PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ueber die heimlichen Sünden der Jugend
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Leipzig, beySiegfried Lebrecht Cruſius1785.
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Erster Abschnitt.

Von der Nothwendigkeit über die heimlichen Sünden der Jugend zu ſchreiben.

So manche Schrift fertigte ich ſchon aus, und faſt immer mit Muth und Freudig - keit. Nur die gegenwærtige fange ich mit ungemein traurigen Empfindungen an. Es geht mir faſt wie einem Baumeiſter, der einige ſchadhafte Theile an einem Hauſe bemerkt, auf Bitte des Bewohners die Re - paratur übernimmt, aber, ſo bald er eine genauere Unterſuchung anfængt, entdeckt, daſs alle Saulen und Schwellen morſch ſind. Wirklichhætteichnichtgeglaubt, da ich gegen - wærtige Schrift ankündigte, daſs das Uebel,(Von beimlichen Sünden.) (A)gegen2gegen welches ich ſchreibe, ſo gar weit um ſich gegriffen habe. Ich kannte Schulen, die davon angeſteckt waren, ich hatte Jüng - linge und Mædchen geſehen, denen es Ge - ſundheit, Muth und Freudigkeit, am Ende das Leben, raubte, ich hatte daher ſtarken Grund, deſſen weite Ausbreitung zu vermu - then: Daſs es aber faſt die ganze junge Welt angegriffen habe, glaubte ich doch noch nicht. Nun aber weis ich es leider, weis es mit ziemlicher Zuverlæſſigkeit, da ich die glaubwürdigſten Zeugniſſe davon, ſowohl von Angeſteckten, als Lehrern, die ihre Anſteckung entdeckten, im Hænden habe. Wenn man mir nur einiges Gefühl für die Glückſeligkeit meiner Brüder, nur einige Liebe zu der lieben kleinen Nach - welt, zutrauet, ſo wird man ſich leicht vor - ſtellen können, wie viel meine Gemüthrsuhe, durch dieſe traurige Entdeckungen, gelitten habe. Die Freuden ſind dahin, die ich ſonſt empfand, wenn ich ein Kind an mei - ne Bruſt drücken und küſſen konnte. Nachden3den Erfahrungen, die mir theils redliche Jünglinge, theils weiſe und rechtſchaffne Erzieher mitgetheilt haben, erblicke ich in den mehreſten Geſichtern die ſterbende Un - ſchuld, die ich küſſe mit der Empfindung, mit welcher man überhaupt ſterbende zu küſſen pflegt. Man kann auch leicht da - her muthmaſen, daſs ich mit ſehr ſchwerem Herzen die Feder itzo ergreife. Aber er - greifen muſs ich ſie. Man kann nicht im - mer ſich freuen mit den Frölichen, die Pflicht erfordert, daſs man auch bisweilen traure mit den Traurenden.

Von verſchiedenen Orten her wurde ich gebeten und gewarnt, dieſe Schrift nicht auszufertigen; und dieſe Bitten und Warnungen waren nicht ganz umſonſt. Sie haben wirklich dazu gedient, daſs ich mich entſchloſſen habe, jeden Ausdruck mit möglichſter Behutſamkeit zu wæhlen, welches ſonſt vermuthlich nicht würde ge - ſchehen ſeyn. Aber dieſen Bitten geradezu(A 2)Gehör4Gehör zu geben lieſs mein Gewiſſen nicht zu. Wenn man in des Nachbars Haus Feu - er ſieht, ſo muſs man ja doch Lærm ma - chen, wenn man auch gleich die Möglich - keit ſich vorſtellt, daſs vielleicht eine in der Nachbarſchaft liegende, Wöchnerin, nebſt ihrem Sæuglinge, durch das entſtandene Geræuſch, in Todesgefahr kommen könnte. Ich habe ohnlængſt in 2 Bogen, die ich un - ter dem Titel: Iſts recht über die heimli - chen Sünden der Jugend œffentlich zu ſchreiben? drucken lieſs, die Gründe, die man der Ausfertigung meiner Schrift ent - gegen ſtellte zu entkræften geſucht. Itzo ſetze ich noch einiges hinzu, um die Noth - wendigkeit, dieſe Schrift zu liefern, darzu - thun. Nach alle den Berichten, die ich in Hænden habe, liegt doch der vorzüglichſte Grund, von der Ausbreitung dieſes Uebels in dem Mangel an Belehrung, ſowohl bey Eltern und Erziehern, als auch bey der Jugend.

Die5

Die erſtern ſind groſsentheils, in An - ſehung dieſes Punkts, ganz unwiſſend und auf eine unverantwortliche Art unbeſorgt. Wenn ich auftrete und ſage: der gröſsere Theil der Kinder, iſt von dieſem Uebel an - geſteckt wie wenige werden es glau - ben! wie viele über meine Behauptung ſpot - ten! Iſt denn nicht ſchon dieſs ein Beweiſs, daſs in Anſehung dieſes Punktes, eine lieb - reiche Belehrung nöthig ſey? Beweiſst es nicht auch die Nachlæſſigkeit, die man in Rückſicht auf dieſes Uebel bewieſen hat? Iſts nicht unleugbar, daſs noch in vielen Schu - len, 2 und 2 in einem Bette ſchlafen? O ihr Lehrer und Erzieher! kenntet ihr die Aus - ſchweifungen der Jugend, wie wære es mög - lich, daſs ihr jemals ſo etwas hættet geſtatten können! Iſts nicht wahr, daſs auf manchen Schulen Schüler in einem Zimmer zuſam - men ſchlaffen, ohne einen andern Aufſeher als die æltern Schüler zu haben, die, wie ich gewiſs weis, mehrentheils die Verführer ſind, und die unſchuldigſten Kinder, durch(A 3)Lieb -6Liebkoſungen und Drohungen, zur Voll - bringung ihres ſchændlichen Willens zwin - gen? O ihr Lehrer und Erzieher, würdet ihr dieſes geſtattet haben, wenn ihr die Ge - fahren gekannt hættet, mit denen die Un - ſchuld umgeben iſt? Kann es geleugnet werden, daſs faſt in allen Schulen lange Mæntel getragen werden? O ihr Redlichen, wære es euch geſagt worden, was unter die - ſen Mænteln vorgienge, længſt würdet ihr, im gerechten Zorn, ſie abgeſchaft haben. Iſt es nicht eben ſo gewiſs, daſs Kinder, bey ihren Spielen, oft ohne alle Aufſicht gelaſ - ſen werden? daſs man dann mit ihnen am mehreſten zufrieden iſt, wenn ſie mit Ver - meidung alles Lærms, recht ſtille zuſammen ſind? O möchtet ihr es doch gewuſst ha - ben, was oft bey dieſen ſtillen Spielen vor - geht! ihr würdet dabey mehr Beſorgniſs als bey den lærmendſten Beluſtigungen em - pfunden haben. u. ſ. w.

Wenn7

Wenn nun Eltern, Lehrer und Er - zieher, zeither ſo wenig ſich um dieſes Ue - bel bekümmert haben ſo ſorglos wa - ren, daſs es um und neben ihnen ausgeûbt wurde, ohne daſs ſie es bemerkten: ſo kann man leicht errathen, daſs wenige oder keine Vorſtellungen und Warnungen zur Ver - meidung dieſes Uebels geſchehen ſind. Iſt dieſs nun nicht æuſerſt traurig, wenn man die Kinder in einer ſo verderblichen Unwiſ - ſenheit læſst? Wir zeigen ihnen die trauri - gen Folgen der Schwelgerey, der Faulheit, der Ungefælligkeit und jeder anderer Untu - gend, warum nicht auch die ſchrecklichen Folgen dieſer Sünde? Wir machen ſie mit der Verletzbarkeit der Augen bekannt, wa - rum lehren wir ſie nicht auch die Verletz - barkeit anderer Glieder? und wenn das al - les wahr iſt, wie kann man mir es verden - ken, wenn ich mich dem traurigen Geſchæf - te unterziehe, die Perſonen, deren Fürſorge die Jugend anvertrauet iſt, aus ihrem Schlum - mer zu erwecken?

(A 4)Wie8

Wie wahr dieſs alles ſey will ich nun mit Documenten belegen, die aus Briefen genommen ſind, die mir unter dem Siegel der Verſchwiegenheit anvertrauet ſind. Dieſs werde ich durch alle Abſchnitte thun. Die Briefe ganz abdrucken zu laſſen, habe ich nicht für gut gehalten, theils, weil ich dadurch das Buch ſehr weitlæufig machen, theils weil dadurch mancher Verfaſſer zu kenntlich werden würde, theils weil auch in manchen Briefen verſchiedenes vor - kommt, das anſtöſſig werden könnte.

I.

Die Menſchen in der Stadt waren ſo un - wiſſend oder vielmehr unachtſam in Anſe - hung dieſes Laſters, daſs ich ſelbſt die Söhne zweyer lebender Aerzte gekannt habe, welche es ſo heftig trieben, daſs man es ihnen gleich anſehen konnte. Die Lehrer aber bekûm - merten ſich nichts darum, und fragten über - haupt nicht darnach, ob ihre Schüler aufge - klærter, beſſer, tugendhafter und glûck - ſeliger, oder dummer, laſterhafter und elender wurden. Ihr Religionsunterricht beſtandaus9aus elendem Schulgeſchwætze und jæmmer - licher Polemick; und konnte keinen Men - ſchen vernünftiger, weiſer, tugendhafter und glückſeliger machen. Der Rektor, beſinne ich mich, ſahe es einigemal ſelbſt: ſo unge - ſcheut und öffentlich wurde es getrieben; aber, anſtatt nachzudenken, wie dieſes einge - riſsene Uebel gründlich zu heben ſey, anſtatt die Schüler von der Schædlichkeit und den ſchrecklichen Folgen dieſer Ausſchweifung ûberzeugend zu unterrichten, und ſie dadurch davon abzubringen, fieng er an, ihnen den Fluch zu geben, und ihnen Gottes ewige Strafen im Pfuhle der Hölle und der Geſell - ſchaft der Teufel anzukündigen, darum daſs ſie die Schule, dieſen Tempel des h. Geiſtes, ſo entweiheten. Auſſer der Schule alſo, dach - ten wir, wird es wohl erlaubt ſeyn. Von den natürlichen, unausbleiblichen, Folgen die - ſes ſchændlichen Verbrechens ſagte er kein Wort. Die Androhung zukünftiger Strafen aber rührte dieſe ſinnliehe Menſchen nicht; und von dem Elende, das ſich ſchon der Sünder in dieſem Leben unausbleiblich zu - zieht, hörten und wuſten ſie nichts. Sie trieben es alſo nach wie vor.

(A 5)Und10

Und nun, iſt dieſs nicht beweinenswerth! ſo lange, bis in mein ein und zwanzigſtes Jahr, blieb ich in der ſchædlichſten Unwiſſen - heit, und bleiben es, durch Schuld ihrer El - tern, Lehrer, Erzieher, Aufſeher etc. zu ihrem ſchrecklichſten Verderben, tauſend Jünglinge und noch mehr Mædchen. Niemals kam es mir in den Sinn, daſs dieſe Handlung ſchæd - lich ſey, und entſetzliche Schaudern erregende Folgen nach ſich ziehe. Ich hielt es für nichts weiter, als höchſtens etwas unanſtæn - diges, das man nicht öffentlich thun dürfe. Hætte ich nur einmal gehört, es ſey etwas ſchædliches, unerlaubtes und ſündliches! ich würde gewiſs davon abgeſtanden haben. Denn, Gott ſey Dank, von meiner frûheſten Jugend auf, war ich gewiſſenhaft, und be - gieng nicht leicht eine wiſſentliche Sünde. Nur, leider! war ich von dem, was Sünde, und ſchædlich und verderblich iſt, zu we - nig belehret. So lange ich auf der Schule war, hatte ich den Namen dieſer Sünde nicht gehört; vielweniger etwas von ihrer Schæd - lichkeit und Strafbarkeit. Von der Onanie hatte ich einigemal reden hören; aber nicht gewuſst, was dieſs für ein Laſter ſey. Alsich11ich auf die hohe Schule kam, hörte ich wie - der einigemal, etwan von Studenten, von der Onanie ſprechen; einesmals aber von einem Profeſſor, in den moraliſchen Vorleſungen, von den ſchrecklichen Folgen der Onanie wie wohl nur ein paar Worte. Denn er war ſelbſt ein Onaniſt geweſen, woran er auch noch ſtarb. Ich war begierig z[u]wiſ - ſen, was das für ein ſo ſchædliches Laſter ſey; ſchæmte mich aber Jemanden deswegen zu fra - gen, und meine Unwiſſenheit zu geſtehen. Ich hielt es alſo lange für etwas noch ſchændli - chers, für Beſtialitæt. So ſehr iſt zu rathen, ſich nicht des unverſtændlichen Wortes Onanie, ſondern des deutſchen, jedem von die - ſer Seuche Angeſteckten ſo gleich verſtænd - lichen, zu bedienen!

Anmerkung.

So ſehr auch der Verfaſſer dieſes Briefs da - rauf dringt, das eigentliche deutſche Wort das zu Bezeichnung dieſer Sünde beſtimmt iſt, zu wæhlen, ſo haben mir doch meine Freunde ſo dringend vorgeſtellt, daſs es anſtöſſig ſey, daſs ich mich deſſelben habe enthalten, und es nicht nur in dieſem, ſon -dern12dern auch in allen ubrigen Briefen, durch - ſtreichen müſſen. In der That glaube ich auch, daſs man die Jugend ſehr nachdrûck - lich von der groſsen Schædlichkeit dieſer Sünde belehren kann, ohne nöthig zu ha - ben, ſich dieſes Wortes zu bedienen. Man braucht ja nur von der Verletzbarkeit ge - wiſſer Theile zu reden, wie ich dieſs wei - ter unten zeigen werde.

II.

Sehen Sie! dieſs iſt meine Geſchichte: Die Geſchichte eines Unglücklichen, den die Un - wiſſenheit oder Unbeſonnenheit ſeiner El - tern, Lehrer, Freunde etc. der raſendſten Aus - ſchweifung überlieſs, ihn dadurch ſelbſt un - ausſprechlich elend machte; und der men - ſchlichen Geſellſchaft, deren irrdiſches und ewiges Wohl er, nach den ihm von Gotte verliehenen vortreflichen Anlagen und ſeiner brennenden Menſchenliebe, thætigſt befördert haben würde, entriſs. Und zugleich, ich wiederhole es nochmals mit Entſetzen, iſt dieſs die Geſchichte tauſend und aber tauſend deutſcher Jünglinge, die eben ſo verführt werden, eben ſo unwiſſend in Anſehung derent -13entſetzlichen Folgen dieſer Sünde bleiben; eben ſo der menſchlichen Geſellſchaft entzo - gen; und eben ſo elend und unglücklich werden. Freilich dieſs nicht alle in dem Grade wie ich, aber die mehreſten doch unglücklich und elend genug. Welches nur nicht an den Tag kömmt; indem Jeder aus Schaam ſeine Noth geheim hælt. Und wenn ich nun noch an das weibliche Ge - ſchlecht denke, unter welchem die Sünde eben ſo ſehr im Schwange geht, als unter dem mænnlichen, und eben ſo ſchreckliche Zerſtörungen und Verwüſtungen anrichtet, als unter dieſem; nur aber noch weit unbe - merkter und alſo ungehinderter: ſo ergreift mich Zittern und Entſetzen. O du armes, verkauftes und verrathenes, junges Menſchen - geſchlecht beiderlei Geſchlechts, will ſich denn Niemand deiner erbarmen, dich Nie - mand der verderblichſten Unwiſſenheit ent - reiſsen, und über die fürchterlichen Folgen der heimlichen Sünden unterrichten! O ihr Denker, Menſchenfreunde und Aufklærer unſers Jahrhunderts, wer ihr auch ſeyd; o ihr Fürſten und Obrigkeiten, o ihr Volks - lehrer, o ihr Aerzte, o ihr Eltern, Lehrer undErzie -14Erzieher, ſaget, wie wollet ihr es vor Gottes Richterſtuhle und dem Richterſtuhle eurer Vernunft verantworten, daſs ihr bisher das Menſchengeſchlecht nicht aufmerkſamer auf dieſe, im finſtern ſchleichende und im ver - borgenen unüberſehbare Verwüſtungen an - richtende, Peſt, gemacht habt; wie wollet ihr es verantworten, daſs ihr dieſe fruchtbar - ſte Quelle des menſchlichen Elendes nicht allgemeiner bekannt gemacht, und jederman entdeckt, und hinlængliche Mittel zur ſchleu - nigſten Verſtopfung derſelben ausfindig ge - macht habt? Eure Unbeſonnenheit oder Unwiſſenheit muſs unglaublich groſs ſeyn.

Anmerkung.

Die ſtarken Ausdrücke, die der Verfaſſer die - ſes Briefs braucht, ſind gewiſs nicht über - trieben. Wenn es wahr iſt, wie es denn wahr iſt, daſs ſo viele tauſend tauſend jun - ge Leute, in der gröſsten Unwiſſenheit und Unſchuld, ſich um die Geſundheit des Leibes und der Seele bringen, ihr Leben verkürzen, und zur thætigen Betreibung ihrer Geſchæfte untüchtig machen, unddie15die Perſonen, in deren Hænde ihre zeitliche und ewige Wohlfahrt gelegt iſt, darum ganz unbekümmert ſind wer kann da gelaſſen bleiben! Daſs dieſe Seuche auch das weibliche Geſchlecht angeſteckt ha - be, iſt leider wahr, und læſst uns eine ſehr ſchwæchliche und elende Nachkommen - ſchaft befürchten. Ich kann aber zur Ab - ſtellung dieſes Elends nicht viel thun, und muſs mich blos auf die Ausſchweifung des mænnlichen Geſchlechts einſchrænken. Doch werden verſtændige Eltern und Er - zieher gar vieles, was ich hier ſage, auch auf das weibliche Geſchlecht anwenden können.

III.

Der Anfang dieſer böſen Gewohnheit fællt ohngefæhr in mein 13tes Jahr. Ich ward nicht dazu verführt, habe nie das Laſter von irgend jemand ausuben ſehn, niemals davon reden hören, kannte damals den Unterſchied des Geſchlechts ganz und gar nicht, und ha - be das Laſter ſelbſt Jahrelang mit ſo volkom - mener Unſchuld des Herzens begangen, daſs nicht einmal eine Ahndung von Unrecht oder Sündlichkeit bey mir aufſtieg. Und ſo kön -nen16nen Sie das damit reimen, was ich vorher von den, in dieſen Zeitraum fallenden, religioeſen Geſinnungen von mir ſchrieb.

Ich fiel in meinem 13ten Jahre ganz von ohngefæhr in dieſe Sünde. Ich wiederholte ſie faſt alle 14 Tage, denn viel öfterer erinnere ich mich nicht es gethan zu ha - ben, und glaubte ich nicht anders, als daſs dieſs ein eben ſo unſchuldiger Kizzel wære, als wenn bey unſern Spielen, meine Kamma - raden mich unter dem Kinn kizzelten. Mei - ne Gemüthsruhe ward dadurch gar nicht ge - ſtört; ich konnte eben ſo freudig beten, ſelbſt unmittelbar vor oder nach begangner That beten, und begieng dieſs Laſter mit ſo völliger Unſchuld, daſs ich ſicher auch nie angeſtanden haben würde, es jedem, der mich gefragt hætte, ohne Rückhalt und ohne alle Schamröthe, zu entdecken. Auch entſtand dabey oder dadurch auch platterdings kein böſer ſündlicher Gedanke in meînem Herzen. Ich wuſste nichts vom Geſchlechtsunterſchie - de, noch weniger etwas vom Zeugungsge - ſchæfte, und nie war bey dieſem Kizzel, der damals wegen meiner jungen Jahre, keineſicht -17ſichtbare Wirkung verurſachte, die mindeſte böſe Begierde in mir erwachten. Wie her - nach etwas dadurch hervorgetrieben wurde, ſo wuſste ich mir zwar dieſs gar nicht zu erklæ - ren, bekümmerte mich aber auch weiter nicht darum, und blieb immer ſo ſehr in meiner Un - ſchuld, daſs ich nie argwöhnte, was ſtræfliches begangen zu haben, auch nie nach der That der geringſte reuige Gedanke mich beun - ruhigte.

IV.

Meine Eltern und Lehrer haben Religion, wahre aufs Herz wirkende Religion, frühzeitig und tief in meine Seele geprægt. Und noch dank ichs ihnen mit jedem Tage! Aber wollte Gott ſie hætten dieſem Laſter bey mir mit eben ſo vieler Einſicht und Sorgfalt entgegen gear - beitet, als den übrigen. Sie bemerkten mitten unter meinen frommen und guten Geſinnun - gen eine gewiſse Heftigkeit aller Begierden, in meinem Herzen, bey welcher es einzig und allein auf die Richtung ankam, die ſie beka - men, ob ich der nützlichſte oder elendeſte Menſch auf der Erden werden ſollte. Sie(Von heimlicden Sünden.) (B)muſsten18muſsten vermuthen, daſs ein Kind, das in al - lem æuſerſt heftig war, auch in dieſer Lei - denſchaft, bey ihrem Erwachen, nicht ſchlæf - rig bleiben würde. Sie ſtellten ihr zwey ge - wöhnliche Mittel entgegen, Schamhaftigkeit und Unwiſſenheit. Die erſte hat mich bis - weilen, noch viele Jahre nachher, von dem Verderben errettet, in das mich die zweyte geſtürzt hat. Ich habe das Verbrechen eher begangen, als ich nur gewuſst habe, daſs es Verbrechen dieſer Art giebt.

V.

Extract aus dem Schreiben eines Schul - lehrers in Deutſchland

Ich leugne es nicht, daſs ich Anfangs, in Anſehung der in neuern Schriften behaupteten Allgemeinheit dieſes Laſters, etwas zwei - felte, allein itzt bey ſo vielen traurigen Erfahrungen, die ich vor mir habe trete ich immer mehr dieſer Meinung bei. Die An - zahl derer, die in dieſen 6 Jahren meine Schü - ler geweſen, und es zum Theil noch ſind, belæuft ſich auf 94; und von dieſen haben 49 ihre Verführung mir ſelbſt eingeſtanden. Daſs19Daſs die übrigen 45 alle unſchuldig ſeyn ſoll - ten, darf ich wohl nicht annehmen: denn mit 6 von ihnen wurde ich darüber zu reden ver - hindert, die gleichwohl von Andern derſel - ben Verführung beſchuldigt wurden, und wer weiſs, wie manchem es unter den Uebrigen gelang, ihren Verfall recht geheim zu hal - ten. Dieſe 49 Verfûhrte waren, als ich mit ihnen ſprach, 9 15, die meiſten 10 13 Jahre alt. Sie alle hatten das Laſter mit in meine Klaſſe mitgebracht, und einigen war es ſchon ſeit ihrem 8ten Jahre bekannt. Sie alle kamen darinn ûberein, daſs ſie für ſich allein, oder mit andern, den Geſchlechtstrieb gereizt zu haben, geſtanden. Unbekannt mit dem Schrecklichen dieſer Ausſchweifung, ſagten faſt alle, daſs ſie von Andern, theils durch hieher zielende Unterredungen, theils durch Verfûhrung ſelbſt angeſteckt wæren.

Anmerkung.

Bey der groſsen Allgemeinheit dieſer Sûnde fællt alſo die Beſorgniſs einiger meiner Freunde, als wenn ich durch meine Schrift manchen Jungen Leuten ein neues Laſter lehren wûrde, gænzlich weg.

(B 2)VI. 20

VI.

Dieſs einzige will ich zu meiner wenn ſie irgend möglich iſt Entſchul - digung anführen, daſs ich wæhrend meines ganzen daſigen Aufenthalts, weder dieſs Laſ - ter ſelbſt, noch die Leib und Seel verderben - den erſchrecklichen Folgen deſſelben, kannte, auch nie die Abſcheulichkeit und Strafbarkeit deſſelben vermuthete, ungeachtet, ich geſtehe es zu meiner Schande, ich ſpæterhin die Un - rechtmæſſigkeit meines Betragens dunkel ahn - dete, dann war es aber zu ſpæt; das Leſen ſchlüpfriger, vorzüglich franzöſiſcher, Bûcher, worunter einige ſehr abſcheuliche waren, die mir durch ganz beſondere Zufælle in die Hæn - de geriethen, verdorben mich immer mehr, und endlich hielt mich die Gewohnheit mit eiſernen Ketten feſt, bis ich endlich die ent - ſetzlichen Folgen dieſes Uebels an meinem Körper und Geiſte empfand, nach einem be - ſondern Zufalle, den ich ihnen nachher zu er - zæhlen die Ehre haben werde. Entfernt von der Welt, auf den bloſſen Umgang der Schul Kammeraden eingeſchrænkt, von einem lebhaften und feurigem Temperamente hinge -riſsen21riſsen, begieng ich dieſs Laſter; da war nie - mand, der mich warnte, keiner, der dem Ge - fallnen wieder aufhalf; ich habe mich nach der Zeit erinnert, ein einzigesmal von einem unſerer Lehrer etwas wider dieſs Vergehen gehört zu haben, aber es war ſo dunkel und unbeſtimmt, daſs ich damals ſowohl nichts davon verſtand, als es auch gar nicht auf mich anwenden konnte.

Anmerkung.

Wer hat denn alſo das Elend ſolcher Un - ſchuldigen auf ſeinem Gewiſſen?

VII.

Mein Vater, der auf dem Lande wohnte, gab mich in meinem neunten Jahr, in die Schule eines benachbarten Stædchens, deſſen Rector in der ganzen Gegend den Ruff eines groſsen Schulmanns und Erziehers erhalten hatte, wofür er auch von einem jeden, nur nicht von denjenigen unter ſeinen Schûlern gehalten wurde, die ſchon zu einiger Ueber - legung fæhig waren, die jedoch nur immer ſehr mittelmæſſig ſeyn durfte, um einzuſehen, daſs ihr Rector zwar ein ehrlicher Mann,(B 3)zu22zu nichts in der Welt weniger aber, als zur Erziehung der Jugend, erſchaffen ſey. Eine næhere Beſchreibung von ihm, würde ûber - flüſſig ſeyn, da Dieſelben ihn ſchon ſelbſt in ihrem Rector Californius ſo gut geſchildert haben, daſs ich nichts mehr von ihm zu ſagen habe, als nur, daſs er noch weniger gelehrt, aber doch von gröſserer Rechtſchaffenheit war, wiewohl ſeine Schüler darum an ihm keinen beſſern Lehrer hatten. Seine beſon - dern Meinungen, in Abſicht auf Religion und Moralitæt, hatten auf dieſe vorzüglich nach - theilige Einflüſſe. Sie hatten es ſo oft ge - hört, daſs alle, auch die abſcheulichſten, Laſter gegen den Unglauben gar nicht zu rechnen wæren, und daſs ein Menſch, der auch alles was man Tugend nennt in ſich vereinigte, dennoch vor Gott ein gröſserer Sünder, als ſelbſt ein Vatermörder, wære, wofern er nicht im Glauben ſtünde. Sie hatten die Tugen - den der gröſsten Mænner nicht anders als glænzende Laſter nennen gehört, weil ſie nicht aus dem Glauben gefloſſen waren, und es war ihnen überhaupt gegen das Wort Tu - gend, ein wirklicher Haſs eingeflöſst worden, weil es heidniſch und unchriſtlich wære; wieleicht23leicht war es daher dieſen Unglücklichen möglich, ſich den abſcheulichſten Laſtern zu ergeben, die jedoch ihr Lehrer, welches ich zu ſeiner Ehre ſagen muſs, nicht kannte, und auch die Ausübung derſelben, wegen Mangel an Menſchenkenntniſs, an ſeinen Schülern nicht entdecken konnte. So war die Schu - le beſchaffen, in welcher mein Verſtand durch nützliche Wiſſenſchaften aufgeklært, und mein Herz der Tugend geöfnet, und für alle Eindrücke des Guten und Edeln empfæng - lich gemacht werden ſollte.

Anmerkung.

So übertrieben dieſe Beſchreibung zu ſeyn ſcheint, ſo gewiſs iſt es doch leider, daſs es Lehrer giebt, die die ganze morali - ſche Beſſerung ihrer Schüler im Glauben ſetzen, der, wenn man es genau unterſucht gar nicht Glaube an Jeſum Chriſtum, ſon - dern Glaube an die Symboliſchen Bücher iſt, mit dem ſich dieſe, und viele andere Sünden, gar wohl vertragen.

(B 4)VIII. 24

VIII.

Meine übrige Cammeraden waren gleich - falls mit dieſer Seuche angeſteckt: da war niemand, der uns vor dieſem Verderben warn - te: denn obgleich der Rector bey einigen die Abnahme ihrer Geſtalt wahrnahm; ſo beſaſs er doch zu viel Glaubensgnade und zu wnig Menſchenkenntniſs und Erfahrung, als daſs er den wahren Grund davon hætte entdecken können: alſo blieb ich noch ein Jahr lang in dieſem unglûcklichen Taumel der Leiden - ſchaft, bis endlich die Leſung einiger guten Schriften, beſonders Gellerts moraliſche Vor - leſungen und der Kinderfreund, meine Ver - nunft, und mein eingeſchlæfertes Gewiſſen wieder aufweckten.

IX.

Auszug aus dem Schreiben eines Arztes:

Im Anfange wuſste er gar nicht, daſs ſeine Handlung etwas unrechtes ſei, oder daſs ſie ihm Schaden bringen könnte, weil er davonnoch25noch gar nichts gehöret hatte; inzwiſchen verſichert er doch, daſs er es immer aufs ſorgfæltigſte habe zu verbergen ſuchen, und daſs er auch ſehr zeitig wollüſtige Regungen bey ſich verſpürt habe, ob er gleich von auſ - ſen her gar keine Veranlaſſung dazu hatte. Er trieb dieſs Laſter unwiſſend was es ſey? bis er nah * auf die Schule kam. Als er hier ein Jahr geweſen war, ſo war dieſes Laſter an einem ſeiner Mitſchüler entdeckt, es wurde öffentlich davon geſprochen, und nun erſt in ſeinem 16ten Jahre ward er davon völlig unterrichtet. Er er - ſchrack, nahm ſich vor es zu fliehen, auf ſeine ganze Beſſerung zu denken, und that ſich wirklich alle Gewalt an.

Alle dieſe Zeugniſſe, an deren Glaub - würdigkeit zu zweifeln ich gar keine Urſa - che habe, indem ſie mehrentheils von Per - ſonen herrûhren, die ihren Namen nicht genennt, und alſo keine Urſache haben, ih - re Sünden gegen mich zu entſchuldigen, vielmehr mit der gröſsten Aufrichtigkeit oft die Zügelloſigkeit ihrer Ausſchweitun -(B 5)gen26gen geſtehen, ſtimmen darinne überein, daſs dieſe Sünden anfænglich mit einer gewiſſen Unſchuld, aus Mangel der Belehrung von ihrer Schædlichkeit, begangen werden. Auch die übrigen Briefe, die ich dieſer Sache we - gen in Hænden habe, ſtimmen bey. Ich kann aber ihre Auſſage nicht wörtlich mit abdrucken laſſen, weil ſie zu ſehr in das Ganze verwebt iſt, und oft nur einen hal - ben Perioden ausmacht.

Wenn man unter dieſen Umſtænden beſorgen wollte, Aergerniſs zu geben, wenn man gegen dieſe Sünden ſchriebe, ſo wære dieſe Beſorgniſs eben ſo eitel, als wenn ein Prediger, der bey einer diebiſchen Gemeine angeſtellt iſt, ſich ſcheuen wollte, die Schæd - lichkeit und Strafbarkeit des Diebſtahls vorzuſtellen.

Um meiner Behauptung noch deſto mehr Gewichte zu geben, und darzuthun, wie unverantwortlich nachlæſſig man, in An -ſehung27ſehung dieſes Puncts, an manchen Orten ſey, und wie man unwiſſend ſogar alle Anſtalten ma - che, dieſe Ausſchweifung zu befördern, füge ich noch die Beſchreibung bey, die mir ohn - længſt einer meiner Freunde von einer ge - wiſſen anſehnlichen Schule machte:

X.

Die Eleven haben den reichlichſten Tiſch; mittags drey Gerichte mit Suppe, worun - ter zweymal Fleiſch, oder Fleiſch und Bra - ten iſt, und Abends ebenfalls wieder zwey warme Gerichte; bey jeder Malzeit jeder ein ziemliches Glas Bier, und die Woche drey - mal Wein. Den Winter, ſo bald Schnee ge - fallen iſt, dürfen ſie gar nicht auſſerhalb des Schulhauſes gehn; iſt dieſs nicht, ſo können ſie die Woche ein, zuweilen zweimal, inner - halb der Schulmauern aber, Ballſpielen oder Kegelſchieben; und nur ohngefæhr, alles zu - ſammen gerechnet, dreiſſigmal des Jahrs, von Oſtern bis gegen Auguſt, auſſerhalb der Mau - ern, nachmittags von 3 bis 6 Uhr, oder von 5 bis 6, niemals aber vor dem Schlaffengehnſpatziren28ſpatziren gehn Und nun das abſcheulichſte! von Abends 8 bis früh halb 5, oder im Win - ter halb 6 Uhr, ſollen ſie ſchlafen! Daſs dieſs im Sommer nicht geſchieht, kann man ſich vorſtellen, denn da iſts unmöglich; aber im Winter müſſen ſie es thun, da Licht in der, auch ûberdieſs mit keinem Ofen verſehenen, Kammer zu haben, bey oft ſchon erfolgter Strafe der Excluſion verboten iſt. Die Leh - rer ſind an dieſer Einrichtung unſchuldig; ſie iſt ihnen höhern Orts anbefohlen worden, ohne Gegenvorſtellungen anzuhören, um das, wegen Feuersgefahr ſo bedenkliche, Nachtſtu - diren, und ſollten ſie es wohl glauben? die ſtummen Kloſterſünden zu verhüten.

O ihr, die ihr berufen ſeyd, die Auf - ſicht über die Erziehung der Jugend ganzer Provinzen zu führen, ſucht euch doch die - ſes wichtigen Poſtens, der gewiſs einer der wichtigſten im Staate iſt, durch Erwerbung der, hierzu nöthigen, Einſichten würdig zu machen! damit nicht durch eure Schuld ſo vieles Unheil geſtiftet werde!

Nehmt29

Nehmt an, daſs der Aufſeher einer Schæ - ferey die Violine, Schallmeye und den Du - delſack, recht niedlich ſpielen, Engliſch, Deutſch und Pohlniſch, recht zierlich tanzen könnte, auch viele andere Geſchicklichkeit beſæſse; aber die Natur der Schafe ſo we - nig kennte, daſs dieſe armen Thiere unter ſeiner Direction ſchæbicht, raudich und faul würden, und elende Læmmer zur Welt bræchten! würdet ihr nicht ſagen, er ſey ein Mann, der ſeines Amts unwürdig wære? So ſeyd auch ihr, beſæſset ihr auch die ausgebreiteſten Kenntniſſe, eures Amts nicht würdig, ſo lange ihr die menſchliche Natur nicht kennet, und die euch übergebnen un - ſchuldigen Kinder ſo behandeln laſst, daſs ſie dahin welken, verdorren, und die Stamm - væter einer unglücklichen Nachwelt werden müſſen.

Zwey -30

Zweyyter Abschnitt.

Von der Schædlichkeit der heimli - chen Jugendſünden.

Seitdem ich meine Entſchlieſsung, von die - ſer Art Sünden zu ſchreiben, kund gemacht, und über das groſse Elend, das dadurch in der menſchlichen Geſellſchaft angerichtet werde, laute Klagen geführt habe: ſind ver - ſchiedene Briefe an mich eingegangen, in de - nen ich erinnert wurde, daſs die Vorſtel - lung, die ich von der Schædlichkeit dieſer Sünden gemacht hætte, übertrieben ſey. Ich habe über dieſe Erinnerungen ernſtlich nach - gedacht, indem ich die Schædlichkeit über - triebner Vorſtellungen gar wohl kenne, gar wohl weis, daſs ſie Abweichung von der Wahr - heit ſind, die allemal, ohne Ausnahme, über lang oder kurz, traurige Folgen nach ſich zieht. Aber alles, wovon ich mich ha -be31be überzeugen können, iſt dieſes, daſs die Schædlichkeit ihre Grade habe, und bey ei - ner Perſon ſtærker, bey der andern gerin - ger ſey. Es mag hier auch wohl heiſen, duo quum faciunt idem, non est idem. Der Verluſt von nützlichen Sæften muſs bey Er - wachſnen minder ſchædlich ſeyn, als bey Kindern, und die Nerven eines fünf und zwanzig jæhrigen Menſchen werden nicht ſo leicht geſchwæcht, als die Nerven eines acht bis vierzehn jæhrigen Knabens. Ein unbeſon - nener Aufwand, den jemand aus ſeinem Ue - berfluſſe macht, wird ſeine Haushaltung bey weiten nicht ſo zerrütten, als dieſs bey ei - nem andern geſchieht, der eben dieſen Auf - wand über ſein Vermögen macht. Einer - ley Handlung kann einen ſchwæchlichen Menſchen niederwerfen, und einen ſtarken nur unmerklich entkræften. Eine Aus - ſchweifung, die ſelten geſchieht, iſt minder gefæhrlich, als wenn ſie oft wiederholt wird. Dieſs alles, welches hoffentlich jeder, der weis, von welchen Sünden ich rede, verſtehenwird32wird, geſtehe ich zu, ohne daſs ich genö - thigt wære, etwas von dem, das ich hier und da in meinen Schriften, von der Schæd - lichkeit der bewuſsten Ausſchweifungen, ge - ſagt habe, zurück zu nehmen.

Noch immer behaupte ich, daſs dieſe Sünden ein Seel und Leib zerrüttendes und verderbendes Uebel ſind.

Kaum glaube ich, daſs es irgend eine Art von Sünden gebe, die ſo leicht zur Fertigkeit, zur tief einwurzelnden Fertigkeit, werden könne, als dieſe. Geſetzt, daſs mancher den Ausſchweifungen mit dem andern Geſchlechte ſich ergæbe, ſo kommen doch immer viele Un - terbrechungen, die die Ausſchweifung nicht ſo leicht zur Fertigkeit werden laſſen; gewiſ - ſe Verbindungen werden getrennt, und es ko - ſtet einige Zeit und Mühe, ehe wieder ande - re können geſchloſſen werden; es iſt dabey groſse Behutſamkeit nöthig, damit man nicht entdeckt werde, und an ſeinem guten Namen leide; es treten auch immer herbeFolgen33Folgen ein, die den Genuſs verbittern. Dieſs iſt aber alles bey dieſen Sünden nicht. Die Gelegenheit ſie zu begehen iſt ſtets da, oh - ne daſs man Plane entwerfen darf ſie zu finden; ſie iſt ungemein leicht zu verheimlichen, zu - mal bis hieher, da ſo wenige die Merkmahle kannten, durch welche ſie ſich dem ſcharfſich - tigen Blicke des Menſchenkenners verrathen; die traurigen Folgen derſelben treten gemei - niglich nicht eher ein, als bis die Fertigkeit ſchon tiefe Wurzel geſehlagen hat; und die Kræfte, ſie zu beſiegen erſchöpft ſind. Es kann daher leicht ein Unglûcklicher, der ſich auf dieſen Weg verrirt hat, dahin kom - men, daſs dieſe Sünden für ihn tægliches Bedürfniſs ſind, ſo wie des Brandeweins tæglicher und hæufiger Genuſs für manche Menſchen Bedürfniſs iſt. Und ſo wie man - che Brandeweintrinker ihre böſe Ge - wohnheit mit gerührtem Herzen erken - nen, den groſsen Schaden, den ſie ih - rem Leibe, ihrer Seele, ihrer Familie und ihrer ganzen Haushaltung, zufügen, bewei -Von beimlichen Sünden. (C)nen34nen, und doch immer ſorttrinken, ohne daſs es ihnen möglich wære, über die tief eingewurzelte Gewohnheit zu ſiegen: ſo können leicht auch ſolche Verirrte, wenn ſie in der Folge zu beſſern Einſichten kom - men, nicht mehr Kraft genug haben, ſich ein ſo nothwendig gemachtes Bedürfniſs ab - zugewöhnen, und gezwungen ſeyn, eine Le - bensart fortzuſetzen, welche ihr Gewiſſen verdammt und verabſcheut. Welches wohl ein ſehr ſchrecklicher Zuſtand ſeyn mag.

Wer alſo dieſen Sünden ſich ergiebt, gleicht einem Unbeſonnem, der von der Spit - ze eines ſehr ſteilen Gebirgs herabzulaufen anfængt. Er weis nicht wie weit er laufen wird. Es kann ſeyn, daſs er im Laufe ei - nen Stamm antrift, an den er ſich halten kann, es kann aber auch ſeyn, daſs der Ab - hang des Bergs ihn nöthigt, auch wider ſeinen Willen, fortzulaufen, und ſich in ei - nen Abgrund zu ſtürzen, den er am Ende ſeiner Laufbahn mit Entſetzen und Grauſenerblickt.35erblickt. Wenn nun dieſe Sünden auch nur dieſe einzige traurige Folge hætten, ſo iſt dieſe einzǃge traurige Folge ſo ſchrecklich, daſs man laut darüber klagen und alle Men - ſchenfreunde anflehen muſs, zur Abſtellung dieſes Uebels das Jhrige beyzutragen: Denn dieſe einzige traurige Folge iſt die Mutter einer ſehr zahlreichen Nachkommenſchaft, die der Mutter durchgængig æhnlich ſieht.

So würde ich philoſophiren, wenn ich über die Natur dieſer Vergehungen nachdæchte.

Man leſe folgende Documente, und zeige mir dann wo ich geirret, oder die Sa - che übertrieben habe.

I.

Ueberhaupt glaube ich, daſs das einzige Mittel, um ſich von dieſer Gewohnheit zu hei - len, das ſey, dem erſten Fluge der Einbildungs - kraft zu wehren. Widerſetzt man ſich nicht(C 2)dem36dem erſten Gedanken, und læſst ſich nur ver - fûhren, dieſem erſten Gedanken einen Augen - blick nachzuhængen, ſo ſind nachher alle Mit - tel umſonſt. Und in dieſer Lage hat meine Sinn - lichkeit ſo gar ſelbſt oft gegen Vernunft und Religion geſtritten, und Vernunft und Religi - on beſiegt, wenn ich dieſen Ausdruck brau - chen dürfte. Sobald man der Einbildungs - kraft nur einen Augenblick freyen Lauf læſst, und ſie nicht gleich bey dem erſten Gedanken bezwingt: ſo iſt nachher fûr Vor - ſtellungen der Vernunft und Religion alles verloren, weil der Verſtand, umnebelt von den Gauckeleien der Phantaſie, nicht mehr fæhig iſt, ihnen Gehör zu geben. Ich habe in Stunden ſolcher Verſuchung, wo ich beim erſten Schritt nicht auf meiner Hut war, oft ſodann alles zu Hülfe gerufen, wovon ich Rettung erwarten konnte. Meinem Verſtand allein trauete ich in ſolchen Stunden der Lei - denſchaft nicht mal, daſs er getreu genug ſeyn würde, mir alles zu ſagen, was er in ruhigern Stunden wuſste. Ich nahm Bibel, Geſangbuch u. a. Bücher, las allen Segen der Keuſchheit, alle Flüche der Unkeuſchheit; Gottes Allgegenwart, jenen Tag der endli -chen37chen Vergeltung, ſuchte ich mir möglichſt zu vergegenwærtigen, umſonſt! Ich ſank vor meinen Stuhl, und betete mit heiſser Inbrunſt um Rettung, umſonſt! Ich ſahe, ich wûrde fallen, ich ſahe, daſs dieſs unrecht ſey, und brauchte daher alle dieſe Mittel, aber es war als ob mein Verſtand unter der erhitzten Phan - taſie, und unter der Gewalt der Gewohnheit, welche dieſs Laſter beinahe bis zum körper - lichen Bedûrfniſs erhöhen kann, gefangen læge, und ich fiel.

Anmerkung.

Es iſt freilich ein ſehr weiſer Rath, dem erſten Fluge der Einbildungskraft zu wehren. Aber ach wie ſchwer, wie ſchwer mag er zu befolgen ſeyn für ſolche, die ſchon ſo ſehr zur Sinnlichkeit berab geſunken ſind, daſs ihre Einbildungskraft, an die unſchul - digſten Anblicke, Gedanken und Aus - drücke, eine Reihe erhitzende Bilder, durch die erworbene traurige Fertigkeit, zu ket - ten weis! zum Beweiſe mag das folgende Document dienen.

(C 3)II. 38

II.

Bey jedem reizenden Gegenſtande wurden die Geſchlechtstriebe in mir rege, welche dann in viehiſche Brunſt ausarteten. Ich fand bald junge Mædchen, welche ich zu meinem Umgang wæhlte, mit welchen ich jedoch weder Unzucht noch ſonſt un - erlaubte Dinge trieb. Allein, wenn ich nach Hauſe kam, und mich ganz allein überlaſſen war, dachte ich dann an das Vergnügen, das ich bey meinen Mædchen genoſſen, mahlte mir in der Phantaſie ihr Bild aufs lebhafteſte aus, und nun überlieſs ich mich aller nur mögli - chen Ausſchweifung, ſo, daſs ich nichts für unerlaubt hielt, wenn ich nur meine Begier - den befriedigen konnte. hierdurch kam es endlich ſo weit, daſs ich gar kein Mædchen oder auch ſchwangere Frau ſehen konnte, ohne daſs nicht der Trieb der Geſchlechts - luſt in mir rege geworden wære, und Befrie - digung verlangt hætte. Noch viel weniger durfte von der Begattung oder der Vermiſch - ung beyder Geſchlechter geſprochen werden, wenn ich nicht zur Ausſchweifung ſchrei - ten, und Böſes thun ſollte. Denn hier warddurch39durch die Aſſociation der Ideen mancher wol - luſtige Gedanke lebhaft, und ein Sturm der Leidenſchaften wütend, der alles Nachden - ken verjagte, und mich in einen Taumel ver - ſetzte, wo der Gebrauch der geſunden Ver - nunft gar nicht möglich iſt. Starke und hit - zige Getrænke, leckerhafte und übermæſſige Speiſen, erhitzten ebenfals die Wolluſt in mir, und die warmen Betten gaben nicht wenigen Anlaſs dazu

III.

Erwarte nicht von mir, Jüngling, Anwei - ſung, dieſem Laſter zu entgehen! die Mittel ſind bekannt: eine immerwæhrende Beſchæf - tigung, Mæſſigkeit und Fliehung der Ein - ſamkeit, ſind die vorzüglichſten; wird dieſs Verbrechen erſt zur Gewohnheit, dann wur - zelt es ſo tief ein, daſs alle dein Beſtreben es nicht gænzlich ausrotten kann. Auch dieſs fühl ich zuweilen, alle Gründe der Vernunft, alle Erfahrung, vermögen nichts wider eine alte Gewohnheit. Temperament, und ein lange geûbtes Laſter, laufen mit dem Ver - ſtande davon, wie ein wildes raſches Pferd, mit ſeinem Reuter.

(C 4)IV.40

IV.

So habe ichs o Gott!!! vier Jahre lang, bald mit kürzern bald mit længern Zwiſchenraum getrieben. Einmal machte ich ſogar eine Pauſe von zehn Wochen, aber, erwarten Sie ein fürchterliches Geſtændniſs! ich kann mich noch nicht davon losreiſsen.

Das konnte und muſste ich bald einſehen, daſs ich zum mindſten eine Thorheit be - gieng, lernte auch bald, aus einem aus dem Engliſchen überſetzten Buche, über die Ona - nie, und aus Tiſſot, die Schædlichkeit und Abſcheulichkeit dieſes Laſters; allein alles dieſes machte ſo wenig bleibenden Eindruck, daſs ich es ſogar einmal, den Tiſſot in der Hand, begieng! Vielleicht verabſcheuen Sie mich nun ganz, einer Aeuſſerung in Ihrem herrlichen Carlsberg zu folge? Ich ver - diente es und theils des Andenken an der - gleichen Scenen, theils meine Unfæhigkeit mich zu beſſern, hat mich ſelbſt ſchon gegen mich mit ſo vielem Abſcheu erfüllt, daſs mich der Gedanke des Selbſtmords ſchon ſeit anderthalben Jahren zuweilen ſtærker, zuwei - len ſchwæcher beunruhigt hat.

Anmerk -41

Anmerkung.

Der Verfaſſer des Briefs, aus dem dieſes Frag - ment genommen iſt, iſt etwas ængſtlich, daſs er vielleicht, durch Bekanntmachung deſſelben, würde erkannt werden. Ich bitte ihn ſich deswegen gænzlich zu beru - higen, indem ich ſorgfæltig alles weglaſſe, was ihn etwa im Zirkel ſeiner Freunde charakteriſiren könnte. Aus dieſem Frag - mente ihn zu errathen, iſt ſchlechterdings unmöglich:

Den Gedanken des Selbſtmords bitte ich ein vor allemal aufzugeben, und wohl zu überle - gen, daſs wir alle erworbene Fertigkeiten, Gute und Böſe, mit in jene Welt nehmen. daſs auch dieſe traurige Fertigkeit in einer andern Welt ſein Peiniger ſeyn werde, ſo wie die Unkeuſchheit auch den kraftloſen Greis peinigt, der ſie bey ſich zur Fer - tigkeit hat aufwachſen laſſen, wenn er auch gleich ſchon halb entkörpert iſt; daſs alſo ſchlechterdings kein ander Mittel zur Beſſerung ſeines Zuſtandes übrig ſey, als Beſſerung ſeiner ſelbſt. Dieſe Beſſe -(C 5)rung42rung wird ihm freylich æuſerſt ſchwer ſeyn, aber nicht unmöglich, wie ich in der Folge zeigen werde.

V.

Beten war, nach ſeinem Geſtændniſs, das einzige ihm bekannte Mittel, welches ihm etwas Erleichterung in ſeiner Bekümmernis verſchafte. Man hatte ihm von Jugend auf das Gebet als etwas Gutes, nicht allein angeprieſen; ſondern ſeine Mutter und Ver - wande, waren auch ſelbſt Beyſpiel für ihn darin geweſen, und er hatte alle Morgen ſeine Gebetsformel, vor dem Tiſche, laut herſagen müſſen. Sein Schullehrer lies ſichs ſehr angelegen ſeyn, mit Empfindung zu be - ten, welches ihm ſo wohl gefiel, daſs er jede Gelegenheit nutzte, wo er ihn hören konnte. Manchen guten Gedanken und Vor - ſatz brachte der Lehrer dadurch in ihm her - vor; zu welchen auch der mit gehörte: dem Laſter ganz zu entſagen. Er ſoll oft vor Be - gierde es zu laſſen, geweint haben. Das, was man kaum glauben ſollte, that er. Er kaſteie - te ſeinen Leib ſogar, durch Strick und Eiſen. So43So lange er den Trieb nicht bemerkte, und Schmerzen fühlte, gelang ihm auch ſein Vornehmen; ſobald ſich jener aber æuſserte, und der fand ſich, beym Anblick eines jun - gen ſchönen Mædchens, allemal, wenn die durch Kaſteiung hervorgebrachte Schmerzen auch vorhanden waren, ſo ſoll jener doch geſiegt und dieſe untergelegen haben. Oft ſchwur ers Gott ſogar zu: ſeinen Vorſatz ſich zu beſſern, auszuführen. Aber, wie es ihm immer ſchon gegangen war, ſo giengs ihm in der Folge öfters noch. Er faſste den Vorſatz von neuen, ſchwur Gott aufs neue, und fiel dem ohngeachtet immer wieder. So beklommen denn ſein Herz war, und ſo viel Bekümmernis alsdann ſeine Seele hatte, ſo wenig Rath und Troſt konnte er doch zu ſeiner Beſſerung finden; ja ſie ward ihm im - mer ſchwerer, je mehr er den Jahren der Mannbarkeit nahe kam

Etwas Beruhigung gab ihm einſt der Grund - ſatz, den er von einem guten Manne hörte, der aber ſeine Untugend nicht kannte, und deſſen Beyſpiel er ſich zum Muſter genommen hatte: der Chriſt könne leichter zur Hure - rey kommen, als zum Diebſtahl

Weil44

Weil er oft von ſeinem Lehrer kernhafte Sprüche aus der Bibel, ſo herzlich und rüh - rend, anführen hörte, beſonders wenn ge - meinſchaftliche Kommunion war; ſo fand er Geſchmack daran, und machte das Bibelleſen hernach zu ſeiner Beſchæftigung, und bey der Wiederholung der, von ſeinem Lehrer an - geführten, Sprûche, blieb er ſelten unge - rührt. Zu ſeiner gröſsten Verwunderung las er: daſs Paulus im Briefe an die Römer ſchon dieſes Laſters gedacht hatte. Seinem guten Freunde, der auch mit dieſem Laſter bekannt war, erzæhlte ers, und beyde vereinigten ſich, das Laſter zu verlaſſen. Aber es gieng ihm wie vormals. Es wurde nichts daraus. Endlich faſste er einmal den Rath wo auf: Wenn man die angewöhnte Sünden laſſen wollte, ſo müſste man auch beſonders die Gelegenheit dazu meiden. Dieſe Lehre that ihm, nach ſeiner Ausſage, vortrefliche Dienſte, ſo daſs er ſich nun immer mehr von der Sün - de losmachte. Und hætte er beſonders zu der Zeit auch gehört, daſs man ſich oft ſei - nes gefaſsten Vorſatzes erinnern müſſe, wie er nachmals erfuhr, ſo wære ihm ſeine Beſſe - rung nicht halb ſo ſchwer geworden.

In45

In Gellerts Schriften las er die Beſchrei - bung des Schadens der Wolluſt nicht ohne Nutzen. Jedoch ſoll er nicht ganz Herr über ſeine Leidenſchaft geworden ſeyn.

Dieſe Beweiſe ſind, glaube ich, hin - længlich, uns zu überzeugen, wie leicht die - ſe Sünde zu einer ſo traurigen Fertigkeit wird, daſs man ihr entweder gar nicht, oder mit unendlicher Mühe und Anſtrengung, ent - ſagen kann. Wovon der natürliche Grund wohl dieſer iſt, daſs insgemein die Erkennt - niſs alsdann erſt kommt, wann die beſten Kræfte verſchwendet ſind, und die Leiden - ſchaft eine unbændige Stærke erhalten hat.

Welch unabſehliches Elend mag nun wohl hieraus entſpringen! Ich bin freylich kein Arzt, und tiefe Einſichten in die Be - ſchaffenheit des menſchlichen Körpers kann man deshalb von mir nicht erwarten. Fol - gende Behauptungen wird mir aber doch vermuthlich jeder Arzt, der ſelbſt beobach - tet hat, zugeſtehen, da ſie nicht aus Specu -lation,46lation, ſondern aus Beobachtung entſtanden ſind.

Die Natur wirkt dahin am mehreſten, wo ſie den mehreſten Abgang hat. Der Tobackraucher ſpuckt vielleicht zehnmal mehr aus, als ein anderer, der vom Rauchto - back keinen Gebrauch macht, und die Na - tur erſetzt ſtets den Abgang des Speichels. Das Blut, das man abzapfen læſst, iſt in we - nigen Tagen wieder beygeſchaft. Folglich ſucht auch die Natur andere Sæfte, die ent - zogen werden, wieder zu erſetzen.

Die Sæfte, die dieſe Sünde raubt, müſ - ſen wohl die geiſtigſten ſeyn, weil ſie die wichtigſte Beſtimmung haben, und weil, wenn ſie auch auf den natürlichen Wegen weggehen, immer einige Düſternheit, Ver - droſſenheit und Schlafheit erfolgt. Um die - ſen Abgang zu erſetzen, muſs alſo die Natur ihre ganze Thætigkeit anſpannen, und, wenn er übertrieben iſt, muſs Gehirn, Magen,Nerve47Nerve und der ganze Menſch dabey leiden. Denn wenn die Natur ein beſtimmtes Maas von Nahrung nur zu verarbeiten hat, und genöthigt wird, dieſs faſt alles einem Theile zuzuführen, müſſen dabey nicht ſchlechter - dings die übrigen leiden?

Wenn ferner die Natur ſich des Ueber - fluſſes gewiſſer Sæfte auf dem natürlichen Wege entledigt, ſo ſind alle Muskeln des Körpers in Thætigkeit: geſchieht dieſs aber auf eine unnat[ü]rliche Art, ſo verhælt ſich der Körper faſt ganz leidend, nimmt alſo nothwendig nach und nach die Gewohnheit an, ſich gewiſſer Sæfte ohne alle Anſtrengung zu entledigen. Daher kommen denn die erbarmungswürdigen Klagen über die hæu - figen unwillkührlichen Entgehungen der beſten Sæfte.

Dieſs muſs nothwendig für die Seele die traurigſten Wirkungen haben. Es muſs daraus ein gewiſſes Unvermögen zum Den -ken48ken und zum Handeln entſtehen. Der Schluſs, auf den ich dieſe Behauptung gegründet ha - be, iſt dieſer: wenn die Seele trübe und - ſter denkt, wenn der Körper, durch wahres Bedürfniſs gedrungen, ſich gewiſſer Sæfte, auf dem Wege, den die Natur anwieſs, ent - ledigt, wie weit trüber und düſterer muſs ſie ſeyn, wenn dieſe Entledigung ein erkünſtel - tes Bedürfniſs wird, und auf eine unnatürli - che Art geſchieht. Ich wenigſtens habe bey vielen, von dieſer Seuche angeſteckten, einen hohen Grad von Verſtandsſchwæche endeckt.

Ja es muſs auch aus dieſer traurigen Fertigkeit wohl mehrentheils eine gewiſſe Verſchrobenheit und ſchiefe Richtung der ganzen Beurtheilungskraft entſpringen. Denn wer das Unnatürliche reizend finden, wer der zweckloſen Vergieſsung der edelſten Le - bensgeiſter mit Vergnügen zuſehen, und ſie als eine unſchuldige Freude betrachten kann, zu welchen Verrirrungen iſt dieſer nichtaufgelegt49aufgelegt! daher finden wir, daſs dieſe Sün - de mit den Verirrungen des menſchlichen Verſtandes gemeiniglich parallel gehe. Sie raſte ohne Zweifel am ſtærkſten, da das Mönchs - und Nonnenweſen auf kam. Es kann ja nicht anders ſeyn. Wir bemerken aber auch, daſs die gröſsten Tollheiten des menſchlichen Verſtandes in dieſen Zeitpunkt fallen.

Auch in unſern Tagen haben dieſe Sünden leider um ſich gegriffen, aber eben ſo die Raſereyen des menſchlichen Ver - ſtandes. Zu eben der Zeit, da von allen Orten her Klagen erſchallen, daſs faſt die ganze Jugend von dieſen heimlichen Sünden angeſtecket ſey, laufen auch Nachrichten ein, daſs man ſich bemühe Geiſter zu beſchwö - ren, und durch gewiſſe Ceremonien die See - len der Verſtorbenen und der Lebendigen herbeyzubringen. Welche Tollheit! Wie kann ich ſie mir anders erklæren, als daſs das Gehirn auf eine unnatürliche Art müſſe ſeyn zerrüttet worden?

(Von heimlichen Sünden.) (D)Es50

Es iſt mir zwar von verſchiedenen Ge - ſchwæchten das Gegentheil verſichert und betheuert worden, daſs bey dieſen Sünden, ihr Gefühl für das Wahre und Schöne nicht gelitten habe, und ich habe um ſo weniger Urſache, in ihre Verſicherung ein Mistrau - en zu ſetzen, da wirklich ihre Briefe in ei - nem ſehr regelmæſſigen und blühenden Sty - le abgefaſst ſind, und ihre Behauptungen durchgængig das Gepræge der Wahrheits - liebe haben; dieſs beweiſst aber nichts wei - ter, als daſs meine Behauptung nicht allge - mein ſey, ſondern ſo, wie alle andere Be - hauptungen, ihre Ausnahmen habe.

Die Selbſtgeſtændniſſe, die ich habe beydrucken laſſen, worinne man geſteht, daſs durch die unſchuldigſten Veranlaſſungen unreine Gedanken erzeugt würden, beweiſen, daſs ich nicht ganz unrichtig geſchloſſen habe.

Da ferner durch dieſe Ausſchweifung dem Menſchen die edelſten Sæfte entzogenwer -51werden, ſo muſs dieſes nothwendig Kraft - loſigkeit zum Handeln, Mangel an Auf - ſtrebung nach ſich ziehen, den Menſchen untüchtig machen, ſich über das Alltægliche zu erheben, und etwas zu unternehmen, deſ - ſen Ausführung Muth und etwas ungewöhn - liche Anſtrengung erfordert. Da, wo ein anderer handelt, wird ein ſolcher Geſchwæch - ter dulden, und bey Vorfællen, die alle Kræf - te des Ungeſchwæchten in Thætigkeit ſetzen, wird ein ſolcher lamentiren. Caſtration ſchwæcht allemal den Muth, und die unna - türliche Entziehung der edelſten Sæfte, zumal wenn ſie zur Fertigkeit geworden iſt, iſt wahre Caſtration.

Da es freylich ungleiche Differenzen giebt, wenn gleiche Gröſſen von ungleichen abgezogen werden, ſo muſs auch dieſe trau - rige Wirkung mehr oder weniger ſichtbar ſeyn, je weniger oder je mehr der Ge - ſchwæchte Kræfte zuzuſetzen hat. Die næm - liche Fertigkeit, die den Schwachen ganz nerven - und muthlos macht, kann einem(D 2)andern,52andern, dem die Natur mehrere Kræfte ver - lich, einen weniger ſichtbaren Nachtheil zuziehen. Schwæchen thut es die Kræfte aber allemal, welches alsdenn am ſicht - barſten ſeyn würde, wenn man berech - nen könnte, wie ſich die Summe des Guten, das ein von Natur ſtarker Mann, der ſich durch dieſe Ausſchweifung dahin reiſen lieſs, ſtifret, zu der verhalte, die er wûrde geſtif - tet haben, wenn er von Jugend auf ſeine Sinnlichkeit beherrſcht hætte. Ich ver - gieng, ſchreibt mir einer meiner Corre - ſpondenten nach und nach, hatte an nichts mehr einigen Gefallen, verlieſs die Univer - ſitæt, und, anſtatt meinen Weg in die Welt zu machen, vergrub ich mich in die Einſam - keit, wo ich zwar ziemlich geſund lebe, ſeit - dem ich alle nur mögliche Gelegenheit zu Ausſchweifungen vermeide, aber ich bin doch gar nicht der brauchbare Mann gewor - den, der ich, nach meinen Fæhigkeiten, werden konnte.

Wie viele tauſende würden æhnlicheKla -53Klagen führen müſſen, wenn ſie über ſich ſelbſt nachdenken, und ihren gegenwærtigen Zuſtand, mit ihrer vorigen geheimen Lebens - geſchichte vergleichen wollten.

Daſs auch Melancholie oft die herbe Frucht ſeyn müſſe, die dieſe Ausſchwei - fung hervorbringt, lehrt die Natur der Sache. Denn wenn, wie ich vorhin ſchon gezeigt habe, die Entledigung von gewiſ - ſen Sæften, auf dem Wege, den die Na - tur zeigt, ſchon einigen Trübſinn nach ſich zieht, wie vielmehr muſs dieſe Wirkung erfolgen, wenn man es auf eine unnatürli - che Art thut, wenn man es, welches faſt im - mer der Fall iſt, thut, mehr, weil es erkün - ſteltes, als weil es natürliches, Bedürfniſs iſt. Man kann alsdenn auf dieſem Irrwege leicht in den traurigen Zuſtand gerathen, daſs man in ewiger Nacht wandelt, wo über die rei - zendſten Gegenſtænde ein fürchterliches Schwarz gezogen iſt, das alle fröliche Aus - ſichten in die Zukunft verbirgt, auf allen Seiten Schreckbilder zeigt, und jede kleine Ge - fahr und Beſorgniſs in Rieſengeſtalt darſtellt.

(D 3)Dieſe54

Dieſe Melancholie wird noch mehr durch das Gefühl des Elends und durch das Bewuſstſeyn, ſich daſſelbe ſelbſt zugezogen zu haben genæhrt. Wie ængſtlich muſs eine Seele werden, die ſich ſelbſt anklagen, die ſich ſelbſt vorwerfen muſs: ich habe mich entmannt, ich habe meine edelſten Anlagen zerſtört, habe die Kræfte geſchwæcht, mit denen ich mein, und meiner Brüder Glück hætte befördern können!

Wenn man dieſer Melancholie nicht frühzeitig vorbauet, ſie durch Beſſerung, An - ſtrengung und Vertrauen auf Gott, zu mæſ - ſigen ſucht, wie leicht kann ſie eine ſolche Stærke erreichen, daſs ſie zur Verzweiflung führt. Wer es weis, daſs er ſeine Natur zer - rüttet, und ſeine Nerven geſchwæcht habe, wie gen[e]igt wird dieſer ſeyn, alle ſeine kör - perlichen Schmerzen, alle Krankheiten, die ihm zuſtoſsen, alles Elend, das er in ſeiner Nachkommenſchaft erblickt, dieſer ſeiner Ausſchweifung zuzuſchreiben! und wieſchwer55ſchwer iſt es einen ſolchen zu beruhigen und vom Gegentheil zu überzeugen.

Ich habe ſelbſt eine Perſon gekannt, die in dieſen traurigen Zuſtand gerathen war, die alle Schmerzen, die ſie erduldete, alle Widerwærtigkeiten, die ihr begegneten, auf Rechnung jener Verirrung ſchrieb, und mit Aengſtlichkeit jeden Biſſen genoſs, weil ſie glaubte, daſs ſie jeder Gottesgabe unwerth wære. Und ob ſie gleich ſich Mühe gab, dieſe Melancholie durch Gründe, die die Re - ligion darbietet, zu bekæmpfen, ſo glichen ihre Nerven doch ſchlaffen Saiten, bey de - nen kein Ton anſpricht, und der Gram, der an ihrem Herzen nagte, und ihr Mark aus - ſaugte, verzehrte ſie endlich.

Sollte nicht die Hypochondrie, die in unſern Tagen ſo epidemiſch iſt, auch groſsen - theils aus dieſer unſeligen Quelle entſprin - gen? Ferne ſey von mir die Liebloſigkeit, alle Hypochondriſten für ſolche zu halten,(D 4)die56die durch heimliche Sünden ihre Geſundheit zerſtört hætten. Die Quellen dieſes Elends ſind mannichfaltig, und eine ſehr ergiebige iſt der Mangel an körperlicher Arbeit, die ein altes hæſsliches Vorurtheil, den Aus - ſprüchen der geſunden Vernunft zuwider, für unanſtændig für Perſonen vom Stande und Gelehrſamkeit hælt. Aber bedenklich iſt es doch, daſs die Hypochondrie faſt in eben dem Grade ſich ausbreitet, in dem jene Seuche um ſich gegriffen hat. Nach den Zeugniſſen, die ich in Hænden habe, hat der gröſsere Theil der Gelehrten ſeine jugendli - chen Kræfte verſchwendet, der gröſsere Theil iſt hypochondriſch, wird es hieraus nicht wenigſtens wahrſcheinlich, daſs bey den meh - reſten dieſes Uebel aus jener unſeligen Quel - le, wo nicht ganz, doch zum Theil, ent - ſprungen ſey?

Der Körper leidet bey dieſen Aus - ſchweifungen nicht minder als die Seele. Man denke ſich Kinder, die itzo in ihrembeſten57beſten Wachsthume ſtehen, deren Natur it - zo beſchæftigt iſt, alle Nahrungsſæfte zur Ausbildung der Knochen, Nerven und des ganzen körperlichen Gebæudes, zu verarbei - ten, bis er ſeine Vollkommenheit ſo weit erreicht hat, daſs es den Ueberfluſs zur Ver - vielfæltigung ſeiner ſelbſt abgeben kann, die aber durch eine unſelige Verirrung da - rauf verfallen, dieſe Nahrungsſæfte zu ver - ſchütten muſs dabey nicht ihr ganzer Körper leiden? Iſts wohl möglich, daſs ſie, Je die Gröſse, Stærke und Kraft, erreichen werden, wozu die Natur die Anlage ge - macht hatte? wird die Störung der Natur in ihren Wirkungen nicht noch andere ſchreckliche Folgen haben? wird der be - ſtændige Reitz Sæfte beyzuſchaffen, nicht den Magen nöthigen, über ſein Vermögen zu arbeiten und ungeſunde, unverdaute Sæf - te, und mit ihnen den Saamen zu mannig - faltigen Krankheiten dem Körper zuzufüh - ren? Muſs das beſtændige Anſtrengen der feinſten Nerven ſie nicht ſchwæchen, und(D 5)ſo56ſo reitzbar machen, daſs jede Mühe und Be - ſchwerde die derjenige, der ein Mann iſt, lachend übernimmt, Leiden verurſacht, die leicht bis zu Verzuckungen gehen können? Ihr geſteht, daſs der allzuofte Genuſs des andern Geſchlechts entkræfte und Krank - heiten nach ſich ziehe? Wie weit mehr iſt dieſs von den Ausſchweifungen zu beſor - gen, von denen, ich rede! ſie fangen insgemein früher an, als man des Genuſſes des andern Geſchlechts fæhig iſt, die Nerven leiden dabey weit mehr, und ſie werden ih - rer Natur nach weit öfterer wiederholt. Die vielen zwanzigjæhrigen Greiſe, die man it - zo allenthalben, mit matten Augen, blaſſen und verfallnen Wangen, zitternden Gliedern und markloſen Knochen, umher ſchleichen ſieht, ſind faſt eben ſo viele Zeugen von der Wahrheit meiner Behauptung.

Einen von ihnen, der aufrichtig genug iſt, ſein entſtelltes Bild andern zur Warnung aufzuſtellen will ich reden laſſen. Er drückt ſich alſo aus:

So59

So ſtürzte ich mich durch Ausſchweifung muthwillig in ein Verderben, das mit guten Rechte das gröſste genennet zu werden ver - dient: denn wer iſt mehr Selbſtmörder, als der unglückfelige Onaniſt? Er hindert den Wachsthum ſeines Körpers, vermindert ſeine Leibes und Seelen Kræfte, opfert der ſchænd - lichſten Begierde ſeine Ruhe und Zufrieden - heit auf, und bringt ſich um den gröſsten Theil ſeines Lebens. O! könntet ihr mich hören, ihr jungen Freunde, ihr wûrdet mir glauben,: denn ich rede aus der Erfahrung. So viel ich auch Anſatz zum Wachsthume hatte und ſo regelmæſſig auch anfænglich mein Geſicht gebildet war, ſo erreichte ich kaum bey ausübung dieſes Laſters die mittel Sta - tur, und durch die heftige Zuckungen ward meine Geſichtsbildung ganz umgeændert, ſo, daſs ich anfieng ein æltliches und wüſtes An - ſehn zu bekommen. Die heftigſten Kræmpfe, die man ſich nur denken kann, ſind oft die Folter, worauf ich Stunden liege, und wo mir das Geſtændniſs abgelockt wird: Wie ſchændlich haſt du dich zugerichtet, und wie ſehr haſt du die Menſchheit geſchændet! In meinem Rückgrad iſt ſo wenig Mark und Kraft, daſs ich kaum eine Stunde auf -recht60recht oder krum ſitzen kann, ohne die gröſs - ten und heftigſten Schmerzen zu empſinden. Meine Augen ſind ſo blöd und ſtumpf, daſs ich eine etwas klare Schrift gar nicht leſen, und bey dem Leſen des gröſsern Drucks nur kurze Zeit ausdaucrn kann, am wenigſten aber des Abends ſehen darf. Mattigkeit und beſtændige Schlafſucht quælt und belæſtigt mich, und wenn ich des Morgens erwache, und munter ſeyn ſollte, bin ich ſchlaftrun - ken und gelæhmt. Oft entſteht über den Augenbraunen und Augenliedern ein ſtarkes Flippern, das ich kaum aushalten kann. Die Nerven ſind erſchlaft, und die Lebensgeiſter ziemlich eingeſchlæfert. Beſtændig habe ich Hunger, eſſe auch viel, ohne aber daſs es mir zu Gedeyen geht. Bange Traurigkeit, Un - zufriedenheit und Schmerzen, wühlt in dem Innerſten meines Herzens. Auch in den fröhlichſten Geſellſchaften bin ich traurig, miſsmuthig und Miſantrop: denn nur immer ſuche ich die Befriedigung meiner Leiden - ſchaft, die ich nirgends beſſer, als in der Ein - ſamkeit, oder in dem Umgange mit dem zweyten Geſchlechte, finde. Bey meinen Arbeiten vermiſse ich die Gedult, und die Ge -dæcht -61dæchtniſskraft. Hitze und Kælte ſind für meinen Körper unertræglich. Und ſo ſchlep - pe ich denn, mit der Hypochondrie, Melan - cholie und Hektick, behaftet, mein trauriges und unzufriedenes Leben peinlich dahin. Hætte ich næhere Kenntniſse von der Be - ſchaffenheit und dem Baue meines Körpers, vielleicht könnte ich noch mehreres und Be - ſtimteres ſagen, als ohne dieſe Kenntniſs nicht ſeyn kann. Doch ich habe gethan, ſo viel als ich konnte, und als Menſchenfreund muſs - te O! wollte doch die Vorſicht, daſs je - der Jûngling und jedes unſchuldige Mædchen von dieſem peſtilenzialiſchen Laſter abgehal - ten wûrde! Ja könnte ich euch doch alle verſammeln, die ihr dieſem Laſter ergeben ſeyd, oder euch demſelben noch ergebt, mich in eure Mitte ſtellen, und euch die Schandfleke zeigen, womit mich dieſes Laſter gebrandmarkt hat!

Was für einen traurigen Einfluſs ein ſolcher klæglicher Zuſtand auf die Fort - pflanzung des Geſchlechts haben müſſe, iſtleicht62leicht zu begreifen. Nachdem die beſte Kraft verſchwendet iſt, die Nerven ſchlaf worden ſind, trit ein ſolcher Unglücklicher in den Eheſtand. Wenn er nicht durch die Natur ungewöhnliche Kræfte empfan - gen hat, wie kann man von ihm erwarten, daſs er vermögend ſey, eine der erſten Pflichten des Ehemanns zu erfüllen? gleich einem Tantalus wird er nach dem Waſſer ſchnappen, nach dem ſein Durſt lechzet, und es wird verſchwinden ſo oft er es an ſich ziehen will. Welches Elend! O jam - mert nicht über das Elend ſolcher Unglück - lichen, die unter dem Zepter, des ſogenan - ten Statthalters Jeſu Chriſti, in ihrer Kind - heit entmannt wurden! Jammert über die - jenigen die ſich ſelbſt entmannten! Jene ent - behren ein Vergnügen, das ſie nicht kennen, dieſe entbehren eben daſſelbe und empfinden darnach den lechzendſten Durſt. Jene ha - ben darzu keine Aufforderung, dieſen iſt jeder Blick der Perſon, die ſie verwahrloſten, ein Dolch, der das Herzdurchbohrt. Jenemachen63machen ſchwerlich Anſpruch auf Vaterfreu - den, dieſe ſuchen ſie und finden ſie oft nicht. Viele bleiben ganz kinderlos oder welches weit ſchlimmer iſt, werden Væter von elenden Kindern, die, anſtatt ſie anzu - lachen, ihnen entgegen jammern, und durch ihren erbærmlichen Zuſtand ihnen die bit - terſten Vorwürfe, wegen ihrer jugendli - chen Ausſchweifungen, machen. Die vielen Abdrücke des menſchlichen Elends, die ſonſt nur in Haupſtædten, itzo aber auch in kleinen Stædten umher wandeln, und um - hergetragen werden, woher dieſe doch wohl kommen mögen! was die kleine Nachkom - menſchaft uns wohl mag entriſſen haben, auf deren Wangen noch vor funfzig Jahren Geſundheit und Frölichkeit læchelte! All - wiſſender, das weiſst du! Jch breche hier ab, und laſſe einen andern reden, der aus Erfahrung ſpricht.

I.

Das Gefûhl nie Anſpruch auf die Liebe ei - nes Frauenzimmers als Gattin machen zu dûrfen, und doch in ſich fühlen, welche un -erſchöpf -64erſchöpfliche Quelle von Freuden dieſs ſey, und welchen Vorzug dieſe Verbindung vor jeder andern, ſelbſt der beſten Freunde, habe; ein Feuer in ſeinem Innern brennen fühlen, ohne es vermögen zu næhren, oder auszu - löſchen; die Beraubung der Hofnung je den ſüſſen Vaternamen führen zu können o dieſs Gefühl macht mich raſend bringt Tod mit ſich ich bin zu ſchwach die Em - pfindung, die mein Inneres umwühlt, es zerfleiſcht mit Worten auszudrûcken. Hier ſind die Furien, die mit Schlangen den Verbrecher ohne Aufhören peitſchen, bis er endlich gænzlich ermattet, von niemanden bedauert, von jederman verachtet, ach! von keinem Kinde beweint, vor der Zeit ſei - ne befleckte Seele aushaucht, und ſeinen aus - gemergelten Körper, als wahren Koth, der Er - de wiedergiebt, der er nicht einmal einen gu - ten Dûnger verſchaft, denn er verweſete ſchon, ehe ihn die Seele verlieſs. Ich muſs hier abbrechen.

O Jüngling, der du dich dieſem Laſter er - gabſt, o könnt ich doch dieſs Bild dir leb - haft vor Augen ſtellen! Betrachte es, undkehre65kehre von dem Wege des Elendes, den du betratſt, zurück, ſo lange es noch Zeit iſt! Und wenn dich nichts dazu bewegen kann, nicht die Sorge für deine Geſundheit und dei - ne Selbſterhaltung, nicht die Vorſtellung, daſs du dich zu jedem Amte untüchtig machſt; daſs du die Hofnung deiner Familie, in dir ei - ne Stütze, Troſt und Freude zu finden, ver - nichteſt; ſo muſs es der Gedanke thun: du wirſt unfæhig, je die reinen erlaubten Freu - den der Liebe, die ſüſſeſten in der Natur zu genieſſen, je den Vaternamen zu führen; und verehlichſt du dich dennoch, ſo bedenke die traurigen Folgen die deiner harren! Er - ſtickung aller Liebe deiner Gattin, Ehebruch und die ſchrecklichen Gefæhrten deſſelben. Ich wage es nicht, dieſs Bild auszumalen. Ich warne dich nicht im kalten Prediger oder Kathedertone, ich werde nicht dafür bezahlt, dir die Freuden der Jugend zu rauben; nein es iſt die Stimme deines leidenden Mitbru - ders, der dir zuruft, der alles dieſs ſelbſt fühlt, in ſeiner ganzen Stærke fühlt, und der ſein Elend durch den Gedanken, dich zu retten erleichtern will. O könnt ich doch die Vorſtel - lung mit ins Grab nehmen, nur einen der dieſes lieſet, nur einen einzigen gerettet zu haben!

Von heimlichen Sünden. (E)Wie66

II.

Wie angenehm und ſüſs iſt dem Jüngling, bey heranwachſenden Jahren, die Hofnung, daſs er einmal mit einer vernünſtigen und liebenswürdigen Perſon in Verbindung tre - ten, und mit ihr geſellſchaftlich die Freuden des Lebens genieſsen ſoll! Wie zu ſo unverdroſs - nen Fleiſs ſpornt das ihn nicht an! Und ich wie niederſchlagen muſste es nicht fûr mich ſeyn, da ich bey reifern Jahren es inne ward, das traurige Loos, das mich traf! Freilich ſank darum mein Fleis nicht, Ich ſtudierte die Wiſſenſchaften um ihres eig - nen Werths und um des Dienſtes für die Welt willen. Allein was war mein Zweck dabey? Ich war doch Bürger der Welt, wuſste doch die Beſtimmung des geſelligen Menſchen, lern - te immer mehr die überausgroſse Wichtigkeit und Würde des ehelichen Standes kennen, ſah aus den zuverlæſſigſten Gründen ein, wie un - zertrennlich meine und des Staats Wohlfahrt mit demſelben verknüpft iſt, was für Selig - keit nur einzig und allein darinnen liegt: Kinder zu rechtſchafnen Menſchen und edlen Bürgern zu bilden, und in ſeinen Nachkom - men ſo bis auf undenkliche Zeiten gleichſam fortzuleben, und in ihnen der Welt auch langenoch67noch nach ſeinem Tod zu dienen etc. Und ich muſste noch auf denſelben Verzicht thun! Wie ergriff mich dieſer Gedanke oft mitten unter meinen ernſthafteſten Arbeiten, und fûllte mein Herz mit der bitterſten Weh - muth und unûberwindlichen Gram, der mir oft die unſeligſten Stunden machte; denn ein Gut, das man miſſen muſs, ſchætzt man oft am allergröſsten.

Und wie kann man erwarten, daſs ein ſo zerrütteter Körper, deſſen Lebensgeiſter verrauchten, ehe ſie noch wirken konnten, deſſen edelſte Sæfte verſchüttet, und deſſen Nerven ſchlaff gemacht wurden, Kraft ge - nug behalten werde, die Zufælle auszuhal - ten, denen wir ausgeſetzt ſind, die Krank - heiten zu überwinden, die uns die Vorſe - hung, oft als wohlthætige Reinigungsmittel, zuſchickt? Werden ſie bey epidemiſchen Krankheiten nicht fallen, wie bey einem Sturme, die Aepfel, in deren Innern der Wurm nagt? wird der unnatürliche, uner - ſetzliche, Verluſt der edelſten Sæfte nicht nach und nach Verdorrung und Hinſchwindung nach ſich ziehen?

(E 2)Ach68

Ach das ſind nicht Beſorgniſſe, die ſich auf bloſse Schlüſſe und Speculationen grün - den! mannichfaltige, unleugbare, Erfahrun - gen beſtætigen ſie. Suchet doch ihr Inſpe - ctoren der Gymnaſien die Zöglinge wieder zuſammen, die ihr vor zwanzig bis dreyſsig Jahren aus eurer Auſſicht entlieſet! werdet ihr ſie nicht eben ſo einzeln wieder finden, wie ein General die Soldaten eines Regiments, das eine mit Kanonen wohl beſetzte Batterie erſteigen muſste? Und welches iſt der Feind, der ſolche Verwüſtungen unter ihnen anrich - rete? Ihr werdet mir einige nennen können, deren Daſeyn ich nicht leugne. Verzærte - lung, Mangel an körperlicher Bewegung, übertriebnes Studieren und Unmæſſigkeit, ſind allerdings auch gefæhrliche Feinde des menſchlichen Lebens. Der gefæhrlichſte iſt aber immer die Ausſchweifung, von der ich rede, weil keine ſo allgemein iſt, keine ſo viele Lebensgeiſter koſtet, keine die Nerven ſo ſehr ſchwæcht.

Ich69

Ich ſelbſt, ſchreibt mir ein Prediger, kann für die Wahrheit dieſer Behauptung, gleichſam als Augenzeuge, ſprechen. In meinen akademiſchen Jahren führte mich der Zufall in eine Geſellſchaft, die der Trunk ſo verwirrt hatte, daſs ſie alle Regeln der Klugheit und Behutſamkeit überſchritt, ohne alle Zurückhaltung ihre Schande erzæhlte, und ſich der Verbrechen rühmte, die ſie auf dem Gymnaſium begangen hatte. Meine Natur entſetzte ſich über die Greuel, die mir dazumal ganz unbekannt waren, mein Gefühl ſagte mir, daſs ſolche unnatürliche Verbrechen, erſchreckliche Folgen nach ſich ziehen müſsten, ich wurde aufmerkſam auf ihr Schickſal und es war das næmliche, was ich als die natürlichſte Folge dieſer Sünden erwarten konnte. Die Geſellſchaft war ohngefæhr zwölf Perſonen ſtark, und von dieſen ſind bereits acht von dieſer Welt abgetreten, in einer Zeit von ohngefæhr drey und zwanzig Jahren abgetreten, und die übrigen vier, die Rieſenkraft von der(E 3)Natur70Natur ſchienen empfangen zu haben, die vielleicht Reformatoren der Menſchheit hæt - ten werden können, haben ſich nicht einen Fingerbreit über das Alltægliche erhoben. Noch mehrere æhnliche Exempel, die mir in meinem Predigtamte bekannt wurden, könnte ich anführen, wenn ich nicht beſor - gen müſste, daſs ich dadurch, wenigſtens auf eine entfernte Art, die Entdeckung von Ge - heimniſſen veranlaſte, die mir unter dem Siegel der Verſchwiegenheit anvertrauer wurden.

Eben dieſes beſtætigen folgende Aus - ſagen von Unbekannten, aber ſehr glaub - würdigen Zeugen.

I.

Eilfe von meinen damaligen Schulgenoſſen ſind vor ihrem dreyſſigſten Jahre elend geſtor - ben, denen ich vielleicht bald folge; alle, wie es hieſs, an der Auszehrung. Ich aber ver - muthe, daſs ſich vielleicht alle durch Onanie dieſe Auszehrung zugezogen haben mochten; ſo wie überhaupt die Auszehrung und Schwind - ſucht, woran ſo viele Gelehrte und Studieren - de ſterben, mehrentheils eine Folge dieſes ih -res71res Jugendlaſters ſeyn mag; welches man nur nicht erkennen und geſtehen will.

Anmerkung.

Da der Correſpondent nicht allgemein, ſondern nur von dem gröſſern Theile der Gelehrten und Studierenden, die an Auszeh - rung und Schwindſucht ſterben, behauptet, daſs die Urſache ihres frühen Todes in ihren vorhergegangenen unnatürlichen Entkræf - tungen zu ſuchen, da ich es als bekannt vor - ausſetze, daſs beynahe alle Schulen von die - ſer Seuche angeſteckt ſind, ſo habe ich kei - nen Grund in dieſe Behauptung ein Mistrau - en zu ſetzen.

II.

Vergangnen Sommer beſuchte mich einer mei - ner beſten Schulfreunde ganz unvermuthet in Beym erſten Anblick kennte ich ihn beynahe nicht; ich trat einige Schritte zurück: um Gotteswillen, Bruder, biſt du krank? oder biſt du krank geweſen? Du biſt entſetz - lich verfallen, und ’s iſt doch noch kein Jahr,(E 4)daſs72daſs wir uns nicht geſehen haben? ſo rief ich ihm gleich entgegen. O Nein, antwortete er mir, mit heitrer Stimme, ich bin niemals ge - ſunder geweſen als itzo. Nun es wære mir auch nicht lieb, erwiederte ich, und hierbey hatte es denn ſein Bewenden. Es wurde wæhrend ſeiner Anweſenheit nicht mehr von krank ſeyn geſprochen, wir lebten ziemlich luſtig mit einander, und er reiſste nach eini - gen Tagen ziemlich traurig wieder ab. Ob ich dies nun ſchon dem Abſchiede zu - ſchrieb, weil er ſehr ungern wieder von mir gieng, von mir einem ſeiner beſten Freunde, mit dem er manches jugendliche Vergnügen genoſſen hatte; ſo erfuhr ich doch durch fol - genden Brief, den ich, faſt ein halbes Jahr nach ſeinem Abſchiede von mir, erhielt, die ei - gentliche Urſache ſeiner damaligen Trau - rigkeit.

Mein einziger wahrer Freund!

Wie du ſo gut biſt, und ich dagegen ſo . Zweymal haſt du an mich ge - ſchrieben, zweymal mich aufs heiligſte be - ſchworen, nicht kalt gegen deine Freundſchaft zu werden. Und! ach! ich Unglücklicher,ich73ich war dies nicht werth, war der Liebe eines ſo treuen, eines ſo redlichen, eines ſo tugend - haften Freundes unwürdig. Ja, meiner Un - wurdigkeit bewuſst, hatte ich mir vorgenom - men, nicht wieder an Dich zu ſchreiben, um Dich gegen meine Freundſchaft kalt zu ma - chen, kalt gegen die Freundſchaft eines Böſe - wichts, eines Mörders ſeines eignen Leibes.

Du wirſt Dich entſetzen, Du wirſt erſtau - nen. Ja ſchaudern muſt du für dieſem entſetz - lichen Bekenntniſſe; allein ich will Dir lieber alles entdecken, als dieſen tödtenden Kummer ohne ihn Dir entdecket zu haben, mit in mein baldiges Grab nehmen. Vor Dir allein wil ich mein Herz ausſchütten, Dir allein mein Leiden entdecken; Dir, der manche frohe Stunde, manche Luſtbarkeit mit mir genoſſen hat. Doch hieran darf ich nicht mehr denken zur wirklichen Entdeckung. Du muſt Dich noch zu erinnern wiſſen, wie Du mich beym erſten Anblick unſrer Zuſammen - kunft in ſogleich fragteſt: was mir fehle? ob ich krank ſey? oder geweſen ſey? Ich Dir aber antwortete, daſs ich vollkommen geſund ſey. Und nach meiner Einbildung war ich es auch, denn bis izt hatte mir noch nie etwas(E 5)ange -74angefochten. Allein kaum war ich einige Tage bey Dir, ſo fand ich, als Du eben im Collegio wareſt, unter deinen übrigen Büchern, Tiſſots Onanie. Weil ich nun niemals das Wort Onanie hatte nennen hören, ſo blætter - te ich in dem Buche hin und her, und zu mei - nem Unglücke fand ich, daſs Onanie das ſey, was ich ſeit einigen Jahren tæglich getrieben hatte. Ich las die ſchrecklichen Beyſpiele die ſie angerichtet hatte, und ſeit dieſer Zeit bin ich immer traurig. Schaam und Reue laſſen mir nun nirgends Ruhe, laſſen mir keine Freu - de des Lebens mehr genieſſen. Ich vergehe wie ein Schatten, zehre alle Tage mehr ab, weine und darf Niemanden mein Leiden kla - gen. Denn, Bruder, ehe ich dies Buch las, wuſste ich nicht, daſs es was Böſes ſey, und daſs es ſo üble Folgen nach ſich ziehe, Ganz insgeheim trieb ich dies Laſter, niemand hat mir was davon entdeckt oder gelernt, und niemals habe ich auch Jemanden etwas davon geſagt. Kurz mich allein muſs ich anklagen. Nunmehro weis ich wohl, was an dem Un - glücke ſchuld iſt, nemlich mein verdammt lange Liegen im Bette, und dann mein vieler Umgang mit Frauenzimmern. Im Sommer wachte ich mehrentheils um 4 Uhr auf, undweil75weil mir dies zum Aufſtehen immer noch zu früh war, ſo dachte ich, und dachte und dachte und doch an weiter nichts als an das Frauenzimmer, das ich am vorigen Tage geſehen hatte, und hier geſchahe denn meh - rentheils die böſe Handlung. Izt aber ſte - he ich nach verrichtetem Morgengebet gleich auf, und ſo mache ich mich nun dieſer Sünde nicht mehr theilhaftig. Zu ſpæt! zu ſpæt! Hætte ich es eher gethan, ſo hætte ich vielleicht noch Hofnung, meinen guten Eltern dereinſt zum Troſte zu gereichen. Aber izt höre ich nichts wie Klagen um mich her. Mein Vater fragt: biſt du denn krank mein Sohn? was fehlt dir denn? Meine Mutter ſieht mich traurig an, und dringet in mich ihr doch die Urſachen meines melancholiſchen Weſens zu entdecken. Der Arzt zwingt mir mit Gewalt Medicin auf, von der ich doch gewiſs weiſs, daſs ſie mir nichts helfen wird. Denn aus Scham werde ich Niemanden die wahre Urſache meiner Krankheit entdecken. Lieber, beſter Bruder, ich erzittre für dem Ge - danken, daſs ich vielleicht künftiges Frühjahr nicht erleben werde. Tödtende Vorwürfe, Harm und die Krankheit ſelbſt, machen mich beynahe ſinnlos, ſo gern ich mich auch einigeAugen -76Augenblicke noch mit Dir unterredete, ſo muſs ich doch izt auf hören. Noch bitte ich Dich, mich nicht gænzlich zu vergeſſen. Bete, daſs mir Gott nur meine 5 Sinne erhalte. Dir möge der Himmel ein beſſer Loos zu Theil werden laſſen, als mir. Sey der Troſt und die Stutze deiner Eltern, lebe ruhig und ver - gnügt und glaub gewiſs, daſs Du in jener Ewigkeit wieder finden wirſt

Deinen alsdann glûcklichen Z.

Izt flieſſen meine Thrænen, denn ach Z., mein theurer, mein beſter Z. iſt nicht mehr; er hat das Frühjahr nicht erlebt. Er hat ſei - ne Thorheit hart, ſehr hart büſsen müſſen. Drum ſchauert Jûnglinge, die ihr dies Laſter zu einer eurer Hauptbeſchæftigungen macht.

Zum Beſchluſs ſetze ich noch einige Ausſagen von Verirrten bey, die die Schæd - lichkeit ihrer Verirrungen lebhaft ſchildern. Ich halte es für nöthig, theils um deren wil - len, die die entſetzliche Gefahr gar nicht kennen, in der ſich unſere Nachwelt befin -det,77det, in dem ſie von dieſer Art von Aus - ſchweifung entweder gar nichts wiſſen, oder ſie für unſchuldig und unſchædlich halten; theils um der Verirrten ſelbſt willen, die durch Vorleſung ſolcher Zeugniſſe am beſten erſchüttert und gebeſſert werden können.

I.

Endlich fiel mir, nur aber um zehen Jah - re zu ſpæt! Tiſſot, von der Onanie in die Hæn - de. Ich las, und ward als vom Schlage ge - ruhrt. Nun giengen mir die Augen auf, und Schrecken und Entſetzen erfûlleten meine ganze Seele. Ich war damals ſchon ganz ent - kræftet und abgezehrt; und jedermann ſagte: der hat die Schwindſucht im höchſten Grade. Dennoch war ich nie auf die Vermuthung der wahren Urſache meiner Auszehrung gekom - men: nun erfuhr ich mit Entſetzen die Ur - ſache derſelben. O, dachte ich, was ſind das fûr abſcheuliche Eltern, Lehrer und Freunde, die dich nicht vor dieſem Laſter warnten und dir das unabſehbare Elend, in das es ſtûrzt, vor Augen mahlten, oder dir dies Tiſſotſche Buch in die Hænde gaben! Oder vielmehr, was für eine unausſprechlich ſchædliche Un - wiſſenheit herrſcht noch in Abſicht auf dieſesLaſter78Laſter und die Folgen deſſelben in der Welt! Ich gerieth in eine Art von Tiefſinn und Schwermuth, die mich unausſprechlich quælte. Ich entſchloſs mich dem ſchrecklichſten unter allen Laſtern gænzlich zu entſagen; es ward mir ſchwer: doch nicht unmöglich, weil es durch meine groſse Entkræftung ſchon Vieles von ſeinem Reize verlohren hatte.

Nun vernehmen Sie meinen gegenwærti - gen Zuſtand; und klagen Sie mit mir über die Unwiſſenheit der Menſchen, die ſie in ſo fürchterliches Elend ſtürzt. Meine Geiſtes - kræfte ſind aufs æuſſerſte geſchwæcht: mein Verſtand ſtumpf worden, und ſchlechterdings nicht mehr zum zuſammenhængenden Den - ken fæhig; mein Gedæchtniſs nnglaublich ſchwach oder vielmehr faſt ganz verlohren. Und dieſs iſt um ſo trauriger, da ich von Gott ſo groſse Anlagen und Fæhigkeiten erhalten habe, daſs alle meine Lehrer und Bekannten in meiner Jugend in groſser Erwartung mei - netwegen ſtanden, und in mir einen zukünf - tigen groſsen Mann ſehen wollten. Ich bin alſo zu Geiſtesarbeiten ganz unfæhig; aber eben ſowohl zu körperlichen. Mein Körper iſt ganz entkræftet und unthætig; ich bin ſovom79vom Fleiſche gefallen und abgezehrt, daſs man nur noch Haut und Knochen an mir ſieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entſetzen. O mögten mich alle die Unwiſſenden und Un - beſonnenen Sûnder ſehen! könnte ich doch Jedem unter ihnen zurufen:

Wenn ſchnöde Wolluſt dich erfûllt,
So werde durch dies Schreckenbild
Verdorrter Todtenknochen
Der Kûtzel unterbrochen!

Da liege oder ſitze ich nun ſo unthætig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft und meiner Brüder thun und arbeiten und dafür möglichſt Viel zu thun, war doch von jeher mein hei - ſeſter Wunſch und bin den Meinigen noch ſelbſt zur Laſt; und erwarte mit Sehnſucht und Schmerzen den Tod, der mich von mei - nem unausſprechlichen Elende erlöſen und meinen Geiſt von dieſem zerrütteten Leibe befreien ſoll, damit er dort in der beſſern Welt, mit neuer ungehinderter Thætigkeit und Kraft, für die Wohlfahrt des groſsen Gei - ſterſtaates Gottes arbeiten könne. Ich binaber80aber nicht allein ganz entkræftet: ſondern fühle auch ununterbrochen die heftigſten Schmerzen, beſonders an den Zeugungsthei - len, die das mehreſte gelitten haben. Dazu kömmt noch eine Gemuthsunruhe und Schwer - muth, die Alles überſteigt. Das Bewuſtſeyn meiner Beſtimmung und den göttlichen Abſich - ten ſo zuwidergehandelt, mich zum Kinder - zeugen und Erziehen unfæhig und zum Dien - ſte der Welt und zur Beförderung der menſch - lichen Glückſeligkeit unbrauchbar gemacht zu haben: dieſs Bewuſstſeyn peinigt und fol - tert mich unaufhörlich und weit mehr als al - ler körperlicher Schmerz. Und oft würde ich ſchon in die Verſuchung gerathen ſeyn, meinem unſeligen Leben ein Ende zu ma - chen: wenn mich nicht noch die Gründe der Vernunft und die Lehren der wohlthætigſten Religion, welche jetzt noch meine einzige Freundin und mein Schatz iſt, zurückgehal - ten hætten. Wozu noch die Ueberzeugung kömmt, daſs mein Vergehen wenig Moralitæt habe, indem ich niemals etwas von der Schæd - lichkeit und der Strafbarkeit dieſer Sünden erfahren; und daſs ich übrigens jederzeit höchſt gewiſſenhaft gelebt und mich der rein - ſten chriſtlichen Tugend befliſſen habe.

Inh81

II.

Der Gedanke, nicht nur meinen Körper, ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte, in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben, foltert mich unaufhörlich, und bringt mich beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer - den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters, dennoch in allen Klaſſen immer für einen der vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt - niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de - nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge - lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich durch Bebauung meiner natürlichen Talente hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif - ten können, auch in meiner Familie, und wie nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die vergangene Minute, o! dann, dann fühl ich Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft, dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet; mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche - ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten(Von heimlichen Sûnden.) (F)Wiſ -82Wiſſenſchaften unbrauchbar geworden, ob - gleich mein Verſtand von einer Menge Vor - urtheilen befreit worden iſt. Wie oft fürcht ich, man möchte mir die Begehung dieſes Laſters an meinem Aeuſſerlichen anſehen, nach dem Ausſpruch Gellerts: Verweſung ſchæn - det ſein Geſichte, und predigt ſchrecklich die Geſchichte der Lüſte, die den Leib zerſtört. Dieſer Gedanke iſt mir vorzüglich in den Ver - hæltniſſen, in denen ich jetzt ſtehe, fürchter - lich. Ich ſcheue ſelbſt den Schlaf, ich fürchte, er möchte mein Verbrechen verrathen.

III.

Kurz mein Zögling iſt jetzt, in einem Alter von nicht vollen 9 Jahren, ein vollkommener Wollüſtling, der bisher alle Gelegenheiten nützte, um ſeine Kenntniſſe in dieſem Stücke zu vermehren, und durch die Wolluſt nichts - würdiger Geſchöpfe darin unterſtützt wurde. Auch hat er ſeine jüngern Geſchwiſter ſchon vieles gelehrt, die in ihrer Unſchuld ſich nichts Böſes dabey træumen. Vielleicht wære mein Zögling ſchon jetzt ein Opfer ſeiner Geilheit geworden, hætte ich nicht, da ich das ſchreck - lichſte beſorgen muſte, ſein mænnliches Gliedunter -83unterſucht, und eine zerſtörende Krankheit in ihrem̄ Keime erſtickt. Durch die Erhitzung hatten ſich die obern Theile der Vorhaut an der Eichel entzündet, und waren voll kleiner Blaſen. Aber anſtatt, daſs ihn dieſe ſo ſicht - baren Folgen von dem Laſter hætten abſchre - cken ſollen, ſind ich, daſs er es ſeit der Zeit viel ærger treibt. Unglaublich iſts, aber er hat es mir ſelbſt geſtanden, daſs er es man - chen Tag 4 bis 5mal gethan hat. Ich habe bisher alle Mittel, auf die ich naturlich fallen muſte, vergebens angewandt, habe ihn nicht von meiner Seite gelaſſen, durch Arbeiten und Spatziergehen ermûdet, habe ihm die augen - ſcheinlichen Folgen an ſeinem Körper gezeigt, ihm andere abſchreckende Beyſpiele von O - pfern dieſes Laſters erzæhlt, durch Gründe der Religion, ſo weit er davon ſchon Begriffe hat, zu gewinnen geſucht, alles umſonſt. Sein hitziges Temperament reiſst ihn fort, und macht ihn mit jedem Tage wollüſtiger. Dabey verwelkt er, wie eine Blume, die Far - be der Verweſung iſt auf ſeinem Geſichte ge - zeichnet, und ich kann ihn nicht retten.

(F 2)IV. 84

IV.

Ein Auszug aus Zimmermanns vor - treflichen Buche über die Einſamkeit.

Gegen ſeine religiöſe Melancholie ſuchte er Hülfe durch ſein Gebet. Aber dann fiel ihm immer dabey ein, für ihn ſey Beten ein Verbrechen. Er glaubte, Gott durch die al - lergleichgültigſte Handlung zu beleidigen; zum Exempel, wenn er ausſpuckte. Alles, wovon er ſich einbildete, daſs es Sünde ſeyn könnte, ſo toll auch der Gedanke war, hielt er fûr Sünde. Vor dem Beichtſtuhl fand er es natûrlicher Weiſe unmöglich, ſeines ganzen Sündenheers ſich zu erinnern, und es dem Beichtvater ſo darzuſtellen, wie es in der ka - tholiſchen Kirche Sitte und Pflicht iſt. Kaum hatte er ausgebeichtet, ſo fiel ihm immer wie - der eine unabſehbare Reihe von Sünden ein, und ſo gieng er den andern Tag wieder zum Beichtvater, wie ein Hypochondriſt, der ei - nem Arzte ſeinen Zuſtand ſchon mit der über - flüſſigſten Ausführlichkeit geſchildert hat, an ſeinen Brief noch immer hundert Poſtſcripte hængt.

Einſamkeit wirkte bey ihm ſchrecklich. Tage -85Tagelang wælzte er ſich auf der Erde, unter beſtændigem entſetzlichen Geſchrey, ſo oft man ihn allein lieſs. Er gieng gerne in Ge - ſellſchaft, weil ihm da das Herz zuweilen leichter ward; aber ſeine Melancholie befiel ihn auch in Geſellſchaft. Anderthalb Jahre litt er alles, was das Herz zermalmet und den Geiſt niederdrûckt, durch ſeine religiöſe Fa - ſeley. Sie verlohr ſich endlich, bloſs durch den Umgang mit einigen ſehr vernûnftigen Geiſtlichen aus . Aber Scrupel und Zwei - fel behielt er über alles auſſerhalb der Re - ligion.

Er zweifelte an dem Daſeyn von allem was er ſah und von allem was vor ihm ſtand, von allem, was er mit Hænden griff. Der herz - gute Mann ſagte mir, es habe ihm zwiſchen durch doch oft geſchienen, alle ſeine Bedenk - lichkeiten ſeyen nur Krankheit, und oft habe er ſelbſt mit ſeinen Freunden darüber gelacht. Aber mit Schauder und Schrecken verſicherte er mir auch, daſs er zehn Mordthaten began - gen hætte, wenn es möglich geweſen wære, dadurch dieſe Krankheit loſs zu werden, die ſeine Imagination bey jeder allergleichgûltig - ſten Handlung des Lebens befiel.

(F 3)Drit -86

Dritter Abschnitt.

Von den Urſachen und der Entſte - hungsart der heimlichen Sünden der Jugend.

Es iſt bedenklich, daſs der Menſch, der in der ſichtbaren Schöpfung beynahe der ein - zige iſt, der das Vermögen beſitzt, den Zu - ſammenhang zwiſchen Urſache und Wirkung, ſeine Beſtimmung, und die, aus ſeinen Hand - lungen entſpringenden, Folgen deutlich ein - zuſehen, auch beynahe, einige Affenarten ausgenommen, der einzige iſt, der ſich die - ſer Art von Ausſchweifung ſchuldig macht. Denn ob man gleich behaupten will, daſs man auch Spuren davon bey verſchiedenen Arten der vierfüſsigen Thiere finde, ſo iſt dieſs doch mehr geiler Muthwille als wirk - liche Verſchwendung der Sæfte.

Die erſte Frage, die uns dabey beyfal - len muſs, iſt dieſe, werden die Kinder durchihre87ihre eigne Natur, ohne alle æuſſerliche Ver - anlaſſung, dazu verleitet? oder iſt der Grund davon allemal in æuſſerlichen Veranlaſſungen zu ſuchen?

Es würde mich ſehr niederſchlagen, wenn ich mich ûberzeugen könnte, daſs die Natur ſelbſt dazu verleite. Die Hofnung, etwas zur Hemmung dieſes Uebels beyzutra - gen, die mich, bey Ausfertigung dieſer Schrift, ſtærkt, würde erſterben, weil ich Kæmpfe gegen die Natur für bedenklich und faſt im - mer für vergeblich halte. Ich leugne es da - her ſo lange, bis man mir hinlængliche Gründe anführt, mich vom Gegentheil zu überzeugen.

Die Gründe ſind da, wird man mir ſagen, die Erfahrung bezeuget es. Beobach - te ein - bis vierjæhrige Kinder, die noch kei - ner Verführung ausgeſetzt waren, noch nicht durch Leſung unzüchtiger Bücher ihr Gehirn erhitzten, und ihre Einbildungskraft(F 4)ver -88verwirrten, und du wirſt bald merken, daſs ſie ſchon von ſelbſt, ohne alle æuſſerliche Veranlaſſung, das zu thun anfangen, was ihnen in der Folge ſo verderblich wird! Die Kinder werden alſo von ſelbſt durch einen geheimen Trieb, und durch den Reiz, der damit verbunden iſt, dazu verleitet.

Daſs man ſchon bey den zarteſten Kin - dern bisweilen die Bewegungen bemerke, die, in der Folge der Zeit, zu ſo einer traurigen Fertigkeit ausarten, iſt gewiſs. Aber es iſt noch nicht Grund genug, zu erweiſen, daſs ſie durch ihre eigne Natur dazu getrieben würden, und daſs keine æuſſerliche Veran - laſſung ſie hierzu beſtimmt habe.

Und welches ſoll dieſe Veranlaſſung ſeyn? wird man fragen.

Dieſe Frage, die ich als gewiſs voraus - ſetzen kann, ſetzt mich in die Nothwendig - keit, abermal den Vorhang von einem Ge - heimniſſe wegzuziehen, welches viele fürunbe -89unbedeutend, diejenigen aber, die die menſch - liche Natur kennen, für ſchrecklich halten, und in demſelben den erſten Keim des La - ſters und der damit verknüpften verhec - renden Folgen entdecken werden. Die Am - men, die Wærterinnen, ja welches unglaub - lich zu ſagen, aber doch zuverlæſſig wahr iſt, viele Eltern ſelbſt, ſuchen bey den Kin - dern die Reizbarkeit gewiſſer Theile vor der Zeit zu erregen, theils aus bloſsem Muth - willen, theils aus Geilheit, theils um durch die, daher bey den Kindern entſtehenden, angenehmen Empfindungen das Weinen zu ſtillen, und den Schlaf herbeyzulocken. Da - durch werden die Hænde der unſchuldigen Kinder nothwendig nach gewiſſen Theilen mehr als nach andern gerichtet, der Keim zu der ſchrecklichſten Fertigkeit entwickelt, und der junge Menſch angeleitet ſeine Ner - ven zu ſchwæchen und ſeinen Körper zu zerrütten, ehe er ſich ſeiner ſelbſt noch be - wuſst iſt. Da dieſs zuverlæſſige Wahrheit iſt, die mir durch viele ſehr glaubwürdige(F 5)Perſo -90Perſonen iſt bezeugt worden, da hieraus nothwendig dieſe traurigen Folgen entſprin - gen müſſen, ſo bin ich berechtigt von dem kleinſten Kinde, an dem man dieſe ſchædli - che Bewegung bemerkt, zu verſichern, es iſt nicht durch innern Trieb, ſondern durch æuſſerliche Veranlaſſung dazu gebracht wor - den. Daſs es einige wenige Ausnahmen ge - ben könne, will ich nicht ableugnen. Gleich - wie ich aber ſagen kann, der Menſch wird mit zwey Augen gebohren, ohnerachtet man Exempel von einæugigen Geburten hat, ſo kann ich auch bey dieſer Verſicherung blei - ben, wenn gleich einige wenige Ausnahmen davon ſtatt finden.

Wære in der menſchlichen Natur ſelbſt ein Trieb zu dieſen Ausſchweifungen, ſo müſste man ſie bey allen finden, die eine menſchliche Natur haben. Dieſs iſt aber nicht. Viele meiner Leſer und Leſerinnen, werden es wiſſen, daſs ſie von denſelben je - derzeit frey geblieben ſind, und in Oertern, wo noch Arbeitſamkeit und Einfalt der Sit -ten91ten herrſcht, ſind ſie faſt gænzlich unbe - kannt.

Ein ſehr würdiger Geiſtlicher, der un - ter den Gemeinen, die ihm anvertrauet wa - ren, immer als Vater wandelte, und ſich durch ſeine Offenheit und Rechtſchaffenheit ein wirklich kindliches Zutrauen zu erwer - ben wuſste, theilt mir davon folgende Erfah - rung mit:

Auf dem Lande, wo ich über dreyzehn Jahre geweſen, habe ich keine Entdeckung bey Kindein davon gemacht, auch von Eltern nie gehört, daſs ſie wegen ihrer Kinder dafür beſorgt geweſen. Ich glaube, daſs auf den Dörfern dieſes Laſter auſſerordentlich ſelten iſt. Die Hærte, mit welcher die Kinder er - zogen werden, ihre ſehr magere Speiſen, auch die Arbeiten, wozu ſie auch ſchon in Schul - jahren angehalten werden, auch der übrige Mangel an Reizen und Verführungen, ver - wahrt ſie dafür. Aber ſtatt deſſen habe ich bey verehelichten Perſonen oft ſehr traurige Gelegenheiten gehabt Vorſtellungen zu thun. Bey dem Zanken der Eheleute machte oft dieFrau92Frau dem Manne den Vorwurf, daſs er ihr nicht ehelich beywohne, und doch von ihr verlange, daſs ſie ihm . Dergleichen Greuel ſind mir mehr als einmal vorgekom - men. Leider habe ich gemerkt, daſs der Ehe Seegen auf dem Lande, wenn er nur über eins oder zwey ſteiget, mehr für Beſchwerung als für Seegen geachtet wird. Die Schwieger - Eltern erinnern auch wohl heimlich die Ihri - gen, wenn drey oder vier Kinder kommen, ſie ſollen bedenken, wo das hinaus wolle? wie ſie die Kinder ernæhren wollten?

Dieſes Zeugniſs iſt mir von groſser Wichtigkeit.

Erſtlich beſtætigt es meine Behauptung. Denn wenn die Natur ohne æuſſerliche Ver - anlaſſung zu den beſagten Ausſchweifungen verleitete, ſo müſste es ja auch bey den Kin - dern der Landleute geſchehen. Da aber die - ſe mæſsiger, arbeitſamer, ſind, ihre Kinder nicht aus einer Hand in die andere geben, ſie nicht beſtændig auf den Armen umher tragen, ſondern vielmehr, ſo bald ſie eini - germaſsen ihre Glieder brauchen können,herum -93herumkriechen laſſen, ſo fællt die æuſſerliche Veranlaſſung, folglich auch die traurige Wir - kung, weg.

Zweytens ſetzt mich der letztere Theil dieſes Zeugniſſes in die Nothwendigkeit, ei - ne Behauptung, die ich in der vor kurzen ausgegebenen Schrift: iſts recht über die heimlichen Sünden der Jugend öffentlich zu ſchreiben? æuſſerte, wieder zurück zu nehmen. Sie iſt dieſe: daſs dieſe Art von Ausſchweifungen im Eheſtande nicht erler - net würde. Denn dieſes Zeugniſs beweiſst das Gegentheil.

Ohne Zweifel wird man mir den Ein - wurf machen, daſs es Dörfer gebe, wo dieſe Sünden eben ſo, wie in Stædten, im Schwan - ge giengen. Ach leider muſs ieh auch dieſs eingeſtehen. Aber wie ſind ſie dahin gekom - men? Ein Geiſtlicher auf dem Lande klag - te mir einmal mit Wehmuth, daſs dieſe Seuche ſeine ganze Gemeine angeſteckt habe. Als ich ihm darüber meine Verwunderungbezeugte94bezeugte und ſagte, daſs es mir unbegreiflich ſey, wie dieſe Sünden auf das Land kæmen: ſo ſeufzte er: einer meiner Vorfahren hatte zwey Söhne, die in ſtudiert hatten. Sie kamen zurück, lebten einige Jahre bey dem Vater, und ſteckten durch ih - re Unzucht eine Familie nach der andern an.

Traurig genug iſt dieſs nun freylich, daſs die Perſonen, die Licht und Tugend in die Hütten der Niedrigen bringen ſollten, die Unſchuld tödten, und die Sitten verder - ben. Aber wahr iſts doch.

In Provinzen, wo es gewöhnlich iſt, dem Landmanne Soldaten ins Quartier zu legen, iſt wohl die Frage, wodurch die Sit - ten der Landleute verdorben, wodurch ih - nen die Geheimniſſe der Unzucht mitgetheilt werden? ganz überflüſſig.

Wenn alſo die Kinder ihre Unſchuld immer durch æuſſerliche Veranlaſſung ver -lieren95lieren o Mütter! Mütter! wie viele Wachſamkeit über eure Kinder, in den Jah - ren ihrer Kindheit, iſt wohl nöthig! wie könnt ihr ſagen, daſs ihr ſie liebtet, wenn ihr ihnen, ohne dazu durch eure Schwæch - lichkeit genöthigt zu ſeyn, die Bruſt verſagt! wenn ihr die erſte Pflege derſelben jungen, muthwilligen, oft lüderlichen, Weibsbildern überlaſſet! In eurer Verſammlung würde eine Predigt über die Worte: kann auch ein Weib ihres Kindleins vergeſſen, daſs ſie ſich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes nichts ſagen, wenn nicht mit gutem Vorbedachte die Worte hinzugeſetzt wæren: und ob ſie deſſelben vergæſse, will ich doch dein nicht vergeſſen, ſpricht der Herr.

Noch ein anderer Grund von der Aus - breitung dieſes Uebels in manchen Landge - meinen, kann auch im Mangel der Scham - haftigkeit der Eltern liegen. Es iſt in vielen Dörfern Sitte, daſs die erwachsnen Kinder mit ihren Eltern, entweder in den næmli - chen Betten, oder doch wenigſtens in dennæm -96næmlichen Zimmern ſchlafen. Die Eltern, von Begierde berauſcht, vergeſſen, daſs ſie Zeugen um ſich haben, überlaſſen ſich oft ihren Begierden, und machen ſo ihre Kinder mit Geheimniſſen bekannt, die ihre Einbil - dungskraft zerrütten, ihr Geblüt erhitzen, und ſo vor der Zeit bey ihnen Begierden er - regen, die ihnen verderblich werden.

Wer daran zweifelt, der beſuche ſelbſt die Hütten der Bewohner mancher Dörfer, und beobachte ihre Lebensart!

So ſchreibt mir ein Freund, daſs ein Landmann zu ihm gekommen ſey, und mit Entſetzen ihm die Nachricht gebracht habe, daſs er einen ſiebenjæhrigen Knaben, mit ei - nem achtjæhrigen Mædchen, über einer Hand - lung ertappt habe, die nur Eheleuten erlaubt iſt. Auf die Frage, wie iſts möglich, daſs eure Kinder auf ſolche Ausſchweifungen ver - fallen können, habe ihm dieſer geantwor - tet: Je nu, das iſt wohl möglich. Bey un - ſern Leuten liegen die Kinder des Nachts beyden97den Eltern im Bette; Vater und Mutter woh - nen ſich bey, glauben nicht, daſs das ſolche Kinder bemerken u. ſ. w.

Alles dieſes ſpricht dafür, daſs die Aus - ſchweifungen der Kinder, von denen ich re - de, nicht von Trieben der Natur, ſondern immer von æuſſerlichen Veranlaſſungen her - rühren. Da aber freylich die Kinder immer die Hauptneigungen der Eltern erben, und alſo diejenigen, die das Unglück haben, von unzüchtigen Eltern erzeuget zu werden, weit geneigter zur Wolluſt, als andere, ſind: ſo werden auch dieſen geringe Veranlaſſungen, die bey andern nichts wirken, weit gefæhr - licher ſeyn.

Was nun die Urſachen betrift, aus denen dieſes verderbende Uebel entſpringt, ſo ſind ſie theils entferntere, theils næhere, die allen Eltern und Erziehern zu wiſſen nöthig ſind, damit ſie dieſelben, ſo viel an ihnen iſt, ent - weder wegræumen, oder ihnen doch we[ni]g - ſtens entgegenarbeiten können.

(Von beimlichen Sünden.) (G)Zu98

Zu den entferntern Urſachen rechne ich zuerſt das Kloſterleben, das ſonſt ſo hoch geprieſen wurde, und noch itzo in manchen Provinzen eine gewiſſe Würde behauptet. Der Römiſche Biſchof, der viele Jahrhun - derte lang der mæchtige Beförderer der Un - wiſſenheit, Dummheit und des Aberglau - bens, war, der Haſs und Verfolgung den Chriſten predigte, machte auch die wirk - ſamſten Anſtalten, die Chriſtenheit anzuwei - ſen, alle Arten viehiſcher Ausſchweifungen zu erfinden und auszuüben. Denn er be - fahl denen, die nach Heiligkeit ſtrebten, den Müſſiggang, verbot ihnen den Eheſtand, gab dadurch den natürlichen, an ſich un - ſchuldigen und wohlthætigen, Neigungen, die uns der Schöpfer einpflanzte, eine ſol - che Wildheit und Unbændigkeit, daſs die Vernunft, die ohne dieſs damals nicht viel ſagen wollte, indem dem Römiſchen Biſcho - fe ungemein viel daran gelegen war, ſie in Unthætigkeit zu laſſen, und ihr Aufſtreben z〈…〉〈…〉[h]emmen, nichts gegen Sie auszurichtenver -99vermochte ſie raſsten und ergriffen - thend jede Gelegenheit, ſich Befriedigung zu verſchaffen. Daher ſind die Klöſter oh - ne Zweifel die Miſtbeete, in welchen, nach der Zernichtung der Römiſchen und Griechi - ſchen Cultur, alle die Unflætereyen ausge - brütet wurden, die man ohne Ekel nicht nennen kann. Ein geſunder Menſch, dem die natürliche Befriedigung des mæchtigſten Triebes auf Lebenslang unterſagt iſt, dem der Müſſiggang Zeit genug læſst, alle die geilen Bilder auszumalen, die die erhitzte Einbildungskraft hervorbringt, wozu mag dieſer nicht aufgelegt ſeyn! Und dieſe Art Menſchen waren nun die Erzieher und die Erzieherinnen der jungen Chriſten ! Was iſt wohl gewiſſer, als daſs ſie die Ver - führer der Unſchuld waren, und die Greuel unter uns brachten, die itzo ſo viel Jammer verurſachen?

Man wird zwar einwenden, daſs das Kloſterleben auf uns Proteſtanten nicht mehr(G 2)wir -100wirken könne, weil die Klöſter bey uns auf - gehoben wæren. Dieſe Einwendung will aber nichts ſagen, wenn man bedenkt, daſs die Proteſtantiſche Kirche ein Spröſsling von der Römiſchen ſey, und alſo viele Sæfte von dem Hauptſtamme empfangen habe. Zur Zeit der Religionsverbeſſerung veræn - derten die Proteſtanten ihr Glaubensbekennt - niſs, werden ſie deswegen aber auch alle ihre Untugenden abgelegt haben? waren die, von Mönchen erzognen, Schüler nicht der erſte Stof, aus dem die Proteſtantiſchen Schulen ſich bildeten? und wird nicht der Grund, von dem gegenwærtigen Charakter unſerer jungen Leute nicht mit eben dem Rechte in dieſem erſten Stoffe können geſucht werden, mit welchem man den erſten Stoff des Men - ſchen, als den erſten Keim zu ſeinem Cha - rakter anſieht? In Anſehung der æuſſerli - chen Form iſt dieſs bey den mehreſten Pro - reſtantiſchen Schulen noch ſichtbar. Man trift da wenig Anſtalten an, den jungen Menſchen zur Theilnehmung an den Freu -den101den zu bewegen, die der Menſchenvater um uns ausgieſset, wenige Anſtalten, Gotteswerke kennen zu lernen, wenige Anſtalten, ihre kör - perlichen Kræfte zu entwickeln, ſtatt deſſen werden die Werke der Menſchen zur Bewunde - rung aufgeſtellt, und die körperlichen Kræf - te zur Unthætigkeit gewöhnet, als wenn die Beſtimmung des Menſchen der Mönchsſtand wære.

Vielleicht wæren die traurigen Wirkun - gen des Kloſterlebens, durch das Wachsthum der Auf klærung nach und nach zu hemmen geweſen, wenn nicht an die Stelle deſſelben neue Misbræuche eingetreten wæren.

Dahin gehört erſtlich der Soldatenſtand. So wenig die Nothwendigkeit deſſelben ab - geleugnet werden kann, ſo gewiſs iſt es doch, daſs die gegenwærtige Verfaſſung deſſelben, eben ſo viel Unheil für die Sitten der Men - ſchen, als ehemals der Mönchsſtand, ſtifte. Unthætigkeit und Eheloſigkeit haben die Sol -(G 3)daten102daten mehrentheils mit den Mönchen ge - mein, ihre Faſten ſind zwar insgemein ſtren - ger, aber ihre Ausſchweifungen geſchehen auch öffentlicher. Welcher Erzieher wird es wohl wagen, ſeinen Zögling in eine Ge - ſellſchaft gewöhnlicher Soldaten zu führen, wo Pflicht verhöhnt und Pflichtvergeſſenheit belacht und beſungen wird?

Daſs von dieſer Behauptung die edeln braven Mænner, adelichen und bürgerlichen Standes, die bey dem Strome der Zügello - ſigkeit feſt wie Felſen ſtehen, und nach ih - ren Kræften dem Strome Einhaltung zu thun ſuchen, ausgenommen ſind, verſteht ſich von ſelbſt.

Dahin gehört ferner der Luxus, der das eheloſe Leben ſo nothwendig macht. Man hat itzo ſo viele Bedürfniſſe, daſs man, um ſie aufzubringen, auſſer Stand geſetzt wird, eines der erſten zu befriedigen. Die Nothwendigkeit, ein feines Tuchkleidund103und ſeidene Strümpfe zu tragen, ſetzt gar viele auſſer Stand, der Stimme der Natur zu folgen, die ſo laut in ihnen ſpricht.

Dadurch entſteht in dem Buſen eines groſsen Theils unſerer Mitbürger und Mit - bürgerinnen ein gewiſſes Schmachten, eine gewiſſe Sohnſucht, die ihren Putz, ihre Stellung, ihre Mienen, ihre Geſpræche, ihren Scherz tingirt, und ihrem ganzen Weſen ei - nen laſciven Anſtrich giebt.

Die Perſonen, die dieſs am erſten be - merken, ſind zuverlæſſig die Kinder. So wie Leute, die eine Gegend oft bereiſst ha - ben, ohne Empfindung vor Gegenſtænden vorbey gehen, bey denen ein anderer, der das erſtemal dahin kommt, mit ofnem Mun - de ſtehen bleibt: ſo iſt auch das Kind auf alle laſcive Ausdrücke und Anſpielungen auf - merkſam, die auf den Erwachsnen gar kei - nen Eindruck machen.

(G 4)Dahin104

Dahin gehört auch die immer mehr um ſich greifende Geſellſchaftlichkeit. Die Noth - wendigkeit und die groſsen Vortheile der Geſellſchaftlichkeit kenne ich und weiſs ſie zu ſchætzen. Sie muſs aber ihre Grænzen haben. Die vorzüglichſte Beſtimmung des Menſchen iſt doch immer Arbeitſamkeit. Geſellſchaftlichkeit iſt nur Erfriſchung, die er nicht eher genieſsen darf, bis ſie ihm Be - dürfniſs iſt. Wenn aber Geſellſchaftlichkeit die Hauptabſicht und Arbeitſamkeit nur Mit - tel wird, dann muſs nothwendig der zur Thætigkeit beſtimmte Geiſt auf mancherley Ausſchweifungen verfallen, davon die ge - wöhnlichſten, Spiel, Verlæumdung und laſ - cive Scherze, ſind. Die Kinder ſind dabey ſehr oft zugegen welche Wirkung es nun wohl haben mag, wenn ſie Perſonen, die ihnen gewöhnlich zum Muſter vorgeſtellt werden, ſo muthwillig ſcherzen hören!

So wie nun faule Moræſte durch ihre Ausdünſtungen nach und nach die Luft ver -giften,105giften, und in den menſchlichen Körper ſolche Fæulniſs bringen, daſs er bey der ge - ringſten Veranlaſſung krank niederfællt, ſo wirken auch die itzo benannten Urſachen ſo auf die Kinder, daſs ſie nach und nach eine ſo laſcive Stimmung bekommen, die ſie zur Auffaſſung aller æuſſerlichen wollüſtigen Rei - zungen empfænglich und willig macht, je - den Wink zu Ausſchweifungen zu be - folgen.

In dieſer gefæhrlichen Lage iſt wohl der Jugend ein Freund und Rathgeber, der ihr die ſchrecklichen Folgen der zügello - ſen Sinnlichkeit liebreich vorſtellte, unum - gænglich nöthig. Denn wenn das Kind ei - nen Weg ſieht, der mit bunten Blümchen bewachſen iſt, und iſt niemand da, der ihm vorherſagt, daſs er in Abgründe ſich ver - liehre, wie kann es denn anders, als dieſen Weg wæhlen! Aber dieſer Freund und Rath - geber fehlt faſt allenthalben. Man læſst es ſich wohl angelegen ſeyn, dem Kinde aller -(G 5)ley106ley gute Grundſætze beyzubringsn; aber die Anwendung davon auf das Verhalten gegen ſeinen Körper, und gewiſſe Theile deſſelben zu machen, unterlæſst man, man erwartet ſie von dem Kinde ſelbſt, und erwartet ſie faſt immer vergeblich, weil die jugendliche Flat - terhaftigkeit es zu ernſtlichen Ueberlegun - gen unfæhig macht. Daher kommt es, daſs die beſten Grundſætze nicht vermögend ſind, die Kinder gegen die heimlichen Sünden zu ſchützen. Daſs ſie bey den beſten Grund - ſætzen dieſelben forttreiben können, ohne darinne etwas unrechtmæſiges zu finden. Dieſs habe ich im erſten Abſchnitte hinlæng - lich bewieſen.

Itzo frage ich nur, was mag wohl die Urſache davon ſeyn, daſs man in Anſehung der nöthigſten und heilſamſten Erinnerungen ſo ſehr zurückhaltend iſt? daſs man ſo nach - drücklich vor Diebſtahl, faſt gar nicht aber vor dieſen Sünden warnt, da doch gewiſs die Reizungen zu denſelben weit ſtærker alszum107zum Diebſtahle ſind, indem von hundert Kindern, von welchen neunzig dieſe Sünden treiben, vielleicht kaum zwey ſich des Dieb - ſtahls ſchuldig machen?

Bey einigen Eltern und Erziehern mag es wohl die Unwiſſenheit, die gænzliche Un - bekanntſchaft mit dieſen Sünden ſeyn, die ihnen die Augen ſo verbindet, daſs ſie die Gefahren nicht bemerken, unter denen die Kinder wandeln. Bey den mehreſten iſt es aber die Schamhaftigkeit. Dieſe færbt das Geſicht, læhmet die Zunge, verurſacht Bænglichkeit am Herzen, ſobald man von den edeln Theilen reden ſoll, die zur Fort - pflanzung des Geſchlechts beſtimmt ſind. Das Kind erfæhrt die Beſtimmung aller ſei - ner übrigen Theile, wird auch wohl unter - richtet, wie es dieſelben vor Beſchædigung bewahren ſoll, von denen, auf deren Wohl das Glück ſeiner Nachkommenſchaft beruht, wird ihm aber gar nichts geſagt. Iſts denn Wunder, wenn es dieſelben in ſeiner Unwiſ -ſenheit108ſenheit verletzt? und wenn es geſchieht, wer iſt daran Urſache?

Ich will hierüber niemanden Vorwürfe machen, weil ich es aus Erfahrung weiſs, wie viele Kraft dazu erfordert wird, ſich der falſchen Schamhaftigkeit, zu der man von Jugend auf gewöhnt iſt, zu entledigen. Wenn ich aber mit kaltem Blute darüber nachdenke, ſo weiſs ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen ſoll. Lachen, weil dieſe Scham - haftigkeit eine der gröſsten, und weinen, weil es eine der ſchædlichſten Thorheiten iſt.

Sind denn nicht alle Theile unſers Kör - pers unſers Gottes Werk? Kann denn Gott etwas machen, wovon zu reden, man ſich ſchæmen müſste? Wo iſt denn der Grund, aus dem man es entſchuldigen kann, daſs man die Kenntniſs aller möglichen Werke Gottes dem Kinde erlaubt, es ſogar zur Kenntniſs der Cherubim und Seraphim und der beyden Naturen in Chriſto zu leitenſucht,109ſucht, und ihm die Kenntniſs ſolcher Werke Gottes, die ihm ſo nahe liegen, von deren Wohl und Wehe ſein und ſeiner Nachkom - menſchaft Wohl und Wehe abhængt, vor - enthælt?

Das muſs man thun, wird man ein - wenden, damit die Kinder nicht fürwitzig gemacht und gereitzt werden, von den Thei - len Gebrauch zu machen, deren Natur und Beſtimmung man ihnen erklært hat.

Darauf antworte ich aber, daſs dieſe Zurückhaltung ſchlechterdings vergeblich iſt, indem die Kinder allemal von andern Perſonen das erfahren, was man ihnen ſorg - fæltig zu verheimlichen ſucht.

Womit, wird man ſagen, willſt du dieſs beweiſen? Hier iſt der Beweiſs:

Erſtlich lege doch jeder Leſer die Hand auf die Bruſt, und prüfe ſich, ob er denn inſeiner110ſeiner Jugend ſo ganz unwiſſend, in Auſe - hung der Erzeugung des Menſchen, bey al - ler Zurückhaltung, die in Anſehung dieſes Punkts, ſeine Eltern, Lehrer und Erzieher, gegen ihn bewieſen, geweſen ſey. Und wenn nun, wie ich vermuthe, neun und neun - zig hunderttheile eingeſtehen, daſs ſie viele Kenntniſſe dieſer Art ſich durch den Unterricht der Geſpielen, des Geſindes, und anderer erwachſener Perſonen, in deren Geſellſchaft ſie oft geriethen, erworben haben, ſo iſts ja Thorheit, ihnen dieſe Kenntniſs vor - enthalten zu wollen.

Zweytens leſen ja die mehreſten Kin - der die Bibel, in welcher mit alter edler Ein - falt von Dingen geſprochen wird, aus denen wir ein Geheimniſs zu machen ſuchen. Nur ein Dummkopf kann bey dem Leſen der Bi - bel mit den Geheimniſſen der Erzeugung un - bekannt bleiben.

Drit -111

Drittens, ſehen ja die Kinder tæglich die Zeugungstheile der Thiere und ihre Be - gattung. Dieſs zu verhindern, iſt unmög - lich, und es zu Wollen iſt unüberlegt.

Viertens füge ich wieder einige Selbſt - geſtændniſſe bey:

I.

Meine redlichen Eltern, ſchreibt mit jemand, waren in Anſehung des beſagten Punkts æuſſerſt zurückhaltend. Ihnen entfuhr nie ein leichtſinniger Scherz, ſie erlaubten ſich, in meiner Gegenwart, nicht die unſchuldigſte Liebkoſung, in Anſehung des Urſprungs der Menſchen beobachteten ſie tiefes Stillſchwei - gen. Und doch wuſste ich in meinem eilften Jahre ſchon eine Menge Dinge, aus denen meine guten Eltern mir das gröſste Geheim - niſs zu machen ſuchten. Meine Mitſchûler und das Geſinde, ſowohl meiner Eltern, als anderer Perſonen, deren Hæuſer ich beſuchte, waren meine Lehrmeiſter, davon einige ein eignes Geſchæfte ſich daraus machten, miralles112alles mitzutheilen, was ihnen davon bekannt war.

II.

Der Knabe R. ſahe wohl eben keine böſe Gewohnheiten in ſeines Vaters Hauſe; hörte aber doch manches, dadurch er auf Dinge aufmerkſam gemacht wurde, deren Bekannt - ſchaft ihm, da er ſie ſo früh machte, ſchadete. Er hörte Redensarten, die ihm den Weg zur Wolluſt, wo nicht ganz und gar wieſen, ihm doch ſelbigen leicht finden halfen. Die Gele - genheit, ſolche zu hören, gaben theils ſeine Eltern und Anverwandte, theils auch andere Leute. Dies geſchahe vorzüglich in den er - ſten Jahren ſeines Lebens.

Die Mutter hatte den Knaben in ſeinen er - ſten Jahren gewöhnlich im Hauſe immer um ſich, und hielt ihn, ſo viel möglich, von der Straſse zurück. Sie beſorgte entweder, er möchte Schaden an ſeiner Geſundheit nehmen, oder von andern Kindern Unarten lernen, die ſie an ihm nicht zu ſehen wûnſchte. So vor - ſorglich ſie nun auch hierin war, ſo verſahſie113ſie es doch auf der andern Seite darin, daſs ſie ihn zuweilen zu Hauſe oder in Geſellſchaft Redensarten hören lieſs, wovon ſie zwar ver - muthete, daſs ſie ihm nicht verſtændlich - ren, deren Bedeutung er aber doch verſtand, und die ſeine Aufmerkſamkeit deſto reger machten, je mehr man ihn darüber in der Un - wiſſenheit zu erhalten ſuchte. Bey folgender Gelegenheit ereignete ſich der Fall.

Eines Tages ward die Mutter von einer Nachbarin beſucht, und der K[n]abe war zuge - gen. Dieſe gab ihre Verwunderung darüber zu erkennen, daſs auf dieſen R. nicht mehrere Kinder eefolgt wæren, und legte die Schuld davon der Mutter bey. Dieſe wandte ſie von ſich ab, und ſchob ſie auf ihren dabey ſitzen - den Mann. Die Nachbarin that darauf eine Gewiſſensfrage an dieſen, und ſagte: ob er denn nicht mehr könne etc.? der Knabe ver - ſtand dieſs und hatte von da an immer einen dunkeln Begriff von dem Zeugungsgeſchæfte in ſeiner Seele, der ſich nach und nach durch mehrere dergleichen Redensarten immer wei - ter entwickelte, indem er alle Aufmerkſam - keit anwendete, keine Gelegenheit dazu vor - beyzulaſſen, und Gelegenheiten dieſer Art gabVon heimlichen Sünden. (H)es114es bey Beſuchen noch mehrere. Ob man gleich in der Folge mehr Rückſicht darauf zu nehmen ſchien, ihm dieſe Sache durch abge - brochene oder verblûmte Redensarten zu ver - bergen: ſo entwiſchte ihm doch ſelten die Bedeutung davon, und hætte man auch wirk - lich was anders damit ſagen wollen, ſo arg - wöhnte er doch dergleichen, und war auſſer - ordentlich neugierig nach Dingen von der Art.

Die Bey[ſp]iele von Unverſchæmtheit im gemeinen Leben, wenn er ſah, daſs erwach - ſene unzüchtige Mannsperſonen die Mædchen unverſchæmt behandelten, dieſe ein Geſchrey und jene ein Gelæchter erhoben, waren auf ihn nicht ohne Wirkung; ſondern er ſah ſol - ches gefühlvoll und mit Erſtaunen an, und bemerkte bey ſich einen ihm unbekannten Trieb.

Wenn im Sommer die Feldarbeit ſeine El - tern aufforderte, ihr Haus zu verlaſſen und ihm aufgetragen wurde, daſſelbe alleine zu verwahren, alsdann kamen die Kinder der Nachbarn, und erzæhlten æhnliche Geſchich -ten,115ten, womit ſie ſich unterhielten und die Zeit vertrieben.

Nun war der Trieb des R. ſo ſehr gereizt, daſs er nur auf Mittel dachte, ihn zu befrie - digen u, ſ. w.

Anmerkung.

Der Einſender dieſes Briefs wird be - merken, daſs die hier abgedruckte Stelle nur aus Bruchſtücken beſtehe, und vieles weggelaſſen ſey, worinne Gelegenheiten an - geführt wurden, die R. benutzte, ſeine aufs höchſte geſpannte Neugier zu befriedigen. Ich muſste ſie aber weglaſſen, weil vieles zu natürlich ausgemahlt war, und ich beſorgte, daſs ich damit verſchiedenen Leſern anſtöſſig werden môchte. Unterdeſſen iſt das Allge - meine, das ich von den weggelaſſenen Stel - len ſagen kann, dieſes: Daſs R. nicht eher ruhete, bis er durch das Dunkel gedrungen war, das man über die Geheimniſſe der Er - zeugung zu verbreiten ſuchte.

(H 2)Wenn116

Wenn es alſo gewiſs iſt, daſs faſt alle Kinder erfahren, was man ihnen von der Natur und Beſtimmung der Geſchlechtsthei - le zu verheimlichen ſucht, ſo iſt dieſe Ver - heimlichung doch wirklich læcherlich.

Sie iſt aber eben ſo beklagens und be - weinenswürdig, weil ſie unbeſchreiblich gro - ſsen Schaden thut. Verheimlichung iſt das wirkſamſte Mittel, die Neugier zu reizen. Man lege ein Buch z. E. öffentlich hin, das Kind wird es kaum bemerken, man verſtecke es aber, ſobald das Kind in das Zimmer tritt, und es wird nach Leſung deſſelben Be - gierde empfinden, und allerley Mittel erſin - nen, ſeine Begierde zu befriedigen. Und dieſe gereizte Neugier, wird gewiſs weit tie - fer in die Geheimniſſe eindringen, als es würde geſchehen ſeyn, wenn man ihr zuvor gekommen wære.

Wenn Eltern und Lehrer ſich nicht mehr ſchæmten, ſich mit den Kindern überdie117die Natur, Verletzbarkeit und Beſtimmung, der Geſchlechtstheile zu unterreden, ſo könn - te dieſs auf eine Art geſchehen, daſs die Auf - merkſamkeit der Kinder mehr auf den gro - ſsen Werth dieſer Theile, die Pflichten, die man, in Rückſicht auf dieſelbe, zu beobach - ten hat, und die traurigen Folgen, die aus dem Misbrauche derſelben entſpringen, als auf die, mit dem Gebrauch derſelben ver - knüpften, angenehmen Empfindungen ge - richtet, und ihnen gleich anfænglich deutliche Vorſtellungen von dieſen Theilen beyge - bracht wûrden, die immer ein ſehr wirkſa - mes Mittel gegen die Unbændigkeit thieri - ſcher Begierden ſind. Dieſs fællt aber weg, wenn ſie die Kenntniſs derſelben durch die Unterredungen mit dem Geſinde und ihren Mitſchülern, ſich erwerben. Sie werden alsdenn zuerſt mit den angenehmen Empfin - dungen bekannt gemacht, die der Gebrauch derſelben gewæhrt, eine Menge verworrene Vorſtellungen drængen ſich in die Seele, die die Einbildungskraft erhitzen, einen lech -(H 3)zenden118zenden Durſt erregen, ſie zur Hervorbrin - gung unreiner Bilder gewöhnen, und ſie nach und nach ſo zerrütten, daſs ſie gewiſſe Theile nicht denken können, ohne zu wol - lüſtigen Begierden gereizt zu werden. Auf dieſe Art werden die mehreſten Kinder ver - wahrloſet. Denn obgleich der natürliche Trieb zur Wolluſt ſchon ſtark iſt, ſo lehrt doch die Erfahrung, daſs er ſeine gröſte Stærke durch die Einbildungskraft erhalte, und früher erweckt wird, als es würde ge - ſchehen ſeyn, wenn die Seele wære rein er - halten worden.

Ich komme auf die næhern Urſachen zu reden, welche die Jugend zu dieſen Sün - den verleiten. Sie theilen ſich in zwey Hauptarten, davon die erſte ſo beſchaffen iſt, daſs ſie den Kindern eine ſo unglückli - che Stimmung giebt, daſs ſie von ſelbſt dar - auf verfallen müſſen, die andere aber ſie wirklich dazu verführt.

Von119

Von der langen Kette Urſachen, de - ren traurige Wirkung am Ende dieſes Uebel iſt, iſt das erſte Glied oft ſchon in der Erzeu - gung zu ſuchen. Wenn bey den Eltern ein ſtarker Hang zur Wolluſt iſt, wenn ihre Ein - bildungskraft ſich zu ſtark mit unzüchtigen Bildern beſchæftigt, wenn ſie beſonders in ihrem geheimſten Umgange die Grenzen der Zucht und Schamhaftigkeit überſchreiten, ſo iſt wohl nichts anders zu erwarten, als daſs ſie eben dieſe unglückliche Stimmung den Kindern mittheilen. Zeigt doch die Erfah - rung, daſs Jachzorn, Feigheit u. dgl. auf Kinder forterbe. Hat man doch Exempel, daſs Mütter, die wæhrend der Schwanger - ſchaft ſtehlen, junge Diebe zur Welt brach - ten, wie vielmehr iſt die Fortpflanzung die - ſer Unart zu beſorgen, da ſie gerade bey dem Erzeugungsgeſchæfte am wirkſamſten iſt.

Dieſe angeerbte Unart findet ohne Zwei - fel reichliche Nahrung in der Milch, wenn dieſe aus einer Bruſt flieſst, unter welcher(H 4)ein120ein unzüchtiges Herz ſchlægt. Lehrt nicht die Erfahrung, daſs die erhitzte Einbildungs - kraft auf alle Sæfte des Körpers wirkt? wird alſo ein Frauenzimmer, das wæhrend dem Stillen des Kindes von wollüſtigem Feuer glüht, nicht auch, ohne es ſelbſt zu wiſſen, ihrer Milch die Wolluſt mittheilen, die her - nach auf Bildung des Charakters des Sæug - lings Einfluſs hat? Da nun die Ammen meh - rentheils Perſonen ſind, welche das Ueber - maas von Wolluſt zu Fehltritten verleitet hat: o lieben, guten Mütter! ſo bedenkt ſelbſt, was für Gefahren ihr euer Kind aus - ſetzt, wenn ihr ihm die Bruſt verſagt.

Das ſind, wird man mir antworten, Speculationen! nein, meine Lieben, Spe - culationen ſollen in dieſs Buch nicht kom - men. Lauter Thatſachen ſollen zum Grun - de gelegt, und aus denſelben die Folgen ge - zogen werden, die dem unbefangnen Beob - achter ſogleich in die Augen fallen.

So121

So ſey zum Beweiſe des Satzes, daſs die Milch, die das Kind ſauget, auf die Bil - dung ſeines Charakters Einfluſs habe, fol - gendes Beyſpiel hingeſetzt:

Ein gewiſſes Frauenzimmer, von un - beſcholtenen Sitten, brachte Zwillinge zur Welt. Ob ſie gleich ihre Kinder ſonſt ſelbſt zu ſtillen pflegte, ſo glaubte ſie doch, daſs ihre Kræfte dieſsmal nicht hinlænglich - ren, zweyen zugleich die Bruſt zu reichen. Sie übergab alſo das eine einer Amme. Zur Zeit der Entwöhnung war zwiſchen beyden ein ſo auffallender Unterſchied ſichtbar, daſs man ſie kaum für Geſchwiſter hætte halten ſollen. Das Kind, das der Mutter Bruſt ge - ſogen hatte, war freundlich, ſanft und folg - ſam, das Pflegekind der Amme hingegen, hæmiſch, eigenſinnig und ſtörriſch. Bey - der Charakter war in ihren Geſichtern abge - druckt, und hatte ihre Züge und Mienen beſtimmt.

(H 5)Iſt122

Iſt wohl etwas anders denkbar, worin - ne man den Grund dieſer auffallenden Ver - ſchiedenheit ſuchen könnte, als die Ver - ſchiedenheit der Milch, die ſie in ſich ſogen?

Es iſt wahr, dies beweiſst nicht gerade zu, daſs die Unkeuſchheit durch die Milch fortgepflanzt werde. Das beweiſst es aber doch, daſs der Charakter ſich durch die Milch mittheile, und læſst uns dieſs von ei - nem wollüſtigen Charakter um ſo viel eher beſorgen, je gewiſſer es iſt, daſs die Wolluſt ihren Sitz vorzüglich in den menſchlichen Sæften habe.

In den mehreſten Hæuſern herrſcht ei - ne ſolche Einrichtung, durch welche das, durch die Erzeugung und Sæugung ausge - ſtreuete, Samenkorn der Wolluſt ſo gepflegt wird, daſs es ſeiner Entwickelung immer mehr entgegen wæchſt. Das ſo ſchædliche, und doch ſo tief eingewurzelte, Vorurtheil,das123das gewiſs ſchon viele Millionen Kinder ge - tödtet hat, das Vorurtheil meyne ich, daſs man Kinder recht warm halten, und ſie vor Erkæltung bewahren müſste, læſst es in vie - len Hæuſern nicht zu, die Kinder unter Ma - tratzen ſchlafen zu laſſen, ſondern verleiter die Eltern, ſie in weiche erhitzende Feder - betten zu legen. Dadurch werden die Sæfte auf eine unnatürliche Art erhitzt, und unna - türliche Wirkungen hervorgebracht. Und ſo wie die Pflanzen, die man in Miſtbeeten erzieht, weit eher, als auſſer denſelben, em - porſchieſſen: ſo lodern auch, durch die un - natürliche Wærme, Begierden empor, deren Entwickelung erſt nach einigen Jahren erfol - gen ſollte.

Die ganze Lebensart der mehreſten Kinder, in ihren erſten Jahren, iſt ſo einge - richtet, daſs dieſe Begierden genæhrt und hervorgelockt werden. Die edle Einfalt in der Wahl der Nahrungsmittel und den Sitten, die man in den Hütten unſerer Vor -fahren124fahren fand, iſt durch Weichlichkeit ver - drængt worden. Vor den ſtærkenden Trank, den die Quelle anbietet, geht man vorüber, und gewöhnt die Kinder, warme Getrænke in ſich zu ſchlurfen; verſchmæht die Küchen - gewæchſe, die um uns wachſen, und næhrt die Kinder mit Fleiſch, Backwerk und ge - würzten Speiſen und Getrænken, die von auslændiſchen Gewæchſen bereitet wurden. Dadurch müſſen ja nothwendig in den Sæf - ten Gæhrungen und Aufwallungen entſtehen, die bey den Kindern Wirkungen hervorbrin - gen, die ihnen noch viele Jahre würden un - bekannt geblieben ſeyn, wenn man ſie bey der Nahrung gelaſſen hætte, die ihnen im Schooſse der Natur am næchſten lag.

Die frühe Cultur, die man den Kindern mitzutheilen ſucht, vergröſſert das Uebel noch mehr. Um ihren Geſchm[a]ck zu bil - den, verfeinert man ihr Gefühl ſo ſehr, daſs ſie, um mich ſo auszudrücken, vorempfin - den, daſs Reizungen ſie rühren, deren Ge -nuſs125nuſs ihnen erſt nach vielen Jahren beſtimmt war. Weibliche Schönheit würde wahr - ſcheinlich auf einen Knaben, mit ſchlichtem geradem Sinne und unverdorbnem Wahr - heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die Bildung eines ſchönen Knaben. Wenn aber ein anderer durch die Cultur von dem gera - dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht, mit verliebten Liedern, Schauſpielen, Ge - dichten, Romanen bekannt gemacht wird, dann geht alles ganz verkehrt. Die junge Seele, die für itzo keine andere Beſtimmung hatte, als ſpielen und lernen, gehorchen und gefællig ſeyn, fængt an ſich zu verlieben, und traumt von hübſchen Mædchen in Jah - ren, wo die Kinder ſonſt nur von Puppen und Steckenpferden zu træumen pflegten.

Eine ſo ſonderbare Art von Geſchöpfen ſind wir Menſchen. Immer ſuchen wir uns das weniger Wichtige mit Aufopferung des Wichtigern zu verſchaffen: verderben den Magen, um den Gaumen zu kützeln, machenuns126zum Empfangen und Gebæhren geſunder Kinder untüchtig, um ſchlank zu ſcheinen, und verderben das Herz, damit der Geſchmack gebildet werde.

Ob nun gleich dieſs alles ſo wahr iſt, daſs es keines weitern Zeugniſſes bedarf, ſo will ich doch noch ein paar Zeugniſſe von mir unbekannten, aber mit warmen Eifer für das Wahre und Gute erfüllten Mænnern, beyſetzen, um meine Leſer zu überzeugen, daſs auch andere mir beyſtimmen.

I.

Mag auch vielleicht ſchon ſeit langen Jahren dieſs Laſter unter der Jugend aller Stænde herum geſchlichen ſeyn; ſo iſt es doch gewiſs, daſs jetzt dem Beobach - ter die Wirkungen deſſelben vorzüglich in die Augen fallen. Es læſst ſich das gut erklæren: die jetzige Generation iſt die erſte, die von der Wiege an mit Weichlichkeit genæhrt iſt. Unſere Væter wuchſen noch bey kalten Ge - trænken auf; wir ſind die erſten, die die Mut -termilch127termilch mit Thee und Kaffee verwechſelten. So unſere Kindheit. Die Periode, wo wir zu leſen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen - nium, wo der empfindſame T[h]on, jene kraft - loſe ſchmachtende Stimmung in allen Mode - ſchriften herrſchte.

II.

Die Frucht vom Baum, der Erkenntniſs des Guten und Böſen, die Aufklærung, der Ge - ſchmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten, können heut zu Tage nicht früh genug kom - men. Die Menſchen leben eher, genieſsen eher, taugen eher zum Umgang, in die Geſell - ſchaften, zum Agiren auf Theatern, zum Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei - ne, zu früher Genuſs unreifer, Krankheit und Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten, 10jæhrige Jünglinge, 15jæhrige Mænner u. ſ. w.

Die Erfahrung, meine nun bald 15jæhrige, als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder bloſs zufælliger Erfahrer, unter jungen Leuten meines Alters, an ſehr ſehr vielen ſind mir Beweiſs, trauriger Beweiſs, daſs alles dieſesden128den Saamen des Laſters, wovon die Rede iſt, erweckt, næhrt, befeuert, hervortreibt. De - nen, die es nicht begreifen wollen, ſey die - ſes geſagt. Alle jene Stücke und mehrere der Art erwecken die Aufmerkſamkeit der Kinder, der Jugend, reitzen ihre Neugierde, dieſe ſucht Befriedigung, ſie denken nach, hören, ſchnappen auf, fragen, werden berichtet oder durch Verweiſse noch wiſsbegieriger gemacht, ſie bemerken Thiere, vergleichen, ſchlieſſen, finden ſo oder anders den rechten oder unna - türlichen Weg. Das übrige brauche ich nicht herzuſetzen.

Ueber dieſs wird Leſern der pædagogi - ſchen Unterhandlungen bekannt ſeyn, wie viel Gutes und Wahres Herr Villaume, über die Schædlichkeit der frühen Cultur der Kin - der, in dem letzten Jahrgange geſagt habe.

Dasjenige, was die Pflanze der Wol - luſt zur Vollkommenheit bringt, iſt die Un - thætigkeit, in welcher die mehreſten Kinder aufwachſen, und wodurch ſie wieder in La - gen verſetzt werden, die ihnen nicht natür -lich129lich ſind und unnatürliche Wirkungen her - vorbringen.

Wie ſtark der Trieb zur Thætigkeit in al - len Kindern ſey, lehrt die tægliche Erfahrung. Das neugebohrne Kind, wenn es die Feſſeln los iſt, in welche man ſeine Hænde und Füſse geſchlagen hatte, iſt in unaufhörli - cher Bewegung, und beſtrebt ſich, alle ſeine Muskeln in ſeine Gewalt zu bekommen. So - bald es ſich von einem Orte zum andern be - wegen kann, ſucht es die Dinge zu ſich zu ziehen, die ihm angenehm ſcheinen, und macht damit allerley Bewegungen, wenn es ſie in ſeine Hænde bekommen hat. So wie ſein Verſtand ſich entwickelt, erſinnt es Spiele, wæhlt ſich Geſchæfte, und freuet ſich, wenn eines derſelben ihm gelungen iſt. Dieſer Trieb zur Thætigkeit wæchſt mit den Kræften und würde gewiſs, unter guter Auf - ſicht, eine ſo glückliche Richtung bekom - men, die vielerley Ausſchweifungen ver - hinderte.

(Von beimlichen Sünden.) (I)Aber130

Aber alte verjæhrte Vorurtheile, die, wer weiſs wie, in unſere Erkenntniſsmaſſe gekommen ſind, arbeiten dieſem mæchtigen Triebe entgegen, und ſuchen ihn aufzuhal - ten. Welches ohngefæhr eben die Wirkung hat, als wenn man mitten in einen Strom einen Damm machte, und ihn ſo zwænge, aus ſeinen Ufern zu treten.

Das junge Kind, das ein ſo mæchtiges Beſtreben æuſſert, von ſeinen Gliedern Ge - brauch zu machen, wird gezwungen, das erſte Jahr ſeines Lebens ein wahres Pflan - zenleben zu führen, trotz dem Winke der Natur, die die Nabelſchnur zerriſs. Es ve - getirt wechſelsweiſe, bald in der Wiege, bald im Mantel, obgleich die Natur, oder wel - ches einerley iſt, der Schöpfer der Natur, der Allmæchtige, Allweiſe, Allgütige Gott, befiehlt, daſs das Kind, ſobald die Nabel - ſchnur zerriſſen iſt, kriechen ſoll.

Kaum iſt das Ende ſeines erſten Le - bensjahres da, ſo ſehen die Eltern, daſsMantel131Mantel und Wiege zu ſchwach ſind, das Kind aufzuhalten, welches von der Natur ſo viel Kraft empfieng, die Entnervung des Mantels und der Wiege zu überleben, und ſorgen ængſtlich, ſeiner Thætigkeit neue Feſſeln anzulegen. Laufzaum Gængelſtuhl - und Laufbænke, dieſe Schandſæulen des Menſchenverſtandes, die den jungen Men - ſchen gebrechlich und zum Laufen unge - ſchickt machen, werden insgemein hierzu erwæhlt. Was ſo glücklich iſt, dieſe Feſ - ſeln zu überleben, wird nun ins enge Zim - mer geſperrt, aus dem es mit eben der Sehn - ſucht herausſchauet, wie der Finke aus dem Kefig. Faſt alle Gelegenheit, ſeine Thætig - keit zu æuſſern, wird ihm abgeſchnitten. So wird der junge Menſch, und der am mehreſten, der am höchſten über andere ſte - hen ſoll, bis zu den Jünglingsjahren fort geleitet. Statt ihm Gelegenheit zu ſchaffen, ſelbſt thætig zu ſeyn, wird er unterrichtet, oder in die Nothwendigkeit verſetzt, ſich leidend zu verhalten.

(I 2)Die132

Die Natur læſst ſich aber nicht ændern, ſie wirkt immer fort, obgleich die Künſte - leyen der Menſchen ihren Wirkungen eine andere Richtung geben; der Trieb zur Thæ - tigkeit bleibt. Wenn man ihn alſo von al - len Seiten her einſchrænkt, ſo greift er nach dem, was ihm am næchſten iſt, und wenn er nach langen Herumgreifen etwas findet, womit er ſich auf eine, angenehme Empfin - dungen verſchaffende, Art beſchæftigen kann, ſo bleibt er dabey ſtehen. Wenn dem Men - ſchen alle Gelegenheiten abgeſchnitten wer - den, auf die Dinge zu wirken, die auſſer ihm ſind, ſo wirkt er auf ſich ſelbſt, und wenn ihm verboten wird zu ſchaffen, ſo zer - ſtört er.

Ich habe doch wohl deutlich genug ge - nug geſprochen? wer mich nicht verſteht, der beobachte doch die Bewegungen eines Kindes, das ſich in warmen Betten herum - wælzt, oder doch der Menſch lernt ſei - ne Handlungen verbergen, ſobald er merkt,daſs133daſs er beobachtet wird, und empfængt in den Jahren, da ihm die Verſtellung noch ſchwer wird, einen langen Mantel ſo lange bis er, unter dem Schutze deſſelben, in der Verſtellung einen hohen Grad von Fertigkeit erlangt hat.

Hier möchte ich gern weiter reden, gern möchte ich ſagen, daſs es gerade gegen die menſchliche Natur ſey, junge Menſchen, bey denen alle Muskeln nach Thætigkeit ſtreben, zu zwingen, ſechs bis acht Stunden des Tags in der Schule ſtille zu ſitzen, Jüng - linge, die Kraft fühlen, für die menſchliche Geſellſchaft zu wirken, und die tauſend an - dere, von gleichem Alter, neben ſich wir - ken ſehen, zum unthætigen lernen zu ver - dammen, und Menſchen, bey deren Natur der Körper ein ſehr wichtiger Theil iſt, zu bloſs geiſtigen Beſchæftigungen zu gewöh - nen. Aber ich zweifle, daſs mich viele ver - ſtehen werden. Diejenigen, die mich ver - ſtehen würden, werden ſchon aus der gegen -(I 3)wær -134wærtigen Aeuſſerung meine Meynung ganz errathen, und mit wehmüthigem Blicke auf unſere Schulen, Gymnaſien und Univerſitæ - ten, herab ſehen, die, wie ich hernach zei - gen werde, næchſt den Klöſtern und Kaſer - nen, die vorzüglichſten hohen Schulen ſind, auf welchen das Laſter, gegen welches ich ſchreibe, vorzüglich gelehrt wird.

Auſſer dieſen angeführten Urſachen, giebt es noch andere, die ein unzüchtiges Feuer mit der gröſsten Behendigkeit anzün - den, das leicht immer weiter um ſich greift, und ſehr ſchwer wieder zu löſchen iſt.

Dahin rechne ich wollüſtige Gemælde. Schon der Anblick nackter Figuren iſt ge - fæhrlich, weil wir, wegen der Art uns zu klei - den, an den Anblick der Nacktheit nicht ge - wöhnt ſind. Ich weiſs aber nicht was ich dazu ſagen ſoll. Sollen wir weniger ſorgfæltig in Bedeckung unſers Körpers ſeyn, und hierin - ne die Griechen nachahmen? oder ſollenwir135keine nackten Figuren mehr vorſtellen? Ei - nes von beyden müſste ohne Zweifel geſche - hen, wenn die ſchædlichen Wirkungen, die gegenwærtig nackte Figuren thun, wegfallen ſollen. Denn in der Lage, wie wir itzo ſind, wird gewiſs der junge Knabe jede nackte Schönheit mit wollüſtigen Empfindungen angaffen. Das Bild wird ſeiner Seele ſich einprægen, bey dem Anblicke eines ſchönen Frauenzimmers, wird dieſes Bild ſich wieder darſtellen, er wird ſich die Kleidung weg - denken, und unter derſelben das Bild, das ihn entzündete, wieder zu finden glauben. Ich will aber darüber nichts entſcheiden, weil dieſs eine Sache betrift, die vor der Hand doch nicht kann abgeændert werden. So viel glaube ich aber, daſs der Anblick der wirklichen Nacktheit, zumal, wenn er öfters geſchieht, weit weniger ſchade, als wenn die Einbildungskraft die Nacktheit denkt. Denn im erſtern Falle empfinden wir bloſs, im andern iſt die Seele ſelbſt thætig. Dort(I 4)ſehen136Dort ſehen wir die Natur, wie ſie iſt, mit ihren Schönheiten und Mængeln, Vollkom - menheiten und Schwachheiten; hier denken wir alle Mængel, alle Schwachheiten weg, und erblicken nichts als Schönheit und Voll - kommenheit. Ich könnte dieſs weitlæufti - ger ausmahlen, denke aber: ſapienti ſat.

Ob es nun aber gleich ſo bleiben ſoll, daſs die Schönheit in der Natur bekleidet, und auf Gemæhlden nacket erſcheint, und ich alſo die daraus entſpringenden Irregula - ritæten nicht weiter rügen will: ſo iſts doch gewiſs, daſs wirklich wollüſtige und unver - ſchæmte Gemælde ein wahres Gift für junge Seelen ſind. Eine einzige unzüchtige Vor - ſtellung iſt hinlænglich, die Einbildungskraft in volle Flammen zu ſetzen, und ſo tief ein - zugreifen, daſs alles Entgegenſtreben der ſchwachen Vernunft nicht vermögend iſt, ſie loſs zu werden. Und gleichwohl wie zahlreich ſind die Gemæhlde und Kupferſtiche, die man, ohne zu erröthen, nicht betrach -ten137ten kann; wie ſehr vermiſst man die Ach - tung, die man der Tugend und Schamhaf - tigkeit ſchuldig iſt, in vielen Vorſtellungen, welche die herumziehenden Landcharten - hændler unter ihre Waare verſtecken! und wie gewöhnlich iſt es, daſs dieſe Leute ſich in Schulen und Erziehungsanſtalten einſchlei - chen und ihre Waare der Jugend zur Be - trachtung vorlegen. Wer nur einigermaſen die Neigungen des jugendlichen Herzens kennt, der kann leicht erachten, daſs Kna - ben, die einmal eine dergleichen Vorſtellung entdeckt haben, ſich allemal um einen ſol - chen Mann drængen, ihn bey Seite ziehen, flüchtig ſeine Charten durchblættern, und die Abbildungen der Wolluſt und Unver - ſchæmtheit mit gierigen Blicken verſchlingen werden.

Da man auf dieſen Punkt bisher ſo we - nig aufmerkſam geweſen iſt, daſs man ſol - chen Leuten allenthalben ungehindert Zutritt verſtattet hat, an manchen Orten es ſogar(I 5)gewöhn -138gewöhnlich iſt, daſs man in den Zimmern Gemæhlde der Wolluſt aufſteller: ſo habe ich es deſto mehr für meine Pflicht gehalten, das Publikum auf dieſe, für die Unſchuld ſo gefæhrliche, Klippe aufmerkſam zu machen, und bitte alle Eltern, Lehrer und Erzieher, das wenige, was ich hierüber geſagt habe, wohl zu beherzigen.

Eben ſo gefæhrlich für jugendliche Un - ſchuld ſind eine Menge Bücher, die von dem Genuſſe der körperlichen Wolluſt ohne Zu - rückhaltung oft ſchlüpferig und unverſchæmt, ſprechen, die Süſsigkeit derſelben mit den reitzendſten Farben ausmalen, und die trau - rigen Wirkungen derſelben verſchweigen, oder die auch nur den Reiz der Liebe beyder Geſchlechter gegen einander ſo vorſtellen, daſs die Leſer und Leſerinnen ſelbſt dadurch von einem verliebten Sehnen angeſtecket werden.

Dahin rechne ich zuvörderſt viele la - teiniſche und griechiſche Schriftſteller, dieman139man zur Uebung in den alten Sprachen, und zur Bildung des Geſchmacks, der Jugend in die Hænde giebt. Nicht nur Ovids Ver - wandelungen, deren Leſung viele, zur Er - lernung der Mythologie, fûr unumgænglich nöthig halten, und ſeine libri Amorum, bey deren Leſung wohl mancher geſetzte Mann zur Wolluſt kann geſtimmt werden, ſondern auch viele andere, die in verſchiedenen Schu - len als Leſebücher eingeführt ſind, verdienen hierher gerechnet zu werden. Horaz, Sue - ton, Terenz wie ſtark werden ſie von der Jugend geleſen und wie viele ſchlü - pfrige, wenigſtens anſtöſsige, Stellen ent - halten ſie doch! Was für ein Abſtand von unſern neuern Schriftſtellern, deren morali - ſches Gefûhl verfeinerter iſt eines Weiſſe, Campe, v. Rochow, Reſewitz u. dgl.

Da ich dieſs ſchreibe, liegt Terenz ne - ben mir. Ohne lange herumblættern zu dürfen, um Beweiſe für meine Behauptung zu ſuchen, nehme ich die erſte Stelle, diemir140mir in die Hand fællt, und ſchreibe ſie zu meiner Rechtfertigung her. Sie iſt aus der Andria genommen, und lautet folgender - maſsen:

Primum hæc pudice vitam, parce ac duriter
Agebat, lana ac tela victum quæritans:
Sed poſtquam amans acceſſit, pretium pol -
licens,
Unus et item alter, ita ut ingenium eſt om -
nium|
Hominum a labore provlive ab lubidinem;
Accepit conditionem, dein quæſtum occipit.
Obſervabam mane illorum ſervulos
Venientes aut abeuntes: rogitabam, heus
puer,
Dic ſodes, quis hodie Chryſidem habuit?

Man wird leicht ſehen, daſs ich nicht vorſetzlich die ſchlüpfrigſte Stelle gewæhlt habe. Im Grunde iſt dieſe gar nicht ſchlü - pfrig, ſie iſt weiter nichts als eine ſehr ſitt -ſame141ſame und züchtige Darſtellung jugendlicher Ausſchweifungen. Und doch wie ge - færlich iſt ſie! der Knabe, der das lieſst, wird doch wiſſen wollen, was die Liebhaber von dem Mædchen für die Belohnung, die ſie ihr verſprochen, verlangten, wird doch herumgrübeln, was das habuit bedeuten ſol - le, wird ſich eine dunkle Vorſtellung von einem unzüchtigen Umgange machen, ihn mit lebendigen Farben ausmahlen, und auf dieſe Art in ſich| ſelbſt ein unkeuſches Feuer anzünden. So wird unter dem Vehikel der lateiniſchen Sprache das Laſter eingeflöſset, und ſo wirkſam eingeflöſset, daſs von zehen Schülern vielleicht neune laſterhaft werden, von denen kaum einer mit dem wahren Geiſte der lateiniſchen Sprache Bekanntſchaft erlangt.

Ich muſs hier abbrechen, weil ich mich in ein Feld wage, das von rüſtigen Mænnern ſchon ſtark beſetzt iſt. Ich will alſo keine Vorſchlæge thun, wie die lateini -ſche142ſche Sprache erlernet, und der Geſchmack gebildet werden könne, ohne daſs dabey die Unſchuld leide. Sollte es aber ſchlechter - dings zur Erlernung dieſer Sprache nöthig ſeyn, die Alten, mit ihren anſtöſſigen und ſchlüpfrigen Stellen, zu leſen, ſo glaubte ich doch, daſs es beſſer ſey, gar kein Latein zu lernen, als bey Erlernung deſſelben Unſchuld und Sitten zu verderben.

Die Meynung, als wenn das Leſen der Alten ſchlechterdings zur Bildung des Ge - ſchmacks nöthig ſey, kommt mir eben ſo vor, als wenn man behauptet, daſs der wah - re Glaube allein aus den alten Theologen geſchöpft werden müſſe. Beydes iſt Vorur - theil, beydes ein Schlagbaum, wodurch das Vorwærtsſtreben der menſchlichen Kraft auf - gehalten wird. Denn im Grunde beruhen doch beyde Meynungen auf dem Satze; daſs der Sitz der Weisheit bey den Alten, d. i. bey denen zu ſuchen ſey, die etliche Jahrhun - derte vor uns gelebt haben, welches, nachdem143dem Urtheile des geſunden Menſchenver - ſtandes, ein ſo læcherlicher als ſchædlicher Irrthum iſt.

Auſſer den alten Schriftſtellern giebt es eine Menge neuere, die noch weit mehr ſchaden, theils weil ſie deutſch geſchrieben ſind, und alſo weit leichter verſtanden wer - den können, theils, weil ſie weit mehr Un - verſchæmtheit beſitzen, und hauptſæchlich deswegen geſchrieben haben, daſs ſie der Jugend die Unkeuſchheit lehren, und durch ihren Unterricht Geld verdienen wollen. Man verlange nicht von mir, daſs ich dieſe Schriftſteller nennen ſoll! Ich ſehe voraus, daſs meine Schrift in die Hænde manches neugierigen Knabens und Mædchens fallen wird, und weis, nach meiner Ueberzeugung, daſs das ſicherſte Mittel ſie zur Leſung eines unzüchtigen Buchs zu ermuntern, dieſes ſeyn würde, wenn man ſagte, dieſs Buch iſt æuſ - ſerſt unzüchtig, das dürft ihr nicht leſen!

Wozu144

Wozu, wird man ſagen, dient aber dieſe Deklamation, unſere Jugend bekommt ja ſolche Schriften nicht zu leſen.

Dazu dient ſie, um Eltern, Lehrern und Erziehern, ins Ohr zu ſagen, daſs ihre Kinder, Schüler und Zöglinge, wirklich ſolche Bücher leſen. Das Geheimniſsvolle, das man annimmt, wenn von Geſchlechts - gliedern, Geſchlechtstriebe, Beywohnung und Erzeugung geſprochen wird, ſpannt, wie ich ſchon geſagt habe, die Neugier der Jugend auf das höchſte. Eben dieſe ge - ſpannte Neugier, die ſie antreibt, ſich dem Unterrichte der Eltern, Lehrer und Erzieher zu entziehen, und ſich zu den Füſsen der Ammen, Mægde, Bediente und Taglöhner zu ſetzen, die lehrt ſie auch jedes unzüchtige Buch aufzuſpüren. Zweifelt ihr daran? ſo führt euer Kind zu einer Bibliothek, in wel - cher nur ein einziges Buch dieſer Art aufge - ſtellt iſt, gebt ihm die Freyheit, dieſe Bi - bliothek zu beſehen, und bemerket, ob esnicht145nicht daſſelbe aufſpüren, und ſich damit auf die Seite ſchleichen werde. Ueberdieſs giebt es viele Gewinnſüchtige, die den jungen Leuten dergleichen Bücher, gegen Erlegung eines gewiſſen Geldes, zuſtecken.

Vielleicht wendet man ein, dieſs ſey nicht möglich, weil die jungen Leute unter beſtændiger Aufſicht wæren. Allein wenn die Begierde nach ſolchen Schriften einmal er wacht iſt, ſo iſt ſie ausnehmend ſinnreich, die Wachſamkeit der Vorgeſetzten zu hinter - gehen. Ich weiſs Exempel, daſs Schüler, die unter der ſchærfſten Aufſicht und Zucht ſtanden, doch, ohne entdeckt zu werden, beſtændig die ſchændlichſten Bücher laſen. Sie führten ſie ſtets bey ſich. Wann ſie ſtu - dieren ſollten, lag vor ihnen ein nützliches Buch, und neben demſelben das ſchædliche, das ſogleich verſchwand, ſobald ein Aufſeher der Stube ſich næherte. Waren ſie in der Schule, ſo lag auf der Tafel der Virgil oder das neue Teſtament, und auf dem Knie einVon heimlichen Sünden. (K)un -146unzüchtiger Roman, der, vermittelſt des langen Mantels, leicht verborgen werden konnte. Ihr liebſtes Muſeum, das ſie am hæufigſten beſuchten, war das heimliche Ge - mach, wo ſie Muſe genug hatten, ihre Les - begierde zu befriedigen, und ihren unzüch - tigen Gedanken recht nachzuhængen.

Selbſt das Leſen verliebter Romane und Gedichte iſt jungen Gemüthern æuſſerſt ver - derblich, wie ich dieſs vorhin ſchon gezeigt habe, da ich von der Schædlichkeit der frü - hen Cultur redete. Und doch wie zahlreich ſind dergleichen Bücher, wie groſs die Men - ge von Liedern, in denen der Genuſs der Liebe als das höchſte Glück des menſchlichen Lebens vorgeſtellt wird! Wie geneigt iſt das junge Herz dieſem Satze ſeinen ganzen Beyfall zu ſchenken! und iſt dieſes geſchehen, was helfen alsdenn alle Empfehlungen der Tugend, der æchten wahren Tugend, die in Geiſteskraft und Selbſtbeherrſchung be - ſteht?

Ich147

Ich muſs hier noch einer andern Art ſchædlicher Bücher gedenken, dieſes ſind die Wörterbücher. Die Wörterbücher? wird man læchelnd fragen. Ich ſage aller - dings. Denn man nehme nur, um ſich da - von zu überzeugen, ein franzöſiſches oder lateiniſches Wörterbuch in die Hand, und ſehe, ob nicht alle Arten der Unzucht dar - inne recht deutlich erklært ſind, ob nicht faſt auf jedem Blatte etwas anſtöſſiges vorkommt! Der neugierige Knabe ſpürt alle dieſe Stellen auf, denkt darüber nach, und das Nachden - ken erweckt ſeine Begierde.

Hier ſind noch einige Zeugniſſe von dem groſsen Schaden, der durch eine übel gewæhlte Lektüre angerichtet wird.

I.

Die Anleitung hierzu hat, nach meiner Erfahrung, gegeben, die dem Verbrennen nahe Einbildungskraft, wenn ſie mit ſchlü - pfrigen Bildern angefüllt war. Dann aber(K 2)bedurfte148bedurfte es bey vielen nur einer Berührung der Beinkleider, oder geringe Bewegung der Finger, ſo war die erſte Sünde da.

Wem aber dieſs Laſter ſchon bekannt war, der hat zur Ausübung Reiz und Gelegenheit bekommen, durch Geſpræche und ſchlechten Umgang, durch dummes Leſen mancher, auch nicht ſo böſer Bücher, und wenn ehe ſoll denn Plautus und Terenz in unſern Schulen abgeſchaft werden? Dieſe geben, ſtatt des Biſsgen römiſchen Theaterlatein, was wir aus ihnen lernen könnten, wenn ſie beſser tra - ctirt würden, vielmehr zu den hæſslichſten Gedanken Anlaſs.

II.

Ich erinnere mich noch, wie mir zu Mu - the geweſen, und was ich empfunden, als unſer Rektor uns öffentlich die Bücher de ar - te amandi und die libros Amorum erklærte. In dem erſten wurde alles das mit geleſen, was Ovid von den untetſchiedlichen Arten des Beyſchlafs erzæhlet, und von den letztern auch nicht einmal das hæſsliche Stück, woOvid149Ovid ſeine unzüchtige Uebung mit der Co - rinna beſchreibt, ausgelaſſen. So viel ich mich erinnere, hatte ſich unſer Rektor meh - rentheils halb betrunken, wenn er ſo eine Stelle uns erklærte. Zum Beſchluſſe ſagte er uns: Kinder! lernt was rechtſchaffenes, ſo könnt ihr mit der Zeit dieſes Vergnügen auch erfahren.

Ich kann mich bey der Gelegenheit nicht genug wundern, wenn ich ſo gar angeſehene Perſonen von geiſtlichen Stande öffentlich ha - be behaupten hören, es ſey nicht nöthig, daſs man der Jugend Editionen von klaſſiſchen Schriftſtellern gebe, wo die unzüchtigen Stel - len weggelaſſen ſind. Den Reinen, heiſst es, wære alles rein, und die Jugend werde nur begieriger nach den verbotenen Stellen, die man weggelaſſen. Ich dæchte Geſchmack und Wiſſenſchaften würden wenig darunter leiden, wenn die Jugend lauter caſtrirte Editionen hætte. Auſſerdem iſt freylich das überhüpfen ſolcher Stellen eine Anreizung ſie deſto begie - riger zu leſen.

Ich glaube überhaupt, dieſs Laſter wûrde nie ſo allgemein ſeyn, wenn nicht das Leſen(K 3)ſolcher150ſolcher Stellen und anderer unzüchtigen Ro - mane die Einbildungskraft erſt rege machte. Die lmagination von noch unſchuldigen Ge - müthern wird ſich nicht leicht von ſelbſt geile Bilder ſchaffen. Aber verlohren iſt der junge Menſch, der nur einmal das Unglück hat, ein unzûchtig Buch in die Hænde zu bekommen, beſonders wenn es ſo gar unflætige Kupfer - ſtiche hat. Viele wiſſen es nicht, wie hæu - fig dergleichen Bücher heimlich gekauft und geleſen werden. Die Buchhændler oder ihre Diener treiben heimlich ihren Handel damit, und haben ihre heimlichen Winkel, wo ſie dieſelben verſtecken. Als ich vor ein paar Jahren im Buchladen war, ſchickte ein ade - lich Fræulein ihren Bedienten und lieſs ſich ** ausbitten. Ich wunderte mich, da ich ſahe, daſs der Buchhændler, ohne weitere Nach - frage, ſogleich das Buch herbey hohlte. Ich lieſs mir ein Exemplar weiſen, und ſahe, daſs es R. S. G. waren, in welchen die unzuch - tigſten Gedichte ſtunden. Nur noch vor ei - nem Jahre merkte ich, daſs der Buchhændler, als eben ein neu Paquet Bücher ankam, ein Buch geſchwinde zu verſtecken ſuchte. Ich fuhr aber zu und nahm es weg, um es zu Hauſe anzuſehen. Es hieſs: *** Mir,als151als einem alten Manne, ſtunden die Haare zu Berge, als ich die unnatürlichſten Laſter hier mit feinem Witze und guter erwecklicher Schreibart beſchrieben laſs. Ich brachte es den folgenden Tag dem Buchhændler wieder, bezahlte es, und verbrannte es vor ſeinen Au - gen, und drohte ihm aufs ſchærfſte, wenn er je noch ein Exemplar kommen lieſs. So un - bekannt mir das Buch Zeitlebens geblieben wære, wenn es nicht ein Ungefæhr mir ent - deckt hætte, ſo weiſs ich doch, daſs bald dar - auf Nachfrage nach dieſem Buche in dem Buch - laden geſchehen iſt.

Auf dieſen Punkt muſſen Eltern und Leh - rer in einer ſolchen Schrift, wie Sie ſchreiben wollen, vorzüglich aufmerkſam gemacht wer - den. Die Jugend iſt ſchlau genug, dergleichen Bucher zu verbergen, beſonders wenn Eltern und Lehrer keinen Verdacht haben. Vor ein paar Jahren ſtund in der öffentlichen Zeitung, daſs der jetzige König in ** eine junge Prin - zeſſin über dem Leſen eines ſolchen Buches ertappte, da ſie es in der Eile unter ihr Kopf - küſſen ſtecken wollte. Der König gerieth, da er das Buch angeſehen, in die æuſſerſte Wuth. Die Prinzeſſin wollte nicht gerne denjenigen(K 4)entde -152entdecken, der es ihr gegeben. Aber der - nig brauchte die gröſste Strenge, bis ſie ge - ſtand, daſs ſie es von ihrer Oberhofmeiſterin ſich erbeten hætte. Der König lieſs, ſo viel ich mich erinnere, die Oberhofmeiſterin für dieſen Dienſt auf Zeitlebens ins Gefængniſs ſetzen.

Ob es nöthig und nützlich ſey, den Eltern und Lehrern ſolche Bücher, in ſo weit ſie be - kannt ſind, zu nennen, weiſs ich nicht. Oft ſucht man den Titel nach einen ſolchen In - halt nicht. So iſt z. E. das infame Buch ** welches eine ſchændliche Inſtruktion für eine Landhure enthælt, und in ſehr guter lateini - ſcher Schreibart geſchrieben, und aufs ſchærf - ſte verboten iſt, von einem verdammt gewinn - ſüchtigen Buchhændler ſchon vor langer Zeit unter dem Titel: *** nachgedruckt wor - den.

Ein junger Gelehrter, der eine ausnehmen - de mathematiſche Gelehrſamkeit beſaſs, und an einer Verdorrung oder Entkræftung ſtarb, geſtund mir am Ende ſeines Lebens, daſs al - lem Vermuthen nach das Leſen ſolcher Bücher ihm ſein frühes Ende zugezogen. Er verſtandzu153zu allem Unglück, ſehr gut franzöſiſch, als in welcher Sprache die meiſten derſelben ge - ſchrieben ſind.

Anmerkung.

Was der Verfaſſer dieſer Nachricht von ſeinem ehemaligen Rektor ſchreibt, ſcheint unglaublich zu ſeyn. Ich würde auch wirk - lich Bedenken getragen haben, ſie einzurü - cken, wenn ſie mir von einem Unbekannten wære mitgetheilt worden. So aber iſt ſie aus der Feder eines ehrwürdigen Freundes gefloſſen, für deſſen Rechtſchaffenheit ſchon der biedere Ton ſpricht, in welchem er ſchreibt, und von dem ich, da ich ihn per - ſönlich kenne, vollkommen überzeugt bin, daſs er keiner Unwahrheit fæhig ſey.

Wer hieran noch zweifelt, der denke doch an die Univerſitætsjahre zurück! wie oft hörten wir eben ſo leichtfertige Reden vom Katheder!

(K 5)III.154

III.

Ueberhaupt habe ich die Erfahrung ge - macht, daſs ich es nie hæufiger that, als wenn ich eine Zeit lang ununterbrochen, durch fleiſſiges Studium irgend eines Klaſſikers, wars auch kein unmoraliſcher, bloſs für die Berei - cherung meines Verſtandes und Gedæchtniſſes ſorgte, ohne durch Lektüre eines guten Dich - ters oder empfindſamen Romans (de - nen ich viel zu danken habe, wenigſtens kei - ne Verführung ſchuld geben kann) für mein Herz geſorgt, und es zu tugendhaften, edeln, groſsen Empfindungen (nicht alle Onaniten, lieber Salzmann! ſind Ferdinands von Brav) erhoben zu haben. Martial aber wird durch mich, an dem Orte ſeiner Strafe, ſeine gewiſs ſchon unausſprechbare Peinigungen, noch um einige vermehrt ſehen.

Lange iſts mir ſchon bedenklich gewe - ſen, daſs man der Jugend die Bibel in die Hænde giebt. Was mag ſie ſich wohl da - bey denken, wenn ſie Judas, Loths, Da - vids, Salomos, Geſchichte lieſst! Hier iſt ein Zeugniſs, daſs auch die Bibel zum Laſterver -155verführen kann, wenn ſie nicht mit der ge - hörigen Vorſicht von jungen Leuten gelefen wird.

IV.

Zwey Brüder ſchliefen in einem Bette bis in ihr funfzehntes Jahr. Es mochte ſeyn, daſs in ihnen, die etwa zwey Jahr von ein - ander waren, die mæchtigen Triebe er - wachten. Erwachten iſt nicht das rechte Wort; angefacht wurden. Damals mach - te man noch den Kiodern ein heiliges Geheim - niſs daraus, es ihnen zu entdecken, daſs eine Mutter ſie gebohren hætte. Andere, die mehr wuſsten, und doch nicht recht, wie? be - lehrten ſie, die, der Himmel weiſs, wo - durch, aufmerkſam auf die Sache geworden waren. Sie giengen auf eine öffentliche Schule. In der Schule ſelbſt gab es die Gele - genheit nicht; denn, zwar wurde ein Kapi - tel aus der Bibel geleſen, aber dann Beſchæf - tigungen und in den Freyminuten wurde her - umgeſprungen. Indeſs, als ſie zum Prediger geſchickt wurden, mit ihrer Bibel unterm Arm, und hier, wie gewöhnlich, eine halbeStunde156Stunde oder noch længer auf einer Bank ſiz - zen muſsten: ſo wurde nicht herum geſprun - gen, ſondern geſchwatzt; andere ſchlugen die Bibel auf, und nun wurde darin geforſcht, und man fand im Moſes einige Erlæuterungen. Die Begierde wurde wach, und man fiel des Morgens, weil ſie wachend im Bette bleiben durften, auf die Sünde.

Vorhin ſagte ich von den Kindern der Landleute, daſs ſie oft durch die Schamlo - ſigkeit der Eltern verderbt würden. Dieſs gilt aber noch weit mehr von den Kindern der Stædtebewohner. In Hæuſern, wo zweydeutiger, unzüchtiger, Scherz zum bon ton gehört, wo das ſchamloſe Liebkoſen des Frauenzimmers als ein Stück der feinen Le - bensart angeſehen wird, darf man ſich nicht wundern, wenn die Kinder ſich nach den Erwachsnen bilden; daher kann man es im - mer als erwieſen voraus ſetzen, daſs Kinder, die in ſolchen Hæuſern aufwuchſen, ange - ſteckt ſind. Wenn aber auch dieſs nicht iſt, ſo kann das unvorſichtige Liebkoſen der El -tern157tern ſchon den Kindern geſæhrlich ſeyn. Eltern erlauben ſich oft, ſich in der Kinder Gegenwart zu küſſen, welches ganz unſchul - dig iſt. Das Kind ſahe ſchon mehrmals, daſs ſich Freunde küſsten, oder auch Perſo - nen beyderley Geſchlechts, bey der Ankunft und dem Weggehen, oder nach geendigter Mahlzeit ſich umarmten. Es wird alſo den Kuſs der Eltern für nichts weiter als ein Zei - chen der Liebe und Freundſchaft halten. Wenn es aber bey dem Küſſen nicht bleibt, wenn wirklich zu zærtlichen Liebkoſungen fortgeſchritten wird, ſo fallen die Liebko - ſenden leicht in eine ſüſſe Betæubung, die alle Rückſicht auf die Kinder vergeſſend macht, und ſie verleitet ſich allerley Frey - heiten zu erlauben, die dem Kinde zu man - cherley Speculationen Anlaſs geben. Das Kind ſtellt ſich vielleicht, als wenn es nichts bemerke, ſpielt und handthiert für ſich aber dieſs geſchieht oft nur, um die Atten - tion der Eltern zu ſchwæchen, und deſto ungeſtörter beobachten zu können.

Noch158

Noch mehr, die Enge des Raums macht es Eltern oft nothwendig, ein und das andere Kind mit in ihr Schlafzimmer zu nehmen. Sie treten in daſſelbe ein, glau - ben, daſs die Kinder im tiefen Schlafe lægen, überlaſſen ſich ihren Begierden, und wer - den doch wohl von den Kindern beob - achtet.

Was für ein gefæhrliches Feuer, durch ſolche Beyſpiele, in den Seelen der Kinder angezündet werde, kann jeder leicht ermeſ - ſen, der die Gænge des menſchlichen Her - zens kennt.

Dieſs beſtætige ich noch mit dem Zeug - niſſe eines ſehr glaubwürdigen Mannes.

Oft können Eltern ſelbſt die erſte Reizung darzu e[r]wecken. Ein junger Menſch, unter meinen ehemaligen Zöglingen, auf den ich Verdacht hatte, und ihn auf die liebreichſte und ſchonendſte Art zum Bekenntniſs brachte, geſtund mir, ſeine Eltern hætten die erſteGrund -159Grundlage darzu gelegt. Er habe in der - he von der Schlafkammer ſeiner Eltern ge - ſchlafen. Sehr ofte habe er in der Nacht ein Lachen und liebkoſendes Aechzen und zært - liche Laute gehört. Anfangs habe er ſein Ohr nur an die Wand gelegt und zugehört; nachmals ſey er neugieriger geworden, und habe ſich heimlich an die Kammerthüre ſeiner Eltern geſchlichen, auch wohl durchs Schlüſ - ſelloch, da ſeine Eltern ein Licht brennen laſ - ſen, geguckt. In dieſer Stellung, die er ge - nommen, und bey dem, was er gehört und geſehen, ſey er ſo erhitzt worden, daſs er in der Folge der Zeit, bey der Gelegenheit, ſich ſelber gereizet. Damals ſey er etwa 12 bis 13 Jahre alt geweſen.

Da man nicht viele Gelegenheit haben wird, eine aufrichtige und ungeheuchelte Er - zæhlung von dem Urſprunge dieſer Vergehung zu vernehmen, ſo muſs ein einziges ſolches Exempel uns zu mehrerer Betrachtung leiten. Wie ofte ſchlafen Eltern und Kinder in einer Kammer. Eltern glauben oft die Kinder ſchlafen, da ſie vielleicht noch munter ſind, und die kleinſte Bewegung ihrer Eltern - ren. Auch ſchallt der geringſte Laut deutlichin160in der Nacht durch dünne Wænde. Auch in Stædten, wo ſehr enge Gaſſen, iſt es möglich, daſs man das kleinſte Geræuſch hören kann, das in der gegenüberliegenden Kammer ge - macht wird, beſonders von jungen Eheleuten, die noch der erſten heftigen, und oft nicht gar zu ſchamhaften, Liebe pflegen.

Wie unvorſichtig ſind oft die Eltern ſelbſt, in Gegenwart ihrer Kinder, bey ihren Liebes - bezeugungen, auch wohl bey ihrem Aus - und Anziehn der Wæſche.

Bisher habe ich vorzüglich von den Urſachen geredet, die Leib und Seele der Jugend zur Unkeuſchheit ſtimmen, und die Keime der Begierden, bey Kindern, vor der Zeit entwickeln.

Itzo komme ich auf die Urſachen, wo - durch ſie gereizt werden, ihre Begierden auf eine unnatürliche Art zu befriedigen. Eini - ge derſelben habe ich vorhin ſchon angeführt, z. E. Langeweile, und langes Liegen in war - men Betten. Auſſerdem giebt es noch eineMenge161Menge andere, welche alle anzuführen un - möglich iſt. Sie können aber ziemlich in zwey Claſſen, Entblöſsung und Friktion, abgetheilt werden.

Ich habe vorhin ſchon geſagt, daſs der Anblick der Nacktheit, weil wir an denſel - ben nicht gewöhnt ſind, uns immer gefæhr - lich ſey. Eben ſo gewiſs iſt es auch, daſs, weil der Nacktheit Anblick ſelten, ja gewiſ - ſermaſſen unerlaubt iſt, die Jugend nach denſelben leicht lüſtern werden, und gern Gelegenheit zur Entblöſsung ſuchen wird. Kinder, die unter keiner, oder unter der Aufſicht ſolcher Perſonen ſind, die keine Menſchenkenntniſs haben, entblöſsen ſich daher gern, ſo oft ſie einſam ſind. Daſs ſolche Entblöſsungen die Begierden aufs hef - tigſte anfachen, zu mannichfaltigem Muth - willen Anlaſs geben, und ſo nach und nach die Sünde lehren, braucht keines Be - weiſes.

(Von beimlichen Sünden.) (L)Einer162

Einer meiner Correſpondenten geſteht mir mit Wehmuth, daſs bey ihm die - ſternheit, nach dem Anblicke der Nacktheit, ſo groſs geweſen ſey, daſs er ſich oft ganz nackt ausgezogen, und in die Sonne geſetzt habe.

In Familien, Schulen und Erziehungs - anſtalten, wo gute Aufſicht iſt, wird ſo et - was freylich unmöglich ſeyn. Aber dann werden alle Gelegenheiten benutzt, wo man ſich ungeſtraft entblöſsen darf. Die erſte, und die gewöhnlichſte, iſt das heimliche Ge - mach. Hier ſind die Kinder ohne Zeugen, hier entfernt die Schamhaftigkeit jeden Be - obachter, hier findet der Muthwille eine ſichere Freyſtatt, und die Unſchuld ihr Grab. Die Unſchuld findet hier gewöhnlich ihr Grab, ich wiederhole es nochmals, mit gro - ſsem Nachdruck, hier findet die Unſchuld ihr Grab! damit alle Eltern, Lehrer und Erzie - her, aus ihrem Schlummer geweckt werden, die gefæhrliche Klippe der Tugend und derGe -163Geſundheit ihrer Kinder, Schüler und Zög - linge, bemerken, und auf Mittel denken mögen, ſie zu vermeiden.

Eine andere Gelegenheit zur Entblöſ - ſung iſt das Baden, von dem ich nicht leug - ne, daſs es, wenn es mit gehöriger Vorſicht, und unter der Aufſicht eines wirklichen - dagogen, geſchieht, in vielerley Rückſichten nützlich ſey. Da aber der Knabe, der zeit - her faſt nie ſich ſelbſt, ſondern immer ſeine Kleider ſahe, nun auf einmal ſich ſelbſt er - blickt, ſo muſs nothwendig durch dieſen Anblick in ſeiner Seele Unordnung entſtehen, aus welcher hernach allerley Muthwille ent - ſpringt. Hiervon unten ein Mehreres, wenn ich von den Gelegenheiten rede, bey welchen dieſe Sünden am gewôhnlichſten begangen werden.

Die Friktion iſt wenigſtens eben ſo ge - fæhrlich. Und wer vermag alle die Urſa -(L 2)chen164chen anzuführen, die Friktion hervorbrin - gen können! Ich führe nur zwey davon an.

Die erſte iſt das Klettern auf Bæume. Dieſs kann leicht bey jungen Leuten eine ſol - che Betæubung hervorbringen, die ſie ganz niederwirft, des Gebrauchs ihrer Vernunft unfæhig macht, und ihnen den geraden Weg zur Tödtung ihrer Unſchuld zeigt. Ich ge - ſtehe zwar, daſs ich von der Schædlichkeit des Kletterns keine ſchriftlichen Zeugniſſe in Hænden habe. Mir ſelbſt ſind aber verſchie - dene Exempel von jungen Leuten bekannt, die mit frölichem Herzen den Stamm hin - auf kletterten, aber betæubt herunter kamen, und unter demſelben dem Laſter in die Klauen ſanken. Da ich nun freylich wünſche, daſs alle Fæhigkeiten der Jugend entwickelt wer - den möchten, ſo kann ich auch Uebung im Klettern geradezu nicht misbilligen. Dann aber müſste auch Vorſicht empfohlen, die Bæume müſsten bloſs mit den Knien gefaſst, und die Jugend müſste gewarnt werden, dieBæume165Bæume nicht mit den Schenkeln zu um - ſchlingen, damit innere Theile nicht beſchæ - digt würden

Eine andere Urſache, die eine gefæhrli - che Friktion verurſachen kann, iſt das Reuten; nicht das Reuten auf der Bahn, wo man ge - meiniglich trottiren, ſelten galloppiren muſs, und in beſtændiger Aufmerkſamkeit auf die Erinnerungen des Bereuters erhalten wird, ſondern das ſanfte Reuten, wo man ſich ſelbſt überlaſſen iſt, und Muſe genug hat, ſeinen Gedanken nachzuhængen. Dieſs beweiſen folgende Zeugniſſe:

I.

Auf Befragen, was ihm zuerſt Gelegenheit zur Begehung dieſer Sünde gegeben, und ob er nicht von einem andern Jünglinge, wie ich argwöhnte, dazu ſey verführt worden? leug - nete er es, und ich glaube, wo mich nicht meine Menſchenkenntniſs trügt, ſo war er in dieſem Augenblicke aufrichtig; er ſagte viel -(L 3)mehr,166mehr, es wære bey ihm vom Reuten und nach demſelben entſtanden, ein mir bisher ganz unbekannter Umſtand. Es iſt wahr, er hat ſehr frühzeitig geritten, alſo, wofern er an - ders die wahre Urſache angegeben hat, wel - ches ich Gott ûberlaſſe ein triftiger Grund, jungen Leuten das frühzeitige Reuten zu ver - bieten.

II.

Cum vigeſimum ſeptimum annum impleſſet, in ſtatione ſatis honorifica poſitus, primo, equo inſidens, oblatis forte libidinoſis animo imaginibus, interdum ad ſpeciem quandam onaniæ declinabat; Deinde, cum in ejus pe - ctore et voluptas, ſeu verius libido, et juſtum honoris ſtudium, inter ſe pugnarent et acriter contenderent; illa a corporis infirmitate, ſti - mulo, et coepta conſuetudine, hoc vero a Chriſtiana, quæ ipſi contigerat, honeſtaque educatione, vires ſumente; accedente inprimis ſolitudinis et adlectamento et præſidio, erat enim cælebs, ad onaniam prolabebatur, initio etſi non invitus, tamen fere neſcius; poſt, quæ omnium criminum et hujus inprimis na -tura167tura eſt, ſciens, volens; poſtremo ita impedi - tus, atque irretitus, ut ſe ipſum extricare non valeret. Tempus et occaſio exercendi ſceleris erat plerumque a prandio, ventre ſeil. ciborum pleno, et cum ſolus eſſet, atque a negotiis, quae multa et gravia ipſi erant commiſſa, va - caret.

Dieſer Urſache wegen, der Jugend die Uebung in Reuten zu verſagen, wünſche ich gar nicht, da dieſe Bewegung dem jungen Menſchen ungemein nützlich iſt, indem ſie ſeine Muskeln ſtærkt, ihm mehr Wirkſam - keit und mænnlichen Anſtand verſchaft. Aber doch wünſchte ich, daſs man künftig, bey der Anführung zum Reuten, auf dieſe Bemerkung Rückſicht nehmen möchte. Und dann müſste man freylich die Kinder nicht eher zu dieſer Bewegung laſſen, bis ihr Cha - rakter eine gewiſſe Feſtigkeit im Guten er - halten hætte, müſste ſie mehr zum Trott, als zum Schritt oder Gallop gewöhnen, müſste auch dafür ſorgen, daſs ſie nicht auf weich gepolſterten, ſondern auf etwas har - ten, Sætteln ritten.

(L 4)Wer168

Wer Reuter von Profeſſion iſt, wird ſchon mehrere Vorſchlæge thun können, un - angenehme Folgen zu verhüten.

Nun wird man fragen, ob ich es wohl für gut hielte, daſs das Frauenzimmer das Reuten erlerne? Allein zur Beantwortung die - ſer Frage halte ich mich nicht für verbunden, weil ich itzo vorzüglich für das mænnliche Geſchlecht ſchreibe. So viel weiſs ich aber, daſs, wenn ich ein Frauenzimmer wære, und begegnete zu Pferde einer Mannsperſon, ich wegen der Beſorgniſs, ſie möchte meine Em - pfindungen aus meinen Augen leſen, es nicht wagen würde, ſie anzuſehen

Die wirkſamſte Urſache, die zur unna - türlichen Befriedigung wollüſtiger Triebe verleitet, iſt die Verführung.

Die Verführer ſind ſo mancherley, daſs nur wenige Perſonen ſind, in deren Geſell - ſchaft man die Kinder ganz ohne Furcht ſe - hen kann.

Die169

Die erſten Verführer ſind gewöhnlich diejenigen, die das zarte Kind auf dem Ar - me tragen. Da ich von dieſer gefæhrlichen Klippe, an welcher die Unſchuld am gewöhn - lichſten ſcheitert, vorhin ſchon geredet ha - be, ſo bin ich itzo, in Anſehung derſelben, weniger ausführlich, wünſche aber, daſs alle Eltern dieſen Punkt wohl beherzigen, ſich ihrer Kinder mehr annehmen, und ih - nen gleich in den erſten Wochen erlauben möchten, ſich ſelbſt zu bewegen, und von einem Orte zum andern zu kriechen. Es iſt wahr, die Kleidung leidet dabey, aber der Leib wird augenſcheinlich feſter, alle Mus - keln deſſelben kræftiger, alle Glieder be - kommen mehr Behendigkeir, und die ge - fæhrliche Anſteckung, auf die ich ziele, wird dadurch am ſicherſten verhütet. Und iſt nicht der Leib mehr, als die Kleidung?

Daſs viele Kinder auf dem Arme der Mægde, Ammen und Eltern zuerſt zu den heimlichen Sünden Anweiſung be -(L 5)kommen,170kommen, weiſs ich zuverlæſſig. Will man mir nicht glauben, ſo glaube man wenigſtens der Auſſage eines ſehr aufmerkſamen Beob - achters, die alſo lautet:

Erwachſene, beyderley Geſchlechts, leh - ren oft den Kindern dieſe Sünde aus Unver - ſtand und Unwiſſenheit der Sache oder der Folgen, meynen, dem Kind Vergnügen zu machen, oder thun es aus Inſtinkt und dunk - ler Behaglichkeit an der Schönheit, Artigkeit und Naivetæt, der Kinder. Sie ſchaden ihnen oft, ohne zu wiſſen, oder wenigſtens ohne zu wollen. Ein Wink, nicht zu verachten, für Eltern in der Wahl der Wærterinnen, Diener, Mægde und Perſonen, welchen ſie ihre Kinder vertrauen, oft ſelbſt der Erzieher, wie mir Beyſpiele bekannt ſind.

Die Mægde und Bedienten ſind nicht nur die Lehrmeiſter des Kindes im Böſen, ſo lange es auf dem Arme getragen wird ſie ſind es auch in der Folge. Arme junge Leute, die die Geſchlechtstriebe in ihrer gan - zen Kraft fühlen, ohne alle gute Grundſætzeſind,171ſind, eine unmoraliſche Erziehung bekom - men haben, welches der Fall iſt, in dem ſich vie - le, ſowohl weibliche als mænnliche, Bediente befinden, ergreifen begierig jede Gelegenheit, wo ſie ihre Wolluſt auslaſſen können. O Wehe den Kindern, die ihnen nahe ſind! Wehe! Wehe ihnen, wenn ſie Erlaubniſs haben, ganze Tage oder Abende in ihrer Geſellſchaft zuzubringen. Ich will itzo gar nicht gedenken der unzüchtigen Reden, der ſchmutzigen, zweydeutigen, Scherze, der wollüſtigen Erzæhlungen, die ſie hier hören, nicht der ærgerlichen Aufführung, die ſie hier ſehen, weil ich davon vorhin ſchon ge - redet habe. Solche Perſonen ſuchen auch allerley Gelegenheit den Kindern immer - her zu kommen, mit ihnen ihren Muthwil - len zu treiben, und ſo ihre Unſchuld zu tödten.

Hiervon könnte ich verſchiedene Ex - empel anführen, wenn ich nicht beſorgen müſste, die Schamhaftigkeit zu beleidigen,und172und Aergerniſs zu geben. Ich will daher nur einige beybringen.

Einer meiner Correſpondenten befand ſich in ſeiner Jugend mit einer wollüſtigen Magd in Geſellſchaft. Sie erzæhlte ihm, daſs ein Knabe, bey deſſen Eltern ſie ſich vorhin in Dienſten befand, ſich ſehr oft ge - gen ſie entblöſſet habe, und rechnete es ihm, auf eine ſehr liſtige Art, zum Ruhme an. Ehrgeiz und Wolluſt vereinigten ſich bey dem Knaben, und brachten ihn dahin, eben dieſes zu thun. Die Magd fuhr zu und leh - rete ihn die Sünde.

Dieſes beweiſen auch folgende Auſſa - gen:

I.

Ich hatte das Unglück zu dieſer Sünde durch einen jungen Bedienten, der mir beym Ausziehen behülflich war, verleitet zu wer - den, als ich etwa 13 Jahr alt war, und ſetztees173es wohl 2 Jahre durch nicht ſehr ſtark fort; nachher brachten mich beſſere Geſinnungen dahin, die ich durch Religion erhielt, daſs es æuſſerſt ſelten, und wohl 12 Jahr vor meinem Eheſtande gar nicht mehr geſchahe. Das ſi - cherſte Mittel würde (wenn einmal Bedienung ſeyn ſollte) wohl ein guter Menſch, von ge - ſetztem Alter, hiergegen ſeyn.

II.

Die Amme meiner Mutter ſchlief bey mir. Seit meinem achten Jahre weiſs ich es, daſs ſie mich auf die ſchændlichſte Art miſsbrauch - te. Ich muſste ihr das thun, was ehehin, wie ſie 30 Jahr jünger war Sie ſcheute ſich nicht, in meiner Gegenwart zuweilen etwas zu veruntreuen. Wenn ich nun drohete, ich wollte es nachſagen, ſo drohete ſie mir: ich ſollte die Nacht nicht (ich weis das Wort nicht mehr; es war ein National Ausdruck) und ich ſchwieg. Endlich wurde ich hinfæl - lig; man wurde aufmerkſam, und der Doctor war ſo klug, mich durch ein paar Zuckerplæz - chen zum Geſtændniſs zu bringen.

Eben174

Eben ſo ſehr bin ich beſorgt, daſs Fri - ſeurs oft die Verführer ſeyn mögen. Oft ſage ich, weil es liebloſs ſeyn würde, wenn ich eine ſo zahlreiche Claſſe der Menſchen, wie die Claſſe der Friſeurs iſt, durchgængig für verderbt erklæren wollte. Aber auch nur angenommen, daſs die Lehrlinge und Geſellen der Friſeurs im Durchſchnitte eben nicht unmoraliſcher, als andere junge Leute, ſind, ſo ſind ſie doch um deswegen gefæhr - licher, weil ſie in vielen Hæuſern Erlaub - niſs haben, ohne Zeugen, ſich bey den Kin - dern zu verweilen, und ihnen ſehr nahe auf den Leib zu rücken. Wenn der Menſchen - kenner die Stellung beobachtet, die der Fri - ſeur nehmen muſs, wenn er beſchæftigt iſt, die Haare der Kinder in eine unnatürliche Lage zu bringen: ſo wird er ſchon aus die - ſer Stellung Gefahr für Tugend und Un - ſchuld ahnden. (Dieſs iſt, unter uns ge - ſagt, ein Wink, der für diejenigen, die ein feines Gefühl für das Schickliche und Un - ſchickliche, für das Anſtændige und Unan -ſtændige,175ſtændige, haben, von einer ſehr groſsen Bedeutung iſt, und Stoff zu ſehr mancher - ley Betrachtungen giebt). Daſs mein Arg - wohn nicht ungegründet ſey, beweiſet fol - gendes Zeugniſs.

Vor zehn Jahren informirte ich zwey Knaben beyde von der geſundeſten Ge - ſichtsfarbe. Sie hatten einen Friſeur von 17 - 18 Jahren, und man war ſo unvorſichtig, beyde mit ihm allein zu laſſen. Die Folge davon war dieſer ſchændliche Unterricht. Ich merkte es bald an ihrer verænderten Geſichts - farbe; der eine war im 15ten der andere im 12ten Jahre. In dem halben Jahr, worin ich bey ihnen war, unterlieſſen ſie es. Indeſs, weiſs ich es gewiſs, daſs der Aeltſte noch jetzt die ſchændliche Handlung fortſetzt.

Nach dem einſtimmigen Urtheile un - ſerer neuen Pædagogen, bedürfen die Kinder weder zum Anziehen und Ausziehen eines Bedienten, noch zum Aufputz ihrer Haare eines Friſeurs. Und alſo kann dieſe Gefahrder176der jugendlichen Unſchuld künftig ziemlich weggeſchaft werden.

Die gewöhnlichſten Verführer der Un - ſchuld bleiben aber immer die Kinder unter einander ſelbſt. Wenn die Lüſte bey ihnen das Uebergewicht bekommen haben, ſo er - folgt Schamloſigkeit, die ſie reizt, ihre Aus - ſchweifungen in ihrer Freunde Gegenwart zu begehen, und allerley Kunſtgriffe zu brau - chen, um ſie zu verleiten, an denſelben Theil zu nehmen. Es iſt unglaublich, wie weit dieſs an manchen Orten getrieben werde. Mir iſt ſelbſt ein Haus eines ſehr gelehrten und rechtſchafnen Mannes genennt worden, deſſen zwey Söhne die Erlaubniſs hatten, ſo oft ſie wollten, ihre Schulfreunde bey ſich zu haben, und die alsdenn, mit ihren Ge - ſellſchaftern, dieſe Sünde auf eine ſo ab - ſcheuliche (viehiſch ſchickt ſich hierher gar nicht, weil ich, ſo weit ich ſehen kann, kein Vieh kenne, das ſich ſelbſt ſo ſehr ſchændet) Art trieben, daſs die Natur dafür zurück -bebt.177bebt. Wobey ich zugleich anmerke, daſs dieſe ganze Geſellſchaft, davon jeder itzo etwas über vierzig Jahre ſeyn könnte, bis auf einige Wenige, lange ſchon in der Erde fault.

Hierzu ſetze ich noch folgende Zeug - niſſe:

I.

Auch ich bin auf dieſer Schule, nur etwas ſpæter, als jener Doktor der Onanie, geweſen und weiſs es aus der Erzæhlung eines æltern Mitſchülers, daſs ein andrer junger Menſch, jetzt Prediger in N., unſchuldig und einfæltig, von jenem Buben verführt, dieſs Laſſer getrie - ben hat. Die ganze Schule (prima et ſecun - da, vielleicht mancher in tertia) wurde ange - ſteckt. Mich deucht, ich habe es irgendwo in Kampen geleſen, daſs er auf die langen Mæntel ſchmælt. Aus der Erfahrung weiſs ich es, daſs in den Lehrſtunden, wo der Doktor docirte, unter dieſen Mænteln die Schande getrieben wurde. Ich weiſs es,(Von heimlichen Sünden.) (M)daſs178daſs zwey, einer iſt in G. geſtorben, ſich am Sterbebette ihres Mitſchülers, dieſen unſeeli - gen Dienſt einander geleiſtet haben.

II.

Als ein Knabe von ohngefæhr acht| oder neun Jahren ſahe ich o hætte ich es nie geſehen! jenes tödtende Laſter bey einem Schulcameraden, der ohngefæhr 16 bis 17 Jahr alt war. Dieſer Unglückliche trieb dieſe ſchöne Beſchæftigung öffentlich und es war mir oft zum gröſsten Greuel, wenn ich es mit anſehen muſte. Da mir die Natur die Geſchlechtstriebe noch nicht beygelegt hatte, ſo konnte ich denn gar nicht die Urſachen auffinden, warum jener Mitſchüler ſich ſol - cher Ausſchweifung überlieſs: ſeine Zuckun - gen im Geſichte und der übrigen Glieder, wæhrend des Onanirens, lieſsen mich viel - mehr vermuthen, daſs ſeine Beluſtigung ſchmerzhaft und alſo unangenehm ſeyn müſs - te: daher ich ihn denn auch oft herzlich und freundſchaftlich bat, dieſes ſchændliche Spiel zu unterlaſſen. Aber vergebens. Denn es war bey ihm ſchon zur Leidenſchaft gewor -den179den, und wie ſchwer iſt es, Leidenſchaften zu beſtreiten und uber ſie zu ſiegen? Es giengen nun einige Jahre dahin, und mit dem Wuchſe meines Körpers fanden ſich denn auch nach und nach die Geſchlechtstriebe. Durch dieſe neuen Empfindungen und geheimen Re - gungen der Natur, lieſs ich mich denn verlei - ten zu unterſuchen, was jener Wüſtling, bey ſeiner Ausſchweifung, für ein Vergnügen ge - habt? Ich fand daher ichs denn bald wiederholte, und mich auf dieſe Art jenem Unglücklichen gleich machte. Je mehr ich mich nun dieſem Laſter überlieſs, je heftiger wurden meine Begierden der Geilheit und Ausſchweifung.

III.

Als ich einſtens einen meiner æltern Cameraden beſuchte; ſo fand ich bey ihm eine kleine Geſellſchaft ſeiner Freunde ver - ſammlet, die ſehr bald die Unterredung auf dieſe Abſcheulichkeit, als den gewöhnlichen Gegenſtand ihrer Unterhaltung, lenkten. Doch dabey blieb es nicht, ſondern nachdem ſie vorher ihre Einbildungskraft mit den un -(M 2)flætig -180flætigſten Bildern und Erzæhlungen erhitzt hatten, griffen ſie zu dem abſcheulichen Mit - tel, dieſe unzüchtige Vorſtellungen, auch mit wirklich körperlichen Empfindungen zu ver - einigen. Meine ganze Natur empörte ſich bey dieſem græſslichen Anblick, und ich weiſs nicht, ob es die erſte Erſchütterung der Wol - luſt, oder ein unglücksvoller Schauer meiner ſcheidenden Unſchuld war, kurz, alle merk - ten an mir eine ſichtbare Verwirrung. So bald ſie meine Unwiſſenheit in dieſen Greu - eln, und meine Weigerung ſahen, ihrem gott - loſen Beyſpiel zu folgen, fiengen ſie an, mei - ne Jugend zu verſpotten, mich ihrer Geſell - ſchaft für unwürdig zu erklæren, und ich? Ach mein Herz hatte vorher ſchon zu tief das Gift ihrer wollüſtigen Reden eingeſogen, als daſs ihr anhaltendes Aufmuntern und Dro - hen, beſonders aber der gegenwærtige An - blick ihres ſchændlichen Beyſpiels, keine Wir - kung auf mich gethan hætte. Halb mit Ge - walt brachten ſie mich endlich zu dem erſten unglücklichen Verſuch in dieſer Abſcheulich - keit, und ich doch erlauben Sie mir, ge - ehrteſter Hr. Profeſſor, hier abzubrechen: dieſe Zurückerinnerung iſt gar zu ſchmerzlich, als daſs ich die Thrænen der bitterſten Reuehier181hier zurück halten könnte. O Gott, Blut möchte ich weinen, wenn es möglich wære, dieſen Schandfleck meines Lebens damit ab - zuwaſchen! Könnte ich doch jedem Jûnglin - ge, der vielleicht in die æhnliche Gefahr ge - rathen wird, ſeine Unſchuld zu verlieren, den Schmerz meiner Reue lebhaft gnug vor Augen ſtellen! gewiſs er wurde durch den Anblick derſelben ſtandhaft gemacht werden, dieſen Verführungen muthig zu widerſtehen. - re ich damals ſo glücklich geweſen, irgend eine væterliche Warnung, oder auch nur eine Belehrung von der Hæſslichkeit und Schæd - lichkeit dieſes Laſters, zu erhalten, o nie - re ich in dieſen Abgrund von Elend verſun - ken. Meine Verführer aber doch weg mit Verwünſchungen. Ach die Unglückli - chen waren auch, vielleicht auf gleiche Weiſe, verführt, wiewohl ichs von zweyen ganz gewiſs weiſs, weil ſie es mir hernach mit den gröſsten Betheurungen erzehlten, daſs ſie einmal, durch eine zufællige Stellung beym Sitzen, von ſelbſt auf dieſe unglûckliche Er - findung gekommen wæren. Ich hatte alſo nunmehro ſchon eine unſelige Bekanntſchaft mit dieſem Laſter errichtet, und die traurige Folge davon war eine noch verſchiedenemal(M 3)wie -182wiederholte Ausübung deſſelben. Doch ſetz - ten mich die Vorwürfe meines Gewiſſens, und ein Ueberreſt von Schamhaftigkeit (den ich zu meinem Glück nie gænzlich habe ver - tilgen können) öfters in eine beængſtigende Unruhe: und es mag nun aus dieſem Grunde, oder meines Alters wegen, geſchehen ſeyn, welches das ſchændliche Vergnügen bey die - ſer unnatürlichen Wolluſt noch nicht völlig empfinden konnte, kurz, ich unterlieſs dieſe abſcheuliche Gewohnheit wieder, bis in mein vierzehntes Jahr. Doch hier öfnete ſich für mich eine neue Quelle von Elend.

IV.

Wir betaſteten einander, und da wir ganz ohne Zeugen waren, ſo ſetzten wir es ſo lange fort, bis ſich bey beyden beynahe zugleich, die Natur ergoſs, und wir einander halb ohnmæchtig in die Arme fielen. Einige Tage darauf philoſophirten wir mit einander über dieſen Vorgang, es endigte ſich aber dieſer, und alle folgende Diſcourſe über dieſe Materie immer damit, daſs wir es wie - derhohlten, und das immer öfterer und öf -terer,183terer, ſo daſs bald kein Tag mehr vorbey gieng, da wir es nicht thaten. Wir hatten keinen Gedanken, daſs es Sünde ſey, aber doch hielten wir es æuſſerſt ge - heim, unſere Anhænglichkeit an einander nahm zu, und die Gleichgültigkeit gegen alle andere auch. Und ſo giengen wir auch, in unſerm 18ten Jahr, mit einander auf die Univerſitæt, nahmen ein Logis, und ſetzten dieſe Ausſchweifung auch hie noch über ein Jahr fort.

V.

In meinem achten Jahre thaten mich mei - ne Eltern in die öffentliche Schule meiner Vaterſtadt. Hier herrſchte faſt in allen Ord - nungen der Schule dieſs Laſter, ſo, daſs viel - leicht nicht ein einziger ganz unangeſteckt blieb. Und dieſs war nun noch nicht ein - mal eine Schule, wo die Schüler beyſammen wohnen und ſchlafen. Sollte man erſt wiſ - ſen, wie es in dieſen zugeht! Es wurde ganz öffentlich, ohne alle Verheimlichung und Schaam, in und auſſer den Schulſtunden ge - trieben. In den Schulſtunden in Gegenwart(M 4)der184der Lehrer unter den, dazu recht bequemen, Mænteln, in den Winkeln, unter den Tiſchen, hinter dem Ofen. Einer ermunterte den an - dern dazu, lehrte es ihn und that es ihm wohl ſelbſt, bis es der Menſch eigenhændig nach - machte. Ueberal, in und auſſer der Schule, ward von dieſer raſenden Ausſchweifung ge - ſprochen; und in der Schule ſuchten ſie ſich die unertrægliche lange Weile, welche ihnen die elenden, nichtsbedeutenden und ganz un - wichtigen, Vortræge der Lehrer lieſſen, da - mit zu vertreiben. Und dieſs thaten die Kna - ben von acht Jahren ſowohl als die oberſten, zwanzig - und mehrjæhrigen Schüler. Kei - ner von dieſen bedaurenswürdigen Menſchen hielt es für etwas Schædliches und Verderbli - ches; keiner kannte die furchterlichen Folgen dieſes Laſters; ja hielt es vielleicht nicht ein - mal für Laſter und ſtrafbar. Eltern der Ju - gend und Lehrer ſchienen von dieſem Laſter nichts zu wiſſen oder wiſſen zu wollen.

VI.

Mit Zittern ſchreib ichs nieder; Der Ver - führte ward Verführer. Von der Theoriedes185des Laſters verſtand ich nicht das geringſte, bloſs die Begierde einen nackten Körper an mich zu drûcken, wars, die mich leitete. Ich zog mich nackend aus, ſtieg ſo aus dem Bette, (es war im Sommer) gieng zum Bette des Kleinen, bat ihn es eben ſo zu machen, wie ich; er thats, und ich that nichts weiter, als daſs ich ihn feſt an mich drückte, daſs ich ihn liebkoſete, ſtreichelte u. ſ. w. Indeſſen hatte dieſs alles den nehmlichen Einfluſs auf meinen Körper, den irgend eine andre Rei - bung oder Bewegung hætte haben können, es raubte mir Sæfte, deren Verluſt ich noch ſtündlich beweine, wenn ich bedenke, daſs lebendige vernünftige Weſen, daſs Erdenbür - ger, Himmelsbûrger, dadurch um ihr Daſeyn gekommen ſind.

VII.

Auszug aus Herrn D. Gruners Alma - nach für Aerzte und Nichtærzte, auf das Jahr 1785.

Der gröſte Theil der Jugend iſt ſchon mit der anhebenden Mannbarkeit, in Anſehung(M 5)der186der Unſchuld, verlohren. Die Seuche der Onanie hat die meiſten Familien ergriffen, und es giebt anſehnliche Handelsorte, wo es ſich faſt bis zur unbezweifelten Gewiſsheit brin - gen læſst, daſs drey Theile der erwachſenen Mædchen dieſem ſtummen Laſter huldigen, und ſelbſt viele verheyrathete Damen ſich deſ - ſelben ſchuldig machen. In den meiſten Schu - len predigen die Geſichter der ſtudierenden Jünglinge die verborgene Wolluſt, der ſie opfern.

Ich hoffe, man werde es bemerkt ha - ben, mit welcher Diſcretion ich die Namen der Schulen verſchwiegen habe, in welchen die jugendliche Unſchuld ſo ſchændlich zu Grunde gerichtet wird. Auch hoffe ich, daſs alle, denen die Direktion des Schulweſens anvertrauet iſt, das, was ſie hier leſen, beherzi - gen, ihre Schulen genau unterſuchen, und wo - fern ſie ſich getroffen finden, die bisherigen groſsen Mængel abzuſtellen ſuchen werden. Sollte dieſs binnen einer gewiſſen Zeit nicht ge - ſchehen, ſo dringt mich die Menſchenliebe,alle187alle dieſe inficirte Schulen öffentlich zu nen - nen, und alle Eltern auf das wærmſte zu warnen, ihre Kinder von dieſen Wohnſitzen des Laſters zu entfernen.

Und nun fordert mich mein Gewiſſen auf, noch das Schrecklichſte zu ſagen, wel - ches beynahe allen Glauben überſteigt daſs nemlich die Perſonen, die man zu Schutz - engeln der jugendlichen Unſchuld wæhlt, oft die Zerſtöhrer derſelben ſind. In wie - fern dieſes von den weiblichen Erzieherin - nen wahr ſey, beweiſst das Zeugniſs eines ſehr glaubwürdigen Arztes, das ich in der Schrift: Iſts recht über die heimlichen Sün - den der Jugend öffentlich zu ſchreiben? habe abdrucken laſſen. Von mænnlichen Erziehern weiſs ich auch traurige Exempel. Einer von ihnen war ſo wenig Herr über ſeine ſchændliche Leidenſchaft, daſs er jeden Schüler, der ſich durch Schönheit auszeich - nete, in dieſem Laſter unterrichtete.

Hier188

Hier laſſe ich den Vorhang fallen, bitte aber alle Eltern und Schuldirektors, daſs ſie in der Wahl der Erzieher, Lehrer und Mai - tres, etwas vorſichtiger zu Werke gehen, und nicht bloſs auf die Geſchicklichkeit derſelben, ſondern auch, und vorzüglich, auf ihren moraliſchen Charakter Rückſicht nehmen mögen!!!!

Vierter Abschnitt.

Von den Gelegenheiten, bey welchen die heimlichen Sünden der Jugend begangen werden.

Dieſs iſt ein ſehr wichtiger Abſchnitt. Da dieſe Sünden ſehr verheimlicht werden können; weil ſehr oft junge Leute dadurch zu Grunde gerichtet werden, ehe ihre El - tern, Lehrer und Aufſeher, nur etwas da - von ahnden, ſo muſs es dieſen ungemeinwich -189wichtig ſeyn, wenn ihnen die Oerter und Gelegenheiten bekannt gemacht werden, die für die Geſundheit, Kraft und Zufriedenheit, der, ihnen anvertraueten, Kinder ſo gefæhr - lich ſind, und ich würde gewiſs keinen ge - ringen Beytrag zur Milderung des menſch - lichen Elends liefern, wenn ich alle dieſe gefæhrlichen Klippen anzeigen, und dafür warnen könnte. Ich will thun, was meine Kræfte vermögen.

Ueberhaupt iſt die Einſamkeit dieſen Sünden ſehr günſtig. Wenn durch die vor - hin angeführten Veranlaſſungen ein wollü - ſtiger Gedanke oder eine unreine Begierde wære erzeuget worden, ſo würden Thætig - keit, gut gewæhlte Geſellſchaft, und ein, mit Bewegung verknüpftes, Spiel, ein gu - tes Mittel ſeyn, ſie aus der Seele zu vertil - gen. Aber unter den Flügeln der Einſam - keit hat die Einbildungskraft vollkommne Freyheit, die aufgefangnen Vorſtellungen recht lebhaft auszumahlen, und ihnen einenReiz190Reiz zu geben, der die Begierden bis zur Wuth treiben kann. Die aufgetragnen Ge - ſchæfte ſind viel zu ſchwach, das Kind von dieſen Gauckeleyen der Einbildungskraft ab - zubringen. Die Betrachtung eines wollü - ftigen Bildes wird für daſſelbe immer mehr Reiz haben, als die beſte ſyntaktiſche Regel, oder die ſchönſte Stelle aus dem Cicero. Die Stærke der Einbildungskraft, wird auf alle Sæfie und Nerven wirken, und zu man - nichfaltigem Muthwillen verleiten, der mit aller Zügelloſigkeit getrieben werden kann, da der Zeuge fehlt, deſſen Anblick und Er - innerung den jungen Wollüſtling von ſeinem Muthwillen zurückſcheuchen könnte. Da - her ſind alle Winkel, alle Zimmer, wo die Jugend ohne Zeugen iſt, für ſie höchſt ge - fæhrliche Oerter; wovon ich ſo überzeugt bin, daſs ich eine ſehr ungünſtige Meynung von den Einſichten der Eltern und Erzieher habe, die ihren Kindern, ohne die drin - gendſte Nothwendigkeit, die Einſam - keit erlauben. Zum Beweiſe will ich keinbeſon -191beſonderes Zeugniſs anfûhren. Wenn man aber die vorhin angezogenen Documente mit Aufmerkſamkeit prüfen will, ſo wird man leicht ſehen, daſs die mehreſten ihre Ausſchweifungen in der Einſamkeit began - gen haben.

Aber nicht nur die Einſamkeit im ſtreng - ſten Verſtande, ſondern überhaupt die Ent - fernung der Jugend von der Beobachtung ihrer Lehrer und Aufſeher iſt eine Gelegen - heit, deren ſie ſich bedient, um ihren un - natürlichen Lüſten den Zügel zu laſſen. Junge Wollüſtlinge finden immer Vergnü - gen darinne, wenn ſie ihre Empfindungen andern mittheilen können. Anfænglich ge - ſchieht es durch unzüchtige Geſpræche, in der Folge durch unzûchtigen Muthwillen, am Ende durch die wirkliche Vollbringung der bewuſsten Sünden. Hat die Wolluſt einmal über die Schamhaftigkeit geſiegt, ſo kennt ſie keine Grenzen mehr, und es iſt ſchauderhaft zn ſagen, wie tief alsdenn diemenſch -192menſchliche Natur ſinke. Vorhin habe ich hiervon ſchon Beyſpiele angeführt. Itzo füge ich noch dieſes bey:

I.

Sie verlangen von mir, Ihnen gewiſſe Punkte zu beantworten, wegen unſerm vori - gen ſchlechten als vielmehr ſündlichen Betra - gen? Ich ſahe erſtlich manche meiner Mit - ſchüler dieſes ſchændliche Verbrechen bege - hen, ſie beſchrieben es mir mit den reizend - ſten Farben, anfangs ſahe ich es mit Gleich - gültigkeit an, dann aber war ich ſo unglück - lich, ſelbſt Sclave dieſer Leidenſchaft zu wer - den. Ich dachte, und wære ich doch gleich ertappt worden, du willſt es auch thun, ich that es, dachte nicht an die ſchreckliche Fol - gen, die ich jetzt vielmal bey mir ſpüre. Sie fragen, wie wir es einander mitgetheilt hæt - ten? Wir waren manchmal bey einander in der Stube. Einer, der die ſchændliche Luſt bey ſich empfand, ſuchte ein Geſpræch vom andern Geſchlechte auf die Bahn zu bringen, die andern ſtimmten auch bey, wir æuſſerten die ſchændlichſten Wünſche, die mir jetzt dieScham -193Schamhaftigkeit deutlicher zu ſagen nicht zu - læſst. Wir ſchökerten auf die unzüchtigſte Art mit einander, bis wir das Laſter endlich vollbrachten. Der Gedanke, daſs es ſtraf bar ſey, entſtand zwar öfters in uns, allein die ſchon zu groſse Begierde erſtickte ihn. Doch unterblieb es manchmal, wenn wir ernſtliche Betrachtungen anſtellten, eine Zeit lang, allein der alte Funke entzündete ſich bald wieder.

II.

Ich hatte das Glûck, das erſte halbe Jahr in gute Hænde zu fallen. Den einen Stuben - kameraden behielt ich auf mein Bitten auch das zweyte halbe Jahr, aber den zweyten verlohr ich zu meinem Unglücke, und ſeine Stelle wurde durch einen jungen Menſchen er - ſetzt, der, wie ich nachher gehört habe, dieſe Art von Bosheit bis auf den höchſten Gipfel getrieben hat. Ich liebte ihn, weil er mich, da ich doch ſein Untergebner war, glimpflich behandelte, und dieſs wurde ein Fallſtrick für mich. Ein anderer junger Menſch, wel - cher mit uns auf eben dieſer Stube wohnte, hatte ſich in eine, auf andere Art aus -Von heimlichen Sünden. (N)ſchwei -194ſchweifende, Geſellſchaft eingelaſſen. Er war ein mæchtiger Tabacksraucher und Kar - tenſpieler. Beydes war aufs ſtrengſte verbo - ten. Da es alſo bey Tage nicht geſchehen durfte, ſo geſchahs bey Nacht. Hætte ihn ſein red - liches Herz die Gefahren ſehn laſſen, denen er, ſeinen Liebling (das war ich wirklich) durch ſeine næchtliche Abweſenheit, aus - ſetzte: nimmermehr hætte er mich in dieſen entſcheidenden Augenblicken verlaſſen! der junge Menſch verlieſs ſein Bette; Ich freute mich, daſs er mich würdigte, mit mir zu ſcherzen. Er kützelte mich, auf eine Art, die mich freute, ohngeachtet mir das Herz dabey heftig ſchlug; ich wunderte mich über dieſes Herzklopfen, das ich ſonſt nur beym böſen Gewiſſen oder bey Furcht zu empfin - den pflegte. Ich fand an der Handlung nichts auszuſetzen. Ich war gewiſſenhaft erzogen. Ich habe ſie alſo förmlich unterſucht, und meinen damaligen Einſichten nach konnte ich nichts dran entdecken, warum ich mir dieſes eingebildete Vergnügen verſagen ſollte. Daſs mir das Herz dabey ſchlug (ich hielts ſchlech - terdings für eine Art von Gewiſſensangſt) dieſs war mir ein Ræthſel, das ich mit frey - lich hætte ſollen von einem andern verſtændi -gern195gern entræthſeln laſſen; aber die Leidenſchaft und die innre Ueberzeugung von der Unſchuld meiner Handlung, und mein Unverſtand ſtürzten mich. Dieſer Menſch ward der Mör - der meiner Tugend!

Es giebt gewiſſe Oerter, an welchen die Einſamkeit beynahe unvermeidlich, und genaue Aufſicht nicht wohl möglich iſt. Dieſe ſind beſonders die Bette und die heim - lichen Gemæcher. Dieſe ſind gerade auch die Oerter, wo die mehreſten Ausſchweifun - gen geſchehen.

In Familien, Schul - und Erziehungs - anſtalten, wo gute Ordnung und Aufſicht iſt, ſcheint zwar der Aufenthalt im Bette nicht einſam zu ſeyn, iſt es aber doch wirk - lich. Schlaf, Dunkelheit und Deckbette oder Matratze, ſind ſtarke Scheidewænde, durch welche der junge Menſch von ſeinem Beobachter getrennet wird. Er bedient ſich alsdenn, falls er bereits angeſteckt iſt, die - ſer Gelegenheit immer ſeinen Muthwillen(N 2)zu196zu treiben. In Hæuſern, wo es Sitte iſt, früh zu Bette zu gehen, geſchieht es insge - mein des Abends, zumal wenn die Kinder nicht durch körperliche Arbeit und Bewe - gung erſt ermüdet werden, wie dieſs leider! leider! leider! nur ſelten geſchieht; in an - dern, wo es gewöhnlich iſt, lange zu ſchla - fen, wird es des Morgens vollbracht. Die Urſachen davon, die ich zum Theil vorhin ſchon angeführt habe, dürfen nicht lange geſucht werden. Der zur Thætigkeit ge - ſtimmte Menſch, wenn er, durch unzeitigen Aufenthalt im Bette, gezwungen wird, un - thætig zu ſeyn, greift um ſich, um Gelegen - heit zu finden, ſeinen Trieb zur Thætigkeit zu befriedigen. Und wie leicht findet er ſie im warmen Bette! der Reiz dazu wird vermehrt, wenn man ſpæt und viel trinkt.

Die Beweiſe davon habe ich in Hæn - den, ſie beſtehen aber in kurzen Sætzen, die in weitlæuftige Briefe eingewebt ſind, undaus197aus dem Zuſammenhange nicht ſchicklich heraus geriſſen werden können.

Die Gefahr zur Verſündigung wird, durch das Beyſammenſchlafen verſchiedener Perſonen, vertauſendfæltigt.

Schon das Zuſammenſchlafen zweyer unſchuldigen Perſonen iſt gefæhrlich. Stille, Dunkelheit, Wærme, ſind lauter zuſammen - treffende Urſachen, die die wollüſtigen Gau - ckeleyen der Einbildungskraft begünſtigen, die Begierden næhren und eine Art von Be - tæubung gegen die ſchwache Stimme des Gewiſſens hervorbringen. Sie wird ſich verliehren, das Gewiſſen wird ſeine Rechte wieder behaupten, wenn es nur einige Zeit hat, ſich zu ſammlen. Wenn nun aber in eben dieſem Stande der Beræubung ein junger halbnackter Körper an der Seite liegt Welche Gefahr! Sie iſt ſo groſs, daſs ich wirklich gar nicht begreifen kann, wie es möglich iſt, daſs ſo viele, ſonſt kluge und(N 3)ver -198vernünftige, Menſchen dieſs nicht eingeſehen haben, fo daſs man noch allenthalben Fami - lien, Erziehungsanſtalten und Waiſenhæuſer, antrift, wo zwey und zwey in einem Bette ſchlafen.

Wer ein etwas verfeinertes Gefühl hat, wird ſchon das Zuſammenſchlafen der Ehe - leute bedenklich finden, und darinne eine Haupturſache von dem groſsen Kaltſinne, der in vielen Ehen ſich in der Folge einfin - det, entdecken. Dieſs ſey im Vorbeygehen geſagt!

Geræth nun gar ein unſchuldiges, un - verderbtes, Kind in das Bette einer unzüch - tigen Perſon, dann zittre ich für ſeine Un - ſchuld, Geſundheit und Zufriedenheit. Ihr verwahrt oft eure Kinder ſorgfæltig gegen die wohlthætige Stærkung der kalten Luft, ihr reiſſet zærtlich ſchwer zu verdauende Speiſen aus ihren Hænden, ihr ſchreyet, wenn ſie über Eis gehen, oder ſich im Lau -fen199fen und Springen üben bettet ſie aber zu einem üppigen Mædchen, oder einem un - züchtigen Knaben. Welcher Contraſt! Iſt denn eine Gefahr gröſser, als das Zuſam - menſchlafen eines Kindes mit einer unzûch - tigen Perſon? Die Hand zittert mir indem ich dieſs ſchreibe. Ich muſs abbrechen, da - mit ich nicht heftig werde, und ſetze nur noch ein Zeugniſs von einem Unglücklichen her, deſſen Unſchuld, Geſundheit und Zu - friedenheit, im Bette, an der Seite einer un - züchtigen Perſon, ihr Grab fand.

Gott! zu welchem Unglück! In was für verruchte Hænde muſste ich gleich bey mei - nem erſten Antritt kommen? Von einem Vater, der das wachſamſte Auge auf mich hatte, der meinem jungen Herzen die beſten Grundſætze auf das ſorgfæltigſte einflöſste, und mich bey allen Gelegenheiten æuſſerſt fühlbar gegen die Religion machte, von ei - nem ſolchen Vater kam ich weg und wurde Schlafgeſelle eines Menſchen, der ein völlig verdorbenes Herz hatte, und in Laſtern völlig erſoffen war. Kaum waren einige Wochen(N 4)ver -200verſtrichen, ſo æuſſerte er ſeine Gottloſigkeit das erſtemal dadurch an mir, daſs er mich ohn - verſehens des Nachts im Bett betaſtete. Eine unnatürlich widrige Neigung dagegen aber bewegte mich, ihm abzuwehren, und gegen alle ſeine Zureden ihn davon abzuhalten. Dadurch zog ich mir ſeinen völligen Haſs zu, den er bey allen Gelegenheiten gegen mich bewieſs, und der mir um ſo empfindlicher wurde, da ich noch ein Neuling war, und in vielen Dingen ſeine Anweiſung bedurfte. Vorzüglich brachte mich die Begierde, durch Singen, auch einiges Geld, zur Anſchaffung kleiner Nothwendigkeiten, zu verdienen, da - hin, mich wieder um ſeine Freundſchaft zu bewerben, die ich auch wieder erlangte. Er lehrte mich Lieder, und that mir andre kleine Gefælligkeiten; dagegen durfte ich es dem Böſewicht nicht wehren, wenn er des Nachts mit mir ſeinen Muthwillen trieb, wo er es denn bald durch den unnatürlichſten Kützel, den er mir verurſachte, ſo weit brachte, daſs ich das ſchændlichſte Verbrechen begieng, von dem ich noch nichts wuſste: denn ich war ein unſchuldiger Knabe von 11 Jahren, noch ohne alle Zeichen und Gefühl der Mannbar - keit, und er um 5 Jahr ælter als ich. Icherſchrak201erſchrak heftig, weinte und ſagte, nun habe er mir etwas verdorben etc. Er aber wuſste mich durch allerley Vorſtellungen zu beruhi - gen, und trieb ſo an mir und dann allezeit auch an ſich dieſes Werk, ſo lange ich bey ihm lag zum öftern. Indeſs ſuchte ich die erſte beſte Gelegenheit, von ihm loſszukom - men, da ich denn zu einem andern, Namens ** kam, der zwar alle Nachte dieſe Hand - lung mit ſich vornahm, und ſelbſt die ehr - würdigſten Plætze nicht ſcheute, aber mich doch unbetaſtet lieſs. Und ſo blieb ich denn ein Jahr von dieſer unnatürlichen Handthie - rung frey; denn nur ſo lange lag ich bey dieſem. Ich kam hierauf zu einem andern, Namens **; allein hier traf ich es ſchlim - mer, als beym erſten: dieſer Menſch war die Geilheit ſelbſt, und verfuhr gerade ſo mit mir, als der erſte, und ohnerachtet aller Wider - ſetzlichkeit, die einem, bey ſo geringen Jah - ren, dennoch die Natur lehrt; wuſst er mich doch zu überwinden, wozu das Anſehn, wor - innen er bey Herrn und Schülern ſtund, vieles beytrug. Und das dauerte wieder ein ganzes Jahr, bis mich hernach der rechtſchafne ** einsmals allein mit ſich in Secundam nahm, und zu mir ſagte: er wiſſe, daſs der gottloſe(N 5)**202** wie ſo viele andre, in dem Laſter næcht - licher Beſudlung lebe, ich ſollte mich ja nicht von ihm verführen laſſen, und da ich ihm frey heraus eröfnete, was ſchon geſcheben ſey, ſtellte er mir die Wichtigkeit der Sache vor, holte mir ein kleines Bûchlein aus ſei - nem Schrank, das den Titel fûhrte: von der ** und gab mirs mit den Worten: das ſoll - te ich leſen, er ſey gleicher Gefahr ausgeſetzt geweſen, und ihr durch dieſs Buch entgangen. Ich las es, gerieth in den ængſtlichiten, jam - mervollſten Zuſtand des Gemüths, fiel öfters bald in einer Claſſe, bald in den Kammern auf meine Knie nieder, bat Gott unter Weinen und Schluchzen um Verzeihung, und lieſs mich durch nichts mehr dazu bewegen.

Allein nun war ich doch einmal meiner Unſchuld beraubt, in meiner zarteſten Jugend, ehe ich noch wuſte, was es darum iſt. Nun war mir doch meine Natur geſchwæcht, ehe ſie noch zu ihrer Stærke gelangt iſt; nun gien - gen doch ſo die edelſten Sæfte verlohren, da - von eine halbe Unze mehr werth iſt, als 10 Unzen Bluts, und ich kam doch ſo um meine beſten Kræfte, ehe ſie zu ihrer Vollkommen - heit gelangten. Wie viel Kummer mir oftdas203das hernach erweckte, læſst ſich leicht denken.

Doch hætte ich darûber mich noch beru - higen können, wenn nicht ein Uebel daraus erfolgt wære, das ich nie genug beſeufzen kann; denn ich wurde in dieſen beyden un - glücklichen Jahren untüchtig zum ehelichen Stand gemacht. Ich fieng bald an, die dunk - le Ahndung davon mit herum zu tragen, wurde als Gymnaſt durch ein Buch, das ich in einer gewiſſen Bibliothek, bey Verferti - gung des Katalogus über dieſelbe, fand, und durchblætterte, bald zu deutlicherer Vermu - thung, und zuletzt auf der Univerſitæt ** durch die Verſicherung eines Medikus zur völligen Gewiſsheit gebracht. Nun kann man ſich einigermaſsen meine Lage vorſtellen, ich allein kann ſie nur nach ihrem wahren Zu - ſtand fühlen.

Es koſtet mich wirklich viel Ueber - windung, Schilderungen dieſer Art abdru - cken zu laſſen, und meinen Leſern zuzumu - then, ſie zu betrachten. Ich kann aber nicht anders. Eben das Gewiſſen, das mich ehe -mals204mals, da ich noch Prediger war, drang, Menſchenfreunden die lebhafteſten Schilde - rungen von den eckelhafteſten Anblicken zu machen, die ich oft in den Stuben der Ar - men hatte, das dringt mieh auch itzo, den Vorhang, von den eckelhaften Winkeln ſo mancher Familien, Schulen und Erziehungs - anſtalten, wegzuziehen.

Gebe doch der allbarmherzige Gott, daſs meine gegenwærtige Bemühung eben die geſegnete Wirkung habe, die oft die er - ſtere hatte!

Eben deswegen kann ich nicht umhin, meine Leſer zu bitten, noch einen Blick auf die heimlichen Gemæcher zu thun. Man thut ihn nicht gern, das weiſs ich wohl. Wenn aber auf dem heimlichen Gemache Feuer iſt, das dem ganzen Hauſe den Un - tergang drohet, ſo hilfts doch nichts, der Eckel muſs überwunden, es muſs eingebro - chen, das Feuer muſs gelöſcht werden.

Lieben205

Lieben Leſer! auf vielen heimlichen Gemæchern glimmet ein Feuer, das zwar nicht eurem Hauſe, wohl aber euren Kin - dern den Untergang droht und ich ſollte es verheimlichen?

Etwas davon habe ich ſchon vorhin geſagt. Itzo erinnere ich nur noch, daſs der Beſuch des heimlichen Gemachs, von zweyen und mehrern Kindern zugleich, die gefæhrlichſte Klippe ihrer Unſchuld ſey. Hier gilt Entblöſsung, Entblöſsung aller Theile, die man ſonſt ſorgfæltig verbarg. Hier iſt kein fremder Zeuge, und wenn er kommt, ſo iſt hinlænglicher Grund da, je - de Entblötsung zu entſchuldigen. Verſteht ihr mich wohl? unter der Menge von Zeug - niſſen, die ich habe, und die alle darinne übereinſtimmen, daſs, in Ermanglung aller andern Gelegenheit, das heimliche Gemach immer der Zufluchtsort der unnatürlichſten Ausſchweifungen geweſen ſey, führe ich nur dieſs einzige an:

Dieſs206

Dieſs war alſo überſtanden, allein ein halb Jahr darauf kam eine Scene, die ſchrecklich - ſte meines ganzen Lebens, der Grund meines ganzen Unglücks: eine Scene, bey der mir noch immer manches unerklærlich iſt, ſo tief ſie auch mit allen ihren ſchrecklichen Folgen in meine Seele gegraben daſteht.

Es war ein ſchrecklicher ſchwarzer Win - terabend (glauben Sie ja nicht, daſs ich ro - mantiſire, die Sache iſt mir zu ernſthaft, zu fürchterlich, als daſs ich dabey an Vergröſſe - rungen denken ſollte). Eine Nacht, wo man kaum Himmel und Erde unterſcheiden konnte, in der ich mit einem Herzklopfen, deſſen Urſachen ich, da ich keine Ahndungen glaube, mir ſchlechterdings nicht erklæren kann, auf das geheime Gemach gieng, ohne zu wiſſen, was oder wen ich da finden wür - de. Ich empfand aber ſchon im Hintergehen, ich kann nicht ſagen Leidenſchaft, nicht Furcht, ſondern Todesangſt. Ich komme hinter, und finde vors erſte die Laterne, die hinten bren - nen ſollte, ausgelöſcht, und alles todtenſtill. Auf einmal entſtand ein Geræuſch, das im Grunde nichts weiter war, als ein Scharren mit einem Fuſse, das mir aber in dem Augen -blicke207blicke ſo fürchterlich vorkam, daſs (ich weiſs weder wie, noch warum?) mir kein andrer Gedanke einfiel, als, das wære der Teufel. Ich hætte fliehn ſollen; aber ein geheimer Zug in meiner Seele nöthigte mich, mich nicht allein zu ſetzen, ſondern von allen Si - tzen gerade den zu wæhlen, der neben dem Orte war, wo das Geræuſch entſtand. Ich thats mit Zittern und Zagen, und noch iſt mirs ſchauerlich durch meinen ganzen Kör - per, wenn ich an meinen damaligen Zuſtand denke. Was eigentlich in meiner Seele vor - gieng, weiſs ich nicht mehr, ich wuſts wohl damals eben ſo wenig als jetzt: ich kam zu keiner deutlichen Idee, ich war wie halb tod. Indeſſen fühlte ich doch, daſs der vermeinte Teufel ein ſehr ſinnlicher Menſch war, der mir aber alles das wurde, was der Teufel ir - gend einem Menſchen geworden ſeyn kann und ſoll, Verführer, Mörder meiner Ruhe. Ich ſeufze indeſſen nicht über ihn. Ueber mich muſs ich ſeufzen. Ich hætte damals Mann ſeyn ſollen, ſo konnte ich ihn und mich retten. Er hat vielleicht, obgleich er und nicht ich, der erſte Verführer war, Urſache genug auch über mich zu klagen, und wenn er das thæte! Gott, welch ein quælender Ge -danke!208danke! Er ergriff meine Hand. Ich wuſte nicht wers war, ich lieſs ſie ihm. (Hier folgt eine Stelle, die ich bey der Durchſicht der Correktur mit zu lebhaften Farben aus - gemahlt, und folglich anſtöſig, finde. Ich un - terdrücke ſie alſo, ſo wie viele andere ſind unterdrückt worden, damit ich mir wenig - ſtens das Zeugniſs geben kann, daſs mit mei - nem Wiſſen nichts Anſtöſſiges geblieben ſey.) Aber ſeine unglückliche Standhaftigkeit be - hielt über meine Schwæche den Sieg. Ich kann nicht einmal ſagen, daſs ich im Au - genblicke, da ich das Verbrechen begieng, ein Vergnügen empfunden habe, weder hier, noch die folgenden mahle. Der Gedanke, du thuſt unrecht, du beleidigſt Gott, dazumal auch noch die wunderliche Einbil - dung: du beleidigſt Schutzgeiſter, die dich umſchweben, machten, daſs ich mehr todt als lebend war. Ich haſste mich ſelbſt, in - dem ichs that. Ich haſste meinen Verführer, den ich noch nicht einmal kannte. (Bey der ganzen ſchrecklichen Scene wurde, ſo viel ich mich erinnere, kein Wort geſprochen). Und wenn ichs mit kaltem Blute überlege, ſo kommt mirs ſelbſt unmöglich vor, daſs ein Menſch etwas, an dem er ſelbſt keinVer -209Vergnügen findet, das ihn quælt, und deſſen Schædlichkeiten (wenigſtens zum Theil) kennt, dennoch aus bloſser Leidenſchaft thun, mit - ten unter den Vorwürfen ſeines Gewiſſens, thun konnte. In dieſer Stunde hætte ich ſie - gen ſollen; wære ich bey Verſtande geweſen, ſo wars möglich, und dann wære ich nicht dauerhaft böſe geworden. Denn das wurde ich wûrklich von dem Tage an. Ich ſah ein, daſs ich mich ruinirte, nach vollbrachter That war ich faſt jedesmal innig tief, bis zu den wehmüthigſten Thrænen gerührt, und doch, ſo oft ich den unglücklichen Gegen - ſtand meiner Begierde ſah, ſo wallte das ganze Blut in meinen Adern, und was mich ewig wundert, iſt, daſs meine Mitſchüler nichts davon merkten. Die Furcht, von ih - nen entdeckt zu werden (ich war ihnen ſonſt von einigen guten Seiten bekannt, und wirk - lich in allen andern Stûcken gewiſſenhaft und gottesfürchtig) kam noch zu meinen übrigen Qualen hinzu, und dennoch wuchs meine ab. ſcheuliche Begierde mit jedem Tage. Nach - dem ich einigemal das erſte mal untergelegen hatte, ſo wars mir moraliſch unmöglich, die übrigenmale zu ſiegen. Oft wenn ich in der einen Stunde mit Thrænen Gott um Kraft(Von heimlichen Sünden.) (O)gebe -210gebeten hatte, überlieſs ich mich in der fol - genden aufs neue ſeinen Verſuchungen. Noch mehr, ganz wider meinen Willen (ſo wenig war ich jetzt Herr über mich ſelbſt) gab ich ihm oft ſelbſt Gelegenheit mich zu verderben. Und er benutzte ſie meiſt treulich.

Ob nun gleich die Verführung an die - ſem Orte ſo groſs iſt, ſo wird doch in gar vielen Schulen darauf nicht Rückſicht genom - men. In gar vielen Schulen herrſcht die traurige Erlaubniſs, daſs mehrere zugleich dieſen Ort beſuchen dürfen, welches freylich ſo leicht nicht abgeændert werden kann, weil in denſelben mehrentheils die Einrich - tung gemacht iſt, daſs den Schülern nur ein einziger Ort dieſer Art angewieſen iſt.

Aber die Einſamkeit, im engern und weitlæuftigern Verſtande, ob ſie gleich die vorzüglichſte Gelegenheit iſt, bey welcher die jugendlichen Lüſte ausſchweifen, ſo iſt ſie doch nicht die einzige. Junge Leute, diehier -211hierinne einen gewiſſen Grad von Fertigkeit erlangt haben, wiſſen auch in öffentlichen Verſammlungen ihre Lüſte ſo zu befriedi - gen, daſs es von denen, die um ſie ſind, nicht leicht bemerkt wird.

Daſs dieſs bey üppigen Frauenzimmern etwas ſehr gewöhnliches ſey, bedarf keiner weitern Erörterung.

Aber auch bey Knaben geſchieht dieſs oft, beſonders in öffentlichen Schulen. Der Lehrer ſitzt alsdenn gemeiniglich in einiger Entfernung von den Schülern auf dem Ka - theder, ſeine ganze Aufmerkſamkeit iſt dar - auf gerichtet, ſeinen Vortrag recht eindring - lich und annehmlich zu machen, und wird dadurch auſſer Stand geſetzt zu bemerken, was einige Schritte weit von ſeinem Ka - theder vorgenommen wird. Die mehreſten Gelehrten ſind auch kurzſichtig, und auſſer Stande zu erkennen, was einige Schritte weit von ihnen vorgenommen wird, und(O 2)Muth -212Muthwillen zu bemerken, der mit keinem Geræuſche verknüpft iſt*)Sollte denn wirklich die Kûrze des Ge - ſichts eine nothwendige Folge des fleiſſi - gen Leſens und Schreibens ſeyn? Ich bin vollkommen vom Gegentheil überzeugt. Wem die Natur geſunde ſcharfe Augen verliche, der kann ihre Schærfe, meiner Meynung nach, auch bey dem fleiſſigſten Studieren erhalten, wenn er nur die we - nigen höchſt einfachen Mittel, die zu ihrer Erhaltung höchſt nöthig ſind, ge - braucht. Da wir aber in unſerer Jugend zur Erhaltung der Augen nicht die gering - ſte Anweiſung bekommen, ſo iſts auch kein Wunder, wenn die mehreſten ſie frühzeitig verderbten. Hierzu kommt noch die ſchædliche Gewohnheit, daſs man, wenn man gleich von der Natur ein ſcharfes Geſicht empfangen hat, ſich doch, um das Anſehen eines Gelehrten zu be - kommen, Lorgnetten zulegt.

In den mehreſten Schulen ſind ſogar ſolche Anſtalten gemacht, die ſehr günſtigſind,213ſind, Ausſchweifungen dieſer Art zu ver - bergen.

Dahin gehören erſtlich die langen Ta - feln, an denen die Schüler ſitzen, die den ganzen Unterleib dem Auge des Lehrers ent - ziehen, zumal wenn, wie es auch nicht un - gewöhnlich iſt, diejenige Reihe Schüler, die vor der Tafel ſitzt, dem Lehrer den Rücken zukehrt. Denn dieſe iſt vollkommen gegen Beobachtung gedeckt, weil nicht nur der ganze Unterleib unſichtbar iſt, ſondern auch die Wegwendung des Geſichts es unmöglich macht, die Convulſionen der Geſichtsmus - keln zu bemerken. Die hintere Reihe iſt aber ebenfalls gedeckt, ſowohl durch die Tafel, als durch die gegenüberſitzenden Mit - ſchüler.

Noch weit mehr als die Tafeln begün - ſtigen dieſe Ausſchweifung, die, noch hin und wieder, gewöhnlichen langen Mæntel, unter deren Schutz, in Gegenwart einer(O 3)groſsen214groſsen Verſammlung, der gröſste Unfug getrieben und verborgen werden kann, und wirklich getrieben und verborgen wird. Dieſs beweiſst unter andern folgendes Zeugniſs:

Es herrſcht dieſes Laſter vorzûglich auf den öffentlichen Schulen. Die Gelegenheiten zur Ausübung deſſelben auf der Schule, wel - che ich beſucht habe, waren folgende. Erſt - lich die langen Mæntel, welche die Schüler auf den meiſten Schulen tragen müſſen, und mit welchen der ganze Körper bedeckt wer - den kann. Unter dem Schutze eines ſolchen Mantels kann und wird die Onanie ausgeübt, ohne daſs es der Lehrer bemerken kann; denn dieſer wird ſogar vermocht zu glauben, daſs der Schüler, der eben jetzt die ſchænd - lichſte Handlung begeht, ganz aufmerkſam auf den Vortrag ſey, weil er æuſſerlich ruhig iſt, auch wohl mit Gedankenloſigkeit in das Buch ſieht. Und ſo geſchieht es, daſs ſelbſt in den Lehrſtunden und in Gegenwart des Lehrers dieſs Laſter ausgeübt wird. Es wür - de alſo gut ſeyn, wenn dieſe ohnehin unnü - tzen Mæntel auf den Schulen abgeſchaft wür - den; wenigſtens ſollten doch die Lehrer dar -auf215auf ſehen, daſs kein Schüler ſich in den Man - tel einwickeln dürfe, ſondern ihn frey von den Schultern herabhængen lieſse, damit der Vorderleib unbedeckt bleibe,

Zweytens iſt es auch eine Gelegenheit, wenn die Lehrer mehrern Schülern zugleich erlauben, ſich aus der Claſſe zu entfernen, um ſich der natürlichen Nothdurft zu entle - digen. Sie verſammeln ſich alsdann auf dem Abtritte, und übt einer an dem andern das Laſter aus.

Die dritte Gelegenheit iſt das Beyſammen - ſchlafen mehrerer Jünglinge auf der Schule. Es lehrt es einer den andern; die æltern den jüngern, und ſo wird es auf der ganzen Schu - le ausgebreitet.

Ueberhaupt iſt mir die Sorgloſigkeit der Lehrer auf der Schule in dieſem Punkte ſehr befremdend vorgekommen. Die meiſten thun gar nicht, als ob ſie dieſs Laſter ſelbſt kennten, oder daſs es auf der Schule ausgeübt werden könne.

(O 4)Anmer -216

Anmerkung.

Die zwey letzten Punkte gehören zwar nicht hierher, ſondern hætten einige Seiten weiter vorſtehen ſollen. Sie ſchienen mir aber von ihrem Nackdrucke etwas zu ver - liehren, wenn ſie aus dem Zuſammenhange geriſſen würden.

Wenn nun alſo die langen Mæntel kei - nen erweiſslichen Nutzen fûr die Schüler haben, vielmehr ſie in den Stand ſetzen, die verderblichſte unter allen Ausſchweifungen den Augen ihrer Lehrer und Erzieher zu verbergen, überdieſs auch die Jugend an ei - nem trægen, ſchleppenden, für die Munter - keit ihrer Jahre höchſt unſchicklichen, Gang gewöhnen: ſo wünſche ich ſehr, daſs alle, denen die Aufſicht über die Schulen und das Erziehungsweſen anvertrauet iſt, dieſe unſchickliche, wahrſcheinlich aus dem Pabſt - thume entſprungene, Tracht abſtellen möch - ten. Ich weiſs zwar wohl, daſs eine ſolche Abænderung an vielen Orten ihre groſsenSchwie -217Schwierigkeiten habe, und dieſe Sitte in das Ganze ſo verwebt ſey, daſs durch eine all - zuſchleunige Wegſchaffung daſſelbe zerrüt - tet werde. Dem aber, der eine Sache ernſt - lich will, iſt ſie auch, nach meiner Ueber - zeugung, gewiſs möglich.

Was ich von den langen Mænteln ge - ſagt habe, gilt in jeder Rückſicht auch von den Schlafröcken. Deswegen wünſche ich, daſs in der Abſchaffung derſelben, ſo wie bisher geſchehen, fortgefahren werden möchte.

Endlich iſt mir auch verſichert worden, daſs bey dem gemeinſchaftlichen Baden gro - ſser Unfug getrieben werde. Das Baden überhaupt, ſo nützlich es an ſich iſt, iſt doch ſehr bedenklich, ſowohl in Rûckſicht auf die Geſundheit, als auf die Sitten. Von den Gefahren, denen die erſtere bey dem Baden ausgeſetzt iſt, zu reden, iſt hier der Ort nicht. Daſs die Sitten dabey auſſer Gefahr(O 5)wæren,218wæren, iſt mir deswegen verſichert worden, weil nicht nur Badehoſen angelegt, ſondern auch die Begierden durch die Kælte des Waſ - ſers gedæmpft würden. Ich habe aber da - gegen immer die Bedenklichkeit gehabt, daſs Anblick der Nacktheit, bey Perſonen, die daran nicht gewöhnt ſind, ſtets unordentli - che Begierden entzünde, die kein Waſſer dæmpfen kann; daſs es ſehr ſchwer ſey, be - ſonders, wenn die Zahl der Badenden groſs iſt, zu verhüten, daſs nicht die entblöſsten, noch vor Anlegung der Badehoſen, einan - der betrachteten, und noch ſchwerer, es zu verhindern, daſs nicht unter dem Waſſer Unfug getrieben werde.

Geſetzt, daſs auch die That, bey dem Baden ſelbſt nicht könnte vollbracht werden: ſo iſt es doch ungemein leicht, ſie bey dieſer Gelegenheit anzufangen, und hernach einen Winkel zu finden, wo ſie vollendet wird.

Auch219

Auch dieſs iſt nicht bloſse Speculation. Ein glaubwürdiger Schulmann, mit dem ich mich einſt unterredete, verſicherte mir, daſs, da er die Ausſchweifungen, davon ich rede, entdeckt, und über den Urſprung derſelben eine ſcharfe Unterſuchung angeſtellt: er von verſchiedenen Schülern das Geſtændniſs er - halten hætte, daſs das Entkleiden bey dem Baden, hinter den Büſchen, vorzüglich Ver - anlaſſung gegeben hætte, dieſe Greuel zu treiben.

Fünfter Abschnitt.

Von den Merkmahlen, an welchen man die heimlichen Sünden der Ju - gend entdecken kann.

Ehe ich dieſen Abſchnitt anfange, muſs ich eine ſehr wichtige Erinnerung voraus - ſchicken. Sie iſt dieſe: faſt keines von denKenn -220Kennzeichen, die ich anführe, iſt ſo untrüg - lich und ſo nothwendig mit der Unkeuſch - heit dieſer Art verbunden, daſs man mit völliger Gewiſsheit ſchlieſsen könne, wo dieſs iſt, da ſind auch heimliche Sünden, und wo es fehlt, da iſt die Unſchuld. Einerley Wirkung kann, wie bekannt, mehrerley Urſachen haben, und es giebt oft Urſachen, deren gewöhnliche Wirkung erſt ſehr ſpæt ſichtbar wird. So trægt manche Raupe ei - nen Wurm in ihrem Balge, der erſt zur Zeit der Verwandelung ſich entdeckt.

Dieſs bitte ich, alle meine Leſer, wohl zu beherzigen, damit ja nicht etwa das, was ich hier aus redlichen Abfichten niederſchrei - be, zu liebloſen Urtheilen und Behandlun - gen, Anlaſs gebe, oder auf der andern Seite die Wachſamkeit der Eltern, Lehrer und Erzieher einſchlæfere.

Ein ungenannter Erzieher hat mir ei - nen Aufſatz zugeſchickt, aus dem ungemeinviel221viel Beobachtungsgeiſt hervorleuchtet. Da ſeine Bemerkungen mit den meinigen ſehr übereinſtimmen, ſo will ich ihn, in ſo fer - ne er die Merkmahle der heimlichen Sünden betrift, ganz einrücken, und nur einige An - merkungen und Erweiterungen beyfügen. Zugleich wünſche ich auch, daſs dieſer un - genannte Freund ſich entſchlieſſen möchte, auf die von Herrn Campe aufgegebene Preis - frage, wegen der beſten Mittel, die heimli - chen Sünden der Jugend zu verhüten, eine Antwort auszuarbeiten. Sie wüsde gewiſs groſsen Nutzen ſtiften.

Hier ſind ſeine Bemerkungen:

Nichts iſt ſchwerer, als beſtimmte Kenn - zeichen anzugeben, woraus ſicher auf das Daſeyn des Uebels geſchloſſen werden könne. Und die gröſste Behutſamkeit iſt kaum hin - reichend, wenn man ſich davon überzeugen willa)Viele von den Kennzeichen, die hier an - gegeben ſind, findet man auch bey Kin -dern,. Uebereiltes unvorſichtiges Betragenkann222kann hier, wie mir Beyſpiele bekannt find, das Uebel ſelbſt lehren, welches ſie verhin - dern oder vertilgen will. Doch will ich höchſt wahrſcheinliche Merkmale angeben, auf deren Vorhandenſeyn man bauen kann.

Kinder, die mit dem Uebel bekannt ſind und es ausgeübt haben, verændernb)Man überſehe das Wort verændern nicht. Manchen Kindern iſt die blaſſe Farbe na - türlich.

  • 1) Ihre blühende rothe Geſichtsfarbe in blaſs.
  • 2) die Muskeln werden

    c)Eben ſo wenig darf das Wort werden unbemerkt bleiben. Ein Kind, das von Natur phlegmatiſch iſt, hat immer ſchlaffeMus -

    ſchlaff.
3) Um
a)dern, die Würmer haben. Vielleicht - re es gut, wenn man denen, an welchen man dieſe Kenzeichen bemerkt, erſt eine Woche lang, Morgens und Abends, eine Meſſerſpitze voll Zittwerſaamen gæbe, und erwartete, was für Wirkungen darauf er - folgten, ehe man gegen ſie Argwohn ſchöpfte.
a)223
  • 3) Um die Augen auffallend braunroth und ſchwærzlich, die Augen ſelbſt erſcheinen ein - geſunken, blicken trüb und ſcheu
    d)Ich kenne Familien, bey denen ſchwærz - liche Ringe um die Augen erblich ſind. Wenn aber ein Kind dieſe Merkmale an ſich hat, und doch von Eltern abſtammt, die friſche Augen haben, denn hat man Urſache Argwohn zu ſchöpfen. Scheue Augen hat faſt jedes Kind, das in der Ent - fernung von groſsen Geſellſchaften erzo - gen wurde, wenn es mit einem Fremden ſprechen ſoll. Sollte es aber die Augen niederſchlagen, wenn es von dem Vater oder Erzieher liebreich angeredet wird, dann iſt es ſehr verdæchtig.
    d).
  • 4) Die Lippen ſind blaſs.
  • 5) Alle Bewegungen der Theile des Geſichts ge - ſchehen mühſam, ihr læcheln iſt nur halb.
6) Der
c)Muskeln. Wenn es aber ſonſt lebhaft war, und hernach erſchlaffet, dann iſt es ſehr bedenklich.
c)224
  • 6) Der ganze Körper iſt matt und ohne Dauer
    e)Es müſste denn von Natur einen auſſeror - dentlich feſten Körper bekommen haben.
    e).
  • 7) Das Kind wird træg bey ſeinen Beſchæfti - gungen
    f)In Anſehung dieſes Merkmahls muſs wohl unterſucht werden, ob das Kind nicht eine natürliche Trægheit hat, oder ob nicht ei - ne andere Urſache der Trægheit, z. E. ſchwüle Witterung, der Genuſs unver - daulicher Speiſen, vorhergegangene Er - müdung u. dgl. da ſey.
    f),
  • 8) miſsmuthig,
  • 9) leicht gereizt, zu ûbler Laune und Zornë nimmt leichter als gewöhnlich übel
    g)Wenn man aus dieſem Merkmahle mit einiger Zuverlæſſigkeit ſchlieſſen will, ſo muſs man die Familie und Geſellſchaft beobachten, in der das Kind erzogen wird. Herrſcht in dieſer ûble Laune, ſo hat man keine Urſache einen anderweitigen Grund von der Miſsmuthigkeit deſſelben zu arg -wohnen.
    g).
10)225
  • 10) Man beobachte wachend die Hænde des Kindes, ſein Sitzen, Lehnen, Wanken, Spie - len, auch ſeine Blicke wie und worauf ſie gehen
    h)Dieſs Merkmahl iſt eines der zuverlæſſig - ſten. Ein angeſtecktes Kind hat gern die Hænde bey den angeſteckten Theilen, lehnt ſich, ſo oft es kann, ſo an, daſs die - ſe gerieben werden, gewöhnt ſich leicht zu unanſtændigen Stellungen, und blickt den Perſonen, mit welchen es ſpricht, mehr nach dem Unterleibe, als nach dem Geſichte. Bey Kindern, die von Jugend auf zur Verſtellung gewöhnt werden, fællt dieſs Merkmahl weg, aber nicht die Sache, deren Merkmahl es iſt.
    h)
11)
g)wohnen. Wenn aber ein Kind, das in fröhlicher Geſellſchaft aufwæchſt, doch miſsmuthig und zur ûblen Laune geneigt iſt, ſo iſt dieſs ſehr bedenklich, beſonders wenn man weiſs, daſs das Kind nicht krænklich iſt, oder durch unpædagogiſche Behandlung erbittert wird.
g)(Von heimlichen Sünden.) (P)226
  • 11) Im Schlaf wird man, beſonders an den Theilen, ſelbſt manches wahrnehmen können, vorzuglich des Morgens
    i)Dieſes veſtehe ich nicht recht. Man kann aber leicht muthmaſen, was damit gemey - net ſey.
    i).
  • 12) Auch das allzuöftere Urinlaſſen iſt verdæch - tig, ſo wie das Verunreinigen des Bettes da - mit
    k)Nicht nur das allzuöftere Urinlaſſen, ſon - dern auch das öftere Beſuchen des heimli - chen Gemachs iſt verdæchtig. Aus dem, was ich vorhin geſagt habe, ergiebt ſich von ſelbſt, daſs Eltern und Erzieher hier - auf vorzüglich aufmerkſam ſeyn müſſen. Daſs das Verunreinigen des Bettes, durch den Urin, ein Merkmahl heimlicher Sün - den ſey, iſt mir nicht bekannt. Ich glaub -te
    k).

Es verſteht ſich, nicht jedes dieſer Merk - mahle allein giebt wahrſcheinliche Schlüſſe, ſondern das Beyſammenſeyn mehrerer der - ſelben.

Zu227

Zu dieſen ſehr richtigen Bemerkungen brauche ich nur noch wenige Zuſætze zu ma - chen.

Die Sünden, von denen ich ſchreibe, ſind ſo beſchaffen, daſs ſie immer Spuren von ſich hinterlaſſen. So wie der Inſekten - ſammler aus den Excrementen gewiſſer Rau - penarten, die er unter einem Baume findet, ſchlieſst, daſs auf den Zweigen ſich dieſe Raupenart aufhalte, ſo ſchlieſst auch der Pædagoge aus den Spuren dieſer Sünden, auf ihr Daſeyn.

Man findet dieſe Spuren am ſicherſten in der Leibwæſche!

(P 2)Da -

k)te ſonſt, daſs es entweder von ſohlechter Erziehung, oder von einem Naturfehler herrühre. Doch leugne ich nicht, daſs ich junge Leute gekannt habe, bey denen dieſs Laſter, und dieſer Fehler beyſammen waren.

228

Damit man aber ſich in Aufſuchung derſelben nicht irre, ſo ſind dabey zweyer - ley Cautelen zu beobachten. Erſtlich muſs die Leibwæſche alle Morgen und Abende ge - wechſelt werden. Spuren in der Leibwæſche junger Leute, die ſich der Mannbarkeit - hern, die des Nachts getragen wird, be - weiſen wenig, weil ſie von ganz natürlichen Urſachen herrühren können. Eben dieſe Spuren in der Leibwæſche, die am Tage ge - tragen wurde, ſind faſt untrügliche Merk - mahle. Zweytens muſs die Unterſuchung der Leibwæſche ja auf das ſorgfæltigſte ver - heimlicht werden, und wenn man Spuren entdeckt, und deswegen mit dem Verirrten reden muſs, darf man ja nicht merken laſſen, aus welchem Grunde, man Argwohn ge - ſchöpft habe. Sobald man dieſs merken læſst, ſo iſt der Verirrte liſtig genug, ſeine Ausſchweifungen ſo fortzutreiben, daſs da - von in der Leibwæſche keine ſichtbaren Spu - ren zurück bleiben.

Da229

Da aus dem Vorhergehenden erheller, daſs dieſe Sünden gewöhnlich in der Ein - ſamkeit getrieben werden, ſo folgt von ſelbſt, daſs ein, damit angeſtecktes, Kind die Ein - ſamkelt lieben und ſuchen werde. Dieſer Hang zur Einſamkeit kann alſo ebenfalls als ein Merkmahl angeſehen werden, das Eltern und Erzieher aufmerkſam machen muſs.

Wenn Kinder an geſellſchaftlichen Ver - gnügen gar keinen Theil nehmen, ſondern lieber auf ihrem Zimmer bleiben wollen, wenn ſie ſich von der Geſellſchaft wegſteh - len und Winkel ſuchen, wo ſie nicht be - merkt werden: dann haben diejenigen, die über ihre Wohlfahrt wachen, groſse Urſa - che, ſie zu belauſchen, und ſich nach der Urſache ihrer Entfernung zu erkundigen.

Weil ferner die geſellſehaftlichen Ver - gnügungen der Kinder immer mit Geræuſch verknüpft ſind, ſo iſts ſehr bedenklich, wenn in ihren Geſellſchaften Stille herrſcht. Sie(P 3)iſt230iſt dem Erzieher allemal ein Wink, auf ſei - ner Hut zu ſeyn.

Sechster Abschnitt.

Von den Mitteln, die Jugend vor heimlichen Sünden zu bewahren, an ihr zu entdecken, und ſie davon zu heilen.

Daſs dieſs der wichtigſte Abſchnitt ſey, ergiebt ſich von ſelbſt. In den erſtern wur - den Wunden aufgeriſſen, deren Eiter im Verborgnen fraſs, dieſer ſoll den Balſam ein - gieſſen, um die erſtern zu heilen.

Ich will ihn hier liefern, ſo gut ich es vermag. In den Hænden des Rechtſchaff - nen und Weiſen, wird er, wie ich zu Gott hoffe, gewiſs von guter Wirkung ſeyn. In den Hænden des Unweiſen wird er keineoder231oder ſchædliche Wirkung thun, weil bey jeder Arzney es vorzüglich auf die Art an - kommt, wie ſie gebraucht wird.

Da ich hier nothwendig allerley Vor - ſchlæge thun muſs, wie dem Uebel zu ſteu - ern ſey: ſo iſt wohl das Schicklichſte, daſs ich meinem Vortrage die Form einer Samm - lung von Vorſchriften gebe.

Um unſchuldiger Kinder Unſchuld zu erhalten, und ſie vor Verirrungen zu be - wahren, müſſen folgende Regeln beobachtet werden.

I.

Suche deine Kinder in beſtændiger Thæ - tigkeit zu erhalten.

Da ich im Vorhergehenden gezeigt ha - be, daſs Unthætigkeit die vorzüglichſte Ver - anlaſſung zu dieſen Sünden ſey, ſo folgt von ſelbſt, daſs dieſe müſſe vermieden, und die(P 4)Kin -232Kinder zur Thætigkeit angehalten werden. Es wird ihnen alsdann an Muſe fehlen, den Vorſtellungen ihrer Einbildungskraft nach - zuhængen, und die durch ſie hervorgebrach - te Bilder auszumahlen.

Beſtimmte vorgeſchriebene Arbeiten ſind daher ſehr gut, aber noch nicht die be - ſten. Wenn das Kind, welches ſehr oft der Fall iſt, ſie mit heimlichen Widerwillen thut, ſo hat ſein Herz daran keinen Theil. Es wird ſie verrichten, nnd doch wohl ſeine Gedanken bey andern Gegenſtænden haben. Daſs man die rührendſte Stelle überſetzen, und wæhrend derſelben ſich mit unzûchtigen Vorſtellungen beſchæftigen kann, iſt mir ſehr wohl denkbar.

Es wære daher ſehr gut, wenn man, neben der beſtimmten Arbeit, ausſpüren könnte, ob nicht das Kind, durch eignen Antrieb geleitet, auf ein gewiſſes Geſchæfte, Gartenbau, Erziehung gewiſſer Thiere,Schniz -233Schnitzen, Zeichnen, Muſik u. dgl. verfiele. Dieſs Geſchæfte müſste man alsdenn aufs möglichſte begünſtigen, und ihm erlauben, jede Freyſtunde dieſem Geſchæfte zu wid - men. Wer dieſs möglich machen kann, hat ſchon bey ſeinem Kinde viel gewonnen, in - dem das beſtændige Streben nach Erreichung einer gewiſſen Abſicht, die Hervorbringung wollüſtiger Bilder ſehr gut verhindert*)Dieſs iſt eine der vorzüglichſten Urſachen, die mich bewogen hat, meinem Erzie - hungsplane eine ſolche Einrichtung zu geben, daſs die Neigung der Zöglinge da - durch unvermerkt auf Erwerbung eines kleinen Eigenthums gerichtet werden muſs..

Vorzüglich iſt körperliche Thætigkeit nöthig: weil ſie nicht nur der Einbildungs - kraft die Zeit raubt, ihren Gauckeleyen nach - zuhængen, ſondern auch noch den Leib er - müdet, ſo daſs, wenn er das næchtliche La - ger beſteigt, ſogleich in Schlaf verſinkt.

(P 5)Wenn234

Wenn alſo meine Stimme im Publikum etwas gilt, ſo kann ich nicht anders, als ſchlechterdings darauf beſtehen, daſs alle Kinder, und wenn es Fürſtenkinder wæren, körperliche Arbeit treiben müſſen. Es ſind mir zwar gegen dieſe Aeuſſerung verſchiede - ne Einwendungen gemacht worden, keine aber iſt ſo ſtark geweſen, daſs ſie mich hætte beſtimmen können, meine Meynung zu æn - dern. Körperliche Arbeiten, wenn ſie, wie meine Meynung iſt, mæſig getrieben werden, ſchwæchen weder das Gefühl für das Schöne, noch machen ſie die Glieder zu den Werken der Kunſt unbiegſam. Die vorzüglichſten Werkzeuge, durch welche wir das Schöne empfinden, ſind Auge und Ohr, und dieſe werden bey der körperlichen Arbeit ſo we - nig angeſtrengt, daſs man gar keinen Grund hat, zu beſorgen, ſie möchten durch dieſel - be ſtumpf gemacht werden.

Eben ſo wenig hat man Grund zu be - fürchten, die Glieder möchten, durch kör -perliche235perliche Arbeit, die, zu den Werken der Kunſt nöthige, Biegſamkeit verlichren. Wo Trieb zur Kunſt iſt, da wird er auch die Glieder gewiſs biegſam erhalten, und die Neigung zu ſchweren Arbeiten mæſſigen. Ich ha - be Bauern gekannt, die die Violine ſo vor - treflich ſpielten, daſs ſie ſich die Bewunde - rung der Kenner erwarben, und andere, die im Schönſchreiben die gröſste Vollkommen - heit erreichten. Wenn nnn Menſchen, de - ren Hauptgeſchæfte korperliche Arbeit iſt, doch noch Fæhigkeit zu den Werken der Kunſt behalten, wie vielmehr die, die kör - perliche Arbeit als ein Nebenwerk trei - ben*)Dieſs iſt ein Hauptgrund, warum ich mei - ne Zöglinge tæglich mit einiger körperli - chen Arbeit beſchæftige, und mit ihnen von Zeit zu Zeit kleine Reiſen thue.!

Die Kinder laſſen in den erſten Jahren immer mehr Neigung zum Spielen als zur Arbeit blicken, die man nicht geradezu un -terdrü -236terdrücken darf, ſondern ihr, weil es durch - gængig ſchædlich iſt, gegen die Neigungen der Natur zu kæmpfen, vielmehr eine weiſe Richtung geben muſs. Man erlaube alſo den Kindern, in jeder Freyſtunde, ſich durch Spiel zu vergnügen, man befördere es, man nehme daran Antheil. Man ſuche aber auch dem Spiele eine ſolche Einrichtung zu geben, daſs dadurch unvermerkt jenen Sünden ent - gegen gearbeitet werde. Spiele, durch wel - che der Verſtand und Witz geſchærft wird, ſind zu dieſer Abſicht dienlich. Ich wün - ſche aber auch, daſs damit ſolche verknüpft werden möchten, die den Körper in Thæ - tigkeit ſetzen, und ich würde mich für einen Schuldner deſſen erkennen, der mir recht viele Spiele bekannt machte, wodurch die Kinder in einer anmuthigen Thætigkeit er - halten würden*)Weil ich eben vom Spielen rede, ſo kann ich nicht umhin, meine Leſer vor einigen ſehr bedenklichen Spielen zu warnen. Da -hin.

II. 237

II.

So viel als möglich laſſe daine Kinder nie, weder bey ihren Spielen noch bey ihren Arbeiten, ohne Beobachtung!

Die vielen Gefahren, mit denen der Kinder Unſchuld umgeben iſt, machen dieſe Regel ſchlechterdings nöthig. Eine einzige Bewegung im Spiel, eine einzige muthwilli - ge Betaſtung, ein einziget frecher Scherz, der - gleichen in gewiſſen Geſellſchaften ſehr ge - wöhnlich ſind, kann mit einemmale die Seele des unſchuldigen Kindes verſtimmen.

Die -

*)hin gehört das Spiel, bey dem ſich die Kinder in den Winkeln herum verſtecken, und ein anderer ſie ſuchen muſs. Ferner ein anderes, da man ſich in einen Kreiſs ſetzt, einer von der Geſeliſchaft etwas, z. E. einen Schlüſſel unter ſich legt, und ein dritter herumfühlen muſs, wer ihn unter ſich habe. Auch Pfænderſpiele müſſen mit groſser Behutſamkeit geſpielt werden.

238

Diejenigen müſſen, alſo von den man - nichfaltigen Gefahren, denen die Unſchuld der Kinder ausgeſetzt iſt, nicht gut unter - richtet ſeyn, die von einem Manne verlan - gen, daſs er der einzige Erzieher mehrerer Kinder ſeyn ſoll, da es beynahe die menſch - lichen Kræfte überſteigt, ſeine ganze Auf - merkſamkeit, vom Morgen bis zum Abend, auf einen Gegenſtand zu richten, oder die ganz ſorgloſs ihre Kinder und Zöglinge, Stundenlang, ohne Aufſicht laſſen.

Man wird zwar dagegen verſchiedenes einwenden, das aber doch, wie ich glaube, nicht ſo erheblich iſt, daſs es mich zur Ab - ænderung meiner Meynung bewegen könnte.

Die Kinder, wird man ſagen, werden durch die beſtændige Beobachtung ſcheu ge - macht, und zur Heucheley gewöhnt wer - den.

Dieſs ſind freylich unangenehme Eigen -ſchaften,239ſchaften, die die Kinder ſehr verunſtalten. Allein man hat keinen Grund zu beſorgen, daſs beſtændige Beobachtung dieſelben her - vorbringen werde, wenn ſie nur mit der gehörigen Klugheit angeſtellt wird. Der kluge Beobachter der Kinder thut ſein Amt, ohne es merken zu laſſen, daſs er es thue; er ſieht den Spielen und Beſchæftigungen ſeiner Kleinen læchelnd zu, nimmt daran Antheil, iſt in Verweiſen ſehr ſparſam, hin - gegen ſehr aufmerkſam, die wahre Den - kungsart der Kinder auszuſpühren, und die Grundſætze, nach welchen ſie behandelt wer - den müſſen, zu erfinden. Iſts ja nicht mög - lich, die Beobachtung ſelbſt zu verbergen, ſo verbirgt er doch wenigſtens den Grund davon, und læſst es merken, daſs ſie bloſs von zærtlicher Beſorgniſs, ſie möchten viel - leicht ein Unglück nehmen, herrühre.

Wie iſt es aber möglich, wird man fer - ner einwenden, daſs man die Kinder beſtæn - dig beobachten kann? Dieſe Einwendungiſt240iſt ſchon wichtiger. Eltern, die in eine Menge Geſchæfte verwickelt ſind, Hausleh - rern, denen allein die ganze Laſt der Auf - ſicht auf den Schultern liegt, Arbeitern an Schulen und Erziehungsanſtalten, denen ei - ne groſse Zahl Schüler untergeben iſt, muſs es freylich ungemein ſchwer, ja in manchen Verhæltniſſen unmöglich ſeyn, die Kinder ſtets zu beobachten. Allein deswegen kann die, von mir gegebne, Regel doch gut ſeyn, wenn ſie gleich manchem, wegen ſeiner La - ge, zu befolgen unmöglich wære. Ueber - dieſs kann doch auch manches, das bey dem erſten Anblicke unmöglich ſcheint, möglich gemacht werden, wenn man es ernſtlich will. So könnten z. E. Familien, welche für ihre Kinder Privatlehrer halten, ſich mit einan - der v[e]reinigen, daſs dieſe zuſammen træten, und den Unterricht, nebſt der Erziehung der Kinder, gemeinſchaftlich beſorgten, und ſo die Laſt der Aufſicht, die ſonſt jeder für ſich trug, mit einander theilten.

III. 241

III.

Gewöhne deine Kinder zum Frühauf - ſtehen.

Da, wie ich vorhin gezeigt habe, der Aufenthalt in Betten, aus verſchiednen Ur - ſachen, für die Unſchuld der Kinder höchſt gefæhrlich iſt, ſo ergiebt ſich hieraus die Nothwendigkeit dieſer Regel von ſelbſt. Es muſs auf das ſorgfæltigſte vermieden werden, daſs, wo möglich, kein Kind im Bette lan - ge wache. Dieſs auf den Abend zu verhüten, iſt das ſchicklichſte Mittel die Ermüdung, und des Morgens, das frühe Aufſtehen. Wenn beydes zugleich beobachtet wird, ſo wird der Fall gewiſs æuſſerſt ſelten eintreten, daſs das Kind eine Viertelſtunde im Bette wachend zubringt. Ich würde daher rathen, daſs in allen Hæuſern, wo Kinder erzogen werden, dieſe in den længſten Tagen vier, in den kürzern fünf, und in den kürzeſten ſechs Uhr geweckt würden. Denen die dieſen(Von heimlichen Sünden.) (Q)Rath242Rath zu befolgen geneigt ſind, würde ich aber ferner rathen, daſs ſie die Kinder an - hielten, ſogleich nach dem Wecken aufzu - ſtehen, und dafür ſorgten, daſs ſie gleich nach dem Aufſtehen ein beſtimmtes Geſchæft mit dem ſie ſich unterhalten könnten, vor - fænden; damit Müſiggang ſie nichts Böſes lehre. Dieſs wird freylich in vielen Hæu - ſern auch ſchwer ſeyn; ich glaubeaber doch, daſs man es möglich machen kann, wenn man nur darüber nachdenkt, und es mit ſei - nen Freunden überlegt.

III.

Gewöhne deine Kinder an einfache Nah - rungsmittel!

Die Befolgung dieſer Regel iſt von der gröſsten Wichtigkeit. Auſſerdem, daſs zu gekünſtelte und zu nahrhafte Speiſen die Bedürfniſſe der Kinder vervielfæltigen, und ſie der Gefahr ausſetzen, künftig ein kum - mervolles Leben zu führen; auſſerdem daſsſie243ſie der Saame zu mancherley ſchmerzhaften Zufællen und Krankheiten ſind, ſo erzeugen ſie auch die Neigung zu dieſen Sûnden. Der öftere Genuſs warmer Speiſen und Getrænke macht weichlich und weibiſch. Das weich - liche weibiſche Weſen iſt aber faſt immer mit Lüſternheit nach angenehmen Empfin - dungen verbunden. Zu nahrhafte Speiſen, wenn ſie oft genoſſen werden, geben den Sæften einen zu reichlichen Zufluſs und ma - chen die wollüſtigen Begierden vor der Zeit reifen. Zu ſehr zuſammengeſetzte Speiſen wirken in den Sæften unnatürliche Wallun - gen und Gæhrungen.

Wenn ich die für Kinder ſchicklichſten Speiſen beſtimmen ſollte, ſo würde ich em - pfehlen, zum Frühſtück, Milch oder But - ter, oder Beere, oder Obſt, nebſt wohl ausgebacknem Brode. Zur Mittagsmahlzeit Gemûſe und etwas Fleiſch, zur Abend - mahlzeit gewöhnlich Butterſchnitte oder Obſt. Ihr gewöhnlicher Trank müſste Waſ - ſer ſeyn.

(Q 2)War -244

Warme Getrænke, Wein und Bier, würde ich ihnen nur ſelten erlauben. In meinen Unterhaltungen für Kinder und Kin - derfreunde habe ich zwar einigemal die Cho - colate als ein geſundes Getrænk für Kinder empfohlen; itzo aber, da ich zu beſſern Einſichten gekommen bin, widerrathe ich auch dieſe.

V.

Verwahre deine Kinder vor gefæhrlichem Umgange und Lecture!

Den Grund von dieſer Regel findet man im Vorhergehenden, die Befolgung derſelben iſt aber æuſſerſt ſchwer. In An - ſehung des Umgangs muſs man auf die Per - ſonen, die ſich den Kindern oft næhern, von ihrer Geburt an, ſehr aufmerkſam ſeyn. Ammen, widerrathe ich allen Müttern, die Kraft und Geſundheit genug haben, ihre Kinder ſelbſt zu ſtillen. Soviel als möglich muſs das Kind nicht auf die Arme unzüchti -ger245ger Perſonen kommen. Da es aber ſchwer - lich gewiſs beſtimmt werden kann, welche Perſonen nicht unzüchtig ſind, und manche, die ſonſt ein ehrbares Leben führen, oft aus Unwiſſenheit und Muthwillen, die Kinder miſshandeln; da es ferner ſchlechterdings unmöglich iſt, zu erfahren, wie die Kinder von dem Geſinde, unter der Hülle des Man - tels, und in Abweſenheit der Eltern, behan - delt werden, und Warnen und Verbieten, in dieſem Falle, ſehr wenig hilft: ſo weiſs ich keinen beſſern Rath, als dieſen, zu geben, daſs man die Kinder, ſo wenig als möglich, tragen laſſe, ſondern ſie lieber gleich im er - ſten Vierteljahre auf Kiſſen legen, wo ſie ſich frey bewegen, und nach und nach ſich ſelbſt fortzuhelfen lernen können.

Bey dem Fortwachſen des Kindes darf ebenfalls kein üppiges Geſinde im Hauſe geduldet werden, weil die Gefahren dieſer Geſellſchaft, die doch das Kind nicht ent - behren kann, zumal, wenn die Eltern ein ſehr(Q 3)arbeit -246arbeitſames oder ſehr geſellſchaftliches Leben führen, wie ich vorhin gezeigt habe, unbe - ſchreiblich groſs und mannichfaltig ſind.

In Geſellſchaften mit andern Kindern darf man es nie laſſen, wenn ihre gefellſchaft - lichen Unterhaltungen nicht genau beobach - tet werden können.

Die Gewiſsheit der moraliſchen Güte des Lehrers und Erziehers muſs entſchieden ſeyn. Wenn ein verderbter Lehrer oder Er - zieher auch nicht geradezu das Kind zum - ſen anleitete, ſo könnte er es doch vielleicht durch ſeine Scherze, Urtheile und Handlungs - art thun.

Eltern haben ſich auch wohl vorzuſe - hen, daſs ihr eigner, und ihrer Geſellſchaf - ter Umgang nicht anſtöſſig werde. Deswe - gen iſt in den Liebkoſungen, die ſie ſich in der Kinder Gegenwart machen, die gröſste Behutſamkeit nöthig. Einige Liebkoſungenſind247ſind Ausdrücke der Liebe und Freundſchaft, andere der Wolluſt. Die Grenzlinie, die die letztern von den erſtern ſcheidet, und die ein unverdorbnes Gefühl leicht entdeckt, darf unter der Kinder Augen nie überſchrit - ten werden. Die übrigen Klugheitsregeln, die bey dem ehelichen Umgange zu beob - achten ſind, ergeben ſich von ſelbſt aus dem, was oben von der groſsen Sorgloſigkeit der Eheleute, in Anſehung dieſes Punkts, iſt ge - ſagt worden.

Bey Tiſche und jeder andern Gelegen - heit, wo die Erwachſenen mit den Kindern zuſammen ſind, müſſen alle obſcöne, ſchlü - pfrige, zweydeutige, Scherze vermieden wer - den. Wird dieſes nicht beobachtet, ſo wer - den alle übrige gute Erinnerungen und An - ſtalten wenig helfen. Wie kann das Kind glauben, daſs die Wolluſt ſo ſchædlich ſey, als man ihm ſagte, wenn es ſeine Eltern und die erwachſenen Freunde derſelben, be - ſtændig damit ſcherzen höret? Eben deswe -(Q 4)gen248gen halte ich es nicht für gut, daſs die Kin - der in jeder Geſellſchaft producirt werden. Ihr Aeuſſerliches erhælt vielleicht dadurch mehr Politur, aber das Herz! das Herz! wie vielen Gefahren iſt es hier ausgeſetzt! wie vermiſcht ſind oft die Geſellſchaften! welche ſchlüpfrige Scherze und Erzæhlun - gen, welche verkehrte Urtheile, miſchen ſich oft in ihre Geſpræche! was ſoll man thun, um die Leichtfertigkeit zum Schwei - gen zu bringen, oder die Kinder dahin zu bewegen, ihre Ohren vor dem ſüſſen Gifte, das ſie aushauchet, zu verſchlieſſen? Des - wegen wünſche ich, daſs die Kinder an kei - nen andern, als ſolchen, Geſellſchaften Theil nehmen dürften, wo Scherz und Erzæh - lung immer unter der Kritik der Moral ſtünden.

Eltern, die die Unſchuld ihrer Kinder von dieſer Seite zu ſchützen ſuchen, können ihre Kinder wohl nie anders, als mit groſser Beſorgniſs, in die öffentliche Schule fchicken,die249die von einem vermiſchten Haufen beſucht wird, der nie ganz frey von Kindern, mit den pöbelhafteſten Sitten, und den verkehr - reſten Geſinnungen bleibt, und wo genaue Aufſicht beynahe unmöglich iſt. Je ge - gründeter dieſe Beſorgniſs iſt, deſto trauri - ger iſt es, daſs dieſe Mængel der öffentli - chen Schulen ſo ſchwer abzuſtellen ſind. Wollte ich deswegen Vorſchlæge thun, ſo müſste ich einen ganzen Plan entwerfen, dem wenn er geendigt wære, die Ausführung mangeln würde.

Ich rathe alſo nur dieſes, daſs die Kin - der in den Schulſtuben nie ohne Aufſicht ſeyn dürfen, wæhrend den Lectionen ihre Stellung und Beſchæftigungen genau beob - achtet werden müſſen, ſo viel, als möglich, es verhütet werden muſs, daſs nicht mehre - re zugleich ſich aus den Lectionen entfernen, und daſs es in jeder Schule Ge etz ſeyn müſ - ſe, daſs jeder, nach geendigtem Unterrichte, ſich auf dem geradeſten Wege nach Hauſe verfüge.

(Q 5)Dieſs250

Dieſs nieder zu ſchreiben, hat mir we - nig Mühe gekoſtet. Wie ſchwer aber in manchen Schulen die Ausführung ſeyn mag, kann man leicht denken. Der redliche Schul - mann kann ſich aber damit beruhigen, daſs unſere Verbindlichkeit nicht weiter, als un - ſere Kraft, gehe, und daſs wir uns, wenn oft unſere Bemühungen fruchtloſs ſind, nicht Urſache haben Vorwürfe zu machen, wenn wir nur wiſſen, daſs wir gethan haben, was wir konnten.

Unterdeſſen wünſche ich, daſs alle, de - ren Aufſicht öffentliche Schulen anvertrauet ſind, bey Einrichtung und Verbeſſerung der - ſelben, nicht bloſs auf die Entwerfung des Lectionsplans, ſondern auch, und vorzüg - lich auf die Erhaltung der Unſchuld und der Reinigkeit der Sitten Rückſicht nehmen, und von dem bisher geſagten, falls ſie ſich von der Wahrheit deſſelben überzeugen können, Gebrauch machen möchten.

Jedes251

Jedes Buch, das geleſen wird, iſt des Leſenden Geſellſchafter, wirkt alſo alle das Böſe und alle das Gute, das ein lebendiger Geſellſchafter zu wirken pflegt. Dieſs, und was vorhin von der Lecture geſagt worden iſt, beweiſst, wie behutſam dieſelbe für Kin - der gewæhlt werden müſſe. Billig ſollte es Kindern zur Pflicht gemacht werden, daſs ſie kein Buch leſen dürften, das ihre I ehrer nicht zuvor geprüft und gebilligt hætten. Die Ankündigung dieſer Pflicht dürfte frey - lich nicht das Anſehen eines Bücherverbors haben, weil ſie alsdenn gewiſs alle die Wir - kungen haben würde, die Bücherverboten immer eigen zu ſeyn pflegen, ſondern man müſste, nachdem die Kinder erſt gewöhnt worden wæren, ohne ihrer Vorgeſetzten Rath und Einwilligung nichts zu thun, ih - nen auch vorſtellen, daſs eben dieſe Leitung der Erwachsnen ihnen auch bey der Lectüre nöthig ſey, weil ſie ſonſt leicht auf Bücher verfallen könnten, aus denen ſie nichts lern - ten, und bey denen ſie ihre edle Zeit ver - ſchwendeten.

Was252

Was ich von Leſung der klaſſiſchen Autoren halte, kann man ans dem vorher - geſagten, wie auch aus meinem: noch Et - was über die Erziehung, ſehen. Man thæte mir Unrecht, wenn man mich be - ſchuldigte, daſs ich das Leſen derſelben ge - radezu miſsbilligte. Sie bleiben immer die Archive der alten Sprachen, Geſchichte, Denkart und Philoſophie. Wozu dieſs aber alles Kindern? Werden dieſe dadurch nicht aus der gegenwærtigen in eine ganz fremde Welt verſetzt? ſind die Menge ſchlüpfriger Stellen, die faſt allenthalben vorkommen, nicht die Antipoden von unſern gelæuterten moraliſchen Grundſætzen? Und wird der Reiz der erſtern nicht leicht die Empfæng - lichkeit für die letztern verdrængen?

Faſt wære ich geneigt zur Abſtellung dieſes Uebels Vorſchlæge zu thun; faſt möch - te ich rathen, daſs zum Anfange Bücher ge - leſen würden, die in gutem Lateine die Kennt - niſſe vortrügen, die Kindern anziehend undnütz -253nützlich ſind, daſs alsdenn zu Auszügen aus den alten Schriftſtellern fortgeſchritten wür - de, die Kenntniſſe enthielten, welche, an die vorhin erworbnen, paſsten, und das Le - ſen der alten Schriftſteller ſelbſt, denen über - laſſen würde, die ihr Beruf dazu verbænde; die Möglichkeit dieſer Vorſchlæge würde ich mit dem Schütziſchen Elementarwerke, mit der Lieberkühniſchen Ueberſetzung des Robin - ſon, mit dem Gedickiſchen Leſebuche und andern dergleichen zweckmæſigen Büchern, beweiſen. Wære zur Behauptung dieſer Vorſchlæge bloſs die Stimme des Pædagogen und Moraliſten nöthig, ſo würde ich dafür ſehr nachdrücklich ſprechen. Da aber die Philologen auch ein Wort darein zu reden haben, und ich die Philologie ſo zu treiben, nie Zeit genug gehabt habe, daſs ich mit den Stærkern unter ihnen mich meſſen dürf - te, ſo überlaſſe ich ihnen gern die Entſchei - dung. Derjenige würde ſich gewiſs um die Menſchheit ein groſses Verdienſt erwerben, der uns das Mittel zeigte, das Studium derPhilo -254Philologie, den neuern bewæhrten pædago - giſchen Grundſætzen, und der Herzensun - ſchuld der Kinder unbeſchadet, zu treiben.

VI.

Hab ein wachſames Auge auf deiner Kin - der Einſamkeit.

Was die Einſamkeit der Kinder ſey, und die groſsen Gefahren, mit welchen ſie verbunden iſt, hab ich vorhin geſagt, ſo ge - ſagt, daſs ich die Nothwendigkeit dieſer Re - gel nicht weiter zu beweiſen nöthig habe. Das Beſte wære freylich, wenn man eine ſolche Einrichtung treffen könnte, daſs Kin - der nie einſam wæren, daſs ihre Arbeiten, ihr Umgang, ihre Spiele, ſtets unter dem beobachtenden Auge eines rechtſchaffnen Jugendfreundes geſchæhe. In öffentlichen Anſtalten, wo mit dem Unterrichte die Er - ziehung verbunden iſt, und einige Erzieher da ſind, die die Aufſicht unter ſich theilenkönnen,255können, iſt dieſs auch, wenn man ſonſt will, gar wohl möglich. Aber in Familien? in Schulen? wo einer entweder den ganzen Tag, oder eine groſse Anzahl junger Leute unter Aufſicht haben muſs, hat die Sache ſchon mehr Schwierigkeiten. Ich kann hier nur allgemeine Vorſchlæge thun, die, nach der beſondern Lage eines jeden Erziehers, næher beſtimmt, und erweitert werden müſſen.

Kann man nicht beſtændig beobachten, ſo darf man es doch wenigſtens nie ganz vergeſſen, daſs man für junge Leute zu ſor - gen hat, die der Beobachtung bedürfen. Man muſs daher von Zeit zu Zeit, unerwartet, in das Zimmer treten, wo ſie arbeiten, und wohl bemerken, ob ſie über die unerwartete Gegenwart ſich betreten zeigen. Werden Spiele angeſtellt, ſo ſuche man, wo mög - lich, es ſo zu lenken, daſs ſie auf einem na - hen, freyen, Platze geſchehen, der mit ei - nem Blicke überſehen werden kann, undmache256mache es den Spielenden zur Pflicht, ſich von demſelben nicht zu entfernen, weil ſie ſonſt leicht, ohne daſs man es erfahre, und ihnen zu helfen im Stande ſey, in Gefahr gerathen könnten. Könnte man die Zim - mer, wo ſie ſich für einſam halten, ſo ein - richten, daſs man ſie, ohne daſs ſie es be - merkten, bisweilen beobachten könnte, ſo würde dieſs groſsen Nutzen haben. Aber freylich müſste dabey die gröſste Behutſam - keit beobachtet werden. Sobald die Kinder es entdeckten, daſs ſie heimlich beobachtet würden, ſo würde dieſs für ihren Charakter ſehr ſchædliche Wirkung thun, ſie miſstrau - iſch machen, und zur Heucheley gewöhnen.

Um den Gefahren vorzubeugen, de - nen die Kinder auf dem heimlichen Gema - che ausgeſetzt ſind, thue ich folgende Vor - ſchlæge:

Man ſchærfe den Kindern überhaupt oft und nachdrücklich den Grundſatz ein,daſs257daſs ein gutes Kind von ſeinem Aufſeher ſich nie entfernen dürfe, ohne es ihm zuvor an - gezeigt und von ihm die Erlaubniſs dazu er - halten zu haben, weil Vater, Mutter, Leh - rer oder Erzieher, überhaupt die Perſon, deren Aufſicht die Kinder anvertrauet ſind, von ihnen Rechenſchaft geben, folglich wiſ - ſen müſſen, wo ſie ſich in jeder Minute be - finden, und was ſie vornehmen. Es wird ſie alsdenn nicht befremden, wenn man von ihnen verlangt, daſs ſie auch ihre Entfernung auf das heimliche Gemach anzeigen ſollen.

Man weiſse ihnen ferner zur Laſſung des Urins einen Winkel an, der doch nicht ſo verdeckt iſt, daſs er die Stellung des Kin - des verbærge. Zum Grunde von dieſer Verordnung kann man die Liebe zur Rein - lichkeit angeben, und man gewöhnt dadurch die Kinder unvermerkt, den, ihnen gefæhr - lichen, Ort weniger zu beſuchen. Zwey oder mehrere Kinder zugleich dürfen das heimliche Gemach, bey Strafe, nie beſuchen,(Von heimlichen Sünden.) (R)weil258weil dieſs gegen den Wohlſtand iſt. Man bemerke endlich, wie oft des Tags ein Kind, zumal wenn man gegen daſſelbe Verdacht hat, dieſen Ort beſuche, und wie lange es ſich daſelbſt auf halte!

Freylich giebt es hierüber keine allge - meine Regel. Einige Fragen, und die Beob - achtung von Nebenumſtænden, können aber doch leicht, in einzelnen Fællen, dem Jugend - freunde entdecken, ob der Beſuch und Auf - enthalt, an dieſem ſchmutzigen Orte, - thig oder unnöthig ſey.

Dieſs ſind die allgemeinen Klugheitsre - geln, die ich, in Anſehung dieſer Sache, ge - ben kann. Die Anwendung, næhere Be - ſtimmung davon und die Erweiterung der - ſelben, wird die Klugheit eines jeden machen, deſſen Geſchæft Erziehung iſt.

VII. 259

VII.

Suche eine Gelegenheit, deine Kinder früh vor Verletzung der Zeugungstheile zu warnen!

Kinder geradezu vor den heimlichen Sünden der Jugend zu warnen, ohne gewiſs zu wiſſen, ob ſie davon angeſteckt ſind, hal - te ich immer für gefæhrlich. Man lehrt ſie eine Sünde mehr kennen, und erregt in ih - nen die Begierde ſie zu begehen. Beſſer wære es, ſie beſtændig in Unwiſſenheit derſel - ben zu laſſen, wenn es nur möglich wære, daſs man alle die Leute von ihnen entfernen könnte, die ſo geneigt ſind, ihnen davon einen für ſie nachtheiligen Unterricht zu er - theilen. Da aber niemanddafür gut ſeyn kann, daſs nicht über langoder kurz, insgeheim die - ſer traurige Unterricht erfolge; ſo muſs man doch wenigſtens auf Mittel ſinnen, gegen jeden Anfall die kindliche Unſchuld zu verwahren.

(R 2)Hier -260

Hierzu ſchlage ich folgende Behand - lungsart vor: man ſey auf alle Bewegungen und Stellungen des Kindes aufmerkſam, dem man die Warnung geben will! Ueber lang oder kurz wird man bemerken, daſs es die Hænde in den Beinkleidern habe, oder ſich mit den untern Theilen des Leibes ſtark an - lehne. Geſchieht dieſs mehrmal, ſo iſt es ſchon eine Gelegenheit, die es zur Warnung giebt, welche man ungenutzt nicht vorbey laſ - ſen darf. Sobald man dieſs bemerkt hat, nehme man das Kind zu ſich auf das Zimmer, nehme eine Miene an, die ihm etwas wich - tiges erwarten læſst, dann rede man es etwa folgendermaſsen an: Liebes Kind! ich habe dir etwas Wichtiges, etwas ſehr Wichtiges zu ſagen! Sieh, du biſt mir zur Aufſicht an - vertrauet, ich muſs von dir einmal Gott Re - chenſchaft geben. Ach nie, nie würde ich mich beruhigen können, wenn du einmal ein ſchwæchliches, ungeſundes, gebrechli - ches Kind werden, oder gar, wie eine Roſe verwelken, in deinen beſten Jahren dahinſterben261ſterben ſollteſt. Und gleichwohl merke ich, daſs du eine gewiſſe Gefahr nicht kenneſt, in welcher tauſend, tauſend Kinder, aus Unwiſſenheit ihre Geſundheit und ihr Le - ben einbüſsen. Du haſt vielleicht nieman - den, der dich dieſe Gefahr kennen lehrt. Aber ich, ich, kann dazu nicht ſchweigen. Kind, das ich wie mein Leben liebe, (hier kann eine herzliche Umarmung folgen) was wollte aus mir werden, wenn ich dich vor meinen Augen dahin welken ſæhe. Ich kann nicht ſchweigen, meine Liebe læſst es nicht zu. (nun etwa eine kleine Pauſe). Sieh, ich habe bemerkt, daſs du deine Scham - theile oft betaſteſt, daſs du dich mit denſel - ben anlehneſt du weiſst gewiſs nicht wie verletzbar ſie ſind! tauſend Kinder werden dadurch krænklich, elend, ſterben vor der Zeit ſogleich ſpürt man die traurigen Folgen davon nicht, aber ehe man es ſich verſieht, ſo ſind ſie da, und dann iſt wenig Hülfe zu hoffen. Ein Kind, das klug iſt, berührt dieſe Theile nie, als wenn es(R 3)nothig262nöthig iſt. Nun habe ich dir alles geſagt. Wirſt du mir auch folgen? Ja ja, das hoffe ich von dir, denn du biſt ja ſonſt ein ver - ſtændiges und folgſames Kind. Warum ſoll - teſt du denn in dieſem einzigen Stücke un - verſtændig ſeyn?

Ich müſste mich ſehr irren, wenn nicht eine einzige ſolche Unterredung tiefen Ein - druck machte, der lange Zeit wirkſam wære.

Sollte man merken, daſs die gehofte Wirkung ſich verlöhre, dann, aber eher nicht, wiederhole man dieſe Erinnerung, noch etwas nachdrücklicher. Auſſerdem, wenn das Kind ſich nur vergiſst, und aus bloſser Vergeſſenheit, die vorige Stellung wieder annimmt, kann ein einziger Blick voll Ernſt und Wehmuth ſchon vieles thun.

Von der Wirkſamkeit dieſer Warnung bey Kindern, die nicht ſchon im Böſen Fer -tigkeit263tigkeit haben, bin ich durch Erfahrung über - zeugt, indem ich ſchon einige gute Kinder kenne, deren Unſchuld ich auf dieſe Art gerettet, und, wie ich mir ſchmeichle, we - nigſtens auf lange Zeit, gegen das Verderben geſichert habe.

VIII.

Belehre deine Kinder nach und nach von dem Erzeugungsgeſchæfte!

Daſs die Kinder früh erfahren müſſen, wie es mit der Entſtehung der Menſchen zu - gehe, glaube ich gewiſs, und weil ich es ge - wiſs glaube, ſo habe ich davon vorhin ſo zu - verſichtlich geſprochen. Wære ein zuver - læſſiges Mittel da, die Kinder, in Anſehung dieſes Punkts, in einer gænzlichen Unwiſ - ſenheit zu erhalten, es zu verhüten, daſs ſie die Begattung der Thiere nie ſæhen, nie darüber nachdæchten, nie durch Geſpielen, Mægde, Bediente und lüderliches Geſindel(R 4)dcvon264davon unterrichtet wûrden: ſo würde ich mich weit behutſamer ausgedrückt und ge - rathen haben, die Aufklærung über dieſe Sache bis zu den Jahren der Mannbarkeit zu verſparen, wo ſie nothwendig iſt, wenn der junge Menſch nicht in Gefahr gerathen ſoll, Ehre und Glück, wegen Unwiſſenheit der Verbindung zwiſchen Urſache und Wirkung, zu verlieren. Da ich aber dieſes Mittel nicht kenne, da es vielmehr, wie ich vorhin zeig - te, gar nicht vermieden werden kann, daſs Kinder nicht unvermuthet hierüber eine, der Unſchuld ihres Herzens ſehr nachtheili - ge, Aufklærung bekommen: ſo kann man nicht anders, als ſie ihnen ſelbſt auf ſo eine Art geben, daſs dadurch ihre Unſchuld ge - ſichert werde.

Da ich dieſes geſchrieben hatte, fiel mir die Schrift in die Hænde, die den Titel führt: Soll man junge Leute über die ei - gentliche Art der Erzeugung des Men - ſchen belehren? in welcher der würdigeVer -265Verfaſſer, mit ſeltner Unpartheylichkeit, die Gründe für und wider darlegt. Bey Durch - leſung derſelben wurde ich in meiner Mey - nung noch mehr beſtærkt.

Es iſt alſo bey mir entſchieden, daſs den Kindern bald über die Erzeugung des Menſchen Auf klærung gegeben werden müſ - ſe, und zweifle nicht, daſs die mehreſten meiner Leſer mir darinne beyſtimmen wer - den. Wie ſoll man aber dieſe Aufklærung mittheilen, ohne dadurch gefæhrliche Be - gierden in der Kinder Herzen zu erregen? Das iſt die ſchwere Frage, die hier zu beant - worten iſt.

Ich will hier eine Beantwortung mit - theilen, die aber freylich nicht anders, als ſehr unvollſtændig, ausfallen wird, weil die Beantwortung ſehr ſchwer iſt, und meine Einſichten und Kræfte ſehr mæſſig ſind. Sie wird unterdeſſen doch Stof zum Nachdenken geben, und von denen, die künftig dieſe(R 5)Materie266Materie bearbeiten wollen, benutzt werden können.

Man gehe in dieſer Aufklærung mit der gröſsten Behutſamkeit, ſtufenweiſe, und rede erſt von der Erzeugung der Pflanzen, ehe man von der Erzeugung des Menſchen ſpricht! zeige ihnen die mænnlichen und weiblichen Blumen der Pflanzen, z, E. der Kürbiſſe, Gurken u. dgl. gewöhne ſie an die Aus - drücke Staubweg, Staubfæden und dergl. zeige ihnen, wie der Staub der mænnlichen Blüthe auf die weibliche fallen müſſe, wenn dieſe Frucht tragen ſolle! Auf dieſe Art be - kommt man eine Fertigkeit von mænnlichen und weiblichen Theilen, Saamen, Zeugung u. dgl. mit Kindern, ohne Aengſtlichkeit zu ſprechen, und dieſe gewöhnen ſich ohne Anſtoſs zu nehmen, eine ſolche Erzæhlung zu hören. Sollten ſich unter ihnen ſolche finden, die darüber lachten, und einander in die Ohren flüſterten, ſo wære es gut, wenn man ihnen dieſs ernſtlich verwieſe, ihnenzeigte,267zeigte, daſs ſie ſehr groſsen Unverſtand ver - riethen, da ſie eine ſo wichtige, geheimniſs - volle, Sache, læcherlich fænden, und ihnen andeutete, daſs, wenn ſie nicht Verſtand ge - nug hætten, einen ſolchen Vortrag, mit ge - ſetzter Seele anzuhören, man ſie künftig da - von ausſchlieſsen müſſe.

Von der Erzeugung der Pflanzen gehe man weiter zur Erzeugung der Vögel, und nehme etwa dazu Gelegenheit vom Treten des Hahns, das man alle Tage ſehen kann; Kinder, die ſchon gehört haben, daſs die mænnliche Blume ihren Staub in die weib - liche gieſſen müſſe, wenn dieſe Frucht tra - gen ſolle, werden es nicht anſtöſsig finden, wenn man ihnen ſagt: ſeht Kinder, es iſt mit den Vögeln, wie mit den Pflanzen. Wenn die Weibchen Frucht tragen, oder Eyer legen ſollen, in denen der Keim zu andern Vögeln enthalten iſt, ſo muſs eben - falls das Mænnchen ſich ihm næhern, es tre - ten, und wæhrend dem Treten eine Feuch -tigkeit268tigkeit in ſeinen Körper laſſen, die eben das iſt, was bey den Blumen der Sa[a]men - ſtaub.

Wahrſcheinlicherweiſe wird dieſs zu einer Menge neugieriger Fragen Anlaſs ge - ben. Man kann ſie, ohne Zurückhaltung, alle beantworten, wofern ſie ſich auf Vögel beziehen. Sollten ſie aber weiter auf die Erzeugung der vierfüſsigen Thiere und des Menſchen gehen, ſo verweiſe man ſie des - halb zur Geduld, die ſie auch gern haben werden, wenn ſie nur wiſſen, daſs ihre Wiſs - begierde zu ſeiner Zeit werde befriedigt werden.

Unterdeſſen bemühe man ſich ein træch - tiges Weibchen von einem kleinen vierfüſ - ſigen Thiere, z. E. einer Maus, einem Eich - horne oder Hamſter, zu bekommen. Man tödte es, und, ſobald es tod iſt, öfne man ſeinen Leib, und laſſe den Kindern die Lage der Jungen ſehen, die vermuthlich nochleben269leben werden. Dieſer Anblick wird gewiſs keine wollüſtige Begierde, vielmehr Weh - muth und Mitleiden erregen, und die Kin - der geneigt machen, einen ſehr wichtigen Vortrag anzuhören, den man folgenderma - ſsen einkleiden könnte.

Seht, lieben Kinder, wie weislich der gute Gott alles in der Natur eingerichtet hat. Ihr ſeht hier die Jungen eines Sæugethiers, die eben ſo, wie die jungen Vögel, erzeugt werden, næmlich ſo, daſs das Mænnchen eine Feuchtigkeit in das Weibchen ergieſst, und es hierdurch befruchtet. Nur iſt noch dieſer Unterſehied, die Vögel legen Eyer, aus denen hernach die Jungen hervorkom - men; bey den Sæugethieren hingegen krie - chen die Jungen in dem Leibe der Mutter aus, und kommen hernach lebendig zur Welt. Bemerkt hier dieſen Faden, durch welchen das Junge mit der Mutter verbun - den iſt, den man die Nabelſchnur nennt, und der das Mittel iſt, durch welches demJungen270Jungen, ſo lange es im Leibe der Mutter liegt, Nahrung zuflieſst.

Dieſe Unterredung kann man mit der Verſicherung ſchlieſsen, daſs man denen, die von nun an ſich vorzüglich ſittſam und verſtændig betragen würden, bald auch er - klæren wolle, was es mit der Erzeugung des Menſchen für eine Bewandniſs habe.

Dieſs kann, nach einiger Zeit, auf fol - gende Art geſchehen. Man nehme ein Kind beſonders, ſage ihm, daſs man itzo bereit ſey, ihm das groſse Geheimniſs, das Ge - heimniſs zu entdecken, wie der Menſch ent - ſtehe, und wie es ſelbſt entſtanden ſey. Man hoffe, es werde ſo verſtændig ſeyn, und nicht davon gegen andere plaudern, nicht wie al - berne Kinder zu thun pflegten, darüber la - chen und damit ſcherzen, ſondern vielmehr mit gerührtem Herzen den guten, lieben, Gott preiſen, der es ſo wunderbar hervor - gebracht und es ernæhrt habe, da es vonſich271ſich ſelbſt noch nichts wnſste; es werde auch die guten Eltern um deſto lieber haben, wenn es höre mit wie vielen Schmerzen und Sor - gen ſie es bis hieher gebracht hætten.

Nach dieſer Vorbereitung ſage man, daſs die Kinder erſt eben ſowohl in dem Leibe der Mutter lægen, wie die jungen Thiere, die es vor kurzem geſehen habe. Wæhrend deſſen, daſs die Mutter ſie bey ſich trüge, müſste ſie unſæglich viel Unbe - quemlichkeit und Schmerz ausſtehen, wel - ches man ſich leicht vorſtellen könne, wenn man bedæchte, wie ſchwer ein Kind ſey, was es für unangenehme Empfindungen ver - urſachen müſſe, wenn es ſich im Leibe der Mutter bewege, das Hervorbringen derſel - ben verurſache der guten Mutter noch weit mehr Angſt und Schmerz, und ſey allemal mit Todesgefahr verbunden. Uebrigens ge - ſchæhe die Erzeugung eben ſo wie bey den Blumen, Vögeln und Sæugethieren.

Könnte272

Könnte man ihnen bey dieſer Gelegen - heit gut gewœhlte, anatomiſche Kupfer vor - zeigen, ſo würde ihnen dieſs auch ſehr nütz - lich ſeyn.

Ich glaube es gern, daſs eine ſolche Unterredung viele Ueberwindung koſte. Aber was muſs man überwinden? Vorur - theil und weiter nichts. Den Nutzen, der daraus entſpringt, traue ich mir nicht zu be - rechnen. Die Vertraulichkeit zwiſchen Kind und Vater, Schüler und Lehrer, Zögling und Erzieher, hat nun den höchſten Grad erreicht, und jenes iſt nun willfæhrig ge - macht, dieſen zu ſeinen geheimſten Rathge - ber zu wæhlen Welcher Gewinn! wenn nun neue Empfindungen ſich regen, die es ſich nicht zu erklæren weiſs, wo wird es an - ders Erklærung ſuchen, als bey ſeinem Ver - trauten? Ein ander Kind wird unterdeſſen zu ſeiner Einbildungskraft, den Dienſtmæd - chen, den Bedienten und Jugendgenoſſen Zuflucht nehmen. Die erſte Empfindung,die273die ein ſo unterrichtetes Kind, bey dem er - ſten Blicke in das Geheimniſs der Erzeugung bekam, war Wehmuth und Mitleiden. Lan - ge wird dieſe Empfindung bleiben, lange den Naturtrieb im Schlummer erhalten, und, wenn er erwacht, wird er, wenn ich nicht ganz irre, nie die Stærke erreichen, die er bey andern bekommt, die bey der Erzeu - gung ſich nichts als Wolluſt denken. Und wie viel Gutes und Wichtiges kann man dem Kinde bey dieſer Gelegenheit ſagen, wenn einmal der Damm unzeitiger Schamhaftigkeit durchbrochen iſt! wie zærtlich es vor Ver - letzung der Zeugungstheile und den Aus - ſchweifungen mit dem andern Geſchlechte warnen.

Wæren doch alle unſere Zeitgenoſſen ſo unterrichtet worden! Wie mancher Jüng - ling, der ſich umherſchleicht, hætte ſeine Kraft noch! wie manche Eheleute, die ein - ander mit Eckel anſehen, würden in zærtli - cher Umarmung das ſüſſe Glück der Liebe(Von heimlichen Sünden.) (S)ſchme -274ſchmecken! wie viele Kinder, die lebende Vorwürfe den Eltern ſind, würden itzo ihre Freude ſeyn! Wie manche Geſellſchaft, wo mit der Beywohnung auf die leichtfer - tigſte Art geſcherzt wird*)Man beſehe hiervon mit mehrern Carl v. Carlsberg, Th. 4. p. 365. 378., würde davon mit Ehrfurcht ſprechen!

Ich komme zu den Mitteln, durch wel - che man die heimlichen Sünden der Jugend entdecken kann.

Bey Kindern, von denen man zuvor ſo weit getrennet war, daſs man ſich nie mit ihnen über Geſchlechtstheile und Geſchlechts - triebe beſprach, wird die Entdeckung immer ſehr ſchwer ſeyn. Sobald man hierauf das Geſpræch lenkt, werden ſie erröthen, ængſt - lich werden, und nicht wiſſen, wie ſie ſich benehmen ſollen. Dem Examinator ſelbſt wird die Zunge am Gaumen kleben, er wirdſich275ſich nicht auszudrücken wiſſen, und ſo unbe - ſtimmt ſtottern, daſs das Kind nicht weiſs, was es daraus machen ſoll.

Dieſs fællt alles weg, wenn man zuvor ſchon einige Unterredungen dieſer Art mit den Kindern angeſtellt hat. Ohne Verlegen - heit wird der Lehrer zu ſeiner Zeit eine ſol - che Unterredung wieder anfangen, und das Kind daran Theil nehmen können. Ohne - thig zu haben, daſs er zu groſse Verlegen - heit für das Kind beſorge, kann er bey einer ſolchen Unterredung des Kindes Hand faſſen, und ihm die Fragen vorlegen, deren Beant - wortung er wünſcht, und er hat den ſtærk - ſten Grund zu hoffen, daſs er eine Antwort erhalten werde, die der Wahrheit ge - mæſs iſt.

Noch weit weniger wird man Unwahr - heit zu beſorgen haben, wenn man vom Anfange an die Kinder zu einem ſo hohen Grade von Aufrichtigkeit gewöhnt hat, daſs(S 2)ſie276ſie ſelbſt ihre Fehler geſtehen. Das Mittel, ſie dahin zu bringen, iſt bekannt. Man ſey nicht bloſs ihr Befehlshaber, ſondern ihr Freund der Theilnehmer und der Beförderer ihrer Freuden, man bezeige Nachſicht gegen ihre Verirrungen, und verzeihe leicht ſelbſt - geſtandne Fehler.

In Schulen und Erziehungsanſtalten, wo man die Jugend zum blinden Gehorſame zu gewöhnen ſucht, wo die Lehrer und Er - zieher ſtets die Stelle der Befehlshaber und Zuchtmeiſter ſpielen, erſtirbt die Aufrichtig - keit, wird die Heucheley genæhrt, und die Entdeckung heimlicher Sünden beynahe un. möglich gemacht. Die Erfahrungen, die ich mir aus meiner bisherigen Correſpon - denz geſammlet habe, ſtimmen damit über - ein und beweiſen, daſs dieſe Sünden gerade in den Schulen und Erziehungsanſtalten am ſtærkſten graſſiren, wo die Schüler und Zög - linge am ſtrengſten gehalten werden.

Die277

Dieſe Mittel, Unterredung mit der Ju - gend über die Geſchlechtstriebe und Ge - ſchlechtstheile, und die damit verwandten Materien, nebſt Gewöhnung zur Aufrichtig - keit, ſcheinen mir immer die natürlichſten, einfachſten, folglich ſicherſten, Mittel zu ſeyn, heimliche Sünden der Jugend zu ent - decken. Wir würden bey dem vernünftigen Gebrauche derſelben, eben ſowohl alle ande - re künſtlichere Mittel entbehren können, ſo wie man, bey einer, der Natur gemæſsen, Lebensart ſeine Geſundheit erhalten kann, ohne die Geneſungsmittel zu kennen, die aus allen Erdtheilen, mit vieler Mühe und vielen Koſten, zuſammengebracht und un - ter einander gemiſcht werden. Aber gleich - wie die Menſchen ſelten ſind, die immer der Natur gemæſs lebten, zuſammengeſetzte Arz - neymittel vor der Hand alſo immer ein noth - wendiges Uebel bleiben: ſo ſind auch die Kinder ſehr ſelten, die zur Anhörung eines ſo wichtigen Vortrags, wie ich ihn itzo be - ſchrieb, und zur Aufrichtigkeit wæren ge -(S 3wohnt278wöhnt worden. Die mehreſten Lehrer und Erzieher bekommen ihre Schüler gemeini - glich alsdann erſt, wann ihre Seelen ſchon verſtimmt ſind, und der Gebrauch gekünſtel - ter Mittel nothwendig gemacht worden iſt.

In dieſem Falle iſt zuerſt nöthig, die Leibwæſche fleiſsig zu unterſuchen, und darauf zu ſehen, welches ohnedieſs nöthig iſt, daſs bey dem Schlafgehen und Aufſtehen die Hemde gewechſelt werden. Findet man nun, daſs die Leibwæſche entweder wirkliche Spuren der Sünde an ſich trage, oder doch an dem Theile, der den Unterleib deckt, um ein merkliches ſchmutziger, als an an - dern, ſey, ſo hat man, wenn das Kind noch nicht mannbar iſt, ziemlich ſtarke Beweiſe von ſeiner Verirrung in Hænden. Man darf ſie aber keinesweges, wie ich vorhin ſchon erinnert habe, brauchen, um das Kind zum Geſtændniſſe zu bringen, ſondern muſs nun genau beobachten, um den Ort zu ent - decken, wo die Sünde gewöhnlich getriebenwird.279wird. Die Wæſche ſelbſt giebt hierzu ſchon einen Wink. Iſt das Nachthemde verun - reinigt, ſo iſt das Bette der Schlupfwinkel des Laſters, iſt es aber das Taghemde, ſo muſs es ein anderer Ort ſeyn. Im letzten Falle mache man ein verdæchtig gewordnes Kind einige Tage zum beſtændigen Gegen - ſtande ſeiner Aufmerkſamkeit. Bemerkt man, daſs es ſich bisweilen von der Geſell - ſchaft ſchleiche und einen gewiſſen Winkel beſuche, ſo iſts nöthig, es entweder in die - ſem Winkel zu belauſchen, oder ganz unver - muthet unter dem Vorwande, als wenn man hier etwas zu ſuchen, oder zu verrichten ha - be, es zu überraſchen, doch ſo, daſs es nicht das Anſehen habe, als wenn man Ueberra - ſchung zur Abſicht gehabt hætte. Iſt das Kind auf einer böſen That begriffen gewe - ſen, ſo wird es ihm unmöglich ſeyn ſie zu verbergen. Die glasartigen Augen, das Zittern der Glieder, die Aengſtlichkeit, oder die Merkmale einer vorhergegangnen Ent - blöſſung, werden ſeine Verræther ſeyn. Dieſe(S 4)Ver -280Verlegenheit benutze man auf der Stelle, und laſſe dem entdeckten Verbrecher ja keine Zeit ſich zu ſammeln und Entſchuldigungen zu erdichten. Man ſey aber auch ſelbſt auf ſei - ner Hut, daſs man ſich nicht vom Zorne überwæltigsn laſſe, und etwa das Kind mit harten Worten anrede. Eine harre Behand - lung würde alles verderben, und die Stimme der Aufrichtigkeit erſticken. Je mehr der Anblick einer ſolchen Verirrung das Herz des wahren Pædagogen empört, deſto mehr hat er Urſache, ſich auf denſelben vorzube - reiten, und alle Kræfte anzuwenden, um recht liebreich wehmüthig das Kind anre - den, und das Geſtændniſs ihm ablocken zu können.

Sollte man aber argwohnen, daſs dieſe Sünde im Bette getrieben werde, ſo kann ich keinen andern Rath, als dieſen, geben, daſs man eine Zeit lang das verdæchtige Kind neben ſich bette, und den Schlaf ſo lange von ſich zu entfernen ſuche, bis mangewiſs281gewiſs weiſs, daſs das Kind auch entſchla - fen iſt.

Iſt das Kind einmal zum Geſtændniſs gebracht worden, ſo ſuche man durch Ge - lindigkeit, wehmüthige Warnung, Verſi - cherung von Liebe und Freundſchaft, ſich ſeines ganzen Vertrauens zu verſichern, hat man dieſes gewonnen, ſo wird man durch dieſelbe leicht noch mehrere entdecken kön - nen, die entweder Verführer des Kindes oder wenigſtens Theilnehmer an ſeinen Sün - den waren. Mir ſind ſelbſt einige redliche Schulleute bekannt, die durch einen Schüler, den ſie zum Geſtændniſs und zur herzlichen Reue brachten, alle die traurigen Geheim - niſſe der Schule erfuhren, die zuvor ihrer Aufmerkſamkeit entgangen waren.

Bey Jünglingen, bey denen man mit Gewiſsheit vorausſetzen kann, daſs ſie die Sünde, wenigſtens der Erzæhlung nach, ken - nen, iſt es auch ein gutes Mittel, ihre Schuld(S 5)oder282oder Unſchuld zu entdecken, wenn man es ſo einleiten kann, daſs ſie zu einer gewiſſen Zeit ihrem Vater, Lehrer oder Erzieher, wie zum Zeitvertreibe, auf ſeinem Zimmer et - was vorleſen müſſen. Iſt dieſes einigemal geſchehen, ſo laſſe man die Stelle eines Buchs leſen, in welcher die traurigen Folgen der heimlichen Jugendſünden etwas lebhaft ge - ſchildert ſind. Wenn der Leſer ſchuldig iſt, ſo wird er ſchwerlich ſich verbergen können. Stimme, Geſichtsfarbe, Zittern der Glieder, werden ihn verrathen. So ſind, wie ich von ſicherer Hand weiſs, einige Jünglinge durch Leſung der Correſpondenz des Oberſten v. Brav mit dem Rector Californius und Carl v. Carlsberg, über dieſen Punkt, die ſich im erſten Theile des Carl v. Carlsberg befindet, zum Geſtændniſs ihrer Verirrung und zur Rückkehr auf den Tugendweg be - wogen worden.

Welches ſind endlich die Mittel, durch welche die, mit heimlichen Jugendſündenange -283angeſteckten, gerettet und zur Beſſerung ge - bracht werden können?

Ich bedaure, daſs meine Correſpon - denten über dieſen Punkt nicht vollſtændi - ger ſind. Viele übergehen ihn ganz mit Stillſchweigen, andere berühren ihn nun ganz kurz. Das, was ich mir daraus ab - ſtrahirt und, aus eigner Beobachtung, ge - ſammlet habe, will ich aufrichtig mit - theilen.

Ein ſehr unſchickliches Mittel zur Beſ - ſerung iſt Verbot, Drohung und Strafe. Das unwiſſende Kind, das ſich zeither, bey ſei - ner Ueppigkeit, wohl befand, wird durch das dictatoriſche Verbieten und das geſetz - mæſſige Strafen erbittert und ſein moraliſcher Charakter geræth in die gröſte Gefahr gænz - lich verderbt zu werden. Anſtatt die Sünde zu unterlaſſen, ſinnt es nun auf Mittel ſie zu verheimlichen, und lernt auf dieſe Art nach und nach die traurige Fertigkeit ſeine Vor -geſetzten284geſetzten zu belügen, betrügen, und ihrer Verordnungen zu ſpotten. Es flieſst dieſs zu unmittelbar aus der Natur einer ſolchen Behandlungsart, und dem Gange des menſch - lichen Herzens, das noch immer die Maxi - me befolgt: nitimur in vetitum, als daſs es eines weitlæuftigen Beweiſes bedürfe. Zum Ueberfluſſe ſetze ich aber doch folgen - des Zeugniſs bey:

Meine Geſchlechtstriebe müſſen ſehr früh erwacht ſeyn; Ich erinnere mich aus meinem 11 oder 12ten Jahre, daſs ich unter einem gewiſſen lautern Herzklopfen in der Kapelle meiner Eltern, mich mit beyden Hænden an ein Armpolſter anklammerte, den Kopf zum Fenſter hinaus ſteckte, um der Predigt zuzu - hören, mit den Füſsen in der Schwebe hieng, und auf dieſe Art den Unterleib an das Pol - ſter preſste; das erſtemal geſchahe dieſs ganz von ohngefæhr, verurſachte mir aber eine ge - wiſſe angenehme Senſation, die mich verlei - tete, es öfter zu wiederholen. Ich freute mich ordentlich aufs Kirchengehn, um dieſe Lage wieder einnehmen zu können. DasHerz285Herz ſchlug mir allemal dabey; aber bloſs aus Leidenſchaft, nicht aus Gewiſſensangſt. Nimmermehr hætte ich mir damals einbilden können, daſs dieſe Bewegung, die ich für ein unſchuldiges Vergnügen hielt, Ruhe und Glückſeligkeit ſtöhrendes Laſter werden könn - te. Glauben Sie ja nicht, daſs ich Ihnen hier meine Unwiſſenheit gröſser vorſtelle, als ſie war. Hören Sie einen Beweiſs davon, der læcherlich genug klingt, aber einigermaſsen zu meiner Entſchuldigung dienen kann. Ich war 11 Jahr, und jene ſchædliche Gewohn - heit exiſtirte ſchon, als meine Mutter nieder - kam. Ich muſste wæhrend der Zeit mit in meines Vaters Bette ſchlafen. Glauben Sie wohl, daſs ich thöricht genug war, mir ein - zubilden, daſs ich nun auch über lang oder kurz in die Wochen kommen könnte? und daſs ich mich mit dieſer Idee faſt ein halb Jahr getragen habe? mein Lehrer, ein vernünftiger und guter Mann, mochte die übeln Folgen mei - ner ſchædlichen Gewohnheit ahnden. Er ver - bot mir ſie (wider ſeine Gewohnheit) aufs ſtrengſte. Ich muſte gehorchen. Ich unter - lieſs es in der Kirche, und thats zu Hauſe, ſo oft ich allein oder bey Leuten war, vor de -nen286nen ich gerade nicht Ehrerbietung haben durf - te. Er traf mich einigemal darüber an, ſchlug mich ſogar deswegen, welches er ſelten that. Aber ich Thor! anſtatt aus ſeinem Abſcheu zu ſchlieſſen, daſs die Sache ſehr ſchædlich ſeyn müſste: hielt ich davor (da er mir keine Ur - ſache des Verbots angab) daſs ſie bloſs unan - ſtændig wære, und that ſie in der Einſamkeit ſogar auf der Schule fort.

Das Hauptmittel zur Beſſerung bleibt immer eine liebreiche und doch ernſtliche Vorſtellung von der Schædlichkeit dieſer Sünden, die aber freylich auch mit groſser Klugheit geſchehen muſs. Sagt man nur überhanpt, ſie ſeyn ſchædlich, ſie zerſtören die Geſundheit, ohne den Zuſammenhang zwiſchen Urſache und Wirkung zu zeigen, ſo richtet man nur wenig aus. Das gewarn - te Kind wird auf einige Tage erſchüttert, bald darauf erwacht die alte Begierde wieder, es wird beſiegt, und weil es davon nicht unmittelbar traurige Wirkungen verſpürt, ſo wird es auf die gegebene Warnung mis -trauiſch,287trauiſch, wiederholt die verbotne Handlung noch einigemal, und geræth ſo unvermerkt wieder in das Labyrinth, aus dem man es erretten wollte. Hier iſt ein Beyſpiel davon:

Er ſchickte mich abermal mit ſcharfen Be - drohungen zurück, und nun that ichs nicht eher, als bis er eingeſchlafen war. Hier war ich dem wûrklichen Laſter ſchon um einen guten Schritt næher, ich wuſste, daſs die Sa - che verboten war, und unterlieſs ſie nicht; aber ich wuſste noch nicht, warum ſie ver - boten ſeyn ſollte: und ſo lange der Jüngling ein Gebot noch für bloſse Grille hælt, pflegt er ihm da je ſeine Leidenſchaft aufzuopfern? Wollte Gott, ich wære geblieben, was ich damals war! ich könnte mich dann bloſs un - glücklich, aber doch nicht laſterhaft nennen! Mein Stubengeſell, anſtatt mir die Straf bar - keit meines Verbrechens vorzuhalten, zeigte die ganze Sache, ohne mein Wiſſen, meinen Lehrern an. Hier erwarten Sie vielleicht, daſs ich mehrere Aufklærung über mich ſelbſt und über mein Laſter erhalten ſollte. Aber nein. Dieſe guten redlichen Mænner (bisins288ins Grab wird ihnen meine Dankbarkeit nach - folgen) ſetzten ohnſtreitig voraus, daſs in die - ſem Fall, ſo wie in vielen andern, Praxis oh - ne Theorie nicht möglich wære. Ohne mir alſo eigentlich zu ſagen, worinnen mein Ver - brechen beſtund, fragten ſie mich bloſs, ob ich mit dem Kleinen Unzucht getrieben hæt - te. Stellen Sie ſich einen Menſchen vor, der in drittehalb Jahren faſt kein unſcheel Wort von ſeinen Lehrern gehört, noch weniger auch nur die kleinſte von allen Schulſtrafen erfahren hatte dann auf einmal hingeſtellt vor 5 Mænner, die er verehrt, liebt, aber auch fürchtet, einen Menſchen, der, ohne vorher zu wiſſen, warum er vorgefordert wird, auf eine Beſchuldigung antworten ſollte, von der er nichts weiter veiſtund, als daſs der Nahme Unzucht ein groſses Laſter bedeutete: und ſa - gen Sie, wars möglich, daſs er in ſeiner Faſ - ſung bleiben konnte? Ich war halb todt vor Schrecken, aber dennoch ſagte mir mein Herz gleich, daſs meine næchtlichen Sünden dar - unter verſtanden wæren, und anſtatt zu fra - gen, was Unzucht wære? geſtand ich ein Ver - brechen ein, das ich begangen hatte, ohne zu wiſſen, daſs es dieſen Namen trug. MeineLehrer289Lehrer hatten zwar oft und ernſtlich dawi - der geeifert, aber es gieng mir, wie dem Re - he mit dem Tieger, man hatte mirs zu ſchreck - lich vorgeſtellt, und drüber hatte ichs nicht erkannt. Ich war ûber mich ſelbſt erſtaunt, daſs ich, ohne mein Wiſſen, dieſes ſchreckliche Verbrechen begangen haben ſollte, und zu ſehr auſſer mir, als daſs die liebreiche Er - mahnung meiner Lehrer hætte tief eindringen ſollen. Sie ſagten mir, ſo viel ich noch weiſs, das nehmliche, was ich in den Lectionen oft gehört hatte, daſs dieſs unnatürliche teufliſche Verbrechen (ſie ſchienen es im ganzen Ernſt ſchlechterdings für eine Wirkung des Teu - fels zu halten) durch göttliche Geſetze ver - boten, und eine Peſt für die Geſundheit wære, daſs man die Reizung dazu durch Mæſigkeit und Gebet vermeiden müſste u. ſ. w. Vor - ſtellungen, die bey aller ihrer Wahrheit den - noch wenig rûhrten, weil ich nicht einſahe, wie das zugehn ſollte, daſs man durch das, was ich gethan hatte, ſeine Geſundheit zu Grunde richten ſollte. Den Verluſt der edel - ſten Sæfte konnte ich nicht für etwas ſchædliches anſehen, da ich das, was mir bey ſolchen Ge - legenheiten entgieng, für nichts anders als für(Von heimlichen Sünden.) (T)Urin290Urin hielt. Ich habe von Jugend auf Aucto - ritæten Glauben vielleicht eher zu ſehr, als zu wenig gehaſst: der unverſtændige Knabe hætte ſeinen Lehrern aufs Wort glauben ſol - len: ſie muſsten beſſer wiſſen, was ihm gut oder ſchædlich war, als er ſelbſt. Aber das that er nicht, er wollte nicht glauben, er woll - te unterſuchen. Und da theils ihm die nöthi - gen Kenntniſſe zur Unterſuchung fehlten, theils ſeine Leidenſchaft ſich mit ins Spiel miſchte; ſo konnte es nicht anders kommen, er muſite ſich durch Trugſchlüſſe tæuſchen. Sollten ſie wohl glauben, daſs ich unverſtændig genug war, zu ſchlieſſen, weil es ja nichts uner - laubtes wære, eines Menſchen Hand oder Stirne zu berühren, ſo könnte es auch nicht uuerlaubt ſeyn, irgend einen andern Theil des Leibes zu betaſten. Mit dieſen Gedanken ſuchte ich mich zu beruhigen: aber alle mei - ne Ruhe war Tæuſchung, mein Herz ſagte mir mehr als zu laut, daſs meine Lehrer wohl Recht haben könnten, daſs in der Berûhrung andrer Glieder etwas ſündliches liegen müſste; mein Verſtand widerſprach der Stim - me des Gewiſſens vielleicht wirklich, weil er ihr gern widerſprechen wollte.

Um291

Um nun dieſe Vorſtellung mit der - thigen Klugheit zu thun, ſo iſt vors erſte nöthig, daſs man wohl bemerke, in wie weit das Kind mit dieſen Sünden bekannt ſey, oder nicht. Hat es keine Veranlaſſung zum Verdachte gegeben, ſo iſt es beſſer, daſs man ihm von dieſer Sünde nichts ſage. Hat es durch unanſtændige Stellungen oder Bewegungen Verdacht gegen ſich erregt, ſo kann es bey der allgemeinen Erinnerung von der groſsen Verletzbarkeit der Zeugungs - theile bleiben. Iſt man aber überzeugt, daſs es wirklich von dieſen Sünden angeſteckt ſey, ſo muſs alles weit ernſtlicher und nach - drücklicher, aber doch immer ohne Strenge, ohne das Zutrauen zu ſich zu ſchwæchen, betrieben werden.

Man thut alsdenn wohl, wenn man den Verirrten mit möglichſter Zærtlichkeit anredet, ihn umarmt, von ſeiner Liebe ver - ſichert, von den groſsen Erwartungen ſpricht, die man von ihm gehoft habe, ihn an ſeine(T 2)Eltern292Eltern, an die Perſonen erinnert, die ihm vorzüglich lieb ſind, und an die groſse Be - trübniſs, die ſie empfinden würden, wenn ihre, von ihm gefaſsten Hofnungen fehl ſchlagen ſollten. Ein praktiſcher Pædagoge wird noch manches hinzu zu ſetzen wiſſen, wodurch des Verirrten Herz ganz erſchüttert, und zur Auffaſſung jeder guten Lehre em - pfænglich gemacht wird. Iſt dieſes geſche - hen, ſo rede man von der groſsen Schæd - lichkeit dieſer Sünden, ohne Zurückhaltung, und ohne die Sache zu vergröſsern. Vor allen Dingen ſage man aber erſt, daſs die ſchrecklichen Folgen dieſer Sünden ſich nicht in den erſten Wochen, Monathen, bey man - chen auch wohl nicht in den erſten Jahren einſtellten, aber am Ende gewiſs nachkom - men, und erlæutere es mit dem Exempel eines Sæufers, der oft Jahre lang ſeine Aus - ſchweifungen fortſetze, am Ende aber doch durch Schwindſucht, Gicht oder Waſſerſucht, beſtraft werde.

Den293

Den Stof zu einer ſolchen Unterredung habe ich im zweyten Abſchnitte hinlænglich gegeben, und verweiſe darauf. Wer ihn mir Aufmerkſamkeit lieſt, wird Gründe ge - nug finden, die Schædlichkeit dieſes Laſters zu beweiſen.

Die Gründe, die uns die Religion zur Warnung gegen dieſe Ausſchweifung giebt, dürfen nicht vergeſſen werden, da ſie immer die ſtærkſten und wirkſamſten ſind. Man ſchærfe alſo dem Verirrten die Lehre von Gottes Allwiſſenheit ein, vor deſſen Augen uns kein Winkel, keine Nacht verbergel man erinnere ihn an Gottes Gerechtigkein, die alles in der Welt ſo eingerichtet habe, daſs jede Handlung, die, ihr von Gott be - ſtimmten, Früchte eben ſowohl, wie das Weizenkorn Weizen, und der Neſſelſaamen Neſſeln hervorbringen müſſe, daſs es æuſſerſt thöricht alſo ſey, wenn man glaube, daſs ein heimlicher Sünder eben die Zufrieden - heit und Glückſeligkeit genieſsen werde, die(T 3)allein294allein dem Tugendhaften beſtimmt iſt. Man rede endlich ſo eindringlich, als möglich, von der hohen Beſtimmung des Menſchen, was für eine Würde er erlangen, wie weit um ſich her er wirken, wie er der Wohl - thæter, die Stütze, der Engel ſeiner Brüder werden könne, wenn er ſeine Kræfte zu er - halten und auszubilden ſuche; wie hingegen dieſs alles wegfalle, wenn er ſich ſelbſt ent - nerve, und die Sæfte verſchwende, die, nach des gütigen Schöpfers Einrichtung, ſein Ge - hirn und Nerven ſtærken ſollten. Man er - innere ihn an den Todestag, an den, allen Menſchen unvermeidlichen, Todestag, und an die verſchiednen Empfindungen, die Men - ſchen an demſelben haben würden, davon der eine ſich ſelbſt anklagen müſſe: mein Schöpfer gab mir Anlage und Kraft, eine Menge Gutes um mich zu wirken, und der Wohlthæter von tauſend und mehrern Men - ſchen zu ſeyn, dieſe Anlagen habe ich zer - ſtört, dieſe Kraft geſchwæcht, und trete von der Welt ab, ohne meine Beſtimmung er -reicht295reicht zu haben, mit peinigenden Vorwür - fen des Gewiſſens beladen; und der andere mit heiterm Gemüthe auf die vollbrachte Le - benszeit zurückſehen und ſich freuen könne, des Guten, das er gewirkt, des Böſen, das er verhindert, der vielen Menſchen, die er erfreuet, und deren Glück er befördert ha - be. Man ſuche ihn zu überzeugen, daſs die Folgen unſerer Handlungen uns in die Ewigkeit begleiten, daſs jeder ernten werde, was er geſæet hat, beweiſe es mit den Zeug - niſſen der heiligen Schrift und mit dem Exem - pel des Papilions, der vollkommen wird, wenn die Raupe und Nymphe ihre Sæfte be - hielten, der aber als Krüppel hervortritt, wenn er in ſeinem vorigen Zuſtande verletzt wurde.

Einige Tage nach dieſer Erſchütterung laſſe man den Verirrten eine Beſchreibung von den traurigen Folgen dieſer Sünden le - ſen, davon ich, in dieſer Abſicht, einige Exempel geliefert habe. Dieſs wiederhole(T 4)man296man eine Zeit lang immer über den andern oder dritten Tag. Dieſe Behandlung wird ganz gewiſs gute Wirkung thun. Ich kann nicht nur bezeugen, daſs ich ſelbſt verſchie - dene junge Leute auf dieſe Art gerettet habe, ſondern alle Briefe, die ich von Geretteten in Hænden habe, ſtimmen auch darinne überein, daſs ſie, durch Erlangung beſſerer Einſichten, die ſie entweder durch Lectüre oder durch Vorſtellung, der Eltern, Erzie - her oder Freunde, bekamen, zur Rückkehr auf den Tugendweg wæren beweget worden.

Eine vorzüglich ſtarke Wirkung wird es auch thun, wenn man den Verirrten an Eheſtand und Vaterſchaft erinnert, und ihm begreiflich macht, wie das, mit Eheſtand und Vaterſchaft verknüpfte, Vergnügen, durch dieſe Sünden, verbittert, oder wohl gar vereitelt werde.

Dieſs habe ich ſchon im erſten Theile des Carlsbergs, aber freylich nicht beſtimmtgenug297genug geſagt. Da mir nun einer meiner Correſpondenten Einwendungen dagegen gemacht, und mich verſichert hat, daſs die Liehe zu einem Mædchen, und die Vorſtel - lung von dem künftigen Genuſſe deſſelben, vorzüglich ſeine Begierden angefacht, und das Bild derſelben ihm, bey Vollbringung der Sünde, immer vor Augen geſchwebt habe, ſo muſs ich mich etwas deutlicher er - klæren.

Wollte man Verirrten bloſs dadurch hel - fen, daſs man ihnen das Vergnügen des Ehe - ſtands beſchrieb und ſie verſicherte, daſs im Eheſtande die Zeit kommen werde, da ſie ihre Begierden würden befriedigen kön - nen, und daſs ſie bis dahin ſich gedulden müſsten, ſo wird dieſs freylich keine, oder gar eine ſchædliche Wirkung thun. Die lebhaf - te Vorſtellung von dem Genuſſe des Weibes entzündet die Begierden, die leicht eine ſolche Strærke bekommen können, daſs ſie aus ihren Grenzen treten. Wirklich ſtimmen(T 5)auch298auch die Ausſagen vieler Verirrten darinn überein, daſs ſie bey ihren Verſündigungen immer das Bild eines ſchönen Frauenzimmers gedacht hætten.

So habe ich es aber gar nicht ge - meynt.

Meine Meynung iſt eigentlich dieſe: man ſtelle Verirrten, beſonders wenn ſie mannbar ſind, oder der Mannbarkeit ſich næhern, bey denen man alſo voraus ſetzen kann, daſs ſie Vorſtellung von der engſten Vertraulichkeit der beyden Geſchlechter ha - ben, lebhaft, wehmüthig und ernſtlich, vor, daſs ſie ſich untüchtig machten, künftig die - ſer Vertraulichkeit zu genieſſen; nur der Geſunde, der Starke, ſey dazu aufgelegt; wer in der Jugend Geſundheit und Kraft ver - ſchwende, beraube ſich ſelbſt der Freuden, die ihm der Schöpfer für die Zukunft be - ſtimmt habe, und müſſe trauern und die bit - terſten Vorwürfe ſich machen, wenn andere,die299die enthaltſamer lebten, das Vergnugen des Eheſtands genöffen. Man ſage ihnen ferner, daſs durch ihre Ausſchweifungen der Stof zu ihrer Nachkommenſchaft verſchwendet wer - de; zeige ihnen, ſo ſinnlich als möglich, welches Glück es ſey, ſein Bild in geſunden und muntern Kindern zu erblicken, und nach dem Tode in ſeiner Nachkommenſchaft, fortzuleben, daſs dieſes Glück aber derjeni - ge auf eine höchſt unſinnige Art von ſich ſtoſse, der in der Jugend ſich ſelbſt entner - ve, indem er entweder ganz kinderloſs bliebe, oder ſeinen Namen fremden Kin - dern leihen, oder ſich von elenden und ſchwæchlichen Kindern Vater nennen laſſen müſſe.

Um dieſer Vorſtellung mehr Gewichte zu geben, laſſe man die vorhin ausgezeich - neten Klagen über den Verluſt der mænnli - chen Kræfte leſen.

Alles dieſs zuſammengenommen, wirdzuver -300zuverlæſſig das Wollen wirken. Aber das Vollbringen Ach nur allzuoft werden die Verirrten der Klage des heiligen Paulus bey - ſtimmen müſſen: Wollen habe ich wohl, aber das Vollbringen des Guten finde ich nicht in mir. Denn zwiſchen Wollen und Vollbringen, zwiſchen guten Vorſætzen und Befolgung derſelben, welche Kluft iſt da befeſtigt! Wer iſt ſo rechtſchaffen, ſo wohl - wollend, ſo ſtark, der nicht mit Wehmuth geſtehen müſſe, daſs er oft gegen ſeine beſten Einſichten handele, und daſs ſeine lebhafte - ſten Vorſætze ohne Ausführung blieben! Vom Gedanken bis zur That welche Kluft! Wie kann man alſo vermuthen, daſs alle die Verirrten, von denen ich rede, Ent - ſchluſs und Ausführung ſogleich mit einan - der verbinden würden!

Gewiſs man muſs ihnen noch weiter zu Hülfe kommen. Es iſt nicht genug, daſs man ſagt, du gehſt irre, man muſs dem Verirrten auch die Hand bieten, ihn durchdie301die Moræſte und Klippen, die vor ihm lie - gen, helfen, und ihn ſo auf den rechten Weg bringen.

Zuvörderſt ſuche man alſo von ihm al - les zu entfernen, was, wie ich vorhin gezeigt habe, dieſe Sünden veranlaſst, und ſuche ihn, in dieſer Rückſicht dahin zu bringen, daſs er ſeine Hænde ſtets auſſer dem Bette habe.

Dann verſchaffe man ihm eine recht gute und zweckmæſige Lectüre. Ein einzi - ges gutes Buch, von Gellert, Hermes, Leſs, Spalding, Weiſſe, Zollikofer, und derglei - chen Mænnern mehr, iſt oft eine Stütze, die uns auf den ſchlüpftigſten Wegen auf - recht erhalten kann.

Ferner verſchaffe man ihm Umgang mit wirklich moraliſchen Perſonen! man ſieht in ihnen des lieben Gottes Bild. Und wenn die Seele oft zu ſinnlich iſt, als daſsſie302ſie den lieben Gott ſelbſt denken könnte, ſo wird ſie durch die Vorſtellung eines ſeiner Bilder auf gutem Wege erhalten.

Sollte wohl der Umgang mit ſchönem und moraliſchem Frauenzimmer zu rathen ſeyn? Ueber dieſen Punkt bekenne ich mei - ne Unwiſſenheit, und geſtehe, daſs ich den Maasſtab der Moralitæt des Frauenzimmers ſo wenig kenne, als die Regel, nach wel - cher der ſchædliche oder nützliche Einfluſs derſelben auf gewiſſe beſtimmte Mannsper - ſonen feſtgeſetzt werden muſs.

Sollte der Verirrte ſchon eine ſtarke Fertigkeit in der Sünde erlangt haben, ſo wære auch wohl nöthig, daſs man ihn eine Zeit lang ganz aus ſeiner bisherigen Lage heraus zu reiſsen ſuchte, damit alles von ihm entfernt würde, was ihn bisher zu wol - lüſtigen Vorſtellungen veranlaſste. In die - ſem Falle wære wohl das beſte, wenn man es veranſtalten konnte, daſs er eine etwasweite303weite Reiſe, wo möglich zu Fuſse, in Ge - ſellſchaft eines geſetzten moraliſchen Man - nes, an deſſen Seite er des Nachts ſchliefe, thun müſste. Freylich würde ſo eine Reiſe Geld koſten. Da es aber um die Geſund - heit und Zufriedenheit eines Menſchen zu thun iſt, die man ſonſt gern mit den gröſten Koſten vom Arzte erkauft; ſo dürfte dieſer Aufwand wohl nicht geſcheuet werden. Zwar kann ich die Güte dieſes Geneſungs - mittels nicht aus Erfahrung beweiſen; da aber doch die Erfahrung lehrt, daſs das Rei - ſen die in ſich gekehrten zerſtreue, neue Ideen in die Seele bringe, ermüde, ruhigen Schlaf ſchaffe, die beſtændige Gegenwart ei - nes moraliſchen Menſchen die Leidenſchaft im Zügel halte, und viel Böſes verhindere: ſo kann ich die Güte dieſes Mittels als er - wieſen vorausſetzen.

Dieſs letztere Mittel rathe ich auch an, bey den Patienten zu gebrauchen, die unter allen die gefæhrlichſten ſind, bey Kindern,wo304wo die Leidenſchaft, vor der Entwickelung der Vernunft, wüthete, und die Empfæng - lichkeit gegen vernünftige Vorſtellungen er - ſtickte. Dieſe müſſen nothwendig durch phyſiſche Mittel zur Beſſerung gebracht wer - den, unter denen mir doch immer noch das Reiſen das vernünftigſte und zweckmæſigſte zu ſeyn ſcheint.

Ein anderes phyſiſches Mittel habe ich in dem Journal de Litterature mitgetheilt ge - leſen, das ich hier von Wort zu Wort ab - drucken laſſe.

Lettre aux editeurs, Paris le 13. Juin.

Il y a long-temps, Meſſieurs, que je m occupe des moyens de remédier a un vice auſſi commun que funeſte á la conſervation des hommes, je veux dire la Maſturbation.

Ce vice, ou plutot ce crime honteux, que nous euſſions ignoré heureuſement dans l’état de nature et que le celebre Tiſſot regardé avecraiſon305raiſon comme un fleau deſtructeur dans la[fa]- ſocieté, l’attaque en effet dés ſon principe; ot c’eſt dans nos moeurs celui de tous, qui nous degrade es nous deshonore le plus.

On ne peut done trop s’affliger ſut le mal - heur de l’eſpece humaine, puiſque du moment qu’elle commence â ſentir l’excellence, de ſes facultés il en empeche le développement, et ſouvent les détruit pour toujours. Je vais plus loin, et je ne dois pas rougir d’en faire l’aven: c’eſt parmi les jeunes perſonnes de l’am et de l’autre ſexe que ce malheureux pen - chant exerce ſes plus affreux ravages.

Apres le tableau touchant et vrai, que l’Au - teur de l’Onaniſme nous a laiſſé de ſes effets, pourrions-nous ceſſer un moment d’y fixer nos regardes! et s’il eſt un homme aſſez ami de l’humanité pour indiquer un moyen fûr d’arrêter les progrès de la contagion et de mettre des entraves a la fougue impetueuſe des paſſions naiſſantes, que de droits n’a-t-il pas à la reconnoiſſance de ſes concitoyens? Com - bien en effet de jeunes plantes révivifiés ou rendues fecondes, que ce ſouffle empoiſonné eût deſſechées dans ſes racines et fait périr in -(Von heimlichen Sünden.) (U)failli -306failliblement, en rendant inutiles les ſoins pa - ternels du Cultivateur? Mais, nous ne pou - vons le diſſimuler; l’excellent ouvrage de M. Tiſſot, devenu, pour ainſi dire, claſſioue, loin d’etre pour les jeunes gens un antidote ſalutaire, a plus ſouvent rallumé des feux, que nous euſſions pent etre amortis, en leur en dérobant la connoiſſance. J’ai vu en effet bien des jeunes perſonnes de l’un et de l’autre ſexe, m’avouer avec la naiveté de lcur âge, que les portraits trop bien exprimés du livre de M. Tiſſot, avoient trop ſouvent: auſſi fait naître des ſentimens contraires aux vues de cet habile Peintre. C’eſt donc pour ces tem - péramens indomptables, à qui les leçons les plus fortes, les exemples les plus effrayans, ſont devenus inutiles; c’eſt pour eux, que j’ai cru devoir propoſer un moyen exterieur auſſi ſimple qu efficace, afin d’arreter les ſuites tou - jours dangereuſes de leurs eriminels deſirs. Des-lors on n’a plus lieu de craindre aucun déſordre dans l’economie de ſes fonctions. Ce moyen exterieur conſiſte dans une eſpèce de vêtement particulier, et pour lequel l’ouvrier intelligent, qui ſeconde mes vues, ne change rien au coſtume ordinaire. Au reſte, je n’ai pas la prétention de croire, que notre métho -de307de ne puiſſe être encore améliorée: je dois m’attendre même à des objections et des con - trariétés. Mais j’al pour moi l’expérience, la pureté de mes intentions et le déſintéreſſe - ment le plus parfait. Et comme j’aime mieux faire le bien, que de refuter ceux qui voudroient en arrêter l’heureux moment, je leur repon - drai de la même manière qu’a ceux, qui en - vient le bien qu’ils n’ont pas imaginé? Je ſuis parvenu par mes ſoins et mes conſeils à met - tre fin aux deſordres de la maſturbation, en rètabliſſant la ſante d’un grand nombre de jeunes perſonnes des deux ſexes, j’ai rendu à la tendreſſe maternelle des enfans cheris, ceux en particulier, qui donnoient les plus belles eſperances, et qui, ſans mon Zèle, euſſent eté moiſſonnés des leur printemps; voilà ce que j’ai fait: mais vous qui me critiquez, quel ſervice avez-vous rendu á la patrie?

J’ai l’honneur d’etre, etc. A. Le Clerc médecin à Paris, rue de Seine, Fauxbourg St. Germain.

Da Herr le Clere nicht genau beſtimmt, worinne die, von ihm erfundne und ange -(U 2)prieſsne308prieſsne, Kleidung beſtehe: ſo bin ich auch nicht im Stande ein zuverlæſſiges Urtheil darüber zu fællen. Meiner Muthmaſung nach mag es wohl ſo etwas ſeyn, wie der bekannte Chineſiſche Jungfrauengürtel, das Schmerz erregt, ſobald man die Sünde be - gehen will. Ich erinnere mich, irgendwo geleſen zu haben, daſs die Türken, auf æhn - liche Art ihre Knaben vor Ausſchweifungen zu verwahren ſuchen. Daſs nun ſo ein Mit - tel die Seele nicht beſſere, daſs ſie in dieſer Kleidung eben ſowohl fortſündigen könne, wie ein Dieb in Feſſeln fortſtiehlt, iſt wohl ganz gewiſs. Bey jungen Leuten, die einer vernünftigen Vorſtellung fæhig ſind, wider - rathe ich es alſo ſehr, zumal da ich nicht begreifen kann, wie man es verhüten will, daſs nicht durch die, meiner Meynung nach unvermeidliche, Preſſung die Geſundheit leide. Nur ſo kann ich es anrathen, wie die Abnehmung eines verletzten Glieds, wenn alle übrige Mittel ohne Nutzen gebraucht worden ſind. In dieſem Falle könnte manſich309ſich an Herrn le Clerc wenden, dürfte aber doch die moraliſche Cur des Patienten kei - neswegs verabſæumen.

Hier könnte ich abbrechen. Da es mir aber immer noch iſt, als wenn ich viele Fragen und Zweifel hörte, deren Beantwor - tung und Löſung man wünſcht: ſo ſetze ich noch die Rathſchlæge eines meiner Corre - ſpondenten bey, den ich ſchon vorhin ge - rühmt habe, da ich von den Mitteln redete, die heimlichen Sünden der Jugend zu ent - decken. Sollten ſie auch eben das ſagen, was ich geſagt habe: ſo ſagen ſie es doch auf eine andere Art, und machen vielleicht auf dieſe Art manches deutlich, was in mei - nen Ausdrücken noch dunkel war.

  • 1) Wenn das Kind Liebe und Vertrauen zu El - tern oder Erziehern hat, ſage man bloſs, es ſey ſchædlich, oder
  • 2) gehe weiter und rede in dem Ton, womit man von allem ſpricht, was man vermieden(U 3).haben310haben will, ohne geheimniſsvolle Miene oder Aengſtlichkeit, von der doppelten Beſtim - mung des Glieds und der Sæfte, die dadurch gehen. Von der Beſtimmung derſelben zur Nahrung des Hirns, Marks, der Nerven, der Muskeln, von körperlichen Uebeln, die dar - aus entſtehen, durch Schwæchung und Krank - heiten, von Verhinderung kunftiges Genuſ - ſes, laſſe es ſeinen Trübſinn, Mattigkeit, Træg - heit, ſo lange es ein Uebel iſt, bemerken. Auch andere können dieſes an Kindern mitlei - dig bemerken, ohne zu ſcheinen, den Quell zu wiſſen. Ein Medikus könnte, nachdem er das Kind feſt angeſehen, als von ungefæhr die Ur - ſache merken laſſen, und ernſtlich warnen. Zeige ihm Erſchlaffung der Seelenkræfte, und der daraus erfolgenden Abkürzung des Lebens ſelbſt. Alles, wie es wahr iſt, nichts ver - gröſsernd, nichts als nahe Ankündigung. Kurz man zeige ihm, wie es Geſundheit, Kraft, Heiterkeit, Munterkeit, Fröhlichkeit, den Genuſs des Lebens, die Achtung der Menſchen verliert. Iſt es gröſser, wie es das Gift auf eine ganze unglückliche Nachkommenſchaft, wenn es eine erlebt, fortpflanzen werde. Man ſpreche, nach der Faſſung des Unglücklichen,mit311mit und ohne Bilder, immer dem natürlichen Mitleiden eines wohlwollenden Menſchen gemæſs.
  • 3) Sollte der Verſtand gering oder deſſen Ein - fluſs auf den Willen ſchwach ſeyn, und das thieriſche die Oborhand haben, ſo dürfen die - ſe Vorſtellungen zwar keinesweges unter - laſſen werden: aber es muſs mehr geſchehen. Die Gelegenheit, Zeit und Umſtænde zur Be - gehung des Laſters mûſſen vermieden werden.
  • a) Durch immerwæhrende, dem Kind oder jun - gen Menſchen angenehme und unterhalten - de, Beſchæftigungen mit Sprachen, Künſten, Wiſſenſchaften, ernſte und ſchöne Uebung im Tanzen, Fechten, das Reuten würde vors erſte zweckwidrig ſeyn. Bey der Uebung in Sprachen und ſchönen Künſten vermeide man das wollüſtige, weichliche, ſchlüpfrige und ſu - che ſtarken mænnlichen und kræftigen Aus - druck und Empfindungen.
  • b) Man ſuche das Drechſeln, Schreinern, Gært - nerey und dgl. hervor, Spatziergænge in rei - ner geſunder Luft, beſonders im Winter, denn die Kælte iſt ein groſses Mittel für die(U 4)Ner -312Nerven, und das Gegentheil der Weichlich - keit. Ihre Reiſen könnten auch hier ihren Nutzen leiſten, beſonders zu Fuſs, wenn es auch langſamer damit gienge, ſie gewönnen dadurch und würden wohlfeiler. Der Ge - danke hat mir gefallen Der junge Menſch wird mit ſeinem Aufenthalt bekannter, lernt Vorurtheile kennen etc. Das Eisfahren auf Schlittſchuhen mit gehöriger Vorſicht, damit nicht Erkæltung auf Ethitzung folge, und meide plötzliche Hitze, ſo gar ſchnelle Wær - me. Mit einem Wort, alle Spiele, wobey Bewegung iſt, vorzüglich in freyer Luft, ſu - che man hervor.
  • c) Das Baden des ganzen Körpers, oder auch das Waſchen deſſelben mit kaltem Waſſer, verſteht ſich abermals mit möglichſter Vor - ſicht, habe ich ſehr gut gefunden. Einige brauchen auch das Bad des Theils bloſs, aber, wie die Aerzte verſichern und es ſich zeigt, kann dieſes auch leicht als Reiz wirken.
  • d) Man vermeide die Wærme, die weichen Bet - ten von hitzenden Federn. Eine Pferdehaar - Matratze oder Strohſack im Sommer, mit ei - ner leichten, im Winter, wenn das Kindnicht313nicht an einem warmen Ort ſchlæft, mit ei - ner warmen Decke, ſey das Lager. Die Kin - der gewöhnen ſich leicht daran, und es iſt dieſes, auch ohne das Uebel, als Verhütungs - mittel zu empfehlen.
  • e) Solche Kleidung, die die Schaamtheile preſst, oder reibt, werde vermieden.
  • f) Man rede immer der Stærke, Kraft und Ab - hærtung, das Wort, und kühnen edeln[T]ha - ten, welche jenes vorausſetzen, brauche die Beyſpiele der Griechen, alten Perſer, Römer und unſerer Vorfahren, zur Aufmunterung.
  • g) Man vermeide ſelbſt alles wollüſtige und weichliche in Reden, Mienen, Handlungen, und entferne die Kinder von Orten und Per - ſonen, wo dergleichen vorfallen; und kann man dieſes nicht vollkommen, ſo erklære man ſich ernſtlich dagegen.
  • h) Eine groſse Würkung habe ich davon ver - ſpürt, wenn ich an andern Kindern oder er - wachsnetn, die traurigen Folgen des Uebels, und wieder an anderer blühender Geſundheit, Kraft, Heiterkeit und Munterkeit, die Beloh -(U 5)nung314nung der Keuſchheit, vernünftigen Selbſtliebe und Klugheit, zeigen konnte. Die groſse Ge - walt der Beyſpiele über den Menſchen, vor allen ûber das Kind, iſt durch Erfahrung er - wieſen, denn nach ihnen bildet ſich derſelbe mehr, als nach allen Regeln, Erklærungen und Beweiſen. Daſs Religion, nach vorausgeſetz - ter Erkenntniſs des reinen und heiligſten We - ſens, und das Gebet groſse Wirkungen thue, verſteht ſich von ſelbſt. Denn die Furcht des Herrn iſt aller Weisheit Anfang.

Um dem Buche die nöthige Vollſtæn - digkeit zu geben, ſollte ich nun noch einen Abſchnitt beyfügen, der die Mittel zeigte, wie die, durch heimliche Sünden geſchwæch - te, Geſundheit wieder hergeſtellt werden könnte. Ich würde dieſs auch gewiſs thun, wenn ich mich nicht in ein mich fremdes Feld wagen müſste. Ein geſchickter Arzt, der lange beobachtet und Erfahrungen geſamm - let hat, kann hier weit beſſer rathen.

Das einfachſte Mittel, welches eine geſchwæchte Perſon zur Stærkung ihrer Ner -ven315ven brauchen kann, iſt vors erlte das kalte Bad, ſo wie es itzo mein Correſpondent be - ſchrieben hat. Wirkt dieſes nicht, ſo kann ja Tiſſot, oder Borner, oder ein anderer menſchenfreundlicher Arzt, der über die Heilung der Uebel, die aus heimlichen Sün - den entſpringen, geſchrieben hat, um Rath gefragt werden. Sollte man nicht Kennt - niſſe genug haben, um von ihren Rathſchlæ - gen Gebrauch machen zu können: ſo ſteht der Weg noch immer zu einem geſchickten und redlichen Arzte offen, der ſich in einem Umkreiſe von etlichen Meilen doch immer befindet. Sollten aber manche durch Scham - haftigkeit vom Arzte zurückgehalten wer - den: ſo habe ich auch für dieſe geſorgt, ſo - viel ich konnte, indem ich mir von dem Herrn Hofrath Büchner zu Gotha, ei - nem Arzte, der durch ſeine Erfahrungen, mediciniſche Geſchicklichkeit und Recht - ſchaffenheit, ſich rühmlichſt bekannt ge - macht hat, die Verſicherung erhalten habe, daſs er jedem Leidenden, der bey ihm Hülfe ſuchen würde, gern helfen wolle.

Lei -316

Leidende dieſer Art können alſo an mich ſchreiben, und ihrem Briefe eine ge - treue Schilderung ihres Zuſtands beyſchlagen, die ich, ohne ihren Namen zu nennen, dem Herrn Hofrathe mittheilen, und dagegen Medicin oder Recepte auf das baldigſte über - ſchicken werde. Daſs es billig ſey, derglei - chen Briefe zu frankiren, brauche ich wohl nicht zu erinnern, eben ſo wenig, als daſs es Pflicht ſey, die Schuld, die den Leiden - den durch die geleiſtete Hülfe, bey dem Herrn Hofrathe zuwæchſt, bald und richtig abzutragen. Um denen, die dieſen Weg einſchlagen wollen, alle Beſorgniſſe zu be - nehmen, daſs vielleicht ihre Briefe in fremde Hænde gerathen möchten, verſpreche ich auch, ſie ihnen wieder zurück zu ſenden. Möchte ich doch auch im Stande ſeyn, ihnen jedesmal ihre Geſundheit und Zufriedenheit wieder zu ſchenken!

Sech -317

Siebender Abschnitt. Nachrede an diejenigen, denen bey Durchleſung dieſer Schrift das Ge - wiſſen Vorwürfe machte.

Das öffentliche Leben der Menſchen iſt oft mit einer Schaubühne verglichen wor - den, wo die handelnden Perſonen ſich nie in ihrer wahren Geſichtsfarbe, Miene, Cha - rakter und Kleidung zeigen, ſondern alles dieſes nach der Rolle formen, die ihnen zu - ge heilt iſt, wo dieſe wie eine Roſe blüht, deren Farbe Wolluſt und Gram verzehrt na - ben, und jener mit muthwilligem Scherze die Zuhörer beluſtigt, der noch vor einigen Stunden verzweifeln wollte.

Dieſes Bild, wenn es auch nicht ganz getroffen ſeyn ſollte, hat doch mit dem öf - fentlichen Leben der Menſchen wenigſtensviele318viele Aehnlichkeit. Man ſieht den öffent - lich handelnden Menſchen faſt nie ſo, wie er iſt, er richtet ſeine Mienen, Urtheile und Handlungen, immer nach dem Urtheile der kleinen oder groſsen Geſellſchaft ein, vor der er ſeine Rolle ſpielt. Er macht den Weiſen, den Frommen, den Bedachtſamen, den Witzigen, je nachdem es der Platz ver - langt, auf den er iſt geſtellet worden. Be - lauſcht man ihn aber auf ſeinem Zimmer welcher Contraſt!

So erblickt der, der Schulen, Erzie - hungsanſtalten, Univerſitæten und öffentli - che Zuſammenkünfte beſucht, vielleicht al - lenthalben Spuren von Zucht und Ordnung, Streben nach Fleiſs, hæuslicher Glückſelig - keit und Fröhlichkeit, lieſt auf den verſchie - denen Geſichtern die Merkmahle der jugend - lichen Anſtrengung, des Nachdenkens, der Srttſamkeit, oder des ſorgſamen Nachden - kens. Durch das Zuſammentreffen ver - ſchiedener Umſtænde bekam ich aber Gele -genheit319genheit hinter den Vorhang zu ſehen, die Schüler auf ihren Zellen, die Studierenden auf ihren Zimmern, die Perſonen, die bey öffentlichen Zuſammenkünften ſo verſchie - dene Rollen ſpielen, in dem Innerſten ihrer Haushaltungen zu beobachten. Barmher - ziger Gott! welche bejammernswürdige Ent - deckungen machte ich! krebsartige Fæulniſs an der Wurzel der Menſchheit, die den Stof der kûnftigen Nachkommenſchaft ver - zehrte, die Wangen der Knaben mit Todes - blæſſc færbte, die Jünglinge in zitternde Greiſe verwandelte, die Freuden des Ehe - ſtands vergiftete, dem werdenden Men - ſchen die Empfænglichkeit für Freude raubte, und Stof zu tauſendfæltigen Krank - heiten mittheilte, noch ehe er gebohren wurde.

Von innigſter Wehmuth durchdrungen, zeigte ich die traurige Entdeckung dem Pu - blikum an, ſtellte die groſse Gefahr vor, in der unſere ganze Nachkommenſchaft ſchweb -te,320te, bat um Hülfe, und verſprach, ſelbſt zu helfen, ſoviel ich, könnte.

Oft ſprach ich ſtark und nachdrücklich, deokte Geheimniſſe auf, über die eine un - zeitige Menſchenliebe zeither einen Schleyer gezogen hatte, und bezeugte dafür mein Entſetzen. Der Natur der Sache nach konn - te es nicht anders ſeyn. Wer kann da ge - laſſen bleiben, wenn er ein Uebel erblickt,[das alle]Unſchuldigen zu tauſenden tödtet,[oder]ihnen wenigſtens das Mark aus - ſaugt[!]

Indem ich aber ſo ſtark, ſo nachdrück - lich, ſpræch, ſo geſchæftig den Schleyer von Geheimniſſen wegzog, die man bisher auf das ſorgfæltigſte zu verbergen ſuchte, ſo ha - be ich viele von euch, die ihr die traurigen Folgen jenes Uebels bey euch fühlt, und nun die Hofnung aufgegehen habt, dieſel - ben wegzuſchaffen, auf das empfindlichſte gekrænkt.

Meine321

Meine Reden waren oft Dolchſti - che, die euch auf das ſchmerzhafteſte ver - wundeten. Manche haben deswegen auch bey mir geklagt, und mich aufgefordert, Balſam in die Wunden zu gieſſen, die ich ihnen geſchlagen hætte.

Unmöglich kann ich alſo zu reden auf - hören, ohne mich erſt noch an euch, un - glückliche Verirrte, zu wenden, und etwas zu eurer Beruhigung zu ſagen.

Glaubt nicht, Bedauernswürdige, daſs ich ein einziges Wort in der Abſicht geſagt habe, euch zu krænken! ſo wie der Wund - arzt oft beiſenden Balſam in die gefæhrlichen Wunden ſeiner Patienten tröpfelt, nicht um ihnen Schmerz zu verurſachen, ſondern um ihnen Geſundheit und Leben zu erhalten, ſo ſprech ich oft ſtark, nicht daſs ich irgend jemanden trübe Stunden machen, ſondern daſs ich die Seelen erſchüttern und ihnen zur Geneſung helfen will.

(Von heimlichen Sünden.) (X)O322

O möchte doch der barmherzige Gott mir, dieſen Lohn, für das übernommene mühſame Geſchæfte geben, daſs, wo nicht alle, die mich leſen, (denn wie kann ich dieſs erwarten?) doch wenigſtens viele zur Tugend zurückgeführt, und ſo der Welt ei - nige thætige und glückliche Bürger mehr er - halten würden.

Das iſt, werden manche von euch ein - wenden, bey uns unmöglich. Wir ſind unwiderbringlich verlohren, da die Gewohn - heit ſchon ſo tiefe Wurzeln bey uns geſchla - gen hat, daſs alle unſere bisherigen Verſuche, ſie auszurotten, umſonſt geweſen ſind.

Bey Gott! dieſen Irrthum müſst ihr fahren laſſen! viele, unfæglich ſchwere, Kæmpfe wird es euch koſten, eine Begierde zu beſiegen, die durch eine vieljæhrige He - gung ſchon groſse Stærke erhielt, und eure beſten Kræfte ausſog. Aber unmöglich darf es deswegen nicht ſeyn. Habt ihr nicht ge -leſen,323leſen, was die Schrift ſagt: Gott will, daſs, allen Menſchen geholfen werde? Bey dem Menſchen iſt vieles unmöglich, aber bey Gott ſind alle Dinge möglich? Oder wenn ihr, welches ich nicht wünſehe, der Schrift nicht glauben ſolltet, ſeht ihr nicht aus dem, was Gott tæglich thut, daſs er die wirkſam - ſten Anſtalten mache, allen ſeinen Geſchö - pfen zur möglichſten Glückſeligkeit zu hel - ſen? Iſt nicht auch dieſs ein Beweiſs davon, daſs er gerade itzo, da ſo viele von euch in tiefer Melancholie, troſtloſs, in ſeinem Rei - che umher wandeln, er auch viele redliche Mænner erweckt hat, die euch, als Sollutz - engel, ſreundſchaftlich die Hænde bieten, um euch aus den Irrgængen herauszuführen, in die ihr euch verlohren habt?

Nur mit Gott fangt das ſchwere Ge - ſchæft eurer Beſsrung an, ſo wird es euch gewiſs gelingen! Im Gebete, mit kindlicher Erhebung des Herzens zu Gott, faſst den Vorſatz euch zu beſſern! die dem Gebete(X 2)ge -324gegebne Verheiſſung der Schrift, das Gefühl des Lichts und der Kraft, das faſt niemals fehlt, wenn man ſich über das Sinnliche bis zu den Urheber ſeines Daſeyns erhebt, die Güte und Weisheit ſeiner Wege, den gro - ſsen Umfang ſeiner eignen Pflichten und ſei - ne hohe Beſtimmung denkt, dieſs muſs euch hinlænglich von ſeiner groſsen Kraft über - zeugen, und wird euch die Stærke und den Muth von Zeit zu Zeit ertheilen, die euch mangeln.

Mit dieſer Stærke zerreiſst die Feſſeln, in denen ihr bisher ſeufztet. Entfliht, ſo - bald ihr erwachet, der gefæhrlichen Wærme des Bettes, die zeither euch verdroſſen mach - te, und wollüſtige Bilder ausbrütete, durch deren Gauckeleyen eure Seele an die grund - loſen Moræſte grober Sinnlichkeit geleitet wurde; beſteigt die Berge Gottes, oder wan - delt in ſeinen Wældern und Gefilden fühlt die ſeligen Eindrücke, die der Anblick der Ordnung, der Thætigkeit und des Le -bens325bens, in Gottes Werkſtatt, auf euch macht, betet ihn mit dieſem Gefühle an, und wie - derhohlt euer Gelübde.

Trennet euch von den Freunden, die über Sünde ſcherzen, und über entnervende Laſter, wie über eine unſchuldige Ergötzlich - keit, lachen, und ſo eurer Seele eine ſchiefe Richtung geben, und ſucht den Umgang mit redlichen und thætigen Perſonen, deren Witz unter der Aufſicht der Moral ſteht, und de - ren Anblick auf euch ehrfurchtsvollen Ein - druck macht.

Entzieht euch gænzlich dem Leſen ſol - cher Schriften, die in euch mehr ein Schmach - ten nach ſinnlichen Genüſſen, als Trieb zur Thætigkeit erregen, und ſucht diejenigen auf, bey deren Leſung eure Kræfte ſich re - gen und nach Wirkſamkeit ſtreben. Habt ihr ſie gefunden, ſo wæhlt ſie zu eurem tæg - lichen Umgange, und, wenn es möglich iſt, ſo fangt eure Geſchæfte nie an, ohn eurer(X 3)Seele326Seele durch ſie einen Schwung gegeben zu haben.

Fliehet die Einſamkeit, ſobald ſie euch gefæhrlich wird, ehe die Begierde Kraft be - komme, und euch beſiege. Liegt ihr ein - mal unter, ſo wird euch das Aufſtehen weit mehrere Anſtrengung koſten, als itzo der Sieg.

Seyd auf eurer Huth gegen die Schwer - muth, der Furie, die die mehreſten von euch verfolget. Ueber den Abgründen, in die ihr verſunken ſeyd, flattert ſie herum, und macht eure Glieder bebend. Wollt ihr euch vor ihr zurückziehen, ſo ſinkt ihr im - mer tiefer, bis keine Rettung mehr da iſt Kein ander Mittel zu eurer Hülfe iſt übrig, als daſs ihr derſelben Trotz bietet, die Kræf - te, die ihr noch übrig habt, zuſammen nehmt, ihr damit entgegen arbeitet, und einen Boden zu erreichen ſucht, auf dem euer Fuſs feſt ſteht. Mit ſchrecklicherStimme327Stimme ſchrevt ſie euch zwar entgegen, daſs ihr ſchwere Sünden gegen Gott, euch ſelbſt und eure Nachkommen, begangen hættet! Iſt euch aber ein ander Mittel, das Vergangne, das nunmehro doch nicht zu ændern iſt, ei - nigermaſen wieder gut zu machen, übrig, als daſs ihr die Kræfte, die ihr noch habt, zuſammen nehmt, und damit ſo viel Gutes ſtifret, als ihr könnt?

Daſs ihr ſchwer geſündigt habt iſt wahr. Thaten es aber nicht die mehreſten in ihrer Unwiſſenheit? Sollte der Allbarmherzige ſeine, aus Unwiſſenheit verirrten, Kinder im - merdar die ſchrecklichen Folgen der Verir - rung fühlen laſſen? nicht einmal ſie weg - nehmen, wenn ſie den richtigen Pfad red - lich ſuchen? daſs ihr weder die Vollkom - menheit des Geiſtes noch des Korpers beſitzt, die euer Theil würde geweſen ſeyn, wenn ihr die Unſchuld eures Herzens und die Rei - nigkeit eures Körpers bewahrt hættet, iſt frey - lich gewiſs. Kann aber ernſtliches, fortge -ſetztes328ſetztes, Beſtreben nach Vollkommenheit, die - ſen Mangel nicht wenigſtens einigermafen erſetzen? Kann der Allbarmherzige nicht für ungewöhnliche Anſtrengung ungewöhn - lichen Lohn, ungewöhnliche Rettungsmittel aus dem Elende, beſtimmt haben?

Die Schwermuth ruft euch zu: eure Freuden ſind dahin, eure künftigen Tage werden ſtets Tage des Trauerns und des Wehklagens ſeyn. Alles wahr, wenn ihr in euren Sünden beharret! Aber wenn ihr mit Gott ihre Feſſeln zerreiſst, mit Gott den Pſad der Tugend betretet, wie kann es euch da an Freuden fehlen? Geſetzt, ihr müſstet auch lebenslang einige der vorzüg - lichſten Freuden, die der Vater der Men - ſchen ſeinen Kindern beſtimmt hat, entbeh - ren, erlangtet nie die Geſundheit, die ihr, bey ungeſchwæchten Nerven und unver - ſchwendeten Sæften, hættet genieſsen kôn - nen, müſstet des Eheſtands und der Vater - ſchaft, ſüſſen und vielen Vergnügungenentſa -329entſagen: ſo bleiben doch noch andere euch übrig, die ihr genieſsen könnt, und deren Genuſs ihr deſto eifriger ſuchen müſst, je mehr andere ihr verſcherzet habt. Könnt ihr nicht Freuden der Beſſerung genieſsen? Warlich innige herzliche Freuden! So wie der Kranke, wenn er das langwierige Lager das erſtemal verlæſst, und, mit wankenden Knieen, auf ſeine Krücke geſtützt, auf grü - nem Raſen ſich ſonnet, die milde Wærme der Sonne, die Dûfte der Blumen, und alle Naturſchönheiten, weit inniglicher genieſst, als ſein Bruder, der ſie immer genoſs: ſo fühlt auch der oft weit ſtærker, der Tugend ſüſſen Frieden, der kraftlos aus des Laſters Dunkel ihrem Lichte ſich næhert, als ein anderer, der ſchon daran gewohnt iſt. Bleibt euch nicht übrig die Freude der Amtstreue? die kleinen oder groſsen Arbeiten, die das Amt von euch fordert, zu dem euch Gott beſtimmt hat, werden euch freylich mehr Mühe und Anſtrengung koſten, als wenn ihr eure Kræfte noch ganz hættet; richtet ſie(X 5)aber330aber nur mit möglichſter Treue und Pünkt - lichkeit aus, dann wird euch, nach vollen - detem Tagewerke, die Ruhe deſto ſüſser, das Zeugniſs des Gewiſſens: du haſt deine Pflicht gethan, deſto eindringlicher ſeyn.

Habt ihr nicht Gelegenheit des Wohl - thuns göttliche Freuden euch zu verſchaffen? O wie viel Gutes, ſagt ihr, hætte ich ſtif - ten können, wenn ich aber wozu die - ſe ewige Klage? ſtiftet das Gute noch, das zu ſtiften in eurem Vermögen iſt, und es wird euch eine Freudenquelle werden, die nie verſiegt, aus der ihr in den trübſten Stunden noch ſchöpfen und euch ſtærken könnt. Seyd ihr zu ſchwach, auf ganze Pro - vinzen zu wirken, ſo habt ihr doch gewiſs noch Kraft genug, die Leiden deſſen zu mindern, der zunæchſt bey euch iſt, durch euren Rath und Beyſtand des Freundes Ver - legenheit zu endigen, die b druckte Wittbe zu unterſtûtzen, dem verlaſsnen Armen Ge - legenheit zu verſchaffen, ſich Unterhalt zuerwer -331erwerben. Die Erfahrungen ſelbſt, die ihr auf euern Irrwegen ſammletet, können, ſo - bald ihr gebeſſert ſeyd, von euch ſo genutzt werden, daſs dadurch viel Gutes bewirkt wird. Vielleicht ruft euch die Vorſehung, eine Schule, entweder mittelbar oder un - mittelbar, zu regieren, oder die Hauslehrer einer Familie zu werden, oder ſetzt euch in Verbindung mit einem Freunde, der Vater und Erzieher iſt. Wie viel Böſes könnt ihr alsdenn verhindern, wie viel Gutes ſtiften, wenn ihr, aus den geſammleten traurigen Erfahrungen, Grundſætze zur Verwahrung der jugendlichen Unſchuld abzieht, und ſie in eure, eurer Untergebnen und Freunde, Erziehungsſyſtem zu verweben ſucht!

Wie viel Gutes haben diejenigen ſchon gewirkt, die mir ihre Erfahrungen hier - über mitgetheilt haben! Dank ſey euch allen dafür öffentlich geſagt! Erſchrecket nicht, wenn ihr hier und da, in dieſem Bu - che, ganze Stellen aus euren Briefen abge -druckt332druckt findet, und laſſet die Beſorgniſs fah - ren, als wenn ihr dadurch könntet entde - cket werden! Ich habe von meiner Seite alles gethan, es unmöglich zu machen. Ihr werdet finden, daſs ich alles weggeſtrichen oder umgeændert habe, was zu individuel war, und euch kenntlich hætte machen kön - nen; ich habe dieſe Stellen aus euren Brie - fen heraus geſchnitten, und ſie ſo in die Druckerey gegeben; ich habe dafür geſorgt, daſs, auſſer dem Setzer, ſie ſchlechterdings niemand zu ſehen bekam, ich habe ſie mir alle, ſobald ſie geſetzt waren, wieder ablie - fern laſſen; und nun, da der Abdruck ge - ſchehen iſt, werde ich ſie insgeſamt dem Feuer übergeben, damit ſie, auch nach mei - nem Tode, nicht in fremde Hænde fallen. Wie iſts alſo möglich, daſs ihr könntet ent - deckt werden?

Statt euch mit ſolchem unnöthigen Kummer zu plagen, freuet euch vielmehr des Guten, das ihr, durch eure Beytræge,ge -333gewiſs ſtiſten werdet! Wie manchen Lehrer, Erzieher und Vater, werdet ihr weiſer und fürſichtiger machen! Wie manche Schulver - beſſerung veranlaſſen, wie manchen eurer verirrten Brüder retten! Wie angenehm wird dem Vergelter alles Guten das Schuldopfer ſeyn, das ihr ihm durch eure Entdeckungen gebracht habt.

Und du edler Jüngling! der du, wie du mir ſchriebſt, am Rande des Grabes, mich zuerſt aufforderteſt, die ſchrecklichen, die Menſchheit verheerenden, Geheimniſſe auf - zudecken, falls du noch unter den Erden - bürgern wandelſt, und dieſe Schrift zu leſen bekommſt, ſo freue dich vorzüglich des Gu - ten, das du, bey deiner groſsen Kraftloſigkeit, geſtiftet haſt und ferner ſtiften wirſt. Zwar konnte ich deinen Brief, wie du verlangteſt, nicht in das Buch über das menſchliche Elend einrücken, weil er viele Stellen enthielt, die anſtöſsig waren: aber demohnerachtet ver - mag ich das Gute nicht zu berechnen, daser334er gewirket hat, und ferner wirken wird. Wiſſe, daſs durch das bloſse Vorleſen deſ - ſelben verſchiedne Verirrte ſind erſchüttert, und zur Rückkehr auf den Tugendweg be - wogen worden! Wiſſe, daſs er die vorzüg - lichſte Veranlaſſung geweſen iſt, die mich beſtimmte, mich über die mancherley Ur - theile meiner Mitbürger hinauszuſerzen, und dieſes Buch zu ſchreiben; daſs er die Samm - lung aller der Zeugniſſe, die du, nebſt dei - nem eignen, in dieſem Buche findeſt, ver - anlaſst, und auf eine entferntere Art die Aufmerkſamkeit aller Erzieher erregt hat! So kann die alles regierende Vorſehung Handlungen, die in guten Abſichten verrich - tet werden, ſegnen! ſolch groſse Wirkſam - keit ihnen verſchaffen.

Das Gefühl dieſes durch dich gewirk - ten Guten, mache dir Muth, noch ferner für das beſte der Welt wirkſam zu ſeyn, tröſte dich in den Tagen des Leidens, und er - ſcheine dir, wie ein ſtærkender Engel, in der Todesſtunde!

Der335

Der alles weislich und wohl regieren - den Vorſehung empfehle ich euch alle, ihr Verirrten! Sie ſchüttre euch aus eurer Sinn - lichkeit heraus! und gebe euch Kraft und Muth, die Feſſeln der Sünde zu zerreiſſen; in der Stunde der Kleinmuth gieſſe ſie labenden Troſt in eure Seele! nach erduldeter Züch - tigung leite ſie euch zu den Geneſungsmit - teln, die Stærkung für euern geſchwæchten Körper enthalten; durch das Gefühl eures Elends erzeuge ſie in euch den unabænder - lichen feſten Vorſatz, fortan deſto mehr Gu - tes zu wirken, je weniger dieſs vorhin geſche - hen war; durch das Gemæhlde eures Jammers erſchüttre ſie alle Erzieher und Eltern, daſs ſie erwachen, mit mehrern Eifer und Weis - heit an Verbeſſerung der Schul - und Erzie - hungsanſtalten arbeiten, und ſich næher mit ihren Kindern verbinden, von denen ſie zeit - her Mode und Vorurtheil getrennt hatten, damit, ſo wie alles Uebel, alſo auch die, im Finſtern ſchleichende, Peſt der heimlichen Jugendſünden, eine ſolche Richtung bekom -(Von heimlichen Sünden.) (Y)me,336me, daſs daraus am Ende heilſame Früchte entſpringen! ſo wird denn am Ende offen - bar werden, wie die Zerſtörung ſo vieler tauſend Unſchuldigen, in ihren erſten Le - bensjahren, die Zernichtung ſo vieler Keime zu guten Thaten, in ihrer erſten Entwicke - lung, mit der höchſten Weisheit und Güte beſtehen könne, und was für groſse Abſich - ten ſie durch Aufopferung derſelben zu er - reichen geſucht habe.

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Zugabe.

Da ich dieſe Schrift ſchon geendigt hatte: erhielt ich noch, von einem Hand - werksmanne, nachſtehenden Brief, in dem er mit groſser Treuherzigkeit, das, unter ſei - nem Stande eingeriſsne, Sittenverderben, beſchreibt. Weil ich glaube, daſs in demſel - ben viele gute Winke, für Erzieher, Predi - ger, und andere ſich finden, denen der Menſchheit Wohl am Herzen liegt, ſo hielt ich es für gut, ihn beydrucken zu laſſen.

Seitdem ich einige ihrer Schriften, und be - ſonders ihren Carlsberg, geleſen habe, wandelt mich oft ſo eine Luſt an, an Sie zu ſchreiben. Da ich aber Handwerkszeug beſſer, als die Feder, verſtehe, ſo hætte mir dieſe Luſt wohl vergehen ſollen. Nun habe ich aber heute eben die Schrift, Iſts recht, ûber die heimli - chen Sûnden der Jugend öffentlich zu ſchreiben? vor mir, und da konnt ich meiner Schreille - luſt nicht mehr widerſtehen, denn es war mir immer beym Leſen derſelben, als wenn ich auch ein Wort darein zu ſprechen hætte, odergar338gar mit dem Herrn Doctor mich zanken ſollte.

Nun werden ſie vermuthlich, lieber Herr Profeſſor, mit Briefen über dieſen Punkt überflüſſig verſehen ſeyn, allein mit ſchlecht geſchriebenen Briefen dieſer Art, von ganz gemeinen Handwerksleuten, werden Sie viel - leicht nur dieſen einzigen haben. So werden Sie doch nicht böſe auf mich ſeyn, wenn ich Sie bitte, daſs ſie auch meine Beichte hören.

In meiner Vaterſtadt lernte auch leider ich dieſes Laſter ſehr fruhe, wo ich nicht irre, ſchon in dem 10ten oder 12ten Jahre, kennen. Eine Frau, deren Namen ich vergeſſen, war von N. mit ihrem Sohne, welcher in meinem Alter war, und mit mir zugleich in die Schule gieng, dahin gezogen. Einmal bin ich mit ihm, und mit noch 3 oder 4 meiner Camera - den, in einem Hauſe, da zeigt uns dieſer al - len das abſcheuliche Laſter zum erſtenmal, als eine groſse Erfiudung, welches wir alle bald nachmachten. Er verſicherte uns auch, daſs er es beſtændig alle Abend und Morgenim339im Bette verrichte. Wir waren noch alle ſo jung, daſs bey uns allen zwar ein Kützel aber kein Ausfluſs folgte. Dieſer Menſch ſahe im Geſichte abſcheulich gelbe aus, und war ſo mager, wie ein Gerippe, und weil er nur ganz allein unter meinen Schulcameraden ſo hæſslich ausſahe, ſo kam ich mit einigen auf die Gedanken, ob dieſes gelbe Geſichte nicht davon eine Wirkung ſey, und dieſer Ge - danke war vielleicht noch ein Glück für mich, daſs ich es nicht zu ſtark getrieben habe. Denn ich wollte ja ſchon damals auch gerne hübſch im Geſichte ausſehen, frey aber bin ich nicht davon geweſen. 1765 fieng ich an Geſchmack an Bücherleſen zu finden, und ohngefæhr 1775 kam mir Tiſſots Onanie in die Hænde. Wie erſchrak ich Ich hatte wohl immer ſo bey mir gedacht, daſs es wohl nicht gut ſey, und hatte ſo nach und nach an - gefangen, rechtsum zu machen, aber nun wurde ich deſſen erſt gewiſs überzeugt, und ſo wurde auch auf einmal rechts um kehrt euch gemacht

Ach ich bin ſo ein 14 Jahre, als Handwerks - geſell, unter dem gemeinen Haufen mit herum getrieben worden. Was ich da geſehen, ge -(Y 3)hört340hört und erfahren habe, wenn ich ihnen das alles ſo beſchreiben könnte O, werden ſie es glauben, wie oft habe ich in der Frem - de gehört, daſs dieſes Laſter geſund ſey, daſs dadurch die böſen Feuchtigkeiten weg gien - gen. Wo geræth nicht oft der arme Menſch aus Irrthum, aus Vorurtheil hin. Und doch will man es Ihnen beſtreiten, daſs ſie den Menſchen einen Wegweiſer verfertigen, oder wie ſoll ich ſagen, eine Warnungstafel, auf - ſtellen wollen, worauf gleichſam geſchrieben ſtünde, dieſen Irrweg ſoll niemand gehen, wem Leben und Geſundheit lieb iſt. Und welchem Menſchen wird wohl nicht ſein ge - ſunder Leib, ſein munterer Geiſt, ſeine gute Geſichtsbildung, lieb ſeyn! Ich bin es ûber - zeugt (und wenn auch ſchon meine Ueber - zeugung nichts gilt), daſs dieſes Laſter ohne Anweiſung, ohne Bücher leſen, gelernt wird, und durch das Leſen guter Bûcher unterlaſſen wird. Unwiſſenheit iſt es, was uns Menſchen auf dieſe, und auch noch auf andere, Art un - glücklich macht. Mit was fûr Vorurtheilen war nicht ſchon mein Kopf angefûllt, da ich in die Fremde gieng! ſo hatte man mich z. B. belehrt, man müſſe Tobak rauchen, undBrann -341Brannte wein trinken können, wenn man ge - ſund bleiben wollte, wegen der böſen Luft, daher hatte auch ich bald meinen Tobacks - beutel und Brannteweinflaſche in der Taſche. Konnte ich da nicht leicht ein Branntewein - ſæufer werden! Wie oft bin ich vor einer rauſchenden ſilberhellen Waſſerquelle lechzend vorbeygegangen, und habe ſo lange Durſt gelit - ten, bis ich für meine paar Dreyer einen Krug ſaures oder dickes Bier bekam! Was thut man denn nicht ſeine Geſundheit zu erhalten? Denn von Waſſertrinken ſoll man ja krank werden, und das iſt noch heute fûr viele Handwerksburſche ein ſtarker Glaubensar - tikel.

Stellen Sie ſich einen jungen Menſchen vor, der in der Jugend ſeinen Katechismus, ſein Spruchbuch, ſeinen Pſalmen hat lernen müſſen, und doch von keinem Gebothe nichts weiſs: du ſollt deinen Leib nicht ſchænden! ſo viel gutes von Moral er nun auch gelernt hat, das wird theils ſchon in der Lehre ver - geſſen. Nun geht er in die Fremde, befindet ſich nun in Freyheit, jede Niedertræchtigkeit ohne Schaam zu begehen, keine Eltern, kemLehrer342Lehrer, kein Freund ermahnt und warnt ihn mehr, lebt unter einem leichtſinnigen rohen Haufen, deren Grundſætze ſich gegen die ge - ſunde Vernunft empören, wo die meiſten ihre Ehre in nicht Folgen, nicht Gutes thun, ſu - chen, wo den gröſten Tollheiten, den nieder - træchtigſten Poſſenreiſsern Beyfall zuge - klatſcht wird, wo der Tugendhafte immer an - geklagt und mit Fæuſten geſchlagen wird: ſo muſs ich mich bey dem allen noch wundern, daſs es doch noch gute Menſchen giebt. Es muſs doch wohl ein groſser Ke[i]m zum Guten in dem Menſchen liegen. Doch wo gerathe ich hin, bald wird der Handwerker ihnen was vor philoſophieren wollen. Verzeihen ſie mir dieſe Ausſchweifung, kann ich ihnen gleich nichts angenehmes, nichts leſenswer - thes ſchreiben, ſo kommt es doch aus einem Herzen, das Sie ſo hoch ſchætzt.

About this transcription

TextUeber die heimlichen Sünden der Jugend
Author Christian Gotthilf Salzmann
Extent358 images; 47492 tokens; 8518 types; 332732 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationUeber die heimlichen Sünden der Jugend Christian Gotthilf Salzmann. . [1] Bl., 342 S. CrusiusLeipzig1785.

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Staatsbibliothek München BSB München, Paed.th. 4910

Physical description

Antiqua

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Pädagogik; Gebrauchsliteratur; Pädagogik; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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