Die folgenden Nachrichten ſind aus der Hand - ſchrift eines Officiers von großen Ver - dienſten, und von unbezweifelter Ehre genom - men. Es iſt unnoͤthig, hinzuzuſetzen, daß ſie aͤcht ſind, indem ſie innere Merkmale ihrer aͤchten Be - ſchaffenheit bey ſich fuͤhren, welche weiter keine Zweifel verſtatten.
Geheime Nachrichten, welche einen ſo außer - ordentlichen Mann betreffen, als der Czar Peter war, muͤſſen dem Leſer nothwendig angenehm ſeyn,2undund es muß ihm doppelt lieb ſeyn, ſie aus der Fe - der eines Mannes zu erhalten, welcher in deſſen Dienſten ſtand, und deſſen Vertrauen genoß. Eben um deswillen bedarf auch die Schreibart keiner weitern Vertheidigung, deren vornehmſtes Ver - dienſt in der Wahrheit, ohne allen Anſpruch auf Reiz und Schoͤnheit, beſtehet.
Da die Handſchrift mitten in dem Aufruhre von 1745 ploͤtzlich aufhoͤret, ſo iſt nothwendig zu bemerken, daß ſich der Verfaſſer um dieſe Zeit mit der Befeſtigung der Stadt Berwick beſchaͤftigte. Nachdem er dieſelbe vollbracht hatte, begab er ſich auf ſein Landgut, wo er 1757 ſtarb.
Geſchlecht des Verfaſſers. — Sein Großvater geht in Preuſſiſche Dienſte. — Johann Bruce’s Ver - maͤhlung und Kinder, und des Verfaſſers Geburt, u. ſ. f. — Er gehet in Preuſſiſche Dienſte. — Ei - ne merkwuͤrdige Geſchichte von des Verfaſſers Wirthinn. — Sein erſter Feldzug. — Sein zwey - ter Feldzug. — Niederlage der Franzoſen. — Be - lagerung von Liſle. — Ein merkwuͤrdiger Zufall des Prinzen Eugen. — Hauptmann Dubois. — Ein uͤbler Zufall der feindlichen Reiterey. — Wi - tziger Einfall des Herzogs von Marlborough. — Belagerung von Gent. — Dritter Feldzug. — Belagerung von Dornick. — Schlacht bey Mal - plaquet. — Geſchichte eines ſchweitzeriſchen Re - cruten. — Belagerung von Mons. — Vierter Feldzug. — Belagerung von Douay. — Bela - gerung von Bethune. — Ein uͤbler Zufall ſechs ſchottiſcher Offiziers. — Belagerungen von Aire und S. Venant. — Schreckliche Geſchichte der Jeſuiten zu Dornick.
Das folgende Tagebuch war urſpruͤnglich im Deutſchen, meiner Mutterſprache, geſchrie - ben; da ich aber vor kurzem die Muße eines laͤndlichenAAufent -2Aufenthalts genoß, ſo habe ich ſelbiges in dieſem Jahre 1755 ins Engliſche, (welches fuͤr mich eine fremde Sprache iſt,) zur Unterhaltung meiner Freun - de, und zum Unterricht meiner Familie uͤberſetzt, da - mit ſie ihre Verwandte in Deutſchland, und die be - ſondern Umſtaͤnde eines Lebens, welches ich in verſchied - nen Theilen der Welt viele Jahre im Kriege zuge - bracht habe, moͤchten kennen lernen. — Wir ma - chen alſo den Anfang.
Jacob Bruce und Johann Bruce, leibliche Vettern und Abkoͤmmlinge der Familie Airth in der Grafſchaft Stirling (eines Zweigs der Familie Clack - mannan) in Schottland, faßten, waͤhrend der Unru - hen des Olivier Cromwell, den Entſchluß, ihr Vaterland zu verlaſſen, und ihr Gluͤck auswaͤrts zu ſuchen. Da ſich eben einige Schiffe in dem Hafen von Leith befanden, die bereit waren, nach der Oſtſee un - ter Segel zu gehen, ſo wurden ſie einig, ſich mit ein - ander dahin zu begeben. Allein es trug ſich zu, daß zwey von dieſen Schiffern einen und eben denſelben Nahmen fuͤhrten, ſo daß die beyden Vettern aus ei - nem ſonderbaren Verſehen zwey verſchiedne Schiffe betraten, wovon eins nach Preuſſen, und das andre nach Rußland gieng, durch welchen Zufall ſie einan - der niemals wieder zu ſehen bekamen.
Johann Bruce, mein Großvater, ſtieg zu Koͤnigsberg in Preuſſen an das Land; von da gieng er nach Berlin, und trat in die Dienſte des Churfuͤr - ſten von Brandenburg, in welchen er von einer Stufe zur andern bis zu der Anfuͤhrung eines Regiments ge - langte, welches die hoͤchſte militairiſche Ehrenſtelle war, die er jemals erlangte, ungeachtet ihm der Chur -fuͤrſt3fuͤrſt ſonſt viele Gnade erwies, wovon folgendes kein geringes Beyſpiel iſt. Mein Großvater begleitete ei - nes Tags den Churfuͤrſten auf die Jagd, als derſelbe bey heftiger Verfolgung des Wildes in einen groſ - ſen Wald gerieth, und von allen ſeinen Begleitern ge - trennet ward, meinen Großvater ausgenommen, der bey ihm blieb. Die Nacht uͤberfiel ſie im Walde; ſie mußten daher abſteigen, und ihre Pferde fuͤhren, da ſie denn endlich, nachdem ſie eine betraͤchtliche Zeit im Finſtern herumgetappt hatten, in einer kleinen Entfernung ein Licht erblickten, und zu der elenden Huͤtte eines armen Theerbrenners kamen, der ſich meiſtentheils im Walde aufhielt. Als ſie von dem armen Bewohner derſelben erfuhren, daß ſie ſich ſehr weit von einer Stadt, einem Dorfe, oder einem an - dern Ort befaͤnden, und der Churfuͤrſt muͤde und hun - gerig war, ſo fragte er denſelben, was er zu eſſen ha - be; worauf der arme Mann ein grobes Brot und ein Stuͤck Kaͤſe herbey brachte, wovon der Churfuͤrſt mit vie - ler Begierde aß, Waſſer dazu trank, und ſagte: daß er noch nie mit ſo vielem Appetite gegeſſen habe. Er fragte hierauf, wie groß der Wald ſey, und erfuhr, daß er ſehr groß ſey, und an das Herzogthum Meck - lenburg Strelitz graͤnze. Mein Großvater aͤußerte bey dieſer Gelegenheit, daß es Schade ſey, daß eine ſo große Gegend ungenuͤtzt bleiben ſollte, und bat den Churfuͤrſten, ihm ſelbige zu ertheilen, da er denn ein Dorf in der Mitte, und ein anderes an demjenigen Orte, wo ſie ſich jetzt befanden, anlegen wollte. Der Churfuͤrſt war es zufrieden, und beſtaͤtigte nicht lange hernach dieſe Schenkung durch eine weitlaͤufige Ur - kunde, in welcher er ihm zugleich anſehnliche Freyhei -A 2ten4ten ertheilte. Mein Großvater legte hierauf ein Dorf in der Mitte des Waldes an, welches er Bruͤcen - Wald nannte, und ein anderes bey der Huͤtte des Theerbrenners, welches den Nahmen Jetzkendorf be - kam, indem bereits vorher ein Dorf dieſes Nah - mens an dieſem Orte geſtanden hatte, wie man noch aus den Ruinen ſehen konnte. Der Churfuͤrſt ſchlief auf ein wenig Stroh bis zu des Tages Anbruch, da er von dem Geraͤuſche ſeiner Leute aufgeweckt ward, welche ihn die ganze Nacht geſucht hatten, und mit welchen er wieder nach Berlin gieng.
Mein Großvater heirathete zu Berlin eine Da - me von Vermoͤgen, aus der Familie Arnsdorf, mit welcher er verſchiedene betraͤchtliche Guͤter bekam. Er zeugte mit ihr zwey Soͤhne und drey Toͤchter. Sein juͤngſter Sohn war mein Vater; ſeine aͤlteſte Tochter ward an den Oberſten Dewitz verheirathet, welcher nachmals Statthalter in Pommern ward, und das Gut Malchin in dieſer Provinz mit ihr bekam. Die zweyte Tochter ward Aebtiſſinn in einem, fuͤr Er - ziehung junger Frauenzimmer vom Stande, geſtifte - ten proteſtantiſchen Kloſter, heirathete aber nachmals den Oberſt-Lieutenant Rebeur, welcher Bruͤcen - Wald mit ihr bekam. Seine juͤngſte Tochter ward mit dem General-Major Lattorf verheirathet, dem ſie ſeine beyden beſten Guͤter Konikendorf und Woletz zu - brachte. Solchergeſtalt gab er alle mit ſeiner Frau erhaltenen Guͤter ſeinen Toͤchtern, und ſeine Soͤhne bekamen weiter nichts, als Erziehung und eine kleine Summe Geldes. Nachdem er ſie bey der großen Musketier-Garde des Churfuͤrſten angebracht hatte, ſo uͤberließ er ihnen, ihr Gluͤck bey der Armee ſelbſtzu5zu machen, ſo wie er es ehedem gemacht hatte. Sein aͤlteſter Sohn Carl blieb als Lieutenant in der Bela - gerung von Namur. Sein juͤngſter Sohn, mein Vater, heirathete Eliſabeth Catharina Detring aus einer angeſehenen Familie in Weſtphalen, und ſtand damals als Lieutenant bey einem Schottiſchen Regi - mente, welches der Graf von Leven in Dienſten des Churfuͤrſten commandierte. So ward ich zu Det - ring-Schloß, dem Stammgute dieſer Familie, 1692 gebohren.
Da dieſes Regiment nach Flandern befehliget ward, ſo nahm mein Vater meine Mutter mit dahin, wo wir bis 1698 blieben, da das Regiment wieder nach Schottland gieng, wohin wir es begleiteten. Als es nunmehr nach Fort-William zur Beſatzung kam, ſo ward ich, der ich damals fuͤnf Jahr alt war, einem Groß-Onkel, dem juͤngſten Bruder meines Großvaters anvertrauet, welcher ein kleines Gut bey Cupar beſaß, wo ich in die Schale gieng und drey Jahr blieb, da denn mein Vater mich nach Fort - William hohlen ließ, wo ich noch drey Jahr blieb.
Jm Jahr 1704 nahm mein Vater bey dem1704. Regimente Urlaub und gieng mit ſeiner Familie nach Deutſchland, einen Beſuch daſelbſt abzuſtatten; und nachdem er ſich ein Jahr bey ſeinen Verwandten auf - gehalten hatte, ſo gieng er wieder nach Schottland und ließ mich bey ſeinen Freunden zuruͤck, welche mei - ne Erziehung und Verſorgung uͤber ſich nahmen. Das erſte, was ſie in dieſem Stuͤcke thaten, beſtand darinn, daß ſie mich als Pagen bey dem Koͤnige von Preuſſen anzubringen ſuchten. Als ich dieſem nun von dem Marſchall, Grafen von Witgenſtein, vorge -A 3ſtellet6ſtellet werden ſollte, fragte der Kronprinz denſelben, wer ich ſey, und als man ihm die verlangte Nachricht gegeben, und zugleich geſagt hatte, daß ich Pagen - Dienſte ſuchte, ſo that er verſchiedene Fragen an mich, und ſagte hierauf zu dem Marſchall, daß er ſelbſt mich zum Pagen behalten wollte. Wir giengen alſo zuruͤck, ohne daß ich dem Koͤnige waͤre vorgeſtellet worden; aber als ich meinen Verwandten dieſe Nach - richt brachte, wollten ſie keines Weges darein willi - gen, indem ſie ſagten, daß der Kronprinz ſeine Pagen nicht gut halte, welches mein Vetter, ein Sohn des General Lattorf, erfahren hatte, welcher gleichfalls Page bey ihm geweſen, jetzt aber Kammerherr bey dem Koͤnige war.
Da ſie nun nicht zugeben wollten, daß ich dieſe Stelle annehmen ſollte, ſo ſuchten ſie mich den folgen - den Tag als Cadet in die koͤnigliche Akademie zu brin - gen, erfuhren aber, daß dieſes jetzt unmoͤglich ſey, weil ich des Kronprinzen Dienſte ausgeſchlagen hatte. 1706.Sie ſchickten mich deſſen ungeachtet auf ihre Koſten in die Akademie, die Kriegsbaukunſt und andere noͤthige Wiſſenſchaften zu erlernen. Um dieſe Zeit kam auch mein Onkel Rebeur aus Flandern an, welcher damals Oberſt-Lieutenant bey dem Regimente des Marquis de Varen war, und als er wieder zuruͤck reiſen wollte, aͤußerte ich mein Verlangen, mit ihm zu gehen. Er be - willigte es mir ſehr guͤtig, und da meine Freunde den Einwurf machten, daß mir dieſes an meiner Erzie - hung nachtheilig ſeyn koͤnnte, ſo verſicherte der Ober - ſte ihnen, daß es mir vielmehr zum Vortheil gereichen wuͤrde, indem ſich faſt in jeder Stadt in Flandern vortreffliche Lehrer in der Kriegsbaukunſt und Ar -tillerie7tillerie befaͤnden, und daß ich doppelten Vortheil haben koͤnnte, indem ich nicht allein die Theorie, ſon - dern auch vieles von der Ausuͤbung erlernen wuͤrde. Er erboth ſich zugleich, nicht allein mich um ſich zu be - halten, ſondern auch nichts an meiner Erziehung zu verſaͤumen. Dieſes guͤtige Anerbiethen war meinen Freunden ſehr angenehm, und er hat auch ſein Ver - ſprechen als ein Vater an mir erfuͤllet.
Jch reiſete alſo mit ihm zu dem Regimente,Er gehet in Preuſſiſche Dienſte. welches ſich damals zu Maſtricht befand, wo wir im April 1706 ankamen, da ich denn Gemeiner bey des Oberſten Compagnie ward, und die Uebungen ſehr bald begriff, worauf ich mich ſehr wohl befand, in - dem ich die Woche nur einmal auf die Wache ziehen durfte, meine uͤbrige Zeit aber den Kriegeswiſſenſchaf - ten widmete.
Dieſes Jahr ward durch die Niederlage der Franzoſen unter dem Marſchall Villeroy bey Ramil - lies merkwuͤrdig. Das Treffen fiel den 12ten May vor, da denn der Herzog von Marlborough einen voll - ſtaͤndigen Sieg erfocht, worauf die Uebergabe vieler Staͤdte, ſo wohl in Flandern als Brabant, folgte. Jn dieſem Jahre ruͤckte auch der Koͤnig von Schwe - den in Sachſen ein, und hob daſelbſt 20 Millionen Thaler Kriegesſteuern. Unter den Gefangenen, wel - che nach dem Treffen bey Ramillies eingeſchickt wur - den, befand ſich auch ein Marquis, welcher Oberſter bey einem Cavallerie-Regimente war. General Dopf, der Gouverneur der Stadt, erlaubte ihm nicht allein, frey in der Stadt herum zu gehen, ſondern gab ihm auch die Freyheit, auf dem Lande zu jagen. Allein, dieſer Hoͤflichkeit, und ſeines Ehrenwortes un -A 4geach -8geachtet, ließ er ſich einfallen, zu entwiſchen, ward aber gleich darauf von dem Marſchall Villeroy mit einer Wache zuruͤck geſchickt, worauf er unter Begleitung ei - nes Sergeanten nur in der Stadt herum gehen durfte.
Jn dem Hauſe, in welchem ich mit dem Oberſten logierte, hoͤrte ich eine merkwuͤrdige Geſchichte, wel - che ſich zwiſchen unſrer Wirthinn und ihrem erſten Manne zugetragen hatte, welcher aus dieſer Stadt ge - buͤrtig geweſen war. Er hieß Niepels, war Haupt - mann unter einem Hollaͤndiſchen Dragoner-Regimen - te, und ward mit ihr im Haag bekannt, wo ſie eines Kaufmanns Tochter war, da er ſie unter dem Ver - ſprechen der Ehe verfuͤhrte, und ſie ſchwanger verließ. Jhr Vater war ſo aufgebracht uͤber ſie, daß er ſie aus dem Hauſe ſtieß; allein eine Tante hatte Mitlei - den mit ihr, behielt ſie bey ſich, bis ſie niedergekom - men war, und gab ihr hernach ein wenig Geld, mit welchem ſie ſich, ohne von jemand erkannt zu werden, Mannskleider und ein Pferd kaufte, und ſich als ei - nen Freywilligen bey des Capitaͤn Niepels Compagnie annehmen ließ. Hier blieb ſie eine Zeitlang, und der Capitaͤn ſagte mehrmahls zu ſeinem unbekannten Freywilligen, daß er einer ſeiner alten Liebſten ſehr aͤhnlich ſaͤhe, ohne den geringſten Verdacht zu haben, daß er es ſelbſt war. Sie blieb bey der Compagnie bis zu Ende des Feldzuges, da der Capitaͤn nach ſei - nes Vaters Tode ſeinen Abſchied, und ſein vaͤterliches Haus und Vermoͤgen in Beſitz nahm. Hierdurch verlohr ſie nun alle Gelegenheit, den Capitaͤn zur Rechenſchaft zu fordern, welches die einzige Abſicht ihrer Verkleidung war. Sie legte alſo wieder weib - liche Kleidung an, und folgte ihm nach Maſtricht,wo9wo ſie ſeine Magd mit ein wenig Geld beſtach, daß ſie ſelbige in einem abgelegenen Zimmer in dem Hauſe eine Nacht beherbergte, damit ſie als ein fremdes Frauenzimmer nicht in einem oͤffentlichen Gaſthofe ein - kehren duͤrfte. Nachdem ſie es ſo weit gebracht hat - te, beſichtigte ſie das Haus, und beſonders das Schlaf - zimmer des Capitaͤns, welcher den ganzen Tag abwe - ſend war, und nur Abends ſpaͤt nach Hauſe kam. Sie hielt ſich ſtill, bis ſie glaubte, daß alles im Hauſe zu Bette ſey, da ſie denn mit einem Lichte in der einen, und einem Dolche in der andern Hand vor ſein Bett trat, ihn aufweckte, und ihn fragte, ob er ſie kenne. Als er nun wiſſen wollte, was ſie hier zu ſuchen haͤtte, erklaͤrte ſie ihm, daß er ſich jetzt ent - ſchließen muͤſſe, entweder ihr ſein Wort zu halten, oder zu ſterben. Der Capitaͤn ſuchte Ausfluͤchte, und rief zugleich ſeine Leute; aber ehe noch jemand herbey kommen konnte, ſtieß ſie ihn in die Bruſt, und gab ihm, ſo ſehr er ſich auch wehrete, noch verſchiedene Stiche an andern Orten ſeines Leibes. Endlich ka - men ſeine Leute ihm zu Huͤlfe, und da ſie ihren Herrn in ſeinem Blute ſchwimmen ſahen, ſo ſchickten ſie nach der Wache, ſich ihrer zu verſichern. Sie mach - te indeſſen keine Mine, zu entfliehen, ſondern fuhr fort, ihm ſeine Niedertraͤchtigkeit vorzuwerfen, ob er gleich ſelbſt ſie bath, auf ihre Sicherheit zu denken, indem er ſich fuͤr toͤdtlich verwundet hielt. Endlich kam die Obrigkeit mit einer Wache, ſie in das Gefaͤngniß zu fuͤhren, welches aber der Capitaͤn nicht zugeben wollte, ſondern bath, einen Prieſter hohlen zu laſſen, welchem er bey deſſen Ankunft geſtand, wie ſehr er dieſes jun - ge Frauenzimmer beleidiget habe, und ihn bath, ihnA 5ohne10ohne Zeitverluſt in Gegenwart der Obrigkeit mit ihr zu copulieren, welches auch geſchahe. Da nun auch der Wundarzt verſicherte, daß keine der Wunden toͤdt - lich ſey, ſo gieng die Wache ab, und durch die Sorg - falt des Wundarztes und der zaͤrtlichen Pflege ſeiner Gattinn ward der Capitaͤn ſehr bald wieder hergeſtellt. Sie lebten hierauf verſchiedene Jahre in dem beſten Vernehmen, bis ihn endlich ein ungluͤcklicher Zufall um das Leben brachte. Als er eines Abends mit ihr vor dem Trowen-Thore ſpatzieren gieng, und ſich bey einem Zeughauſe befand, wo eine Menge alter un - brauchbarer Gewehre lag, kam ein Frauenzimmer aus ihrer Nachbarſchaft zu ihnen, mit welchem ſie in großer Vertraulichkeit lebten, nahm eine alte verroſte - te Piſtole, und ſagte im Scherze zu dem Capitaͤn Nie - pels, es ſey beſchloſſen, daß er von der Hand eines Frauenzimmers ſterben ſollte, welches denn auch ſo gleich eintraf, indem die Piſtole los gieng und ihn auf der Stelle toͤdtete. Er hinterließ drey Toͤchter, wel - che jetzt mannbar waren; ſeine Wittwe, unſere Wir - thinn aber, heirathete einige Zeit nach ſeinem Tode ſeines Bruders Sohn.
Als ich in einer Nacht mit unſerm Lieutenant auf dem Petersberge auf der Wache war, und mit meiner Muskete Schildwache ſtand, und dieſe auf dem Kies - boden nachlaͤßig hinter mir her zog, gieng ſie von un - gefaͤhr los, und brachte die ganze Beſatzung in Be - wegung. Der Lieutenant mußte dieſen Zufall durch einen Sergeanten in Peters-Hafen melden laſſen, da ich denn den folgenden Tag vor den Gouverne[u]r ge - fuͤhret ward, wo ich in großer Angſt war, we[il]man mir ſagte, daß ich von Gluͤck wuͤrde zu ſagen haben,wenn11wenn ich mit Gaſſenlaufen davon kaͤme. Allein zu meiner großen Freude blieb es bey einem Verweiſe, wo - bey man mir ſagte, daß, wenn ein gemeiner Soldat einen ſolchen Fehler begangen haͤtte, er ſehr ſtrenge wuͤrde ſeyn beſtraft worden. Dieſer Verweis machte mich indeſſen auf die Zukunft in ſolchen Faͤllen vor - ſichtiger. Jch ward dieſen Winter Sergeant, indem man bey den Preuſſen von unten auf dienen muß, wenn man Officier werden will. Durch meine Be - foͤrderung uͤberhuͤpfte ich indeſſen die ſonſt gewoͤhnli - chen zwey Staffeln. Jm April 1707 kam der1707. Kronprinz bey uns an, und muſterte unſer Regiment. Als ich bey ihm vorbey marſchierte, und ihm auf Befragen meinen Nahmen ſagte, erinnerte er ſich meiner, und gab dem Oberſten einen Verweis, daß er bey ſeiner Compagnie ein Kind zum erſten Ser - geanten gemacht hatte. Allein da der Oberſte ihm ſagte, daß ich den Dienſt ſehr gut verrichtete, und ſehr viel Lernbegierde beſaͤße, ſchien der Prinz damit zufrieden zu ſeyn.
Jm May brach unſer Regiment von MaſtrichtSein erſter Feldzug. auf und ſtieß bey Mildert zur Armee, und den 9ten Auguſt ruͤckten wir nach Genap, in der Abſicht, den Feind anzugreifen. Den 10ten giengen wir in der Nacht bey Florinal uͤber die Deyle und marſchierten bis an den Morgen. Mit Tages Anbruch langten wir zu Maveren an, fanden aber, daß ſich der Feind zuruͤck gezogen hatte, worauf wir wieder nach Genap zuruͤck giengen. Die Franzoſen zogen ſich den ganzen Feldzug uͤber ſo eilfertig vor uns zuruͤck, daß wir nicht im Stande waren, ſie zu einem Treffen zu bringen, welches unſere Truppen durch die vielen fruchtloſenMaͤrſche12Maͤrſche und Gegenmaͤrſche ſehr abmattete. Gegen den Winter ruͤckte die Armee nach Aſche, wo wir uns trennten, und in die Winterquartiere giengen. Um dieſe Zeit ward der Prinz von Oranien zum Befehls - haber der Hollaͤndiſchen Truppen ernannt, ob er gleich erſt 21 Jahr alt war. Unſer Regiment gieng nach Huy in die Winterquartiere, wo der Schwe - diſche General Oxenſtein Gouverneur war. Dieſe Stadt liegt zu beyden Seiten der Maaß und iſt nur ſchlecht befeſtiget; doch hat ſie ein Caſtell und noch drey Forts, welche auf Anhoͤhen liegen und die Stadt decken. Jch zog eines Mahls mit einem Hollaͤndi - ſchen Lieutenant auf die Wache, der ſehr einfaͤltig war, und weder leſen noch ſchreiben konnte, indem er we - gen eines außerordentlichen Beyſpiels perſoͤnlichen Muthes und guten Verhaltens von einem Sergeanten zum Lieutenant war gemacht worden. Die Franzo - ſen hatten naͤmlich eine gewiſſe Stadt mit allen ihren Feſtungen eingenommen, einen einigen Thurm aus - genommen, auf welchem dieſer Sergeant mit 20 Mann ſtand, und welchen er gegen alle Verſuche des Feindes behauptete, bis der Platz im folgenden Jahre wieder erobert ward, wozu er folglich durch ſeine Stel - lung viel beygetragen hatte.
Als ich an einem Tage mit einer Patrouille aus - gieng und bey einem Kloſter vorbey kam, ſahen wir ein Frauenzimmer laufen, welches von verſchiedenen Perſonen verfolgt ward, daher wir auf ſie zu giengen. Als ſie hoͤrte, daß wir zu der Beſatzung von Huy ge - hoͤrten, war ſie vor Freude außer ſich, und nachdem ſie von ihrer Furcht ein wenig zu ſich ſelbſt gekommen war, ſagte ſie uns, daß ſie nach Namur gehoͤre, undſich13ſich wider Willen ihrer Aeltern mit einem Franzoͤſi - ſchen Officier verſprochen habe, daher ſie von ihnen in dieſes Kloſter ſey geſteckt worden, aus welchem ſie eben entſprungen ſey, und nach Luͤttich gehen wollte, wo ſie Verwandte habe, die ſich ihrer annehmen wuͤr - den. Der Erfog beſtaͤtigte ihre Ausſage, denn als ſie daſelbſt ankam, wirkten ihre Freunde einen Paß fuͤr ihren Liebhaber aus, mit welchem ſie darauf ge - trauet ward.
Jm May 1708 brachen wir von Huy auf und1708. Sein zweyter Feld - zug. ſtießen zur Armee. Wir kamen den 23ten nach Ander - lech, wo die Preuſſen, Hannoveraner und Hollaͤnder anfiengen, ſich zu formiren. Den 26ten ruͤckten wir nach Bellingen, wo wir zu den Englaͤndern und den uͤbrigen Truppen ſtießen; da denn die Armee aus 180 Escadrons und 112 Bataillons beſtand. Die Franzoͤſiſche Armee formirte ſich unter dem Herzog von Vendome zu St. Ghislain, und beſtand aus 197 Escadrons und 124 Bataillons. Die beyden Koͤniglichen Prinzen, die Herzoge von Bourgogne und Berry, befanden ſich bey ihrer Armee zu Bellin - gen, es kamen der damalige Churprinz von Hannover und der Prinz Eugen zu uns, deſſen Truppen von der Moſel nach Maſtricht geruͤckt waren, und bald dar - auf zu uns ſtießen.
Die Franzoſen oͤffneten den Feldzug mit der Ue -Niederlage der Franzo - ſen. berrumpelung der Staͤdte Gent und Bruͤgge. Auf Damme machten ſie einen vergeblichen Angriff, al - lein ſie eroberten dafuͤr Plaſſendahl zwiſchen Bruͤgge und Oſtende. Den 9ten Julii berenneten ſie Oude - narde, hoben aber bey unſerer Annaͤherung die Bela - gerung wieder auf, und zogen ſich uͤber die Schelde. Wir14Wir ſetzten ihnen auf dem Fuße nach und brachten ſie den 11ten zu einem Treffen. Es war Abends ſechs Uhr, ehe unſere Linie ſich formiren konnte. Prinz Eugen fuͤhrte den rechten, und der Herzog von Marl - borugh den linken Fluͤgel. Nach einem ſehr lebhaf - ten und gut geleiteten Angriffe wurden die Franzo - ſen geſchlagen, und entkamen durch Huͤlfe der Nacht, da ſie ſonſt wuͤrden ſeyn niedergehauen worden. Den folgenden Tag fanden wir von dem Feinde 4000 Mann Todte auf dem Wahlplatze, 7000 aber wurden gefangen gemacht; außer dem bekamen wir 535 Of - ficiers (die Generals mit eingeſchloſſen,) 34 Standar - ten, 25 Fahnen und 5 Paar Pauken, aber keine Kanonen, weil das Treffen ohne alles ſchwere Ge - ſchuͤtz von beyden Seiten geliefert ward. Unſer Ver - luſt beſtand in 2972 Mann an Todten und Ver - wundeten.
Nach dieſem Treffen zogen die Franzoſen ſich hin - ter den Canal zwiſchen Gent und Bruͤgge, und der Preuſſiſche General Lottum ward mit einem anſehnli - chen Corps abgeſchickt, die Linien von Ypern anzugrei - fen, welche wir nach einem geringen Widerſtande er - oberten und ſchleiften. Die Armee berennete hierauf Ryſſel, welches der Prinz Eugen bald darauf foͤrm - lich belagerte, da indeſſen der Herzog von Marlbo - rough die Belagerung deckte. Dieſe Belagerung, welche ſo langwierig und blutig war, ward von ver - ſchiedenen merkwuͤrdigen Begebenheiten begleitet.
Waͤhrend derſelben begegnete unter andern dem Prinzen Eugen folgendes. Er bekam einen Brief von einer unbekannten Hand, und als er denſelben oͤffnete, fand er in demſelben ein fettiges Papier,welches15welches er zum Gluͤcke auf die Erde fallen ließ. Sein Adjutant hob es auf und roch daran, bekam aber ſo gleich den Schwindel, ſo daß man ihm ein Gegengift geben mußte. Man band hierauf das Papier einem Hunde um den Hals, worauf er in vier und zwanzig Stunden ſtarb, ob man ihm gleich ein Gegengift bey - gebracht hatte. Als die Officiers, welche um ihn waren, ihr Erſtaunen uͤber dieſen Zufall an den Tag legten, verſetzte er ganz kaltbluͤtig: „ wundern ſie ſich daruͤber nicht, meine Herren, ich habe bereits mehrere ſolche Briefe bekommen. “
Da der Herzog von Bourgogne begierig war, zu1708. erfahren, in was fuͤr einem Zuſtande ſich die Beſa - tzung befaͤnde, ſo erboth ſich ein gewiſſer Capitaͤn du Bois, ſich in die Feſtung zu wagen. Er kam unerkannt bis an die Außenwerke, zog ſich aus, nahm ſeine Kleider auf den Kopf, ſchwamm uͤber ſieben Canaͤle und Graͤben, kam ſicher in die Stadt, und auf eben dieſelbe Art wieder zuruͤck, und brachte dem Herzoge noch dazu einen Brief von dem Marſchall von Boufleurs mit, welchen er bey dem Schwimmen in den Mund nahm, ſo daß er ihn ganz trocken uͤber - brachte.
Den 28ten September in der Nacht wurden wirTrauriger Zufall bey der feindli - chen Caval - lerie. von einem ſtarken Knall beunruhiget, worauf in einer halben Stunde noch ein anderer folgte, und um Mit - ternacht hoͤrten wir ein ſolches Gekrach, daß die Erde unter uns bebte. Die ganze Armee ward dadurch ſo beunruhiget, daß wir auch bis zu Tages Anbruch un - ter dem Gewehre zubrachten. Den folgenden Tag erfuhren wir, daß 1200 Mann feindlicher Reiterey, von welchen jeder 53 Pfund Pulver in Saͤcken hinter ſichauf16auf dem Pferde hatte, ſich in die Stadt hatten ſchlei - chen wollen. Allein da man ſie entdecket und auf ſie gefeuert hatte, ſo waren ſie nach der Stadt zu galop - pieret, wodurch einige Saͤcke los giengen, und das Pulver auf die Erde fiel. Die Funken, welche die Pferde mit ihren Hufeiſen machten, zuͤndeten dieſes Pulver, und dieſes zuͤndete das Pulver in den Saͤcken, ſo daß alles in die Luft flog. Ungefaͤhr 50 Mann kamen bey dem Eintritte in die Linien um, und 100 nahe an dem Thore. Es war den folgenden Tag ein fuͤrchterlicher Anblick, den Weg mit halb ver - brannten Koͤpfen, Gliedern und Koͤrpern von Men - ſchen und Pferden beſtreuet zu ſehen. Die uͤbrigen hatten ihr Pulver abgeworfen, und ſich auf die Flucht gemacht. Allein man glaubte, daß ihrer doch 300 in die Stadt gekommen waren.
Wenig Tage darauf wurden 50 Bauern gefan - gen genommen, welche auf ihren Schubkarren Pul - ver in die Stadt fuͤhren wollten. Da ſie Erlaubniß hatten, Milch bey der Armee zu verkaufen, ſo brach - ten ſie ſelbige in Faͤſſern, zwey auf einem Schubkar - ren; allein man fand, daß eines dieſer Faͤſſer voll Pulver war. Da ſie nun insgeſammt uͤberfuͤhret waren, ſo wurden ſie auch insgeſammt aufgeknuͤpft.
Um dieſe Zeit kamen der Koͤnig Auguſt, und ver - ſchiedene andere fuͤrſtliche Perſonen in das Lager, die - ſe beruͤhmte Belagerung mit anzuſehen. Der Feind ſuchte uns die Zufuhre von Oſtende her abzuſchneiden, verurſachte ſich aber dadurch eine Niederlage bey Wey - nendahl. Er hatte ſich durch dreyfache Linien in ſei - nem Lager bey Oudenarde verſchanzt, welches unſere Zufuhr aus dieſer Gegend gar ſehr erſchwerte, undda17da der Herzog von Bayern zu gleicher Zeit Bruͤſſel be - lagerte, ſo waren wir eine Zeit lang genoͤthiget, bloß von großen Ruͤben und Zwiebeln zu leben. Uns von dieſer Verlegenheit zu befreyen, und uns die Ge - meinſchaft mit unſern Vorraͤthen wieder zu oͤffnen, ward ein hinlaͤngliches Corps von der Armee abge - ſchickt, welches durch einen forcierten Marſch in der Nacht uͤber die Schelde gieng, und den folgenden Tag die feindlichen Linien angriff, wo wir weniger Wider - ſtand fanden, als wir erwartet hatten, indem die Feinde ſich in der groͤßten Eil auf die Flucht begaben, und ihr ganzes Lager, ihr Gepaͤck und alles im Stiche ließen. Bey dem Nachſetzen machte unſre Reiterey eine Menge Gefangene, und wir fanden hier einen großen Vorrath der beſten Lebensmittel von aller Art. Wir ruͤckten hierauf fort, Bruͤſſel zu entſetzen; allein ehe wir noch ankamen, hatte der Herzog die Belage - rung bereits aufgehoben, und 15 ſchwere Kanonen und zwey Moͤrſer zuruͤck gelaſſen. Nachdem uns nun unſer Vorhaben ſo gut gegluͤcket war, kehrten wir wieder in das Lager vor Ryſſel zuruͤck.
Als wir uns auf dem Glacis oder bedeckten We -Ryſſel ero - bert. ge feſt ſetzten, befand ich mich bey den Pionniers. Da der Jngenieur, welcher die Arbeit commandierte, getoͤdtet ward, und unſere Leute dem feindlichen Feuer zu ſehr ausgeſetzt waren, ſo unternahm ich es, dasje - nige zu endigen, was er angefangen hatte, und es ge - lang mir ſehr bald, uns durch Eingraben zu ſichern. Der General, welcher dieſe Nacht in den Laufgraͤben commandierte, empfahl mich deshalb unſerm Chef, dem General Graf Lottum, welcher zu meinem Be - ſten an den Koͤnig ſchrieb, daher ich in dem folgendenBWinter18Winter Faͤhndrich ward*)Das Patent ward an ſeinen Onkel den Oberſten Re - beur geſchickt, der es aber vor dem Herrn Bruce zur Zeit noch geheim hielt, weil er noch ſehr jung und erſt 16 Jahr alt war. Als dieſer ſolches erfuhr, gieng er auf ſeines Onkels Gezelt los, ſtieß ſein Kurz - gewehr unwillig in die Erde, und ſagte: „ hier ſtehet der Sergeant! “worauf er einige Schritte zuruͤck gieng, und ausrief: „ hier ſtehet der Offizier! “wor - auf er denn ſein Patent erhielt., aber dabey Jngenieurs - Dienſte thun mußte. Die Stadt ergab ſich den 23ſten October; und da wir nunmehr in die Barra - ken einquartieret wurden, ſo konnten wir die Belage - rung der Citadelle, welche ſich noch immer hielt, de - ſto bequemer fortſetzen. Endlich bekamen wir ſie den 9ten December durch Sappiren bey ſehr ſtrenger Kaͤlte und hartem Froſte, unter Anfuͤhrung des Ge - nerals Coehorn, und den 10ten marſchierte der Mar - ſchall Boufleur mit ſeiner Beſatzung aus, und ward nach Douay gefuͤhret.
Waͤhrend der Belagerung, als wir uns auf der zweyten Contreſcarpe feſtgeſetzt hatten, verließ ein Hol - laͤndiſcher Capitaͤn, welcher daſelbſt ſtand, bey Annaͤ - herung des Feindes ſeinen Poſten, ohne den gering - ſten Widerſtand zu leiſten. Sein Sergeant, der das Schimpfliche dieſes Ruͤckzuges fuͤhlte, ſuchte ihn zu bereden, umzukehren, und den Poſten wieder zu ero - bern, allein vergebens. Der Sergeant wandte ſich hierauf an die Gemeinen, und ſagte, wenn ſie ihm folgen wollten, ſo wollte er ſich des verlaſſenen Po - ſtens wieder zu bemaͤchtigen ſuchen. Dieſe waren ſo gleich willig, ſtellten ſich, und griffen den Feind ſoherzhaft19herzhaft an, daß der Poſten ſehr bald wieder erobert ward. Als dieſe That gemeldet ward, ward der Of - ficier degradiert, der Sergeant aber nach Verdienſt belohnet. Ein Soldat ohne Herz gleicht einer Leiche; Gram haͤngt auf den Geſichtern ihrer beſten Freunde, ſo lange bis ſie begraben, und ihren Augen entzo - gen iſt.
Man ſprach um dieſe Zeit in dem Lager viel vonScherz des Herzogs von Marlbo - rough. einem witzigen Einfalle des Herzogs von Marlbo - rough. Als der Koͤnig von Pohlen wieder nach Sachſen gehen wollte, und der Herzog ſich bey ihm beurlaubte, wuͤnſchte der Koͤnig ihm eine gluͤckliche Reiſe nach England, worauf der Herzog ihm auf Franzoͤſiſch antwortete, „ da es kalt ſey, ſo wolle er „ nicht ohne Handſchuhe uͤber See reiſen. “ Der Scherz liegt in der Aehnlichkeit des Klanges zwiſchen dem Worte Gand, ein Handſchuh, und Ghent, die Stadt Gent. Der Herzog hielt nachmals ſein Wort wirklich.
Unſere Armee ruͤckte, der ſtrengen Kaͤlte ungeach -Eroberung von Gent. tet, ſo gleich vor Gent, und noch den 17ten deſſelben Monathes ward die Stadt bloquiret. Der Herzog von Marlborough commandierte die Belagerung und der Prinz Eugen deckte ſie. Die Beſatzung beſtand aus 30 Bataillons und 19 Escadrons; allein da die Graͤben zugefroren waren, und ſie einen Ueberfall be - fuͤrchteten, ſo hielten ſie es fuͤr das Beſte, ſich den 31ſten December zu ergeben. Die Beſatzung mar - ſchierte den 2ten Jan. 1709 aus und ward nach1709. Dornick gebracht, worauf der Herzog von Argyle die Stadt und Citadelle ſogleich in Beſitz nahm. Der Feind raͤumte gleich darauf auch Bruͤgge, Redfort,B 2Plaſſen -20Plaſſendahl und Leffinghen, womit dieſer beruͤhmte Feldzug beſchloſſen ward, und unſere Armee in die Winterquartiere gieng. Unſer Regiment ward nach Bruͤſſel verlegt. Die Franzoſen thaten dieſen Win - ter Friedensvorſchlaͤge, welche aber von keinem Erfolge waren.
Mit dem Anfange des folgenden Junius ruͤckten wir zur Armee, welche ſich den 21ſten zwiſchen Cor - trick und Menin, 110000 Mann ſtark, formirte, worauf wir uͤber die untere Deyle giengen, und auf den Ebenen von Ryſſel das Lager aufſchlugen. Die Franzoͤſiſche Armee, welche aus 130000 Mann be - ſtand, hatte ſich auf den Ebenen von Lens gelagert, wo ſie ſich ſo feſt verſchanzte, daß es unweiſe geweſen ſeyn wuͤrde, wenn wir ſie haͤtten angreifen wollen, da -Belagerung Dornicks. her beſchloſſen ward, Dornick zu belagern. Der Feind war ſich dieſes ſo wenig vermuthen, daß er auch einen Theil der Beſatzung heraus gezogen, und die Armee damit verſtaͤrket hatte. Die Stadt ward alſo den 27ſten von dem Herzog von Marlborough beren - net, und den 30ſten wurde der Anfang mit den Linien gemacht. Der Graf Lottum fuͤhrte den Angriff auf die Citadelle, wobey ich das erſte Mahl als Jnge - nieur gebraucht ward. Die beyden uͤbrigen Angriffe auf die Stadt wurden von den Generals Schulenburg und Fagel commandiret, und der Prinz von Naſſau bemaͤchtigte ſich der beyden Forts St. Amand und Mortagne, welche uns zur Bedeckung der Belage - rung ſehr nothwendig waren. Den 6ten Julii ka - men die Linien zu Stande; den 7ten in der Nacht wurden die Laufgraͤben geoͤffnet, und den 13ten fien - gen unſere Batterien an, auf die Stadt zu ſpielen. Kurz,21Kurz, die Stadt ergab ſich den 28ſten, und die Beſa - tzung zog ſich 4000 Mann ſtark in die Citadelle; 2 Capitaͤns, 4 Lieutenants und 150 Gemeine deſer - tierten und kamen in unſer Lager, 800 ihrer Ver - wundeten aber wurden nach Douay gebracht. Wir hatten bey dieſer Belagerung 3210 Mann an Tod - ten und Verwundeten, und der Graf von Albemarle ward zum Gouverneur in der Stadt ernannt.
Den 1ſten Auguſt fieng der Feind an, aus der1709. Citadelle auf uns zu feuern, welches aus unſern Bat - terien ſo gleich erwiedert ward, und den 3ten fiel eine unſerer Bomben in ein Pulver-Magazin, welches daher in die Luft flog. Gleich darauf verglich man ſich wegen eines Waffenſtillſtandes, und die Beſa - tzung verſprach, ſich den 5ten September zu ergeben, wenn ſie inzwiſchen nicht entſetzt werden ſollte. Waͤh - rend des Waffenſtillſtandes ſuchten die in der Citadel - le befindlichen Ausreiſſer von unſerer Armee zu ent - kommen, allein ſie wurden insgeſammt erhaſchet und aufgeknuͤpft.
Als der Koͤnig von Frankreich die Bedingungen des Waffenſtillſtandes erfuhr, ſo wollte er in die Ue - bergabe nicht willigen, daher die Feindſeligkeiten wie - der angiengen: der Feind ließ viele Minen ſpringen, und unſere Gegenminen veranlaßten viele kleine Ge - fechte unter der Erde. Den 26ſten ſprengten ſie ver - mittelſt einer Mine 400 Mann von unſern Leuten in die Luft und toͤdteten den Herrn du May unſern erſten Jngenieur. Sie ließen hierauf noch verſchiedene Mi - nen ſpringen, welche uns vielen Schaden thaten, be - ſonders eine, welche eine Oeffnung ſechzig Schritt lang und zwanzig Fuß tief machte, und beynahe einB 3ganzes22ganzes Regiment Hannoveraner in die Luft geſprengt haͤtte, wenn ſie nicht noch bey Zeiten waͤre entdeckt worden, daher wir nur eine einzele Schildwache da - bey verlohren. Den 30ſten beſchoſſen wir ſie ſo hef - tig, daß ſie den 31ſten des Morgens zu capitulieren verlangten; allein da wir ſie ſchlechterdings zu Kriegs - gefangenen verlangten, ſie aber dazu noch keine Luſt hatten, ſo giengen die Feindſeligkeiten wieder an, und da wir ihnen auf das neue heftig zuſetzten, ſo mußten ſie ſich endlich den 5ten September zu Kriegesgefan - genen ergeben, und 3500 Mann ſtark, die Kranken und Verwundeten ungerechnet, ausmarſchiren.
Vor Dornick kam ein Expreſſer von dem Fuͤrſten Menzikoff an den Herzog von Marlborough an, der ihm die Nachricht brachte, daß der Czar den 8ten Julii bey Pultawa einen vollſtaͤndigen Sieg uͤber den Koͤnig von Schweden erfochten habe.
Unſere naͤchſte Unternehmung war auf Mons ge - richtet; als daher der Churfuͤrſt von Bayern, welcher ſich daſelbſt aufhielt, ſolches erfuhr, ſo begab er ſich nach Namur. Marſchall Boufleur ward nunmehr von dem Koͤnige von Frankreich abgeſchickt, dem Marſchall Villars beyzuſtehen, mit dem Befehle, eher ein Treffen zu wagen, als uns Mons einnehmen zu laſſen. Den 8ten ſtieß der Prinz Eugen mit ſei - ner Armee zu uns, da wir denn ſehr abgemattet wur - den, weil wir in beſtaͤndigem Regenwetter und auf ſchlechten Wegen Tag und Nacht marſchiren mußten. Den 9ten bemerkten wir, daß ſich der Feind nach Blarignies zog, die Waͤlder und Hecken bey Taniers und Malplaquet zu beſetzen, worauf wir in Schlacht - ordnung vorwaͤrts ruͤckten. Allein, da die Englaͤn -der23der fouragieren waren, ſo konnten ſie dieſen Tag nicht zu uns ſtoßen, und beyde Armeen fiengen an, einan - der zu canonieren, welches bis in die ſpaͤte Nacht dauerte, und den folgenden Morgen erneuert ward. Da wir noch 23 Bataillons aus Dornick erwarteten, ſo hielten wir es nicht fuͤr rathſam, uns dieſen Tag mit dem Feinde einzulaſſen. Jch waͤre an dieſem Tage von einem unſerer eigenen Soldaten beynahe er - ſchoſſen worden, denn da er aus ſeinem Gliede getre - ten war, und ich ihm befahl, ſich wieder zu ſtellen, er aber nicht gehorchen wollte, ſo ſchlug ich ihn uͤber die Schulter und ſtieß ihn in die Linie, worauf er zuruͤck ſprang und mir ſein Gewehr mit aufgezogenem Hahne auf die Bruſt ſetzte. Jch parierte es ſo gleich unter - waͤrts, da denn die Kugel zwiſchen meinen Fuͤßen in die Erde fuhr. Der Kerl warf ſogleich ſein Gewehr weg und lief davon, ward aber ſogleich von dem Adju - tanten zu Pferde verfolgt, und da er ein ſtarker Menſch war, ſo ergriff er den Adjutanten bey dem Fuße, warf ihn aus dem Sattel und war eben im Begriffe, ſich auf ſein Pferd zu ſchwingen, als der Major dazu kam und ſich ſeiner bemaͤchtigte. Doch wieder zur Sache.
Unſer Verzug verſchaffte dem Feinde Zeit, das Gehoͤlz niederzuhauen und ſich zu verſchanzen. Den Abend unterredeten wir uns mit den Franzoͤſiſchen Of - ficiers, und bewirtheten einander mit dem, was jeder hatte, auf das freundſchaftlichſte. Wir wurden dazu um ſo viel mehr bewogen, weil wir auf beyden Sei - ten glaubten, daß ein Waffenſtillſtand als der Vor - laͤufer des Friedens vor der Thuͤr ſey. Allein um Mitternacht erfuhren wir ein anderes, indem jeder Befehl erhielt, auf ſeinem Poſten zu erſcheinen undB 4ſich24ſich zu dem Angriffe auf den naͤchſten Morgen anzu - ſchicken.
Den 11ten verrichteten wir des Morgens um 2 Uhr unſer Gebeth, und ſtellten uns alsdann in Schlachtordnung. Um 8 Uhr ruͤckten wir vor und griffen die feindlichen Verſchanzungen an, deren wir uns bemaͤchtigten und den Feind in großer Unordnung und Verwirrung in ſeine Laufgraͤben trieben, aus wel - chen wir ihn, obgleich mit betraͤchtlichem Verluſte auf beyden Seiten, gleichfalls wieder jagten. Das - jenige Regiment, mit welchem das unſrige handge - mein war, war eben dasjenige, mit deſſen Officiers wir die Nacht vorher ſo freundſchaftlich umgegangen waren. Es befand ſich ein Lieutenant dabey, wel - cher einen Bruder, der gleichfalls Lieutenant war, bey unſerm Regimente hatte. Der Franzoͤſiſche Lieute - nant gab ſich ſeinem Bruder zum Gefangenen, und ward von ihm auf das zaͤrtlichſte in Schutz genom - men; allein zum Ungluͤck rann ein Soldat von den Unſrigen ihn in demſelben Augenblicke durch den Leib, ſo daß er ſeinem Bruder todt in die Arme fiel. Der Soldat entſchuldigte ſich damit, daß er ſolches zur Vertheidigung ſeines Officiers gethan, und den an - dern nicht gekannt habe; und doch hatte er den Abend vorher geſehen, daß beyde als Bruͤder mit einander umgegangen waren. Dergleichen traurige Verſehen fallen bey ſtreitenden Feinden in der Wuth des Ge - fechtes nur zu oft vor, und es iſt unmoͤglich, den ar - men Menſchen eines boͤſen Vorſatzes bey dieſer Gele - genheit mit Gewißheit zu beſchuldigen. Die Fran - zoſen zogen ſich uͤber einen Verhau, und wir folgten ihnen auf dem Fuße nach; da wir aber fanden, daßſie25ſie ſich verſtaͤrket hatten, ſo mußten wir uns nunmehr zu - ruͤck ziehen, da wir denn in dem Verhaue unſern Ober - ſten und verſchiedene von unſern Leuten verlohren. Jndeſ - ſen wurden wir aus unſerer Reſerve verſtaͤrkt, da wir denn den Feind zum zweyten Mahle aus dem Verhau trieben, und ihn bis zu ſeiner zweyten Verſchanzung verfolgten, ihn auch hier uͤber den Haufen warfen und bis zur dritten trieben, bey welcher Gelegenheit ich durch das Dickbein geſchoſſen ward, daher man mich aus dem Felde bringen mußte. Man trug mich in eine kleine Huͤtte, wo ich den Leichnam meines Ober - ſten fand, und mich verbinden ließ. Nach einem ſehr hitzigen Gefechte von ſechs Stunden wich der Feind uͤberall und uͤberließ uns das theuer erkaufte Schlachtfeld, indem es uns nicht weniger als 20300 Mann koſtete. Da die Umſtaͤnde dieſes ſo beruͤhm - ten Treffens von weit geſchicktern Federn beſchrieben ſind, ſo will ich nichts mehr davon ſagen, als daß von dem Feinde, ſeinen eigenen Berichten nach, 540 Officiers blieben, 1068 verwundet, und 301 gefan - gen gemacht wurden; von Gemeinen aber ſein Ver - luſt an Gebliebenen, Verwundeten und Gefangenen ſich auf 15000 Mann erſtreckte. Wir verlohren zwey Generals, die Grafen Lottum und Fettace.
Nach dieſem Treffen gieng das Geruͤcht, daß der Marſchall Villars ein neues Treffen wagen wolle, die Eroberung der Stadt Mons zu hindern, allein den Marſchall Boufleur wider ſich habe, daher der Koͤnig den Herzog von Berwick abgeſchickt habe, die zwiſti - gen Meynungen dieſer beyden geſchickten Feldherren zu vereinigen. Der Herzog kam, und nachdem er das Schlachtfeld mit ſeinen Verſchanzungen beſehen hatte,B 5ſo26ſo bewunderte er ihre außerordentliche Feſtigkeit, und ſagte, da ſie aus einem ſolchen Poſten waͤren vertrie - ben worden, ſo wuͤrde es ſehr unbeſonnen ſeyn, ein Treffen auf freyem Felde zu wagen.
Jndem der Wundarzt meine Wunde, bey wel - cher ich das Zimmer huͤten mußte, beſorgte, ſo er - zaͤhlte er mir eine luſtige Geſchichte von einem neu an - geworbenen jungen Schweitzer, der, als die Montie - rungsſtuͤcke verfertiget wurden, ſich eine runde eiſerne mit kleinen Loͤchern durchbohrte Platte machen ließ, und verlangte, daß der Schneider ſie uͤber der linken Bruſt inwendig in dem Rocke befeſtigen ſollte, damit er nicht durch das Herz geſchoſſen werden koͤnnte. Der Schneider, der ein Spaßvogel war, naͤhete ſie ihm in den Sitz der Hoſen, und ſo bald er die Mon - tierung angezogen hatte, mußte er in das Feld, da - her er keine Gelegenheit hatte, den bemerkten Fehler zu verbeſſern. Er kam gleich darauf in ein Treffen und da er vor dem Feinde fliehen mußte, und uͤber eine Dornhecke ſpringen wollte, blieb er ungluͤcklicher Weiſe ſitzen, ſo daß er von einem feindlichen Solda - ten eingeholet ward, der ihm mit dem Bajonette in den Hintern ſtieß, aber zum Gluͤck die eiſerne Plat - te traf, und durch den Stoß den Schweizer aus der Hecke half, der nunmehr geſtand, daß ſein Schneider mehr Verſtand als er ſelbſt habe, und beſſer wiſſe, wo er ſein Herz habe. Doch nunmehr zu edlern Thaten.
Unſere Feldherren, die durch die wiederholten Niederlagen des Feindes von ihrer Ueberlegenheit uͤberzeugt waren, bloquierten ſogleich Mons, da denn die Laufgraͤben den 25ſten unter Commando des Prin - zen von Naſſau geoͤffnet wurden. Die Belagerungward,27ward, des anhaltenden heftigen Regens ungeachtet, ſo lebhaft fortgeſetzt, daß die Stadt ſich den 20ſten Octo - ber ergeben mußte, und die Beſatzung 8000 Mann ſtark auszog, 1000 etwa ausgenommen, welche zu - ruͤck blieben, und bey uns Dienſte nahmen.
Der Sieg bey Malplaquet, und die Eroberung der Staͤdte Dornick und Mons beſchloſſen dieſen Feld - zug, daher unſere Armee aus einander und in die Winterquartiere gieng. Unſer Regiment kam nach Maſtricht, und da ich von meiner Wunde noch nicht wieder hergeſtellet war, ſo ward ich mit noch acht ver - wundeten Soldaten auf einem Wagen und unter der Aufſicht eines Sergeanten nach Bruͤſſel gefahren. Den 20ſten Abends kamen wir zu Notre-Dame de Hall an, auf dem halben Wege zwiſchen Mons und Bruͤſſel, wo eines unſerer Raͤder brach, und als der Fuhrmann hoͤrte, daß ſich eine Franzoͤſiſche Parthey in der Stadt befand, ſo machte er ſich mit den Pfer - den aus dem Staube. Als die Franzoſen von uns Nachricht erhielten, kamen ſie auf uns zu, erkundig - ten ſich nach den Pferden, und ſetzten, als ſie den Vorgang hoͤrten, ihnen nach. Zu meinem Gluͤcke war ich ehedem einige Zeit in dieſer Stadt geweſen, und war daſelbſt ſehr gut bekannt, daher mich die Ein - wohner in Sicherheit brachten, und mich dadurch vor der Pluͤnderung ſchuͤtzten; denn als die Franzoſen zu - ruͤck kamen, pluͤnderten ſie die acht verwundeten Sol - daten, und fuͤhrten den Sergeanten gefangen nach Namur. Als dieſer daſelbſt ankam, und dem Gou - verneur in dem Verhoͤre ſagte, daß er im Dienſte ge - weſen, und dieſe Verwundete in das Hoſpital nach Bruͤſſel habe bringen ſollen, daß ſie aber von denFran -28Franzoſen nackend waͤren ausgezogen und eines Mo - nathes Loͤhnung beraubet worden, ſo gab der Gouver - neur dem Officier einen derben Verweis, ſagte, daß er armen verwundeten und wehrloſen Leuten lieber haͤt - te Beyſtand leiſten, als ſo mit ihnen umgehen ſollen, und befahl ihm, dem Sergeanten ſowohl die Klei - dungsſtuͤcke als auch das Geld wieder heraus zu ge - ben; den Sergeanten aber ſchickte er mit einem Paſſe nach Maſtricht. Ein Beyſpiel des Edelmuthes, welchen man ſelten bey einem Feinde antrifft. Da ich an meiner Wunde noch immer unpaß war, ſo beſchloß ich zu Hall zu bleiben, ob es gleich ein offner Ort war, der faſt taͤglich von Franzoͤſiſchen Partheyen be - ſucht ward. Jch hatte hier einen geſchickten Wund - arzt, der niemand als mich ſelbſt zu beſorgen hatte, und daher meine Wunde deſto beſſer abwarten konnte, dagegen in Bruͤſſel alles voll von unſern Verwunde - ten war. So lange ich hier war, genoß ich viele Hoͤf - lichkeit von der Geiſtlichkeit dieſes Ortes, hielt mich aber nicht laͤnger auf, als bis ich auf Kruͤcken gehen konnte, da ich denn einen Franzoͤſiſchen Paß bekam, und mich nach Maſtricht begab, wo ein Lieutenants - Patent auf mich wartete.
1710 verließen wir ſchon im April unſere Win - terquartiere und kamen den 15ten bey Dornick an, wo unſer allgemeiner Sammelplatz war. Den 20ſten, nachdem die Armee formiret war, brach ſie Nachmit - tags um 5 Uhr auf, und marſchierte die ganze Nacht in zwey Colonnen. Unſer Aufbruch war ſo unerwar - tet, und ward mit ſo vieler Verſchwiegenheit und Ord - nung vollzogen, daß wir den folgenden Morgen ohne den geringſten Widerſtand in die Franzoͤſiſchen Linieneinruͤckten.29einruͤckten. Der Feind hatte dieſen Morgenbeſuch ſo wenig erwartet, daß er ſogar war fouragiren gegan - gen. Unſere Ankunft verbreitete ſo viele Unruhe un - ter ſeinen Truppen bey Lens, daß ſie ſich in aller Eil zuruͤck zogen, und wir in ihrem Lager auf den Ebe - nen bey Lens Poſto faßten.
Den 22ſten ſchlugen wir des Morgens unſereBelagerung von Douay. Bruͤcken uͤber die Scarpe; die Armee gieng die fol - gende Nacht daruͤber und berennete den naͤchſten Morgen die Stadt Douay. Den 25ſten fiengen wir unſere Linien an; der Fuͤrſt von Anhalt-Deſſau, der dem Grafen Lottum in dem Commando der Preuſſi - ſchen Truppen folgte, kam an dieſem Tage bey uns an, und fuͤhrte den einen Angriff auf die Stadt, der Prinz von Naſſau aber den andern. Den 29ſten waren unſere Linien fertig, und die Reiterey hatte eine große Menge Faſchinen und Schanzkoͤrbe zur Bela - gerung herbey geſchaffet. Den 1ſten May beſetzten unſere Truppen das Schloß Pignonville, und den 3ten Chateaux-Loway, wo ſich 340 Mann gefan - gen gaben. Den 4ten wurden unſere Laufgraͤben auf beyden Angriffen geoͤffnet, und unſere Leute gru - ben ſich ohne Verluſt ein, weil man ſie aus der Stadt nicht war gewahr geworden. Den 9ten Abends um 10 Uhr that der Feind einen lebhaften Ausfall auf des Prinzen von Naſſau Angriff, welches die Arbei - ter in große Unordnung brachte. Sie ſchleiften eini - ge Theile unſerer Parallele, wurden aber endlich mit betraͤchtlichem Verluſte zuruͤck getrieben, und bis an die Contreſcarpe verfolgt. Das Gefecht war ſo leb - haft, daß wir 300 Mann Todte und Verwundete hatten, und vermuthlich war der feindliche Verluſtnicht30nicht geringer. Die Parallele ward in eben derſelben Nacht wieder hergeſtellet, und den folgenden Morgen mit Anbruch des Tages fieng eine Batterie von acht Kanonen und vier Moͤrſern, von des Fuͤrſten von Anhalt Angriff, an, mir großer Heftigkeit auf die Stadt zu feuern. Die Batterie ſtand auf einem Bollwerke in einem Moraſte, der uns ſehr gehindert hatte, unſere Laufgraͤben zu flankiren, und ſie ward ſehr bald unbrauchbar gemacht. Der Feind that in derſelben Nacht einen Ausfall auf unſere Seite, ward aber mit betraͤchtlichem Verluſte zuruͤck geſchlagen. Den 10ten kam unſere ſchwere Artillerie an, und den 11ten kam auf jedem Angriffe eine Batterie von 24 Kanonen und 8 Moͤrſern zu Stande. Den 12ten waren unſere Laufgraͤben bis an den erſten Graben ge - kommen. Den 14ten waren unſere Batterien im Stande und mit 48 Kanonen und 32 Moͤrſern und Haubitzen beſetzt, daher wir anfiengen, die feindlichen Außenwerke zu beſchießen, aber vornehmlich auf des Fuͤrſten von Anhalt Seite, indem der Boden auf der andern ſo weich war, daß man nicht ſo ordentlich ap - prochiren konnte. Der Feind that den 17ten einen Ausfall, ward aber ſo lebhaft empfangen, daß er ſich in großer Unordnung zuruͤck zog und uͤber 100 Ge - fangene im Stiche ließ. Den 22ſten that er einen andern Ausfall, der auf beyden Seiten viele Leute ko - ſtete. Unſere Armee hatte ſich in den Linien nun - mehr ſo ſehr verſchanzt, daß wir nicht befuͤrchten durf - ten, in der Belagerung gehindert zu werden, obgleich der Feind um 10000 Mann ſtaͤrker war, als wir, wir auch aus ſeinen beſtaͤndigen Bewegungen vom 26ſten bis zum 30ſten glauben mußten, daß er unsangrei -31angreifen und zur Aufhebung der Belagerung zwingen wollte. Den 30ſten lagerte er ſich einen Kanonen - ſchuß von unſern Verſchanzungen, welches uns an der Belagerung hinderte, indem jedes Regiment, wel - ches wir nur auf einige Art erſparen konnten, zur Verſtaͤrkung der Armee gebraucht ward. Der Feind blieb vier Tage in dieſer Stellung, ohne uns zu be - unruhigen, da denn der Marſchall von Villars es fuͤr das Beſte hielt, ſich auf eine Stunde weit zuruͤck zu ziehen, worauf die Belagerungs-Regimenter wieder auf ihre Poſten giengen, und die Belagerung mit dem groͤßten Eifer foͤrtgeſetzt wurde. Der Feind that haͤufige Ausfaͤlle und ließ viele Minen ſpringen, wel - ches uns doch nicht hinderte, uns den 5ten Junii der Contreſcarpe zu bemaͤchtigen. Den 17ten liefen wir Sturm und eroberten ein Ravelin, und nachdem wir den Graben mit Faſchinen ausgefuͤllet hatten, ſchlugen wir unſere Bruͤcke nach der Haupt-Breſche. Jn der Nacht auf den 22ſten wurden die Laufgraͤben auf das Fort Scarp geoͤffnet, welches ein regulaͤres Fuͤnfeck war, worauf der Feind den 25ſten Nachmit - tags um 2 Uhr Chamade ſchlug, und den 26ſten ſo wohl die Stadt als das Fort uͤbergab. Die Bela - gerten hatten ungefaͤhr 3000 Mann Todte, unſer Verluſt aber beſtand in 8000 Mann an Todten und Verwundeten. Den 29ſten marſchierte der Mar - ſchall Albergotti mit ſeiner Beſatzung, die noch aus 4725 Mann beſtand, aus. General Hompeſch ward Gouverneur der Stadt, und der Brigadier des Roques, der erſte Jngenieur, ward Commendant des des Forts Scarp.
Nach32Nach einer Erholung von einigen Tagen nach ei - ner ſo ſchweren Arbeit brachen wir auf, in der Abſicht Arras zu belagern. Als der Feind ſolches merkte, gieng er in ſeine neuen Linien und vereitelte dadurch unſer Vorhaben, daher wir Bethune zu belagern be - ſchloſſen, und die Stadt den 13ſten Julii berenneten. Den 23ſten wurden die Laufgraͤben auf zwey Seiten eroͤffnet, die eine von dem General Schuylenburg und die andere von dem General Fagel. Die Fran - zoͤſiſche Armee machte eine Bewegung, als wenn ſie die Stadt entſetzen wollte; als ſie aber ſahe, daß wir bereit waren, ſie zu empfangen, ſo zeigte ſie ſich bloß und zog ſich hierauf wieder hinter ihre Linien. Die Belagerung ward ſehr lebhaft gefuͤhret. Den 29ſten that die Beſatzung einen Ausfall auf Fagels Seite, wo er faſt ein ganzes Regiment Preuſſiſcher Garde zu Grunde richtete, welches zum Ungluͤcke auf ein - mal gefeuert, ſich dadurch verſchoſſen hatte, und da - her von dem Feinde mit großem Verluſte uͤber den Haufen geworfen ward. Unſer Regiment eilte ihm ſo gleich zu Huͤlfe, und hinderte, daß es nicht abge -Ungluͤck ſechs Schot - tiſcher Offi - ciers. ſchnitten ward. Denſelben Tag begegnete ſechs Of - ficieren von einem Schottiſchen Regimente, welche in einer Reihe auf dem Banquette ſaßen, das Ungluͤck, daß eine Kanonenkugel ihnen allen die Fuͤße wegnahm, einen einigen ausgenommen, der den einen Fuß auf dem Banquette liegen hatte, und ihn dadurch rettete. Er war auch der einige, der mit dem Leben davon kam, die uͤbrigen mußten ſterben. Dieſe ungluͤckliche Ku - gel kam aus einer unſerer eigenen Kanonen auf Schuy - lenburgs Seite, welche auf ein Baſtion gerichtet war, aber ungluͤcklicher Weiſe unſere eigenen Laufgraͤbenflankierte.33flankierte. Die Stadt warf eine große Menge Bom - ben auf unſere Batterien, welche aber zu kurz gerich - tet waren, und groͤßtentheils in unſere Laufgraͤben rolleten, welches die Mannſchaft in denſelben in be - ſtaͤndiger Bewegung erhielt, ihnen auszuweichen. Jch mußte einmal in einen demolierten Keller ſteigen, und als ich kaum hinein war, rief die Schildwache: „ Huͤtet euch vor der Bombe! “ſogleich lag ſie in meinem Keller, und ich eilte, ſo ſehr ich konnte, hin - aus, worauf ſie ſo gleich platzte, und eine Menge Steine und Schutt um mich her warf, ohne mich doch zu beſchaͤdigen. Den 28ſten Auguſt ſchlug die Beſatzung Chamade, und den 31ſten marſchierte der General von Vauban mit 1700 Mann aus, die ihm noch uͤbrig waren, indem er beynahe 2000 Mann verlohren hatte. Sie koſtete uns 3665 Mann an Todten und Verwundeten. Der General-Major Keppel ward zum Gouverneur ernannt.
Hierauf folgte die Belagerung von Aire und St.Belagerung von Aire und St. Venant. Venant; wir brachen den 2ten September dahin auf, und beyde Orte wurden den 5ten berennet. Der Fuͤrſt von Anhalt fuͤhrte die Belagerung von Aire, der Prinz von Naſſau aber die von St. Venant. Um dieſe Zeit fieng der Feind einen Transport von Kriegs - geraͤthſchaften und Lebensmitteln auf, welcher auf dem Fluſſe Lys in Bothen zu uns gefuͤhret ward, welchen er wegnahm und verwuͤſtete, eine große Anzahl von der Bedeckung niedermachte oder verwundete, und 800 Gefangene machte. Dieß hielt indeſſen die Bela - gerung keinen Augenblick auf; denn St. Venant ergab ſich den 30ſten, und Herr Bruyn, der Jngenieur, ward daſelbſt zum Commendanten ernannt. Wir hattenCdabey34dabey 940 Mann an Todten und Verwundeten verloh - ren. Der Franzoͤſiſche Befehlshaber ward nachmals we - gen ſeiner ſchlechten Gegenwehr in die Baſtille geſchickt.
Vor Aire wurden die Laufgraͤben den 12ten September auf zwey Seiten geoͤffnet. Den 21ſten thaten die Belagerten einen Ausfall, der aber mit Verluſt von 40 Mann zuruͤck geſchlagen ward. Den 23ſten bemaͤchtigten wir uns einer Redoute nach geringem Widerſtande. Um dieſe Zeit uͤber - gab der Marſchall Villars das Commando der fran - zoͤſiſchen Armee dem Marſchall Harcourt, welchen der Koͤnig zu dem Ende abgeſchickt hatte. Den 8ten October nahmen wir eine andere Redoute mit ſtuͤrmender Hand ein, und bemaͤchtigten uns in der Nacht des bedeckten Weges. Nach vielen Arbeiten und Beſchwerden von unſerer Seite verlang - te der Feind den 3ten November zu capitulieren, und den 12ten marſchierte General Goesbriant der Gouverneur mit 3628 Mann aus, 1500 Verwun - dete nicht mitgerechnet, welche in der Stadt blieben. Unſer Verluſt beſtand in dieſer Belagerung in 7000 Mann an Todten und Verwundeten. Der Graf von Naſſau-Waldenburg ward zum Gouverneur der Stadt ernannt, worauf unſere ganze Armee auf die Ebenen von Ryſſel ruͤckte, wo ſie ſich den 15ten trennte, und in die Winterquartiere gieng. So endigte ſich dieſer Feld - zug, der zugleich fuͤr mich der letzte in dieſer Gegend war.
Vielleicht hat man zu keiner Zeit und in keinem Lande, ſelbſt die durch Caͤſars Siege ſo beruͤhmten Ge - genden nicht ausgenommen, ein Beyſpiel von einem ſo ſchnellen Fortgange der Waffen, als die alliirte Ar - mee in dieſem Kriege hatte. Sie ſchlug jederzeitweit35weit zahlreichere Armeen wohl disciplinierter, und mit allem uͤberfluͤßig verſehener Truppen, welche noch dazu von verſuchten und beruͤhmten Feldherren befeh - liget wurden, die ihr jeden Schritt ſtreitig machten. Und doch konnten ſie in ihren ſtark befeſtigten Staͤdten nicht die geringſte Sicherheit finden; ſie fielen in je - dem Feldzuge in die Haͤnde der Alliirten, und die ſiegreichen Helden glaͤnzen auf jeder Seite der kriege - riſchen Geſchichte. Allein wie wenig Bewunderung verdienen ſie, nach den Grundſaͤtzen des buͤrgerlichen Lebens betrachtet, wo uns die Menſchlichkeit zwinget, die kinderloſen Aeltern, huͤlfloſen Waiſen, klagenden Wittwen und traurenden Freunde zu bejammern, wel - che Ludwigs XIV Ehrgeiz ungluͤcklich und elend machte.
Wir bezogen unſere Winterquartiere in Dornick,Schreckliche Geſchichte von den Je - ſuiten zu Dornick. wo der Graf von Albemarle jetzt Gouverneur war. Kurz vorher trug ſich in dem Jeſuiter-Collegio eine Geſchichte zu, welche die ganze Stadt in Erſtaunen ſetzte. Ein Schuſter, welcher nahe an dem Collegio wohnte, hatte eine huͤbſche Frau, und ward daher von einem der heiligen Vaͤter mehrmals beſucht, wel - cher Schuhe und Pantoffeln fuͤr ſich und ſeine Colle - gen beſtellte. Endlich befahl er der Frau, wenn ſie fertig waͤren, ſie zu ihm zu bringen, und das Geld dafuͤr abzuholen, welches die Frau auch that. Sie ward in das Collegium gelaſſen, kam aber nicht wie - der zuruͤck, welches den armen Mann und ſeine Nach - barn ſehr beunruhigte, als welche ganz natuͤrlich in dem Collegio nach ihr fragten, aber zur Antwort erhielten, daß ſie das Geld empfangen habe, und damit fortgegangen ſey. Da man in die Wahr - heit der heiligen Vaͤter kein Mißtrauen ſetzte, ſoC 2durfte36durfte in dem Collegio auch keine weitere Unterſu - chung angeſtellt werden, und das Schickſal der Frau blieb unbekannt. Einige Tage darauf ſchlich ſich ein Knabe in der Nacht in einen Garten nahe an dem Garten der Jeſuiten, Aepfel zu ſtehlen und ſahe bey dem Mondſcheine von dem Gipfel des Baumes, daß die heiligen Vaͤter beſchaͤftiget waren, einen tod - ten Koͤrper in ihrem Garten zu begraben. Der Knabe, welcher wußte, daß man die Schuſterfrau vermißte, erzaͤhlte ſeinem Vater, was er geſehen hat - te. Der Vater, welcher nicht weit von dem Schu - ſter wohnte, gab ihm ſogleich davon Nachricht, und beyde giengen mit dem Knaben zu dem Gouverneur, welcher zu der Obrigkeit ſchickte, die ſich auch in das Collegium verfuͤgte. Als man in den Garten kam, zeigte der Knabe die Stelle, wo man den Koͤrper begraben hatte, und als man nachgrub, ſo fand man wirklich die Schuſterfrau mit abgeſchnittener Gurgel und ganz zerriſſenen Kleidern. Die Vaͤ - ter ſtellten ſich als wenn ſie von der ganzen Sache nicht das mindeſte wuͤßten, und ſchoben die ganze ſchaͤndliche That auf zwey ihrer Collegen, welche unſichtbar geworden waren. Dieß war aller Erſatz, welchen der arme Mann fuͤr den Verluſt ſeines Wei - bes erhalten konnte, obgleich der Knabe betheuerte, daß er acht Perſonen mit Begrabung des Koͤrpers be - ſchaͤftigt geſehen habe. Der Schuſter, deſſen Nach - bar und ſein Sohn hielten es fuͤr das Kluͤgſte, ſich nach Holland zu begeben, wo ſie Proteſtanten wurden, um der unbarmherzigen Rache dieſer heiligen Vaͤter zu ent - gehen. Dieſe Geſchichte ward mir von verſchiedenen Of - ficiers erzaͤhlt, welche damals hier in Garniſon lagen.
Er gehet als Capitaͤn in Ruſſiſche Dienſte. — Hohlt den General Bruce zu Preuſſiſch-Holland ein. — Merkwuͤrdige Geſchichte von einem Manne in El - bingen. — Sie kommen zu Jaweroff an, wo ſich der Czar in der Stille vermaͤhlet. — General Bruce’s Rang und Anſehen. — Nachricht von der Ruſſi - ſchen Armee. — Jhre Staͤrke und Kleidung. — Feldzug wider die Tuͤrken. — Kriegesrath am Dnieſter. — Prinz Cantemir kommt zu ihnen, aber ohne alle Truppen. — Ein Schwarm Heu - ſchrecken. — Die Tuͤrken kommen zum Vor - ſchein. — Die Ruſſen ſtellen ſich an dem Pruth. — Fechten drey Tage mit den Tuͤrken. — Die Cza - rinn rettet die ganze Armee. — Der Koͤnig von Schweden uͤberwirft ſich mit dem Groß-Vezier. — Ruͤckmarſch der Ruſſen. — Die Tartarn fuͤhren des Oberſten Pitt Gemahlinn und Tochter weg. — Der Groß-Herr beſtaͤtigt den Frieden. — Capi - taͤn Bruce wird als Expreſſer nach Conſtantinopel geſchickt. — Beſchreibung dieſer Stadt. — Jhre Moſcheen. — Gelegenheit fuͤr Fremde. — Staͤr - ke. — Das Serail. — Scutari, ſchoͤne Ausſicht. — Der Hafen. — Vorſtaͤdte. — Das Zeughaus. — Die Luft und das Clima. — Haͤuſer der Tuͤr - ken. — Jnnere Regierung des Landes. — Reli - gion. — Gottesdienſt. — Die Peſtſpiele der Tuͤr - ken. — Jhr Eſſen und Trinken. — Ruhe. — Ue - bungen in ihrer Jugend. — Kleidung des andern Geſchlechtes. — Herrſchender Eigennutz. — Frey -C 3heiten38heiten der Ehen. — Concubinat. — Politik ihrer Religion. — Strenge gegen verliebte Fremde. — Jhre Geſetze in Schuldſachen. — Jn peinlichen Faͤllen. — Jhre Strafen. — Woher der Capi - taͤn ſeine Nachrichten gehabt. — Neue Schwierig - keiten in Anſehung des Friedens. — Veraͤnderung des Miniſterii. — Neuer Tractat. — Der Frie - de wird von neuem gebrochen. — Der Czar thut dagegen Vorſtellungen. — Das Miniſterium wird abermals veraͤndert. — Der Ruſſiſche Ambaſſa - deur wird in die ſieben Thuͤrme geſchickt. — Groſ - ſe Kriegesruͤſtungen.
Dieſen Winter lud mich der General Bruce, welcher Ruſſiſcher Feldzeugmeiſter und ein Großenkel des Jacob Bruce war, welcher mit meinem Großva - ter Schottland verlaſſen hatte, ein, in Ruſſiſche Dienſte zu treten, wenn ich es fuͤr rathſam hielt, die Preuſſi - ſchen zu verlaſſen. Er meldete mir zugleich, daß er ſich jetzt zu Elbingen in Preuſſen befinde, wo er ſich einige Zeit aufhalten wuͤrde, daher ich dahin kommen ſollte, wenn ich ſein Anerbiethen annehmen wuͤrde. So ſehr mir auch dieſer Antrag gefiel, ſo konnte ich mich doch nicht eher entſchließen, als bis ich meine Verwandten zu Berlin befragt hatte, von deren Freundſchaft ich hinlaͤnglich uͤberzeugt war, und dieſe riethen mir einmuͤthig, den Antrag anzunehmen. Nachdem ich nun meinen Abſchied als Capitaͤn bekom - men hatte, ſchickte ich mich zur Abreiſe an, und gieng1711. den 25ſten Maͤrz 1711 von Dornick ab. Jch rei - ſete uͤber Oudenarde, Gent und Saß, und kam den 30ſten nach Rotterdam, worauf ich uͤber Delft undHaag39Haag gieng, und den 1ſten April zu Amſterſtam an - kam, wo ich mit einem Hollaͤndiſchen Schiffe nach Koͤnigsberg ſegelte. Wir ſegelten den 13ten aus dem Texel, liefen den 2ten May in den Sund ein, und ankerten den 7ten zu Pillau, welches ein Fort und Hafen iſt, der dem Koͤnige von Preuſſen gehoͤret. Jch machte ſogleich dem Gouverneur meine Aufwar - tung, welcher mir ſagte, daß General Bruce an ihn geſchrieben und ihn gebethen habe, mich, wenn ich an - kommen ſollte, nach Elbingen zu befoͤrdern. Weil nun der Gouverneur glaubte, daß der General nicht ſo bald von Elbingen abreiſen wuͤrde, ſo bath er mich, ein Paar Tage bey ihm zu bleiben, und ihm einige Nachricht von dem letzten Feldzuge zu ertheilen. Nach dem Eſſen trat ein Officier herein, welcher dem Gou - verneur meldete, wie er von einem Herrn, der eben von Elbingen gekommen ſey, erfahren habe, daß der General denſelben Tag habe von Elbingen abreiſen wollen. Jch beſchloß daher, ſogleich abzureiſen, ließ mich in einem Bothe an das andere Ufer ſetzen, nahm ein Pferd nach Elbingen, und kam noch denſelben Abend daſelbſt an. Hier erfuhr ich, daß der General den Nachmittag abge - reiſet ſey, nachdem er einen Expreſſen von dem Czar er - halten hatte, ſo geſchwinde als moͤglich zu ihm zu kommen.
Der General-Major Balk, Gouverneur zuEr hohlt den General Bruce ein. Elbingen, ſagte mir, der General Bruce habe ihn gebethen, mich, ſo bald ich ankommen wuͤrde, ihm ſo gleich nachzuſchicken. Jch nahm alſo ſo gleich ein Pferd, ritt die ganze finſtere Nacht durch, und hohlte ihn den folgenden Morgen, den 9ten May, in Preuſſiſch-Holland ein, eben da er ſeine Reiſe fort - ſetzen wollte. Er empfieng mich ſehr guͤtig, und daC 4er40er ſahe, daß ich ſehr ermuͤdet war, ſo verlangte er, daß ich mich in ſeinen Schlafwagen ſetzen ſollte, wo ich wirklich den ganzen Tag ſchlief, indem ich ſeit der Mahlzeit in Pillau weder gegeſſen noch geſchlafen hat - te. Ein ſolcher Schlafwagen iſt in jeder Ruͤckſicht ein Wagen; nur der Boden iſt ſo lang, daß man in einem Bette ausgeſtreckt darinn liegen kann. Jch fand nachmals, daß jeder Officier bey der Ruſſiſchen Armee einen ſolchen Wagen hatte, welches bey ihren langen Maͤrſchen durch wuͤſte Gegenden gewiß ſehr nothwendig iſt. General Bruce hatte verſchiedene Preuſſiſche Artillerie-Officiers zu Ruſſiſchen Dienſten beredet, wovon ihrer zwey Jngenieurs wurden.
Unter Weges unterhielt mich der General mit ei - ner Geſchichte, welche ſich waͤhrend ſeines Aufent - haltes zu Elbingen zugetragen hatte, wo ein Mann durch ihn von dem Scheiterhaufen war gerettet wor - den. Dieſer alte Mann hatte einen einigen Sohn, welcher ein Wuͤrzkraͤmer in der Stadt war, und wel - chem er ſein ganzes Vermoͤgen unter der Bedingung abgetreten hatte, daß er ihn, ſo lange er lebte, unter - halten ſollte. Der Sohn war ihm gut begegnet, al - lein deſſen Frau behandelte den alten Mann ſo grau - ſam, daß er ausziehen, und ſich eine eigene Wohnung ſuchen mußte, worauf der Sohn, auf Anſtiften ſeines Weibes, ſich weigerte, etwas zu ſeinem Unterhalte zu gebeu, oder die Miethe fuͤr ihn zu bezahlen, und ſo gar drohete, ihn in Verhaft nehmen zu laſſen. Dieſe ſchaͤndliche Begegnung gieng dem armen Man - ne ſo nahe, daß er auch daruͤber von Sinnen kam, und in ſeinem Wahnwitze mit ſeinem Blute eine Handſchrift aufſetzte, worin er ſich mit Seel und Leibedem41dem Teufel ergab, wenn er ihm dafuͤr eine gewiſſe Summe Geldes verſchaffen wuͤrde. Um nun des Teufels Geſinnung zu erfahren, trug er das Papier auf einen Kreuzweg und grub es daſelbſt ein, kam auch mehrmals wieder an den Ort, zu ſehen, ob der Teufel ſeinen Antrag angenommen habe. Da er nun kein Geld fand, ſo ward er wider den Teufel aufgebracht, und ſchmaͤhete auf ihn. Einige Arbei - ter, die in der Naͤhe waren, und ihn mehrmals an dieſem Orte bemerket hatten, giengen einmal in ſeiner Abweſenheit dahin, gruben das Papier auf, und brachten es zur Obrigkeit, welche den alten Mann in Verhaft nahm, ihm den Proceß machte, und ihn zum Scheiterhaufen verurtheilte. Als der General die Geſchichte hoͤrte, ſo nahm er ſich des alten Man - nes an, und uͤberzeugte ſeine Richter, daß bloß ſeine gegenwaͤrtige bedraͤngte Lage, und die Furcht vor kuͤnftigem Mangel den alten armen Mann wahnwitzig gemacht habe, und daß nicht er, ſondern ſein unna - tuͤrlicher Sohn geſtraft werden muͤßte. Der Be - weis war leicht, und die Wahrheit entdeckte ſich ſehr bald ſelbſt. Der alte Mann ward in Freyheit ge - ſetzt, und der Sohn verurtheilt, ihm alle Vierteljahr ſeinen Unterhalt zu bezahlen, worauf der Vater voͤllig wieder zu Verſtande kam.
Den 17ten kamen wir zu Warſchau an, und denGeheime Vermaͤhlung des Czars. 29ſten zu Jaweroff, wo ſich der Czar ins Geheim mit der Czarinn vermaͤhlte, wobey der General gegen - waͤrtig war, und bey dieſer Gelegenheit zum General - Feldzeugmeiſter ernannt ward. General Bruce warDes Gene - ral Bruce Anſehen. damals Ritter von vier Orden, naͤmlich von dem An - dreas -, weißen Adler -, ſchwarzen Adler - und Elephan -C 5ten -42ten-Orden, und hier erhielt ich mein Patent als Ca - pitaͤn bey dem Artillerie - und Jngenieur-Corps. Jch begab mich von hier nach Lemberg, mich meinem neuen Corps gemaͤß zu kleiden, und ward daſelbſt an einen Kaufmann, Nahmens Gordon, empfohlen, welcher mir viele Hoͤflichkeit erwies. Als ich wieder nach Jaweroff kam, brach die Armee auf, und wir reiſeten in des Kaiſers Gefolge nach Soroka an dem Dnieſter, wo wir zu der Ruſſiſchen Armee ſtießen. Der Ort liegt 600 (Engliſche) Meilen in Suͤden von Elbingen.
Die Ruſſiſche Armee wird von einem Feldmar - ſchalle und in deſſen Abweſenheit von dem General von der Artillerie commandiret, welcher einen Gene - ral-Lieutenant und einen General-Major unter ſich hat. Ein Regiment Artillerie beſteht aus 2400 Mann Bombardier, Kanonier, Minierer und Hand - langer; außer welchen jedes Bataillon von der Ar - mee ein Feldſtuͤck von drey Pfund bey ſich hat. Die Armee wird nach Diviſionen gerechnet, deren jede aus neun Regimentern beſtehet, wovon immer eines Grenadier ſind. Jede Diviſion wird von einem Ge - neral, einem General-Lieutenant, einem General - Major und einem Brigadier commandiret. Ein Regiment beſteht aus zwey Bataillons oder acht Com - pagnien, und wird von einem Oberſten, einem Oberſt - Lieutenant und zwey Majors commandiret; eine Com - pagnie aber beſtehet aus 150 Gemeinen, welche von einem Capitaͤn, zwey Lieutenants, einem Faͤhndrich, zwey Sergeanten, und einem Fahnjunker comman - diret werden. Ueberdieß befinden ſich bey jeder Com - pagnie ein Capitaͤn des Armes, ein Quartiermeiſter,ein43ein Geiſtlicher, ein Feldſcherer, zwey Tambours, ein Zimmermann, fuͤnf Denzigs, oder Unterofficier, und funfzehn Fuhrknechte, zuſammen 183 Mann. Je - de Compagnie hat ihre eigene Fahne, daher deren bey jedem Bataillon fuͤnf ſind. Die Generals haben ſo wenig Regimenter, als die Feld-Officiers Compa - gnien; auch haben die Capitaͤns mit dem Solde, den Montierungs-Stuͤcken, dem Gewehre und der Re - crutierung ihrer Compagnien nichts zu thun, indem dieſes von einem Commiſſaͤr oder Zahlmeiſter beſorgt wird. Die Recruten werden allemal von den Gou - verneurs der Provinzen gefordert, und von ihnen ge - ſtellet. Ein Regiment bekommt ſeinen Nahmen von der Stadt oder Provinz, wo es zuerſt iſt errichtet worden, und behaͤlt denſelben zu allen Zeiten; ausge - nommen die Grenadier-Regimenter, welche nach dem commandirenden General der Diviſion genannt werden. Die Compagnien jedes Regimentes werden gemeinig - lich mit Zahlen von 1 bis 8 unterſchieden. Sie ſte - hen in einem Treffen jederzeit vier Mann hoch, daher die beyden vorderſten Glieder niederfallen. Des Czars eigene Diviſion beſtand damals aus vier Regi - mentern, deren jedes eine Compagnie Grenadiers hat - te, welche ſonſt kein Regiment hat. Das erſte die - ſer Regimenter, welches das Prebaſinskiſche hieß, beſtand aus vier Bataillons; das zweyte oder das Samenofskiſche beſtand aus drey, das dritte oder das Jngermanlandiſche aus drey, und das vierte oder das Aſtrachanſche aus zwey Bataillons; in allem dreyzehn Bataillons, die vier Grenadier-Compagnien mit ein - geſchloſſen. Jede Compagnie bey dieſer Diviſion hatte uͤberdieß noch einen Capitaͤn-Lieutenant. Auſ -ſer44ſer dem befanden ſich bey des Kaiſers Diviſion noch zwey andere Grenadier-Compagnien, welche aus Bombardierern, Kanonierern und Minirern beſtan - den. Bey jedem Bataillon in der ganzen Armee be - findet ſich wenigſtens ein Officier, welcher ein Jnge - nieur iſt.
Die Ruſſiſche Macht beſtehet, die Beſatzungen mit eingeſchloſſen, aus 200000 Mann zu Fuß, und 100000 Mann zu Pferde; die Koſaken und Kal - mucken nicht mitgerechnet, welche, wenn es noͤthig iſt, 150000 Mann in das Feld ſtellen koͤnnen. Die ganze Armee traͤgt weiße Huthſchleifen; die Cavalle - rie iſt blau gekleidet mit roth eingefaſſet; das Fußvolk gruͤn mit roth und die Artillerie roth mit blauer Ein - faſſung.
Die Armee, zu welcher wir uns zu Soroka be - gaben, beſtund aus fuͤnf Diviſionen, jede von 6000 Mann, welche von dem Feldmarſchall, Grafen Tſche - remetof, commandieret wurden. Die erſte Diviſion war des Czars eigene, die zweyte des Generals Wey - de, die dritte des Fuͤrſten Repnin, die vierte des Ge - neral Hallard, und die fuͤnfte des General Rentzel, in allem 30000 Mann zu Fuß, wobey ſich eine zahl - reiche Artillerie befand. Die Armee war zu einer Unternehmnng gegen die Tuͤrken beſtimmt. Es ſoll - ten noch 30000 Dragoner zu uns ſtoßen, welche ab - geſchickt waren, ein Tuͤrkiſches Magazin an dem Dnie - ſter ein wenig uͤber Bender zu zerſtoͤren, welches ſie auch bewerkſtelligten und die Tuͤrken daſelbſt ſchlugen, aber verhindert wurden, zu uns zu ſtoßen, daher wir auch nicht laͤnger auf ihre Ruͤckkunft warteten. Ue - berdieß befanden ſich 50000 Kalmucken und Tartarnund45und 20000 Koſaken in voͤlligem Marſche zu uns, mit welchen Verſtaͤrkungen wir 130000 Mann ſtark waren.
Da der Kaiſer nun entſchloſſen war, aufzubre -Feldzug ge - gen die Tuͤr - ken. chen, ohne auf die uͤbrige Macht zu warten, ſo ward Befehl gegeben, alle bey der Armee befindliche Wei - ber fortzuſchicken. Allein die Kaiſerinn drang dar - auf, daß ſie ihren Gemahl begleiten wollte, welches ihr auch zugeſtanden ward, worauf die Generals um eben dieſelbe Freyheit fuͤr ihre Gemahlinnen anhielten, damit ſie der Kaiſerinn aufwarten koͤnnten, welches ſie auch erhielten. Die uͤbrigen Officier-Weiber glaub - ten nun, daß ſie eben daſſelbe Recht haͤtten, und blie - ben, des Befehls ungeachtet, bey der Armee. Ob nun gleich dadurch das Gepaͤck unſerer Armee anſehn - lich vermehret ward, ſo war uns doch dieſer Umſtand am Ende außerordentlich vortheilhaft.
Es ſcheinet, daß unſer ploͤtzlicher Aufbruch durch das geheime Verſtaͤndniß mit Brancowen, Fuͤrſten der Moldau, veranlaſſet worden, welcher nicht allein mit ſeiner ganzen Macht zu uns zu ſtoßen, ſondern uns auch hinlaͤnglich mit Lebensmitteln und rauhem Futter zu verſehen verſprach, wovon er doch nichts halten konnte. Denn ſo bald der Großherr von ſeiner Em - poͤrung Nachricht erhielt, entſetzte er ihn ſeines Fuͤr - ſtenthums und gab daſſelbe dem Cantemir, Fuͤrſten der Wallachey, mit dem Befehle, ſich des Branco - wen zu bemaͤchtigen, und denſelben nach Conſtantino - pel zu ſchicken. Zugleich ward demſelben aufgetra - gen, eine Bruͤcke uͤber die Donau zu ſchlagen, den Uebergang der Tuͤrken uͤber dieſen Fluß zu erleichtern, indem ſie uns entgegen ruͤcken wollten. Allein, dieTuͤrken46Tuͤrken wurden in ihrer Rechnung eben ſo ſehr betrogen, als wir; denn da einige ihrer Befehlshaber dem Fuͤr - ſten Cantemir ſehr uͤbel begegneten, ſo verzoͤgerte er den Bau der Bruͤcke, an Statt ihn zu beſchleunigen, und ſchickte indeſſen einen Officier an den Czar, und ließ denſelben bitten, in aller Eil mit 30000 Mann zu ihm zu ſtoßen, indem er glaubte, daß dieſe Macht nebſt ſeinen eigenen Truppen hinlaͤnglich im Stande ſey, die Tuͤrken an dem Uebergange uͤber die Donau zu hindern. Da der Czar eben von dem Branco - wen war hintergangen worden, (denn er machte ſich nachmals bey den Tuͤrken ein Verdienſt daraus,) ſo trauete er dem Fuͤrſten Cantemir anfaͤnglich nicht, und hernach war es zu ſpaͤt, den Uebergang zu hindern.
Den 14ten Jun. gieng unſere Armee uͤber den Dnie - ſter, worauf der Czar einen Kriegesrath berief, der in des General Bruce’s Zelt gehalten ward, wobey man zugleich den Brief des Fuͤrſten Cantemir verlas. Der Czar war nunmehr der Meynung, vorwaͤrts zu ruͤcken, ohne auf die uͤbrigen Truppen zu warten, und alle Generals billigten ſolches, den General Hallard ausgenommen, welcher nichts ſagte. Da der Czar deſſen Stillſchweigen bemerkte, ſo befahl er ihm, ſei - ne Meynung frey zu ſagen. Der General verſetzte, da der Kriegesrath ſo einmuͤthig ſey, ſo wuͤrde er ſich nicht unterſtanden haben, einen Einwurf zu machen, wenn der Czar es nicht ausdruͤcklich befohlen haͤtte. Er ſagte hierauf, wie er ſich ſehr wundere, daß man das Schickſal des Koͤniges von Schweden nicht als ei - ne hinlaͤngliche Warnung anſehe. Dieſer Monarch ſey durch den Verraͤther Mazeppa zu einem Fehltritteverlei -47verleitet worden, und er glaube, daß ſich die Ruſſi - ſche Armee jetzt in aͤhnlichen Umſtaͤnden befinde. „ Der Fuͤrſt der Moldau, “ſagte er, „ hat uns be - reits hintergangen, und der Fuͤrſt der Wallachey kann ein gleiches thun. Und wenn auch er ſelbſt es gut meynet, ſo kann es ihm an Macht fehlen, uns zu die - nen; denn es iſt ſehr zu fuͤrchten, daß ſeine Truppen, welche ſeit langer Zeit an die Tuͤrkiſche Regierung ge - woͤhnt ſind, nicht gleicher Meynung mit ihm ſeyn werden. “— Und dieß traf auch vollkommen ein.
Nichts deſto weniger ward der Marſch beſchloſ -Cantemir kommt allein zu uns. ſen, und wir brachen noch dieſelbe Nacht auf, die große Hitze am Tage zu vermeiden. Wir marſchir - ten drey Naͤchte lang durch eine wuͤſte duͤrre Heide, wo wir auf dem ganzen Wege keinen Tropfen Waſſer hatten, welches ſowohl die Menſchen als das Vieh aͤußerſt mitnahm. Den 18ten langten wir an dem Pruth an, wo wir viele von unſern Bagage-Pferden einbuͤßten, welche zu gierig getrunken hatten. Den 19ten giengen wir bey Jaſſy, der Haupt - und Reſi - denzſtadt des Fuͤrſten der Moldau, uͤber den Fluß. Hier kam der Fuͤrſt Cantemir mit einer geringen Be - gleitung ganz allein zu uns, indem ſowohl die Mol - dauiſchen als Wallachiſchen Truppen ihn aus Furcht vor den Tuͤrken verlaſſen hatten. Wir ſetzten unſern Marſch laͤngs dem Pruth fort, bis zum 21ſten, daEin Schwarm Heuſchrecken. wir auf einen fuͤrchterlichen Schwarm Heuſchrecken ſtießen, der, wenn er ſich erhob, die ganze Armee als eine Wolke uͤberſchattete. Sie hatten nicht allein al - les Gras auf dem Felde, ſondern auch die Blaͤtter und die zarte Rinde an den Baͤumen aufgefreſſen. Hier verlohren wir wieder einen Theil unſerer Bagage -Pferde48Pferde aus Mangel an Futter. Es war dabey merk - wuͤrdig, daß die Heuſchrecken unſere Armee niemals verließen, und ſo bald wir nur unſere Gezelte aufſchlu - gen, ſo ließen ſie ſich nieder und bedeckten das ganze Lager. Wir feuerten die Kanonen und das kleine Gewehr ab, und ſtreueten Pulver auf den Boden und zuͤndeten es an, ſie zu vertreiben; aber alles verge - bens. Sie begleiteten uns auf unſerm MarſcheDie Tuͤrken kommen zum Vorſchein. laͤngs dem Fluſſe, bis zum 27ſten, da wir die Tuͤrki - ſche Armee entdeckten, welche eben uͤber den Fluß ge - hen wollte. Der General Janus ward zwar ſogleich mit einem Corps und 12 Kanonen abgeſchickt, ihnen den Uebergang ſtreitig zu machen. Allein es war zu ſpaͤt, denn die Haͤlfte der Armee war bereits uͤber den Fluß, ehe er ankommen konnte, daher er es fuͤr das kluͤgſte hielt, ſich zur Armee zuruͤck zu ziehen. Es war in der That erſtaunlich, daß wir von einer ſo zahlrei - chen Armee, welche aus nicht weniger als 200000 Mann beſtand, nicht eher die geringſte Nachricht hat - ten, als bis wir ſie vor Augen ſahen.
Unſere Armee ſtellete ſich in einiger Entfernung von dem Fluſſe in Schlachtordnung, in der Hoffnung, ſie zu einem Treffen zu bringen. Allein, ſie hielten ſich uͤber einen Kanonenſchuß von uns entfernt, und dehn - ten ihre zahlreiche Armee aus, um uns zu umringen, und uns von dem Fluſſe abzuſchneiden. Wir blieben unter dem Gewehre bis in die Nacht, und da wir ihre Abſicht entdeckten, ſo zogen wir uns in großer Unord - nung zuruͤck, den Fluß zu behaupten, wobey alle unſere Diviſionen in der Finſterniß von einander ge - trennet wurden, und da wir jetzt großen Mangel an Pferden litten, ſo verbrannten wir einen Theil unſererBagage -49Bagage-Wagen, damit ſie dem Feinde nicht in die Haͤnde fallen moͤchten. Es war zu verwundern, daß der Feind aus den vielen Feuern, welche wir in der Nacht machten, unſere Verwirrung nicht merkte, welche ihm die beſte Gelegenheit wuͤrde gegeben ha - ben, unſere ganze Armee zu Grunde zu richten, wel - ches er mit einem kleinen Theil der ſeinigen haͤtte be - werkſtelligen koͤnnen. Allein zu unſerm Gluͤcke ſchie - nen die Tuͤrken mehr auf ihre eigene Sicherheit, als auf unſern Untergang bedacht zu ſeyn, denn ſie waren ſo geſchaͤftig, ſich zu verſchanzen, daß ſie daruͤber auf uns keine Acht hatten. Bey Anbruch des Tages wurden unſere zerſtreuten Truppen wieder in Ordnung gebracht, und unſere Armee ſtellte ſich in ein geſchloſ - ſenes Viereck, wobey der Fluß die vierte Seite aus - machte, welches den Vortheil brachte, daß wir un - ſer Viereck laͤnger ausdehnen konnten. Unſere Wa - gen wurden zur Bedeckung der Damen in die Mitte genommen.
Auf der andern Seite des Fluſſes und uns gegen uͤber ſtanden die Crimmiſchen Tartarn, unter welchen der Koͤnig von Schweden ſein Lager aufgeſchlagen hatte, die Bewegungen unſerer Armee zu beobachten. Die Tartarn fielen uns, ſo oft wir zu Waſſer giengen, ſehr beſchwerlich; allein ſo bald wir nur einige Kano - nen gegen ſie ſpielen ließen, hielten ſie ſich in einiger Entfernung. Unſere Armee ward mit Spaniſchen Reitern umgeben, welches die einige Schutzwehr war, welche wir hatten.
Die Tuͤrkiſche Armee umgab uns auf allen Sei -Wir fechten drey Tage mit den Tuͤr - ken. ten, in der Abſicht, uns durch Hunger zur Uebergabe zu bringen, und dieß wuͤrden ſie gewiß in kurzer ZeitDbewerk -50bewerkſtelliget haben, wenn ſie nicht zu hitzig geweſen waͤren, uns anzugreifen, welches ſie drey Tage und drey Naͤchte hindurch thaten. Allein zum Gluͤck fuͤr uns griffen ſie immer nur eine Seite unſers Viereckes auf einmal an, welches uns denn in den Stand ſetzte, unſere abgematteten Truppen, ſo wie ſie es bedurften, abzuloͤſen, und unſere zahlreiche Artillerie zu gebrau - chen, welche eine große Niederlage unter ihnen an - richtete, und zum Gluͤcke war ihr Geſchuͤtz noch nicht bey ihnen angekommen.
Den vierten Tag, da der Czar erfuhr, daß wir nur noch drey Patronen ſowohl fuͤr das grobe Ge - ſchuͤtz, als auch fuͤr das kleine Gewehr hatten, gab der Czar Befehl, daß alle Officiers bey der ganzen Ar - mee nebſt einer gewiſſen Anzahl auserleſener Leute auf - ſitzen, und ihm folgen ſollten. Seine Abſicht war, ſich in der Nacht durch die Tuͤrkiſche Armee zu ſchla - gen, und durch Siebenbuͤrgen nach Ungarn zu gehen. Allein als die Czarinn von dieſem verwegenen Ent - ſchluſſe Nachricht bekam, und ſowohl die Gefahr vor - aus ſahe, in welche ſich ihr Gemahl ſtuͤrzen wollte, als auch das Ungluͤck, welches die ganze Armee be - treffen mußte, ſo fiel ſie gluͤcklicher Weiſe auf ein beſ - ſeres Mittel, welches uns alle von dem Untergange rettete. Sie ſammelte alles Geld, Silbergeſchirr und Geſchmeide, welches ſich bey der ganzen Armee befand, und ſtellte dafuͤr eine Obligation von ſich, daß ſie es den Eigenthuͤmern wieder bezahlen wollte. Mit dieſem anſehnlichen Geſchenke bewegte ſie den Groß - Vezier, daß er ſich zum Frieden willig finden ließ. Die Sache ward auch ſehr bald von dem Feldmar - ſchalle zu Stande gebracht, ohne daß der Czar das ge -ringſte51ringſte davon wußte, indem er ſeine gefaͤhrliche Unter - nehmung eben antreten wollte, welche aber nunmehr von der Czarinn gehindert ward, indem ſie ihm melde - te, daß der Groß-Vezier geneigt ſey, auf billige Be - dingungen Frieden zu ſchließen. Dieſes Beyſpiel weiblicher Klugheit ward von der puͤnktlichſten Erfuͤl - lung ihres Verſprechens begleitet, indem ſie nach ih - rer Ruͤckkunft das entlehnte Geld, Geſchmeide u. ſ. f. richtig wieder bezahlte. Die vornehmſten Bedingun - gen des Friedens von unſerer Seite waren, daß wir den Tuͤrken Azoph, Taganrock und Caminieck abtreten, und unſere Truppen aus Pohlen ziehen ſollten, zu deſ - ſen Sicherheit der Vice-Kanzler Schaffirow und der General-Major Tſcheremetof als Geißel ausgehaͤndi - get wurden. Sie beſtanden auch darauf, daß der Fuͤrſt Cantemir von der Moldau ihnen ausgeliefert werden ſollte; allein man gab vor, daß er bereits das Lager verlaſſen habe, welches denn auch die meiſten bey unſerer Armee glaubten, denn ſo bald man den Vergleich auf die Bahn brachte, verbarg die Cza - rinn ihn in ihrer eigenen Kutſche, wovon niemand et - was wußte, als der Bediente, der ihm zu eſſen brach - te. Der Czar ſchaͤtzte nachmals den Fuͤrſten Cante - mir jederzeit ſehr hoch, und gab ihm verſchiedene Laͤn - dereyen, ſowohl in Rußland als der Ukraͤne, nebſt ei - nem Jahrgelde von 20000 Rubeln.
Sobald der Koͤnig von Schweden von dem Frie -Der Koͤnig von Schwe - den uͤber - wirft ſich mit dem Groß - Vezier. densſchluſſe Nachricht bekam, kam er mit dem Tar - tar-Chan, mit welchem er damals auf das genaueſte verbunden war, zu dem Groß-Vezier, und fragte denſelben, was ihn bewogen habe, einen ſo uͤbereilten Frieden zu ſchließen, da er doch den Czar und ſeineD 2ganze52ganze Armee haͤtte gefangen bekommen koͤnnen. Der Vezier verſetzte, da der Großherr ihm voͤllige Gewalt aufgetragen habe, Krieg und Frieden zu ſchließen, ſo habe er den Ruſſen den Frieden nicht verſagen koͤnnen, da ſie ihn auf Bedingungen erwarteten, welche dem Großherrn ſo ruͤhmlich waͤren, und wodurch man mehr gewoͤnne, als man jemals haͤtte erwarten koͤnnen. Der Koͤnig antwortete, wenn er den Czar gefangen nach Conſtantinopel gefuͤhrt haͤtte, ſo haͤtte er alles eingehen muͤſſen, was man nur von ihm wuͤrde ver - langt haben, und ſetzte hinzu, daß, wenn der Vezier ihm nur 20000 Mann ſeiner beſten Truppen ge - ben wollte, ſo wollte er ſich anheiſchig machen, das Verſaͤumte wieder einzubringen. Der Groß-Vezier erwiderte: „ Gott behuͤte uns, daß wir den Frieden ohne Urſache brechen ſollten, indem ich bereits die Geißel angenommen habe! “ Poniatowsky, ein Pohlniſcher General von des Stanislaus Parthey, der gegenwaͤrtig war, und ſahe, daß der Koͤnig nun - mehr ſchwieg, antwortete: „ Es iſt noch ein Mittel, ohne den Frieden zu brechen, und dieſes beſtehet dar - inn, daß man dem Koͤnige 20 oder 30000 Mann der beſten Truppen gebe, womit er den Czar angreif - fen und ihn zu beſſern Friedensbedingungen zwingen kann. “ Der Vezier verſetzte: „ Das wuͤrde wenig - ſtens eine mittelbare Verletzung des Friedens ſeyn, indem darinn verglichen worden, daß der Koͤnig mit einer zahlreichen Tuͤrkiſchen Bedeckung durch das Ruſſiſche Gebieth in ſeine eigene Staaten ſoll zuruͤck gehen koͤnnen, worauf er, wenn er Luſt hat, ſeinen Frieden ſelbſt mit dem Czar machen kann. “
Koͤnig ſahe den Groß-Vezier hoͤhniſch an, und lachteihm53ihm in das Geſicht, ohne zu antworten, und als er weggehen wollte, drehete er ſich ſo kurz um, daß er auch des Groß-Veziers Kleid mit ſeinen Spornen fort - zog. Er ſetzte ſich hierauf zu Pferde und ritt im groͤßten Verdruſſe fort. Er machte hierauf allerley Anſchlaͤge mit dem Chan, uns mit den Tartarn unter Weges anzugreifen, daher der Groß-Vezier, als er ſolches erfuhr, uns mit 30000 Spahis verſtaͤrkte, welche uns bis an den Nieſter begleiteten. Der Ve - zier ſchickte uns auch verſchiedene Wagen mit Lebens - mitteln als ein Geſchenk zur Armee.
Da die Sachen nunmehr verglichen waren, ſoRuͤckmarſch der Ruſſen. brachen wir den 2ten Julii in guter Ordnung auf und marſchirten mit klingendem Spiele und fliegenden Fah - nen ab. Unſer Geſchuͤtz und Gepaͤck marſchirte zwi - ſchen uns und dem Fluſſe, unſere Spaniſchen Reiter aber wurden, jeder von zwey Mann, zwiſchen uns und den Tuͤrken getragen, damit ſie in Bereitſchaft waͤren, wenn etwa die Tartarn darauf beharren ſoll - ten, uns anzugreifen. Wir marſchirten dieſen Tag im Angeſichte der Tuͤrkiſchen Armee. Als wir auf - brachen, hatte der Oberſte Pitt das Ungluͤck, ſeineUngluͤck des Oberſten Pitt. Gattinn und Tochter, ein ſehr ſchoͤnes Frauenzimmer, zu verlieren, indem ein Rad an ihrem Wagen brach, daher ſie ſo weit zuruͤck blieben, daß die Tartarn ſich ihrer bemaͤchtigten, und ſie davon fuͤhrten. Der Oberſte wandte ſich zwar ſo gleich an den Groß-Ve - zier, welcher befahl, daß auf das ſtrengſte nachge - forſcht werden ſollte; allein es war nichts heraus zu bringen. Als der Oberſte nachmals erfuhr, daß ſie[beyde]nach Conſtantinopel gefuͤhret, und dem Groß - herrn uͤberreicht worden, ſo wirkte er ſich einen PaßD 3aus,54aus, und gieng nach Conſtantinopel, ſie daſelbſt auf - zuſuchen. Er ward daſelbſt mit einem Juͤdiſchen Doctor bekannt, welcher Medicus in dem Seraglio war, und ihm ſagte, daß vor kurzem zwey ſolche Per - ſonen, als er beſchrieb, in das Seraglio waͤren ge - bracht worden; ſetzte aber auch hinzu, daß, wenn ſich ein Frauenzimmer einmal daſelbſt befinde, es nie wie - der heraus gelaſſen wuͤrde. Der Oberſte wandte nichts deſto weniger alle nur moͤgliche Mittel an, we - nigſtens ſeine Gattinn wieder zu bekommen, wenn er ſie auch nicht beyde erhalten koͤnnte, und ward endlich ſo ungeduldig und klagte ſo ungeſtuͤm, daß man ihn auch in das Gefaͤngniß ſteckte, und es viele Muͤhe ko - ſtete, ihm durch Vorſprache einiger Geſandten wieder die Freyheit zu verſchaffen. Der Juͤdiſche Arzt ſag - te ihm nachmals, daß ſie beyde an der Peſt geſtorben waͤren, mit welcher Nachricht er ſich begnuͤgen und wieder nach Hauſe reiſen mußte.
Sobald der Großherr die Nachricht von dem ge - ſchloſſenen Frieden und den dadurch erlangten Vor - theilen erhielt, ließ er auf drey Tage oͤffentliche Freu - densbezeigungen anſtellen, und billigte das Verhalten des Groß-Veziers nicht allein durch einen ehrenvollen Empfang, ſondern auch durch ſchmeichelhafte Briefe und praͤchtige Geſchenke. Aus Mangel an Pferden gieng unſer Marſch ſo langſam von Statten, daß wir erſt den 11ten Julii nach Stepanowa kamen, wo wir uͤber den Pruth giengen, und den 14ten wieder an dem Dnieſter anlangten. Den folgenden Tag gien - gen wir uͤber dieſen Fluß, und kamen zu dem Lager, wo wir unſere Dragoner, Koſaken und Tartarn fan - den, welche ſich jetzt uͤber unſere Ruͤckkunft freueten,indem55indem ſie von unſerer traurigen Lage Nachricht gehabt hatten. Als der Baſſa, welcher uns bis dahin be - gleitete, dieſe Truppen ſahe, ſo ſagte er, daß wenn wir ſie bey uns gehabt haͤtten, wir der Tuͤrkiſchen Ar - mee uͤberlegen geweſen ſeyn wuͤrden. Unſere Armee trennete ſich jetzt und nahm verſchiedene Wege. Der Czar gieng nach Deutſchland und nahm den General Bruce mit ſich, ſchrieb aber erſt neue Verhaltungs - befehle fuͤr den Baron Schaffirow, und ſchickte michCapitaͤn Bruce wird nach Con - ſtantinopel geſchickt. damit, als einen Expreſſen, nach Conſtantinopel, daher ich mit dem Baſſa zuruͤck gieng, welcher uns hierher begleitet hatte, und welcher jetzt nur noch 2000 Mann bey ſich hatte, indem die uͤbrigen zu - ruͤck gegangen waren, ſo bald ſich die Tartarn ent - fernt hatten. Jndeſſen hatte der Großherr auf An - ſtiften des Koͤniges von Schweden den Frieden bereits zweymal gebrochen, und ihn eben ſo leichtſinnig wie - der erneuert. Der Czar hatte dieß befuͤrchtet, und darauf bezogen ſich denn die Verhaltungsbefehle, welche ich uͤberbringen mußte.
Auf unſerm Wege nach Adrianopel erfuhr ich vie - le Hoͤflichkeiten von dem Baſſa. Wir kamen den 2ten Auguſt daſelbſt an, und fanden daſelbſt den Baron Schaffirow und Grafen Tſcheremetof, welche bald darauf mit uns nach Conſtantinopel giengen, wo wir den 25ſten ankamen. Jn einiger Entfernung von der Stadt kam der Graf Tolſtoi, unſer Geſand - ter zu uns, welcher ſeit der Kriegeserklaͤrung in die ſieben Thuͤrme war geſperret, jetzt aber in Freyheit ge - ſetzt worden.
Dieſe Stadt liegt auf einer Landſpitze, welche inBeſchrei - bung dieſer Stadt. die See hinein gehet; ſie hat eine dreyeckige Geſtalt,D 4und56und 14 Engliſche Meilen im Umfange. Die Haͤu - ſer ſind faſt insgeſammt von Holz gebauet, und die Straßen ſo enge, daß in den meiſten zwey beladene Pferde nicht neben einander gehen koͤnnen. Die Haͤuſer ragen auch mit den obern Stockwerken ſo weit vor, daß man an manchen Orten bequem aus dem Fenſter des einen Hauſes in das Fenſter des gegen uͤber liegenden ſteigen kann. Dieſer große Fehler ruͤhret nicht von einem Mangel an Raum her, weil die Stadt einen Ueberfluß an Gaͤrten, großen freyen Plaͤtzen und geraͤumigen Hoͤfen hat. Er iſt indeſſen Urſache, daß eine Feuersbrunſt hier allemal ſo ſchreck - liche Verwuͤſtungen anrichtet, weil es jederzeit ſo lan - ge fortbrennet, bis ein Garten oder freyer Platz deſſen Wuth Einhalt thut. Der regulaͤrſte Theil der Stadt iſt der Beſeſtin, der mit Mauern und Thoren umge - ben iſt, wo die Kaufleute ihre Gewoͤlber haben, die nach einer ſo ſchoͤnen Ordnung eingerichtet ſind, daß ein Kaͤufer ſein Geſchaͤft in einer Viertelſtunde voll - bringen kann. Jede Art des Handels hat hier ihren eigenen Platz, und Abends um zehn Uhr werden alle Thore geſchloſſen. An einem andern Orte der Stadt befindet ſich der Hippodromus, ein laͤngliches Viereck, 400 Schritte lang und 200 breit, wo die Uebungen zu Pferde gehalten werden. Gegen das Ende, dem Seraglio gegen uͤber, befinden ſich zwey Obelisken, wovon der erſte, der aus einem einigen Steine beſte - het, 70 Fuß hoch iſt, und auf einem viereckigen Fußgeſtelle von Marmor ſtehet, welches mit verſchie - denen erhabenen hieroglyphiſchen Figuren gezieret iſt. Der andere iſt eine gewundene Pyramide, welche aus Steinen zuſammen geſetzt iſt, aber weder Zierrathennoch57noch Aufſchrift hat. Nahe dabey ſtehet die Schlan - genſaͤule von Metall und von betraͤchtlicher Hoͤhe, welche aus drey verſchlungenen Schlangen beſtehet, die mit ihren Schwaͤnzen auf dem Boden ſtehen, und oben drey Koͤpfe mit aufgeſperrten Rachen und ausgeſtreckter Zunge zeigen. Jn einiger Entfernung davon befinden ſich zwey andere Saͤulen, und zwar in einem großen Hofe, der zur Uebung mit Pfeilen und Bogen beſtimmt iſt, wo die Schuͤtzen ſehr oft nach einem Ziele, welches nicht groͤßer als ein Engliſcher Schilling iſt, aus einer Entfernung von 100 Schrit - ten ſchießen. Der Maidan, oder Paradeplatz iſt ſehr groß und geraͤumig, und dienet allen Staͤnden zur Erfriſchung.
Die vornehmſte Moſchee iſt die Moſchee St.Jhre Mo - ſcheen. Sophia, welche ehedem eine chriſtliche Kirche-war. Sie iſt 120 Schritt lang und 80 breit. An jeder Seite befindet ſich eine Halle oder ein Vorgebaͤude, welches auf 30 Saͤulen, jede 16 Fuß hoch, und mit ſchoͤnen Capitaͤlen geziert, getragen wird. Sie hat eine Kuppel, welche ſchoͤn vergoldet und mit vortreffli - cher Muſiv-Arbeit gezieret iſt. Der Fußboden iſt von Marmor und mit Decken belegt. Das Grab Conſtantins des Großen iſt noch vorhanden, und wird von den Tuͤrken ſehr verehret, ob ſie gleich ſonſt weder Gemaͤhlde noch Bildſaͤulen in ihren Moſcheen dulden. Dieß iſt aber auch das einige alte Gebaͤude dieſer Art, welches hier vorhanden iſt. Denn alle uͤbrige Moſcheen ſind von Groß-Sultans oder Groß - Sultaninnen gebauet, deren Nahmen ſie auch fuͤhren. Sie ſind nach eben dem Muſter gebauet, und nur in der Groͤße verſchieden, und haben dabey eine MengeD 5Spring -58Springbrunnen mit verſchiedenen Gemaͤhlden, ſo daß man nur eine beſchreiben darf, um ſich alle vorzuſtel - len. Die naͤchſte nach jener iſt die Moſchee der Sul - taninn Valide, welche mitten in einem großen vier - eckigen Hofe ſtehet, und mit gewoͤlbten Hallen umge - ben iſt, worunter ſich Springbrunnen mit Haͤhnen be - finden, damit ſich das Volk daſelbſt waſchen kann, ehe es in die Moſchee gehet. Sie hat nur ein eini - ges Thor, welches von einer ſehr hohen und mit weiſ - ſem und ſchwarzem Marmor gepflaſterten Halle um - geben iſt, welche auf 64 Saͤulen von rothem Mar - mor ruhet, deren acht von Porphyr ſind und nahe an dem Eingange ſtehen. Die Decke iſt mit Gemaͤhl - den und Figuren nach Tuͤrkiſcher Art gezieret. Die Halle iſt mit kleinen Kuppeln bedeckt, welche ſich rings um eine groͤßere befinden, und welche insgeſammt mit Bley gedeckt ſind. An den vier Ecken des Gebaͤudes befinden ſich vier hohe Thuͤrme, welche ſich mit einer Kugel oder einem halben Monde endigen, von wel - chen Thuͤrmen die Prieſter das Volk zu dem Gebethe rufen, indem ſie keine Glocken haben.
Die Hans oder Caravanſerais, welche eigentlich fuͤr fremde Kaufleute beſtimmt ſind, ſind eine große Bequemlichkeit. Die Hans beſtehen aus einem vier - eckigen Gebaͤude, welches in der Mitte einen großen Hof hat, in welchem ſich allemal ein Springbrunnen befindet. Die Mauern ſind ſehr ſtark, und die Fen - ſter ſind zur Sicherheit der daſelbſt wohnenden mit ei - ſernen Stangen hinlaͤnglich verwahret. Die Zim - mer beſtehen aus kleinen mit Bley gedeckten Kuppeln, wie an den Moſcheen. Die Hans beſtehen nur aus zwey Stockwerken, deren Zimmer nicht die geringſteGemein -59Gemeinſchaft mit einander haben. Das untere Stock iſt in Waarenlaͤger, das obere aber in Wohnzimmer fuͤr die Kaufleute getheilet, welche ſich aber alles uͤbri - ge zu ihrer Bequemlichkeit ſelbſt ſchaffen muͤſſen, weil ſie hier nichts als die leeren Mauern finden. Die Caravanſerais ſind ſchlechter, aber doch auf eben dieſelbe Art gebauet. Sie dienen fuͤr aͤrmere Fremde und fuͤr die Bedienten der Caravanen, daher ſie auch Staͤlle fuͤr die Kameele haben. Außer dieſen beyden Arten von Gebaͤuden giebt es keine oͤffentlichen Her - bergen.
Die Stadt iſt mit einer hohen und dicken MauerFeſtigkeit der Stadt. mit Zinnen nach morgenlaͤndiſcher Art umgeben, wel - che von einer Entfernung zur andern Thuͤrme hat, die von einem flachen Graben vertheidiget werden. Auf der Landſeite ſind dieſe Werke doppelt. Dieſe machen nebſt den ſieben Thuͤrmen die ganze Befeſti - gung der Stadt aus.
Das Seraglio ſtehet auf der aͤußerſten SpitzeDas Sera - glio. der Landzunge, und hat 4 Engliſche Meilen im Um - fange, wovon doch die Gaͤrten den groͤßten Raum einnehmen. Die ganze Bauart iſt irregulaͤr, indem es aus einem unordentlichen Gemiſch verworrener Ge - baͤude beſtehet, welche mit einer Menge leicht vergol - deter Spitzen und Kugeln ohne Schoͤnheit und Ord - nung gezieret ſind. Der vornehmſte Eingang iſt bey St. Sophia, und gleicht dem Thore einer alten ſchlechten Stadt, ohne Architectur und Verzierungen. Durch dieſes Thor giengen wir in einen großen Hof, wo ſich zur rechten Hand die Krankenzimmer, auf der linken aber Gewehrvorraͤthe fuͤr 1000 Mann befin - den. Aus dieſem Hofe kamen wir in einen andern,der60der mit zwey großen bedeckten Gaͤngen umgeben iſt. Zur Rechten befinden ſich die Kuͤchen und zur Linken Staͤlle fuͤr 100 Pferde. Weiter