PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Ueber deutſche Geſelligkeit in Antwort auf das Urtheil der Frau von Stael.
Berlin,bei L. W. Wittich. 1814.
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Das allein ſind Geiſteswerke zu nennen, die mit dem Geiſt den Geiſt beruͤhren, und ihn zwin - gen fortzuarbeiten ohne Raſt und ohne Ruhe, bis er erkennt, was ihn bewegt. Es wird daher die lebendige Gewalt einer Schrift allein dadurch bewaͤhrt, daß ſie zu neuen Unterſuchungen und Urtheilen ſtachelt, und das Gefuͤhl wie den Ver - ſtand anfaſſend, beide nicht eher wieder loslaͤßt, bis ſich Eines durch das Andere klar geworden, in einem Selbſterzeugten vollkommen ver - ſteht.

Meine Achtung fuͤr das Werk der Frau von Stael geht demnach ganz von ſelbſt daraus her -[1] 4vor, daß ich es wage, auf’s neue oͤffentlich daruͤber zu reden. Was ein ſtrebendes Gemuͤth Jahre lang wahrhaſt beſchaͤftigte, was in ihm ward, in ihm ſich naͤhrte und geſtaltete, das wird niemals mit einem paar lobenden oder tadelnden Worten abge - fertigt. Ganz von ſelbſt macht es ſich Bahn unter den Menſchen, ruft ſie an, und wirkt und bildet in mannigfachen Geburten fort, die oftmals ihren Urſprung nicht ſogleich erkennen laſſen, obſchon ſie in einer nothwendigen Folgereihe bedingt ſind. Frau von Stael hat vieles in Anregung, vieles zur Sprache gebracht, das ſeiner Natur nach Nie - mand kalt laͤßt, und der Richtung, wie dem Maaße jedesmaliger Bildung zufolge die Gemuͤther hoͤchſt widerſprechend bewegt. An ſich ſchon intereſſant, und ein Spiegel des unruhig arbeitenden Zeitgei - ſtes moͤchte es ſeyn, den Wiederſchein jener ab - ſchaͤtzenden Urtheile unſerer deutſchen Jndividualitaͤt in deutſchen Gemuͤthern zu beleuchten. Die Reſul - tate hiervon wuͤrden beſtimmt, mehr als alles, eine Charakteriſtik gegenwaͤrtiger Nationalbildung liefern. Und ſo iſt Jedes, was uͤber dieſes Buch5 geſagt wird, inſofern es aus einer innern Wahr - heit hervorgeht, zu rechter Zeit geſagt, und als eine lebendige Fortbewegung des erſten, vielleicht etwas gewagten Stoßes zu betrachten.

Schon einmal, in einem Stuͤck der Mu - ſen, ließ ich den Geſammteindruck des allgemein geleſenen und ſchon deshalb hoͤchſt wichtigen Wer - kes uͤber Deutſchland in einzelnen Erguͤſſen aus - ſtroͤmen. Die Mißgriffe eines großen, hoͤchſt le - bendigen Verſtandes, im Gegenſatz mit der reinſten und tiefſten Fuͤhlbarkeit, die ſcharfen in ein ferti - ges Syſtem eingeſchnittenen Urtheile bei ſo groß - artiger Ahnung, erſchuͤtterten um ſo gewaltſamer, je williger und freudiger ich mich von dem frem - den Reichthum durchdringen und bewegen ließ. Jch konnte lange nicht begreifen, wie ſo abſolutes Verkennen bei mannigfachem innern Verſtehn moͤg - lich ſey. Es ſchien mir dies Begleiten kuͤhner Geiſtesentwicklung ganz unvereinbar mit dem ſchmaͤhlichen Herabwuͤrdigen unſeres eigentlichen ſelbſtſtaͤndigen Daſeyns. Solch ein Zwieſpalt im Erkennen und Fuͤhlen mußte in ſeiner Ruͤckwir -6 kung zerreißend ſeyn und das Urtheil verwirren, indem gerade dasjenige verletzt ward, was als das Weſen nationeller Perſoͤnlichkeit angeſehen wer - den muß.

Wie denn aber Jedwedes, das ein Gefuͤhl, ſey es Unwille oder Bewunderung, recht ausſchlie - ßend in Anſpruch nimmt, nicht eher wieder ab - laͤßt, bis es ſich in eine Art von Gleichgewicht mit uns ſetzt, indem es uns durch Kampf und Streit auf ſeinen eigentlichen Standpunkt hin - zwingt: ſo aͤngſtete mich der gleichſam zur Schau geſtellte Schattenriß meiner Nation ſo lange, bis mich eine genauere Bekanntſchaft durch alle Linien und das ganze Trieb - und Raͤderwerk deſſelben zer - rend ploͤtzlich den Suͤhn - und Wendepunkt des ganzen Streites entdecken ließ, und ich den laͤſti - gen Traum von mir ſchiebend, rief: das ſind wir nicht! das ſind ja gar keine Deut - ſche!

Jch wollte frei athmen, aber die Zauber - worte riſſen mich auf’s neue zuruͤck, verwandte Zuͤge ſahen mich faſt hoͤhnend an, ich konnte mir7 die Aehnlichkeit nicht verbergen und ſchwieg be - ſchaͤmt und bloͤde vor der fremdem Erſcheinung. Sie aber erhob ihre Stimme und redete mich laut in dem Geiſte meiner Sprache an, ohne daß ich ſie verſtand. Da riß das Traumnetz vollends, der Klang des lebendigen Daſeyns war ein andrer, die Phyſiognomie jener bleichenden Um - riſſe blieb unbeweglich, die Seele fluͤchtete zu der allgemeinen Weltſeele, denn ſie gehoͤrte der Menſch - heit uͤberhaupt, ohne ihr beſondres Recht auf die deutſche Nation behaupten zu koͤnnen.

Dies rein menſchliche Einverſtaͤndniß, das innig empfunden und warm vom Herzen zum Herzen redete, war es, was mich, was viele Andre noch heut zur Stunde uͤber die individuelle Aehn - lichkeit taͤuſchte, dieſe aber iſt und bleibt nur der ſpielende Wiederſchein geheimer innerer Verwand - ſchaft, die den willkuͤhrlichen Formen eine Art von Daſeyn lieh.

Das Wort alſo hatte hier das Wort geſagt. Die Sprache war die gewaltige Scheiderin, die das Beſondere von dem Allgemeinen trennte, und8 jedem ſeine Stelle anwies. Jch war zu Haus, und fuͤhlte, daß es Frau von Stael nicht war, nicht ſeyn konnte, als ſie uͤber Deutſche redete, denn ihr fehlte das erſte Element deutſchen Lebens, deutſche Luft. Jhr Athem, ihr Organ ward durch einen andern Hauch bewegt, die Toͤne ſtießen und brachen ſich in dem fremden, ohne in einan - der zu fließen, es lagen Berge dazwiſchen.

Es ging Frau von Stael mit dem Urtheil uͤber Deutſche, wie es unſern Anſichten und Vor - ſtellungen vom Griechiſchen und Roͤmiſchen Natio - nalſinn, vom Leben und Seyn des Alterthums uͤberhaupt taͤglich zu ergehen pflegt: es ſind Ab - ſtracta, die des eigenthuͤmlich beweglichen Lebens - ſchwunges entbehren. Wir ſtudiren Kunſt und Li - teraturgeſchichte alter Voͤlker, der Verſtand bahnt ſich behend und ſicher einen Weg durch alle Win - dungen politiſcher und geſelliger Jnſtitutionen, die ewige Vermittlerin, Phantaſie, wogt mit beſeelen - dem Fluͤgelſchlag uͤber der ernſten Geiſterwelt, Blitze des Lebens gehen auf, große Ahnungen wer - den laut: doch wollen ſie ſich Leib und Daſeyn9 ſchaffen unter dem lebenden Geſchlecht, ſo ſchauert dieſes zuruͤck und erkennt nicht mehr das Fleiſch von ſeinem Fleiſch und Bein von ſeinem Bein. Es ſind und bleiben doch nur Schatten, die, je koͤrperlich wahrer ſie auftreten, das Leben immer beklemmender zuruͤckſtoßen. Das behende, fluͤchtige, verſchwimmende Weſen des Menſchenſinnes ſtellt keine Zauberei wieder her, geſelliger Conflikt ent - faltet, Sprache offenbart es, das Leben giebt Leben, und Nationalitaͤt wird nur durch gemeinſamen Ver - kehr, durch Liebe und Leid, durch Muth und Kraft und Vollbringen, durch die Echo-Klaͤnge der eigenen Seele in der Bruderſeele ermeſſen und verſtanden.

Frau von Stael ſelbſt ſagt ſehr wahr: Une langue étrangère est toujours, sous beaucoup de rapports, une langue morte. Il faut avoir respiré l’air d’un pays, pensé, joui, souffert dans sa langue, pour peindre en poésie ce qu’on eprouve. [ Eine fremde Sprache iſt in mancherlei Beziehungen immer eine todte Sprache. Um poetiſch zu malen was man empfindet, muß10 man die Luft eines Landes geathmet, in ſeiner Sprache gedacht, genoſſen und gelitten haben. ] Wie denn wagte ſie, das groͤßte Gedicht was es giebt, die Gemuͤths - und Bildungsgeſchichte, die Jndividualitaͤt und Charakteriſtik eines Volkes in fremder Seele nachzuerfinden?

Unter Tauſenden ward vielleicht Schakſpear allein ſo großer Offenbarungen gewuͤrdigt, daß er Roͤmernaturen erſchaffen durfte. Die Poeſie dul - dete dies Wagniß. Anders aber iſt es mit der Kritik, und Niemand denke ich, wird heut zu Tage noch Charakteriſtiken und Kritiken der Grie - chen und Roͤmer ſchreiben.

Man wird mir einwenden, Frau von Stael ſtehe gar nicht in einem ſo getrennten Verhaͤltniß zu Deutſchland, ſie habe es von Weſt nach Oſt durchreiſ’t, darin gelebt, Natur und Menſchen be - obachtet, die zarteſten Bande der Poeſie und Freund - ſchaft halten ſie mit deſſen lebendigen Daſeyn ver - bunden, ſie kenne die Sprache und leſe gern und viel in derſelben. Jch aber erwiedere hierauf: Frau11 von Stael blieb auch der aͤußern Erſcheinung nach in ihrem Frankreich, und ſchob dieſes nur, ſich fortbewegend uͤber Deutſchlands Boden hin. Jhre Stellung zur Welt, die Gewalt ihres Geiſtes, die Herrſchaft ihrer Sprache zog von ſelbſt einen Kreis um ſie her, deſſen Mittelpunkt ſie in Wien wie in Paris bleiben wird. Die Einheimiſchen treten in dieſem als Fremde auf, ſie ſieht nur unbequemen Feſttagsſtaat, oder zur Natur gewordene Maske. Conventionelle Formen ſind einander uͤberall ziem - lich gleich. Die franzoͤſiſche Sprache hat gramma - tikaliſche Figuren, Werkzeuge und Hebel, durch de - ren Huͤlfe man ſich leidlich an dem aͤußern Geruͤſt geſelliger Unterredung anklammert. Ori - ginalitaͤt, wie nationelle Eigenthuͤmlichkeit, kommt hier nicht in Betracht; es iſt nur von mehr oder minder Freiheit in dem allgemeinen Gefaͤngniß die Rede. Wer von Jugend auf darin aufwuchs, be - wegt ſich am bequemſten. Meiſterin der Sprache wie der lebendig geiſtigen Unterhaltung in dieſer, den Strom der Rede nach Gefallen lenkend, im kuͤhnen Fluge die Pfeile behenden Witzes verſen -12 dend, mußte Frau von Stael, berechtigt, den Maaßſtab anzulegen, den wir ihr ſelbſt in die Hand gaben, faſt uͤberall auf unbeholfene Langſamkeit und bloͤdes Schweigen, oder auf ge - lehrte floskelreiche Pedanterie, und, was noch ſchlim - mer iſt, auf frivole Nachaͤffung ſtoßen. Die Si - cherheit der Meiſterſchaft ward durch das unbehol - fene Streben geaͤngſtet, wenn andrerſeits unſchick - liches Verwerfen an fremdem Eigenthum das Ge - fuͤhl verletzte.

Das iſt es, was Frau von Stael zu tadeln gezwungen iſt. Hier kann und darf ſie Richterin ſeyn. Doch beſcheiden erinnere ſie ſich, daß nur diejenigen der Strenge ihres Urtheils verfallen, die ſich, ſelbſtvergeſſend, fremder Eigenthuͤmlichkeit gleich - ſtellen wollen. Wenn aber eingebohrne gute Sit - ten, gaſtlich deutſches Entgegenkommen, gefaͤlliges Eingehen in auslaͤndiſche Art und Weiſe, ſolche, die nicht immer franzoͤſiſch denken, bedaͤchtig und langſam, ja langweilig erſcheinen ließ, ſo darf ſie von dieſen, gleichſam aus dem Gang des freien13 Lebens herausgeſchnittenen Momenten, nicht auf den Geiſt und die Natur deutſcher Converſation uͤber - haupt ſchließen wollen. Weder die oft vorgeworfene Steifheit, noch jene muͤhſelige Gruͤbelei ſchwerfaͤlli - ger Forſchgier, noch auch die halt - und boden - loſen Fluͤge im Gebiet der Spekulation machen das Weſen des Deutſchen aus. Sein Thun iſt heiter, und geſellig. Behagliches Mittheilen, gut - muͤthige Geſchwaͤtzigkeit, freudiges Erkennen deſſen, was er in ſich denkend und erſinnend erſchuf im Geiſte des Lebens und Menſchenverkehrs, Hoͤren und Gehoͤrtwerden, das ſind die treuherzigen Elemente unſeres Nationalſinnes. Jch weiß nicht, warum man den deutſchen Ernſt immer ſo pomp - haft heraushebt, da doch unſrer Nation ein Spaß eigentlich uͤber alles geht. Als im vergangenen Jahre die Franzoſen einen Ausfall bei der Roslauer Bruͤcke wagten, und in der Nacht der Landſturm an der Havel und Elbe aufgeboten war, die Leute ſich verſammelten und den Befehl zum Aufbruch erwarteten, malten die alten Maͤnner den Juͤnglin - gen in der Dunkelheit Baͤrte, die Weiber traten14 drauf mit Laternen hinzu und unter ſchallendem Gelaͤchter wurden die geſchwaͤrzten ſchief und krumm verzeichneten Geſichter beleuchtet. Jch habe da nichts von den ſpekulirenden Ernſt oder von jener kraͤnklichen Einbildungskraft bemerkt, von welcher Frau von Stael ſagt, qu’elle inspiroit la crainte du péril. [ daß ſie die Furcht vor der Gefahr einhaucht. ]

Es iſt ganz unleugbar, die Verfaſſerin iſt auf dem fremden Gebiete den umgekehrten Weg gegan - gen, wodurch ſie zu ſchiefen Ruͤckblicken und er - zwungenen Folgerungen verlockt wird. Statt die organiſche Entwickelung ganz natuͤrlich von der ur - ſpruͤnglichen Wurzel aus zu begleiten und ſich ein - heimiſch und ſicher unter dem Bluͤthendach der Poeſie und Kunſt zu fuͤhlen, griff ſie bei verſpaͤte - tem Hinzutreten in der Ueberraſchung faſt gewalt - ſam nach den Bluͤthen ſelbſt, und, dieſe in ihre Fa - ſern und Knoten ſyſtematiſch zerlegend, verwirrte ſie ſich in dem Netz - und Flechtgewebe des frem - den Organismus. Ganz offenbar hat Frau von Stael die Spitze der Pyramide als Baſis aufge -15 ſtellt. Jn der Breite und Tiefe aber, in dem Volks - ſinn gaͤhren die Elemente, aus welcher ſich die Form, dem Strahle gleich, immer enger und enger zuſpitzt. Frau von Stael kannte das Volk nicht, von dem ſie ſchrieb, konnte es nicht kennen. Sie intereſſirte auch nur die literaͤriſche Verſchiedenheit mit Frankreich. Der Stempel, das Patent, was die Zeit gleichſam deutſcher Gelehrſamkeit aufge - druͤckt hatte, frappirte ſie. Einen lebendigen Geiſt wird das Große nicht lange kalt laſſen, Frau von Stael iſt wahrhaft ergriffen von dem Umfang der Gewalt, Kuͤhnheit und Magie deutſcher Literatur, ob ſie gleich wohl glaubt, Noth und Mangel ha - ben dieſen Reichthum erzeugt, wie Hunger und Durſt und beſchnittene Fluͤgel den Raben ſprechen lehren, denn ganz ausdruͤcklich ſagt die Verfaſſerin in dem Werk uͤber Deutſchland:

il n’est point de pays qui ait plus besoin que l’Allemagne, de s’occuper de lite - rature, car la societé y offrant peu de charme et les individus n’ayant pas pour la pluspart cette grace et cette vivacité16 que donne la nature dans les pays chauds etc. etc.
[ Kein Land hat mehr Beruf, ſich mit der Literatur zu beſchaͤftigen, als Deutſchland; denn da der Umgang wenig Reiz hat und die Jn - dividuen groͤßten Theils jener Aumuth und Le - bendigkeit ermangeln, welche die Natur in den warmen Laͤndern giebt u. ſ. w.]

oder auch:

la nature de leurs gouvernements ne leurs ayant offert des occasions grandes et belles de mériter la gloire et de servir la patrie, il s’attachent en tout genre à la contemplation, et cherchent dans le ciel l’espace que leur étroite destinée leur re - fuse sur la terre.
[ Da die Beſchaffenheit ihrer Regierungen ihnen nicht große und ſchoͤne Gelegenheiten dar - bietet, Ruhm zu verdienen und dem Vaterlande nuͤtzlich zu werden: ſo geben ſie ſich in allen Dingen der Betrachtung hin und ſuchen in demHim -17mel den Raum, den ihr beengtes Geſchick ih - nen auf Erden verſagt. ]

und weiterhin:

On ne doit donc pas s’etonner des juge - ments, qu’on a portés, des plaisanteries, qu’on a faites sur l’ennui de l’Allemagne; il n’y-a que les villes literaires qui puis - sent |vraiment intéresser dans un pays la societé n’est rien, et la nature très peu de chose.
[ Man muß ſich weder uͤber die Urtheile noch uͤber die Spoͤttereien wundern, deren Gegenſtand die Langeweile in Deutſchland geweſen iſt; in einem Lande, wo der Umgang nichts und die Natur ſehr wenig bedeutet, koͤnnen nur die Li - teraturſtaͤdte wahrhaft intereſſiren. ]

Ganz irre aber und uͤberraſcht wird man, wenn man unaufhoͤrlich von la vie solitaire [dem ein - ſamen Leben] der Deutſchen und der darin beding - ten abſtruſen Meditation ließt, wenn es heißt: celui, qui ne s’occupe pas de l’univers en Allemagne, n’a vraiment rien a faire. [ Wer[2] 18ſich in Deutſchland nicht mit dem Univerſum be - ſchaͤftigt, hat im Grunde nichts zu thun. ] Wie vor den mißrathenen Spiegeln, welche die Figuren breit, zwergartig und vergelbt wiedergeben, faͤhrt man vor dieſem Deutſchland zuruͤck. Darf man denn das gaſtlichſte aller Laͤnder, das zu jeder Zeit fluͤchtende Fremdlinge willig und herzlich auf - nahm, der Ungeſelligkeit, kann man ſeine kraftvolle kernige Thaͤtigkeit, den Quell jeder tauglichen Er - findung, das Schwung - und Triebrad weiterer Fortbildung, muͤßiger Traͤumerei beſchuldigen. Wer, ich bitte meine Mitbuͤrger, wer erkennt den ſinnvol - len zierlich erhabenen Kuͤnſtlerſinn, die bildende deutſche Kraft in jenen abſchattenden Worten:

Les Allemands, à quelques exceptions près, sont peu capables de reussir dans tout ce qui exige de l’addresse et de l’habilité. Tout les inquiète, tout les embarasse, et ils ont autant besoin de méthode dans les ac - tions, que d’independance dans les idées. Ils voudroient, que tout leur fut tracé d’a - vance en fait de conduite. En aucun genre19 il sont capables même d’une addresse inno - cente; leur esprit est pénétrant en li - gne droite, les choses belles d’une manière absolue sont de leur domaine, mais les beau - tés relatives, celles qui tiennent à la con - noissance des rapports et à la rapidité des moyens ne sont pas de leur ressort.

[Mit ſehr wenigen Ausnahmen ſind die Deut - ſchen beinahe unfaͤhig, in allem, was Gewandt - heit und Geſchick erfordert, Fortſchritte zu machen. Alles beunruhigt ſie; alles ſetzt ſie in Verlegenheit; ſie beduͤrfen in ihren Handlungen eben ſo ſehr der Methode, als in ihren Jdeen der Unabhaͤngigkeit. Jn Dingen des Betragens moͤchten ſie, daß ihnen Alles vorgezeichnet wuͤrde. Jn keiner Beziehung ſind ſie einer ſelbſt unſchuldigen Gewandtheit faͤ - hig; ihr Geiſt iſt durchdringend, wiewohl nur in gerader Linie; das abſolute Schoͤne gehoͤrt fuͤr ih - ren Wirkungskreis; nicht ſo das relative Schoͤne, das mit der Kenntniß der Beziehungen und mit dem raſchen Ergreifen der richtigen Mittel in Ver - bindung ſteht.]

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Man hat Muͤhe zu begreifen, wie ſich der gradlinigte in mathemathiſchen Dimenſionen ver - knoͤcherte Verſtand gleichwohl andrerſeits in Dunſt und Wolkenſpielen aufloͤſen, wie ſeine, nach einer Buſſole gerichteten Fuͤllhoͤrner mechaniſch auf die abſolute mit Haͤnden zu greifende Schoͤnheit fallen, und dennoch in den geheimnißvollen Gaͤngen ver - borgenen Lebens nach leiſen verſchwimmenden Be - ziehungen und dem Urſprung der Dinge forſchen koͤnne. Es ſcheint, die Verfaſſerin habe dieſelbe Schwierigkeit empfunden, und wunderbar genug, ſich ſelbſt unbewußt loͤßt ſie den Knoten, indem ſie ſagt:

On eut dit que penser et agir ne de - vrient avoir aucun rapport ensemble, et que la verité ressemblait chez les Allemands à la statue de Mercure, nommé Hermes, qui n’a ni mains pour saisir ni pieds pour avancer.

[Man moͤchte ſagen: Denken und Handeln ſtehe fuͤr die Deutſchen in keinem Verhaͤltniß zu einander, und die Wahrheit gleiche bei ihnen den21 Hermesſaͤulen, die weder Haͤnde zum Erfaſſen, noch Fuͤße zum Vorſchreiten hatten.]

Nun dann, beim ewigen Himmel! der ernſte, unverſtandene Gott hat ſeine gewaltigen Glieder ge - regt, und ich denke, Kind und Kindeskind werden nicht aufhoͤren, von ſeinen Thaten zu ſprechen. Wie die Natur, deren tiefſinniger Hieroglyphe wir hier verglichen werden, in ſich zuruͤckgezogen, ſtill und ficher ihren geſetzlichen Gang fortgeht, ſo verharrte Deutſchland, Schmach und Tadel nicht achtend, die raͤchende Hand verborgen, den ungeduldigen Fuß in Treue und Gehorſam gebunden, bis die Ord - nung des Lebens den Tag der Vergeltung herauf - rief. Die ſtumme Kraft hat geredet, und voreili - ges Urtheil muß beſchaͤmt bereuen.

Dies im Geſetz bedingte Streben des Deut - ſchen iſt es denn auch, was Frau von Stael nie - mals gehoͤrig wuͤrdigte, und das ihr gleichwohl, niemal erkannt, den Schluͤſſel zu allen Widerſpruͤ - chen von ſelbſt gegeben haͤtte. Jn Philoſophie wie Politik hat ſie den heiligen nie geſtillten Drang,22 im Geiſt die Wahrheit zu ſchauen, im Ge - wiſſen die Wahrheit zu ſeyn, uͤberſehen. Ge - ſetzliches Erkennen im geſetzlichen Thun finden ih - ren Brennpunkt in der Untheilbarkeit geſunder Na - tur, die keiner Kraft uͤber die andre die Herrſchaft leiht und den Jrrthum als Luͤge verwirft.

Haͤtte uns Frau von Stael ein einzigesmal ganz verſtanden, ſie haͤtte niemals eine ehrenwerthe Nation ſo in der Wurzel ihres Daſeyns verletzen koͤnnen, indem ſie ſagt:

On est plus irrité contre les Allemands quand on les voit manquer d’énergie, que contre les Italiens. Les Italiens conservent toute leur vie par leur grace et leur imagi - nation des droits prolongés à l’enfance, mais les physiognomies et les manières rudes des germains semblent annoncer une âme ferme et on est desagréablement surpris quand on ne la trouve point. Les Allemands sont flatteurs avec énergie, et vigoureu - sement soumis. Ils accentuent durement23 les paroles pour cacher la souplesse des sen - timents, et se servent de raisonnements phi - losophiques pour expliquer ce qu’il y-a de moins philosophique du monde: Le re - spect pour la force et l’attendrisse - ment de la peur qui change le re - spect en admiration.

C’est à de tels contrastes qu’il faut attri - buer la disgrace allemande que l’on se plait à contreſaire dans les comédies de tous les pays. Il est permis d’être lourd et roide lorsqu’on reste sévère et ferme, mais si l’on revêt son naturel du faux sourire de la ser - vilité, c’est alors que l’on s’expose au ridicule merité. Oh s’impatrente d’autant plus contre eux, qu’ils perdent les honneurs de la vie sans arriver aux profit de l’habilité.

[Man wird ungehaltener gegen die Deutſchen, wenn es ihnen an Thatkraft fehlt, als gegen die Jtaliener. Dieſe behaupten ihr ganzes Leben hin - durch, vermoͤge ihrer Anmuth und ihrer Einbil - dungskraft, die verlaͤngerten Vorrechte der Kind -24 heit; aber die rohen Geſichtsbildungen und Ma - nieren der Germanen ſcheinen eine feſte Seele an - zukuͤndigen, und man wird unangenehm uͤbrrraſcht, wenn man dieſe nicht antrift. Die Deutſchen ſind energiſche Schmeichler und ruͤſtige Unterthanen. Hart accentuiren ſie ihre Worte, um die Schmieg - ſamkeit ihrer Denkungsart zu verbergen; philoſo - phiſcher Raiſonnements bedienen ſie ſich, um das zu erklaͤren, was in der Welt am wenigſten philo - ſophiſch iſt: Die Achtung fuͤr die Gewalt und die zaͤrtliche Furcht, welche dieſe Ach - tung in Bewunderung verwandelt.

Contraſten dieſer Art muß die deutſche Unan - muth zugeſchrieben werden, die man in den Luſt - ſpielen aller Laͤnder ſo behaglich nachmacht. Es iſt vergoͤnnt, plump und rauh zu ſeyn, wenn man ernſt und feſt bleibt; allein wenn man das Naturel mit dem Judaslaͤcheln der Knechtlichkeit bekleidet: ſo ſetzt man ſich einer verdienten Verlachung aus. Man wird um ſo unwilliger gegen ſie, weil ſie die Ehren des Lebens einbuͤßen, ohne zu den Vorthei - len der Gewandtheit zu gelangen.]

25

Wahrlich, die ewige Gerechtigkeit konnte zur Widerlegung aller dieſer Schmaͤhungen nicht leben - diger wirken, als daß ſie ſie eben jetzt erſt laut werden ließ.

Wo iſt das deutſche Land, die deutſche Stadt, die ihre Beſieger triumphirend eingeholt, die dop - pelte Epiloge fuͤr die oder jene ſiegreiche Parthei bereit gehalten haͤtte? Wenn die ſtille Treue, das Wort heilig achtend, mit wunder Bruſt ſich ſelbſt zum Opfer brachte, ſo ſtiegen Seufzer und nicht Jubellieder zum Himmel. Stumm wich der Deut - ſche dem Fremdling aus, den er niemals ſeine Sinnesart begreiflich machen konnte, und kalt und ernſt verharrte er in ſich ſelbſt, bis Gott ihn durch des Geſetzes Stimme rief. Dann, denke ich, iſt er gekommen, und die Welt hat ihn erkannt.

Fragen wir uns aber, wie ein inniges, edles Gemuͤth, das Wahrheit ſucht und will, zu Miß - griffen jener Art kommen koͤnne, ſo muͤſſen wir uns geſtehen, wir ſelbſt veranlaſſen ſie durch die Mangelhaftigkeit und verſchobene Natur unſrer ge - ſelligen Bildung. Waͤre dieſe mit uns erwachſen26 und gereift, ein Spiegel erweiterter Jndividualitaͤt, ſie wuͤrde ſich in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit vor jedem dreiſten Angriffe zu behaupten wiſſen. So aber ſchwebt ſie offenbar zwiſchen zwei Sphaͤren und ſtoͤrt durch loſes Schwanken die objective Wahr - nehmung, die, bei halbem Erkennen, den Verſtand an einſeitigen Urtheilen abmuͤhet.

Es iſt natuͤrlich, daß die mannigfachen Ele - mente eines reichen Daſeyns in gemiſchter Lebens - regung zu ihrer Wurzel zuruͤckfließen, und da in einer Art von Streit und Widerſpruch gegen ein - ander aufſtehn, bis ſie das ſtille Bett gemeinſamen Urſprungs verſoͤhnt und beruhigt empfaͤngt. Deutſch - land als der Heerd und Brennpunkt Europaͤiſcher Bildung kann daher keine Chineſiſche Abgeſchloſ - ſenheit behaupten wollen. Wir werden immer in Mitten eines gewaltſamen Conflicts von dem Ver - ſchiedenartigſten beruͤhrt und bewegt werden. Gleich - wohl ſollen ſich dieſe Reibungen nicht in Neben - ſchoͤpfungen zerſplittern, ſondern die Gluth erwei - tern und ein helleres Licht nach allen Richtungen verbreiten. Nicht dies und jenes wollen wir in27 den ſtillen Schooß unſeres Vaterlandes zuruͤckzie - hen, ſondern der wiederkehrende Lebensſtrom, vom Geſetz alter natuͤrlicher Graͤnze umſchloſſen, ſoll ſeine eigenthuͤmliche Geſtalt annehmen. Das Fremde ſoll ſich in deutſcher Wuͤrde und Feſtigkeit darſtel - len. Dazu gehoͤrt vor allem ehrendes Aner - kennen unſerer ſelbſt, das ganz natuͤrlich aus ſittlicher wie buͤrgerlicher Freiheit hervorgeht. Po - litiſche Unabhaͤngigkeit bedingt die geſellige. Wir haben die Eine mit geliebtem Blute erkauft, wir wollen der Andern nicht muthwillig ihr Grab gra - ben.

Des Geſetzes Graͤnze, ſagte ich zuvor, bewahre die eigenthuͤmliche Geſtaltung unſeres deutſchen We - ſens. Es iſt gewiß, wir ſollen nur was wir koͤn - nen, und wir koͤnnen uns nicht anders als in edler Stille und wuͤrdiger Freiheit behaupten. Maaß und Tackt ſind uns eigen, ſelbſt die kuͤhnen Fluͤge der Phantaſie, die raſchen Schlaͤge des Witzes ſind nur Modulationen des eingebornen Grundtones. Wir verlangen Geſetz und Form. Deshalb gehoͤrt uns die ausgeſprochene Beſtimmtheit unſerer Sprache,28 ſie paßt ſich recht eigentlich fuͤr das ſittig ge - haltene Geſpraͤch. Wenn ſie hier oft unbehol - fen erſcheint, ſo liegt der Grund in ihrer mangel - haften geſelligen Durchbildung, wie in dem progreſſiven Umſchwunge des Nationalgeiſtes uͤber - haupt. Die verſchiedenen Perioden unſerer Litera - tur machen ſehr ſcharfe Abſchnitte in dem Charak - ter der Converſation. Form, Conſtruction, wie Be - tonung der Worte, alles iſt heut anders wie ge - ſtern. Dieſe Differenzen beruͤhren ſich im Gemiſch des Lebensverkehrs oft ſehr disharmoniſch, und hemmen den freien Strom der Rede durch manie - rirte Floskeln. Die Sprache des Lebens iſt von der Buͤcherſprache verſchieden, und doch nicht von ihr geſchieden. Eine greift in die andre, ohne ſie zu durchdringen. Daher die Sonntagsreden, die aͤngſtigende Unſicherheit der Worte, der fremde und unbequeme Klang breit und hohl geſprochener Dyph - tonge, das ganze gemachte Weſen, wenn die ver - traute Mittheilung einmal oͤffentlich werden will.

Wir ſpuͤhren dann einen Zwang der Unter - haltung der eben nur aus der Form und Geſetzlo -29 ſigkeit der Geſellſchaftsſprache hervorgeht. Erwei - tern ſich nun Herz und Gemuͤth nach dem Maaße, wie beide im Laufe des Geſpraͤchs beruͤhrt werden, macht ſich die Natur zwiſchen dem aͤngſtlichen Kampf einmal Bahn, ſo faͤhrt wohl ploͤtzlich ſo ein Werkeltagswort heraus, das mit einemmal allen Putz der Bildung wegwiſcht. Kurz es iſt keine frei herausgebildete Einheit in der Lebensſprache. Wir ſchwanken zwiſchen Feierlichkeit und Triviali - taͤt, zwiſchen Verkuͤnſtelung und unerzogener Natur.

Da es indeſſen fuͤr den Deutſchen kein andres Centrum aͤußerer Ausbildung giebt, als die Befrei - ung und Selbſtſtaͤndigkeit des Jnnern, da der Genius der Sprache mit kuͤhnem und friſchem Fluͤgelſchlag aus der Verpuppung und dem Gewebe des Ge - danken hervorgeht, und Wiſſenſchaft und Kunſt die Formen des Ausdrucks weiſen: ſo ſollten Dich - ter und Schriftſteller im geſelligen Luſtſpiel und Roman die Sprache nach dem Maaße ei - genthuͤmlicher Faͤhigkeit geſellig bilden, und Ein - heit wie gediegene Vollendung aus ihr entwickeln. Denn hier ganz beſonders wird es wahr, daß die Strafe der Suͤnden von Kind auf Kindeskind fort -30 erben und zu neuen Suͤnden reizen werde. Die unnatuͤrliche Verkennung unſrer ſelbſt hat uns zu fremden Gefangenen gemacht. Wir haben den Ge - brauch eigner Glieder verlernt, und bewegen uns leichter mit erborgten Stuͤtzen. Selbſt veranlaßte Unbeholfenheit jagt uns immer aufs neue wieder zur franzoͤſiſchen Sprache.

Wir ſtellen uns freiwillig in die zweite Reihe, indem wir mit einer Art von Deferenz Solche betrachten, die ſich ihrer Natur gemaͤß in dem Elemente, was uns angezwungen wird, be - haglich und leicht fuͤhlen. Der Vorſprung, den die Franzoſen, eben durch die allgemeine Anerken - nung ihrer Sprache, haben, erfuͤllt uns entweder mit toller Nacheiferung ihnen gleich zu ſtehen, oder verſchließt uns zu beſcheiden in uns ſelbſt. Wir haben aber ein Wort mitzureden, und duͤrfen es mit Stolz und Sicherheit laut werden laſſen. Wir ſollen nicht laͤnger zwiſchen eigenthuͤmlicher und fremder Bildung ſchwanken, es ſteht uns wohl an Deutſch zu ſeyn. Jſt die franzoͤſiſche Sprache dem geſellig verkehrenden Europa unentbehrlich gewor - den, ſo gelte ſie wie eine Scheide - und Ausglei -31 chungsmuͤnze, ſo lange ſie in Cours bleiben kann, Jedweder lerne ſie als ſolche kennen, ſie bleibe ihm Mittel, nichts weiter. Was huͤlfe es auch, ſie zum Zweck machen zu wollen? Jhre klaſſiſchen Sprich - woͤrter und Phraſen liegen doch nur wie veralteter beſtaͤubter Modeprunk auf der lebendigen National - bildung, der deutſche Geiſt iſt aus dem alten Kleide herausgewachſen, beide paſſen nicht zu einander.

Jch darf das um ſo eher ſagen, da ich, die Sprache an ſich liebend, aus eigner Erfahrung weiß, daß man ſich niemals abſolut in ihr verliert, ohne immer auf einige Zeit einen Theil ſeiner Ei - genthuͤmlichkeit einzubuͤßen. Man kann nur dann voͤllig gerecht in einer Sache ſeyn, wenn man dieſe in ihr eigenthuͤmliches Gebiet znruͤck fuͤhrt, und ſie gleichſam auf heimiſchem Boden wahrhaft betrach - tet. Gehen wir bis in die Galanterie, zarte Liebe, feine Sitte und gefaͤllige Eleganz des franzoͤſiſchen Ritterthums hinein, ſo ſehen wir, daß ſich ſchon von da die geſellige Bildung beider Nationen ſcharf trennt, indem alle jene im Ritterthum bedingte Ele - mente uͤber Rhein und Vogeſen hinaus eine andre Farbe und Phyſiognomie annehmen. Jch kann den32 Zauberring hier, ohne Furcht mißverſtanden zu wer - den, als Beleg und wahrhaft klaſſiſchen Spiegel jener Nationalverſchiedenheit anfuͤhren. Ritter Folko und Herr Ott von Trautwangen behaupten auf eigne anziehende Weiſe ein jeder die Vorrechte ſei - nes Volksſtammes; beide ſind, was ſie ſeyn ſollen und koͤnnen, und keiner vermißt an dem Andern was er ſelbſt beſitzt. Ziehen wir nun von dem er - ſten Scheidepunkt an die Graͤnzlinie beider Jndivi - dualitaͤten fort, und fort bis zu dem Standpunkt hiſtoriſcher Gegenwart: ſo laufen beide in immer wachſender Breite auseinander, und keine Vermi - ſchung iſt deukbar. Das wird uns vorzuͤglich frap - pant durch die ſcharfſinnige Muſterung des franzoͤ - ſiſchen Nationalcharakters in dem Werke uͤber Deutſch - land, in Beziehung auf geſellige Verhaͤltniſſe. Wir empfinden es mit Gewißheit, daß der Geiſt jener Converſation trotz des Ausgleichungsmittels allge - meiner Weltſprache dem deutſchen Gemuͤth durch - aus fremd bleiben muͤſſe. Einmal kennen wir ſolche Fechtkunſt der Rede nicht, die, auf theatraliſchen Effekt berechnet, mit ſanktionirten Wendungen und Worten, gleich abgeſtumpften Waffen vor den Au -gen33gen der Zuſchauer geuͤbt wird; deutſche Redſelig - keit bleibt immer mehr oder weniger Drang der Mittheilung, Beduͤrfniß des Auſſerſichhinſtellens, und, iſt auch jene Selbſtbeſpiegelung im Wort wie im Wiederſchein des Glaſes, menſchlicher Natur im Allgemeinen eigen, ſo duͤrften wir es doch ſchwer - lich zu jener Virtuoſitaͤt bringen, von welcher Frau von Stael das Maximum in folgenden Worten aufſtellt.

pour réussir en parlant, il faut obser - ver avec prespicacité l’impression qu’on pro - duit à chaque instant sur les hommes, celle qu’ils veulent nous cacher, celle qu’ils cherchent à nous exagérer, la satisfaction contenue des uns, le sourire forcé des au - tres; on voit passer sur le front de ceux qui nous ecoutent, des blâmes à demi for - més, qu’on peut eviter en se hâtant de les dissiper avant que l’amour propre y soit en - gagé. L’on y voit naitre aussi I’approbation, qu’il faut fortifier, sans cependant exiger d’elle plus, qu’elles ne veut donner. Il n’est point d’aréne la vanité se montre sous[3]34des formes plus variées que dans la so - cieté.
[ Um mit Erfolg zu reden, muß man mit Scharfblick den Eindruck beobachten, den man in jedem Moment auf die Zuhoͤrer macht, den, wel - chen ſie uns verbergen moͤchten, den, welchen ſie uns zu uͤbertreiben bemuͤht ſind, die beherrſchte Zu - friedenheit der Einen, das erzwungene Laͤchelu der Andern. An der Stirne der Zuhoͤrer ſieht man gewiſſe Halbtadel aufſteigen, die man vermeiden kann, wenn man ſie zu zerſtreuen eilt, ehe die Ei - genliebe ins Spiel gezogen iſt. Auch den Beifall ſieht man daſelbſt aufkeimen; und dieſen muß man feſthalten, ohne gleichwohl mehr zu verlangen, als was er uns geben moͤchte. Es giebt keinen Kampf - platz, auf welchem ſich die Eitelkeit in mannigfal - tigern Geſtalten zeigte, als in der Geſellſchaft. ]

Welche Pein des Daſeyns, welche krampfhafte Reibungen des Geiſtes! Wo bleibt hier die freie Ruͤckwirkung des beſeelenden Klanges der Menſchen - ſtimme? Die elektriſchen Funken heitrer Mittheilung werden eine immer treffende Gluth, die alle geſun - den Triebe geſelliger Produktion vergiftet. Wie tau -35 ſendmal hemmender muß dieſe Sklaverei der Art und Weiſe ſeyn, als alle anciennes formules de politesse! Darf die Verfaſſerin behaupten, dieſe Richtung des Geiſtes ſey keine gegebene? Dies ſeyen nicht des lignes tracées d’avance, [vorher ge - zogene Linien] zwiſchen denen Gewohnheit und Sitte den Verſtand hin und herleite?

Wir Deutſchen fuͤhlen es ſo, und ſollen es noch weit lebendiger fuͤhlen, jemehr wir uns ſelbſt kennen und ehren. Und da der kluͤgſte Deutſche es doch einmal nicht dahin bringt, wo der duͤmmſte Franzoſe ſchon von Natur ſteht, der, wie Frau von Stael ſagt,

sait encore parler, lors même qu’il n’a point d’idées, qui amuse toujours, quand même il manque d’esprit. Il vous raconte tout ce qu’il a fait, tout ce qu’il a vu, le bien qu’il pense de lui, les éloges qu’il a recues, les grands seigneurs qu’il connoit, les succès qu’il espère.

[zu ſprechen verſteht, ſelbſt wenn er keine Jdeen hat, der auch dann noch beluſtigt, wenn es ihm an Geiſt fehlt. Er erzaͤhlt alles, was er ge -36 than, alles, was er geſehen hat, wie gut er von ſich ſelbſt denkt, wie er gelobt worden iſt, welche große Herrn er kennt, was er von der Zukunft Gluͤckliches erwartet.]

Da wir uns ſchaͤmen ſo etwas zu ſagen oder zu hoͤren, ſo ſollen wir uns auch genug wuͤrdigen, um geſunde Gedanken mit Reinheit und Anmuth in unſerer reichen vielſeitigen Sprache einander ge - ſellig mitzutheilen. Gedanken und Sprache ſind verwachſen wie Seele und Leib. Wie ſich die Eine erweitert, waͤchſt der Andre von ſelbſt. Wir haben mit dem Schwerdte die Marken unſres aͤußern Da - ſeyns gezogen; ein jeder traͤgt jetzt in der Natio - nalehre die Waffen bei ſich, durch die er ſich im Jnnern uud Aeußern vor der Welt behauptet. Die Geſellſchaft iſt der Spiegel herrſchender Geſinnung, iſt die bildende Kuͤnſtlerin, welche dem Erkannten und Empfundenen in lebendigen Menſchenverhaͤlt - niſſen wahrhafte Geſtaltung leiht. Sie giebt Zeug - niß fuͤr oder wider uns.

About this transcription

TextUeber deutsche Geselligkeit
Author Caroline de La Motte- Fouqué
Extent40 images; 5100 tokens; 2175 types; 36226 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationUeber deutsche Geselligkeit in Antwort auf das Urtheil der Frau von Stael Caroline de La Motte- Fouqué. . 36 S. WittichBerlin1814.

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Staatsbibliothek München BSB München, Fiche Germ.g. 133 m

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; Gebrauchsliteratur; Gesellschaft; core; ready; china

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ShelfmarkBSB München, Fiche Germ.g. 133 m
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