Es hat mir immer wahrſcheinlich geduͤnkt, daß unter den chriſtlichen Voͤlkern die Kindtaufen, wenigſtens die Feſte dabei, darum eingefuͤhrt ſind, weil man dadurch den neuen Ankoͤmmling Ehren - bezeugungen erweiſen will, die von ſeiner Wichtig - keit zeigen — Da haben Sie einmal etwas ſehr richtiges und gutes geſagt, antwortete Herr Cele - ſtin, als ich einſt dieſe nehmliche Anmerkung vor ihm auskramte, wirklich etwas edelgedachtes, wenn Sie nehmlich meinen, man wolle die Wichtigkeit damit bezeigen, welche jedem ſolchen GeſchoͤpfchenA 2als4als Menſch zuzuerkennen iſt, wie hoch oder nie - drig der Stand auch ſei, in dem es gebohren wird. Denn ein Menſch — wer es recht weiß, was in dem Weſen, welchem man dieſen Nahmen beilegt, fuͤr Faͤhigkeiten liegen, zu welcher Macht und Hoheit es geſchaffen iſt, — — Der Leſer ver - zeihe mir, daß ich die philoſophiſch-moraliſche Vorleſung, welche jetzt aus Celeſtins Munde floß, nicht weiter anfuͤhre, ich habe ſie wirklich vergeſ - ſen, nun wollte nicht gern die Werke dieſes ſen - timentaliſchen Mannes durch Darſtellung meiner thiermenſchiſchen Begriffe von dergleichen Din - gen, verfaͤlſchen, welches man als einen Beweiß meiner Beſcheidenheit wird loben muͤſſen.
Jch hatte eben meine gutmuͤthige Stunde, wollte alſo meinen Freund Celeſtin in der Freude, daß ich doch zuweilen vernuͤnftige Gedanken haͤtte, nicht ſtoͤhren und that, als ob ich eben das bei meiner Anmerkung gedacht haͤtte, aber nicht ein Jota von alle dem war mir dabei in den Sinn gekommen. Jch dachte an nichts, als an den billigen und loͤblichen Egoismus der Menſchen, der ſich unter den niedern Staͤnden, beſonders bei Familiengelagen recht nachdruͤcklich zeigt. Man wuͤrde es ganz armen Leuten nicht veruͤbeln, wenn ſie ihre Kinder ſtill wegtaufen ließen, aber dasgeſchieht5geſchieht nie, und am liebſten bitten ſie vorneh - mere Leute zu Gevattern. Dieß thun ſie nicht, wie man glauben ſollte, blos um des Eingebinds willen, denn der Kindtaufſchmauß koſtet immer mehr, als ſie dadurch bekommen; und ſie fuͤhlen ſich ſehr gekraͤnkt, wenn die vornehmen Pathen nicht dabei erſcheinen. Es geſchieht alſo blos, weil ſie ſich viel darauf zu Gute thun, daß ihr Kind auf eine vompoͤſe Art zur Taufe gefahren, und mit Feierlichkeit dabei behandelt wird, die Nahmen der vornehmen Pathen erhaͤlt, kurz, weil ihm auf dieſe Art die erſte und zwar eben dieſe Ehrenbe - zeugung wiederfaͤhrt, als waͤre es ein Kind von den groͤßten Anſpruͤchen.
Meine Mutter glaubte zwar nicht, daß ſie unter die geringern Staͤnde gehoͤrte, und wenn ſie vollends bedachte, was ſie noch werden wollte, ſo rechnete ſie ſich voͤllig, nicht allein unter die Honora - tiores, ſondern unter die großen Herrſchaften; aber dieſer Einbildung zum Poſſen ſtrebten Hang und Neigung des gemeinen Standes bei allen Gelegen - heiten hervor. Da nun der Egoismus bei ihr in zehnfacher Doſis zu finden war, ſo machte dieß zuſammen zuweilen komiſchen, zuweilen tragiſchen, immer ſehr auffallenden und zugleich widerſprechen - den Effect.
A 3Dieß6Dieß aͤußerte ſich beſonders bei den Anſtalten zu meiner Taufe. Mein Vater haͤtte gern dießmal ſeine guten Freunde, alles Leute, die er ſeines Gleichen nannte, zu Gevattern gebeten, aber er bekam daruͤber den erſten Ausputzer von meiner Mutter, ſeit dem Actu der gegenſeitigen Teſta - mente. Wenn du, ſagte ſie, Barbirer, Brand - weinbrenner und dergleichen Volk deines Gleichen nennſt, ſo halt ich mich doch zu gut dazu und mein Kind ebenfalls. Mein Oncle, auf deſſen Landguͤtchen ich jetzt vom Plack und Gedraͤng der großen Welt ausruhe, war einen Tag vor Madam Schnitzers Niederkunft angelangt, und bei dieſer Replik gegenwaͤrtig, es war ſo ganz nach dem Wortverſtand ein Mann von deutſcher Treue, wie gewiſſe Leute dieſen Ruhm von ſich allezeit voraus - ſchicken, wenn ſie jemand was unangenehmes ſa - gen wollen. Er machte ſich nichts daraus, daß ſeine Frau Schwaͤgerinn im Wochenbette lag, ſich uͤber ſeine Aufrichtigkeit erſchrecklich aͤrgern, und ſich ſchaden koͤnnte, ſondern ſagte: Was? ſind Sie denn mehr als ihr Mann und der Junge dazu? Der wird doch noch nicht vornehmer ſein als der Vater? Alſo ein Gaſtwirths Sohn, wenn er dein Sohn iſt, Jacob! He, was meinſt du?
Johann7Johann Jacob wollte das nicht verneinen, konnte es aber als ein Menſch, der nicht allwiſ - ſend iſt, auch nicht eben ganz beſtimmt bejahen; er machte einen Scherz daraus und ſagte dann: Siehe ſo iſts lieber Bruder, wenn man eine vor - nehmere Frau heirathet, als man ſelbſt iſt, Sus - chen ſteckts noch immer im Kopfe, daß ſie eine Officiers Tochter iſt. So viel ich gehoͤrt habe, verſetzte Peter, mein Oncle, iſt das nun ſo ſo, mit der Officiers Tochter! Geſetzt aber den Fall, es waͤre wahr, ſo hilft das jetzt nichts mehr! Richte Sie ſich huͤbſch nach Jhrem jetzigen Stand, Frau Schweſter, und denke Sie, daß Sie ein armes Maͤd - chen war, das hier diente. Was gehts mich an, mag Jhre Mutter haben incugnito bleiben und ſich fuͤr ein gemeines Soldaten-Weib ausgeben wollen, oder mag das eine Finte von Jhr ſein, genug jetzt iſt Sie des Gaſtwirth Schnitzers Eheweib, und kann Gott danken, daß Sie’s iſt, alſo folg’ Sie mir und thu Sie nicht ſo dicke.
Peter konnte ein Wort ſprechen, denn er be - ſaß ein ſchoͤnes Vermoͤgen, welches er durch einen Kornhandel im Kriege zuſammen gebracht hatte, er war dabei ein gutwilliger Mann, der beſonders ſeinen Bruder Jacob herzlich liebte; Jhm zu Ge - fallen gieng er auch mit meiner Mutter ſehr bruͤ -A 4derlich8derlich um, hatte bei ſeiner Ankunft, Geſchenke mitgebracht, und Suschen ein nicht Knauſeriches ins Wochenbett gegeben. Er war unverheirathet, und wollte als Junggeſelle ſterben, (ob darum, weil die Schnitzers uͤberhaupt phlegmatiſchen Tempera - ments waren, oder ob ein gewiſſes Verſehen der Natur Schuld war, habe ich nicht erfahren koͤn - nen) genug er wollte ſein Jch nicht fortpflanzen, ſondern einſt ſeinen Neveu’n und Niecen, das hin - terlaſſen, was ſeine kleinen Jchs wuͤrden vekommen haben. Johann Jacob hatte oft ſchon mit Sus - chen von dieſem Bruder geſprochen, und da er ankam, bat er ſie, es ja nicht mit ihm zu ver - derben.
Sie verdarbs auch nicht mit ihm, nahm ihm nichts uͤbel, oder ließ ſich wenigſtens nichts davon merken, ja weil Peter ausdruͤcklich ſagte, daß Jacob ſein liebſter Bruder waͤr, nahm ſie ſich in Gegen - wart des erſten noch mehr zuſammen, um ſich als die zaͤrtlichſte Gattinn des letztern zu zeigen.
Da es alſo zur Beſtimmung der Gevattern kam, war es das erſtemal, daß ſie ſich vergaß, in Gegenwart des Schwagers mit den Geſchenken und der Erbſchaft, gegen ihren Jacob ſo ſchnuͤppiſch und uͤbermuͤthig herauszufahren, weswegen ſie denn die ſchon erwaͤhnten plumpen Complimente von jenemhinneh -9hinnehmen muſte. Und wie wir ſchon vernommen, hatte ſie trefliche Gruͤnde, dazu zu ſchweigen. Sie ſelbſt haͤtte bei ihrem Plan, ſich auf irgend eine Art von dem Herrn Gemahl zu befreien, freilich nicht hoffen ſollen, von Peters Erbſchaft Nutzen zu ziehen; aber da ſie ſich vorgenommen hatte, den Schein der Unſchuld vor allen Dingen bei der Sache zu beobachten, ſo meinte ſie, es koͤnne ihr dadurch nichts entgehn, wenigſtens muͤſte doch mir ein Antheil an Peters Erbſchaft bleiben, und ſie wollte ſorgen, daß es nicht der kleinſte waͤre.
Sie aͤrgerte ſich zwar uͤber die groben Reden, welche ihr der Herr Schwager jetzt angehangen hatte, ſo ſehr, daß ſie kurz darauf wirklich einen ſtarken und faſt zu fruͤhen Anfall des Milchſiebers bekam, als außerdem erfolgt waͤre, aber ſie ließ ſich nichts merken, ſondern ſagte ganz gelaſſen, was den Officiersſtand ihres Vaters betraͤfe, ſo wollte ſie es ſchon noch beweiſen; uͤbrigens haͤtte ſie ſich vorgenommen, daß ich ſtudiren und einſt ein Mann werden ſollte, der ſo braven und angeſehenen Leu - ten als mein Vater und Onele waͤren, Ehre ma - chen ſollte. Peter muſte mit dieſer Antwort zufrie - den ſein; zwar meinte er, dieß alles koͤnnte ge - ſchehen, wenn auch Brandweinbrenner und Bar - birer bei mir Pathen-Stelle verrichteten, undſetzte10ſetzte hinzu, es waͤre ein aͤrmlicher Stolz, ſich zu Vornehmern draͤngen zu wollen, und dadurch, daß man Leute ſeines Standes hintanſetzte gleichſam ſich ſelbſt zu verringern, aber er ließ doch nun alles gehen, wie es Suschen wollte. So wurden alſo, da Herr und Frau von Treff abweſend waren, ein anderer Cavalier und eine verwitwete Regierungs - raͤthinn, (verſteht ſich, daß ſie aus dem Treffiſchen Zirkel waren) gebethen, mich aus der Taufe zu heben. Der dritte Taufzeuge muſt denn freilich Oncle Peter ſein, der auch ſo hoͤflich war, ſich um der vornehmen Mitgevattern willen ein neues Kleid und eine Knotenperuͤke machen zu laſſen.
Er hatte dazu Zeit, denn ich wurde erſt den neunten Tag nach meiner Erſcheinung getauft. Johann Jacob ſeufzte und Peter brummte daruͤber, ſie meinten, ſolch ein leichtſinniges Aufſchieben der Taufe waͤre faſt unverantwortlich; aber die Woͤchnerinn erhielt dadurch, daß ſie ſehr kraͤnklich that, die Erlaubnis von Petern, (denn Johann Jacob muſte, wie wir wiſſen, alles wollen, was ſie beſchloß,) die Kindtaufe neun Tage zu verſchie - ben; laͤnger aber durfte ſie es nicht wagen, obwohl ſie gern unter drei Wochen nicht in dieſes Feſt ge - williget haͤtte, da ſie hoͤrte, daß bei großen Herr - ſchaften erſt nach drei Wochen getauft wuͤrde. Siemuſte11muſte ſich uͤberhaupt jetzt vieles gefallen laſſen, was ihr eigentlich zuwider war. Unter andern verdroß es ſie nicht ſchlecht, daß ſie nur drei, und nicht wie die Adelichen, ſo viel Gevattern, als ſie woll - te, nehmen durfte, wie auch, daß die Handlung in der Kirche geſchehen muſte, und nicht wie bei je - nen im Hauſe perrichtet werden durfte.
Was ſonſt moͤglich war, um etwas von an - dern Buͤrgerlichen Abgeſondertes zu haben, wurde ſorgfaͤltig beobachtet. Suschen ſchien mehr eine graͤfliche als buͤrgerliche Woͤchnerinn zu ſein, ſo elegant war Zimmer und Anzug, da ſie aber bereits mit der Fanchon zerfallen war, und doch ſchon wieder manches vergeſſen hatte was zum guten Ton gehoͤrte oder wenigſtens, wie immer geſchah, mit unter in ihrer Art zu ſprechen und ſich zu betra - gen in den von Jugend auf gewohnten einſchlug, lief verſchiedenes mit unter, woruͤber ſich die Re - gierungsraͤthin heimlich halb todt lachte, beſonders weil der ehrliche Peter auch die Honeurs machen wollte und ſich dabei benahm, wie es ihm von den Kindtaufen, denen er auf dem Lande beige - wohnt, erinnerlich war, wobei denn auch man - cher Spaß, ſo recht nach Bierſtuben-Art vor - kam. Dieß aber verdroß auch meine Mutter, und um zu beweißen, wie unanſtaͤndig ſie es fand, zupfteſie12ſie die Regierungsraͤthinn, zuckte mit den Achſeln, wenn Peter nicht hinſah, oder laͤchelte veraͤchtlich.
Peter verſah ſich dieſes Misfallens gar nicht, er gab ſich alle Muͤhe affable zu ſein. Es fiel ihm unter andern ein, den Gevatter-Schmatz, wie ers nannte, von der Frau Regierungsraͤthinn zu for - dern, und ſo ſtand er auf, wiſchte ſich das Maul und nahm ſie ohne weiteres beym Kopf. Die Dame war nicht ſo unfreundlich, einem artigen Mann auch etliche Duzend Kuͤße und was manch - mal darauf folgt, zu gewaͤhren; aber wie konnte ſich ein plumper Kornhaͤndler, der auf dem Lande wohnte und außer ſeinen rauhen Sitten auch einen ſchwarzen Bart hatte, unterfangen, einen Kuß, noch dazu auf eine ſo unmanierliche Art rauben zu wollen? Jndem nun mein Oncle Peter eine ſolche Vermeſſenheit begieng, konnte die Frau Regierungs - raͤthin nicht anders, als laut ausſchrepen, und ſich mit Ungeſtuͤm und einer zornigen Miene los - reißen. Nu! nu! nu! ſagte Peter, fahren Sie nur nicht gar aus der Haut, ’s kann bleiben, ’s kann bleiben, ob ich ihre gemahlten Backen kuͤſſe oder nicht, habe wohl zum Spas huͤbſchre Geſich - ter gekuͤßt.
Mein Vater, der viel hoͤflicher war, als ſein Bruder, gerieth uͤber die Grobheit des letzten innicht13nicht geringe Verlegenheit und Angſt; meine Mut - ter erſchrak ebenfalls daruͤber, es entſtand eine ge - wiſſe betroffene Stille in der Geſellſchaft, waͤhrend welcher ſich Peter wieder geſetzt hatte und immer noch heimlich brummte. Mein Pathe, der Cavalier wuſte dieſe Mistoͤne zu unterbrechen, wie denn Leute, welche Große Welt haben, ſo was immer am beſten verſtehn, er ergriff ein unterhaltendes Thema, und wandte ſich damit an die beleidigte Dame, ſein Witz machte, daß ſie die ungehobelten Reden meines Oncles bald wieder zu vergeſſen ſchien. Da das Geſpraͤch aufs neue allgemein zu werden begann, benutzte meine Mutter das Geraͤuſch, um der Frau Gevatterinn, die ihr zunaͤchſt ſaß, ihr Mis - fallen uͤber Petern und ihren Verdruß ihn mit ſei - nem unſittlichen Betragen dulden zu muͤſſen, leiſe ſprechend mitzutheilen; aber, ſagte ſie, er iſt reich und heirathet nicht, alſo thut mans um der Zu - kunft willen, auch iſt er erſtaunend freigebig. Das iſt auch die Urſach, weswegen man ihn ſchon mit zu Gevattern bitten muſte, ſonſt haͤtte man ſich wohl gehuͤtet, einen Mann, der noch ſo viel ge - meines an ſich hat, in die Geſellſchaft zu bringen.
Die Regierungsraͤthin aͤrgerte ſich, daß ſie den Punct wegen des Reich - und Freigebigſeins nicht eher gewußt hatte, weil ſie ſonſt den Kuß des Korn -haͤndlers14haͤndlers gar wohl ertragen haͤtte, der dann gewiß auch ein anſehnliches Gevatter-Praͤſent eingebracht haben wuͤrde. Sie nahm ſich vor, den Fehler noch zu verbeſſern, und billigte es in dieſer geaͤnderten Stimmung, daß Madam Schnitzer dem Mann alle moͤgliche Auſmerkſamkeit erzeigte. Dieſe vergroͤßerte nun ſeinen Reichthum nicht um ein geringes, ſo wie auch die Geſchenke, welche er ſeit ſeiner An - kunft ihrem Mann, und beſonders ihr ins Wochen - bette gebracht haͤtte. Und jene, welche vorhin, da ſie boͤſe war, beſchloſſen hatte, bald wegzugehen, wurde durch das, was ſie hoͤrte, noch mehr gereizt, ſich mit Petern zu verſoͤhnen, alſo noch eine Weile zu bleiben. Sie wurde wieder ganz heiter und ſcherzte viel mit dem adelichen Herrn Gevatter. Jn dieſem Scherz ſprach ſie halb leiſe mit ihm von Pe - ters Unart; eigentlich, ſagte ſie, erſchrak ich nur weil er ſo geſtuͤrzt kam, und uͤber mich herfiel, be - leidigen wollt’ ich den ehrlichen Mann nicht, denn er hat nach ſeiner Art gedacht, ſehr galant zu ſein; es iſt auf dem Lande und in kleinen Staͤdten Brauch, daß die Frauenzimmer ihre maͤnnliche Mitgevattern kuͤſſen muͤſſen. Der junge Herr haͤtte nicht muͤſſen Drei zaͤhlen koͤnnen, wenn er nicht geantwortet haͤtte, daß er dieſen Brauch allerliebſt faͤnde, und man eine loͤbliche Sache nachahmen muͤſſe, wes -wegen15wegen er ſich denn auch bei ihr zum Kuß meldete. Den will ich Jhnen geben, verſetzte die Dame, da - mit ich Gelegenheit habe, auch dem Kornhaͤndler einen anzubieten, denn ich moͤchte gern um Schnit - zers willen mein Verſehn wieder gut machen, ſie halten ſehr viel auf dieſen Bruder.
Der junge Herr ließ nach dieſem Geſpraͤch eine Secunde hingehen, dann raubte er der Regierungs - raͤthinn mit netter Behendigkeit einen Kuß, und ſagte, ſehn Sie Madam, mir ſollen Sie nicht ent - gehn. O, das iſt ſchalkhaft, rief ſie mit verſtell - tem Unwillen, aber nun Sie ſo keck ſind, ſo moͤ - gen Sie auch erwarten, daß ich ſelbſt beſtimme, was fuͤr ſchoͤne Sachen beim Gevatter-Bouquet ſein ſollen, und Sie muͤſſen auch nicht den Vorzug ha - ben, jetzt will ich meinen andern Herrn Gevatter ſelbſt kuͤſſen. Sie ſtand auf und gieng auf Petern zu, welcher ſich aber erhob, ihr den Arm entgegen warf, als wollte er ſie wegſchieben, und ihr zugleich ſagte: bitte, ſich nicht zu bemuͤhen, Madam! Peter Schnitzer kann ohne Jhr Maͤulchen leben, Sie haben vorhin nicht Spaß verſtanden, jetzt verſteh ich ihn nicht.
Der letzte Verdruß war alſo aͤrger als der erſte bei unſrer guten Dame, ſie verbarg ihn auchnur16nur ſchlecht, beſonders da ihre Augen auf den jun - gen Herrn fielen, welcher im Kampf mit einem boshaften Lachen war. Man iſt nicht immer Mei - ſter ſeiner Aufwallungen, in dieſem Fall war jetzt die Regierungsraͤthinn, ſie nahm Handſchuh und Faͤcher und ſagte, ſich an meinen Vater wendend, ich danke fuͤr angethane Ehre, Herr Schnitzer, aber wenns wieder ſo koͤmmt, ſo waͤhlen Sie Jhre Ge - vattern huͤbſch von gleichem Stande und laſſen rechtliche Leute, die Grobheiten nicht gewohnt ſind, aus dem Spiel. So eilte ſie, ohne von meiner Mutter Abſchied zu nehmen, fort. Peter lachte aus vollem Halſe und Johann Jacob wackelte nach, ihr in den Wagen zu helfen und ſeinen Bruder zu ent - ſchuldigen; Aber ſie hoͤrre nicht, flog ſchnell in den Wagen und uͤberließ es meines Vaters Nachden - ken, zu entſcheiden, ob er, oder die erzuͤrnte Dame mehr beleidigt waͤre. Jndem er daruͤber, waͤhrend der Minute, die er an der Hausthuͤr nachſann, noch nicht einig werden konnte, begab er ſich zur Ge - ſellſchaft zuruͤck, wo er ſein Suschen noch auf der vori - gen Stelle ſitzend aber vor Bosheit zitternd, ſeinen Bruder auf die Frauenzimmer ſtichelnd, und den Cavalier im Begriff, ſich zu empfehlen antraf. Sobald dieß letzte geſchehen und die Familie allein war, ſprach Suschen, Johann Jacob und Peter,alle17alle drei zugleich, die erſte im hoͤchſten Affect, der zweite im weinerlichen Ton, und der dritte in voller Gelaſſenheit.
Hab ich je ſo ein impertinentes Weib geſehn?
Das iſts nun mit den vor - nehmen Gevattern.
Ja die kam mir gerade recht!
Vornehmen Gevattern! Wie viel vornehmer ſind ſie denn, als unſer eins? Wir ha - ben mehr wie ſie. Wenn du den Gaſthof aufgiebſt und dir einen Rathstitel kaufſt, welches du aus - fuͤhren koͤnnteſt, ſo bin ich was ſie iſt, denn von Adel iſt ſie nicht.
Darinnen hat ſie recht, Frau Schwe - ſter, wenn nehmlich ihr Mann eine ſolche Narrheit begehen wollte — Hm, wie ſie ſich erſt zierte und wehrte, Gott bewahrs! als wenn ſie von Zucker waͤre. Und wißt ihr, warum ſie darnach einlenk - te? Jch ſollte ihr was zum Praͤſent machen, das hoͤrte ich aus ihren Reden — ja Peter iſt ſo dumm nicht, wie er ausſieht.
Da haben Sie recht, Herr Bru - der, da haben Sie recht! Jch gaͤbs nicht um wie viel, daß Sie die dumme Kaͤthe, die hochmuͤthige, ſo ablaufen ließen. Ja ſie hat viel Ehre zu reden,2 r Theil. Bwer18wer ihre Conduite nicht wuͤßte. Sie lebt ja blos von den Geſchenken der Mannsperſonen; hier ſtroͤmten eine ſolche Menge Seandalgeſchichten aus dem Munde meiner Mutter, daß Jacob und Peter nichts als zuhoͤren und erſtaunen konnten. Der erſte unterbrach doch endlich den Strohm, und ſagte: „ Ach mein liebes Suschen, wenn du das gewußt haſt, haͤtteſt du nicht ſo darauf beſte - hen ſollen, daß ich ſie zu Gevattern bat; zu ſol - chen Handlungen nimmt man doch ehrbare und geſetzte Leute. “ Pauvre Ni — verſetzte Suschen, hielt aber bei der Haͤlfte des letzten Worts innen, weil ſie ſich fuͤr Petern fuͤrchtete, der, wenn er auch die Worte nicht verſtuͤnde, doch errathen koͤnnte, daß ſie keine Schmeichelei fuͤr ſeinen Bru - der enthielten. Dieſer ſchwieg und ſeufzte; Peter aber meinte, er haͤtte recht, und ließ ſich lang und breit uͤber den Mißbrauch bei der Wahl der Pa - then aus. „ Die Abſicht der erſten Kirche, ſagte er, war, wie ich unterrichtet bin, daß die Pathen im Namen des Kindes angeloben muͤſſen, es wolle alle die Chriſtenpflichten und Tugenden ausuͤben, die der Geiſtliche ihm auferlegt; hernach mußten ſie dafuͤr ſorgen, daß die Kinder fein ehrbar und fromm erzogen, daß ſie in der Religion gehoͤrig unterrichtet wurden; ja, wenn die Eltern ſtarben,mußten19mußten ſie ganz dafuͤr ſtehen. Aber jetzt — ja wenn die Kindtaufe vorbei iſt, fragen die Gevat - tern nicht mehr nach dem Pathen, und ihrentwe - gen mag er wiſſen, ob ein Gott im Himmel iſt oder nicht, mag in der Folge an den Galgen oder aufs Rad kommen. Die Eltern denken auch nicht daran, was ſie fuͤr Pathen zu ihren Kindern neh - men, entweder ſie gehen nach der Hoffarth, oder nach der Jntreſſe, oder ſie wollen dem Kinde in der Zukunft einen Goͤnner zu zeitlichen Abſichten verſchaffen, welches noch die leidlichſte von allen Urſachen, wiewohl auch nicht die rechte iſt, und auch nicht immer ihre Abſicht erreicht. Wenn ich ein Weib genommen und Kinder gezeugt haͤtte, ſo wuͤrde ich bei allen ſelbſt Gevatter geweſen ſein, und haͤtte etwa zwei meiner naͤchſten Verwandten oder beſten Freunde dazu genommen, ſo haͤtte ich doch gewußt, daß ich wenigſtens mein im Na - men des Kindes gethanes Verſprechen als Vater natuͤrlicherweiſe erfuͤllen muͤßte und wuͤrde. “
Dieſe Anmerkungen meines Oneles waren ganz nach Celeſtins Sinn; er meinte, der reiche Korn - haͤndler, dem er uͤberhaupt ſehr gut war, gehoͤrte unter die Geiſtmenſchen, denn wer die Wahrheit liebte, und das Spielen mit wichtigen Dingen, die zum guten Zweck eingefuͤhrt waͤren, mißbilligte,B 2bewieße20bewieße uͤberhaupt ein zartes Gefuͤhl und einen ge - bildeten Verſtand; dahingegen Leute, die alles ohne Nachdenken und Schonung nur zu ihren egoiſti - ſchen Abſichten benutzten, nichts weiter uͤberlegten oder mitmachten, als wie es ihnen zum Vortheil oder Zeitvertreib gereichte, recht thieriſche Gemuͤ - ther haͤtten, welche gar nicht wuͤßten noch wiſſen wollten, was Grundſaͤtze waͤren. Er ſagte noch mehr daruͤber, und das viel ſchoͤner und beſtimmter, als ichs wiederholen kann, da ich nicht ſehr auf - merkſam war. Ueberhaupt bildet ſich Herr Celeſtin ein, alle die Leute, die nicht ſeine Grundſaͤtze be - ſaͤßen, haͤtten gar keine, welche Anmaßung ich nie leiden konnte. Meine Mutter, ihre guten Freun - de, und ich, ihr wuͤrdiger Sohn, hatten die unſri - gen auch formirt, wenn auch nicht nach Celeſtins Art. So wollte meine Mutter z. B. da ſie mich einmal mußte taufen laſſen, Pathen nehmen, die aus der vornehmen Menſchenklaſſe waͤren, in welche ſie zu treten gedachte, und auch mich verſetzen woll - te. Sie wuͤnſchte nicht mir Freunde zu machen, die von Moral und Sittſamkeit ſtrotzten, oder ſolche, die ihren Gang ſo alltaͤglich weggiengen, und gute einfaͤltige Geſchoͤpfe waͤren. Nein, ſie wollte mich ſchon durch meine Pathen zum Spie - ler, dies war der Cavalier, und zum galantenMen -21Menſchen, dies war er ſowohl als die Regierungs - taͤthinn, weihen, konnte auch verſichert ſein, daß beide, wenn ſie ſich einſt um mich bekuͤmmern ſoll - ten, gewiß das ihrige thun wuͤrden, mich zu den Tugenden, die ſie ſelbſt beſaͤßen, anzuhalten. Han - delte nun meine Mutter nicht nach angenommenen Grundſaͤtzen, wie konnte alſo Celeſtin ſagen, die Thiermenſchen haͤtten gar keine.
So war alſo das Feſt bei meiner Taufe abge - laufen; Johann Jacob hieng noch ſo mit unter an gewiſſen aberglaͤubiſchen Meinungen, meinte alſo, es waͤre kein gutes Anzeigen, daß Verdruß und Zank bei derſelben vorgefallen waͤre, der Him - mel moͤchte nur helfen, daß ich nicht ein Zaͤnker wuͤrde, oder ſonſt in viel Widerwaͤrtigkeiten ge - riethe. Peter meinte, man muͤßte mich nur ſorg - faͤltig und brav erziehen, ſo wuͤrde ich kein Zaͤn - ker werden, und zu einem uͤbeln Schickſal wenig - ſtens nicht gefliſſentlichen Anlaß geben. Meine Mutter aͤrgerte ſich uͤber das dumme Geſchnake des erſten und die unnoͤthigen Vermahnungen des letz - ten. Sie wußte gewiß, daß ich gut gerathen wuͤr - de, und wollte ſelbſt dafuͤr ſtehen, daß ich einſt als ein Menſch auftraͤte, der ſich in allen Stuͤcken zu nehmen wuͤßte, welches mir ja ſchon angebohrenB 3ſei.22ſei, auch wuͤrde ich Geiſt, Verſtand und Lebhaf - tigkeit mit der Muttermilch einſaugen.
Sie beſchloß nehmlich, da ich auf die Welt kam, und ſogleich ihre ganze Liebe als erſtes Ge - ſchenk uͤberkam, mich ſelbſt zu ſtillen; es war ihr hoͤchſt angenehm, dies thun zu koͤnnen, ohne dar - um eine gemeine Frau zu ſcheinen, da, wie ihr zu Ohren gekommen war, eine gewiſſe Fuͤrſtinn und etliche andere ſehr hohe Damen dieſes Geſchaͤft ſelbſt uͤbernommen hatten. Nichts that ſie alſo mit groͤ - ßerm Vergnuͤgen, als mich an die Bruſt zu legen, obwohl ihr dies viel Schmerz verurſachte, denn da der ſchon im erſten Theil meiner Geſchichte gedach - te Trieb zu beißen in mir lag, ſo preßte ich, wenn ich ſaugte, in Ermangelung der Zaͤhne das Zahn - fleiſch feſt zuſammen, und nagte ſo an dem Pur - purknoͤpfchen, welches meine Mutter mir in den Mund gab, daß ich oft Blut und Milch zuſam - mengenoß. Sie ſorgte fuͤr ein Mittel, die Wun - den immer wieder zu heilen, und ſtillte mich die erſten Tage meines Lebens taͤglich nur ein - oder zweimal; man mußte mich dazwiſchen mit etwas anderm abfertigen; Demnach gieng es lange noch ſo mit, und des Schmerzes wurde, weil ihn Gold - fritzel verurſachte, nicht geachtet. Aber nach eini - gen Wochen hatte ich das, woran ich ſaugen ſollte,voͤllig23voͤllig losgeſaͤgt, es fiel auf beiden Seiten ab, und nun war nichts zu thun, als eine Amme zu nehmen.
Jch hatte die 10 Monate hindurch, in denen ich Muttermilch genoß, 12 Ammen, keine von ihnen hielt den Schmerz, den ich ihnen verurſachte, lange aus; da ich bei den letzten ſchon ein paar Zaͤhne hatte, ſo biß ich nun foͤrmlich, wurde dafuͤr von den Ammen tuͤchtig ausgeklitſcht, und ſchrie denn aufs klaͤglich - ſte. Dies half mir nichts, wenn meine Mutter ausgegangen oder im Hauſe beſchaͤftigt war; die jedesmalige Amme hingegen erhielt dadurch, daß ich mich mehr in Acht nahm, oder traͤnkte mich mit etwas anderm. War aber meine Mutter in der Naͤhe, ſo kam dieſe auf mein Geſchrei herzu - gelaufen, ſchrie dann noch aͤrger, als ich mit der Amme, und fertigte ſie ab; es war von dieſen Saͤu - gerinnen keine ohne Lerm aus dem Hauſe gekom - men; da endlich meine Mutter beſchloß, mich zu entwoͤhnen, gieng es mit den Waͤrterinnen eben ſo und noch ſchlimmer; denn ſobald ich nur einiger Begriffe faͤhig war, uͤbte ich alle Bosheiten aus, zu denen ein Kind vom erſten bis ins dritte Jahr nur geſchickt ſein kann, und waͤhrend der Zeit im - mer mehr Faͤhigkeit bekommt. Wollte dies die Waͤrterinn nicht zugeben, ſo ſchlug ich nach ihr,B 4oder24oder ſuchte ſie zu beißen; wenn ſie dann, daruͤber aufgebracht, mich ein wenig abkeulte, ſo ſchrie ich, als wenn ich geſpieſt wuͤrde, wenn ich nehmlich die Mutter in der Naͤhe wußte. Die klaͤgliche Stim - me ihres Goldfritzels erſcholl dann, wo ſie auch im Hauſe ſein mochte, in ihren Ohren, ſie kam ge - rannt, und begann einen Zank mit der Waͤrterinn, welche hingegen erzaͤhlte, was ich gethan, es gar nicht laͤugnete, daß ſie mich geſchlagen haͤtte, und behauptete Recht gehabt zu haben. Meine Mutter war nicht derſelben Meinung, ſie nahm es hoͤchſt uͤbel, daß ein ſolches Weib oder Menſch ihren jun - gen Herrn ſchlagen konnte, ein paarmal begleitete ſie die Schimpfnamen, die ſie einer ſolchen Perſon gab, mit Stoͤßen und Puͤffen, man wehrte ſich, und ſo kam es mehrmals zu einer foͤrmlichen Pruͤ - gelei, welche den Johann Jacob unendlich beun - ruhigte; denn wenn er durch den fuͤrchterlichen Lerm, den die Kaͤmpfenden machten, herbeigezo - gen ward, ſollte er ſeiner lieben Frau beiſtehen und Recht ſchaffen, wobei er ſich nicht allemal nach ihrem Sinn benahm, und nun kaum vor Pruͤgeln von ihr ſicher war. Das Ende vom Spiel war im - mer, daß die Waͤrterinn wegkam, und einigemal kam es zu Prozeſſen.
Mir25Mir war ein ſolcher Zank oder gar eine Schlaͤ - gerei, bei der alles, was im Gaſthofe war, zuwei - len zulief, und die Voruͤbergehenden vor den Fen - ſtern ſtehen blieben, ein treffliches Schauſpiel; ſo - bald ich laufen und reden konnte, ſorgte ich immer mehr fuͤr die Wiederholung des Stuͤcks, und freute mich eben ſo ſehr, meine Mutter herunterhunzen zu hoͤren, als die Perſon, welche mich zu pflegen hat - te. Der erſten gehorchte ich auch anders nicht, als wenn ſie mir allen Willen that, und nahm oft Din - ge vor, die mir hoͤchſt ſchaͤdlich ſein, ja gefaͤhrlich ausfallen konnten, von denen ich nicht anders ab - ließ, als wenn mich die Mutter durch Bitten, Schmeicheleien, Naͤſchereien u. d. gl. dazu bewog.
Nichts war mir lieber, als ſie zu aͤngſtigen; da ich drei Jahr alt war, mußte ſie einſt auf ei - nen halben Tag uͤber Land fahren, und es wollte ſich nicht ſchicken, daß ſie mich mitnehmen konnte, alſo mußte ſie mich der Waͤrterinn uͤberlaſſen, der ſie mich auf die Seele band. Meine damalige Waͤrterinn war eine alte Frau, die lange in gro - ßem Elend gelebt hatte, es gieng ihr in unſerm Hauſe nichts ab, wenn ich nur mit ihr zufrieden war, ſo ward ſie uͤber ihren Lohn beſchenkt und reichlich genaͤhrt. Sie beſchloß alſo, Geduld mit mir zu haben, ließ mir allen Willen, und war er -finderiſch26finderiſch in abwechſelndem Zeitvertreib fuͤr mich. Jch machte ihr alſo wenig Verdruß; aber an dem ſchon obbemeldeten Nachmittag ſpielte ich ihr doch einen empfindlichen Streich, der aber mehr meiner Matter, als der Waͤrterinn gelten ſollte. Dieſe ließ mich gegen Abend einige Augenblicke allein, und ich benutzte ihre Abweſenheit, mich hinauszu - ſchleichen, um mich zu verſtecken. Dazu fand ich die beſte Gelegenheit in einem dunkeln Winkel un - ter der Treppe, wo man eine kleine Thuͤr ange - bracht hatte, um zuweilen junge Huͤhner oder Gaͤnſe einzuſetzen. Eben war der Winkel leer, ich kroch hinein und ſo weit hinter, als ich konnte; nun hielt ich mich ruhig, und hoͤrte mit Vergnuͤgen, wie meine alte Margarethe jammerte, als ſie mich nir - gends fand. Sie fragte alle Leute im Hauſe, ob ſie mich nicht geſehen haͤtten, lief Trepp auf, Trepp ab, in den Hof, auf die Gaſſe, rufte mich, weinte, und raufte ſich vermuthlich die Haare aus, da eins der andern Domeſtiquen ſagte, ich wuͤrde ver - muthlich zum Brunnen gelaufen, hineingefallen und ertrunken ſein, welches eben ein ſo großes Un - gluͤck nicht iſt, ſetzte die Stimme hinzu, denn es waͤre doch nur ein Lotterbube aus ihm geworden. — Es war ſehr wahrſcheinlich, daß ich im Brunnen liegen konnte, denn oft war ich ſchon, allen Leu -ten27ten zum Poſſen und um die Mutter zu aͤngſtigen, hingelaufen, und hatte gethan, als wollte ich hin - aufklettern und mich hineinſtuͤrzen. Dies war nie mein Ernſt, denn von Kindauf liebte ich das Le - ben und ſcheute alles, wovon ich hoͤrte, daß es mich um daſſelbe bringen koͤnnte.
Nun berathſchlagte man, was zu machen ſei? Heraus, wurde gemeint, muͤßte man mich doch ziehen, es kaͤme aber nicht darauf an, ob es erſt in einer Stunde geſchaͤhe, da ich doch ſchon er - trunken waͤre; die Hauptſache aber war, wie es den Eltern beizubringen ſein moͤchte. Der ver - nuͤnftigſte und aͤlteſte von den Marqueurs entſchied endlich, daß man doch vor allen Dingen den Brun - nen unterſuchen muͤßte, und ließ einen Roͤhrknecht holen, denn von unſern Leuten wußte ſich keiner zu benehmen. Es vergieng uͤber eine halbe Stun - de, ehe der Roͤhrknecht kam; indeſſen hatte der Aufruhr im Hauſe Leute herbeigezogen, die denn erfuhren, von was die Rede war. Einige blieben, um zu erfahren, ob ich wuͤrklich im Brunnen laͤge; andere giengen weg, um die Geſchichte weiter zu erzaͤhlen; es kam ſogleich herum, Goldfritzel waͤre erſoffen, woruͤber man nicht eben klagte, ſondern zu lachen beliebte, denn ich und meine Mutter wa -ren28ren ſchon das Stadtgeſpraͤch, und ich unter dem Namen Goldfritzel uͤberall bekannt.
Jndem nun immer mehr von unſern Bekann - ten zuſammen kamen, das Haus voll Menſchen war, und eben der abgeſchickte Purſche nebſt dem Roͤhrknecht, dieſer mit einer langen Leiter verſe - hen, ankam, rollte der Wagen vor die Hausthuͤr, welcher meine Eltern (denn auch der Vater war mit auf dem Lande geweſen) nach Hauſe brachte. Die Verſammlung im Hauſe kuͤndigte ihnen an, daß etwas vorgefallen war; ſie forſchten, wie na - tuͤrlich, ſogleich, und nun war es nicht lange zu verbergen. Mein Vater wehklagte jaͤmmerlich, aber Mutter Suschen ließ ſich nicht aufs bloße Wehkla - gen ein. Sie ſchrie, daß es weit und breit umher erſcholl, wand die Haͤnde uͤber den Kopf, warf ſich ſelbſt zur Erde, und laut toͤnten die Worte: ach mein Goldfritzel, mein Augentroſt, mein einziges Leben! von der Erde raffte ſie ſich auf, um alle Leute zu mishandeln und Margarethen zu erwuͤr - gen. Dieſe ſaß auf der Treppe, konnte weder mehr weinen noch ſprechen, ſondern erwartete, was man mit ihr vornehmen werde. Da ſie meine Mutter ins Geſicht bekam, lief ſie wie eine Furie auf ſie zu und riß ſie bei den Haaren auf. Mit dem, was ſie dazu aus der Fuͤlle ihres Herzens ausſtieß,will29will ich den Leſer nicht bewirthen, es waͤre Ver - ſchwendung, ihm der herrlichen Dinge ſo viel und ohne Ruͤckhalt aufzutiſchen; es mag alſo dabei blei - ben, daß er die Rettung der armen Margarethe erfaͤhrt, welche von etlichen ſtarken Menſchen aus den Haͤnden meiner Mutter befreit ward, obwohl ſie feſt um die Kehle der Alten geklammert waren.
Mein Vater that hierauf ſein zaͤrtliches Fle - hen zu den Vorſtellungen der andern, ſo daß ſich Frau Suschen bereden ließ, in ihre Stube zu ge - hen und Medizin zu nehmen, wie denn ſogleich nach einem Arzt geſchickt ward. Sie ſchrie zwar, indem man ſie wegbrachte, noch immer: nein, ich will mein Kind ſehen, ich will es herausziehn ſe - hen; aber Johann Jacob verſprach bei der Unter - ſuchung zugegen zu ſein, und mich ihr hinbringen zu laſſen; auch gab man ihr einige Hoffnung, daß ich wohl auch nicht im Brunnen laͤge, (denn kein Menſch hatte mich doch hineinfallen ſehen,) oder daß ich, wenns ja waͤre, wohl noch zu retten ſein koͤnnte.
Die Unterſuchung bewies, daß Goldfritzel nicht ins Waſſer gefallen war, die Zuſchauer fiengen an ſich zu verlaufen, und im Hauſe entſtand die Frage, wo ich ſein koͤnnte? Die Unterſuchung gieng aufsneue30neue an, aber keines fiel auf den Huͤhnerwinkel un - ter der Treppe, man wußte alſo nicht was man denken ſollte. Margarethe wollte ſich davon ma - chen, aber theils aus Mitleiden, theils der ge - nauern Unterſuchung wegen, gab es mein Vater nicht zu, ſondern ließ ſie unter der Verſicherung, daß er ſie nach Befinden der Umſtaͤnde, ſo wie auch bis ſie ſich entwickelt haͤtten, in Schutz nehmen wollte, in eine entfernte Stube gehen. Meine Mutter lag im Bette, und weinte, ſchimpfte, muthmaßte; Madalen kam herein, die jetzt bei den Maͤgden reſidirte, aber die Mutter hieß ſie ſich gleich wieder fortpacken, und rief ihr nach: du haͤß - licher Balg, waͤreſt du dafuͤr weg, aber dich wird der Tenfel nicht holen.
Endlich, da man doch nicht immer in Auf - ruhr ſein konnte, und es Zeit zum Abendeſſen war, gieng jedes an ſeine Geſchaͤfte; ich fuͤhlte, daß mich hungerte, und da ich die Teller klingen hoͤrte, ſchlich ich abermals unvermerkt aus meinem Win - kel hervor, gieng zu meiner Mutter und lachte aus vollem Halſe. Sie war wie neugebohren, fuhr aus dem Bette, ſchloß mich in ihre Arme, kuͤßte mich unzaͤhligemal, und gab mir die zaͤrtlichſten Namen. Das Maͤdchen, welches in der Stube geweſen war, lief heraus und ſchrie: er iſt wieder da! Alles kam,um31um mich zu ſehen, und freudig wackelte Johann Jacob herzu. Dieſer aber ſchmeichelte ſeinem wie - dergefundenen Soͤhnchen nicht ſo wie die Mutter; vor allen Dingen wollte er wiſſen, wo ich geweſen waͤre? Jch kannte die Furcht vor Strafe nicht, und hatte keine Ahnung davon, daß mein Bubenſtuͤck ſolche verdiente, alſo ſagte ich ohne Scheu, daß ich mich in jenem Winkel verſteckt gehabt haͤtte, damit Margarethe recht beulen und ſchreien, die Mutter recht ſehr ſchelten und auch ſchreien ſollte, wenn ſie daͤchten, ich haͤtte ein Ungluͤck genommen.
Johann Jacob war ſchon lange nicht mit mir zufrieden, und hatte oft genug uͤber meinen Muth - willen, Eigenſinn, Ungehorſam und Trotz geredet, ja oft mit Seufzen prophezeihet, daß nichts gutes aus mir werden wuͤrde, wenn ich nicht in beſſere Zucht genommen wuͤrde. Jetzt ſchlug er die Haͤn - de zuſammen und rief: welche Bosheit! und ſoll die etwa ungeſtraft bleiben? er ergriff mich beim Arm — Was willſt du dem Kinde thun, Henker? ſchrie meine Mutter, und riß mich weg, es iſt ein luſtiger Streich, der Junge hat Witz und Geiſt, und iſt keine ſolche Schlafmuͤtze wie du. Johann Jacob wollte ſein Gewiſſen hier nicht mit feigem Nachge - ben beſchweren, er erhob ebenfalls die Stimme: ich kehre mich, ſagte er, nicht an deine Schmaͤh -ungen32ungen, der Junge muß Hiebe haben, und ſoll nun die Nacht in dem Winkel ſtecken, wo er ſich verbarg. Hier begann ich ein Zetergeſchrei, und klammerte mich an meine Mutter an; dieſe ſetzte ſich in Poſitur, ſie both meinem Bater die Fauſt entgegen, und ſchrie: unterſtehe dich und ruͤhre ihn an! fort, den Augenblick fort, und laß mich mit dem Jungen allein, den ich unter meinem Her - zen getragen habe, und du nicht leiden kannſt, weil ich ihn liebe. Packe dich zu deiner ſchleichenden tuͤckſchen Madalen, die ſo iſt wie du.
Was war nun zu machen? Johann Jacob ſah und hoͤrte ſchon wieder um und um Aufpaſſer, er wollte es nicht weiter kommen laſſen, gieng und ſagte: das ſei Gott geklagt! Meine Mutter aber nahm mich auf ihren Schoos, und nachdem ſie nochmals ihre Freude bezeugt hatte, mich wieder zu haben, wollte ſie ein uͤbriges thun, und mich huͤbſch muͤtterlich vermahnen: „ das mußt du aber nicht mehr thun, mein Herzchen, “ſagte ſie im zaͤrt - lichſten Tone, „ ſieh nur wie du mich erſchreckt haſt, ich waͤre bald gar geſtorben, darnach haͤtteſt du keine Mamma mehr gehabt, und der Pappa kann dich nicht leiden, der haͤtte dich immer gepruͤgelt, und dir nichts gutes und ſchoͤnes gegeben. Nein, du mußt dein liebes Mammachen ja nicht ſo aͤng -ſtigen,33ſtigen, die giebt dir alles, und der Pappa darf dir gar nichts thun. “
Von dieſer Art waren alle ihre Vermahnun - gen, welche aber, wenn ſie auch nur immer die Pflicht und Dankbarkeit gegen ſie allein angiengen, und alles, was der Vater, die Schweſter, oder ſonſt jemand von mir fordern zu koͤnnen, glaubten, gaͤnzlich ausſchloſſen, nicht den geringſten nur ober - flaͤchlichen Eindruck auf mich machten vielmehr dispenſirte ich ſelbſt mich von den Forderungen, die das liebe Mammachen allein betrafen, indem ſie mich von jeder Pflicht fuͤr andere frey ſprach.
Sie ließ es ſich uͤbrigens beſtaͤndig angelegen ſein, mich als einen ſehr wichtigen Menſchen dar - zuſtellen. Die Domeſtiquen konnten ſich eher an ihr ſelbſt, als an mir vergehen, welches von ihnen mich nicht Sie und junger Herr nannte, ſich etwa gar erdreuſtete, mir etwas zu verweiſen, oder nicht alles, was ich ihnen ſelbſt anthun wollte, zu dulden, dieſe wurden ausgeſchimpft, und wenn ſie ſich nicht beſſerten, gar abgeſchaft. Wer aber mich immer lobte, uͤber meinen muntern Geiſt lachte, ſich jede Neckerei, ja oft die empfindlichſten Poſſen von mir gefallen ließ, konnte auf ihre Huld rechnen.
Jch war alſo unumſchraͤnkter Gebiether im Hauſe, denn ſelbſt die Mutter lernte bald2r Theil. Cmeinen34meinen Willen ehren und hatte Reſpect fuͤr mich Johann Jacob verſuchte nach dem erſten ausgezeich - neten Genieſtreich, das Verſtecken im Huͤhnerwin - kel betreffend, noch eine Weile an meiner Erziehung Theil zu nehmen, und guͤtliche Vorſtellungen zu thun; da er aber ſahe, daß es vergebene Arbeit war, und er umſonſt hoffte, mich zu einem pauvre Nigaud zu machen, wie er war, (welches meine Mutter ihm Schuld gab,) ſo ſchraͤnkte er ſein vaͤ - terliches und maͤnnliches Anſehen im Hauſe blos darauf ein, daß er meine Schweſter in Schutz nahm, damit ich ſie nicht ganz zu meinem Ball machen moͤchte, wie es denn, ſo oft wir zuſam - men waren, geſchah. Damit es nun nicht immer geſchehen moͤchte, mußte Madalen, wenn er zu Hauſe war, in ſeinem Stuͤbchen ſein, wenn er aus - gieng, nahm er ſie mit und gab ſie einer Verwand - tinn in die Verwahrung, wo er ſie bei der Ruͤck - kunft wieder abholte. Meine Mutter ließ ihm dies, um doch nicht uͤberall zu widerſprechen, zu, da er ſich um mich nicht weiter bekuͤmmerte.
Jch waſche meine Haͤnde wegen Nickeln in Un - ſchuld, pflegte er oft zu ſagen — Dies war es, wertheſten Leſer, was ich anfuͤhren wollte, als ich im erſten Abſchnitt des erſten Theils ſagte: mein Vater pflegte zu ſagen, und dann mich erinnerte,daß35daß ihr noch nicht wuͤßtet, wer er war — Meine Haͤnde in Unſchuld, ſagte er alſo, verantworte du es, wenn er ganz verdirbt, und dir ſelbſt einſt uͤbel lohnt. Jch werde es nicht erleben, daß er groß wird, und ſehne mich auch nicht nach einem langen Leben. Meine Mutter ruͤmpfte bei ſolchen Reden das Maul und ſagte nichts, dachte aber vermuth - lich: es wird gut ſein, wenn du dich bald trollſt. Was mich betraf, ſo dachte ich gar nichts dabei, und ſah den Vater als einen Mann an, der etwas einfaͤltig waͤre, und doch mitreden wollte, worauf man nicht zu achten haͤtte. Sonſt aber hielt ich ihn fuͤr einen guten Tropf, und war ihm ziemlich gewogen; er war es im ganzen Hauſe allein, den ich nie mit Fleiß beleidigte, oder ihm gefliſſentliche Kraͤnkungen zuzog, welchen aber ſelbſt meine Mut - ter nicht entgieng.
Der ehrliche Johann Jacob mochte wohl oft auf einen Plan ſtudiren, wie ich aus den Haͤnden der Mutter zu bringen ſein moͤchte; er wollte nie ganz von dem Wunſch abſtehen, einen moraliſch guten Tropf aus mir zu machen, und ich glaube, er haͤtte ſein halbes Vermoͤgen darum gegeben, wenn es haͤtte geſchehen koͤnnen. Aber zum Gluͤck fuͤr die loͤblichere Abſicht meiner Mutter, einen Men - ſchen, der ſich in alles ſchickt, (wie ſie es nehmlichC 2aus -36ausdruͤckte,) an mir zu erziehen, hatte er keinen Funken von Hoffnung, mich ihrer deſpotiſchen Re - gierung zu entziehen, und gab ſie endlich auf. Felß war, als ich kaum 5 Jahr alt war, abgereiſt, von ihm alſo konnte Vater Schnitzer keinen Rath nehmen, was haͤtte er aber auch gefruchtet, da er ihn nicht befolgen durfte.
Jch hatte dieſen geheimnißvollen Mann, ſo klein ich war, da er unſere Stadt verließ, doch noch vorher kennen lernen. Johann Jacob hatte es nun einmal fuͤr gewiß angenommen, daß ich ſein Sohn waͤre; da ich nun nach der Leute Urtheil ein ganz huͤbſcher, wie meine Mutter meinte, ein bildſchoͤ - ner Knabe war, und Munterkeit des Geiſtes beſaß, ſo gab es doch Stunden, wo ſich Vater Schnitzer uͤber mich freute, und es dann gern ſah, wenn er mich ſeinen guten Freunden vorſtellen konnte. So wuͤnſchte er auch immer, daß Fels mich ſehen ſoll - te, er hatte mich zwar ſchon, als ich ganz klein war, in Augenſchein genommen, indem meine Mut - ter, da er einſt zu uns kam, eben nicht zu Hauſe war, und der Vater mich ſeinem geehrten Freund hintrug. Seitdem aber wagte es der erſte nicht mehr, einen ſo unbaͤndigen Jungen dieſem letztern fuͤr die Augen zu bringen, weil er ſich vor dem weiſen Mann ſchaͤmte, einen ſolchen Sohn zu ha -ben;37ben; er unterdruͤckte alſo ſeinen Wunſch, wegen meines Aeußern etwas angenehmes von Felßen zu hoͤren. Suschen aber war es ſelbſt, welche ihren biegſamen Mann dahin brachte, daß er mich, da ich vier Jahr alt war, mit zu ihm nahm. Jhre Rache an Felßen war eigentlich noch gar nicht genommen, ſie ſah auch nicht, wie ſie jemals zu einer ſolchen Befriedigung gelangen ſollte. Mit einemmal fiel ihr mein Trieb zu beißen als ein Mittel dazu ein, und ſie beſchloß, ſich deſſen zu bedienen. Um zu dieſem Zweck zu gelangen, ſtellte ſie ſich, als waͤre ſie gar nicht mehr Felßens Feindinn, erzaͤhlte, wie ſie ihm begegnet und wie ſie einander freundlich ge - gruͤßt, wie es ihr geſchienen haͤtte, als ſaͤh er kraͤnk - lich aus, woraus wohl zu ſchließen ſei, daß der Mann großen Kummer haͤtte. Hieruͤber beklagte ſie ihn, und wuͤnſchte doch, daß ſich ſein Schickſal aͤndern moͤchte. Wie von ohngefaͤhr ſprach ſie uͤber den andern Tag wieder von ihm, und dann ſtellte ſie ſich, als fiel ihr ploͤtzlich ein, daß er mich noch nicht geſehen haͤtte. Zeige doch, ſagte ſie, deinem guten Freund unſer Goldfritzel, er wird ſich gewiß uͤber ihn freuen, geh doch morgen oder uͤbermorgen mit ihm hin. Ja, ſagte der Vater, wenn mein Nickel artig ſeyn wollte! das will ich ſein, Pappa, rief ich, Sie ſollens ſehn. Jch hatte zwar nichtC 3willens,38willens, mich dieſes Verſprechens wegen zu geniren, aber weil ich doch gern mitlaufen wollte, und be - ſorgte, Johann Jacob wuͤrde es von ſich ablehnen, ſo wollte ich ihn dadurch bewegen. Vor Freuden, daß dieſe noch nie gehoͤrten Worte aus meinem Munde giengen, erhielt ich das Verſprechen, mor - gen des Tages mit zu Herr Felßen genommen zu werden.
Meine Mutter zog mich, als es am andern Tage geſchehen ſollte, ſelbſt an, und indem ſie es that, ſagte ſie: hoͤre, mein Goldfritzel, der Mann, zu dem dich der Vater fuͤhrt, hat deiner lieben Mamma recht ſehr viel Tort gethan, wenn du jetzt bey ihm ſein wirſt, und er mit deinem Pappa ſpricht, ſo ſchleich dich hinter ihn und beiß ihm tuͤchtig in die Wade, aber ja unvermerkt, hoͤrſt du? Wenn du deine Sache gut machſt, ſo kaufe ich dir noch heute einen kleinen Wagen mit Pferden und Reiter, und eine neue Peitſche, auch gebe ich dir delicate Dorte. Aber du mußt es beileibe dem Pappa nicht ſagen, daß ich dir das geheißen habe, ſonſt nimmt er dich nicht mit, und wenn du den Felß gebiſſen haſt, mußt du es ja auch nicht ſa - gen. — Aber, entgegnete ich, der fremde Mann wird mich pruͤgeln, wenn ich ihn beiße. — Ach nein, ver - ſetzte lieb Mammachen, und wenn er oder, Pappadir39dir auch ein Klaͤpschen giebt, bekommſt du doch von mir ſchoͤne Sachen dafuͤr.
Nun giengs alſo mit dem Vater fort, und Herr Felß freute ſich in der That uͤber mich, denn ich that anfangs ſehr artig, auch mißfiel mir der freund - liche Mann eben nicht. Er legte ſeine Arbeiten weg, gab mir Bilder und Zeichnungen, um mir die Zeit damit zu vertreiben, ſetzte ſich dann mit meinem Vater etwas entfernt von dem Tiſch, vor welchem ich ſtand, um mich nach Gefallen mit den Bildern ſpielen zu laſſen. Sie ſprachen lange ganz ruhig und unbekuͤmmert um mich, ehe mir mein Auftrag von der Mutter wieder einfiel; da es aber geſchah, trat auch zugleich der Gedanke an die ver - ſprochen Spielſachen ein; und zugleich erwachte meine Wuth zu beißen. Felß ſaß ſo, daß ich ihn in Profil haͤtte mahlen koͤnnen; das rechte Bein mit ei er tuͤchtigen Wade fiel mir ſogleich in die Augen, ich ſtand auf, nahm alles, was vor mir lag, in die Hand, gieng hinter ſeinen Stuhl, ließ die Bilder fallen, und legte mich dann, um ſie wieder aufzunehmen, auf die Erde. Was machſt du denn, Junge, ſagte Johann Jacob, und Felß ſah ſich um; ich leſe die Bilder wieder auf, ſie ſind mir aus der Hand gefallen, verſetzte ich, und beide ſprachen fort und ließen mich machen was ich wollte. NunC 4eilte40eilte ich den Biß anzubringen, und zwar ſo ſtark, daß Felß aufſchrie. Er ſchob meinen Kopf zuruͤck und ſein Bein weg; mein Vater fuhr auf und er - blaßte. Das iſt ein muthwilliger Knabe, ſagte Felß, indem er den Strumpf herunterzog. Alle meine Zaͤhne waren eingedruͤckt, und Felß fand, daß es weh that. Johann Jacob nahm mich, der wie - der aufgeſtanden war, etwas unſanft beim Arm und fuͤhrte mich zur Thuͤr hinaus; zu Hauſe, ſagte er, ſollſt du deine Strafe haben, hier will ich mit dir Boͤſewicht keinen Lerm machen, und ſo eilte er wieder ins Zimmer, um Felßen faſt fußfaͤllig um Vergebung zu bitten, und ſeine Dienſte bei dem beſchaͤdigten Bein anzubieten. Es wird nichts zu bedeuten haben, ſagte Felß, ich habe da einen Spi - ritus, der bei Quetſchungen vortrefflich iſt; aber warum mags wohl der Kleine gethan haben? Jo - hann Jacob wußte nicht, oder wollte nicht ſagen, warum, ob ihn gleich die Erfahrung lehrte, daß es aus Neigung zu beſchaͤdigen geſchah, er wollte ſo - gar meine ihm bekannte Luſt zu beißen nicht geſte - hen, alſo ſagte er, ich weis nichts, als Sie um Verzeihung zu bitten, und will den boͤſen Jun - gen zu Hauſe tuͤchtig ſtrafen, will ihn gewiß nicht ſchonen. Verzeihen Sie nur, Herr Felß, und rechnen es mir nicht zu! Gern verſprach diesFelß,41Felß, beſtaͤrkte aber auch meinen Vater in dem Vor - ſatz, mich zu ſtrafen, weil man den Kindern tuͤckiſche Streiche und uͤberhaupt die Neigung zu beleidigen und zu beſchaͤdigen, abgewoͤhnen muͤßte.
Jch hatte bis hieher vor der Thuͤr zugehoͤrt; jetzt wartete ich nicht ab, daß mein Vater heraus - kam, ſondern lief die Treppe hinunter und fand gluͤcklich den Weg nach Hauſe. Nun eilte ich zur Mutter, und heulte ihr mit aller einem vierjaͤhri - gen Knaben moͤglichen Verſtellung vor, was ſich der Vater vorgenommen haͤtte, weil ich ihren Auf - trag ausgerichtet. — Man ſchließe hieraus, welch ein kluges Kind ich war, da ich ſchon verſtand, mein Verdienſt bei der auf ihren Befehl vollbrachten Handlung dadurch zu erhoͤhen, daß ich fuͤrchtete von meinem Vater geſtraft zu werden. — Sie nahm mich auf den Arm, bat mich zu ſchweigen, und brachte mich in ihre Schlafſtube, wo ſie mich ſo - gleich auszog und zu Bette legte, dann mich ein Glas Wein austrinken ließ, und mir die verſproche - ne Dorte dazu gab. Sei ſtill, mein Herzchen, ſagte ſie, ich will dich ſchon ſchuͤtzen, und Nach - mittage bekommſt du die ſchoͤnen Sachen, welche ich dir verſprochen habe, jetzt ſchlafe nur ein, ich will dem Vater, wenn er kommt, ſagen, du waͤreſt krank. Sie hatte die Thuͤr verriegelt, um bei denAnſtal -42Anſtalten mich als einen Kranken vorzuſtellen, nicht uͤberfallen zu werden; uͤberhaupt wollte ſie mich bei Johann Jacobs Wiederkunft noch nicht zu Hauſe ſein laſſen.
Nun lauerte ſie am Fenſter, bis ſie ihn kom - men ſah, gab mir dann geſchwind noch ein halbes Glas Wein, gieng hinaus, ſchloß mich ein, und wartete ihres Mannes an der Hausthuͤr.
Der ehrliche Jacob hatte der Mutter zu alle - dem Zeit genug gelaſſen; denn als er von Felßen herauskam und mich nicht fand, erſchrak er, frag - te und ſuchte im Hauſe, dann in andern Haͤuſern und auf der Straße nach mir. Einige hatten wohl ein Kind herauskommen, andere vorbeilaufen ſehen, aber man wußte doch nicht eigentlich wo es hinge - gangen war. Mit großer Herzensbeklemmung und ſich den Tod wuͤnſchend, eilte nun der geplagte Mann nach Hauſe, um zu ſehen, ob ich etwa ſchon angelangt waͤre. Suschen ſtand alſo in der Haus - thuͤr, und da Jacob ankam, fragte ſie mit aͤngſtlicher Stimme: wo haſt du das Kind? Er that zitternd die Gegenfrage: ob es nicht nach Hauſe gekommen waͤre? und ſie affektirte ein gewaltiges Erſchrecken. Er begann, was bei Felßen vorgefallen war, kuͤrz - lich zu erzaͤhlen; ſie ließ ihn aber nicht ausreden, ſondern jagte ihn mit ſchreiender Stimme wiederfort,43fort, mich zu ſuchen, wobei ſie ſich untroͤſtlich ſtell - te und ſich das Anſehen gab, als wollte ſie ſelbſt nach mir laufen. Einige Leute im Hauſe hatten mich ankommen ſehen, und jetzt gehoͤrt, daß ich verlaͤugnet, daß der Vater wieder fortgejagt ward; der mehr gedachte alte Marqueur war unter dieſen Beobachtern, er ſuchte alſo unvermerkt fortzukom - men, und lief dem erſten nach; da dieſer aber ſchnell fortgeſchritten und jener erſt ein eben uͤberhabendes Geſchaͤft wenigſtens bei Seite ſetzen mußte, ſo war der beaͤngſtigte Jacob ihm aus den Augen gekom - men, er fand ihn aber, nachdem er etliche Stra - ßen durchgegangen war, und hinterbrachte ihm, daß ich ſchon lange zu Hauſe waͤre, worauf er einen andern Weg einſchlug, um nicht mit Schnitzern zu - gleich einzutreffen.
Als dieſer wiederkam, meldete ihm meine Mut - ter, ich ſei unterdeſſen angekommen, waͤre aber ſo erhitzt, daß ſie mich gleich zu Bette haͤtte bringen muͤſſen, er ſollte nur kommen und ſelbſt ſehen; ſie fuͤhrte ihm ſeinen Leichtſinn, oder vielmehr ſeine dumme Schlaͤfrigkeit gehoͤrig zu Gemuͤthe, ein Kind von meinen Jahren ſo aus der Acht laſſen zu koͤn - nen. Wenn nun, ſagte ſie, der Junge nicht ſo verſchmitzt waͤre, und ſich endlich doch zurechte ge - funden haͤtte, wie leicht waͤrs moͤglich geweſen, daßer44er gar verloren gegangen waͤre, oder ein Ungluͤck genommen haͤtte?
Jacob hoͤrte, wie immer bei ſolchen Kennzeichen der Kunſt in Behauptung und natuͤrlicher Darſtel - lung einer angenommenen Rolle, mit Erſtaunen zu, er lernte nie ſo was gewohnt werden, die Genie - ſtreiche ſeines Suschens ſetzten ihn immer aufs neue in Berwunderung, die ihm keinen Ausdruck derſelben zuließen. Stillſchweigend gieng er mit dahin, wo ich im Bette lag, und vom Wein erhitzt, ſcharlachfarben ausſah, auch wuͤrklich eingeſchlafen war. Beinahe waͤre Johann Jacob auf den Ver - dacht gerathen, der alte Marqueur haͤtte ihm nicht die Wahrheit geſagt, doch meine Gegenwart uͤber - zeugte ihn eines andern. Deß ich erhitzt ausſah und eingeſchlafen war, bewies ihm beim zweiten Augenblick der Ueberlegung nichts, aber er beſchloß nun auch, ſich zu verſtellen, ſchwieg alſo gaͤnzlich und gieng weg.
Als ich erwachte, erhielt mich meine Mutter nicht mehr im Bette, ſie mußte mich wieder an - ziehen, und ich lief hinaus, wogegen ſie eigentlich nichts mehr einzuwenden hatte, da ſie es nicht der Muͤhe werth hielt, ſich und mir um ihres Herrn und Gemahls willen laͤnger Zwang anzuthun, die Sache vorbei hielt, und ſich an dem Gedanken wei -dete,45dete, daß Felß doch etwas geloͤſt haͤtte, und daß ich ein allerliebſter raffinirter Knabe ſei, der ganz nach ihr gerathen, und ihr in der Folge zu allem, was ſie wollte, gut ſein wuͤrde.
Johann Jacob ließ ein paar Stunden hinge - hen, dann nahm er die Zeit wahr, wo Suschen et - was geheimes mit dem Baron Treff, der ſeit ein paar Stunden angekommen war, zu ſprechen hatte, um mich ins Verhoͤr zu nehmen. Er lockte mich zu dieſem Zweck in ſein Stuͤbchen, und ich gieng recht gern mit, da ich mir ſchon vorgenommen hatte, dem Vater die Wahrheit zu geſtehen, nicht um der Wahr - heit willen, ſondern um zu hoͤren, was er dazu ſagen, ob er es der Mutter vorhalten, und ob dieſe nicht ein Geſchrei daruͤber anfangen wuͤrde. Als demnach Vater Schnitzer ſagte: Nickel, ich ſchenke dir die Strafe, Herrn Felß gebiſſen zu haben, wenn du mir vors erſte aufrichtig geſtehſt, warum du es thatſt? Jch wartete die zweite Bedingung, unter der ich begnadiget werden ſollte, nicht ab, ſondern erzaͤhlte die Geſchichte des Beißens von ihrer Ver - anlaſſung bis zu meiner gluͤcklichen Nachhauſekunft, worauf mich die Mutter zu Bette gebracht, mich mit Wein und Dorte tractirt, und mir huͤbſch aus - zuſchlafen gerathen haͤtte. Vater Jacob faltete die Haͤnde, ſah gen Himmel, und ich ſah Thraͤnen ausſeinen46ſeinen Augen fallen. Junge, ſagte er endlich, und ſchwieg wieder, weil ihm ohne Zweifel einfiel, daß die Predigt, welche er halten wollte, auf ein vier - jaͤhriges Kind nicht viel wuͤrken koͤnnte.
Daß ich ungeſtraft bleiben ſollte, hatte er ein - mal verſprochen, er hielt es auch fuͤr unbillig, mich fuͤr etwas zu zuͤchtigen, was mir die Mutter ſelbſt geheißen hatte. Jndeſſen ſchickte er ſich doch an, mir ein vernehmliches Wort der Ermahnung ans Herz zu legen, er hatte aber nur die erſten Worte geſagt, als meine Mutter eintrat. Sie wollte nur um etwas fragen; da ſie mich aber ſah, errieth ſie, was vorgefallen ſein koͤnnte, welches ihr ſogleich einleuchten mußte, weil Johann Jacob und ich eben nicht oft beiſammen waren. Sie unterbrach ſich in der Frage, die ſie thun wollte, und ſagte: was macht denn Fritzel hier? Komm, mein Soͤhn - chen, der Baron will dich ſehen; ſo fuͤhrte ſie mich fort, ohne daß Schnitzer etwas von dem, was er auf der Seele hatte, ſagen konnte, und brachte mich zu dem Mann, von welchem ich immer geah - net habe, daß er mir nicht fremd waͤre.
Jch habe nicht erfahren, ob Vater Schnitzer ſeinem lebhaften Weibchen ihre Schalkheit, die Beißgeſchichte betreffend, vorgehalten, und wie ſie es, wenns geſchehen iſt, aufgenommen und verthei -digt47digt hat; was ich allein gewiß verſichern kann, iſt, daß ich von dieſer Zeit an in dem Vorſatz befeſtigt ward, ohne Ruͤckſicht, ohne Schonung, ſogar ohne Maͤßigung, alles, was mir einfiel, auf der Stelle auszufuͤhren, es um ſo lieber that, wenn es an - dern mißfiel, oder ihnen Schaden that, und fuͤr keinen Menſchen, am wenigſten fuͤr meine Mutter Achtung hatte. Pflichtenerfuͤllung gegen andere ſchien mir, als ich auch hernach von allem, was dieſes Wort in ſich faßt, unterrichtet ward, immer ein Nonſens; mich gieng niemand etwas an, als ich ſelbſt, alle uͤbrige Menſchen glaubte ich be - nutzen, und handhaben zu muͤſſen, wie es mein Vortheil oder Vergnuͤgen verlangte, und meine Leidenſchaften wollten. Als ich erwachſen war, lernte ich dieſe Maximen, die eigentlich die Maxi - men aller Thiermenſchen ſind, mehr unter die Bothmaͤßigkeit der Klugheit gewoͤhnen, ich that nicht mehr alles, was die Leute ſchlimm oder arg nennen, als waͤre ich dazu befugt, ſondern ich lern - te mich verſtellen, wo es noͤthig war, und ſchmeichel - te, wenns meinen Wunſch irgend befoͤrdern konn - te; dafuͤr aber entſchaͤdigte ich mich, wo ich der - gleichen Zwang nicht bedurfte, durch die groͤßten Ausſchweifungen; doch da, wo ich mich, wie eben geſagt, verſtellen mußte, lag immer noch mehr vondem,48dem, was man Bosheit oder Verbrechen nennt, im Hinterhalte, als bei den oͤffentlichen Streichen.
Vater Johann Jacob, fuͤrchtete ſehr zeitig, daß es ſo werden wuͤrde, er ließ mich, weil er die Sache nicht aͤndern konnte, bald ganz laufen, und ich glaube, daß er anfieng, gelaſſen bei der Sache zu werden, als er den Baron Treff und mich einmal aufmerkſam betrachtet und gefunden hatte, daß ſich in meinen Zuͤgen viel Aehnlichkeit mit dem erſten entdeckte. Wiefern ihn dieſes Ohngefehr beruhigen konnte, begreife ich nicht, er ſoll es aber einem ſeiner Vertrauten geſtanden haben, daß er ſeitdem nicht mehr den herznagenden Gram empfaͤnde, den er gehegt haͤtte, ſo lange er ſich eingebildet, ich wuͤrde ihm aͤhnlich werden, und ſo das Zeugniß vor aller Welt auf dem Geſichte tragen, daß ich Johann Jacob Schnitzers leibhaftiger ausgearteter Sohn ſei.
Treff war hingegen viel guͤtiger gegen mich, und neckte ſich oft mit mir, lernte mir auch aller - hand kleine Witzeleien und luſtige Liederchen ſin - gen; mein Talent, die Leute zu plagen, fand er allerliebſt, und hetzte mich ſelbſt ſehr oft an, wie es ſonſt leichtfertige Buben mit Hunden zu thun pflegen. Ein andermal aber wollte der Ba - ron auch gegen mich Autoritaͤt ausuͤben, und et -was49was zu meiner Zucht beitragen; demnach fuhr er mich uͤber Unarten, die ich zu einer ihm ungelegenen Zeit vor ihm ausuͤbte, tuͤchtig an, ſchimpfte mich, und drohte mich bei den Beinen aufzuhaͤngen, u. ſ. w. Mich ruͤhrte das wenig, ich wußte, daß es nicht geſchehen wuͤrde, und verließ mich auch hier auf den Schutz meiner Mutter, wiewohl Treff der einzige war, der mich hart anlaſſen durfte, ja ſie ſagte wohl gar bei einer ſolchen Gelegenheit: du mußt dem Herrn Baron huͤbſch folgen!
Sie war mit dieſem, als ich ohngefehr vier Jahre zuruͤckgelegt hatte, aufs neue im beſten Ver - nehmen, ja ſie lebte mehr als jemals in vertrauter Freundſchaft mit ihm. So ohngefehr zwiſchen meinem erſten und dritten Jahre war er mit ſeiner Gemahlinn wieder bei uns geweſen; allein waͤhrend des Aufenthalts dieſes hochadelichen Paares bei uns fielen eine Menge Verdruͤßlichkeiten vor, die nicht nur die gnaͤdige Frau und meine Mutter ganz entzweiten, ſondern auch die Veruneinigung der Eheleute ſelbſt veranlaſte.
Die Soupees ſpirituels giengen anfangs, wie ehemals, in ununterbrochener Ordnung fort; aber Mamſell Fanchon, die, wie wir wiſſen, ſowohl der Freifrau von Treff, als meiner Mutter Rache ge - ſchworen hatte, glaubte ſolche nicht beſſer ausuͤben2 r Theil. Dzu50zu koͤnnen, als wenn ſie eine dieſer beiden Damen auf die andere erbitterte. Sie ſtellte ſich zu dem Ende wegen des Ausſchließens von den intriquan - ten Geſellſchaften voͤllig verſoͤhnt, hatte oft etwas bei der Frau von Treff, ſo wie auch bei meiner Mutter zu zeigen, vorzuſchlagen, und ſetzte ſich ſogar in Unkoſten, um dieſer oder jener zu etwas von gutem Geſchmack wohlfeil zu verhelfen. Da - bei hatte ſie immer neue und geheime Nachrichten faſt aus allen Haͤuſern zu erzaͤhlen. Sie wußte ohngefehr, welche Damen die gnaͤdige Frau nicht leiden konnte, von dieſen ſprach ſie alles moͤgliche uͤble, und bei meiner Mutter empfahl ſie ſich am meiſten durch Verlaͤumdungen auf Sophien Buſch. So gelang es ihr bald, als vertraute Freundinn noch einmal im Gaſthof eingefuͤhrt zu ſein; man glaubte, ſie habe einſehen lernen, daß ſie ſich mit ihren Mamſells in die Geſellſchaften, wo jetzt vor - nehmere Damen erſchienen, nicht ſchickte, war ihr um dieſer eingebildeten Beſcheidenheit willen noch gewogener, und ſahe ſie gern kommen, ja es konn - te nicht oft genug geſchehen, es ward ſogar nach ihr geſchickt, ſie mußte ganze Vormittage bei der Frau Baroninn zubringen, welche ſich nun nicht im geringſten vor ihr genierte.
Nachdem51Nachdem ſie auf dieſe Art hinter viele ihrer Geheimniſſe gekommen, ja ſogar zur Vertrauten bei einigen erhoben worden war, theilte ſie alles, was ſie ſahe, hoͤrte und wußte, meiner Mutter, aber unter dem Verſprechen der groͤßten Verſchwie - genheit, mit, und zugleich verrieth ſie ihr, daß die Frau Baroninn nicht ſchlecht uͤber ſie rai - ſonirte.
Suschen fuͤhlte ſich ſchon dadurch beleidigt, daß eine andere als ſie in die geheimen Geſchichten der gnaͤdigen Frau verflochten war; denn wir wiſ - ſen, daß ſie ſich vorgenommen hatte, einen ihrer Erwerbszweige daraus zu machen. Eben ſo ſehr verdroß es ſie, daß dieſe Dame ſich uͤber ſie auf - hielt, und ſich fuͤrchterlich zu raͤchen, den Baron aufzubringen, ſeiner Frau Gemahlinn die haͤr - teſte Begegnung an ihm zuzubereiten, ward feſt beſchloſſen.
Die gnaͤdige Frau ihrer Seits ward von der Fauchon unterrichtet, daß ihr Gemahl mit Madam Schnitzer noch immer den Umgang fortſetzte, wel - cher vor ſeiner Verheirathung ſtatt gefunden haͤtte. Dies waͤre der erſten eigentlich gleichguͤltig gewe - ſen, aber da die Erzaͤhlerinn hinzuſetzte, daß ſie ihn mehr in ihren Stricken haͤtte, als Jhr Gnaden ſich vorſtellen koͤnnten, ihm viel Geld abnaͤhme, undD 2wie52wie ſie gewiß wuͤßte ihm nicht die beſten Rathſchlaͤ - ge gegen ſie gaͤbe, wie ſie denn uͤberhaupt ſehr uͤbel von der gnaͤdigen Frau ſpraͤche, ja ihr ſelbſt eine Menge bunter Geſchichten, die ſich, da ſie noch Fraͤulein geweſen, zugetragen haben ſollten, erzaͤhlt haͤtte, (welches wuͤrklich geſchehen war,) ſo erbos - te ſich die Dame ſo, daß ſie kaum ihr Verſprechen, die Fanchon nicht zu verrathen, halten konnte. Die Feindſeligkeiten und Sticheleien von beiden Seiten giengen aber nun taͤglich weiter, der Ba - ron wurde von Frau Suschen von allem, was ſeine Gemahlinn that, unterrichtet, und dieſe durch die Fanchon auf ihn erzuͤrnt, alſo nahmen ſie an der innern Gaͤhrung Theil, und das Mißverſtaͤnd - niß unter ihnen ward faſt ſtuͤndlich groͤßer. Auch der Baron war nichts weniger als eiferſuͤchtig, deſtomehr aber verdroß es ihn, zu vernehmen, daß ſeine liebe Ehehaͤlfte einem ihrer Anbether anſehn - liche Summen ſchenkte, und immer wieder erſetzte, was er ihm im Spiel abnahm, ja daß er hoͤrte, ſie ſelbſt habe jenen vor ihm gewarnt, welches um ſo glaublicher war, da der junge Herr ſich ſeit einiger Zeit ſehr vorſichtig benahm.
Dem Baron ſelbſt hatte die gnaͤdige Frau noch wenig von ihrem Vermoͤgen zur Dispoſition gege - ben, er erinnerte ſie vergebens an den Ehecontract,welcher53welcher unachtſamer Weiſe vor der Heirath nicht gemacht worden war, ja ſie ward ſogar zuruͤckhal - tender, und hatte ihm auch den Wunſch verſagt, ein Capital in die Bank zu geben, das er dann theilen und an einem andern Ort einem ſeiner gu - ten Freunde uͤbergeben wollte. Sie ſahe dies als einen Vorwand an, ihr eine wichtige Summe aus den Haͤnden zu ſpielen, und erklaͤrte, daß ſie nichts auf dieſe Art risquiren wollte.
Dagegen aber verlangte ſie von ihm die Unter - haltung in allem, wie ſie ein Mann ſeiner Frau ſchuldig iſt, und hatte immer Beduͤrfniſſe, die er be - friedigen ſollte. Er hatte dies alles nicht verwei - gert, weil er ſie dadurch bewegen wollte, eben ſo freigebig zu ſein, welches aber keineswegs in ihrem Plan lag.
Dies edle Paar war nicht ſo unklug geweſen, einander aus einer andern als egoiſtiſchen Abſicht zu ehligen; Liebe, Herzensverbindung, Harmonie der Seelen, und dergleichen romantiſche Grillen waren nicht in ihre weiſern und geſetzten Koͤpfe gekommen; Speculation beſtimmte ihre Wahl, der Baron Treff wollte uͤber alles, was mit dem Fraͤu - lein je vorgefallen war, wegſehn, und ſich durch ihr Vermoͤgen einen guten Ruͤckhalt verſchaffen; das Fraͤulein wollte Frau ſein, und zugleich einenD 3Mann54Mann haben, der nicht von dem Jhrigen zehrte, welches ſie, um es nach Belieben zu verwenden, oder damit von ihm zu ſcheiden, wenn es ihr gefaͤllig ſein wuͤrde, aufheben wollte. Er fragte nichts dar - nach, daß ſie den ſchlechteſten Ruf hatte; ſie ver - zieh ihm, daß er ein Spieler und von moraliſchen Menſchen wenig geachtet war — iſt eine ſolche Toleranz nicht hoͤchſt lobenswuͤrdig?
Der Gedanke von reinen tugendhaften Trie - ben, von gegenſeitiger Achtung, von Beſtreben einander das Leben ſuͤß zu machen, von haͤuslichen Freuden — wie ihn die Celeſtins mit Entzuͤcken - oder wenigſtens mit innigſtem Gefuͤhl denken koͤn - nen — klingt uns Thiermenſchen laͤcherlich; wir heirathen entweder nicht, weil uns das gebundene Leben widrig iſt, oder wir heirathen aus einer Ab - ſicht, an der das Herz nicht den mindeſten Theil nimmt. Die Gruͤnde, welche uns zu einer Wahl beſtimmen, ſtammen entweder von der Sinnlichkeit, die wir etwa, ohne uns die Feſſeln der Ehe anzu - legen, nicht befriedigen koͤnnen, oder von unſerm Jntereſſe her. Dabei erſparen wir die Quaal der Theilnahme, Sorge und Unruhe bei dem, was dem Gatten oder der Gattinn begegnet, was wir etwa zu fuͤrchten haben, oder uns in die Koͤpfe ſetzen koͤnnten.
Nichts55Nichts kann bequemer ſein, beſonders wenn beide Eheleute dieſe vernuͤnftigen Grundſaͤtze hegen; dies trifft ſich freilich nicht immer, wer kann aber dafuͤr, daß ſich mit unter ein ſentimentaliſcher Mann oder ein ſolches Maͤdchen verrechnen, und glauben einen Gegenſtand gewaͤhlt zu haben, an des - ſen Seite ſie in traulicher zaͤrtlicher Uebereinſtim - mung durchs Leben gehen werden. Jſt ein ſolches Geiſtweſen in dieſem Wahn unvermuthet in die Arme eines Thierweſens gelaufen, welches ſich ein paar Wochen nach der Hochzeit ſo kalt bezeigt und ſeinen eigenen Gang geht, ohne ſich nach ſeiner zweiten Ehehaͤlfte umzuſehen, oder nach ihrem Kum - mer zu fragen — dann wehe ihm, ſagte Celeſtin, und ich ſage, wer kann helfen, es muß nicht nach eines jeden Eigenſinn gehen.
Die Gemahlinn des Baron Treff wunderte ſich im geringſten nicht, daß er Anſchlaͤge auf ihr Vermoͤgen machte, aber ihre Sache war es, ſie zu vernichten, und erſt da ſie dachte, die Vertraulich - keit deſſelben mit meiner Mutter koͤnnte ſolche An - ſchlaͤge auf irgend eine Art gefaͤhrlich machen, nahm ſie dieſe Vertraulichkeit uͤbel, wobei es ihr doch auch empfindlich ſein mußte, ſich von ſo einer ſchlechten Kreatur, wie ſie ſelbige nannte, ſo aus - geſchaͤndet zu ſehen.
D 4Der56Der Herr Baron konnte alles, was ſeine Ge - mahlinn that, dulden, nur das nicht, daß ſie ei - nen andern beſchenkte, und er ſie von ſeinem ſauer erworbenen Gelde unterhalten ſollte. Demnach war es nun beiden nicht moͤglich, laͤnger auf gutem Fuß zu leben.
Sie hatten jetzt beſtaͤndig Zaͤnkereien, mach - ten einander Vorwuͤrfe, und wurden oft ſo laut, daß meine Mutter nicht noͤthig hatte, ſich zum Horchen an irgend eine Thuͤr zu ſchleichen, denn ſie durfte ſich nur auf dem Saal vor den Zimmern der gnaͤdigen Herrſchaft beſchaͤftigen, ſo hoͤrte ſie jedes Wort, vernahm mehrmal ihren Namen waͤh - rend des Streits, der meiſt mit einem ſchimpfen - den Zuſatz vergeſellſchaftet war, und war ſchon ei - nigemal im Begriff geweſen hineinzugehen, um ſich zu vertheidigen, doch noch immer hatte ſie an ſich gehalten.
Einſt aber wagte der Baron den Verſuch, ſeine Frau Gemahlinn mit Haͤrte dazu zu bringen, daß ſie ihm den Niesbrauch ihres Vermoͤgens geben und die bisher unterbliebenen Ehepacten ſollte machen laſſen, und drohte ihr, ſie im Unterlaſſungsfall we - gen ihrer Liebſchaften, die er an den Fingern her - zuſagen wußte, vor der ganzen Stadt zu beſchaͤmen. Die gnaͤdige Frau widerſetzte ſich den Thaͤtigkeiten,zu57zu denen er ſchreiten wollte, und lachte ſeiner Dro - hungen, die ſie ihm auszuuͤben freiſtellte, da er ſchlecht genug waͤre, ſie ihr verzeihen zu wollen, wenn ſie ihn zum Herrn des Jhrigen machte. Sie wollte nicht eingeſtehen, daß ſie Unrecht haͤtte, ei - nen andern guten Freund zu beguͤnſtigen, da er ihr ja die groͤßte Untreue bewies, wenigſtens, ſagte ſie, wird doch den Leuten mein Geſchmack nicht ſo ſchlecht und laͤcherlich vorkommen, als derjenige, da du es mit dem abgeſchmackten Weibe, der Wir - thinn, haͤltſt, die dich zu deiner Schande ſo ein - genommen hat, daß du ihr alles giebſt, und die - ſer H ... am liebſten auch das Meinige auf - opfern moͤchteſt.
Meine Mutter ſtand vor der Thuͤr und hatte ihre Lobrede vernommen; das war nicht zum Dul - den, ſie fuhr hinein, und ohne Maͤßigung ſchimpfte ſie die gnaͤdige Frau wieder. Dieſe war aufgebracht und wies ihr die Thuͤr; aber Suschen gieng nicht, ſie behauptete, daß die Frau Baronin kein Recht haͤtte, ſie in ihren eigenen vier Pfaͤhlen irgendwo gehen zu heißen, ergriff ihr Thema wieder und ſetzte den Zank ſo lange fort, bis alles, was ſie von Jhr Gnaden wußte, heraus war. Jhr Gna - den lachten zwar dazu, aber mitten unter dieſem Gleichguͤltigthun erzaͤhlte ſie doch hinwieder einerihrer58ihrer guten Freundinnen, die ſie zu beſuchen eben ankam, daß dieſe Naͤrrinn da, die ſich im Bade fuͤr eine Kriegsraͤthinn ausgegeben haͤtte, ihres Mannes Buhlerinn von langen Zeiten her ſei, und ihre Jnſolenz taͤglich weiter triebe. Sie that was ſie konnte, um Frau Suschen ſo laͤcherlich zu machen, wie es ihr am beiſſendſten war, woruͤber dieſe ſo in Wuth gerieth, daß ſie ſich nur mit aͤu - ßerſter Muͤhe enthielt, ihr eines der umherſtehen - den Meubles an den Kopf zu werfen. Aber die Sache gab im Gaſthof einen lauten Wiederhall, der von Zimmer zu Zimmer lief, und kam aus dieſen in der Stadt herum, ehe zwei Tage ver - giengen. Auch die da geweſene gute Freundinn hatte nicht ermangelt, es in ihrem Zirkel auszu - bringen, und was Fanchon, die uͤber Erreichung ihres Zwecks ſo entzuͤckte Fanchon, zu voͤlliger Be - lehrung des Publikums uͤber dieſe Angelegenheit that, wird der Leſer, der ihre Dienſtbefliſſenheit in ſolchen Faͤllen kennt, ſelbſt errathen.
Johann Jacob vernahm zwar, wie alles, was im Hauſe lebte und logirte, Wort fuͤr Wort, von was die Rede war, was konnte er aber dabei thun, als ſich leidend verhalten und ſeufzen? Man wird weiterhin ſehen, daß dies Unwetter ſeiner ſchon ſeit einiger Zeit verfallenen Geſundheit denletzten59letzten Stoß gab, und ſeinem Tod naͤher brachte, ihm aber auch fuͤr das Reſtchen ſeines Lebens zu mehr Ruhe verhalf.
Der Baron hatte fuͤr gut befunden, die Buͤhne zu verlaſſen, als meine Mutter auf derſelben er - ſchienen war, und blieb dieſen ganzen Tag abwe - ſend. Die Frau Baroninn fuhr noch mitten im Ge - ſchrei mit ihrer Freundinn aus, und ſchickte gegen Abend ihren Bedienten zuruͤck, um die Kammer - Jungfer nebſt allen ihren Effekten abholen zu laſſen; meine Mutter aber wollte ſie ſchlechterdings nicht verabfolgen laſſen, weil der Herr Baron nicht zuge - gen war, es ſetzte alſo neuen Lerm, und da eben die Theilhaber und Theilhaberinnen des Soupee ſpirituel ankamen, ſo erfuhren ſie ſaͤmmtlich die Zerruͤttung im Hauſe, und die Veranlaſſung dazu ward natuͤr - lich nicht zur Ehre der Frau von Treff mitgetheilt.
Der Gemahl dieſer gekraͤnkten Dame lobte, als er nach Hauſe kam, meine Mutter darum, daß ſie die Sachen nicht hergegeben hatte, er gerieth auf den Einfall, ſie ſaͤmmtlich als Koſtenentſchaͤdi - gung zu behalten, wofern ſeine Gemahlinn ſich nicht wieder mit ihm vertragen wollte. Dazu hatte dieſe keine Luſt, alſo kam es zur Klage unter ihnen, bei welcher jeder Theil die meiſte Urſache zur Scheidung haben wollte, um Geld von dem andern zu ziehen;waͤhrend60waͤhrend des Prozeſſes ſprach eins vom andern das moͤglichſt ſchlechte. Was der Mann ſagen konnte, mußte freilich, da es das allgemeine Geruͤcht beſtaͤ - tigte, die Dame um die Achtung der ehrbaren Welt bringen, aber ſie hatte Geld, gab Dejeuners, Soupees, gieng mit noch mehrerer Pracht in die großen Aſſem - blees, und wußte an gewiſſe Damen vom erſten Range mit feiner Art geſchmackvolle Geſchenke zu machen. Durch alles dies erhielt ſie ſich doch in Anſehen, man fand, daß es eine ungemein einneh - mende und gute Frau waͤre, der auch wohl ihr boͤſer Mann und ſeine Buhlſchaft, die Gaſtwirthinn, zu viel uͤbels nachſagte.
Baron Treff war zu der Zeit auch noch in bril - lanten Umſtaͤnden, und alſo ebenfalls gegen die Ge - ringachtung des großen Publikums geſichert, aber gewiſſe Herren des Gouvernements und der Polizei durften ihre Ohren nicht laͤnger verſtopft halten, da die gnaͤdige Frau als einen Hauptgrund, warum ſie nicht laͤnger bei ihm bleiben koͤnnte, das verbothene Spiel angab, welches er mit allen Kuͤnſten trieb. Dieſe Stimme erregte mehrere, Vaͤter, Muͤtter, Eheweiber begannen zu ſprechen, und aus dem allen erfolgte, daß dem Herrn Baron nicht nur das Spiel bei ſchwerer Strafe unterſagt ward, ſondern auch der Gaſtwirth Johann Jacob Schnitzer foͤrmlichaufs61aufs Rathhaus citirt ward, wo ihm bei Geld - und Zuchthausſtrafe verbothen ward, keine Bank laͤnger in ſeinem Hauſe zu dulden, und uͤberhaupt die ver - daͤchtigen Abendgeſellſchaften einzuſtellen. Schnitzer gelobte das herzlich gern, aber indem es ihm an - gekuͤndigt ward, fuͤhlte er ſich einer Ohnmacht nahe, ſich ſo beſchaͤmt zu ſehen. Es war bekannt, daß ſeine Frau regierte, und daß alles gegen ſeinen Willen geſchehen war, alſo hatte man Mitleiden mit ihm, troͤſtete ihn ſogar, verſprach auch der Frau Schnitzerinn dieſen Befehl noch beſonders be - kannt zu machen, und ihr ſelbſt die angedrohte Strafe anzukuͤndigen, damit ſie nicht etwa glauben moͤchte, es wuͤrde ihr nichts ſchaden, wenn ſie doch allenfals mit ein wenig Behutſamkeit den bisheri - gen Commerz fortfuͤhrte.
Dies geſchah zum wuͤrklichen Schrecken meiner Mutter, und war auch noͤthig, denn als ihr halb - todter Mann nach Hauſe kam, und ihr erzaͤhlte, warum man ihn aufs Rathhaus beſchieden hatte, fand ſie die Sache laͤcherlich und meinte, es wuͤrde ſich ſchon wieder geben. Da ſie aber nun ſahe, daß es ſehr ernſtlich gemeint war, und zu beſorgen hatte, das Ungluͤck werde ſie mit treffen, ſchaffte ſie Spieler und Aſſemblees ab. Nun ſann ſie aber auch mit Ernſt darauf, die Rolle der Gaſt wir -thinn62thinn nicht lange mehr zu ſpielen, und hielt es fuͤr etwas Gutes, das aus dem Schlimmen entſprungen war, daß ihr Eheſchatz ſeit dem Schrecken, das ihm die Polizei verurſachte, taͤglich kraͤnker wurde. Ba - ron Treff war im Begriff, ſich von ſeiner Frau ſchei - den zu laſſen, es ließ ſich alſo viel fuͤr Frau Sus - chen hoffen; oft ſann ſie dem allen ſtill nach, und rief dann auf einmal aus: ja es bleibt dabei, daß es erſt recht ſchlimm werden muß, ehe es gut wird.
Die Speculation auf den Baron mochte nun wohl damals noch bloße Chimaͤre von ihr ſein, da es noch gar nicht in ſeinem Plan lag, Suschen den Platz zu geben, welchen ſeine Gemahlinn verlaſſen wollte, aber Zeit und Umſtaͤnde aͤndern die menſch - lichen Geſinnungen und Entſchluͤſſe zuweilen.
Er verließ die Stadt, da man ihm ſo unartig begegnete, ließ ſeinem Prozeß den Lauf, kam nach einiger Zeit wieder, um vor dem Conſiſtorio zu er - ſcheinen, und ward nach langem Streit geſchieden, ohne mehr dabei zu gewinnen, als die Ehre, die Koſtenbezahlung mit ſeiner geweſenen Frau zu thei - len. Als alles berichtigt war, gieng er ins Aus - land, woher wir ihn zur gehoͤrigen Zeit wieder ho - len, und unſere Leſer dann zugleich von ſeinem bis dahin gehabten Schickſal unterrichten wollen.
Frau63Frau von Treff wuͤnſchte, da ſie wieder frei war, ſobald als moͤglich einen andern Namen an - zunehmen. Sie hatte dem jungen Herrn von Bo - nitz, eben den, der, wie wir gehoͤrt, von ihr un - terhalten worden war, das Gluͤck zugedacht, an ih - rer werthen Hand das Leben dahin zu ſpatzieren, dieſer aber war ſo unerkenntlich, es nicht anzu - nehmen.
Jn der Zeit des Prozeſſes zwiſchen dem Tref - fiſchen Ehepaar, ward er zu einem reichen Verwand - ten berufen, der unter die Geiſtmenſchen gehoͤrte. Dieſer liebte ſeinen Neveu, und wußte, daß er noch nicht von Grund aus verdorben war, deshalb ſpar - re er nichts, ihm in den letzten Augenblicken ſei - nes Lebens die Unordnung der bisherigen Lebensart nicht nur zu verweiſen, ſondern auch ſo verderblich und aller Achtung unwuͤrdig zu ſchildern, als es Leuten ſeiner Art vorkommt. Er ſtarb und hinter - ließ dem jungen Mann ein anſehnliches Vermoͤgen; dieſer hatte ein weiches Herz — noch war er zu kurze Zeit in den Haͤnden der heroiſchen Seelen, wie ich ſie ſo oft hier geſchildert, und zu denen ich ſelbſt gehoͤrte, geweſen, um ſtandhaft auf der Bahn unſerer Tugenden fortzuwandeln — alſo machte die Predigt des ſterbenden Oheims und die Dankbar - keit auf einmal einen ganz andern Menſchen ausihm.64ihm. Frau von Treff ahnete davon nichts, ſobald ſie geſchieden war, ſchrieb ſie ihm nachſtehenden Brief, welcher nebſt der Antwort durch ein Ohnge - faͤhr in die Haͤnde des Publikums kam.
„ Wenn ich es nicht durch andere erfahren haͤtte, daß ein alter reicher Oheim ſo klug geweſen iſt zu ſterben, und Jhnen ſein Vermoͤgen zu hinterlaſſen, ſo wuͤrde ich bekuͤmmert um Sie ſein, und wegen Jhres Stillſchweigens, da Sie mir doch zu ſchrei - ben verſprochen hatten, Sie wohl gar fuͤr erkaltet in der Freundſchaft, oder eigentlicher in der Liebe gegen mich halten. So aber weis ich, daß die Ue - bernahme einer Erbſchaft Geſchaͤfte giebt, und ent - ſchuldige Sie.
Meine eigenen verdruͤßlichen Geſchaͤfte ſind nun beendigt, ich bin den unertraͤglichen Treff los, und jetzt haͤngt es von mir ab, entweder die edle Freiheit zu behaupten, oder zu verſuchen, ob ich mit einem andern gluͤcklicher ſein werde? Beinahe haͤtte ich aus weiblicher Neugier Luſt zu dieſem Verſuch, indem ich nun dabei die Herren, welche ſich mir anzubieten ſcheinen, einen nach dem an - dern in Betrachtung nehme, ſcheint mir keiner mehr Aufmerkſamkeit zu verdienen, als mein geliebter Bonitz. Jſt der liebe Junge nun ſeiner Caroline, wie ich ihn mich zu nennen erlaubte, noch ſo ge -wogen,65wogen, wie ehemals, ſo iſt meine Wahl beſtimmt, und wir genießen Millionen Freuden in der vergnuͤg - teſten Ehe, die je exiſtirt hat. O, die Welt ent - haͤlt eine Menge Vergnuͤgen, alles lacht uns an und ſteht uns zu Gebothe, wenn wir Geld und Verſtand genug haben, es zu genießen, und eins dem andern jede Ergoͤtzlichkeit goͤnnt, die nach ſeiner Neigung iſt. Sie beſitzen jetzt Landguͤther, iſt die Gegend um dieſelben ſchoͤn, haben ſie bequeme Haͤuſer, gute Nachbarſchaft u. ſ. w. nun dann bringen wir die Fruͤhlingsmonate, auch wohl noch ein Stuͤckchen des Herbſts dort zu. Der Sommer iſt den Baͤdern, und der Winter irgend einer großen Stadt be - ſtimmt, wird das nicht ein paradieſiſches Leben ſein?
Jch bin Dir ſo gut, lieber Bonitz, daß ich capable waͤre, Dir treu zu bleiben, und wohl gar im Ernſt eiferſuͤchtig wuͤrde, wenn Du es nicht waͤrſt — doch daruͤber wollen wir noch capituliren. Jetzt antworte mir nur bald, und das eben ſo trau - lich, als ich Dir, welches ganz in der Regel iſt, da wir uns ja nicht mehr fremd ſind.
Jch wuͤrde zum Schluß ſagen: ich umarme Dich, Herzensjunge, wenn mir das nicht abge - ſchmackt vorkaͤme, ſobald es nichts iſt als Compli -2 r Theil. Ement -66mentworte ſind; mache lieber, daß es bald wuͤrklich geſchehen kann. “
Die Antwort auf dieſen Brief war ſo ſteif, undankbar und unartig, daß ich ſie zur Beſchaͤ - mung des Herrn von Bonitz meinen Leſern ebenfalls vorlegen will, ich hoffe, ſie werden nicht ſo altklug thun wollen, wie Celeſtin, der ſie allerliebſt fand, und dieſen Mann von Stund an in die Zahl ſeiner Guͤnſtlinge ſetzte.
Sie haben es errathen, daß die uͤberkommene Erbſchaft mir viele Geſchaͤfte gab; doch mehr noch und anhaltender hat das Andenken an meinen theu - ren Onele und Wohlthaͤter meine Gedanken beſchaͤf - tigt. O wie viel bin ich dieſem verewigten Mann ſchuldig! Nicht nur hat er mich, der ganz ohne Vermoͤgen war, zu einem reichen Mann, ſondern auch, zu einem moraliſch guten Menſchen gemacht, denn ich hoffe dem Verſprechen, das ich ihm gab, treu zu bleiben.
Er erzog mich, die Grundſaͤtze, die ich von ihm lernte, welche ich leichtſinniger Weiſe eine Zeitlang bei Seite ſetzte, und ſo mir ſein Mißfallen zuzog, dieſe Grundſaͤtze habe ich aufs neue angenommen und vor Gott geſchworen, ſie nie wieder zu ver -laſſen.67laſſen. Jch war in ein ausſchweifendes Leben ge - rathen, mein Oncle warnte mich, ich hoͤrte nicht, er zog ſeine Hand von mir ab, ich trotzte und fiel tiefer. Was ich dadurch verdiente, war gaͤnzliches Verſtoßen, Verachtung, Enterbung. Doch der guͤ - tige Mann wollte mich ſo nicht ſtrafen, er wollte mich vielmehr durch Wohlthaten zur Tugend zuruͤck - fuͤhren; welch ein Geſchoͤpf waͤre ich, wenn ich nun nicht durch Befolgung ſeiner Lehren und ſeines Bei - ſpiels die einzige Art von Dankbarkeit gegen den Seeligen ausuͤbte, wozu ich faͤhig bin.
Sie werden, gnaͤdige Frau, nach dieſem ver - muthlich den Ausſpruch thun, daß ich ein Traͤu - mer geworden bin, der ſich fuͤr eine Frau Jhres Tons nicht ſchickt. Jn der That wuͤrden wir beide nicht gluͤcklich zuſammen ſein, da ich mir einen ganz andern Lebensplan vorgezeichnet habe, als Sie ihn ſchildern. Jch werde meiſt auf dem Lande und zwar ſehr einfach leben, zugleich aber die Freude, die man im Haus - und Naturſtande ſo ſuͤß und be - lohnend findet, reichlich genießen. Demnach ſchickt ſich keine andere Perſon zur Gattinn fuͤr mich, als die noch nicht an die rauſchenden Freuden der gro - ßen Welt gewoͤhnt iſt, alſo den nehmlichen Ge - ſchmack hat, oder zu nehmen faͤhig iſt, wie ich jetzt angenommen habe.
E 2Jch68Jch bitte Sie um Vergebung, gnaͤdige Frau, daß ich in meiner rohen Denkungsart elend genug dachte, meine Liebkoſungen an Sie zu verkaufen. Jch erroͤthe deshalb oft vor mir ſelbſt! O wie viel ſchlimmes und ſchlechtes giebts doch, was man ſich eins nach dem andern erlaubt, wenn man den Weg der Ordnung und einer guten Moralitaͤt verlaͤßt!
Da es meine Pflicht iſt, fuͤr Sie und Jhr Wohl die beſten Wuͤnſche zu thun, ſo bitte ich Sie, dieſen Brief einigemal zu uͤberleſen, vielleicht be - wegt er Sie ebenfalls zu einer geaͤnderten Lebens - art, Sie genießen dann wohl auch noch an der Hand eines braven, Jhren Jahren mehr angemeſſe - nen Mannes, den Sie ſich nach dieſen andern Ge - ſinnungen waͤhlen wuͤrden, weit unſchuldigere Freu - den, als die bisherigen, und meine Wuͤnſche ſind erfuͤllt.
Um hier auch eine meiner vielen Vergehungen gut zu machen, uͤberſende ich durch beigelegten Wechſel das doppelte deſſen, was Jhr Geſchmack an meiner Perſon mir gab, indem ich Sie erſuche, es guͤtigſt anzunehmen.
Bonitz.
Dies Schreiben mußte natuͤrlich der gnaͤdigen Frau ſehr auffallen, es war hart zu verſchlingen,wurde69wurde aber doch bald verdaut, und da es geſchehen war, fand es die Dame divertiſant, hielt es nicht der Muͤhe werth, dem inſolenten Menſchen zu ant - worten, und lachte, ſo oft es ihr einfiel, daß er in ſeinem frommen Eifer ſo weit gieng, ſie zu ei - ner eben ſo abſurden Lebensart bekehren zu wollen.
Sie blieb ihrer Art zu denken und zu handeln treu, bekam auch Liebhaber, die ſie nach derſelben allerliebſt fanden, und gerieth an einen ſo despoti - ſchen Herrn unter denſelben, der die andern alle zu verſcheuchen, und ſie an ihn allein zu feſſeln ver - ſtand — welch ein Verdienſt ihm eigentlich zu die - ſer Allgewalt verholfen, iſt nicht bekannt worden. Er war ein harter Tyrann; ſie waͤre, da ſie es be - merkte, wie ſehr ſie in ſeiner Gewalt war, gern frei von ihm geweſen, aber er hatte nun einmal ſeinen Plan gemacht, nach demſelben mußte er ſie heira - then, alſo ließ er ſie nicht los. Sogar ſchrieb er ihr Geſetze vor, nach deren Erfuͤllung er ſich erſt mit ihr wollte trauen laſſen. Der hohe Liebhaber, den ſie ehemals hatte, war noch mit Erfuͤllung ei - nes Verſprechens ruͤckſtaͤndig, bei ihrem vorigen Mann hatte ſie es immer verſchoben, darum zu mah - nen, weil es ihr gewiß genug war, ſie es nicht noͤthig hatte, und es Treffen nicht geben wollte. Graf Plund, ihr jetziger Gebiether, ließ ihr nichtE 3eher70eher Ruhe, bis ſie es eintrieb, und bemaͤchtigte ſich, da es bezahlt war, deſſelben, ſo wie auch alles uͤbrigen, was ſie noch an Kapitalen beſaß. Nun beehrte er ſie mit ſeiner Hand, hielt ſie zur genaue - ſten Wirthſchaft, in dem was ihre Perſon betraf, ſie mußte eingezogen leben, und er hielt ſie aͤußerſt ſtreng.
Als er endlich das Vermoͤgen insgeheim nach und nach ins Ausland geſchickt hatte, nahm er eines Nachmittags, da ſie abweſend war, ihren Schmuck ebenfalls zu ſich, ließ in einem der Schraͤn - ke etliche hundert Thaler zuruͤck, und verſchwand. Nach einigen Wochen erhielt ſie einen Abſchieds - brief von ihm, ohne Anzeige des Orts, in demſel - ben erklaͤrte er ihr, daß er zu einer großen Carriere, die er ſich vorgeſchrieben haͤtte, das Jhrige brauch - te, nach welchem ſie in den dortigen Gegenden umſonſt fragen wuͤrde, ſie moͤchte alſo mit dem zuruͤckgelaſſenen Gelde auszukommen ſuchen, bis er wieder Nachricht von ſich gaͤbe. Uebrigens bekannte er ihr, daß er nicht Graf, ſondern Chriſtoph Pfund ſchlecht weg, einſt Kammerdiener, dann Comoͤdiant geweſen ſei, und durch Gluͤck im Spiel ſich ſo in Equivage haͤtte ſetzen koͤnnen, daß er gar leicht die Rolle eines Grafen in einer fremden Stadt haͤtte unterhalten koͤnnen, die er denn auch ſo lange, biser71er ihre Eroberung gemacht, durch das Spiel fort - zuſetzen im Stande geweſen waͤre. Da aber doch dies Metier ſeine Leute oft ſtecken ließ, ſo haͤtte es ihm ſolider geſchienen, ſich durch Heirath zu berei - chern.
Dieſe Nachrichten, welche mit ſatyriſchen Aus - faͤllen auf unſere Dame und ihre gefuͤhrte Lebensart begleitet waren, ſtuͤrzten dieſe in Verzweiflung, nie gewohnt, ihren Einfaͤllen nur einen Gran Ueberle - gung entgegen zu ſetzen, wie wir, die mit Leib, Seel und Geiſt blos an Gluͤck und Wolluſt haͤngen, und wenn dies den Ruͤcken kehrt, nichts mehr kennen, was uns entſchaͤdigen koͤnnte, dies alle nicht ge - lernt haben, ſo faßte ſie ein Meſſer und ſtieß ſich ſel - biges, ehe es verhindert werden konnte, in die Sei - te. Sie ſtarb nicht gleich, waͤre vielleicht gar da - von gekommen, weil der Stich nicht gerade ins Herz getroffen hatte; aber ihre Raſerei machte Heilung unmoͤglich; oft rief ſie in derſelben aus: o Bonitz, Bonitz, haͤtte ich dir gefolgt und einen ſchlicht ehr - lichen braven Mann geheirathet! haͤtte ich doch die Augen uͤber meine Lebensweiſe eher geoͤffnet, jetzt geſchieht es zu meiner noch mehrern Folter!
Doch das waren Fantaſien einer Kranken, wohl behielt ſie ſelbige bis zum letzten Athemzug bei, und ſentimentaliſche Leute wußten daraus viel gute Leh -E 4ren72ren fuͤr andere zu ziehen; aber meine Mutter, die nicht gleich uͤber dergleichen natuͤrliche Zufaͤlle zag - hafrer Weiſe zu Kreuze kroch, ſahe bei der ganzen Begebenheit nichts, als daß es einer ſolchen Naͤr - rinn, einem ſo boͤſen, hoffaͤrtigen und neidiſchen Weibe nicht anders gehen koͤnnte, daß ſie alles wohl verdient haͤtte, beſonders durch ihre Buhlereien, ſetzte ſie hinzu, da ſie ſeit einiger Zeit ſehr ſtille und ſittſam lebte.
Zu dieſem eingezogenen Leben gab es der Gruͤn - de mancherlei: Einmal hatte ſie, um keine Beſchaͤ - mung zu erfahren, oder Strafgelder geben zu muͤſſen, beſchloſſen, weder das geringſte Spiel, noch auch ſonſt luſtige Geſellſchaften im Gaſthofe zu dulden. Zweitens hatte Johann Jacob die Auszehrung und nahm taͤglich mehr ab, alſo wollte ſie ſeine Hin - fahrt ruhig abwarten.
Die letzte Zeit, in welcher Treff und der dazu gehoͤrige Jubel im Hauſe war, hatte ſie anſehnli - chen Profit gehabt, und viel im Spiel gewonnen, ihr geheimes Kapital war dadurch ſehr angewach - ſen. Nun lag ihr nur noch ob, Vater Schnitzern bei guter Laune zu erhalten, damit er nicht etwa das Teſtament aͤndern, und ſie blos auf Kindes - theil ſetzen moͤchte; aus dieſer Beiſorge ſah ſie ihm alles an den Augen ab, und ſtellte ſich auch uͤberſeine73ſeine Krankheit ſehr bekuͤmmert. Sie war ſei - ne einzige Waͤrterinn, und beſonders ſehr auf - merkſam auf das, was der Arzt fuͤr ſchaͤdlich er - klaͤrte, um es unvermerkt dem Kranken mitun - ter geben zu koͤnnen; auch vergriff ſie ſich zu - weilen, wenn ſie ihm die Mediein gab, das war aber auch alles, was ſie jetzt zur Befoͤrderung ſei - nes ſeligen Endes beitrug.
Es mußte, wie ſichs taͤglich mehr zeigte, nicht ſehr weit mehr entfernt ſein, deswegen wollte ſie ihn auch nicht laͤnger mit dem Verlangen quaͤlen, den Gaſthof zu verpachten, oder gar zu verkaͤufen, und in das Privathaus zu ziehen. Nur einmal hatte ſie dieſen Wunſch geaͤußert, aber Johann Jacob hatte ſie aufs liebreichſte gebeten, ihn in dem Hau - ſe, wo er gebohren waͤre, ſterben zu laſſen, ſo be - ſchloß ſie nun, dieſe Bitte zu erfuͤllen.
Jhre Guͤte, oder vielmehr ihre Vorſicht gieng noch weiter, ſie nahm gegen Madelon voͤllig die Rolle der zaͤrtlichen Mutter an, und ſtellte ſich we - gen meiner Unarten aͤußerſt beſorgt, erzaͤhlte zuwei - len Vater Jacob ſelbſt einen meiner Streiche, wor - uͤber ſie mich allein, um ihm nicht Aergerniß zu machen, nachdruͤcklich gezuͤchtigt, worauf ich ihr denn wehmuͤthig Abbitte gethan, auch Gehorſam verſprochen haͤtte. Ein andermal erſann ſie hinge -gen74gen etwas von mir, welches mir zur Ehre gereichte und ein Beweis des angelobten Gehorſams ſein ſollte; und damit der Vater nicht ahnden moͤchte, daß die Geſchichten der muͤtterlichen Strenge, des kindlichen Gehorſams und der guten Fruͤchte des - ſelben, ſaͤmmtlich erſonnen waͤren, durfte ich ihm nicht oft unter die Augen kommen. Jch ahndete nichts von dieſer Abſicht, ſonſt haͤtte ich vielleicht der Mutter zum Poſſen Gelegenheit ergriffen, um den guten Johann Jacob eines andern zu uͤber - fuͤhren; denn nichts machte mir mehr Vergnuͤgen, als etwas zu thun, was meine Mutter nicht woll - te, jemehr ihr an der Unterlaſſung einer ſolchen Sache gelegen war, je mehr Freude gewaͤhrte mir die Ausuͤbung.
Es ward, weil meine Schweſter ſechs Jahre vorbei hatte, und ich deren fuͤnfe zaͤhlte, ein Jn - formator fuͤr uns angenommen, der taͤglich zwei Stunden, nicht bei Madelon, denn dieſe war folg - ſam und lehrbegierig, bei mir aber gaͤnzlich ver - ſchwendete. Zwar ſo lange der Unterricht, den ich jetzt zu genießen anfieng, den Reiz der Neuheit fuͤr mich hatte, war ich aufmerkſam, und das A, B, C, ſo wie das A-b, Ab, nebſt einigen Spruͤchen und Gebetlein ward viel eher von mir begriffen, als von meiner Schweſter, woruͤber ſich meine Mutternicht75nicht ſchlecht freute, indem ſie dem Lehrer ſo im Vertrauen verſicherte, ich haͤtte ihren guten Kopf, Madelon hingegen waͤre nach dem Vater gerathen, und dumm wie er. Der Lehrer aber hielt viel auf Madelon, er lobte ihre Anſtrengung, meinte, daß ſie ſchon noch faſſen, und das Gefaßte dann deſto beſſer anwenden wuͤrde, welches vielleicht bei mir der Fall nicht ſein moͤchte; da er aber merkte, daß ſich die muͤtterliche Stirn uͤber dieſes Urtheil von ihren Kindern umwoͤlkte, beſchloß er, fuͤr die Zu - kunft andere Saiten aufzuziehen, denn es ſetzte außer dem ausgemachten Schulgeld, woͤchentlich einigemal den Tiſch, und allemal, wenn er Nach - richten von meinen Fortſchritten gab, ein Gratial, gemeiniglich in einer Bouteille Wein beſtehend. Dies alles wollte er nicht aufs Spiel ſetzen, alſo lobte er mich beſtaͤndig, nahm auch in der Folge meine Halsſtarrigkeit nebſt allem, was ich an ihm und Madelon veruͤbte, nicht uͤbel, wenn ers ja meiner Mutter klagte, ſo geſchah es, damit ſie ſeine Geduld mit mir durch ein Geſchenk erkaufen moͤchte. Er mußte die Portion dieſer Geduld ſehr oft verdoppeln, benutzte ſie aber auch deſto beſſer, und bald war nicht mehr allein vom Wein die Rede, der Herr Jnformator bekam Geſchenke aller Art, wogegen er ſo gefaͤllig war, mir, wie unge -zogen76zogen ich auch geweſen ſein mochte, am Ende jeder Woche einen Lobzettel zu geben, den meine Mutter dem Vater frohlockend uͤberbrachte. Der gute Mann begann wuͤrklich zu glauben, daß ich noch zum Guten zu ziehen ſein wuͤrde, er ward dem Ge - danken, daß ich ſein Sohn waͤre, wieder gewogen, und liebte mich nun eben ſo wie ſeine Lene. Wir ſollten oft beide bei ihm ſein, doch Mutter Sus - chen, welche mich durch Schmeichelei und das Ver - ſprechen eines Geſchenks manchmal dahin brachte, daß ich in Gegenwart des Vaters ziemlich artig war, der mich dann dafuͤr lobte, und mir jedes - mal auch zum Zeichen ſeiner Zufriedenheit etwas ſchenkte, huͤthete ſich hingegen ſo viel moͤglich, mich mit meiner Schweſter zuſammen bei ihm zu laſſen, denn ſie fuͤrchtete, daß ich irgend eine Bosheit an dieſer ausuͤben, und ſo dem Vater beweiſen wuͤrde, ich ſei um nichts beſſer, vielmehr ſchlimmer, wie man das faſt alle Tage mit Recht wiederholen konnte. Zwar hatte Madelon einmal, als ſie allein beim Vater war, ihm geklagt, daß ich ſie immer ſchluͤge, ihr alles wegnaͤhme, und ihr, wenn ſie nicht ganz ſtill dazu ſchwiege, noch dazu bei der Mutter Schlaͤge zuzoͤge, indem ich bei dieſer die Sache umzudrehen und ſie als die Suͤnderinn an mir anzuklagen wuͤßte; da aber Johann Jacob hier -uͤber77uͤber mit der Mutter geſprochen, und ſich bekuͤm - mert daruͤber geſtellt, ſie ſogar ermahnet hatte, doch nicht ſo partheiiſch zu ſein, ward Madelon dafuͤr gezuͤchtigt, und ihr angedeutet, daß es ihr weit ſchrecklicher ergehen ſollte, wenn ſie ſich noch einmal bei dem Vater uͤber mich oder ſie, die Mut - ter, beſchweren wuͤrde. Das ſchuͤchterne Maͤdchen ſchwieg alſo, und Vater Schnitzer glaubte, ſie habe keine Urſache mehr zum Klagen. So klug wußte alſo meine Mutter ihre Diſpoſitionen zu machen, und wenigſtens wird man doch geſtehen muͤſſen, daß ſie dabei das Berdienſt hatte, ihren Johann Jacob in angenehmer Taͤuſchung zu wiegen. Dieſe Taͤuſchung verſuͤßte ihm ſeine letzten Tage, er bildete ſich ein, zwei Kinder guter Art zu hinterlaſſen, und daß dieſes in Anſehung meiner nicht ſo, wie ers verſtand, gegruͤndet war, hinterbrachte ihm kein Menſch, denn auch den alten Marqueur gewann meine Mutter, da ſie durch - aus beſchloſſen hatte, ihr lieber Jacob ſollte in vol - ler Zufriedenheit mit ihr aus der Welt ſcheiden. Er kam zuletzt, wenn er nicht um Luft zu genießen auswankte, wenig mehr aus ſeinem Stuͤbchen, wußte daher nicht, was im Hauſe vorgieng, und ich mir zu Schulden kommen ließ; erfuhr er aber auch mit - unter etwas, oder kam ſelbſt dazu, ſo graͤmte erſich78ſich, in der Ueberlegung, daß man bei einem ſo leb - haften Knaben kleine Ruͤckfaͤlle uͤberſehen muͤßte, nicht ſonderlich.
Meine Mutter unterließ auch nichts, was ihn immer mehr fuͤr mich gewinnen mußte; unter an - dern verſprach ſie mir ein kleines Reitpferd, wenn ich mir vom Jnformator die Hand fuͤhren ließ, um einen Gluͤckwunſch zu Oncle Peters Geburtstag zu ſchreiben; das Verſprechen meiner Mutter machte mich biegſam, denn laͤngſt wuͤnſchte ich mir ein Pferd. Als der Gluͤckwunſch geſchrieben war, den der Lehrer gern kurz faßte, damit meine Geduld nicht ausreißen moͤchte, trug ihn die Mutter Vater Schnitzern hin, machte ihm aber weis, ich haͤtte ihn aus freier Hand geſchrieben; dieſer freute ſich nicht wenig, und uͤberſandte ihn ſeinem Bruder mit Beifuͤgung eines langen Berichts von meinem gu - ten Verhalten, wobei er nicht vergaß, ſeine Kinder in Peters Schutz zu empfehlen, wenn er ſelbſt die Welt wuͤrde geſegnet haben.
Suschen hatte ſehr wichtige Gruͤnde, ihren Johann Jacob fuͤr ſich und mich ſo gut zu ſtimmen, die moͤgliche Aenderung des Teſtaments, wovon ihr eigener Conſulent ihr den Argwohn beigebracht hat - te, war immer ihre geheime Sorge; welcher Strich waͤre es durch ihre Rechnung geweſen, wenn er ſeineKinder79Kinder und ſie auf gleiche Theile geſetzt, oder gar ſeine geliebte Tochter vorzuͤglich bedacht, und ſie etwa in die Haͤnde eines Vormunds beſtimmt haͤtte! Dies Ungluͤck mußte verhuͤthet, ich gebeſſert, und Suschen als unpartheiiſche Mutter vorgeſtellt wer - den; hiervon gab ſie ſich das Anſehen immer mehr, auch ſtellte ſie ſich, als wollte ſie den Gaſthof be - halten, uns noch was darauf zu erwerben ſuchen, und in ihrem Leben nicht wieder heirathen, wenn ſich auch ein Mann mit noch ſo viel Vermoͤgen an - biethen ſollte; denn ein Stiefvater meinte es doch nimmermehr gut mit den Kindern, und ſuchte ih - nen nur was zu entziehen.
Dies alles hoͤrte mein Vater Schnitzer ſehr gern, er hatte uͤberhaupt ganz keine Klage mehr uͤber ſein liebes Suschen, welches ſich fuͤr den Zwang, ſtill und friedlich zu ſcheinen, hoͤchſtens nur insgeheim entſchaͤdigte, ja ſogar außer dem Hauſe mit vieler Behutſamkeit auf Sophien Buſch laͤſterte und log, damit nur bei ihres Mannes Leb - zeiten kein Verdruß entſtehen, und dieſer nicht an - derer Meinung von ihr werden ſollte. Sie wollte ihn glauben machen, daß ſie das Lob uͤber die Aen - derung ihrer Gemuͤthsart verdiente, womit er alle - zeit begann, wenn er ihr gute Vermahnungen, ſo fortzufahren, fein tugendhaft, chriſtlich und recht -ſchaffen80ſchaffen zu ſein, und ihre Kinder eben ſo zu erzie - hen, geben wollte. Buſch erfuhr zwar doch, wie Frau Suschen noch immer gegen ihn und ſeine So - phie zu Felde zog, er hatte ſich auch vorgenommen, ihr den Dank dafuͤr nicht ſchuldig zu bleiben; da aber Schnitzer krank und es erklaͤrt war, daß er nicht wieder geneſen wuͤrde, ſo beſchloß er, bis nach ſeinem Hinſcheiden zu warten, damit er an der Kraͤnkung, die ſeiner Frau zugedacht war, oder vielmehr an dem Lerm, welchen ſie daruͤber verfuͤhren wuͤrde, nicht Theil nehmen moͤchte.
Somit war um und um Friede, auch hatte Johann Jacob die Freude, daß wieder Perſonen von gutem Ruf und von Wuͤrde in ſeinem Gaſthof einkehrten. Gern verzieh er meiner Mutter jetzt alles, womit ſie ihn vorhin beleidigt und ſeinen Tod befoͤrdert hatte, er hielt ſie fuͤr voͤllig geaͤndert, ließ alles beim alten, und ſtarb ſehr ruhig in den Armen ſeines geliebten Suschens, als ich mein ſie - bentes Jahr angetreten hatte.
Mein Vater hatte nur wenige Wochen vor ſei - nem Tode an Onele Petern geſchrieben und Abſchied von ihm genommen, weil er ſein Ende nahe fuͤhlte. Peter wollte ihn vor demſelben noch einmal ſehen, kam alſo einige Tage vorher an. Seine Gegenwart brachte dem Sterbenden die letzte Freude, und fuͤr meine Mutter die Nothwendigkeit mit, zehnmal zaͤrtlicher um den letzten beſorgt, und zehnmal be - truͤbter, da er dieſe Sorge nicht mehr noͤthig hat - te, zu thun, als es ohnehin die einſtudirte Politik wollte. Ohnmachten ſtanden ihr zu Geboth, ſie ließ deren am Sterbetage ihres im Leben theuer geweſenen Gatten drei bis vier hinter einander auf - marſchiren, und mußte zu Bette gebracht werden, ſo matt war ſie. Das gefiel Petern gar wohl, auch hatte er herzliches Mitleiden mit der betruͤbten Wittwe, troͤſtete ſie mit allen Bibelſtellen und Ver - ſen aus Geſangbuͤchern, die ſich auf eine ſolche2 r Theil. FGe -82Gelegenheit ſchicken, und bat ſie uͤbrigens ſich um nichts zu bekuͤmmern, weil er ſowohl im Hauſe zurecht ſehen, als auch die Begraͤbnißanſtalten uͤber - nehmen wollte. Sie ſollte nur fuͤr ihre Geſundheit ſorgen und eine gute Freundinn rufen laſſen, die ihren Gram doch ein wenig zerſtreuen werde. Hier - zu nun ward Mamſell Fanchon erwaͤhlt, mit der meine Mutter abermals in vollkommener Einigkeit lebte; am Buſen dieſer aufrichtigen Freundinn lachte ſie den Spott uͤber Peters Leichtglaͤubigkeit und die Wonne uͤber die erwuͤnſchten Ausſichten der Zukunft aus. Jhr einziges Augenmerk war jetzt, ſo viel Vermoͤgen, als nur zu gewinnen war, zuſammen zu bringen, um einen ihrer Abſicht gemaͤßen Aufwand, und einem Mann von Stande zur Verbindung mit ihr Luſt zu machen. Hierzu wurde nun auf einer andern Seite Sparſamkeit er - fordert; ſie beſchloß alſo, in allem, was zur Haus - haltung gehoͤrte, und nicht zu ihrem Glanz haupt - ſaͤchlich noͤthig war, aͤußerſt genau zu ſein, weshalb es ihr auch ſehr angenehm war, daß Peter die Be - ſorgung des Begraͤbniſſes uͤbernahm, weil es dieſer ſchlecht und recht nach alter Buͤrgerſitte nicht ein Haar beſſer, als es bei ſeinem Vater geweſen war, veranſtaltete. Ein gleiches haͤtte ſich, ihrer Mei - nung nach, fuͤr ſie, die ſchon den Ruf einer ele -ganten83ganten Frau hatte, nicht geſchickt, wenn ſie ſich ſelbſt damit eingelaſſen haͤtte, nun aber konnte ſie ſich mit ihrer Krankheit entſchuldigen, die ihr nicht zugelaſſen haͤtte, ſich um etwas zu bekuͤmmern, konn - te uͤber den einfaͤltigen Peter, der alles nach den Fuß der alten Welt machte, ſpotten, wenn ſie nach der Zeit von dem Begraͤbniß ſprach, und zugleich war manches erſpart.
Peter that ihr den Gefallen, zwei Tage nach demſelben wieder abzureiſen, und ihr Freiheit zu laſſen, ſich und uns Kinder in ſtatieuſe Trauer zu werfen; denn bei ſeiner Anweſenheit beſorgte ſie nur das nothwendigſte, fuͤr ſich ſelbſt aber gar nichts, da ſie noch immer die Kranke machte und bettlaͤgrig blieb. Der Herr Schwager hatte ſie uͤberhaupt in vielen Stuͤcken genirt, außer dem Zwang, traurig und krank zu thun, mußte ſie, weil er es wollte, meine Schweſter beſtaͤndig um ſich dulden, und die guͤtige Mutter gegen ſie machen. Madelon verließ freilich das Zimmer ihrer Mutter immer, wenn der Oncle weggieng, denn da ſetzte es allezeit Schelde, oder ſie ward gar ans Bette gerufen, um unter dem Vorwand, daß dies oder jenes an ihrem An - zug verdorben waͤre, Ohrfeigen zu empfangen; wenn ſie aber Peter bei den Domeſtiquen in einem Win - kel ſitzen, oder ſonſt einſam herumirren ſah, fuͤhrteF 2er84er ſie wieder in die Stube ſeiner Frau Schwaͤgerinn, und ſagte: die Kinder gehoͤren zur Mutter, weil ſie noch Kinder ſind. Ja, Herr Bruder, erwie - derte denn dieſe, das Maͤdchen iſt nun einmal ſo, ehe ichs mich verſehe, laͤuft ſie fort. Es ſteckt nicht viel Gutes in ihr; lernen mag ſie nichts, iſt ſchreck - lich ungeſchickt und dazu ungehorſam — ach Gott! es graͤmt mich recht, was aus ihr werden wird; Peter meinte aber, ſo ſchlimm kaͤme ſie ihm doch nicht vor, ihm folgte ſie z. B. aufs Wort, und wuͤßte ihm nicht genug Liebe und Aufmerkſamkeit zu beweiſen; ſo haͤtte er ja bemerkt, das ſie ihr, der Mutter, gern alles an den Augen abſaͤhe, wenn ſie ihr nur guͤtig begegnete. Aber ich merke ſchon, das arme Maͤdel ſteht im ſchwarzen Regiſter bei der Frau Mutter, und Fritz iſt das Favoritel, der dann auch thun darf was er will, und es auch thut. Nehm Sie mirs nicht uͤbel, Frau Schwe - ſter, daß ichs gerade heraus ſage, ihr Goldfritzel iſt das nicht, was ſich mein ſeliger Bruder von ihm eingebildet hat, es iſt vielmehr ein boͤſer Junge. J nu, verſetzte meine Mutter, er iſt freilich waͤhrend meines Mannes Krankheit ein wenig verwildert, aber das wird ſich ſchon wieder geben, wenn ich uun beſſer auf ihn Acht haben kann.
Der -85Dergleichen Anmerkungen mußte ſie, ſo lange Peter im Hauſe war, oͤfters anhoͤren, es war ihr alſo lieb, daß er ſich empfohl, auch ſaͤumte ſie nun nicht, Gebrauch von ihrer Freiheit zu machen. Sie verließ ſogleich das Bette, und begann die Trauer einzurichten, beſtellte fuͤr ſich und uns alles, ſo wie es Leute von Stande haben, aͤrgerte ſich aber, daß ſie die Pleureuſen weglaſſen mußte. Doch wenn ſie daran nichts fehlen ließ, ſo begann ſie deſto ſparſa - mer gegen alles, was ſie zu ernaͤhren hatte, zu ſein, ſogar der Wirthstiſch wurde nur ſpaͤrlich be - ſetzt, und die einkehrenden Fremden hatten alle Ur - ſache, ſich uͤber die kaͤrgliche Bewirthung zu bekla - gen, fuͤr welche ſie gleichwohl mehr als ſonſt be - zahlen mußten. Die Sorge, dadurch die Gaͤſte zu vrrſcheuchen, konnte bei meiner Mutter nicht ſtatt finden, weil ſie den Gaſthof ohnehin bald verpach - ten wollte; ihn zu verkaufen getraute ſie ſich wegen Petern nicht, welcher auf dieſes Familienerbe viel hielt.
Obgleich demnach alles im Hauſe unter der genauen Wirthſchaft meiner Mutter leiden mußte, und Madelon am meiſten darunter litt, indem dieſe ſich den Magen nie bis zur Saͤttigung anfuͤllen durfte; ſo gieng doch mir nichts ab. Nicht nur beſtellte ich, was ich zu eſſen befahl, ſondern rißF 3bei86bei Tiſche die Schuͤſſeln nach mir, nahm das beſte heraus, und ſehr oft etwas, das mir ſelbſt anſtand, der Frau Mutter vom Teller. Sie hatte bald nicht mehr das Herz, mir etwas dieſer Art zu verweiſen, ich durfte auch außer den Mahlzeiten nur fordern, und alles war augenblicklich zu meinem Befehl. Die Domeſtiquen waren nie ſchnell genug, dieſe zu vollziehen, ich brutaliſirte ſie, und wollten ſie es nicht leiden, ſo klagte ichs weiner Mutter, indem ich, was ſie etwa geſagt hatten, zu verdrehen wußte, ſo daß es allemal zur aͤrgſten Grobheit wurde, wel - ches Mutter Suschen hoͤchſt uͤbel nahm, und die verwegnen Leute tuͤchtig herunter hunzte. Es gab welche darunter, die ſich verantworteten, und ihr ſelbſt die Meinung von ihr und mir ohne Schonung ſagten, dann kam es aber allemal zum groͤßten Spektakel und zur Verabſchiedung des ungehobelten Gegenſtandes, welches mir viel Spaß machte. Zu - weilen mußte ich freilich auch etwas dagegen er - tragen, allein die Revange, welche mir von der Mutter geſchaft wurde, war um deſto ſuͤßer.
Unter andern vergieng ſich der Hausknecht ein - mal auf eine unerhoͤrte Art an mir. Jch hatte ihn ſchon lange geneckt, ihm jeden Poſſen gethan, den ich erſinnen konnte, und allerhand Schmerz, als ihn unvermerkt zu ſtechen, ihn, ehe er ſichsverſahe,87verſahe, zu kneipen, zu beißen, u. d. gl. verur - ſacht. Er uͤberwand ſeinen Unmuth lange; endlich aber ſagte er: laß dich warnen, Junge, und komme mir nicht noch einmal, ſonſt vertreibe ich dir den Kitzel ſo nachdruͤcklich, daß du an mich denken ſollſt! Jch lief zur Mutter und ſagte ihr, wie grob mir Hanns gekommen waͤre; ſie hielt es fuͤr noͤthig, eine ſolche Unbilde ſogleich zu raͤchen, damit nicht meh - rere nachfolgen moͤchten. Madelon, die eben bei der Hand war, mußte den Hausknecht rufen; er erſchien etwas trotzig, denn er merkte, warum er eitirt ward. Hoͤrt einmal, ihr Flegel, ſagte Muͤt - terchen, wie koͤnnt ihr euch unterſtehen, euren jun - gen Herrn par Du und par Junge zu tractiren! Ei, ſagte Hanns, ich bin Hausknecht hier im Gaſt - hofe, kann allenfalls auch morgen ander Brod ſu - chen; alſo iſt ihr Sohn nicht mein junger Herr, er iſt kein Prinz und kein Graf. Jch laß mich nicht von ihm ſcheeren, ſondern ſags noch einmal, laͤßt er mich nicht ungehudelt, ſo ſetzts was — Das ſollt ihr euch unterſtehen, ihr impertinenter Schlin - gel, ſchrie meine Mutter, es iſt euch eine Ehre, wenn mein Sohn mit euch ſcherzt, ruͤhrt ihn nur an! mein Goldfritzel, weißt du was, gieb dich nicht mehr mit dem ſchlechten Kerl ab.
F 4Hanns88Hanns hoͤrte wenig mehr von den letzten Wor - ten, denn er gieng ſcheltend und ſchimpfend fort; aber ich wollte ſehen, was er mir dann thun, und was daraus entſtehen wuͤrde, ſuchte alſo gegen Abend deſſelben Tages Gelegenheit an ihm. Jch ſah ihn, meines Beduͤnkens, zu meiner Abſicht ſehr paſſend im Holzſtall, leiſe ſchlich ich mich hin und hinter ihn, er zerhackte eben ein Scheit, hoͤrte mich alſo nicht, und ich benutzte dies, um ihm eine große Stecknadel, wie ich ſie immer bei mir trug, in den Hintern zu appliciren. Schreien, Scheit und Beil wegwerfen, die Nadel herausziehen, und mich, der ſich todt lachen wollte, faſſen, ward ſo ſchnell wie nie eine einzige Handlung von Hannſen vollbracht. Jch wollte mich losreißen, aber um - ſonſt, der ſtarke Kerl packte mich, legte mich uͤber den Hackeklotz, zog mir die Hoͤschen, (wie es Mut - ter Suschen, als ich ſchon zwoͤlf Jahr alt war, noch immer ausdruͤckte,) herunter, und peitſchte mit einer Ruthe, die er mit der freien Hand aus einem nahe gelegenen dornigen Reisbuͤſchel zu ziehen wußte, ſo unbarmherzig darauf loß, daß die Haut aufſprang. Schon als er mich packte und uͤber den Klotz legte, begann ich zu ſchreien, was meine Kehle vermoch - te, aber der Holzſtall war etwas entfernt vom Hauſe, es rollte eben ein Wagen in den Hof, folg -lich89lich konnte Hanns ſeine Execution ungeſtoͤrt vollen - den. Als er mein zartes Hintertheilchen ſo lange zergerbt hatte, als dieſe und noch eine zweite Ruthe halten wollte, ließ er mich los, und ſagte in aller Gelaſſenheit: nun geh, Beſtie, und ſags deiner Mutter. Er durfte mir dies nicht erſt heißen, denn ſo wie ich nur aus ſeinen Haͤnden war, lief ich, die Hoͤschen in den Haͤnden tragend, ſchreiend wie ein Beſeſſener zur Mutter. Sie hatte meine Stim - me von weitem gehoͤrt, kam mir entgegen geſprun - gen, und konnte, da ſie meinen Jammer vernahm und den Schaden beſah, ihren eigenen Augen kaum glauben, konnte nicht begreifen, wie ein Hausknecht ſich ſo vermeſſen koͤnnte!
Das noͤthigſte ſchien ihr, mich zu entkleiden, den beſchaͤdigten Theil mit einem heilenden Oel zu beſtreichen, und mich zu Bette zu bringen, welches alles ſie unter unzaͤhligen Thraͤnen ſelbſt that. So - dann lief ſie hinaus, um den Verbrecher aufzuſu - chen, ſie begegnete ihm im Hauſe, da er eben in aller Gelaſſenheit eine Tracht Holz in die Kuͤche trug. Die Wuth der gekraͤnkten Mutter war ſo groß, daß ſie den gehoͤrigen Schimpfnamen nicht gleich finden konnte, ſtumm alſo gieng ſie nach in die Kuͤche, nahm den naͤchſten Knippel, den ſie fand, und eilte Hannſen damit zu zuͤchtigen. Die -ſer90ſer entledigte ſich ſeines Holzes geſchwind, ſtieß Madam Schnitzer weg, ehe ſie den Schlag noch anbringen konnte, und rieth ihr, ihn nicht aufzu - bringen, weil er ſich ſonſt vertheidigen wuͤrde, in - dem ers ſagte, verſah er ſich mit einem Scheite. Meine Mutter hatte an mir erfahren, daß Hanns nicht umſonſt drohte, ſie wollte ſich alſo einer aͤhnlichen Begegnung nicht ausſetzen, beſonders da Fremde im Hauſe waren; aber ob wohl der Menſch ihr berichtete, welche Bosheit ich an ihm ausgeuͤbt hatte, ſo hielt ſie das doch fuͤr nichts, ſondern be - theuerte, ihn fuͤr die Frechheit, mich ſo gemißhan - delt zu haben, durch die Gerichten beſtrafen zu laſſen, und kuͤndigte ihm an, daß er noch heute aus dem Hauſe muͤßte. Hanns lachte; ihr Haus will ich meiden, ſagte er, aber nicht eher, bis ich den ruͤckſtaͤndigen Lohn habe, und verklagen koͤnnen ſie mich, ich werde getroſt erſcheinen. So machte er ſeine Arbeit ruhig fort, bis zum andern Mor - gen, wo er ſelbſt fort, doch ſeinen Lohn mitneh - men wollte. Die Mutter verweigerte dies, ſie wollte erſt abwarten, was der Richter ausſprechen wuͤrde; als aber ihr Conſulent, den ſie mit dem fruͤheſten hatte rufen laſſen, erſchien, und ihr, nach - dem er den Fall ganz gehoͤrt, rieth, die Sache fal - len zu laſſen, weil Hanns fuͤr die Zuͤchtigung einesKindes,91Kindes, das ihn gefliſſentlich beſchaͤdigt haͤtte, we - nig verantwortlich ſein wuͤrde, ſo begnuͤgte ſie ſich, dem gottloſen Boͤſewicht unter einem Vorwand et - was von ſeinem Lohn abzubrechen. Der Herr Ad - vocat zahlte es ihm ſelbſt, und verſicherte, daß Hanns es blos der Guͤte der Madam Schnitzer zu danken haͤtte, wenn er ſo weg kaͤme; denn ſollte es ihr noch einfallen zu klagen, ſo wuͤrde er aller - dings geſtraft, weil er mich ſehr uͤbel zugerichtet haͤtte, und uͤberhaupt nicht befugt geweſen waͤre, ſich ſelbſt zu raͤchen, ſondern es der Madam haͤtte uͤberlaſſen muͤſſen, ihr Kind zu ſtrafen. Hanns glaubte es halb und halb, und gieng mit dem, was ihm gegeben ward; der Conſulent empfieng einen Thaler fuͤr ſeine Bemuͤhung, und ſo war die Sache vorbei.
Aber fuͤr meinen Hintern war ſie es nicht, dieſer befand ſich etliche Tage in traurigen Umſtaͤn - den, und machte mir, weil ich durch herumfahren im Bett und durch kratzen, wenns heilen wollte, das Uebel verlaͤngerte, viel Schmerz. Mutter Sus - chen, die ſchon am Abend der Execution etwas ein - nehmen mußte, konnte den Jammer uͤber mein Lei - den ebenfalls nicht ſogleich uͤberwinden, ſie ward wuͤrklich unpaͤßlich davon, und ich vermehrte ihren Kummer durch meine Ungeduld und einen rechtaus -92ausſtudirten Eigenſinn, den ſie doch immer re - ſpectirte; zugleich war ſie viel zu zaͤrtlich, mir we - gen des Stichs in Hannſens Hinterfleiſch nur den geringſten Verweis zu geben, vielmehr ſuchte ſie mich, wenn ich weinte und uͤber Schmerz klagte, dadurch zu troͤſten, daß ſie ſagte: der abſcheuliche boshafte Kerl, die Canaille, wart nur, mein Gold - fritzel, er ſoll ſchon noch gezuͤchtigt werden. Wenn ich mich aber auch auf dieſe, Hannſen verſprochene Zuͤchtigung freute, und gewiſſermaßen ſtolz darauf war, daß die Mutter einen Menſchen, den ich doch groͤblich beleidigt hatte, wegen der mir angethanen Strafe ausſchimpfte und ihm Gegenſirafe zuerkann - te, ſo hatte ich doch auch einige Lehre empfangen, forthin war ich behutſamer, und huͤthete mich, es mit unſern Leuten aufzunehmen. Doch mit der Zeit verlohr ſich das Andenken des Schillings im Holz - ſtall, und ich nahm in der mir angeſtammten und ſo wohl gepflegten Dreuſtigkeit deſto mehr zu.
Bald war ich auch nicht mehr ein Gaſtwirths - Sohn, denn drei Monate nach Vater Schnitzers Hinſcheiden wurde der Gaſthof gluͤcklich verpachtet. Madam Suschen wußte ihrem Schwager Peter in einem Briefe die Nothwendigkeit dieſer Veraͤnde - rung ſo einleuchtend zu beweiſen, daß er ſie ſo - gar billigte, und außer ihm hatte ſie keinem Men -ſchen93ſchen Rechenſchaft zu geben, denn alles gehoͤrte ihr ja allein, und ſie hatte jede Maaßregel genommen, um durchaus keine Einrede in irgend etwas gewaͤr - tig ſein zu muͤſſen. Johann Jacob haͤtte gern ſei - nen Bruder Peter zum Vormund uͤber uns Kin - der geſetzt, aber das ließ ſich zu Suschens Troſt wegen der Entfernung ſeines Wohnorts nicht fuͤg - lich thun. Nun konnte er uͤber der Wahl eines andern Gegenſtandes nicht einig werden, keiner von denen, die er in Vorſchlag brachte, ſtand meiner Mutter an, und ſo wollte er ſich den Kopf nicht weiter zerbrechen, ſondern auch dieſen Punkt ihrer Verfuͤgung uͤberlaſſen. Sie erwaͤhlte, da ſie, wie ſie anfangs immer ſagte, eine betruͤbte und ver - laſſene Wittwe, und ihre Kinder eben ſolche Wai - ſen waren, einen etwas traͤgen, zugleich aber eigen - nuͤtzigen Mann zu unſerm Vormund und ihrem Cu - rator, und hatte ſich und ihre Abſichten auch durch dieſe kluge Handlung nun fuͤr die Zukunft voͤllig gedeckt.
Die Zeit der Trauer gieng in unſerm zweiten Hauſe meiſt ruhig hin, die erſten Wochen wurden mit Einrichtungen zugebracht. Die ſogenannte belle étage, die wir jetzt bewohnten, ward ganz neu und herrlich meublirt, es wurden zwei weib - liche Bedienungen und ein Bedienter angenommen;meine94meine Mutter hielt dafuͤr, daß ſie nicht mehr als Gaſtwirthinn, ſondern als die reiche Madam Schnitzer den Luxus, welchen ſie auszufuͤhren ver - mochte, bei ſich einfuͤhren koͤnnte, ohne daß man es uͤbertrieben oder laͤcherlich finden wuͤrde. Wenn dies aber auch geſchah, und ſie davon hoͤrte, ſo er - klaͤrte ſie es fuͤr Neid, und verſicherte, daß ſie es den Leuten zum Tort immer hoͤher treiben wollte.
Jhre Hoffart wollte, daß ſie Fanchon, die jetzt allein lebte, als Gouvernante zu ſich nehmen ſollte, und ſie widerſtand dieſer ehrſamen Neigung nicht. Unſer bisheriger Lehrer ward nun ziemlich vernachlaͤßigt, da Vater Schnitzer nicht mehr auch durch ihn zu hintergehen war, ſetzte es keine Ge - ſchenke mehr, als dieſe wegfielen, ſetzte es keine Geduld mit mir, keine Beſchoͤnigung meiner Aus - gelaſſenheit mehr. Taͤglich hatte er was uͤber mich zu klagen, das nahm meine Mutter uͤbel, ſie ſagte ihm unter die Augen, daß er eben an meiner Ver - wilderung und Ungezogenheit ſchuld ſey, weil er die rechte Art nicht haͤtte, einen Knaben von ſo viel Verſtand und Lebhaftigkeit zu gewinnen; die - ſer Ausſpruch ward in meiner Gegenwart gethan. Der Lehrer nahm dieſe Beſchuldigung ſehr uͤbel, er ſagte Muͤtterchen ſehr harte Dinge, es entſtand ein gewaltiger Zank, nach welchem der erſte ver -abſchiedet95abſchiedet ward und ſein wollte. Nun bekam ich einen eigenen Hofmeiſter, der auf guten Gehalt ge - ſetzt wurde. Er war einer von den verſaͤumten des Gluͤcks, doch wollte man behaupten, daß es nur Un - gerechtigkeit waͤre, Fortunen hier einer muthwilli - gen Vernachlaͤßigung zu beſchuldigen, weil der Mann auch nicht die geringſte Eigenſchaft beſaß, durch die er ihrem guten Willen einigermaßen haͤtte zu Huͤlfe kommen koͤnnen, und es doch nicht immer moͤglich waͤre, eine reiche Erbſchaft herzuzaubern, durch die ein Dummkopf in floriſante Umſtaͤnde kommt, ohne daß er ſelbſt Hand und Fuß, Sinn und Vernunft ruͤhrt.
Herr Null, der in einem abgeſchabten Roͤckchen und einer confiseirten Peruͤcke in unſer Haus kam, um ſich zu meinem Hofmeiſter annehmen zu laſſen, dankte Gott fuͤr dieſe unvermuthete Verſorgung, die er nicht bekommen haͤtte, wenn ein anderer von denen, die dieſen Vorſchlag erhielten, ihn haͤtte annehmen wollen. Meine Mutter wollte ihm ſo - gleich Beweiſe ihrer Huld geben, und ihn in Stand ſetzen, unſerm vornehmen Hauſe Ehre zu machen, deswegen wurden zwei Kleider nebſt allem Zubehoͤr und Waͤſche aus dem Nachlaß meines Vaters her - beigeholt, und ihm als Antrittsgeſchenk mit der Vermeldung gegeben, daß ſie hoffte, Herr Nullwerde96werde es durch den Fleiß und die Aufmerkſamkeit, die er an mich wendete, verdienen. Dieſer Erklaͤrung ward hinzugefuͤgt, daß ich ein ſehr lebhaftes Kind waͤre, mit dem man zuweilen Nachſicht haben muͤß - te, von dem man aber mit gutem alles er - halten koͤnnte. Null verſprach, ſich zur vollkomm - nen Zufriedenheit der Frau Prinzipalinn zu betra - gen, ſchmeichelte mir aus allen Kraͤften, ſetzte ſich in Garderobe, nahm ſeine Stelle ein, und ward, ſo lange zwiſchen ihm und mir alles gut gieng, leidlich gepflegt und behandelt.
Der Aufwand in unſerm Hauſe ward durch alle dieſe Einrichtungen ziemlich groß, doch er konnte beſtritten werden. Meine Mutter hatte das bei Lebzeiten des Vaters geſammelte Capital, welches nicht klein war, auf Zinſen ſo untergebracht, daß ſie es zu allen Stunden aufkuͤndigen konnte; etwas davon war freilich zu der neuen Einrichtung darauf gegangen, dagegen aber warf ihr das Gluͤck nicht ſechs Wochen nach der vorgenommenen Veraͤnde - rung das große Loos zu. Sie dankte ſich nun den Einfall, in die Lotterie geſetzt zu haben, und hatte es auch Urſache, denn jetzt war ſie in der That reich.
Dieſer Reichthum aber verleitete ſie nicht zur Verſchwendung, wo es nicht die Ehre erforderte,war97war und blieb meine Mutter die ſtrengſte Wirthinn. Nach wie vor konnte ſich außer ihr und mir kein Menſch, allenfalls der Hofmeiſter, in ihrem Hauſe ſatt eſſen, weshalb auch Madelon ſo duͤrre wie ein Gerippe war; Mamſell Fanchon aber, nachdem ſie einige Zeit ſelbſt fuͤr die leeren Stellen in ihrem Magen geſorgt hatte, ihr eigen Geld aber endlich nicht mehr zuſetzen wollte, nach einem lebhaften Zwieſpalt mit meiner Mutter das Haus verließ, und die Einrichtung in demſelben, nebſt meiner Mutter Tugenden und den meinigen allenthalben gehoͤrig lobpreißte.
Die Koͤchinn, das Aufwarte - oder Jungfer - maͤdchen, ſo wie der Bediente, beſtanden gewoͤhn - lich jede zwei Monathe aus neuen Gegenſtaͤnden, ſie wurden immer ſchlechter, wir hatten am Ende die beruͤchtigſten und gemeinſten Weibsleute, und eben ſolche erklaͤrte Taugenichte maͤnnlichen Ge - ſchlechts in unſern Dienſten gehabt. Jedes von denſelben trug zu meiner immer mehrern Bildung bei, und ich beſchuͤtzte ſie ſo lange als ſie mir alles zu willen thaten und alles von mir ertrugen. Made - lon ward bald auch von dieſen Geſchoͤpfen gemiß - handelt, da das arme Maͤdchen keinen Schutz hatte, und man, wo nicht ſogar meiner Mutter, doch mir dadurch gefallen konnte, wenn man ſie gaͤnz -2 r Theil. Glich98lich vernachlaͤßigte, oder gar ihr Verdruß machte; ſo ward ihr von allen uͤbel begegnet.
Dieſe meine Schweſter verdiente es wuͤrklich, von Leuten unſers Gelichters verfolgt zu werden, da ſie ſo einfaͤltig gut und ſanft war, nie etwas boͤ - ſes that, ſich durch Fleiß, Ordnung und Gehor - ſam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge - ſaͤlligkeit bei mir, und durch Duldſamkeit alles deſſen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die Liebe fremder Perſonen zuzog, und ſo uns ſtill - ſchweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei - den, wozu wir ſie immer mehr verurtheilten, be - wog endlich, wie es meine Leſer weiterhin erfahren werden, einen Freund meines ſeligen Vaters, ſich ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch außer dem muͤtterlichen Hauſe ein beſſeres Schick - ſal zu verſchaffen. Da ich mich bei meinen Leſern beliebt zu machen ſuche, wollte ich, durch die vor - laͤufige Ankuͤndigung von Madelons Befreiung, ihr praͤſumirtes Mitleiden mit dem Zuſtand dieſes Maͤdchens etwas erleichtern.
Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich - lers, und mit dem feſten Vorſatz, ſie mit gehoͤri - ger Aufmerkſamkeit in Uebung zu ſetzen, in unſer Haus kam, befaßte ſich ſo wenig als andre mit dem Schutz fuͤr meine Schweſter, er gab vielmehr mei -ner99ner Mutter in der Behauptung vollkommen recht, daß es ein dummes und tuͤckiſches Geſchoͤpf waͤre, und wenn ich in den Schulſtunden (wo ich nie eine andere Lection nahm, als die mir gerade gefiel, und ſie nur fortſetzte, ſo lange ſie mir gefiel), jeden er - denklichen Muthwillen an ihr ausuͤben wollte, ſo ſagte er nichts dazu, oder lachte wohl gar uͤber meine Leichtfertigkeit. Es war ihm eben recht, daß ich nicht Luſt was zu lernen hatte, denn nicht nur war er ſelbſt faul, ſondern er verſtand eigentlich nicht einmal ſo viel, als noͤthig iſt, um auch nur Kinder von unſern Jahren zu unterrichten. Mit dieſem Nichtsthun kamen wir, der Hofmeiſter und ich, laͤnger als ein Jahr, als ſo lange Herr Null mit mir in ziemlichem Vernehmen ſtand, recht gut weg, denn meine Mutter, welche andere Be - ſchaͤftigungen hatte, fragte nie nach meinen Fort - ſchritten; geſchah es ja, ſo ward die Frage mit der Verſicherung beantwortet, daß ich recht gut lernte, und dieſe ward geglaubt. Der Vormund hatte, ſo wie auch meine Mutter ſelbſt, nicht den geringſten Begriff von der gehoͤrigen Zucht und von dem, was ein Knabe lernen, oder wie es ihm beigebracht werden muß; auch er ließ ſich weis machen, daß ich ein wohlunterrichteter und gelehriger Knabe ſei, und war froh, daß niemand die naͤhere Unterſuchung von ihm forderte.
G 2So -100Sonach war gar nichts gegen Herrn Null ein - zuwenden, er war die Perſon im Hauſe, der es nach meiner Mutter und mir am beſten gieng, ja da er die Grobheiten, welche wir beide haͤufig an ihm ausuͤbten, fuͤr nichts achtete, ſie aber doch da - durch zu maͤßigen ſuchte, daß er alles, was ich that, gut hieß und beſchoͤnigte, daß er mir ſchmeichelte und mir immer ein falſches Zeugniß meines Fleißes und guten Verhaltens gab, ſo hielt er ſich fuͤr uͤbergluͤcklich.
Ehe ich von dieſem wuͤrdigen Mann und ſei - nen Nachfolgern, dabei aber vorzuͤglich von mir ſelbſt, weiter ſpreche, muß ich eine Epiſode ein - ſchieben, die freilich etwas lang ſein, aber wie ich glaube, dem Leſer nicht Langeweile machen wird. Nach dieſer Erklaͤrung zur Entſchuldigung der Epi - ſode beginn ich:
Man beliebe ſich zu beſinnen, daß die Aus - ſoͤhnung zwiſchen meiner Mutter und dem Buch - haͤndler Buſch keinesweges erfolgt, ſondern die erſte noch bei meines Vaters Lebzeiten befliſſen geweſen war, zur Befriedigung ihrer Rache im verborgenen zu wuͤrken, daß Buſch es erfahren, und ſich vorge - nommen hatte, ſie dafuͤr zu zuͤchtigen, damit aber bis nach Schnitzers Tod warten wollte.
Der101Der Streich, welchen er ihr zugedacht hatte, mußte ihr, wie er mit boshafter Schadenfreude vor - ausſahe, jetzt, da ſie an Stolz und Uebermuth ſo betraͤchtlich zugenommen batte, empfindlicher als jemals ſein. Doch die jetzige Lebensweiſe meiner Mutter muß vorher beſchrieben werden, wenn der Leſer die Groͤße ihres Verdruſſes bei Buſchens Jn - discretion ganz begreifen ſoll.
Was vors erſte den Anzug betraf, ſo war die - ſer nicht blos artig und ausgeſucht, er war uͤber - praͤchtig zu nennen. Sie war dabei in Abwechſe - lung der Moden immer eine der erſten, ſelbſt die vornehmſten Damen nicht ausgeſchloſſen, und da ſie auf die Tongeberinnen in Sachen des Geſchmacks genau Achtung gab, auch in allem, was die Eitel - keit betraf, ſehr gelehrig war, ſo verlohr ſich ſehr bald jeder Ueberreſt von kleinſtaͤdtiſcher oder gemei - ner Buͤrgerlichkeit, und Madam Schnitzer ward zu einem der galanteſten Frauenzimmer, machte uͤber - all Aufſehen, wurde von einigen beneidet und als eine uͤbermuͤthige Naͤrrinn, die ſich uͤber ihren Stand truͤge, verlaͤſtert, von andern nachgeahmt und geſchmeichelt. Dieſe letzten gelangten zu der Ehre ihres Umgangs. Sie waren freilich nicht von ausgemachter Wuͤrde, allein meine Mutter nahm ſie unter die Fluͤgel ihres Glanzes, und draͤngte ſichG 3mit102mit dieſem Gefolge in die beſten Geſellſchaften, welche es zuweilen uͤbel nahmen und ſich zerſtreuten, um nicht mit der von vorigen Zeiten her und durch ihre jetzigen Geſellſchafterinnen beruͤchtigten Frau Schnitzerinn in einem Zirkel zu ſein; ſie konnten es doch nicht immer verhuͤthen, dann aber bewieſen ſie durch die moͤglichſte Entfernung und ein gewiſſes wegwerfendes Benehmen gegen ſie, ſie ſei hier uͤberlei. Madam Schnitzer raͤchte ſich durch Spott und Unbeſcheidenheit an ihnen, oft ſahe ſie dieſe delicaten Damen ohne alle Zuruͤckhaltung von Kopf bis zu Fuß an, muſterte gegen eine ihrer Begleite - rinnen den Anzug faſt laut, und ſchlug dann ge - meiniglich ein lautes Gelaͤchter auf So geſchah es an allen oͤffentlichen Orten, zum Beiſpiel auf Promenaden, wo ſie, nimpfenhaft gekleidet, vor einem Trupp rechtlicher Frauenzimmer vorbei zu ge - hen pflegte, und dann uͤber ſie ziſchelte und lachte; dann ſetzte ſie ſich wohl auch mit ihren Conſorten ohnweit von einer ſo honorigen Geſellſchaft, und ließ, was nur eben in dieſem Luſtort zu haben war, geben, um zu beweiſen, daß ſie was darauf gehen laſſen koͤnnte.
Da ſie eine reiche Wittwe war, die, wie be - kannt, den Nachlaß ihres Mannes allein, und noch dazu ſo viel eigenes Vermoͤgen hatte, ſo fehlte esihr103ihr nicht an Liebhabern, welche die Abſicht auf eine Verbindung mit ihr hatten. Eben ſo fand ſie An - beter, die blos Geſchmack an ihr fanden, denn ſie vernachlaͤßigte jetzt ihre Schoͤnheit nicht, gab ihr vielmehr durch die Kunſt noch mehr Reiz, und ſo entzog ſie wuͤrklich eine Weile ſo mancher unter den geſitteten Damen einen Gegenſtand, den dieſe ihrer Gunſt nicht unwuͤrdig hielt. Der Haß ſolcher beleidigten Damen und die Freude meiner Mutter uͤber die ihnen entzogenen Eroberungen war um ſo groͤßer.
Um ja keinen dieſer, Ernſt oder Spaß meinen - den Herren von ſich zu verſcheuchen, geſtattete ſie allen den Zutritt bei ſich, gab artige Souppees, jenen im Gaſthof nicht unaͤhnlich, und kam dann auch mit ihren Bewunderern an mehrgedachte oͤf - fentliche Orte: Welcher von ihnen ſich ſcheute, mit ihr und ihren Geſellſchaftsdamen da zuſammen zu erſcheinen, ward verabſchiedet, und blieb auch wohl, weil er den Spaß uͤberdruͤßig war, ſelbſt weg. Seine Stelle wurde aber bald erſetzt, denn es fehl - te nie an Maͤnnern, und wird nie an ſolchen feh - len, die unter der Entſchuldigung, daß ſo was ei - ner Mannsperſon nicht nachtheilig ſei, ſo klug ſind, die Zirkel der Freudendamen den ſogenannten decen -G 4ten104ten Geſellſchaften dieſes Geſchlechts wenigſtens mit - unter vorzuziehen.
Meines Dafuͤrhaltens haben ſie recht, denn eine freie ungezwungene Lebensart iſt doch die Seele des Umgangs, Celeſtin mag die, ſo hieran Ge - ſchmack haben, immerhin Thiermenſchen nennen, und alle wuͤrkliche oder ſeinwollende Geiſtmenſchen ſie fliehen und verachten, ſie befinden ſich dadurch nicht ſchlimmer, verachten und verlachen ihrer Seits jene. Was noch mehr iſt, ſo darf der geſaͤttigte Thiermenſch, aus Verfall ſeiner Geſundheit, oder ſonſt einer Nothwendigkeit, nur von ſeines Gleichen zuruͤckzutreten ſcheinen, um ſich ein Geiſttoͤchter - lein auszuſuchen, und er findet immer noch eins, welches dann an ſeiner Hand entweder auch entgei - ſtert wird, oder ungluͤcklich iſt. Eben ſo hat man Faͤlle, daß eine Thiermenſchinn auf einmal den Ein - fall bekommen hat, unter die geſitteten Menſchen gehoͤren zu wollen, ſie erheuchelt ſich dann gewiß einen Geiſtmenſchen, der den Betrug zu ſpaͤt gewahr wird, und wenn er ſich nicht in die Weiſe ſeiner Gattinn ſchickt, an ſeinem Kummer nagt.
Celeſtin nannte das Dichten und Trachten der Thiermenſchen boͤſe; ich will alſo ſeine Art zu ur - theilen hier beibehalten, und folgender Ausſpruch folgt dann von ſelbſt.
Das105Das Boͤſe giebt gemeiniglich ſuͤßen Genuß, iſt folglich verfuͤhrend, demnach machen wir Thiermen - ſchen leicht Proſelyten unter den Geiſtmenſchen, wenn dieſe irgend in Verbindung mit uns kommen, und der Faͤlle, wo dies geſchieht, ſind mehr als man glaubte. Selten kehrt einer, ſo wie es Bonitz that, zuruͤck, weil es noch Zeit iſt; die meiſten von denen, die ſich zu uns wenden, oder blindlings unter uns gerathen, ſind wie die Bezauberten der Circe in ihrem Wahn lange gluͤcklich — von dem, was ſie, wenn ſie ihre Verwandlung einſt zu ſpaͤt be - merken, empfinden, iſt hier nicht die Rede.
Sonach ſind wirs im Grunde, die den Ton in der Welt angeben, geben ſie Achtung, Herr Cele - ſtin, es wird in wenig Zeit kein aͤchter Geiſtmenſch mehr exiſtiren, denn die Epoque iſt ſchon eingetre - ten, wo man ſich in der großen und kleinen Welt der Religion und der Moral ſchaͤmt. Die meiſten Eltern von gutem Ton ſorgen nur, daß ihre Kinder keine alberne Rolle in der Welt ſpielen; von dem, was ſie, Herr Celeſtin, Tugend, Wuͤrde und Pflicht der Menſchen nennen, hoͤren dieſe Kinder freilich ſo obenhin was, aber niemand denkt daran, ſie zu be - lehren, daß es mit der Ausuͤbung Ernſt ſein muͤſſe. Jch kenne etliche rechtliche Haͤuſer in etlichen gro - ßen Staͤdten, wo die Toͤchter anſtaͤndig gekleidetſind,106ſind, aber nicht alle Moden mitmachen duͤrfen, wo ſie haushaͤlteriſch und immer mit einer Arbeit oder ſonſt einer noͤthigen Verrichtung beſchaͤftigt ſein muͤſſen. Jhre Eltern laſſen ſie zwar oft unſchuldige Ergoͤtzungen genießen, aber in den galanten Zir - keln duͤrfen ſie nicht herumſchwaͤrmen. Sie muͤſſen vor jedermann Achtung haben, und ich wollte ihnen nicht rathen, hinter den Leuten her, oder gar ihnen ins Geſicht zu lachen; auch duͤrfen ſie nicht vornehm thun und koſtſpielige Anſpruͤche machen, indem die Eltern meinen, dies koͤnne in der Zukunft zur Plage der Ehemaͤnner werden, und zu allerhand Vergehungen Anlaß geben.
Die Soͤhne dieſer Haͤuſer werden jeder zu dem Stand, den er ſich ſelbſt erwaͤhlt, mit aller aͤlter - lichen Sorfalt gebildet, es wird ihnen alle Gele - genheit, Kenntniſſe zu ſammeln, verſchafft, ſie duͤr - fen ebenfalls die Freuden genießen, die der gute Naturmenſch nur genießen kann, aber ſie ſind ge - woͤhnt, alles, was nur einer Ausſchweifung aͤhn - lich ſieht, zu meiden, daher ſieht man ſie nie mit andern Juͤnglingen da, wo Geſundheit, Zeit und Sittlichkeit ertoͤdtet wird, und ſie koͤnnen, wenn das Ohngefaͤhr ſie mit ſolchen zuſammen bringt, nicht mitſprechen, ſind fremd unter ihnen.
Dieſe107Dieſe hier beſchriebenen jungen Leute ſind in den großen Staͤdten, wo ſie erzogen worden, wenig geachtet, man weis kaum, daß ſie da ſind, und wer es weis, behauptet, daß ſie einfaͤltig waͤren, nicht das mindeſte gefaͤllige an ſich haͤtten, und zu nichts taugten. Dennoch gehoͤren, wie Kenner und Liebhaber der Geiſtmenſchen ſagen, ihre Eltern zu dieſer Gattung, ſind vortreffliche, achtungs - werthe, in ihrem Beruf thaͤtige und nuͤtzliche Leute; zu alle dem ſind auch ihre Kinder erzogen, und ich ſelbſt muß geſtehen, daß es geſchickte, talentvolle und liebenswuͤrdige Perſonen ſind. Aber ſie wer - den, wie geſagt, gering geſchaͤtzt, ausgelacht, und ſchwerlich werden ſie jemals glaͤnzende Rollen ſpielen.
Wem iſt es nun zu verdenken, wenn er an dem Urtheil der Welt uͤber dergleichen Sonderlinge lernt mit dem großen Strom fortzuſchwimmen, um etwas zu gelten, und daß es die meiſten fuͤr eine Pflicht halten, ihre Kinder, nach dem gewoͤhn - lichen Ausdruck, fuͤr die große Welt zu erziehen, damit ſie uͤberall fortkommen und fuͤr ſcharmante Leute gelten? Solche Eltern halten hernach die Fruͤchte dieſer eleganten Erziehung, welche aus Schulden machen, Ausſchweifungen, Connexionen aller Art, oft ſehr erniedrigenden Streichen undVerluſt108Verluſt der Geſundheit beſtehen, fuͤr nothwendige Folgen der Zeitſitten, und erroͤthen im geringſten nicht daruͤber, nach und nach, denken ſie, wenn die geſetzten Jahre kommen, wird ſich alles legen und vergeſſen. Die Jugend mag alſo hingeſchwaͤrmt werden, wie ſie will, wenns nur mit Weltton und Witz geſchieht.
So gehts vom erſten Rang bis zum niedrig - ſten herunter, und ich beweiſe daher, daß nichts ſeltener iſt, als aͤchte Geiſtmenſchen, daß ich viele Bruder und Schweſtern von jedem Stand habe, wenn ſie auch nicht alle in der Ausgelaſſenheit ſo excelliren, wie ich Mutterſoͤhnchen, Fritz Nickel Schnitzer.
Hiermit gelobe ich foͤrmlich, nie wieder ſo weit von meinem eigentlichen Text abzuweichen, und eile, den, bei welchem ich vorhin war, wie - der zu ergreifen.
Meine Mutter hatte alſo ihre eigene Geſell - ſchaft weiblichen und maͤnnlichen Geſchlechts, die ſich bald verringerte, bald vermehrte, und drang ſich mit ihr allenthalben ein. Die Entreprenneurs einiger Luſtorte hatten nicht Urſache, es ihr Dank zu wiſſen, denn da ſie ſich und die Jhrigen (nebſt mir, der immer ſehr ſchoͤn gekleidet mitgenommen ward, und dann unbaͤndig war,) nicht vertreibenließ109ließ, verlohren ſich die Leute, welche Anſpruch auf Sitte u. Anſtand machten. Mit unter ſtiftete indeſſen meine Mutter etwas loͤbliches; die Damen z. B. welche ſich beſtrebten, Grundſaͤtze zu aͤußern, wur - den von ihr zu einer ſehr weſentlichen Ausuͤbung derſelben bewogen, an die ſie vorher nie gedacht hatten. Sie beſchloſſen nehmlich, an den Orten oͤffentlicher Verſammlungen nicht mehr uͤber die - jenigen, die nicht zu ihrer Partie gehoͤrten, zu fluͤſtern und zu ſpotten, erkannten ein ſolches Be - nehmen forthin fuͤr gemein und gegen alle Sitten, ja ſie begannen es fuͤr Dummheit und gehaͤßige oder neidiſche Geſinnungen zu erklaͤren. Es war in der That zu verwundern, daß ſie erſt Madam Schnitzer zu dieſer Bemerkung bewegen konnte! —
Dieſe hatte alſo viel Feinde, an die ſie ſich aber, da ſie Geld hatte, nicht im geringſten kehr - te. Sie dachte hieran um ſo weniger, da ſie hin - gegen auch ihre Schmeichler hatte, welche ſie im - mer ſtolzer machten. Sie war, um es dieſem Stolz nie an neuer Nahrung fehlen zu laſſen, erfinderiſch in jeder Art Prahlerei. So wollte ſie z. B. beſtaͤn - dig Briefe, bald von dieſer Couſine, bald von je - nem Oncle, erhalten haben, und gab ſolche Na - men immer Leuten von Rang aus der Gegend, wo ſie her war. Sie ſchmeichelte ſich, daß die Un -wahrheit110wahrheit ihres Vorgebens nicht ſo leicht an den Tag kommen koͤnnte, denn ſobald ſie Madam Schnitzer geworden war, berichtete ſie zwar ihrer Mutter, welches Gluͤck ſie gemacht haͤtte, erklaͤrte ihr aber ohne allen Umſchweif, daß ſie nie wuͤnſch - te, eins der ihrigen bei ſich zu ſehen, und verſprach unter der Bedingung, daß die Mutter nie ſie be - ſuchen, oder einen ihrer Bruͤder herſchicken ſollte, ihr und ihnen Unterſtuͤtzung zu geben.
Mutter Suschen hatte in Anſehung der ver - ſprochenen Unterſtuͤtzung Wort gehalten, wogegen meine Großmutter die vorgeſchriebene Bedingung gleich bei der erſten Nachricht ſo puͤnktlich zu halten beſchloß, daß ſie ihren Soͤhnen das Gluͤck der Schweſter nicht einmal bekannt machte, damit dieſe nicht etwa gegen das Verboth handeln, ſich davon machen, und ihre Madam Schweſter uͤberfallen moͤchten. Alſo konnte meine Mutter immer von ihres Vaters Bruder dem Major, ihrer Mutter Schweſter der Kriegsraͤthinn, ihrer Couſine der Hauptmanninn, und von der Penſion ſprechen, welche ihre Frau Mutter, die Frau Lieutenantinn, endlich erhalten haͤtte, wovon ſie jetzt ziemlich be - quem leben koͤnnte, da ihr beſonders auch eine Erbſchaft zugefallen waͤre. Sie ſetzte dann ge -meiniglich111meiniglich hinzu, daß es ihr nur leid thaͤte, die gute Mutter nicht einmal bei ſich ſehen zu koͤnnen, aber ſie waͤre mit Gichtzufaͤllen geplagt, und koͤnnte ſich einer Reiſe nicht ausſetzen, doch ſie wuͤrde die gute Frau ſelbſt einmal beſuchen.
Es war in der Stadt faſt allgemein bekannt, was Suschens Vater eigentlich geweſen, denn die Weiber, Maͤgde und Diener, welche ſie mit ihrer Mutter ankommen ſahen, und von der letzten ge - hoͤrt hatten, ſie ſei die Wittwe eines gemeinen Soldaten, lebten ja noch, und hatten es in allen Haͤuſern, wo ſie nachher gearbeitet, und hingezo - gen waren, erzaͤhlt, auch wiederholten ſie es noch jedesmal, wenn von Madam Schnitzer die Rede war, und dies geſchah nie anders, als weil man von ihrem Hochmuth, von ihrer Frechheit und an - dern Tugenden ſprechen wollte. Da war es denn deſto natuͤrlicher, daß allezeit ihrer eigentlichen Herkunft erwaͤhnt ward. Sie ahndete dies nicht, folglich dachte ſie auch nicht daran, daß man ih - rer Nachrichten von den anſehnlichen Verwandten um ſo mehr ſpotten wuͤrde.
Von dieſer Seite nun war es, wo Buſch ſie anzugreifen beſchloß, und er hatte hierzu Gelegen - heit. Unter ſeinen Dienern befand ſich einer, der aus der nehmlichen Stadt gebuͤrtig war, wo Sus -chens112chens Vater in Garniſon geſtanden hatte, wo ihre Mutter noch lebte, und ſich nebſt ihren Knaben, bis dieſe ins Regiment traten, von Waſchen und andern Arbeit in den großen Haͤufern ernaͤhrte. Die - ſer Diener kannte ſie perſoͤnlich, er hatte ſie, das Gluͤck ihrer Tochter und ihre Kindesliebe, indem ſie ihr Zulage gaͤbe, ruͤhmen, aber auch das Ver - both, ſie nie zu beſuchen, bekennen hoͤren, welches die arme Frau doch ein wenig kraͤnkte.
Schon da Albrecht Buſch mit meiner Mutter in jener Freundſchaft lebte, deren der erſte Theil meines Lebens gedenkt, war dieſer Menſch in ſeine Handlung gekommen, und hatte ihn von alle dem unterrichtet. Buſch wollte daher ſchon damals et - was zu Suschens Demuͤthigung verfuͤgen, es blieb aber immer von einer Zeit zur andern, jetzt aber that er zur Sache.
Die Soldatenwittwe kannte die Hand ſeines Handlungsdieners nicht, alſo konnte dieſer immer den Brief ſchreiben, durch den ſie hergelockt wer - den ſollte. Dieſer Brief war unter Nulls, meines Hofmeiſters Namen geſchrieben, und lautet alſo:
„ Da ich eben nicht ſelbſt Zeit zum Schreiben habe, bitte ich Sie durch die Hand des Herrn Hof -meiſters113meiſters von meinem allerliebſten Goldfritzel, ſich ſobald als moͤglich auf die Reiſe zu machen, und zu mir hieher nach *** zu kommen. Mein Herz hat ſich der kindlichen Pflichten erinnert, ich ſehne mich nach dem Anblick meiner lieben Mutter, und kann den Augenblick gar nicht erwarten, wo ich Sie in meinem Hauſe ſehen werde. Jch will Sie nun bei mir behalten und Zeitlebens pflegen, da ich nicht zugeben kann, daß ſich meine Mutter von Waſchen ernaͤhrt, indem ich eine große Frau bin.
Hier folgt Reiſegeld, um mit der Poſt zu kom - men, mache Sie alſo Jhr Paquetchen zuſammen und komm Sie bald. Meine lieben Bruͤder gruͤße ich vielmal, wenn ſie ſich in ihrem Dienſt gut auf - fuͤhren, ſo will ich ihnen zuweilen ein Geſchenk ſchicken. “
**.
Buſch legte das noͤthige Reiſegeld gern in die - ſen Brief, und ſchickte ihn ungeſaͤumt ab. Wohl ward es ihm weich ums Herz, wenn er an die Freu - de dachte, welche die Alte bei dieſer Einladung em - pfinden wuͤrde, und denn uͤberlegte, wie es ihr dop - pelt ſchmerzen werde, ſich hernach getaͤuſcht zu ſehen; er konnte es aber nicht uͤber ſich erhalten, auf dieſe Demuͤthigung fuͤr meine Mutter Verzicht zu thun,2 r Theil. Hund114und nahm ſich vor, die Alte, wenn man ihr un - artig begegnen ſollte, in Schutz nehmen.
Die Freude, welche dieſe uͤber den Einladungs - brief ihrer Tochter empfand, war allerdings unbe - ſchreiblich, ſie lief damit zu allen ihren Bekannten, erzaͤhlte nun erſt ihren Soͤhnen, wie angeſehen und gluͤcklich Suschen waͤre, richtete die Gruͤße an ſie aus, und beſchwor ſie, ſich ja recht gut aufzufuͤh - ren, weil unter dieſer Bedingung die Schweſter gewiß viel fuͤr ſie thun werde, wofuͤr ſie, da ſie jetzt beſtaͤndig bei ihr ſein wuͤrde, ſchon auch ſorgen wollte.
Nun berichtigte die in ihrem Wahn gluͤckliche Mutter alles ſo geſchwind, als moͤglich, packte zu - ſammen, gab jedem Sohn von dem uͤberſchickten Reiſegeld einige Thaler, und machte, um mit dem uͤbrigen auszukommen, die Haͤlfte der Reiſe von Hausaus zu Fuß. Buſch hatte in einer Nachſchrift des gedachten Briefes bitten laſſen, daß ſich die Alte, wenn ſie in *** angelangt waͤre, nahe am Thor bei Leuten melden ſollte, deren Namen und Wohnung angezeigt ward; und Albrecht hatte bei dieſen Leuten, welche ſeine Bekannten und von der Sache unterrichtet waren, alles nach ſeiner Abſicht zu ihrem Empfang veranſtaltet.
Meine115Meine Großmutter erſchien unter den ſuͤßeſten Traͤumen, meldete ſich nach der Anweiſung, und ward liebreich empfangen. Man ſagte ihr, die Madam Schnitzerinn wollte von ihrer Ankunft erſt unterrichtet ſein, ehe ſie ſelbſt zu ihr kaͤme, welches vielleicht geſchaͤhe, weil ſie das Vergnuͤgen haben wollte, ihre liebe Mutter abzuholen. Jndeſſen man zu Buſchen ſandte, um ihm die Ankunft der guten Alten bekannt zu machen, ſetzte man ihr ei - nige Erfriſchungen vor, die ſie ſich, in froher Er - wartung des ihr bevorſtehenden Gluͤcks, ſchmecken ließ.
Sie konnte, nach Buſchens Abſicht, nicht er - wuͤnſchter kommen, denn Madam Schnitzer, die eben im Begriff war ins Bad zu gehen, und dieſen letzten Tag vor der Reiſe noch einem Abendeſſen in einem nahen Dorfe, wo ein Kaffeehaus war, bei - wohnte, waͤre nirgend zu groͤßerm Aerger von ihrer Mutter uͤberraſcht worden, als eben da. Der alſo, den jene Leute zu ihr geſchickt zu haben vorgaben, welches der Sohn vom Hauſe war, brachte die Nachricht mit, daß Madam Schnitzer ihre Frau Mutter an dem Ort erwartete, wo ſie eben mit einer guten Geſellſchaft den Abend hinbraͤchte, die - ſes Vergnuͤgen wollte ſie ihr mit genießen laſſen, ſie moͤchte alſo ja ungeſaͤumt kommen.
H 2Die116Die Großmutter waͤre zwar lieber an Ort und Stelle geblieben, denn ſie war von der Reiſe muͤde, um aber den Willen ihrer lieben Tochter zu erfuͤl - len, und ſie auch bald zu ſehen, zog ſie ihren beſten Rock von Kalman, und ein reinliches kattunes Ka - miſol an, ſetzte eine ſchwarztaffente Backenmuͤtze mit ſchwarzen Spitzen auf, legte ein weißes Hals - tuch und eine bunte baumwollene Schuͤrze an, und duͤnkte ſich ſo recht proper. Der junge Menſch fuͤhrte ſie auf das beſtimmte Dorf ins Kaffeehaus, und hieß da ſie in den Saal gehen, wo ſie, da er ihn oͤffnete, mehrere Tafeln mit Leuten, die da Abendmahlzeit hielten, beſetzt ſah. Die gute Frau ſcheute ſich vor allen dieſen fremden Perſonen, und wollte nicht hineingehen, auch widerſetzte ſich einer der Aufwaͤrter, welcher ſie und ihren Begleiter frag - te, zu wem ſie wollten. Dies iſt, verſetzte dieſer, die Frau Mutter der Madam Schnitzerinn, ich habe ſie nach dem Befehl der Madam hieher fuͤhren muͤſſen, ſie will ihre Mutter bei der Geſellſchaft haben.
Der Aufwaͤrter hatte nun nichts mehr dage - gen, er fuͤhrte meine Großmutter ſelbſt in den Saal und zu dem Tiſch, wo wir ſaßen (denn Goldfritzel mußte nirgend fehlen, Madelon hinge - gen zu Hauſe darben).
Sobald117Sobald meine Großmutter ihre Tochter Sus - chen erkannte, lief ſie auf dieſelbe zu, fiel ihr, ſich zwiſchen ſie und den Nachbar eindraͤngend, mit den Worten: ach meine Herzenstochter! um den Hals. Madam Schnitzer konnte keinen Augenblick in dem Wahn bleiben, daß ſie von einer Raſenden uͤber - fallen wuͤrde, denn die bekannte Stimme ſagte ihr, daß ihre leibhaftige Mutter ſie umklammert haͤtte; allein weit weniger wuͤrde ſie erſchrocken ſein, wenn dieſer Ueberfall wuͤrklich von einer tollen Per - ſon geſchehen waͤre.
Sie beſann ſich indeſſen ſchnell, daß ſie die Anweſenden mit einem ſolchen Vorgeben taͤuſchen koͤnnte, riß ſich alſo mit Ungeſtuͤm los, und ſchrie, was will mir dies Weib? ſie iſt vermuthlich nicht bei Verſtande. Die arme Alte war von ihrer Hoͤhe herabgeſtuͤrzt, ſie faltete die Haͤnde, konnte vor Beſtuͤrzung nicht ſprechen, erblaßte und ſank um. Madam Schnitzer that, als erbarmte ſie der Zu - ſtand dieſer Frau; ach! ſagte ſie, jetzt faͤllt mirs ein, es iſt eine Ungluͤckliche! (ſie wies auf die Stirn, um Verruͤcktheit des armen Weibes anzu - zeigen,) ich gebe ihr zuweilen etwas, nun findet ſie mich hier, und geraͤth ſo außer ſich. Die Alte erholte ſich, und meine Mutter ließ ihr durch denH 3Mar -118Marqueur ſagen, ſie moͤchte in Gottes Namen ge - hen, und morgen fruͤh zu ihr hinkommen.
Nein, ſagte meine Großmutter, du gottloſes Kind, ich werde nicht geben; haſt du mich darum den weiten Weg herkommen laſſen, und nun hieher beſtellt, um mich vor allen Leuten zu beſchaͤmen und mich zu verlaͤugnen?
Hier mußte Suschen wuͤrklich denken, daß es mit ihrer Mutter rappelte, denn ſie wußte von kei - nem kommen laſſen, von keinem hieher beſtellen. Es war ihr aber lieb, jene ſo ſprechen zu hoͤren, denn indem ſie gewiß meinte, ſie ſei toll worden, ſchien es ihr deſto leichter, die Zuſchauer zu ver - blenden. Sie lachte aus vollem Halſe, ſchlug ſich dann vor die Bruſt, als ſollte ihr Gott vergeben, daß ſie eine verruͤckte Perſon auslachte, und ſag - te: nein, es iſt nicht zum Lachen, aber das beſte iſt, ſie wegzuſchaffen.
Rabentochter, ſchrie meine Großmutter, denkſt du nicht, daß Gott dich ſtrafen wird? Meine Her - ren und Damen, ich bin nicht vom Verſtande, das Weib da habe ich unter meinem Herzen getragen, ich brachte ſie mit in dieſe Stadt, wo die ſelige Frau Schnitzerinn ſich ihrer annahm und ſie in ihren Dienſten behielt.
Wie119Wie ſie nach ihrem Tode den Gaſtwirth Schnitzer bekam, fuhr ihr der Hochmuthsteufel in den Kopf, da ſchrieb ſie mir, ich ſollte ja nicht zu ihr kommen, und ſchickte mir zuweilen etwas. Jch bin ein armes Weib, welches, wie alle Soldaten-Wittwen, ihr Brod mit Arbeiten unter den Leuten und mit Wa - ſchen verdienen muß, alſo konnte ich die Beihuͤlfe wohl brauchen; um ſie nun nicht zu verſcherzen, that ich ihr gern den Gefallen, wie ſie es verlang - te, wegzubleiben.
Neulich ſchreibt ſie mir aber da dieſen Brief, (ſie brachte ihn zum Vorſchein und reichte ihn ei - nem zunaͤchſt ſitzenden Kaufmann hin, der ihn der Geſellſchaft vorlas). Er iſt nicht von mir, ſchrie die Schnitzerinn, das iſt eine Narrenspoſſe, die mir jemand — Er iſt von ihres Sohns Jnformator in ihrem Namen geſchrieben, wie ich eben vorgeleſen habe — Es iſt nicht wahr, durchaus nicht! Aber ich will gleich nach Hauſe und den Kerl vorkrie - gen, ich muß wiſſen, was dahinter ſteckt. Durch das Weinen der alten Frau zum Mitleiden bewogen, erhoben ſich nun mehrere Stimmen, um meiner Mutter vorzuſtellen, daß es ſein moͤchte, wie es wollte, ſo zeigte ſichs doch nun ſehr deutlich, dieſe Frau ſei ihre Mutter, alſo moͤchte ſie doch der na - tuͤrlichen Kindespflicht Gehoͤr geben, und ſie nichtH 4ſo120ſo kraͤnken. Aber meine Frau Mamma war uͤber ſo was weg, ſie ſagte: ich weis ſchon ſelbſt was ich zu thun habe, und brauche anderer Leute Lehren nicht; zugleich wollte ſie den Kaufmann, der eben - falls aufgeſtanden war, die Thuͤr zuhielt, und ſie nicht fortlaſſen wollte, bis ſie der Mutter freundlich zugeſprochen, wegſtoßen, und da ſie es nicht konnte, einen andern Ausgang ſuchen. Jndem ſie ihn aber ſchon faſt erreicht hatte, trat Albrecht Buſch durch ihn herein, der, ſobald er wußte, meine Großmut - ter ſei auf dem Wege nach dem Verſammlungsort, auch dahin gegangen war und gelauſcht hatte. Madam Schnitzer fuhr zuruͤck, und Buſch begann: damit ſie Nullen nicht unverdienter Weiſe wuͤrgen moͤgen, Madam, will ich ihnen bekennen, daß die Anſtalt, ihre Mutter kommen zu laſſen, von mir iſt, und jener den Brief nicht geſchrieben hat. Sie verdien - ten eine ſolche Beſchaͤmung, an mir und meiner Frau haben ſie ſich durch die ſchwaͤrzeſte Verlaͤum - dung geraͤcht, ich beſtrafe ſie durch Bekanntmachung der Wahrheit; zugleich kann nun jeder ihre uͤble Denkungsart, die zwar ſo ſchon bekannt iſt, im hel - leſten Lichte ſehen. Nun hoͤren ſie, wenn ſie es ſo - gleich hier vor der ganzen Geſellſchaft ihrer Mutter abbitten, daß ſie ſo unnatuͤrlich handelten und ſie verlaͤugnen konnten; dann ſie mit nach Hauſe neh -men121men und ſich kindlich gegen ſie betragen, ſo ſoll ihnen alles vergeben ſein, wo nicht, ſo — Die Bos - heit uͤber Albrechts Erſcheinung und Erklaͤrung hatte meiner Mutter das Vermoͤgen zu ſprechen be - nommen, auf einen Stuhl hingeworfen, ließ ſie ihn bis dahin ungeſtoͤrt ſprechen, nun aber fuhr ſie auf und ſchrie: nein, da ich hoͤre, daß die Anſtalt von ihm Verraͤther iſt, ſo ſoll ſie keinen Fuß in mein Haus ſetzen, ich will ihm wohl zeigen, Mon - ſieur, ob er mir zu beſehlen hat. Buſch ward auf dieſe grobe Sprache nicht wieder grob; in aller Ge - laſſenheit verſetzte er: nun gut, ſchoͤne und wuͤrdige Madam, ſo ſprechen wir uns auf dem Rathhaus, wo man ihnen wegen einer ganzen Menge Luͤgen, die ſie erſt kuͤrzlich auf — Er ward wieder unter - brochen, weil ein Aufwaͤrter mich, der waͤhrend des Streits hinausgelaufen und ins Waſſer gefal - len war, triefend von demſelben hereinfuͤhrte, und meiner Mutter zurief, da haben ſie ihr Goldfritzel, wenn ich nicht dazu kam, muſte er erſaufen. — Ach mein Sohn, mein einziger Sohn, ſchrie meine zaͤrtliche Mutter, und lief mit ausgebreiteten Ar - men auf mich zu. — Nu, nu, ſagte der alte Kauf - mann, der den Brief vorgeleſen und die Thuͤr zu - gehalten hatte, was ſchreien ſie denn, er iſt ja gerettet. Der Menſch da wartet auf eine Beloh -nung,122nung, aber eigentlich ſollte er keine bekommen, denn beſſer waͤre es, die Brut waͤre ertrunken, doch freilich er muß leben, um ihnen einmal die Vergeltung fuͤr die harte Begegnung zu geben, die ſie ihrer Mutter beweiſen. Madam Schnitzer hoͤrte dies alles mit halben Ohren, denn ſie, die, wie andre dafuͤr hielten, mir doch wenigſtens einen Ver - weis haͤtte geben ſollen, war nur beſchaͤfftigt, mich zu beklagen und abzuwiſchen. Endlich verſprach ſie dem Aufwaͤrter eine Belohnung, die er ſogleich be - kommen, nur vorher ſo gut ſein und ſehen ſollte, ob ihr beſtellter Wagen da waͤre. Mich an der Hand wollte ſie mit ihm zugleich hinaus, aber der Gaͤrtner verhinderte ſie daran. Er kam mit einem zerknickten Roſenſtock, in einem zerbrochenen Aſche, und mit einer Parthie aus dem Erdreich geriſſener und zertretener Blumen herein; das alles war mein Werk. Sein ſie ſo gut, Madam Schnitzer, ſagte er, mir dieſen Schaden zu erſetzen — und wiſſen ſie, warum ihr Sohn in den Tuͤmpel fiel? weil er einen jungen Hund, der vor meiner Thuͤre her - umlief, erſaͤufen wollte, da glitt er ab, und weil der Hund zappelte, fiel er mit hinein. Aber der Hund iſt hin, den bitte ich mir auch zu bezahlen, denn er war von einer guten Race, und ich haͤtte mir einen wachſamen Hund an ihm erzogen; alſo muß ich alle dieſe Schaͤden verguͤtet haben.
Meine123Meine Mutter, deren Blut einmal in Wal - lung war, kenlte hier das erſtemal in meinem Leben derb auf mich los, raufte mich, ſtieß mich mit dem Kopf gegen die Wand, und trat mich mit Fuͤßen; ich bloͤkte und ſtieß mit Haͤnden und Fuͤßen nach ihr; ſobald ich frei war, denn man entriß mich ihr, raͤchte ich mich nachdruͤcklicher an Muͤtterchen, ſchlug auf ſie los, ſchimpfte und ſchrie uͤber mei - nen Kopf.
Das Ende aller dieſer Widerwaͤrtigkeiten war, daß meine Mutter, um nur fortzukommen, dem Gaͤrtner, was er verlangte, und meinem Retter ein Douceur gab, ſich mit mir in den Wagen warf, ohne ſich nach ihrer Mutter umzuſehen, und unterwegens ihre Reue, mir ſo uͤbel mitgeſpielt zu haben, auch viel Angſt bezeugte, daß ich krank werden wuͤrde, welche ich durch Schreien, Win - zeln und Klagen beſtaͤtigte. Zwar that mir der Kopf wuͤrklich etwas weh; allein die Wand, an die ich von den muͤtterlichen Haͤnden geſtoßen wurde, war nur von Bretern, die Stoͤße gaben da - her einen ſtaͤrkern Schall, als wenn mein Kopf gegen eine Mauer geprallt waͤre, waren aber weni - ger eindruͤcklich. Dieß uͤberlegte meine Mutter nicht, ſie glaubte mich toͤdtlich beſchaͤdigt zu ha - ben, und wußte die Verzweiflung daruͤber nichtſtaͤrker124ſtaͤrker auszulaſſen, als daß ſie Buſchen, dem Gaͤrt - ner, der ganzen Geſellſchaft, und ſogar ihrer Mut - ter fluchte, und ihnen alles boͤſe auf den Hals wuͤnſchte; zwiſchen dieſen Ausſchweifungen ſchmei - chelte ſie mir und bat mich, nicht boͤſe zu ſein. Sie ſchrie vor Schreck laut, als ſie, da wir nach Hauſe kamen, und den Schaden unterſuchte, eine Beule an meiner Stirn ſahe; es ward ſogleich nach einem Chirurgus geſchickt, welcher meinen Kopf mit einem Umſchlag verſah, und der Mutter durch die Verſicherung, es ſei nicht nur keine Gefahr vorhanden, ſondern es werde ſehr bald alles wie - der gut ſein, neues Leben gab.
Da ihre Abreiſe ins Bad wegen der Vorfaͤlle dieſes fatalen Abends noch noͤthiger geworden, und ſie weniger als jemals geneigt war, ihre Mutter bei ſich aufzunehmen, indem dieſe ſich als eine wahre Feindinn, als Verraͤtherinn an ihr bezeigt hatte, ſo war es auch nothwendig, dieſe Reiſe ohne Verzug anzutreten; demnach blieb es bei der ſchon gemachten Einrichtung, und ich wurde am Morgen mit verbundenem Kopf aufgepackt. Mein Herr Hofmeiſter, der uns begleitete, mußte eine Flaſche ulartiſches Waſſer in Aufſicht nehmen, um mir zuweilen friſch umſchlagen zu koͤnnen, da mich das aber belaͤſtigte, nahm ich noch waͤhrendder125der erſten Tagereiſe die Gelegenheit wahr, um das Glaͤschen zu zerſchlagen. Jch that bei der Sache vollkommen unſchuldig, und dies wurde von meiner Mutter gern geglaubt; Null hingegen ward uͤber ſeinen Mangel an Aufmerkſamkeit uͤbel angelaſſen; ich konnte mich nicht enthalten daruͤber zu lachen, und Mamachen lachte mit uͤber meine Schalkheit.
Sie hatte eben ſowohl als ich die Verdruͤßlich - keiten des letzten Abends bald wenigſtens in ſoweit vergeſſen, daß ſie die Niedertraͤchtigkeiten der ſchlech - ten Menſchen, die dazu beigetragen hatten, und es blos aus Neid thaten, keines Augenblicks Gram mehr werth achtete, ſondern dazu lachte. Jndem ſie dieſe Erklaͤrung von ſich gab, verſicherte ſie doch, es ſolle ihnen nicht geſchenkt ſein, beſchloß aber auch, ſich anderwaͤrts zu etabliren, weil ſie nicht laͤnger unter einer ſo nichtswuͤrdigen Bande, wie die Menſchen in *** waͤren, leben wollte.
Dieſen letzten Entſchluß gab ihr die ſehr na - tuͤrliche Ahndung ein, daß die Erſcheinung ihrer Mutter und die nochmalige Beſtaͤtigung ihrer wah - ren Herkunft zu einem Spottmaͤhrchen von ihr An - laß geben wuͤrde, und indem ſie uͤberlegte, wie ſie ſelbſt gegen andere in einem ſolchen Fall handeln wuͤrde, ſah ſie es fuͤr ausgemacht an, daß ihr, wo ſie ſich auch zeigen moͤchte, von jedermann in dieAugen126Augen gelacht werden wuͤrde. Sie konnte auch Buſchen nicht trauen, daß er gar ihre Mutter, ihr zum Poſſen, da behielt, und nie hatte ſie etwas ſo vollkommen errathen, als diesmal.
Albrecht hielt es nicht nur fuͤr billig, dieſe Frau, die er berufen und der er dadurch ſoviel Kraͤnkung zugezogen hatte, bei ſich aufzunehmen, ſondern er wollte dies auch zur Beſchaͤmung ihrer Tochter um ſo lieber thun. Sonach nahm er ſie den Abend der beſchriebenen Gartenſcenen mit nach Hauſe, und ließ es ihr weder an Troſt, noch guter Pflege feh - len. Er hatte ſchon zwei Kinder, konnte ſie alſo zur Aufſicht uͤber dieſe brauchen, und meine Groß - mutter, welche ihre wiederfahrne Taͤuſchung durch ſchnelle Zuruͤckkunft in der Heimath bekannt gemacht haben wuͤrde, und das nicht wollte, ließ es ſich gern gefallen, im Buſchiſchen Hauſe zu bleiben.
Aus ihrer Anweſenheit in *** erwuchs dann auch das Gluͤck meiner Schweſter, welche einer da - mals in unſerm Dienſt ſtehenden Magd waͤhrend unſers Außenſeins uͤberlaſſen war. Dieſe nahm mit dem ſparſamen Koſtgelde, welches meine Mutter zu ihrer und Madelons Bekoͤſtigung ausſetzte, vorwil - len, da ſie einige Monate hinter einander ohne Zwang leben, und Geſellſchaften ihres Schlags ein - fuͤhren konnte, und brach es, wo, was ſie erhaltenhatte,127hatte, nicht reichte, der verlaſſenen Madelon ab. Dieſe mußte nicht nur meiſt mit trocknem Brod vorwillen nehmen, ſondern ward, wenn ihre Auf - ſeherinn ausgehen wollte, entweder eingeſperrt, oder konnte ſich allein wo ſie wollte herumtreiben. Zuweilen hatte ſie aber auch eine feſtliche Stunde, die beſonders des Abends einfiel, wenn die Liebha - ber der Koͤchinn ſich einſtellten und wohl gar was drauf gehen ließen. Jhr ward dann vergoͤnnt, an dem Tractement ſowohl als an der Unterhaltung Theil zu nehmen, und indem man ſich keinen Zwang anthat, hatte ſie Gelegenheit, die Myſterien der gemeinſten Freudenhaͤuſer zu erfahren.
Als Buſch und meine Großmutter die Lage meiner Schweſter erfuhren, glaubten ſie das Maͤd - chen daruͤber beklagen zu muͤſſen, und hielten es fuͤr Pflicht, es derſelben zu entreißen. Meine Großmutter holte mit Buſchens Bewilligung ihre Enkelinn ab; die Koͤchinn, welche nun ganz allein hauſen konnte, hatte nichts dagegen, und ſo genoß Madelon, waͤhrend wir uns im Bad ergoͤtzten, Tage der Gluͤckſeligkeit in Buſchens Hauſe, von denen ſie nie einen Begriff gehabt hatte.
Meine Mutter ahndete hiervon nichts, denn ſie hatte keinen Correſpondenten in ***. Sie lebte im Bade herrlich und in Freuden, und wußtevon128von keinen andern Verdruß, als den ich ihr verur - ſachte, verſteht ſich, nicht daß ſie meine unbaͤndige Auffuͤhrung ſonderlich geaͤrgert haͤtte, denn ſie er - klaͤrte alles fuͤr Vivacitaͤt; da aber oft Beſchwerde einlief, ihr auch mitunter ſelbſt Krieg daruͤber ge - macht wurde, und ſie ſo manche Unannehmlichkeit erfuhr, die ſie zu dem Ausſpruch bewog, daß es doch auch uͤberall grobes und nichtswuͤrdiges Volk gaͤbe, ſo verbitterte ihr das viele Stunden. Null war es immer zuletzt, an dem ſie ſich dafuͤr raͤchte, er ſollte mich beſſer zu ziehen und zu fuͤhren wiſſen, wovor ſie ihn denn haͤtte? er waͤre ein Dummkopf, der nicht mit mir umzugehen wuͤßte. Der Mann, der ſeine guten Tage um ſolcher Anfechtungen wil - len nicht verſcherzen wollte, traute ſich kaum zu ſa - gen, daß ich nicht folgte, er moͤchte ſagen was er wollte, denn die verbluͤmteſte Erklaͤrung dieſer Art ſetzte meine Mutter in lichterlohe Flamme, und zog ihm nur mehr Vorwuͤrfe zu. Lieber alſo half er meine Streiche bemaͤnteln, und auf die, welche ſie nicht leiden wollten, ſchimpfen; dies war denn auch zugleich der Weg, ſo manches Douceur zu be - kommen.
Er hatte ſich ohne Zweifel vorgenommen, dieſe Benefizien noch eine Weile zu genießen, und ſich etwas zu ſammeln, wenn er dann nur ſo viel ha -ben129ben wuͤrde, um beim Abſchied einige Zeit gegen das Darben geborgen zu ſein, wollte er ſeinen quaalvol - len Zuſtand verlaſſen. Dies war er in der That; mit aller Kunſt zu erfinden, welche bei mir mit den Jahren immer vollkommner wurde, und im neun - ten Jahre, wo ich jetzt ſtand, ſchon bewunderns - wuͤrdig groß war, ſann ich beſtaͤndig auf Mittel, ihn zu aͤrgern und zu quaͤlen, ſo daß er ſich auf die Geduld und Standhaftigkeit eines Maͤrtyrers befleißigen mußte, um ſeinem Vorſatz treu zu bleiben.
Meine Mutter hatte waͤhrend unſers Aufent - halts im Bade uͤber die Gegend, wo ſie kuͤnftig ihre Huͤtte aufſchlagen wollte, vielfaͤltig nachge - dacht. Einer der neuen Bekannten, die ſie dort bekam, ſchlug ihr ein ſchoͤnes Ritterguth vor, wel - ches in ſeiner Nachbarſchaft zu verkaufen waͤre, und da dies nicht außer meinem Vaterlande war, daß alſo keine Koſten, wie beim Verſetzen des Gel - des in eine andere Proviuz, entſtehen konnten, ſo reiſte ſie hin, beſah das Guth, ward Handels eins, und blieb, bis ſie ihren Einzug halten konnte, in einer nahen Stadt. Null ward nach *** ge - ſandt, um ihre Sachen zu berichtigen und bekannt zu machen, daß ſie ihre dortigen Beſitzungen ver - kaufen wollte, auch ſollte er ihre Meublen trans -2 r Theil. Jporti -130portiren laſſen, und Madelon mitbringen. Alles gieng, bis auf den letzten Punkt, nach dem Willen meiner Mutter, die Haͤuſer wurden auch bald genug verkauft, und innerhalb vier Monaten waren dieſe verſchiedenen Geſchaͤfte vollbracht, ſo daß Madam Suschen Erb-Lehn - und Gerichtsfrau eines gro - ßen und voͤllig bezahlten Ritterſitzes, und ich der junge Herr deſſelben, oder vielmehr der erſte Bauer - junge im Dorfe war.
Meine Mutter war nun gluͤcklich, ſie hatte viel uͤberwunden. Oncle Petern hatte ſie den vortheil - haften Kauf am Guthe ſo zu ruͤhmen gewußt, daß er ſie noch als eine kluge Frau, die ihren Kindern immer mehr Vermoͤgen erwuͤrbe, loben mußte.
Die Aergerniß, welche ſie bei Nulls Zuruͤck - kunft uͤber die mitgebrachten Nachrichten aus Bu - ſchens Hauſe erfuhr, war auch uͤberſtanden, und ſo ſtoͤrte vor der Hand nichts ihre Zufriedenheit.
Jch kann die beſagten Nachrichten nicht uͤber - gehen, und melde demnach, daß Null ſtatt meiner Schweſter drei Briefe, einen von Albrecht Buſch, und zwei von unſerm Vormund, mitbrachte; einen der letzten hatte er insgeheim empfangen. Den Jn - halt dieſer Briefe theile ich hier meinen Leſern mit.
Hier -131Hierdurch, ſchrieb Buſch, berichte ich Jhnen, daß ſowohl Jhre Mutter, als Jhre Tochter Mag - dalene in meinem Hauſe iſt. Die erſte wollte nicht gern in ihre Heimath zuruͤck und dort durch ihre ſchnelle Wiederkunft bekannt machen, welch eine unnatuͤrliche Tochter ſie hat. Jch habe ihr meine Kinder anvertraut, und ſie hat es ſich gefallen las - ſen, in meinen Dienſten zu bleiben, wo ſie doch beſſere Tage hat, als bei den Fatiquen einer Waͤ - ſcherinn und Aufwaͤrterinn in mehrern Haͤuſern; auch ſind wir mit ihr vollkommen zufrieden.
Was Jhre Tochter betrifft, ſo ruͤhrten mich zum Theil die Thraͤnen der Großmutter uͤber den verlaſſenen Zuſtand des armen Maͤdchens, zum Theil bewog mich die Achtung, welche ich mit ſo viel Recht vor den ſeligen Schnitzer, als einem ehrlichen, grundrechtſchaffnen Manne hatte, mich ſeiner Toch - ter anzunebmen, da Sie dieſelbe einer luͤderlichen Weibsperſon uͤberlaſſen hatten. Dadurch war ſie zwiefach ungluͤcklich; denn nicht nur darbte ſie die meiſte Zeit eben ſo und aͤrger noch als in Jhrer Anweſenheit, ſondern ſie hatte alle moͤgliche Ge - legenheit, das Handwerk einer gemeinen H ... zu lernen, welches um ſo gefaͤhrlicher war, da Len - chen nun bald 10 Jahre vollendet hat, und alſo das boͤſe Beiſpiel ſchon wuͤrken konnte.
J 2Um132Um ihres redlichen Vaters und der Bitten ihrer Großmutter willen habe ich ſie alſo aus die - ſem traurigen Zuſtand gerettet, und als ſie in mein Haus kam, fanden wir den Geſundheits - und Ge - muͤthszuſtand des armen Kindes ganz mitleidens - wuͤrdig. Lenchen iſt ſtillen und ſanften Weſens, wie ihr Vater, dem ſie ungemein aͤhnlich iſt; aber das barbariſche Verfahren ihrer Mutter mit ihr hat ſie ſchuͤchtern und ſchwermuͤthig gemacht. Der in - nere Gram hatte Einfluß auf ihre Geſundheit, die auch ohnedies durch die ſchlechte Unterhaltung ge - litten hat, auch ſuchte ſie vermuthlich, durch was es nur geſchehen konnte und wie ſchaͤdlich es ſein mochte, ihren Hunger zu ſtillen.
Glauben Sie nicht, daß ihre Tochter dies alles ſelbſt verrathen hat, gut wie ihr Vater, und von der Natur mit einem zarten Gefuͤhl verſehen, wollte ſie nichts davon Wort haben, und erroͤthete allemal, wenn jemand ihr Leiden in dem muͤtter - lichen Hauſe ſchilderte. Hiervon iſt aber die ganze Stadt unterrichtet, nicht nur die Mitbewohner ihres Hauſes und die Dienſtboten derſelben, ſon - dern ihre eigenen Leute, deren durch die oͤftere Ab - wechſelung eine ziemliche Anzahl wurden, haben uͤberall davon geſprochen.
Da133Da es nun die Menſchenliebe erfordert, ſich eines verlaſſenen leidenden Geſchoͤpfs anzunehmen, und daſſelbe zu retten, ſo habe ich Lenchens Vor - mund zufoͤrderſt die Augen geoͤffnet, und er hat eingeſehen, daß es in der Pflicht und Macht eines Vormunds liegt, ſeine Muͤndelin nicht mehr in den Haͤnden einer Mutter zu laſſen, die ihre Ju - gend zur Hoͤlle macht und ſie hinopfert. Wir ſind uͤbereingekommen, daß er mir Lenchen uͤberlaſſen und mit Jhnen ausmachen will, wieviel Sie fuͤr ihren noͤthigen Unterricht und fuͤr ihre Kleidung zahlen ſollen — fuͤr die Koſt verlange ich nichts. Wollten Sie das nicht gutwillig eingehen, ſo wuͤr - de er die Sache an das Pupillen-Collegium mel - den, und ſein Sie verſichert, daß dieſes ſich einer vaterloſen Waiſe annehmen wird, die unverſchulde - ter Weiſe von einer ungerechten Mutter und de - ren Liebling, einem kleinen Boͤſewicht, gepeinigt wird.
Das, was meine Mutter bei dem Jnhalt die - ſes Briefes empfand, war ein Gemiſch von Wuth, Trotz, Beſchaͤmung und Freude, ihre Tochter los zu ſeyn. Sie war begierig zu leſen, was der Vor - mund ihr ſchreiben wuͤrde, da es ihr ganz uner - wartet war, daß er, der ſie fuͤr eine Flaſche Wein, ein Gebackenes, einige Pfunde Kaffee und Zucker,J 3und134und ein Pfund Knaſter, welches alles hin und wie - der geſpendet ward, machen ließ was ſie wollte. Jhr ahndete, daß er ſich zu dem jetzigen Eingriff ge - zwungen geſehen haͤtte; um hiervon die Gewißheit zu erhalten, erbrach ſie den Nullen heimlich mit - gegebenen Brief zuerſt, und las folgendes:
Sie werden ſich uͤber den Brief von mir wun - dern, welchen Jhnen der Herr Null mitbringt, und in dem ich Sie wegen ihrer Tochter etwas ſcharf anlaſſe und Jhnen Regeln vorſchreibe. Aber rech - nen Sie es mir nicht zu, der Buchhaͤndler Buſch hat mir ſo lange zugeſetzt, bis ich mich als Vor - mund in die Sache mengen muſte. Jch haͤtte es gern gehen laſſen wie es gewollt haͤtte, aber des Geſchreis war zu viel, und wahr iſt es, Sie haben Jhre Tochter ein bischen ſehr aus der Acht ge - laſſen.
Nun da Sie ihr einmal nicht gewogen ſind, ſo laſſen Sie Buſchen doch die Laſt mit ihr in Gottes Namen uͤber, aber beſtimmen Sie, was Sie jaͤhrlich fuͤr ſie geben wollen. Wenn Sie ſich dar - innen widerſetzen ſollten, ſo treibt er mich ſo lange, bis ich deim Pupillen-Collegio einkommen muß und wenn ich nicht alles, wie es bisher gegangen,melden135melden will, ſtiftet er die Großmutter an, daß ſie es thun muß. Dann ſpricht Jhnen das Pupillen - Collegium das Maͤdchen ab, befiehlt mir fuͤr ſie zu ſorgen, und Jhnen, ihr hinlaͤnglich auszu - ſetzen.
Jch koͤnnte ſie freilich von Herr Buſchen weg - nehmen und wo anders unterbringen, will es auch thun, wenn Sie es verlangen, bedenken Sie aber, daß es Jhnen da mehr koſten wird, als bei Herrn Buſch, der fuͤr Wohnung und Koſt nichts ver - langt.
Nun beſinnen Sie ſich, was Sie thun wollen, und rechnen Sie mir bei der Sache nichts zu, denn ich kann nicht anders handeln, werde aber gewiß immer auf Jhrer Seite bleiben, wenn ſie auch in der mehrern Entfernung fortfahren mir Beweiſe Jhrer Gewogenheit zu geben.
Madam Schnitzer nahm nach Durchleſung die - ſes kurzen Entſchluſſes, den ſcharfen Brief des Vormunds, uͤberlaß ihn nur fluͤchtig, und antwor - tete ihm dann folgendes:
Da ich meine Tochter ohnehin in eine Erzie - hungsanſtalt bringen wollte, weil ſie auf dem Lan - de nicht gehoͤrig unterrichtet werden kann, und ich doch wenigſtens meine muͤtterliche Pflicht an ihr thun will, obgleich ich fuͤrchte, daß nicht viel ausJ 4ihr136ihr werden wird, ſo mag ſie Herr Buſch immer be - halten, weil er es durchaus ſo haben will. Belie - ben Sie aber ihm zu ſagen, was ich hingegen von ihm fordre, und hiermit erklaͤre: Jch verlange nehmlich, daß er Madelon ſo artig, geſchickt und in allen Stuͤcken ſorgfaͤltig erziebt, als es die Freund - ſchaft verlangt, die er fuͤr ihren Vater zu hegen vorgiebt; wird er das nicht ſo beobachten, wie ichs meine, ſo werde ich uͤber ihn ſchreien. Jngleichen empfehle ich ihm ihre Geſundheit; das Vorgeben, ſie ſei bei mir kraͤnklich worden, iſt eine Unwahr - heit, wie deren Herr Buſch mehrere ſagt, iſt ſie alſo krank und ſtirbt etwa gar, dann klage ich ihn als den Moͤrder meines Kindes an.
Zu ihrem Unterricht und Kleidungsſtuͤcken ſetze ich jaͤhrlich 60 Thaler aus, mehr kann ich nicht thun, da mich die neue Einrichtung viel koſtet; es kann mich auch niemand zwingen, mehr zu geben, da alles das Meinige iſt. Wenn Herr Buſch ihr den Tiſch umſonſt giebt, ſo thut er nichts als ſeine Schuldigkeit, es iſt nur eine kleine Revenche fuͤr das viele Gute, was er bei uns genoſſen hat, da er einmal bei uns aus und eingieng.
Jn einem zweiten Briefe bat Frau Suschen den Vormund, daß er den eben angefuͤhrten Buſchen ja ſollte leſen laſſen. Und damit der erſte es ver -mitteln137mitteln moͤchte, daß man ſie nun ferner ungehudelt ließ, fuͤgte ſie etliche Louisd’or bei.
So gieng auch wuͤrklich alles gut, und meine Mutter war innigſt vergnuͤgt, einen Stoff zu kuͤnf - tigen Chikanen fuͤr Albrechten und Sophien zu ken - nen, und mich, ihren Liebling, nun allein zu ha - ben; mir aber that es einigermaßen leid, daß ich an Madelon einen Gegenſtand des Muthwillens verlohren hatte.
Jch wuchs zuſehends in demſelben, mein Herr Hofmeiſter konnte es faſt nicht mehr ertragen, auch war der Zeitpunkt, bis zu dem er die Anſtrengung ſei - ner Kraͤfte in der bisherigen Uebung erhalten woll - te, ſchon beſtimmt. Er buhlte in der naͤchſten Stadt an unſerm Guthe um die Schreiberſtelle bei einem Amtmann, und bewies durch die weitlaͤuf - tigſte Schilderung ſeines Elends in unſerm Hauſe, daß es kein ehrliches Menſchenkind anshalten koͤnn - te, weshalb er lieber in einem geringern Poſten, als die Stelle eines Hofmeiſters waͤre, und mit weni - ger Gehalt ſein Brod treu und ruhig verdienen wollte. Die Probe, welche er von ſeiner Hand - ſchrift gab, gefiel, und alles ward richtig.
Als es bis dahin war, verließ er ſich auf das, was er in ſeiner ehrenvollen Beſtallung in unſerm Hauſe geſammelt hatte, wollte in dieſer Hinſichtnicht138nicht dulden, bis der abgehende Schreiber ihm Platz machte, ſondern lieber dieſe einigen Monate fuͤr ſich leben, und wartete den erſten hinlaͤnglichen Anlaß ab, um ſich mit mir und meiner Mutter zu entzweien, und ſeinen Abſchied zu fordern.
Jch ließ ihn auf dieſen Anlaß nicht warten; es war mitten in einem der ſtrengſten Winter, in welchem ich ihm den letzten Streich ſpielte, der auch zu ſeiner Abſicht hinreichend war.
Fuͤr meine zarte Perſon ſtand ein weiches Bett in der Schlafſtube meiner Mutter, die mich aus zaͤrtlicher Beſorgniß des Nachts ſelbſt in Schutz ha - ben wollte, aber Herr Null mußte in der Kammer ſchlafen, die neben ſeiner Wohn - und unſerer Schulſtube war. Oft ſchon hatte ich ihm Nadeln, Kletten oder Froͤſche ins Bette practicirt, er wußte es immer ſehr gewiß, daß ich der Thaͤter ſolcher Stuͤckchen war, hatte aber, wie wir wiſſen, ſeine Gruͤnde, zu thun, als haͤtte er mich nicht in Ver - dacht. Jetzt bot mir der harte Winterfroſt Gele - genheit an, meinem lieben Mentor einen Spas zu machen, der alle die vorigen uͤbertraf, und den Werth der Neuheit hatte. Jch ließ mir durch einen Bauerjungen, den ich dafuͤr bezahlte, (denn zu Erkaufung ſolcher Gefaͤlligkeiten verwendete ich alles Geld, was ich der Mutter abpochte,) insge -heim139heim und im Dunkeln eine Parthie Eis bringen. Er mußte es in nicht allzugroße ſpitzige Stuͤcken zerſchlagen, und ſo lange in Verwahrung behalten - bis wir beim Abendeſſen ſaßen. Kaum war die Suppe verzehrt, als ich hinaus lief, (welche Frei - heit ich mir nahm, ſo oft es mir beliebte,) und nebſt meinem Gehuͤlfen nach der Schulſtube ſchlich. Null trug zwar den Schluͤſſel bei ſich, aber da ich immer bei ſolchen Expeditionen an alles dachte, ſo hatte ich mich ſchon vor Tiſche mit dem Haupt - ſchluͤſſel verſorgt. Nun thuͤrmten wir die Eisſtuͤcke neben einander unter das Bettuch dicht an einan - der auf, ſo daß die ſpitzigen Theile alle oberwaͤrts ſtanden, und mit dieſen kleinen Felſen-aͤhnlichen Bruchſtuͤcken bedeckten wir den Raum des Bettes, auf den Nullens Hinterkaſtell beim Niederlegen zu liegen kam, uͤber und uͤber. Er hatte, wenn er zu Bette gieng, die Gewohnheit, das Deckbette bis zu den Fuͤßen hinunter umzuſchlagen, dann unten ins Bett zu treten, die Zipfel der Zudecke in beide Haͤn - de zu nehmen, und mit ihnen ſich zuruͤck zu werfen. Dies alles geſchah in der groͤßten Geſchwindigkeit und war mir bekannt, weshalb ich mich auf den Effekt, den meine Eisſpitzen machen wuͤrden, deſto mehr freute.
Es140Es gieng ganz nach meinem Wunſch; denn ſchon lagen wir, Muͤtterchen und ich, in den Fe - dern, als wir ein graͤßliches Geſchrei hoͤrten, ihm folgte Poltern und Fluchen, wir hoͤrten Nullens Stimme, der nach Licht ſchrie. Meine Mutter erſchrak, ſie glaubte es waͤren Diebe im Hauſe, und wollte aufſtehen, ich aber bat ſie ruhig zu bleiben, weil es in der Welt nichts betraͤfe als ei - nen Scherz, den ich Herr Nullen gemacht und er vermuthlich uͤbel genommen haͤtte. Noch ſprach ich, als er im bloßen Hemde hinein gehinkt kam, und uͤber Zerſchmetterung ſeines Kreuzes tobte, welches ich Lotterbube und Teufelsbraten, ich hoͤl - liſche Beſtie verurſacht haͤtte Obwohl ich meiner Mutter ſchon geſtanden hatte, daß ich was ange - ſtellt, welches die Lebhaftigkeit im Hauſe verurſach - te, ſo fand ſie doch Nullens Reden unverantwort - lich. Sie ſetzte ſich im Bette auf und verlieh ihm die ausgeſuchteſten Schimpfnamen, wogegen er ihr deren nicht weniger gab. Aber ſein Schmerz war wuͤrklich groß, wenn auch nichts an ihm zerſchmet - tert war, ſo gab es doch Contuſionen, ja ſogar Wunden in Menge vom Ausgang ſeines Ruͤckens an, bis weiter hinunter nach den Lenden zu. Ja, ſagte meine Mutter, als Null ſich wehklagend mit dem Vorderleib uͤber einen Tiſch beugte, thu er nurals141als wenn ihn der Henker holen wollte, es wird wohl ſo arg nicht ſein — marſchier er, Kerl! wie kann er ſich unterſtehen ſo vor mir zu erſcheinen? — Ja fuͤhl er nur hinter, der A ** wird wohl nicht entzwei ſein. Null hatte gefuͤhlt, daß einige Stel - len aufgelaufen waren, andere bluteten, er wollte nun nicht mehr hoͤflich ſein, alſo gieng er auf die letzten Worte meiner Mutter an ihr Bette, drehte ſich um, hob das Hemde in die Hoͤhe, und ſagte: Da ſeh ſie ſelbſt, wie er ausſieht!
Jch weis nicht, ob der Schrecken uͤber das, was ſie nun wuͤrklich ſahe, oder die Jndignation uͤber Nullens Efronterie, wie ſie hernach nach den Lehren der Mamſell Fanchen ſagte, am groͤßten war, und welches von beiden den lauten Schrei verur - ſachte, mit dem ſie auf die Kiſſen zuruͤckfiel und wie erſtarrt da lag. Null gab ihr die Beſinnungs - kraft wieder, indem er auf mein Bette zugieng und mit zitternder Stimme ſagte: vors erſte, frecher Junge, ſollſt du mirs buͤßen, ich will dir das La - chen einſtreichen. Alles, was bisher vorgegangen war, hatte mich dazu gereizt, der letzte Auftritt entriß mir ein lautes Gelaͤchter, und mit demſelben hatte ich Nullen eben an die Billigkeit erinnert, mich zu zuͤchtigen. Jch ließ ihn aber nicht bis zum Bette kommen, indem ich fuͤrchterlich ſchrie,fuhr142fuhr ich heraus und begann mich zur Wehre zu ſetzen.
Meine Mutter bekam wieder Leben, ſie dachte, ich wuͤrde trotz des maroden Zuſtandes meines Hof - meiſters doch die beſten bekommen, und konnte auch nicht umhin zu finden, daß ich unrecht haͤtte. Jn der Ueberlegung dieſer beiden Punkte ſchlug ſie ei - nen ganz ungewohnten Weg ein, ſie ließ ſich nehm - lich mit Nullen aufs guͤtliche ein, nannte ihn wie - der Sie, und bat, es doch gut ſein zu laſſen, verſprach auch ſelbſt aufzuſtehen, um ſeine Huͤlflei - ſtung zu beſtellen und ſeine Lagerſtaͤtte wieder in Ordnung bringen zu laſſen. Er ſollte nur auf ſeine Stube gehen und wenigſtens indeſſen den Schlafrock umwerfen, weil er ſich fonſt noch dazu erkaͤlten wuͤrde; ſogleich wollte ſie befehlen, daß aufs friſche bei ihm eingeheizt, ihm das Bett in die Stube geſetzt, und Thee gemacht wuͤrde; auch wollte ſie ihm etwas eingeben und alles andere noͤ - thige zu ſeiner Heilung thun.
Null war einer ſolchen Sprache von meiner Mutter nicht gewohnt, ſie zeigte ihm, daß ſie, was er thun und fordern koͤnnte, fuͤhlte, dies machte ihn deſto trotziger, beſonders da er fort wollte und wegen eines andern Unterkommens gedeckt war. Er ließ zwar von mir ab, gieng aber ſcheltendund143und drohend weg. Madam Schnitzer verließ wuͤrk - lich das Bett, warf geſchwind einige Kleidungs - ſtuͤcke an, gieng und beſorgte alles, was ſie Nul - len verſprochen hatte. Jm Fortgehen ſagte ſie, du biſt doch ein gottloſer Junge, was du mir immer fuͤr Verdruß machſt! Jch hatte mich ſchon lange wieder ins Bett geworfen, und war nicht nur ru - hig, ſondern auch ſehr zufrieden uͤber das kaum ge - hoffte Gelingen meiner Anſtalt, was alſo meine Mutter ſagte, ruͤhrte mich gar nicht, es entſtand vielmehr, da ſie weg war, der Wunſch in mir, das Eis bei der Hand zu haben, um es auch unter ihr Bettuch zu legen.
Null genaß etwas eher, als ers geſtehen woll - te, er hielt es nicht fuͤr undienlich, meine Mut - ter ein wenig zu ſcheeren; allein dieſe hatte ſich von ihrer Muthloſigkeit bald wieder erholt, alſo machte ſie ſich nicht viel mehr aus ſeinem Klaͤglich - thun. Da er dies bemerkte, ward er beſſer und ver - ließ unſer Haus.
Ein anderer Hofmeiſter war bald genug ge - funden, und zwar bekam ich jetzt einen geſchickten Mann zum Fuͤhrer, er beſaß, wie man dafuͤr hielt, alle Faͤhigkeiten, die zu einem guten Hofmeiſter gehoͤren, und war uͤberdem voll des beſten Willens, ſie anzuwenden.
Es144Es wundert euch, meine Leſer, daß ein ſol - cher Mann ſich in unſer Haus verlohr? Jch koͤnn - te das uͤbel nehmen, wenn ich empfindlich waͤre, da ich mich aber nicht mit euch veruneinigen mag, ſo will ich thun als verſtuͤnde ich nicht, wie ihr das meint, und euch blos berichten, wie es zugieng, daß Herr Lebrecht mein Lehrer ward.
Herr Reitmann, eben der welcher meiner Mutter das Ritterguth, das ſie jetzt beſaß, vorge - ſchlagen hatte, wohnte in unſerer Nachbarſchaft, wo er landesherrliche Domainen in Pacht hatte. Es war ein Mann, an welchem kein Menſch etwas zu tadeln fand, denn er lebte ſittig, und beſaß alle die Einſichten, mit denen jemand, wenn das Un - gluͤck nicht den Zahn ein fuͤr allemal auf ihn gewetzt hat, nicht nur fuͤr ſich ſelbſt ganz bequem, ſondern auch allgemein geachtet, durch das Leben ſpazirt. Da er ſich im Bade nach der hinlaͤnglich gemach - ten Bekanntſchaft um meiner Mutter Geſellſchaft bewarb, hoffte er nichts als liebes und gutes von einer Wittwe, die ein Vermoͤgen von 80,000 Tha - lern beſaß, und daruͤber nach Belieben ſchalten konnte, wenigſtens entſchuldigte er ſie bei dem, was ihm nicht ſo ganz gefiel, mit dem chriſtlichen Ausſpruch, daß man die Fehler ſeiner Nebenmen - ſchen zudecken muͤſſe, und jeder die ſeinigen haͤtte;weshalb145weshalb man von andern nicht lieblos urtheilen duͤrfte.
Die 80,000 Thaler, welche ihm ein ſo billiges Urtheil abgewannen, wollte er nicht mit ſeiner eigenen Wohlfahrt alliiren, aber einer von ſeinen Soͤhnen ſollte nach ſeinem Plan Theil daran neh - men. Dies war die Urſache, warum er Madam Schnitzer den Ankauf in ſeiner Nachbarſchaft vor - ſchlug, und dabei ſo behuͤlflich war, daß meine Mutter wuͤrklich einen vortheilhaften Handel ſchloß; auch nahm er ſich als guter Nachbar ihrer ferner an, belehrte ſie uͤber die Wirthſchaft, und beſuchte uns oft.
An mir ſchien er freilich keinen ſonderlichen Gefallen zu finden, denn außer daß er mich ſchon als kuͤnftigen Theilnehmer am Vermoͤgen fuͤr uͤber - fluͤßig hielt, mußte er mich nach der Gewalt, die ich ſchon als Knabe uͤber meine Mutter hatte, und nach meiner uneingeſchraͤnkten Lebhaftigkeit als ge - faͤhrlich anſehen. Jndeſſen, ich war einmal da und mußte geduldet werden; damit dieſes dem mir zu - gedachten kuͤnftigen Stiefvater nicht gaͤnzlich un - moͤglich ſein ſollte, hatte er laͤngſt gewuͤnſcht, daß ich einem andern Erzieher, als Null war, in die Haͤnde fallen moͤchte.
2r Theil. KDa146Da dieſer alſo abgieng, erbot er ſich, fuͤr Be - ſetzung ſeiner Stelle zu ſorgen, und that ſelbſt eine Reiſe von vier Meilen, um Lebrechten, den er kann - te und wegen Abſterben eines Zoͤglings außer Con - dition wußte, zu bereden, daß er die in unſerm Hauſe annehmen moͤchte. Er hatte ihm geſagt, daß ich ein etwas verwoͤhnter Knabe ſei, doch hoffte er, ein vernuͤnftiger und geſchickter Mann, wie Herr Lebrecht, werde mich wohl beſſern, wel - ches freilich der einfaͤltige unwiſſende Menſch, der Null; nicht im Stande geweſen, bei welchem ich vielmehr eben ſo verwildert waͤre. Uebrigens huͤthete ſich Reitmann, Lebrechten die wahre Einrichtung zwiſchen mir und meiner Mutter kund zu geben, er hoffte, dieſe werde zu bewegen ſein, mich der Zucht des neuen Hofmeiſters gaͤnzlich zu uͤberlaſſen, und gab ihr, da es mit Lebrechten richtig war, dieſe Hoffnung nebſt dem Beweis der Nothwendig - keit, mich beſſer zu ziehen, ſo deutlich zu verſte - hen, daß ſie es uͤbel nahm, und dem dienſtfertigen Nachbar dagegen zu verſtehen gab, ſie ließe ſich nicht gern Vorſchriften machen, und werde das Beſte ihres Kindes ſchon ſelbſt zu bedenken wiſſen.
Reitmann ließ ſich das nicht abſchrecken, er kam immer wieder krumm herum auf die Gewalt, welche man einem Hofmeiſter uͤber den Lehrlinggeben147geben muͤſſe, wenn der erſte was bei dem letzten ausrichten ſollte. Weil ich eben hinter einander etliche Bubenſtuͤcke ausgeuͤbt hatte, die meiner lie - ben Mama Schaden und Verdruß verurſachten, ſo begann ſie Reitmanns verbluͤmten Vorſchlaͤgen Ge - hoͤr zu geben, und da Lebrecht ſeine Stelle antrat, ward ich ihm ſo gaͤnzlich uͤbergeben, daß mein Bett aus der Schlafſtube meiner Mutter in die des Hof - meiſters geſetzt wurde, und die erſte ſich erklaͤrte, ſie wolle mich anders nicht als beim Eſſen, und auch da nicht ſehen, wenn ich Herr Lebrechten nicht recht gut folgte und fleißig lernte.
Mir war dieſe Drohung laͤcherlich, weil ich wußte, daß es leicht ſein wuͤrde, Mammachen an - ders Sinnes zu machen, ſobald es mir beliebte. Vor der Hand war ich mit der getroffenen Einrich - tung zufrteden, denn an der Geſellſchaft der Frau Mutter war mir eigentlich nie etwas gelegen, hin - gegen war ich, ſo lange Lebrecht neu war, gern um ihn.
Er hatte eine Art mich in Reſpect zu erhal - ten, und zu ſeinem Willen zu bringen, die mir bisher ganz fremd geweſen war, ich konnte nicht uͤber Strenge oder harte Worte klagen, vielmehr war er ſehr liebreich gegen mich, ſobald ich aber etwas wollte, was nicht in ſeinen Plan taugte,K 2wußte148wußte er es mir ſo kurz und ernſtlich zu unterſa - gen, daß ich keine Appellation. wagte. Eben ſo gieng es bei unſern Lectionen, Lebrecht erleichterte mir alles, er machte ſogar das, was er mit mir vor - nahm, zu einer angenehmen Unterhaltung, und bezeigte ſeine Zufriedenheit uͤber mein Talent, leicht zu faͤſſen, immer durch eine kleine Belohnung.
Dies gieng faſt den ganzen erſten Monat ſo fort, nur in Herrn Lebrechts Geſellſchaft gieng ich ſpatzieren, und er vergoͤnnte mir gern jedes Ver - gnuͤgen, das ich genießen konnte, ohne mir oder andern Schaden zu thun. Meine Mutter war ſtolz auf das Lob, welches mir der Hofmeiſter dieſe erſte Zeit bei ihr gab, ſie behauptete nun frei und frank, daß ich ein Knabe ſei, der nicht ſeines Gleichen haͤtte, und ſchrieb das Gute, was ſie von mir hoͤrte, weit weniger Lebrechten, als mir ſelbſt zu. Jndeſſen bewies ſie ihm doch ihre Zufrieden - heit und lobte ihn beim Eſſen, denn außerdem kamen wir wenig zuſammen, mit vieler Beredt - ſamkeit; es geſchah aber immer in eben dem Tone, wie man einen Knecht lobt, zu dem man etwa ſagt: ich bin mit euch zufrieden, fahrt huͤbſch fort eure Schuldigkeit zu thun, ſo koͤnnt ihr immer bei mir bleiben, und ich will euch auch manchmal was uͤber euren Lohn ſchenken, u. ſ. w. Dies verdroßLebrech -149Lebrechten, er ließ mehrmals ſeine Empfindlichkeit daruͤber aus. Da Madam dies nicht verſtehen woll - te, und nach ihrer Weiſe fortfuhr, welches gemei - niglich als Refrain auf die Schimpfrede, die ſie Nullen hielt, geſchah, ſo bat ſie Lebrecht deutlich, ihn mit ihren Complimenten, die ſich mehr fuͤr einen Dienſtboten, als fuͤr einen Erzieher ſchickten, zu verſchonen. Wird, ſetzte er hinzu, ihr Sohn fortfahren, wie er ſich anlaͤßt, ſo habe ich Hoff - nung, noch etwas gutes aus ihm zu erziehen, und das ſoll mir Freude machen, ſo wie Sie es mir danken muͤſſen, und er ſelbſt einſt thun wird.
Dieſe hochmuͤthigen Worte verdroſſen die Frau Prinzipalinn; zwar hatte ſich Lebrecht auch bei ihr in ein ſolches Anſehen geſetzt, daß ſie dieſen Ver - druß meiſt verbiß, aber ſie ward ihm von dem Au - genblick an gram.
Beſagter Zufall fiel in die Zeit, wo ich ihn und ſeine Aufſicht bereits uͤberdruͤßig war, und mich nach meiner vorigen Freiheit ſehnte, welche Empfindung ſich gegen das Ende des erſten Monats einſtellte. Nun begann ich nicht mehr ſo aufmerk - ſam wie vorhin zu ſein, und nahm mir die Frei - heit, laͤnger wegzubleiben, wenn ich etwa nothwen - dig weggehen mußte. Meiſt lief ich dann zur Mut - ter, um etwas bei ihr zu fordern, dabei trieb ichK 3ſie150ſie an geſchwind zu ſein, und ſtellte mich, als zit - terte ich vor der gewaltigen Ruͤge des Hofmeiſters, wenn ich zu lange außen bliebe. Jch will doch ſe - hen, ſagte dann meine Mutter, was er dir thun ſoll, wenn du bei mir geweſen biſt? Der Kerl bil - det ſich wohl gar ein mehr zu gelten als ich.
Herr Lebrecht ſchalt anfangs nur uͤber mein langes Wegbleiben, ich hatte nicht das Herz mich zu verantworten, dagegen aber klagte ichs meiner Mutter, ſobald ich ſie allein ſprechen konnte, be - ſchrieb den Zorn des Hofmeiſter ſehr groß, und ſetzte hinzu, er habe auf ſie geſtichelt.
Einige Tage trieb ich das ſo fort, nur daß ich immer zuſetzte; die Mutter ward alſo auf Lebrech - ten immer ergrimmter, ſprach bei Tiſche kein Wort mit ihm, ſah ihn aber ſehr ſauer an, und that deſto ſchoͤner mit mir. Lebrecht ſagte zu alle dem nichts, ja ſogar hatte er nicht die geringſte Einwendung, als meine Mutter eines Nachmittags ſagen ließ, ſie befehle, daß ich ſogleich mich anders anziehen und mit ihr ausfahren ſollte, wodurch die Lehrſtun - de, in der wir eben begriffen waren, unterbrochen ward. Jn eben dieſer Lehrſtunde hatte er mir ge - droht, daß, wenn ich mich nicht wieder zuſammen nehmen, ſondern fortfahren wuͤrde in den Schul - ſtunden faul zu ſein, ſo wollte er mich waͤhrend derStunde151Stunde des Eſſens vor den Ofen knien laſſen. Die - ſes erzaͤhlte ich meiner Mutter, da ich mit ihr aus - fuhr, und weinte die bitterſten Thraͤnen dazu, daß ich unſchuldiger Weiſe ſo geſtraft werden ſollte, da ich doch nicht wuͤßte, wie ich fleißiger und aufmerk - ſamer ſein ſollte. Aber Herr Lebrecht, ſetzte ich hinzu, waͤre mir gar nicht mehr gut, er gaͤbe mir kein freundliches Wort mehr, und behandelte mich wie den gemeinſten Jungen. Nun erzaͤhlte ich von allerhand Mißhandlungen, die ich empfangen ha - ben wollte, bat aber die dadurch aͤußerſt geruͤhrte Mutter, es Lebrechten ja nicht vorzuhalten, weil er mich ſonſt deſto aͤrger tractirte. Sie verſprach es, und redete mir daneben zu, Geduld zu haben, bis ſie die Sache aͤndern koͤnnte, welches bald ge - ſchehen ſollte. Dieſes Geſpraͤch kam Herrn Lebrecht noch am ſelbigen Abend durch den Kutſcher zu Oh - ren, der es, weil wir in einer offenen Chaiſe fuh - ren, Wort fuͤr Wort gehoͤrt hatte; und wie ſehr auch der erſte gegen die Klaͤtſchereien und heimlichen Unterhaltungen mit dieſer Art Leuten ſein mochte, ſo konnte er doch nicht anders als Notiz davon nehmen.
Er ließ einige Tage hingehen, waͤhrend deren ich immer nachlaͤßiger und verſtockter ward, und da dies ohngefaͤhr den vierten Tag nach der Spatzier -K 4fahrt152fahrt waͤhrend den Lehrſtunden ſo gefliſſentlich als moͤglich geſchehen war, erfuͤllte er ſein Verſprechen wegen des Kniens, und gieng allein zu Tiſche. Jch kniete recht gern hin; neugierig auf das Verhalten meiner Mutter bei meinem Aufenbleiben, ſtand ich auch nicht auf, als Lebrecht weg war und mich ein - geſchloſſen hatte. Er mochte dies nicht vermuthen, ohne Zweifel aber war es ihm gleich viel, ob ich in der mir angewieſenen Stellung blieb, oder ſie ver - ließ, da er eigentlich weniger Strafe fuͤr mich, als Veruneinigung mit ſeiner Frau Prinzipalinn im Sinn hatte. Was mich betraf, ſo hatte ich hin - laͤngliche Kenntniß von ihrer Art zu handeln, um nicht zu zweifeln, daß ſie die Sache ſehr uͤbel auf - nehmen, und ſogleich gerannt kommen wuͤrde, mich zu befreien; es maßte die beſte Wuͤrkung fuͤr mich haben, wenn ſie mich wie ein geduldiges Lamm da kniend finden wuͤrde.
Meine Gabe vorauszuſehen, wie dies und jenes kommen wuͤrde, betrog mich auch diesmal nicht; ich hoͤrte die Stimme der rettenden Mutter, ſie ward lauter und kam naͤher, bis ſie endlich ſelbſt herein trat, mich aufhob und weinend ſagte: der arme Wurm, wie er ſich alles geſallen laͤßt! — komm, Goldfritzel, und ſei ruhig, deine Mamma wird dich nicht ſo tractiren laſſen. Wir wollendoch153doch ſehen, wer mehr uͤber dich zu befehlen hat, ich oder der Herr Hofmeiſter, der wohl denkt, er ſei Herr im Hauſe; aber ſo ſchlimm iſts nicht. Hier waren wir in der Stube, wo Lebrecht ſtand und uns erwartete, angelangt. Meine Mutter hatte waͤhrend des Gehens mit Fleiß ſehr laut geſprochen, denn er ſollte hoͤren, was ſie ſagte, und die letzten Worte reichten bis ins Zimmer hinein.
Jch verſichere Sie, Madam, begann nun Leb - recht, daß ich weder Herr noch Diener in ihrem Hauſe ſein will, und eben ſo wenig mag ich die Stelle eines Fuͤhrers bei ihrem ſehr boͤſen und ver - woͤhnten Sohn laͤnger begleiten; er gebe ihnen einſt den Lohn dafuͤr, daß ſie einen Boͤſewicht aus ihm machen — ich empfehle mich.
So verließ er das Zimmer, nicht auf das ach - tend, was meine Mutter nachſchrie, und eilte auf unſere Stube, um was von ſeinen Sachen herunt lag, in die Coffres zu ſchließen, und dann fort zu Herrn Reitmann zu wandern.
Wir vermutheten, daß er dieſen Weg genom - men haben wuͤrde, meine Mutter war ein wenig in Verlegenheit daruͤber. Einmal hatte ſie nicht geglaubt, daß Lebrecht wuͤrklich abgehen wuͤrde, ſie wollte ihn nur Sitte lehren, und war der Mei - nung, er befaͤnde ſich viel zu gut bei ihr, umnicht154nicht lieber ſein Betragen zu aͤndern, und ſo wie - der in gutes Bernehmen mit ihr zu kommen, als die Condition zu meiden. Dann war ſie auch um das Urtheil beſorgt, welches man im Reitmann - ſchen Hauſe von ihr faͤllen wuͤrde, wenn ſich Leb - recht dort beklagte, und den Leuten boshafter Weiſe beibraͤchte, daß es nicht mit uns auszuſte - hen ſei. — Meine Leſer werden weiterhin erfahren, weshalb ihr jetzt an der guten Meinung dieſes Hau - ſes gelegen war.
Lebrecht ließ noch an demſelben Tage ſeine Coffres holen, ſie waren ihm nicht vorzuenthalten. Jch empfand große Freude, ſeiner Aufſicht los zu ſein, und meine Mutter beſchloß, in Geduld ab - zuwarten, daß ſie mit Reitmanns zuſammen kom - men wuͤrde, um ſich und mich gehoͤrig zu verthei - digen, hingegen Lebrechten alles, was ſich nur als Vergehung eines Hofmeiſters erdenken laͤßt, auf - zubuͤrden.
Mich betreffend, ſo beſchloß ſie, eine andere Einrichtung zu machen; um ſie auszufuͤhren, fuhr ſie ſchon des folgenden Tages in die Stadt, und verdung mich in eine Koſtſchule, in welcher etliche junge Edelleute und andere Knaben aus guten Haͤu - ſern erzogen wurden. Alles ward richtig, mir ſelbſt ſchien es vortrefflich in dieſem Hauſe zu ſein, woich155ich Geſpielen von meinen Jahren fand, alſo ließ ich mich einige Tage nach geſchloßnem Handel ſehr gern mit Sack und Pack transportiren.
Jch fuͤhrte mich abermals einige Wochen hin - durch ſehr gut auf, alsdann aber begann ich nicht nur nachlaͤßig und widerſpenſtig zu werden, ſon - dern neckte nach meiner gewohnten Art Lehrer und Lehrlinge. Von dieſen letzten verfuͤhrte ich einige zu Ausuͤbung meiner Genieſtreiche, und da ich mir ihre Freundſchaft leicht erkaufen konnte, indem mir meine Mutter ein reichliches Taſchengeld gab, ſo ließen ſie ſich von mir zu allem bereden. Sie war gegen die Jnhaber der Anſtalt ſelbſt ſehr freigebig; um mir vorzuͤgliche Begegnung zuwege zu bringen, ſchickte ſie jeden Markttag ein Geſchenk fuͤrs Haus. Das war nun nicht bitter, und verdiente Erkennt - lichkeit, es brachte Schonung fuͤr mich mit. Dem - nach ward mir viel uͤberſehen, und da dieſes nicht mehr moͤglich war, die nothwendige Strafe ſehr gemaͤßigt; oft mußte ein anderer, deſſen Eltern nicht ſo einſichtsvoll waren wie meine Mutter, das entgelten, was ich angeſtiftet hatte; wozu ich im - mer ſchon im voraus meine Einrichtung traf.
Es kam endlich zu einem voͤlligen Aufruhr un - ter meinen Mitſchuͤlern, und da ich mehrere davon wirklich beſchaͤdigt hatte, nahmen ihre Eltern, denenNotiz156Notiz davon gegeben wurde, Theil. Der Penſion - halter hatte Verdruß und buͤßte einige ſeiner Zoͤg - linge ein; er konnte und wollte mir nun nichts mehr uͤberſehen, und indem er die Geſchenke meiner Mut - ter nicht als Entſchaͤdigung des Verluſtes zweier Eleven anſehen konnte, fuhr er im Zorn gewaltig uͤber mich her. Jch bekam die erſten Streiche ſeit Hannſens Execution im Holzſtall und dem wuͤthen - den Ausfall meiner Mutter im Garten. Noch war es mir erinnerlich, wie boͤſe ſie auf Hannſen gewe - ſen war, und wie ſie mich wegen ihrer eigenen Ue - bereilung um Vergebung gebeten hatte. Leicht alſo konnte ich ſchließen, daß ſie jetzt eben den Antheil an der mir geſchehenen Mißhandlung nehmen wuͤrde.
Jch ward, nachdem ich mit einem Strick ge - hoͤrig durchgegerbt war, eingeſperrt, und ſollte bei Waſſer und Brod, weis nicht wie lange, ſitzen. Das Gluͤck aber, welches mich damals und lange nachher beſchuͤtzte, fuͤhrte von ohngefaͤhr eine Magd in die Kammer, wo ich ſaß, und dieſe ließ ſich, fuͤr einen baaren Thaler, den ich im Vorrath hatte, erbitten, mich davon ſchleichen zu laſſen.
Jch eilte die Stadt zu verlaſſen, machte mich auf den Weg nach Hauſe, fiel einigemal in Graben, verirrte mich, kam aber doch nach Mitternacht gluͤck - lich, wiewohl ſchmutzig und abgemattet, nach Hauſe. Alles157Alles war ſchon zur Ruhe, ich pochte an dem ge - ſchloßnen Thore; da man nicht ſogleich hoͤrte, wie - derholte ichs, und wimmerte dazu ſo klaͤglich, daß meine Mutter, welche auf das erſte Pochen aufge - horcht hatte, um zu vernehmen, ob es wiederholt werden wuͤrde, nun die Stimme ihres Kuͤchelchens zu hoͤren glaubte, und zitternd aus dem Bette fuhr. Jhre eigne Stimme erſchallte nun im Hauſe, zuerſt mit Schelten und Schimpfen auf die Leute, die das Pochen doch auch mußten gehoͤrt haben, aber aus Faulheit liegen blieben, einige davon aber wa - ren ſchon aufgeſtanden, und ſchlugen Licht, dieſe kamen mir und einem der Knechte, der im Stall logirte, dem Thore alſo naͤher war, und mich ſchon eingelaſſen hatte, entgegen, ſo ward ich zu meiner Mutter begleitet, die im Hauſe ſtand und mich zit - ternd erwartete. Ach, ſchrie ſie, und eilte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, ſo habe ich doch recht gehoͤrt, du biſts, mein Goldfritzel, ach Kind, wie haſt du dich ſo wagen koͤnnen — o, die gottlo - ſen Menſchen, was haben ſie meinem Kinde ge - than! Die Worte von o, an, brachten meine Thraͤ - nen, oder vielmehr mein Geheul hervor, unter welchem mich die Mutter in ihr Zimmer fuͤhrte. Hier erzaͤhlte ich nun, wie man mir mitgeſpielt haͤtte, und entkleidete mich, um meinen Ruͤckenzu158zu zeigen, auf dem allerdings noch Striemen zu ſehen waren.
Meine Mutter ward faſt ohnmaͤchtig, doch ſie kam bald wieder zu ſich, um Rache uͤber den Mann zu ſchreien, der mich ſo zugerichtet hatte, und um Pflege und Erquickung fuͤr mich zu beſorgen. Nach - dem ich zu Bette gebracht war, und mich ein we - nig getroͤſiet geſtellt hatte, forderte ich zu eſſen und zu trinken, das Beſte, was im Vorrath war, mußte nun herbei gebracht werden, ich ließ es mir vor - trefflich ſchmecken, und ſchlief dann auf meine ſtarke Bewegung ſo feſt und ſanft, daß ich ſehr ſpaͤt am Vormittag erwachte; ich waͤre vielleicht noch nicht erwacht, wenn nicht zwei ſchreiende Stimmen mit - ten durch die goldnen Thore des Pflegers Morpheus gedrungen waͤren, und mich aus ſeinen Armen ge - riſſen haͤtten.
Der Mann, bei welchem ich in Penſion war, hatte nicht ſobald vernommen, daß ich die Flucht ergriffen, als er zu Haus - und Stadtunterſuchung ſchritt; da beides fruchtlos war, und er nicht arg - woͤhnen konnte, daß ein Mutterſoͤhnchen ſich etwa gar aus Verzweiflung ins Waſſer geſtuͤrzt haben ſoll - te, war ſeiner Meinung nach nichts gewiſſer, als daß ich nach Hauſe gelaufen ſein wuͤrde; er wollte nun ſehen, ob ich gluͤcklich angelangt ſet, und da er zugleichdie159die Abſicht hatte, meine argen Streiche der Mut - ter kund zu thun, und entweder wegen des ihm zugezogenen Verluſtes Entſchaͤdigung zu fordern, und mich wieder mitzunehmen, oder blos Entſchaͤdigung zu verlangen, und mich zuruͤck zu laſſen, ſo hatte er ſich ſehr zeitig auf den Weg gemacht.
Meine Mutter hingegen war fruͤh aufgeſtan - den, hatte ihren Leuten befohlen, mich ja nicht eher zu wecken, bis ich von ſelbſt erwachte, und war ebenfalls nach der Stadt zu gefahren, um von dem Erzieher wegen des ruchloſen Verfahrens mit mir Rechenſchaft zu fordern. Die beiden Fuhrwerke begegneten ſich alſo auf der Straße; froh, daß ſie den Auftritt des Zanks in ihren vier Pfaͤhlen ha - ben konnte, weil ſie da den Vortheil des Hausrechts hatte, kehrte meine Mutter um, ſobald ſie den Mann in der entgegenkommenden Chaiſe erkannte. Dieſer fuhr nach, und ſo kamen ſie zuſammen an, um ihre Herzen gegen einander zu entladen. Aber der Erzieher mochte das Regiſter meiner Buͤbereien noch ſo laut herpoſaunen, ſo hoͤrte doch meine Mut - ter vor ihrem eigenen Geſchrei ſehr wenig davon. Nachdem ſie ihrem Gegner Vorwuͤrfe jeder Art ge - macht, und auf ſeinen Antrag, ihn wegen der ver - lohrnen jungen Leute ſchadlos zu halten, mit einem ſchallenden Gelaͤchter geantwortet, nachdem ſie ſichſeine160ſeine Grobheiten verbeten und ihm die Thuͤr ge - wieſen hatte, nahm er die Parthie des Nachgebens, wenn man keine Alliirten, der Feind deren aber meh - rere hat, er fuͤrchtete ſich vor den Faͤuſten der Hof - knechte, die meine Mutter zuſammen zu rufen drohte, und wollte lieber der Genugthuung, welche ihm nach einer ſo unerlaubten Behandlung nicht haͤtte entgehen koͤnnen, entſagen, als die Beleidi - gung erſt an ſich vollziehen laſſen. Somit reiſte er wieder ab, und Frau Suschen, ſo wie ihr lieber Sohn, hatten an ihm und ſeiner Frau zwei Lobredner mehr.
Jch war nun wieder unumſchraͤnkter Herr; zwar fieng nun meine Mutter an, ſcharf zu wer - den, ſie verſuchte es, mich zum Gehorſam zu brin - gen, und ließ es nicht bei oͤftern Verweiſen be - wenden, ſondern drohte mir ſogar mit allerlei Stra - fen. Bald aber ſah ſie, daß es zu ſpaͤt waͤre, mich zu beugen; denn wenn ſie ſchalt, ſo raͤſonnirte ich, wenn ſie drohte, drohte ich wieder, und ſetzte mich einigemal in Poſitur, ihr was an den Kopf zu wer - fen. Sie kroch alſo wieder zu Kreuze, und legte ſich aufs Bitten und Ermahnen.
Einſt ſagte ſie: Kind, folge mir doch huͤbſch, du ſiehſt ja, wie ich dich lieb habe, dir alles zu Gefallen thue, und dich nicht von andern beleidi -gen161gen laſſe; ſieh, du biſt ein ſo ſchoͤner Junge, und haſt ſo viel Verſtand. Damit kannſt du nun in der Welt viel vor dich bringen, aber du mußt auch huͤbſch behutſam in deinen Handlungen ſein. Es geht nicht alles in der Welt, wie man will, die Menſchen ſind arg und gottlos, ſie mutzen gleich alles auf, beſonders wenn der Neid dazu kommt, und ſie muͤſſen dich beneiden, weil du ein ſo gluͤck - liches Kind biſt. Alſo huͤthe dich ja, mein Gold - fritzel, und gieb den haͤßlichen Menſchen keine Ge - legenheit, dir was anzuthun, oder uͤber dich zu klagen, denn ſonſt aͤrgert ſich deine Mamma. Wenn du groß biſt, denn kannſt du dir manchen Spas machen, und thun was du willſt, nur ein bischen mußt du dich manchmal zwingen und verſtellen, wenn man das lernt anzuwenden, wo es noͤthig iſt, ſo weis man ſich in alles zu ſchicken.
Jch werde mich ſchon in alles ſchicken, Mam - machen, verſetzte ich, und ſie ſollen Freude an mir erleben, wenn ich nur erſt in der Welt bin. Mit dieſen Worten, uͤber die meine Mutter herzlich lachte, huͤpfte ich fort, und ſuchte Zeitvertreib, den ich jetzt mitnehmen mußte, ſo gut ich ihn fand. Es blieben mir in unſerm Dorfe freilich wenig Huͤlfsquellen dazu uͤbrig, denn die Kinder, denen ich arg mitſpielte, liefen vor mir, oder die Eltern2 r Theil. Lriefen162riefen ſie hinein, wenn ſie mich kommen ſahen. Sie hatten bei meiner Mutter mehrmals Klage uͤber mich gefuͤhrt, da ſie aber kein Recht fanden, ſondern mit dem Beſcheid vorwillen nehmen muß - ten, daß ihre Kinder das, was der junge Herr thaͤt, nicht ſo uͤbel nehmen muͤßten, ſo wollten ſie ſich nicht mit der Herrſchaft veruneinigen, und er - waͤhlten den Weg, ihre Kinder mir aus den Au - gen zu bringen.
Da ich nun auch nicht in die Haͤuſer gelaſſen ward, wie ſehr ich auch pochte und es der Mamma zu ſagen drohte, vielmehr einmal gar den Beſcheid erhielt, daß ich mich packen, oder einer Tracht Pruͤ - gel gewaͤrtig ſein moͤchte, was auch daraus entſte - hen koͤnnte, ſo beſchloß ich, mich dieſem neuen Un - gemach nicht auszuſetzen, und ließ den Muthwillen an den Huͤhnern, Enten, Gaͤnſen, Schweinen und Schaafen der Bauern aus. Jch hatte eine kleine Flinte von meiner Mutter erpocht, Pulver und Schrot ließ ich mir ſelbſt holen, und ſo ſchoß ich zuweilen eins der benannten Thiere todt. Der Schaden mußte immer erſetzt werden, dazu verſtand ſich meine Mutter, aber nicht eben ſo bewilligte ſie die Forderung, mir die Flinte wegzunehmen, in - dem ſie ſagte: es komme ſolchem Geſindel nicht zu, ihrer Herrſchaft Regeln vorzuſchreiben; indeſſen batſie163ſie mich um Gotteswillen, mich doch in Acht zu nehmen, und wenn ich nun ja ſchießen wollte, es im Freyen und nicht im Dorfe zu thun. Dieſe Bitte ließ ich nicht ſtatt finden; da ich aber end - lich einen Bauer durch die Wade ſchoß, und des - wegen ein graͤulicher Lerm entſtand, der auch mei - ner Mutter ſowohl Kur als Beſaͤnftigungsgeld ko - ſtete, ſo ward dieſe Geſchichte ſo ruchbar, daß der Gerichtsherwalter es mit allem Ernſt in Vorſchlag brachte mir die Flinte zu nehmen, weil ſonſt noch viel Ungluͤck und Verantwortung zu befuͤrchten waͤre. Der Mann ließ ſich mit dieſer Forderung durchaus nicht abweiſen; hier alſo war der erſte Fall in mei - nem Leben, wo ich wuͤrklich nachgeben mußte. Damit ich es thun und nicht neue Widerſetzlich - keit zeigen moͤchte, die mir zu geſtatten, nicht in meiner Mutter Gewalt ſtand, verſprach ſie mir heimlich jede andere Freude, die ich nur fordern wollte, und ſtellte mir vor, daß ich mich gar ein - mal durch die boͤſe Flinte ſelbſt beſchaͤdigen, und ſie ſo um den Sohn kommen koͤnnte, der ihr ein - ziger Troſt waͤre, und die Stuͤtze ihres Alters ſein ſollte. Jch mußte zu dieſer Hoffnung ſchon damals herzlich lachen, war aber ſo gnaͤdig, die Flinte ab - zugeben, welche der Gerichtsverwalter mit in die Stadt nahm, und ſie mir aufzuheben verſprach, bis ich beſſer damit umzugehen wuͤßte.
L 2Die164Die guͤtliche Behandlung dieſer Sache hatte ich meiner Verſtellung zu danken; ich that nehmlich, nachdem der Schade angerichtet war, als waͤrs von ohngefaͤhr geſchehen, und ſtellte mich ſehr erſchro - cken daruͤber. Dieſe Sprache behielt ich auch bei dem Gerichtsverwalter bei, und ſelbſt meine Mut - ter unterrichtete ich nicht beſſer, bis alles voruͤber war. Dann aber ſagte ich ihr, daß ich ganz eigent - lich nach der Wade des Bauers gezielt haͤtte, wor - aus ſie ſehen koͤnnte, wie richtig ich zu treffen verſtuͤnde.
Aber, verſetzte meine Mutter, warum haſt du Schelm denn das gethan? — J nu, Mammachen, weil der Kerl mir vor ein paar Wochen drohte, daß er mir eine tuͤchtige Tracht Pruͤgel aufzaͤhlen wollte, darnach koͤnnte ich hingehen und es Jhnen klagen. Der alte kecke Schlingel, ſagte meine Mutter, beinah moͤchte ich ſprechen, daß du recht gehabt haſt — aber du haͤtteſt es doch lieber mir ſagen ſollen.
Ach, erwiederte ich, was ſoll ich immer kla - gen, man muß ſich ſelbſt zu helfen wiſſen. Jch machs wie Sie, wenn mir jemand was thut, trag ichs ihm nach, bis ich ihm mit guter Art eins verſetzen kann — nicht wahr, das iſt recht? So haben Sie es mit Felßen gemacht, den ich in JhremNamen165Namen beißen mußte, weil er Sie beleidigt hatte. Sie ſelbſt konnten dem Mann, auf den Sie boͤſe waren, nicht ankommen, alſo mußte ich ihn ins Bein beißen; ich war auf den Bauer boͤſe, konnte ihm aber ankommen, und ſchoß ich ihn ſelbſt ins Bein; ſehen Sie, ich handle nach Jhrem Beiſpiel Mam - machen, nun ſagen Sie nicht mehr, daß ich Jh - nen nicht folgte.
Meine Mutter drohte mir mit dem Finger, aber ſie laͤchelte dazu, und ſagte dann: es iſt recht, boshafte Leute muß man zuͤchtigen, nur nicht ſo unbehutſam, wie du hier gethan, ſonſt kommt man ja in Verantwortung; doch du wirſt mit der Zeit hierinnen ſchon ſelbſt klug werden.
Als die Geſchichte mit dem Bauer vorſiel, hatte ich bereits einen neuen Hofmeiſter, es war der Sohn eines Dorfſchneiders, von dem ſeinem Vater getraͤumt hatte, er habe viel Kopf und muͤſſe, wenn er Theologie ſtudirte, einer der erſten Geiſtlichen im Lande werden. Adam Pelz war alſo auf Schulen und auf eine Univerſitaͤt geſchickt worden, hatte aber nichts gelernt, und ſich auch keine ſonderliche Muͤhe darum gegeben, ſondern die Zeit, in der er auf der Univerſitaͤt hauſte, in Bierhaͤuſern, Tanz - ſtuben und luͤderlichen Haͤuſern zugebracht. Der Vater konnte ihm zu Ausfuͤhrung dieſer luxurioͤſenL 3Lebens -166Lebensart nichts ſchicken, alſo mußte er auf andere Quellen denken, er fand dieſe in der Freigebigkeit reicher Studenten, zu deren Dienſten er zu allen Stunden war, um ihre luſtigen nnd verbothenen Streiche ausfuͤhren zu helfen. Allein er war zu plump, und machte es oft ſo, daß die Streiche herauskamen, wobei er immer die meiſte Strafe bekam, und zugleich verlohr er ſeinen ganzen Credit als Gelegenheitsmacher. Da er durch dieſe Wider - waͤrtigkeit auch um die genoſſenen Zulagen kam, machte er Anſchlaͤge aller Art, durch einen derſel - ben hatte er und einige andere ſeines Schlags einſt gute Beure gemacht, es kam aber heraus, er ward relegirt, und wanderte geradesweges der Hei - math zu.
Eben kam er an, als ich die Koſtſchule er - zaͤhltermaßen verlaſſen hatte; meine Mutter erklaͤrte da, daß ſie lieber wieder einen Hofmeiſter anneh - men wollte, weil ſie doch wohl einmal in ihrem Leben einen guten Menſchen bekommen wuͤrde. Als dieſes vor Georg Pelzen, Adams Vater, kam, ſiellte er ſich ein und empfahl ſeinen Sohn, den er nicht genug ruͤhmen konnte. Meine Mutter nahm ihn ohne Bedenken und um ſo lieber, da er der Sohn eines ihrer Unterthanen war, denn dieſer, meinte ſie, muͤſſe wohl nach ihrer Pfeife tanzen. Diesgeſchah167geſchah denn auch, doch er tanzte vielmehr nach meiner Pfeife, denn alles, was ich wollte, war auch ſein Wille, ja er machte mir abwechſelnde und noch nicht gekannte Freuden. So z. B. nahm er mich oft des Abends unter dem Vorwand, daß wir noch ein wenig friſche Luft genießen wollten, mit zu Bauermaͤgden, mit denen er in meinem Beiſein ganz frei und ungezwungen ſcherzte. Jch war nun ſchon im eilften Jahre, folglich konnte mir, was ich ſah und hoͤrte, ſchon ganz zum Unterricht die - nen, den ich auch mit Begierde aufnahm. Pelz war ſo gefaͤllig, fuͤr ein Maͤdchen ohngefaͤhr in meinen Jahren zu ſorgen, die immer bei unſern Abendgeſellſchaften war, und ich lernte den Genuß gerborgener Freuden bei ihr, ſo wie ſie bei mir die nehmliche Lection empfing. Pelz und ſeine Schoͤ - nen dienten uns zur Norm, wir ließen uns ge - genſeitig ungeſtoͤrt.
Unſere Lehrſtunden wurden nach dem Glauben meiner Mutter ſehr genau gehalten, eigentlich aber dachten wir mit keinem Worte an den Unterricht. Pelz fand, da er aufangs mit einigem Ernſt angrei - fen wollte, daß ich uͤber das, was er mit mir vor - nehmen wollte, weg war, und konnte nun nicht weiter. Jch ward ſeine Unwiſſenheit gewahr, und ſchraubte ihn daruͤber nicht ſchlecht; um Friede mitL 4mir168mir zu behalten, verlangte er alſo nichts von mir, was ich nicht ſelbſt vornehmen wollte. Er beſas einige Buͤcher, die meinen Beifall hatten, es waren obſcoͤne, ſchluͤpfrige Werke, dieſe nun wurden gele - ſen, und was ich nicht verſtand, erklaͤrte mir Pelz. Zuweilen wechſelte dieſe Lectuͤre mit einem Vademe - cum ab, und waren wir des Leſens uͤberdruͤßig, ſo ſpielten wir mit Karten, was ſich nur unter zweien ſpielen laͤßt, oder bereiteten etwas zu, womit auf den Abend jemand angefuͤhrt oder erſchreckt wer - den ſollte.
Bei ſo bewandten Umſtaͤnden konnte ich mir keinen beſſern Hofmeiſter wuͤnſchen. Meine Mutter war auch vollkommen mit ihm zufrieden, es ſchien ihr ſogar, als ob ich ſittiger und eingezogener wuͤr - de; die Wahrheit war aber, daß ich meine Streiche, da Pelz ſie ausfuͤhren half, mehr verheimlichen lernte, weil er mich dieſe Kunſt und die Nothwen - digkeit davon gelehrt hatte, und ich es begriff, man koͤnne ſich durch Behutſamkeit ungeſtoͤrter ergoͤtzen. Außerdem war Pelz gegen ſeine Prinzipalinn nicht der gefaͤlligſte, ſondern der unterworfenſte Menſch unter Gottes Sonne, ein Menſch, der neben dem Hofmeiſter den Bedienten, den Knecht, die Magd ſpielte, wenn und wie ſie es verlangte, ſich alle ihre Launen und Unhoͤflichkeiten gefallen ließ, undihr169ihr bei jeder Gelegenheit ſchmeichelte — ſie ſah es, wenn ſie alle dieſe Tugenden bedachte, fuͤr ein wah - res Gluͤck an, daß Georg Pelz einen Sohn hatte, der Studioſus war, und die Hofmeiſterſtelle bei mir uͤbernehmen konnte.
Die Freude hatte zehn Monate ununterbro - chen fortgedauert, und noch hatte ſich in dieſer Zeit Herr Pelz und ich, oder Herr Pelz und meine Mut - ter nicht ein einzigesmal veruneinigt, doch endlich ſchuͤrte der Boͤſe zu, und fuͤhrte Begebenheiten her, die mich um dieſen wuͤrdigen Menſchen brachten.
So gern oder ungern und doch immer ohne Weigerung mir auch meine Mutter Geld gab, wie oft ich es forderte, hatte ſie doch aus Gruͤnden, die der Leſer noch zu ſeiner Zeit kennen lernen ſoll, ſeit einiger Zeit an ſich halten gelernt. Sie gab mir zwar allemal, zog aber immer von der verlangten Summe etwas ab. Einigemal ward ich daruͤber ungeſtuͤm, und erzwang zwar, was ich wollte, ward aber deswegen bei Pelzen verklagt, dem die Mutter hinter meinen Ruͤcken geſagt hatte, er ſollte mir die Heftigkeit und den Eigenſinn gegen ſie abgewoͤh - nen, und mich gute Wirthſchaft lehren; wenn er das nicht thun wuͤrde, koͤnnte ſie ihn nicht behalten. Pelz ſagte es mir wieder; es waͤre doch, meinte er, nicht gut, wenn wir getrennt wuͤrden, da wir ſo gut miteinander170einander auskaͤmen, und wenn Sie es auch nicht zulaſſen wollten, ſetzte er hinzu, daß die Mamma mich wegthaͤte, ſo wuͤrde ſie doch immer boͤſe auf mich werden, wenn Sie ihr Urſache gaͤben, unzu - frieden zu ſein. Thun Sie mir alſo den Gefallen, immer mit dem vorwillen zu nehmen, was ſie Jh - nen giebt, und ſehen Sie lieber manchmal was im Stillen wegzukapern, ſo koͤnnen wir doch Spas genug haben. Dieſer Vorſchlag hatte viel Reiz fuͤr mich, weil er etwas verbotenes betraf, und ich da - bei Gelegenheit hatte, mich in der Schlauheit zu uͤben. Die Verſuche, welche ich von Stund an machte, meiner Mutter Geld zu entwenden, gluͤck - ten recht gut, und ich freute mich mit Pelzen un - endlich, wenn ſie ſich uͤber Diebſtahl beklagte, bald dieſen, bald jenen in Verdacht hatte, ſich vornahm aufzupaſſen, und auch mir den Auftrag gab.
Pelz nahm immer an meiner Caſſe Theil, denn nicht nur wendete er etwas davon auf Dinge, die ich verlangte, und auf Zeitvertreib nach meinem Sinn, ſondern er war auch der erſte Menſch, mit dem ichs wuͤrklich gut meinte, alſo durfte er einen zweiten Theil immer fuͤr ſich behalten. Er brauch - te es, der gute Pelz, denn ſeine Maͤdchen verlang - ten bald dies, bald jenes von ihm, weshalb er auchnicht171nicht dazu kommen konnte, etwas bei Seite zu legen.
Nun aber trat ein Umſtand ein, der es haupt - ſaͤchlich noͤthig machte, daß er auf eine anſehnliche Summe Geld dachte. Wider ſeinen Willen war ein Maͤdchen im Dorfe durch ihn dem Mutter - ſtande nahe gekommen, und wußte auf keinen an - dern zu bekennen. Seine Angſt, ſeit ſie ihm die - ſen fatalen Umſtand bekannt gemacht hatte, war unausſprechlich, er bath ſie himmelhoch, es zu ver - ſchweigen, und lieber das Dorf zu meiden. Dazu war ſie bereit, nur mußte Geld ſein, die Wochen zu halten und das Kind unterzubringen. Pelz hatte mich zu ſeinem Vertrauten in der Sache gemacht, und mir den Jammer, wenn er die Forderungen des Maͤdchens nicht erfuͤllen koͤnnte, aufs lebhafteſte geſchildert. Nach meiner Denkungsart, wo nichts, was andere betraf, mich ruͤhrte, haͤtte mir ſein Kummer eigentlich gleichguͤltig ſein, ja ich haͤtte mich vielmehr daruͤber freuen und der erſte ſein ſollen, der es ausgebreitet haͤtte. Allein Pelz beſaß nun einmal meine Gunſt, ich wollte ihn nicht gern entbehren, welches, wie er verſicherte, doch erfol - gen wuͤrde, weil er ſich auf und davon machte, wenn es an den Tag kaͤme. Dadurch nun waͤre ich um meinen Gehuͤlfen geheimer Freuden gekommen,welche172welche mir doch jetzt ſehr gefielen. Ueberhaupt fand ich etwas ſuͤßes in Verheimlichung uͤbler Streiche, und ſo verſprach ich Pelzen zu Gelde zu verhelfen, um das Maͤdchen fortzuſchaffen. Dabei warf ich einen Seitenblick auf die neue Gewalt, welche ich uͤber ihn bekommen wuͤrde, er ſollte mir dieſe wich - tige Gefaͤlligkeit, ſo wie meine Verſchwiegenheit durch alles, was mir nur zu verlangen einfallen koͤnnte, bezahlen.
Meine Mutter hatte eben eine gute Anzahl Louisd’or eingenommen, und dieſe vor meinen Au - gen in eine Chatoulle geſchloſſen, die immer unter ihrem Bette ſtand. Den erſten Abend nach dem Ver - ſprechen, welches ich Pelzen gethan hatte, ſah ich die Zeit ab, wo ſie einiger wirthſchaftlichen Ver - richtungen wegen im Hauſe herum zu ſchaffen hatte, ſchluͤpfte in das Schlafzimmer, und nahm hurtig die Chatonlle weg. Ungluͤcklicher Weiſe ſah mich das Kammermaͤdchen meiner Mutter heraus kom - men, aber es war faſt finſter, und ich ſuchte ihr zu entſchluͤpfen. Doch ſo ſehr ich eilen wollte, um geſchwind die Trepve zu erſteigen, konnte ich doch mit der ſchweren Chatoulle ſo leicht nicht laufen, als es ohne ſie geſchehen waͤre, das Maͤdchen hatte alſo Zeit mir nachzuſchleichen, doch konnte ſie nicht ſehen, was ich eigentlich trug, denn ich hatte zudieſer173dieſer Unternehmung den Schlafrock angezogen, und denſelben um das Kiſtchen geſchlagen. Pelz nahm es mir, als ich endlich unſer Zimmer erlangt hatte, hurtig ab, und ſchob es unter eins der Betten; aber alles, ſagte ich ganz laut, iſt nicht fuͤr Sie, ich muß auch einen Theil davon haben, es ſind viel Louisd’or und auch Silbergeld. Nun ja doch, ver - ſetzte Pelz, Sie ſollen davon haben, ſo viel Sie wollen, ſchreien Sie nur nicht ſo, und warten Sie, bis unten alles zu Bette iſt. Das Maͤdchen war bis an unſere Thuͤr nachgeſchlichen, und hatte alles ge - hoͤrt; laͤngſt muthmaßten die Leute im Hauſe, daß ich es waͤre, der das Geld, welches immer fehlte, abholte, es war alſo wichtig, die Wahrheit dieſer Vermuthung zu entdecken, um andere aus dem Verdacht zu bringen. Jette beſchloß aber, nach dem, was ſie gehoͤrt hatte, zu warten, bis wir geſpeiſt haͤtten, und wenn wir dann beim Zaͤhlen ſein wuͤr - den, wollte ſie meine Mutter rufen.
Wir genoſſen das Abendeſſen in voller Ruhe, empfiengen, als wir uns wegbegaben, den Wunſch einer guten Nacht aufs freundlichſte von meiner Frau Mamma, und eilten uͤber unſere Beſchaͤfti - gung her, ſobald wir nicht mehr gehen hoͤrten. Pelz brach die Chatonlle auf, und fand mit Entzuͤcken ſo viel, daß, wenn ich ihm auch nur die Haͤlfte ab -gaͤbe,174gaͤbe, er ſein Maͤdchen dadurch auf immer los wer - den koͤnnte. Wir ſprachen hieruͤber ein langes und breites, und das eben nicht ſehr leiſe. Gleich mor - gen fruͤh, ſagte Pelz, will ich Sabinen auszahlen, und ſie muß machen, daß — hier ward am Schloſſe der Thuͤr gedreht, wir hatten inwendig verriegelt, aber mit Ungeſtuͤm wurde die Thuͤr forcirt, der Riegel ſprang ab, und vor uns ſtand meine Mut - ter, welche von Jetten benachrichtigt und erſucht worden war, ſich ſelbſt zu uͤberfuͤhren.
Sie ſchrie diesmal nicht, fuhr nicht auf, ſon - dern bemaͤchtigte ſich des Geldes, wovon wir ſchon eine Parthie aufgezaͤhlt hatten, die ſie wieder in die Chatonlle warf. Dieſe nahm ſie in aller Ge - laſſenheit unter den Arm, und ſagte dann, ſich an Pelzen wendend: Nichtswuͤrdiger Kerl, dazu fuͤhrt er meinen Sohn an? morgen, daß ers nur weis, laß ich ihn ins Hundeloch ſtecken. Mit dieſem Verſprechen verließ ſie das Zimmer, rufte mich aber, da ſie ſchon die Treppe erreicht hatte, und ich gieng ohne alle Furcht nach, denn nun es einmal heraus war, beſchloß ich, den umſtaͤndlichern Bericht der Sache ſo abzuſtatten, daß ich ſchuldlos dabei ſchien. Dies geſchah denn auch, ganz unbefangen beglei - tete ich die Mutter in ihr Zimmer, und erzaͤhlte, wie Pelz mir zugeſetzt haͤtte, ihm das Geld zu ver -ſchaffen,175verſchaffen, wie er mich himmelhoch gebeten und ich durchaus nicht gewollt haͤtte. Aber da er mir keine Ruhe gelaſſen und mich verſichert haͤtte, was der Mutter gehoͤrte, waͤre auch mein, ſo haͤtte ich mich endlich uͤberreden laſſen. Eben ſo berichte - te ich, wozu Pelz das Geld anwenden wollte, und durch dieſe Neuigkeit gab ich meiner Mutter wieder gute Laune. Lachend rufte ſie das Kammermaͤdchen herein, welches bei dem Examen nicht zugegen ſein durfte, und erzaͤhlte ihr, daß Keils Sabine von Pelzen in geſegnete Umſtaͤnde verſetzt ſei. Dieſer Umſtand ward nachſichtsvoll fuͤr hinlaͤngliche Strafe erklaͤrt; denn nun, ſagte meine Mutter, kann er nimmermehr auf ein geiſtliches Amt rechnen, nun ſoll ſein Vater noch ſtolz ſein, daß er einen Ge - lehrten zum Sohn hat, er kann ihn jetzt ernaͤhren, denn wer wird denn einen ſo luͤderlichen Kerl neh - men? Aber ſo iſts, wie die Eltern, ſo die Kinder, es iſt am Alten auch nichts, es ſteckt ſchon in der Art. Bei dieſem Urtheil meiner Mutter zupfte ſich Jette an der Naſe, ſie ſtand ſo, daß es meine Mutter nicht ſehen konnte, ich aber bemerkte es, und ſagte: Mamma, Jette zupft ſich an der Naſe, was will ſie denn damit ſagen? Nichts in der Welt, ſagte das Maͤdchen, die Naſe juckte mich, und ich rieb ſie ein wenig.
Meine176Meine Mutter hatte einen Verfahrungsplan fuͤr den folgenden Tag gemacht, zu welchem es ge - hoͤrte, Jetten bei Gutem zu erhalten, ſie glaubte alſo ihre Entſchuldigung, und verſetzte: was haͤtte ſie denn auch ſonſt ſagen wollen, ſie ſelbſt hat keine Kinder, und auf mich kann ſie nicht zielen, denn ich gebe dir kein ſchlechtes Exempel. Sie wird ſich auch nicht unterſtehen, ſo was auf mich zu den - ken, denn bisdato iſt ſie vernuͤnftig — warte ſie, ich muß ihr doch ein Douceur geben, daß ſie mir meinen Dieb angezeigt und mir wieder zu meinem Geld geholfen hat — da — Aber du, Fritze, nimm ein Exempel, und laß dich nicht mehr verleiten — du lieber Gott, er hats aus Mitleiden gethan, ſolche Kinder verſtehens nicht beſſer, ſie wollen nur immer nach ihren guten Herzen handeln.
Nach dieſer Einleitung ward ich in ein Cabinet neben der Schlafſtube logirt, und dachte, da ich mich in das Bett legte, welches zuweilen ein guter Freund meiner Mutter einnahm, an Mariechen, meine kleine Schoͤne im Dorfe.
Am folgenden Morgen erklaͤrte ſichs, daß mein theurer Herr Hofmeiſter das Weite geſucht, und, um nicht leer zu gehen, nicht nur das Seinige mitgenommen hatte, ſondern auch alles, was mir gehoͤrte, und was er ſonſt von einigem Wertbhatte177hatte erhaſchen koͤnnen. Gewiſſermaßen war das meiner Mutter nicht ganz ſo unangenehm, als waͤ - ren ihr dieſe Dinge durch jemand anders entwendet worden, denn nun konnte ſie das Geſchrei uͤber den ſchlechten Menſchen, der ihrer Guͤte ſo uͤbel gelohnt haͤtte, verdoppeln, und von ſeinen Spitzbuͤbereien ſprechen, ohne mich ins Spiel zu bringen. Sie ließ ihn alles vorhergehende mit eigenen Haͤnden ge - mauſt, die Chatoulle ſelbſt weggetragen haben; dieſe Art des Vortrags hatte ſie ſich eben ſchon in der vorigen Nacht ausgeſonnen, darum ward Jette be - ſtochen, und nun kam ihr Pelzens weitere Verun - treuung nebſt ſeiner Flucht auch noch zu ſtatten.
Der Schneider Pelz und ſeine Frau waren un - troͤſtlich uͤber die ſchlechte Auffuͤhrung ihres Sohnes, den ſie nun auf immer als einen verlohrnen Men - ſchen anzuſehen hatten; eben ſo betruͤbt war es ihnen, daß vor dem ganzen Dorfe ihre Schande offenbar wurde, welches noch an demſelben Tage erfolgte, indem meine Mutter und Jette (die letzte blos Spaßes halber) auch Sabinens Schwanger - ſchaft von Adam Pelzen uͤberall frei und oͤffentlich erzaͤhlten.
Um den Jammer der Eltern dieſes letzten voll - kommen zu machen, drohte meine Mutter, einen Steckbrief nach ihm in die Zeitungen ſetzen zu2 r Theil. Mlaſſen,178laſſen, ließ ſich aber endlich bewegen, es dabei be - wenden zu laſſen, daß ſein Vater den Schaden er - ſetzte, als wozu ſich dieſer in der Angſt ſeines Her - zens erbot. Sie taxirte die mitgenommenen Sa - chen, berechnete das Geld, welches ich ihr vorher nach und nach geſtohlen hatte, wollte auch in der Chatoulle nicht alles wiedergefunden haben, was ſie enthalten haͤtte, und ſo entſtand eine Summe, an welcher der alte Pelz, der ſie nicht auf einmal geben konnte, viel Jahre abzutragen hatte.
Kaum acht Tage nach Adam Pelzens Deſer - tion, erſchien ganz unvermuthet und wuͤrklich zur Freude meiner Mutter, Herr Magiſter Confuſelius. Er war ſeit einiger Zeit Wittwer, da der Nachlaß ſeiner Frau in nichts beſtand als in den Waaren des Kramladens und etwas Hausgeraͤthe, und er ſich in den Handel nicht ſchicken konnte, ſo war er in kurzem um alles gekommen, hatte endlich auch das Hausgeraͤthe zugeſetzt, und wußte nun nicht was er anfangen ſollte. Lange war er uͤber unſern Aufenthalt unwiſſend geweſen, da er ihn endlich er - fahren hatte, hielt er dafuͤr, daß ers doch wenig - ſtens wagen koͤnnte, einen Beſuch bei meiner Mut - ter abzulegen, beſonders da ihn ein Fuhrmann, der dieſes Wegs zu reiſen hatte, mit auflud.
Der179Der Magiſter war nicht im erſten Augenblick willkommen, aber ſobald er erklaͤrt hatte, daß er der Feſſeln der Ehe los und ledia, und uͤbrigens ohne alle Anhaͤnglichkeit an ſeine Vaterſtadt ſei, entſtand die beſagte Freude meiner Mutter uͤber ſeine An - kunft. Sie beſchloß nehmlich den Augenblick, ihn mir zum Hofmeiſter zu geben, und vergaß gern alle ehemalige Uneinigkeit, ja ſie machte ihm das Com - pliment, daß ſie ihren Sohn in keine beſſere Auf - ſicht geben koͤnnte, als in die eines alten gepruͤf - ten Freundes ihres ſeligen Mannes. Sie wurden bald einig, denn auch Confuſelius war ſeelenver - gnuͤgt uͤber die gefundene Verſorgung.
Da alles zwiſchen ihm und meiner Mutter richtig war, hatte dieſe eine geheime Unterredung mit ihm, die ich behorchte, und in welcher ausge - macht wurde, daß keins von dem andern vergangene Dinge ausplaudern, und Confuſelius nichts davon gegen irgend jemand gedenken ſollte, wie weiland Suschen bei Johann Jacob Schnitzern als Magd diente. Sie hatte ſich in dieſer Gegend nach an - genommener Weiſe fuͤr eines preußiſchen Offiziers Tochter ausgegeben, und von ihrer Bekanntſchaft mit Schnitzern, woraus hernach die Heirath ent - ſtanden waͤre, eine beliebige Geſchichte erzaͤhlt; demM 2allen180allen nun ſollte der Magiſter nicht widerſprechen, und dafuͤr Herrentage genießen.
Die Contrahenten hielten ſich Wort, Confu - ſelius beſtaͤtigte zwar nicht, was ſeine Prinzipalinn ſagte, aber er entdeckte auch die eigentliche Wahr - heit nicht. Meine Mutter hingegen behandelte ihn in allen Stuͤcken ſehr rechtlich, und ließ ihm nichts abgehen. Null war gut gepflegt worden, weil er mich, der damals noch ein zarter Knabe war, auch außer der Gegenwart der Mutter haͤtſcheln ſollte; Lebrecht genoß das nehmliche, weil er ſich, wie ich ſchon bemerkt, in Achtung geſetzt hatte. Aber Pelz hatte nicht ſo viel Gluͤck und Ehre, er mußte gleich den uͤbrigen im Hauſe mit geringer Koſt vorwillen nehmen, und ſichs, ob er wohl an einem Tiſch mit uns ſpeiſte, nicht verdruͤßen laſſen, daß ihm etwas, wie es dem Geſinde eben angerichtet wurde, oder was gewaͤrmtes aufgetragen wurde, wenn meine Mutter und ich ein gutes Gericht hatten. An Wein, Thee, Kaffee u. d. gl. durfte er gar nicht denken. Confuſelius ward hingegen ſo gut, ja beſſer als die beiden erſten Hofmeiſter gehalten, wo - durch ſich meine Mutter ſeiner Discretion immer aufs neue verſichern wollte.
Was den zweiten Theil ihres Verſprechens ge - gen den Magiſter betraf, ſo haͤtte ſie eigentlichange -181angeloben ſollen, ſeine ehemaligen Begebenheiten gegen keinen Menſchen zu wiederholen, denn be - kannt hatte ſie ſelbige ſchon allen in der Nachbar - ſchaft gemacht, mit denen ſie Umgang hielt. So - bald ſie etwas ſpashaftes erzaͤhlen wollte, mußten die Abentheuer des Magiſter Confuſelius herhalten. Daher waren ſie auch mir vollkommen bekannt, und ſo ergoͤtzte ich mich nicht wenig, als dieſer trollige Mann mein Hofmeiſter wurde, weil ich an ihm ei - nen Gegenſtand meines Muthwillens gefunden zu haben hoffte, wie mir noch keiner eingegangen war.
Demohnerachtet machte ichs, ſo lange ich mit ihm im muͤtterlichen Hauſe war, gnaͤdig genug, und gab ihm wenig Urſache boͤſe zu ſein; beſonders da er meine Neckereien, wenn ſie nur halbweg er - traͤglich waren, nicht ruͤgte. Er hatte ſich vorge - nommen auszuhalten, und ſich nicht durch Aerger - niß uͤber mich an ſeinem Gedeihen zu ſchaden. Dem - nach ließ er mich meiſt machen was ich wollte, und ſuchte mich nur zuweilen durch gute Worte zum Empfang einiges Unterrichts, oder zu Unterlaſſung eines tollen Streichs zu bringen. Es gab Stun - den, wo ich das Studieren liebte, alſo that ich ihm, dieſen Punkt betreffend, den Willen, und machte dem alten Manne wuͤrkliches Vergnuͤgen dadurch. M 3Er182Er war es, der die Buͤcherſammlung meines Va - ters, die meine Mutter nicht veraͤußert hatte, aus der Vergeſſenheit rief; ſie enthtelt, wie ſich der Leſer erinnern wird, manches gute Werk, welches denn doch auch zuweilen an die Reihe kam. Wohl zog Confuſelius diejenigen Buͤcher vor, welche am meiſten nach ſeinem Geſchmack und durch ihn ge - waͤhlt worden waren; auch gab er ſich Muͤhe, meine Begriffe nach den ſeinigen zu bilden, da ich aber ſchon, ehe ich ihn kennen lernte, nicht aufs beſte von ſeinen Verſtandesgaben hatte urtheilen lernen, ſo halfen mir ſeine Erklaͤrungen und Darſtellungen nichts, auch nahm ich uͤberhaupt von dem, was er mir ſagte, kein Jota fuͤr richtig auf.
Mit Wonnegefuͤhl erblickte er bei dem Buͤcher - vorrath ſeine drei Theaterſtuͤcke, und trug ſie im Triumph in unſer Zimmer. Himmelhoch bat er mich, ſie zu leſen, und mich dabei im Deklamiren zu uͤben. Jch thats, wenn ich eben Luſt zu ſcher - zen hatte, die Deklamation, welche man denn von uns hoͤren konnte, haͤtte in der That jedem Hypo - chondriſten, wenn er eben in der finſterſten Laune waͤre, zum Geſundlachen dienen koͤnnen. Confuſe - lius konnte mir die Abwechſelung des Ausdrucks und die Mienen dabei nicht hart und naͤrriſch genug einlernen, ich triebs, wenn ich ihm nach -ahmte,183ahmte, immer noch weiter, er applaudirte dann, und wir wetteiferten in der Kunſt, die Gefuͤhle auszudruͤcken, ſo daß jeder, der uns gehoͤrt und zugleich geſehen haͤtte, uns wo nicht fuͤr raſend, doch fuͤr betrunken gehalten haben wuͤrde.
Der Mann, ſo wie er war und ich ihn nahm, war bald mein einziger Troſt und Schutz im Hauſe, und ward auch dadurch meiner Mutter um ſo werther, ward auch ihr Vertrauter. Wie das ge - kommen iſt, und wie die Herrntage faſt mit dem Tage, wo ich mein zwoͤlftes Jahr beſchloß, im muͤtterlichen Hauſe ihre Endſchaft erreicht hatten, ſoll der wertheſte Leſer im folgenden Abſchnitte das weitere erfahren.
Da dieſes Werk meinem Leben und Thaten ge - widmet iſt, und alle andere, die in ſelbigem vor - kommen, nur epiſodiſche Perſonen ſind, ſo darf mich der geehrte Leſer nicht des Egoismus beſchul - digen, weil ich im vorigen Abſchnitt nur von mir geſprochen, und meiner lieben Mutter nicht anders als im Verhaͤltniß gegen mich gedacht habe. Jch hingegen verdenke es ihm nicht, wenn er Verlangen traͤgt, von dieſer intereſſanten Dame und ihrem Verhalten in der neuen ſo honorigen Sphaͤre ge - nauer unterrichtet zu ſein, und will ſo eben dieſes Verlangen befriedigen.
Madam Schnitzer hatte, ſeit ſie Erb-Lehn - und Gerichtsfrau war, an Hochmuth nicht zuge - nommen, welches nicht moͤglich war, da ſie dieſe Tugend ſchon vorher im vollkommenſten Grade be - ſaß, aber es duͤnkte ihr, daß ſie in Berechtigungihn185ihn auszuuͤben gewonnen haͤtte. Dies ließ ſie denen, die das Gluͤck hatten ihre Unterthanen zu ſein, mit Nachdruck empfinden, gewiß hatten ſie noch keine Herrſchaft gehabt, die ihnen ſo aufmerkſam Reſpekt gelehrt, und ſie ſo von oben herab behandelt haͤtte. Sie machte zugleich die ſtrengſte Gerichtsfrau, und gab uͤberhaupt in allen Stuͤcken zu erkennen, daß ſie ſolches Volk der Milderung ihres Schickſals, wo das etwa noͤthig geweſen waͤre, der Schonung und Nachſicht nicht werth achtete. Der Gerichts - halter hatte ſonſt fuͤr ſtreng gegolten, jetzt aber war er der Bauern Schutz, und hatte vollauf zu thun, um der Gerichtsfrau begreiflich zu machen, daß dieſe Leute auch Menſchen waͤren und ihre Rechte haͤtten.
Demnach kam es bald dahin, daß ſie von allen Bewohnern des Dorfes aus Herzensgrund gehaßt wurde, daß es beſtaͤndig Streitigkeiten gab, und es zuweilen zu Zaͤnkereien zwiſchen ihnen und ihrer Gebietherinn kam, bei welchen die letzte ihre Wuͤrde vergaß, und ſich wie weiland Frau Suschen, oder vielmehr ſo betrug, wie ſie es von dem lermendſten Grenadierweibe in ihrer Jugend gehoͤrt hatte, ſie bewies dann, wie immer, daß ſie ſich die Staͤrke der Ausdruͤcke einer ſolchen Frau bei Gelegenheit ei - nes Streits ganz zu eigen gemacht hatte.
Eben186Eben ſo befliſſen war ſie, ſich in ihrer Nach - barſchaft Hochachtung zu erwerben. Es traf ſich, daß die Beſitzer der Guͤther, außer Reitmanns, rings umher zu dem vornehmen, beguͤtherten und ſtolzen Adel gehoͤrten, aber meine Mutter duͤnkte ſich ihnen jetzt ſchon meiſt gleich, und ihrem Ent - ſchluß nach, keinen andern als einen Edelmann zum zweiten Gatten zu waͤhlen, war ſie nahe dar - an, es ganz zu werden. Sie gab, da ſie auf ihrem Guthe eingerichtet war, Beſuche, ward angenom - men, und hielt ſich an jedem Orte uͤber die Gebuͤhr einer erſten Viſite auf, erhielt Gegenviſiten, die dagegen ſehr abgekuͤrzt waren, und nahm ſchon das, noch mehr aber das entfernende Betragen der adeli - chen Herrſchaften uͤbel. Dennoch uͤberwand ſie ihre Empfindlichkeit daruͤber ſowohl als ihre Neigung zur Sparſamkeit, und ſtellte ein maͤchtig großes Gaſtgeboth an, bei dem ſie alle ihre Herrlichkeiten zeigen wollte. Aber faſt alle ließen ſich entſchuldi - gen, nur ein Haus, welches wegen bisher obgewal - teter Grenzſtreitigkeiten Jntereſſe hatte, mit Madam Schnitzer in gutem Vernehmen zu ſtehen, erſchien, und aus einigen wollten junge Herren, die eben zu Hauſe waren, die Gelegenheit nicht vorbei laſſen, bei der Frau, die ſchon von allen Seiten in der Ge - gend bekannt war, Stoff zum Lachen zu ſammeln.
Meine187Meine Mutter gab ihnen denſelben reichlich, und das weil ſie hoffte, einer davon koͤnne leicht ihr kuͤnftiger Gemahl werden. Da ſie noch nicht wußte, welchen ſie waͤhlen, oder beſſer, welcher Einſicht und Geſchmack genug haben wuͤrde, als Liebhaber und Heirather bei ihr aufzutreten, ſo war ſie gegen alle ſehr artig, that alles, was ſie konnte, um ihre Herzen in Brand zu ſetzen, und war dieſen Tag von der beſten Laune; ſie ſpielte mehr als eine Rolle, alles was ſie von den weiblichen Mitgliedern des Soupee ſpirituel und von den Da - men, die ſie in den Baͤdern kennen lernte, geſehen hatte, ahmte ſie wechſelsweiſe gluͤcklich oder un - gluͤcklich nach, mitunter ſpielte ſie dann auch die ſanfts und empfindſame Heldinn aus Buſchens ihr einſt geſchenkten Roman.
Somit gab ſie wirklich ihren Gaͤſten ein belu - ſtigendes Schauſpiel, die jungen Herren uͤbernah - men, um ihm noch mehr Lebhaftigkeit zu geben, jeder eine Rolle dabei, und Madam Suschen wei - dete ſich einige Zeit nachher in dem Wahn, daß ſie alle verliebt in ſie waͤren, und es wohl leicht noch zum Blutvergießen ihrentwegen kommen wuͤr - de. Jn dieſer feſtgefaßten Meinung raͤſonnirte ſie nur auf diejenigen Haͤuſer, aus denen niemand bei ihrem Diner erſchienen war, welche keine Soͤhnehatten;188hatten; jene, deren edle Sproͤßlinge bei ihrer Fete geweſen waren, wurden jetzt geſchont, und ihr Außenbleiben entſchuldigt. Sie hielt das fuͤr billig, da ſie doch die Schwiegertochter eines derſelben werden wuͤrde; ſie ihrer Seits war dazu feſt ent - ſchloſſen, denn gnaͤdige Frau, oder gar Graͤfinn wollte ſie nun einmal heißen, und Baron Treff gab doch noch zur Zeit nicht die geringſte Nach - richt von ſich. Hieruͤber haͤtte ſie ſich mitunter ein wenig gebaͤrmt, wenn ſie nicht ſchon in dortiger Gegend Erſatz gefunden haͤtte, da nun noch dazu die beſagten jungen Herren bei ihr geweſen und ge - wetteiſert hatten, ihr den Hof zu machen, achtete ſie des Windbeutels, wie ſie ihn nun nannte, nicht weiter.
Sie glaubte ihrer gemachten Eroberungen ſo ſicher zu ſein, daß ſie einen Officier von der Gar - niſon der naͤchſten Stadt nur noch ſo mit unter laufen ließ, obwohl er ſchon ziemliche Fortſchritte in ihrer Gunſt gemacht hatte. Herr von Flatter - ſeld, eben dieſer junge Officier, war ein lockerer Finke, hatte anſehnliche Schulden, und ſuchte eine Fortune, um ſich Luft zu ſchaffen und fortjubeln zu koͤnnen. Er hatte meine Mutter nicht ſobald kennen lernen, und ihre gute Verfaſſung erfahren, als er ihre Bekanntſchaft ſuchte, und dann auchbald189bald die zarten Triebe ſeiner ihr geweihten Bruſt an den Tag legte. Der junge Herr war noch huͤb - ſcher und munterer als Treff, er liebte wie dieſer das Spiel, er both ſogar, ohne irgend Verpflich - tungen zu haben, wie es beim Baron Treff der Fall war, ſein Reſtchen Kredit auf, um ſich bei Madam Schnitzer durch gut ausgeſuchte Geſchenke ange - nehm zu machen. Das alles verdiente ihre Auf - merkſamkeit, Lieutenant Flatterfeld ward auch bald zum Hausfreund angenommen, und blieb ſehr oft uͤber Nacht in unſerm Hauſe, wo er nahe genug bei Madam Schnitzer logirte, um auch des Nachts, wenn was vorfallen ſollte, als thaͤtiger Freund bei der Hand zu ſein.
Dieſe ſo weit gehende Vertraulichkeit hinderte ſie aber nicht, Flatterfelden aus ihrem Herzen zu verweiſen, als die bemeldeten Grafen und Barons bei ihr geſpeißt hatten; denn nicht nur waren ſie auch huͤbſch und galant, ja ſie zeigten mehr große Welt, als der Lieutenant, ſondern ſie hatten einſt Vermoͤgen und, wie man ihr ſagte, die erſten Po - ſten zu erwarten. Flatterfeld, der bei dem großen Mittagsmahl zugegen war, bemerkte den Abbruch, welchen ihm dieſe jungen Leute thaten, mit Ver - druß, nicht daß er gefuͤrchtet haͤtte, ſie moͤchten den einigen aͤhnliche Abſichten haben, er hatte vielmehrgeſehen,190geſehen, daß ſie mit Madam Suschen ein bloßes Spottſpiel trieben, und ſagte ihr dies noch am nehmlichen Abend. Sie hielt es aber fuͤr die Sprache der Eiferſucht und lachte ihren bisherigen Liebhaber aus. Dies nun war es, was ihn aͤrgerte, es war ihm verdruͤßlich, ſich durch ſeine Umſtaͤnde zur Bewerbung um eine Frau, die andre zum be - ſten hatten, und ſich dazu zum muͤhſamen Gegen - arbeiter bei der Stoͤrung des guten Vernehmens mit derſelben, gezwungen zu ſehen. Wohl hatte er bereits ſo ziemlich Fuß bei ihr gefaßt, er konnte fordern, und that es auch. Wenn gleich meine Mutter nicht zu den Weibern gehoͤrte, welche fuͤr Schonung eines Liebhabers, den ſie wegen eines neuen Gegenſtands abſetzen, ſorgen zu muͤſſen glauben, ſondern dafuͤr hielt, daß ihre Reize, ihr Geiſt und ihr Vermoͤgen, alles, was man von ihr ſagen koͤnnte, uͤberſtimmte, (worinnen ſie, beſon - ders den letzten Punkt betreffend, nicht ganz in irriger Meinung war,) ſo wollte ſie doch den Lieu - tenant nicht allzuſehr aufbringen, ſondern erlaubte ihm noch weiter bei ihr wie zu Hauſe zu thun, wel - ches, wie ſie meinte, von ſelbſt wegfallen muͤſſe, ſobald ſie ſich fuͤr einen ihrer liebenswuͤrdigen Nach - barn erklaͤren wuͤrde.
Daß191Daß bei ſo bewandten Umſtaͤnden Nachbar Reitmann fuͤr ſeinen Sohn ſchlechte Hoffnung hatte, iſt ganz einleuchtend, der junge Mann, welcher die Oekonomie an mehrern Orten gelernt, und deshalb bisher nicht zu Hauſe geweſen war, hatte ſich ei - nige Monate nach unſerer Ankunft dort eingefun - den, und war von ſeinem Vater bei uns vorgeſtellt worden. Allein da war auch ſchon die Bekannt - ſchaft mit Flatterfelden gemacht, alſo ward er nicht ſonderlich in Betrachtung gezogen, obwohl ihn eine minder ehrliebende Frau dem Lieutenant vorgezogen haͤtte, weil er verſtaͤndig und geſetzt war, ſo wie er auch recht gute Sitten beſaß. Sein Vater ließ, um des anſcheinenden Vorzugs willen, den Lieute - nant Flatterfeld genoß, die Hoffnung noch nicht fin - ken; da er andere nach ſich beurtheilte, ſo glaubte er, meine Mutter werde von dieſem fluͤchtigen Men - ſchen zuruͤckkommen, wenn ſie erfuͤhre, daß er in Schulden bis uͤber die Ohren ſteckte; (welches er ihr ſelbſt naͤchſtens nebſt allen Beweiſen der Wahr - heit vor Augen legen wollte,) und dann werde ſie ſeinen Sohn, der doch ein ordentlicher Menſch waͤre, auch mit der Zeit von ihm etwas zu hoffen haͤtte, gern vorziehen. Jn dieſer Meinung nun benahm er ſich immer weg als traulicher Freund, ſendete oft Geſchenke, und hat uns zu Gaſte, wel -ches192ches alles angenommen wurde. Meine Mutter konnte es wohl merken, daß man in dieſem Hauſe Abſichten auf ſie hatte, noch aber war hieruͤber nichts geſprochen worden, ſie wollte einen Antrag abwarten, um ihn mit Geringſchaͤtzung zuruͤck zu weiſen. Dieſes wuͤrde ihr Spaß gemacht haben, um ſich nicht darum zu bringen, war ſie im Bei - ſein der Reitmanniſchen Familie mit dem Lieute - nant etwas zuruͤckhaltend, und that dagegen freund - lich mit dem Sohn deſſelben. Sein Vater ward dadurch auch wuͤrklich verfuͤhrt, das Gluͤck ſeines Sohnes fuͤr gewiß zu halten, und hatte mit dieſem manchen Zank uͤber die Kaͤlte, welche er fuͤr Madam Schnitzer in ſeinem Herzen bemerkte.
Die Verſtellung der letzten in Anſchung die - ſes jungen Mannes hoͤrte aber gaͤnzlich auf, als ſie die Hoffnung faßte, ſich mit einem der großen Haͤu - ſer aus der Gegend zu alliiren. Sie war nun nicht mehr Meiſterinn des Stolzes, der da in ihr tobte, er machte ſie uͤberhaupt unbiegſamer und groͤber ge - gen alles, was nicht Graf oder Baron war, als jemals, und wenn Flatterfeld, wie wir geſehen ha - ben, um vieles weniger geachtet war, ſo uͤbte ſie gegen Reitmann die ausgezeichnetſte Verachtung aus. Eben ſo kalt ward ſie gegen ſeine Eltern, ihr Beſuch wurde einigemal abgewieſen, und Ein -ladungen193ladungen nahm ſie nicht an. Der junge Reitmann lachte dazu, ſein Vater brummte, und die Mut - ter ſchimpfte.
Doch jetzt kam die Zeit, wo ſie an meiner lie - ben Mamma, ohne irgend ſelbſt hierzu etwas un - ternommen zu haben, geraͤcht wurden, und dieſe er - fuhr eine Menge der bitterſten Kraͤnkungen.
Zufoͤrderſt will es noͤthig ſein, den Leſer von der Unart der mehr erwaͤhnten vornehmen Juͤnglinge zu unterrichten. Dieſe hatten, wie wir wiſſen zwar die mit meiner Mutter aufgefuͤhrte Comoͤdie, als Veraͤnderung auf dem Lande, nicht uͤbel gefun - den, aber es fielen andere Zerſtreuungen vor, die ſie abhielten, an die Wiederholung des Stuͤcks zu denken. Madam Schnitzer putzte ſich vergebens 10 oder 14 Tage hinter einander mit aller Sorg - falt, indem ſie ihre vermeinten Verehrer taͤglich erwartete. Eben ſo umſonſt hoffte ſie auf Gegen - einladungen von den Eltern dieſer Herren, und bei dem allen fiel es ihr nicht ſelten ein, das, was Lieu - tenant Flatterfeld von dem Spott der letzten geſagt hatte, nicht mehr fuͤr bloße Aufbuͤrdung zu halten. Doch lange verbannte ſie dieſen Argwohn wieder, und veruneinigte ſie oft daruͤber mit Flatterfelden, wenn er ſein Lied in dieſer Weiſe wieder anhob, ſie ein wenig ſchrauhte, und ihr ſchuld gab, daß ſie2 r Theil. Nſich194ſich in Erwartung des Barons und des Grafen ſo elegant kleidete, welches ſie doch nicht Wort ha - ben wollte.
Es erklaͤrte ſich aber leider, daß der Lieutenant vollkommen recht hatte, denn ſiehe da, die Herren, auf deren Zuruͤckkunft Suschen ſo lange vergebens geharret hatte, reiſten ab, ohne nur noch einmal nach ihr zu fragen. Nicht wenig ſchmerzte dies ihr zaͤrtliches und hochſtrebendes Herz, und der Schmerz ward groͤßer, da ſie erkundet hatte, daß dieſer an dem Hof, jener bei einem Geſandſchafts - poſten u. ſ. w. angeſtellt ſei. Doch der Jammer uͤber zu Waſſer gewordene Einbildung verwandelte ſich bald in Wuth und bittere Galle, die ſie an den Eltern und Verwandten der Verbrecher ausließ. Dieſe hatten ſie nicht wieder bitten laſſen, und wichen ihr, wenn ſich ohngefaͤhre Zuſammenkunft traf, gefliſſentlich aus; es war billig, daß meine Mutter fuͤr eine ſolche Geringſchaͤtzung nach allen ihren Faͤhigkeiten auf ſie laͤſterte, und alle Bruch - ſtuͤcke von dem, was ſie hin und her, die Umſtaͤn - de, ſo wie die Moralgeſchichte dieſer Haͤuſer be - treffend, erfahren hatte, ſammelte, um ſie nun vermehrt und verbeſſert aufs neue auszugeben. Jn dieſes vortreffliche Werk wurden auch andere Haͤu - ſer, welche zwar keine Soͤhne hatten, von denenMadam195Madam Schnitzer beleidigt war, die ſich aber doch auch unnachbarlich betrugen, eingeſchaltet, ſie ſammtlich, Herren, Frauen und Fraͤuleins, von den letzten am meiſten die huͤbſchen, gaben uͤber - fluͤßigen Stoff zu mehrern Baͤnden des Werks, oder vielmehr zu einem unverſiegenden Journal.
Jndeſſen meine Mutter dieſes Geſchaͤft mit aller Thaͤtigkeit trieb, trafen auch ſie abermals neue Widerwaͤrtigkeiten, welche denn jenen allen hingegen neuen Stoff zu lachen gaben. Nachdem ſie nicht mehr zweifeln konnte, daß ihre vermeinten Verehrer untreue Boͤſewichter oder wenigſtens Flat - terhaͤnſe waren, bei denen die Eindruͤcke der Liebe hald wieder verſchwaͤnden, kehrte ſie voͤllig zu ihrem Lieutenant zuruͤck, und hatte ſich vorgenommen, ſich naͤchſtens mit ihm zu verbinden. Allein auch hier mußte ſie einen ungeglaubten Fehlſchlag erfah - ren. Etwa drei Wochen nach der Abreiſe jener Herren erklaͤrte auch er, daß er Urlaub habe, um ſeine in einer andern Provinz wohnenden Verwand - ten zu beſuchen.
Nach Suschens Meinung haͤtte er das verſchie - ben koͤnnen, bis ſie ſeine Gemahlinn ſein wuͤrde, und mitreiſen koͤnnte; da er dies nicht fuͤr gut be - fand, haͤtte er wenigſtens oͤffentlich in der Wuͤrde ihres Verlobten abreiſen ſollen. Sie ſagte ihmN 2das196das geradezu, und wollte auf Erklaͤrung ihrer mit ihm vorhabenden Heirath beſtehen; allein Flatter - feld, welcher noch nie beſtimmt mit ihr daruͤber geſprochen, obwohl er zuweilen die Miene ange - nommen hatte, als machte er Anſpruͤche auf ihre Hand, entſchuldigte ſich, ſo gut es ihm moͤglich war, ohne ihr eben die Hoffnung ganz zu beneh - men, daß er ſie nebſt ihrem Ritterguthe bei ſeiner Zuruͤckkunft in Beſitz nehmen wollte. Er wuͤrde ſich ohne Zweifel hierzu entſchloſſen haben, und waͤre von den boͤſen Menſchen, die Bezahlung von ihm verlangen zu koͤnnen meinten, in dieſes ſuͤße Ehejoch getrieben worden, wenn ihn nicht eine reiche Erb - ſchaft ſeiner Eltern, deren einziger Sohn er war, in eine ganz andere Lage verſetzt haͤtte; ſie hatten ihm dieſen gluͤcklichen Vorfall verheimlichet, als ſie ihn zu ſich beriefen, und uͤberraſchten ihn erſt bei ſeiner Ankunft damit.
Sie bezahlten, da ſie es nun konnten, ſeine Schulden, ließen ihn den Abſchied nehmen, gaben ihm eines der neuererbten Guͤther, und uͤberließen ihm die Wahl einer Gattinn, wozu er ein huͤbſches Fraͤulein aus ſeiner Eltern Nachbarſchaft erwaͤhlte. Umſonſt hatte Madam Schnitzer einen Monat und laͤnger auf Briefe von ihrem eingebildeten Braͤuti - gam gehofft, an deren Statt erfuhr ſie durch an -dere,197dere, daß ſein Vater alle Schulden uͤbernommen haͤtte, und ſie ſofort bezahlen wollte. Noch keine Treuloſigkeit ahndend, freute ſie ſich dieſes Umſtan - des, und noch mehr der damit verbundenen Nach - richt der eingelaufenen großen Erbſchaft. Sie be - kam nun ihres Beduͤnkens nicht nur einen adlichen, jungen und huͤbſchen, ſondern auch einen reichen Mann, woruͤber ſie die ſtolzen Herrſchaften in der Gegend nicht wenig beneiden wuͤrden. Sie hoffte, Flatterfeld wolle ſich nicht erſt in Briefwechſel ein - laſſen, ſondern ſelbſt, ehe ſie es ſich verſaͤhe, erſchei - nen, und ſie mit der ausfuͤhrlichen Erzaͤhlung ſeines jetzigen gluͤcklichen Zuſtandes erfreuen; daß es ganz anders kommen koͤnnte, duͤnkte ihr, da der Lieute - nant in ſolcher Vertraulichkeit mit ihr gelebt, und ſie ihm anſehnliche Geldvorſchuͤſſe gethan hatte, nicht wahrſcheinlich. Jn dieſer Ueberlegung beſchloß ſie endlich, nicht bis zu ſeiner Zuruͤckkunft zu war - ten, ſondern ſelbſt an ihn zu ſchreiben, ihn wegen ſeines Stillſchweigens ein wenig auszuſchelten, und um Beſtaͤtigung der erfreulichen Nachrichten zu bitten, die ſie mit einiger Kraͤnkung bisher nur durch andere erfahren haͤtte.
Dieſe Beſtaͤtigung kam, Flatterfeld berichtete ihr ſehr ausfuͤhrlich, was vorgefallen ſei und noch bevorſtuͤnde, und ſo erhielt ſie auch den Bericht,N 3daß198daß er bereits mit einem Fraͤulein, die ihm von Kindheit auf zur Frau zugedacht geweſen waͤre, foͤrmlich verlobt ſei. Weiter beſagte dieſes Schrei - ben, daß er in die Garniſon zuruͤckkommen werde, um von da aus den Abſchied nachzuſuchen und ihn da abzuwarten; ſo koͤnnte er denn noch die Ehre haben Madam Schnitzer zu ſehen, und ſich fuͤr ihre ihm erwieſene Freundſchaft, der er ſich ferner be - ſtens empfoͤhle, zu bedanken.
Man uͤberlege ſich, wie bei dieſem Brief Sus - chens Empfindungen ohngefaͤhr ſein konnten. Zit - tern und Entſetzen, Beben und Wuth uͤberfiel ſie, aber mitten durch dieſe Folterer brach der Ent - ſchluß, Einſpruch zu thun, hieß ſie weichen, und quartirte ſich mit der Standhaftigkeit und der Hoff - nung zu ſiegen an ihrer Statt in Suschens Koͤpf und Herzen ein. Ohne ſich laͤnger zu beſinnen, ließ ſie anſpannen und fuhr in die Stadt zu einem Rechtsgelehrten, von dem ſie gehoͤrt, er haͤtte noch keinen Prozeß verlohren und koͤnne alles durch - ſetzen.
Herr D. Siegmund ließ ſich ihr Anliegen vor - tragen, und fragte nach dem ſchriftlichen Ehever - ſprechen? Dies war nicht aufzuweiſen, ja nicht ein - mal war ein ſolches Verſprechen muͤndlich mit ge - hoͤriger Deutlichkeit vorgefallen. Was ſie nun auchvor -199vorbrachte, um zu beweiſen, es ſei die Rede vom Heirathen zwiſchen ihr und dem Lieutenant geweſen, ſo hielt es Doctor Siegmund fuͤr nichts ſagend. Sie lenkte, als ſie das hoͤrte, ein, und wollte ſich auf einmal beſonnen haben, daß Flatterfeld ihr noch bei der letzten Zuſammenkunft geſagt haͤtte, wenn ich zuruͤckkomme, heirathen wir uns, welches ſie denn verſprochen und worauf der Handſchlag erfolgt ſei; zugleich erbot ſie ſich, dieſe Ausſage erforder - lichen Falls zu beſchwoͤren. Doch der Doctor, wel - cher dieſelbe, ohne eben in der Kunſt zu errathen Meiſter zu ſein, fuͤr Unwahrheit erkennen mußte, meinte, daß ihr auch dieſes bei der gehoͤrigen Pruͤ - fung nichts helfen koͤnnte, und erklaͤrte uͤberhaupt, daß er die Sache nicht uͤbernehmen koͤnnte. Sie verließ ihn ziemlich kurz, und mit herabgeſpannte, Meinung von ſeinen Talenten, wollte es auch nach der Zeit niemals zugeben, daß D. Siegmund ein geſchickter und unternehmender Advokat ſei.
Von ihm begab ſie ſich zu einem Herrn, wel - cher ihre Sache ganz anders einſahe, und allerdings fand, daß ſie das gegruͤndetſte Recht haͤtte, Einſpruch zu thun, weshalb er ihr auch rieth, es nicht zu ver - ſchieben, und ſogleich Jnſtruction von allem nahm, worauf ſie die Erfindung wegen des dentlichen Ehe - verloͤbniſſes beim Abſchied ausfuͤhrlich und haupt -N 4ſaͤchlich200ſaͤchlich zum Grunde legte. Lungerhart war ſehr vergnuͤgt, daß er einen Prozeß von Madam Schnitzer unter die Hand bekam, er nahm ſich vor, ihn nicht ſo anzufangen, daß er ſonica gewonnen waͤre, wenn ſie auch wuͤrklich recht haben ſollte, in welchem Fall auch dem Lieutenant Flatterfeld, wenn er wie - derkaͤme, zu verſtehen gegeben werden koͤnnte, er ſei ein Mann, der ſich behandeln ließ. Bis dahin verſicherte er indeſſen ſeiner Frau Klientinn, daß er ihr treu und eifrig dienen, und ſie ſich des beſten Erfolgs, wenigſtens eines anſehnlichen Abtrittsgel - des verſehen koͤnnte, im Fall ſich ſonſt nichts aus - richten ließ.
Sie trat ihren Ruͤckweg ſehr vergnuͤgt und im Vorgenuß der Rache an, aber ehe ſie zu Hauſe an - langte, hatte ſie ſich die Sache anders uͤberlegt. Sie begann zu finden, daß es einer Frau, wie ſie waͤre, der es an Parthien nicht fehlen koͤnnte, nicht eben zur Ehre gereichen wuͤrde, wenn ſie Prozeß um einen Mann fuͤhrte; lieber wollte ſie, um den Herrn von Flatterfeld zu beſchaͤmen, oder ihm zu trotzen, ſobald als moͤglich zu einer andern Wahl ſchreiten; um nun nicht erſt auf Gelegenheit dazu warten zu duͤrfen, beſchloß ſie, dem jungen Reit - mann, doch unter der Bedingung, daß er ſich adeln ließ, Gehoͤr zu geben. Nach dieſer geaͤnderten Ue -berlegung201berlegung berichtete ſie am andern Morgen Herrn Lungerhart, daß ſie beſchloſſen haͤtte, nicht Ein - ſpruch zu thun, ihm aber vielleicht auftragen wuͤr - de, den Lieutenant wegen der ihr ſchuldigen Geld - ſummen zu verklagen. Lungerhart hatte von ihr ſelbſt gehoͤrt, daß ſie auch hieruͤber nichts ſchrift - liches aufzuweiſen haͤtte, ſah alſo, daß die Sache, wenn Flatterfeld nicht ehrlich ſein wollte, mißlich ſei, er uͤberlegte nebenbei, daß der Lieutenant beſſer unter vier Augen, wenigſtens fuͤr ihn zu gewinnen waͤre; alſo ließ er ſich nicht aufs Warten mit Madam Schnitzer ein. Dieſe hatte den Bothen, welcher ihre geaͤnderte Entſchließung zu ihm tragen mußte, den Morgen nach ihrer Zuruͤckkunft ſehr fruͤh abgeſchickt; Lungerhart fand aber fuͤr gut, ihn mit dem Beſcheid abfertigen zu laſſen, daß Ma - dam Lungerhart den Brief in Abweſenheit ihres Mannes empfaugen, und ihm denſelben uͤberliefern wollte, wenn er dieſen Abend nach Hauſe kaͤme, wo denn ein Bothe, der etwa wieder in die Stadt kaͤme, nach Antwort anfragen koͤnnte. Einige Tage darauf lief dieſe Antwort ein, nach welcher der exacte Mann Lungerhart ſich noch den Abend, da Madam Schnitzer ihn verlaſſen, uͤber die Sache hergemacht, und ſie am Morgen darauf ſeinem Schreiber uͤbergeben hatte, Solchemnach erfolgtedie202die jetzt unnoͤthige, ſehr gut abgeſchriebene Klage in Natura, und naͤchſt ihr eine Liquidation uͤber die gehabte Unterredung, uͤber die Muͤhe bei Ab - faſſung der Klage, und uͤber die Schreibegebuͤh - ren. — Jch habe, ſo oft ich meine Mutter von dieſer Finte des Herrn Advokat Lungerhart, die ſie Schnellerei nannte, erzaͤhlen hoͤrte, den Erfinder gelobt, und ihn jederzeit fuͤr einen Mann gehalten, der nichts ganz verloren gab, ſondern von allem, was einmal in ſeine juriſtiſchen Haͤnde fiel, den immer moͤglichen Nutzen zog. Das iſt billig, man nahe ſich keinem Diener der goͤttlichen Themis in der Abſicht, ihren Altaͤren ein Opfer zu bringen, und glaube dann dies Opfer wieder zuruͤcknehmen zu koͤnnen, wenigſtens muß dann doch etwas da - von abgeliefert werden, wenn wir auch den Schutz dieſer Goͤttinn nun nicht mehr noͤthig zu haben glauben.
Sobald mit Advokat Lungerharten alles be - richtigt war, vergaß Madam Schnitzer den treulo - ſen Flatterfeld, oder dachte wenigſtens nicht anders an ihn, als bei Gelegenheiten, wo ſie ihre bisheri - gen Ausgaben uͤberrechnete. Da verwuͤnſchte ſie ihn aber blos, und ſtudierte allemal aufs neue auf den kraͤftigen Brief, welchen ſie ihm ſchreiben wollte, ſobald ſie ſeine Ankunft in der Stadt erfahren ha -ben203ben wuͤrde. Sie machte eine Rechnung der ihm ge - gebenen Summen, und nahm ſich vor, ihm zu dro - hen, daß ſie ihm weit und breit Schande machen wollte, wenn er ſie nicht von Heller zu Pfennig, ja mit gehoͤrigen Zinſen bezahlen wuͤrde. Demohner - achtet war ihr zuweilen bange, daß Herr von Flat - terfeld ſich an nichts kehren, ſich wenigſtens lange zu dieſer Bezahlung wuͤrde noͤthigen laſſen, und dieſe boͤſe Ahndung gab ihr ſehr uͤble Laune. Um dies Kapital, wenn es verlohren ſein ſollte, wieder zu erſetzen, nahm ſie bei den Beduͤrfniſſen des Hau - ſes an Sparſamkeit zu, und brach auch ſogar mir, wie ich im vorigen Abſchnitt geſagt habe, ab, wenn ich mir Geld holte.
Herr von Flatterfeld war billiger, als ſie ihm zugetraut hatte, er dachte unerinnert an Bezahlung fuͤr meine Mutter, ſie bekam dieſelbe eher, als er ſelbſt ankam, und ſomit hatte er ſich aller Unter - haltung mit ihr ledig gemacht. Sie hatte alſo nicht Gelegenheit, ihren ſtarken Brief anzubringen, um aber doch ihrem Herzen einige Erleichterung zu ge - ben, ſchrieb ſie dem Lieutenant bei Ueberſendung der verlangten Quittung einen empfindlichen Brief voll Vorwuͤrfe und Hohn, welches ſich in demſelben abwechſelte.
Flatter -204Flatterfeld war froh, damit abzukommen, er lachte dazu, und weil er jetzt beſchloſſen hatte, ein dem Scheine nach ſehr eingezogenes und rechtliches Leben zu fuͤhren, ohne ſich darum gaͤnzlich zu ent - thieren, ſo gab er einſt ſpaͤt am Abend unvermuthet einen Beſuch incognito bei ſeiner verabſchiedeten Geliebten. Obwohl er eben ſo verborgen wieder abreiſte, als es kaum Tag war, war Madam Schnitzer doch in der kurzen Zeit, die ſie, um ſich zu verſtaͤndigen, hatten, ſo vollkommen mit ihm verſoͤhnt, daß ſie nun wenigſtens auf ihn nicht mehr zuͤrnte, wogegen ſie aber ſeiner kuͤnftigen Gemahlinn und ſeiner Eltern, die ihn zu dieſer Verbindung zwaͤngen, deſto feindſeliger gedachte.
Uebrigens war es jetzt, wie wir ſchon wiſſen, der junge Reitmann, dem ſie ihre ſchaͤtzbare Patſch - hand geben wollte; ſie konnte nicht anders glauben, als daß man ſichs zur groͤßten Ehre ſchaͤtzen wuͤrde, weil das gute Vernehmen zwiſchen ihr und dieſem Hauſe wieder hergeſtellt war. Dies erfolgte, als der Lieutenant von Flatterfeld auf Urlaub abgereiſt war, und das ohne erklaͤrter Braͤutigam meiner Mutter zu ſein. Vater Reitmann glaubte, nun ſei es die hoͤchſte Zeit, fuͤr ſeinen Sohn Heinrich zu arbeiten, und das Eiſen zu ſchmieden, weil Flat - terfeld außen war; wie er denn ſogleich anfangenwollte,205wollte, ihn nach allen ſeinen, in des Alten Au - gen unausſprechlich ſchlimmen Eigenſchaften zu ſchildern.
So wichtig ihm dieſelben ſchienen, um Ma - dam Schnitzer von einer Verbindung mit ihm ab - zuhalten, ſo leicht hingegen vergab er ihr alles, was ſie ſich bisher hatte zu Schulden kommen laſſen, ob - gleich ſeine Frau und Toͤchter ihn ſehr oft und aus - fuͤhrlich davon unterhalten hatten. Was hatte es ſeiner Meinung nach zu ſagen, daß Frau Suschen in den Augen der ganzen Nachbarſchaft eine ver - buhlte, ſchmaͤhſuͤchtige, ſtolze und laͤcherliche Thoͤrinn war, ſie hatte Geld, und war im Grunde eine ge - naue Wirthinn; zwei Eigenſchaften, die nach ſei - nem Gefuͤhl jene Fehler ganz wegwoͤgen, und bei denen ſein aͤlteſter Sohn geborgen ſein wuͤrde.
Dieſer ſagte wenig dazu, wenn ſein Vater ihm Vorſtellungen von der Art machte, noch kam ihm ſogar die ſichtbare Abneigung meiner Mutter von einer Heirath mit ihm zu ſtatten, er glaubte, dies wuͤrde ihn immer vor der Nothwendigkeit, ſich den Wuͤnſchen ſeines Vaters gaͤnzlich widerſetzen zu muͤſſen, ſchuͤtzen. Daher er bisher, wenn dieſer geſchmaͤlt hatte, daß er ſich ſo ganz leidend verhielt und ſich nicht im geringſten um die Schnitzerinn bewuͤrbe, immer mit der Endſchuldigung abgekom -men206men war, daß es vergebens ſein wuͤrde, und er ſich doch nicht gern oͤffentlich einen Korb holen wollte.
Aber ſeine Plage und die Bemuͤhuͤng des Alten um meiner Mutter Gunſt gieng nach Flatterfelds Abreiſe aufs neue an. Was die letzte betraf, ſo ward ſie nicht eher in Erwaͤgung genommen, bis ſie wußte, daß es mit dem Herrn Lieutenant nichts war, da aber gereichte ſie Suschen zum Troſt.
Um dieſe Zeit trug ſich eben die Veraͤnderung, Lebrechten betreffend, zu; jetzt alſo erklaͤrt ſichs, warum meine Mutter fuͤrchtete, daß dieſer bei Reitmanns der uͤbeln Sagen von ihr ſo manche ausbringen, und man wohl gar abgeſchreckt wer - den moͤchte.
Heinrich Reitmann wurde auch wuͤrklich nicht abgeſchreckt, (denn die Verdienſte der Madam Schnitzerinn ſtanden ſchon in ſchlimmen Verdacht bei ihm,) aber in dem Borſatz deſtomehr beſtaͤrkt, ſich nicht um ſie zu bewerben. Allein ſein Vater hielt den Verdruß zwiſchen ihr und Lebrechten fuͤr eine zufaͤllige Begebenheit, die wohl uͤberall zuwei - len vorfiel, erklaͤrte es fuͤr Mißverſtaͤndniß, woran ich, den man nur kuͤnftig ſcharf halten muͤſſe, ſchuld geweſen, und war ſogar nicht abgeneigt, von dem, was meine Mutter uͤber Lebrechts ſchlimme Eigen -ſchaften207ſchaften vortrug, vieles zu glauben. Seine Wuͤnſche, ſie als Schwiegertochter umarmen zu koͤnnen, wur - den noch lebhafter, als ſie, wie ich ſchon geſagt, beſchloſſen hatte, es zu werden, und deswegen aus - nehmend freundſchaftlich, ja zuvorkommend gefaͤl - lig gegen ihn und ſein Haus wurde. Jndem er des Dafuͤrhaltens war, daß ſich ſein Sohn dem vaͤter - lichen Befehl nicht widerſetzen koͤnne, ſobald er ihn kurz und rund empfieng, that er Suschen ſelbſt den Antrag, als er einſt allein einſprach.
Dieſe erklaͤrte nun, daß ſie Neigung zu ſeinem Sohn habe, welches ein Beweis ſei, wie viel ſie auf ſolide Leute hielt, denn blos weil ſie den Herrn von Flatterfeld zu leichtſinnig gefunden, und als einen Menſchen haͤtte kennen lernen, der zu Depen - ſen inclinirte, haͤtte ſie ihn laufen laſſen, obwohl ſie von der großen Erbſchaft, die ſeine Eltern ge - than, ſchon vor ſeiner Abreiſe unterrichtet geweſen waͤre. So ſei ſie denn nicht abgeneigt, dem jun - gen Herrn Reitmann die Hand zu geben, nur koͤnn - te es unter keiner andern Bedingung geſchehen, als daß er ſich adeln ließ. Hierzu hatte ſie eine Menge Scheingruͤnde, welche ſie dem Alten, dem ſie nicht ge - radezu geſtehen wollte, daß ihr Stolz dies verlang - te, zum beſten gab; demohnerachtet war ſeine Zun - ge ſeit dieſer Aeußerung gebunden, er wollte erſt zuHauſe208Hauſe uͤberlegen, wiefern dieſe thoͤrichte Bedingung zu erfuͤllen ſey, ohne daß er und ſein Sohn ein fuͤr allemal als baare Narren in der ganzen Gegend an - erkannt wuͤrden, und ſo ritt er etwas betroffen, doch mit vielem Dank fuͤr den Vorzug, den Madam Schnitzer Heinrichen gaͤbe, heim.
Das Reſultat uͤber eben gedachte Frage fiel da - hin aus: daß man es den Leuten ſagen koͤnnte, der Einfall des Adelns ſei nicht eben nach ſeinem und ſeines Sohnes Sinn, da aber Madam Schnitzerinn darauf beſtuͤnde, ſo muͤſſe man ſich ſchon des Ver - moͤgens wegen darein finden, und ihrer weiblichen Eitelkeit den Gefallen thun.
Dieſe Entſchuldigung hatte Vater Reitmann in dem ſchlimmen Fall ausgeſonnen, daß die Braut ſeines Sohnes nicht durch Schmeicheleien und Vor - ſtellungen deſſelben auf andere Gedanken zu bringen ſein ſollte, und nun wartete er mit Verlangen, daß dieſer gluͤckliche Sterbliche von einer kleinen Reiſe zuruͤckkaͤme, um ihm zu ſagen, die liebe Nachba - rinn zoͤge ihn allen andern vor, und waͤre nun ſei - nes eigenen Antrags gewaͤrtig. Unterdeſſen erzaͤhlte er ſeiner Frau, was zwiſchen ihm und der Schnitze - rinn vorgefallen war, und hatte einen kleinen Zank mit ihr, weil ſie meinte, Heinrich werde ſich ſchwer - lich zu dieſer Heirath bequemen; wogegen er be -hauptete,209hauptete, daß man einen Sohn, fuͤr deſſen Beſtes man ſorgte, wohl zwingen, und wenn er ſich gar zu halsſtarrig bewies, mit Entſagung und Enterbung bedrohen koͤnnte.
Das Schickſal vermittelte dieſe Sache auf eine unerwartete Art; Heinrich fand ſeinen Vater den der Schlag geruͤhrt hatte ſchon mit dem Tode ringen, blieb alſo mit der ernſtlichen Zumuthung, mein Stiefvater zu werden, verſchont, und von Stund an hoͤrte nicht nur jede Bewerbung um meine Mutter, ſondern auch der Umgang mit ihr voͤllig auf. Um ihr bald den Jrrthum zu beneh - men, daß er ſich als Bewerber einſtellen wuͤrde, erklaͤrte Heinrich Reitmann, wenig Wochen nach ſeines Vaters Tode, daß er eine Predigers-Toch - ter, die er liebte, heirathen, und in den Pacht ſei - nes Vaters treten wuͤrde; boshafter Weiſe meldete er dies meiner Mutter ſelbſt bei dem erſten und letzten Beſuche, den er ihr nach ſeines Vaters Tode gab. Sie hatte einen ganz andern Zweck dieſes Beſuchs vermuthet, und barg, als ſie das Wahre erfuhr, die Bosheit, ſich abermals verſchmaͤht zu ſehen, nur ſchlecht; Entſchaͤdigung dafuͤr fand ſie, wie gewoͤhnlich, durch Spott und Laͤſterung auf die Reitmannſche Familie, ſie konnte nun nicht erwar - ten, daß ſie Heinrichs Braut kennen lernte, und2 r Theil. Oſetzte210ſetzte ſie fuͤr nun und immer auf die Liſte von Sophie Buſch und der jungen Frau von Flat - terfeld.
Das liebenswuͤrdige, galante und reiche Sus - chen war jetzt wuͤrklich in Verlegenheit um einen Mann, zwar hatten ſich ſchon vorher einige ehr - liche Leute eingefunden, denen es nicht uneben vor - kam, Mitbeſitzer eines ſo ſchoͤnen Ritterguths zu ſein, allein ſie waren mit Verachtung abgewieſen worden, denn keiner war ein Edelmann, zudem war das Gehirn der Dame damals noch von Barons, einem Grafen, und als dieſe treulos waren, von dem Lieutenant Flatterfeld bewohnt. Auch jetzt, da die - ſer, und nach ihm Reitmann, daſſelbe verlaſſen hat - ten, mochte ſie von dem Antrag eines ziemlich be - mittelten Kaufmanns nichts hoͤren, weil ſie ver - nahm, daß es ein Mann ſei, der auf ſchlecht und recht hielt, und nichts weniger leiden koͤnnte, als die Thorheit ſich Titel oder gar den Adel zu kau - fen. Ehe ſie alſo dieſen abgeſchmackten Mann, der uͤberhaupt nur einfaͤltig weg und buͤrgerlich leb - te, nehmen wollte, entſchloß ſie ſich, den Obriſt - lieutenant von Turner, einen Ritter alten Schlags, der 60 volle Jhhre zaͤhlte, zu ihrem Herrn und Ge - mahl, und ſich durch ihn zur Frau Obriſtlieute - nantinn von Turner zu erheben.
Der211Der alte Herr hatte in einer Schlacht zwei ſeiner Glieder, das rechte Auge und die Haͤlfte des linken Arms verlohren, er lebte ſparſam von einer Penſion, mit der er bisher zufrieden geweſen war, weil er die Ehre, die ihm dieſe Merkmale ſeiner Tapferkeit machten, als die Haͤlfte der Bezahlung zweier Glieder annahm. Ein Bekannter dieſes Hel - den hatte den Einfall, daß er um Madam Schnitzer werben ſollte; nicht ſobald gab er dieſer Verſu - chung Eingang, doch oͤftere Erinnerung und das Ritterguth bewog ihn zum Nachdenken, welches ihm zuletzt rieth, den Verſuch auf die Beſitzerinn deſſelben zu machen.
Nachdem er es alſo hatte geſchehen laſſen, daß ſein Freund die Dame dem Antrag, ein chriſt - liches Eheverbuͤndniß mit ihm einzugehen, geneigt machte, und dieſer ſie mit aller Rednerkunſt uͤber - zeugt hatte, ſie koͤnne keinen weit und breit ge - ehrtern Herrn bekommen, als der Obriſtlieutenant von Turner waͤre; ſo bezeigte ſie Luſt, dieſe Ehre zu theilen, weil ſie ſelbſt eine Officierstochter und dem Militair ſehr gewogen waͤre. Der Abgeſandte benachrichtigte den Obriſtlieutenant ſofort von ſei - nem Gluͤck, und dieſer beſchloß nun ſelbſt einen Be - ſuch bei Madam Schnitzer zu machen.
O 2So212So ſchoͤn hatte er den grauen Ueberreſt ſeiner Haare, ſeit er den Dienſt quittirt, nicht friſiren laſſen, als an dieſem Tage der Vorſtellung bei ſei - ner Gewaͤhlten! ein ganz neues ſchwarztaffetnes Pflaſter bedeckte die Augenleere Stelle, und der noch nicht ſehr abgetragene Ermel ſeiner weiland Staatsuniform den halben ledernen Arm, welcher im Buſen verborgen und da innerhalb der Weſte ſo gut befeſtigt war, daß er nicht hervorſchluͤpfen und ſich als das, was er war, anzeigen konnte. Zwar ſchaͤmte ſich der Obriſtlieutenant dieſes falſchen Arms nicht, vielmehr wollte er, daß auch ſeine kuͤnftige Gemahlinn ihn als einen anſehnlichen Theil ſeiner Wuͤrde anſehen ſollte, aber ſie ſollte ſehen, daß er auch allenfalls eine gute Figur mit dieſer Ruine machen koͤnnte, und uͤberhaupt nicht der Mann waͤre, der mit ſeinen Ehrenzeichen prahlen, ſon - dern ſie lieber auf eine beſcheidene Art verbergen wollte. Uebrigens hatte er ſeine beſten Camaſchen angezogen, die falſchen Waden, welche er noch als Fahnjunker getragen, hatte ſein Bedienter recht vortheilhaft angebracht, ſein Tritt war noch ſo ſicher und martialiſch, als er im 30ſten Jahre ge - weſen war, und ſo trat Obriſtlieutenant Turner in voller Zuverſicht, daß ein Mann, wie er, nicht mißfallen koͤnnte, an einem Nachmittag ſeine Reiſezu213zu uns an. Er haͤtte zu ſeinem Transport einen Miethswagen nehmen koͤnnen, weil er nur eine Stunde zu fahren hatte, aber er liebte Aufſehn und Lerm, waͤre am liebſten mit Trommelſchall und Feldmuſik bei ſeiner Dame eingeruͤckt, begnuͤgte ſich aber, da dies nicht geſchehen konnte, Extrapoſt zu nehmen, und verhieß dem Poſtillion 4 Groſchen Trinkgeld uͤber die Gebuͤhr, wenn er in unſerm Dorfe und zum Hofe hinein rechtſchaffen blaſen wuͤrde. Der Menſch that ſein moͤglichſtes, auch ward es von meiner Mutter ſehr gut aufgenommen; es duͤnkte ihr nachher, daß dadurch allen ihren Un - terthanen verkuͤndigt worden waͤre, der Herr Obriſt - lieutenant komme mit ſolchem Geraͤuſch, um die Groͤße des Gluͤcks, welches er in der Vermaͤhlung mit ihr ſuchte, ſo recht zu bezeigen.
Er ſelbſt gefiel ihr freilich wohl etwas weniger, als er es gehofft hatte, aber indem ſie im Stillen ihre Betrachtungen uͤber ihn anſtellte, fiel ihr ein junger artiger Menſch ein, der in einem großen Hauſe der Nachbarſchaft als Friſeur conditionirte; dieſen ſeiner Herrſchaft abſpaͤnſtig zu machen, und ihm, um es dahin zu bringen, hoͤhern Gehalt an - biethen zu laſſen, ward augenblicklich beſchloſſen; ſo konnte ſie ſich doch taͤglich friſiren laſſen, und ſo ihrem Gemahl noch mehr Ehre machen. — DerO 3Obriſt -214Obriſtlieutenant machte ſeinen Antrag ohngefaͤhr in der Art, wie er einſt einen Rekruten anwarb: ſie ſind ein huͤbſches Weib, ſagte er, und klopfte Sus - chen dabei auf die Achſel, ich hoffe, ſie werden auch brav ſein, und ſo wollen wirs mit einander verſuchen, thun ſie das Jhrige, wie ſichs gehoͤrt und gebuͤhrt, lottern nicht, machen keine Exceſſe, ſo ſollen ſie einen guten Mann an mir haben.
Waͤre nicht der Fehlſchlag mit dem Heinrich Reitmann kurz vorhergegangen, welcher meine Mut - ter zu dem deſperaten Entſchluß gebracht hatte, den Obriſtlieutenant zu nehmen, was es auch fuͤr ein Mann ſein und wie es ablaufen moͤchte, ſo wuͤrde ſie dieſe Art um ſie zu freien uͤbel genommen, viel - leicht manches, was nicht nach ihrem Sinn war, daraus geſchloſſen, und ſich wenigſtens Bedenkzeit ausgebethen haben, wenn ſie nicht gar abſchlaͤgliche Antwort gegeben haͤtte. Allein jetzt, da ſie ſich ohne Bedingung vorgenommen hatte ja zu ſagen, uͤberſah ſie alles, ging faſt alles, was nun weiter ziemlich ordremaͤßig in Vorſchlag kam, ein, und ſo kehrte Obriſtlieutenant Turner als Braͤutigam der Madam Schnitzer heim.
Sie ſpuͤrte, nachdem ſie dieſes Buͤndniß ge - ſchloſſen hatte, nicht die mindeſte Reue daruͤber, alles, was ſich etwa in ihrem Herzen daruͤber em -poͤrte,215poͤrte, ward durch den Gedanken niedergeſchlagen, daß ſie in kurzem Frau Obriſtlieutenantinn von Tur - ner, alſo von eben dem Rang als die vornehmen Damen der Nachbarſchaft ſein wuͤrde, und Reit - manns dann mit der groͤßten Berechtigung uͤber die Ach el anſehen koͤnnte, welches ſie auch bei aller Ge - legeuheit auf das ausgezeichnetſte zu thun in ihrem Herzen beſchwor. Was das rauhe und gebietheriſche Weſen des Obriſtlieutenants betraf, ſo hoffte ſie es ihm bald abzugewoͤhnen, er kennt mich, dachte ſie, noch nicht, und meint vielleicht eine feige Gans an mir zu finden, die ſich einſchrecken laͤßt, aber ich will ihm zeigen, daß ich eben ſo viel Courage habe, als er, und ich hoffe noch dazu Siegerinn zu wer - den, ſobald es zum erſten Streit unter uns kommt, dann aber verfolge ich dieſen Sieg auch ſo, daß er gern fuͤr immer unter meinen Zopter kriecht.
Jch bin der Meinung, daß meine Mutter ſich Wort gehalten, und den alten Herrn, wo nicht ganz ſo geduldig als den ſeligen Johann Jacob, doch ſehr nachgebend gemacht haͤtte, denn wie ich von Leuten, die ihn kannten, vernahm, ſo war ſein Herz weit ſanfter als ſein Ton; nicht nur beleidig - te er keinen Menſchen, war frohſinnig und gut - muͤthig, ſondern er liebte auch den Frieden, und ſoll oft geſagt haben, daß der Soldat, wenn ersO 4nicht216nicht mit dem Feinde zu thun haͤtte, nicht wild und hart, ſondern ein freundliches, gefaͤlliges Mit - glied der Geſellſchaft ſein muͤßte. Hiernaͤchſt ſchaͤtzte er ſeine Ruhe uͤber alles, und aͤrgerte ſich nicht gern; mit dieſen Eigenſchaften haͤtte er ſich ent - weder bei ſeinem Freund nicht ſonderlich bedankt, ihm zu dem Beſitz einer Heroine geholfen zu haben, oder er haͤtte ſich Bequemlichkeit, Ruhe und gute Tage durch Schweigen und Nachgeben bei ihr er - kauft, und waͤre dann doch nicht ungluͤcklich gewe - ſen; doch das Schickſal wollte nicht, daß er wuͤrk - lich den Verſuch machen ſollte.
Einige Tage nach dem erwaͤhnten Beſuch kam der froͤhliche Obriſtlieutenant abermals bei uns an, um etliche Tage bei ſeiner Braut zuzubringen, waͤh - rend welcher die Verlobung ſein ſollte. Zu dieſem Feſt waren alle Bekannte von Bedeutung des Braͤu - tigams und der Braut eingeladen; Madam Sus - chen hatte das ihren Nachbarn zum Poſſen ſo ver - anſtaltet, man ſolle es im ganzen Kreis erfahren, welch eine prachtvolle Fete bei ihrer Verlobung mit einem Mann von Stand und Rang vorgefallen waͤre, weshalb auch Tafelmuſik mit Trompeten und Pauken, und Abends ein Ball ſein ſollte.
Jch freute mich ausnehmend auf dieſes Feſt, und war uͤberhaupt mit meinem kuͤnftigen Papaauf217auf dem beſten Fuß. Der ehrliche Alte dachte nicht daran, mir durch ſeine Verbindung mit meiner Mutter Abbruch zu thun, vielmehr begann er ſchon jetzt, mich in ſeine Sorgfalt zu nehmen, und hatte allerhand Vorſchlaͤge, um einen braven, ehrlichen Kerl aus mir zu machen, der, weil ihm doch ein huͤbſches Vermoͤgen bevorſtuͤnde, alsdann doppelt gluͤcklich und geſchaͤtzt ſein wuͤrde. Da ich mich zuſammennahm, um ihm zu gefallen, ſo ahndete er nichts von mir, was ihm mißfallen haͤtte; meine Lebhaftigkeit gefiel ihm vielmehr, ja er ſelbſt mun - terte mich zum Springen und zu kleinen Poſſen auf, weil er keinen Knaben leiden koͤnnte, der eine Schlafmuͤtze waͤre. Dies war meiner Mutter ein neuer Grund, ſich zu ihrer Wahl Gluͤck zu wuͤn - ſchen, der alte Herr gewann zwar nicht aufrichtige Zuneigung bei ihr, doch das Zeugniß, daß er ein guter Mann ſei, der ihr in allen Stuͤcken raͤſon - nable ſchien.
Wir ſaßen den letzten Abend vor dem veran - ſtalteten Verlobungsfeſt beim Abendeſſen, und wa - ren, wenn ich mich recht erinnere, ſchon bei But - ter und Kaͤſe, als eine blaſende Extrapoſt in den Hof gefahren kam Ein Gemiſch von froher und trauriger Ahndung durchbebte das Brautpaar, aber keines hatte dies noch durch Worte ausgedruͤckt,als218als die Thuͤr aufging, und Baron von Treff her - eintrat. Meine Mutter fuhr vom Tiſch auf und rief: J woher, Herr Baron? Der Obriſtlieutenant ruͤckte langſamer ſeinen Stuhl und erhob ſich, um den Fremden zu begruͤßen, worauf er denn wohl auch erfahren wuͤrde, wen er die Ehre zu ſprechen haͤtte? Als er dies erkundet hatte, ſetzte ſich der Baron mit an den Tiſch, als ob er Herr von Hauſe waͤre, der von einer Reiſe zuruͤckkaͤme, und befahl meiner Mutter, ihm was zum Abendeſſen zu be - ſorgen, weil er auf dem Tiſche nicht viel mehr ſaͤhe und doch großen Appetit haͤtte. Dies nun hatte ſo ziemlich das Anſehen, als glaubte der Herr Baron, Suschen ſei auch hier Gaſtwirthinn, doch da er ſie vorher nicht anders gekannt hatte, ſo war ihm dieſe Sprache zu verzeihen, welche Zerſtreuung und Gewohnheit veranlaßte. Madam Schnitzer empfand den Ton ihres ehemaligen Freundes hoͤchſt uͤbel, und war im Begriff, ihm einen Verweis zu geben, da ſie aber befuͤrchtete, er werde in der Entſchuldigung etwas von ihrem vorigen Stand einmiſchen, von dem der Obriſtlieutenant nichts wiſſen ſollte, ſo that ſie, als haͤtte dieſe Art ſich zu beneben ihren Beifall, und ſagte laͤchelnd, recht, Baronchen, fordern ſie huͤbſch ohne Umſtaͤnde, ſo ſehe ich doch, daß ſie noch mein Freund ſind. Das ſehen ſie,ver -219verſetzte Treff, an meiner Erſcheinung, und warum ſollte ich denn auch Umſtaͤnde machen, da wir uns ſo lange kennen? Meine Mutter war ſchon an der Thuͤr, als er dies ſagte; aus Furcht, daß er von den vorigen Zeiten weiter plaudern moͤchte, gab ſie dem Bedienten den Schluͤſſel zum Speiſegewoͤlbe, und Anftrag, zu bringen was er faͤnde, ſie aber kehrte an den Tiſch zuruͤck und ſetzte ſich zu dem Baron Treff, um ihn, wenn er was ſagen wuͤr - de, das ſie nicht geſagt haben wollte, zu ſtoßen.
Sie hatte ſich unnoͤthiger Weiſe beunruhigt, Treff kam in Abſichten hin, wozu er das gute Ver - nehmen meiner Mutter brauchte, er kannte ſie, und huͤthete ſich wohl, ihr durch plandern zu mißfallen; was er zu verſchweigen hatte, konnte er leicht wis - ſen, da ihm nichts gewiſſer war, als daß ſie ſich in dieſer Gegend nicht als ehemalige Gaſtwirthinn, ſondern als eine Frau, die immer etwas zu bedeu - ten gehabt, wuͤrde angekuͤndigt haben.
Er ließ ſeine Gabe, Unannehmlichkeiten zu ſagen, lieber an Confuſelius aus, denn er ſagte, hat dich der Teufel auch hier, Magiſterchen? na friß dein Brod in Ruhe, guter Gritzkopf, und ſei froh, wenn Madam Schnitzer dich fuͤttern will; wenn ich wie du waͤre, ich thaͤt wie Unverſtand und blieb immer hier. Der Magiſter war von die -ſer220ſer ungezwungenen Anrede aufs hoͤchſte beleidigt er konnte, ſo außer ſich war er, nichts heraus bringen, als: verſchonen Sie mich, Herr von Treff, hiermit begab er ſich aber auch weg.
Er iſt jetzt Hofmeiſter bei meinem Sohn, ſagte meine Mutter, und fuͤhrt ſich recht gut auf, ſie haͤtten ihn nicht ſo beleidigen ſollen.
Nu, erwiederte Treff, er wird wohl wieder gut werden — alſo Hofmeiſter bei Monſieur Fritz Nickeln — da wird der was rechts lernen! Na was machſt du denn, Goldfritzel? biſt ein großer Bengel geworden.
Nach dieſem Beweis ſeiner Huld gegen mich, wendete er ſich zu meiner Mutter, der er Schmei - cheleien aller Art machte, und ſeine Freude be - ſchrieb, als er ſie endlich ausgefragt, worauf er dann die Reiſe zu ihr ſogleich angetreten haͤtte. Madam verſchlangen das ſo ganz ſuͤß, dachten ſchon dies und das, und waren nun ebenfalls fuͤr Treffen allein da.
Der Obriſtlieutenant ward bei dieſer geſchaͤfti - gen Unterhaltung ganz vernachlaͤßiget, er nahm es nicht ſogleich uͤbel; ein Freund, den man lange nicht geſehen hat, kann ja wohl eine ſolche Zer - ſtreuung veranlaſſen, und auch dieſem Freund war es zu verzeihen, daß er einen anweſenden Fremdenkaum221kaum beobachtete, bis er das noͤthige mit den alten Bekannten geſprochen hatte. Jndeſſen wollte ihm doch duͤnken, man koͤnne zwiſchen den vielen Din - gen, die man ſich zu ſagen haͤtte, ein Wort mit ihm ſprechen, oder ſich wenigſtens nach ihm umſehen, zudem argwohnte er, daß die Freundſchaft zwiſchen ſeiner Frau Braut und dem Baron wohl einſt ziem - lich weit gegangen ſein koͤnnte, und der letzte that durch hingeworfene Worte, Blicke und Familiari - taͤten mancher Art, das noͤthige zur Beſtaͤtigung dieſes Argwohns hinzu.
Der gute Obriſtlieutenant ward alſo finſterer Laune, er rieb ſich die Stirn, haͤtte gern gefragt, ob der Herr Baron bald wieder abreiſte, und ſtand endlich voll Verdruß uͤber ſein Betragen und das Betragen der Perſon, welche naͤchſtens ſein Weib werden wollte, vom Tiſche auf. Seines Beduͤn - kens ſollte ſie ihrem guten Freund ſchon lange be - richtet haben, daß ſie Braut mit ihm ſei, daran aber dachte ſie ſo wenig, daß man ihn vielmehr ungehindert hinaus gehen ließ.
Sobald es geſchehen war, fragte Treff, was dieſes fuͤr ein alter blinder Kerl ſei? und nun er - hub ſich folgendes Geſpraͤch:
Jch habe ihn ja ſchon genennt, es iſt der Obriſtlieutenant von Turner.
Jch.Herr Baron, morgen iſt Verlobung mit ihm und der Mamma.
Was alle Teufel! Sind ſie raſend, Suschen?
Wie ſo denn? der Obriſtlieute - nant iſt ein ſehr angeſehener und ſehr rechtſchaffe - ner Mann.
Das mag er immer ſein, aber darum muͤſſen Sie ihn nicht heirathen.
Ja, ich nehme ihn, was haben Sie dagegen einzuwenden?
Nichts in der Welt, als das — Fritze, laß mich ein bischen mit deiner Mutter allein, hoͤrſt du, mein Soͤhnchen?
Wenn Sie recht ſchoͤn bitten, ſo will ichs thun.
Nun ich bitte!
(Jch raſte hinaus, ſchlich dann leiſe wieder hin - ein, weil es duͤſter war und man mich nicht ſehen konnte, kroch hinter den Ofen und horchte.)
Sie fragen, was ich einzuwenden habe? als haͤtten Sie vergeſſen, daß wir ſeit 16 Jahren ſo gut wie Mann und Frau ſind.
Das iſt nun vorbei, und was vor - bei iſt, daran muß man nicht mehr denken. Jetztiſts223iſts einmal entſchieden, daß ich den Obriſtlieute - nant nehme, morgen iſt oͤffentliche Verlobung, wo - zu ich Sie (mit einem Knix und intriquanten Laͤ - cheln) hiermit einlade. Aber Sie muͤſſen auch huͤbſch propre erſcheinen, denn es wird große Ge - ſellſchaft da ſein.
(mit uͤberlautem Lachen) Ja, mein Seel, da haben Sie recht, die Ehre, die Jhnen wiederfaͤhrt, die Frau eines ſolchen alten Kruͤppels zu werden, durch ein lermendes Feſt bekannt zu machen! Na, der Wunſch, eine vornehme Frau zu werden, wird alſo erfuͤllt — ſchoͤn! — Jch gra - tulire, daß Sie doch noch auf einen geſtoßen ſind, der vermuthlich ſchon vor 30 Jahren die Hoffnung verlohren hatte, irgends ein Frauenzimmer, weß Standes und Weſens ſie ſein moͤchte, zu bereden, daß ſie mit ihm zum Altar ginge, und ihn dann fuͤr die Ehre, gnaͤdige Frau Obriſtlieutenantinn zu ſein, pflegte und ſeine Pflaſter beſorgte. — Sie mitleidige Seele! — doch Sie haben auch recht, wenns nun einmal Jhr Gnaden ſein muß, und es findet ſich kein anderer —
Herr Baron, halten Sie mit Jh - ren Grobheiten ein, ich verbitte mir ſo was in meinem eigenen Hauſe.
Eigentlich beklage ich den armen alten Mann.
Sus -(den Arm unterſtuͤtzend) Wie ſo? Jch bitte mir Erklaͤrung aus, wie Sie das meinen.
O bitten Sie mich lieber, daß ichs dem Obriſtlieutenant nicht erklaͤre, ſonſt ſtabelt er wieder fort, ehe es zur Verlobung kommt; wenn ich recht ehrlich ſein wollte, muͤßte ichs thun. Aber hoͤren Sie, charmante Frau, das will ich Jhnen doch nicht rathen, zu denken, Sie haͤtten Jhren ehrlichen Johann Jacob vor ſich, der alte Kriegs - held ſieht mir ſehr determinirt aus, und kann (er nimmt einen in der Naͤhe ſtehenden Stock und macht einen Lufthieb) den rechten Arm noch vor - trefflich brauchen.
(ſchreiend) Halten Sie das Maul, niedertraͤchtiger, impertinenter Menſch.
Aus den Hoͤrnern, die Sie ihm auf - ſetzen, wird er ſich vermuthlich nichts machen, der alte Mann braucht Ruhe und Pflege — hats denn huͤbſche derbe Purſche in der Naͤhe?
Scheeren Sie ſich fort, fort aus meinem Hauſe.
(lachend) Laſſen Sie dieſen Ton mit mir nur weg.
Jch leide Sie nicht eine Nacht hier.
(ſich dehnend und jaͤhnend) Jch bin aber muͤde und will erſt ausſchlafen, ehe ich wiederreiſe;225reiſe; morgen wollen wir ſehen, ob ich meinen Stab weiter ſetze — ja Potzblitz, ich kann ja mor - gen noch nicht weg, Sie haben mich ja zu Jhrer Verlobung gebeten. Jch nehme die Einladung an, Sie ſollen einmal ſehen, wie galant ich ſein werde — apropos, fuͤr was haben Sie ſich denn hier ausge - geben, damit ichs weiß und mich nicht verſchnap - pe, wenn ich etwa von den vorigen Zeiten ſpre - chen will.
(vor Bosheit weinend) Jch habs nicht an Jhnen verdient, Herr Baron, daß Sie mich ſo behandeln.
Nun was thu ich denn, kann ich was dafuͤr, wenn Sie ſich uͤber alles gleich aͤrgern? Na laſſen Sie uns nur fuͤr heute Friede machen, und geben mir ein Schlafkaͤmmerlein, ich werde ſchon aus alter Bekanntſchaft artig ſein und reinen Mund halten. Dafuͤr bitte ich denn aber auch ebenfalls hoͤflich zu ſein, denn, Madam, wenn Sie ſo gut ſein wollen zuruͤck zu denken, ſo muͤſſen Sie finden, daß ich Jhnen bei Ernſt und Spas auch Dienſte aller Art geleiſtet.
Sie habens ja auch geſehen, was ich fuͤr Freude hatte, da Sie kamen; aber nun ſind Sie unartig — doch es ſoll Friede ſein.
2 r Theil. PTreff.Ja, und morgen wollen wir weiter ſprechen; wenn ihr alter Herr fruͤh nicht gleich bei der Hand waͤre, ſpraͤche ich gern noch ein Stuͤnd - chen allein mit Jhnen.
Suschen verſprach zu dieſer Unterredung ſehr zeitig bereit zu ſein, und geleitete den Baron in ein Gaſtzimmer zur Ruhe. Ohne Zweifel wollte er den Strich in ſeine Rechnung erſt gehoͤrig verdauen, um mit Gelaſſenheit zu uͤberlegen, wie er nun die alte Freundſchaft mit meiner Mutter benutzen koͤnnte, zu der er, wie meine Leſer bald erfahren werden, in der Verzweiflung Zuflucht genommen hatte. Alſo brach er fuͤr heute die Unterhaltung ab, und begab ſich zur Ruhe, brachte aber vermuth - lich die Nacht ſehr unruhig hin.
Nicht beſſer war es bei meiner Mutter. Nach - dem ſie ſich uͤber die Complimente des Barons aus - geaͤrgert hatte und ganz kuͤhle war, bewog ſie ſein Zorn zum Lachen, da er, wie ſie nun einſah, aus Eiferſucht entſtanden war. Als ſie daruͤber wieder ausgelacht und ihrer Zofe Jette erzaͤhlt hatte, daß dieſer reiche Baron auf die Heirath zu ihr komme, und in der groͤßten Verzweiflung waͤre, zu ſpaͤt ge - kommen zu ſein, verabſchiedete ſie dieſelbe, und be - gann folgendes Selbſtgeſpraͤch:
Wo227Wo hat denn auch der Narr geſteckt, ohne ein Wort von ſich hoͤren zu laſſen? Jch habe lange genug auf ihn gehofft. Haͤtte ich das wiſſen koͤnnen! er waͤre mir ja funfzigmal lieber geweſen wie der Obriſtlieutenant — wie denn auch ſeine Umſtaͤnde ſein moͤgen, ob er auch alles verſpielt hat? — Das mag wohl ſein, und da haͤtte er gar nichts, der Obriſtlieutenant aber hat doch eine Penſion — allein was hilft mir das, da er ſo alt, haͤßlich, einaͤrmig iſt, Treff iſt doch noch ziemlich jung, iſt geſund und gerade, wir kennen uns ſchon lange — Frau Obriſtlieutenantinn klingt wohl huͤbſch, doch Frau Baroninn auch — nein, ich aͤrgre mich doch, und es wird wohl nicht mehr zu aͤndern ſein, waͤre ich nur nicht ſo raſch geweſen!
Madam Suschen verdarb ſich ſo faſt die ganze Nacht mit dergleichen Zweifeln und mit Reue; Treff konnte auch zu keinem Entſchluß kommen, wie er nun ſeine ehemalige treue Freundinn, bei der er Zuflucht und Aufnahme zu finden hoffte, benutzen ſollte. Hier gab es keinen Gaſthof, wo er ſich ein - niſten konnte, auch ließ ſich nicht hoffen, daß der Obriſtlieutenant ſo gutmuͤthig wie Schnitzer ſein werde; die Anmerkung, der rechte Arm des alten Helden ſei noch zu brauchen, womit er meiner Mutter eine Warnung geben wollte, fand er fuͤrP 2ſich228ſich ſelbſt nicht ohne Gefahr, zudem war Turner groß, noch gut genug bei Kraͤften, und ſchritt maͤnnlich einher.
Der Baron hatte wuͤrklich Urſache mißmuthig zu ſein, da er ſich ſo unvermuthet um ſeine letzte Hoffnung geprellt glaubte; es ſchien ihm nun aus - gemacht, daß jetzt fuͤr ihn keine Ausſoͤhnung mehr mit dem Gluͤck zu erwarten ſtuͤnde. Dieſe wankel - muͤthige Gottheit hatte ihn nach der Scheidung von ſeiner Gemahlinn erſt vernachlaͤßigt, dann ganz verlaſſen. Um ſeine, durch Fehlſchlag und Treu - loſigkeit eines Aſſocierten verfallenen Finanzen wie - der empor zu bringen, ging er in eine Reichsſtadt, wo ſich eben wegen einer großen Solennitaͤt viel Fremde aller Art befanden; das Spiel war verbo - then, aber Treff ließ ſich dies vielmehr Aufmun - terung ſein, eine Bank anzulegen. Fuͤr ihn war keine Luſtbarkeit im Orte, nichts, was zu ſehen und zu genießen war, vorhanden, er ſcheute wie eine Eule das Licht, und wenn er umherſtreifte, ſo geſchah es, um Spieler zu fangen, wie jene auf Maͤuſe lauert.
Ungluͤcklicher Weiſe aber ward der Spielwinkel entdeckt, das Geld weggenommen, und man woll - te gar behaupten, der Herr Baron ſei genoͤthigt worden abzureiſen. Er begab ſich ſo weit weg, alser229er konnte, wagte mit einem Reſtchen von Boͤrſe an einem andern großen Ort wenigſtens als Mitſpie - ler ſein Gluͤck noch einmal, war aber eines Abends ſo ungluͤcklich, daß er bis auf den letzten Groſchen verlohr.
Da nun alſo ſeinen Scheitel Schlag auf Schlag traf, war er aͤußerſt verlegen, was er mit ſich anfangen ſollte? Er ſah ſich, um da, wo er ſeine Herberge aufgeſchlagen hatte, zu bezahlen, genoͤthigt, einige Praͤtioſa zu veraͤußern, und muth - voll wie ein Feldherr, der es mit dem Ueberwin - der aufs neue wagt, wenn er nur einige friſche Mannſchaft bekommt, wollte er ſchon vier Duka - ten, die er uͤbrig hatte, zum Pharaotiſch tragen, als er unerwartet einem Bekannten aus meinem Geburtsort begegnete. Er ließ ſich mit ihm ins Geſpraͤch ein, fragte nach meiner Mutter, erfuhr, daß ſie Wittwe und nicht mehr Gaſtwirthinn, ſon - dern Beſitzerinn eines großen Ritterguths ſei. Der Mann konnte ihn ſogar von der Gegend und dem Namen des Orts genau unterrichten, auch wußte er, Madam Schnitzer habe noch keine zweite Wahl getroffen. Dem Baron kam vor, als ſei ihm ein handfeſtes Ruder gereicht worden, womit er ſein ſchwankendes Kaͤhnchen ſicher ans Land fuͤhren koͤnn - te, er kehrte um, machte Reiſeanſtalten, und gingP 3des230des andern Tages mit der ordinaͤren Poſt ab; vier Meilen von unſerm Dorfe verkaufte er noch eine Doſe von Werth fuͤr einige Louisd’or, nahm wie - der einen Bedienten an, und traf, wie meine Leſer wiſſen, mit Extrapoſt bei uns ein. Es war zu dem Reſpect mit dem er behandelt ſein wollte, noͤthig, daß er einiges Aufſehn machte, daher war der Be - diente und die Extrapoſt angenommen worden, der Vorrath an Gelde mochte hierzu immer meiſt dar - auf gehen, kam er doch nun in ſein Eigenthum, denn wie haͤtte er befuͤrchten koͤnnen, daß bei Sus - chen mehr erforderlich ſein wuͤrde, als zu kommen und zu ſagen: ich will dich heirathen, um daß ſie mit Freuden ihre Arme oͤffnete?
Was war aber nun zu thun, da der Poſten be - ſetzt war? Nicht ſo leicht ſchien ihm die befriedigen - de Antwort auf dieſe Frage, als ſie der Obriſt - lieutenant Turner ſelbſt fand.
Dieſen haben wir verdruͤßlich uͤber die Ver - nachlaͤßigung, welche ihm wiederfuhr, aus dem Speiſezimmer gehen ſehen, und dann aus den Au - gen gelaſſen. Sein weiteres Thun und Laſſen iſt aber zu wichtig, um ihm nicht nachzuſpuͤren, und ſo wiſſe der Leſer, daß er erſt eine Weile im Freien herum lief, und fuͤr ſich allein boͤſe war, dann aber ſich beſann, daß auch Confuſelius von dem Baronbeleidigt231beleidigt war, und ſich ſofort in Marſch ſetzte, um ihm einen Beſuch zu geben. Meine Mutter hatte mit dem Herrn von Treff ſchon das Zimmer ver - laſſen, welches ich alſo nun auch eben in dem Au - genblick that, da der Obriſtlieutenant die Treppe hinauf ſtieg. Jch ſchlich ihm nach, um ihm doch auch einmal unvermerkt ein Stuͤckchen zu ſpielen, welches es auch ſein moͤchte, da ich ihn aber in un - ſere Stube gehen ſah, und indem ich zu eben die - ſem Zweck die Thuͤr oͤffnen wollte, die Worte ver - nahm: wie heißt der Krippenreiter da unten? ſo begriff ich gleich, daß es hier uͤber Treffen herge - hen wuͤrde. Jch hielt es fuͤr noͤthig, auch dies zu hoͤren, und vernahm, was jetzt der Leſer verneh - men wird.
Der Krippenreiter da unten! Denn daß er ein ſolcher iſt, ſeh ich dem Kerl an der Naſe an.
Bisher zwar iſt ers nicht geweſen, ich weis aber nicht, ob die Lebensweiſe, die er getrieben hat, und wohl noch treibt, nicht noch ſchaͤndlicher iſt.
Nu?
Meines Beduͤnkens nemlich, denn er iſt ein Spieler von Profeſſion.
P 4Turner.(auf - und abgehend) So, ſo? Nun das ſind mir die rechten Leute, Spitzbuben, Beu - telſchneider ſind die Kerl, Ungeziefer, die man aus - rotten ſollte. Jch habe in meinem Leben keinem zwei Thaler auf einmal abgewonnen, ſtraf mich Gott nicht zwei Thaler, denn habe ich ja zum Zeit - vertreib oder in Geſellſchaft geſpielt, ſo iſts immer nicht hoch gegangen. Aber ich habe mir auch mein Geld nicht abgewinnen laſſen, und zum Hazardſpiel haͤtte mich keiner gekriegt, er haͤtts moͤgen anfan - gen wie er gewollt haͤtte. Jch habs auch von mei - nen Officieren nicht gelitten, hohl mich der Teufel nicht! wenn einer aber ſich nicht warnen ließ, dann hatte ers weg bei mir, und er hielt ſich auch nicht lange, entweder er fiel in ungeheure Schulden und mußte fort, oder er lernte das Handwerk, nahm ſeinen Abſchied und naͤhrte ſich auf dies nette Handwerk. Ne, Herr, in meinen und allen recht - ſchaffenen Augen iſt ein Spieler das nichtswuͤr - digſte, tagediebiſchſte, prelleriſchſte Geſchoͤpf unter der Sonne, ſtraf mich Gott unter der Sonne! — Alſo der iſt auch einer — hab ichs ihm nicht hohl mich der Teufel angeſehen, ein Krippenreiter, dach - te ich, oder ein Spieler, denn beide Sorten ſind drenſt und unverſchaͤmt.
Con -Ja, mein Herr Obriſtlieute - nant, das iſt Baron Treff im hoͤchſten Grade.
Und wie’s ſcheint, iſt er ſehr cordia[l]mit der Madam da unten — na was laͤcheln Sie?
Der Herr Obriſtlieutenant muͤſſen ſich daruͤber nicht wundern, denn als der ſelige Schnitzer lebte, wohnte und ſpielte er meh - rere Jahre im Gaſthof, und da —
Jn was fuͤr einem Gaſthof?
(erſchrocken) im — in dem dem Hauſe des —
Ach ich merks, der erſte Mann war ein Gaſtwirth, und warum ſoll ich das nicht wis - ſen; wenn ſie nur ſonſt eine ehrliche Frau iſt — Aber wie wars? Der Dings da unten — wie heiſt er? Treff! — alſo der webte, lebte und ſpielte da, war vermuthlich ſehr vertraut mit der Frau Wir - thiun, hm! nur raus mit der Sprache.
J nu — wenn mich der Herr Obriſtlieutenant nicht verrathen wollten, ſo wuͤrde ich wohl unmaßgeblich rathen, dieſen Menſchen nicht im Hauſe zu dulden.
Dacht ichs nicht! dacht ichs nicht! — hm! hm! (ſich ſetzend) wie iſt das, alter Turner, uͤberlegs einmal! (den Finger auf die Naſe legend). Der Kerl iſt unverſchaͤmt wie der Teufel, die Madamiſt234iſt vernarrt in ihn, beide wiſſen ſie nicht was Ma - nier iſt, (aufſtehend) Herr, ſie thaten hohl mich der Teufel alle beide, als ob ich ſo ein Hunde - kerl waͤre, auf den ſie gar nicht zu reflectiren haͤtten.
Jch habs mit Misfallen ge - ſehen.
Und es wurde noch aͤrger, da Sie weg waren, Herr; Gott ſtraf mich, als wenn ich ſo ein Hundekerl waͤre! (ſich wieder ſetzend) auf meinen Stock kann ich mich nun wohl verlaſſen, aber ſoll ich mich erſt mit dem Kerl und wohl gar mit dem Weibe h’rumpruͤgeln? — Und wenn ders auch nicht waͤre — ſchon dem erſten Hoͤrner auf - geſetzt — Magiſter, wie alt war Schnitzer, da ſie ihn nahm.
2 bis 43 Jahr.
2 bis — 3 — und Turner 60 — weh, weh, weh mein alter Kopf! — Herr, ich habe nicht heirathen wollen, nun werde ich noch in meinem Alter ſo ein Narr, mich verleiten zu laſſen. Aber ich haͤtte mich nicht ſchimpfen laſſen, hohl mich der Teufel nicht! Jch habe ordentlich ge - lebt, und, da die Bleſſuren abgerechnet, iſt mein Koͤrper dauerhaft geblieben; ich habe mehr Kraͤfte, Gott Lob, wie mancher Menſcherjaͤger von 30 Jah -ren,235ren, Gott ſtraf mich wahr! und alſo brauche ich keine Hoͤrner zu tragen, wenn ich heirathe. Jch litt’s nicht, Magiſter, hohl mich ꝛc. ich litts nicht, und ſollte Weib und Buhler uͤber die Klinge ſpringen.
Der Herr Obriſtlieutenant duͤrfen nur ernſtlich zeigen, daß Sie das nicht lei - den wuͤrden, ſo wird Madam ſchon —
Herr, was reden Sie da? Herr, da kennen Sie die Weiber nicht! Jch kenne ſie beſſer; da hilft Schaͤrfe und Guͤte nichts, wenn eine ein - mal Nebengage gewohnt iſt — Ne, Turner, laß dir deine Ruhe und deine Geſundheit lieber ſein, hohl der Teufel das Ritterguth, habe ſo lange mit Ehren von meiner Penſion gelebt; gut, daß es noch Zeit iſt — (aufſtehend) Gute Nacht, Magiſter, und Gott befohlen.
Confuſelius wollte dem Obriſtlieutenant zure - den, ward aber angefahren, doch kehrte der alte Herr wieder um, und bat um ein Quartblatt Papier, Dinte und Feder, damit begab er ſich in ſein Zimmer.
Jch kam nun hinein, als haͤtte ich nichts ge - hoͤrt, und fragte mit verwundernder Miene, wor - uͤber der Magiſter ſo aͤngſtlich waͤre? Ach nichts, nichts, verſetzte dieſer, und fuhr fort haſtig auf -und236und abzugehen. Seine Angſt kam von dem zu ver - muthenden Abſchied des Obriſtlieutenants her, er fuͤrchtete, dieſer wuͤrde ſagen, was er durch ihn er - fahren, und ſo ihm ſchlimmes Wetter verurſachen. Noch mehr fuͤrchtete er, daß nun Treff an Turners Stelle treten wuͤrde, dieſen aber konnte er einmal nicht leiden, auch war es leicht zu ahnden, er werde ihm entweder den Abſchied geben, oder kein guͤtiger Patron ſein.
Der Obriſtlieutenant hatte ſeinen Bedienten in der Nacht noch nach Extrapoſt geſchickt, der Menſch kam ſchon um 4 Uhr des Morgens mit ei - ner Poſtchaiſe zuruͤck, es ward hurtig aufgepackt und davon gefahren. Der Poſtillion blies meine Mutter aus dem Schlafe, ſie fuhr heraus, um zu ſehen, wer kaͤme, da ſie aber an dem Ruͤcken der Chaiſe ſah, daß vielmehr jemand ging, glaubte ſie es ſei Treff, warf ſich das naͤchſte beſte an, und wollte nachſchicken, nachlaufen — ja ſie wußte ſelbſt nicht was ſie wollte, als ſie ihre Zimmerthuͤr oͤffnete und den Bedienten mit einem Billet entge - gen kommen ſah. Mit Zittern oͤffnete ſie es noch in der Meinung, es ſei vom Baron, der ihr mit ich weiß nicht was drohte, aber Centner fielen ihr vom Herzen, als ſie zuerſt die Unterſchrift nach - ſah und den Namen Turner las! Uebrigens wardie237die Lectuͤre bald gemacht, da das Billet nur die wenigen Worte enthielt:
Jch empfehle mich gar ſchoͤn! Madam, koͤn - nen heute mit dem Baron Treff Verlobung halten, ich habe nichts dawider, mein Seel nicht!
von Turner, Obriſtlieutenant.
Uns hatte das Blaſen des Poſtillions ebenfalls aufgeweckt, der Magiſter fuhr ſo ſchnell aus ſeinem Bette, als ich aus dem meinigen, er konnte ſich vor Beben kaum anziehen, ich ſah, daß alles, auch die Backen an ihm zitterten, und lachte uͤberlaut. Schneller als Confuſelius kleidete ich mich an, um hurtig zur Mutter zu gehen und ihr ſeine geſtrige Unterredung mit dem Obriſtlieutenant zu hinter - bringen. Zwar wußte ich, daß ſie dadurch nicht ſchlecht auf den Magiſter ergrimmen wuͤrde, und freute mich auf den Schimpfregen, der nun auf ihn fallen wuͤrde, zugleich aber beſchloß ich, ihn in Schutz zu nehmen, daß er nicht verabſchiedet wuͤrde.
Jch fand den Baron ſchon bei meiner Mutter, ihn hatte der Vorfall mit der Extrapoſt auch aus dem Bette getrieben, und als er ihre Bedeutung erkundet hatte, war er neugierig und voll froherAhndung238Ahndung zu meiner Mutter gegangen. Er hatte ſich nachlaͤßig auf einen Stuhl geworfen, und mach - te eine kalte, ja eine wegwerfende Miene, meine Mutter ſaß am Fenſter, hatte den Kopf auf den Arm geſtuͤtzt, und ſah verlegen, oder mehr gezwun - gen traurig aus; beide ſchwiegen. Jch ruͤckte ohne weitres mit meinem Rapport heraus, Treff hoͤrte ihn ruhig, zuweilen veraͤchtlich laͤchelnd, meine Mut - ter in großer Bewegung an. Als ich geredet hatte, fuhr ſie auf und ſagte: ſo ſoll mir doch der nichts - wurdige Kerl nicht eine Stunde mehr im Hauſe ſein! Jch hoͤrte das mit Gelaſſenheit, denn ich wollte nur den Zank mit dem Magiſter vorbei las - ſen, und dann befehlen, daß er bleiben ſollte. Der Baron aber erhob ſich langſam, vertrat meiner Mutter die Thuͤr und ſagte: laſſen Sie ſich hal - ten, Madam, es wird meine Sache ſein, dem Pa - tron den Kopf zu waſchen, da er mich angegriffen hat, dann moͤgen Sie ihm verzeihen, oder weg - jagen; ich daͤchte aber Sie thaͤten das erſte, denn in dem, was er dem Obriſtlieutenant von Jhnen geſagt, hat er ganz recht.
Madam Schnitzer verſtummte vor der entſchei - denden Sprache ihres Monarchen, ſie blieb aber, Treff begab ſich zum Magiſter, und ich lief nach. Hier war dieſer nicht mehr in ſeinem Eigenthum,hatte239hatte keine Sekundanten, alſo zeigte der Herr Ba - ron, daß er Herz haͤtte, und kuͤndigte ihm unter den haͤrteſten Ausdruͤcken eine Tracht Pruͤgel an, die er ihm von ſeinem Bedienten wollte aufzaͤhlen laſſen, weil er ſich zu gut ſchaͤtzte, um ſich ſelbſt damit zu bemackeln. Jch ließ den Magiſter ſich vertheidigen, lief zu meiner Mutter und ſagte: Mamma, leiden Sie das, der Baron will meinen Hofmeiſter pruͤgeln, wie wenn er ein ſchlechter Menſch waͤre, wollen Sie Jhres Sohns Hofmeiſter ſo mitſpielen laſſen?
Meine Abſicht war, die Mamma in Harniſch zu bringen, daß ſie geſchwind hinauf lief, ſich in die Sache zu miſchen, und ſo der Zank zwiſchen Dreyen waͤre, aber ich hatte mich diesmal verrech - net. Goldfritzel, ſagte ſie, laß ihn immer pruͤgeln, er muß ſo fort, und dann iſt er dein Hofmeiſter nicht mehr. Er ſoll nicht fort, ſchrie ich, durchaus nicht, ich will keinen andern Hofmeiſter, und wenn er wegkommt, lauf ich auch fort. Meine Mutter wollte wieder ſprechen, ich ſtampfte aber ſo kraͤftig mit dem Fuße auf, daß ſie ſich ſchon halb uͤber - wunden fuͤhlte, als Treff eintrat und ihr ſagte, der Kerl laͤugnet alles, Monſteur Fritz luͤgt alſo. Das verdroß mich, denn ich hatte nicht gelogen, ich be - gann nicht aufs hoͤflichſte mich zu verantworten, undmeine240meine Mutter hatte nun zu thun, den Baron und mich zu beſaͤnftigen. Als ſie damit fertig war, wur - den wir ſaͤmmtliche Partheien wieder ruhig, und es war nicht mehr an des Magiſters Verabſchie - dung zu denken. Jch habe immer geglaubt, daß ſowohl Treff als meine Mutter dem Mann deswe - gen verziehen, weil er ihnen den Obriſtlieutenant vom Halſe geſchafft hatte, und daß der Magiſter, nachdem er den Sturm uͤberſtanden hatte, die Grobheit des Barons lieber vergeſſen wollte, als ſich mit ihm oder meiner Mutter noch einmal zu veruneinigen, und dabei zu risquiren, daß er den Laufpaß bekaͤme.
Von den eingeladenen Gaͤſten kamen nur die, welche meiner Mutter Bekannte und von ihr gebe - then waren, des Obriſtlieutenants Freunde blieben, von ihm unterrichtet, zuruͤck. Die Sache ward den Anweſenden, ſo gut es ſich ſchicken wollte, beige - bracht, daß die Heirath ruͤckgaͤngig worden waͤre; Madam hatte ſehr wichtige Gruͤnde zu dieſer ſchnel - len Aenderung ihres Entſchluſſes gehabt. Jeder - mann dachte davon was er wollte, und man ſchick - te ſich darein, daß man, ohne eine Verlobung zu feiern, die angeſtellten Luſtbarkeiten genoß.
Baron Treff machte bei dieſem Feſt nicht den Wirth, auch nicht den Gaſt, ſondern den Gebie -ther;241ther; meine Mutter haͤtte ihn gern artig und hoͤf - lich gegen ſie geſehen, um der Geſellſchaft bemerken zu laſſen, daß er den Platz einnehmen werde, wel - chen ſie vorher Turnern zugedacht hatte, aber er war gegen alle uͤbrigen hoͤflicher, ja er machte bei den weiblichen Gaͤſten den Galanten, indeſſen er die Frau vom Hauſe kalt und trocken behandelte. Er reizte ſie ſogar, indem er ſich in eine junge Frau verliebt ſtellte, zur Eiferſucht bis dahin, daß ſie ihren Unmuth nicht bergen konnte; und nach - dem ihn die Geſellſchaft hinlaͤnglich bemerkt hatte, ging ſie in ihr Kaͤmmerlein, und weinte die Kraͤu - kung aus.
Laͤnger als drei Monate ſetzte Treff ſein ar - tiges Betragen ſo fort, meine Mutter wußte nicht wie ſie mit ihm daran war, er dachte nicht ans abreiſen, etablirte ſich vielmehr mit aller Bequem - lichkeit, ſpielte den Herrn, tadelte ſeine Frau Wir - thinn bei allen Gelegenheiten, und verkaufte ihr ſeine Gunſtbezeugungen auf jede Art ſo hoch als moͤglich. Nicht ein Wort von Werbung um ihre Hand war noch vorgekommen, und als endlich Umſtaͤnde vorhanden waren, welche meine Mutter noͤthigten, den Borſchlag der Trauung zu thun, ließ er ſich lange bitten, bewilligte ihn auch nicht eher, bis ſie ihm die Haͤlfte ihres Vermoͤgens verſchrieb,2 r Theil. Qund242und ihn ſogleich in die Nutzung dieſes Antheils ſetzte.
Nun ward er ohne allen Prunk (den er ſich mit der nicht ſehr ſchmeichelhaften Anmerkung ver - bat, daß ihm ein Buͤndniß mit Frau Suschen wenig Ehre machte) ihr Gemahl und unſer Tyrann. Ohne alle Schonung verfuhr er mit der Frau Ba - roninn, ſie wollte aber, da ſie ſeine Gemahlinn war, nach ihrer weiblichen Autoritaͤt greifen, und hoffte ſie zu erſchnappen und zu erſchreien, doch mein neuer Herr Pappa ließ ſich das nicht ein - ſchrecken, er hatte ein Mittel recht zu behalten, wel - ches ſie bisher noch nicht gekannt hatte; noch war ſie nicht vier Wochen Frau Baroninn, ſo hatte ihr Ruͤcken ſchon mehr als einmal Beweiſe dieſer Ehre von dem Stock und der Peitſche des freiherrlichen Gemahls bekommen.
Er beſchloß jetzt nicht mehr zu ſpielen, weil er ſich aber einen andern Zeitvertreib verſchaffen wollte, gewoͤhnte er ſich den Trunk an, ſein Rauſch war ſehr unfreundlich, meine Mutter wurde faſt immer gemißhandelt, wenn er trunken war. Das nehmliche wiederfuhr auch mir, der Baron hatte beſchloſſen, mich in die Zucht zu nehmen, ich woll - te mich derſelben nicht unterwerfen, ſondern wider - ſetzte mich, da ich aber doch bis jetzt noch derSchwaͤchere243Schwaͤchere war; ſo lernte ich bald nachgeben, weil ich unbarmherziger gepruͤgelt wurde, wenn ich mich zur Wehre ſetzte.
Man denke ſich, was bei ſolchen Executionen das zaͤrtliche Herz meiner Mutter litt. Nie konn - ſie mich unter den Haͤnden meines barbariſchen Stiefvaters ſehen, ohne ſich ins Mittel zu ſchla - gen, dies aber half nichts, als daß ſie denn das Uebrige mit mir theilte.
Bei ſo bewandten Umſtaͤnden bereute ſie ihre Standeserhoͤhung nicht wenig, ward ihrem Gemahl von Herzen gram, und verdoppelte ihre Liebe zu mir. Sie beweinte nichts ſo ſehr als die Haͤlfte ihres Vermoͤgens, welches ſie mir entzogen hatte; (denn meiner Schweſter hatte ſie ohnehin ſehr we - nig zugedacht,) um den Verluſt zu erſetzen, ward ſie in allen Stuͤcken ſparſamer als jemals, und be - harrte darauf, daß ihr Gemahl das Geld zu Fuͤh - rung der Haushaltung hergeben ſollte. Er hinge - gen wollte das Seinige gleichfalls ſparen, und ſo ſetzte es auch von dieſer Seite Verdruß. Der Sean - dalgeſchichten aus unſerm Hauſe waren ſo viel, daß kein Menſch mehr bei uns einſprach, welches aber den Herrn und die Frau von Treff nicht eben ver - droß; der erſte unterhielt ſich am liebſten mit der Bouteille, oder zaͤhlte, wenn er nuͤchtern war, ſeinQ 2Geld;244Geld; die zweite wollte des Aufwands wegen keine Gaͤſte haben. Unſer Tiſch ward taͤglich ſchlechter, nur mir ließ die liebe Mamma meiſt insgeheim ein apartes Gerichtchen oder ein Gebacknes machen.
Confuſelius war der Menſch im Hauſe, mit welchem mein Stiefvater am ertraͤglichſten verfuhr, er hatte ſich bei ihm beliebt zu machen verſtanden, ward ſogar oft zum Trinken eingeladen, und brach - te meiner Mutter ſowohl als mir manche kleine Schonung zuwege; weshalb wir ihn ſehr in Ehren hielten, ihn zu unſerm Schutzpatron und Vertrau - ten machten, und er von allen Seiten ſeine klei - nen Vortheile zog.
Meine Mutter ſah ihrer Niederkunft mit vie - ler Betruͤbniß entgegen, ſie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß etwa ein Sohn kommen wuͤr - de, der dann Baron, folglich mehr als ich waͤre, und das Vermoͤgen, das ſie dem Vater verſchrie - ben, ganz bekommen muͤßte; beide Uebel konnte ſie nicht fuͤglich heben. Eben ſo wenig durfte ſie dar - an denken, auch mich adeln zu laſſen, weil ſie mußte, wie ſehr Oncle Peter dagegen ſein wuͤrde, ſie mußte befuͤrchten, mich, wenn ſie es thaͤte, um ſeine Erbſchaft zu bringen, die doch ein großer Troſt fuͤr ſie war. Sie durfte auch einen zweiten Sohn der Zukunft nicht fuͤglich von ihrer eignenErbſchaft245Erbſchaft ausſchließen, welches ſein Vater nicht ge - litten haͤtte, und ſo war ſie meinetwegen ſehr be - kuͤmmert. Allein das Schickſal wollte ihr wenig - ſtens dieſen Stein vom Herzen nehmen, indem es ihren Gemahl regierte, daß er ihr einige kraͤftige Tritte in die Seite gab. Das Kind, welches allerdings ein Sohn war, kam alſo abermals un - zeitig und ſtarb bald nach der Geburt, welches ver - muthlich blos meinetwegen geſchah; ich, der Lieb - ling des Gluͤcks, ſollte nichts verlieren, ſondern alles allein zum Verjubeln bekommen.
Die uͤble Laune meines freiherrlichen Pappa’s, den meine Mutter oft einen Rabenvater gegen ſein eigenes Kind nannte, nahm ſo ſehr zu, daß dieſe ſich entſchloß, mich aus dem Hauſe zu geben. Zu Schnitzers Zeit haͤtte ſie dieſen Einfall ohne weite - res durchgeſetzt, der ehrliche Mann haͤtte es nur ſo von ohngefaͤhr erfahren, jetzt wandte ſie Demuͤ - thigung, Schmeichelei und Bitten an, um von ihrem Tyrannen Erlaubniß dazu zu erhalten. Es ward in Gnaden bewilligt, der Baron befahl aber, mich ſelbſt in eine zwoͤlf Meilen weit entfernte Stadt zu bringen, damit ich der Mutter und ihren Zaͤrteleien aus den Augen kaͤme.
Dort gab er mich in die Koſt bei gemeinen Buͤrgersleuten, und wollte nicht, daß ich beſſer ge -Q 3halten246halten ſein ſollte, wie ſie es ſelbſt hatten. Dane - ben mußte ich in die Stadtſchule gehen, und ward allen Schulherren, oder vielmehr ihrem Bakel und dem Carcer als ein unbaͤndiger und verzogener Junge empfohlen.
Jch hatte, als die am Ende des vorigen Ab - ſchnitts gemeldete Veraͤnderung mit mir vorging, das zwoͤlfte Jahr zuruͤckgelegt, und wie man geſte - ſtehen wird, die Kinderjahre in den muͤtter - lichen Haͤnden ſehr angenehm zugebracht. Nach - dem mir in denſelben ſeit meinem Daſein jeder Wunſch gewaͤhrt worden war, und ich nichts als Freiheit und Ueberfluß an allem, was ſich genießen laͤßt, kannte, ſollte ich nun auf einmal einge - ſchraͤnkt und maͤßig leben. Man geſtehe, daß mirhier247hier eine Lection aufgegeben war, die ich nicht ler - nen konnte. Allein der Baron hatte mir den Au - fenthalt zu Hauſe verleitet, weshalb ich auch ohne die Furcht vor ſeiner Zuͤchtigung nicht wie ehemals davon gelaufen, und mich bei der lieben Mamma wieder eingeſtellt haben wuͤrde. Es war demnach auf eine andre Art von Verbeſſerung meines Schick - ſals zu denken, und auch dieſe fand ich in der Zaͤrt - lichkeit meiner Mutter.
Jhr Gemahl hatte ſie ſo eingetrieben, daß ſie eben ſo wenig daran denken durfte, mich zu be - ſuchen, als ſie die Erlaubniß erhalten hatte, mit - zureiſen, da er mich wegbrachte. Allein nicht nur verſah ſie mich heimlich mit einer guten Boͤrſe, ſondern beſtimmte es auch, wohin ich meine Briefe an ſie zu adreſſiren haͤtte, damit ſie ihr ohnbewußt des Barons in die Haͤnde fielen. „ Auf dieſe Art, ſagte ſie “kannſt du mir immer berichten, wie es dir geht, und ob es dir an etwas fehlt, ich helfe im letzten Fall der Sache insgeheim ab. Der Barbar ſoll es doch nicht dahin bringen, daß mein Goldfritzel auf irgend eine Art leiden muß. Aber eine Regel muß ich dir zu Gemuͤthe fuͤhren: wenn dir jetzt jemand was thut, ſo werde ich dir nicht wie ſonſt beiſtehen koͤnnen, denn man wird ſich an deinen Stiefvater wenden, und ich koͤnnte dannQ 4fuͤr248fuͤr dich und mich nur uͤbel aͤrger machen. Alſo mußt du dich einzuſchmeicheln ſuchen, damit man dich gut und nicht ſo ſclaviſch haͤlt, ich will es dir ſchon nicht an Gelde fehlen laſſen, daß du dir die Leute zu Freunden machen kannſt; verſchwenden mußt du freilich nichts, aber fehlen ſoll es dir auch nicht, ich will es mir lieber ſelbſt abſparen.
Nach dieſer guͤtigen Erklaͤrung war die Erleich - terung meines Schickſals nicht muͤhſam zu ſuchen, und eben ſo leicht fiel es mir jetzt durch Politik da - hin zu gelangen, denn da Mutter Suschen, ſeit ich ſie kannte, nichts als Pflichterfuͤllung oder aus Gut - muͤthigkeit gethan hatte, und nur mit denen leid - lich verfuhr, die ihren Leidenſchaften opferten, ſo waren alle Leute in unſerm Hauſe, beſonders meine Herren Hofmeiſter, Null, Pelz und Confuſelius, dahin befliſſen, ich hatte alſo Gelegenheit Politik zu lernen, und wußte ſie, ſobald es noͤthig war, anzuwenden.
Als mein Stiefvater wieder abgereiſt war, ließ ichs mein erſtes ſein, den Leuten, unter deren Auf - ſicht ich geblieben war, meine wohlgeſpickte Boͤrſe zu zeigen, und gab der Familie ſogleich einen Schmauß, bei dem es ſehr hoch herging. Frau Elfenbein, meine Wirthinn, wollte zwar, da ich ihr das Geld zum Einkauf gab, und meine Beſtel -lungen249lungen machte, muͤtterlich weiſe thun, manches zu viel finden, und ſich uͤber die Nothwendigkeit der Sparſamkeit ausbreiten, aber ich unterbrach ſie mit der Verſicherung, daß meine Mutter ganz anders daͤchte, wie der Stiefvater, und ich nur zu ſchrei - ben brauchte, um friſches Geld zu bekommen, wo - von ich ſie naͤchſtens uͤberzeugen wollte. Frau El - fenbein that mir hierauf den Willen, brachte und richtete zu, was ich verlangte, ja ſie war in allem puͤnktlich, ausgenommen, daß ſie von dem Beſtell - ten etwas weniger und das Ganze wohlfeiler ein - kaufte, als ſie es eingekauft haben wollte, und ſomit einen Theil des Geldes fuͤr ſich aufhob.
Von dieſer Stunde an hatte ich ſie, ihren Mann und ihre Tochter gewonnen; Meiſter Elfen - bein wollte zwar nicht ſo recht an das erneuerte Anfuͤllen meiner Boͤrſe glauben, wenn ich ſie zu ge - ſchwind leer machte; da ich mich aber ſehr bald in Correſpondenz mit meiner Mutter ſetzte, und durch allerlei Vorgeben wieder Geld erhielt, ehe das mit - gegebene noch ganz ausgegeben war, ſo redete auch er nichts darein, daß ich mich in meinen Ausgaben nicht genirte, und nahm an dem beſſern Tiſch, den ich bei ihm einfuͤhrte, Theil.
Jn dem eben erwaͤhnten erſten Brief an meine Mutter, ſo wie in allen folgenden, hatte ich nichtdie250die mindeſte Klage, denn auch auf der Schule war man mit mir zufrieden. Nachdem meine Wiſſen - ſchaften unterſucht waren, fand der Rektor, daß ich in Quarta gehoͤrte, und weil ich mir vorgenom - men hatte, mich in dieſer Klaſſe nicht lange aufzu - halten, indem einige andere Knaben, die juͤnger als ich waren, neben mir ſaßen, ſo ſtrengte ich mich an, erhielt auch bald das Lob eines fleißigen Schuͤ - lers und guten Kopfs. Jch wollte es dahin brin - gen, daß man dies nach Hauſe berichtete, wenn der Baron Nachfrage hielt. Um auch wegen der Auffuͤhrung nicht verklagt zu werden, widerſtand ich der Neigung mit bewundernswuͤrdiger Reſigna - tion etwas verbotenes zu thun, und meine Mit - ſchuͤler zu necken, oder auch den Lehrern heimliche Streiche meiner Art zu machen. Hingegen ver - ſchaffte ich mir bald einen Anhang unter den faͤhig - ſten Knaben, und verfuͤhrte ſie außer den Stun - den, wo ich ganz nach Belieben umherſchweifte, zu wahren Bubenſtuͤcken, zugleich wußte ich es immer ſo einzurichten, daß ich lange nicht als der Thaͤter, wenigſtens nicht als der Anfrifter bekannt wurde, ich erkaufte mir die Verſchwiegenheit meiner Ka - meraden, und befriedigte, wenn ja irgendwo Ge - ſchrei entſtand, die Beleidigten mit Geld.
Zwar251Zwar kam ich demohnerachtet bald in den Ruf eines gottloſen Jungen, allein meine Wirths - leute, beſonders Frau Elfenbein ließ nichts auf mich kommen, vertheidigte mich uͤberall, und half mir ſogar mich herausluͤgen. Meine Mutter hatte ſich ſelbſt mit ihr in Correſpondenz geſetzt, und mich ihr als einen reichen Erben empfohlen, als ihren einzigen Sohn, fuͤr den ſie gern alles thun wollte, was noͤthig waͤre, um ihm Freude zu ma - chen; beſonders da es ein ſo hoffnungsvoller Sohn waͤre. Frau Elfenbein konnte dieſe Briefe ſelbſt nicht leſen, ihr Mann mußte es alſo thun, ſie ſtand denn, die Arme in die Seite geſtuͤtzt, vor ihm, nickte nur, und unterbrach den Vorleſer zu - weilen durch: nu ſiehſt du — ja freilich, und der - gleichen, womit ſie ſeine Zweifel vollends hob.
Gute Wirthſchaft hatte meine Mutter freilich daneben auch empfohlen, da aber alles Geld, was ich verlangte, doch geſchickt wurde, ſo begnuͤgte ſich Madam Elfenbein damit, daß ſie zuweilen ſag - te: lieber junger Herr, geben Sie ja nicht zu viel aus, daß Jhre liebe gnaͤdige Mamma nicht boͤſe wird, beſtand aber uͤbrigens nicht auf Anwendung dieſer Lehre. Alles, was ſie that, um meiner Ver - ſchwendung Einhalt zu thun, war, daß ſie den Mit - genuß anderer aufs moͤglichſte zu verhuͤten ſuchte.
Jch252Jch kam ſehr geſchwind in eine hoͤhere Klaſſe, begann aber, des Zwanges uͤberdruͤßig, Thorheiten, Bosheiten und Staͤnkereien in derſelben auszuuͤben und anzuſtiften. Doch nur ſelten ward ich daruͤber in Anſpruch genommen, denn der Rektor und die Schulherren, mit denen ichs zu thun hatte, liebten mich als ein Genie, und zwar als ein ſolches, des - ſen Mutter fuͤr die Lobeserhebungen, welche ſie mir ertheilten, erkenntlich war. Jch machte aber auch wuͤrklich in allen Wiſſenſchaften zuſehends Fort - ſchritte, den maͤchtigſten Sporn reichte mir die Freude, aͤltere Schuͤler beſchaͤmen zu koͤnnen. Um hierzu immer Gelegenheit zu haben, ſtellte ich mich freundſchaftlich und dienſtfertig gegen die Traͤgen und die armen Teufel mit ſchweren Begriffen, welche ich unter dem Vorwand ihnen nachzuhelfen und ſie zurechte zu fuͤhren noch confuſer machte, und ſie in allem ganz falſch belehrte. Wenn ſie es denn auf dieſe Art vorbrachten, genoß ich im Stillen den Jubel, ſie auslachen oder aushunzen zu hoͤren, ſie durften nicht ſagen, daß ich ſie unterrichter haͤtte, und wenn ſie es mir unter vier Augen vorhielten, mußten ſie mich unrecht verſtanden haben. Kam es aber auch einmal ans Licht, daß ich die armen Wichte ſo zum beſten haͤtte, ſo war ein leichter Ver - weis von den Lehrern alles, was ich dafuͤr hinneh - men mußte.
Gern253Gern haͤtte ich meine Neigung zu peinigen bei einigen der Schullehrer ſelbſt befriediget, ſie gaben allerdings Stoff genug dazu, auch war ich, wenn andere ſie zum beſten hatten, nicht ſparſam mit meinem Beitrag; allein die Furcht vor meinem Stiefvater, welcher von allem, was ich that, genau unterrichtet ſein wollte, und es erklaͤrt hatte, daß er mich fuͤr jede Buͤberei tuͤchtig gezuͤchtigt wiſſen, auch mich ſelbſt zuͤchtigen wollte, hielt mich immer vom ſchlimmſten ab; ich erlaubte mir nichts, wo - von ich wußte, daß ſichs nicht zum uͤberſehn quali - ficirte; Raͤthelsfuͤhrer, beſtimmter Thaͤter einer ganz ruchloſen Handlung wollte ich nicht ſein. Es ge - hoͤrte zu meinem Plan, Lob von denen zu behalten, auf deren Zeugniß mein gutes Vernehmen mit dem Stiefvater ankam, damit er ja nicht den Einfall be - kommen moͤchte, mich noch kuͤrzer zu halten und in genauere Aufſicht zu geben. Auf dieſe Art konnte ich der Freuden im Stillen viel genießen, welche mir Frau Elfenbein verheimlichen half. Es gab dergleichen Freuden ſo manche, die ſie ſich ſtill - ſchweigend notirte, um ſie im Fall der Noth gegen mich und meine Mutter anzuwenden, auch war ſie, wenn ich ſie irgend beleidigte, oder ihre Wuͤnſche nicht erfuͤllen wollte, augenblicklich mit Drohungen bei der Hand; hingegen gab ſie mir oͤffentlich undauch254auch bei dem Baron Treff das beſte Zeugniß, ruͤhm - te bei dieſem meine Sparſamkeit und gute Auffuͤh - rung, und ſchoß, wenn mir das Geld ausgegangen war, ſelbſt vor.
Jch legte drei Jahr ſo froh und gluͤcklich zuruͤck, und war nun Primaner. Bisher war ich nicht fleißig geweſen, um wuͤrklich Wiſſenſchaften zu ſammeln, ich hoͤrte aber die akademiſche Freiheit ſo oft ruͤhmen, hoͤrte ſo viel von Studentenſtreichen erzaͤhlen, daß ich zu ſtudieren beſchloß, und alſo in dem bisherigen Fleiße fortfuhr, um hoͤchſtens in zwei Jahren die Univerſitaͤt beziehen zu koͤnnen. Bis dahin nahm ich mir vor, die aͤußerlich gute Auffuͤhrung beizubehalten, und durch das Geld meiner Mutter geheime Entſchaͤdigungen zu er - kaufen.
Der Ausgaben und der Vermittelung meiner dienſtfertigen Frau Elfenbein wurden immer mehr, je weiter ich ins Juͤnglingsalter ruͤckte. So man - ches fiel da vor, was meiner Geſundheit nicht we - nig ſchadete, ich mußte mich zwiſchen meinen 15ten und 16ten Jahre ſogar einer gewiſſen Kur unter - werfen. Frau Elfenbein wollte aber nicht, daß der Arzt die Sache beim rechten Namen nennen ſollte; ſie ſtellte mir mit vieler Beredſamkeit vor, wie nachtheilig mirs ſein wuͤrde, und ich gab ihr recht. Meinem255Meinem Stiefvater ward alſo berichtet, daß ich ein Nervenfieber haͤtte, der Mutter hingegen ſchrieb Frau Elfenbein durch ihres Mannes Hand die Wahrheit, machte es aͤußerſt gefaͤhrlich, und ruͤhm - te ſowohl ihre Sorgfalt, als ihre Verſchwiegenheit ſo ausfuͤhrlich an, daß lieb Muͤtterchen nicht um - hin konnte, zu dem Kurgelde, welches ſie mit Ge - nehmigung ihres Gemahls ſchicken durfte, noch eine weit groͤßere Summe zu legen, nicht nur um mir gehoͤrige Pflege leiſten und den Arzt gut bezahlen zu koͤnnen, ſondern auch die Willigkeit der Frau El - fenbein bei meiner Wartung, und ihre Discretion zu bezahlen. Jndem ſie dieſes beſorgte, wollte ſie nicht unterlaſſen mir eine Strafpredigt zu halten, und mich zu ermahnen, kuͤnftig behutſamer zu ſein, doch ſie hatte Ruͤckſicht auf meine kraͤnklichen Um - ſtaͤnde genommen, wobei ſie mich nicht aͤrgern woll - te, und ſo war dieſe Straf - und Ermahnungspre - digt in ſehr ſanften und ſchonenden Ausdruͤcken abgefaßt.
Da es mir ziemlich ungelegen war kraͤnklich zu ſein, und im Bett, hernach im Zimmer bleiben zu muͤſſen, fand ichs fuͤr gut, mich den Regeln und Verordnungen des Arztes zu unterwerfen, weshalb ich bald wieder geſund ward. Sodann brachte mich die Selbſtliebe zu dem Entſchluß, nicht mehr ſoſtark256ſtark zu genießen, daß Schmerz und gaͤnzliche Ent - behrung darauf folgen mußte, auch aͤrgerte mich die blaſſe Geſichtsfarbe und das kraͤnkliche Anſehn, wel - ches ich auch nach der Geneſung behielt.
Eben um dieſe Zeit kam, wie gerufen, Magi - ſter Confuſelius an, und auf der Stelle beſchloß ich, ihn bei mir zu behalten, damit ich, was ich von den geheimen Vergnuͤgungen, welche mir eine Krankheit zugezogen hatten, abbrechen wollte, durch Zeitver - treib mit ihm wieder gewinnen moͤchte. Er war herzlich froh, da ich ihm vorſchlug, mit in meiner Stube zu logiren, und ihm auch freie Koſt ver - ſprach, denn ſchon war es faſt drei Jahr, daß ſich der ehrliche Mann wieder ganz im Bloßen befand. Mein Stiefvater hatte ihn nur noch einige Mo - nate im Hauſe geduldet, dann war er ihn uͤberdruͤs - ſig, und da auch meine Mutter ihn fuͤr einen un - nuͤtzen Brodfreſſer erklaͤrte, ſo konnte er wandern wohin er wollte.
Jch habe nie recht erfahren koͤnnen, was er die ganze Zeit uͤber bis zu ſeiner Ankunft bei mir, vorgenommen hatte, um eſſen, trinken und im Trocknen ſchlafen zu koͤnnen. Anfangs hatte er noch etwas an Baarſchaft, welche er bei uns geſam - melt hatte, nach der Zeit war er, wie ich durch Bruchſtuͤcke ſeiner Geſchichte erfuhr, die er dannund257und wann zum beſten gab, Famulus bei einem Kuͤ - ſter, nachher Faktor in einer Buchdruckerei, dann wieder Schreiber bei einem Doctor der Rechte ge - weſen, aber es ſchien, daß es nirgends lange ge - dauert hatte. Er ſchloß ſich zuletzt an eine Land - truppe Comoͤdianten an, und wollte bei derſelben die Stelle des Regiſſeurs vertreten, veruneinigte ſich aber bald mit dem Director ſowohl als mit den Mitgliedern der Geſellſchaft, und verließ ſeinen Po - ſten wieder, der ihm, welcher ſchon Jahre auf dem Halſe hatte, und Bequemlichkeit liebte, ohnehin wegen des Herumziehens nicht ſonderlich behagte.
Frau Elfenbein widerſprach mir anfangs, als ich ihr meinen Einfall, den Magiſter fuͤr immer zu mir zu nehmen, bekannt machte, ich verſicherte ihr aber, daß ſie keinen Schaden davon haben ſollte; Confuſelius ſelbſt wußte ſich ihre Huld zu erwer - ben, und ſo gab ſie ihm auf meine Rechnung Tiſch und Bett, welches letzte in meiner Stube aufge - ſchlagen wurde.
Um ganz zu wiſſen, wie ich ihn am beſten zu meinem Spielwerk machen ſollte, ließ ich mir nach und nach ſeine Geſchichte erzaͤhlen, wobei ich denn auch das meiſte von dem, was ſich vor meiner Ge - burt zugetragen, wie ichs dem Leſer im erſten Theil mitgetheilt, weit ausfuͤhrlicher erfuhr, als ich es2 r Theil. Rdurch258durch die Erzaͤhlungen meiner Mutter wußte. Con - fuſelius ſchonte, um mich angenehm zu unterhal - ten, ſich ſelbſt nicht, und ertrug, um gut leben und muͤßig gehen zu koͤnnen, alles, was ich ihm anthun wollte, mit der groͤßten Standhafrigkeit.
Es ging auch kein Tag hin, wo ich ihm nicht irgend eine Quaal anthat, einen Schreck zufuͤgte, oder wenigſtens anfuͤhrte. Seine Naͤchte waren nicht viel ruhiger, faſt immer war ihm etwas be - reitet, was ihn aufſtoͤrte. Da er ſich, trotz ſeines bewieſenen Heldenmuths, womit er einſt den Boͤ - ſen zitiren wollte, vor Geſpenſtern fuͤrchtete, ſo ließ ich ihm bald die Bettdecke wegziehen, bald mit einer kalten Hand uͤber das Geſicht fahren, und bald mußte ſich des Abends irgendwo im Hauſe ein Geſpenſt ihm entgegen ſtellen, ihm den Weg ver - laufen, graͤßliche Geſichter ſchneiden, u. d. gl. Wenn er denn blaß und zitternd kam, oder in der Nacht aufſchrie, oder des Morgens von der Erſcheinung der Nacht ſprach, mußte er immer unrecht haben, ich ſtritt ihm alles ab, und erklaͤrte es fuͤr Ein - bildung. Frau Elfenbein und ihre Tochter nahmen es noch dazu auf mein Geheiß ſehr uͤbel, wenn er ſich ſo was verlauten ließ, und meinten, es koͤnne ihnen ſehr nachtheilig ſein, wenn er ihre Wohnung in Ruf braͤchte, als obs in derſelben ſpuͤkte, dennnicht259nicht alle Miethsleute waͤren ſo vernuͤnftig ich, andere koͤnnten ſich daran ſtoßen, und ſo die Stube, welche ich jetzt bewohnte, wohl gar leer ſtehen bleiben, wenn ich auf die Univerſitaͤt ging; alſo verboͤthen ſie ſich dergleichen albernes Gewaͤſch. Der arme Dulter litt alſo lieber ſchweigend, und troͤ - ſtete ſich damit, daß doch der Geiſt, oder die Gei - ſter, welche ihn beruhigten, ſeiner Geſundheit noch nicht allzugroßen Schaden gethan haͤtten. Zwar fuͤhlte er ſie abnehmen, und merkte ſehr wohl, daß es auf jeden Schreck und jede unruhig hingebrach - te Nacht ſchlimmer wurde; allein ſein Troſt war, daß ich verſprochen hatte, ihn mit auf die Akademie zu nehmen, wo er dann dies unſichere Haus ver - laſſen und in Ruhe eine Kur brauchen wollte. Um dies Gluͤck nicht zu verſcherzen, ertrug er alles ſtillſchweigend, machte ſich mir immer gefaͤlliger, und hatte endlich ganz die Rolle meines Bedien - ten uͤbernommen, in welcher ich ihn auch nicht ſchonte, ſondern zu den kleinſten Verrichtungen brauchte.
Jch haͤtte ihn in der That nicht um vieles miſſen wollen, und wuͤrde ihm mein Wort, ihn mit auf die Akademie zu nehmen, treulich gehal - ten haben, wenn er die letzte Pruͤfung uͤberſtandenR 2haͤtte,260haͤtte, dieſe aber zog die Endigung ſeines glorrei - chen Lebens nach ſich.
Wir hatten oft von Fauſts Hoͤllenzwang ge - ſprochen, und der Magiſter verſicherte mich jedes - mal mit vieler Treuherzigkeit, daß die Sache nichts weniger als eine bloße Poſſe ſei, er wollte mehr davon erfahren haben, als er ſagen koͤnnte, und ge - ſtand, daß es ihm doch reute, dieſe Kunſt vernach - laͤßigt zu haben.
Einige Zeit ließ ichs dabei bewenden, daß ich ſelbſt Verlangen bezeugte, mit der ſchwarzen Kunſt bekannt zu werden, dann ſchlug ich ihm vor, die - ſelbe wieder vorzunehmen, und erbot mich, Buͤcher, wie wir ſie, um die gehoͤrigen Aufſchluͤſſe zu bekom - men, noͤthig haͤtten, anzuſchaffen. Der Magiſter wollte nicht ſogleich einſtimmen, ſeit er von Ge - ſpenſtern geplagt wurde, hatte ſich Furcht vor dem Teufel bei ihm eingeſtellt; er meinte in der guten Lage, wo ich waͤre, und da ich ihm verſprochen haͤtte, ſeine Verſorgung auf Zeitlebens zu uͤber - nehmen, haͤtten wir beide nicht noͤthig, ein ſo muͤh - ſames Studium, wobei doch ſo manches zu risqui - ren waͤre, zu uͤbernehmen; ich ſchwieg und ließ meh - rere Tage hingehen, waͤhrend welchen er aber ent - weder in der Daͤmmerung, oder in der Nacht von Geſpenſtern geplagt wurde.
Jch261Jch will nicht ehrlich ſein, ſagte ich eines Morgens, als er mir das uͤberſtandene Leiden der Nacht klagte, wenn alles das, welches weder mir, noch ſonſt jemanden im Hauſe wiederfaͤhrt, nicht Mahnung der Geldgeiſter iſt, die ſich entweder raͤchen, weil ſie auf dem Wege zu ihrer Bekannt - ſchaft ſtehen bleiben, oder ſie ermuntern wollen, denſelben wieder zu betreten. Ja, wie ichs auch uͤberlege, ſo behaupte ich recht zu haben, und will mich nun nicht laͤnger abhalten laſſen, die noͤthi - gen Buͤcher anzuſchaffen.
Der Magiſter wollte nicht zu ſehr zaghaft ſcheinen, war auch wohl geneigt, meine Vorſtel - lung fuͤr wahrſcheinlich zu halten, alſo widerſprach er mir nicht, aber ich ſah es ihm an, daß er wuͤnſchte, ich moͤchte die Sache lieber wieder ver - geſſen, und daß etwas von Ahndung, ſeiner Pein koͤnne leicht mehr werden, ihm im Kopf herum - ſchlich. Jch that als ſaͤhe ich nichts, borgte Geld, und kaufte nebſt dem Hoͤllenzwang, den ich bereits erkundſchaftet hatte, noch einige cabaliſtiſche Werk - chen. Dies alles lud ich einem Traͤger auf, und kam frohlockend damit nach Hauſe.
Schrecken und Freude, den Hoͤllenzwang wie - der zu ſehen, bemeiſterte ſich meines Magiſters, eins ſo ſtark wie das andere, doch die Freude be -R 3hielt262hielt die Oberhand. Er fuhr ſogleich uͤber das Buch her, und begann mir Erklaͤrung des erſten beſten, was ihm in die Haͤnde fiel, zu geben.
Da es aber zu daͤmmern anfing, legte er alles bei Seite, und that nicht einen Schritt allein aus der Stube; eben ſo wenig blieb er ohne mich in derſelben zuruͤck, wir waren dieſen Abend unzer - trennlich; auch beſtand er darauf, daß die Nacht Licht brennen ſollte. Er hatte nichts zu befuͤrch - ten, es war beſchloſſen, ihm mehrere Tage hinter - einander Ruhe zu laſſen, nach denſelben geſtand er, daß ihm meine Behauptung, die Abſicht der Gei - ſter auf ihn betreffend, wohl richtig ſein wuͤrde, denn nun ließen ſie ihn zufrieden, in Erwartung, wie es ſchien, daß er ſich geſchickt machen werde, auf einen vertrauten Fuß mit ihnen zu kommen. Jn dieſer Meinung beſtaͤrkte ich ihn mit vielem Eifer, rieth ihm aber auch erſtlich, die Gedult der Geiſter nicht zu mißbrauchen, ſondern zur Sache zu ſchreiten. Um ihn hierzu ganz geneigt zu ma - chen, ließ ich in der Nacht eine Stimme ihm zu - rufen: „ Gottlieb Heinrich Confuſelius, wir war - ten deines Fleißes, um dich zu unſerm Freund und zu den Geheimniſſen des Himmels und der Erde zu weihen! “
Haben263Haben Sie gehoͤrt? fragte mich der Magiſter mit bebender Stimme — ich that eben ſo betrof - fen als er, aber weniger furchtſam, und ſo antwor - tete ich: ja, ich habe gehoͤrt und ſtaune! O, daß dieſer große Ruf an mich ergangen waͤre! Kaum hatte ich dies geſagt, als die Stimme die Einla - dung wiederholte; der Ton, mit dem ſie ſprach, war zwar hohl, aber ſanft, er ward immer ſanfter, beim drittenmal ward er ganz ſchmeichelnd und bittend.
Wir brachten die Nacht wachend unter Ueber - legungen hin, ich ſtimmte die Art, mit dem Ma - giſter zu ſprechen, ganz um, behandelte ihn mit Ehrfurcht, und bat ſeine Freunde, die Geiſter doch auch mit mir bekannt zu machen, wenn er es voll - kommen mit ihnen ſein wuͤrde, gern wollte ich ihn fuͤr meinen Herrn und Meiſter erkennen, und im - mer ſein gelehriger Schuͤler bleiben. Schon zufrie - den, daß ich die Geheimniſſe, welche er erfahren wuͤrde, erſt dann erfuͤhre, wenn er es etwa fuͤr gut befinden ſollte, einmal die Welt zu verlaſſen, welche Begebenheit doch der Himmel noch viele Jahre weit entfernt laſſen moͤchte!
Confuſelius fuͤhlte ſich von dieſer Sprache um ſo mehr geſchmeichelt, da ſie ihm von mir neu war, er wußte ſich aber darein zu finden, ſetzte ſich ſo -R 4gleich264gleich ebenfalls auf einen andern Ton, verſprach mir Schutz und Unterricht, wenn ich es mit meh - rerer Achtung, als ich ihm bisher bewieſen, verdie - nen wuͤrde, nannte mich du, und ſagte gegen Mor - gen: jetzt laß mich ein wenig ruhen, mein Sohn, damit der Geiſt Kraͤfte ſammeln moͤge, die hohen Wiſſenſchaften, deren ich wuͤrdig geſchaͤtzt bin, ſo - gleich zu nehmen.
Dieſem Vorſatz gemaͤß ward des Morgens die Arbeit vorgenommen; Confuſelius ſchloß ſich ein, ſobald ich wegging, und fuhr ſo fort fuͤr ſich allein zu ſtudieren, ich ſelbſt mußte zuweilen lange um Einlaß bitten, wenn ich nach Hauſe kam, er wies mich dann in pathetiſchem Ton mit den Worten ab: ſtoͤhre mich jetzt nicht, mein Sohn, es iſt eben eine wichtige Minute. Jch ließ mir alles gefallen, und fuhr fort den Ehrerbiethigen zu machen, ſo wie der Magiſter immer mehr den Ton eines begeiſter - ten und meines zukuͤnftigen Meiſters annahm. Um ihn in ſeiner Einbildung zu erhalten, verſah ich ihn heimlich mit Wein, den ich nur eben durch ſo viel Opium verſtaͤrkte als noͤthig war, ihn zu betaͤnben, und doch zugleich ſeine Einbildung zu erheben. Er verſagte es nicht, ſich dieſes Huͤlfsmittels zu bedie - nen, indem er fand, daß der Rebenfaſt ein vor - treffliches Mittel ſei, die Sinne des Koͤrpers zuoͤffnen,265oͤffnen, zu erweitern, und ſie dem geiſtigen Sinn empfaͤnglich zu machen Hingegen brach er ſich deſto mehr an Nahrungsmitteln ab, und wollte deren nur leichte genießen, wenn aber der Hunger ſeinen Vor - ſatz dennoch uͤberwand, ſo ſuchte er die Verdanung einer zu kraͤftigen Mahlzeit durch eine heftige Be - wegung zu befoͤrdern, und ſich durch die Bouteille wieder zu ſtaͤrken. Etlichemal hatte ich eine Pur - ganz unter ſeine Portion, die er ſich, ſeitdem er den neuen Studie plan verfolgte, auf meine Stube bringen ließ, gewuͤnſcht, und brachte ihn dann auf die Vermuthung, daß die Geiſter ſelbſt dieſe Wuͤr - kung herborbraͤchten, um die groben Saͤfte und die Gaͤhrung, welche von den zu ſtarken Speiſen ver - urſacht wuͤrden, wegzuſchaffen, er trat dieſer Mei - nung bei, und weil immer ein heftiges Bauchgrim - men mit der Ausleerung verbunden war, ſo hielt er dies fuͤr eine Art von Strafe, wollte ſich ihr nicht mehr unterwerfen, und hungerte wieder.
So litt er einen halben Monath durch Pein verſchiedener Art, duͤnkte ſich aber dabei auf dem Wege, ein großer und gluͤcklicher Menſch zu wer - den. Schon glaubte er es nicht mit einem ſo boͤs - artigen Weſen, als man den Teufel ſchildert, ſon - dern mit Geiſtern guter Art zu thun zu haben, wenigſtens begann er eine beſſere Meinung von denerſten266erſten zu faſſen, und dafuͤr zu halten, es kaͤme alles darauf an, ſich mit ihm auf einen gewiſſen Fuß ſetzen zu koͤnnen, ſo waͤre ſeine Bekanntſchaft zu vielen Dingen nuͤtze, ohne daß man noͤthig haͤtte, es mit dem lieben Gott voͤllig zu verderben. Dies wollte er auch keineswegs, deshalb bethete er auch oft ſehr andaͤchtig, und verſaͤumte die Kirche nie - mals; ich gab ihm hieruͤber meine Bedenklichkeiten ſehr ernſthaft zu verſtehen, und meinte, daß eine ſolche Achſeltraͤgerei ihn leicht mit beiden Weſen veruneinigen koͤnnte; aber er wollte, daß ich dar - uͤber ruhig ſein ſollte, und berief ſich auf die Wor - te: den Reinen iſt alles rein. Jndem er ſich nun den Beiſtand des Himmels und der Hoͤlle zu verſchaffen ſuchte, und kraft des Weins und des Opiums bereits vieles ſah und hoͤrte, was ihm beides zu verſichern ſchien, ward er taͤglich ſtolzer, und weidete ſich ſchon in der Jdee, wie er denen, welche ihn veraͤchtlich tractirt hatten, beſonders meine Mutter und meinen Stiefvater ſeine Groͤße empfinden laſſen wollte, wenn ihm nicht neue Reich - thuͤmer, ſo viel er verlangte, zu Gebote ſtehen, ſon - dern auch ſein Ruhm weit und breit erſchallen, und Fuͤrſten um ſeine Bekanntſchaft buhlen wuͤrden.
Faſt drei Wochen waren unter Vorbereitungen und Einbildungen dieſer Art hingegangen, und nunſchritt267ſchritt der Magiſter zur foͤrmlichen Einladung ſeiner geiſtigen Gehuͤlfen, wozu er die Formel einſtudiret hatte. Jch ſelbſt, der ſein Vertrauter war, wußte ihm alles, was, um die Scene feierlicher zu ma - chen, noͤthig war, beſorgen, beredete ihn aber leicht, ſie bis zur Mitternachtsſtunde aufzuſchieben, damit nicht Neugierige uns ſtoͤhren moͤchten: eben ſo be - kam ich auch ohne Schwierigkeit die Erlaubniß, ge - genwaͤrtig bleiben zu duͤrfen, ich glaube, aber, zu dieſer Guͤtigkeit bewog ihn ein Reſt von Furcht. Jch unterwarf mich der Nothwendigkeit zu faſten mit ihm, wir genoſſen Mittags ein wenig Suppe, und Abends gar nichts, nur einige Glaͤſer Wein wurden gegen Abend getrunken, dies aber ohne Opium, den ich wegließ, weil ich mittrinken, aber nicht mit begeiſtert ſein wollte; uͤbrigens ſetzte ich dieſen gro - ßen Tag alles aus, und verließ den Magiſter nur zu - weilen auf Minuten, um geſchwind etwas zu eſſen, und ſo das Faſten aushalten zu koͤnnen.
Es hatte eilf geſchlagen, auf dem mit ſchwar - zem Tuch behangenen Tiſch brannten zwei Kerzen, und zwei Schwerdter lagen kreuzweis auf demſel - ben. Um den Tiſch her war ein weiter Kreiß mit Kohle gezogen, Confuſelius hatte Fuͤße und Haupt entbloͤßt, hatte einen ſchwarzen Mantel umgenom - men, ſprach uͤber ſich und mich eine Art Seegen,der268der uns bei allem, was ſich etwa zutragen koͤnnte, ſichern ſollte, und wuͤrde auch mich mit in den Kreiß genommen haben, wenn ich mich deſſen nicht fuͤr diesmal unwuͤrdig geſchaͤtzt, und um Verguͤnſtigung gebethen haͤtte, mich nahe an der Thuͤr aufzuhal - ten, welche mir mit hoher Miene gewaͤhrt wurde.
Der Magiſter ſprach nun ſeinen Zitations - ſpruch, und wiederholte ihn dreimal; waͤhrend er es that, und dabei ſo außer ſich war, daß er nichts um ſich her ſah und hoͤrte, riegelte ich leiſe die Thuͤr, welche wir vorher verriegelt hatten, wieder auf, oͤffnete ſie eben ſo unbemerkt, ſo daß ſie nur ange - lehnt blieb. Schon bei der erſten Zitation rauſchte es im Kamin, bei der zweiten Wiederholung ward das Getoͤſe ſtaͤrker, und nach der dritten kam Mei - ſter Urian mit kurzen Hoͤrnern und einer haͤßlichen Fratze von Geſicht, ſchwarz, wie er von Natur iſt, graͤßlich bruͤllend, durch den Schornſtein herunter gefahren, packte den zu Eis gewordenen Magiſter, und fuhr mit ihm zur Thuͤr hinaus.
Hier iſt es Zeit, meinen Leſern, indem ich ſie mit dieſem Teufel bekannt mache, zugleich zu be - richten, wie es mit dem Geſpenſt, welches ihm vor - hin ſo oft zugeſetzt hatte, zuging: Unter meinen Vertrauten befand ſich ein Schornſteinfegergeſelle, der an Verwegenheit, an Muth und Geſchicklichkeit,die269die kuͤhnſten Streiche auszufuͤhren, mich ſelbſt weit uͤbertraf, ich hatte ihn ſchon laͤnger als ein Jahr vor der Ankunft des Magiſters in Sold, und hielt große Stuͤcke auf den Menſchen, welcher mir in allem, was ich noch nicht wußte, Unterricht gab, und ſo die gute Anlage in mir ausbildete Jm Hauſe hatte ich ihm freien Eingang verſchafft, wir hielten es fuͤr noͤthig, innerhalb deſſelben nichts an - zuſtiften, welches ihn in uͤbeln Kredit bringen koͤnn - te; durch dieſe Vorſicht gewann Klaus das Zu - trauen der Frau Elfenbein und ihrer Tochter, wel - ches er durch ſeine Willigkeit, ihnen kleine Dienſte zu leiſten, vermehrte.
Er alſo war es, der dem Magiſter in der Daͤm - merung erſchien, der ihn des Nachts neckte, der jene einladenden und ſchmeichelhaften Worte aus dem Schornſtein hoͤren ließ, und jetzt den Magi - ſter in Geſtalt des Teufels davon fuͤhrte. — Es kam uns zu alledem nicht wenig zu ſtatten, daß meine Stube ein Kamin hatte.
Klaus ſchleppte nach Abrede ſeine Beute die Bodentreppe hinauf, warf ſie in einen Winkel des - ſelben ziemlich unſanft nieder, und ſchlich ſich da - von. Jch durfte nicht ſobald nach dem Magiſter ſehen, es war natuͤrlich, daß auch ich bis zur Ohn - macht erſchrocken ſein mußte, wenn ich wieder zumir270mir gekommen war, nicht daran denken konnte, ihn auf dem Boden zu ſuchen, ſondern glauben mußte, der Boͤſe haͤtte meinen lieben Confuſelius durch alle Luͤfte fortgefuͤhrt. Folglich hatte ich Zeit, mich mit Klauſen, welcher mir ſagte, daß der arme Teufel wie todt waͤre, zu freuen, daß unſer Streich ſo gut gelungen war, und dann ihn wieder aus dem Hauſe zu laſſen.
Da es geſchehen war, machte ich Anſtalt, mich zu Bette zu begeben, denn ich mußte durchaus den Morgen erwarten, ehe ich nach dem Magiſter ſahe, und dann auch mich ſtellen, als waͤre ich ohngefaͤhr auf den Boden gerathen. Doch ich uͤberlegte, daß er ſich auch wohl erholen und von ſelbſt herunter - kommen koͤnnte, wo er es denn wenig theilnehmend finden wuͤrde, wenn ich mich ruhig ſchlafen gelegt haͤtte. Alſo warf ich mich wie ich war aufs Bette, und uͤbte mich in einer Stellung, die Betruͤbniß und Erſtaunen anzeigen ſollte. Kaum hatte ich mich (welches ich fuͤr das ausdruͤckendſte hielt) queer uͤber das Bette geworfen, die Haͤnde gefaltet, und den Blick ſtarr vor mich hingeworfen, als ich es fuͤr nothig erkannte, ſo liegen zu bleiben, weil ich den Magiſter die Bodentreppe herunterkommen und aͤchzen hoͤrte, bald darauf fiel er vollends herunter, ich mußte aber in meiner troſtloſen Stellung blei -ben,271ben, und ſo außer mir ſein, daß ich nichts, auch den Fall nicht gehoͤrt hatte, alſo wartete ich es ab, daß er ſich wieder aufrafte, und hereingehinkt kam.
Ach! ach! Monſieur Schnitzer, ſagte er mit wankender Stimme, haben Sie denn ſo ganz alles Erbarmen verloren, daß Sie ruhig hier liegen, in - dem ich die Treppe herunterfalle. Er war hinzu gewankt, und ſtand vor mir, ich that als ob ich aus der Betaͤubung erwachte, fuhr auf, ſchloß ihn in meine Arme, und rief: o, ſind Sie wieder da, leben Sie wuͤrklich! Er ſank — bringen Sie mich zu Bette, ſagte er mit leiſer Stimme mit mir iſts aus, und Gott gebe, daß Sie ſich nicht blos ver - ſtellen, und es eigentlich ſind, der meinen Tod durch dieſen boshaften Streich — weiter konnte er nicht ſprechen, denn eine neue Ohnmacht uͤberfiel ihn. Jch hatte ihn auf mein Bette geworfen, ging und rufte die Koͤchinn der Frau Elfenbein, der ich ſagte, der Magiſter waͤre ploͤtzlich krank worden, da wir noch aufgeſeſſen und ſtudiert haͤtten. Wir brach - ten ihn nun zu Bette, aber ſeine Krankheit nahm ſo zu, daß die Koͤchinn fuͤr gut fand ihre Frau zu wecken. Da auch dieſe dem wuͤrklichen kranken Mann nicht helfen konnte, und ſich gegen Morgen ſtarke Hitze nebſt Fantaſien fanden, hielt Frau El - fenbein dafuͤr, daß man nach einem Arzt ſchickenmoͤchte,272moͤchte, allein dieſer konnte mit aller ſeiner Kunſt den guten Magiſter Gottlieb Heinrich Confuſelius nicht retten, welcher nach der Ordnung den neun - ten Tag nach dem Ueberfall des Teufels die Welt verließ.
Frau Elfenbein wußte um den Spaß mit dem Schornſteinfeger, ſie hatte ſich oft vor Lachen die Seiten gehalten, wenn ich ihr erzaͤhlte, wie ich nach und nach den Magiſter dazu vorbereitete, und woll - te ſchon nebſt ihrer Tochter munter bleiben, um irgendwo verborgen das Teufelholen mit anzuſehen. Jetzt dankte ſie Gott, daß es nicht geſchehen war, und glaubte ſich um ſo unſchuldiger an dieſem Mord, mir aber hielt ſie waͤhrend der Krankheit und nach dem Hinſcheiden des Magiſters mit unter eine Ge - wiſſenspredigt, wodurch ſie das ihrige gaͤnzlich befreit zu haben meinte, und nun geſellte ſie die Geſchichte zu denen, womit ſie mir, auch erforderlichen Falls meiner Mutter drohen koͤnnte.
Was mich betraf, ſo war ich wuͤrklich etwas unruhig, als mein Scherz eine ſogar ſchlimme Wen - dung nahm, am meiſten war mir fuͤr ein weitlaͤuf - tiges Examen des Arztes bange, wenn Confuſelius in der Fantaſie von Geſpenſtern und vom Teufel ſprach, und noch mehr, wenn er bei voller Ver - nunft Winke gab, daß die fuͤrchterliche Erſcheinungvermuth -273vermuthlich durch mich veranſtaltet ſei. Jm erſten Fall unterhielt ich den Arzt von der Narrheit des Kranken, Geiſter zitiren zu wollen, mit welcher doch Furcht fuͤr ſie verbunden geweſen waͤre, woraus auch wohl ſeine Krankheit entſtanden ſein moͤchte. Jm zweiten hielt Confuſelius immer ſelbſt wieder an ſich, wenn jemand, beſonders der Arzt, zugegen war, weil er, da es doch nichts helfen konnte, nicht noch ausgelacht ſein wollte. Er geſtand nur, daß er einen großen Schrecken gehabt haͤtte; der Arzt nahm die Winke, welche ich ihm, wenn der Kran - ke nicht bei ſich war oder ſchlief, von ſeiner Thor - heit gab, zu Huͤlfe, glaubte nun alles zu wiſſen, und nach der Art des Schreckens nicht weiter for - ſchen zu duͤrfen. Sobald der Magiſter entſchlafen und ich von allen Seiten ſicher war, beruhigte ich mich gaͤnzlich, und lachte noch oft mit Klauſen uͤber den Auftritt jenes Abends.
Jetzt erſt, da Confuſelius todt war, ſchrieb ich meiner Mutter, daß ich ihm Obdach und Unterhalt gegeben haͤtte, weil es mir gar zu nahe gegangen waͤre, den armen Mann, der meines Vaters Freund und hernach mein Lehrer geweſen, in der Duͤrftig - keit herum wandern zu ſehen, indem ihm der Tod, als er zu mir gekommen waͤre, ſchon aus den Augen geſehen haͤtte. Jn der Antwort, welche ich darauf2 r Theil. Serhielt,274erhielt, lobte ſie zwar meine Gutherzigkeit, rieth mir aber doch kuͤnftig dergleichen großmuͤthige Hand - lungen zu unterlaſſen, weil ich ja fuͤr mich ſelbſt genug brauchte. Sie ſchmaͤhlte dabei ein wenig uͤber den Aufwand, welchen ich ihr bei ſeiner Ernaͤhrung, noch mehr bei der Krankheit und dem Begraͤbniß uͤber den Hals gezogen haͤtte, und kuͤndigte mir an, daß ſie nie mehr etwas von der Art gut thun wuͤr - de, wonach ich mich zu richten haͤtte.
Dieſe vermeinte unnoͤthige Gutherzigkeit erklaͤr - te ſich der beſorgten Mutter in wenig Zeit ganz anders, ſie hatte da den Troſt zu erfahren, daß ihr Goldfritzel ſich eines Fehlers beſchuldigt, den er nicht beſaß, welches ihr die Aergerniß anderer Art, womit ſie hingegen heimgeſucht wurde, vielleicht weniger bitter machte.
Jch hatte die Erlaubniß zu ſtudieren von ihr, oder vielmehr vom Baron, ohne deſſen Einwilli - gung ſie nichts thun durfte, erhalten; er ſelbſt war nicht willens dazu beizutragen, und da er von dem, was meine Mutter fuͤr ſich behalten hatte, nichts bekam, konnte es ihm auch gleichguͤltig ſein, ob ſie viel oder wenig an mich wandte. Allein da er ſich einmal vorgenommen hatte den ſtrengen Vater zu machen, und darauf zu beſtehen, daß ich kurz ge - halten wuͤrde, ſo ſetzte er auch da, als ich auf dieUniver -275Univerſitaͤt gehen ſollte, feſt, wie viel mir die Mutter jaͤhrlich geben ſollte, und ſchwur, daß er ihr entgelten laſſen wollte, wenn er hoͤren ſollte, daß ſie insgeheim mehr hinzu thaͤte, welches er ſchon erfahren wuͤrde. Vernaͤhme er aber gar, daß ich Schulden machte, ſo wollte er mich jedem dar - aus erfolgenden Ungemach uͤberlaſſen, und wuͤrde die Frau Mamma, um mich davon zu befreien, die Schulden bezahlen, ſo ſollte ſie es gewiß bereuen. Es iſt unentſchieden geblieben, ob der Baron Treff meine Beſſerung durch dieſe Strenge beabſichtigte, oder ob er ſie blos ſeiner Frau Gemahlinn zum Pos - ſen annahm; mit mehrerer Gewißheit aber kann ich meine Leſer verſichern, daß die Luſt, mich an dem Mann zu taͤchen, ungemein zunahm, nachdem mir meine Mutter ſeine grauſamen Befehle, meinen kuͤnftigen Etat betreffend, bekannt gemacht hatte.
Dieſen Bericht erhielt ich, als ich ſechs Mo - nate nach des Magiſter Confuſelius Tode nach ... abgehen wollte, und Frau Elfenbein fuͤr gut fand, die Rechnungen uͤber ihre Auslage an die gnaͤdige Frau zu ſchicken. Da dieſe mit den aufgenomme - nen Summen, fuͤr welche ſie gut geſagt hatte, uͤber 1000 Thaler betrugen, ſo fand es meine gnaͤ - dige Mamma doch ein wenig zu ſtark, wenn ſie be - ſonders hinzu dachte, wie viel ſie mir noch außerS 2dem276dem Beſtimmten geſchickt hatte. Kaum konnte ſie ſich enthalten, die Briefe von meinem Wirth und mir ihrem Gemahl hinzutragen, denn ſie war nicht nur boͤſe auf Meiſter Elfenbein und ſeine Frau, ſon - dern auch auf mich. Doch die muͤtterliche Liebe gewann bald wieder die Oberhand, ſie beſchloß zu ſchweigen, aber den Wirthsleuten durch ihren bis - herigen geheimen Weg zu drohen, ſie wuͤrde alles genau unterſuchen laſſen, indem es unmoͤglich ſei, daß ich ſo viel gebraucht haben koͤnnte, auch wuͤrde ſie nichts bezahlen, bis dieſe Unterſuchung geſchehen waͤre, welche ihr Gemahl ſelbſt uͤberneh - men wollte. Ein Schreiben an mich enthielt zwar die nehmliche Erklaͤrung, nebſt vielem Ach und Weh uͤber meine Verſchwendung, in der Hoffnung aber, daß ich zur Haͤlfte unſchuldig waͤre, und mit ihr einſtimmen wuͤrde, Elfenbeins in die Enge zu trei - ben, ſagte ſie am Schluß des Briefes, daß ſie um mich zu ſchonen meinem ſtrengen Vater noch nichts von dieſen enormen Schulden geſagt haͤtte, und es ſo zu vermitteln wuͤnſchte, daß ſie nicht bezahlen duͤrfte, ohne mir uͤble Behandlung zuzuziehen. Jch konnte dieſen Wink nicht nutzen ſo gern ichs gethan haͤtte, was ging mich Frau Elfenbein an, ſobald ich ſie nicht mehr brauchte, ich haͤtte weit lieber das, was meine Mutter ihr zahlen mußte, dieſerfuͤr277fuͤr mich ſelbſt abgeſchwatzt. Aber Meiſter Elfen - bein, oder vielmehr ſeine Frau, die er walten ließ, weil ſie ſich mit ſo was beſſer zu benehmen wußte, beſaß nicht weniger Egoismus als ich, und vereitel - te meinen guten Willen.
Sie kam mit dem Briefe meiner Mutter in meine Stube gerannt, und hob einen greulichen Laͤrm uͤber die Drohungen derſelben an. Alle meine geheimen Stuͤckcheu kamen nun eins nach dem an - dern zum Vorwurf, und der Refrain war immer: laſſen Sie nur den Baron kommen, er ſoll alles er - fahren, und die Obrigkeit dazu. Gut, verſetzte ich, als Sie das zum letztenmal geſagt hatte, ſo wer - den auch Sie in Verantwortung kommen, weil Sie das alles bisher verheimlicht haben. Sie ſtutzte, beſann ſich aber ſogleich wieder, und ſagte, da mache ich mir nichts draus, und es wird mir auch den Hals nicht koſten, daß ich nachſichtig war und Sie ſchonte, wer beſchimpft denn gern Leute, mit denen man zuſammen lebt, und wer will nicht gern einem jungen Menſchen ſo lange als moͤglich nachſehen. Jetzt kann ichs aber nicht mehr, denn Sie ſind ein Boͤſewicht, das will ich vor allen Dingen ihrem Stiefvater ſchreiben, dann mag er, ehe er andere Anſtalten macht, mit Jhrer Mutter uͤberlegen, obS 3Sie278Sie auf ein paar Jahr ins Zuchthaus ſollen; wenn das iſt, will ich mein Geld verliehren.
Jch war ziemlich geneigt zu glauben, daß Frau Elfenbein im Ernſt ſpraͤche, und wußte nicht ſo recht gewiß, ob der Herr Pappa wegen des Zuchthauſes nicht aͤhnlicher Meinung ſein wuͤrde, um die Probe nicht zu machen, rief ich ſie, die mit dieſem Ent - ſchluß wegging, mit Freundlichkeit zuruͤck, und bat ſie zu hoͤren, was meine Mutter mir geſchrieben haͤtte. Da ich ihr nur blos den Schluß des Brie - fes vorlas, aus dem ſie erſah, daß dem Baron Treff noch nichts von meinen Schulden wiſſend war, ſo verſoͤhnte ſie ſich ſo weit mit mir, daß ſie verſprach, bis zum letzten Augenblick meine Freun - dinn zu bleiben und nicht zu verrathen, wenn ich ihr vor meiner Abreiſe das Geld von meiner Mut - ter ſchaffen wuͤrde. Jch verſprach es ihr, allein ſie wollte ſich auch darauf nicht verlaſſen, ſondern den ſtreitigen Punkt auf einmal heben, alſo mußte Mei - ſter Elfenbein alles, was ich begangen hatte, nach der Ordnung zu Papiere bringen. Dieſe Species facti legte ſie einem Brief an meine Mutter bei, in welchem ſie es ihrer Beurtheilung uͤberließ, ob Leute, welche mir ſo viel luͤderliche und boͤſe Streiche uͤberſehen und verheimlicht haͤtten, wohl verdien - ten als Betruͤger behandelt zu werden? und obſolche279ſolche Leute, wenn ſie noch dazu um das Jhrige ge - bracht werden ſollten, wohl ſchweigen koͤnnten?
Dieſer Brief that die gewuͤnſchte Wuͤrkung, meine Mutter entſchloß ſich das Geld zu ſchicken, ſie benutzte den erſten Rauſch ihres Gemahls, um, wie ſie ſchon mehrmal gethan hatte, ſeine Caſſe zu beſtehlen, und ſo zu dem, was ſie abſchicken mußte, eine Zubuße zu haben.
Jndem aber die Wirthsleute befriedigt wur - den, empfing ich einen harten Brief von meiner diesmal nicht zaͤrtlichen Mutter. Sie uͤberging meine Genieſtreiche mit einem leichten Verweis, und zeigte deutlich, daß ſie nur die Unbehutſamkeit daran tadelte, mit der ich mich dabei den Wirths - leuten blos gegeben haͤtte, weil dieſe jetzt ohnge - ſcheut dafuͤr ſchnellten, und ſie es bezahlen muͤßte. Vielleicht in der Abſicht, daß ich die Verraͤtherei raͤchen ſollte, ſchickte ſie mir das Papier mit, wel - ches dieſelbe enthielt; ſie hoffte gaͤnzlich, daß nicht alles ganz wahr ſein ſollte, und ſchimpfte, wenn es auch waͤre, mehr auf Elfenbeins, die ſie ſchlechtes und verfuͤhreriſches Volk nannte, welches unſchul - dige junge Leute vermuthlich ſelbſt zu ſo was an - fuͤhrte, um Nutzen davon zu ziehen. Jch war groß - muͤthig und raͤchte nichts an Frau Elfenbein, der ich lange nicht ſo boͤſe war, als meine MutterS 4ſelbſt,280ſelbſt, weil ſie mir ankuͤndigte, daß ſie, da ich ihre Guͤte ſo mißbrauchte, ihres Mannes Rath folgen und mir auch nicht einen Groſchen mehr ſchicken wollte, als er fuͤr gut befaͤnde, ja ſollte ich Schul - den machen, ſo wollte ſie ſelbige nicht nur nicht bezahlen, ſondern mich zu beſtrafen den Stiefvater mit mir machen laſſen, was er wollte. Wiewohl ich nun dieſe Drohungen eben nicht ſehr fuͤrchtete, ſo verdroß es mich doch ſchon, daß meine Mutter eine ſolche Sprache mit mir fuͤhrte, ich war ſie nie gewohnt geweſen; auch nahm ich mir vor, ihr ſo zu antworten, daß ſie ſehen ſollte, wen ſie belei - digt haͤtte. Die Strafe, welche ich ihr zugedacht hatte, hob ſich damit an, daß ich der Elfenbein alles, was ſie ſchimpfliches auf ſie geſchrieben hatte, vorlas, und ſie ſelbſt aufmunterte, es ihr nicht zu ſchenken. Jch ſelbſt nannte ſie in meiner Antwort eine Rabenmutter, die, nicht zufrieden ihre Tochter verſtoßen zu haben, nun auch ihre Bosheit und Kargheit an mir ausuͤben wollte, um nun alles dem hochadelichen Herrn Gemahl zuzuſtecken. So manches, was mir aus ihrem Lebenslauf bewußt war, ward nun auch als Drohung, es allgemein bekannt zu machen, vorgetragen; dies ſollte nehm - lich geſchehen, wenn ſie ſo hart gegen mich verfuͤhre, wie ſie es mich erwarten ließ.
Jch281Jch weis nicht, ob die Frau Baroninn auch glaubte, es ſei mit meinem Drohen nicht ernſtlich gemeint, oder ob ſie, jetzt eine adeliche Dame, ſich uͤber alles, was man von ihr erfahren koͤnnte, weg - ſetzte, und lieber erwarten wollte, daß ich Wort hielt, als mich, auf den ſie einmal im Ernſt boͤſe war, in meinem Uebermuth zu ſtaͤrken, genug, ich bekam nicht nur gar keine Antwort, ſondern auch laͤnger als drei Monate nichts mehr geſchickt, als mir ausgeſetzt war. Was haͤtte ich in dieſem klaͤg - lichen Zuſtande angefangen, wenn ich meinen ge - treuen Klaus nicht als Bedienten mit nach ... genommen haͤtte? Er allein verſchaffte mir die Mit - tel, mir weder an Wohlleben, noch an verſtohlnen Freuden etwas abbrechen zu duͤrfen; denn indem er uͤberall meiner Eltern Reichthuͤmer ruͤhmte, wo - zu ich der einzige Sohn waͤre, ſetzte es Kredit, auch bediente ich mich deſſelben nicht ſparſam, ich war nach dem erſten Vierteljahr ſchon dreimal mehr ſchuldig, als ich bezahlen konnte, als der Wechſel vom Hauſe einlief.
Waͤhrend dieſer drei Monate hatte ich mir aber auch ſchon auf alle nur erdenkliche Art guͤt - lich gethan, hatte mir von der roheſten Studenten - klaſſe einen Anhang gemacht, viele davon frei ge - halten, und mir zu einer Menge ausgeſuchterStreiche282Streiche ihre Huͤlfe erkauft. Es ging freilich nicht immer ſo durch, wie auf der Schule, mehr als ein - mal fiel ich dem Pedel in die Haͤnde, und ſollte ins Career ſpatzieren, doch auch da half Geld, ſo - bald ichs nur durch dieſes Metall vermitteln konn - te, war alles gehoben, und gern gab ich Geldſtrafe, um nur auf freiem Fuß zu bleiben und wieder aufs neue ſuͤndigen zu koͤnnen.
Klaus, welcher nicht nur mein Gehuͤlfe und Rathgeber war, ſondern auch um der Sicherheit willen mitunter den Hofmeiſter, oder doch den Sachfuͤhrer machte, uͤberlegte, daß wir ganz um unſern Kredit kommen wuͤrden, wenn wir die al - ten Schulden nicht bezahlten, denn ſchon wollte man nicht recht mehr an die Willigkeit meiner Eltern, alles aufgelaufene zu bezahlen, glauben, da ſchon fuͤnf Monate vergangen waren, in denen ich wenig bezahlt und deſto mehr zugeborgt hatte. Er nahm einen Duell zu Huͤlfe, den ich wuͤrklich gehabt und wobei ich eine kleine Wunde bekommen hatte, um meiner Mutter einen klaͤglichen Brief von meinem Leiden und dem Mongel dabei zu ſchreiben. Er war in dieſem Brief nicht mein Bedienter, ſon - dern mein Freund, ein Student wie ich, ein Be - wunderer meiner Talente und meiner guten Auf - fuͤhrung. Wir bedienten uns des ehemaligen Wegs,ihr283ihr dieſen Brief insgeheim zukommen zu laſſen, weil wir nicht wußten, wie der Baron die Sache auf - nehmen und ob er ſie nicht wuͤrde unterſuchen las - ſen, wenn er ſie in Erfahrung braͤchte. Das Mut - terherz ward etwas erweicht, wie es aber ſchien, freute ſie ſich nicht allein ihres wohlgerathenen Sohns, ſondern auch ihrer bisherigen Feſtigkeit, der ſie die von Klauſen geruͤhmte regelmaͤßige Auf - fuͤhrung zuſchrieb. Den Duell rechnete ſie als eine ehrenvolle That, und aͤrgerte ſich nur, daß ich dem Gegner keine Wunde beigebracht hatte.
Sie beſchloß, mir wieder außerordentlich bei - zuſtehen, um mich aber auf dem guten Wege, wel - chen ich dieſem Briefe nach betreten hatte, zu er - halten, erfolgte weit weniger, als ich im Schuͤler - ſtande bekommen hatte, auch ſetzte ſie ihr Still - ſchweigen gegen mich fort, und antwortete nur Klauſen; doch war in dem Briefe an ihn das Ver - ſprechen beigefuͤgt, daß ich oͤfter Beweiſe ihres Wohlgefallens erhalten ſollte, wenn ich fortfuͤhre ihr Ehre zu machen.
Was alſo jetzt erfolgte, waren freilich nur ei - nige Tropfen Waſſer, womit man ein großes Feuer loͤſchen will, ich brauchte es auf der Stelle ſelbſt, hatte alſo wieder nichts, um meine Glaͤubiger zu bezahlen und friſchen Kredit zu erlangen. Ergrimmt,wie284wie man es nur auf den frechſten Beleidiger iſt, war ich jetzt auf die Mutter, welche, nachdem ſie von meinen Kinderjahren her jeden Befehl, den ich ihr gab, reſpectirt hatte, und mir in meinen Wuͤn - ſchen zuvorgekommen, nun da ich erwachſen war, die ſparſame und ſtrenge Mutter machen wollte.
Jch war eben wit Klauſen daran, ein Mittel auszuſinnen, wodurch ſie zu Kreuze kriechen muͤßte, als jemand bei mir erſchien, der mich noch mehr dazu beſtimmte. Dieſer jemand war der juͤngſte Bruder meiner Mutter, ein Menſch, der mich durch ſeine freie Art ſich auszudruͤcken und durch den ungezwungenen Witz, welchen er zeigte, ſo - gleich fuͤr ſich einnahm.
Auf die Nachricht, die er von dem herrlichen Zuſtande ſeiner Schweſter erhielt, hatte er beſtaͤn - dig darauf gedacht, dieſen guten Umſtand fuͤr ſich zu benutzen. Lange harrte er, ſo wie auch ſein aͤlterer Bruder, auf die in Buſchens Brief an ſeine Mutter verheißene Unterſtuͤtzung von Schweſter Suschen. Als aber dieſe außen blieb, und meine Großmutter ihren Soͤhnen von der Denkungsart der Tochter und von ihrem eignen guten Unter - kommen im Buſchiſchen Hauſe das Wahre berich - tete, hofften ſie nicht laͤnger auf ihre Frau Schwe - ſter, ſchimpften aber nach Gebuͤhr auf ſie. JhreMutter285Mutter gab ihnen nachher zuweilen Nachricht von ihrem Ergehen und eben ſo von dem, was ſie, Ma - dam Schnitzerinn und hernach Frau Baroninn von Treff angehend, erfuhr, daneben konnte Buſchens Diener, der dieſe Briefe ſchrieb, nie der Ermahnun - gen, ſich gut aufzufuͤhren, genug hinzufuͤgen; auch legte die alte Mutter zuweilen etwas von ihrem er - ſparten Lohn fuͤr ihre Soͤhne bei.
Dieſe muͤtterliche Sorgfalt hatte lange das ihrige gethan, der aͤlteſte der beiden Bruͤder war uͤberdies ſehr geſetzt, und Friedrich, der juͤngere, hatte einen aufmerkſamen Hofmeiſter an ihm. Da jener Unterofficier geworden war, ſo ſuchte er ſei - nen leichtſinnigen Bruder durch Ernſt und Guͤte von allzuſchlimmen Wegen abzuhalten, demohnerachtet machte dieſer zuweilen Streiche, welche Strafe nach ſich zogen, und ſo war er ſchon etliche Jahre hin - durch mehr gezuͤchtigt worden, als er mit ſeiner Neigung zum ungehinderten Ausuͤben deſſen, was ihm gut duͤnkte, ertragen konnte. Sehr oft dachte er an ſeine reiche Schweſter, und hielt dafuͤr, daß ſie ihn als ihren Bruder nicht nur aufnehmen, ſon - dern auch gut halten muͤßte, wenn er bei ihr waͤre. Dieß leuchtete ihm immer mehr ein, ſo daß er ſich zuletzt fuͤr einen dummen Menſchen hielt, weil er nicht ſchon lange davon zu kommen geſucht hatte,um286um die Reiſe zu ihr anzutreten. Um nicht in die - ſer Dummheit fortzufahren, deſertirte er alſo wuͤrk - lich, ſobald ſichs nur thun ließ, und ging gerades Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal - tenen Nachrichten ſeine Schweſter zu ſuchen hatte, dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und ſo kam er denn wohlbehalten bei ihr an.
Meine Mutter war uͤber den Zuſpruch eines Menſchen, der in abgeſchabter Soldaten-Uniform, einem ſchmutzigen Buͤndel auf dem Stock tragend, ankam, und ſich ohne Umſtaͤnde als ihren Bruder ankuͤndigte, ſo erbittert, daß ſie ihm die Thuͤre wies, ohne weiter unterſuchen zu wollen, ob er wuͤrklich ihr Bruder waͤre. Friedrich nahm dieſe Begegnung uͤbel, und bewies es vor allen Domeſti - ken, nicht auf die feinſte Art, er ſei der, fuͤr den er ſich ausgaͤbe; aber ihre gnaͤdige Frau, das hof - faͤrthige Weib, wollte ihn verlaͤugnen, wie ſie ihre Mutter verlaͤugnet haͤtte. Es waͤre abſcheulich, daß ſie ſich der Jhrigen ſchaͤmte, und es durchaus nicht Wort haben wollte, ſie ſei ein armes Soldaten - maͤdchen, die bei ihres Mannes, des Gaſtwirths Schnitzers erſten Frau mit der Mutter eingekehrt, und nur um einen Biſſen warmes Eſſen gebettelt haͤtte, worauf ſich die Wirthinn ihrer erbarmt und ſie als Dienſtmagd bei ſich behalten haͤtte. Dieswaͤre287waͤre ihm und ſeinem Bruder von der Mutter oft unter Dankſagungen gegen den lieben Gott, der ſich der Armen erbarmte, erzaͤhlt worden, aber davon wollte nun die ſtolze Dame nichts mehr wiſſen.
Dies alles erzaͤhlte Friedrich im Vorhauſe ſo laut und in ſo polterndem Tone, daß der Herr des Hauſes halb benebelt aus ſeinem Zimmer hervor - kam, um zu ſehen, was es fuͤr Laͤrm gaͤbe. Meine Mutter vernahm nicht ſobald die Stimme ihres Hausherrn, als ſie in Hoffnung ſeiner Unterſtuͤtzung die Thuͤr, welche ſie vorhin verſchloſſen hatte, auf - that und ihn bat, dieſen Betruͤger, der ſich fuͤr ihren Bruder ausgaͤbe, durch Bedienten und Knech - te aus Haus und Hof bringen zu laſſen; Friedrich ward noch erbitterter, aber der Baron erhob die Stimme, machte Anſtalt, das, worauf ſeine Frau angetragen hatte, zu verfuͤgen, und jener ſah ſich genoͤthigt der Uebermacht zu weichen.
Er begab ſich ins Wirthshaus, um dort aus - zuruhen; als ſeine Frau Schweſter dies hoͤrte, fuͤrchtete ſie die Rache, wenigſtens das fortgeſetzte Schmaͤhen ihres Bruders, und entſchloß ſich, ihn wieder rufen zu laſſen, doch ſprach ſie ihn nicht im Hauſe, ſondern in einem ans Haus ſtoßenden Garten, wohin man ihn durch eine Hinterthuͤr brin - gen mußte.
Dort288Dort reichte ſie ihm ein Goldſtuͤck als Zehr - pfennig, und zwar wollte ſie ihn gern damit unter - ſtuͤtzen, er moͤchte nun wuͤrklich ihr Bruder ſein oder nicht. Da ſie aber einen ſtolzen Barbaren zum Manne haͤtte, der ihn am wenigſten als Bru - der hier dulden wuͤrde, ſo rieth ſie ihm, ſich doch ja ſogleich fortzumachen, denn erfuͤhre er, daß dies nicht geſchehen, und der Soldat, welcher ohne Zweifel ein Deſerteur waͤre, ſich noch im Dorfe oder auch in der Naͤhe aufhielt, ſo ließ er ihn ge - wiß ſogleich arretiren!
Was ſollte nun Friedrich thun, die Gefahr, wovor ihn ſeine Schweſter warnte, war ſehr wahr - ſcheinlich, beſonders da er nicht zweifeln konnte, daß ſie ſelbſt dafuͤr ſorgen wuͤrde, ihn hinein zu ziehen. Er gab alſo den Umſtaͤnden nach, und ver - ſprach, ohne weiter mit jemand im Dorfe zu ſpre - chen, oder es in der Gegend auszubreiten, daß ſie ſeine Schweſter ſei, abzureiſen, wenn ſie ihre Gabe noch durch etliche Goldſtuͤcke vermehrte. Um aus dem Verdruß zu kommen, erfuͤllte ſie dieſe Bedin - gung, ſetzte aber hinzu, daß es fuͤr Zeitlebens nichts weiter ſetzte, darauf ſollte er ja rechnen, und ſich nur gleich aus dem Staube machen.
Friedrich hielt ſein Wort nicht ganz puͤnktlich, er blieb uͤber Nacht bei einem Bauer, der ihn ins -geheim289geheim beherbergte, weil es ſchon im Dorfe herum war, der arme Soldat ſei der Bruder ihrer gnaͤdi - gen Frau, den ſie aber aus Hochmuth verlaͤugnete. Sie war nothduͤrftig von ihren Bauern gehaßt, man hatte alſo um ſo mehr Mitleiden mit dem ver - ſchmaͤhten Bruder. Einige, denen es der Bauer, welcher ihm Obdach gab, vertraut hatte, kamen, ſobald es dunkel war, hin, um alles ausfuͤhrlich zu hoͤren, ihm dagegen zu erzaͤhlen, wie es auf dem Hofe zuging. Unter dieſen war meiner Mutter Bedienter, von welchem Friedrich die ausfuͤhrlich - ſten Nachrichten erhielt.
Demnach wußte der letzte mir zu melden, daß ſich auf der weiten Welt nicht zwei Perſonen aͤrger haſſen koͤnnen, als Baron Treff und ſeine Frau Ge - mahlinn, daß der Baron dieſe noch immer oft miß - handelte, und keins dem andern einen Biſſen Brod goͤnnte; doch hoffte er, die Frau werde den Mann uͤberwinden, denn ſchon einmal habe ſie hoͤchſt wahr - ſcheinlich etwas in die Ewigkeit befoͤrderndes mit ſeinem Weine vermiſcht, weil der Baron ein ſtar - kes Erbrechen bekommen, und nach einem Arzt haͤtte ſchicken muͤſſen, welcher ganz deutlich geſagt, er muͤſſe Giſt bekommen haben. Der Baron haͤtte dieſe That keinem andern als ſeiner lieben Ehe - haͤlfte zugeſchrieben, welche aber durchaus nichts2 r Theil. Tgeſtan -290geſtanden. Er aber habe dieſen Argwohn nie fah - ren gelaſſen, und gaͤbe ſeitdem den Wein in die Ver - wahrung ſeines Bedienten, der ihm jede Bouteille bringen, und wenn er berauſcht waͤre, nicht von der Stelle weichen duͤrfte, um den Wein zu bewa - chen und ihm einzugießen. So genoͤſſe er, der Ba - ron, auch keine Speiſe, wenn nicht ſeine zaͤrtliche Gemahlinn in gleich ſtarker Portion davon zu ſich naͤhme.
Jndem dieſe nun bis jetzt die Gelegenheit noch nicht haͤtte erhaſchen koͤnnen, ſich von ihrem theu - ren Gatten zu befreien, ſuchte ſie ihn wenigſtens auf alle Art zu bevortheilen, ſie ſaͤh es gern, wenn er trunken waͤre, weil alsdann, wie geſagt, ſein Bedienter zur Stelle bleiben muͤßte, und ſie Zeit haͤtte ſeine Kaſſe zu beſtehlen, welche in ſeinem Schlafzimmer neben dem Bette ſtaͤnde, ſo wie ſie ihren Vorrath von Gelde gleichfalls in dem ihrigen verwahrte.
Jch glaube gewiß, hatte der Bediente meiner Mutter hinzugeſetzt, daß auch der Baron ſeiner Ehehaͤlfte gern davon huͤlfe, ſie iſt aber gleichfalls auf ihrer Hut, auch ſcheint es, daß er es immer wieder vergißt, und zu keiner gehoͤrigen Veranſtal - tung kommen kann, weil er des Vormittags matt und traͤge vom geſtrigen Rauſch, und vom Nach -mittag291mittag bis auf den Abend beſchaͤftigt iſt, ſich ei - nen friſchen anzutrinken. Dies mag auch wohl Ur - ſache ſein, warum er nicht ernſtlicher darauf denkt, ſeinen Antheil am Bermoͤgen aus dem Guthe zu ziehen, wozu er anfangs ſchon gewiſſe geheime Ver - anſtaltungen gemacht hatte. Noch mag er dieſen Vorſatz wohl nicht aufgegeben haben, denn außer dem Wein, zu dem die Frau Baroninn noch dazu die Koſten halb tragen muß, giebt er keinen Gro - ſchen aus, vermuthlich um alles zu ſammeln, um wenn er, wie es im Vorſchlag war, ſein Document auf die Haͤlfte des Vermoͤgens mit einigem Verluſt verkauft haͤtte, noch eine Nebenkaſſe wegzubringen. Doch, wie ich ſchon geſagt habe, die Duͤnſte des Weins feſſeln ihu.
Mir waren dieſe ausfuͤhrlichen Nachrichten ſehr willkommen, jetzt wußte ich, wie ich, um Rache an meiner Mutter und ihrem Gemahl zu nehmen, zu Werke gehen mußte, und Klaus ſchien, wie ich aus hingeworfenen Reden von ihm ſchloß, der nehmlichen Meinung.
Mein Oncle Friedrich geſtand mir, daß ihm der Bediente meiner Mutter, ſo wie die andern, welche bei ſeinem Wirth verſammelt geweſen, von meinen luſtigen Streichen erzaͤhlt und hinzugeſetzt haͤtten, ich ſei der Mutter eine wahre Geiſel, hier -T 2auf292auf habe er ſogleich ein großes Verlangen empfun - den, mich kennen zu lernen, habe meinen Aufent - halt erforſcht, und ſich des Morgens mit dem fruͤh - ſten auf den Weg nach .... gemacht. Jch ver - ſicherte ihn, daß mir ſeine Ankunft ſehr erwuͤnſcht ſei, daß ich ein viel beſſeres Herz haͤtte als Baron Treff und ſeine Frau, die ich nicht mehr Mutter nennen wollte, weil ſie jetzt auch gegen mich karg waͤre. Friedrich konnte nicht nach, ſo ſtroͤmte Schimpf und Laͤſterung auf meine Mutter mir vom Munde, ich gab mir die aͤußerſte Muͤhe, ihn noch mehr, als ers ſchon war, auf dieſe unnatuͤrliche Schweſter zu erbittern, und bewirthete ihn, zum Beweis, daß ich ganz anders daͤchte, ſo gut, daß er geſtand, es Zeitlebens nicht ſo genoſſen zu haben.
Jch hatte mit Klauſen eine geheime Unterre - dung, nach welcher es jedem von uns beiden klar ward, daß wir bei Friedrichs Erzaͤhlungen einerlei Gedanken gehabt hatten. Er fand es demnach ebenfalls noͤthig, ſich meines Herrn Oncles auf alle Art zu verſichern, und ihn durch Geſchenke zu fes - ſeln, er bot den letzten Reſt unſers Kredits auf, ihm Waͤſche und eine anſtaͤndige Kleidung zu ver - ſchaffen. Jn derſelben ſtreifte Friedrich nach Be - lieben in der Stadt herum, that ſich in und außerdem293dem Hauſe guͤtlich, und ſeguete die Stunde, in welcher er den Einfall bekommen hatte, zu mir zu wandern.
„ Nicht immer werden dieſe Herrentage dauern, ſagte ich eines Tages, als er mir ſo ſeine Zufrie - denheit bezeigte; “ich bin ſehr viel ſchuldig, und weis nicht, ob man mir nicht naͤchſtens alles weg - nehmen, nach Hauſe ſchreiben, ſich deſſen, was mir ausgeſetzt iſt, in voraus bemaͤchtigen, und ſo mich zwingen wird, in einer Dachkammer trocken Brod zu eſſen. Auf Huͤlfe meiner geizigen Mutter darf ich alsdann nicht rechnen, ja ſie uͤbergiebt mich ih - rem Saufteufel von Mann, und dieſer iſt wohl im Stande einen Tag nuͤchtern zu bleiben, um ſeinen Groll an mir durch die ſchlimmſten Anſtalten zu meiner Beſtrafung auszulaſſen. Jch will Jhnen Briefe von meiner ſaubern Frau Mamma zeigen, die Jhnen beweiſen ſollen, daß ich mirs nicht blos ſo ſchlimm einbilde. Was iſt nun dann zu machen, wenn ich nichts habe und Jhnen auch nichts ge - ben kann, indeſſen das Weib, die mir Mutter und Jhnen Schweſter heißt, im Gelde wuͤhlt, und ihre Pflicht gegen uns vergißt.
Jn dieſem Ton fuhr ich fort, und machte Friedrichen immer beſorgter wegen der Zukunft, und immer grimmiger auf meine Mutter. Somit kamT 3ich294ich meinem Zweck naͤher, und machte ihn demſel - ben nach und nach geneigt, bis endlich eine Abrede unter uns zu Stande kam, nach der wir in eini - gen Tagen abzureiſen beſchloſſen. Klaus war zwar ſchon im Geheimniß, ward aber nun Friedrichen als Mitverſchworner genannt; er hatte zu den ſchon gemachten Anſtalten nichts hinzuzuſetzen, als daß wir noch einen entſchloſſenen Menſchen mit - nehmen muͤßten, fuͤr den er ſchon geſorgt haͤtte.
Die Reiſe ging einige Tage nach getroffener Richtigkeit vor ſich, wir kamen wohlbehalten in dem naͤchſten Dorfe bei dem Wohnort meiner El - tern an. Dort warteten wir bis es dunkel war, bezahlten richtig, und ſetzten unſern Marſch bis in das ans Dorf der Mutter ſtoßende Holz fort; dort ſtiegen wir ab, verſtellten uns mit falſchen Baͤrten, ſchwaͤrzten die Geſichter, zogen Fuhrmanns-Hemden uͤber, und ſchlichen nahe an das Herrnhaus; da ich alle Schliche um daſſelbe kannte, ſo war es mir, ſobald alles ſtill worden war, leicht, mich mit mei - nen Helfern hinein zu ſchleichen. Nun war das erſte, was wir thaten, alle Thuͤren zu verſetzen, damit niemand ſo leicht heraus konnte, wenn auch geſchrien werden ſollte; dann fuͤhrte ich Friedrichen und Klauſen zu dem Zimmer des Barons, und be - gab mich mit Pommern, unſerm zweiten Gehuͤlfen,an295an die Schlafſtube meiner Mutter. Wir fanden die Thuͤren von innen verriegelt, alſo halfen die Dietriche, mit denen wir uns verſehen hatten, nichts, ja wir waͤren beinahe ganz um die Ausfuͤh - rung unſers Plans gekommen, weil ſowohl Treff als meine Mutter fragten, wer da waͤre, als wir die Dietriche applicirten und damit Geraͤuſch mach - ten. Wir antworteten, wie ſich leicht denken laͤßt, nichts, ſchlichen leiſe hinweg, fanden uns und rath - ſchlagten, was nun zu machen ſei? Zum Gluͤck war mein Stiefvater, weil ſein Kopf ſchwer von Wein war, ſogleich wieder eingeſchlafen, und meine Mutter hielt ſich vielleicht aus Furcht ſtill; wir ſchoͤpften alſo wieder Muth. Mir fielen andere Wege, in beide Schlafſtuben zu kommen, ein, dieſe ſchlugen wir ein, und fanden keine inwendig verrie - gelten Thuͤren, auch kam es uns zu gute, daß es die vordern waren.
Jetzt warf jede Parthie ſich uͤber die im Bette liegende Perſon her, der Mund des Barons ward von Friedrichen und Klauſen, der von meiner Mut - ter von mir und Pommern verſtopft, hierauf wur - den ſie geknoͤbelt, und mußten nun ſo unbeholfen da liegen, es wurden bei den Blendlaternen, die wir bei uns hatten, die auf den Tiſchen ſtehenden Lichter angezuͤndet, und Nachſuchung gethan. JnT 4weniger296weniger als einer halben Stunde hatten wir beide Zimmer von allem, was Geld und Koſtbarkeit hieß - leer gemacht, weiter wollten wir es nicht treiben. Friedrich und Klaus eilten mit der Beute voraus, ich aber trieb den Edelmuth ſo weit, daß ich mit Pommern erſt die beſetzten Thuͤren wieder befreite, und ſogar in eine davon, wo, wie ich wußte, die Bedienten ſchliefen, hinein ſchrie: ſchnell ſeht nach eurer Herrſchaft! — Jch habe ſeitdem oft gedacht, daß man mir unrecht thaͤte, mich als einen gefuͤhl - loſen Menſchen vorzuſtellen; denn haͤtte ich nicht Stiefvater und Mutter ruhig koͤnnen erſticken las - ſen? Jch that dies nicht, wagte vielmehr etwas, damit ihnen bald jemand zu Huͤlfe kommen moͤch - te; in der That, Goldfritzel war immer noch guͤtig genug.
Sobald ich die angezeigten Worte heraus hatte, eilte ich mit Pommern den andern nach, wir ver - weilten denn auch im Holze nicht, warfen nur die falſchen Baͤrte und Fuhrmanns-Hemden von uns, ſchleppten, was wir konnten, bis wir in einen Tief - weg gleichfalls ringsum mit Holz bewachſen kamen; dahin fuͤhrten Klaus und Pommer, indeß wir die Beute ſchleppten, unſere Gaule, jeder verbarg nun etwas von der erſten, ſo gut er konnte, in den Taſchen, in den Piſtolen-Holftern, die Geldkiſtennahmen297nahmen wir, ich und Friedrich, vor uns, und ſo warfen wir uns zu Pferde. Es war hohe Zeit, daß wir davon ſprengten, mein Rufen hatte Wuͤrkung gethan, ſchon hoͤrten wir im nahen Holze Stim - men. Aber gluͤcklich entkamen wir, ritten die Kreuz und die Queer, und kamen mit Tages Anbruch in einem Wald an, wo wir eine Strecke hinein jag - ten, und dann Odem ſchoͤpften. Alles ward nun gehoͤrig in Felleiſen verpackt, auch wuſchen wir uns mit Wein, den Klaus noch in ſeinem Mantelſack fand, und ritten nachdem gemaͤchlich weiter bis in ein Dorf, wo man uns nicht geſehen hatte, und wir, wenn auch Nachfrage kommen ſollte, nicht in Verdacht waͤren genommen worden, ich wenig - ſtent dachte daran nicht. Wir fruͤhſtuͤckten indeſſen, beſonders auf Klauſens Anrathen, doch geſchwind, was wir haben konnten, und ſobald die Gaule ge - freſſen hatten, ſaßen wir wieder auf.
Jn der naͤchſten ziemlich großen und volkrei - chen Stadt verkauften wir die Pferde, und gingen mit Extrapoſt weiter, am Abend waren wir ganz außer aller Gefahr entdeckt zu werden, und nun be - ſchloß ich einige Tage auszuruhen. Waͤhrend den - ſelben uͤberlegte ich, und kraft dieſer Ueberlegung, die ich Klauſen mittheilte, wurde noch eine Anſtaltgetroffen,298getroffen, aus der meine Leſer ſehen werden, daß ich an alles dachte.
Wir hatten an Geld und Schmuck uͤber 6000 Thaler erobert, wenn ich dies bedachte, ſo ſprang ich allezeit vor Freuden hoch auf. Aber indem ich mich dabei an meine Beduͤrfniſſe erinnerte, ſo fand ich dieſen Reichthum eben nicht uͤberſchweng - lich, es verdroß mich, daß ich ihn mit den Uebri - gen theilen ſollte; beſonders machte Friedrich ohne Umſtaͤnde Anſpruch auf die Haͤlfte.
Der einzige Weg, die ſtarke That, eine leib - liche Mutter gemißhandelt und beraubt zu haben, gehoͤrig zu benutzen, war, meines Erachtens, ſich Friedrichen und Pommern vom Halſe zu ſchaffen. Der letzte war ebenfalls ein Deſerteur, und das von eben der Armee, unter welche Friedrich gehoͤrte; ich that Klauſen einen Vorſchlag, den er ſogleich billigte, nach demſelben ſtellte ich mich, als fiel mir ploͤtzlich ein, eine gewiſſe große Stadt zu ſehen, welche in den Staat gehoͤrte, dem Friedrich und Pommer verpflichtet waren. Keins von der Ge - ſellſchaft hatte etwas gegen dieſen Gedanken einzu - wenden, was ſchadete es, wenn es auch etwas ko - ſten ſollte, hatten wir doch das Geld leicht er - obert.
Wir299Wir reiſten alſo mit vielem Anſtand hin, und lebten dort als Leute eines Standes einige Tage in Freuden und Herrlichkeit. Jch nahm einen Lohn - laquai, mit dem ich in der Stadt herumſchweifte, und Friedrichen, als koͤnnte ich nicht ohne ihn leben, mitnahm. Klaus hingegen machte ſeine Gaͤnge mit Pommern, und ſuchte es immer zu ver - fuͤgen, daß er ſich in irgend einem oͤffentlichen Hauſe bezechte. Wenn er denn nicht viel mehr von ſeinen Sinnen wnßte und eingeſchlafen war, ſo er - zaͤhlte Klaus allen, die es hoͤren wollten, daß der luͤderliche Wicht, wie er erſt kuͤrzlich erfahren, ein Deſerteur aus dieſem Lande waͤre, er nannte das Regiment, bei dem er geſtanden, den Gaſthof, wo wir logirten, als von ohngefaͤhr, ebenfalls, und vergaß auch nicht zuzufuͤgen, es ſei noch ein an - derer Deſerteur bei uns, der zu dem Regimente von H. in M. gehoͤrte, und nichts war ihm ſo lieb, als wenn Unterofficiere gegenwaͤrtig waren, welche denn beſonders aufmerkten.
Unſre Erfindung war abermals gut; als Klaus einige Tage ſo herum geplaudert hatte, wurden wir eines Morgens alle viere auf die Wache geholt, und dann einer nach dem andern verhoͤrt, wo wir her waͤren? wes Standes und Weſens? u. ſ. w. Jch war Student, erbot mich es zu beweiſen, unddie300die andern drei beſtaͤtigten es; Klaus war auch Friedrichen und Pommern nicht anders als mein Bedienter bekannt, wir kamen alſo los, doch die beiden eben benannten konnten nicht laͤugnen, daß ſie Deſerteurs waͤren, ich und Klaus mußten es beſtaͤtigen, und ſo wurden ſie zu ihren Regimen - tern transportirt.
Ehe ſie abgingen, ſtellte ihnen Klaus unter der Verſicherung, daß wir ihnen Zulage ſchicken woll - wollten, jedem 50 Thaler in Gold zu, ſie bedungen ſich aber ihren verdienten Antheil aus, und droh - ten, wenn ſie den nicht erhalten wuͤrden, die Kne - belgeſchichte zu verrathen, wie es ihnen auch erge - hen wuͤrde; Klaus verſprach ihnen das verlangte in meinem Namen, ich ging noch ſelbſt hin, es zu beſtaͤtigen, und ſo reiſten ſie doch mit dem Troſt ab, ab, daß ſie, wenn ihre Strafe uͤberſtanden ſein wuͤrde, eine gute Summe Geld einzunehmen haͤt - ten, womit ſie etwas anfangen koͤnnten.
Daß ich und Klaus die Verraͤtherei angeſtiftet, ward nicht von ihnen geahndet, Klaus laͤugnete durchaus, ſo was, wie man von ihm gehoͤrt haben wollte, geſagt zu haben, es muͤßte denn trunk - nen Muths geſchehen ſein; ſie eiferten nun zwar haruͤber, eben ſo, als uͤber den Einfall, in dieſe Stadt zu gehen, wir wußten ſie aber gluͤcklich zuuͤber -301uͤberreden, daß wir gefliſſentlich nichts, um ſie ins Ungluͤck zu fuͤhren, gethan haͤtten; auch hielten ſie es darum um ſo wahrſcheinlicher, weil man uns mit in die Wache gefuͤhrt hatte.
Somit war ich nun zwei vermeinte Theilneh - mer auf eine Zeit lang los, denn freilich fanden ſie ſich in der Folge wieder ein. Fuͤr jetzt hatte ich nur Klauſen zu betheilen, da dieſer aber lange ſchon in ungetheilten Guͤthern mit mir hauſte, ſo war das fuͤr nichts zu rechnen, auch blieb er immer mein Bedienter, weil er bei mir und durch mich noch mehr Vortheile hoffte, als er bisher gehabt hatte.
Jch habe Celeſtins Nervenſyſtem nie mit die - ſen zwei ſtarken Stuͤcken erſchuͤttert; ſo lange ich bei ihm war, hatte ich gute Gruͤnde, ſein Zutrauen nicht ganz zu verſcherzen, ja zuletzt voͤllig bekehrt zu thun; das erſte haͤtte ich aber nie erhalten, und bei dem letzten keinen Glauben gefunden, wenn ich ihn mit ſo was erſchreckt haͤtte.
Es war in .... uͤber mein langes Wegblei - ben Laͤrms die Fuͤlle geweſen, und hohe Zeit, daß ich ankam, denn ſchon wollte man Steckbriefe we - gen mir ausſtellen. Meine Zuruͤckkunft ſtillte alles, ich bezahlte die Schulden und die mitgenommenen Pferde, ohne zu handeln, ließ ſogleich etwas dar - auf gehen, und ſo hoͤrte mit einemmal auf, wasvorher302vorher geſagt und gedacht worden war. Das Schlimmſte war, daß man, da ich zu lange aus - geblieben, (denn ich wollte nur vier Tage wegblei - ben) an meine Eltern geſchrieben hatte, und eben da dieſe nichts von mir wußten, ſollten Kundſchaf - ten in den Zeitungen ausgeſtellt werden. Jch gab vor, daß ich eine Reiſe ins Ausland gemacht haͤtte, wo mich gemachte gute Bekanntſchaften gegen mei - nen Vorſatz ſo lange aufgehalten, indeſſen habe es doch das Gute gehabt, daß ich viel im Spiel gewon - nen haͤtte, und ſo meine Schulden bezahlen koͤnnte.
Dies nehmliche ſchrieb ich meiner Mutter, und zwar ohne von ihr ein Schreiben abzuwarten, ich ſtellte mich, als geſchaͤhe es aus Vorſorge, ſie werde meinetwegen in Unruhe ſein, da man, wie ch gehoͤrt, hoͤrt, an ſie geſchrieben und meine Abweſenheit ge - meldet haͤtte. Jch erhielt bald Antwort, die jeden weichherzigen Thoren von Sohn geruͤhrt haͤtte, mich aber zum Lachen reizte. Meine Mutter ſchrieb mir, welch Ungluͤck ſie und ihr Gemahl gehabt haͤtten, wie ſie beide rein ausgepluͤndert und krank waͤren. Beſonders ſtark haͤtte es den Baron getroffen, der ſich einen guten Thaler geſammelt; bei ihr waͤre zwar der Beſtand an Geld nicht ſo groß geweſen, aber nebſt ihm ſei auch ihr Schmuck von den gott - loſen Menſchen mitgenommen worden. So ſei ſiealſo303alſo ganz arm und vor der Hand nicht im Stande, mir das geringſte zu ſchicken, darum waͤre es gut, daß ich ſo viel gewonnen haͤtte, ich moͤchte nur da - mit Haus zu halten ſuchen, und zuſehen mein Gluͤck weiter zu verſuchen; ſie wuͤnſchte mich zu ſprechen, um mir gewiſſe Vortheile beim Spiel be - kannt zu machen.
Es ſchien ihr bei ihrem gehabten Ungluͤck eine Art Erſatz zu ſein, daß ich doch meine Pflicht be - dacht und ihr meine Wiederkunft berichtet haͤtte; ſie dankte mir ſogar dafuͤr, behandelte mich durch den ganzen Brief ſehr guͤtig, ſchimpfte aber deſto mehr auf ihren Mann, der ſeit ſeinem Verluſt ganz zum Wuͤrherich geworden, zudem auch ſehr kraͤnk - lich waͤre, welches ihr doppelte Plage machte.
Jetzt war ich ganz gluͤcklich, das Geld reichte ein Weilchen, und ich konnte auf Kredit hoffen, wenn es weg war. Deshalb war ich auch nicht ſparſam in meinen Ausgaben, ich gab Feſte aller Art, bei denen immer Freuden-Nimphen waren, ritt nie aus, ohne zwoͤlf andere Studenten zu Be - gleitern zu haben, fuͤr welche ich die Pferde bezahl - te, und erwarb mir auf dieſe Art immer mehr Anhang.
Dieſer Anhang beſtand, wie ich meinen Leſern bereits geſagt und ſie auch wohl glauben werden,meiſt304meiſt aus den roheſten und ungeſitteten Studenten, die keine Erziehung und keine natuͤrliche Delicateſſe hatten, dennoch gab es unter ihnen auch Perſonen von guter Geburt und großen Anſpruͤchen; ſie glaubten ſich aber durch die erſte zu allem berech - tigt, und eben durch ſie fuͤr die letzten geſichert, auch rechneten ſie hier nicht falſch, denn mehrere unter ihnen hatten nicht viel weniger auf der Rech - nung ihres Gewiſſens, als ich, blieben den Fritz Nickel Schnitzeriſchen Geſinnungen treu, und traten doch in ſehr große, oder doch ſehr ehrenvolle Poſten, als ihre Juͤnglingsjahre ſo hingetobt waren.
Wir alle von dieſer Art vermehrten unſre Wis - ſenſchaften nicht ſonderlich, zum Schein hoͤrten wir einige Collegia, aber von allem, was zum Unter - richt, zum Forthelfen auf der Bahn der Wiſſen - ſchaften, zur Nahrung des Geiſtes, zur Veredlung deſſelben geſchrieben iſt, ſahen wir nie ein Blatt an, wir laſen nur Buͤcher, welche die Sinnlichkeit und die Leidenſchaften reizten, und uͤbten unſre Talente uͤbrigens durch Pasquille, die wir oft auf die unta - delhafteſten Menſchen machten; mitunter aber mach - ten wir auch durch ſolche Schmaͤhſchriften die Raͤ - cher einer ungebuͤhrlichen oder unbilligen Handlung. Jch war ohne Widerrede Praͤſes und Ausfuͤhrer ſolcher Stuͤckchen, ſo wie auch der erſte Held beimGenuß305Genuß jeder akademiſchen Freiheit, welche Celeſtin fuͤr eins der ſchaͤdlichſten, unſer geſittetes Zeitalter ganz entehrendes Uebel hielt, dem billig geſteuert werden ſollte.
Jch war nicht ſeiner Meinung, es lebe und bleibe die akademiſche Freiheit, bei ihr kann man doch im Juͤnglingsalter die Welt genießen, kann mit einer gewiſſen Berechtigung unbeſcheiden ſein, Menſchen beleidigen, ſie beſchaͤdigen, mit einem Wort, man darf ſich in nichts den Zwang anthun, welchem ſich alle andere Staͤnde, der Ruhe und gemeinen Sicherheit und der Strafe wegen, unter - werfen muͤſſen. Zwar ſind auch Studenten derſel - ben mitunter ausgeſetzt, doch es iſt nur ein Spiel, und ein junger Menſch, der auf freie Ausuͤbung ſeiner Rechte haͤlt, laͤßt ſich einige Ahndung, laͤßt ſich Geldſtrafen gern gefallen, um aufs neue ſuͤn - digen zu koͤnnen. Die Geldſtrafen bringen der Uni - verſitaͤt etwas ein, es iſt alſo dem Jntereſſe der - ſelben gemaͤß, daß dergleichen zuweilen vorfallen, und ſehr wahrſcheinlich wird, was die Jugend un - ter akademiſcher Freiheit verſteht, nicht eher auf - hoͤren, oder doch veredelt werden, als wenn bei Erziehung derſelben ſchon dahin geſehen wird, und die Beiſpiele der Geiſtmenſchen auf Eltern und Kinder wuͤrken ſollten; welches aber (freut euch,2r Theil. Uihr306ihr Juͤnglinge aus der Thiermenſchenzunft) nicht ſo leicht zu erwarten ſteht. — Jhr aber, wertheſte Leſer, verzeiht, daß ich wieder eine lange Anmer - kung machte, und alſo mein Wort brach! Das Wort - halten gehoͤrt zu den Lectionen ordentlicher Leute, die nicht in meinen Studierplan gehoͤrten.
Damit ich mir aber auch nicht unrecht thue, und euch, meine Leſer, auf die Meinung bringen moͤge, als haͤtte ich meine Studentenjahre ganz unaufgehalten durchgeſchwaͤrmt, iſt es nothwendig, euch zu melden, daß ich in Beſchaͤftigungen gerieth, welche mich von den meiſten meiner luſtigen Bruͤder entfernten, und mir zu den bisher ausgeuͤbten Ge - nieſtreichen keine Zeit mehr ließen.
Nie hatte ich eine Vermahnung meiner Mut - ter ſo befolgt, als die, da ſie mir weiter zu ſpielen rieth. Eigentlich hatte ich dieſes edle Handwerk bisher ganz vernachlaͤßigt, ich ſah ein, daß ich un - recht hatte, und beſchloß, das verſaͤumte nachzu - holen. Das Gluͤck beguͤnſtigte mich einigemal, dies vermehrte meinen Eifer, mich bei einer Spielbank einzufinden; bald ward es mir zur Gewohnheit, und dann zum Beduͤrfniß, welches ich befriedigen mußte, obgleich ich oft viel verlohr. Jetzt alſo war ich ſel - ten bei einer Parthie, welche Feuſter einſchlug, ein Pereat brachte, Frauenzimmer auf ihren Wegenangriff,307angriff, und wenn ſie es nicht dulden wollten, be - ſchimpfte. Dergleichen edle Handlungen mußten der eben ſo erhabenen Neigung zu ſpielen weichen.
Jch begann in entſchiedenes Ungluͤck zu gera - then, doch das machte mich noch begieriger auf den Schlag der Stunde, welche zur Bank rief; ich glaubte es wieder gewinnen zu muͤſſen, und hoffte taͤglich auf einen großen Coup. Zuweilen wuͤnſch - te ich die Kunſtgriffe, von denen mir meine Mut - ter geſchrieben, von ihr zu erfahren, aber ihr des - wegen zu ſchreiben, erlaubte die Zeit nicht, noch weniger zu einer Reiſe nach Hauſe, wozu ich ohne - hin nicht ſehr geneigt war. Demnach blieb ich lange ein ehrlicher Spieler, oder vielmehr Verlie - rer, weil ich es immer verſchob, mit der Kunſt, es nicht zu ſein, Bekanntſchaft zu machen. Meine Gleichguͤltigkeit gegen das Geld trug zu dieſer Vernachlaͤßignng auch daß ihrige bei, denn ich hatte nicht den Willen, Geld zuſammen zu haͤufen; ſo lange ich Kredit hatte, war es mir gleichguͤltig, ob ich, was ich brauchte, aus eigenen Mitteln be - ſtreiten konnte, oder es aufnehmen mußte; wenn ich zu gewinnen wuͤnſchte, ſo war es mehr aus Be - gierde, andern das ihrige abzunehmen, als welich mich dadurch in Wohlſtand ſetzen wollte. Um die - ſen zu unterhalten, und die Summen, welche ichU 2faſt308faſt taͤglich verlor, anzuſchaffen, hatte Klaus alle Haͤnde voll zu thun, lange aber ſchaffte er mir im - mer das noͤthige, wenn auch ſelten mehr als die Haͤlfte der Summe, auf welche ich den Wechſel ausſtellen mußte. Wohl war ich bei dieſen Nego - zen in Zeit von acht Monaten in eine Schulden - laſt verfallen, deren ſich kein Fuͤrſt geſchaͤmt haͤtte, auch bangte es Klauſen nicht wenig um das: wie wills werden? Schon ſetzte er mir ohne Unter - laß zu, meine Mutter in Activitaͤt zu ſetzen, da - mit ſie nur etwas zahlen moͤchte, um doch Luft zu machen. Jch wuͤrde es auch nicht unterlaſſen ha - ben, wenn ich mich nicht zu ſehr vor dem Baron gefuͤrchtet haͤtte, dem ſie es vielleicht im erſten Schreck haͤtte klagen koͤnnen, wenn ich nur um ein Viertheil von dem bat, was ich ſchuldig war. Sie ſchickte mir das ausgemachte, auch nach der Be - raubung jener Nacht, nicht nur ordentlich, ſon - dern fuͤgte immer noch etwas zu, ich war uͤber - haupt auf gutem Fuß mit ihr. Doch die Sorge, dieſes gute Vernehmen zu ſtoͤren, haͤtte mich von den unbeſcheidenſten Forderungen nicht abgehalten, wenn ich ſonſt nichts zu befuͤrchten gehabt haͤtte, nicht ſelten fiel mir ein, um den Zwang los zu werden, ſei es am beſten, noch einen ſchnellen Ab - ſtecher nach Hauſe zu machen, den Stiefvater zuuͤber -309uͤberfallen, und ſeinem Leben den Ausgang durch einen raſchen Schnitt in die Kehle zu verſchaffen, doch es waren Bedenklichkeiten dabei, und ich hatte nicht Muße genug, der Sache, um ſie gehoͤrig ausfuͤhren zu koͤnnen, nachzudenken.
Jndeſſen weis ich doch nicht, was noch geſche - hen waͤre, denn ich hatte mir ſelbſt geſchworen, daß die Wirthſchaft zu Hauſe auf eine oder die andere Art geaͤndert werden muͤſſe, wenn ſich nicht Gele - genheit zeigte, eine gute Price zu machen, bei der ich die Muͤhe, mich um das Volk dort auf dem Lande zu bekuͤmmern, noch einige Zeit erſparen konnte.
Ehe ich dieſe neue kuͤhne That erzaͤhle, muß ich den lieben Leſern etwas bekannt machen, wel - ches ich, um nichts, was zur Erkenntniß der Groͤße meines Ruhms gehoͤrt, wegzulaſſen, nicht verſchwei - gen kann.
Jch habe geſagt, daß ich mich den Schwaͤr - mern unter meinen akademiſchen Freunden entzog, als ich mich dem Spiel ergab, allein nicht eben ſo entſagte ich den Freuden Amors. Auch dieſe ver - groͤßerten meine Ausgaben, denn weil ich genießen und doch geſund dabei bleiben wollte, ſo waren mir die Nimphen gemeiner Art, die ſich jungen Leuten allenthalben anbiethen, nur zum Zeitvertreib gut,U 3d. h.310d. h. ich war gern dabei, wenn der unzuͤchtigſte Scherz mit ihnen getrieben wurde; doch genauer ward ich ſelten mit einer Thiermenſchin von dieſer verworfenſten Klaſſe bekannt. Hingegen ſuchte ich entweder mein Gluͤck bei artigen Weibern, oder bei unſchuldigen Maͤdchen zu machen, und es ge - lang mir, weil ich Geſchenke machen konnte, und fuͤr keinen unebnen Purſchen galt. Oft alſo hatte ich die Freude, einen Ehemann, der ſein junges Weibchen nicht im mindeſten im Verdacht hatte, zu kroͤnen, und Muͤtter zu hintergehen, welche ihre kaum aufgebluͤhten Maͤdchen in der Naͤhſchule glaubten, oder in irgend einem Geſchaͤft ausge - ſchickt hatten, indem ich die letzten indeſſen an ei - nem dritten Ort, wohin ich ſie beſchieden hatte, in den Geheimniſſen der holden Venus unter - richtete.
Eben dieſes hatte ich einer gewiſſen Dorothea Muͤllerinn zudedacht, welche von keiner Mutter mehr abhing, aber unter dem Commando einer Tante ſtand. Es war ein liebes ſuͤßes Geſchoͤpf, dieſe Dorothea, ich haͤtte mich, als ich ſie zum er - ſtenmal ſah, in vollem Ernſt in ſie verliebt, wenn mein an bloße Sinnlichkeit und an den Genuß des Augenblicks gewoͤhnter Geſchmack mir das Gefuͤhl, welches man eigentlich Liebe nennt, zugelaſſen haͤtte. Hierzu311Hierzu waͤre auch ein ganz anderer Begriff von dem weiblichen Geſchlecht erforderlich geweſen, als ich in meiner Mutter Hauſe bekommen hatte. Was ich da hoͤrte und ſah, floͤßte mir die Mei - nung ein, dieſe Geſchoͤpfe waͤren blos da, um oh - ne Umſtaͤnde zu geben und zu empfangen, was Frau Thiernatur verlangt. Meine Mutter that ſich nie in meiner Gegenwart Zwang an, ſie ſprach was ſie wollte und ließ dies andern eben - falls zu; kaum genirte man ſich in Thatſachen der Galanterie. So mittheilend und herablaſſend waren alle Frauenzimmer, mit denen meine liebe Mamma je im Umgang war, und wenn ich den Geſchichten, welche ſie von Damen der hoͤbern Sphaͤren erzaͤhlte, glauben ſollte, ſo machten es dieſe nicht ein Haar beſſer. Pelz lehrte mich den wuͤrklichen Genuß, von dem ich eben durch hoͤren und aufmerken ſchon Begriff genug hatte, bereits als Knabe kennen, die Bauerdirnen bo - then ſich mit vieler Willigkeit dazu an, und als ich auf der Schule war, kam ich mit eben ſo gutwilligen Weibsperſonen in Bekanntſchaft, wie ich ſie bis dahin hatte kennen lernen.
Es war alſo ſehr verzeihlich, daß ich dies ganze Geſchlecht wenig achtete, ſie zu nichts faͤhig hielt, als zur Wolluſt und zum groͤbſten Scherz,U 4wie312wie konnte mir alſo je reine, achtungsvolle Zaͤrt - lichkeit in den Sinn kommen? Unfaͤhig dieſe zu empfinden, in der Meinung, daß es mich beſchaͤ - men wuͤrde, wahre Anhaͤnglichkeit und Hoch - ſchaͤtzung an ein Frauen[zi]mmer zu verſchwenden, haͤtte mir ein Engel in weiblicher Geſtalt erſchei - nen koͤnnen, ohne daß ich mehr fuͤr ihn empfun - den haͤtte, als was ich bei einer huͤbſchen Buhl - ſchweſter empfand. Die Buͤcher, welche ich las, beſtaͤrkten mich in dieſem Syſtem immer mehr, hoͤrte oder las ich von tugendhaften Maͤdchen und Weibern, ſo hielt ich es fuͤr Fabel und Comoͤdie.
Sonach dachte ich von dem Augenblick an, als ich Dorothea Muͤllerinn ſah, nichts, als daß der Beſitz dieſes ſechszehnjaͤhrigen Maͤdchens fuͤß ſein muͤſſe, daß es der Muͤhe und der Koſten lohnte, ſie, die noch ganz unwiſſend und bloͤde ſchien, zu unterrichten.
Der erſte Schritt bey ſolchem Geſchaͤfte, mußte immer die Vekanntſchaft mit den Verwandten der Maͤdchen ſein; auch hier machte ich mir bey Dor - chens Tante, einer ehrbaren Predigers-Wittwe, einen Bewerb, ſtellte mich gleichfalls ſehr ehrbar, und fand Gelegenheit mich zu empfehlen. Nur der Wunſch, in dem Hauſe einer ſo guten und honetten Frau zuweilen einige Stunden hinzubrin -gen,313gen, war es, wie ich mit furchtſamer Stimme, als ob ich abſchlaͤgliche Antwort befuͤrchtete, ſagte, der mich bewog, um dieſe Erlaubniß zu bitten. Madam Starkinn ließ ſich durch dieſe Schmeichelei, mehr durch meinen eleganten Anzug betaͤuben, und erlaubte es mit der Anmerkuug, daß ſie ſonſt wohl nicht gern Studenten bei ſich ſaͤhe, da ich aber ein artiger und beſcheidner junger Menſch ſchien, ſo wuͤrde ihr mein Beſuch angenehm ſein.
Jch wiederholte ihn bald, und erzaͤhlte beilaͤu - fig, daß ich der einzige Sohn und Erbe eines großen Ritterſitzes waͤre. Madam Starkinn horchte auf, ſie begann es mit Vergnuͤgen zu bemerken, daß ich ihre Nichte nicht mit gleichguͤltigen Augen an - ſahe, und damit ſie den zaͤrtlichen Blicken, wel - che ich auf dieſe warf, die beſte Deutung geben moͤchte, ſuchte ich eine gewiſſe Schuͤchternheit hin - ein zu miſchen, welche keinen frechen, ſondern den achtungsvollen Liebhaber verriethen, ließ zuweilen einen halb unterdruͤckten Seufzer hoͤren, und ſagte Dorchen keine andere Schmeicheleien, als die ihre liebenswuͤrdigen Eigenſchaften, ihren Fleiß, die Geſchicklichkeit in Arbeiten, die huͤbſche Manier das Klavier zu ſpielen, betrafen. Hierdurch gewann ich die Tante und die Nichte, das waͤchſerne Herz - chen der lezten fuͤgte ſich dem Eindruck wuͤrklicher Liebe.
Es314Es konnte nicht fehlen, daß Madam Star - kinn, da ſie mich nun kannte, und mit andern ihrer Bekannten von mir ſprach, erfahren mußte, welche luͤderliche, wilde und boͤsartige Streiche ich machte, auch hatte ich zuweilen etwas auszu - baden, welches mich mehrere Tage verhinderte ſie zu beſuchen. Jch fand Madam Starkinn und Dorchen dann immer etwas verlegen, ja traurig, um aber geſchwind wieder mit ihnen auf guten Fuß zu kommen, erzaͤhlte ich die vorgefallene Geſchichte nach meiner Art, ſtellte mich ganz unſchuldig, von ohngefaͤhr verwickelt dabei, und horchte den Ermahnungen der Tante mich doch ja vor ſol - chen Geſellſchaften zu huͤten, mit der Miene der Reue und des beſten Vorſatzes zu. Alles war dann wieder vergeſſen, die Tante hoffte mich zu allem Guten zu ziehen, und die Nichte zeigte durch einen Herzerleichternden Seufzer, durch Erheiterung ih - res ſchoͤnen Geſichts, und durch einen zaͤrtlichen Haͤndedruck, daß ſie ſich gluͤcklich fuͤhlte, mich oh - ne Erroͤthen lieben zu duͤrfen.
Dieſe Liebe nahm in der That taͤglich zu, Dorotheens Herz war ganz mein, waͤre es gewe - ſen, wenn ich ohne alle Hoffnungen des Gluͤcks vor ihr geſtanden haͤtte. Madam Starkinn hingegen ſchaͤtzte in mir den reichen Erben, der einſt ihreNichte315Nichte gluͤcklich machen, und Theil wuͤrde nehmen kaſſen; was ihr um ſo wahrſcheinlicher ſchien, da ich ſie oft beſchenkte, welches ſie, die aͤuſſerſt in - treßirt war, immer mehr zu meiner Beſchuͤtze - rinn machte. — Die guten Leutchen hatten Todes - angſt empfunden, als ich wegen der, meinen Leſern ſchon bekannten, heroiſchen That an meinen Eltern, ſo lange wegblieb, wo denn ein großes Ge - ſchrei wegen meiner Schulden entſtanden, und es auf dem Punkt war, mich durch einen Steckbrief aufſuchen zu laſſen. Jhre Freude war um ſo groͤßer, da ich zuruͤckkam, Richtigkeit machte, wie - der in guten Ruf kam, und fuͤr ſie Geſchenke mitbrachte. Dorchen war es aber nicht, welche durch dieſe gewonn[e]n werden konnte, ſie ſchien es ungern zu ſehen, wenn ich etwas fuͤr ſie brach - te, ja ſie bat mich, als ſie mir es endlich einge - ſtanden hatte, daß ſie mich liebte, ſie nicht mit ſo viel ſchoͤnen Sachen zu uͤberhaͤufen, weil ſie jetzt wenig Staat machte, und es ihr bei jedem Geſchenk vorkaͤme, als glaubte ich, ſie liebte mich blos aus Eigennutz. So delikat dachte ihre Tante nicht, ſie nahm mit Dank, was ich ihr gab, redete oft Dorchen zu, das nehmliche zu thun, und ward mir immer gewogner.
Als316Als ich die tollen Streiche mit dem Pharao vertauſchte, (welchen Wechſel des Zeitvertreibs ſie aber nicht wiſſen durfte,) hielt ſie mich fuͤr ganz bekehrt, und ſchrieb meine Beſſerung ihren Ver - mahnungen zu. Faſt glaubte ſie, ich wuͤrde es zu weit treiben, zu viel inne ſitzen und ſtudieren, welche Sorge ich dadurch erweckte, daß ich nicht mehr ſo oft kam und ſo lange blieb. Dorotheen ſchien dies viel Kummer zu machen, ſie glaubte mich erkaltet, ich fand ihre Augen oft von Weinen truͤbe, ſie machte mir zaͤrtliche Vorwuͤrfe, die ich aber durch die Verſicherung der treuſten Liebe beantwortete; alsdann beruhigte ich ſie durch eine Menge ſehr wahrſcheinlicher Entſchuldigungen gaͤnzlich wieder. Zum Ueberfluß verweilte ich einigemal laͤnger, als ich eigentlich abkommen konnte, um Gedichte von einem der beſten Dichter, oder ſonſt ein Buch nach Dorchens Geſchmack, welches ich fuͤr ſie mit - gebracht hatte, mit ihr durchzublaͤttern; derglei - chen Geſchenke waren ihr immer willkommen, ſie vermochten ſogar ſie zu uͤberzeugen, ich ſei noch ihr lieber edler Fritz, der ſein Maͤdchen durch Culti - vierung ihres Geiſtes ſeiner wuͤrdiger machen wollte.
Ein andermal that ich der Tante den Gefal - len, mir Stellen aus einem Religionsbuch oder gareine317eine Predigt von ihrem ſeligen Mann vorleſen zu laſſen, und ſtellte mich dabei recht ſehr geruͤhrt.
Jch wußte indeſſen nicht, wie mich dies al - les zu meinem Zweck fuͤhren ſollte, und war der Muͤhe und des Zwangs uͤberdruͤßig, auch hatte ich keine Zeit mehr darauf zu verwenden. Dor - chen liebte mich unausſprechlich, allein was half es mir! Offenbar dachte ſie auf eine ernſtliche Ver - bindung, welches nicht mein Wille war, und mehr als zu ſehr leuchtete mirs ein, daß es aͤußerſt ſchwer ſein wuͤrde, ſie zu verfuͤhren. Gern haͤtte ich ſie mit einer ganz andern Art Lectuͤre verſehen, als die ſie verlangte, und ich ihr, um mich ihrer guten Meinung zu verſichern, brachte; aber dies durfte ich nicht wagen, die leiſeſte Erwaͤhnung von Gedichten, oder Stellen aus Buͤchern, die den Wohlſtand beleidigten, erregten ihr Mißfallen.
Dieſe Dorothea haͤtte mich belehren ſollen, daß nicht alle weibliche Geſchoͤpfe den Frauenzim - mern meiner Jdee gleichen, ſie haͤtte mich bekeh - ren und zum Wohlgefallen an Frauenzimmern ih - rer Art, beſonders zu aufrichtiger Gegenliebe fuͤr ſie bewegen ſollen. Allein ich war gebohrner, er - zogner und eingefleiſchter Thiermenſch, der es auch mit allem Beſtreben ſein wollte; ich machte wuͤrk - lich die Bemerkung, Dorothea ſei das nicht, wasdie318die Damen meiner Bekanntſchaft waren, doch es verdroß mich an ihr, oft nannte ich ſie eine affec - tirte Naͤrrinn, wenn ich mit Klauſen von ihr ſprach.
Er rieth mir, als ich ihm erklaͤrte, daß ich des Getaͤndels mit Dorotheen muͤde waͤre, ſobald als moͤglich um eine Unterhaltung unter vier Augen, und zwar außer der Wohnung der Madam Star - kinn, mit ihr anzutragen, und dann den Roman auf einmal zu beendigen; er ſelbſt wollte hierzu auf Ort und Gelegenheit denken. Jch wendete ein, daß Dorothea es nicht bewilligen, und ihre Tante vollends es nimmermehr erlauben wuͤrde — Haben Sie noch nicht vom Heirathen mit ihnen geſpro - chen? fragte Klaus — Jch hatte es noch nicht mit Deutlichkeit gethan, woruͤber Klaus ſich wunderte, weil das ja hoͤchſtnoͤthig waͤre, um alles Fremde - thun zu beendigen. Machen Sie Jhren foͤrmlichen Antrag heute am Tage, ſagte er, und laſſen Sie einige Tage hinſchleichen, um in der Wuͤrde des Braͤutigams immer vertrauter zu werden, gehen waͤhrend der Zeit einmal mit beiden Frauenzimmern aus, und bitten endlich um Erlaubniß, Dorchen allein ſpatzieren zu fuͤhren; wenn dann die Stunde beſtimmt iſt, nehmen wir wegen Ort und Anſtal - ten, ungeſtoͤrt zu ſein, unſre Abrede.
Jch319Jch aͤrgerte mich ein wenig, daß Klaus ſo viel mehr Verſtand hatte, Sachen dieſer Art einzulei - ten, als ich, doch ich mußte mich ſchon als ſein Schuͤler uͤberwunden geben und eingeſtehen, daß ich albern geweſen waͤre, dies alles nicht eher ein - zuſehen. Guter Rath koͤmmt aber nie zuͤ ſpaͤt, auch hier erlangte ich; da ich ihn unverweilt be - folgte, meinen Zweck vollkommen. Ehe ich aber zur Ausfuͤhrung unſers Plans ſchritt, zeigte ich Klauſen, daß er wenigſtens nicht allein klug waͤre, und ich, wenn ich nur erſt an ſo was erinnert wuͤr - de, es dann zur Vollkommenheit braͤchte.
Ein Brief von meiner Mutter, der den Tod meines Stiefvaters, welcher mich zu ſeinem Erben ernannt hatte, melden mußte, war unentbehrlich, um Madam Starkinn zu uͤberzeugen, daß ich ſehr bald Dorotheens Gatte werden koͤnnte. Klaus, welcher eine eben ſo ſchlechte Hand ſchrieb als meine Mutter, mußte ihn alſo ausfertigen und hin - zuſetzen, daß ſie, die ohnehin ſeit einiger Zeit ſehr kraͤnklich waͤre, durch dieſen Todesfall gaͤnzlich er - ſchuͤttert worden ſei. Sie waͤre der Wirthſchaft und des Landlebens uͤberdruͤßig, und wuͤnſchte nichts mehr, als daß ich bald das Guth uͤbernehmen koͤnn - te, wo ſie denn in eine Stadt ziehen wollte, um ihre Geſundheit beſſer zu pflegen. Mit dieſem Briefbegab320begab ich mich eilend zu Madam Starkinn, nach - dem ich ihn vorgeleſen und wir daruͤber dies und jenes geſprochen hatten, erklaͤrte ich, daß ich die Univerſitaͤt noch in dieſem Jahre verlaſſen, mich aufs Guth begeben, und in der Wirthſchaft uͤben wollte. Jetzt, ſagte ich, habe ich mein 19tes Jahr bald zuruͤckgelegt, und bis ich abgehe, ſtehe ich ſchon im 20ſten, noch ein Jahr, ſo kann ich muͤn - dig geſprochen werden und das Ritterguth uͤber - nehmen. Bis dahin ſtehe ich meiner Mutter bei, und lerne die Wirthſchaft von ihr. — Aber nun, theute und geliebte Dorothea! jetzt, da ich fragen kann, ob Sie mein Gluͤck theilen, ob Sie an meiner Hand durch das Leben gehen wollen? — Jetzt thue ich dieſe Frage im Angeſicht ihrer verehrungswuͤr - digen Tante?
Aus Dorotheeus Augen ſtuͤrzten Thraͤnen, ich hielt ihre Hand, ſie druͤckte zaͤrtlich die meinige, und ſah die Tante an. Sie ſchweigen, fuhr ich nun fort, doch ich deute dieſes Stillſchweigen — bei ihrer Tante ſoll ich die Erlaubniß ſuchen, ſie mein nennen zu koͤnnen, ihr Herz hat ſie mir ſchon gegeben. — Nun dann, Madam, (ich nahte mich ehrerbiethig und ergriff die Hand der Alten indem ich dies ſagte,) entſcheiden Sie uͤber mein Gluͤck, ſprechen Sie, ob auch ich Sie kuͤnftig Tante nennen ſoll?
Madam321Madam Starkinn breitete ſich uͤber die Wich - tigkeit eines ſolchen Schritts gehoͤrig aus, ich wußte ihr zu antworten, und jeden ihren Zweifel, auch den die Einwilligung meiner Mutter betref - fend, zu loͤſen, worauf ſie denn in der Hoffnung, daß Dorchen nicht nur dem aͤußern nach, ſondern hauptſaͤchlich durch den Beſitz eines rechtſchaffenen und liebenden Mannes gluͤcklich ſeyn werde, ihre Einwilligung gab, unſre Haͤnde in einander legte, und in einem kurzen Stoßgebeth Gottes Segen zu dieſer Verbindung herabrief.
Nun war Dorothea meine Braut, und wel - che liebende, nach ihrem Wahn gluͤckſelige Braut! Acht volle Tage blieb ſie in dieſem ſuͤßen Rauſch, waͤhrend derſelben trug ſie Trauer um meinen Stief - vater, weil ich, um die Sache ganz wahrſcheinlich zu machen, ſchwarz erſchien; auch Madam Star - kinn band ein ſchwarzes Band um die Haube; es gab mir und Klauſen, dem ich dieſe Aufmerkſam - keit erzaͤhlte, viel Spaß.
Dorothea war himmelfroh, daß ich mich end - lich ganz erklaͤrt hatte, und der Madam Starkinn war ein Stein vom Herzen. Es hatte ſich, ſeit wir ein liebendes Paar waren, ein Heirather ge - funden, welcher Dorchen vollkommen verſorgen konnte, ſie ſchlug ihn aus, nicht ganz ohne den2r Theil. XBei -322Beifall ihrer Tante, doch war dieſe oft bekuͤm - mert geweſen, daß ich keine ernſtliche Abſicht ha - ben moͤchte, und wenn dieſe Furcht gegruͤndet ſein ſollte, dann auch die Hand des braven Mannes, der Dorchen ſo gluͤcklich machen wollte, als es ſei - ne Kraͤfte zuließen, verſcherzt ſey. Sie hatte dar - uͤber oft genaͤrgelt, und Drotheen Angſt und We - he gemacht, welches alles dieſe mir jetzt mit tri - umphirender Miene erzaͤhlte. Waͤre ich Schwach - heiten unterworfen geweſen, ſo haͤtte mich dieſe Erzaͤhlung zur Bereung meines Vorhabens be - wegen koͤnnen, und mich denn wohl gar vermocht, Ernſt mit Dorotheen zu machen, ein ordentlicher Menſch zu werden, und ſo die Zeit zu erwarten, wo ich ſie wuͤrklich ernaͤhren konnte. Aus Noth - wendigkeit haͤtte mir die Talente, und aus Liebe die Nichte verziehen, wenn ich meine Schwindeleien bekannt, und dafuͤr feſte Treue fuͤr die Zukunft, die mir doch immer guͤnſtig ſeyn mußte, angelobt haͤtte. Aber von einem ſo kindiſchen Betragen war ich kein Freund, eben ſo wenig von Aenderung meiner Plane und Geſinnungen, weil etwa Jammern. Ungluͤck anderer Perſonen daraus entſtehen konnte.
Nach einigen Tagen ſchlug ich Madam Star - kinn eine Spatzierfahrt vor, ſie willigte ein, und Dorchen freute ſich unendlich, mit ihrem kuͤnftigenGatten323Gatten zuſammen ein unſchuldiges Vergnuͤgen zu genießen. Es war das erſtemal, daß wir uns zuſammen oͤffentlich ſehen ließen, Madam Star - kinn wollte nie ſo recht einwilligen, mit ihrer Nich - te in Geſellſchaft eines Studenten auf den Spa - tziergaͤngen zu erſcheinen. Jetzt aber, da ſie es ſchon, und das auch in meiner Gegenwart meh - rern ihrer Bekannten geſagt hatte, daß ich Doro - theens Verlobter waͤre, fand ſie nichts mehr da - gegen einzuwenden, daß wir mit einander ausgin - gen, weil es ja doch in der Folge die ganze Stadt erfuͤhre, daß wir ein Paar wuͤrden.
Den Tag nach dieſer Spatzierfahrt erhielt ich die Erlaubniß, mit Dorotheen allein auszugehen, einen andern Abend fuͤhrte ich Tante und Nichte ins Schauſpiel, und endlich ward es an einem Nach - mittag bewilligt, daß meine Braut in einen Gar - ten mit mir gehen und dort den Kaffee einneh - men durfte. Jch hatte eben dieſen Tag gewaͤhlt, weil ich wußte, daß Madam Star inn Verrich - tungen hatte, die ihr nicht erlaubten mitzugehen; ſie, die ohne Argwohn auf meine Abſichten war, dachte nicht daran, mir Dorchen zu verweigern, weil ſie nicht dabei ſein konnte; muͤtterlich beſorgt ſagte ſie nur, als wir gingen: Kinder, bleibt nicht bis auf den Abend aus, ihr wißt wie dieX 2Men -324Menſchen ſind, und ich moͤchte nicht, daß ihr ihnen Gelegenheit gaͤbt, ſchlimme Urtheile von euch zu faͤllen.
Wir tranken unſern Kaſſer ohnfern einiger andern Geſellſchaften, es waren Bekannte von Dorotheen darunter, dieſen naheten wir uns und ſprachen eine gute Weile mit ihnen. Jch ſchlug endlich Dorotheen einen Gang durch den Garten vor, waͤhrend deſſelben unterhielt ich ſie von der Heftigkeit meiner Liebe, ward immer zaͤrt - licher, und ruͤhrte das liebende, ſanft fuͤhlende Maͤdchen bis zu Thraͤnen, kein Ausdruck ward von ihr geſpart, um mich zu uͤberzeugen, daß ſie ganz mein ſei, jede ihrer Empfindungen war in Liebe aufgeloͤſt, und ſo in ſuͤßen Taumel ge - wiegt, ließ ſie ſich immer fort fuͤhren, ſo daß ſie unvermerkt an meinem Arm in ein anſtoßendes Waͤldchen gerathen war. Auch in demſelben ſchlen - derte ſie neben mir fort bis an ein kleines Luſt - haus, welches Klaus auf einige Stunden gemie - thet hatte.
„ Wir ſind weit abgekommen, mein Fritz, “ſagte ſie da; „ nicht eben weit, meine Dorothea, verſetzte ich, wir duͤrfen jetzt nur dieſen Weg lin - ker Hand einſchlagen, ſo kommen wir eher in die Stadt, als wenn wir nach dem Garten zuruͤckkehr -ten.325ten. Noch iſt es lange nicht Abend, laſſen Sie uns in dieſem Haͤuschen ein wenig ruhen. “ Auch dies verweigerte ſie nicht, ich ließ die Thuͤr ge - fliſſentlich offen ſtehen, wir ſetzten uns, ich ſchlang den Arm um ſie und ſchmiegte mich an ihren Bu - fen. Aber, ſagte ich und fuhr ploͤtzlich auf, es ſollen auch nicht voruͤbergehende Gaffer mein Gluͤck beneiden, ein halbes Stuͤndchen haben wir Zeit hier zu verweilen, es ſoll ungeſtoͤrt genoſſen werden. So machte ich die Thuͤr zu, und eilte meine vorige Lage wieder einzunehmen. Klaus ſtand ungeſehen draußen auf der Wache, ich aber ward von Minute zu Minute feuriger.
Doch ihr werdet nicht wuͤnſchen, lieben Leſer, die Scene, welche jetzt vorfiel, ganz ausgemahlt zu ſehen, ich will alſo alles uͤberſchlagen; und nur be - richten, daß Dorothea halb betaͤubt und halb ge - zwungen meine Beute ward.
Sie ſank nach vollbrachter That nicht in Ohn - macht, aber in ein ſtilles Hinſtarren, in Reue und traurige Ahndung; kein Vorwurf, kein Ach entging ihr, allein Thraͤnen ſtuͤrzten ihre Wangen herab; ſie zitterte und ſchien nur ungern mir ihren Arm zu geben, um ſich zuruͤck in die Stadt fuͤhren zu laſſen; ohne zu ſprechen, ſtill weinend, und immer beklommner, wankte ſie neben mir hin. Jch wollteX 3es326es nicht ſogleich bemerken, fuhr fort ſie zu liebko - ſen, und ſtellte mich endlich verwundert, oder mehr empfindlich, daß ſie meine Zaͤrtlichkeiten nicht wie vorhin erwiedern, ja ſich dagegen ſtraͤuben wollte. O Gott, ſagte ſie mit bebender Stimme, o Gott, wie ungluͤcklich haben Sie mich gemacht! Ungluͤck - lich? rief ich, halten Sie es fuͤr ein Ungluͤck, Dor - chen, dem Braͤutigam das gewaͤhrt zu haben, was der Ehemann in kurzer Zeit fordern konnte? Dieſe Frage ſchien ihrem Herzen zwar Erleichterung zu geben, aber nicht volle Beruhigung, ſie blieb zu - ruͤckhaltend, antwortete nur durch abgebrochene Worte auf alles, was ich ſagte, und ſchleppte ſich mehr als ſie ging nach der Stadt zu, als fuͤrchtete ſie nach Hauſe zu kommen. Nah am Thore bat ich ſie, ſich zu faſſen, weil ja ſonſt ihre Tante auf Verdacht gerathen wuͤrde; ſie ſah dies ein, nahm ſich zuſammen, trocknete ihre Thraͤnen, und, ohne Zweifel um ſich ganz faſſen zu koͤnnen, ſagte ſie: Schnitzer, wollen Sie jenen verbrecheriſchen Au - genblick aus ihrem Gedaͤchtniß verbannen, und wie - der mein redlicher Fritz ſein? wollen Sie von jetzt an keine Forderungen mehr haben, die nur der Ehe - mann machen kann? Jch verſprach es feierlich, fand aber den Ausdruck verbrech eriſch in unſerm Ver - haͤltniß viel zu ſtark, und bot meine ganze Kunſtzu327zu ſchwatzen auf, um ſie zu beruhigen. Etwas ſchien ſie es zu ſein, Madam Starkinn bemerkte wenigſtens, da wir ankamen, nichts, als daß Dor - chen ungewoͤhnlich erhitzt ſei, dieſe wußte hiervon keine Urſache anzugeben, ich aber half ihr aus, in - dem ich ſagte, ihre gehorſame Nichte aͤngſtigte ſich zu lange außengeblieben zu ſein, und lief auf dem Ruͤckwege, daß ich kaum mitkonnte. Dorothea verließ das Zimmer, weil ſie dieſe Finte nicht be - ſtaͤtigen, und ihr auch nicht widerſprechen wollte.
Jch wartete ihre Zuruͤckkunft nicht ab, nahm Abſchied von Madam Starkinn, und eilte zum Spiel, um abermals eine Summe zu verlieren, die ich den andern Tag nicht bezahlen konnte. — Doch es mußte geſchehen, Klaus ſtrengte ſeine Be - redſamkeit noch einmal bei einem Juden an, der endlich bei dem hochbeſchwornen Verſprechen, ganz gewiß binnen zwei Monaten bezahlt zu ſein, mit einem ungeheuren Abzug Huͤlfe leiſtete.
Jetzt war die Expedition, die wir in Anſchlag hatten, nicht laͤnger zu verſchieben, ich ſagte Klau - ſen, daß ich bereit ſei, mich jedem andern Geſchaͤft und Zeitvertreib zu entziehen, und mich allem, was zur Ausfuͤhrung unſers Coups erforderlich waͤre, unterwerfen wollte. Hierzu gehoͤrte vorzuͤg - lich, daß ich vor der Hand nicht ausging, es warX 4da -328daher noͤthig krank zu werden, welches mich auch von weitern Beſuchen bei Madam Starkinn frei ſprach. Dort hatte ich nichts mehr zu thun, nicht daß ich Dorchens Umarmung und die Scene im Waldhaus widrig gefunden haͤtte, ich wuͤrde viel - mehr dieſes Vergnuͤgen mit allem, was ich nach unſerer Anſtalt naͤchſtens beſitzen wuͤrde, erkauft haben, allein ich hatte jede Hoffnung verloren, je nur einen Augenblick mit dem abgeſchreckten Taͤub - chen allein zu ſein, es war mir mehr als zu gewiß, daß ſie ſich fuͤr eine ſolche Verguͤnſtigung huͤthen, und wenn ſie ſich auch von ohngefaͤhr biethen ſoll - te, doch unerbittlich ſein, und mit Ernſt auch die kleinſte Gunſt verweigern wuͤrde; was ſollte ich alſo die Verſtellung weiter fortſetzen, da ich ohnehin keine Zeit darauf zu verwenden uͤbrig hatte.
Jch mußte alſo mit dem vorwillen nehmen, was ich genoſſen hatte, und Dorotheen dem Schick - ſal und der Nothwendigkeit mich zu vergeſſen, uͤber - laſſen. Und ſo bitte ich den Leſer, ſie, die Betro - gene zu vergeſſen, bis ich ihrer gelegentlich wieder gedenken werde, er verſchiebe bis dahin ſein Mit - leiden mit dem armen Maͤdchen, zu dem ich ihm durch die weitern Nachrichten von ihr mehr Stoff geben werde, als er glaubt, und denke ſich indeſſenihren329ihren Gemuͤthszuſtand, ſo wie den Kummer ihrer Tante, nach der Wahrſcheinlichkeit.
Jch eile jetzt zu der angekuͤndigten neuen Kata - ſtrophe, da ich ſie aber nicht ohne gehoͤrige Aus - einanderſetzung der Umſtaͤnde die ſie veranlaßten, vortragen kann, und ſich der Abſchied von ... an ihre Ausfuͤhrung ſchließt, ſo wuͤrde dieſer Abſchnitt zu lang werden. Jch ſchließe ihn alſo, und fahre im folgenden fort, der Welt meine ſeltene Thaten - kraft mitzutheilen.
Herr Matthias Ehrenfried Knapp war ein Mann, von dem die ganze Stadt ſagte, daß er Beſitzer einer halben Million waͤre; er ſelbſt aber nannte ſich einen armen Mann und wahren Kreuztraͤger. Er hatte einſt eine nicht ſchlechte Rolle in der ge -X 5lehrten330lehrten Welt geſpielt, war Profeſſor der Geſchichte, und hatte dabei einige wichtige Stellen bei der Uni - verſitaͤt uͤberkommen. Seinen Geiz ausgenommen, welcher zu vielen theils komiſchen, theils ſehr wi - drigen Geſchichten Anlaß gab, fand man nichts an ihm auszuſetzen, auch uͤberſah man ihm dieſe Lei - denſchaft lange genug wegen ſeiner Gelehrſamkeit, die ihn ſchaͤtzenswerth machte.
Aber ſie nahm bald zu ſehr uͤberhand, und da ſeine Frau Profeſſorinn zu dem huͤbſchen Vermoͤgen, welches ſie zu ihm gebracht hatte, noch eine Erb - ſchaft that, ſo bemaͤchtigte ſich zugleich das ganze Heer von Geldteufeln ſeiner Seele. Er entband ſeine Gattinn von der Beſorgung ihrer Gelder, er ſelbſt konnte ſie mit mehr Klugheit, mit mehr Ra - finement treiben, und ſie uͤberließ ihm dieſelben gern oder wider Willen, unterwarf ſich der Spar - ſamkeit, die er immer weiter trieb, anfangs aus Nachſicht oder Erkenntlichkeit gegen ſeine treue Ver - waltung des Jhrigen, hernach aber, weil ſie ſich der Herrſchaft, welcher ſie ſich unterworfen hatte, nicht mehr entziehen konnte — ihr wiederfuhr hier nichts, als was allen nachgebenden Perſonen begegnet, die es mit Egoiſten zu thun haben; ſolche Selbſtler be - nutzen Gefaͤlligkeit, und Abneigung gegen Wider - ſpruch derer, die ſich eben dadurch unterworfen ha -ben,331ben, bis dahin, daß jene endlich in der kleinſten Handlung von ihnen abhaͤngig werden. Bei einem Egoiſten, der noch dazu ſelbſt von einer Leiden - ſchaft tyranniſirt wird, iſt ein ſolches Geſchoͤpf in doppelten Feſſeln; und das war der Fall bei der Gattinn des Herrn Profeſſor Knapp.
Sie war reich, mußte ſich aber bequemen wie eine arme Frau zu leben, die jeden Pfennig ſauer verdienen muß, ihr Gemahl zaͤhlte ihr die Graupen - koͤrner in den Topf, wog das Pfund Fleiſch zu, welches ſie fuͤr ſich, ihn und die Kinder taͤglich mußte kochen laſſen, nahm, wenn ein Braten vorfiel, denſelben, ſobald er jedem ſein duͤnnes Schnittchen davon vorgelegt hatte, in Beſchluß, zaͤhlte die Kaffeebohnen, ſo wie die Erbſen großen Stuͤckchen Zucker zu, und nannte ſeine Frau eine Verſchwenderinn, eine Frau, die nicht auf die Zukunft, nicht auf ihre Kinder daͤchte, wenn ſie einmal vorſchlug, der Koͤchinn und dem Bedienten auch etwas Fleiſch zu geben, weil ja die Leute des bloßen Zugemuͤßes und der trocknen Wuͤrſte, die ſie hoͤchſtens dazu bekaͤmen, uͤberdruͤßig wuͤrden, und deshalb nie in ihrem Dienſt aushielten, wogegen ſie immer ſchlechtere Subjekte ins Haus bekaͤmen, und dazu uͤberall ausgetragen wuͤrden. Dieſes letz - te Argument galt dem Herrn Profeſſor am we -nigſten,332nigſten, er meinte man muͤſſe die Leute reden las - ſen, es koͤnne ſich kein Menſch vor der Schmaͤh - ſucht huͤthen, und man haͤtte viel zu thun, wenn man ſich mit ſeinen Handlungen nach den Urtheilen der Menſchen richten wollte. Um indeſſen nicht ganz hartherzig zu ſcheinen, ging er zuweilen ſelbſt in die Fleiſchbank, ſah ſich nach Fleiſch um, welches ſchon etwas alt war, kaufte dann alles von der Art fuͤr geringern Preiß, als gewoͤhnlich zuſammen, und uͤberraſchte ſeine Gemahlinn mit einem gan - zen Kord voll ſchwarz angelaufenen Fleiſches von allen Sorten, welches er nach Hauſe tragen ließ, wenn es zu viel war, um es ſelbſt in Schnupftuͤ - chern zwiſchen den Rockſchoͤßen verborgen trans - vortiren zu koͤnnen. Er uͤbergab es ihr dann mit der Vermahnung, es gut einzutheilen, ſo koͤnnte ſie den Leuten lange davon zu eſſen geben, ohne daß ſie zu klagen Urſache haͤtten. Die gute Frau durfte ſich nicht merken laſſen, daß dieſer jetzt ſchon uͤbelriechende Vorrath nicht noch dazu lange aufgehoben werden koͤnnte, denn Knapp war auch ein Zaͤnker, war grob, und konnte keinen Wi - derſpruch leiden, ſie durfte ihren Dienſtbothen eben ſo wenig mehr als hoͤchſtens einmal zumuthen, von dieſem Fleiſche zu eſſen, auch konnte ſie nicht wagen, es wegwerfen zu laſſen, denn ihr Eheherrſah333ſah oft nach, wie viel noch vorhanden waͤre, un - terſuchte ſogar in der Kuͤche, ob davon gekocht wuͤrde und verlangte wohl gar, daß ſie nebſt den Kindern davon eſſen ſollte, wo ſie denn nur fuͤr ihn, ſeines ſchlechten Magens wegen, ein apartes Gerichtchen beſorgen durfte. Die gute Frau hatte alſo jedesmal, wenn er ſolche Fuͤlle ins Haus brachte, einen großen Schreck, denn ſie wußte nicht, wie ſie ſich dabei verhalten ſollte.
Da es nun unmoͤglich war ſein Verlangen puͤnkt - lich zu erfuͤllen, ſo ſetzte es doch immer Verdruß, wobei er am meiſten zu leiden behauptete, und ſich einen Kreutztraͤger nannte.
Um ſein betruͤbtes Schickſal zu erleichtern, kaufte er ein kleines Landguth, ſchickte Frau und Kinder dahin, verpachtete aber die Wirthſchaft, und ſetzte aͤußerſt wenig fuͤr ſeine Familie und ein ar - mes Landmaͤdchen, das er ſtatt aller Bedienung fuͤr ſie annahm, aus. Er wuͤnſchte ſich Gluͤck, dieſe Einrichtung getroffen zu haben, denn einmal war des Aufgangs in der Stadt um ſo viel weni - ger, und er durfte blos einen Bedienten halten, den er leider nicht entbehren konnte. Zweitens brauchten Frau und Kinder auf dem Lande nicht ſo viel Staat, weshalb er auch die beſten Klei - der der erſten bei ſich behielt und ſie ſorgfaͤltig ver -wahr -334wahrte. Drittens konnte er ſich, wenn er wollte, was zu gute thun, ohne ſeiner Gemahlinn auch et - was anbieten zu muͤſſen.
Nun lebte er alſo etwas ruhiger, ließ ſich ſeine Portion Eſſen holen, trank ſein Glaͤschen Wein dabei huͤbſch allein, war aber nicht ſo leicht - ſinnig, mehr als eins zu genießen oder ſich allzu - oft noch etwas apartes an Speiſen holen zu las - ſen. Hingegen erholte er ſich deſto lieber bei Gaſt - gebothen, nahm auch, wenn keins vorfiel, bei gu - ten Freunden, die er gegen Abend beſuchte, vor - willen, wie er ſie fand.
Sein Ruf bei der Univerſitaͤt war, als ich mich dort aufhielt, ſchon ganz geſunken, er haͤtte voͤllig abkommen koͤnnen, und wuͤrde auch, weil ihm nichts verhaßter war als ſeine Amtsarbeiten, abge - gangen ſein, wenn er die Einnahmen der guten Stellen, welche er nun einmal beſaß, haͤtte entbeh - ren koͤnnen. Er las, obwohl er nicht ſoviel Zu - hoͤrer hatte, als ehemals, ziemlich ordentlich, auch war er ſicher, daß ſein Auditorium niemals ganz leer ſein wuͤrde, weil die jungen Leute, welche ſehr oft blos um uͤber den Profeſſor zu lachen, in ge - wiſſe Collegia gehen, auch ihn gern beſuchten. Hier - zu nun gab er reichlichen Stoff; zu faul, um uͤber ſeinen Vortrag nachzudenken, und erklaͤrende An -merkun -335merkungen mit den Vorleſungen zu verbinden, miſchte er lieber allerhand Schnoͤrkelchen, zuwei - len aber auch die Erzaͤhlung ſeiner Ungluͤcksfaͤlle hinein. So klagte ers ſeinen Zuhoͤrern z. B. weuu er einen Verluſt gehabt, wenn er betrogen worden war, und wollte dadurch ganz zum geſchlagenen ar - men Mann geworden ſein. War irgend ein Lebens - mittel aufgeſchlagen, ſo wurde auch dies erwogen und bejammert, zuletzt aber brach er immer mit den Worten von dieſen Angelegenheiten ab: was hilfts? man muß ſein Kreuz geduldig tragen; er ſelbſt war alſo ſchuld, daß man ihm den Beinamen des Kreuztraͤgers gegeben hatte.
Faſt alle reiche Studenten waren ihm ſchuldig, er verſtands, ihre Thorheiten und Verſchwendun - gen zu nutzen, und hatte uͤberlegt, daß es beſſer ſei, wenn ein Theil des weggeworfenen Geldes durch uͤbertriebene Zinſen und Proxinetica in ſeine ſparen - den Haͤnde fiel, als wenn es ſonſt verjubelt wuͤrde. Doch ſelten nur hob er ſeine Darlehne ſelbſt und unter eigenem Namen, er hatte etliche juͤdiſche und chriſtliche Geldmaͤkler in dieſe Geſchaͤfte gezo - gen, und ſo glaubte er ſich ſelbſt außer den Ver - dacht des Wuchers geſetzt zu haben.
Jch ſuchte und erhielt ſeine Gewogenheit; um mich in dieſem guten Vernehmen zu erhalten,ſchickte336ſchickte ich ihm Auſtern, feinen Wein, Dorten u. ſ. w. als ob ichs ſelbſt von Hauſe, oder ſonſt von einem Verwandten oder Freund erhalten haͤtte. Dadurch hatte ich vor andern das Gluͤck, von ihm ſelbſt Vorſchuͤſſe, und die auf billige Bedingungen, zu erhalten, ich hielt Wort, und brauchte einige Wochen darauf aufs neue. Allein er war bald der Billigkeit uͤberdruͤßig, und verſicherte, daß er es diesmal nicht im Stande waͤre, aber er wollte mit jemand ſprechen, und wenn der mir helfen koͤnnte, ihn zu mir ſchicken. Dies geſchah, und ging fort - hin immer dieſen Weg.
Durch ihn war ich jetzt Herrn Profeſſor Knapp etwas uͤber 6000 Thaler ſchuldig, und erfuhr durch Klauſen, dem es der Unterhaͤndler des Profeſſors ſelbſt geſtanden hatte, daß er am meiſten darauf triebe mich arretiren zu laſſen. Dieſes verdroß mich um der Geſchenke willen, die ich ihm gegeben hat - te, noch mehr um des Wuchers willen, denn ich hatte kaum 4000 Thaler baar Geld empfangen, und am meiſten wegen Knappens Verſtellung, denn er blieb immer freundlich und hoͤflich gegen mich; ich aber mochte nie das, was ich ſelbſt ausuͤbte, von andern dulden.
Der alte Kerl verdiente das nehmliche Schick - ſal wie meine Mutter und ihr Mann, ſagte icheines337eines Abeuds zu Klauſen, als er mir erzaͤhlte, daß wir auf etwas Geld denken muͤßten, um die Glaͤu - biger, beſonders den Profeſſor zu beruhigen, ſonſt wuͤrde ich geſetzt, denn eben der letzte machte alle unter der Hand rebelliſch. — Jch kam, als Klaus mir dies zu erwaͤgen gab, von Madam Starkinn, und hatte da viel ſchoͤne moraliſche Sentenzen ge - hoͤrt, zu dieſen rechnete ich jetzt die Nothwendig - keit, einen ſo getzigen, wucheriſchen und falſchen Mann, wie es Knapp waͤre, zu beſtrafen. — Sie haben meine Gedanken, ſagte Klaus, da ich mich, wie unten angefuͤhrt, entdeckt hatte, und das ginge wohl an, denn ſein jetziger Bedienter Nehmer iſt mein guter Freund, ein Menſch, mit dem etwas anzufangen iſt, der ſeinen Herrn eben ſo haßt und verachtet, als die vorigen gethan haben.
Weder Klaus noch ich waren Leute, die es, wenn von wichtigen Unternehmungen die Rede war, bei bloßen hingeworfenen Worten bewenden ließen, wir beſprachen auch jetzt die Sache ſogleich aus - fuͤhrlicher, und beſchloſſen, uns mit Nehmers Huͤlfe durch die Kaſſe des Profeſſors ſelbſt aus der Ver - legenheit zu ziehen, in die er mich ſtuͤrzen wollte; Klaus uͤbernahm alle Anſtalten dazu. Er hatte Nehmern bald gewonnen, dieſer ſchlug vor, noch ſo lange zu warten, bis ſein Herr eine gewiſſe ſtarke2r Theil. YZah -338Zahlung empfangen haͤtte, denn es waͤren ihm, wi - er gehoͤrt haͤtte, Gelder aufgekuͤndigt, die auf ſiche - rer Hypothek geſtanden; ſchon waͤren die ſechs Mo - nate, wo dieſes geſchehen waͤre, bald um, und der Profeſſor haͤtte ſie nicht wieder untergebracht, ſon - dern wollte ſie zu einer ſichern Handlungs-Specu - lation geben, wo[ſie]ſich beſſer verzinßten. Nun hoffte er, dieſes Geld werde doch zuerſt in ſein Haus kommen, und dies wollte er dann ſogleich melden; geſchaͤhe es aber nicht, ſo waͤre es doch noch Zeit genug, ſich mit dem, was vorhanden waͤre, zu be - gnuͤgen. Dieſe Zahlung alſo und die Verfuͤgung damit ſollte abgewartet werden, indeſſen ſorgten Klaus und Nehmer fuͤr alles, was zur Ausfuͤhrung unſers Plans noͤthig war. Wir ſahen, da unſer Mitverſchworner im Hauſe des Profeſſors war, dieſe Ausfuͤhrung fuͤr ſo ſicher an, daß Klaus, um es ruhig abwarten zu koͤnnen, mir vorſchlug, neue Wechſel zu geben, und in denſelben binnen zwei Monaten Zahlung zu verſprechen; dies geſchah bei Austheilung des Douceurs, welches wir durch auf Kredit genommene Uhren zuſammen brachten, deren wir fuͤr 1200 Thaler nahmen; wir loͤſten doch 500 Thaler daraus, und ſo bekamen alle, auch Knapp, Beruhigungsgeld. Mir war das um ſo lieber, weil ich nun etwas mehr Ruhe hatte, und den Romanmit339mit Dorotheen ſpielen konnte, zuweilen gewann ich in dieſer Zeit etwas zu Taſchengeld, dann lief auch unterdeſſen mein Wechſel ein, und verlohr ich, ſo ſuchte Klaus auch Rath zu ſchaffen. Auf dieſe Art ging die Zeit leidlich hin.
Der Profeſſor, dem ich ſagte, daß meine Mut - ter mir in zwei Monaten Geld ſchicken wuͤrde, um mich Schuldenfrei zu machen, gratulirte mir zu dieſer Ausſicht, und war freundſchaftlicher gegen mich, als jemals. Jch ließ es an meinem Theile an keiner Art von Verſtellung fehlen, um, wenn unſer Meiſterſtuͤck ausgefuͤhrt ſein wuͤrde, nicht in Verdacht zu kommen. So warnte ich Knappen un - ter andern vor Nehmern, dem ich nicht ſo recht traute; aber der Profeſſor meinte, hier irrte ich mich, es waͤre noch der beſte und ehrlichſte Bedien - te, den er gehabt haͤtte, beſonders ließ er ſich ſeit etlichen Wochen immer beſſer an. Er konnte das mit Wahrheit ſagen, denn Nehmer wollte ſeit un - ſerer Abrede ſeinen Herrn ganz vertraut und ſicher machen, alſo ließ er ſich gefallen, was dieſer nur wollte, half ſparen, und ſich ſogar von ſeinem Herrn ſtillſchweigend bevortheilen. Dieſer hatte, ihm, um zu zeigen, wie gut er von ihm daͤchte, meine Warnung und ſeine Vertheidiguͤng wiederge - ſagt, aber es war mit Nehmern verabredet, daß ichY 2dieſe340dieſe Sorgfalt aͤußern wuͤrde, um allen Verdacht von mir zu entfernen, und ſo nahm er es nicht uͤbel.
Nur einen Abend vor dem einſamen Spatzier - gang mit Dorotheen kam Nehmer mit der frohen Nachricht, daß 12000 Thaler in Gold eingelaufen waͤren, und bis zu weiterer Verfuͤgung in einer ſtark mit Eiſen beſchlagenen Kiſte in des Profeſſors Schlafkabinet ſtuͤnden, morgen und uͤbermorgen, ſagte er, bleibts noch im Hauſe, denn der Kauf - mann, mit dem er in Verbindung treten will, iſt abweſend, er wird aber in zwei Tagen erwartet, und dann ſtehe ich fuͤr nichts mehr. Nach dieſen Nach - richten war es um ſo nothwendiger, mit Dorchen zum Schluß zu kommen, um ſo nothwendiger, krank zu werden; meine Leſer wiſſen bereits, daß beides geſchahe.
Nehmer hatte ein hoͤlzernes Kreuz, auf einen Kreuzfuß bepflanzt, nebſt ſeiner Verkleidung ſchon verſtohlen ins Haus geſchleppt, es fehlte alſo die Nacht, die wir zur Beraubung des Profeſſors be - ſtimmt hatten, an nichts, als daß er mich und Klau - ſen leiſe einließ, und auch dieß ging ohne bemerkt zu werden von ſtatten. Jch hatte mich, ſo wie Klaus, wieder geſchwaͤrzt, mit einem Bart verſe - hen, und alle hatten wir Maͤntel um, ich ſtopfte,um341um ganz unkenntlich zu ſein, ein dickes Kiſſen unter eine weite ſchwarze Weſte, die Klaus auf dem Troͤdel kaufte, und machte ſo, den Mantel daruͤber geſchlagen, eine monſtroͤſe Figur aus. Der Pro - feſſor lag ganz ruhig in ſeinem Bette, und zaͤhlte vielleicht ſchon, was er bei der neuen Speculation gewinnen wuͤrde, als ſein treuer Nehmer ſich ihm zuerſt nahte und ihm ein Pechpflaſter uͤber den Mund warf, ehe er noch die Frage vollenden konn - te, was er wollte? Klaus war ihm mit dem Kreuze gefolgt, er ſetzte es hin, ich trat nun mit dem Lich - te, mit welchem ich draußen hinter der Thuͤre ſte - hen geblieben war, ein, und ſetzte es ſo, daß wir zu unſerm Geſchaͤft ſehen konnten. Alle drei be - maͤchtigten wir uns des Mannes im Bette, dem Klaus, ſo wie Nehmer das Pflaſter angebracht hatte, die Haͤnde hielt, wir trugen ihn heraus, und befeſtigten ihn um den Leib, den Hals und die Bei - ne, mit Stricken daran, beide Arme kamen einer nach dem andern zuletzt an die Reihe des Anbin - dens. — Ueber dem Kopf war das Kreuz mit der Jnſchrift verſehen: Matthias Ehrenfried Knapp, Kreuztraͤger — Dieſe Jnſcription, ſo wie die Erfindung ihn ans Kreuz zu binden, war ganz von mir.
Y 3Da342Da wir ihn an demſelben in Ruhe gebracht hatten, ſuchte Klaus mit Bequemlichkeit ſeine Schluͤſſel, und wir raͤumten Kiſten und Kaſten in Stube und Kabinet aus. Zwei große Saͤcke nah - men, einer das baare Geld, der andere was an Koſt - barkeiten vorhanden war, ein. Unter den letztern befand ſich ein completer Damenſchmuck und zwei Ringe von ſehr g[r]oßem Werth, auf den Knapp 15000 Thaler geborgt hatte. Mit dieſer Beute eilte man in meine Wohnung, wo man das Geraͤuſch beim Ankommen fuͤr nichts achtete, weil das in meinem Logis gewoͤhnlich war; ich hatte meinen eigenen Hausſchluͤſſel, wie ſpaͤt und mit welcher Geſellſchaft ich alſo auch zuruͤckkam, ſo bekuͤmmerte ſich doch kein Menſch darum, ſondern alles blieb ruhig liegen; alſo waren wir auch diesmal ſicher.
Jetzt ward die Vermummung weggeworfen, und die Beute betrachtet; unſer Reichthum war groß, er beſtand wenigſteus in 36000 Thaler. Nehmer, welcher ohne Verzug die Stadt raͤumen wollte, begnuͤgte ſich mit 4000 Thaler in Gold, wo - mit er ſich bepackte, nahm von mir einen Wechſel auf andere 4000 Thaler, und noch eine ſchriftliche Verſicherung, daß, wenn durch den Verkauf der Koſtbarkeiten, an denen er Antheil haͤtte, mehr her - auskommen ſollte, er einen billigen Nachtrag er -halten343erhalten ſollte. Jch waͤre der Ausſtellung dieſer Pa - piere gern uͤberhoben geweſen, denn mein verbuͤnde - ter Daͤmon kuͤndigte mir mit leiſer Stimme an, daß dies zu Entdeckungen Anlaß geben wuͤrde, allein Nehmer wollte ohne Sicherſtellungen nicht von der Stelle gehen, ich ſah mich alſo dazu gezwungen. Er verſprach nach einiger Zeit Nachricht von ſich zu geben, und empfahl ſich, auch war er gluͤcklich ent - kommen, denn alle Nachſuchungen waren vergebens, man konnte keinen Nehmer in und um .... ent - decken.
Profeſſor Knapp blieb dieſe fuͤr ihn fuͤrchterli - che Nacht durch ohne Huͤlfe an ſeinem Kreuz haͤn - gen, erſt des Morgens um 8 Uhr hatte ihn ſein Famulus ſo gefunden, mit dieſem war ein Student gekommen, der etwas beim Profeſſor zu ſuchen hatte; beide erloͤſten ihn von ſeinem mattervol - len Zuſtand und brachten ihn zu Bette, aber nicht ohne Schmerz und Blut war das Pechpfla - ſter abgenommen worden, auch war eine ordentliche Kur noͤthig, um Lippen und die ganze Gegend um den Mund zu heilen.
Doch dies waͤre noch hingegangen allein es erfolgte eine wuͤrklich gefaͤhrliche Niederlage, die Krankheit, in welche der Profeſſor verfiel, ließ ſich um ſo ſchwerer heben, da er wegen ſeinesY 4Ver -344Verluſtes untroͤſtlich war, und ſich nicht darein finden konnte, um eine ſo große Summe gekom - men zu ſeyn; er wollte nicht laͤnger leben, er ein armer Mann, der nicht nur ſelbſt ſo viel von dem Seinigen verloren, ſondern auch den Schmuck erſetzen muͤßte. (Jch erfuhr bei dieſer Gelegenheit, wie hoch er taxirt ward, als Knapp die 15000 Thaler darauf geborgt hatte, und konnte mich alſo dar - nach richten.)
Madam Knapp kam auf die Nachricht von dem gehabten Ungluͤck ihres Mannes in die Stadt, um ihm klagen zu helfen, zu troͤſten und zu pflegen, allein er wollte lieber dem allen entſagen, als zu - laſſen, daß ihre Gegenwart die Koſten im Hauſe vermehrte; ſeine Unruhe daruͤber war ſo groß, daß die gute Frau, um nicht auch dadurch die Bes - ferung zu hindern, wieder abreiſte.
Seine Geneſung erfolgte ſo bald nicht, er ver - fiel, da er auch wuͤrklich koͤrperlich beſſer war, in einen Tiefſinn, der ihn zu den Obliegenheiten ſei - ner Amtes voͤllig untuͤchtig machte, und man war hieruͤber bei der Univerſitaͤt um ſo eher ge - troͤſtet, da ſeine Herren Collegen ohnehin wenig mehr auf ihn gehalten hatten, jetzt aber noch mehr wuͤnſchten, einen ſo ſehr beſchaͤmten Mann nicht laͤnger unter ihre Mitglieder zaͤhlen zu duͤrfen; dennſein345ſein Ungluͤck und die Umſtaͤnde dabei wurden uͤber - all erzaͤhlt und wieder erzaͤhlt; er ward weniger beklagt, als verlacht; wie dies immer geſchieht, wenn einem Geitzigen Ungluͤcksfaͤlle ſolcher Art begegnen.
Jch blieb vierzehn Tage krank, ſorgte fuͤr er - kuͤnſtelte Hitze, ließ den Arzt rufen, die Medicin, die er verordnete, machen, und mich von meinen Bekannten im Bette beſuchen. Da ich es endlich wagen durfte wieder auszugehen, war es Profeſſor Knapp, welchem ich den erſten Beſuch machte. Jch wußte ihn durch meine Beweiſe des aufrichtig - ſten Mitgefuͤhls ſo zu uͤberzeugen, daß er wahren Troſt darinnen fand, und mit dem vollkommen - ſten Vertrauen von ſeinem traurigen Zufall ſprach. Ach Gott, Herr Schnitzer, ſagte er, Jhnen ah -[n]ete es wohl, daß Nehmer ein Boͤſewicht war,[ſo]haͤtte ich Jhrem Wink doch gefolgt! Ja wohl,[v]erſetzte ich, und ich geſtehe Jhnen, Herr Profes - ſor, daß ich mich wunderte, Sie ſo ſicher uͤber die Ehrlichkeit dieſes Kerls zu ſehen, ich hoffte, Sie wuͤrden mich fragen, was mich zu dieſem Argwohn bewoͤge? Freilich haͤtte ich nichts eigentliches nen - nen koͤnnen, aber ich haͤtte Jhnen dann meine Merkmale genannt. Jch nahm ſie aus Nehmers Phiſionomie, er glich einem Menſchen, der mei -nen346nen Eltern dergleichen Streiche gemacht hat; da Sie ihn aber ſo lobten, ſchwieg ich, denn dieſe Aehnlichkeit machte Nehmern nicht abſolut ver - daͤchtig, und wer will gern einen Unſchuldigen in uͤbeln Verdacht bringen? Knapp konnte dagegen nichts einwenden, meinte aber, ich haͤtte es ihm doch ſagen ſollen, da ich einmal angefangen haͤtte zu ſprechen, und indem er nachdachte, kam ihm dieſes Stillſchweigen wie eine Art Antheil vor, den ich an ſeinem Ungluͤck haͤtte. Nun ward er boͤſe auf mich, machte mir ein finſteres Geſicht, und geſtand mir ohne weitern Ruͤckhalt, daß er es ſei, der gewiſſe wichtige Zahlungen von mir zu erwarten haͤtte, indem ihm die Maͤkler es abge - ſchwindelt haͤtten; ich moͤchte alſo ja nach der zu - letzt geſetzten Zeit Wort halten, ſonſt waͤre er ge - noͤthigt, auf das ſtrengſte zu verfahren. Jch will Jhnen, verſetzte ich, zeigen; daß ich allenfalls eher, als ichs verſprochen hatte, Rath weiß, noch heute geht die Poſt, ich werde mit meiner Mutter ſchrei - ben, das ſie lieber etwas aufnehmen ſoll, um Jh - nen zu beweiſen, wie unrecht Sie haben, mir ſo zu drohen. Dieſes ſagte ich in einem empfind - lichen Ton, ruͤckte zugleich meinen Stuhl und wollte kurz Abſchied nehmen, der Profeſſor aber reichte mir die Hand, bat mich, ihm ſeinen et -was347was hitzigen Ausfall nicht uͤbel zu nehmen, ſon - dern ihn der Nothwendigkeit zuzurechnen, denn ich ſaͤhe ja, daß er nun ganz arm und entbloͤßt von jeder Zuflucht ſei; auch habe er ſelbſt Schulden, die ihn nun draͤngen wuͤrden. Jn Anſehnng dieſer Umſtaͤnde wuͤrde ich ihm freilich einen großen Ge - fallen thun, wenn ich je eher je lieber Anſtalt machte, damit er etwas Geld in die Haͤnde be - kaͤme, ſonſt aber haͤtte er nicht das geringſte Miß - trauen in mich, und wuͤßte wohl, daß ich als ein großmuͤthiger, edler, junger Mann an ihm Kreu — beſann ſich geſchwind und ſagte, Zugrundegerich - teten, handeln wuͤrde, wozu meine gnaͤdige Frau Mutter, als ein generoͤſe und mitleidige Dame, auf Bitte ihres einzigen hoffnungsvollen Sohns, gewiß Hand biethen wuͤrde. Waͤhrend dieſer Ent - ſchuldigungs - und Empfehlungsrede ließ er meine Hand nicht los, als ich ſie endlich mit der Ver - troͤſtung, daß ich ſogleich ſchreiben, und eben dar - um nach Hauſe eilen wollte, zuruͤckzog, ließ er es nicht eher geſchehen, bis er ſie an ſein Herz ge - druͤckt hatte, wobei er mich aufs neue lobpreiſte, und nur wuͤnſchte, daß andere, die ihm auch ſchul - dig waͤren, eben ſo edelmuͤthig denken moͤchten; aber da wuͤrde er bei manchem wohl Schaͤrfe brau - chen muͤſſen.
Jch348Jch unterrichtete Klauſen mit vielem Jubel, von dieſer Unterredung, und erhielt ſeine Einwilli - gung, die Bezahlung meiner Schulden nun nicht bis nach vollem Ablauf der zwei Monate zn ver - ſchieben. Wir beſchloſſen, daß er verreiſen, und in einer entfernten Stadt von dem Gelde ſo viel in Courant umſetzen ſollte, als ich ſchuldig war, ich aber wollte vorgeben, ihn nach Hauſe geſchickt zu haben, um es mit der von meiner Mutter verſprochenen Zahlung zu betreiben, welches er allen meinen Glaͤubigern vor der Abreiſe erzaͤh - len wollte.
Die Sache ging trefflich von Statten, Klaus ließ ſich unterwegens einige Kleider machen, um als ein Herr reiſen zu koͤnnen, nahm ſogar ei - nen Bedienten fuͤr die Zeit ſeiner Geſchaͤfte an, aͤnderte ſeinen Namen, und erreichte ſeinen Zweck ungehindert in einer großen Handelsſtadt. Es gingen aber bis zu ſeiner Wiederkunft meiſt vier Wochen hin, oft war mir bange, daß er ganz wegbleiben wuͤrde, doch ich hatte ja den Schmuck und einige 1000 Thaler in Sold zuruͤckbehalten, und wie viel ſich Klaus auch bei mir geſammelt haben konnte, ſo betrug es doch gewiß nie ſo viel, als er zuruͤckließ.
Seine349Seine Ankunft hob alle noch uͤbrige Zweifel, und mein Ruhm, ſo wie der Ruhm meiner Mut - ter, verbreitete ſich durch die ganze Stadt, da ich alles baar auszahlte. Einige Tage nachdem es geſchehen war, beſuchte ich Knappen, welcher nun auch das ſeinige empfangen hatte, er war mehr als freundlich, er weinte Thraͤnen des Danks ge - gen mich, und da ich ihm einen Beutel mit hun - dert Dukaten reichte, fehlte wenig, daß er mir nicht die Hand kuͤßte; mein gutes, theilnehmen - des Herz wurde uͤber alle andre gute Herzen erho - ben, und mir verſichert, daß Gott dieſe ſchoͤne Handlung ſegnen wuͤrde.
Jetzt nahm ich nicht laͤnger Anſtand, mich auf meine Abreiſe nach einer andern Univerſitaͤt zu bereiten, und es allenthalben bekannt zu ma - chen. ... war mir verhaßt, einmal glaubte ich mich, wie wenig ich auch als Theilnehmer an der Beraubung des Profeſſor Knapps geahnet wurde, doch nicht eher in voller Sicherheit, als in der Entfernung; dann wuͤnſchte ich den Ort, wo Do - rothea lebte, je eher je lieber verlaſſen zu koͤnnen.
Nicht ſogleich hatte dieſe ihr ganzes Ungluͤck eingeſehen, als ich nach dem, was unter uns vorgefallen war, ausblieb, meine vorgegebene Krankheit ſchien ihr hinlaͤngliche Entſchuldigung,wenig -350wenigſtens bemuͤhte ſie ſich, jede traurige Ah - nung zuruͤckzuſchlagen, und die Beſorgniß der Ma - dam Starkinn um mich zu theilen. Dieſe ſchickte taͤglich zweimal, um Nachrichten von meinem Be - finden[einzu]〈…〉〈…〉en, Dorothea ließ aber immer nur mit gruͤſſen, es gab kein Billetchen, worinnen ſie, wie vor dem Vorgang im Waͤldchen gewiß geſche - hen waͤre, ihren zaͤrtlichen Kummer um mich aus - gedruͤckt haͤtte. Mir war dies ſehr erwuͤnſcht, denn ich war nun der Muͤhe uͤberhoben, ihr einige Zei - len dagegen zu ſchreiben, oder doch etwas verbind - liches ſagen zu laſſen; auch ließ ich es immer bei einem beide Frauenzimmer angehenden Gegencom - pliment bewenden, und auf die Frage nach meinem Befinden, die Krankheit ſehr ſchlimm und hart - naͤckig angeben.
Dies blieb laͤnger als eine Woche in dem nehm - lichen Schlender, ich irrte mich aber ganz in der Meinung, daß Dorchen noch keinerlei Argwohn hegen wuͤrde, ich dachte nicht daran, daß ihr mein kaltes Stillſchweigen auffallen muͤſſe, wenn auch unter uns noch alles auf dem vorigen Fuß gewe - ſen waͤre, um ſo mehr aber jetzt, da ich ihr ge - zeigt hatte, daß ich mich leicht uͤber Bedenklich - keiten wegſetzen konnte.
Sie351Sie hatte hieruͤber nur allzuſehr nachgedacht, ſich mit ſchweren Ahnungen gequaͤlt, und ſich - um zu wiſſen, woran ſie waͤre, endlich uͤberwun - den, meinen Arzt zu fragen, wie es mit mir ſtuͤn - de? Dieſem Mann war die V[e]rbindung, in der wir ſtanden, nicht unbekannt, es glaubte das lie - bende Maͤdchen troͤſten zu[muͤ]ſſen, und ſagte ihr, daß es nicht die geringſte Gefahr haͤtte, und ich faſt voͤllig wieder hergeſtellt ſei. Der Arzt brachte mir dieſe Nachricht ſelbſt, ſetzte[a]ber hinzu, daß er nicht wiſſe, wohin er das ploͤtzliche Erroͤthen der Mamſell Muͤllerinn bei ſeinem guten Troſt rechnen ſollte, wenn es nicht etwa ein Beweis ſei, daß ſie, auf ein anders Maͤdchen eiferſuͤchtig, mich in Verdacht haͤtte, ich wolle fuͤr ſie noch nicht geſund ſeiu. Das kann ſein, verſetzte ich, die Maͤdchen ſetzen ſich bald ſo was in die Koͤpfe, und ſie ſollten doch alle bedenken, daß die Liebe bei einem Studenten am wenigſten mit der Treue vereinbart iſt. Der Arzt ſah mich bedenklich an, und meinte dann, es wuͤrde ihm leid ſein, wenn Dorothea Muͤllerinn, die er mehr dem Rufe nach, als durch eigne gemachte Bekanntſchaft, fuͤr ein ſittſames und geſetztes Maͤdchen hielt, in eine leichte Verbindung gewilligt haben ſollte, weil ſie es vielleicht nicht ſobald als manche andre ver -ſchmerzen352ſchmerzen wuͤrde, wenn ſie ſich hintergangen ſehen ſollte. — Alles, was ich bei dieſer Erinnerung dachte, war der Wunſch, ... bald zuverlaſſen.
Den Tag nach[dieſer Unte]rredung mit dem Arzt erhielt ich ein Billet von Dorotheen, es enthielt nur dieſe wenigen Zeilen:
„ Sie ſind nicht ſo krank, Herr Schnitzer, als Sie uns taͤglich ſagen laſſen, Sie ſind meiſt beſſer. Was haben Sie davon, das liebende Herz eines Maͤdchens zu quaͤlen, welches Jhnen ganz gehoͤrte, und nun gehoͤren muß?
„ Wenn werde ich Sie wieder ſehen? dieſe Frage kann und muß Jhre Braut thun, und hat doch wohl volles Recht ein freundliches Woͤrtchen zur Antwort zu fordern, wozu Sie gewiß Kraͤfte genug haben. “
Dorothea Muͤllerinn.
Dies kleine Briefchen war mir aͤrgerlich und angenehm auf einmal. Es verdroß mich, daß Do - rothea mir ſo trotzig ſchrieb, und doch war mirs als eine Gelegenheit, in Uneinigkeit mit ihr zu gera - then, ſehr willkommen. Waͤre ſie noch das ſanfte zaͤrtliche Maͤdchen wie vorhin geweſen, welches dem Anſchein nach nicht der Fall war, ſo haͤtte ich mich immer noch durch eine Menge muͤhſamer Wege ſchla - gen muͤſſen, um ihrer loszuwerden, nun aber war die Bahn ſehr leicht zu finden, freilich etwas rauhwar353war ſie, doch aber nicht fuͤr mich, ich ging gerade aus, die Steine und Dornen auf dieſer Reiſe zum Bruch mit Dorchen, druͤckten und ſtachen nur ſie, ich ſelbſt empfand nichts davon.
Zur Antwort auf dieſes kurze Villet ward ſo - gleich ein langer Brief beſchloſſen, er konnte nicht ſogleich mit gehoͤrigem Bedacht geſchrieben werden, alſo ließ ich durch die Koͤchinn der Madam Star - kinn ſagen, die Antwort wuͤrde noch heute erfolgen, und wuͤrklich ging ich ſogleich daruͤber her. Jch wuͤrde dieſes Schreiben meinen Leſern faſt Wort fuͤr Wort liefern koͤnnen, wenn ich ruhmredig waͤre, und mit meinen Gaben, vorzutragen, wahrſcheinlich zu machen, unwiderruflich entſchloſſen zu thun, prahlen wollte; aber ich bin hierzu viel zu beſchei - den, ja ich wuͤrde nicht einmal des Jnhalts geden - ken, wenn es nicht geſchehen muͤßte, damit meine Leſer wiſſen moͤgen, wie ich mit Dorotheen Muͤlle - rinn aus einander kam; doch ich will mich moͤglichſt kurz dabei faſſen.
Jch ſagte in dieſer meiner Antwort, daß mich ihr kaltes und trotziges Billet nicht verwundert haͤtte, da ich von ihrer wahren Geſinnung gegen mich ſchon unterrichtet geweſen ſei, welches ich dem Freund, der ehrlich genug geweſen waͤre, mir die Augen zu oͤffnen, nicht genug verdanken koͤnnte. 2 r Theil. ZViel354Viel haͤtte zwar dieſe Nachricht, welche mir am nehmlichen Abend, wo ich das letztemal von ihr ge - gangen, ertheilt worden waͤre, zu meiner Krankheit beigetragen, allein ich wollte mir Muͤhe geben, mich uͤber ihre Falſchheit und Treuloſigkeit wegzuſetzen. Jch haͤtte immer waͤhrend meiner Krankheit gehofft, daß ſie mich mit ihrer Tante auf einen Augenblick beſuchen wuͤrde, welches mir wahre Theilnahme be - wieſen haben wuͤrde, und die Braut, eben ſo gut haͤtte thun koͤnnen, als ſie Beſtimmung des Tages, wo ich ihr wieder aufwarten wuͤrde, forderte. Aber mein Arzt habe mir geſtern, als Beſtaͤtigung ihrer Nachricht aus Freundes Mund, hinterbracht, daß ihr vielmehr ſeine Verſicherung, es wuͤrde beſſer mit mir, eine Schreckenspoſt geweſen ſei. Nun haͤtte ich alſo Ueberzeugung genug, daß nicht Liebe, ſon - dern vielleicht eine ganz andre Abſicht, ſie zur Ver - bindung mit mir bewogen, aber ſie wuͤrde mir auch verzeihen, wenn ich von dieſem Augenblick an un - ſern Umgang abbraͤche, und mein Wort zuruͤcknaͤhme. Kampf genug haͤtte mich die Nachricht, wie ſehr ich getaͤuſcht ſei, gekoſtet, ja ich geſtuͤnde, daß ich, um zu wiſſen, was ich glauben muͤßte, die Gefahr meiner Krankheit vergroͤßert haͤtte, damit ich ſehen moͤchte, ob ſie nicht zu mir kommen wuͤrde, indem ichs fuͤr gar zu natuͤrlich gehalten, daß eine lie - be Braut ihren Verlobten bei ſolchen Umſtaͤnden ſelbſt ſehen wollte. Ein perſoͤnlicher Beſuch haͤtte mich alſo beruhigen koͤnnen, doch ſie haͤtte ſich auf die gleichguͤltigſte Art von der Welt verhalten, und aus Furcht, daß die Koͤchinn die Berichte meinesUebel -355Uebelbefindens vergroͤßerte, die Wahrheit von mei - nem Arzt ſelbſt wiſſen wollen, welcher ſie denn mit der Nachricht, daß ich mich nicht abfiuden wuͤrden, ſo gewaltig erſchreckt haͤtte. Dies und ihr froſtiges - vorwurfsvolles und gebietheriſches Billet habe mir den Sieg uͤber die Verzweiflung, in die mich der Bericht ihrer Untreue und ihrer eigentlichen Den - kungsart anfangs geſtuͤrzt, erleichtert, und nun haͤtte ich weiter nichts zu ſagen, als daß ich zwar naͤchſtens ausgehen, aber ſie nicht wieder ſehen wuͤrde, ſie ſollte alſo immer auf Verſoͤhnung mit ihrem vorigen Freier, der ihr doch ſo nicht fremd waͤre, denken, u. ſ. w.
Dieſe Epiſtel war auf zwei vollen Bogen aus - gefuͤhrt; Klaus, dem ich ſie vorlas, bewunderte meine Fertigkeit in Luͤgen in din der Verſtellung. Er ſaͤumte nicht ſie an die Behoͤrde zu bringen, und ich ging den Tag darauf aus, um, wie der Leſer ſchon geſehen hat, die von Klauſen geruͤhmten Ta - lente beim Profeſſor Knapp in Uebung zu ſetzen.
Seitdem war ich wenig zu Hauſe, auch ver - gingen nicht nur Tage, ſondern Wochen, ehe ich von Dorotheen etwas naͤheres erfuhr, als daß ſie nicht koͤrperlich krank, ſondern in einer Gemuͤths - verfaſſung ſei, die ihrer guten Tante bange fuͤr ſie machte. Die letzte ſchien dieſen traurigen Zuſtand zu theilen, ſie ginge ſelbſt nicht aus, und ließe jeden Beſuch von Bekannten, ja von den beſten Freunden verbitten.
Es wird ſich alſo kein Dorchen mehr bei mir melden, dachte ich, da ich dies hoͤrte, ſie wird mitZ 2ihrer356ihrer Tante ausweinen, und dann die Sache ver - geſſen; freue dich, Goldfritzel, es gelingt dir alles, Herzmuͤtterchen hat mehr Freude erlebt, als ſie denkt, aber einmal muß ich ihr doch alles, was mir gelun - gen iſt, geſtehen, damit ſie ſieht, wie ihre Zucht und ihr Beiſpiel gewuͤrkt hat, und daß ſie nicht umſonſt gehofft hat, ihr liebes Soͤhnchen werde ſich in der Welt zu benehmen wiſſen.
Als ich dies mit vieler Selbſtzufriedenheit und luziferiſchem Spott uͤber meine Mutter dachte, ah - nete ich freilich nicht, daß ich nahe daran waͤre, um dieſes geſchickten Benehmens willen in viele Anfechtungen und Truͤbſale zu gerathen, ſonſt wuͤr - de ich entweder die Luſt zum Lachen verloren, oder auf Sicherheit gedacht haben, doch ich vom Gluͤck Beſchuͤtzter ward ja, wie meine Leſer in der Folge finden werden, bald genug erloͤſt, und konnte neue Freuden nach meinem Geſchmack genießen.
Die Unannehmlichkeiten, in welche ich nach dem Schluß des Schickſals auf einige Zeit gerathen ſollte, hoben ſich ſchon an, ehe ich ... noch ver - ließ. Einige Wochen nach Klauſens Zuruͤckkunft ſagte dieſer mir, als ich eines Abends vom Spiel nach Hauſe kam, daß Madam Starkinn in mei - ner Wohnung geweſen, und mich zu ſprechen ver - langt haͤtte,, er habe ihr auf die Frage, wenn ich wohl zu finden waͤre, geſagt, daß er ihr hierzu kei - ne Zeit beſtimmen koͤnne, indem ich wenig zu Hauſe ſei. Die gute Frau hatte ſich noch einige - mal vergebens bemuͤht, denn obwohl ich das eine - mal wuͤrklich zu Hauſe, war ſo hatte Klaus mich ver -laͤugnet.357laͤugnet. Sie blieb nun weg, und ich glaubte ſie los zu ſein, aber ich hatte mich geirrt, ſie woll - te nur, um uns ſicher zu machen, ein paar Wo - chen hingehen laſſen.
Einſt als ich eben ausgehen wollte, trat ſie mir in der Hausthuͤr entgegen — ich bitte, ſagte ſie gelaſſen freundlich und halb leiſe, ich bitte nur auf eine Minute mit mir umzukehren, wir haben bald ausgeſprochen, Sie muͤſſen wiſſen, daß ich morgen mit dem fruͤheſten nebſt Dorotheen abreiſe, dann ſind Sie ſicher vor mir und ihr.
Jch war ſo grosmuͤthig, die Bitte umzukehren zu erfuͤllen; Madam Starkinn nahm, als ich ſie in mein Zimmer fuͤhrte, den erſten beſten Stuhl ein, und begann:
Herr Schnitzer, warum woll - ten Sie mit ſo teufliſcher Liſt die Unſchuld zu Grun - de richten?
Welche Unſchuld?
Sie fragen?
Sie wollen von Dorchen ſprechen — liebe Frau, entweder Sie wollen mir weis machen, daß Sie ihre Nichte unſchuldig geglaubt haben, oder mir die Augen blenden helfen.
Ungeheuer!
Madam, ich verbitte mir dergleichen Ausdruͤcke, ich wuͤrde ſie nirgends, geſchweige in meinem Zimmer leiden.
(kalt laͤchelnd) Freilich, Herr Schnitzer, iſt es noͤthig mich zu maͤßigen, denn wie ich Sie nun kenne, halte ich Sie fuͤr ganz faͤhig,Z 3den358den Ausbruch des gerechteſten Zorns auch noch durch Beſchimpfung zu raͤchen.
Und woruͤber zuͤrnen Sie?
(ſchmeichelnd) Herr Schnitzer, warum wollen Sie den Unwiſſenden machen, war - um ihr Herz, ihr Gewiſſen muͤhſam verhaͤrten? Laſſen Sie ſich erzaͤhlen: ſobald Sie wegblieben, und, wahr oder verſtellt krank thaten, ſtellte ſich bei Dorotheen ſchlimme Ahnung ein, ich glaub - te die Traurigkeit welche ſie nicht uͤberwinden konn - te, habe Jhre Krankheit zur Urſache; ſie ließ michs glauben.
Jnsgeheim forſchte ſie bei Jhrem Arzt nach Jhrem Befinden, ſeine Antwort vergewiſſerte ih - ren Verdacht, die Thraͤnen floſſen haͤufiger aus ih - ren Augen, aber noch geſtand ſie die wahre Urſache nicht.
Sie ſchrieb Jhnen feierlich, und erſt da Jhre — verzeihen Sie die Wahrheit — da Jhre boshaf - te Antwort kam, entdeckte ſie mir, daß es mit Jhrer Liebe, mit Jhrer Verbindung vorbei ſei. Jch las dieſen Brief — er iſt von einem Verlaͤum - der hintergangen, ſagte ich dann, wir muͤſſen ihn eines Beſſern zu uͤberzeugen ſuchen. Nein, Mut - ter, verſetzte Dorchen, er iſt nicht hintergangen, er weiß es beſſer, alles iſt Erfindung von ihm — was nun zu thun, fragte ich — ihn vergeſſen, ſchweigen, daß, wo moͤglich, wir ſelbſt nichts mehr davon hoͤren.
Jch konnte und wollte auch nicht ſie bereden, zur Verſoͤhnung mit Jhnen irgend einen Schrittzu359zu thun, alles, was ich nun fuͤr Pflicht hielt, war, die Betrogene zu troͤſten, doch ich vermochts nicht, ſie verfiel in einen Tiefſinn, der von Tage zu Tage zunahm. Jch litt mit ihr, verbarg mich mit ihr, wir wollten keinen Menſchen, am wenig - ſten die ſprechen, welche von Jhrer Verbindung mit meiner Nichte unterrichtet waren. Sie bat unaufhoͤrlich um die Gunſt, mit ihr an einen an - dern Ort zu ziehen; ich verſprachs; als wir aber hoͤrten, daß Sie ſelbſt abgehen wuͤrden, ſuchte ich Dorotheen den Gedanken, ... zu verlaſſen, aus - zureden, weil ich es blos glaubte, ſie wolle nur nicht laͤnger mit Jhnen in einer Stadt leben.
Sie ſchwieg, doch viel laͤnger konnte ſie es nicht, und ich erfuhr das Schrecklichſte, was mich je betroffen hat, erfuhr, daß meine arme Doro - thea von Jhnen verfuͤhrt ward, daß ſie —
O, halten Sie mit Jhrer Oration ein, Jhre Dorothea war nicht mehr unſchuldig, als ich den Spaß mit ihr hatte, von dem Sie ſprechen wollen; nun, und was iſts mehr?
(ſich erhebend mit emporgehalte - nem Arm) Unſchuldig war ſie bei Gott, und Sie wiſſen es, Herr Schnitzer, Sie wiſſen es, und kann Sie es ruͤhren, wenn ich ſage, daß ſie ein Kind von Jhnen unter dem Herzen traͤgt?
(nach einem ſchallenden Gelaͤchter) Von mir! — Nun wiſſen Sie was, damit ich doch nicht umſonſt auch einmal bei Jhrer Nichte genaſcht habe, will ich Jhnen ein paar hundert Thaler geben, die koͤnnen Sie gleich mit nehmen. Z 4Sehen360Sehen Sie, ich thue viel, laſſen Sie nun den zweiten Vater das ſeinige auch beitragen, giebt er eben das, ſo kann Dorchen ihre Wochen mit Be - quemlichkeit halten — Sie haben aber recht, mit ihr wegzuziehen. (ich machte Anſtalt das Geld zu holen.)
Satan, behalte dein Geld, und beſchimpfe uns nicht noch mit ſo niedrigen Antraͤ - gen. Geh, Schrecklicher, du biſt vor ſicher un - ſerer Verfolgung, auch vor unſerm Fluch, die ge - kraͤnte Tugend flucht nicht; aber die Stunde wird kommen, wo du dieſe That bereuſt, und dieſe Reue wuͤnſcht dir die Menſchlichkeit in mir.
Madam Starkinn ging, und ich erfuhr, daß ſie wuͤrklich des folgenden Tages mit Dorotheen abgereiſt ſei.
Der Schulmeiſter iſt, indem er die Beendi - gung dieſer Geſchichte lieſt, ſo beklommen, daß er kaum Odem holen kann, er unterbricht mich, und ich muß ihm zuhoͤren — — Hier iſts, was er mir ins Gewiſſen ſprach.
„ Ach Herr Schnitzer, was fuͤr edle Menſchen haben ſie hingeopfert! Um Gotteswillen, iſt denn dieſe Reue noch nicht erfolgt, die ihnen die liebe Madam Starkinn aus Sanftmuth und chriſtlichem verſoͤhnlichem Herzen gewuͤnſcht hat? Sie haben viel, viel Boͤſes gethan, die Haare ſtehen einem zu Berge, wenn man ihre Geſchichte lieſt, kaum iſt ihnen zu verſprechen, daß ſie ſo viel Bubenſtuͤk - ke wieder gut machen koͤnnten, und wenn ſie auch von heute aufingen daran zu denken. Aber Gottiſt361iſt gnaͤdig und barmherzig, thun ſie wenigſtens was ſie koͤnnen, und wie gluͤcklich waͤren ſie, wenn ſie das liebe gute Geſchoͤpf, die Dorothea Muͤllerinn, bereden koͤnnten, ihnen zu verzeihen, und ſie dann heirathen, vielleicht lebt ihr Kind noch, ſie thaͤten dann doch endlich eine ihrer erſten Pflichten, und Dorothea wuͤrde ſie wohl noch gar zum tugendhaf - ten guten Menſchen machen — wiſſen ſie denn nicht wo ſie hingekommen iſt, nnd wo ſie lebt? —
Verzeihen ſie, Herr Nachbar, daß ich mit meiner Antwort auf ihre chriſtliche Ermahnung ge - zoͤgert habe, ich mußte ſie erſt niederſchreiben, aber nun vernehmen ſie: Jch habe nicht durch Erkun - digung, ſondern von ohngefaͤhr erfahren, daß Ma - dam Starkinn mit ihrer Nichte in eine kleine Stadt gezogen iſt, daß mein Sohn, den Dorothea dort gluͤcklich zur Welt brachte, geſtorben, und ſeine Großtante einige Zeit darnach auch dieſen Weg gegangen iſt. Dorothea hat ihren kleinen Nachlaß geerbt, und ſich bei eine andre tugend - hafte Matrone begeben, wo ſie ihren Unterhalt mit allerlei Arbeiten verdient.
Sie iſt alſo noch zu haben, und ich bin nicht abgeneigt ſie zu meiner Frau zu machen, obgleich das Kind nicht mehr lebt — Sehen ſie, daß noch Hoffnung an mir iſt! Wir wollen dann weiter ſehen wie es wird, und ob ſie mich ganz bekehrt, wobei ſie ihr doch wohl huͤlfreiche, Hand leiſten wer - den; ihr macht dann vielleicht noch einen Geiſt - menſchen aus mir.
Z 5362Allein ich weis nicht wie ichs anfangen ſoll, um Dorchen zu werben, ſchrich ich ihr, und ſie gaͤbe mir abſchlaͤgliche Antwort, ſo wuͤrde michs verdruͤßen, noch aͤrgerlicher waͤre es, wenn ich ſelbſt hinreiſte, und abgewieſen wuͤrde, denn ich bin durch nichts, was mir begegnet iſt, gedemuͤ - thigt worden, und bilde mir noch immer ein, in allem, was ich gethan habe, recht gehabt zu ha - ben, wenigſtens ſchaͤtze ich mich deshalb doch noch immer fuͤr einen Menſchen, der nichts gutes zu thun braucht, um geachtet zu werden. Jch bins ja, dieſes Jch, den die Mutter vom erſten Au - genblick an wie ein Weſen von beſonderer Wichtig - keit behandelte, als ein ſolches, das, ohne ſelbſt etwas zu leiſten, auf alles in der Welt ein Recht hat und jederzeit darf, was andre nicht duͤrfen. Da - her bin ich auch ſehr empfindlich, wenn man mich beleidigt, ich wundere mich uͤber die Nachſicht, welche ich mit ihrem beſtaͤndigen Tadel habe, wahr - haftig, Herr Nachbar, ſie koͤnnen ſich eines be - ſondern Vorzugs in dieſem Stuͤck ruͤhmen.
Alſo ſehen ſie, ſtoͤßt ſichs nur daran, daß ich nicht weiß, wie Dorothea Muͤllerinn es aufnehmen wuͤrde, wenn ich ihr jetzt einmal meine Hand antruͤge.
Laſſen ſie mich ſorgen, rief der Schulmeiſter ganz erfreut aus, wenn es ihr ernſtlicher Wille iſt, ſo will ich Freiwerber ſein, ich reiſe Morgen ab, und ſtehe dafuͤr, daß ich ſie berede — Nun, wol - len ſie?
Mei -363Meinetwegen, ſagte ich, die Zeit faͤngt mir, ich geſtehe es, an, ohne eine Frau lang zu werden. Dieſe kenne ich einmal, ſie iſt ſchoͤn und noch nicht aus den Zwanzigen; es laͤßt ſich ſchon mit ihr vor - willen nehmen, auch iſt ſie ſanftmuͤthig, und wird mir keine Hoͤrner aufſetzen, ob ich gleich etwas kraͤnklich bin, und vor den Jahren geaͤltert habe.
Der Schulmeiſter iſt abgereiſt, ich erwarte nun, wie ſeine Geſandſchaft ablaufen wird, und fahre unterdeſſen in meiner Geſchichte fort.
Froh, daß ich Dorotheen und ihre Tante los war, glaubte ich nun in vollem Frieden abreiſen zu koͤnnen, verſpielte bis dahin noch friſch darauf los, gab Abſchieds-Schmaͤuſe, und verthat mit einem Worte noch das uͤbrige Geld bis auf 500 Thaler, was auch Klaus zuruͤckgelaſſen hatte, und alſo noch in Gold vorhanden war, gab ich in Natura ohne Bedenken aus, den Knapps Louisd’or waren ja nicht gezeichnet. Jch wundere mich, daß Klaus zu meiner Verſchwendung ſo ſtille ſchwieg, oft beurtheilte ich ihn als einen Dummkopf, welcher glaubte, er duͤrfe ſich als mein Bedienter nicht unterfangen, von ei - nem Antheil fuͤr ſich zu ſprechen. Wohl waren die Juwelen noch da, allein ich hatte mir vorgenom - men, damit nach Holland zu gehen und ſie dort zu verkaufen, er konnte ja denken, daß ich ſie verſchleu - dern, und ebenfalls mit dem daraus geloͤſten Gelde uͤbel wirthſchaften wuͤrde, aber er dachte an nichts.
Jch wollte in einigen Tagen abreiſen, als ich eine Unannehmlichkeit erfuhr, die mich einen vollen Monat laͤnger zu bleiben noͤthigte, hieraus ſchoniſt364iſt zu erſehen, daß ſie empfindlicher war als die Streitigkeit mit Madam Starkinn. So verſchwie - gen dieſe und Dorothea ihre traurige Begebenheit mit mir auch gehalten hatten, ſo war es dennoch herumgekommen, weil viele von ihren Bekannten wußten, wie ich vorhin mit der letzten ſtand, und es eben ſo leicht erfahren konnten, daß ich ſie verlaſſen hatte, die Betruͤbniß bei Madam Starkinn war al - ſo leicht zu deuten. Sie brachen den Umgang mit allen Bekannten ab, und verließen endlich die Stadt; daraus wuͤrde man geſchloſſen haben, daß Dorothea auf dem Wege ſei Mutter zu werden, wenn es ſich auch nicht ſo verhalten haͤtte, aber die Prahlerei mit dem Sieg uͤber dieſe Geiſttochter, womit ich meine guten Freunde unterhielt, machte, da dieſe es weiter erzaͤhlten, jeden gewiß daruͤber. Die, wel - che Dorchen gekannt hatten, waren boͤſe, am meiſten aber verdroß es den Mann, der ihr ſeine Hand an - geboten hatte.
Er gehoͤrte vorhin zum Militaͤr, dachte ganz ſoldatiſch, und war groß, ſtark und handfeſt. Er hatte rechtliche Abſichten mit Dorotheen gehabt, und gehofft, mit einem ſo gut erzognen frommen Maͤdchen gluͤcklich zu ſein, wofuͤr auch er ihr frohe und zufriedene Tage verſchaffen wollte. Er konnte nicht mein Freund ſein, da ich ihm dieſen Plan verdarb, doch was haͤtte er anders thun wollen, als ſich in die Nothwendigkeit finden, einem gelieb - tern Gegenſtand zu weichen, wenn ich es ehrlich mit Dorchen gemeint haͤtte. Nach meiner offenba - ren Treuloſigkeit aber ſah er ſich zwar, wie die Um -ſtaͤnde365ſtaͤnde waren, eben ſowohl genoͤthigt, ihr zu entſagen, als wenn ich es treu gemeint haͤtte; allein er ſchaͤtz - te das verfuͤhrte Maͤdchen noch immer, beklagte das - ſelbe, und beſchloß ihr Raͤcher zu ſein.
Jn dieſer ſchlimmen Abſicht trat er, ohne ſich melden zu laſſen, oder anzupochen, bei mir ein, ich wußte nicht, was ich aus dem großen ſtarken Mann mit dem martialiſchen Gang und der entſchloßnen Miene machen ſollte. Es war aus dem allen, aus dem ganz vernachlaͤßigten Ceremoniel und dem Ernſt in ſeinem Geſicht keine froͤhliche Bothſchaft oder ir - gend ein Geſuch an mich zu ſchließen; ſchon dachte ich meine Theilnahme an dem Diebſtahl bei Knap - pen waͤre entdeckt, und dieſer Mann, ohnehin ein Beamter der Polizei, kaͤme, mir Verhaft anzukuͤn - digen. Meines Erachtens ſtanden die Haͤſcher, welche er mitgebracht hatte, draußen bereit, und Klaus glaubte, wie er mir nachher geſtand, eben das, weshalb wir auch Muth und Faſſung ver - loren.
Sie haben, ſagte der Mann, ein Bubenſtuͤck an Dorotheen Muͤllerinn ausgeuͤbt, welches ich, der ſie ehrlich verſorgen wollte, nicht darum ahnde, weil Sie mich um das Maͤdchen gebracht haben, dieß muß ich ihnen verzeihen, wenn Sie es gluͤcklicher machten als ich konnte, aber Sie haben ein Maͤd - chen, wie es wenige giebt, zu Grunde gerichtet, dieſes verzeihe ich Jhnen nicht! Am Schluß dieſer Rede hob er den Stock auf und ſieng kraͤftig an, mich zu pruͤgeln. Jch fuͤhlte mich erleichtert, da nicht von Profeſſor Knappen die Rede war, wuͤrdemit366mit meiner gewoͤhnlichen Frechheit geantwortet und mich vertheidiget haben, wenn jemand anders, als dieſer verteufelte Eiſenfreſſer vor mir ſtand, gegen ihn aber war nichts zu machen, als etwa zu fragen, wie er ſich unterſtehen koͤnnte ſeinen impertinenten Stock in meiner eigenen Stube auf meinem Ruͤk - ken tanzen zu laſſen? Er fand keine Antwort noͤ - thig, keulte fort und hielt mich ſogar auf, indem er mich beim Arm faßte, da ich mich entfernen woll - te. Klaus kam zwar zu Huͤlfe, er hatte aber ent - weder zu viel Ehrfurcht fuͤr den Mann, als daß er mich thaͤtig vertheidigen wollte, oder konnte keinen Stock finden, er wollte mich nur befreien, bekam aber einige ſo kraͤftige Seitenhiebe daß er zuruͤck - prallte.
Der Tyrann hoͤrte nicht auf, bis er mich zu Boden hatte, dann ſagte er kalt und ruhig, da nehmen Sie vorwillen, und ging ruhig und oh - ne Abſchied fort.
Jch war in meinem Leben in keinem ſolchen Zu - ſtand geweſen und glaubte mich dem Tode nahe, glaubte nun zu wiſſen, wie es um einen geraͤderten ſtuͤnde. Kaum konnte ich mich allein aufrichten, Klaus half, ich ſtieß ihn aber weo, indem ich ihm Vor - wuͤrfe machte uͤber ſeine Zaghaftigkeit; denn ob ich gleich, waͤhrend mich jener Unhold handhabte, zu zerſtreut war, um außer ihm und meinem Schmerz viel beobachten zu koͤnnen, ſo hatte ich doch be - merkt, daß Freund Klaus in furchtſamer Stellung von weitem ſtand und es kaum wagte, die Stel - len an ſeinem Leibe zu reiben, auf die der Stockmeines367meines Widerwaͤrtigen gefallen war. Furchtſame Memme, ſagte ich, die mich ruhig mißhandeln laͤßt! Wir wollen jetzt nicht ſtreiten, verſetzte er, wer daß meiſte Herz hat, machen Sie nur, daß Sie ins Bette kommen, und ſchweigen Sie maͤus - chen ſtill, denn Sie werden ſonſt ausgelacht, ich will auch nichts ſagen, ob ich gleich auch Jhrent - wegen etwas geloͤßt habe, woruͤber ein anderer Laͤrm anfangen wuͤrde. Jch ſah nicht ein, daß Klaus Urſache haͤtte, ſich zu beſchweren ſondern hielt dafuͤr, daß noch eine groͤßere Tracht Schlaͤ - ge, als auf mir ruhete, wo nicht eine Ehre fuͤr ihn, doch nicht das geringſte Uebel waͤre, wenn ers fuͤr mich ſeinen Herrn und Verſorger litte, aber den Rath, mich zu legen und den fatalen Unfall zu verheimlichen, nahm ich an, und Klaus ging um Heilungsmittel zu holen, denn er wollte mich ohne Huͤlfe eines Wundarztes curiren; das ging aber nicht, es waren Schwuͤlen am Arm und Ruͤk - ken aufgeſprungen, die uͤbrigen ſchwollen und faͤrb - ten ſich ſchwarz und blau, es wurde gefaͤhrlich, wir mußten den Wundarzt doch holen laſſen und ihn zu Huͤlfe nehmen.
Zehnmal ſchwor ich in der Heftigkeit meiner Schmerzen, den Mann, der mir ſolche zugezo - gen, umzubringen, ich wiederholte dieſe Drohung in der Hitze des dazu geſchlagenen Wundfiebers, Klaus aber bat bei ſolchen Aufwallungen mich nur jetzt nicht zu aͤrgern, um bald beſſer zu werden, um die Drohung deſto eher erfuͤllen zu koͤnnen.
Jch368Jch war ſehr krank und mußte viel Schmerzen ausſtehen, mußte noch dazu hoͤren, daß die Pruͤ - gelgeſchichte uͤberall herum ſei, welches ganz na - tuͤrlich war, da der Wundarzt, ſo wie mein Herr Doctor ſie doch erfahren mußten, wenn ſie mir Huͤlfe leiſten ſollten. Nur wenige meiner Bekannten beſuchten mich, wer unter ihnen mit dem wuͤſten Schnitzer, von dem jetzt uͤberall geſprochen wurde, nicht in Connexion ſein wollte, blieb weg; jene treuern Freunde aber riethen mir den Mann zu verklagen, der mich ſo uͤbel zugerichtet, weil er nicht befugt waͤre, etwas zu raͤchen, was ihn nicht unmittelbar anginge, und auch da nicht ſelbſt ſtrafen muͤſſe.
Jch haͤtte nichts dawider gehabt, wenn mir nicht der Gedanke, ihm aufzubaſſen und ihn heim - lich zu erſtechen lieber geweſen waͤre; doch es fuͤgte ſich, daß die Rache an meinem Gegner in eine andere Hand kam.
Ohne denken zu koͤnnen, daß meine Mutter etwas von meinem Leiden wuͤßte, noch weniger zu hoffen, daß ſie ſelbſt erſcheinen wuͤrde, trat ſie einſt in Trauer bei mir ein. Klaus hatte dafuͤr gehalten, daß man nie zuviel mit Gelde verſehen ſein koͤnnte, und es fuͤr ein Mittel, eine neue Summe zu bekommen, angeſehen, wenn er der Mutter von meinem jammervollen Zuſtand Nach - richt gaͤbe; dieſes hatte er ohne mein Wiſſen ge - than. Sie empfing den Brief an eben dem Tage, da ſie zum zweiten mal Wittwe worden war, durch ihn ward die Freude uͤber dieſe erwuͤnſchte Bege -benheit369benheit etwas gemaͤßigt. Baron Treff war kaum unter die Erde, ſo machte ſie ſich auf den Weg, ihr Goldfritzel ſelbſt zu beſuchen und pflegen.
So ſchlimm auch Klaus meine Wunden, Contuſionen und Krankheit vorgeſtellt hatte, ſo waͤre ſie doch beim eigenen Anſchaun beinahe ohn - maͤchtig geworden; ſie ſchrie laut auf, ſank um und erholte ſich wieder um zu heulen und zu ſchrei - en und die eben gegenwaͤrtigen Aerzte mit gerun - genen Haͤnden zu bitten, daß ſie keine Muͤhe an mir ſparen moͤchten, weil ſie alles gut bezahlen wollte.
Jetzt fand ich fuͤr gut, den dankbaren und ſchmeichelnden Sohn zu machen, und zugleich ſo jaͤmmerlich zu thun, daß es das Mutterherz ganz in Mitgefuͤhl aufloͤſen mußte. Jch erzaͤhlte ihr, ſo bald wir allein waren, mit geſchwaͤchter Stimme, daß ich in die Haͤnde eines Boͤſewichts gerathen ſei, der mich im Verdacht gehabt, daß ich ihm ſei - ne Maitreſſe abſpenſtig gemacht haͤtte, ich ſei von ihm, einem ſtarken rieſenhaften Kerl uͤberfallen worden, er habe ſich meiner gleich ſo bemaͤchtigt, daß ich mich nicht haͤtte wehren koͤnnen, und nach - dem er mich nun ſo zugerichtet, daß ich huͤlflos zu Boden gelegen haͤtte, waͤre er ruhig fortgegangen.
Meine Mutter ſchrie Zeder und Rache, ſie wollte ſogleich hin und dem Mann unter tauſend Qualen das Leben nehmen. Das geht nicht, liebe Mama, ſagte ich, Sie finden ihn nicht allein, Sie zwingen ihn nicht, er beſchimpft auch Sie; ſo ſollen Sie ſich nicht fuͤr mich aufopfern.
2 r Theil. A aAch370Ach du guter lieber Sohn! ſagte ſie, nun ich wußte es wohl, daß mein Goldfritzel ein gutes kind - liches Herz fuͤr ſeine Mutter habe; aber warte, Kind, ich will dir Rache ſchaffen, ich will nicht eher ruhn, bis ich dieſen vermaledeiten Lotterbuben ungluͤcklich gemacht habe; ich eile vor die Gerich - te. “— Doch ich muß einen Advocaten an - nehmen; (zu Klauſen) mein Freund ruf er einmal einen, kennt er einen geſchickten Mann? O ja, ſagte Klaus, ging und kam mit der Nachricht wie - der, daß Herr Beinbrecher in einer Stunde zu Dienſte ſein wuͤrde, ein Mann auf den ſie bauen koͤnnte.
Die Frau Baroninn beruhigte ſich nun ein wenig und fragte nach der Verfaſſung meiner Kaſſe, welche ihr von Klauſen ſehr mißlich be - ſchrieben wurde, indeſſen ich im Bette that, als wollte ich nicht, daß ſie es ganz ſo wiſſen und etwa große Ausgaben meinetwegen machen ſollte. Sie wurde um ſo williger zu geben, zog eine volle Boͤrſe hervor und legte ſie ſo auf den Tiſch und ſagte, da nimm Engel, nimm alles, was erfordert wird heraus. Das iſt all gut, ſagte Klaus und winkte mir, aber verzeihn Sie mir Herr Schni - tzer, daß ich lieber Jhrer gnaͤdigen Frau Mama alles geſtehe — wenn der junge Herr nur etwas Schulden, die er hat, bezahlen koͤnnte! Wenn die Glaͤubiger hoͤren werden, daß Jhre Gnaden hier ſind, werden ſie ſich melden. Waͤre dieſe boͤſe Ge - ſchichte nicht drein gekommen, ſo reiſten wir ſtill - ſchweigend ab, aber nun — Meine Mutter fingaufs371aufs neue an, auf den Barbaren zu ſchimpfen, der dieſe heimliche Abreiſe verhindert haͤtte, und bat Klauſen, lieber nichts von ihrem Hierſein zu ſagen; er zuckte die Achſeln, der Doctor und Chirurgus haben Sie kommen ſehen, der Advocat koͤmmt, man hat ſie ausſteigen ſehen, ich will gewiß kei - nem von den Glaͤubigern von Jhrem Hierſein ſa - gen, aber ich fuͤrchte, ſie werdens doch erfahren, ſo was geht wie ein Lauffeuer herum.
Sie wandte ſich jetzt an mich: wie haſt du denn Schulden machen koͤnnen, Soͤhnchen? ſagte ſie, doch ganz ſanft und mit freundlichem Geſicht, um mich nicht zu aͤrgern. Jch antwortete, das Spiel waͤre mir vielmal unguͤnſtig geweſen, aber zuweilen haͤtte ich auch gewonnen. Nun, ſagte ſie, wir wollen daruͤber ſprechen, du verſtehſt das Spiel nicht, mein Soͤhnchen, man betruͤgt dich. Was deine Schulden betrifft, die kann ich wohl jetzt nicht bezahlen, ich will aber vertroͤſten helfen, wenn ja jemand kommt.
Der Advocat Beinbrecher erſchien zur beſtimm - ten Zeit, und nun nahm meine Mutter ihre Re - dekunſt hervor, um ihm den vorſeienden Fall zu klagen und ihn in Eifer zu ſetzen. Daß ſie ihm das Verbrechen unſers Gegners in ſeiner ganzen Groͤße ſchilderte, und unter tauſend Thraͤnen ſagte, es moͤchte einen Stein in der Erde erbarmen, wie mich der freche unverſchaͤmte Mann zugerichtet haͤtte, machte nur oberflaͤchlichen Eindruck auf das feſte Herz des Sachwalters; er meinte, wiewohl dieſer Mann nicht recht gethan, ſo ſpraͤche man dochA a 2von372von der Urſach, die ihn dazu bewogen, ſo nach - theilig fuͤr mich, daß, wenn alles wahr waͤre, es ihm vielleicht zur Entſchuldiguug gereichen koͤnnte, doch wollte er ſein moͤgliches thun. Er kramte jetzt aus, was er von der Sache gehoͤrt hatte. Meine Verſchuldung an Dorotheen war, wie es immer zu geſchehn pflegt, bei weiten verſchlimmert, man hatte ihren ehemaligen Liebhaber auf eine naͤhere und fuͤr ihn beleidigendere Art hinein verwik - kelt, als es eigentlich war. Jch freute mich, die - ſes zu hoͤren, weil ich Herrn Beinbrecher von der Falſchheit dieſer Geruͤchte, ſo wie hingegen von der Wahrheit, doch mit gehoͤriger Beſchoͤnigung un - terrichten konnte, und nun verſprach er, dem Manne ſchon eine gute Bruͤhe zuzurichten. Da einmahl alles kund war, ließ ich es geſchehen, und melde meinen Leſern zur Ehre des Hr. Bein - brechers, daß dieſer Proceß zwar uͤber zwei Jahr dauerte, unſer Gegner aber die Koſten meiner Cur, Schmerzengeld, eine anſehnliche Geldſtrafe; und die Proceßkoſten tragen mußte, welches alles in Anſehung des Vergehens geſetzmaͤßig war, aber weit eher haͤtte entſchieden werden koͤnnen, wenn Herr Beinbrecher nicht die klingenden Ermunterun - terungen meiner Mutter den Handel zu befoͤrdern gebraucht haͤtte. Der Pruͤgelheld ſollte uͤber alles, was ihm, wie eben berichtet, zuerkannt war, mir Abbitte thun oder eine Zeitlang ſitzen, mei - ne Mutter hatte ſonach viele Ermunterungen noͤ - hig, um Beinbrechern zu dem ſchweren Beweiß faͤhig zu machen, daß die mir, einem jungen Stu -die -373dierenden und einem Mann vorzuͤglichen Stan - des, angethane Beſchimpfung dieſe Ruͤge uͤber die ohnehin bei dergleichen Herausnahmen uͤblichen Strafen verdiente; woher er aber auch die Be - weiße genommen haben mochte, ſie uͤberzeugten. Mein Zuͤchtiger wollte aber nicht abbitten, auch nicht ſitzen, ſondern beides auch mit verguͤten. Dieß wollte meine Mutert, die den Vormund in die - ſen Rechtshandel gezogen hatte, und alſo auch die - ſer nicht geſchehen laſſen (denn ſie hatte ihn mit in ihr Jntreſſe zu ziehn gewußt). Alſo mußte der Ehrenmann, der ſich zu Dorotheens Raͤcher aufge - worfen hatte, doch auf drei Monate (hoͤher hatte Beinbrecher es nicht bringen koͤnnen) Arreſtant ſein.
So viel Verdruß und Koſten ihm dieſe Ge - ſchichte machte, wollte er doch den wahren An - laß zu den mir ertheilten Pruͤgeln nicht oͤffentlich angeben, er ſchonte Dorotheen, auch fuͤhlte er ei - gentlich eine Reue daruͤber, daß er in mir einen Frevler gezuͤchtigt haͤtte, wie er ſich ausgedruͤckt haben ſoll.
Dieſer wichtige Vorgang iſt alſo fuͤr den Le - ſer berichtigt; um ihn bei Seite zu ſchaffen, bin ich von der Geſchichts-Ordnung gewichen und jetzt genoͤthigt, zwei Jahr zuruͤckzukehren, wo ich noch in ... krank und von meiner Mutter gepflegt bin.
Dieſe bildete ſich, da der Proceß anging, ein, unſer Gegner werde, wenn nur Beinbrecher die Sache von der rechten Seite vorſtellte, zum Zucht - hauſe mit Willkommen verurtheilt werden, weil er die Verſuͤndigung an mir, ihrem Goldfritzen,A a 3an374an mir, dem Sohn einer adelichen Dame began - gen hatte. Jn dieſer Hoffnung begann ſie ſich et - was zu troͤſten, troͤſtete auch mich, ließ es an gu - ter Pflege und jedem Mittel meine Geneſung zu befoͤrdern keinen Augenblick fehlen und nahms ſo - gar mit dem brutalen Ton, den ich waͤhrend die - ſer Beweiße ihrer Vorſorge und indem es beſſer mit mir ward, annahm, nicht genau, ja ſie merkte mehr auf, als es ein Dienſtbothe wuͤrde gethan haben, um mich nur nicht aufzubringen.
Klaus ſtellte einige ſeiner Bekannten an, ſich fuͤr meine Glaͤubiger auszugeben und ſich bei ihr zu melden. Sie wollte ſie, wie beſchloſſen war, troͤſten, die Leute aber nahmen keinen Troſt an, ſie wurden ungeſtuͤm, und ich, da die Frau Ba - roninn nicht ſogleich aufzahlen wollte, ward es auch, ich fand es unbarmherzig, daß ſie mich durch ihren Geitz einer neuen Beſchimpfung ausſetzen wollte, ſtellte mich wieder kraͤnker, drohete, vor meinem Ende, welches, ſie befoͤrdern wollte, den Leuten zu ſagen, was ſie fuͤr eine Frau waͤre, und brachte durch dieß alles ſie dahin, daß ſie einige 1000 thlr. aufnahm, die ſie auf ihr Guth bor - gen mußte, wozu ſie Umſtaͤnde in Menge noͤthig hatte, um die Beweiße, dieſes Guth ſei unver - ſchuldet, herbeizuſchaffen.
So lange wir noch auf gutem Fuß waren, wollte ſie, daß ich mit ihr reiſen und einige Wo - chen bei ihr bleiben ſollte, ehe ich die zweite Uni - verſitaͤt beſuchte. Wahrſcheinlich hatte ſie im Sinn, mir dieſe ganz auszureden und mir eine andereLauf -375Laufbahn vorzuſchlagen. Es hatte gar nicht ih - ren Beifall daß ich die Wiſſenſchaften noch laͤnger verfolgen wollte, da ich es doch nicht noͤthig haͤtte, ſondern in kurzem eine reiche Frau nehmen koͤnnte, die ich auch bekommen wuͤrde, wo ich wollte, in - dem ſie bereit waͤre zu erklaͤren, daß ich Univer - ſal-Erbe werden ſollte; denn heirathen wuͤrde ſie nicht wieder.
Jch hoͤrte dieſes alles mit an und war ſo - gar halb und halb willens, ihr den Gefallen zu thun und ſie auf das Land zu begleiten, wo ich mich ja leicht etliche Tage beluſtigen koͤnnte. Da ich aber meinen ehemaligen Ton gegen die gnaͤdi - ge Mama wieder annahm, ſchien ihr der Wunſch, mich mitzunehmen zu vergehn, ſie ließ ſich nichts wieder davon merken, ſtimmte ſogar ihre Guͤte und Freundlichkeit herab und trat die Ruͤckreiſe an, ſo bald ich voͤllig hergeſtellt war. Doch lehr - te ſie mich noch verſprochenermaßen die Vortheile im Spiel, welches ſie ohne Zweifel um ihres eige - nen kuͤnftigen Erſparniſſes wegen that, da ſie wuß - te, wie deſpotiſch ich, wenns an Gelde fehlte, es von ihr beizutreiben wußte. Dieß wurmte ſie ſichtbarlich, wiewohl ſie nicht das Herz hatte, ih - ren Unmuth in ſeiner ganzen Groͤße zu zeigen. Daß ſie mir boͤſe war, konnte ich aber wohl bemerken, auch wußte ich, daß ſie kein Verbrechen an mir kannte, als meine Verſchwendung, ſobald ſie da - durch zu Geldzahlungen gezwungen wurde, und daneben meine Brutalitaͤt gegen ſie.
A a 4Jch376Jch erzaͤhlte ihr, waͤhrend ſie bei mir war, in einer launigen Stunde meinen ganzen Roman mit Dorotheen, wobei ſie immer das Lachen verbarg. Als ich geendet hatte, ſagte ſie, nun das ſind Ju - gend-Fehler um die dich der verdammte Kerl nicht pruͤgeln mußte. Es mag auch wohl wahr ſein, daß er oder ein anderer vorher mit dem Menſch zu thun gehabt hat, denn deinen vermeinten Beweißen, daß du ſie als Jungfrau gefunden, glaube ich nicht, ihr Mannsleute, beſonders in deinem Alter werdet zu ſehr betrogen; alſo nimm ja nicht etwa noch das Kind auf dich!
Da ſie abgereiſt war, erzaͤhlte ich Klauſen dieſen Ausſpruch meiner Mutter, er ſollte daraus ſehen, daß ich doch in den meiſten Stuͤcken ihren Beifall haͤtte. Und warum ſollten Sie nicht? ſagte er, Jhre Mutter hat Lebensart, ſie weiß ſich uͤber alles wegzuſetzen um ihre Wuͤnſche zu erreichen. Da hat mir unter andern ihr Bedienter erzaͤhlt, daß ſie doch noch Gelegenheit gefunden hat, etwas in den Wein ihres Herrn Gemahls zu thun, ver - muthlich Opium, denn er hat alle die Zufaͤlle ge - habt, die das Opium in ſtarker Quantitaͤt ver - urſacht.
So? antwortete ich, Unrecht hat ſie nicht ge - than, daß ſie ſich von dem Herrn befreiet hat, und mir ſolls beſonders zu ſtatten kommen; auch iſt es mir lieb das zu wiſſen, denn nun habe ich ein Stuͤckchen mehr, womit ich ihr drohen kann.
Wir, ich und Klaus, machten uns nun, mit einer guten Boͤrſe verſehen, auf den Weg nach N. N. ich377ich konnte ... nicht geſchwinde genug verlaſſen, weßhalb ich auch nicht eher wieder ſpielte, als auf der Haͤlfte des Wegs, in einer Stadt, wo dieſes Handwerk ſtark getrieben wurde. Da probirte ich die Kunſtgriffe, welche mir meine Mutter gelernt hatte, ſie mißlangen mir auch nicht ganz, weil aber die meiſten davon den Banquier angingen, und ich nur Pointeur war, ſo konnte es nicht viel fruch - ten; auch hatte ich Nachbarn, die mir auf die Finger ſahen. Jndeſſen half meine Jnduſtrie doch ſo weit, daß ich etwas gewann; dadurch dreuſt ge - macht, blieb ich, um es des folgenden Tages aufs neue zu verſuchen, noch in dieſer Stadt. Die Karten fielen mir gut, ich vernachlaͤßigte die Kunſt und erwartete alles vom Gluͤck, welches ganz auf meiner Seite zu ſein ſchien; es ſchlug um, und ich verſpielte, weil ich auch die Faſſung verlor, faſt ſo viel, als wir meiner Muttter abgenommen hat - ten.
Es iſt Zeit, ſagte ich zu Klauſen, als ich in den Gaſthof zuruͤckkam, daß wir abgehen und uns in N. N. fuͤrs erſte wie Leute, die gute Wirthſchaft treiben, einrichten, dann nach Holland gehen, und die Juwelen verkaufen, ſonſt wird es uns naͤchſtens an Gelde fehlen. Jch muß morgen 1500 Thlr., die der Teufel dieſen Abend durchs Spiel geholt hat, bezahlen, wir haben wenn ich nicht irre, außer dem Reſt der Knappiſchen Goldſtuͤcke wenig mehr. Und auch die ſind weg, wenn Sie ſich zu erinnern belie - ben, verſetzte Klaus, nun bleiben uns keine 300 Thlr. mehr in Caſſe, welches ein wahrer Bertel -A a 5pfennig378pfennig fuͤr einen Herrn Schnitzer iſt. Nur gut, erwiederte ich laͤchelnd, daß wir den Schmuck noch haben, wenn ich dieſen Troſt nicht haͤtte, ich er - hinge mich, denn ſogleich darf ich der Mutter nicht wieder kommen, ein andermal ſoll ſie ſchon bluten — aber 300. Rthlr. ſagſt du? damit kaͤmen wir ja nicht nach Holland, und wenn wir ſogleich von hier aufbraͤchen. Jch wuͤrde es mit Tages An - bruch thun und mit Bequemlichkeit reiſen, dem Herrn Banquier, der mehr Kuͤnſte kann, als mein ſeliger Herr Stiefpapa, die Freiheit laſſen zu er - rathen, wo ich mit der Zahlung bleibe, aber ich wills nicht ſo grob, zumahl in hieſigen Gegenden, verſcherzen. — Weißt du was? Sieh zu, ob du etwas von den Juwelen hier ins Geld ſetzen kannſt, etwa einen Ring, ich denke, wenn man was an - ſehnliches daran fallen laͤßt, ſo wird ein Jude oder auch ein Chriſt ſo hoͤflich ſein nicht zu glauben, er gehoͤre zu den Knappiſchen Pretioſen, die er in den Zeitungen hat bekannt machen laſſen, wenn ſie gleich ſehr genau beſchrieben ſind, — Weiß her den Schmuckkaſten, wir wollen ausſuchen.
Es laͤßt ſich freilich alles machen, wenn mans klug anfaͤngt, erwiederte Klaus, indem er das Kaͤſt - chen aus einem der Coffres nahm. Wir muſterten unſern Reichthum und vermißten einen der Ringe, welches uns ziemlich betraf. Keiner von uns hatte, ſeit wir im Beſitz der Juwelen waren, wieder dar - nach geſehen, wir urtheilten alſo, daß Nehmer ihn wegpracticirt haben muͤßte, welches Klauſen des - wegen am meiſten bekuͤmmerte, weil der Menſchleicht379leicht unbehutſam ſein und in Gefahr kommen koͤnn - te, verhaftet zu werden, bei welcher Gelegenheit unſerer denn auch in allen Ehren gedacht werden wuͤrde.
Der Streich ging mir ſelbſt eine halbe Stunde ziemlich im Kopf herum, dann aber rufte ich meine philoſophiſche Gleichguͤltigkeit, die Folgen meiner Handlungen betreffend, zu Huͤlfe, dachte hin iſt hin, und Nehmer wird ſich wohl in Acht nehmen. So - mit legte ich mich ruhig zu Bette und ſchlief un - geſtoͤrt.
Am Morgen kleidete ich mich geſchwind an, um meine Schulden zu bezahlen und dann ein Fruͤhſtuͤck einzunehmen, zu welchem mich der Sohn eines reichen Banquies eingeladen hatte, nach demſelben ſollte eine Tour aufs Land gemacht und erſt ſpaͤt am Abend zuruͤckgekommen werden. Klaus verſprach mir das ausgeſuchte Stuͤck, wel - ches wie wir wußten auf 500 Thlr. geſchaͤtzt war, zu verkaufen. Laſſen Sie mich ſorgen, ſagte er, ich will mich ſchon ſo adreſſiren, daß nichts heraus kommen ſoll, darf ich doch meinen rechten Nah - men nicht nennen, und morgen fruͤh gehn wir ab, am beſten gerade nach Holland zu, damit wir der Laſt los werden. Sein Sie nur luſtig und guter Dinge und verlaſſen Sie ſich auf Jhren treuen Klaus, der Sie, was an ihm iſt, vor aller Un - terſuchung ſicher ſtellen wird.
Jch nahm alles im unbefangenſten Sinn, und war dieſen Tag, den wir in Geſellſchaft etli - cher Nimphen zubrachten, auſſerordentlich luſtig,nicht380nicht ein Hauch von Gedanken kam mir ein, daß ſich indeſſen eine große Veraͤnderung in meinem Gaſthof zutragen wuͤrde.
Als ich in ſelbigen zuruͤckkam, leuchtete mir ein Marqueur die Treppe hinauf, welches mich als gewoͤhnlich nicht befremdete, noch hatte ich kein Arg da er den Schluͤſſel meines Zimmers zur Hand nahm und daſſelbe oͤfnete, denn auch Klaus war nicht gehalten, eine gute Partie, die er et - wa gemacht hatte, meinetwegen zu verlaſſen, wenn es ihm nicht gefiel; dergleichen Freiheiten nahm er ſich oͤfters heraus. Jndeſſen fragte ich doch; ſeit wenn mein Bedienter nicht zu Hauſe waͤre, und erfuhr, daß er vor etwa zwei Stunden, wie ihm aufgetragen, mit der Poſt abgegangen ſei und ein verſiegeltes Paquet zuruͤckgelaſſen haͤtte, wel - ches ich auf dem Tiſch finden wuͤrde.
Nicht eben ganz verſteinert, aber auch nicht ganz mobil hob ich die Fuͤße langſam auf, um hinein zugehen, mechaniſch wandelte ich nach dem Tiſch, und ergriff das Paquet, der Marqueur brannte die Lichter an und fragte, ob er mir hel - fen ſollte, mich zu entkleiden; aber noch ungewiß ob es rathſam ſei auf Klauſen zu ſchimpfen, oder beſſer, wenn ich die Sache fuͤr bekannt annaͤhme, wollte ich geſchwind allein ſein, um es zu uͤberle - gen; alſo ſagte ich dem Menſchen, daß ich ihn nicht noͤthig haͤtte.
Sogleich konnte ich mich nicht entſchließen, daß Paquet zu oͤfnen, ploͤtzlich aber fiel mir ein - daß Klaus den Einfall gehabt haben wuͤrde, vor -aus381aus zu gehen, oder das Geſchaͤfte gar ohne mich zu verrichten, welches ich zwar als eine eigenmaͤchti - ge Handlung hoͤchſt uͤbel nahm, doch aber ihn, mit deſſen Treue ich mirſchmeichelte, nicht im geringſten Argwohn hatte, daß er mich voͤllig prellen und im Stich laſſen wuͤrde, wiewohl mir dieſes bei der Nachricht von ſeiner Abreiſe durch den Kopf ge - fahren war.
Jch oͤfnete und wollte ſehen, was er fuͤr Gruͤnde zu ſeiner voreiligen Handlung angeben wuͤr - de, denn außer den Cofferſchluͤſſeln vermuthete ich einen Brief und dieſen fand ich auch. Jch kann ihn meinen Leſern aus dem Gedaͤchtniß mitthei - len, obwohl ich ihn noch dieſen Abend verbrann - te, nachdem ich ihn mehrmalen durchgeleſen, um mich ganz zu uͤberfuͤhren, daß Klaus ein kluͤgerer doch auch zugleich ein ehrlicherer Spitzbube war, als ich ihm je zugetraut hatte. So was außerge - woͤhnliches bleibt im Gedaͤchtniſt kleben, wie Pech. Jhr koͤnnt euch alſo, meine Leſer, darauf verlaſſen, daß, was ihr leſen werdet Klauſens wirklicher Ab - ſchieds-Brief iſt.
Leben Sie wohl, Herr Schnitzer; und verge - ben Sie, daß ich nicht laͤnger bei Jhnen bleiben kann. Jch muß nur bekennen, daß ich ſchon ſeit einiger Zeit darauf bedacht geweſen bin, mich hone - tement zu retiriren, deßhalb habe ich ein kleines Capitaͤlchen, was ich mir bei ihnen geſammelt in ſichere Wechſel umgeſetzt. Was iſt aber das fuͤr die viele Muͤhe, die ich hatte, Jhre Verſchwen - dungen zu unterſtuͤtzen, Jhnen verruchte Streicheund382und Verbrechen ausfuͤhren zu helfen? Es iſt wahr, abgegangen iſt mir bei Jhnen nichts, deßwegen habe ich auch immer noch ausgehalten, und mehr wie ein Freund, als ein Bedienter an Jhnen ge - handelt.
Manchmal wurde mir freilich bange, wie es werden ſollte, wenn Sie auch die Juwelen ver - kauft und alles verthan haͤtten, ohne was fuͤr Nehmern zuruͤckzubehalten, der ſich bei guter Zeit melden wird, doch es war, als wenn ich von Jhnen behext waͤre, denn ich konnte mich nicht entſchließen, Maasregeln dagegen zu nehmen, ich verzeih es Jhnen ſogar, daß Sie mit keinem Wor - te daran dachten, mir von der Knappiſchen Beu - te auch einen Antheil zu geben. Sie muͤſſen, wenn Sie nachdenken wollen, geſtehn, daß Klaus wie ein Thor handelte, als wenn er daͤchte, es ſei ſeine Schuldigkeit fuͤr Sie und zu Jhrer Ver - ſchwendung ſtehlen zu helfen, ohne nur daran zu denken, daß er auch etwas abhaben muͤſſe. Sie haͤtten aber gern geſehen, daß ich laͤnger in dieſer Dummheit fortgefahren waͤr, und waͤre ich dann, wenn unſre ſchoͤnen Thaten heraus kommen ſollten, mit gehangen worden, ſo haͤtten Sie wohl gar geſagt, es ſei mir viel Gnade, mit Jhnen gleiche Strafe zu erdulden, denn ein Spitzbube, der ein Muͤtter - ſoͤhnchen iſt, betraͤgt ſich auch gegen ſeine Mit - geſellen treulos, ob er ſie gleich nicht entbehren kann und von ihrer Verſchwiegenheit abhaͤngt. Bruͤderliche Theilung und Treue gegen die Ver - buͤndeten war das Verdienſt eines jeden Raͤuber -haupt -383hauptmanns, aber auch die beſitzen Sie nicht, Sie wuͤrden mit Freuden Jhre Gefaͤhrten aufopfern, wenns nur bei Jhrer vollen Sicherheit geſchehen koͤnnte, oder zu derſelben noͤthig waͤre.
Als Sie geſtern Abends nach Hauſe kamen und mir erzaͤhlten, daß Sie ſchon wieder eine an - ſehnliche Geldſumme verſpielt hatten, dann ohne Behutſamkeit uͤber die Juwelen herfuhren und hur - tig nach Holland reiſen wollten, um ſie zu verkau - fen, vermuthlich fuͤr halben Preiß um nur wie - der Geld zu haben, welches Sie mit vollen Haͤn - den weg werfen koͤnnten — da ſah ich die Noth - wendigkeit fuͤr mich zu ſorgen und Jhnen eine Lehre zu geben ſehr lebhaft ein. Wir vermißten einen Ring, argwohnten, daß ihn Nehmer mit - gehn hieß und haben uns auch nicht geirrt. Neh - mer iſt nichts weniger als klug, er wird nicht einmal daran denken, daß die Juwelen angezeigt ſind, ſondern den Ring, wenn er Geld braucht, ausbieten. Sehr moͤglich, daß dann alles heraus - koͤmmt, und das konnte ich nicht abwarten. Al - ſo mußte die Entdeckung des fehlenden Ringes den Entſchluß, mich in Sicherheit zu ſetzen und zugleich mein Beſtes wahrzunehmen, beſtaͤrken.
Jch nehme ſtatt alles Antheils an unſeren ge - machten Eroberungen den Schmuck und gehe da - mit wohin, wo man mich nicht entdecken ſoll, wo ich ihn auch in aller Sicherheit verkaufen will. Sie koͤnnen mir immer noch dazu danken, daß ich Sie von dieſer gefaͤhrlichen Waare befreie, und wenn Sie ſich rathen laſſen, ſo gehn Sie ſo langeauſſer384auſſer Landes, bis es nicht mehr glaublich iſt, daß Nehmer zu einer Entdeckung Anlaß geben ſollte. Bleiben Sie in Correſpondenz mit Jhrer Mutter dieſe wuͤrde es Jhnen ſchon berichten, wenn et - was laut werden ſollte, dann bleiben Sie, wo Sie ſind, Jhre Mutter wird wohl Mittel finden, Jhnen Geld zu ſchicken und Jhnen vor ihrem To - de ſo viel als die Erbſchaft betraͤgt zuzuſchanzen, denn in ihren Augen werden Sie nichts verlieren, wenns auch herauskoͤmt, daß Sie den Profeſſor Knapp kreutzigten und beſtehlen halfen.
Nun will ich Jhnen aber par Spaß noch einen Rath geben: Wenn Sie dieſe Gegend verlaſſen, ſo entſchließen Sie ſich in einer andern ordentlich und ehrlich zu werden. Sie haben viel Boͤſes gethan, ich auch! aber ich muß es Jhnen nur ſagen, daß ich mir vorgenommen habe, es wie - der gut zu machen. Wie waͤrs, wenn Sie dieß von Stund an auch thaͤten? Sie werden lachen, daß ich ſage, ich wollte meine boͤſen Streiche wieder gut zu machen; aber laſſen Sie es gut ſein, viel - leicht erfahren Sie es noch einſt. Mich hat meine Mutter nicht verzogen, ich bin nur in luͤderlicher Geſellſchaft ausgeartet, dagegen ſind mir mitten unter den Suͤnden die guten Lehren und Ermah - nungen meiner Eltern beigefallen, ſie wachen immer mehr auf und ich habe mirs feſt vorgenommen, mich zu bekehren.
Freilich fuͤrchte ich, daß dieſes bei Jhnen der Fall nicht ſein wird, denn Sie haben von Kind - heit auf nichts gutes geſehen und ſind in aller Bosheit geſtaͤrkt worden.
Nun385Nun ich habe das Meinige durch dieſe Warnun - gen gethan, wollen Sie ſich nicht daran kehren, kann es Jhnen leicht noch ſchlimm ergehen, welches ich doch nicht wuͤnſchen will.
Jch habe Jhre Kofferſchuͤſſel eingeſiegelt, da - mit Jhnen nichts wegkommen moͤge, Sie werden jedes Stuͤck, und an Gelde noch 200 Thlr. finden; ſehn Sie, ſo wenig Reiſegeld habe ich genommen. Zum letztenmal, leben Sie wohl.
P. S. Um Jhrer ſelbſt willen wollte ich nicht wuͤnſchen, daß Sie den uͤbereilten Streich begin - gen, mir nachzuſpuͤren, ich waͤre dann im Stan - de, mich finden zu laſſen, und, weil Sie mich ein - mal als einen Spitzbuben bekannt gemacht haͤtten, den Zuſammenhang zu entdecken. Den Wirths - leuten habe ich geſagt, daß ich in Jhren Geſchaͤf - ten verreiſte, dabei laſſen Sie es, wenn Sie klug ſind. „
Jch mußte es freilich dabei laſſen, auch troͤ - ſtete ich mich bald genug uͤber den Schmuck. Das Aergerlichſte war mir, daß nur 200 Thlr. in Vor - rath geblieben; wie weit konnten die bei mir, der zum Luxus nicht allein im Eſſen und Trinken ſondern auch