Dem Herrn Baron von R — ſch — d in Paris, dem aͤchten Sohne Abrahams, Jſaaks und Jakobs, dem Beſchuͤtzer der Legitimitaͤt in Europa, dem Freunde aller illiberalen Kuͤnſte widmet zum Beweiſe ſeiner groͤßten Verehrung dies Buch der Verfaſſer.
Jndem ich Jhnen dieſe Judenſchule zueigne, ſollte ich beinahe fuͤrchten, es moͤchte mir eben ſo gehen, wie jenem engliſchen Geiſtlichen, der des Majeſtaͤtsverbrechens angeklagt ward, weil er ſeinem Koͤnige einen Katechismus fuͤr alle unwiſſende Leute (for all ignorant people) gewidmet hatte. Allein ich bin uͤberzeugt, daß Sie ſich nicht allein fuͤr den Reichſten, ſondern auch fuͤr den Kluͤgſten in Jſrael, ſowohl von der ſchwarzen als der weiſſen Linie halten, und daher mein Beginnen nicht mißdeuten werden.
Wenn ich einen recht reichen Mann ſehe, oder gar in ſein Haus trete, dann, Herr Ba - ron, dann ergreift mich immer ſo etwas von heiliger Ehrfurcht, was ich Jhnen gar nicht zu ſchildern vermag. Jch glaube, die Hohen - prieſter des auserwaͤhlten Volks Gottes konn - ten mit keinem ehrerbietigern Schauer in das Allerheiligſte eingehen, als der, womit ich die Schwelle eines ſtein - und geldreichen Mannes uͤberſchreite, zumal wenn ich vernehme, daß er ein Geldwechsler und von Abrahams Saa - men iſt.
Selbſt Name und Klang von Gold und Silber uͤben eine magiſche Zauberkraft uͤber mich aus. Wenn ich von der Allmacht und Herr - lichkeit Gottes hoͤre, welche aus den groͤßten Suͤndern Gerechte und Heilige machen kann, gleich faͤllt mir die Allmacht und Herrlichkeit des Goldes ein, die aus den froͤmmſten und gerechteſten Leuten die aͤrgſten Spitzbuben, aus den abgefeimteſten Schelmen ehrenwerthe Maͤn - ner, aus lumpigten wucheriſchen Juden Frei - herren und Edle, und aus freien Voͤlkern Skla - ven macht.
Gott und Gold regieren die Welt; der Na - me von beiden klingt in der Sprache zwei groſ - ſer Nationen, der deutſchen und engliſchen, faſt gleich, und ich glaube, daß Gott oder God von Gold herſtammt. Jhre auserwaͤhlten Ahn - herren, Herr Baron, ſchienen gleicher Mei - nung zu ſeyn, da ihr frommer Prieſter Aaron ihnen einen Gott von Gold machen mußte, und von jeher hat — wie wir wiſſen — Abrahams Saame dem Golde goͤttliche Ehre erwieſen.
Jch ſagte vorhin: Gold und Silber uͤbten eine wahre Zauberkraft uͤber mich aus. Sehe ich zum Beiſpiel einen ſchmutzigen Band - oder Troͤdeljuden vor mir, dann ruͤhre ich meinen Hut nicht an, ſo wie Sie auch den Jhrigen nicht ruͤcken, wenn Sie einem ſelbſt wohlge - kleideten Goi begegnen, |der kein Ordensband traͤgt, oder dem Sie es anſehen, daß er bei Jh - nen keine Anleihe oder kein Wechſelgeſchaͤftchen machen wird und kann. Greift aber ein ſolcher knoblauchduftender Sohn Abrahams in ſeine Weſten - oder Hoſentaſche und laͤßt mich einen recht hellen Silberton vernehmen, gleich ſpitze ich, wie Sie und Jhre Herren Vettern, meine Ohren, und ruͤcke freundlich nickend meinen Hut. Wird der Silberton gar von einem gold - nen Wiederhall begleitet, dann, Hochwohlge - borner, dann ziehe ich hoͤflich meinen Deckel herunter und meine Tritte verwandeln ſich in Kratzfuͤße, meine Worte in Liebkoſungen, meine finſtere ernſte Miene in ein ſchmeichleriſch - grin - ſendes Laͤcheln. Laͤßt mich das Judenkind end - lich auch einen großen Chineſiſchen Bankzettel, eine Japaniſche Staatsobligation oder derglei - chen ſehen; dann, ach dann, mein Verehrte - ſter, gerathe ich vor Ehrfurcht und Entzuͤcken ganz außer mir, deute mit Fingern auf den Begluͤckten, und rufe! Hic est! Dies iſt ein Auserwaͤhlter des Herrn! Ein Mann von ſehr alter Familie!
Glauben Sie aber nicht, Hochwohlgebor - ner, daß bloß Jhr und Jhrer theuern Herrn Vettern Gold, Silber, Bankzettel und Staats - verſchreibungen es ſind, was ich achte und weß - halb ich dieſes Buͤchlein Jhnen widme. Nein, die reinſte, die lauterſte Dankbarkeit iſt es, die mich hiezu verpflichtet.
Es war einmal eine Zeit, wo ich zu den wohlhabendſten Leuten meines Vaterlandes ge - hoͤrte. Jch hatte der Freunde ſehr viel, weil nicht allein mein Haus, ſondern auch meine Boͤrſe, und was noch kluͤger war, ſogar mein Herz Jedem offen ſtand. Der große Gekreu - zigte hat irgendwo geſagt: Es iſt leichter, daß ein Kameel durch ein Nadeloͤhr gehe, als daß ein Reicher in das Reich Gottes komme. Dies hatte ſich Abrahams Saame, der ſonſt bekannt - lich nicht viel auf das Chriſtenthum haͤlt, ge - merkt, und Jſaaks fromme Nachkommen, ſo - wohl von der ſchwarzen als der weißen Linie, waren eifrigſt bemuͤhet, mir zum Reiche Got - tes zu verhelfen. Hiebei wurden ſie ſehr thaͤtig von einigen vornehmen Herren mit Ordens - baͤndern unterſtuͤtzt, die uͤber gewiſſe bunte pa - pierne Monarchen, eben ſo große Gewalt aus - uͤbten, wie die Miniſter*)M. ſ. Benjamin Noldmanns Geſchichte der Auf - klaͤrung in Abyſſinien. Ein Buch, welches jungen Thronfolgern eben ſo ſehr zu empfehlen iſt, wie Knigge’s Schrift: „ Hinterlaſſene Papiere des ſeli - gen Herrn Staatsraths von Schafkopf, ‟ manchem Staatsrath. in Nubien und Abyſſinien uͤber ihre Monarchen von Fleiſch und Bein. Dadurch ſahe ich, der ich es haͤufig mit den Bauern, hin - und wieder auch wohl mit den Damen hielt, mich in Kurzem ſo weit ge - bracht, daß ich, wenn ich nichts weiter von Materiellem an mir gehabt haͤtte, als meine Baarſchaft, damit fuͤglich durch das allerfeinſte Nadeloͤhr haͤtte paſſiren koͤnnen. Wem ver - dankte ich dies anders, Hochwohlgeborner, als dem auserwaͤhlten Volke, dem Sie ſo gluͤcklich ſind, mit Leib und Seele anzugehoͤren? Sollte ich jemals das Reich Gottes ererben — wel - ches aber, wie mein Herr Pfarrer meint, noch nicht ganz im Klaren iſt; — ſo iſt es Abra - hams Saame, der mir dazu verhalf. Wem koͤnnte ich daher wohl mit mehrerem Rechte dies Werkchen zueignen, als Jhnen, der Sie einer der ausgezeichnetſten unter Abrahams Nachkom - men, und, ohne Schmeichelei, wohl werth ſind, einſt legitimer Koͤnig der Juden zu werden. Wie Joſephus dem Vespaſian die roͤmiſche Kaiſer - krone, ſo moͤchte ich Jhnen die juͤdiſche Koͤnigs - krone prophezeien; allein da ich nie auf Prophe - ten viel hielt, ſo bin ich auch ſelbſt nur ein ſchlechter Prophet.
Eigennutz iſt, wie Ew. Hochwohlgebornen gewiß beſſer, als Larochefoucauld wiſſen, der Hebel aller menſchlichen Handlungen. Selbſt die Handlungen der Gojim (Chriſten), welche, wie ich aus dem Talmud beweiſen werde, keine Menſchen, ſondern Kinder des Sammaels oder Satans, des Oberſten der Teufel ſind, werden durch den Eigennutz beſtimmt. Darum erlau - ben Sie mir mit drei gehorſamſten Bitten mei - ne Zueignungsſchrift zu ſchließen.
Sie ſind mit vielen vornehmen Maͤnnern der Erde von Goldes - und Gotteswegen ver - wandt. Waͤre es Jhnen nicht moͤglich, mir bei irgend einem Jhrer hohen Angehoͤrigen durch Jhr vielgeltendes Fuͤrwort ein kleines Aemtchen zu verſchaffen? Nur bitte ich ums Himmels - willen nicht bei |dem legitimen tuͤrkiſchen Groß - ſultan, dem Sie, Verehrteſter, wahrſcheinlich zur Bekaͤmpfung der verdammten rebelliſchen Griechen, der vermaledeieten unglaͤubigen Ruſ - ſen und der gottloſen Perſer bereits eine An - leihe gemacht haben, oder in der Folge noch machen werden. Jch moͤchte ungerne mein Prae - putium, das meine Eltern mir durch das Bad der heiligen Taufe ſo chriſtlich erhalten, und welches ich ſelbſt per tot discrimina rerum immer gluͤcklich ſalvirt habe, noch in meinen alten Tagen verlieren. Mir geht es mit dem Woͤrtchen Beſchneidung, wie jenem vornehmen Kranken, den ſein Arzt einſt troͤſtete: Sie ha - ben eine ſehr gute Konſtitution! „ Halt Er’s Maul, verſetzte der Kranke. Jch will halter von keiner Konſtitution etwas wiſſen. ‟ Und ich halter von keiner Beſchneidung. Alſo bei einem Chriſten, Hochwohlgeborner Herr Ba - ron, helfen Sie mir zur Belohnung fuͤr dieſe lobpreiſende Zueignungsſchrift, zu Ehre und Brot.
Zweitens empfehle ich auf das angelegent - lichſte Jhrer guͤtigen Fuͤrſorge den Herrn Aaron Lohn, ſonſt Auguſt Kuhn genannt, Heraus - geber des Freimuͤthigen fuͤr beſchnittene Leſer, den Herrn Wilhelm Scheerer, Vater der Maͤr - kiſchen Ruͤben und des hinkenden Boten, und endlich den Herrn Redakteur des Drapeau blanc in Paris. Da dieſe wuͤrdigen Maͤnner ſchon beſchnitten ſind,*)Glaubhaften Nachrichten zufolge ſollen dieſe Her - ren ſogar mit dem Leviathan, dem Behemoth und dem großen Vogel Zitz ſich in gleichem Fall befin - den, welche, wie wir in der Folge ſehen werden, gleich nach der Schoͤpfung verſchnitten wurden, damit ſie nicht durch ihre ehelichen Leibesfruͤchte die ganze Welt verderbten. und außer ihren langen Ohren nichts mehr zu beſchneiden haben, ſo werden ſie gewiß mit Freuden bei dem Großſul - tan Dienſte nehmen, dem ſie als Spione gegen die Griechen und Ruſſen treffliche Dienſte leiſten koͤnnten. Die beiden erſtern Herren beſitzen vorzuͤglich ein ausgezeichnetes Talent in elenden Schmutzblaͤttern von rechtlichen Leuten die un - ſinnigſten Luͤgen zu verbreiten, und Unthaten, die ſie ſelber begiengen, andern aufzubuͤrden. **)Wofuͤr ſie bekanntlich ſchon oft in den Vierhaͤu - ſern und Branntweinskneipen Berlins mit ihrem Ruͤcken gebuͤßt haben.
Drittens, Herr Baron, wage ich Jhnen ein Projektchen vorzutragen, bei deſſen Ausfuͤh - rung wir beide verdienen koͤnnten „ eppes Moos. ‟ Dem Vernehmen nach ſoll im Kanton Luzern der tuͤrkiſche Strafkodex eingefuͤhrt werden, und da moͤchte ich Sie erſuchen, fuͤr Jhre Rechnung einige tauſend Exemplare dieſes Meiſterſtuͤcks einer milden Geſetzgebung zu verſchreiben, und mir den Vertrieb derſelben gegen eine billige Proviſion zu uͤberlaſſen. Wegen des Abſatzes koͤnnen wir ganz unbeſorgt ſeyn, denn manche Herren des taͤglichen Raths, ſo wie die from - men Vaͤter von der Geſellſchaft Jeſu, werden aus Eifer fuͤr die gute Sache gewiß zehn bis zwanzig Exemplare nehmen, und Herr d’Oreil - ly Corraggione in Luzern, welcher im Jahre 1815 von der Univerſitaͤt Tuͤbingen das oͤffent - liche und ehrenvolle Zeugniß eines „ ho - minis turbulenti et mendacis ‟ (eines zaͤnki - ſchen und verlogenen Menſchen) erhielt, nimmt deren gewiß tauſend, verſteht ſich auf Konto.
Und hiemit, Verehrteſter, empfehle ich mich Jhrem Wohlwollen auf das ergebenſte. Neh - men Sie dieſes Buͤchlein, welches den Kern der Miſchna und Gemara enthaͤlt, in Jhren gnaͤdigen Schutz, dann wird der Gott Abra - hams, Jſaaks und Jakobs mit Jhnen ſeyn! Er wird Jhnen geben mehr Dukaten und Dop - pellouisdor, als Sand am Meer; ſo viel Staats - obligationen und Bankzettel, als Blaͤtter auf den Baͤumen und Sterne am Himmel und — auf Erden ſind!
Genehmigen Sie die Verſicherung der ho - hen Achtung
Jhres Aarau in der Schweiz, den 21ten Februar 1822. ergebenſten Dieners, des Verfaſſers.
Als ich vor einigen Jahren meinen Juden - ſpiegel ſchrieb, leitete mich keinesweges eine blin - de partheiiſche Vorliebe fuͤr das auserwaͤhlte Volk Gottes. Blos die glaͤnzenden Vortheile ſuchte ich darzuſtellen, welche fuͤr den Wohlſtand und die Sittlichkeit anderer Voͤlker aus den großen Freiheiten entſpringen, die man dem Saamen Abrahams, durch welchen alle Welt ſoll geſegnet werden, faſt uͤberall eingeraͤumt hat. Mir, meines Orts, iſt es gleichguͤltig: ob andere Menſchen mit gewaſchenem oder ungewaſchenem Kopf, mit oder ohne Praeputium das Himmelreich ererben. Jch gehoͤre keines -2IIweges zu dem Himmelſtuͤrmenden Geſchlechte der Giganten, oder zu jenem der Babylonier, welche nach der Erzaͤhlung unſerer Rabbinen geſegneten Andenkens, auf ihrem Thurm gen Himmel ſteigen und den lieben Gott mit Äxten todt ſchlagen wollten. Auch bekenne ich mich nicht zu der Zahl der Glaͤubigen der ſchweizeri - ſchen Kantone Waadt und Genf, und der from - men Konventikel in Berlin, Potsdam und Leip - zig, die da lehren, man muͤße ſich nicht durch eine gute rechtliche Handlungsweiſe des Him - melreichs wuͤrdig zu machen ſuchen, ſondern es durch viele Suͤnden und Bosheiten, und durch den feſten Glauben an das ſtellvertretende Ver - dienſt des großen Gekreuzigten erſtuͤrmen. Der Himmel, nach dem ich ringe und den ich mir zu erhalten ſtrebe, iſt der Himmel in mei - nem Herzen. Durch das Glauben iſt ſicherlich mehr Unheil in der Welt geſchehen, als durch das Nichtglauben, und ich bin uͤberzeugt, daß der allliebende Vater, der uͤber uns waltet, ſichIII gar wenig darum kuͤmmere, ob man ein paar Dutzend Thorheiten mehr oder weniger, ſo oder anders glaubt, wenn nur dieſe Thorheiten nicht ſeinen erhabenen, auf die ſittliche und geiſtige Veredlung des Menſchengeſchlechts gerichteten Abſichten geradezu widerſtreiten.
Unter den vielen Religionsſekten, die um den Vorrang im Himmel oder gar um den kuͤnftigen ausſchließlichen Beſitz deſſelben ſich hier auf Erden ſchon zanken, iſt gewiß keine einzige, die nicht eine Menge von Poſſen und Poͤßchen und albernen Spitzfindigkeiten aufzu - weiſen haͤtte, welche der geſunden Vernunft Hohn ſprechen.
Jch rede hier keinesweges von den in Euro - pa herrſchenden, duldenden und geduldeten chriſt - lichen Konfeſſionen, als der roͤmiſchkatholiſchen, der alt - und neugriechiſchen, lutheriſchen, re - formirten, biſchoͤflichen, presbyterianiſchen, anabaptiſtiſchen, baptiſtiſchen, pietiſtiſchen, methodiſtiſchen, mennonitiſchen, herrnhuthi -2 *IVſchen, quaͤckeriſchen, kruͤdneriſchen, und wie ſie alle heißen, denn dieſe haben — nach meiner Anſicht — ſaͤmtlich und in allen Stuͤcken voll - kommen Recht. Daß ihre Wortfuͤhrer uͤber den wichtigen Punkt: welche unter den vielen Konfeſſionen und Kirchen die allein ſeligma - chende ſey, noch immer ſehr uneins ſind, kuͤm - mert mich nicht, da ich kein Theolog bin, und auch keiner ſeyn moͤchte, wenn ich gleich Biſchof von Chur oder von Potsdam, oder gar Pabſt zu Rom werden koͤnnte. Seit achtzehn Jahr - hunderten beinahe hat man ſich ſchon zur Ehre Gottes und aus lauter chriſtlicher Liebe wegen jener wichtigen Frage gegenſeitig verfolgt, ver - ketzert, verlaͤſtert, verdammt, geſpießt, geroͤ - ſtet, gebraten und genothzuͤchtigt; faſt auf al - len Seiten haben ſich Maͤrtyrer fuͤr die Wahr - heit ihres Glaubens gefunden, und daher wie - derhole ich voll inniger Überzeugung nochmal: jene chriſtlichen, in Europa herrſchenden, dul - denden und geduldeten Konfeſſionen und KirchenV haben, wie mir es ſcheint, ſaͤmtlich und in allen Stuͤcken Recht! Denn ſo ſehr ſie ſich auch ge - genſeitig bis zur unterſten Hoͤlle verdammen, ſo einig ſind ſie ſich doch in den Hauptpunkten: daß drei eins, und eins drei ſind, und daß der allliebende Vater im Himmel viele tauſend Mil - lionen Weſen erſchaffen habe, um zu ſeiner Ehre und zur Augenluſt weniger Auserwaͤhlten der - einſt ewig mit Feuer und Schwefel gebrannt und mit gluͤhenden Zangen gezwickt zu werden, weil ſie an gewiſſe erhabene Dogmen und Geheim - niſſe nicht glaubten, von denen ihr Ohr nie etwas vernommen, oder die auch der ihnen von Gott verliehenen Vernunft widerſtritten. Mit den Wortfuͤhrern dieſer chriſtlichen Konfeſſionen, den ſogenannten Herren Theologen und Geiſt - lichen, habe ich nicht gerne etwas im Boͤſen zu ſchaffen, denn ſchon von Kindesbeinen an hegte ich alle moͤgliche Achtung vor der ſchwarzen Le - gion, obgleich ich ſpaͤterhin mit manchem Ein -VI zelnen derſelben in ſehr innigen, vertrauten und freundlichen Verhaͤltniſſen lebte und noch lebe.
Mit dieſen Herren es zu verderben iſt um ſo gefaͤhrlicher, da ihnen bekanntlich das Schluͤſſel - amt des Himmelreichs anvertrauet iſt, und des - halb muß ich hier ein fuͤr allemal bemerken: daß ich, als vorhin von Thorheiten und Poſſen die Rede war, bloß die Tuͤrken und die außereu - ropaͤiſchen, nicht chriſtlichen Religionsſekten im Sinn hatte. Jch bekenne mich durchaus zur paritaͤtiſchen*)Paritaͤtiſch heißt in der Schweiz eine Gemein - de, deren Buͤrger aus Anhaͤngern verſchiedener Re - ligionsſekten beſtehen, und verhaͤltnißmaͤßig gleicher buͤrgerlicher, gewoͤhnlich auch gleicher kirchlicher Frei - heiten genießen. Auf meinen Wanderungen in die - ſem Lande traf ich einſt ein niedliches, wohlgeklei - detes Maͤdchen. Unſer Ziel fuͤhrte uns eine Strecke Weges mit einander. Als die Kleine mich gehoͤrig erforſcht hatte, wo meine Heimath ſey, ob ich noch Eltern, und ob ich eine Frau habe, und welches Glaubens ich ſey; fragte ich wieder: zu welcher Re - ligion denn ſie ſich bekenne? „ Jch bin paritaͤtiſch! ‟ Jch gleichfalls, liebes Kind, erwiederte ich; und druͤckte traulich ihr weiches Patſchgen. „ Nicht doch, Kirche.
VIIDie blinden Heiden und Tuͤrken alſo haben eine Menge von Poſſen und abentheuerlichen Maͤhrchen; allein dennoch glaub’ ich, daß ſie, alle zuſammen genommen, eines ſolchen Reich - thums ſich nicht ruͤhmen koͤnnen, wie Abra - hams glorreicher Saame, der auch in dieſer Hinſicht ſich des groͤßern Segens erfreuet.
Zu einer Zeit, wo man alle Nachrichten uͤber Lebensart, Sitten, Gebraͤuche und Re - ligionsmeinungen ſelbſt der entfernteſten und unbedeutendſten Nationen ſorgfaͤltig ſammelt und mit Jntereſſe liest, darf ſich, wie ich hof - fe, dieſe Judenſchule gleichfalls und um ſo mehr eine gute Aufnahme verſprechen, da die Juden es ſind, durch welche wir alle Segnungen von oben herab zu erwarten haben, und da es wohl der Muͤhe werth iſt, das kirchliche, haͤusliche*)laſſen Sie das! Mein Vater iſt Pfarrer! ſagte die Kleine. Alſo eigentlich reformirt! dacht’ ich, denn bekanntlich haben die katholiſchen Pfarrer bloß das Recht unter fremder Firma und mit andrer Leute Frauen huͤbſche Toͤchter zu zeugen.VIII und buͤrgerliche Leben eines Volks genauer kennen zu lernen, mit welchem wir in beſtaͤn - digem Verkehr und Schacher leben, und ferner leben werden, wenn Jeruſalem und der Tem - pel nicht in unſern Tagen wieder aufgebauet werden, wozu es aber noch immer an Bauma - terialien und an Arbeitern fehlen ſoll.
Gewiß werden auch viele meiner Leſer wuͤn - ſchen, naͤher mit dem liebenswuͤrdigen und aus - erwaͤhlten Volke Gottes vereinigt zu werden, und dieſen wird die Judenſchule unſtreitig ſehr willkommen ſeyn. Bekanntlich theilt ſich Abra - hams Saame in zwei Linien: die ſchwarze und die weiße. Die letztere unterſcheidet ſich von der erſtern bloß durch das Praeputium und einen geringern Grad von Knoblauchge - ruch. Wer das, was ihm der Geber aller guten und vollkommenen Gaben beſchert hat, naͤmlich das Vorhaͤutlein, unverſehrt zu erhal - ten wuͤnſcht, der trete zur letztern Linie. Eini -geIXge wollen behaupten, daß ſie in mancher Hin - ſicht die erſtere weit uͤbertreffe, ſo wie ſich auch die weiſſen Ameiſen vor den ſchwarzen zu ihrem Vortheile auszeichnen ſollen. Was zu einem vollkommenen weiſſen Juden unter allen Ver - haͤltniſſen des Lebens gehoͤrt, wird man im zweiten Theile dieſes Werks finden. Unter den ſchwarzen Juden giebt es freilich ſehr viele, die eigentlich gar keine aͤchte Juden ſind, und auf welche alſo auch Alles, was im Judenſpiegel und in der Judenſchule von den Juden geſagt wird, durchaus nicht paßt, wie z. B. der Doktor Bondi in Dresden, Doktor Boͤrne in Frankfurt am Main, und Buchhaͤndler Marx in Karlsruhe. Kein Wun - der! Die Voraͤltern dieſer vermeintlichen Ju - den waren Chriſtenkinder, die ihren Eltern von Abrahams Saamen gekrimpelt und ge - ſtohlen, und auf eine gezwungene Weiſe aus dem Chriſtlichen ins Hebraͤiſche uͤberſetzt wur - den. Nun hat es aber mit dergleichen ſeineI. Baͤndchen. 3Xeigene Bewandtniß. Jn einer gezwunge - nen Ueberſetzung wird faſt aus jedem Wort und jeder Zeile das urſpruͤngliche Jdiom her - vorleuchten, wie dies bei Boͤrne, Bondi, Marx und andern der Fall iſt, die durch die ihnen anklebenden Chriſtianismen und durch den ih - nen fehlenden Knoblauchgeruch deutlich verra - then, daß ſie und ihre Voraͤltern keine hebraͤi - ſche: Originalwerke ſind. Bekanntlich waren ja auch die Juden von jeher erbaͤrmliche Ue - berſetzer! Deſto meiſterhafter verſtehen es die ehrwuͤrdigen Vaͤter der Geſellſchaft Jeſu*)Beilaͤufig geſagt, war unter allen Leiden unſers goͤttlichen Erloͤſers wohl keines groͤßer und ſchreckli - cher, als daß er noch nach ſeinem Tode in ſolche Geſellſchaft gerieth. in Freiburg, denn wer z. B. den Herrn C. L. von Haller hoͤrt und liest, wird ihn nicht fuͤr eine gewoͤhnliche Ueberſetzung aus dem Reformirten ins Katholiſche, ſondern fuͤr ein Originalwerk des heiligen Jgnatius von LoyolaXI halten. Jndeſſen ſoll ſich doch die Kunſt je - ner frommen Vaͤter bloß auf ſchlechte und geiſtloſe politiſche Werke der ultraroyaliſtiſchen und ariſtokratiſchen Parthei beſchraͤnken, und uͤberdies behauptet man, daß ihre Dollmet - ſchungen nichts taugen, weil nicht allein die Sprache der Urſchrift, ſondern auch das ſchwache Fuͤnk’chen von Geiſt, welches darin wehte, von ihnen verwiſcht wird.
Noch weniger aber ſind ſolche Ueberſez - zungen etwas werth, die bloß eines ehrloſen juͤdiſchen Gewinns halber gemacht werden; dies ſieht man an Herrn S. R — d, der ſich vor Kurzem in W. aus dem Hebraͤiſchen ins Roͤmiſche uͤberſetzen ließ, und an den zahlloſen faden Romanen und Erzaͤhlungen aus dem Engliſchen und Franzoͤſiſchen, wo - mit wir in jeder Buͤchermeſſe Leipzigs heim - geſucht werden.
Dieſe Judenſchule hat mindeſtens den Vor - zug, keine Ueberſetzung zu ſeyn. Zu dem3 *XIIerſten Theile, welcher nach meinem Wunſche eine moͤglichſt vollſtaͤndige Darſtellung des kirch - lichen, buͤrgerlichen und haͤuslichen Lebens und der anziehendſten, weniger bekannten Sagen der Jſraeliten von der ſchwarzen Linie ent - halten ſoll, ſammelte ich bereits ſeit laͤnger, als vier Jahren. Unter den zahlreichen aͤltern Werken boten mir außer d’Argens juͤdiſchen und kabbaliſtiſchen Briefen, beſonders Eiſen - mengers neuentdektes Judenthum, Joh. Bux - torffs Synagoga judaica restaurata, Ernſt Ferdinand Heß Judengeiſſel, Chriſtian Knorr von Roſenroth*)Der Baron Knorr von Roſenroth ließ ſich von ei - nem juͤdiſchen Rabbiner gegen reichliche Belohnung Unterricht in der Kabbala geben. Als die Cabbala denudata ſo eben erſchienen war, ſtarben dem Rabbi zwei Kinder. Nun jubelte Abrahams Saame, und kuͤndete dies als eine goͤttliche Strafe der Todſuͤnde des treuloſen Rabbiners an, der die Kabbala einem Goi verrathen hatte. Aus Verzweiflung uͤber ſeine Suͤnde und ſein Ungluͤck ſetzte, wie man ſagt, der trauernde Vater ſeinem Leben ſelbſt ein Ziel. An - dere behaupten jedoch, ich weiß nicht, ob mit meh - Cabbala denudata, Bud -XIII deus Historia Philosophiae Hebraeorum u. a. m. reichhaltige Quellen dar. Weniger fand ich in dem Neuern und Neueſten, was fuͤr und wider die Juden geſchrieben worden. Statt derjenigen Werke, aus denen ich un - mittelbar ſchoͤpfte, habe ich gewoͤhnlich in den Anmerkungen die talmudiſchen und juͤdiſchen Schriften genannt, auf welche meine Ge - waͤhrsmaͤnner ſich beriefen. Haͤtte ich immer die letztern gleichfalls nennen wollen, ſo wuͤrde ich bei der betraͤchtlichen Menge von Schrif - ten, welche ich nachleſen mußte, mehr No - ten als Text geliefert, und das Werk unnoͤ - thiger Weiſe vertheuert haben. Wer die Grund - ſprachen; Hebraͤiſch und Hebraͤiſchdeutſch, kennt, kann jetzt die angezogenen talmudiſchen und juͤdiſchen Schriften ſelbſt nachleſen, da ſie in faſt allen juͤdiſchen Gemeinden zu finden ſind. *)rerem Rechte, er ſowohl, als ſeine Kinder ſeyen aus Rache von den Juden mit Gift umgebracht worden.XIVWeniger iſt dies der Fall, mit vielen derje - nigen Schriften, die ich — des Hebraͤiſchen unkundig — benutzen mußte. Dieſe ſind zum Theil nur ſelten und bloß in bedeutenden Bibliotheken anzutreffen, denn ſelbſt die, wel - che ich vorhin nannte, ſind meines Wiſſens in keinen Buchhandlungen mehr zu bekommen.
Die Geſchichte der Juden hab’ ich, ſo weit es thunlich war, ganz ausgeſchloſſen. Die vorzuͤglichern mir bekannten Werke dar - uͤber ſind jene von Basnage, Hollberg und das neueſte von Hannah Adams (uͤberſ. Leipz. bei Baumgaͤrtner 1819. 2 Baͤn - de 8.) Dies letztere iſt indeſſen nichts we - niger als klaſſiſch, obgleich der Ueberſetzer in ſeinen Anmerkungen Manches berichtigt hat. Die Verfaſſerin, vermuthlich ſelbſt eine ge - borne Juͤdin, war von chriſtlichen und juͤdi - ſchen Vorurtheilen zu Gunſten der Jſraeliten zu ſehr befangen, und ſcheint die Huͤlfsmit - tel, welche ſich ihr in aͤltern und neuern Schrif -XV ten in Menge darboten, nur aͤußerſt fluͤchtig benutzt zu haben. Ueberhaupt ſollten die lie - ben Weiberchen ſich auf haͤusliche Erzaͤhlun - gen, Eheſtandsgemaͤhlde, Liebes - und Stadt - geſchicht’chen beſchraͤnken, wozu ihnen der Him - mel eine ſo gelaͤufige Zunge und Feder ver - lieh, und die Geſchichte der Voͤlker den Maͤn - nern uͤberlaſſen. Uebrigens liest ſich Frau Adams Geſchichte der Juden recht leicht und kurzweilig, faſt wie ein Roman, und iſt in dieſer Ruͤckſicht ſehr zu empfehlen.
Und ſo ſchließe ich dann mit dem Wun - ſche, daß dies Buch das Seinige dazu beitra - gen moͤge, den Sektenglauben von der Erde zu verbannen, damit bald die goldene Zeit komme, wo wir alle Ein Hirt und Eine Heerde werden ſollen. Es giebt nur Einen einigen Gott und nur Eine Religion, und dieſe wird ewig dauern, ſo lange noch ein den - kendes und empfindendes Weſen außer Gott vorhanden iſt, obgleich ihre aͤußern Formen vonXVI Jahrhundert zu Jahrhundert, und von Jahr - tauſend zu Jahrtaufend veralten und morſch werden. Nur der Sektenglaube haͤlt ſich an den aͤußern Formen, in denen er das Hoͤchſte und Heiligſte zu umfaſſen waͤhnt, und geht mit ih - nen endlich troſtlos zu Grunde. Aber die Re - ligion, die ewige, heilige, unveraͤnderliche, die der allliebende Vater durch die Natur und durch die Stimme ihres Herzens allen ſeinen Kindern offenbarte, und die ſein goͤttlicher Sohn Jeſus Chriſtus in ihrer Urſchoͤne herzuſtellen bemuͤht war, wird nie vergehen, wenn ſie gleich hie und da vom Sektenglauben mit Schatten und Ne - bel bedeckt wird. Gott wird ſeine Kirche wohl ſchuͤtzen, die Reiche des Satans, des Aberglau - bens, der Finſterniß und Herrſchgier moͤgen noch ſo ſehr bruͤllen und toben. Gott ſchuͤtzt ſeine Kirche gewiß! Ja
Der Verfaſſer.
Ehe ich zu den Erkenntnißquellen der juͤdiſchen Religion uͤbergehe, welche auf den Glauben an un - mittelbare Offenbarungen Gottes ſich ſtuͤtzt, muß ich, um Mißverſtaͤndniſſen vorzubeugen, meine An - ſichten dieſes Gegenſtandes etwas ausfuͤhrlicher ent - wickeln.
Allen Arten von Gottesverehrung, die nicht als reines Ergebniß der Begriffe erſcheinen, welche wir mittelſt der Vernunft (als Erkenntnißwerkzeug) aus der Natur und den Empfindungen unſers Herzens (als Erkenntnißquellen) uns bilden, liegt der Glau - be an eine unmittelbare goͤttliche Offenbarung zum Grunde. Dieſer Glaube beruht wiederum mehr oder weniger auf ſchriftlichen und muͤndlichen Ue - berlieferungen und Sagen und auf dem ohne Zwei - fel ſehr philoſophiſchen Schluß unſrer Geiſtlichen: daß kirchliche Lehrſaͤtze und Formen, deren Noth - wendigkeit wir nicht mittelſt der Vernunft zu er - kennen vermoͤgen, und die der letztern wohl gar2 widerſprechen, von dem hoͤchſten Weſen ſelbſt auf eine uͤbernatuͤrliche Weiſe muͤſſen angeordnet ſeyn, indem wir ſonſt ja nichts davon wuͤßten. Ein Be - weis, der zu uͤberzeugend iſt, als daß er einer weitern Ausfuͤhrung beduͤrfte.
Die rechtglaͤubigen ſogenannten Theologen*)Jch ſage „ ſogenannten! ‟ Denn in der That waren mir nie menſchliche Titel anſtoͤßiger, als Theologe, Gottesgelehrte und Seelſorger. Arme, ſchwache, endliche Menſchen, die Jhr kaum Euer eigenes Weſen erkennen und begreifen koͤnnt, wie wollt Jhr Euch Theologen (Gottesgelehrte) nennen? Jhr, die Jhr nicht einmal Euern kleinen Hausſtand zu uͤberſehen im Stande ſeyd, wollt uns die ganze unendliche Haushaltung Gottes berechnen; uns es berechnen, wie viele Menſchen er zum Himmel, wie viele er zur ewigen Verdammniß ſchuf? Jhr laßt Euch unſere Seelſorger nennen, die Jhr nicht einmal fuͤr Eure eigene Seele, ſondern bloß fuͤr Euren Bauch ſorgt? ſind darin einig, daß es drei Hauptzeitraͤume un - mittelbarer und uͤbernatuͤrlicher Offenbarungen Got - tes gebe.
Jn dem erſten derſelben, welcher die mythiſche Urzeit von Adam bis auf Abraham begreift, ſoll Gott vielen Menſchen ohne Unterſchied des Stan - des und der Herkunft — denn alle ſtammten ja von einem Elternpaar ab — ſichtbar erſchienen ſeyn, und ihnen in hoͤrbaren Toͤnen, auch durch man - cherlei Zeichen und Wunder ſeinen Willen verkuͤn -3 det haben. Unter den letztern war unſtreitig der Regenbogen, den er zum Zeichen ſeines Bundes mit Noah am Himmel erſcheinen ließ, und der ſich uns dann und wann noch manchmal zeigt, eins der uͤbernatuͤrlichſten und merkwuͤrdigſten. Dieſer Re - genbogen dient nach dem Dafuͤrhalten unſerer or - thodoxen Gottesgelehrten zum fortwaͤhrenden Be - weiſe jener fruͤheſten unmittelbaren Offenbarungen Gottes; allein nicht minder wichtig ſind ihnen die Opfer, welche man bei aͤltern und neuern Voͤlkern findet, und welche, nach ihnen, Ueberbleibſel und Denkmale jener Opfer ſeyn ſollen, die Gott als vorherverkuͤndende Sinnbilder des großen Verſoͤhn - opfers unſers Heilandes ſchon in den erſten Zeiten des Menſchengeſchlechts anordnete. Dieſe Opfer, ſagt man, ſind noch dauernde Beweiſe der fruͤheſten Offenbarungen Gottes von dem fuͤr uns geopferten Welterloͤſer, die ſich durch muͤndliche Ueberlieferun - gen von Geſchlecht zu Geſchlecht, wiewohl verun - ſtaltet, fortpflanzten. Einen eben ſo buͤndigen Be - weis findet man in den griechiſchen, roͤmiſchen und andern Mythen, in denen von einem Gottesſohn die Rede iſt, der als Erretter und Befreier des Menſchengeſchlechts erſcheinen ſoll oder bereits wirk - lich erſchien. Auch dieſe Mythen ſollen Ueberbleib - ſel und Denkmale der erſten goͤttlichen Verkuͤndi - gungen des Meſſias enthalten. *)Jch will jedoch keinesweges leugnen, daß durch die
4Der zweite Zeitraum der uͤbernatuͤrlichen Offen - barungen Gottes beginnt nach der Behauptung un -*)Verbreitung der Nachrichten vom Chriſtenthume oder von den Lehrſaͤtzen und Formen, welche man ſpaͤterhin fuͤr das Chriſtenthum ſelbſt hielt, bei manchen nichtchriſtlichen Voͤlkern der Grund zu aͤhn - lichen Lehrſaͤtzen, Formen und Einrichtungen gelegt ward. „ Ohne dem Chriſtenthume, ſagt Herder, „ alle Greuel der Bonzen oder das ganze Kloſter - „ Syſtem der Lama’s und Talepoinen zuzuſchreiben, „ ſcheint es der Tropfe geweſen zu ſeyn, der von Aegypten „ bis Tſina alle aͤltere Traͤume der Voͤlker neu in Gaͤh - „ rung brachte, und ſie mehr oder weniger in For - „ men ſchied. Jn manche Fabel von Budda, Kri - „ ſchnu u. f. ſcheinen chriſtliche Begriffe gekommen „ zu ſeyn, auf Jndiſche Art verkleidet; und der große „ Lama auf den Gebirgen, der vielleicht erſt im fuͤnf - „ zehnten Jahrhundert entſtanden, iſt mit ſeiner „ perſoͤnlichen Heiligkeit, mit ſeinen harten Lehren, „ mit ſeinen Glocken und Prieſterorden vielleicht „ ein weitlaͤufiger Vetter des Lama an der Tiber. ‟ M. ſ. Herders Jdeen zur Geſchichte der Menſchheit. Theil 4. S. 74 — 75 (Wiener Ausg. 1813.) daß indeſſen religioͤſe Gebraͤuche, Lehrſaͤtze und Einrich - tungen unter den nichtchriſtlichen Voͤlkern, in denen man eine Aehnlichkeit mit chriſtlichen Dogmen und Formen findet, von einer Offenbarung Gottes in der Urzeit herſtammen ſollen, iſt nicht denkbar, denn ſonſt muͤßten ja alle die heidniſchen Gebraͤuche und Maͤhrchen, welche dem Chriſtenthume entgegen ſind, gleichfalls ihren Grund in einer fruͤhern Offenba - rung Gottes haben.5 ſerer Gottesweiſen mit Abraham, der ſich auf man - cherlei Art in eine ganz beſondere Gunſt bei dem hoͤchſten Weſen einzuſchmeicheln verſtand, und be - ſchraͤnkte ſich bloß auf deſſen Nachkommen, mit Ausſchließung aller uͤbrigen Voͤlker, an welche der allliebende Vater von nun an gar nicht weiter mehr dachte, als wenn er ſeinen Auserwaͤhlten befahl, ſie zu bekriegen, zu pluͤndern und uͤber die Klinge ſpringen zu laſſen.
Der dritte Zeitraum endlich faͤngt mit der Er - ſcheinung des Weltheilandes an, und endet mit ſei - nen Apoſteln und Juͤngern kurz vor der Zerſtoͤrung Jeruſalems. Den rechtglaͤubigen Katholiken offen - bart ſich jedoch das hoͤchſte Weſen noch taͤglich, bald in den Ausſpruͤchen der Paͤbſte und Koncilien, bald in den Wundern der heiligen jungfraͤulichen Got - tesmutter und Himmelskoͤnigin Maria*)Auffallend war es, daß die heilige Jungfrau Ma - ria zu Einſiedeln im Jahr 1798 ſich, ohne ihre wun - derthaͤtige Kraft zu beweiſen, von den Franzoſen, die dort nicht am beſten hausten, noch in ihren alten Tagen entfuͤhren ließ. Vielleicht mochte eine Anwandlung weiblicher Neugier, da auch ſie Paris einmal zu ſehen wuͤnſchte, an ihrer Nachgiebigkeit ſchuld ſeyn. Waͤre ſie nicht ſchon ſo alt geweſen, ſagte einſt ein Franzoſe zu mir, ſo haͤtte ſie gewiß ihre Unſchuld verloren. (Elle aurait perdu son pucellage.), bald in den uͤbernatuͤrlichen Heilkraͤften der Gebeine des6 Eſels, auf welchem Chriſtus ſeinen glaͤnzenden Ein - zug in Jeruſalem hielt, und auf mancherlei andere Weiſe.
Jn Ruͤckſicht des Regenbogens haben bekanntlich die Phyſiker laͤngſt den Gottesgelehrten einen haͤß - lichen Strich durch die Rechnung gemacht, indem ſie bewieſen, daß ein Regenbogen ſeyn muͤßte und ſeyn wuͤrde, wenn auch nie ein Bund Gottes mit Noah ſtatt gefunden haͤtte.
Wenn man jedoch die Opfer mancher heidniſchen Voͤlker als Ueberbleibſel und Denkmale jener Opfer anfuͤhrt, die das hoͤchſte Weſen durch uͤbernatuͤrliche Offenbarung den erſten Menſchen als ſinnbildliche Vorſtellung des damals noch zukuͤnftigen großen Ver - ſoͤhnungsopfers unſers Heilandes befohlen haben ſoll; ſo hat dies allerdings ſehr viel Schein, und der Gegenſtand iſt einer naͤhern Pruͤfung nicht unwerth.
Jndeſſen waͤlzen ſich uns gleich wichtige Steine des Anſtoßes entgegen. Warum, fragen wir, wa - rum wuͤrdigte Gott bloß die erſten Menſchen und ſpaͤterhin nur ein einziges Geſchlecht der - ſelben einer ſolchen uͤbernatuͤrlichen Mittheilung, wo - durch er ihnen ſeinen Willen, den ſie angeblich ohne dieſelbe nicht wiſſen konnten, vollſtaͤndig verkuͤndete? Warum ließ er ſie nicht ſaͤmtlich Theil an dieſer Offenbarung nehmen? Jhr ſagt uns: Nicht allein das zeitliche, auch das ganze ewige Heil des Men - ſchen ſeyen bedingt durch den Glauben an gewiſſe7 Dogmen, durch die Beobachtung gewiſſer Formen, welche der Menſch ohne eine uͤbernatuͤrliche goͤttliche Mittheilung nicht wiſſen koͤnne. Jhr lehrt uns fer - ner, und wir ſehen es aus der Natur, Gott ſey ein weiſer, liebevoller Vater aller ſeiner Menſchen. Er habe, ſprecht Jhr, ſeines einzigen Sohnes nicht verſchont, ſondern ihn fuͤr uns in den Tod gege - ben; wer aber nicht an dieſen Eingebornen glaube, werde ewig verdammt und von Gott verſtoßen wer - den. Wenn nun allem Dem ſo iſt, woran wir kei - nesweges zweifeln, warum uͤberließ denn der unend - lich liebevolle Gott die Bekanntwerdung ſeines, nur wenigen Einzelnen unmittelbar geoffenbarten Wil - lens, von deſſen Befolgung er, wie Jhr ſagt, ewige Freude und ewiges Leid abhaͤngig machte, viele Jahrtauſende hindurch der hoͤchſt unſichern muͤndli - chen Ueberlieferung von einem Geſchlecht auf das andere? Wie wuͤrdet ihr den Fuͤrſten wohl nennen, der ein fuͤr alle ſeine Unterthanen ver - bindliches Geſetz gaͤbe, die Uebertretung deſſel - ben mit lebenslaͤnglicher Kettenſtrafe verpoͤnte, und es dennoch nur wenigen ſeiner Lieblinge offenbarte? Waͤre er nicht mehr ſchuld, als ſeine Unterthanen, wenn ſein — bloß jenen Wenigen bekannt gemach - ter Wille nicht von Allen befolgt wuͤrde? Sollte man nach dem, was Jhr uns dort lehrt, nicht ſchließen, Gott muͤſſe nicht der allliebende guͤtige Vater ſeiner Menſchen ſeyn, wie ihn uns doch die ganze Natur und Jhr Selbſt ihn uns ankuͤndet, da8 er ewiges Gluͤck und ewiges Ungluͤck von einer Be - dingung abhaͤngig machte, die ſie nicht erfuͤllen konn - ten, bloß um ſie nachher fuͤr die Nichtbefolgung von Befehlen, die ſie nicht gekannt hatten, ewig peinigen zu koͤnnen? Unſere rechtglaͤubigen Geiſtlichen wiſſen ſich hier nicht anders zu helfen, als daß ſie mit ei - ner Stelle der heiligen Schrift antworten: Es ſte - he in jedes Toͤpfers Macht, Toͤpfe zu Ehren und Toͤpfe zu Unehren (Nachtgeſchirre) zu machen; ſo haͤnge es auch von Gott ab, nach Belieben Men - ſchen zu ewiger Freude oder zu ewiger Qual zu erſchaffen. Jch glaube dies recht gerne, nur kann ich es mir von einem weiſen und unendlich liebe - vollen Weſen, wie Gott iſt, nicht denken.
Der Apoſtel Paulus hilft uns hier am beſten heraus. Daß ein Gott iſt, ſagt er, iſt ihnen offen - bart, denn Gott hat es ihnen offenbart, ſo man deſſen wahrnimmt aus den Werken der Natur, alſo daß ſie keine Entſchuldigung haben. Der Apoſtel ſpricht hier gar von keiner uͤbernatuͤrlichen Offen - barung Gottes, die ſich aus den Zeiten der Urwelt bis auf ſeine Zeitgenoßen ſollte fortgepflanzt haben, ſondern von einer bloß natuͤrlichen Offenbarung des hoͤchſten Weſens an die Menſchen, die er fuͤr genuͤ - gend erklaͤrt. Jch ſollte glauben, es waͤre beſſer, dieſem vernuͤnftigen Ausſpruche als der dogmatiſchen Grille einiger theologiſchen Syſtemmacher zu folgen.
Aber woher kommen dann die Opfer, wenn ſienicht9nicht Denkmale einer uͤbernatuͤrlichen Anordnung Gottes, nicht Ueberreſte jener prophetiſchen Sym - bole eines großen Verſoͤhnungsopfers ſind, welches unſer Heiland darbrachte, und welches den Men - ſchen der Urzeit vorher verkuͤndet ward, um die Kunde davon auf die ſpaͤteſte Nachkommenſchaft zu vererben?
Die Opfer haben ſicherlich einen weit natuͤrli - chern Urſprung. Herzinnige Dankbarkeit und Liebe der erſten Menſchen gegen den allguͤtigen Vater, der ihnen ſo viel Schoͤnes und Gutes erwies, kei - nesweges aber ein goͤttlicher Befehl, waren die Ver - anlaſſung der erſten Opfer. So bietet das from - me unſchuldige Kind der zaͤrtlichen Mutter etwas dar von den Geſchenken, die es von ihr empfieng, ohne zu ahnen, daß die Mutter uͤber die Zeit hin - weg ſey, wo ihr eine Puppe oder ein Stuͤckchen Zuckerwerck noch Vergnuͤgen gewaͤhren koͤnnte. Durch ungewoͤhnliche, ſchreckliche Naturbegebenheiten, durch heftige Gewitter, Ueberſchwemmungen und Erdbe - ben, durch Krankheiten und dergleichen wurden die Menſchen haͤufig auf die Vermuthung geleitet: Gott zuͤrne mit ihnen; man habe ihm nicht genug, nicht das Beſte gegeben von dem, was man von ſeiner Guͤte empfangen habe; drum ſey er boͤſe, und „ bruͤl - „ le in ſeinem Donner und drohe mit ſeinem Blitz; „ er habe ſeinen Bogen ſchon geſpannt, und darauf „ gelegt toͤdtliches Geſchoß, womit er nach ſeinen „ (kindiſchen) Beleidigern ziele; ‟ wie der PſalmiſtI. Baͤndchen. 410ſehr erhaben und Gottes wuͤrdig ſich ausdruͤckt. Voll Furcht und Sorge begab man ſich zur Ruhe, und die Jdeen des angſtvollen Tages geſellten ſich zu den Traͤumen der Nacht. Man ſahe den zuͤr - nenden Gott von Angeſicht zu Angeſicht; man redete mit ihm, und hoͤrte mit Entſetzen, wie er fuͤr ſich das Liebſte und Beſte, ja ſelbſt den ſchuldloſen Saͤugling foderte, der ruhig an dem Buſen der Mutter ſchlief. Man opferte Alles, um nur den rachgierigen eigennuͤtzigen Gott zu beſaͤnftigen; man opferte ihm das Theuerſte, das Koſtbarſte, das geliebte Kind ſelbſt! — So entſtanden die Opfer.
Gab es damals auch noch nicht, wie bei uns, Syſteme der Dogmatik, Liturgien, Kloͤſter, Tem - pel, Paͤbſte, Dalai — Lamas, Muftis, Biſchoͤfe, Jeſuiten, Moͤnche, Derwiſche und Pfaffen; ſo gab es doch ſchon faule Windbeutel, Schelme und Pfiff - koͤpfe genug, die ſelbſt nicht arbeiten, aber gerne gut leben mochten. Dieſe ruͤhmten ſich dann, Geiſt - liche d. h. ſolche zu ſeyn, die mit den Goͤttern in dem vertranteſten Verhaͤltniſſe lebten. Durch Luͤ - gen, Gaukeleien und Blendwerke taͤuſchten ſie leicht ihre argloſen Mitbruͤder, deren Herz ihnen um ſo williger entgegen kam, je ſtaͤrker es von Kummer und Angſt gepreßt und gefoltert ward. Man uͤber - ließ es den Geiſtlichen, die Opfer dem hoͤchſten We - ſen zu bringen. Ward, wie dies haͤufig der Fall war, der Zorn deſſelben beſchworen; ließ Gott ſich, ſtatt des Kindes, welches er anfangs von den Eltern11 gefodert hatte, mit einem Ziegenboͤckchen oder einem Dutzend junger Tauben abfinden; ſo hatte der Prie - ſter gewonnenes Spiel. Er ward der geiſtliche Fuͤr - ſprecher und Sachwalter der ganzen Umgegend, und auſſer den Opfern, von denen er natuͤrlich das Beſte fuͤr ſich behielt, empfieng er an Geſchenken ſo viel, daß er gemaͤchlich leben und Schaͤtze auf - haͤufen konnte. So entſtanden die Prieſter, Bon - zen und Pfaffen. *)Wir Proteſtanten haben eigentlich keine Geiſtlich - keit, alſo auch keine Prieſter, Bonzen und Pfaffen mehr. Unſere Pfarrer ſind Volkslehrer, nichts wei - ter, und eben ſo gut buͤrgerliche Beamte, wie die Schullehrer; dieſen iſt der Unterricht der Jugend, den Predigern der Religionsunterricht der ganzen Gemeinde anvertrauet. Sie ſtehen uͤbrigens mit dem hoͤchſten Weſen in keiner naͤhern Verbindung, als jeder andere rechtliche Mann. Es bedarf zur Fuͤhrung ihres Amts auch keiner andern Ordina - tion, als den Wunſch der Gemeinde, und in den meiſten Staaten die Einwilligung der Regierung. Die Ordination ſchreibt ſich aus dem Pabſtthume her, und mich wundert, daß ſie bei den Proteſtan - ten nicht laͤngſt abgeſchafft worden iſt. Dieſe Anſich - ten theilen gewiß alle aufgeklaͤrte proteſtantiſche Pfar - rer mit mir. Will ſich noch unter ihnen hin - und wieder ein Dompfaͤffchen blicken laſſen, und ſich fuͤr einen „ vom Herrn berufenen Diener des Worts ‟ ausge - ben, ſo lacht man daruͤber. Auch unter den katho - liſchen Geiſtlichen finden ſich Gottlob, ſehr viele wackere Maͤnner, die ſich nach dem Zeitpunkte ſeh -
4 *12Der große Einfluß, welchen dieſe geiſtlichen Hir - ten auf die Gemuͤther der argloſen Menſchen er - warben, ſicherte ihnen nicht allein Reichthum und Anſehen, ſondern auch Herrſchaft und Macht. Jh - re Worte und Winke galten fuͤr Befehle der Goͤt - ter, deren Diener und Vertraute ſie waren. Statt der ſonſt freiwilligen, wurden jetzt gezwungene Opfer, die bei Verluſt des zeitlichen Gluͤcks oder gar bei Strafe der ewigen Verdammniß nicht verſaͤumt wer - den durften, angeordnet; die Geſchenke, welche man ehemals freiwillig den Prieſtern gegeben, wur - den von dieſen, unter dem Vorwande goͤttlicher Be - fehle, in nothwendige Abgaben verwandelt*)Es gieng damit, wie mit den Steuern an weltliche Landesherren. Auch dieſe waren freiwillige Geſchen - ke, die man anfangs nur durch hoͤfliche Vitten em - pfieng, (daher Koͤnigsbeede, Koͤnigsbitte.) Nach - mals ſchuf man ſie in Zwangsabgaben um, die man im Weigerungsfalle durch Exekutionen beitrieb.; die Zehnten wurden eingefuͤhrt, und ſelbſt die arme Wittwe mußte von den wenigen Aehren, welche ſie und ihre Waiſen auf den Stoppelfeldern des Rei - chen mit Kummer und Thraͤnen geſammelt hatten, dem geiſtlichen Herrſcher einen Zehnten entrichten. Das ungeheure Dogma ward erfunden, und gieng ſpaͤterhin in faſt alle ſogenannten poſitiven Reli -*)nen, wo alle Ketten des Aberglaubens und der Finſterniß zerſprengt und das Pfaffenthum bis auf die letzten Spuren vertilgt werden moͤgen.13 gionen uͤber, daß man durch reichliche Spenden und Vermaͤchtniſſe an die Geiſtlichkeit die kuͤnftigen Stra - fen der abſcheulichſten Verbrechen abkaufen, und ſich einen unendlichen Schatz im Himmel erwerben koͤnnte. Um noch mehr bei der glaͤubigen Menge ſich in Anſehen zu ſetzen, zugleich aber auch um beſſere Schlupfwinkel und Gemaͤcher fuͤr pfaͤffiſche Blend - und Gaukelwerke zu erhalten, brachte man Befehle von Gott, ihm, der nicht in Tempeln wohnt, die mit Haͤnden gemacht ſind, Tempel und Altaͤre zu bauen, weil es ihm im Winter unter freiem Himmel zu kalt, im Sommer zu heiß ſey. Da mußten dann die armen Geaͤfften zu ihrer eigenen Schande prunkende Denkmale ihres Aberglaubens und ihrer Einfalt auffuͤhren, zu deren Erhaltung große Laͤndereien angewieſen wurden, von denen die Prieſter die Einkuͤnfte bezogen. Ein Tempel der Art war jener der Diana zu Epheſus. Statt der Gaben inniger Liebe und Dankbarkeit wurden dem hoͤchſten Weſen und ſeinen angeblichen Dienern jetzt Hekatomben geopfert. Die ſchwelgeriſchen Pfaf - fen jubelten, fraßen und ſoffen; das arme betro - gene Volk hungerte, ſtaunte, weinte und betete an. So ſchien dann die wahre Religion, welche auf kindliche innige Liebe, Dankbarkeit und Ehrfurcht gegen das hoͤchſte Weſen ſich gruͤndet, faſt uͤberall zu entweichen. An ihre Stelle draͤngten ſich prunk - volle, ſinnloſe Formen, eben ſo kalt wie das, von allem Guten und Edelu veroͤdete Herz derer, de -14 nen ſie ihren Urſprung verdankten. Aus den from - men, zutraulichen Kindern des allguͤtigen Vaters, waren boͤſe, furchtſame, von geiſtlichen Zwingher - ren gequaͤlte und verblendete Sklaven geworden. Dieſe geiſtlichen Hirten und Leiter wurden jedoch bald eiferſuͤchtig gegen einander, denn Jedem ward es in ſeinem Schafſtall zu enge; Jeder ſuchte ſeine Heerde zu vergroͤßern. Da entſtanden die erſten Religions - oder Pfaffenkriege. Der maͤchtigere Prie - ſter bekriegte und vertilgte den mindermaͤchtigen un - ter dem Vorwande, daß er ein Abgoͤtter ſey, weil der Name Gottes in ſeiner Mundart etwas anders klang, als in jener ſeines Ueberwinders. *)So muͤßten jetzt gleichfalls die Deutſchen und die Franzoſen in ewigem Kriege mit einander leben, weil dieſe einen Dieu, jene einen Gott anbeten.Auf ſolche Weiſe vereinigten ſich nach und nach die prie - ſterliche und die koͤnigliche Wuͤrde haͤufig in Einer Perſon. Prieſterkoͤnige der Art waren, wenn auch nicht alle dem Namen, doch der That nach, Melchi - ſedek, Eli, Samuel. Dieſe Regierungen hat man in neuern Zeiten — ich weiß nicht, mit welchem Rechte — Theokratieen oder Gottesregierungen ge - nanut, da Alles, was die Machthaber thaten und anordneten, unter dem Vorwande: Gott habe es befohlen, geſchah.
Auſſer den Pfaffen der Urzeit herrſchten noch andere große Parforzjaͤger des Menſchengeſchlechts,15 die Nimroda und ſolche, deren Gewalt mehr auf phyſiſche Uebermacht, als auf religioͤſen Glauben gegruͤndet war. Allein uͤberzeugt, daß nur der letz - tere ihrer ſchlechterworbenen Herrſchaft einige Dauer und einen Anſtrich von Rechtmaͤßigkeit (Legitimitaͤt) geben koͤnnte, verbanden ſie ſich faſt uͤberall mit den prieſterlichen Kaſten und geſtanden dieſen betraͤcht - liche Einkuͤnfte, großes Anſehen, und hin - und wie - der ſogar einen wichtigen Antheil an der Regierung zu. Dies war namentlich der Fall bei den Baby - loniern, den Aegyptern, deren Koͤnige nicht allein von den Prieſtern erzogen, ſondern ſelbſt Mitglie - der dieſer Kaſte ſeyn mußten*)M. ſ. Poͤlitz Weltgeſchichte. (Neue Ausgabe.) Th. 1, S. 88., und bei den He - braͤern nach Einfuͤhrung des weltlichen Koͤnigthums. Die Koͤnige der letztern waren faſt durchaus ab - haͤngig von der Kaſte der Prieſter oder der Levi - ten, indem ihnen weder die Geburt, noch der Wil - le des Voks, ſondern die von dem Hohenprieſter empfangene Salbung, wodurch ſie zu allen Befug - niſſen der Willkuͤhr und Bosheit eingeweiht wurden, rechtmaͤßige Anſpruͤche auf den Thron gab. So boten ſich geiſtliche und weltliche Gewalthaber in jenen Zeiten der Urwelt gegenſeitig die Hand, um gemeinſchaftlich ihre Schafe, deren Wolle man bruͤ - derlich theilte, deſto beſſer und ſicherer ſcheren zu koͤnnen. **)M. ſ. Poͤlitz und Eichshorns Weltgeſchichten.Damit dieſe noch hingebender und ge -16 duldiger wuͤrden, gab man ihnen Anweiſungen auf den Himmel, wo ihnen alles tauſendfach erſetzt wer - den ſollte, was man hienieden ihnen raubte und ſtahl. Despotieen, welche auf ſolche Art durch den religioͤſen Glauben der Unterjochten geſichert waren, hatten weniger von innern Stuͤrmen zu fuͤrchten, als jene, die bloß auf phyſiſcher Uebermacht ruhten. Deſto ſchneller und ſchrecklicher ſtuͤrzten ſie aber zu - ſammen, ſobald die fromme Heerde aus den glaͤu - bigen Traͤumen erwachte, in die man ſie gewiegt, und das geiſtliche Gaͤngelband zerriß, mit welchem man ſie ſo lange geleitet hatte, oder wenn auch zwiſchen den geiſtlichen und weltlichen Gewalthabern ſich eine laute und dauernde Zwietracht erhob. Dann ſeufzten und winſelten die Pfaffen uͤber den baldi - gen Einſturz des Staatsgebaͤudes, welchen ſie als eine Strafe der Goͤtter verkuͤndeten, weil man die Religion d. h. die Prieſterſchaft nicht mehr achtete, die Opfer und den Tempeldienſt verſaͤumte, und was das Wichtigſte war, die geiſtlichen Abgaben nicht mehr ſo willig, wie ehemals darbrachte. Die - ſe Weiſſagungen trafen natuͤrlich um ſo gewiſſer ein, da religioͤſer Aberglaube die Hauptſtuͤtze des ganzen despotiſchen Staatsgebaͤudes war. Dies ſehen wir vorzuͤglich bei dem Sturze des kolaſſalen roͤmiſchen Reichs, wo mit dem ſinkenden Glauben an die religioͤſen Formen, mit der Achtung fuͤr den Tempeldienſt und die Prieſter auch der Staat ſelbſt in Truͤmmer zerfiel. Erſt in ſpaͤtern Zeiten lernteund17und begriff man, daß nicht Aberglaube, pfaͤffiſcher Eigennutz und despotiſche Willkuͤhr, ſondern Ver - nunft und Gerechtigkeit die dauerndſten Grundla - gen der Regierungen, und die Liebe der Voͤlker das beſte Salboͤl der Koͤnige ſind, und in Folge dieſes Grundſatzes kam das, den Juden nachgeahmte Sal - ben und Kroͤnen der Regenten durch Pfaffenhand in den meiſten chriſtlichen Reichen außer Gebrauch.
Der furchtbare Druck weltlicher und geiſtlicher Herrſcher der Vorwelt erzeugte in manchem beaͤng - ſteten Gemuͤth den eben ſo natuͤrlichen, als menſch - lichen Wunſch, daß ein großer Erretter, ein Be - freier von der tyranniſchen Schmach erſcheinen und einen beſſern Zuſtand der Dinge herbeifuͤhren moͤchte. Die Hoffnung auf einen ſolchen, blos weltlichen, Erloͤſer verwandelte ſich haͤufig in Ue - berzeugung, und Einer troͤſtete den Andern mit der Zukunft, auch wohl mit dem Beiſpiele dieſes oder jenes Volks, dem bereits einer oder mehrere ſolcher Heilande erſchienen waren, die man dann gewoͤhnlich (wie z. B. den Apoll, den Herkules u. a.) zu Goͤtterſoͤhnen und zu Goͤttern erhob. So bildeten ſich jene Sagen und Mythen der heidni - ſchen Voͤlker von goͤttlichen Erloͤſern des Menſchen - geſchlechts, die aber keinesweges als Ueberbleibſel der Kunde von einer in den Zeiten der Urwelt ſtatt gefundenen Verheiſſung des Meſſias betrachtet wer - den koͤnnen, und auf unſern Heiland Jeſus Chri - ſtus nie die entfernteſte Beziehung hatten.
I. Baͤndchen. 518Und nun kommen wir zu dem zweiten Zeitrau - me der uͤbernatuͤrlichen Offenbarungen Gottes von Abraham bis auf Chriſtus. Gott ſoll ſich in die - ſer langen Periode ausſchließlich, mit Hintanſetzung aller uͤbrigen Voͤlker, dem Abraham und deſſen ehe - leiblichen Nachkommen den Jſraeliten, offenbart haben. Kein Wunder, daß unſere orthodoxen chriſt - lichen Rabbiner hier mit den Juden uͤbereinſtimmen, da ſie das alte Teſtament ohne Ausnahme und Be - ſchraͤnkung als Grundlage des neuen, und das Chri - ſtenthum ſelbſt nur als eine Fortſetzung des Juden - thums unter geaͤnderten aͤuſſern Formen betrachten. Noch weniger darf es befremden, daß die Juden die ſaͤmtlichen Buͤcher des alten Teſtaments als ein Werk anſehen, welches den Verfaſſern von Wort zu Wort und ſogar buchſtaͤblich eingegeben iſt; ein Wahn, den unſre aufgeklaͤrten Schriftgelehrten*)Jch glaube, daß der Name Schriftgelehrten endli - chen Menſchen, deren Wiſſen, wie Paulus ſagt, doch nur lauter Stuͤckwerk iſt, beſſer zieme, als der ſtolze aufblaͤhende Titel von Gottesgelehrten.; ein Jeruſalem, Semler, Thieß, Herder, W. A. Teller, Eichhorn und viele andere wuͤrdige, ein - ſichtsvolle und wahrheitliebende Maͤnner laͤngſt hin - laͤnglich widerlegt haben. Wenn man uͤbrigens den Jſraeliten uͤbernatuͤrliche goͤttliche Offenbarun - gen zugeſteht; ſo ſehe ich nicht ein, mit welchem Rechte man andern Voͤlkern, die ſich dergleichen ebenfalls ruͤhmen, dieſelben ableugnen will.
19So eine unbedeutende Rolle die Juden auch von jeher in der Weltgeſchichte ſpielten, ſo ſehr zeichne - ten ſie ſich durch ihren unbegraͤnzten Nationalſtolz, der gegen ihre winzige Kleinheit laͤcherlich genug abſticht, vor allen uͤbrigen Voͤlkern des Alterthums aus. Sie allein glaubten das auserwaͤhlte Volk Gottes zu ſeyn; ihr Laͤndchen, ein Tropfen am Waſſereimer des Erdballs, war nach ihrer Anſicht, das herrlichſte, das einzig geſegnete, das gelobte Land, wo Milch und Honig in Stroͤmen floß; ihr Kultus der allein Gott gefaͤllige; ihr Tempel, deſ - ſen Bauart ſo wenig aͤſthetiſchen Sinn verrieth, das prachtvollſte Gebaͤude der Welt, das Nonplus - ultra architektoniſcher Kunſt; ihr Koͤnig Salomo, der Weiſeſte unter allen Menſchenkindern, ja ſogar weiſer als Ethan, der Esrahiter, und Heman, Chalkol und Darda, von deren Weisheit die Welt nie etwas vernahm; ihre Helden waren die tapfer - ſten, und liefen dreitauſend Mann ſtark vor ſechs und dreißig Einwohnern von Ai davon, woruͤber dem ganzen Volke das Herz zu Waſſer ward. Die - ſer laͤcherliche Hochmuth der Jſraeliten darf uns um ſo weniger befremden, da ſie in ſtrenger Abgeſchloſ - ſenheit von allen andern Voͤlkern lebten und nie - mals erfuhren, durch welche große und glaͤnzende Thaten, durch welche Tugenden dieſe ſich auszeich - neten, zu welch’ einer herrlichen Bluͤthe ſich Kuͤnſte und Wiſſenſchaften bei denſelben entfaltet hatten, und wie weit ſie noch hinter dieſen Nationen zu -5 *20ruͤckſtanden. Als man bei den Griechen ſchon voll - ſtaͤndig ausgebildete Syſteme der wichtigſten philo - ſophiſchen Wiſſenſchaften aufſtellte, da beſtand die ganze ſchriftſtelleriſche Weisheit der Juden nur in ei - nigen lyriſchen Gedichten und Sammlungen von Sittenſpruͤchen und Aphorismen, die bunt und ohne Ruͤckſicht auf Jnhalt und Ordnung durch einander geworfen waren. Die Jſraeliten hatten die kleinen Volksſtaͤmme Kanaans uͤberwunden, welches ihnen nimmermehr gelungen waͤre, wenn dieſe Voͤlkerſchaf - ten unter Einer kraftvollen Regierung vereint, ih - nen die Spitze geboten haͤtten. Aber dennoch hiel - ten ſie ſich deshalb fuͤr die Beſieger der Welt, und traueten den ſchmeichelhaften Verſicherungen, wo - durch ihre Heerfuͤhrer und Prieſter ſie zu ermuthi - gen ſuchten, daß ſie das auserwaͤhlte und liebſte Volk Gottes, daß ihr Kanaan das vorzuͤglichſte Land der Erde, und daß alle Menſchen außer ih - nen von Gott verlaſſen und verabſcheuet waͤren.
Auch die gebildetſten Voͤlker ſind eiferſuͤchtig ge - gen einander uͤber Alles, was ihnen ruhmwuͤrdig, ehrenvoll und verdienſtlich ſcheint. Jeder Einzelne fuͤhlt ſich ſelbſt gehoben, wenn etwas Großes, Schoͤ - nes und Gutes durch ſeine Nation oder durch ein Mitglied derſelben vollbracht ward. Ein Volk, dem Ruhm und Ehre gleichguͤltig ſind, ſteht entweder noch auf einer ſehr niedrigen Stufe ſittlicher Aus - bildung, oder es hat bereits alle Anſpruͤche auf Sittlichkeit aufgegeben. Nur muß der National -21 ſtolz*)Der Nationalſtolz aͤußert ſich freilich oft auf eine ſonderbare Weiſe. Mancher weiß von ſeinem Va - terlande nichts weiter zu ruͤhmen, als daß es viele Erdaͤpfeln, ſchoͤne Pferde und große Ochſen hat. So hoͤrte ich einmal, wie ein Graf von B —, ein Daͤne aus einem, in diplomatiſcher Ruͤckſicht ſehr beruͤhmten Geſchlecht, eine ganze Tiſchgeſellſaft un - aufhoͤrlich von den fetten Gaͤnſen ſeines Vaterlan - des unterhielt. — Jm Preußiſchen, wo ungeachtet der ruhmvollen Bemuͤhungen der Regierung, in manchen Gegenden die Schafzucht weit beſſer, als die Kinderzucht gedeiht, fragte einmal ein Land - ſchulmeiſter, ein invalider Huſar, ſeine Zoͤglinge: „ Sagt mir, Jhr Kinder, was fuͤr ein Landsmann war unſer Herr Chriſtus? ‟ Die Kinder ſtutzten. „ Gottloſe Buben, hab’ ich’s Euch nicht tauſendmal geſagt? Ein Preu ‟ „ „ Een Preiße! ‟ ‟ ſchnarrten die Jungen ſchluchzend. „ Ganz recht, ein Preuße! ‟ rief jetzt der Lehrer, und ſtrich ſich mit ſelbſtgefaͤl - ligem Schmunzeln den Schnurrbart. Manchem aͤcht preußiſchen Patrioten moͤchte dieſer Schulmonarch, der das Preußenthum ſeineu Zoͤglingen ſo meiſter - haft einzupraͤgen verſtand, nicht uͤbel gefallen ha - ben; der Pfarrer aber, ein ſehr wuͤrdiger Mann, erzaͤhlte mir mit Thraͤnen ſelbſt dies Geſchichtchen, von deſſen Wahrheit ich daher voͤllig uͤberzeugt bin. Die Einwohner von Forchheim, in Franken, laſſen es ſich nicht abſtreiten, daß Pontius Pilatus in ih - rem Staͤdtchen oder deſſen Umgebung geboren ſey. — Jn einem Gaſthofe Norddeutſchlands hoͤrte ich ein - nie in laͤcherlichen Hochmuth, in ungerechte Verachtung oder gar in religioͤſe Unduldſamkeit ge -22 gen andere Voͤlker ausarten. Dies war aber von jeher und iſt noch fortdauernd der Fall bei den Juden.
Laßt uns die Behauptungen der letztern, als habe ſich Gott nur ihnen ausſchließlich auf eine uͤbernatuͤrliche Weiſe offenbart, etwas genauer un - terſuchen, um darnach in dem folgenden Abſchnitte dieſe Offenbarungen deſto beſſer wuͤrdigen zu koͤn - nen. Dieſelben Einwuͤrfe, welche ſich uns gegen eine ſolche ausſchließliche Mittheilung des goͤttlichen Willens an einzelne Menſchen des erſten Zeitraums aufdraͤngten, dieſelben Einwuͤrfe und noch verſchie - dene andere ſtellen ſich uns ruͤckſichtlich einer uͤber - natuͤrlichen Offenbarung entgegen, welche das hoͤch - ſte Weſen, mit Ausſchließung aller uͤbrigen Voͤlker, blos den Juden ſoll gegeben haben.
*)mal drei ſehr gebildete Maͤnner, von denen der eine ein Hannoveraner, der andere ein Meklenburger, der dritte ein Braunſchweiger war, uͤber die wich - tige Frage ernſthaft zanken: Ob Hannover, Mek - lenburg oder Braunſchweig Eulenſpiegels Vaterland waͤre? Jeder der drei Herren behauptete naͤmlich, ein Landsmann des großen Philoſophen zu ſeyn. Zur Freude des Hannoveraners, der von ſeinen lachenden Gegnern beinahe ganz beſiegt und hoͤchſt auſgebracht war, that endlich ein hereintretender Fremder den Ausſpruch, daß Eulenſpiegel zu Moͤl - len, einem hannoͤverſchen Staͤdtchen im Herzogthum Lauenburg geboren worden. Froh und zufrieden leerte jetzt der Sieger eine Flaſche Wein mit dem Schiedsrichter.
23Gott will, daß allen Menſchen geholfen wer - de, und daß ſie alle zur Erkenutniß der Wahrheit gelangen. Er laͤßt ſeine Sonne aufgehen uͤber Boͤſe und Gute, und laͤßt regnen uͤber Gerechte und Ungerechte. Vor ihm gilt kein Anſehen der Perſon und des Glaubens; wer nur recht thut in allerlei Volk, der iſt ihm angenehm. Er will, daß alle Menſchen ſollen ſelig werden, und daß Keiner verloren gehe, auch nicht Einer. Was er will, das geſchieht, und was er gebeut, das ſteht da.
Dies ſind Ausſpruͤche der heiligen Schrift, die uns das hoͤchſte Weſen als einen, alle ſeine Men - ſchen mit gleicher Liebe umfaſſenden Vater darſtel - len. Aber wie ſoll ich mit dieſem erhabenen, mit dieſem Gottes ſo wuͤrdigen Begriff den ganz ent - gegengeſetzten Grundſatz vereinigen: Gott habe die - jenigen Lehren und religioͤſen Formen, von deren Annahme er das Recht zu ewiger Gluͤckſeligkeit, von deren Nichtannahme er hingegen unendliche Qual und Verdammniß abhaͤngig machte, bloß einem klei - nen Volke, mit Ausſchließung vieler Millionen Men - ſchen, anvertrauet? Wahrlich das Viereck des Zir - kels ſcheint mir leichter zu finden, als ein Verei - nigungspunkt zwiſchen dieſen beiden Lehrſaͤtzen. All - guͤtiger Vater, vergieb mir! Kein Engel vom Him - mel wird mich jemals uͤberreden koͤnnen, daß Du unzaͤhlbare Geſchoͤpfe, oder auch nur Hunderte der - ſelben, oder gar nur ein Einziges zu unendlichem Leide ſollteſt ins Daſeyn gerufen haben. Jch muͤß -24 te dann meinen Glauben an Deine Guͤte, Deine Weisheit und Deine Gerechtigkeit aufgeben, und ſelbſt meinen Glauben an jene Ausſpruͤche der hei - ligen Schrift: Gott will, daß allen Menſchen ge - holfen werde, und daß ſie alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen; Er will daß Keiner verloren werde, auch nicht Einer; und was er will, das geſchieht, was er gebeut, das ſteht da.
Gott ſoll angeblich den Juden allen naͤhern Ver - kehr mit den uͤbrigen Voͤlkern verboten haben. Was konnten denn dieſe dafuͤr, daß ſie von den Geheim - niſſen nie etwas vernahmen, die er vorzugsweiſe ſeinen Lieblingen anvertrauet hatte, und durch de - ren Annahme doch auch ihre Seligkeit und ihre Verdammniß gleichfalls bedingt waren? Betrachten wir Abrahams Nachkommen in ſittlicher und geiſti - ger Ruͤckſicht, ſo begreifen wir wahrlich nicht, wa - rum gerade dieſe hochmuͤthigen, uͤbelduftenden Wie - dehopfe des Menſchengeſchlechts, welche ſich ſo we - nig durch Tugenden, als durch Geiſt auszeichneten, ſondern in den entehrendſten Laſtern, Schandthaten und Verbrechen viehiſch ſich waͤlzten, ausſchließ - lich eines ſo hohen Vorzugs gewuͤrdiget wurden. Wollte Gott ſie vielleicht zu Boten und Verbreitern ſeines heiligen, uͤbernatuͤrlich geoffenbarten Willens erwaͤhlen? Aber warum verbot er ihnen dann ſo ſtrenge den naͤhern Umgang mit andern Nationen? Außerdem duͤnkt uns, daß die Juden ſich zu ſolchen Boten unter allen Voͤlkern des Erdbodens am we -25 nigſten eigneten, da ſie wegen ihres Aberglaubens, der allenthalben ſelbſt bei den gewoͤhnlichſten Er - ſcheinungen eine uͤbernatuͤrliche Urſache vorausſetzte, und wegen ihrer nur allzu bekannten Verlogenheit und Uebertreibungsſucht ſchwerlich mit ihren Nach - richten bei vernuͤnftigen Menſchen viel Glauben wuͤr - den gefunden haben.
Laſſen wir die Offenbarungen, deren die Juden ſich ruͤhmen, auch als unmittelbare goͤttliche Mit - theilungen gelten, ſo koͤnnen wir ſie doch nur als National offenbarungen ohne Verbindlichkeit fuͤr andere Voͤlker betrachten. Jhr Gott war ein Na - tionalgott, deſſen Liebe ſich ausſchließlich auf ſeine Juden beſchraͤnkte; alle uͤbrigen Voͤlker waren ihm ein Greuel, waren Gegenſtaͤnde ſeines Zorns, ſei - nes Haſſes und ſeiner Rachgier; Kanaan war das einzige, von ihnen geſegnete Land, der Tempel zu Jeruſalem ſeine einzige Reſidenz. So dachten ſich die Hebraͤer ihren Gott, und ſo denken ſie ihn ſich jetzt noch.
Wir wuͤrden Gott laͤſtern, wenn wir, gleich ihnen, behaupteten, daß er aller ſeiner uͤbrigen Menſchen vergeſſen, und blos ſeiner Lieblinge ge - dacht, blos dieſer ihr Beſtes zu foͤrdern geſucht habe. Wie er durch Moſes, Salomon, Jeſaias, Heſekiel und andere zu den Juden ſprach; ſo ſprach er durch Solon, Pythagoras, Sokrates, Plato, Ariſtoteles u. f. zu den Griechen; und ſo redet er auch jetzt noch durch den Mund und die Schriften26 großer, edler und weiſer Maͤnner der neuern Voͤl - ker zu ſeiner Menſchheit; ſo ſpricht er in den Wer - ken eines Luther, eines Zwingli, Melanchthon, Je - ruſalem, Herder, Fichte, Paulus, Luden, Arndt, Krug und Weſſenberg, eines Franklin, Prieſtley, Gibbon, Rouſſeau und Raynal und Anderer. Denn wenn wir gleich weit entfernt ſind, anzunehmen, daß Gott Maͤnnern, wie die genannten, ihre Schrif - ten woͤrtlich oder gar buchſtaͤblich eingegeben, und ſie zu bloßen Schreibmaſchinen gebraucht habe, und noch brauche; wenn wir ſogar Manches, was ſie geſagt, gethan und geſchrieben, nicht billigen; ſo iſt doch auſſer Zweifel, daß der erhabene Lenker aller unſerer Schickſale, der Geber aller guten und vollkommenen Gaben, ſich ihrer als Werkzeuge und Mittel bediente, um die Menſchheit auf eine kraͤf - tige und wohlthaͤtige Weiſe im Fortſchreiten zu hoͤ - herer Veredlung anzuregen, und eine Maſſe von Jdeen zu verbreiten, ohne welche dieſes Fortſchrei - ten nur ſehr langſam, vielleicht gar unmoͤglich ſeyn wuͤrde. Und was war es denn mehr, was Gott durch die heiligen Schriftſteller bei den Jſraeliten zu bewirken ſuchte?
Wenden wir uns jetzt zu dem dritten und letz - ten Zeitraume der uͤbernatuͤrlichen Offenbarungen Gottes, zu dem Zeitraume unſers goͤttlichen Erloͤ - ſers und ſeiner Apoſtel und Juͤnger.
Manche Geiſtliche thun, nach meiner Anſicht, hoͤchſt unrecht, wenn ſie das Chriſtenthum als eine27 Fortſetzung des Judenthums (nur mit geaͤnderten Formen) betrachten.
Das Judenthum war, wie ich ſchon vorhin be - merkte, die Nationalreligion eines einzigen Voͤlk - chens; das Chriſtenthum hingegen trat als Weltreli - gion auf. Der Gott, welchen die Jſraeliten ſich dachten, war ein Volksgott, der alle Menſchen außer ſeinen Lieblingen haßte und vertilgt wiſſen wollte, falls er ſie nicht etwa als Zornruthen zu Zuͤchtigung der letztern gebrauchte. Der Gott, welchen Chriſtus uns kennen lehrt, iſt der guͤtige liebevolle Vater aller ſeiner Menſchen; unter allen Voͤlkern iſt, wer nur recht thut, ihm angenehm. Die Juden waren bloß Monotheiſten in Ruͤckſicht der Verehrung und Anbetung, welche durch Moſes auf den Nationalgott beſchraͤnkt war; ſie waren Polytheiſten in Ruͤckſicht des Glaubens, da ſie die Exiſtenz anderer Goͤtter (Elohim), auſſer dem ihri - gen annahmen, welches ihnen haͤufige Veranlaſſung zum Goͤtzendienſte gab. *)Daß die Juden noch fortwaͤhrend in dieſer Hinſicht Polytheiſten ſind, welche auſſer ihrem Gott noch ſiebenzig andere Goͤtter als Schoͤpfer, Oberherren und Verſorger der Nichtjuden annehmen, werde ich in der Folge aus ihrem Talmud beweiſen.Das Chriſtenthum war urſpruͤnglich reiner Monotheismus; es erkann - te nur einen einigen Gott als den Urheber aller Dinge, als den Verſorger und Vater aller ſeiner28 Menſchen. Spaͤterhin erſt ward ein verfeinerter Tritheismus eingefuͤhrt, und auch damit noch nicht zufrieden, gab man dem hoͤchſten und einigen Gott eine zahlloſe Menge von Unter - und Halbgoͤttern, die man Heilige nannte, zu Huͤlfe. Blutrache war nach Moſes Geſetzen erlaubt, und oft ſogar Pflicht; Chriſtus lehrt uns: Segnet, die euch fluchen, thut wohl denen, die euch haſſen, bittet fuͤr die, ſo euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder ſeyd Eures Vaters im Himmel. Moſes beſchraͤnkte die Menſchenliebe unter den Jſraeliten faſt ausſchließlich auf ihre Glaubensgenoſſen; Chriſtus dehnt ſie auf alle Menſchen aus, weil wir alleſamt Bruͤder ſind: Du ſollſt Gott uͤber alle Dinge lieben, und Deinen Naͤchſten als dich ſelbſt. Was du nicht willſt, daß dir die Leute thun ſollen, das thue du ihnen auch nicht. Seyd barmherzig, wie auch Euer Vater im Himmel barmherzig iſt. Vergebet Euern Feinden, wie Gott Euch Eure Suͤnden gleichfalls vergiebt. Das ſind die Lehren unſers Erloͤſers, deren Be - folgung er bei allen Gelegenheiten empfahl; die Lehren, welche er als den Hauptinhalt ſeiner herr - lichen Religion uns bezeichnete. Moſes gebot den Juden alle, die nicht ihres Glaubens waren, von der Erde zu vertilgen; Chriſtus ſagte ſeinen Apo - ſteln; ſie ſollten hingehen in alle Welt, und die Jrrenden nicht verfolgen und ausrotten, ſondern belehren. Moſes ordnete einen koſtbaren, laͤſtigen Tempeldienſt mit vielen Opfern, Faſten und andern29 Gebraͤuchen an; Chriſtus lehrte, Gott wohne nicht in Tempeln, die mit Haͤnden gemacht ſind; man ſolle ihn im Geiſt und in der Wahrheit verehren. Wenn du beten willſt, gehe in dein Kaͤmmerlein, und ſchließe die Thuͤr hinter dir zu. Das Juden - thum war eine Religion des Hochmuths, des Men - ſchenhaſſes, der Grauſamkeit; das Chriſtenthum war eine Religion der Demuth, der Menſchenliebe, der Sanftmuth und Milde. Jch glaube in dieſen we - nigen Zuͤgen den Unterſchied zwiſchen der moſaiſchen und der chriſtlichen Religion hinlaͤnglich bezeichnet zu haben.
Darin haben unſere Geiſtlichen Recht, wenn ſie behaupten: das Chriſtenthum ſey ſo alt, als die Welt. Ehe denn Abraham war, war ich; ehe, das Judenthum geboren ward, war meine Lehre, mein Chriſtenthum ſchon da! Und wahrlich Gott hat die Keime deſſelben tief in die Herzen aller ſeiner Menſchen gegraben. Es bedarf nur ſolcher Lehrer, wie unſer goͤttlicher Erloͤſer und ſeine Apo - ſtel, um ſie hervorzurufen, zu entwickeln und aus - zubilden; um uns die Myſterien unſers Herzens zu deuten. Wem ſie hier nicht gedeutet werden, dem werden ſie es gewiß — das hoffe ich zu Gott — in einem ſchoͤneren Leben! Er will ja, daß allen Menſchen ſoll geholfen werden; daß Alle ſollen zur Erkenntniß der Wahrheit gelangen; daß Keiner ſoll verloren werden, auch nicht Einer. Welcher Menſch von unverderbtem Gemuͤth fuͤhlt ſich nicht hoch be -30 lohnt, wenn er einen Ungluͤcklichen retten, einen Leidenden troͤſten, einen Betruͤbten erfreuen kann? Wer wird den Mann nicht lieben, nicht ehren, der ſeinem Feinde freundlich und bruͤderlich die Hand zur Verſoͤhnung reicht, und wenn denſelben hungert und duͤrſtet, gerne ſeinen Labetrunk und ſeinen letz - ten Biſſen Brods mit ihm theilt? So iſt der Sinn und die Empfaͤnglichkeit nicht nur fuͤr dieſe, ſondern fuͤr alle Tugenden, welche der Heiland uns lehrte, in unſere Bruſt gepflanzt. Seine Religion war unter allen die goͤttlichſte und die menſch - lichſte zugleich. Nur ein verderbtes Gemuͤth kann ih - re Goͤttlichkeit bezweifeln; nur ein verſtocktes Herz fodert uͤbernatuͤrliche Beweiſe derſelben, weil das Goͤttliche ihm fremd oder doch entfremdet iſt.
Ja wahrlich! Das Chriſtenthum war die koͤſt - lichſte Blume des Himmels, welche jemals auf Er - den verpflanzt ward; aber der Boden und die Jahr - zeit waren zu rauh, die erſten Pfleger zu unwiſſend und roh, als daß ſie in himmliſcher Schoͤne ſo haͤt - te aufbluͤhen koͤnnen, wie der erhabene Gaͤrtner es wuͤnſchte. Haͤtten ſich in den Jahrhunderten unter den Verbreitern des Chriſtenthums Menſchen befun - den, die an Kraft, Geiſt und Sinnesreinheit dem goͤttlichen Erloͤſer naͤher und inniger verwandt ge - weſen waͤren; gewiß haͤtte es ſich dann laͤnger in ſeiner einfachen Urſchoͤnheit erhalten; aber ſchwerlich wuͤrde es ſich ſo ſchnell ausgebreitet haben, als es durch irdiſchen Prunk, glaͤnzende Formen und kalte31 ſinnloſe Dogmen geſchah, welche der goͤttliche Stif - ter nie empfohlen und gelehrt, und wodurch man ſeine Religion auf eine ſo traurige Weiſe verdun - kelt und entweiht hat. Der Uebertritt Konſtantins des Großen*)Oder beſſer des Kleinen und Schlechten! Denn als ſolchen bezeichnete ſich Konſtantin durch viele ſeiner Handlungen, beſonders durch die Hinrich - tung ſeines eigenen Schwiegervaters Maximian und ſeines Schwagers Licinius. Weil in Rom noch zu viel Freiheitſinn herrſchte, verlegte Kon - ſtantin ſeinen Wohnſitz nach Byzanz (Konſtantino - pel), und weil hier in den zunaͤchſt gelegenen Pro - vinzen die Zahl der Chriſten die ſtaͤrkere und maͤch - tigere war, ſo trat er endlich ſelbſt zum Chriſten - thume uͤber, und ließ das alberne Maͤhrchen aus - ſprengen, es habe ſich ihm am Himmel ein Kreuz gezeigt mit der Jnſchrift: Durch mich wirſt du ſiegen! und die Erhebung des Chriſtianis - mus zur Staatsreligion des roͤmiſch-griechiſchen Kaiſerthums, welche uns viele ſogenannte Gottes - gelehrte und Geſchichtſchreiber als ein auſſerordent - liches Gluͤck der Lehre unſers Heilandes ſchildern, war das groͤßte Ungluͤck derſelben, denn hiedurch gieng der erhabene Geiſt des Chriſtenthums fuͤr die Menge ſeiner Bekenner faſt gaͤnzlich verloren. Die ſchoͤnen Tugenden, welche der Heiland, als das Weſentlichſte ſeiner Lehre ſo dringend empfohlen, die Tugenden der Sanftmuth und Demuth, der all - gemeinen Menſchen -, Bruder -, und Feindesliebe, der32 Geduld und Nachſicht gegen die Schwachheiten und Fehler Anderer, der Gerechtigkeit und Sinnesrein - heit entwichen, und an ihre Stelle traten pracht - volle Kirchen, Altaͤre und Kloͤſter; ein angſtvolles, argwoͤhniſches Wachen uͤber unverſtaͤndliche und un - verſtaͤndige Glaubenslehren, und unnuͤtze myſtiſche Gebraͤuche; Pfaffenherrſchſucht, Pfaffenwillkuͤhr und Eigennutz, und beſonders Groll, Haß, Rachgier und Unverſoͤhnlichkeit gegen diejenigen, von denen man fruͤher verfolgt worden war; denn nun wur - den die, welche vormals ſo tief unter dem Drucke geſeufzet hatten, ſelbſt die aͤrgſten Bedruͤcker. Kon - zilien von Prieſtern, angeblich voll des heiligen Geiſtes, in der That aber voll ſuͤßen Weins, er - ſannen und ordneten, ſo wie ihre Glanzſucht, ihr ſchmutziger Geiz, ihr toller Duͤnkel es heiſchten, wahnſinnige Dogmen und alberne Formen an, de - ren Nichtannahme ſie mit zeitlichem Tode und ewi - ger Verdammniß verpoͤnten. *)„ Das Chriſtenthum, ſagt Herder im vierten Theile ſeiner Jdeen zur Geſchichte der Menſchheit, das Chriſtenthum hatte eine Be - kenntnißformel, mit welcher man zu ihm eintrat; ſo einfach dieſe war, ſo ſind mit der Zeit aus den drei unſchuldigen Worten Vater, Sohn und Geiſt ſo viele Unruhen, Verfolgungen und Aer - gerniſſe hervorgegangen, als ſchwerlich aus drei an - dern Worten der menſchlichen Sprache. Je mehr man von dem Jnſtitut des Chriſtenthums als vonSie hetzten Chri -ſten33ſten gegen Chriſten zu Verfolgungen auf, und ver - gaßen, indem ſie taͤglich die graͤßlichſten Mordſcenen herbeifuͤhrten, und die armen Gemordeten zur ewi - gen Hoͤlle verfluchten, ganz die Lehre des großen Gekreuzigten: Richtet nicht, ſo werdet ihr auch nicht gerichtet! Verdammet nicht, ſo werdet ihr nicht ver - dammet! Man erlaubte ſich die ſchaͤndlichſten Be - truͤgereien, um das, was man Chriſtenthum nann -*)einer thaͤtigen, zum Wohl der Menſchen geſtifteten Anſtalt abkam, deſto mehr ſpekulirte man jenſeit der Graͤnzen des menſchlichen Verſtandes; man fand Geheimniſſe, und machte endlich den ganzen Unterricht der chriſtlichen Lehre zum Geheimniſſe. Nachdem die Buͤcher des neuen Teſtaments als Ka - non in die Kirche eingefuͤhrt wurden, bewies man aus ihnen, ja gar aus Buͤchern der Juͤdiſchen Ver - faſſung, die man ſelten in der Urſprache leſen konn - te, und von deren erſtem Sinn man laͤngſt abge - kommen war, was ſich ſchwerlich aus ihnen bewei - ſen ließ. Damit haͤuften ſich Ketzereien und Syſteme, denen zu entkommen man das ſchlimmſte Mittel waͤhlte, Kirchenverſammlungen und Syno - den. Wie viele derſelben ſind eine Schande des Chriſtenthums und des geſunden Verſtandes! Stolz und Unduldſamkeit riefen ſie zuſammen; Zwietracht, Partheilichkeit, Grobheit und Buͤbereien herrſchten auf denſelben, und zuletzt waren es Uebermacht, Willkuͤhr, Trotz, Kuppelei, Betrug oder ein Zufall, die unter dem Namen des heiligen Geiſtes fuͤr die ganze Chriſtenheit, ja fuͤr Zeit und Ewigkeit ent - ſchieden. ‟I. Baͤndchen. 634te, was aber weit davon entfernt war, Chriſtus - lehre zu ſeyn, zu verbreiten*)So redlich und wahr unſer goͤttlicher Erloͤſer bei der Verbreitung ſeiner Lehre verfuhr, ſo unredlich und falſch handelten die erſten Chriſten, um ſich bei den Roͤmern Anhang zu ſchaffen. Die Verſe des Virgil: Ultima Cumaei venit jam carminis aetas: Magnus ab integro seclorum nascitur ordo. Jam redit et virgo, redeunt Saturnia regna. Jam nova progenies coelo demittitur alto; legten ſie zum Beiſpiel als eine Weiſſagung von Chriſtus aus, obgleich dieſe Verſe ſich bloß auf den neugebornen Sohn des roͤmiſchen Conſuls Aſinius Pollio bezogen. Jndeſſen ließen ſich doch piele leicht - glaͤubige Roͤmer uͤberreden, daß wirklich dort die Rede von Chriſtus, von der Jungfrau Maria und dem tauſendjaͤhrigen Reiche ſey, welches der Heiland gruͤnden wolle, und bekannten ſich daher um ſo leichter zum Chriſtenthume. Noch ſchlimmer mach - ten es die erſten Chriſten mit den ſybilliniſchen Buͤchern. Dieſe wurden bekanntlich von den Roͤ - mern als heilige prophetiſche Schriften verehrt, de - ren Ausſpruͤche keinem Zweifel unterlagen. Nun verbreiteten die ſogenannten Chriſten eine Menge falſcher oder verfaͤlſchter ſybilliniſcher Buͤcher und Verſe, die ſie fuͤr Abſchriften der aͤchten ausgaben, und in welche ſie viele angebliche, ſehr deutliche Weiſſagungen von Jeſus und ſeiner Mutter ein - ſchoben. Viele tauſend Roͤmer ließen ſich durch die - ſen frommen Betrug taͤuſchen, giengen zum Chri -. Die Geiſtlichkeit35 trat als die boͤſe ſchwarzgefluͤgelte Hekate auf, wel - che Alles, was nur Zerſtoͤrendes und Vergiftendes fuͤr das Wohl und die Veredlung der Menſchheit gedacht werden kann, in ihrem großen Keſſel, Kir - che genannt, zuſammen miſchte und ſiedete. Und der fromme, heilige Mann im Vatikan, der demuͤ - thige Knecht der Knechte Gottes ward endlich der frechſte, unverſchaͤmteſte, hochmuͤthigſte, anmaßend - ſte und gottloſeſte Knecht unter allen Knechten der Welt.
Unwillig uͤber dieſe Graͤuel wandte ſich zwar der Geiſt des Chriſtenthums von der verblendeten Menge hinweg zu wenigen Einzelnen; allein den - noch konnte das Reich der Finſterniß, trotz all’ ſeiner Anſtrengungen, nie ganz die reine Lehre un - ſers Heilandes von der Erde vertilgen! Sie wird*)ſteuthume uͤber, und manche von ihnen litten freu - dig den Maͤrtyrertod. Selbſt Konſtantin der Große ward nach ſeiner Ausſage, wie Euſebius berichtet, vorzuͤglich durch die untergeſchobenen ſybilliniſchen Schriften vom Chriſtenthume uͤberzeugt, und es fehlte wenig daran, daß er nicht auf einem allge - meinen Koneilium ihre Aufnahme in den chriſtlichen Kanon bewirkte. Lactantius, Auguſtinus und andere Kirchenvaͤter waren gleichfalls ſehr dafuͤr eingenommen. Erlaubten ſich die erſten Chriſten und ihre Lehrer dergleichen mit den ſybilliniſchen Buͤchern, was moͤgen ſie nicht gethan haben mir den Schriften der Evangeliſten und Apoſtel? Aber ſo boͤſe Saat bringt niemals gute Frucht.6 *36ewig dauern, aber erſt dann in ihrem vollen himm - liſchen Glanze erſcheinen, wenn das irdiſche Prunk - werk, wodurch ſie von Menſchen entſtellt ward, zer - truͤmmert iſt; — und dieſer Zeitpunkt duͤrfte wohl ſo ferne nicht ſeyn!
Wenn ich alſo einige talmudiſche Splitterchen der Juden den Spoͤttern Preis gebe; ſo bin ich keinesweges ſo eitel, mir einzubilden, als haͤtten wir gar keine Balken im eigenen Hauſe und — Auge! Laßt uns, liebe Chriſten, indem wir jene belaͤcheln, uns ſelbſt nicht vergeſſen, ſondern fein demuͤthig uns zurufen: Wir ſind allzumal Suͤnder!
Gottes ſchoͤne Natur iſt fuͤr die Juden ohne Sprache; ihre Vernunft ſteht, wie bei den recht - glaͤubigen Chriſten und — Muſelmaͤnnern, unter dem Pantoffel des Glaubens*)Oder vielmehr einer blinden Ueberzeugung, denn der Glaube laͤßt doch noch Beweiſe des Ge - gentheils oder des Beſſern in Ruͤckſicht des Geglaub - ten zu; die Ueberzeugung ſchließt aber alle Be - weiſe dieſer Art aus.. Zweifel in Reli - gionsſachen gilt bei ihren orthodoren Rabbinern, ſo wie bei den unſrigen, fuͤr die ſchrecklichſte Suͤn - de; und die leiſeſte Aeußerung eines ſolchen Zwei - fels fuͤr Gotteslaͤſterung.
Sie nehmen zwei von Gott geoffenbarte Er - kenntnißquellen ihrer Religions - und Sittenlehre an: das ſchriftliche Geſetz, (Thorah Schaͤbicht — habh) welches in dem Kanon des alten Teſtaments, und das muͤndliche Geſetz (Thorah Schaͤbbeal — peh), welches im Talmud enthalten ſeyn ſoll. Bei -38 de Geſetze zuſammen genommen heiſſen die große Thorah. Was die Verfaſſer des alten Teſtaments uͤber die goͤttliche Eingebung ihrer Schriften berich - ten, ſetzen wir als bekannt voraus, und uͤbergehen es mit Stillſchweigen.
Dagegen aber werfen wir einen Blick auf die Entſtehung des juͤdiſchen Staats, und auf den Gruͤnder deſſelben, auf Moſes.
Schon die erſten Stammvaͤter der iſraelitiſchen Nomadenhorde waren im aͤuſſerſten Grade verderbt. Jakob — um nicht hoͤher hinauf zu ſteigen — hat - te Vater, Bruder und Schwiegervater auf die un - wuͤrdigſte Weiſe betrogen. Seine Soͤhne waren noch weit ſchlimmer, als er. Eilf oder wenigſtens zehen derſelben verkauften den zwoͤlften, (Joſeph,) der durch Traumdeuterei und Kornwucher erſter Miniſter eines ſchwachen aͤgyptiſchen Koͤnigs ward. Ruben beſchlief die Kebsweiber des Vaters Jakob; Juda ſeine eigene Schwiegertochter. Juda’s Sohn Onan erfand das ſchaͤndliche Laſter, welches noch jetzt nach ſeinem Namen genannt wird. Die ganze Horde, mit Ausſchluß ihres Vaters Jakob, ermor - dete eid - und wortbruͤchig, auf eine heimtuͤckiſche Weiſe den Koͤnig von Sichem und alle maͤnnliche Einwohner ſeines Landes, machte die Weiber und Kinder zu Sklaven, und raubte, was ſie vorfand; und das gerade in dem Augenblick, als dieſer Koͤ - nig im Begriff ſtand, ſich durch die Bande des Bluts mit ihr zu verbinden. Von zweien ſeiner39 Soͤhne, dem Simeon und Levi, ſagte der ſterbende Jakob: „ Jhre Anſchlaͤge ſind moͤrderiſche Waffen; meine Seele komme nicht in ihren Rath, und mei - ne Ehre ſey nicht in ihrer Kirche. Jn ihrem Grimm haben ſie die Leute erwuͤrget, und in ihrem Muth - willen haben ſie den Ochſen geraubt! ‟ *)Ein Ausſpruch, der ſich bis auf den heutigen Tag bei den meiſten Leviten faſt aller Nationen bewaͤhrt, und daher ſage ich gleichfalls mit Jakob: Meine Seele komme nicht in ihren Rath, und meine Ehre ſey nicht in ihrer Kirche.Bei al - len Voͤlkern hatten ſich dieſe Nomaden oder Herum - ſtreicher verhaßt und veraͤchtlich gemacht. Um ſo willkommener war ihnen der Antrag ihres Bruders Joſeph, zu ihm nach Aegypten zu kommen, wo ih - nen auf ſeine Fuͤrſprache der Koͤnig die Landſchaft Goſen anwies. Hier ſetzten ſie ihr rohes, muͤßiges Hirtenleben fort, und vermehrten ſich in wenigen Jahrhunderten auf eine faſt unglaubliche Weiſe. Daß ihre Nachkommenſchaft von Stufe zu Stufe noch tiefer ſank, war um ſo natuͤrlicher, da ſie in ſtrenger Abgeſchloſſenheit von den Aegyptern lebten, welche den Hirtenſtand uͤberaus gering ſchaͤtzten. Der Koͤnig von Aegypten ſuchte die Jſraeliten zwar an gemeinnuͤtzige Thaͤtigkeit zu gewoͤhnen, allein dieſes, das einzige Mittel zu ihrer ſittlichen Ver - beſſerung, gefiel den damaligen Juden ſo wenig, wie unſern jetzigen. Behaglicher Muͤßiggang war was ſie liebten, war der hoͤchſte Genuß ihres Le -40 bens. Jhre ſchnelle Fortpflanzung drohte endlich ſelbſt dem Reiche Gefahr; man ſuchte ihr deshalb Graͤnzen zu ſetzen, und bediente ſich dazu — frei - lich ſehr harter — Mittel. Die Zwangsarbeiten wurden vermehrt, und mit groͤſter Strenge auf ih - re Leiſtung gehalten; ja ſelbſt die maͤnnlichen Kin - der der Jſraeliten ließ man toͤdten, um auf dieſe Weiſe ihre Zahl zu verringern. Daruͤber entruͤſtet trat Moſes auf, einer ihres Stammes. Er war am Hofe des Koͤnigs von den aͤgyptiſchen Prieſtern erzogen, und in aller ihrer Weisheit unterrichtet. Sein Wunſch, ſein bedraͤngtes Volk zu befreien, reifte zum feſten Entſchluß, als er ſelbſt im Zorn einen Aegypter ermordet, und dadurch harte Stra - fe verwuͤrkt hatte. Wie er ſelber, oder vielmehr der Verfaſſer der, unter ſeinem Namen bekannten fuͤnf Buͤcher erzaͤhlt, bewog er durch mancherlei Wunder, die ihm aber groͤßtentheils von den aͤgyp - tiſchen Zauberern nachgemacht wurden, den Koͤnig ſeiner Verſicherung: er ſey von dem Gott Jao oder Jehovah geſandt worden, um die Loskaſſung der Jſraeliten zu begehren, endlich Gehoͤr zu geben, und ihn mit ſeinem Volke ziehen zu laſſen. Der aͤgyptiſche Prieſter Manethon behauptet jedoch: die Juden waͤren von den Aegyptern fortgejagt worden wegen ihres Ausſatzes, und weil ſie uͤber - haupt ein veraͤchtliches Volk geweſen. Ganz un - wahrſcheinlich duͤnkt uns dies nicht, denn wenn Pharao ſie, wie aus den Buͤchern Moſes erhellt,gerne41gerne los ſeyn wollte, und deßhalb ſogar ihre neu - gebornen Knaben toͤdten ließ, ſo iſt es glaublicher, daß er darum ſie mit einem Kriegsheer verfolgte, um ſie weiter zu treiben, als um ſie zuruͤck zu ho - len. Vielleicht wollte der juͤdiſche Geſchichtſchreiber ſein liebenswuͤrdiges Volk der Beſchaͤmung bei der Nachwelt nicht Preis geben, daß es wegen ſeines Erbgrinds und ſeiner uͤbeln Sitten zum Lande ſey hinaus gejagt worden. Dem ſey, wie ihm wolle! Von Pharaos Abſichten koͤnnen wir nicht urtheilen, denn er ertrank im rothen Meere mit Roß und Mann, waͤhrend die Jſraeliten trockenen Fußes hindurch giengen, und hinterließ uns keine ſchriftliche Nachrichten.
Moſes ſahe wohl ein, daß er mit einem ſo tief geſunkenen, mit einem ſo feigen und an Leib und Seele aͤuſſerſt verderbten Volke ſeinen großen Ent - wurf, Laͤnder zu erobern und einen Staat zu gruͤn - den, nicht wuͤrde ausfuͤhren koͤnnen. Die Juden mußten wenigſtens in phyſiſcher Ruͤckſicht gebeſſert und an eine gewiſſe Ordnung gewoͤhnt werden. Aber dazu bedurfte es eines mehr als menſchlichen Anſehens, welches ſich indeſſen dieſer große Mann mit Huͤlfe ſeines Bruders Aaron und einiger an - derer Vertrauten bei den leichtglaͤubigen Juden gar leicht verſchaffen konnte. Reinigungen und vieles Waſchen, nach der Sitte der Aegypter wurden ein - gefuͤhrt, um die Jſraeliten von den eckelhaften Krank - heiten und dem Ungeziefer, womit ſie behaftet wa -I. Baͤndchen. 742ren, zu befreien. Der Genuß alles Fleiſches von ſolchen Thieren, die man, nach aͤgyptiſchen Begrif - fen, fuͤr unrein d. h. nachtheilig fuͤr die Geſund - heit hielt, wurde unterſagt*)Den Schweinehaß trug Moſes bekanntlich zuerſt von den Aegyptern auf die Juden uͤber; denn bei den erſtern waren unter allen Volksklaſſen oder Ka - ſten die Hirten, und unter dieſen wiederum die Schweinehirten die verachtetſten. So war auch die Beſchneidung aͤgyptiſchen Urſprungs, und ſollte wahrſcheinlich zur Verhuͤtung des Laſters dienen, welches von Onan den Namen fuͤhrt. Sogar die Maͤdchen wurden von den Aegyptern beſchnitten.; die ſchaͤndlichen La - ſter und Verbrechen, denen die Juden ohne Scheu und Scham ſich ergaben, wurden auf das ſtreng - ſte verboten**)Zu welcher Verworfenheit die Jſraeliten mußten geſunken ſeyn, wird hinlaͤnglich durch z. B. Moſ. Kap. 18. V. 22 und 23, Kap. 20. V. 11 bis 16. bewieſen. Waͤren ſolche Schandthaten nicht bei ih - nen ſehr haͤufig und einheimiſch geweſen; ſo wuͤrde der weiſe Geſetzgeber ſie nicht durch Verbote auf - merkſam darauf gemacht haben, wodurch nur ihre Luͤſternheit und Neugier erregt werden mußte. Auch klagen faſt alle Propheten uͤber die ſchaͤndlichen und vielen Greuel dieſer Art, welche die Juden veruͤb - ten, und wodurch ſie ſich ſelbſt bei den Heiden ver - aͤchtlich und „ ſtinkend ‟ machten. Das war das heilige auserwaͤhlte Volk Gottes! . Das Dogma ward feſt geſtellt: daß Gott allein und ausſchließlich ihr Gott, und daß ſie ſein einziges auserwaͤhltes Volk waͤren, um43 ihnen Muth und Vertrauen, und zugleich ein Ge - fuͤhl menſchlicher Wuͤrde zu geben, welches ihnen ganz fremd war. Damit ſie ſich auch an Enthalt - ſamkeit und Maͤßigkeit gewoͤhnen moͤchten, ordnete Moſes gewiſſe Faſttage an, und um ſich und ſeiner Familie eine dauernde Stuͤtze zu verſchaffen, ſetzte er, nach dem Vorbilde der Aegypter, eine Prieſter - kaſte ein, wozu er den Stamm Levi, aus welchem er ſelbſt entſproſſen war, waͤhlte. Dieſer prieſter - lichen Kaſte ſicherte er den groͤßten Antheil an der Regierung, hohes Anſehen und ſehr bedeutende Ein - kuͤnfte zu. Die Leviten wurden unter die ganze Nation vertheilt, um allenthalben getreue Waͤchter der oberſten Gewalthaber zu ſeyn. Um ihnen noch mehr Heiligkeit, Wuͤrde und Glanz zu geben, wur - den ſie ausſchließlich zu Huͤtern des Geſetzes, wel - ches anfangs in der Stiftshuͤtte, ſpaͤterhin im Tem - pel aufbewahrt ward, beſtellt, und ein koſtbarer Tempeldienſt, den ſie allein zu beſorgen hatten, ward angeordnet.
So war eine Theokratie gegruͤndet, die ſelbſt nach Einfuͤhrung des weltlichen Koͤnigthums nicht erloſch; denn die Prieſter blieben fortwaͤhrend Rich - ter in geiſtlichen Sachen, nahmen den vorzuͤglichſten Antheil an der Leitung der oͤffentlichen Angelegen - heiten, ſetzten Koͤnige ab und ein, ohne Verant - wortlichkeit gegen die weltliche Macht, und genoßen bei einem gemaͤchlichen Leben, ſehr großes Anſehen und glaͤnzende Einkuͤnfte.
7 *44Dadurch war freilich fuͤr die Prieſter und Ge - walthaber, gewiſſermaßen auch wohl fuͤr die groͤ - bern Beduͤrfniße des Volks geſorgt; aber immer ſehr wenig fuͤr das ſittliche und geiſtige Fortſchrei - ten des letztern. Es war und blieb ganz das Spiel der Willkuͤhr und Gewalt ſeiner Koͤnige, und der Launen ſeiner Prieſter.
Obgleich Moſes eine rein-monotheiſtiſche Reli - gion einfuͤhren wollte, ſo konnten die Juden ſich doch nicht zu einem ſo hohen und einfachen Stand - punkte erheben. Jhr Altardienſt war freilich nur der Verehrung eines einzigen hoͤchſten Weſens ge - weiht, welches ſie als ihren Volksgott anbeteten; damit konnte indeſſen fuͤglich ihr Glaube beſtehen, daß auch die uͤbrigen Voͤlker ihre Goͤtter (Elohim) haͤtten, welche aber ſehr boͤſe, und lange nicht ſo maͤchtige Weſen waͤren, wie ihr Gott. Dieſer Glaube dauert noch bei den heutigen Juden fort, und war oft die Veranlaſſung zum Abfall von dem, durch Moſes angeordneten, dem Jehovah, dem ei - nigen Gott, gewidmeten Kultus.
Moſes ſuchte die Jdeen, welche er von dem hoͤchſten Weſen aufſtellte, der Faſſungskraft, den rohen Begriffen, und den Beduͤrfnißen, der Jſraeli - ten nach Moͤglichkeit anzupaſſen. „ Der Menſch malt in ſeinen Goͤttern ſich ſelbſt! ‟ ſagt Schiller. Die Juden waren hoͤchſtſinnlich, wankelmuͤthig, rachgierig gegen ihre Feinde, und nur durch Blut und Geſchenke zu verſoͤhnen. Wie ſie waren, ſo45 dachten ſie ihren Gott ſich gleichfalls. Er hatte Ar - me und Beine, einen Mund zum Sprechen, eine Naſe zum Riechen der Opfer, die man ihm brach - te. Was er heute gethan, das gereute, nach ih - ren Anſichten, ihn morgen; was er geſtern geſeg - net hatte, das verfluchte er heute. Wie ſie ihre Feinde haßten und verfolgten; ſo haßte und ver - folgte er, nach ihrer Meinung, die Seinigen. Sein Zorn konnte nur, gleich dem ihrigen, durch blutige Opfer beſchworen werden; war es nicht das Blut des Beleidigers, ſo mußte es das Blut eines un - ſchuldigen Thieres, oder wohl gar eines Menſchen ſeyn, welches man vergoß, um den Grimm des Hoͤchſten zu verſoͤhnen. Daß ein wirklich ge - rechter Gott ſo wenig, wie ein gerechter Rich - ter einen Schuldloſen, ſtatt eines Schuldigen ſtra - fen koͤnne, um ſeiner beleidigten Gerechtigkeit ein genuͤgendes Opfer zu bringen, fiel ihnen nicht ein. Gott hatte, wie ſie waͤhnten, ſeine Geſetze nicht zum Beßten der Menſchen, ſondern aus bloßer Willkuͤhr gegeben, und ihre Uebertretung mit harten Strafen verpoͤnt. Er mußte alſo ſeiner Wahrhaftigkeit und ſeiner Gerechtigkeit genuͤgen; er mußte ſtrafen, weil er einmal Strafe gedrohet, und als wahrhaftiger Gott ſeine Drohung erfuͤllen mußte; gleichviel, ob ſeine Strafe den Schuldigen oder einen Unſchuldigen traf. Sie machten es ja gleichfalls ſo! Mußte doch gar oft bei ihnen, wenn ſie Rache geſchworen hatten, der arme Saͤugling46 entgelten, was der Vater und Großvater verſchul - det hatten! Sie hatten Gefallen an Flittern und aͤuſſerm Prunkwerk; ihr Gott desgleichen. Dieſe Jdeen fand Moſes bei ſeinem Volke, und ſie muß - te er benutzen, ihnen mußte er ſich anſchmiegen, wenn ſeine Religionslehre und ſein Kultus gefallen ſollten. Er benutzte ſie wirklich, ſo gut ers ver - mochte, und ſtellte ſeinen Jſraeliten ſo wie ſie ſelbſt ihn ſich dachten, Gott als ein ſehr eifriges, rachgie - riges, blutduͤrſtiges und eine orientaliſch-ſklaviſche Verehrung heiſchendes Weſen dar; aber zugleich als ein Weſen, welches einen Greuel an allen den Laſtern und Verbrechen fand, denen ſie ſo leiden - ſchaftlich zugethan waren. Er drohete ihnen mit irdiſchen Strafen bis ins vierte Glied, wenn ſie Gottes Gebote uͤbertreten, und verhieß ihnen Be - lohnungen bis ins tauſende Glied, wenn ſie dieſel - ben befolgen wuͤrden. Moſes handelte beſonders darin als ein großer und edler Menſch, und als ein ſehr weiſer Geſetzgeber, daß er die religioͤſen Vorurtheile der Juden, welche er, ſo lange dies Volk auf einer ſo niedrigen Stufe geiſtiger Aus - bildung ſtand, nicht ſtuͤrzen konnte, dazu benutzte, es aus dem Zuſtande der Thierheit, worein es ver - ſunken war, allmaͤhlich empor zu heben. Haͤtte er, wie unſer goͤttlicher Erloͤſer, ihnen Gott als einen allliebenden und unendlich guͤtigen Vater aller Menſchen geſchildert, und ſich weniger ihren rohen Begriffen angeſchmiegt, ſo wuͤrden ſeine Geſetze47 ſchwerlich befolgt worden ſeyn. Jm Vertrauen auf den unendlich liebevollen guͤtigen Vater wuͤrden die verderbten Jſraeliten ſich nach wie vor, in Schan - de und Laſter gewaͤlzt haben, und waͤren vielleicht in gaͤnzlichen Atheismus gerathen. Deßhalb muß - te er ihnen Gott immer ſo zeigen, wie ſie ſelbſt ihn ſich dachten: als einen ſtarken, eifrigen und rach - gierigen Gott, der die Suͤnden der Vaͤter heimſucht an Kindern und Kindeskindern; als einen Gott, der nicht um das Beßte ſeiner Menſchen zu foͤrdern, ſondern aus bloßer Willkuͤhr Geſetze giebt, denen man blindlings gehorchen muͤſſe. Seine Dogmatik war uͤbrigens — die Opfer, Faſten, Speiſeverbote und Reinigungen bei Seite geſetzt, — die einfach - ſte, welche jemals erfunden ward. Sie kannte weder Himmel, noch Hoͤlle, noch Fegfeuer, noch irgend einen andern Zuſtand der Vergeltung und Veredlung nach dieſem Leben. Selbſt das groͤßte Geheimniß der Glaubenslehre und der Rechenkunſt, von deſſen Annahme doch, wie ich glaube, die kuͤnf - tige Seligkeit aller Sterblichen abhaͤngt, die Drei - einigkeit Gottes, vermiſſen wir ganz; ja es wird demſelben ſogar ausdruͤcklich widerſprochen; denn allenthalben iſt nur von einem einigen, nie von einem dreieinigen Gott die Rede.
Auffallend ſcheint es zwar, daß Moſes blos zeitliche Strafen und Belohnungen Gottes ſeinen Jſraeliten als Beweggruͤnde zur Froͤmmigkeit auf - ſtellte, und daß er nichts von einem Leben nach48 dem Tode erwaͤhnt, wo das Gute belohnt und das Boͤſe beſtraft, wo der Schlimmſte ſelbſt veredelt und zu beſſerer Erkenntniß gebracht, wo was Nacht und Dunkel hier war, im vollen Lichte erkannt wer - den ſoll. Jndeſſen waren die Juden vermuthlich zu tief geſunken, als daß er ſich von ſo uͤberſinn - lichen erhabenen Wahrheiten und Beweggruͤnden ei - nen vortheilhaften Einfluß haͤtte verſprechen koͤnnen. Daß er jene Grundſaͤtze ſtillſchweigend bei ihnen habe voraus ſetzen koͤnnen, iſt um ſo weniger glaub - lich, da ſelbſt ihr Koͤnig Salomo, das Nonplus - ultra aller irdiſchen und — juͤdiſchen Weisheit, die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele durchaus zu verwerfen ſcheint. Pred. Sal. Kap. 3. V. 18 — 22.
Moſes*)Wer uͤber ihn noch mehr zu leſen wuͤnſcht, dem empfehle ich Schillers geiſtvollen Aufſatz: die Sen - dung Moſis, im erſten Bande ſeiner kl. proſ. Schriften, und Beckers Weltgeſchichte, Band 1. hinterließ uͤbrigens den Juden nichts Schriftliches weiter, als ſeine Geſetze. Die fuͤnf Buͤcher, welche unter ſeinem Namen auf uns ge - kommen ſind, werden nur deßhalb nach ihm be - nannt, weil er die vorzuͤglichſte unter allen darin vorkommenden Perſonen iſt. Wie waͤre es auch denkbar, daß er in der Wuͤſte, wo er taͤglich mit einem halsſtarrigen, unzufriedenen, rohen Volke zu ſchaffen hatte, ſich mit der Sammlung von Gedich - ten und Volksſagen (denn dieſe bilden den Jnhalt49 des erſten Buches) und mit der Aufzeichnung ſeiner eigenen Geſchichte ſollte beſchaͤftiget haben? Wie haͤtte er wohl ſeinen Tod, ſein Begraͤbniß, und was bald darauf geſchah, beſchreiben koͤnnen? Joſua war gleichfalls nicht der Verfaſſer; als ſolcher wuͤrde er ſich ſchwerlich ſelbſt ſo geruͤhmt haben, wie es im fuͤnften Buche im 34ſten Kapitel V. 9 geſchieht. Dies Werk ward erſt in ſehr ſpaͤten Zeiten, viel - leicht von Esra, Nehemias oder einem andern juͤ - diſchen Geſchichtſchreiber, nach muͤndlichen Ueber - lieferungen und Sagen, vielleicht auch aus andern Schriften zuſammengetragen. Daß die Buͤcher Mo - ſes nicht ſo alt ſind, wie man gewoͤhnlich glaubt, ergiebt ſich uͤberdies daraus ſehr deutlich, daß Buch 1. K. 24. V. 11 einer Landſchaft in Aſien unter dem griechiſchen Namen Meſopotamien (Land immitten der Stroͤme) gedacht wird. Wie haͤtte ſchon Moſes wohl unter dieſem griechiſchen Namen eines Landes erwaͤhnen koͤnnen? Das waͤre gerade, als ob man eine Schrift, worin das Koͤ - nigreich Wuͤrtemberg mit ſeinem jetzigen Namen ge - nannt wird, dem Tacitus oder Julius Caͤſar zu - ſchreiben wollte! Auſſerdem wird Moſes nirgend als Verfaſſer jener Buͤcher angegeben. Jhr Werth beruhet ja auch nicht auf ihrem Alterthume, ſon - dern auf den Quellen, aus denen man ſchoͤpfte, und auf der Art, wie man dieſe Quellen benutzte. Beklagen muͤſſen wir freilich, daß Moſes und unſer goͤttlicher Erloͤſer uns nichts Ausfuͤhrliches von ei -50 gener Hand uͤber ihre Geſchichte, ihre Thaten und Lehren hinterlaſſen haben! Dann koͤnnten wir mit Freuden ganze Bibliotheken theologiſchen Wuſtes, die Beſchluͤſſe aller Konzilien und die Bullen aller heiligen Vaͤter in Rom, mit Omars Ausrufe, ins Feuer ſtecken.
Wer mit ſo viel Einſicht, wie Moſes ſelbſt die Hinderniſſe, welche ſich ſeinem Ziele entgegen ſtellen, als Mittel zu benutzen weiß, ſein Ziel zu erreichen, iſt gewiß ein großer, ein ſeltner Menſch. Daß er den Juden, wie ſeine Geſchichte uns lehrt, das Vorurtheil einpraͤgte: ſie allein waͤren das geliebte und auserwaͤhlte Volk Gottes; Jehovah waͤre blos ihr, aber keines andern Volkes guͤtiger Gott! war bei ſeinen Verhaͤltniſſen eben ſo politiſch als weiſe. Ohne dieſes Vorurtheil haͤtte er nimmermehr das feige, muthloſe, an Seele und Leib von Grund aus verderbte Volk aus dem Schlamme reißen und beſ - ſern, nie ihm den Muth einfloͤßen koͤnnen, einen eigenen ſelbſtſtaͤndigen Staat, ſey es auf friedliche Weiſe, oder mit dem Schwert in der Hand, ſich zu gruͤnden. Es wuͤrde untergegangen ſeyn, dies Volk in der entehrendſten Knechtſchaft, verabſcheuet von ſeinen Bedruͤckern, wie die Parias der Hin - dus. Jndeſſen war es ſehr zu bedauern, daß er fuͤr eine hoͤhere Veredlung, ein ſittliches und geiſti - ges Fortſchreiten, durchaus nichts that, oder — thun konnte, und ſogar einen Prieſterdespotismus be - gruͤndete, der immer noch ſchrecklicher iſt, als der51 Despotismus eines Caligula und Nero. Dieſer toͤdtet nur den Koͤrper; jener toͤdtet zugleich Koͤrper und Geiſt. Einen Caligula kann man erdolchen; ein Nero erdolcht ſich ſelbſt; aber wer vermag es einen reichen, maͤchtigen, durch den Aberglauben eines Volkes geheiligten Prieſterorden von vielen Tauſenden bei Seite zu ſchaffen? Oder wie ſollte es moͤglich ſeyn, daß eine ſolche Pfaffenkaſte jemals ſelbſt Hand an ſich legte, um die Menſchheit von ſich zu befreien?
Vor der babyloniſchen Gefangenſchaft hatten die Juden keine Synagogen und Schulen. Jhre ganze Gottesverehrung beſchraͤnkte ſich auf den bloßen Tempeldienſt. Anſtalten zum oͤffentlichen Unterrich - te fehlten ganz, woferne man nicht etwa die Pro - phetenſchulen hieher rechnen will, in welcher aber nur Leviten oder Prieſter gebildet, und beſonders im Traumdeuten, im Weiſſagen und Wahrſagen unterrichtet wurden. Nach der Ruͤckkehr aus der babyloniſchen Gefangenſchaft ſtiftete man Synago - gen und Schulen, in denen Vorleſungen aus den Buͤchern des alten Teſtaments gehalten wurden, die dann jeder Levit mit willkuͤhrlichen Erklaͤrungen und Zuſaͤtzen vermehrte. Dieſe Leviten, welche un - ter dem ganzen Volke zerſtreuet wohnten, erfanden immer mehr Satzungen und Vorſchriften, fuͤr deren Uebertretungen neue Opfer gebracht werden muß - ten, die ſie mit ihren Weibern und Kindern ver - zehrten. Eitele Fabeln und Maͤhrchen, weit un -52 ſinniger, als man ſie bei irgend einem heidniſchen Volke findet, wurden von den eigennuͤtzigſten Prie - ſtern ausgebruͤtet, und von dem dummen Volke ge - glaubt. So waren dann dieſe Schulen keineswe - ges Anſtalten zur Bildung und Aufklaͤrung des Volks; ſondern ſie dienten blos, das ungeheure Ge - baͤude des Aberglaubens und der Pfaffenherrſchaft noch ſtaͤrker zu befeſtigen, und die verworrenen Gei - ſter noch mehr zu verwirren.
Beſonders zeichnete ſich unter dieſen Verfinſte - rern der Rabbiner Hillel aus, welcher etwa 30 Jahre vor Chriſti Geburt Vorſteher des Sanhedrins zu Jeruſalem war, und allen Sagen und Satzun - gen das Anſehen goͤttlicher Offenbarungen zuſchrieb. Vergebens widerſetzte ſich ihm Schammai, der Stifter der Karaiten; Hillels Parthei ſiegte, und ſeine Familie erhielt ſich noch mehrere Jahrhunderte lang nach der Zerſtoͤrung Jeruſalems im Beſitze ho - her geiſtlicher Wuͤrden unter den Juden. Hillel legte alſo den Grund zu dem nachmaligen goͤttlichen Anſehen, welches der Talmud bis auf unſere Zei - ten bei den Jſraeliten behauptet.
Dieſe Sammlung rabbiniſcher Lehrſaͤtze, Schrift - auslegungen und Sagen ward jedoch weit ſpaͤter zuſammen getragen. Der traurige Zuſtand der Ju - den nach der Aufloͤſung ihres Staats durch die Roͤ - mer und der Wunſch, ihnen die muͤndlichen Ueber - lieferungen zu erhalten, veranlaßten den Rabbi Je - huda Hannaſi oder Juda den Heiligen (Rabbenu53 Hakkadoſch), welcher Patriarch und Vorſteher der Schule von Tiberias war, im Jahr 190 (n. Chr.) alle Erklaͤrungen und Sagen, die bis dahin aus den verſchiedenen Synagogen hervorgegangen wa - ren, zu ſammeln, und die Miſchna, welche jetzt den erſten Haupttheil des Talmuds bildet, daraus zu verfertigen. Die Miſchna ward in ſechs Seda - rim und dieſe wieder in ſechzig Maſſichtos abge - theilt, und im Jahr 219 n. Chr. von allen juͤdi - ſchen Synagogen angenommen. Jm J. 230 ver - faßte der Rabbi Jochanan einen zweiten Theil des Talmuds unter dem Titel: Gemara, welcher als Erklaͤrung und Ergaͤnzung der Miſchna anzu - ſehen iſt. Beide Werke, die Miſchna des Juda und die Gemara des Jochanan werden zuſammen der Talmud von Jeruſalem genannt, weil ihre Urheber ſich in Palaͤſtina befanden. Einen faſt eben ſo großen Ruhm, wie Juda der Heilige durch ſeine Miſchna, erwarb ſich Jochanan durch die Ge - mara bei den Juden. „ Wenn der ganze Himmel Papier, alle Baͤume Federn, alle Gewaͤſſer Tinte und alle Menſchen Schriftſteller waͤren, ſprechen die Hebraͤer, ſo wuͤrde es doch unmoͤglich ſeyn, die Verdienſte des Rabbi Jochanan wuͤrdig zu preiſen. ‟ Tadel und Lob der Jſraeliten beſtehen, bekanntlich in der Laͤnge und Breite. Um das Jahr 367 be - gann der Rabbi Asce oder Aſſe, Vorſteher der Schule zu Sora in Babylonien, gleichfalls eine Gemara, die aber bei ſeinem Tode (427 n. Chr.)54 noch nicht vollendet war. Sein Sohn Mar und ſein Nachfolger Maremar brachten dies Werk in drei und ſiebzig Jahren, denn vom J. 427 bis zum J. 500 arbeiteten ſie daran, voͤllig zu Stande. Dieſe letztere Gemara bildet nebſt der Miſchna Ju - da’s des Heiligen den Talmud von Babylon. Beide Talmude haben alſo nur Eine Miſchna, aber jeder ſeine beſondere Gemara. Die Miſchna iſt in hebraͤiſcher, die Gemara in verdorbener chaldaͤiſcher Sprache geſchrieben. Der Talmud von Jeruſalem iſt ſehr dunkel; deßhalb bedienen ſich die meiſten Juden des Babyloniſchen, und ſetzen, wenn ſie ſich auf den andern beziehen, das Wort Jeruſchalmi hinzu.
Obgleich ſie beiden Geſetzen, ſowohl dem ge - ſchriebenen im alten Teſtamente enthaltenen als dem muͤndlichen oder dem Talmud das Anſehen unmittelbarer goͤttlicher Offenbarungen zugeſtehen, ſo erheben ſie doch den Talmud ſehr hoch uͤber die Bibel. „ Die Bibel, ſagen ſie, gleicht dem Waſſer, die Miſchna gleicht dem Wein, und die Gemara dem gewuͤrzten Wein. Die Welt kann nicht ſeyn ohne Waſſer; die Welt kann nicht ſeyn ohne Wein; die Welt kann nicht ſeyn ohne gewuͤrzten Wein. Alſo kann die Welt auch nimmermehr ſeyn ohne Bibel, ohne Miſchna und Gemara. Die Bibel gleicht dem Salz, die Miſchna dem Pfeffer, die Gemara dem Gewuͤrz; die Welt kann nicht ſeyn ohne Salz; die Welt kann nicht ſeyn ohne Pfeffer;55 die Welt kann nicht ſeyn ohne Gewuͤrz. Ein rei - cher Mann wird mit allen dreien ernaͤhrt. Wer die Bibel ohne Miſchna und ohne Gemara liest, iſt gleich einem Menſchen, der keinen Gott hat. Die in der Bibel ſtudieren, thun etwas, das eine Tugend und auch keine Tugend iſt; die in der Miſchna ſtudieren, thun etwas, das eine Tugend iſt, und empfangen ihren Lohn; die aber in der Gemara ſtudieren, thun, was die hoͤchſte Tugend iſt*)M. ſ. die Talmudiſchen Schriften Maſſenheth So - pherim Kap. 15; Schaare orah; Bava Mezia; Lad Hakkemach; Schaare Zedeck.. Jn der That haben ſie Recht, die Talmudiſten, denn ſieht man auf die Menge und die Aben - theuerlichkeit des Wundervollen, welches in den drei Buͤchern uns aufbewahrt iſt, ſo iſt das alte Teſtament mit all’ ſeinen Unbegreiflichkeiten nichts als Waſſer gegen den Wein der Miſchna, und den gewuͤrzten Wein der Gemara. Bei einem Volke, wie die Juden, denen alles Widernatuͤrli - che, Wundervolle und Abentheuerliche glaubwuͤrdig, und um ſo glaubwuͤrdiger duͤnkt, je widernatuͤrli - cher, wundervoller und abentheuerlicher es iſt, darf es nicht befremden, daß die Miſchna und die Ge - mara eine ſo willige und glaͤubige Aufnahme fan - den. Allein dieſer uͤbertriebene Hang zum Wun - derbaren, dieſe Leichtglaͤubigkeit und Verlogenheit, welche ſich bei allen Juden offenbaren, berechtigen56 uns an allen Wunderdingen zu zweifeln, die uns von ihren heiligen Schriftſtellern erzaͤhlt, und nicht auf glaubhafte Weiſe von andern beſtaͤtiget wer - den. — —
Das ſchriftliche Geſetz, ſagen die Rabbiner,*)Joſeph Getakilia im Buch Schaare orah; Lar Hak - kemach; Laphtor Apherach; Medraſch miſchle. kann nicht erklaͤrt werden ohne das muͤndliche. Die - ſe beiden Geſetze haͤngen zuſammen, wie „ zwei jun - ge Rehzwillinge. ‟ Die Worte der Rabbiner ſind angenehmer, als die Worte der Propheten; das gewoͤhnliche Geſpraͤch eines Rabbiners iſt dem gan - zen Geſetz gleich. Wer mit einem Rabbiner an ei - nem Tiſche ſpeist, oder ihn zu Gaſte bittet, oder ihm ſeine Tochter zum Weibe giebt; dem wiederfaͤhrt ſo viel Gnade, als ob er den Glanz der goͤttli - chen Majeſtaͤt ſelbſt genoͤße! **)Buch Laphtor Apherach und Berahoth.
Wenn ein chriſtlicher Pabſt, Biſchof oder Abt mir das Letztere von ſich ruͤhmte, ſo wuͤrd’ ich’s glauben; aber ein ſchmutziger Rabbiner — Fi donc!
Moſes empfieng uͤbrigens nach der Lehre der Talmudiſten das Geſetz nicht auf dem Berge Sinai, ſondern im Himmel ſelbſt. „ Zu jener Zeit, heißt es, als Moſes, unſer Lehrmeiſter, auf welchem der Friede ſey, in die Hoͤhe (in den Himmel) fah - ren ſollte, kam eine Wolke, und legte ſich vor ihmnieder.57nieder. Er wußte jedoch nicht: ob er darauf fah - ren, oder ſich daran halten ſollte; gleich oͤffnete ſich die Wolke; er trat hinein, und wandelte im Him - mel, wie man auf Erden wandelt; denn es ſteht im Geſetz (2 B. Moſ. 24. 18). Und Moſes gieng mitten in die Wolke. Als ihn aber der Thuͤrhuͤ - ter, Remuel, der Engel, welcher den zwoͤlftauſend Engeln des Verderbens vorgeſetzt iſt, antraf, re - dete derſelbe ihn mit barſchen Worten an: Was haſt du Sohn Amrams hier in der Wohnung der Engel des Feuers zu thun? — Jch bin mit Erlaubniß des hochgelobten, heiligen Gottes hieher gekommen, erwiederte Moſes, um fuͤr die Kinder Jſrael das Geſetz zu holen. Der Engel wollte ihn aber nicht gehen laſſen, da ſchlug ihm Moſes eine Wunde, und vertilgte ihn von der Welt. Hierauf gieng er weiter und begegnete dem Engel Hadarniel. Dieſer iſt ſechsmalhunderttauſend Meilen groͤßer, als der vorige, und mit jedem Worte fahren zwoͤlf - tauſend Blitze aus ſeinem Munde. Als er den Moſes erblickte, fuhr er mit rauhem Tone ihn an: Was haſt du Sohn Amrams hier in der Wohnung der obern Heiligen zu ſchaffen? Moſes erſchrack, Thraͤnen rannen von ſeinen Wangen, und er waͤre von der Wolke herabgeſtuͤrzt, haͤtte nicht der hoch - gelobte, heilige Gott ſich ſeiner erbarmt, und den Hadarniel mit den Worten bedrohet: Von dem Ta - ge eurer Schoͤpfung an ſeyd ihr Zaͤnker geweſen. Als ich den Menſchen erſchaffen wollte, klagtet ihrI. Baͤndchen. 858von mir und ſprachet: Was iſt der Menſch, daß du ſein gedenkſt! Drum ward ich zornig uͤber euch und verbrannte euch Schaarenweiſe mit meinem klein - ſten Finger. Und nun zankt ihr mit dem, der in meinem Hauſe getreu iſt, und den ich hieher be - ſchied, um das Geſetz zu empfangen und es mei - nen auserwaͤhlten Kindern zu bringen? Wahrlich, wenn das Geſetz nicht waͤre, welches ich den Jſrae - liten geben will, ſo haͤttet ihr keine Wohnung im Himmel. „ Du Herr der Welt, erwiederte Hadar - niel, du weißt ja, mir war es nicht bekannt, daß er mit Deiner Erlaubniß hieher gekommen iſt. ‟ Jetzt will ich ſein Fuͤhrer ſeyn, und vor ihm hergehen, wie ein Juͤnger vor ſeinem Meiſter. Hierauf lief Hadarniel, ſich vor Moſes verneigend, voraus bis zu dem Feuer des Engels Sandolfon. Da ſprach er zu Moſes: Gehe zuruͤck! Jch kann mich vor dem Feuer des Sandolfon nicht aufhalten; ſonſt ver - brenne ich mich. Als Moſes nun den letztern er - blickte, entſetzte er ſich, fieng an zu weinen und wollte von der Wolke fallen. Allein Gott erhoͤrte ſein Flehen um Barmherzigkeit aus Liebe zu ſeinem Volke Jſrael. Er ſelbſt ſtieg von dem Throne ſei - ner Herrlichkeit herab, und ſtellte ſich ſo vor Mo - ſes hin, bis dieſer vor des Sandolfons Feuer vor - uͤber gegangen war. Darum ſteht geſchrieben (2 B. Moſ. 34. V. 6). Und da der Herr vor ſeinem Angeſicht voruͤber gieng, rief er. Hierauf kam Mo - ſes zu dem Rigion, dem Fluß des Feuers deſſen59 Kohlen die dienſtbaren Engel brennen, und in wel - chem ſie alle ſich waſchen. Er entſpringt aus dem Schweiße der Thiere unter dem Throne der Herr - lichkeit. Gott fuͤhrte den Moſes jedoch ſchnell vor - uͤber; da begegnete ihm Galizur, mit dem Beina - men Raſiel, und Moſes zitterte, als er ihn ſah. Gott nahm ihn und trug ihn gleichfalls vorbei, aber nun traf er auf eine große Schaar der Engel des Schreckens, welche den Thron der Herrlichkeit umgeben. Sie ſind die ſtaͤrkſten und maͤchtigſten aller Engel, und wollten ihn mit dem gluͤhenden Athem ihres Mundes verbrennen, weil er das Geſetz begehrte, welches ſie im Himmel fuͤr ſich behalten wollten. Gott breitete jedoch augenblicklich den Glanz ſeiner Herrlichkeit uͤber ihn aus, und ſprach: Gieb ihnen Antwort, da ſie das Geſetz fodern! Moſes ſagte ihnen: Jm Geſetz ſtehet geſchrieben: ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Aegyptenland gefuͤhrt hat. Habt ihr, Engel, denn in Aegypten gedient, und ſeyd frei heraus gegangen, daß ihr des Ge - ſetzes beduͤrfet? Das Geſetz ſpricht: Du ſollſt keine andere Goͤtter haben. Wo habt ihr denn Abgoͤtter unter euch? Es ſagt ferner: Du ſollſt den Namen deines Gottes nicht unnuͤtz fuͤhren. Treibet ihr ir - gend ein Gewerbe, daß ihr Eide zu ſchwoͤren braucht? Jm Geſetze ſteht: Gedenke des Sabbaths, daß du ihn heiligeſt! Arbeitet ihr etwa, daß ihr am Sab - bath ruhen muͤßt? Es ſteht im Geſetze: Ehre dei -8 *60nen Vater und deine Mutter. Habt ihr denn El - tern, die ihr zu ehren verpflichtet ſeyd? Es heißt: Du ſollt nicht toͤdten! Jſt etwa Blutvergießen un - ter euch? Das Geſetz befiehlt: Du ſollt nicht ehe - brechen. Habt ihr Weiber, daß ihr deſſen beduͤrf - tet? Es gebietet: du ſollſt kein falſch Zeugniß re - den wider deinen Naͤchſten! Jſt falſch Zeugniß un - ter euch, weshalb ihr das Geſetz begehrt? Endlich heißt es: Laß dich nicht geluͤſten! Wo habt ihr aber Haͤuſer, Aecker, Weinhuͤgel und dergleichen, daß ihr das Geſetz haben muͤßtet? *)Man ſieht, daß Moſes viel vernuͤnftiger war, als die heiligen Engel alle mit einander.
Darauf entſagten alle dienſtbare Geiſter ihrer Foderung, und lobten Gott mit den Worten: Herr unſer Herrſcher! Wie herrlich iſt dein Name in allen Landen, der du erhebeſt deine Majeſtaͤt uͤber die Himmel. Und Gott lehrte den Moſes das Ge - ſetz in vierzig Tagen**)Vierzig Tage, die Moſes gleichfalls angiebt, iſt freilich ſehr lange Zeit zum Lernen der zehen kur - zen Gebote. Allein die ſteinernen Tafeln, worauf ſie eingegraben wurden, mußten auch erſt gemacht ſeyn..
Als nun Moſes wieder herunter fuhr, und ſahe, wie ſchrecklich die Engel der Furcht, die Engel des Schweißes, die Engel des Bebens und die Engel des Zitterns waren, uͤberfiel ihn ploͤtzliche Angſt, und er vergaß das ganze Geſetz in einer Stunde. 61Gott rief aber gleich den Jefifja, den Engel des Geſetzes (Juſtitzminiſter oder Profeſſor Juris), der gab dem Moſes das Geſetz wohl geordnet und be - wahrt, und alle Engel wurden ſeine Freunde; je - der ſchenkte ihm etwas von Arzneiſachen*)Die Engel ſind alſo wahrſcheinlich Apotheker., und auch das Geheimniß der Namen, die aus jeglicher Paraſcha oder Abtheilung des Geſetzes herauskom - men, nebſt einer Anleitung, wie man ſich derſelben bedienen kann. Daher wird Pſalm 68. V. 19 ge - ſagt: Du biſt in die Hoͤhe gefahren und haſt die Gefangenen gefangen gefuͤhrt, und haſt Gaben empfangen. Der Engel des Todes theilte dem Mo - ſes gleichfalls etwas mit, denn es ſteht 4 B. Moſ. 16 V. 47 geſchrieben, „ und er raͤucherte und ver - ſoͤhnte das Volk. ‟ **)Was der Engel des Todes dem Moſes ſchenkte, war nach dem Geruch der Juden zu urtheilen, die damit geraͤuchert wurden, wahrſcheinlich Assa foe - tida. Die Anleitung zum Ge - brauche der Namen, die aus dem Geſetze gekom - men, ließen ihm die Engel durch den Jefifja, den Engel des Geſetzes, und durch den Metatron, den Fuͤrſten des Angeſichts geben; er gab ſie wieder dem Elieſer, und Elieſer ſeinem Sohn Pinehas, welcher ein großer und vortrefflicher Prieſter war. ‟
„ Weil nun Moſes am Donnerſtage gen Him - mel fuhr und am Montage wieder mit dem Ge - ſetze zuruͤck kam, ſo iſt es Pflicht jedes frommen62 Juden, an dieſen beiden Tagen mehr, als an den uͤbrigen zu beten. ‟
Jndeſſen findet man, wie dies auch in andern heiligen Buͤchern der Fall iſt, manche Widerſpruͤche unter den Talmudiſten. Rabbi Elieſer zum Bei - ſpiel laͤßt den Moſes nicht in einer Wolke gen Him - mel fahren, ſondern als Gott ſich auf dem Sinai den Jſraeliten offenbarte, wurde der Berg aus ſeiner Lage herausgeriſſen, der Himmel oͤffnete ſich, und der Gipfel des Sinai ſtieg mit Moſes in den Himmel hinein. Gott ſelbſt ſaß auf ſeinem Thron, und ſeine Fuͤße ruheten auf der Finſterniß, womit der Berg bedeckt war. Rach Rabbi Jsmaels Ver - ſicherung, dem es der Engel Metatron ſelbſt er - zaͤhlt hat, lernte Moſes waͤhrend der vierzig Tage im Himmel nicht allein das Geſetz, ſondern auch die ſaͤmtlichen Schriften des alten Teſtaments in ſiebenzig Sprachen und auf ſiebenzig verſchiedene Arten auswendig. Er vergaß aber alles in einer einzigen Stunde, und Gott ſandte ihm den Engel Jefifja, um ihn aufs Neue in die Schule zu neh - men. Man weiß nicht, ob man mehr die ſchnelle Faßungskraft oder das kurze Gedaͤchtniß des heili - gen Mannes bewundern ſoll.
Das Geſetz war uͤbrigens ſchon lange vor Er - ſchaffung der Welt vorhanden. Als Moſes in den Himmel kam, fragten naͤmlich die Engel den Herrn: Was will der von einem Weibe geborne unter uns? 63Gott antwortete ihnen: Er will das Geſetz holen! Und du willſt, ſprachen ſie, das ſchoͤne Geſetz, wel - ches ſchon ſeit neun hundert vier und ſiebenzig Al - tern vor Erſchaffung der Welt bei uns verwahrt wird, dem Fleiſch und Blut geben? Was iſt der Menſch, daß Du ſein gedenkſt?
Nicht weniger eiferſuͤchtig, als die Engel im Himmel, waren die irdiſchen Berge auf das Ge - ſetz; „ denn als der heilige hochgelobte Gott hernie - der kam, um es auf dem Berge Sinai ſeinem aus - erwaͤhlten Volke zu geben, da liefen die Gebirge und ſtritten mit einander. Einer ſprach: Auf mir ſoll es gegeben werden! Der andere rief: Nein, auf mir ſoll es geſchehen. Der Berg Tabor kam von Beth-Elim, und der Berg Carmel aus Spa - nien uͤber das Meer, und darum ſchreibt auch der Prophet Jeremias (Kap. 46. V. 18): So wahr ich lebe, ſpricht der Herr; wie der Berg Tabor unter den Bergen, und der Berg Carmel uͤber das Meer geht! Einer rief: ich bin berufen; der andre: nein, ich bins! Aber der heilige hochgelobte Gott antwortete ihnen: Warum ſpringt ihr huͤgelichten Gebirge! Jhr ſeyd allzumal hoͤckericht! Wißt ihr nicht, was geſchrieben ſteht im 3 B. Moſ. K. 21. V. 20: was hoͤckericht oder unrein iſt? Auf allen euren Gipfeln ward Abgoͤtterei getrieben; aber auf dem Berge Sinai iſt keinen fremden Goͤttern ge - opfert; darum heißt es Pſalm 68. V. 17: Dies64 iſt der Berg, auf welchem Gott Luſt hat zu ſitzen! ‟*)Bereſchith rabba, Paraſchah 99 uͤber die Worte Pſ. 68. V. 17; Jalkut Schimoni uͤber das Buch der Richter.
Man ſieht, daß es bei der Gebung des Ge - ſetzes auf dem Sinai noch weit wunderbarer her - gieng, als ſelbſt in den Buͤchern Moſis erzaͤhlt wird; und da Wunder und widernatuͤrliche Bege - benheiten doch einmal die beßten Beweiſe fuͤr die Goͤttlichkeit einer Schrift oder eines Geſetzes ſind; ſo wird wohl kein Vernuͤnftiger die Wahrheit und Goͤttlichkeit des Talmuds bezweifeln.
Die Jſraeliten ſelbſt wurden, nach ihrer Behaup - tung von Gott zur Annahme deſſelben gezwungen. Man hoͤre und urtheile!
Jm zweiten Buch Moſes K. 19. V. 17 heißt es: Und ſie (die Juden) traten unten an den Berg. „ Dieſe Worte lehren uns, ſagt der Raf Dimi, des Chama Sohn**)Jn der talmudiſchen Schrift: Huoda Sara., daß der heilige hochgelobte Gott den Berg, wie einen Zuber uͤber die Jſraeli - ten gedeckt und ihnen geſagt habe: werdet Jhr das Geſetz annehmen, gut; wo nicht, ſo ſoll hier euer Grab ſeyn. Jn der chaldaͤiſchen Ueberſetzung lau - tet dieſer Vers: Und Moſes fuͤhrte das Volk aus dem Lager der Majeſtaͤt Gottes entgegen. Da riß der Herr der Welt ploͤtzlich den Berg Sinaiaus65aus der Erde und hob ihn hoch in die Luft. Der Berg aber glaͤnzte wie ein Spiegel, und die Juden ſtanden unter demſelben. ‟
Auf ſolche Weiſe war es freilich kein Wunder, daß ſie ſowohl das muͤndliche, als das ſchriftliche Geſetz annahmen.
Die Urſachen, warum Gott ihnen das muͤnd - liche Geſetz nicht gleichfalls ſchriftlich gab, ſind nach den Erzaͤhlungen der glaubwuͤrdigſten Talmudiſten folgende:
1) Als der heilige hochgelobte Gott ſich auf den Sinai hernieder ließ, um den Jſraeliten das Ge - ſetz zu offenbaren, ſagte er es dem Moſes nach der Ordnung der Bibel, der Miſchna, der Gemara und der Aggada*)Der Kabbaliſtiſchen Schriftanslegungen und Maͤhr - chen.. Als Moſes nun alles aus Gottes Munde gelernt hatte, ſprach er: Du Herr der Welt, ich will es ihnen aufſchreiben! Gott aber antwortete: Nicht ſchriftlich will ich es ihnen geben, denn ich weiß, daß die Gojim einſt uͤber ſie herr - ſchen und es ihnen wegnehmen werden. Die Bibel ſollen ſie ſchriftlich, die Miſchna, die Gemara und die Aggada aber blos muͤndlich empfangen.
2) Sahe Gott voraus, daß die Juden unter die Voͤlker der Welt wuͤrden zerſtreuet werden; deß - halb gab er ihnen blos die Bibel ſchriftlich, damit nicht das muͤndliche Geſetz gleichfalls von den Go - jim in ihre Sprachen uͤberſetzt werden moͤchte.
I. Baͤndchen. 9663) Ließ er das muͤndliche Geſetz darum nicht ſchreiben, weil es laͤnger iſt, als die Erde. Jn der Bibel wollte er ſeinem Volke nur einen kur - zen Auszug aus dieſem langen Geſetze geben. Das letztere bleibt aber immer das Hauptwerk, in deſſen Hinſicht auch der Bund Gottes mit den Jſ - raeliten gemacht worden.
Aus dieſen Proben kann man die Weisheit des Gottes Abrahams, Jſaaks und Jakobs erkennen; denn waͤre das muͤndliche Geſetz fruͤher, als es ſeit Rabbi Juda des Heiligen Zeit geſchah, niedergeſchrie - ben, ſo waͤre es gewiß ſchon laͤngſt in alle aͤltere und neuere Sprachen der Welt uͤberſetzt; die Go - jim haͤtten es gleichfalls gelernt, und welche Men - ge von chriſtlicher Konterbande waͤre dann in das Paradies eingeſchwaͤrzt worden!
Das Geſetz muß man ſehr hoch in Ehren hal - ten. „ Unſere Rabbinen geſegneten Andenkens leh - ren: Wer in dem Hohenliede Salomons einen Vers liest und ein Liedchen daraus macht, oder wer in einem Hauſe, worin man ein Gaſtgebot giebt, zur Unzeit einen Vers darin liest, der bringt ein Un - gluͤck in die Welt. Das Geſetz legte einſt einen Sack an, trat vor den heiligen hochgelobten Gott und ſprach: O Herr der Welt, deine Kinder ha - ben mich zu einer Zitter gemacht, auf welcher die Heiden ſchlagen und ſpielen. Gott erwiederte: Mei - ne Tochter, womit ſollen ſie ſich erfreuen, wenn ſie eſſen und trinken? Herr der Welt, wenn ſie in67 der Bibel gelernt haben, ſo ſollen ſie mit dem Ge - ſetz „ den Propheten und den uͤbrigen heiligen Schrif - ten umgehen. Haben ſie aber die Miſchna ſtudiert, ſo ſollen ſie mit der Miſchna umgehen ‟*)S. das Buch Sanhedrin.. Das Geſetz weint auch uͤber diejenigen, welche es lehren und lernen, wenn ſie ſterben. Das talmudiſche Buch Chagiga ſaß ſogar einſt in Geſtalt einer al - ten Frau am Wege, weinte bitterlich und ſprach mit den Voruͤbergehenden**)Menorath hammaor, Kap. 5, Titel Ner ſcheliſchi, kelal ſchemmi u. ſ. w..
Da das Geſetz uns noch oͤfter begegnen wird, ſo gehen wir zu einem andern Gegenſtande uͤber.
Die Hebraͤer ſind mehr zum Gruͤbeln, als zum Denken geboren. So wie die Schnecke feſt an dem einzelnen Laubblatt klebt, woraus ſie ihren Nah - rungsſaft ſaugt, ohne jemals den Zweig, an wel - chem es haͤngt, oder gar den Baum uͤberſchauen zu wollen; ſo klebt der Gruͤbler am einzelnen Wort, am Buchſtaben, an Zahlen, an ſymboliſchen Zei - chen. Spitzfindigkeiten, die er auf eine klein-kuͤnſt - leriſche Weiſe, und ohne ſich darum zu bekuͤmmern: ob ſie mit dem Ganzen in Verbindung und Ein - klang ſtehen, herauszwingt, ſind ſeine Wonne, ſeine Luſt, der einzige Nahrungsſaft ſeines Geiſtes. Schwerfaͤllig und befangen in dem eigenen engen Haͤuschen ſeines Wahns, wie die Schnecke, haͤlt er, gleich ihr, den vergifteten Honigthau ſeines Laubblatts fuͤr den wohlthaͤtigen balſamiſchen Saft des Blatts ſelbſt. Der Denker klebt nicht, wie die traͤge Schnecke am Laubblatt; er will den ganzen Baum uͤberſchauen in allen ſeinen Theilen; er ergruͤndet ſeine Wurzel, ſteigt hoch zum Gipfel hinauf, er - forſcht Zweige, Blaͤtter, Bluͤthen und Fruͤchte, um69 ihre Verbindung und ihren Zuſammenhang, ſo wie die Ordnung des Ganzen kennen zu lernen.
Jch behauptete ſo eben, die Juden waͤren ge - borne Gruͤbler, aber keine Denker. Man ſetze mir nicht einzelne Schriftſteller dieſes Volkes entgegen, die ſich — wenigſtens dem Anſcheine nach — als Denker zeigten. Selbſt ihr beſter Kopf, Bene - dikt Spinoza, in gleichem Grade von Chriſten und Juden verkannt, war Gruͤbler, ehe er ſich zum Denker erhob, und war haͤufig noch Gruͤbler, als er ſchon Denker war. *)Mehr als einmal las ich mit der angeſtrengteſten Aufmerkſamkeit ſeine Schriften, und faßte doch ſein Syſtem groͤßtentheils ganz ſalſch, bis ich in Her - ders vortrefflichen Dialogen: Seele und Gott, Spinoza’s Lehre mit lichtvoller Klarheit entwickelt fand. Gewiß iſt mancher ein Spinoziſt geſcholten worden, der eben ſo wenig, wie ſein Gegner, und eben ſo wenig, wie ich, vor Leſung der Herderſchen Schrift, Spinoza’s Werke verſtanden hatte.Den geringern Troß neujuͤdiſcher Philoſophen kann ich faſt uͤbergehen. Theils mochten ſie nicht einmal aͤchtiſraelitiſcher Herkunft ſeyn; theils war ihre philoſophiſche Bil - dung keine reinjuͤdiſche mehr. So ward zum Bei - ſpiel Mendelsſohn durch Leßing, Abbt, Nicolai, Sulzer u. a. erſt umgebildet, und vom Gruͤbeln zum Denken gebracht; und dennoch blieb er be - kanntlich, bis an ſeinen Tod ein talmudiſcher, mehr gruͤbelnder, als denkender Grillenfaͤnger.
70Laßt uns dagegen einen Blick werfen auf die juͤdiſchen philoſophiſchen Schriftſteller der Urzeit. Hier treffen wir nichts, was uns die Juden als eigent - liche Denker, Manches aber vielleicht, was ſie als Gruͤbler uns zeigt. Vier Sammlungen moraliſcher Aphorismen, von denen nur zwei in den Kanon aufgenommen ſind, und gerade die beſte und geiſt - vollſte — jene von Jeſus Sirach*)Gott weiß, warum man nicht das Buch Jeſus Sirachs, ſtatt des Hohenliedes des Salomo in den Kanon aufnahm! Das Liebespaͤrchen, welches in dieſem lyriſch-dialogiſchen Gedichte — denn ein Dra - ma iſt es nicht — redet, ſpricht wahrlich oft, als ob es in den Kohlhoͤfen von Leipzig aufgebluͤhet, und bei den Bernhardinerinnen in Berlin gebildet waͤre. Man ſehe nur das ſiebente Kapitel und Ka - pitel 8. V. 8 — 10, ſo wie mehrere andere Stel - len. Dies Gedicht ſoll Weiſſagungen von unſerm Heiland enthalten! Ein ſauberer Prophet, der ſei - ne Verkuͤndigungen in ein ſo ſchluͤpfriges Gewand einkleidete, wodurch jeder Vater abgeſchreckt werden muß, ſeiner unſchuldigen Tochter, ſeinem noch un - verderbten Sohn das alte Teſtament in die Haͤnde zu geben. Sollte man glauben, daß man ohne das Hohelied, nicht Weiſſagungen genug von unſerm Heilande behielte, ſo verpflichte ich mich hiedurch gegen die hohe Geiſtlichkeit aller fuͤnf chriſtlichen Hauptkonfeſſionen, in dem Buch Sirach weit meh - rere und weit deutlichere Weiſſagungen von Chri - ſtus, und wenn es begehrt wird, auch vom großen Chriſtoph nachzuweiſen, als man jemals im Hohen - liede gefunden hat. — unter die71 apokryphiſchen Buͤcher verwieſen wurde, ſind die einzigen Denkmale altjuͤdiſcher Philoſophie, das Ein - zige, was die Jſraeliten ſelbſt werth hielten, auf - zubewahren. Viele dieſer Sittenſpruͤche kann man von jedem Muͤtterchen am Spinnrocken hoͤren. Mit Ausſchluß mehrerer Abſchnitte im Sirach (m. ſ. zum Beiſpiel Kapitel 41) findet man in keinem der uͤbri - gen etwas tief und zuſammenhaͤngend Gedachtes; nirgend herrſcht auch nur ein Schatten von ſyſte - matiſcher Ordnung; alles liegt ſo bunt durch ein - ander, wie die alten Kleider in der Bude eines juͤdiſchen Troͤdlers. Hiemit beſtreite ich uͤbrigens keinesweges die Goͤttlichkeit und Vortrefflichkeit die - ſer Buͤcher. Sie enthalten eine Menge herrlicher, gemeinfaßlicher Ausſpruͤche, viele recht zweckmaͤßige Vorſchriften fuͤr das buͤrgerliche und ſittliche Leben, und manche treffende feine Bemerkungen; allein ich betrachte ſie in der gegenwaͤrtigen Beziehung und im jetzigen Augenblick auch nicht als goͤttliche Buͤcher, wofuͤr ich ſie uͤbrigens von Herzen gern anerkenne, ſondern als blos menſchliche Denkmale der juͤdiſchen Art zu philoſophiren.
Leſet hingegen die Werke eines Plato und Ari - ſtoteles, eines Cicero und ſelbſt eines Seneca, die theils ganze Syſteme philoſophiſcher Wiſſenſchaften, theils zuſammenhaͤngende Abhandlungen einzelner Theile derſelben ſchrieben! Welche Richtigkeit in der Folge ihrer Gedanken und Schluͤſſe! Welch’ eine ſchoͤne Verbindung, welche Ordnung in ihren Wer -72 ken! Wie weit bleibt der Gruͤbler hinter dem Den - ker zuruͤck! Jener dreht ſich poſſierlich, wie ein Krei - ſel, um einen einzigen unbedeutenden Punkt, bis er endlich ermattet darniederſinkt; dieſer geht mit fe - ſtem, ernſten Schritte von einem beſtimmten Stand - punkte aus zu einem vorgeſteckten Ziel, zeigt uns unterweges jeden Baum und jedes Bluͤmchen, das wir beruͤhren, raͤumt jeden Stein hinweg, den er zu heben vermag, oder umgeht ihn mit uns auf ſelbſt gebahntem Pfade, um ſein Ziel zu erreichen.
Mehr als alle andere Orientaler werden die gruͤbelnden Juden von einem leidenſchaftlichen Han - ge zum Wunderbaren und Geheimnißvollen beherrſcht. Um ſo weniger darf es befremden, daß weder die Natur und die Ausſpruͤche des Herzens als Er - kenntnißquellen, noch die Vernunft als Erkennt - nißmittel bei ihnen etwas gelten. Den Erzaͤhlungen und Lehren ihrer heiligen Schriften, inſofern ſie nichts Uebernatuͤrliches, ſondern blos einfachen ge - ſunden Menſchenverſtand enthalten, muß noch ein geheimnißvoller, uͤbernatuͤrlicher Sinn untergelegt werden, um ihnen das Anſehen goͤttlicher Mitthei - lungen zu geben. Ja, das Unglaubliche ſelbſt muß bis zum Unglaublichſten geſteigert wer - den, wenn es einem Juden glaubwuͤrdig ſchei - nen ſoll, und hiezu bedienen ſie ſich mehrerer Zweige der Kabbala.
Mit dem Worte Kabbala verbindet man verſchiedene Begriffe. Urſpruͤnglich bedeutet es ſo73 viel als empfangen, und in dieſem Sinn ver - ſteht man die, durch muͤndliche Ueberlieferung fort - gepflanzte Lehre, welche die Hebraͤer nach ihrer Behauptung von ihren Vorfahren, und dieſe un - mittelbar von Gott empfangen haben. Hiernach wird alſo die Thorah Schaͤbeal-peh (das muͤnd - liche Geſetz) mit darunter begriffen.
Ferner nennt man Kabbala eine myſtiſche juͤ - diſche Philoſophie, die theils zur Auslegung der Bibel dienen, theils eine Anleitung enthalten ſoll, wie man durch den Gebrauch der, in der heiligen Schrift enthaltenen goͤttlichen und andern Namen und Worte uͤbernatuͤrliche Dinge bewirken koͤnne.
Die Kabbala wird eingetheilt in die theoreti - ſche und die praktiſche. Die erſtere zerfaͤllt wieder in die buchſtaͤbliche, kuͤnſtliche oder ſymbo - liſche und in die reelle, ungekuͤnſtelte oder philoſo - phiſche.
Die buchſtaͤbliche oder ſymboliſche Kab - bala (Cabbala literalis s. symbolica) hat wieder - um drei Unterabtheilungen: a) die geometriſche (von den Juden Gematria nach dem Griechiſchen Geometria genannt); b) die Kabbala Notari - kon, und c) die Temurah. Die philoſophi - ſche oder reelle Kabbala wird eingetheilt a) in Bereſchith, welche das, was die Juden zur Phyſik rechnen, und b) in Mercavah, welche das, was bei ihnen fuͤr Metaphyſik gilt, enthaͤlt.
Die beigefuͤgte Tabelle wird den Leſern zum74 ſchnellern Ueberblick der verſchiedenen Eintheilungen dieſer erhabenen Wiſſenſchaften dienen:
Alle drei Zweige der buchſtaͤblichen oder ſymbo - liſchen Kabbala haben eine kuͤnſtliche Auslegung der heiligen Schrift durch Spielereien mit Buchſtaben, Woͤrtern und Zahlen zum Gegenſtande. Wir be - trachten zuerſt die geometriſche Kabbala (Ge - matria).
Bekanntlich gebrauchen die Hebraͤer ihre Buch - ſtaben zugleich als Zahlen, und dies gab ihnen Gelegenheit zu manchen Auslegungen der heiligen Schrift, die man in dem eigentlichen Sinn der Worte nicht findet. Weil z. B. 1 B. Moſ. Kap. 1. V. 1 der Buchſtabe Aleph, welcher tauſend bedeu - tet ſechsmal, und im zweiten Buche der Chronica Kap. 36. V. 23 wiederum ſechsmal vorkoͤmmt, ſo ſchließen ſie: die Welt, welche nach der juͤdiſchen Mythologie in ſechs Tagen erſchaffen worden, wer - de ſechstauſend Jahre ſtehen. Ferner ſehen ſie bei dieſer Art der Kabbala auf die Groͤße und Lage der Buͤchſtaben, welche ſie Zuriith nennen; oft iſt naͤmlich im hebraͤiſchen Text ein Buchſtabe groͤßer, als der andere geſchrieben, und daraus wird dann gleichfalls eine geheime Deutung gemacht. So wie man die Buchſtaben, dort wo ſie dem Verſtande nach, blos Buchſtaben vorſtellen ſollen, fuͤr Zahlen nimmt; ſo betrachtet man ſie im umgekehrten Falle dort, wo ſie als Zeichen von Zahlen ſtehen, wie - derum als Buchſtaben, und auf dieſe Weiſe bildet76 man aus den, in der Bibel angegebenen Zahlen des Hoͤhen - und Laͤngenmaßes der Gebaͤude u. ſ. w. Namen oder Worte, aus denen man einen verbor - genen Sinn folgert, wovon jedoch der Wahrheit nach keine Sylbe in der Stelle ſelbſt enthalten iſt.
Die notariſche Kabbala (Notarikon) ward nach den Notarien, welche freilich nicht Erfinder derſelben waren, ſo genannt. Man bedient ſich ihrer gleichfalls auf verſchiedene Art. Oft nimmt man jeden Buchſtaben eines Worts fuͤr den An - fangsbuchſtaben eines andern z. B. Tauſch: Traue Allen Unſern Schoͤnen; Bern: Bedenke Erſt, Re - de Nachher. *)Ein Churfuͤrſt von Bayern, welcher aber wohl nicht die Kabbala ſtudiert haben mochte, ſchrieb einſt an eine Fenſterſcheibe das Wort Namur, und aͤußerte gegen ſeine Hofleute, daß er dieſes ſich wuͤnſchte! Man wunderte ſich uͤber dies ſonderbare Verlangen, da Namur ſo weit von ſeinen Staaten entfernt ſey. Nun machte er aber ſeine Auslegung: nicht Namur, ſondern Nuͤrnberg, Augsburg, Mann - heim, Ulm und Regensburg moͤchte er haben. Ein Wunſch, der ſeinen Nachfolgern zum Theil erfuͤllt ward.Oder man bedient ſich blos der Anfangsbuchſtaben einzelner oder mehrerer Woͤrter als Anfangsbuchſtaben von andern z. B. Am An - fang Schuf Gott Himmel Und Erde: Als Alles Schlief Gieng Hans Und Ernſt; oft gebraucht man bloße Namen hiezu z. B. Wilhelm Scheerer, Wirk -77 licher Spion, Weiſer Salomon. Dieſe Art die Kabbala anzuwenden heißt Raſche Theboth. Wenn man hingegen die End buchſtaben von Na - men und Woͤrtern zu Anfangs buchſtaben von andern nimmt z. B. Drapeau blanc; Un Coquin, Une Canaille oder Napoleon Bonaparte, Nouvelle Ere ſo heißt es Sophe Theboth.
Die Temurah, die dritte Art der ſymboliſchen Kabbala, beſteht in einer Verwechslung oder Ver - tauſchung der Buchſtaben, wovon ſie ihren Namen hat. Dieſe wird ausgeuͤbt 1) durch bloße Verſez - zung der Buchſtaben z. B. Emma: Amme - oder Gras: Sarg: 2) Durch Vertauſchung des An - fangsbuchſtaben mit einem andern z. B. Meklen - burg, Teklenburg; Rudolph, Ludolph. 3) Durch Vertauſchung und Verſetzung der Buchſtaben zu - gleich (auf eine gemiſchte Weiſe). Hier theilt man das ganze Alphabeth in zwei gleiche Theile und ſchreibt ſie der Ordnung nach in zwei Zeilen uͤber einander. Dies wird Albam genannt. Aus die - ſen beiden Buchſtabenzeilen nimmt man abwechſelnd diejenigen Buchſtaben, welche in der Stelle, die man auslegen will, enthalten ſind, und ſetzt ſie in Woͤrter zuſammen. Es bleibt der Willkuͤhr uͤber - laſſen, ob man bei der unterſten oder oberſten Zeile anfangen, ob man von der rechten zur lin - ken, oder von der linken zur rechten Hand die Buchſtaben ausheben will. Mit dieſer Verwechſe - lung der Buchſtaben laͤßt ſich die ſo eben erwaͤhnte78 Vertauſchung verbinden. Wenn man das Alpha - beth in verkehrter Ordnung und gleichfalls in zwei gleiche Zeilen unter einander ſchreibt, ſo heißt es Attabas. Hier gelten dieſelben Regeln wie beym Albam.
Die reelle oder philoſophiſche Kabbala, welche in Bereſchith und Mercavah zerfaͤllt, enthaͤlt alles das, was die Juden von dem Adam Kadmon, von den zehn Sephiroth, von den En - geln und Geiſtern, von der Seele des Menſchen, von den fuͤnfzig Pforten der Klugheit, und den zwei und dreißig Wegen der Weisheit traͤumen.
Da ich von den wichtigern dieſer Gegenſtaͤnde in den folgenden Abſchnitten reden werde, und mei - nen Leſern ſo wenig Langeweile, als moͤglich, zu machen wuͤnſche, ſo beſchraͤnke ich mich blos hier auf einige kurze Erklaͤrungen.
Adam Kadmon (der erſte Menſch, welchen man aber nicht mit dem eigentlichen naͤhern Stamm - vater Adam verwechſeln muß), iſt der erſte Aus - fluß des unendlichen Lichts Gottes. Er iſt ein Strahl des goͤttlichen Weſens, und aus ihm und durch ihn ſind nachher alle andern Dinge der un - endlichen, ausfließenden und geſchaffenen Welt ent - ſtanden. Jm Anfange, ſagen die Kabbaliſten, war ein unendliches Licht, welches Alles in Allem er - fuͤllte. Daher war kein Raum und nichts Leeres. Dies Licht heißt Or Hanuſoph, ein Licht des Un - endlichen. Wegen ſeines großen Glanzes konnte79 keine Welt entſtehen; darum mußte dies Licht, als es Welten ſchaffen wollte, ſeine Strahlen an ſich ziehen, und in der Mitte einen leeren und finſtern Raum laſſen, worin die Welten werden koͤnnten. Es zog deßhalb ſeine Strahlen von dem Mittel - punkte zuruͤck; das Licht Gottes blieb jedoch uͤber dem Raum und umgab ihn. Weil aber nur Licht - ſtrahlen zuruͤckgezogen waren, ſo blieb noch goͤttli - ches Weſen in der Finſterniß, und der Raum war alſo blos ein lichtloſes goͤttliches Weſen. Als das unendliche Licht zuruͤckwich, hinterließ es eingedruͤck - te Spuren oder Fußſtapfen, welche zu Gefaͤßen fuͤr die Kreiſe der zukuͤnftigen Welt dienen ſollten. Dieſe Gefaͤße waren ſo gebildet, daß das Licht und die Kraft des Unendlichen von oben in ihre Hoͤhlung hineinfallen konnten. Weil aber, wenn dies von allen Seiten der Hoͤhlung geſchehen waͤre, alles wieder mit dem unendlichen Lichte wuͤrde er - fuͤllt, und dadurch der Unterſchied zwiſchen dem Endlichen und dem Unendlichen wuͤrde aufgehoben ſeyn; ſo bediente ſich das unendliche Licht einer Linie, als eines Kanals, um die Gefaͤße nur mit einem beſtimmten Maaße von Licht zu erfuͤllen. Durch dieſen Kanal konnten die Stroͤme des oberſten und unendlichen Lichts in die Welten abfließen, welche innerhalb dem Raum erſchaffen worden. Die zehen Sephiroth oder Licht und Geiſter - quellen ſind Seitenausfluͤſſe des Kanals oder der Linie. Sie bilden lauter Kreiſe, welche von einem80 Mittelpunkt ausgehen, und von denen einer den andern umgiebt, ſo wie ſich die verſchiedenen Ka - pſeln oder Haͤute einer Zwiebel einander umſchlieſ - ſen. Der Kanal des Lichts (Adam Kadmon) ſteigt von dem hoͤchſten Gipfel des oberſten Lichts her - nieder, und geht in gerader Richtung durch alle jene Kreiſe oder Sephiroth von dem Mund der Hoͤhlung bis zu dem unterſten Theile des Gefaͤſſes hinab. Er iſt ein Strahl des unendlichen aus - ſtroͤmenden Lichts, und durch ihn iſt Alles geſchaf - fen, was da iſt. Man ſtellt ihn dar unter der Geſtalt eines aufrecht ſtehenden Mannes, mit er - hobenem, gen Himmel gerichteten Antlitz und zaͤhlt an ſeinen beiden Seiten, ſo wie an ſeiner Mitte zweihundert acht und vierzig Glieder. Er heißt Adam Kadmon, der erſte Menſch, weil Gott ihn vor allen andern nach ſeinem Bilde gemacht hat; und daher iſt er der Erſtgeborne unter Allem, was da iſt, mit dem Vater eines Weſens, und Alles, was gemacht iſt, iſt durch ihn gemacht.
Dieſe Jdeen ſind, wie man ſieht, zum Theil dieſelben, welche das erſte Kapitel des Evangeliums Johannes vom Logos und vom Lichte enthaͤlt. Cam - pegius Vitringa und andere Theologen geriethen daher auf den, fuͤr ihre Abſicht gewiß nicht ſehr gluͤcklichen Einfall, die Dogmen von der Zeugung des eingebornen Sohnes Gottes vom Vater, vor ſeiner Menſchwerdung, vor der Dreieinigkeit u. ſ. w. aus jenen kabbaliſtiſchen Lehrſaͤtzen beweiſen zu wol -len.81len. Sie bedachten nicht, daß, wenn man dies will, man den Kabbaliſten einraͤumen muß, daß ſie wirklich die Thorah Schaͤbeal ‒ peh oder das muͤndliche Geſetz als unmittelbare Offenbarung von Gott empfangen haben. Giebt man ihnen das zu, ſo ſehe ich keinen Grund, warum man blos das ſchriftliche, und nicht auch das muͤndliche, im Tal - mud enthaltene Geſetz der Juden, oder ihre Ueber - lieferungen, als goͤttliche Offenbarungen annehmen will? Man hat mich oft als zu partheyiſchen Feind der Juden verlaͤſtert; ich fuͤrchte jetzt gar, man wird mich als einen heimlichen Anhaͤnger und Miſ - ſionaͤr derſelben verketzern.
Aber — woher jene Gleichheit? Daß die hoͤchſt erbitterten Feinde der Chriſten, die Juden, dieſe Jdeen aus dem Evangelium Johannis ſollten er - borgt haben, iſt unglaublich. Wahrſcheinlich herrſch - ten ſie ſchon zu den Zeiten des Johannes unter den Jſraeliten, und der Apoſtel, ſelbſt ein geborner Jude, behielt ſie von ſeinen vorigen Glaubensge - noſſen bei, um dieſen dadurch die Lehre Jeſu noch mehr zu empfehlen. Vielleicht wurden aber auch von dem heiligen Geiſte ſelbſt ihm dieſe Lehrſaͤtze als goͤttliche Offenbarungen beſtaͤtigt, und er zur Verbreitung derſelben angetrieben.
Die Sephiroth ſind Mittelweſen, welche die er - ſte Urſache d. h. den in ſich verborgenen Gott vor - ſtellen, weil ſie Ausfluͤſſe des letztern ſind und da - her alles hervorbringen und regieren. Sie ſind end -I. Baͤndchen. 1082lich, Gott unendlich; aber ſie ſind keine Geſchoͤpfe, ſondern Bilder und Strahlen des Unendlichen, und Ausfluͤſſe des Adam Kadmon. Sie liegen in dem erſten Ausfluſſe aus Gott, dem Adam Kadmon, der ſie belebt, bewegt, erleuchtet und durch ſie auf das Untere wirkt. Die Sephiroth ſind alſo als die modificirte Gottheit zu betrachten, und verhal - ten ſich gegen die uͤbrigen Dinge, wie der Mittel - punkt zu ſeiner Umgebung. Wenn Adam Kadmon ſeine Strahlen in eine jede Welt auslaͤßt, ſo bil - den ſie zehen ſolcher Lichtquellen oder Sephiroth, welche einander untergeordnet ſind. Aus jedem Strahl des Adam Kadmon entſtehen zehen Sephi - roth. Alle haben ein doppeltes Licht, ein inwendi - ges umgebenes, ein auswendiges umgebendes. Durch den Einfluß dieſer Sephiroth in einander ſind die Gefaͤße zur Hervorbringung der Welten angefuͤllt worden. Mittelſt der Sephiroth oder Geiſter - und Lichtquellen ſind von dem Adam Kadmon die himm - liſchen, geiſtigen, luftigen und irdiſchen Dinge er - ſchaffen worden, welche in die vier Welten Azi - luth, Briah, Jezirah und Aſiah vertheilt ſind.
Unter den fuͤnfzig Pforten der Klugheit und den zwei und dreißig Wegen der Weisheit, werden ge - wiſſe Grade und Eintheilungen der hoͤhern kabbali - ſtiſchen Wiſſenſchaften verſtanden. Da meine Leſer wohl nicht begierig ſind zum vollen Lichte dieſer Weisheit und Klugheit zu gelangen, ſo will ich Sie nicht damit langweilen.
83Die praktiſche Kabbala endlich beſteht in der Anwendung bibliſcher Worte, Spruͤche und Benennungen Gottes oder der Engel zur vermeint - lichen Bewirkung uͤbernatuͤrlicher Dinge. Sie iſt bei den Juden eben ſo beliebt, wie bei den Chriſten ehemals das Segenſprechen, Sieblaufen, Stillen, Teufelaustreiben und dergleichen Poſſen. Wenn man Abrahams wahrhaftem Saamen trauen darf, ſo kann mittelſt dieſer Kabbala auch das Unmoͤg - lichſte moͤglich gemacht werden. Die Wunder des Moſes in Aegypten, das Stilleſtehen der Sonne auf Joſua’s Gebot, das Feuer, welches Elias vom Himmel fallen ließ, und alle jene uͤbernatuͤrlichen Ereigniſſe, an denen das alte Teſtament ſo reich iſt, wurden nach den Verſicherungen der juͤdiſchen Kabbaliſten, durch dieſen Zweig der Kabbala be - wirkt. Schon Adam verſtand ſich darauf, und lernte dieſe Kunſt aus einem Buche, welches der Engel Raſiel auf Gottes Befehl ihm vom Himmel brachte. Die himmliſchen Heerſchaaren ſelbſt waren ſo neugierig, daß ſie zu Vater Adam herabkamen, und bei ihm in die Schule gehen wollten. Gott verbot es ihm aber, ſie in dieſer Weisheit zu un - terrichten. Nach dem Suͤndenfalle flog das koͤſtliche Buch in den Himmel zuruͤck, woruͤber Adam un - troͤſtlich war, und ſo lange weinte und Buße that, bis Gott es ihm durch den Engel Raphael wieder - geben ließ. Von Adam ward es auf Seth, von dieſem auf Enoch und ſo weiter vererbt, bis es im10 *84J. 1701 von einem frommen Jſraeliten Rabbi Jſrael Ben Abraham zu Amſterdam herausgegeben ward. Es enthaͤlt ein vollſtaͤndiges Verzeichniß von den Namen der vornehmſten Engel und Gei - ſter, und vortreffliche Mittel, wie man Engel und Teufel beſchwoͤren, Krankheiten anzaubern und wieder vertreiben, Feuer beſprechen, mit Sonne, Mond und Sternen reden, Erdbeben, Ueberſchwem - mungen, imgleichen boͤſe Seuchen erregen, aus Eiern, Pflanzen, Steinen und aus dem Lauf der Geſtirne wahrſagen kann, und dergleichen. Kurz, es iſt ein ſehr nuͤtzliches Werk, und muß dem gu - ten Adam, welchem es wahrſcheinlich an beſſerer Lektuͤre fehlte, viel Vergnuͤgen gemacht haben. *)Auch in dem talmudiſchen Buche Emek Hammelech wird gruͤndlicher Unterricht ertheilt, wie man mit - telſt der Kabbala Menſchen und Thiere erſchaffen koͤnne.
Und nun noch Einiges von dem Urſprung der Kabbala.
Dem Adam alſo war dieſe geheime Wiſſenſchaft von Gott ſelbſt anvertrauet worden. Da ſeine Nach - kommen ſich aber von Geſchlecht zu Geſchlecht immer mehr verſchlimmerten, ſo gerieth auch die Kabbala bei ihnen faſt ganz in Vergeſſenheit. Erſt dem Abra - ham, dem ausgezeichneten Lieblinge Gottes, ward ſie aufs Neue offenbart, und er zeichnete ſie in dem noch vorhandenen Buche Jezirah auf. Al -85 lein waͤhrend der Knechtſchaft der Juden in Aegyp - ten vergaſſen ſie die Kabbala gleichfalls. Gott theil - te ſie indeſſen dem Moſes wieder mit, als dieſer ſich vierzig Tage bei ihm auf dem Sinai aufhielt, um das Geſetz zu empfangen. Moſes verfaßte ſie in ein Buch, Majan Chochma, d. i. Brunnen der Weisheit, genannt. Jn der Babyloniſchen Ge - fangenſchaft gieng es nicht beſſer mit der Kabba - la, als in Aegypten, und deßhalb ward ſie nach - her auf goͤttlichen Antrieb von Esra, und den Propheten Haggai und Zacharias erneuert und hergeſtellt. So weit die juͤdiſche Sage.
Nicht Vater Abraham, wie die Juden behaup - ten, ſondern der Rabbi Akibha oder Akkiva war der Verfaſſer des vorhin erwaͤhnten Buches Jezirah. Es iſt eine laͤcherliche Eitelkeit dieſes Vol - kes, daß es allen ſeinen Buͤchern ein hoͤheres Al - terthum zuſchreibt, als ſie wirklich beſitzen, und alberne Leichtglaͤubigkeit chriſtlicher Schriftſteller iſt es, wenn ſie dergleichen Prahlereien fuͤr Wahrhei - ten annehmen. Jener Akibha lebte zu Ende des erſten und zu Anfange des zweiten Jahrhunderts nach Ch. G., und von ihm ruͤhmen die Hebraͤer, Gott habe ihm Alles offenbart, was er dem Mo - ſes verheimlichet haͤtte. Jndeſſen mußte Gott ihm doch manches verſchwiegen haben. Er ließ ſich von dem angeblichen Meſſias Barchocheba (vorher Coziba genannt) verleiten, deſſen Parthei zu er -86 greifen, und ward im Jahr 132, nach Andern im J. 120 auf eine grauſame Weiſe hingerichtet.
Daß die Juden ſchon lange vor der Babyloni - ſchen Gefangenſchaft die Kabbala gekannt und aus - geuͤbt haben, dafuͤr buͤrgt ihr Hang zum Wunder - baren und Geheimnißvollen, ihre Sucht, Traͤume zu deuten, und der von ihren fruͤheſten Stammvaͤ - tern auf ſie vererbte Aberglaube. Rabbi Schime - on Ben Schetach oder Simeon Schetachi - des, welchen Einige fuͤr den Erfinder der Kabba - la gehalten haben, kann daher hoͤchſtens nur fuͤr einen Wiederherſteller derſelben bei den in Palaͤſtina wohnenden Juden gelten. Er war zur Zeit des Hyrcanus vor deſſen Verfolgungen nach Aegypten entflohen, wo er ſich mit den geheimen Wiſſenſchaf - ten der dortigen Jſraeliten bekannt machte. Nach ſeiner Ruͤckkehr in ſein Vaterland gab er der Kab - bala ſeiner Landsleute eine andere Geſtalt und ver - ſchaffte ihr zugleich ihr voriges Anſehen, welches durch die Sekten der Karaiten und Sadducaͤer, die durchaus alle muͤndliche Offenbarungen verwar - fen und bloß auf das ſchriftliche Geſetz ſich beſchraͤnk - ten, ſehr geſchwaͤcht worden war. Dem Simon Schetachides folgte noch vor Chr. G. ſein Schuͤler, Rabbi Elkana Ben Jerucham, welcher zwei Buͤcher Sepher Happeliah und Sepher Hak - kaneh, und deſſen Sohn Rabbi Nechonia, der das Buch Bahir ſchrieb. Jndeſſen werden die unter dieſen Aufſchriften jetzt vorhandenen Buͤcher87 von Vielen (Nichtjuden) fuͤr untergeſchoben, und fuͤr Fruͤchte ſpaͤterer Zeiten gehalten. Nach der Zerſtoͤrung Jeruſalems traten Rabbi Akibha (der vorhin erwaͤhnt worden), R. Jsmael Ben Eliſcha und andere auf, und brachten die Kabbala noch zu einem hoͤhern Grade von Vollkommenheit. Der Rabbi Schimeon Jochaides oder Ben Jochai war der erſte, der zu Anfange des dritten Jahrhunderts unter dem Titel Sohar (Glanz) eine kabbaliſtiſche Erklaͤrung der fuͤnf Buͤcher Moſis ſchrieb. Die Aechtheit dieſes, gleichfalls noch vorhandenen, Buͤchs wird aber bezweifelt, da bis zum dreizehnten Jahr - hundert keiner der uͤbrigen Kabbaliſten deſſelben er - waͤhnt. Salomon Ben Jſaac Jarchi (geb. zu Troyes 1104, geſtorben ebendaſ. 1180) verfaßte Erklaͤrun - gen uͤber die fuͤnf Buͤcher Moſes, uͤber mehrere Propheten und uͤber die Gemara, und erwarb ſich dadurch einen ſo großen Beifall bei den Juden, daß ſie ihm den Namen eines Fuͤrſten der Auslegungs - kunſt beilegten. Seine Schriften, ſo wie viele an - dere Werke der Kabbaliſten ſpaͤterer Zeit ſind frei - lich nicht in den Talmud aufgenommen, ſie behaup - ten aber in den Augen der Hebraͤer ein faſt eben ſo großes Anſehen, wie dieſer. Erſt im fuͤnfzehn - ten Jahrhundert ward die Kabbala durch den Fuͤr - ſten Johann Pico von Mirandola den Chriſten naͤ - her bekannt, denn vorher wußte man ſo wenig da - von, daß ein Schriftſteller, der als Gegner dieſes gelehrten Fuͤrſten auftrat, auf die Frage, was die88 Kabbala ſey? antwortete: „ Kabbala waͤre ein gott - loſer Boͤſewicht und ein arger Ketzer geweſen, der viel wider Chriſtus und wider die Mutter Gottes geſchrieben haͤtte. Seine Anhaͤnger wurden nach ihm Kabbaliſten genannt. ‟ Johann Pico ward uͤbrigens gleichfalls betrogen. Er kaufte fuͤr eine ſehr große Summe von einem Juden ſiebzig Buͤcher des Esra uͤber die Kabbaliſtiſche Philoſophie, welche der Jude ſelbſt ausgeheckt und geſchrieben hatte. Der Fuͤrſt war jedoch zu leidenſchaftlich verliebt in dieſe geheimnißvolle Weisheit, um zu begreifen, daß er getaͤuſcht war.
Viele chriſtliche Gelehrte, und unter ihnen be - ſonders Johann Reuchlin, Paul Ricius, Knorr von Roſenroth, Heinrich Morus, Lampegius Vitringa und Franz Merkur von Helmont glaubten wirklich, daß die Kabbala eine goͤttliche Offenbarung enthielte. Sie wollten die Geheimniße der Dreieinigkeit, der Menſchwerdung des eingebornen Gottesſohns und viele andere unbegreifliche Dinge darin beſtaͤtiget finden. Sie machten deßhalb einen Unterſchied zwi - ſchen der alten und reinen Kabbala (Cabba - la antiqua et pura) und der neuern und unrei - nen (Cabbala recentior et impura). Reuchlin ließ ſich bekanntlich, ſo wie Knorr von Roſenroth, von einem Juden in dieſer erhabenen Weisheit un - terrichten.
Eine Art von buchſtaͤblicher Kabbala ward ſelbſt in den neueſten Zeiten von chriſtlichen Theologenzur89zur Erklaͤrung der prophetiſchen Schriften der Bi - bel benutzt. Albrecht Bengel bediente ſich derſelben in ſeiner erklaͤrten Offenbarung Johannis, und ihm folgten manche andere Schriftausleger, welche ihm zum Theil wohl eben ſo wenig an Froͤmmigkeit und Wahrheitsliebe, als an Gelehrſamkeit gleich kamen. So ſahe man einen Thube, Typke, Jung-Stilling und im J. 1821 ſogar den „ quiescirenden ‟ Herrn Juſtizrath Ruͤhle von Lilienſtern, (ſo nennt dieſer letztere ſich ſelbſt), die chiliaſtiſch-kabbaliſti - ſche Laufbahn betreten, um durch Buchſtaben - und Zahlenverſetzungen das verſiegelte Buch des Johan - nes ihren Zeitgenoſſen zu entſiegeln. Der „ quies - cirende ‟ Herr Ruͤhle von Lilienſtern zeigte auf dieſe Weiſe, daß der jetzt im Grabe „ quiesci - rende ‟ Napoleon und kein Anderer, der Antichriſt ſey. Kaum war jedoch das Schriftchen des in Dil - lenburg quiescirenden Juſtizraths gedruckt, als in Europa die Nachricht ankam: Napoleon ſey todt! Ein Beweis, wie mißlich es mit der ſym - boliſchen Kabbala ſteht.
Zu Anfange des ſechsten Jahrhunderts, nach Andern aber weit ſpaͤter, verbanden ſich viele ge - lehrte Juden zu einem, dem erſten Anſcheine nach ſehr kleinlichen, in der That aber aͤußerſt wichti - gen und ruhmwuͤrdigen Unternehmen. Sie beſchloſ - ſen naͤmlich, nicht allein die urſpruͤnglichen Leſear - ten des hebraͤiſchen Grundtextes vom alten Teſta - ment wieder herzuſtellen, ſondern auch, um den - ſelben vor kuͤnftigen Verfaͤlſchungen und Verunſtal - tungen zu ſichern, die Woͤrter, Sylben, Buchſta - ben und Accente jedes Kapitels, Abſchnitts und Verſes genau zu zaͤhlen und zu beſtimmen. Sie legten die Ergebniße ihrer Bemuͤhungen in einem Werke nieder, welches die Máſora heißt, und einen Beweis von der ausdauernden Beharrlichkeit der Juden bei den geiſtloſeſten Geſchaͤften, beſon - ders wo es aufs Zaͤhlen ankoͤmmt, liefert. Zu wuͤnſchen waͤre es, daß ein ſolcher Zaun des Ge - ſetzes, wie die Maſora von den Juden genannt wird, von einem jeden kanoniſchen Buche der gauzen Bibel, gleich nach Vollendung deſſelben91 waͤre verfertiget worden, denn nur dadurch haͤtte man zu der gewiſſen Ueberzeugung gelangen koͤn - nen, daß ein ſolches Buch nichts mehr und nichts weniger enthalte, als was urſpruͤnglich darin nie - dergeſchrieben worden. Vielleicht moͤchten dann ſelbſt manche Stellen unſers neuen Teſtaments, die jetzt zu Beweiſen wichtiger Dogmen dienen ſollen, und um derentwillen Stroͤme von Blut gefloſſen ſind, niemals zu unſerer Kunde gelangt, und als ſpaͤtere Einſchiebſel oder Schreibfehler moͤnchiſcher und an - derer Abſchreiber laͤngſt aus der Bibel verbannt worden ſeyn. Uebrigens ward die juͤdiſche Maſora offenbar viel zu ſpaͤt unternommen, denn waͤren auch jene Juden die vorurtheilfreieſten Maͤnner ge - weſen, wie haͤtten ſie nach vielen Jahrhunderten noch wohl mit Beſtimmtheit entſcheiden koͤnnen, welche Leſeart die wahre oder die falſche, was fremder Zuſatz oder was wirklicher Text war? Den Lehrern der juͤdiſchen Schule zu Tiberias ſoll der Ruhm gebuͤhren, die Jdee zu der Maſora im J. 500 zuerſt aufgefaßt und die Ausfuͤhrung derſelben begonnen zu haben. Sollte dies Werk jedoch, wie mit mehrerer Wahrſcheinlichkeit behauptet wird, ſpaͤ - ter abgefaßt ſeyn, und hat es ſelbſt — aus den angefuͤhrten Gruͤnden — nicht das Verdienſt der Zuverlaͤſſigkeit; ſo gereicht es dennoch dem Fleiße der Verfaſſer zur Ehre.
Mit Enthuſiasmus ward — gleichfalls im J. 500 — das angeblich im Talmud enthaltene muͤnd -11 *92liche Geſetz von allen juͤdiſchen Schulen angenom - men und der feſte Beſchluß gefaßt, nichts mehr dazu zu ſetzen, und nichts wieder davon zu thun. Auf dieſe Weiſe hatten die Juden ſowohl ihr ſchrift - liches, als ihr muͤndliches Geſetz mit Zaun und Hek - ken umfaßt; allein demungeachtet gilt doch das An - ſehen ihrer Rabbiner weit mehr. Schon fruͤherhin hab’ ich bemerkt, daß nach der Lehre der Talmudi - ſten, „ die Worte der Rabbiner weit angenehmer „ ſind, als jene der Propheten; daß das gewoͤhnli - „ che Geſpraͤch eines Rabbiners dem ganzen Geſetze „ gleich iſt; daß demjenigen, welcher mit einem Rab - „ biner ſpeißt, oder ihn zu Gaſte bittet, oder ihm „ ſeine Tochter zum Weibe giebt, ſo viel Gnade „ wiederfaͤhrt, als ob ihm der Glanz der Herrlich - „ keit Gottes ſelbſt, zu Theil wuͤrde. ‟ *)Caphtor Apherach und Berachoth.Daraus ſieht man, daß Abrahams frommer Saame im Punkte ſeiner Geiſtlichkeit weit rechtglaͤubiger iſt, als viele Chriſten, welche der Bibel mehr trauen, als dem Geſchwaͤtz ihrer Pfarrer, und ihrer Ver - nunft noch mehr, als den Ausſpruͤchen aller Kir - chenverſammlungen und Paͤbſte, und ſogar aller Jeſuiten zu Freiburg, Luzern und Sitten. O ſeli - ge Zeiten, wo die Geiſtlichkeit noch fuͤr uns dachte und aß, wie Leſſing ſagt, wann werdet ihr doch zuruͤck kehren?
„ Wer die Worte der Rabbiner uͤbertritt, heißt93 es im Talmud, der iſt des Todes ſchuldig. Wer ſeinem Rabbiner widerſpricht, der thut eben ſo viel, als widerſpraͤche er Gott ſelbſt. Wer gegen ſeinen Rabbiner murrt, handelt nicht weniger Unrecht, als ob er gegen den heiligen hochgelobten Gott ſelbſt murrte. Die Furcht vor den Rabbinern muß der Furcht Gottes gleich kommen; man muß vor ihnen aufſtehen, ſo weit man ſie ſieht und ſehen kann. Wer vor einem derſelben aufſteht und ihm dient, dem wird es angerechnet, als ob er dem heiligen hochgelobten Gott ſelbſt diente. ‟*)M. ſ. die talmudiſchen Schriften Eruvin, Sanhe - drin, Menorath hammaor, Kiduſchim.
Jn allen Dingen, auch in den unbedeutendſten und ſchmutzigſten, muß man ſuchen von ſeinen Rab - binern zu lernen; ſo machte es der fromme Rabbi Akkiva. „ Jch folgte, erzaͤhlt er im Talmud**)Jm talmudiſchen Buch Berachoth oder Serachos., einſt meinem Lehrer dem Rabbi Jehoſchah auf das geheime Gemach. Da hab’ ich dreierlei von ihm ge - lernt. Jch habe gelernt, daß man ſeine Nothdurft nicht gegen Aufgang***)Gegen Aufgang (Oſten) wahrſcheinlich deßhalb nicht, weil Jeruſalem und, nach juͤdiſchen Begrif - fen, auch das Paradies gegen Oſten liegen. Wa - rum gegen Weſten nicht, weiß ich nicht. oder Niedergang, ſondern gegen Mittag und Mitternacht verrichten muͤße. Jch habe gelernt, man muͤße ſich nicht ſtehend, ſondern ſitzend entbloͤßen. Jch habe endlich gelernt, daß man ſich94 nicht mit der rechten, ſondern mit der linken Hand abwiſchen muͤße. Aber, fragte ihn der Sohn des Aſai, wie konnteſt du ſo unartig gegen deinen Leh - rer ſeyn? Es iſt das Geſetz, antwortete Akkiva, und ich muß lernen. ‟
Der Sohn des Aſai machte es darauf eben ſo bei ſeinem Lehrer, dem Rabbi Akkiva, und als ihn ſein Schuͤler der Rabbi Jehuda, dem er dies nach - mals erzaͤhlte, fragte: Wie er ſo unverſchaͤmt ha - be ſeyn koͤnnen? gab er gleichfalls zur Antwort: Es iſt das Geſetz und ich muß lernen. *)Gleichfalls im Buche Berachoth.
Noch weit vorwitziger oder wißbegieriger war der Rabbi Cahana. Er ſchlich ſich einmal in das Schlafgemach ſeines Lehrers, des Raf, und ver - kroch ſich unter deſſen Bettſtelle. Hier hoͤrte er, daß der Raf mit ſeiner Frau ſcherzte und kurzweil - te. Als die Sache vorbei war, ſprach er zum Raf: „ Der Mund meines Lehrers iſt gleich, als ob die Speiſe nicht verbrannt waͤre. ‟ Cahana, biſt du hier? fragte der Raf. Gehe hinaus. Es iſt nicht Sitte, Eheleuten in ihrem Gemach nachzuſchleichen, und ſie in ihrem Bette zu belauſchen. Cahana aber that ſeinen Mund auf, redete und ſprach: Es iſt das Geſetz, und ich muß lernen. **)Ebendaſelbſt.
Dies hohe Anſehen erwarben ſich die Rabbiner durch ihre Weisheit, ihre Tugenden und ihre Kraft Wunder zu thun.
95Der Rabbi Hillel, deſſen ſchon fruͤher erwaͤhnt worden, verſtand die Sprachen der Berge, der Huͤ - gel, der Thaͤler, der Baͤume und Kraͤuter, der Voͤ - gel und vierfuͤßigen Thiere, ja ſelbſt die Sprache der Teufel, und wußte alle Gleichniße auswendig. Der Rabbi Jochanan redete fertig die Sprachen der dienſtbaren Engel, der Teufel und der Dat - telbaͤume, und Rabbi Chaniana redete und ſchrieb ſogar ſiebzig Sprachen der Menſchen und alle Spra - chen der Voͤgel und uͤbrigen Thiere. *)M. ſ. die talmudiſchen Schriften: Sopherin Kap. 16. Succa, und das Buch Maaſe Kap. 143.Jm Buch Maaſe (Kap. 156) kann man noch eine Unterre - dung leſen, welche die Huͤhner und Gaͤnſe mit ein - ander gehabt, und im 115ten Kapitel findet man das Geſpraͤch von zwei Schlangen, welches der Rabbi Meir belauſchte. Man muß doch geſtehen, daß dieſe Rabbiner geſegneten Andenkens mehr Sprachkenntniße beſaßen, als alle frommen Vaͤter der Geſellſchaft Jeſu, ja ſogar mehr, als der Herr van den Wyenberg und ein gewiſſer lutheriſcher Biſchof, die nicht einmal ihre Mutterſprache ver - ſtehen, und den Zeitgeiſt mit Sprachſchnitzern aus - treiben wollen.
Jn Ruͤckſicht der Maͤßigkeit thun die Rabbiner es den chriſtlichen Paͤbſten, Biſchoͤfen, Prieſtern und Moͤnchen zuvor. Man hoͤre! Wenn der Rabbi Jochanan von den Fruͤchten zu Ginnofar in Gali -96 laͤa zum Fruͤhſtuͤck dreißig Scheffel aufgegeſſen hat - te, ſo ſchwur er hoch und theuer: er habe noch nichts genoſſen. Der Rabbi Abhu aß, bis ſein Geſicht ſo fett und ſchluͤpfrig war, daß ſich keine Muͤcke daran feſt halten konnte. Der Raf und Rabbi Aſi fraßen, bis ihnen die Haare vor Fettig - keit vom Haupte fielen, und Rabbi Schimeon Ben Lakiſch, bis er verwirrt im Kopfe ward. *)M. ſ. das Buch Serachoth.Vom Rabbi Jochanan, dem Sohn des Narbai wird im Talmud berichtet: er habe in einer Mahlzeit drei - hundert Kaͤlber verzehrt, ſtatt des Nachtiſches vier - zig Scheffel junger Tauben gegeſſen und dreihun - dert Flaſchen Wein getrunken. Nicht wahr? Der konnte doch beſſer eſſen und trinken, als irgend ein Biſchof, Abt oder Domherr? **)M. ſ. die talmudiſche Schrift Peſachim.Wenn der Rab - bi Jsmael und der Rabbi Elieſer Ben Simeon ih - re Baͤuche an einander hielten, ſo konnten ein paar große Ochſen darunter durchgehen. Dieſer Elieſer nahm einmal einen Schlaftrunk, und ließ ſich viele Koͤrbe voll Fett aus dem Leibe ſchneiden, welches an die Sonne gelegt ward. Als es nicht in Faͤul - niß gerieth, ſprach er, nach Pſalm 16. V. 9: Auch mein Fleiſch wird ſicher liegen. ***)S. Sava Mezia.
Die Tugend der Keuſchheit ſoll bei den Rabbi - nern eben ſo einheimiſch ſeyn, wie bei unſern Bi -97 ſchoͤfen, Prieſtern, Moͤnchen, Miſſionaren und Je - ſuiten. Der Rabbi Akkiva verlachte alle, die wi - der das ſechste Gebot geſuͤndiget hatten. Einſt erſchien ihm der Teufel auf dem Gipfel eines Palm - baums in Geſtalt eines ſchoͤnen reizenden Maͤd - chens. Der fromme Rabbi kletterte muͤhſam zu der vermeintlichen Huldin hinauf; allein kaum hatte er die Mitte des Baums erreicht, als der Teufel ihm zurief: Spraͤche nicht eine Stimme vom Himmel zu mir: gehe ſaͤuberlich um mit dem Rabbi Akkiva und mit ſeinem Geſetz; ſo wuͤrde ich dein Leben kei - ne zwei Pfenninge werth achten. *)M. ſ. die talmud. Schrift Kidduſchin.
Ein Aehnliches begegnete dem Rabbi Meir. Er befand ſich einmal an einem Strom, uͤber welchen keine Bruͤcke fuͤhrte. Da erblickte er am jenſeitigen Ufer den Satan in ſchoͤner Frauen-Geſtalt. Er watete alſo durch den reiſſenden Fluß. Als er aber in der Mitte war, rief der Satan ihm zu: „ Hoͤrte ich nicht eine Stimme im Himmel, welche ſpricht: Gebet Achtung auf den Rabbi Meir und auf ſein Geſetz; ich wuͤrde fuͤr deine Seele keine zwei Pfen - ninge zahlen. ‟ Dieſer Rabbi war ſo verliebt, daß er ſich nicht getrauete, mit feiner eigenen Tochter allein zu ſeyn, und deßhalb ſehr oft ſeine Hausge - noſſen bat, ihn und ſeine Tochter nicht aus den Augen zu laſſen. Nicht beſſer gieng es dem Rab - bi Tarpon mit der Frau ſeines Sohnes. **)Ebendaſelbſt.
98Der Raf und Rabbi Nachman waren, wie Salomon Jarchi berichtet, zwar beide verheirathet; wenn ſie aber auf kurze Zeit verreisten, ſo ließen ſie in den Staͤdten, wo ſie ankamen, oͤffentlich ausrufen: Wer auf einige Tage ihre Frau ſeyn wolle?
Am meiſten zeichnete ſich in dieſer Hinſicht der Rabbi Elieſer, einer der groͤßten Talmudiſten aus, und ward dafuͤr auch von dem Himmel auf das glaͤnzendſte belohnt. Nach dem talmudiſchen Buche Avoda Sara ließ er keine barmherzige Schweſter gehen, ohne mit ihr ſeine Andacht zu verrichten. Einſt vernahm er, daß in einer Seeſtadt eine ſol - che Heilige waͤre, die aber nur fuͤr eine große Kiſte voll Gold ſeine Wuͤnſche befriedigen wuͤrde. Der fromme Mann machte ſich alſo, mit einer ſolchen Kiſte belaſtet, auf, und gieng uͤber ſieben große Fluͤße. Endlich langte er bei der Schoͤnen an, die ihn natuͤrlich mit Entzuͤcken empfieng. Waͤhrend ſei - ner Huldigungen entfuhr ihr aber leider etwas Menſchliches. Da ſchlug der Rabbi in ſich und ſprach: So gewiß dieſer Wind nicht wieder an ſei - nen Ort koͤmmt, ſo gewiß wird der Rabbi Elieſer, des Dordoja Sohn, keine Barmherzigkeit bei Gott erlangen. Hierauf ſetzte er ſich zwiſchen zwei Ber - ge und zwei Huͤgel und rief: Jhr Berge und Huͤgel bittet um Gnade fuͤr mich. Sie aber ant - worteten ihm: Lieber wollen wir fuͤr uns ſelbſt be - ten, denn es ſtehet geſchrieben Jeſaias 54. V. 10. 99Es ſollen wohl Berge weichen, und Huͤgel hinfal - len. Da flehte Rabbi Elieſer: Himmel und Erde, bittet um Gnade fuͤr mich. Himmel und Erde er - wiederten ihm: Es ſtehet geſchrieben Jeſaias 51. V. 6: der Himmel wird vergehen wie ein Rauch, und die Erde wird veralten, wie ein Kleid; wir muͤſſen fuͤr uns ſelbſt beten. Nun wandte er ſich an Sonne und Mond um ihre Fuͤrſprache; allein auch dieſe ward ihm verweigert, weil Jeſaias 24. V. 23 geſagt wird: Der Mond wird ſich ſchaͤmen, und die Sonne wird ſchamroth werden. Endlich bat er die Planeten und Sterne, Barmherzigkeit fuͤr ihn zu erflehen. Aber ſie antworteten gleich - falls: Wir muͤſſen fuͤr uns ſelbſt bitten, denn der Prophet Jeſaias ſpricht Kap. 34. V. 4. Und alles Heer des Himmels wird verwelken. So will mir denn niemand helfen? rief er jetzt voll Verzweif - lung, legte ſein frommes Haupt zwiſchen ſeine Kniee, und heulte und weinte ſo lange, bis er ſeinen Geiſt aufgab. Da ſprach eine Stimme vom Himmel: Der Rabbi Elieſer, des Dordoja Sohn, iſt zum ewigen Leben berufen!
Jm Wunderthun nehmen die Rabbiner es mit allen Heiligen der katholiſchen Kirche, ja ſelbſt mit dem heiligen Homobonus dem Schneider und dem Herrn Fuͤrſten von Hohenlohe zu jeder Zeit auf.
Der Rabba und der Rabbi Sira begiengen ein - mal das Purimsfeſt mit einem Gaſtmahl. Als ſie trunken waren, ſtand der Rabba auf und ſchnitt100 dem Rabbi Sira den Hals ab. Am andern Tage gereuete ihn die That; er flehte zu Gott um Barm - herzigkeit, ſetzte den abgeſchnittenen Kopf des Rab - bi Sira auf deſſen Rumpf, und machte ihn wie - der lebendig. Jm folgenden Jahre ſprach der Rab - ba zum Sira: Will der Herr nicht kommen, daß wir feiern mit einander das Purimsfeſt? Aber der Rabbi Sira antwortete ihm: Es wird nicht ge - ſchehen alle Tage ein Wunder, wie im vorigen Jahr, als mir der Herr abgeſchnitten hatte den Hals*)Buch Emek Hammelech.
Dieſer Rabba erſchuf einen Menſchen aus Nichts, und die Rabbiner Chaninna und Ochaja machten einmal zuſammen ein Kalb. **)Ebendaſelbſt.Werkwuͤrdiger iſt jedoch unſtreitig das Wunder, welches der heilige hochgelobte Gott ſelbſt zum Beßten des Rabbi Cha - nanja that. Es wird im Buche Emek Hamme - lech***)Unter dem Titel: Schaar olam hattohu, Kap. 68. auf folgende Weiſe erzaͤhlt:
Der Rabbi Jsmael hat geſagt, der Suriel, der Fuͤrſt des Angeſichts, ſprach zu mir: Mein lie - ber Freund, ich will dir erzaͤhlen, was der Saha - riel, der Herr, der Gott Jſraels that, als der roͤmiſche Kaiſer Lupinus den Rabbi Chanan - ja des Tardejon Sohn, welcher wunderbare Din - ge in den Schulen lehrte, hat umbringen wollen. 101Der hochgelobte heilige Gott ſprach zu mir: „ Su - riel, du Fuͤrſt des Angeſichts, ſteige hernieder vom Himmel, und hilf dem Rabbi Chananja. ‟ Als ich nun herab kam, trieb ich den Kaiſer Lupinus aus ſeinem Palaſt, in welchem er ſchlief, und fuͤhrte ihn in den Kerker, wo der Rabbi Chananja mit Schweinen und Hunden umgeben war. Den letztern brachte ich dagegen wieder in den kaiſerlichen Palaſt zuruͤck, und verwechſelte die Geſtalt ihrer Haͤupter, ſo daß die Roͤmer glaubten, der Kaiſer Lupinus ſei der Rabbi Chananja, der Sohn des Tardejon, und Chananja ſei ihr Kaiſer Lupinus. Die Geſtalt der Frau und der Tochter des Chananja aber vertauſchte ich mit der Geſtalt der Gemahlin und der Tochter des Kaiſers. Hierauf nahmen der Rabbi Chananja und der Rabbi Nechonia, des Kaneh Sohn, ein Schwert, und hieben dem Kaiſer Lupinus den Kopf ab. Und der Rabbi Chananja, des Tarde - jon Sohn, ſetzte die kaiſerliche Krone auf ſein Haupt, und regierte als Koͤnig uͤber das gottloſe Rom in der Geſtalt des Kaiſers Lupinus ſechs Mo - nate lang, und toͤdtete dort ſechstauſend Fuͤrſten und große Feldherren, in jedem Monate tauſend. Hierauf wurde er mit den Seinigen wegen ſeiner Heiligkeit lebendig in den Himmel aufgenommen. Der Kaiſer Lupinus aber ward in der Geſtalt des Rabbi Chananja vor das gottloſe Rom geſtellt, von den Henkern ergriffen und ins Feuer geworfen. Aber, fragte Jsmael den Suriel, den Fuͤrſten des102 Angeſichts, ward ihm nicht ſchon vorher von dem Rabbi Chananja, des Tardejon Sohn, und von dem Rabbi Nechonia, dem Sohn des Kaneh, der Kopf abgeſchlagen? Suriel antwortete: Als er umgebracht war, machte Gott ihn wieder lebendig, und die Roͤmer ergriffen ihn und warfen ihn ins Feuer.
Dieſer Kaiſer mußte alſo in der That einen doppelten Tod ſterben! Jhr laͤchelt, lieben Leute! Das Wunder ſcheint Euch zu wunderbar und zu groß. Warum zweifelt Jhr? Stand nicht die Sonne einen ganzen Tag lang ſtill zu Gibeon und der Mond im Thale Ajalon, damit Joſua und ſein Heer Zeit behielten, ein Paar hundert Gibeoniten mehr zu ſchlachten? Mußte damals unſer ganzes Weltſyſtem ſich nach Abrahams blutduͤrſtigem Saa - men richten, und dieſem zu gefallen aus ſeinen Sphaͤren treten, warum ſollte denn nicht das Wun - der geſchehen ſeyn mit dem Rabbi Chananja? Wun - der, die von den Juden erzaͤhlt werden, ſind doch ſonſt Eure Beweismittel fuͤr die Wahrheit von That - ſachen und Schriften, warum ſollen ſie denn hier nichts gelten? Mir ſcheint es faſt: Wer den gan - zen Jnhalt des alten Teſtaments durchaus als der ſtrengſten Wahrheit gemaͤß annehmen will, der ſollte auch nicht den Talmud verwerfen. Die Be - weiſe von beiden beruhen auf — Wundern, deren Gewaͤhrsmaͤnner in Hinſicht der Glaubwuͤrdigkeit ſich gleich ſind.
103Keine Nation beweist beſſer als die Juden, in welche unzerſtoͤrbare Feſſeln eine abgoͤttiſch verehrte Prieſterkaſte den menſchlichen Geiſt auf Jahrtau - ſende zu ſchmieden vermag. Der Aberglaube er - ſcheint einem ſo befangenen Volke um ſo heiliger, je aͤlter er iſt; er verwaͤchst mit dem ganzen We - ſen deſſelben, wie der Polyp mit dem Herzen. Wo er recht tief ſich eingekrallt hat, da iſt bloße Ver - nunft ein unzureichendes Werkzeug, ſeine Eulen - klauen zu loͤſen, und durch gewaltſames Ausreißen derſelben wuͤrde man die edelſten Theile verletzen. Pflicht iſt es aber, ihn ſo unſchaͤdlich zu machen, wie moͤglich, und ihn, wenn nicht mit einmal, doch allmaͤhlig durch Spott und beizende Mittel zu zwingen, ſeine Beute fahren zu laſſen. Alle uͤbri - gen Voͤlker wechſelten haͤufig ihre Mythologieen und die aͤußern Formen ihrer Gottesverehrung, ob mit Vortheil? iſt freilich eine Frage. Die Juden ha - ben — wenigſtens in dieſer Hinſicht — niemals gewechſelt. Einzelne Abfaͤlle zum heidniſchen Kul - tus kann man hieher nicht rechnen, da die Mehr - zahl immer bei der Nationalreligion blieb, und auch die Abgefallenen bald wieder zu derſelben zu - ruͤckkehrten. Das war natuͤrlich, denn ihr urſpruͤng - licher religioͤſer Glaube fand ein ſehr fruchtbares Feld in dem unbaͤndigen Hange zum Geheimniß - vollen und Wunderbaren, der von ihren Prieſtern oder Leviten mit Abentheuerlichkeiten und Gruͤbeleien jeglicher Art reichlich genaͤhrt ward, und in ihrer104 graͤnzenloſen Leichtglaͤubigkeit, welche blos das Un - glaublichſte glaublich findet. Hiezu kam noch der hochmuͤthige Wahn der Jſraeliten, daß ſie aus - ſchließlich das Volk Gottes, daß die ganze Erde, und ſogar die Geſtirne zu ihrem Dienſte erſchaffen, und daß alle uͤbrigen Menſchen verabſcheuungswerthe Abgoͤtter und Kinder des Teufels waͤren. Ein Volk, das ſeine Staatsverfaſſung ſelbſt ſich bildete, oder gebildet zu haben meint, haͤngt, trotz der großen Maͤngel und Schwaͤchen derſelben, feſter daran, als ein anderes an einer noch ſo vollkom - menen Verfaſſung, welche fremde Willkuͤhr ihm aufdrang. Wie im Politiſchen, ſo im Religioͤſen. Die Religionslehre und der Kultus der Juden gien - gen aus ihnen ſelbſt hervor, oder wurden gar, wie ſie waͤhnen, ihnen ausſchließlich von Gott offenbart. Dies und die vorhin angedeuteten Verhaͤltniſſe ſind die ſehr natuͤrlichen Urſachen, daß die Jſraeliten, ſelbſt bei dem heftigſten aͤußern Druck feſter und inniger als alle andern Sekten, die ein ihrer Volksthuͤmlichkeit fremdes Religionsinſtitut unter ſich aufnahmen, an ihrem Glauben und Kirchen - dienſt kleben, und ſich nie mit einem andern Volke werden verſchmelzen laſſen.
Wir haben jetzt den Urſprung der religioͤſen Er - kenntnißquellen der Juden und ihre Werkzeuge zur Erlangung dieſer Erkenntniß, nemlich die verſchie - denen Zweige der Kabbala betrachtet, und gehen nunmehr zu dem naͤhern Jnhalte jener Quellen ſelbſt uͤber.
Alles Menſchliche veraͤndert ſich im Laufe der Zeit, und ſo nahm auch die juͤdiſche Religion man - ches Fremdartige auf. Fahren ließen Jſraels Kin - der aber nichts von dem, was ſie hatten, mochte ſelbſt der neue Zuwachs dem urſpruͤnglichen Beſitz noch ſo ſehr widerſtreiten. Sie verſtehen beſſer, als irgend eine andere Sekte, die ſeltene Kunſt, den Schnee zu gleicher Zeit fuͤr weiß und fuͤr ſchwarz anzuſehen, und die widerſprechendſten Dinge mit einander zu vereinen. Fuͤr die Erhaltung des Ur - ſpruͤnglichen und fuͤr die Aufnahme neuer Dogmen und Formen ſorgte die wachſame Kaſte der Prieſter oder Leviten, welche ſowohl in dem Alten, als in dem Neuen kraͤftige Befriedigungsmittel ihres Ei - gennutzes fand. Ganz anders, als mit dem moſai - ſchen Glauben gieng es mit der goͤttlichen Lehre des großen Gekreuzigten. Er hatte keine Prieſter - kaſte geſtiftet, denn der Geiſt ſeiner Lehre war kein Pfaffengeiſt. Erſt durch eigene Anmaßung fuͤhrten ſich Biſchoͤfe, Presbyter und Diakonen ein, ent - ſchieden, was geglaubt und was nicht geglaubt wer -I. Baͤndchen. 12106den, wer in den Himmel und wer in die Hoͤlle kommen ſollte, und gaben ihre Briefe und Bullen fuͤr die Fruͤchte goͤttlicher unmittelbarer Eingebung aus. Chriſtus Lehre ward aus dem Herzen ver - bannt, aber ſein Bildniß pflanzte man dafuͤr in allen Kirchen und Haͤuſern und an allen Wegen und Fußſteigen auf. Man ſtellte auch ein zahlloſes Heer von Halbgoͤttern und Halbgoͤttinnen — groͤß - tentheils ehrliche Huren und Spitzbuben oder faule Muͤßiggaͤnger und ſchmutzige Bettler —, denen man die Verehrung und Anbetung weihte, die man, gegen die Lehre des Heilandes, dem hocherhabenen und einigen Gott entzog. Arſenaͤle von Heiligen - und Eſelsknochen, von wunderthaͤtigen Lumpen, Haaren, Blutstropfen, Holzſpaͤhnen, — und der Teufel weiß, wovon mehr — wurden angelegt, um den letzten Reſt von Vernunft zu bekriegen, und Ablaßbuden errichtete man, um auch den Schatten von Tugend und Sittlichkeit aus der Welt zu ver - bannen. Freilich iſt ein großer Theil der Chriſten - heit mit dem Glauben jetzt in den abnehmenden Mond gerathen; ob man aber dadurch wieder zur urſpruͤnglichen Chriſtuslehre zuruͤck gekommen ſey, iſt eine andere Frage. Den Juden allein muß man es zugeſtehen, daß ſie im Ganzen genom - men ihren urſpruͤnglichen Religionsbegriffen treu blieben, ſo viele Satzungen ſie auch aufnahmen, die den letztern widerſprachen.
Der Judengott iſt noch immer der alte, der er107 zu Moſes Zeiten ſchon war; eiferſuͤchtig, rachgie - rig, ein Feind aller uͤbrigen Menſchen mit Aus - ſchluß ſeiner hebraͤiſchen Lieblinge. Er haͤlt ſtrenge auf ein orientaliſches Etikette, und wenn man ihm jetzt auch nicht mehr, wie vormals Hekatomben opfern kann, ſo ſucht man dies durch Buͤßungen, Faſten und eine Menge anderer Poſſen zu erſetzen.
Die in den erſten Kapiteln des erſten Buchs Moſes enthaltenen Volksſagen von der Erſchaffung der Welt und vom Suͤndenfall geben uns den klar - ſten Begriff von den urſpruͤnglichen religioͤſen Jdeen der Juden. Gott erſcheint ganz als ein Menſch. Gott verrichtet ſein Tagewerk und ſieht am Abende nach, ob ihm alles gelungen und gut ſey. Am ſie - benten Tage ruht er ſich aus von der muͤhſamen Arbeit. Er hat alles ſehr ſchoͤn und vollkommen geſchaffen; da koͤmmt ploͤtzlich die liſtige Schlange und macht einen boshaften Strich durch die Rech - nung. Sie verfuͤhrt das naſchhafte Weib zum Eſ - ſen der verbotenen Frucht, und Eva, um nicht allein eine Suͤnderin zu ſeyn, verleitet den theuern Gemahl, gleichfalls den Apfel zu koſten. Da der allwiſſende Gott dies vorausſehen konnte, ſo muß man freilich ſich wundern, daß er ſeinen geliebten Menſchen jenes Gebot gab, fuͤr deſſen Uebertretung jetzt viele Millionen ihrer Nachkommen im hoͤlliſchen Schwefelpfuhl ewige Qual leiden muͤſſen. Nach dem Suͤndenfall, und als es am Abend kuͤhl gewor -12 *108den iſt, geht Gott im Garten ſpazieren*)Jn der Zuͤrcher Ueberſetzung heißt es woͤrtlich: „ Er ſpazierete im Garten. ‟ Wie klein und wie menſch - lich!. Die Menſchen verſtecken ſich vor ihm, und weil er ſie wahrſcheinlich nicht ſieht, ſo ruft er: Adam, wo biſt du? Aengſtlich kriechen ſie mit ihren Feigen - blaͤttern hervor, und nun wird mit ihnen und der Schlange ein peinliches Verhoͤr angeſtellt, denn der Gerechtigkeitliebende Gott macht es nicht, wie der taͤgliche Rath in Luzern mit Troxler, den man verdammte, ohne ihn hoͤren zu wollen. Das Weib ſchiebt ihre Schuld der Schlange in die Schuhe, und Adam waͤlzt die ſeinige auf das Weib, wel - ches, wie er ſagt, Gott ihm gegeben hat. Dieſe Worte enthalten einen leiſen Vorwurf daruͤber, daß Gott ihm eine ſo verfuͤhreriſche Ehehaͤlfte zugeſellt hatte. Die Schlange wird am Ende verurtheilt, auf ihrem Bauche zu kriechen, und kuͤnftig, ſtatt der Aepfel und Birnen, Erde zu eſſen. Dies iſt die Urſache, warum ſie auch jetzt nicht, wie der Adler und die Lerche in der Luft fliegt, oder wie der Hirſch und das muntere Roß auf vier Beinen umher ſpringt, ſondern — kriecht. Von der vor - geſchriebenen Diaͤt ſind aber bekanntlich die unge - horſamen Schlangen ſehr abgewichen, da ſie be - kanntlich nicht von Erde, ſondern von andern Din - gen ſich naͤhren. Adam ward verurtheilt, zu ar -109 beiten und im Schweiße ſeines Angeſichts ſein Brod zu eſſen; eine Strafe, von welcher in ſpaͤtern Zeiten die Pfaffen und Moͤnche ihrer Froͤmmigkeit halber freigeſprochen ſind. Eva ward verdammt, mit Schmerzen Kinder zu gebaͤhren. Dieſe Strafe traf gleichfalls nicht alle Toͤchter der naſchhaften Stamm - mutter, denn Nonnen und alte Jungfern gebaͤhren in der Regel niemals, ſo gerne ſie auch moͤchten. Dafuͤr muͤſſen ſie aber alles Konfekt des Eheſtands entbehren, und duͤrfen keine Gardinenpredigten hal - ten*)Ob Eva und ihre weiblichen Nachkommen uͤbrigens bei dem Bau ihres Koͤrpers ganz ohne Schmerzen, wenn kein Suͤndenfall geweſen waͤre, haͤtten Kinder gebaͤhren koͤnnen, iſt eine Frage, woruͤber Theolo - gen und Naturforſcher ſich ſtreiten. Ein Zionswaͤch - ter — wo ich nicht irre, der verſtorbene de Marées in ſeiner Gottesvertheidigung uͤber die Zulaſſung des Boͤſen — meinte, den Weibern wuͤrde das Ge - baͤhren, wenn der Suͤndenfall nicht eingetreten waͤre, ſo leicht geworden ſeyn, wie s. v. der Stuhlgang. Brydone und andere Reiſende erzaͤhlen, daß viele Sicilianerinnen verſichern, ſie fuͤhlten bei dem Gebaͤhren gar keine Schmerzen.. Gott war ſo zornig, daß er wegen des Ungehorſams der Menſchen die Erde zum Dornen - und Diſteltragen verfluchte, Adam und Eva aus dem Paradieſe jagte, und einen Cherub mit glaͤn - zendem Schwert davor ſtellte, damit ſie nicht wie - der hinein ſchleichen, und ſich durch den Genuß der110 Fruͤchte vom Baume des Lebens, von den Folgen ihrer Suͤnde befreien koͤnnten*)Der ehrwuͤrdige Jeruſalem war einer der erſten unter Deutſchlands Schriftgelehrten, welche zeigten, daß dieſe Erzaͤhlungen nicht, wie man bis dahin gethan, wirkliche Geſchichte, ſondern bloße Volks - lieder und Volksſagen waͤren. Dafuͤr ward er aber von dem Zeloten de Marées in Deſſau weidlich verketzert, der uͤbrigens ſeinen Kollegen Melchior Goͤtze in Hamburg an Geiſt und Kenntniſſen weit uͤbertraf..
Juͤdiſche und chriſtliche Rabbiner haben dieſe kindiſchen Sagen in ſpaͤtern Zeiten noch etwas ver - beſſert. Nicht die Schlange, ſondern der Teufel, welcher von jener das Juͤpchen lieh, war der Ver - fuͤhrer der erſten Menſchen. Jn dieſem Punkte nun ſind die rechtglaͤubigen Juden und Chriſten und ſelbſt die Muhamedaner ſich einig. Die erſteren haben jedoch noch andere Nachrichten von dem, was vor und nach der Schoͤpfung, und bei derſelben geſchah, und dieſe werde ich, ſo wie der Talmud ſie giebt, mittheilen. Freilich widerſprechen ſie ſich unter einander eben ſo ſehr, als der Vernunft ſelbſt, allein um ſo verdienſtlicher iſt es, ſie alle fuͤr wahr zu halten.
Der heilige hochgelobte Gott thut nichts, ohne ſich vorher mit ſeinem oberſten Hausgeſinde, das heißt, mit den Engeln zu berathſchlagen, wie Dan. 4 V. 14 und 17 geſagt wird*)M. ſ. das talmudiſche Buch Sanhedrin. Dies geſchahe auch, ehe Gott die Welt erſchuf, welches die Tal - mudiſten mit den Worten beweiſen: Laſſet uns Menſchen machen. Siebzig gute Engel, unter de - nen Michael der vornehmſte iſt, bilden den Staats - rath Jehovah’s und werden daher auch Gottes Rath genannt**)M. ſ. R. Bechai’s Auslegung uͤber 1 B. Moſes Kap. 46. V. 27, in der Paraſcha Vajiggaſch.. Außer ihnen giebt es jedoch noch eine unzaͤhlbare Anzahl guter und boͤſer Engel, die wir zum Theil in der Folge naͤher kennen ler - nen werden.
Kaum hatten die Buchſtaben erfahren, daß der Herr die Menſchen ſchaffen wollte, als ſie ſaͤmmt -112 lich in den Himmel kamen, wo jeder von ihnen begehrte, daß Gott den Adam durch ihn erſchaffen ſollte*)S. Jalkut Chadaſch; Othioth des Rabbi Akkiva, und den Jalkut Schemoni.. Dies war nicht das einzigemal, daß Buchſtaben ſprachen. Einſt unterredete ſich Gott mit zwei von ihnen, und umarmte und kuͤßte ſie, woruͤber ſie vor Freude weinten, ſangen und ſpran - gen**)Othioth des Rabbi Akkiva..
Die Berichte von der Erſchaffung des Menſchen und vom Suͤndenfall lauten ſehr verſchieden. Jch hebe nur die wichtigern aus.
» Als der heilige hochgelobte Gott den Menſchen ſthuf, erzaͤhlt Rabbi Menachem von Rekanat***)M. ſ. deſſen Auslegung der 5 Buͤcher Moſes, Paraſcha Vereſchith., nahm er Staub von dem Ort, wo nachmals der juͤdiſche Tempel erbauet worden, und machte den Adam daraus. Da er fertig war und auf ſeinen zwei Beinen ſtand, kamen alle Geſchoͤpfe und neig - ten ſich vor ihm. Was that der hochgelobte heilige Gott? Er nahm den Adam weg, ſetzte ihn in das Paradies, und machte ihm zehn Hochzeithimmel, jenen Hochzeithimmeln gleich, die er den Gerechten (Jſraeliten) kuͤnftig im Paradieſe bereiten wird. Hierauf ſtiegen die dienſtbaren Engel vom Himmel, und freueten ſich vor Adam, welchem Gott diehoͤchſte113hoͤchſte Weisheit beſcherte. Als Sammael (der Ober - ſte der boͤſen Engel) gleichfalls kam, und Adams Herrlichkeit erblickte, verdroß es ihn, und beſonders aͤrgerte es ihn, daß die dienſtbaren Engel dem Menſchen bei ſeinem Hochzeitſchmauſe aufwarteten. Was that er? Er nahm eine Schlange, welche die Geſtalt eines Kameels hatte, ritt auf derſelben nach dem Paradieſe, und verfuͤhrte den Menſchen. «
Nach dem Buche Othioth des Rabbi Akkiva hatte Gott dem Adam nicht zehn, ſondern gar zwoͤlf Hochzeithimmel von lauter Edelſteinen gebauet, die Eva ſelbſt friſirt, und ſie in Gegenwart aller ſei - ner Engel mit dem Adam im Paradieſe getrauet. Der heilige hochgelobte Gott lud ſie darauf beide zur Tafel, die mit den koͤſtlichſten Leckerbiſſen be - ſetzt war. Auch hatte er ihnen Tiſche aus Edel - ſteinen gemacht, von denen jeder hundert Ellen lang und ſechzig Ellen breit war. Die herrlichſten Speiſen wurden aufgetragen; die dienſtbaren Engel brieten dem Adam Fleiſch, kuͤhlten ihm den Wein, und gehorchten allen ſeinen Befehlen. Als aber die Schlange ſahe, wie große Ehre Gott den Men - ſchen erzeigte, ward ſie neidiſch, und beſchloß, ſie zum Boͤſen zu verfuͤhren.
Unter der Schlange wird der Sammael, der Oberſte der Teufel, verſtanden. Dieſer war vor dem Suͤndenfall des Menſchen einer der Seraphi - nen und hatte ſechs Fluͤgel. Als er aber die Men - ſchen verfuͤhrt hatte, ließ Gott ſie alle drei vorI. Baͤndchen. 13114ſich kommen, ſprach neun Fluͤche und das Todes - urtheil uͤber ſie aus, und ſtuͤrzte den Sammael mit ſeiner ganzen Schaar aus ſeinem Wohnort im Himmel. Der Schlange ſchnitt er die Fuͤße ab, und verdammte ſie zu der Strafe, daß ſie alle ſie - ben Jahre einmal mit großen Schmerzen ihre Haut ausziehen muß*)Jalkut Schimoni..
Als Gott den Sammael vom Himmel ſtuͤrzte, wollte er ſich an den Fluͤgeln des Engels Michael halten und dieſen mit ſich herunter reißen. Michael ward aber von Gott errettet, und heißt deshalb der Entronnene oder Errettete*)Jalkut Schimoni..
» Was fuͤhrte die Schlange im Schilde, als ſie die erſten Menſchen verfuͤhrte? Sie dachte: Jch will den Adam toͤdten, ſein Weib heirathen, und Koͤnig der ganzen Welt ſeyn. Dann will ich mit aufgerichtetem Leibe gehen, und alle Leckerbiſſen eſſen. Darum ſprach der heilige hochgelobte Gott zu ihr: Du haſt geſagt: Jch will Adam toͤdten, und Eva zum Weibe nehmen, deshalb will ich Feindſchaft ſetzen zwiſchen dir und dem Weibe, und zwiſchen deinem Saamen und des Weibes Saamen. Du haſt geſagt: Jch will Koͤnig der ganzen Welt ſeyn; darum ſollſt du verflucht ſeyn vor allem Vieh. Du haſt geſagt: Jch will mit aufgerichtetem Leibe gehen; jetzt ſollſt du auf deinem Bauch kriechen. 115Endlich haſt du geſagt: Jch will alle Leckerbiſſen der Welt eſſen; darum ſollſt du Erde eſſen dein Lebenlang «*)Rabbi Nathan im Buche Apoth..
Als Adam und Eva von dem Baume des Er - kenntniſſes genaſcht hatten, gab Eva auch allen Thieren von der verbotenen Frucht. Zuletzt kam ſie zu dem Vogel Chol oder Phoͤnix und ſprach: Jß, deine Geſpielen aßen gleichfalls davon. Er aber antwortete: Jſt es euch nicht genug, daß ihr wider den heiligen hochgelobten Gott geſuͤndiget, und den Tod uͤber alle andern Geſchoͤpfe gebracht habt? Muͤßt ihr nun auch noch zu mir kommen, um mich zu verfuͤhren, daß ich Gottes Gebot uͤbertreten ſoll, um gleich jenen ſterben zu muͤſſen? Jch gehorche dir nicht. Hierauf hielt der fromme Vogel eine ernſthafte Strafrede an die Menſchen und die uͤbri - gen Thiere wegen der begangenen Suͤnde. Da ſprach ploͤtzlich eine Stimme vom Himmel zu Adam und Eva: Jhr habt mein Gebot nicht gehalten, ſondern geſuͤndiget, und ſeyd zu dem Vogel Chol gekommen, um ihn gleichfalls ſuͤndigen zu machen. Er gehorchte aber nicht euren Worten, obgleich ich ihm nicht verboten, von dem Baum des Erkennt - niſſes zu eſſen. Darum ſoll er und ſein Saame den Tod nicht ſchmecken ewiglich**)Vaſikra Rabba..
13 *116Dieſer Vogel Chol lebt tauſend Jahre. Dann fallen die Federn ihm aus, ein Feuer geht aus ſeinem Neſte und verzehrt ihn, und laͤßt nur ſo viel von ihm uͤbrig, wie ein Ei, woraus er wieder waͤchst, und ſich verjuͤngt*)Buch Zeena Ureena und Emek Hammelech..
Der Rabbi Acha, des Chaninna Sohn, giebt in dem Buche Sanhedrin eine ſehr genaue Nach - richt von den erſten Lebensereigniſſen des Adam. Jn der erſten Stunde, erzaͤhlt er, wurde der Staub, aus welchem Gott den Adam erſchuf, zuſammen gebracht. Jn der zweiten ward ein unfoͤrmlicher Klumpen daraus gebildet. Jn der dritten wurden Adams Glieder gemacht. Jn der vierten ward ihm die Seele eingehaucht. Jn der fuͤnften ſtand er auf ſeinen Beinen. Jn der ſechsten nannte er die Namen. Jn der ſiebenten (eine boͤſe Zahl!) ward ihm die Eva zugeſellt. Jn der achten giengen ſie zwei zu Bette, und vier ſtanden wieder auf, da ſie nemlich in dieſer Stunde zwei Kinder mit ein - ander zeugten. Jn der neunten Stunde ward ih - nen geboten, nicht von dem Baume des Erkennt - niſſes zu eſſen. Jn der zehnten ſuͤndigten ſie. Jn der eilften wurde Gericht uͤber ſie gehalten, und in der zwoͤlften wurden ſie aus dem Paradieſe ge - jagt. Dies wird bewieſen mit Pſalm 49. V. 14., wo es heißt: Der Menſch bleibt nicht uͤber Nacht in ſeiner Wuͤrde.
117Rabbi Elieſer des Aſaria Sohn ſagt*)Bereſchith Rabba 22ſte Paraſcha.: Drei Wunder ſind an Einem Tage geſchehen. An dem - ſelben Tage wurden ſie erſchaffen; an demſelben Tage ſchliefen ſie bei einander; und an eben dem - ſelben Tage haben ſie auch Kinder zur Welt ge - bracht.
Rabbi Jehoſcha Korchaides verſichert: Es ſind zwei ins Bett geſtiegen, und ſieben wieder heraus - gekommen, nemlich Kain mit ſeiner Zwillingsſchwe - ſter, und Abel mit zwei Zwillingsſchweſtern**)Emek Hammelech..
Jm Sanhedrin heißt es: » Der Staub, woraus Gott den erſten Menſchen ſchuf, ward aus der ganzen Welt zuſammen gebracht. Der Rabbi Oſcha - ja hat geſagt: der Leib des Adam iſt aus Babel, ſein Haupt aus dem Lande Jſraels und ſeine Glie - der ſind aus den uͤbrigen Laͤndern genommen. Der Rabbi Acha ſagt: ſeine Hinterbacken ſind aus Akra, welches ein Ort bei Babel ſeyn ſoll, geholt. «
An einem andern Ort***)Talmud, im Buche Berachoth. wird berichtet: Gott habe den Menſchen mit zwei Angeſichtern geſchaffen und ihn nachher mit einer Saͤge in zwei Theile geſaͤgt, denn auf der einen Seite war der Menſch ein Mann, auf der andern ein Weib. Hierauf machte der hochgelobte Gott jeder Haͤlfte einen ei - genen Ruͤcken und das, was unter demſelben118 iſt*)Bereſchith Rabba, Paraſcha 8.. Der erſte Menſch war kein ſolcher Lillipu - ter, wie Goliath und der heilige Chriſtoph; er be - ruͤhrte, wenn er aufrecht ſtand, mit ſeinem Kopf die Feſte des Himmels; wenn er lag, ruhten Haupt und Hals im Paradieſe, ſein Leib und die uͤbrigen Glieder bedeckten die Erde. Als ihn die dienſtbaren Engel ſahen, zitterten ſie und fuͤrchteten ſich vor ihm. Was thaten ſie? Sie fuhren ſaͤmmtlich gen Himmel und ſprachen: Heiliger, hochgelobter Gott, es ſind zwei Herren, es ſind zwei Goͤtter in der Welt. Da legte Gott ſeine Hand auf das Haupt des Menſchen und verkleinerte ihn, ſo daß er nur taͤuſend Ellen lang blieb**)Reſchith Cochma; Sepher Gilgulim; Chagiga.. Rabbi Jehuda ſagt: der Menſch hat von einem Ende der Welt bis zum andern, und von einem Ende des Himmels bis zum andern gereicht. Als er aber geſuͤndiget hatte, legte Gott ſeine Hand auf ihn und verkleinerte ihn.
Als Gott den Adam erſchaffen hatte, hielten die Engel ihn fuͤr Gott ſelbſt, wollten ihn anbeten und ein Heilig, Heilig, Heilig, Halleluja vor ihm ſingen. Was that der hochgelobte Gott? Er ließ den Menſchen in einen tiefen Schlaf fallen, und da ſahen die Engel, daß er nicht Gott war. Dar - um heißt es Jeſaias 2. V. 22.: Laſſet ab von dem Menſchen, der Athem in ſeiner Naſe hat; denn was iſt er doch zu achten***)M. ſ. im Talmud das Buch Niſchmath Adam.?
119Bei jener ungeheuern Groͤße des Adam darf es keineswegs befremden, daß er von einem Ende der Welt bis zum andern ſehen konnte*)Jalkut Rubeni in der Paraſcha Kitiſſa..
Adam trieb, ehe ihm ſein Weib Eva zugeſellt war, Unzucht mit allen Thieren der Erde, und Eva that vor dem Suͤndenfall daſſelbe mit der Schlange**)Emek Hammelech und Sanhedrin..
Adam ſonderte ſich hundert und dreißig Jahre lang von ſeiner Frau ab, und beſchlief waͤhrend dieſer Zeit die Weiber der Teufel, welche von ihm ſchwanger wurden, und maͤnnliche Teufel und Nacht - geſpenſter gebahren. Eva aber hurte mit den maͤnn - lichen Teufeln und gebahr weibliche Teufel und Ge - ſpenſter***)Jalkut Schimoni und R. Bechai’s Erklaͤrung der fuͤnf Buͤcher Moſis, Paraſcha Bereſchith.. Mit dem Sammael, dem Oberſten der Teufel zeugte ſie den Kain, und deshalb ſagte ſie: Jch habe den Mann von dem Herrn empfan - gen! 1 B. Moſ. 4. V. 1. Die periodiſche Krank - heit der Frauen iſt noch eine Folge der Unzucht, welche Mutter Eva mit dem Sammael trieb; auch die Flecken im Monde ſind Unrath, den er hat hinein fallen laſſen; kuͤnftig wird dieſer Koth aber weggewiſcht und der Mond gereinigt werden†)Jalkut Chadaſch unter dem Titel: Adam, Nr. 12; Jalkut Rubeni; Menachem von Rekanat Erklaͤrung der 5 Buͤcher Moſis Paraſcha Mezora; Maer Hak - katon.. 120Arme Stammaͤltern! Ungluͤcklicher Sammael! Wie muͤßt ihr euch nach Jahrtauſenden noch von Got - tes beſchnittenen Lieblingen beluͤgen laſſen!
Jm Talmud*)Emek Hammelech; Avodath Hakkodeſch; Peſachim. werden verſchiedene Urſachen angegeben, weshalb Gott die Menſchen aus dem Paradieſe vertrieben haben ſoll. Wie ſchon fruͤher erwaͤhnt worden, hatte Gott durch den Engel Ra - ſiel dem Adam ein Buch geſandt, welches aber nach dem Suͤndenfall in den Himmel zuruͤckflog. Adam weinte bitterlich uͤber ſeinen Verluſt, und gieng bis ans Kinn in den Fluß Gichon. Hier ſtand er hundert und dreißig Jahre lang im Waſſer, ohne Speiſe und Trank zu ſich zu nehmen, und that Buße. Das Waſſer machte am Ende ſeinen Leib roſtig, ſo daß er ſeinen Glanz gaͤnzlich verlohr. Rabbi Schimeon belehrt uns, Adam habe drei Suͤn - den begangen, nemlich Hurerei, Todſchlag und Ab - goͤtterei. Als nun Gott zu ihm ſprach: verflucht ſey der Acker um deinetwillen, Dornen und Diſteln ſoll er dir tragen! da zitterte Adam an allen Glie - dern, Thraͤnen rannen von ſeinen Wangen, und ſchluchzend heulte er: Ach, Herr der Welt, ich und mein Eſel wollen aus Einer Krippe eſſen! Deshalb erbarmte ſich der hochgelobte, heilige Gott des Suͤnders und ſprach: weil deine Glieder gezittert, und deine Augen Thraͤnen vergoſſen haben, ſollſt121 du kuͤnftig Brod im Schweiße deines Angeſichts eſſen*)Das Buch Avoth von Rabbi Nathan, und das talmudiſche Buch Peſachim..
Adams erſte Frau war nicht Eva, ſondern Li - lis oder Lilith. Dieſe war gleich ihm aus Erde gemacht, aber ſie war hochmuͤthig und zankſuͤchtig. Sie wollte ihrem Manne nicht gehorchen und ſprach: Jch will oben liegen! Er hingegen antwortete: Nein, ich, denn ich muß uͤber dich herrſchen und du mußt mir unterthaͤnig ſeyn. Wir ſind beide gleich, erwiederte Lilis, denn wir ſind beide aus Erde gemacht. » Als ſie ſich nun gar nicht einigen konnten, ſprach Lilis den heiligen Namen Schem - hamphoraſch aus (d. i. der Name Jehovah mit der kabbaliſtiſchen Auslegung) und flog in der Luft davon. Da klagte Adam bei Gott: Herr der Welt, das Weib, welches du mir zugeſellt haſt, iſt ent - flohen. Gott ſchickte hierauf drei Engel, den Senoi, Sanſenoi und Sammangeloph, um die Lilith zu ſu - chen und zum Adam zuruͤck zu bringen. « Will ſie wiederkehren, ſprach Gott, ſo iſt es gut; wo nicht, ſo ſollen alle Tage hundert von ihren Kindern ſter - ben. Die Engel jagten ihr nach, und erreichten ſie jenſeit des Meers gerade an derſelben Stelle, wo Pharao mit ſeinem Heere nachmals ertrank. Sie zeigten ihr den Befehl des Herrn der Welt an; aber Lilis war widerſpenſtig und wollte nicht ge -122 horchen. Da droheten die heiligen Engel, ſie im Meer zu erſaͤufen; Lilis bat jedoch, ihres Lebens zu ſchonen. Jch bin, ſprach ſie, erſchaffen, die jungen Knaben bis zum achten, und die Maͤdchen bis zum zwanzigſten Tage ihres Alters zu peinigen und zu toͤdten; allein ich ſchwoͤre euch einen heili - gen Eid, daß, wenn ich eure Namen oder eure Geſtalt auf einem Zettel gemalt bei einem Kinde finden werde, ich dieſem nichts zu Leide thun will. Auch will ich die Strafe auf mich nehmen, daß taͤglich hundert meiner Kinder mir ſterben. Von jenem Tage an ſterben alſo jetzt taͤglich hundert Schedim oder junge Teufel, Kinder der Lilis, und deshalb ſchreiben noch alle frommen Juden die Na - men der Engel auf einen Zettel von Pergament und haͤngen ihn den neugebornen Kindern an den Hals, damit Lilis bei Anſicht dieſes Zettels ihres Eides gedenken und den Kindlein keinen Schaden thun moͤge*)Das Buch Ben Sira.. Wann eine Juͤdin ſich der Zeit ihrer Nie - derkunft naͤhert, wird die Wochenſtube mit allem Nothwendigen verſehen, der Gatte oder ein ande - rer frommer Jude zeichnet mit Kreide einen Kreis rings um das Gemach an allen Waͤnden, und ſchreibt inwendig uͤber die Thuͤr, und auswendig an jede Wand, ſo wie auch um das Bett mit he - braͤiſchen Buchſtaben die Worte: Adam Chava Chutz Lilis, d. i. Adam, Eva; heraus Lilis. Dies be -123 deutet: daß wenn die Woͤchnerin einen Sohn be - koͤmmt, Gott ihm ein Weib geben moͤge wie Eva; und daß, wenn eine Tochter geboren wird, ſie ih - rem kuͤnftigen Mann, wie Eva gehorſam, und nicht wie Lilis widerſpenſtig ſeyn ſoll*)Brandſpiegel Kap. 8.. Der Name dieſer Lilis wird auch (im hebraͤiſchen Text) von dem Propheten Jeſaias Kap 34. V. 14. erwaͤhnt, und iſt ins Deutſche durch » ungeheure Nachtfrau « uͤberſetzt. Ob das Maͤhrchen ſchon dem Propheten bekannt und, wie es ſcheint, von ihm geglaubt ward, oder ob es einer ſpaͤtern Zeit ſeinen Urſprung verdanke, moͤge dahin geſtellt ſeyn.
Lilis hieß auch das Weib des Sammael oder Leviathan. Ob dieſe letztere Lilis und jenes Fraͤu - lein Eine Perſon ſind, kann ich nicht entſcheiden. Von der Gemahlin des Sammael aber an einem andern Orte.
Der Brudermord des Kain wird von den Tal - mudiſten auf verſchiedene Weiſe erzaͤhlt. » Unſere Rabbiner geſegneten Andenkens haben geſagt: Kain und Abel hatten ſich in die Welt getheilt, ſo daß der erſtere alle unbeweglichen, der letztere alle beweg - lichen Guͤter erhielt. « Beim Opfern erzuͤrnten ſie ſich, und Abel ſprach zu Kain: ziehe deine Kleider aus, denn ſie gehoͤren zu den beweglichen Guͤtern, und ſind mein. » Fliege du in der Luft! erwiederte124 Kain. Du haſt keinen Theil an der Erde! « und darauf erſchlug er ſeinen Bruder*)Ammudcha Schefa, Titel Ammud harevi..
Jm Targum wird hingegen berichtet: Kain habe aus Zorn und Eiferſucht, weil Gott ſein Opfer nicht achtete, jenes aber von Abel gnaͤdig annahm, zu ſeinem Bruder geſagt: es ſey kein juͤngſtes Ge - richt, kein Gott und kein ewiges Leben. Abel wollte ihn aus dem Geſetz widerlegen, und ward daruͤber von dem erzuͤrnten Kain erſchlagen. Die - ſer iſt uͤbrigens, wie ſchon erwaͤhnt worden, ein mit Eva erzeugter Baſtard des Sammael oder Oberſten der Teufel, und Stammvater aller Gojim (Chriſten und Nichtjuden). Von dem frommen Abel hingegen ſtammen die Juden ab.
Die hoͤhere Geiſterwelt der Juden iſt außeror - dentlich volkreich. Beſonders haben ſie eine ſehr große Menge von Teufeln, obgleich dieſe Jdee ih - rem Religionsſtifter Moſes durchaus fremd war. Vermuthlich nahmen die juͤdiſchen Prieſter ſie erſt nach der babyloniſchen Gefangenſchaft in ihre Dog - matik auf; denn daß das Buch Hiob, in welchem der Satan eine ſo bedeutende Rolle ſpielt, ſchon zu den Zeiten der Erzvaͤter ſollte geſchrieben wor - den ſeyn, wie aͤltere Theologen behaupteten, iſt zu bezweifeln, da in den moſaiſchen Buͤchern dieſes Hiobs gar nicht erwaͤhnt wird.
Der Oberſte der Teufel iſt der Sammael oder Satan, den wir bereits als den Verfuͤhrer der er - ſten Menſchen, als den Liebhaber der Eva, und als den eigentlichen verbrecheriſchen Stammvater der Chriſten und Nichtjuden kennen gelernt haben. Er hat viele zum Theil laͤcherliche Namen bei den frommen Hebraͤern, ſo heißt er der Eſel, der Haa -126 rige, der Hund, der Geisbock, der Rabe, der Goliath, der Philiſter, der Haman, das Schwein, der Ochſe, weil er ſich oft, (beſonders in Kriegs - und Peſtzeiten) in Geſtalt eines Ochſen oder eines Schweins zeigen ſoll. Der fremde und der an - dere Gott wird er, und laͤſterlich genug, auch unſer Heiland genannt.
Die Juden haben zwei oberſte Todesengel, ei - nen guten, den Gabriel, und einen boͤſen, den Sammael. Dieſer letztere heißt aber vorzugsweiſe der Todesengel.
» Es ſind, lehrt das talmudiſche Buch Tuf Haa - rez, zwei Engel uͤber den Tod geſetzt; der boͤſe Sammael nemlich uͤber die Todten, welche außer dem gelobten Lande ſind, und der gute Gabriel uͤber diejenigen, ſo in dem Lande Jſraels ſterben. Beide haben große Heere von Engeln, die ihnen dienen, und deshalb Engel des Todes heißen. Gabriel und Sammael ſind Knechte des Engels Metatron, dem der heilige, hochgelobte Gott taͤglich ein Verzeich - niß der Menſchen giebt, welche zum Sterben be - ſtimmt ſind. Metatron befiehlt ſodann ſeinem Knecht Sammael, die außerhalb dem gelobten Lande zum Tode beſtimmten Seelen zu bringen, und ſo auch dem Gabriel, die Seelen wegzunehmen, die in dem Lande Jſraels ſterben ſollen. Dieſe beiden Vorge - ſetzten holen aber niemals ſelbſt eine Seele, ſondern ſie uͤberlaſſen dies Geſchaͤft ihren Dienern. Fuͤr jede Seele iſt ein beſonderer Engel beſtellt. Die127 untergeordneten Todesengel unterſcheiden ſich nach dem Grade der Wuͤrdigkeit der Seelen, denen ſie vorgeſetzt ſind. Wenn einer von ihnen eine Seele geholt, und in die Hand ſeines Obern abgeliefert hat, dann vergeht er von der Welt, weil er nur erſchaffen worden iſt, Eine Seele hinweg zu neh - men. «
» Alle Todten außerhalb dem gelobten Lande ſterben durch den Engel des Todes, den Sammael, weshalb ſie Nefela, d. i. ein Leichnam oder ein Aas genannt werden. Die Menſchen im Lande Jſraels aber ſterben nicht durch den Engel des To - des, ſondern durch einen Engel der Barmherzigkeit, nemlich den Gabriel, der im gelobten Lande herrſcht, und heißen Meſim oder Methim, welches (nach den Begriffen der Talmudiſten) der Sinn der Worte des Jeſaias ſeyn ſoll: Deine Todten werden leben*)Jeſaias Kap. 26. V. 19.. «
Wenn Sammael Jemanden zur Suͤnde ver - fuͤhrt, ſo heißt er Jezer hara, die boͤſe Art; ver - klagt er einen Menſchen, der geſuͤndiget hat, bei Gott, dann wird er Satan, Widerſacher genannt; bringt er einen Juden um, ſo nennt man ihn Ma - lach Hammaveth, Engel des Todes**)Menachem von Rekanat Erklaͤrung der 5 Buͤcher Moſis.. Ferner hat er bei den Hebraͤern folgende Namen: die alte128 Schlange, die ſchlechte Schlange, Lilith oder Lilis die krumme Schlange, Aſchmedai, Aſaſel, der un - reine Geiſt, die linke Seite, die andre Seite, Le - viathan, das Haupt der Kelifoth oder Schaalen, und inſofern er uͤber die Chriſten regiert: das Schwein, der Fuͤrſt Edoms, der Fuͤrſt Amaleks, der Fuͤrſt Roms, der Fuͤrſt des Eſau u. ſ. w. Die Namen Amalek, Eſau, Edom, das edomitiſche Reich, Rom, die Stadt Rom, das roͤmiſche Reich, das hoffaͤrtige, gottloſe Reich dienen durchgehends zur Bezeichnung der Chriſtenheit*)Großer Jalkut Rubeni, Paraſcha Beſchallach; Klei - ner Jalkut Rubeni, Titel Zura utarzuf Nr. 4, und Titel Nachaſch Nr. 17; Emek Hammelech, Titel Schaar reſcha Kap. 11; Sepher Nizzachon Nr. 87; Zeror hammor; Bava Bathra; Jalkut Chadaſch; Schaare ora; Moreh nevochim; Avoth des Rabbi Nathan..
So wie Gott einen Staatsrath von ſiebenzig Fuͤrſten hat, welche heilige und gute Engel ſind, ſo giebt es auch ſiebenzig Fuͤrſten der andern Seite, d. h. oberſte Teufel, die uͤber alle nichtjuͤdiſche Voͤl - ker, deren Goͤtter ſie ſind, herrſchen. » Als Gott nemlich bei dem Thurmbau zu Babel die Spra - chen der Menſchen verwirrte, entſtanden ſiebenzig verſchiedene Sprachen, und nach ihnen wurden ſiebenzig Voͤlker unterſchieden. Jedem derſelben gab Gott ein Land der Erde und ſetzte die ſiebenzigEn -129Engel zu Goͤttern (Elohim) und Fuͤrſten uͤber ſie, denn er ſelbſt fand keinen Theil an ihnen, da er rein iſt, ſie aber nicht Kinder nach ſeinem Eben - bilde waren. Er erwaͤhlte ſich Jakob, wie Pſalm 135. V. 4. geſagt wird, und ſo hat ein Reiner den andern gefunden*)Menachem Zijoni Auslegung der 5 B. Moſ. Pa - raſcha Haaſinu. Rabbi Bechai Paraſcha Behalothe - cha; Schaare Orah.. « Der Gott Jſraels zeigte ſich hier wahrlich ſehr uneigennuͤtzig, da er ſich kein beſſeres Theil erwaͤhlte.
» Als die Laͤnder unter die Voͤlker vertheilt und die Sprachen verwirrt wurden, lehrt das Buch Schaar Orah, empfieng jedes Volk ſeinen Fuͤrſten. Der heilige, hochgelobte Gott ſtand auf und erkohr ſich den Abraham, und nach dieſem die Jſraeliten von Arahams Saamen, denen er ſeinen Namen gab, zu ſeinem Erbe, ſo daß kein anderes Volk weiter Theil an ihm hat. Das Land Jſrael er - waͤhlte er zu ſeinem Eigenthum, und es hat keinen Fuͤrſten, als den hochgelobten, heiligen Gott. « Da aber jetzt nach dem oͤſterreichiſchen Beobachter die Tuͤrken einzige legitime Beſitzer des gelobten Lan - des ſind, ſo hat der Gott Jſraels zur Zeit gar keine liegende Gruͤnde. An einem andern Orte**)Jalkut Chadaſch unter dem Titel Malachim und Rabbi Elieſers Buch Pirke. heißt es: Gott hat mit den ſiebenzig Teufeln, dieI. Baͤndchen. 14130er zu Fuͤrſten uͤber die Voͤlker ſetzte, geloost, und da fiel ihm Abrahams Saame zu; deshalb ſpricht David Pſ. 16. V. 8.: Das Loos iſt mir ge - fallen auf das Lieblichſte! Woran wir aber ſehr zweifeln!
Als die Jſraeliten am Berge Sinai ſtanden und ſprachen: Alles, was der Herr geredet hat, wol - len wir thun, rief Gott den Engel des Todes, den Sammael, und ſagte ihm: Jch habe dich freilich zum Herrſcher uͤber alle Geſchoͤpfe gemacht; allein mit meinem Volke Jſrael haſt du nichts zu ſchaffen. Warum? Weil ſie meine Kinder ſind, denn es ſtehet geſchrieben: Jhr ſeyd Kinder des Herrn eu - res Gottes. 5 B. Moſis 14. V. 1. Da antwor - tete Sammael: Dann bin ich ja umſonſt in der Welt! Der heilige hochgelobte Gott aber erwieder - te: Jch habe dich erſchaffen, um die abgoͤttiſchen Menſchen, die Gojim und Accum, auszurotten, nicht aber um mein Volk zu verderben*)Jalkut Rubeni, Paraſcha Haaſinu; Menachem von Rekanat Auslegung der 5 B. Moſ. Paraſcha Kitiſſa. Bammidbar rabba Paraſcha 16..
Die ſiebenzig Fuͤrſten werden, weil ſie Teufel ſind, Kelifoth (Schaalen oder Rinden), Zad Hat - tuma (die unreine Seite), Cochoth Hattuma (Kraͤfte der Unreinigkeit), Malache Chabbala, (Engel des Verderbens), Sare Hattuma (Fuͤrſten der Unrei - nigkeit) genannt. Der gottloſe Engel Sammael iſt131 das Haupt aller Teufel; » es iſt kein gottloſerer unter den Teufeln, als der Sammael. Deshalb heißt er auch ein Koͤnig der Koͤnige uͤber alle Fuͤr - ſten des Verderbens*)Schaare Orah; Emek Hammelech.. « Beſonders gram iſt er den frommen Hebraͤern, denen er auf jegliche Weiſe zu ſchaden ſucht. Sein Einfluß erſtreckt ſich aber vorzuͤglich auf die ſiebenzig Fuͤrſten und ihre Voͤl - ker, deren Oberſter und Kaiſer er iſt. Jedes der Voͤlker wird von ſeinem Fuͤrſten (Elohim) mit al - lem Noͤthigen verſorgt, denn Gott ſorgt blos fuͤr Jſrael. Am Neujahrstage muͤſſen die Fuͤrſten (Elo - him) vor Gottes Gericht erſcheinen, und bekommen, wenn ihre Voͤlker ſich im verfloßnen Jahre unge - buͤhrlich gegen die Juden betrugen, Schlaͤge*)Schaare Orah; Emek Hammelech.. Als Abimelech, der Koͤnig der Philiſter, die Sara zu ſeiner Beiſchlaͤferin nahm, ſprach ſein Fuͤrſt (Elohim) zu ihm: » Jch ſuchte dich zu verhindern, daß du nicht ſuͤndigteſt; denn ſiehe, als du geſuͤn - get und das Weib Abrahams zu dir genommen hatteſt, haben ſie mich gepruͤgelt im oberſten Gericht mit Mechatim Vekotzim (mit Nadeln und Dornen), wovon ich noch leide unſaͤgliche Schmerzen**)M. ſ. das Buch Schaare Orah..
Nachdem das Gericht im Himmel uͤber die Elo - him oder Fuͤrſten gehalten iſt, halten dieſe wieder Gericht uͤber ihre untergeordneten Voͤlker, und zuͤch - tigen ſie, wenn ſie ihnen Verdruß gemacht haben. 14 *132Ein Volk, deſſen Fuͤrſt von Gott Schlaͤge bekoͤmmt, iſt gleichfalls ungluͤcklich. Wie gerne uͤbrigens die ſiebenzig Fuͤrſten und beſonders der gottloſe Sam - mael den Juden allenthalben zu ſchaden trachten, beweist das Lebensende des Moſes.
» Als Gott zu Moſes geſagt hatte, er ſollte nicht uͤber den Jordan in das gelobte Land kommen, war Niemand froher, als Sammael. Da ſprach Moſes zu dem hochgelobten, heiligen Gott: Herr der Welt, wenn du nicht willſt, daß ich in das Land kommen ſoll, das du deinem Volke gegeben haſt, ſo erhalte mich doch beim Leben, und laß mich nicht ſterben. Gott antwortete ihm: wenn ich dich in dieſer Welt nicht ſterben laſſe, wie ſoll ich denn in der zukuͤnftigen dich wieder lebendig machen? Ueberdies wuͤrde ja mein Geſetz dadurch vernichtet, denn es ſtehet dort von deinen Haͤnden geſchrieben: es iſt Niemand, der aus meiner Hand errette! 5 B. Moſ. 32. V. 39. Moſes erwiederte: Heili - ger, hochgelobter Gott, wenn du mich nicht in das Land Jſraels willſt gehen laſſen, ſo laß mich unter den Thieren des Feldes, die Kraͤuter und Gras eſſen und Waſſer trinken, und leben und die Welt ſehen; laß meine Seele ſeyn gleich den ihrigen. Da ſprach Gott zu ihm: es iſt genug! Moſes aber fuhr fort: Herr der Welt, wenn du das nicht willſt, ſo verwandle mich in einen Vogel, der in der Luft fliegt, am Tage ſeine Speiſe ſammelt, und Abends in ſein Neſt zuruͤckkehrt. Laß meine Seele133 ſeyn gleich der Seele eines Vogels. Gott antwor - tete abermal: Es iſt genug! Da fragte Moſes: Was bedeutet das: es iſt genug? Es iſt genug, was du geredet haſt, ſprach Gott, du ſollſt nicht mehr davon ſchwatzen. Als Moſes nun ſahe, daß nichts ihn vom Tode erretten koͤnnte, ſprach er: die Werke des Felſen ſind vollkommen, denn alle ſeine Werke ſind gerecht. Wahrhaft iſt Gott, und iſt nichts Unrechtes an ihm; gerecht und aufrich - tig iſt er! Was that Moſes? Er nahm ein Buch und ſchrieb den Schemhamphoraſch (einen Namen Gottes) darauf, und das Buch des Geſanges, das iſt Alles, was vom 32ſten Kapitel bis zum Schluß des fuͤnften Buchs geſchrieben ſteht. Als er hiemit beſchaͤftiget war, kam der Augenblick, wo er ſterben ſollte. Da ſprach Gott zu dem Gabriel: Ga - briel, gehe hin, und bringe mir des Moſes Seele. Er aber antwortete ihm: Herr der Welt, wie koͤnnte ich den ſterben ſehen, der den ſechzigmal zehntauſend Jſraeliten an Wuͤrdigkeit gleich iſt? Wie koͤnnte ich ihn wohl erzuͤrnen? Hierauf befahl Gott dem Michael: Gehe hin und bringe mir die Seele des Moſes! Michael ſprach: Herr der Welt, ich bin ſein Lehrer und er iſt mein Schuͤler geweſen; ich kann ihn nicht ſterben ſehen. Nun wandte ſich der Herr zu dem gottloſen Sammael, dem Erzfeinde von Abrahams Saamen. Gehe hin, und hole mir die Seele des Moſes. Sammael bekleidete ſich au - genblicklich mit Zorn, und zog ſich an mit Grau -134 ſamkeit; ſo gieng er dem Moſes entgegen. Als er ſahe, daß dieſer ſaß und den Schemhamphoraſch ſchrieb, und daß der Glanz ſeiner Geſtalt der Sonne und einem Engel des Herrn der Herrlichkeit gleich war, fuͤrchtete er ſich vor Moſes und dachte: Wahrlich die Engel koͤnnen ihm ſeine Seele nicht nehmen. Den Sammael uͤberfiel ein Zittern und ein Schmerz, wie die Wehen einer Gebaͤhrenden. Moſes wußte aber ſchon, ehe er noch den gottloſen Sammael ſahe, daß dieſer zu ihm kommen wuͤrde; darum ſchrieb er den Schemhamphoraſch. Als der Todesengel nun den Moſes nicht anzureden wagte, ſprach dieſer zu ihm: die Gottloſen haben keinen Frieden, ſpricht der Herr! Was willſt du bei mir? Jch bin gekommen, antwortete Sammael, deine Seele abzuholen. Wer hat dich geſchickt? fragte Moſes. Der, welcher alle Geſchoͤpfe erſchaffen hat! erwiederte der Engel des Todes. Moſes aber ſprach: Du nimmſt mir die Seele nicht! Die See - len aller, ſo in der Welt leben, ſind in meine Gewalt gegeben! ſagte Sammael. Und ich, verſetzte Moſes, habe mehr Macht, als alle, die jemals in die Welt gekommen ſind. Als Sammael hierauf fragte: worin ſeine Macht beſtehe, erwiederte er: Jch bin der Sohn Amrams, und bin beſchnitten aus Mutterleibe gekommen, ſo daß ich keiner Beſchnei - dung bedurfte. An demſelben Tage, als ich gebo - ren wurde, ward mein Mund geoͤffnet, daß ich reden konnte, und ich gieng auf meinen Fuͤßen, und135 ſprach mit meinem Vater und mit meiner Mutter; auch habe ich keine Milch geſogen. Drei Monate war ich alt, da prophezeiete ich ſchon, daß ich das Geſetz in den Feuerflammen empfangen wuͤrde. Nach - her gieng ich in den Palaſt des Koͤnigs Pharao und nahm ihm die Krone von ſeinem Haupte. Als ich achtzig Jahre alt war, that ich Zeichen und Wunder in Aegyptenland und fuͤhrte daraus ſechzig - mal zehntauſend Seelen. Das Meer ſpaltete ich in zwoͤlf Spalten und verwandelte das bittere Waſ - ſer in ſuͤßes. Jch fuͤhrte Krieg mit den Engeln und empfieng das feurige Geſetz. Auch wohnte ich unter dem feurigen Thron, meine Huͤtte war unter der Feuerſaͤule und ich redete mit Gott von Ange - ſicht zu Angeſicht. Jch beſiegte die Engel und of - feubarte ihre Geheimniſſe den Menſchenkindern. Aus der rechten Hand des hochgelobten, heiligen Gottes empfieng ich das Geſetz und lehrete es die Jſraeli - ten. Mit den zwei Helden der Voͤlker der Welt, dem Sichon und dem Og, die ſo hoch waren, daß ihnen das Waſſer zur Zeit der Suͤndfluth nur bis an die Ferſen reichte, hab’ ich Kriege gefuͤhrt, und ſie mit dem Stab in meiner Hand erſchlagen und getoͤdtet. Die Sonne und den Mond ließ ich in ihrer Hoͤhe ſtill ſtehen. Wer unter allen, die in die Welt kommen, koͤnnte ſolche Thaten wohl thun? Fort, von hier, du Gottloſer! Packe dich und fliehe von mir. Du bekoͤmmſt meine Seele nicht! Da begab ſich Sammael hinweg, und ſtattete dem hoch -136 gelobten Gott von allem Bericht ab. Gott aber ſprach zu ihm: Gehe hin und bringe mir die Seele des Moſes. Hierauf zog er ſein Schwert und ſtellte ſich gegen Moſes; dieſer ward jedoch zornig, und ergriff den Stab, auf welchen der Schemhampho - raſch eingeſchnitten war, und ſchlug ſo kraͤftig auf den Sammael los, daß er eiligſt die Flucht nahm. Moſes lief ihm nach, riß ihm das Horn ſeiner Herrlichkeit zwiſchen ſeinen Augen hinweg, und ſchlug ihm mit dem Schemhamphoraſch ein Auge aus.
So weit gieng Alles recht gut; allein nun kam eine Stimme vom Himmel, die ſprach: der Zeit - punkt deines Todes iſt herbei gekommen. Da ſagte Moſes zu dem heiligen, hochgelobten Gott: Du Herr der Welt, erinnere dich des Tages, an wel - chem du mir im Dornbuſch erſchienſt, und zu mir ſprachſt: gehe hin, daß du mein Volk aus Aegyp - ten fuͤhreſt. Gedenke an den Tag, an welchem ich auf dem Berge Sinai ſtand, und vierzig Tage und Naͤchte bei dir war. Jch bitte dich, uͤbergieb mich nicht in die Gewalt des Todesengels. Gott ant - wortete: Fuͤrchte dich nicht! Jch will ſelbſt fuͤr dich und dein Begraͤbniß ſorgen. Da machte ſich Moſes auf und heiligte ſich, wie die Seraphim; und der heilige, hochgelobte Gott kam ſelbſt vom oberſten Himmel herab, die Seele des Moſes zu nehmen. Er hatte drei dienſtbare Engel bei ſich, den Michael, den Gabriel und den Sagſagel. Mi - chael bereitete fuͤr Moſes das Sterbebette. Gabriellegte137legte ein Kiſſen von der feinſten Leinwand unter Moſes Haupt, und Sagſagel ein anderes zu ſeinen Fuͤßen. Hierauf ſprach der heilige Gott: Moſes, ſchließe deine Augen zu, und er ſchloß ſeine Augen. Weiter ſagte er zu ihm: Lege deine Haͤnde auf die Bruſt, und er legte ſeine Haͤnde auf die Bruſt. Lege deine Fuͤße aus einander, und Moſes gehorch - te. Jetzt rief der hochgelobte Gott die Seele: Meine Tochter, hundert und zwanzig Jahre hatte ich dir beſtimmt, in dem Leibe des Moſes zu wohnen. Nun iſt die Zeit da, ihn zu verlaſſen. Gehe heraus und ſaͤume nicht. Die Seele aber antwortete: Du Herr der Welt, ich weiß, daß du ein Gott aller Geiſter und Seelen biſt, und daß die Seelen der Lebendigen und der Todten in deiner Hand ſind. Du haſt mich erſchaffen und gebildet und mich hun - dert und zwanzig Jahre in dem Leibe des Moſes wohnen laſſen. Wo iſt wohl ein Leib, der reiner waͤre, als dieſer, in welchem nie ein uͤbelriechender — Wind, nie ein haͤßlicher Wurm gefunden wor - den? Darum liebe ich ihn, und will nicht aus ihm herausgehen. Da ſprach der hochgelobte, heilige Gott: Seele, gehe heraus und ſpute dich! Dann will ich dich in den oberſten Himmel bringen, und dich zu den Cherubim und Seraphim und zu den uͤbrigen Schaaren der Engel geſellen. Sie erwie - derte: Ach, Herr der Welt, es ſind zwei Engel, Aſael und Aſa von dem Thron deiner Herrlichkeit aus der Hoͤhe herab gekommen, und haben nachI. Baͤndchen. 15138den Toͤchtern der Erde geluͤſtet und ihren Wandel verderbt. Darum haſt du ſie aufgehaͤngt zwiſchen der Erde und der Feſte des Himmels. Der Sohn Amrams aber iſt von jenem Tage an, wo du ihm im Dornbuſch erſchienſt, nicht zu ſeinem Weibe ge - gangen, wie geſchrieben ſtehet: und Mirjam und Aaron redeten wider Moſes um ſeines Weibes, der Mohrin willen, die er genommen hatte, denn er hatte eine Mohrin zum Weibe genommen*)4 B. Moſ. 12. V. 1.. Jch bitte dich, laß mich in dem Leibe des Moſes. Da kuͤßte ihn der hochgelobte, heilige Gott, und nahm ihm ſeine Seele durch einen Kuß, und Gott wein - te**)Jalkut Schimoni uͤber die 5 B. Moſis; Devarim Rabba; Peterath Moſche.. «
Daß Moſes durch einen Kuß Gottes ſtarb, folgern die Talmudiſten aus den Worten: Er ſtarb durch den Mund des Herrn. Auch Mirjam, die Schweſter Moſis, iſt an ſolchem goͤttlichen Kuſſe ge - ſtorben. Es wird, wie die gelehrten Rabbiner ver - ſichern, blos darum nicht von ihr geſagt, ſie ſey durch den Mund des Herrn hinweggenommen, weil der hochgelobte, heilige Gott ſich ſchaͤmen wuͤrde, wenn es von ihm hieße: er habe ein Weib ge - kuͤßt***)Sal. Jarchi Auslegung der 5 Buͤcher Moſis..
139Die Geſchichte des Moſes lehrt uns deutlich, welch’ ein ſchadenfroher Bube der Sammael iſt, und wie ſehr es ihn ergoͤtzt, wenn er dem frommen Volke Gottes einen Poſſen reißen kann. Er ver - klagt auch die guten Juden faſt unaufhoͤrlich bei Gott. Daher opfern ſie ihm am großen Verſoͤhnungs - feſte einen Ziegenbock, auf welchen ſie die ſaͤmmtli - chen Suͤnden des ganzen Volks bekannt haben. Wenn Sammael dieſen Bock empfaͤngt, und ploͤtzlich aus ihrem Verklaͤger ihr Fuͤrſprecher wird, ruft der hochgelobte, heilige Gott die ſiebenzig Fuͤrſten der Voͤlker und ſpricht: Sehet hier, dieſer, der immer meine Kinder verklagt, iſt jetzt wegen eines elenden Bocks, auf den ſie ihre Suͤnden bekannt haben, ihr Sachwalter geworden. Die Fuͤrſten faͤllen ſo - dann einſtimmig das Urtheil, daß alle Suͤnden des Volks Jſrael auf das Volk des Sammael kommen ſollen. Wenn die Voͤlker von jenem Ziegenbock wuͤßten, ſagen die Talmudiſten, wovor uns aber der hochgelobte, heilige Gott behuͤte, ſo wuͤrden ſie keinen Jſraeliten auch nur einen Tag am Leben laſſen*)Jalkut Chadaſch; Sohar.. Jetzt werden außerhalb dem gelobten Laude ſtatt des Ziegenbocks andere Dinge geopfert**)M. ſ. den Abſchnitt von den juͤdiſchen Feſten..
» Nachdem Moſes das Geſetz empfangen, ſprach Sammael: Herr der Welt, du gabſt alle Voͤlker15 *140der Erde in meine Gewalt; aber warum nicht auch Abrahams Saamen? Gott antwortete: Siehe, wenn du am großen Verſoͤhnungsfeſt eine Suͤnde an den Kindern Jſrael findeſt, ſo ſollſt du uͤber ſie herrſchen; findeſt du aber keine Suͤnde an ihnen, ſo ſollſt du keine Macht haben uͤber ſie. Als nun am Verſoͤhnungstage der boshafte Sammael ſahe, daß das Volk Jſrael ſo rein, wie die Engel, und ganz ohne Suͤnde war, ſagte er zu Gott: Wahr - lich, o Herr der Welt, du haſt ein Volk auf Er - den, das ſo vollkommen iſt, wie die Engel im Him - mel. Dieſe ſtehen aufrecht, eſſen und trinken nicht, ſind rein von allen Suͤnden und leben in Friede und Einigkeit; ſo iſt auch das Volk Jſrael am Ver - ſoͤhnungstage. Wenn der heilige, hochgelobte Gott den Sammael ſo reden hoͤrt, dann vergiebt er den Jſraeliten augenblicklich ihre ſaͤmmtlichen Uebertre - tungen und erhoͤrt alle ihre Gebete*)Jalkut Chadaſch.. Deshalb muͤſſen ſie auch dem Sammael Geſchenke geben, um ihm die Augen zu verblenden, damit er ihre Suͤn - den nicht ſehen und ſie nicht anklagen moͤge, denn es ſtehet geſchrieben: » Du ſollſt keine Geſchenke neh - men, wodurch ſelbſt Weiſe verblendet werden. « 2 B. Moſ. 23. V. 8.**)Moreh nevochim Theil 2, Tit. Schemtof; R. Jſaak Karv Auslegung der 5 B. Moſis. Toledoth Jiz - chack, Paraſcha Achare Moth.. Sollten die frommen141 Juden nicht manchmal auch irdiſchen Richtern und Sachwaltern Geſchenke machen, um das Recht zu beugen?
» Der Gottloſe, der lange lebet auf Erden, von dem Pred. Sal. 7. V. 16. geſprochen wird, iſt kein anderer, als Sammael, und gottlos heißt er dar - um, weil er der Chriſtenheit (Edom) allen moͤgli - chen Vorſchub thut, und ihr Ruhe und Unterhalt verſchafft*)Zohar, Paraſche Schemoth; Emek Hammelech.. «
» Sammael iſt ein Anſtifter von Zaͤnkereien; er verwirrt alle Hochſchulen, und die, auf welche er einwirkt, ſind Luͤgner, halten kein Wort, und er - regen Krieg**)Kl. Jalkut Rubeni, Tit. Sammael Velilith Nr. 53.. «
» Der heilige, hochgelobte Gott wird die boͤſe Art, welches Sammael, der Fuͤrſt Edoms oder der Chriſtenheit iſt, in Zukunft ſchaͤchten oder ſchlach - ten. Der Herr ſelbſt will ihn aber nicht toͤdten, ſondern ihn blos bei ſeinem Haupthaar feſthalten, und Elias ſoll ihn ſchaͤchten***)Jalkut Chadaſch.. «
» Jm großen Jubeljahr werden die ſiebenzig Fuͤrſten (Kelifoth oder Schaalen, auch Elohim ge - nannt) nebſt ihren ſiebenzig Voͤlkern von der Welt vertilgt werden. Dann wird der Herr heimſuchen das ſtolze Heer in der Hoͤhe und Sammael wird, nebſt den ſiebenzig Fuͤrſten der Welt (den ſiebenzig142 oberſten Teufeln oder Kelifoth) geſchaͤchtet und hin - geworfen werden, wie die Boͤcklein und Laͤmmer am großen Verſoͤhnungstage. Gott wird den Sa - ra ſchel Kerach Romi, den Fuͤrſten Roms oder der Chriſtenheit, (den Sammael) aus ſeiner Wohnung verſtoßen, und ihn ſchlachten nach der Weiſſagung des Jeſaias Kap. 34. V. 6.: der Herr haͤlt ein Schlachten zu Botzra. Ehe Gott aber die Voͤlker vertilgt, wird er die Chriſten mit zehn Zornſchaa - len heimſuchen, und dann wird er ihren Vater, Fuͤrſten und Verſorger, den Sammael oder Satan, ſtuͤrzen und abſchlachten*)Jalkut Chadaſch; Menachem von Rekanat und Be - chai’s Auslegungen der 5 Buͤcher Moſis. Askath Rochel.. «
» Am Tage der Rache Gottes uͤber die ſiebenzig Voͤlker der Welt, wird ein Goi gegen den andern ſein Schwert ziehen, und vom Himmel wird Feuer, Schwefel und Ungewitter auf ſie herab ſtuͤrmen. Wie ein Menſch den Haß gegen ſeinen Feind im Herzen behaͤlt, bis er Gelegenheit findet, ſich zu raͤchen, ſo behaͤlt auch der hochgelobte, heilige Gott ſeinen Groll gegen die Chriſten, und wird die Zeit wahrnehmen, in der Oſternacht ſich an ihnen zu raͤ - chen**)Aus einer geſchriebenen Erklaͤrung des großen Gebetbuchs Machſor.. « Wahrlich ein ſauberer Gott, den die Juden ſich denken!
143» Wann der Herr der Welt den Sammael ſtuͤr - zen wird, heißt es an einem andern Orte*)Afkath Rochel., dann werden mit ihm alle Malache Chabbala (Engel des Verderbens, die 70 Fuͤrſten der Voͤlker) fallen, und vernichtet werden, wie Jerem. 30. V. 11. geſchrie - ben ſteht: « » Dann will ich aus allen Heiden ein Ende machen, unter die ich dich zerſtreuet habe! « » und das gilt auch von ihren Fuͤrſten oder Elo - him. «
Dieſe ſiebenzig Fuͤrſten ſind ſchon einmal von Gott in Ketten und Banden gelegt worden, denn der Rabbi Chaninna, des Papa Sohn, ſpricht: So wie unſer Vater Abraham den Jſaak hier un - ten gebunden hat, ſo hat auch der heilige, hochge - lobte Gott die Fuͤrſten der Voͤlker dort oben gebun - den und ſie in Feſſeln gehalten, bis die Jſraeliten zur Zeit des Jeremias geſuͤndiget haben. Da ſind die Gebundenen wieder frei gemacht worden, und dies iſts, was der Prophet Nahum Kap. 1. V. 10. ſagt: die Dornen ſind in einander geflochten.
Ferner erzaͤhlt Rabbi Chaninna, des Papa Sohn: Als unſer Vater Abraham unſern Vater Jſaak gebunden hatte, waren alle Geſchoͤpfe dort oben und hienieden beſchaͤftigt, ihre Widerſacher zu binden. Der Planet Mars ward von dem Planeten Jupiter gebunden. Der Engel Michael, der im Himmel Hoherprieſter iſt, hat den Gabriel gebun -144 den, und der Loͤwe an dem Wagen hat den Ochſen gebunden, und iſt auf den aͤußerſten Altar geſtie - gen*)Jalkut Chadaſch Tit. Jitzchak und Tit. Abraham..
Hier iſt zu bemerken, daß die ſiebenzig Fuͤrſten der Voͤlker, nach des Talmuds Lehre, Seelen der Planeten und Geſtirne ſind. Deshalb ſagt Rabbi Bechai: » Weil die uͤbrigen Voͤlker den Geſtirnen und Planeten gehoͤren, und mit dem Saamen Ja - kobs nicht zu vergleichen ſind; ſo hat ſich der Schoͤ - pfer aller Dinge den letztern zum Eigenthum er - waͤhlt. Darum erſtreckt ſich auch die Gnade und der Schutz Gottes ausſchließlich uͤber uns, und nicht uͤber jene, wie geſchrieben ſtehet: Alle Voͤlker wer - den wandeln, ein jegliches in dem Namen ſeines Gottes; wir aber wollen wandeln im Namen des Herrn unſers Gottes immer und ewiglich! Micha 4. V. 5. Und David ſpricht: Der Herr behuͤtet, die ihn lieben, welches er blos von den Jſraeliten ſagt, denn die uͤbrigen Voͤlker haben ihre Fuͤrſten und Goͤtter (Elohim), die ihnen Gutes erzeigen und ihre Huͤter ſind. Gott iſt nicht ihr Beſchuͤtzer. Wen beſchuͤtzt er denn? Die Jſraeliten, die ihn lieben, denn dieſe lieben ihn allein unter allen Voͤl - kern, weil ſie Abrahams Saamen ſind, der wegen der Tugend der Liebe beruͤhmt iſt**)R. Bechai im Cad Hakkemach; Zeror Hammor, Paraſcha Acharemoth; Jalkut Rubeni, Titel Nedit - him. Majene Jeſchua.. «
145Dieſe Stelle, ſo wie uͤberhaupt die ganze al - berne Lehre von den ſiebenzig Elohim oder Kelifoth, als den Vorſtehern und Verſorgern der uͤbrigen Voͤlker, beweist deutlich die fruͤher ſchon aufgeſtellte Behauptung: daß die Juden blos in Ruͤckſicht der Verehrung und des Kirchendienſtes Monotheiſten, hinſichtlich des Glaubens aber wahre Polytheiſten ſind. Ob ihr Monotheismus ihnen uͤbrigens zur Ehre gereiche? Jch glaube es kaum. Allenthalben erſcheiut der Judengott als ein rachgieriges, grau - ſames, tuͤckiſches, ſehr beſchraͤnktes, hochmuͤthiges Weſen! Wer ſich Gott unter ſeinem Bilde denkt, mit dem mag ich nicht allein Eine Straße wandeln, mit dem nicht unter Einem Dache ſchlafen.
Rabbi Jehuda hat geſagt: der Raf hat geſagt, daß der Tag zwoͤlf Stunden habe. Jn den drei erſten ſitzt der heilige, hochgelobte Gott, und ſtu - diert im Geſetz. Jn den drei andern ſitzt er und richtet die ganze Welt. Jn den drei darauf folgen - den Stunden ſitzt er, und ernaͤhrt die ganze Welt. Jn den drei letzten ſitzt er, und ſpielt mit dem Le - viathan*)Avotha Sara..
Wenn er immer ſitzt und ſich nie eine Bewegung macht, ſo muß er ſchon muͤrriſch und hypochondriſch werden. Der Leviathan, mit welchem er ſpielt, iſt kein anderer, als Sammael, den er und Elias ſchaͤchten wollen. Mit wem will der alberne Gott146 der Talmudiſten in Zukunft ſeine Mußeſtunden hin - bringen, wenn er ſeinen Spielkameraden geſchlach - tet hat? Und — was ſoll aus den Sternen und Planeten werden, wenn ihre Seelen am großen Jubelfeſte der Juden geſchlachtet ſind?
O, bleibt uns fort mit dem elenden Oehlgoͤtzen der Juden, der weder eine Verehrung einfloͤßen, noch fodern kann. Wir kennen einen erhabenern und beſſern Gott, der in ſeiner großen Bibel, Natur genannt, allen ſeinen Kindern ſich offenbart und ſeine Gebote mit unausloͤſchlichen Buchſtaben tief in ihre Herzen geſchrieben hat. Wem dieſe Geſez - zestafeln auch hienieden nicht gedeutet oder durch Sektenglauben, Rabbiner - und Pfaffentrug verdun - kelt werden, dem werden ſie gewiß in einem andern Leben, auf einer hoͤhern Stufe der geiſtigen und ſittlichen Entwickelung in vollem Lichte erſcheinen.
Jn dem Buche Cad Hakkemach des Rabbi Be - chai heißt es: » Moſes verſichert uns, Gott werde ſich unſertwegen an den Voͤlkern raͤchen, indem er ſpricht: alle dieſe Fluͤche will ich auf deine Feinde legen, und auf die, ſo dich verfolgen und haſſen. Unter unſern Feinden verſteht Gott Edom oder die Chriſten und Heiden; und unter denen, ſo uns ver - folgen und haſſen, Jsmael oder die Muhamedaner. «
» Die Voͤlker, ſagt Rabbi Abarbenel*)Maſchmia Jeſchua., an denen ſich Gott wegen Jſrael raͤchen will, hat der147 Prophet Jeſaias mit den Worten bezeichnet: » die ſich heiligen und reinigen in den Gaͤrten; « das thun die Tuͤrken; und » die da Schweinefleiſch eſ - ſen*)Jeſaias 66. V. 17., « das ſind die Chriſten und Heiden.
Hiernach iſt alſo kein Volk der Erde von der Rache des Gottes Jſrael ausgenommen. Sie wer - den alle mit ihren oberſten Fuͤrſten vertilgt und — geſchaͤchtet werden.
Wenn Sammael und die ſiebenzig Fuͤrſten oben Krieg gegen einander fuͤhren, ſo bekriegen ſich auch ihre Voͤlker hienieden**)Emek Hammelech, Tit. Schaar olam habberia Kap. 3.. Dies macht bekanntlich den frommen Jſraeliten viel Freude, da ſie haͤufig das Geld gegen große Prozente dazu herleihen, und in der Regel den Heeren Edoms als Lieferanten, Marketender und Spitzbuben nachziehen koͤnnen, ohne ihr eigenes koſtbares Leben auf einem Schlacht - felde Preis zu geben. Am erwuͤnſchteſten war ih - nen gewiß der Krieg der Tuͤrken und Griechen, und ſie nahmen als Spione die Parthei der erſtern na - tuͤrlich um ſo williger, da ſie mit dieſen den Haß gegen den großen Gekreutzigten theilen. Ueber die - ſen Haß in der Folge ein Mehreres.
Von den ſiebenzig abgoͤttiſchen Voͤlkern hat, wie vorhin ſchon erwaͤhnt worden, jedes ſeine beſondere Sprache. Joſeph, der Fuͤrſtſtaatskanzler Aegyp -148 tens und Mardochai, der blutduͤrſtige Kuppler des Koͤnigs Ahasverus verſtanden alle dieſe Sprachen; der Rabbi Chaninna gleichfalls. Letzterer hatte ſie von einem Geiſte gelernt, der ſich, in Geſtalt eines Froſches, als Sprachmeiſter bei ihm aufhielt. Noch ein anderer Rabbi lernte ſie, ſo wie die Sprachen der Voͤgel, Fiſche und vierfuͤßigen Thiere von dem Leviathan, dem Koͤnige der Fiſche*)Vom Leviathan inſofern er nicht den Sammael, ſondern dieſen Fiſchmonarchen bedeutet, wird in ei - nem andern Abſchnitte die Rede ſeyn, worin von den großen Thieren der Juden Nachricht gegeben wird.. Er redete gleich darauf mit zwei Raben, die ihm einen groſ - ſen Schatz nachwieſen**)M. ſ. das Buch Megilla und R. Bechai’s Aus - legung der 5 Buͤcher Moſis Paraſcha Noach.. Wahrſcheinlich waren dies ein Paar von jenen frommen und gefaͤlligen Raben, die dem Elias die Speiſe brachten. Jn dem Buche Majan hachochma, welches der Engel Mi - chael dem Pali und dieſer dem Moſes ſoll gegeben haben, heißt es: Wenn du den Schemhamphoraſch (den Namen Gottes mit der kabbaliſtiſchen Ausle - gung) gehoͤrig verſtehſt; ſo wirſt du auch die Reden der Menſchen, die Sprache des Viehes, das Zwit - ſchern der Voͤgel, die Worte der Thiere, das Ge - ſchrei der Hunde, die Geſpraͤche der Teufel und der dienſtbaren Engel, die Unterredungen der Dat - telbaͤume, die Bewegungen der Meere, die Empfin -149 dungen der Herzen, das Murmeln der Zunge und die Gedanken der Nieren verſtehen.
An Teufeln beſitzen die Juden einen außeror - dentlichen Ueberfluß. Jene leben aber nicht, wie unſere Pfaffen, Jeſuiten und Moͤnche im Coelibat, ſondern — ſo viel uns bekannt iſt — faſt alle ver - heirathet. » Der Rabbi Jehuda hat geſagt: der Raf hat geſagt, daß Gott von Allem, was er in ſeiner Welt erſchaffen, ein Maͤnnlein und Fraͤulein ge - ſchaffen hat. Alſo hat er auch von dem Leviathan, dem Sammael, der eine ſchlechte Schlange iſt, und von dem Leviathan, dem Sammael, der eine krumme Schlange iſt, ein Maͤnnlein und ein Fraͤu - lein geſchaffen. Haͤtten aber dieſe mit einander Junge gezeugt, ſo wuͤrden ſie durch ihre Groͤße und Menge die ganze Welt zerſtoͤrt haben. Was that alſo der hochgelobte, heilige Gott? Er hat das Maͤnnlein verſchnitten, und das Fraͤulein geſchaͤch - tet und eingeſalzen fuͤr die gerechten Jſraeliten zu der Mahlzeit, welche dereinſt im Paradieſe ſoll ge - halten werden*)Bava Bathra.. «
Und der gelehrte Verfaſſer des Buchs Ammu - deha Schefa ſpricht: » Unſere Rabbiner geſegneten Andenkens haben geſagt: daß Gott den Leviathan verſchnitten habe, damit er und ſeine Jungen nicht die Welt zerſtoͤrten; und daß der Engel Gabriel einen Krieg gegen den Leviathan fuͤhren werde. « 150Warum ſollte Gabriel gegen den Leviathan (den Koͤnig der Fiſche) einen Krieg fuͤhren? Man muß die Sache nicht buchſtaͤblich verſtehen. Das Ver - haͤltniß iſt folgendes: Leviathan und ſein Weib be - deuten hier den Engel, welcher der Satan, der Sammael und der andere Gott iſt, und deſſen Weib, die Lilith. Dieſe ſind der Leviathan, der eine ſchlechte Schlange und der Leviathan, der eine krumme Schlange iſt, von denen Jeſaias Kap. 27. V. 1. redet, und die der heilige, hochgelobte Gott mit ſeinem harten Schwert heimſuchen wird, um ſie von der Welt zu vertilgen. Gegen ſie wird der Engel Gabriel eine Jagd anſtellen und den unreinen Geiſt von der Erde vertreiben. Jm Anfang der Schoͤ - pfung gedachte der hochgelobte, heilige Gott, daß dieſer Leviathan mit ſeinem Weibe, der Lilith, viele Seelen der Teufel und der abgoͤttiſchen Menſchen (Gojim) zeugen wuͤrde, denn ſo wie die Seelen der Jſraeliten von dem heiligen Gott herkommen, ſo kommen die Seelen der Gojim von dem Engel her, welcher der Satan oder der andere Gott iſt. Wahr - lich, wenn die Seelen der Gojim ſich vermehren, dann gewinnt, wovor Gott uns behuͤte, die Kraft der Unreinigkeit die Oberhand, und die boͤſen Gei - ſter zerſtoͤren die Welt. Was hat der heilige, hoch - gelobte Gott deshalb gethan? Er hat den Engel, den Satan verſchnitten, damit er ſich nicht mit der Lilith vermiſchen koͤnne, und die Welt erhalten werde. Daher heißt es im Sohar, Paraſcha Miſch -151 patim: Der andere Gott iſt verſchnitten, denn der heilige, hochgelobte Gott hat ihn verſchnitten, auf daß er in der Welt keine Frucht braͤchte und Junge zeugte. Hiegegen macht der weiſe Verfaſſer des Buchs Cheſed — le — Abraham einen Einwurf und ſpricht: Wie iſt es moͤglich, daß der heilige, hoch - gelobte Gott den Engel, welcher der andere Gott iſt, ſollte verſchnitten haben, damit er keine abgoͤt - tiſche Menſchen (Gojim, d. h. Chriſten und Nicht - juden) zeugen ſollte. Sehen wir nicht taͤglich viele unreine Seelen? Allein er ſelbſt hat dieſen Ein - wurf gar herrlich geloͤst, indem er ſagt: » » die un - reinen Seelen ſind nicht durch Vermiſchung des Satans und der Lilith erzeugt, denn da Gott dieſe verſchnitten hat, ſo iſt es unmoͤglich, daß ſie ſich vermiſchen ſollten. Die unreinen Seelen der abgoͤt - tiſchen Menſchen aber und die Seelen der Teufel, welche in die Welt kommen, werden durch die Werke der Gottloſen erzeugt, denn wer eine Suͤnde be - geht, der erſchafft einen Teufel oder die Seele ei - nes Goi, und dies ſind die Teufel und unreinen Seelen, welche die Welt beflecken und zerſtoͤren. « « Siehe, alſo erſchafft der Menſch durch ſeine boͤſen Werke Teufel, und dieſe werden dereinſt am Tage des Gerichts wider ihn zeugen und jeder Teufel wird rufen: der N. N. hat mich erſchaffen, der N. N. hat mich erſchaffen! wie dies auch im Sohar angezeigt wird. «
So weit das Buch Ammudeha Schefa! Kein152 Wunder, daß die Welt mit ſo vielen Teufeln und unreinen Seelen bevoͤlkert iſt, da die frommen Ju - den bekanntlich es an boͤſen Werken nicht fehlen laſſen! Hiernach muß uͤbrigens Fraͤulein Lilith noch nicht geſchaͤchtet und eingeſalzen ſeyn. Ob dieſes Fraͤulein nur eine Namensverwandte der erſten Frau des Adam, von welcher ſchon fruͤher erzaͤhlt wor - den, oder ob ſie die letztere ſelbſt war, moͤgen die Rabbiner entſcheiden.
Unſer Vater Adam ſetzte bekanntlich gleich nach der Schoͤpfung den Teufeln die Hoͤrner auf, indem er mit ihren Weibern maͤnnliche Teufel erzeugte. Sie vergalten ihm das, wie wir wiſſen, und zeug - ten mit der Eva kleine weibliche Teufelchen und unſern Stammvater Kain.
Auch beim Thurmbau zu Babel kam eine Men - ge von Teufeln in die Welt. Die Menſchen hatten ſich nemlich in drei Rotten getheilt. Eine ſprach: Wir wollen hinauf in den Himmel ſteigen und dort wohnen. Die andre: Wir wollen hinauf, und Ab - goͤtterei dort treiben. Die dritte: Wir wollen den Himmel mit Sturm einnehmen, und den heiligen, hochgelobten Gott mit Aexten todtſchlagen. Um dies zu verhindern, ſprach der hochgelobte, heilige Gott zu den ſiebenzig guten Engeln, die ſeinen Staats - rath bilden, und ohne deren Zuſtimmung er nichts unternimmt: Laſſet uns hinabfahren, und ihre Sprachen verwirren, daß keiner des andern Spra - che verſtehe, wie geſchrieben ſtehet 1 B. Moſ. 11. V. 7.153V. 7. Und Gott und ſeine heiligen Engel thaten, wie er geredet hatte, und fuhren hinab. Diejeni - gen, welche in den Himmel ſteigen wollten, um dort zu wohnen, zerſtreuete Gott. Die Sprachen derer, ſo geſagt hatten: Wir wollen hinauf ſteigen und Abgoͤtterei treiben, verwirrte der Herr; und die endlich, welche gegen Gott Krieg fuͤhren und ihn mit Aexten todtſchlagen wollten, wurden in Af - fen, Geiſter, Teufel und Nachtgeſpenſter verwan - delt*)Sanhedrin; R. Bechai’s Auslegung der 5 Buͤcher Moſ. Paraſcha Vajiggaſch..
Von den Teufeln wird noch oͤfter die Rede ſeyn. Den neugierigen Leſern, welche ſchon jetzt nach ge - nauerer Bekanntſchaft mit dieſen Herren ſich ſehnen, empfehlen wir folgende erprobte Mittel:
Man nehme feine geſiebte Aſche und ſtreue ſie des Abends vor ſein Bette. Am Morgen wird man lauter Hahnentritte darauf wahrnehmen. Das ſind die Spuren der Teufel. Wer ſie aber von Ange - ſicht zu Angeſicht zu ſchauen wuͤnſcht, der nehme die Nachgeburt einer ſchwarzen Katze, deren Mut - ter gleichfalls ſchwarz geweſen, und als Erſtgeborne einer ſchwarzen Mutter zur Welt gekommen iſt. Jenes verbrenne man im Feuer, ſtoße es zu Pul - ver, und thue davon etwas ins Auge. Dann ſieht man die Teufel. Hierauf muß man aber das Pul - ver in eine eiſerne Roͤhre thun, und es mit einemI. Baͤndchen. 16154Siegelring gut verſiegeln, damit es nicht von den Teufeln geſtohlen wird. Will man einen Teufel fangen, ſo laſſe man die Roͤhre, worin das Pulver iſt, an einem Ende offen, und gebe Acht, bis ſich ein Teufel hinein ſchleicht, um es zu ſtehlen. So - bald dies geſchieht, ſiegle man die Oeffnung ge - ſchwinde mit einem Ring zu, dann kann er nicht wieder heraus*)M. ſ. den Talmud im Buch Berachoth und im Buch Sanhedrin..
Uebrigens hat man große Urſache, ſich vor den Teufeln zu huͤten; und ich zweifle daher nicht, daß meine Leſer mir fuͤr einige Verhaltungsregeln aus dem Talmud ſehr dankbar ſeyn werden.
Stehe nicht vor einem Ochſen, der aus einem Teiche ſteigt, denn der Teufel tanzt zwiſchen ſeinen Hoͤrnern.
Stehe auch nicht nackend vor dem Licht. Wer nackend vor dem Licht ſteht, bekoͤmmt die fallende Sucht, und wer ſeine Frau bei Licht beruͤhrt, dem werden Kinder geboren, welche die fallende Sucht haben**)M. ſ. im Talmud das Buch Peſachim..
Zur Nachtzeit, beſonders in den Naͤchten der Mittewochen und Sabbathe, muß man kein Waſſer trinken, denn der Teufel der Blindheit, Schaf - riri, haͤlt ſich alsdann darin auf, und man wird, wenn man ihn verſchluckt, blind. Um — im aͤuſ -155 ſerſten Nothfall — trinken zu koͤnnen, ſpreche man, wenn man einen Jſraeliten bei ſich hat: » Du N. N. Sohn der N. N. mich duͤrſtet nach Waſ - ſer aus weiſſen Bechern! « Jſt man aber allein, ſo ſpreche man zu ſich ſelbſt: Du N. N. meine Mutter hat zu mir geſagt: huͤte dich vor dem Schafriri, friri, riri, ri, mich duͤrſtet nach Waſſer aus weiſſen Be - chern*)Peſachim und Avoda Sara..
Dies haͤtte ich jedoch nicht verrathen ſollen, denn Jſraels fromme Soͤhne werden ſehr ungehal - ten, wenn ein Goi von dieſem Geheimniſſe weiß. Aber — was geſchrieben iſt, das iſt geſchrieben!
Rabbi Jehuda der Heilige ſagt: » Wenn man nicht den Muth hat, den Teufel zu beſchwoͤren, ſo muß man Gott bitten, daß er einem keinen Scha - den thun duͤrfe. Will man das aber nicht, ſo muß man vor dem Teufel auf die Kniee fallen, denn wenn man ſich nur vor ihm demuͤthigt, ſo thut er einem nichts zu Leide**)M. ſ. Sepher Caſidim Nr. 236..
Und jetzt von den guten Engeln der juͤdiſchen Glaubenslehre!
» Gott hat den himmliſchen Hohenprieſter Mi - chael, welcher die Fahne traͤgt, den Kindern Jſrael zum Fuͤrſten gegeben***)M. ſ. das Buch Schaare orah und Jeſoni..
16 *156» Wie die ſiebenzig abgoͤttiſchen Voͤlker (die Chri - ſten und Nichtjuden) im Himmel ſiebenzig Fuͤrſten haben, ſo haben auch die Kinder Jſrael dort einen Fuͤrſten, den Michael. Es herrſcht aber ein groſ - ſer Unterſchied zwiſchen der Regierung des Michael und jener der ſiebenzig Fuͤrſten uͤber die Voͤlker (Umos oder Gojim). Die ſiebenzig Fuͤrſten der Voͤlker ſind zugleich deren Goͤtter, und ſchalten und walten mit ihnen als Goͤtter; auch werden die Go - jim von keinem Andern, als von ihren Fuͤrſten und Goͤttern (Elohim) verſorgt. Die Jſraeliten hinge - gen verſorgt Gott der Herr ſelbſt, und obgleich Michael uͤber ſie regiert, ſo geſchieht dies doch nur auf Befehl ſeines Schoͤpfers, und er darf weder Kleines noch Großes ohne Erlaubniß des Herrn thun*)R. Joſeph Ben Jachjah Auslegung des Propheten Daniel uͤber Kap. 12. V. 1.. «
» Michael heißt nur darum Fuͤrſt der Jſraeli - ten, weil er von Gott das fodert, was ſie beduͤr - fen, fuͤr ſie redet und im Himmel ihr Sachwalter iſt**)Avodath Hakkodeſch im 3ten Theil (Chelek hattach - lith genannt) Kap. 4; auch Schemoth Rabba Kap. 3.. «
Ueber die Frage, wann dem Michael dies Vicekoͤnigreich uͤber Jſrael gegeben worden, ſind die Talmudiſten ſehr uneinig. Ohne ſelbſt daruͤber ent - ſcheiden zu wollen, ſetzen wir die verſchiedenen Be - hauptungen her.
1571) » Der Mann, mit welchem Jakob (nach 1 B. Moſ. Kap. 32. V. 24 bis 28.) rang, war Michael, deſſen Engel den Jakob in Gefahr brin - gen wollten, bis der heilige, hochgelobte Gott ih - nen erſchien. Da ſprach der Herr zu Michael: Warum haſt du meinen Prieſter Jakob verletzt, und ihm durch das Ringen die Huͤfte verrenkt? Herr der Welt, antwortete Michael, ich bin ja dein Prieſter! Gott aber ſagte: Du biſt mein Prieſter im Himmel, und er iſt mein Prieſter auf Erden. Nun bat Michael den Raphael: Lieber Mitgeſell, ſtehe mir bei, und heile dem Jakob die Huͤfte. Ra - phael kam hierauf eiligſt vom Himmel und heilte ihn. Da ſprach der heilige, hochgelobte Gott zu Michael: Warum thateſt du das aber, daß du mei - nen erſtgebornen Sohn ſo beſchaͤdigteſt? Ach, Herr der Welt, erwiederte Michael, ich hab’ es zu dei - ner Ehre gethan, damit er ſich nicht fuͤrchten moͤch - te vor Eſau, wenn er ſaͤhe, daß er ſelbſt einen Engel uͤberwand. Und Gott der Herr antwortete und ſprach: Von nun an ſollſt du ſein und ſeines Saamens Vorſteher ſeyn*)Jalkut Chadaſch unter dem Titel Jakob.. «
Nach andern Talmudiſten war es nicht Mi - chael, ſondern Sammael, der mit dem Jakob rang und ihm die Huͤfte verletzte.
Jch, meines Orts, glaube, daß weder Sam - mael, noch Michael an dieſer Verrenkung Schuld158 waren. Der gute Erzvater lag vielleicht mit ſeiner zarten Huͤfte etwas unſanft auf einem Stein oder Stuͤckchen Holz. Jm Traume kam es ihm vor, als raͤnge er mit einem der himmliſchen Heerſchaaren, wohl gar mit Gott ſelbſt, und dieſer habe ihm die Huͤfte verletzt. Beim Erwachen glaubte er dem Traum, fuͤr deſſen Wahrheit ſein Schmerz ihm buͤrgte, und erzaͤhlte ſein Abentheuer den Seinigen. So kam das Geſchichtchen auf die Nachwelt. Noch jetzt bildet Mancher ſich ein, er habe einen Ele - phanten geſehen, und es war nur ein — Floh, von welchem ihm — traͤumte.
2) » Gott hatte zwar dem David verziehen, als er geſuͤndiget hatte, aber dennoch wollten die Engel ihn nicht eher in die Thore des obern Jeru - ſalems hinein laſſen, als bis Salomo den Tempel wuͤrde vollendet haben. Der himmliſche Hoheprie - ſter Michael oͤffnete jedoch dem David die Thore und geſellte ihn zu den Vaͤtern der Welt; darum heißt es Pſalm 118. V. 22: der Stein, den die Bauleute verworfen haben, iſt zum Eckſtein gewor - den; und hierauf ward Michael zum Fuͤrſten uͤber Jſrael beſtellt*)Jaltut Chadaſch, Titel David..
3) Soll dies, nach Andern, damals geſchehen ſeyn, als die Herrlichkeit des Herrn dem ganzen159 Jſrael erſchien, wie 3. B. Moſ. Kap. 9. gemeldet wird*)Toledoth Jizchak, Paraſcha Schemini uͤber 3. B. Moſ. Kap. 9. V. 4..
Der große Fuͤrſt und Hoheprieſter Michael ver - wendet ſich ſehr eifrig fuͤr das Wohl ſeiner Unter - gebenen. » Einſt kam er zu Gott und ſprach: Herr der Welt, wann ſollen die Kinder Jſrael endlich aus der edomitiſchen (chriſtlichen) Gefangenſchaft be - freiet werden? Du haſt doch geſchrieben, wann ſie große Leiden erduldet haͤtten, dann wollteſt du ſie erloͤſen! Gott antwortete: Sammael, der Verſor - ger der Chriſtenheit, ſoll kommen, und mit dir ſtreiten. Als Sammael erſchien, ſprach er: Herr der Welt, haſt du nicht geſagt, die Jſraeliten ſoll - ten ſo lange in der edomitiſchen Gefangenſchaft bleiben, bis ſie Buße thun wuͤrden? Aber ſiehe, wie gottlos ſie ſind! Da ergrimmte der Zorn des Herrn, wie Sammael Boͤſes redete wider Jſrael, und er wollte ihn zuͤchtigen; allein Sammael ergriff die Flucht, und lief dreitauſend Meilen weit von dannen. Als er fort war, verwandte ſich Michael weiter fuͤr Jſrael und der heilige, hochgelobte Gott antwortete ihm: » Jch habe geſchworen, daß ich ſie erloͤſen will; wenn ſie ſich nur noch ſo viel, als eine Nadelſpitze breit, zu mir kehren, dann will ich ſie befreien und ihnen eine große Thuͤr oͤffnen**)Jalkut Chadaſch.. «
160Da koͤmmt es alſo nur auf eine außerordent - liche Kleinigkeit an! Aber — in welchem chriſtli - chen Lande werden die albernen Juden wohl gefan - gen gehalten? Gewiß wuͤrden alle vernuͤnftige Chriſten Gott danken, wenn ſie eben ſo weit, wie Sammael von dannen zoͤgen. Man wuͤrde ihnen ſicherlich, wenn auch keine ſilberne und goldene, doch hoͤlzerne und ſteinerne Bruͤcken bauen, und die Wege vor ihnen ebnen, damit ſie ihre Fuͤße nicht an einen Stein ſtießen.
Von dem Metatron, als dem oberſten Vorge - ſetzten der Todesengel Sammael und Gabriel, war ſchon vorhin die Rede. Was er als Fuͤrſt des An - geſichts im Himmel zu thun hat, weiß ich nicht; allein auf Erden hat er, außer der Expedition der Todesurtheile, noch ein ſehr wichtiges Geſchaͤft.
» Rabbi Jehuda der Heilige hat geſagt: Komm her und ſiehe! Es vergeht keine Nacht, in welcher nicht Metatron, der Fuͤrſt des Angeſichts, alle Seelen der Weiſen, die im Geſetz forſchen, nimmt und vor den heiligen, hochgelobten Gott bringt. Die dienſtbaren Engel ſchweigen dann und warten mit dem Hochgeſange, womit ſie den Herrn der Welt loben, bis die Seelen der Gerechten zu ihnen verſammelt ſind. Darauf ſtimmen ſie mit dieſen zugleich dem hoͤchſten Gott ihren Lobgeſang an, wie Hohelied Salomons Kap. 2. V. 12. geſagt wird: » » die Blumen werden auf der Erde geſehen; « « dieſe Blumen ſind nemlich die, ſo im Geſetz und indeſ -161deſſen Wegen forſchen. Ferner: » » die Zeit des Geſanges iſt herbeigekommen, « « des Geſanges, wo - mit ſie ihren Schoͤpfer loben; und: » » die Turteltaube laͤßt ſich hoͤren in unſerm Lande; « « dieſe Turtel - taube iſt Metatron, der Fuͤrſt des Angeſichts, wel - cher ſeine Stimme hoͤren laͤßt, die Seelen der Gerechten zu verſammeln, damit ſie jede Nacht dem Herrn lobſingen*)Sohar, Medraſch Neelam.. «
Die dienſtbaren Engel ſind die erſten Schul - meiſter der Judenkinder, » denn ſo lange ein ſol - ches Kind noch im Mutterleibe iſt, unterrichten ſie es im Geſetz. Sobald es aber in die Luft der Welt koͤmmt, ſchlaͤgt ihm ein Engel auf den Mund, und dann vergißt es augenblicklich das ganze Ge - ſetz. Auch brennt den Kindern der Juden im Schooße der Mutter uͤber dem Haupte ein Licht, bei deſſen Schein ſie von einem Ende der Welt bis zum an - dern ſehen koͤnnen**)Jalkut Schemoni und Niſchmath Adam des Rab - bi Aaron Schmuel.. «
Da wir den hoͤlliſchen und himmliſchen Heer - ſchaaren noch oft wieder begegnen werden, ſo wen - den wir uns jetzt zu den Zauberern, die mit der Geiſterwelt in ſo naher Beziehung ſtehen.
Die praktiſche Kabbala enthaͤlt, wie fruͤher gezeigt worden, eine Anweiſung zur uͤbernatuͤrlichen Zauberkunſt, von welcher die Juden behaupten: ſieI. Baͤndchen. 17162ſey von Gott ſelbſt ihren Vorfahren offenbart, und von dieſen auf ſie vererbt worden. Darum halten ſie auch die Zauberei fuͤr eben ſo erlaubt, als moͤglich. Durch dieſen albernen Wahn gaben ſie in jenen finſtern Zeiten, wo die Gemuͤther weit deſpotiſcher noch, als jetzt von Pfaffenthum und Aberglauben beherrſcht wurden, haͤufig ſelbſt Ver - anlaſſung, daß man ſie fuͤr wirkliche Zauberer hielt, und ſie deshalb auf das Grauſamſte verfolgte.
Da es bei ihnen fuͤr keine geringe Ehre gilt, und da es uͤberdies mit dem Begriff eines from - men Jſraeliten ſich gar wohl vertraͤgt, ein großer Zauberer zu ſeyn; ſo ruͤhmen ſie ihren Vater Abra - ham, Moſes, David, Salomo, und die ausge - zeichnetſten ihrer Rabbinen als maͤchtige Zauberer. Wir werden bei andern Gelegenheiten mehrere durch Zauberei bewirkte Wunderthaten einiger der ge - dachten Perſonen erzaͤhlen; fuͤr jetzt beſchraͤnken wir uns auf ein Geſchichtchen vom Rabbi Jannai.
» Dieſer kam einmal in ein Wirthshaus, und ſprach: gebet mir Waſſer zu trinken! Man brachte ihm einen Trank von Waſſer und Mehl, welcher Schethitha heißt. Als er nun ſahe, daß die Lip - pen der Frau, die den Becher ihm reichte, ſich regten, merkte er, daß ſie eine Zauberin war. Er goß deshalb etwas von dem Tranke zur Erde, und es wurden Skorpionen daraus. Hierauf ſprach er zur Wirthin, ich habe getrunken von deinem Ge - traͤnk, nun trinke du auch. Sie trank, und ward163 ploͤtzlich in einen Eſel verwandelt, auf welchen der Rabbi ſich ſetzte und auf den Markt ritt. Als aber eine Freundin der Zauberin ihn reuten ſah, loͤste ſie den Zauber, und nun ſtand die Wirthin, ſtatt des Eſels, auf dem Markt*)Peſachim.. «
Nicht ſo gluͤcklich gieng es einem andern Ju - den, der dem Herzog Albrecht von Sachſen einen mit ſeltſamen Charakteren und Zeichen bemalten Knopf brachte, welcher zum Feſtmachen gegen Schuß - Hieb - und Stichwunden dienen ſollte. Der Herzog antwortete: Er wolle die Kraft des Knopfes ver - ſuchen, und wenn ſie ſich bewaͤhre, ihn kaufen. Darauf ließ er den Juden vor das Thor fuͤhren, und durchſtach ihn. Ob dieſe Geſchichte wahr iſt, weiß ich nicht. Luther erzaͤhlt ſie in ſeinen Tiſch - reden (Kap. 75. von Juden). Jſt ſie gegruͤndet, ſo war der Jude ein aberglaͤubiſcher Betrogener, oder — im ſchlimmſten Fall — ein Betruͤger; der Herzog Albrecht aber, der eine ſolche Probe mach - te, war dann ein grauſamer Boͤſewicht, verab - ſcheuungswerther, da er ein Chriſt ſeyn wollte, als die heidniſchen Tyrannen Phalaris, Nero und Ca - ligula. Und — konnte Luther wirklich — wie ich kaum glaube, dergleichen mit Wohlgefallen erzaͤh - len, ſo bewies dies, daß er mehr von dem barba -17 *164riſchen Geiſt ſeiner Zeiten, als von der Lehre des großen Gekreuzigten beſeelt war*)Jndeſſen war Luthers Unwille gegen die Juden weniger die Folge einer religioͤſen Unduldſamkeit, als vielmehr der, von ihm erkannten ſittlichen Schlech - tigkeit der Hebraͤer, wodurch ſie ſo viele Tauſende von Chriſten, die ihnen Schutz, Sicherheit und Er - werbfreiheit gewaͤhren, zu Grunde richten. Auch gegen ihn, deſſen Kirchenverbeſſerung ſo vortheilhafte Folgen fuͤr die Juden, in Ruͤckſicht der Duldung gehabt hat, betrugen ſie ſich hoͤchſt feindſelig, und verhetzten ſogar einen ihrer Glaubensgenoſſen aus Poſen, Namens Michel, ihn zu vergiften. M. ſ. Matheſius 14te Predigt von der Hiſtorie Lutheri..
Jn Hinſicht des Giftmiſchens ſtehen die Juden in eben ſo uͤbelm Ruf, wie die Franziskaner und Dominikaner, und moͤchten wohl gar den frommen Vaͤtern von der Geſellſchaft Jeſu darin ſehr wenig nachgeben. Allein hierin beſteht auch wohl die ganze Staͤrke ihrer Magie! Jndeſſen zogen ſie ſich da - durch von jeher viele Verfolgungen von Seiten der Chriſten zu, denn unmoͤglich koͤnnen wir glauben, daß alle Beſchuldigungen, welche man in aͤltern Zeiten den Jſraeliten wegen Giftmiſcherei und heim - licher Ermordung von Chriſten und Chriſtenkindern machte, weshalb ſie in faſt allen Laͤndern Europa’s verfolgt worden ſind, ungegruͤndet geweſen ſeyn ſollten. Das hieße Abrahams Saamen zu viel Gu - tes, und den Chriſten zu viel Boͤſes zutrauen! Doch hievon an einem andern Orte!
165Um auch ein Mittelchen wider Bezauberungen zu liefern, theile ich nachfolgendes mit:
» Der Amemar hat geſagt, die oberſte der Zau - berinnen hat mir geſagt, wenn einer den Zaube - rinnen begegnet, ſo ſoll er alſo ſprechen: Warmer Dr — in zerbrochenen Toͤpfen komme in euren Mund, ihr zauberiſchen Weiber! Gott gebe, daß die Haa - re, mit denen ihr zaubert, euch ausgeriſſen wer - den, und daß der Wind die Broſaamen zerſtreue, womit ihr Zauberei treibt. Eure Gewuͤrze muͤſſen zerſtreuet werden. Ein Wind muͤſſe euren neuen Safran fortwehen, den ihr in euren Haͤnden hal - tet, mit demſelben Zauberei zu treiben. So lange man im Himmel mir gnaͤdig war, und ich meiner ſchonte, habt ihr gleichfalls es gethan, und ich bin nicht unter euch gerathen. Aber jetzt ſehe ich, daß euer Mitleid gegen mich erkaltet iſt, darum iſt auch das meinige gegen euch erkaltet*)Das talmudiſche Buch Peſachim..
Von der Unſterblichkeit der Seele hatten die Juden bis zur babyloniſchen Gefangenſchaft gar keine, oder doch nur ſehr dunkle und verworrene Begriffe. Was ſie Seele nannten, war ein blos thieriſches Leben, welches mit der Zerſtoͤrung des Koͤrpers aufhoͤrte; von einem Zuſtande nach dem Tode wußten ſie nichts. Jhre nachherigen Anſich - ten von der kuͤnftigen Fortdauer der menſchlichen Seele verdanken ſie groͤßtentheils den Aſſyrern und Babyloniern, aus deren Philoſophie auch viele an - dere Begriffe in die juͤdiſche Dogmatik uͤbergiengen.
So ſeelen - und geiſtlos die Jſraeliten der aͤl - tern Zeit waren, ſo geiſtreich und ſeelenvoll ſind unſere jetzigen Hebraͤer. Jndeſſen herrſcht doch in ihrer Seelen - und Geiſterkunde eine große Verwor - renheit, als natuͤrliche Folge der Widerſpruͤche ih - rer Rabbiner geſegneten Gedaͤchtniſſes. Wir wol - len, nach moͤglichſter Ordnung die verſchiedenen Lehren der Talmudiſten von den juͤdiſchen und nicht -167 juͤdiſchen Seelen darſtellen; moͤge dann jeder unſe - rer Leſer ſein Glaubensſyſtem ſich daraus bilden, ſo gut ers vermag.
» Gott hat drei Welten geſchaffen, die oberſte, die mittelſte und unterſte. Er wohnt bald in der erſten, bald in der andern, bald auch in der drit - ten, wie Pſalm 113. V. 5 und 6. geſagt wird: Wer iſt wie der Herr unſer Gott, der ſeine Woh - nung ſo hoch hat, der ſich herab laͤßt, der ſeine Wohnung ſo hoch hat! Wenn die Menſchen hienie - den boͤſe ſind, dann begiebt ſich Gott in die Hoͤhe; ſind ſie aber fromm und gut, dann laͤßt er ſich herab, um zu ſehen, was im Himmel und auf Er - den geſchieht. Zu dieſen drei Welten hat der Herr dem Menſchen drei Seelen gegeben, nemlich die Nepheſch, d. i. die gemeine Seele, das blos thie - riſche Leben; den Ruach oder den Geiſt, und die Neſchama, die hoͤchſte und beſte Seele. Die Nepheſch erſchuf Gott fuͤr dieſe, den Ruach fuͤr die mittlere, die Neſchama fuͤr die hoͤchſte Welt. Mittelſt dieſer drei Seelen kann der Menſch zum Beſitz aller drei Welten gelangen, und nach dem Maaße ihrer Wuͤrdigkeit haͤlt er ſich bald in der untern, bald in der mittlern, bald in der obern Welt auf. Nach ſeinem Tode wird er ruͤckſichtlich ſeiner Nepheſch, je nachdem er deſſen wuͤrdig iſt, hinaufgenommen; ein halbes Jahr darauf faͤhrt der Ruach in die mittlere Welt, in das Element des Windes, und zu Ende des Jahrs begiebt ſich die168 Neſchama in die oberſte Welt und koͤmmt nicht wie - der herunter*)Zeror Hammor, Paraſcha Bereſchith. Man ver - gleiche jedoch hiemit den naͤchſtfolgenden Abſchnitt: vom Tode und den verſchiedenen Zuſtaͤnden nach dem Tode.. «
» Das Geheimniß der Zuſammenſetzung der Seelen heißt Jbbur, und beſteht in Folgendem: Bei ſeiner Geburt empfaͤngt der Menſch zuerſt die Nepheſch, und wenn ſeine Werke gut ſind, wird ihm, ſobald er dreizehn Jahre und einen Tag alt iſt, der Ruach zu Theil. Bleibt er nun ferner fromm und gerecht, ſo bekoͤmmt er in ſeinem zwan - zigſten Jahre die Neſchama; ſind ſeine Werke aber gottlos, ſo bleiben die Nepheſch und der Ruach ohne Neſchama. Oft iſt der Menſch aber blos der Nepheſch wuͤrdig, und empfaͤngt weder einen Ru - ach, noch eine Neſchama, welche dann von dem heiligen, hochgelobten Gott an einem verborgenen Ort zu anderm Gebrauche aufbewahrt werden**)Sepher Gilgulim.. «
» Die Seelen im Menſchen ſind dreifacher Art: die erſte iſt die verſtaͤndige, die andere die redende oder vernuͤnftige, und die dritte die viehiſche Seele, welche immer begehrt***)Jalkut Chadaſch Titel Neſchamoth.. «
An dieſen drei Seelen haben die Hebraͤer aber noch nicht genug.
169» Es giebt fuͤnf Arten von menſchlichen Seelen, die Nepheſch fuͤr die Werktage und den Zuſatz der Neumonden; den Ruach fuͤr die Feſttage; die Neſchama fuͤr den Verſoͤhnungstag; die Neſcha - ma Jethera oder uͤberfluͤßige Seele, welche das Geheimniß der Chaja (Lebendigen) oder des Lebens iſt, fuͤr den Sabbath, und endlich bekoͤmmt der Menſch im kuͤnftigen Leben die Jechida, die Ein - ſame oder Einzigwuͤrdige*)Jalkut Chadaſch Titel Schabbath.. «
» Durch die uͤberfluͤßige Seele wird dem Men - ſchen das Gemuͤth zum Eſſen und Trinken erwei - tert**)M. ſ. das talmudiſche Buch Tanais, und Rabbi Sal. Jarchi’s Auslegung deſſelben., « und ihr zu Liebe eſſen und trinken Jſraels Soͤhne und Toͤchter am Sabbath gern etwas Gu - tes. » Man muß die uͤberfluͤßige Seele beluſtigen, damit ſie ein großes Gebot zu Ehren des hochge - lobten, heiligen Gottes hier bei den Menſchen auf Erden erfuͤlle, nemlich daß ſie den Segen bei dem Eſſen ſpreche. Dies iſt aber bei den Obern, die im Himmel wohnen, nicht uͤblich! « ſagt Rabbi Me - nachem von Rekanat, und er hat gewiß Recht, wenn es anders wahr iſt, daß die Obern im Him - mel nicht eſſen und trinken. Die uͤberfluͤßige Seele koͤmmt am Sabbathabend, d. h. am Freitagabend, und wird dem Menſchen wieder genommen, wenn der Sabbath vorbei iſt***)Taanith oder Taanis.. Dem, der nichts zu170 eſſen und zu trinken hat, iſt dieſe Seele doppelt uͤberfluͤßig. Da die Hebraͤer am Sabbath noch eine Seele mehr, als gewoͤhnlich haben, ſo darf es nicht befremden, daß die juͤdiſchen Elegants, die ſich an dieſem Tage auf den Luſtplaͤtzen großer Staͤdte, wie z. B. von Hamburg, Berlin, Dresden, Prag, Wien und Frankfurt mit ihren Brillen und Eigar - ren herumtreiben, ſo geiſtreich und witzig ſind.
Rabbi Menachem ſagt ferner: » Jhr Juden ſeyd Menſchen, die uͤbrigen Voͤlker aber ſind keine Menſchen, denn ihre Seelen ſtammen von der Seite der Unreinigkeit oder von den Teufeln her. Dieſe Seelen ſind keine Menſchen, ſondern ſie heißen unrein, und der Name Menſch gebuͤhrt ihnen nicht. Jhr Leib iſt das Kleid des Unreinen oder des Teufels*)Menachem von Rekanat Auslegung der fuͤnf Buͤ - cher Moſis Paraſcha Schemini.. «
» Unſere Rabbinen geſegneten Andenkens haben geſagt: Jhr Juden heißt Menſchen wegen der See - len, die ihr von dem hoͤchſten Menſchen, Adam Haelion, d. i. von Gott empfangen habt. Die Voͤlker der Welt aber werden nicht Menſchen ge - nannt, denn ſie haben von dem hoͤchſten heiligen Menſchen (Gott) keine Neſchama, ſondern von dem Adam Belial, d. i. dem boshafteſten verworfenſten171 Menſchen, dem Teufel, haben ſie blos eine Nepheſch empfangen*)Emek Hammelech Tit. Schaar Schiaſchue Hamme - lech..
» Nur der innere Geiſt wird Menſch genannt; die Haut und das Fleiſch ſind ſein Kleid. Die Abgoͤttiſchen aber, d. i. die Chriſten und Nichtjuden nennt man nicht Menſchen, denn ihre Seelen ſtam - men von dem unreinen Geiſt her. Ein Jſraelit heißt ein Menſch, weil ſeine Seele von dem ober - ſten Menſchen (von Gott, Adam Haelion) herkoͤmmt. Die Seele eines Abgoͤttiſchen (Nichtjuden) hingegen koͤmmt von dem unreinen Geiſt, und deshalb wird er ein — Schwein genannt**)Großer Jalkut Rubeni, Paraſcha Bereſith.. «
» Die Gottloſen (Nichtjuden) nennt man ſchon bei ihren Lebzeiten Todte, denn ſie haben keine Seele von dem hochgelobten, heiligen Gott empfan - gen, ihre Seelen ruͤhren von der Kelifa (dem Teu - fel) her, welche der Tod oder der Schatten des Todes heißt, und durch die Funken dieſer Kelifa leben ſie. «
Die Chriſten gehoͤren, nach den Begriffen der Juden, zu den Voͤlkern der Welt; ſie werden von ihnen Abgoͤttiſche und die ganze Chriſtenheit, alle Religionspartheien, die ſich zu Chriſtus Lehre be - kennen, werden das gottloſe Reich genannt. Muß es nicht jedem Chriſten mit dem bitterſten Unwillen172 erfuͤllen, daß jener verworfene Abſchaum, jene gif - tige Peſtbeule der Menſchheit uns die Menſchen - wuͤrde abſtreiten und uns zu Schweinen herabwuͤr - digen will? Und ein ſo veraͤchtliches, tiefgeſunkenes Volk muͤſſen wir Chriſten unter uns dulden, und ruhig zuſehen, wie ſie das Mark der Laͤnder ein - ſaugen, und Handel, Gewerbe, Wohlſtand und Sittlichkeit der Unſrigen vernichten? O, der feilen Duldſamkeit des achtzehnten und neunzehnten Jahr - hunderts, welche Nattern in den Buſen unſerer Mutterlaͤnder erzog, um die Milch zu verzehren, die den rechtmaͤßigen Kindern gebuͤhrte! Wenn man den Juden, als Menſchen, auch Schutz und Frei - ſtaͤtten gewaͤhrte, ſo haͤtte man ihnen doch nie die Rechte der uͤbrigen Staatsbuͤrger einraͤumen ſollen. Gerne glaub’ ich, daß Dohm die edelſten Abſich - ten hegte, als er ſein Buch uͤber die buͤrgerliche Verbeſſerung dieſes Volks ſchrieb; allein gewiß kannte er nicht die ſittlichen und religioͤſen Anſichten der Juden genug, ſonſt haͤtte er ſich uͤberzeugen muͤſſen, daß bei ihren tiefeingewurzelten Vorurthei - len durch eine Verbeſſerung des buͤrgerlichen Zu - ſtandes nimmermehr eine ſittliche Veredlung wuͤrde herbeigefuͤhrt werden. Selbſt die aufgeklaͤrteſten Jſraeliten bleiben im Grunde ihres Herzens bei ih - rem, durch Jahrtauſende geheiligten Aberglauben, und bei dem heimlichen Haß gegen alle uͤbrigen Men - ſchen, wenn ſie beide auch mit jeſuitiſcher Schlau - heit unter der Maske der Humanitaͤt zu verſtecken173 ſuchen. Es iſt nicht eher an eine ſittliche Veredlung der Jſraeliten zu denken, als bis ſie ſich zur Gruͤn - dung eines ſelbſtſtaͤndigen Staats wieder vereinen, und allem Glauben an uͤbernatuͤrliche Offenbarung entſagen.
» Da die Seelen der Voͤlker von den Teufeln herſtammen, ſo werden die Juden dereinſt alle Voͤl - ker der Erde beſiegen; denn in Zukunft wird das Gute das Boͤſe uͤberwinden. Dann werden auch die Hebraͤer, welche von der guten Seite (von Gott ſind) die Laͤnder der Voͤlker der Welt, die von der boͤſen Seite (vom Teufel) abſtammen, einnehmen und unter ſich theilen*)Emek Hammelech, Titel Schaar Kirjath arba Kap. 151.. «
» Unter den ſieben Feſten (Firmamenten) befin - den ſich ſieben Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, die Sonne, Venus, Merkur und der Mond, und in dieſen ſind ſiebenzig Raͤume, in denen die See - len der Voͤlker aufbewahrt werden. Unter jedem Planeten wohnen die Seelen von zehn Voͤlkern, und unter der Sphaͤre des Mondes, des letztern der Planeten iſt noch ein Raum, in welchem die Seelen der Teufel, Geiſter und Nachtgeſpenſter hauſen**)Jalkut Rubeni Tit. Neſchamat Nr. 4. und Tuf Haarez..
174» Der oberſte Teufel Sammael erzeugte mit der Eva die Seele des Kain, und von dieſer ſtam - men alle Seelen der Voͤlker ab; von Abel hingegen kommen die Seelen der Jſraeliten her*)Jalkut Rubeni.. «
» Die Gojim (Chriſten und Nichtjuden) em - pfangen ihren Geiſt von Sammael**)Afkath Rochel.. «
» Die Seelen der Voͤlker werden durch die Kraft der Kelifoth oder der Teufel erzeugt; die Seelen der Jſraeliten aber ſind Ausfluͤſſe des hochgelobten, heiligen Gottes, ſie ſind ein Theil deſſelben, und vom Weſen Gottes, wie der Sohn vom Weſen des Vaters iſt. Sie bleiben und leben auch in Ewig - keit, weil ſie goͤttlichen Urſprungs ſind***)Tuf haarez und Emek Hammelech Tit. Schaar Kirjath arba Kap. 152.. «
» Die Seelen der Jſraeliten wurden in den er - ſten ſechs Tagen der Welt (und zwar nach Einigen am erſten Schoͤpfungstage) erſchaffen. Jhre An - zahl beſteht in ſechsmalhundert tauſend. Das Ge - ſetz iſt die Wurzel aller iſraelitiſchen Seelen. Jeder Ausſpruch des Geſetzes hat ſechsmalhundert tauſend Auslegungen, und aus jeder Auslegung iſt eine Seele gemacht. Daher wird in Zukunft Jeder das Geſetz nach der Auslegung leſen, die ihn angeht, und woraus ſeine Seele erſchaffen worden. Es giebt viele Seelen, von denen jede eine große Menge175 von Auslegungen des Geſetzes in ſich enthaͤlt; ja, die Seele des Moſes unſers Lehrmeiſters, auf wel - chem der Friede ſey, war ſogar aus allen ſechsmal - hundert tauſend Auslegungen zuſammen geſetzt. Des Nachts, wenn der Menſch ſchlaͤft, faͤhrt ſeine See - le, falls ſie deſſen wuͤrdig iſt, hinauf in den Him - mel, und liest dort oben die Auslegung, aus wel - cher ſie verfertigt worden, und zwar eine Nacht in einem, die andere Nacht in einem andern Aus - ſpruche des Geſetzes und ſo ferner. Jede der ſechs - malhundert tauſend Auslegungen enthaͤlt uͤbrigens einen ganz natuͤrlichen, buchſtaͤblichen Sinn des Aus - ſpruches, ohne alle geheimnißvolle Deutung*)Jalkut Chadaſch, Titel Neſchamoth; Emek Ham - melech, Titel Schaar reſcha diſer anpin, Kap. 30.. «
Das iſt doch ein Geſetz, was auf ſechsmal - hundert tauſendfache Weiſe ausgelegt werden kann!
» Jn den Jſraeliten ſind ſechsmalhundert tau - ſend Seelen, und es fehlt nie ein Menſch an dieſer Zahl. Daraus folgt, daß die Jſraeliten ein Bild des oberſten Wagens ſind, worauf der heilige, hochgelobte Gott faͤhrt, und in welchem ſechsmalhundert tauſend Wiſſenſchaften enthalten ſind; denn dies iſt gleichfalls die Zahl der Wiſſen - ſchaften und Perſonen, die bei den Jſraeliten moͤg - lich iſt**)Reſchith chochma, Titel Schaar haahava Kap. 5.. «
176» Die Seele des erſten Menſchen war ein Licht des Herrn, in welchem alle ſechsmalhundert tauſend Seelen der Jſraeliten enthalten waren; ſo wie ein Licht von dem andern angezuͤndet wird, ſo wurden auch dieſe Seelen von der Seele des Adam ange - zuͤndet. Die Thorheit des erſten Menſchen aber, der ſeinen Weg verkehrte, und die Unreinigkeit, welche die Schlange, der gottloſe Sammael, in die Eva warf, waren die Urſachen, daß die Seelen ſich vermiſchten und dadurch unwuͤrdig wurden, in die Jſraeliten zu kommen. Unſer Vater Abraham empfieng deshalb die ſechsmalhundert tauſend Ne - phaſchoth, die an der Nepheſch des Adam hiengen, und brachte ſie wieder in Ordnung. Un - ſer Vater Jſaak empfieng die ſechsmalhundert tau - ſend Ruchoth, ſo aus dem Ruach des erſten Menſchen entſprangen, und reinigte ſie. Unſer Va - ter Jakob endlich empfieng die ſechsmalhundert tau - ſend Neſchamoth, die an der Neſchama des erſten Menſchen hiengen, und ſtellte auch dieſe wie - der her*)Niſchmath Adam Kap. 1; Jalkut Chadaſch, Titel Niſchamoth; das Buch Megalle Amykkoth.. «
» Jn Abraham kam die Seele des Adam. Um den Unrath fortzuſchaffen, welche der Sammael, der Oberſte der Teufel, in dieſe Seele gelegt hat - te, zeugte unſer Vater Abraham den Jsmael, der, gleich einem Zugpflaſter, alles Unreine herauszog. Nach -177Nachher kam die Seele der Eva in unſern Vater Jſaak, und dieſer zeugte, um auch ſie von der Un - reinigkeit des gottloſen Sammael zu ſaͤubern, den Eſau, der das Unreine hinwegnahm. Endlich ka - men die Seelen des Adam und der Eva, voͤllig gelaͤutert, in unſern Vater Jakob, und nun war es moͤglich, ganz untadelhafte, fleckenloſe Kinder, wie die Soͤhne Jſraels zu zeugen*)Jalkut Rubeni und Niſchmath Adam., « die, wie wir aus der Bibel wiſſen, Moͤrder, Raͤuber, Meinei - dige, Blutſchaͤnder, Kornjuden, Traumdeuter und faſt ohne Ausnahme, die verworfenſten Boͤſewichte waren.
» Alle Seelen ſtehen, ehe ſie in die Welt kom - men, mit einem Leibe bekleidet und in derſelben Geſtalt, in welcher ſie hienieden erſcheinen, vor dem hochgelobten, heiligen Gott, der dann Leib und Seele beſchwoͤrt, daß ſie nicht ſuͤndigen ſollen. Da - rum ſagt auch der Pſalmiſt: Deine Augen ſahen meinen Golem, d. i. meinen Leib, als ich vor dir ſtand**)Jalkut Chadaſch, Titel Neſchamoth.. «
» Als der hochgelobte, heilige Gott den Men - ſchen ſchuf, nahm er Erde von dem Ort, worauf nachmals der Tempel erbauet ward, und daraus ſchuf er ihn, und blies eine lebendige Seele in ſeine Naſe. Hierauf oͤffnete er die Thore des Paradie - ſes, fuͤhrte ihn in die ſiebenzig heiligen Palaͤſte,I. Baͤndchen. 18178und machte ihm zehn Hochzeithimmel, gleich jenen, die er den Gerechten im Paradieſe bereitet hat. Hernach ließ der heilige, hochgelobte Gott vor dem Adam alle Geiſter und Seelen vorbei gehen, die geſchaffen waren, dereinſt in den Menſchenkindern zu wohnen. Als nun einer kam, in welchem kein Leben war, fragte Adam: Herr der Welt, wer iſt dieſer, an dem ich kein Leben ſehe? Gott ſprach: Es iſt David, der Koͤnig Jſraels. Da gab Adam demſelben ſiebenzig von ſeinen Jahren, ſo daß ihm ſelbſt von den tauſend Jahren, die ihm beſtimmt waren, nur neunhundert und dreißig uͤbrig blie - ben*)Sohar uͤber Sohir Haſchirim oder das Hohelied Salomons.. «
So wie nur ſechsmalhundert tauſend Juden - ſeelen auf Erden ſind; ſo ſind nach der Lehre der Talmudiſten auch nur ſechsmalhundert tauſend Ster - ne am Himmel**)Menaſſe Ben Jſrael im Niſchmath Chajim, Kap. 18; Zeror hammor, Paraſcha Nizzavim..
Man muß ſich wundern, daß es bei der groſ - ſen Menge der Juden, die zum Theil drei, und mit der uͤberfluͤßigen Seele am Sabbath, wohl vier Seelen haben, eine ſo geringe Anzahl von Judenſeelen giebt. Vielleicht beſitzt eine ganze Judengemeinde oft nur Eine Seele, und wird von Einer Nepheſch, Einem Ruach und Einer Neſcha - ma regiert, und dann iſt es kein Wunder, daß die179 Jſraeliten immer ſo einig ſind, und ſo feſt an ein - ander halten.
Das Geſetz iſt die Wurzel der Judenſeelen, und es beſchuͤtzt auch dieſelben, daß ſie bei ihren Leibern bleiben.
» Als die Jſraeliten am Berge Sinai ſtanden, begehrten ſie Gottes Herrlichkeit zu ſehen, und ſeine Stimme zu hoͤren. Sie hatten aber nicht die Kraft, dies zu ertragen, denn als Gott ſich ihnen offen - barte, flogen ihre Seelen aus ihren Leibern, wie im Hohenliede geſagt wird: Meine Seele gieng her - aus, als er redete. (Kap. 5. V. 6.) Das Geſetz bat jedoch den heiligen, hochgelobten Gott, und ſprach: Jſt auch ein Koͤnig, der ſeine Tochter ver - heirathet, und toͤdtet ſeine Hausgenoſſen? Alle Menſchen in der Welt ſind froͤhlich, aber deine Kin - der ſterben! Und darauf brachte das Geſetz die entflohenen Seelen wieder in die Leiber der Jſrae - liten zuruͤck, wie geſchrieben ſteht: das Geſetz des Herrn iſt vollkommen, und bringt die Seelen wie - der. Pſ. 19. V. 8.*)Schemoth Rabba, Paraſcha 29.. «
Rabbi Menaſſe Ben Jſrael ſagt: Die ganze Welt glaubte ehemals, daß die Seelen vergaͤnglich waͤren, und daß der Menſch keinen Vorzug haͤtte vor den Thieren, bis endlich unſer Vater Abraham kam, und den Menſchen offenbarte, daß ihre See - len nach dem Tode fortdauern, und ans einem Leibe in den andern fahren wuͤrden*)Jn ſeinem Buche Niſchmath Chajim, Maamar (Theil) 4, Kap. 21..
Der gute Rabbi irrt jedoch gar ſehr. Unſer Vater Abraham wußte wahrſcheinlich eben ſo wenig von einer Fortdauer der Seele nach dem Tode, als von einer Seelenwanderung. Haͤtte er von beiden eine Ahnung gehabt, ſo wuͤrde er ſeinen Glau - ben ſicherlich auf ſeine Nachkommen fortgepflanzt, und Moſes ſelbſt wuͤrde dann nicht blos irdiſche, ſondern neben dieſen auch kuͤnftige Belohnungen und181 Strafen, als Beweggruͤnde zur Haltung ſeiner Ge - bote den Jſraeliten aufgeſtellt haben. Das that Moſes aber nicht. Entweder ſetzte er voraus, daß dergleichen uͤberſinnliche Lehren auf den rohen ver - derbten Sinn der Juden wenig wirken wuͤrden, oder er war ſelbſt mit der Lehre von einer kuͤnftigen Fortdauer noch unbekannt. Sogar der weiſe Sa - lomo wußte nichts davon, denn wie haͤtte er ſonſt wohl ſchreiben koͤnnen: » Es geht dem Menſchen, wie dem Vieh; wie dieſes ſtirbt, ſo ſtirbt er auch; ſie haben beide nur einerlei Athem; der Menſch hat keinen Vorzug vor den Thieren. Sie ſind ganz Eitelkeit. Beide kehren an einen Ort, denn wie ſie beide aus Staub gemacht ſind, ſo werden ſie auch wieder zu Staub werden. Wer kennet den Geiſt der Menſchen, der hinauf faͤhrt, oder den Geiſt des Viehes, der unter die Erde faͤhrt? Darum glaube ich, daß nichts Beſſers ſey, als daß der Menſch froͤhlich ſey in ſeiner Arbeit, denn das iſt ſein Theil. Wer will ihn aber dahin fuͤhren, daß er ſehe, was nach ihm geſchehen wird? « Pred. Sal. Kap. 3. V. 18 — 22.
Wie kann der Materialismus ſich wohl deut - licher und ſtaͤrker ausſprechen, als es in dieſer Stelle geſchieht? Der ſchoͤne, Geiſt und Gemuͤth erhebende Glaube an die Unſterblichkeit der Seele, dieſer Glaube, der uns uͤber alle Leiden des Lebens erheben und troͤſten kann; der uns beruhigt, wenn wir das ſtolze Laſter im Purpur auf dem Throne,182 und die fromme huͤlfloſe Tugend in Lumpen gehuͤllt auf dem Strohlager ſehen; dieſer Glaube, der al - lein Herz und Sinn des Menſchen wahrhaft ver - edelt, fehlte den Juden gaͤnzlich, und ward ihnen erſt durch den Umgang mit jenen Voͤlkern kund, welche als Abgoͤttiſche ſo ſehr von ihnen verachtet wurden. Aus dem Maͤhrchen von der Hexe zu En - dor wollen freilich manche ſogenannte Gottesgelehrte beweiſen, daß den Jſraeliten der Glaube an die Unſterblichkeit der Seele nicht fremd war; allein jene Geſchichte zeigt blos, daß die Juden wohl Gei - ſtererſcheinungen und Geſpenſter, aber nicht, daß ſie eine Unſterblichkeit der Seele und einen Zuſtand nach dem Tode glaubten, wo Vergeltung des Gu - ten und Boͤſen ſtatt finden, der Beſſere immer mehr veredelt und auch der Schlimmſte gebeſſert, und endlich zum vollen heiligen Lichte der Wahrheit und zu dem ſeligen Hochgenuß der Tugend gefuͤhrt wer - den wuͤrde.
Die Jdeen der Talmudiſten vom Tode, von den Umſtaͤnden, welche denſelben begleiten, und von dem Leben nach dem Tode ſind ſehr verſchie - den. Dieſe Verſchiedenheit der Anſichten beweist deutlich, daß ſie nicht zu Einer Zeit entſtanden und eben ſo wenig aus Einer Quelle entſprangen.
Metatron, der Fuͤrſt des Angeſichts, empfaͤngt, wie bereits erwaͤhnt worden, unmittelbar von Gott die Verzeichniſſe der Menſchen, die an jedem Tage zum Tode beſtimmt ſind. Er uͤbergiebt dieſe To -183 desurtheile den, ihm untergeordneten, beiden To - desengeln, dem boͤſen Sammael, der durch ſeine Diener die Seelen außerhalb dem gelobten Lande hinwegnimmt, und dem guten Engel Gabriel, wel - cher die Seelen derer, die im gelobten Lande ſind, gleichfalls durch ſeine ihm dienenden Engel holen laͤßt. Die Seelen werden von Gabriel und Sam - mael dem Metatron abgeliefert, und dieſer uͤber - giebt ſie dem lieben Gott.
» Wenn der Menſch von der Welt ſcheiden ſoll, kommen drei dienſtbare Engel zu ihm. Der erſte iſt der Engel des Todes, der zweite der Schreiber, und der dritte des Sterbenden Vorgeſetzter. Dieſer ſpricht zu ihm: Wiſſe, Dein Ende iſt herbei gekom - men. Mein Ende iſt noch nicht da! erwiedert der Menſch. Dann ſetzt ſich der Schreiber und rechnet ihm alle Jahre, Tage und Stunden vor; nun ge - wahrt er ploͤtzlich den Engel des Todes, faͤngt an zu zittern, und faͤllt auf ſein Angeſicht. Die Laͤn - ge des Todesengels, ſagen unſere Rabbinen geſeg - neten Andenkens, reicht von einem Ende der Welt bis zum andern. Er iſt von der Fußſohle bis zur Scheitel mit Augen bedeckt und traͤgt ein feuriges Kleid. An ſeinem Meſſer haͤngen drei Tropfen. Der erſte toͤdtet den Menſchen; von dem andern verwest er, und von dem dritten wird ſein Ange - ſicht bleich. Niemand ſtirbt aber eher, als bis er den heiligen, hochgelobten Gott geſehen hat, denn es heißt: kein Menſch wird leben, der mich ſie -184 het*)Rabbi Schem-Tof in ſeinem Buche Jggereth ha - viccuach.. « 2 Buch Moſ. 33. V. 20. Dieſe Stelle moͤchte uͤbrigens das Behauptete beſſer beweiſen, wenn es hieße: kein Menſch wird ſterben, der mich nicht ſiehet.
Eine andere Nachricht liefert Rabbi Gedalja. » Wenn des Menſchen Zeit kommt, daß er abſchei - den ſoll, dann ſteht der Engel des Todes zu ſeinen Fuͤßen mit einem ſcharfen Schwert in der Hand. Der Menſch aber ſtarrt die Waͤnde ſeines Hauſes an, als ſtaͤnden ſie in Flammen; auch ſieht er den Engel voll Augen und deſſen Kleider von Feuer; ſein Leib zittert vor Schmerz, ſein Geiſt irrt im ganzen Koͤrper umher, als wollte er ſich bei allen Gliedern beurlauben. Gerne moͤchte der Sterbende ſich vor dem Todesengel retten und ihm entfliehen; allein das iſt unmoͤglich. Endlich blickt er ihn an, und uͤbergiebt Seele und Leib den Haͤn - den des Wuͤrgers. Nun laͤuft der Geiſt noch ein - mal im Leibe umher, alle Glieder zittern und ſchwitzen. Die Seele ſpricht dann zu dem Geiſt des erſten Menſchen: wehe dir, denn um deinetwillen muß ich aus der Welt ſcheiden. Der Geiſt Adams aber antwortet: « ich habe nur eine Suͤnde began - gen, und empfieng meine Strafe; allein du haſt der Suͤnden ſehr viele begangen**)M. ſ. Schalſcheleth Hakkabala.. «
» Wenn185» Wenn der Menſch von der Welt ſcheidet, ſpricht Rabbi Menaſſe Ben Jſrael, ſo wird er nicht blos von dem Engel des Todes, der voll Augen iſt, erſchreckt, ſondern der Engel fragt ihn auch: Haſt du im Geſetz geforſcht? Biſt du verſoͤhnlich geweſen gegen deine Feinde, und barmherzig und wohlthaͤtig gegen deinen Naͤchſten? Haſt du Gott als deinen Koͤnig und deinen kuͤnftigen Richter an - erkannt? Und — wenn du ſelbſt ein Koͤnig oder Herrſcher warſt, haſt du auch mit Milde und Sanft - muth, mit Menſchenliebe und Gerechtigkeit regiert? Kann der Menſch dieſe Fragen bejahen, dann laͤßt der Engel des Todes einen Tropfen Galle von ſei - nem Schwert auf die Lippen des Sterbenden fallen, und die Seele verlaͤßt ohne Schmerzen den Leib, ſo leicht, wie man einen Faden aus der Milch zieht. Muß er aber jene Fragen verneinen, dann geht die Seele voll Schmerzen aus dem Koͤrper, ſchwerer wie Dornen aus der Wolle*)M. ſ. das Buch Niſchmath Chajim.. « Dieſe Darſtellung iſt, nach meiner Anſicht, die ſinnvollſte, und gereicht ihrem Urheber zur Ehre.
» Der Todesengel iſt voll Augen, und ſteht, wenn der Kranke ſtirbt, zu deſſen Haupte, ein bloßes Schwert in ſeiner Hand haltend, an welchem ein Tropfen Galle haͤngt. Wenn nun der Kranke den Wuͤrgengel erblickt, zittert er und oͤffnet den Mund. Dann laͤßt der Engel den Tropfen auf dieI. Baͤudchen. 19186Lippen des Sterbenden fallen, wovon er erbleicht, ſtirbt und verwest*)Avoda Sara.. «
Weniger ſinnvoll, als die vorhergehende, iſt dieſe Schilderung; auch unterſcheidet ſie ſich weſent - lich von allen uͤbrigen.
» Die Stimme des Sterbenden geht von einem Ende der Welt zum andern, bis ſie zuletzt in die Felſenkluͤfte, die Gebirge und die Waͤlder faͤhrt, und dort ſich verbirgt. Was man Wiederhall nennt, ſind Stimmen der Verſtorbenen. Unſere Rabbinen geſegneten Andenkens haben aber den heiligen, hoch - gelobten Gott um Barmherzigkeit gebeten, und ihre Bitte iſt auch erhoͤrt worden, daß die Stimmen der Verſtorbenen nicht mehr ſo fuͤrchterlich laut, wie ehemals gehoͤrt werden moͤgen**)Jalkut Chadaſch, Tit. Mitha, auch im Buch Joma.. « Daran haben unſere Rabbinen geſegneten Andenkens ſehr uͤbel gethan.
Außer den Stimmen der Verſtorbenen werden noch von einem Ende der Welt bis zum andern ge - hoͤrt: die Stimme der Sphaͤre oder der Sonnen - kugel und die Stimme des Geraͤuſches von Rom***)Ebendaſ.. Ein Beweis von dem feinen Gehoͤr unferer Rabbi - nen geſegneten Andenkens.
Auch giebt es fuͤnf nicht hoͤrbare, von einem Ende der Welt bis zum andern gehende Stimmen,187 nemlich die Stimme 1) eines fruchtbaren Baums, den man abhauet; 2) einer Schlange, die ihre Haut abzieht; 3) einer Frau, welche von ihrem Gatten geſchieden wird; 4) einer Frau, die zum erſten Mal von ihrem Mann beruͤhrt wird; und endlich 5) die Stimme eines neugebornen Kindes*)Jalkut Chadaſch..
Bekanntlich gießen die Juden in dem Hauſe, wo Jemand geſtorben iſt, das Waſſer auf die Gaſſe. Dies geſchieht deshalb, weil der Todesengel ſein Schwert darin gewaſchen hat. Andere ſagen, man thue es, um den Nachbaren zu zeigen, daß ein Todter im Hauſe ſey. Die erſtere Meinung gilt jedoch bei den meiſten Hebraͤern fuͤr die richtigſte**)Minhagim..
» Man rede von einem Todten nichts als un - bedeutende Dinge, denn er hoͤrt ſo lange bis der Sarg mit einem Deckel verſchloſſen iſt, Alles, was man von ihm ſpricht, ſowohl Gutes als Boͤſes. Die Nepheſch, die unterſte Seele, bleibt bei dem Koͤrper zwoͤlf Monate, bis alles Fleiſch verwest iſt, und waͤhrend dieſer Zeit beſucht ſie der Ruach, der Geiſt, und heitert ſie auf. Wenn der Ruach bei der Nepheſch des Verſtorbenen iſt, dann iſt das Leben vollkommen, und daher reden die Todten auch haͤufig im Grabe mit einander. Als die Hexe zu Endor den Samuel aus dem Grabe hervorrief, um ſich mit dem Koͤnige Saul zu beſprechen, war19 *188gerade Samuels Ruach bei ſeiner Nepheſch, es war alſo ein vollſtaͤndiges Leben vorhanden, und folg - lich kein Wunder, daß Samuel auf die Ladung der Hexe erſchien*)M. ſ. das talmudiſche Buch Schabbath Kap. 23. oder Schoel Adam; Avodath Hakkodeſch Theil 2, Kap. 28; Berachoth Kap. 3.. «
» Wenn die Gerechten, d. h. die dem Talmud geglanbt und ſeine Lehren befolgt haben, in ihren Schlafkammern (Graͤbern) ruhen, werden ihnen alle Neuigkeiten des Himmels und der Erde ver - kuͤndet. Begraͤbt man aber Unglaͤubige und Abgoͤt - tiſche neben den Jſraeliten, ſo empfangen dieſe nur ſelten von den Bewohnern des Himmels dergleichen Nachrichten, weil die letztern dann fuͤrchten, daß die todten Gojim ſie belauſchen moͤchten. Die Him - melszeitungen gewaͤhren den Verſtorbenen uͤbrigens eben ſo großes Vergnuͤgen, wie den Lebenden die koͤſtlichſten Speiſen**)Niſchmath Chajim.. «
» Man muß nicht Todte neben einander begra - ben, die im Leben ſich haßten, befiehlt Rabbi Je - huda der Heilige. Sie haben keine Ruhe und hal - ten auch nicht Friede mit einander***)M. ſ. Sepher Chaſidim im Zawaoth Rabbi Je - huda haechaſid.. « Wie moͤgen ſich wohl die Deutſchen und Franzoſen bei Auſterlitz, Auerſtaͤdt, Leipzig, Belle-Alliance u. ſ. w.189 noch in ihren Graͤbern herum zauſen, wo ſie oft zu Hunderten in Eine Grube geworfen wurden!
Daß die Todten noch im Grabe reden, be - weist folgende wahrhafte Geſchichte aus dem Tal - mud:
» Ein frommer Mann gab zur Zeit einer Theu - rung einen Schilling an einen Armen. Daruͤber zuͤrnte ſein Weib mit ihm, und er gieng hin auf den Begraͤbnißplatz, wo er die Nacht blieb. Hier hoͤrte er die Geiſter von zwei verſtorbenen Maͤdchen mit einander reden. Komm, meine Geſellin, ſprach die Eine, laß uns ein wenig in der Welt umher laufen, und hinter dem Vorhange Gottes lauſchen, welche Strafe in dieſem Jahre den Menſchen be - ſchieden iſt! Meine Geſellin, verſetzte die Andre, ich kann nicht, denn ich bin nur unter einer Decke von Schilf begraben. Aber gehe du hin, und er - zaͤhle mir nachher, was du gehoͤrt haſt. Hierauf lief jene, wie neugierige Maͤdchen gerne thun, um - her, und kam nach ziemlicher Weile wieder heim. Was haſt du hinter dem Vorhange gehoͤrt, meine Geſellin? fragte jene unter der Schilfdecke. Jch vernahm, daß alles Getreide, was man bei dem erſten Regen*)Der nach talmudiſcher Rechnung am 17ten Sep - tember faͤllt. ſaͤen wuͤrde, vom Hagel ſollte zer - ſchlagen werden. Hierauf gieng der fromme Mann zu Hauſe, und ſaͤete erſt bei dem zweiten Regen. 190Und ſiehe, die Getreidefelder aller uͤbrigen Menſchen wurden durch den Hagel verheert, aber ſeines ward verſchont. Jm andern Jahre begab er ſich wieder zu dem Grabe der todten Schwaͤtzerinnen. Da ſprach eine zu der andern: Komm, meine Geſellin, laß uns ein wenig in der Welt umher laufen, und hinter dem Vorhange Gottes lauſchen, welche Strafe den Menſchen in dieſem Jahre bevorſteht. Meine Geſellin, erwiederte jene, du weißt ja, daß ich unter einer Schilfdecke liege. Jch kann nicht mitgehen. Aber laufe du hin, und berichte mir Al - les, was du erfaͤhrſt. Die erſtere gieng, und als ſie zuruͤck kam, fragte ihre Geſellin, was ſie ver - nommen? Jch hoͤrte, ſprach ſie, daß alles Ge - treide, was man beim zweiten Regen*)Dieſer faͤllt, nach talmudiſcher Rechnung, am 23. Oktober. ſaͤen wuͤr - de, vom Brande wuͤrde angeſteckt werden. Der fromme Horcher kehrte darauf zuruͤck, und ſaͤete beim erſten Regen. Als nun das Korn aller an - dern Menſchen vom Brande befallen ward, aber nicht das ſeinige, wunderte ſich ſein Weib, und ſprach: Lieber, ſage mir, wie koͤmmt es, daß im vorigen Jahr das Getreide aller andern Leute vom Hagel verheert ward, und nicht das Deinige, und daß auch in dieſem Jahr alles andre Korn, und nicht das Deinige, vom Brande befallen ward? Da erzaͤhlte er ihr Alles, was er gehoͤrt und ge -191 than hatte. Wenige Tage nachher erhob ſich ein Zank zwiſchen dem Weibe des Frommen und der Mutter des todten Maͤdchens unter der Schilfdecke, und das Weib des Horchers ſprach zu der letztern: Komm mit mir, ich will dir deine Tochter zeigen, die unter einer Decke von Schilf begraben iſt. Als nun im folgenden Jahr der fromme Mann des Nachts wieder zu dem Grabe der beiden Verſtorbe - nen ſchlich, hoͤrte er eine zur andern ſagen: Komm, meine Geſellin, laß uns in der Welt umher laufen, und hinter dem Vorhange Gottes lauſchen, um zu hoͤren, welches Uebel die Menſchen in dieſem Jahre betreffen wird. Ach, meine Geſellin, antwortete die Todte unter dem Schilf, laß mich in Ruhe. Was zwiſchen uns geredet worden, iſt ſchon allen Lebenden auf Erden bekannt*)M. ſ. im Talmud das Buch Berachoth.. «
» Die Seele koͤmmt nicht eher in das Paradies zu dem heiligen, hochgelobten Gott, ſie kann auch nicht eher in einen andern Leib wandern, bevor nicht der erſte Leib begraben iſt. Bis dahin ſucht der unreine Geiſt den Leichnam zu beſudeln, wel - ches der armen Seele die groͤßten Schmerzen ver - urſacht. Darum muß man die Leiche vor Einbruch der Nacht beerdigen, denn der unreine Geiſt, der Teufel, verbreitet ſich zur Nachtzeit uͤber die ganze Erde, um einen Leib ohne Seele zu finden, deſſen er ſich dann als Abtritt bedient**)M. ſ. im Talmud das Buch Sohar, Paraſcha Emor.. «
192» Schon in dieſer Welt und in der Stunde, wo der Menſch ſtirbt, wird er gerichtet. Wenn die Seele vom Leibe ſich trennt, ſteht die Herrlichkeit Gottes (Schechina) neben ihm. Findet man, daß er das Geſetz (die Befehle Moſis und des Talmuds) gehalten hat, ſo iſt er gluͤcklich, und ſeine Seele iſt werth an den heiligen Ort zu gelangen. Wehe aber dem, der von der Herrlichkeit Gottes entfernt wird, und derſelben nicht anhaͤngt. Wenn der Todte begraben wird, ſtehen alle ſeine Werke vor ihm, und drei Herolde rufen aus. Einer geht vor ihm, der andre zu ſeiner rechten, der dritte zu ſei - ner linken Seite, und ſprechen: » dieſer Aaron Marcus Schleſinger*)Blos des Beiſpiels wegen ſetze ich dieſe Namen nebſt ein paar Suͤnden hieher. Jm Uebrigen bleib’ ich ganz bei meinem Text. oder Auguſt Kuhn (Aaron Kohn) iſt gegen ſeinen Schoͤpfer, der oben im Him - mel, unten auf der Erde und in allen Theilen der Welt herrſcht, ſehr muͤrriſch, widerſpenſtig und undankbar geweſen. Er hat das Geſetz nicht gehal - ten; ſondern Schweinefleiſch, Haſenbraten, und vor - zuͤglich ſehr viele — Krebſe gegeſſen. Sehet ſeine Werke an und betrachtet ſeine Worte! Es waͤre ihm beſſer geweſen, er waͤre niemals geboren wor - den! Ehe der Leichnam dann an ſeinen Ort koͤmmt, zittern alle Todten in ihren Graͤbern und ſprechen: Wehe dieſem, der mit ſeinen ſchlechten Werken und boͤſen Worten wird begraben werden.
193Seine Miſſethaten aber, die bei ſeinem Ab - ſcheiden vor ihm ſtanden, gehen auch jetzt vor ihm her, oder ſtehen auf ſeinem Leibe, und ſeine Seele laͤuft auf ihm herum, und iſt traurig, weil ſie von ihm getrennt ward. Wann der Leichnam begraben iſt, erhebt ſich der Engel Duma und ſendet drei ſeiner untergeordneten Engel, um an dem Todten die Strafe des Schlagens, Chibbut hakkefer genannt, zu vollziehen. Sie haben drei feurige Ruthen, und geiſſeln damit die Seele und den Leib*)Sepher Jareh Chattaim und Niſchmath Chajim..
» Sieben Gerichte werden uͤber den Menſchen gehalten, wenn er ſtirbt. Das erſte in dem Au - genblick, wo die Seele den Leib verlaͤßt; das zwei - te, wann ſeine Werke vor ihm hergehen und wider ihn ausrufen; das dritte, wann ſein Leib ins Grab gelegt wird; das vierte iſt das Gericht des Schla - gens, Chibbut hakkefer; das fuͤnfte iſt das Gericht der Wuͤrmer, wann nemlich dieſe ihn freſſen. War der Verſtorbene hartherzig gegen ſeinen Naͤchſten (d. h. gegen die Juden); ſo koͤmmt drei Tage nach ſeiner Beendigung ein Engel, reißt den Leichnam auf und ſchlaͤgt ihm ſeine Eingeweide ins Angeſicht mit den Worten: » hier haſt du, was du in deinen Bauch fraßeſt, denn du gabſt den Armen und Noth - leidenden nichts von allen deinen Feſten! « Ueber - haupt wird nach jenen drei Tagen jeder Verſtor -194 bene an denjenigen Gliedern geſtraft, womit er geſuͤndiget hat. Dieſe Strafe dauert bis zum drei - ßigſten Tage und trifft ſowohl die Seele, als den Leib. Das ſechste Gericht iſt jenes der Hoͤlle, und das ſiebente beſteht im Na-venad, im unſtaͤten Umherwandern der Seele, welche gezwungen wird, in der Welt zu laufen, und nicht eher einen Ort zum Ausruhen findet, als bis ihre Strafzeit vor - bei iſt*)Sepher Jareh Chattaim und Niſchmath Chajim.. «
Die Strafe des Schlagens im Grabe, Chib - but hakkefer, wird noch auf andere Art beſchrieben. » Wenn ein Jſraelit, ſagt Rabbi Elias Levita, ge - ſtorben und begraben iſt, koͤmmt der Engel des Todes und ſetzt ſich auf das Grab. Hierauf kehrt die Seele in den Leib zuruͤck und richtet ihn auf. Dann nimmt der Engel eine Kette, die halb von Eiſen, halb von Feuer iſt, und giebt dem Leichnam zwei Schlaͤge. Durch den erſten werden alle Glie - der zerriſſen, durch den zweiten alle Gebeine zer - ſtreuet, und wenn der Todesengel dem Verſtorbe - nen noch einen dritten Schlag giebt, ſo wird er in Staub und Aſche verwandelt. Nachher kommen die guten Engel, ſuchen Alles behutſam wieder zuſam - men und legen es ins Grab**)M. ſ. Elias Levita’s Woͤrterbuch Tiſchbi.. Die Strafe des Chibbut hakkefer iſt ſchrecklicher, als die Qualen der Hoͤlle; ſelbſt vollkommen Gerechte und Saͤug -195 linge werden nicht damit verſchont; blos ſolche, die im Lande Jſraels oder am Sabbathabend ſterben, ſind davon ausgenommen*)Niſchmath Chajim, Maamar oder Theil 2, Kap. 24; Sepher Gilgulim; Sepher Chaſidim..
Jndeſſen ſoll man doch, nach Einigen, dieſe Strafe durch reichliches Almoſengeben an arme Jſraeliten, durch fleißiges Beten und Faſten, durch ſorgfaͤltige Heiligung der Sabbathe und Feſttage und dergl. abwenden koͤnnen. Deshalb beten unſere Juden gar ernſtlich und andaͤchtig aus ihrem Benſch - oder Gebetbuche: » Laß dir gefallen, o Herr mein Gott und Gott meiner Vaͤter die Rede meines Mundes, und erloͤſe uns von den boͤſen Rathſchlaͤgen der Gottloſen, von Armuth und Duͤrf - tigkeit, von allen Arten der Strafe, vom Gericht der Hoͤlle, und beſonders, du heiliger und hochge - lobter Gott, bewahre uns vor dem Chibbut hakke - fer. « Wir wollen ihnen wuͤnſchen, daß ihr Gebet erhoͤrt werde!
Der Strafe, im Grabe von den Wuͤrmern ge - freſſen zu werden, wovor die frommen Juden ſich eben ſo aͤngſtigen, wie vor dem Chibbut hakkefer, werden ſie jedoch ſchwerlich entgehen; denn wir ſind ja alle, der Kaiſer, der Koͤnig und der Bettler; der Jude, der Tuͤrke und der Chriſt; der Schrift - ſteller, der Recenſent und der Leſer, ja ſelbſt die196 reizendſte Leſerin, wie Ehrn-Neumeiſter in ſeiner Poſtille ſich ausdruͤckt, — elende Madenſaͤcke!
» Der Rabbi Jſaak hat geſagt, daß ein Wurm einem Todten eben ſo viel Schmerzen mache, wie eine Nadel in dem Fleiſch eines Lebenden*)M. ſ. Berachoth, Schabbath und Sepher Chaſidim.. « Das iſt freilich ſchlimm, und da iſt Jſraels Kindern nicht beſſer zu rathen, als daß ſie ſich ſaͤmmtlich einbalſamiren laſſen. Vielleicht verloͤren ſie auch dadurch nach ihrem Tode ihren Knoblauchgeruch, und wir Chriſten kaͤmen dann nicht in Verſuchung, nach dem Beiſpiele jenes franzoͤſiſchen Biſchofs**)Es war der ſehr adelſtolze Biſchof Franz von Clermont Tonnerre, ein Großoheim des jetzigen Herzogs und Pairs gleiches Namens. Man machte nach ſeinem Tode folgende Grabſchrift auf ihn:Ci git et repose humblement, (De quoi tout le monde s’étonne,) Dans un si petit monument Monsieur de Tonnerre en personne. On dit qu’entrant en Paradis Il ſut recû vaille que vaille, Et qu’il en sortit par mépris N’ y trouvant que de la canaille. M. ſ. d’Alembert Histoire des Membres de l’Academie française, Tome II. , der Hoͤlle vor dem Paradieſe den Vorzug zu geben.
Die Lebenden muͤſſen, ihres Orts, ihr Moͤg - lichſtes thun, um nicht die Todten zu aͤrgern. » Man197 erzeige ja den Verſtorbenen recht viel Ehre, denn ſie haben Kunde von Allem, was auf Erden ge - ſchieht. Es heißt freilich in der Schrift: die Tod - ten wiſſen nichts; allein damit werden blos die Gojim (die Nichtjuden) gemeint, welche man Todte nennt. Die Verſtorbenen der Juden hingegen wer - den Lebendige genannt, und darum heißt auch ihr Begraͤbnißplatz Beth oder Bes Hachajim: Ort der Lebendigen*)Sepher Minhagim, Titel Hilchoth afeluth.. «
» Aus einer Stadt, wo Begraͤbniſſe ſind, ſoll man einen Verſtorbenen nicht hinweg und nach ei - nem andern Ort fuͤhren, um ihn dort zu begraben, denn die in jener Stadt beerdigten Todten werden dadurch zum Zorn gereizt, weil ſie es als eine Verachtung ihrer Geſellſchaft anſehen**)Sepher Chaſidim im Zawaoth Rabbi Jehuda hae - chaſid Nr. 11..
» Die Suͤnden, welche der Menſch vor ſeinem dreizehnten Jahre begeht, werden auf die Rechnung ſeines Vaters geſchrieben, und dieſer wird dafuͤr geſtraft. Erſt vom dreizehnten Jahr an, wo er ein Bar mitzva (Sohn der Gebote)***)Hieruͤber in der Folge ein Naͤheres! wird, muß er fuͤr ſeine Uebertretungen ſelbſt buͤßen, doch wird er bis zum zwanzigſten Jahre blos von dem untern Gericht auf Erden geſtraft. Das obere Gericht im198 Himmel beſtraft erſt die Uebertretungen nach er - reichtem zwanzigſten Jahre. Wer vor dem dreizehn - ten Jahre ſtirbt, ſtirbt wegen der Suͤnden ſeines Vaters. Nach dem dreizehnten bis zum zwanzigſten Jahre ſtirbt der Menſch, damit er gerecht ſterbe, und der heilige, hochgelobte Gott ſich ſeiner erbar - men und ihm einen guten Lohn im Himmel geben koͤnne. Gott wartet in dieſem Falle deshalb nicht bis zum zwanzigſten Jahre, weil der Menſch ſuͤn - digen und das zukuͤnftige ewige Leben verſcherzen moͤchte. Oft entzieht aber auch Gott dem, der vor dem zwanzigſten Jahr ſuͤndigt, ſeinen Schutz und laͤßt ihn in die Gewalt des Verderbers (Sammaels) fallen. Ein ſolcher wird dann in ſeinen Suͤnden gefangen und ſtirbt nicht durch den Willen des hoͤch - ſten Gerichts, ſondern der Verderber toͤdtet ihn, ohne Gottes Befehl. Drum heißt es: » Es iſt einer, der vertilget ohne Urtheil. « Spruͤchw. Sal. 13. V. 23. *)Emek Hammelech, Titel Schaer olam haberie; Schabbath; R. Bechai’s Auslegung der fuͤnf Buͤcher Moſ. Paraſcha Vehaja ekef und Paraſcha Bereſchith; Jalkut Chadaſch, Titel Mitha.
» Die Herrlichkeit Gottes ſchwebt uͤber dem Bette des Sterbenden; darum ſoll Niemand, der einen ſolchen Kranken beſucht, ſich auf deſſen Bett ſetzen, denn man muß ſich nicht uͤber den heiligen, hochgelobten Gott erheben**)Jalkut Chadaſch und Rabbi Salomon Jarchi’s Auslegung deſſelben.. «
199» Viele Menſchen erreichen nicht das, ihnen von Gott beſchiedene Lebensziel, weil ſie ſich haͤufig unter die Weiber miſchen, die dem Leichenzuge ei - nes Verſtorbenen folgen. Denn es iſt ausgemacht, daß der Todesengel unter dieſen Weibern umher tanzt, ſich uͤber ihre Thraͤnen luſtig macht, und die neben ihnen gehenden Maͤnner mit ſeinem Meſ - ſer beſchaͤdigt. Man huͤte ſich auch ja, die Frauen nicht anzuſehen, wenn ſie vom Begraͤbniſſe zuruͤck - kehren. Am beſten thut man, wenn man vor ih - nen, und wenn dies nicht moͤglich iſt, in betraͤcht - licher Entfernung hinter ihnen hergeht*)Jalkut Chadaſch.. «
» Rabbi Jehoſcha Ben Levi ſpricht: der Todes - engel hat mir drei Dinge offenbart. Erſtens nimm dein Hemd nicht des Morgens aus der Hand eines Dieners, um es anzuziehen; zweitens waſche dei - ne Haͤnde nicht in Waſſer, welches dir Jemand reicht, der ſeine Haͤude nicht gewaſchen hat; und endlich ſtehe nicht vor den Weibern, wenn ſie von einem Begraͤbniſſe heimkehren, denn ich tanze dann vor ihnen her, mein Schwert in meiner Hand hal - tend, womit ich die Macht habe, zu beſchaͤdigen. Begegnet dir eine ſolche Weiberſchaar, ſo ſpringe vier Ellen weit zuruͤck; iſt ein Strom dort, ſo laß dich uͤberfahren, oder ſchlage einen andern Weg ein. Siehſt du aber eine Hecke oder eine Mauer, ſo verkrieche dich hinter dieſelbe. Giebt es von dem200 Allen nichts, dann wende dein Geſicht ab, und ſprich: der Herr ſprach zu dem Satan, der Herr ſchelte dich, du Satan! und das wiederhole ſo lan - ge, bis ich, (der Satan) und die Weiber voruͤber ſind*)M. ſ. das talmudiſche Buch Berachoth.. «
Jm Spruͤchworte heißt es zwar: fuͤr den Tod kein Kraut gewachſen iſt; das Geſetz iſt jedoch ge - gen alles Boͤſe und folglich auch gegen den Tod gut. Wer im Geſetz liest, dem kann, ſo lange er liest, der Todesengel nichts anhaben.
» David ſaß alle Sabbathe, und las den gan - zen Tag uͤber im Geſetz. Als nun ſein Stuͤndlein kam, wo er von hinnen ſcheiden ſollte, ſtellte ſich der Todesengel vor ihn; er konnte aber nicht an ihn kommen, denn Davids Lippen regten ſich in Einem fort vom Leſen. Der Engel wußte gar nicht, was er beginnen ſollte, da fiel ihm ploͤtzlich ein, daß David einen Garten hinter ſeinem Hauſe haͤtte. Er gieng alſo in den Garten, kletterte auf die Baͤume und ſchuͤttelte ſie. Der Koͤnig hoͤrte dies; er wollte ſehen, wer es thaͤte, und ſtieg auf eine Leiter. Da zerbrach der Engel die Leiter un - ter ihm, David erſchrack, ſchwieg und ſtarb**)M. ſ. das talmudiſche Buch Schabbath.. «
Rabbi Salomon Jarchi bemerkt in ſeiner Aus - legung hieruͤber: David las im Geſetz, damit derEn -201Engel des Todes nicht zu ihm nahen ſollte, denn das Geſetz bewahrt vor dem Tode.
Dem Rabbi Chasda gieng es gerade, wie dem David. » Er ſaß in der Schule des Raf und las im Geſetz. Da kam ein Engel des Todes, um ihm die Seele zu nehmen, allein weil ſein Mund vom Leſen nicht ſtill ſtand, ſo konnte der Engel nicht zu ihm. Was that der Bote des Todes? Er ſtieg auf einen Balken von Cedernholz in der Schule des Raf und zerbrach ihn. Der erſchrockene Rab - bi ſchwieg, und nun nahm ihm der Engel die Seele*)M. ſ. die talmudiſche Schrift Maccoth.. «
» Wenn die Hunde heulen und ſich beißen, ſo kommt der Engel des Todes in die Stadt; wenn ſie aber mit einander ſpielen und ſich begatten, dann koͤmmt der Prophet Elias**)R. Bechai’s Auslegung der fuͤnf B. Moſ. Para - ſcha Bo und Paroh.. «
Die, im gelobten Lande geſtorbenen und begra - benen Juden werden zur Zeit des Meſſias zuerſt wieder lebendig werden. Hingegen jene, die im Galus (Gefaͤngniß), d. h. außerhalb dem gelobten Lande geſtorben und begraben ſind, muͤſſen einen doppelten Tod erleiden, indem ſie mit den ſchreck - lichſten Qualen ſich durch unterirdiſche Kluͤfte und Hoͤhlen (Mechillos), die der heilige, hochgelobte Gott ihnen woͤlbt, nach Kanaan hinwaͤlzen muͤſſen. I. Baͤndchen. 20202Um dieſe ſchmerzhafte und beſchwerliche Reiſe nach ihrem Tode nicht machen zu duͤrfen, reiſen viele reiche Jſraeliten ſchon bei ihren Lebzeiten nach dem Lande hin, welches der Herr ihnen gegeben hat, um dort zu ſterben und begraben zu werden. Wenn der Meſſias koͤmmt, wird der Oehlberg ſich ſpal - ten, und die verſtorbenen Jſraeliten, denen Gott dann einen Athem wieder einblaſen wird, werden aus dieſer Spalte hervorgehen, denn es ſteht ge - ſchrieben: Siehe, ich will eure Graͤber aufthun, und will euch, mein Volk, aus euren Graͤbern her - ausfuͤhren, und euch bringen in das Land Jſrael. Und wann ich meinen Geiſt in euch gegeben habe, daß ihr lebet, will ich euch in euer Land zur Ru - he bringen. Heſekiel 37. V. 12 bis 14*)M. ſ. das Buch Tanchuma uͤber die fuͤnf Buͤcher Moſis und R. Salomon Jarchi a. a. O. Von dem, was nach Erſcheinung des Meſſias weiter geſchehen wird, in der Folge ein Mehreres..
Die Juden nehmen zwei Arten von Seelen - wanderungen an, nemlich die Gilgul und die Jbbur; und hiezu koͤmmt noch das Na-Benad das Unſtaͤtſeyn der Seele.
Durch die Gilgul (die Seelenwanderung) kommen die Seelen von Verſtorbenen in noch nicht geborne Kinder, und muͤſſen bis zum Tode derſel - ben bei ihnen bleiben. Die, auf dieſe Weiſe ver - ſetzten Seelen heißen Gilgulim. Durch die Jb -203 bur (Seelenſchwaͤngerung) werden eine oder meh - rere Seelen der Abgeſchiedenen in einen Lebenden verſetzt, und ſeiner Seele zugeſellt. Dieſe zugege - benen Seelen koͤnnen aber wieder herausfliegen, wenn es ihnen beliebt, und es nicht beſtimmt iſt, daß ſie bis zum Tode des Menſchen bei ihm bleiben ſollen. Die durch die Jbbur verſetzten Seelen heiſ - ſen Jbburim. Die Jbbur ſoll einen doppelten Zweck haben; entweder ſollen die verſetzten Seelen dadurch ſelbſt einen hoͤhern Grad von Vollkommen - heit erlangen, oder ſie ſollen auch die Seele des Menſchen, in den ſie verſetzt werden, vervollkomm - nen, und ihn in ſeinen Handlungen leiten, aus Gefahren erretten oder ihm ſonſt nuͤtzlich ſeyn. Durch die Jbbur kam, nach Einigen, die Seele des Seth, welche ganz rein und lauter war, in Moſes, und machte ihn wuͤrdig, das Geſetz zu empfangen. Die Seelen des Moſes und Aaron wanderten als Jbburim in den Samuel, und Na - dabs und Abihu’s Seelen wurden jener des Pine - has zugeſellt, und kamen nachmals in den Prophe - ten Elias*)Jalkut Chadaſch, Tit. Eliahu Num. 10; Menaſſe Ben Jſraels Niſchmath Chajim, Maamar oder Theil 4, Kap. 12..
Die Seelen der Eltern fahren gleichfalls durch die Jbbur in ihre Kinder. » Wenn Jemand fuͤr ſich allein ſuͤndigte, ſo ſchadete es wenig; aber der20 *204Menſch ſuͤndigt mit ſeinen Vaͤtern, die als Jbburim in ihm wohnen, und dadurch wird die Suͤnde ſchwer. Deshalb ſpricht David: Wir haben geſuͤndigt mit unſern Vaͤtern; d. h. wir ſind ſchuld, daß unſere Vaͤter, die als Jbburim in uns ſind, mit uns gott - los waren*)Jalkut Chadaſch, Titel Chataim; Aſara Maama - roth.. «
Moſes ordnete (im 5ten B. Kap. 25. V. 5 und 6.), daß der Bruder eines kinderlos verſtor - benen Ehemannes deſſen Wittwe heirathen ſollte, um ihm Saamen zu erwecken. » Dies Gebot ward gegeben, ſagt Rabbi Menaſſe Ben Jſrael, damit die Seele des Verſtorbenen in den erſten, aus ſol - cher Ehe gebornen Sohn verſetzt werden koͤnnte, denn die Jbbur iſt um ſo nuͤtzlicher, je naͤher der, in welchen die Seele verſetzt wird, mit derſelben verwandt iſt**)M. ſ. R. Manaſſe Ben Jſraels Erklaͤrung des 5ten B. Moſis Maamar, Paraſche Teze.. «
Auch kann eine Seele in Millionen Theile ge - theilt und mittelſt der Jbbur andern Menſchen ein - geimpft werden. Dies geſchah mit der Seele des Moſes, aus welcher unzaͤhlige Ableger gemacht wurden, die zu allen Zeiten unter alle Weiſen und Gerechten Jſraels, ſo im Geſetz forſchen, ausge - theilt werden***)Jalkut Chadaſch; Aſara Maamaroth.. Wer nun weiß, wie viel Weiſe205 und Gerechte von jeher unter den Jſraeliten waren, begreift leicht, daß ein ſolches Stuͤckchen der mo - ſaiſchen Seele, wie es jeder von ihnen empfaͤngt, kaum halb ſo groß ſeyn kann, wie eine geweihte Hoſtie.
» Der Rabbi Aſi hat geſagt, daß der Sohn Davids, der Meſſias, nicht eher komme, als bis alle Seelen, die in den Leibern ſind, ein Ende ha - ben, d. h. bis alle Seelen durch das Geheimniß der Jbbur gelaͤutert ſind. «
Die Gilgul Neſchamoth, Wanderung oder Waͤlzung der Seelen hat ihren Namen von dem Wort gilgel, waͤlzen, und iſt ein Hauptgrundſatz der juͤdiſch-talmudiſchen Glaubenslehre. Die allge - meinen Zwecke der Gilgul ſind ſowohl Strafe, als Verbeſſerung der Seelen. Jndeſſen treten haͤufig beſondere Urſachen ein, weshalb eine Seelenwan - derung ſtatt finden ſoll, z. B. wenn ein Menſch ſtirbt, ehe er ſein beſtimmtes Lebensziel auf Erden erreicht hat, dann muß ſeine Seele in einen an - dern Leib wandern, um ihre Zeit hienieden voͤllig auszuleben. Oft hat auch ein Gerechter eine Suͤn - de begangen, und iſt vom Staube derſelben noch nicht ganz gereinigt. Dies macht die Seele ſchwer und unbehuͤlflich, ſo daß ſie nicht zu Gott hinauf - fliegen kann. Um ſie zu erleichtern, muß ſie aus einem Gefaͤß in ein anderes gegoſſen werden, bis206 alles Jrdiſche hinweggenommen iſt, und bis ſie ſich rein und gelaͤutert emporſchwingen kann*)M. ſ. das Buch Zijoni..
» Es iſt hoͤchſt noͤthig, ſagt Rabbi Menaſſe Ben Jſrael**)M. ſ. deſſen Auslegung der fuͤnf Buͤcher Moſis Maamar 4, Kap. 6., daß eine Seele, die geſuͤndiget hat, in einen andern Leib komme, damit ſie in demſelben das Gute thue, was ſie fruͤher unterlaſſen, und das Boͤſe unterlaſſe, was ſie vorher gethan hat. «
» Die Seelenwanderung iſt eine große Wohl - that des hochgelobten, heiligen Gottes, denn da - durch werden die Seelen des Lichts erſt wuͤrdig des hoͤchſten Lichts, ſo daß ganz Jſrael Theil bekoͤmmt an dem ewigen Leben***)Avodath hakkodaſch.. «
Selbſt der gottloſe Sammael und die ſiebenzig Fuͤrſten der Voͤlker kamen, als der heilige, hochge - lobte Gott die Beſchneidung und Seelenwanderung eingeſetzt und angeordnet hatte, mit ihrem teufli - ſchen Anhange vor den Thron der Herrlichkeit des Herrn der Welt, und baten, daß ſie, gleich den Jſraeliten beſchnitten wuͤrden, und daß auch ihre Seelen in andere Leiber fahren duͤrften, um ſich durch die Gilgul von ihren Suͤnden zu reinigen. Allein der heilige, hochgelobte Gott antwortete ih - nen: » Habt ihr gethan, was Abraham that, der mich von ſeiner Kindheit an erkannte, und aus207 Liebe zu mir in das Feuer der Chaldaͤer gieng? Jhr ſahet, wie ich ihn aus euren Haͤnden und aus dem feurigen Ofen errettete, daß das Feuer keine Gewalt uͤber ihn hatte, und dennoch habt ihr nicht an mich geglaubt, und mich nicht geheiliget! Jhr ſollt euch weder beſchneiden laſſen, noch in andere Leiber fahren. Redet mir fuͤrder nicht mehr da - von*)M. ſ. den großen Jalkut Rubeni, Paraſche Vaje - ze; Tuf Haarez.! «
Da alſo der Satan ſelbſt ſich beſchneiden laſ - ſen wollte, ſo verlohnt es ſich ſchon der Muͤhe, ein Jude zu werden, und um ſo mehr verdiene ich den Dank meiner Leſer fuͤr dieſe Judenſchule.
An der Seelenwanderung iſt durchaus nicht zu zweifeln. Man hoͤre den Rabbi Menaſſe Ben Jſrael: » Wuͤrden die Seelen nicht von Geſchlecht zu Ge - ſchlecht in andere Leiber verſetzt, ſo muͤßte ihrer ja eine unendliche Anzahl ſeyn, welches aber ein großer Jrrthum waͤre, denn der heilige, hochgelobte Gott hat in ſeiner endlichen Welt keine unendliche Anzahl von Geſchoͤpfen erſchaffen. Daniel giebt die Zahl der Engel, die ihm dienten, auf zehntau - ſendmal zehntauſend, und jener die vor ihm ſtan - den, gleichfalls auf zehntauſendmal zehntauſend an**)Sollte der gute Prophet ſich nicht um Einen En - gel verzaͤhlt haben?. Dieſe Zahl iſt ſehr groß; aber doch zaͤhlbar. War -208 um ſollte denn die Zahl der Seelen, die nicht in hoͤherm Range ſtehen, als die Engel, unendlich und unzaͤhlbar ſeyn? Daher iſt gewiß, daß die Seelen wieder kommen, und in andere Leiber ver - ſetzt werden. Manchmal koͤmmt indeſſen auch eine neue Seele unter dem Thron der Herrlichkeit her - aus, und geht in die Welt*)Menaſſe Ben Jſraels Niſchmath Chajim Maamar 4, Kap. 11.. « Solche neue See - len treten dann in die Stelle derjenigen, welche zum Chriſtenthum abfallen, damit die Zahl der ſechsmalhundert tauſend immer voll bleibt.
Wie oft eine Seele aus einem Leibe in einen andern fahren muͤſſe, iſt ſtreitig. Nach Einigen geſchieht es dreimal, nach Andern vier, und nach Manchen wohl tauſend und mehrere Male.
Die Gilgul geſchieht entweder nach innen, wenn die Seele eines Jſraeliten wieder in einen juͤdiſchen Leib verſetzt wird, oder nach außen, wenn ſie in den Leib eines Nichtjuden faͤhrt. » Des - halb ſagen auch unſere Rabbiner geſegneten Anden - kens: die Frommen von den Voͤlkern der Welt haben Theil an dem ewigen Leben. Unter dieſen Frommen werden nemlich diejenigen verſtanden, in welche eine ſolche iſraelitiſche Seele gefahren iſt**)Avodath Hakkodeſch, Theil 2. (Chelek haavoda) Kap. 34.. « Da die Judenſeelen alſo nicht blos in unſern Laͤn -dern,209dern, ſondern ſogar in unſern Leibern ſich einniſten, ſo duͤrfen wir uns keineswegs wundern, daß ſo viele weiße Juden unter uns ſind.
» Es giebt fuͤnf Grade der Strafe, in Hinſicht welcher die Seelen der Menſchen in die Thiere fahren, und hier wird nach der Art und der Groͤße der Suͤnde ein wichtiger Unterſchied zwiſchen reinem und unreinem Vieh, zahmen und wilden Thieren, Voͤgeln und Gewuͤrmen gemacht. Selbſt in eine Laus kann eine Judenſeele fahren; ja es giebt ſo - gar Verſetzungen der Seele in Pflanzen und lebloſe Dinge, wovor uns aber der barmherzige Gott in Gnaden behuͤten wolle. Die Seelen der ganz voll - kommenen Gerechten fahren in keinen andern Leib. Die Seelen der Gerechten, welche noch einer Rei - nigung beduͤrfen, fahren in die Fiſche, und darum ſoll man bei allen drei Mahlzeiten am Sabbath Fiſche eſſen, um die, in ihnen wohnenden Seelen der Gerechten aus ihrem Zuſtande zu erloͤſen*)Jalkut Chadaſch, Titel Achila Nr. 9.. Manchmal wandert die Seele eines ſolchen in ein reines Vieh oder in einen reinen Vogel. Die Seele eines hochmuͤthigen Gemeindevorſtehers und uͤber - haupt jedes aufgeblaſenen Obern und Beamten faͤhrt in einen Muͤllereſel oder in eine Biene; ein Ver - leumder und Luͤgner in einen Stein, wie dies mit Bileam und Nabal der Fall war. Wer kein Al - moſen giebt und auch mit ſeiner Wiſſenſchaft nichtI. Baͤndchen. 21210nuͤtzen will, deſſen Seele koͤmmt nach ſeinem Tode in ein Weib. Wer einem Jſraeliten ein Aas*)Darunter wird nemlich alles verſtanden, was ei - nes natuͤrlichen Todes ſtarb, beim Schaͤchten nicht gerieth, oder von einem Chriſten geſchlachtet wurde. Merkt Euch das, Jhr Herren Gaſt - und Speiſe - wirthe! giebt, deſſen Seele faͤhrt in das Blatt eines Baums, und wenn der Wind damit ſpielt, leidet ſie die fuͤrchterlichſten Schmerzen. Endlich faͤllt das Blatt ab, und dann wird ſie von der Erde vertilgt und ausgerottet, wie der Prophet Jeremias ſagt: das Blatt iſt abgefallen**)M. ſ. hieruͤber: Niſchmath Chajim Maamar 4, Kap. 13, 16 und 19; Emek Hammelech Tit. Schaar reſcha diſer anpin Kap. 45 und Tit. Schaar tikkune hatteſchava Kap. 3 und 5; Jalkut Chadaſch Nr. 9, 13, 40 und 42; Schechechath leket Tit. Niſchamoth vegilgulam Nr. 6.. «
Weit ſchlimmer geht es aber denen, die Men - ſchenblut (nemlich Judenblut) vergoſſen haben, denn ihre Seelen fahren ins Waſſer, worin ſie unauf - hoͤrlich gewaͤlzt werden. Wenn man auf Erden die Groͤße dieſer Qual kennte, ſagen die Rabbiner, ſo wuͤrden die Menſchen nie aufhoͤren zu weinen. Gut alſo, daß wir davon nichts wiſſen. Am fuͤrchterlichſten iſt dieſe Pein, wenn die arme Seele ſich ungluͤcklicher Weiſe an ſolchem Orte befindet, wo ſich das Waſſer von einer Anhoͤhe herabſtuͤrzt,211 (wie z. B. der Rheinfall bei Laufen,) denn als - dann wird ſie gegen die Klippen und Felſen ge - ſchmettert und uͤber ſcharfe Steine gewaͤlzt. Ueber - haupt werden alle, die eine Suͤnde begiengen, wel - che nach altjuͤdiſchen Geſetzen eine Todesſtrafe ver - dient hat, zum Waſſer verurtheilt*)Emek Hammelech..
Die Seelen der Ehebrecher und Ehebrecherin - nen fahren in Waſſermuͤhlen, und werden dort von den Muͤhlraͤdern jaͤmmerlich gequetſcht. Vorher muͤſſen ſie aber noch die Strafe des Na-Venad, des Unſtaͤtſeyns, erdulden**)Schechechath leket, Titel Neſchamoth vegilgulam Nr. 6..
Es iſt durchaus unmoͤglich, den Strafen zu entgehen, welche von dem oberſten Gericht im Him - mel uͤber die Seele verhaͤngt ſind, denn vor ihr geht ein Ausrufer her, der ihre Suͤnden auspoſaunt und neben ihr geht ein gebietender Engel, der ſie nie aus den Augen laͤßt. Fuͤr die meiſten Suͤnder giebt es auch noch ein beſonderes Gericht, welches ihre Strafen oft veraͤndert, denn variatio delec - tat***)Emek Hammelech Kap. 45..
Hiebei iſt zu bemerken, daß man ja nicht ſei - nen Mund an die Roͤhre eines Brunnens halten, oder aus einer Quelle trinken, ſondern in Erman - gelung eines Gefaͤßes das Waſſer mit der Hand21 *212ſchoͤpfen muß, weil man ſonſt leicht die Seele eines Gottloſen mit hinunter ſchlucken koͤnnte*)Schechechath leket, Tit. Neſchamoth vegilgulam..
Nur die Seelen der Maͤnner fahren wegen ih - rer Suͤnden in andere Leiber; die Seelen der Frauen werden fuͤr ihre Uebertretungen in der Hoͤlle geſtraft. Wenn die Seele einer Frau in den Leib einer andern verſetzt wird, ſo geſchieht es nicht ih - retwegen, ſondern wegen der Miſſethaten ihres Mannes, deſſen Seele gleichfalls in einen andern Leib wandert, wo er dann zur Strafe ſeine Frau zum zweiten Male heirathen muß**)Jalkut Chadaſch Titel Jſcha und Sepher Hacava - noth vom Rabbi Jizchak Luria..
Jn der Regel fahren die Seelen der Maͤnner wieder in Maͤnner, und jene der Weiber in Wei - ber.
Als der erſte Menſch erſchaffen war, hatte er eine vortreffliche Seele, die unter dem Throne der Herrlichkeit Gottes herausgegangen war. Nach ſeinem Suͤndenfall wich ſie von ihm, und da kam eine Seele von den Kelifoth (den Teufeln) in ihn. Die gute Seele des Adam kam nachmals in Enoch, darum ſtarb dieſer auch nicht; ſpaͤterhin ward ſie in den Koͤnig David verſetzt und wird im Meſſias wiederkommen***)Niſchmath Chajim, Maamar 4, Kap. 6 und Jal - kut Chadgſch, Titel Jakob Nr. 238.. Jsmaels Seele fuhr in eine213 Eſelin, und von dieſer in den Eſel des Rabbi Ben Jair, der ſeinem Herrn von den diebiſchen Jſrae - liten geſtohlen wurde. Bekanntlich bewirkte unſer Vater Jakob durch die bunten Staͤbe, welche er den Schafen Labans ins Waſſer legte, daß ſie bunte Laͤmmer warfen, die dann Jakobs Eigenthum wur - den. Jn dieſe Laͤmmer wurden die Seelen von neunhundert vier und ſiebenzig Geſchlechtern verſetzt, die nachmals von dem Erzvater nach Aegypten ge - fuͤhrt und dort wuͤrdig wurden, in die Juden zu fahren. Dies iſt die Urſache der ſchnellen und ſtarken Vermehrung der Kinder Jſraels in Aegyp - ten*)Jalkut Rudeni und Niſchmath Chajim Maamar 4, Kap. 19..
» Wenn Jhr Menſchen ſeht, die ſchmutzig, heim - tuͤckiſch, frech und ſchamlos ſind, dann ſind uͤber - zeugt, daß ihre Seelen, ehe ſie wieder in einen menſchlichen Leib kamen, in einem wilden Thiere oder unreinen Vogel hausten**)Emek Hammelech, Titel Schaar tikkune hatteſcha - va Kap. 3.. « Dies duͤrfte wohl auf die meiſten Jſraeliten anzuwenden ſeyn! Haͤufig muͤſſen auch die Seelen der Gottloſen in Teufel wandern. Das war namentlich der Fall bei den Babyloniern, die in den Himmel ſteigen, und den heiligen, hochgelobten Gott mit Aexten todtſchlagen wollten***)Niſchmath Chajim..
214» Wir ſehen oft, daß es den Gerechten uͤbel und den Gottloſen wohl geht; daß dieſe in allen ihren Unternehmungen Gluͤck haben, jene aber viel Schmach und Leiden erdulden muͤſſen. Dies erklaͤrt ſich gar leicht durch die Verſetzung der Seelen. Ein Gerechter, dem es hienieden uͤbel ergeht, war, ehe ſeine Seele in ſeinen jetzigen Leib kam, ein Gottloſer; der Gottloſe aber, dem es wohl geht, war vorher ein Gerechter und erndtet jetzt die Fruͤchte ſeiner fruͤhern Werke*)Manaſſe Ben Jſrael im Niſchmath Chajim, Maa - mar 4, Kap. 11.. «
Wie ſich mit dieſem und vielen andern Lehr - ſaͤtzen die Behauptung einiger Talmudiſten vertraͤgt, daß die Seelen der Gottloſen in keinen andern Leib wandern, ſondern in der Hoͤlle fuͤr ihre Suͤnden geplagt werden, moͤgen die Rabbiner unter ſich ausmachen. Die juͤdiſche Dogmatik iſt, wie die meiſten poſitiven Glaubensſyſteme ein Gewebe der ſinnloſeſten Alberuheiten und Widerſpruͤche, welches von dem gelindeſten Hauche der Vernunft zerreißt und zuſammen faͤllt.
» Die Seelen der Gerechten laufen in der Welt umher, und wenn ſie Menſchen ſehen, die wegen der Heiligung des Namens Gottes verfolgt werden und Unrecht leiden, oder wenn ſie Gottloſe finden, welche Schuld an der Verlaͤngerung der iſraeliti - ſchen Gefangenſchaft unter den Chriſten ſind; zeigen215 ſie es dem Meſſias an. Dieſer geht dann in einen Palaſt des Paradieſes, Palaſt der Kranken ge - nannt, und nimmt alle Strafen Jſraels auf ſich. Erleichterte er nicht die Schmerzen der Strafen, ſo koͤnnte ſie Niemand auf Erden erdulden. Als die Jſraeliten noch in ihrem Lande wohnten, wandten ſie durch ihre Opfer jene Strafen von ſich ab, al - lein jetzt wird er um ihrer Miſſethat willen ver - wundet, und wegen ihrer Suͤnden geſchlagen, da - mit ſie Frieden haben, und geheilt werden. Jeſaias Kap. 53. V. 4 und 5.*)Jalkut Chadaſch und Rabbi Nechonia Ben Hakka - ne’s Sepher Habbahir.. «
Dieſer Anſicht ſtehen die Lehren anderer Tal - mudiſten in diametriſcher Richtung entgegen. » Fuͤr die Miſſethaten der Jſraeliten werden die Voͤlker der Welt geſtraft. Rabbi Jehoſcha Ben Levi hat geſagt: » wuͤßten die Voͤlker (die Nichtjuden), daß ſie fuͤr die Suͤnden der Jſraeliten beſtraft wuͤrden, ſo wuͤrden ſie bei jedem Juden zwei Waͤchter ſtel - len, damit er nicht ſuͤndigte. « Wir haben daher jetzt doppelt Urſache, den Jſraeliten ſtrenge auf die Finger zu ſehen.
» Der Herr legt alle Suͤnden der Jſraeliten auf den gottloſen Eſau, (auf die Chriſten**)Schachechat leket, Tit. Maſchiach utechiath ham - methim; Jalkut Schimoni; Jalkut Chadaſch.. « Es iſt alſo ganz natuͤrlich, daß ſie, uns zum Poſſen,216 es an Suͤnden nicht mangeln laſſen. Dieſen thoͤ - richten, Jahrtauſende hindurch fortgepflanzten Ein - bildungen der Juden, daß Andere fuͤr ihre Boshei - ten buͤſſen muͤſſen, iſt der tiefe Grad von Verwor - fenheit zuzuſchreiben, zu welchem ſie hinabſanken; denn waren ſie auch ſchon zu Moſes Zeiten aͤußerſt verderbt; ſo mußten ſie es doch von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr werden, da durch die Laͤnge der Zeit und die Gaukeleien ihrer Prieſter jene Jdee bei ihnen zu einem Petrifakt verhaͤrtet ward, das ſo wenig durch die Beitze des Spottes, als durch das Licht der Vernunft aufgeloͤst wer - den kann.
Uebrigens muß man ſich wundern, daß die Geiſtlichen der Juden, trotz der unzaͤhligen Menge von Suͤndenboͤcken, welche die Strafen der iſraeli - tiſchen Miſſethaten auf ſich nehmen muͤſſen, ſo uͤber - aus ſinnreich in Erfindung kuͤnftiger Seelenſtrafen waren.
Eine der poſſierlichſten der letztern iſt unſtreitig die Strafe des Schleuderns. Zwei Engel ſtehen nemlich, der eine an dieſem, der andere an jenem Ende der Welt, und ſchleudern die arme Judenſeele hin und her, wie man einen Ball ſchlaͤgt*)M. ſ. im Talmud das Buch Schabbath; Rabbi Lip - mans Sepher Nizzachon Nr. 77; Niſchmath Chajim Maamar 1, Kap. 7.. Dieſe Operation ſoll, nach der Verſicherung der Talmu -217 diſten, uͤberaus ſchmerzhaft ſeyn, und es iſt in der That auffallend, daß ſie nicht bei den Chriſten gleichfalls eingefuͤhrt iſt. Vielleicht geb’ ich durch dieſe Zeilen die Veranlaſſung dazu, und werde mir es dann zum groͤßten Verdienſt anrechnen, eine Luͤcke in unſerer Dogmatik durch meine Bemuͤhun - gen ausgefuͤllt zu ſehen.
Mit vielem Vergnuͤgen wuͤrde ich ſchon jetzt meine Leſer in das Fegfeuer und in die Hoͤlle brin - gen; allein ich muß vorher noch etwas umſtaͤndli - cher vom Navenad oder Unſtaͤtſeyn der Seelen, deſſen ich fruͤher erwaͤhnt habe, reden.
» Die Gottloſen, welche viel ſuͤndigen und un - gehorſam gegen ihren Vater im Himmel ſind, wo - vor uns der barmherzige Gott behuͤte; ein Moͤrder, der einen Jſraeliten umgebracht hat; ein Abgefalle - ner, der den juͤdiſchen Glauben verleugnet; ein Verraͤther (Moſer), der einen Jnden, oder gar die ganze Judenſchaft wegen eines Verbrechens bei den Chriſten anklagt, und den Jſraeliten Schaden zu - fuͤgt; alle dieſe ſind nicht wuͤrdig, in den Himmel zu kommen und den Vorhof und Palaſt des hoch - gelobten, heiligen Gottes zu betreten. Die Engel aber im Himmel faͤllen uͤber Jeden derſelben ein Urtheil, und ſenden Teufel herab, um ſie zu aͤng - ſtigen und von den Bergen uͤber die Huͤgel und von den Huͤgeln uͤber die Berge zu jagen. So laufen ſie unſtaͤt in der Welt umher, bis endlich ihre Zeit erfuͤllt iſt, wo ſie in Pflanzen, Thiere218 oder Menſchen wandern. Nachher nimmt die Hoͤlle ſie auf, wo man ſie zwoͤlf Monate lang richtet. Darauf werden ſie zum zweiten Mal erſchaffen, um voͤllig gelaͤutert zu werden. Der heilige, hochge - lobte Gott laͤßt ſie ſtufenweiſe ſteigen. Zuerſt ver - ſetzt er ſie in ein lebloſes Ding; nachher in Pflan - zen; dann in unvernuͤnftige Thiere; hierauf in Menſchen, und zwar in Heiden und Abgoͤttiſche, und endlich in Jſraeliten. Manche Seele wird wuͤrdig befunden, mehrere Stufen zu uͤberhuͤpfen, und fruͤ - her in einen Jſraeliten zu kommen, als andere*)Emek Hammelech, Titel Schaar tikkune teſchuva Kap. 3.. «
» Jch will, ſagt der Verfaſſer des Buches Emek Hammelech am angefuͤhrten Orte, ich will dir eine große Geſchichte erzaͤhlen, die ſich zur Zeit meines Lehrers und Meiſters, des Rabbi Jſaak Lurja ge - ſegneten Andenkens mit Jemanden zutrug, deſſen Seele in einen andern Leib gefahren war; damit du lerneſt und verkuͤnden moͤgeſt, daß ein Gericht und ein Richter ſey, und daß vor dem Thron der Herrlichkeit des hochgelobten Gottes nichts vergeſ - ſen werde; denn er verſchiebt wohl ſeine Rache ge - gen die Gottloſen, aber endlich koͤmmt er voll ge - rechten Zorns, und fodert das Seinige. Das Er - eigniß aber, welches ich dir erzaͤhlen werde, begab ſich zur Zeit des heiligen und reinen Rabbi, des goͤttlichen Kabbaliſten Jſaak Lurja, des Deutſchen,219 auf welchem der Friede ſey, in Zophath (Jeruſa - lem), das recht bald und in unſern Tagen moͤge wieder gebauet werden. Dort fuhr ein Geiſt in eine Wittwe, und plagte ſie unbeſchreiblich. Es giengen viele Leute zu ihm und redeten mit ihm, und er beantwortete alle ihre Fragen. Auch der weiſe Rabbi Joſeph Arſin, geſegneten Andenkens, ein Juͤnger des heiligen Rabbi Jſaak Lurja, kam zu dem Geiſte; da rief dieſer ihm zu: Heil dem, der da kommt, mein Herr, mein Arzt und mein Lehrer; denn ſiehe, ich bin lange in Aegypten dein Juͤnger geweſen! Aber die Verwandten der Frau jammerte der große Schmerz, womit der Geiſt ſie peinigte; darum giengen ſie zu dem weiſen Rabbi Jſaak Lurja, deſſen Ruhe das Paradies ſey, und baten ihn flehentlich, den boͤſen Geiſt aus der Wittwe zu bannen. Er hatte keine Zeit, und ſchickte den Rabbi Chajim, deſſen Gedaͤchtniß zum ewigen Leben ſey, nachdem er ihm vorher den Gebrauch der heiligen Namen gelehrt hatte, und befahl ihm, den Geiſt in den Bann zu thun, und ihn ſelbſt wider ſeinen Willen auszutreiben. Als nun der Rabbi Chajim geſegneten Andenkens zu der Frau kam, wandte ſie ihr Geſicht gegen die Wand; er aber ſprach zu dem Geiſt: du Gottloſer, warum wendeſt du dein Geſicht von mir? Jch kann dich nicht anſehen, antwortete dieſer, denn die Gottlo - ſen koͤnnen den Anblick Gottes nicht ertragen. Rabbi Chajim befahl ihm jedoch, ihn anzuſchauen,220 und er mußte gehorchen. Darauf fragte ihn der Rabbi: fuͤr welche Miſſethat mußt du ſo ſchwere Strafe erdulden? Jch habe, erwiederte der Geiſt, mich an einer Ehefrau verſuͤndigt und Baſtarde gezeugt, darum muß ich jetzt ſchon ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren unſtaͤt und fluͤchtig auf Erden um - her irren. Jch habe keine Ruhe, denn drei Engel des Verderbens begleiten mich uͤberall, rufen mei - ne Suͤnden aus, und geißeln mich. So muß es dem Mann ergehen, der in Jſrael Baſtarde zeugt. Sieht mein Herr nicht, wie ein Engel des Verder - bens zu meiner Rechten, der andere zu meiner Linken ſteht, und ausrufen, und wie der dritte mir moͤrderiſche Streiche giebt? Da ſprach der Rabbi: haben nicht unſere Rabbinen geſegneten Audenkens geſagt: daß die Gottloſen zwoͤlf Monate in der Hoͤlle geſtraft werden? Der Geiſt antwortete: du kennſt den Sinn dieſer Worte nicht. Wenn unſere Rabbinen geſegneten Andenkens ſagen, daß die Seelen der Gottloſen zwoͤlf Monate in der Hoͤlle geſtraft werden; dann iſt dies ſo zu verſtehen, daß ſie erſt ihre ganze Strafe auf Erden leiden muͤſſen, ehe ſie in die Hoͤlle kommen. Dort bleiben ſie zwoͤlf Monate, um gewaſchen, von allen Flecken gerei - nigt, und dadurch wuͤrdig zu werden, in das Pa - radies zu kommen. Die Seelenſtrafen ſind als Arzeneien zu betrachten. Der weiſe Arzt bedient ſich aufangs ſcharfer und ſtarker Mittel, um das faule Fleiſch wegzubeitzen; nachher legt er heilende221 und ſchmerzſtillende Salben auf die Wunde. So iſt es auch mit der Hoͤlle; denn die Qualen der - ſelben ſind nicht der ſechzigſte Theil jener Pein, welche die Seele des Suͤnders erdulden muß, ehe ſie dahin kommt. Der Rabbi fragte: wie ſtarbſt du? Jch ward erſtickt, verſetzte der Geiſt; denn obgleich die vier Todesſtrafen des Sanhedrin jetzt nicht mehr ſtatt finden*)Nemlich die vier Arten von Todesſtrafen, welche ehemals bei den Juden uͤblich waren: das Steini - gen, Verbrennen, Enthaupten und Erwuͤrgen. Das Kreuzigen lernten Jſraels Kinder erſt von den Roͤ - mern., ſo muß doch jeder Miſ - ſethaͤter die Todesart erleiden, die das Geſetz uͤber ſein Verbrechen verhaͤngte. Jch fuhr mit einem Schiff von Alexandrien in Aegypten nach Raſchit. Das Schiff ſcheiterte dort, wo ſich der Nil ins Meer ergießt, und ich ertrank. Warum beichteteſt du aber nicht, ehe die Seele deinen Leib verließ? fragte der weiſe Rabbi Chajim. Die Zeit war zu kurz! erwiederte der Geiſt, denn das Waſſer er - ſtickte mich augenblicklich, als ich hinein fiel. Was geſchah dir denn nach deinem Tode? — Als die Juden in Raſchit erfuhren, daß unſer Schiff ge - ſcheitert waͤre, kamen ſie an das Ufer des Meers, zogen alle Jſraeliten und auch mich heraus, und begruben uns. Wie ſie aber von dem Begraͤbniß - platze fort waren, kam ein grauſamer Engel, mit222 einem feurigen Stab in der Hand, und ſchlug auf mein Grab, ſo daß es augenblicklich ſich oͤffnete. » Du Gottloſer! Du Gottloſer! « rief er mir zu, » ſtehe auf, daß du gerichtet werdeſt. « Darauf legte er mich in eine Schleuder und ſchleuderte mich mit Ei - nem Wurf von der Stadt Raſchit bis an die Pforte der Hoͤlle, die in der Wuͤſte iſt. Als ich dort nie - derfiel, ſtuͤrmten tauſendmal tauſend Seelen aus der Hoͤlle hervor, verfluchten mich und riefen: Fort von hier, du Boͤſewicht! Du Verwirrer Jſraels! Du biſt noch nicht wuͤrdig und haſt auch keine Er - laubniß in die Hoͤlle zu kommen. Da fluͤchtete ich von einem Berge zum andern, und dieſe drei En - gel begleiteten mich, riefen vor mir aus und ſchlu - gen mich unaufhoͤrlich. Faſt jeden Augenblick be - gegneten uns andre Engel des Verderbens und boͤſe Geiſter, und geiſſelten mich gleichfalls. Einer riß mich von dieſer, der andere von jener Seite zu ſich, bis alle Glieder meiner Seele verrenkt waren. So gieng ich na venad (unſtaͤt und fluͤchtig) nach Hormis, einer großen Stadt in Jndien mit dem Vorſatz, in den Leib eines Juden zu fahren, um mich vor den Schlaͤgen und Qualen meiner Peini - ger zu retten. Aber die dortigen Juden waren boͤſe Leute, die ſich ſehr gegen Gott verſuͤndigten, und ſelbſt bei Heidinnen ſchliefen. Die Menge der un - reinen Geiſter, die in ihnen wohnten, hinderte mich in einen von ihnen zu fahren, denn ich wuͤrde da - durch meine eigene Unreinigkeit nur noch vermehrt223 haben. Deshalb gieng ich von den Bergen zu den Huͤgeln, und von den Huͤgeln zu den Bergen viele Jahre lang bis ich endlich in die Wuͤſte Judaͤs kam. Vor Schmerz außer mir, fuhr ich dort in eine traͤchtige Hindin (oder Rehkuh); allein hier mußte ich ebenfalls ſehr viele Pein leiden, denn eine Jſrae - litenſeele und die Seele einer Hindin paſſen ſich nicht gut fuͤr einander, da jene aufrecht, dieſe aber mit dem Bauch gegen die Erde gewendet geht. Auch iſt eine thieriſche Seele ſehr unreinlich und eckel - haft, und ihr Geruch iſt der iſraelitiſchen hoͤchſt unangenehm*)Sollte die Seele eines Rehes nicht eben ſo gut riechen, wie eine Judenſeele?. Die Speiſe des Thiers eignet ſich eben ſo wenig fuͤr eine Jſraelitenſeele, und beſon - ders machte mir ſowohl, als der Hindin, das Junge, welches ſie trug, große Schmerzen, denn drei Seelen koͤnnen nicht zuſammen beſtehen. Der Bauch der Rehkuh ſchwoll, und ſie lief vor Schmerz ſo lange auf den Bergen und Felſen umher, bis ihr Leib platzte, wovon ſie ſtarb. Da gieng ich heraus, und kam in die Stadt Sichem im Lande Jſraels, wo ich in den Leib eines juͤdiſchen Prie - ſters fuhr. Dieſer ſchickte aber gleich zu einem is - maelitiſchen (tuͤrkiſchen) Pfaffen, der mich ſo lange beſchwor, und mir ſo viele Zettel (Amulete) an den Hals hieng, daß ich wieder ausfahren mußte. Hierauf fragte der Rabbi Chajim, auf welchem der224 Friede ſey, den Geiſt: Jſt es denn den Kraͤften der Unreinigkeit (den Teufeln) erlaubt, Jemanden etwas Boͤſes oder Gutes zu thun? Nein, antwor - tete jener, aber die ismaelitiſchen Pfaffen hatten durch ihre Beſchwoͤrungen ſo viele unreine Geiſter in den Leib des juͤdiſchen Prieſters gebannt, daß ich voraus ſahe, ſie wuͤrden ſich alle an mich haͤn - gen, wenn ich laͤnger bei ihnen verweilte. Deshalb zog ich aus, flohe nach Zophath, welches bald und in unſern Tagen wieder aufgebauet werden moͤge, und fuhr in den Leib dieſer Wittwe. Heute ſind es gerade fuͤnf und zwanzig Jahre, daß ich die Pein des Unſtaͤtſeyns leide. Wie lange, fragte der Rabbi, mußt du dieſe Strafe noch dulden? Wirſt du nie davon befreiet? Jch muß ſo lange leiden, antwortete der Geiſt, bis die Baſtarde ſterben, die ich gezeugt habe. Bei ihren Lebzeiten kann ich nicht erloͤst werden.
Da weinte das Volk, welches in Menge zu - gegen war, auf das Heftigſte, denn alle Menſchen uͤberfiel Angſt und Zittern vor der ſchrecklichen Strafe, und dieſe Geſchichte machte ein großes Auf - ſehen im ganzen Lande und weit umher. Der Rabbi Chajim geſegneten Andenkens aber fragte ferner: wer gab dir die Macht, in den Leib dieſer Frau zu fahren? Jch blieb, ſprach der Geiſt, einmal in ihrem Hauſe eine Nacht. Gegen Morgen ſtand ſie auf, um Feuer anzuſchlagen, allein die gebraunten Lumpen wollten nicht fangen. Nach vergeblicherMuͤhe225Muͤhe warf ſie endlich voll Zorn Stahl und Stein auf die Erde und ſprach: Ei, ſo ſey du des Sa - tans. Wegen dieſer Worte gaben mir die Engel des Verderbens die Erlaubniß, in ſie zu fahren. Alſo blos wegen jener Suͤnde verſtatteten ſie dir das? fragte der Rabbi. Nicht deshalb allein, ſon - dern auch darum, weil das Herz der Frau nicht mit ihren Aeußerungen uͤbereinſtimmt. Sie glaubt nichts, weder von dem Ausgange der Kinder Jſrael aus Aegypten, noch von der Oſternacht, wo alle Jſraeliten ſich freuen, das Hallel ſprechen, und den Auszug aus Aegyptenland erzaͤhlen. Dies Alles haͤlt ſie fuͤr eitle Maͤhrchen und Thorheiten, und lacht in ihrem Herzen daruͤber. Da ſprach der Rabbi zu der Wittwe: Du N. N. glaubſt du mit einem vollkommenen Glauben, daß der heilige und hochgelobte Gott Himmel und Erde geſchaffen ha - be; daß es in ſeiner Macht ſtehe, zu thun, was er will, und daß Niemand ihn fragen duͤrfe, war - um thuſt du das? Sie antwortete: Das Alles glaube ich! Der Rabbi fragte weiter: Glaubſt du auch mit einem vollkommenen Glauben, daß der heilige, hochgelobte Gott unſere Vaͤter aus Aegyp - ten gefuͤhrt, und das Meer vor ihnen geſpalten habe? » » Ja. « « Glaubſt du dies Alles mit einem vollkommenen Glauben, und bekehreſt du dich und traͤgſt Reue und Leid uͤber deine vorigen Suͤnden? Sie ſprach: Ja, und weinte bitterlich. Hierauf befahl der Rabbi Chajim, auf welchem der FriedeI. Baͤndchen. 22226ſey, dem Geiſt durch einen Bann auszufahren, und zwar durch kein andres Glied, als durch die kleine Zehe des linken Fußes, weil nemlich das Glied, durch welches ein ſolcher Geiſt ausfaͤhrt, ganz ver - dorben und unbrauchbar wird. Da ſchwoll die kleine Zehe der Wittwe ſo dick auf, wie eine große Ruͤbe, und der Geiſt fuhr aus, und entflohe. Nachher kam er jedoch viele Naͤchte durch die Fen - ſter und Thuͤren des Hauſes, um die Frau zu er - ſchrecken; deshalb giengen ihre Verwandten wieder zu dem weiſen Rabbi Jſaak Lurja, deſſen Ruhe das Paradies ſey, und er ſchickte augenblicklich ſei - nen Juͤnger, den Rabbi Chajim geſegneten Anden - kens hin, um zu ſehen, ob die Meſuſa*)Meſuſa heißt ein Stuͤck Pergament, worauf die Worte 5 B. Moſ. Kap. 6. V. 4. bis 9. und Kap. 11. V. 13 — 20. geſchrieben ſind, und welches an die Thuͤren befeſtigt, theils um boͤſe Geiſter abzu - halten, theils um den Juden zur Erinnerung an ihr Geſetz zu dienen. richtig ſey oder nicht? Der Rabbi fand aber gar keine Meſuſa uͤber der Thuͤre und befahl daher, daß au - genblicklich eine Meſuſa angeheftet wuͤrde. Von dem Augenblick an kam der Geiſt nicht wieder. «
Viele meiner Leſer moͤgen vielleicht uͤber dieſe Geſchichte laͤcheln; uͤbrigens hat ſie, nach meiner Anſicht, eben ſo viel Glaubwuͤrdigkeit, als manche andre Erzaͤhlung aͤhnlicher Art, die wir nicht be - zweifeln. Ein Jude erzaͤhlt ſie, zu Jeruſalem hat227 ſie ſich zugetragen, und zwar in Gegenwart einer großen Menge von Menſchen; folglich muß ſie wahr ſeyn.
» Alle Jſraeliten werden Theil haben an dem ewigen Leben; allein ihr Lohn wird ſich nach der Menge der guten Werke richten, die ſie auf Erden gethan haben. Die Gottloſen, welche ihre Suͤnden nicht bereuen, muͤſſen freilich zwoͤlf Monate in der Hoͤlle buͤſſen und gereinigt werden; allein nachher bekommen ſie im Paradieſe gleichfalls ein Plaͤtz - chen*)Sanhedrin Kap. 11.. « Hiernach waͤre alſo die juͤdiſche Hoͤlle eigentlich eine Beſſerungsanſtalt, und inſofern moͤch - te ich ihr wirklich einen Vorzug vor der chriſtlichen geben. Nimmer kann ich mir denken, daß Gott ein empfindendes Weſen zu unendlicher Qual ſollte erſchaffen haben. Waͤre ja mir, als einem Men - ſchen es unmoͤglich, einen Andern zu ewiger Mar - ter zu verdammen! Selbſt den Doktor Auguſt Kuhn (Aaron Kohn), den Herausgeber des Freimuͤthi - gen**)Dieſer Freimuͤthige koͤmmt nemlich in Ber - lin heraus. fuͤr beſchnittene und geſchorene Leſer, und den Herrn Schriftſteller Wilhelm Scheerer, den Verfaſſer der Turnfehde und des hinkenden Boten, koͤnnte ich zu keiner ewigen Hoͤllenpein verurtheilen. Die armen Judenſeelen wuͤrden mich doch jammern, ſo ſchlecht und ſchwarz ſie auch ſind. Wie ſollte22 *228denn das guͤtigſte Weſen grauſamer ſeyn, als ein Menſch?
Jndeſſen iſt die juͤdiſche Hoͤlle nicht fuͤr Alle ein Fegfeuer oder eine Beſſerungsanſtalt, ſondern fuͤr manche wirklich ein ewiges qualenvolles Straf - gefaͤngniß. Wer Gott verleugnet und wohl gar vom juͤdiſchen Glauben zum Chriſtenthum uͤbertritt, dem waͤchst dort die Milach (die Vorhaut) wieder, und er wird nie erloͤst*)Sanhedrin a. a. O.. Deshalb glauben Abra - hams Nachkommen, daß ſie keine groͤßere Schande treffen kann, als wenn ein Glied ihrer Familie nicht laͤnger ein Bar Jſrael (Sohn Jſraels) ſeyn will. Dergleichen Apoſtaten werden oft von ihnen heimlich ermordet**)Dies begegnete auch zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts einem gewiſſen Gumprecht in Halle, der von ſeinen vormaligen juͤdiſchen Glaubensgenoſ - ſen auf das Grauſamſte umgebracht ward.. Die Juden, welche die Hoͤlle ziemlich durchkrochen haben, melden uns, daß ſie - ben Behaͤltniſſe darin ſind. Das unterſte, in wel - chem Chriſtus beſtraft wird, nennen ſie Zoah Ro - lachat. Die Mahomedaner haben auch ſieben hoͤl - liſche Gemaͤcher, und dieſe wahrſcheinlich von ihren Halbbruͤdern, den Juden, geerbt.
Jn dem Paradieſe ſind ebenfalls ſieben große Saͤle fuͤr die Tzaddikim (die gerechten Jſraeliten). Wer alle ſechshundert zwanzig Gebote, von denen229 in der Folge die Rede ſeyn wird, auf Erden hielt, der ſetzt dem heiligen, hochgelobten Gott eine Kro - ne auf, und dieſer giebt ihm dafuͤr im Paradieſe ſieben Kronen wieder. Es wird dort oben keine republikaniſche Gleichheit herrſchen; ſondern die Ge - rechten werden ſich in Ruͤckſicht ihres Ranges, nach Maßgabe der guten Werke, die ſie hienieden ge - than, unterſcheiden*)Der Markgraf Kaſimir von Brandenburg, Anſpach und Bayreuth dachte daruͤber anders. Er glaubte, die Geburt gaͤbe ein Recht zu himmliſchen Beloh - nungen und Wuͤrden. Einſt ließ er auf dem Kirch - hofe ſich von dem Prediger und der Gemeinde noch ein Lied vorſingen. Am Schluße faltete er die Haͤnde gen Himmel, und brach mit thraͤnenden Au - gen in die herzbrechenden Worte aus: „ Nun hab’ ich in der That und in der Wahrheit erfahren, daß ich auch im Himmel ein Fuͤrſt und Markgraf ſeyn werde. ‟ Der Prieſter verſicherte ihn deſſen gleich - falls, und ein alter fraͤnkiſcher Chronikenſchreiber fuͤhrt dieſen Zug, als einen Beweis der großen Froͤmmigkeit des hoͤchſtſeligen Fuͤrſten an. Jn dem kleinen Flecken Kitzingen ließ er (1525) an einem Tage fuͤnfzehn Einwohner hinrichten und achtzig an - dern die Augen ausſtechen. Vielen Menſchen wur - den auf ſeinen Befehl die Beine abgeſaͤgt, und uͤberall, wo er mit ſeinen Lanzknechten kam, wurde geſengt, gemordet, genothzuͤchtigt, geraubt und ge - pluͤndert. Dieſer fromme Herr koͤnnte, wenn ſein Wunſch ihm erhoͤrt worden iſt, den Himmel leicht in eine Hoͤlle verwandeln. M. ſ. Sartorius Ver -. Die Gerechten werden im230 Himmel mit den koͤſtlichſten Speiſen und Getraͤnken bewirthet werden*)Sanhedrin a. a. O..
Ueber die kuͤnftigen Belohnungen und Strafen herrſcht jedoch eine große Verſchiedenheit der Anſich - ten unter den Talmudiſten. Rabbi Bechai lehrt, nach dem Talmud: am juͤngſten Gerichtstage wer - den drei Arten von Todten auferſtehen, die Tzad - dikim (die Gerechten), die Beuoniim (die Mittel - maͤßigen), die eben ſo viel Boͤſes als Gutes gethan haben, und die Reſchaim (die Gottloſen). Die erſtern werden ſofort zum ewigen Leben eingeſchrie - ben. Die Mittelmaͤßigen hingegen muͤſſen zwoͤlf Monate in der Hoͤlle buͤßen; nachher werden Leib und Seele von den Flammen verzehrt, und ein Sturm weht die Aſche unter die Fußſohlen der Ge - rechten. Die Gottloſen kommen gleich und auf ewig in die Gehenna oder Hoͤlle. Hiernach ſcheint es faſt, als ob den Mittelmaͤßigen keine unendliche Fortdauer beſtimmt iſt; allein wir haben ſchon fruͤ - her bemerkt, daß ihre Seelen neu geſchaffen wer - den ſollen, ſobald ſie aus der Hoͤlle kommen, und dadurch wird der ſcheinbare Widerſpruch gehoben.
Nach dem Sohar bleiben die Seelen der Gott - loſen zwoͤlf Monate im Fegefeuer, und die, welche*)ſuch einer Geſchichte des deutſchen Bauernkrieges. Berlin 1795. 8.231 etwas froͤmmer ſind, werden eher daraus befreiet. Der Rabbi Akkiba geſegneten Andenkens begegnete einſt einem Mann, der eine ungeheure Laſt Holz, wie kein Laſtthier ſie haͤtte tragen koͤnnen, auf ſei - nem Ruͤcken hatte. Der Rabbi fragte ihn: ob er ein Menſch oder ein Geſpenſt ſey? Jch war ein Menſch, antwortete Jener, aber nun da ich geſtor - ben bin, muß ich taͤglich eine ſolche Buͤrde Holz, wie du hier ſieheſt, zum Fegefeuer ſchleppen, und damit werde ich wegen meiner Suͤnden verbrannt. Der fromme Rabbi fragte ihn voll Mitleids: ob er keinen Sohn und keine Frau hinterlaſſen habe? Wie ſie hießen, und wo ſie wohnten? Der Ver - ſtorbene ſagte es ihm, und Rabbi Akkiba, auf welchem der Friede ſey, reiste hin, lehrte den Sohn das Gebet Raddiſch und befahl ihm, es alle Tage fuͤr ſeinen Vater zu beten. Bald nachher er - ſchien dem Rabbi der Verſtorbene im Traum, dankte ihm herzlich, und erzaͤhlte ihm, daß er jetzt aus dem Fegefeuer erloͤst ſey. Rabbi Akkiba geſegneten Andenkens unterließ nicht, dies augenblicklich an alle juͤdiſche Schulen zu berichten, und zu verord - nen, daß jeder Sohn das Gebet Raddiſch fuͤr ſei - nen Vater beten ſoll. Wer keinen Sohn hinter - laͤßt, fuͤr den betet an den Sabbathen und Feier - tagen die ganze Gemeinde*)M. ſ. das talmudiſche Buch Callach.. Weil aber blos die232 Gottloſen zwoͤlf Monate im Fegfeuer zubringen muͤſſen, und ſelten ein Sohn ſeinen Vater fuͤr gott - los halten will; ſo beten die Meiſten das Raddiſch nur eilf Monate.
Der Glaube an den Meſſias, der kommen, und das juͤdiſche Volk von den Strafen ſeiner Suͤnden befreien ſoll, entſtand ſehr fruͤh, und wahrſcheinlich ſchon waͤhrend der aͤgyptiſchen Dienſtbarkeit, wo Alles nach einem Erretter ſich ſehnte. Jn den Zei - ten der aſſyriſchen und babyloniſchen Gefangenſchaft ward er zu einer wirklichen Glaubenslehre und zu mehrerer Klarheit und Beſtimmtheit ausgebildet. Der Druck, unter welchem die Jſraeliten in Aſſy - rien und Babylon ſchmachteten, und die heiße Sehnſucht, in das geliebte Kanaan und zur Frei - heit zuruͤck zu kehren, ſteigerte den Wunſch, daß Gott ihnen einen Befreier und Erloͤſer ſenden moͤch - te, auf den hoͤchſten Grad, und ſo verwandelte ſich derſelbe bei ihren begeiſterten Sehern in eine feſte, unerſchuͤtterliche Ueberzeugung. Wie konnten ſie, die ſich fuͤr das auserwaͤhlte Volk des Herrn hiel - ten, wohl anders glauben, als daß Gott ihnen ei - nen Heerfuͤhrer und Befreier, wie den Moſes ſen -I. Baͤndchen. 23234den mußte, der ſie von dem Joch ihrer Feinde erloͤſen wuͤrde?
Ferne ſey es von mir, hier zu unterſuchen, in wie weit die Weiſſagungen der Propheten auf Chri - ſtus bezogen werden koͤnnen. Zu einer ſolchen Er - oͤrterung gehoͤrt ein großer Vorrath philologiſcher, geſchichtlicher und ſelbſt oͤrtlicher Kenntniſſe, den ich nicht beſitze. Auch bin ich nicht geſonnen, die Ju - den zu Proſelyten zu machen, und daher ſchweige ich von Chriſtus als dem, nach der Behauptung unſerer Theologen den Juden verheißenen Meſſias und Erloͤſer ganz. Sie haben ihn nicht angenom - men, da ſie zwar einen irdiſchen Heerfuͤhrer, aber keinen Lehrer erwarteten, der ihnen die Augen uͤber ihre Verworfenheit oͤffnen und ſie zur Tugend und Sittlichkeit hinfuͤhren ſollte.
Meſſiaſſe ſtanden oft genug unter den Juden auf; aber keiner von ihnen machte ein dauerndes Gluͤck. Einer der beruͤhmteſten neuerer Zeit war der bekannte Sabathai Sevi, der 1666 ſich fuͤr den Meſſias ausgab, und einer der poſſierlichſten war ſein naͤchſter Nachfolger, ein Chriſt und ein Daͤne, Oliger oder Holger Paulli. Der Vater des letz - tern, Simon Paulli war ein Arzt, aus Roſtock gebuͤrtig, und er ſelbſt ward 1644 zu Kopenhagen geboren. Er hielt alle Daͤnen fuͤr Abrahams Saa - men, und ſich fuͤr einen, den Juden verheißenen Koͤnig, indem er zwei Stellen der Bibel (1 B. Sam. 24. V. 21. und Pſ. 72. V. 11.) auf ſich deutete. 235Die Offenbarung Johannis verruͤckte ihm vollends den Kopf. Nach ſeiner Verſicherung hatte Gott ſelbſt ihm die polniſche Krone angeboten; er hatte ſie aber ausgeſchlagen, weil er lieber Koͤnig der Jſraeliten zu ſeyn wuͤnſchte. Den Koͤnig Wilhelm von England, der ſein Feldherr und Verbuͤndeter werden ſollte, bombardierte er unaufhoͤrlich mit ſei - nen Zuſchriften, und nannte ihn ſeinen Herrn Bru - der. Auch mit dem Kaiſer, mit Schweden, Po - len, Rußland und Daͤnemark wollte er Buͤndniſſe errichten, und das tuͤrkiſche Reich unter ſeinen Seepter bringen. Unter den Juden, die bekanntlich alles Abentheuerliche lieben, fand Paulli, obgleich er ein geborner Goi war, viele Anhaͤnger, denn er verſtand meiſterlich die Kunſt, ſich eines vertrau - ten Umgangs mit Gott zu ruͤhmen, und behaup - tete, Gott habe ihn ſelbſt das Hebraͤiſche gelehrt. Dieſer Judenkoͤnig war uͤbrigens Kaufmann und ſtarb in Amſterdam zu Ende des ſiebenzehnten Jahr - hunderts. Er iſt meines Wiſſens der einzige Meſ - ſias, der nicht von Abrahams Saamen war, und den die Juden uns Chriſten verdanken*)M. ſ. Novus in Belgio Judaeorum rex, Ol - liger Paulli. 1702. fol. .
Um die baldige Erſcheinung des, ihnen ver - heißenen Meſſias beten Jſraels Kinder taͤglich. Wer er aber ſey und wann er kommen wird, wiſſen ſie nicht; auch iſt es ihnen ſtrenge verboten, den Zeit -23 *236punkt erforſchen zu wollen. Zerſpringen ſoll der Geiſt und ſchwellen der Leib deſſen, ſagen ihre Rab - biner, der dieſe Zeit ausrechnen will! Daher ſteht es ihnen nicht zu verdenken, daß ſie ſich haͤufig in der Perſon irrten.
Nach Einigen ſoll der kuͤnftige Meſſias nur niedriger Herkunft ſeyn, aber alle andern Menſchen an Tugend und Weisheit uͤbertreffen. Er ſoll nicht, wie der heilige Vater zu Rom, als Junggeſell ſter - ben; ſondern heirathen, und nach ihm ſollen ſeine Kinder uͤber Jſrael herrſchen. Andere erwarten zwei Meſſiaſſe. Der erſte Meſſias Ben Joſeph wird beſonders als Krieger ſich auszeichnen; der andere Meſſias Ben David hingegen wird als Koͤnig in ihrem Lande regieren.
Der Erſcheinung des letztern ſollen große Din - ge vorhergehen. Zuerſt treten drei Koͤnige auf, und verfuͤhren die ganze Welt; viele Jſraeliten werden ſogar den heiligen, hochgelobten Gott verleugnen, und von ihrem Glauben abfallen. Andere werden in unterirrdiſche Hoͤhlen fliehen, aber von den Ty - rannen verfolgt und getoͤdtet werden. Beſonders werden jene drei Koͤnige den guten Juden ſehr große Laſten und Abgaben auflegen. Dann ſollen auch ſchwarze abſcheuliche Menſchen mit zwei Koͤpfen und fieben feurigen Augen kommen, die ſchneller als Hirſche laufen, wovor ganz Jſrael in Angſt und Schrecken geraͤth. Hierauf folgt eine unertraͤgliche Hitze, die toͤdtliche Seuchen und Krankheiten ver -237 urſacht. Taͤglich ſollen tauſendmal tauſend Gojim, und nach und nach auch alle gottloſe Juden ſterben. Den gerechten Jſraeliten ſoll uͤbrigens jene Hitze ſehr heilſam ſeyn. Nachher laͤßt Gott der Herr einen blutigen Thau fallen, den die Chriſten und andere Voͤlker der Welt fuͤr Waſſerthau halten, da - von trinken und ſterben. Den Jſraeliten wird er aber nicht ſchaden, denn es ſteht geſchrieben: die Weiſen werden leuchten wie Sterne am Himmel. Darauf faͤllt wieder ein heilſamer Thau, von wel - chem die mittelmaͤßigen Frommen, die durch den vorigen erkrankt ſind, geneſen, denn der Prophet Hoſeas ſagt: ich will Jſrael ein Thau ſeyn, und er ſoll bluͤhen, wie eine Roſe; Kap. 14. V. 6. Dann wird die Sonne dreißig Tage lang verfinſtert und der Mond in Blut verwandelt. Das gottloſe Koͤnigreich Edom (die Chriſten) wird die ganze Welt beherrſchen, und beſonders wird ein gottloſer Menſch von Rom aus neun Monate lang uͤber alle Voͤlker gebieten, große Laͤnder verheeren, die Jſrae - liten mit unerſchwinglichen Auflagen druͤcken, und ſie in Jammer und Thraͤnen verſetzen. Nach die - ſer Angſtzeit ſendet ihnen Gott einen Meſſias, den Sohn Joſephs, eigentlich Nehemias, der Sohn Huſiels genannt. Er wird freilich arm, aber ein Nachkomme Joſephs des Sohns Jakobs, und ein großer Kriegsheld und Heerfuͤhrer ſeyn. Er koͤmmt mit den Staͤmmen Ephraim, Manaſſe, Benjamin und einem Theil vom Stamm Gad, und die Jſrae -238 liten aller Laͤnder und Staͤdte werden ſich zu ihm geſellen. Hierauf wird er den Koͤnig von Edom (den Pabſt) bekriegen, ihn uͤberwinden, toͤdten und viele von ſeinem Anhange umbringen. Das roͤmi - ſche Reich ſoll durch ihn gaͤnzlich zerſtoͤrt werden, und die heiligen Gefaͤße der Juden, welche man noch in dem Hauſe des Kaiſers Aelian zu Rom aufbe - wahrt, wird der Meſſias Nehemias nach Jeruſalem zuruͤckbringen. Der Koͤnig von Aegypten wird hier - auf Frieden mit Jſrael ſchließen, und alle Abgoͤt - tiſchen erwuͤrgen, die in der Umgegend von Jeru - ſalem und Eskalon wohnen. Daruͤber aber wird die ganze Welt in Furcht und Schrecken gerathen.
Hiemit iſt das Liedchen noch nicht zu Ende. Zu Rom iſt das Bild einer ſchoͤnen Jungfrau von Marmor, welches der liebe Gott mit eigenen Haͤn - den gemacht hat. Mit dieſer ſteinernen Jungfrau werden die chriſtlichen Voͤlker Unzucht treiben, und Gott wird ein Geſchoͤpf in Geſtalt eines Kindes in der Bildſaͤule erſchaffen, den Marmor berſten, und den gottloſen Armillus herauskommen laſſen. Ar - millus ſoll der Antichriſt der Umos (Voͤlker oder Chriſten) ſeyn. Er iſt zwoͤlf Ellen lang und breit, hat rothe tiefliegende Augen, goldenes Haar, gruͤ - ne Fußſohlen und zwei Koͤpfe, und deshalb wird Jedermann hiedurch im Voraus vor ihm gewarnt. Armillus wird zu dem boͤſen Koͤnige von Rom kom - men, ſich fuͤr den Meſſias und fuͤr Gott ſelbſt ausgeben. Alle Roͤmer werden ihm glauben, und239 ihn zu ihrem Koͤnige erwaͤhlen; auch die uͤbrigen Kinder Eſau (die Lutheraner und Reformirten) wer - den ihn liebgewinnen, und ihm als ihrem Gott und Meſſias anhangen. Darauf wird er den Ne - hemias und die Jſraeliten auffodern, ihm ihr Geſetz zu bringen, und ihm gleichfalls als ihrem Gott und Meſſias zu huldigen. Nehemias wird aber mit dem Geſetz und mit dreißigtauſend ſtarken Helden vom Stamm Ephraim nach Rom ziehen, und dem Armillus das Gebot vorleſen: Jch bin der Herr dein Gott, du ſollſt keine andere Goͤtter haben ne - ben mir. Armillus wird antworten: das ſteht nicht in eurem Geſetz! Jhr ſollt mich fuͤr euren Gott anerkennen, wie die Chriſten und andere Voͤlker gethan. Nehemias aber wird ſeinen Dienern befeh - len, den Armillus zu fangen, und in Feſſeln zu legen; und er ſelbſt zieht mit ſeinen dreißigtauſend Helden vom Stamme Ephraim gegen das Heer des Widerſachers, und erſchlaͤgt zweimalhundert tauſend Mann deſſelben. Hieruͤber ergrimmt verſammelt Armillus ſein ganzes Volk, ſtreitet in einem tiefen Thal gegen die Jſraeliten, und viele von ihnen wer - den umkommen. Auch der gute Meſſias Nehemias, der Sohn Huſiels, bleibt auf dem Schlachtfelde; aber Gottes heilige Engel heben ſeinen Leichnam auf, und bringen ihn bei den Erzvaͤtern in Sicherheit. Armillus wird nicht erfahren, daß Nehemias todt iſt, denn ſonſt wuͤrde er keines Jſraeliten weiter verſchonen. Nach dieſer ungluͤcklichen Schlacht wer -240 den alle Voͤlker die Juden aus ihren Laͤndern ver - treiben, und Abrahams Saame wird ſo geaͤngſtiget, als es ſeit Anbeginn der Welt nirgend geſchehen iſt. Aber dann koͤmmt der Engel Michael, die Gottloſen von Jſrael zu trennen, und ſie zu ver - tilgen. Die Frommen hingegen fluͤchten in die Wuͤſte, wo ſie wie Silber und Gold gelaͤutert werden, fuͤnf und vierzig Tage bleiben, und blos Kraͤuter, Gras und Laub eſſen ſollen. Nachdem Armillus auch Aegypten bezwungen hat, wird er ſein Schwert ge - gen Jeruſalem wenden, und die heilige Stadt zum zweiten Male zerſtoͤren. Allein nun wird der En - gel Michael dreimal in ſein großes Horn ſtoßen, denn es heißt: Man wird an jenem Tage mit ei - ner großen Poſaune blaſen; und dann werden kom - men, die verloren waren aus dem Lande; Jeſ. 27. V. 13, und: der Herr wird mit der Poſaune bla - ſen, und es wird daher gehen ein Sturmwind von Mittag; Zach. 9. V. 14. Wenn der Engel Michael zum erſten Mal blaͤst, wird es nur einen leiſen Schall geben. Darauf wird der rechte Meſſias, der Sohn Davids mit dem Propheten Elias erſchei - nen, und beide werden ſich den frommen Jſraeliten in der Wuͤſte Juda’s zeigen. Dieſe werden dadurch ermuthigt, und ihre Haͤnde und Beine werden ge - ſtaͤrkt, daß ſie froͤhlich aus ihren Schlupfwinkeln hervorkriechen. Auch die uͤbrigen Juden in der ganzen Welt ſollen die Stimme des Horns verneh - men, und ſich zu den erſtern verſammeln. Die241 Chriſten und andere Voͤlker hingegen werden durch den Schall der Poſaune in Angſt und Schrecken geſetzt, und von Seuchen und Krankheiten heimge - ſucht werden. Abrahams Saame guͤrtet indeſſen ſeine Lenden und zieht unter Anfuͤhrung des Meſſias Ben David*)Sollte dies auch wohl Herr Lazarus Bendavid ſeyn? und des Propheten Elias jubelnd gen Jeruſalem. Kaum vernimmt dies der gottloſe Armillus, ſo macht er ſich gleichfalls auf mit einem großen chriſtlichen Heer, um den Meſſias und die Jſraeliten zu bekriegen. Gott ſpricht aber zu Ben - david: Komm, ſetze dich zu meiner Rechten, und zu Jſrael: verhaltet euch ruhig; ich will euch heute beweiſen, daß ich euer Gott bin! und darauf laͤßt er Feuer und Schwefel und einen Hagel von Stei - nen vom Himmel fallen, wie geſchrieben ſteht He - ſekiel 38. V. 22. Der boͤſe Armillus koͤmmt mit ſeinem ganzen Heer in dieſem ſchrecklichen Ungewit - ter um, und die gottloſen Edomiter (die Chriſten), die das Haus des hochgelobten, heiligen Gottes zerſtoͤrt, und ſein geliebtes Volk in die Gefangen - ſchaft gefuͤhrt haben, werden gleichfalls vertilgt, denn: das Haus Jakob ſoll ein Feuer ſeyn, und das Haus Joſeph eine Flamme und das Haus Eſau Stoppeln, und ſie werden dieſelben anzuͤnden, und werden ſie verzehren, und es wird vom Hauſe Eſau nichts uͤbrig bleiben. Obadja Kap. 1. V. 18.
242Zum zweiten Mal thut Michael einen recht lauten und langen Stoß in ſein Horn; alle Graͤ - ber oͤffnen ſich, alle todten Jſraeliten werden von Gott, und der Meſſias Ben Joſeph oder Nehemias wird von dem Meſſias Bendavid und dem Pro - pheten Elias auferweckt.
Der Meſſias Bendavid wird hierauf zu den Juden reiſen, welche noch hin und wieder unter den Voͤlkern der Welt zerſtreuet ſind, und die Koͤnige dieſer Voͤlker werden nicht blos ihnen mit Freuden erlauben, nach Jeruſalem zu ziehen; ſondern ſie ſogar, theils auf ihren eigenen Schultern hintragen, theils in ihren ſchoͤnſten Kutſchen dahin fahren laſ - ſen. Das duͤrfte uͤbrigens wohl ſchwerlich geſchehen, ſelbſt wenn alle Jſraeliten Rothſchilds waͤren! Die Gojim haben gar feine Naſen, und ein Goi bleibt ein Goi, wenn er auch zehnmal ein Koͤnig iſt.
Endlich wird der große Engel Michael zum dritten Mal ins Horn ſtoßen, und dann wird der hochgelobte, heilige Gott alle Jſraeliten aus den Staͤdten Juda’s herausfuͤhren und ſie mit den Kin - dern Moſis im Paradieſe vereinigen. Vor und hinter ihnen wird die Erde in Flammen ſtehen, und den Chriſten und uͤbrigen Voͤlkern wird nichts blei - ben, wovon ſie ſich naͤhren koͤnnten. Gott ſelbſt wird, wie vormals in Egypten, in einer Feuerſaͤule vor ihnen herziehen, und mit ſeinen Wolken ſie vor den Augen ihrer Feinde verbergen. Unterwegs aber wird der Herr Brunnen aus dem Baume des Le -243 bens entſpringen laſſen, damit ſein geliebtes Volk nicht verdurſte; auch ſoll es an den koͤſtlichſten Speiſen keinen Mangel leiden. Dieſe Verſetzung ins Paradies, wird jedoch, wie mir es ſcheint, erſt lange nach der Wiedereinnahme des gelobten Ka - naans ſtatt finden, denn dort wird Abrahams Saame, nach andern Nachrichten, unter dem Scep - ter des Meſſias Bendavid und ſeiner Nachkommen noch viele Jahrhunderte in dulci jubilo leben, ehe Gott ſie ins Paradies fuͤhrt.
Rabbi Salomon Jarchi erzaͤhlt: » Der Meſ - ſias wird kommen auf dem Eſel, den unſer Vater Abraham ritt, als er unſern Vater Jſaak auf Mo - riah ſchlachten wollte. Dieſer Eſel war auch der - ſelbe, auf welchem unſer Lehrmeiſter Moſes und ſein Weib Phara ritten, als ſie aus Aegypten zo - gen. Der Prophet Elias wird vor dem Meſſias Bendavid, ein großes Horn blaſend, hergehen, und ſeine Ankunft verkuͤndigen. Dann werden ſich die Juden an einem Ort verſammeln, und wenn ſie alle zuſammen ſind, wird der Meſſias und der Eſel kommen. Auf den letztern werden die Jſraeliten ſich gleichfalls ſetzen, und ſo ſchwer beladen wird er mit ihnen und ihrem Meſſias durchs Meer nach Kanaan hinſchwimmen. Ehe er jedoch abſegelt, kommen auch die Chriſten und uͤbrigen Voͤlker, um mit nach dem gelobten Lande zu reuten. Dann wird der Eſel ſeinen Schweif in die Hoͤhe halten, und die Gojim, welche nirgend weiter ein Plaͤtzchen244 finden, werden ſich ſaͤmmtlich auf den Schweif ſez - zen. Wenn der Eſel mitten im Meere iſt, wird er ploͤtzlich ſeinen Schweif niederſenken, abſchuͤtteln, und alle Chriſten erſaufen laſſen. Die Juden hin - gegen werden wohlbehalten in Kanaan anlangen. Hierauf wird der Meſſias ein ungeheueres Gaſtmahl bereiten, und ganz Jſrael dazu einladen. Die groͤßten Thiere, die Gott jemals erſchaffen hat, werden zu dieſer Mahlzeit geſchlachtet werden, und ſind zum Theil ſchon dazu eingeſalzen.
Zuerſt wird der große Ochſe Behemoth oder Behemos aufgetragen. Dies ungeheure Rindvieh nimmt, wenn es liegt, tauſend Berge ein, und weidet auch jede Nacht tauſend, mit Gras und Kraͤu - tern bedeckte Berge ab. Jn einem Zuge ſaͤuft der Behemoth ſo viel Waſſer, als der ganze Jordan in zwoͤlf Monaten zuſammen bringt. Gott ſchuf vom Behemoth zu Anfange der Welt ein Maͤnnlein und ein Fraͤulein. Weil der Herr aber ſahe, daß die Welt zerſtoͤrt wuͤrde, wenn dieſe Thierchen ſich vermehrten, ſo verſchnitt er das Maͤnnchen, und Fraͤulein Behemoth ward unfruchtbar gemacht.
Zweitens wird der Leviathan den Juden vor - geſetzt werden. Auch von ihm war, wie wir be - reits wiſſen, ein Maͤnnlein und ein Fraͤulein ge - ſchaffen; Gott machte es aber mit ihm, wie mit dem Behemoth, und ſalzte das Weibchen, nachdem er es geſchlachtet hatte, zu dieſem Gaſtmahl fuͤr die Jſraeliten ein.
245Von groͤßerm Gefluͤgel wird der Vogel Bar - juchne als Braten erſcheinen. Er iſt gleichfalls nicht klein, denn als er einmal aus ſeinem Neſte ein Ei warf, wurden ſechzig Doͤrfer von dem Weiſſen und dem Dotter uͤberſchwemmt und gaͤnzlich zerſtoͤrt, und dreihundert große Cedern wurden von der Schale des Ei’s zerſchmettert.
Auch muͤſſen wir noch der fetten Gaͤnſe erwaͤh - nen, von welchen der Rabba des Channa Enkel geſagt hat: Wir giengen einmal in einer Wuͤſte. Dort ſahen wir Gaͤnſe, denen alle Federn vor Fet - tigkeit ausgefallen waren, ſo daß ganze Stroͤme von Fett hinter ihnen herfloſſen. Jch fragte ſie: haben wir auch Antheil an euch in der kuͤnftigen Welt? Da hob eine von ihnen einen Fluͤgel und einen Fuß auf, um mir anzudeuten, daß dies un - ſer Theil ſey. Als ich nun dem Rabbi Elieſer das erzaͤhlte, ſprach er: Die Jſraeliten muͤſſen dereinſt wegen dieſer Gaͤnſe ſchwere Rechenſchaft geben, denn ihre Suͤnden allein ſind ſchuld, daß der Meſ - ſias ſo lange verzieht, und daß die Gaͤnſe, welche zu der großen Mahlzeit beſtimmt ſind, ſo lange von ihrem vielen Fett Schmerzen leiden muͤſſen.
Auf einen guten Biſſen gehoͤrt ein guter Trunk*)Das wußte ein Schleſiſcher Herzog, deſſen Geliebte nichts anders, als die Lebern von Aalruppen eſſen wollte. Die Schatzkammer des guten Fuͤrſten war! Und dazu wird man den koͤſtlichen Wein,246 der ſeit Vater Adams Hochzeit in deſſen Kellern im Paradieſe fuͤr dieſes Gaſtgebot aufbewahrt iſt. So alter herrlicher Wein, als Abrahams Kinder bei dieſem Schmauſe mit ihrem Meſſias aus immer vollen Bechern trinken werden, iſt gewiß noch uͤber keines Sterblichen Lippen gekommen!
Ueberhaupt wird es ein gar vortreffliches Le - ben in Kanaan ſeyn! Jedes Weitzenkorn wird dort ſo groß werden, wie zwei große Ochſennieren, und daſſelbe wird in gleichem Verhaͤltniß mit allen Fruͤchten und Pflanzen geſchehen. Man kann ſich hiernach einen Begriff machen von der außerordent - lichen Groͤße der Zwiebeln, des Knoblauchs, der Weintrauben und der Citronen, die man zum Lau - berhuͤttenfeſte gebraucht. Die Stroͤme und Baͤche werden in koͤſtliche Milch, die Suͤmpfe und Moraͤſte in Honig verwandelt werden. Alle Jſraeliten ſol - len dort den heiligen, hochgelobten Gott, den Gott Abrahams, Jſaaks und Jakobs den Herrn der Welt*)bereits ausgeleert, und alle ſeine Unterthanen an den Bettelſtab gebracht, um das ſchoͤne Leckermaͤul - chen zu befriedigen. Als ſie das letzte Gericht ihres Lieblingseſſens verzehrt hatte, ließ ihr fuͤrſtlicher Anbeter ſie in die Oder werfen, denn, ſprach er, „ auf einen guten Biſſen gehoͤrt ein guter Trunk. ‟ Moͤchten doch Andre es mit manchen ihrer Guͤnſt - linge ſo machen, wie dieſer Herzog; nur muͤßten die Schatzkammern und die Beutel der Unterthanen nicht ſchon vorher geleert ſeyn.247 von Angeſicht zu Angeſicht in ſeiner Herrlichkeit ſe - hen, und mit ihm reden, wie das Kind mit dem Vater redet. Der Herr wird ihre Lebenszeit ver - laͤngern, daß ſie ſo alt, wie Eichbaͤume werden, denn, wenn einer von ihnen in ſeinem hundertſten Jahre ſtirbt, wird man noch ſagen, er ſey in ſei - ner Kindheit geſtorben, wie auch der Prophet Je - ſaias bezeugt Kap. 65. V. 20. Krankheiten und andere Leiden wird der hochgelobte, heilige Gott gaͤnzlich von ſeinen iſraelitiſchen Kindern hinweg - nehmen. Sie ſollen uͤber die ganze Welt, von ei - nem Ende zum andern herrſchen, und alle ihre Feinde wird der Herr vertilgen, ausrotten und un - ter ihren Fuß thun. Die Jſraeliten ſollen dann ſaͤmmtlich Propheten werden, und da wollen wir Gottloſen nur bitten, daß man uns nicht in der Hoͤlle verdammt, alle ihre Wunderthaten und Weiſ - ſagungen zu leſen. Die frommen Juden, welche im Lande Kanaan auferſtehen, und im fruͤhern Le - bein, wie Herr Schleswicher, das Ungluͤck hatten, nur Ein Auge und einen Weichſelzopf zu haben, denen wird der Herr geben » ſwai Augen, « und ſie auch von der Plica polonica befreien. Die Lahmen werden dort tanzen und huͤpfen, trotz einem Ve - ſtris oder Talma, wie geſchrieben ſteht: alsdann wird der Lahme ſpringen, wie ein Hirſch, und die Zunge des Stummen wird los werden. Jeſ. 35. V. 6. Wer mit dem Erbgrind geplagt war, wird auch ohne Pechhaube geheilt, und die Laͤuſe, dieſe248 unverſoͤhnlichen Tod - und Erbfeinde von Abrahams Saamen, werden ohne Kamm und Salbe vertilgt werden. Wer ſonſt zwiſchen den Schultern eine Verdrießlichkeit trug, ſoll ſo ſchlank und gerade er - ſcheinen, wie Apoll im Belvedere, und alle Frauen und Jungfrauen werden ſchoͤner und reizender ſeyn, als die mediceiſche Goͤttin. Kein Auwai - und kein Nußknackergeſicht ſoll man kuͤnftig dort finden, denn alles wird voll Freude und Wonne und voll lieb - liches Weſens ſeyn. Zu arbeiten braucht man gleich - falls in Kanaan nicht; dies werden die Gojim thun muͤſſen, die uͤbrig bleiben, und ſich dem Scepter Juda’s unterwerfen.
Ehe man zu jener großen Mahlzeit ſich ſetzt, wird der Meſſias fuͤr ſeine lieben Gaͤſte noch ein kleines Schauſpiel veranſtalten. Der Behemoth nemlich und der Leviathan ſollen beide auf einem ungeheuern Anger zuſammen kommen und mit ein - ander ſpielen und ſtreiten, wie geſchrieben ſteht im Buche Hiob Kap. 40. V. 15: Alle Thiere des Fel - des ſpielen daſelbſt, oder nach juͤdiſcher Verdeut - ſchung: der Lifjaſan (Leviathan), den du gemacht haſt, daß du mit ihm ſpieleſt. Zuerſt wird man den Behemoth los laſſen; er wird ſeine Hoͤrner ge - gen den Leviathan richten, und daruͤber wird der Meſſias ſich freuen und frohlocken, denn es heißt: das wird dem Herrn wohlgefallen, ein junger Farr (Stier), der erſt Hoͤrner macht. Der Leviathan, mit einem Harniſch von Schuppen bedeckt, gargraͤß -249graͤßlich anzuſehen, wird ſich gegen den Behemoth wehren. Allein ſie werden vergeblich kaͤmpfen, weil ſie beide gleich ſtark ſind, bis ſie endlich ermuͤdet niederſinken. Dann wird der Meſſias ſein Schwert ziehen, ſie beide erſtechen, und hernach wird man ſie kochen und braten. Hiemit wird erfuͤllt wer - den, was im Jeſaias Kap. 27. V. 1, und Pſalm 73. V. 14. geſagt iſt: An demſelben Tage wird der Herr mit ſeinem harten, großen und ſtarken Schwert heimſuchen den Leviathan die Ringelſchlan - ge, und den Leviathan die krumme Schlange, und: Du haſt die Koͤpfe der Drachen im Waſſer zer - ſchmettert.
Nach dem großen Gaſtmahl wird Meſſias Ben - david ſich eine Koͤnigin aus den ſchoͤnſten Toͤchtern Jſraels erwaͤhlen, und ſich außerdem noch einen Harem anlegen, in welchen lauter chriſtliche Prin - zeſſinnen aufgenommen werden ſollen, denn jeder chriſtliche Kaiſer und Koͤnig wird es ſich zur groͤß - ten Ehre ſchaͤtzen, dem Koͤnige der Juden ſeine Toch - ter zur Beiſchlaͤferin zu geben. Die Koͤnigin aus Abrahams Saamen wird aber allein in einem gol - denen Kleide zur Rechten des Koͤnigs ſitzen, und auch in der koͤniglichen Kammer rechter Hand ſchla - fen. Die andern Damen werden ſaͤmmtlich in ei - nen großen Saal eingeſperrt werden, und nur dann zu dem Koͤnige kommen duͤrfen, wenn er ih - rer begehrt. Er wird lange leben, und viele Kinder zeugen, aber am Ende gleichfalls ſterben. NachI. Baͤndchen. 24250ihm wird ſein Sohn, und nach dieſem deſſen Nach - kommen uͤber Jſrael herrſchen.
Diejenigen Chriſten und andern Voͤlker, wel - che nicht umgebracht worden ſind, werden die Ober - herrſchaft des Meſſias und Judenkoͤnigs anerkennen, und den Hebraͤern ihre Palaͤſte, Haͤuſer und Staͤdte bauen, ihre Gaͤrten, Weinberge und Aecker beſtel - len, ihre Erndten beſorgen u. ſ. w. Dies Alles werden ſie ganz unentgeldlich thun, und ſelbſt ihr Eigenthum noch den Jſraeliten verehren. Die Koͤ - nige und Fuͤrſten der Gojim (Chriſten) ſollen ſogar dem Judenkoͤnig dienen, ihm bei Tiſche als Lakaien und Kammerdiener aufwarten, und ſeine Sklaven ſeyn. Die Jſraeliten hingegen werden alle Tage herrlich und in Freuden leben, in den prachtvollſten Kleidern mit den koͤſtlichſten Salben geſalbt, wie Prieſter im Heiligthume des Herrn umher gehen, denn der Prophet ſpricht: Und die Kinder der Fremdlinge werden deine Mauern bauen, und ihre Koͤnige werden dir dienen, und deine Thore wer - den allezeit offen ſtehen, Tag und Nacht ſollen ſie nicht geſchloſſen werden, damit man die Macht der Heiden zu dir fuͤhre, und ihre Koͤnige herbringe; denn das Volk und Koͤnigreich, ſo dir nicht dienet, wird zu Grunde gehen. Die Fremdlinge werden ſtehen und euer Vieh weiden, und die Kinder der Auslaͤnder werden eure Ackerleute und Weingaͤrtner ſeyn. Jhr aber ſollt Prieſter des Herrn genannt werden, und man wird zu euch ſagen: Jhr Diener251 unſers Gottes! Jhr werdet die Staͤrke der Heiden eſſen und in ihrer Herrlichkeit prangen. Jeſ. 60. V. 10 und 11, und Kap. 61, V. 5 und 6.*)Unſere chriſtlichen Theologen widerſprechen hier den Talmudiſten und behaupten, dieſe Stelle beziehe ſich auf das geiſtliche Jeruſalem. Nur weiß ich nicht, wo man dann mit dem lieben Vieh hin will, oder ob blos geiſtliches Vieh darunter verſtanden wird?.
Der heilige, hochgelobte Gott wird den Jſrae - liten in Kanaan auch ein neues beſſeres Klima ge - ben. Wo einmal Getreide geſaͤet iſt, da wird Jahr fuͤr Jahr von ſelbſt etwas wieder wachſen. Wer einer einzigen Pflanze wegen um einen kleinen Re - gen bittet, den wird Gott erhoͤren, und der Regen wird ſich nicht weiter als auf dieſe Pflanze erſtre - cken. Von Krieg und Kriegesgeſchrei wird man nichts hoͤren; die armen Zeitungsſchreiber werden alſo gaͤnzlich zu Grunde gehen; denn wenn auch wirklich unter den Chriſten und fremden Voͤlkern ein Unfriede entſtehen ſollte, ſo wird der Meſſias ſie zur Ruhe und Ordnung verweiſen. Abrahams Saame wird in beſtaͤndiger Freude und Wonne le - ben, nichts thun als Hochzeiten machen, Kinder zeugen und Kinder beſchneiden, eſſen und trinken, ſpazieren gehen, und den Gott Abrahams, Jſaaks und Jakobs loben**)Wer mehr von dieſen Herrlichkeiten wiſſen will, der leſe die talmudiſchen Buͤcher; Bava Bathra oder.
24 *252Jn allen dieſen talmudiſchen Weiſſagungen vom Meſſias und dem kuͤnftigen Schickſale des juͤdiſchen Volks, herrſcht, wie man ſieht, viel Widerſprechen - des. Bald ſollen z. B. die Jſraeliten auf den Koͤ - nigen der Gojim, bald auf Abrahams Eſel mit ihrem Meſſias nach Kanaan reuten; bald wieder in den prachtvollſten Kutſchen der chriſtlichen Mo - narchen hinfahren. Jm letztern Fall wird wahr - ſcheinlich Herr von R — d eine Anleihe machen muͤſ - ſen, um die noͤthige Menge ſchoͤner Kutſchen fuͤr Abrahams reinlichen Saamen herbei zu ſchaffen. Nach Einigen ſoll die große Mahlzeit im gelobten Lande, nach Andern erſt im Paradieſe gehalten wer - den. Mehrere behaupten, daß alle Chriſten aus - gerottet werden; Andere wollen noch vielen derſel - ben das Leben ſchenken, um Knechte und Sklaven zu ihrer Arbeit, und Beiſchlaͤferinnen fuͤr ihren Koͤnig und Meſſias zu haben. Ein guter Exeget wird beſſer, als ich, dieſe Widerſpruͤche vereinen. Jch will dafuͤr noch etwas vom Meſſias Bendavid nachholen.
Geboren ſoll er laͤngſt ſeyn, und zwar, nach Rabbi Salomon Jarchi’s Bericht, an dem Tage,**)Basra; Becharoth oder Bechoras; Abkhas Rochel (eins der vorzuͤglichſten); Peſachim; Sanhedrin; Roſchhas Schannah, und das Woͤrterbuch Tisbi von Rabbi Elias Levita, imgleichen Eiſenmengers neuent - decktes Judenthum und Buxtorfii Synagoga Judaica nach.253 wo Jeruſalem zum zweiten Male zerſtoͤrt ward. Bis der Zeitpunkt ſeines Auftretens da ſeyn wird, ſoll er ſich an einem Thore von Rom unter den Kranken und Ausſaͤtzigen aufhalten. Dort wuͤrde man alſo am Beſten von ihm Nachricht einziehen koͤnnen, wenn es ihm anders gefiele, ſich in ſeinem ſchmutzigen Jnkognito kund zu geben. Nach dem talmudiſchen Buch Sanhedrin*)Sanhedrin Kap. 11. ſoll er aber in den Spatziergaͤngen des Paradieſes mit einem Frauen - haar gefeſſelt liegen, damit er nicht eher koͤmmt, als bis die Jſraeliten ſich voͤllig zu Gott gewandt ha - ben. Freilich, das Haar eines ſchoͤnen Weibes iſt ein maͤchtiges Bindemittel; haben wir doch oft ſchon große Monarchen der Gojim geſehen, die dadurch ſich feſſeln ließen, und Volk, Ruhm und Ehre dar - uͤber vergaßen? Warum ſollte dem Meſſias nicht bei den reizenden Houris des Paradieſes ein Glei - ches begegnen?
Sowohl in der heiligen, als in der Profange - ſchichte haben wir viele Beiſpiele, daß Sterbliche nicht geſtorben, ſondern lebendigen Leibes in den Himmel, oder den Olymp verſetzt wurden. Enoch, Elias, Romulus und Andre gehoͤrten zu dieſen Gluͤcklichen.
Auch die Talmudiſten belehren uns, daß es außer dem Enoch und dem Elias noch Mehrere giebt, die ohne den Tod zu ſchmecken, ins Paradies kamen, und ihnen, als ſo ausgezeichneten Heiligen darf man wohl nach dem Meſſias ein Plaͤtzchen vergoͤnnen.
Vom Vogel Chol wiſſen wir bereits, daß er mit ſeiner Nachkommenſchaft wegen ſeiner Froͤmmig - keit vom Tode freigeſprochen wurde, weil er nicht von dem Apfel aß, den die verfuͤhreriſche Eva ihm bot.
Ueber die Zahl und die Perſonen der Nichtge - ſtorbenen ſind jedoch unſere iſraelitiſchen Freunde nicht ſo ganz einig.
255» Neun, heißt es im Buch Avodath Hakkodeſch*)Jm 2. Theil, Chelek Hakkedeſch genannt, Kap. 19., kamen bei ihrem Leben ins Paradies, ohne den Tod zu ſchmecken: Benjamin, der Sohn Jakobs; Kelab, der Sohn Davids; Serach, die Tochter Jſaſchars; Elieſer, Abrahams Knecht; Ebedmelech, der Mohr; Bitja, die Tochter Pharao’s, weil ſie den Moſes errettete; der Meſſias; der Prophet Elias, und der Rabbi Jehuda der Heilige. «
Jn einem andern Buche**)Jalkut Chadaſch, Titel Gan Eden; und Meſſe - cheth derech erez ſoba. iſt die Angabe et - was veraͤndert: » Neun kamen ins Paradies, ohne den Tod zu leiden: Enoch, Elias, der Meſſias, Elieſer Abrahams Knecht, Ebedmelech der Mohr; Hiram, Koͤnig von Tyrus; Jabetz, ein Enkel Rab - bi Jehuda des Fuͤrſten; Serach, die Tochter Jſa - ſchars, und Bitja, die Tochter Pharao’s. « Auf - fallend iſt es, daß in dieſen beiden Buͤchern der Meſſias zu den Nichtgeſtorbenen gezaͤhlt wird, da er doch, wie vorhin bemerkt worden, dereinſt in Kanaan ſterben ſoll.
» Rabbi Jochanan hat geſagt im Namen des Rabbi Elieſer, des Sohns vom Rabbi Joſe aus Galilaͤa: Enoch ward vom Tode errettet, denn er war gerecht zu ſeiner Zeit, und es war ihm keiner gleich; darum kam er lebendig ins Paradies. Elie - ſer, der Knecht Abrahams, war der Sohn des256 Ham, des Sohnes Noah. Als er hoͤrte, daß ſein Vater von Noah verflucht ward, gieng er in Abra - hams Dienſte und ward gerecht. Deshalb ward er, ohne zu ſterben, in Gan Eden (in das Paradies) verſetzt. Serach, Jſaſchars Tochter, ſprach zu Jakob: Joſeph lebt noch, und Jakob erwiederte: der Mund, der mir dieſe gute Botſchaft bringt, ſoll den Tod nicht ſchmecken. Bitja, Pharao’s Tochter, ward von demſelben errettet, weil ſie unſern Lehrer Moſes von ſeiner Kindheit an kleidete, ſpeiste und erzog, damit man nicht fragen moͤchte, welchen Lohn ſie dafuͤr empfangen? Ebedmelech der Mohr ward vom Tode befreiet, weil er den Propheten Jeremias aus einer Miſtpfuͤtze zog; der Knecht aber Rabbi Jehuda’s des Fuͤrſten, weil er gerecht und demuͤthig war. Jabetz kam lebendig ins Paradies, denn er war gerechter, als alle, die zu ſeiner Zeit lebten. Rabbi Jehoſcha Ben Levi war gleichfalls ein vollkommener Gerechter, und ward vom Engel des Todes geliebt; darum ſtarb er nicht. Er ſprach einſt zu dem Engel: Laß mich das Paradies ſe - hen! Dieſer antwortete ihm froͤhlich: komm mit mir. Unterwegs ſprach Rabbi Jehoſcha Ben Levi: Jch fuͤrchte, du moͤchteſt mich mit deinem Schwert wider deinen Willen verletzen. Wenn du mich liebſt, ſo gieb es mir in die Hand, und zeige mir die Gemaͤcher des Paradieſes, wenn wir zur Pforte kommen. Der Todesengel gab ihm das Schwert; und als ſie ans Thor kamen, was that RabbiJe -257Jehoſcha Ben Levi? Er ſchwang ſich geſchwind mit dem Schwert uͤber das Gitter, und gieng ins Pa - radies. Da bruͤllte der Engel des Todes uͤberlaut, und wollte die ganze Welt zerſtoͤren. Allein der heilige, hochgelobte Gott beſchwichtigte ihn, und rief vom Himmel herab: Rabbi Jehoſcha Ben Levi, du haſt eine große That gethan! Gieb dem Engel des Todes ſein Meſſer wieder. Der Rabbi gab es ihm, aber erſt nach ſieben Jahren, zuruͤck. Hiram, den Koͤnig von Tyrus, ließ der heilige, hochgelobte Gott lebend ins Paradies kommen, weil er den Tempel gebauet hatte, und anfangs fromm war. Er lebte tauſend Jahre im Paradieſe; nachher ward er aber hochmuͤthig und ſprach: Jch bin ein Gott. Darum ward er fortgejagt und fuhr in die Hoͤlle. Das Geſchlecht Jonadabs, des Sohnes Rechab, ward ins Paradies, ohne ſterben zu muͤſſen, ver - ſetzt, weil es den ganzen Jnhalt der Weiſſagungen des Jeremias aufgeſchrieben hatte, ſehr gottesfuͤrch - tig war, und die Jſraeliten wegen ihrer Suͤnden beſtrafte*)Vaſikra Rabba.. «
Wir laſſen einige andere Nachrichten uͤber die Nichtgeſtorbenen, welche ſich von den bisher ange - fuͤhrten weſentlich unterſcheiden, hinweg, und ſchlieſ - ſen ſtatt deſſen mit einer umſtaͤndlichern Erzaͤhlung von dem Rabbi Jehoſcha Ben Levi aus dem Buche Colbo.
I. Baͤndchen. 25258» Unſere Rabbinen geſegneten Andenkens haben geſagt: Der Rabbi Jehoſcha Ben Levi war ein vollkommen gerechter Mann. Als er nun von der Welt ſcheiden ſollte, ſprach der heilige, hochgelobte Gott zu dem Engel des Todes: gehe zu dem Rab - bi Jehoſcha Ben Levi, und thue Alles, was er von dir begehrt. Der Engel gieng zu ihm und ſprach: deine Zeit iſt da von der Welt zu ſcheiden, ich will dir aber Alles gewaͤhren, was du verlangſt. So zeige mir meinen Ort im Paradieſe! erwiederte Rabbi Jehoſcha. — Komm mit mir. — Gieb mir zuvor dein Schwert, damit du mich unterwegs nicht erſchreckeſt. Der Engel gab es ihm und ſie giengen mit einander bis zu den Mauern des Gartens. Hier nahm ihn der Engel des Todes und ſetzte ihn auf die Mauer. Da ſprang Rabbi Jehoſcha Ben Levi mit dem Schwert geſchwind in das Paradies, und vergebens bat ihn der Engel des Todes, der ihn noch am Saum ſeines Mantels hielt, doch wie - der zuruͤck zu kommen. Rabbi Jehoſcha Ben Levi ſchwur bei dem Namen des hochgelobten, heiligen Gottes, nicht aus dem Paradieſe zu gehen. Der Engel des Todes hingegen hatte keine Erlaubniß, ihm zu folgen. Als dies die dienſtbaren Engel er - fuhren, ſprachen ſie zu dem hochgelobten, heiligen Gott: O Herr der Welt, ſiehe, was der Rabbi Jehoſcha Ben Levi gethan hat! Mit Gewalt hat er ſeinen Antheil im Paradieſe eingenommen, und vorenthaͤlt dem Todesengel ſein Schwert. Er will259 nicht zuruͤckkehren, und hat geſchworen, er gehe nicht wieder heraus. Da antwortete der hochgelob - te, heilige Gott: gehet hin und erkundiget euch auf Erden, ob er niemals geſchworen, und ſeinen Schwur fuͤr unguͤltig erklaͤrt und ſich davon entbunden hat. Jſt dies, dann ſoll er auch ſeinen jetzigen Schwur brechen. Die Engel thaten, wie der Herr ihnen geſagt hatte. Als ſie wieder zuruͤck kamen, ſprachen ſie: Herr der Welt, er hat niemals einen Schwur uͤbertreten! Wenn das iſt, verſetzte der hochgelobte, heilige Gott, ſo ſoll er auch jetzt nicht wieder aus dem Paradieſe heraus gehen. Wie dies der Engel des Todes vernahm, bat er: gieb mir mein Schwert doch zuruͤck! Aber der Rabbi weigerte ſich deſſen, bis endlich eine Stimme vom Himmel zu ihm ſprach: Rabbi Jehoſcha Ben Levi, gieb ihm das Schwert, denn er bedarf es ja, um die Geſchoͤpfe zu toͤdten. Hierauf ſagte der Rabbi Jehoſcha zu dem Engel: So ſchwoͤre mir erſt, daß du es fuͤrder Niemanden willſt ſehen laſſen, wenn du einem Menſchen die Seele wegnimmſt! Denn vorher hatte der Todes - engel die Menſchen, ja ſelbſt die Kinder im Schooße ihrer Muͤtter ſichtbarer Weiſe umgebracht. Der Engel ſchwur den Eid, und nun gab ihm der Rabbi ſein Schwert zuruͤck. Da erhob ſich Elias, und rief mit lauter Stimme den Gerechten zu: Macht Platz vor dem Rabbi Jehoſcha, dem Sohn Levi*)M. ſ. auch das talmudiſche Buch Kethavoth.. «
Die Propheten weiſſagten von dem Meſſias und haͤtten deshalb ihm und den Nichtgeſtorbenen vor - gehen muͤſſen; allein er iſt mehr denn ſie, und nur Einer von ihnen ward, ohne zu ſterben, in den Himmel verſetzt. Darum ließ ich dem Meſſias und den Nichtgeſtorbenen den Vorrang.
Ehe ich aber von den Propheten der Jſraeliten rede, ſende ich einige allgemeine Bemerkungen uͤber Weiſſagungen und Verkuͤndigungen verborgener und kuͤnftiger Dinge voraus, um von meinen Leſern nicht mißverſtanden zu werden.
Wahrſagungen ſind ernſtlich gemeinte und fuͤr wahr ausgegebene Behauptungen von unbekann - ten Dingen, die ſchon geſchehen ſeyn ſollen, oder noch im Geſchehen begriffen ſind, und die man we - der auf eine natuͤrliche Weiſe wiſſen, noch aus vernuͤnftigen Gruͤnden vermuthen kann. Weiſſa - gungen hingegen ſind fuͤr gewiß und zuverlaͤßig ausgegebene Vorherverkuͤndigungen kuͤnftiger Ereig - niſſe und Vorfaͤlle, die ſich weder nach der Lage261 der Verhaͤltniſſe wiſſen, noch als wahrſcheinlich ver - muthen laſſen. Zum Weſen von beiden iſt es durch - aus nicht erfoderlich, daß der Verkuͤndiger ſich das Anſehen gebe, als habe er durch eine hoͤhere Of - fenbarung, oder durch uͤbernatuͤrliche Mittel den Jnhalt ſeiner Ausſpruͤche erfahren; obgleich dies haͤufig geſchieht. Eben ſo wenig iſt es noͤthig, daß dieſe Ausſpruͤche uͤberhaupt erfuͤllt, oder gar unter den Umſtaͤnden erfuͤllt werden, die der Wahrſager oder Prophet andeutete.
Bei allen Voͤlkern der Erde, die nicht ganz im Zuſtande der Thierheit leben, wie die Peſcheraͤhs, denen Vergangenheit und Zukunft, ſo nahe ſie auch davon beruͤhrt werden, gleichguͤltig ſind, findet man Wahrſager und Weiſſager. Jndeſſen iſt hiemit kei - neswegs geſagt, daß die letztern einen großen Be - weis ſittlicher und geiſtiger Entwickelung eines Volks geben; im Gegentheil je niedriger ein Volk, ohne zu den Peſcheraͤhs zu gehoͤren, auf der Stufe der Ausbildung ſteht; deſto mehr Wahrſager und Weiſ - ſager wird es haben, deſto feſter ihren Worten vertrauen. Man denke nur an unſere Finn - und Lapplaͤnder in Europa.
Die Extreme beruͤhren ſich hier, wie uͤberall. Sagt dem Peſcheraͤh, morgen werde die Welt mit ihm in Flammen vergehen; er glotzt euch an, und frißt ruhig ſeinen Fiſch. Sagt daſſelbe dem gebil - detſten Deutſchen, Franzoſen oder Englaͤnder; er laͤchelt, leert ſeine Flaſche, und beſtellt ſich die zweite.
262Gaͤnzliche Gleichguͤltigkeit gegen Vergangenheit und Zukunft iſt entweder viehiſcher Stumpfſinn, der nur fuͤr die Befriedigung der thieriſchen Beduͤrfniſſe des Augenblicks ſorgt, oder es iſt — noch ſchreck - licher — das dumpfe Hinſtarren der Verzweiflung. Ungluͤcklicher, der du in dieſem Zuſtande ſchwebſt, nur Gottes Engel kann dich beſchuͤtzen.
Der Menſch, der vor Jahrtauſenden der erſte war, und der, ſo nach vielen Jahrtauſenden der letzte ſeyn wird; der Bewohner des noͤrdlichſten Thule und jener, der an den fernſten Klippen des Suͤdmeers umherklimmt, ſind Eines Geſchlechts, und Kinder eines einzigen allliebenden Vaters, ſo gut wie jene, die mit einander zu Einer Zeit unter einem Dache leben. Sie werden blos durch eine Reihe von Zahlen geſchieden, die Meilen und Jahre bezeichnen. Was ſie trennt, iſt ein kaum bemerk - barer Punkt in dem unermeßlichen Meer der Un - endlichkeit. Daher iſt auch der Wunſch eines Men - ſchen nicht tadelhaft, zu wiſſen, was vor ihm ge - ſchahe, und was nach ihm geſchehen wird. Sein Wunſch wird um ſo ſehnlicher, ſein Forſchen um ſo emſiger ſeyn, je mehr der Kreis ſeines Wirkens und ſeiner Umgebungen von Vergangenheit und Zu - kunft beruͤhrt werden.
Sehr mannichfach waren die Mittel, deren ſich die Menſchen von jeher bedienten, um kuͤnftige und verborgene Dinge zu erforſchen; und eben ſo groß war die Menge von Begebenheiten und Vorfaͤllen,263 worauf ſie ihre Wahrſagungen und Weiſſagungen gruͤndeten. Traͤume, auffallende Erſcheinungen am Himmel oder auf Erden, das Geſchrei eines Vo - gels und das Zirpen eines Jnſekts, die geſunde oder krankhafte Beſchaffenheit geſchlachteter Thiere, kurz Alles, was nur den Schein von Merkwuͤrdig - keit hatte, ward gebraucht, um das, was Verhaͤlt - niſſe und Zukunft verhuͤllten, aufdecken und ent - raͤthſeln zu wollen. Man muß ſich daruͤber wun - dern, wie auch die roheſten Menſchen in dieſer Ruͤckſicht ſo erfinderiſch und ſinnreich waren, und wie ſelbſt die gebildetſten Voͤlker den albernſten Gau - keleien der Art Glauben und Beifall ſchenkten. Die Griechen kannten mehr als achtzig Arten der Wahr - und Weiſſagerei, deren jede durch beſondere Mittel getrieben ward*)M. ſ. Samuel Werenfels de superstitione in rebus physicis §. 7.. Eine erfuͤllte Weiſſagung brachte tauſend andere, von denen das Gegentheil eintraf, in Vergeſſenheit. Meiſterhaft verſtanden auch Propheten und Prieſter ihre Vorherverkuͤndi - gungen in ein ſo heiliges Dunkel zu huͤllen, daß ſie haͤufig — gleich dem juͤdiſchen Geſetz — ſechs - malhundert tauſend Erklaͤrungen und Auslegungen zuließen. Wollte mir ein Prophet zukuͤnftige Dinge offenbaren, ſo wuͤrde ich ihn hoͤflichſt erſuchen, ſeine Weiſſagungen nicht in ein myſtiſches, vieldeutiges und raͤthſelhaftes Dunkel zu huͤllen; nicht von Ta -264 gen zu ſprechen, wo er Jahrtauſende, und nicht von Stunden, wo er viele Jahre oder Monate meinte; denn was nuͤtzt mir die Weiſſagung, deren Sinn ich nicht verſtehe, und die zu einer tauſend - fachen Auslegung ſich eignet. Wuͤrde der Prophet jenes nicht wollen; ſo wuͤrde ich ihm nimmermehr zutrauen, daß er ein wahrer Prophet ſey, und mehr als ich von der Zukunft wiſſe.
Jch ſpreche hier nicht von den heiligen Maͤnnern Gottes, denen der heilige Geiſt ſelbſt den Schleier der Zukunft luͤftete, und die auf ſeinen Antrieb mit ſo großer Klarheit redeten, daß auch der gewoͤhn - lichſte Menſch ſie verſtehen kann. Warum ſollte Gott nicht, wenn es in dem Plan ſeiner Weltre - gierung liegt, einzelnen Menſchen die Ereigniſſe der Zukunft enthuͤllen koͤnnen, um durch ſie ein oder mehrere Voͤlker, vielleicht die ganze Menſchheit zu ihrem Vortheil auf große und wichtige Begebenhei - ten aufmerkſam zu machen? Dies zu leugnen, liegt eben ſo wenig in meinem Zweck, als ich der tau - ſendſte ſeyn will, und bei der Beſchraͤnktheit meiner Kenntniſſe ſeyn kann, welcher es beweist.
Zu allen Zeiten und unter allen Voͤlkern gab es Weiſſager, deren Ausſpruͤche haͤufig in Erfuͤllung giengen. Unſere Theologen behaupten: daß dieſe nicht auf Antrieb des heiligen Geiſtes, ſondern des Teufels geredet haben. Jch glaube keines von bei - den. Ward eine ihrer Weiſſagungen erfuͤllt, ſo war es ein Zufall. Sollte nicht in einer langen265 Reihe von Jahren, daß eine Begebenheit ſich zu - tragen koͤnne, die mit der, in myſtiſchen Worten angezeigten, eine auffallende Aehnlichkeit haͤtte? Was an der voͤlligen Gleichheit etwa fehlen moͤchte, er - ſetzt die Phantaſie und der Hang zum Wunderba - ren und Uebernatuͤrlichen gar leicht. Die Centuriae propheticae des Noſtradamus, die wir noch be - ſitzen, ſind groͤßtentheils eingetroffen*)Einige behaupten jedoch, daß viele dieſer Weiſſa - gungen erſt gemacht worden, nachdem die Ereigniſſe ſich bereits zugetragen hatten; daher das DiſtichonNostradamus cum falsa damus, nam fal - lere nostrum est: Et cum verba damus, nil nisi Nostra - damus. . Bekannt iſt auch die Vorherſagung des franzoͤſiſchen Dichters Cazotte, die, an allen den Perſonen, welche ſie angieng, erfuͤllt ward. Und was ſoll man zu den Prophezeihungen eines Adam Muͤller, der ſchwar - zen Frau und anderer ſagen? Peter Lotich, der 1560 ſtarb, ſchrieb eine ſehr ſchoͤne lateiniſche Ele - gie, worin er die Zerſtoͤrung Magdeburgs, die erſt 1631 ſtatt fand, beſang. Jſt es nicht moͤglich, daß Mancher ein ſehr ſtarkes Ahnungsvermoͤgen beſitzt, wodurch ihm auch kuͤnftige Ereigniſſe vergegenwaͤr - tigt werden? Wir kennen die Kraͤfte unſerer Seele leider noch ſehr wenig! Es giebt der Dinge gar viele auf Erden, wovon dem Menſchen nicht traͤumt, ſagt ein großer Dichter, und die doch, wenn wir266 ins Jnnere der Natur dringen koͤnnten, uns ſehr einfach erſcheinen wuͤrden.
Merkwuͤrdig iſt es, daß nicht blos die juͤdiſchen, ſondern auch die heidniſchen Propheten von unſerm Heilande geweiſſagt haben. Cedrenus, ein Schrift - ſteller des eilften Jahrhunderts fuͤhrt einen Aus - ſpruch des Delphiſchen Orakels an, der dem Kai - ſer Auguſt ſoll ertheilt worden ſeyn:
Mich verbannt ein hebraͤiſcher Knabe, der, ſelbſt ein Gott, den Goͤttern gebietet, von meinem Sitze zur traurigen Unterwelt. Darum verlaßt meine Altaͤre, die euch fuͤrder nicht Kunde mehr geben.
Cedrenus will dieſen Orakelſpruch aus den Schriften des Euſebius genommen haben; in den noch vorhandenen Werken deſſelben findet er ſich aber nicht. Einen Orakelſpruch, der die heilige Dreiei - nigkeit beweist, fuͤhrt Euſebius (in ſeiner Praepa - ratione evangelica) ſelbſt an: Ungluͤcklicher Prie - ſter frage mich nicht mehr nach dem goͤttlichen Vater, noch nach dem Sohn und dem Geiſt, der alle Din - ge beſeelt. Dieſer Geiſt vertreibt mich auf ewig von hier.
Jndeſſen will ich keineswegs beſtreiten, daß dieſe Orakelſpruͤche nicht vielleicht von den erſten267 Chriſten verbreitet ſeyn koͤnnen, um ſich unter den Roͤmern deſto mehr Anhaͤnger zu verſchaffen, wozu ſie, wie ich ſchon fruͤher erwaͤhnte, ſich aller moͤg - lichen Mittel bedienten. Dergleichen kleine Schel - mereien kann man ihnen, nach meiner Anſicht, wohl zu Gute halten, denn Pflicht der Selbſterhaltung forderte es, ihren Anhang ſo ſehr zu vergroͤßern, als es nur moͤglich war. Die frommen Vaͤter von der Geſellſchaft Jeſu zu Freiburg und die Miſſionaͤre zu Paris moͤchten vielleicht ſelbſt nicht anders ge - handelt haben.
Kein Volk hatte wohl einen groͤßern Hang zum Wahrſagen und Weiſſagen jeglicher Art, als Abra - hams Saame, der auf nichts neugieriger iſt, als auf Alles, was man nicht wiſſen kann, und von jeher nichts lieber glaubte, als das, was kein Vernuͤnf - tiger zu glauben vermag. Jener Hang ſcheint von ihren erſten Stammvaͤtern, welche ſich nicht ſcheu - ten, ihre Traͤume fuͤr goͤttliche Eingebungen aus - zugeben, auf alle Juden vererbt zu ſeyn. Moſes warnte ſie ſehr ernſthaft vor dergleichen Unfug. Daß nicht unter dir funden werde, ſpricht er, der ſeinen Sohn oder Tochter durchs Feuer gehen laſſe, oder ein Weiſſager, oder ein Tagewaͤhler, oder der auf Vogelgeſchrei achte, oder ein Zauberer, oder Beſchwoͤrer, oder Wahrſager, oder der die Todten frage. 5 Moſ. 18. V. 10 und 11. Allein
Haͤtte ihr großer Geſetzgeber ihnen von Allem, was er gebot, das Gegentheil befohlen, ſo waͤre vielleicht beſſer fuͤr ihre Sittlichkeit geſorgt worden, denn ihre Handlungen waren immer das Gegen - theil aller ſeiner Befehle.
Die Prieſterkaſte der Jſraeliten benutzte ſehr ſchlau den Hang des Volks zum Abentheuerlichen; man errichtete eigene Prophetenſchulen, die zum Theil nichts anders, als Bildungsanſtalten fuͤr Wahrſager, Traumdeuter und dergleichen waren. Jch ſage: zum Theil, denn ſchwerlich koͤnnen wir alle Prophetenſchulen unter dieſe Klaſſe zaͤhlen. Die - jenigen nehmen wir aus, in denen die Propheten (Seher oder Dichter) gebildet wurden, deren Schrif - ten wir noch beſitzen. Was von dieſen Schriften urſpruͤngliches Eigenthum der Verfaſſer oder ſpaͤte - rer Zuſatz ſey, koͤnnen wir nicht entſcheiden. Daß die Werke der Propheten ſich nicht immer in erſter Reinheit erhalten haben, beweist die Maſora, denn ſchwerlich wuͤrden die Juden ſich der muͤhſamen Arbeit, welche die Abfaſſung dieſes Werks erfoder - te, unterzogen haben, wenn ſie nicht in den ver - ſchiedenen Abſchriften der bibliſchen Buͤcher fremde Zuſaͤtze, Weglaſſungen und Aenderungen bemerkt haͤtten. Ob und in wie weit der von ihnen als richtig angenommene Text mit den Urſchriften uͤber - einſtimme, wird man ſchwerlich entſcheiden. Wer uͤber den Geiſt und Jnhalt dieſer Schriften ſich269 gruͤndlich belehren will: der leſe die Werke Herders und anderer vortrefflicher Maͤnner daruͤber.
Daß die Sittenſpruͤche des guten Sirach nicht gleichfalls in den Kanon aufgenommen wurden, kam vielleicht daher, weil er ſagt: unweiſe Leute betruͤgen ſich ſelbſt mit thoͤrichten Hoffnungen, und Narren verlaſſen ſich auf Traͤume. Wer auf Traͤu - me haͤlt, greift nach dem Schatten und will den Wind haſchen. Traͤume ſind nichts als Bilder ohne Weſen. Kap. 34. V. 1, 2, 3. Dieſer Ausſpruch konnte weder juͤdiſchen, noch chriſtlichen Freunden von Traͤumereien ſehr willkommen ſeyn.
Jhren Geſetzgeber Moſes halten die Hebraͤer fuͤr den groͤßten und vortrefflichſten unter allen ih - ren Propheten. Er hat den hoͤchſten Grad menſch - licher Weisheit und Vollkommenheit erreicht und muß den Engeln gleich geſchaͤtzt werden, und zwar aus folgenden, in ihrem Glaubensbekenntniſſe ent - haltenen Gruͤnden: 1) Gott redete muͤndlich, von Angeſicht zu Angeſicht mit Moſes, hingegen mit den andern Propheten ſprach er nur durch einen Engel oder eine Mittelsperſon. 2) Moſes empfieng ſeine Weiſſagungen von Gott bei Tage, von Mund zu Mund, und in Gegenwart der Cherubim 2 B. Moſ. 25. V. 22. Den uͤbrigen Propheten wurden ihre Offenbarungen durch einen Traum in der Nacht, oder durch einen tiefen Schlaf am Tage, wo der ganze Leib erſtarrte, und blos die Seele ihre Kraͤfte behielt, zu Theil. 3) Wenn der Geiſt270 der Weiſſagung auf die Propheten kam, wurden ſie kraftlos und ohnmaͤchtig; Zittern, Angſt und Schre - cken uͤberfiel ſie. Nicht ſo Moſes. 4) Dieſer konnte weiſſagen, wann er wollte; jene mußten warten, bis Gott es ihnen befahl.
Die wundervollen Erzaͤhlungen der Bibel von den Lebensereigniſſen mancher Propheten, ſind den Talmudiſten lange nicht gewuͤrzreich genug. Alles muß bei ihnen auf den hoͤchſten Grad des Unglaub - lichen geſteigert werden, wenn es ihnen zuſagen ſoll. Wir fuͤhren hier blos die bekannte Geſchichte des Jonas an, welche vom Rabbi Elieſer auf nach - folgende Weiſe erzaͤhlt wird.
» Jonas gieng freiwillig in den Rachen des Wallfiſches hinein, wie man in eine große Syna - goge oder Schule geht. Er konnte aufrecht im Bauche ſtehen, und die Augen des Fiſches dienten ihm zu Fenſtern. « Der Rabbi Meir ſagt hingegen: » Jn den Eingeweiden des Fiſches hieng eine Perle, welche dem Jonas ſo hell, wie die Sonne am Mit - tage leuchtete. Bei ihrem Glanz ſah er Alles, was im Meer und in der Tiefe deſſelben vorgeht, wie Pſalm 97. V. 11. geſagt wird: dem Gerechten iſt das Licht geſaͤet. «
Nach meiner Anſicht war das Wunderbarſte von Allem, daß Jonas, ein Jude, die koͤſtliche Perle nicht mitnahm, als der Wallfiſch ihn aus - ſpie. Gefragt hat man ſchon haͤufig mit Recht: wie ein Wallfiſch, deſſen Schlund kaum groß genug271 fuͤr einen einzelnen Haͤring iſt, einen ganzen Pro - pheten verſchlucken konnte. Freilich war Joͤnas nur einer von den kleinen Propheten, aber unſtrei - tig doch viel groͤßer, als der groͤßte hollaͤndiſche Haͤring. Manche behaupten, um die Reputation des ehrlichen Jonas zu retten, es ſey ein Hayfiſch geweſen, der ihn verſchlungen habe. Allein dadurch wird das Wunder nichts kleiner, denn ein Hayfiſch verſchluckt bekanntlich die haͤrteſten Dinge und ver - dauet ſie in wenigen Stunden, oder ſollte ein Pro - phet, wie Jonas, ſo unverdaulich ſeyn, daß er ſich drei ganze Tage friſch und geſund im Bauche des Hayfiſches erhalten konnte?
Ehrn - Bahrdt oder ein anderer (ich erinnere mich deſſen nicht mit Gewißheit) meinte: der Pro - phet ſey in ein Kaffehaus oder in eine Tabagie, zum Wallfiſch genannt, eingekehrt, und habe ſich dort drei Tage lang aufgehalten.
Jch finde nichts Wunderbares an der ganzen Geſchichte, ſo wie ſie nemlich in der Bibel erzaͤhlt wird. Jonas ward vom einem Schiffe, der Wall - fiſch genannt, an Bord genommen. Unſere Bibel - uͤberſetzer dollmetſchten: er ward von einem Wall - fiſch verſchlungen, und machten dadurch eine Stelle zum Geſpoͤtt, die ſo wenig etwas Wundervolles, als etwas Laͤcherliches enthaͤlt.
Unter den Erzvaͤtern verſtehen die Juden im engern Sinne nur die drei großen Muſter aller menſchlichen Tugenden den Vater Abraham, den Vater Jſaak und den Vater Jakob. Jn einem an - dern Buche*)M. ſ. den Judenſpiegel, ein Schand - und Sittengemaͤlde alter und neuer Zeit. 2te Auflage S. 17 bis 30. Von dieſem Buche wird wahrſcheinlich naͤchſtens eine dritte verbeſſerte und mit einem zweiten Bande vermehrte Aus - gabe erſcheinen. hab’ ich Gruͤnde genug angegeben, um derentwillen ſie eben ſo ſtolz auf ihre Erzvaͤter, wie viele Chriſten auf ihre Kirchenvaͤter und Lan - desvaͤter, ſeyn duͤrfen.
Jm weitern Sinne werden auch die beiden mythiſchen Stammvaͤter des Meyſchengeſchlechts, Adam und Noah, und die zwoͤlf Soͤhne des Vater Jakob zu den Erzvaͤtern gerechnet; und in dieſem Sinne wird jetzt von ihnen die Rede ſeyn.
Den273Den Vater Adam haben wir bereits als den erſten und aͤrgſten Suͤnder kennen gelernt, indem er nicht allein mit allen Thieren, ſondern ſogar mit den Weibern der Teufel Unzucht trieb, und dadurch Veranlaſſung gab, daß der Sammael ihn gleichfalls zum Hahnrei machte, und mit Eva den Stammvater der Chriſten und nichtjuͤdiſchen Voͤlker, den Kain zeugte. Mit Recht zuͤrnen die guten Jſraeliten uͤber Adam, weil durch ihn Suͤnde und Tod, und was weit ſchlimmer als Alles iſt, Muͤhe und Arbeit in die Welt kam. Jndeſſen laͤßt ſich doch auch Manches zu ſeiner Entſchuldigung ſagen. Zum Apfeleſſen zwang ihn Eva, als er durchaus nicht wollte, am Ende mit Schlaͤgen*)Orachchajim., und wahr - lich, ich weiß nicht, wenn meine Frau — falls ich eine haͤtte — mich pruͤgelte, ob ich nicht im Stan - de waͤre, Erbſuͤnde und Erbgrind uͤber die ganze Welt, ja ſelbſt uͤber die heiligen Engel zu bringen. Man muß ſich nur in die Lage eines Andern ver - ſetzen. Jch habe Ehemaͤnner gekannt, die große Kriegshelden und Heerfuͤhrer waren, und ſich mehr vor einem ungnaͤdigen Blick oder einer Gardinen - predigt ihrer Gemahlinnen, als vor tauſend Kano - nenkugeln fuͤrchteten. Wie viel ſchlimmer iſt der arme Ehemann daran, der, wie Adam, von ſei - ner Rippe ſogar koͤrperlich gezuͤchtigt wird?
Von dem zweiten Stammvater Noah berichtenI. Baͤndchen. 26274uns die Talmudiſten auch nicht viel Gutes. Er hat mit den Weibchen aller Thiere in ſeiner Arche Hurerei getrieben, und zwar ſo arg und oͤffentlich, daß der Rabe, den er, nach 1 B. Moſ. 8. V. 6. ausſandte, um ſich nach Wind und Wetter zu er - kundigen, ihm geradezu ins Geſicht ſagte: nicht darum ſchickſt du mich fort, ſondern um nur waͤh - rend meiner Abweſenheit bei meiner Frau zu ſchla - fen. Vater Noah konnte nichts hierauf erwiedern*)Sanhedrin und Avoth des Rabbi Nathan.. Herr Oberbau - und Oberkonſiſtorialrath Silber - ſchlag**)Dieſer Herr Silberſchlag demonſtrirte zuerſt auf eine mathematiſche Weiſe die Dreieinigkeit Gottes folgendermaßen: ſo wie ein Dreifuß nur Ein Dreifuß iſt, aber drei Fuͤße hat; ſo iſt Gott gleich - falls dem Weſen nach nur Ein Gott, in welchem drei Perſonen ſind. So wie der Loͤwe ein grimmig Thier, ſo ſollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. ſeliger, der auch die Riſſe zur Stiftshuͤtte und zum Salomoniſchen Tempel gezeichnet haben ſoll, hat ſich in ſeiner Geogenie viele Muͤhe und Koſten mit den Fenſtern der Arche gemacht. Das Glas haͤtte er ſparen koͤnnen, denn der hochgelob - te, heilige Gott befahl dem Noah: lege Edelſteine und Perlen in die Arche, damit ſie leuchten, wie der Mittag. Haͤtten wir doch einen dieſer großen Edelſteine, wir wollten gleich bei Herrn von Roth - ſchild eine Anleihe darauf eroͤffnen, und chineſiſche275 Staatspapiere zum zehnten Theil ihres Nominal - werths annehmen.
Unſer Vater Abraham trug einen Edelſtein als Halsſchmuck, durch deſſen Anblick alle Kranke ge - ſund wurden. Als er ſtarb, hieng der hochgelobte, heilige Gott den Stein in der Kugel der Sonne auf. Jeder Schritt dieſes Erzvaters hielt drei deut - ſche Meilen, nach Andern aber nur zwei. Amalecks Schritte waren weit kleiner, denn er legte ſprin - gend in einer ganzen Nacht nicht mehr als ſechzehn - hundert deutſche Meilen zuruͤck, alſo hoͤchſtens acht - hundert Abrahamitiſche Schritte*)Bava Bathra; Sanhedrin; Medraſch Tillim; Rab - bi Jonathan Ben Uſiel in ſeiner Erklaͤrung von 2 B. Moſ. 17. V. 8. ꝛc..
Unſer Vater Abraham iſt der am meiſten ver - ehrte Erzvater der Juden, und er verdient es ge - wiß, denn er hat das ganze Geſetz gehalten, eh’ es noch auf dem Sinai gegeben ward. Woher wußte er denn das Geſetz? fragen die Talmudiſten. Einer von ihnen, Rabbi Simeon antwortet: Seine Nie - ren waren geſtaltet, gleich zwei großen Waſſerfaͤſ - ſern, und ließen das Geſetz von ſich gehen, denn es ſteht geſchrieben: meine Nieren unterweiſen mich des Nachts**)Bereſchith Rabba, Paraſcha 95.. Unſtreitig enthielt dies Nierengeſetz auch die noͤthigen Anweiſungen, wie man ſich fuͤr den Bruder ſeiner Frau ausgeben, und dieſe an27 *276Koͤnige und Fuͤrſten verſchachern muͤſſe, um ſich einen guten Kuppelpelz von Schafen und Rindern, Eſeln, Knechten, Maͤgden, Eſelinnen, Kameelen, Gold, Silber und andern Herrlichkeiten zu er - ſchleichen.
Unter ſolchen Umſtaͤnden war es kein Wunder, daß unſer Vater Abraham ſeinen ſiebzehn, mit der Ketura gezeugten Soͤhnen eine ganze Stadt von Eiſen bauete, deren Mauern ſo hoch waren, daß ſelbſt die Strahlen der Mittagsſonne nicht hinein dringen konnten. Um ſeine geliebten Kinder nun nicht im Dunkeln ſitzen zu laſſen, gab der fromme Erzvater ihnen eine ungeheure Schuͤſſel voll Perlen und Edelgeſteine, welche noch heller, als die Sonne ſelbſt leuchteten. Mit eben dieſen Edelgeſteinen und Perlen wird man einſt die ganze Erde erleuchten, wenn Sonne und Mond ſich ſchaͤmen werden, wie geſchrieben ſteht Jeſ. 24. V. 23*)M. ſ. das talmudiſche Buch Sopherim..
Sara hatte bekanntlich noch im hohen Alter wegen ihrer Schoͤnheit ſehr viele Anfechtungen. Was that alſo unſer Vater Abraham, als er nach Ae - gypten zog? Er legte die Sara in eine Kiſte, die er ſorgfaͤltig mit einem Deckel verſchloß, um die Reize der Huldin den Blicken der Luͤſternen zu ent - ziehen. Als er an die Graͤnze kam, foderten die Zoͤllner den Eingangszoll. Aber, fragten ſie, was haſt du dort in der Kiſte; gewiß Seidenwaaren und277 koſtbare Kleider? — Nun, ſprach er, ich will euch geben meinen Zoll von Seidenwaaren und koͤſtlichen Kleidern. — Mauſchel, die Kiſte iſt ſchwer; du haſt Silber und Gold darin. — So will ich euch geben meinen Zoll nach dem Gewicht und Werth von Silber und Gold! — Rede die Wahrheit, es ſind Diamanten und Perlen in der Kiſte? — Gut, ſo bezahl’ ich den Zoll, als waͤren Diamanten und Perlen darin! — Die Zoͤllner hiedurch zur hoͤchſten Neugier gereizt, oͤffneten die Kiſte, und ſiehe daͤ, der Glanz von Sara’s himmliſcher Schoͤnheit ver - breitete ſich ploͤtzlich uͤber Aegypten, und fuͤllte mit ſeinen Strahlen das ganze Land*)Vereſchith Rabba, Paraſcha 40..
» Mein, der Vater Abraham wor doch aͤ Juͤd, es nemmt mer Wunder, daß er nicht konnte betruͤ - gen die Zoͤllner, und verpaſchen den Zoll! Aber dem Talmud muß man ſchon glauben! « wird man - cher fromme Jſraelit voll Erſtaunen hier ausrufen.
Als unſer Vater Abraham die Sara in der zweifachen Hoͤhle bei Mamre begraben wollte, ſtan - den Adam und Eva auf aus ihrem Begraͤbniſſe und wollten es nicht erlauben. » Wir muͤſſen uns, ſpra - chen ſie, immer vor dem heiligen, hochgelobten Gott unſerer Suͤnde wegen ſchaͤmen, und nun kommt ihr gleichfalls, uns noch mehr zu beſchaͤmen? « Abraham aber antwortete: ſiehe, ich will den hei - ligen, hochgelobten Gott bitten, daß ihr euch nicht278 mehr zu ſchaͤmen braucht, und er wird mich erhoͤ - ren. « Adam ließ ſich hiedurch beruhigen, und kehrte in ſein Schlafkaͤmmerlein zuruͤck, allein Eva wollte von Allem nichts wiſſen, und gab dem guten Erz - vater viel gottloſe Worte. Endlich nahm er ſie beim Arm und fuͤhrte ſie wieder in ihr Grab, und dar - auf begrub er die Mutter Sara*)Jalkut Chadaſch und 1 B. Moſ. 23. V. 17.. «
Daß ein ſo frommer Mann, wie Abraham ein Erzzauberer ſeyn mußte, verſteht ſich. Die Kinder ſeiner Kebsweiber unterrichtete er ſelbſt in allen Kuͤnſten der Zauberei**)M. ſ. das talmud. Buch Sanhedrin.; auch war er, wie ſchon fruͤher erwaͤhnt worden, der Wiederherſteller der Kabbala und der Verfaſſer des Buchs Jezirah***)S. den Abſchnitt von der Kabbala..
Wie der Herr, ſo der Diener. Abrahams Eſel und Kameele ſuchten ihm in Ruͤckſicht der Froͤm - migkeit und Gottesfurcht gleich zu werden; darum nahten ſie ſich nie einem Goͤtzenbilde und ließen ſich auch von keinem Unbeſchnittenen und Abgoͤttiſchen beſteigen†)Avoth von Rabbi Nathan.. Kein Wunder alſo, daß Abrahams Eſel, wenn der Meſſias und die Jſraeliten dereinſt auf ihm durch das Meer reuten, die Chriſten und nichtjuͤdiſchen Voͤlker, die auf ſeinem Schweif ſitzen, alle wird abſchuͤtteln und erſaufen laſſen.
279Unſer Vater Jſaak that es ſogar an fruͤhzeiti - ger Weisheit dem beruͤhmten Wunderbalg, Herrn Karl Witte zuvor, denn er ſprach bereits in Mut - terleibe, und gleich nach ſeiner Geburt redete er ſehr vernunftig von mancherlei Dingen. Er ward außerordentlich fromm erzogen. Schon in ſeinem dritten Jahr, als er entwoͤhnt ward, hielt unſer Vater Abraham ihn an, das Geſetz zu lernen, und er forſchte darin Tag und Nacht, und erkannte Gott ſeinen Schoͤpfer. Jn ſeinem ſieben und dreiſ - ſigſten Jahre hielt er ſein Beilager mit der Rebecca, die damals aber erſt drei Jahre alt war. Man muß ſich in eſſen dieſe fruͤhzeitige Reife der Rebecca nicht wundern laſſen; Jſraels Toͤchter gleichen kei - neswegs der traͤgen Aloe, die ſpaͤte Bluͤthen zeiget; denn unſere Rabbinen geſegneten Gedaͤchtniſſes ha - ben geſagt: eine Frau iſt zum Eheſtande faͤhig, wenn ſie drei Jahre und einen Tag alt iſt*)R. Bechai’s Auslegung der 5 B. Moſis; Neda - rim; Bereſchith Rabba, Paraſcha 95; das Buch Ben Sira; Avoda Sara; Emek Hammelech Titel Schaar Kirjath Arba..
Daß unſer Vater Jſaak uͤbrigens ein ſehr re - putirlicher, frommer Mann war, und bei Koͤnigen und Fuͤrſten mit ſeiner Rebecca eben ſo viel Ehre einlegte, wie der Vater Abraham mit der Sara, wiſſen wir. Vor ſeinem Tode ließ er ſich freilich von ſeiner Frau und dem verſchmitzten Erbſchleicher280 Jakob, zum Nachtheil des armen Eſau, eine Brille verkaufen; allein was konnte der alte blinde Vater dafuͤr, daß er einen juͤdiſchen Erzvater gezeugt hatte, war er ja doch ſelbſt einer!
Unſer Vater Jakob war — ſo weit unſere Nachrichten reichen — der ſchlaueſte von allen. Wie er den argloſen Eſau durch ſchaͤndlichen Betrug um den Segen und die Rechte der Erſtgeburt brachte, ſo prellte er nachher durch zauberiſche und andere Mittel ſeinen Schwiegerpapa Laban um den groͤß - ten Theil ſeiner Heerden und um ſein uͤbriges Ver - moͤgen, und zog damit, wie ein Schelm heimlich von dannen. Wir koͤnnen daher nicht umhin, ihn als ein Jdeal aller juͤdiſchen Tugenden zur Nach - ahmung zu empfehlen. Nach der Behauptung un - ſerer Rabbinen geſegneten Andenkens war der Vater Jakob ſehr fromm. Er ſtudierte Tag und Nacht im Geſetz, und war ſo bibelfeſt, daß er alle Pſal - me Davids, die bekanntlich erſt lange nach ſeiner Zeit geſchrieben wurden, auswendig wußte*)Bereſchith Rabba und R. Bechai’s Auslegung ꝛc.. Selbſt die Steine verehrten ihn deshalb, denn, als er auf ſeinem Zuge nach Haran ſich eines Steins zum Kopfkiſſen bedienen mußte, fiengen alle Steine ploͤtz - lich an, mit einander zu ſtreiten. Einer ſprach: auf mich ſoll der Gerechte ſein Haupt legen; der andere rief: nein, auf mir ſoll er ruhen! und ſo gieng es fort, bis endlich, um Mord und Todſchlagzwi -281zwiſchen den Steinen zu verhuͤten, der heilige, hochgelobte Gott alle zu einem einzigen Felſen ver - einigte, und ſo den Zank endigte*)R. Salomon Jarchi’s Auslegung der 5 B. Moſ. uͤber 1 B. Moſ. 28. V. 11.. Man ſieht, daß unſere iſraelitiſchen Freunde, wo es die Ehre ihrer Erzvaͤter gilt, ſelbſt die Steine beleben, und man thut alſo ſehr wohl, von jenen Herren nichts als Gutes zu reden, denn wie leicht koͤnnte man ſonſt unter die Steine gerathen?
Ungeachtet ſeiner außerordentlichen Froͤmmig - keit erlebte der gute Jakob bekanntlich an ſeinen Kindern wenig Gluͤck, und Ehre an keinem einzi - gen. Sein Sohn Ruben vergaß ſogar die Achtung gegen den Vater ſo ſehr, daß er mit deſſen Kebs - weibe Bilha Blutſchande trieb. Dies Letztere wird jedoch im Talmud fuͤr eine » offenbare Luͤge « er - klaͤrt**)Jm Buche Schabbath., und ſo muß Moſes, dem die Jſraeliten die ſogenannten moſaiſchen Buͤcher zuſchreiben, und den ſie uͤbrigens fuͤr ihren groͤßten Propheten hal - ten, ein — Verlaͤumder ſeyn.
Der ſittliche Charakter der Soͤhne Jakobs iſt in der Bibel durch Thatſachen dargeſtellt, und ich enthalte mich fuͤr jetzt — aus Furcht vor den Steinen — aller Anmerkungen daruͤber. Blos von dem Vater Juda noch eine Kleinigkeit! Als ihm Joſeph ſeinen Bruder Benjamin in Aegypten zuruͤck -I. Baͤndchen. 27282behielt, » bruͤllte dieſer Juda ſo ſchrecklich vor Zorn, daß die ganze Erde davon erbebte, alle Mauern in ganz Aegypten und in dem benachbarten Goſen einſtuͤrz - ten, alle Frauen zur Unzeit ihre Niederkunft hiel - ten, und daß der Koͤnig Pharao ſogar ſelbſt vom Throne fiel*)Bereſchith Rabba, Paraſcha 93.. « Jch frage meine Leſer nur: ob es einem gebildeten Mann wohl gezieme, ſo furchtbar zu bruͤllen? Das thaͤte ja der Jeſuit van den Wyenberg nicht einmal, und wenn er noch ſo ſehr zuͤrnte!
Nicht von den großen und weiſen Thaten die - ſer beruͤhmten Maͤnner, welche die Bibel berichtet, ſondern von einigen andern, die der Talmud er - zaͤhlt, werde ich jetzt reden. Mein Zweck heiſcht aber moͤgliche Kuͤrze, und daher muß ich viel Groſ - ſes, was Jſraels Koͤnige und Helden gethan, leider mit Stillſchweigen uͤbergehen. Jch werde dies wahr - ſcheinlich in einem andern, durchaus klaſſiſchen Werke: Converſationslexikon fuͤr Abra - hams Saamen betitelt, nachholen. Nur muß ich mich zuvor mit Herrn Macklot verſtaͤndigen, damit der mir mein Werk nicht auf beſſerm Papier nachdruckt, und es vielleicht gar auf andere Weiſe verbeſſert herausgiebt; denn alsdann haͤtte ich nicht allein Schaden, ſondern auch Schimpf.
David und Salomo ſind von unſern frommen Theologen den Fuͤrſten oft als Muſter aller koͤnig - lichen Tugend und Weisheit aufgeſtellt worden; und die armen Voͤlker haben es nicht ſelten mit Schmerzen und Thraͤnen empfunden, wie ſehr ihre27 *284Herrſcher bemuͤht waren, jene erhabenen Jdeale zu erreichen. Den Talmudiſten ſteht es noch weniger zu verdenken, daß ſie die Nichtswuͤrdigkeiten dieſer beiden Deſpoten auf alle moͤgliche Art zu rechtfer - tigen ſuchen. » Wer da ſagt, heißt es im Talmud, daß David geſuͤndiget habe, als er die Bathſeba nahm, der irrt; denn wer in den Krieg zog, gab vorher ſeiner Frau einen Scheidebrief; ſo auch Uri - as. Bathſeba war alſo frei, und David verſuͤn - digte ſich nicht mit ihr*)Schabbath oder Schabbas.. « Man ſieht, daß die Juden ſich vortrefflich zu fuͤrſtlichen Beichtvaͤtern und Gewiſſensraͤthen eigneten; und wer weiß, was ſie kuͤnftig noch werden? Sind ſie doch hin und wieder ſchon zu manchen Aemtern und Wuͤrden gelangt, wozu man ſie vormals unfaͤhig glaubte! Salomo ſoll gleichfalls nicht geſuͤndiget haben, als er ſein Herz zum Goͤtzendienſt neigte**)M. ſ. im Talmud a. a. O.; und wirk - lich moͤchte man dem alten entnervten Wuͤſtling dies leichter verzeihen, als jene ungeheure Anzahl von Weibern und Huren, und beſonders den koſt - baren Tempelbau, wodurch er ſein Volk bis zur Verzweiflung druͤckte, alle Herzen von ſich abwand - te, und den Neid und die Habſucht der benachbar - ten Fuͤrſten und Voͤlker erregte.
Sehr wunderbar gieng es uͤbrigens bei dieſem Tempelbau her. Es war bekanntlich verboten,285 man ſollte ſich dazu keines Hammers oder irgend eines andern eiſernen Geſchirrs bedienen*)M. ſ. 1 B. der Koͤnige Kap. 6. V. 7.. Aber fragte der weiſe Salomo die Rabbinen, wie ſollen ohne eiſerne Werkzeuge die Steine geſpalten wer - den? Mit dem Schamir, erwiederten ſie, mit welchem Moſes die Steine zu dem Leibrock des Hohenprieſters ſchnitt! Laß einen Teufel und eine Teufelin kommen, und zwinge ſie zu bekennen, wo der Schamir verborgen iſt. Salomo that es; al - lein Teufel und Teufelin antworteten: wir wiſſen vom Schamir nichts. Frage den Aſchmedai (As - modi, Sammael), den Koͤnig der Teufel; vielleicht kann der dir Kunde davon geben. — Aber wo iſt Aſchmedai, euer Koͤnig? — Auf dem Berge N. N. Dort hat er ſich eine Grube gemacht, ſie mit Waſ - ſer angefuͤllt, einen Stein daruͤber gedeckt, und dieſen mit ſeinem Pettſchaft verſiegelt. Er ſteigt taͤglich zur Feſte des Himmels hinauf, und lernt in der hohen Schule der Feſte. Hernach koͤmmt er zur Erde herab, und lernt in der hohen Schule auf Erden. Nach den Schulſtunden unterſucht er ſein Pettſchaft, oͤffnet die Grube und trinkt; darauf bedeckt und verſiegelt er ſie wieder und geht fort. — Als Salomo dies vernommen, gab er dem Be - naja, dem Sohn des Jojada, eine Kette und einen Ring, beide mit dem heiligen Namen Schemham - phoraſch bezeichnet, nebſt einigen Buͤndeln Wolle286 und mehreren Schlaͤuchen voll Wein, mit dem Be - fehl, den Aſchmedai betrunken zu machen und ihn zu fangen. Benaja kam zu der Grube des Koͤnigs der Teufel, machte unter derſelben eine Oeffnung, und ließ das Waſſer heraus laufen. Hernach machte er uͤber der Grube ein Loch, ſchuͤttete den Wein hindurch, und ſtopfte das Loch mit Wolle wieder zu. Benaja beſtieg hierauf einen Baum, und war - tete bis Aſchmedai, der Koͤnig der Teufel kam. Dieſer merkte aber gleich, daß Jemand bei ſeiner Waſſergrube geweſen ſeyn muͤßte. Er oͤffnete ſie, und ſprach, als er Wein darin fand: » es ſtehet geſchrieben, der Wein iſt ein Spoͤtter, und ſtarkes Getraͤnk macht Aufruhr. Wer darinnen irrt, wird nimmer klug; ferner ſagt Hoſeas, der Prophet: Hurerei, Wein und Moſt nimmt das Herz oder den Verſtand weg*)Spruͤchw. Sal. 20. V. 1. und Hoſ. 4. V. 11.. « Weil nun Aſchmedai dem Wein nicht traute, wollte er nicht trinken, und legte ſich ermuͤdet unter einen Baum. Endlich noͤ - thigte ihn aber der Durſt; er trank, ward berauſcht, legte ſich wieder hin und ſchlief ein. Da ſtieg Be - naja, der Sohn Johada, eiligſt und leiſe von ſei - nem Baum herab, ſchlich ſich zu dem Koͤnige der Teufel, warf ihm die Kette um den Hals, und verſchloß ſie recht feſt, daß er ſeinen Kopf nicht heraus ziehen konnte. Hierauf rief er ihm dreimal zu: der Name deines Herrn iſt auf dir! und zwang287 den Aſchmedai, ihm zu folgen. Unterwegs kamen ſie zu einem großen Dattelbaum; der Koͤnig der Teufel rieb ſich daran, und riß ihn zu Boden. Gleich nachher trafen ſie die Huͤtte einer armen Wittwe; auch die wollte er niederreißen, allein die Frau kam heraus und bat ihn mit Thraͤnen, ihres kleinen Eigenthums zu ſchonen. Aſchmedai, der ſich daher zur andern Seite wandte, glitſchte aus, zerbrach ein Bein und ſprach: dies iſt, was ge - ſchrieben ſteht (Spruchw. 25. V. 15): eine gelinde Zunge zerbricht das Gebein. Als Benaja mit ihm zum Palaſte des Salomo kam, ward Aſchmedai nicht gleich dem Koͤnige vorgeſtellt; denn am erſten Tage ließ Salomo ihm ſagen: ich kann dich nicht ſprechen, weil ich zu viel getrunken habe. Am zwei - ten ſprach er: ich habe zu viel gegeſſen, und ſo ward Aſchmedai erſt am Morgen des dritten Ta - ges zu Salomo gebracht. Der Koͤnig der Teufel nahm, als er vor dem Koͤnige der Juden erſchien, eine Elle, maß damit die Laͤnge von acht Schuhen, warf ſodann die Elle dem Salomo vor die Fuͤße und ſprach: Wenn du ſtirbſt, bleibt dir nichts, als ein vier Ellen langes Grab. Du haſt alle Koͤ - nige und Voͤlker der Erde bezwungen; allein das genuͤgte dir nicht; du mußteſt auch mich in Ketten und Banden legen. Was begehrſt du von mir? — Nichts weiter, antwortete Salomo, als den Schamir zum Tempelbau. — Der Schamir iſt nicht mir, ſondern dem Fuͤrſten des Meeres uͤber -288 geben, der ihn Niemanden, als dem Auerhahn an - vertrauete, weil dieſer ihm einen hohen Eid geſchwo - ren hat, ihn gut aufzubewahren. — Was macht aber der Auerhahn damit? fragte Salomo. — Er nimmt ihn auf oͤde und unbewohnbare Berge, wo er den Schamir gegen die Felſen haͤlt, daß ſie zer - ſpalten. Dann verwahrt er ihn wieder, und ſtreuet Saamen von Baͤumen und Pflanzen und andere Dinge in die zerriſſenen Felſen, wodurch dieſe end - lich bewohnbar werden. Darum heißt auch der Auerhahn Naggartura, ein Bergkuͤnſtler.
Salomo ſandte hierauf Benaja, den Sohn Jojada und Aſchmedai, den Koͤnig der Teufel*)Aſchmedai’s gebrochenes Bein war alſo ſchnell wie - der geheilt. Vielleicht kann aber auch der Koͤnig der Teufel mit einem Fuße gehen, oder doch humpeln. aus, um den Auerhahn zu ſuchen und ihm den Schamir zu nehmen. Als ſie ſein Neſt fanden, wor - in Junge waren, bedeckten ſie es mit einem weißen Glaſe. Der Auerhahn kam zuruͤck, und da er ſeine Kinder nicht fuͤttern konnte, hielt er den Schamir an das Glas, um es zu zerſprengen. Benaja aber, der Sohn Jojada ſchrie uͤberlaut; der Auerhahn ließ vor Schrecken den Schamir fallen, Benaja nahm ihn auf, eilte damit fort, und der Auerhahn gieng voll Verzweiflung hin und erhieng ſich, weil er dem Fuͤrſten des Meeres ſeinen Eid nicht ge - halten**)M. ſ. im Talmud das Buch Sota.. «
289Man ſieht, daß dieſer Auerhahn weit gewiſſen - hafter war, als die Juden, die auch ihre heiligſten Eide nicht halten.
» Der Schamir iſt ein kleiner Wurm, nicht groͤßer, als ein Gerſtenkorn und ward in den er - ſten ſechs Schoͤpfungstagen erſchaffen. Vor ihm kann nichts Hartes beſtehen. Darum muß man ihn in Baumwolle oder in einen Schwamm wickeln, und ihn in eine bleierne, mit Gerſtenkleie gefuͤllte Schachtel legen. Seit der Zerſtoͤrung des zweiten Tempels hat man den Schamir vermißt. Wo er geblieben, davon ſchweigen die Nachrichten*)M. ſ. im Talmud a. a. O..
» Wie der heilige, hochgelobte Gott uͤber die Ober - und Unterwelt herrſcht, ſo herrſchte auch un - ſer Koͤnig Salomo, auf welchem der Friede ſey, uͤber beide. Jhm waren ſelbſt die Teufel und Nacht - geſpenſter unterthan, denn zu ſeiner Zeit ſtand der Mond noch in ſeiner Vollkommenheit, das Gute hatte die Oberhand uͤber das Boͤſe, und ſogar die Teufel waren ſchoͤn und voll Anmuth. Alle Geiſter halfen beim Tempelbau, und die Teufel ſchleppten die groͤßten Steine herbei. Als aber Salomo ge - ſuͤndiget hatte, ward der Mond durchſchnitten, und nahm ab. Die Geiſter und Teufel entzogen ſich der Herrſchaft des Koͤnigs, und dieſer fieng an, ſie zu fuͤrchten. Darum ließ er auch ſechzig Starke aus den Starken in Jſrael bei ſeinem Bette wa -290 chen, wie geſchrieben ſteht im Hohenliede Kap. 3. V. 7.*)Emek Hammelech.. «
» Salomo war der maͤchtigſte Koͤnig, der je - mals auf Erden regiert hat. Er herrſchte von einem Ende der Welt bis zum andern. Alle Fuͤrſten und Voͤlker waren ihm unterthan**)Schemoth Rabba, Paraſcha 15.. «
» Einſt ſtand er allein bei dem Aſchmedai, dem Koͤnige der Teufel, und ſprach: Es heißt, eure Staͤrke ſey wie die Staͤrke eines Einhorns. Worin uͤbertrefft ihr Teufel uns denn? Nimm die Kette von mir, ſprach Aſchmedai, und gieb mir deinen Ring, auf welchem der Schemhamphoraſch ſteht; dann will ich meine Gewalt dir beweiſen. Salomo that es, und ward augenblicklich von Aſchmedai verſchlungen, der hierauf einen Fuß gegen die Feſte des Himmels, den andern gegen die Erde ſtemmte, und den Koͤnig Salomo vierhundert Meilen weit von ſich ſpie, ohne daß Jemand davon etwas er - fuhr. Den Ring aber warf er ins Meer, wo derſelbe von einem Fiſch verſchluckt wurde; und dar - nach ſetzte er ſich, in Salomons Geſtalt, auf den koͤniglichen Thron.
Da ſprach Salomo: was hat der Menſch von all’ ſeiner Muͤhe, und dies iſt mein Theil, womit er ſeinen Rock und ſeinen Bettlerſtab meinte, denn jetzt war er aus dem groͤßten Koͤnig ein Bettler291 geworden. Wenn er vor den Thuͤren ſprach: ich Salomo war einſt Koͤnig zu Jeruſalem, dann ſpot - tete man ſeiner, und ſagte: wie ſollte der groͤßte Koͤnig der Welt, der Koͤnig Salomo betteln muͤſ - ſen? So ward er fuͤr ſeine Suͤnden geſtraft, denn er hatte drei Gebote Gottes uͤbertreten, nemlich zu viel Weiber genommen, zu viel Pferde gehalten, und zu viel Gold und Silber geſammelt. Nach drei Jahren beſchloß der hochgelobte, heilige Gott ſich um ſeines Knechts Davids willen uͤber Salomo zu erbarmen, und fuͤhrte ihn deshalb in das Land der Ammoniter und in die Hauptſtadt des Koͤnigs, welche Maſchkemem heißt. Als er dort auf dem Markte ſtand, kam der koͤnigliche Leibkoch, kaufte ein, und zwang ihn, das Gekaufte in die Kuͤche des Koͤnigs zu tragen. Salomo erbot ſich, ihm ferner zu dienen, und begehrte dafuͤr nichts weiter, als Speiſe und Trank. Der Leibkoch nahm ihn in Dienſt, und nach einigen Tagen bat Salomo, der einſt der groͤßte und weiſeſte Koͤnig auf Erden und jetzt ein armer Kuͤchenjunge war, den Leibkoch um die Erlaubniß, dem Koͤnige der Ammoniter einige Speiſen machen zu duͤrfen. Der Leibkoch gewaͤhrte es, und Salomo kochte. Nach der Tafel fragte der ammonitiſche Koͤnig ſeinen Koch, wer die koͤſt - lichen Speiſen bereitet haͤtte, und dieſer geſtand, was geſchehen war. Hierauf wurde Salomo au - genblicklich zum Leibkoch ernannt, und ſein voriger Gebieter erhielt ſeinen Abſchied. Naama, die Toch -292 ter des Koͤnigs aber ſahe den Salomo, verliebte ſich ſterblich in ihn, und entdeckte ihrer Mutter: daß ſie ohne dieſen Mann nie gluͤcklich ſeyn koͤnnte. Die Koͤnigin gab freilich der jungen Prinzeſſin ei - nen ernſten Verweis; » es ſind ja, ſprach ſie, in dem großen Reiche deines Vaters ſo viele vortreff - liche Fuͤrſten, von denen du waͤhlen kannſt, wel - chen du willſt; « allein die Tochter beſtand mit Seufzen und Thraͤnen ſo lange auf ihrer Bitte, bis endlich ihre Mutter verſprach, mit dem Koͤnige zu reden. Den Zorn des letztern kann man ſich den - ken. Aber Gottes Wille iſt ſtaͤrker, als der Koͤnige Zorn. Um kein unſchuldiges Blut zu vergießen, ließ der aufgebrachte Vater die Prinzeſſin und den Salomo in eine oͤde Wildniß fuͤhren, damit ſie dort vor Hunger und Durſt umkommen moͤchten. Sie fanden jedoch gluͤcklich den Weg aus der Wuͤ - ſte nach einer Stadt am Ufer des Meeres. Hier kaufte Salomo einen Fiſch, und gab ihn ſeiner Frau, um ihn zu kochen. Sie oͤffnete ihn, und fand einen Ring mit dem Namen Schemhampho - raſch. Froͤhlich gab ſie den Ring ihrem Mann, der ihn augenblicklich fuͤr den ſeinigen erkannte, ihn an den Finger ſteckte, und gerades Weges mit Naa - ma nach Jeruſalem zuruͤckkehrte. Er gieng dort mit ſeinem Ringe in den koͤniglichen Palaſt; Aſch - medai flog augenblicklich davon, und Salomo nahm ſeinen Thron wieder ein. Jndeſſen fuͤrchtete er doch den Entflohenen, und darum heißt es im Hohen -293 liede: ſiehe, um das Bette Salomo’s ſtehen ſechzig Starke aus den Starken in Jſrael. Sie halten alle Schwerter und ſind gelehrt zu ſtreiten. Ein Jeder hat ſein Schwert an ſeiner Huͤfte.
Bald nachher ließ Salomo den Koͤnig der Am - moniter, ſeinen Schwiegervater einladen, und ſprach zu ihm: Siehe, du haſt zwei Seelen umgebracht! — Das ſey ferne! antwortete dieſer, ich habe ſie blos in eine Wildniß vertrieben, und weiß nicht, was aus ihnen geworden iſt. Darauf fragte der Koͤnig Salomo, auf welchem der Friede ſey: wuͤr - deſt du ſie wieder erkennen, wenn du ſie ſaͤheſt? — Ja freilich! — Nun ſo wiſſe, daß ich der Leibkoch bin, und deine Tochter iſt meine Gemahlin. Naa - ma mußte kommen; ſie kuͤßte die Haͤnde des Vaters, und dieſer umarmte voll Entzuͤcken die gluͤcklichen Kinder*)Emek Hammelech; Medraſch Schir Haſchirim Rabba.. «
Daß Salomo’s Herrſchaft ſich uͤber die ganze Welt erſtreckte, darf Niemanden befremden, denn David hatte einen Pfeil, mit welchem er auf jeden Schuß achthundert ſeiner Feinde erlegte**)Moed Karon.. Wir wiſſen, wie eifrig dieſer fromme Koͤnig in ſeinen Pſalmen gegen ſeine Feinde betete, und duͤrfen kei - neswegs zweifeln, daß er eben ſo fleißig auf ſie geſchoſſen haben wird. Jener Pfeil ward wahr - ſcheinlich auf den Koͤnig Salomo vererbt, und ſo294 war es ein Leichtes, die ganze Welt unter ſeinen Scepter zu bringen, zumal da er uͤber ein ſo tapf - res Heldenvolk regierte, wie die Jſraeliten bekannt - lich von ieher waren, und noch ſind.
Manche Leſer, die wie ich, Salomo’s außer - ordentliche Weisheit bewundern, fragen vielleicht, wie er ſie erlangt habe? Hier die Antwort!
» Unſer Koͤnig Salomo, auf dem der Friede ſey, hatte eine tiefere Weisheit, als alle, die vor ihm waren und nach ihm ſeyn werden, ſeit der Zeit des Moſes, unſers Lehrmeiſters, welchem das Paradies ſey. Er hat ſchreckliche Thaten gethan, und ließ es ſich angelegen ſeyn, alle Weisheit zu lernen. Darum ritt er taͤglich auf einem Adler, auf deſſen Ruͤcken ein Stuhl befeſtiget war, zu dem Aſa und Aſael (zwei Teufeln) und erforſchte das Jnnere der finſterſten Berge, wie geſchrieben ſteht: er bauete Tadmor in der Wuͤſte auf den Bergen*)Emek Hammelech und Avodath Hakkodeſch im 3ten Theil (Chelek Hattachlitz genannt) Kap. 19.. «
Alſo von den Teufeln holte Salomo ſeine uͤber - menſchliche Weisheit. Schade, daß uns ſo wenig davon bekannt ward! Auch Bileam ſoll bei dem Aſa und Aſael zur Schule gegangen ſeyn.
Der juͤdiſche Herkules Simſon, deſſen Ge - ſchichte mehr einer allegoriſchen Sage, als der Er - zaͤhlung von Thatſachen gleicht, iſt unter allen Helden der Juden unſtreitig der ſtaͤrkſte. Er nahm295 zwei große Berge, ſagt Rabbi Samuel, des Nach - manns Sohn, und ſchlug ſie gegen einander, wie ein Mann zwei kleine Steine an einander ſchlaͤgt*)Vajikra Rabba, Paraſcha 8.. Waren die Berge auch nicht ſo groß, wie der Montblanc und der Gotthard, ſo mußten doch die Haͤnde, mit denen Simſon ſie umfaßte, wahrlich nicht klein ſeyn. » Wenn der heilige Geiſt auf ihm ruhete, ſpricht Rabbi Jehuda, ſo konnte er mit einem Schritt ſo weit, als von Zorea bis Eſchtaol, alſo zwanzig Stunden weit, ſchreiten! « Rabbi Nachmann verſichert: wenn der Geiſt Gottes auf Simſon kam, dann ſtanden ſeine Haare zu Berge, und klangen wie Glocken, daß man ſie viele Mei - len weit hoͤrte**)M. ſ. a. a. O.. Wem ſtehen hier nicht die Haare zu Berge!
Als ein roͤmiſcher Kaiſer, welcher, wiſſen wir nicht, die juͤdiſche Stadt Turmalka belagerte, war dort ein großer Held, Bar Deroma genannt, der mit Einem Sprunge eine ganze Meile zuruͤcklegte, und waͤhrend des Sprunges alle roͤmiſche Soldaten, die ſich auf ſeinem Wege befanden, niederhieb***)Zeena Ureena, Titel Korban..
Eben ſo ſehr zeichnete ſich der Held Afika, des Gafteri Sohn, aus. Waͤhrend der Belagerung Jeruſalems durch die Chaldaͤer ſchleuderten die letz - tern große Felſenſtuͤcke gegen die Stadtmauer, um296 dieſelbe zu ſprengen. Afika fieng ſie mit einer Hand auf, warf ſie auf die Feinde zuruͤck, und toͤdtete eine Menge von ihnen. Endlich kamen der Felſen - ſtuͤcke ſo viele, daß er nicht blos die andre Hand, ſondern ſogar beide Fuͤße zu Huͤlfe nehmen mußte, um ſie aufzufangen, und auf dieſe Weiſe ſchleuderte er jedes Mal mit Einem Wurf vier ungeheure Felſentruͤmmer auf den Feind. Leider hatte er aber geſuͤndigt; deshalb erhob ſich ein ſtarker Wind, und ſtuͤrzte ihn von der Mauer, daß er zerbarſt und ſtarb. Jn demſelben Augenblick wurden auch die Mauern geſprengt, und die ſiegenden Chaldaͤer zogen ein*)M. ſ. a. a. O..
Plinius fabelt wunderliche Dinge von orienta - liſchen Voͤlkern ohne Naſe mit platten Geſichtern, und von andern, denen ſogar der Mund zugewach - ſen war, ſo daß ſie durch eine kleine Oeffnung mittelſt eines Haberrohrs ihre Getraͤnke einſaugen mußten. Auch erzaͤhlt er von indiſchen Voͤlkern mit Hundskoͤpfen, die, in Thierhaͤute gekleidet, wie Hunde bellen, und von der Jagd ſich ernaͤhren. Von den Aſtomen (Astomi) angeblich einem Volke am Ganges, berichtet er: ſie haͤtten keinen Mund, lebten blos von der Luft und von dem Duft der Blumen und Kraͤuter, und brauchten weder Speiſe noch Trank. Selbſt allzu ſtarke Geruͤche koͤnnten ſie toͤdten, und dergleichen mehr*)M. ſ. Plinii Histor. naturalis Lib. VI. cap. 30; Lib. 7. cap. 2. etc. . Pauſanias erzaͤhlt von einer fernen Jnſel, Satiris genannt, wo ein dorthin verſchlagener Schiffer ein Volk ro -I. Baͤndchen. 28298ther und wilder Menſchen mit langen Pferdeſchwei - fen fand, welches dem weiblichen Geſchlecht aͤußerſt gefaͤhrlich war. Dieſe Menſchen mit Pferdeſchwei - fen ſandten in der Folge Abgeordnete an den hei - ligen Antonius, und ließen ihn erſuchen, bei dem lieben Gott fuͤr ſie zu bitten, daß das ſtellvertre - tende Verdienſt unſers Heilandes auch ihnen zu Gute kommen moͤchte*)Pauſanias in Atticis cap. 23. und „ Petersburger Anmerkungen uͤber die Zeitungen vom Jahr 1732. Stuͤck 96. ‟. Wir wollen es ihnen goͤnnen!
Wer wollte dieſe beiden Schriftſteller wohl ver - ſpotten, weil ſie berichteten, was ihnen von wahr - haftſcheinenden Leuten geſagt, und was vielleicht zu ihrer Zeit von vielen vernuͤnftigen Menſchen ge - glaubt ward? Wie viel weniger alſo duͤrfen wir uns freveluden Spott uͤber die Bibel erlauben, wenn ſie uns Dinge erzaͤhlt, die mit Natur und Vernunft im Widerſpruche ſtehen! Dies goͤttliche Buch ward lange vor den Zeiten des Plinius und Pauſanias geſchrieben; die Verfaſſer nahmen ihre Nachrichten aus den Sagen des Volks, und ſchmieg - ten ſich, ſelbſt wenn ſie ſahen, daß dieſe Sagen unzuverlaͤßig waren, dem Glauben derjenigen an, fuͤr welche ſie ſchrieben.
Ueberdies bedenke man, daß die meiſten Buͤ - cher der heiligen Schrift des alten Teſtaments erſt299 lange nach der Zeit geſchrieben wurden, wo ſich die darin erzaͤhlten Begebenheiten zutrugen. Jch habe ſchon fruͤher bemerkt, und mehrere Gruͤnde fuͤr meine Behauptung angefuͤhrt, daß Moſes, Jo - ſua und Samuel nicht Verfaſſer der, unter ihren Namen bekannten Buͤcher ſind. Als Moſes mit den Jſraeliten aus Aegypten zog, kannte man dort ſo wenig eine Buchſtabenſchrift, als irgend eine Art von Papier. Die Stelle der erſtern vertraten Hie - roglyphen, wie ſie noch in den Pyramiden gefun - den werden. Statt des Papiers gebrauchte man Erz, Steine, Holz und andere harte Maſſen. Mit - telſt der Hieroglyphen kann man leicht zu errathen - de, ſinnliche Gegenſtaͤnde bezeichnen und andeuten; nimmermehr eignen ſie ſich aber zu Darſtellung zuſammenhaͤngender Geſchichten, in denen ſelbſt von uͤberſinnlichen Dingen die Rede iſt. Die Hiero - glyphen ſind bloße Bilder und verhalten ſich zu der Buchſtabenſchrift, wie die Muſik zur artikulirten Sprache. Jch kann durch die erſtere Ahnungen, Gefuͤhle und Leidenſchaften erregen, aber nicht, wie mittelſt der Rede, geſchehene Dinge erzaͤhlen, kuͤnf - tige vorherſagen, und uͤberſinnliche Begriffe auf eine gemeinverſtaͤndliche Weiſe ausdruͤcken.
Geſetzt auch, Moſes haͤtte — wovon indeſſen die Geſchichte das Gegentheil lehrt — Moſes haͤtte eine Buchſtabenſchrift gekannt oder erfinden koͤnnen; worauf wollte er ſchreiben, da man zu ſeiner Zeit weder Papier, noch Pergament kannte, und in28 *300der Wuͤſte ſo wenig Papierhaͤndler, als Papier - muͤhlen waren? Was er den Juden auf den zwei Tafeln gab, war nichts weiter, als das Sitten - geſetz, (der Dekalogos) und um daſſelbe in Stein zu graben, bedurfte er nicht weniger, als vierzig Tage, die er mit dieſer Arbeit beſchaͤftigt auf dem Sinai zubrachte. Wie lange Zeit muͤßte er alſo gehabt haben, wenn er alle fuͤnf Buͤcher, die un - ter ſeinem Namen bekannt ſind, haͤtte in Stein oder in Holz eingraben wollen? Wenigſtens zwei - hundert Jahre! Er konnte es durch Andre thun laſſen! ſagt man. Dann haͤtte er aber jeden Buch - ſtaben und jedes Wort ihnen vorſagen muͤſſen. Wahrlich, eine Arbeit, die weit ſchwieriger gewe - ſen ſeyn, und noch viel laͤnger gedauert haben wuͤrde.
Der Jeſuit Kircher und Andre wollen freilich in Aegypten Zeichnungen gefunden haben, die einer Buchſtabenſchrift aͤhnelten; allein waͤre dies wirklich der Fall, ſo waren jene Zeichnungen gewiß weit ſpaͤtern Urſprungs.
Haͤtte Moſes ſchon eine Buchſtabenſchrift ge - kannt, und ſie benutzen koͤnnen, ſo haͤtte er ſicher - lich ſein Geſetz nicht blos auf ein paar zerbrechliche ſteinerne Tafeln, die tauſend Zufaͤllen unterworfen waren, eingegraben; ſondern er waͤre wohl ſo klug geweſen, wie unſere Geſetzgeber, und haͤtte eine Menge Abſchriften von ſeinen Verordnungen unter das Volk vertheilt. Dadurch wuͤrde er ſeinen Zweck301 beſſer erreicht haben, als durch jene ſteinernen Ta - feln, deren Jnhalt nur ſelten den Jſraeliten vor - geleſen und manchen vielleicht gar nicht bekannt wurde.
Er that, was unter ſeinen Verhaͤltniſſen moͤg - lich war. Diejenigen Geſetze, welche zunaͤchſt auf die Sittlichkeit der Juden einwirken ſollten, gab er ihnen ſchriftlich; die lithurgiſchen und andern Verordnungen, ſo er machte, ertheilte er muͤnd - lich, und ſetzte die zahlreiche Prieſterzunft ein, um uͤber die Beobachtung dieſer beiden Arten der Ge - bote zu wachen. Hieraus erklaͤrt ſich auch die juͤ - diſche Ueberlieferung von einem ſchriftlichen und muͤndlichen Geſetz, welches Moſes ſoll gegeben haben.
Moſes war alſo eben ſo wenig Verfaſſer des Pentateuchs, wie Joſua, die Richter, Ruth, Sa - muel, die Koͤnige, Eſther und Suſanna jene Buͤ - cher geſchrieben haben, die nach ihnen benaunt ſind. Selbſt die Pſalme Davids erhielten ſich wahrſchein - lich lange Zeit blos durch muͤndliche Fortpflanzung bei den Juden, wie die Geſaͤnge Oſſians bei den Caledoniern, bis ſie endlich von einem iſraelitiſchen Macpherſon geſammelt und niedergeſchrieben, viel - leicht auch hin und wieder geaͤndert wurden. Dies benimmt indeſſen der heiligen Schrift ſo wenig etwas von ihrer Goͤttlichkeit und ihrem Werth, als Oſſi - ans unſterblichen Geſaͤngen es an ihrem dichteriſchen Gehalt geſchadet haͤtte, wenn der Verfaſſer nicht302 Oſſian, ſondern Macpherſon hieße. Nur Spoͤtter, wie Voltaire und Andre, koͤnnen auf Kleinigkeiten der Art ein großes Gewicht legen; wir Chriſten wiſſen ſchon, wornach wir uns zu richten haben.
Die Verfaſſer jener geſchichtlichen Buͤcher er - zaͤhlen, was als allgemeine Volksſage von den Ju - den geglaubt ward, ohne deshalb die Zuverlaͤßigkeit dieſer Sagen zu verbuͤrgen, ſo wie ich — meines Orts, — fuͤr die Wahrheit der Erzaͤhlungen von der Lilith und von Abrahams Eſel, auf welchem der Meſſias dereinſt mit Jſraels Kindern durchs Meer reuten wird, gleichfalls nicht einſtehen moͤchte. Ueberdies erwaͤge man den Geiſt der Sprache, in welcher jene Schriftſteller ihre Nachrichten empfien - gen und niederſchrieben. Alle Morgenlaͤnder lieben das Bildliche und Wundervolle, und ſprechen ſelbſt von den alltaͤglichſten Dingen in hyperboliſchen Re - densarten. Die hebraͤiſche Sprache iſt faſt noch aͤrmer an Worten, als die Juden an Begriffen ſind. Jhre Zeitwoͤrter haben nur zwei Zeitbeſtimmungen: die Gegenwart und Zukunft. Alle uͤbrigen Arten der bedingten und unbedingten Zeitbeſtimmung muß man errathen. Mit dem Jndikativ und Konjunk - tiv, mit dem Jmperfekt und Plusquamperfekt zer - bricht ſich der Hebraͤer nicht den Kopf. Ein einzi - ges Wort ſeiner Sprache hat oft fuͤnfzig verſchie - dene, zum Theil einander widerſprechende Bedeu - tungen. Welcher Ueberſetzer des alten Teſtaments kann unter dieſen Umſtaͤnden fuͤr die Richtigkeit und303 Zuverlaͤßigkeit ſeiner Dollmetſchung wohl einſtehen? Ein Ueberſetzer, der dies thun wollte, beduͤrfte wahrlich den Beiſtand des heiligen Geiſtes weit mehr, als die heiligen Maͤnner Gottes ſelbſt, denen wir dieſe Schriften verdanken.
Hoͤchſt unrecht waͤre es, wenn wir den ge - ſchichtlichen Jnhalt der altteſtamentariſchen Schrif - ten durchaus, oder dem groͤßten Theil nach, ableug - nen wollten, weil in unſern Ueberſetzungen derſelben manche Widerſpruͤche und andre Dinge enthalten ſind, die uns unglaublich erſcheinen. Koͤnnten nicht in dieſem Falle die Juden uns mit Recht vorwer - fen, daß auch in unſern neuteſtamentiſchen Schrif - ten ſcheinbare Widerſpruͤche und unerklaͤrliche Ver - ſchiedenheiten ſich finden? Man muß alſo billig ſeyn*)Was ſich in den heiligen Schriften des neuen Te - ſtaments von dergleichen Widerſpruͤchen findet, iſt unſtreitig durch die Zuſaͤtze entſtanden, welche die erſten Chriſten und Kirchenvaͤter ſich erlaubten. So wie ſie in die ſibylliniſchen Buͤcher der Roͤmer ihre Lieblingsmeinungen einzuſchwaͤrzen ſuchten, um ſich Anhaͤnger und Proſelyten zu machen, ſo thaten ſie daſſelbe bei den Schriften der Evangeliſten und Apoſtel. Durch dieſe Einmiſchungen entſtellten ſie mehrere urſpruͤnglich apoſtoliſche Briefe ſo ſehr, daß man ſie nachmals gar nicht laͤnger in dem chriſtli - chen Kanon dulden konnte und als durchaus un - brauchbar verwerfen mußte. Daher ward uns nur!
304Noch wundervollere Dinge, als Plinius und Pauſanias von Voͤlkern ohne Naſe und Mund, und von andern mit Pferdeſchweifen finden wir in den heiligen und talmudiſchen Buͤchern der Juden von den Rieſen. Jm vierten Buch Moſis Kap. 13. V. 34. erzaͤhlen die Kundſchafter, welche Moſes aus - geſandt hatte, um das Land zu beſehen: wir ſahen auch Rieſen daſelbſt Enaks Kinder, und wir waren vor unſern Augen, wie Heuſchrecken, und alſo waren wir auch in ihren Augen. Hieraus kann man ſich vorſtellen, daß jene Enaks Kinder, gegen welche die Juden als Heuſchrecken erſchienen, nicht klein geweſen ſeyn muͤſſen. Die Abſtammung der Rieſen wird in der Bibel und dem Talmud auf gleiche Weiſe, nur im letztern ausfuͤhrlicher erzaͤhlt. Jm erſten Buch Moſ. Kap. 6. V. 4. heißt es: Zu der Zeit waren auch Rieſen (Nephilim) auf Erden; denn da die Kinder Gottes die Toͤchter der Men - ſchen beſchliefen, und Kinder zeugten, wurden dar - aus Gewaltige in der Welt und beruͤhmte Leute. Daß*)das uͤberliefert, was am wenigſten von ſeiner ur - ſpruͤnglichen Reinheit verloren hatte. Durch den eingefuͤhrten Tritheismus ſuchten jene Kirchenvaͤter ihre Religionslehre der roͤmiſchen zu aſſimiliren, und die Roͤmer zu gewinnen; dabei behauptete man fortwaͤhrend einen ſcheinbaren Monotheismus, um auch die Juden nicht zuruͤck zu ſchrecken. So ent - ſtand die Trinitaͤtslehre.305Daß unter den Kindern Gottes hier keine Menſchen verſtanden werden, zeigt der Jnhalt und Zuſam - menhang der Stelle; unter den Kindern Gottes wurden Engel verſtanden, und damit ſtimmen die Talmudiſten uͤberein. Alſo von den Engeln ſtam - men die Rieſen und die Gewaltigen der Erde her; daher iſt an der Legitimitaͤt der letztern keineswegs zu zweifeln, wenn ſie auch keine Rieſen ſeyn ſoll - ten. Ein Wunder iſt es, daß Herr von Haller ſich nicht laͤngſt auf dieſe Stelle der Bibel berief.
Nach dem Talmud ſahen die Engel, welche aus ihrem geheiligten Wohnſitz im Himmel auf die Erde herabſtuͤrzten, nach den ſchoͤnen Toͤchtern Kains, die nackt waren und ſich ſchminkten. Sie verheiratheten ſich mit ihnen und zeugten die Rieſen. Der Koͤnig Og von Baſan war einer dieſer En - gelskinder, und ward vor der Suͤndfluth geboren. Sein Vater war der Engel Schamchiel, der auch mit dem Weibe des Ham, eines Sohns Noah, den Sichon, Koͤnig der Amoriter zeugte. Sichon ward geboren, als Noah mit den Seinigen in die Arche gieng. Og war nach Andern Elieſer, der Knecht Abrahams, dem er vom Nimrod geſchenkt ward. Abraham entließ ihn ſeiner Dienſtbarkeit, und Gott machte ihn, weil er fromm war, zum Koͤ - nige von Baſan, damit er als ein Gott - loſer (als ein Nichtjude) keinen Theil an der zukunftigen Welt haben moͤchte. Wir haben ſchon fruͤher erwaͤhnt, daß Elieſer, ohne den TodI. Baͤndchen. 29306zu ſchmecken, ins Paradies kam. Der heilige, hoch - gelobte Gott hat ſich alſo vielleicht bedacht, denn wir finden in gewiſſen Buͤchern, daß ihn heute ge - reuete, was er geſtern gethan hatte. Nach den bibliſchen Berichten war das eiſerne Bette des Og zu Rabbath nur neun Ellen lang und vier Ellen breit. Die Talmudiſten hingegen verſichern, daß ein Bein dieſes Rieſen drei Meilen lang geweſen ſey. Moſes war freilich ein und zwanzig Fuß und ſeine Lanze zehn Ellen lang; aber dennoch reichte er, wenn er dieſe Lanze auch fuͤnfzehn Fuß hoch in die Hoͤhe hob, damit kaum bis an die Knoͤchel des Og. Wie haͤtte ein ſo großer Mann in einem klei - nen, neun Ellen langen Bettchen wohl ſchlafen koͤnnen? Man ſieht, daß die Bibel nur Waſſer iſt gegen den Wein und den gewuͤrzten Wein der Miſchna und Gemara!
Die beiden, in Teufel verwandelten Engel Aſa und Aſael wurden von Gott mit Ketten gebunden und aus dem Himmel geſtuͤrzt, weil ſie nach den Toͤchtern der Menſchen luͤſtern waren, und zu hei - rathen begehrten. Von ihnen ſtammen die meiſten Seelen der Heiden her. Wie wahr ſpricht der ehr - liche Uz:
Waͤre keine Eva, und keine ihrer ſchoͤnen Toͤch - ter auf Erden geweſen; kein Teufel haͤtte um uns ſich bekuͤmmert; kein Engel waͤre von dem hochge -307 lobten, heiligen Gott aus dem Himmel verſtoßen! Warum mußte doch der Herr der Welt die Weiber erſchaffen? Gab es denn gar kein anderes Mittel als ſie, unſer jetzt mit Erbſuͤnde und Erbgrind be - laſtetes Geſchlecht fortzupflanzen? Aber was iſt auch das Leben ohne ſie? Jn aller Ewigkeit, wie die heiligen Engel, en Garçon leben zu muͤſſen, blos mit der lieben Muſik und dem Halleluja ſich die Zeit zu vertreiben, muß am Ende etwas lang - weilig werden. Wer wuͤrde wohl nicht gleich ihnen nach einer ſchoͤnen Tochter Eva’s ſich ſehnen? Selbſt unſere katholiſchen Pfarrer und Moͤnche, die doch noch heiliger ſind, als die Engel, empfinden ja zu Zeiten, beſonders im Fruͤhling, den allmaͤchtigen, ſuͤßen Trieb der Natur, der Alles beſeelt und be - lebt*)Dies und mehr von den Rieſen findet man im Emek Hammelech, Jalkut Chadaſch, Zeena Ureena in der Paraſcha Schelach Jecha u. ſ. w..
Von großen Thieren war ſchon fruͤher bei dem Gaſtmahle die Rede, welches der Meſſias dereinſt den Jſraeliten in Kanaan geben wird.
Der Rabbi Kimchi erzaͤhlt von dem Vogel Ziz, der ſo groß iſt, daß er die ganze Welt verfinſtert, wenn er ſeine Fluͤgel ausbreitet. Der heilige, hoch - gelobte Gott hat ihn bei der Schoͤpfung gleichfalls kapaunt; ob er aber zu dem ungeheuern Gaſtgebot des Meſſias wird gebraten werden, wiſſen wir nicht.
29 *308Der Rabba, des Channa Enkel, hat geſagt: » Jch ſahe ſelbſt einmal einen Froſch, der ſo groß war, wie das Dorf Akra in Agronien, welches ſechzig Haͤuſer enthaͤlt. Da kam eine Schlange und verſchluckte den Froſch; ſie aber wurde wieder von einem Raben verſchlungen, der ſich nachher auf einen Baum ſetzte. Siehe, wie groß muß der Baum geweſen ſeyn. « So groß wie die Luͤge! wuͤrden wir antworten, wenn nicht der Rabbi Papa, des Samuels Sohn, hinzuſetzte: ich bin dabei geweſen. Haͤtte ich es nicht mit meinen eigenen Augen geſe - hen, ſo glaubte ich es nicht*)Bava Bathra.. Uns, die wir es nicht geſehen haben, wird man das Glauben alſo erlaſſen.
Der Rabba, des Channa Enkel hat gleichfalls geſagt: Wir fuhren in einem Schiff und ſahen ei - nen Fiſch, in deſſen Naſe ein Wurm war, der Kibbith heißt, und die groͤßten Fiſche toͤdtet. Als dieſer Fiſch todt war, warfen ihn die Wogen ans Ufer. Sechzig Staͤdte wurden dadurch zertruͤmmert; ſechzig Staͤdte aßen von dem Fleiſch des Fiſches; ſechzig andre ſalzten davon ein, und von einem ſeiner Augapfel wurden dreihundert Tonnen mit Fett angefuͤllt. Als wir nach einem Jahre wieder ka - men, ſaͤgte man aus den Graͤten Bretter und Bal - ken, um die zerſtoͤrten Staͤdte wieder zu bauen.
Der Rabba, des Channa Enkel erzaͤhlt ferner:309 Wir fuhren einmal in einem Schiff, und ſahen einen Fiſch, deſſen Ruͤcken mit Sand und Erde be - deckt war, worauf Binſen wuchſen. Wir hielten es fuͤr feſtes Land, ſtiegen aus, und kochten und brieten darauf. Endlich ward das Feuer aber dem Fiſch zu heiß, er kehrte ſich um, und wir waͤren ohne Rettung ertrunken, waͤre nicht unſer Schiff in der Naͤhe geweſen.
Eben dieſer wahrhafte Mann, der Rabba, des Channa Enkel, hat geſagt: Wir fuhren einmal zu Schiffe drei Tage und drei Naͤchte lang zwiſchen den Floßfedern eines Fiſches. Er gieng aufwaͤrts, wir ſegelten niederwaͤrts und zwar ſo ſchnell, daß wir in kuͤrzerer Zeit, als man gebraucht, einen Topf mit Waſſer zu waͤrmen, neunzig Stunden zuruͤcklegten.
Endlich hat er geſagt: Wir fuhren einmal mit einem Schiff und ſahen einen Vogel, der bis an ſeine Schienbeine im Meer ſtand. Sein Kopf reichte bis an die Feſte des Himmels. Da ſprachen wir: dort iſt das Waſſer nicht tief; wir wollen hinein ſteigen und uns baden. Allein eine Stimme vom Himmel rief mir zu: Rabba, du Enkel des Chan - na, ſteiget dort nicht hinein; denn wo der Vogel ſteht, fiel einem Zimmermann vor ſieben Jahren eine eiſerne Axt in das Meer, und noch iſt ſie nicht bis auf den Grund gekommen. Wie lang muͤſſen die Beine und der Hals dieſes Vogels geweſen ſeyn!
310Der Raf Safra erzaͤhlt: Wir fuhren einſt zur See, und ein Fiſch ſtreckte ſeinen Kopf mit Hoͤrnern aus dem Meer. Auf den Hoͤrnern aber ſtand ge - ſchrieben: ich bin eines der kleinern Thiere des Meeres, denn meine Laͤnge betraͤgt nur dreihundert Meilen. Heute noch gehe ich in den Rachen des Leviathan, der mich verſchlingt*)Alle dieſe Abentheuer zu Waſſer findet man in dem Buche Bava Bathra..
Der Rabbi Jehuda Hindoa erzaͤhlt: Wir fuh - ren auf dem Meere, und ſahen einen Edelſtein, den eine Schlange ringfoͤrmig umgab. Als einer von uns ins Waſſer ſprang, um den Stein zu ho - len, wollte die Schlange das Schiff verſchlingen. Da flog aber das Weibchen eines Raben herbei, und biß der Schlange den Kopf ab: wovon das ganze Meer in Blut verwandelt ward. Hierauf kam die Geſellin der Schlange, nahm den Stein und hieng ihn ihrer todten Schweſter um den Hals, welche ſogleich wieder lebendig ward und das Schiff zum zweiten Male zu verſchlingen drohete. Ein Sperling aber biß ihr den Kopf ab, und jetzt nahm der Steuermann den Stein, und warf ihn ins Schiff. Wir hatten eingeſalzene Voͤgel bei uns; als der Edelſtein dieſe beruͤhrte, wurden ſie ploͤtzlich lebendig, und flogen mit dem Stein davon**)Bava Bathra..
Staͤrker, als der Erzvater Juda bruͤllte ein311 Loͤwe aus dem Walde Jlai oder Ela. Ein roͤmi - ſcher Kaiſer ſprach zu dem Rabbi Jehoſcha, des Chananja Sohn: Euer Gott wird einem Loͤwen ver - glichen: der Loͤwe bruͤllt, wer ſollte ſich nicht fuͤrch - ten*)Amos 3. V. 8.? Ein einziger Ritter toͤdtet aber ja einen Loͤwen; wie kann er denn ſo fuͤrchterlich ſeyn? Der Rabbi antwortete: es iſt kein gewoͤhnlicher Loͤwe, von dem der Prophet redet; ſondern jener, der im Walde Jlai wohnt. Als nun der Kaiſer dieſen Loͤ - wen zu ſehen begehrte, flehete Rabbi Jehoſcha ge - ſegneten Andenkens um Barmherzigkeit zu Gott, und bat den Loͤwen zu ſchicken. Da ward derſelbe aus dem Walde Jlai entlaſſen, und bruͤllte, als er vierhundert Meilen von dem Kaiſer entfernt war, zum erſten Mal, ſo daß alle Mauern der Stadt Rom einſtuͤrzten, und alle Schwangern zur Unzeit entbunden wurden. Der Loͤwe war noch dreihun - dert Meilen von Rom, da bruͤllte er zum zweiten Male, daß allen Leuten die Zaͤhne ausfielen**)Blos der Rabbi Jehoſcha behielt die ſeinigen., und der Kaiſer ſelbſt vom Thron ſtuͤrzte. Jch bitte dich, rief der erſchrockene Monarch, flehe zu Gott um Barmherzigkeit, daß er den Loͤwen in ſeinen Wald zuruͤck bringe, damit nicht das ganze Land umkomme***)M. ſ. das talmudiſche Buch Chollim..
312Nicht allein Bileams Eſel, auch jener des Rab - bi Chaninna ſprach: Dieſer gottesfuͤrchtige Eſel ward einmal von abgoͤttiſchen Raͤubern geſtohlen, und wollte daher weder freſſen noch ſaufen, wes - halb man ihn laufen ließ. Er kehrte gerades We - ges zu ſeinem Herrn zuruͤck, und rief, als ihm die - ſer entgegen kam, voll Freude ihm zu: mein Vater! mein Vater! Rabbi Chaninna freuete ſich gleichfalls herzlich uͤber den wieder gefundenen Sohn, gab ihm zu eſſen und zu trinken, und der Eſel ſpeiste mit großem Appetit*)M. ſ. das Buch Avoth des Rabbi Nathan..
Das Pflanzenreich der Juden iſt eben ſo rie - ſenmaͤßig, wie ihr Thierreich. Der Rabbi Simeon, des Takalika Sohn, erbte von ſeinem Vater einen Kohlſtrauch, und mußte mit ſeinen Geſchwiſtern auf einer großen Leiter hinauf ſteigen, um die Blaͤtter zu brechen. — Dem Rabbi Joſeph hinterließ ſein Vater drei Aeſte der Staude eines Senfkoͤrnchens. Als einer derſelben geſpalten und ausgedroſchen war, hatte man neun Rab (zweihundert und ſechzehn Eier - ſchalen voll) Senfkoͤrner, und von dem Holze die - ſes einzelnen Aſtes wurde ein großes Haus gebauet. — Ein Fuchs machte ſich einſt ein Lager in einer Ruͤbe und bekam Junge darin. Dieſe Ruͤbe war ganz voll Hoͤhlen und Gaͤnge, welche der Fuchs ſich ge - woͤlbt hatte, und dennoch wog ſie ſechzig Pfund313 nach Cypriſchem Gewicht, welches weit ſtaͤrker iſt, als das Koͤlniſche*)M. ſ. im Talmud das Buch Kethupoth..
Jn der großen Stadt Rom ſind dreihundert fuͤnf und ſechzig Gaſſen, und in jeder Gaſſe ſind dreihundert fuͤnf und ſechzig Palaͤſte, und in jedem Palaſt ſind dreihundert fuͤnf und ſechzig Stufen, und auf jeder Stufe ſtehen dreihundert fuͤnf und ſechzig Tiſche, und auf jedem Tiſch iſt ſo viel Speiſe und Trank, daß die ganze Welt damit ernaͤhrt werden koͤnnte**)Peſachim..
Der Rabbi Joſe geſegneten Andenkens hat ge - ſagt: ich habe die Stadt Zippore in ihrem gluͤckli - chen Zuſtande geſehen. Es waren dort hundert und achtzigtauſend Gaſſen, die blos von ſolchen Leuten bewohnt wurden, welche ſich mit dem Ver - kauf einer gewiſſen Speiſe, Zike Kedera genannt, beſchaͤftigten***)Bava Bathra..
Und nun frage ich meine Leſer, ob wohl ein verlogeneres, unvernuͤnftigeres und leichtglaͤubigeres Volk auf Erden gefunden werden kann, als die Juden? Ob ein Volk, wie dieſes, auch nur im Mindeſten Glauben verdient, und ob nicht Jeder, der den entfernteſten Anſpruch auf Menſchenverſtand macht, Alles in Zweifel ziehen muß, was von den314 eben ſo luͤgenhaften, als leichtglaͤubigen Juden be - richtet wird?
Alle Voͤlker und alle Zeiten, die von dem Himmel in Ruͤckſicht der Glaͤubigkeit und — Geiſt - lichkeit nicht ganz vernachlaͤßigt wurden, haben Wunder und Wunderthaͤter und eine Menge von Narren gehabt, die den frommen Gaunern und Schelmen glaͤubig nachliefen. Wo ein Aas iſt, ſagt unſer Erloͤſer, da ſammeln ſich die Adler. Sahen wir doch vor Kurzem noch in einem ſehr gebildeten Lande einen ſolchen geiſtlichen Wunderthaͤter aus fuͤrſtlichem Gebluͤt, der Blinden das Geſicht, Tau - ben das Gehoͤr, Stummen die Sprache gab, und einen betraͤchtlichen Anhang gewann. Allein die Wunder und Wunderdinge der Juden ſind wahr - lich ſo ungeheuer, daß ſie ſelbſt das glaͤubigſte Ge - muͤth nicht zu faſſen vermag. Ueberhaupt ſehe ich nicht ein, mit welchem Recht man die Wunder ei - nes Apollonius von Thyana und anderer Heiden leugnen, und dagegen den Maͤhrchen der verlogenen Juden Glauben ſchenken will? Geſchichtlich haben jene eben ſo viel, und in Hinſicht auf die Zuver - laͤßigkeit der Zeugen weit mehr fuͤr ſich, als dieſe. Noch befremdender iſt es, daß gerade diejenigen, welche mit ſo feſter Ueberzeugung Alles als wahr annehmen, was die Juden von abentheuerlichen und wundervollen Dingen berichten, die Wunderſagen der katholiſchen Kirche verwerfen. Jch bin kein Ka - tholik; ich bin Proteſtant; aber dennoch finde ich315 es hoͤchſt ungerecht, ja ſogar unchriſtlich, den al - bernen Maͤhrchen der verlogenen Juden vor den Legenden meiner chriſtlichen Mitbruͤder den Vorzug zu geben.
Die Prieſter aller poſitiven Religionen berufen ſich auf Wunder und Wunderdinge, wodurch ihre Lehre beſtaͤtigt ſeyn ſoll; daher koͤnnen auch dieſe Wunderſagen fuͤr keine einzige etwas beweiſen, und um ſo weniger beweiſen, weil nicht die behaup - teten Wunder, ſondern Feuer und Schwert es wa - ren, wodurch alle poſitive Religionen ausgebreitet wurden. Leider war dies, wie die Geſchichte uns lehrt, auch mit dem Chriſtenthum, (ſo wie es jetzt iſt, nicht wie es nach der erhabenen Abſicht unſers goͤttlichen Heilandes ſeyn ſollte,) der Fall. Feuer und Schwert hießen die Apoſtel des Chriſtenthums, zu den Zeiten Konſtantins und Karls des Großen; Feuer und Schwert hießen ſie, in Peru und Me - riko; Feuer und Schwert in allen Theilen der Welt, wohin die Chriſten kamen, um die ungluͤcklichen Heiden zu bekehren, zu unterjochen und zu berau - ben. Feuer und Schwert waren die Mittel, womit die Chriſten ſelbſt ſich unter einander in allen Laͤn - dern Europa’s belehrten, und lieber wuͤrde noch jetzt das Reich der Finſterniß zu jenen Mitteln, als zu albernen Wundermaͤhrchen greifen, wenn es nicht zu ohnmaͤchtig ſich fuͤhlte.
Doch ich kehre zu unſern iſraelitiſchen Freun - den zuruͤck.
316Faſt eben ſo abentheuerlich, wie ihre Beſchrei - bungen von den großen Staͤdten Rom und Zippore lauten die Erzaͤhlungen der Juden von den Laͤn - dern, in denen ſie noch eigene ſelbſtſtaͤndige Staaten zu bilden glauben.
» Das vorzuͤglichſte unter dieſen Laͤndern, wel - che man freilich auf keiner Landkarte findet, wird vom Strome Sabbathjon umfloſſen, der kein Waſ - ſer enthaͤlt, ſondern mit ſtuͤrmiſchem Brauſen Sand und ungeheure Felſenſtuͤcke, wie Meereswogen fort - waͤlzt. Das Land bildet ein Viereck, iſt drei Mo - natreiſen lang, eben ſo breit und wird von den Nachkommen Moſis bewohnt. Nur ſechs Tage der Woche dauert das Getoͤſe des Sabbathjon, denn am ſiebenten ruhet er, und beginnt erſt am Abend des Sabbaths wieder zu brauſen und Sand und Steine zu waͤlzen. Waͤhrend ſeiner Ruhezeit erhebt ſich rings an ſeinen Geſtaden ein Feuer, von dem Alles verzehrt wird, was in der Naͤhe waͤchst. Die Einwohner, lauter Juden, haben Haͤuſer von Diamanten und Perlen; ihre Berge beſtehen ganz aus dem ſchoͤnſten, reinſten Golde und aus Edel - geſteinen; ihr Land iſt voll der koͤſtlichſten Speiſen und Gewuͤrze; allenthalben fließen Stroͤme und Baͤche von Wein, Milch und Honig. Auch hat man einen Ueberfluß an vortrefflichem Wild, Gefluͤgel und Fiſchen. Uebrigens gedeiht kein giftiges Thier in dieſem iſraelitiſchen Eldorado, und was in einem ganz von Juden bewohnten Lande ein faſt unglaub -317 liches Wunder iſt, keine einzige Laus findet man hier. Die Einwohner ſind alle ſehr hochgebildete Menſchen, und wiſſen ſaͤmmtlich das Geſetz Moſis, die Miſchna und die Gemara auswendig. Jhre Zahl iſt ſtaͤrker, als die des Sandes am Meer; und ſie kleiden ſich in die herrlichſten Stoffe von Seide, Gold und Silber.
Auf der andern Seite des Fluſſes Sabbathjon wohnen die vier Staͤmme Dan, Naphthali, Gad und Jſaſchar zwiſchen den Fluͤſſen des Mohrenlan - des in eben ſo paradieſiſchen Laͤndern. Dieſe vier Staͤmme treiben oft ihr Vieh zum Fluße Sabbath - jon, um ihre Schafe zu ſcheeren. Dann rufen ihre Bruͤder vom Geſchlecht Moſes ihnen zu: Jhr Bruͤ - der, Jhr Staͤmme Jeſchuron, laßt uns eure Ka - meele, eure Roſſe und Eſel ſehen. Wie hoch iſt dies Kameel? Wie lang ſein Hals, wie kurz ſein Schwanz und ſo unterhalten ſie ſich.
Die Kinder Moſis wurden auf folgende wun - derbare Weiſe von dem hochgelobten, heiligen Gott in das Land Sabbathjon verſetzt. Nach der Zer - ſtoͤrung des erſten Tempels, als man die Jſraeli - ten nach Babel gefuͤhrt hatte, verlangten die Chal - daͤer von den Nachkommen des Moſes, die große Tonkuͤnſtler waren, ihnen ein Liedchen zu ſpielen. Dieſe aber fiengen an, vor dem Gott ihrer Vaͤter zu heulen, zu jammern und zu weinen, und zer - ſchlugen ihre Finger, mit denen ſie im Tempel Muſik gemacht hatten, um nicht vor den abgoͤtti -318 ſchen Chaldaͤern ſpielen zu muͤſſen. Die Chaldaͤer hieruͤber erbittert, wollten die ſich Weigernden um - bringen. Siehe, da kam eine Wolke, nahm die Kinder Moſis, nachdem ſie zuvor ihren Feinden alle goldene und ſilberne Geraͤthe entwandt hatten, mit ihren Zelten und ihrem Vieh hinweg, und fuͤhrte ſie bei Nacht und Nebel in das Land Chavila. Die Chaldaͤer ſetzten den Wunderbargefluchteten nach, um ſie zuruͤck zu holen; allein es entſtand ein fuͤrch - terliches Erdbeben; der Sabbathjon brauste und wogte mit Steinen und Felſen und verſchlang das ganze Heer der verfolgenden Feinde.
Der Koͤnig dieſes Landes iſt der maͤchtigſte unter allen Monarchen der Welt. Wenn er aus - reutet, beſteigt er ſein Roß auf einer goldenen, mit Edelgeſteinen beſetzten Leiter von ſieben Stufen, und eine Leibwache zu Pferde von hundert und fuͤnfzigtauſend Mann nebſt einem unzaͤhlbaren Heer von Fußgaͤngern begleitet ihn. Alle ſind wohl ge - panzert, und das ſchwerſte Geſchuͤtz prallt, wie leichte Erbſen, von ihren Harniſchen ab. Jhre Pferde beißen und ſchlagen von hinten und vorne; wer es ſieht und hoͤrt, den uͤberfaͤllt Grauen und Entſetzen. Dieſe ſchrecklichen Roſſe werden blos mit Wein ge - traͤnkt, und mit feinem Haͤckerling von Schoͤpſen - fleiſch gefuͤttert. Wenn man ſie beſteigen will, wer - den ihnen die Augen verbunden und die Fuͤße mit eiſernen Ketten an Saͤulen, die tief in der Erde ſtecken, gefeſſelt. Nachher ſchließt man die Fuͤße319 der Reuter mit einem Schloß an die Pferde, da - mit ſie nicht herunter fallen, wenn ſie ſtark galop - piren*)Eine Vorſicht, die um ſo noͤthiger iſt, da die Ju - den bekanntlich ſchlechte Reuter ſind.. Jn ihren Mantelſaͤcken, die hinter ihnen auf den Pferden befeſtigt ſind, haben ſie immer die ausgeſuchteſten Speiſen und den koͤſtlichſten Wein. Sie ziehen vier Mal aufs Jahr uͤber den Sabbath - jon in den Krieg gegen den Preſte Jan (Prieſter Joͤhannes) und bringen jedes Mal tauſendmal tau - ſend von ſeinen Leuten und eben ſo viel von den weißen Mohren um. Jhnen kann nichts widerſtehen. Jhre Bogen ſind vom feinſten Golde, und die Saiten, womit man ſie ſpannt, von Ochſenadern. Die Pfeile ſind von gewoͤhnlichem Holz, aber vorne iſt eine eiſerne Spitze mit drei Schneiden, jede vier Finger breit, und mit toͤdtlichem Gift beſtrichen. Wer einen dieſer Pfeile nur beruͤhrt, muß ſterben. Das Schwert des Koͤnigs iſt drei Ellen, und der Handgriff zehn Zoll lang. Die Breite der Klinge betraͤgt drei Zoll. Der Koͤnig allein jagt achthun - dert Mann Feinde in die Flucht, und zieht ſein Schwert nie, ohne es mit Blut bedeckt wieder in die Scheide zu ſtecken. Es iſt ſechs Ellen lang, jede Elle zu ſechs Spannen gerechnet, und ſchlaͤgt Alles zu Boden, was ſich ihm widerſetzt. Das Fußvolk iſt mit Spießen bewaffnet, womit es die feindlichen Reuter aus dem Sattel hebt, und hinter ſich wirft. 320Wenn der ſchwaͤchſte juͤdiſche Knabe den ſtaͤrkſten Mann von Preſte Jans Leuten herausfodert, ſo zahlt der Gefoderte ſo viel an Gold, als er wiegt, damit man ihn nur in Ruhe laſſe. Die Juden pluͤndern und rauben Alles im Lande ihrer Feinde, was ihnen vorkoͤmmt, und zerſtoͤren Land und Leu - te, bis man ihnen Tribut giebt; dann kehren ſie mit Frieden uͤber den Sabbathjon heim.
Nach andern Nachrichten ſind es vier und zwanzig Koͤnigreiche, die blos von Juden bewohnt werden. Jedes derſelben hat ſeinen beſondern Koͤ - nig, und alle zuſammen ſtehen unter einem oberſten Koͤnig, der zur Zeit des Rabbi Gerſon, welcher ſelbſt dort war, Elieſer hieß. Ein anderer Juden - koͤnig, den Rabbi Gerſon ſahe, hieß der fromme Daniel, war gleichfalls von rieſenmaͤßiger Groͤße und ſchlug mit Einer Hand tauſend Mann in die Flucht. Er wohnte in der Stadt Dam Esroach, und war, bei all’ ſeiner Staͤrke und Tapferkeit, ein ſehr gnaͤdiger und ſanftmuͤthiger Herr.
Die Beſchreibungen des Flußes Rabbathjon lauten nicht ganz uͤbereinſtimmend. Vorhin ward bemerkt, daß dieſer Fluß kein Waſſer enthalte. Andere verſichern, ſein Waſſer ſey heilſam gegen den Grind, gegen Feuermaͤhler und dergleichen, und werde deshalb von den anwohnenden Voͤlkern fuͤr heilig gehalten. » Der Sabbathjon iſt ſiebzehn Mei - len breit, ſagt Rabbi Benjamin. Er wirft die ganze Woche Steine, wie ein Haus hoch in die Luft. Sein321Sein Brauſen hoͤrt man zwei Tagereiſen weit. Am Freitage, zwei Stunden vor Einbruch der Nacht, ruhet er und trocknet ganz aus. Es bleibt dann kein Kieſelchen zuruͤck, ſondern ein feiner ſchoͤner Sand, weis und glaͤnzend wie Schnee. Zu Ende des Sabbaths faͤngt er wieder zu brauſen und zu toben an: Wenn er am Freitage zwei Stunden vor Anbruch des Sabbaths ruhet, ziehen die Juden hin - uͤber, um die Laͤnder des Preſte Jan und die weiſ - ſen Mohren zu bekriegen, in deren Gebiet ſie dann den Sabbath feiern. Nichts fehlt dieſem herrlichen Lande der Jſraeliten, als Eiſen, denn der Centner deſſelben wird mit einem Centner Goldes bezahlt. Leider, werden alle Cutheer (Chriſten), die uͤber den Sabbathjon kommen, augenblicklich von den Jſraeliten umgebracht*)Daher uͤbergehen auch alle chriſtliche Erd - und Reiſe - beſchreiber das juͤdiſche Eldorado mit Stillſchweigen., und blos Jſmaeliten zu - gelaſſen; ſonſt koͤnnten die Englaͤnder einen ſehr vortheilhaften Tauſchhandel mit Eiſen gegen Gold dort anlegen**)Ueber die vielen und großen, noch bluͤhenden Staa - ten der Juden ſehe man R. Gerſons deutſchhebraͤi - ſches Buch Geliloth erez Jisrael und R. Benjamins Reiſebeſchreibung Maſſaoth ſchel Benjamin, aus denen auch dieſe Nachrichten entlehnt ſind.. Wahrſcheinlich werden ſie ſich aber kuͤnftig ihrer Freunde und Bundesgenoſſen, der Tuͤr - ken, als Spediteurs und Zwiſchenhaͤndler bedienen.
30322Von dieſen paradieſiſchen Laͤndern der Jfraeli - ten ließe ſich noch viel Schoͤnes berichten; allein ich hoffe, daß mein ſehr werther Freund, Herr Pfar - rer Lutz zu Laͤufelfingen*)Herr Pfarrer Lutz iſt der Leſewelt gewiß eben ſo ſehr durch ſeine klaſſiſchen und zahlreichen Schriften, als durch einen gelehrten Streit mit Herrn Pro - feſſor Guͤgler in Luzern bekannt. Herr Lutz hatte nemlich vor einigen Jahren, wie Herr Guͤgler er - zaͤhlt, aus dem Kanton Baſel in die eidgenoͤſſiſche Stadt und Republik Luzern hinein gep — kelt, und der Herr Profeſſor, dem etwas davon in die Peruͤcke und auf ſeinen Sonntagsrock gekommen war, ſuchte deshalb in einem dicken Buche unter der Aufſchrift: Markus Lutz zu Laͤufelfingen ſecirt und anatomirt, zu beweiſen, daß der reformirte Herr Pfarrer Lutz kein aͤchter katholiſcher Chriſt, und folglich weder ein guter Styliſt, noch ein zuver - laͤßiger Geſchichtſchreiber ſey. Herr Profeſſor Guͤg - ler bewies aber zugleich, was er vielleicht nicht be - weiſen wollte, daß zum ſatyriſchen Schriftſteller etwas anders gehoͤrt, als blos ein ſtolzer, eingebildeter Schulfuchs zu ſeyn, und daß der Witz, ein muth - williges Kind, ſich vor denen am liebſten verſteckt, die am eifrigſten darnach haſchen und ſuchen. Ue - brigens ſey, durch das Beiſpiel des Herrn Pfarrers Lutz Jedermann gewarnt, ſich der eidgenoͤſſiſchen Republik Luzern nicht als Nachtgeſchirr zu bedienen, denn wie leicht kann man nicht einem hochwohlge - bornen Junker, einem hochwuͤrdigen Pfaffen und einem hochgeachteten Herrn Profeſſor auf den Sonn - tagsrock und auf den Kopf p — keln!, im Kanton Baſel, naͤchſtens ein topographiſch-ſtatiſtiſches Woͤrterbuch von dem Eldorado der Juden, nebſt einem vollſtaͤn - digen Nekrolog aller dort geſtorbenen ausgezeichne - ten Helden, Staatsmaͤnner, Gelehrten, Rabbiner ꝛc. herausgeben wird, und ich will ihm alſo nicht vorgreifen. Sollten vielleicht in dem Woͤrterbuch323 ein paar hundert Staͤdte, Flecken und Doͤrfer mehr vorkommen, als in dem Laͤnde enthalten ſind, und auch in dem Nekrolog einige Dutzend Todte auf - gefuͤhrt werden, die ſich noch unter den Lebendigen befinden; ſo ſchadet dies beiden Buͤchern durchaus nichts; denn Werke der Art koͤnnen nie zu voll - ſtaͤndig ſeyn.
Die in dem erſten Buch Moſis enthaltenen Nachrichten von dem hohen Alter der Urvaͤter des Menſchengeſchlechts, die Vielen unglaublich und wunderbar duͤnken, duͤrfen uns gar nicht befremden. Wir haben durch mancherlei kuͤnſtliche und zweck - maͤßige Mittel das Leben in einen ſehr kurzen, ge - draͤngten Auszug gebracht, der ſich gegen die Le - benszeit jener Urvaͤter gerade ſo verhaͤlt, wie Luthers kleiner Katechismus gegen die Bibel, oder wie das Dichtergenie eines Auguſt Kuhn (Aaron Kohn) gegen das Genie eines Schiller, Goͤthe, Muͤllner oder Byron. Wie ſehr haben ſich nicht die Men - ſchen ſeit vierzig Jahren geaͤndert! Unſere Knaben, wenn ſie das A B C noch nicht wiſſen, tragen ſchon Brillen. Jm ſechsten Jahr bekommen ſie Haͤmorr - hoiden, im ſiebenten das Podagra; im achten wer - den ſie hypochondriſch; im neunten reden ſie von weiblichen Geheimniſſen und Eheſtandsſachen kluͤger und erfahrner, wie Albertus Magnus; im zehnten ſind ſie ſterblich verliebt; im eilften wollen ſie hei - rathen. Kaum ſind ſie zu Gottes Tiſche geweſen, ſo werden ſie Herr Doktor, und wollen wie Karl30 *324Witte, der Wunderbalg, akademiſche Vorleſungen halten. Jm ſechszehnten falliren ſie das erſte, und im achtzehnten das zweite Mal; im neunzehnten werden ſie Greiſe; im zwanzigſten gelangen ſie zu hohen Aemtern und Wuͤrden. Jm zwei und zwan - zigſten ſind ſie des Lebens ſatt und uͤberdruͤßig; im drei und zwanzigſten werden ſie wieder kindiſch, und vom vier und zwanzigſten bis zum fuͤnf und zwanzigſten Jahre ſterben ſie an Entkraͤftung und Alterſchwaͤche.
Obgleich wir alſo gerne zugeben, daß die Men - ſchen der Urzeit ein viel hoͤheres Alter erreichen mochten, als wir; ſo ſpielen doch jene Erzaͤhlungen von der langen Lebensdauer unſerer erſtern Stamm - vaͤter zu ſehr in das Orientaliſchwunderbare hinein, als daß wir ſie mit den Geſetzen der Natur ver - einbarlich finden koͤnnten. Mit dem Wort Jahr verband man in der hebraͤiſchen Sprache wahrſchein - lich ſehr verſchiedene Begriffe, und daher erklaͤrt es ſich leicht, daß Vaͤter, die fuͤnfhundert und meh - rere Jahre alt wurden, Soͤhne und Enkel hatten, die kaum ihr achtzigſtes oder hundertſtes Jahr er - reichten. Ueberhaupt muͤſſen wir die moſaiſchen Buͤcher, beſonders das erſte, als eine Sammlung morgenlaͤndiſcher Mythen betrachten, die durchaus nicht woͤrtlich zu nehmen ſind. » Nicht blos der Aufzeichner, ſagt Eichhorn, ſondern ſchon Jahr - hunderte vor ihm betrachteten alle Begebenheiten im Nebel der vergangenen Zeit. Stellt die Einbil - dungskraft jetzt noch, wo ihr doch die Fluͤgel durch eine philoſophiſche Sprache ſtark beſchnitten ſind, alles Vergangene groͤßer, praͤchtiger und herrlicher vor; wie weit mehr in den aͤltern Zeiten, wo man der Einbildungskraft weit freiern Spielraum gab, und ſie fliegen ließ, wie und wie weit ſie wollte. Was Wunder nun, wenn die aͤltern Zeiten in lau - ter goldenen Farben erſcheinen, oder mit Hunder -325 ten und Tauſenden, wie mit Einheiten ſpielen? Und wenn wir erſt in der Ge - ſchichte eines Stammvaters das Schick - ſal ſeines Geſchlechts, wie es ſich Jahr - hunderte hinab allmaͤhlig fort entwickelt hat, ſchon anticipirt finden, und er zu befehlen und zu weiſſagen ſcheint, wozu erſt Zeit und individuelle Lage daſſelbe beſtimmen konnten: dann ſtaunen wir, und denken ſelten, daß es Zeitbeduͤrfniß war, an Einen Namen anzuketten, was ſich irgend an ihn haͤngen ließ, nur um dem Gedaͤchtniß ſeine Laſten zu erleich - tern, nicht um zu luͤgen und die Nachwelt zu betruͤgen*)M. ſ. Eichhorns Einleitung in das alte Teſtament, 2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.. So urtheilt ein geiſtreicher, tief in Geſchichte und Sprache der Vorwelt einge - weihter Mann, und gehen wir von dieſen vernuͤnf - tigen Grundſaͤtzen aus, ſo wird uns Manches, was uns ſehr wunderbar und abentheuerlich duͤnkt, aͤuſ - ſerſt einfach und natuͤrlich erſcheinen. Uebrigens hatte, wie Eichhorn und andere große Maͤnner be - wieſen haben, das alte Teſtament das traurige Schickſal der meiſten Bucher des neuen. Es ward durch fremde ſpaͤtere Zuſaͤtze und Weglaſſungen von den Juden haͤufig entſtellt. Unter dem Vorwande, veraltete und unverſtaͤndliche Worte mit zeitgemaͤſ - ſern und verſtaͤndlichern zu vertauſchen, ſchob man oft einen ganz andern, von dem urſpruͤnglichen weſentlich verſchiedenen Jnhalt in den Grundtext, und im Laufe der Zeit ſchlichen ſich auch die Rand - gloſſen der Abſchreiber mit hinein. Auf ſolche Weiſe kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber - nes in dieſe heiligen Buͤcher, von dem ſie fruͤher gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor - geben jener Maͤnner ſey, zeigt die große Verſchie -326 denheit der Sprache und des Styls, die ſie entdeckt haben.
Daher uͤbergehe ich ganz die Menge von wun - derbaren Geſchichten und Sagen des alten Teſta - ments. Nur ein leichtſinniger Spoͤtter kann dies heilige Buch, in dem wir ſo viel Gutes, Schoͤnes und Goͤttliches finden, frevelhaft hoͤhnend herab - wuͤrdigen, weil es ihm unmoͤglich iſt, ſich in den Geiſt der orientaliſchen Vorwelt und Dichtung zu verſetzen, und weil er zu wenig geſchichtliche und Sprachkenntniſſe beſitzt, um neuere Einſchiebſel und Entſtellungen von dem Urtext zu ſondern. Wer ſich durch die Schriften gelehrter und geiſtvoller Maͤn - ner, eines Jeruſalem, Teller, Herder, Eichhorn, Paulus, Stolz, de Wette u. a. zu belehren ſucht, der handelt wahrlich vernuͤnftiger und kluͤger, als jener, der nach unzuverlaͤßigen Ueberſetzungen, de - ren Verfaſſer oft kaum ihre Mutterſprache, geſchwei - ge denn eine aͤltere verſtanden, den Jnhalt der heiligen Schrift beurtheilen und ihn vielleicht gar verſpotten will.
Von den Juden, denen wir ſo Manches ver - danken, was wir fuͤglich entbehren koͤnnten, ſtam - men auch die Ordalien oder Gottesurtheile unſerer Vorfahren her. Wir kennen von den iſraelitiſchen Ordalien eigentlich nur eines, das verfluchte Eiferwaſſer oder Bitterwaſſer, von welchem im 4ten Buch Moſ. Kap. 5. V. 11. u. ff. die Rede iſt. Wenn nemlich ein Mann gegen ſeine Gattin den Verdacht der Untreue hegte, ſo mußte er ſie, nach der Verordnung des Geſetzgebers, zu einem Prieſter fuͤhren, der ihr unter fuͤrchterlichen Be - ſchwoͤrungen, ein bitteres Waſſer zu trinken gab. Blieb ſie nach dem Genuß dieſes Waſſers geſund, ſo ſollte ſie fuͤr unſchuldig gehalten werden; ward ſie hingegen krank, ſo galt es fuͤr einen Beweis ehelicher Untreue. Dieſe Ordalie iſt ganz im Geiſte327 der Morgenlaͤnder, welche ihre Weiber mit tyran - niſcher Willkuͤhr beherrſchen. Ob Moſes ſie einfuͤhrte oder nicht, kann ich nicht beurtheilen; daß aber das verfluchte Bitterwaſſer, ſelbſt auf die Ge - ſundheit ſolcher Frauen, die ſich durchaus unſchul - dig fuͤhlten, eine ſehr nachtheilige Wirkung haben mußte, laͤßt ſich begreifen. Man ſtelle ſich in die Lage eines fein empfindenden Weibes, welches ſei - ner Tugend ſich bewußt, von einem tyranniſchen Wuſtling zu einer ſchimpflichen Keuſchheitsprobe oͤf - fentlich hingeſchleppt wird; man denke ſich hiezu noch die bewegliche, lebhafte Phantaſie der Mor - genlaͤnderinnen, die ſich auch eine nicht drohende Gefahr, als wirklich und furchtbar drohend vorſtellte; ſollten einem ſo ungluͤcklichen Geſchoͤpf nicht unter jeder Bedingung, wenn gleich nicht der Genuß des Waſſers, doch die Angſt, der Gram und die Mißhandlungen ſehr geſchadet haben? Da die Prieſter in beſtaͤndigem Verkehr mit dem hoͤch - ſten Weſen ſtanden, ſo wundert es uns, daß man nicht lieber, ſtatt das Bitterwaſſer zu gebrauchen, Gott ſelbſt uͤber die Keuſchheit der in Verdacht ge - rathenen Frauen befragte! Allein dem ſey, wie ihm wolle! Unſere lieben Weiberchen koͤnnen ſich freuen, daß das Rezept zu dem Bitterwaſſer bei der Zerſtoͤrung Jeruſalems verloren gieng. Es war ein verfluchtes Waſſer!
Die Chriſten fuͤhrten nach dem Beiſpiele dieſes juͤdiſchen Gottesurtheils Ordalien anderer Art ein, wie z. B. die Feuer - und Waſſerproben. Ob ſie eben ſo zuverlaͤßig, als kraͤftig waren, moͤge dahin geſtellt ſeyn. Emma, die Mutter Eduards des Bekenners von England, ward einſt des Ehebruchs mit einem Biſchofe beſchuldigt, und da Englands gekroͤnte Haͤupter bekanntlich in dieſem Ehrenpunkt etwas kitzlich ſind, ſo mußte die gute Emma ſich entſchließen, mit vollem Tritt uͤber neun gluͤhende328 Pflugeiſen zu gehen. Mehrere Biſchoͤfe waren als Zeugen gegenwaͤrtig, und die Koͤnigin beſtand ihre Probe ſehr gut*)M. ſ. Joh. Christ. Becmanni Diss. de Judiciis Dei, wo man ſehr viel uͤber dieſen Gegenſtand findet.. Ob ſie bei eben ſo viel Unſchuld ſich die Fuͤße nicht verbrannt haͤtte, wenn ihr an - geblicher Liebhaber kein Biſchof und auch keine Bi - ſchoͤfe zugegen geweſen waͤren, iſt eine andere Frage. Die Waſſerproben erhielten ſich als gerichtliche Or - dalien bei den Chriſten am laͤngſten, und kamen erſt mit den Hexenprozeſſen außer Gebrauch.
Um dieſen Abſchnitt von juͤdiſchen Wundern und Wunderdingen nicht mit chriſtlichen Hexen zu ſchlieſ - ſen, theile ich, zur Warnung fuͤr alle Freigeiſter und Spoͤtter, noch eine wahrhafte Geſchichte von Titus, dem Erzfeinde der Juden, mit. Dieſer ſprach nach der Zerſtoͤrung Jeruſalems einſt zu ei - nigen frommen Jſraeliten: » Euer Gott iſt wohl nur ein Waſſergott; darum ließ er den Pharao und Siſſera erſaufen. Jſt er zu Lande ſo maͤchtig, wie ihr ſagt, ſo komme er aufs Trockene und kriege mit mir. « Da rief eine Stimme vom Himmel: gottlo - ſer Titus, ich habe ein kleines Thierchen, eine Muͤcke, die ſoll mit dir kriegen. Die Muͤcke kroch ihm hierauf in die Naſe, bohrte ſieben Jahre lang große Loͤcher in ſein Gehirn, und als man nach ſeinem Tode die Hirnſchale oͤffnete, war die Muͤcke ſo groß, wie eine Taube, und zwei Pfund ſchwer: Jhr Maul war von Kupfer, und ihre Klauen von Eiſen, man kann alſo leicht denken, welche Zerſtoͤ - rungen ſie in dem kaiſerlichen Gehirn anrichten mußte**)M. ſ. den talmudiſchen Traktat Gittin; Vereſchith Rabba, Paraſcha 10 und Medraſch Koheloth..
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Fraktur
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