PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ueber die heimlichen Sünden der Jugend
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Leipzig, beySiegfried Lebrecht Cruſius1785.
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Erster Abschnitt.

Von der Nothwendigkeit über die heimlichen Sünden der Jugend zu ſchreiben.

So manche Schrift fertigte ich ſchon aus, und faſt immer mit Muth und Freudig - keit. Nur die gegenwærtige fange ich mit ungemein traurigen Empfindungen an. Es geht mir faſt wie einem Baumeiſter, der einige ſchadhafte Theile an einem Hauſe bemerkt, auf Bitte des Bewohners die Re - paratur übernimmt, aber, ſo bald er eine genauere Unterſuchung anfængt, entdeckt, daſs alle Saulen und Schwellen morſch ſind. Wirklichhætteichnichtgeglaubt, da ich gegen - wærtige Schrift ankündigte, daſs das Uebel,(Von beimlichen Sünden.) (A)gegen2gegen welches ich ſchreibe, ſo gar weit um ſich gegriffen habe. Ich kannte Schulen, die davon angeſteckt waren, ich hatte Jüng - linge und Mædchen geſehen, denen es Ge - ſundheit, Muth und Freudigkeit, am Ende das Leben, raubte, ich hatte daher ſtarken Grund, deſſen weite Ausbreitung zu vermu - then: Daſs es aber faſt die ganze junge Welt angegriffen habe, glaubte ich doch noch nicht. Nun aber weis ich es leider, weis es mit ziemlicher Zuverlæſſigkeit, da ich die glaubwürdigſten Zeugniſſe davon, ſowohl von Angeſteckten, als Lehrern, die ihre Anſteckung entdeckten, im Hænden habe. Wenn man mir nur einiges Gefühl für die Glückſeligkeit meiner Brüder, nur einige Liebe zu der lieben kleinen Nach - welt, zutrauet, ſo wird man ſich leicht vor - ſtellen können, wie viel meine Gemüthrsuhe, durch dieſe traurige Entdeckungen, gelitten habe. Die Freuden ſind dahin, die ich ſonſt empfand, wenn ich ein Kind an mei - ne Bruſt drücken und küſſen konnte. Nachden3den Erfahrungen, die mir theils redliche Jünglinge, theils weiſe und rechtſchaffne Erzieher mitgetheilt haben, erblicke ich in den mehreſten Geſichtern die ſterbende Un - ſchuld, die ich küſſe mit der Empfindung, mit welcher man überhaupt ſterbende zu küſſen pflegt. Man kann auch leicht da - her muthmaſen, daſs ich mit ſehr ſchwerem Herzen die Feder itzo ergreife. Aber er - greifen muſs ich ſie. Man kann nicht im - mer ſich freuen mit den Frölichen, die Pflicht erfordert, daſs man auch bisweilen traure mit den Traurenden.

Von verſchiedenen Orten her wurde ich gebeten und gewarnt, dieſe Schrift nicht auszufertigen; und dieſe Bitten und Warnungen waren nicht ganz umſonſt. Sie haben wirklich dazu gedient, daſs ich mich entſchloſſen habe, jeden Ausdruck mit möglichſter Behutſamkeit zu wæhlen, welches ſonſt vermuthlich nicht würde ge - ſchehen ſeyn. Aber dieſen Bitten geradezu(A 2)Gehör4Gehör zu geben lieſs mein Gewiſſen nicht zu. Wenn man in des Nachbars Haus Feu - er ſieht, ſo muſs man ja doch Lærm ma - chen, wenn man auch gleich die Möglich - keit ſich vorſtellt, daſs vielleicht eine in der Nachbarſchaft liegende, Wöchnerin, nebſt ihrem Sæuglinge, durch das entſtandene Geræuſch, in Todesgefahr kommen könnte. Ich habe ohnlængſt in 2 Bogen, die ich un - ter dem Titel: Iſts recht über die heimli - chen Sünden der Jugend œffentlich zu ſchreiben? drucken lieſs, die Gründe, die man der Ausfertigung meiner Schrift ent - gegen ſtellte zu entkræften geſucht. Itzo ſetze ich noch einiges hinzu, um die Noth - wendigkeit, dieſe Schrift zu liefern, darzu - thun. Nach alle den Berichten, die ich in Hænden habe, liegt doch der vorzüglichſte Grund, von der Ausbreitung dieſes Uebels in dem Mangel an Belehrung, ſowohl bey Eltern und Erziehern, als auch bey der Jugend.

Die5

Die erſtern ſind groſsentheils, in An - ſehung dieſes Punkts, ganz unwiſſend und auf eine unverantwortliche Art unbeſorgt. Wenn ich auftrete und ſage: der gröſsere Theil der Kinder, iſt von dieſem Uebel an - geſteckt wie wenige werden es glau - ben! wie viele über meine Behauptung ſpot - ten! Iſt denn nicht ſchon dieſs ein Beweiſs, daſs in Anſehung dieſes Punktes, eine lieb - reiche Belehrung nöthig ſey? Beweiſst es nicht auch die Nachlæſſigkeit, die man in Rückſicht auf dieſes Uebel bewieſen hat? Iſts nicht unleugbar, daſs noch in vielen Schu - len, 2 und 2 in einem Bette ſchlafen? O ihr Lehrer und Erzieher! kenntet ihr die Aus - ſchweifungen der Jugend, wie wære es mög - lich, daſs ihr jemals ſo etwas hættet geſtatten können! Iſts nicht wahr, daſs auf manchen Schulen Schüler in einem Zimmer zuſam - men ſchlaffen, ohne einen andern Aufſeher als die æltern Schüler zu haben, die, wie ich gewiſs weis, mehrentheils die Verführer ſind, und die unſchuldigſten Kinder, durch(A 3)Lieb -6Liebkoſungen und Drohungen, zur Voll - bringung ihres ſchændlichen Willens zwin - gen? O ihr Lehrer und Erzieher, würdet ihr dieſes geſtattet haben, wenn ihr die Ge - fahren gekannt hættet, mit denen die Un - ſchuld umgeben iſt? Kann es geleugnet werden, daſs faſt in allen Schulen lange Mæntel getragen werden? O ihr Redlichen, wære es euch geſagt worden, was unter die - ſen Mænteln vorgienge, længſt würdet ihr, im gerechten Zorn, ſie abgeſchaft haben. Iſt es nicht eben ſo gewiſs, daſs Kinder, bey ihren Spielen, oft ohne alle Aufſicht gelaſ - ſen werden? daſs man dann mit ihnen am mehreſten zufrieden iſt, wenn ſie mit Ver - meidung alles Lærms, recht ſtille zuſammen ſind? O möchtet ihr es doch gewuſst ha - ben, was oft bey dieſen ſtillen Spielen vor - geht! ihr würdet dabey mehr Beſorgniſs als bey den lærmendſten Beluſtigungen em - pfunden haben. u. ſ. w.

Wenn7

Wenn nun Eltern, Lehrer und Er - zieher, zeither ſo wenig ſich um dieſes Ue - bel bekümmert haben ſo ſorglos wa - ren, daſs es um und neben ihnen ausgeûbt wurde, ohne daſs ſie es bemerkten: ſo kann man leicht errathen, daſs wenige oder keine Vorſtellungen und Warnungen zur Ver - meidung dieſes Uebels geſchehen ſind. Iſt dieſs nun nicht æuſerſt traurig, wenn man die Kinder in einer ſo verderblichen Unwiſ - ſenheit læſst? Wir zeigen ihnen die trauri - gen Folgen der Schwelgerey, der Faulheit, der Ungefælligkeit und jeder anderer Untu - gend, warum nicht auch die ſchrecklichen Folgen dieſer Sünde? Wir machen ſie mit der Verletzbarkeit der Augen bekannt, wa - rum lehren wir ſie nicht auch die Verletz - barkeit anderer Glieder? und wenn das al - les wahr iſt, wie kann man mir es verden - ken, wenn ich mich dem traurigen Geſchæf - te unterziehe, die Perſonen, deren Fürſorge die Jugend anvertrauet iſt, aus ihrem Schlum - mer zu erwecken?

(A 4)Wie8

Wie wahr dieſs alles ſey will ich nun mit Documenten belegen, die aus Briefen genommen ſind, die mir unter dem Siegel der Verſchwiegenheit anvertrauet ſind. Dieſs werde ich durch alle Abſchnitte thun. Die Briefe ganz abdrucken zu laſſen, habe ich nicht für gut gehalten, theils, weil ich dadurch das Buch ſehr weitlæufig machen, theils weil dadurch mancher Verfaſſer zu kenntlich werden würde, theils weil auch in manchen Briefen verſchiedenes vor - kommt, das anſtöſſig werden könnte.

I.

Die Menſchen in der Stadt waren ſo un - wiſſend oder vielmehr unachtſam in Anſe - hung dieſes Laſters, daſs ich ſelbſt die Söhne zweyer lebender Aerzte gekannt habe, welche es ſo heftig trieben, daſs man es ihnen gleich anſehen konnte. Die Lehrer aber bekûm - merten ſich nichts darum, und fragten über - haupt nicht darnach, ob ihre Schüler aufge - klærter, beſſer, tugendhafter und glûck - ſeliger, oder dummer, laſterhafter und elender wurden. Ihr Religionsunterricht beſtandaus9aus elendem Schulgeſchwætze und jæmmer - licher Polemick; und konnte keinen Men - ſchen vernünftiger, weiſer, tugendhafter und glückſeliger machen. Der Rektor, beſinne ich mich, ſahe es einigemal ſelbſt: ſo unge - ſcheut und öffentlich wurde es getrieben; aber, anſtatt nachzudenken, wie dieſes einge - riſsene Uebel gründlich zu heben ſey, anſtatt die Schüler von der Schædlichkeit und den ſchrecklichen Folgen dieſer Ausſchweifung ûberzeugend zu unterrichten, und ſie dadurch davon abzubringen, fieng er an, ihnen den Fluch zu geben, und ihnen Gottes ewige Strafen im Pfuhle der Hölle und der Geſell - ſchaft der Teufel anzukündigen, darum daſs ſie die Schule, dieſen Tempel des h. Geiſtes, ſo entweiheten. Auſſer der Schule alſo, dach - ten wir, wird es wohl erlaubt ſeyn. Von den natürlichen, unausbleiblichen, Folgen die - ſes ſchændlichen Verbrechens ſagte er kein Wort. Die Androhung zukünftiger Strafen aber rührte dieſe ſinnliehe Menſchen nicht; und von dem Elende, das ſich ſchon der Sünder in dieſem Leben unausbleiblich zu - zieht, hörten und wuſten ſie nichts. Sie trieben es alſo nach wie vor.

(A 5)Und10

Und nun, iſt dieſs nicht beweinenswerth! ſo lange, bis in mein ein und zwanzigſtes Jahr, blieb ich in der ſchædlichſten Unwiſſen - heit, und bleiben es, durch Schuld ihrer El - tern, Lehrer, Erzieher, Aufſeher etc. zu ihrem ſchrecklichſten Verderben, tauſend Jünglinge und noch mehr Mædchen. Niemals kam es mir in den Sinn, daſs dieſe Handlung ſchæd - lich ſey, und entſetzliche Schaudern erregende Folgen nach ſich ziehe. Ich hielt es für nichts weiter, als höchſtens etwas unanſtæn - diges, das man nicht öffentlich thun dürfe. Hætte ich nur einmal gehört, es ſey etwas ſchædliches, unerlaubtes und ſündliches! ich würde gewiſs davon abgeſtanden haben. Denn, Gott ſey Dank, von meiner frûheſten Jugend auf, war ich gewiſſenhaft, und be - gieng nicht leicht eine wiſſentliche Sünde. Nur, leider! war ich von dem, was Sünde, und ſchædlich und verderblich iſt, zu we - nig belehret. So lange ich auf der Schule war, hatte ich den Namen dieſer Sünde nicht gehört; vielweniger etwas von ihrer Schæd - lichkeit und Strafbarkeit. Von der Onanie hatte ich einigemal reden hören; aber nicht gewuſst, was dieſs für ein Laſter ſey. Alsich11ich auf die hohe Schule kam, hörte ich wie - der einigemal, etwan von Studenten, von der Onanie ſprechen; einesmals aber von einem Profeſſor, in den moraliſchen Vorleſungen, von den ſchrecklichen Folgen der Onanie wie wohl nur ein paar Worte. Denn er war ſelbſt ein Onaniſt geweſen, woran er auch noch ſtarb. Ich war begierig z[u]wiſ - ſen, was das für ein ſo ſchædliches Laſter ſey; ſchæmte mich aber Jemanden deswegen zu fra - gen, und meine Unwiſſenheit zu geſtehen. Ich hielt es alſo lange für etwas noch ſchændli - chers, für Beſtialitæt. So ſehr iſt zu rathen, ſich nicht des unverſtændlichen Wortes Onanie, ſondern des deutſchen, jedem von die - ſer Seuche Angeſteckten ſo gleich verſtænd - lichen, zu bedienen!

Anmerkung.

So ſehr auch der Verfaſſer dieſes Briefs da - rauf dringt, das eigentliche deutſche Wort das zu Bezeichnung dieſer Sünde beſtimmt iſt, zu wæhlen, ſo haben mir doch meine Freunde ſo dringend vorgeſtellt, daſs es anſtöſſig ſey, daſs ich mich deſſelben habe enthalten, und es nicht nur in dieſem, ſon -dern12dern auch in allen ubrigen Briefen, durch - ſtreichen müſſen. In der That glaube ich auch, daſs man die Jugend ſehr nachdrûck - lich von der groſsen Schædlichkeit dieſer Sünde belehren kann, ohne nöthig zu ha - ben, ſich dieſes Wortes zu bedienen. Man braucht ja nur von der Verletzbarkeit ge - wiſſer Theile zu reden, wie ich dieſs wei - ter unten zeigen werde.

II.

Sehen Sie! dieſs iſt meine Geſchichte: Die Geſchichte eines Unglücklichen, den die Un - wiſſenheit oder Unbeſonnenheit ſeiner El - tern, Lehrer, Freunde etc. der raſendſten Aus - ſchweifung überlieſs, ihn dadurch ſelbſt un - ausſprechlich elend machte; und der men - ſchlichen Geſellſchaft, deren irrdiſches und ewiges Wohl er, nach den ihm von Gotte verliehenen vortreflichen Anlagen und ſeiner brennenden Menſchenliebe, thætigſt befördert haben würde, entriſs. Und zugleich, ich wiederhole es nochmals mit Entſetzen, iſt dieſs die Geſchichte tauſend und aber tauſend deutſcher Jünglinge, die eben ſo verführt werden, eben ſo unwiſſend in Anſehung derent -13entſetzlichen Folgen dieſer Sünde bleiben; eben ſo der menſchlichen Geſellſchaft entzo - gen; und eben ſo elend und unglücklich werden. Freilich dieſs nicht alle in dem Grade wie ich, aber die mehreſten doch unglücklich und elend genug. Welches nur nicht an den Tag kömmt; indem Jeder aus Schaam ſeine Noth geheim hælt. Und wenn ich nun noch an das weibliche Ge - ſchlecht denke, unter welchem die Sünde eben ſo ſehr im Schwange geht, als unter dem mænnlichen, und eben ſo ſchreckliche Zerſtörungen und Verwüſtungen anrichtet, als unter dieſem; nur aber noch weit unbe - merkter und alſo ungehinderter: ſo ergreift mich Zittern und Entſetzen. O du armes, verkauftes und verrathenes, junges Menſchen - geſchlecht beiderlei Geſchlechts, will ſich denn Niemand deiner erbarmen, dich Nie - mand der verderblichſten Unwiſſenheit ent - reiſsen, und über die fürchterlichen Folgen der heimlichen Sünden unterrichten! O ihr Denker, Menſchenfreunde und Aufklærer unſers Jahrhunderts, wer ihr auch ſeyd; o ihr Fürſten und Obrigkeiten, o ihr Volks - lehrer, o ihr Aerzte, o ihr Eltern, Lehrer undErzie -14Erzieher, ſaget, wie wollet ihr es vor Gottes Richterſtuhle und dem Richterſtuhle eurer Vernunft verantworten, daſs ihr bisher das Menſchengeſchlecht nicht aufmerkſamer auf dieſe, im finſtern ſchleichende und im ver - borgenen unüberſehbare Verwüſtungen an - richtende, Peſt, gemacht habt; wie wollet ihr es verantworten, daſs ihr dieſe fruchtbar - ſte Quelle des menſchlichen Elendes nicht allgemeiner bekannt gemacht, und jederman entdeckt, und hinlængliche Mittel zur ſchleu - nigſten Verſtopfung derſelben ausfindig ge - macht habt? Eure Unbeſonnenheit oder Unwiſſenheit muſs unglaublich groſs ſeyn.

Anmerkung.

Die ſtarken Ausdrücke, die der Verfaſſer die - ſes Briefs braucht, ſind gewiſs nicht über - trieben. Wenn es wahr iſt, wie es denn wahr iſt, daſs ſo viele tauſend tauſend jun - ge Leute, in der gröſsten Unwiſſenheit und Unſchuld, ſich um die Geſundheit des Leibes und der Seele bringen, ihr Leben verkürzen, und zur thætigen Betreibung ihrer Geſchæfte untüchtig machen, unddie15die Perſonen, in deren Hænde ihre zeitliche und ewige Wohlfahrt gelegt iſt, darum ganz unbekümmert ſind wer kann da gelaſſen bleiben! Daſs dieſe Seuche auch das weibliche Geſchlecht angeſteckt ha - be, iſt leider wahr, und læſst uns eine ſehr ſchwæchliche und elende Nachkommen - ſchaft befürchten. Ich kann aber zur Ab - ſtellung dieſes Elends nicht viel thun, und muſs mich blos auf die Ausſchweifung des mænnlichen Geſchlechts einſchrænken. Doch werden verſtændige Eltern und Er - zieher gar vieles, was ich hier ſage, auch auf das weibliche Geſchlecht anwenden können.

III.

Der Anfang dieſer böſen Gewohnheit fællt ohngefæhr in mein 13tes Jahr. Ich ward nicht dazu verführt, habe nie das Laſter von irgend jemand ausuben ſehn, niemals davon reden hören, kannte damals den Unterſchied des Geſchlechts ganz und gar nicht, und ha - be das Laſter ſelbſt Jahrelang mit ſo volkom - mener Unſchuld des Herzens begangen, daſs nicht einmal eine Ahndung von Unrecht oder Sündlichkeit bey mir aufſtieg. Und ſo kön -nen16nen Sie das damit reimen, was ich vorher von den, in dieſen Zeitraum fallenden, religioeſen Geſinnungen von mir ſchrieb.

Ich fiel in meinem 13ten Jahre ganz von ohngefæhr in dieſe Sünde. Ich wiederholte ſie faſt alle 14 Tage, denn viel öfterer erinnere ich mich nicht es gethan zu ha - ben, und glaubte ich nicht anders, als daſs dieſs ein eben ſo unſchuldiger Kizzel wære, als wenn bey unſern Spielen, meine Kamma - raden mich unter dem Kinn kizzelten. Mei - ne Gemüthsruhe ward dadurch gar nicht ge - ſtört; ich konnte eben ſo freudig beten, ſelbſt unmittelbar vor oder nach begangner That beten, und begieng dieſs Laſter mit ſo völliger Unſchuld, daſs ich ſicher auch nie angeſtanden haben würde, es jedem, der mich gefragt hætte, ohne Rückhalt und ohne alle Schamröthe, zu entdecken. Auch entſtand dabey oder dadurch auch platterdings kein böſer ſündlicher Gedanke in meînem Herzen. Ich wuſste nichts vom Geſchlechtsunterſchie - de, noch weniger etwas vom Zeugungsge - ſchæfte, und nie war bey dieſem Kizzel, der damals wegen meiner jungen Jahre, keineſicht -17ſichtbare Wirkung verurſachte, die mindeſte böſe Begierde in mir erwachten. Wie her - nach etwas dadurch hervorgetrieben wurde, ſo wuſste ich mir zwar dieſs gar nicht zu erklæ - ren, bekümmerte mich aber auch weiter nicht darum, und blieb immer ſo ſehr in meiner Un - ſchuld, daſs ich nie argwöhnte, was ſtræfliches begangen zu haben, auch nie nach der That der geringſte reuige Gedanke mich beun - ruhigte.

IV.

Meine Eltern und Lehrer haben Religion, wahre aufs Herz wirkende Religion, frühzeitig und tief in meine Seele geprægt. Und noch dank ichs ihnen mit jedem Tage! Aber wollte Gott ſie hætten dieſem Laſter bey mir mit eben ſo vieler Einſicht und Sorgfalt entgegen gear - beitet, als den übrigen. Sie bemerkten mitten unter meinen frommen und guten Geſinnun - gen eine gewiſse Heftigkeit aller Begierden, in meinem Herzen, bey welcher es einzig und allein auf die Richtung ankam, die ſie beka - men, ob ich der nützlichſte oder elendeſte Menſch auf der Erden werden ſollte. Sie(Von heimlicden Sünden.) (B)muſsten18muſsten vermuthen, daſs ein Kind, das in al - lem æuſerſt heftig war, auch in dieſer Lei - denſchaft, bey ihrem Erwachen, nicht ſchlæf - rig bleiben würde. Sie ſtellten ihr zwey ge - wöhnliche Mittel entgegen, Schamhaftigkeit und Unwiſſenheit. Die erſte hat mich bis - weilen, noch viele Jahre nachher, von dem Verderben errettet, in das mich die zweyte geſtürzt hat. Ich habe das Verbrechen eher begangen, als ich nur gewuſst habe, daſs es Verbrechen dieſer Art giebt.

V.

Extract aus dem Schreiben eines Schul - lehrers in Deutſchland

Ich leugne es nicht, daſs ich Anfangs, in Anſehung der in neuern Schriften behaupteten Allgemeinheit dieſes Laſters, etwas zwei - felte, allein itzt bey ſo vielen traurigen Erfahrungen, die ich vor mir habe trete ich immer mehr dieſer Meinung bei. Die An - zahl derer, die in dieſen 6 Jahren meine Schü - ler geweſen, und es zum Theil noch ſind, belæuft ſich auf 94; und von dieſen haben 49 ihre Verführung mir ſelbſt eingeſtanden. Daſs19Daſs die übrigen 45 alle unſchuldig ſeyn ſoll - ten, darf ich wohl nicht annehmen: denn mit 6 von ihnen wurde ich darüber zu reden ver - hindert, die gleichwohl von Andern derſel - ben Verführung beſchuldigt wurden, und wer weiſs, wie manchem es unter den Uebrigen gelang, ihren Verfall recht geheim zu hal - ten. Dieſe 49 Verfûhrte waren, als ich mit ihnen ſprach, 9 15, die meiſten 10 13 Jahre alt. Sie alle hatten das Laſter mit in meine Klaſſe mitgebracht, und einigen war es ſchon ſeit ihrem 8ten Jahre bekannt. Sie alle kamen darinn ûberein, daſs ſie für ſich allein, oder mit andern, den Geſchlechtstrieb gereizt zu haben, geſtanden. Unbekannt mit dem Schrecklichen dieſer Ausſchweifung, ſagten faſt alle, daſs ſie von Andern, theils durch hieher zielende Unterredungen, theils durch Verfûhrung ſelbſt angeſteckt wæren.

Anmerkung.

Bey der groſsen Allgemeinheit dieſer Sûnde fællt alſo die Beſorgniſs einiger meiner Freunde, als wenn ich durch meine Schrift manchen Jungen Leuten ein neues Laſter lehren wûrde, gænzlich weg.

(B 2)VI. 20

VI.

Dieſs einzige will ich zu meiner wenn ſie irgend möglich iſt Entſchul - digung anführen, daſs ich wæhrend meines ganzen daſigen Aufenthalts, weder dieſs Laſ - ter ſelbſt, noch die Leib und Seel verderben - den erſchrecklichen Folgen deſſelben, kannte, auch nie die Abſcheulichkeit und Strafbarkeit deſſelben vermuthete, ungeachtet, ich geſtehe es zu meiner Schande, ich ſpæterhin die Un - rechtmæſſigkeit meines Betragens dunkel ahn - dete, dann war es aber zu ſpæt; das Leſen ſchlüpfriger, vorzüglich franzöſiſcher, Bûcher, worunter einige ſehr abſcheuliche waren, die mir durch ganz beſondere Zufælle in die Hæn - de geriethen, verdorben mich immer mehr, und endlich hielt mich die Gewohnheit mit eiſernen Ketten feſt, bis ich endlich die ent - ſetzlichen Folgen dieſes Uebels an meinem Körper und Geiſte empfand, nach einem be - ſondern Zufalle, den ich ihnen nachher zu er - zæhlen die Ehre haben werde. Entfernt von der Welt, auf den bloſſen Umgang der Schul Kammeraden eingeſchrænkt, von einem lebhaften und feurigem Temperamente hinge -riſsen21riſsen, begieng ich dieſs Laſter; da war nie - mand, der mich warnte, keiner, der dem Ge - fallnen wieder aufhalf; ich habe mich nach der Zeit erinnert, ein einzigesmal von einem unſerer Lehrer etwas wider dieſs Vergehen gehört zu haben, aber es war ſo dunkel und unbeſtimmt, daſs ich damals ſowohl nichts davon verſtand, als es auch gar nicht auf mich anwenden konnte.

Anmerkung.

Wer hat denn alſo das Elend ſolcher Un - ſchuldigen auf ſeinem Gewiſſen?

VII.

Mein Vater, der auf dem Lande wohnte, gab mich in meinem neunten Jahr, in die Schule eines benachbarten Stædchens, deſſen Rector in der ganzen Gegend den Ruff eines groſsen Schulmanns und Erziehers erhalten hatte, wofür er auch von einem jeden, nur nicht von denjenigen unter ſeinen Schûlern gehalten wurde, die ſchon zu einiger Ueber - legung fæhig waren, die jedoch nur immer ſehr mittelmæſſig ſeyn durfte, um einzuſehen, daſs ihr Rector zwar ein ehrlicher Mann,(B 3)zu22zu nichts in der Welt weniger aber, als zur Erziehung der Jugend, erſchaffen ſey. Eine næhere Beſchreibung von ihm, würde ûber - flüſſig ſeyn, da Dieſelben ihn ſchon ſelbſt in ihrem Rector Californius ſo gut geſchildert haben, daſs ich nichts mehr von ihm zu ſagen habe, als nur, daſs er noch weniger gelehrt, aber doch von gröſserer Rechtſchaffenheit war, wiewohl ſeine Schüler darum an ihm keinen beſſern Lehrer hatten. Seine beſon - dern Meinungen, in Abſicht auf Religion und Moralitæt, hatten auf dieſe vorzüglich nach - theilige Einflüſſe. Sie hatten es ſo oft ge - hört, daſs alle, auch die abſcheulichſten, Laſter gegen den Unglauben gar nicht zu rechnen wæren, und daſs ein Menſch, der auch alles was man Tugend nennt in ſich vereinigte, dennoch vor Gott ein gröſserer Sünder, als ſelbſt ein Vatermörder, wære, wofern er nicht im Glauben ſtünde. Sie hatten die Tugen - den der gröſsten Mænner nicht anders als glænzende Laſter nennen gehört, weil ſie nicht aus dem Glauben gefloſſen waren, und es war ihnen überhaupt gegen das Wort Tu - gend, ein wirklicher Haſs eingeflöſst worden, weil es heidniſch und unchriſtlich wære; wieleicht23leicht war es daher dieſen Unglücklichen möglich, ſich den abſcheulichſten Laſtern zu ergeben, die jedoch ihr Lehrer, welches ich zu ſeiner Ehre ſagen muſs, nicht kannte, und auch die Ausübung derſelben, wegen Mangel an Menſchenkenntniſs, an ſeinen Schülern nicht entdecken konnte. So war die Schu - le beſchaffen, in welcher mein Verſtand durch nützliche Wiſſenſchaften aufgeklært, und mein Herz der Tugend geöfnet, und für alle Eindrücke des Guten und Edeln empfæng - lich gemacht werden ſollte.

Anmerkung.

So übertrieben dieſe Beſchreibung zu ſeyn ſcheint, ſo gewiſs iſt es doch leider, daſs es Lehrer giebt, die die ganze morali - ſche Beſſerung ihrer Schüler im Glauben ſetzen, der, wenn man es genau unterſucht gar nicht Glaube an Jeſum Chriſtum, ſon - dern Glaube an die Symboliſchen Bücher iſt, mit dem ſich dieſe, und viele andere Sünden, gar wohl vertragen.

(B 4)VIII. 24

VIII.

Meine übrige Cammeraden waren gleich - falls mit dieſer Seuche angeſteckt: da war niemand, der uns vor dieſem Verderben warn - te: denn obgleich der Rector bey einigen die Abnahme ihrer Geſtalt wahrnahm; ſo beſaſs er doch zu viel Glaubensgnade und zu wnig Menſchenkenntniſs und Erfahrung, als daſs er den wahren Grund davon hætte entdecken können: alſo blieb ich noch ein Jahr lang in dieſem unglûcklichen Taumel der Leiden - ſchaft, bis endlich die Leſung einiger guten Schriften, beſonders Gellerts moraliſche Vor - leſungen und der Kinderfreund, meine Ver - nunft, und mein eingeſchlæfertes Gewiſſen wieder aufweckten.

IX.

Auszug aus dem Schreiben eines Arztes:

Im Anfange wuſste er gar nicht, daſs ſeine Handlung etwas unrechtes ſei, oder daſs ſie ihm Schaden bringen könnte, weil er davonnoch25noch gar nichts gehöret hatte; inzwiſchen verſichert er doch, daſs er es immer aufs ſorgfæltigſte habe zu verbergen ſuchen, und daſs er auch ſehr zeitig wollüſtige Regungen bey ſich verſpürt habe, ob er gleich von auſ - ſen her gar keine Veranlaſſung dazu hatte. Er trieb dieſs Laſter unwiſſend was es ſey? bis er nah * auf die Schule kam. Als er hier ein Jahr geweſen war, ſo war dieſes Laſter an einem ſeiner Mitſchüler entdeckt, es wurde öffentlich davon geſprochen, und nun erſt in ſeinem 16ten Jahre ward er davon völlig unterrichtet. Er er - ſchrack, nahm ſich vor es zu fliehen, auf ſeine ganze Beſſerung zu denken, und that ſich wirklich alle Gewalt an.

Alle dieſe Zeugniſſe, an deren Glaub - würdigkeit zu zweifeln ich gar keine Urſa - che habe, indem ſie mehrentheils von Per - ſonen herrûhren, die ihren Namen nicht genennt, und alſo keine Urſache haben, ih - re Sünden gegen mich zu entſchuldigen, vielmehr mit der gröſsten Aufrichtigkeit oft die Zügelloſigkeit ihrer Ausſchweitun -(B 5)gen26gen geſtehen, ſtimmen darinne überein, daſs dieſe Sünden anfænglich mit einer gewiſſen Unſchuld, aus Mangel der Belehrung von ihrer Schædlichkeit, begangen werden. Auch die übrigen Briefe, die ich dieſer Sache we - gen in Hænden habe, ſtimmen bey. Ich kann aber ihre Auſſage nicht wörtlich mit abdrucken laſſen, weil ſie zu ſehr in das Ganze verwebt iſt, und oft nur einen hal - ben Perioden ausmacht.

Wenn man unter dieſen Umſtænden beſorgen wollte, Aergerniſs zu geben, wenn man gegen dieſe Sünden ſchriebe, ſo wære dieſe Beſorgniſs eben ſo eitel, als wenn ein Prediger, der bey einer diebiſchen Gemeine angeſtellt iſt, ſich ſcheuen wollte, die Schæd - lichkeit und Strafbarkeit des Diebſtahls vorzuſtellen.

Um meiner Behauptung noch deſto mehr Gewichte zu geben, und darzuthun, wie unverantwortlich nachlæſſig man, in An -ſehung27ſehung dieſes Puncts, an manchen Orten ſey, und wie man unwiſſend ſogar alle Anſtalten ma - che, dieſe Ausſchweifung zu befördern, füge ich noch die Beſchreibung bey, die mir ohn - længſt einer meiner Freunde von einer ge - wiſſen anſehnlichen Schule machte:

X.

Die Eleven haben den reichlichſten Tiſch; mittags drey Gerichte mit Suppe, worun - ter zweymal Fleiſch, oder Fleiſch und Bra - ten iſt, und Abends ebenfalls wieder zwey warme Gerichte; bey jeder Malzeit jeder ein ziemliches Glas Bier, und die Woche drey - mal Wein. Den Winter, ſo bald Schnee ge - fallen iſt, dürfen ſie gar nicht auſſerhalb des Schulhauſes gehn; iſt dieſs nicht, ſo können ſie die Woche ein, zuweilen zweimal, inner - halb der Schulmauern aber, Ballſpielen oder Kegelſchieben; und nur ohngefæhr, alles zu - ſammen gerechnet, dreiſſigmal des Jahrs, von Oſtern bis gegen Auguſt, auſſerhalb der Mau - ern, nachmittags von 3 bis 6 Uhr, oder von 5 bis 6, niemals aber vor dem Schlaffengehnſpatziren28ſpatziren gehn Und nun das abſcheulichſte! von Abends 8 bis früh halb 5, oder im Win - ter halb 6 Uhr, ſollen ſie ſchlafen! Daſs dieſs im Sommer nicht geſchieht, kann man ſich vorſtellen, denn da iſts unmöglich; aber im Winter müſſen ſie es thun, da Licht in der, auch ûberdieſs mit keinem Ofen verſehenen, Kammer zu haben, bey oft ſchon erfolgter Strafe der Excluſion verboten iſt. Die Leh - rer ſind an dieſer Einrichtung unſchuldig; ſie iſt ihnen höhern Orts anbefohlen worden, ohne Gegenvorſtellungen anzuhören, um das, wegen Feuersgefahr ſo bedenkliche, Nachtſtu - diren, und ſollten ſie es wohl glauben? die ſtummen Kloſterſünden zu verhüten.

O ihr, die ihr berufen ſeyd, die Auf - ſicht über die Erziehung der Jugend ganzer Provinzen zu führen, ſucht euch doch die - ſes wichtigen Poſtens, der gewiſs einer der wichtigſten im Staate iſt, durch Erwerbung der, hierzu nöthigen, Einſichten würdig zu machen! damit nicht durch eure Schuld ſo vieles Unheil geſtiftet werde!

Nehmt29

Nehmt an, daſs der Aufſeher einer Schæ - ferey die Violine, Schallmeye und den Du - delſack, recht niedlich ſpielen, Engliſch, Deutſch und Pohlniſch, recht zierlich tanzen könnte, auch viele andere Geſchicklichkeit beſæſse; aber die Natur der Schafe ſo we - nig kennte, daſs dieſe armen Thiere unter ſeiner Direction ſchæbicht, raudich und faul würden, und elende Læmmer zur Welt bræchten! würdet ihr nicht ſagen, er ſey ein Mann, der ſeines Amts unwürdig wære? So ſeyd auch ihr, beſæſset ihr auch die ausgebreiteſten Kenntniſſe, eures Amts nicht würdig, ſo lange ihr die menſchliche Natur nicht kennet, und die euch übergebnen un - ſchuldigen Kinder ſo behandeln laſst, daſs ſie dahin welken, verdorren, und die Stamm - væter einer unglücklichen Nachwelt werden müſſen.

Zwey -30

Zweyyter Abschnitt.

Von der Schædlichkeit der heimli - chen Jugendſünden.

Seitdem ich meine Entſchlieſsung, von die - ſer Art Sünden zu ſchreiben, kund gemacht, und über das groſse Elend, das dadurch in der menſchlichen Geſellſchaft angerichtet werde, laute Klagen geführt habe: ſind ver - ſchiedene Briefe an mich eingegangen, in de - nen ich erinnert wurde, daſs die Vorſtel - lung, die ich von der Schædlichkeit dieſer Sünden gemacht hætte, übertrieben ſey. Ich habe über dieſe Erinnerungen ernſtlich nach - gedacht, indem ich die Schædlichkeit über - triebner Vorſtellungen gar wohl kenne, gar wohl weis, daſs ſie Abweichung von der Wahr - heit ſind, die allemal, ohne Ausnahme, über lang oder kurz, traurige Folgen nach ſich zieht. Aber alles, wovon ich mich ha -be31be überzeugen können, iſt dieſes, daſs die Schædlichkeit ihre Grade habe, und bey ei - ner Perſon ſtærker, bey der andern gerin - ger ſey. Es mag hier auch wohl heiſen, duo quum faciunt idem, non est idem. Der Verluſt von nützlichen Sæften muſs bey Er - wachſnen minder ſchædlich ſeyn, als bey Kindern, und die Nerven eines fünf und zwanzig jæhrigen Menſchen werden nicht ſo leicht geſchwæcht, als die Nerven eines acht bis vierzehn jæhrigen Knabens. Ein unbeſon - nener Aufwand, den jemand aus ſeinem Ue - berfluſſe macht, wird ſeine Haushaltung bey weiten nicht ſo zerrütten, als dieſs bey ei - nem andern geſchieht, der eben dieſen Auf - wand über ſein Vermögen macht. Einer - ley Handlung kann einen ſchwæchlichen Menſchen niederwerfen, und einen ſtarken nur unmerklich entkræften. Eine Aus - ſchweifung, die ſelten geſchieht, iſt minder gefæhrlich, als wenn ſie oft wiederholt wird. Dieſs alles, welches hoffentlich jeder, der weis, von welchen Sünden ich rede, verſtehenwird32wird, geſtehe ich zu, ohne daſs ich genö - thigt wære, etwas von dem, das ich hier und da in meinen Schriften, von der Schæd - lichkeit der bewuſsten Ausſchweifungen, ge - ſagt habe, zurück zu nehmen.

Noch immer behaupte ich, daſs dieſe Sünden ein Seel und Leib zerrüttendes und verderbendes Uebel ſind.

Kaum glaube ich, daſs es irgend eine Art von Sünden gebe, die ſo leicht zur Fertigkeit, zur tief einwurzelnden Fertigkeit, werden könne, als dieſe. Geſetzt, daſs mancher den Ausſchweifungen mit dem andern Geſchlechte ſich ergæbe, ſo kommen doch immer viele Un - terbrechungen, die die Ausſchweifung nicht ſo leicht zur Fertigkeit werden laſſen; gewiſ - ſe Verbindungen werden getrennt, und es ko - ſtet einige Zeit und Mühe, ehe wieder ande - re können geſchloſſen werden; es iſt dabey groſse Behutſamkeit nöthig, damit man nicht entdeckt werde, und an ſeinem guten Namen leide; es treten auch immer herbeFolgen33Folgen ein, die den Genuſs verbittern. Dieſs iſt aber alles bey dieſen Sünden nicht. Die Gelegenheit ſie zu begehen iſt ſtets da, oh - ne daſs man Plane entwerfen darf ſie zu finden; ſie iſt ungemein leicht zu verheimlichen, zu - mal bis hieher, da ſo wenige die Merkmahle kannten, durch welche ſie ſich dem ſcharfſich - tigen Blicke des Menſchenkenners verrathen; die traurigen Folgen derſelben treten gemei - niglich nicht eher ein, als bis die Fertigkeit ſchon tiefe Wurzel geſehlagen hat; und die Kræfte, ſie zu beſiegen erſchöpft ſind. Es kann daher leicht ein Unglûcklicher, der ſich auf dieſen Weg verrirt hat, dahin kom - men, daſs dieſe Sünden für ihn tægliches Bedürfniſs ſind, ſo wie des Brandeweins tæglicher und hæufiger Genuſs für manche Menſchen Bedürfniſs iſt. Und ſo wie man - che Brandeweintrinker ihre böſe Ge - wohnheit mit gerührtem Herzen erken - nen, den groſsen Schaden, den ſie ih - rem Leibe, ihrer Seele, ihrer Familie und ihrer ganzen Haushaltung, zufügen, bewei -Von beimlichen Sünden. (C)nen34nen, und doch immer ſorttrinken, ohne daſs es ihnen möglich wære, über die tief eingewurzelte Gewohnheit zu ſiegen: ſo können leicht auch ſolche Verirrte, wenn ſie in der Folge zu beſſern Einſichten kom - men, nicht mehr Kraft genug haben, ſich ein ſo nothwendig gemachtes Bedürfniſs ab - zugewöhnen, und gezwungen ſeyn, eine Le - bensart fortzuſetzen, welche ihr Gewiſſen verdammt und verabſcheut. Welches wohl ein ſehr ſchrecklicher Zuſtand ſeyn mag.

Wer alſo dieſen Sünden ſich ergiebt, gleicht einem Unbeſonnem, der von der Spit - ze eines ſehr ſteilen Gebirgs herabzulaufen anfængt. Er weis nicht wie weit er laufen wird. Es kann ſeyn, daſs er im Laufe ei - nen Stamm antrift, an den er ſich halten kann, es kann aber auch ſeyn, daſs der Ab - hang des Bergs ihn nöthigt, auch wider ſeinen Willen, fortzulaufen, und ſich in ei - nen Abgrund zu ſtürzen, den er am Ende ſeiner Laufbahn mit Entſetzen und Grauſenerblickt.35erblickt. Wenn nun dieſe Sünden auch nur dieſe einzige traurige Folge hætten, ſo iſt dieſe einzǃge traurige Folge ſo ſchrecklich, daſs man laut darüber klagen und alle Men - ſchenfreunde anflehen muſs, zur Abſtellung dieſes Uebels das Jhrige beyzutragen: Denn dieſe einzige traurige Folge iſt die Mutter einer ſehr zahlreichen Nachkommenſchaft, die der Mutter durchgængig æhnlich ſieht.

So würde ich philoſophiren, wenn ich über die Natur dieſer Vergehungen nachdæchte.

Man leſe folgende Documente, und zeige mir dann wo ich geirret, oder die Sa - che übertrieben habe.

I.

Ueberhaupt glaube ich, daſs das einzige Mittel, um ſich von dieſer Gewohnheit zu hei - len, das ſey, dem erſten Fluge der Einbildungs - kraft zu wehren. Widerſetzt man ſich nicht(C 2)dem36dem erſten Gedanken, und læſst ſich nur ver - fûhren, dieſem erſten Gedanken einen Augen - blick nachzuhængen, ſo ſind nachher alle Mit - tel umſonſt. Und in dieſer Lage hat meine Sinn - lichkeit ſo gar ſelbſt oft gegen Vernunft und Religion geſtritten, und Vernunft und Religi - on beſiegt, wenn ich dieſen Ausdruck brau - chen dürfte. Sobald man der Einbildungs - kraft nur einen Augenblick freyen Lauf læſst, und ſie nicht gleich bey dem erſten Gedanken bezwingt: ſo iſt nachher fûr Vor - ſtellungen der Vernunft und Religion alles verloren, weil der Verſtand, umnebelt von den Gauckeleien der Phantaſie, nicht mehr fæhig iſt, ihnen Gehör zu geben. Ich habe in Stunden ſolcher Verſuchung, wo ich beim erſten Schritt nicht auf meiner Hut war, oft ſodann alles zu Hülfe gerufen, wovon ich Rettung erwarten konnte. Meinem Verſtand allein trauete ich in ſolchen Stunden der Lei - denſchaft nicht mal, daſs er getreu genug ſeyn würde, mir alles zu ſagen, was er in ruhigern Stunden wuſste. Ich nahm Bibel, Geſangbuch u. a. Bücher, las allen Segen der Keuſchheit, alle Flüche der Unkeuſchheit; Gottes Allgegenwart, jenen Tag der endli -chen37chen Vergeltung, ſuchte ich mir möglichſt zu vergegenwærtigen, umſonſt! Ich ſank vor meinen Stuhl, und betete mit heiſser Inbrunſt um Rettung, umſonſt! Ich ſahe, ich wûrde fallen, ich ſahe, daſs dieſs unrecht ſey, und brauchte daher alle dieſe Mittel, aber es war als ob mein Verſtand unter der erhitzten Phan - taſie, und unter der Gewalt der Gewohnheit, welche dieſs Laſter beinahe bis zum körper - lichen Bedûrfniſs erhöhen kann, gefangen læge, und ich fiel.

Anmerkung.

Es iſt freilich ein ſehr weiſer Rath, dem erſten Fluge der Einbildungskraft zu wehren. Aber ach wie ſchwer, wie ſchwer mag er zu befolgen ſeyn für ſolche, die ſchon ſo ſehr zur Sinnlichkeit berab geſunken ſind, daſs ihre Einbildungskraft, an die unſchul - digſten Anblicke, Gedanken und Aus - drücke, eine Reihe erhitzende Bilder, durch die erworbene traurige Fertigkeit, zu ket - ten weis! zum Beweiſe mag das folgende Document dienen.

(C 3)II. 38

II.

Bey jedem reizenden Gegenſtande wurden die Geſchlechtstriebe in mir rege, welche dann in viehiſche Brunſt ausarteten. Ich fand bald junge Mædchen, welche ich zu meinem Umgang wæhlte, mit welchen ich jedoch weder Unzucht noch ſonſt un - erlaubte Dinge trieb. Allein, wenn ich nach Hauſe kam, und mich ganz allein überlaſſen war, dachte ich dann an das Vergnügen, das ich bey meinen Mædchen genoſſen, mahlte mir in der Phantaſie ihr Bild aufs lebhafteſte aus, und nun überlieſs ich mich aller nur mögli - chen Ausſchweifung, ſo, daſs ich nichts für unerlaubt hielt, wenn ich nur meine Begier - den befriedigen konnte. hierdurch kam es endlich ſo weit, daſs ich gar kein Mædchen oder auch ſchwangere Frau ſehen konnte, ohne daſs nicht der Trieb der Geſchlechts - luſt in mir rege geworden wære, und Befrie - digung verlangt hætte. Noch viel weniger durfte von der Begattung oder der Vermiſch - ung beyder Geſchlechter geſprochen werden, wenn ich nicht zur Ausſchweifung ſchrei - ten, und Böſes thun ſollte. Denn hier warddurch39durch die Aſſociation der Ideen mancher wol - luſtige Gedanke lebhaft, und ein Sturm der Leidenſchaften wütend, der alles Nachden - ken verjagte, und mich in einen Taumel ver - ſetzte, wo der Gebrauch der geſunden Ver - nunft gar nicht möglich iſt. Starke und hit - zige Getrænke, leckerhafte und übermæſſige Speiſen, erhitzten ebenfals die Wolluſt in mir, und die warmen Betten gaben nicht wenigen Anlaſs dazu

III.

Erwarte nicht von mir, Jüngling, Anwei - ſung, dieſem Laſter zu entgehen! die Mittel ſind bekannt: eine immerwæhrende Beſchæf - tigung, Mæſſigkeit und Fliehung der Ein - ſamkeit, ſind die vorzüglichſten; wird dieſs Verbrechen erſt zur Gewohnheit, dann wur - zelt es ſo tief ein, daſs alle dein Beſtreben es nicht gænzlich ausrotten kann. Auch dieſs fühl ich zuweilen, alle Gründe der Vernunft, alle Erfahrung, vermögen nichts wider eine alte Gewohnheit. Temperament, und ein lange geûbtes Laſter, laufen mit dem Ver - ſtande davon, wie ein wildes raſches Pferd, mit ſeinem Reuter.

(C 4)IV.40

IV.

So habe ichs o Gott!!! vier Jahre lang, bald mit kürzern bald mit længern Zwiſchenraum getrieben. Einmal machte ich ſogar eine Pauſe von zehn Wochen, aber, erwarten Sie ein fürchterliches Geſtændniſs! ich kann mich noch nicht davon losreiſsen.

Das konnte und muſste ich bald einſehen, daſs ich zum mindſten eine Thorheit be - gieng, lernte auch bald, aus einem aus dem Engliſchen überſetzten Buche, über die Ona - nie, und aus Tiſſot, die Schædlichkeit und Abſcheulichkeit dieſes Laſters; allein alles dieſes machte ſo wenig bleibenden Eindruck, daſs ich es ſogar einmal, den Tiſſot in der Hand, begieng! Vielleicht verabſcheuen Sie mich nun ganz, einer Aeuſſerung in Ihrem herrlichen Carlsberg zu folge? Ich ver - diente es und theils des Andenken an der - gleichen Scenen, theils meine Unfæhigkeit mich zu beſſern, hat mich ſelbſt ſchon gegen mich mit ſo vielem Abſcheu erfüllt, daſs mich der Gedanke des Selbſtmords ſchon ſeit anderthalben Jahren zuweilen ſtærker, zuwei - len ſchwæcher beunruhigt hat.

Anmerk -41

Anmerkung.

Der Verfaſſer des Briefs, aus dem dieſes Frag - ment genommen iſt, iſt etwas ængſtlich, daſs er vielleicht, durch Bekanntmachung deſſelben, würde erkannt werden. Ich bitte ihn ſich deswegen gænzlich zu beru - higen, indem ich ſorgfæltig alles weglaſſe, was ihn etwa im Zirkel ſeiner Freunde charakteriſiren könnte. Aus dieſem Frag - mente ihn zu errathen, iſt ſchlechterdings unmöglich:

Den Gedanken des Selbſtmords bitte ich ein vor allemal aufzugeben, und wohl zu überle - gen, daſs wir alle erworbene Fertigkeiten, Gute und Böſe, mit in jene Welt nehmen. daſs auch dieſe traurige Fertigkeit in einer andern Welt ſein Peiniger ſeyn werde, ſo wie die Unkeuſchheit auch den kraftloſen Greis peinigt, der ſie bey ſich zur Fer - tigkeit hat aufwachſen laſſen, wenn er auch gleich ſchon halb entkörpert iſt; daſs alſo ſchlechterdings kein ander Mittel zur Beſſerung ſeines Zuſtandes übrig ſey, als Beſſerung ſeiner ſelbſt. Dieſe Beſſe -(C 5)rung42rung wird ihm freylich æuſerſt ſchwer ſeyn, aber nicht unmöglich, wie ich in der Folge zeigen werde.

V.

Beten war, nach ſeinem Geſtændniſs, das einzige ihm bekannte Mittel, welches ihm etwas Erleichterung in ſeiner Bekümmernis verſchafte. Man hatte ihm von Jugend auf das Gebet als etwas Gutes, nicht allein angeprieſen; ſondern ſeine Mutter und Ver - wande, waren auch ſelbſt Beyſpiel für ihn darin geweſen, und er hatte alle Morgen ſeine Gebetsformel, vor dem Tiſche, laut herſagen müſſen. Sein Schullehrer lies ſichs ſehr angelegen ſeyn, mit Empfindung zu be - ten, welches ihm ſo wohl gefiel, daſs er jede Gelegenheit nutzte, wo er ihn hören konnte. Manchen guten Gedanken und Vor - ſatz brachte der Lehrer dadurch in ihm her - vor; zu welchen auch der mit gehörte: dem Laſter ganz zu entſagen. Er ſoll oft vor Be - gierde es zu laſſen, geweint haben. Das, was man kaum glauben ſollte, that er. Er kaſteie - te ſeinen Leib ſogar, durch Strick und Eiſen. So43So lange er den Trieb nicht bemerkte, und Schmerzen fühlte, gelang ihm auch ſein Vornehmen; ſobald ſich jener aber æuſserte, und der fand ſich, beym Anblick eines jun - gen ſchönen Mædchens, allemal, wenn die durch Kaſteiung hervorgebrachte Schmerzen auch vorhanden waren, ſo ſoll jener doch geſiegt und dieſe untergelegen haben. Oft ſchwur ers Gott ſogar zu: ſeinen Vorſatz ſich zu beſſern, auszuführen. Aber, wie es ihm immer ſchon gegangen war, ſo giengs ihm in der Folge öfters noch. Er faſste den Vorſatz von neuen, ſchwur Gott aufs neue, und fiel dem ohngeachtet immer wieder. So beklommen denn ſein Herz war, und ſo viel Bekümmernis alsdann ſeine Seele hatte, ſo wenig Rath und Troſt konnte er doch zu ſeiner Beſſerung finden; ja ſie ward ihm im - mer ſchwerer, je mehr er den Jahren der Mannbarkeit nahe kam

Etwas Beruhigung gab ihm einſt der Grund - ſatz, den er von einem guten Manne hörte, der aber ſeine Untugend nicht kannte, und deſſen Beyſpiel er ſich zum Muſter genommen hatte: der Chriſt könne leichter zur Hure - rey kommen, als zum Diebſtahl

Weil44

Weil er oft von ſeinem Lehrer kernhafte Sprüche aus der Bibel, ſo herzlich und rüh - rend, anführen hörte, beſonders wenn ge - meinſchaftliche Kommunion war; ſo fand er Geſchmack daran, und machte das Bibelleſen hernach zu ſeiner Beſchæftigung, und bey der Wiederholung der, von ſeinem Lehrer an - geführten, Sprûche, blieb er ſelten unge - rührt. Zu ſeiner gröſsten Verwunderung las er: daſs Paulus im Briefe an die Römer ſchon dieſes Laſters gedacht hatte. Seinem guten Freunde, der auch mit dieſem Laſter bekannt war, erzæhlte ers, und beyde vereinigten ſich, das Laſter zu verlaſſen. Aber es gieng ihm wie vormals. Es wurde nichts daraus. Endlich faſste er einmal den Rath wo auf: Wenn man die angewöhnte Sünden laſſen wollte, ſo müſste man auch beſonders die Gelegenheit dazu meiden. Dieſe Lehre that ihm, nach ſeiner Ausſage, vortrefliche Dienſte, ſo daſs er ſich nun immer mehr von der Sün - de losmachte. Und hætte er beſonders zu der Zeit auch gehört, daſs man ſich oft ſei - nes gefaſsten Vorſatzes erinnern müſſe, wie er nachmals erfuhr, ſo wære ihm ſeine Beſſe - rung nicht halb ſo ſchwer geworden.

In45

In Gellerts Schriften las er die Beſchrei - bung des Schadens der Wolluſt nicht ohne Nutzen. Jedoch ſoll er nicht ganz Herr über ſeine Leidenſchaft geworden ſeyn.

Dieſe Beweiſe ſind, glaube ich, hin - længlich, uns zu überzeugen, wie leicht die - ſe Sünde zu einer ſo traurigen Fertigkeit wird, daſs man ihr entweder gar nicht, oder mit unendlicher Mühe und Anſtrengung, ent - ſagen kann. Wovon der natürliche Grund wohl dieſer iſt, daſs insgemein die Erkennt - niſs alsdann erſt kommt, wann die beſten Kræfte verſchwendet ſind, und die Leiden - ſchaft eine unbændige Stærke erhalten hat.

Welch unabſehliches Elend mag nun wohl hieraus entſpringen! Ich bin freylich kein Arzt, und tiefe Einſichten in die Be - ſchaffenheit des menſchlichen Körpers kann man deshalb von mir nicht erwarten. Fol - gende Behauptungen wird mir aber doch vermuthlich jeder Arzt, der ſelbſt beobach - tet hat, zugeſtehen, da ſie nicht aus Specu -lation,46lation, ſondern aus Beobachtung entſtanden ſind.

Die Natur wirkt dahin am mehreſten, wo ſie den mehreſten Abgang hat. Der Tobackraucher ſpuckt vielleicht zehnmal mehr aus, als ein anderer, der vom Rauchto - back keinen Gebrauch macht, und die Na - tur erſetzt ſtets den Abgang des Speichels. Das Blut, das man abzapfen læſst, iſt in we - nigen Tagen wieder beygeſchaft. Folglich ſucht auch die Natur andere Sæfte, die ent - zogen werden, wieder zu erſetzen.

Die Sæfte, die dieſe Sünde raubt, müſ - ſen wohl die geiſtigſten ſeyn, weil ſie die wichtigſte Beſtimmung haben, und weil, wenn ſie auch auf den natürlichen Wegen weggehen, immer einige Düſternheit, Ver - droſſenheit und Schlafheit erfolgt. Um die - ſen Abgang zu erſetzen, muſs alſo die Natur ihre ganze Thætigkeit anſpannen, und, wenn er übertrieben iſt, muſs Gehirn, Magen,Nerve47Nerve und der ganze Menſch dabey leiden. Denn wenn die Natur ein beſtimmtes Maas von Nahrung nur zu verarbeiten hat, und genöthigt wird, dieſs faſt alles einem Theile zuzuführen, müſſen dabey nicht ſchlechter - dings die übrigen leiden?

Wenn ferner die Natur ſich des Ueber - fluſſes gewiſſer Sæfte auf dem natürlichen Wege entledigt, ſo ſind alle Muskeln des Körpers in Thætigkeit: geſchieht dieſs aber auf eine unnat[ü]rliche Art, ſo verhælt ſich der Körper faſt ganz leidend, nimmt alſo nothwendig nach und nach die Gewohnheit an, ſich gewiſſer Sæfte ohne alle Anſtrengung zu entledigen. Daher kommen denn die erbarmungswürdigen Klagen über die hæu - figen unwillkührlichen Entgehungen der beſten Sæfte.

Dieſs muſs nothwendig für die Seele die traurigſten Wirkungen haben. Es muſs daraus ein gewiſſes Unvermögen zum Den -ken48ken und zum Handeln entſtehen. Der Schluſs, auf den ich dieſe Behauptung gegründet ha - be, iſt dieſer: wenn die Seele trübe und - ſter denkt, wenn der Körper, durch wahres Bedürfniſs gedrungen, ſich gewiſſer Sæfte, auf dem Wege, den die Natur anwieſs, ent - ledigt, wie weit trüber und düſterer muſs ſie ſeyn, wenn dieſe Entledigung ein erkünſtel - tes Bedürfniſs wird, und auf eine unnatürli - che Art geſchieht. Ich wenigſtens habe bey vielen, von dieſer Seuche angeſteckten, einen hohen Grad von Verſtandsſchwæche endeckt.

Ja es muſs auch aus dieſer traurigen Fertigkeit wohl mehrentheils eine gewiſſe Verſchrobenheit und ſchiefe Richtung der ganzen Beurtheilungskraft entſpringen. Denn wer das Unnatürliche reizend finden, wer der zweckloſen Vergieſsung der edelſten Le - bensgeiſter mit Vergnügen zuſehen, und ſie als eine unſchuldige Freude betrachten kann, zu welchen Verrirrungen iſt dieſer nichtaufgelegt49aufgelegt! daher finden wir, daſs dieſe Sün - de mit den Verirrungen des menſchlichen Verſtandes gemeiniglich parallel gehe. Sie raſte ohne Zweifel am ſtærkſten, da das Mönchs - und Nonnenweſen auf kam. Es kann ja nicht anders ſeyn. Wir bemerken aber auch, daſs die gröſsten Tollheiten des menſchlichen Verſtandes in dieſen Zeitpunkt fallen.

Auch in unſern Tagen haben dieſe Sünden leider um ſich gegriffen, aber eben ſo die Raſereyen des menſchlichen Ver - ſtandes. Zu eben der Zeit, da von allen Orten her Klagen erſchallen, daſs faſt die ganze Jugend von dieſen heimlichen Sünden angeſtecket ſey, laufen auch Nachrichten ein, daſs man ſich bemühe Geiſter zu beſchwö - ren, und durch gewiſſe Ceremonien die See - len der Verſtorbenen und der Lebendigen herbeyzubringen. Welche Tollheit! Wie kann ich ſie mir anders erklæren, als daſs das Gehirn auf eine unnatürliche Art müſſe ſeyn zerrüttet worden?

(Von heimlichen Sünden.) (D)Es50

Es iſt mir zwar von verſchiedenen Ge - ſchwæchten das Gegentheil verſichert und betheuert worden, daſs bey dieſen Sünden, ihr Gefühl für das Wahre und Schöne nicht gelitten habe, und ich habe um ſo weniger Urſache, in ihre Verſicherung ein Mistrau - en zu ſetzen, da wirklich ihre Briefe in ei - nem ſehr regelmæſſigen und blühenden Sty - le abgefaſst ſind, und ihre Behauptungen durchgængig das Gepræge der Wahrheits - liebe haben; dieſs beweiſst aber nichts wei - ter, als daſs meine Behauptung nicht allge - mein ſey, ſondern ſo, wie alle andere Be - hauptungen, ihre Ausnahmen habe.

Die Selbſtgeſtændniſſe, die ich habe beydrucken laſſen, worinne man geſteht, daſs durch die unſchuldigſten Veranlaſſungen unreine Gedanken erzeugt würden, beweiſen, daſs ich nicht ganz unrichtig geſchloſſen habe.

Da ferner durch dieſe Ausſchweifung dem Menſchen die edelſten Sæfte entzogenwer -51werden, ſo muſs dieſes nothwendig Kraft - loſigkeit zum Handeln, Mangel an Auf - ſtrebung nach ſich ziehen, den Menſchen untüchtig machen, ſich über das Alltægliche zu erheben, und etwas zu unternehmen, deſ - ſen Ausführung Muth und etwas ungewöhn - liche Anſtrengung erfordert. Da, wo ein anderer handelt, wird ein ſolcher Geſchwæch - ter dulden, und bey Vorfællen, die alle Kræf - te des Ungeſchwæchten in Thætigkeit ſetzen, wird ein ſolcher lamentiren. Caſtration ſchwæcht allemal den Muth, und die unna - türliche Entziehung der edelſten Sæfte, zumal wenn ſie zur Fertigkeit geworden iſt, iſt wahre Caſtration.

Da es freylich ungleiche Differenzen giebt, wenn gleiche Gröſſen von ungleichen abgezogen werden, ſo muſs auch dieſe trau - rige Wirkung mehr oder weniger ſichtbar ſeyn, je weniger oder je mehr der Ge - ſchwæchte Kræfte zuzuſetzen hat. Die næm - liche Fertigkeit, die den Schwachen ganz nerven - und muthlos macht, kann einem(D 2)andern,52andern, dem die Natur mehrere Kræfte ver - lich, einen weniger ſichtbaren Nachtheil zuziehen. Schwæchen thut es die Kræfte aber allemal, welches alsdenn am ſicht - barſten ſeyn würde, wenn man berech - nen könnte, wie ſich die Summe des Guten, das ein von Natur ſtarker Mann, der ſich durch dieſe Ausſchweifung dahin reiſen lieſs, ſtifret, zu der verhalte, die er wûrde geſtif - tet haben, wenn er von Jugend auf ſeine Sinnlichkeit beherrſcht hætte. Ich ver - gieng, ſchreibt mir einer meiner Corre - ſpondenten nach und nach, hatte an nichts mehr einigen Gefallen, verlieſs die Univer - ſitæt, und, anſtatt meinen Weg in die Welt zu machen, vergrub ich mich in die Einſam - keit, wo ich zwar ziemlich geſund lebe, ſeit - dem ich alle nur mögliche Gelegenheit zu Ausſchweifungen vermeide, aber ich bin doch gar nicht der brauchbare Mann gewor - den, der ich, nach meinen Fæhigkeiten, werden konnte.

Wie viele tauſende würden æhnlicheKla -53Klagen führen müſſen, wenn ſie über ſich ſelbſt nachdenken, und ihren gegenwærtigen Zuſtand, mit ihrer vorigen geheimen Lebens - geſchichte vergleichen wollten.

Daſs auch Melancholie oft die herbe Frucht ſeyn müſſe, die dieſe Ausſchwei - fung hervorbringt, lehrt die Natur der Sache. Denn wenn, wie ich vorhin ſchon gezeigt habe, die Entledigung von gewiſ - ſen Sæften, auf dem Wege, den die Na - tur zeigt, ſchon einigen Trübſinn nach ſich zieht, wie vielmehr muſs dieſe Wirkung erfolgen, wenn man es auf eine unnatürli - che Art thut, wenn man es, welches faſt im - mer der Fall iſt, thut, mehr, weil es erkün - ſteltes, als weil es natürliches, Bedürfniſs iſt. Man kann alsdenn auf dieſem Irrwege leicht in den traurigen Zuſtand gerathen, daſs man in ewiger Nacht wandelt, wo über die rei - zendſten Gegenſtænde ein fürchterliches Schwarz gezogen iſt, das alle fröliche Aus - ſichten in die Zukunft verbirgt, auf allen Seiten Schreckbilder zeigt, und jede kleine Ge - fahr und Beſorgniſs in Rieſengeſtalt darſtellt.

(D 3)Dieſe54

Dieſe Melancholie wird noch mehr durch das Gefühl des Elends und durch das Bewuſstſeyn, ſich daſſelbe ſelbſt zugezogen zu haben genæhrt. Wie ængſtlich muſs eine Seele werden, die ſich ſelbſt anklagen, die ſich ſelbſt vorwerfen muſs: ich habe mich entmannt, ich habe meine edelſten Anlagen zerſtört, habe die Kræfte geſchwæcht, mit denen ich mein, und meiner Brüder Glück hætte befördern können!

Wenn man dieſer Melancholie nicht frühzeitig vorbauet, ſie durch Beſſerung, An - ſtrengung und Vertrauen auf Gott, zu mæſ - ſigen ſucht, wie leicht kann ſie eine ſolche Stærke erreichen, daſs ſie zur Verzweiflung führt. Wer es weis, daſs er ſeine Natur zer - rüttet, und ſeine Nerven geſchwæcht habe, wie gen[e]igt wird dieſer ſeyn, alle ſeine kör - perlichen Schmerzen, alle Krankheiten, die ihm zuſtoſsen, alles Elend, das er in ſeiner Nachkommenſchaft erblickt, dieſer ſeiner Ausſchweifung zuzuſchreiben! und wieſchwer55ſchwer iſt es einen ſolchen zu beruhigen und vom Gegentheil zu überzeugen.

Ich habe ſelbſt eine Perſon gekannt, die in dieſen traurigen Zuſtand gerathen war, die alle Schmerzen, die ſie erduldete, alle Widerwærtigkeiten, die ihr begegneten, auf Rechnung jener Verirrung ſchrieb, und mit Aengſtlichkeit jeden Biſſen genoſs, weil ſie glaubte, daſs ſie jeder Gottesgabe unwerth wære. Und ob ſie gleich ſich Mühe gab, dieſe Melancholie durch Gründe, die die Re - ligion darbietet, zu bekæmpfen, ſo glichen ihre Nerven doch ſchlaffen Saiten, bey de - nen kein Ton anſpricht, und der Gram, der an ihrem Herzen nagte, und ihr Mark aus - ſaugte, verzehrte ſie endlich.

Sollte nicht die Hypochondrie, die in unſern Tagen ſo epidemiſch iſt, auch groſsen - theils aus dieſer unſeligen Quelle entſprin - gen? Ferne ſey von mir die Liebloſigkeit, alle Hypochondriſten für ſolche zu halten,(D 4)die56die durch heimliche Sünden ihre Geſundheit zerſtört hætten. Die Quellen dieſes Elends ſind mannichfaltig, und eine ſehr ergiebige iſt der Mangel an körperlicher Arbeit, die ein altes hæſsliches Vorurtheil, den Aus - ſprüchen der geſunden Vernunft zuwider, für unanſtændig für Perſonen vom Stande und Gelehrſamkeit hælt. Aber bedenklich iſt es doch, daſs die Hypochondrie faſt in eben dem Grade ſich ausbreitet, in dem jene Seuche um ſich gegriffen hat. Nach den Zeugniſſen, die ich in Hænden habe, hat der gröſsere Theil der Gelehrten ſeine jugendli - chen Kræfte verſchwendet, der gröſsere Theil iſt hypochondriſch, wird es hieraus nicht wenigſtens wahrſcheinlich, daſs bey den meh - reſten dieſes Uebel aus jener unſeligen Quel - le, wo nicht ganz, doch zum Theil, ent - ſprungen ſey?

Der Körper leidet bey dieſen Aus - ſchweifungen nicht minder als die Seele. Man denke ſich Kinder, die itzo in ihrembeſten57beſten Wachsthume ſtehen, deren Natur it - zo beſchæftigt iſt, alle Nahrungsſæfte zur Ausbildung der Knochen, Nerven und des ganzen körperlichen Gebæudes, zu verarbei - ten, bis er ſeine Vollkommenheit ſo weit erreicht hat, daſs es den Ueberfluſs zur Ver - vielfæltigung ſeiner ſelbſt abgeben kann, die aber durch eine unſelige Verirrung da - rauf verfallen, dieſe Nahrungsſæfte zu ver - ſchütten muſs dabey nicht ihr ganzer Körper leiden? Iſts wohl möglich, daſs ſie, Je die Gröſse, Stærke und Kraft, erreichen werden, wozu die Natur die Anlage ge - macht hatte? wird die Störung der Natur in ihren Wirkungen nicht noch andere ſchreckliche Folgen haben? wird der be - ſtændige Reitz Sæfte beyzuſchaffen, nicht den Magen nöthigen, über ſein Vermögen zu arbeiten und ungeſunde, unverdaute Sæf - te, und mit ihnen den Saamen zu mannig - faltigen Krankheiten dem Körper zuzufüh - ren? Muſs das beſtændige Anſtrengen der feinſten Nerven ſie nicht ſchwæchen, und(D 5)ſo56ſo reitzbar machen, daſs jede Mühe und Be - ſchwerde die derjenige, der ein Mann iſt, lachend übernimmt, Leiden verurſacht, die leicht bis zu Verzuckungen gehen können? Ihr geſteht, daſs der allzuofte Genuſs des andern Geſchlechts entkræfte und Krank - heiten nach ſich ziehe? Wie weit mehr iſt dieſs von den Ausſchweifungen zu beſor - gen, von denen, ich rede! ſie fangen insgemein früher an, als man des Genuſſes des andern Geſchlechts fæhig iſt, die Nerven leiden dabey weit mehr, und ſie werden ih - rer Natur nach weit öfterer wiederholt. Die vielen zwanzigjæhrigen Greiſe, die man it - zo allenthalben, mit matten Augen, blaſſen und verfallnen Wangen, zitternden Gliedern und markloſen Knochen, umher ſchleichen ſieht, ſind faſt eben ſo viele Zeugen von der Wahrheit meiner Behauptung.

Einen von ihnen, der aufrichtig genug iſt, ſein entſtelltes Bild andern zur Warnung aufzuſtellen will ich reden laſſen. Er drückt ſich alſo aus:

So59

So ſtürzte ich mich durch Ausſchweifung muthwillig in ein Verderben, das mit guten Rechte das gröſste genennet zu werden ver - dient: denn wer iſt mehr Selbſtmörder, als der unglückfelige Onaniſt? Er hindert den Wachsthum ſeines Körpers, vermindert ſeine Leibes und Seelen Kræfte, opfert der ſchænd - lichſten Begierde ſeine Ruhe und Zufrieden - heit auf, und bringt ſich um den gröſsten Theil ſeines Lebens. O! könntet ihr mich hören, ihr jungen Freunde, ihr wûrdet mir glauben,: denn ich rede aus der Erfahrung. So viel ich auch Anſatz zum Wachsthume hatte und ſo regelmæſſig auch anfænglich mein Geſicht gebildet war, ſo erreichte ich kaum bey ausübung dieſes Laſters die mittel Sta - tur, und durch die heftige Zuckungen ward meine Geſichtsbildung ganz umgeændert, ſo, daſs ich anfieng ein æltliches und wüſtes An - ſehn zu bekommen. Die heftigſten Kræmpfe, die man ſich nur denken kann, ſind oft die Folter, worauf ich Stunden liege, und wo mir das Geſtændniſs abgelockt wird: Wie ſchændlich haſt du dich zugerichtet, und wie ſehr haſt du die Menſchheit geſchændet! In meinem Rückgrad iſt ſo wenig Mark und Kraft, daſs ich kaum eine Stunde auf -recht60recht oder krum ſitzen kann, ohne die gröſs - ten und heftigſten Schmerzen zu empſinden. Meine Augen ſind ſo blöd und ſtumpf, daſs ich eine etwas klare Schrift gar nicht leſen, und bey dem Leſen des gröſsern Drucks nur kurze Zeit ausdaucrn kann, am wenigſten aber des Abends ſehen darf. Mattigkeit und beſtændige Schlafſucht quælt und belæſtigt mich, und wenn ich des Morgens erwache, und munter ſeyn ſollte, bin ich ſchlaftrun - ken und gelæhmt. Oft entſteht über den Augenbraunen und Augenliedern ein ſtarkes Flippern, das ich kaum aushalten kann. Die Nerven ſind erſchlaft, und die Lebensgeiſter ziemlich eingeſchlæfert. Beſtændig habe ich Hunger, eſſe auch viel, ohne aber daſs es mir zu Gedeyen geht. Bange Traurigkeit, Un - zufriedenheit und Schmerzen, wühlt in dem Innerſten meines Herzens. Auch in den fröhlichſten Geſellſchaften bin ich traurig, miſsmuthig und Miſantrop: denn nur immer ſuche ich die Befriedigung meiner Leiden - ſchaft, die ich nirgends beſſer, als in der Ein - ſamkeit, oder in dem Umgange mit dem zweyten Geſchlechte, finde. Bey meinen Arbeiten vermiſse ich die Gedult, und die Ge -dæcht -61dæchtniſskraft. Hitze und Kælte ſind für meinen Körper unertræglich. Und ſo ſchlep - pe ich denn, mit der Hypochondrie, Melan - cholie und Hektick, behaftet, mein trauriges und unzufriedenes Leben peinlich dahin. Hætte ich næhere Kenntniſse von der Be - ſchaffenheit und dem Baue meines Körpers, vielleicht könnte ich noch mehreres und Be - ſtimteres ſagen, als ohne dieſe Kenntniſs nicht ſeyn kann. Doch ich habe gethan, ſo viel als ich konnte, und als Menſchenfreund muſs - te O! wollte doch die Vorſicht, daſs je - der Jûngling und jedes unſchuldige Mædchen von dieſem peſtilenzialiſchen Laſter abgehal - ten wûrde! Ja könnte ich euch doch alle verſammeln, die ihr dieſem Laſter ergeben ſeyd, oder euch demſelben noch ergebt, mich in eure Mitte ſtellen, und euch die Schandfleke zeigen, womit mich dieſes Laſter gebrandmarkt hat!

Was für einen traurigen Einfluſs ein ſolcher klæglicher Zuſtand auf die Fort - pflanzung des Geſchlechts haben müſſe, iſtleicht62leicht zu begreifen. Nachdem die beſte Kraft verſchwendet iſt, die Nerven ſchlaf worden ſind, trit ein ſolcher Unglücklicher in den Eheſtand. Wenn er nicht durch die Natur ungewöhnliche Kræfte empfan - gen hat, wie kann man von ihm erwarten, daſs er vermögend ſey, eine der erſten Pflichten des Ehemanns zu erfüllen? gleich einem Tantalus wird er nach dem Waſſer ſchnappen, nach dem ſein Durſt lechzet, und es wird verſchwinden ſo oft er es an ſich ziehen will. Welches Elend! O jam - mert nicht über das Elend ſolcher Unglück - lichen, die unter dem Zepter, des ſogenan - ten Statthalters Jeſu Chriſti, in ihrer Kind - heit entmannt wurden! Jammert über die - jenigen die ſich ſelbſt entmannten! Jene ent - behren ein Vergnügen, das ſie nicht kennen, dieſe entbehren eben daſſelbe und empfinden darnach den lechzendſten Durſt. Jene ha - ben darzu keine Aufforderung, dieſen iſt jeder Blick der Perſon, die ſie verwahrloſten, ein Dolch, der das Herzdurchbohrt. Jenemachen63machen ſchwerlich Anſpruch auf Vaterfreu - den, dieſe ſuchen ſie und finden ſie oft nicht. Viele bleiben ganz kinderlos oder welches weit ſchlimmer iſt, werden Væter von elenden Kindern, die, anſtatt ſie anzu - lachen, ihnen entgegen jammern, und durch ihren erbærmlichen Zuſtand ihnen die bit - terſten Vorwürfe, wegen ihrer jugendli - chen Ausſchweifungen, machen. Die vielen Abdrücke des menſchlichen Elends, die ſonſt nur in Haupſtædten, itzo aber auch in kleinen Stædten umher wandeln, und um - hergetragen werden, woher dieſe doch wohl kommen mögen! was die kleine Nachkom - menſchaft uns wohl mag entriſſen haben, auf deren Wangen noch vor funfzig Jahren Geſundheit und Frölichkeit læchelte! All - wiſſender, das weiſst du! Jch breche hier ab, und laſſe einen andern reden, der aus Erfahrung ſpricht.

I.

Das Gefûhl nie Anſpruch auf die Liebe ei - nes Frauenzimmers als Gattin machen zu dûrfen, und doch in ſich fühlen, welche un -erſchöpf -64erſchöpfliche Quelle von Freuden dieſs ſey, und welchen Vorzug dieſe Verbindung vor jeder andern, ſelbſt der beſten Freunde, habe; ein Feuer in ſeinem Innern brennen fühlen, ohne es vermögen zu næhren, oder auszu - löſchen; die Beraubung der Hofnung je den ſüſſen Vaternamen führen zu können o dieſs Gefühl macht mich raſend bringt Tod mit ſich ich bin zu ſchwach die Em - pfindung, die mein Inneres umwühlt, es zerfleiſcht mit Worten auszudrûcken. Hier ſind die Furien, die mit Schlangen den Verbrecher ohne Aufhören peitſchen, bis er endlich gænzlich ermattet, von niemanden bedauert, von jederman verachtet, ach! von keinem Kinde beweint, vor der Zeit ſei - ne befleckte Seele aushaucht, und ſeinen aus - gemergelten Körper, als wahren Koth, der Er - de wiedergiebt, der er nicht einmal einen gu - ten Dûnger verſchaft, denn er verweſete ſchon, ehe ihn die Seele verlieſs. Ich muſs hier abbrechen.

O Jüngling, der du dich dieſem Laſter er - gabſt, o könnt ich doch dieſs Bild dir leb - haft vor Augen ſtellen! Betrachte es, undkehre65kehre von dem Wege des Elendes, den du betratſt, zurück, ſo lange es noch Zeit iſt! Und wenn dich nichts dazu bewegen kann, nicht die Sorge für deine Geſundheit und dei - ne Selbſterhaltung, nicht die Vorſtellung, daſs du dich zu jedem Amte untüchtig machſt; daſs du die Hofnung deiner Familie, in dir ei - ne Stütze, Troſt und Freude zu finden, ver - nichteſt; ſo muſs es der Gedanke thun: du wirſt unfæhig, je die reinen erlaubten Freu - den der Liebe, die ſüſſeſten in der Natur zu genieſſen, je den Vaternamen zu führen; und verehlichſt du dich dennoch, ſo bedenke die traurigen Folgen die deiner harren! Er - ſtickung aller Liebe deiner Gattin, Ehebruch und die ſchrecklichen Gefæhrten deſſelben. Ich wage es nicht, dieſs Bild auszumalen. Ich warne dich nicht im kalten Prediger oder Kathedertone, ich werde nicht dafür bezahlt, dir die Freuden der Jugend zu rauben; nein es iſt die Stimme deines leidenden Mitbru - ders, der dir zuruft, der alles dieſs ſelbſt fühlt, in ſeiner ganzen Stærke fühlt, und der ſein Elend durch den Gedanken, dich zu retten erleichtern will. O könnt ich doch die Vorſtel - lung mit ins Grab nehmen, nur einen der dieſes lieſet, nur einen einzigen gerettet zu haben!

Von heimlichen Sünden. (E)Wie66

II.

Wie angenehm und ſüſs iſt dem Jüngling, bey heranwachſenden Jahren, die Hofnung, daſs er einmal mit einer vernünſtigen und liebenswürdigen Perſon in Verbindung tre - ten, und mit ihr geſellſchaftlich die Freuden des Lebens genieſsen ſoll! Wie zu ſo unverdroſs - nen Fleiſs ſpornt das ihn nicht an! Und ich wie niederſchlagen muſste es nicht fûr mich ſeyn, da ich bey reifern Jahren es inne ward, das traurige Loos, das mich traf! Freilich ſank darum mein Fleis nicht, Ich ſtudierte die Wiſſenſchaften um ihres eig - nen Werths und um des Dienſtes für die Welt willen. Allein was war mein Zweck dabey? Ich war doch Bürger der Welt, wuſste doch die Beſtimmung des geſelligen Menſchen, lern - te immer mehr die überausgroſse Wichtigkeit und Würde des ehelichen Standes kennen, ſah aus den zuverlæſſigſten Gründen ein, wie un - zertrennlich meine und des Staats Wohlfahrt mit demſelben verknüpft iſt, was für Selig - keit nur einzig und allein darinnen liegt: Kinder zu rechtſchafnen Menſchen und edlen Bürgern zu bilden, und in ſeinen Nachkom - men ſo bis auf undenkliche Zeiten gleichſam fortzuleben, und in ihnen der Welt auch langenoch67noch nach ſeinem Tod zu dienen etc. Und ich muſste noch auf denſelben Verzicht thun! Wie ergriff mich dieſer Gedanke oft mitten unter meinen ernſthafteſten Arbeiten, und fûllte mein Herz mit der bitterſten Weh - muth und unûberwindlichen Gram, der mir oft die unſeligſten Stunden machte; denn ein Gut, das man miſſen muſs, ſchætzt man oft am allergröſsten.

Und wie kann man erwarten, daſs ein ſo zerrütteter Körper, deſſen Lebensgeiſter verrauchten, ehe ſie noch wirken konnten, deſſen edelſte Sæfte verſchüttet, und deſſen Nerven ſchlaff gemacht wurden, Kraft ge - nug behalten werde, die Zufælle auszuhal - ten, denen wir ausgeſetzt ſind, die Krank - heiten zu überwinden, die uns die Vorſe - hung, oft als wohlthætige Reinigungsmittel, zuſchickt? Werden ſie bey epidemiſchen Krankheiten nicht fallen, wie bey einem Sturme, die Aepfel, in deren Innern der Wurm nagt? wird der unnatürliche, uner - ſetzliche, Verluſt der edelſten Sæfte nicht nach und nach Verdorrung und Hinſchwindung nach ſich ziehen?

(E 2)Ach68

Ach das ſind nicht Beſorgniſſe, die ſich auf bloſse Schlüſſe und Speculationen grün - den! mannichfaltige, unleugbare, Erfahrun - gen beſtætigen ſie. Suchet doch ihr Inſpe - ctoren der Gymnaſien die Zöglinge wieder zuſammen, die ihr vor zwanzig bis dreyſsig Jahren aus eurer Auſſicht entlieſet! werdet ihr ſie nicht eben ſo einzeln wieder finden, wie ein General die Soldaten eines Regiments, das eine mit Kanonen wohl beſetzte Batterie erſteigen muſste? Und welches iſt der Feind, der ſolche Verwüſtungen unter ihnen anrich - rete? Ihr werdet mir einige nennen können, deren Daſeyn ich nicht leugne. Verzærte - lung, Mangel an körperlicher Bewegung, übertriebnes Studieren und Unmæſſigkeit, ſind allerdings auch gefæhrliche Feinde des menſchlichen Lebens. Der gefæhrlichſte iſt aber immer die Ausſchweifung, von der ich rede, weil keine ſo allgemein iſt, keine ſo viele Lebensgeiſter koſtet, keine die Nerven ſo ſehr ſchwæcht.

Ich69

Ich ſelbſt, ſchreibt mir ein Prediger, kann für die Wahrheit dieſer Behauptung, gleichſam als Augenzeuge, ſprechen. In meinen akademiſchen Jahren führte mich der Zufall in eine Geſellſchaft, die der Trunk ſo verwirrt hatte, daſs ſie alle Regeln der Klugheit und Behutſamkeit überſchritt, ohne alle Zurückhaltung ihre Schande erzæhlte, und ſich der Verbrechen rühmte, die ſie auf dem Gymnaſium begangen hatte. Meine Natur entſetzte ſich über die Greuel, die mir dazumal ganz unbekannt waren, mein Gefühl ſagte mir, daſs ſolche unnatürliche Verbrechen, erſchreckliche Folgen nach ſich ziehen müſsten, ich wurde aufmerkſam auf ihr Schickſal und es war das næmliche, was ich als die natürlichſte Folge dieſer Sünden erwarten konnte. Die Geſellſchaft war ohngefæhr zwölf Perſonen ſtark, und von dieſen ſind bereits acht von dieſer Welt abgetreten, in einer Zeit von ohngefæhr drey und zwanzig Jahren abgetreten, und die übrigen vier, die Rieſenkraft von der(E 3)Natur70Natur ſchienen empfangen zu haben, die vielleicht Reformatoren der Menſchheit hæt - ten werden können, haben ſich nicht einen Fingerbreit über das Alltægliche erhoben. Noch mehrere æhnliche Exempel, die mir in meinem Predigtamte bekannt wurden, könnte ich anführen, wenn ich nicht beſor - gen müſste, daſs ich dadurch, wenigſtens auf eine entfernte Art, die Entdeckung von Ge - heimniſſen veranlaſte, die mir unter dem Siegel der Verſchwiegenheit anvertrauer wurden.

Eben dieſes beſtætigen folgende Aus - ſagen von Unbekannten, aber ſehr glaub - würdigen Zeugen.

I.

Eilfe von meinen damaligen Schulgenoſſen ſind vor ihrem dreyſſigſten Jahre elend geſtor - ben, denen ich vielleicht bald folge; alle, wie es hieſs, an der Auszehrung. Ich aber ver - muthe, daſs ſich vielleicht alle durch Onanie dieſe Auszehrung zugezogen haben mochten; ſo wie überhaupt die Auszehrung und Schwind - ſucht, woran ſo viele Gelehrte und Studieren - de ſterben, mehrentheils eine Folge dieſes ih -res71res Jugendlaſters ſeyn mag; welches man nur nicht erkennen und geſtehen will.

Anmerkung.

Da der Correſpondent nicht allgemein, ſondern nur von dem gröſſern Theile der Gelehrten und Studierenden, die an Auszeh - rung und Schwindſucht ſterben, behauptet, daſs die Urſache ihres frühen Todes in ihren vorhergegangenen unnatürlichen Entkræf - tungen zu ſuchen, da ich es als bekannt vor - ausſetze, daſs beynahe alle Schulen von die - ſer Seuche angeſteckt ſind, ſo habe ich kei - nen Grund in dieſe Behauptung ein Mistrau - en zu ſetzen.

II.

Vergangnen Sommer beſuchte mich einer mei - ner beſten Schulfreunde ganz unvermuthet in Beym erſten Anblick kennte ich ihn beynahe nicht; ich trat einige Schritte zurück: um Gotteswillen, Bruder, biſt du krank? oder biſt du krank geweſen? Du biſt entſetz - lich verfallen, und ’s iſt doch noch kein Jahr,(E 4)daſs72daſs wir uns nicht geſehen haben? ſo rief ich ihm gleich entgegen. O Nein, antwortete er mir, mit heitrer Stimme, ich bin niemals ge - ſunder geweſen als itzo. Nun es wære mir auch nicht lieb, erwiederte ich, und hierbey hatte es denn ſein Bewenden. Es wurde wæhrend ſeiner Anweſenheit nicht mehr von krank ſeyn geſprochen, wir lebten ziemlich luſtig mit einander, und er reiſste nach eini - gen Tagen ziemlich traurig wieder ab. Ob ich dies nun ſchon dem Abſchiede zu - ſchrieb, weil er ſehr ungern wieder von mir gieng, von mir einem ſeiner beſten Freunde, mit dem er manches jugendliche Vergnügen genoſſen hatte; ſo erfuhr ich doch durch fol - genden Brief, den ich, faſt ein halbes Jahr nach ſeinem Abſchiede von mir, erhielt, die ei - gentliche Urſache ſeiner damaligen Trau - rigkeit.

Mein einziger wahrer Freund!

Wie du ſo gut biſt, und ich dagegen ſo . Zweymal haſt du an mich ge - ſchrieben, zweymal mich aufs heiligſte be - ſchworen, nicht kalt gegen deine Freundſchaft zu werden. Und! ach! ich Unglücklicher,ich73ich war dies nicht werth, war der Liebe eines ſo treuen, eines ſo redlichen, eines ſo tugend - haften Freundes unwürdig. Ja, meiner Un - wurdigkeit bewuſst, hatte ich mir vorgenom - men, nicht wieder an Dich zu ſchreiben, um Dich gegen meine Freundſchaft kalt zu ma - chen, kalt gegen die Freundſchaft eines Böſe - wichts, eines Mörders ſeines eignen Leibes.

Du wirſt Dich entſetzen, Du wirſt erſtau - nen. Ja ſchaudern muſt du für dieſem entſetz - lichen Bekenntniſſe; allein ich will Dir lieber alles entdecken, als dieſen tödtenden Kummer ohne ihn Dir entdecket zu haben, mit in mein baldiges Grab nehmen. Vor Dir allein wil ich mein Herz ausſchütten, Dir allein mein Leiden entdecken; Dir, der manche frohe Stunde, manche Luſtbarkeit mit mir genoſſen hat. Doch hieran darf ich nicht mehr denken zur wirklichen Entdeckung. Du muſt Dich noch zu erinnern wiſſen, wie Du mich beym erſten Anblick unſrer Zuſammen - kunft in ſogleich fragteſt: was mir fehle? ob ich krank ſey? oder geweſen ſey? Ich Dir aber antwortete, daſs ich vollkommen geſund ſey. Und nach meiner Einbildung war ich es auch, denn bis izt hatte mir noch nie etwas(E 5)ange -74angefochten. Allein kaum war ich einige Tage bey Dir, ſo fand ich, als Du eben im Collegio wareſt, unter deinen übrigen Büchern, Tiſſots Onanie. Weil ich nun niemals das Wort Onanie hatte nennen hören, ſo blætter - te ich in dem Buche hin und her, und zu mei - nem Unglücke fand ich, daſs Onanie das ſey, was ich ſeit einigen Jahren tæglich getrieben hatte. Ich las die ſchrecklichen Beyſpiele die ſie angerichtet hatte, und ſeit dieſer Zeit bin ich immer traurig. Schaam und Reue laſſen mir nun nirgends Ruhe, laſſen mir keine Freu - de des Lebens mehr genieſſen. Ich vergehe wie ein Schatten, zehre alle Tage mehr ab, weine und darf Niemanden mein Leiden kla - gen. Denn, Bruder, ehe ich dies Buch las, wuſste ich nicht, daſs es was Böſes ſey, und daſs es ſo üble Folgen nach ſich ziehe, Ganz insgeheim trieb ich dies Laſter, niemand hat mir was davon entdeckt oder gelernt, und niemals habe ich auch Jemanden etwas davon geſagt. Kurz mich allein muſs ich anklagen. Nunmehro weis ich wohl, was an dem Un - glücke ſchuld iſt, nemlich mein verdammt lange Liegen im Bette, und dann mein vieler Umgang mit Frauenzimmern. Im Sommer wachte ich mehrentheils um 4 Uhr auf, undweil75weil mir dies zum Aufſtehen immer noch zu früh war, ſo dachte ich, und dachte und dachte und doch an weiter nichts als an das Frauenzimmer, das ich am vorigen Tage geſehen hatte, und hier geſchahe denn meh - rentheils die böſe Handlung. Izt aber ſte - he ich nach verrichtetem Morgengebet gleich auf, und ſo mache ich mich nun dieſer Sünde nicht mehr theilhaftig. Zu ſpæt! zu ſpæt! Hætte ich es eher gethan, ſo hætte ich vielleicht noch Hofnung, meinen guten Eltern dereinſt zum Troſte zu gereichen. Aber izt höre ich nichts wie Klagen um mich her. Mein Vater fragt: biſt du denn krank mein Sohn? was fehlt dir denn? Meine Mutter ſieht mich traurig an, und dringet in mich ihr doch die Urſachen meines melancholiſchen Weſens zu entdecken. Der Arzt zwingt mir mit Gewalt Medicin auf, von der ich doch gewiſs weiſs, daſs ſie mir nichts helfen wird. Denn aus Scham werde ich Niemanden die wahre Urſache meiner Krankheit entdecken. Lieber, beſter Bruder, ich erzittre für dem Ge - danken, daſs ich vielleicht künftiges Frühjahr nicht erleben werde. Tödtende Vorwürfe, Harm und die Krankheit ſelbſt, machen mich beynahe ſinnlos, ſo gern ich mich auch einigeAugen -76Augenblicke noch mit Dir unterredete, ſo muſs ich doch izt auf hören. Noch bitte ich Dich, mich nicht gænzlich zu vergeſſen. Bete, daſs mir Gott nur meine 5 Sinne erhalte. Dir möge der Himmel ein beſſer Loos zu Theil werden laſſen, als mir. Sey der Troſt und die Stutze deiner Eltern, lebe ruhig und ver - gnügt und glaub gewiſs, daſs Du in jener Ewigkeit wieder finden wirſt

Deinen alsdann glûcklichen Z.

Izt flieſſen meine Thrænen, denn ach Z., mein theurer, mein beſter Z. iſt nicht mehr; er hat das Frühjahr nicht erlebt. Er hat ſei - ne Thorheit hart, ſehr hart büſsen müſſen. Drum ſchauert Jûnglinge, die ihr dies Laſter zu einer eurer Hauptbeſchæftigungen macht.

Zum Beſchluſs ſetze ich noch einige Ausſagen von Verirrten bey, die die Schæd - lichkeit ihrer Verirrungen lebhaft ſchildern. Ich halte es für nöthig, theils um deren wil - len, die die entſetzliche Gefahr gar nicht kennen, in der ſich unſere Nachwelt befin -det,77det, in dem ſie von dieſer Art von Aus - ſchweifung entweder gar nichts wiſſen, oder ſie für unſchuldig und unſchædlich halten; theils um der Verirrten ſelbſt willen, die durch Vorleſung ſolcher Zeugniſſe am beſten erſchüttert und gebeſſert werden können.

I.

Endlich fiel mir, nur aber um zehen Jah - re zu ſpæt! Tiſſot, von der Onanie in die Hæn - de. Ich las, und ward als vom Schlage ge - ruhrt. Nun giengen mir die Augen auf, und Schrecken und Entſetzen erfûlleten meine ganze Seele. Ich war damals ſchon ganz ent - kræftet und abgezehrt; und jedermann ſagte: der hat die Schwindſucht im höchſten Grade. Dennoch war ich nie auf die Vermuthung der wahren Urſache meiner Auszehrung gekom - men: nun erfuhr ich mit Entſetzen die Ur - ſache derſelben. O, dachte ich, was ſind das fûr abſcheuliche Eltern, Lehrer und Freunde, die dich nicht vor dieſem Laſter warnten und dir das unabſehbare Elend, in das es ſtûrzt, vor Augen mahlten, oder dir dies Tiſſotſche Buch in die Hænde gaben! Oder vielmehr, was für eine unausſprechlich ſchædliche Un - wiſſenheit herrſcht noch in Abſicht auf dieſesLaſter78Laſter und die Folgen deſſelben in der Welt! Ich gerieth in eine Art von Tiefſinn und Schwermuth, die mich unausſprechlich quælte. Ich entſchloſs mich dem ſchrecklichſten unter allen Laſtern gænzlich zu entſagen; es ward mir ſchwer: doch nicht unmöglich, weil es durch meine groſse Entkræftung ſchon Vieles von ſeinem Reize verlohren hatte.

Nun vernehmen Sie meinen gegenwærti - gen Zuſtand; und klagen Sie mit mir über die Unwiſſenheit der Menſchen, die ſie in ſo fürchterliches Elend ſtürzt. Meine Geiſtes - kræfte ſind aufs æuſſerſte geſchwæcht: mein Verſtand ſtumpf worden, und ſchlechterdings nicht mehr zum zuſammenhængenden Den - ken fæhig; mein Gedæchtniſs nnglaublich ſchwach oder vielmehr faſt ganz verlohren. Und dieſs iſt um ſo trauriger, da ich von Gott ſo groſse Anlagen und Fæhigkeiten erhalten habe, daſs alle meine Lehrer und Bekannten in meiner Jugend in groſser Erwartung mei - netwegen ſtanden, und in mir einen zukünf - tigen groſsen Mann ſehen wollten. Ich bin alſo zu Geiſtesarbeiten ganz unfæhig; aber eben ſowohl zu körperlichen. Mein Körper iſt ganz entkræftet und unthætig; ich bin ſovom79vom Fleiſche gefallen und abgezehrt, daſs man nur noch Haut und Knochen an mir ſieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entſetzen. O mögten mich alle die Unwiſſenden und Un - beſonnenen Sûnder ſehen! könnte ich doch Jedem unter ihnen zurufen:

Wenn ſchnöde Wolluſt dich erfûllt,
So werde durch dies Schreckenbild
Verdorrter Todtenknochen
Der Kûtzel unterbrochen!

Da liege oder ſitze ich nun ſo unthætig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft und meiner Brüder thun und arbeiten und dafür möglichſt Viel zu thun, war doch von jeher mein hei - ſeſter Wunſch und bin den Meinigen noch ſelbſt zur Laſt; und erwarte mit Sehnſucht und Schmerzen den Tod, der mich von mei - nem unausſprechlichen Elende erlöſen und meinen Geiſt von dieſem zerrütteten Leibe befreien ſoll, damit er dort in der beſſern Welt, mit neuer ungehinderter Thætigkeit und Kraft, für die Wohlfahrt des groſsen Gei - ſterſtaates Gottes arbeiten könne. Ich binaber80aber nicht allein ganz entkræftet: ſondern fühle auch ununterbrochen die heftigſten Schmerzen, beſonders an den Zeugungsthei - len, die das mehreſte gelitten haben. Dazu kömmt noch eine Gemuthsunruhe und Schwer - muth, die Alles überſteigt. Das Bewuſtſeyn meiner Beſtimmung und den göttlichen Abſich - ten ſo zuwidergehandelt, mich zum Kinder - zeugen und Erziehen unfæhig und zum Dien - ſte der Welt und zur Beförderung der menſch - lichen Glückſeligkeit unbrauchbar gemacht zu haben: dieſs Bewuſstſeyn peinigt und fol - tert mich unaufhörlich und weit mehr als al - ler körperlicher Schmerz. Und oft würde ich ſchon in die Verſuchung gerathen ſeyn, meinem unſeligen Leben ein Ende zu ma - chen: wenn mich nicht noch die Gründe der Vernunft und die Lehren der wohlthætigſten Religion, welche jetzt noch meine einzige Freundin und mein Schatz iſt, zurückgehal - ten hætten. Wozu noch die Ueberzeugung kömmt, daſs mein Vergehen wenig Moralitæt habe, indem ich niemals etwas von der Schæd - lichkeit und der Strafbarkeit dieſer Sünden erfahren; und daſs ich übrigens jederzeit höchſt gewiſſenhaft gelebt und mich der rein - ſten chriſtlichen Tugend befliſſen habe.

Inh81

II.

Der Gedanke, nicht nur meinen Körper, ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte, in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben, foltert mich unaufhörlich, und bringt mich beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer - den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters, dennoch in allen Klaſſen immer für einen der vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt - niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de - nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge - lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich durch Bebauung meiner natürlichen Talente hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif - ten können, auch in meiner Familie, und wie nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die vergangene Minute, o! dann, dann fühl ich Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft, dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet; mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche - ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten(Von heimlichen Sûnden.) (F)Wiſ -82Wiſſenſchaften unbrauchbar geworden, ob - gleich mein Verſtand von einer Menge Vor - urtheilen befreit worden iſt. Wie oft fürcht ich, man möchte mir die Begehung dieſes Laſters an meinem Aeuſſerlichen anſehen, nach dem Ausſpruch Gellerts: Verweſung ſchæn - det ſein Geſichte, und predigt ſchrecklich die Geſchichte der Lüſte, die den Leib zerſtört. Dieſer Gedanke iſt mir vorzüglich in den Ver - hæltniſſen, in denen ich jetzt ſtehe, fürchter - lich. Ich ſcheue ſelbſt den Schlaf, ich fürchte, er möchte mein Verbrechen verrathen.

III.

Kurz mein Zögling iſt jetzt, in einem Alter von nicht vollen 9 Jahren, ein vollkommener Wollüſtling, der bisher alle Gelegenheiten nützte, um ſeine Kenntniſſe in dieſem Stücke zu vermehren, und durch die Wolluſt nichts - würdiger Geſchöpfe darin unterſtützt wurde. Auch hat er ſeine jüngern Geſchwiſter ſchon vieles gelehrt, die in ihrer Unſchuld ſich nichts Böſes dabey træumen. Vielleicht wære mein Zögling ſchon jetzt ein Opfer ſeiner Geilheit geworden, hætte ich nicht, da ich das ſchreck - lichſte beſorgen muſte, ſein mænnliches Gliedunter -83unterſucht, und eine zerſtörende Krankheit in ihrem̄ Keime erſtickt. Durch die Erhitzung hatten ſich die obern Theile der Vorhaut an der Eichel entzündet, und waren voll kleiner Blaſen. Aber anſtatt, daſs ihn dieſe ſo ſicht - baren Folgen von dem Laſter hætten abſchre - cken ſollen, ſind ich, daſs er es ſeit der Zeit viel ærger treibt. Unglaublich iſts, aber er hat es mir ſelbſt geſtanden, daſs er es man - chen Tag 4 bis 5mal gethan hat. Ich habe bisher alle Mittel, auf die ich naturlich fallen muſte, vergebens angewandt, habe ihn nicht von meiner Seite gelaſſen, durch Arbeiten und Spatziergehen ermûdet, habe ihm die augen - ſcheinlichen Folgen an ſeinem Körper gezeigt, ihm andere abſchreckende Beyſpiele von O - pfern dieſes Laſters erzæhlt, durch Gründe der Religion, ſo weit er davon ſchon Begriffe hat, zu gewinnen geſucht, alles umſonſt. Sein hitziges Temperament reiſst ihn fort, und macht ihn mit jedem Tage wollüſtiger. Dabey verwelkt er, wie eine Blume, die Far - be der Verweſung iſt auf ſeinem Geſichte ge - zeichnet, und ich kann ihn nicht retten.

(F 2)IV. 84

IV.

Ein Auszug aus Zimmermanns vor - treflichen Buche über die Einſamkeit.

Gegen ſeine religiöſe Melancholie ſuchte er Hülfe durch ſein Gebet. Aber dann fiel ihm immer dabey ein, für ihn ſey Beten ein Verbrechen. Er glaubte, Gott durch die al - lergleichgültigſte Handlung zu beleidigen; zum Exempel, wenn er ausſpuckte. Alles, wovon er ſich einbildete, daſs es Sünde ſeyn könnte, ſo toll auch der Gedanke war, hielt er fûr Sünde. Vor dem Beichtſtuhl fand er es natûrlicher Weiſe unmöglich, ſeines ganzen Sündenheers ſich zu erinnern, und es dem Beichtvater ſo darzuſtellen, wie es in der ka - tholiſchen Kirche Sitte und Pflicht iſt. Kaum hatte er ausgebeichtet, ſo fiel ihm immer wie - der eine unabſehbare Reihe von Sünden ein, und ſo gieng er den andern Tag wieder zum Beichtvater, wie ein Hypochondriſt, der ei - nem Arzte ſeinen Zuſtand ſchon mit der über - flüſſigſten Ausführlichkeit geſchildert hat, an ſeinen Brief noch immer hundert Poſtſcripte hængt.

Einſamkeit wirkte bey ihm ſchrecklich. Tage -85Tagelang wælzte er ſich auf der Erde, unter beſtændigem entſetzlichen Geſchrey, ſo oft man ihn allein lieſs. Er gieng gerne in Ge - ſellſchaft, weil ihm da das Herz zuweilen leichter ward; aber ſeine Melancholie befiel ihn auch in Geſellſchaft. Anderthalb Jahre litt er alles, was das Herz zermalmet und den Geiſt niederdrûckt, durch ſeine religiöſe Fa - ſeley. Sie verlohr ſich endlich, bloſs durch den Umgang mit einigen ſehr vernûnftigen Geiſtlichen aus . Aber Scrupel und Zwei - fel behielt er über alles auſſerhalb der Re - ligion.

Er zweifelte an dem Daſeyn von allem was er ſah und von allem was vor ihm ſtand, von allem, was er mit Hænden griff. Der herz - gute Mann ſagte mir, es habe ihm zwiſchen durch doch oft geſchienen, alle ſeine Bedenk - lichkeiten ſeyen nur Krankheit, und oft habe er ſelbſt mit ſeinen Freunden darüber gelacht. Aber mit Schauder und Schrecken verſicherte er mir auch, daſs er zehn Mordthaten began - gen hætte, wenn es möglich geweſen wære, dadurch dieſe Krankheit loſs zu werden, die ſeine Imagination bey jeder allergleichgûltig - ſten Handlung des Lebens befiel.

(F 3)Drit -86

Dritter Abschnitt.

Von den Urſachen und der Entſte - hungsart der heimlichen Sünden der Jugend.

Es iſt bedenklich, daſs der Menſch, der in der ſichtbaren Schöpfung beynahe der ein - zige iſt, der das Vermögen beſitzt, den Zu - ſammenhang zwiſchen Urſache und Wirkung, ſeine Beſtimmung, und die, aus ſeinen Hand - lungen entſpringenden, Folgen deutlich ein - zuſehen, auch beynahe, einige Affenarten ausgenommen, der einzige iſt, der ſich die - ſer Art von Ausſchweifung ſchuldig macht. Denn ob man gleich behaupten will, daſs man auch Spuren davon bey verſchiedenen Arten der vierfüſsigen Thiere finde, ſo iſt dieſs doch mehr geiler Muthwille als wirk - liche Verſchwendung der Sæfte.

Die erſte Frage, die uns dabey beyfal - len muſs, iſt dieſe, werden die Kinder durchihre87ihre eigne Natur, ohne alle æuſſerliche Ver - anlaſſung, dazu verleitet? oder iſt der Grund davon allemal in æuſſerlichen Veranlaſſungen zu ſuchen?

Es würde mich ſehr niederſchlagen, wenn ich mich ûberzeugen könnte, daſs die Natur ſelbſt dazu verleite. Die Hofnung, etwas zur Hemmung dieſes Uebels beyzutra - gen, die mich, bey Ausfertigung dieſer Schrift, ſtærkt, würde erſterben, weil ich Kæmpfe gegen die Natur für bedenklich und faſt im - mer für vergeblich halte. Ich leugne es da - her ſo lange, bis man mir hinlængliche Gründe anführt, mich vom Gegentheil zu überzeugen.

Die Gründe ſind da, wird man mir ſagen, die Erfahrung bezeuget es. Beobach - te ein - bis vierjæhrige Kinder, die noch kei - ner Verführung ausgeſetzt waren, noch nicht durch Leſung unzüchtiger Bücher ihr Gehirn erhitzten, und ihre Einbildungskraft(F 4)ver -88verwirrten, und du wirſt bald merken, daſs ſie ſchon von ſelbſt, ohne alle æuſſerliche Veranlaſſung, das zu thun anfangen, was ihnen in der Folge ſo verderblich wird! Die Kinder werden alſo von ſelbſt durch einen geheimen Trieb, und durch den Reiz, der damit verbunden iſt, dazu verleitet.

Daſs man ſchon bey den zarteſten Kin - dern bisweilen die Bewegungen bemerke, die, in der Folge der Zeit, zu ſo einer traurigen Fertigkeit ausarten, iſt gewiſs. Aber es iſt noch nicht Grund genug, zu erweiſen, daſs ſie durch ihre eigne Natur dazu getrieben würden, und daſs keine æuſſerliche Veran - laſſung ſie hierzu beſtimmt habe.

Und welches ſoll dieſe Veranlaſſung ſeyn? wird man fragen.

Dieſe Frage, die ich als gewiſs voraus - ſetzen kann, ſetzt mich in die Nothwendig - keit, abermal den Vorhang von einem Ge - heimniſſe wegzuziehen, welches viele fürunbe -89unbedeutend, diejenigen aber, die die menſch - liche Natur kennen, für ſchrecklich halten, und in demſelben den erſten Keim des La - ſters und der damit verknüpften verhec - renden Folgen entdecken werden. Die Am - men, die Wærterinnen, ja welches unglaub - lich zu ſagen, aber doch zuverlæſſig wahr iſt, viele Eltern ſelbſt, ſuchen bey den Kin - dern die Reizbarkeit gewiſſer Theile vor der Zeit zu erregen, theils aus bloſsem Muth - willen, theils aus Geilheit, theils um durch die, daher bey den Kindern entſtehenden, angenehmen Empfindungen das Weinen zu ſtillen, und den Schlaf herbeyzulocken. Da - durch werden die Hænde der unſchuldigen Kinder nothwendig nach gewiſſen Theilen mehr als nach andern gerichtet, der Keim zu der ſchrecklichſten Fertigkeit entwickelt, und der junge Menſch angeleitet ſeine Ner - ven zu ſchwæchen und ſeinen Körper zu zerrütten, ehe er ſich ſeiner ſelbſt noch be - wuſst iſt. Da dieſs zuverlæſſige Wahrheit iſt, die mir durch viele ſehr glaubwürdige(F 5)Perſo -90Perſonen iſt bezeugt worden, da hieraus nothwendig dieſe traurigen Folgen entſprin - gen müſſen, ſo bin ich berechtigt von dem kleinſten Kinde, an dem man dieſe ſchædli - che Bewegung bemerkt, zu verſichern, es iſt nicht durch innern Trieb, ſondern durch æuſſerliche Veranlaſſung dazu gebracht wor - den. Daſs es einige wenige Ausnahmen ge - ben könne, will ich nicht ableugnen. Gleich - wie ich aber ſagen kann, der Menſch wird mit zwey Augen gebohren, ohnerachtet man Exempel von einæugigen Geburten hat, ſo kann ich auch bey dieſer Verſicherung blei - ben, wenn gleich einige wenige Ausnahmen davon ſtatt finden.

Wære in der menſchlichen Natur ſelbſt ein Trieb zu dieſen Ausſchweifungen, ſo müſste man ſie bey allen finden, die eine menſchliche Natur haben. Dieſs iſt aber nicht. Viele meiner Leſer und Leſerinnen, werden es wiſſen, daſs ſie von denſelben je - derzeit frey geblieben ſind, und in Oertern, wo noch Arbeitſamkeit und Einfalt der Sit -ten91ten herrſcht, ſind ſie faſt gænzlich unbe - kannt.

Ein ſehr würdiger Geiſtlicher, der un - ter den Gemeinen, die ihm anvertrauet wa - ren, immer als Vater wandelte, und ſich durch ſeine Offenheit und Rechtſchaffenheit ein wirklich kindliches Zutrauen zu erwer - ben wuſste, theilt mir davon folgende Erfah - rung mit:

Auf dem Lande, wo ich über dreyzehn Jahre geweſen, habe ich keine Entdeckung bey Kindein davon gemacht, auch von Eltern nie gehört, daſs ſie wegen ihrer Kinder dafür beſorgt geweſen. Ich glaube, daſs auf den Dörfern dieſes Laſter auſſerordentlich ſelten iſt. Die Hærte, mit welcher die Kinder er - zogen werden, ihre ſehr magere Speiſen, auch die Arbeiten, wozu ſie auch ſchon in Schul - jahren angehalten werden, auch der übrige Mangel an Reizen und Verführungen, ver - wahrt ſie dafür. Aber ſtatt deſſen habe ich bey verehelichten Perſonen oft ſehr traurige Gelegenheiten gehabt Vorſtellungen zu thun. Bey dem Zanken der Eheleute machte oft dieFrau92Frau dem Manne den Vorwurf, daſs er ihr nicht ehelich beywohne, und doch von ihr verlange, daſs ſie ihm . Dergleichen Greuel ſind mir mehr als einmal vorgekom - men. Leider habe ich gemerkt, daſs der Ehe Seegen auf dem Lande, wenn er nur über eins oder zwey ſteiget, mehr für Beſchwerung als für Seegen geachtet wird. Die Schwieger - Eltern erinnern auch wohl heimlich die Ihri - gen, wenn drey oder vier Kinder kommen, ſie ſollen bedenken, wo das hinaus wolle? wie ſie die Kinder ernæhren wollten?

Dieſes Zeugniſs iſt mir von groſser Wichtigkeit.

Erſtlich beſtætigt es meine Behauptung. Denn wenn die Natur ohne æuſſerliche Ver - anlaſſung zu den beſagten Ausſchweifungen verleitete, ſo müſste es ja auch bey den Kin - dern der Landleute geſchehen. Da aber die - ſe mæſsiger, arbeitſamer, ſind, ihre Kinder nicht aus einer Hand in die andere geben, ſie nicht beſtændig auf den Armen umher tragen, ſondern vielmehr, ſo bald ſie eini - germaſsen ihre Glieder brauchen können,herum -93herumkriechen laſſen, ſo fællt die æuſſerliche Veranlaſſung, folglich auch die traurige Wir - kung, weg.

Zweytens ſetzt mich der letztere Theil dieſes Zeugniſſes in die Nothwendigkeit, ei - ne Behauptung, die ich in der vor kurzen ausgegebenen Schrift: iſts recht über die heimlichen Sünden der Jugend öffentlich zu ſchreiben? æuſſerte, wieder zurück zu nehmen. Sie iſt dieſe: daſs dieſe Art von Ausſchweifungen im Eheſtande nicht erler - net würde. Denn dieſes Zeugniſs beweiſst das Gegentheil.

Ohne Zweifel wird man mir den Ein - wurf machen, daſs es Dörfer gebe, wo dieſe Sünden eben ſo, wie in Stædten, im Schwan - ge giengen. Ach leider muſs ieh auch dieſs eingeſtehen. Aber wie ſind ſie dahin gekom - men? Ein Geiſtlicher auf dem Lande klag - te mir einmal mit Wehmuth, daſs dieſe Seuche ſeine ganze Gemeine angeſteckt habe. Als ich ihm darüber meine Verwunderungbezeugte94bezeugte und ſagte, daſs es mir unbegreiflich ſey, wie dieſe Sünden auf das Land kæmen: ſo ſeufzte er: einer meiner Vorfahren hatte zwey Söhne, die in ſtudiert hatten. Sie kamen zurück, lebten einige Jahre bey dem Vater, und ſteckten durch ih - re Unzucht eine Familie nach der andern an.

Traurig genug iſt dieſs nun freylich, daſs die Perſonen, die Licht und Tugend in die Hütten der Niedrigen bringen ſollten, die Unſchuld tödten, und die Sitten verder - ben. Aber wahr iſts doch.

In Provinzen, wo es gewöhnlich iſt, dem Landmanne Soldaten ins Quartier zu legen, iſt wohl die Frage, wodurch die Sit - ten der Landleute verdorben, wodurch ih - nen die Geheimniſſe der Unzucht mitgetheilt werden? ganz überflüſſig.

Wenn alſo die Kinder ihre Unſchuld immer durch æuſſerliche Veranlaſſung ver -lieren95lieren o Mütter! Mütter! wie viele Wachſamkeit über eure Kinder, in den Jah - ren ihrer Kindheit, iſt wohl nöthig! wie könnt ihr ſagen, daſs ihr ſie liebtet, wenn ihr ihnen, ohne dazu durch eure Schwæch - lichkeit genöthigt zu ſeyn, die Bruſt verſagt! wenn ihr die erſte Pflege derſelben jungen, muthwilligen, oft lüderlichen, Weibsbildern überlaſſet! In eurer Verſammlung würde eine Predigt über die Worte: kann auch ein Weib ihres Kindleins vergeſſen, daſs ſie ſich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes nichts ſagen, wenn nicht mit gutem Vorbedachte die Worte hinzugeſetzt wæren: und ob ſie deſſelben vergæſse, will ich doch dein nicht vergeſſen, ſpricht der Herr.

Noch ein anderer Grund von der Aus - breitung dieſes Uebels in manchen Landge - meinen, kann auch im Mangel der Scham - haftigkeit der Eltern liegen. Es iſt in vielen Dörfern Sitte, daſs die erwachsnen Kinder mit ihren Eltern, entweder in den næmli - chen Betten, oder doch wenigſtens in dennæm -96næmlichen Zimmern ſchlafen. Die Eltern, von Begierde berauſcht, vergeſſen, daſs ſie Zeugen um ſich haben, überlaſſen ſich oft ihren Begierden, und machen ſo ihre Kinder mit Geheimniſſen bekannt, die ihre Einbil - dungskraft zerrütten, ihr Geblüt erhitzen, und ſo vor der Zeit bey ihnen Begierden er - regen, die ihnen verderblich werden.

Wer daran zweifelt, der beſuche ſelbſt die Hütten der Bewohner mancher Dörfer, und beobachte ihre Lebensart!

So ſchreibt mir ein Freund, daſs ein Landmann zu ihm gekommen ſey, und mit Entſetzen ihm die Nachricht gebracht habe, daſs er einen ſiebenjæhrigen Knaben, mit ei - nem achtjæhrigen Mædchen, über einer Hand - lung ertappt habe, die nur Eheleuten erlaubt iſt. Auf die Frage, wie iſts möglich, daſs eure Kinder auf ſolche Ausſchweifungen ver - fallen können, habe ihm dieſer geantwor - tet: Je nu, das iſt wohl möglich. Bey un - ſern Leuten liegen die Kinder des Nachts beyden97den Eltern im Bette; Vater und Mutter woh - nen ſich bey, glauben nicht, daſs das ſolche Kinder bemerken u. ſ. w.

Alles dieſes ſpricht dafür, daſs die Aus - ſchweifungen der Kinder, von denen ich re - de, nicht von Trieben der Natur, ſondern immer von æuſſerlichen Veranlaſſungen her - rühren. Da aber freylich die Kinder immer die Hauptneigungen der Eltern erben, und alſo diejenigen, die das Unglück haben, von unzüchtigen Eltern erzeuget zu werden, weit geneigter zur Wolluſt, als andere, ſind: ſo werden auch dieſen geringe Veranlaſſungen, die bey andern nichts wirken, weit gefæhr - licher ſeyn.

Was nun die Urſachen betrift, aus denen dieſes verderbende Uebel entſpringt, ſo ſind ſie theils entferntere, theils næhere, die allen Eltern und Erziehern zu wiſſen nöthig ſind, damit ſie dieſelben, ſo viel an ihnen iſt, ent - weder wegræumen, oder ihnen doch we[ni]g - ſtens entgegenarbeiten können.

(Von beimlichen Sünden.) (G)Zu98

Zu den entferntern Urſachen rechne ich zuerſt das Kloſterleben, das ſonſt ſo hoch geprieſen wurde, und noch itzo in manchen Provinzen eine gewiſſe Würde behauptet. Der Römiſche Biſchof, der viele Jahrhun - derte lang der mæchtige Beförderer der Un - wiſſenheit, Dummheit und des Aberglau - bens, war, der Haſs und Verfolgung den Chriſten predigte, machte auch die wirk - ſamſten Anſtalten, die Chriſtenheit anzuwei - ſen, alle Arten viehiſcher Ausſchweifungen zu erfinden und auszuüben. Denn er be - fahl denen, die nach Heiligkeit ſtrebten, den Müſſiggang, verbot ihnen den Eheſtand, gab dadurch den natürlichen, an ſich un - ſchuldigen und wohlthætigen, Neigungen, die uns der Schöpfer einpflanzte, eine ſol - che Wildheit und Unbændigkeit, daſs die Vernunft, die ohne dieſs damals nicht viel ſagen wollte, indem dem Römiſchen Biſcho - fe ungemein viel daran gelegen war, ſie in Unthætigkeit zu laſſen, und ihr Aufſtreben z〈…〉〈…〉[h]emmen, nichts gegen Sie auszurichtenver -99vermochte ſie raſsten und ergriffen - thend jede Gelegenheit, ſich Befriedigung zu verſchaffen. Daher ſind die Klöſter oh - ne Zweifel die Miſtbeete, in welchen, nach der Zernichtung der Römiſchen und Griechi - ſchen Cultur, alle die Unflætereyen ausge - brütet wurden, die man ohne Ekel nicht nennen kann. Ein geſunder Menſch, dem die natürliche Befriedigung des mæchtigſten Triebes auf Lebenslang unterſagt iſt, dem der Müſſiggang Zeit genug læſst, alle die geilen Bilder auszumalen, die die erhitzte Einbildungskraft hervorbringt, wozu mag dieſer nicht aufgelegt ſeyn! Und dieſe Art Menſchen waren nun die Erzieher und die Erzieherinnen der jungen Chriſten ! Was iſt wohl gewiſſer, als daſs ſie die Ver - führer der Unſchuld waren, und die Greuel unter uns brachten, die itzo ſo viel Jammer verurſachen?

Man wird zwar einwenden, daſs das Kloſterleben auf uns Proteſtanten nicht mehr(G 2)wir -100wirken könne, weil die Klöſter bey uns auf - gehoben wæren. Dieſe Einwendung will aber nichts ſagen