PRIMS Full-text transcription (HTML)
Joachim Nettelbeck, Buͤrger zu Colberg.
Erſtes Baͤndchen.
Mit dem Bildniſſe des Verfaſſers.
Leipzig:F. A. Brockhaus. 1821.

Meinem Koͤnige, Friedrich Wilhelm dem Mannlichen ehrfurchtsvoll zugeeignet.

Sire!

Ewr. Koͤniglichen Majeſtaͤt erkuͤhne ich mich, dieſe Blaͤtter zu weihen. Ein Greis ſchaut in denſelben, mit dem letzten Abendroth, in ſein fruͤheres Leben zuruͤck, und fuͤhlt mit ſtiller Freude, daß er, dieſe achtzig Jahre herdurch, in Geſinnung und That weder Koͤnig noch Vaterland verlaͤugnet, und daß es je und je ſein Stolz geweſen, ſich als treuen Unterthan und unſtraͤflichen Buͤrger zu erweiſen. Von ſeinen zitternden, aber unbefleckten Haͤnden moͤge Ewr. Koͤ - niglichen Majeſtaͤt auch dies geringe Opfer ſeiner Verehrung nicht mißfaͤllig ſeyn.

Colberg am dritten Auguſt 1821.Joachim Nettelbeck.

Vorbericht des Herausgebers.

Der Name Nettelbeck iſt, ſeit der, zum Heil von Deutſchland fruchtlos geblie - benen Belagerung Colbergs im Jahre 1807, wohl keinem deutſchen Ohre ganz fremd ge - blieben; und er gilt ſo ſehr als Jnbegriff von Buͤrgertugend und aͤchtem Patriotismus, von ſchlichtem Biederſinn und ruhiger, ſich ſelbſt bewußter Thatkraft, daß ihm eine Celebritaͤt zu Theil geworden, an welcher ſelbſt die, an den außerordentlichſten Erſcheinungen ſo uͤberreiche Folgezeit ſeither kaum etwas vermindert hat.

Wie und wodurch ihm ein ſo ausgezeich - neter Ruf zu Theil geworden wie viel Antheil an dieſem Erwerb ſein inneres ge - diegenes Seyn und Weſen wie viel ſein Handeln und Wirken wie viel aber auch vielleicht eine zeitgemaͤße Politik, das Be - duͤrfniß des Augenblicks, und das Zuthun berufener und unberufener Lobpreiſer ſich anzurechnen habe? Dieſe Entwickelung kann nur das Reſultat einer ſachkundigen geſchichtlichen Darſtellung jenes folgenreichen Ereigniſſes ſeyn, zu deſſen gluͤcklichem Aus - gange Nettelbeck ſo thaͤtig mitwirkte. Noch beſitzen wir eine ſolche pragmatiſche Geſchichte von Colbergs vierter Belagerung nicht: aber es fehlt nicht an Hoffnung, ſie ausII einer kundigen und geſchickten Feder vielleicht binnen kurzem zu erhalten.

Bis dahin darf man es als einen gluͤck - lichen Umſtand betrachten, daß Nettelbeck dazu auf eine Weiſe vorgearbeitet hat, die ihm eine neue und ſeltene Merkwuͤrdigkeit zutheilt. Schon ſeit mehreren Jahren war der, jetzt in ſein 83ſtes Jahr getretene, aber noch einer ſeltenen Kraft und Munterkeit genießende Greis damit beſchaͤftigt, die denk - wuͤrdigſten Ereigniſſe, inſonderheit ſeines fruͤheren Seelebens, ſelbſt niederzuſchreiben, und hat ſich ſo der Welt treffender geſchil - dert, als eine fremde Hand es vermoͤchte. Hier iſt er ganz er ſelbſt. Er giebt ſich, wie er iſt; und ſein Leben iſt ſo wun - derbar reich ausgeſtattet vom Schickſal, und gleicht, bei den ſprechendſten Merkmalen in - nerer Glaubwuͤrdigkeit, dennoch ſo ſehr einem Romane, daß es, indem es die fluͤchtige Neugier vergnuͤgt, zugleich auch in ſeinem aͤußern Thun und Treiben, wie in einem viel - ſeitig geſchliffenen Glaſe, den innern Men - ſchen wundervoll und erfreulich zuruͤckſpiegelt.

Vielleicht iſt es nicht allgemein bekannt, daß der wackre Greis, der nichts weniger, als reich, aber in ſeinem genuͤgſamen SinnIII um ſo ehrwuͤrdiger iſt, und ein maͤßiges Koͤnigliches Gnadengehalt genießt, noch im hohen Alter Vater einer Tochter geworden, deren kuͤnftiges Geſchick ihm zaͤrtlich am Herzen liegt; und als er die Feder zu Auf - zeichnung ſeiner Lebens-Schickſale ergriff, war es ihm Wunſch und Abſicht, eine Hand - ſchrift zu hinterlaſſen, deren dereinſtige Ver - breitung durch den Druck vielleicht ein kleines Kapital zum Brautſchatz fuͤr ein geliebtes Kind vermitteln koͤnnte. Ein zufaͤlliges Zu - ſammentreffen mit dem Verf. der grauen Mappe, der Amaranthen und einiger andern hiſtoriſchen Schriften hat in dieſem Plane inſofern einige Abaͤnderung bewirkt, daß er Demſelben geſtattete, aus ſeiner Handſchrift einige Fragmente in die Pommerſchen Pro - vinzial-Blaͤtter aufzunehmen. Dieſe Proben haben uͤberall einen ſo unzweideutigen Beifall gefunden, daß es nur Nachgiebigkeit gegen einen allgemein ausgedruͤckten Wunſch gewor - den, wenn der Biograph eingewilligt hat, daß das Ganze noch bei ſeinem Leben erſcheine. Eben ſo gerne auch hat der jetzige Herausgeber dem Vertrauen zu entſprechen geſucht, welches ihn mit dieſem Geſchaͤft und der Vorbereitung der Handſchrift zum Druck beauftragte.

IV

Nach ſeiner individuellen Anſicht iſt er des Glaubens, daß an Originalitaͤt, Leben - digkeit, Abwechſelung und koͤrniger Kraft, neben der hoͤchſten Einfachheit, in unſrer Sprache kaum etwas Aehnliches vorhanden iſt, als dieſe Lebensbeſchreibung; etwa die des Schweizers J. Plater ausgenommen. Es iſt uͤberall die Darſtellung des Pommer - ſchen biedern, aber welterfahrnen und welt - klugen Buͤrgersmannes, welcher, die kleinen Kuͤnſte des Vortrags nicht kennend oder ver - ſchmaͤhend, nur dem Beduͤrfniß und Drang der Mittheilung folgt; der froh und behaͤg - lich in die Vergangenheit, die ihm ein friſches Geſtern duͤnkt, zuruͤckſchaut, ſich an ſeinen Kindheitsſpielen, ſeinen jugendlichen Aben - theuern, ſeinen Mannes-Thaten ſonnt und erwaͤrmt und, ohne es ſelbſt zu wiſſen und zu wollen, uns ſo den Schluͤſſel dazu giebt, wie er der tuͤchtige Kern-Menſch ge - worden, den wir in ihm zu lieben und zu achten uns gedrungen fuͤhlen.

Von der ihm gegebenen Befugniß, an der Handſchrift nach Gutduͤnken zu aͤndern, hat der Herausgeber nur inſofern einen ſpar - ſamen und beſcheidenen Gebrauch gemacht, als das Beduͤrfniß eines geordneten Vor -V trags bei einer ſolchen oͤffentlichen Vorſtellung es unumgaͤnglich nothwendig machte. Auch erſtrecken ſich dieſe kleinen Nachhuͤlfen mehr auf die innere Oekonomie des Werks und die Stellung der Begebenheiten, als auf den woͤrtlichen Ausdruck, welcher deſſen minder bedurfte und woran daher abſichtlich ſo we - nig, als moͤglich, geaͤndert worden, um den Eindruck ſeiner Originalitaͤt in nichts zu verkuͤmmern. Hoffentlich werden ihm dies die Leſer um ſo beſſern Dank wiſſen.

So nun uͤbergiebt derſelbe dieſe Lebens - beſchreibung, ohne fremden Schmuck und Zuthat, die ſie nur entſtellt haben wuͤrden, allen aͤchtdeutſchen Leſern und Leſerinnen, die unſerm Nettelbeck verwandten Geiſtes ſind, zu einer freundlichen Aufnahme, und ſchmei - chelt ſich, durch dieſe Herausgabe etwas nicht ganz Unnuͤtzliches gethan zu haben, wenn ihn die Vorausſetzung nicht truͤgt, daß gerade dieſe Art von Schriften vor Andern dazu geeignet ſey, das Gemuͤth zu ſtaͤrken und fuͤr ein thatkraͤftiges Eingreifen in das wirkliche Leben zu bilden.

Schwerlich wird auch Jemand mit dem Verfaſſer oder Herausgeber zu ernſtlich zuͤr - nen, daß die Erzaͤhlung abbricht, bevor ſieVI noch die ſpaͤtere Periode erreicht hat, wo Nettelbeck’s oͤffentliches und politiſches Leben beginnt, und woruͤber man allerdings ſeine eigenen unentſtellten Berichte vielleicht am liebſten erwartet haͤtte. Wem indeß das, was von der annoch obwaltenden Unthunlich - keit einer ſolchen Darſtellung oben beruͤhrt worden, nicht genuͤgt, oder was der be - ſcheidene Mann am Ende dieſes Buches hier - uͤber mit wenigen, aber treffenden Worten aͤuſſert, wohl nur als eine Ausflucht er - ſcheint: dem diene zur Nachricht, daß es vorzuͤglich von der Aufnahme abhaͤngen wird, deren dieſe beiden Baͤndchen ſich im Publikum zu erfreuen haben, ob etwa kuͤnftighin noch ein Drittes nachfolgen moͤchte, zu welchem ſich bereits mehrere, von Nettelbeck hand - ſchriftlich aufgeſetzte Materialien in des Her. Haͤnden befinden, und welches ſich dann aller - dings auch uͤber ſeine ſpaͤteren Lebensbegeg - niſſe verbreiten wuͤrde.

Treptow an der Rega, im Mai 1821.J. C. L. Haken.

Joachim Nettelbeck’s Lebensbeſchreibung. Erſtes Baͤndchen.

Joachim Nettelbeck’s Lebens-Geſchichte. Erſtes Baͤndchen.

Am 20ſten September 1738 ward ich zu Colberg gebohren, und bekam dann den Taufnamen Joachim. Mein Vater, Jo - hann David Nettelbeck, war hier Brauer und Brandtweinbrenner und ſtand bei der Buͤrgerſchaft in beſonderer Liebe und An - haͤnglichkeit. Dies Gluͤck iſt mir von ihm uͤbererbt, und genieſſe es noch jetzt, in mei - nem Alter, bei meinen lieben Mitbuͤrgern. Meine Mutter war aus des Schiffers Blan - ken Geſchlecht. Auch meiner beiden Pathen nemlich der Kaufleute, Herren Lorenz Runge und Gruͤneberg muß ich hier dankbar erwaͤhnen, weil ſo manche ihrer vaͤ - terlich gemeynten Vorſtellungen, und was ſie mir ſonſt Gutes eingepraͤgt, bei mir ei - nen Eindruck gemacht, der mich durch mein ganzes Leben begleitet hat.

Der Guͤtige Leſer wolle ſich’s gefallen laſ - ſen, etwas von meinen erſten Jugendjahren zu hoͤren. Seit ich kaum das Alter von dreiviertel Jahren erreicht, bin ich bei mei -1. Bändchen. (1)2nen Groß-Eltern vaͤterlicher Seits erzogen worden: aber ſobald ich habe lallen koͤnnen, ſtand auch mein Sinn darauf, ein Schiffer zu werden. Dies mag wohl daher kom - men, daß mir dergleichen oftmals vorgeplau - dert worden. Mein Hang dazu trieb mich ſo gewaltig, daß ich aus jedem Holzſpahn, aus jedem Stuͤckchen Baumrinde, was mir in die Haͤnde fiel, kleine Schiffchen ſchni - tzelte, ſie mit Segeln von Federn oder Pa - pier ausruͤſtete, und damit auf Rinnſteinen und Teichen, oder auf der Perſante, hand - thierte.

Meines Vaters Bruder war Schiffer; und keine groͤſſere Freude gab es fuͤr mich, als wenn er mit ſeinem Schiffe hier im Hafen lag. Denn da hatte ich zu Hauſe keine Ruhe, ſondern bat, man moͤchte mich nach der Muͤnde laſſen. O, welch ein vergnuͤgtes Leben, wenn ich auf dem Schiffe war, und mit den Schiffsleuten in ihrer Arbeit her - umſprang!

Nicht viel geringer war meine Liebe und Freude am Garten-Weſen: denn auch mein Großvater war ein ſonderlicher Garten - freund; nahm mich beſtaͤndig mit dahin; gab mir ſogar ein klein Fleckchen Land zum Ei - genthum und ließ mich ſehen und lernen, was zur Garten-Arbeit gehoͤrte. Hier legte3 ich Obſtkerne; ich verpflanzte, ich pfropfte und oculirte; ich begoß und pflegte meine Gewaͤchſe. Meine Kernſtaͤmmchen wuchſen heran; und ſieben von dieſen ſelbſtgezogenen Baͤumen ſind noch (wie ſehr es mir auch um ſie leid that, da ich jetzt der Beſitzer des nemlichen Gartens bin) in der letzten franzoͤſiſchen Belagerung umgehauen worden.

An dieſes kleine, aber fuͤr mich unſchaͤtz - bare Grundſtuͤck, deſſen Pflege noch in die - ſem Augenblick die Freude meines Alters ausmacht, heften ſich zugleich auch ein paar meiner fruͤheſten und lebendigſten Erinne - rungen, die ich darum nicht ganz mit Still - ſchweigen uͤbergehen darf.

Jch mochte wohl ein Buͤrſchchen von 5 oder 6 Jahren ſeyn und noch in meinen er - ſten Hoͤschen ſtecken, (alſo etwa um das Jahr 1743 oder 44) als es hier bei uns, und im Lande weit umher, eine ſo ſchrecklich knappe und theure Zeit gab, daß viele Men - ſchen vor Hunger ſtarben: Denn der Schef - fel Roggen galt den, damals beinahe fuͤr unerſchwinglich gehaltenen Preis von einem Thaler acht Groſchen. Es kamen, von land - einwaͤrts her, viele arme Leute nach Colberg, die ihre kleinen hungrigen Wuͤrmer auf Schiebkarren mit ſich brachten, um Korn4 von hier zu holen, weil man Getreide - Schiffe in unſerm Hafen erwartete, die der grauſamen Roth ſteuern ſollten. Alle Stra - ßen bei uns lagen voll von dieſen ungluͤck - lichen ausgehungerten Menſchen. Meine Großmutter, bei der ich, wie ſchon geſagt, erzogen ward, ließ taͤglich mehrere Koͤrbe voll Gruͤnkohl in unſerm Garten pfluͤcken, kochte Einen Keſſel voll nach dem Andern fuͤr unſre verſchmachtenden Gaͤſte, und mir ward das gern uͤbernommene Ehren-Aemt - chen zu Theil, ihnen dieſe Speiſe in kleinen Schuͤſſelchen, nebſt einer Brodſchnitte, zuzu - tragen. Da riſſen mir denn Alte und Junge meinen Napf begierig aus der Hand, oder auch wohl unter einander ſelbſt vor dem Munde weg. Jch kann nicht ausſprechen, welch einen ſchauderhaften Eindruck dieſe Scene auf meine kindiſche Seele machte!

Endlich langte ein Schiff mit Roggen auf der Rheede an, dem ſich tauſend ſehn - ſuͤchtige Augen und Herzen entgegen richte - ten. Aber, o Jammer! beim Einlaufen in den Hafen ſtieß es gegen eine Steinkiſte des Hafendammes und nahm ſo betraͤchtli - chen Schaden, daß es, im Strome ſelbſt, nur wenige Hundert Schritte weiter, der Muͤnder Vogtey gegenuͤber, in den Grund ſank. Sollte die koſtbare Ladung nicht ganz5 verloren ſeyn, ſo mußten ſchleunige Anſtal - ten getroffen werden, das verungluͤckte Fahr - zeug wieder uͤber Waſſer zu bringen. Dazu wurden denn zwei Schiffe benutzt, die eben auch im Hafen lagen, und wovon das Eine von meines Vaters Bruder gefuͤhrt wurde. So war ich denn auch bei dieſem Empor - winden, an welchem ich eine kindiſche Freude hatte, beſtaͤndig zugegen; ward mitunter auch wohl, als unnuͤtz und hinderlich, uͤber Seite geſchoben, und habe daruͤber all dieſe einzelnen Umſtaͤnde nur um ſo beſſer im Ge - daͤchtniß behalten.

Gieng nun gleich das Wiederflottmachen des Schiffes gluͤcklich von Statten, ſo war doch das Korn durchnaͤßt, zum Vermahlen untuͤchtig und die Hoffnung all der darauf vertroͤſteten Menſchen vereitelt. Die Colber - ger Buͤrger kauften den beſchaͤdigten Roggen um ein Viertel des geltenden Marktpreiſes; und da mein Vater damals koͤniglicher Korn - meſſer im Orte war, ſo gieng auf dieſe Weiſe die ganze geborgene Ladung durch ſeine Haͤnde. Jeder ſuchte mit ſeinem Kauf ſo gut, als moͤglich, zurecht zu kommen und ihn auf’s ſchnellſte zu trocknen. Alle Stra - ßen waren auf dieſe Weiſe mit Laken und Schuͤrzen uͤberdeckt, auf welchen das Getreide der Luft und Sonne ausgeſetzt wurde. Kurze6 Zeit darauf erſchien ein zweites großes Korn - ſchiff; und nun ward es endlich moͤglich, die fremde Armuth zu befriedigen.

Jm naͤchſtfolgenden Jahre erhielt Colberg, aus des großen Friedrichs verſorgender Guͤte, ein Geſchenk, das damals hier zu Lande noch voͤllig unbekannt war. Ein großer Frachtwagen nemlich voll Kartoffeln, langte auf dem Markte an; und durch Trommel - ſchlag in der Stadt und auf den Vorſtaͤdten ergieng die Bekanntmachung, daß jeder Gar - tenbeſitzer ſich zu einer beſtimmten Stunde vor dem Rathhauſe einzufinden habe, indem des Koͤnigs Majeſtaͤt ihnen eine beſondre Wohlthat zugedacht habe. Man ermißt leicht, wie Alles und Jedes in eine ſtuͤrmiſche Be - wegung gerieth; und das nur um ſo mehr, je weniger man wußte, was es mit dieſem Geſchenke zu bedeuten habe.

Die Herren vom Rathe zeigten nunmehr der verſammleten Menge die neue Frucht vor, die hier noch nie ein menſchliches Auge erblickt hatte. Daneben ward eine umſtaͤnd - liche Anweiſung verleſen, wie dieſe Kar - toffeln gepflanzt und bewirthſchaftet, desglei - chen wie ſie gekocht und zubereitet werden ſollten. Beſſer freilich waͤre es geweſen, wenn man eine ſolche geſchriebene oder ge -7 bruckte Jnſtruktion gleich mit vertheilt haͤtte: denn nun achteten in dem Getuͤmmel die We - nigſten auf jene Vorleſung. Dagegen nah - men die guten Leute die hochgeprieſenen Knollen verwundert in die Haͤnde; rochen, ſchmeckten und leckten dran; kopfſchuͤttelnd bot ſie Ein Nachbar dem Andern; man brach ſie von einander und warf ſie den gegen - waͤrtigen Hunden vor, die dran herum ſchnopperten und ſie gleichmaͤßig verſchmaͤh - ten. Nun war ihnen das Urtel geſpro - chen! Die Dinger hieß es rie - chen nicht, und ſchmecken nicht; und nicht einmal die Hunde moͤgen ſie freſſen. Was waͤre uns damit geholfen? Am Allge - meinſten war dabei der Glaube, daß ſie zu Baͤumen heranwuͤchſen, von welchen man zu ſeiner Zeit aͤhnliche Fruͤchte herabſchuͤttle. Alles dies ward auf dem Markte, dicht vor meiner Eltern Thuͤre, verhandelt; gab auch mir genug zu denken und zu verwundern und hat ſich darum auch, bis auf’s Jota, in meinem Gedaͤchtniß erhalten.

Jnzwiſchen ward des Koͤnigs Wille voll - zogen und ſeine Segensgabe unter die an - weſenden Garten-Eigenthuͤmer ausgetheilt, nach Verhaͤltniß ihrer Beſitzungen; jedoch ſo, daß auch die Geringeren nicht unter ei - nigen Metzen ausgiengen. Kaum irgend8 Jemand hatte die ertheilte Anweiſung zu ih - rem Anbau recht begriffen. Wer ſie alſo nicht geradezu, in ſeiner getaͤuſchten Erwar - tung, auf den Kehrichthaufen warf, gieng doch bei der Auspflanzung ſo verkehrt, als moͤglich, zu Werke. Einige ſteckten ſie hie und da einzeln in die Erde, ohne ſich weiter um ſie zu kuͤmmern; Andre (und darunter war auch meine liebe Großmutter mit ih - rem, ihr zugefallenen Viert) glaubten das Ding noch kluͤger anzugreifen, wenn ſie dieſe Kartoffeln beiſammen auf Einen Haufen ſchuͤtteten und mit etwas Erde bedeckten. Da wuchſen ſie nun zu einem dichten Filz in einander; und ich ſehe noch oft in meinem Garten nachdenklich den Fleck drauf an, wo ſolchergeſtalt die gute Frau hierinn ihr erſtes Lehrgeld gab.

Nun mochten aber wohl die Herren vom Rath gar bald in Erfahrung gebracht haben, daß es unter den Empfaͤngern viele loſe Ver - aͤchter gegeben, die ihren Schatz gar nicht einmal der Erde anvertraut haͤtten. Dar - um ward in den Sommer-Monaten durch den Rathsdiener und Feldwaͤchter eine allge - meine und ſtrenge Kartoffel-Schau ver - anſtaltet und den widerſpenſtig Befundenen eine kleine Geldbuße aufgelegt. Das gab wiederum ein großes Geſchrei, und diente9 auch eben nicht dazu, der neuen Frucht an den Beſtraften beſſere Goͤnner und Freunde zu erwecken.

Das Jahr nachher erneuerte der Koͤnig ſeine wohlthaͤtige Spende durch eine aͤhnliche Ladung. Allein diesmal verfuhr man dabei hoͤheren Orts auch zweckmaͤßiger, indem zu - gleich ein Landreuter mitgeſchickt wurde, der, als ein gebohrner Schwabe, (Sein Name war Eilert, und ſeine Nachkommen dauern noch in Treptow fort) des Kartoffelbaues kundig und den Leuten bei der Auspflanzung behuͤlflich war, und ihre weitere Pflege be - ſorgte. So kam alſo dieſe neue Frucht zu - erſt ins Land, und hat ſeitdem, durch immer vermehrten Anbau, kraͤftig gewehrt, daß nie wieder eine Hungersnoth ſo allgemein und druͤckend bei uns hat um ſich greifen koͤnnen. Dennoch erinnere ich mich gar wohl, daß ich erſt volle vierzig Jahre ſpaͤter (1785) bei Stargard, zu meiner angenehmen Ver - wunderung, die erſten Kartoffeln im freien Felde ausgeſetzt gefunden habe.

Doch, es iſt wohl Zeit, daß ich von die - ſen langen Abſchweifungen wieder in meine goldnen Jugendjahre und zu meinen damali - gen Lieblings-Beſchaͤftigungen zuruͤckkehre!

10

Bei manchen andern Kindereien war ich auch ein großer Liebhaber von Tauben. Von meinem Fruͤhſtuͤcks-Gelde ſparte ich mir ſo viel am Munde ab, daß ich mir ein Paar kaufen konnte. Das war nun eine Herrlichkeit! Da aber meine Groß-Eltern unter dem Poſthauſe, bei Herrn Frauendorf, wohnten, ſo gab es hier keine Gelegenheit, die Tauben ausfliegen zu laſſen. Jch machte daher mit dem ſogenannten Poſtjungen, Johann Witte (nachherigem Poſt - und Banco - Director in Memel) einen Accord, daß er meine Tauben zu ſich nehmen, ich aber taͤg - lich eine gewiſſe Portion Erbſen zum Fuͤttern hergeben ſollte, die ich meinen Groß-Eltern leider! heimlich in den Taſchen wegtrug. Die Tauben vermehrten ſich: hinfolglich auch die Futter-Erbſen.

Bei all dieſen Spielereien ward (wie - derum leider!) die Schule verſaͤumt: ich hatte weder Luſt noch Zeit dazu. Wenn meine Großmutter meynte, ich ſaͤße fleiſſig auf der Schulbank, ſo ſchiffte ich in Rinn - ſteinen und Teichen, oder ich verkehrte mit meinen Tauben; und das machte mir ſo viel zu ſchaffen, daß ich weder bei Tage, noch bei Nacht, davor ruhen konnte. Dieſe un - ruhige Geſchaͤftigkeit hat mich auch nach - mals in mein maͤnnliches Weſen, bei weit11 wichtigern Dingen, und ſelbſt bis in mein Alter, verfolgt. Freilich wohl habe ich mir dabei weniger fuͤr mich, als fuͤr andre mei - ner Mitmenſchen, zu thun und zu ſorgen gemacht.

Einigen Vorſchub zu dieſen Poſſen that mir auch wohl Pathe Runge, der nicht Frau noch Kinder hatte, mich ſehr liebte und ſich viel mit mir abgab. Endlich aber nahm er mich einmal etwas ernſthafter in’s Verhoͤr, (wie auch zuweilen von Pathe Gruͤ - neberg geſchah) und gab mir zu bedenken, daß, wenn ich Schiffer werden wollte, ſo muͤßte ich auch fleiſſig in die Schule gehen, eine firme Hand ſchreiben und gut rechnen lernen; fonſt duͤrft ich nie an ſo etwas denken. Mir fuhr das gewaltig auf’s Herz. Jch ſann nach, was denn wohl von meinem jetzigen Thun und Treiben abgeſtellt werden muͤßte? Was anders, als meine Tauben, die mir ſo viel Zeit koſteten, und doch ſo ſehr am Herzen lagen! Wie ich’s aber auch bedenken mochte, ſo war es doch nicht an - ders: ich mußte meine lieben Thierchen fahren laſſen, die ſich indeß anſehnlich ver - mehrt hatten! Dies geſchah denn auch mit - telſt eines foͤrmlichen ſchriftlichen Contracts, wodurch ich den Johann Witte, kindiſcher12 Weiſe, zu ihrem alleinigen Herrn und Be - ſitzer einſetzte.

So war ich alſo meine Tauben los; und nun kriegt ich einen ſo brennenden Trieb zur Schule, daß mich die Lernbegierde auf all meinen Schritten und Tritten verfolgte. Jch wollte und mußte ja ein Schiffer wer - den! Auch alle meine heiligen Chriſt-Ge - ſchenke, woran es meine Herren Pathen nicht fehlen lieſſen, hatten immer eine Be - ziehung auf die Schifferſchaft. Bald war es ein runder hollaͤndiſcher Matroſen-Hut, bald lange Schifferhoſen, bald wieder Pfef - ferkuchen, als Schiffer geformt, u. dergl.

So mocht es etwa in meinem achten Jahre ſeyn, als Pathe Lorenz Runge mir, unter andern Weihnachts-Beſcheerungen, auch eine Anweiſung zur Steuermanns-Kunſt in hollaͤndiſcher Sprache verehrte. Dies Buch machte meine Phantaſie ſo rege, daß ich Tag und Nacht fuͤr mich ſelbſt darinn ſtu - dirte, bis mein Vater ein naͤheres Einſehen hatte und mir bei einem hieſigen Schiffer, Namens Neymann, zwei woͤchentliche Unter - richtstage in jener edlen Kunſt ausmachte. Dagegen blieben die andern vier Tage noch zum Schreiben und Rechnen bei einem an - dern geſchickten Lehrer, Namens Schuͤtz, be -13 ſtimmt. Ein Jahr ſpaͤter aber ward die Steuermanns-Kunſt die Hauptſache und alles Andre in die Neben - und Privat-Stunden verwieſen.

Mein Eifer fuͤr dieſe Sache gieng ſo weit, daß ich im Winter oftmals bei ſtren - ger Kaͤlte, wenn des Nachts klarer Himmel war, und wenn meine Eltern glaubten, daß ich im warmen Bette ſteckte, heimlich auf den Wall und die hohe Katze gieng, mit meinen Jnſtrumenten die Entfernung der mir bekannten Sterne vom Horizont oder vom Zenith maaß und darnach die Pol - Hoͤhe berechnete. Dann, wenn ich des Mor - gens erfroren nach Hauſe kam, verwun - derte ſich Alles uͤber mich und erklaͤrte mich fuͤr einen uͤberſtudierten Narren. Schlimmer aber war es, daß man mich nun des Abends ſorgfaͤltiger bewachte und mich nicht aus dem Hauſe ließ. Dennoch ſuchte und fand ich oftmals Gelegenheit, bei Nacht wieder auf meine Sternwarte zu kommen; was mir aber, wenn ich mich Morgens wieder ein - ſtellte, von meinem Vater manche ſchwere Ohrfeige einbrachte.

Aehnlicher Lohn ward mir auch ſonſt noch fuͤr aͤhnlichen Eifer! Zu oft hatte ich gehoͤrt, daß ein Seemann vor allen Dingen lernen muͤſſe, gut klettern, um die Maſten bei Tag14 und Nacht zu beſteigen, als daß ich nicht haͤtte begierig werden ſollen, mich darin bei Zeiten zu uͤben. Hiezu fand ſich eine er - wuͤnſchte Gelegenheit durch die naͤhere Be - kanntſchaft mit dem Sohne des damaligen Gloͤckners. Er war in meinen Jahren, hieß David, und wollte auch Schiffer werden. Mit dieſem machte ich mich, auſſer der Schulzeit, auf den Boden der großen Kirche in das Sparrwerk und die Balkenverbin - dungen bis hoch unter das kupferne Dach hinauf. Hier ſtiegen und krochen wir uͤberall herum, daß wir uns in der gewaltigen Ver - zimmerung dieſes großen Gebaͤudes oftmals dergeſtalt verirrten, daß Einer vom Andern nicht wußte. Kamen wir dann wieder zu - ſammen, ſo konnten wir nicht genug erzaͤh - len, wo wir geweſen waren und was wir geſehen hatten.

Bald gieng es nun zu einem Wagſtuͤck weiter. Auch in die Spitze des Thurms krochen wir in dem inwendigen Holzverbande hinauf ſo hoch, bis wir uns in dem be - engten Raume nicht weiter ruͤhren konnten. Aber eben dieſe Gewandtheit und Orts-Kennt - niß kam mir in der Folge recht gut zu ſtat - ten, um hier in der aͤußerſten Spitze, wo ein Wetterſtrahl am 28ſten April 1777 ge - zuͤndet hatte, das Feuer loͤſchen zu koͤnnen;15 wie ich zu ſeiner Zeit weiter unten erzaͤh - len werde.

Und nunmehr genuͤgte es uns nicht, bloß innerhalb uns von Balken zu Balken zu ſchwingen: es ſollte auch auſſerhalb des Ge - baͤudes geklettert werden! So machten wir uns denn auf das kupferne Dach; ſtiegen bei den Glocken aus den Luken auf das Geruͤſt; von da auf die Farſt des kupfernen Kirchen - daches, und indem wir darauf, wie auf ei - nem Pferde ritten, rutſchten wir laͤngshin vom Thurm bis an den Giebel, und auf gleiche Weiſe wieder zuruͤck. Ein paar Hun - dert Zuſchauer gafften drunten, zu unſrer großen Freude, nach uns beiden jungen Wag - haͤlſen in die Hoͤhe. Auch mein Vater war, ohne daß ich es wußte, unter dem Haufen geweſen; und ſo konnt es nicht fehlen, daß mich, bei meiner Heimkunft, fuͤr dieſe Helden - that eine derbe Tracht Schlaͤge erwartete.

Aber die Luſt zu einem wiederhohlten Ver - ſuche war mir dennoch nicht ausgetrieben worden! Jch lauerte es nur ab, daß mein Vater verreiſet war; und an einem ſchoͤnen Sommertage, Nachmittags um vier Uhr, als ich der Zucht des Herrn Schuͤtz entlau - fen war, konnt ich nicht drum hin, meinen lieben Thurm wieder zu beſuchen. Ein16 Schulkamerad, David Spaͤrke, eines hieſigen Schiffers Sohn, leiſtete mir Geſellſchaft. Dieſen beredete ich, den Ritt auf dem Kir - chendache mitzumachen. Jch zuerſt ſtieg aus der Luke auf das Geruͤſt und von da auf die Farſt des Daches. David Spaͤrke kam mir zuverſichtlich nach, da er mich ſo flink und ſicher darauf handthieren ſah.

Allein kaum war er mir ſechs oder acht Fuß nachgeritten, ſo uͤberfiel ihn ploͤtzlich eine Angſt, daß er erbaͤrmlich zu ſchreien begann, ſich zu beiden Seiten an den kup - fernen Reifen feſtklammerte und nicht vor - nicht ruͤckwaͤrts kommen konnte. Jch kehrte mich nach ihm um, kam dicht zu ihm heran; und hier ſaßen wir nun Beide, ſahen uns betruͤbt in’s Geſicht und wußten nicht, wo aus noch ein. Er wagte es nicht, ſich um - zudrehen: ich konnte an ihm nicht vorbei - kommen. Dabei hoͤrte er nicht auf, in ſeiner Seelenangſt aus vollem Halſe zu ſchreien. Auf der Straße gab es einen Zuſammen - lauf, und bald auch Huͤlfe. Denn der alte Gloͤckner mit ſeinem Sohne und mehreren Andern kamen auf den Thurm und zogen meinen Freund David mit umgeworfenen Leinen ruͤcklings nach dem Geruͤſt und ſo vollends in die Luke hinein. Jch aber folgte,wie17wie ein armer Suͤnder, zitternd und be - bend nach.

Des naͤchſten Tages kam mein Vater wieder nach Hauſe: und da gab es denn, wie zu erwarten war, rechtſchaffene, aber verdiente Pruͤgel. Damit aber nicht genug, meynte auch Herr Schuͤtz, mein Lehrer, es muͤſſe hier, der uͤbrigen Schulkameradſchaft wegen, noch ein anderweitiges Beiſpiel zu Nutz und Lehre ſtatuirt werden, und bat ſich’s bei meinem Vater aus, gleichfalls noch Gericht uͤber mich halten zu duͤrfen. Das ward ihm gern bewilligt. Meine Strafe beſtand in einem dreitaͤgigen Quartier in dem dunkeln Carzer auf dem Schulhofe. Hier ward ich Nachmittags, ſobald die Schulzeit abgelaufen war, eingeſperrt und immer erſt Morgens um acht Uhr, wo die Schule wieder anging, herausgelaſſen. Nur Mittags durft ich nach Hauſe gehen, um zu eſſen; aber ſchon in der naͤchſten Stunde auf meiner Schulbank mich einfinden und um vier Uhr meine traurige Wanderung in die Finſterniß wieder antreten.

Naͤchſt der Unbequemlichkeit einer einzigen taͤglichen Mahlzeit bei einem (Gott weiß es) geſegneten Appetite, war’s meine groͤßte Quaal und Noth, daß ich die Schaam und Schande nicht bemeiſtern konnte, von den1. Bändchen. (2)18andern Schulbuben uͤber mein Abentheuer noch ausgelacht zu werden. Niemand hatte Mitleid mit meinem Unſtern; ausgenommen ein einziges gutherziges Maͤdchen, die aͤlteſte Tochter des Kaufmanns, Herrn Seeland. (Wenn ich mich recht entſinne, nannte man ſie Doͤrtchen) Doͤrtchen alſo ſteckte mir den letzten Abend, mit Thraͤnen in den Augen, ihre Semmel zu; konnt es aber nicht ſo heimlich abthun, daß es nicht von den An - dern waͤre geſehen und verrathen worden. Die Semmel ward mir vom Lehrer wieder abgenommen und confiſcirt. Jch weinte; ſie weinte; Herr Schuͤtz ſelbſt konnte ſich deſſen nicht erwehren. Jch bekam meine Semmel zuruͤck: aber bloß wie er hin - zuſetzte um das gute Kind zu beruhi - gen. Jch habe nachher, im Jahre 1782 (Alſo nach Verlauf von 34 Jahren!) die Freude gehabt, dieſes nemliche Doͤrtchen Seeland in Memel wieder anzutreffen. Jhre Eltern waren in ihrem Wohlſtande zuruͤckgekommen, den ſie damals durch eine Auswanderung nach Rußland zu verbeſſern hofften. Jch hatte jene Semmel noch nicht vergeſſen; und es hat mir wohlgethan, ſie einigermaaßen vergelten zu koͤnnen.

Endlich, da ich etwa eilf Jahre alt ſeyn mochte, ſollte es, zu meiner unſaͤglichen19 Freude, Ernſt mit meiner kuͤnftigen Beſtim - mung werden. Meines Vaters Bruder nahm mich auf ſein Schiff, die Suſanna, als Ka - juͤten-Waͤchter; und ſo gieng meine erſte Ausflucht nach Amſterdam. Hier ſah ich nun eine Menge großer Schiffe auf dem Y vor Anker liegen, die nach Oſt - und Weſt - Jndien gehen ſollten. Taͤglich ward auf ihnen mit Trommeln, Pauken und Trompe - ten muſicirt, oder mit Kanonen geſchoſſen. Das machte mir allmaͤhlich das Herz groß! Jch dachte: Wer doch auch auf ſo einem Schiffe fahren koͤnnte! und das gieng mir nur um ſo viel mehr im Kopfe herum, als es damals unter all unſern Schiffsleu - ten, wie ich oft gehoͤrt hatte, fuͤr einen Glaubens-Artikel galt: daß, wer nicht, von Holland aus, auf dergleichen Schiffen gefah - ren waͤre, auch fuͤr keinen rechtſchaffenen Seemann gelten koͤnnte. Gerade das aber machte ja mein ganzes Sinnen und Denken aus! Jm Vorbeigehn will ich aber noch hinzufuͤgen, daß jener Glaube auf einem ganz guten Grunde beruhte. Man findet wirklich bei keiner Nation eine groͤßere Ord - nung auf den Schiffen, als bei den Hollaͤn - dern, auf ſolchen bedeutenden Fahrten in fremde Welttheile.

Wovon mir das Herz voll war, gieng mir auch alle Augenblicke der Mund uͤber. 20Jch geſtand meinem Oheim, wie gerne ich am Bord eines ſolchen anſehnlichen Oſtin - dien-Fahrers ſeyn und die Reiſe mitmachen moͤchte. Er gab mir immer die einzige Ant - wort, die darauf paßte: Daß ich nicht klug im Kopfe ſeyn muͤßte. Endlich aber ward dieſer Hang in mir zu maͤchtig, als daß ich ihm laͤnger widerſtehen konnte. Jn einer Nacht, zwei Tage vor unſrer Abreiſe, ſchluͤpfte ich heimlich in unſre angehaͤngte Joͤlle ganz wie ich gieng und ſtand und ohne das geringſte von meinen Kleidungsſtuͤcken mit mir zu nehmen. Man ſollte nemlich nicht glauben, daß ich deſertirt, ſondern daß ich ertrunken ſey; und wollte ſo verhindern, daß mir nicht weiter auf den andern Schif - fen nachgeſpuͤrt wuͤrde. Unter dieſen aber hatte ich mir Eins auf’s Korn gefaßt, von welchem mir bekannt geworden war, daß es am andern naͤchſten Morgen nach Oſtindien unter Segel gehen ſollte. Das Letztere zwar war richtig: aber uͤber ſeine Beſtimmung befand ich mich im Jrrthum: denn es war zum Sklaven-Handel auf der Kuͤſte von Guinea beſtimmt.

Still und vorſichtig kam ich mit meiner Joͤlle an der Seite dieſes Schiffes an, ohne von irgend Jemand auf demſelben bemerkt zu werden. Eben ſo ungeſehen ſtieg ich an21 Bord, indem ich mein kleines Fahrzeug mit dem Fuße zuruͤckſtieß und es treibend ſeinem Schickſal uͤberließ. Bald aber ſammlete ſich das ganze Schiffsvolk (Es waren deren 84 Koͤpfe, wie ich nachmals erfuhr) ver - wundert um mich her. Jeder wollte wiſſen, woher ich kaͤme? wer ich waͤre? was ich wollte? Statt aller Antwort Und was haͤtt ich auch ſagen koͤnnen? fing ich an, erbaͤrmlich zu weinen.

Der Kapitain war dieſe Nacht nicht an Bord. Man brachte mich alſo zu den Steu - erleuten, welche das Verhoͤr in’s Kreuz und in die Queere mit mir erneuerten. Auch hier hatt ich nichts, als Thraͤnen und Schluchzen. Aha, Burſche! legte ſich endlich Einer auf’s Rathen Jch merke ſchon! Du biſt von einem Schiffe weggelau - fen und denkſt, daß wir dich mitnehmen ſollen? Das war ganz meines Herzens - Meynung. Jch ſtammelte alſo ein Ja dar - auf hervor; konnte mich aber diesmal nicht entſchlieſſen, noch weiter herauszubeichten. Jnzwiſchen hatte man einiges Mitleid mit mir; gab mir ein Glas Wein, ſammt einem Butterbrod und Kaͤſe, und wies mir eine Schlafſtelle an, mit dem Bedeuten, daß mor - gen fruͤh der Kapitain an Bord kommen werde, der mich vielleicht wohl mitnehmen22 moͤchte. Da lag ich nun die ganze Nacht ſchlaflos, und uͤberdachte, was ich ſagen und verſchweigen wollte.

Am andern Morgen, mit Tages-Anbruch, fand ſich der Lootſe ein; der Anker ward aufgewunden und man machte ſich ſegelfer - tig; wobei ich treuherzig und nach Kraͤften mit Hand anlegte. Unter dieſen Beſchaͤfti - gungen kam endlich auch der Kapitain heran. Jch ward ihm vorgeſtellt; und auch ſeine erſte und natuͤrlichſte Frage war: Was ich auf ſeinem Schiffe wollte? Jch fuͤhlte mich nun ſchon ein wenig gefaßter, und gab ihm uͤber mein Wie und Woher ſo ziemlich ehrlichen Beſcheid; nur ſetzte ich hinzu (Und dieſe Luͤge hat mir nachmals oft bitter leid gethan: denn mein Oheim war gegen mich die Guͤtigkeit ſelbſt, als ob ich ſein eigen Kind waͤre Dieſer habe mich auf der Reiſe oftmals unſchuldig geſchlagen; wie das denn auch nur noch geſtern geſchehen ſey. Jch koͤnne dies nicht laͤnger ertragen; und ſo ſey ich heimlich weggegangen, und baͤte flehentlich, der Kapitain moͤchte die Guͤte haben, mich anzunehmen. Jch wollte gerne gut thun.

Nun ich einmal ſo weit gegangen war, durft ich auch die richtige Antwort auf die weitere Frage nach meines Oheims Namen23 und Schiffe nicht ſchuldig bleiben. Gut! ſagte der Kapitain Jch werde mit dem Manne daruͤber ſprechen. Das klang nun gar nicht auf mein Ohr! Jch hub von neuem an zu weinen; ſchrie, ich wuͤrde uͤber Bord ſpringen und mich erſaͤufen, und trieb es ſo arg und klaͤglich, (Mir war aber auch gar nicht wohl um’s Herz!) daß nach und nach das Mitleid bei meinem Richter zu uͤberwiegen ſchien. Er gieng mit ſeinen Steuerleuten in die Kajuͤte, um die Sache ernſtlicher zu uͤberlegen; ich aber lag indeß, von Furcht und Hoffnung hin und her geworfen, wie auf der Folter: denn die Schande, vielleicht zu meinem Oheim zu - ruͤckgebracht zu werden, ſchien mir uner - traͤglich.

Endlich rief man mich in die Kajuͤte. Jch habe mir’s uͤberlegt; hub hier der Kapitain an und du magſt bleiben. Du ſollſt Steuermanns-Junge ſeyn und mo - natlich ſechs Gulden Gage haben; auch will ich fuͤr deine Kleidungsſtuͤcke ſorgen. Doch, hoͤre, ſobald wir mit dem Schiffe in den Texel kommen, ſchreibſt du ſelbſt an deines Vaters Bruder und erklaͤrſt ihm den ganzen Zuſammenhang. Den Brief will ich ſelbſt leſen und auch fuͤr ſeine ſichre Beſtellung ſorgen. Man denke, wie freudig ich24 einſchlug, und was fuͤr ein Stein mir vom Herzen fiel!

Jetzt giengen wir auch unter Segel. Al - lein ich will es auch nur geſtehen, daß, ſo wie ich meines Oheims Schiff ſo aus der Ferne darauf anſah, mir’s innerlich leid that, es bis zu dieſem thoͤrichten Schritte getrieben zu haben. Trotz dieſem Herzweh, erwog ich, daß er nicht mehr zuruͤckgethan werden konnte, wofern ich nicht vor Beſchaͤ - mung vergehen ſollte. Jch machte mich alſo ſtark; und als wir im Texel ankamen, ſchrieb ich meinen Abſchiedsbrief, den der Kapitain las und billigte und mein Steuermann an die Poſt-Schuyte beſorgen ſollte.

Wie die Folge ergeben hat, iſt jedoch die - ſer Brief, mit oder ohne Schuld des Beſtel - lers, nicht an meinen Oheim gelangt; ent - weder daß Dieſer zu fruͤh von Amſterdam abgegangen, oder daß das Blatt unterweges verloren gegangen. Mein Tod ſchien alſo ungezweifelt: denn man glaubte, (wie ich in der Folge erfuhr) ich ſey in der Nacht aus der Joͤlle gefallen, die man am naͤchſten Morgen zwiſchen andern Schiffen umhertrei - bend gefunden hatte.

Nachdem wir im Texel unſre Ladung, Waſſer, Proviant und alle Zubehoͤr, welche25 der Sklaven-Handel erfordert, an Bord ge - nommen hatten, giengen wir in See. Mein Kapitain hieß Gruben und das Schiff Afrika. Alle waren mir gut und geneigt; ich ſelbſt war vergnuͤgt und ſpuͤrte weiter kein Heimweh. Wir hatten zwei Neger von der Kuͤſte von Guinea, als Matroſen, an Bord. Dieſe gab mir mein Steuermann zu Lehrern in der dort gewoͤhnlichen Landes - ſprache*)Laͤngs der Kuͤſte von Guinea, bedient man ſich einer Sprache, die in einem bunten Ge - miſch von portugieſiſchen, noch mehreren eng - liſchen und aus den Reger-Mundarten herge - nommenen Woͤrtern beſteht, und womit man ſich uͤberall beim Handel verſtaͤndlich macht. Tiefer landeinwaͤrts aber ſind ganz davon ab - weichende Sprachen im Gange, und auch dieſe wieder unter ſich ſelbſt dergeſtalt ver - ſchieden, daß, wenn man irgendwo einen Sklaven aus dem Jnnern kauft, und nur Eine Meile weiter einen Andern von einer verſchiedenen Nation, Beide ſich unter einan - der ſchwerlich verſtehen werden. Anm. des Vf. ; und ich darf wohl ſagen, daß ſie an mir einen gelehrigen Schuͤler fanden. Denn meine Luſt, verbunden mit der Leich - tigkeit, womit man in meinem damaligen Al - ter fremde Sprachtoͤne ſich einpraͤgt, brach - ten mich binnen kurzem zu der Fertigkeit, daß ich nachher an der Kuͤſte meinem Steu -26 ermann zum Dollmetſcher dienen konnte. Und das war es eben, was er gewollt hatte.

Unſre Fahrt war gluͤcklich, aber ohne be - ſonders merkwuͤrdige Vorfaͤlle. Jn der ſechsten Woche erblickten wir St. Antonio, Eine von den Jnſeln des gruͤnen Vorgebuͤr - ges, (Capo verde) und drei Wochen ſpaͤter hatten wir unſer Reiſe-Ziel erreicht und giengen an der Pfeffer-Kuͤſte, bei Cap Me - ſurado, unter 6 Grad noͤrdlicher Breite, vor Anker, um uns mit friſchem Waſſer und Brennholz zu verſorgen. Zugleich war dies die erſte Station, von wo aus unſer Han - del betrieben werden ſollte.

Spaͤterhin glengen wir, oberhalb Windes, weiter oͤſtlich nach Cap Palmas; und hier erſt begann das Verkehr lebendiger zu wer - den. Die Schaluppe wurde mit Handels - Artikeln beladen, mit Lebensmitteln fuͤr 12 Mann Beſatzung auf ſechs Wochen verſehen und mit ſechs kleinen Drehbaſſen, die ein Pfund Eiſen ſchoſſen, ausgeruͤſtet. Mein Steuermann befehligte im Boot; ich aber, ſein kleiner Dollmetſcher, blieb auch nicht da - hinten, und ward ihm im Handel vielfach nuͤtzlich. Wir machten in dieſem Fahrzeuge drei Reiſen laͤngs der Kuͤſte, entfernten uns bis zu 50 Meilen vom Schiffe und waren gewoͤhnlich drei Wochen abweſend. Nach27 und nach kauften wir hierbei 24 Sklaven, Maͤnner und Frauen, (Auch eine Mutter mit einem einjaͤhrigen Kinde war dabei!) eine Anzahl Elephanten-Zaͤhne und etwas Gold - ſtaub zuſammen. Bei dem letzten Abſtecher ward auch der Europaͤiſche Briefſack auf dem Hollaͤndiſchen Haupt-Caſtell St. George de la Mina von uns abgegeben.

Unſer Schiff fanden wir, bei unſerer Heim - kehr, etwas weiter oſtwaͤrts, nach der Rheede von Laque la How oder Cap Lagos vorge - ruͤckt. Acht unſrer Gefaͤhrten waren, in der Zwiſchenzeit, auf demſelben, in Folge des ungeſunden Klima, geſtorben. Dagegen hatte der Kapitain anderthalb Hundert Schwarze, beiderlei Geſchlechts, eingekauft und einen guten Handel mit Elfenbein und Goldſtaub gemacht. Fuͤr alle dieſe Artikel gilt Cap Lagos als eine Haupt-Station, weil landein - waͤrts ein großer See, von vielen Meilen lang und breit, vorhanden iſt, auf welchem die Sklaven von den Menſchenhaͤndlern (Kaffi - cieren) aus dem Jnnern in Canots herbeige - fuͤhrt werden.

Gerade in dieſer Gegend war auch Kapi - tain Gruben bei den hier anſaͤßigen reichen Sklavenhaͤndlern von Alters her wohl be - kannt und gern gelitten. Dennoch war ihm ſchon auf einer vorigen Reiſe hieher ein28 Plan fehlgeſchlagen, den er entworfen hatte, ſich, zum Vortheil der Hollaͤndiſchen Regie - rung, an dieſem wohlgelegenen Platze unver - merkt feſter einzuniſten. Er hatte es mit den reichen Negern verabredet, ein abgebun - denes hoͤlzernes Haus, nach Europaͤiſcher Bauart, mitzubringen und dort aufzurichten, worin zehn bis zwanzig Weiſſe wohnen koͤnn - ten, und welches durch einige, daneben auf - gepflanzte Kanonen geſchuͤtzt werden ſollte. Als es aber fertig da ſtand, kamen dieſe Anſtalten den guten Leutchen doch ein wenig bedenklich vor. Sie bezahlten lieber dem Kapitain ſein Haͤuschen, das ſo ziemlich ei - ner kleinen Feſtung glich, reichlich mit Gold - ſtaub; und ſo ſahen es auch noch meine Au - gen, indem es von einem reichen Kafficier bewohnt wurde.

Nachdem wir von hier noch eine Boot - reiſe, gleich den vorigen, und mit eben ſo gutem Erfolg, gemacht hatten, giengen wir, nach vier bis fuͤnf Wochen, mit dem Schiffe weiter nach Axim, dem erſten Hollaͤndiſchen Kaſtell an dieſer Kuͤſte; wo denn auch fortan der Schaluppen-Handel ein Ende hatte. Fer - ner ſteuerten wir, Cabo tres Puntas vorbei, nach Accada, Boutrou, Saconda, Chama, St. Georg de la Mina und Moure. Ue - berall wurden Einkaͤufe gemacht; ſo daß wir29 endlich unſre volle Ladung, beſtehend in 420 Negern jedes Geſchlechts und Alters, bei - ſammen hatten. Alle dieſe Umſtaͤnde ſind mir noch jetzt, in meinem hohen Alter, ſo genau und lebendig im Gedaͤchtniſſe, als wenn ich ſie erſt vor ein paar Jahren erlebt haͤtte.

Nunmehr gieng die Reiſe von der Afrika - niſchen Kuͤſte nach Surinam, queer uͤber den Atlantiſchen Ocean, hinuͤber, wo unſre Schwarzen verkauft werden ſollten. Waͤh - rend neun bis zehn Wochen, die wir in See waren, ſahen wir weder Land noch Strand; erreichten aber unſern Beſtimmungs - Ort gluͤcklich, vertauſchten unſre ungluͤckliche Fracht gegen eine Ladung von Kaffee und Zucker, und traten ſodann den Ruͤckweg nach Holland an. Wir brauchten dazu wiederum acht bis neun Wochen, bis wir endlich, wohl - behalten, im Angeſicht von Amſterdam den Anker fallen lieſſen. Es war im Junius 1751, und die ganze Reiſe hin und zuruͤck hatte 21 Monate gedauert. Eilf Leute von unſrer Mannſchaft waren waͤhrend dieſer Zeit verſtorben.

Jn Amſterdam ließ ich es mein Erſtes ſeyn, nach Colberg an meine Eltern zu ſchreiben und ihnen Bericht von meiner abentheuerlichen Reiſe zu erſtatten. Denke30 man ſich ihr freudiges Erſtaunen beim Em - pfang dieſer Zeitung! Jch war todt, und war wieder lebendig geworden! Jch war verloren und war wiedergefunden! Jhre Empfindungen druͤckten ſich in den Briefen aus, die ich unverzuͤglich von dort her er - hielt. Segen und Fluch wurden mir darinn vorgeſtellt. Jch Ungluͤckskind waͤre ja noch nicht einmal eingeſegnet! Augenblicklich ſollt ich mich aufmachen und nach Hauſe kommen!

Es traf ſich erwuͤnſcht, daß ich mich in Amſterdam mit einem Landsmanne, dem Schiffer Chriſtian Damitz, zuſammen fand. Auf ſeinem Schiffe gieng ich nach Colberg zuruͤck. Von meinem Empfange daheim aber thue ich wohl am beſten, zu ſchweigen.

Jn meiner Vaterſtadt blieb ich nun und hielt mich wieder zum Schul-Unterricht, bis ich mein vierzehntes Jahr erreicht und die Confirmation hinter mir hatte. Dann aber war auch laͤnger mit mir kein Halten; ich wollte und mußte zur See, wie der Fiſch in’s Waſſer, und mein Vater uͤbergab mich (zu Oſtern 1752) an Schiffer Mich. Damitz, der ſo eben von Colberg nach Memel nnd von da nach Liverpool abgehen wollte, und in den er ein beſonderes Vertrauen ſetzte. Beide Fahrten waren gluͤcklich. Wir gien -31 gen weiter nach Duͤnkirchen, wo wir eine Ladung Taback einnahmen; dann uͤber Nor - wegen nach Danzig und ſo kam ich, kurz nach Neujahr, zu Lande, um 19 Thaler Loͤh - nung reicher, nach Colberg zuruͤck. Jch glaubte Wunder, was ich in dieſen neun Monaten verdient haͤtte! Und noch vor we - nig Jahren brachten es unſre Matroſen wohl auf 15 und mehr Thaler monatlich. So aͤndern ſich die Zeiten!

Jn den beiden naͤchſtfolgenden Jahren (1753 und 54) ſchwaͤrmte ich auf mehr als Einem Colbergſchen Schiffe, und unter ver - ſchiedenen Kapitainen, auf der Oſt - und Nordſee umher, und war bald in Daͤnemark und Schweden, bald in England und Schott - land, in Holland und Frankreich zu finden. Auf all dieſen Reiſen entſinn ich mich aber keines Dings, das hier wieder erwaͤhnt zu werden verdiente: denn Sturm und gut Wetter, und was dem weiter angehoͤrt und auf ſolchen Reiſen unausbleiblich vorfaͤllt, ſind bei einem Seemann etwas Alltaͤgliches, und es iſt meine Art nicht, davon viel Auf - hebens zu machen.

Eben darum aber mochte dies einfoͤrmige Leben meinem feurigen Sinn laͤnger nicht anſtehen. Der alte Hang zum Abentheuern32 erwachte; ſo daß ich in Amſterdam, wo ich mit Kapitain Joach. Blank, einem alten lie - ben Colbergſchen Landsmann und Verwand - ten, zuſammentraf, der Verſuchung zu einem weitern Ausflug laͤnger nicht widerſtehen konnte, ſondern mich, ohne weitere Erlaub - niß von Hauſe, flugs und freudig auf ſein Schiff Chriſtina, das nach Surinam beſtimmt war, als Konſtabler verdung. Als indeß auf der Hinfahrt unſer Steuermann das Ungluͤck hatte, uͤber Bord zu fallen und zu ertrinken, kam ich fuͤr dieſe Reiſe zu der Ehre, den Unter-Steuermann vorzuſtellen.

Daß ich mich hier auf eine ausfuͤhrliche Beſchreibung der Kolonie Surinam einlaſſe, wird wohl nicht von mir erwartet werden. Man weiß, daß ſie ihren Namen von dem Fluſſe Surinam fuͤhrt, an welchem auch dritt - halb Meilen aufwaͤrts die Hauptſtadt Para - maribo gelegen iſt. An ſeiner Muͤndung iſt er wohl zwei Meilen breit und bleibt gegen 60 Meilen landeinwaͤrts, auch bei der nie - drigſten Ebbe, fuͤr kleinere Fahrzeuge noch Schiffbar. Nur wenig geringer iſt der, mit ihm verbundene Fluß Comandewyne, welcher bis gegen 50 Meilen aufwaͤrts befahren wird. Mit beiden ſteht noch eine Menge todter Arme oder Kreeks in Verbindung, und an allen Ufern hinauf draͤngen ſich die Zucker -und33und Kaffee-Plantagen; waͤhrend alles uͤbrige Land eine faſt undurchdringliche Waldung ausmacht. Eben dadurch aber wird dieſe Kolonie Eine der ungeſundeſten in der Welt; und wenn eine Schiffs-Equipage von 40 Mann binnen den vier Monaten, welche man hier gewoͤhnlich verweilt, nur 8 bis 10 Todte zaͤhlt, ſo wird dies fuͤr ein auſſerordentliches Gluͤck gehalten.

Dieſe große Sterblichkeit hat aber zum Theil auch wohl ihren Grund in den an - ſtrengenden Arbeiten, wozu die Schiffsmann - ſchaften nach hieſigem Gebrauch angehalten werden: denn ſie muͤſſen ebenſowohl den Transport der mitgebrachten Ladung an euro - paͤiſchen Guͤtern nach den einzelnen Planta - gen, als die Ruͤckfracht aus denſelben an Kolonial-Waaren, beſorgen. Man bedient ſich dazu einer Art von Fahrzeugen, Punten genannt, die wie Prahme gebauet ſind und ein zugeſpitztes, mit Schilf gedecktes Wet - terdach tragen; ſo daß ſie das Anſehen eines, auf dem Waſſer ſchwimmenden, deutſchen Bauerhauſes gewaͤhren. Zwei ſolcher Pun - ten werden jedem Schiffe zugegeben; und mir, als Unter-Steuermann, kam es zu, mit Huͤlfe von vier Matroſen, die Fahrten auf den Stroͤmen damit zu verrichten, wozu denn oft 14 Tage, und noch laͤngere Zeit, erfordert wurden.

1. Bändchen. (3)34

Bei unſrer Ankunft gab es auf dem Schiffe ein kleines Abentheuer, das unſern Schiffer eine Zeitlang in nicht geringe Sorge ſetzte, endlich aber doch einen ziemlich luſti - gen Ansgang gewann. Unter der Ladung nemlich, die wir in Amſterdam eingenommen hatten, befand ſich auch eine Kiſte von etwa drei Fuß in’s Gevierte, woruͤber der Kapitain zwar das richtige Connoiſſement in Haͤnden hatte, ohne gleichwohl, beim Loͤſchen vor Pa - ramaribo, die Kiſte ſelbſt an Bord wieder auffinden zu koͤnnen. Sie war an einen dor - tigen Juden adreſſirt, deſſen wiederholte Nach - frage, trotz allem Suchen, unbefriedigt blei - ben mußte. Dieſe Verlegenheit ſchlau be - nutzend, brachte endlich der Hebraͤer nicht nur ſeine Klage bei dem hollaͤndiſchen Fiſcal (Kolonie-Richter) an, ſondern reichte zugleich ein langes Verzeichniß ein von goldenen und ſilbernen Taſchenuhren, Geſchmeiden und an - dern Koſtbarkeiten, zu einem Belauf von bei - nahe 4000 Gulden an Werthe, die in der Kiſte enthalten geweſen. Der Prozeß gieng ſeinen Gang, und der Jude brachte ſeine Be - weiſe ſo buͤndig vor, daß das endlich erfolgte rechtskraͤftige Erkenntniß meinen Kapitain zur voͤlligen Schadloshaltung binnen 14 Ta - gen verurtheilte, dem es uͤbrigens uͤberlaſſen blieb, ſich wiederum an ſeine Leute zu halten.

35

Ganz unerwartet aber fand ſich nunmehr die verwuͤnſchte Kiſte im hintern unterſten Schiffsraum wieder auf, wo ſie, durch ir - gend ein Verſehen, hoch mit Brennholz uͤber - ſtauet geweſen war. Gluͤcklicher Weiſe hatte das Siegel derſelben, das auch auf dem Con - noiſſement abgedruckt war, keinen Schaden gelitten. Aber zugleich kam es uns wunder - lich vor, daß die Kiſte, beim Heben und Schuͤtteln derſelben, ſich gar nicht ſo anließ, als ob Sachen von der angegebenen Art darin enthalten ſeyn koͤnnten. Dieſer Verdacht ward dem Fiſcal unter der Hand geſteckt. Er kam ſelbſt an Bord; uͤberzeugte ſich von der Richtigkeit des Connoiſſements und der Unverſehrtheit des Siegels, und da der Jude ein armer Teufel war, dem ſich mit einer Geldſtrafe nichts anhaben ließ: ſo ſollte er, wie es in aller Welt Brauch iſt, fuͤr den ver - ſuchten Betrug mit ſeiner Haut bezahlen.

Zufoͤrderſt ward ihm gemeldet, daß ſein Eigenthum wieder zum Vorſchein gekommen ſey und von ihm alſo gleich am Bord in Em - pfang genommen werden koͤnne. Sein Er - ſchrecken uͤber dieſe Rachricht war drollig genug: aber dem Frieden nicht trauend, ver - langte er, man moͤchte ihm die Kiſte in Got - tes Namen nur an Land und in ſein Haus ſchaffen; bis, auf ſeine beharrliche Weigerung, der Fiſcal ihn durch zwei Reger mit Gewalt36 und gebunden an Bord holen ließ. Hier mußt er, in deſſen Beiſeyn, die Kiſte, als die ſeinige und als vollkommen unverletzt, anerkennen; dann aber auch oͤffnen, und nun kam ein gar bunter Jnhalt zum Vorſchein! Der ganze Troͤdel beſtand aus Redouten-An - zuͤgen und fratzenhaften Geſichts-Larven; der ungluͤckliche Eigenthuͤmer aber ward, auf des Richters Geheiß, uͤber ſeine Kiſte hingeſtreckt und von ein paar Matroſen mit ihren Tau - Endchen ſo unbarmherzig zugedeckt, daß ihm wahrſcheinlich alle aͤhnliche Speculationen fuͤr eine lange Zeit vergangen ſeyn werden.

Eher haͤtte man Surinam damals eine deutſche, als eine hollaͤndiſche Kolonie nennen koͤnnen: denn auf den Plantagen, wie in Paramaribo, traf man unter hundert Weiſ - ſen immer vielleicht neun und neunzig an, die hier aus allen Gegenden von Deutſch - land zuſammengefloſſen waren. Unter ihnen hatte ich, waͤhrend dieſer Reiſe, Gelegenheit, auch zwei Gebruͤder, des Namens Kniffel, kennen zu lernen, die aus Belgard in Pom - mern gebuͤrtig, und alſo meine naͤchſten Lands - leute waren. Sie hatten in fruͤherer Zeit, als gemeine hollaͤndiſche Soldaten, ſich hieher verirrt: aber Gluͤck, Fleiß und Rechtlichkeit hatten ſie ſeither zu Millionairs gemacht, welche hier eines wohlverdienten Anſehens genoſſen. Am Comandewyne beſaßen ſie zwei37 Kaffee-Plantagen. Die Eine hieß Friedrichs - burg; und eine Andere dicht daneben, welche von ihnen ſelbſt angelegt worden, hatten ſie, ihrer Vaterſtadt zu Ehren, Belgard ge - nannt. Zu Paramaribo war eine Reihe von Haͤuſern, die eine Straße von 400 Schritten in der Laͤnge bildeten, ihr Eigenthum und fuͤhrte nach ihnen den Namen Kniffels - Loge. Ebendaſelbſt hatten ſie eine lutheri - ſche Kirche aufgefuͤhrt und zur Erhaltung derſelben, fuͤr ewige Zeiten, die Einkuͤnfte der Plantage Belgard gewidmet.

Dieſe Gebruͤder ſtanden ſchon ſeit laͤngerer Zeit mit meinem Kapitain Blank, als einem Colberger und Landsmann, in beſonders freundſchaftlichem Verkehr. Er verſorgte ſie und ihre Plantagen ausſchließlich mit Allem, was ſie aus Europa bedurften; und hin - wiederum fuͤhrte er alle ihre dortigen Er - zeugniſſe nach Holland zuruͤck. So geſchah es auch bei der gegenwaͤrtigen Reiſe; da ich denn oft von ihm mit Auftraͤgen an ſie ge - ſchickt und ihnen auf dieſe Weiſe bekannt und lieb wurde. Schon die vielfaͤltigen Be - weiſe von Guͤte, die ich von ihnen Beider - ſeits erfuhr, wuͤrden mich veranlaßt haben, Jhrer hier zu gedenken, wenn nicht auch der Verfolg meiner Lebensgeſchichte mir wieder - holte Gelegenheit gaͤbe, auf ihren Namen zuruͤckzukommen.

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Unſre Heimfahrt nach Amſterdam, die ſechs Wochen waͤhrte, war gluͤcklich, aber ohne weitere Merkwuͤrdigkeit. Wir waren 14 Monate abweſend geweſen, und unſer Schiff bedurfte einer voͤllig neuen Verzimmerung, die ſich bis in den November 1755 zu ver - zoͤgern drohte. Dies dauerte mir zu lange, und gab die Veranlaſſung, daß ich in einen andern Dienſt, unter Kapitain Wendorp, uͤbergieng. Sein Schiff war nach Curaſſao beſtimmt; auf der Ruͤckreiſe ergaͤnzten wir bei St. Euſtaz unſre Ladung, und nach neun Monaten, die ich hier kurz uͤbergehe, warfen wir wiederum vor Amſterdam wohlbehalten die Anker.

Hier warteten Briefe auf mich von mei - nen Eltern, von ſo drohendem Jnhalt und angefuͤllt mit ſo gerechten Vorwuͤrfen, daß ich’s wohl nicht laͤnger verſchieben durfte, mich zum Zweitenmal, als der verlorne Sohn, reuig nach Hauſe auf den Weg zu machen. Doch fand ich gleich im voraus einigen Troſt in dem Vorſchlage, daß mei - nes Vaters Bruder beſtimmt ſey, des Herrn Beckers Schiff, genannt die Hoffnung, mit einer Ladung Holz von Ruͤgenwalde nach Liſſabon zu fuͤhren; und mit dem ſollte ich fahren. Dies war im Jahre 1756.

So gieng ich denn als Paſſagier nach Danzig, und traf es da eben recht, daß39 zwoͤlf junge und ſchmucke ſeefahrende Leute ausgeſucht werden ſollten, um die ſoge - nannte Herren-Borſe auf’s ſtattlichſte zu be - mannen. Es war nemlich zu der Zeit der Koͤnig Auguſt von Pohlen in der Stadt an - weſend; und auf der Rheede lag eine zahl - reiche Flotte von ruſſiſchen Kriegsſchiffen vor Anker, der er einen Beſuch abzuſtatten gedachte. Zu dieſer Luſtfahrt, die Weichſel herunter, ſollte nun jene Staatsjacht dienen. Zufaͤllig kriegte man mich mit an, um die Mannſchaft vollzaͤhlig zu machen; und ſo - wohl das Auſſerordentliche bei der Sache, als auch der Dukaten, der dabei fuͤr jeden Mann abfallen ſollte, machten mir Luſt, die - ſen Ehrendienſt zu verrichten.

Das dauerte aber nur ſolange, bis wir zum Schiffer-Aelteſten Karſten kamen, wo wir zu der Feierlichkeit mit einer Art von Uni - form aufgeputzt werden ſollten, die mit blan - ken Schilden und vielen rothen, gruͤnen und blauen Baͤndern verbraͤmt war. So aus - ſtaffiiert, hielt man mir zuletzt einen Spiegel vor: aber wie erſchrak ich, als ich ſah, was fuͤr einen Narren man aus mir gemacht hatte! Das war jedoch das Wenigſte! Allein das Herz im Leibe wollte mir zerſpringen, wenn ich dabei bedachte, daß ich einen andern, als meines eignen Koͤnigs Namenszug im Schilde an meiner Stirne tragen ſollte. 40Die Thraͤnen traten mir in die Augen. Mir war’s, als muthete man mir zu, meinen großen Friedrich zu verlaͤugnen. Gerne haͤtt ich mir Alles wieder vom Leibe geriſſen und haͤtte den Handel wieder aufgeſagt, wenn es moͤglich geweſen waͤre. Doch ich war Ein - mal unter den Woͤlfen, und mußte mit ihnen heulen! Jndeß gelobte ich mir’s, dieſen Makel dadurch wieder gut zu machen, daß ich den verheiſſenen Dukaten dem erſten preuſſiſchen Soldaten zuwuͤrfe, der mir begegnen wuͤrde. Ein alter Huſar wurde dies Gluͤckskind; und der mag ſich wohl nicht ſchlecht verwundert haben, daß ein achtzehnjaͤhriges Buͤrſchchen, wie ich, mit Golde um ſich warf!

Jm Monat Auguſt traf ich in Colberg ein, fand meines Oheims Schiff bereits in der Ausruͤſtung und gieng mit demſelben auf die Ruͤgenwalder Rheede, wo wir unſre La - dung Holz einnahmen. Mit mir fuhr mein juͤngerer Bruder, 16 Jahr alt, als Kajuͤten - waͤrter. Auch hatte mein Oheim ſeinen eig - nen 14 jaͤhrigen Sohn mitgenommen; und es befanden ſich Unſrer in Allem 13 Men - ſchen am Borde. Aber gleich der Anfang dieſer Fahrt verſprach wenig Gutes, da wir durch Sturm und widrige Winde dergeſtalt aufgehalten wurden, daß wir erſt mit Aus - gang Octobers im Sunde anlangten.

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Hier gieng mein Oheim mit mir und noch drei andern Matroſen in der Seegel - Schaluppe nach Helſingoͤr an Land, woſelbſt ſeine Geſchaͤfte ihn ſo lange verweilten, daß wir erſt Abends um neun Uhr auf den Ruͤck - weg kamen. Die See gieng hoch, und un - ſer Fahrzeug, das mit Waſſer - und Bier - faͤſſern und andern Proviſionen ſchwer bela - den war, hielt wenig Bord. Zudem ſtand uns ein ſteifer Suͤdwind entgegen, der uns zum Laviren noͤthigte; und eben machten wir einen Schlag dicht hinter dem Daͤniſchen Wachtſchiffe voruͤber, als ein harter Stoß - wind ſo ploͤtzlich aufſtieg und ſo ungeſtuͤm in unſre Seegel fiel, daß die Schaluppe Waſſer ſchoͤpfte, umſchlug und im Hui! den Kiel nach oben kehrte.

Wir, die wir drinne ſaßen, wurden ſam̃t und ſonders herausgeſpuͤlt. Jch ergriff ein Ruderholz, und war ſo gluͤcklich, mich uͤber dem Waſſer zu erhalten. Wo die Andern blieben, ſah ich nicht. Jndeß war unſer Un - gluͤck von dem Daͤniſchen Kriegsſchiffe nicht unbemerkt geblieben; und ſogleich auch ſtieß ein Fahrzeug ab, uns zu retten. Allein es war ſtockfinſter und von uns Verungluͤckten keine Seele aufzufinden. Nur die Schaluppe kam ihnen in den Wurf und ward geborgen; freilich aber war die ganze Ladung davon - geſchwommen und gieng verloren.

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Unter uns Umhertreibenden mochte ich wohl der Erſte ſeyn, der ſich gluͤcklich aus dieſem boͤſen Handel zog. Jch trieb nemlich gegen ein vor Anker liegendes Schiff, und er - hielt mich ſo lange am Ankertau, bis die Leute mich zu ſich an Bord ziehen konnten. Mein guter Oheim hingegen ward ebenſowohl durch den harten Sturm, als die ſchnelle Stroͤmung, beinah eine Viertelmeile weit, bis unterhalb des Daͤniſchen Kaſtells davon ge - fuͤhrt. Aber indem er ſich kuͤmmerlich an einem Spriet*)Eine ſtarke, funfzehnfuͤßige Stange vom Scha - luppen-Segel. feſtgeklammert erhielt, braucht er wohl eine Stunde, bevor er mit Schwim - men das Land erreichte. Zwei Matroſen wurden durch eine Lootſen-Jolle gerettet; Einer aber blieb leider! verloren.

Erſt am Morgen fanden wir vier Gebor - genen uns in Helſingoͤr wieder zuſammen. Unſre Schaluppe ward uns von dem Wacht - ſchiffe wieder zuruͤckgegeben; wir erſetzten unſre verungluͤckte Ladung durch angekaufte neue Vorraͤthe, verſahen uns mit friſchen Rudern und kehrten ſodann nach unſerm Schiffe zuruͤck. Sobald auch nur Wind und Wetter wieder guͤnſtiger geworden waren, ſaͤumten wir nicht, unſre Fahrt, trotz der ſpaͤten und boͤſen Jahreszeit, fortzuſetzen.

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Am 2. December nahmen wir, nicht ohne Beunruhigung, wahr, daß ein gewaltiger Sturm aus Norden uns auf die Flaͤmiſchen Baͤnke geworfen hatte, deren Gefaͤhrlichkeit wir nur gar zu wohl kannten. Nur zu bald auch bekamen wir mehrere heftige Grund - ſtoͤße, die unſer Steuerruder ausſetzten und uns Seiner verluſtig machten. Um nicht au - genblicklich auf den Strand zu gerathen, blieb nichts uͤbrig, als uns auf der Stelle vor zwei Anker zu legen. Es war zehn Uhr Vor - mittags; das Land eine kleine halbe Meile ent - fernt, und unſer Ankerplatz, auf vier Faden Tiefe, mitten in der ſchaͤumenden Brandung; waͤhrend unſre Segel, die wir nicht mehr feſt machen konnten, im Winde flatterten. Welle fuͤr Welle ſtuͤrmte uͤber das Verdeck hinweg; ſo daß wir in Einem fort unter Waſſer ſtanden, und, da wir hier keine Lei - bes-Bergung mehr fanden, uns ſaͤmmtlich oben im Maſt erhielten.

Unſre Lage ward noch unerfreulicher, da mein Oheim gegen uns bemerkte, daß wir uns hier im Angeſicht der Flandriſchen Kuͤſte befaͤnden und es kaum wuͤrden vermeiden koͤn - nen, auf den Strand zu laufen. Hier war alſo Oeſterreichiſches Gebiet; wir Preußiſche Unterthanen, und Preuſſen mit Oeſterreich ſeit kurzem im Kriege begriffen. Er ver - bot uns demnach fuͤr jenen Fall, es auf ir -44 gend eine Weiſe zu verrathen, daß wir von Ruͤgenwalde kaͤmen und ein Preuſſiſches Schiff haͤtten. Vielmehr ſollten wir in der Aus - ſage uͤbereinſtimmen: Schiff und Ladung ſey Schwediſches Eigenthum, komme von Greifs - walde und ſey nach Liſſabon beſtimmt. So - bald der Sturm es nur zulaſſe, ſetzte er hin - zu, wolle er hinabſteigen, die Preuſſiſche Flagge vernichten und eben ſowohl ſeine Schiffs - papiere uͤber Seite zu bringen, als der be - reitgehaltenen Schwediſchen Documente aus der Kajuͤte habhaft zu werden ſuchen.

Wirklich auch entſchloß er ſich zu dieſem gewagten Verſuche: aber beim Niederſteigen ſchwankte der Maſt dergeſtalt und ein un - gluͤcklicher Schlag des peitſchenden Segels traf ihn ſo gewaltſam, daß es ihm unmoͤg - lich wurde, ſich laͤnger zu halten. Er fiel; ſtuͤrzte mit dem Ruͤcken auf den Rand des, auf dem Verdecke ſtehenden Bootes, von da mit dem Kopf gegen die ſcharfe Ecke eines Poͤllers, und endlich auf das Deck, welches die Sturzwellen immerfort ſo hoch, als die Seitenborde ragten, mit Waſſer uͤberſchwem̃t hielten; und ſo ſahen wir ihn in dieſem Waſſer hin und her geſpuͤlt werden. Der Anblick war ſo graͤßlich, daß wir ihn laͤnger nicht ertragen konnten. Jch wagte mich mit noch zwei Matroſen hinab in dieſer Noth; wir zogen ihn mit Muͤhe auf das Kajuͤten -45 Deck, wo doch nicht jede Woge eine Ueber - ſchwemmung verurſachte, und waren nun in der Naͤhe Zeugen von ſeinem jammervollen Geſchick. Der Schlag des Segels hatte das linke Auge getroffen, welches weit aus dem Kopfe nur noch an einer ſchwachen Sehne hervorhieng. Das Blut drang zugleich aus Mund, Naſe und Ohren. Aus der hohlen Bruſt ſtoͤhnte ein dumpfes Roͤcheln, ohne Spur eines Bewußtſeyns. Troſt - und rath - los ſchob ich ihm das hangende Auge in den Kopf zuruͤck und band ihm mein Halstuch daruͤber. Um und neben ihm lagen nun ich, ſein Sohn und noch ein getreuer Matroſe in feſter Umklammerung, um uns gegen die Gewalt der Sturzſeen zu erhalten, und un - beweglich, bis gegen fuͤnf Uhr Abends, da endlich unſre Ankertaue brachen und wir, bei halber Fluth, unaufhaltſam gegen den Strand getrieben wurden.

Endlich ſtieß das Schiff auf den Grund und hielt mit heftigen Stoͤßen an, ſo lange das Waſſer im Wachſen blieb. Erſt als die Cbbe wieder eintrat, ſaß es voͤllig feſt: aber nun brachen ſich auch die rollenden Wellen mit ſolcher Macht dagegen, daß jede Ein - zelne daruͤber weg ſchlug und Schaum und Giſcht die volle Hoͤhe des Maſtes emporge - wirbelt wurden. Allmaͤhlig brach auch das Gebaͤude in all ſeinen Fugen; und wir ſahen46 die Stuͤcken davon, unter unſern Fuͤßen, Eins nach dem Andern davontreiben. So wie aber die Ebbe ſich immer weiter zuruͤckzog, ließ auch die zertruͤmmernde Gewalt des Wogen - drangs nach, die uns ſonſt unausbleiblich in den Abgrund mit fortgeriſſen haͤtte; das Ver - deck ward von Waſſer frei, und wir konnten wieder einen Gedanken an Rettung faſſen.

Es war Mondenſchein; und am Lande erblickten wir eine Menge von Menſchen, die uns aber, bei unſerer noch betraͤchtlichen Entfernung vom Ufer, nicht helfen konnten. Zwar banden wir ledige Waſſerfaͤſſer an Taue, und warfen ſie uͤber Bord, in der Meynung, daß ſie dorthinwaͤrts treiben ſoll - ten: allein die Stroͤmungen der Ebbe riſſen ſie vielmehr in der entgegengeſetzten Richtung mit ſich fort. Jetzt fiel uns ein, daß wir einen Pudel auf dem Schiffe hatten, der wohl an Land ſchwimmen und die erſehnte Gemeinſchaft mit jenen Helfern bewirken koͤnnte, wenn wir ihm ein Tau um den Leib baͤnden und dieſes nach und nach fahren lieſſen. Es geſchah: doch das arme Thier wollte dem Schiff nicht von der Seite; und wenn auch eine Sturzwelle es eine Strecke mit ſich fortſchleuderte, ſo kam es doch alſo - bald wieder zuruͤckgeſchwommen und winſelte, an Bord aufgenommen zu werden. Verge - bens ſchlugen wir nach ihm mit Stangen47 und Tauen, bis es uns endlich erbarmte und wir das treue Geſchoͤpf wieder an Bord nahmen.

So ſchlich die Mitternacht heran, wo uns bedaͤuchtete, daß nunmehr die Ebbezeit wohl abgelaufen ſeyn muͤßte. Jetzt alſo befanden wir uns dem Strande am naͤchſten, der, unſrer Schaͤtzung nach, zwei - oder dreihun - dert Schritte entfernt ſeyn mochte; und ſo war es denn auch an der hoͤchſten Zeit, Al - les aufzubieten, um, wo moͤglich, lebendig an Land zu kommen, bevor die Fluth wieder ſtiege, deren Gewalt ohnehin das Schiff nicht mehr ausdauern konnte, ohne gaͤnzlich in Truͤmmern zu gehen. Es mußte gewagt ſeyn! So wie demnach Eine Sturzwelle nach der Andern ſich zu uns heranwaͤlzte, ſo ſprang auch, der Reihe nach, Jemand von uns uͤber Bord und ward ſogleich mit der Brandung gegen das Ufer hin getrieben, wo die Men - ſchen, uns aufzufangen und aufs Trockne zu bringen, bereit ſtanden.

Jch, ſammt meinem Bruder und dem Sohn meines Oheims wir waren die Letzten, die, um den Roͤchelnden her, mit den Armen feſt verſchlungen, dies Alles vom Kajuͤten-Deck mit anſahen, aber uns nicht entſchlieſſen konnten, dies theure Jammerbild dahinten zu laſſen. Wir ſchrieen, wir wim -48 merten, und wußten nicht, was wir mit dem - ſelben aufangen ſollten. Vom Strande her ward uns durch ein Sprachrohr unaufhoͤrlich zugeſchrieen: Springt uͤber Bord! Springt uͤber Bord! Waͤchſt das Waſſer mit der Fluth wieder an: ſo ſeyd ihr verloren Springt! Springt!

Angefeuert und beaͤngſtigt zugleich durch dies Rufen, zogen wir endlich unſern Leiden - den, deſſen Bewußtſeyn voͤllig geſchwunden war, hart an den Bord des Schiffes und nahmen eine beſonders maͤchtige Sturzwelle in Acht, mit welcher wir ihn in Gottes Na - men dahin fahren lieſſen. Zu unſrer unaus - ſprechlichen Freude ſahen wir, wie er mit derſelben, im Fluge, dem Laude zugefuͤhrt wurde, und wie dort die guten Leute ihn auffingen, ehe er noch von der See wieder zuruͤckgeſpuͤlt werden konnte. Jetzt trieb ich meinen Bruder, den entſcheidenden Sprung zu wagen; dann den Sohn meines Oheims; und Ein Stein nach dem Andern fiel mir vom Herzen, da ich ſie alſobald gerettet und in Sicherheit erblickte. Nun warf ich mich gleichfalls, als der Letzte, wohlgemuthet in die rollenden Wogen; und in der naͤchſten Minute umfiengen mich auch bereits huͤlf - reiche Arme, die mich den Strand hinauf in’s Trockne trugen.

Es49

Es ergab ſich, daß die Mehrzahl unſrer menſchenfreundlichen Retter aus oͤſterreichi - ſchen Soldaten beſtand, welche hier, ſeitdem ihre Kaiſerinn, Maria Thereſia, ſich auch mit England im Kriege befand, zu Deckung der Kuͤſte poſtirt ſtanden und etwa alle zweitau - ſend Schritte ein Wachthaus am Strande hatten. Jn ein ſolches Gebaͤude ward nun auch unſer armer zerſchmetterter Oheim von uns, mit Huͤlfe der Soldaten, an Armen und Beinen getragen, und man deckte ihn mit Allem, was ſich an trocknen Kleidungsſtuͤcken vorfand, ſorgfaͤltig zu, um ihn wieder zu erwaͤrmen. Neben ihm, zu beiden Seiten, lagen ſein Sohn und ich, hielten ihn umfaßt und nahmen ihm von Zeit zu Zeit das ge - ronnene Blut aus dem Munde.

So mochte er etwa eine Stunde gelegen haben, als er, zum Erſtenmale wieder nach ſeinem ungluͤcklichen Fall, den Mund zu der hervorgeſtoͤhnten Frage oͤffnete: O Gott! Jſt mir noch zu helfen? Das war Muſik in meinen Ohren! Mit freudiger Haſt erwie - derte ich ihm: Ja, ja, lieber Vatersbruder! Gott kann Gott wird Euch noch wieder helfen. Wir ſind am Lande. So bringt mich denn zu einem Doctor; war ſeine kaum verſtaͤndliche Antwort; und ich konnte ihn damit troͤſten, daß bereits nach demſelben geſchickt ſey.

3. Bändchen. (4)50

Dem war wirklich alſo: denn ſofort nach unſrer Landung war auch an die naͤchſte Gar - niſon in Veurne, welches dreiviertel Meilen entfernt lag, eine Meldung geſchehen und um aͤrztliche Huͤlfe gebeten worden. Zugleich er - fuhren wir von den Soldaten, daß wir uns hier drei Meilen von Nieuport und zwei Mei - len von Duͤnkirchen befaͤnden. Der Grund und Boden unter uns war Oeſterreichiſch, aber die franzoͤſiſche Grenze, nach letzterem Orte hinwaͤrts, nur eine Viertelmeile entfernt. Als man uns (wie ſofort geſchah) uͤber un - ſer Woher und Wohin befragte, ſo erklaͤrten wir uns, der fruͤheren Abrede eingedenk, fuͤr Schwediſch-Pommern aus Greifswalde, die eine Ladung Balken nach Liſſabon haͤtten bringen wollen.

Am dritten December, mit dem fruͤhen Morgen, erſchien ein Fuhrwerk, mit Stroh gefuͤllt und einer Leinwand-Decke verſehen, welches angewieſen war, unſern armen Oheim in das Lazareth nach Nieuport zu ſchaffen. Dieſer Ort war mir, aus Furcht einer moͤg - lichen Entdeckung unſrer wahren Herkunft, nicht recht gemuͤthlich: dagegen vermeynte ich, unſerm Elende in Duͤnkirchen vielleicht beſſern Rath zu ſchaffen, wo ich vor ein paar Jahren bereits geweſen war und einigermaaſ - ſen des Orts Gelegenheit kannte. Jch lag daher unſerm Fuͤhrer an, ſeinen Kranken lie -51 ber nach der franzoͤſiſchen Grenzſtadt zu brin - gen; und hiezu ließ er ſich auch um ſo bereit - williger finden, da er eine Meile am Wege erſparte.

Mit ſchwerer Muͤhe ward der Oheim auf den Wagen gehoben. Jch und ſein Sohn legten uns zu beiden Seiten neben ihn und hielten ihn, moͤglichſt ſanft, in unſern Armen; waͤhrend mein Bruder den Wagen begleitete, welcher den ebenen Weg laͤngs dem See - ſtrande einſchlug. Gott weiß aber, daß ich wohl nie mehr geweint und gejammert habe, als auf dieſer Fahrt. Der geringſte Anſtoß des Wagens verurſachte dem Kranken die peinlichſten Schmerzen, daß er klaͤglich win - ſelte und zugleich an den Stuͤcken geronne - nen Blutes im Munde und Halſe zu erſticken drohte, wie ſehr ich auch, durch Herausnahme derſelben, bemuͤht war, ihm Luft zu ver - ſchaffen.

So kamen wir endlich Nachmittags (Es war an einem Sonntage) in Duͤnkirchen an. Jch ließ den Fuhrmann vor einem Wirths - hauſe halten, welches das Schild zum rothen Loͤwen fuͤhrte: denn hier hatt ich bei meiner fruͤheren Anweſenheit jezuweilen ein Glas Bier getrunken und rechnete mich alſo, in meinem Sinn, zu den Bekannten des Hauſes. Das hinderte jedoch nicht, daß ich hier mit52 meiner unerwuͤnſchten Begleitung geradezu ab - und nach dem Kloſter-Hoſpital hingewie - ſen wurde, wo der rechte Ort fuͤr fremde Kranke und Gebrechliche ſey. Wirklich auch waren wir dort kaum angelangt und mein Oheim vom Wagen gehoben, ſo ſahen wir ihn auch von einem Schwarm katholiſcher Ordensgeiſtlicher umzingelt, die ihn in Em - pfang nahmen und zufoͤrderſt auf einen lan - gen und breiten Tiſch ausſtreckten, wo er bis auf die nackte Haut enkleidet wurde.

Hiernaͤchſt fand ſich eine Anzahl von Doc - toren und Chirurgen ein, welche nun zu ei - ner genaueren Unterſuchung ſeiner Verletzun - gen ſchritten. Die erſte Operation geſchah durch Loͤſung des Tuches, welches ich dem Armen, gleich nach ſeinem ungluͤcklichen Falle, um das Auge gebunden. Jetzt war dieſes mit dem geronnenen Blute an dem Verbande feſt getrocknet und zog ſich mit demſelben weit aus dem Kopfe hervor. Da es nur noch durch einen duͤnnen Nervenſtrang in der Augenhoͤhle befeſtigt hieng, ſo war es freilich rettungslos verloren; ward kurzweg abge - ſchnitten und auf eine Theetaſſe hingelegt.

Bei weiterer Unterſuchung ergab ſich’s, daß das linke Bein, oberhalb dem Knie, im dicken Fleiſche gebrochen war: doch am be - denklichſten blieb die Zerſchmetterung eines53 Ruͤckenwirbels, dicht unterm Kreuz, und die dem armen Manne auch wohl die empfind - lichſten Schmerzen verurſachen mochte: denn waͤhrend man ihn nach der Kunſt behandelte und die Gliedmaaſſen bald ſo, bald anders, reckte und dehnte, hoͤrte er nicht auf, zu win - ſeln und zu aͤchzen. Uns drei Jungen, die wir Zeugen von dem Allen waren, ſchnitt jeder Klageton tief durch’s Herz; und wir heulten und lamentirten mit ihm in die Wette; ſo daß man ſich genoͤthigt ſah, uns aus dem Gemache fortzuweiſen.

Nachdem der Kranke endlich geſchient und verbunden worden, legte man ihn auf ein Feldbette, welches man in die Mitte des Zim - mers hingeſtellt hatte. Eine Kloſter-Nonne (Beguine) ſaß neben ihm und floͤßte ihm von Zeit zu Zeit einen Loͤffel rothen Weines ein, den ſie auf einem Kohlenbecken zu ihrer Seite erwaͤrmte. Am Kopfende des Bettes aber ſtanden wir arme Verlaſſene und weinten unſre bitterlichen Thraͤnen; und ſo waͤhrte das bis Abends, wo ein Pater uns andeu - tete, daß wir die Nacht uͤber im Kloſter nicht bleiben koͤnnten, ſondern uns nach einer an - dern Herberge umſehen muͤßten. Dieſe fan - den wir denn auch, zu unſrer nothduͤrftigen Erquickung, in dem vorgedachten Wirths - hauſe: doch brachten wir eine ſchlafloſe truͤb -54 ſelige Nacht zu, und wußten nicht, wo Troſt und Huͤlfe zu finden.

Kaum graute auch nur der Morgen, ſo machten wir uns wieder nach dem Kloſter auf den Weg, wo wir unſern armen Leiden - den, unter fortwaͤhrendem Geſtoͤhn und Seuf - zen, noch in dem nemlichen Zuſtande, wie geſtern, fanden. Was konnten wir abermals thun, als um ihn her ſtehen und die Luft mit unſern Klagen erfuͤllen? Jndeß hatte man uns, auf unſre Nachfrage, verſtaͤndigt, daß heute Poſttag ſey; und ſo ließ ich mir im Gaſthofe Papier und uͤbrige Zubehoͤr reichen und brachte den Reſt des Tages damit zu, ſowohl an unſern Schiffs-Rheeder, Herrn Becker, als an meine Eltern nach Colberg, zu ſchreiben und ihnen Meldung von unſerm erlittenen Ungluͤck zu thun. Die Briefe wur - den verſiegelt; und am naͤchſten Morgen ſtan - den wir wiederum, von Herzen betruͤbt, am Bette unſers Kranken, ohne daß wir eine merkliche Veraͤnderung an ihm ſpuͤrten. Jch beugte mich indeß dicht zu ſeinem Ohre und verſuchte die Frage: Lieber Vatersbruder, ſollen wir auch nach Colberg ſchreiben? Er hatte mich verſtanden: denn er ſchuͤttelte mit dem Kopfe, als ob er Nein! ſagen wollte. So ſchwach auch dieſer Hoffnungsſtrahl ſeiner wiederkehrenden Beſinnung war, ſo erfuͤllte er mich doch mit Muth, daß wohl noch Al -55 les wieder gut werden koͤnnte. Jch glaubte darum auch, daß ich die Briefe unbedenklich abgehen laſſen duͤrfte; gab den andern Bei - den einen verſtohlenen Wink, und eilte mit ihnen nach dem Poſt-Comptoir.

Unſre Abweſenheit mochte etwa dreivier - tel Stunden gedauert haben. Doch als wir wieder in das Kloſter und das Krankenzim - mer eintraten, fanden wir, zu unſrer hoͤchſten Beſtuͤrzung und mit einem Schmerz, der ſich mit nichts vergleichen laͤßt, nur unſers guten Oheims Leiche vor. Sie ward auch alsbald aus dem Bette genommen, auf den nemlichen Tiſch, wie vorhin, ausgeſtreckt, abermals voͤllig entkleidet, und der wieder - holten genauen Beſichtigung der Aerzte unter - worfen; wo ſich denn die zuvor bemerkten Verletzungen noch deutlicher beſtaͤtigten. So - bald uns aber die Doctoren verlaſſen hatten, traten einige Pfaffen herzu, und fragten mich: Zu welchem Glauben dieſer unſer Schiffs - Capitain ſich bekannt habe? Jch armer religioͤſer Narr*)Dieſe Wendung war zu charakteriſtiſch, als daß der Her. etwas an derſelben haͤtte aͤndern moͤgen. Wer moͤchte auch Anſtoß daran nehmen, da ſie unſtreitig unendlich beſſer gemeynt, als ausge - druͤckt iſt, und auch ſchwerlich mißverſtanden wer - den wird. antwortete unbedenklich: Ei, zum Lutherſchen!

56

So wie dies ungluͤckliche Geſtaͤndniß uͤber meine Lippen floh, war es gleich, als ob das Gewitter in’s Kloſter geſchlagen haͤtte. Alles gerieth in Bewegung; der Eine ſprach hitzig mit dem Andern; Niemand wollte den Seli - gen anfaſſen, und doch mußten die Ketzerge - beine, ehe die Sonne untergieng, aus dem geweiheten Bezirk fortgeſchafft werden. Man ſteckte uns endlich eine beſchriebene Karte in die Hand, die an einen Tiſchler lautete, welcher wohl die Lieferung der Saͤrge fuͤr das Hoſpital auf ſich haben mochte. Denn als wir ihn uns endlich ausgefragt hatten, fanden wir deren bei ihm einen reichlichen Vorrath vor und wurden bedeutet, unter denſelben Einen nach der Groͤße unſrer Leiche auszuſuchen. Unſre Wahl fiel auf den laͤng - ſten, weil unſer Oheim von einer anſehnlichen Statur geweſen war; und mit dieſem Sarge wanderten wir nun nach dem Kloſter zuruͤck.

Hier trieb man uns, ohne ſich zu irgend einiger Handreichung zu verſtehen, mit bar - ſchem Ernſt, den Leichnam unverzuͤglich ein - zuſargen und ihn, aus dem Gemache hinweg, auf die Straße unter einen, uns dazu ange - wieſenen Schoppen zu bringen. Unſre Weh - muth kannte keine Grenzen. Jndeß thaten wir, wie uns geboten worden; man reichte uns Hammer und Naͤgel, um den Deckel zuzuſchlagen, und nun hoben wir an, den57 Sarg mit den uns ſo theuren Ueberreſten eine kurze Strecke auf den Flur fortzuziehen und zu ſchieben. Hier aber uͤbermannte und laͤhmte der ungeheure Schmerz ploͤtzlich all unſre Kraͤfte, und wir fuͤhlten uns, in ein lautes und vereintes Jammergeſchrei aus - brechend, ohne Vermoͤgen, die geliebte Laͤſt auch nur Einen Schritt weiter zu bringen. Jch fiel vor dem einen Pater auf die Kniee, und bat um Gottes willen, man moͤchte ſich Unſer erbarmen: denn wir koͤnnten hier nichts mehr thun.

Jetzt gab es ein kurzes Geſpraͤch unter den Anweſenden; ein Aufwaͤrter ward fort - geſchickt, und binnen einer Viertelſtunde er - ſchienen vier Kerle mit einer Trage, und Je - der mit einem Spaten verſehen. Sie pack - ten die Leiche an; und ſo gieng der Zug zum Thore hinaus, etwa zweitauſend Schritte weit und gerade auf eine Kirche zu. Wir, die wir den Traͤgern gefolgt waren, meyn - ten, der Leichenzug eile dem Kirchhofe zu. Das war aber weit gefehlt: denn es gieng, neben dem Gotteshauſe voruͤber, wohl noch tauſend Schritte weiter auf ein freies Feld; und da die Traͤger ihre Laſt wohl zwanzig Mal niedergeſetzt hatten, um friſchen Athem zu ſchoͤpfen, ſo begann es bereits dunkel zu werden, bevor wir die Grabſtaͤtte erreichten.

58

Es war ein Fleck am Wege, der nichts hatte, was einem Todtenacker aͤhnlich ſah. Hier ſollten wir nun ein Grab graben; da es aber den Kerlen damit zulange waͤhrte, nahmen ſie uns verdrießlich die Spaten aus den Haͤnden, ſchaufelten und ſchalten uns Ketzer. Wir hingegen gaben alle moͤgliche gute Worte; und ſobald auch nur das Grab ſo tief geoͤffnet war, daß der obere Sarg - deckel unter Erde kommen konnte, ſenkten wir die Leiche mit Weinen und Wehklagen hinein, fuͤllten die Erde druͤber her, nahmen unter tauſend heiſſen Thraͤnen Abſchied, und wan - derten bekuͤmmert wieder auf unſern rothen Loͤwen zu; doch nur, um, nach einer aͤngſtlich durchſeufzten Nacht, gleich am naͤch - ſten Morgen wieder das Grab des lieben Oheims aufzuſuchen und auf demſelben zu jammern.

Fuͤrwahr, wer eine menſchliche Seele hat, wird unſer Elend mit uns fuͤhlen! Da ſaßen wir drei Jungen, von Achtzehn bis zu vierzehn Jahren herab, in der groͤßten Lei - bes - und Seelen-Noth in einem ganz fremden Lande, auf dem freien Felde und uͤber dem friſchen Grabhuͤgel unſers geliebten Vaters und Fuͤhrers! ſaßen, als eine arge Ketzerbrut von Jedermann gemieden und ausgeſtoßen, ohne einen Pfennig im Vermoͤ -59 gen, nichts in und wenig auf dem Leibe, in dieſer rauhen Jahreszeit, ohne Troſt oder Huͤlfe von Menſchen! Betteln konnten und wollten wir nicht: lieber haͤtten wir hier auf dieſer Grabes-Erde des geliebten Hin - geſchiedenen gleichfalls verſcheiden und ver - ſchmachten moͤgen! Er allein war in dieſen troſtloſen Augenblicken unſer Gedanke und unſre Zuflucht. O Vatersbruder, erbarmt Euch! riefen wir unaufhoͤrlich, bis wir uns muͤde geſchrieen hatten und das Thoͤ - richte unſers Beginnens einſahen.

Jetzt erſt konnten wir uns unter einan - der berathen, was wir in dieſer unſrer gaͤnz - lichen Verlaſſenheit anzufangen haͤtten? Der Schluß fiel dahinaus, daß wir des naͤchſten Morgens zu unſerm Schiff und unſern an - dern Kameraden zuruͤckkehren wollten. Wo dieſe blieben, wollten auch wir bleiben und ihr Schickſal mit ihnen theilen. Unſer ein - ziger und letzter Nothanker aber war des verſtorbenen Oheims Taſchenuhr, die wir an uns genommen hatten und, wenn uns zuletzt das Waſſer an die Seele gienge, loszuſchla - gen gedachten. Ob dies ſchon im rothen Loͤwen wuͤrde geſchehen muͤſſen, wohin wir nun zunaͤchſt zuruͤckkehrten, ſollten wir als - bald erfahren. Geſaͤttigt und durch einigen Schlaf erquickt, kam denn auch am Morgen60 darauf unſre bisherige Zeche zur Sprache. Doch der gute Wirth, den unſer trauriges Schickſal erbarmt hatte, war mit unſerm Dank und einem herzlichen Gott lohn’s! zu - frieden; wir aber wanderten ebenfalls in Gottes Namen wieder den Strand entlang, um unſre zuruͤckgelaſſenen Ungluͤcksgefaͤhrten aufzuſuchen.

Noch waren wir indeß keine Meile ge - gangen, als unſer Schiffskoch, Namens Ro - loff, uns aufſtieß und uns berichtete: Die Oeſterreichiſchen Strandwaͤchter haͤtten unſre Preuſſiſche Flagge von dem zertruͤmmerten Schiffe am Ufer aufgefiſcht; die Mannſchaft ſey hierauf nochmals in ein ſcharfes Verhoͤr genommen worden und habe ſich endlich zu ihrer wahren Landsmannſchaft bekennen muͤſ - ſen. Von Stund an habe man ſie als Kriegsgefangene und mit Haͤrte behandelt; habe ſie genoͤthigt, die Truͤmmer des Schiffs und der Ladung mit angeſtrengter Arbeit an’s Land bergen zu helfen, zugleich aber auch ſie in ſo genauer Obacht gehalten, daß nicht Einer, ohne militairiſche Begleitung, ſich nur bis zwiſchen die naͤchſten Sand-Duͤnen habe entfernen duͤrfen. Dennoch ſey es ihm ſelbſt in dieſer letzten Nacht gegluͤckt, ſeinen Auf - ſehern zu entwiſchen; und er gedenke nun - mehr nach Duͤnkirchen zu gehen, wo er in61 Sicherheit zu ſeyn hoffe; uns aber rathe er wohlmeynend, auf der Stelle wieder mit ihm umzukehren.

Jn der That war auch dieſer Vorſchlag der beſte, und ward unbedenklich von uns angenommen. Jndem ich aber in unſrer neuen Noth Alles reiflich bei mir uͤberdachte, kam mir wieder der Kaufmann in Duͤnkirchen zu Sinn, an welchen Schiffer Damitz vor vier Jahren, als er mit mir von Liverpool kam, ſeine Ladung Taback abgeliefert hatte. Sein Haus war mir noch erinnerlich: doch ſein Name nicht. Jndeß beſchloß ich, gera - desweges zu ihm zu gehen, ihm unſre Noth zu klagen und ihn um Rath und Beiſtand zu bitten. Daneben fiel mir bei, daß unſer Schiff in Amſterdam fuͤr Seeſchaden und Tuͤrken-Gefahr verſichert geweſen und daß der Commiſſionair, der dies Aſſecuranz-Ge - ſchaͤft beſorgt hatte, den Namen Emanuel de Kinder fuͤhrte. Jch konnte demnach den Duͤnkircher Kaufmann bitten, daß er an die - ſen Agenten unſers Rheeders nach Amſterdam ſchriebe und in unſerm Namen um einen Vorſchuß von einhundert Gulden fuͤr Rech - nung Hrn. Beckers oder meines Vaters in Colberg baͤte. Damit ließ ſich dann ſchon hoffen, unſre Heimath wieder zu erreichen.

62

Alles dieſes gieng auch nach Wunſch in Erfuͤllung. Der Kaufmann war willig und bereit, uns in der vorgeſchlagenen Weiſe zu dienen. Binnen acht Tagen gieng auch eine Antwort von Emanuel de Kinder an ihn ein, mit der Anweiſung: daß, wenn wir des Net - telbeck’s Kinder waͤren, er uns die hundert Gulden, oder falls wir es verlangten, auch das Zwiefache auf ſein Conto vorſchieſſen moͤge. Allerdings war das brav von dem Amſterdammer: aber noch heute dieſen Tag freut es mich, daß ich dieſe Wohlthat im Jahre 1783 alſo 27 Jahre nachher an ſeinem Sohne, Florens de Kinder, habe vergelten koͤnnen, indem ich mich, mit einer reichen Ladung von Liſſabon kommend, an dieſen adreſſiren ließ; und gewiß hat er hier - bei, als Correſpondent, uͤber 2000 Gulden gewonnen.

Jch war ein ſo guter Wirth, daß ich mich mit der Haͤlfte des angebotenen Dar - lehns begnuͤgte; und das um ſo lieber, da uns der Duͤnkircher belehrte: Es ſey auf die - ſem Platze der Brauch, daß Seefahrer, die an der dortigen Kuͤſte ihr Schiff verloͤren, einen Sou (etwa vier Pfennige unſers Gel - des) fuͤr eine jede Meile bis nach ihrer Hei - math, als Reiſegeld, empfiengen. Zugleich erbot er ſich, Jemand von ſeinen Leuten mit63 uns nach dem Stadthauſe zu ſchicken, um uns dieſen Zehrpfennig auswirken zu helfen. Dort war jedoch den Herren, denen wir Col - berg als unſre Vaterſtadt nannten, dieſer Ort ein ganz unbekanntes Ding: denn da - mals hatten ihm die wiederholten Belagerun - gen noch keinen Ruf in der politiſchen Welt gegeben. Jch bat mir demnach eine See - karte aus und wies in derſelben die Lage dieſes Handelshafens nach; ward aber zu - gleich auch aufgefordert, deſſen Entfernung von Duͤnkirchen abzumeſſen. Dies trug uͤber See gegen 190 Meilen aus; und eben ſoviel Sous wurden auch Jedem von uns Dreien auf der Stelle ausgezahlt.

So waren wir denn mit unſerm Reiſebe - duͤrfniß nothduͤrftig ausgeruͤſtet: doch nun galt es die Frage, welchen Weg wir ein - ſchlagen ſollten, um wieder zu den Unſrigen zu gelangen? Es war Winter, und die See ſo gut, als geſperrt. Zu Lande aber haͤtten wir uns durch die Oeſterreichiſchen Nieder - lande wagen muͤſſen, wo wir, als Preuſſen, Gefahr liefen, gleich an der Grenze in Nieu - port, Oſtende, oder wo es ſonſt ſey, ange - halten zu werden. Jndeß ereignete ſich, uͤber unſer Erwarten, bald genug eine Gelegenheit, die wir zu unſerm Weiterkommen nicht glaub - ten verſaͤumen zu duͤrfen. Die Duͤnkircher64 Kaper hatten nemlich einen Engliſchen Kutter als Priſe aufgebracht und denſelben an einen Schiffer von Bremen, Namens Heindrick Harmanns verkauft. Dieſer belud denſelben ſofort mit loſen Tabacksſtengeln und war wil - lens, damit nach Hamburg zu gehen. Die geſammte Schiffs-Mannſchaft beſtand, auſſer ihm ſelbſt, nur aus zwei Matroſen; und wir drei waren ihm, als Paſſagiere, um ſo lie - ber, da wir uns erboten, gegen die Koſt, die er uns reichen ſollte, die Wache mit zu halten.

Vier Tage vor Weihnachten giengen wir in See. Es begann hart zu frieren, und das ganze Fahrzeug nahm zuletzt Geſtalt eines großen Eisklumpens an. Da wir ſo wenig auf dem Leibe hatten, wurden uns unſre Wachen herzlich ſauer. Uns fror jaͤmmerlich; daher begruben wir uns, ſo oft die Wachzeit zu Ende lief, im Raume tief in die Tabacks - ſtengel; kamen aber gewoͤhnlich eben ſo er - froren wieder heraus, als wir hineingekrochen waren. Unſre Schiffsleute verfuhren auch ſo unbarmherzig mit uns, daß ſie uns nicht in ihre Schlafkojen aufnehmen wollten, wie - wohl dies, waͤhrend ſie ſelbſt ſich auf der Wache befanden, fuͤglich haͤtte geſchehen koͤn - nen. Eben ſo wenig lieſſen ſie uns, zu unſrer Erwaͤrmung, das geringſte von ihrenKlei -65Kleidungsſtuͤcken zukommen; und ſelbſt die kaͤrglichen Mundbiſſen, die wir erhielten, wurden uns nur mit Widerwillen und Brum - men hingeſtoßen.

So kamen wir vor die Muͤndung der Elbe. Da wir hier aber Alles mit Eis be - ſetzt fanden und uͤberdem auch ſich ein Oſt - wind erhob, wurde der Beſchluß gefaßt, wieder umzukehren und an der Hollaͤndiſchen Kuͤſte einen Nothhafen zu ſuchen. Vor der Jnſel Schelling fand ſich auch ein Lootſe zu uns an Bord, der uns, ſchon bei ſpaͤter Abendzeit, zwiſchen die Baͤnke im Vorwaſſer brachte. Weil uns indeß der Wind entge - genſtand und wir nicht weiter hineinkom - men konnten, warfen wir Anker, und der Lootſe gieng wieder an Land, mit dem Ver - ſprechen, ſobald der Wind ſich umſetzte, zu uns zuruͤckzukehren. Aus den Aeuſſerungen unſers Schiffers gieng hervor, wie erwuͤnſcht es ihm ſey, gerade an dieſem Punkte an Land gekommen zu ſeyn: denn ſein Vater fahre als Beurtſchiffer von Bremen nach Haarlingen, und eben jetzt muͤſſe die Reihe an ihm ſeyn; ſo daß er hoffen duͤrfe, den - ſelben an letzterm Orte vorzufinden, von wo wir hier nur zwei oder drei Meilen entfernt ſeyen.

Es war gerade der erſte Januar des Jahrs 1757. Abends um zehn Uhr ſetzte1. Bändchen. (5)66ſich der Wind in Nordweſten; und indem er zu einem fliegenden Sturm anwuchs, wurde das Schiff vom Anker getrieben; ſaß auch, ehe wir uns deſſen verſahen, auf einer Bank feſt, wo die Sturzwogen un - aufhoͤrlich uͤber das Fahrzeug hinwegrollten und bis hoch an die Maſten emporſchaͤum - ten. Das Schiff war ſcharf im Kiel ge - baut; ſo oft daher eine Welle ſich verlief, fiel es ſo tief auf die Seite, daß die Ma - ſten beinahe das Waſſer beruͤhrten. Gleich - wohl erhielt uns Gottes Barmherzigkeit, daß wir nicht vom Borde hinweggeſpuͤlt wurden. Dieſe aͤngſtliche Lage dauerte wohl vier bis fuͤnf Minuten, wo endlich eine beſonders hohe und maͤchtige Welle uns hob und mit ſich uͤber die Bank hinuͤber ſchleuderte.

So gelangten wir zwar fuͤr den Augen - blick wieder in fahrbares Waſſer: doch ehe wir noch Zeit hatten, uns unſrer Rettung zu freuen, jagte der Sturm unſer Fahrzeug vollends auf den Strand, und die branden - den Wellen zogen auf’s neue im ſchaͤumen - den Gebrauſe uͤber das Verdeck und unſre Koͤpfe hinweg. Der Schiffer mit ſeinen beiden Leuten befand ſich zufaͤllig auf dem niedriger liegenden Hintertheile des Schiffs; waͤhrend wir drei Paſſagiere uns vorne in der Hoͤhe befanden und den Fockmaſt um -67 klammert hielten, um nicht von den ſpuͤlenden Wogen mit fortgeriſſen zu werden. Die Angſt, mit etwas Hoffnung vermiſcht, machte uns maͤuschen ſtille: Jene aber ſchrieen und wimmerten, daß die Luft davon erklang, ohne daß wir ihnen helfen, oder ſie zu uns em - porklimmen konnten.

Die Nacht war ziemlich dunkel; auf dem Lande lag Schnee, und rings um uns her ſchaͤumte die Brandung; folglich war Alles weiß, und es ließ ſich nicht unterſcheiden, wie nahe oder wie fern wir dem trocknen Ufer ſeyn moͤchten. Je laͤnger ich indeß meine Aufmerkſamkeit hierauf ſpannte, deſto gewiſſer auch daͤuchtete mir’s, daß beim Ruͤcklauf der Wellen nur ein kleiner Zwi - ſchenraum bis zum Lande ſtatt finden koͤnne. Jch nahm einen Zeitpunkt wahr, wo das Verdeck nach vorne frei vom Waſſer war, und kroch an dem langen Bugſpriet hinan, das nach dem Strande hin gerichtet ſtand; da ſah ich nun deutlich, daß jedesmal, wenn die See zuruͤcktrat, das Ufer kaum eine Schiffslaͤnge von uns entfernt blieb.

Jetzt ſchien mir unſre Rettung laͤnger nicht unmoͤglich. Jch nahm behutſam den Ruͤckweg zu meinen Gefaͤhrten; theilte ihnen meine gluͤckliche Entdeckung mit und ſprach ihnen Muth ein, mir nach auf das Bug -68 ſpriet zu klettern. Sobald die naͤchſte Welle ſich weit genug zuruͤckzoͤge, wollte ich’s zu - erſt verſuchen, mich ſchnell an einem Tau (deren dort uͤberall eine Menge zerriſſen hieng) hinabzulaſſen; und wenn ich feſten Boden unter mir fuͤhlte, ſollten ſie, auf mein gegebenes Zeichen, beim naͤchſten Ab - lauf einer Woge, meinem Beiſpiele getroſt nachfolgen. Auch den Uebrigen ſchrie ich zu, ſich auf dieſem Wege zu retten: allein das Sturm - und Wellengebrauſe war zu maͤchtig, als daß ich haͤtte koͤnnen verſtanden werden.

Unſer Wagſtuͤck gelang nach Wunſch; wir kamen gluͤcklich an Land und fielen alle Drei voll Entzuͤcken auf unſre Kniee, um dem goͤttlichen Erretter unſern Dank darzu - bringen. Durchnaͤßt bis auf die Haut und erſtarrt vor Froſt, war indeß hier nicht der Ort und die Zeit, lange hinter uns zu ſehen. Vielmehr wanderten wir unverzuͤglich auf eine Feuerbaake zu, die hier auf dem Schel - ling zum Beſten der Seefahrenden unterhal - ten wird, und deren Licht wir etwa 2000 Schritte von uns flimmern ſahen. Wohl hundert Mal fielen wir in der dicken Fin - ſterniß und auf den unebenen Sandduͤnen uͤber unſere eigenen Fuͤße: aber innig froh, dem toſenden Meere entronnen zu ſeyn, haͤt -69 ten wir auch wohl groͤßeres Leid nicht ge - achtet, und gelangten endlich auch wohlbe - halten zu dem Feuerthurme. Die Thuͤre deſſelben ward im Dunkeln ausgetaſtet; vor uns oͤffnete ſich eine Windeltreppe, die wir hinanſtiegen; und droben im Wachſtuͤbchen fanden wir einen Mann auf der Pritſche ausgeſtreckt, dem, bei unſerm unerwarteten Eintritt, im Todesſchrecken das Pfeifchen aus dem Munde entſank; bis wir uns Bei - derſeits beſannen und naͤher mit einander verſtaͤndigten.

Auf den Bericht von unſrer ungluͤckli - chen Strandung erklaͤrte er uns, daß er verpflichtet ſey, dies Ereigniß ſofort im naͤchſten Dorfe, welches kaum einige tauſend Schritte entfernt liege, anzuzeigen. Er lud uns ein, ihn dorthin zu begleiten; kam uns erſtarrten armen Burſchen aber gar bald aus dem Geſicht und uͤberließ es uns, ihm, ſo gut wir konnten, nachzuhumpeln. Un - zaͤhlige Male purzelten wir auf dieſem kur - zen Wege; kamen ſelbſt in Gefahr uns zu verirren, und fanden uns nur dann erſt zu dem Dorfe hin, als wir eine Glocke gezo - gen hoͤrten, welche das Zeichen gab, daß alles Mannsvolk auf und empor ſollte, um unſer geſtrandetes Schiff aufzuſuchen und zu bergen.

70

Wir wurden indeß in ein Haus gefuͤhrt, wo des Fragens nach unſerm erlittenen Un - gluͤck kein Ende war; wo aber die guten Leute zugleich auch trockne Kleider, Speiſen, Warmbier und ſogar Gluͤhwein, und was ſie ſonſt irgend im Vermoͤgen hatten, herbei brachten, um uns zu erquicken. Sie wein - ten in die Wette mit uns wir vor Freude, ſie vor Mitleid; und nicht eher verlieſſen ſie uns, als bis ſie uns in einem warmen Bette zur Ruhe gebracht hatten.

Am Morgen, da wir uns wieder ermun - tert hatten, erfuhren wir, daß die Dorfs - mannſchaft von ihrem naͤchtlichen Zuge wie - der heimgekehrt ſey. Sie hatte das ge - ſtrandete Schiff in der Dunkelheit nicht fin - den koͤnnen, war aber, bei anbrechendem Tage, auf die einzelnen, laͤngs dem Ufer umhertreibenden Truͤmmer geſtoßen, ohne jedoch weder einen lebendigen Menſchen, noch eine ausgeworfene Leiche anzutreffen. Wir blieben alſo leider! die einzigen Gebor - genen! Es ward uns indeß angerathen, uns zu Mynheer de Droſt, der die polizeiliche Aufſicht auf der Jnſel fuͤhrte, zu begeben und demſelben unſer Ungluͤck vorſtellig zu machen, da zudem eine Caſſe vorhanden ſey, woraus armen ſchiffbruͤchigen Leuten, wie wir, eine Unterſtuͤtzung gereicht zu werden71 pflege. Auch moͤchten wir deren wohl um ſo mehr beduͤrftig ſeyn, da jetzt zwiſchen dem Schelling und dem feſten Lande Alles mit Eis geſtopft und ſo bald an kein Hinuͤber - kommen zu denken ſey.

Dieſer Vorſchlag kam uns gar gelegen. Ohne uns alſo zu aͤuſſern, daß wir noch mit Geld und mit einer Taſchenuhr (Beides hatt ich ſorgfaͤltig in meinen Beinkleidern verwahrt) verſehen waͤren, machten wir uns zu dem Landdroſten auf den Weg, ihm un - ſre Lage zu ſchildern. Der brave Mann hoͤrte uns mit dem aͤuſſerſten Mitleid an; ließ auch ſofort einen Schneider kommen, der uns eine tuͤchtige Jacke und Hoſen an - meſſen mußte, und verſah uns mit doppel - ten Hemden, Halstuͤchern, Struͤmpfen, einer Filzmuͤtze und andern Nothwendigkeiten mehr. Hiermit auch nicht zufrieden, ließ er einen Mann kommen, dem er uns in die Koſt befahl; und ſo blieben wir in dieſer men - ſchenfreundlichen Pflege bis in die Mitte des Januars, wo endlich das Eis zwiſchen dem Schelling und Haarlingen aufgieng und wir ein Schiff von dorther nach dem Schel - ling durchbrechen ſahen.

Sobald dies Fahrzeug an Land gekom - men war, beeilten wir uns, den Schiffer, welcher ſchnell loͤſchen und dann den Ruͤck -72 weg antreten wollte, dahin zu vermoͤgen, daß er uns einen Platz an ſeinem Borde ge - ſtattete. Auf ſeine ausweichende Antwort, die uns wenig Hoffnung uͤbrig ließ, hielten wir’s fuͤr das Gerathenſte, auf der Stelle unſern großmuͤthigen Goͤnner, den Droſten, anzutreten und ihm unſer neues Anliegen vorzutragen. Sogleich auch war er zur Vermittelung bereit; ließ den Schiffer ru - fen; verdung uns ihm als Paſſagiere bis Haarlingen und an ſeinen eignen Tiſch, wie lang oder kurz die Ueberfahrt auch waͤhren moͤchte, und berichtigte die Koſten mit funf - zehn Gulden vor unſern Augen. Es ver - ſteht ſich, daß wir ihm aus Herzensgrunde und mit weinenden Augen dankten, indem wir zugleich Abſchied von ihm nahmen, um mit unſerm Schiffer zu gehen. Dieſem hal - fen wir vergnuͤgt loͤſchen und eine neue La - dung einnehmen; und ſo konnten wir ſchon nach 48 Stunden mit ihm vom Schelling abſegeln.

Wir brauchten einen Tag und beinahe die ganze folgende Nacht, um uns durch das Eis zu arbeiten, bis wir mit dem Morgen vor Haarlingen anlegten. Hier nahmen wir ſofort unſer kleines Buͤndel auf den Arm, und waren im Begriff, laͤngs dem Kai zum naͤchſten Thore hinauszuziehen, als wir zu -73 faͤllig an einem Fahrzeuge voruͤber ſchlender - ten, welches, wie mehrere andre, im Eiſe eingefroren war. Auf demſelben ſtand ein kleiner alter Mann, der uns anrief und deſ - ſen Neugier wir uͤber unſre Umſtaͤnde, erſt im Allgemeinen und dann im Beſondern, be - friedigen mußten. Wir thaten es, als ehr - liche Pommern, in aller Unbefangenheit, und nannten letzlich auch den Namen Heindrick Harmanns , als des Schiffers, mit dem wir unſern neuerlichen Unfall erlitten und der dabei ein Raub der empoͤrten Wogen geworden.

Kaum gieng der ungluͤckliche Name uͤber meine Lippen, ſo ſchlug der alte Mann die Haͤnde uͤber dem Kopf zuſammen, und ſchrie, daß es in die Luͤfte klang: Barmherziger Gott! Mein Sohn! mein Sohn! Zugleich ſank er auf ſeine Kniee nieder und mit dem Angeſicht auf das Verdeck, und jammerte unablaͤſſig: Mein Sohn! o, mein Sohn! Uns ſchnitt der klaͤgliche Anblick durch’s Herz; wir weinten mit ihm und konnten nicht von der Stelle. Als wir uns Beider - ſeits ein wenig erholt hatten, drang er in uns, ihm in ſeine Kajuͤte zu folgen. Hier mußten wir ihm den ganzen Verlauf um - ſtaͤndlich erzaͤhlen; auch wollt er uns (als ob ihm dies einigen Troſt gaͤbe) den ganzen74 Tag nicht von ſeiner Seite laſſen: aber waͤhrend er uns Kaffee, Wein und Alles, was er nur bei der Seele hatte, vorſetzte, uͤberwaͤltigte ihn immer von neuem der Gram um ſein verlornes Kind, und preßte auch uns Thraͤnen der Ruͤhrung und des Mitleids aus.

Gegen den Abend, wo es uns endlich die hoͤchſte Zeit daͤuchtete, unſern Stab wei - ter zu ſetzen, hub er an: Liebe Jungen, heute koͤnnt und ſollt ihr nicht mehr von dannen. Jch will euch in ein gutes Haus bringen, wo ihr euch die Nacht uͤber erho - len koͤnnt. Aber morgen fruͤh hol ich euch ab und gehe eine Strecke Weges mit euch. Jhr ſeyd jung und unerfahren, und braucht Anweiſung und guten Rath, wie ihr eure Reiſe weiter anzuſtellen habt. Kommt denn, in Gottes Namen!

Unſer Fuͤhrer ſchien in der Herberge, zu welcher er uns geleitete, und wo es von Biergaͤſten wimmelte, gar wohl bekannt. Er erzaͤhlte ſeines Sohnes und unſer Un - gluͤck; auch wir mußten erzaͤhlen, und ſo verſtrich der Abend, bis der Wirth, in Er - mangelung ſeiner abweſenden Ehegenoſſinn, uns in ein recht artiges Zimmer hinauf - leuchtete, uns Dreien ein großes, mit Bet - ten hoch ausgeſtopftes Nachtlager anwies75 und uns ſodann eine freundliche Ruhe wuͤnſchte. Wirklich that ſie uns Noth, und wir krochen wohlgemuthet und behaͤglich un - ter die Decke zuſammen.

Leider aber hatten wir diesmal unſre Rechnung zwar nicht ohne den Wirth, aber doch ohne die Wirthinn gemacht! Denn kaum war uns ſo ein ſuͤßes halbes Stuͤnd - chen zwiſchen Schlaf und Wachen verlaufen, ſo kam es unter Zank und Gepolter die Treppe hinauf geſtuͤrmt; unſre Zimmerthuͤre ward ungeſtuͤm aufgeriſſen, und eine gellende Stimme gebot uns, ſofort das warme Neſt zu raͤumen und ihr ſauberes Bettzeug nicht zu verfumfeien. Da half kein Widerreden; wir ſprangen auf, lieſſen die Ohren haͤngen und duckten uns in einen Winkel zuſammen, bis die Betten, die der Dame ſo feſt an’s Herz gewachſen waren, mit einem Strohſack, einer Matratze und einer Art von Pferde - decke vertauſcht worden. Das war ein boͤ - ſer Wechſel! und der unfreundlich genug ausgeſtoßene Wunſch einer guten Nacht, womit uns die geſtrenge Hausfrau verließ, hinderte nicht, daß wir eine ſehr boͤſe Nacht unter Froſt, Verdruß und Schlafloſigkeit zu - brachten.

Unſer ehrlicher Vater Harmanns, der in ſeiner Kajuͤte geſchlafen hatte, und dem wir76 am Morgen unſer naͤchtliches Abentheuer mittheilten, nahm ſich den Affront, welcher ſeinen Schuͤtzlingen widerfahren war, mehr zu Herzen, als wir erwarteten. Trotz un - ſern Vorſtellungen, las er der Wirthinn ei - nen derben Text, ſagte ihr und ihrem Hauſe, wo er ſo viele Jahre verkehrt hatte, alle Gemeinſchaft auf, und wollte jede Chriſten - ſeele warnen, keinen Fuß uͤber dieſe unwirth - liche Schwelle zu ſetzen. Wir hatten genug zu thun, den lieben alten Mann zu be - ſchwichtigen, der ſich’s nicht nehmen ließ, uns noch zu guter Letzt durch ein vollſtaͤndi - ges Fruͤhſtuͤck ſatt zu machen; ja auch all unſre Taſchen mit Brodt, Kaͤſe, gekochtem Fleiſch, und was er ſonſt wußte und hatte, vollzuſtopfen.

Das gethan, ergriff er ſeinen Stab und wanderte mit uns zum Thore hinaus, wie ſehr wir ihn auch bitten mochten, umzukeh - ren und ſeine Kraͤfte zu ſchonen. Vielmehr hoͤrte er nicht auf, uns eifrig wegen unſers beſſern Fortkommens zu berathen; und waͤh - rend dieſer Beſprechungen verlief Ein Stuͤnd - chen nach dem Andern, es ward Mittag, und wir befanden uns in Franecker. Hier zog er mit uns in ein Wirthshaus; ließ auftragen, als ob wir uns fuͤr drei Tage ſatt eſſen ſollten, und konnte ſich endlich77 nur ſchwer entſchlieſſen, uns das Valet zu geben. Noch druͤckte er uns beim Abſchiede zwei hollaͤndiſche Dukaten in die Haͤnde; wir aber ſchieden mit Thraͤnen der Dankbar - keit von dieſem Ehrenmanne, und gelangten Abends wohlbehalten nach Leuwaarden, wo wir uͤbernachteten.

Die naͤchſte Tagereiſe brachte uns ſpaͤt in der Dunkelheit nach Dockum: aber es wollte uns nicht gelingen, hier eine Her - berge zu finden. Ueberall, wo wir anklopf - ten, beleuchtete man uns ſorgfaͤltig von allen Seiten und zog dann die Thuͤre uns vor der Naſe in’s Schloß, mit einem froſtigen: Geht weiter mit Gott! Es war eine kalte ſtuͤrmiſche Nacht: wir irrten umher und jammerten, bis wir endlich bei einem Hinterhauſe an einen Stall geriethen, wo ein Knecht noch den Duͤnger auskehrte. Ver - gebens klagten wir auch Dieſem unſer Leid, und baten ihn, uns die Nacht in ſeinen warmen Stall aufzunehmen: er fuͤrchtete, ſich dadurch Scheltworte bei ſeinem Herrn zu verdienen, und uns blieb zuletzt nichts uͤbrig, als uns hinter einer Scheune, zu - naͤchſt dem Thore, wo es etwas Ueberwind gab, zuſammen zu kauern und uns recht herzlich ſatt zu weinen. Hatten wir eine Weile geſeſſen, ſo ſprangen wir wieder auf78 und rannten auf dem Platze hin und her, um nicht vor Froſt zu erſtarren. Es ward uns aber warlich je laͤnger je uͤbler zu Muthe.

Das waͤhrte ſo fort, bis nach Mitter - nacht, wo wir Raͤder raſſeln und ein Poſt - horn blaſen hoͤrten. Eine Kutſche hielt am Thore, und auch wir kamen hinter unſrer Scheune hervor, um zu ſehen, was es gaͤbe? Bis die Thorfluͤgel und Gatter ſich oͤffneten, ſtanden wir aus langer Weile um den Wagen her, an welchem der Schlag von innen aufgemacht wurde, und von wo - her ein lautes Wer da? an uns ergieng. Wir fanden keine Urſache, unſrer Perſonen, Drangſale und gegenwaͤrtigen Noth ein Hehl zu haben; und unſer unwillkuͤhrliches Zaͤhn - klappern legte genugſames Zeugniß ein, daß wir die Wahrheit redeten.

Es fand ſich nun, daß ein einzelner Mann im Wagen ſaß, und daß ihm unſer truͤbſeli - ger Zuſtand zu Herzen gieng. Nachdem er ſeinem Unwillen durch einige Verwuͤnſchun - gen gegen die hartherzigen Dockumer Luft gemacht, uns um unſre Heimath befragt (Freilich mochten wohl Pommern und Col - berg boͤhmiſche Doͤrfer fuͤr ihn ſeyn!) und endlich noch erfahren hatte, daß unſer Weg zunaͤchſt auf Groͤningen gienge: ſo uͤber -79 raſchte er uns durch die willkommne Einla - dung, zu ihm in die Kutſche zu ſteigen und ihn bis zu dem genannten Orte zu begleiten. Es verſteht ſich wohl, daß wir armen erfror - nen Schlucker uns das nicht Zweimal ſagen lieſſen. Der Wagen rollte mit uns fort, und wir mußten unſerm Wohlthaͤter die ganze Nacht hindurch alle unſre erlebten Schickſale erzaͤhlen. Mit Tages Anbruch ſahen wir uns nach Groͤningen verſetzt; und der Mann im Wagen fuhr ſeines We - ges weiter; doch nicht, ohne zuvor uns mit drei hollaͤndiſchen Gulden beſchenkt zu haben.

Wir ſahen ihm mit herzlichem Danke nach; verfolgten aber gleichfalls unſre Straße zum andern Thore hinaus, nachdem wir bloß unſern Brodtbedarf erneuert hatten, und erlebten an dieſem Tage kein ferneres Abentheuer, als daß wir an einem Gitter - thore von einem barſchen Kerle umgerufen und uns ſechs Stuͤber Zollgeld abgefordert wurden. Unſer Proteſtiren, daß wir arme ſchiffbruͤchige Leute ſeyen, die man ja wohl verſchonen werde, half zu nichts; wir wur - den in die Stube des Zollhauſes gezerrt und ſollten zahlen. Nun waͤre die Summe wohl zu erſchwingen geweſen, und meine Kame - raden winkten mir auch zu, nur in Gottes80 Namen den Beutel zu ziehen: allein Dieſer, ſammt unſerm ganzen kleinen Reichthum, ſaß ſo tief und wohl verwahrt in meinen Beinkleidern, daß ich ein billiges Bedenken trug, ihn vor dieſen Zeugen zum Vorſchein zu bringen. Daruͤber ſaßen wir hier wohl eine gute halbe Stunde lang, gleichſam wie im Arreſt, und es ward mit uns um die ſechs Stuͤber capitulirt.

Ganz wie vom Himmel kam uns jedoch ein Erloͤſer in der Perſon eines Poſtboten, der zu uns eintrat, weil er hier Briefe ab - zureichen hatte. Er ließ ſich den Handel von beiden Partheien umſtaͤndlich vortragen, und ſchlug ſich, wie billig, auf unſre Seite; wobei es denn nicht ohne eine nachdruͤckliche Gewiſſensruͤge an den unbarmherzigen Zoͤll - ner abgieng. Dieſer aber blieb ſteif und un - beweglich auf ſeinem Zoll-Reglement und ſeinen ſechs Stuͤbern beſtehen; bis endlich unſer eifriger Sachwalter den eignen Beu - tel zog, Jenem das Wegegeld hinwarf, und nun uns triumphirend aufforderte, in Got - tes Namen unſers Weges zu gehen. Das thaten wir denn auch, ohne es an unſrer Bedankung fuͤr ſeine Großmuth mangeln zu laſſen.

Nun aber geriethen wir in andre Noͤthe. Meine beiden Begleiter, der angeſtrengtenMaͤr -81Maͤrſche ungewohnt, hatten die Fuͤße voller Blaſen und fanden ſich auch anderweitig un - bequem; ſo daß mir’s immer ſchwerer fiel, ſie des Weges vorwaͤrts zu bringen. Gieng ich meinen guten Schritt vorweg und ſah dann hinter mich, ſo war der Eine noch im - mer weiter, als der Andre, zuruͤckgeblieben. Bat ich ſie, ſich zu foͤrdern: ſie wollten nicht, ſie konnten nicht; ſie weinten. Es gedieh endlich ſo weit damit, daß mein Bru - der auf einem Duͤngerhaufen am Wege ſitzen blieb und unter heißen Thraͤnen betheuerte: Jetzt vermoͤchte er nicht weiter; ich moͤchte nur meinen Weg vor mich hingehen. Wollt ich ihm von unſerm Gelde nichts zukommen laſſen, ſo moͤcht es darum ſeyn. Es ſey ihm ohnehin ſo zu Sinne, als muͤſſ er hier ſitzen bleiben und Hungers ſterben.

Meine Angſt war unausſprechlich. Jch weinte mit ihm um die Wette; ich troͤſtete, ich verſprach ihm goldene Berge, wenn er nur aufſtehen und es verſuchen wollte, mit mir fort zu humpeln. Nur bis aus naͤchſte Dorf noch ſollt er ſich fortſchleppen, bevor es Abend wuͤrde. Morgen wollten wir ein Fuhrwerk nehmen, und Alles ſollte beſſer werden. Unter ſolchem kraͤftigen Zureden nahm ich ihn endlich unter die Arme; hinkte mit ihm weiter, und trug ihn mehr, als er1. Bändchen. (6)82gieng, bis wir unſer heutiges abgekuͤrztes Reiſeziel erreichten. Jch hielt ihm indeß Wort, und wir fuhren von Dorf zu Dorf, bis wir in’s Oldenburgiſche kamen. Hier aber nahmen wir die halbe Poſt, und er - reichten Luͤbeck: doch griff dies ſchnellere und bequemere Fortkommen auch ſo gewal - tig in unſre Reiſekaſſe, daß uns, wie knapp wir’s auch unſerm Munde abdarbten und kaum mehr, als das trockne Brodt mit ei - nem Waſſertrunk genoſſen, endlich doch der letzte Groſchen aus den Haͤnden zerronnen war.

Was blieb zu thun? Jch wandte mich in Luͤbeck an einen Kaufmann, Herrn Seng - buſch, der mir, von Colberg her, dem Namen nach bekannt war, und erſuchte ihn, uns auf unſre theuer gehaltene Taſchenuhr zwanzig Thaler vorzuſtrecken. Hiezu war der gute Mann auch willfaͤhrig; wir konn - ten nunmehr mit der Poſt nach Stettin weiter gehen und fanden hier eine Gele - genheit, die uns vollends nach Colberg foͤr - derte, wo wir, in der Mitte des Maͤrz, mit einem baaren Caſſen-Beſtande von ſieben Groſchen ſechs Pfennigen anlangten und von den Unſrigen mit einer Freude, als waͤren wir vom Tode auferſtanden, empfangen wurden.

83

Fuͤnf Tage war ich im lieben Vaterhauſe lang geweſen und von der Noth kaum wie - der ein wenig zur Beſinnung gekommen, als ſchon wieder ein neuer Ungluͤcksſtern uͤber mir aufgieng. Denn da hieß es: Die Un - terofficiere von unſerm Bataillon, welches damals ſeine Winter-Quartiere in Torgau hatte, haͤtten ſich bei uns eingefunden, um friſche Rekruten in dieſem ihrem Canton auszuheben. Eine Schreckenszeitung fuͤr alle Eltern jener Zeit, ſo wie fuͤr alles junge Volk, das eine Flinte ſchleppen konnte und nicht mochte!

Dieſe entſchiedene Abneigung des Buͤr - gers gegen den Soldatenſtand hatte aber auch ihre genugſame Rechtfertigung in der heilloſen und unmenſchlichen Art, womit die jungen Leute beim Exerziren, zumal von den dazu angeſtellten Unterofficieren, behan - delt wurden. Unter den Fenſtern ihrer El - tern ſelbſt, auf oͤffentlichem Markte, wurden ſie von dieſen rohen Menſchen bei ſolchen Einuͤbungen mit Schieben, Stoßen und Pruͤ - geln auf’s grauſamſte gemißhandelt; oft nur, um ihre neue Autoritaͤt fuͤhlen zu laſ - ſen, oft aber auch wohl in der eigennuͤtzigen Abſicht, um von den Angehoͤrigen Gaben und Geſchenke zu erpreſſen. Es war ein klaͤglicher Anblick, wenn die Muͤtter bei ſol -84 chen Auftritten in Haufen daneben ſtanden, weinten, ſchrieen, baten und von den Bar - baren rauh und unſanft abgefuͤhrt wurden. Klagen bei den Obern fanden nicht ſtatt, oder wurden verſpottet: denn Dieſe dach - ten, wie ihre Untergebenen, und ſahen mit kalter Geringſchaͤtzung auf Alles herab, was nicht den blauen Rock ihres Koͤnigs trug.

Wenn nun ſchon unſre Buͤrgerſoͤhne ſich damals ſo ungern unter die militairiſche Fuchtel beugten, ſo wird es um ſo begreifli - cher, daß inſonderheit die jungen Seefahrer unter ihnen dieſen Abſcheu in noch verſtaͤrk - tem Maaſſe bei ſich empfanden, je fruͤher ſie bereits auswaͤrts die goldne Freiheit ge - koſtet hatten, und je weniger uͤberhaupt ihre Handthierung mit dem harten und ge - zwungenen Soldatendienſte uͤbereinſtimmte. Wer es alſo irgend vermochte, entzog ſich dieſer Sklaverei lieber durch die Flucht in’s Ausland, und gieng dadurch dem Staate gewoͤhnlich fuͤr immer verloren. Aber auch der Handelsſtand hat es ſtets ſchmerzlich empfunden, der ſich nun fuͤr die Schiffahrt oft mit den untauglichſten Leuten behelfen mußte.

Haͤtte ich ſelbſt nicht auch jenen Wider - willen gegen ein ſo gebundenes Leben ſo leb - haft gefuͤhlt, als irgend Einer unter meinen85 See-Kameraden, ſo durft ich mich doch ſchon um meiner kleinen Statur willen nicht tauglich zu einem regelrechten Soldaten hal - ten; und darum ſtand mir’s auch nie zu Sinn, meinem großen Friedrich, ſo ſehr ich ihn auch verehrte, in Reihe und Glied, und mit dem Schießpruͤgel auf der Schul - ter, zu dienen. Denke man ſich alſo mei - nen Schreck, als ein gutmeynender Freund unter dem angekommenen Werber-Corps (Er hieß Lemcke) meinem Vater insgeheim vertraute: Saͤmmtliche junge Burſche in der Stadt, von 14 Jahren und druͤber, waͤren bereits notirt; und um eilf Uhr wuͤrden die Thore geſchloſſen, die Brauchbarſten dar - unter aufgegriffen und gleich mit dem naͤch - ſten Morgen nach Sachſen auf den Trans - port gegeben werden.

Jetzt war es neun Uhr Morgens. Hier galt es demnach kein Saͤumens; ich ſollte fuͤrerſt nach der Muͤnde fluͤchten und mich dort verbergen. Nur zu bald kam auch dorthin das Geſchrei, daß alle Vorherſagun - gen meines Warners puͤnktlich eingetroffen und das Ordonnanz-Haus bereits voll von neuen Rekruten ſtecke. Mein Vater ließ mir durch eine vertraute Frau ſagen, daß auch bei ihm genaue Hausſuchung nach mir geſchehen ſey. Jch moͤchte mich daher un -86 geſaͤumt aufmachen und, zwei Meilen weiter am Strande entlang, im Dorfe Bornhagen bei einem mir nahmhaft gemachten Bauer, dem zu trauen ſey, eine einſtweilige Zuflucht ſuchen. Doch dieſer gute Rath kam leider! zu ſpaͤt; mein Aufenthalt war ſchon ver - rathen!

Gleich am Nachmittage zeigten ſich jene Werber uͤberall auf der Muͤnde und umring - ten das Haus, worinn ich ſteckte, von allen Seiten. Jch gewann nur die Zeit, mich auf den ſtockfinſtern Boden zu fluͤchten, wo ich in der Angſt ein großes Fiſchernetz, das an den Sparren umher hieng, uͤber mir zu - ſammen zog: ſo daß ich meiſt darunter ver - deckt lag. Kaum war dies geſchehen, ſo ruͤhrte ſich auch etwas auf der Leiter, die unter das Dach hinauffuͤhrte. Es war der Unterofficier Schnell, der nun ſein Seiten - gewehr zog und mit der Spitze deſſelben in alle Winkel blind umher taſtete. So gieng er rund um mich und mein aufgethuͤrmtes Netz umher, ohne mich darunter zu ahnden; obwohl es mir nicht ganz den Kopf ver - deckte, und mir dadurch Gelegenheit gab, ſeine Bewegungen einigermaſſen zu beobach - ten. Jch darf aber wohl ſagen, daß mir dabei gar unheimlich zu Muthe war. Jndeß fand er mich nicht; und auch unten im Hauſe ward ich ſtandhaft verlaͤugnet.

87

Nun war hier aber auch meines Blei - bens nicht laͤnger! Kaum graute der Abend, ſo machte ich mich, in Gottes Namen, zu meinem Bauer auf den Weg, nachdem man mir einen tuͤchtigen Schiffshauer zu meiner Sicherheit mitgegeben weniger vor mei - nen Verfolgern, als um mich im Stadtholze, welches ich paſſiren mußte, der Woͤlfe zu erwehren, die damals an Menſchen und Vieh viel Ungluͤck anrichteten. Wirklich auch war es ein wahres Wolfswetter mit Sturm und Schneegeſtoͤber; und Gott weiß, wie blutſauer mir dieſer Weg geworden: denn unzaͤhlige Male brach das Eis unter mir ein, oder ich verſank im Schnee, daß ich vollauf zu thun hatte, um nur allemal wieder auf die Beine zu kommen. Endlich am Morgen erreichte ich meine Freiſtatt, und hielt mich dort 10 oder 12 Tage ver - borgen. Aber dieſe daͤuchteten mir bald, wie eine halbe Ewigkeit; eben ſo wohl wegen des ganz ungewohnten Einſitzens, als wegen der ermangelnden Zeitungen von Hauſe; bis mich’s nicht laͤnger ruhen ließ und ich mich eines Abends wieder aufmachte, um in mei - nem alten Quartier auf der Muͤnde nachzu - fragen, ob ich mich wohl mit einiger Sicher - heit wieder zeigen duͤrfte?

Hier lauteten indeß die Nachrichten ſo wenig troͤſtlich, daß mir nur die ſorgfaͤltigſte88 Verbergung uͤbrig blieb. Doch wollte ich nicht gerne von der Muͤnde weichen, weil naͤchſtens die Schiffahrt wieder aufgehen konnte, und ich dann hier bei der Hand war, um mit irgend einem abſegelnden Schiffe zu entkommen. Mit einem aͤhnlichen Plane trugen ſich noch Mehrere meiner jungen Ka - meraden: allein eben darum waren wir auch um ſo gewiſſer bereits nach einigen Tagen verrathen; und eine neue Nachjagd ward auf uns begonnen. Mitten in der Nacht erweckte mich ein leiſes Klopfen an den Fen - ſterladen des Kaͤmmerchens, wo ich ſchlief, und die bekannte Stimme einer getreuen Frauensperſon rief mir zu: Joachim, auf! auf aus den Federn! die Soldaten ſind wieder auf der Muͤnde! Den, und den, und den (die ſie mir bei Namen nannte) ha - ben ſie ſchon beim Fluͤgel gekriegt. Mach, daß du davon koͤmmſt!

Man glaubt mir’s wohl, daß ich flugs und mit gleichen Fuͤßen aus dem Bette ſprang. Jn der Beſtuͤrzung griff ich nach den erſten, den beſten Kleidern, die auf den Stuͤhlen umher lagen, und die ich fuͤr die meinigen hielt. So ſtahl ich mich alſobald und im Hemde auf die Straße hinaus; ſchuͤttelte meinen Fund auseinander, um mir davon etwas uͤben den Leib zu werfen, und89 bemerkte nun erſt mit Schrecken, daß mir nichts, als Frauenskleider, in die Haͤnde ge - fallen waren. Was blieb zu thun? Jch warf mir einen rothen Friesrock uͤber die Schultern, und war im Begriff, mich mit dem Reſte noch beſſer auszuſtaffiren, als ich in meinem Anputzen haͤßlich geſtoͤrt wurde.

Es waren die Herren Soldaten, die kaum zehn Schritte von mir um eine Ecke bogen. Jch ſuchte mein Heil in der Flucht: aber eben dadurch verrieth ich mich, und hatte alſobald meinen alten Widerſacher Schnell, nebſt noch ein paar Andern, auf der Ferſe hinter mir. Mein Lauf gieng geradesweges nach einem, im Hafen liegenden Schiffe zu, an deſſen Bord ſie mir nicht ſo hurtig nach - folgen konnten. Zu meinem Gluͤcke lag an der andern Seite des Schiffs ein Boot befe - ſtigt. Jch ſprang hinein; fand ſogar ein Ruder darinn vor, loͤste das Tau, ſtieß ab, und ließ Jenen in eben dem Augenblicke das Nachſehen, als auch ſie endlich das Verdeck erreicht hatten.

Jenſeits, in der Maykuhle, gieng ich an Land, und uͤberlegte nun etwas ruhiger, was weiter zu thun ſey? Jch befand mich ſogut, als nackend, in einer bitterlich kalten Merz - Nacht, und mußte vor allen Dingen meine90 Bloͤße zu decken ſuchen. Alſo wanderte ich getroſt zu der naͤchſtgelegenen Holzwaͤrterei Gruͤnhauſen; klopfte den Bowohner (Er hieß Kroͤſſin) hervor; gab mich zu erkennen und bat um Aufnahme. Seine abſchlaͤgige Ant - wort durfte mich nicht befremden, da es der - zeiten hart verboten war, Fluͤchtlinge meiner Art zu hegen, die vielmehr ſofort angehalten und ausgeliefert werden ſollten. Jch be - ſchraͤnkte demnach meine Bitten auf irgend eine Kopfbedeckung und ein Paar Struͤmpfe. Der ehrliche Kerl reichte mir ſeine Schlaf - muͤtze vom Kopf und ein Paar hoͤlzerne Pan - toffeln von ſeinen Fuͤßen, und fuͤgte den Rath hinzu, mich eiligſt zu entfernen, weil es auch bei ihm nichts weniger als ſicher ſey, da er gleichfalls einen Sohn im Hauſe habe, dem, obwohl er krank und elend ſey, von den Sol - daten nachgetrachtet werde.

So auf’s abentheuerlichſte ausſtaffiert, be - gab ich mich nach der Maykuhle zuruͤck, um eine anderweitige Zuflucht aufzuſuchen. Es ſtand dort, wie ich wußte, ein alter Schiffs - rumpf hoch auf dem Strande, der im Som - mer als ein Bierſchank benutzt zu werden pflegte. An dieſem kletterte ich hinan; ſtieg oben durch das Rauchfangs-Loch, und duckte mich da vor der Kaͤlte in einen Winkel zu - ſammen. Daruͤber gieng endlich die lang -91 weilige Nacht zu Ende. Mit dem erſten Daͤmmerungsſtrahl gloſterte ich, von meiner Hochwarte herab, uͤberall umher; und da nach der Muͤnde hinaus Alles ruhig ſchien, ſo wagte ich mich hervor, ſuchte mein verlaſſe - nes Boot wieder auf, und ruderte mich leiſe zu einem Schiffe heran, das nach Koͤnigsberg gehoͤrte und von Schiffer Heinrich Geertz ge - fuͤhrt wurde. Dieſer gute Mann nahm mich willig auf und hielt mich laͤnger, als 14 Tage, bei ſich verborgen.

Dennoch konnte hier meines Bleibens nicht ewig ſeyn. Es war mir daher eine erwuͤnſchte Zeitung, daß ein Colberger Schif - fer, Namens Martin Albrecht, der dicht ne - ben uns vor Anker lag, am naͤchſten Mor - gen mit Ballaſt nach Danzig auszugehen ge - denke. Zu dieſem Schiffe fuͤhrte mich, um Mitternacht, mein Freund Geertz in aller Stille. Meine ganze Reiſe-Ausruͤſtung beſtand in einen Buͤndelchen mit Hemden und andern kleinen Nothwendigkeiten, welches meine Mut - ter mir unter der Hand zugeſchickt hatte. Sobald ich an Bord hinuͤbergeſtiegen war, dankte ich meinem freundlichen Beſchuͤtzer zum Abſchied mit einem warmen Haͤndedruck, bat ihn, meinen beſorgten Eltern meinen Gruß und Lebewohl zu bringen, und ließ nunmehr meinen guten oder boͤſen Stern weiter walten.

92

Auf dem Schiffe war alles ſtille. Nie - mand hatte mich wahrgenommen. Jch oͤffne - te die vordere Kabelgats-Luke, rutſchte hin - unter, machte die Luke hinter mir zu und ſuchte mir auf den Tauen und Segeln, die hier verwahrt lagen, ein Ruheplaͤtzchen. Bald aber uͤberlegte ich, daß dieſer Verſteck mit Tages-Anbruch auch ſofort von Menſchen wimmeln wuͤrde, die zu der vorhabenden Ab - fahrt Segel und anderes Zubehoͤr daraus her - vorlangten; wo es denn garſtig fuͤr mich ablaufen koͤnnte. Jch verſuchte es alſo, mich durch tauſend Gegenſtaͤnde, die ſich mir hin - dernd in den Weg ſtellten, tiefer in den Raum hinab zu miniren. Es gluͤckte mir endlich da - mit: aber zu gleicher Zeit hoͤrte ich hinter dem Ballaſt etwas raſcheln und fluͤſtern, das mir unheimlich vorkam. Gleichwohl kroch ich noch weiter heran, und unterſchied bald menſch - liche Stimmen, die mir, je laͤnger ich ſie be - horchte, um ſo bekannter vorkamen. Kurz es gab hier eine ganz unvermuthete Erken - nungs-Scene zwiſchen mir und eilf andern jungen See-Kameraden, welche gleiche Noth und gleiche Hoffnung hieher zuſammenge - bracht hatte.

Fuͤr den Augenblick hielten wir uns zwar geborgen: aber unter Furcht und Zagen hatten wir nun zu erwarten, ob das Schiff93 vor ſeiner Abfahrt nicht nach uns Fluͤchtlinge viſitirt werden duͤrfte? Jnzwiſchen brach der Tag an, und am Borde ward es uͤber unſern Koͤpfen lebendig. Wir unterſchieden deutlich, wie man Anſtalten machte, in See zu gehen; ja, einwenig ſpaͤter ſpuͤrten wir, mit ſteigen - der Freude, das Schiff in Bewegung, dann das Anſchlagen der Brandung an die Sei - tenborde und endlich auch den Abgang des Lootſen, der uns zum Hafen hinaus begleitet hatte. Da auch der Wind gut ſeyn mußte, ſo glaubten wir, nach Verlauf von noch einer Stunde, weit genug von Colberg, das uns ein Schreckensort geworden, entfernt zu ſeyn, um uns wieder an’s Tageslicht hervorwagen zu duͤrfen. Wir ſetzten alſo die Leiter an, ſchoben die große Luke auf, und traten wohl - gemuthet auf das Verdeck hervor.

Das Erſtaunen des Schiffers uͤber unſern unerwarteten Anblick kannte keine Grenzen: aber auch von ſeinem Volke mußten ſelbſt die, welche vielleicht um das Geheimniß wußten, ſich billig verwundern, daß wir uns, ihnen unter den Haͤnden, in unſrer Anzahl verdop - pelt hatten. Eines beſonders freundlichen Empfangs hatten wir uns indeß nicht zu ruͤhmen. Der Kapitain, der nur ſeine ſchwere Verantwortlichkeit erwog, tobte, wie beſeſſen. Koͤnnt ich nur gegen den Wind ankommen, 94 rief er ich braͤcht euch Alle auf der Stelle nach Colberg zuruͤck, und machte rein Schiff. Aber ich weiß darum wohl, wohin ich euch abzuliefern habe. Zugleich ver - bot er ſeinen Leuten auf’s ſtrengſte, ſich um uns nicht zu kuͤmmern und uns weder Eſſen noch Trinken zu reichen.

Zwar ward es mit dieſem Befehl nicht ſo gar genau genommen, und unſre Freunde ſteckten uns immerfort etwas von ihren Mund - Portionen zu: allein da wir volle acht Tage in See blieben, ſo litten wir gleichwohl grau - ſamen Hunger und Durſt, und waren darum von Herzen froh, als endlich die Anker im Danziger Fahrwaſſer fielen. Hier deutete der Schiffer ſeiner Mannſchaft in unſrer Gegen - wart (und alſo auch wohl nicht ohne geheime Abſicht) an: Er gehe in dieſem nemlichen Augenblick an Land und nach Danzig zum Preuſſiſchen Reſidenten, um ihm uns Deſer - teurs anzumelden und uns in ſeine Haͤnde zu uͤberliefern. Bis dahin ſollten ſie uns an Bord feſthalten und mit Leib und Leben fuͤr uns einſtehen. Vergeblich wandten ſie ihm ein: Die Parthie ſey gar zu ungleich, da Jhrer nur fuͤnf Mann, wir aber zwoͤlf Koͤpfe ſtark waͤren. Was kuͤmmert’s mich? war ſeine Antwort Und wenn es auch Mord und Todtſchlag giebt, ſo laßt ſie nicht laufen!

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Das hieß nun wohl deutlich genug: Jm - merhin, laßt ſie laufen! Kaum hatt er auch nur den Ruͤcken gewandt, ſo machten wir uns zum Abzuge fertig. Zum Schein gab es zwiſchen uns und dem Schiffsvolk ein unbedeutendes und unblutiges Handge - menge; worauf wir unſers Weges gien - gen, uns ſofort uͤber die Weichſel ſetzen lieſſen und laͤngs dem Seeſtrande die Rich - tung nach Koͤnigsberg einſchlugen. So moch - ten wir ein paar Stunden wacker zugeſchrit - ten ſeyn, als wir den Weg zu beſchwerlich fanden und darum gern auf den Vorſchlag einiger Gefaͤhrten hoͤrten, die ihn fruͤher ſchon mehrmals gemacht hatten und das Fortkommen an der andern Seite der Neh - rung, laͤngs dem friſchen Haff, als ange - nehmer und gemaͤchlicher prieſen. Sogleich ſchlugen wir uns nach dieſer Seite hinuͤber und entgiengen dadurch, ohne es zu ahnden, einer Gefahr, die das bisherige Spiegelfech - ten leicht in bittern Ernſt verwandelt haben wuͤrde.

Denn Seinerſeits hatte der Kapitain in Danzig nicht umhin gekonnt, ſeine Pflicht zu thun. Wir waren geſucht, vermißt und, auf fernere Anzeige bei der Orts-Obrig - keit, ſofort verfolgt worden. Ein Kom - mando von einigen Danziger Stadt-Drago -96 nern ſetzte uns laͤngs dem Seeſtrande nach und wuͤrde uns gar bald eingeholt haben, wenn wir uns nicht bereits landeinwaͤrts ge - lenkt haͤtten. So verfehlten ſie uns, und kehrten unverrichteter Dinge nach Danzig zuruͤck, waͤhrend wir ohne weitere Anfech - tung Koͤnigsberg erreichten und, vor weite - rer Entdeckung ſicher, uns im Gewuͤhl die - ſes lebendigen Handelsplatzes verloren.

Es traf ſich ſehr gelegen, daß es hier, bei eben wieder eroͤffneter Schiffahrt, Man - gel an unterrichteten Seeleuten gab, die als Steuerleute gebraucht werden konnten. Da - her waͤhrte es nicht zwei oder drei Tage, daß wir uns nicht ſammt und ſonders, und meiſt in jener Eigenſchaft, mit Vortheil an - gebracht hatten. Jch ſelbſt fand einen Platz als Steuermann auf einer kleinen Jacht von 50 Laſten und 5 Mann Equipage. Mein Schiffer hieß Berend Jantzen und war mit einer Ladung Hauf nach Jrwin in Weſt - Schottland beſtimmt; ſollte aber, um die franzoͤſiſchen Kaper zu vermeiden, oben herum durch die Nordſee und die Orkaden ſteuern.

Wir giengen unter Segel: aber ſchon im Sunde erlebten wir das Ungluͤck, daß das eiſerne Band eines Waſſerfaſſes beim Zerſpringen dem Schiffer von hinten gegendie97die Wade ſchlug und dadurch das Bein ſo heftig gegen eine ſcharfe Holzecke ſchleu - derte, daß wir ihn in die Kajuͤte tragen mußten und er an dem Schaden mehrere Monate lang das Bette zu huͤten hatte. Da nun er ſo wenig, als Einer unſrer Ma - troſen, an welchem ſich bald ein veneriſches Uebel offenbarte, auf dem Deck ausdauern konnte, unſer Schiffsjunge aber (eigentlich ein verdorbener Tiſchlergeſell) bei dem ge - ringſten Sturmwetter mit Seekrankheit zu thun hatte: ſo beruhte nunmehr die Fuͤh - rung des Schiffes einzig auf mir und ei - nem Motroſen; und ich darf wohl geſtehen, daß mir bei der Sache nicht gar zu wohl zu Muthe wurde.

Jn der That gehoͤrt auch die Schiffahrt in dieſen Gegenden, zwiſchen Schottland und der Jnſel Lewis und den uͤbrigen zahl - reichen Hebriden hin, zu den gefaͤhrlichſten, die es geben kann; nicht nur des engen Fahrwaſſers zwiſchen den Jnſeln und der vielen Klippen wegen, ſondern hauptſaͤchlich weil hier ſo ſtarke Stroͤmungen gehen, daß es oft uͤberall brandend aufſchaͤumt und nicht anders ausſieht, als ob Alles rings umher dicht mit blinden Klippen beſaͤet waͤre. Noch ungluͤcklicher aber iſt es, daß die hollaͤndiſchen Seekarten, deren wir uns1. Bändchen. (7)98damals allein bedienen konnten, hier durch - aus unzuverlaͤſſig ſind und jeden Augenblick irre fuͤhren. Das begegnete denn auch mir; und ſo darf man ſich denn nicht wundern, daß ich hier endlich gar nicht mehr aus oder ein wußte.

Jn dieſer Bedraͤngniß kam uns ein eng - liſches Schiff zu Geſicht, welches zwiſchen zwei hohen Landſpitzen hervor ſegelte, und von welchem ich richtigeren Beſcheid zu er - langen hoffte. Jn dieſer Abſicht richtete ich die Segel nach jener Seite hin, indem ich zugleich die preuſſiſche Flagge auf - ſteckte, welche bekanntlich weiß iſt und in der Mitte den ſchwarzen Adler fuͤhrt. Aber auch die franzoͤſiſche Flagge iſt von weiſſer Farbe; und da ſich bei dem maͤßigen Winde die meinige zu wenig entfaltete, um den Ad - ler anſtatt der Lilien erblicken zu laſſen: ſo ward ich von dem Englaͤnder fuͤr einen franzoͤſiſchen Kaper angeſehen, und er ſetzte bei dem ſtillen Wetter ſo viel Segel auf, als ſein Schiff nur tragen konnte, um mir zu entgehen. Jch that desgleichen, um Jagd auf ihn zu machen; und ſo machten wir uns beiderſeits Roth und Muͤhe, bis zuletzt Nachmittags der Wind voͤllig erſtarb, als ich nur noch eine kleine Viertelmeile von dem Fluͤchtling entfernt war.

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Meinen Zweck verfolgend, ſetzte ich nun - mehr, mit Huͤlfe meines Matroſen und des Jungen, die Joͤlle aus und ließ mich von ihnen an den jenſeitigen Bord hinuͤber ru - dern. Als Vorwand meines Beſuchs ſollte mir ein mitgenommenes lediges Waſſerfaß und die kleine Nothluͤge dienen, daß uns un - ſer Trinkwaſſer ausgegangen. Wir kamen dem Schiffe auch gluͤcklich zur Seite, wo wir mit Verwunderung Alles zum Ge - fechte in Bereitſchaft fanden; waͤhrend ſie ſelbſt, beim naͤhern Anblick von uns drei Koͤpfen, uͤber ihre ausgeſtandene Furcht lachen mußten.

Meine Bitte um friſches Waſſer ſchien unverdaͤchtig und fand willigen Eingang. Unter der Zeit aber, daß es gezapft und in mein Faß uͤbergefuͤllt wurde, nahm ich der Gelegenheit wahr, ganz unbefangen nach dem Namen dieſes und jenes Landes, das uns eben im Geſichte lag, zu fragen. So erfuhr ich, daß dort hinaus Cap Cantrie, hierwaͤrts aber die Jnſel Lamlach gelegen ſey. Jch war nun, zu meiner großen Be - ruhigung, wieder orientirt, ohne mir die arge Bloͤße gegeben zu haben, meine Unwiſ - ſenheit einzugeſtehen: eben ſo wenig aber mocht ich mir auch die Schande anthun, mich hier fuͤr einen Steuermann halten zu100 laſſen. Dennoch moͤcht ich unter Meines - gleichen immer noch nicht der Duͤmmſten Einer geweſen ſeyn; und wenn man bedenkt, daß ich damals noch keine zwanzig Jahre zaͤhlte, und mir meinen Mangel an Erfah - rung, billiger Weiſe, zu gute haͤlt, ſo wird auch, unter den angefuͤhrten Umſtaͤnden, ſelbſt das Urtheil des gewiegteren Seemanns ſcho - nend genug fuͤr mich ausfallen.

Jrwin, unſer Beſtimmungsort, liegt im Grunde einer tiefen runden Bucht, in welche, als wir ihre Hoͤhe erreichten, ein Sturm aus Nordweſt gerade hinein blies. Da ſie mir durchaus unbekannt war, bekanntlich aber ſchlechten Ankergrund hat, ſo waͤre es verwegen geweſen, mich bei dieſem Winde und Wetter in ſie hinein zu wagen. Jch ſteuerte alſo gegen die Jnſel Arron, um dort vielleicht eines Lootſen habhaft zu wer - den: allein vergebens kreuzte ich zwei Tage umher. Meine weiſſe Flagge ſpielte mir abermals den Streich, daß Alles auf der See vor mir floh, und vom Lande Rie - mand ſich zu mir heran wagte, weil ich fuͤr einen Franzoſen gehalten wurde. Zu - letzt naͤherte ich mich dem Strome von Port - Glasgow; und hier gelang es mir denn, einen Lootſen zu finden, der mich nach Jrwin brachte.

101

Jch beruͤhre es nur kurz, daß wir, nach - dem auch unſer Schiffer wieder auf die Beine gekommen, von hier mit Ballaſt und unter neutraler Flagge nach der Jnſel Noirmou - tiers, an der weſtlichen Kuͤſte von Frankreich, giengen, wo wir eine Ladung Seeſalz einnah - men und uns dann nach Koͤnigsberg auf den Heimweg machten. Leider konnten wir’s im Kanal, in der Naͤhe von Dover, nicht vermeiden, nach und nach mit ſieben engli - ſchen Kapern zuſammen zu gerathen. Alle dieſe Schnapphaͤhne Kerle, mit wahren Galgen-Phyſiognomieen, ſtiegen zu uns an Bord, und wußten in Allem, was ihnen an - ſtand (und ihnen ſtand faſt Alles an!) ſo geſchickt reinen Tiſch zu machen, daß ſie es uns ſchier unmoͤglich machten, wieder an Land und zu Leuten zu kommen. Keſſel und Pfannen, Tauwerk und losgebundene Segel, Seekarten und Kompaß mußten mit ihnen wandern. Was der Eine uns ließ, das nahm der Andre. Ja, endlich zogen ſie uns ſogar die Kleider vom Leibe.

Wir hatten eben, Dover gegenuͤber, bei - legen muͤſſen, als mir, bei dem letzten uner - wuͤnſchten Zuſpruche ſolcher Art, Einer von dieſen Taugenichtſen, zudringlicher, als die uͤbrigen Alle, die langen Schifferhoſen von den Beinen ſtreifte. Das haͤtte ich ver - ſchmerzen moͤgen: aber bei der Gelegenheit102 fiel ihm auch ein Nothpfennig von etwa 13 Rubeln in die Augen, die ich in’s Hemde eingenaͤht hatte und hier fuͤr ſicher genug hielt. Kaum aber erreichte der ſuͤße Ton des Silber-Geklappers ſein Ohr, ſo griff er gierig zu, hieb mit ſeinem Hauer mir den Hemdezipfel vom Leibe, zaͤhlte ſeine Beute uͤber, und trieb die brittiſche Großmuth ſo weit, mir davon einen Rubel zuruͤckzugeben. Dabei verbot er mir, dieſen dem Schiffer zuruͤckzuſtellen, welchem, ſeiner Meynung nach, der ganze Fund wohl eigentlich gehoͤ - ren moͤchte.

Jch aber war uͤber dieſe Behandlung dermaaſſen erbittert, daß ich augenblicklich das Ruder aufholte, die Segel abbraßte und, da der Wind ſuͤdlich war, nach dem Lande zuhielt. Was ſoll das bedeuten? Wo hinaus? fragten die Kerle, die mir auf dem Verdeck am naͤchſten ſtanden. Wo hinaus? antwortete ich, von der in - nern Wuth uͤbermeiſtert Geraden We - ges nach Dover, wo Jhr Schelmgezuͤchte noch heut am lichten Galgen baumeln ſollt! Flugs kam auf dieſe Drohung das ganze Pack aus Kajuͤte, Roof, Kabelgat und Raum, wohin ſie ſich zum Rauben vertheilt hatten, im dichten Kreiſe um mich her zuſammen. So viel Haͤnde, ſo viel Piſtolen wurden mir auch an den Kopf oder Hauer auf die Bruſt103 geſetzt: doch ſchoß oder ſtach Niemand. Dagegen riſſen ſie mich bei den Haaren auf’s Deck nieder; Einige hielten mich an Kopf und Fuͤßen feſt; Andre ſchlugen mit den flachen Klingen auf mich drein, daß mir ſchier Hoͤren und Sehen vergieng. Endlich wollten doch die Barmherzigſten meine weitere Mißhandlung nicht geſtatten; doch gieng es nicht ohne einige Fußtritte ab; und Einer, der mir nun noch die Stie - feln von den Fuͤßen zog; ſchlug mir ſie zum Beſchluſſe um die Ohren; zog ſie ſelbſt auf der Stelle an, und machte ſich darauf mit ſeinen feinen Geſellen, zuſammen drei - zehn an der Zahl, an Bord ihres Kaper - ſchiffes zuruͤck.

Mein Zuſtand war ſo jaͤmmerlich, daß unſer Schiffsvolk mich fuͤr halb todt in meine Koje trug. Nicht genug aber, daß ich, der ich mich kaum regen konnte, der Regierung des Schiffes abgieng: ſondern nun entſtand auch in der naͤchſten Nacht ein Sturm, gegen den die Uebrigen ſich zu ſchwach fuͤhlten, die Segel einzunehmen. Dies hatte die Folge, daß bald auch der große Maſt brach und mit ſeiner ganzen Takelage uͤber Bord ging. Nun trieben wir, als ein Wrack, in der See, und haͤtten wahrſcheinlich unſern Untergang gefunden, wenn nicht Tages darauf eine hol - laͤndiſche Fiſcher-Schuyt in unſre Naͤhe ge -104 kommen und bereitwillig geweſen waͤre, unſer Schiff nach dem Texel und von dort nach Medemblyk zu ſchleppen, wo ſich die bequem - ſte Gegegenheit fand, es wieder zu vermaſten und in ſegelfertigen Stand zu ſetzen.

Als es zugeruͤſtet war, fuͤhlte ich mich noch zu krank und elend, um wieder mit an Bord zu gehen. Jch mußte alſo in Medem - blyk zuruͤckbleiben, und begab mich dort zu einem Kompaßmacher, dem ich ſeine Kunſt gruͤndlich ablernte; und dieſe iſt mir in der Folge von großem Nutzen geweſen. Zugleich ſchrieb ich in meine Heimath, und erhielt auch bald eine Aufforderung von meinem Vater, ungeſaͤumt nach Colberg zuruͤckzukommen. Die Gefahr, zum Soldaten ausgehoben zu werden, ſey jetzt nicht zu fuͤrchten, da er, als Buͤrger - Adjutant, ſich den Feſtungs-Commandanten v. Heyden beſonders geneigt wiſſe, und daß es mehr, als Eine Weiſe, gebe, dem Vater - lande rechtſchaffen zu dienen. Ueberdem ſey es ſehr wahrſcheinlich, daß der Feſtung binnen kurzem eine Belagerung von den Ruſſen be - vorſtaͤnde. Es ſey alſo das Beſte, daß ich nach Hauſe kaͤme, um mit meinen Eltern zu leben und zu ſterben. Schluͤge ich jedoch dieſe Ermahnung in den Wind, ſo moͤcht ich auch fernerhin nimmer wagen, mich ſeinen Sohn zu nennen. Kurz, neben dem gluͤhenden Pa - triotismus, der ſein Herz beſeelte, ſchimmerte105 immerdar noch die Beſorgniß hindurch, daß ich meiner alten Begierde nach Abentheuern hier in Holland abermals den Zuͤgel ſchieſſen laſſen und mit leichtem Sinn in die weite Welt gehen moͤchte.

Was blieb mir unter dieſen Umſtaͤnden anders zu thun, als mich unverzuͤglich auf das Schiff eines Landsmannes ſetzen, der zu Amſterdam lag und unter Danziger Flagge fuhr, und es ſo einzurichten, daß ich auf der Colberger Rheede, im Voruͤberfahren, von ihm an Land geſchickt wurde? Drei oder vier Wochen darauf begann die erſte, von dem ruſſiſchen General Palmbach geleitete Bela - gerung meiner Vaterſtadt. Nun iſt es be - kannt, daß ſchon von alten Zeiten her die Einwohner von Colberg durch ihren Buͤrger - Eid verpflichtet ſind, zur Vertheidigung der Feſtung Leib und Leben, Gut und Blut daran - zuſetzen. Sie blieben alſo auch bei dieſer Gelegenheit, als brave Preuſſen, nicht hinter ihrer Schuldigkeit zuruͤck. Meines Vaters Poſten inſonderheit forderte, daß er in die - ſer Zeit ſtets um die Perſon des Comman - danten ſeyn mußte; und wo er war, da war auch ich, um ihm, als ein flinker und ruͤh - riger junger Menſch, zur Hand zu gehen. Der alte wackre Heyden ſah meinen guten Willen; und das gewann mir ſein Wohlge - fallen in dem Maaſſe, daß ich beſtaͤndig in106 ſeiner Naͤhe ſeyn und bleiben mußte. Jch konnte ſolchergeſtalt fuͤr ſeinen zweiten Buͤr - ger-Adjutanten gelten und wurde oftermalen auf den Waͤllen von ihm gebraucht, ſeine Befehle nach entfernten Poſten zu uͤberbrin - gen. Jn der That war dies eine gute Vor - ſchule fuͤr mich, um zu lernen, was unter ſolchen Umſtaͤnden zum Feſtungsdienſte gehoͤrt; und die Lection iſt mir noch im ſpaͤten Alter trefflich zugute gekommen!

Man weiß, daß dieſe Belagerung, obgleich ernſtlich genug gemeynt und mit uͤberlegener Kraft begonnen, dennoch durch die Entſchloſ - ſenheit unſers Anfuͤhrers und ſeine geſchickten Gegenanſtalten fruchtlos blieb und daß die Ruſſen, nachdem ſie eine Menge Pulver un - nuͤtz verſchoſſen hatten, nach einigen Wochen wieder abziehen mußten. Sobald aber auch nur der Platz wieder frei geworden, war dort meines Bleibens nicht laͤnger. Jch machte eine Fahrt nach Amſterdam, von der ich hier nichts Beſonderes anzufuͤhren habe, und traf hier wieder mit meinem alten werthgehaltenen Kapitain Joachim Blank zuſammen, den ich vor drei Jahren ungern verlaſſen hatte. Er hatte gerade eine neue Reiſe nach Surinam vor, wo es denn keines langen Zuredens bei mir bedurfte, um auf ſeinem Schiffe meine alte Stelle als Steuermann anzunehmen.

107

Es war gegen das Ende Decembers, (1758) als wir, mit einer großen Flotte von Kauf - fahrern, und unter Bedeckung von drei hol - laͤndiſchen Kriegsſchiffen, aus dem Texel mit einem tuͤchtigen Sturm aus Nordoſten in See giengen. Allein es giebt ſo mancherlei Verzug und Beſchwerde, ſich zumal bei den langen Winternaͤchten im Gedraͤnge einer ſolchen zahlreichen Convoy zu befinden, daß wir uns die erſte beſte finſtre Nacht zu Nutze machten, uns heimlich von unſrer laͤſti - gen Begleitung abzudruͤcken und unſer Heil in uns ſelbſt zu ſuchen. Der anhaltende guͤnſtige Wind ließ uns auch bald einen wei - ten Vorſprung gewinnen; ſo daß wir binnen kurzem die oͤſtlichen Paſſat-Winde erreichten und die geſammte Fahrt vom Texel bis in den Fluß von Surinam, eine Strecke von 2200 Meilen in der ungewoͤhnlich kurzen Zeit von 28 Tagen zuruͤcklegten.

Meine Beſchaͤftigungen an dieſem unſerm Beſtimmungs-Orte waren die nemlichen, die ich ſchon fruͤher angefuͤhrt habe. Jch be - fuhr beide Stroͤme in der Colonie, verſah die Plantagen mit den beduͤrftigen Artikeln unſrer Ladung, und brachte von dort eine neue Ruͤckfracht an Zucker und Kaffee zu - ſammen. Dies ſetzte mich nun mit einer Menge von Plantagen-Directeurs in Ver - bindung, die großentheils meine naͤheren oder108 entfernteren Landsleute waren und mir ſaͤmmt - lich viele Liebe und Guͤte erwieſen. Jhrer unbegrenzten Gaſtfreundlichkeit danke ich die vergnuͤgteſten Tage meines Lebens, die un - ſtreitig in dieſe achtmonatliche Dauer meines Aufenthalts in dieſer Colonie fielen.

Auf unſrer Heimfahrt nach Amſterdam hatten wir Einen der vermoͤgendſten Planta - gen-Beſitzer als Paſſagier an Bord, den die Sehnſucht nach dem vaterlaͤndiſchen Himmel zuruͤck nach Europa trieb. Er hieß Polack, war ein gebohrner Wiener und in ſeiner Jugend als gemeiner Soldat nach Suriname gerathen. Gluͤck und Thaͤtigkeit hoben ihn hier allmaͤhlig zu einer glaͤnzenden Lage em - por. Eine der groͤßten Kaffe-Plantagen, genannt der Maas-Strom und am Com - mendewyne gelegen, war ſein Eigenthum, das er ohnlaͤngſt ſeinem, aus Europa zu ſich berufenen Schweſterſohne zum Geſchenk uͤber - geben hatte. Nie ſah ich einen ruͤhrendern Anblick, als wie ich ihn von dort in unſrer Schaluppe an Bord abholte. Alle Sklaven der Pflanzung, 400 Maͤnner, Weiber und Kinder an der Zahl, hatten ſich verſammlet, um ihrem alten guͤtigen Herrn das Lebewohl zu ſagen. Sie fielen rings um ihn nieder, weinten, umfaßten ſeine Fuͤße und Haͤnde und umklammerten ſeinen Leib, als wollten und koͤnnten ſie ihn nimmer von ſich laſſen. Duͤrfte109 man vorausſetzen, daß das Schickſal allen Neger-Sklaven in den Colonieen einen ſo menſchlich-denkenden Gebieter zutheilte, ſo wuͤrde das ſo laut erhobene Geſchrei uͤber die himmelſchreiende Ungerechtigkeit des mit ihnen betriebenen Handels viel von ſeinem Nachdruck verlieren.

Sobald wir unter Segel gegangen waren, erſuchte uns Herr Polack, dem Schiffsvolk bekannt zu machen, daß er demjenigen, der ihm zuerſt anſagen koͤnne: Er ſehe europaͤi - ſche Erde ein Geſchenk von 50 Dukaten zugedacht habe. Dieſe Nachricht verbreitete unter Allen eine geſpannte Aufmerkſamkeit; und der Wetteifer, eine ſo leicht zu verdie - nende Belohnung vor den Uebrigen davon - zutragen, wuchs mit jedem Tage, der uns unſerm heimatlichen Erdtheile naͤher brachte. Selbſt als wir, in der achten Woche unſrer Fahrt, unſrer Schiffsrechnung nach, dieſes Ziel erreicht zu haben glauben durften, blieb dennoch eine Ungewißheit von einem Dutzend Meilen uͤbrig, da, wie bekannt, in jenen Zei - ten die genaue Beſtimmung der zuruͤckgeleg - teu Laͤngen-Grade mehr auf einer muthmaaß - lichen Schaͤtzung, als auf aſtronomiſchen Be - rechnungen oder der Sicherheit der See-Uh - ren, beruhte.

Jetzt wimmelte es ſchon ſeit einigen Ta - gen auf unſern Maſten und Stengen von Men -110 ſchen, die mit angeſtrengten Blicken nach Eu - ropa ausſchaueten. Eines Nachmittags, als ich meine Wache beendigt hatte, und ehe ich mich in meine Koje verfuͤgte, ſtieg ich nach oben, um mich nach allen Seiten umzuſehen; wie dies denn nicht bloß damals, ſondern zu allen Zeiten, meine unverbruͤchliche Weiſe war. Mein erſter Blick nach dem oͤſtlichen Horizont hinaus zeigte mir etwas, das beinah wie eine entfernte Kuͤſte am Rande aufblickte. Den - noch ſtieg mir einiger Zweifel auf, ob nicht eine aͤhnlich geſtaltete Wolke, oder eine Ne - belbank, mich taͤuſchte. Allein je gewiſſer ich mich, von Jugend auf, meinem falkenſchar - fen Geſichte anvertrauen durfte, und je laͤn - ger und ſorgfaͤltiger ich mir dieſe Erſcheinung uͤberlegte, deſto zuverſichtlicher ward binnen kurzem meine Ueberzeugung, daß ich recht ge - ſehen hatte. Um mich her und hoch uͤber mir ſaßen Matroſen, denen gleichwohl von meiner Entdeckung noch kein Schatten ahndete.

Auch ich ſchwieg ſtille, begab mich auf’s Verdeck hinunter und fluͤſterte unſerm Ober - Steuermann in’s Ohr: Gelt Freund, ich ſehe die engliſche Kuͤſte! Jch ſteige jetzt wie - der nach oben; und wenn ich dann den Arm gerade nach dem Lande hin ausſtrecke, ſo macht darnach hier unten mit dem Kompaß die Peilung. Unbefangen nahm ich meinen alten Sitz im Maſtkorbe wieder ein; uͤber -111 zeugte mich dann zuvor, ob unten mein Ge - huͤlfe mit ſeinem Jnſtrumente fertig ſtand, und deutete nun beſtimmt nach der erblickten Kuͤſte hin. Kaum nahmen meine Nachbarn umher dieſe Bewegung wahr, ſo ſchrieen ſie auch alleſammt, wie aus Einer Kehle: Land! Land! Land! aber zu ſpaͤt! Jch hatte ihnen bereits vorgefiſcht!

Als ich mich wieder unten zeigte, for - derte mich unſer Kapitain auf, zu Herrn Polack in die Kajuͤte zu gehen und ihm zum Anblick von Europa zu gratuliren. Mein Ehr - gefuͤhl aber wollte es nicht zulaſſen, mir ir - gend den Schein zu geben, als habe ich mich unter die Bewerber zu ſeiner ausgeſetzten Praͤmie gedraͤngt. Nicht ſo aber dieſer Eh - renmann, der mich ſelbſt zu ſich hinab noͤthigte, mir das beſtimmte Paͤckchen Gold in die Hand druͤckte und mich bat, es zu irgend einem An - denken an ihn und dieſe Reiſe zu verwenden. Bald darauf langten wir auch gluͤcklich im Texel an; und hier beim Abſchiede wiederholte er ſeine Freigebigkeit noch durch ein Geſchenk, wovon der Ober-Steuermann 20 ich 10 und die ſaͤmmtliche Schiffs-Equipage 20 Du - katen empfingen. Am 1. December (1759) erreichten wir Amſterdam; und unſre Fahrt hatte diesmal ein rundes Jahr, weniger einige Tage, gewaͤhrt. Von unſrer Bemannung,112 die 44 Koͤpfe betrug, hatten wir 9 Menſchen durch den Tod verloren.

Unthaͤtigkeit und traͤge Muße waren mir unleidlich. Jch engagirte mich daher ſofort wieder, als Unter-Steuermann, auf das Schiff de goede Verwachting, unter Kapitain Sie - wert, welches ſchon im Texel lag, nach St. Euſtaz beſtimmt war, und kurz vor Anfang des Jahres 1760 die Anker lichtete. Die ſpaͤte Jahrszeit ließ uns eine ſchwere ſtuͤrmi - ſche Fahrt in der Nordſee und im Kanal er - warten. Auch traf dieſe Befuͤrchtung nur zu puͤnktlich ein: denn wir buͤßten nicht nur mehrere Segel, ſondern auch Stengen und Raaen ein, und 5 Matroſen, ſammt dem Schiffszimmermann, hatten das Ungluͤck, ohne Rettung uͤber Bord geſpuͤlt zu werden. So kamen wir, in einem aͤuſſerſt beſchaͤdigten Zu - ſtande, in St. Euſtaz an; bewirkten jedoch binnen vier Wochen unſre Ausbeſſerung und Ruͤckladung, und mochten kaum die Haͤlfte unſers Weges nach Holland zuruͤckgelegt ha - ben, als wir von einem engliſchen Kriegs - ſchiffe genommen wurden. Die geſammte Mannſchaft, bis auf 4 Mann, mußte an deſ - ſen Bord hinuͤberwandern; und ſo wurden wir im Monat Mai nach Portsmouth auf - gebracht. Unſer Prozeß, ob recht oder un - recht, kam zu einer kurzen Entſcheidung: denn da man fuͤr gut fand, in unſrer Fracht fran -zoͤſiſches113zoͤſiſches Eigenthum zu wittern, ſo wurden Schiff und Ladung condemnirt, die Mann - ſchaft aber mit der ausgezahlten Gage von Einem Monat abgefunden. Noch verdruͤß - licher aber war uns das Erſchwerniß, welches wir fanden, England zu verlaſſen.

Unter dieſen Umſtaͤnden blieb mir nichts uͤbrig, als Dienſte auf einem engliſchen Schiffe, unter Kapitain Keppel, zu nehmen. So kam ich, mit Apſang des Julius, nach Danzig, von wo ich ſofort an meine Eltern nach Col - berg ſchrieb und ihnen meine Lage ſchilderte. Dies hatte die, fuͤr mich ſehr uͤberraſchende Folge, daß meine gute Mutter perſoͤnlich mit der Poſt nach Danzig kam, ſich hinter den preuſſiſchen Reſidenten ſteckte und durch Die - ſen es mit leichter Muͤhe dahin brachte, daß ich, als preuſſiſcher, und alſo Unterthan einer befreundeten Macht, von dem engliſchen Schiffe entlaſſen wurde. Unmittelbar darauf gieng ich mit meiner guͤtigen Befreierinn nach un - ſerer Vaterſtadt ab.

Kaum 5 oder 6 Wochen hatte ich im vaͤ - terlichen Hauſe zu meiner Erholung zuge - bracht, ſo trat fuͤr Colberg der Zeitpunkt je - ner zweiten denkwuͤrdigen Belagerung ein; und da die Ruſſen diesmal, beides zu Waſſer und zu Lande, operirten, ſo war auch der Hafen geſperrt, und ich ſaß alſo wieder in der Kaltſchale! Jndeß that ich meinen Dienſt,1. Bändchen. (8)114wie ich wußte und konnte, ebenſo, wie vor zwei Jahren; nur gieng es diesmal noch um Vieles waͤrmer her. Gluͤcklicher Weiſe dauerte unſer Nothſtand nur etwa drei Wochen, da denn die Feſtung durch den braven General Werner, wie durch ein Wunder, entſetzt wurde.

Waͤhrend dieſer Zeit des ſiebenjaͤhrigen Krieges blieb den preuſſiſchen Schiffen und Seeleuten, um ihrem Erwerb nachzugehen, kaum etwas Anderes uͤbrig, als unter der neutralen Danziger Flagge zu fahren. Jn ſolcher Weiſe gieng ich auch im October von Danzig nach Koͤnigsberg, und von Koͤnigs - berg mit einem Schiffe in See, das nach Amſterdam beſtimmt war und von Karl Chri - ſtian, einem in Pillau anſaͤßigen Schiffer, gefuͤhrt wurde. Jch hatte mich als Steuer - mann verdungen. Es war im November 1760; und ſo fehlte es in dieſer vorgeruͤckten Jahrs - zeit auch wiederum nicht an haͤufigem Sturm und Unwetter, womit wir beſonders in der Nordſee viel zu ſchaffen hatten.

Wir bekamen einen Leck, mit dem es bin - nen kurzem ſehr bedenklich wurde, weil die Ratzen die inwendige Fuͤtterung des Schiffs - bodens durchgefreſſen hatten; wo denn das Getreide, welches unſre Ladung ausmachte, in den untern Kielraum gerathen war und unſre Pumpen verſtopft hatte. Der Sturm ward je laͤnger je heftiger, und wir fuͤhlten115 uns dem Sinken nahe. Jn dieſer Noth blieb uns nichts uͤbrig, als das Schiff vor dem Winde hinlaufen zu laſſen, die Lucken zu oͤffnen und von unſrer Ladung ſoviel moͤglich uͤber Bord zu ſchaffen. Aber noch immer konnten wir keinen Hafen ſehen oder erreichen, als wir mit Einbruch der Nacht in die Schee - ren an der ſuͤdlichſten Spitze von Norwegen geriethen, wo wir zwar mit Muͤhe auf 70 bis 80 Klafter vor Anker kamen, aber doch nicht verhindern konnten, daß das Hintertheil des Schiffs auf eine Klippe ſtieß. Durch die Gewalt dieſes Stoßes zerbrach das Ruder ſammt dem Hinter-Steeven, und das Waſſer im Raume ſtieg mit jeder Viertelſtunde hoͤ - her. Wir brachten eine Nacht voll entſetz - licher Angſt zu und ſahen unſern gewiſſen Tod vor Augen.

Endlich aber daͤmmerte etwas Tageslicht auf und zeigte uns eine Oeffnung zwiſchen den Scheeren, die wir augenblicklich benutz - ten, indem wir unſer Ankertau kappten, zu - gleich aber auch eines Lootſen maͤchtig wur - den, der uns in den Hafen von Klewen, nahe bei Mandal, fuͤhrte. Froh des geret - teten Lebens beſſerten wir hier unſer hart be - ſchaͤdigtes Schiff aus; konnten aber erſt im Merz 1761, und mit ſtark verminderter La - dung, wieder in See gehen; worauf wir denn im April unſern Beſtimmungsort erreichten,116 unſer Getraide loͤſchten und dann einige Wo - chen ſpaͤter mit Ballaſt nach der Jnſel Noir - moutiers, weiter ſegelten, um hier eine La - dung Seeſalz als Ruͤckfracht nach Koͤnigsberg einzunehmen.

Waͤhrend unſrer Reiſe dahin und bei dem ſchoͤnen Wetter, das wir im Kanal trafen, beſchaͤftigten wir uns nebenher damit, die Ka - juͤte neu auszumalen. Dem Schiffer ward bei dieſer Arbeit uͤbel, und er legte ſich in ſeine Koje, waͤhrend ich ſelbſt einer Verrichtung auf dem Deck nachgieng. Kaum eine halbe Stunde nachher kam auch er wieder hervor; ſah ganz wild und verſtoͤrt aus und fragte mit Ungeſtuͤm: Was fuͤr Land dies ſey und wo ich mit dem Schiffe hin wolle? Mit Ver - wunderung nahm ich ſeinen ungewoͤhnlichen Zuſtand wahr; brachte ihn jedoch durch guͤt - liches Zureden in die Kajuͤte und auf ſein Lager zuruͤck; hatte aber kaum den Ruͤcken gewandt, als ich hinter mir ein erſtaunliches Bruͤllen und gleich darauf ein Gepolter hoͤrte, welches mich bewog, der Veranlaſſung naͤher nachznſchauen.

Da fand ich denn den Kapitain, der aus ſeinem Bette herabgetaumelt war, auf dem Boden der Kajuͤte ausgeſtreckt lag, aus Mund und Naſe ſtark blutete und ein Loch in den Kopf gefallen hatte. Sein Anblick war fuͤrch - terlich; und es ſchien ſich kaum noch eine117 Spur von Leben in ihm zu regen. Jch machte flugs Laͤrm; unſer Volk kam mir zu Huͤlfe; wir floͤßten ihm Waſſer und Brandt - wein ein; rieben ihn, verbanden ihm ſeine Wunde und brachten ihn wieder zu ſich. Auch ſein geſundes Bewußtſeyn ſchien wiederge - kehrt; ſo daß wir ihn mit guter Zuverſicht vom Verdeck, wo wir ihn behandelt hatten, wieder in ſeine Koje zur Ruhe legen konnten. Zu noch beſſerer Vorſicht blieb ich bei ihm und ſtreckte mich auf den Kleiderkaſten, der vor ſeinem Bette angebracht war.

Nichtsdeſtoweniger uͤberfiel es ihn gleich darauf von neuem; er taumelte uͤber mich weg auf den Fußboden der Kajuͤte; war ſtarr, beſinnungslos und einem Sterbenden aͤhnlich, bis wir ihn abermals auf’s Deck an die friſche Luft brachten, wo er ſich denn allmaͤh - lig wieder erholte. Jch fiel darauf, und bin auch noch jetzt der Meynung, daß der Grund dieſer ſonderbaren Wirkung in den friſchen Oelfarben zu ſuchen ſey, womit wir eben handthiert hatten; zumal in dem ſogenannten Koͤnigs-Gelb, das wir zum Anſtrich einiger Leiſten dicht an ſeiner Koje gewaͤhlt, und deſ - ſen ſchaͤdliche Ausduͤnſtungen er unmittelbar mit dem Athem in ſich gezogen haben konnte. Wir behielten ihn darum auch auf dem Ver - deck und dann in einem luftigen Abſchlage, bis wir ihn vollkom̃en wieder geneſen glaubten.

118

Einige Tage ſpaͤter befanden wir uns Morgens unter Oueſſant, als ich eben mit meiner Wache fertig war; und da der Ka - pitain auf’s Deck kam, um mich abzuloͤſen, bedeutete ich ihn: Dort haben wir Oueſſant. Wir duͤrfen nicht ſuͤdlicher ſteuern, als Suͤd - ſuͤdweſt, wenn wir nicht hier in die Bucht zwiſchen den Klippen verfallen wollen. Jch war auch zu dieſer wohlgemeynten Wei - ſung um ſo befugter, weil ich ohnehin auf dem Schiffe meiſt Alles allein zu leiten hatte: denn mit des Mannes Steuerkunſt war es herzlich ſchlecht beſtellt, indem er zwar einige Reiſen nach Oſtindien, aber nur als Zimmer - mann, gemacht hatte. Seine Anſtellung als Schiffer hatte er lediglich der Gunſt einiger Rheeder in Koͤnigsberg, den Verwandten ſei - ner Frau, zu danken. Auch wurden von ſei - nen fruͤheren Fahrten allerlei ſeltſame Dinge erzaͤhlt, die ſein Ungeſchick zu einem ſolchen Poſten ſattſam bewieſen. Als Seemann konnt er es uͤbrigens mit den Bravſten aufnehmen.

Waͤhrend ich in meine Koje zur Ruhe gieng, nahm Jener ſein Werkgeraͤth und machte ſich an der Zimmerung des Bootes etwas zu ſchaffen Ehe mir aber noch die Augen recht zufielen, kam er aus demſelben hervor, trat zu dem Matroſen am Steuer, und fragte: Was ſteuert Jhr? Suͤdſuͤdweſt, Herr! war die Antwort. Ei, warum nicht gar! 119Steuert Suͤdſuͤdoſt! befahl der Schiffer. Jch erſchrack, und gerieth immer mehr in Nachdenken, was ihn zu dieſer Widerſinnig - keit veranlaſſen koͤnne. Kaum zehn Minuten ſpaͤter kam er nochmals und gebot dem Mann am Ruder, vollends gegen Suͤdoſt zu ſteuern. Sogleich ſprang ich auf, uͤberzeugte mich, daß Dieſer wirklich den anbefohlenen Kurs hielt, und rief nun augenblicklich dem Kapi - tain zu: Um Gottes willen! Mit dem Suͤdoſt-Kurs ſind wir ja gleich im Ungluͤck! Wir muͤſſen wieder ſuͤdweſtlich ſteuern.

Der harte Kopf that, als hoͤrte er mich nicht, und gab keine Antwort. Jch rannte zu dem Matroſen und donnerte auf ihn ein: Steuert Suͤdweſt! Der Schiffer, dies hoͤrend, warf ſeine Zimmeraxt uͤber Seite, kam heran, und gebot Seinerſeits: Steuert Suͤdoſt! Was blieb mir jetzt uͤbrig, als dem Kerl die Ruderpinne aus der Hand zu reiſſen, und ſo meinen Willen zu erzwingen? bis Jener ſie mir wiederum mit Gewalt ent - riß und wuͤthend erklaͤrte, daß es bei Suͤdoſt verbleiben ſolle.

So abgewieſen, gieng ich in den Roof, wo ich mein Wachtvolk herausrief und nun auch Meinerſeits erklaͤrte: Der Schiffer wolle uns mit ſeinem Eigenſinn in’s Ungluͤck brin - gen; wir fuͤhren mit dieſem Kurs dem Ver - derben in den offenen Rachen. Gleich hin120 nach vorne, und ausgeſchaut nach Klippen und Brandung! Jn der That auch war kaum eine halbe Stunde verlaufen, ſo ſchrieen die Leute: Ho da! Klippen-Brandung vor uns! Jetzt hielt ich mich auch nicht laͤnger; griff, wie ein Sturm, in’s Ruder, holte es hart an die Backbord-Seite, und ſah mit Herzbeben rings umher ein Labyrinth von Klippen weiß aufſchaͤumen.

Auch der Kapitain ſah, was vorgieng, und ſchlich bleich und zitternd nach der Kajuͤte, waͤhrend ich, mit Huͤlfe der Uebrigen, das Schiff wendete und, da mir der Wind guͤn - ſtig in die Segel ſtand, auch das kaum ver - hoffte Gluͤck hatte, mich mit Kreuzen und La - viren endlich wieder aus dem Untergang dro - henden Gedraͤnge wieder herauszufinden. Von unſerm Schiffer war und blieb nichts zu ſe - hen, bis zur Eſſenszeit, da er mich, wie ge - woͤhnlich, zu Tiſche rufen ließ. Kaum trat ich in die Kajuͤte, ſo fiel er mir um den Hals; geſtand, er ſey ganz von Sinnen geweſen, und bat mich, alles Geſchehene zu vergeſſen; mit heiliger Zuſicherung, daß er mir kuͤnftig ganz meinen Willen laſſen wolle. Jch ſchaͤrfte ihm jedoch ein wenig das Gewiſſen durch Vorſtel - lung, wie nahe es daran geweſen, daß wir Alle durch ſeine Schuld Kinder des Todes gewor - den. Er erkannte das; gab gute Worte, und damit war die Sache abgethan.

121

Auf der Heimreiſe hatten wir den Kanal bereits wieder paſſirt und bei Nacht die Leucht - feuer bei Dower deutlich erkannt, indem wir bei einem, zum Sturm werdenden Weſtſuͤd - weſt-Winde herliefen. Weiterhin in die Nord - ſee, wo dieſe mehr Breite gewann, fanden wir gewaltig hohe Wogen, die unſerm tief mit Salz geladenen Schiffe durch oͤfteres Ue - berſtuͤrzen ſehr beſchwerlich fielen. Eben war meine letzte Nachtwache von zwoͤlf bis 4 Uhr zu Ende. Jch gieng demnach zum Kapitain in die Kajuͤte, um ihm zu ſagen, daß ſeine Wache begoͤnne; daß es gewaltig ſtuͤrme, und daß, wofern der Wind nicht bald nachlieſſe, es noͤthig werden moͤchte, die Segel einzu - nehmen und gegen den Wind zu legen. An - ders ſey mir bange, daß uns nicht Boot, Waſſerfaͤſſer und ſelbſt Menſchen durch die Sturzwellen uͤber Bord geriſſen wuͤrden.

Muͤde ſuchte ich meine Lagerſtaͤtte, ohne jedoch einſchlafen zu koͤnnen. Jch hoͤrte den Kapitain auf’s Deck hervor kommen und wieder in die Kajuͤte zuruͤck kehren, wobei er Morgen - und Bußlieder zu ſingen be - gann. Das daͤuchtete mir an ihm um ſo verwunderlicher, da er waͤhrend der ganzen Reiſe, außer der Zeit des gewoͤhnlichen Schiffsgebets, nie ein geiſtliches Buch in die Haͤnde genommen, noch eine Geſang-Note angeſtimmt hatte. Das mag wohl gar ein122 Zeichen vor ſeinem Ende ſeyn; ſagte ich zu mir ſelbſt Nun, ſo iſt es doch im - mer das Schlimmſte nicht, was er thun kann.

Eine Stunde ſpaͤter trat er an mein Bette, um mich zu fragen, ob ich ſchliefe? Kann man es wohl bei Eurer ſeltſa - men Muſik? war meine Antwort. Nun ſagte er mir: es werde nicht anders ſeyn, als daß wir die Segel einreffen und gegen den Wind wuͤrden drehen muͤſſen. Zugleich bat er mich, daß ich mich etwas in die Klei - der wuͤrfe und mit meinen Leuten auf dem Platze waͤre, waͤhrend er ſelbſt mit ſeinem Wachvolk die Kliefhack (Beſaane) einnehmen wolle. Flugs ſprang ich mit gleichen Fuͤßen aus den Federn, machte Laͤrm und brachte meine Mannſchaft auf die Beine. Aber noch ſteckte ich ſelbſt erſt halb |in ei - nem Stiefel, ſo begann der Mann am Ru - der ein helles Geſchrei, ohne daß ich eine Veranlaſſung dazu begriff. Jch ſtuͤrzte her - vor Kerl, biſt du toll? Was ficht dich an? Mein Gott! mein Gott! Da vorne muß ein Ungluͤck paſſirt ſeyn. Sie lamentiren Alle ganz klaͤglich durch ein - ander.

Jn drei Spruͤngen war ich vorne am Bug. Was iſt’s? was fehlt euch? |Sprecht! Ach, das Gott erbarme! der Schiffer iſt123 uͤber Bord! Nun denn, nicht lange beſonnen! Friſch, daß wir ihm helfen! Sogleich griff ich nach allem Tauwerk, das mir zunaͤchſt zur Hand kam, und ließ die Enden uͤber Bord laufen, damit ſich der Un - gluͤckliche vielleicht daran halten moͤchte. Das Gleiche that ich hinten auf dem Ka - juͤten-Deck; aber immer noch, ohne zu wiſ - ſen, nach welcher Seite ich ihn eigentlich zu ſuchen hatte, da das Schiff eine fliegende Fahrt lief. Endlich nahm ich wahr, daß er hinten im Kielwaſſer in die Hoͤhe tauchte, ſich in einer Entfernung von zehn oder zwan - zig Klaftern hinter dem Schiffe zum Schwim - men umwarf und nun mit Macht zu Ru - dern begann. Daß er ein fertiger Schwim - mer ſey, der in Oſtindien wohl Strecken von mehr als einer Viertelmeile zuruͤckgelegt habe, hatte er ſelbſt mir oftmals erzaͤhlt, und auch wohl hinzugeſetzt: Er glaube gar nicht, daß er erſaufen koͤnne.

Sobald ich Seiner anſichtig wurde, holte ich das Ruder nach der Steuerbord-Seite, um das Schiff bei den Wind zu legen und dadurch moͤglichſt aufzuhalten. Jn dieſer Stellung aber legte es ſich (da es ohnehin der tiefen Ladung wegen nur wenig Bord hielt) ſo uͤbermaͤßig auf die Seite, daß ſo - gar die Kajuͤten-Thuͤre unter Waſſer ge - rieth und daſſelbe wie zu einer Schleuſe124 hineinſtuͤrzte. Jn dieſer Lage ſtanden wir, wenn ſie noch wenige Minuten anhielt, in der augenſcheinlichſten Gefahr, auf der Stelle zu ſinken. Jch mußte mich entſchie - ßen, das Ruder wieder nach der andern Seite zu holen, um das Schiff in die Hoͤhe zu bringen, bevor es ſeinen Schwerpunkt verloͤre.

Wohl brach mir mein Herz, wenn ich an den armen Kapitain gedachte, den wir noch von Zeit zu Zeit mit dem ſtuͤrmenden Elemente kaͤmpfend erblickten, ſo oft die Woge ihn empor hob. Es gab kein Mittel mehr, uns in ſeiner Naͤhe zu erhalten, da das Schiff, vom Winde gejagt, gleich einem Pfeile, durch die Fluthen dahin ſchoß. Der Ungluͤckliche war nicht zu retten; ſelbſt wenn wir unſer eignes Leben haͤtten preiß geben wollen! Sogar jetzt, wo ich mich frei von der unſaͤglichen Beſtuͤrzung fuͤhle, die in je - nen ſchrecklichen Augenblicken auf uns Alle druͤckte, weiß ich nicht, was noch anderes und mehr zu ſeinem Beiſtande von uns haͤtte verſucht werden koͤnnen.

Mittlerweile hielt der Sturm noch im - mer an, ohne jedoch haͤrter zu werden. Jch wagte es daher, das Schiff vor dem Winde hinlaufen zu laſſen, bis ſich, mit dem naͤch - ſten Tage, das Wetter allmaͤhlig wieder beſ - ſerte. Nun aber lag mir eine andre ſchwere125 Sorge auf dem Herzen, wie ich, bei uͤber - nommener Fuͤhrung des Schiffs, den man - cherlei Verantwortlichkeiten entgehen wollte, die uͤber den Nachlaß unſers ungluͤcklichen Kapitains entſtehen konnten. Unſer ganzer Vorrath an Brodt, Gruͤtze, Erbſen und uͤbri - gen Lebensmitteln war in der Kajuͤte aufbe - wahrt; und Koch und Kochs-Maat hatten taͤglich und ſtuͤndlich ihren Gang in dieſelbe, um das Noͤthige hervor zu holen. Zugleich aber lagen hier auch des Schiffers Habſelig - keiten umher; und ich wußte, daß es ihm nicht an Geld und Geldeswerth gefehlt hatte. Noch mehr: Er hatte mir zu Zeiten einen bedeutenden Vorrath von Koſtbarkei - ten an Gold und Silber vorgewieſen, zu deren Einkauf in Amſterdam ihm von ſeinen Koͤnigsberger Freunden Auftrag gegeben worden. Auch dieſe mußten in der Kajuͤte und, wie ich vermuthete, in ſeinem Kaſten befindlich ſeyn.

Um mich dieſerwegen auf jede Weiſe zu ſichern, ließ ich gleich am andern Tage das ganze Schiffsvolk, bis auf den Matroſen, der das Steuer verſah, in die Kajuͤte zu - ſammen kommen. Jn ihrer Gegenwart nahm ich ein ſchriftliches Verzeichniß von ſaͤmmtlicher Habe unſers verſtorbenen Schif - fers auf; wir packten dies Alles in die vor - handenen Kiſten, Kaſten und Saͤcke, und126 ſchritten dann zu einer allgemeinen Verſiege - lung derſelben, damit weiter keine Hand daran ruͤhren duͤrfte. Das dazu gebrauchte Pett - ſchaft aber ward von mir, vor ihrer Aller Augen, durch das Kajuͤten-Fenſter in die See geworfen.

Da bei dieſer Verhandlung alle und jede Behaͤltniſſe hatten geoͤffnet werden muͤſſen, um nachzuſehen, ob ſie keine Schiffs-Papiere enthielten, die mir im Sunde oder ſonſt noͤ - thig werden konnten, ſo erſtaunte ich nicht wenig, daß ſich hierbei nirgends weder Gel - der und Baarſchaften, noch ſeine Taſchenuhr und ſilbernen Schuh - und Knie-Schnallen, noch endlich auch jene vorerwaͤhnten golde - nen und ſilbernen Galanterie-Waaren vor - finden lieſſen. Unſre Meinung fiel endlich dahin aus, daß der verungluͤckte Eigenthuͤ - mer dieſe Sachen wohl hie und da ver - ſteckt haben moͤchte, um ſie vor den gie - rigen Blicken und langen Fingern der Ka - per-Mannſchaften zu ſichern, die je zuweilen ungelegene Beſuche an unſerm Borde mach - ten. Allein wie ſorgfaͤltig wir auch jeden Winkel der Kajuͤte durchſuchten, ſo ließ ſich doch nicht die mindeſte Spur des Verlornen entdecken.

Des dritten Tages nachher war ich im Sunde, und zwei Tage ſpaͤter vor Pillau. Der Wind ſtuͤrmte gerade auf das Land zu;127 es gieng eine hohe See; und wie gerne ich auch lieber geraden Weges auf Koͤnigsberg gegangen waͤre, ſo blieb hier doch nichts an - ders zu thun, als in den Pillauer Hafen einzuſetzen. Allein auch dies blieb ein Wag - ſtuͤck, wozu Muth gehoͤrte. Sobald jedoch die noͤthigen Vorbereitungen getroffen, die Kajuͤten-Fenſter vermacht und die Leute auf ihrem Poſten waren, ließ ich das Schiff vor dem Winde laufen. Gluͤcklich trafen wir das Fahrwaſſer zwiſchen den Haaken; zugleich aber uͤberflutete uns in der Bran - dung Eine Sturzwoge nach der Andern von hinten her; das Schiff ſtieß auf den Grund; hob ſich jedoch mit der naͤchſten nachfahren - den Welle wieder, und ich waͤre mit dem bloßen Schreck davon gekommen, haͤtte nicht dieſe nemliche Welle uns das Steuerruder aus den Angeln gehoben und davon gefuͤhrt. Noch aber verlor ich die Beſinnung nicht, ſteuerte mit den Segeln, ſo gut ich ver - mochte, und kam endlich bei Pillau, ohn - weit des Bollwerks, wohlbehalten vor Anker.

Mein kuͤhnes Beginnen hatte eine Menge neugieriger Menſchen am Bollwerk verſamm - let, und das nur um ſo mehr, als man bald auch unſer Schiff erkannte. Jch Mei - nerſeits bemerkte unter dieſen Zuſchauern, mit wehmuͤthiger Empfindung, unſers ver - ungluͤckten Schiffers Frau, die ihre Kinder -128 chen zur Seite hatte und eifrig nach uns ausſah. Kaum trat ich an Land und fiel ihr in die Augen, ſo rief ſie mit ſichtbarer Beaͤnſtigung: Gott im Himmel! wo iſt mein Mann? Alles, was zugegen war, umſtand mich und fragte: Wo iſt Schiffer Karl Chriſtian? Krank! krank! war meine zwar vorbereitete, aber durch Ton und Geberde nur ſchlecht beglaubigte Ant - wort. Jch ſuchte nur mich los zu machen und eilte zum reformirten Prediger, dem Beichtvater der armen Frau, dem ich den ganzen traurigen Vorfall mittheilte und ihn mit der Bitte angieng, ihr die Todespoſt auf eine gute Weiſe beizubringen und mit ſeinem Troſte beiraͤthig zu ſeyn.

Das geſchah denn auch auf der Stelle. Jch ſelbſt fand mich demnaͤchſt auch ein, um der leidige Beſtaͤtiger ſeiner Zeitung zu ſeyn; und ich darf wohl ſagen, daß mir das ein ſchwerer und bittrer Gang geworden. Am naͤchſten Morgen, wo ich hoffen konnte, daß die ungluͤckliche Wittwe ſich der Weh - klage etwas begeben und zu mehrerer Faſ - ſung gekommen ſeyn wuͤrde, gieng ich wie - derum zu ihr, und kuͤndigte ihr an, daß, da ich mit dem Schiffe unverweilt nach Koͤ - nigsberg hinaufgehen muͤßte, ich ihr heute noch ihres verſtorbenen Mannes Sachen und Geraͤthſchaften vom Schiffe in’s Haus ſchickenwuͤr -129wuͤrde. Zugleich aber mußt ich ihr leider auch ankuͤndigen, daß ſowohl ſeine Baarſchaf - ten, als eine Menge andrer Sachen von Werthe, auf eine, uns Allen unbegreifliche Weiſe, unter ſeinem Nachlaß vermißt wuͤr - den, wofern ſich nicht etwa noch in ſeinen Papieren daruͤber eine naͤhere Auskunft ergaͤbe.

Nach dieſem betruͤbenden Abſchiede langte ich mit dem Schiffe bei Koͤnigsberg an und meldete mich bei den Rheedern deſſelben. Hier war es ſofort das Erſte, daß wir ſaͤm̃t - liches Schiffsvolk zu einer eidlichen Erklaͤrung uͤber alle einzelnen Umſtaͤnde des dem Schif - fer widerfahrnen Ungluͤcks aufgefordert wur - den. Wir Alle, und ich inſonderheit, muß - ten uns auf gleiche Weiſe von jedem Ver - dachte einer Veruntreuung ſeines Eigenthums reinigen und unſre Unkenntniß, wohin die verſchwundenen Sachen gekommen, erhaͤrten. Haͤtte nur dieſe gerichtliche Prozedur zugleich auch meine Unſchuld vor den Augen der Welt und der giftigen Stimme der Laͤſterung zu rechtfertigen vermocht! Aber leider! fiel hier die Sache ganz anders! Jch mußte mir hinter meinem Ruͤcken Dinge nachſagen laſſen, an die meine Seele nie gedacht hatte. Jch galt wohl uͤberall fuͤr den Dieb, der Wittwen und Waiſen verkuͤrzt habe, und mußte es duldeu, daß oftmals auch in meinem Beiſeyn mit ſpitzigen Worten auf dergleichen gedeutelt1. Bändchen. (9)130wurde. Wie oft, aber auch wie ſchmerzlich bitter, hab ich’s Gott geklagt und daruͤber im Stillen meine Thraͤnen geweint!

Die naͤchſte Wirkung dieſes unſeligen Ver - dachtes war, daß, nachdem das Schiff ausge - laden worden, ich, anſtatt die Fuͤhrung deſſel - ben zu erhalten (wie ſonſt wohl geſchehen waͤre) es an den Schiffer Chriſtian Kummerow uͤber - geben mußte. Ja, meine ganze Lebenslage ſchien hieruͤber eine andre Richtung nehmen zu wollen. Als verlobter Braͤutigam einer Tochter des Segelmachers Johann Meller in Koͤnigsberg, und mit großen Ausſichten und Plaͤnen, war ich vormals ausgefahren: jetzt kam dieſe Heirath zwar wirklich zu Stande; aber ich ließ die Fluͤgel maͤchtig haͤngen und beſchraͤnkte meinen in die weite Welt ſtreben - den Sinn nunmehr auf das enge Verkehr ei - nes kleinen Bordings-Rheeders, und meine weiteſten Reiſen begrenzten ſich in dem ſpan - nenlangen Raume zwiſchen Koͤnigsberg, Pillau und Elbing. Es war der leidige Gang ei - nes Langohrs in der Muͤhle!

Waͤre aber mein freier, immer ins Weite geſtellte Sinn eines ſolchen Auſternlebens nicht ſchon an ſich ſelbſt fruͤhzeitig muͤde ge - worden, ſo waren doch Zeit und Umſtaͤnde eben ſo wenig dazu gemacht, mir dieſe Unluſt durch anderweitige Vortheile zu verguͤten. Mein Bordingskahn war ein altes Fahrzeug,131 das meinem Schwiegervater gehoͤrte, und worauf ich ihm die Haͤlfte des taxirten Wer - thes von 2000 Gulden Preuß. baar ausge - zahlt hatte. Es waͤhrte aber nicht lange, ſo ward ich, gleich vielen Andern Meines - gleichen, von den Ruſſen, die damals in ganz Preuſſen den Meiſter ſpielten, gepreßt und zum Tranſport von Proviant und Militair - Effecten von Pillau nach Elbing und Stuthof gebraucht. An Bezahlung war hierbei im ge - ringſten nicht zu denken: deſto reichlicher aber gab es hier uͤble Behandlung und allerlei Verdruͤßlichkeiten zu verdauen, die mir die Galle in’s Blut jagten. Jch entſchloß mich daher kurz und gut, der Pauke ein Loch zu machen.

Eben lag ich auf dem friſchen Haff bei Stuthof vor Anker. Jch war ledig, und ſollte nach Pillau gehen. Ein ruſſiſcher Soldat war mir an Bord zur Aufſicht gegeben, der keinen Augenblick von mir weichen ſollte. Dennoch war leicht ein Vorwand gefunden, ihn an’s Land zu locken und dort bei der Flaſche ſo angelegentlich zu beſchaͤftigen, daß ich mich auf mein Fahrzeug zuruͤckſchleichen, den Anker lichten und meines Weges davon - ſegeln konnte. Der arme Kerl, der mich in - deß nur zubald vermißte, lief mir wohl eine halbe Meile am Strande nach, ſchrie und be - ſchwor mich bei all ſeinen Heiligen, daß ich132 ihn wieder einnehmen moͤchte. Dazu hatte ich nun freilich keine Ohren; ich ſpannte vielmehr noch ein Segel mehr auf, und kam ihm ſo bald aus dem Geſichte, bis ich auf dem Pregel bei Fiſchhof anlegte. Hier wim - melte es eben von Schiffen, welche Bordings brauchten, um ihnen einen Theil ihrer Fracht nachzufuͤhren, und wo ich auf eine beſſere Erndte zu rechnen hatte.

Wirklich auch accordirte ich hier ſogleich eine gute Fracht nach Pillau; doch machte ich, zu meiner Sicherheit, dem Schiffer die Be - dingung, daß ich jenem Orte nicht naͤher, als uͤber den Grund in der Rinne, (dem Fahr - waſſer) kommen duͤrfte, und daß er mich, ſobald ich ihm die Guͤter wieder an Bord ge - geben, durch ſeine Leute ſogleich auf’s Haff zuruͤckbugſieren helfen ſollte. So dachte ich denn dies Spiel noch oͤfter zu wiederholen, ohne den Ruſſen in die Scheeren zu gera - then, und ſie oben ein in’s Faͤuſtchen auszu - lachen. Diesmal zwar gelang es: aber den - noch war der Handel, als ich Fiſchhof wie - der erreichte, ſchon verrathen; und ein paar bekannte Lootſen, die von Pillau kamen, warn - ten mich, dort dem Frieden nicht zu trauen, indem mir von meinen Widerſachern bereits aufgepaßt werde.

Das Schiff, deſſen Guͤter ich diesmal ein - genommen hatte, war indeß ſchon vor mir133 nach Pillau abgeſegelt, und es blieb nichts uͤbrig, als ihm nachzufolgen: aber zu gleicher Zeit verließ mich mein Schiffsvolk heimlich, dem es wohl bange werden mochte, mit mir bei den Ruſſen in die Patſche zu kommen. Jch ſah mich alſo auf meinem Bording allein, ohne mir Rath zu wiſſen; bis am andern Tage ein betrunkener Menſch (Er war Nachtwaͤch - ter in Pillau) ſeines Weges von Koͤnigsberg, laͤngs des Dammes, einhergetaumelt kam, dem ich die freie Fahrt nach Hauſe anbot, wenn er an Bord kommen und mir etwas helfen wollte. Das ward gerne angenommen; und obwohl er ſich einigermaaſſen wunderte, daß er mich ſo mutterſeelenallein handthieren ſah, ſo be - ruhigte ihn doch meine Verſicherung, daß ſich mein Volk wohl finden werde; er half mir mein Fahrzeug losmachen und die Segel auf - ziehen, ſo gut er’s in ſeinem Zuſtande ver - mochte, und ſuchte dann bald einen Winkel, ſein Raͤuſchchen vollends auszuſchlafen.

Der Wind war guͤnſtig, und ich ſteuerte, ſo gut es gehen wollte, auf Pillau zu. Gegen den Abend ſah ich das Schiff, welches ich ſuchte, bereits in der Rinne vor Anker liegen. Allein in eben dem Augenblick, wo ich mich ihm an Bord legte, erblickte ich auch ein Boot, mit ruſſiſchen Soldaten angefuͤllt, die ſich mir naͤherten und es unfehlbar auf mich gemuͤnzt zu haben ſchienen. Nun galt es134 denn im Ernſt! Auf mein Bitten verſprach mir indeß der Schiffer, nicht nur mich in ſeiner Joͤlle und durch ſeine Leute alſogleich bei dem Schwaalkenberge an Land bringen zu laſſen, ſondern auch meinen Bording, ſobald er ledig geworden, hinter den Haacken in Sicherheit zu ſchaffen.

Schnell warf ich mich nun in das Boot, und ſchluͤpfte, in der eingebrochenen Dunkel - heit, an meinen Verfolgern gluͤcklich voruͤber. Der Wind gieng heftig aus Weſten, und es gab eine hohe See. Obenein kamen wir, noch in weiter Entfernung vom Lande, auf den Grund zu ſitzen; ſo daß das Boot hoch voll Waſſer ſpuͤlte. Waͤhrend die Kerle fluch - ten und ſchoͤpften, bedachte ich mich nicht lange, uͤber Bord zu ſpringen. Jch kam auf der Bank bis an den halben Leib in’s Waſſer; ſo wie ich aber dem Ufer naͤher watete, ge - rieth ich immer tiefer jetzt bis unter die Arme, dann bis an den Hals hinein; und endlich mußte ich mich zum Schwimmen be - quemen. So erreichte ich triefend das Land und gieng nach Lockſtaͤdt, wo ich nicht nur Gelegenheit fand, mich am warmen Ofen zu trocknen, ſondern mir auch ein Pferd beſtellte, auf welchem ich fruͤh vor Tage mich davon machte und zu Mittage Koͤnigsberg mit dem Vorſatz erreichte, mich im Hauſe meines Schwiegervaters zu verbergen.

135

Doch etliche Stunden ſpaͤter fand ſich auch bereits ein ruſſiſcher Officier mit vier Mann Wache und in Begleitung des Bordings - Factors Mager ein, um mich hier aufzu - ſuchen und feſtzunehmen. Sie trafen ſogleich auf der Hausflur mit mir zuſammen; und der Factor, welcher ſich ſtellte, mich nicht zu kennen, fragte mich, wo der Schiffer Nettel - beck zu finden ſey? Jch ſtutzte einen Augen - blick, ermuthigte mich aber doch alsbald zu dem Beſcheide: Den wuͤrden ſie wohl in Pil - lau ſuchen muͤſſen. Nein! nein! unter - brach mich der Officier, welcher deutſch ſprach Wir wiſſen, daß er hier ſchon wieder zu haben iſt. Wir wollen ihn wohl heraus - klopfen. Klopft nur! dacht ich, und ſchritt ganz laͤſſig zur hintern Hofthuͤre hinaus. Kaum aber hatt ich dieſe auch nur im Ruͤcken, ſo haͤtte man ſehen ſollen, was fuͤr lange Beine ich machte, um in den Garten und uͤber alle Zaͤune, Planken und Hecken hinweg an den Neuen Graben zu kommen, wo ich bei einem guten Freunde, Heinrich Topen, eine neue Zuflucht zu finden wußte.

Hier blieb ich unentdeckt, waͤhrend im Hauſe meines Schwiegervaters jeder Winkel auf’s ſorgfaͤltigſte nach mir durchſtoͤbert wurde. Dagegen ward in Pillau mein Bordingskahn nicht ſobald ledig, als ihn die Ruſſen auch in Beſchlag nahmen, neu bemannten und, bis136 ſpaͤt in den Herbſt hinein, zu ihrem Gebrauch verwandten, wo ſie ihn endlich, rein ausge - pluͤndert und der Segel und des Tauwerks beraubt, als ein Wrack liegen lieſſen. Ver - gebens bat ich ſchriftlich einige Freunde in Pillau, nach meinem Eigenthum zu ſehen: denn Niemand wollte ſich damit befaſſen, um ſich nicht vielleicht mit den Ruſſen boͤſe Haͤn - del zu machen.

Endlich verblutete ſich die Geſchichte; ſo daß ich’s allmaͤhlig wagte, aus meinem Ver - ſteck hervorzukommen; und im Fruͤhling 1762 durfte ich mich ſelbſt wieder in Pillau blicken laſſen. Mein Fahrzeug ſtand hier am Damm auf dem Grunde, von welchem ich es vor allen Dingen abbrachte. Dann ſetzte ich es nach Moͤglichkeit wieder in Stand, und fuͤhrte es nach Koͤnigsberg, um Seiner nur zu jedem Preiſe loszuwerden, und nun die Arme ein wenig freier zu ruͤhren. Zu dieſem Ende erſtand ich wieder ein zwar nicht großes, aber tuͤchtiges Seeſchiff, der Poſtreiter ge - nannt, von 45 bis 50 Laſten, und fand auch ſogleich eine erwuͤnſchte Ladung von Malz, nach Wolgaſt beſtimmt, die fuͤr 22 holl. Gul - den die Laſt bedungen wurde. Nun ſaͤumte ich nicht, unter ruſſiſchen Paͤſſen, meine erſte Reiſe dahin anzutreten.

Als ich in Wolgaſt vor Anker gekommen, vertraute mir Hr. Cantzler, der Empfaͤnger137 der Ladung, daß dieſelbe fuͤr die Preuſſen in Stettin beſtimmt ſey, und bat mich, ſolange zu verweilen, bis er eines Fahrzeugs hab - haft geworden, das ſie heimlich, bei Nacht und Nebel, dorthin ſchaffen ſolle.

Jch ließ mir das gefallen. Als aber die Ankunft des Schmugglers ſich von Einem Tage zum Andern verzog, ward mir Zeit und Weile lang; und zugleich auch erwachte in mir der Patriotismus, meinen Pommer - ſchen Landsleuten in Stettin etwas zur Liebe zu thun. So machte ich mich denn zu Hrn. Cantzler, und ſtellte ihm vor: Mein Fahrzeug gienge nicht tief und waͤre gar wohl geeig - net, uͤber’s Haff und deſſen Untiefen zu paſ - ſiren. Waͤr es ihm recht, ſo unternaͤhm ich es wohl ſelbſt, die Ladung nach Stettin zu bringen, da ich dieſer Gegend hinreichend kundig waͤre.

Mir ſchon recht! erwiederte der Han - delsherr erfreut Will Er ſein Schiff dran wagen, Herr: die Ladung muß gewagt werden! Wie hoch die Fracht? Wir wurden um 500 Thaler einig. Aber ſehe ſich der Herr wohl vor! ſetzte Jener warnend hinzu Auf dem Haff liegt eine ganze Flotte von unſern ſchwediſchen armir - ten Schiffen. Das wird Kuͤnſte koſten! Was war zu machen? Der Schritt war ein - mal gethan; und waͤre mir der Handel nun138 auch leid geworden, ſo erlaubte mein Ehr - gefuͤhl doch nicht, jetzt noch zuruͤckzutreten.

Fuͤrerſt gieng ich mit meinem Schiffe die Peene hinauf, bis ohnfern an den ſogenann - ten Bock am Eingange des Haffs. Hier ſah ich die ſchwediſche Armirung in einem weiten Halb-Zirkel vor mir liegen, und in der Mitte derſelben eine Fregatte; ſo daß das Ding nicht wenig bedenklich ausſah und ich meinem Muthe wacker zuſprechen mußte. Jndeß peilte ich noch bei Tage mit dem Kompaß, wohinaus die groͤßte Oeffnung zwi - ſchen den Fahrzeugen war. Die Nacht fiel rabendunkel ein; der Wind war friſch, mit Regen und Donnerwetter vergeſellſchaftet, und Alles ſchien mein Unternehmen beguͤnſtigen zu wollen.

Um eilf Uhr endlich hob ich den Anker und ſegelte gluͤcklich und ohne Hinderniß durch die Flotte, deren eigene aufgeſteckte Feuer mir ſogar die Richtung noch deutlicher angaben. Schon hatt ich ſie eine Viertelmeile im Ruͤcken und glaubte mich geborgen, als unerwartet ein Schuß nach mir hin fiel, der, wie ich jetzt erſt bemerkte, von einer, auf Vorpoſt ausgeſtellten Galley kam. Himmel! wie ſpu - tete ich mich, jedes Segel aufzuſetzen, das mein Schiffchen nur tragen konnte, welches uͤberdem, zu meinem Troſte und ſeinen Na - men rechtfertigend, ein trefflicher Segler war. 139Nicht lange aber, ſo blitzte noch ein zweiter Schuß von der Seite nach mir auf; und die - ſer kam von einem andern Vorpoſten-Schiffe, dem ich ebenſowenig Rede zu ſtehen geſon - nen war.

Nunmehr machten beide Galleyen die ganze Nacht hindurch Jagd auf mich und kamen mir in der That nahe genug, daß unter den unzaͤhligen Kugeln, womit ſie mich begruͤßten, viere durch meine Segel giengen. Mit Tages-Anbruch war ich gegen Neu-Warp uͤber. Hier aber kamen mir bereits drei von unſern Preuſſiſchen armirten Fahrzeugen entgegen, die gewoͤhnlich bei Ziegenort lagen und durch das naͤchtliche Schieſſen allarmirt worden waren. Unter ihrem Schutze hin - derte mich denn nichts, meinen Beſtimmungs - ort zu erreichen und meine Fracht abzuliefern.

Waͤhrend ich hier lag, kam der Friede mit Rußland zu Stande. Die Conjuncturen benutzend, macht ich ſchnell hinter einander eine Reihe gluͤcklicher Fahrten; von Stettin nach Colberg mit Salz, woran es dort, nach der dritten Belagerung und bei den zerſtoͤr - ten Salzkoten, dringend fehlte; von hier mit einer Ladung Wein nach Koͤnigsberg und wiederum dahin zuruͤck mit Roggen. Auf dieſer letztern Reiſe kreuzte ich, bei widrigem Winde, unter der Halbinſel Hela vor Danzig; und hier ſah ich ein großes ruſſiſches Schiff140 auf dem Strande ſtehen, an deſſen Borde es einen gewaltigen Laͤrmen gab. Da das Wet - ter gut war, kam mich die Luſt an, mein Boot auszuſetzen und naͤher heranzufahren. Man ließ mich aber ſogar das Verdeck be - treten, ohne meine Anweſenheit gewahr zu werden oder zu beachten. Alles lief darauf verwirrt durch einander, und das nur um ſo mehr, je aͤrger der ruſſiſche Landofficier, der hier das Commando zu fuͤhren ſchien, drauf los ſchlug und wetterte. Seeleute und Soldaten waren gleichfalls National-Ruſſen; und was und wie ſie es angriffen, um das Schiff wieder abzubringen, war durchaus verkehrte und thoͤrichte Arbeit.

Wenig erbaut durch dies Schauſpiel, warf ich noch einige Blicke durch die offne Lucke in den Raum und ſah, daß das Schiff mit metallnen Kanonen, Bomben, Kugeln und dergl. geladen war. Es ſtand mit dem Vor - dertheil hoch auf dem abſchuͤſſigen Strande, waͤhrend das Hintertheil noch tief im Waſſer lag. Jch ſtieg nun in mein Boot zuruͤck, um dieſe Tiefe dicht am Schiffe noch genauer auszumeſſen, und gieng dann abermals an Bord, indem ich dem Gedanken nachhieng: ob es nicht thunlich ſeyn ſollte, die ſchwere, aber wenig Raum fuͤllende Ladung ganz in den hinterſten Raum zu bringen, das Schiff ſolchergeſtalt vorne zu erleichtern, zugleich141 einen Anker nach hinten in die See hinaus - zubringen und durch vereinte Arbeit an der Ankerwinde dem Fahrzeuge einen Schuß nach hinten in die Tiefe zu verſchaffen, wo es dann leicht wieder flott werden duͤrfte.

Dieſen Vorſchlag ſetzte ich nunmehr einem ruſſiſchen Sergeanten auseinander, der etwas Deutſch konnte und ſich an mich gewandt hat - te, nunmehr aber den Officier in ſeiner Pruͤ - gelei, womit derſelbe noch immer, wie raſend, fortfuhr, unterbrach und ihm meine Mey - nung mittheilte. Je mehr der Menſch vor - her den Kopf verloren hatte, um ſo gewiſ - ſer erſchien ich ihm jetzt als ein Engel vom Himmel. Er war von meinem Anſchlage ganz, wie elektriſirt; fiel mir um den Hals, nnd drang mir ſogar ſeinen Stock auf, mit der Bitte, Alles zu commandiren und anzu - ordnen, wie ich es fuͤr das Beſte erachten wuͤrde. Mit ſo voller Gewalt bekleidet, griff ich auch ſofort mein Werk mit Feuer an. Der Anker ward ausgebracht; waͤhrend Al - les, was eine Hand regen konnte, die Bom - ben, Kugeln u. ſ. w. moͤglichſt nach hinten tranſportiren mußte. Dadurch ſenkte ſich das Schiff hier wirklich auch ſo tief, daß das Waſſer faſt bis an die Kajuͤten-Fenſter ſtieg, ohne daß gleichwohl der Kiel hier den Grund erreichte. Jetzt, ließ ich mit Gewalt auf den Anker winden, und ſiehe da! nach 2142 oder 3 Stunden Arbeit lief das Schiff gleich - ſam, wie vom Stapel, und war gluͤcklich wie - der flott geworden.

Nie habe ich einen erfreuteren Menſchen geſehen, als dieſen Officier, ſobald mein Stuͤck Arbeit gelungen war. Er herzte und kuͤßte mich; ich mußte ihm meinen Namen ſagen, den er ſich in ſeine Schreibtafel zeichnete, und zugleich ſchrieb er ein ruſſiſches Billet an den General Romanzow, der damals in Colberg befehligte, und das er mir zur treuen Abgabe bei meiner Ankunft anempfahl. Als ich mich endlich wieder entfernen wollte, ließ er mir das Boot von ſeinem Vorrath an Hirſe, Mehl und Gruͤtze dergeſtalt voll laden, daß ich im Ernſt zu ſinken fuͤrchtete und, da kein Weigern und Verbitten etwas fruchten wollte, zuletzt nur uͤber Hals und Kopf auf meine Abfahrt denken mußte. So erreichte ich denn wieder mein Schiff, welches derweile in einiger Entfernung Anker geworfen hatte.

Ein paar Tage ſpaͤter langte ich in Col - berg an, wo ich nicht ſaͤumte, mich dem General Romanzow vorzuſtellen und mein Billet zu uͤberreichen. Es war kein Urias - Brief geweſen: denn der edle Mann hatte es kaum geleſen, als er mir unter herzlichem Haͤndedruck dankte, daß ich ſeinem Monarchen Schiff und Ladung erhalten haͤtte. Er wollte wiſſen, wie er mir wieder dienen koͤnne, und143 nahm, auf das erſte leiſe Wort, nicht nur meinem Vater die damals uͤber alle Maaſ - ſen druͤckende Einquartierung ab, ſondern er - theilte mir auch die, nicht minder bedeutende Verguͤnſtigung, bei der Maykuhle und Bleiche anlegen und dort meine Ladung loͤſchen zu duͤrfen. Da in jenem Zeitpunkt der Hafen gepfropft von Schiffen voll lag, ſo, daß von der Seemuͤndung an, bis hinauf zu dem Ein - fluſſe des Holzgrabens in die Perſante, Bord an Bord ſich draͤngte und die in der Mitte des Stromes nicht an’s Bollwerk kommen konnten, um ihre Fracht zu loͤſchen: ſo muß - ten Manche wohl etliche Wochen warten, ehe ſie dazu gelangten. Jch hingegen ward, ver - moͤge jener beſondern Erlaubniß, binnen zwei Tagen ledig.

Auſſer der erforderlichen Portion Ballaſt, die ich hier einnahm, beſtand meine Ruͤck - fracht nach Koͤnigsberg in etwa 60 Paſſagie - ren den Frauen, Jungen, Maͤdchen und kleinen Kindern eines preuſſiſchen Bataillons, das, nach der Einnahme von Colberg, nach Preuſſen abgefuͤhrt worden war, und wohin nun Dieſe ſich begaben, um ihre Gatten und Vaͤter wieder aufzuſuchen. Eine bunte, aber eben nicht angenehme Ladung!

Als ich mich in ſegelfertigem Stande be - fand, gab es einen Sturm aus Weſtſuͤdwe - ſten, der mich auf meinem Wege trefflich ge -144 foͤrdert und den ich darum auf hoher See gar nicht geſcheuet haben wuͤrde: nur galt es die Kunſt, mit demſelben zum Hafen hinaus zu kommen. Der Lootſe, den ich aufforderte, mich in See zu bringen, erklaͤrte dies fuͤr geradehin unmoͤglich, falls ich nicht mein Schiff ſtark beſchaͤdigen, oder rechts am Ha - fendamme gar ſitzen bleiben und in Truͤmmern gehen wolle. Der Mann hatte Recht; ich aber verließ mich auf mein gutes und feſtes Schiff, das, wie ein Fiſch, wohl auch unter der hoͤchſten und wildeſten Brandung durch - ſchluͤpfen wuͤrde. Dieſe Verſicherungen, mein erklaͤrter Vorſatz, das Abentheuer allenfalls auch ohne ihn, auf meine eigene Gefahr, zu wagen, und vornehmlich wohl fuͤnf Silber - Rubel, die ich ihm entgegenſpielen ließ, er - muthigten ihn endlich, ſich meinem Verlangen zu fuͤgen.

Kaum hatt ich ihn vom weſtlichen Ha - fendamme an Bord genommen und er das Steuer ergriffen, waͤhrend ich die Segel auf - zog, ſo warf uns auch in der naͤchſten Mi - nute, trotz unſern vereinten Bemuͤhungen, die erſte hohe Woge, die uns traf, mit wil - dem Ungeſtuͤm auf die entgegengeſetzte Seite, an das oͤſtliche Bollwerk. Zwar hob die naͤchſte Welle das Schiff von neuem: aber beim Hinun - terſteigen faßten die hervorragenden Pfahl - Koͤpfe unter die, gleichfalls am Steuerbordvor -145ſtehenden Barkhoͤlzer, daß die Truͤmmer davon hoch in die Luft flogen; und da zugleich auch der Sturm uns jagte, ſo ſchoß mein Fahr - zeug laͤngs dem Damme hin, ſchnitt ſich an der aͤußerſten Spitze deſſelben haarſcharf gegen die Brandung ab und kroch ſolchergeſtalt, mit fliegender Fahrt, unter zwei oder drei hochge - thuͤrmten Sturzwellen durch, daß die Ver - decke ſchwammen und mir ſelbſt die Haare zu Berge ſtanden.

Nun war ich denn freilich in See: allein noch hatt ich in dem Getuͤmmel nicht Zeit und Gedanken finden koͤnnen, meinen erlitte - nen Schaden zu beurtheilen. Die Verwuͤſtung war indeß jaͤmmerlich genug. Mehr, als 15 Fuß lang, fand ich die Barkhoͤlzer am Steuerborde rein abgeſtoßen, ſo daß die Jnn - hoͤlzer bloß lagen, und ich kopfſchuͤttelnd zu mir ſagen mußte: Ei, ei, Nettelbeck! Das war wohl eben ſo ein dummer Streich, als letzthin, wo du dich durch die ſchwediſche Flot - tille ſchlichſt! Jch will’s aber auch nicht laͤugnen, daß ich dergleichen unuͤberlegte Stuͤck - chen, vor und nach dieſer Zeit, wohl meh - rere auf dem Kerbholz habe. Gelingen ſie, ſo heißt man gleichwohl ein geſcheuter Kerl, ob man gleich einen ganz andern Titel ver - dient haͤtte.

Hier war nun aber noch immer guter Rath bei mir theuer: denn jenem Schaden1. Bändchen. (10)146mußte ſogleich auf irgend eine Weiſe abge - holfen werden. Nach kurzem Beſinnen er - griff ich jedoch eine Breſſening,*)Jſt ein getheertes Segeltuch, welches man ge - braucht, um die Luken gegen das Seewaſſer dicht zu halten. und nach - dem ich ſie in lange ſchmale Streifen zer - ſchnitten und mich mit einem guten Vorrath von kleinen Pumpnaͤgeln (woran es mir zum Gluͤck nicht fehlte) verſehen hatte, haͤngte ich mich in einige Taue uͤber Bord hinaus und befeſtigte jene doppelt gelegten Lappen, laͤngs dem erlittenen Schaden, ſo dicht, daß Nagel an Nagel traf. Unter der Zeit gieng auch der Lootſe mit ſeinem Boote, wiewohl nicht ohne ſichtbare Lebensgefahr, in den Strand: denn gegen den Sturm an, und durch die furchtbar empoͤrte Brandung, waͤre es ver - geblich geweſen, den Hafen wieder erreichen zu wollen.

Jetzt erſt, da ich wieder zu etwas Ruhe und Beſinnung gekommen war, und indem ich mit vollen Segeln oſtwaͤrts anſteuerte, traf ein verwirrtes Getoͤſe, das wie Heulen und Schreien klang und unten aus dem Schiffs - raume zu kommen ſchien, in meine Ohren. Jch ließ die Luken aufreiſſen, um zu ſehen, was es da gaͤbe? und da fand ſich denn, daß dies entſetzliche Concert von all den Wei - bern und Kindern herruͤhrte, die da drunten147 zuſammen geſchichtet lagen. Und wohl hatten ſie genugſamen Grund zum Lamentiren! Denn bevor ich meinen Schaden, wie eben gedacht, ausbeſſern koͤnnen, war eine Menge Waſſers in den Raum gelaufen; und da das Schiff bei der hohen See unaufhoͤrlich auf und nie - der ſtieg, ſo ſpuͤlte der, mit dem Waſſer ver - miſchte Ballaſt-Sand laͤngs dem Raume und von Einer Seite zur Andern, ſo daß die Menſchen knietief, ja bis uͤber den halben Leib darinn verſanken. Taumelnd und wehklagend, die Haͤnde emporhaltend und durcheinander ſich uͤberſchreiend, gab es eine Gruppe, welche ein lebendiges Bild von der allgemeinen Auf - erſtehung darſtellte, aber bei allem verdien - ten Mitleid zugleich auch den Lachreiz unwi - derſtehlich weckte, wenn der Blick daneben auf die Spinnraͤder, Haſpel, Bettgeſtelle und uͤbrigen Siebenſachen dieſer armen Leute traf, welche, in bunter Verwirrung, zwiſchen ihnen umhergekollert oder in dem aufgeloͤſten Sande begraben waren.

Hier mußte denn freilich ſchnelle Huͤlfe geſchehen! Ausgepumpt konnte das Waſſer nicht werden, da die Waſſergaͤnge nach den Pumpen durch den Ballaſt verſtopft worden. Es blieb alſo nur uͤbrig, daſſelbe moͤglichſt mit Faͤſſern auszuſchoͤpfen und hinten und vorne in die Hoͤhe zu bringen; wodurch denn wieder Ordnung und Friede hergeſtellt wurde. 148Unſre Fahrt gieng indeß ſo pfeilſchnell vor - waͤrts, daß ich nicht nur am andern Tage, Nachmittags um 2 Uhr, und alſo binnen 28 Stunden, Pillau erreichte, ſondern auch noch des nemlichen Abends, um 9 oder 10 Uhr, in Koͤnigsberg beim hollaͤndiſchen Baume an - legen konnte.

Sobald ich hier mein Schiff reparirt hatte, ſaͤumte ich nicht, mich nach neuer Fracht umzuſehen. Es traf dies in den Zeitpunkt, wo die ruſſiſchen Truppen, welche das Land ſeit mehreren Jahren beſetzt gehal - ten, ernſtliche Anſtalten trafen, Preuſſen wieder zu raͤumen, und wo eine ungeheure Menge von Kriegs-Effecten nach Rußland heimge - ſchafft werden ſollten. Zur See fand dieſer Transport ein großes Hinderniß in dem Mangel an Schiffen, da die Fahrzeuge frem - der Nationen dazu nicht gezwungen werden konnten, und auch die preuſſiſchen Schiffer dem wiederhergeſtellten Frieden, bei der kuͤrz - lichſt ſtattgefundenen Regierungs-Veraͤnderung nicht voͤllig trauten.

Weniger bedenklich, als Andre, war ich unter dieſen Umſtaͤnden der Erſte, der ſich dazu entſchloß, eine Fracht nach Riga anzu - nehmen: denn mir wurden was nie zuvor erhoͤrt! 42 Silber-Rubel fuͤr die Laſt ge - boten, nebſt voͤlliger Befreiung von Licent und allen Unkoſten, nicht nur in Koͤnigsberg149 und Pillau, ſondern auch in Riga, bis wieder in offne See; und ſelbſt freier Ballaſt ſollte mir, wenn ich’s verlangte, im letztern Hafen geliefert werden. Die Certeparthie daruͤber ward geſchloſſen und ſowohl von einem ruſſi - ſchen General, mit dem ich es zu thun hatte, als von mir unterzeichnet.

Noch am nemlichen Abend kam ich, ohn - weit des Licents, in das Weinhaus der Wittwe Otten, wo damals gewoͤhnlich der groͤßte Zuſammenfluß von Schiffern aller Nationen war, und ließ im Geſpraͤch Dies und Jenes von meiner ſo eben uͤbernommenen Fracht verlauten. Niemand konnte oder wollte meinen Worten glauben, bis ich meine Certeparthie vorzeigte. Dann aber erhob ſich ein ſpoͤtti - ſches Gelaͤchter auf meine Unkoſten. Jch wurde gefragt: wie ich doch wohl nur glau - ben koͤnnte, daß man mir meinen Accord in Riga erfuͤllen werde? Man prophezeihte mir einſtimmig, man werde mir dort gerade nur ſoviel, als man Luſt habe, oder auch wohl gar nichts, geben; und ſollte inzwiſchen (wie es ganz darnach ausſaͤhe) der Krieg zwiſchen Rußland und Preuſſen wieder ausbrechen, ſo koͤnnte mich’s obendrein noch mein Schiff koſten.

Dieſe Warnungen, denen ich ihren guten Grund nicht abſprechen konnte, giengen mir gewaltig im Kopfe herum. Allein ich war ſchon zuweit gegangen, um jetzt noch zuruͤck -150 zuziehen; und gegen die rohe Gewalt, die ich zu fuͤrchten hatte, und deren Opfer ich ſchon fruͤher geweſen war, ließ ſich einzig nur durch eine, hier wohlerlaubte Liſt aufkommen. Mit dieſem Entſchluß begab ich mich, gleich am fruͤhen Morgen zu dem gedachten ruſſiſchen General und machte ihm glaublich, daß ich auf mein Schiff ſchuldig ſey und meine Cre - ditoren mich nicht von der Stelle fahren laſſen wollten, bis ich ihre Forderungen be - friedigt haͤtte. So bliebe mir denn nichts uͤbrig, als um baare Vorausbezahlung meiner Fracht zu bitten, oder die Fracht nach Riga, wiewohl ungerne, aufzugeben.

Der Mann hoͤrte mich geduldig an; und wie ſehr ihn auch mein Anſinnen zu befrem - den ſchien, und ſeine Einwendungen, daß der - gleichen gar nicht zu bewilligen ſtaͤnde und ich mir an den ſchon bedungenen Vortheilen genuͤgen laſſen koͤnne, das Recht auf ihrer Seite hatten, ſo legte ich mich doch nur um ſo gefliſſentlicher auf’s Bitten, bis ich end - lich mit dem Kernſchuß hervorruͤckte, von dem ich mir das Beſte verſprach. Nun denn, rief ich Meine Certeparthie iſt zwar auf 42 Rubel pro Laſt gezeichnet: aber laſſen ſie mir baar Geld zahlen, und ich bin mit 40 zufrieden, waͤhrend ich fuͤr den vollen Empfang quittire.

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Es wirkte, wie ich gehofft hatte. Er ſtutzte, ſtand lange in Gedanken, und beſtellte mich zum naͤchſten Morgen wieder zu ſich, damit er ſehen koͤnne, was ſich thun lieſſe. Jch verfehlte nicht, mich auf die Minute ein - zuſtellen. Da ſtanden aber bereits meine Frachtgelder mit 2,000 Rubeln aufgeſtapelt auf einem Tiſche vor mir; und ich hatte keine weitere Muͤhe, als den Empfang von 2,100 Rubeln zu beſcheinigen und mein klingendes Silber einzuſtreichen. Hat man je dergleichen gehoͤrt? Es iſt aber gewiſſe Wahrheit!

Gleich noch an dem nemlichen Tage gieng das Einladen vor ſich. Und worinn beſtand meine Fracht? Jn lauter Kommiß-Stiefeln, je Paarweiſe zuſammen genaͤht. Wohl ein ganzes Regiment Soldaten kam damit, hoch - bepackt, aus einem benachbarten Speicher anmarſchirt, und jeder Einzelne warf ſeine Ladung durch die Schiffsluke in den Raum, wie Kraut und Ruͤben durch einander, bis endlich dieſe Stiefeln ſich zu einem hohen Berge aufthuͤrmten. Als ich nun dem Officier, welcher dabei die Aufſicht fuͤhrte, Vorſtellung that, daß hinten und vorne Alles ledig bleibe und die Laſt durch den ganzen Raum gleich - maͤßig vertheilt werden muͤſſe, ſo ſchickte er endlich einige Mannſchaft hinunter, die ſich die Stiefeln wacker um die Ohren ſchmiß,152 bis es hieß: Das Schiff iſt voll, und es kann keine Maus mehr hinein!

Da ich ſah, daß ich, trotz dieſer wunder - lichen Ladung, immer noch nicht Ballaſttief mit meinem Schiffe lag, ſo hielt ich bei dem General an, daß er mir noch eine Anzahl Bomben oder Kugeln in den hintern oder vordern Raum geben moͤchte, weil ich ſonſt die See nicht wuͤrde halten koͤnnen. Allein ſeine Antwort lautete: Damit koͤnne mir jetzt nicht geholfen werden; auch bekaͤme ich noch einen Officier, 2 Sergeanten und 20 Gemeine auf’s Schiff, fuͤr deren Perſonen und Sachen gleichfalls noch Raum uͤbrig blei - ben muͤſſe. Der Beſcheid war nicht ſehr erbaulich: ich mußte mich jedoch damit be - helfen; und ſo lag ich nun am Licent zum Auslaufen fertig.

Des naͤchſten Tages ſuchte mich ein ruſſi - ſcher Officier ein Lieflaͤnder, Namens Raſch, der vollkommen gut Deutſch ſprach in meinem Hauſe auf, um mir anzuzeigen, daß er zum Commandeur auf meinem Schiffe be - ſtellt ſey, die Fahrt nach Riga mit mir machen und ſich mit ſeinem Commando gegen Abend an Bord einſtellen werde. Der Mann war dabei ſo ungemein hoͤflich, daß ich ſofort merkte, er muͤſſe etwas auf dem Herzen haben. Und ſo war es denn auch wirklich: denn er habe auch eine Frau, hieß es, von der er ſich153 unmoͤglich trennen koͤnne, und die mir gleich - wohl in der Kajuͤte vielleicht Ungelegenheit machen koͤnnte. Nun, was konnt ich, wenn ich in der Hoͤflichkeit gegen ihn nicht gar zu arg abſtechen wollte, weniger thun, als von Vergnuͤgen, oder wohl gar von Ehre und Schuldigkeit ſprechen und meine guten Dienſte gegen einen halben deut - ſchen Landsmann erbieten? Dagegen verſtand ſich’s, daß kein ſcharmanterer Herzensmann unter der Sonne lebe, als Kapitain Nettelbeck.

Aber noch eins! unterbrach ſich der Lieflaͤnder in ſeinen Verſicherungen Meine Frau iſt in dieſem Augenblicke verreiſt, um von einer guten Freundinn auf dem Lande Abſchied zu nehmen, und wird vor Nacht ſchwerlich wieder eintreffen. Da Sie nun Morgen mit dem fruͤheſten die Anker zu lich - ten gedenken, waͤre es ja wohl das bequemſte, wenn ſie gleich am Bord uͤbernachtete?

Ei, warum nicht! Und wollen Sie mich jetzt gleich dahin begleiten, ſo kann ich ſogleich die vorlaͤufigen Anſtalten zu ihrer Aufnahme treffen und Jhnen die kleinen Bequemlich - keiten zeigen, auf welche die Frau Gemahlinn zu rechnen haben wird; war meine Gegen - rede. Wirklich auch war er mit der Ein - richtung der Kajuͤte, der ihr einzuraͤumenden Schlafſtaͤte u. ſ. w. ungemein zufrieden; waͤhrend ich den Steuermann anwies, die154 Dame, ſobald ſie ſich zeigen wuͤrde, gebuͤh - rend zu empfangen und ihr mit Kaffee, oder was ſie ſonſt fordern moͤchte, fein hoͤflich an die Hand zu gehen. So ſchieden wir, und ich ging meines Weges ruhig nach Hauſe.

Gleich nach Mitternacht aber erlitt dieſe Ruhe einen gewaltigen Stoß, da ſich ploͤtz - lich auf der Gaſſe ein Laͤrm, wie von einer Menge zuſammengelaufener Menſchen, erhob, die an meine Hausthuͤre und Fenſterladen pochten und laut und wiederholt meinen Namen riefen. Schnell fuhr ich aus dem Bette empor; aber nicht gemeynt, in einer ſo be - denklichen Zeit, als wir damals erlebten, mein Haus dem Erſten dem Beſten zu oͤffnen, wollt ich zuvor, daß die Polterer ſich namen - kuͤndig geben ſollten. So meldete ſich denn der Licent-Buchhalter, den ich an der Stimme kannte, mit der raͤthſelhaften Nachricht, daß es auf meinem Schiffe unklar ſey und ich hurtig zum Rechten ſehen moͤchte.

Jch erſchrack von Herzen. Mein Gott! dacht ich Jſt mein Schiff geſunken? oder ſteht es im Brande? Jch weiß nicht, wie ich in die Kleider und auf die Gaſſe kam. Hier endlich eroͤffnete mir der Buchhalter das Verſtaͤndniß. Sie haben die Madam W.*)Der Rame ſoll hier nur mit dem erſten Buch - ſtaben angedeutet werden, da es leicht moͤg - am Borde; ſagte er und nach155 der ſind wir aus, um ſie wiederzuhaben. Was ſie da ſehen, ſind die beiden Kinder und ein heller Haufen von Knechten und Maͤg - den aus dem W ** ſchen Hauſe.

Nun fielen mir auf Einmal die Schup - pen von den Augen! Die angebliche Officier - Dame hatte ſich in eine liederliche, ihrem Manne entlaufene Madam verwandelt! War mir’s jedoch wenig recht, daß ich mit dem ſchmutzigen Handel bemengt werden ſollte, ſo mußt ich gleichwohl uͤberlegen, daß ich’s in meinem jetzigen Verhaͤltniß, auch mit dem Lieflaͤnder nicht geradezu verderben durfte, und daß ich am beſten thaͤte, den Knoten durch einen Andern loͤſen oder durchhauen zu laſſen. Jndem ich alſo die Parthie ergriff, fuhr ich unwillig auf den allzudienſtfertigen Buchhalter ein: Herr, ſcheeren Sie ſich zum Geier! Was ſtoͤren Sie zu dieſer Zeit ehr - liche Leute in Schlaf und Ruhe! und zugleich warf ich die Hausthuͤre wieder hinter mir zu, und ließ ſie ferner ſchreien und klopfen, ſoviel ihnen ſelbſt beliebte. Gleich - wohl jammerten mich die beiden Kinderchen ein Maͤdchen von 9, und ein Knabe von 7 Jahren in der innerſten Seele. Sie riefen unaufhoͤrlich: Ach Gott! ach Gott! meine Mutter! bis ſie es endlich muͤde wur -*)lich waͤre, daß von der ſonſt achtbaren Familie ſich noch Einige am Leben befaͤnden.156 den und meine Thuͤre verlieſſen, oder viel - mehr der Vater ſie heim holen ließ.

Noch vor Tages-Anbruch, am 1. Sep - tember, ſah ich nach Wind und Wetter aus; und da beide guͤnſtig waren, ſo eilte ich be - reits um 6 Uhr, an Bord zu kommen. Schon ſtand es aber auf dem Licent-Platz und neben dem Schiffe gedraͤngt voll Menſchen, die mir entgegenriefen: Sie ſollen uns die Madam W. herausgeben! Dagegen fand ich am Borde, neben der Treppe, zwei Schild - wachen, und neben der Kajuͤten-Thuͤre zwei dergleichen, aufgepflanzt; und kaum war ich durch die Letztere eingetreten, ſo kam mir durch die Vorhaͤnge meiner Schlafſtelle ein Geſicht zum Vorſchein, das ich um ſo weni - ger verkennen konnte, da ich ſonſt zum oͤftern in Schiffs-Angelegenheiten auf Herrn W ** s Comptoir zu thun gehabt hatte.

Dies Geſicht nun rief mir, ganz frei und und unbefangen, einen Guten Morgen! entgegen, den ich mit einer derben und ge - ſalzenen Epiſtel erwiederte, worinn ich ihr ihre loſe Auffuͤhrung zu Gemuͤthe fuͤhrte und ſie ermahnte, zu ihrem braven Manne ſte - henden Fußes zuruͤckzukehren, bevor Schimpf und Schande fuͤr ſie noch groͤßer wuͤrde. Sie dagegen hub eine lange Schutzrede an, worinn der Mann uͤbel genug wegkam, und ward endlich nur von dem Officier, den ich157 gar noch nicht in der Kajuͤte bemerkt hatte, unterbrochen. Dieſer ſprang ungeduldig auf und rief: Unnuͤtzes Geplauder und kein Ende! Jetzt hurtig auf und davon! Das Kommandiren iſt von nun an an mir.

Da dem nicht zu widerſprechen war, ſo mußt ich ihm uͤberlaſſen, zu handeln, wie er’s verantworten konnte, gieng hinaus, ließ die Segel aufziehen und ſchickte zwei Matro - ſen an Land, um die Taue hinten und vorne abzuloͤſen, womit das Schiff am Bollwerk befeſtigt lag. Aber das zuſammengelaufene Volk war nicht willens, den Handel ſo kurz vor dem Knie abzubrechen. Meine Leute wurden umringt und an der Ausrichtung ihres Geſchaͤfts gehindert; ſo daß ich, um nicht noch aͤrgern Laͤrm zu veranlaſſen, es fuͤrs beſte hielt, ſie an Bord zuruͤckzurufen. Dagegen nahm ich einem ruſſiſchen Soldaten den Saͤbel von der Seite und kappte die Taue an beiden Enden, und jetzt kam das Schiff zu Gange, obwohl Alles, was am Lande war und Arme hatte, es feſtzuhalten bemuͤht war. Der Laͤrm und das Getuͤmmel hierbei ſind nicht zu beſchreiben.

Noch aber gab ſich der Haufe nicht zu - frieden: ſondern da das Schiff nothwendig weiter unten am hollaͤndiſchen Baume anle - gen mußte, damit der Baumſchreiber meinen Paß viſirte, ſo ſtuͤrzte Groß und Klein im158 vollen Lauf dahin, und war ſchon lange vor mir zur Stelle. Waͤhrend ich aber hier mei - nes Geſchaͤftes wahrnahm, gieng auch der Lieflaͤnder an Land und nach dem hier poſtir - ten ruſſiſchen Wachthauſe. Die Verſtaͤndi - gung mit dem commandirenden Officier war die Sache eines Augenblicks; und ſo wie die Wache das Gewehr aufnahm und einige Kol - benſtoͤße links und rechts austheilte, war auch der helle Haufe auseinander geſprengt und der Paß wieder eroͤffnet. Eine halbe Stunde ſpaͤter lag uns Koͤnigsberg bereits in weiter Ferne im Ruͤcken.

Nun fing aber auch Madam W. an, auf ihre Weiſe zu wirthſchaften. Es war zum Erſtaunen, was ſie in der kurzen Zeit an Bord zu ſchaffen gewußt hatte, und wie ſie davon kochen und braten ließ, als ob auf dem Schiffe Hochzeit waͤre. Wir langten in aller Luſt und Herrlichkeit noch deſſelben Tages bei Pillau an; worauf wir am naͤchſten Morgen fruͤh, bei ſtillem Wetter, in See giengen. Ehe wir noch aus dem Fahrwaſſer kamen, ſegelte dicht hinter uns eine ruſſiſche Fre - gatte zugleich mit uns aus; und das Wetter war ſo ſtill, daß man die Schiffe faſt nicht aus - einander halten konnte, ohne daß es gleich - wohl Gefahr dabei gehabt haͤtte.

Mein Lieflaͤnder wurde durch all dieſen ſchoͤnen Anſchein zum Uebermuth verleitet. 159Er wollte Preuſſen zu Ehren noch einige Va - let - und Freudenſchuͤſſe thun, und knallte auch wirklich mit ſeiner Flinte 3 oder 4 mal in die Luft, ohne daß ich, mit der Leitung des Schiffs beſchaͤftigt, mich ſonderlich um ſein Beginnen kuͤmmerte. Jnzwiſchen bemerkte ich doch bald nachher auf der Fregatte eine lebhaftere Bewegung; eine Schaluppe von dort her legte bei mir an Bord, und aus derſelben ſprang ein Officier wuͤthend auf mein Verdeck und verlangte, den Schiffer zu ſprechen. Als ich herantrat, zeigte er mir in einem Papier mehrere Koͤrner Haſenſchroot, die auf der Fregatte aufgeſammlet worden, nachdem ſie ein großes Loch in’s Segel ge - riſſen. Jch ſollte nun Rede und Antwvrt geben, wer der Thaͤter geweſen?

Der Thaͤter aber, der geahndet haben mochte, was paſſiren wuͤrde, war binnen der Zeit in die Kajuͤte gegangen, in der Geſchwin - digkeit in ſeine Uniform gefahren, und trat ſo eben wieder hervor, um uͤber den Ankoͤmm - ling mit gezogenem Degen herzufallen. Es entſtand zwiſchen Beiden ein Handgemenge, welches endlich zu Gunſten des Fregatten - Officiers dadurch entſchieden wurde, daß die Matroſen aus der Schaluppe herzuſprangen, meinen Lieutenant von hinten packten, ban - den und uͤber Hals und Kopf in das Boot warfen, ohne daß, zu meiner großen Ver -160 wunderung, nur irgend Einer von unſrer Schiffsbeſatzung Miene machte, ſich in den Streit zu miſchen, oder ſeinem Anfuͤhrer Beiſtand zu leiſten.

Da mir nun der Lieflaͤnder einmal als Commandant zugetheilt worden war, ſo glaubte ich, nicht ohne ihn davonfahren zu duͤrfen. Allein damit ich auch nicht ohne Noth auf - gehalten wuͤrde und deſto balder ihn oder einen Andern wieder an Bord bekaͤme, ſchien es mir am gerathenſten, ihn auch nach der Fregatte, wohin man im Begriffe war, ihn abzufuͤhren, zu begleiten. Dies Verlangen ward mir ohne Anſtand bewilligt. Doch bald ergab ſich’s, daß es nicht dahin gieng, woher die Schaluppe gekommen war, ſondern nach dem ruſſiſchen Admiral-Schiffe, welches, nebſt noch fuͤnf Kriegsſchiffen, drauſſen auf der Rheede ankerte. Hier kam es auch ſogleich zu einem Verhoͤr und protokollariſcher Auf - nahme; der Unfugſtifter ward bedeutet, daß ihn ſeine Strafe in Riga erwarten werde und daß er fuͤr dieſen Augenblick ſeine Reiſe fortſetzen moͤge, damit der kaiſerliche Dienſt nicht leide. Mit dieſem Beſcheide kehrten wir nunmehr wieder an unſern Bord zuruͤck.

Hier wollte nun der Narr, indem er ſei - nem verhaltenen Grimme Luft machte, Alles hauen und ſtechen, und haderte mit ſeinenLeuten,161Leuten, daß ſie ihn ſo feigherzig im Stiche gelaſſen. Wiewohl er ſich nun endlich be - ruhigte, ſo nahm doch am naͤchſten Morgen an ſeinem Beiſpiel auch Madame den Muth, mit dem Soldaten, der ihr zur Aufwar - tung gegeben war, unſaͤuberlich zu verfah - ren. Bald hatt er das Bette nicht gut ge - macht, bald die Teller nicht gehoͤrig geſcheuert, bald etwas noch Schlimmeres verſehen, und endlich lief auch ihr die Galle dermaaſſen uͤber, daß ſie dem armen ungeſchickten Kerl mit eigner hoher Hand eine gewichtige Maul - ſchelle zutheilte. Allein dieſe Keckheit bekam ihr uͤbler, als ſie wohl gedacht hatte. Der ganze Trupp fuͤhlte ſich durch dieſe Miß - handlung eines Kameraden von unberufenen Faͤuſten an ſeiner militairiſchen Ehre gekraͤnkt; Alles ſpie Feuer und Flamme, drang auf den Lieutenant ein, und beſtand auf der buͤn - digſten Genugthuung. Um den furchtbaren Laͤrm zu ſtillen und noch derbere Ausbruͤche einer rohen Gewalt zu verhuͤten, blieb dem edlen Ritter zuletzt nichts uͤbrig, als die Schoͤne unter ſeine eigene Fuchtel zu nehmen; und das that er denn, ſeiner Zaͤrtlichkeit unbe - ſchadet, auch ſo herzhaft und nachdruͤcklich, daß endlich die lauteſten Schreier ſelbſt ſich fuͤr befriedigt erklaͤrten. Nur Madame W. ſchien von dieſer fuͤhlbaren Liebesprobe ſchlecht erbaut zu ſeyn und legte ſo wenig ihrer1. Bändchen. (11)162Zunge ein Gebiß an, als ihre Gift ſpruͤhen - den Blicke ſich ſogleich wieder in ſanfte Tau - benaugen verwandeln wollten.

Ein paar Tage darauf kamen wir in’s Geſicht von Duͤnamuͤnde; und da der Wind nach Oſten umgieng, legten wir uns auf der Rheede vor Anker. Das ſtand indeß meinem Schiffs-Commandanten nicht an, der augen - blicklich in den Hafen gebracht ſeyn wollte, und, da ich ihm die Unmoͤglichkeit vorſtellte, aller fruͤhern Hoͤflichkeit vergaß und mich fuͤr einen Pfuſcher in meinem Handwerk er - klaͤrte. Eine ſchnoͤde Antwort blieb nicht aus, und die endliche Folge war der Verſuch zu einer thaͤtlichen Mißhandlung, der ich fuͤr den Augenblick ein ruhiges Schweigen entge - genſetzte. Aber zu gleicher Zeit ſteckte ich auch eine Nothflagge auf, deren Bedeutung mein Widerſacher nicht ahndete. Nicht lange, ſo kam der Lootſen-Commandeur mit ſeinen Leuten mir auf die Seite. Anſtatt jedoch ſeine verwunderten Fragen zu beantworten, ſprang ich zu ihm in’s Boot und verlangte, zu dem Militair-Commandanten in Buller - Aa gefuͤhrt zu werden, wo ich demnaͤchſt meine Klage gegen die Behandlung des Lief - laͤnders anbrachte und bat, entweder Dieſen vom Schiffe zu entfernen, oder einen andern Schiffer an Bord deſſelben zu ſetzen, der es nach Riga fuͤhrte. Erſteres ward auch ohne163 Anſtand bewilligt und der unruhige Gaſt auf der Stelle durch einen andern Officier erſetzt und an Land gefuͤhrt.

Niemand war mit dieſem Wechſel unzu - frieden, als Madame W., die jetzt ein zun - genfertiges Geſchnatter anhub und mir eine Reihe von Ehrentiteln gab, welche ich hier nachzuſchreiben nicht Luſt habe. Jch bat ſie, ſich zu menagiren, wenn ſie nicht etwa wolle, daß ich ſie durch meine Leute beim Kopfe krie - gen, in’s Boot werfen, am naͤchſten Strande ausſetzen und in die dickſte Wildniß laufen lieſſe. Dieſe unbehaͤgliche Ausſicht, an deren augenblicklicher Erfuͤllung mein Ernſt nicht zweifeln ließ, brach ihren kindiſchen Trotz. Sie griff nunmehr nach einem Geſangbuche, daß ſie ſchwerlich mit Abſicht eingepackt hatte; begann Bußlieder zu ſingen, und badete ihr Antlitz in Thraͤnen. Da ihr das nun nicht ſchaden konnte, ſo ließ ich ſie gewaͤhren.

Des andern Tages, um Mittag, kam ich die Duͤna hinauf nach Riga; meldete mich beim Commandanten und bat um baldigſten Befehl zur Ablieferung der geladenen Effec - ten; mit abermaliger Vorwendung der, unter meinen Umſtaͤnden wohl verzeihlichen Noth - luͤge, daß mein Schiff leck und ich in Gefahr ſey, hier noch am| Bollwerk zu ſinken. Man hatte keinen Grund, meine Ausſage zu bezweifeln; mochte ſogar wohl fuͤr die Ladung fuͤrchten;164 und ſo erſchien denn bereits in der[naͤchſten] Stunde ein unzaͤhlbarer Schwarm abge - ſchickter Soldaten, die, nach der ſchon be - ſchriebenen ruſſiſchen Manier, auch wieder bei mir aufraͤumten. Jhr Gedraͤnge um die Schiffsluken her, geſtattete ihnen kaum Zeit und Raum, ſich ihre zehn Paar Stiefeln und druͤber uͤber die Schultern zu ſchlagen, und damit fort, wie die Ameiſen! Abends um 7 Uhr war mein Schiff ledig, wie mit Be - ſemen gefegt.

Da mir, kaum 15 oder 20 Schritte ent - fernt, am Bollwerk ein Berg Ballaſt vor der Naſe lag, ſo legte ich nun augenblicklich mein Schiff hart daran; dung 8 ruſſiſche Soldaten zu einem halben Rubel, mir dieſen Sand uͤber Bord hineinzuſchaufeln, und nach - dem ich an den Vor - und Hinter-Steven mit Kreide bezeichnet hatte, wie tief geladen wer - den ſollte, ließ ich ſie, unter Aufſicht meiner Leute, tapfer fortarbeiten, waͤhrend ich ſelbſt mich ruhig auf’s Ohr legte. Am Morgen war Alles gethan, und ich haͤtte in dem nem - lichen Augenblick wieder abſegeln koͤnnen, wenn nur meine Papiere ſchon wieder in Ordnung geweſen waͤren. Zu dieſer Beſor - gung hatt ich mir noch keine Zeit gelaſſen. Jetzt aber gieng ich zu den Herren Zietze und Colbert, an welche ich mich, fuͤr jede moͤgliche Faͤlle, von Koͤnigsberg aus hatte165 adreſſiren laſſen; beſorgte Vormittags meine Ein - und Nachmittags meine Ausklarirung, und konnte nunmehr gehen, wohin ich wollte.

Jndem ich nun die Anſtalten zur Abreiſe eifrigſt beſorgte, weil ich immer noch den ruſſiſchen Behoͤrden nicht recht traute und darum gerne je eher je lieber auſſer ihrem Bereich geweſen ware, trat ich auch von ohngefaͤhr in die Kajuͤte. Siehe da! Die Koͤnigsberger Schoͤne ſaß da, und rang die Haͤnde und wollte vergehen in Angſt und Wehmuth: denn ihr Vielgetreuer war noch nicht wieder zum Vorſchein gekommen! Jch that ihr den wohlmeinenden Vorſchlag, ſie ſollte mit mir in ihre Heimath zuruͤckkehren und es auf ihres ſchwer beleidigten Mannes Edelmuth ankommen laſſen, ob er ihr ver - zeihen und ſie wieder auf - und annehmen wolle, wo denn leicht ein Schleier uͤber ihre leichtſinnige That zu werfen ſeyn werde. Doch dies war keine Muſik auf ihr Ohr. Lieber, verſicherte ſie, wolle ſie’s auf das Aeuſſer - ſte ankommen laſſen, und hinter irgend einem Zaune ſterben und begraben werden. (Schwer - lich dachte das ungluͤckliche Geſchoͤpf, daß in dieſem Augenblick ein prophetiſcher Geiſt aus ihr ſpraͤche, wie die Folgezeit erwieſen hat.)

So blieb ihr denn nur uͤbrig, ihr Buͤn - del zu ſchnuͤren. Meine Leute griffen zu, und halfen, die Bagage aus dem Schiffe an’s166 Bollwerk bringen, wo ſie ſich troſtlos und verlaſſen oben drauf ſetzte. Die Segel wur - den angezogen, die Taue geloͤſt, und ſo gieng es von dannen! Waͤhrend ich ihr noch meinen Abſchied nachrief, begann ſich bereits ein Kreis von Menſchen um ſie her zu verſammlen.

Statt Jhrer hatt ich einen herrenloſen Schiffer aus Pillau, der aber in dieſen Ge - waͤſſern wohl bekannt war, als Paſſagier an Bord genommen; und da mir noch immer die Stelle unter den Fuͤßen brannte, ſo ließ ich mir ſeinen Vorſchlag gefallen, ohne irgend einen weitern Aufhalt die offene See zu ſuchen, wobei er ſelbſt mir als Lootſe dienen wollte. Das geſchah, und gerieth gluͤcklicher, als meine Keckheit es verdiente. Denn Niemand hielt mich an; und des dritten Tages nach - her warf ich bereits wieder in Pillau den Anker. Weil jedoch mein Schiff in der Bordings-Zunft zu Koͤnigsberg eingeſchrieben war, ſo blieb ich hier noch liegen, um eine Bordings-Fracht den Pregel hinauf zu er - warten.

Zwei Tage darauf erſchien Schiffer Kum - merow mit jenem nemlichen Schiffe, worauf im vorigen Jahre der gute Chriſtian verun - gluͤckte, auf der Rheede und ſteuerte, trotz einem fliegenden Sturme, muthig in den Ha - fen. Sobald er im Keſſel vor Anker gekom - men, ward ich mit meinen braven Landsleu -167 ten, den Schiffern Paul Todt und Johann Henke, im luſtigen Muth des Sinnes, zu dem Neuangekommenen, der gleichfalls ein ehrlicher Colberger war, an Bord zu fahren. Beim Eintritt in ſeine Kajuͤte ſahen wir, daß ihm die Brandung beim Einlaufen hinten die Fen - ſter und Porten in Stuͤcken geſchlagen hatte, und daß drinnen Alles voll Waſſer ſtand. Er hatte nun zum Schaden auch noch den Spott, indem wir ihn redlich auslachten. Jch erinnerte mich dabei, daß ich mit die - ſem nemlichen Schiffe und in einem aͤhn - lichen Sturmwetter hier in den Hafen geſe - gelt, aber die Beſonnenheit gehabt, die Hin - ter-Porten zuvor fallen zu laſſen.

Bei der fortgeſetzten Neckerei hub end - lich unſer Wirth im halben Unwillen an: Baſta, Jhr Herren! Jhr ſollt am laͤngſten geſpottet haben. Heda, Junge! Den Koch herbei! Koch, auf dem Platze an Land gefahren, und holt mir den Tiſchler, ſo und ſo genannt. Er ſoll ſich mit Handwerkszeug verſehn, um hier die Einſchieb-Rahmen los - zumachen, damit ſie zum Glaſer in die Kur gebracht werden koͤnnen. Waͤhrend nun ſein Wille ausgerichtet wurde, der Tiſchler aber, ohne daß wir uns weiter daran kehr - ten, ſeine Arbeit begann, ſaßen wir daneben bei einem Glaſe Wein, wobei wir vergnuͤgt168 und wohlgemuth alte und neue Geſchichten, nach Seemanns Weiſe, auf die Bahn brachten.

Ganz von ohngefaͤhr fielen hierbei meine Blicke auf den emſig beſchaͤftigten Tiſchler und nahmen mit Verwunderung wahr, wie Dieſer hinter der Verkleidung, wo die Fen - ſterrahmen eingeſchoben geweſen waren, aller - lei Sachen hervorlangte und mit dem krum - men Stiele ſeines Schnitzers immer noch nach Mehreren angelte. Das Blut ſchoß mir auf’s Herz und ins Geſicht. Jch fiel, wie aus den Wolken: denn ich erkannte au - genblicklich, Stuͤck fuͤr Stuͤck, das verſchwun - dene Eigenthum des verſtorbenen Schiffers Karl Chriſtian. Da war ſeine Uhr, ſeine Garnitur ſilberner Schnallen, ein Beutel mit einigen hundert Thalern Daͤniſch Courant, ein Schaͤchtelchen mit Pretioſen an goldenen Ringen und Ohrgehaͤngen, desgleichen ſil - berne Schloͤſſer zu großen Buͤgeltaſchen nach damaliger Mode, und was ſonſt noch mehr, das der gute Mann vormals in Amſterdam eingehandelt und unterweges, aus Furcht vor Kaperei, hier in Sicherheit gebracht hatte. Hier hatt es kein Menſch geſucht und auch wir es eher in jedem andern Ver - ſteckwinkel geahndet!

Guter Gott! Und ich hatte mich muͤſſen drum gleichwohl einen Dieb heiſſen laſſen! Aber der Himmel iſt gerecht und barmherzig. 169Er fuͤgte es, daß die Wahrheit noch nach Jahr und Tag wunderlich an’s Licht kam; daß es ſogar in meiner Gegenwart und vor vieler Zeugen ſichtlichen Augen geſchehen mußte! Waͤren wir nicht Alle zugegen ge - weſen wer weiß, wie weit die Ehrlich - keit des Finders Stich gehalten, ob je Hund oder Hahn darnach gekraͤht und ich nicht Zeit meines Lebens Dieb geheiſſen haͤtte! Ja, allemal wenn ich an dieſe Geſchichte denke, ſchlage ich meine Haͤnde in die Hoͤhe und danke Gott. Der Name des Herrn ſey gelobet!

Nun raffte ich in der Beſtuͤrzung Alles zuſammen, und damit an Land zu der Witt - we meines ehemaligen Schiffers. Hier, meine liebe Frau! rief ich auſſer Athem Hier bring ich Jhnen den Schatz von Jhrem ſeligen Herrn, und wofuͤr ich ſo lange habe Dieb heiſſen muͤſſen. So und ſo iſt das, durch Gottes Leitung, wieder aufgefunden worden; und nun danken auch ſie Gott und ſeyn froͤhlich. Nun iſt Jhnen und Jhren armen Wuͤrmerchen auch beſſer geholfen.

So gab es alſo Freude von allen Seiten. Bald auch wurde die Geſchichte in Koͤnigs - berg und in der ganzen Umgegend ruchtbar. Jeder hielt es fuͤr ein halbes Wunderwerk; Jeder wollte daruͤber von mir ſelbſt noch naͤheren Bericht erfahren; und war ich170 vorher hie und da wohl zweideutig und uͤber die Achſel angeſehen worden, ſo wurde ich ſeitdem, Gott weiß es! von Bekannten und Unbekannten mit unverdienter Guͤte und Liebe behandelt.

Mein gutes Gluͤck, das ich in dieſem Jahre mit meinem kleinen Schiffe gehabt hatte, machte mich, wenn auch nicht uͤber - muͤthig, doch zuverſichtlich. Jch war ein junger Menſch und wollte mich noch beſſer in der Welt verſuchen, um es deſto gewiſſer in der Welt zu etwas zu bringen. Meinem Abſehen nach mußt ich ein neues und groͤße - res Schiff haben, womit ich mich in die Nordſee und uͤber den Kanal hinaus wagen duͤrfte, anſtatt bloß in der Oſtſee, wie in einer Entenpfuͤtze, umher zu leyern. Neben - her verließ ich mich auch wohl auf mein Ge - ſchick, womit ich mir das Gluͤck, auch wenn es mir den Ruͤcken kehren wollte, wohl zu erzwingen gedachte. Leider hatte oder ach - tete ich damals die Erfahrung noch nicht, daß zum Laufen kein Schnellſeyn hilft, und ſollt es erſt noch mit einem Schaden lernen.

Ueberhaupt hab ich es erſt ſpaͤt begrif - fen, daß lediglich Alles vom Gluͤck abhaͤngt und Dieſes durch Fleiß und Geſchick allein ſich nicht erzwingen laſſen will. Wohl aber haͤtt ich es an meinen eigenen dummen Streichen (woran ich es leider! nie habe171 ſehlen |laſſen) abnehmen koͤnnen, daß dieſe den Dummbart oft dem Gluͤcke weiter in den Schooß fuͤhren, als ein Andrer mit ſeinen weiſeſten Ueberlegungen auszureichen vermag. Doch will ich damit nicht geſagt haben, daß man den Letztern mit Vorbedacht aus dem Wege gehen ſolle. Muß man in der Aus - fuͤhrung ja doch immer noch dem lieben Gott die groͤßere Halbſchied uͤberlaſſen.

Kurz, ich verkaufte meinen kleinen und gluͤcklichen Poſtreiter; ſetzte mir’s in den Kopf, ein funkelnagelneues Schiff von etwa 80 Laſten auf den Koͤnigsberger Stapel zu ſetzen, und war den groͤßten Theil des Jah - res 1763 mit dem Ausbau deſſelben beſchaͤf - tigt, ohne den Ort zu verlaſſen. Jn das nemliche Jahr traf auch der ungluͤckliche große Brand in Koͤnigsberg, wobei der Loͤ - benicht, Sackheim und ein Theil vom Roß - garten in Feuer aufgiengen. Als der erſtge - nannte Stadttheil ſo ploͤtzlich und an allen Orten zugleich in Flammen ſtand, befand ich mich, mit wohl noch tauſend andern Men - ſchen, auf der Holzwieſe, dicht am Pregel, dem Loͤbenich gegenuͤber. Hier bemerkten wir auf der Ladebruͤcke, hinter dem Hoſpital, arme gebrechliche Bewohner deſſelben, welche darauf ihre letzte kuͤmmerliche Zuflucht geſucht hatten. Denn hinter ihnen ſtanden ihre Zel - len, ſammt der Hoſpital-Kirche, in lichtem172 Brande; zur Einen Seite nicht minder der Moͤnchhof, und zur Andern, neben der Bruͤcke, ein großer Stapel Brennholz; ſo daß den Ungluͤcklichen nur uͤbrig blieb, ſich in den Pregel zu ſtuͤrzen, oder ihr Schickſal auf jener Ladebruͤcke abzuwarten.

Schon aber ſchien die Flamme ſie auch in dieſem letzten Bergewinkel ereilen zu wollen! Wir ſahen deutlich von jener Seite, wie bereits Einigen Lahmen und Kruͤppeln die Kleider auf dem Leibe angeglommen wa - ren; waͤhrend Andre, die noch etwas beruͤh - riger waren, Waſſer ſchoͤpften und damit ihre Ungluͤcksgefaͤhrten wiederholt uͤbergoſſen, um ſie vor dem Verbrennen zu retten. Sie konnten dies auch um ſo fuͤglicher, da zu - gleich ein ſtarker Orkan aus Norden wuͤthete, (der eben den Brand ſo unaufhaltſam ver - breitet hatte) und wodurch auch das Strom - waſſer ſo aufgeſtauet wurde, daß es faſt die Hoͤhe der Bruͤcken erreichte.

Hier ſollte und mußte nun, in ſo drin - gender Gefahr, den armen Leuten unverzuͤg - lich geholfen werden! Fahrzeuge waren in der ganzen Gegend nirgends abzuſehen. Jch lief indeß uͤber die Kuttelbruͤcke nach dem Hunde-Gat; ſprang in ein Boot, das zu einem dort liegenden Schiffe gehoͤrte; und da zum Gluͤck ein Ruder drinne lag, ſo war ich, mit Huͤlfe des ſtarken Windes, binnen173 5 bis 10 Minuten wieder an der Ladebruͤcke. Man denkt ſich’s leicht, wie ich hier von den armen Menſchen beſtuͤrmt wurde. Jm - mer wollte Einer vor dem Andern aufge - nommen ſeyn; und mir blieb endlich nichts uͤbrig, als eilig mit dem Boote und den zuerſt Eingeſprungenen abzuſtoßen, wenn nicht Alles auf der Stelle mit und unter mir verſinken ſollte. Jch brachte indeß meine Ladung nach der Holzwieſe in Sicherheit; und ſo gelang es mir in dreimaligem Hin - und Herfahren, ſie Alle gluͤcklich aus der Klemme zu ſchaffen.

Als ich jedoch mich der Bruͤcke nochmals naͤherte und den Platz wohlbedaͤchtig mit meinen Blicken muſterte, waͤhrend bereits die Laufbretter hie und da die Flammen durchzuͤngeln lieſſen, nahm ich, 15 oder 20 Schritte von mir entfernt, etwas wahr, daß ſich brennend auf dem Boden bewegte und Anfangs von mir fuͤr ein glimmendes Bette gehalten wurde, das der Sturmwind vor ſich her waͤlzte. Als ich aber die Bruͤcke beſtiegen hatte und es in der Naͤhe unter - ſuchte, fand ich, daß es eine alte Frau war, die, wie ich ſpaͤterhin erfuhr, an Einer Seite des Leibes voͤllig vom Schlage geruͤhrt worden. Jch hob ſie auf, um ſie nach meinem Fahrzeuge zu tragen: allein der Qualm und Geſtank der ſchweelenden174 Kleider ſtieg mir ſo unertraͤglich zu Kopf und Bruſt, daß ich von meinem Vorneh - men abſtehen mußte. Doch ergriff ich die Ungluͤckliche an Hand und Fuß; zerrte ſie ſo wenn gleich einwenig unſanft, nach dem Boote, und brachte ſie hinuͤber, wo ſie mir von den vielen umſtehenden Menſchen abgenommen wurde.

Gleich darauf ſtieß ich wieder ab, um, wo moͤglich, irgend einem Bedraͤngten in die - ſer Noth retten zu helfen, und kam an das Loͤbenichtſche Schlachthaus, das gleichfalls in hellem Feuer ſtand, und wo noch, wie ich durch die niedergebrannten Planken wahrneh - men konnte, eine Menge ausgeſchlachteten Viehes umherhieng. Mein Gott! dachte ich wie vielen hundert Menſchen koͤnnte das noch zur Erquickung dienen, denen das Ungluͤck heute nichts, als das liebe Leben, ge - laſſen hat! Ein großer fetter Ochſe, der der Treppe nach dem Waſſer am naͤchſten hieng, fiel mir beſonders in die Augen. Jch ſchnitt ihn ab, waͤlzte ihn hinunter und ſchleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her an’s jenſeitige Ufer, wo ihn mir ein Reuter abnahm und vollends auf’s Trockne brachte. Wo er weiter geblieben und wem er zu gute gekommen iſt, weiß ich nicht.

Jndem ich mich nun auf’s neue nach der Loͤbenichtſchen Seite hinuͤber machte, ſtieß ich175 dort auf eine korpulente Frau, die ihre Haͤnde nach mir aufhob und rief: O Schifferchen, erbarme Er ſich|! Helf Er! Rett Er! Das da iſt mein Haus, was mit den Andern im Brande ſteht; und mein Mann iſt ausgereiſt auf den Viehhandel. All meine Leute haben mich verlaſſen; und was Er hier um mich liegen ſieht, hab ich mit meinen eignen Haͤnden aus dem Feuer ge - riſſen. Dabei wies ſie auf einen Berg von Betten, Kleidungsſtuͤcken und dergleichen.

Jch ließ mich nicht Zweimal bitten; wir warfen Beide Hals uͤber Kopf von den Sachen bunt durch einander in das Boot, ſoviel es nur faſſen konnte, und nun ſchlug ich ihr vor, dieſe Ladung an’s jenſeitige Ufer hin - uͤber zu ſchaffen, dann aber wiederzukommen und ſie ſelbſt mit dem Reſt in Sicherheit zu bringen. Das war aber keine gute Dis - poſition, wie ich ſogleich inne ward, als ich die Holzwieſe erreichte: denn hier gab es zwar hundert geſchaͤftige Haͤnde, die mir die ge - retteten Sachen abnahmen; als ich mich aber darnach umſah, ob ſie auch in gute Verwah - rung kaͤmen, lief der Eine hiehin, der Andere dorthin; dieſer zog mit einem Bette ab, Je - ner mit einem Laken oder einem Armvoll Kleider; und als ich das letzte Stuͤck aus den Haͤnden gab, hatte ſich bereits die ganze Ladung verkruͤmelt.

176

Frauchen! ſagte ich bei meiner Wie - derkehr Das ſieht betruͤbt mit Jhrem Eigenthum aus! Jch fuͤrchte, Sie kriegt in Jhrem Leben keine Faſer wieder davon zu ſehen. So und ſo iſt mir’s damit gegangen. Die Ungluͤckliche weinte und ſeufzte. Jndeß ſchleppten wir noch einen ſchweren Kleider - kaſten an und in’s Boot, und was ſie noch von Geraͤthſchaften geborgen hatte. Sie ſelbſt trug ich, trotz ihrer Wohlbeleibtheit, indem ich bis an den halben Leib durch’s Waſſer watete, gut oder uͤbel ebenfalls hinein, und fuhr ab. Unterweges gewann ſie wieder etwas Muth und Redſeligkeit. Sie nannte mir ihres Mannes Namen, (den ich aber wieder vergeſſen habe) und daß er ein Brannt - weinbrenner geweſen, ſammt ihren andern haͤuslichen Umſtaͤnden. Die ganze Brandge - ſchichte, vom erſten Feuerlaͤrm an, und ihren Schreck, und was ſie und ihre Nachbarn ge - dacht und geſagt und vermuthet Das Alles bekam ich anzuhoͤren, und wahrſchein - lich noch ſehr Vieles mehr, wenn wir nicht ſchon fruͤher bei der Holzwieſe angelangt geweſen waͤren.

Hier ward das unordentliche Getuͤmmel der raͤuberiſchen Dienſtfertigkeit um die arme Frau faſt noch aͤrger, als bei meiner erſten Landung. Endlich draͤngte man mich ganz von ihr ab, und ich ſah ſie nur noch ausder177der Ferne auf ihrem Kaſten ſitzen, um wenig - ſtens dieſen zu behaupten. Wieviel ihr von dem Uebrigen geblieben oder wiederge - bracht worden, weiß Gott: denn meine Augen haben ſie nachdem in dem weitlaͤuftigen Orte niemals wiedergeſehen.

Fuͤr diesmal wollt ich nun ſehen, was in einer andern Gegend, auf der Sackheim - ſchen Seite, paſſirte. Nicht lange, ſo traf ich abermals mit einer alten Frau zuſammen, die am Waſſer ſtand und mir entgegenſchrie: Ach Herzens Schifferchen, goldnes! Hier - her, zu mir hin! Jch will Jhm auch gerne einen Sechſer geben. Jch mußte lachen, ſo wenig mir’s bei der allgemeinen grauſa - men Noth auch laͤcherlich um’s Herz war. Nun, und wo ſoll ich hier denn angreifen? Ach du mein Gottchen! Dieſen Kaſten hier, wenn Er mir den doch nach der Holz - wieſe ſchaffen wollte. Mein ganzes armes Haab und Gut ſteckt zuſammen drinnen! Jch bin eine geſchlagne Frau, wenn ich den miſ - ſen ſoll!

Nun freilich, da mußte ſchon Hand zum Herzen gethan werden! Sie uͤbergab mir eine lange ſchmale Kiſte, die mir nun zwar bei dem fluͤchtigen Blick, den ich mir darauf zu werfen abmuͤßigte, keine ſonderlichen Schaͤtze zu bergen ſchien, aber doch, unter gemein - ſchaftlicher Daranſtreckung unſrer Kraͤfte,1. Bändchen. (12)178gluͤcklich in’s Boot geſchoben und, weil ſie darinn der Laͤnge lang keinen Platz fand, mit Muͤhe queruͤber in’s Gleichgewicht ge - ruͤckt wurde; wiewohl das Fahrzeug, da ſie hochſtand, heftig damit ſchwankte. Auch gieng es mit der Fahrt noch immer gut ge - nug, bis wir, auf Stromes-Mitte, auch in den Bereich des Sturmwindes geriethen, wel - cher uns dergeſtalt packte, daß ſich das Boot ganz auf die Seite legte und Waſſer ſchoͤpfte. Was ich immer thun mochte, dem Uebel ab - zuhelfen, blieb vergeblich, und unſre Gefahr zu ſinken ward mit jedem Augenblick dringen - der. Aber, liebe Frau, was hat ſie denn in dem unbeholfenen verwetterten Kaſten? fragte ich endlich mit einiger Ungeduld. Ach, mein Ein und Alles! Meine Huͤhner und Enten, womit ich handle, und die mir Eier legen. Ei, ſo hole denn der Henker lieber den ganzen Kram! ſchrie ich giftig, als daß wir hier unſre Haut darum zu Markte tragen! und damit ſchob ich den Kaſten fein ſaͤuberlich uͤber Bord und ließ ihn treiben, wohin er wollte. Nun aber er - hub ſich uͤber mich ein Sturmwetter von ganz andrer Art, und ich kriegte Ehrentitel zu hoͤren, wie ich ſie mir nimmer vermuthend war. Aber wie ſollt ich es anders machen? Das Boot ſtand am Umkippen und war ſchon hoch voll Waſſer gelaufen.

179

Wir waren daruͤber beinahe bis an den Sack - heimſchen Baum getrieben. Jch machte mich alſo eilig von meiner laͤſtigen Begleiterinn los, ſtieg an Land, befeſtigte das Fahrzeug und half anderweitig bei dem Feuer bergen und retten, wo und wie ich immer vermochte. Daruͤber blieb ich nun von meiner eignen Schwelle entfernt vom Sonntag Abends, da das Feuer angieng, bis Dienſtags Nachmittags, wo endlich ſeine zerſtoͤrende Wuth ſich legte. Waͤhrend dieſer entſetzlichen Friſt kam ich verſchiedentlich mit Bekannten aus unſerm Stadt-Ende, am Licent und der Gegend um - her, zuſammen. Da ward denn immer die erſte angelegentliche Frage, wie es in der Nachbarſchaft ſtehe, freudig beantwortet: Gottlob! Wir haben bis jetzt keine Noth vom Feuer: wohl aber vom Sturm hohes Waſſer in Straßen und Haͤuſern, daß man uͤberall darinn mit Kaͤhnen umherfahren kann.

Ein aͤhnlicher Orkan ſtieg einige Zeit nach jenem unvergeßlichen Ungluͤck ſo gewal - tig auf, daß alle Schiffe mit denen der Pre - gel, vom gruͤnen Baume an, bedeckt war, ſich theils einzeln von ihren Befeſtigungen am Bollwerk losriſſen, theils unter einander ab - draͤngten, und ſelbſt die mitten im Strome geworfenen Anker dagegen nicht aushielten. Die Verwirrung und das Gedraͤnge ward mit jedem Augenblick groͤßer. Endlich packte180 ſich Alles an der gruͤnen Bruͤcke in eine dichte wuͤſte Maſſe zuſammen; die Maſten ſtuͤrzten uͤber Bord, und die Bogſpriete knickten, wie Rohrſtengel. Der Schade war unermeßlich; und als man endlich wieder zur Beſinnung kam, hatte man ſich billig zu verwundern, daß nicht Alles und Jedes zu Grunde ge - gangen.

Gleichwohl betraf dieſes Schickſal unter Andern auch einen ledigen Bording von 50 Laſten, der zwiſchen den andern Schiffen ſo eingeklemmt ward, daß er endlich, als die ge - ringere Maſſe, von ihnen niedergedruͤckt und dergeſtalt voͤllig in den Grund verſenkt wer - den mußte, daß keine Spur von ihm zu er - blicken war. Dies Gefaͤß gehoͤrte einer Wi[tt]we Roloff, meiner guten Freundinn und Ge - vatterinn, zu, die in ihrer Noth und mit weinenden Augen auch zu mir kam, ob ich ihr in ihrem Ungluͤck nicht helfen koͤnne. Jch verſprach mein Moͤglichſtes; und ſobald nur der Sturm ſich abgeſtillt hatte, und die Schiffe ſich wieder auseinandergewirrt, traf ich Anſtalten, den Bording mit Winden und Tauen aus dem Grunde wieder emporzuhe - ben, was mir denn auch mit vieler Muͤhe und Arbeit gelang; ſo daß das Fahrzeug auf eine ſichre Stelle gebracht und der erlit - tene Schade ausgebeſſert werden konnte.

181

Einige Zeit nachher, waͤhrend ich noch an meinem Schiffe baute, kam eines Tages das Geſchrei zu mir auf die Bauſtelle: Auf dem Pregel am gruͤnen Krahn ſtehe ein Hollaͤndi - ſches Schiff, mit 120 Laſten Hanf geladen, in lichtem Brande. Sofort machte ich mich, ſammt all meinen Schiffszimmerleuten, deren Jeder mit ſeiner Axt verſehen war, auf den Platz, und ſah, wie das Feuer klafterlang, gleich einem Pferdeſchweif, hinten durch die Kajuͤt-Porten emporflackerte. Alle Menſchen, ſoviel ſich deren bereits herbeigemacht hatten, waren damit beſchaͤftigt, Loͤcher in das Ver - deck zu hauen und von oben hinab Waſſer in den brennenden Raum zu gieſſen. Offenbar aber gewann dadurch der Brand unterm Deck nur um ſo groͤßern Zug und war auf dieſe Weiſe mit nichten zu daͤmpfen.

Ein ſo widerſinniges Verfahren konnt ich nicht lange gelaſſen mit anblicken; und das nur um ſo weniger, da mir das ſchnelle und ſichre Mittel beifiel, dem weitern Ungluͤck auf der Stelle zu ſteuern; wenn nemlich das Schiff, ohne langes Saͤumen, zum Unterſinken gebracht werden konnte. So packte ich denn flugs den Schiffer am Arm, und ſchrie ihm zu: Jhr arbeitet Euch ja damit zum Un - gluͤck, daß Jhr dem Feuer noch mehr Luft macht. Verſenken muͤßt Jhr das Schiff! Hoͤrt Jhr? Verſenken! Was da lange Beſinnens!

182

Es lief aber Alles verwirrt durch einan - der, und kein Menſch konnte oder wollte in dem Tumult auf mich hoͤren. Da griff ich Einen von meinen Schiffszimmerleuten auf; ſprang mit ihm in das Boot, welches zum brennenden Schiffe gehoͤrte und demſelben zur Seite lag, und zeigte ihm eine Planke, dicht an und uͤber dem Waſſer, wo er in Gottes Namen ein Loch durch’s Schiff hauen ſollte. Das laſſ ich wohl bleiben! war ſeine Ant - wort Jch koͤnnte ſchlimmen Lohn dafuͤr haben!

Dieſer Widerſtand erhitzte mich noch mehr. Jch riß ihm die Axt aus den Haͤnden, und bedachte mich keinen Augenblick, ein ganz huͤb - ſches Loch hart uͤberm Waſſerſpiegel durch - zukappen. Als ich den guten Erfolg ſah, legte ich mich auf den Bauch und hieb immer tiefer einwaͤrts, bis endlich das Waſſer ſtrom - weiſe da durch und in den Schiffsraum drang. Das eben hatte ich gewollt; und nun eilte ich ſpornſtreichs aus dem Boote auf das Verdeck, wo ſich hundert und mehr Men - ſchen draͤngten, und ſchrie: Herunter vom Schiff, was nicht verfaufen will! Jn der Minute wird’s ſinken!

Anfangs hoͤrte man mich nich nicht; da ich es aber immer und immer wiederholte, und zugleich auch das Schiff begann, ſich ſtark auf jene Seite zu neigen, ſo kam auf183 Einmal der Schrecken unter die Leute; Alles lief nach dem Lande, in banger Erwar - tung, was weiter geſchehen wuͤrde. Jn der That legte ſich das Schiff ſo gewaltig ſeit - waͤrts, als ob es umfallen wollte; aber im Sinken ſelbſt richtete es ſich ploͤtzlich wieder empor, und fuhr ſo, geraden Standes, ploͤtz - lich bis an die Gaffel-Klaue in die Tiefe, die hier zur Stelle wohl 36 bis 40 Fuß be - tragen mochte.

Das Feuer war gedaͤmpft. Eine ſtille dumme Verwunderung folgte. Aber ploͤtz - lich auch ward jedes Gaffers Mund wieder rege und laut, und Jeder fragte in die Wette: Wer hat das gethan? Wer hat das Schiff in den Grund gehauen? Jeder hatte aber auch gleich die durch einander geſchrieene Antwort bei der Hand: Nettelbeck! Ei, das iſt ein Stuͤckchen von Nettelbeck! Nettelbeck aber kehrte ſich an nichts, gieng ruhig nach Hauſe, und war in ſeinem Herzen uͤberzeugt, daß er recht gethan habe.

Gleich des andern Tages, Vormittags neun Uhr, trat, in voller Angſt, mein Schwie - gervater zu mir in’s Haus, und fuhr auf mich ein: Nun haben wir’s! Ein ſchoͤnes Ungluͤck habt Jhr angerichtet mit dem in Grund gehauenen Schiffe! Da ſind eben drei Kaufleute und der hollaͤndiſche Schiffer, ſammt einem Advokaten, auf der Admira -184 litaͤt, und klagen wider Euch auf vollen Erſatz alles Schadens. Nun ſitzt Jhr in der Bruͤhe! Und noch hatt er ſeine Hiobs-Poſt kaum geendet, ſo war auch ſchon der Admiralitaͤts-Diener zur Stelle, der mich auf den Lizent, gleich in dieſer nemlichen Stunde, vor das Admiralitaͤts-Collegium be - ſchied. Die ſind raſch darhinter her! dacht ich bei mir ſelbſt; und mir ward doch nicht ganz wohl dabei zu Muthe.

Als ich ankam, fand ich es ganz ſo, wie mie’s mein Schwiegervater verkuͤndigt hatte. Mir ward ein ſchon fertiges Protokoll vor - geleſen, des Jnhalts, daß ich es ſey, der unberufener Weiſe das Schiff zum Sinken gebracht und dadurch einen Schaden von ſo und ſo viel Tauſenden angerichtet habe. Jch ſollte jetzt die Wahrheit dieſer Angaben an - erkennen, von der Urſache Rede und Ant - wort geben und allenfalls anfuͤhren, was ich zu meiner Vertheidigung vorzubringen wuͤßte.

Hm! das ſtand ja ſogar verzweifelt noch nicht, wenn mir noch Einrede und Verthei - digung zugeſtanden wurde! Tauſend Augen ſagte ich haben es mit an - geſehen, wie das Schiff hinten hinaus in hellem Feuer ſtand; und je mehr Luftloͤcher die Leute in’s Verdeck hieben, deſto mehr Nahrung gaben ſie dem inwendigen Brande. Haͤtte das nur noch eine halbe Viertelſtunde185 ſo fortgedauert, ſo nahm die Flamme derge - ſtalt uͤberhand, daß es kein Menſch auf dem Schiffe mehr aushalten konnte, und dieſes, mit ſammt der Ladung, preisgegeben werden mußte. Allein wenn und waͤhrend es nun in voller Gluth ſtand Wie ſollt es da fehlen, daß nicht auch die Taue mit ver - brannten, an denen es am Bollwerk befeſtigt lag; daß die flammende Maſſe ſtromabwaͤrts und unter die vielen andern dort liegenden Schiffe trieb und dieſe mit in’s Verderben zog? Ja, was leiſtete uns Buͤrgſchaft, daß dieſer Schiffsbrand nicht ebenſowohl auch die dicht am Bollwerk befindlichen Speicher und die unzaͤhligen, vor denſelben aufgefah - renen Hanfwagen ergriff? und daß daruͤber nicht ganz Koͤnigsberg in Rauch und Aſche aufgieng? Jetzt iſt großes und gewiſſes Ungluͤck mit um ſo geringerm Schaden ab - gewandt, als Schiff und Ladung wohl noch meiſt wieder zu bergen ſeyn werden. Jch bin daher auch des guten Glaubens, daß ich in keiner Weiſe ſtrafbar gehandelt, ſon - dern nur meine Buͤrgerpflicht geleiſtet habe.

Der Director, Hr. Schnell, dictirte dieſe meine Verantwortung ſelbſt zu Protokoll; und der Advokat ermangelte nicht, dagegen allerlei Einrede zu thun. Darnach ward ich abermals befragt, ob ich weiter noch etwas zu meinen Gunſten vorzubringen habe?186 Nicht ein Wort! erwiederte ich Meine Sache muß fuͤr ſich ſelber ſprechen. Die Verhandlung ward zu Papier gebracht, und dies mußten alle Parten unterzeichnen. Dann wurden wir bedeutet, einſtweilen un - ſern Abtritt zu nehmen, weil unſer Handel klar genug ſey, um noch in dieſer nemlichen Sitzung zum Spruche zu kommen.

Deſto beſſer! dachte ich Wenn nur die geſtrengen Herren drinnen auch Vernunft annehmen wollen! und uͤber dieſem Wenn kam es denn doch bei mir zu einem Herz - pochen, das mir dieſe halbe Stunde Ver - weilens zu einer ſehr baͤnglichen machte. Wer weiß, ob es meinen Gegenparten viel beſſer ergieng? Endlich hieß es, daß wir wieder vortreten moͤchten; und nun gab man uns ſogleich auch die gefaͤllte Sentenz zu ver - nehmen, deren Jnhalt, der Hauptſache nach, etwa dahin lautete:

Die Admiralitaͤt erkenne, daß der Schiffer Nettelbeck vollkommen recht und loͤblich ge - handelt, indem er durch ſchnelle Verſenkung des, in Rede ſtehenden, brennenden Schiffes groͤßeres Ungluͤck von dem Handelsſtande und der Stadt abgewandt. Naͤchſtdem aber behalte ſich das Collegium vor, ihm deſſen Zufriedenheit und Dankbarkeit durch feier - lichen Handſchlag zu bezeugen. Falls auch der Gegenpart mit dieſem Erkenntniß zufrie -187 den ſey, ſolle derſelbe gleichmaͤßig mit dar - gebotener Hand ſich bei beregtem Nettelbeck bedanken, daß er Schiff und Ladung vor noch groͤßerm Schaden bewahrt habe.

Nach geſchehener Vorleſung ſtand der Director, Hr. Schnell, von ſeinem Sitze auf, ſchuͤttelte mir treuherzig die Hand, und ſag - te: Jch thue das, als Erkenntlichkeits-Be - zeugung, im Namen aller Schiffer, die auf dem Pregel liegen, und im Namen der Stadt, die durch Jhren Muth und Beſonnenheit ei - nem großen Ungluͤck entgangen iſt. Sie ſind ein wackerer Mann!

Kaufleute, Schiffer und Advokat ſahen einander an, und gaben etwas verlegene Zu - ſchauer bei dieſer Scene ab. Endlich traten ſie, Einer nach dem Andern, zu mir und ga - ben mir ihre dankbare Hand. Die Vernuͤnf - tigern unter ihnen gaben zu gleicher Zeit zu verſtehen, ſie waͤren nur darum zur Klage wider mich geſchritten, um ſich bei ihren Aſ - ſuͤradeurs, Rheedern und Correſpondenten wegen des Vorgangs mit dem Schiffe hin - laͤnglich zu decken.

Schon waren wir im Begriff, aus der Gerichtsſtube wieder abzutreten, als der Di - rector mich zuruͤckrief, und anhub: Schif - fer Nettelbeck! Wie iſt’s? Haben ſie nicht in vorigem Jahre der Wittwe Roloff ihren im Pregel verſunkenen Bording gluͤcklich wie -188 der in die Hoͤhe gebracht? Jch daͤchte, Sie waͤren ebenſowohl der Mann dazu, Jhr Kunſtſtuͤck auch an dieſem Schiffe hier zu wiederholen? Meine Herren! ſich zu den Kaufleuten wendend Sie ſollten ſich dieſen Vorſchlag uͤberlegen! Was mey - nen Sie?

Alſobald legten mir die Gefragten die Sache andringlich vor. Je nun, erwie - derte ich Vieles in der Welt laͤßt ſich machen, wenn es mit Vernunft und Geſchick angegriffen wird. Wir Beide, der Schiffs - herr und ich, wollen hingehen, unterſuchen und das Ding an Ort und Stelle reiflicher uͤberlegen. Laͤßt ſich was beginnen, ſo wol - len wir in Gottes Namen Hand an’s Werk ſchlagen. Sogleich auch machten wir uns auf den Platz: aber alsbald auch ward mir’s klar, daß der Schiffer eine Schlafmuͤtze war, von dem ich keinen erklecklichen Beiſtand erwarten durfte. Lieber alſo ließ ich ihn ganz aus dem Spiele; gieng zu meinem gu - ten ehrlichen Freunde, dem Schiffszimmer - meiſter Backer, und bat ihn, daß er mir bei meinem Vornehmen helfen moͤchte. Der war auch zu Allem bereit und willig; und ſo ſchritt ich denn getroſt an die Ausfuͤhrung.

Nach dem Plane, den wir entworfen hat - ten, erbat ich mir von ein paar guten Freun - den zwei Fahrzeuge zu meiner Verfuͤgung;189 wobei denn natuͤrlich alle Gefahr und der Er - ſatz des etwa zugefuͤgten Schadens auf meine Rechnung gieng, fuͤr den Gebrauch derſelben aber eine billige Verguͤtung bedungen wurde. Jndem ich nun dieſe Bordinge zu beiden Seiten des verſenkten Schiffs poſtirte, und meine Winden und Hebezeuge darauf an - brachte und in Bewegung ſetzte, gieng die Arbeit raſch und gluͤcklich von ſtatten. Wir hoben die ungeheure Laſt unter dem Waſſer aus dem tiefen Grunde ſo weit in die Hoͤhe, daß man bereits auf das Verdeck, etwas mehr, als Knie tief, treten konnte und ich binnen kurzem den Augenblick erwartete, wo daſſelbe vollends emportauchen wuͤrde.

Jetzt aber ploͤtzlich ſtockten alle meine Maſchinen; und keine Kraft derſelben war ſtark genug, das Schiff auch nur um einen einzigen Zoll hoͤher zu bringen. Jch hatte die beiden Bordinge durch die Winden der - geſtalt anſtrengen laſſen, daß ſie vorne mit dem Bord-Rande dicht auf dem Waſſer la - gen, waͤhrend die Hintertheile ſich bis zum Kiel in die Hoͤhe kehrten. Brach jetzt irgend etwas an den Tauen, die unter dem Schiffe durchgezogen waren, ſo waren Ungluͤck und Schaden, die dann entſtehen mußten, gar nicht zu berechnen. Jn dieſer peinlichen Lage mußten demnach vor allen Dingen noch ein paar Ankertaue unter den Schiffskiel gebracht190 werden, in denen es nunmehr mit vollerer Sicherheit hieng; und nun galt es um ein Mittel, es noch um ſoviel zu erleichtern, da - mit nur die großen Luken auf dem |Verdeck nicht mehr vom Strome uͤberfloſſen wuͤrden und die anzubringenden Pumpen dann freies Spiel gewaͤnnen.

Da ſich jedoch der Schiffs-Koͤrper um keine Linie mehr ruͤcken laſſen wollte, ſo fiel ich darauf, ich muͤßte jene Lucken um ſoviel erhoͤhen, daß ſie uͤber dem Waſſerſpiegel em - porragten. Das war zu bewerkſtelligen, wenn ich ebenſoviel Kaſten oder Verſchlaͤge, von wenigſtens zwei Fuß Hoͤhe, und gleichem Umfang mit den Lucken dergeſtalt waſſerdicht auf denſelben und dem Verdeck befeſtigte, daß ſie gleichſam einen Brunnenrand vor - ſtellten. Was nun aus dieſen Kaſten ge - ſchoͤpft wurde, war dann eben ſo gut, als ſey es aus dem Raume geſchoͤpft, in wel - chem auf dieſe Weiſe das Waſſer endlich doch nothwendig abnehmen mußte. Dann aber hob ſich das Schiff von ſelbſt, ohne daß es ferner meiner Maſchinen bedurfte.

Kaum war dieſer Gedanke zur Welt ge - bohren, ſo ließ ich mir einen Zollſtock geben, um unter dem Waſſer das genaue Maaß der Lucken in Laͤnge und Breite zu nehmen; rief meine Leute zu mir nach der Bauſtelle und gab ihnen an, was zu thun ſey. Jn Zeit191 einer Stunde, (waͤhrend welcher Alles in hoͤchſter Erwartung deſſen ſtand, was werden ſollte) kam ich mit den fertigen Kaſten und meinen Arbeitsleuten zuruͤck, und hatte die Freude, zu ſehen, daß jene vollkommen wohl anſchloſſen. Um mich jedoch deſſen noch voͤl - liger zu verſichern, riß ich mit dem Zirkel die Biegung der Schiffsdecke unterm Waſſer an dem Rande der Kaſten ſorgfaͤltig vor; ließ ſoviel, als darnach noͤthig war, heraus - hauen, und konnte nunmehr mein Werk, da kaum noch einiges Waſſer durchſickerte, fuͤr gelungen halten.

Hunderte von muͤßigem Poͤbel ſtanden, als Zuſchauer, am Bollwerk. Jch wandte mich zu ihnen und rief: Heran mit Eimer und Geraͤth, wer Luſt hat, mit Waſſerſchoͤpfen jede Stunde einen halben Gulden zu verdie - nen! Ho, das war, als haͤtt ich ſie zur Hochzeit gebeten! Es ſtuͤrzten gleich ſo - viel Arbeiter herbei auf das naſſe Verdeck, daß ſie um die Kaſtenraͤnder nicht Alle Raum zum Handthieren hatten. Jch ließ ſie ihr Weſen treiben und ſtieg derweilen in’s Boot, um mit dem Bootshaken das Loch unter Waſ - ſer aufzuſuchen, welches meine Haͤnde hinein - gehauen hatten. Dann aber ſah ich mich nach einem Sacke um, (oder war es ein Stuͤck altes Segeltuch; ich weiß es nicht!)192 um jenes Loch zu ſtopfen und dadurch neuen Zufluß zu hindern.

Bei jedem Schopf, den ſo viele Eimer zugleich thaten, wurden vielleicht funfzig und mehr Kubik-Fuß Waſſer erſt aus den Kaſten, dann tiefer aus dem Schiffsraume hervorgefoͤrdert; ſo daß baͤld die Arme der Arbeiter es nicht fuͤglich erreichen konnten. Jn eben dem Maaße nun, als durch dieſe Erleichterung das Schiff wieder an eigner Hebekraft gewann, erlangten auch die beiden Fahrzeuge, zwiſchen denen es in der Schwebe hieng, ihre verlorne Wirkſamkeit wieder. Sie hoben ſich vorne wieder; und ſo, mit Einem Ruck, brachten ſie nun das Schiff gluͤcklich in die Hoͤhe, daß es durch ſich ſel - ber flott wurde und das Verdeck uͤber Waſ - ſer zu ſtehen kam.

Jetzt konnten auch die Hanfgebinde an den Laſtbaͤndern aus dem Raume hervorge - langt werden. Mit der erleichterten Ladung aber trat auch immer mehr und mehr Bord hervor, bis endlich auch mein gehauenes Loch uͤber dem Waſſer zum Vorſchein gelangte und ſonach mein Werk fuͤr abgethan gelten konnte. Jch ſchlug alſo ein Kreuz daruͤber und gieng, weil ich mich trefflich abgemattet fuͤhlte, in des Herrn Namen nach Hauſe; waͤhrend mein Freund Backer und der Schiffer das Uebrige beſorgen mochten.

Ei -193

Einige Tage darauf ward ich abermals vor die Admiralitaͤt gefordert. Jch fand dort die Herren Kaufleute, die mir fuͤrerſt ihren Dank fuͤr mein gluͤcklich geloͤstes Ver - ſprechen bezeugten, dann aber auch ſich fuͤr meine angewandte Bemuͤhung mit mir abzu - finden wuͤnſchten. Auf meiner Rechnung, die ich ihnen deß Endes einreichte, ſtanden bloß die beiden Bordinge, die ich gebraucht hatte, jeder mit 20 Thalern angeſetzt, ſammt einer Kleinigkeit fuͤr Abnutz an Tauen, Winden und andern Geraͤthſchaften; die denn auch ſogleich und ohne allen Anſtand bewilligt wurden. Da ich indeß, was mich ſelbſt betraf, keine Forderung machen wollte, ſo boten ſie mir ein Douceur von hundert Gulden Preuß., ſammt 10 Pfund Kaffe und 20 Pfund Zucker. Jch nahm, was mir gegeben wurde, und ſchenkte davon 25 Gulden fuͤr die Ar - men, um ihnen auch einmal einen guten Tag zu machen.

Zu Oſtern 1764 war ich endlich auch, nach vieler Muͤhe und Sorge, mit deren einzelner Aufzaͤhlung ich den Leſer nicht be - laͤſtigen will, mit meinem Schiffbau im Rei - nen. Das Gebaͤude und Alles, was dazu gehoͤrte, war nun wohl ganz nach meinem Sinn gerathen: aber Luſt und Freude konnt ich dennoch nur wenig daran haben: denn wie ſo ganz anders waren die Zeiten gewor -1. Bändchen. (13)194den, ſeit ich in vorigem Jahre den Kiel dazu legte, und jetzt, wo es, glatt wie ein Aal, vom Stapel lief! Mit den guten Zeiten fuͤr die Rheederei hatt es ein ploͤtzliches und betruͤbtes Ende genommen. Jch will nicht ſagen, daß ich auf lauter ſolche Frachten, wie jene nach Riga, zu 40 Rubel die Laſt, gerechnet haͤtte: denn dann waͤr ich ein baa - rer Thor geweſen: allein noch im Jahre zu - vor ſtanden die Frachten auf Amſterdam zu 45 hollaͤndiſchen Gulden, und jetzt, wo, beim Frieden, in alles Verkehr eine Todtenſtille eintrat, galt es Muͤhe, eine Fracht dahin um 11 Gulden zu finden. Erſt im October ward mir’s ſogut, auf den genannten Platz fuͤr 16 Gulden abzuſchlieſſen.

Waͤhrend nun mein Schiff in der Ladung begriffen war, kam ich eines Tages von der Boͤrſe, um am Borde mit eignen Augen nach - zuſehen. Das Schiff hatte ſich etwas vom Bollwerk abgezogen: dennoch dachte ich den Sprung wohl hinuͤber zu thun, traf es aber ſo ungluͤcklich, daß ich uͤber ein Ankertau, welches laͤngs dem Verdecke lag, ſtolperte und mir den rechten Fuß unten aus dem Gelenke fiel. Da lag ich nun, und mußte nach Hauſe getragen werden! Das Bein ſchwoll an; ich konnte bald kein Glied mehr ruͤhren, und waͤhrend daran gezogen, geſalbt und gepflaſtert wurde, hatt ich die grauſamſten Schmerzen195 auszuſtehen. An ein Mitgehen mit meinem Schiffe, wie ich es willens geweſen, war nun gar nicht zu denken. Aber wen nunmehr in meine Stelle ſetzen?

Zum Steuermanne unter mir hatte ich einen gewiſſen Martin Steinkraus angenom - men, der zwar bereits ſelbſt ein Schiff ge - fuͤhrt, aber dabei eben keine Ehre eingelegt hatte. Er war, gleich mir, ein gebohrner Colberger und mir von meinen uͤbrigen Lands - leuten, halb wider meinen Willen, angebettelt worden. Jetzt, da ich im Bette lag, ward ich abermals mit guten Worten und einge - legten Fuͤrbitten von allen Seiten dermaaſſen beſtuͤrmt, daß ich mich endlich, in einer un - gluͤcklichen Stunde, bethoͤren ließ, dieſem Menſchen mein Fahrzeug auf die vorhabende Reiſe, als Schiffer anzuvertrauen. An guten Ermahnungen und Jnſtructionen, wie er ſich in vorkommenden Faͤllen verhalten, wie er ſich helfen und wirthſchaften ſollte, ließ ich es auf keine Weiſe ermangeln. Auch gab ich ihm ſofort 200 Gulden baar in die Haͤnde, um ſich damit in Pillau frei in See zu bringen.

Deſto verwunderlicher daͤuchtete mir’s, daß, als er kaum von Koͤnigsberg abgegan - gen und drei Tage vor Pillau gelegen, das Comptoir von Seif et Co. daſelbſt mir eine Anweiſung von 200 Gulden praͤſentiren ließ,196 welche mein Schiffer baar auf meine Rech - nung bezogen hatte. Gleich darauf war er in der Mitte Novembers, in See gegangen. Spaͤterhin kamen noch verſchiedene aͤhnliche Aſſignationen, zuſammen im Belauf von etwa 300 Gulden, zum Vorſchein, die er zum Theil baar aufgenommen, zum Theil auf allerlei Schiffsbeduͤrfniſſe verwandt hatte, als ob er ganz mit lediger Taſche von mir gegangen waͤre.

Alles dieſes geſtattete mir kaum noch ei - nigen Zweifel, daß dieſer Menſch es auf Betrug und Hinterliſt mit mir abgeſehen habe. Haͤtte ich noch daran zweifeln moͤ - gen, ſo mußten mir vollends die Augen auf - gehen, als ich, nachdem er Anfangs Decem - bers den Sund paſſirt war, durch das Haus von Dorß eine neue Aſſignation, lautend auf 85 Thaler Daͤn., empfieng, die doch nur fuͤr Sundzoll und aufgelaufene Koſten ver - ausgabt ſeyn konnten, ohngeachtet ich aus Erfahrung wußte, daß ein Schiff von der Tracht, wie das meinige, dort nur 12 bis 15 Thaler Daͤn. zu zahlen haben koͤnne.

Jm Januar 1765 liefen Briefe aus Go - thenburg an mich ein, mit der Hiobs-Poſt: Schiffer Steinkraus ſey dort eingelaufen, habe die Einleitung zu einer Haverey ge - macht und, zu dem Ende, gleich anfaͤnglich 2,000 Gulden aufgenommen. Jm Februar197 wiederum Briefe aus Gothenburg: Schiffer Steinkraus habe ſich genoͤthigt geſehen, die zur Ausbeſſerung noͤthigen Gelder bis auf 6000 Gulden zu vermehren und ſich aus - zahlen zu laſſen!

Jetzt ward mir der unſaubre Handel denn doch zu arg und zu bunt! Wollt ich nicht, mit dem Stabe in der Hand mein Eigenthum mit dem Ruͤcken anſehen, ſo mußt ich eilen, dem unverſchaͤmten Raͤuber durch meine perſoͤnliche Gegenwart einen Zuͤgel an - zulegen. Jn dieſer Abſicht gieng ich, im Merz, mit Schiffer Martin Blank, als Paſſa - gier nach Amſterdam ab, wo ich meinen Urian entweder ſchon zu treffen, oder doch zu er - warten gedachte. Er hatte aber gar nicht die Eile gehabt, die ich bei ihm vorausſetzte: ſondern erſt in den letzten Tagen des Aprils, nachdem ich ſchon mehrere Wochen nach ihm ausgeſehen, ließ mir Schiffer Johann Henke von Koͤnigsberg, der eben auch im Hafen lag, ſagen: Steinkraus ſey ſo eben angekommen und habe mit dem Schiffe vor der Laage ge - ankert. Jetzt verlor ich keinen Augenblick, mich nach der Waſſerſeite zu begeben. Je uͤblere Dinge ich ahndete, um ſo ſorgfaͤltiger hatte ich auch bereits im Voraus meine Maaß - regeln uͤberlegt und mit meinen dortigen Correſpondenten, den Herren Kock und van Goens, die erforderlichen Abreden genommen.

198

Jn der Ferne ſah ich mein Schiff liegen, das mir durch die argliſtige Bosheit eines Taugenichts ſo theuer zu ſtehen kommen ſollte. Jch ließ mich durch einen Schuytenfahrer an den Bord deſſelben uͤberſetzen; fand aber beim Hinaufſteigen, auf dem Verdeck keine lebendige Seele. Voll Sinnens gieng ich auf demſelben einige Minuten lang umher; und indem ich mir Maſten, Taue, Segel, Anker Alles die alten wohlbekannten Gegenſtaͤnde! genauer darauf anſah, konnt ich, mit ſteigender Verwunderung, immer weniger begreifen, was denn mit den aufgenommenen ungeheuern Summen daran veraͤndert oder gebeſſert worden?

Endlich kam der Schiffsjunge aus dem Kabel-Gat zum Vorſchein und machte treff - lich große Augen, als er ſeinen Herrn und Meiſter ſo unverhofft erblickte. Jch ſaͤumte nicht, den Burſchen in ein naͤheres Verhoͤr zu nehmen; und nun erzaͤhlte er mir denn, halb aus Treuherzigkeit, halb aus Furcht, mehr als mir lieb war und ich zu wiſſen verlangte. Sein Schiffer, ſammt den uͤbri - gen Leuten, hatte ſich, ſogleich nach der An - kunft; im hellen Haufen an’s Land begeben. Der neue Steuermann (denn der, von Koͤnigs - berg mitgegangenen, war Ein Ungluͤck mehr fuͤr mich! in Gothenburg geſtorben) be - fand ſich nur noch allein an Bord und ver -199 zehrte in der Kajuͤte ſein Mittagsmahl. Dort ſuchte ich ihn mir auf; gab mich als ſeinen Rheeder zu erkennen und wechſelte einige gleichguͤltige Worte mit ihm, bevor ich nach dem Lande zuruͤckfuhr. Er war auf keine Weiſe der Mann dazu, mir die naͤhere Aufklaͤrung, die ich brauchte, zu geben.

Da es nun aber Einmal auf eine Ueber - raſchung abgeſehen ſeyn ſollte, ſo poſtirte ich mich, dem Schiffe gegenuͤber, am Bollwerk, und beſchloß, hier geduldig zu warten bis mein guter Freund, der dort nothwendig paſſi - ren mußte, in eigner werther Perſon zum Vorſchein kommen wuͤrde. Nach etwa zwei Stunden Harrens, die mir lang und ſauer genug wurden, erſchien auch ein Trupp ganz wilder und beſoffener Matroſen, in denen ich unſchwer mein Volk erkannte, und hinter ihnen her taumelte, in keinem beſſern Zuſtande, der Schiffer Steinkraus Beide, ohne auf mich zu achten an mir voruͤber. Mein ſchmerzliches Erſtaunen brauche ich nicht zu beſchreiben: denn dies luſtige Leben ſchien ihrer Aller gewoͤhnliche Tages-Arbeit zu ſeyn. Wie mußten die mit meinem anvertrauten Gute gewirthſchaftet haben!

Jch folgte ihnen und wartete bis zu dem Augenblick, wo ſie ſaͤmmtlich in die Schaluppe ſteigen wollten, um nach dem Schiffe uͤber - zuſetzen. Hier klopfte ich dem Schiffer un -200 verſehens auf die Schulter, und rief: Will - kommen in Amſterdam! Er blickte hinter ſich; ward ſtarr wie eine Bildſaͤule, und auch ſo blaß, als er mich endlich erkannte. Jch aͤnderte indeß nichts in meiner hoͤflichen Ge - laſſenheit, wie bitter mir’s auch ankam, mei - nen gerechten Groll zu verbeiſſen: denn ehe ich gegen ihn losfuhr, wie er’s verdient hatte, mußte ich mir erſt ſeine Gothenburger Ha - verey-Rechnung haben vorlegen laſſen, um zu wiſſen, ob und wie dieſe gegen meine Aſſecuradeurs zu rechtfertigen waͤre, die in Amſterdam zur Stelle waren und auf mein Schiff 8,000 Gulden Holl. gezeichnet hatten. Jene Haverey aber betrug, ſoviel mir vor - laͤufig bewußt war, noch etwas mehr ſogar, als dieſe Summe.

Jch ſetzte mich nun, als ein ſchwerlich ſehr willkommner Gaſt, mit in das Boot und begleitete ihn an Bord. Unmittelbar darauf holten wir das Schiff in die Lage zu den uͤbrigen vor Anker, wo es, nach meinem Wunſche, neben dem vorbenannten Henke zu liegen kam. Dies gab mir die Bequemlich - keit, mich entweder an meinem eignen Borde, oder bei dieſem meinem Freunde, in der Naͤhe zu verweilen und gute Aufſicht zu halten; waͤhrend die Ladung geloͤſcht und das Schiff bis auf den unterſten Grund leer wurde. Hier vermißte ich denn nun zunaͤchſt 80201 Stuͤck eichene Planken, die ich in Koͤnigsberg zum Garniren des Schiffsbodens mitgegeben hatte. Wo konnten die geblieben ſeyn? Jch erhielt die Auskunft vom Schiffer, daß ſie in Gothenburg, zugleich mit der uͤbrigen ge - loͤſchten Ladung, an’s Land gekommen und dort, ohne ſein Wiſſen und Willen, vom Schiffsvolk von Zeit zu Zeit uͤber Seite ge - bracht und heimlich verkauft worden. Das Volk hinwiederum waͤlzte alle Schuld von ſich ab, und behauptete, der Schiffer ſelbſt habe die Planken verkauft.

Nicht beſſer ſtand es um einen Schiffs - Anker von 800 Pfund, der mir auf meinem vorigem Schiffe, und bei einer fruͤhern Reiſe am Bollwerk zu Pillau in einem Sturme zerbrochen worden. Da die beiden Stuͤcken in Koͤnigsberg nicht wieder zuſammengeſchmie - det werden konnten, ſo hatt ich ſie dem Steinkraus mitgegeben, um dies in Amſter - dam bewerkſtelligen zu laſſen. Aber auch dieſer Anker war abhanden gekommen; und bei naͤherer Unterſuchung ergab ſich’s, daß mein getreuer Stellvertreter das groͤßere Stuͤck deſſelben, und die Matroſen das klei - nere, an Mann zu bringen gewußt und das Geld unter ſich getheilt hatten.

Nunmehr kam auch die Reihe an die Durchſicht der Gothenburger Papiere, die Haverey betreffend; nnd da ſtanden mir202 denn warlich die Haare zu Berge! Alles befand ſich in der greulichſten Unordnung, als ob es mit rechtem Vorbedacht verwirrt worden ſey, um jede klare Einſicht unmoͤg - lich zu machen. Jch wußte nimmermehr, wie ich meinen Aſſecuradeurs dieſe Rechnun - gen vorlegen ſollte, ohne daß ſie dieſelbe von Anfang bis zu Ende fuͤr nichtig erklaͤrten. Selbſt meinen Schuft, wie er’s verdient hatte, beim Kopfe nehmen zu laſſen, war nicht rathſam, wenn ich jene Verſicherer nicht ſelbſt in Allarm ſetzen wollte, uͤber geſpielten Betrug bei der Haverey zu ſchreien und mich fuͤr meine eigne Perſon in das boͤſe Spiel zu verwickeln.

Allein deſto ſorgfaͤltiger mußte ich auch zu verhindern ſuchen, daß der Bube, der all ſeine boͤſen Schliche ſich immer mehr ent - decken ſah, nicht heimlich das Weite ſuchte. Jch hatte ihn alſo bei Tag und Nacht, als meinen Augapfel zu huͤten, und durfte ihn gleichwohl mein Mißtrauen nicht merken laſſen. Nichts deſto weniger mußte ſich’s fuͤgen, daß, als ich, zwei Tage ſpaͤter, mit ihm die Boͤrſe beſuchte, wo es, wie bekannt - lich, immer ein dichtes Gewimmel giebt, er mir unter den Haͤnden entſchluͤpfte. Die Boͤrſenzeit gieng zu Ende: aber kein Stein - kraus war zu ſehen! Meine ſchwache Hoff - nung, daß er ſich an Bord begeben haben203 koͤnnte, ſpornte mich, ihm dahin nach: aber ſie ſchlug fehl, wie mir geahndet hatte. Er war und blieb fuͤr mich verſchwunden!

War meine Lage vorhin ſchon kritiſch geweſen, ſo ſchien ſie nunmehr durch dies Entlaufen vollends rettungslos fuͤr mich zu werden. Jch hatte meinen Aſſecuradeurs des Schiffers Haverey-Rechnung nothwendig vor - legen muͤſſen, bei welcher ſie, auch wenn Alles in beſter Ordnung war, dennoch nur zu guten Grund hatten, den Kopf zu ſchuͤtteln und ſich zu beſinnen, ob ſie zur Zahlung einer ſo enormen Summe verpflichtet waͤren. Jetzt da Jener ſich unſichtbar gemacht hatte, wie - ſen ſie jede Anforderung auf das beſtimm - teſte zuruͤck, und verlangten, daß ich ihnen, vor allen Dingen, den Schiffer, der die Ha - verey gemacht haͤtte, zur Stelle ſchaffte, damit er ſelbſt Rede und Antwort gaͤbe; denn mit ihm, und nicht mit mir, haͤtten ſie es zunaͤchſt zu thun. Mein Gott! ent - gegnete ich Wenn er nun aber in’s Waſſer gefallen und ertrunken waͤre? Das koͤnnte nur ein Kind glauben; war ihre hoͤhniſche Antwort und es ſchiene nun nicht, daß ſie noͤthig haben wuͤrden, um dieſer 8,000 Gulden willen den Beutel zu ziehen.

Dagegen war nun dieſe Summe auf das Schiff wirklich verbodmet, und die ge -204 ſetzliche Zeit bereits verfloſſen. Der Bod - merey-Geber verlangt ſein vorgeſchoſſenes Geld, welches die Verſicherer mit hinlaͤngli - chem Fug ſich zu zahlen weigerten. Jch be - fand mich im entſetzlichſten Gedraͤnge: denn was blieb mir uͤbrig, als den Verkauf mei - nes Schiffes geſchehen zu laſſen, damit die Bodmerey gedeckt werden koͤnne? Es ſchien unmoͤglich, daß noch irgend etwas mich armen geſchlagenen Mann aus dieſem Ungluͤck herausriſſe!

So ſaß ich nun eines Tages, im groͤßten Herzenskummer, in einem Weinhauſe, wo vor mir auf dem Tiſche ein hollaͤndiſches Zeitungs - blatt lag. Jm truͤben Sinnen nahm ich es, gleichſam unwillkuͤhrlich, zur Hand: aber ich wußte ſelbſt nicht, was ich las, bis meine Augen auf eine Anzeige fielen, des Jnhalts: Es ſey zu Schlinger-Want (ohngefehr eine Meile von Amſterdam, jenſeits des Y) ein ertrunkener Mann gefunden worden , deſſen Kleidung und uͤbrige Kennzeichen zugleich naͤ - her angegeben wurden. Der Prediger des Orts, von welchem er dort begraben worden, forderte hier die etwannigen Angehoͤrigen dieſes Verungluͤckten auf, der Kirche die wenigen verurſachten Begraͤbnißkoſten zu ent - richten.

Himmel! dacht ich bei mir ſelbſt Wenn dieſer Ertrunkene vielleicht dein Stein -205 kraus ſeyn ſollte! Tag und Zeit und manche von den angegebenen Merkmalen tra - fen mit dieſer Vermuthung gut genug zu - ſammen. Zwar konnt ich an ſeinem boͤſen Willen, mir zu entlaufen, nicht zweifeln: allein wie? wenn ihn nun ſein erwachtes Gewiſſen zu einer raſchen That der Verzweif - lung getrieben? oder wenn Gottes raͤchende Hand ihn ſchnell ereilt wenn er, in der Haſt, ſich den Blicken aller Bekannten zu entziehen, ſich unvorſichtiger Weiſe auf’s Waſſer gewagt und ſich ſeinen Untergang ſelbſt geholt haͤtte? Jmmer ſchien mir ſein Tod, unter dieſen Umſtaͤnden, ein Gluͤcks - fall: und wie gerne glaubt man, was man wuͤnſcht? Es koſtete mir alſo auch wenig Muͤhe, mich zu uͤberzeugen, daß hier von Niemand anders, als von meinem entwiche - nen Schiffer, die Rede ſey; und dieſes Glau - bens bin ich auch noch bis zur heutigen Stunde, da ich nie wieder in meinem gan - zen Leben auch nur die entfernteſte Spur ſeines Daſeyns aufgefunden habe.

Ließ ſich nun auf dieſe Art erweiſen, daß der Mann, mit welchem meine Aſſecu - radeurs einzig und allein ihren ſtreitigen Han - del ausmachen konnten und auch wollten, nicht mehr unter den Lebendigen war, ſo mußten ſie auch ſeine Rechnungen annehmen, wie ſie da lagen und ſtanden, oder den kla -206 ren Beweis uͤber die Betruͤglichkeit derſelben fuͤhren; was ihnen ſchwer, wo nicht unmoͤg - lich, fallen durfte. Jch, als Rheeder hinge - gegen, war nun befugt, mich buchſtaͤblich an meine Police zu halten und auf volle Ent - ſchaͤdigung zu dringen. Jn der Form war dann das Recht auf meiner Seite: nur ob auch dem Weſen nach daruͤber hatt ich bei mir ſelbſt einige Bedenklichkeiten, die ich nicht ſofort loswerden konnte. Daß der Steinkraus bei der Haverey mit Lug und Trug umgegangen ſeyn muͤſſe, ſchien, wenn auch nicht klar erweislich doch nur zu glaub - lich. Meine eigene Hand und Gewiſſen war gleichwohl rein und frei von jeder, auch nur der entfernteſten Theilnahme an jeglichem, hier ſtattgefundenen Unrecht. Hatt ich ſeiner Ehrlichkeit nicht ſelbſt mein Gut und Vermoͤ - gen vielleicht nur zu treuherzig! an - vertraut? War ich nicht ſelbſt von ihm ſchaͤndlich betrogen, hintergangen und uͤber - vortheilt worden? Konnte ich ausmitteln, wie groß oder klein der Betrug ſeyn moͤchte, den er in Gothenburg geſpielt? Und wem konnt und ſollt es dennoch zukommen, den Schaden deſſelben zu tragen?

Es mag vielleicht Moraliſten geben, die im Stande ſind, Haare zu ſpalten und Recht und Unrecht auf der Goldwaage abzuwaͤgen. Jch geſtehe, daß ich dies in meiner Einfalt207 nicht vermag und auch damals nicht ver - mochte; ja, damals vielleicht noch weni - ger, da Gluͤck und Fortkommen in der Welt an meinem Entſchluſſe hiengen und mein Gemuͤth ungeſtuͤm bewegt war. Doch wollt ich keinen Schritt in dieſer Sache thun, ohne mich mit meinem wackern und verſtaͤndigen Freunde, dem Schiffer Johann Henke, be - rathen zu haben. Auch er ſchuͤttelte dabei Anfangs den Kopf und aͤußerte mancherlei Bedenken, bis ich ihm meine Gruͤnde und meinen Glauben naͤher auseinanderſetzte, wo er mir denn endlich beifiel und ſeinen treuen Beiſtand verhieß. Das Urtheil eines ſo rechtlichen Mannes war bei mir von entſchei - dendem Gewichte.

Wir entſchloſſen uns demnach, ſofort in meinem Boote nach Schlinger-Want hinuͤber zu fahren und den Ortsprediger aufzuſuchen. Jndem ich Dieſem nun das Zeitungsblatt, welches ich fruͤher zu mir geſteckt hatte, vor - zeigte, machte ich ihm meine Anzeige, daß jener ertrunkene Mann, nach den angegebenen und von mir noch naͤher beſtimmten Kenn - zeichen, mein Schiffer geweſen, und wie ich in der Abſicht kaͤme, ihm die aufgewandten Begraͤbnißkoſten dankbarlich zu verguͤtigen. Dieſe letzteren nun, welche 21 Gulden be - trugen, wurden ſofort entrichtet und freund - lich angenommen; wogegen ich eine Quitung,208 in Form eines Todtenſcheins, erhielt, und nunmehr getroſt meines Weges gieng.

Gleich am andern Tage nun wandte ich mich auf der Boͤrſe an meinen Schiffs-Maͤkler, Hrn. Schwartwant, durch deſſen Vermitte - lung mein Geſchaͤft mit den Aſſecuradeurs bisher war betrieben worden. Nun ſehen Sie, wie richtig meine Vermuthung einge - troffen iſt, ſagte ich, indem ich ihm meinen Schein vorzeigte. Der Steinkraus hat wirklich ſeinen Tod im Waſſer gefunden. Seyn Sie nun von der Geneigtheit, den Herren davon Eroͤffnung zu thun und anzu - fragen, was ſie nunmehr in der Sache thun oder laſſen wollen? Das ganze Geſicht des Mannes nahm ſofort eine froͤhliche Miene an. Jch gratulire Jhnen, lieber Kapitain Nettelbeck, rief er mit einem Haͤndedruck. So mißlich Jhr Spiel bisher ſtand, ſo halt ich es doch von jetzt an gewonnen.

Nun gieng er ſtehenden Fußes, um die beiden Herren Verſicherer im Boͤrſen-Gewuͤhl aufzuſuchen, waͤhrend ich ihm von ferne folgte. Bald auch ſtieß er auf Einen von ihnen, dem er mein Document mittheilte, in - dem er es mit einem angelegentlichem Vor - trage begleitete. An der ganzen Phyſiogno - mie und Gebehrdung des Andern nahm ich wahr, wie ihn dieſe Nachricht uͤberraſchte, aber auch, daß er wohl geneigt ſeyn moͤchte,ge -209gelindere Saiten aufzuziehen. Dies beſtaͤtigte mir der Maͤkler bei ſeiner Zuruͤckkunft, indem er mir den Vorſchlag brachte, morgen auf der alten Stadt-Herberge einer anzuſtellen - den Conferenz beizuwohnen, wozu ich mir dann einen Aſſiſtenten mitbringen moͤchte.

Zu dieſem Beiſtande konnt ich wohl keinen erfahrnern und geachtetern Manne er - kieſen, als meinen alten Patron, den Kapi - tain Joachim Blank, mit welchem ich vor - mals wiederholte Reiſen nach Surinam ge - macht und der ſich hier jetzt zur Ruhe ge - ſetzt hatte. Er fuͤgte ſich auch freundlich meiner Bitte; und ſo erſchienen wir zur beſtimmten Zeit am bemeldeten Orte; waͤh - rend auch meine Gegenparten beiderſeits, ſammt einem andern Schiffs-Kapitain und einem Advokaten zugegen waren. Nach eini - gem Hin - und Wiederreden und Streiten, kam es denn auch endlich zu einem Vergleich, deſſen Billigkeit wir ſammt und ſonders an - erkannten und guthieſſen. Jch ließ nemlich die Haͤlfte meiner Forderung nach und zeich - nete 4,000 Gulden Bodmerey auf mein Schiff; wogegen meine Herren Aſſecuradeurs die andere Haͤlfte mit gleicher Summe an die Bodmerey-Geber in Gothenburg abzu - zahlen uͤber ſich nahmen.

So kam ich bei dieſem ſchlimmen Han - del noch gluͤcklich genug mit einem blauen1. Bändchen. (14)210Auge davon; behielt mein Schiff, als freies Eigenthum, unter den Fuͤßen und konnte damit fahren nach Luſt und Belieben, um meine Scharte wieder auszuwetzen. Letzteres beſchloß ich denn auch auf der Stelle, indem ich mir vornahm, mit Ballaſt nach Noir - moutiers abzugehen, dort eine Ladung Salz fuͤr eigne Rechnung einzunehmen und hier - naͤchſt in Koͤnigsberg loszuſchlagen. Zum Ankauf jener Waare wollten mir meine Am - ſterdammer, Correſpondenten, die ſchon ge - nannten Herren Kock und van Goens, gegen Bodmerey auf Schiff und Ladung, die Gelder in Frankreich formiren.

Ehe ich jedoch zum Werk ſchreiten konnte, hatte ich zuvor noch reine Rechnung mit meinem Schiffsvolk zu machen, welches, auſſer dem neuhinzugekommenen Steuermann und einem Jungen, aus ſechs Matroſen beſtand. Dies verwilderte Gezuͤcht hatte nicht minder gottlos gelebt und hausgehalten, als der nichtsnutzige Schiffer ſelbſt; und weil auch er in keinen reinen Schuhen ſteckte, hatt er’s ihnen nicht abſchlagen duͤrfen, waͤhrend der Reiſe Vorſchuß uͤber Vorſchuß an ſie zu zahlen. Dabei waren auch hierinn ſeine Pa - piere ſo confuſe, daß ich darnach den eigent - lichen Betrag ihrer aufgenommenen Gelder auf keine Weiſe ausmitteln konnte. Auf jeden Fall aber waren ſie ſo betraͤchtlich, daß211 ſie dieſelben in Jahren und Tagen nicht wie - der abverdienen konnten.

Hier blieb mir nun nichts uͤbrig, als bald den Einen bald den Andern, beſonders vorzunehmen; ſie durch gute Worte treuherzig und cordat zu machen, und dann wieder auch durch unverſehene Zwiſchenfragen in die Klemme zu nehmen; ſo daß ſtets Ein Spitz - bube den Andern verrieth. Allein eben ſo wenig, als ſie gegen mich reinen Mund ge - halten, konnt es unter ihnen ſelbſt auf die Laͤnge ein Geheimniß bleiben, wie ich es dar - auf anlegte, ihnen hinter die Schliche zu kommen. Sie hielten es demnach, nach einer gemeinſchaftlichen Beredung, fuͤr das Gera - thenſte, mir alleſammt auf Einmal zu entlau - fen, und dieſen Vorſatz fuͤhrten ſie auch des andern Tages richtig aus; doch nicht, ohne daß ich es ſogleich erfahren und auch den Ort am Lande entdeckt haͤtte, wo ſie ſich aufhielten.

Dieſer Nachricht zufolge verfuͤgte ich mich augenblicklich mit den zu mir genommenen Gerichtsdienern dahin, und traf auch gluͤcklich das ganze Neſt beiſammen; wo ſie denn mit Gewalt aufgehoben und an Bord meines Schiffes begleitet wurden. Am beſten haͤtt ich freilich gethan, ſie laufen zu laſſen: allein ſo wenig ſie auch uͤbrigens taugten, ſo waren ſie doch erfahren und tuͤchtige Kerle zur Arbeit, die hier in der Geſchwindigkeit nicht wohl212 durch Andre zu erſetzen waren. Zudem hoffte ich, daß wenn ich mich Jhrer nur bis zur wirklichen Abfahrt verſichern koͤnnte, ich ſie wohl wieder zu Zucht und Ordnung herum - bringen wollte.

Mit dieſem Plane beſchaͤftigt, nahm ich alſo einige Matroſen von den neben mir lie - genden Schiffen fuͤr Tagelohn zu Huͤlfe, um ſofort die Anker zu lichten und von Amſter - dam nach der Bucht bei Dirkerdam abzuſe - geln, die etwa eine Meile von dort entfernt liegt. Hier warf ich auf’s neue Anker, ent - ließ meine gemietheten Matroſen, und hoffte, daß ich’s nunmehr den meinigen ſchwer genug machen wollte, von Bord zu kommen, um Jhretwegen auch in meiner Abweſenheit wohl ſicher zu ſeyn. Denn ich konnt es nicht ver - meiden, fuͤr meine Perſon des naͤchſten Tages noch einmal nach dem verlaſſenen Hafen zu - ruͤckzukehren, um, neben meiner Ausklarirung noch eine Menge anderweitiger Geſchaͤfte zu beſorgen und einen Lootſen mitzubringen.

Vor der Abfahrt nahm ich mit meinem Steuermanne die noͤthige Abrede und uͤber - gab ihm mein verdaͤchtiges Volk in beſondre ſorgfaͤltige Aufſicht. Das Boot ließ ich auf’s Deck ſetzen und anſchlieſſen, damit ſich deſſen Niemand bedienen koͤnnte; und mein Stell - vertreter ſollte nicht vom Deck weichen und die Nacht kein Auge ſchlieſſen, um uͤberall213 gleich bei der Hand zu ſeyn, bis ich mit dem fruͤhen Morgen mich wieder an Bord zeigen wuͤrde. Dann verſammlete ich die Ausreiſſer und ſtellte ihnen Himmel und Hoͤlle vor, und wie ſchaͤndlich ſie handeln wuͤrden, Vater und Mutter und Freunde auf Nim - merwiederſehen im Stiche, und ſich zu Hauſe nie wieder duͤrfen blicken zu laſſen. Zugleich verſicherte ich Jhnen, daß Meinerſeits alles Vorgegangene vergeben und vergeſſen ſeyn und ſelbſt ihre, vom vorigen Schiffer em - pfangene Vorſchuͤſſe in den Schornſtein ge - ſchrieben ſeyn ſollten. Das Alles ſchienen ſie auch zu Herzen zu nehmen, und verſpra - chen mir mit Hand und Mund eine gebuͤhr - liche Auffuͤhrung.

Nunmehr rief ich eine vorbeifahrende Schuyte an, die nach Amſterdam gieng, und ließ mich von derſelben an Bord nehmen. Es war Nachmittags um 3 Uhr, und des naͤch - ſten Morgens um 8 Uhr befand ich mich, nach beendigten Verrichtungen, bereits wieder auf dem Ruͤckwege und im Angeſicht meines Schif - fes. Es nahm mich ſofort Wunder, daß ich kein Boot auf demſelben erblickte. Eben ſo wenig ſah ich eine menſchliche Seele auf dem Verdeck. Jch ſprang endlich ſelbſt hin - auf; und mit ſteigender Beſtuͤrzung fand ich die Thuͤre der Kajuͤte von auſſen mit einem Brecheiſen geſperrt. Auf mein Rufen keine Antwort! Nun riß ich die Thuͤre mit Ge -214 walt auf; und da lag denn mein Steuer - mann, mehr todt, als lebendig, auf dem Boden laͤngs ausgeſtreckt!

Stoͤhnend erzaͤhlte mir Dieſer, was waͤh - rend der Zeit meiner Abweſenheit vorgegan - gen. Gleich nach meinem Abgang hatt er an dem Zuſammenſtecken der Koͤpfe und dem heimlichen Fluͤſtern unter den Leuten deutlich wahrgenommen, daß ſie etwas im Schilde fuͤhrten. Endlich waren ſie zu ihm heran - getreten, um ihm zu erklaͤren, daß ſie mit dem Boote an Land zu gehen verlangten; wollt er ſich’s beikommen laſſen, bei den Voruͤberfahrenden, durch Geſchrei um Huͤlfe, Laͤrm zu machen, ſo gedaͤchten ſie, ihn uͤber Bord zu werfen und wie einen Hund zu er - ſaͤufen. Gleichwohl hatt er, mit Abmahnen, Drohen und endlich mit lautem Rufen uͤber zugefuͤgte Gewalt, gethan, was ſeine Pflicht von ihm forderte; war aber auch augenblicklich von den Boͤſewichten ergriffen, geknebelt, ge - ſtoßen, geſchlagen und, mit verſtopftem Munde, trotz allem Straͤuben in die Kajuͤte geſperrt worden; worauf ſie ſich des Bootes bemaͤch - tigt und ſich damit in alle Welt davon ge - macht hatten.

Jn dieſer ganzen Zeit nun hatte der arme zerſchlagene Mann vor Schmerz und Ermattung ſich kaum zu regen vermocht; und auch jetzt hielt er nur mit Muͤhe den215 Kopf nach oben. Wie mir ſelbſt dabei zu Muthe war, mag man ſich leichtlich vorſtel - len. Das Schiff hier auf offner Rheede vor Anker, und genoͤthigt, ſich mit jeder Fluth und Ebbe um denſelben zu ſchwingen; kein Volk an Bord; der Steuermann krank und keines Gliedes maͤchtig; meines Bootes beraubt und das Schiff von den Fluͤchtlin - gen, nebſt ihren eigenen Sachen, von ver - ſchiedenem kleineren Geraͤth, ja ſogar von Keſſel und Pfannen, rein ausgepluͤndert! Es gehoͤrte eine ſtandhafte Faſſung dazu, ſich ſo - gleich in dies neue Ungluͤck zu finden!

Was war gleichwohl zu thun? Jch mußte mich entſchlieſſen, das Schiff unter der un - zulaͤnglichen Aufſicht eines einzigen kranken Mannes zu laſſen, und ſowohl ihm ſelbſt aͤrztliche Huͤlfe, als mir eine neue Mann - ſchaft zu verſchaffen. Alſo gieng mein Weg zur Stelle nochmals nach Amſterdam, wo ich andre ſechs Matroſen und einen Jungen, wie ſie mir zuerſt in den Wurf kamen, heu - erte, dann einen Lootſen nahm uad einen Wundarzt aufkriegte, der mir den Steuer - mann verbinden und bepflaſtern und den Aus - ſpruch thun ſollte, ob Dieſer die Reiſe, ohne Lebensgefahr, werde mitmachen koͤnnen? Nach - dem ihm jedoch der Doctor die Glieder etwas zurechtgeſetzt und ihn mit Medica - menten reichlich verſehen hatte, war derſelbe216 der Meinung, es ſolle weiter keine Gefahr haben, wenn er ſich nur ſchonen wolle; und und ſo nahm Jener ſeinen Abzug.

Jch machte mich darauf mit meinem neuen Schiffsvolk an die Ankerwinde, um unter Segel zu gehen. Da ſah ich denn nun klaͤrlich, was fuͤr ſchlechten Kauf ich ge - macht hatte. Nur zwei darunter waren be - fahrne Matroſen; waͤhrend die Uebrigen kaum wußten, was auf dem Schiffe hinten oder vorne war. Warlich, mir graute in - nerlich, die Reiſe anzutreten. Mein beſtes Vertrauen mußte ich in mich ſelbſt und in die guͤnſtige Jahrszeit ſetzen: denn es war jetzt zu Anfang Mai’s, da ich aus dem Texel lief. Jn der Mitte des Monats kam ich vor Noirmoutiers gluͤcklich vor Anker.

Hier fand ich drei Schiffe vor, deren Kapitaine ſaͤmmtlich zu meinen guten Freunden und Bekannten gehoͤrten; nemlich Neſte, mit einem Dreimaſter aus Danzig, und Fries und Jantzen, Beide Koͤnigsberger. Alsbald auch kamen ſie ſaͤmmtlich zu mir an Bord: allein ſo willkommen ſie mir ſelbſt waren, ſo unerwuͤnſcht war mir die mitgebrachte Zei - tung, daß ſchon ſie drei Fruͤhergekommene hier ihre Ladung an Salz nicht voͤllig aufzu - bringen vermoͤchten, und gleichwohl das Muid mit 85 Livres aufwiegen ſollten. Nach laͤn - gerer Berathſchlagung fanden wir es fuͤr217 das dienlichſte, uns nach den naͤchſtgelegenen Salzhaͤfen Croiſic, Bernif und Olonne zu vertheilen, um anderswo, wenn moͤglich, beſſern Markt zu finden; wobei das Loos entſcheiden ſollte, wer hier zu bleiben, und wohin ein Jeder in ſeinem Boote, zu gehen und vorlaͤufig ſeinen Handel fuͤr Alle abzu - ſchlieſſen haͤtte; Letzteres jedoch nur muͤndlich, damit Jeder Gelegenheit behielte, an dem wohlfeilſten Preiſe Theil zu nehmen.

Als nun die Looſe gezogen wurden, traf mich die Fahrt nach Croiſic, welche nicht nur die weiteſte, (da die Entfernung von Noirmou - tiers 10 bis 12 Meilen betraͤgt) ſondern auch die gefaͤhrlichſte war: denn ſie geht durch den offnen Ocean, ohne durch Vorge - buͤrge oder Jnſeln geſchuͤtzt zu ſeyn. Mein im Texel neu angeſchafftes Boot ſtand auf Deck und ward nun ſofort uͤber Bord ge - ſetzt: allein ſo wie es das Waſſer beruͤhrte, drang dieſes auch zu allen, durch die lang ausgeſtandene Hitze aufgetrockneten Naͤthen hinein. Es ſchien unmoͤglich, mich in dieſem Zuſtande hinein zu wagen! Aber ſchon ſah ich meine Freunde Neſte und Fries in ihren Fahrzeugen abſtoßen, um ſich auf ihre, ihnen zugefallenen Poſten zu begeben. Jch zitterte vor Ehrbegierde, ihnen in Puͤnktlichkeit nicht nachzuſtehen!

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Nun hatt ich, auſſer jenem Boote, noch eine kleine fichtene, ſogenannte Berger Joͤlle. Flugs ſah ich ſie mir drauf an, ob ſie mich, in dieſem Fall der Noth, nicht ebenſowohl nach Croiſic ſollte tragen koͤnnen? Wozu laͤngeres Bedenken? Es mußte gewagt ſeyn! Jch ließ Maſt und Segel auf derſelben einrichten, und beſtieg ſie mit zwei Mann. Um mir jedoch nicht offenbar ein Tollmanns - ſtuͤckchen zu Schulden kommen zu laſſen, wollt ich es zuvor auf eine kleine Probe anlegen; ſegelte vom Schiffe abwaͤrts, legte bei, machte dieſe und jene Wendungen, und beſtaͤrkte mich ſolchergeſtalt in meiner Zu - verſicht, daß ich nichts Unmoͤgliches wagte.

Eiligſt verſah ich mich nun noch an Bord mit einem durchgeſchnittenen halben Oxhoft, welches ich zum ſichern Reiſebehaͤlter fuͤr einen Kompaß, Brodt, Fleiſch, einige Flaſchen Wein und Brandtwein und andre kleine Be - duͤrfniſſe beſtimmte. Noch nahm ich ein Bootsanker, ein Tau und drei Regenroͤcke fuͤr uns ein; und ſo verſehen, trieb ich meine beiden Gefaͤhrten zum Einſteigen; rief ein herzhaftes: Nun, mit Gott! und ſtieß ab. Zwar ward mir’s, ehe wir noch funfzig Klaftern geſeegelt waren, hell und klar, daß ich meine Joͤlle mit all den Sie - benſachen zur Ungebuͤhrniß uͤberladen, und daß ich den duͤmmſten Streich in meinem219 ganzen Leben begangen hatte, drei Menſchen - leben in die augenſcheinliche Gefahr des Verderbens zu ſetzen: aber ſollt ich mir die Schande anthun, noch einmal umzukehren? Lieber waͤr ich dem Tode in den offnen Rachen geſegelt!

Bis ich um die kleine Jnſel Piquonnier herumkam, gieng auch Alles gut. Hier aber rollte mir die ſpanniſche See, von der Seite her, in langen und hohen Wogen maͤchtig entgegen! der ſteife Wind ſtand von dort her gerade auf’s Land, und es ſahe ganz dar - nach aus, daß wir hier mit Gemaͤchlichkeit erſaufen koͤnnten. Gleichwohl haͤtte man Alles von mir fordern koͤnnen; nur nicht, daß ich hier noch umſatteln ſollte. Du willſt der Gefahr Stand halten! ſagt ich zu mir ſelbſt, und faßte mein Steuer nur noch feſter in die Fauſt.

Nach 4 oder 5 Stunden begann indeß der Einbruch der Nacht; und mit der Dun - kelheit ſchien auch der Wind mehr Staͤrke zu gewinnen. Keiner von uns ſprach ein Wort: aber meine Matroſen draͤngten ſich immer naͤher an mich, der ich am Ruder ſaß und die Schote des Segels zugleich in der Hand gefaßt hielt. Allmahlig fingen die beiden rohen Kerle, ergriffen vom Gefuͤhl ihrer Lage bitterlich an zu weinen. Jhre Todesangſt ließ mich nicht ohne Mitgefuͤhl: denn wie220 konnt ich die Schuld von mir abwaͤlzen, ihnen, ſammt mir, durch meinen unzeitigen Ehrgeiz dies naſſe Grab gegraben zu haben? Jch ſagte ihnen zu ihrer Beruhigung, ich wolle vom Winde abhalten und, da wir an der Muͤndung der Loire ſchon voruͤber waͤren, in die ich uns ſonſt gefluͤchtet haben wuͤrde, geradezu auf das Land ſteuern. Dort wuͤrde es freilich eine hohe Brandung geben; daher ſie, ſobald wir in dieſe hineingeriethen, ſo - gleich zu beiden Seiten der Joͤlle in’s Waſſer ſpringen, ſich an ihren Bord haͤngen und, ſobald ſie Grund unter den Fuͤßen fuͤhlten, daß Fahrzeug mit der Spitze ſcharf gegen den Strand halten muͤßten, damit es nicht in die Queere unter die See kaͤme. Wenn dann die letzten Sturzwellen vom Ufer zu - ruͤckrollten und den Boden trocken laſſen wollten, haͤtten ſie ſich mit aller Macht ent - gegenzuſtemmen, damit nicht auch das leichte Boot mit zuruͤckgeſpuͤlt wuͤrde. Alles das und noch Mehreres band ich ihnen feſt auf die Seele; und ſie gelobten auch, es treu zu beobachten. Es kam aber anders.

Um ihnen nun Wort zu halten, ſteuerte ich gerade auf die Kuͤſte. Die Joͤlle ſchoß, wie ein Pfeil, durch die Wogen, und nach einer guten halben Stunde drang uns auch ſchon das ſchreckliche Gebruͤll der Brandung in die Ohren. Nun ſahen wir angeſtrengt221 vor uns hin nach dem weiſſen Schaume der - ſelben: allein die Nacht ward ſo finſter und unſer Fahrzeug flog ſo ſchnellen Laufs, daß wir uns ploͤtzlich mitten darinn befanden. Ehe wir uns auch nur beſinnen konnten, er - blickten wir kurz hinter uns den beſchaͤumten Kamm einer Woge, die ſich bis zur Hoͤhe unſers Maſtes aufbaͤumte, dann brauſend uͤber uns niederſchoß und uns zu unterſt zu oberſt in ihren Abgrund mit ſich fortriß.

Nun trat die See fuͤr ein paar Augen - blicke zuruͤck; ich bekam den Kopf in die Hoͤhe und meine Fuͤße ſpuͤrten Grund. Ehe die naͤchſte brandende Welle wiederkehrte, hatt ich meine Sinne gluͤcklich geſammlet; ich hielt Stand, und da ſie mir diesmal nur bis unter die Arme reichte, ſo eilte ich guter Dinge dem Strande zu, wo ich mich in weniger, als einer Minute, in voller Sicherheit befand. Meine beiden Gefaͤhrten hatten eben ſo gutes Gluͤck. Wir fanden uns bald wieder zuſam - men; nur unſre Joͤlle war wieder mit in die See geriſſen worden, bis ſie endlich mit dem Kiel nach oben, dennoch an Land trieb. Aber Alles, was drinne geweſen war, gieng uns verloren, ohne daß wir in der Dunkelheit etwas davon aufzufiſchen vermochten. Wir mußten uns alſo begnuͤgen, unſer Fahrzeug am Strande ſo hoch hinauf zu ziehen, daß222 es geſichert war, von den Wellen nicht mehr erreicht zu werden.

Hierauf giengen wir landeinwaͤrts, um zu Menſchen zu kommen; ſahen auch aus der Ferne ein Licht ſchimmern, auf welches wir freudig zutrabten und wo wir dann bei einem Bauer uͤbernachteten und uns trockneten. Allein Morgens begaben wir uns, ſammt unſerm Wirthe, nochmals zum Strande zu - ruͤck, um nach unſerer Joͤlle und dem ver - lornen Gepaͤck zu ſehen. Jene fanden wir noch auf ihrer alten Stelle; nur aber auf Dieſes mußten wir, zu unſerm Verdruſſe, voͤllig verzichten. Zwar auch mit unſerm Fahrzeuge geriethen wir in Verlegenheit, da die See noch nicht wieder fahrbar geworden; bis unſer Bauer, dem ich mich durch Einen meiner Matroſen verſtaͤndlich machen konnte, uns aus der Verlegenheit half. Wir hatten bereits erfahren, daß wir uns hier anderthalb Meilen von Pollien (ebenfalls ein Salzhafen, wie das, noch zwei Meilen weiter entfernte Croiſic) befaͤnden; und dahin erbot er ſich, gegen gute Bezahlung, unſer Puppen - Fahrzeug uͤber Land zu transportiren, indem es zwiſchen zwei von ſeinen Eſeln hienge.

Wirklich auch hielten er und ſeine Eſel redlich Wort! Jn dem luſtigſten und nie geſehenen Aufzuge zogen wir zu Pollien ein, und die ganze Stadt lief uͤber dem ſelt -223 ſamen Schauſpiel zuſammen. Meine erſte Erkundigung war ſofort nach dem angeſe - henſten Salzhaͤndler des Orts. Man nannte mir einen Kaufmann, Namen Charault, und waͤhrend ich zu ihm hineingieng, ward die Joͤlle vor ſeiner Thuͤre niedergelaſſen. Meine Aufnahme war freundlich; auch brachte ich ſogleich eine Unterhandlung wegen des ge - ſuchten Salzes in Gang, wobei es zu dem Ausſchlage kam, daß ich volle Ladung fuͤr alle vier Schiffe, das Muid zu 54 Livres accordirte; und zwar dortigen Gemaͤaͤſſes, welches noch um 5 Procent groͤßer iſt, als auf Noirmoutiers. Jch durfte mir alſo ſchmeicheln, einen vortheilhaften Handel ab - geſchloſſen zu haben.

Nun gieng meine naͤchſte Sorge dahin, mein Boot wieder zuzutakeln und meine Ruͤck - fahrt damit anzutreten. Wie? Jn der Nußſchaale? fragte Herr Charault, indem er es von allen Seiten verwundert anſah. Laſſen Sie das Dingelchen hier in Gottes Namen ſtehen, bis Sie mit Jhrem Schiffe kommen, es abzuholen. Jch gebe Jhnen meine Barke, die Sie mir dann ja wieder mitbrin - gen koͤnnen. Der Vorſchlag war aller Ehren werth: allein dann waͤre ich dem Manne feſter verbunden geweſen, als ich wuͤnſchte, falls meine Freunde anderwaͤrts vielleicht noch beſſer gemarktet haben ſollten. 224Alſo ſchlug ich dieſe Guͤte dankbar aus, und ſetzte mich, zwei Tage ſpaͤter, mit meinen Leuten guten Muthes wieder in die Nuß - ſchaale, wie er’s genannt hatte. Dadurch gab ich nun zwar den Muͤſſiggaͤngern im Orte ein neues Schauſpiel, indem ſie ſich zu Hunderten auf den Sundduͤnen ſammle - ten, um uns abfahren zu ſehen: allein das Wetter war ſchoͤn, der Wind guͤnſtig, und Noir - moutiers, nach einer ruhigen Fahrt von 12 bis 14 Stunden, gluͤcklich wieder erreicht.

Hier waren die beiden andern Abgeſchick - ten ſchon vor mir angelangt; und Alles hatte uns ſogut als verloren gegeben. Daher miſchten ſich in ihren herzlichen Willkommen zugleich auch heftige Vorwuͤrfe uͤber meine Tollkuͤhnheit, die ſie ſehr richtig dem wahren Grunde zuſchrieben, und worauf ich freilich nur wenig zu erwiedern hatte, da ich voll - kommen fuͤhlte, wie ſehr verdient ſie waren. Bei alledem hatt ich doch, wie ſich’s nun - mehr ergab, das vortheilhafteſte Geſchaͤft ge - macht; nur waren die beiden Koͤnigsberger da ſie auf mich nicht mehr rechneten, kurz zuvor in Noirmoutiers eine neue Verbind - lichkeit eingegangen, wodurch ſie dort zuruͤck - gehalten wurden, wiewohl ſie das Muid mit 80 Livres zu bezahlen genoͤthigt waren. Und doch ſchlug dieſe Trennung wiederum zum Gluͤcke fuͤr mich aus: denn als ich nun mitKa -225Kapitain Neſte in Pottien anlangte, konnte Herr Charault kaum uns Beide befriedigen. Jch zwar, als der Erſte, ward ſchnell genug befrachtet; dagegen aber mußte Jener noch die naͤchſte Springfluth und die darauf fol - gende Salz-Erzeugniß abwarten, um ſeine volle Ladung zu bekommen.

Unterm 12. Junius ſchrieb ich nunmehr an meine Correſpondenten, die Herren Kock und van Goens in Amſterdam, daß ich heute mit der Ladung meines Schiffes begaͤnne und ihnen auftruͤge, die Aſſecuranz auf daſſelbe zu 8000 hollaͤndiſchen Gulden, fuͤr die Salz - Ladung aber mit 2,000 Gulden, von hier auf Koͤnigsberg zu beſorgen. Sechs Tage ſpaͤter wiederholte ich dieſe nemliche Ordre, mit dem Beifuͤgen, daß ich bereits ſegelfertig laͤge und nur auf einen guͤnſtigen Wind war - tete. Zum Ueberfluß aber ließ ich auch noch am 22. Jun. ein drittes Aviſo abgehen, worinn ich mich auf meine fruͤhern Schreiben bezog und die geſchehene Verſicherung von Schiff und Waare, als beſorgt, vorausſetzte, oder auch neuerdings dringend aufgab; indem ich in dieſem Augenblick bereits in See ſey, und bloß zu mehrerer Sicherheit noch an mein Verlangen erinnern wolle.

Jndeß uͤberfiel mich bereits am 24. Jun. ein ſo harter Sturm, daß ich nur vor einem kleinen Sturmſegel unterm Winde liegen konnte. 1. Bändchen. (15)226Eine beſonders ſchwere Sturzwelle, die ſich uͤber meinem Hintertheil brach, zertruͤmmerte mein Stenerruder, 8 Fuß uͤber dem untern Ende, in der Mitte durch; ſo daß, von dieſem Augen - blick an, alles Steuern damit ein Ende hatte und auch in offner See an kein Ausbeſſern deſ - ſelben zu denken war. Um gleichwohl das Schiff, nach Moͤglichkeit, bei einem regel - maͤßigen Gange zu erhalten, ſuchte ich es mit den Vorder - und Hinterſegeln zu zwingen. Jndem aber der Wind geradezu auf’s Land ſtand, ward meine Lage dadurch noch weſent - lich verſchlimmert: denn nun war ich genoͤ - thigt, Segel uͤber Segel aufzuſetzen, um nur das Schiff hart an den Wind zu halten und vom Leger-Strande ferne zu bleiben. Dem - ungeachtet liefen wir, des Schiffes nur un - vollkommen maͤchtig, bald in den Wind, bald wieder fielen wir vor den Wind; und da wir eine ſolche Menge Segel machen mußten, ſo bekamen auch Stengen und Maſten ſchier uͤber ihre Kraͤfte zu tragen.

Wirklich geſchah auch gar bald, was ich gefuͤrchtet hatte: denn mit einer ſchweren Buy, (Stoßwinde) die ſich ploͤtzlich erhob, brach der große Maſt, 8 oder 10 Fuß uͤberm Deck, gleich einer Ruͤbe, entzwei und ſtuͤrzte, ſammt der ganzen Takelage, uͤber Bord; und nicht nur das allein, ſondern dies ganze Ge - wirre von Rundhoͤlzern Maſt, Stengen227 und Raaen ſtießen nun auch unaufhoͤrlich und mit ſolcher Macht gegen die Seiten des Schiffs, daß wir uns auf dem Verdeck kaum ſtehend erhalten konnten und jeden Augen - blick erwarten mußten, Planken und Fuͤtte - rung zertruͤmmert zu ſehen. Nichts blieb uͤbrig in dieſer Noth, als ſchnell alles Tau - werk, das mit dem geſtuͤrzten Maſt noch zu - ſammenhieng, zu kappen, um ſolchergeſtalt davon loszukommen.

Eigentlich aber hub unſre wahre Noth jetzt erſt an, da unſer ſchwer beladenes Schiff, gleich einem Klotz auf dem Waſſer trieb; ein Spiel der Wellen, die ſich unaufhoͤrlich druͤ - ber hin brachen und uns uͤberſpuͤlten. Selbſt die Kajuͤte ſchwann beſtaͤndig voll Waſſer; unſre Lebensmittel wurden naß, und unſre Ladung hatte kaum ein beſſeres Schickſal zu gewarten, da wir das eindringende Waſſer mit beiden Pumpen kaum zu uͤberwaͤltigen vermochten. Ueber dies Alles trieben wir augenſcheinlich immer naͤher dem Lande zu, indem wir Nachts um 11 Uhr bereits in einer Tiefe von 40 Faden Grund fanden. Ungeſaͤumt ward jedoch der Anker ausgewor - fen, und ich ließ das Ankertau 100 bis 110 Faden nachſchieſſen. Nun lag das Schiff bequem gegen die hohe See, wie eine Ente, die auf ihrem Teiche ſchwimmt; und der Sturm ward gluͤcklich ausgehalten.

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Des andern Tages, ſobald das Wetter ſich abgeſtillt hatte, hoben wir unſer Bog - ſpriet aus; befeſtigten es, ſo gut es gehen wollte, an dem Stumpf des abgebrochenen Maſtes; takelten dieſen Nothmaſt nach Moͤg - lichkeit zu, und zogen daran ein paar Se - gel auf, die wir noch in Vorrath beſaßen. Der Wind hatte ſich gedreht und blies aus Oſtſuͤdoſt, laͤngs dem Lande hin; ſo daß wir hoffen durften, uns von demſelben zu entfer - nen. Um aber auch das ermangelnde Steuer - ruder durch irgend etwas zu erſetzen, ließ ich ein Ankertau, vom Hintertheil hinaus, etwa 20 Klafter lang an einem großen Klotze treiben; und indem von vorne gleichfalls an jeder Seite ein Tau mit dieſem Klotze zu - ſammenhieng, ließ ſich das Schiff daran zur Nothdurft links oder rechts umholen; obwohl freilich nicht daran zu denken war, mittelſt eines ſo unzulaͤnglichen Behelfs einen ordent - lichen Kurs zu halten. Vielmehr trieben wir, bei anhaltendem Oſtwinde, auf Gottes Gnade, immer weiter in die ſpaniſche See und auf das atlantiſche Meer hinaus, und erkannten es fuͤr unſer groͤßtes Gluͤck, daß wir noch ein dichtes Schiff behalten hatten.

Jn der That kann man ſich unſre Lage nicht mißlich genug denken. Leben und Seele war gleichſam aus unſerm Schiffe gewichen. Jeder Veraͤnderung des Windes preißgege -229 ben, trieben wir hiehin und dorthin, auf dem unermeſſenen Raume des großen Oceans. An eine Berechnung von unſerm Kurs und Diſtanzen war gar nicht mehr zu denken. Zwar gaben mir meine Beobachtungen an Sonne und Sternen zu Zeiten die Breiten - Grade an, unter welchen wir uns befanden: allein uͤber unſre Laͤnge war auch nicht ein - mal eine ohngefaͤhre Schaͤtzung anzuſtellen, noch weniger richtige Rechnung zu fuͤhren. Es war aber ſicher genug, daß wir uns in weiter Entfernung von allen europaͤiſchen Kuͤſten befinden mußten, da die Winde meiſt oͤſtlich und ſuͤdlich waren. Auch erblickten wir waͤhrend dieſes rathloſen Umhertreibens nur Zweimal ein fremdes Segel; zuerſt ein engliſches und demnaͤchſt ein ſchwediſches Schiff, welche zwar Beide uns beizukommen ſuchten, aber durch das ſchlechte Wetter daran verhindert wurden. Sie gereichten uns alſo zu keiner Huͤlfe, ſondern mußten ſich begnuͤ - gen uns durch das Sprachrohr zu beklagen und beſſeres Gluͤck zu wuͤnſchen. Doch ge - waͤhrte uns dies Zuſammentreffen den Troſt, daß ſie uns ihre beobachtete Laͤnge mittheil - ten; ſo daß wir uns doch einigermaaſſen be - lehrten, auf welchem Punkte des Erdballs wir uns befaͤnden.

Schon hatten wir, auf dieſe Weiſe, ſechs Wochen lang, eben ſo nutz - als huͤlflos, auf230 dem Weltmeer umher gekreuzt, als uns, unter der am 2. Auguſt beobachteten noͤrd - lichen Breite von 58 Grad 33 Minuten, (So hoch hinauf nach Norden waren wir verſchlagen!) ein gewaltiger Sturm aus Suͤd - weſten ereilte. Am 6. Aug. ſprang der Wind nach Weſten um, und das Wetter ward ſo furchtbar, als ich es je erlebt habe. Alle unſre andre Noth und Gefahr aber ward noch durch die Beſorgniß vermehrt, daß wir bei Nacht gegen die Lewis-Jnſeln und die dort zahlreich umherliegenden Klippen geworfen werden koͤnnten. Dieſe Furcht ſchwand erſt dann, als wir uns am 9. Aug. mitten zwi - ſchen den orkadiſchen Jnſeln und im Ange - ſicht von Fairhill erblickten. Da auch zu - gleich der Wind nach Nordweſten gieng und kraͤftig zu blaſen fortfuhr; ſo wuchs uns der Muth, daß wir unſer Schiff nach Oſtſuͤdoſt zu treiben zwangen, um die norwegiſche Kuͤſte zu erreichen und dort Huͤlfe zu finden.

Am 13. trat uns dieſe gewuͤnſchte Kuͤſte auch wirklich in’s Geſicht; und am folgen - den Tage Abends kamen wir ihr ſo nahe, daß wir deutlich die zahlloſen, theils emporra - genden, theils blinden Klippen vor uns er - kannten, an welchen die tobende See hoch in die Luͤfte zerſchaͤumte. Dieſer Anblick ſchlug unſre Freudigkeit um ein Großes nie - der; ja dieſe verwandelte ſich gar bald in231 eine peinliche Todesangſt, da wir die Un - moͤglichkeit fuͤhlten, unſer unlenkſames Schiff davon abzuſteuern. Mußt es nicht uns doppelt ſchmerzlich ſeyn, nach ſo langer ausgeſtande - ner Noth uns hier, wo wir unſre Rettung geſucht und gehofft, von einem unvermeid - lichem Untergange bedroht zu ſehen?

Doch nicht Untergang, ſondern Rettung hatte der guͤtige Himmel diesmal uͤber uns beſchloſſen! Mitten zwiſchen den grauſigen ſteilen Klippenwaͤnden trieb unſer Schiff, wie von unſichtbaren Haͤnden gelenkt, hin - durch in eine Bucht, wo ich Ankergrund und ſtilles Waſſer fand. Es war Abends um 9 Uhr, als ich hier den Anker fallen ließ, und nun erſt mit voller Beſinnung an die ſchreckliche Vergangenheit zu denken vermochte, der wir, in einem Fahrzeuge ohne Maſt und Ruder, auf einem unermeßlichen Jrrwege, unter Hunger, Durſt, allem nur erdenklichen Drangſal und ſtetem Todeskampfe, nach ſieben ewiglangen Wochen, endlich gluͤcklich entronnen waren.

Unſer Nothhafen hieß Bommel-Sund, wie wir noch in der naͤmlichen Nacht von einigen Leuten erfuhren, die vom Land zu uns an Bord kamen und mir behuͤlflich wa - ren, das Schiff noch tiefer in die Scheeren hinein in Sicherheit zu bringen. Am Mor - gen fuhr ich ſelbſt an Land, um mir Huͤlfe232 zu ſuchen: denn es fehlte mir geradezu an Allem, um weiter aus der Stelle zu kom - men. Allein Maſt, Ruder und Takel - werk, wie ich’s brauchte, war in dieſer gan - zen Gegend nicht zu erlangen; und ſo mußt es mir genuͤgen, daß ich hier Fahrzeuge und Leute annahm, die mich, zwiſchen den Klippen entlang, taͤglich eine kleine Strecke weiter bogſirten. So gelangte ich kuͤmmerlich am 19. Aug. in den Hafen von Fahreſund.

Hier wandte ich mich unverzuͤglich an das Handelshaus Lund et Comp., welches auch nicht ermangelte, mir ſchnellen und thaͤ - tigen Beiſtand zu leiſten, damit ich mein Schiff wieder in gehoͤrigen Stand ſetzte. Um nichts zu verſaͤumen, ließ ich vor allen Din - gen mein Schiffsvolk eine gerichtliche Erklaͤ - rung uͤber unſre erlittenen Ungluͤcksfaͤlle waͤh - rend dieſer Reiſe ablegen; verſah mich mit allen uͤbrigen erforderlichen Zeugniſſen, und uͤberſandte dies Alles an meine Correſpon - denten nach Amſterdam, mit dem Auftrage, mir, in ungezweifelter Vorausſetzung der von ihnen bewirkten Verſicherung meines Schiffs, auf den Grund derſelben einen Credit-Brief von einer Summe, wie ich ſie etwa zur Aus - beſſerung meines Schiffs erforderlich glaubte, zu uͤbermachen.

Demnaͤchſt gieng ich nun mit Eifer an dies Werk ſelbſt, wo es denn allerdings233 mehr zu ſchaffen und auszuflicken gab, als ich ſelbſt vermuthet hatte. Bei dem Ausladen des Schiffes, welches vorangehen mußte, fand ſich’s, daß zehn bis zwoͤlf Laſten Salz verſchmolzen waren. Jch ließ nun den Boden kielholen, ein neues Steuerruder einhaͤngen, einen neuen Maſt aufrichten; beſorgte alle fehlenden Rundhoͤlzer, Segel und Takelwerk; erſetzte, was gebrochen, verfault oder ſonſt verdorben war, und ſetzte mich ſo allmaͤhlig wieder in Stand, die offne See zu halten. Freilich war dies Alles nicht moͤglich ohne den bedeutenden Aufwand von 4,400 Thalern Daͤniſch Courant, und ich konnte mich, um mich meines Schadens zu erholen, nur an die, auf mein Schiff gezeichnete Aſſecuranz halten.

Soweit war ich, als ich von den mehr - benannten Herren Kock und van Goens ein Schreiben empfing, worinn ſie mir empfah - len, mich in meinen Ausgaben moͤglichſt zu menagiren, indem es ihnen nicht moͤglich ge - weſen waͤre, fuͤr mein Schiff und Ladung eine Verſicherung zu bewirken. Als haͤtte der Donner vor meinen Fuͤßen eingeſchlagen, ſo uͤberraſchte und erſchuͤtterte mich dieſer trockne Bericht! Zugleich aber giengen mir auch ploͤtzlich die Augen auf uͤber das Schelm - ſtuͤck, das man mir geſpielt hatte. Wie? Auf drei, nach einander folgende Aviſos, in der ſicherſten Jahrszeit und auf einem Platze,234 wie Amſterdam, ſollte fuͤr keine Praͤmie, hoch oder niedrig, eine maͤßige Aſſekuranz zu be - ſchaffen geweſen ſeyn? Oder wenn in Holland kein Menſch ſein Geld an eine ſo geringe Gefahr haͤtte ſetzen wollen, ſtand dann meinen Beauftragten nicht Hamburg, Copenhagen, oder London, oder jeder andre Handelsort frei und offen? Allein es war klar, (und in dieſem Urtheil hatt ich alle Sachverſtaͤn - digen auf meiner Seite) daß die feinen Her - ren es fuͤr zutraͤglicher gehalten hatten, die Aſſekuranz gar nicht auszubieten, ſondern es immerhin im Vertrauen auf meine Tuͤchtig - keit und die anderweitigen guͤnſtigen Umſtaͤnde zu wagen. Lief die Fahrt gluͤcklich ab, wie zu hoffen war, ſo wuͤrden ſie nicht vergeſſen haben, mir die Aſſekuranz-Praͤmie gehoͤrig anzurechnen: nun aber, da ich Havarey hatte, entſchuldigten ſie ſich als Schurken; wie es auch die Folge ſattſam erwieſen hat.

Was war nun zu thun? Jch ſaß in der Klemme, und mußte abermals auf Schiff und Ladung Bodmerey zeichnen. Jn - deß erhielt es mich noch einigermaaſſen bei gutem Muthe, daß ich der gewiſſen Hoff - nung lebte, das ſaubre Paar ſeiner Schelme - rei zu uͤberweiſen, und ſo wieder zu dem Meinigen zu gelangen. Jch gieng alſo wie - der in See und langte bald darauf gluͤcklich in Koͤnigsberg an. Kaum aber hatt ich235 meine Ladung Salz dort geloͤſcht, ſo trat auch der Bodmerey-Geber auf und forderte ſein, auf das Schiff vorgeſtrecktes Geld zu - ruͤck, welches ſich, mit allen Nebenausgaben auf die Summe von 7,000 Thalern belief. Da ich nun auch noch in einigen andern Schulden ſteckte, ſo kam ich von Tage zu Tage immer mehr in’s Gedraͤnge: denn an ein ſchleuniges Ende des Proceſſes, den ich nun zunaͤchſt gegen Kock und van Goens in Amſterdam angeſtrengt hatte, war ſobald gar nicht zu denken.

Vielmehr ward hier nun ein Federfechten begonnen, das Jahr und Tag dauerte und immer bunter und verwickelter wurde. End - lich ward mir der Handel und die Rabuli - ſterei fuͤr meinen armen ſchlichten Menſchen - verſtand zu arg. Jch packte meine dicken Proceß-Acten zuſammen und legte ſie, in tiefſter Devotion, Sr. Majeſtaͤt, dem Koͤnige vor, mit inſtaͤndigſter Bitte, Sich Jhres allergetreueſten Unterthanen anzunehmen und dieſen Prozeß gegen Kock und van Goens durch den Preuſſiſchen beglaubigten Miniſter im Haag ausmachen zu laſſen.

Waͤhrend aber nun meine Sache dieſen gemaͤchlichen Gang gieng, mußt ich, um meine Glaͤubiger zu befriedigen, die nicht Luſt hatten, den weitausſehenden Erfolg ab - zuwarten, zufoͤrderſt meine Ladung, dann aber236 auch mein ſchoͤnes liebes Schiff, ſammt Allem, was ich um und an mir hatte, ſoweit es langte, losſchlagen. Das unſchuldige Opfer eines ſchaͤndlichen Betruges, ſtand ich da, und konnte kaum das Hemde mein nennen, das ich auf dem Leibe trug! Meine einzige letzte Hoffnung beruhte auf dem Ausgange meines in Holland gefuͤhrten Proceſſes; und ſelbſt auch hier ſchwand mir mein anfaͤng - licher Muth je mehr und mehr, je tiefere Blicke ich in das Gewebe rechtlicher Chikane that, das hier von meinen Gegnern angezet - telt wurde, um, wo moͤglich, Weiß in Schwarz zu verdrehen.

Dieſer unſelige Rechtshandel bedrohte aber nicht bloß mein geringes Vermoͤgen, ſondern griff zugleich tief in meinen ganzen Lebensgang ein und legte meinem aufſtre - benden Geiſte Hemmketten an, die ihm je laͤn - ger je unertraͤglicher fielen. Nach der Ein - buße meines eignen Schiffes haͤtt ich we - nigſtens als Schiffer fuͤr fremde Rechnung fahren und meinen maͤßigen Erwerb ſuchen koͤnnen: allein all augenblicklich gab es, des Proceſſes wegen, in Koͤnigsberg gerichtliche Termine, wo ich zur Stelle ſeyn und Rede und Antwort geben ſollte. Gleichwohl woll - ten Frau und Kinder (denn auch der Ehe - ſeegen hatte ſich nach und nach bei mir ein - geſtellt) auf eine ehrliche Weiſe ernaͤhrt ſeyn. 237Was blieb mir demnach uͤbrig, als daß ich mich noch einmal unter das alte verhaßte Joch bequemte, und, als Setzſchiffer, auf einem Leichter-Fahrzeuge, zwiſchen Koͤnigs - berg, Pillau und Elbing hin und her tage - loͤhnerte, um nur mein kuͤmmerliches Brodt zu verdienen.

Drei muͤhſelige Jahre blieb mein Schick - ſal in dieſer Schwebe; und Gott weiß, wie ſauer, ja bitter ſie mir geworden ſind! End - lich gieng vom Preuſſiſchen Geſandten im Haag ein großes Schreiben an mich ein, mit der Verkuͤndigung, mein Proceß ſey in letzter Jnſtanz gluͤcklich gewonnen. Gott - lob! haͤtt ich gerne aus tiefer erleichterter Bruſt gerufen, waͤre nur nicht unmittelbar die Hiobs-Poſt damit verbunden geweſen: Kock, der Eine meiner Widerſacher, ſey ge - ſtorben, nun ſey der Bankerott des Hauſes ausgebrochen, von den uͤbrigen Glaͤubigern auf alle Effecten deſſelben Beſchlag gelegt worden und zu Befriedigung meiner Anforde - rung leider! nichts uͤbrig geblieben. So war ich denn ein ruinirter Mann; hatte mir die ſchoͤnſten Jahre meines Lebens gleich - ſam ſtehlen laſſen, mir den Leib unaufhoͤrlich voll geaͤrgert, und mochte nun in Gottes Namen anfangen, zu meinem kuͤnftigen Gluͤcke, wo ich wuͤßte und koͤnnte, wieder den aller - erſten Grundſtein zu legen!

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Da ereignete ſich’s im Jahr 1769, daß der geheime Finanz Rath Delatre, welchen Koͤnig Friedrich II. an die Spitze der neuen Regie aus Frankreich berufen hatte, und der damals Alles bei ihm galt, nach Koͤnigsberg kam. Sein neueſtes und weitausſehendes Project, womit er dem Monarchen große Summen fremden Geldes in’s Land zu ziehen verhieß, gieng dahinaus, daß von dem Ueber - fluß an dem ſchoͤnſten Schiffsbauholz in den koͤnigl. Forſten in Stettin, fuͤr koͤnigl. Rech - nung eine Anzahl großer Fregatten erbaut, armirt und ausgeruͤſtet, und dann zu gutem Preiſe an auswaͤrtige Maͤchte abgelaſſen wer - den ſollten. Friedrich war auch auf dieſen Vorſchlag eingegangen; und ſo lag denn be - reits ein Schiff von 40 Kanonen bei Stettin auf dem Stapel.

Jch weiß nicht, auf welche Weiſe ich dem Franzoſen bekannt und als der Mann empfohlen worden ſeyn mochte, dem die Aus - ruͤſtung, Einrichtung und Fuͤhrung dieſes Schiffs vor Andern anzuvertrauen waͤre. Kurz, er ließ mich zu ſich rufen, erklaͤrte mir ſeine Meynung, und bot mir endlich dieſe Kapi - tains-Stelle, unter ſolchen Bedingungen an, daß ich, bei hinlaͤnglicher Ueberzeugung, dem von mir geforderten Dienſte gewachſen zu ſeyn, auch kein Bedenken fand, mich fuͤr dies Unternehmen zu verpflichten. Der Kontrakt239 wurde von beiden Seiten in beſter Form abgeſchloſſen; und ich ging unverzuͤglich nach Stettin ab, um meine Function anzutreten.

Waͤhrend nun hier der koͤnigl. Schiffs - baumeiſter, Hr. Catin, die Fregatte in ihrem Bau nach Kraͤften foͤrderte, war ich Meiner - ſeits nicht minder geſchaͤftig, Maſten, Segel, Tauwerk und jedes andere Zubehoͤr in fer - tigen Stand zu ſetzen. Sobald ſie demnach im May 1770 gluͤcklich vom Stapel gelaufen war, that ich mein Beſtes, daß ſie ſchon in den naͤchſten 4 Wochen, zu Anfang des Ju - nius, fuͤr voͤllig ausgeruͤſtet gelten koͤnnte. Dem damaligen Gouverneur, Herzog von Bevern zu Ehren, erhielt ſie den Namen Duc de Bevre, und war wuͤrklich ein ſchoͤnes und tuͤchtiges Gebaͤude.

Erfreut uͤber den hurtigen Fortgang, hatte mir mein Goͤnner Delatre bei Sr. Koͤnigl. Majeſtaͤt das, in ſeiner Art Erſte, Patent als Koͤnigl. Preuß. Schiffskapitain, ſammt der Berechtigung, zu Tragung der Koͤnigl. Uniform und eines Saͤbels mit dem Portepee, ausgewirkt, die mir vom Herzoge mit eigenen Haͤnden uͤberreicht wurden.

Doch war ich nicht der Einzige, der ſich in dieſem neuen Zweige des Koͤnigl. Militaͤr - Dienſtes angeſtellt ſah; ſondern die Preuſſi - ſche Flagge ſollte nun auch einen eignen Ad - miral aufzuweiſen haben. Dazu ſchlug Hr.240 Delatre ſeinen eignen Bruder vor, einen jungen, im Seeweſen ganz unerfahrnen Men - ſchen, der indeß fruͤher als Unter-Lieutenant, auf einer Franzoͤſiſchen Fregatte gedient hatte, mit derſelben im letzten Kriege den Englaͤn - dern in die Haͤnde gefallen und dort (eben) erſt, durch des zu Gluͤck und Ehren gelang - ten Bruders Vermittelung, aus dem Schuld - gefaͤngniſſe hervorgekrochen war. Er kam nach Stettin, und ich war eben nicht ſonder - lich erbaut, meinen neuen Herren Admiral kennen zu lernen, und zugleich zu erfahren, daß ihm das Commando der naͤchſten zu er - bauenden Fregatte zugetheilt werden ſollte. Bis dahin hatt er nun freilich wenig oder gar nichts zu thun; und ſo verfuͤhrte der Muͤſ - ſigang den luftigen Patron zu einer Menge albernen Streiche, die ihm wenig zur Ehre gereichten. Unaufhoͤrlich gab es Neckereien und blutige Haͤndel mit den Officieren von der Garniſon: ſo daß er am Ende ſich kaum mehr durfte blicken laſſen, um nicht der ſchimpflichen Ahndung eines gerechten Un - willens anheim zu fallen.

Gegen Ende des Junius gieng ich mit meinem Schiffe die Oder hinab, und war an - gewieſen, auf der Rheede von Swinemuͤnde eine Ladung Balken einzunehmen, die ich nach Cadix bringen und dort, wo moͤglich, mitſammt241ſammt dem Schiffe losſchlagen ſollte. Es koſtete jedoch nicht wenig Noth und Muͤhe, bevor ich das große und tiefgehende Gebaͤude uͤber die Bank am Ausfluſſe des Stroms zu ſchaffen und mich außen auf der Rheede vor Anker zu legen vermochte. Jch hatte dabei einen ſehr unthaͤtigen Zuſchauer an meinem Admiral, der mir die unverlangte Ehre er - zeigte, mich bis hierher zu begleiten.

Sobald ich meinen gelegenen Ankerplatz gefunden, befahl ich, die Stangen und Raaen niederzulaſſen, wie es Seemannsbrauch iſt, wenn ein noch unbeladenes Schiff auf der Rheede liegt, um das uͤbermaͤßige Schwanken deſſelben zu vermeiden. Dieſer nothwendigen Anordnung widerſetzte ſich aber der Patron, zur Befriedigung ſeiner kindiſchen Eitelkeit, die das Schiff noch laͤnger in Parade ſehen wollte. Vergeblich bedeutete ich ihn, daß es hier mehr auf Sicherheit, als auf ſtattliches Anſehen ankomme, und daß ich wiſſen muͤßte, was ich zu thun haͤtte. Das Faͤntchen er - boßte ſich, trotzte und pochte, und wollte durch - aus, wie ein unzeitiges Kind, ſeinen Willen haben. Freilich kam es da bei mir eben an den Unrechten. Jch wich ihm keines Daumens breit.

Nun war vollends Feuer bei ihm im Dache! Er parlirte mir, roth um den Kamm, wie ein Puter, allerlei dummen Schnack vor,1. Bändchen. (16)242und trat endlich drohend auf mich ein, indem er die Hand an das Gefaͤß ſeines Degens ſchlug. Oho Buͤrſchken ſagte ich, und be - ſah ihn mir ſchmunzelnd von unten bis oben das wollen wir dir wohl anſtreichen! Jch ging in die Kajuͤte, ſchnallte mir meinen Saͤbel um, und kam wieder auf’s Verdeck, um ihm das Weiſſe im Auge zu ſehen. Weil ſich ſeine Galle aber immer noch nicht legen wollte, ſeine gelaͤufige Zunge wie ein Rohr - ſperling ſchimpfte, und bei jedem dritten Worte die Fauſt immer wieder nach dem Degen fuhr, riß mir endlich auch die Geduld. Jch legte ebenfalls die Hand, und eben nicht ſanft, an meinen Saͤbel, und forderte ihn auf, zur Stelle mit mir an’s Land zu kommen, damit ich ſaͤhe, was Vater und Mutter aus ihm gefuttert haͤtten, wie wir Pommern zu ſagen pflegen.

Jch ſprang voran in die Schaluppe und bot ſechs Matroſen auf, die Riemen zur Hand zu nehmen. Mein Urian kam auf mein wiederholtes Winken mir nachgeſtiegen. Jch ſtellte mich an’s Ruder und ſteuerte nach dem Packwerk; war mit Einem Satze am Lande, und warf, meines Gegners gewaͤrtig, mir Hut und Rock vom Leibe, der denn auch bald hinter mir dreinfackelte. Wir zo - gen Beide blank, und ſtanden verbittert ein - ander gegenuͤber. Monſieur machte mir mit243 ſeinem Degen allerlei Figureu und Firlefanz vor der Naſe, bis ich mit einem abgepaßten Hiebe von unten herauf ihm unterhalb des Gefaͤßes Eins quer in den Arm zog; und mit der nemlichen Wendung gab ich ihm ei - nen Denkzettel hinter’s linke Ohr, ſo daß er, wenn er nicht an dem Einen, doch an Bei - den genug haben konnte.

Nun, er verlangte eben auch nicht mehr; warf flugs den Degen an die Erde, und ſchuͤttelte die verwundete Hand, mit einem etwas verſtoͤrten Geſichte. Auch ich ſchleuderte meinen Sarras uͤber Seite, um aus ſeinem Rocke, der im Sande lag, ein Schnupftuch hervorzuſuchen, welches ich, nach - dem ich ihm das Blut vom Ohre gewiſcht, fein ſaͤuberlich um die lahme Hand wickelte. Dann machte ich dem Herrn ein Kompli - ment, ſo gut ich’s ohne Tanzmeiſter gelernt hatte, und ließ ihn ſtehen, indem ich wieder in die Schaluppe ſtieg und nach dem Schiffe zuruͤckfuhr.

Zwei Tage nach dieſem Abentheuer er - hielt ich einen ſchriftlichen Befehl des Herrn Geh. Finanz-Rath Delatre, Angeſichts Die - ſes in Stettin zu erſcheinen. Jch erwiederte darauf: Das Schiff, welches ich comman - dirte, laͤge in See, und ich waͤre fuͤr deſſen Sicherheit verantwortlich. Jch wuͤrde mich einſtellen, ſobald man mir einen Stellvertre -244 ter ſchickte, der der Mann dazu waͤre, es in verſicherte Aufſicht zu nehmen. Dies Nota - bene hatte denn auch die Wirkung, daß bald nachher ein gewiſſer Schiffer Stoͤphaſe, einer unſrer beſten Preuſſiſchen Seemaͤnner, zu mir an Bord kam und ſich durch ſchriftliche Or - dres als meinen Nachfolger auswies. Zu - gleich wurde aber auch der Befehl zu meiner unverzoͤgerten Geſtellung in Stettin erneuert und geſchaͤrft; und ich that, was man haben wollte.

Mein ungnaͤdiger Goͤnner, mit dem ich es hier zu thun hatte, ließ mich gar hart an, daß ich ſo groͤblich gegen die Subordination im Dienſt gehandelt. Jch war aber auch kurz angebunden, ſchenkte ihm uͤber ſeinen Herrn Bruder, den Admiral, klaren Wein ein, und bewies deſſen Ungeſchick in einem gepfefferten Text ſo kraͤftig, daß eben nicht ſonderlich viel darauf zu antworten blieb. Aber es war einmal ſein Bruder, dem er nicht ganz entſtehen konnte, und ſo ergriff er um ſo lieber ein leicht von mir hinge - worfenes Wort, um mir, wenn ich nicht an - ders wollte, meine Dienſt-Entlaſſung anzu - kuͤndigen. Herzlich gern! war meine Antwort Mit Vorbehalt jedoch, daß meine Thaͤtigkeit zum Koͤnigl. Dienſt nicht in Abrede geſtellt werde.

245

Wer zweifelt daran, Herr? Wenn Sie ſich nur fuͤgen wollten

Gehorſamer Diener! erwiederte ich: Da mag es wohl liegen! Aber wenn auch mein Kopf etwas hart iſt, ſo erinnert er ſich doch an eine Klauſel in meinem Kontrakt, das mir, falls ich einſt meines Seedienſtes entbunden wuͤrde und gegen meine Taugſam - keit nichts einzuwenden waͤre, eben ſowohl eine Gratification von zweihundert Thalern, als meine ruͤckſtaͤndige Monats-Gage, zugute kommen ſolle. Wohl denn, ich habe bis - her meine Schuldigkeit gethan: jetzt erwarte ich ein Gleiches von der Regierung. Die Zahlung geſchah auf der Stelle; und ſo kriegte denn mein Koͤnigl. See-Kommando ein baldiges und betruͤbtes Ende.

Mein Vornehmen war jetzt, nach Koͤnigs - berg zu meiner Familie zuruͤckzugehen und eine Gelegenheit zu ſuchen, wo mir’s moͤglich wuͤrde, die Arme einwenig freier zu ruͤhren. Auf dem Wege dahin ſprach ich indeß bei meinen Eltern in Colberg ein; und ſey es nun, daß es hauptſaͤchlich ihr dringendes Zu - reden vermochte, oder daß die alte Vorliebe fuͤr meine Vaterſtadt wieder lebendig in mir erwachte, waͤhrend ich gegen Koͤnigsberg, wo mir ſo Vieles den Krebsgang genommen hatte, einen heimlichen Widerwillen ſpuͤrte: genug, ich glaubte wohl daran zu thun,246 wenn ich meinen dortigen Wohnſitz aufgaͤbe, um mich fortan hier unter den Meinigen haͤuslich niederzulaſſen. Anſtatt alſo meine Reiſe fortzuſetzen, ließ ich vielmehr Weib und Kind zu mir heruͤber kommen, und be - gann, mich hier haͤuslich einzurichten.

Aber Colberg war doch der Ort nicht, wo Meinesgleichen auf die Laͤnge ſeine Rech - nung finden konnte. Der Seehandel hatte damals hier eben auch nicht viel zu bedeu - ten, und die Colberger Schiffer waren gar zahme Leute, die ſich eben nicht weit in die Welt hinaus verthaten. Es gab daher auch wenig Anſchein, daß ich hier ſobald ein bra - ves Schiff unter die Fuͤße wuͤrde bekommen koͤnnen; und wurden mir gleich binnen Jahr und Tag zu wiederholten Malen kleine Jach - ten zur Fuͤhrung angeboten, um damit die Oſtſee-Haͤfen zu beſuchen, ſo war dies doch ein zu enger Spielraum fuͤr mich, als daß ich mich darauf haͤtte einlaſſen moͤgen. Lieber errichtete ich eine kleine Navigations-Schule, worinn ich junge Seefahrer fuͤr ihr Fach tuͤchtig auszubilden ſuchte; und noch jetzt, in meinem hohen Alter, habe ich das Ver - gnuͤgen, einige brave Schiffer am Leben zu wiſſen, die ich als meine Schuͤler betrachten darf.

Man wird ſich jedoch leicht denken, daß all dies Thun und Treibeu nur ein Noth -247 werk blieb, deſſen ich gern entuͤbrigt geweſen waͤre, und daß ich mich in meiner Lage mit jedem Tage mißmuͤthiger und unzufriedner fuͤhlte. Auf die Laͤnge konnte das ſo nicht bleiben. Was aber dem Faſſe vollends den Boden ausſchlug, war ein Schimpf, der mir von einem Manne widerfuhr, um den ich wohl ein Beſſeres verdient gehabt hatte. Dieſer Kaufmann K. nemlich, fuͤr den ich vormals, als eigner Schiffsrheeder Guͤter und Frachten mit Ehren uͤber See gefahren hatte, glaubte ein Werk der Barmherzigkeit an mir zu thun, wenn er mir das Gluͤck widerfahren lieſſe, unter ſeinem unwiſſenden Bauer-Schiffer als Steuermann zu dienen. Meine ganze Seele fuͤhlte ſich uͤber dieſen erniedrigenden Vor - ſchlag entruͤſtet. Es war, als ob jeder Bube in Colberg mit Fingern auf mich wieſe; und ſo ließ mir’s auch laͤnger keine Ruhe, als bis ich mich im Jahr 1771, als Paſſagier, nach Holland auf den Weg machte; in voller und gewiſſer Zuverſicht, daß dies Land mir fuͤr mein beſſeres Fortkommen in allen Faͤllen die gewuͤnſchte Genuͤge leiſten werde.

Mein eigentlicher Plan bei dieſem raſch gefaßten und ausgefuͤhrten Entſchluſſe war auf die Kuͤſte von Guinea gerichtet, wo die Art des Handelsverkehrs mir bei meiner erſten Ausflucht bereits bekannt geworden war; und da ich mich der damals erlernten Landes -248 ſprache noch immer maͤchtig fuͤhlte, im Na - vigations-Weſen es mit Manchem aufnahm und mir auch ſonſt zutrauen durfte, Herz und Verſtand am rechten Flecke zu haben, ſo war ich darauf aus, mich auf irgend einem dort - hin beſtimmten Schiffe als Ober-Steuermann anzubringen. Jn Amſterdam zwar gab es hiezu, fuͤr dieſen Augenblick, keine Gelegen - heit: als ich mich aber, durch Freunde und Bekannte, in gleicher Angelegenheit, an das Haus Rochus et Copſtadt in Rotterdam empfehlen ließ, erhielt ich auch ſofort einen Ruf dahin, und ward mit den Rheedern einig, auf einem ganz neuen Schiffe, Na - mens Chriſtina, unter Kapitain Jan Harmel, als Ober-Steuermann die Fahrt auf die Kuͤſte von Guinea anzutreten.

Jm November des nemlichen Jahres giengen wir von Goree unter Segel. Unſre Ladung beſtand in ſolchen Artikeln, wie die Afrikaner ſie gegen Sklaven, Goldſtaub und Elephanten-Zaͤhne am liebſten einzutauſchen pflegen. Die Schiffsmannſchaft betrug 106 Koͤpfe, und das Schiff fuͤhrte 24 Sechspfuͤn - der, weil Holland damals mit dem Kaiſer von Marocco in Mißhelligkeiten gerathen war; weswegen allen Schiffen, die des Weges fuhren, aufgegeben worden, ſich gegen jeden etwannigen Anfall der Korſaren gehoͤrig aus - zuruͤſten. Aus dem nemlichen Grunde ver -249 ſaͤumten wir auch nicht, ſobald wir in den Ocean gekommen waren, unſer Schiffsvolk taͤglich in der Bedienung des Geſchuͤtzes und in andern kriegeriſchen Handgriffen zu uͤben, damit wir’s mit den Maroccanern um ſo beſſer aufzunehmen vermoͤchten und, falls es zum Schlagen kaͤme, Jeder am Borde wuͤßte, wohin er gehoͤre und wie er es anzugreifen habe. Und daß es hiermit nicht etwa von unſerm Kapitain nur fuͤr die Langeweile ge - meynt war, kann ich ſofort durch ein Bei - ſpiel belegen.

Um mich aber hieruͤber noch mit einigen Worten weitlaͤuftiger auszulaſſen, ſey mir zufoͤrderſt erlaubt, zu bemerken, daß ein Kapi - tain auf dieſer Art von Schiffen ſich ſeinen Dienſt inſofern bequem genug macht, als er ſich (dringende Nothfaͤlle ausgenommen) die Nacht hindurch, in der Regel, an nichts, was am Borde zu thun iſt, kehrt, ſondern Abends um 8 Uhr ruhig zu Bette geht und vor 6 Uhr Morgens nicht wieder zum Vor - ſchein koͤmmt. Er verlaͤßt ſich lediglich auf ſeine vier Steuerleute, deren je zweie zu - ſammen in ihren vierſtuͤndigen Wachen ab - wechſeln; und begnuͤgt ſich, Morgens beim Aufſtehen den Rapport uͤber Alles, was naͤcht - lich vorgefallen iſt, anzunehmen, und Mittags um 12 Uhr bei der Beobachtung der Son -250 nenhoͤhe zugegen zu ſeyn, um den Stand des Schiffs nach Laͤnge und Breite in das Schiffstagebuch einzutragen.

Solchergeſtalt kam ich (nachdem Kapitain Harmelin mir ſchon fruͤher aufgegeben hatte, von unſerm Konſtabler ein Faß halbgefuͤllter Kartuſchen anfertigen zu laſſen) einſt in dieſer Zeit des Morgens zu ihm in die Ka - juͤte, um meinen naͤchtlichen Rapport abzu - ſtatten, und verwunderte mich nicht wenig, als ich ihn am Tiſche, den Kopf auf beiden Haͤnden liegend, wie im tiefen Traume ſitzen ſah; uͤbrigens nackt und bloß, bis auf ein paar linnene Hoſen und das Hemde, das an beiden Armen bis hoch an die Achſeln hin - auf aufgeſtreift und mit rothen Tuͤchern feſt - gebunden war. Das gelockte Haar hieng ihm rings um den Kopf auf den Tiſch hinab, und vor ihm auf demſelben lag ein blanker Schiffshauer.

Wie wild und furchtbar er mir in die - ſem Aufzuge auch erſchien, ſo fing ich doch an zu lachen; und eben wollt ich fragen, was dieſe Maskerade zu bedeuten habe, als er mich martialiſch anblickte, den Saͤbel er - griff, aufſprang, an mir vorbei eilte und, indem er auf’s Verdeck ſtuͤrzte, aus vollem Halſe ſchrie: Ho, da der Feind! Ho, da der Feind! Feuer! Vom Steuerbord Feuer! Jn der erſten Ueberraſchung251 meynte ich wirklich, er ſey toll geworden; ſobald ich jedoch ſeine wahre Meynung ahn - dete, den Muth und die Geiſtesgegenwart ſeiner Schiffsmannſchaft auf die Probe zu ſetzen, ſo ſchrie ich tapfer mit: Feuer! Steuerbord Feuer! und es gab einen Laͤrm am Borde, der hinten und vorn und aus allen Winkeln graͤßlich zuſammendroͤhnte.

Da nun auch ſchon ſeit einiger Zeit unſre Kanonen, mit Kugeln geladen, bereit ſtanden, ſo waͤhrte es auch keine drei Minuten, daß die ganze volle Lage gegen den eingebildeten Korſaren abgefeuert wurde. Sofort hieß es: Schiff gewendet! und als dies im Nu geſchehen war: Feuer! Vom Backbord Feuer! Am Steuerbord geladen! Wieder wenden! Vom Steuerbord Feuer! Am Backbord ge - laden! und ſo luſtig fort, bis der Kon - ſtabler zu mir herantrat, um zu melden, daß das Oxhoft voll Kartuſchen gluͤcklich in die Juft verplatzt ſey. Jch brachte die Meldung an den Kapitain, und Gut! ſagte dieſer Nun laß die Maroccaner nur kommen!

Aber unterbrach er ſich ploͤtzlich Entern entern wollen die Hunde! Die ſollen ſich bei uns die Naſen verbrennen! Halloh! Allmañ auf ſeinen Poſten! Flugs traten, angewieſener Maaſſen, 40 Mann auf dem halben Deck zuſammen; Jeder ergriff ſein geladenes Gewehr aus der dort in Be -252 reitſchaft ſtehenden Kiſte. Hier war das Kom - mandiren an mir: Feuer uͤber Steuerbord! waͤhrend Andre, die in Reſerve ſtanden, ih - nen die friſch geladenen Buͤchſen zureichten und die abgeſchoſſenen empfingen. So folgte Lage auf Lage; und die Kerle hielten ſich ſo wacker dazu, daß wir unſre Luſt und Freude daran hatten.

Dabei begab ſich’s nun, daß ein Matroſe ſeinem Nebenmann zur Rechten beim Abfeuern das Gewehr zu nahe an ſein langes ſtruppi - ges Haar hielt, welches vom Zuͤndpulver er - griffen ward und augenblicklich in lichten Flammen ſtand. Zur Strafe ſolcher Unge - buͤhr ward der Schmidt, der in ſolchen Faͤl - len den Sergeanten vorſtellt, hervorgerufen, um den Unvorſichtigen als Arreſtanten ab - zufuͤhren; waͤhrend noch das Manoeuvre mit dem Handgewehr ſolange fortgeſetzt wurde, bis der Tambour (der ſolange aus Kraͤften fortgewirbelt hatte) Befehl erhielt Appell zu ſchlagen und vom geſchlagenen Feinde nichts mehr zu ſehen war.

Nun ſollte der Arreſtant in’s Verhoͤr: aber der hatte ſeine Zeit ſo gut abgepaßt, daß derweile, da ſeine Waͤchter dem Spec - takel zugafften, er ſich gluͤcklich uͤber Seite machte; doch nur ſolange bis er in ſeinem Verſteck erwiſcht worden und nun ſeinen253 nachlaͤßigen Waͤchtern vorne in der Back Ge - ſellſchaft leiſtete, bis ihm ſeine Strafe dictirt worden. Er ſollte auf dem halben Deck durch 60 Mann 24 mal Gaſſen laufen, wo, ſtatt der Ruthen, Reifzeiſinge*)Dies ſind Flechten, 7 Fuß lang, in der Mitte 12 Garne dick und nach beiden Enden ſpitz zu - laufend. Sie dienen anderweitig zum Auf - bringen der Ankertaue; zu dem hier erwaͤhn - ten Behuf aber werden ſie in der Mitte an - gefaßt und mit beiden Enden zugehauen. als Stellvertre - rer dienten: doch kam der arme Schelm mit 6 Malen ab und mochte ſich, ſo wie ſeine, mit derben Fuchteln beſtraften Waͤchter, an der reichlichen Portion Brandtwein troͤſten, die ihnen gegeben wurde, ſich ihren wunden Buckel zu waſchen.

Dies Proͤbchen von ſtrenger Subordi - nation mag zugleich beweiſen, mit welchem Ernſt und Regelmaͤßigkeit der Dienſt auf den hollaͤndiſchen Schiffen damals verſehen wurde, daher ich auch ſtets auf denſelben die beſte Ordnung gefunden habe. Nicht ſo bei den Englaͤndern, wo man dergleichen als Kleinigkeiten anſieht, die mit Fußtritten, Fauſtſchlaͤgen und Ribbenſtoͤßen abgemacht werden; und von ſolcher barbariſchen Will - kuͤhr bin ich ſtets ein abgeſagter Feind ge - weſen.

Wenige Tage ſpaͤter, etwa in der Mitte Octobers, da wir uns unter dem 41ſten254 Grade noͤrdlicher Breite und ohngefehr 90 Meilen von der portugieſiſchen Kuͤſte ent - fernt befanden, erblickten wir in den Vor - mittags-Stunden ein Schiff vor uns uͤber dem Winde, das uns, da wir den Kopf im - mer voll von Seeraͤubern hatten, verdaͤchtig vorkam. So wie ſchon fruͤher, theils aus Vorſicht, theils um unſre Mannſchaft zu uͤben, geſchehen war, ſo oft ein Segel in unſrer Naͤhe auftauchte, ſo ward auch jetzt im Augenblick an unſerm Borde Alles zum Gefechte bereit gemacht. Allein indem un - ſre Blicke aufmerkſam auf jenes Schiff ge - richtet blieben, wurden wir mit Verwun - derung gewahr, daß es gar keinen geraden Kurs hielt, ſondern bald noͤrdlich, bald oͤſt - lich am Winde lag. Alle Segel waren feſt gemacht, bis auf das Vorder-Mars-Segel, das frei im Winde flog, waͤhrend dieſer, aus Suͤdweſten her, ſich faſt zum Sturm verſtaͤrkte, ſo daß wir ſelbſt unſre Mars - Segel hart eingerefft fuͤhren mußten.

Jndem es nun ſolchergeſtalt vor uns voruͤber taumelte, ſo daß wir ihm bald uͤber den Wind kamen, wußten wir immer we - niger, was wir aus dieſer Erſcheinung ſchlieſſen ſollten; und da es wenigſtens noch anderthalb Meilen von uns entfernt lag, ſo konnten wir auch nicht entdecken, was es ei - gentlich im Schilde fuͤhrte. Nichts deſto -255 weniger ſchien es uns wohlgethan, dies in der Naͤhe etwas genauer zu unterſuchen, um unſrer Schanze deſto beſſer wahrzunehmen. Jndem wir alſo unſre Flagge hinten, ſo wie vorne die Giſſe und einen Wimpel an der Spitze des großen Maſtes aufſetzten, um unſre Bravour zu zeigen und uns den Anſchein eines Kriegsſchiffes zu geben, (wie denn auch unſer Schiff aus der Ferne wirk - lich ein ganz ſtattliches Anſehen hatte) ſo richteten wir unſern Lauf gegen den wun - derlichen Unbekannten; doch ſo, daß wir ihm oberhalb Windes blieben.

Als wir demſelben auf die Haͤlfte naͤher gekommen waren, thaten wir einen blinden Schuß gegen ihn, als Aufforderung, unſre Flagge zu reſpectiren und uns die ſeinige zu zeigen. Dieſe kam gleichwohl nicht zum Vorſchein; ſelbſt dann nicht, da wir, im Abſtande von einer halben Meile, jenes Sig - nal wiederholten. Ja, ſogar der dritte Gruß dieſer Art, im ſteten Naͤherruͤcken, ver - fehlte die gehoffte Wirkung: denn keine Flagge ließ ſich blicken. Unter der Zeit war das fremde Schiff in den Bereich unſers Geſchuͤtzes gekommen; und wir bedachten uns nun nicht laͤnger, ihm auf gut Gluͤck eine ſcharfe Kugel zuzuſchicken. Dieſe ſchlug auch hart vor ihm nieder: aber ſeine Flagge verzog noch immer, ſich uns zu zeigen.

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Er ſoll und muß es! rief unſer Kapitain. Konſtabler, ſchießt ihm eine Koppelkugel in den Rumpf, und ſeht wohl zu, daß Jhr trefft! Geſagt, gethan! Wir waren ihm jetzt ſo nahe, daß ſich un - moͤglich fehlen ließ; und die Kugel fuhr ihm in den Bug, daß wir die Holzſplitter um - her fliegen ſahen. Dennoch keine Flagge! So etwas gieng uͤber all unſern Begriff. Allein nun wurden auch wir immer hitzi - ger und beſchloſſen, ihm oberhalb Windes ſo dicht, als immer moͤglich, auf den Leib zu ruͤcken.

Dies geſchah auch, indem wir, kaum im Abſtande eines Flintenſchuſſes, an ihm vor - uͤber liefen und zugleich ihn mit dem Sprach - rohr anriefen. Auf unſer drei - bis vier - maliges Holla! keine Antwort! Eben ſo wenig erblickten wir eine Menſchenſeele am Borde. Nur ein großer ſchwarzer Hund richtete ſich uͤber die Borte empor, uns hei - ſer anzubellen. Jndeß trieb uns der ſtarke Wind nach wenig Augenblicken voruͤber; doch vermochten wir im Vorbeiſegeln zu er - kennen, daß die Finkennetze und Schanzgitter laͤngs der ganzen Seite mit Weißkohl-Koͤpfen vollgepackt waren, und daß auch einige Stuͤcken friſches Fleiſch unter der großen Mars in der Luft aufbewahrt hiengen. Ja,Einige257Einige von unſern Matroſen, die ſich oben im Maſtkorbe befanden, wollten zu gleicher Zeit bemerkt haben, daß auf dem Verdeck des fremden Schiffes menſchliche Leichname ausgeſtreckt umher gelegen.

Dieſe vermeyntliche Entdeckung war gleich - wohl zu unſtatthaft, um bei uns Uebrigen Glauben zu finden. Was ſollte dieſen Un - gluͤcklichen den Tod gebracht haben? Das Schiff ſchien unverſehrt und gut; kein Feind hatte mit Feuer und Schwerdt darauf ge - hauſet. An anſteckende Seuchen, an Ver - hungern und Verduͤrſten war eben ſo wenig zu denken: denn die friſchen Lebensmittel, die wir wahrgenommen, bewieſen genuͤg - lich, daß das Schiff erſt ganz vor kur - zem einen europaͤiſchen Hafen verlaſſen ha - ben muͤſſe. Genug indeß, daß uns hier ein Raͤthſel aufgegeben war, deſſen Loͤſung uns eben ſo eifrig, als fruchtlos beſchaͤf - tigte!

Jnzwiſchen legten wir um und hielten diesmal unſern Strich noch naͤher an das veroͤdete Schiff, ohne es an unſerm wieder - hohlten und durchdringenden Holla! Holla! fehlen zu laſſen. Jmmer noch ſahen wir kein lebendiges Weſen, und hoͤrten keine Stimme, als das Bellen des Hundes, der1. Bändchen. (17)258nach uns heruͤber winſelte. Es ſchien nun wohl entſchieden, daß das Schiff leer und verlaſſen von Menſchen ſeyn muͤſſe: aber eben dies weckte in mir und Andern mehr die Luſt, die Schaluppe auszuſetzen und zu einer genaueren Unterſuchung dieſes wun - derbaren Vorfalls hinuͤber zu fahren: denn ſo, wie ſich die Sache anließ, kam es hier vielleicht bloß darauf an, ein herrenloſes Eigenthum als gute Priſe in Beſitz zu nehmen.

Meine hierauf gerichteten Vorſchlaͤge fie - len jedoch bei dem Kapitain in taube Oh - ren. Er meynte, der Wind blieſe zu friſch und die See gienge zu hoch, als daß er Boot und Menſchen einem ſolchen Wagniß preiß geben koͤnnte; und auch im beſten Falle werde es um den Ruͤckweg, gegen den Sturmwind an, noch mißlicher ſtehen. Er - picht, wie ich auf den Handel war, ſtellte ich ihm vor, wie es fuͤglich ſo einzurichten waͤre, daß die Schaluppe mit Wind und Wellen geradezu auf das fremde Schiff los - ſteuerte, und das unſrige, nach erfolgter Beſichtigung, ſich jenſeits unter den Wind legte, um uns, mittelſt dieſes Manoeuvre’s gemaͤchlich wieder an Bord zu nehmen. Nettelbeck! rief er Das wird der Teufel nicht mit Euch wagen!

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Das kaͤme noch drauf an! meynte ich Laß einmal hoͤren! Jungens, rief ich, indem ich auf das halbe Deck vor - trat, unſern Leuten zu Wer von euch hat die Courage, mit mir in unſrer Scha - luppe nach jenem Schiffe hinuͤber zu fahren? Wenn wir das vielleicht als gute Priſe in Beſitz nehmen koͤnnten!

Jch ich ich! ſchallte mirs von allen Seiten entgegen. Und was ſagt Jhr nun, Kapitain? wandte ich mich an unſern Befehlshaber.

Fahrt meinetwegen, wenn Jhr Luſt habt, zu erſaufen! gab er mir verdruͤßlich zur Antwort; und ich hielt ihn ſogleich, we - nigſtens wegen des Erſtern, beim Worte. Die Schaluppe ward mit dem groͤßten Feuer angegriffen, in die Takel gehaͤngt und uͤber Bord geſetzt. Noch hatte ſie ihr naſſes Element nicht erreicht, als ich mich bereits hinein ſtuͤrzte. Alles ſtuͤrzte mir nach, und wollte mich begleiten; ſo daß ich genug zu ſteuern und abzukehren hatte, um nicht mehr, als die beſchloſſene Zahl von 12 Mann hinuͤber zu laſſen, die ich namentlich aufrief und als tuͤchtige zuverlaͤſſige Kerle kannte. Da auch, von dem neulichen Scheingefecht her, die offne Gewehrkiſte noch auf dem260 Verdeck vorhanden war, ſo wurden uns Pi - ſtolen und Hauer in ſolchem Ueberfluſſe zu - gelangt, ja ſogar in die Schaluppe gewor - fen, daß ich genug mit Haͤnden und Fuͤßen abzuwehren hatte.

So giengen wir nun mit unſerm Fahr - zeuge, vor See und Wind, gerade auf das Schiff zu, welches auch kaum in der Weite eines Piſtolenſchuſſes vor uns auf den Wel - len trieb. Leichter und gluͤcklicher, als ich ſelbſt gehofft hatte, legten wir uns ihm an Bord; und gehoͤrig bewaffnet ſtieg ich ſo - fort mit 11 Mann auf daſſelbe hinuͤber, waͤhrend der Zwoͤlfte im Boote zuruͤck blieb und dieſes mit einem Schlepptau hinten an - gehaͤngt wurde. Auf dem Verdeck fanden wir, wie zu vermuthen war, Niemand, als jenen Hund, der uns freundlich zuwedelte und die Haͤnde leckte, und einen Behaͤlter mit lebendigen Huͤhnern und Enten, die noch Gerſte und friſches Waſſer im Troge hatten. Ueberall lagen Kleidungsſtuͤcke zerſtreut um - her. Die Schaluppe ſtand, wie ſich’s ge - hoͤrt, im Boot; Alles ordentlich befeſtigt; kein Takel hieng uͤber Bord, woraus man haͤtte ſchlieſſen moͤgen, daß etwa ein Fahr - zeug, zur Flucht der Mannſchaft, in’s Waſ - ſer gelaſſen worden, weil das Schiff viel -261 leicht leck geworden und man das Sinken befuͤrchtet.

Dies zu ergruͤnden, ſtellte ich ſofort meine Leute an beide Pumpen; und mittler - weile, daß ſie dieſe in Bewegung ſetzten, gieng ich auf dem Schiffe von hinten nach vorne und nach allen Seiten; beſah mir’s oben und unten, und nahm endlich wahr, daß die Thuͤr zur Kajuͤte niedergehauen war. Sogar das Beil, womit dies geſche - hen ſeyn mochte, lag noch daneben. Jch erſchrak nicht wenig uͤber dieſen unvermuthe - ten Anblick: denn nun ſchoß mir’s auf’s Herz, daß hier gottloſe Buben gehauſt ha - ben muͤßten, die den Kapitain oder ſonſti - gen Befehlshaber ermordet haben muͤßten und ſich in dieſem Augenblick vielleicht ab - ſichtlich im untern Raume verſteckt hielten. Voll von dieſer Vorſtellung, hielt ich es auch nicht fuͤr rathſam, mich dahinunter zu wagen.

Unterdeß hatten meine Begleiter wacker an den Pumpen gearbeitet, und erklaͤrten nach etwa 12 oder 15 Minuten: das Schiff ſey rein, und die Pumpen zoͤgen kein Waſ - ſer mehr. So kommt denn Alle! rief ich Nehmt eure Wehren zur Hand, ſpannt den Hahn und folgt mir, dicht zu -262 ſammengeſchloſſen, nach. Jn ſolcher Ordnung nun ſtiegen wir zufoͤrderſt in die Kajuͤte hinab, wo der zertruͤmmerte Ein - gang uns nichts, als einen vollen Greuel der Verwuͤſtung, erwarten ließ. Dem war jedoch keinesweges alſo; ſondern uͤberall das Geraͤthe in beſter Ordnung, als ob gar nichts vorgefallen. Jch hob den Deckel von einer Seitenbank empor, und fand den Sitz angefuͤllt mit Weinflaſchen, die ſorgſam in Stroh gepackt waren. Zu naͤherer Unter - ſuchung zog ich Eine daraus hervor, hielt ſie gegen das Licht und fand ſie mit ro - them Clairet gefuͤllt. Eine Schieblade im Tiſche, die ich hervor zog, enthielt allerlei Tafelgeraͤth, Meſſer, Gabeln u. ſ. w. Jch nahm ein Meſſer, ſchlug jener Bouteille den Hals ab, und wir machten Ein Schluͤck - chen nach dem Andern, bis uns der Boden entgegen leuchtete. Nun machten meine Ge - faͤhrten nicht uͤbel Miene, auch dem Reſte auf gleiche Weiſe zuzuſprechen: allein, bange vor den moͤglichen Folgen, rief ich mein Halt! Keinen Tropfen mehr! dazwiſchen, und ſchritt ſofort zu einer weitern Unter - ſuchung.

Jn einer andern Schieblade, die ich oͤff - nete, fiel mir ein ſtarkes Pack Briefe in die Haͤnde, deren Aufſchriften ſaͤmmtlich263 nach Port au Prince, Martinique, Gua - deloupe und andern frvnzoͤſiſchen Jnſeln lau - teten. Jch griff Einige auf gut Gluͤck dar - aus hervor und ſteckte ſie zu mir, um ſie demnaͤchſt, bei beſſerer Muße, genauer zu unterſuchen. Fuͤr den Augenblick aber ward meine volle Aufmerkſamkeit von einer Luke angezogen, die ſich in der Mitte des Fußbo - dens der Kajuͤte vorfand und angelweit of - fen ſtand. Hier wird es doch der Muͤhe werth ſeyn, hinunter zu ſteigen, ſagte ich zu meinen Leuten; waͤr es auch nur, um zu erfahren, womit das Schiff geladen ſeyn mag. Zu gleicher Zeit ließ ich mich an den Haͤnden hinab, ohne jedoch mit den Fuͤßen Grund zu erreichen. Nun, es wird ja ſo tief nicht mehr ſeyn! dacht ich bei mir ſelbſt, ließ oben fahren und pur - zelte auf einen Haufen, den ich alsbald fuͤr Steinkohlen erkannte.

Jndem ich uͤber dies unbequeme Lager hinuͤber kroch, gerieth ich, bald hier, bald dort im Dunkeln umher tappend, an Faͤſſer, Ballen und Packen in Baſtmatten gehuͤllt, die mich auf eine vermiſchte Ladung ſchlieſſen lieſſen. Unwillkuͤhrlich aber ſtieg mir bei dieſer irren Beſchaͤftigung auch die Befuͤrch - tung zu Kopf, daß in dieſem Chaos auch woht Menſchen ſtecken und mir auf den264 Dienſt lauern koͤnnten. Schon war mir’s, als ob ſie mir uͤberall auf dem Nacken ſaͤ - ßen; als wuͤrde bei jedem naͤchſten Tritt eine grimmige Fauſt mich anpacken. Ver - geblich ſtraͤubte ſich mein Muth und ſuchte dieſen feigherzigen Gedanken abzuſchuͤtteln. Mich ergriff ein Zittern, das mich mit einer Gaͤnſehaut uͤberlief, und wohl oder uͤbel wieder nach dem Tageslichte hin zuruͤck - draͤngte. Erſt dann ward mir wieder wohl, als ich oben an der Luke ein Paar von mei - nen Gefaͤhrten erblickte, die auf den Knieen lagen und in den Raum hinab ſahen. An ihren dargereichten Haͤnden ward ich wieder emporgezogen.

Jnzwiſchen war auch mein Kapitain bei ſeinem Manoeuvriren dem Schiffe wieder nahe genug gekommen, um mir durch’s Sprachrohr zuzurufen: Wie es an meinem Borde zuſtaͤnde? Da ich ein aͤhnliches Werkzeug auf dem Verdeck an ſeiner ge - wohnten Stelle vorfand, ſo antwortete ich ihm: Das Schiff ſey feſt und dicht, und Alles darauf in guter Ordnung, aber nicht Mann noch Maus darauf zu ſpuͤren. Er befahl mir darauf, ihm die Schaluppe mit 8 Mann hinuͤber zu ſchicken, weil er ſelbſt willens waͤre, den Fund in Augenſchein zu nehmen. Das Erſtere geſchah; als er je -265 doch auf dem Herwege noch etwa 80 Klaf - tern von meinem Borde entfernt war, erhob ſich ploͤtzlich ein ſo heftiger Windwirbel, daß man ſich auf unſerm eigenen Schiffe genoͤ - thigt ſah, die Segel eiligſt einzuziehen. Dieſer Zufall benahm meinem Kapitain den Muth. Kommt! kommt! Zu mir her - uͤber! rief er mir aus dem Fahrzeuge zu; und indem er an meine Seite legte, hoͤrte er nicht auf mit: Her zu mir, in die Schaluppe! Fort! fort! bis ich ihm den Willen that, mit dem Reſt meiner Leute zu ihm einſtieg, und ſolchergeſtalt mit ihm nach unſerm Schiffe zuruͤck ruderte. Als wir dort ankamen, ward die Schaluppe un - ter die Takel gebracht, empor gehoben und wieder an ihrem Platze befeſtigt.

Sobald wir nun wieder in Ordnung und zu Beſinnung gekommen waren, galt es die Frage: Was mit dem herrenloſen Schiffe zu thun oder zu laſſen ſey? Jch und Mehrere mit mir ſtellten dem Kapitain auf das triftigſte vor, daß es doch Suͤnde und Schande ſeyn wuͤrde, wenn wir dieſen Fund ſo um nichts und wieder nichts auf - geben wollten. Allein wie dringend wir ihm auch anlagen, ſo ſchien doch ſein Wi - derwille gegen jedes weitere Vornehmen zu dieſem Zwecke ſo gut, als unbezwinglich;266 und, wohlerwogen, war es ihm eigentlich auch nicht zu verdenken, wenn er uͤble Luſt bezeugte, ſich mit einem Handel dieſer Art zu ſchaffen zu machen. Die Sache hieng aber ſo zuſammen.

Auf ſeiner vorigen Fahrt nach der Kuͤſte von Guinea hatte Kapitain Harmel von ei - nem engliſchen Sklaven-Schiffe Beſitz ge - nommen, das, in Folge einer unter den Schwarzen ausgebrochenen Meuterei, von Dieſen uͤberwaͤltigt worden war. Sie hat - ten, beinahe hundert Koͤpfe ſtark, die ganze Schiffsmannſchaft, bis auf einen Steuer - mann und zwei Matroſen, ermordet, welche unter dem Beding verſchont worden wa - ren, daß ſie die Negern in deren Heimath zuruͤck fuͤhren ſollten. Auf dieſem Zuge nun fielen ſie meinem Kapitain in die Haͤnde; und es munkelte nicht nur, daß er mit ih - nen, wie mit der Schiffsladung, nicht zum beſten gewirthſchaftet, ſondern daß auch das Schiff ſelbſt von feinen darauf geſetz - ten Leuten verwahrlost und bei St. Georg de la Mina geſtrandet ſey. Hieruͤber hat - ten die Rheeder deſſelben in England ge - gen Harmel ein gerichtliches Verfahren ein - geleitet und wollten ihn fuͤr nichts beſſers, als einen Seeraͤuber erklaͤrt wiſſen. Dieſer Proceß ſchwebte auch noch in dem nemlichen267 Augenblick vor den hollaͤndiſchen Gerich - ten; und je zweifelhafter es war, wie das End-Urtel ausfallen koͤnnte, um ſo weniger mocht er allerdings Neigung in ſich ſpuͤ - ren, etwas Friſches auf ſein Kerbholz zu bringen.

Wir jedoch, die wir die Sache mit ganz andern Augen anſahen, drangen ſo ungeſtuͤm und unablaͤſſig in ihn, das Schiff zu beſetzen, daß er endlich einwilligte, die große Schiffsglocke laͤuten zu laſſen und einen allgemeinen Schiffsrath zu halten, deſſen Gutachten nicht zweiſelhaft ausfallen konnte, indem hier Alle und Jede ihre Mey - nung von ſich geben ſollten. Es ward be - ſchloſſen, das Zwoͤlf von den Unſern das Schiff zur Nothdurft bemannen und ich die Ehre haben ſollte, es nach einem hollaͤndi - ſchen Hafen in Sicherheit zu bringen.

Gut gemeynt, aber ſchlecht berathen! war meine Einrede und ſo muß ich mich der zugedachten Ehre hoͤflichſt bedan - ken. Wer moͤchte wohl eine ſolche Com - miſſion ſo loſen Fußes auf ſich nehmen? Denn wie? wenn nun auf dem Wege nach Europa irgend ein engliſches, franzoͤſiſches oder anderweitiges Kriegsſchiff auf mich ſtieſſe und nach meinen Schiffspapieren268 fragte? Moͤcht ich zehnmal verſichern und ſchwoͤren, daß es mit dem Funde ehrlich und chriſtlich zugegangen: wer wuͤrde mir’s glauben, und mich nicht vielmehr fuͤr ei - nen argen Freubeiter erklaͤren und mir und all meinen Gefaͤhrten die hanfene Schleife zuerkennen? Und ſteckt nicht noch dort die Kugel im Schiffsrumpfe in dem ge - ſplitterten Barkholz, die wir vorhin abge - ſchoſſen haben, und Zeugniß von gebrauch - ter Gewalt - gegen uns ablegen wuͤrde? Jm beſten Falle wuͤrden wir in ein finſtres Loch geſteckt und koͤnnten ſchwitzen, bis wir ſchwarz wuͤrden, bevor die Mannſchaft der Chriſtina, die unterdeß in den afrikaniſchen Gewaͤſſern umherſchweifte, vernommen wer - den koͤnnte und uns wieder aus der Patſche huͤlfe.

Meinem Bedenken war nicht fuͤglich zu widerſprechen: doch fand und ergriff man endlich den Ausweg, daß, zu meiner beſſern Beglaubigung, ein ſchriftliches Zeugniß uͤber den ganzen Hergang, mit all ſeinen beſon - dern Umſtaͤnden, ausgefertigt und von der geſammten Harmelſchen Schiffsmannſchaft eigenhaͤndig unterzeichnet werden ſollte. Da es nun in Holland herkoͤmmliche Einrichtung iſt, daß vor dem Auslaufen eines jeden Schiffes die geſammte Beſatzung ihre Na -269 menszuͤge bei der Admiralitaͤt in die Schiffs - Regiſter eintragen muß, um vorkommenden Falles dadurch bewahrheitet zu werden, ſo konnte die Aechtheit dieſer Urkunde in Rot - terdam unfehlbar ausgemittelt werden und dieſem Beweiſe unſrer Ehrlichkeit nichts zur Guͤltigkeit abgehen. Auch ich erklaͤrte mich nun mit einem ſolchen Paſſe zufrieden.

Jnzwiſchen nahte der Abend bereits heran; und bei dem ſtuͤrmiſchen Wetter ſchien es am rathſamſten, jene Ausfertigung bis zum naͤchſten Morgen zu verſchieben; damit jedoch dem fremden Schiffe bis da - hin, falls es laͤnger ſich ſelbſt uͤberlaſſen bliebe, kein Zufall zuſtieße, ſollte der Unter - ſteuermann Peters daſſelbe mit 10 Matro - ſen vorlaͤufig ſogleich in Obhut nehmen. Seine Jnſtruction lautete dahin, ſich mit dem Schiffe ſo nahe, als moͤglich, an dem unſrigen zu halten, und es wurden die Signale verabredet, woran beide ſich waͤh - rend der Nacht erkennen wollten. Zwar kannten wir ihn als einen nicht ſonderlich gewiegten Seemann: doch ſchien der Dienſt, wozu er beordert worden, um ſo weniger bedenklich, da ich ihn binnen 12 oder 15 Stunden abzuloͤſen gedachte, um ſodann das Schiff nach Holland heimzufuͤhren.

270

So fuhr denn Peters mit ſeiner be - ſtimmten Mannſchaft in unſrer Schaluppe an Bord hinuͤber; die Segel wurden dort den unſrigen gleichgeſtellt, und das Schiff gewann wieder einen feſten und regelmaͤßi - gen Gang, bei welchem es, etwa in der Entfernung eines Kanonenſchuſſes, uns zur Seite blieb. Mit Einbruch der Nacht ſteck - ten wir unſre Laterne aus, und dort ge - ſchah ein Gleiches. Jch verſah die erſte Wache von 8 bis 12 Uhr, und nahm mit meinen Leuten wahr, daß ſich das jenſeitige Licht je mehr und mehr entfernte und end - lich zwiſchen 10 und 11 Uhr gar erloſch. Augenblicklich ward dies dem Kapitain ge - meldet und hierauf beſchloſſen, einen Stuͤck - ſchuß abzufeuern, um unſerm Gefaͤhrten un - ſre Richtung anzugeben.

Der Erfolg war keinesweges befriedigend. Wir wiederholten nun dieſe Signal-Schuͤſſe von Zeit zu Zeit die ganze Nacht hindurch; ja ſteckten endlich ſelbſt ſcharfe Patronen auf, um den Knall zu verſtaͤrken und in deſto wei - tere Ferne gehoͤrt zu werden. Unter ſtei - gender Unruhe graute endlich der Morgen heran; Alles eilte an den Maſten hinauf, um ſich rings umher umzuſehen. Umſonſt! Freund Peters, ſammt unſrer Priſe, war und blieb verſchwunden!

271

Unſre Beſtuͤrzung war nicht geringe. Wie war dies zugegangen? Was war geſchehen? Was konnte geſchehen ſeyn? Ein uner - meßliches Feld eroͤffnete ſich unſern Muth - maaſſungen und Zweifeln. Manche waren der Meynung, unſre Leute waͤren, zuſammt dem Schiffe, geſunken; ſo wie es auch zuvor ſchon von ſeiner eigentlichen Beſatzung um irgend eines, nicht mehr zu ſtopfenden Lecks willen, verlaſſen worden ſeyn moͤchte. Dem mußte ich aber, mit Fug entgegnen, daß ich, ſammt Allen, die mit mir am Bord gewe - ſen, das Schiff dicht und gut befunden; daß wir das wenige Waſſer, das ſich am Kiele geſammlet, mit leichter Muͤhe ausge - pumpt, und daß ich ja auch ſelbſt in den Raum hinabgeſtiegen geweſen, ohne etwas von eingedrungenem Waſſer zu ſpuͤren. Billig alſo ward dieſe Vorausſetzung verworfen.

Moͤglicher aber ſchien es uns, und ſtieg bald zur aͤngſtlichen Beſorgniß, daß aller - dings doch Leute im Schiff verſteckt gewe - ſen, die bei Nacht unverſehens hervorgebro - chen, die Unſrigen uͤberwaͤltigt und ermordet und ſich, unter Beguͤnſtigung der Finſterniß, davongemacht haͤtten. Gewaltthaͤtigkeit und Meuterei ſchien, wie die zerſplitterte Kajuͤten - Thuͤre bewies, allerdings, vor dem Begeg - niß mit uns, auf dem Schiffe ſtattgefunden272 zu haben. Wußten ſich nun die Empoͤrer ſchuldig, ſo war es wohl natuͤrlich, daß ſie, als ſie uns unter Flagge und Wimpel auf ſich zukommen und ſie mit Kanonenſchuͤſſen begruͤ - ßen ſahen, in der Unmoͤglichkeit, uns zu ent - kommen, ſich lieber in die geheimſten Winkel verkrochen hatten und es auf den Zufall an - kommen laſſen, ob wir ſie entdecken, oder ob ſie vielleicht den Mantel der Nacht gewinnen wuͤrden, um mit dem Schiffe wieder durch - zugehen. Wir hatten alſo wohl nur zuviel Urſache, das Schickſal unſrer armen zwoͤlf Gefaͤhrten zu bedauern.

Allein ſelbſt wenn wir ihnen auch das beſſere Loos wuͤnſchen wollten, daß ſie Sey es durch Zufall, Ungeſchicklichkeit, oder gar durch vorſaͤtzlichen boͤſen Willen, in der Nacht von uns abgekommen, ſo waren ſie dar - um noch wenig beſſer berathen; und nicht nur ſahen ſie ſich all den Gefahren ausgeſetzt, die ich geſcheut und zu vermeiden geſucht hatte: ſondern es ſtand auch uͤberhaupt gar ſehr dahin, ob ſie jemals Holland oder irgend eine andre Kuͤſte wohlbehalten erreichen moͤch - ten. Der Steuermann war, wie ſchon ge - ſagt, ein Dummbart, welcher der Fuͤhrung eines Schiffes auf einen ſo weiten Weg kei - nesweges gewachſen war. Doch haͤtt es auch beſſer um ſein Wiſſen geſtanden, ſo fehlte esihm273ihm auch zu einem ſolchen, nimmer von ihm zu erwartenden Wageſtuͤck ganz an einem ſeſten Punkte, welchen er bei ſeiner Schiffsrechnung haͤtte zum Grunde legen koͤnnen: denn in der Eile, womit ſeine Abſendung betrieben wurde, war entweder nicht daran gedacht, oder uͤberhaupt fuͤr die kurze Zeit ſeines Dien - ſtes nicht fuͤr noͤthig gehalten worden, ihm unſre zuletzt beobachtete Laͤnge und Breite mitzugeben. Eben ſo wenig fand er dort Jnſtrumente nach hollaͤndiſcher Art, (wie er ſie allein gewohnt war) um die Sonnenhoͤhe zu nehmen; und fielen ihm auch die dort gefuͤhrten Schiffs-Journale und Seekarten in die Haͤnde, ſo |blieben ſie ihm doch eben ſo unnuͤtz zum Gebrauche, da ſie in franzoͤſiſcher Sprache verzeichnet waren. Jmmer alſo ga - ben wir, nicht ohne Kummer, ihn und die Seinen verloren!

Erſt einige Tage nachher klaͤrte ſich we - nigſtens Einiges, was uns an dieſem Schiffe raͤthſelhaft war, um etwas heller auf: aber den voͤlligen Zuſammenhang der Dinge, ſo wie das weitere Schickſal deſſelben, ſollte uns erſt in ſpaͤterer Zeit und auf verſchiedenen Wegen zu einer befriedigenden Kenntniß kom - men. Jene erſten Entdeckungen ergaben ſich uns, als ich zufaͤllig den Schanzloper wieder1. Bändchen. (18)274auf den Leib zog, welchen ich zu jenem Male, da ich auf dem fremden Schiffe geweſen, getragen. Jndem ich nemlich zufaͤllig in die Taſche griff, kamen mir die Briefe wieder in die Haͤnde, welche ich damals zu mir ge - ſteckt hatte, ohne mich Jhrer bis jetzt wieder zu erinnern. Jch eilte mit meinem Fund zu dem Kapitain in die Kajuͤte, und es gab kein Bedenken, die Briefe zu oͤffnen, damit wir einſt, im entſtehenden Falle, um ſo leich - ter von unſerm beſtandenen Abendtheuer Rede und Antwort zu geben vermoͤchten.

Zwar waren dieſe Papiere, wie wir nun - mehr erſahen, franzoͤſiſch abgefaßt, und alſo uns Beiden unverſtaͤndlich: allein wir hatten einen franzoͤſiſchen Matroſen, Namens Joſephe, an Bord, welcher recht huͤbſche Kenntniſſe beſaß undſofort gerufen wurde, um uns als Dollmetſcher zu dienen. So beſtaͤtigte ſich denn unſre fruͤhere Vermuthung, daß das verlaſſene Schiff ein franzoͤſiſches gewe - ſen. Es war von Havre de Grace ausgegan - gen, und zwar nur vier Tage fruͤher, als wir von Goree in See gelaufen. Martinique hatte ſein Beſtimmungsort ſeyn ſollen. Name des Schiffs, ſo wie des Kapitains, ſind mir wieder entfallen; auf die Sache ſelbſt aber werde ich noch weiterhin wieder zuruͤck kommen.

275

Jnzwiſchen befoͤrderten wir unſre Reiſe nach Moͤglichkeit; kamen ins Geſicht von Madera und Teneriffa, paſſirten die Cap - verdiſchen Jnſeln und erblickten am 24ſten December die Kuͤſte von Guinea unter 4 Grad 10 Minuten Noͤrdlicher Breite, liefen anfangs nach der Sierra Leona hinauf, und warfen endlich am 4ten Januar 1772 vor Cap Meſurado den Anker.

Ende des Erſten Theils.

Stettin, gedruckt bei H. G. Effenbart’s Erben.

About this transcription

TextJoachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg
Author Joachim Nettelbeck
Extent292 images; 53238 tokens; 9858 types; 360823 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationJoachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgezeichnet Erstes Bändchen Joachim Nettelbeck. Johann Christian Ludwig Haken (ed.) . VI, 275 S. BrockhausLeipzig1821.

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LanguageGerman
ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; (Auto)biographie; core; ready; china

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