art zu reiſen, 121.

Viertes Buch.

  • Stadt Novogorod, Seite 127. Der Sterlet-Fiſch, 130. Tſcheremetofs Fehler, 131. Beſte Art aus Ruſſiſchem Dienſte zu kommen, 132. Stadt Pe - tersdurg, 134. Des Czars Tafel, 138. Seine Luſtbarkeiten, Ebendaſ. Der Czar verſchenkt Fahr - zeuge, 139. Ein Usbeckiſcher Geſandter, 141. Uebungen zur See, 142. Cronſtadt und Cronſlot, 143. Oranienbaum, Petershof und Catharinenhof, 144. Geburt der Großherzoginn, 145. Schlechtes Verhalten des Czarowitz, 146. Seine Unehrerbie - tung gegen den Czar, 147. Feldzug zur See, Eben - daſ. Betragen des Czars gegen den Ehrenſchield, 149. Der Czar nimmt Aland weg, 150. Sein Ein - zug in Petersburg, Ebendaſ. Er wird Vice-Admi - ral, 152. Seine Achtung gegen Ehrenſchield, Eben - daſ. Seine Rede an die Senatoren, 153. Seine Ahndung gegen den Czarowitz, 155. Der Czar be - foͤrdert die geſellſchaftlichen Zuſammenkuͤnfte, 156. Stiftet eine Akademie, 157. Kriegsgericht uͤber den Admiral Kruys, 158. Stiftung des Catharinen-Or - dens, 159. Verwirrung in den Finanzen, Ebendaſ. Beſtrafung vieler Verbrecher, 160. Der Czar errich - tet Fiſcaͤle, 161. Luſtbarkeiten bey Hofe, 163. Slit - ters Perpetuum mobile, 164. Der alte Finlaͤnder, 166. Verſuch mit einem Baͤren, 167. Art ſie zu toͤdten, 168.
L l 2Fuͤnf -[528]

Fuͤnftes Buch.

  • Landung in Schweden, Seite 170. Geburt eines En - kels des Kaiſers, Ebendaſ. Tod der Prinzeſſinn, 171. Geburt des Peter Petrowitz, 172. Ein Carneval, Ebendaſ. Verbeſſerungen im Reiche und in der Hauptſtadt, 176. Militaͤriſche Belohnungen und Strafen, 179. Große Grenadiers, Ebend. Schreck - licher Mord zu Riga, 180. Die Danziger werden gebrandſchatzet, 183. Abſicht des Czars bey der Einnahme Wißmars, 184. Unterredung mit dem Koͤnige von Daͤnemark, 187. Der Czar kommt in Kovenhagen an, Ebendaſ. Vereinigte Flotte, 188. Unruhe der Daͤnen, Ebendaſ. Sie verſagen den Ruſſen die Lebensmittel, 190. Conferenz mit dem Koͤnige von Daͤnemark, 191. Geſchichte des Gene - ral-Lieutenants Bohn, 193. Anſchlaͤge des Her - zogs von Mecklenburg, 194. Bedruͤckung der Meck - lenburger, 198. Flucht des Czarowitz, 199. Der Capitain darf die Ruſſiſchen Dienſte nicht verlaſſen, Ebend. Flucht des Herzogs von Mecklenburg nach Danzig, 200. Des Czars Ruͤckkunft von Paris, 201. Seine Armee geht nach Petersburg zuruͤck, 202. Un - ordnungen in Rußland, 202. Noͤrdlicher Weg nach Jndien, 203. Expedition des Fuͤrſten Beckewitz, 204. Neue Einrichtung zu Petersburg, 209.

Sechstes Buch.

  • Ruͤckkunft des Czarowitz nach Moskau, Seite 212. Sei - ne Mitſchuldigen, 213. Die Prinzeſſinn Maria iſt mit darunter, 214. Kriegsruͤſtung, 216. Verhoͤr des Czarowitz zu Petersburg, Ebendaſ. Sein Tod und Charakter, 217. Der Schwediſche General Reinſchield gehet zuruͤck, 221. Friedenshandlungen auf Aland, 222. Tod des Koͤnigs von Schweden, 224. Tod des Baron Goͤrtz, Ebendaſ. Proceß wi - der viele Große, 225. Betragen des Fuͤrſten Gaga - rin, 226. Noch mehr Mitſchuldige des Czarowitz, 229. Friedenshandlungen, Ebendaſ. Tod des Prin - zen Petrowitz, 230. Prinz Peter Alexowitz, Ebendaſ. Erneuerung der Friedenshandlungen, 231. Landungin[529]in Schweden, S. 232. Die Engliſche Flotte kommt zu ſpaͤt an, 234. Bruch mit England, Ebend. Ver - bannung der Jeſuiten, 235. Unpaͤßlichkeit des Czars, 236. Krankheit des General Weyde, 237. Schwe - diſche Angelegenheiten, 238. Tod des General Wey - de, 239. Ueble Behandlung ſeiner Familie, 240. Sein Leichenbegaͤngniß, 242. Der Verfaſſer haͤlt um ſeinen Abſchied an, 246. Neuer Koͤnig von Schweden, 248. Neuer Einfall in Schweden, 249. Angriff der Ruſ - ſiſchen Flotte von den Schweden, 250. Ruͤſtungen des Czars, Ebend. Er nimmt den Herzog von Hol - ſtein in Schutz, 251. Kriegsgericht uͤber Graves, Ebend. Sonderbarer Proceß zu Reval, 252. Ruͤ - ſtungen wider Schweden, 254. Schweden thut Vor - ſchlaͤge, Ebend. Dritte Landung in Schweden, 255. Welche ſie zum Frieden zwingt, 256. Heftiger Sturm, 257. Die Flotte kommt in Petersburg an, 258. Der Czar bekommt den Titel des Großen, 259. Ver - beſſerung der Juſtiz, 260. Der Verfaſſer ſucht ſei - nen Abſchied vergebens, 261. Triumphirender Ein - zug in Moskau, 262.

Siebentes Buch.

  • Urſachen zum Kriege wider Perſien, Seite 267. Ein - ſchiffung auf dem Fluſſe Moskau, 268. Nisni-No - vogorod, 270. Czeremiſſiſche Tartarn, 272. Caſa - niſche Tartarn, 274. Art in der Wolga zu fiſchen, 277. Alabaſterbruch, 280. Bulgariſche Tartarn, Ebendaſ. Jungfernberg, Ebend. Kalmucken, 282. Stadt Aſtrakan, 289. Nogayiſche Tartarn, 290. Kurze Nachricht von den Tartarn, 290. Salzſtep - pen um Aſtrakan, 293. Fruͤchte um Aſtrakan, 294. Eine Banyaninn verbrennet ſich mit ihrem Manne, 296. Banyanen, 299.

Achtes Buch.

  • Die Armee ſchifft ſich zu Aſtrakan ein, Seite 303. Vie - le wilde Voͤgel, 304. Terki, die Hauptſtadt von Cir - caſſien, 306. Heringe in dem Caſpiſchen Meere, 307. Reiſe nach Buſtrow, Ebendaſ. Waterangs gluͤckliche Expedition, 309. Beſchreibung der Circaſſier, Ebend. L l 3Das[530]Das Gebirge Caucaſus, Seite 312. Landung zu Agrechan, 313. Marſch nach Aſien, 314. Hoͤflich - keit der Dageſtaniſchen Tartarn, Ebendaſ. Die Ar - mee gehet uͤber den Sulack, 315. Die Armee wird beunruhiget, 316. Ankunft zu Tarku, 317. Dage - ſtaniſche Tartarn, Ebend. Jhre Frauenzimmer, 319. Audienz der Dageſtaniſchen Damen, 322. Denkmal zu Tarku. Marſch nach Derbent, 323. Grauſam - keit des Sultans Udenich, 325. Folgen derſelben, Ebendaſ. Zwanzig verzweifelte Tartarn, 326. Ein ſchoͤner junger Tartar, 328. Muth des Prieſters, 329. Ankunft in Derbent, 331. Beſchreibung der Stadt, 332. Merkwuͤrdige Graͤber, 334. Alexan - der und Melkehatun, 335. Jackhalls und Sandha - ſen, 336. Verluſt an Transportſchiffen, 338. Ruſ - ſiſcher Zwieback, Ebend. Ein Geſandter kommt bey der Armee an, 339. Die Tuͤrken noͤthigen den Kai - ſer zuruͤck zu gehen, Ebend. Veranlaſſung der Per - ſiſchen Unruhen, 340. Die Armee geht zuruͤck, 341. Beſchwerlicher und gefaͤhrlicher Marſch, 342. Neue Stadt Swetago-Kreſt, 345. Das Fort am Fluſſe Nitzi wird zerſtoͤret, 346. Einſchiffung der Armee zu Agrechan, 348. Ankunft zu Aſtrakan, 352.

Neuntes Buch.

  • Reiſe auf der Wolga nach Czaritza, Seite 357. Ein Geſpenſt, 358. Kurze Geſchichte der Koſaken, 360. Stephan Ratzins Empoͤrung, 363. Befehl zur Be - ſichtigung des Caſpiſchen Meeres, 365. Der Ver - faſſer gehet dahin ab, 366. Der Fluß Jaik, 367. Jnſel Kulala, 368. Meerbuſen Jskander, 369. Fluß Oxus, Ebendaſ. Usbeckiſche Tartarn, 370. Meer - buſen Carabuga, Ebendaſ. Der Fluß Daria, 372. Fluß Oſſa, 373. Meerbuſen Aſtrabat, 374. Meer - buſen Sinſili. Stadt Reſcht, 375. Der Paß, die Py - laͤ genannt, 376. Fluͤſſe Ardeſchin und Linkeran, Ebend. Naphtha-Quellen, Ebend. Fluß Cyrus oder Kur. Stadt Baku, 377. Stadt Derbent, 378. Meerbuſen Agrechan. Stadt Terki, 380. Beſchrei - bung des Caſpiſchen Meeres, 381. Wachthurm auf der Johannisinſel, 382. General Matuſkins Hei -rath,[531]rath, Seite 383. Streit unter den Kalmucken, 384. Beſchreibung ihrer Kibbets, 386. Gefecht mit den Kalmucken, 387. Jhre Gebraͤuche, 393. Baranetz oder Lammsfell, 394. Ruͤckreiſe nach Moskau, 395. Gefahr auf dem Eiſe, 398. Grauſamer Raub, 400. Merkwuͤrdige Entdeckung einer Stadt, 402. Ein wildes Maͤdchen, 403. Ankunft zu Moskau, 405.

Zehntes Buch.

  • Der Herzog von Holſtein, Seite 408. Fall des Ba - rons Schafirof, 410. Der Verfaſſer ſucht ſeine Ent - laſſung, 411. Chevaliergarde, 413. Beſchreibung der Kathedralkirche, 414. Proceſſion zur Kroͤnung, 415. Kroͤnungsceremonie, 418. Proceſſions zur St. Michaeliskirche, 421. Und zur Kirche der Auf - erſtehung, 422. Tafel auf dem Solennitaͤtenſaale, 424. Neue Art der Promotion, 427. Der Verfaſ - ſer erhaͤlt Urlaub, 428. Der Verfaſſer reiſet von Moskau ab, 429. Anecdote von Karls XII. Tode, 430. Der Verfaſſer ſegelt nach Schottland ab, 431. Der Hafen Erdholm, 434. Abreiſe nach Helſingoͤr, 436. Heftiger Sturm, 438. Der Verfaſſer kommt in Schottland an, 439.

Eilftes Buch.

  • Der Capitain reiſet nach Providence ab, Seite 440. Ankunft auf der Jnſel Madera, 444. Beſuch bey dem Portugieſiſchen Gouverneur, 445. Beſchreibung der Jnſel, 446. Beſchwerliche Reiſe nach Carolina, Ebend. Sie kommen um eine Priſe, 448. Heftiger Sturm, 449. Ankunft zu Charlestown, 450. An - kunft zu Providence, 453. Fort Naſſau, 454. Ge - ſchichte der Bahama-Jnſeln, 457. Erbauung des Forts Montagu, 465. Beſchaffenheit der Steine, 466. Maſtix-Baͤume, 467. Beſchreibung des Forts Montagu, Ebendaſ. Streit mit dem Lieutenant Stuart, 470. Der Capitain kommt in Arreſt, 471. Erhaͤlt ſeine Befreyung, 472.
Zwoͤlftes[532]

Zwoͤlftes Buch.

  • Behandlung zweyer Kaper, Seite 474. Schreiben von einem Freunde, 484. Schreiben des Lieutenants Dromgolt, 486. Theilung des Queckſilbers, 487. Der Capitain haͤlt um Baumaterialien an, 488. Der Gouverneur verliehrt ſeinen Gehalt, 489. Schreiben des Lieutenants Moone, 491. Schreiben aus Char - lestown, 493. Schreiben des Gouverneurs Gleen, 494. Beſchreibung der Bahama-Jnſeln, 495. Jn - ſecten, 501. St. Salvator und die Bimini-Jnſeln, 502. Zahl der Einwohner in Providence, 504. Fort Naſſau, Ebendaſ. Der Capitain verlaͤßt Providen - ce, 508. Ankunft zu Charlestown, 510. Zuſtand der Feſtung, 511. Beſuch von einem Haupte der Cherokeſen, 516. Eine reiche Franzoͤſiſche Priſe, 518. Beſchreibung von Carolina, 519. Der Capitain ſe - gelt nach England, 521. Ankunft zu London, 522.
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About this transcription

TextDes Herrn Peter Heinrich Bruce, eines ehemaligen Officiers in Preußischen, Russischen und Großbritannischen Diensten, Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f.
Author Peter Henry Bruce
Extent548 images; 130143 tokens; 13766 types; 885025 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDes Herrn Peter Heinrich Bruce, eines ehemaligen Officiers in Preußischen, Russischen und Großbritannischen Diensten, Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. nebst geheimen Nachrichten von Peter dem Ersten Czar von Rußland Aus dem Englischen übersetzt Peter Henry Bruce. N. N. (ed.) . [2] Bl., 524 S., [4] Bl. JuniusLeipzig1784.

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SLUB Dresden SLUB Dresden, Geogr.C.1004

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Reiseliteratur; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; china

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