PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Ueber oͤffentliche Kinder-Jnduſtrie-Anſtalten uͤberhaupt, und insbeſondere in Wuͤrttemberg.
Stuttgart, gedruckt beiFriedrich Herre. 1821.
[II][III]

Ueberſicht des Jnhalts.

  • I. Ueber Erziehung, Unterricht, und Beſchaͤftigung der Kinder uͤberhaupt. §.
    • 1) Nothwendigkeit einer zweckmaͤßigen Erziehung der Kinder uͤberhaupt1.
    • 2) Nothwendigkeit der Verhinderung des Muͤßig - gangs und Bettels derſelben2.
    • 3) Unzulaͤnglichkeit der policeylichen Strenge zu Erreichung dieſes Zweckes3.
    • 4) Unzulaͤnglichkeit der wuͤrttembergiſchen Ele - mentar-Schulen4 5.
    • 5) Nothwendigkeit der Verbindung angemeſſener Hand-Arbeiten mit den Kopf-Arbeiten6 11.
  • II. Ueber die Privat-Beſchaͤftigung der Kinder.
    • 1) Zweckmaͤßigkeit derſelben im Allgemeinen12 15.
    • 2) Mangel an ſolcher bey vielen Kindern16 19.
    • 3) Unzulaͤnglichkeit und Zweckwidrigkeit der wirk - lich vorhandenen fuͤr viele Kinder20 22.
  • III. Ueber oͤffentliche Kinder-Jnduſtrie-An - ſtalten.
    • 1) Nothwendigkeit derſelben uͤberhaupt23 25.
    • IV
    • 2) Ueberſicht und Reſultate der in Wuͤrttemberg§. bereits beſtehenden Anſtalten dieſer Art26 30.
    • 3) Nothwendigkeit der Verbeſſerung der bereits beſtehenden und der Einrichtung weiterer Anſtalten dieſer Art31.
    • 4) Mittel zu Beſeitigung der - der Erreichung dieſes Zweckes im Wege ſtehenden Hinderniſſe:
      • A. Zweckmaͤßige Wahl der Beſchaͤftigungs - Gegenſtaͤnde:
        • a) Ueberhaupt32.
        • b) Hand-Arbeiten.
          • aa) Schwerere land - und hauswirth - ſchaftliche Arbeiten33 35.
          • bb) Kunſt-Arbeiten:
            • aaa) Ueberhaupt36 42.
            • bbb) Beſondere Arten ſolcher Ar - beiten43 47.
            • ccc) Anſchaffung des Arbeits-Mate - rials48.
            • ddd) Abſatz der Fabrikate49.
        • c) Jntellectuelle, religioͤſe, und moraliſche Bildung:
          • aa) Ueberhaupt50.
          • bb) Jntellectuelle Bildung51.
          • cc) Religioͤſe Bildung52.
          • dd) Moraliſche Bildung53.
      • B. Aufmunterung der Kinder durch
        • a) Strafen54.
        • b) Belohnungen55.
        • c) Regiſter, Buͤcher, Schulfeſt ꝛc. 56.
      V
      • C. Vermeidung eines nachtheiligen Ein - fluſſes der Jnduſtrie-Schulen§.
        • a) auf den bisherigen Elementar-Schul - unterricht57 60.
        • b) auf die Geſundheit und den Frohſinn der Kinder61.
      • D. Beruͤckſichtigung
        • a) des Alters der Schuͤler62.
        • b) des Geſchlechts derſelben63.
        • c) des Standes der Eltern64 66.
        • d) der Geſchaͤfte der Eltern (in Beziehung auf Unentbehrlichkeit der Beyhuͤlfe ihrer Kinder) 67 69.
        • e) der Armuth der Eltern (in Beziehung auf Schulgeld, Schulbuͤcher, Schreib - materialien, Werkzeuge, Arbeitslohn, Eſſen, Kleidung ꝛc.) 70 72.
      • E. Maßregeln im Falle einer muthwilli - gen Widerſetzlichkeit der Eltern.
        • a) Belehrung, Zuſpruch, Zwang zur Theil - nahme73 75.
        • b) Entfernung der Kinder von den Jhrigen
          • aa) Ueberhaupt76.
          • bb) Unterbringung derſelben in Privat - Koſthaͤuſern77.
          • cc) Unterbringung derſelben in oͤffent - lichen Kinder-Verpflegungs - und Erziehungs-Anſtalten78.
      VI
      • F. Sorge fuͤr Anſchaffung der erforder - lichen§.
        • a) Lehrer79 83.
        • b) Aufſeher84 87.
        • c) Zimmer88 90.
        • d) Geld-Mittel91 100.
      • G. Maßregeln gegen Mangel an Ein - ſicht oder gutem Willen der oͤffent - lichen Behoͤrden101 103.
[1]

§. 1.

Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, zu beobachten, wie tief oft Menſchen, beſonders aus der aͤrmeren Volks - claſſe, in phyſiſcher, moraliſcher, und oͤconomiſcher Hin - ſicht ſinken, und zu welcher aͤrgerlichen, ſchaͤdlichen, und oft beynahe unertraͤglichen Laſt fuͤr die uͤbrige Ge - ſellſchaft ſie werden, wenn ſie in ihrer Jugend entwe - der gar nicht, oder wenigſtens nicht hinlaͤnglich und zweckmaͤßig verſorgt, geleitet, gebildet, unter Aufſicht gehalten, uͤberhaupt erzogen werden; der wird gewiß auch einſehen und zugeſtehen, daß von dem Grade der Zweckmaͤßigkeit und Gewiſſenhaftigkeit der Erziehung der Jugend der kuͤnftige Grad der Vollkommenheit, des Wohlſtandes, und des Gluͤckes nicht nur der einzelnen Jndividuen, aus welchen dieſe Jugend gera[e]beſteht, ſondern auch, da dieſelbe die Grundlage der kuͤnftigen Geſchlechter iſt, ganzer Voͤlker und Staaten in aller Zukunft weſentlich abhaͤngt, daß beſonders auch die Erziehung des Nachwuchſes vom weiblichen G[e]ſchlechte, welches die Wiege und erſte Bildnerinn der Voͤlker iſt, von der hoͤchſten Wichtigkeit ſeyn muß, und daß es daher nicht nur fuͤr die Kinder ſelbſt eine auf ihre ganze Lebenszeit fortwirkende Wohlthat, ſondern auch eine heilige Pflicht aller derjenigen, welche zur Erziehung der Jugend und zur Verwaltung des Staates berufen ſind, iſt, nichts zu verſaͤumen, was dazu dienen kann,12die Kinder, beſonders die Kinder der aͤr - meren Volksclaſſe, auf eine den Beduͤrf - niſſen ihres Standes und ihrer kuͤnftigen Beſtimmung moͤglichſt angemeſſene Weiſe zu erziehen und auszubilden.

§. 2.

Gewiß kann dieſer Zweck nie erreicht werden, wenn die Kinder in ihrer Jugend ohne Aufſicht und Be - ſchaͤftigung dem Muͤßiggange uͤberlaſſen werden. Die lange Weile verleitet ſie zu allen moͤg - lichen Verirrungen, Fehltritten, und Laſtern, und waͤh - rend alſo der Muͤßiggang fuͤr ſie ſelbſt ſittenverderblich iſt, wird er zugleich fuͤr Andere, z. B. fuͤr die Be - ſitzer der Waldungen und Felder, in welchen ſie dann gewoͤhnlich umherſtreifen, und allen moͤglichen Unfug ausuͤben, in hohem Grade laͤſtig und ſchaͤdlich. Am gefaͤhrlichſten jedoch iſt er fuͤr die Kinder der aͤrmeren Volksclaſſe, indem er bey dieſen zugleich das Umher - laufen auf dem Bettel beguͤnſtigt, wozu ſie ohnehin ſo leicht theils durch Mangel an hinlaͤnglicher Nahrung zu Hauſe, theils durch das ſchlimme Bey - ſpiel der herumziehenden fremden Bettler verleitet, ja oft durch ihre Eltern ſelbſt angewieſen, und angehal - ten, und durch das uͤbel angebrachte Mitleiden man - cher Vermoͤglicheren ermuntert werden. Welche[n]unſeligen Einfluß aͤußert aber der Bettel nicht auf die demſelben ergebenen Kinder! Dem religi[]ſen, ſittlichen, und intellectuellen Unterichte und aller Aufſicht entzo - gen, bleiben Religion, Sittlichkeit, Ordnung, und Jn - duſtrie ihnen fremd, der Hang zum Muͤßiggang und einem leichtſinnigen, unſteten, und ungebundenen Le - ben wurzelt immer tiefer bey ihnen ein, ſie werden3 ungenuͤgſam und verſchwenderiſch, und es iſt Thatſache, daß man unter den armen Kindern oft ſolche antrifft, welche durch ihr Umherziehen auf dem Bettel bereits in Ausſchweifungen und Laſter eingeweyht ſind, die ſonſt doch wenigſtens dieſem Alter noch fremd bleiben, welche ſchon betruͤgen und ſtehlen, und in den Jahren, wo ſie eigentlich erſt in die buͤrgerliche Geſellſchaft ein - treten, und derſelben nuͤtzlich zu werden beginnen ſoll - ten, bereits als junge Verbrecher von einer Straf-An - ſtalt in die andere wandern. Einen ſo verwahrloß - ten, rohen, ſittenloßen, phyſiſch - und moraliſch-verdor - benen Bettel-Knaben nimmt dann, wann er zum Juͤngling heranwaͤchst, weder ein Handwerker leicht zum Lehrling, noch kann ihn der Landwirth zu den einige Anſtrengung erfordernden Geſchaͤften ſeines Be - rufs gebrauchen, und findet auch er, oder ein Bettel - Maͤdchen als Magd, irgendwo einen Dienſt, ſo halten ſie ſelten lange in demſelben aus, ſondern ſetzen nach einiger Zeit wieder ihr fruͤheres Nomadenleben fort. Ueberhaupt kehrt derjenige, der ſich einmal in dieſer un - ſeligen Laufbahn verſucht, und an den Muͤßiggang und Bettel einige Zeit hindurch gewoͤhnt hat, nicht leicht wieder zu einem ordentlichen und arbeitſamen Leben zuruͤck. Der erſte Schritt zum Bettel haͤlt ſchwer, aber iſt dieſer Schritt einmal gethan, ſo iſt der Menſch mit einem der unheilbarſten Uebel behaftet. Alle Luſt zur Arbeit und Anſtrengung, aller Fleiß, alle Spar - ſamkeit, Genuͤgſamkeit, Ordnungsliebe, Vorſicht, und der letzte Funken von Character und Ehrgefuͤhl gehen verloren, und ſo bleibt denn der maͤnnliche Bettler ge - woͤhnlich ſeine ganz Lebenszeit hindurch nicht nur Bett - ler, Muͤßiggaͤnger, und Verſchwender, ſondern gewoͤhn - lich auch Verbrecher, die Bettlerinn aber waͤhlt oft den[1]*4ſchaͤndlichen Beruf einer feilen Luſtdirne, gebiert dem Staate wieder Bettler, oder wandert, getroffen von dem Fluche des Laſters, mit ſchrecklichen Krankheiten behaftet, bis zu ihrem Tode als ein Scheuſal fuͤr die menſchliche Geſellſchaft umher.

§. 3.

Manche Orts-Vorſteher verſichern zwar, daß aus ihrem Orte kein Kind dem Betteln nachgehe; an ſehr vielen anderen Orten hingegen iſt beſtimmt das Gegentheil der Fall. Das einfachſte Mittel, dieſen Unfug abzuſtellen, waͤre freylich, wenn die Ver - moͤglicheren ſich entſchloͤßen und vereinigten, keinem Bettler, und beſonders keinem bettelnden Kinde mehr ein Allmoſen abzureichen, und es hat auch bisher nicht an Aufforderungen hiezu gefehlt; allein alle dieſe Aufforderungen haben keine ſolche Ver - einigung zu Stande gebracht, und werden dieſelbe wohl auch nie zu Stande bringen. Viele ſind zwar der Meinung, durch ſtrenge Polizey-Verord - nungen gegen die Bettler und ernſtliche Handhabung derſelben laſſe ſich das Uebel heben; allein alle bis - herigen Verſuche und Erfahrungen beweiſen das Ge - gentheil, und es iſt eine in neueren Zeiten beynahe allgemein anerkannte und laut ausgeſprochene, durch vielſeitige Erfahrungen erprobte Wahrheit, daß, beſon - ders wenn auch vollends, wie dieß im Jahre 1817. der Fall war, andere Neben-Umſtaͤnde den Bettel zu entſchuldigen ſcheinen oder ſonſt beguͤnſtigen, alle bloß negativen Polizey-Mittel nicht hinreichend ſind, die Kinder vom Muͤßiggang und Bettel abzuhalten, wenn nicht zugleich auch moͤglichſt anhaltende Aufſicht und5 Beſchaͤftigung ſaͤmmtlicher, und beſonders der aͤrmeren Kinder, damit verbunden werden. *)Nach der Wuͤrttembergiſchen Cynosura ecclesiastica S. 440. heißt es ſchon in Reſcripten von 1562 u. 1573. Das Allmoſen ſoll man den Hausarmen austheilen, und ihre Kinder zur Arbeit anhalten , und in der Wuͤrttembergiſchen Kaſten-Ordnung von 1615. S. 333. Armen vaterloſen Waiſen ſoll man zu Handwerken, Schulen, zur Ehre und Haushaltung, mit hoͤchſtem Fleiß verhelfen.

§. 4.

Ein bedeutender Schritt zu Erreichung dieſes Zweckes iſt nun freylich in Wuͤrttemberg bereits da - durch geſchehen, daß jedes auch noch ſo kleine Dorf ſeine eigene Elementar-Schule beſizt, und in der Regel jedes Kind angehalten wird, des Winters alle Tage (mit alleiniger Ausnahme woͤchentlicher 2 halben Taͤge, an welchen Vacanz iſt) 6 Stunden, und des Sommers alle Tage, oder wenigſtens je um den an - deren Tag, 2 Stunden in einer ſolchen Schule zuzu - bringen, ohne das Hin - und Hergehen, welches zum Theil wegen weiter Entfernung der Schule von der Wohnung und dem Wohnorte ziemlich viele Zeit er - fordert. An manchem Orte wird auch, wenigſtens von einzelnen Eltern und Lehrern, dafuͤr geſorgt, daß ſie einen Theil ihrer uͤbrigen Zeit mit Nachleſen der in der Schule vorgetragenen Lehr-Gegenſtaͤnde, mit Aus - wendiglernen deſſen, was ihnen aufgegeben wurde, und mit Fertigung einer Schrift und anderer Aufga - ben fuͤr den anderen Tag nuͤtzlich zubringen; auch der Confirmations-Unterricht und der Beſuch des kirchlichen6 Gottesdienſtes fuͤllt bey den groͤßeren Kindern manche Stunde aus; und mancher Knabe, beſonders in Staͤd - ten, welcher zum Gelehrten, Geiſtlichen, Geſchaͤfts - mann ꝛc. beſtimmt iſt, wird oft beynahe den ganzen Tag hindurch auf dieſe Art von ſeinen Lehrern und Eltern auf eine ihm nuͤtzliche Weiſe beſchaͤftigt.

Wirklich iſt auch ein zweckmaͤßiger und fleißiger Schul-Unterricht eines der vorzuͤglichſten und nothwen - digſten Mittel zu Abhaltung der Kinder vom Muͤßig - gang und Bettel, und zu guter Erziehung und Bil - dung der Jugend, wirklich ſind die Elementar-Kennt - niſſe, welche derſelben in den Wuͤrttembergiſchen Dorf - ſchulen gewoͤhnlich beygebracht werden, nahmentlich Religion, Leſen, Schreiben, Rechnen ꝛc. zu Erreichung dieſes Zweckes hoͤchſtnothwendig und befoͤrderlich, und die bedeutenden Fortſchritte, welche die Paͤdagogik in dieſer Beziehung in neuern Zeiten gemacht hat, ſind nicht zu verkennen.

Gewiß wuͤrden auch manche Kinder freywillig ihr Brod nicht mehr, wie bisher, vor fremder Thuͤre, und in weit entlegenen beſſeren Ortſchaften erbetteln, wenn ſie oder ihre Eltern ſich nur uͤberzeugen koͤnnten, daß ſie bey dem Zuhauſebleiben und dem Beſuche der Schule beſſer verſorgt waͤren.

§. 5.

Allein doch nicht alle Orte ohne Ausnahme haben in Wuͤrttemberg eine eigene Schule, und beſonders fehlt dieſelbe oft den kleinen Weilern und einzelnen Hoͤfen. Auch da, wo wirklich Schulen vorhanden ſind, wird nicht uͤberall von den Leh - rern und Eltern mit gleicher Strenge auf fleißige Beſuchung der Schule und Ferti -7 gung der Aufgaben fuͤr dieſelbe geſehen, das Hin - und Hergehen in die weiter vom Hauſe und Orte entfernten Schulen ſelbſt gibt den Kindern zum Theil Gelegenheit und Veranlaſſung zum Betteln, und ſelbſt den angeſtrengteſten Bemuͤhungen der Leh - rer, Schul-Jnſpektoren und Geiſtlichen iſt es noch nicht uͤberall gelungen, den regelmaͤßigen Beſuch der Kirchen und Schulen zu Stande zu bringen, vielmehr beſuchen manche Kinder im ganzen Jahre kaum 4 bis 6 Wochen lang die Schule, und ziehen die uͤbrige Zeit des Jahres hindurch dem Bettel nach.

Ueberhaupt fuͤllt der gewoͤhnliche oͤffent - liche Gottesdienſt und Schul-Unterricht, wenn er auch noch ſo regelmaͤßig beſucht wird, und die Ausarbeitung der ſich darauf beziehenden Aufgaben, noch lange nicht uͤberall die ganze Zeit der Kinder aus.

Mit den Gegenſtaͤnden des bisher ge - woͤhnlichen Schul-Unterrichts koͤnnen und duͤrfen aber die uͤbrigen Stunden durchaus nicht bey jedem Kinde ausgefuͤllt werden. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat man ſchon fruͤ - her den Wuͤrttembergiſchen Schul-Anſtalten den Vor - wurf gemacht, daß ſie zu einſeitig ſeyen, indem darin allzuſehr auf die Bildung zu Gelehrten, Geſchaͤfts - maͤnnern und Kuͤnſtlern gedrungen, und dagegen die Bildung der Kinder, beſonders der aͤrmeren Kinder, zu guten Handwerkern, Bauern, Tagloͤhnern und Dienſtboten vernachlaͤßigt werde. Aller Unterricht und jede Beſchaͤftigung muß dem Stande und der kuͤnftigen Beſtimmung der Kinder angemeſſen ſeyn, und die Kinder ſelbſt, oder wenigſtens ihre Eltern und Lehrer muͤſſen einſehen und ſich uͤberzeugen koͤnnen,8 daß ihnen ihr Lernen und Arbeiten, waͤre es auch nicht im Augenblicke, doch wenigſtens in Zukunft, zu etwas nuͤtze ſeyn werde. Offenbar ſind aber die Stun - den, welche bisher gewoͤhnlich auf den Schul-Unter - richt verwendet worden ſind, hinreichend, um dem kuͤnftigen Dienſtboten, Tagloͤhner und Bauern ſo viele moraliſche und intellectuelle Kenntniſſe beyzubringen, als er zu Erfuͤllung ſeines kuͤnftigen Berufs bedarf, und die Vermehrung dieſer Stunden wuͤrde alſo nicht nur den Kindern, Eltern und Lehrern als eine un - noͤthige Plage erſcheinen, und ihnen die Luſt zur Theil - nahme ſelbſt an den nothwendigen Unterrichtsſtunden benehmen, ſondern gewiß waͤre auch das immerwaͤh - rende Sitzen und Kopfarbeiten, und das immerwaͤh - rende Einerley, der koͤrperlichen Ausbildung der Kin - der, welche doch dem Landvolke, beſonders den Dienſt - boten, Tagloͤhnern, Bauern und Handwerkern ſo ganz unentbehrlich iſt, ſehr hinderlich, uͤberhaupt der Ge - ſundheit der Kinder nicht zutraͤglich.

§. 6.

Jndeſſen gibt es ja Unterrichts - und Beſchaͤfti - gungs-Gegenſtaͤnde genug, von deren Nutzen und Nothwendigkeit nicht nur die Lehrer, Eltern und Kin - der ſich eher uͤberzeugen wuͤrden, ſondern deren Erler - nung und Betreibung auch wirklich fuͤr die lezteren oft ſehr nuͤtzlich und ſogar hoͤchſtnothwendig waͤren. Zu Gegenſtaͤnden dieſer Art gehoͤren hauptſaͤchlich Hand - Arbeiten.

§. 7.

Kein Handwerker nimmt gerne einen Knaben in die Lehre, und niemand dingt gerne einen Knecht9 oder eine Magd, welche nicht bereits gewiſſe Handar - beiten verſtehen, ſich Geſchicklichkeit zu Treibung ſol - cher Arbeiten erworben, und ſich an anhaltendes und fleißiges Arbeiten gewoͤhnt haben, wo im Gegentheil junge Leute, welche dieſe Eigenſchaften bereits beſitzen, auch vorzugsweiſe uͤberall geſucht, und beſſer als andere behandelt und bezahlt werden. Und wie ſchlimm iſt es, wenn ein Lehrling bey einem Handwerk, ein reiſender Handwerks-Geſelle, ein Bauernknecht ꝛc. ſich nicht einmal einen Knopf an ein Kleidungsſtuͤck feſt - naͤhen, wenn eine Dienſtmagd nicht einmal ihre Struͤm - pfe ſelbſt ſtricken, ihre Kleidungsſtuͤcke, wenn ſie zerriſ - ſen ſind, ſelbſt ausbeſſern, ſich zu ihrem Putz, auf welchen doch jede in ihrer Art ſo ſehr ſieht, wenigſtens Einiges ſelbſt machen, an ihrer dereinſtigen Ausſteuer etwas vorbereiten kann!

§. 8.

Waͤhrend der Dienſtzeit ſelbſt finden ſie dann ge - woͤhnlich keine Zeit und Gelegenheit mehr, ſie haben auch nicht mehr ſo, wie in juͤngeren Jahren die Ge - lenkigkeit und Gewandtheit, um ſich Fertigkeiten dieſer Art zu erwerben. Wer wird aber ein ſo ungeſchicktes Maͤdchen gerne zur Frau nehmen! Und welche Nach - theile entſtehen nicht daraus, wenn ſie es auch wirklich bis zum Eheſtand und zu einer eigenen Haushaltung bringt! Wie gut waͤre es, wenn ſie als Hausmutter mit ihren Leuten ihren Flachs, ihren Hanf, ihre Wolle ſelbſt verſpinnen, die Struͤmpfe fuͤr die Familie ſelbſt ſtricken, die fuͤr dieſelbe erforderliche Leinwand ſelbſt weben und bleichen, das Leib - und Bett-Weißzeug ſelbſt verfertigen und waſchen, die zerriſſenen Kleidungs - und Bettſtuͤcke ſelbſt ausbeſſern, und ſich dadurch nicht10 nur manche Ausgabe, die ihr nun wehe thut, erſpa - ren, oder den Lohn, den ſie nun Fremden bezahlen muß, und vielleicht kaum aufzutreiben vermag, in Stun - den ſelbſt verdienen koͤnnte, in welchen ſie ihre Leute doch bezahlen und unterhalten, Licht brennen, und das Zimmer waͤrmen muß, und welche ſie außerdem vor langer Weile kaum auszufuͤllen, oder wenigſtens in kei - nem Falle eben ſo nuͤtzlich zu verwenden weiß, waͤhrend ſie zugleich bey der Selbſtverarbeitung eine weit dauer - haftere ihren Verhaͤltniſſen und Beduͤrfniſſen ange - meſſenere Waare erhielte, als gewoͤhnlich diejenige iſt, welche man durch Fremde machen laͤßt, oder Kaufs - weiſe von ihnen erhaͤlt, beſonders wenn man nicht ein - mal, was bey dergleichen ungeſchickten Hausmuͤttern uͤberdieß der Fall iſt, die Waare gehoͤrig zu beurtheilen verſteht. Solche Weiber gehen dann oft, um eine Ausgabe dieſer Art zu erſparen, oder weil ſie das Geld dazu nicht aufzutreiben wiſſen, mit ihren Kindern lieber in unreinlichen und zerriſſenen Kleidern umher, und werden dadurch zuletzt dem Manne gleichguͤltig oder gar zum Eckel. Und koͤnnen ſie auch vollends nicht einmal die allereinfachſten und nothwendigſten Speiſen kochen, wie es der Brauch iſt, ſo ſucht der Mann außer dem Hauſe zu erhalten, was ihm zu Hauſe ſeine Kuͤche verſagt, geht in das Wirthshaus, verzehrt dort ſein Geld, betrinkt ſich wohl auch, und mißhandelt dann, wennn er nach Hauſe kommt, Frau und Kinder. Ueberdieß werden, wenn die Mutter dergleichen Ar - beiten nicht verſteht, auch die Toͤchter darin nicht un - terrichtet und geuͤbt, auch die Huͤlfe, welche dieſe ihr in ihrem Hausweſen leiſten koͤnnten, geht verloren, und auch ſie und ihre Nachkommen werden ſo unwiſſend und ungluͤcklich, als ihre Mutter war.

11

§. 9.

Wie gut waͤre es auch fuͤr manchen Hausvater, wenn er zuweilen eine kleine Arbeit, wofuͤr er außerdem Geld ausgeben muß, in muͤßigen Stunden ſelbſt ver - fertigen koͤnnte! Wie gut waͤre es, wenn Fami - lien, welche wenige oder gar keine Guͤter oder ſonſti - ges Vermoͤgen haben, wenn Profeſſioniſten, wie z. B. Jpſer, Maurer, Zimmerleute ꝛc., welche in der Regel im Winter auf ihrem Handwerk keine Arbeit fin - den, oder wenn erwachſene unverheirathete, beſonders wenn am Koͤrper gebrechliche oder ſonſt zu ſchwerer Arbeit untaugliche Perſonen, oder wenn unbemittelte Juͤnglinge, welche fuͤr den Militaͤrdienſt ausgehoben wurden, und, wenn ſie in Garniſon liegen, ſo manche vom Dienſte freye Stunde haben, in ihrer Jugend eine oder einige Handarbeiten gelernt haͤtten und verſtuͤnden, wo - durch ſie vor den unvermeidlichen Folgen des Muͤßig - gangs verwahrt, und in den Stand geſetzt wuͤrden, ſich etwas zu verdienen, hiedurch ſich vor Mangel und Elend zu ſchuͤtzen, und die noͤthigſten Lebens-Beduͤrf - niſſe zu verſchaffen, oder durch eine ſolche Zulage zu ihrem ordentlichen Einkommen ihre Lage ertraͤglicher und angenehmer zu machen.

§. 10.

Ueberhaupt iſt den Kindern damit noch nicht immer ganz geholfen, wenn ihnen Kenntniſſe beygebracht wer - den, durch deren Anwendung ſie ſich in ſpaͤteren Jahren ihr Brod verdienen koͤnnen; nicht ſelten waͤre es hoͤchſt wohlthaͤtig, wenn ſie ſchon als Kinder ge - wiſſe Handarbeiten betreiben koͤnnten, oft nicht ſowohl, um ihre eigene Lage dadurch zu verbeſſern,12 und um ſo eher vom Hinauslaufen auf den Bettel ab - gehalten zu werden, als vielmehr, um ihre Eltern bey ihren haͤuslichen Geſchaͤften unter - ſtuͤtzen, oder durch dergleichen Arbeiten etwas erwer ben, und hiedurch zu Erhaltung armer Eltern oder Geſchwiſter etwas beytragen zu koͤnnen.

§. 11.

Das Geſagte wird gewiß hinreichend ſeyn, um zu beweiſen, daß nothwendig, wo nicht alle, doch we - nigſtens diejenigen Kinder beyderley Geſchlechts, bey denen es wahrſcheinlich iſt, daß ſie jetzt oder in Zukunft nur durch ihrer Haͤnde Arbeit ſich werden er - naͤhren, und nuͤtzliche Mitglieder der buͤrgerlichen Ge - ſellſchaft werden koͤnnen, daß alſo vorzuͤglich auch die aͤrmeren Kinder, ſobald ihre Geiſtes - und koͤrperlichen Kraͤfte es erlauben, nicht nur in nuͤtzlichen ihrem Stan - de und kuͤnftige[n]Berufe und Fortkommen moͤglichſt angemeſſenen Hand-Arbeiten unterrichtet, ge - uͤbt, und ausgebildet, und dadurch zugleich auch fuͤr leichtere Erlernung und Treibung anderer Hand - arbeiten geſchickter und fertiger gemacht und abgehaͤrtet, ſondern auch, ſo viel es ohne Ab - bruch des nothwendigen moraliſchen und intellectuellen Unterrichts und ohne Nachtheil fuͤr ihre Geſundheit geſchehen kann, an anhaltende Thaͤtigkeit und Arbeit auf eine ſolche Weiſe gewoͤhnt werden ſoll - ten, daß wirkliche Arbeitſamkeit, d. h. Trieb, Luſt, Neigung, Sinn, Liebe, Freude zur Ar - beit, daß eigener Gewerbfleiß, eigene Jnduſtrie in ihnen erwachte, daß ſie den Werth der Zeit einſe - hen lernten, daß es ihnen eigentlich zur anderen Na - tur wuͤrde, ihre ganze Zeit und Kraft nur zu ihrem13 eigenen und anderer Nutzen zu verwenden, und daß ſie ſich ſchaͤmten, einen Biſſen Brod zu eſſen, welchen ſie nicht ihrer eigenen rechtlichen Thaͤtigkeit zu verdan - ken haͤtten.

§. 12.

Zu Erreichung dieſes Zweckes tragen nun freylich viele, vielleicht die meiſten, beſonders die recht - ſchaffenen und fuͤr das Wohl der Kinder be - ſorgten Eltern, Verwandte und Pfleger von ſelbſt das Jhrige bey, indem ſie die Kinder in denjenigen Stunden, welche ihnen der Beſuch der Schulen, und die Fertigung der ihnen in dieſen ge - machten Aufgaben uͤbrig laͤßt, nach Maßgabe der Jahrszeit und Localitaͤt, zu den gewoͤhnlichſten und nothwendigſten Hand-Arbeiten ihres Standes und kuͤnf - tigen Berufs, ſowohl im Felde als zu Hauſe, ſelbſt anleiten und unter ihrer eigenen Aufſicht anhalten, und ſie auf dieſe Art wirklich vor dem Muͤßiggang und Bettel bewahren, und an Arbeitſamkeit und anhaltende Thaͤtigkeit gewoͤhnen.

§. 13.

So muͤſſen z. B. die Kinder ſolcher Eltern, deren Haupt-Nahrungszweig Feldbau und Viehzucht, uͤberhaupt die Landwirthſchaft iſt, dieſelbe bey den hiezu gehoͤrigen Geſchaͤften, nahmentlich bey dem Bauen und Beſſern ihrer Weinberge, Gaͤr - ten, Wieſen, Aecker, bey der Obſtbaumzucht, und bey Einheimſung des Ertrags unterſtuͤtzen, das Getreide austreſchen, uͤberhaupt die ge - wonnenen Produkte verarbeiten helfen, muͤſſen Futter, Eicheln, Buͤcheln, Laub und Streue fuͤr das14 Vieh holen, daſſelbe fuͤttern, traͤnken, die Staͤlle reinigen, das Gefluͤgel und Vieh (beſonders wo die Markungen aus einzelnen Hoͤfen beſtehen) in Feldern und Waͤldern huͤten, das Holz im Walde aufmachen und herbeyſchaffen helfen, Holz tragen, Wacht - Jagd - und andere Frohnen und Botengaͤnge verrichten, und waͤh - rend die aͤlteren Perſonen dem Feldgeſchaͤfte nachgehen, juͤngere Kinder huͤten, und ihnen warten und pflegen. Kinder aͤrmerer Eltern muͤſſen, beſonders in holzarmen Gegenden, Dornbuͤſchel und anderes duͤrres Holz (Doͤrrhoͤlzer, Brockholz) in den Waͤldern ſammeln und einbringen, auf den bey der Ernte abgeleerten Feldern die zuruͤckgebliebe - nen Aehren, Kartoffeln ꝛc. ableſen, Heidel - beere, Himbeere, Wachholder - und andere Beere, Kraͤuter fuͤr die Apotheker, Acker - ſalat, und andere Gewaͤchſe auf den Ver - kauf ſammeln, Sand graben, und dergl. Manche werden wohl auch von ihren Eltern bey ihren Handwerks - und Profeſſions-Arbeiten be - ſchaͤftigt, und zum Flachs - Hanf - Wolle - Baum - wolle - und Seide-Spinnen, Spulen, Stri - cken, Naͤhen, Sticken ꝛc. angehalten. An eini - gen Orten muͤſſen ſie auch Beſen, Schindeln, Rechen, Strohgabeln und andere dergleichen Holzwaaren verfertigen.

§. 14.

Dieſe Arbeiten beſchaͤftigen beyde Geſchlechter, ſowohl Knaben als Maͤdchen, denn zu den Feldgeſchaͤften, zum Viehhuͤten, zum Holzſammeln und Tragen, zum Dungfuͤhren, zum Treſchen, und15 zu den Profeſſions - und Holzarbeiten werden haupt - ſaͤchlich die Knaben, zum Gaͤnſehuͤten, zur Aufſicht uͤber kleine Kinder, zum Spinnen, Stricken, Naͤhen ꝛc. die Maͤdchen gebraucht; ja es gibt Orte, wo die Knaben ſo gut als die Maͤdchen zum Spinnen und dergleichen Arbeiten angehalten werden.

§. 15.

Auch werden die Kinder oft ſchon in dem zaͤrte - ſten Alter, ſobald ſie nur einigermaßen Haͤnde und Fuͤße zu gebrauchen im Stande und arbeitsfaͤhig ſind, (zum Spulen z. B. ſchon vom 5ten oder 6ten Jahre an, zum Spinnen, ſobald ſie nur eine Spindel regie - ren koͤnnen, zum Viehhuͤten vom 6ten und 8ten Jahre an, zum Treſchen und Beſorgen des Viehes im Stalle vom 8ten bis 9ten Jahre an, und zu Feld-Arbeiten, ſobald ſie nur einigermaßen erſtarkt ſind, vom 10 bis 12ten Jahre an, ) und zwar bis ſie aus der Schule kommen, und ſich zu einem Handwerk oder in Knechts - oder Magddienſte begeben koͤnnen, zu allen Arbeiten, denen ſie gewach[ſ]en ſind, und ſo ſtrenge, als nur immer Kraͤfte und Zeit es ihnen ge - ſtatten, angehalten.

§. 16.

Allein leider gibt es ja auch ſchlechte Eltern, Verwandte, und Pfleger, welche es aus Nach - laͤßigkeit, Geiz, oder anderen verwerflichen Urſachen verſaͤumen, die Kinder gehoͤrig zu beſchaͤftigen. Manche glauben zwar durch obrigkeitliche Auf - ſicht und Strenge koͤnnen auch dieſe dazu angehal - ten werden, ihre Pflicht zu erfuͤllen, und wirklich wird von vielen gemeinſchaftlichen Oberaͤmtern und Ober -16 amtsleitungen des Wohlthaͤtigkeits-Vereins in ihren Berichten behauptet, die Kirchen-Convente, die Ortsleitungen des Wohlthaͤtigkeits-Ver - eins, und andere Ortsbehoͤrden wiſſen ſich durch genaue - auf die Einzelnen ſich erſtreckende, Aufmerk - ſamkeit, Aufſicht, und Wachſamkeit auf das Thun und Laſſen der armen Kinder und Eltern, beſonders in Orten, wo die geiſtlichen und weltlichen Vorſteher Sinn fuͤr die Sache haben, und zwar ſelbſt in Orten, welche viele arme Kinder zaͤhlen, ſtets zu verſichern, daß alle Kinder ohne Ausnahme beſtaͤndig auf eine ih - ren Faͤhigkeiten und Kraͤften angemrſſene, nuͤtzliche Weiſe beſchaͤftigt, dadurch von dem Muͤßiggang und Bettel, und einem unordentlichen und unſittlichen Le - ben abgehalten, und uͤberhaupt ihrer kuͤnftigen Beſtim - mung gemaͤß erzogen und ausgebildet werden. An einigen Orten wird zu dieſem Ende von Zeit zu Zeit der Jnnwohnerſchaft genaue Aufſicht uͤber das Thun und Laſſen der Kinder empfohlen, und die Localleitun - gen laſſen von Zeit zu Zeit durch weibliche ſowohl als maͤnnliche Mitglieder aus ihrer Mitte, beſonders durch diejenige, welchen zum Theil ohnehin die ſpeciellere Aufſicht uͤber die einzelnen Armen uͤbertragen iſt, bey den Armenfamilien, und vorzuͤglich bey ſolchen, welche im Verdachte ſtehen, daß ſie es an gehoͤriger Beſchaͤf - tigung der Kinder fehlen laſſen, nachſehen. Dieſe Mitglieder zeigen dann jeden Mangel an gehoͤriger Beſchaͤftigung derſelben ſogleich dem Kirchen-Convente oder der Localleitung an, die betreffenden Perſonen werden vorgeladen, ermahnt, geſtraft, kurz, es wird nichts verſaͤumt, ſondern jedes dienliche Mittel ange - wendet, um die Saumſeligen zu gehoͤriger Beſchaͤftigung ihrer Kinder anzuhalten.

17

§. 17.

Allein an vielen Orten ſind die Mitglieder der Localleitungen und Kirchen-Convente ſo in - dolent, und haben ſo wenig guten Willen, daß ſie kaum zu einer Sitzung zu bringen, geſchweige denn ein ſo unangenehmes und undankbares Geſchaͤfte, wie die Aufſicht uͤber die Beſchaͤftigung der armen Familien und Kinder, zu uͤbernehmen geneigt ſind, indem ſie wohl wiſſen, daß mancher, in deſſen Hauſe ſie etwa nachſehen wollten, dieß fuͤr einen Eingriff in ſeine Haus - und Eltern-Rechte anſehen, und ihre Sorgfalt durch Grobheiten, wohl auch durch Schmaͤhen und Schimpfen erwiedern wuͤrde. Selbſt wenn es ihnen auch an gutem Willen nicht fehlt, ſo haben ſie wenig - ſtens nicht immer Kraft und Beharrlichkeit genug, in - dem ſie ſich nur gar zu leicht, wenn irgend ein Hin - derniß oder eine Schwierigkeit ſich entgegenſtellt, wie - der abſchrecken laſſen. Haben auch einzelne Mit - glieder der Localleitungen zuweilen ſowohl guten Willen als Kraft genug, ſo wird ihre Thaͤtigkeit nicht ſelten durch den Mangel an Theilnahme der uͤbrigen Mit - glieder geſtoͤrt und gelaͤhmt.

Wirklich iſt auch die Zahl dieſer Mitglieder gewoͤhn - lich zu klein, um ein Geſchaͤfte dieſer Art ſo vertheilen zu koͤnnen, daß es fuͤr jeden Einzelnen nicht zu laͤſtig waͤre; gewoͤhnlich beſtehen ſie aus den aͤlteſten Rich - tern, welche oft ſchon zu ſchwach an Kraͤften fuͤr ein ſolches Geſchaͤfte ſind; oder ſie haben mit ihrem eige - nen Feldbau oder ſonſtigen Gewerbe bereits ſo viel zu thun, daß ihnen keine Zeit zu einem Nebengeſchaͤfte uͤbrig bleibt. Mehrere Localleitungen halten ſich auch nicht fuͤr befugt zu einer ſolchen Aufſicht.

218

§. 18.

Als Verbeſſerung dieſer Einrichtung iſt zwar vor - geſchlagen worden, jeder Ort von einigem Belang ſollte in gewiſſe Bezirke, zu ungefaͤhr 15 bis 20 Fami - lien auf jeden, abgetheilt, und einem gutge - ſinnten Hausvater daraus, der einiges Anſehen haͤtte, die Aufſicht uͤber ſaͤmmtliche Arme eines ſol - chen Bezirks uͤbergeben werden; zur Erleichterung ſollten dieſe Bezirks-Aufſeher abwechſeln, und etwa, ſo lange ſie in Function waͤren; perſonalfrey ſeyn. An anderen Orten iſt den Ortsvorſtehern, Schul - lehrern, und Policeydienern eine ſolche Aufſicht zur beſonderen Pflicht gemacht; und wieder an an - deren Orten, beſonders in ſolchen, welche eine bedeu - tende Anzahl armer Kinder haben, ſind eigene Auf - ſeher fuͤr die armen Kinder aufgeſtellt. Allein auch dieſe Aufſeher, wozu ohnehin oft ſchwer ganz taugliche Maͤnner zu finden ſeyn duͤrften, wuͤrden wohl aus aͤhn - lichen Gruͤnden, wie die Kirchen-Convente und Local - leitungen, gewoͤhnlich zu ſchuͤchtern ſeyn, ihren Beruf gehoͤrig zu erfuͤllen, beſonders wenn nicht zugleich der geiſtliche und weltliche Ortsvorſteher, mit welchen ſie ohnehin in beſtaͤndiger Communication ſtehen muͤßten, thaͤtig eingriffen, und ſie mit Kraft und Beharrlichkeit in ihrem Berufe unterſtuͤtzten. Jn vielen Orten wohnt aber nicht einmal ein Geiſtlicher, und mancher Geiſtliche hat ſelbſt nicht guten Willen, Kraft und Ge - ſchicklichkeit genug, um ſich einem Geſchaͤfte zu unter - ziehen, von dem er keine andere Belohnung, als das Bewußtſeyn treuer Berufs-Erfuͤllung vor ſich ſieht. Es gibt zwar auch recht viele wuͤrdige Geiſtliche, welche ihrem erhabenen Berufe folgend, mit Einſicht, Muth, und Kraft dieſem edeln Zwecke nachſtreben wuͤrden,19 wenn ſie von den weltlichen Gemeinde-Vorſtehern Un - terſtuͤtzung zu hoffen haͤtten. Allein dieſe Leute legen oft, am Alten haͤngend, und jeder neuen Einrich - tung feind, weit entfernt, die guten Zwecke zu be - foͤrdern, denſelben vielmehr noch Hinderniſſe in den Weg, und halten dadurch ihren Pfarrer, der oft von der Gemeinde ſehr abhaͤngig iſt, von der ernſtlichen Verfolgung des Zweckes ab. Ueberdieß wuͤrden einer ſolchen Aufſicht die zerſtreute Lage der Weiler, Hoͤfe, und Haͤuſer, und der Tummel-Plaͤtze der Kinder in manchen Gegenden beynahe unuͤberwindliche Hinder - niſſe in den Weg legen, und ſehr oft waͤre es dem Aufſeher unmoͤglich zu unterſcheiden, was eigentlicher Muͤßiggang, oder aber nothwendige und billige Erhoh - lung der Kinder ſey. Die Aufſicht uͤber die Be - ſchaͤftigung derſelben auf die vorgeſchlagene Art wuͤrde alſo wohl in den meiſten Faͤllen, beſonders in groͤße - ren Orten, wo nicht ganz unausfuͤhrbar, doch wenig - ſtens ſehr ſchwer, und nicht ohne große Koſten, zu be - werkſtelligen, und in jedem Falle hoͤchſt unvollkommen ſeyn.

§. 19.

Ueberhaupt fehlt es nicht immer bloß an dem gu - ten Willen der Eltern, Verwandten, und Pfleger, den Kindern Beſchaͤftigung zu verſchaffen, vielmehr gebricht es wirklich manchem bey dem beſten Willen oft an Anleitung und Gelegenheit zu einer angemeſ - ſenen Beſchaͤftigung, ſo wenig es auch anderen viel - leicht hieran fehlen mag. Der Arme, der Duͤrftige, der Unvermoͤgliche, uͤberhaupt der Unbeguͤterte z. B. hat keine Feldguͤter, keinen Viehſtand, wo - mit er ſeine Kinder nuͤtzlich beſchaͤftigen2 *20koͤnnte. Mancher arme Mann findet zwar als Tag - loͤhner Gelegenheit zu ſolchen Geſchaͤften, aber mei - ſtens beſchraͤnkt ſich dieß nur auf ſeine eigene Perſon, und nicht zugleich auch auf ſeine Kinder, und an man - chem Orte fehlt es, wenigſtens zu mancher Zeit, dem Familienvater ſelbſt an Gelegenheit, im Taglohn zu arbeiten. Manche Eltern koͤnnen auch, um nicht die Erwerbung ihres Unterhalts durch ihre eigene Hand - arbeit zu verſaͤumen, nicht allzuviele Zeit auf die Anleitung ihrer Kinder zu ſolchen Arbeiten verwen - den. Viele Eltern ſind zu unwiſſend, uner - fahren, und ungeſchickt, um ihre Kinder in nuͤtz - lichen Handarbeiten ſelbſt unterrichten zu koͤnnen, be - ſonders wenn dieſe Kinder vollends gar blind, oder taubſtumm, oder ſonſt ſchwerer als andere zu unterrich - ten ſind; auch ſind manche Eltern zu arm, oder es faͤllt ihnen wenigſtens allzuſchwer, um ihre Kinder in einem ſolchen Falle durch andere geſchicktere Perſonen unterrichten zu laſſen. Zuweilen koͤnnen zwar in die - ſem Falle aͤltere Geſchwiſter die Stelle der Eltern ver - treten; auch gibt es Orte, wo ſich gute Menſchen finden, welche armen Kindern unentgeldlich oder um eine aͤußerſt geringe Belohnung Unterricht in gewoͤhn - lichen Arbeiten, die ſie nicht bey ihren Eltern lernen koͤnnen, ertheilen; und die Vermoͤglicheren laſſen ihre Kinder auf eigene Koſten durch andere geſchicktere Perſonen, z. B. durch Naͤherinnen, im Naͤhen, Stri - cken ꝛc. in oder außer ihrem Hauſe unterrichten. Aber an manchem Orte fehlt es ganz an Gelegenheit hiezu. Manche arme Kinder werden zwar wohl auch von vermoͤglicheren Verwandten, Nachbarn und Fremden, beſonders in Staͤdten und anderen Orten, wo Fabriken und uͤberhaupt mehr Gewerbe21 ſind, zu Botengaͤngen und Frohnen in ihrem Nahmen angeſtellt, zur Aufſicht uͤber ihre kleinen Kinder, zum Huͤten ihres Viehes, oder zu anderen kleinen Ver - richtungen gedungen, oder durch Spulen, Spinnen, Stricken ꝛc. um den Lohn beſchaͤftigt; allein auch dieß iſt doch nicht allgemein genug der Fall.

§. 20.

Obige Privat-Arbeiten beſchaͤftigen ferner die Kin - der zwar zum Theil nicht nur den Sommer, ſon - dern großentheils auch den Winter hin - durch, denn wenn gleich die eigentlichen Feld-Geſchaͤfte hauptſaͤchlich nur vom Anfange des Fruͤhlings an bis zum Eintritt des Winters getrieben werden koͤnnen, ſo werden doch im Winter alte Weinberge ausgehauen und gereuttet, es wird Erde und Duͤnger in die Weinberge und auf die Wieſen gefuͤhrt, oder (beſon - ders von unbemittelteren Guͤterbeſitzern, welchen es an Zugvieh und Fuhrwerk fehlt) getragen, und auf Schlit - ten gefuͤhrt, es wird Holz aufgemacht und herbeyge - ſchafft, und duͤrres Holz geleſen, es wird, wenn nur der Boden nicht gefroren iſt, Ackerſalat geſammelt, die Fruͤchten werden ausgetroſchen, das Vieh muß gefuͤt - tert und getraͤnkt, die Staͤlle muͤſſen gereinigt, es muß Holz getragen werden u. ſ. w. Andere Verrichtun - gen, wie z. B. das Botengehen und Frohnen, das Kinderhuͤten, die Profeſſions-Arbeiten, das Spinnen, Stricken, Naͤhen, Sticken, und die Verfertigung von Holzwaaren gehen Sommer und Winter fort.

Deſſen ungeachtet bleibt manchem Landmann, be - ſonders im Winter, und uͤberhaupt in denjenigen Zei - ten, wo Jahrszeit und Witterung ihm Feldgeſchaͤfte nicht erlauben, vorzuͤglich an den langen Winter -22 Abenden, ſo manche Stunde uͤbrig, welche er oft mit den Seinigen durchaus auf keine nuͤtzliche Weiſe auszufuͤllen weiß, und daher, hinter dem Ofen ſchlafend, oder in den Spinnſtuben leichtſinnige Geſpraͤche fuͤhrend, oder wohl auch in der Schenke zechend zubringt. Mehrere obiger Beſchaͤftigungen ſind auch von der Art, daß fuͤglich, wenigſtens Zeiten - weiſe, noch ein anderes Geſchaͤfte daneben getrieben werden koͤnnte; ſo koͤnnte z. B. ne - ben dem Huͤten kleiner Kinder oder des Gefluͤgels und Viehes nach Umſtaͤnden wohl noch geſtrickt, Stroh geflochten, oder irgend eine Arbeit dieſer Art verrichtet werden. Selbſt Neben-Arbeiten, wie z. B. Leinen - Wolle - und Seide-Spinnen, welche das Landvolk an manchen Orten verſteht, und in dergleichen Stunden auch wirklich zu treiben pflegt, ſind ſo mancher Stockung und Stoͤrung durch aͤußere Han - dels - und andere Verhaͤltniſſe unterwor - fen. Es waͤre daher aͤußerſt wohlthaͤtig, wenn die Jugend nicht nur eine, ſondern verſchiedene Arbeiten dieſer Art verſtehen lernte, um muͤßige Stunden oben - gedachter Art nuͤtzlich ausfuͤllen zu koͤnnen, um bey Geſchaͤften, welche zugleich noch eine Neben-Beſchaͤfti - gung zulaſſen, durch eine mehr Aufmerkſamkeit erfor - dernde und eintraͤglichere Nebenarbeit vom Muͤſſiggang und Unfug abgehalten zu werden, und um ſpaͤterhin, wenn die eine oder die andere dieſer Arbeiten aus ir - gend einem Grunde temporaͤr oder fuͤr immer ſtocken ſollte, und nicht mehr mit Vortheil ſollte betrieben werden koͤnnen, deſſen ungeachtet bey einer der an - deren Beſchaͤftigung und Verdienſt zu finden.

23

§. 21.

Ueberdieß ſind die oben aufgezaͤhlten Privat-Be - ſchaͤftigungen der Kinder zum Theil mit einer regel - maͤßigen Beſuchung und Benutzung des oͤf - fentlichen Gottesdienſtes und Schul-Unter - richts unvereinbar, und wegen des Mangels an Aufſicht, welchem die Kinder dabey ausgeſezt ſind, zum Theil auch in anderer - beſonders moraliſcher Hinſicht von der Art, daß ſie zu Befoͤrderung des Zweckes, die Kinder ihrer kuͤnftigen Beſtimmung ge - maͤß zu erziehen und auszubilden, keineswegs geeignet ſind. Viele dieſer Arbeiten werden zwar unter den Augen und der Aufſicht der Eltern, Dienſtherrn ꝛc. verrichtet, bey anderen aber iſt das Gegentheil der Fall. So muͤſſen z. B. bey dem Viehhuͤten die Kin - der, da ſie dadurch den ganzen Sommer hindurch al - lem moraliſchen und intellectuellen Unterrichte, und al - ler ordentlichen Aufſicht entzogen, und auf die Geſell - ſchaft mit ihrem Vieh beſchraͤnkt werden, nothwendig verwildern, und ſich, da dieſes Huͤten nur eine halbe Beſchaͤftigung iſt, bey weitem nicht ihre volle Auf - merkſamkeit in Anſpruch nimmt, und ihnen Zeit genug zu allem moͤglichen Neben-Unfug uͤbrig laͤßt, je laͤnger je mehr an den verderblichen Muͤſſiggang, Bettel, und andere Unarten aller Art gewoͤhnen; deßgleichen werden die Kinder durch das Hinausſchicken, um Holz zu ſammeln und einzubringen, viel zu ſehr zu Schul - Verſaͤumniſſen verleitet, von eigentlicher Arbeits - und Ordnungsliebe entwoͤhnt, und zu dem Feld - und Wald - diebſtahl, wohl auch zum Verderben fruchtbarer Baͤume verleitet; aͤhnliche Nachtheile entſtehen aus dem Frohnen und Botengehen der Kinder, und ſelbſt die haͤuslichen Geſchaͤfte koͤnnen ihnen, beſonders vom24 Fruͤhjahre bis zum Eintritte des Winters, wo ge - woͤhnlich von den Doͤrfern alles im Felde beſchaͤftigt iſt, und die Kinder ſich dann zu Hauſe ganz ſelbſt uͤberlaſſen ſind, durch dieſen Mangel an Aufſicht ver - derblich werden.

§. 22.

Endlich werden obige Privat-Beſchaͤftigungen, wenn ſie auch an und fuͤr ſich keineswegs zu tadeln ſind, den Kindern oft durch Uebertreibung von Seite ihrer Eltern ꝛc. mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich, in - dem nicht ſelten, beſonders aͤrmere Kinder, allzu - fruͤhe und allzuſtrenge, zu allzuharten Geſchaͤften, zum Schaden ihrer Geſundheit, und zur Verſaͤumniß des oͤffentlichen Gottesdienſtes und Schul-Unterrichts, und der zu Hauſe fuͤr die Schule auszuarbeitenden Aufgaben, von den Jhrigen angehal - ten werden.

§. 23.

Aus allem dieſem folgt, daß durch bloße Be - obachtung, ob alle Kinder von den Jhrigen gehoͤrig beſchaͤftigt werden, und durch Beſtrafung derjenigen, welche ihre Pflichten in dieſer Hinſicht nicht erfuͤllen, der Zweck noch nicht erreicht werden kann, ja daß eine ſolche Beſtrafung in manchen Faͤllen hart und unge - recht waͤre, wenn nicht zugleich, und waͤre es auch nur, um alle unſtatthaften Vorwaͤnde abzuſchneiden, Anſtalt getroffen wuͤrde, daß jedes Kind, wel - ches nicht von den Seinigen die erforder - liche Anleitung, Gelegenheit und Ermun - terung zu einer nuͤtzlichen Beſchaͤftigung erhalten kann, dieſelbe durch obrigkeit -25 liche Fuͤrſorge erhielte, und daß es durch obrigkeitlich veranſtaltete, beſtaͤndige Auf - ſicht anhaltend auf der einen Seite vor Uebertrei - buug durch allzufruͤhes, allzuſtrenges und allzuhartes Arbeiten geſchuͤzt, auf der andern Seite aber von dem Muͤſſiggang und Bettel, und deren verderblichen Folgen, abgehal - ten wuͤrde.

§. 24.

Um dieſen Zweck zu erreichen, iſt es vielleicht zu - weilen genug, wenn einzelne Kinder einer oder einigen in dergleichen Handarbeiten erfahrenen Perſonen, z. B. Strickerinnen, Naͤherinnen, Sticke - rinnen ꝛc. zum Unterricht uͤbergeben, und die Koſten dieſes Unterrichts auf eine oͤffentliche Caſſe uͤbernommen werden, oder wenn auch nur obrig - keitlich dafuͤr geſorgt wird, daß es nicht an Per - ſonen im Orte fehle, welche in dergleichen Hand - arbeiten Unterricht geben koͤnnen.

§. 25.

Jn der Regel wuͤrde es aber zu koſtſpielig und mit zu vielen Schwierigkeiten verbunden ſeyn, jedem Kinde einzeln hinlaͤngliche Anleitung, Gelegenheit und Ermunterung zu einer nuͤtzlichen Beſchaͤftigung zu ver - ſchaffen, beſonders aber wuͤrde die Aufſicht uͤber die Kinder zu ſchwer zu bewerkſtelligen und viel zu unvoll - kommen ſeyn, wenn nicht ein Vereinigungs-Ort beſtimmt, eine foͤrmliche ſogenannte Jnduſtrie - Schule eingerichtet wuͤrde, wo alle dieſer Fuͤrſorge beduͤrftigen Kinder ſich aus ihrer Zerſtreuung verſammeln, den Unterricht gemeinſchaft -26 lich genießen, und ſich unter gemeinſchaft - licher Aufſicht ſowohl beſchaͤftigen als er - hohlen koͤnnten.

§. 26.

Auch in Wuͤrttemberg hat man laͤngſt das Beduͤrfniß der Errichtung ſolcher Jnduſtrie-Schu - len gefuͤhlt. Die erſten oͤffentlichen Verſuche, die - ſem Beduͤrfniſſe abzuhelfen, waren die im Jahre 1710 bis 1712. in Stuttgart und im J. 1736. in Ludwigs - burg, in Verbindung mit den dortigen Zucht - und Zwangs - Arbeits-Anſtalten, errichteten beyden Waiſenhaͤu - ſer. Weiter ging Oberamtmann Muͤller in Sulz, welcher in einer im Jahr 1762. in Stuttgart erſchienenen Druckſchrift auf Anlegung mehrerer Ma - nufacturen und Fabriken im Lande antrug, um dadurch zugleich duͤrftigen Perſonen Unterhalt zu ver - ſchaffen, beſonders aber Oberamtmann Faber in Nuͤrtingen, welcher im Jahr 1761. daſelbſt mit Errichtung einer Baumwollen-Spinnerey und Weberey auf oͤffentliche Rechnung einen ſo wohlgelungenen Verſuch machte, daß die von ihm ent - worfene Armen-Allmoſen - und Spinn-Ordnung ver - mittelſt eines R. v. 11. May 1766. von Seite der Regierung allen Oberaͤmtern gedruckt mitgetheilt wurde, um dieſelbe auch ihrerſeits, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, ganz oder theilweiſe, oder mit zweckmaͤßi - gen Modificationen einzufuͤhren.

Das gegebene Beiſpiel fand jedoch Anfangs we - nige Nachahmung, und erſt im Jahre 1776. wurde in Stuttgart eine im Jahre 1788. verbeſſerte Spinn - Anſtalt errichtet, worin jeder Arme, vom 7ten27 Jahre an bis zu den hoͤheren Altersſtufen im Spinnen von Baumwolle, Wolle, Flachs und Hauf, auch im Stricken unentgeldlichen Unterricht, und Gelegenheit zu einem taͤglichen Verdienſte fand. Durch ver - ſchiedene General-Neſcripte vom 8. May und 18. Oct. 1786, 8. Jul. 1789, 10. April 1790, und 14. April 1794. wurde daher von der Regierung auf's Neue empfohlen, die einheimiſchen Armen durch obrigkeitliche Veranſtaltung mit einer oder anderer Arbeit (Feld - arbeit, Spinnen ꝛc. ) hinlaͤnglich zu verſehen; und beſon - ders verordnete das R. v. 10. April 1790, daß an Orten, wo Fabriken, Manufacturen, Spinnereyen ꝛc. ſchon vorhanden ſeyen, die Jnhaber derſelben zum Beſten der arbeitſuchenden Armen zu weiterer Ausbreitung ihrer Gewerbe aufgemuntert, an ſolchen Orten aber, wo keine dergleichen Gewerbe beſtehen, die Armen da - durch in Arbeit geſezt werden ſollen, daß man aus den zu ihrer Verſorgung beſtimmten Fonds rohe Ma - terialien zur Verarbeitung nebſt den erforderlichen Werk - zeugen fuͤr ſie anſchaffe, und die Fabrikate ihnen ge - gen einen verhaͤltnißmaͤßigen Lohn wieder abnehme und verkaufe.

Jm Jahre 1795. wurde hierauf in der Stadt Marbach eine Wollenſpinnanſtalt fuͤr Erwachſene und Kinder errichtet, an welcher nahmentlich a) die - jenigen Kinder, welche auf Koſten des Hoſpitals er - halten wurden, b) die Kinder derjenigen Eltern, wel - che an dem geſtifteten Allmoſenbrode Antheil nahmen, oder bey Krankheiten und Ungluͤcksfaͤllen Unterſtuͤtzung ſuchen wollten, und c) alle Kinder, welche auf dem Bettel ergriffen wurden, Antheil nehmen muſſten. Jn ebendemſelben Jahre kam in Birkach, Stutt - garter Amts-Oberamts, durch die Thaͤtigkeit28 des (als Verfaſſer der Schwaͤbiſchen Provincialblaͤtter uͤber Armen-Verſorgung und Armen-Erziehung, Stuttgart, bey Metzler, 1796 1798. bekannten) dortigen Pfarrers Kohler eiue Spinn - und nachher auch Strick - und Naͤh-Schule fuͤr Kinder zu Stande, welche durch ein Reſcript vom 30. Jan. 1796. unter Beyſchluß einer gedruckten Beſchreibung derſelben all - gemein zur Nachahmung, und zur Verbindung mit den Lehrſchulen, empfohlen wurde.

Auch fuͤr Stadt und Amt Tuͤbingen wurde im Jahre 1796. eine Baumwollen-Spinn-Anſtalt und in Marggroͤningen im Jahre 1798. eine Schafwollen - Spinn-Anſtalt fuͤr Erwachſene und Kinder errichtet, und in Stuttgart im Jahre 1801. mit der Armen - kaſten-Schule eine Jnduſtrie-Schule verbunden, worin die Kinder im Baumwollen-Spinnen, Stricken und Naͤhen Unterricht erhielten. Jm Jahr 1802. aber wurde in Degerloch, Stuttgarter Amts Ober - Amts, eine Strickſchule, im Jahre 1807. in Stutt - gart von einer Privat-Geſellſchaft freywilliger Armen - freunde eine (beſondere, am 1. Sept. 1807. eroͤffnete) Jnduſtrie-Schule, und in ebendemſelben Jahre in Weinsberg eine Wollenſpinn-Anſtalt gegruͤndet.

§. 27.

Jn der katholiſchen Schul-Ordnung vom 10. Sep - tember 1808. aber wurde befohlen, daß mit den ſogenannten Lehrſchulen uͤberall nach und nach eine Arbeitsſchule verbunden werden ſoll , jedoch dabey bemerkt, daß, da die Einfuͤhrung der Arbeitsſchulen mit vielen Schwierigkeiten verbunden ſey, man ſchon die Bemuͤhungen jener Pfarrer und Jnſpektoren be - lobungswuͤrdig finden werde, welche damit nur eini -29 germaßen den Anfang machen, nur etwas leiſten, nur dieſen oder jenen Gegenſtand der Jnduſtrie her - vorziehen werden , und durch die evangeliſche Schul-Ordnung v. $$\frac{26}{31}$$ . Decbr. 1810. wurde in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der allgemeineren Beybringung und Verbreitung von Kenntniſſen und Fertigkeiten, womit ſich die Kinder ſpaͤterhin manche Ausgabe erſparen, und ihr Brod ſelbſt und reichlicher verdienen koͤnnen, verordnet, daß mit jeder oͤffent - lichen Schule in der Regel eine Jnduſtrie - oder Ar - beits-Schule theils fuͤr Knaben, theils fuͤr Maͤdchen verbunden, und von den gemeinſchaftlichen Ober - aͤmtern uͤber die Ausfuͤhrbarkeit dieſer Anordnung nach der Localitaͤt jeden Orts baldmoͤglichſt Bericht an das Koͤnigl. Ober-Conſiſtorium erſtattet werden ſoll.

Wirklich wurden auch hieranf in mehreren Orten, z. B. im Jahre 1808. in Hall, und im J. 1810. in Tettnang, beſonders aber in den Jahren 1811. u. 1812. nur in dem evangeliſchen Theile des Koͤnigreichs an 40. und auch in dem katho - liſchen Theile mehrere Arbeitsſchulen errichtet, eine Wirkung jener Geſetze, welche man, da damals die vorangegangenen und bevorſtehenden Kriege alle Kraͤfte der Gemeinden in Anſpruch genommen hatten, die frommen Stiftungen, denen zunaͤchſt die Foͤrde - rung ſolcher Anſtalten oblag, der Verwaltung der Orts - behoͤrden entzogen worden waren, und die Oberaͤmter ſo viele anderwaͤrtige Geſchaͤfte hatten, auch oft ſo kurz auf ihren Stellen blieben, daß ſie dem inneren Zuſtande der Gemeinden und der Bildung der Jugend wenige Aufmerkſamkeit wiedmen konnten, zu dieſer Zeit allerdings fuͤr bedeutend halten, und womit man30 ſich daher vor der Hand um ſo mehr begnuͤgen muſſte, als die nachfolgenden Kriegsjahre und Kriegsleiden der Realiſirung jedes weiteren Verſuchs unuͤberwindliche Hinderniſſe entgegenſtellten. Deſſenungeachtet wur - den ſpaͤterhin noch mehrere Anſtalten dieſer Art, nah - mentlich im J. 1813. (eroͤffnet 29. Jun.) in Stutt - gart von der Privat-Geſellſchaft freywilliger Armen - freunde eine zweyte Kinder-Beſchaͤftigungs-Anſtalt, um eben dieſe Zeit ungefaͤhr in Riedlingen, und im J. 1815. in Geißlingen und Tuͤbingen (in lezterem Orte ebenfalls von einer Anzahl freywilliger Armenfreunde) Jnduſtrie-Schulen errichtet.

§. 28.

Ein neuer Sporn zu Errichtung ſolcher Schulen lag aber in den beſonderen Verhaͤltniſſen der Hunger - Jahre 1816 und 1817. Die druͤckende Noth, welche in dieſen Jahren faſt uͤberall Statt fand, machte viele Arbeiten ſtocken; auf dem Felde und zu Hauſe war wenig zu verdienen, und ſomit fuͤr Er - wachſene und fuͤr Kinder ein ungewoͤhnliches Beduͤrfniß entſtanden, Arbeit zu ſuchen, und damit ihren Unter - halt zu erwerben. Der Wohlthaͤtigkeits-Ver - ein, welcher ſich am Anfange des Jahres 1817 bildete, machte es ſich daher zur beſonderen Pflicht, fuͤr Erhal - tung der beſtehenden und Errichtung neuer Jnduſtrie - Schulen zu ſorgen. Beſonders ließ es auch die Centralleitung dieſes Vereins nie, weder im Allgemeinen, noch im Beſonderen, an Erinnerungen, Aufmunterungen, und Unterſtuͤtzungen zu dieſem Be - hufe fehlen. Auch das K. evangeliſche Conſiſto - rium forderte unterm 31. Maͤrz 1818 die gemeinſchaft - lichen Oberaͤmter zu baldmoͤglicher Befolgung und Voll -31 ziehung der G. V. v. $$\frac{25}{31}$$ Dec. 1810 auf, und empfahl denſelben, unter Beyziehung der Schulconferenz-Direc - toren Sorge zu tragen, daß wenigſtens in jedem Ober - amts - und Decanatorte, in Verbindung mit der Ele - mentar-Schule, eine Jnduſtrie-Schule errichtet werde, und unterm 25. Aug. 1818 ließ eben dieſes Conſiſtorium den Decanen durch die General-Superintendenten auf - geben, die Geiſtlichen zur thaͤtigen Verwendung fuͤr die Errichtung und Belebung der Jnduſtrie-Schulen zu ermuntern, und in die Viſitations-Berichte uͤber den Zuſtand der freywilligen Jnduſtrie-Anſtalten, und uͤber den Antheil, den die Orts-Geiſtlichen daran nehmen, die noͤthigen Angaben einzuruͤcken; auch wieß es die General-Superintendenten an, das Noͤthige aus die - ſen Berichten in die von ihnen zu fertigenden Gene - ralberichte aufzunehmen, und die Geiſtlichen, welche mit beſonderer Thaͤtigkeit die Errichtung und die Auf - nahme von Jnduſtrie-Anſtalten befoͤrdern, zu benennen. Beſonders empfahlen und unterſtuͤtzten auch Jhre Majeſtaͤt, die nun verewigte Koͤnigin Ca - tharina, die Errichtung und Erhaltung ſolcher Jn - ſtitute, weil der nicht von allen gefaßte Zweck des von Jhr geſtifteten Wohlthaͤtigkeits-Vereins, zunaͤchſt zwar Abhuͤlfe der damaligen Noth, hingegen, den Verein als bleibende Anſtalt betrachtet, die Erziehung des Volks, beſonders der niedrigſten Claſſen deſſelben, zur Sitt - lichkeit, und Abgewoͤhnung von den Laſtern, welche die gewoͤhnliche Folge der Armuth ſind, war. Seine Majeſtaͤt der Koͤnig verewigten die ſegensreichen Bemuͤhungen der hohen Vollendeten, indem Sie unterm 1. Maͤrz 1819 gnaͤdigſt genehmigten, daß alle die Be - foͤrderung der Arbeitſamkeit und Jnduſtrie bezwecken - den Jnſtitute, welche durch Veranlaſſung Jhrer Maje -32 ſtaͤt und in Jhrem Geiſte geſtiftet oder erweitert und vervollkommnet worden, und welche fundirt ſeyen oder noch fundirt werden, und daher nicht als bloß ephe - mere Erſcheinungen betrachtet werden koͤuen, den Nah - men der verewigten Stifterinn fuͤhren duͤrfen. Die Gemeinden waren durch die dringende Noth, ſo wie durch die außerordentlichen Anſtalten der Regierung zu außerordentlichen Ausgaben gezwungen, und wo es an Mitteln fehlte, ſelbſt zu Geld-Aufnahmen bevollmaͤch - tigt; die Noth der Zeit rechtfertigte einen außerordent - lichen Aufwand, und gab ſomit Arbeitsſchulen an Or - ten ihr Daſeyn, welche im Jahre 1811 in den an das K. Conſiſtorium erſtatteten Berichten das Beduͤrfniß derſelben, und zum Theil auch die Mittel dazu ver - laͤugnet hatten; auch wurden dieſelben durch die mei - ſtens damit in Verbindung geſetzten Suppen-Anſtalten und den Arbeitslohn beguͤnſtigt. Auf dieſe Art kam im Jahre 1817 die Errichtung von 47 weiteren Schnlen dieſer Art im Koͤnigreiche zu Stande, und wenn gleich mehrere der bereits beſtandenen Jnduſtrie - Schulen einige Zeit nach ihrer Errichtung wieder in Abgang kamen, ſo belief ſich doch am Ende des Jah - res 1817 ihre Zahl im Ganzen noch auf 88, am Ende des Jahres 1818 auf 113, und am Ende des Jahres 1819 auf 132. Auch iſt man gegen - waͤrtig an verſchiedenen Orten mit Errichtung weiterer dergleichen Schulen beſchaͤftigt, oder wenigſtens dazu geneigt.

§. 29.

Die Zahl der Jnduſtrie-Schuͤler iſt in den Berich - ten ſelten angegeben; in einigen Orten, ſelbſt Staͤdten, beſchraͤnkt ſich dieſelbe auf 10, 12, 20, 25, bis 30, 33 in anderen belaͤuft ſie ſich auf 50, 60, 70, 80, bis 90, in den groͤßten Landſtaͤdten auf 140, bis 160, und in der Reſidenzſtadt Stuttgardt auf 800 Kinder. Nimmt man im Durchſchnitt die Zahl der Schuͤler in jeder der gegenwaͤrtig beſtehenden 132 Jnduſtrie-Schu - len zu 80 an, ſo waͤren es im Ganzen zwiſchen 10 und 11,000 Jnduſtrie-Schuͤler.

§. 30.

Manche der in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden Jnduſtrie-Schulen ſcheinen auch wirklich ihrem Zwecke vollkommen zu entſprechen, und haben zum Theil bereits ſehr erfreuliche Reſultate geliefert. Einen Beweiß hievon gibt unter anderem die am 14 Septbr. 1818 in der Catharinen-Schule zu Stutt - gardt gehaltene Rede, worin es heißt: Es ſind nur aͤußerſt wenige unter den Kindern uͤbrig, die ſich bis jetzt nicht haben abſchrecken laſſen, je und je noch der Verſuchung zum Bettel Raum zu geben. Dagegen zaͤhlen wir viele, die auch den Sommer hindurch die Anſtalt fleißig beſuchten; beſonders iſt ein wahrer Eifer des Fleißes unter den Knaben rege; man konnte in gegenwaͤrtigem Sommer dieſe wackeren Menſchen oft ſchon Morgens um 4 Uhr nach dem Hauſe der Anſtalt gehen ſehen, um ihre Geſchaͤfte zu beginnen; wir zaͤh - len viele, die mit Vergnuͤgen lernen und arbeiten. Ein betraͤchtlicher Theil der Zoͤglinge hat es in Handarbei - ten, die ſie in der Anſtalt treiben, zu einer ruͤhmlichen Geſchicklichkeit und Fertigkeit gebracht. Auch der Un - terricht, den ein Theil der Knaben noch in anderen, beſonders fuͤr den kuͤnftigen Handwerker nuͤtzlichen Faͤ - chern erhaͤlt, und der Unterricht, den Knaben, und Maͤdchen in Schulkenntniſſen erhalten, zeigt bey man -334chen gute Fruͤchte. Die Sittenbildung hat bey den Zoͤglingen im Ganzen unleugbar zugenommen; um vie - les mehr und allgemeiner, als anfangs, haben ſie Ge - ſetz und Ordnung achten, und das Anſehen der Lehrer und Vorſteher ehren gelernt; das freundliche und zu - trauliche Weſen, womit die Letzteren von den bey wei - tem meiſten Zoͤglingen bey Beſuchen, die ſie in der Anſtalt machen, empfangen, bey dem Begegnen auf der Straße begruͤßt werden, darf unſtreitig in ſittlicher Hinſicht als ein gutes Zeichen betrachtet werden. Die beſſeren Zoͤglinge, beſonders unter den Knaben, ſchlie - ßen ſich allmaͤhlich naͤher an einander, und es bildet ſich unter ihnen immer mehr ein Geiſt der Rechtlich - keit, der Ehrliebe, und des anſtaͤndigen Benehmens aus, der nicht verfehlen kann, auch auf die uͤbrigen heilſam einzuwirken. Beſonders aber weilt mit hoher Ruͤhrung unſer Blick auf Mehreren, von denen mit Ausdruͤcken der Schrift ſich ſagen laͤßt: ſie waren ehe - mals gleich verlorenen Schafen, aber nunmehr ſind ſie wieder gefunden; mit hoher Ruͤhrung blicken wir auf Mehrere hin, die von den Wegen des Laſters und des Verbrechens zuruͤckgekehrt ſind, die ſich aus den Umtrieben eines wuͤſten und zuͤgelloßen Lebens haben retten laſſen, und deren fortgeſetztes Wohlverhalten die Zuverſicht uns einfloͤßt, daß das Gute nun fuͤr immer den Sieg bey ihnen davon getragen habe.

§. 31.

So bedeutend indeſſen dieſe Reſultate in Vergleichung mit den Hinderniſſen, welche beſiegt wer - den mußten, allerdings erſcheinen, ſo unbefriedi - gend ſind ſie, wenn man ſie mit der ganzen Zahl der einer ſolchen Fuͤrſorge beduͤrftigen Kinder vergleicht. 35 Unter den 1,396,434 Einwohnern, welche Wuͤrttemberg im Ganzen zaͤhlt, ſind

  • 213,414 Kinder maͤnnlichen, und
  • 225,912 Kinder weiblichen Geſchlechts, zuſammen

  • 439,326 Kinder unter 14 Jahren, wovon
  • 160,000 die beſtehenden 1400 evangeliſchen, und
  • 70,000 die beſtehenden 780 katholiſchen, alſo

  • 230,000 Kinder die beſtehenden 2,180 Elementar-Schulen beſuchen, und unter dieſen allein
  • 11,580 arme Knaben, und
  • 12,404 arme Maͤdchen, zuſammen

  • 23,984 arme Kinder unter 14 Jahren

, worunter 4,645 arme Waiſen begriffen, und wovon 16,847 ar - beitsfaͤhig ſeyn ſollen. Es iſt alſo kaum fuͤr die Haͤlfte der armen, geſchweige denn auch der uͤbrigen Kinder, Anſtalt getroffen. Mehrere dieſer Anſtalten haben uͤber - dieß durchaus noch keine dem Zwecke ganz entſprechende Einrichtung; anderen droht bereits wieder gaͤnzliche Aufloͤſung; und obgleich von mehreren Orten be - ſtimmt bekannt iſt, daß die Errichtung einer Jnduſtrie - Schule daſelbſt das dringendſte Beduͤrfniß waͤre, ſo ſind doch die meiſten Gemeinden, und oft ſelbſt die geiſtli - chen und weltlichen Vorſteher der Erhaltung und Ver - beſſerung der beſtehenden und der Errichtung neuer Kinder-Jnduſtrie-Schulen noch entgegen.

§. 32.

Eine der gewoͤhnlichſten Einwendungen gegen die Jnduſtrie-Schulen iſt die Behauptung, daß es unmoͤg - lich ſey, den Kindern, beſonders den Knaben, darin3 *36eine angemeſſene Art der Beſchaͤftigung zu ver - ſchaffen. Allerdings iſt die erſte Ruͤckſicht, welche in dieſer Beziehung eintreten muß, offenbar der Stand und kuͤnftige Beruf der Kinder, wie dieß auch die katholiſche Schul-Ordnung vom 10. Septbr. 1808 ausdruͤcklich vorſchreibt. Die Kinder ſelbſt oder wenigſtens ihre Eltern und Lehrer muͤſſen, wie ſchon oben bemerkt wurde, einſehen und ſich uͤberzeugen koͤn - nen, daß ihnen ihr Lernen und Arbeiten, waͤre es auch nicht im Augenblicke, doch wenigſtens in Zukunft zu etwas nuͤtze ſeyn werde, denn wenn dieß nicht der Fall iſt, ſo muß ihnen ihr Geſchaͤfte als eine unnoͤthige Plage erſcheinen, ſie muͤſſen alle Luſt zu dieſem Ge - ſchaͤfte verlieren, und eigentliche wahre Arbeitſamkeit und Jnduſtrie kann nie in ihnen erwachen.

§. 33.

Nun wird aber nahmentlich behauptet, daß es nicht moͤglich ſey, die Kinder der Landleute in den ſchweren land - und hauswirthſchaftlichen Arbeiten, welche doch ſowohl in Hinſicht auf ihre Geſundheit, als auf ihre kuͤnftige Beſtimmung fuͤr ſie die einzig zutraͤglichen ſeyen, in oͤffentlichen Jnduſtrie - Schulen zu unterrichten und zu uͤben. Allerdings moͤchte hiezu der Wurzgarten, welcher nach der ka - tholiſchen Schul-Ordnung mit einer jeden gut eingerich - teten Arbeits-Schule verbunden, und wozu daher von der Gemeinde ein ſchicklicher Platz angewieſen werden ſoll, der uͤbrigens bis jetzt nur in einigen wenigen Or - ten des Koͤnigreichs wirklich angelegt zu ſeyn ſcheint, nicht hinreichend , die von anderen vorgeſchlagene Anweiſung groͤßerer Gemeinds-Laͤndereyen aber, um ſolche durch die Kinder auf oͤffentliche Rech -73[37] nung bearbeiten, anpflanzen, und benuͤtzen zu laſſen, an den meiſten Orten weder ausfuͤhrbar noch zweck - maͤßig ſeyn. Allein Arbeiten dieſer Art ſind ja in der Regel auch nur der kuͤnftige Beruf ſolcher Kinder, welche die Auſſicht haben, ſeiner Zeit Guͤterbeſitzer zu werden, oder als Tagloͤhner bey Guͤterbeſitzern ihre Nahrung zu finden. Die Eltern ſolcher Kinder ſind aber gewoͤhnlich ſelbſt Guͤterbeſitzer oder Tagloͤhner, und leiten und halten daher gewoͤhnlich dieſe Kinder ſelbſt zu ihren kuͤnftigen Berufs-Arbeiten an, was ihnen auch nach dem Vorhergehenden auf keine Weiſe durch die Jnduſtrie-Schulen erſchwert werden ſoll. Jndeſſen laſſen ſich fuͤr Einzelne, deren Abhaͤrtung durch Feld - Arbeiten etwa zu wuͤnſchen ſeyn moͤchte, und welche bey den Jhrigen hiezu keine Gelegenheit haben ſollten, vielleicht doch auch Mittel und Wege finden, um ih - nen dieſe Gelegenheit von Seite der Jnduſtrie-Anſtalt zu verſchaffen. Vielleicht koͤnnte man ſie gegen billige Bezahlung an einzelne Landwirthe zur Beyhuͤlfe bey verſchiedenen Ernte - und anderen land - wirthſchaftlichen Geſchaͤften verdingen, oder ſie im Accord Steine ableſen, Unkraut ausjaͤten, Raupen, Kaͤfer, Maͤuſe und andere ſchaͤd - liche Thiere vertilgen laſſen, oder ihnen nach der Ernte das Aehren - und Kartoffel-Leſen auf den abgeleerten Feldern erlauben, oder ſie nutzbare Jnſecten, (z. B. Spaniſche Fliegen, Schnecken ꝛc.) Wurzeln, Kraͤuter (z. B. Heil - Gift - Faͤrbepflan - zen, Sauerklee ꝛc., ) Fruͤchte, auch Kerne derſelben (z. B. Zwetſchenkerne zum Oelſchlagen), allerhand Beere (z. B. Vogelbeere, Wachholderbeere, Him - beere, Erdbeere, Heidelbeere, Preißelbeere ꝛc. ), und Samen von allerley Graͤſern und Fruͤchten ſammeln38 und ausleſen laſſen, wodurch man oft guten und reinen Samen erhalten koͤnnte, ohne das Geld dafuͤr in das Ausland gehen laſſen zu muͤſſen, alles dieß freylich nur in dem Falle, wenn zugleich die ge - hoͤrige Aufſicht uͤber ſie angeordnet werden koͤnnte.

§. 34.

Uebrigens iſt es nicht allein darum zu thun, daß die kuͤnftigen Land - und Hauswirthe und deren Tag - loͤhner ihre Geſchaͤfte nach dem alten Schlen - drian der Vaͤter und Großvaͤter forttreiben lernen; an ſehr vielen Orten waͤre es vielmehr ſehr heilſam und gut, wenn ſie ſchon in einem Alter, wo Anhaͤnglichkeit an das Alte und Vorurtheile noch nicht ſo tiefe Wur - zel bey ihnen gefaſſt haben, mit nuͤtzlichen Zweigen der Landwirthſchaft, welche bisher im Orte unbekannt oder vernachlaͤßigt waren, und mit den durch Verſuche und Erfahrungen anderer Orte als vorzuͤglicher bewaͤhrten neueren Methoden der Betreibung derſelben bekannt gemacht und darin geuͤbt, und hiedurch in den Stand geſetzt wuͤrden, den Werth ihrer Guͤter und Producte hoͤher zu treiben. Hiezu bieten aber die Kinder-Jnduſtrie-Schulen die ſchoͤnſte Gelegenheit dar, denn ſo großen Schwierig - keiten an den meiſten Orten die von Einigen vorge - ſchlagene Anlegung allgemeiner Muſtergaͤrten unterworfen ſeyn moͤchte, ſo leicht koͤnnten dagegen die Kinder zu Pflanzung einzelner im Orte bisher unbekannten oder vernachlaͤßigten nuͤtzli - chen Producte, wie z. B. der Hopfen, und be - ſonders zu der in manchen Landes-Gegenden ſo ſehr vernachlaͤßigten Obſtbaumzucht practiſch angeleitet und angehalten, oder wenigſtens nach und nach fuͤr39 jeden Ort ein oder mehrere Baumgaͤrtner gebildet wer - den, durch welche dann dieſer wichtige Zweig der land - wirthſchaftlichen Jnduſtrie weiter verbreitet wuͤrde. Schon die katholiſche Schul-Ordnung verordnet daher, daß mit jeder gut eingerichteten Arbeitsſchule auch eine Baum-Schule verbunden, und hiezu, wo es nur immer moͤglich ſey, ein ſchicklicher Platz von der Ge - meinde angewieſen werden ſoll, und wirklich ſind auch in mehreren Orten des Koͤnigreichs oͤffentliche Baum - ſchulen angelegt, worin die maͤnnliche Jugend zum Einlegen der Kerne, zum Pelzen, Oculiren, und Co - puliren der wilden ſowohl als der aus Kernen gezoge - nen Staͤmmchen, zum Schneiden und Ausputzen der - ſelben, uͤberhaupt zur Pflanzung, Veredlung, und ſon - ſtigen Behandlung der Obſtbaͤume unter Aufſicht der Lehrer und zum Theil auch der Vaͤter angeleitet wird; die herangewachſenen Staͤmmchen werden dann in die Gaͤrten und Felder der Eltern verſetzt.

§. 35.

Die katholiſche Schul-Ordnung empfielt auch den Unterricht im Waſchen und Kochen, und wirklich werden an einigen Orten[die] Kinder zum Waſchen und zum Kochen, wenigſtens der Rumfordiſchen Suppe, angeleitet, oder wird wenigſtens den aͤlteren Maͤdchen, ehe ſie in Dienſte treten, Gelegenheit verſchafft, das Waſchen und Buͤgeln zu erlernen, und einige Kennt - niſſe von den Geſchaͤften in der Kuͤche zu erhalten. Auch werden die Kinder abwechslungsweiſe zum Rei - nigen der Lehrzimmer, der Kuͤche, der Treppen, und Hausgaͤnge gebraucht, und eben ſo koͤnnten ſie viel - leicht zum Theil zum Aufmachen, Herbeyfuͤh - ren, Saͤgen, Spalten, Aufſetzen, und Her -40 auftragen des fuͤr die Schule erforderlichen Brenn - holzes, und zum Einheitzen der Schulzimmer, unter gehoͤriger Aufſicht, verwendet werden.

§. 36.

Jndeſſen ſind die ſchwereren land - und hauswirth - ſchaftlichen Arbeiten bey weitem nicht die einzige Beſchaͤftigung, womit ſich die Kinder der Landleute in Zukunft ihr Brod erwerben muͤſſen, und ſie ſind bey weitem nicht der kuͤnftige Beruf aller Kinder. Zwar iſt allerdings die Urproduction, d. h. die Land - wirthſchaft, oder die Gewinnung der Lebensbeduͤrf - niſſe durch Cultivirung und Benuͤtzung des Grund und Bodens in der Regel ein weit nothwendigeres und ſichereres Gewerbe, als die Kunſt-Pro - duction, und es waͤre daher hoͤchſt unzweckmaͤßig, Menſchen, welche bey dem erſteren ihre Nahrung fin - den koͤnnen, beſonders an Orten, wo noch oͤdes Land vorhanden iſt, und wo uͤberhaupt die Landwirthſchaft ihrer Haͤnde bedarf, demſelben entziehen, oder gar fremde unvermoͤgliche Menſchen, welchen man nicht das zu Producirung der erſten Lebensbeduͤrfniſſe fuͤr ſie und ihre wahrſcheinlich noch zahlreicheren Nachkommen erforderliche Land anweiſen kann, herbeylocken und aufnehmen, und ſie zu Ergreifung eines Kunſtgewer - bes veranlaſſen zu wollen, welches vielleicht bereits von allzuvielen betrieben wird, oder wenigſtens in Zukunft durch Ueberſetzung der Zahl der Arbeiter, durch Erfin - dung neuer Maſchinen, durch Territorial - und ſonſtige den Handelszug beſtimmende Veraͤnderungen, durch Veraͤnderungen der Mode ꝛc. ſo ſehr niedergedruͤckt werden kann, daß es zuletzt denen, welche es anfangs41 vielleicht mit Vortheil betrieben hatten, keineswegs mehr hinreichenden Verdienſt und Unterhalt gewaͤhrt.

§. 37.

Allein ſchon zu Betreibung der Landwirth - ſchaft ſelbſt iſt eine Menge von Kunſtarbeiteu, z. B. Holz-Arbeiten, Korbflechten ꝛc. noͤthig, und in keiner Land - oder Hauswirthſchaft koͤnnen Arbeiten, wie z. B. Spinnerey, Strickerey, Naͤherey ꝛc. entbehrt werden. Schon oben iſt gezeigt worden, daß dem Landwirthe und ſeinen Leuten, beſonders im Winter, ſo manche muͤßige Stunde uͤbrig bleibt, und wie gut es waͤre, wenn er in ſolchen Stunden dann nicht nur manches fuͤr ſeine eigene Wirthſchaft erforderliche kleine Beduͤrfniß ſelbſt verfertigen oder durch ſeine Leute verfertigen laſ - ſen, und damit zuweilen eine Ausgabe erſparen, ſondern auch durch irgend eine Neben-Arbeit ſich eine kleine Neben-Einnahme verſchaffen koͤnnte. Nun gibt es zwar vermoͤgliche Baͤuerinnen, welche ſchon um deß - willen ihre Kinder nicht naͤhen, ſtricken ꝛc. lernen laſ - ſen wollen, weil ſie aus anderen Vorurtheilen auf eine Naͤherinn ꝛc. mit Verachtung herabzuſehen gewohnt ſind. Allein in jedem Falle muß entweder der Land - und Hauswirth ſolche Arbeiten ſelbſt verſtehen und treiben, oder durch ſeine Leute treiben laſſen, oder es muͤſſen beſondere Leute vorhanden ſeyn, welche ſie ge - gen Bezahlung fuͤr ihn verfertigen; an dergleichen Leu - ten iſt aber in manchem Orte ein eigentlicher den uͤbrigen Bewohnern oft ſehr fuͤhlbarer und unangeneh - mer Mangel.

42

§. 38.

Ueberdieß gibt es ja eine Menge von Menſchen, welche durchaus keine Ausſicht haben, je - mals zu dem Beſitz von Grundſtuͤcken zu gelangen, oder auch nur Gelegenheit zu finden, als Paͤchter oder Tagloͤhner mit ſchwereren landwirthſchaftlichen Geſchaͤften ihr Brod erwerben zu koͤnnen. Was nuͤtzt den armen Mann die herrlichſte Markung ſeiner Gemeinde, wenn jeder Schuh breit Landes bereits ſeinen anderen Beſitzer hat, oder wenn das etwa vorhandene unkultivirte Feld zur Viehweide unentbehrlich iſt, oder wenn die Geſetze, fruͤheren Ver - traͤge, oder altes Herkommen ihn, ſelbſt im Falle einer Vertheilung, von dem Mitgenuſſe ausſchließen. Auch braucht zwar in der Regel jeder Landwirth, jede Ge - meinde wenigſtens, ihre Tagloͤhner, es gibt ſogar Orte, wo Mangel an Tagloͤhnern iſt, aber das Beduͤrfniß an ſolchen Gehuͤlfen hat doch auch ſeine Grenzen, ſo mancher findet niemand im Orte, der ihn als Tag - loͤhner anſtellen kann oder will, und in fremden Orten wird nicht leicht ein armer Mann als Tagloͤhner auf - genommen. Mancher iſt uͤberhaupt ſchon vermoͤge ſeines Geſchlechts und ſeiner koͤrperlichen Conſtitution oder ſeiner Geſundheits-Umſtaͤnde den ſchwereren Land - und Hauswirthſchaftlichen Geſchaͤften gar nicht gewach - ſen. Gelehrte, Geiſtliche, Schullehrer, Beamte, und ſonſtige Geſchaͤftsmaͤnner, oder Kaufleute, Kuͤnſt - ler, Handwerker ꝛc. und deren Gattinnen koͤnnen aber nicht alle werden. Es bleibt daher ſo manchen, wollen ſie nicht bitteren Mangel leiden, abſolut nichts anderes uͤbrig, als ſich auf irgend eine Art von Kunſt-Arbeiten zu legen, wodurch ſie ſich ihren Unterhalt zu erwerben hoffen koͤnnen, und wenn alſo43 gleich dieſe Kunſt-Arbeiten, wenn ſie nicht in Verbin - dung mit ſchwereren Feld-Arbeiten getrieben werden, allerdings, wie man ihnen vorwirft, vielleicht man - chen abgeneigt und unfaͤhig zu Betreibung der lezteren, alſo zur landwirthſchaftlichen Production machen, ſo geht deswegen nicht gerade immer fuͤr die Feldkultur und uͤberhaupt fuͤr den Wohlſtand des Landes et - was verloren, es kann vielmehr gerade zu Erhaltung dieſes Wohlſtandes oft recht viel beytragen, ja weſent - lich nothwendig ſeyn, daß ſelbſt in einem dem Anſchein nach durch die Natur zum Agrikultur-Staat beſtimm - ten Lande neben der Landwirthſchaft auch Kunſtgewerbe verſchiedener Art getrieben werden.

§. 39.

Alle dieſe Kunſt-Arbeiten ſind freylich, wie ſchon bemerkt wurde, in gewiſſer Hinſicht mißlich, beſonders wenn ſie nicht in ſolchen Arbeiten beſtehen, welche dem inlaͤndiſchen Land - und Hauswirth, und uͤberhaupt dem Jnlaͤnder unentbehrlich ſind. Man beſchraͤnke ſie daher, ſo lange das haͤus - liche Beduͤrfniß des Ortes und der Gegend, oder we - nigſtens das inlaͤndiſche Beduͤrfniß hinreicht, um jeden Armen hinlaͤnglich zu beſchaͤftigen, nur auf Arbeiten dieſer Art. Allein auch das Beduͤrfniß dieſer dem Jnlaͤnder unentbehrlichen Artikel hat ſeine Grenze, und gar leicht kann, beſonders in einem im Verhaͤlt - niſſe zu ſeinem kulturfaͤhigen Grund und Boden ſehr bevoͤlkerten Lande der Fall eintreten, daß auch Arbeiten dieſer Art in allzugroßem Ueberfluſſe verfertigt werden, und daher nicht jeder mehr ſeinen Unterhalt dabey fin - den kann. Jn dieſem Falle, und gewiß iſt dieſer Fall in manchen Gegenden des Koͤnigreichs Wuͤrttemberg44 bereits eingetreten, bleibt offenbar nichts uͤbrig, als daß die Menſchen, wollen ſie nicht verhungern, oder betteln und ſtehlen, ſich ſelbſt alsdann auf Kunſt - Arbeiten legen, wenn dieſelbe nur in das Aus - land, und waͤren es die entfernteſten Laͤn - der, abgeſezt werden koͤnnen. Moͤgen alſo gleich ſolche Kunſt-Arbeiten immerhin der Gefahr aus - geſezt ſeyn, durch Umſtaͤnde der obengedachten Art uͤber kurz oder lang ihren Werth zu verlieren, ſo ſind ſie doch in ſehr vielen Faͤllen gleichſam der lezte Zweig, an welchem ſich der Huͤlfloſe halten, und vor gaͤnz - lichem Untergange retten kann, und es iſt doch beſſer, ſich an einen ſolchen wenn gleich ſehr precaͤren und nur voruͤbergehenden Gewerbszweig zu halten, als zu verhungern oder durch Betteln und Stehlen ſich ſeinen Lebens-Unterhalt zu verſchaffen.

§. 40.

Große Vorſicht erfordert hiebey allerdings die Wahl ſolcher Kunſtgewerbe, wozu das rohe Material, wie z. B. die Baumwolle, Seide ꝛc. erſt mit großen Koſten aus dem Auslande bezogen werden muß, und welche, wie z. B. die Baum - und Schaf - wollen-Arbeiten, bereits im Jn - oder Auslande durch Maſchinen mit einer Zeit - und Kraft-Er - ſparniß und mit einer Kunſt betrieben werden, mit welcher die Hand-Arbeit die Concurrenz nicht aushalten kann, und wobey alſo der Erloͤß aus dem Fabrikat und der Arbeitslohn ſo gering ausfallen, daß niemand dabey beſtehen kann. Aber ſelbſt die vater - laͤndiſche Urproduction kann gehoben, ſelbſt der Ertrag des vaterlaͤndiſchen Grund und Bodens kann fuͤr den Landwirth geſteigert werden, wenn Naturprodukte,45 zu deren Hervorbringung im Lande Clima und Boden geeignet ſind, und welche unbeſcha - det der Production der fuͤr den inlaͤndiſchen Bedarf er - forderlichen Natur-Erzeugniſſe in groͤßerer Menge, im Ueberfluſſe, im Lande erzeugt werden koͤnnen, im Lande ſelbſt bis auf das Aeußerſte ver - arbeitet, und dadurch nicht nur die großen Summen, welche fuͤr dergleichen Artikel oft unnoͤthigerweiſe in das Ausland verſchickt werden, im Lande behalten, ſondern eben ſo große Summen vielleicht aus dem Auslande bezogen werden. Hieher gehoͤren z. B. die verſchiedenen Verarbeitungs-Arten der Schaf - wolle, und beſonders des Flachſes und Han - fes, eines vaterlaͤndiſchen Produkts, zu deſſen vor - theilhaftem Anbau Clima und Boden an den meiſten Orten ſo ſehr geeignet ſind; mit den ans dieſem Pro - dukte im Lande gefertigten Garnen, Leinwanden, und uͤbrigen Fabrikaten wurde fruͤher ein hoͤchſt eintraͤglicher Handel in das Ausland getrieben, und da nicht zu erwarten iſt, daß der ſo allgemeine Verbrauch der lin - nenen Stoffe ſich jemals bedeutend vermindern werde, die Herſtellung derſelben durch Maſchinen aber ſchwe - rer, als bey anderen Artikeln zu bewerkſtelligen zu ſeyn ſcheint, ſo duͤrfte dieſe Beſchaͤftigungs-Quelle wohl ſpaͤter als ſo manche andere verſiegen. So ſollen auch fuͤr ausgenaͤhete und geſtickte Waa - ren fortdauernd nicht unbedeutende Geld-Summen in das Ausland gehen, und ebenſo koͤnnten durch Stroh-Geflechte verſchiedener Art ohne Zweifel bedeutende Summen, welche man dafuͤr außer Lands zu ſchicken pflegt, um ſo mehr im Lande behalten wer - den, als das dazu erforderliche Material (das Rog - genſtroh) uͤberall zu erhalten iſt, die Werkzeuge keinen46 großen Aufwand erfordern, und der Gebrauch der Stroh-Arbeiten ſehr allgemein und bekannt iſt.

§. 41.

Auch dergleichen Kunſt-Arbeiten koͤnnen alſo der kuͤnftige Beruf der Kinder ſeyn, und wenn auch diejenigen beſonderen Arbeiten, welche man ſie in ihrer Jugend lehrt, kuͤnftig nicht gerade die - jenigen ſeyn werden, womit ſie ſich ihr Brod werden erwerben koͤnnen, ſo werden ſie doch dadurch, beſon - ders wenn man ſie nicht nur Eine, ſondern verſchiedene Arbeiten dieſer Art lehrt, im Allgemeinen zu Kunſt-Ar - beiten geſchickt und darin geuͤbt, was ihnen kuͤnftig die Erlernung jeder neuen Kunſtfertigkeit ſehr erleichtern muß. Sucht man ſie uͤberdieß auf der einen Seite bey jeder Gelegenheit von der Nuͤtzlichkeit und Noth - wendigkeit der Erlernung und Betreibung ſolcher Ar - beiten uͤberhaupt zu uͤberzeugen, auf der anderen Seite aber ſtets darauf aufmerkſam zu machen, daß nicht immer ein und ebendaſſelbe Kunſtgewerbe Verdienſt und Nahrung verſchaffe, daß ſie alſo nach Beſchaffenheit des Ortes, der Zeiten, und der uͤbrigen Umſtaͤnde viel - leicht kuͤnftig einmal, oder auch mehrmals ihr Gewerbe wieder gegen ein anderes werden vertauſchen muͤſſen; ſo werden ſie von der verderblichen Beharrlichkeit auf dem einmal ergriffenen Gewerbszweige und von dem Vorurtheile gegen die Ergreifung eines neuen, welche ſeit neueren Zeiten, nahmentlich auch in Wuͤrttemberg, viele tauſend Menſchen dem groͤßten Elende entgegen - fuͤhren, frey bleiben, und ſich denjenigen Speculations - Geiſt, diejenige eigentliche Jnduſtrie zu eigen machen, welcher es nie an neuem Stoff zu einem nuͤtzlichen47 Erwerbe fehlt, und welche allein Menſchen der oben - gedachten Art vom Verderben retten kann.

§. 42.

Selbſt diejenigen Kinder, welche von den Jhrigen zu Hauſe zu nuͤtzlichen Kunſt-Arbeiten angeleitet und angehalten werden, koͤnnten in einer Jnduſtrie-Schule vielleicht zu ihrem und der Jhrigen großen Vortheil ei - ne ſolche Arbeit vollkommener und beſſer ma - chen lernen. Auch koͤnnen ſolche Arbeiten eine ſehr gute Voruͤbung der Kinder fuͤr ein Hand - werk werden, zu deſſen Erlernung und Betreibung ſie vielleicht ſpaͤterhin Neigung und Gelegenheit erhal - ten. Und ſelbſt wenn ſie ſpaͤterhin nicht in den Fall kommen ſollten, die erlernten Arbeiten ſelbſt betrei - ben zu muͤſſen, ſondern erhoͤhter Wohlſtand ihnen viel - leicht erlaubt, dieſelbe durch andere verrichten zu laſſen, ſie bey anderen zu beſtellen, oder zu erkaufen, wird es ihnen ſehr nuͤtzlich ſeyn, ſie fruͤher ſelbſt gelernt und betrieben zu haben, indem ſie alsdann den Werth der ihnen von anderen geleiſteten Arbeit oder gelieferten Waare deſto beſſer, und im entgegengeſetzten Falle vielleicht gar nicht beurtheilen koͤnnen. Uebrigens iſt es ja uͤberhaupt bey Kindern, wie bereits gezeigt wurde, nicht allein darum zu thun, daß ſie eine ihrer kuͤnf - tigen Beſtimmung angemeſſene, ſondern uͤber - haupt, daß ſie Beſchaͤftigung haben, und dadurch vom Muͤſſiggang, Bettel, und anderen Ausſchweifun - gen und Laſtern abgehalten werden, und es kann ih - nen alſo die Betreibung verſchiedener Kunſt-Arbeiten, ſelbſt wenn dieſelbe zu Erfuͤllung ihrer kuͤnftigen48 Beſtimmung gar nichts beytragen ſollten, ſchon in die - ſer Hinſicht ſehr nuͤtzlich und nothwendig ſeyn.

§. 43.

Die beſonderen Kunſt-Arbeiten nun, wel - che hauptſaͤchlich ſich zur Betreibung in Kinder-Jndu - ſtrie-Schulen zu eignen ſcheinen, und wirklich auch bis - her theils in den bereits in Wuͤrttemberg beſtehenden, theils in auslaͤndiſchen Jnduſtrie-Schulen betrieben wor - den ſind, beſtehen hauptſaͤchlich in Folgenden:

  • a) Poliren zinnerner Loͤffel;
  • b) Allerley Arbeiten aus Eiſen, z. B. Verfertigung von Vogelkaͤfichen, Fenſtergittern ꝛc. ; Nadeln ꝛc.;
  • c) Verfertigung hoͤlzerner Uhren;
  • d) Verfertigung hoͤlzerner Schachteln, Loͤffel, Ga - beln, Meſſerhefte, Teller, Rechen, ꝛc. und andere Holz-Schniz-Arbeiten;
  • e) Verfertigung von Lobkaͤſen; Aufrollen der Ta - baksblaͤtter in Tabaksfabriken, Arbeiten in Por - cellan-Fabriken ꝛc.;
  • f) Allerley Arbeiten aus Borſten, z. B. Buͤrſten, Kehrbeſen ꝛc.;
  • g) Flechten groͤßerer und kleinerer Koͤrbe, auch Sie - be fuͤr Muͤller und Baͤcker ꝛc.;
  • h) Allerley Stroh-Geflechte, nahmentlich zu Stuͤh - len, Fußboͤden (Fußdecken, Fußtritten, Strohboͤ - den), Tiſchdecken, Tellern, Naͤpfen, Brodkoͤr - ben, Bienenkoͤrben, Stroh-Feuereimern, Stroh - Huͤten, und Stroh-Kappen;
  • i) Durchſchlagen von Hemd-Knoͤpfen durch Leder-Ab - ſchnitte ꝛc.;
  • k) Verfertigung von Deviſen, papierenen Duͤten (Gucken) fuͤr Kaufleute, und andere Papparbeiten;
49
  • l) Aufziehen alter wollenen Struͤmpfe, Auszupfen wollener und ſeidener Lappen, Charpie-Zupfen, Roßhaar-Zupfen;
  • m) Verleſen der Baumwolle;
  • n) Verarbeitung der Seidehaſenhaare, Zupfſeide, Schafwolle, Baumwolle, des Flachſes, Hanfes, ꝛc. nahmentlich
  • o) Kardiren (Kardaͤtſchen) der Zupfſeide, Schafwolle, und Baumwolle;
  • p) Kraͤmpeln und Streichen der Baum - und Schaf - wolle;
  • q) Spinnen der Seidehaſenhaare, Zupfſeide, Schaf - wolle, Baumwolle, des Abgangs vom baumwol - lenen Garn, des Flachſes, Hanfes, ꝛc.
  • r) Spulen und Zwirnen des ſeidenen, wollenen und linnenen Garns;
  • ſ) Verfertigung von Dochten fuͤr die Lichtermacher;
  • t) Verfertigung von Bindgarn, und Schnuͤren;
  • u) Filetſtricken mit Bindfaden, nahmentlich Verfer - tigung von Fiſchernetzen, Fiſchhamen, Tauben - ſaͤcken, Garnen zum Trocknen des Leims ꝛc.;
  • v) Filet-Spitzenmachen;
  • w) Band - und Bortenwirken;
  • x) Stricken ſchafwollener, baumwollener, und linne - ner Struͤmpfe, Halbſtruͤmpfe (Socken), Schuhe, Handſchuhe, Hauben, Zottel - und anderen Muͤtzen, Aermel, Leibchen, Kinderkleidchen, Kittel, Strumpf - baͤnder, Hoſentraͤger, Beutel, Arbeitskoͤrbchen, Perlen-Seide - und andere Strickerey;
  • y) Haͤkeln, Flechten, und Wirken wollener Winter - ſchuhe aus Tuch-Enden ꝛc.;
  • z) Stoppen von Struͤmpfen und Winterſchuhen;
450
  • aa) Verfertigung ſogenannter Pudelmuͤtzen;
  • bb) Weben von Leinwand;
  • cc) Zuſchneiden derſelben zu Kleidungsſtuͤcken, Tiſch - und Bettzeug;
  • dd) Saͤumen von Sacktuͤchern, Halstuͤchern ꝛc.;
  • ee) Naͤhen neuer Tiſchtuͤcher, Leintuͤcher, Bett - ziechen, Halstuͤcher, Hemden, Schuͤrzen, uͤber - haupt Weißnaͤhen, Verfertigung von Trag - baͤuſten, und Decken ꝛc. aus Schneiderflecken, Kleidermachen, Ausbeſſern (Flicken) ſol - cher Stuͤcke, auch Schuhflicken, und andere Naͤhtereyen;
  • ff) Zeichnen der Waͤſche mit Buchſtaben;
  • gg) Feſtoniren; und
  • hh) Sticken, mit Perlen, Wolle, Seide, Gold ꝛc.

Ohne Zweifel laſſen ſich aber noch verſchiedene an - dere fuͤr dieſen Zweck eben ſo taugliche Arbeiten ausfin - dig machen.

§. 44.

Es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß die Abſicht nicht ſeyn kann, daß alle vorſtehende Arbeiten in einer und ebenderſelben Jnduſtrie - Schule getrieben werden ſollen. Vielmehr duͤrfte es im Allgemeinen genug ſeyn, wenn jedes Kind in Einer derſelben eine beſondere Fertigkeit erlangt. Die allgemeinen weiblichen Arbeiten jedoch, nahment - lich Spinnen, Stricken, und Naͤhen, ſollte in der Re - gel jedes Maͤdchen, das nicht von den Jhrigen dazu angeleitet wird, ſo weit, als es fuͤr den gewoͤhn - lichen Hausbedarf noͤthig iſt, in der Jnduſtrie-Schule lernen muͤſſen, wie dieß auch wirklich diejenigen 3 Arten von Kunſt-Arbeiten ſind, welche in den in Wuͤrt -51 temberg bereits beſtehenden Jnduſtrie-Schulen am haͤu - figſten getrieben werden. Ueberhaupt ſollte in der Re - gel in keiner Jnduſtrie-Schule nur Eine, ſondern es ſollten, was ebenfalls in den meiſten wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen beobachtet wird, immer mehrere verſchiedene Kunſt-Arbeiten gelehrt und ge - trieben werden, theils damit, wenn es zuweilen an Beſtellungen fuͤr die Eine fehlen, oder wenn uͤberhaupt ſpaͤterhin mit einer derſelben nichts mehr zu verdienen ſeyn ſollte, wenigſtens die anderen getrieben werden koͤnnen, und ſelbſt wenn nach und nach alle die gelern - ten Arbeiten verlaſſen werden muͤſſten, wenigſtens Muth und Faͤhigkeit zum Uebergang zu einem neuen Erwerbs - zweig vorhanden ſeyn moͤgen, theils weil nicht alle in eine ſolche Schule gehoͤrigen Kinder von gleichem Alter und Geſchlechte, und gleichen geiſtigen und koͤrperli - chen Faͤhigkeiten ſind, und nicht alle ebendieſelbe kuͤnf - tige Beſtimmung haben.

§. 45.

Ueberhaupt muͤſſen bey der Wahl der in jeder Jn - duſtrie-Schule zu treibenden Arbeiten die Faſſungs - kraft, das Alter, die koͤrperliche Beſchaf - fenheit, die Geſundheit, das Geſchlecht, der Stand und die kuͤnftige Beſtimmung, ſelbſt die Neigung der Zoͤglinge, die Ver - moͤgens-Umſtaͤnde der Eltern, die beſonde - ren Verhaͤltuiſſe des Ortes, und die Zeit - verhaͤltniſſe moͤglichſt beruͤckſichtigt werden. So muͤſſen z. B. Kinder der Stadtleute feinere Ar - beiten lernen, als Kinder der Landleute. Es muß an Orten, wo die Kinder auf einen ſehr engen Raum be -4 *52ſchraͤnkt ſind, keine Arbeit gewaͤhlt werden, wobey die Werkzeuge, wie z. B. bey dem Wollenſpinnen am großen Rade, zu vielen Raum erfordern wuͤrden. Man muß auch wo moͤglich darauf Ruͤckſicht nehmen, daß den im Orte befindlichen Profeſſioniſten und den mit dergleichen Arbeiten ſich naͤhrenden Armen, wie z. B. den Naͤherinnen, Strickerinnen, Spinnerinnen ꝛc. nicht ihr bisheriger Verdienſt durch ſtarke Betreibung aͤhnli - cher Arbeiten in der Jnduſtrie-Schule geſchmaͤlert wird. Die Auswahl und Beſtimmung der in je - der Schule zu treibenden Arbeiten muß da - her den Ortsbehoͤrden uͤberlaſſen, und ſelbſt nach Umſtaͤnden von Zeit zu Zeit damit gewechſelt wer - den.

§. 46.

Es laſſen ſich aber auch gewiß aus obigem Ver - zeichniſſe fuͤr jeden Ort jederzeit wenigſtens einige Ar - beiten herausfinden, welche fuͤr jedes Jndi - viduum, fuͤr jedes Geſchlecht, fuͤr jeden Stand taugen. Die meiſten der oben aufge - zaͤhlten Arbeiten ſind der Faſſungskraft der Kinder des Landvolks angemeſſen, und gewiß haben viele zu noch viel kuͤnſtlicheren und verwickelteren Arbeiten natuͤr - liche Faͤhigkeit genug, beſonders wenn dieſelbe durch zweckmaͤßigen Unterricht und Uebung mehr entwickelt wird. Die meiſten dieſer Arbeiten erfordern auch nicht zu viele koͤrperliche Kraft, denn ſchon Kinder zwiſchen 4 und 5 Jahren koͤnnen z. B. alte Struͤmpfe aufziehen, wollene und ſeidene Lappen, Char - pie, Roßhaar ꝛc. zupfen, ſobald ſie etwas aͤlter ſind, koͤnnen ſie Flachs und Hanf ſpinnen, ſtricken ꝛc. vom 12ten Jahre an koͤnnen die53 Schwaͤcheren naͤhen, Wolle ſpinnen ꝛc., die Staͤrkeren Leinwand weben, Bindgarn machen ꝛc. Selbſt Blinde und Taubſtumme lernen ſpinnen ꝛc. Ob (wie ſchon behauptet worden iſt) die Wollen-Ar - beiten, oder auch andere der oben aufgezaͤhlten Arbei - ten, der Geſundheit der Schuͤler im Allgemeinen, oder wenigſtens Einzelnen von ihnen nachtheilig ſeyen, muß der Pruͤfung und Entſcheidung der Aerzte uͤber - laſſen werden. Fuͤr die Knaben werden haupt - ſaͤchlich die Arbeiten a, bis k, fuͤr die Maͤdchen die Arbeiten l, bis z, und aa, bis hh, tauglich ſeyn; doch taugen auch mehrere der letzteren, z. B. o, p, t, u, y, bb, vorzuͤglich fuͤr die Knaben; fuͤr viele Kna - ben, beſonders kuͤnftige Strumpfſtricker, Soldaten ꝛc. waͤre das Stricken ſehr angemeſſen; und ſelbſt das Spinnen und andere dergleichen ſogenannte weibliche Arbeiten koͤnnen in keinem Falle ſo unſchicklich, als der Muͤßiggang und Bettel, koͤnnten uͤberhaupt nur dann unſchicklich fuͤr ſie ſeyn, wenn ſie ſich dadurch ſchwere - ren, fuͤr ſie ebenſo nuͤtzlichen, Arbeiten muthwillig ent - zoͤgen, nie aber, wenn dieſe Arbeiten das einzige Mit - tel ſind, ſich kuͤnftig ihren Unterhalt auf eine rechtliche Weiſe zu erwerben; es wird alſo, um ſie auch zu ſol - chen Arbeiten geneigter zu machen, als dieß gewoͤhnlich der Fall zu ſeyn ſcheint, nur darauf ankommen, daß ihnen und anderen dieß auf eine zwekmaͤßige Art vor - geſtellt, hiedurch das Vorurtheil, welches ſie und an - dere etwa gegen ſolche Arbeiten haben moͤchten, zer - ſtreut, und ſo viel moͤglich verhindert wird, daß nicht Andere ſie durch Aeußerung ſolcher Vorurtheile necken; wirklich werden auch verſchiedene dergleichen ſogenannte weibliche Arbeiten in mehreren wuͤrttembergiſchen Jn - duſtrie-Schulen ſchon ſeit vielen Jahren mit gutem Er -54 folge durch Knaben betrieben. Wem es um Arbei - ten zu thun iſt, wobey die Kinder nicht an die Stube gefeſſelt und zum Sitzen gezwungen ſind, dem wird die Verfertigung vou Lohkaͤſen, das Korbflechten, das Bindgarnmachen, beſonders aber das Strohflechten, Stricken, Spinnen ꝛc., wobey ſie an ſchoͤnen Taͤgen ſogar ſpazieren gehen, oder wenig - ſtens ſich vor ihre Haͤuſer ſetzen koͤnnen, am beſten zu - ſagen. Auch muß, damit den Kindern ihr Ge - ſchaͤfte ſo wenig als moͤglich entleide, mit den verſchie - denen fuͤr ſie gewaͤhlten Arbeiten zweckmaͤßig abge - wechſelt werden. Jſt endlich den Eltern daran gelegen, daß die Kinder ihnen bald zu Hauſe an die Hand gehen, oder etwas verdienen koͤn - nen, ſo wird das Stricken, Spinnen ꝛc. ſie am beſten befriedigen.

§. 47.

Wo Arbeiten verſchiedener Art getrieben werden, wird es zum Theil, doch wohl nicht immer, noͤthig ſeyn, die mit jeder beſonderen Art von Arbeit beſchaͤftigten Kinder an einem beſonderen Platze zu vereinigen, und von denjenigen, welche etwas anderes treiben, abzuſondern. Es wird aber gut ſeyn, wenn an dieſem Platze dann jedem Kinde ſeine eigene beſtimmte Stelle angewieſen, und deren eigenmaͤchtige Veraͤnderung nicht geſtattet wird. Ueber die Methode des Unterrichts laͤßt ſich im Allgemeinen bloß bemerken, daß ſtets vom Leichteren zum Schwereren Stufenweiſe fortgeſchrit - ten werden muß. Bey jeder Art von Arbeit beruͤck - ſichtige man zwar ſo viel als moͤglich die im Orte etwa althergebrachte Weiſe; aber man verſaͤume55 nicht, die in neueren Zeiten erfundenen und an an - deren Orten vielleicht bereits eingefuͤhrten neuen Vor - theile und Verbeſſerungen damit zu verbinden. Man erklaͤre zwar den Kindern die beſte und kuͤr - zeſte Art, jede Arbeit zu betreiben, und zeige ihnen die dazu erforderlichen Handgriffe, aber man be - handle ſie nicht ſelbſt als Maſchinen, ſondern lehre ſie auch den Zweck jeder Arbeit einſehen, und mit Be - ſonnenheit und Verſtand arbeiten. Man ſehe darauf, daß ſie jede Arbeit mit Ordnung verrich - ten, halte ſie zur Genauigkeit, Puͤnktlichkeit, Beharrlichkeit, und zum Fleiße in der Arbeit an, und verbeſſere nicht nur, ſondern verwerfe ſogar nach Umſtaͤnden ſtrenge, ohne unzeitige Scho - nung und Ruͤckſicht auf Unzufriedenheit der Kinder und Eltern, jede unpuͤnctliche oder fehlerhafte Arbeit. Auch wird es gut ſeyn, wenn den Kindern das Arbeits-Material oder das angefangene Fabrikat nicht mit nach Hauſe gegeben, ſondern fuͤr jedes Kind eine eigene mit ſeinem Nahmen oder einer Nummer bezeichnete Schachtel oder ſonſt ein Behaͤltniß angeſchaft, und jedem ſein beſon - derer - nach Umſtaͤnden auf aͤhnliche Weiſe zu bezeich - nender Platz in einem Schranke ꝛc. angewieſen wird, wo ſeine Arbeit jedesmal aufbewahrt werden muß.

§. 48.

Allein manche wiſſen nicht, woher ſie das Ma - terial zu hinreichender Beſchaͤftigung der Kinder mit ſolchen Arbeiten nehmen ſollen, beſonders an Orten, wo eine ziemliche Quantitaͤt deſſelben noͤthig waͤre. Das Einfachſte iſt offenbar, wenn die Eltern, be -56 ſonders die vermoͤglicheren, veranlaßt werden, ihren Kindern ſo viel moͤglich das Material ſelbſt an - zuſchaffen, und in die Schule mitzugeben, wie dieß auch wirklich in vielen der wuͤrttembergiſchen Jn - duſtrie-Schulen laͤngſt geſchieht. Sollten dieß jedoch nicht alle Eltern thun koͤnnen oder wollen, ſo duͤrfte es am zweckmaͤßigſten ſeyn, andere Perſonen, und zwar zunaͤchſt die Ortsbewohner zu Beſtel - lungen in der Anſtalt zu veranlaſſen; manche wuͤrt - tembergiſche Jnduſtrie-Schule erhielt auf dieſe Art bis - her hinreichende Beſtellungen von Privat-Perſonen, beſonders von den Frauen der Honoratioren, und anderen Freunden der Anſtalt, ſelbſt von fuͤrſtlichen Perſonen, welche oft in einem ſolchen Orte ihren Wohnſitz haben. Es haben ſich auch ſchon Jnduſtrie-Lehrer gefunden, welche die Kinder fuͤr ihre eigene Rechnung arbeiten laſſen; doch moͤchte allen, welche von Amtswegen mit einer ſolchen Schule zu thun haben, alle Vorſicht zu empfehlen ſeyn, daß ſie ſich nicht durch dergleichen Un - ternehmungen oder auch nur einzelne unbedeutendere, Beſtellungen bey der beſten Meinung den Verdacht einer eigennuͤtzigen Abſicht zuziehen, wodurch der guten Sa - che leicht ſo ſehr geſchadet werden koͤnnte. Vielleicht koͤnnen auch Beſtellungen von Leuten aus benach - barten Orten veranlaſſt werden. Beſonders aber iſt es raͤthlich, die Handwerks - Handels - und anderen Gewerbs-Leute im Orte und in der Nachbarſchaft auf dergleichen Schulen aufmerkſam zu machen, indem ſich in ſo vielen Faͤllen der beiderſeitige Vortheil mit einander vereinigen laͤſſt; auf dieſe Weiſe wird in mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen nicht nur fuͤr einheimiſche Zeugmacher, Tuchmacher,57 und andere Fabrikanten, ſondern ſelbſt fuͤr Kaufleute in der Schweiz zu gegenſeitiger Zufriedenheit gearbeitet, und die Centralleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins koͤnnte vielleicht weſentlich zu Befoͤrderung dieſes Zwe - ckes beytragen, wenn ſie, etwa unter Ruͤckſprache mit der Centralſtelle des Handels - und Gewerbs-Vereins, von Zeit zu Zeit Kundſchaft einzoͤge, nach welchen Ar - tikeln gerade im Jn - und Auslande die meiſte Nach - frage iſt, und wenn ſie dann nicht nur die Lokal - Anſtalten hievon in Kenntniß ſezte, und ihnen die er - forderliche weitere Anleitung gaͤbe, ſondern auch ein - zelne Fabrikanten und Kaufleute des Jn - oder Aus - landes entweder zu Beſtellungen bey beſonderen Jndu - ſtrie-Schulen oder auch zu Beſtellungen im Großen veranlaſſte, und nach Umſtaͤnden die Leitung und Spe - dition des Ganzen durch ihren Magazins-Verwalter beſorgen ließe. Am beſten iſt es in ſolchen Faͤllen, wenn, wie dieß auch wirklich bey obengedachten Be - ſtellungen groͤßtentheils geſchieht, die beſtellenden Perſonen das Material in die Anſtalt ſchi - cken; mehrere Jnduſtrie-Schulen erhalten auf dieſe Art Material genug, ohne eine Ausgabe dafuͤr noͤthig zu haben, und brauchen daher auch gar nichts auf ei - gene Rechnung arbeiten zu laſſen. Es haben auch ſchon Jnduſtrie-Schulen Arbeits-Material, wie z. B. uͤberfluͤßiges Papier zu Duͤten, geſchenkt erhalten. Wenn hingegen die Eltern zu arm oder wenigſtens nicht geneigt ſind, ihren Kindern ſelbſt Arbeits-Mate - rialien mitzugeben, oder wenn diejenigen, welche bey der Anſtalt Beſtellungen machen, das Material nicht dazu geben wollen, oder wenn es ganz an dergleichen Beſtellungen fuͤr andere fehlt, nun dann bleibt freylich nichts uͤbrig, als das erforderliche Arbeits-Material,58 wie dieß auch wirklich in verſchiedenen wuͤrttembergi - ſchen Jnduſtrie-Schulen laͤngſt geſchieht, ganz oder zum Theil auf oͤffentliche Koſten anzuſchaffen, und ſolches wenigſtens den aͤrmeren Kindern unentgeld - lich oder etwa in herabgeſezten Preiſen abzugeben, wo - bey nicht außer Acht gelaſſen werden darf, daß, da der Erloͤß aus den Fabrikaten immer wieder zum An - kauf neuer Materialien verwendet werden kann, dieſe Methode kein ſo großes Betriebs-Capital erfordert, als manche ſich vorzuſtellen ſcheinen.

§. 49.

Viele klagen auch, beſonders an Orten, welche nicht die Mittel haben, um bedeutendere Waaren - Vorraͤthe laͤngere Zeit unverkauft liegen laſſen zu koͤn - nen, uͤber Mangel an Gelegenheit zu einem vortheil - haften Abſatz der zum Theil ſehr zahlreichen Fabrikate, indem der Verkauf ſolcher von Kindern, und zwar großentheils von Anfaͤngern, verfertigten, und daher meiſtens ſehr unvollkommenen Waaren ſchon an ſich ſchwer ſey, durch die Concurrenz ſo vieler Ver - kaͤufe gleichfoͤrmiger Arbeits-Produkte aus ſo vielen Jnduſtrie-Schulen aber, ſo wie durch die gegenwaͤr - tige Stockung aller Gewerbe, und den allgemeinen Geldmangel noch mehr erſchwert werde. Dieſe Ver - legenheit hebt ſich aber von ſelbſt, wenn, wie oben vorgeſchlagen wurde, die Einleitung getroffen wird, daß die Kinder die Arbeits-Materialien von Hauſe mit - bringen, indem in dieſem Falle die Fabrikate, wie dieß auch in ſehr vielen wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen geſchieht, ohne weiteres den Kindern und deren Eltern ſelbſt zu ihrem und der Jhrigen eigenen Gebrauch, oder zur eigenen Verwerthung, oder zu ſon -59 ſtiger willkuͤhrlichen Benutzung und Verwendung uͤber - laſſen werden koͤnnen. Eben ſo wenig kann dieſe Verlegenheit eintreten, wenn die Arbeiten auf Beſtel - lung von Privatperſonen, Fabrikanten, Kaufleuten ꝛc. gefertigt worden ſind, indem in dieſem Falle nichts zu thun iſt, als die Fabrikate, wie auch wirklich in mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen geſchieht, an diejenige Perſonen, welche die Beſtellung gemacht haben, abzuliefern, welche dann den be - dungenen - auf beyden Seiten billig zu beſtimmenden Arbeitslohn zu der Caſſe des Jnſtituts bezahlen. Hat es aber auch zu beſtellten Arbeiten keine Gelegen - heit gegeben, dann muͤſſen freylich die Fabrikate den Kindern abgenommen, in das Magazin der An - ſtalt gebracht, und unter obrigkeitlicher Leitung und Aufſicht durch das Magazins - und Lehr-Perſonal ſo vortheilhaft als moͤglich zum Beſten der Jnſtituts-Caſſe verwerthet werden. Sehr oft kann dieſe Verwer - thung ohne weiteres Statt finden, zuweilen kann es aber auch raͤthlich oder noͤthig ſeyn, die Fabrikate der Kinder zuvor noch weiter, z. B. das Garn zu Struͤmpfen, Socken, Flanell, Leinwand ꝛc., den Flanell, die Lein - wand ꝛc. zu Kleidungsſtuͤcken ꝛc., entweder durch die Kinder ſelbſt, oder auch durch Andere, verarbeiten zu laſſen. Der Verkauf geſchah dann bisher bey den wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen entweder nnter der Hand, ſucceſſive, nach billig regulirten Preiſen, im Jnſtitut ſelbſt, zum Theil an Kauf - leute, oder auch commiſſionsweiſe durch Kauf - leute, oder auf oͤffentlichen Wochen - und Jahr-Maͤrkten, wo dann das Jnſtitut gewoͤhnlich eine eigene Bude miethete, und zum Theil die weib - lichen Mitglieder des Wohlthaͤtigkeits-Vereins den Ver -60 kauf beſorgten, oder auch durch einen von Zeit zu Zeit veranſtalteten oͤffentlichen Aufſtreich. An man - chen Orten fand auf dieſe Art der Abſatz, wenigſtens gewiſſer Artikel, durchaus keine Schwierigkeit, und die Auslage fuͤr das Material und den Arbeitslohn wurde durch den Erloͤß ans den Fabrikaten theils ganz ge - deckt, theils kam wenigſtens nur ein geringer Verluſt heraus. Wenn daher an anderen Orten im Gegentheil verſichert wird, daß bey dem Verkauf der Fabrikate ein weit bedeutenderer, zum Theil unverhaͤltnißmaͤßig großer Verluſt herausge - kommen ſey, ſo ſcheint die Urſache hievon großentheils in einer unzweckmaͤßigen Wahl der Beſchaͤftigungs - Gegenſtaͤnde, oder der Art und Weiſe des Verkaufs, oder auch darin geſucht werden zu muͤſſen, daß mit dem Verkaufe zu ſehr geeilt wurde, und vielleicht aus Mangel an Mitteln wirklich geeilt werden muſſte. Vielleicht koͤnnten uͤbrigens die Jnduſtrie-Schulen vor einem ſolchen Verluſte durch naͤhere Verbindung mehrerer benachbarten, beſonders der zu eben - demſelben Oberamts-Bezirke gehoͤrigen Anſtalten die - ſer Art, oder durch eine gewiſſe Verbindung mit der in ebendemſelben Orte beſtehenden Beſchaͤftigungs - Anſtalt fuͤr erwachſene Arme, oder durch naͤ - here Verbindung mit dem in Stuttgart ſeit einigen Jahren beſtehenden Magazin zu Befoͤrderung des Abſatzes vaterlaͤndiſcher weiblichen Fabrikate, oder durch Einſendung ihrer Fabrikate zum Magazin der Central-Leitung noch wei - ter geſichert werden, ſo wie mehreren Kinder-Beſchaͤf - tigungs-Anſtalten bisher von Seite des Koͤniglichen Kriegs-Departements durch Beſtellung und Annahme von Lieferungen an Hemden, Socken, und61 dergleichen kleineu Montirungs-Stuͤcken der Abſatz ihrer Fabrikate ſehr erleichtert wurde. Uebrigens kann, da es bey dieſen Jnduſtrie-Schulen mehr um moraliſchen und intellectuellen, als pecuniaͤren Gewinn zn thun iſt, auf einen kleinen - bey ſo vielen An - faͤngern allerdings beynahe unvermeidlichen Geld - Verluſt nicht geſehen werden, und ſelbſt wenn manches Stuͤck eben als das Produkt eines Anfaͤngers, mithin als ein unvollkommenes Fabrikat, gar keinen Kaufliebhaber finden ſollte, bleibt ja immer noch der an mehreren Orten ganz zweckmaͤßig gewaͤhlte Ausweg uͤbrig, ſolche Fabrikate den aͤrmſten Zoͤglingen der Anſtalt, oder anderen armen Kindern, oder auch erwachſenen Armen zum Gebrauche zu ſchenken, oder dieſelbe zur Kleidung der Spi - talpfruͤnder zu verwenden, ſo daß alſo wenigſtens ein Allmoſen oder eine ſonſtige Ausgabe damit erſpart, und mithin der Werth des Fabrikats in keinem Falle ganz verloren wird.

§. 50.

Uebrigens iſt es keineswegs noͤthig, ja nicht ein - mal raͤthlich, die Kinder in denjenigen Stunden, wel - che ihnen der ordentliche Elementar-Schul-Unterricht und ihre haͤusliche Beſchaͤftigung uͤbrig laͤßt, ausſchließ - lich mit Handarbeiten in den Jnduſtrie-Schulen zu be - ſchaͤftigen: denn da der Zweck dieſer Schulen nicht bloß dahin geht, ſie in Handarbeiten zu unterrichten und zu uͤben, und ihnen fruͤhzeitig Gelegenheit zu einem kleinen Erwerb zu verſchaffen, ſondern ſie uͤberhaupt vom Muͤſſiggang und Bettel abzuhalten, und zu ver - ſtaͤndigeren, geſchickteren, und rechtſchaffeneren Dienſt - boten, Hausvaͤtern, und Hausmuͤttern, uͤberhaupt zu62 beſſeren und gluͤcklicheren Buͤrgern und Menſchen zu bilden; ſo iſt ihnen jede andere Beſchaͤftigung, welche zu Bildung ihres Verſtandes und Herzens, uͤberhaupt zu ihrer geiſtig-ſittlichen, intellectuel - len, religioͤſen, u. moraliſchen Bildung, Beſ - ſerung u. Veredlung etwas beytragen kann, ebenſo nuͤtzlich, und beſonders alsdann ſehr nothwendig, wenn ſie in dieſer Hinſicht zu Hauſe oder in der ordentlichen Elementarſchule vernachlaͤßigt werden, oder wenigſtens fruͤher vernachlaͤßigt worden ſind.

§. 51.

Was insbeſondere die intellectuelle Bil - dung der Kinder betrifft, ſo iſt in einzelnen wuͤrttem - bergiſchen Jnduſtrie-Schulen bereits nicht ohne Erfolg der Verſuch gemacht worden, den in den uͤbrigen Kennt - niſſen am weiteſten vorgeruͤckten Knaben die Anfangs - gruͤnde der Oeconomie und der Kunde der Ge - werbe (Technologie, Waarenkunde ꝛc. ) mit - zutheilen. Auch wird es gewiß nicht ohne Nutzen ſeyn, wenn die Kinder mit den Naturkoͤrpern, welche ſie taͤglich unter Augen haben, bekannt gemacht werden, und nicht allein die zum Anbau dienenden Gewaͤchſe mit der Behandlungs - und Gebrauchsart, und die gewoͤhnlich wild wachſenden Pflanzen, deren Nutzen und Schaͤdlichkeit, ſondern auch die am haͤufig - ſten vorkommenden Feldſteine und Gebirgs-Arten, ſo weit alles dieß zum Hausbrauch noͤthig iſt, kennen lernen. Selbſt einige Kenntniß von der Geo - graphie und Geſchichte, ſo weit ſie dazu dienen kann, die Kinder mit ihrem Vaterlande bekannt zu machen, und ihnen Liebe fuͤr daſſelbe beyzubringen, kann nicht ohne Nutzen ſeyn. Das Zeichnen dient63 nicht nur im Allgemeinen dazu, den Sinn der Kinder zum achtſamen und genauen Ergreifen der Form des aͤußerlich Angeſchauten, und beſonders zu richtiger Auffaſſung, Schaͤtzung, Unterſuchung und Berechnung der Maßverhaͤltniſſe zu bilden, alſo ihr Augenmaß, und hiedurch zugleich ihren Verſtand zu uͤben, ſondern es hilft den Kindern beſonders auch dazu, das, was ihnen kuͤnftighin in Erzeugniſſen des Kunſtfleißes Mu - ſterhaftes vorkommen wird, genauer unterſuchen, be - greifen, und beurtheilen, und durch Nachzeichnen ſich leichter zu eigen machen zu koͤnnen. Jn verſchiedenen wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen erhalten daher auch bereits nicht nur die (zu Handwerkern beſtimmten) Knaben, ſondern zum Theil auch die Maͤdchen (zum Behuf der kuͤnſtlicheren Arbeiten, wie Sticken, Perlen - Strickerey ꝛc.) Unterricht im Zeichnen. Von dem Unterrichte in der Geometrie als Wiſſenſchaft kann zwar nicht die Rede ſeyn, hingegen gehoͤrt es zu den Elementen der ſinnlichen Erkenntniß, gerade und krum - me, gleichlaufende und ſich durchkreuzende Linien, rech - te, ſpitze, und ſtumpfe Winkel, Dreyecke, Vierecke, und Vielecke, den Wuͤrfel, die Walze, den Kegel, die Kugel, zu kennen und benennen zu wiſſen; wenn ſich alſo der Unterricht in der Geometrie auch nur darauf beſchraͤnkt, ſo werden die Kinder dadurch doch die Groͤße einer Linie oder Oberflaͤche ſchaͤtzen, die Hoͤhe eines Baumes oder ſeines kubiſchen Jnhalts wenigſtens an - naͤhernd beſtimmen, und eine Wieſe oder einen Acker, wenn auch nicht mit geometriſcher Genauigkeit, dennoch aber auf eine fuͤr den gewoͤhnlichen Gebrauch des Le - bens hinreichende Weiſe ausmeſſen lernen. Auch der Unterricht im Rechnen und Rechnungs - Uebungen ſind in verſchiedenen wuͤrttembergiſchen64 Jnduſtrie-Schulen bereits eingefuͤhrt; hiebey duͤrfte es am angemeſſenſten ſeyn, mit dem Kopfrechnen, worin die Kinder ohnehin gewoͤhnlich eine Freude finden, und zum Theil eine große Fertigkeit erlangen, den Anfang zu machen, und dann erſt mit geſchriebenen Zahlen we - nigſtens ſo lange fortzufahren, bis die Kinder die 4 Rechnungsarten in genannten und ungenannten Zahlen und die Regel de tri verſtehen, und nach denſelben mit gebrochenen ſowohl, als ganzen Zahlen rechnen koͤnnen. Die Sprachlehre wird ſich darauf beſchraͤnken duͤrfen, die Kinder den Unterſchied zwiſchen Haupt - woͤrtern, Zeitwoͤrtern, und Beywoͤrtern kennen zu leh - ren, uͤberhaupt ihnen diejenigen Sprachbegriffe beyzu - bringen, ohne welche ſie nicht wohl wuͤrden richtig ſprechen und ſchreiben lernen. Hingegen koͤnnte oft dem Schul-Unterrichte dadurch vortrefflich nachgeholfen werden, wenn die dabey zuruͤckbleibenden Kinder in der Jnduſtrie-Schule im Schoͤn - und Rechtſchreiben, und richtigen Leſen geuͤbt wuͤrden, wie dieß in ei - nigen wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen bereits mit dem beſten Erfolge geſchieht. Nicht nur zur all - gemeinen Uebung des Gedaͤchtniſſes und Verſtandes, ſondern auch zu Sammlung eines fuͤr das ganze Leben brauchbaren Vorraths, und Aufbe - wahrung deſſelben im Gedaͤchtniſſe, alſo in formeller und materieller Hinſicht wird es gut ſeyn, ſie Spruͤche, Lieder ꝛc. auswendig lernen zu laſſen, ihnen unterhal - tende und belehrende Schriften vorzuleſen, und zu er - klaͤren, und ſich dann durch zwekmaͤßige Fragen zu ver - ſichern, ob ſie das Vorgeleſene richtig gefaſſt haben, auch ſie nach Umſtaͤnden ein Tagbuch fuͤhren zu laſſen, in welches ſie am Sonntage alles in der verfloſſenen Woche Erlernte und Erfahrene eintragen.

65

§. 52.

Zum Behuf der religioͤſen Bildung der Kin - der werden in den beſſeren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie - Schulen die Zoͤglinge derſelben nicht nur ſorgfaͤltig in die allgemeinen woͤchentlichen Catechiſationen ge - foͤrdert, ſondern ſie erhalten zum Theil auch an den Sonn - und Feſttaͤgen regelmaͤßig beſonderen ausſchließ - lich fuͤr ſie beſtimmten Religions-Unterricht. Der uͤbrige Unterricht beginnt und endet mit einem paſſenden Gebet, und beſonders koͤnnen Morgen - und Abend-Andachten unendlich viel zu der reli - gioͤſen Bildung der Kinder beytragen, wenn ſie von der Art ſind, daß durch ſie ein Urtheilen uͤber die Sittlich - keit ihrer Handlungen in ihren Herzen erweckt wird; der Lehrer wird deßwegen bey der Morgen-Andacht gute Entſchluͤſſe fuͤr den kommenden Tag beleben, bey der AbendAndacht aber die Ereigniſſe des vollbrachten Tages muſtern, und jede auffallende Handlung ruͤgen; dann wird Freude uͤber gutes Gelingen im guten Le - ben ſtaͤrken, und Reue uͤber einen begangenen Fehltritt vor deſſelben Wiederkehr bewahren; der Geſang wird bey dieſen Andachts-Uebungen, wenn die Lieder in Ruͤckſicht der Gegenſtaͤnde ſowohl, als der Darſtellung gluͤcklich gewaͤhlt werden, mit vielem Nutzen in An - wendung kommen, und tiefe und bleibende Eindruͤcke hinterlaſſen. An Sonn - Feſt - und Feyertaͤgen wer - den die Jnduſtrie-Schuͤler entweder zu Beſuchung des allgemeinen oͤffentlichen Gottesdienſtes, oder zu Anhoͤrung einer fuͤr ſie insbeſondere veranſtalteten Predigt angehalten. Auch zwiſchen der Zeit wer - den ſie mit ausgewaͤhlten bibliſchen Geſchichten bekannt gemacht, und ihnen bibliſche Spruͤche und chriſtliche Liederverſe erlaͤutert, und zum566Auswendig-Lernen aufgegeben. Daneben benuͤtzen die Vorſteher, die Freunde, und Freundinnen der An - ſtalt ihre haͤufigen Beruͤhrungen mit den Kindern ſo ſehr wie moͤglich, um durch ihr Beyſpiel, durch Beſprechun - gen, durch Beurtheilung vorkommender Faͤlle gute Gefuͤhle in ihnen zu beleben, und ihnen chriſtlich - rechtſchaffene Grundſaͤtze einzupraͤgen. Bey jeder Gelegeuheit wird darauf geſehen, daß ſie allem, was Gott und Religion angeht, mit Wort und That Ehrerbietung beweiſen, und gottloſe Reden werden nie von ihnen geduldet. Uberhaupt wird alles angewendet, um es dahin zu bringen, daß ſie ſich eineu kindlich-frommen Sinn, eine chriſt - liche, rechtſchaffene, wuͤrdige Denkungsart zu eigen machen, daß ſie ſich zum Wandel vor Gott und zur chriſtlichen Tugend-Uebung gewoͤhnen, daß ſie nichts thun, als was Gott ge - faͤllig iſt, uͤberhaupt daß ſie wahrhaft gute, got - tesfuͤrchtige und gottſelige Menſchen werden.

§. 53.

Zu Befoͤrderung der moraliſchen Bildung der Kinder wird denſelben theils in Verbindung mit dem Religions - eigentlicher Unterricht in der Moral ertheilt, theils werden ihnen lehrreiche Geſchichten, in welchen die Moral in Hand - lungen erſcheint, entweder erzaͤhlt, oder aus ſorg - faͤltig ausgewaͤhlten guten Jugendſchriften, z. B. Ro - chows Kinderfreund, vorgeleſen, das Erzaͤhlte und Vorgeleſene wird ihnen erlaͤutert, und wieder abge - fragt, von Einzelnen wieder erzaͤhlt, und auf ihr eige - nes ſittliche Verhalten zweckmaͤßig angewendet. Auch ſonſt werden ſie bey jeder ſchicklichen Gelegenheit zu67 Beobachtung aller Pflichten in der haͤuslichen und buͤr - gerlichen Geſellſchaft, und zu einem ſittlichen Betragen anfgemuntert, und erinnert, nie etwas, weder oͤffentlich noch heimlich zu thun, deſſen ſie ſich vor Gott und ehrbaren Menſchen ſchaͤmen muͤſſteu. Vorzuͤg - lich wird ihnen ein unſchuldvolles, ſtilles und ſittſames Betragen, Einfachheit in der Kleidung, Genuͤgſamkeit, Haͤuslichkeit, und Sparſamkeit empfohlen, man ſucht ſie zur Puͤnctlichkeit und Ordnungsliebe zu gewoͤhnen, und beſonders wird auf Reinlichkeit bey ihnen ge - drungen; es wird darauf geſehen, daß ſie rein gekaͤmmt, und mit rein gewaſchenem Geſichte und Haͤnden in der Schule erſcheinen, reinlich muͤſſen in der Schule alle Arbeiten und Geraͤthe, alle Zimmer und Gaͤnge im ganzen Hauſe gehalten werden. Die Kinder wer - den ferner gewarnt, nie zu luͤgen, und nirgends et - was zu nehmen, was nicht ihnen gehoͤrt; dagegen werden ſie erinnert, jedem das Seine zu laſſen, und im Großen wie im Kleinen ſtets ehrlich, ge - wiſſenhaft, und treu zu ſeyn. Es wird ihnen Liebe, Wohlwollen, Dienſtfertigkeit, Ver - traͤglichkeit, Hoͤflichkeit, und Beſcheiden - heit gegen Jhresgleichen ſowohl, als gegen Eltern, Lehrer, und andere Vorgeſetzte, Folgſamkeit und Achtung gegen die Letzteren, uͤberhaupt ein anſtaͤn - diges Betragen gegen jedermann empfohlen, und ihnen ernſtlich verboten, irgend jemand, ſey es mit Worten oder mit der That, zu beleidigen.

§. 54.

Schlimmen Geſinnungen, Neigungen, und Angewoͤhnungen der Kinder muß auf jede5 *68Art entgegengewirkt, und beſonders zu Heilung bereits verdorbener Geſchoͤpfe allem aufgeboten werden. Hiebey werden zwar in den meiſten Faͤllen das gute Beyſpiel anderer Kinder, eine elterlich-lieb - reiche Behandlung, ein ruhiges kaltbluͤti - ges Benehmen, ſanfte Ermahnungen und nachſichtige Zurechtweiſungen manche Strafe erſparen koͤnnen, und dabey doch mehr und ſicherer wirken, als ein allzuraſches ſtuͤrmiſches Ver - fahren. Wenn jedoch ein Kind aller guͤtlichen Er - mahnungen, Warnungen, und Zurechtweiſungen un - geachtet fortfaͤhrt, unfleißig, traͤge, geſchwaͤzig, unor - dentlich, unreinlich, unſittlich, unredlich, muͤrriſch, eigenſinnig, zaͤnkiſch, ungehorſam, luͤgenhaft, verlaͤum - deriſch, uͤberhaupt boßhaft zu ſeyn; ſo bleibt alsdann nichts uͤbrig, als mit wirklichen Strafen gegen daſ - ſelbe vorzugehen. Muthwillige Beſchaͤdigungen an Ar - beits-Materialien, Werkzeugen, Fabricaten, Fenſtern, Waͤnden ꝛc. koͤnnen nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde durch Abzug an dem Arbeitslohn beſtraft werden; außerdem aber koͤnnen die Strafen beſtehen: im Her - unterſetzen ſolcher Kinder unter andere, welche ſich vor - theilhafter auszeichnen, im Ausſchluß derſelben aus dem Kreiſe beſſerer Kinder, im Ausſchluſſe von der Anſtalt uͤberhaupt auf kuͤrzere oder laͤngere Zeit, und im Aus - ſchluſſe von den den Kindern bereiteten Freuden. Selbſt Arreſt und koͤrperliche Zuͤchtigungen zu gebrauchen muß dem Jnſtitut ſo gut, wie den Eltern ſelbſt, deren Stelle es in ſolchen Faͤllen vertritt, erlaubt ſeyn; doch moͤchte es raͤthlich ſeyn, dieſe Mittel ſo ſparſam als moͤglich zu waͤhlen, und in jedem Falle nur mit aͤußer - ſter Vorſicht, mit Ueberlegung und Maͤßigung, mit ſteter Ruͤckſicht auf die Jndividualitaͤt der Kinder, und69 mit gehoͤriger Gradation anzuwenden, um nicht Er - bitterung, Heucheley, Trotz, Abneigung gegen die Schule, und eine niedrige ſclaviſche Denkungsart bey den Schuͤlern hervorzubringen; in einigen der beſſeren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen iſt es bisher den Lehrern und Vorſtehern gelungen, die meiſten Kinder, zum Theil aus den niedrigſten Volksclaſſen, ohne ſolche traurige Mittel in Ordnung zu bringen und zu erhal - ten. Naͤhere allgemeine Vorſchriften in Hinſicht auf die Schulzucht laſſen ſich nicht wohl ertheilen, ſondern es muß vielmehr den Lehrern und Vorſtehern uͤberlaſſen werden, in den vorkommenden verſchiedenen Faͤllen nach eigenem beſten Wiſſen und Gewiſſen zu verfahren.

§. 55.

Aufmerkſamkeit, Fleiß, und Wohlver - halten der Kinder ſollten, wo nur immer Mittel dazu vorhanden ſind, durch Geſchenke an Kleidungs - ſtuͤcken, Arbeits-Materialien und Geraͤthſchaften, Schul - buͤchern und anderen Jugendſchriften, Denkmuͤnzen mit paſſenden Jnſchriften, und dergleichen belohnt wer - den, um dadurch ſie und andere zu kuͤnftigem Fleiß und Wohlverhalten aufzumuntern. Es moͤchte jedoch den Kindern in dieſer Beziehung bey jeder ſchicklichen Gelegenheit zu bemerken ſeyn, daß alle Geſchenke die - ſer Art nur ein Merkmaal und Unterpfand der Liebe, Zufriedenheit, und Wuͤnſche ihrer Lehrer und uͤbrigen Vorgeſetzten, nur eine ſinnliche Hindeutung auf die zeitlichen Vortheile, welche Geſchicklichkeit und Arbeit - ſamkeit, in den Schranken der Pflicht geuͤbt, gewaͤh - ren, nur ein aͤußeres Zeichen, ein Denkmaal ſeyen, das ſie auch außer dem Feſte hieran erinnern, und ſie70 aufmuntern ſoll, das zu werden, was ſie, nicht um dieſer Geſchenke willen, ſondern aus viel beſſeren, rei - neren, hoͤheren Gruͤnden, um ihrer ſelbſt und um Got - tes willen, werden ſollen, daß ſie alſo dieſe Ge - ſchenke nicht als die eigentliche und einzige Belohnung ihres Fleißes und Wohlverhaltens anſehen duͤrfen, in - dem dieſe vielmehr in dem begluͤckenden Bewußtſeyn, ſeine Pflicht erfuͤllt, und recht und gut gehandelt zu haben, beſtehe, und ihnen hauptſaͤchlich erſt ſpaͤterhin dadurch zu Theil werden koͤnne, daß das, was ſie jetzt lernen und treiben, in Zukunft das Mittel ſeyn werde, ſich ihren Lebens-Unterhalt, an dem es ſo man - chem anderen fehle, der ſeine Jugendzeit nicht zweck - maͤßig angewendet habe, zu erwerben, und ſich ihren Nebenmenſchen nuͤtzlich, hiedurch aber bey den Men - ſchen beliebt, und Gott gefaͤllig zu machen. Auch wird es zwar immerhin zweckmaͤßig ſeyn, die Geſchenke nach Maßgabe des groͤßeren oder geringeren Grades von Fleiß und Wohlverhalten der Einzelnen groͤßer oder kleiner einzurichten; man moͤchte ſich aber doch zugleich ſehr huͤten duͤrfen, daß man nicht durch allzu - ſtarke Auszeichnung Einzelner bey dieſen Stolz, Ehrgeitz, und Eigennuͤtzigkeit, bey anderen hingegen Neid und Haß errege; man gebe daher bey dergleichen Austheilungen wo moͤglich auch den minder ausgezeich - neten Kindern wenigſtens irgend eine Kleinigkeit, und ſchließe hoͤchſtens die allerſchlechteſten ganz von der Ge - ſchenkvertheilung aus.

§. 56.

Um ſich jedoch eines guten Erfolgs aller dieſer Bemuͤhungen zu verſichern, moͤchte es noͤthig ſeyn, nicht nur dasjenige, was die Kinder hauptſaͤchlich zu71 thun zu laſſen, und zu erwarten haben, in einer kur - zen und buͤndigen Form zuſammenzutragen, und als Schulgeſez an einer Tafel oͤffentlich in der Schule aufzuhaͤngen, ſondern auch ſtrenge Aufſicht zu fuͤh - ren, ob dieſem Geſetze wirklich in allen Theilen nach - gelebt werde. Jede Widerſetzlichkeit muß augenblicklich beſtraft, jede andere Uebertretung der Schulgeſetze, waͤre ſie auch außerhalb der Schule vorgefallen, ſo - gleich, ſobald ſie zur Kenntniß des Lehrers kommt, von dieſem geruͤgt werden. Ueberdieß wird es ſehr gut ſeyn, wenn man jede Art von Vergehungen gegen die Schulgeſetze ſogleich auf einer Schiefertafel, auf welcher ein Papierſtreifen mit den Nahmen der Kinder aufgeklebt, und von jedem Nahmen aus eine Linie quer in die Tafel eingekerbt wird, ſogleich durch ein beſonderes Zeichen bemerkt, und die Tafel nach der Schule einſchließt, am Ende jeder Woche aber denjenigen Kindern, welche im Laufe derſelben die Schulgeſetze nach Kraͤften beobachtet haben, ſo daß nie eine Klage gegen ſie vorkam, ein mit einer paſſenden - gedruckten oder geſchriebenen Jnſchrift verſehenes Zu - friedenheits-Zettelchen von ſteifem Papier zur Aufbewahrung in ihrem Arbeitsbehaͤltniß zuſtellt. Von Zeit zu Zeit koͤnnen dann dieſe Bemerkungen in ein beſonderes alle Jahre zu erneuerndes Buch, worin jedes Kind ſeine eigene Seite hat, uͤbertragen werden, ſo daß aus dieſem Buche jederzeit ſowohl der Fleiß oder Unfleiß, als das ſittliche Verhalten eines jeden Kindes erſehen werden kaun. Dieſes Buch kann hernach von Zeit zu Zeit den Freunden und Vorſtehern der Anſtalt vorgelegt, uͤberhaupt kann von Zeit zu Zeit eine Cenſur des Verhaltens ſaͤmmtlicher Kinder vor - genommen, und hiebey denjenigen Kindern, welche72 ſich in der lezten Zeit uͤbel gehalten haben, eine ange - meſſene Erinnerung, den anderen aber das gebuͤhrende Lob ertheilt werden; doch ſollte bey dieſer Cenſur außer den Lehrern und Vorſtehern in der Regel niemand zugegen ſeyn, damit nicht das kindliche Vertrauen den Wir - kungen eines unzeitig geſteigerten Ehrgeizes weichen moͤge. Am Ende eines jeden Jahres aber ſollte ver - mittelſt des obengedachten Buches genau unterſucht werden, welche Kinder ſich im verfloſſenen Jahre durch Unfleiß und ſchlechtes Verhalten, und welche ſich durch Fleiß und Wohlverhalten ausgezeichnet haben, worauf dann die Nahmen der boͤſen Kinder in ein mit ſchwarzer Decke, die Nahmen der guten Kinder aber in ein mit weiſſer, ſilber - oder goldfarbiger Decke verſehenes, auch fuͤr die folgenden Jahre beyzu - behaltendes und fortzufuͤhrendes Buch, nach Umſtaͤn - den mit Unterſcheidung der verſchiedenen Grade des Uebel - oder Wohlverhaltens, eingetragen werden ſoll - ten. Um dieſe Zeit ſollte dann alle Jahre zugleich auch ein oͤffentliches Schul - oder Kinderfeſt an irgend einem ſchoͤnen Tage veranſtaltet werden, welcher mit einer angemeſſenen Andacht, und einer fuͤr den Zweck des Feſtes paſſenden Rede, Vertheilung der den Kindern zugedachten Geſchenke, oͤffentlicher jedoch nicht nahmentlicher Belobung der guten und Ermahnung der ſchlimmen Schuͤler eroͤffnet, außerdem aber ausſchließlich unſchuldigen Spielen und anderen Vergnuͤgungen der Kinder im Freyen gewidmet, und, wo die Mittel dazu vorhanden ſind, durch Geſang, Muſik, und eine dem Alter der Kinder angemeſſene Bewir[t]hung derſelben fuͤr ſie verherrlicht werden koͤnn - te; der an manchen Orten bey ſolchen Feſten gewoͤhn - liche Tanz duͤrfte jedoch, da er ſo leicht in phyſiſch -73 und moraliſch-nachtheilige Ausgelaſſenheit ausartet, beſonders an ſolchen Orten unterlaſſen werden, wo ir - gend ein redlicher, der Anſtalt geneigter, ſorgfaͤltiger Vater dadurch abgehalten werden koͤnnte, mit gutem Gewiſſen und ungetruͤbter Luſt ſeine Kinder daran An - theil nehmen zu laſſen.

§. 57.

Manche fuͤrchten zwar, durch ſolche Jnduſtrie - Schulen moͤchte der bisher gewoͤhnliche Elementar - Schul - und Religions-Unterricht Noth lei - den, und nahmentlich moͤchten manche Eltern glau - ben, ſie haͤtten ihre Schuldigkeit gethan, wenn ihre Kinder nur abwechslungsweiſe bald in die Arbeits - bald in die Lehrſchule befoͤrdert werden. Allerdings waͤre es zweckwidrig, wenn man aus uͤbertriebener Vorliebe fuͤr die Jnduſtrie-Schulen dieſe auf Koſten der bishe - rigen Elementar-Schulen beguͤnſtigen wollte. Allein dieß iſt ja auch durchaus nicht noͤthig. An den mei - ſten Orten, wo in Wuͤrttemberg ſchon Jnduſtrie-Schu - len beſtehen, ſind die gewoͤhnlichen Schulſtun - den bis jezt ganz unveraͤndert geblieben, und der Jnduſtrie-Unterricht beſchraͤnkt ſich lediglich auf die von dem gewoͤhnlichen Elementar-Unter - richte freyen Stunden. Es iſt zwar ſchon be - hauptet worden, der leztere fuͤlle, beſonders an Orten, wo die Kinder weit, zuweilen bis auf Stunde in die Schule zn gehen haben, die ganze, im Winter oft ſo kurze Tageszeit aus, und es wuͤrde daher keine ſchickliche Zeit zum Jnduſtrie-Unterricht ausgemittelt werden koͤnnen. Allein es bleibt ja noch der Sonn - tag, es bleiben die beyden ſogenannten Vacanz-Taͤge, an welchen des Nachmittags keine Schule gehalten74 wird, es bleibt beſonders im Sommer, wo die Taͤge laͤnger ſind, und jedes Kind nur 2 Stunden taͤglich die Elementar-Schule zu beſuchen hat, jeden Tag noch ſo manche Stunde uͤbrig. Wirklich wird auch in manchem Orte in Wuͤrttemberg die Jnduſtrie-Schule nur an gedachten beyden Vacanztaͤgen, nehmlich Mittwoch und Samſtag Nachmittags, gehal - ten, und in anderen Orten wird zwar auch an den uͤbrigen Taͤgen, aber jedesmal nur nach geendig - ter Elementar-Schule, Jnduſtrie-Unterricht er - theilt. Auf dieſe Art koͤnnen die Jnduſtrie-Schulen, ob ſie gleich vielleicht in einem und ebendemſelben Ge - baͤude und Zimmer mit den Elementar-Schulen ge - halten werden, doch ganz von den lezteren ge - trennt, und deſſen ungeachtet ſo eingetheilt ſeyn, daß jedes Kind beyde beſuchen kann, ohne daß der bisherige Elementar-Unterricht die mindeſte Aenderung dadurch erleidet.

§. 58.

Jndeſſen iſt in einer gewoͤhnlichen Elementar - Schule der Lehrer nicht immer im Stande, alle Schuͤler zugleich zu beſchaͤftigen, beſonders die kleineren; waͤhrend eine Claſſe unterrichtet wird, ſizt indeſſen die andern muͤſſig da; wer kann es hin - dern, daß ſie nicht durch Plaudern, Lachen, und Muthwillen den Lehrer alle Augenblicke ſtoͤren; entwe - weder verliert dann der Lehrer durch das unaufhoͤrliche Abwehren und Beſtrafen ſeine Zeit, und der Unterricht wird beſtaͤndig unterbrochen, oder er gewoͤhnt ſich an den Laͤrmen, und laͤſſt ſeine muͤßige Schuljugend trei - ben, was ſie will. Ueberhaupt moͤchte es ſich fra - gen, ob nicht dem lebhaften thaͤtigen Geiſte der Kin -75 der allzuvieler Zwang angethan werde, wenn man ſie die bisher gewoͤhnliche Zeit ununterbrochen mit dem gewoͤhnlichen Elementar-Unterrichte beſchaͤftigt, und ob es nicht angemeſſener waͤre, ver - mittelſt des Jnduſtrie-Unterrichts mehr Jntereſſe und Abwechslung in den erſteren zu bringen. Verſchiedene der oben aufgezaͤhlten Beſchaͤftignngs - Gegenſtaͤnde der Elementar - und Jnduſtrie-Schulen, und zwar nahmentlich Hand - und Kopf-Arbeiten, laſ - ſen ſich fuͤglich, und oft ſehr zweckmaͤßig, mit ein - ander verbinden, ohne daß bey einer ſolchen Ver - bindung die fuͤr die eine Beſchaͤftigung in Anſpruch genommenen Kraͤfte durch die andere zerſtreut werden, vielmehr wird durch die Verbindung der Hand - arbeiten mit dem Elementar-Unterrichte und die hiemit verknuͤpfte Abwechslung der leztere fuͤr die jugendliche Lebhaftigkeit unterhaltender und an - genehmer, und da hiedurch die Aufmerkſamkeit der Kinder mehr feſtgehalten wird, zugleich fruchtbarer, waͤhrend durch die Verbindung geiſtiger Uebun - gen mit den mechaniſchen verhindert wird, daß die Kinder nicht durch allzu-einfoͤrmige Beſchaͤftigung der Haͤnde ſelbſt zu Maſchinen werden. Es duͤrfte daher durchaus nicht unangemeſſen ſeyn, wenn die Jnduſtrie-Schulen in naͤhere Verbindung mit den bisherigen Elementar-Schulen ge - ſezt wuͤrden, wie dieß auch durch ein Reſcript des evangeliſchen Conſiſtoriums vom 31. Maͤrz 1818. aus - druͤcklich befohlen, und in mehreren wuͤrttembergiſchen Orten, und zwar ſelbſt in Orten, wo man ſich auf ein einziges durchaus nicht geraͤumiges Schulzimmer beſchraͤnken muß, bereits geſchehen iſt.

76

§. 59.

Bereits gibt es in Wuͤrttemberg Elementar-Schu - len, wo die Kinder ſich waͤhrend des Religions - Unterrichts mit Stricken ꝛc. beſchaͤftigen, oder wo man wenigſtens diejenige, an welchen nicht gerade das Penſum iſt, neben dem Lernen ſtricken laͤſſt, ſo wie im Gegentheil waͤhrend der Handarbeiten nuͤtzliche Unterredungen mit ihnen gefuͤhrt, ihnen bibliſche oder andere lehrreiche Geſchichten erzaͤhlt, oder moraliſche und andere nuͤtzliche Schriften vor - geleſen, auch Spruͤche und Lieder von ihnen aus - wendig gelernt, und andere Gedaͤchtniß - und ſelbſt Rechnungs-Uebungen mit ihnen vorgenom - men werden. Am zweckmaͤßigſten laͤſſt ſich jedoch die Sache da einrichten, wo fuͤr die Handarbeiten be - ſondere Lehrer, und beſondere Zimmer, beſonders wenn leztere in ebendemſelben Gebaͤude vorhanden ſind. Jn dieſem Falle koͤnnen ſaͤmmtliche Kinder nach Maßgabe ihres Alters oder ihrer Faͤhigkeiten und Kenntniſſe in 2 oder 3 Abtheilungen oder Claſſen einge - theilt, und waͤhrend dann die eine dieſer Claſſen in der Elementar-Schule den ordentlichen Unterricht ge - nießt, die andere in der Jnduſtrie-Schule unter Auf - ſicht gehalten und beſchaͤftigt werden, ſo daß alſo die verſchiedenen Claſſen in der Elementar-Schule in der Regel nie, als am Anfang und Ende derſelben bey der gemeinſchaftlichen Andacht zuſammen kommen. Dieſe Einrichtung iſt ſchon durch die Katholiſche Schul - Ordnung empfohlen, und auch wirklich in mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen eingefuͤhrt.

77

§. 60.

Der Wechſel kann alle Stunden, oder auch je nur nach Verfluß mehrerer Stunden Statt finden, je nachdem die Beduͤrfniſſe der Kinder es erfordern, und der Elementar-Lehrer eine groͤßere oder kleinere Anzahl von Kindern zu gleicher Zeit zu beſchaͤftigen im Stande iſt. Es kann alſo auch dafuͤr geſorgt werden, daß nicht nur uͤberhaupt die Lehrſchule, wie dieß die katho - liſche Schul-Ordnung vorſchreibt, immer das Erſte bleibt, und die Arbeits-Schule nur als ein Anhang derſelben zu betrachten iſt, ſondern daß auch einzelne Claſſen von Kindern, und ſelbſt einzelne Kinder, welche den Elementar-Unterricht noch noͤthiger haben als andere, oͤfter und laͤnger als dieſe, an dem letzteren Theil nehmen. Es koͤnnen ferner bey dieſer Einrichtung fuͤr den Elementar-Unterricht der - jenigen Kinder, welche von ihren Eltern viel zu Haus - und Feldarbeiten angehalten werden, und mithin den Schul-Unterricht in Handarbeiten weniger, deſto mehr aber den Elementar-Unterricht noͤthig haben, ſolche Taͤge und Stunden gewaͤhlt werden, in welchen ihre Eltern ſie am Beſten entbehren koͤnnen, was um ſo eher geſchehen kann, als eben dieſe Stunden auch ein Elementar-Schullehrer, welcher vielleicht ebenfalls eigene Haus - und Feldgeſchaͤften hat, am liebſten dem Schul-Unterrichte wiedmen wird. Jm Allgemeinen laͤßt ſich jedoch in dieſer Hinſicht nicht wohl etwas beſtimmen, vielmehr ſollte den geiſt - lichen und weltlichen Vorſtehern eines jeden Ortes uͤber - laſſen werden, unter Ruͤckſprache mit den Lehrern und unter genauer Beruͤckſichtigung der beſonderen Verhaͤlt - niſſe des Ortes und der einzelnen Ortsbewohner einen - nach Beſchaffenheit der Jahrszeit und anderen Um -78 ſtaͤnde ſogar veraͤnderlichen - wenn gleich zum Voraus feſtzuſetzenden beſtimmten Lehr - und Stunden - plan zu verfaſſen, welcher deßwegen doch einer hoͤhe - ren Pruͤfung und Genehmigung unterworfen werden koͤnnte. Selbſt die Zahl der Stunden, welche auf jeden Theil des Elementar-Unterrichts taͤglich ver - wendet werden muͤſſen, duͤrfte vielleicht uicht ſo ganz unabaͤnderlich zu beſtimmen, vielmehr moͤchte es viel - leicht angemeſſen ſeyn, mehr nur den Grad von Kenntniſſen, welcher von jedem Kinde in jedem Alter erwartet wird, alſo das Ziel, nach welchem bey jedem Kinde geſtrebt werden ſoll, als die darauf zu ver - wendende Zeit, im Allgemeinen feſtzuſetzen. Jn dieſem Falle koͤnnten vielleicht ſelbſt die bisher gewoͤhn - lichen Elementar-Schul-Stunden, wenigſtens bey einzelnen faͤhigeren und fleißigeren Kindern, ver - kuͤrzt, und jedes Kind, ſobald es dasjenige, was ihm aufgegeben war, gelernt haͤtte, in die Arbeits - Schule abgegeben, ein anderes aber, welches das Auf - gegebene auch in der vollen Elementar-Schulzeit nicht lernen ſollte, auch uͤber dieſe Zeit in der Elementar - Schule zuruͤckbehalten werden. Auf ſolche Art laſſen ſich gewiß die Jnduſtrie-Schulen auf das Jn - nigſte mit den bisherigen Elementar-Schu - len verbinden, ohne daß der Elementar-Unterricht im Mindeſten dabey verliert. Und wenn durch dieſe Jnduſtrie-Schulen zugleich den Kindern Gelegenheit verſchafft wird, ihr Stuͤckchen Brod, das ſie vorher zum Theil ſo muͤhſelig und bey jeder Witterung vor fremder Thuͤre in weit entlegenen beſſern Orten ſich erbetteln mußten, beſſer und ruhiger zu Hauſe verdienen zu koͤnnen, wenn durch eine zweckmaͤßige Stunden - Eintheilung es den Eltern moͤglich gemacht wird, ihre79 Kinder unbeſchadet ihrer eigenen Haus - und Feldge - ſchaͤfte an dem oͤffentlichen Unterrichte Theil nehmen zu laſſen, und wenn durch angemeſſene Abwechslung den Kindern dieſer Unterricht unterhaltender und ange - nehmer gemacht wird; ſo werden ſelbſt die bisherigen Verſaͤumniſſe der Kirche und ordentlichen Elementar-Schule ſich vermindern, und die Jnduſtrie-Schulen werden, ſtatt den Elementar-Unter - richt zu hindern, vielmehr demſelben Befoͤrderung und Vorſchub leiſten, und ihm zur Nachhuͤlfe und Wiederhohlung dienen.

§. 61.

Ferner fuͤrchten einige, die Kinder moͤchten allzuſehr mit Geſchaͤften uͤberladen, und es moͤchte durch allzuanhaltende ernſthafte Beſchaͤftigung derſelben ihr Frohſinn zu ſehr unterdruͤckt werden. Allerdings verdient dieſe Beſorgniß alle Beruͤckſichti - gung, und es kann daher in keinem Falle die Meinung ſeyn, daß an jedem Orte alle oben aufgezaͤhlten Ge - genſtaͤnde mit den Kindern getrieben werden ſollen, viel - mehr ſind dieſelben nur aufgezaͤhlt und zuſammengeſtellt worden, um eine zweckmaͤßige Auswahl der nach den beſonderen Verhaͤltniſſen eines jeden Ortes angemeſſen ſcheinenden Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde zu erleichtern. Ueberdieß muß aber fuͤr gehoͤrige Erhohlung und angemeſſene Erheiterung der Kinder moͤglichſt ge - ſorgt werden. Jn dieſer Hinſicht moͤchte ihnen das Sprechen miteinander bey Handarbeiten, womit es ſich nur immer vertraͤgt, nicht zu erſchweren ſeyn, ſo lange es nicht zu rauſchend wird, oder in Erzaͤhlung von Geſpenſtergeſchichten, Klatſchereyen, Zoten, und ſchaͤndliche Reden ausartet. Beſonders aber iſt der80 Geſang, der, wenn die Lieder ſowohl in Ruͤckſicht der Gegenſtaͤnde, als der Darſtellung gut gewaͤhlt, und die Kinder gewoͤhnt werden, zu verſtehen und zu fuͤhlen, was ſie ſingen, nicht nur als Erheiterungs - ſondern ſelbſt als moraliſches Bildungsmittel dienen kann, ſehr zu empfehlen, und es wird deßwegen in mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen den Kindern nicht nur erlaubt, waͤhrend der Arbeit Lieder uͤber die Pflich - ten des Lebens, uͤber große und erhabene Natur-Er - ſcheinungen, uͤber die Arbeiten des Landmanns, oder ſonſtige lehrreiche und erheiternde Linder zu ſingen, ſon - dern es wird ihnen auch zum Theil foͤrmlicher Unter - richt im Singen nach der einfachen Naͤgelin'ſchen (Schweizer -) Methode ertheilt. Ueberdieß ſollten ſie unter gehoͤriger Aufſicht fleißig ſpazieren, und uͤber - haupt in's Freye, auch an Orten, wo ſich gute und ſichere Gelegenheit dazu darbietet, im Sommer von Zeit zu Zeit in ein Flußbad gefuͤhrt, und nach Umſtaͤnden zum Schwimmen angeleitet werden, ſo wie uͤberhaupt allerhand einfache gymnaſtiſche Uebungen, z. B. Gleiten (Schleifen) auf dem Eiſe, Klettern, Springen, ꝛc. und andere unſchuldige Spiele, unter gehoͤriger Aufſicht, beſonders fuͤr diejenigen Kin - der, welche nicht zu landwirthſchaftlichen Arbeiten an - geleitet und angehalten werden koͤnnen, ſehr angemeſſen ſeyn moͤchten. Selbſt dieſe Erhohlungen koͤnnen zum Theil ſo eingeleitet werden, daß ſie zugleich unter - richtend ſind, denn auch auf dem Felde wird der Leh - rer reichen Stoff finden, um die Wißbegierde der Kin - der zu reizen, ihren Beobachtungsgeiſt zu ſchaͤrfen, und ſie im Nachdenken zu uͤben, beſonders um ihnen na - turhiſtoriſche Kenntniſſe beyzubringen, und ſie uͤber Gottes Daſeyn und Eigenſchaften zu belehren. Auf81 dieſe Art wird es nicht ſchwer ſeyn, an jedem Orte die Zeit der Kinder dergeſtalt auszufuͤllen, daß ſie vom Morgen bis in die Nacht, oder wenigſtens ſo lange, bis ihnen keine Zeit und Luſt zum Betteln mehr uͤbrig bleibt, auf eine ſolche Art beſchaͤftigt und unter Auf - ſicht gehalten ſind, daß weder die Lehrer uͤberladen werden, noch die Geſundheit und der Frohſinn der Kin - der darunter Noth leiden.

§. 62.

Jn Hinſicht auf das Alter der Kinder iſt zwar allerdings eine anhaltende und angemeſſene Be - ſchaͤftigung ganz kleiner Kinder anfaͤnglich mit vielen Schwierigkeiten verbunden, und ſelten treten da - her in die in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden Jndu - ſtrie-Schulen die Kinder ſchon mit dem vierten oder fuͤnften, gewoͤhnlich mit dem ſechsten oder ſiebenten, zuweilen auch erſt mit dem zehenten Jahre ein. Allein die Erfahrung hat gelehrt, daß ſelbſt Kinder von 4 Jahren ſich oft in kurzer Zeit ſehr an Ordnung und Arbeitſamkeit gewoͤhnen laſſen, und da bey ſolchen Kindern alsdann von dem weiteren Unterrichte Fruͤchte zu erwarten ſind, welche man mit aller Muͤhe bey ei - nem großen Theile derjenigen Kinder, welche bis in das 9te oder 10te Jahr ſich ganz ſelbſt uͤberlaſſen wa - ren, vergeblich zu erzielen ſtreben wuͤrde, ſo ſollten ſie wo moͤglich ſchon mit dem 4ten bis 5ten, in jedem Falle aber wenigſtens mit dem 6ten Jahre, in welchem ſie auch in die Elementar-Schulen eintreten muͤſſen, in die Anſtalt gebracht werden. Was die Zeit des Austritts betrifft; ſo werden zwar in einigen wuͤrt - tembergiſchen Jnduſtrie-Schulen die jungen Leute, ob ſie gleich bereits ganz erwachſen ſind, bis in das ſech -682zehnte, zwanzigſte ꝛc. Jahr beybehalten. Allein dieſe lange Theilnahme derſelben ſcheint dem Zwecke nicht ganz zu entſprechen, nicht nur, weil die jungen Leute ſelbſt, wenn ſie einmal ein gewiſſes Alter erreicht ha - ben, nicht mehr auf jedem Tritte und Schritte von Eltern und Lehrern gegaͤngelt, ſondern nach und nach gewoͤhnt werden ſollten, von ihrem freyen Willen Ge - brauch zu machen, und ſich allmaͤhlich zu ſelbſtſtaͤndi - gen Menſchen zu bilden, ſondern auch, weil in dieſem Falle diejenige innige Verbindung der Jnduſtrie-Schule mit der Elementar-Schule, welche nach dem Obigen zu wuͤnſchen waͤre, nicht moͤglich iſt, und uͤberdieß die Theilnahme junger Leute, welche im Alter ſchon ſo weit vorgeruͤckt, und nicht ſelten ſchon in Dinge ein - geweyht ſind, welche der zaͤrteren Jugend fremd blei - ben ſollten, leicht der Unſchuld der letzteren gefaͤhrlich werden koͤnnte. Es moͤchte daher angemeſſener ſeyn, wenn, wie auch wirklich an den meiſten Orten geſchieht, die Beſchaͤftigung der erwachſenen Armen ganz abge - ſondert von den Kinder-Jnduſtrie-Schulen eingeleitet, und in dieſen jedes Kind nur bis zu ſeiner Confirma - tion, oder uͤberhaupt bis zu der Zeit, da es ohnehin auch aus der Elementar-Schule entlaſſen wird, alſo bis nach zuruͤckgelegtem 14ten Jahre, beybehalten wird, wie dieß auch in den wuͤrttembergiſchen Waiſenhaͤuſern bisher beobachtet worden iſt.

§. 63.

Es glauben zwar manche, daß eine Anſtalt dieſer Art fuͤr das maͤnnliche Geſchlecht weniger nothwendig ſey, als fuͤr das weibliche, und wirklich iſt nur ein geringer Theil der in Wuͤrttemberg beſtehenden Jnduſtrie-Schulen fuͤr Kinder beyderley83 Geſchlechts eingerichtet, vielmehr beſchraͤnken ſich die - ſelbe in den meiſten Orten lediglich auf die Maͤdchen. Allein aus dem, was im Vorhergehenden geſagt iſt, wird erhellen, daß ſie fuͤr beide Geſchlechter ein gleich dringendes Beduͤrfniß ſind, und daß ſie daher noth - wendig beyde Geſchlechter, Knaben und Maͤdchen, umfaſſen ſollten, wovon man ſich auch an vielen Or - ten bereits uͤberzeugt hat. *)Wegen Trennung und Entfernthaltung der beyden Ge - ſchlechter von einander S. §. 89.

§. 64.

Andere glauben ferner, mit dem Stande man - cher Eltern ſey die Theilnahme ihrer Kinder an einer ſolchen Anſtalt nicht vereinbarlich. Allein da der Staat gleiche Pflicht fuͤr die gute Erziehung aller ihm angehoͤrigen Kinder ohne Ausnahme hat; ſo kann der Stand an und fuͤr ſich von dieſer Theilnahme niemand befreyen, vielmehr iſt es billig, daß jedes Kind, das nicht aus anderen Gruͤnden freygelaſſen werden muß, ſich derſelben ohne Ruͤckſicht auf den Stand der Eltern unterwerfe. Es muͤſſte ſchon einen Widerwillen der aͤrmeren Kinder und Eltern ge - gen die Sache erregen, wenn nur ſie einer ſolchen Aufſicht unterworfen, und die Kinder der Wohlhaben - deren davon freygelaſſen wuͤrden, wohingegen es die Anſtalt in der oͤffentlichen Meinung heben, und die aͤrmeren Kinder und Eltern zu waͤrmerer Theilnahme ermuntern wuͤrde, wenn auch wohlhabendere Eltern ihre Kinder Theil nehmen ließen, und ſomit oͤffent - lich bewieſen, daß ſie die Theilnahme an einer ſolchen6 *84Anſtalt durchaus fuͤr keine Schande halten, waͤhrend zugleich auch den Lehrern ihr Geſchaͤfte durch die Theil - nahme wohlgezogener Kinder erleichtert werden, und ſchon das gute Beyſpiel der letzteren auf minder gut gezogene Kinder vortheilhaft wirken duͤrfte.

§. 65.

Daher ſind auch die in Wuͤrttemberg bereits be - ſtehenden Jnduſtrie-Schulen zwar in manchen Orten nur fuͤr ſolche Kinder, welche von ihren Eltern nicht gehoͤrig unterrichtet, vielmehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und zum Holzſammeln oder gar zum Betteln angehalten werden, uͤberhaupt nur fuͤr arme Kinder beſtimmt, oder ſie werden wenigſtens nur von Kindern dieſer Claſſe beſucht; groͤßtentheils aber ſind ſie fuͤr alle, ſowohl reiche als arme Kinder beſtimmt, oder werden wenigſtens die erſteren auf Verlangen ebenfalls zugelaſſen, und wirklich nehmen auch an vielen Orten nicht nur einzelne, ſondern zum Theil die meiſten Kin - der der Vermoͤglicheren, ja es nehmen ſogar in eini - gen Orten die Kinder der Reichen mehr, als die der Armen, an der Anſtalt Theil.

§. 66.

Jndeſſen duͤrfte die Beſorgniß mancher Eltern, daß durch die Gemeinſchaft mit ſchlecht gezogenen Kindern die ihrigen verdorben werden moͤchten, uͤberhaupt der Widerwille mancher Eltern gegen eine ſolche Gemein - ſchaft doch auch wieder Beruͤckſichtigung verdienen, und es moͤchte daher kein Hinderniß in den Weg zu legen ſeyn, wenn fuͤr die Kinder der gebildeteren Staͤnde, ſo fern es unbeſchadet des Raums und85 Unterrichts fuͤr die uͤbrigen Kinder und ohne Vermeh - rung der Koſten fuͤr die oͤffentlichen Caſſen geſchehen koͤnnte, beſondere Jnduſtrie-Schulen errichtet werden wollten, wie auch bereits in Hinſicht auf den moraliſchen und intellectuellen Unterricht aͤhnliche ſoge - nannte Privat-Schulen und Privat-Stunden beſtehen.

§. 67.

Beſondere Ruͤckſicht jedoch verdient die Behaup - tung, daß ſehr viele Eltern, beſonders in aͤrmeren Familien, ihre Kinder nicht, wenigſtens nicht den ganzen Tag uͤber, entbehren koͤnnen oder wol - len, weil ſie dieſelben von fruͤher Jugend an, beſon - ders aber, wenn ſie einmal heranwachſen, ſo fern nur immer ihre Kraͤfte es erlauben, die meiſte Zeit zu ihrer Unterſtuͤtzung und zur Beyhuͤlfe in ihrem Nahrungs-Erwerbe noͤthig haben. Hauptſaͤchlich ſollen viele Eltern ihre Kinder zur Bey - huͤlfe und Unterſtuͤtzung bey ihren eigenen Gewer - ben und Geſchaͤften, und beſonders in den Doͤr - fern, und uͤberhaupt in Orten, welche ſich von dem Acker - und Weinbau, der Baumzucht, und der Vieh - zucht naͤhren, dieſelben, beſonders die Knaben, deu Sommer uͤber vom Fruͤhjahr bis tief in den Herbſt hinein zu Feldarbeiten und zum Viehhuͤten, uͤberhaupt zu landwirthſchaftlichen Geſchaͤften, wozu ſie oft gar nicht einmal Tagloͤhner haben koͤnnten, nothwendig brauchen, waͤhrend andere Kinder zu Hauſe die juͤn - geren Geſchwiſter huͤten, auch andere haͤusliche Ge - ſchaͤfte verrichten, uͤberhaupt das Hausweſen verſorgen muͤſſen, damit die Eltern deſto eher ihren Arbeiten ob - liegen koͤnnen. Manche Eltern verdingen auch86 ihre Kinder an Andere um einen kleinen Lohn, oder ſchicken ſie dieſelbe hinaus, um Holz zu ſam - meln, Sand zuzubereiten und auszutra - gen ꝛc. ꝛc., und behaupten, daß ſie bey dergleichen ſelbſtgewaͤhlten Arbeiten mehr Vortheil und Unter - ſtuͤtzung finden, als wenn ſie ihre Kinder in oͤffent - liche Beſchaͤftigungs-Anſtalten abgeben muͤſſten, ſo daß es alſo ihr Ungluͤck waͤre, wenn ihnen die Bey - huͤlfe ihrer Kinder entzogen wuͤrde.

Wenn daher , heißt es an mehreren Orten, bisher ſchon, nicht nur die Eltern ſich genoͤthigt ge - ſehen haben, jede Stunde, welche ihren Kindern die gewoͤhnliche Elementar-Schule uͤbrig gelaſſen habe, zu benuͤtzen, um in der Beyhuͤlfe derſelben einige Un - terſtuͤtzung zu finden, ſondern es auch den geiſtlichen und weltlichen Orts-Vorgeſezten nicht immer, beſon - ders den Sommer hindurch, moͤglich geweſen ſey, ſelbſt Verſaͤumniſſe der ordentlichen Schule zu vermei - den, weil die Eltern ihre Kinder oft allzunothwendig zu ihren Haus - und Feldgeſchaͤften brauchen, ſo wuͤr - de es noch viel weniger moͤglich ſeyn, die Eltern zu vermoͤgen, daß ſie ihre Kinder in eine ſolche Jnduſtrie - Schule ſchickten, und daher dieſelbe, beſonders den Sommer hindurch, beſtaͤndig leer ſtehen.

An vielen Orten widerſezt man ſich daher theils ganz der Errichtung einer Jnduſtrie-Schule, theils wird dieſelbe wenigſtens den Sommer uͤber ausgeſezt, und, beſonders fuͤr die Knaben, nur zur Winterszeit, zwiſchen Martini und Georgii, drey, vier, hoͤchſtens ſechs Monate lang gehalten.

87

§. 68.

Wirklich ſcheint auch kein hinreichender Grund vorhanden zu ſeyn, diejenigen Eltern, welche an Or - ten, wo es nicht an Privat-Gelegenheit fehlt, die Kinder einzeln in nuͤtzlichen Handar - beiten unterrichten zu laſſen, von dieſer Ge - legenheit Gebrauch machen wollen, oder welche ihre Kinder ſelbſt zu ſolchen Arbeiten privatim anleiten, und unter ihrer eigenen Aufſicht dazu anhalten koͤnnen und wollen, in dieſer Hin - ſicht beſchraͤnken, und die Kinder waͤhrend der Stun - den, in welchen dieß der Fall iſt, der Diſpoſition ihrer Eltern entziehen, und zur Theilnahme an der oͤf - fentlichen Beſchaͤftigungs - und Aufſichts-Anſtalt zwin - gen zu wollen. Offenbar wuͤrde dadurch ohne Noth mancher armen Perſon, z. B. mancher Naͤherinn, ihr bisheriger mit dem Unterrichte der Kinder vermoͤglicher Eltern verbundener Verdienſt entzogen, und es wuͤrde oft ſchon an dem fuͤr ſo gar viele Kinder erforderlichen Lehr - und Aufſichts-Perſonal und Local, und den noͤ - thigen Geldmitteln fehlen, oder wenigſtens der Raum auf Koſten der - einer ſolchen Fuͤrſorge beduͤrftigeren Kinder zu ſehr beengt, und der Koſtens-Aufwand fuͤr die oͤffentlichen Kaſſen unnoͤthig vermehrt. Man laſſe daher jedem, ſey er reich oder arm, ſo viel als moͤglich vollkommene Freyheit, ſeine Kinder zu be - ſchaͤftigen, mit was und wo es ihm beliebt. Ja man geſtatte ſogar, wenn ſich Wohlhabendere frey - willig zur Theilnahme an der Anſtalt mel - den, ihnen dieſelbe nur, wenn es ohne Beengung des Raums fuͤr die aͤrmeren Kinder, uͤberhaupt unbe - ſchadet der auf dieſe zu verwendenden Sorgfalt ge - ſchehen kann, nur gegen einen verhaͤltnißmaͤßigen Bei -88 trag zu Beſtreitung der Koſten des Ganzen, und nur unter der Bedingung, daß ſie ſich ganz, wie jedes andere Kind, in den Plan und die allgemeinen Ge - ſetze und Ordnungen der Anſtalt fuͤgen muͤſſen.

§. 69.

Aber es gibt ja, wie oben gezeigt worden iſt, ſo viele Stunden, Taͤge, Wochen, Monate, be - ſonders im Winter, in welchen ſelbſt die beguͤ - terten, und die fuͤr das Wohl ihrer Kinder beſorgten Eltern ihnen keine angemeſſene Beſchaͤftigung zu verſchaffen wiſſen, ſo viele Eltern, welche ſelbſt keine nuͤtzliche Arbeit verſtehen, oder ſelbſt nicht hinlaͤnglich und angemeſſen beſchaͤftigt ſind, mithin noch weniger ihre Kinder gehoͤrig anleiten und beſchaͤftigen koͤnnen, waͤhrend ſie zu arm ſind, um ihnen Privat-Unterricht in ſolchen Arbeiten ertheilen zu laſſen, Eltern, welche durch die Selbſtbeſchaͤftigung ihrer Kinder an ihren eige - nen Geſchaͤften und dem davon abhaͤngenden Brod-Erwerb verhindert wuͤrden, und daher dieſelben entweder deßwegen, oder auch aus Nach - laͤſſigkeit ohne die gehoͤrige Beſchaͤftigung und Auf - ſicht laſſen.

Es bleiben alſo, beſonders im Winter, Stunden genug uͤbrig, auf welche bei einem großen Theile der Kinder obige Ausreden keine Anwendung finden, in vielen Orten das ganze Jahr uͤber Kinder genug, bey welchen das Obige kein Grund ſeyn kann, ſie von der oͤffentlichen Jnduſtrie-Schule frey zu ſprechen, oder wenigſtens ihren Unterricht in derſelben den gan - zen Sommer uͤber zu unterbrechen, ſo daß zulezt alles, was ſie den Winter uͤber gelernt haben, wo nicht ver -89 geſſen, doch wenigſtens außer Uebung gebracht wird. Und wenn gewiſſenloſe Eltern ihre Kinder zum Nach - theil ihrer Geſundheit allzufruͤhe und allzu - ſtrenge zu allzuharten Arbeiten anhalten, oder dieſelbe zu Verrichtungen, welche ihnen an und fuͤr ſich moraliſch-nachtheilig ſind, mißbrau - chen; ſo iſt es Pflicht der Obrigkeit, ſie ſelbſt in ſol - chen Stunden, in welchen die Eltern ſie wirklich zu dergleichen Privat-Geſchaͤften gebrauchen wollen, zur Theilnahme an der oͤffentlichen Jnduſtrie-Anſtalt an - zuhalten. Es iſt daher gewiß zweckmaͤßiger, wenn die Jnduſtrie-Schulen, wie dieß auch wirklich in man - chem Orte der Fall iſt, das ganze Jahr uͤber fortgehalten, oder doch wenigſtens nur uͤber die Zeit der Heu - und Frucht-Ernte, des Herbſtes ꝛc. ausgeſezt, und nur einzelne Kinder, deren beſon - dere Verhaͤltniſſe eine Ausnahme noͤthig oder zulaͤſſig machen, je nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde auf laͤn - gere oder kuͤrzere Zeit ganz oder nur in Beziehung auf gewiſſe Stunden davon freigeſprochen werden.

§. 70.

Bey der großen Abneigung jedoch, welche uͤberhaupt ſo viele Kinder und Eltern gegen alle An - ſtalten dieſer Art zeigen, iſt es raͤthlich, ſo viel moͤg - lich alles zu vermeiden, was ihnen die Theilnahme daran erſchweren, und nichts zu verſaͤumen, was ihnen dieſelbe anziehender machen kann. Jn mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen muͤſſen daher zwar diejenigen Eltern, welche nicht in die Ca - thegorie der Armen gehoͤren, woͤchentlich, monatlich, oder jaͤhrlich, entweder an das Lehrperſonal, oder an die Jnſtituts-Caſſe ein gewiſſes Schul - oder Lehr -90 geld fuͤr ihre Kinder bezahlen, welches ſich je nach Verſchiedenheit der Vermoͤgens-Umſtaͤnde und oͤrtlichen Verhaͤltniſſe jaͤhrlich auf 1 bis 6 fl. belaͤuft; armen Kindern hingegen wird, da oft ſelbſt vermoͤglichere El - tern kaum zu bewegen ſind, das geringe Lehrgeld zu entrichten, ja es wird an manchen Orten ſogar den Kindern der Vermoͤglichen die Theilnahme an dem Jnſtitut unentgeldlich geſtattet, oder das Jnduſtrie - Schulgeld aus oͤffentlichen Kaſſen fuͤr ſie bezahlt. Auch gibt es Orte, wo, um die Theilnahme an der Jnduſtrie-Schule zu befoͤrdern, die dieſelbe beſuchen - den Kinder uͤberdieß von dem Elementar-Schulgeld freygeſprochen werden, oder wohl auch Schulbuͤcher, Schreib-Materialien ꝛc. unentgeldlich erhalten, oder wo die Werkzeuge auf oͤffentliche Koſten ange - ſchafft, und ihnen wo nicht Schenkungs - doch wenig - ſtens Lehnungs-weiſe unentgeldlich abgegeben werden.

§. 71.

Beſonders duͤrfte es aber zur Aufmunterung der Kinder ſowohl, als zu Befoͤrderung der Theilnahme der Eltern dienen, wenn den erſteren durch die Jn - duſtrie-Schule Gelegenheit verſchaft wuͤrde, ſich darin etwas zu erwerben, oder zu Erhaltung ihrer Familie etwas beyzutragen. Daß in dieſer Hinſicht denjenigen Kindern, welche das Arbeits-Ma - terial ſelbſt mit in die Schule gebracht haben, auch das Fabrikat uͤberlaſſen wird, und daß zuwei - len den aͤrmeren aus ihrer Mitte auch ſolche in der Schule gefertigte Fabrikate, wozu das Jnſtitut das Material angeſchafft hat, beſonders alsdann geſchenkt werden, wenn ſie als Anfaͤnger-Arbeit mißrathen, oder ſonſt unverkaͤuflich ſind, iſt bereits oben bemerkt wor -91 den. An einigen Orten wird den Schuͤlern der ganze Erloͤß aus ihrer Arbeit, theils mit, theils ohne Abzug deſſen, was die Materialien gekoſtet haben, uͤberlaſſen. Vorzuͤglicher jedoch ſcheint die an vielen Orten, beſonders da, wo fuͤr Fremde gearbeitet wird, beſtehende Einrichtung zu ſeyn, nach welcher die Kin - der fuͤr ihre Arbeit einen Lohn, und zwar eben denſelben Lohn, welcher auch ſonſt im gemeinen Leben fuͤr Ar - beiten von gleicher Beſchaffenheit bezahlt wird, erhal - ten; es muß jedoch nur wirklich kaufmannsgute Waare fuͤr gut angenommen, und fuͤr verdorbene oder ganz unbrauchbare Fabrikate auch nur ein verhaͤltnißmaͤßig kleinerer oder auch gar kein Lohn bezahlt werden; hie - durch wird, wie die Erfahrung bereits gelehrt hat, der Eifer, gut und fleißig zu arbeiten, ungemein erhoͤht, und bey fleißigen Kindern belaͤuft ſich zum Theil ihr Verdienſt bereits hoͤher, als das Allmoſen, das ſie zu - vor erhielten; es gibt Kinder, welche ſich woͤchentlich von 3 kr. bis 48 kr., zum Theil auch uͤber 1 Gulden auf dieſe Art verdienen. Ueber den Verdienſt der Kinder wird nicht nur ein eigenes Buch gefuͤhrt, ſon - dern es erhaͤlt auch jedes Kind ſein eigenes Arbeits - buͤchlein, in welches ihm jede gelieferte Arbeit, nebſt dem ihm dafuͤr gebuͤhrenden Verdienſte, eingeſchrieben wird, eine Einrichtung, welche nicht nur den Nutzen gewaͤhrt, daß mit jedem neu eingeſchriebenen Verdien - ſte das Kind eine neue Aufmunterung zum Fleiße er - haͤlt, und gewoͤhnt wird, ſeinen Fleiß als die Be - dingung eines jeden Erwerbs anzuſehen, ſondern auch zugleich zur Aufmunterung der Eltern dient, ihre Kin - der zum fleißigen Beſuche der Jnduſtrie-Schule anzu - halten. An einigen Orten wird den Kindern ihr Arbeitslohn ſo lange nicht ausbezahlt, bis ſie con -92 firmirt werden, und aus der Schule treten, wo ihnen dann Kleidung dafuͤr angeſchafft wird, oder wird ihnen wenigſtens ihr Verdienſt ſo lange zuſammenge - ſpart, bis ihnen ein Kleidungsſtuͤck dafuͤr angeſchafft werden kann. Anziehender moͤchte es jedoch fuͤr die Kinder und Eltern ſeyn, wenn der Verdienſt, wie auch wirklich an anderen Orten geſchieht, oͤfter ausbe - zahlt, und nur etwa der Antheil derjenigen Kinder und Eltern, welchen derſelbe nicht wohl anvertraut werden koͤnnte, in beſondere Verwaltung genommen wuͤrde, wozu die in Stuttgart beſtehende wuͤrttem - bergiſche Sparkaſſe ein ſehr einfaches Mittel darbietet, daher auch bereits mehrere Kinder von ihrem Lohne etwas in dieſe Caſſe eingelegt haben.

§. 72.

Es gibt zwar Jnduſtrie-Schulen in Wuͤrttemberg, wo man die Kinder, um ſie deſto gewiſſer vom Muͤßig - gang und Bettel, und anderem Unfug abzuhalten, uͤber Verdienſt bezahlt, oder mit dem Arbeits - lohn eine gewiſſe Zulage, eine Praͤmie, ein Allmoſen verbindet, deren Groͤße von dem Fleiße der Kinder abhaͤngig iſt.

An einigen Orten bekommen auch die Kinder bey fleißigem Schulbeſuch Brod und warmes Eſſen in der Schule, was nach gemachten Erfahrungen ein ſehr gutes Mittel ſeyn ſoll, ſie vom Auslaufen auf den Bettel abzuhalten. Auch hat man ſchon die Ein - richtung getroffen, daß die Jnduſtrie-Schuͤler unent - geldliche Kleidung erhalten, welche ſie, wenn ſie nicht fortfahren, die Schule regelmaͤßig zu beſuchen, wieder abgeben muͤſſen. Allein abgeſehen auch da - von, daß dieſe Einrichtung fuͤr manche Gemeinde zu93 koſtſpielig ſeyn moͤchte, duͤrfte hiebey doch zu bedenken ſeyn, daß eine unverhaͤltnißmaͤßig hohe Belohnung den Kindern leicht einen uͤbertriebenen Begriff von dem Werthe ihrer Arbeit beybringen, oder ſie, wenn ſie auch bey langſamer oder ſchlechter Arbeit doch gut be - lohnt werden, ſtatt ihren Gewerbfleiß anzuſpornen, vielmehr zur Traͤgheit und Gleichguͤltigkeit verleiten koͤnnte. Es duͤrfte daher zwar nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde ganz angemeſſen ſeyn, den Kindern und Eltern, z. B. durch oͤffentliche Speiſe-Anſtalten, Ge - legenheit zu geben, ihre Lebensbeduͤrfniſſe ſich ſo gut und wohlfeil als moͤglich anzuſchaffen, aber jede An - ſtalt dieſer Art, und alles Allmoſengeben, ſo wie uͤber haupt alles, was nicht in unzertrennlicher Verbindung mit der Kinder-Jnduſtrie ſteht, ſollte ganz abgeſondert von dieſer behandelt werden, wie man dieß an eini - gen Orten in Wuͤrttemberg auch bereits eingeſehen und eingeleitet hat.

§. 73.

Wenn aller dieſer Gruͤnde, Erleichterungen, und Beguͤnſtigungen ungeachtet manche Eltern und Pfle - ge-Eltern keinen Gefallen, Sinn, und Ei - fer fuͤr dergleichen Kinder-Jnduſtrie-Schu - len zeigen, vielmehr eine entſchiedene Abneigung dagegen aͤußern, dieſelbe fuͤr eine - ſie und ihre Kin - der und Pflegebefohlene erniedrigende Straf-Anſtalt, oder wenigſtens fuͤr unnoͤthig halten, wegen der kleinen Unbequemlichkeit, welche die Abweſenheit der Kinder von Hauſe zuweilen fuͤr ſie mit ſich bringt, die Theil - nahme daran keineswegs als eine Wohlthat, ſondern vielmehr als eine beſchwerliche Laſt anſehen, und ſich nicht der Anſtalt, vielmehr die Anſtalt ihnen fuͤr die94 Ueberlaſſung der Kinder an dieſelbe verbunden erach - ten, wenn ſie den Vortheil, welchen die Kinder von der Anſtalt ziehen, lediglich nach dem Geld-Erwerbe berechnen, den die Kinder darin machen, daher die Geſchenke, welche die Kinder darin bekommen, zu duͤrf - tig finden, und es lieber ſehen, daß dieſelbe Bettel - brod ſammeln, als daß ſie in der Jnduſtrie-Schule ſich etwas verdienen, und wenn ſie nicht nur nicht ſchuldig zu ſeyn glauben, ihre Kinder in die Anſtalt zu ſchicken, ſondern es ſogar fuͤr einen ungerechten Zwang und ei - nen unbefugt[ǝ]n Eingriff in ihre elterlichen Rechte aus - geben, daß man ſich herausnehme, uͤber ihre Kinder in den von der gewoͤhnlichen Elementar-Schule freyen Stunden verfuͤgen zu wollen; ſo kann dieß offenbar nur daher kommen, daß es ihnen entweder uͤberhaupt an lebendigem Sinn fuͤr das Erziehungs-Beduͤrfniß ihrer Kinder, an dem rechten Verſtaͤndniſſe von dem Weſen und den Erforderniſſen der Erziehung, und an richtigen Begriffen von dem Zwecke und der Einrichtung der Jnduſtrie-Schulen fehlt, oder daß ſie ſich uͤber das gewoͤhnliche Vorurtheil der Landleute gegen alles, was neu iſt, und wovon ſie den Vortheil nicht deutlich vor Augen oder ſelbſt ſchon durch Erfah - rung erprobt haben, nicht zu erheben vermoͤgen, oder daß es ihnen gar an gutem Willen fehlt, daß ſie uͤberhaupt an der Ordnung und am Guten keine Freude haben, und daß vielleicht ſie ſelbſt bisher bey der unor - dentlichen und heilloſen Lebensweiſe ihrer Kinder ihre Rechnung gefunden hatten.

§. 74.

Wenn aber auf der einen Seite dieß der Fall iſt, und auf der anderen Seite dem Staate alles daran95 gelegen ſeyn muß, daß jedes Kind ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung gemaͤß erzogen werde, hiezu aber allein beſtaͤndige, zweckmaͤßige, und doch nicht uͤbertriebene Beſchaͤftigung und Aufſicht der Kinder fuͤhren kann; ſo iſt es offenbar nicht angemeſſen, die Theilnahme an den Kinder-Jnduſtrie-Schulen, wie an einigen Orten geſchieht, dem freyen Willen der Eltern anheim zu ſtellen, und ruhig zuzuſehen, bis etwa Beyſpiele des guten Erfolgs in anderen Orten, wo ſolche Schulen beſtehen, ſie zur Theilnahme ermuntern, oder ſich wenigſtens auf eine bloße Empfehlung dieſer Schulen oder eine Einladung zur Theilnahme an den - ſelben zu beſchraͤnken. Offenbar ſind dieſe Mittel nicht wirkſam genug, oder wenigſtens allzulangſam wirkend, um die tief eingewurzelten Vorurtheile des Landmanns zu beſiegen, und ihn fuͤr ſolche neue Anſtalten zu ge - winnen, ihm Sinn und Eifer fuͤr dieſelbe beyzubringen. Vielmehr muß hier durchgegriffen, es muß nicht bloß empfohlen, ſondern befohlen werden, und nur dann iſt eine einigermaßen vollſtaͤndige Erreichung des Zwe - ckes der Jnduſtrie-Schulen zu erwarten, wenn ebenſo, wie bey dem gewoͤhnlichen Schulbeſuche, zur Regel gemacht wird, daß in jedem Orte, wo eine Kinder-Jnduſtrie-Schule beſteht, in dieſer Schule jedes Kind, gehoͤre es, wem es wol - le, jede Stunde zubringen muß, in An - ſehung deren es ſich nicht ausweiſen kann, daß es anderwaͤrts hinlaͤnglich, zweckmaͤßig, und nicht uͤbertrieben beſchaͤftigt, oder we - nigſtens unter gehoͤriger Aufſicht ſey.

96

§. 75.

Es iſt jedoch nicht genug, daß eine ſolche Regel aufgeſtellt werde, ſondern es muß auch auf deren ge - naue Befolgung ein wachſames Auge gerichtet, und mit Ernſt und Strenge darauf beharrt werden. Nicht nur den Kindern muß zum Voraus ernſtlich beditten werden, daß ſie Strafe zu gewarten haben, ſo oft ſie ohne vorherige Erlaubniß des Lehrers oder ihrer Eltern oder Pflege-Eltern erſt nach dem feſtge - ſetzten Stundenſchlag erſcheinen, oder vor demſelben ſich entfernen, oder gar ausbleiben, ſondern auch den Eltern und Pflege-Eltern muß bekannt gemacht werden, daß ſie bey Strafe kein Kind kuͤrzere oder laͤngere Zeit wegen eigener Geſchaͤfte oder anderen Urſachen von der Schule abhalten, oder wegen Krank - heit zu Hauſe behalten duͤrfen, ohne zuvor die Erlaub - niß des Lehrers hiezu eingehohlt und erhalten, oder we - nigſtens, wenn dieß abſolut unmoͤglich geweſen ſeyn ſollte, ſpaͤteſtens bis zum folgenden Morgen ſich bey dem Lehrer entſchuldigt zu haben. Sehr zweckmaͤ - ßig ſcheint in dieſer Beziehung die irgendwo im Aus - lande beſtehende Einrichtung zu ſeyn, nach welcher je - den Morgen und jeden Mittag ein Policeydiener ſich in der Jnduſtrie-Schule bey dem Lehrer melden, und jedes ohne Erlaubniß ausgebliebene und nicht durch hinreichende Gruͤnde abgehaltene Kind ſogleich in dem Hauſe ſeiner Elteen, oder wo es ſonſt anzutreffen iſt, in die Schule abhohlen muß. Sehr noth - wendig moͤchte beſondere policeyliche Aufſicht auch in ſolchen Gegenden ſeyn, wo die Gemeinde aus mehreren einzelnen Weilern und Hoͤfen beſteht, und daher die Kinder oft ½ Stunde, 1 Stunde, und noch weiter in die Schule zu gehen haben, mithin ſchon97 durch dieſen Gang mehr Veranlaſſung und Gelegenheit zum Betteln erhalten, als dieß in anderen geſchloſſenen Ortſchaften der Fall iſt. Ueberdieß ſollte aber dem Lehrer zur Pflicht gemacht werden, ein beſonderes alle Jahre zu erneuerndes Buch zu fuͤhren, worin jedes Kind ſeine eigene Seite haben, und jede von ihm ver - ſaͤumte Stunde, der jedesmal verſaͤumte Unterrichts-Ge - genſtand, und die Urſache der Verſaͤumniß genau von ihm bemerkt werden muͤſſte. Er ſollte dafuͤr verant - wortlich gemacht werden, keine Erlaubniß zu Verſaͤum - niſſen ohne volle Ueberzeugung von deren Zweckmaͤßig - keit und Nothwendigkeit zu ertheilen, in Anſtandsfaͤllen den geiſtlichen und weltlichen Ortsvorgeſetzten eine An - zeige zu machen, und uͤberhaupt von Zeit zu Zeit den Letzteren das Buch oder einen Auszug daraus vorzulegen. Die Ortsvorſteher aber ſollten nach Maßgabe dieſes Buchs von Zeit zu Zeit die nachlaͤßig erſcheinenden Kinder mit ihren Eltern vorberufen, und dafuͤr ſorgen, daß wenn die Kinder ohne Schuld ihrer Eltern die Schule unnoͤthigerweiſe verſaͤumt haben, die erſteren -, wo aber das Gegentheil der Fall iſt, die letzteren zur Strafe gezogen werden. Dieſe Strafe der Eltern beſteht in einigen Orten Wuͤrttem - bergs darin, daß man ihnen die Unterſtuͤtzung, welche ſie zuvor aus oͤffentlichen Caſſen genoſſen hatten, auf kuͤrzere oder laͤngere Zeit herabſetzt oder gar entzieht, ja es gibt Orte, wo man das den Eltern zugedachte Allmoſen uͤberhaupt nur in der Jnduſtrie-Schule an die Kinder austheilt, ſo daß alſo die Eltern, wenn ſie ihre Kinder nicht zum Beſuch dieſer Schule anhalten, auch kein Allmoſen bekommen; dieſe Strafe moͤchte jedoch im Allgemeinen nur mit großer Vorſicht anzuwenden ſeyn, damit nicht einzelne Eltern fuͤr Verſaͤumniſſe ihrer798Kinder buͤßen muͤſſen, woran ſie, die Eltern, vielleicht ganz unſchuldig ſind, oder damit nicht den Eltern ge - rade durch dieſe Entziehung einer ihnen zu Erhaltung ihres Lebens unentbehrlichen Unterſtuͤtzung erſt ein Vor - wand gegeben werden moͤge, ihre Kinder zum Betteln anzuhalten. Jn der Regel moͤchte es alſo angemeſſener ſeyn, nachlaͤßige Eltern mit einer eigentlichen Geldſtrafe oder mit irgend einer anderen, nach den allgemeinen Grundſaͤtzen und geſetzlichen Beſtimmungen uͤber Straf - Anſaͤtze, und nahmentlich uͤber Straf-Anſaͤtze fuͤr Schul - Verſaͤumniſſe, zu waͤhlenden Strafe zu belegen. Wenn dann uͤberdieß die Policey auf alle nicht nur bettelnde, ſondern uͤberhaupt muͤßig umherlaufende ein - heimiſche und fremde Kinder ein wachſames Auge hat, und jedes Kind, welches ſie auf ſolche Art ergrei - fen kann, den betreffenden geiſtlichen und weltlichen Ortsvorſtehern uͤberliefert, wenn dieſe in jedem ſolchen Falle zuerſt unterſuchen, ob bey dem Lehrer die Erlaubniß zum Ausbleiben aus der Schule nachgeſucht, und ob dieſer nicht vielleicht in Ertheilung ſolcher Er - laubniß zu freygebig geweſen iſt, wenn ſie hierauf unterſuchen, ob die Eltern Wiſſenſchaft von der Ver - ſaͤumniß gehabt haben, und ob ſie Schuld daran ſind, oder nicht, und wenn ſie hierauf wirklich den ſchuldig erfundenen Theil zur Strafe ziehen; ſo kann es nicht fehlen, daß die Jnduſtrie-Schulen den Zweck, wozu ſie eigentlich beſtimmt ſind, nehmlich Abhaltung der Kinder vom Bettel und Muͤßiggang, und Bildung derſelben fuͤr ihren kuͤnftigen Beruf, bey dem groͤßten Theile der Kinder wirklich erfuͤllen werden.

99

§. 76.

Bey unehlichen Kindern jedoch, deren El - tern . entweder noch nicht richterlich ausgemittelt, oder aus gaͤnzlicher Mittelloſigkeit oder anderen Gruͤnden nicht zur Verſorgung ihrer Kinder angehalten werden koͤn - nen, bey Waiſen, welche beyde Eltern oder wenig - ſtens eines derſelben verloren haben, bey ſogenannten moraliſchen Waiſen, d. h. bey ſolchen Kindern, deren Eltern aus Liederlichkeit ſich um ihre Erziehung nichts bekuͤmmern, bey Soldatenkindern, und bey Kindern armer Feldhirten, und ſolcher Ge - werbsleute, welche in dem ihnen angewieſenen Wohnorte nicht beſtaͤndig ihre Nahrung finden, und daher ihrem Gewerbe auswaͤrts nachziehen muͤſſen, bey Kindern entſchiedener Bettler, welche, da ſie ſelbſt von Bettlern abſtammen, keine eigentliche Heimath haben, und, obgleich jedem von ihnen ſeit neuerer Zeit ein beſtimmter Wohnort angewieſen wor - den iſt, aus Mangel und Gewohnheit ihr vagirendes Bettlerleben entweder ohne alle Scheu, oder unter der Maske unbedeutender Handthierungen fortſetzen, bey Kindern von Jaunern, welche mit oder ohne ihre Eltern aufgefangen werden, und bey anderen der - gleichen ungluͤcklichen und verwahrloßten Kindern moͤchten alle dieſe Maßregeln doch noch nicht immer hinreichend ſeyn.

Da dieſe Kinder von ihrer Geburt an nie die Stimme der Religion, der Wahrheit, und des Rechts vernehmen, und an keine Ordnung, keine guten Sit - ten, keine Thaͤtigkeit, uͤberhaupt an nichts Gutes ge - woͤhnt, vielmehr von den Jhrigen im Drucke ihrer armſeligen Umſtaͤnde, als eine ihr Elend vermehrende Laſt, liebloß und hart behandelt werden, das ſchlechte7 *100Beyſpiel derſelben beſtaͤndig vor ſich ſehen, hiedurch fruͤhzeitig alle moͤglichen Untugenden und ſchlimmen Gewohnheiten annehmen, und nahmentlich zur Ver - ſtellung, Luͤgen, und den niedertraͤchtigſten Kunſtgrif - fen des Bettels, ja ſelbſt zum Betruͤgen, zum Dieb - ſtahl, und anderen Laſtern und Verbrechen nicht nur verleitet, ſondern oft ſogar gezwungen werden, und andere wieder verleiten; ſo bleibt, um ſolche Geſchoͤpfe vom Muͤſſiggang und Bettel abzuhalten, ſie zu nuͤtz - lichen oder wenigſtens unſchaͤdlichen Mitgliedern der buͤrgerlichen Geſellſchaft zu erziehen, und zu verhin - dern, daß eine ſo verwilderte Menſchen-Race ſich nicht in's Unendliche fortpflanze, nichts uͤbrig, als derglei - chen Kinder von den Jhrigen ganz zu trennen und zu entfernen, und irgendwo anders unterzubringen. Doch ſollte hiebey auf der einen Seite die ſelbſt bey den roheſten Menſchen ſich nicht immer verlaͤugnende Mutterliebe, uͤberhaupt die Zaͤrt - lichkeit und Anhaͤnglichkeit der Eltern an die Kinder moͤglichſt geſchont, auf der anderen Seite aber ſo viel moͤglich verhuͤtet werden, daß nicht durch allzugroße Leichtigkeit, ſich ſeiner Kinder zu entledigen, gefuͤhlloſe Menſchen allzuleichtſinnig und gleichguͤltig gegen Ueber - ladung des Staats mit unehlichen und anderen Kin - dern, welche ſie nicht ernaͤhren koͤnnen, gemacht werden.

§. 77.

Da jedoch in oͤffentlichen Verpflegungs - und Er - ziehungs-Anſtalten die Kinder mit den heutzutage ſo verwickelten geſellſchaftlichen und buͤrgerlichen Verhaͤlt - niſſen, in denen ſie ſich doch ſpaͤterhin ebenfalls bewe - gen muͤſſen, und nahmentlich mit den gemeinen Ge -101 ſchaͤften des buͤrgerlichen Lebens ziemlich unbekannt bleiben, waͤhrend ſie ſich, da ihnen jeder Schritt, jede Handlung vorgeſchrieben iſt, und ſie durchaus keinen freyen Willen haben, nicht wohl an eigenes Nachden - ken und eigene Thaͤtigkeit gewoͤhnen koͤnnen, da ſie in einer ſo zahlreichen Geſellſchaft großentheils von Hauſe aus verdorbener Geſchoͤpfe der Anſteckung mit phyſi - ſchen und moraliſchen Uebeln verſchiedener Art mehr als in Privathaͤuſern ausgeſezt zu ſeyn ſcheinen, waͤhrend es den oͤffentlichen Aufſehern ſolcher Anſtalten weit ſchwerer als den den Kindern viel naͤher bleibenden Privathaus-Genoſſen werden duͤrfte, dergleiben Uebel zu entdecken, und denſelben entgegen zu arbeiten, und da uͤberdieß die Errichtung und Unterhaltung ſolcher oͤffentlichen Verpflegungs - und Erziehungs-Anſtalten ſehr koſtſpielig iſt; ſo moͤchte es in der Regel am zweckmaͤßigſten ſeyn, dergleichen verwaiste und ver - wahrloste Kinder ſoliden Privatperſonen gegen ein aus irgend einer oͤffentlichen Caſſe zu bezah - lendes Koſtgeld in's Haus zu geben, wie auch wirklich in Wuͤrttemberg die Verordnung beſteht, daß von den in die Staats-Waiſenhaͤuſer aufgenommenen Kindern 200 außerhalb des Jnſtituts erzogen werden ſollen. Die Wahl eines ſolchen Koſthauſes erfordert jedoch, wenn der Zweck wirklich erreicht wer - den ſoll, große Vorſicht. Kinder von ſtarkem Koͤrper - bau, uͤberhaupt ſolche Kinder, welche beſtimmt ſind, ſich kuͤnftig durch landwirthſchaftliche Arbeiten zu er - naͤhren, ſollten immer aufs Land verlegt werden. Hiebey ſollte man jedoch hauptſaͤchlich auf ſolche Orte ſehen, wo ſich die Geiſtlichen und Schullehrer des Ortes durch zweckmaͤßige Thaͤtigkeit auszeichnen, deß - gleichen auf Orte, welche nicht zu entfernt ſind, um102 beſtaͤndig von dem Zuſtande der Kinder unterrichtet bleiben, und ſie von Zeit zu Zeit einberufen oder in dem Verpflegungs-Orte ſelbſt ſehen zu koͤnnen, und wenn je entferntere Orte gewaͤhlt werden muͤſſten, ſo ſollte man zu Erleichterung der Aufſicht und Vermin - derung der Koſten derſelben wenigſtens trachten, meh - rere dergleichen Kinder in ebendemſelben Orte unter - zubringen. Was die Wahl der einzelnen Pflege-Eltern ſelbſt betrifft, ſo ſollte durchaus nur auf verſtaͤndige Leute von anerkannter Rechtſchaffen - heit und guten Vermoͤgens-Umſtaͤnden geſehen, und denſelben in beſonders mit ihnen abzuſchlieſſenden Ver - pflegungs-Accorden zur Bedingung gemacht werden, das ihnen anvertraute Kind

  • a) in Beziehung auf Wohnung, Beleuchtung, Hei - tzung, Liegerſtatt, Bette und Kleidung zu behan - deln, wie wenn es ihr eigenes Kind waͤre,
  • b) ihm ſtets hinlaͤngliche geſunde Nahrung zu rei - chen, damit es nicht aus Hunger auf Betteleyen und Naſchereyen verfalle,
  • c) in kranken Tagen es demſelben an Wart und Pflege, und an aͤrztlicher Huͤlfe, und Medicamen - ten, beydes leztere jedoch auf oͤffentliche Koſten, nicht fehlen zu laſſen,
  • d) daſſelbe zu allen bey der Oekonomie des Koſt - reichers vorkommenden Haus - und Feldgeſchaͤften, ſo weit ſie den Kraͤften und der kuͤnftigen Beſtim - mung des Kindes angemeſſen ſind, jedoch nicht uͤbertrieben, anzuleiten und anzuhalten, und uͤber - haupt moͤglichſt an Arbeitſamkeit zu gewoͤhnen,
  • e) dafuͤr zu ſorgen, daß das Kind Kirche und Schule, fuͤr welch leztere jedoch das Schulgeld,103 Schulbuͤcher, Schreibmaterialien ꝛc. aus oͤffentlichen Caſſen bezahlt werden, nie ohne Noth verſaͤume,
  • f) die Waſche des Kindes fleißig zu beſorgen, und uͤberhaupt daſſelbe zur Reinlichkeit und Ordnung anzuhalten,
  • g) daſſelbe außer den Schulſtunden ſtets entweder ſelbſt im Auge zu behalten, oder jemand von den Seinigen zur Aufſicht zu uͤbergeben,
  • h) uͤberhaupt daſſelbe mit ebenderſelben Sorgfalt, welche ein rechtſchaffener Vater bey ſeinen eigenen Kindern anzuwenden ſchuldig iſt, ſeiner kuͤnftigen Beſtimmung gemaͤß zu erziehen, hingegen hiebey
  • i) mit Schonung und Liebe zu Werk zu gehen, und ſich aller Mißhandlung des Kindes zu ent - halten.

Da jedoch ſchon mehrmals der Fall vorgekommen iſt, daß dergleichen Koſtreicher ſich aus Eigennutz und Gewinnſucht verſchiedene der phyſiſchen und morali - ſchen Bildung der Kinder nachtheilige Mißbraͤuche er - laubt, ja ſogar dieſelbe auf den Bettel ausgeſchickt ha - ben; ſo ſollte zwar auf der einen Seite das Koſtgeld nicht allzuſparſam beſtimmt, und auf deſſen regel - maͤßige Ausbezahlung ſtets geſehen, auf der anderen Seite aber wenigſtens alle halbe Jahre ein Durchgang aller auf ſolche Art in die Koſt gegebenen Kinder und eine Unterſuchung ihrer Behandlung durch die Koſt - reicher veranſtaltet, und jedes Kind, deſſen Zuſtand und Behandlung den gerechten Erwartungen nicht ent - ſpraͤche, wo moͤglich in ein anderes beſſeres Haus un - tergebracht werden.

104

§. 78.

Wenn ſich jedoch durchaus keine Privathaͤuſer fin - den, von welchen ſich die gewiſſenhafte Erfuͤllung obi - ger Bedingungen gegen ein verhaͤltnißmaͤßiges Koſt - geld erwarten laͤßt, ſo bleibt alsdann nichts uͤbrig, als dergleichen verwaiste und verwahrloste Kinder, beſonders wenn ſie wegen phyſiſcher oder moraliſchen Gebrechen einer ſorgfaͤltigeren Pflege und genaueren Aufſicht beduͤrfen, in oͤffentlichen Kinder - Ver - pflegungs - und Erziehungs-Anſtalten unter - zubringen. Zu dieſem Zwecke ſcheinen ſich nun hauptſaͤchlich die beynahe in jedem Lande, und nah - mentlich auch in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden Staats-Waiſenhaͤuſer, nehmlich das fuͤr Kinder evangeliſcher Religion beſtimmte Waiſenhaus in Stutt - gart, und das fuͤr Waiſen katholiſcher Religion und Soldatenknaben beſtimmte Waiſenhaus in Ludwigs - burg, zu eignen, worin die Kinder Wohnung, Be - leuchtung, Heitzung, Liegerſtatt, Bette, Kleidung, Nahrung, Medicamenten, aͤrztliche Huͤlfe, Wart und Pflege, uͤberhaupt ihre ganze phyſiſche, intellektuelle, religioͤſe und moraliſche Bildung und Erziehung ge - meinſchaftlich auf oͤffentliche Rechnung erhalten. Da jedoch die Aufnahme in dieſe Waiſenhaͤuſer, ein - zelne außerordentliche Faͤlle ausgenommen, nur im May und September geſchieht, da in dieſelbe in der Regel nur Soldatenkinder und ſolche Kinder, welche ihre Eltern, oder doch wenigſtens eines derſelben, vor - nehmlich den Vater verloren, und nur Kinder, welche das ſiebente Jahr zuruͤckgelegt haben, und bloß in be - ſonders dringenden Faͤllen auch ſechsjaͤhrige Kinder, aufgenommen werden, da uͤberhaupt dieſe beyden Wai -105 ſenhaͤuſer nur fuͤr 275 Kinder, wovon uͤberdieß 100 in Privathaͤuſern verpflegt werden ſollen, alſo nur fuͤr 175 und beyde zuſammen fuͤr 350 Kinder eingerichtet ſind, und daher an verſchiedenen Orten daruͤber ge - klagt wird, daß in dieſe Staats-Waiſenhaͤuſer nicht von jedem Oberamts-Bezirke eine mit dem Beduͤrfniſſe und den Beytraͤgen deſſelben im Verhaͤltniſſe ſtehende Anzahl armer verwahrloßten Kinder aufgenommen wer - de; ſo iſt man an verſchiedenen Orten ſchon auf den Gedanken gekommen, eine eigene Orts - oder Be - zirks - Kinder - Verpflegungs - und Erzie - hungs-Anſtalt zu errichten, und wirklich iſt auch in der Reſidenzſtadt Stuttgart kuͤrzlich eine ſolche, nach dem Nahmen der jeztregierenden Koͤniginn Pauline, welcher ſie ihre Ausfuͤhrung verdankt, Paulinen-Pflege genannte, und am 27. September 1820. wirklich eroͤff - nete Anſtalt zu Stande gekommen, worin nun zu - naͤchſt die 25. bisher am meiſten verſaͤumten und ver - laſſenen der Stadt angehoͤrigen Kinder Heimath, Lie - gerſtatt, Nahrung, Pflege, und uͤberhaupt Verſorgung in jeglichem Beduͤrfniſſe finden. Wirklich moͤchte auch an Orten, wo eine bedeutende Anzahl verwahr - loßter Kinder vorhanden iſt, welche weder bey den Jhrigen gelaſſen, noch in anderen Privathaͤuſern un - tergebracht werden koͤnnen, die Errichtung ſolcher Orts - oder Bezirks-Anſtalten ganz zweckmaͤßig, und die Verpflegung und Erziehung ſolcher Kinder in denſelben ebenſogut und wohlfeil, ja beſonders alsdann vielleicht ſogar noch wohlfeiler, als in den Staats-Waiſenhaͤu - ſern ſeyn, wenn mit dieſen Verpflegungs-Anſtalten keine beſondere Unterrichts - und Jnduſtrie-Anſtalt ver - bunden, ſondern dieſelben mit den bereits ohnehin im Orte beſtehenden allgemeinen Elementar - und Jnduſtrie -106 Schulen in Verbindung geſezt werden, wie auch wirk - lich die neuerrichtete Paulinen-Pflege in Stuttgart mt der dortigen Catharinen-Schule in der engſten Ver - bindung ſteht, und ſogar in einem und ebendemſelben Gebaͤude mit ihr befindlich iſt, ſo daß alſo an Raum, Holz, Licht, Lehr - und Aufſichts-Perſonal ꝛc. außer - ordentlich viel erſpart wird. Nur mit Hoſpitaͤlern, Zwangs-Arbeitshaͤuſern, Zuchthaͤuſern, und anderen Verpflegungs - und Beſchaͤftigungs-Anſtalten fuͤr Er - wachſene, und beſonders fuͤr verdorbene Erwachſene, ſollten dergleichen Anſtalten nie in Beruͤhrung kom - men, damit nicht durch ſchlechtes Beyſpiel und Verfuͤh - rung auf der einen Seite mehr geſchadet werde, als das Jnſtitut auf der anderen Seite nuͤtzen kann. Dagegen ſollte eben in dergleichen Kinder-Verpfle - gungs - und Erziehungs-Anſtalten ſelbſt eine ſolche Einrichtung getroffen werden, daß phyſiſch - und mo - raliſch - ganz verdorbene Kinder, von welchen eine phyſiſche oder moraliſche Anſteckung der uͤbrigen Kin - der, oder die Flucht zu befuͤrchten iſt, und bey welchen alle guͤtlichen Mittel ohne Erfolg bleiben, von den uͤbrigen Kindern abgeſondert, durch Zwang in der An - ſtalt feſtgehalten, mit Gewalt zur Arbeit gezwungen, und, wenn auch nicht gebeſſert, doch wenigſtens aus der buͤrgerlichen Geſellſchaft verbannt, und fuͤr dieſelbe unſchaͤdlich gemacht werden koͤnnten.

§. 79.

Hiedurch ſcheinen nun die Einwendungen, welche bisher gegen den Nutzen der Kinder-Jnduſtrie-Schulen vorgebracht worden ſind, alle beſeitigt zu ſeyn, und an manchen Orten hat man wirklich die Nothwendigkeit der Errichtung einer ſolchen Schule, oder einer Verbeſſerung107 der bereits beſtehenden vollkommen eingeſehen, und es fehlt nicht gerade uͤberall an gutem Willen zu einer ſolchen Verbeſſerung, vielmehr ſind an mehreren Orten bereits Plane dazu entworfen worden. Allein an vie - len Orten werden Zweifel gegen die Ausfuͤhrbar - keit derſelben erhoben. Nahmentlich wird an vie - len Orten uͤber Mangel an der erforderlichen Zahl von Lehrern und Lehrerinnen geklagt, welche mit den noͤthigen Kenntniſſen zugleich hinlaͤng - liche ſittliche Bildung, und mit dem Gefuͤhle eines inneren Berufs zu Uebernahme eines ſo muͤhſamen Geſchaͤftes zugleich die erforderliche Beharrlichkeit in ihrem Eifer in ſich vereinigten. Jedoch auch dieſer Mangel ſcheint großentheils nur eingebildet zu ſeyn. Was den mit dem eigentlichen Jnduſtrie-Unterrichte zu verbindenden intellectuellen, religioͤſen und moraliſchen Unterricht betrifft, ſo iſt dieſer theils ohnehin Obliegenheit der bereits im Orte vorhandenen Schullehrer und Geiſtlichen, theils haben wenigſtens einzelne Schullehrer und deren Gehuͤlfen, zum Theil gegen eine kleine Zulage zu ihrem ordentlichen Gehalte, und einzelne durch Liebe und beſonderen Eifer fuͤr die Sache ſich ruͤhmlich auszeichnende Orts-Geiſtliche und andere Armen - und Kinderfreunde denſelben freywillig und unentgeldlich uͤbernommen. Selbſt fuͤr den eigentlichen Jnduſtrie-Unterricht haben ſich ſchon unentgeldliche Lehrer und Lehrerinnen gefunden; ſo gibt es z. B. eine Jnduſtrie-Schule, wo der Unter - nehmer ſelbſt, nehmlich der Mann, der die Kinder fuͤr ſeine Rechnung arbeiten laͤſſt, und denſelben einen Ar - beitslohn bezahlt, zugleich den Lehrer macht, und fuͤr den Unterricht keine beſondere Belohnung erhaͤlt; auch haben an einigen Orten die weiblichen Mitglieder des108 Wohlthaͤtigkeits-Vereins oder deren erwachſene Toͤchter oder auch andere Frauenzimmer unentgeldlich theils abwechslungsweiſe ſich dem Unterrichte der Maͤdchen in der Jnduſtrie-Schule unterzogen, theils einzelne arme Maͤdchen zum Unterricht, z. B. in der Kochkunſt, uͤbernom - men; zum Theil hat freylich dieſer ruͤhmliche Eifer derſel - ben nacheiniger Zeit wieder aufgehoͤrt; auch ſcheint dem abwechslungsweiſen Unterrichtgeben mehrerer verſchie - denen Frauenzimmer der Umſtand im Wege zu ſtehen, daß auf dieſe Art der Unterricht nicht gleichfoͤrmig iſt, und daher leicht Widerſpruͤche in der Behandlung deſ - ſelben entſtehen koͤnnen, welche die Kinder vielleicht irre machen, oder wenigſtens zu langſam vorwaͤrts bringen.

§. 80.

An anderen Orten, wo es an dergleichen unent - geldlichen Lehrern und Lehrerinnen fehlt, muͤſſen nun freylich dieſelben beſonders auſgeſucht, angeſtellt, und belohnt werden, und da ſich nicht immer Per - ſonen finden werden, welche alle diejenigen Kunſtfer - tigkeiten, worin der Unterricht in einer und ebender - ſelben Jnduſtrie-Schule zweckmaͤßig waͤre, in ſich ver - einigen, ſo kann natuͤrlich leicht der Fall eintreten, daß fuͤr ebendieſelbe Schule, beſonders wenn die Zahl der Schuͤler groß iſt, mehrere verſchiedene Lehrer und Lehrerinnen angeſtellt werden muͤſſen; in Hinſicht auf den Koſtenspunct wird dieß jedoch gewoͤhlich ziemlich gleichguͤltig ſeyn, da ein Lehrer, welcher nur in einem einzelnen oder wenigen Faͤchern der Jnduſtrie Unterricht zu geben, und mithin demſelben auch nur wenige Stunden zu widmen hat, ſich auch mit einer weit ge - ringeren Belohnung begnuͤgen wird, als ein Lehrer;109 welcher in allen in der Anſtalt vorkommenden Jnduſtrie - Zweigen Unterricht geben, und mithin demſelben ſeine ganze Zeit widmen muß. Wirklich haben auch in den in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden Jnduſtrie - Schulen in der Regel die Knaben ihre beſonderen Jnduſtrie-Lehrer, z. B. einen beſonderen Lehrer fuͤr die Obſtbaumzucht, einen beſonderen Lehrer fuͤr das Korbmachen, einen beſonderen Spinnmeiſter, einen be - ſonderen Strickmeiſter ꝛc., und die Maͤdchen dann wieder ihre beſonderen Jnduſtrie-Lehrerinnen, z. B. eine beſondere Lehrerinn fuͤr das Spinnen, eine beſondere fuͤr das Stricken, eine beſondere fuͤr das Naͤhen ꝛc. Die mit Unterhaltung des erforderlichen Unterrichts-Per - ſonals verbundenen, und beſonders an Orten, wo die Zahl der Schuͤler groß iſt, bedeutenderen Koſten laſſen ſich jedoch ſehr vermindern, wenn, wie in Wuͤrttem - berg zum Theil wirklich geſchieht, entweder einzelne aͤltere - in einer oder der anderen Kunſtfertigkeit bereits vollkommene Kinder wirklich als eine Art von Unterlehrern behandelt werden, oder wenn uͤberhaupt jedem der aͤlteren Kinder ein juͤngeres zur Aufſicht zu - getheilt wird. So ſind z. B. in Stuttgardt

  • a) bey der Catharinen-Schule, (welche 175 Knaben, und 175 Maͤdchen enthaͤlt) 1. Schullehrer (zugleich als Aufſeher),
      • 1. Stricklehrer
      • 1. Spinnlehrer
      der Knaben,
      • 1. Naͤh - und Stricklehrerinn ..
      • 2. juͤngere Stricklehrgehuͤlfinnen.
      • 1. Spinnlehrerinn .....
      der Maͤdchen
  • b) bey der Catharinenpflege (fuͤr 200 Maͤdchen) 2. Lehrerinnen im Spinnen, 2. im Stricken,110 1. im Naͤhen ꝛc.
  • c) bey der Marienpflege (fuͤr 200 Maͤdchen) 2. aͤltere und 2. juͤngere Stricklehrerinnen, und 2. Naͤhlehrerinnen angeſtellt.

Bey der Jnduſtrie-Schule in Gmuͤnd, (welche im Jahre 1817. 300 Schuͤlerinnen zaͤhlte) geben 4, und in Tuͤbingen (bei 140), deßgleichen in Heilbronn (bey 80 bis 90 Schuͤlerinnen) 3 Lehrerinnen Unterricht. Jn mehreren anderen groͤßeren Landſtaͤdten und Doͤr - fern hingegen hat man 2 Jnduſtrie-Lehrerinnen (mei - ſtens 1 beſondere Spinn - und Strick -, und 1 beſon - dere Naͤh-Lehrerinn) , und in den meiſten kleineren Staͤdtchen und Doͤrfern eine einzige bis jetzt hinreichend gefunden.

§. 81.

An mehreren Orten wird zwar behauptet, daß auch eine ſolche einzige Perſon im Orte nicht zu finden oder zur Uebernahme der Stelle zu bere - den ſey, weil ledige Perſonen meiſtens zu wenige Kenntniſſe und Uebung in ſolchen Arbeiten beſitzen, oder wenn ſie auch geſchickt darin ſeyen, ihre Kunſt nicht gerne anderen mittheilen, um nicht ſpaͤterhin ih - ren eigenen Erwerb durch dieſelben geſchmaͤlert zu ſe - hen, verheirathete Perſonen aber, welche etwa Unter - richt darin geben koͤnnten, mit ihrer eigenen Haushal - tung zu viel zu thun haben, um ſich dem oͤffentlichen Unterrichte widmen zu koͤnnen. An anderen Orten hingegen hat man die entgegengeſetzte Erfahrung ge - macht. An mehreren Orten hat nehmlich die Frau oder Tochter des Elementar-Schullehrers gegen eine maͤßige Belohnung, ja an einem gewiſſen111 Orte ſogar unentgeldlich, den Jnduſtrie-Unterricht uͤber - nommen, und dieß koͤnnte ohne Zweifel auch an man - chem anderen Orte geſchehen; wenn jedoch dieſe Ein - richtung gleich in ſo ferne ihr Gutes haben mag, daß der Schullehrer, wenn er die Jnduſtrie-Schule als eine neue Erwerbs-Quelle fuͤr ihn ſelbſt betrachten kann, ſich um ſo mehr bemuͤhen wird, die Einwohner dafuͤr zu gewinnen, und daß es fuͤr die Schule ſelbſt von Nutzen ſeyn kann, wenn der Elementar-Lehrer und die Jnduſtrie-Lehrerinn ſich in Erreichung des guten Zwe - ckes gut zuſammen verſtehen; ſo moͤchte doch die Frage Beruͤckſichtigung verdienen, wer, wenn die ganze Fa - milie des Schullehrers ſich dem Unterrichte widmet, indeſſen die Haushaltung fuͤhren ſoll, und ob alſo nicht die Vereinigung beyder Stellen in Einer Familie leicht Vernachlaͤßigung entweder der Haushaltung des Schul - lehrers, oder der Schule zur Folge haben koͤnnte? An mehreren Orten hingegen haben unbemittelte Schullehrers-Wittwen, deßgleichen vormalige Kloſterfrauen, gerne, zum Theil ſogar unentgeldlich, den Jnduſtrie-Unterricht uͤbernommen. Auch außer - dem iſt es an vielen Orten durchaus nicht ſchwer ge - weſen, die erforderlichen Lehrer und Lehrerinnen aus - zumitteln. Zum Unterricht in der Obſtbaumzucht z. B. haben ſich leicht erfahrene Baumzuͤchtler, zum Unter - richt im Korbflechten geuͤbte Korbmacher, zum Unter - richt in den weiblichen Arbeiten geſchickte ledige Weibs - Perſonen, Wittwen, und ſelbſt Ehefrauen, zum Theil ſogar Mutter und Tochter zugleich, im Orte ſelbſt ge - funden, unter anderen auch gebohrene, nun aber im Orte anſaͤßige Auslaͤnderinnen, welche nun ſogar in Jnduſtrie-Zweigen, welche bisher hier zu Lande beynahe ganz unbekannt waren, Unterricht geben; beſonders112 aber an Weibsperſonen, welche im Spinnen, Stricken, und Naͤhen erfahren ſind, ſoll es gegenwaͤrtig faſt nir - gends mehr fehlen, und da ſolche Perſonen ſehr oft ſelbſt in die Cathegorie der Armen gehoͤren, ſo laſſen ſich zwar keine ganz unentgeldlichen Dienſte von ihnen erwarten, aber doch nehmen ſie eine ſolche Stelle oft recht gerne, und gegen eine ſehr maͤßige mit ihrer Dienſtleiſtung kaum im Verhaͤltniſſe ſtehende, und den oͤffentlichen Caſſen keineswegs laͤſtige Belohnung an.

§. 82.

Es gibt Orte, wo ſolche Lehrerinnen, wenn die Jnduſtrie-Schule nur einige Monate des Jahrs, und auch in dieſen nur an einigen Taͤgen der Woche und einigen Stunden des Tages gehalten wird, fuͤr das ganze Jahr nicht weiter, als 4, 8, 10, 11, 12, 15, 20, bis 24, Gulden Lohn erhalten. An anderen Orten, wo der Unterricht das ganze Jahr uͤber fort - dauert, und zum Theil alle Tage, oft einen großen Theil des Tages hindurch gegeben wird, erhalten ſie jaͤhrlich 34, 40, 48, 52, 60, 73, 75, 78, bis 80, Gulden, zu welchen hier und da noch etwas Brod, oder warme Speiſe, oder Holz, oder freye Wohnung hinzukommt. Die hoͤchſten - bey der Centralleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins bekannten Belohnungen der Jnduſtrie-Lehrerinnen ſind jaͤhrlich 96, 100, 104, 109, 120, 125, bis 130, Gulden fuͤr alles und alles. Dieſe Belohnungen ſind theils nach der Zahl der Un - terrichts-Stunden, theils nach Taͤgen, Wochen, Mo - naten, theil fuͤr das ganze Jahr regulirt. Einige der Jnduſtrie-Lehrerinnen haben etwas Gewiſſes monat - lich oder vierteljaͤhrlich fuͤr jedes Kind, welches ſie un - terrichten, oder auch nur fuͤr jedes wohlhabende Kind,113 waͤhrend ſie die armen Kinder unentgeldlich unterrich - ten muͤſſen. Es gibt auch Orte, wo die Lehrerinn ein gewiſſes jaͤhrliches geringeres Wartgeld, und außer dieſem von jedem Kinde vierteljaͤhrlich etwas Gewiſſes erhaͤlt. Mit anderen iſt uͤberhaupt fuͤr den Unter - richt eines jeden Kindes, bis es z. B. im Naͤhen, Stricken ꝛc. ganz fertig iſt, etwas Gewiſſes accordirt. Groͤßtentheils erhalten dieſe Lehrerinnen ihre Beloh - nung aus irgend einer oͤffentlichen Caſſe; zum Theil ſind ſie jedoch damit an die einzelnen Eltern der Jn - duſtrie-Schuͤler verwieſen, oder muͤſſen dieſe wenigſtens, wie bereits oben bemerkt worden iſt, ihren Betreff zu der Caſſe, aus welcher die Lehrerinn bezahlt wird, er - ſetzen.

§. 83.

Sollte ſich jedoch in einem Orte durchaus keine Perſon finden, welche die zu Uebernahme der Jndu - ſtrie-Lehrers Stelle erforderlichen Kenntniſſe und Kunſt - fertigkeiten beſaͤße; ſo bleibt immer noch der ebenfalls bereits in Wuͤrttemberg mit gutem Erfolge eingeſchla - gene Ausweg uͤbrig, eine oder einige erwachſe - ne Perſonen, und einige Kinder aus dem Orte in eine benachbarte Amtsſtadt, wo ſich eine der beſſeren Jnduſtrie-Schulen befindet, abzuſenden, und dieſelben dort ſo weit auf oͤffentliche Koſten un - terrichten zu laſſen, bis ſie im Stande ſind, den Un - terricht in ihrem Geburts-Orte mit Erfolg zu uͤberneh - men. Das K. evangeliſche Conſiſtorium hat zu die - ſem Zwecke fruͤher die Errichtung einer beſonderen Mu - ſter-Jnduſtrie-Schule, etwa in Verbindung mit dem Stuttgardter Waiſenhauſe, im Auge gehabt; es8114moͤchte aber zu Erfuͤllung des Zweckes ſchon hinreichend ſeyn, wenn dergleichen Perſonen auf ebenbemerkte Art in die bereits muſterhaft eingerichteten Stuttgardter Jnduſtrie-Schulen zum Unterricht abgeſchickt wuͤrden. Ein beſonderes Verdienſt um die vaterlaͤndiſche Jndu - ſtrie koͤnnte ſich aber die Centralleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins ohne Zweifel dadurch erwerben, wenn ſie auf ihre Koſten vertraute und geſchickte Perſonen, noͤthigenfalls in's Ausland, abſchickte, oder bereits unterrichtete dergleichen Per - ſonen, noͤthigenfalls auch Auslaͤnder, etwa unter Mit - wirkung des vaterlaͤndiſchen Handelsſtandes, aufſuch - te, anſtellte, und belohnte, um einzelne im Lande weniger oder bis jetzt gar nicht bekannte nuͤtz - liche Jnduſtrie-Zweige in mehreren vaterlaͤndiſchen Jn - duſtrie-Schulen einzufuͤhren, zu lehren, und deren Be - treibung zu leiten. Vielleicht waͤre die Aufſtellung und Bezahlung ſolcher Perſonen nur auf einige Zeit noͤthig, mithin nicht ſo außerordentlich koſtſpielig, und in jedem Falle wohlfeiler und zweckmaͤßiger, als wenn einzelne Oberaͤmter und Orte, wie ſchon geſchehen iſt, beſondere Perſonen, z. B. zum Unterricht im Stroh - flechten, mit großen Koſten aus dem Auslande ver - ſchreiben, und ſich und dem Lande hiedurch vielleicht zuletzt eine neue Armenfamilie aufbuͤrden, was auch die Centralleitung bey der Anſtellung ſolcher Leute ver - meiden ſollte und koͤnnte.

§. 84.

An mehreren Orten wird auch Mangel an taug - lichen Perſonen vorgeſchuͤtzt, welche ſich ohne Nach - theil fuͤr ihre eigenen Geſchaͤfte der Beſorgung der oͤconomiſchen Angelegenheiten der Jnduſtrie -115 Schulen, der Rechnungsfuͤhrung daruͤber, und der Aufſicht uͤber dieſelben unterziehen koͤnnten. Allein das Detail der Oeconomie und Rechnungs-Fuͤh - rung und die unmittelbare Aufſicht uͤber den regelmaͤ - ßigen Beſuch der Anſtalt, und uͤber den Fleiß und das ſittliche Betragen der Schuͤler, uͤberhaupt die gewoͤhn - liche Schul-Diſciplin, und die Fuͤhrung der erforder - lichen Regiſter uͤber Fleiß und Sitten wird, beſonders, wenn die Eltern ihren Kindern in dieſer Hinſicht mit gutem Beyſpiele vorangehen, und die Bemuͤhungen des Jnſtituts durch ihre Mitwirkung zu dem Zwecke deſſelben unterſtuͤtzen, in den meiſten Faͤllen, wie dieß auch wirklich in Wuͤrttemberg haͤufig geſchieht, den Jnduſtrie-Lehrern und Lehrerinnen ſelbſt, ohne beſondere Belohnung dafuͤr, uͤberlaſſen werden koͤnnen, denn die beſonders bezahlten ſogenannten Aufſeherinnen, welche man in einigen wuͤrttem - bergiſchen Jnduſtrie-Schulen findet, und welche alsdann zugleich den Einkauf des Materials, die Ausſtaffirung der fertig gewordenen Arbeiten, und den Verkauf der - ſelben zu beſorgen, und uͤber die Einnahmen und Aus - gaben Rechnung zu fuͤhren haben, ſcheinen nichts an - deres, als die erſten Lehrerinnen zu ſeyn, welche ſich als ſolche ebenfalls dem Unterrichte zu widmen haben. Sollten jedoch die Jnduſtrie-Lehrer und Lehrerinnen nicht die erforderlichen Kenntniſſe im Leſen, Schreiben und Rechnen, oder nicht genug Kraft und[perſ]oͤnliches Anſehen beſitzen, um ihnen die Buchfuͤhrung und Auf - ſicht uͤberlaſſen zu koͤnnen; ſo kann ja die Fuͤhrung der erforderlichen Rechnungen und Liſten, und die Abſtra - fung der ungezogenen Kinder dem Elementar - Schullehrer oder deſſen Gehuͤlfen uͤbertragen8 *116werden, wie denn auch wirklich dieſelben in vielen wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen dieſes Geſchaͤfte gerne, und zwar groͤßtentheils ohne beſondere Beloh - nung, uͤbernommen haben. Es gibt auch Orte, wo der Hausvater, in deſſen Wohnung die Jnduſtrie - Schule ſich befindet, oder wenn dieſelbe in dem Hoſpi - tal ihr Local hat, der Spital-Aufſeher, gegen eine kleine Belohnung, dieſe Verrichtungen beſorgt, und nur in Stuttgardt und Tuͤbingen, wo bey einer ſehr gro - ßen Anzahl von Kindern die Jnduſtrie-Anſtalt ein eige - nes Gebaͤude beſitzt, und daſſelbe allein ausfuͤllt, hat man bis jetzt die Anſtellung eines beſonderen Haus - meiſters zur Aufſicht uͤber dieſes Gebaͤude, zur Auf - bewahrung der Vorraͤthe, zu Beſorgung der uͤbrigen oͤconomiſchen Angelegenheiten, und zu Fuͤhrung der Rechnungen -, nur in Stuttgardt die Aufſtellung eines beſonderen Aufſehers fuͤr die Knaben noͤ - thig gefunden.

§. 85.

Die Lehrer und Lehrerinnen und die Aufſeher und Aufſeherinnen ſelbſt muͤſſen dann freylich mit den Schuͤ - lern ebenfalls wieder unter einer hoͤheren Leitung und Aufſicht ſtehen. Dieſe Leitung und Aufſicht haben aber bisher an den meiſten Orten Mitglieder des Wohlthaͤtigkeits-Vereins gerne, und zwar un - entgeldlich uͤbernommen. Beſonders haben ſich in dieſer Hinſicht bisher an vielen Orten die weiblichen Mitglieder dieſes Vereins ſehr ruͤhmlich und nuͤtz - lich ausgezeichnet, indem theils einzelne von ihnen, be - ſonders unter anderen die Gattinnen der Orts-Geiſtli - chen, theils ein aus ihrer Mitte gewaͤhlter Ausſchuß, theils ſaͤmmtliche weibliche Mitglieder des Wohlthaͤtig -117 keits-Vereins, und andere Frauen von Honoratioren und angeſehenen Buͤrgern, zum Theil auch deren Toͤch - ter, abwechslungsweiſe ſich um die Jnduſtrie-Schulen, unentgeldlich, angenommen haben. Dieſe Frauenzim - mer beſorgen zum Theil nicht nur die oͤconomiſchen Angelegenheiten der Anſtalt, nahmentlich die Aufſuchung von Arbeitsbeſtellungen, die Anſchaffung der Arbeits - Materialien, das Aufſchreiben des Arbeits-Verdienſtes der Kinder, und die Verwerthung der Fabricate, ſon - dern es beſucht auch jedes derſelben wenigſtens Einmal in der Woche, oder es beſucht jeden Tag abwechslungs - weiſe eines dieſer Frauenzimmer die Anſtalt, theils um den Unterricht der Maͤdchen leiten zu helfen, ihre Ar - beiten, beſonders auch in Hinſicht auf Puͤnctlichkeit, zu pruͤfen, und das Betragen der Maͤdchen (uͤber de - ren Verhalten auch außerhalb der Anſtalt ſie geeignete Erkundigungen einziehen) in Hinſicht auf Reinlichkeit, Ordnung, und Sittlichkeit uͤberhaupt, zu beobachten, theils um nachzuſehen, ob die Lehrerinnen auf der ei - nen Seite es nicht an hinlaͤnglicher Unterweiſung und Zucht der Kinder fehlen laſſen, auf der anderen Seite aber dieſelben mit der erforderlichen Geduld und Nach - ſicht behandeln; ſie ſuchen auf jede Art die Lehrerinnen zu ermuntern und zu unterſtuͤtzen; was ihnen aber be - ſonders lobens - oder tadelnswerth vorkommt, das bemer - ken ſie in einem zu dieſem Zwecke zu haltenden Regi - ſter, das ſie jedesmal ihrer Nachfolgerinn uͤbergeben.

§. 86.

Weil jedoch der Antheil, welchen die Frauenzimmer an dieſem Geſchaͤfte nehmen, nicht uͤberall gleich leb - haft iſt, und in jedem Falle ihre Aufſicht ſich in der Regel nur uͤber die Maͤdchen erſtrecken kann, uͤber -118 haupt aber Eine beſtimmte Perſon vorhanden ſeyn muß, welche den Beruf und die Befugniß hat, die verſchie - denen Bemerkungen, Wuͤnſche und Beſchwerden der Lehrer und Lehrerinnen, und der Aufſeher und Aufſe - herinnen zur Kenntniß der hoͤheren Aufſichts-Behoͤrden zu bringen, und in Faͤllen, wo keine vorherige lange Berathſchlagung noͤthig oder moͤglich iſt, wenn der Zweck erreicht werden ſoll, friſch durchzugreifen; ſo ſollte, wie dieß auch bey mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen wirklich der Fall iſt, jede derſelben ihren beſonderen Vorſteher haben, an welchen alle bisher genannten, mit dem Unterrichte und der Auf - ſicht bemuͤhten Perſonen zunaͤchſt alle ihre Bemerkungen, Wuͤnſche und Beſchwerden zu bringen, und von wel - chem ſie alle Befehle in Beziehung auf die Anſtalt zu empfangen und zu befolgen haͤtten. Dieſer Vorſteher muͤſſte ebenfalls jede Woche etlichemal die Anſtalt be - ſuchen, den Lehrern und Lehrerinnen ꝛc. mit Rath und That an die Hand gehen, nach Umſtaͤnden beloben und belohnen, oder ermuntern, belehren, warnen, drohen, ſtrafen, im Nothfalle auch ſich um die Rechnungs - fuͤhrung annehmen, und theils bey vorkommenden auſ - ſerordentlichen Faͤllen, theils uͤberhaupt von Zeit zu Zeit uͤber den Fortgang und Zuſtand des Jnſtituts an die hoͤhere Aufſichts-Behoͤrde Bericht erſtatten.

Am beſten moͤchte ſich dieſe Stelle in der Regel fuͤr den Schul-Jnſpektor oder einen der Orts - Geiſtlichen eignen, wie denn auch wirklich im Wuͤrt - tembergiſchen viele von ihnen dieſelbe freywillig uͤber - nommen, und zum Theil bisher mit ausgezeichneter Einſicht und Thaͤtigkeit verſehen haben. An anderen Orten freylich hat ſich zum Theil bis jezt nicht eben - ſoviel Sinn und Liebe der Geiſtlichkeit fuͤr dieſen Ge -119 genſtand gezeigt; auch ſollen an einigen Orten die Geiſtlichen zu ſehr mit anderen wichtigeren Berufs - Geſchaͤften uͤberladen ſeyn, als daß ſie ſich auch die - ſem Gegenſtande widmen koͤnnten; ſo wie es auch be - kanntlich manche Filial-Orte gibt, in welchen kein Geiſtlicher ſeinen Wohnſitz hat. Jndeſſen haben ſich auch außer der Geiſtlichkeit bis jezt an mehreren Orten, beſonders unter den Mitgliedern des Wohlthaͤ - tigkeits-Vereins, und der Stiftungs - und Gemeinderaͤthe, und ſelbſt unter dem Buͤrger - und Gewerbsſtande Maͤnner gefunden, welche ſich der Stelle eines Vorſtehers der Jnduſtrie-Schule unentgeldlich unterzogen haben, und dieſelbe bis auf den heutigen Tag mit dem lobenswuͤrdigſten Eifer be - kleiden.

§. 87.

Die hoͤhere Leitung und Aufſicht uͤber die Jndu - ſtrie-Schulen und die Vorſteher derſelben hat bisher in Wuͤrttemberg an einigen Orten ein aus der Mitte der Lokalleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins gewaͤhlter beſonderer Kinder-Beſchaͤftigungs-Ausſchuß, an den meiſten Orten aber haben dieſelbe theils die Orts - und Oberamtsleitungen des Wohl - thaͤtigkeits-Vereins, unter der hoͤchſten Auf - ſicht der Centralleitung deſſelben, theils die ge - meinſchaftlichen Unter - und Oberaͤmter, unter der hoͤchſten Aufſicht des Koͤnigl. Studien - raths, evangeliſchen Conſiſtoriums, und katholiſchen Kirchenraths, und zwar, wie ſich von ſelbſt verſteht, ohne beſondere Belohnung, gefuͤhrt, und nicht nur dafuͤr geſorgt, daß die zur Theilnahme an dieſen Schulen geeigneten Kinder wirklich dazu an -120 gehalten wurden, ſondern auch den Plan zur inneren Einrichtung derſelben entworfen, und durch periodiſche Unterſuchungen ſich uͤberzeugt, ob dieſem Plane wirk - lich nachgelebt, und uͤberhaupt weder in Beziehung auf die induſtrioͤſe, intellectuelle, religioͤſe, und mora - liſche Bildung und Erziehung der Kinder, noch in Be - ziehung auf die Rechnungsfuͤhrung, und uͤberhaupt auf die oͤkonomiſchen Angelegenheiten der Anſtalt etwas verſaͤumt werde. Zur beſonderen Aufmunterung der Kinder, Lehrer, Lehrerinnen, Aufſeher und Aufſeherinnen jedoch hat es ſtets gereicht, daß nicht nur der ver - ewigten Koͤniginn Catharine, und der jezt regierenden Koͤniginn Pauline, ſondern ſelbſt des Koͤnigs Wilhelm Majeſtaͤt ſich ſchon mehr - mals herabgelaſſen haben, in hoͤchſt-eigener Perſon va - terlaͤndiſche Anſtalten dieſer Art in Augenſchein zu neh - men, und dieſelbe der ſorgfaͤltigſten und genaueſten Pruͤfung bis auf das kleinſte Detail hinaus zu wuͤr - digen.

§. 88.

Allein an mehreren Orten wird die Unmoͤglichkeit vorgeſtellt, einen ſchicklichen Ort auszumitteln, wo die Kinder zu gemeinſchaftlicher Beſchaͤftigung und Aufſicht vereinigt werden koͤnnten. Beſonders wird dieſe Un - moͤglichkeit in ſolchen Gegenden vorgeſtellt, wo eine Gemeinde aus mehreren kleinen Doͤrfern und Weilern beſteht, oder wo gar das ſogenannte Vereinoͤdungs-Syſtem eingefuͤhrt iſt, nach wel - chem in der ganzen Gegend nichts als einzelne zerſtreute Hoͤfe und Haͤuſer zu finden ſind, wo - von manches eine Viertelſtunde von dem anderen ent - fernt iſt, ſo daß die Wohnhaͤuſer einer und ebender -121 ſelben Gemeinde oft einen ſehr weiten Diſtrikt einneh - men, und die Kinder, die Jnduſtrie-Schule moͤchte gehalten werden, wo ſie wollte, zum Theil 1 bis Stunde in dieſelbe zu gehen haͤtten, was beſonders im Winter bey den in ſolchen Gegenden ohnehin zum Theil ungewoͤhnlich heftigen Stuͤrmen, ſtrenger Kaͤlte, tiefem Schnee, und ſtarken Eiſe, und bey den in ſol - chen Gegenden ohnehin meiſtens ſehr ſchlechten und un - gangbaren Wegen beynahe unmoͤglich waͤre, uͤberdieß aber wegen des mit dem weiten Hin - und Herweg verbundenen großen Verluſts an Zeit und Kraͤften die Eltern des Gebrauchs ihrer Kinder zu leichteren haͤus - lichen und Feldgeſchaͤften beynahe ganz beraubte, und den lezteren Veranlaſſung und Gelegenheit gaͤbe, un - terwegs zu betteln und allerhand ſonſtigen Unfug aus - zuuͤben.

Allein ſo ſehr dieſe Umſtaͤnde allerdings Beruͤck - ſichtigung verdienen, ſo moͤchten ſie doch ebenſowenig die gaͤnzliche Unterlaſſung der Errichtung einer Jndu - ſtrie-Schule rechtfertigen, als ſie bisher fuͤr zureichend erachtet worden ſind, von der Errichtung der gewoͤhn - lichen Elementar-Schulen abzuſtehen. Jm Gegentheil koͤnnte gerade in ſolchen Gegenden die Jnduſtrie-Schule ein Mittel werden, den fleißigen Beſuch der Elementar - Schule zu befoͤrdern, und den auf dem Hin - und Her - weg moͤglichen Unfug zu vermindern, beſonders wenn die Einrichtung getroffen werden koͤnnte, daß die Kin - der des Mittags an dem Orte, wo die Jnduſtrie - Schule gehalten wird, verpflegt wuͤrden. Allerdings moͤchte uͤbrigens in ſolchen Gegenden bey beſonders unguͤnſtiger Witterung die Schule ſo lange, als dieſe Witterung andauert, einzuſtellen, und auch ſonſt den - jenigen Kindern, welche bey den Jhrigen zu Hauſe un -122 ter gehoͤriger Aufſicht Beſchaͤftiguug finden, oder gar ihren Eltern unentbehrlich ſind, das Ausbleiben ſo wenig als moͤglich zu erſchweren ſeyn.

§. 89.

Jedoch auch in anderen Gegenden, auch in zu - ſammengebauten Doͤrfern und Staͤdten wird haͤufig uͤber Mangel an den zu Einrichtung einer Jnduſtrie - Schule erforderlichen Gebaͤuden oder Zimmern, oder wenigſtens uͤber allzugeringen Umfang derſelben, und ſelbſt uͤber Mangel an dem zu Erbauung oder Er - weiterung ſolcher Gebaͤude und Zimmer noͤthigen Raum geklagt. Allein zum Theil ſcheint man ſich uͤber - triebene Begriffe von der Groͤße des zu einer ſolchen Schule erforderlichen Raums zu machen. So iſt es z. B. zwar ganz zweckmaͤßig, wenn, wo der vor - handene Raum es geſtattet, die beyden Geſchlech - ter von einander getrennt, d. h. die Knaben in einem beſonderen - und die Maͤdchen in einem be - ſonderen Gebaͤude oder Zimmer beſchaͤftigt werden, wie dieß an einigen Orten in Wuͤrttemberg auch wirklich der Fall iſt; allein noͤthig ſcheint eine ſolche ſcharfe Trennung der Geſchlechter nicht gerade zu ſeyn, da in dem Alter, in welchem die Kinder die Jnduſtrie-Schule zu beſuchen haben, das Beyſammenſeyn der beyden Geſchlechter ſchon an und fuͤr ſich nicht ſo gefaͤhrlich iſt, wie bey jungen Leuten von reiferem Alter, uͤber - dieß aber bey der beſtaͤndigen Geſellſchaft und Aufſicht, unter welcher ſich die Kinder in der Jnduſtrie-Schule befinden, in jedem Falle weniger Unfug vorkommen kann, als wenn ſie einzeln ſich ſelbſt, der Langeweile, und dem Muͤßiggange uͤberlaſſen werden. Ferner iſt es zwar ganz zweckmaͤßig, wenn, wo die Zahl der123 arbeitenden Kinder groß, und der erforderliche Raum vorhanden iſt, ſo viel moͤglich fuͤr jede beſondere Art von Arbeit ein beſonderes Arbeits - zimmer angewieſen wird, wie dieß ebenfalls an ei - nigen Orten wirklich der Fall iſt; allein abſolut noth - wendig iſt eine ſolche Abſonderung ebenfalls nicht, in - dem viele ganz verſchiedene Arbeiten ſich fuͤglich in ebendemſelben Zimmer vereinigen laſſen, und an Or - ten, wo es an Raum gebricht, ſchon bey der Wahl der Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde auf ſolche Arbeiten Ruͤckſicht genommen werden kann, welche nicht, wie z. B. das Wollenſpinnen am großen Rade, einen all - zugroßen Raum erfordern. Es iſt daher keineswegs noͤthig, daß die Kinder-Jnduſtrie-Anſtalt uͤberall, wie z. B. in der Reſidenz und in einigen Hauptſtaͤdten Wuͤrttembergs, eigene Gebaͤude beſitze, oder doch 2. 3. 4. und noch mehrere Zimmer inne habe; vielmehr hat man in mehreren zum Theil ebenfalls be - deutenden Orten Ein geraͤumiges, helles, und geſun - des Zimmer hinreichend gefunden.

§. 90.

Der hienach wirklich erforderliche Raum hat ſich aber an vielen Orten in dem bereits vorhandenen Schulgebaͤude dargeboten, und ohne Zweifel wuͤrde er ſich, wenigſtens bey einer kleinen Bauveraͤnderung, noch in vielen anderen Schulhaͤuſern finden; an man - chem Orte wuͤrde vielleicht auch der Elementar-Schul - lehrer eines ſeiner Wohnzimmer gegen eine kleine Ent - ſchaͤdigung zu dieſem Zwecke einraͤumen. An einigen Orten ſoll es zwar ſelbſt an den nothwendigſten Ele - mentar-Schulzimmern, oder wenigſtens an dem erfor - derlichen Raume in denſelben, fehlen; dagegen wuͤrde124 ſich aber vielleicht, wie dieß an mehreren Orten der Fall geweſen iſt, in dem Hoſpital oder in irgend einem anderen Armenhauſe ein Lokal um ſo mehr ausmitteln laſſen, als es ohnehin oft weit angemeſſe - ner waͤre, wenn die in ſolchen oͤffentlichen Haͤuſern wohnenden Armen zum Theil in Privathaͤuſern unter - gebracht wuͤrden. An einigen Orten haben ſogar, was dankbar anerkannt und angeruͤhmt zu werden ver - dient, Geiſtliche und Oberbeamte die Jnduſtrie - Schule in ihre Dienſtwohnung aufgenommen, und verſchiedene Jnduſtrie-Schulen verdanken der Gnade Seiner Koͤniglichen Majeſtaͤt ein ihnen in Koͤnigl. Schloͤſſern, aufgehobenen Kloͤſtern und Kaſer - nen, und in anderen Herrſchaftlichen Gebaͤuden unentgeldlich angewieſenes Lokal. An mehreren Or - ten geben die Jnduſtrie-Lehrer und Lehrerin - nen den Unterricht in ihrer eigenen Wohnung, und in anderen Orten hat man in Privathaͤuſern gegen Bezahlung eines ſehr maͤßigen Miethzinſes das erforderliche Lokal gefunden. Sollte ſich jedoch an einem Orte durchaus kein beſonderes Jnduſtrie - Schulzimmer ausmitteln laſſen; ſo waͤre dieß zwar al - lerdings in ſo ferne zu bedauern, als durch dieſen Mangel die Einfuͤhrung eines claſſenweiſen Wechſels des Elementar - und des Jnduſtrie-Schulunterrichts verhindert wuͤrde: allein die gaͤnzliche Verzichtleiſtung auf Errichtung einer Jnduſtrie-Schule waͤre deßwegen doch nicht noͤthig, indem immerhin noch der an meh - reren Orten bisher eingeſchlagene Ausweg uͤbrig bliebe, in dem gewoͤhnlichen Lokal der Elementar - Schule die Kinder mit gewiſſen Arbeiten, wie z. B. Stricken, waͤhrend des Elementar-Unterrichts -, mit anderen mehr Raum erfordernden, oder mehr Geraͤuſch125 verurſachenden Arbeiten aber in den von dem Elemen - tar-Unterrichte freyen Stunden zu beſchaͤftigen.

§. 91.

Der allergroͤßte Stein des Anſtoßens jedoch iſt der mit einer jeden Verbeſſerung oder weiteren Ausdehnung bereits beſtehender -, oder mit Errichtung neuer Jndu - ſtrie-Schulen nothwendig verbundene Koſtens-Auf - wand. Es ſind nicht nur die Koſten der erſten Einrichtung, z. B. der Herſtellung des erforderlichen Locals, und der Anſchaffung der noͤthigen Tiſche, Baͤnke, Stuͤhle, Werkzeuge, und anderen Geraͤthſchaf - ten, woran man ſich an manchem Orte ſtoͤßt, ſondern beſonders auch die jaͤhrlichen Koſten der Unter - haltung der Anſtalt, nahmentlich die Baukoſten oder der Miethzins von dem gewaͤhlten Local, die Koſten der Beleuchtung und Erwaͤrmung deſſelben, (beſonders bey Gemeinden, welche keine eigenen Waldungen ha - ben), die Koſten der Anſchaffung der zu verarbeitenden Materialien, der den Kindern zu bezahlende Arbeits - lohn, das bey Kindern, welche ſo manches verderben, bey dem Verkauf der Fabricate nothwendig entſtehende Deficit, die Praͤmien fuͤr die Kinder, die Belohnung der Lehrer und Lehrerinnen, Rechnungsfuͤhrer, Auf - ſeher ꝛc.

§. 92.

Dieſe Koſten , heißt es, ſtehen in keinem Verhaͤltniſſe mit dem Gewinn, welchen die Kinder an Arbeitsverdienſt machen, und die dazu er - forderliche Summe koͤnnte zweckmaͤßiger verwendet wer - den, wenn ſie zu Beſchaͤftigung der Armen in ihren Haͤuſern verwendet wuͤrde, wozu ſie auch in der Regel126 Jahre lang hinreichend waͤre; beſonders ſtehe der Auf - wand an ſolchen Orten in keinem Verhaͤltniſſe mit dem dadurch bezweckten Nutzen, wo, wie es in ſo vielen Orten der Fall ſey, die Zahl der zur Theilnahme an einer ſolchen Anſtalt geeigneten Kinder nur gering ſey. Abgeſehen jedoch auch von dem Mißverhaͤltniſſe des Koſtens zu dem Nutzen, ſey es wenigſtens nicht Sa - che der Gemeinde, ſondern Sache derjenigen, wel - che die Kinder gezeugt haben, fuͤr den Unterricht und die Erziehung derſelben zu ſorgen, und uͤberdieß ſeyen manche Dorf - und ſelbſt Stadtgemein - den, beſonders ſolche, welche wenige bemittelte Mit - glieder oder wenige oder rauhe Felder haben, viel zu arm, es fehle ihnen viel zu ſehr an Fonds, wenigſtens an diſponibeln und fluͤſſigen Fonds, an Vermoͤgen, an Geld, und anderen Huͤlfs-Quel - len, Mitteln, und Kraͤften, um einen ſolchen Aufwand beſtreiten zu koͤnnen. Es gebe ja ſo viele Gemeinden, welche bereits ſo ſchwer belaſtet ſeyen, daß ſie ſchon ihre bisherigen Ausgaben nicht zu beſtreiten vermoͤgen, daß ſie nicht einmal zu Haltung der Ele - mentar-Schule ein angemeſſenes Local auszumitteln, oder dem Elementar-Schullehrer eine ſchickliche Woh - nung anzuweiſen, und ihn gehoͤrig zu beſolden, ja den Kirchenthurm, der ihnen eingeſtuͤrzt ſey, wieder herzu - ſtellen im Stande ſeyen. Solche Gemeinden koͤn - nen ſich in vielen Jahren nicht wieder erhohleu, und wenn man ihnen daher die Erweiterung einer bey ihnen bereits beſtehenden Jnduſtrie Schule zumuthen wollte, ſo koͤnnte gerade die Aufloͤßung der ganzen bisherigen Anſtalt dadurch bewirkt werden. Geſetzt jedoch auch, eine ſolche Gemeinde wuͤrde die Erweiterung einer be - reits beſtehenden - oder die Errichtung einer neuen127 Jnduſtrie-Schule fuͤr den Augenblick zu Stande brin - gen, ſo wuͤrde ſie wenigſtens den Aufwand nicht jaͤhr - lich wiederholen koͤnnen, und mithin der Fortbeſtand der Anſtalt in der Zukunft nicht zu erwarten ſeyn.

§. 93.

Allerdings koͤnnte durch eine zweckwidrige Ausdehnung einer ſolchen Anſtalt die gute Abſicht derſelben verfehlt werden. Man muß daher z. B. nicht, wie ſchon oben gezeigt wurde, ſolche Kinder, welche von den Jhrigen zu Hauſe ebenſogut beſchaͤftigt und erzogen wuͤrden, zur Theilnahme an derſelben noͤthigen, oder ſolchen Kindern, deren Eltern die Koſten des Un - terrichts zu bezahlen wohl vermoͤgend ſind, den Zutritt unentgeldlich geſtatten. Man muß nicht Haͤuſer oder Zimmer bauen oder miethen, wo man ſolche in einem bereits vorhandenen oͤffentlichen Gebaͤude unentgeldlich haben oder wenigſtens mit geringen Koſten einrichten kann. Man muß nicht ohne Noth Stunden zum Unter - richt waͤhlen, in welchen die Beleuchtung und Erwaͤr - mung der Zimmer noͤthig iſt, das Brennholz nicht durch Tagloͤhner herbeyſchaffen, ſaͤgen, ſpalten, tragen, aufbeugen laſſen, zum Einheizen nicht beſonders be - zahlte Einbrenner beſtellen, wenn die Schulkinder bey gehoͤriger Aufſicht dieß ebenſogut ſelbſt beſorgen koͤnnen. Man muß nicht Arbeiten waͤhlen, welche die Anſchaf - fung koſtſpieliger Werkzeuge und anderer Geraͤthſchaf - ten erfordern, und dieſe Werkzeuge nicht auch ſolchen Kindern unentgeldlich anſchaffen, deren Eltern ſolche ſelbſt bezahlen koͤnnen. Man muß die Kinder nicht auf Rechnung der Anſtalt arbeiten laſſen, wenn ſich Leute finden, welche das Material auf ihre eigenen128 Koſten anſchaffen, und ſich verbindlich machen, die Fabricate gegen Bezahlung eines gewiſſen Arbeitslohns zuruͤckzunehmen; beſonders aber muß man nicht ſolche Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde waͤhlen, wozu das Mate - rial ſehr theuer und leicht zu verderben, und wovon der Abſatz unſicher oder nur mit bedeutendem Verluſt zu bewirken iſt; auch muß man den Kindern nicht ei - nen unverhaͤltnißmaͤßig hohen Arbeitslohn bezahlen, je - doch hiebey auch nicht vergeſſen, daß bey einer zweck - maͤßigen Wahl der Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde das, was man auf den Ankauf des Materials und auf Be - zahlung des Arbeitslohns verwendet, nicht fuͤr immer ausgegeben, ſondern nur vorgeſchoſſen iſt, und durch den Erloͤß aus den Fabricaten wo nicht ganz, doch groͤßtenthrils erſetzt wird. Man muß endlich nicht allzufreygebig mit Praͤmien-Vertheilungen ſeyn, welche vielleicht mit der Praͤmien-Vertheilung bey den Ele - mentar-Schulen zweckmaͤßig in Verbindung geſetzt wer - den koͤnnten, und keine beſonderen Rechnungsfuͤhrer, Aufſeher ꝛc. anſtellen und bezahlen, wo dieſes Geſchaͤfte ohne beſondere Belohnung die Lehrer verſehen koͤnnen, zu Ertheilung des Unterrichts aber nicht Leute von fremden Orten mit großen Koſten verſchreiben, wenn man ſie bey einer zweckmaͤßigen Wahl der Unterrichts - Gegenſtaͤnde wohlfeiler im Orte ſelbſt finden, oder in einem benachbarten Orte fuͤr eine ſolche Lehrers-Stelle ausbilden laſſen koͤnnte.

§. 94.

Jn je naͤhere und engere Verbindung eine ſolche Jnduſtrie-Schule, wie ſchon oben im All - gemeinen empfohlen wurde, mit der ohnehin ſchon im Orte beſtehenden Elementar-Schule geſetzt werden129 kann, deſto geringer wird in der Regel auch der mit einer ſolchen Schule verbundene Aufwand ausfallen. Auch eine Verbindung der Jnduſtrie-Schule mit der in ebendemſelben Orte beſtehenden Beſchaͤftigungs - Anſtalt fuͤr erwachſene Arme koͤnnte vielleicht in verſchiedener Hinſicht zu Verminderung der Koſten bey - tragen, was vielleicht auch der Grund iſt, warum wirklich einige oͤffentliche Armenbeſchaͤftigungs-Anſtal - ten in Wuͤrttemberg beydes, erwachſene Arme und Kin - der, zugleich umfaſſen; doch moͤchte es nicht raͤthlich ſeyn, in ebendemſelben Local, in welchem die oft ſo ſehr verdorbenen und rohen erwachſenen Armen arbei - ten, auch die zu Auffaſſung und Nachahmung ſchlim - mer Beyſpiele ſo geneigten Kinder zu unterrichten und zu beſchaͤftigen. Es iſt auch ſchon der Vorſchlag gemacht worden, ob nicht zu Verminderung der Ko - ſten mehrere kleinere benachbarte Gemein - den auf gemeinſchaftliche Koſten eine gemein - ſchaftliche Kinder-Jnduſtrie-Schule errich - ten koͤnnten, oder ob nicht fuͤr einen ganzen Oberamtsbezirk nur eine einzige gemein - ſchaftliche Kinder-Jnduſtrie-Schule errichtet werden ſollte, weil alsdann nicht jeder Ort ein beſon - deres Local, beſondere Geraͤthſchaften, beſondere Lehrer, Aufſeher ꝛc. haben muͤſſte, ſondern alles dieß mit weit geringeren Koſten gemeinſchaftlich ſeyn koͤnnte. Wirk - lich nehmen auch an einigen wuͤrttembergiſchen Jndu - ſtrie-Schulen Kinder aus benachbarten Orten Theil. Allein dieſe Einrichtung ſcheint ſchon um deßwillen keine allgemeinere Nachahmung zu verdienen, weil die Kin - der entweder, was ſo leicht zu Verſaͤumung der Ele - mentar-Schule und zu anderem Unfug Anlaß geben9130koͤnnte, alle Tage 2 mal den weiten Hin - und Her - weg aus ihrem Wohnorte in den Ort der Jnduſtrie - Schule machen, oder aber auch den Elementar-Unter - richt an dem gemeinſchaftlichen Vereinigungs-Orte ge - nießen, und daſelbſt zugleich verpflegt und beherbergt werden muͤſſten, was die Koſten, ſtatt ſie zu vermin - dern, im Gegentheil gerade vermehren wuͤrde. De - ſto angemeſſener hingegen moͤchte alsdann eine Ver - bindung mehrerer benachbarten, oder ſaͤmmtlicher zu einem Oberamtsbezirke gehoͤrigen Jnduſtrie-Schulen ſeyn, wenn zwar in jedem Orte eine beſondere aus - ſchließlich fuͤr die Jugend des Ortes beſtimmte Jndu - ſtrie-Schule errichtet wuͤrde, dieſe verſchiedenen Anſtal - ten aber ungefaͤhr aͤhnliche Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde waͤhlten, die Anſchaffung des Materials, und die Ver - werthung der Fabricate gemeinſchaftlich beſorgten, und in allen Faͤllen, wo eine gegenſeitige Aushuͤlfe moͤglich waͤre, einander ſchweſterlich die Haͤnde boͤten und un - terſtuͤtzten.

§. 95.

Uebrigens iſt der Mangel an den zu Errichtung und Unterhaltung einer Kinder-Jnduſtrie-Schule erfor - derlichen Mitteln nicht uͤberall ſo groß, als derſelbe haͤufig vorgeſtellt werden will. An ſehr vielen Or - ten bieten die bereits vorhandenen oͤffentlichen Caſſen, und beſonders die oͤffentlichen Stiftun - gen hiezu hinreichende Mittel dar. Wenn auch nicht uͤberall, wie dieß in einigen Orten der Fall iſt, ein hiezu vermoͤglicher beſonderer Schulfonds vorhanden iſt, oder dieſe Koſten aus dem vereinigten Schul - und Kirchenfonds beſtritten werden koͤn - nen; ſo hat man dagegen in mehreren Orten in den131 vorhandenen Armenfonds, Armen-Caſſen, Allmoſen-Caſſen, Spitalpflegen ꝛc. die hiezu noͤthigen Mittel gefunden; wenigſtens haben dieſe Caſ - ſen an mehreren Orten einen Theil, z. B. die Haͤlfte, oder den dritten Theil dieſer Koſten uͤbernehmen koͤn - nen. An einigen Orten freylich wird daruͤber ge - klagt, daß die urſpruͤnglich oͤrtlichen Stiftungen in neueren Zeiten mit anderen Verwaltungen vereinigt, und der Diſpoſition der Ortsbehoͤrden entzogen worden ſeyen. An anderen Orten wird geklagt, daß die vor - handenen Fonds nicht fluͤſſig ſeyen, wiewohl es bey gutem Willen oft nicht ſchwer ſeyn moͤchte, dergleichen todte Capitalien wieder lebendig zu machen. An man - chen Orten ſcheinen auch wirklich die vorhandenen Fonds ſo erſchoͤpft, ſo verſchuldet, ſo verarmt, oder von je - her ſo beſchraͤnkt und gering zu ſeyn, daß oft nicht ein - mal die ihnen urſpruͤnglich obliegenden Ausgaben da - von beſtritten werden koͤnnen, daß ſchon dieſe Ausga - ben oft auf die Kirchſpiels-Verwandte umgelegt werden muͤſſen, und daß alſo dieſe Caſſen keine neuen Aus - gaben dieſer Art uͤbernehmen koͤnnen. Es gibt auch Orte, welche gar keine ſolche Stiftung, welche uͤber - haupt nicht einmal einen Heiligen zu haben ſcheinen.

§. 96.

Allein wenn eine Gemeinde auch keine beſonderen Stiftungen dieſer Art beſitzt; ſo hat ſie doch oft ande - res Gemeinde-Vermoͤgen, wovon ſie einen Theil zu Gruͤndung und Unterhaltung einer Jnduſtrie-Schule verwenden koͤnnte. Wie leicht koͤnnte manche Ge - meinde ein Stuͤck Allmand dem Jnduſtrie-Lehrer zur Beſoldung anweiſen, oder aus ihren Waldungen9 *132das zu Heitzung der Jnduſtrie-Schule erforderliche Holz abgeben. An vielen Orten werden auch wirklich die Koſten der Unterhaltung der Jnduſtrie-Schule ganz oder zum Theil aus der Gemeinde-Caſſe bezahlt. Manche Gemeinde-Caſſe freylich iſt bereits ſo ſehr verſchuldet, ſo erſchoͤpft, arm und unvermoͤgend, mit Ausgaben aller Art ſo ſehr belaſtet, daß ſie kaum die gewoͤhnlichſten und allernothwendigſten Gemeinde-Aus - gaben zu beſtreiten vermag, und ihr daher keine neuen Laſten dieſer Art aufgelegt, keine Beytraͤge von ihr er - wartet werden koͤnnen. Ueberhaupt ſind an man - chem Orte alle oͤffentlichen Caſſen ſo ſehr ver - ſchuldet, geſchwaͤcht, entkraͤftet, erſchoͤpft, verarmt, und unvermoͤgend, oder es fehlt ihnen wenigſtens ſo ſehr an baarem Gelde, daß ſie das zu ſolchen Zwecken erforderliche Geld nur durch neue Capital-Aufnahmen, wodurch ſie ſich noch tiefer in Schulden ſtecken wuͤr - den, herbeyſchaffen muͤſſten, oder, wenn ſie auch das augenblickliche Geldbeduͤrfniß aufbringen wuͤrden, we - nigſtens zu jaͤhrlicher Fortſetzung einer ſolchen Ausgabe nicht vermoͤgend waͤren.

§. 97.

Jn ſolchen Faͤllen nun, und da uͤberhaupt nicht mit Gewißheit darauf gezaͤhlt werden kann, daß auch die kuͤnftigen Ortsbehoͤrden ſich mit gleichem Jntereſſe der Jnduſtrie Schulen annehmen werden, waͤre es freylich wuͤnſchenswerth, daß dieſe Schulen von allem aͤußeren Einfluſſe ſo unabhaͤngig als moͤglich gemacht, und zu dieſem Ende neue beſondere Fonds fuͤr ſie gebildet werden koͤnnten, wie nahmentlich auch den Kirchen, den Staats-Waiſenhaͤuſern, und zum Theil133 auch den Elementar-Schulen laͤngſt beſondere Fonds und beſondere geſetzliche Gefaͤlle angewieſen worden ſind. An einigen Orten wurde zu dieſem Zwecke das Vermoͤgen ehemaliger, nun aufgeloͤßten, ſogenannten Bruͤderſchaften, oder das Vermoͤgen fruͤher be - ſtandener, nun abgebrochenen, Kapellen, oder ge - wiſſe geſtiftete Allmoſen, oder die erſt ſeit neueren Zeiten den Armenfonds zugewieſene Hundstaxe vorge - ſchlagen. An anderen Orten wurden von Gliedern des koͤniglichen Hauſes, von Gutsherrſchaften, von reichen Privatperſonen, ſelbſt von gar nicht ſehr bemittelten Geiſtlichen beſondere Stiftungen zu Gruͤndung und Unterhaltung einer Jnduſtrie-Schule gemacht, und an manchem anderen Orte kaͤme es vielleicht nur dar - auf an, der bekannten Wohlthaͤtigkeit einzelner edeln Menſchenfreunde zu dieſem Zwecke die erforderliche Richtung zu geben. Wieder an anderen Orten wur - den bey Gelegenheit des Trauerfeſtes zum Andenken an der verewigten Koͤnigin Catharina Majeſtaͤt Bey - traͤge zu einem ſolchen Fonds geſammelt, es wurden die zu einem Denkmahl fuͤr ebendieſe große Befoͤrdere - rinn der Jnduſtrie-Schulen geſammelten Beytraͤge zu Gruͤndung und Unterhaltung einer ſolchen Schule be - ſtimmt, es ließen Geiſtliche dey Gelegenheit der Kir - chen-Viſitation von ihren Tagsgebuͤhren, ſelbſt arme Schullehrer von den zu ihrem duͤrftigen Dienſteinkom - men gehoͤrigen Neujahrs-Geſchenken, zu dieſem Zwecke etwas zuruͤck, und es wurden ſonſt freywillige Beytraͤge zu dieſem Behufe geleiſtet, ſo daß an mehreren Orten ſich bereits ein neuer Fonds gebildet hat, welcher zwar zum Theil gegenwaͤrtig noch zu klein iſt, um von den jaͤhrlichen Jntereſſen eine Jndu - ſtrie-Schule zu unterhalten, der aber doch groß genug134 iſt, wenigſtens einen Theil dieſer Koſten zu beſtreiten, oder wenn, wie an einigen Orten geſchieht, die Zinſe immer wieder zum Capital geſchlagen werden, wenig - nigſtens ſeiner Zeit zu Beſtreitung des ganzen jaͤhrlichen Aufwands hinreichen wird.

§. 98.

Es ſcheint jedoch zu Erreichung des Zweckes nicht gerade abſolut nothwendig zu ſeyn, daß jede Jnduſtrie - Schule einen beſonderen Fonds habe, indem die Re - gierung noch andere Mittel hat, die allgemeinere Er - richtung ſolcher Schulen zu bewirken, und deren be - ſtaͤndige Fortdauer auch fuͤr die Zukunft zu ſichern, gleichwie auch wirklich viele andere gemeinnuͤtzliche An - ſtalten, nahmentlich viele Elementar-Schulen, zum Theil ſchon ſeit Jahrhunderten, und ebenſo auch ver - ſchiedene Jnduſtrie-Schulen ſeit mehreren Jahren, ohne einen beſonderen Fonds, in Wuͤrttemberg beſtehen. Eines der Mittel, welche in Ermanglung beſonderer oͤffentlichen Fonds, wie uͤberhaupt zu Aufbringung der Gemeinde-Ausgaben zu gemeinnuͤtzlichen Zwecken, ſo insbeſondere auch zu Aufbringung der mit Einrichtung und Unterhaltung der Orts-Jnduſtrie-Schulen verbun - denen Koſten bisher zum Theil benuͤzt worden ſind, und ohne Zweifel auch ſonſt noch an manchem Orte benuzt werden koͤnnten, iſt die Umlage derſelben unter die Einwohnerſchaft nach dem gewoͤhn - lichen Steuerfuß. Freylich gibt es Gemeinden, welchen jede neue Umlage nach dem Steuerfuß ſchon um deßwillen ſehr zuwider iſt, weil ſie fruͤher unter guͤnſtigeren Zeitverhaͤltniſſen ungleich weniger Abgaben zu bezahlen hatten, als dieß gegenwaͤrtig der Fall iſt. Es gibt Gemeinden, welche ſchon gegenwaͤrtig mit135 Abgaben aller Art, theils zur Gemeinde - und Ober - amts-Corporations, Caſſe, theils zur Staats Caſſe, ſo ſehr belaſtet ſind, daß ſie ſchon dieſe, ſchon ihre bisherigen laufenden Schuldigkeiten nicht zu bezahlen vermoͤgen. Es gibt Gemeinden, welche uͤberdieß noch mit aͤlteren, zum Theil ungeheuern, Steuerruͤckſtaͤnden zu kaͤmpfen haben. Es gibt alſo Gemeinden, oder wenigſtens einzelne Steuer-Contribuenten, welchen, wenn ſie nicht vollends gaͤnzlich zu Grunde gerichtet werden ſollen, abſolut keine neuen Ausgaben und Auf - lagen dieſer Art zugemuthet werden koͤnnen und duͤrfen.

§. 99.

Jedoch auch ſolchen Gemeinden ſind bisher zum Theil einzelne wohlhabendere Einwohner mit freywil - ligen Beytraͤgen zum Behuf der Errichtung und Unterhaltung einer Jnduſtrie-Schule zu Huͤlfe gekom - men. Es gibt Orte, wo die Gutsherrſchaft wenigſtens das fuͤr eine ſolche Schule erforderliche Brennholz aus ihren Waldungen unentgeldlich abgibt; an anderen Orten werden woͤchentlich Beytraͤge von der Jnwohnerſchaft eingeſammelt; wieder an anderen Orten ſind in dem Lokal der Jnduſtrie-Schule Opferſtoͤcke zu freywilligen Gaben zum Beſten derſelben aufgeſtellt. Freylich gibt es auch wieder andere Orte, wo man die Guts - herrſchaft nicht auch zu dieſem Zwecke in Anſpruch neh - men kann und will, weil ſie ſchon bisher fuͤr andere wohlthaͤtige Zwecke alles Moͤgliche gethan hat; es gibt Orte, wo uͤberhaupt keine reichen Perſonen ſind, wo die ganze Einwohnerſchaft aus unvermoͤglichen Leuten beſteht, wo der Wohlſtand der Einwohner ſo ſehr ge - ſunken, ihre Mittelloſigkeit und Armuth ſo groß iſt, daß ſie, beſonders bey dem gegenwaͤrtigen allgemeinen136 Geldmangel, ſelbſt ihre Steuern und Abgaben nicht aufzutreiben vermoͤgen, und daher bey dem beſten Wil - len keine Beytraͤge dieſer Art zu leiſten im Stande ſind; es gibt Orte, wo auch die bemittelteren Einwoh - ner, zum Theil ſchon deswegen, weil ſie in den lezten Hungerjahren allzuſehr in Anſpruch genommen wurden, wenigſtens nicht den Willen haben, hinreichende Bey - traͤge zum Behuf einer ſolchen Anſtalt zu liefern; es gibt alſo Orte, wo, wenigſtens ſo lange, bis die Ge - meinde wieder beſſer zu Kraͤften gekommen ſeyn wird, keine freywilligeu Beytraͤge erwartet werden duͤrfen.

§. 100.

An Orten nun, wo es an allen bis hieher aufge - zaͤhlten Huͤlfsquellen entweder gaͤnzlich mangelt, oder dieſelben wenigſtens nicht zu Beſtreitung des ganzen Aufwandes hinreichen, koͤnnen die dem Fortbeſtande oder der Verbeſſerung bereits beſtehender, oder der Er - richtung neuer Jnduſtrie-Schulen im Wege ſtehenden Hinderniſſe ohne hoͤhere Unterſtuͤtzung allerdings nicht beſiegt werden. Jedoch auch dieſe hoͤhere Unter - ſtuͤtzung hat ſich indeſſen fuͤr manchen Ort wirklich ge - funden. Mehrere Orte haben von der Oberamts - leitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins, mit welcher ſie zunaͤchſt in Verbindung ſtehen, Bey - traͤge zu Errichtung und Unterhaltung einer Jnduſtrie - Schule erhalten; beſonders aber hat die Central - leitung dieſes Vereins ſeit mehreren Jahren nicht nur keiner Gemeinde, welche um einen Beytrag zu dieſem Zwecke bey ihr angeſucht, nnd die Nothwendig - keit und Zweckmaͤßigkeit deſſelben gehoͤrig nachgewieſen hat, denſelben verweigert, ſondern ſie hat ſogar bey verſchiedenen Gelegenheiten aus eigenem Antriebe theils137 einzelnen Gemeinden in vorgekommenen beſonderen Faͤl - len, theils[ſ]aͤmmtlichen eines Beytrags beduͤrftigen Ge - meinden im Allgemeinen oͤffentlich einen ſolchen ange - boten. Ja es haben ſogar mehrere Orte von des Koͤniges und der Koͤniginn Majeſtaͤten be - ſondere Beytraͤge zu dieſem Zwecke erhalten, ungeachtet die Centralleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins die Mittel, aus welchen ſie Beytraͤge dieſer Art zu leiſten vermoͤgend iſt, groͤßtentheils ebenfalls der Großmuth beyder Koͤniglichen Majeſtaͤten verdankt.

§. 101.

Wenn man ſich nun aller oben aufgezaͤhlten Gruͤnde, und aller bereits gemachten ſo ſehr befriedi - genden Erfahrungen ungeachtet an manchem Orte doch nicht von der Nothwendigkeit, Wohlthaͤtigkeit, und Aus - fuͤhrbarkeit ſolcher Kinder-Jnduſtrie-Schulen uͤberzeu - zeugen, oder, wenn man ſich auch davon wirklich uͤberzeugt hat, trotz aller Vorſchlaͤge, Aufmunterungen, Aufforderungen, Ermahnungen, Anerbietungen, Un - terſtuͤtzungen, und Erleichterungen doch nicht zur Er - richtung einer ſolchen Schule entſchlieſſen, oder wenig - ſtens nicht Anſtalt dazu treffen, oder das bereits An - gefangene fortſetzen will, oder wenn man gar dem Ge - deyhen bereits beſtehender Anſtalten dieſer Art durch Schmaͤhungen, und auf andere Weiſe entgegen arbei - tet, oder dieſelbe ſonſt zu ſtoͤren, oder gar wieder zu zerſtoͤren ſucht; ſo kann offenbar der Grund hievon nur darin liegen, theils, daß die Gemeinden oder deren Deputirte, oder die Lokalleitungen des Wohlthaͤtigkeits - Vereins, oder die Gemeinderaͤthe, oder Gemeinde - Vorſteher, beſonders auch die Orts-Geiſtlichen, nicht uͤberall uͤber den Zweck und Nutzen der10138Jnduſtrie-Schulen hinlaͤnglich nachgedacht haben, oder belehrt worden ſind, oder Mittel und Wege zu finden wiſſen, wodurch die der Errichtung einer ſolchen Schule vermeintlich entgegen - ſtehenden Hinderniſſe beſeitigt, und dergleichen Schulen wirklich in's Leben gebracht werden koͤnnen, theils, daß ſie uͤberhaupt zu wenig Sinn fuͤr gemeinnuͤtzi - ge Anſtalten, und zu viel Abneigung und Vor - urtheil gegen alles Neue, und uͤberhaupt gegen al - les, wovon ihnen die Vortheile nicht an den Fingern vorgerechnet werden koͤnnen, haben, oder daß es an gegenſeitigem Vertrauen und Einigkeit der Gemeindeglieder und Vorſteher untereinander ge - bricht, oder daß es den lezteren an Muth, Thaͤtig - keit, Energie, Kraft, und feſtem Willen fehlt, oder daß gar Privat-Jntereſſe, oder boͤſer Wille im Spiele iſt, welchen man gar zu gerne durch Vorſchuͤtzung einer entgegengeſezten ſogenannten Volksſtimme zu bemaͤnteln ſucht.

§. 102.

Das erſtgedachte Hinderniß nun zu beſeitigen, nehmlich richtigere Anſichten von der Nothwendigkeit, dem Zwecke, und Nutzen der Kinder-Jnduſtrie-Schulen zu verbreiten, die dagegen haͤufig vorgebrachten unſtatt - haften Einwendungen und beſtehenden Vorurtheile zu widerlegen und zu zerſtreuen, und jedem, dem es wirklich darum zu thun iſt, eine ſolche Schule zu Stande zu bringen, den Weg zu zeigen, auf welchem die ſcheinbar im Wege ſtehenden Hinderniſſe wegge - raͤumt, und die ſcheinbar fehlenden Huͤlfsmittel herbey - geſchafft werden koͤnnen, iſt hauptſaͤchlich der Zweck der gegenwaͤrtigen kleinen Schrift. Hin -139 derniſſe der anderen Art hingegen laſſen ſich durch bloße Belehrung und guͤtlichen Zuſpruch nicht wohl uͤberwinden, vielmehr bleibt, wenn der Zweck wirklich erreicht werden ſoll, wohl nichts anderes uͤbrig, als daß, was auch laͤngſt von verſchiedenen einzelnen Vorſtehern und Beamten als Wunſch geaͤußert worden iſt, in ſolchen Faͤllen durchgegriffen, und das Gute, das auf guͤtlichem Wege nicht zu Stande gebracht werden kann, von Regierungswegen befehls - weiſe angeordnet wird. Nun beſtehen zwar in Wuͤrttemberg, wie ſchon oben gezeigt wurde, laͤngſt die beſtimmteſten Verordnungen, daß in der Regel mit jeder katholiſchen ſowohl als evangeliſchen Ele - mentar-Schule eine Jnduſtrie - oder Arbeits-Schule verbunden werden ſoll, und an mehreren Orten haben auch theils die Orts - und Bezirksbehoͤrden ſelbſt, ge - ſtuͤzt auf obige Verordnungen, die gemachten Verſuche, der Errichtung oder dem Gedeihen der Jnduſtrie - Schulen entgegen zu wirken, mit dem erforderlichen Ernſte zuruͤckgewieſen, theils hat das Koͤnigliche Mini - ſterium des Jnneren in vorgekommenen beſonderen Faͤl - len ſich erſt neuerlich wieder beſtimmt dahin ausgeſpro - chen, daß, da einmal die beſtehenden Verordnungen all - gemein die Verbindung einer Jnduſtrie-Schule mit jeder Elementar-Schule verlangen, es nicht in der Willkuͤhr der Ortsvorſteher liege, ob ſie ſolche Schulen errichten, oder bereits beſtehende Jnduſtrie-Schulen fortbeſtehen laſſen wollen oder nicht. Allein uͤber der Vollziehung dieſer Verordnungen ſcheint bisher nicht mit demjenigen Ernſte und Fleiße, welcher zu Erreichung des Zweckes abſolut nothwendig iſt, ge - wacht und gehalten worden zu ſeyn.

140

§. 103.

Sollen die Jnduſtrie-Schulen wirklich in der erforder - lichen moͤglichſten Allgemeinheit zu Stande kommen, ihrem Zwecke und den darauf zu verwendenden Koſten wirk - lich entſprechen, und ihre beſtaͤndige Fortdauer auch fuͤr die Zukunft geſichert ſeyn, ſo muß vor allen Din - gen die Regierung, gemeinſchaftlich mit den Staͤnden, ſich ſelbſt ein deutliches und moͤg - lichſt vollſtaͤndiges Bild einer ſolchen Jnduſtrie - Schule entwerfen, und hierauf, unter moͤglichſt ge - nauer Bezeichnung der Grundzuͤge derſelben, ſo weit ſich nur immer im Allgemeinen hieruͤber etwas vor - ſchreiben laͤſſt, die Errichtung einer ſolchen Schule fuͤr die Jugend einer jeden Gemeinde, durch ein neues allgemeines Geſetz befehlen. Sollte eine oder die andere Gemeinde hierauf wegen beſonderer oͤrtlichen Verhaͤltniſſe die wirkliche Zweckloſigkeit oder Zweck - widrigkeit oder Unausfuͤhrbarkeit einer Jnduſtrie-Schule fuͤr den Ort durch hinreichende Gruͤnde darthun koͤn - nen, ſo muß die Errichtung einer ſolchen Schule ihr auch nicht zugemuthet werden. Von jeder anderen Ge - meinde aber muß hierauf ein beſtimmter, zwar nach Maßgabe der beſonderen oͤrtlichen und Zeit-Verhaͤlt - niſſe zu entwerfender, aber nach einem beſonders vor - zuſchreibenden Fragen-Syſtem moͤglichſt gleichfoͤrmig zu Papier zu bringender Plan uͤber die wirkliche oͤrtliche Ausfuͤhrung obiger allgemeinen Grund - zuͤge, und uͤber die Aufbringung der zugleich zu be - rechnenden Koſten der erſten Einrichtung ſowohl, als der jaͤhrlichen Unterhaltung verlangt, und jeder ſolche Plan zunaͤchſt von einer beſonders zu beſtimmenden Oberamtsbezirks-Behoͤrde, und dann von einer eben - falls beſonders zu beſtimmenden Central-Behoͤrde141 auf's Genaueſte gepruͤft, und nach Umſtaͤnden, unter Ruͤckſprache mit den betreffenden Bezirks - und Orts - behoͤrden, modificirt werden. Denjenigen Gemeinden, welche eine abſolute Unvermoͤgenheit zu Bezahlung des ganzen Koſtens, ſo weit er nothwendig iſt, nachwei - ſen, muß der Zuſchuß des Fehlenden aus ir - gend einer Central-Caſſe beſtimmt zugeſichert, oder aber von der Errichtung einer ſolchen Schule ebenfalls abſtrahirt werden. Jeder Gemeinde hingegen, von welcher nicht die abſolute Unmoͤglichkeit der Errichtung einer ſolchen Schule oder der Aufbringung des ganzen Koſtens er - wieſen worden iſt, muß ein beſtimmter Termin zu wirklicher Eroͤffnung derſelben anberaumt, fuͤr Einhaltung dieſes Termins die Orts - und Bezirks - behoͤrde verantwortlich gemacht, und von der oben - gedachten Central-Behoͤrde dann nicht nur uͤber wirklicher Eroͤffnung jeder Schule inner - halb des vorgeſchriebenen Termins, ſondern auch uͤber kuͤnftigem ordentlichen Fortgang derſelben mit Eifer, Ernſt, und Beharrlichkeit gewacht wer - den. Dann wird gewiß auch der ſchoͤne, durch die ſtrengſten Polizey-Anſtalten bisher nicht erreichte Zweck, die Kinder vom Muͤſſiggang, Bet - tel, und allen daraus entſtehenden La - ſtern abzuhalten, ſie ihrer kuͤnftigen Be - ſtimmung gemaͤß zu erziehen, und hiedurch fuͤr die Zukunft die Zahl der Bettler und unterſtuͤtzungs-beduͤrftigen Armen zu ver - mindern, nach und nach im ganzen Umfange und zum Heil des Vaterlandes erreicht werden.

About this transcription

TextUeber öffentliche Kinder-Industrie-Anstalten überhaupt, und insbesondere in Württemberg
Author Johann Gottlieb Schmidlin
Extent157 images; 31124 tokens; 5876 types; 239883 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationUeber öffentliche Kinder-Industrie-Anstalten überhaupt, und insbesondere in Württemberg Johann Gottlieb Schmidlin. . VI, 141 S. HerreStuttgart1821.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, Ne 15806

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; Gebrauchsliteratur; Gesellschaft; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:28:12Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkBerlin SBB-PK, Ne 15806
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.