Beides, ihre Kunſt und ihr Leben war bei ihnen in ein Werk eines Gußes zu - ſammengeſchmolzen, und in dieſer innigen, ſtärkenden Vereinigung ging ihr Daſeyn einen deſto feſteren, ſicheren Gang durch die flüchtige umgebende Welt hindurch.(W. H. Wackenroder.)
Was ich bei Abfaſſung nachſtehender Blätter bezweckte, habe ich in der Einleitung zu den - ſelben meinen Leſern geſagt, und ſo bleibt mir nur noch übrig, die Quellen zu nennen, aus denen ich ſchöpfte.
Die vorzüglichſten derſelben ſind, außer Karl von Mander's Werk: Het Leven der Doorluchtighe Nederlandtsche on hoogduyt - sche Schilders, noch: Sandrart's Kunſt - Akademie, Fuesli's Künſtler-Lexikon, Des - campes vies des Peintres flamands, von Murr's Kunſt-Journal, und bei der Abfaſ - ſung von Hemling's Leben einige der ſehr reichhaltigen Noten zu dem Kunſt-Romane: Ursule, Princesse britannique, vom Herrn von Kevernberg.
Sodann verdanke ich Manches noch, ein - zelnen, in andern Büchern verſtreuten Bemer - kungen, die ich nicht alle namentlich aufführen kann; ſehr Vieles den gütigen Mittheilungen kunſtliebender Freunde, vor Allen Herrn Sul - pize Boiſſerée und deſſen Hinweiſungen auf einzelne Aufſätze, welche in dem, das Mor - genblatt begleitenden Kunſtblatte zu finden ſind, und theils Herrn Boiſſerée, theils Herrn Doktor Schorn zu Verfaſſern haben.
Uebrigens bin ich mir wohl bewußt, den reichhaltigen Stoff bei weitem nicht erſchöpft zu haben. Möge eine geübtere Hand bald die Feder ergreifen, um das Fehlende zu ergänzen, mögen einſtweilen dieſe Blätter mit ſo viel gutem Willen aufgenommen werden, als ich ſie ſammlete und gab.
Weimar, im Mai 1821.Johanna Schopenhauer.
Ein ſchöner Tag iſt hell und klar angebrochen, bei deſſen Licht wir uns, unſre Umgebungen, ja ich möchte ſagen, das Vaterhaus, nach langer Ver - blendung wieder erkennen. Die Scheinglorie, welche noch vor wenigen Jahrzehnden alles Aus - ländiſche unſern Augen umſtralte, täuſcht uns täglich weniger, und der geiſtig untergeordnete Zuſtand, in den zuerſt eigne Schwäche und fremde Verführung, ſpäter Alles verhöhnende Gewalt uns verſetzte, iſt auf immer überwunden. Wir ſind darum nicht un - gerecht, wir ehren auch fremdes Verdienſt; aber wir fühlen mit frohem Stolze, daß der Deutſche in Allem was den Menſchen erhebt, in jeder Wiſſen -12ſchaft wie in jeder Kunſt, ſich, ohne zu erröthen, neben alle gebildete Völker des Erdbodens ſtellen darf, und es ſchon ſeit Jahrhunderten durfte. Herzliche, ſonſt weniger deutlich empfundene Liebe zu deutſcher Art und Kunſt iſt unter uns erwacht, mit ihr ein rühmliches Streben Allem nachzuforſchen was die letzte dunkle undankbare Zeit mit ſich in Schutt und Trümmer hinabriß.
Dieſes Wiedererwachen zum lebendigen Gefühl unſres beſſern Daſeyns verdankten wir anfangs nur wenigen hochherzigen, talentvollen, unterrichteten Männern, deren Zahl ſich aber täglich vermehrte. Seit kaum zwanzig Jahren bieten ſie einander überall in Deutſchland zum rühmlichſten Forſchen die Hand, und der glänzendſte Erfolg lohnt ihr ſchönes ernſtes Streben. Das Niebelungen-Lied entſtieg durch ſie dem ſtaubbedeckten Dunkel in welches die Barbarei un - wiſſender Afterbildung es verſenkt hatte, und mit ihm erſtand eine große Zahl deutſcher Dichter und Min - neſänger. Vergeſſen und verklungen waren ihre einſt hochgefeierten preiswürdigen Namen noch vor kurzem, nur hie und da von gelehrten Geſchichtsforſchern ge -3 kannt. Jezt nennt und preiſet ſie wieder Jung und Alt jedes Geſchlechts; ſie ſind uns Allen wieder liebe Bekannte geworden, Ahnherren, deren Gedächtniß dankbare Enkel treulich feiern; und manches ihrer Lieder geht wieder im fröhlichen Kreiſe der Jugend von Mund zu Munde, wie einſt in der glänzendſten Blüthenzeit der ehrwürdigen Sänger.
Mit dem Niebelungen-Liede und den Minne - ſängern mußten auch die alten Künſtler wieder er - ſtehen, denn Poeſie und bildende Kunſt gingen ewig Hand in Hand bei allen Völkern der Erde, weil ihr Streben und Wirken im Grunde eins iſt, und Ein Geiſt beide belebt. Die Fackel iſt nun einmal angezündet, mit welcher wir nach den Schätzen der Urväter in die düſtre Nacht hinableuchten, welche ſie ihren Söhnen Jahrhunderte lang verbarg. Jn Staub und Moder, unter veraltetem zertrümmertem Kirchengeräthe, in dunkeln Archiven, unter halb verlöſchten Pergamenten, wie in alten Schlöſſern, in Sälen und Kammern, ſeit Jahren nicht dem Lichte geöffnet, hat ein reges Treiben und Forſchen be - gonnen, und wer ſucht der findet.
1*4Bald ward es mit frohem Erſtaunen anerkannt, daß auch wir, wie die Jtaliäner, uns einer eigen - thümlichen, urſprünglich deutſchen Kunſtſchule rühmen dürfen, welche Jahrhunderte lang, von allen andern ſich unterſcheidend, am Nieder-Rheine blühte, dort von den byzantiniſchen Feſſeln ſich losriß, ohne andere Hülfe als die der Natur, kühn, feſt und ernſt den Gang zum Gipfel der Voll - kommenheit wagte, und ihn endlich unter van Eyck, Hemling, Schoreel erreichte, wo ſie in ihrer Eigen - thümlichkeit neben dem Höchſten ſteht, deſſen die Welt ſich rühmen darf. Dieſe Entdeckung ver - danken wir vorzüglich den Gebrüdern Boiſſerée und ihrem Freunde Bertram, Namen welche jeder deutſche Kunſtfreund unſrer Zeit kennt, und mit Liebe und Dankbarkeit ausſpricht. Eine Sammlung, wie ſie wohl ſchwerlich zum zweitenmal in der Welt zu - ſammengebracht werden könnte, ward der Lohn ihres weder Mühe noch Koſten ſcheuenden Forſchens; eine Sammlung, deren Anblick ſchon Tauſende wie mich, auf die rührendſte Weiſe erfreute. Bei mir mußte neben dieſer Freude auch der Wunſch rege werden,5 von den alten Meiſtern ſelbſt, welche die altdeutſche Schule ſtifteten und verherrlichten, etwas zu er - fahren, da ich mit Vorliebe an dem einfachen Leben und dem ſchönen ernſten Streben unſrer Vorfahren hange, und mich gern zurück in jene gemüthreiche ſinnvolle Zeit verſetze, in der ſie lebten und wirkten. Die Überzeugung, daß wohl Manche, beſonders meines Geſchlechts, dies Gefühl mit mir theilen, veranlaßte mich in dieſen Blättern ſchmucklos, wahr und treu aufzuzeichnen, was ich von dem Leben und den Werken jener Meiſter in Erfahrung bringen konnte. Doch bleibt mir dabei die Anmaßung fern, für gelehrte Kunſtkenner ſchreiben zu wollen, denen ſowohl die Quellen, aus welchen ich ſchöpfen konnte, als die, welche, meiner Jndividualität nach, mir verſchloſſen bleiben mußten, offen und zugänglicher ſind als mir. Jch ſchreibe nur für meines Gleichen: für Frauen, welche, wie ich, die deutſche Kunſt lieb gewannen, höchſtens für Kunſtfreunde, deren übrige Verhältniſſe ihnen nicht erlauben der Kunſtgeſchichte ihres Vaterlandes ein eignes tieferes Studium zu weihen.
6Und ſo möchte es nicht überflüſſig ſeyn, hier von dem früheren Zuſtand der Kunſt, vor van Eyck, einige Worte zu ſagen, ehe wir zu unſerem eigent - lichen Zwecke weiter vorſchreiten. Jndeſſen kann ich in dieſer Hinſicht wenig mehr thun als meine Leſer an das, was uns Goethe in ſeinem erſten Hefte über Kunſt und Alterthum von dieſem Gegenſtande ſagte, wieder erinnern, und zwar zum Theil in ſeinen eignen Worten; denn wo wären beſſere zu finden? Die ihm eigne Klarheit, Tiefe und Anſchaulichkeit giebt jenen wenigen Blättern einen ſo unſchätzbaren Werth, daß Alles was in ſpätern Zeiten über dieſen Theil der Kunſtgeſchichte geſchrieben und gelehrt werden kann, nur zum Belege deſſen dienen wird, was er mit gewohnter Meiſterſchaft in wenige Seiten zu faſſen wußte.
Gute Anſtalten aller Art waren durch militäri - ſches und politiſches Unheil von der Erde vertilgt und mit dieſen hatte ſich die, wenige Jahrhunderte früher noch ſo hoch ſtehende Kunſt im wildeſten Kriegs - und Heeres-Weſen völlig verloren. Die fratzenhaften7 Darſtellungen einer Unzahl von Kaiſern und Kaiſer - lingen auf elenden Kupfer-Münzen jener Zeit legen ein trauriges Zeugniß davon ab bis an den heu - tigen Tag. Die Kunſt wäre völlig erloſchen und das Menſchengeſchlecht hoffnungslos verſunken in Barbarei, hätte nicht die chriſtliche Kirche ſie in Schutz genommen und ſie vom gänzlichen Untergange gerettet, wenn gleich nur als ſchwachen, unter der Aſche fortglimmenden Funken. Woran der Menſch glauben, was er lieben ſoll, das muß ſich ihm auch geſtalten, und ſo wurden die alten, aus ihren Tempeln vertriebnen Götterbilder, der Triumph Helleniſcher Kunſt, gar bald durch andre, menſch - licher gedachte Bilder erſetzt, zu denen die glaubige betende Menge um ſo hoffnungsreicher den Blick erhob, je näher ſie ſich in ihrer Beſchränktheit dieſen Bildern verwandt fühlen konnte, die mit bekannten, ſtets treu wiederholten Zügen ihr entgegen traten.
Bei dem Druck der Verworrenheit, welchem damals die Welt unterlag, ward indeſſen die Bildung aus dem Weſten vertrieben; ſie flüchtete ſich zum glanzerfüllten Oſten, und nur Byzanz blieb8 noch ein feſter Siz für die chriſtliche Kirche und die ihr verwandte Kunſt; obgleich in dieſer Epoche leider auch der Orient ein immer traurigeres Anſehen ge - wann. Die Religion ſelbſt mußte einen diplomatiſch - pedantiſchen Karackter annehmen, die kirchlichen Feſte gewannen die Geſtalt von Hof - und Staatsfeſten, bei denen Alles einer einmal beſtimmten, etiketten - artigen, mehr für die Sinne als das Gemüth berech - neten Regel folgte. Und ſo wie dem Zeremonien - meiſter bei Hoffeſten über die Befolgung der einmal für allemal vorgeſchriebnen Äußerlichkeiten zu wachen auferlegt war, ſo wachte auch die Geiſtlichkeit über Alles was auf kirchliche Feier Bezug hatte.
Die heiligen Bilder, welche ſie hernach durch Weihe und Wunder dem einmal beſtehenden Gottes - dienſte völlig aneigneten, mußten alle auf das ge - naueſte nach der einmal angenommnen Norm, unter der Aufſicht und nach der Vorſchrift der Prieſter ver - fertiget werden. Man ſuchte immerfort die aus den erſten chriſtlich-kirchlichen Jahrhunderten durch Tra - dition erhaltnen Geſtalten der Apoſtel und Märtyrer ſo individuel als möglich beizubehalten; doch die9 Zahl der Heiligen mehrte ſich faſt täglich, und bei dem immer mehr überhand nehmenden ſtarren mu - mienhaften Styl ging alle Bedeutſamkeit nach und nach in einer Art von Familienähnlichkeit verloren, ſo daß man endlich anfangen mußte unter oder neben jedem Bilde den Namen des dargeſtellten Heiligen zu ſchreiben, damit man nicht Einen ſtatt des Andern verehrte und Jedem ſein Recht, wie billig, bewahrt bliebe.
Wahrſcheinlich aus ägyptiſchen, äthiopiſchen, abyſſiniſchen Anläſſen begann man endlich ſogar die Mutter Gottes mit braungefärbtem Antlitz abzu - bilden; bei getrockneten verharzten Muskeln be - hauptete nur noch die Geſtalt des Gebeins einiger - maßen ihr Recht, und die Kunſt verſank allgemach in einen immer mehr verkümmerten Zuſtand. Strenge, trockne Symmetrie blieb dabei der einzige wenig erfreuliche Vorzug der byzantiniſchen Schule, auf dem ſie mit Feſtigkeit beharrte; jeder Geſtalt mußte eine zweite, ihr auf das genaueſte entſprechende entgegen ſtehen, an jede Mitte ein Hüben und Drüben ſich anſchließen.
10Um dieſe Zeit war aus Jtalien alles prak - tiſche Talent gänzlich verſchwunden; Alles, was gebildet werden ſollte, hing von den Griechen ab. So wurden die Thüren der Kirche St. Paul auſſerhalb der Mauern im eilften Jahrhundert zu Konſtantinopel gegoſſen und mit eingegrabnen Figuren abſcheulich verziert. Griechiſche Maler, Muſivarbeiter und Baumeiſter, von Konſtantinopel geſendet, verbreiteten ſich durch das ganze Land und bedeckten es mit ihrer traurigen Kunſt, bis endlich im dreizehnten Jahrhundert das Gefühl für Wahrheit und Anmuth der Natur wieder er - wachte. Die Jtaliäner ergriffen ſogleich das einzige an den Byzantinern gerühmte Verdienſt, die ſymmetriſche Kompoſition, den Unterſchied der Karacktere; und der Sinn für Form that bei ihnen um ſo eher ſich wieder ſchnell hervor, da er bei dieſem, von den herrlichſten Überreſten einer großen Vorwelt umgebnen Volke nie ganz untergegangen ſeyn konnte.
Auch an den, von römiſchen Heeren durch - zognen, von römiſchen Kolonien angebauten und11 bevölkerten Ufern des Rheins hatte die byzantiniſche Malerſchule, in allen ihren Verzweigungen, wie über den ganzen Weſten, geherrſcht, auch hier ein - heimiſche Meiſter, Geſellen und Schüler zu all - gemeinen Kirchenarbeiten gebildet, wie manches aus jener düſtern Schule ſtammende Bild in Köln und der Nachbarſchaft noch beweiſet. Jene orien - taliſche Trockenheit erheiterte ſich auch in dieſen Gegenden nicht vor dem dreizehnten Jahrhundert. Nun aber bricht ein freudiges Naturgefühl auch mit einmal durch, und vielleicht nirgends tritt der Nationalkarackter, die klimatiſche Einwirkung, ſo ſchön in der Kunſtgeſchichte hervor, als gerade in den Rheingegenden.
Es iſt nicht nur gelungne Nachahmung des einzelnen Wirklichen, es iſt eine behagliche Augen - luſt, die ſich im Allgemeinen über die ſinnliche Welt aufthut. Äpfelrunde Knaben und Mädchen - geſichter, eyförmiges Männer - und Frauen-Antlitz, wohlhäbige Greiſe mit fließenden oder gekrauſten Bärten, das ganze Geſchlecht gut, fromm und heiter durch einen zarten Pinſel karackteriſtiſch genug dar -12 geſtellt. Die Farben ſind heiter, klar, kräftig, ohne eigentliche Harmonie, aber auch ohne Buntheit, durchaus dem Auge angenehm und gefällig.
Ein ganz goldner Grund, mit eingedruckten Heiligenſcheinen um das Haupt, worin der Name des dargeſtellten Heiligen zu leſen, bezeichnet die Gemälde aus dieſer Zeit. Oft iſt die glänzende Metallfläche mit wunderlichen, tapetenartigen, ebenfalls durch Hülfe eines Stempels eingedrückten Blumen verziert; oft bildet ſie, durch braune Umriſſe und Schattirungen vergoldetes Schnitzwerk nach, kleine Kapellchen, oder Baldachine, unter welchen die Heiligenbilder in ruhiger Stellung einzeln ſtehen. An Perſpektive dachte damals noch Niemand, und die zu Ende des Mittelalters auch in Deutſchland der Malerei weit zuvoreilende Plaſtik ſcheint auf dieſe Gemälde nicht geringen Einfluß gehabt zu haben.
Doch weht ein heitrer ſtiller Geiſt über ſie, ein unausſprechlich frommer Sinn und ein wahrhaft heiliger Gottesfrieden. Die Boiſſeréeſche Samm - lung bewahrt mehrere größere und kleinere Gemälde13 aus jener Zeit, welche alle Vorzüge und Mängel derſelben auf das deutlichſte beurkunden.
Starr und unbeweglich ſtand ſo die Kunſt, wenn gleich nicht mehr ſo ganz erdrückt von den byzan - tiniſchen Feſſeln, bis an der Gränze des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts in Köln der Schöpfer des dortigen berühmten Dombildes hervortrat, welches Goethe als die Achſe der niederrheiniſchen Kunſt auszeichnet. Seinen Namen, die Geſchichte ſeines Daſeyns riß der Strom der Zeit mit ſich fort, nur wird in alten Urkunden um das Jahr 1380 der kunſtreiche Meiſter Wilhelm von Köln erwähnt, als einer, deſſen Gleichen nie zuvor ge - ſehen ward, weil er die Menſchen lebend und athmend auf ſeinen Tafeln darzuſtellen wußte. Und da nach einer auf dem Bilde angebrachten Jahr - zahl die Vollendung deſſelben im Jahr 1410 für gewiß angenommen wird, da ein Bild von dieſem Umfang bei dieſer ſorgfältigen Vollendung, nur in einer Reihe von mehreren Jahren entſtehen konnte, und das Ganze von großer Übung und auſſerordentlichem Kunſttalent des Meiſters zeugt,14 ſo ſind alle Gründe vorhanden, es für das Werk dieſes von ſeinen Zeitgenoſſen über Alle hoch ge - geprieſenen Meiſters Wilhelm zu halten.
Auf dieſem aus einem Mittelbilde und zweien Seitentafeln beſtehenden Altar-Gemälde iſt noch immer keine Ahnung von Perſpektive zu erblicken; der reine, Alles abſchließende Goldgrund, der mit Stempeln gepreßte, mit Farben bunt ausgemalte Teppich ſind beibehalten, die Figuren des Mittel - bildes, ſo wie auch die der Seitenbilder beziehen ſich auf die Mitte mit gewohnter Symmetrie; die herkömmliche byzantiniſche Manier herrſcht noch voll - kommen, aber mit Lieblichkeit und Freiheit beachtet. Die Anbetung der drei weiſen Könige des Morgen - landes, welche der helle Stern zur Hütte des neu - gebornen Heilandes führte, iſt auf der mittlern Tafel dargeſtellt; auf einem der beiden Flügel der heilige Gereon in hellglänzender prächtiger Rüſtung, ihm folgen die Ritter welche mit ihm unter dem Kaiſer Maximian für den chriſtlichen Glauben den Märtyrer-Tod litten; auf dem zweiten Flügelbilde, in hoher Schönheit und An -15 muth, in fürſtlicher Pracht der Kleidung und Ge - ſchmeide, führt die brittaniſche Fürſtin Urſula ihre lieblichen jugendlichen Gefärtinnen an, welche ebenfalls unter dem nämlichen Kaiſer mit ihr vor Köln die Märtyrer-Krone errangen. Beide, Gereon und Urſula, ſcheinen mit ihrem Gefolge zu dem hohen Ziele hinzuwallen, vor welchem die Könige ſchon in Demuth und Andacht die Kniee beugen. Das Taſchenbuch für Freunde alt - deutſcher Zeit und Kunſt, vom Jahr 1816, ent - hält einen Kupferſtich dieſes köſtlichen Gemäldes, der jede genauere Beſchreibung deſſelben überflüſ - ſig macht.
Mich ſelbſt haben widrige Zufälligkeiten von einer Reiſe nach Köln ſtets abgehalten, obgleich ich der Erfüllung des Wunſches dahin zu gelan - gen zweimal ſehr nahe war. Aber in der Boiſſe - réeſchen Sammlung befinden ſich vier Tafeln, welche die Beſitzer derſelben aus bedeutenden Gründen für Arbeiten des nämlichen Meiſters Wilhelm von Köln halten. Auf zweien derſelben, welche augenſcheinlich zu einander gehören, ſtehen16 auf goldnem Grunde acht heilige Männer und Apoſtel, auf jeder vier; über jedem derſelben erhebt ſich eine durch ſchwarze Umriſſe und Schraf - firungen angedeutete kapellenartige Niſche. Auf den beiden andern Tafeln, welche ebenfalls zu - ſammen gehören, ſind auf ſchwarzem Grunde, auf jeder drei Figuren heiliger Männer und Frauen abgebildet; dieſe ſtehen nicht mehr ganz auf einer Linie, einige ſind mehr vor, andere mehr zurück - geſtellt, die Köpfe nähern ſich mehr in Ton und Behandlung von Licht und Schatten dem wahren wirklichen Leben. Die hellen farbigen Gewänder fallen auf allen vier Tafeln in breiten Falten von edlem großartigem Styl um die Geſtalten her, die trefflich gemalten Köpfe ſind ſo unbeſchreiblich edel fromm und bedeutend, daß man es kaum vermag, den Blick von ihnen abzuwenden, und das Anſchauen dieſer Gemälde gab mir wenigſtens eine Ahnung von dem, was das Werk ſeyn muß, welches von Kennern als der höchſte von dieſem Meiſter erreichte Gipfel ſeiner Kunſt betrachtet wird.
17Dicht an Wilhelm von Köln ſich anſchließend, ja gewiſſermaßen mit ihm gleichzeitig, tritt nun Johann van Eyck mit Rieſenſchritten hervor, er, welchen die ſo mit ihm zugleich lebten für den Fürſten der Maler ſeiner Zeit einſtimmig erklär - ten und als ſolchen ſtaunend bewunderten.
Maaseyck, ein kleines unbedeutendes Städt - chen am Ufer der Maas, iſt der Geburtsort dieſer Brüder; vielleicht ſogar ein noch kleineres, nur eine Viertelſtunde weit von jenem Städtchen ge - legenes Dorf, welches ehemals Eyck hies, nachher aber bei Entſtehung der Stadt Maaseyck, den Namen Alden-Eyck erhielt. Der Grund dieſer Vermuthung liegt darin, daß dieſe Künſtler, welche zufolge der Sitte ihrer Zeit den Namen ihres Geburtsorts annahmen, ſich ſonſt wahrſchein - lich Johann und Hubert van Maaseyck genannt haben würden.
Hubert ward im Jahr 1366 geboren, wenig - ſtens fünf und zwanzig Jahre früher als ſein Bruder Johann, deſſen Lehrer in der Kunſt er ward; denn auch Hubert war ein großer bedeu - tender Meiſter. Von wem dieſer Unterricht erhielt, iſt unbekannt geblieben, wie denn überhaupt dichtes verwirrendes Dunkel die Geſchichte der Kunſt vor der Zeit der van Eycks uns verhüllt. Nur der19 Name Wilhelms von Köln ſchimmert hell und be - deutſam hervor, und auch nur dieſer, ohne be - ſtimmtere Kunde ſeines Lebens auf Erden.
Wer die Eltern Huberts und Johannes van Eyck waren, davon findet ſich ebenfalls keine Spur; vielleicht, ja wahrſcheinlich ſogar, iſt ſchon ihr Vater ein Maler geweſen; Geiſt, Talent, reges Gefühl für das Hohe und Schöne waren wenigſtens gewiß in ihrem Vaterhauſe einheimiſch, vielleicht als herrliches, durch eine Reihe längſt vergeſſner Vorfahren auf dasſelbe herabgekommnes Erbtheil. Denn zwiſchen beiden Brüdern ſtand auch noch eine kunſtbegabte Schweſter, als glückliche, zu ihrer Zeit weit und breit im Lande geprieſene und be - rühmte Malerin. Dieſe hieß Margareth, und Karl von Mander, der Gründer altdeutſcher Kunſt - geſchichte, nennt ſie in ſeiner Biographie der nie - derländiſchen und hochdeutſchen Künſtler, eine gei - ſtige Minerva, welche alle Heirathsanträge von ſich wies, um als freie Jungfrau einzig und allein der Kunſt zu leben, durch welche ſie ſich allgemeine Verehrung und Bewunderung erwarb.
2 *20Übrigens können die Eltern dieſer hochbegabten Geſchwiſter weder zu den niedrigſten Ständen gehört, noch in Armuth gelebt haben; die ſorgfältige Er - ziehung ihrer Kinder, inſonderheit die des jüngern Sohnes Johann van Eyck beweiſt, daß ſie nach Maasgabe ihrer Zeit gewiß eben ſo wohlhabend als gebildet waren. Dieſer zeigte von früher Jugend an, neben ſeinem hohen Künſtlertalent auch ſonſt noch die herrlichſten geiſtigen Kräfte und An - lagen, die auf das vielſeitigſte ausgebildet wurden. Bartholomäus Faccius, ſein Zeitgenoſſe, der ſchon im Jahr 1456 ſein Buch de Viris illustribus ſchrieb, welches aber erſt im Jahr 1745 zu Florenz im Druck erſchien, preiſet ihn beſonders wegen ſeiner großen Kenntniß der Geometrie, und ſeines fleißigen Stu - diums der Werke des Plinius und anderer alten Schriftſteller; ein Lob, welches ſelbſt eine gelehrte Erziehung voraus ſezt. Übrigens war Johannes auch mit der, damals freilich noch in der Wiege liegenden Chemie wohl bekannt, in der Deſtillirkunſt erfahren, und beſchäftigte ſich gern mit Forſchungen in beiden, gleich als habe er ſchon früh die großen Vortheile21 geahnet, welche er mit ihrer Hülfe einſt für die Ma - lerei erringen würde. Hohe Klarheit des Geiſtes, unglaublich ſchnelles Faſſungsvermögen erleichterten dieſem ſeltnen Menſchen jedes wiſſenſchaftliche und künſtleriſche Streben; ſein verſtändiges Weſen, die Anmuth, die Güte ſeines Karackters, die anſpruchloſe edle Zierlichkeit ſeiner Sitten erwarben ihm überall Achtung und Liebe, wo er auch erſchien, bei Großen und Kleinen. Hubert, der weit ältere Bruder, Anfangs Johannes und auch wohl Margarethens väterlicher Freund und Lehrer, ward bald der würdige neidloſe Gehülfe des hochbegabten jüngern Bruders, und dieſer hing dafür mit unſäglicher Liebe und Ehrfurcht an ihm, dem er die Entwickelung ſeiner Kräfte in ſo hohem Grade verdankte. Mehrere ſeiner herrlichſten Werke, in denen er die Geſtalt des geliebten Bruders auf die ehrendſte Weiſe verewigte, geben uns noch bis auf den heutigen Tag die ſprechendſten Beweiſe dieſes von Dankbarkeit und Liebe feſtgeſchlungnen brüderlichen Vereins.
Unter Huberts Leitung, an der Seite ſeiner Schweſter Margarethe, verlebte Johannes van22 Eyck in ſeinem beſcheidnen Geburtsort die Jahre der Kindheit und die der erſten Jugend. Es mag wohl ein ſchönes genußreiches Leben geweſen ſeyn, welches dieſe Geſchwiſter bei der damaligen einfachen Sitte des Mittelſtandes, in gemeinſchaftlicher Arbeit und gemeinſchaftlichem Gelingen mit einander führten, bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal - tende Genius des jüngern Bruders eines größeren Raums bedurfte.
Brügge, dieſe große, jezt ſo tief geſunkne und verödete Stadt, war damals durch ihren weit ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll Wohlleben und Pracht wie keine andere in den damals ſo blühenden, glücklichen Niederlanden. Wo jezt in der Todtenſtille der weiten, mit Gras bewachſnen Straßen der wankende Schritt eines einſamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regſte Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen Wirken fleißiger, aber nicht mühſeliger, Arbeit der minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern23 ſtrömten auch die Bewohner fremder, zum Theil weit entlegner Länder dort jubelnd zuſammen, wo jezt trauernde Überbleibſel in ſich verſunkner Palläſte den Durchreiſenden mit banger Wehmuth erfüllen, ihn antreibend ſo ſchnell als möglich aus dieſer beklemmenden Öde zu flüchten.
Jn einem blühenden Lande ſiedelt auch die Kunſt neben dem Reichthum gerne ſich an, denn ſie bedarf ſeiner zum Gedeihen, wie die Pflanze des Sonnenſcheins; der Reichthum aber bedarf wieder - um der Kunſt, um ſich ſeiner ſelbſt würdig zu er - freuen, und durch ſie erſt zu werden was er ſeyn kann. Hubert und Johann van Eyck fanden daher mit Margarethen in dem ohnehin von Maaseyck nicht eben weit entfernten Brügge einen allen ihrem Wünſchen und Bedürfen völlig zuſagenden Wohnort; ſie ließen ſich dort häuslich nieder und begannen mit neuem Eifer und Muth ihre Kunſt zu üben. Zuweilen vereinten beide Brüder ihr Talent in Vollendung eines und deſſelben Gemäldes, zuweilen malte jeder für ſich allein. Wirklich bewahrt auch die Biblio - thek in Brügge noch heute das älteſte Gemälde von24 Johann van Eyck, von welchem man mit Sicherheit weiß, es iſt von ihm. Es ſtellt einen Chriſtuskopf weit unter Lebensgröße dar, mit des Künſtlers Namensunterſchrift und der Jahrzahl 1420 bezeich - net. Übrigens fanden ſich bald nicht nur unter den Vornehmen und Reichen Kunſtfreunde genug, welche mit einander um den Beſitz der Werke beider Brüder wetteiferten, auch fremde und einheimiſche Kauf - leute ſtrebten darnach, und führten dann die mit Gold erkauften Tafeln in das Ausland, wo der Name van Eyck in kurzer Zeit nicht minder ruhmvoll bekannt ward als daheim.
Von ſo günſtigen Verhältniſſen unterſtüzt, regten Johannes urkräftiger Geiſt, ſein hohes Talent, ſein Muth ſich immer mächtiger in ſeiner Bruſt; immer kühner ſprach ſich die Sehnſucht in ſeinem Jnnern aus, vorwärts zu Höhen zu ſtreben, welche noch von Keinem erreicht waren; immer deutlicher ward ihm das Gefühl des Unzulänglichen der ihm zur Ausführung ſeines Wollens zu Gebote ſtehenden Mittel. Die Welt lag hell und blühend vor ſeinem klaren Auge, in tauſendfacher Form be -25 lebt; an Geſtalt, Kleidung, Ausdruck auf das mannichfaltigſte von einander unterſchieden, wogten die Bewohner des Süden und Norden vor der ſtillen Werkſtatt auf und ab, in welcher ſich der junge Maler dem ſeiner Zeit eignen kräftigen und ernſten Fleiße auf das ungeſtörteſte ergab. Er blickte hinaus in die ſonnenhelle Welt, und fühlte in ſich Kraft und Muth, feſtzuhalten und nachzubil - den was dort in ewigem Wechſel ſich bewegte; er ſah zurück auf ſeine Tafel, der metalliſche Glanz des Goldgrundes ſtarrte, beengend, ihm entgegen; er wagte es das lange Jahrhunderte hindurch von ſeinen Vorgängern für unmöglich Geachtete zu un - ternehmen, den Goldgrund zu verlaſſen, und hatte mit dieſem Schritte Alles gewonnen. Luft, Waſſer, das ganze Pflanzenreich, was nur unſre ſchöne Erde ſchmückt und bekleidet, Berge, Städte, ferne Gegenden, zu denen das Auge kaum reicht, hatte Johann van Eyck mit einemmal für das Gebiet der Malerei ſich erobert, und der ſchöpferiſche Genius der Kunſt benuzte, einmal erwacht, Alles wie er wollte und mußte. Von ihm durchdrungen, lernte26 Johann van Eyck die früher erworbenen mathema - tiſchen Kenntniſſe zur Behandlung der Ferne an - wenden, und ſeine jezt in freien Räumen ſich be - wegenden Geſtalten gewannen Wärme, Leben und Eigenthümlichkeit.
Wunderbare, nie zuvor geahnete Gemälde entſtanden jezt unter dem ſchöpferiſchen Pinſel Jo - hanns van Eyck. Wie wunderbar ſie ſeiner Zeit erſcheinen mußten kann nur der ganz begreifen, der Gelegenheit hatte, ſie mit denen ſeiner Vor - gänger zu vergleichen. Hochgewölbte architektoniſche Räume, Durchſichten in endlos ſich verlierende Straßen, enge Felſenthäler, und bis in die blaue Ferne ſich hin erſtreckende blühende Gegenden, ſtellte Johann van Eyck von nun an mit vollkommenſter Sicherheit und möglichſter Naturwahrheit dem Auge dar, während ſeine nächſten Vorgänger, ſelbſt Meiſter Wilhelm von Köln auch nicht die kleinſte Spur einer Ahnung der Möglichkeit zeigen, eine flache Tafel dem Auge auf dieſe Weiſe bis in die Unendlichkeit hinaus dehnen zu können. Johannes einziges Vorbild, wie ſeine Lehrerin, war von nun27 an die Natur; ſie leitete ſeine Fortſchritte auf der Bahn, welche die, wie durch höhere Offenbarung ihm gewordene Kenntniß der Linienperſpektive ihm geöffnet hatte, und Treue gegen ſie wurde ſein unabläſſiges Bemühen wie ſein höchſtes Verdienſt.
Auf keinem ſeiner bis auf unſre Zeiten ge - kommnen Gemälde findet ſich eine Spur erkünſtel - ter, auf Effekt berechneter Beleuchtung; im klaren milden Tageslicht, nicht im Sonnenſcheine, ſtehen die Gegenſtände, hell und deutlich wie ſie in der Wirklichkeit daſtehen. Scharf bezeichnete dunkle Schlagſchatten drängen ſich nirgend dem Auge auf, nirgend grelle Lichter, oder erzwungne farbige Reflexe, nichts erſcheint verſchwebelnd oder flach, verworren oder undeutlich.
Bei der Kompoſition ſeiner Gemälde dachte Johann van Eyck ſich die Handlung, welche er darſtellen wollte, als ginge ſie unmittelbar unter ſeinen Augen vor; deshalb iſt es auch uns bei ihrem Anſchauen als ſtänden wir mitten drinn, als lebten und regten ſich die Geſtalten vor uns, und um uns her. Anſpruchlos ſtellt er ſie hin, wie es der28 Augenblik fordert, und vergas dabei wohl zuweilen der Rückſicht auf das einzig lobenswerthe der byzan - tiniſchen Kunſt, auf die Regel ſymmetriſcher Grup - pirung. Doch die unglaubliche Naivetät und Wahr - heit, die unausſprechliche Anmuth und höchſte Ab - ſichtloſigkeit in der Zuſammenſtellung ſeiner Figuren, die Art mit der ſie ſich bewegen, geben ihnen einen unbeſchreiblichen Reiz, und der aus Allem hervor - leuchtende reine würdige Sinn erſetzt reichlich was die ſtrenge Regel ſonſt noch fordern könnte. Wie weit entfernt Johann van Eyck von jeder der Natur ſich entfremdenden Künſtelei war, zeigt be - ſonders die Art wie er das Fleiſch malte; weder grüne, noch graue, noch violette Töne herrſchen vor, es athmet und lebt wie das Leben ſelbſt. Nichts iſt der Ausführlichkeit zu vergleichen, mit welcher er Alles vom Größten bis zum Kleinſten bis in faſt unſichtbare Einzelnheiten zu behandeln wußte; Alles iſt Porträt, Alles vollendet wie die feinſte Miniaturmalerei, kein Gegenſtand auf einer ſeiner Tafeln, der nicht die genaueſte Unterſuchung durch die Lupe ertrüge, und dennoch iſt nirgend29 eine Spur ängſtlicher Steifheit oder manirirter Unnatur zu erblicken. Jn ſeinen Gewändern, weit und faltenreich, nach der damaligen Art, finden ſich nirgend kleinlich gebrochne oder überflüſſige Falten, jede derſelben iſt motivirt, durch die Stellung des Körpers, durch Wurf oder Schwere des Gewandes ſelbſt. Sammt, Leinen, Wolle oder Seide erſcheinen in allen ihren Eigenheiten; Gold, Perlen und Edelſteine, welche er gerne anbringt, ſtrahlen in unglaublichem Glanz, ohne alle Anwendung wirklicher Metalle.
Ohne Spur von Nachahmung der Antike, welche er nicht kannte, oder des Strebens nach dem ab - ſtrakten Jdeal, welches dieſem Sohne der Natur nie in den Sinn kommen konnte, bildete Johannes van Eyck ſeine Köpfe nur nach ſeinen Zeitgenoſſen in der ihn umgebenden Welt. Doch Unedles oder Gemeines ſtand mit dieſem hohen reinen Geiſte in offenbarem Widerſpruch, es durfte ihm nicht nahen, und die ganze Natur zeigte ſich ihrem begünſtigten Liebling ſtets im verklärten Licht. Daher ſind auch bei aller nur erdenklicher Wahrheit, ſeine Köpfe30 edel und ſchön zu nennen in Form und Ausdruck. Das Studium nach einem Modell war zu ſeiner Zeit noch nicht Gebrauch, eben ſo wenig mag es damals einem Künſtler eingefallen ſeyn für ſeine Kunſt Anatomie zu ſtudiren; dieſe Wiſſenſchaft war ohnehin noch in der Kindheit. Johannes konnte daher nur nachbilden was er ſah, was ihn umgab: ſchwer und dicht bekleidete Geſtalten. Dennoch herrſchen bei ihm Ebenmaß und Anmuth, nirgend treten in ſeinen Figuren Zwang, unmögliche Stel - lungen, oder unnatürliche Verrenkungen hervor; nur Hände und Füße erſcheinen zuweilen etwas mager, wenn gleich nie ſo ſehr um ſtörend zu werden. Die Farben-Pracht ſeiner Gemälde läßt nicht mit Worten ſich beſchreiben, gegen ſie erbleicht Paul Veroneſe und aller Glanz der venezianiſchen Schule, ja die Wirklichkeit ſelbſt. Er malte mit möglichſter Vermeidung aller Erdfarben, größten - theils nur mit Lack oder durchſichtigen Saftfarben, auf einem ſehr feinen, wahrſcheinlich abgeſchliffnen, ganz weißen kreideartigen Grunde. Dieſer ſchim - mert durch die unkörperlichen Farben durch, und31 bringt etwas dem Effekt Ähnliches hervor, den die Silberfolie hat, welche einige Miniaturmaler ihren auf Elfenbein ſorgfältig ausgeführten Bildern un - terzulegen pflegen.
Überhaupt iſt es, wenn man Johann van Eycks Gemälde lange betrachtet, als ob ein Strahl innern Lebens hervorbräche, und der Purpur, das Blau der Gewänder, die Helle des Himmels, das Grün der Pflanzenwelt, das Gold der Stickereien und Kleinode, die ſchimmernden Waffen ſtrahlen in über - irrdiſchem Glanz. Friſch, als kämen ſie heute erſt von der Staffelei, ſtehen die vier Bilder des hohen Meiſters, welche die Boiſſeréeſche Sammlung auf - bewahrt, in neu verjüngter blendender Pracht. Jhr Glanz übertrifft allen Glauben, ſeit ſie mit ſchonender Hand von allem Fremden und Ent - ſtellenden befreit wurden; von dem trüben Firniß den die Unwiſſenheit darüber zog und von mehr als hundertjährigem Staube und Kerzendampf.
Das erſte dieſer vier Gemälde, eine einzelne Tafel, iſt wahrſcheinlich aus einer frühern Zeit als die übrigen drei, welche, zuſammengehörend, einen32 heiligen Zyklus bilden. Der Meiſter war, als er dieſes Bild ſchuf, noch nicht ganz zu der Großheit und Gründlichkeit in der Zeichnung und dem Fal - tenwurf der Gewänder gelangt, die aus ſeinen ſpätern Arbeiten hervorleuchten; Bildung, Ausdruck und Malerei der Köpfe ſind indeſſen ſchon von der höchſten Vortreflichkeit. Dies Gemälde iſt auf eine ſehr rührende und erfreuliche Weiſe als die Apo - theoſe ſeines verehrten und geliebten brüderlichen Lehrers anzuſehen, denn der Evangeliſt Lukas, wie er zufolge der Legende die Madonna malt, iſt darauf unter der Geſtalt Huberts van Eyck dar - geſtellt. Die Figuren dieſer Tafel ſind faſt Lebens - größe. Die heilige Jungfrau ſizt in einem hohen Prunkgemache. Jm Hintergrunde, zwiſchen zwei ſchlanken dunkelblauen Säulen öffnet ſich dem Blick eine vom heiterſten Himmel überwölbte Landſchaft. Schöne hohe Häuſer von der einen Seite, grüne Hügel von der andern, weithin lachende blühende Ferne. Ein köſtlicher Teppich von Goldbrokat mit grüner Einfaſſung hängt hinter der heiligen Jungfrau hoch von der Decke herab, und bildet ihren Seſſel33 zum Thron der Himmelskönigin um. Sie ſelbſt iſt reich geſchmückt mit einem weiten violetten Mantel, das geſenkte Auge ruht mit unendlicher Liebe und Anmuth auf dem Kinde an ihrem Buſen; ihr gegen - über, in halb knieender Stellung, im rothen Ge - wande, ein kleines violettes Käpchen auf dem Haupte, ſcheint Hubert, als Schutzheiliger der Maler, den Umriß auf der Tafel in ſeiner Hand mit der Gruppe vor ſich nach der er arbeitete zu vergleichen. Ehrfurchtsvoll, bewundernd, anbetend ruht ſein Auge entzückt auf Mutter und Kind während er mit der andern Hand, zu Verbeſſe - rungen bereit, den Griffel hält. Seitwärts hinter dem Maler ſteht die Thüre eines Nebengemachs offen; wir blicken ins Freie durch deſſen halb offnes halb geſchloßnes Fenſter von wirklich durchſichtigem, ſtellenweiſe buntgefärbtem Glas.
Das ganze Bild in ſeiner blendenden Farben - pracht iſt das heiterſte ſo ich je ſah. Man möchte in das Nebenzimmer hineintreten, dieſes Fenſter nach Belieben öffnen und ſchließen; keiner der ſpätern niederländiſchen Maler hat die Perſpective334des Jnnern eines Hauſes mit größerer Wahrheit dar - zuſtellen vermocht, und die Ausführung, die Wärme, die Kraft dieſes wunderbaren Bildes ſtellen es dem Vollendetſten in der Kunſt gleich.
Die drei andern Gemälde des Johannes van Eyck in der Boiſſeréeſchen Sammlung ſind aus dem Zeitpunkt, in welchem ſeine Kunſt den höchſten Gipfel erreicht hatte und ſchmückten wohl urſprünglich den der Mutter Gottes geweihten Altar einer Kirche oder Kapelle. Sie ſtellen auf einem Mittelbilde und zwei Flügelbildern drei der freudigen Mo - mente ihres Lebens dar.
Jn häuslicher ſtiller Beſchränktheit öffnet ſich uns auf dem erſten Seitenbilde das hochgewölbte ſchmale Zimmer, in welchem Maria aus der Knospe der Kindheit zur anmuthigſten reinſten Jungfräu - lichkeit heranblühte. Sie ſelbſt knieet am Betpult im Vorgrunde, in einem in breiten Falten weit auf den Boden hinfließenden dunkelbraunen Gewande, die Flechten ihres lichthellen Haares wallen aufgelöſt in kleinen Wellen über die Schultern hin. Lieblicher und dabei mädchenhafter läßt nichts ſich erdenken als35 dieſes ſchöne Oval des ſeitwärts gewendeten Köpf - chens, als die unbeſchreibliche Unſchuld dieſes vor der glänzenden Erſcheinung des Engels niederge - ſchlagnen Blicks. Maria iſt ſo furchtlos in ihrem Erſtaunen, ſo zutrauungsvoll in ihrer Demuth, als erkenne ſie einen der holden Geſpielen aus den ſüßlächelnden Träumen ihrer Kindheit in dem Jünglinge, der, weißgekleidet, auf mächtigen, weißen Pfauenfeder-Schwingen vor ihr leicht über den Boden hinſchwebt. Der goldne Scepter in ſeiner Hand bildet ganz ungeſucht ein Kreuz mit dem Sonnenſtral welcher die bedeutungsvolle Taube zu dem hohen geöffneten Fenſter im Hintergrunde hereinträgt, und zwiſchen dem Engel und der Jungfrau entblüht aus glänzender Vaſe das ſchöne Symbol höchſter Reinheit, eine ſchneeweiße Lilie ohne Staubfäden. Die Anordnung des ganzen Zimmers ſpricht die heitre fromme Häuslichkeit der jungfräulichen Bewohnerin aus; die rothen Vor - hänge des mit einer gleichfalls rothen Decke ge - ſchmückten Bettes im Hintergrunde ſind zierlich auf - gebunden und zurückgeſchlagen, ſo daß die gold -3 *36brokatne Hinterwand deſſelben ſichtbar wird; neben dem Bette ſteht ein Seſſel mit einem rothſammtnen Kiſſen, dieſes iſt noch ein wenig eingedrückt, denn Maria ſtand eben davon auf um zu beten. Auch der Betſtuhl, an welchem ſie knieet, iſt mit ſauberm Schnitzwerk, den Sündenfall der erſten Eltern dar - ſtellend, geſchmückt.
Das an dieſes erſte Seitengemälde zunächſt ſich anſchließende Mittelbild zeigt uns die hohe Er - füllung jener geheimnißvollen göttlichen Verkündi - gung. Unter den edlen Ruinen eines Tempels, welche, jezt zum Stall herabgewürdigt, ein leichtes Strohdach gegen die Witterung ſchützt, ſitzt die jungfräuliche Mutter in ihren dunkelblauen weit und ſchön gefalteten Mantel gehüllt. Der mädchen - hafte Reiz der Jugend ging in hohe Würde, in ernſtere Schönheit über, der neugeborne Heiland ruht ganz in Kindesgeſtalt in ihrem Schooße. Zu ſeinen Füßen verſammeln ſich die anbetenden Weiſen des Morgenlandes, in reichen königlichen Pracht - gewändern und aller Herrlichkeit des Orients. Der älteſte der Könige, welcher knieend das Händchen37 des Kindes küßt, iſt ein treues Portrait Philipp des Guten, Herzogs von Burgund; der zweite etwas jüngere König beut dicht hinter dieſem mit gebogenem Knie einen goldnen, juwelenreichen Becher dem Kinde dar; wahrſcheinlich trägt auch er die Ähnlichkeit irgend eines Fürſten jener Zeit. Dieſe beiden Könige ſind in weit über den Boden hin ſich verbreitenden Mänteln von Goldbrokat und köſtlichen Stoffen würdig bekleidet. Doch in kurzer, rothſammtner, faſt ſarazeniſcher Tracht ſteht der dritte, der Mauren König, kein Mohr, wie frühere Maler ihn abbildeten. Stolz, trotzend beinahe ſteht er da; etwas ſeitwärts gewendet, halb beleidigt, halb verwundert über die anſchei - nende Ärmlichkeit des Zieles, zu welchem der Stern ihn führte, und doch ergriffen von der Ahnung des nahen Gottes in niedrer Geſtalt. Unwillkührlich lüftet die eine Hand die turbanartige Kopfbeklei - dung, während die andre nach dem von einem weiß - gekleideten Pagen dargebotnen Goldgefäße greift. Aus der ganzen Haltung der edlen hohen Geſtalt des kaum den Jünglingsjahren entwachſenen Helden38 ſpricht ſchon der nächſte Moment, der auch ihn zu den Füßen des göttlichen Kindes niederbeugen wird. Dieſer Maurenkönig iſt in Allem das treue, ſehr ähnliche Porträt Herzogs Karl des Kühnen, wahr - ſcheinlich ſogar bis auf Waffen, Schmuck und Be - kleidung, denn wenigſtens erinnerte mich ſein roth - ſammtner Rock, der in Luzern nebſt anderer ihm ab - genommenen Krieges-Beute aufbewahrt wird, durch Farbe und Form auf das lebhafteſte an dieſes Ge - mälde.
Hinter Karl dem Kühnen ſchließen mehrere Be - gleiter der Könige ſich an den ſchon erwähnten weiß gekleideten Edelknaben; einige nehmen an der Verehrung, welche ihre Gebieter dem Kinde be - zeigen, demüthigen Antheil, andre drücken nur Erſtaunen oder Neugierde aus. Stumpf und ge - dankenlos ſtarren einige gelbbraune orientaliſche Geſichter hervor, in der Ferne ſieht man den Zug mehrerer herannahender Diener. Die Pracht des juwelenreichen Orients herrſcht in Schmuck, Klei - dung und in den blitzenden Geſchenken, dabei eine ganz eigne Lokalität in den ſonderbar fremdar -39 tigen Waffen, in der Fußbekleidung, den Kopfbe - deckungen; aus Allem leuchtet ein tiefes Studium der Sitten des Morgenlandes hervor. Einige im lezten Befreiungskrieg aus den entfernteſten ruſſi - ſchen Provinzen herbei gezognen Offiziere legten davon unwillkürlich das Zeugniß ab. Sichtbar freudig beim Anblick des Bildes erkannten und be - grüßten ſie die noch immer in ihrem Vaterland beſtehenden Formen, und wieſen dabei, laut und fröhlich unter einander ſprechend, bald auf dieſes bald auf jenes Waffen - oder Kleidungsſtück. Dieſer Umſtand iſt nicht nur ein ſprechender Beweis für die Treue ſondern auch für die Trefflichkeit einer Darſtellung, die ſolche unerfahrne, durchaus an den Anblick von Kunſtwerken nicht gewöhnte Augen ſo bis zur Täuſchung entzücken konnte.
Links neben der göttlichen Mutter, mehr nach dem Vorgrunde zu, ſteht Joſeph, ihr und des Kindes frommer, ſchützender Freund, mit ehrfurchts - voll entblößtem Haupte, den ſchwarzen Hut in der Hand, halb verwundert, halb gedrückt von dem prachtvollen Beſuche. Aus ſeinen edlen Zügen40 ſpricht ſtille vorahnende Wehmuth. Seitwärts am Gemäuer über dem Bogen einer Thüre, die zu einem tiefen Gewölbe zu führen ſcheint, ſieht man nach alter Sitte den Donator des Bildes, einen ziemlich jungen Mann mit einem Roſenkranz in der Hand; die Stadt, die lebensreiche Straße und ferne Berge ſchließen den Hintergrund.
Auf der zweiten, dem Mittelbilde ſich an - ſchließenden Seitentafel, iſt des neugebornen Hei - landes Darſtellung im Tempel abgebildet; durch die offenſtehende Thüre des hochgewölbten, mit Säulen, vielen Fenſtern und in die Tiefe ſich ver - lierenden Bogengängen geſchmückten Gebäudes blickt man nach Auſſen in die volkreiche, belebte Straße und auf grüne Bäume; im Tempel ſelbſt lehnen troſtſuchende Kranke und Müde an den entfernten Säulen. Ernſt und gedankenvoll, den klaren ruhigen Blick dem Hohenprieſter zugewendet, welcher, von der Begeiſterung des Moments er - griffen, das Kind aus ihren Armen in die ſeine nimmt, ſteht Maria im Vorgrund am Altar. Die weiße Stirnbinde der Frauen, der weite blaue41 Mantel, verhüllen ſie faſt matronenartig; das ſchöne edle Geſicht trägt den Ausdruck der Beſchei - denheit und des Bewußtſeyns hoher Mutterwürde. Etwas mehr zurück ſteht Joſeph ihr zur Seite, eine brennende Kerze in der Hand. Einige andere Perſonen reihen ſich um den Altar her; ganz vorne, neben der heiligen Jungfrau, ſteht ſchlank und ſchön ein ſehr junges Mädchen, das Körbchen mit den Tauben in der Hand; eine von jenen Ge - ſtalten, die man, einmal geſehen, nie wieder ver - gißt. Sie trägt ein grünes, den Körper bis an die Hüften enge umſchließendes, unten in weite Falten ſich ausbreitendes Gewand, mit langen engen Ärmeln; die blonden zierlichen Zöpfe be - rühren faſt den Boden, ſie hängen unter einem ganz durchſichtig feinen Schleier hervor, der, zier - lich um das ſchöne Haupt gewunden, einen ſehr reizenden Kopfpuz bildet. Ganz unbekannt mit dem ernſteren Gange des Lebens, welcher auf der jungen Mutter ſchon ſchwer zu laſten beginnt, ſchaut das liebliche Kind zum Bilde heraus, dem Zuſchauer ins Geſicht, und nimmt mit dem naivſten Ausdruck42 unbefangner Unſchuld und nach Außen gewendeter kindlicher Neugier an der ernſten Feier im Tempel faſt gar keinen Antheil. Je länger man die ganz einfache Kompoſition dieſes köſtlichen Bildes an - ſchaut, je erfreulicher zeigt ſie ſich; ich möchte ſagen, daß keines den Blick ſo unabwendbar feſſelt als dieſes. Zum Schluſſe dieſer Beſchreibung kann ich nur Göthe's Worte wiederholen:
„ Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten, „ zerbröckelten Ruingeſtein, von den Grashalmen „ die auf dem vermoderten Strohdach wachſen, bis „ zu den goldnen, juwelenreichen Bechergeſchenken, „ vom Gewand zum Antliz, von der Nähe zur „ Ferne, alles iſt mit gleicher Sorgfalt behandelt, „ und keine Stelle dieſer Tafeln, die nicht durchs „ Vergrößerungsglas gewänne. “
Herzog Karls des Kühnen Porträt auf dem Mittelbilde beſtimmt glücklicher Weiſe die Zeit der Entſtehung dieſes unſchätzbaren Kunſtwerks. Un - verkennbar ähnlich, ganz den Beinamen verdienend, ſteht die jugendliche Heldengeſtalt in einem Alter von fünf und zwanzig bis ſieben und zwanzig Jahren,43 und da dieſer Fürſt im Jahr 1433 geboren ward, ſo muß daher das Bild nothwendig um 1458 oder 1460 in der letzten vollendetſten Zeit Johann van Eycks gemalt worden ſeyn. War dieſer, wie Alles uns beſtimmt zu glauben, ungefähr fünf und zwanzig Jahre jünger als ſein im Jahr 1366 gebor - ner Bruder, ſo fällt die Vollendung dieſes Meiſter - werks zwiſchen ſein ſieben und ſechzigſtes und neun und ſechzigſtes Jahr. Daß der Künſtler ſo ſpät noch ſo Hohes vermochte, darf uns nicht befremden. Jn unſern Tagen übereilt das Alter die Jugend, in den ſeinigen war es umgekehrt. An Thatkraft, Geiſt und Lebensfriſche ſtets junge wenn gleich hochbejahrte Greiſe waren damals eben ſo wenig ſelten, als jezt im Frühling des Lebens ſchon lebensmüde, altkluge, um das Glück ihrer künftigen Enkel ängſtlich beſorgte Greiſe im Jugendalter.
Überdem war von jeher die Natur den Künſt - lern, inſonderheit den Malern, hold und günſtig; ſie ließ ſie mit ungeſchwächten Sinnen lange leben auf Erden. Die Kunſtgeſchichte liefert davon un -44 zählige Beweiſe, wie man ſelbſt im Verfolg dieſer Blätter verhältnißmäßig finden wird.
Das Beſtreben, des Johann van Eyck hohes Verdienſt anſchaulich in ſeinen Werken darzuſtellen, ſo gut dieſes in bloßen Worten geſchehen kann, hat uns indeſſen verleitet der Zeit vorzugreifen; wir kehren zurück zu ſeiner Werkſtatt, indem wir den Faden der Geſchichte ſeines Lebens von Neuem ergreifen.
Der gränzenloſe Raum, mit Allem, was da - rinnen blüht, athmet und lebt, war nun von ihm für das Gebiet der Kunſt errungen, aber ſein raſtlos thätiger Geiſt erlaubte ihm nicht, hier ſtehen zu bleiben. Von Neuem quälte ihn das Unzulängliche der techniſchen Mittel, das Widerſtreben des todten Stoffes in der Ausführung deſſen was er im gerechten Vertrauen auf ſich, ſein gebildetes Auge, ſeine kunſtgeübte Hand unternehmen zu dürfen ſich bewußt war. Er ahnete die Möglichkeit einer anderen Farbenbereitung, und wandte ſowohl Alles was er von Chemie und Deſtillirkunſt erlernt hatte, als überhaupt jede Kraft ſeines Geiſtes daran, um45 dieſe aufzufinden. Tauſendfältige Verſuche, die mühſamſten Unterſuchungen der verſchiednen Farben - ſtoffe, ihrer Zuſammenſetzung, ihrer Bereitung, beſchäftigten ihn lange zu dieſem Zweck, ehe er glaubte am Ziel zu ſeyn.
Endlich erfand er einen größtentheils aus öligen Subſtanzen zuſammengeſetzten Firniß, mit welchem er die mit Leimwaſſer oder Eiweiß gemalten Bilder ganz zulezt überzog; die größere Dauer - haftigkeit, die erhöhte Friſche der Farben, der Glanz, den dieſe neue Erfindung ſeinen Gemälden mittheilte, erwarb ihnen noch größern Beifall, und der Ruhm des Johann van Eyck breitete ſich immer weiter aus.
Ein herrliches Bild war fertig geworden, Jo - hannes hatte viel Zeit, viel Mühe und Fleiß daran verwendet. Mit jener unnennbaren Künſt - lerfreude an einem vollendeten wohlgelungnen Werke betrachtete er es, während er es nach der von ihm neu erfundnen Weiſe mit Firniß überzog, und ſtellte es dann hinaus an die Sonne zum Trocknen, wie er gewohnt war zu thun. Doch vielleicht brannten46 ihre Strahlen dieſesmal zu heiß, vielleicht auch waren die Breter, aus denen die Tafel beſtand, nicht ſorgſam genug zuſammengefügt; ſie zerſprang, und das köſtliche Gemälde lag, zu Trümmern ver - nichtet, umher.
Unmuthig konnte Johann van Eyck über dieſen Unfall wohl werden, doch nicht muthlos. So wie er das Unzuverläſſige und Unzulängliche ſeiner Er - findung eingeſehen hatte, ſetzte er dieſe bei Seite, und unterſuchte von neuem Farben, ölige und geiſtige Flüſſigkeiten; er fand, daß Nußöl und Leinöl am ſchnellſten trocknen, er ſiedete dieſe, ver - ſetzte ſie mit andern Jngredienzen, und hatte endlich die Freude einen vollkommen genügenden Firniß zu beſitzen, der im Schatten trocknete, ohne Zu - thun der Sonnenhitze.
Der Firniß war nun erfunden, doch jezt be - ſchäftigte ihn die Bereitung der Farben. Nach vielen Verſuchen kam er darauf, ſie, ſtatt mit Leimwaſſer oder Eiweiß, mit Ölen zu bereiten, und ſah mit unausſprechlicher Freude in Erfüllung gehen, was Jahre lang ſeinem ahnungsvollen Geiſte47 vorgeſchwebt hatte. Die Farben ließen ſich, mit Öl bereitet, weit beſſer behandeln und vertreiben, ſie gewannen unendlich an Lebhaftigkeit, ihr natür - licher Glanz machte jeden Firniß überflüſſig, und die Dauerhaftigkeit der auf dieſe Weiſe gemalten Tafeln widerſtand dem Waſſer und den heftigſten Erſchütterungen.
So ward Johann van Eyck, der zuerſt die Luft - und Linienperſpective entdeckte, jezt auch der Erfinder der Ölmalerei. Die Zeit in der dieſes geſchah, wird gewöhnlich um das Jahr 1410 an - genommen, doch iſt dieß nur eine Vermuthung ohne beſondern Grund.
Johann van Eyck ſowohl als Hubert hielten dieſe Erfindung in der Folge fortwährend ſehr geheim; keiner ihrer Schüler durfte die Art der Bereitung der Farben erfahren, die Meiſter arbei - teten nur bei verſchloßnen Thüren; niemand betrat ihre Werkſtatt, aus der von nun an Gemälde her - vorgingen, welche die Welt in immer neues höheres Erſtaunen verſetzten; um ſo mehr, da ſie in tech - niſcher Hinſicht von allen vorhergeſehenen abwichen,48 und niemand die Art ihres Entſtehens zu begreifen vermochte.
Wie Johann van Eyck ſeine Farben bereitete, mit welchen öligen oder vielleicht auch geiſtigen Flüſſigkeiten, davon konnte uns jezt, nach beinah vier Jahrhunderten, keine Spur mehr übrig bleiben. Gewiß ging auch im Lauf der Zeiten noch manches andre geheime Verfahren der alten Meiſter, mancher bedeutende, ihnen bekannt geweſene techniſche Vortheil ihren Enkeln verloren; denn auch der Unkundigſte muß auf den erſten Blick bemerken, wie ſehr ihre Gemälde in techniſcher Hinſicht ſich von der neuern Ölmalerei unterſcheiden. Die Farbenpracht der Alten hat noch kein ſpäterer Künſtler völlig erreichen können und eben ſo wenig die bewundernswerthe Dauer ihrer Farben. Sie glänzen noch jezt in unveränderter Friſche wie damals da ſie von der Staffelei kamen, ohne nachgedunkelt zu ſeyn. Unreines konnte zwar ihre Oberfläche ver - ſchleiern, jedoch ohne darauf ſo zu haften, daß es nicht dem ſorgfältigen Bemühen kunſtreicher Hände hätte gelingen können, den entſtellenden Schleier49 wegzuziehen und ſie in ihrer urſprünglichen Pracht und Reinheit wieder herzuſtellen.
Jm Jahr 1420, gerade zur Zeit da des Johann van Eyck Geiſt und Talent am herrlichſten ſich entfalteten, kam Philipp der Gütige als Herzog von Burgund und Graf von Flandern zur Regierung. Abwechſelnd hielt er ſeinen glänzenden Hof in den einander nah gelegnen Städten, in Gent und in Brügge, wo der berühmte Name der Brüder van Eyck bald bis zu ihm dringen mußte. Er lernte ſie und ihre Werke kennen, und dieſe ſowohl als ihre Perſönlichkeit erwarben ihnen Achtung und Wohlwollen des kunſtliebenden Fürſten. Hubert, der damals ſchon mit ſtarken Schritten ſich dem Greiſenalter nahte, erhielt bei näherer Bekannt - ſchaft jede ehrende Auszeichnung ſeines Herzogs, die ein ſo bedeutender Künſtler nur immer verdienen und erwarten mochte; doch die Anmuth der Sitten des noch jugendlichen Johannes gewann das Herz Philipps des Gütigen, die Offenheit und Milde ſeines Charackters feſſelten den ihm gleichgeſinnten Fürſten mit jedem Tage mehr, und die auch ohne450Hinſicht auf Kunſt ſeltne wiſſenſchaftliche Bildung des jungen Malers, ſein durchdringend klarer Ver - ſtand, die Sicherheit ſeines Urtheils, gewannen ihm nach und nach das unumſchränkteſte Vertrauen ſeines fürſtlichen Freundes. Bei jeder Gelegenheit ſuchte dieſer ihn an ſeine Nähe zu feſſeln, zog ſeine Geſellſchaft allen andern vor und befragte ihn bei jedem bedeutenden Unternehmen um ſeine Meinung, die er auch oft befolgte. Karl von Mander nennt bei der Beſchreibung dieſes ſchönen Verhältniſſes Johann van Eyck Herzogs Philipps heimlichen Rath; doch war er dieſes wahrſcheinlich nie dem Namen nach wenn gleich in der Wirklichkeit.
Der Aufenthalt an dieſem glänzenden Hofe war für das Kunſttalent des Johann van Eyck von nicht zu berechnendem unſchäzbarem Werth. Schöne, vornehm geſchmückte Frauen, ſtattliche Fürſten mit ihren geputzten Pagen, in glänzender Waffenrüſtung ſchimmernde Ritter und würdige Geſtalten bedeu - tender Staatsmänner umgaben ihn täglich; er ſah ſie in den mannichfaltigſten Situationen ſich bewe - gen, gehen, reden, handeln, und ſeine Phantaſie51 faßte Alles auf, um in der heimlichen Werkſtatt eine neue ſchönere Welt daraus zu ſchaffen. Das aus allen Ländern, ſelbſt aus dem fernen Orient, her - beigezogne Perſonal der Dienerſchaft des Fürſten trug nicht wenig dazu bei dem Hofe ein wunderbar romantiſches Anſehen zu geben, das man in unſern Tagen vielleicht theatraliſch nennen möchte. Jeder mußte die Tracht ſeines Landes treulich beibehalten, und daß Johann van Eyck alle dieſe verſchiednen Koſtume zu benutzeu wußte beweiſen die wohlge - haltnen orientaliſchen Trachten und Geſtalten auf ſeiner Abbildung der weiſen Könige des Morgen - landes. Auch ſeine auffallende Vorliebe für Edel - ſteine und Kleinodien, ſo wie die geſchmackvolle Art, mit der er ſeine Bildungen zwar verſchwenderiſch, doch nicht überladen mit dieſen zu ſchmücken wußte, rührt wahrſcheinlich aus jener glänzenden Epoche ſeines Lebens her.
Nicht lange nach Antritt ſeiner Regierung, wahrſcheinlich um das Jahr 1424 oder 1425, for - derte Herzog Philipp die Brüder van Eyck zu einem Kunſtwerk auf, deſſen gleichen an Bedeutſamkeit4 *52und Umfang noch nie geſehen worden war. Er übertrug ihnen nämlich die Ausführung eines aus zwölf großen Tafeln beſtehenden Altarblatts in einer Kapelle der St. Johanniskirche zu Gent, und Hubert ſowohl als Johann van Eyck ergriffen mit freudiger Bereitwilligkeit dieſe Gelegenheit, ihrem fürſtlichen Beſchützer und ſich ſelbſt ein dauerndes und würdiges Denkmal zu ſtiften. Sie verließen des - halb ihren ſelbſtgewählten Wohnplatz in Brügge und zogen nach Gent; fröhlich begaben ſie ſich dort in treuer gewohnter Gemeinſchaft an die Arbeit. Doch Hubert erkrankte und ſtarb, lange vor Vollendung des Werkes, am achtzehnten September des Jahres 1426, in einem Alter von ſechzig Jahren. Er ward in der nämlichen Kirche ehrenvoll begraben zu deren Schmuck er die letzten Tage ſeines Lebens verwendet hatte. Ein Monument mit einer Grab - ſchrift bezeichnete noch gegen das Ende des ſechzehn - ten Jahrhunderts den Ort, wo dieſer große Meiſter unſern ſeiner ihm vorangegangnen Schweſter Mar - garetha beerdigt ward. Auch dieſe hatte in Gent das Ziel ihres Lebens erreicht, beklagt von den53 Kunſtfreunden und feierlich beſungen von den Dich - tern ihres Landes und ihrer Zeit.
Einſam und verwaiſet ſtand jetzt Johann van Eyck, doch ſein fürſtlicher Freund und ſeine Kunſt waren ihm geblieben; in dieſer vor allem ſuchte er Troſt und fand ihn auch. Muthig wandte er ſich mit verdoppeltem Eifer ihr zu und vollendete das hohe Werk allein das er ſo freudig unter dem Beiſtand ſeines Bruders begonnen hatte. Fertig ſtand es da, das Wunder der Welt, zu dem aus der Nähe und Ferne Alles herbei wallfahrtete. Doch der Meiſter, der es vollbracht, zog ſtill und be - ſcheiden ſich wieder nach Brügge in ſeine verödete Werkſtatt, zu neuen Arbeiten zurück.
Der Gegenſtand jenes allberühmten Altarblat - tes in Gent iſt aus der Offenbarung Johannis ent - lehnt, doch deſſen Ausführung umfaßte eine ganze Welt. Fürſten und Ritter, Weltleute und Geiſt - liche, Krieger, heilige Pilger, Eremiten, ziehen in all ihrer Eigenthümlichkeit herbei, um vor dem Lamme, dieſem Symbol des höchſten Geheimniſſes der Gottheit, anbetend niederzuſinken; ja dieſe54 ſelbſt erſcheint zu deſſen Verherrlichung, begleitet von den Heiligen des Himmels und den himmliſchen Heerſchaaren.
Jn der obern Abtheilung des Gemäldes, über dem bedeutungsvollen Lamme, iſt Gott Vater ſitzend abgebildet, das Scepter in der Hand, die päpſtliche Krone auf dem Haupt, ihm zur Rechten Maria, ein Buch auf dem Schooße, zur Linken Johannes der Täufer; alle drei lebensgroße Figuren.
Dieſer Theil des urſprünglich aus zwölf Tafeln beſtehenden Gemäldes befindet ſich in dieſem Augen - blick wieder in Gent, über dem Altar einer Kapelle in der Kirche St. Bavon. Das Ganze war noch bis zu dem traurigen Zeitpunkte beiſammen, da raubſüch - tige plündernde Feinde die Welt überſtrömten; ein Kunſtwerk von dieſer Bedeutung konnte ihrem Späherblik nicht entgehen, doch gelang es der Geiſtlichkeit des Domkapitels von St. Bavon, mit Hülfe einiger vaterländiſch geſinnter Männer, acht dieſer Tafeln, und zwar nicht ohne Lebensgefahr, zu verbergen. Nur vier wurden nach Paris ge - ſchleppt, von wo ſie im Jahr 1815 wieder zurück -55 kehrten. Sechs der früher verborgnen Tafeln wurden ſeitdem von der Geiſtlichkeit der Kirche St. Bavon verkauft; ſie befinden ſich jetzt als Privat - eigenthum eines Kunſtfreundes in Berlin, das höchſte Kleinod einer in ihrer Art einzigen unſchäz - baren Sammlung. Das Schikſal der übrigen iſt mir unbekannt.
Auf einem der obern Seitengemälde hatte Johann van Eyck mit unnachahmlicher Kunſt Adam dargeſtellt, wie dieſer, kämpfend mit innerem Grauen und Alles hingebender Liebe zu ſeiner jungen Gattin, die Unheil bringende Frucht betrachtet, welche ſie ihm beut. Aus Achtung für die Meinung des heiligen Auguſtinus und einiger andern Kirchen - väter hatte der Künſtler ſtatt des Apfels eine friſche Feige als Veranlaſſung des Sündenfalles unſrer erſten Eltern dargeſtellt. Dieſe Vorſtellung bezog ſich auf den Namen der Kapelle in welcher der Altar ſtand, denn dieſe wurde Adam und Eva geheißen.
Von dem, was dieſes wundervolle Kunſtwerk geweſen ſeyn muß, als noch alle zwölf Tafeln in56 urſprünglichem Glanz den Altar ſchmückten, davon geben die ſechs in Berlin befindlichen Seitengemälde eine höchſt erfreuliche Ahnung. Zwar entſtellt ſie Staub und Kerzendampf, doch des Johann van Eyck Glorie ſchimmert durch dieſe Decke ſtrah - lend hervor. Möge nur ein freundlicher Genius über dieſe köſtlichen Ueberbleibſel eines unſchäzbaren Kunſtwerkes ferner walten, damit keine ungeſchikte oder voreilige Hand es wage ſie zu berühren und zu zerſtören, indem ſie beſſern will.
Jede dieſer Tafeln ſchien mir etwa drei Ellen hoch und halb ſo breit; die Figuren auf den beiden erſten ſind beinahe Lebens-Größe, die auf den übrigen weit kleiner.
Auf der erſten Tafel erblikt man die heilige Cäcilie vor ihrer Orgel ſitzend, von vier ihr Or - gelſpiel auf verſchiednen Jnſtrumenten begleitenden Engeln umgeben; ſie trägt ein weites, mit Herme - lin aufgeſchlagnes königliches Gewand mit großen goldnen Blumen auf dunkelem Grunde. Dieſer erſcheint ſchwarz, iſt aber vermuthlich urſprünglich dunkelblau oder purpurfarben. Das reiche helle57 Haar fließt wellenförmig gelockt über die Schultern hin, von einer aus Juwelen und Perlen zuſam - mengeſetzten Stirnbinde oder Kette gehalten. Man erblikt die hohe Geſtalt faſt ganz von hinten, auch das ſchöne ernſte Geſicht zeigt ſich nur im abge - wendeten Profil. Die Engel ſind in reiche Chor - gewänder von Goldbrokat und hellfarbigen reichen Stoffen gekleidet, ſie tragen, wie die Heilige, köſtliche von Gold und Edelſteinen ſtrahlende Binden um die Stirne und um das ſchön gelockte Haar. Der, welcher oben neben der Orgel, halb von dieſer verdeckt, ſteht, ſpielt die Harfe, ein andrer im Vorgrunde dicht hinter Cäcilien ſpielt das Violonzell.
Auf der zweiten Tafel, welche das Gegen - ſtück der erſten bildet, ſtehen ebenfalls in reichen Chorgewändern mit juwelenreichen Stirnbinden acht andre Engel. Der Glanz, die Pracht, die unaus - ſprechliche naive Anmuth beider Gruppen, ſowohl der heiligen Cäcilie als beſonders dieſer zweiten, laſſen ſich nicht in Worte faſſen. Ganz im Vor - grunde hält ein Engel das mit künſtlichem Schnitz -58 werk verzierte Notenpult in der einen Hand und gibt mit der andern den Tackt an, um den Geſang ſeiner hinter ihm gruppirten Brüder zu leiten. Unerachtet ihrer großen, ſchimmernden Flügel ſind alle dieſe himmliſchen Sänger doch eigentlich nur das treue Porträt ſchöner Chorknaben, wie ſie der Künſtler unzähligemal ſah; in Ausdruck und Be - wegung rein menſchlich dargeſtellt, mit unübertroff - ner Wahrheit und entzückender Naivetät, aber himmelweit entfernt von jedem Gedanken an Jdeal. Alle blicken ſehr ernſt in das auf dem Pulte liegende Notenblatt und ſingen ſo eifrig, mit ſo emſiger Anſtrengung, daß man faſt taub zu ſeyn glaubt, indem man ſie ſieht und nicht hört. Karl von Manders naive Bemerkung, daß man jedem von ihnen deutlich anſehen könne, welche Stimme er ſingt, ob Baß, Tenor oder Sopran, muß dabei jedem einfallen. Jch ſah dieſes Ge - mälde einſt durch die offne Thür des Zimmers, welches an das ſtößt wo die Tafeln aufgeſtellt ſind, in einiger Entfernung; ein ſcharfer heller Son - nenſtrahl beleuchtete es, und die Knaben ſtanden59 wie herausgetreten aus den Rahmen frei und lebendig im Zimmer; ſo täuſchend iſt die Wahrheit dieſes wunderbaren, bis zu jeder einzelnen Haar - locke ausgeführten Gemäldes.
„ Justi Judicis “iſt die Unterſchrift der dritten Tafel. Jn einem reichen blühenden Thal, zwiſchen hohen Bergen, deren Gipfel Thürme und feſte Schlöſſer krönen, ziehen mehrere Ritter zur An - betung des Lammes hin. Jm Vorgrunde reitet der Stifter des Gemäldes, Philipp der Gütige, neben ihm Johann und Hubert van Eyck. Dieſe Abbildung beſtätigt vollkommen den großen Unter - ſchied des Alters der Brüder; Hubert, faſt ſchon ein Greis, reitet auf einem ſtolzen prächtig ge - ſchmückten Schimmel, auch er ſelbſt iſt ſtattlich ge - kleidet und trägt eine vorn aufgeſchlagne und mit Pelzwerk verbrämte Mütze von ſeltſamer Form auf dem Haupt; Johann trägt über einem ſchwarzen Talar ein rothes Paternoſter, mit einer daran hän - genden goldnen Medaille, und eine Turbanartige Kopfbedeckung an der hinten ein Zipfel herabhängt; er ſcheint fünf und dreißig bis acht und dreißig Jahre60 alt. Die Züge ſeines Geſichts haben nichts aus - gezeichnetes, ſind aber von mildem edlem Ausdruck und tragen ganz das Gepräge ſeines Vaterlandes. Noch ſechs andere Reuter füllen den Hintergrund, unter ihnen ein König, die Krone auf dem Haupt, den man aber nur im Rücken ſieht.
Auf der vierten Tafel, mit der Unterſchrift „ Christi milites “reiten die Krieger Gottes, durch eine der vorigen ſehr ähnliche Landſchaft, zum nehmlichen Ziele. Vorauf, auf prächtigen, reich geſchmückten Zeltern ziehen zwei mit Lorbeerkränzen gekrönte junge Helden, mit hochflatterndem Panier, in ſilberheller von Gold und Edelſteinen ſtrahlender Rüſtung; ſieben andere Ritter folgen dieſen, einer von ihnen trägt einen köſtlichen reichen Helm, die andern haben zierliche zum Theil mit Pelzwerk ver - brämte Kopfbekleidungen, die Pferde ſind ſehr ſchön, ganz der Natur getreu, die ganze Gruppe iſt von unausſprechlicher ritterlicher Lebendigkeit und Hoheit.
Die fünfte Tafel hat zur Unterſchrift „ Pegrini sti. “ Sie hat mehr gelitten als die vorhergehenden, und ſcheint an einigen Stellen durch Staub und61 Schmutz ſehr verdunkelt. Die Landſchaft ſtellt eine ſchöne Gegend im üppigſten Glanz des Südens dar; Pinien ſchmücken ſie, Cedern und Orangenbäume, zwiſchen dieſen tauſend fremdartige bis in die kleinſten Details ausgeführte Gräſer, Kräuter und Blumen. Wie Kieſel am Wege leuchten verſtreute Perlen und farbige Edelſteine aus dem Graſe und zwiſchen Felsſtücken unter den Füßen der Pilger hervor. Dieſe ziehen in mannichfaltiger Kleidung und Geſtalt aus allen Ständen herbei, zum Theil auch mit Muſchelhut und Stab, mitten unter ihnen eine edle ausdrucksvolle Greiſengeſtalt mit langem ehrwürdigen Bart. Ganz im Hintergrunde ſteht eine ſeltſame lachende Figur, in einer Mönchskutte, denn in jener einfachen Zeit glaubte man das Heilige nicht durch einen gutgemeinten Scherz zu entweihen. Rieſengroß führt im Vorgrunde der heilige Chriſtoph die fromme Schaar an, doch ohne die ſchwere Laſt des göttlichen Kindes auf der Schulter zu tragen.
Die ſechſte Tafel trägt die Unterſchrift „ Hey - remite sti. “ Durch ein enges Felſenthal von ganz ſüdlichem Karackter zieht die fromme Schaar der62 Einſiedler herbei, zwiſchen Pinien und Orangen - bäumen; Kräuter und Blumen, gleich denen auf der vorigen Tafel, blühen und grünen unter ihren Füßen, und auch hier liegen Perlen und farbige Juwelen in Menge umhergeſtreut. Zwei ſchöne herrliche Greiſe führen den Zug an, einer von ihnen hält den Roſen - kranz in der Hand, ihnen folgen die würdigſten edelſten Geſtalten mit prächtigen langen Bärten; doch auch hier miſcht ſich der Scherz dem Ernſt bei, denn einige Köpfe von ächt humoriſtiſchem Ausdruck lauſchen hie und dort einzeln hervor. Magdalena mit dem Salbengefäß und neben ihr noch eine heilige Frau beſchließen im Hintergrunde den Zug.
Die Ausführung, beſonders der Haare und Bärte, ſo wie der ſo naturgetreue Ausdruck jedes einzelnen Kopfes, iſt höchſt bewundernswerth. Von allen dieſen Tafeln läßt ſich nur das über die Ge - mälde des Künſtlers in der Boiſeréeſchen Sammlung Geſagte wiederholen. Unerachtet der verſchwen - deriſch überall verbreiteten Pracht der köſtlichen Stoffe, des Goldes und der Juwelen konnte ich doch nirgend in dieſen eine Spur wirklichen Metalls63 entdecken, nur auf den beiden erſten Tafeln, hinter der heiligen Cäcilie und hinter dem ſingenden En - gelchor ſchimmert der Grund von wirklichem Golde, wahrſcheinlich um die ſtrahlende Herrlichkeit des Ganzen noch zu erhöhen.
Da das Hauptgemälde durch dieſe Flügelbilder gewöhnlich verſchloſſen gehalten ward, ſo iſt auch die Rückſeite derſelben von des Meiſters Hand zwar einfacher doch nicht minder würdig geſchmückt. Auf jeder Tafel ſteht nur eine einzelne Figur; farblos, grau in grau, zeigen dieſe ſich jetzt, vielleicht waren ſie früher etwas kolorirt, wie einzelne Spuren dem genau ſie beobachtenden Auge anzuzeigen ſcheinen, doch läßt ſich dieſes nicht mit Gewißheit behaupten. So wie ſie jetzt ſich zeigen, iſt dennoch der hohe Geiſt des Meiſters in ſolcher Fülle über ſie ergoſſen daß wahrlich die ganze blendende Pracht des Jnnern dazu gehört, um dieſe edlen, einfachen, alles Farbenzaubers beraubten Geſtalten zu ver - dunkeln.
Jm ſtillen ſchmalen hochgewölbten Zimmer knieet die reinſte holdſeeligſte der Jungfrauen auf64 der erſten Tafel, vor dem Betpult, und vernimmt in Demuth die wunderbarſte Verkündigung einer unbegreiflichen Zukunft. Die heilige Taube ruht auf ihrem Haupte. Die ganze Darſtellung der in Huld und Anmuth verklärten Jungfrau, farblos und verblichen wie ſie iſt, gehört zu dem Vortreflichſten, und erinnert unwiderſtehlich an Johann van Eycks Verkündigung in der Boiſeréeſchen Sammlung; ſogar bis auf die Anordnung des Gemachs. Aus dem großen offnen Fenſter im Hintergrund blickt man in eine weite, von ſchönen Gebäuden umgebene Straße hinaus.
Die zwote Tafel zeigt uns, als würdiges Ge - genſtück zu der erſten, den göttlichen Boten; eine blühende Lilie in der Hand ſchwebt der jugendlich ſchöne Jüngling, von mächtigen Schwingen getragen, leicht über den Boden hin. Die Rückſeite der dritten Tafel ſchmückt die hohe ernſte Geſtalt Jo - hannes des Täufers, er trägt das Lamm in ſeinen Armen.
Auf der vierten Tafel bildete Johann van Eyck nochmals ſeinen Bruder Hubert ab, den65 Lehrer ſeiner Jugend, den treuen Gehülfen ſeiner Arbeit, den Mitgenoſſen ſeines Ruhms. Er ſteht mit zum Gebet erhobnen Händen; leider hat das Bild mehr als die übrigen von der Gewalt der Zeit gelitten, die Züge des Geſichts ſind nicht ganz deutlich erhalten, aber ſo wie es iſt, zieht es durch Adel und Geiſt in Stellung und Form unwiderſtehlich an. Ein rothes Gewand, bei übriger Farbloſigkeit, zeichnet dieſes Bild ſonderbar aus.
Auf der fünften Tafel ſteht Johannes der Evangeliſt, mit ſeinem Attribut, dem Kelch, aus welchem eine Schlange emporſteigt; auf der ſechſten endlich erblickt man eine Frau in der Feſt-Tracht der damaligen Zeit. Auch ſie ſteht in betender Stellung wie Hubert; man gibt dieſe, leider ebenfalls ſehr verblichene Geſtalt, für die Gattin eines der beiden Brüder van Eyck aus, ich aber möchte ſie lieber für ihre Schweſter, die zu ihrer Zeit berühmte jungfräuliche Künſtlerin Margarethe halten, beſonders da, ſo viel ich weiß, nirgend der Verheirathung Johannis oder Huberts erwähnt wird.
566Hubert ward nach Karl von Manders Ver - ſicherung in der Johannis-Kirche zu Gent unfern ſeiner Schweſter Margarethe begraben. Dieß läßt vermuthen, daß letztere den Brüdern von Brügge nach Gent gefolgt ſey, vielleicht um ſie bei der großen Arbeit mit ihrem Talent nach Kräften zu unterſtützen, denn ſie bedurften wohl bei dem ihren Schülern verborgnen Geheimniſſe ihrer Kunſt einer treuen verſchwiegnen Gehülfin. Margarethe ſtarb bekanntlich vor Huberts Ableben, und was kann ungezwungner uns entgegen treten, was ſtimmt beſſer mit Johann van Eycks Geiſt und Gemüth, als die Vermuthung, daß er beiden ihm durch Geiſt und Talent noch mehr als durch Bande des Bluts verwandten Geſchwiſtern hier ein Gedächtniß ſtiften wollte auf dem unter ihren Augen, mit ihrer Hülfe, begonnenen großen Werke, welches er nun allein vollenden mußte.
Nicht nur Himmel und Erde, Leben und Hoffen des Menſchen, umfaßte dieſes ungeheure Werk; unter der Haupttafel deſſelben, auf einer Art von Fuß oder Geſtell worauf dieſe ruhte, war67 auch das Fegefeuer abgebildet, deſſen unglückliche Bewohner in Furcht, Zittern und peinlicher Quaal vor dem Namen des Lammes die Kniee beugen. Doch dieſer Theil des Gemäldes war leider nicht mit Ölfarben gemalt, und da er ſtets offen ſtand, ging die Malerei darauf allmählich durch die bekannte niederländiſche Reinlichkeitsliebe zu Grunde; un - verſtändige Verbeſſerer verſuchten den Schaden wieder gut zu machen, und ſo war dieſer Theil des Altarbildes ſchon im ſechzehnten Jahrhundert durch - aus verdorben, ſo daß nur durch Tradition ſeine frühere Exiſtenz uns bekannt geworden iſt.
Nie ward ein Kunſtwerk höher geachtet, all - gemeiner geprieſen, als dieſes Gemälde, vom Mo - ment an da es vollendet in nie geſehner Pracht den Altar ſchmückte. Gewöhnlich blieb es verſchloſſen, nur an ſeltnen hohen Feſten ward es den Blicken des Volks Preis gegeben, auſſerdem wurde es nur mäch - tigen Fürſten gezeigt, oder Reiſenden, welche dieſe Begünſtigung mit ſchwerem Golde erkauften.
Doch war einmal ein ſolcher feſtlicher Tag an - gebrochen, an dem die Flügel des Heiligthums ſich5 *68allen Augen erſchloſſen, dann vermochte auch die Kapelle, welche es bewahrte, die Menge kaum zu faſſen, die vom Morgen bis zur Nacht ſich herzu - drängte. Weit und breit waren dann die Wege um Gent mit hinzueilenden Wallfahrern bedeckt; aus ganz Flandern und Brabant zogen Kunſtfreunde und Künſtler herbei, und umſchwärmten das Wunder - bild wie Bienen den Blüthenbaum. Dieſe laute, allgemeine Bewunderung ſchwand nicht mit dem Reize der Neuheit. Jahre folgten Jahren in langen Reihen und jedes führte die Tage des hohen Triumphs der Kunſt in erneutem Glanz herbei. Lukas de Heere, ein geachteter Künſtler und Poet ſeiner Zeit, weihte hundert Jahre nach Entſtehung des hohen Meiſterbildes dieſem ein eignes Lobge - dicht und erlebte die Ehre ſolches an einem Pfeiler in der Kapelle, dem Altar gegenüber, ge - heftet zu ſehen, wo Alt und Jung an ſolchen feſt - lichen Tagen ſich daran erfreuten.
Mancherlei Gefahren drohten dieſem Kunſt - werke in jener trüben Zeit, als der bilderſtürmende Fanatismus Kirchen und Klöſter verheerend durch -69 zog. Der Verluſt, welchen die Kunſt damals erlitt, iſt eben ſo wenig zu berechnen als zu erſetzen, und die Errettung des Einzelnen mitten im allgemeinen Untergange gränzt oft an Wunder. Doch nicht nur verblendete Barbaren, auch Philipp der zweite, König von Spanien, drohte dem ge - ſchätzteſten Kleinod der Stadt Gent. Er ſtreckte den eiſernen Arm, der die unglücklichen Niederlande vernichtend beherrſchte, nach dieſem Wunderbilde aus, um es nach Spanien zu führen, und kaum läßt es ſich begreifen, wie allgemeine Bitten und Vorſtellungen ihn endlich bewegen konnten davon abzuſtehen. Er begnügte ſich mit einer Kopie von der Hand des beſonders auch in Spanien hochberühmten Meiſters Michael Coxies von Mecheln. Dieſer arbeitete für die damals ſehr be - trächtliche Summe von viertauſend Gulden mit unermüdlichem Fleiße zwei Jahre lang daran. Die Pracht der Farben mag ihm manche unüberwindliche Schwierigkeit entgegengeſtellt haben; unter andern verzweifelte er daran, das Blau des Gewandes der heiligen Jungfrau erreichen zu können, und70 Philipp der zweite verwendete ſich ſelbſt bei dem großen Tizian für ihn, der ihm von Venedig aus eine ſehr koſtbare, aus den ungariſchen Gebirgen kommende Azurfarbe ſchickte. Wahrſcheinlich war es Ultramarin, deſſen jener Meiſter ſich bekannt - lich ſehr häufig bediente. Karl von Mander erzählt als etwas merkwürdiges, daß Michael Coxies allein zu dem Mantel der heiligen Jungfrau für zwei und dreißig Dukaten von dieſer Farbe ver - braucht habe. Die Kopie ward endlich nach unſäg - licher Arbeit glücklich vollendet und nach Spanien geſandt, nur hatte der Meiſter es ſich herausge - nommen, einiges darin zu verändern, zum Beiſpiel die Stellung der heiligen Cäcilie, die zu ſehr von hinten geſehen, ihm nicht zierlich genug dünkte. Jn unſern Zeiten iſt dieſe Arbeit Michael Coxies, wahrſcheinlich als Beute irgend eines franzöſiſchen Generals, wieder nach den Niederlanden gekom - men, denn ein gelehrter Kunſtfreund aus, jenem Lande, Herr von Keverberg der ältere, verſichert, ſie im Jahre 1817 in Brüſſel geſehen zu haben, wo ſie vielleicht noch in dieſem Augenblick ſich befindet.
71Doch kehren wir zurück zu der Geſchichte und zu der ſtillen geheimen Werkſtatt des Meiſters, aus welcher während einer langen Reihe von Jahren, nach Vollendung dieſer ſeiner größten Arbeit, eine unüberſehbare Anzahl von Gemälden hervorging, die ihr nur an Umfang, nicht an innerem Werthe nachſtehen durften.
Jmmer lauter ward die Verkündigung ſeines Ruhmes, immer geſpannter die Aufmerkſamkeit der Künſtler, vor allem in Jtalien, um die Bereitung von Farben zu entdecken, deren große Vortheile Alle einſahen. Säle und Gallerien der Fürſten Jtaliens, wo damals auch die Kunſt ſich mächtig zu regen begann, prangten mit den Werken des Deutſchen, Johann van Eyck, dort unter dem Namen Giovanni da Brugge bekannt; leider hat uns die Kunſtgeſchichte nur Namen und Beſchrei - bungen von wenigen dieſer längſt zu Grunde ge - gangenen Gemälde aufbewahrt. Ein heiliger Hiero - nymus wird hochgeprieſen, der ſpäter das Eigen - thum des großen Lorenzo von Medicis ward; auch eine Verkündigung, welche Alfons der erſte, König72 von Neapel beſaß und die der Beſchreibung nach, welche uns Faccius in ſeinem Buche de viris illustri - bus davon gibt, die größte Ähnlichkeit mit der erſten Tafel des Altargemäldes in der Boiſſerée - ſchen Sammlung gehabt haben muß.
Doch nicht nur der heiligen Geſchichte allein weihte Johann van Eyck ſein hohes Talent; er hatte ja der Kunſt die ganze ſichtbare Welt zu eigen erworben und achtete es daher nicht ſeiner unwür - dig auch andere Gegenſtände zu malen, oder die Geſtalt einzelner Menſchen ihren Freunden und der Nachwelt zu erhalten. Er malte mehrere Bild - niſſe ſeiner Zeitgenoſſen nach dem Leben und ſchmückte dieſe oft mit ſchönen Landſchaften im Hin - tergrunde. Dieſe kleinern Gemälde von ſeiner Hand wurden ſpäter zu hohen Preiſen geſucht und verkauft. Die verwittwete Königin von Ungarn, Schweſter Karls des fünften, gab einem Barbier in Brügge, der ſo glücklich war durch Erbſchaft oder Zufall ein ſolches Bildchen zu beſitzen, ein Jahrgeld von hundert Gulden auf Zeitlebens dafür. Es ſtellte in einem kleinen Raum ein Brautpaar73 vor, deſſen Hände die Treue zuſammen gibt. Faccius gedenkt bewundernd der täuſchenden Per - ſpective eines von Johann van Eyck dargeſtellten Bibliothek-Zimmers, und ſetzt hinzu:
„ auf „ der äußern Seite derſelben Tafel iſt Baptiſta „ Lommellinus gemalt, dem ſie (die Bibliothek) „ zugehört hatte, und dem nur die Stimme zu „ fehlen ſcheint und ſein geliebtes Weib, genau „ ſo ſchön abgebildet als ſie war; zwiſchen beiden „ fällt ein Sonnenſtrahl, wie durch eine Ritze „ herein, den man für wahren Sonenſchein halten „ möchte. “
Vaſari gedenkt der Abbildung eines Badezim - mers, welche ebenfalls König Alfonſo von Neapel von Johann van Eyck erhielt, und die ein Wunder naturgetreuer Darſtellung geweſen ſeyn muß. Wahr - ſcheinlich iſt es dieſelbe, welche Faccius als das Eigenthum des Kardinals Octavian folgendermaßen beſchreibt: „ Du ſiehſt ſchöne Frauen, wie ſie aus dem Bade ſteigen, und, merklich erröthend, ſich mit einem feinen Tuche bedecken; eine davon ſtellte er ſo, daß nur Geſicht und Bruſt geſehen74 wird, die entgegengeſetzte Seite des Körpers aber ſich in einem daneben gemalten Spiegel dergeſtalt zeigt, daß man den Rücken eben ſo ſieht wie die Bruſt. Auf demſelben Bilde iſt eine Lampe in dem Badezimmer, als ob ſie brenne; ein altes Weib welches zu ſchwitzen ſcheint; ein Hündchen das vom Waſſer leckt; weiterhin ſind Pferde, Menſchen, ſehr[kl]ein, Berge, Wälder, Dörfer, Schlöſſer, ſo künſtlich ausgeführt, daß man meint, es ſey jedes von dem andern funfzigtauſend Schritte entfernt. Aber nichts in dieſem Werk iſt bewundernswürdiger als ein Spiegel, auf derſelben Tafel gemalt, worin du Alles, was dort abgebildet iſt, wie in einem wahren Spiegel ſiehſt. “
Jeder, der nur eines der uns erhaltnen Ge - mälde Johann van Eycks ſah, wird dieſer Be - ſchreibung der für die Welt verlornen Glauben bei - meſſen. Und auf welcher Höhe, in welcher Macht und Größe muß dann der gewaltige Geiſt eines Mannes vor uns ſtehen, der während eines einzigen beſchränkten Menſchenlebens dieſe lebende, ge - ſtaltenreiche Welt hervorzurufen vermochte!
75Der Ruf jeder dieſer Tafeln verbreitete ſich ſogleich durch die ganze italieniſche Künſtlerwelt, ſo wie eine derſelben über die Alpen gelangte. Schaa - renweiſe eilten die Maler zu ihrer Bewunderung herbei. Sie unterſuchten die Gemälde auf das ge - naueſte, ſie bemerkten den eignen ſcharfen Geruch der ölgemiſchten Farben, doch ohne ihn zu erkennen. Tauſend Verſuche wurden gemacht, es dem großen Giovanni da Brugge gleich zu thun, keiner gelang, bis ein einziger ernſtlich vorwärts ſtrebender[Mann], Antonello von Meſſina den Entſchluß faßte, dieſem Geheimniſſe an der Quelle nachzuforſchen.
Ein glücklicher Zufall führte dieſen Künſtler auf einer Reiſe von Meſſina, ſeiner Vaterſtadt, nach Neapel an den Hof Königs Alfons des Erſten. Dort erblickte er zuerſt eines jener allgeprieſ'nen Wunderbilder des deutſchen Künſtlers. Es war die ſchon erwähnte Verkündigung, deren hohe Vollen - dung ihn ſogleich bewog, jedes andere Unternehmen aufzugeben, ſein ſchönes ſonnenhelles Vaterland zu verlaſſen und jenſeits der Alpen den hohen Meiſter aufzuſuchen, der ſolche Wunder vermochte.
76Nicht jugendlicher Enthuſiasmus beſtimmte den Antonello zu Antretung der weiten Pilgerſchaft von Neapel nach Flandern, welche damals weit unbequemer und gefährlicher war als in unſern Tagen, ſondern vielmehr eine Alles überwindende Liebe zur Kunſt. Er war ſchon ein ſehr bedeuten - der Maler in ſeinem Lande und hatte gewiß längſt das reifere Mannsalter erreicht. Vaſari berichtet uns von ihm, daß er von Meſſina zuerſt nach Rom ſich begab, wo er viele Jahre hindurch mit Zeichnen ſich beſchäftigte. Von dort zog er nach Palermo, wo er ebenfalls Jahrelang lebte, bis ſeine Landsleute ihn wieder in ihrer Mitte zu ſehen wünſchten. Als bedeutender, ge - achteter Künſtler kehrte er darauf nach Meſſina zurück, malte dort vieles, und führte, wegen ſeines Talents und ſeiner übrigen guten lobenswerthen Eigenſchaften von Allen geachtet, ein zufriedenes glückliches Künſtlerleben, bis eine Geſchäftsreiſe ihn nach Neapel brachte, von wo ſein ſtrebender Geiſt ihn nach Flandern trieb.
77Antonello legte die große Reiſe nicht nur glück - lich zurück, ſondern es gelang ihm ſogar auch im Hauſe des Johann van Eyck freundlich aufgenom - men zu werden. Er fand den großen Meiſter zwar als hochbejahrten Greis, aber noch immer rüſtig, in gewohnter Thätigkeit und reger Theil - nahme an Allem, was mit der Kunſt, der er ſein Leben geweiht hatte, in Berührung ſtand. Anto - nello führte viele italieniſche Zeichnungen und andre Kunſtwerke mit ſich, er legte ſie ihm vor, erzählte ihm von ſeinem ſchönen Vaterlande, von dem Leben und Wirken der dortigen Künſtler, von der hohen Achtung in welcher der große Name Giovanni da Brugge dort bei Fürſten und Malern ſtand, von der Bewunderung, die Alle ihm zollten, und wie er den weiten Weg zurückgelegt habe, einzig um ihn von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen und von ihm zu lernen.
Des ſüdlichen Fremdlings einnehmendes Weſen, ſeine Kenntniſſe, ſeine heiße Alles opfernde Liebe zur Kunſt, gewannen ihm des ehrwürdigen Greiſes freundliche Neigung; er gewöhnte ſich bald, ihn78 gleich einem lieben, zu ihm gehörenden Hausge - noſſen zu betrachten. Johann van Eyck fühlte die Schwächen des Alters, er wußte ſeine Tage gezählt, und hatte vielleicht lange ſchon nach einem würdigen Erben des Geheimniſſes ſich geſehnt, das er, ſo lange er lebte, zwar heilig bewahrte, von dem er aber gewiß nicht wünſchen konnte, es mit ſich ins Grab zu nehmen. Die beiſpielloſe Treue, mit welcher der in voller Kraft ſtehende jüngere Mann der Kunſt ſein Leben geweiht hatte, erfüllte die alte doch nicht erkaltete Bruſt des Greiſes mit Liebe und Vertrauen, und Antonello ſah in weit kürzerer Zeit als er gehofft hatte den Gipfel aller ſeiner Wünſche erreicht. Johann van Eyck öffnete ihm die bisher Allen verſchloſſen gebliebne Werk - ſtatt, theilte ihm den ganzen reichen Schatz ſeiner Erfahrungen mit, ſo viel Antonello davon zu faſſen vermochte, und ließ nicht nur unter ſeinen Augen ihn malen, ſondern erlaubte ihm auch Zeuge ſeiner eignen wundervollen Arbeiten zu werden. Rogier von Brügge, ebenfalls ein Schüler Johann van Eycks, theilte dieſes Glück mit Antonello,79 und dieſer blieb von nun an um ſeinen edlen Lehrer, gleich einem vielgeliebten Sohn, in treuer uner - müdeter Anhänglichkeit, bis der Tod in einem ſehr hohen Alter die lichthellen aber müden Augen des hohen Meiſters auf immer ſchloß.
Johann van Eyck ward zu Brügge in der Kirche St. Donati begraben. Eine Säule mit einer von Karl von Mander uns erhaltnen lateini - ſchen Jnſchrift bezeichnete die heilige Stätte wo er ruht, doch weder dieſe, noch irgend eine andre ſichre Nachricht beſtimmt uns das Jahr ſeines Todes. Wahrſcheinlich ſtarb er in den ſiebziger Jahren des funfzehnten Jahrhunderts, und zwar im fünf oder ſechs und achtzigſten Jahre ſeines Alters, wenn er, wie ſo vieles uns zu glauben berechtigt, fünf und zwanzig Jahre ſpäter als Hubert, um das Jahr 1391 geboren ward.
Ehe wir uns von Johann van Eycks Leben und Werken hinweg zu ſeinen Nachfolgern wenden, muß ich noch der Darſtellung des jüngſten Gerichts erwähnen, die ſeit nicht zu berechnender Zeit in Danzig, meiner Vaterſtadt, ſorgfältig aufbewahrt80 ward, bis 1807 franzöſiſche Raubſucht ſich auch dieſes Kleinods bemächtigte. Deutſche Tapferkeit gewann es wieder, es ward nebſt den übrigen wieder eroberten Kunſtſchätzen in Berlin öffentlich ausgeſtellt und dadurch unter dem Namen des Danziger Bildes allbekannt. Seitdem haben ſich ſehr bedeutende Stimmen gegen die alte Tradition erhoben, welche dieſes vortreffliche Gemälde den Brüdern van Eyck zuſchrieb. Sie ſind zu bedeu - tend, als daß ich ihnen entgegen treten möchte, und doch vermag ich es eben ſo wenig, ihnen meine eigne Überzeugung blindlings zu opfern. Deshalb bleibt mir nichts übrig als, neben der Beſchreibung dieſes Gemäldes einfach und wahr zu ſagen, was ich von demſelben weiß, und wie ich es anſehe, ohne mir doch dabei eine entſcheidende Stimme an - zumaßen.
Wann dieſes Bild nach Danzig kam, weiß man bis jetzt nicht genau zu beſtimmen, doch ging ſeit undenklicher Zeit die Sage von Mund zu Mund, daß ein Schiffer es in einem wohl verſchloß - nen Kaſten auf offnen Meere aufgefiſcht und nach81 Danzig gebracht habe, wo er es der damaligen Marien-Kirche weihte. Letztere wird jetzt die Pfarr-Kirche genannt und iſt eines der impoſan - teſten, größten Denkmäler früherer Baukunſt, das noch kein Menſch ohne Ehrfurcht und Bewunderung erblickte. Die Sage vergaß ferner nie dabei zu erwähnen, daß zwei Brüder Namens van Eyck, welche man zugleich als die erſten Erfinder der Öl - malerei bezeichnete, es gemalt hätten, und ſo lebte dieſer große Name faſt an der äußerſten nordiſchen Gränze deutſcher Sprache noch immer fort, ſelbſt unter dem Volk, und war auch mir bekannt und befreundet von Jugend auf, während ihn die übrige Welt, wenige Kunſtverſtändige ausgenommen, bei - nahe gänzlich vergaß.
Jn der Zeit, wo die katholiſche Kirche in Danzig die herrſchende war, ſchmückte dieſes Bild vielleicht einen kleinen Seitenaltar, doch gewiß nie den ſehr großen hohen Hauptaltar der von ihren Erbauern der heiligen Jungfrau geweihten Kirche, weil ſich der Gegenſtand deſſelben, das jüngſte Gericht, nicht hiezu eignet. Denn man wählte682zum Schmucke des Hauptaltars immer ein Kunſt - werk, das hauptſächlich auf den Heiligen Bezug hatte, dem zu Ehren die Kirche erbaut war. Und ſo enthält auch das Jnnere des Hauptaltars dieſer Kirche eine in Holz geſchnitzte und reich vergoldete, faſt koloſſale Abbildung der von der heiligen Drei - einigkeit umgebenen Mutter Gottes, die aller Wahrſcheinlichkeit nach noch dieſelbe iſt, von welcher Kurike in ſeiner Kronick, als im Jahr 1517 von Meiſter Michell überantwortet, ſpricht. Sehr achtenswerthe Kunſtkenner, welche aber dieſe Kirche nie ſahen, fühlten ſich durch dieſe in der Kronick enthaltne Stelle bewogen, das Danziger Bild für dieſe Tafel zu halten und es deshalb dem Meiſter Michael Wolgemut zuzuſchreiben. Bötticher aber, der bis ins Jahr 1615 bei dieſer Kirche als Kir - chenvorſteher angeſtellt war, nennt in ſeinem im Manuſcript vorhandenen hiſtoriſchen Kirchenregiſter den Verfertiger der Tafel auf dem Hauptaltar einen Prieſter, Namens Michael, und bemerkt, daß das Malwerk nebſt dem Vergülden des Altars 3386 Mark gekoſtet habe, und der Kontrackt darüber mit83 einem Meiſter Michell geſchloſſen ſey, den Prätorius in einem andern Werk Michael Schwarz nennt. Zwei gewaltige große Flügelthüren, ebenfalls mit geſchnitzten Figuren bedeckt, verſchließen gewöhnlich das Jnnere dieſes Altars. Wahrſcheinlich waren es dieſe Figuren, deren Anmalung den Maler beſchäf - tigte, wie man es noch häufig in alten Kirchen findet; jetzt ſind ſie weiß angeſtrichen und vergoldet; das Ganze iſt überhaupt als Kunſtwerk wenig erfreulich.
Seit der lutheriſche Glaube in Danzig der herrſchende wurde und man die kleinen Seitenal - täre wegnahm, hing das Bild in einem verſchloß - nen Schrein, an einem der gewaltigen Pfeiler welche das ſchwindelnd hohe Gewölbe der Pfarr - kirche tragen. Es war gewöhnlich verſchloſſen, doch keinesweges verkannt oder vergeſſen, im Gegen - theil ward wohl nie ein Kunſtwerk höher geachtet und allgemeiner bewundert, gerade weil es in der großen Stadt ſo vereinzelt da ſtand. An hohen Feſten, wenn die Kirche mit ihrem koſtbarſten Altargeräthe prangte, pflegte auch das Bild aufge - ſchloſſen zu werden, und dann ſtrömte Alles herbei6 *84es zu bewundern. Das Gedränge war groß und die Kirche ward nie leer ſo lange das Bild offen blieb, denn das Volk betrachtete es als einen Gegenſtand der Erbauung, es ſchauderte vor dem Anblick der Hölle, und gewiß ſind von ſonſt rohen Gemüthern vor dieſem Bilde manche gute Entſchlüſſe gefaßt worden, die der ſtrengſte Bußprediger nicht hätte erwecken können. Übrigens konnte man das Bild ſich aufſchließen laſſen wann man wollte; es war die erſte Merkwürdigkeit, welche jeder Einwohner aus den gebildeten Ständen ſeinen fremden Gäſten zu zeigen ſich beſtrebte. Hausgenoſſen und Vorüber - gehende drängten ſich dann freudig hinzu, ich habe bei ſolchen Gelegenheiten es als Kind unzähligemal geſehen und darf wohl ſagen daß vor dieſem Bilde das erſte Gefühl für die Kunſt in meiner Seele erwachte. Jtzt ſteht es in einer Seitenkapelle der Kirche, doch vergehen wenige Tage im Jahr, an denen es nicht auf Fremder oder Einheimiſcher Begehren gezeigt wird. Das Bild ſelbſt beſteht aus einem Mittelbilde und zwei Flügel-Bildern. Auf einem großen glänzenden Regenbogen, deſſen85 Kreis bis auf einen kleinen Theil unten, wo er den Horizont berührt, ganz ſichtbar iſt, thront der Heiland in ernſter Richterſtrenge. Ein glühend rothes Schwert, die Spitze nach ihm gewendet, ſchwebt zur linken Seite dicht an ſeinem Haupt, zur rechten eine Lilie. Eine in der Luft ſchwebende goldne Kugel, in welcher ſich die nächſten Gegen - ſtände ſpiegeln, dient ihm zum Schemel. Er iſt mit einem rothen Mantel bekleidet, der auf der Bruſt durch eine reiche Spange zuſammengehalten wird, dann von beiden Seiten zurückfällt, ſo daß der nackte Körper ſichtbar wird, und über dem Schooß in großem ſchönen Faltenwurf ſich aus - breitet. Vier Engel in farbigen langen Gewändern ſchweben über ihm mit den Emblemen ſeines Leidens für eine ſündige Welt. Dicht hinter dem Regen - bogen, auf Wolken ſitzend, bilden die zwölf Apoſtel einen ſich dieſem anſchließenden Kreis, auf jeder Seite ſechſe; am Ende dieſes Kreiſes knieet zur Rechten Maria in betender Stellung, eine Stralen - glorie um das Haupt, in einen weiten dunkelgrünen Mantel matronenartig verhüllt; der Ausdruck ihres86 ſchönen Geſichts iſt mütterliche Güte und vorbittende Milde. Jhr gegenüber, am andern Ende des Kreiſes knieet Johannes der Täufer, ebenfalls eine Glorie um das ſehr edle ſchöne Haupt, mit einem eng anſchließenden Gewande von feinen Fellen bekleidet, über welche ein grüner, roth gefütterter Mantel fällt. Die bis in die kleinſten Einzelheiten vortreff - lich ausgeführten Hände erſcheinen etwas mager, doch warm und lebendig. Unter dieſer Gruppe ſchweben drei Engel, ebenfalls in langen, die Füße bedeckenden Gewändern, und laſſen die furchtbare Poſaune zur Erweckung der Todten ertönen. Alles dieſes geht in der Luft vor, auf der Erde öffnen ſich die Gräber und die Todten ſtehen auf.
Ganz dem Anſchauer zugewendet, und rieſen - groß gegen die faſt um die Hälfte kleineren Aufer - ſtehenden, ſteht in der Mitte die hohe Heldenge - ſtalt des Erzengels Michael in prachtvoller goldner Rüſtung, in welcher ſich von beiden Seiten die nächſten Umgebungen ſpiegeln, eben wie in der Kugel auf welcher die Füße des Heilands ruhen. Die prächtigen großen Flügel des Erzengels ſind aus87 ſchimmernden Pfauenfedern zuſammengeſetzt, ein weiter Mantel, ſcharlachroth mit goldnen Blumen, mit Purpur gefüttert, mit einer Doppelreihe von Perlen und farbigen Edelſteinen eingefaßt, über der Bruſt durch ein großes juwelenreiches Medaillon zuſammengehalten, fließet zu beiden Seiten von ſeinen Schultern bis auf den Boden herab, ſo daß der ganze Harniſch ſichtbar bleibt; oben am Halſe erſcheint das Panzerhemd von goldnem Geſtricke. Das ernſte, von goldigen Locken umfloßne Haupt ſchmückt eine ſchmale Binde, aus welcher vorn ein juwelenreiches Kreuz emporſteigt. Hoch in der rechten Hand hält der Engel einen langen ſchwarzen Stab, an deſſen oberm Ende ein reicher kreuzförmi - ger Griff ſchimmert, in der linken, mit dem Stabe ſich kreuzend, hält er die furchtbare Waage. Die rechte Schaale, in welcher ein Seeliger betend knieet, ruht am Boden, die linke, mit dem zu leicht Be - fundenen, fährt hoch in die Höhe; die Stellung des faſt herausfallenden Unglücklichen, den ein nahe - ſtehender Teufel ſchon beim Haar faßt, drückt das ganze Gefühl ſeines Elends aus. Nichts kann im -88 poſanter, höher, größer gedacht werden, als Michaels edle, glänzende, ſchlanke Geſtalt, als der richtende Blick ſeines etwas vorgebeugten ernſten Geſichts. Dennoch iſt gerade dies nicht mit voll - kommner Freiheit behandelt, die Farbe iſt ſo dünn aufgetragen, daß bei genauer Betrachtung einige Veränderungen des mit Bleiſtift gezeichneten Kon - turs hindurch ſchimmern, als habe dem Maler ein noch höheres Bild vorgeſchwebt. Auch bei einigen andern Köpfen entdeckt man ſchwache Spuren ſolcher ausgelöſchten Konture. Die Gruppen der Erwachen - den und Erſtandnen zu beiden Seiten des wägenden Engels ſind zu mannichfaltig um ſie alle zu beſchrei - ben. Jn der Nähe und Ferne ſteigen die Todten aus ihren Gräbern, alle drücken das Vorgefühl ihres nahenden Schickſals aus, ſey es Freude, ſey es Entſetzen. Auf einem Grabſtein ſteht die Zahl CCCLXVII, doch wie mir ſcheint von ſpäterer Hand übermalt, ſo wie auch die Köpfe des Seeligen in der Waage und des mittelſten der drei Engel mit der Poſaune ſichtbar aufgemalt ſind.
89Dicht hinter dem Erzengel ſtreiten ein Engel und ein Teufel ſich um den Beſitz einer Seele. Die unausſprechlichſte Angſt, Schmerz, an Wahnſinn gränzende Verzweiflung ſpricht zur Linken Michaels aus den unſeeligen, auf das mannichfaltigſte grup - pirten, zum Theil dicht zuſammengedrängten Ge - ſtalten jedes Alters und Geſchlechts. Wunderbar fantaſtiſche Teufelsfratzen, zum Theil mit ſchönen Schmetterlingsflügeln, miſchen ſich unter die Ver - dammten und treiben ſie auf mannichfaltige Weiſe mit wahrhaft ſataniſcher Freude dem Abgrunde zu. Selbſt Dantes gewaltige Phantaſie konnte nichts er - ſinnen was dieſes überträfe. Auf der rechten Seite hingegen iſt Alles fromme Ruhe und ſeeliges Vorge - fühl der Himmelsfreuden, das in einigen, beſonders weiblichen Köpfen ſogar an faſt kindiſch-ſüßlächelnde Freudigkeit gränzt. Unter einer dicht zuſammen gedrängten, der Himmelspforte ſich zuwendenden Gruppe, zeichnet ſich der Kopf eines Negers aus; in einer andern, dieſer gegenüber auf der linken Seite, wo es auch an tonſurirten Mönchsköpfen nicht fehlt, ſteht ein ernſter ſtiller Greis, deſſen Geſicht nur90 tiefe Wehmuth, doch weder Schmerz noch Angſt ausdrückt und der wahrſcheinlich, im Kontraſt mit jenem getauften Neger, einen der alten tugendhaften Heiden darſtellt, die, ohne eigentlich verdammt zu ſeyn, dennoch nach dem Glauben der katholiſchen Kirche, beſonders dem damaligen, keinen Anſpruch auf die Seeligkeit des Himmels machen können.
Zwiſchen hohen, dunkeln, zackigen Felſen; zu welchen die Flammen des tiefen Abgrundes, von dem wir im Vorgrunde nur den Eingang erblicken, hoch herauflodern, zeigt uns das linke Flügelbild alles denkbare Entſetzen, alle Verzweiflung, alle Qual, allen Jammer der linken Seite des Mittel - bildes, auf das fürchterlichſte geſteigert. Noch wildere, entſetzlichere Teufel, die aber nie ins Widerwärtig-Scheußliche ausarten, treiben die armen Seelen den engen Felſenſteig hinunter, zwiſchen Dampf, Flammen und Graus, dem Abgrund zu. Sie ſtürzen hinten über, ſie fallen unter einander, über einander, klammern ſich an, werden fortgeſchleudert mit entſetzlicher Gewalt. Die Mannichfaltigkeit der Stellungen aller dieſer91 nackten Körper iſt eben ſo unbeſchreiblich, als der verſchiedene Ausdruck des nämlichen Gefühls in allen dieſen Köpfen. Dabei ſind die Stellungen oft in der wunderbarſten Verkürzung, mit einer Wahrheit gedacht und ausgeführt, die man nur bewundernd anſtaunen kann.
Der rechte Flügel des Gemäldes zeigt uns ein prächtiges, mit Säulen geziertes und im gothiſchen Styl erbautes Portal, durch welches die Seeligen zur ewigen Freude einziehen. Bildwerke von halb erhabner Arbeit ſchmücken die Facade und den Plafond der hochgewölbten Eintritts-Halle. Über derſelben in einem Giebelfelde iſt auf gleiche Weiſe die Schöpfung der Eva dargeſtellt; im Jnnern des Plafonds Cherubim und Seraphim; unter dem Bogen deſſelben, inwendig auf einem Pfeiler, Chriſtus als König auf dem Throne ſitzend, zu ſeinen Füßen das Lamm, rings um ihn die Embleme der vier Evangeliſten. An zwei großen thurmähnlichen Pfeilern, zu beiden Seiten der Halle, ſind zehn Statüen theils ſizender, theils knieender Könige und heiliger Ordensſtifter angebracht, über ihnen er -92 heben ſich zierlich geſchnitzte Baldachine, genau wie man es an den herrlichſten alten Kirchen ſieht. Alles dies ſcheint mit ſolcher täuſchenden Wahrheit in Stein gehauen, und iſt von ſo vollendeter Aus - führung, daß man ſogar das Geäder des Holzwerks an der offen ſtehenden Thüre, die Beſchläge der - ſelben, ja ſogar die einzelnen Nägel erblickt. Hinter der dieſes Prachtgebäude krönenden Baluſtrade ſtehen ſingende, muſizirende, jubilirende, Blumen hinabſtreuende Engel, in reichen Meßgewändern; etwas tiefer, auf zweien die Pfeiler umgebenden Balkonen, auf jedem drei kleine wunderliebliche und ſchön beſchwingte Engel, ebenfalls in Meßgewän - dern, welche von Gold und Juwelen ſtrahlen; drei von ihnen ſingen aus einem Buche, drei andere ſpielen die Harfe, die Zither und die Geige. Wolken umgeben das Gebäude von beiden Seiten, es ſcheint ſogar auf dieſen zu ruhen, obgleich die letzte der kriſtall - ähnlichen Stufen, welche zu denſelben führen, noch die Erde berührt, auf welcher zwiſchen Kieſeln und Kräutern Diamanten und Rubinen umhergeſtreut liegen. Acht Geiſtliche haben ſchon93 die Stufen erſtiegen, und ziehen, dicht an einander gedrängt, zur Himmelspforte ein, ſo daß man von den mehrſten nur die tonſurirten Hinterköpfe erblickt, voran prangt einer mit der Tiare, neben dieſer zeigt ſich ein Kardinalshut. Vier ſehr ſchöne Engel, in reichen Meßgewändern, mit hohen präch - tigen Schwingen, bekleiden die Eintretenden mit geiſtlichen Gewändern, einem der letztern wird eben die Biſchoffs-Mütze aufgeſetzt. Unten auf der zweiten Stufe, recht väterlich freundlich und mild, ſteht die würdige Geſtalt des heiligen Petrus; er hält den großen goldnen Schlüſſel und reicht einem Greiſe die Hand, welcher die erſte Stufe betritt. Mehrere Seelige nahen, Männer und Frauen, und ein ſehr reich bekleideter Engel, unſern dem heiligen Petrus, ſteht, bei ihrem Empfange helfend, dieſem zur Seite und winkt den Erwählten die Stufen vollends zu erſteigen.
Mit derſelben Wahrheit, wie auf der linken Tafel der Jammer der höchſten Verzweiflung, iſt auf dieſer die Ruhe des Himmels, das freudige und doch demüthige Erſtaunen beim erſten Gefühl94 unausſprechlicher Seeligkeit ausgedrückt. Jeder von dieſen Köpfen ſcheint Porträt zu ſeyn, alle ſind ausgeführt wie die feinſte Miniatur, alle leben wie die Wirklichkeit ſelbſt.
Die vielen nackten Körper ſind in Zeichnung und Farbe tadellos, doch etwas hager, beſonders an Armen und Beinen. Man ſieht, daß der Künſtler nicht Gelegenheit hatte, in dieſer Hinſicht ſo die Natur zu ſtudiren wie in den Köpfen, Händen, Gewändern und allen andern darzuſtellen - den Gegenſtänden.
Wie auf der Tafel der heiligen Cäcilie und der ſingenden Engel des Genter Bildes zu Berlin, iſt auch auf dieſen der Grund oder die Luft von wirklichem Golde; wahrſcheinlich hier wie dort weil der Glanz des ſich öffnenden Himmels dargeſtellt werden ſollte, und keine irdiſche Atmoſphäre, indem die Erſtehenden und Heiligen ihrer zum Athmen nicht mehr bedürfen. Alles andre Gold, in Schmuck, Stickereien und Stoff, wie überhaupt alles Metall, iſt einzig durch Farben bis zur höchſten Täuſchung hervorgebracht. Auch die goldne Kugel95 unter dem Fuße des Heilandes und die Rüſtung des Erzengels Michael. Die Art wie ſich in beiden die äußern Gegenſtände abſpiegeln erinnert lebhaft an den Spiegel, deſſen Faccius in der Be - ſchreibung der von Johann van Eyck gemalten Bad - ſtube erwähnt.
Die Himmelspforte, in allen ihren Theilen, in allen ihren Verzierungen, gleicht auf das genaueſte den architektoniſchen Gegenſtänden, den Tempeln, Säulen, und dem erhabnen Schnitzwerk auf den Gemälden van Eycks in der Boiſſeréeſchen Samm - lung. So auch die Behandlung der Stickereien, der Waffen, des Geſchmeides. Die vor der Him - melspforte geſtreuten Juwelen und farbigen Edel - ſteine ſind genau die nämlichen wie die, welche unter den Füßen der zur Anbetung des Lammes hin - ziehenden Ritter und Pilger auf den Genter Tafeln in Berlin hervorſtrahlen.
Die Engel, in ihrer prächtigen Kleidung, ſind ebenfalls bis in die kleinſten Einzelheiten der Köpfe, des Schmuckes, der Goldſtoffe, der Schwingen, der ganzen Behandlung der Engel auf den Genter96 Bildern auf das vollkommenſte ähnlich; ja die kleinen ſingenden und muſicirenden Engelchen auf den Bal - konen gleichen ſo ſehr den Engelchen auf dem Genter Bilde, daß man ſie für Miniatur-Porträte der nämlichen Chorknaben halten könnte, die bei jenen großen Figuren zum Vorbilde dienten.
Die unbeſchreiblich ſchönen Köpfe der Apoſtel, der Mutter Gottes, des heiligen Petrus und Jo - hannes des Täufers ſind in Farbe, Ausdruck, Form, Behandlung der Haare ganz ſo, wie auf den Tafeln Johann van Eycks in der Boiſſeréeſchen Sammlung, beſonders erinnert hier Vieles an die Tafel des heiligen Lukas. So iſt es ferner mit dem Faltenwurfe der Gewänder, der Behandlung der verſchiedenartigen Stoffe und des Goldbrokats. Unter den Köpfen der Seeligen fand ich mehrere, die ich auf den Genter Tafeln, unter den Rittern und Eremiten geſehen zu habe glaube. Die Pracht der Farben iſt übrigens ganz ſo ſtrahlend wie wir ſie in allen mir bekannten Gemälden van Eycks be - wundern müſſen.
97Als ich im Frühling des Jahres 1820 nach einer langen Reihe von Jahren meine Vaterſtadt wieder beſuchte, eilte ich, ſobald ich es konnte, auch dieſes Gemälde wieder zu ſehen. Wenige Tage vorher hatte ich die Genter Tafeln in Berlin aufmerkſam betrachtet, im Herbſte des Jahres zuvor mich in der Boiſſeréeſchen Sammlung an den Mei - ſterwerken Johann van Eycks aufs neue erfreut, und alle dieſe Gemälde ſchwebten noch hell und deutlich vor meinem innern Auge. Die Ähnlichkeit des Danziger Bildes mit jenen mir unvergeßlichen, beſonders mit denen in Berlin, trat mir im erſten Moment auf das beſtimmteſte und erfreulichſte ent - gegen. Die Ueberzeugung, daß dieſes Danziger Bild unter van Eycks ſchöpferiſchen Händen ent - ſtand, begründete ſich immer feſter, je öfter und je länger ich es betrachtete, und ich glaube in der That daß auch bei Andern jeder Zweifel ſchwinden würde, ſobald man nur die Genter Tafeln in Berlin dieſem Bilde gegen über ſtellen könnte, um ſie mit einander genau zu vergleichen. Übrigens ſtammen dieſe Tafeln gewiß aus der798früheren Zeit der van Eyck, und wurden lange vor dem Cyklus aus dem Leben der heiligen Jungfrau, den die Boiſſeréeſche Sammlung beſitzt, gemalt; wahrſcheinlich kurz vor dem großen Altargemälde in Gent, über welchem Hubert im Jahr 1426 ſtarb. Kenner mögen entſcheiden, ob ich irre, wenn ich in Manchem, vor Allem in den Erſtandnen und in den Teufelsgeſtalten, hin und wieder Huberts Mitwir - kung ahne. Beſtätigt ſich dies, ſo wäre dieſes herrliche Gemälde ein Meiſterwerk der vereinten Kräfte beider Brüder und dadurch für die Ge - ſchichte der Kunſt von um ſo größerer Bedeutung.
Antonello eilte gleich nach dem Ableben ſeines großen Lehrers nach Jtalien zurück, und begab ſich nach Venedig, wo er durch ſeine in den Niederlanden erlernte Kunſt allgemeine Bewunderung ſich erwarb. Viele ſeiner Zeitgenoſſen bemühten ſich auf das an - gelegentlichſte, das Geheimniß des Giovanni da Brugge von ihm zu erforſchen; er widerſtand lange und nur einem Einzigen gab er ſich zulezt hin. Dieſer hieß Domenico; ſein Name iſt jezt faſt verſchollen, ſeine Werke hat der Strom der Zeiten fortgeriſſen, doch war er in ſeinen Tagen ein hochberühmter Meiſter der kaum im Entſtehen begriffenen venezia - niſchen Schule. Wie Antonello das Herz des Johann van Eyck gewann, ſo wußte Domenico das Herz Antonellos zu gewinnen und dieſer vertraute ihm nach Verlauf weniger Monde, aus uneigen - nütziger Liebe, das Geheimniß, welches er für keinen andern Preis verkauft haben würde.
Beide Freunde arbeiteten von nun an mit hoher Freude und Luſt; ihr Ruhm ward groß im7 *100Vaterlande, doch Antonello erfreute ſich deſſen nicht lange, vielleicht nur wenige Jahre. Er erhielt den ehrenvollen Auftrag, einen großen Saal im Pallaſt der Signoria von Venedig mit ſeiner neu er - worbnen Kunſt zu ſchmücken, doch er erkrankte und ſtarb im neun und vierzigſten Jahr ſeines Alters, noch ehe er das große Werk beginnen konnte. Auch Domenico erfreute ſich nicht lange des mit Hülfe ſeines Freundes erworbnen Ruhms. Ein Maler, Namens Andrea dal Caſtagno, wußte ſein Ver - trauen in ſo hohem Grade zu erſchleichen, daß er ſich zulezt bewegen ließ, ihm das von Antonello von Meſſina erlernte Geheimniß der Ölmalerei mit - zutheilen. Der Lohn dieſes treuherzigen Vertrauens war ein gewaltſamer, grauſamer Tod, von der Hand des meuchelmörderiſchen Buben.
So waren Antonello und Domenico beide in der Blüthe ihrer Kunſt dem Untergange geweiht, doch die Ölmalerei war für alle nachkommenden Zeiten gerettet; ſie verbreitete ſich von nun an durch alle Werkſtätte der Maler in ganz Jtalien,101 wo bald darauf die herrlichen Meiſter aufſtanden, deren unſterbliche Werke eine bewundernde Nach - welt als unerreichbar verehrt.
Von Antonellos Gemälden iſt in Jtalien wenig der zerſtörenden Gewalt der Zeiten entgangen; vielleicht das einzige, welches in den Niederlanden erhalten ward, befindet ſich in der Sammlung des Herrn von Rotterdamm, Profeſſors der königlichen Univerſität zu Gent. Dieſes Gemälde trägt die Unterſchrift: „ 1477 Antonyllus Messaneus me pinx. “, und iſt für die Geſchichte deutſcher Kunſt von unſchätzbarem Werthe, weil durch die dem Bilde beigefügte Jahrzahl gewiſſermaßen die Zeit von Johann van Eycks Tode beſtimmt wird. Es iſt alle Wahrſcheinlichkeit vorhanden, daß Antonello dieſes Bild noch in Brügge malte, vielleicht kurz vor Johann van Eycks Tod; doch wäre dieſes auch nicht, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß er ſeinen großen Lehrer nur wenige Jahre überlebte, da er ſchon weit über die Jünglingsjahre hinaus war, als er nach Brügge kam, dort mehrere Jahre ver -102 weilte und im neun und vierzigſten Jahr die Welt verließ. Antonellos Gemälde ſtellt den Heiland zwiſchen den beiden mit ihm zugleich gekreuzigten Verbrechern dar. An einem Baum, zur Rechten des Kreuzes, an welchem der reuige Verbrecher hängt, lehnt die Mutter, tief verſunken in laut - loſem Jammer; ihr gegenüber ſteht Johannes, an - betend in Liebe und Demuth. Der Ausdruck der Geſtalt des todten Chriſtus iſt durchaus edel und ruhig; die Verbrecher ſind augenſcheinlich in pein - licher Quaal verſchieden, der zur Linken in gewalt - ſamen Zuckungen, die der Künſtler zwar furchtbar darſtellt, doch ohne in das Gräßliche zu fallen. Jm Mittelgrunde erblickt man einen Theil der Stadt Jeruſalem, im Hintergrunde das wild empörte Meer. Jn der Form und dem durchſichtigen Schimmer der Wogen wollen aufmerkſame Beobach - ter den Charackter des mittelländiſchen oder adriati - ſchen Meers erkennen, auch die warmen Töne der Luft gehören dem leuchtenden Süden. Antonello hielt mit Liebe und Treue an den Vorzügen ſeines ſchönen Vaterlandes, aber alles Techniſche in dieſem103 augenſcheinlich in Öl gemalten Bilde gehört unwider - ſprechlich zur Schule Johann van Eycks, und ſo iſt dieſes Bild, gleichſam als Vereinigungspunkt der deutſchen und italieniſchen Schule, von hoher Be - deutſamkeit.
Rogier van Brügge, der zweite ſeiner Schüler, welchem Johann van Eyck das Geheimniß der Ölmalerei entdeckte, ward ein großer allgeach - teter Meiſter ſeiner Zeit. Er malte nach der Art ſeines hohen Lehrers in Eiweiß, Leimfarben und Öl; letztere Art die Farben zu bereiten war von nun an kein Geheimniß mehr, und verbreitete ſich bald allgemein in den Niederlanden wie in Jtalien. Rogier war ein trefflicher Zeichner; der Ausdruck und die Anmuth, welche er ſeinen Geſtalten zu geben wußte, verſchafften ihm die allgemeine Be - wunderung ſeiner Zeitgenoſſen. Er malte meiſten - theils ſehr große Gegenſtände in Lebensgröße und war vermuthlich einer der erſten, die ſich der Lein - wand, ſtatt hölzerner Tafeln, bei ihren Gemälden bedienten. Denn die auch in jenen Tagen allge - waltige Mode brachte große bemalte Decken als einen ſeltnen Gegenſtand des Luxus auf, mit denen die Wände großer Säle in Palläſten und in öffent - lichen Gebäuden geſchmückt wurden, ſtatt der ſonſt105 üblich geweſenen teppichartigen Tapeten von man - cherlei Stoffen. Rogier van Brügge zeichnete ſich beſonders in dieſer Gattung von Malerei aus, und viele Stadthäuſer, Kirchen und Privatgebäude in den Städten der Niederlande prangten noch lange nach ſeiner Zeit mit koſtbaren Gebilden von ſeiner kunſtreichen Hand. Das Jahr ſeines Todes iſt un - bekannt. Karl von Mander erwähnt eines Gerüchts welches ihn ſogar in der Mitte des ſechzehnten Jahrhunderts als noch lebend verkündigte, doch dünkt ihm dieſes ſelbſt zu unwahrſcheinlich, und er zieht vor, dieſe Sage, nach Art der damaligen Zeit, auf die unſterbliche Kunſt des Meiſters alle - goriſch zu deuten.
Descamps, und Fuesli nach ihm, erwähnen eines Schülers van Eycks unter dem Namen Rogier van der Weyde oder Rogier Bruxellenſis, deſſen Geburtsjahr ſie aber wunderlich genug auf das Jahr 1480 beſtimmen, während ſie Johann van Eyck, bei dem er nach ihrer Ausſage gelernt haben ſoll, ſchon im Jahr 1441 ſterben laſſen. Eine faſt bei - ſpielloſe Unachtſamkeit, die zugleich die Möglichkeit des Jrrthums bezeugt, der ſie verleitete, uner - achtet aller oben ſchon angeführten Beweiſe für eine weit ſpätere Zeit, das Jahr 1441 als das Sterbe - jahr Johann van Eycks beſtimmt anzunehmen. Wahrſcheinlich irrte ſie oder ihre Vorgänger die Form der alten Zahlen. Die Zahl ſieben ward in früherer Zeit wie eine umgekehrte römiſche Fünfe geſchrieben, und 14Λ0 kann in alten vergelbten und ſtaubbedeckten Manuſkripten von Unkundigen oder Achtloſen leicht für 1440 ſtatt 1470 angeſehen worden ſeyn.
Ohne ihn genauer als Johann van Eycks Schüler zu bezeichnen, erwähnt Karl von Mander107 dieſes Rogier van der Weyde, als eines mit hoher Kunſt reich begabten alten Meiſters aus der letzten Hälfte des funfzehnten und der erſten des ſechzehn - ten Jahrhunderts, der viele bedeutſame Gemälde von reicher Erfindung und bewundernswerthem Aus - druck in Öl malte. Vier große hiſtoriſche Tafeln von ſeiner Hand ſchmückten den Gerichtsſaal des alten prächtigen Rathhauſes zu Brüſſel, welche alle die ſtrengſte Ausübung unbeugſamer Rechtspflege bildlich darſtellten. Auf einer derſelben ſah man einem Vater und ſeinem Sohne, jedem ein Auge ausreißen, weil einer von ihnen wegen eines Ver - brechens beide Augen zu verlieren verurtheilt war, und dies furchtbare Urtheil nur dadurch gemildert werden konnte, daß die Gerechtigkeit ſich bewegen ließ, beide durch innige Liebe Verbundene wie Eine Perſon anzuſehen. Auf einem andern dieſer Gemälde mordet ein ſterbend auf dem Krankenbette hingeſtreckter Vater mit eigner Hand den verbreche - riſchen Sohn, zur Sühne des Geſetzes. Wie himmliſch klar und rein erſcheint dagegen Johann van Eyck, deſſen ewig heitre Phantaſie ſolche Greuel -108 bilder nie aufzufaſſen vermochte! Dennoch erwarben dieſe Gemälde Rogiers van der Weyde durch Wahrheit des Ausdrucks allgemeine Bewunderung, obgleich Schauer und Entſetzen von ihnen ausging. Beſonders wurde der gelehrte Lampſonius während ſeines Aufenthaltes in Brüſſel nicht müde ſie zu betrachten und zu preiſen. Ein Altarblatt für die Marienkirche in der Stadt Löwen ward für das größte Meiſterwerk Rogiers van der Weyde ge - halten. Es ſtellte die Abnehmung vom Kreuze dar. Auf zweien an das Kreuz gelehnten Leitern ſtehen zwei Männer und laſſen den in ein leinenes Tuch gefaßten todten Chriſtus in die Arme Joſephs von Arimathia und eines Gehülfen hinabgleiten, während die heiligen Frauen und Johannes die in Ohn - macht hingeſunkne Mutter des Heilandes unterſtützen. So wie Johann van Eycks berühmtes Altar-Ge - mälde in Gent, ſo erregte auch dieſes die Habſucht Philipps von Spanien, er ließ es ebenfalls durch Michael Coxies kopieren, nahm aber diesmal das Original und ließ den Bürgern von Löwen die Kopie.
109Das Schiff, welches die Gemälde nach Spanien führen ſollte, ſcheiterte an der ſpaniſchen Küſte, und das Bild fiel ins Meer, ward aber wieder ge - borgen, und war zum Glück ſo gut verwahrt, daß ihm das Seewaſſer nur wenig hatte ſchaden können. Ein Umſtand der die Möglichkeit deſſen bezeugt, was die Sage von dem Danziger Bilde erzählt.
Rogier van der Weyde ward endlich ſehr reich durch ſeine Kunſt. Einige ſeiner beſten Gemälde für die Königin von Spanien wurden mit einem be - deutenden lebenslänglichen Einkommen belohnt, und er erwarb auch ſonſt noch viel von den Großen ſeiner Zeit, die ſeine Arbeiten fürſtlich bezahlten. Er wandte ſeinen Reichthum auf die edelſte Weiſe zur Unterſtützung Armer und Nothleidender an, ward allgemein geliebt und verehrt bis an ſeinen Tod, und ſtarb im Herbſt des Jahres 1529, an einer peſt - artigen Krankheit, welche damals in den Nieder - landen wüthete und viele tauſend Menſchen hin - wegraffte. Man nannte dieſes Uebel zu jener Zeit die engliſche Krankheit.
Johann van Eycks eignes unabläſſiges Vor - wärtsſtreben auf ſelbſt gebrochner Bahn machte ihn wahrſcheinlich zur Annahme einer großen Anzahl von Schülern wenig geneigt. Es ſcheint, als ob nur ein beſtimmt hervorragendes Talent ihn bewegen mochte ſich der Mühe des Lehrens zu unterziehen, denn auſſer Antonello von Meſſina und Rogier van Brügge kennen wir mit einiger Gewißheit nur noch Hugo van der Goes unter dem ehrenvollen Namen ſeines Schülers.
Nur wenig aus dem Leben dieſes Hugo iſt bis auf unſre Zeiten gekommen; man weiß nur, daß er um das Jahr 1480 die von Johann van Eyck erlernte Kunſt mit großem Glück und ſeltnem Ge - lingen in den Niederlanden, beſonders in Gent, übte, und ſich als deſſen würdiger Nachfolger Ruhm und Ehre erwarb. Wahrheit in Zeichnung, Zu - ſammenſtellung und Ausdruck ſeiner Figuren, Vol - lendung im Größten wie im Kleinſten, zeichneten ſeine Arbeiten aus, und erhoben ihn zu einem der111 erſten Meiſter ſeiner Zeit und ſeines Vater - landes.
Seine Lehrerin in der Darſtellung weiblicher Geſtalten, in welcher nach dem Urtheil der damali - gen Kunſtkenner es niemand ihm gleich that, war die heiße innige Liebe zu Jakob Weytens, eines Bürgers von Gent, ſchöner Tochter. Dieſem ge - liebten Mädchen zu Ehren umſtralte alle ſeine Frauenbilder eine nur ihm eigne unbeſchreibliche Anmuth, neben der züchtigſten Beſcheidenheit in Stellung und Ausdruck. Ein in Öl auf einer Wand im Hauſe des Vaters ſeiner Geliebten gemaltes Bild zeichnete in dieſer Hinſicht beſonders ſich aus. Es ſtellte die kluge Abigail dar, wie ſie, begleitet von ihrer weiblichen Hausgenoſſenſchaft, dem hoch - erzürnten, auf einem ſtolzen Roſſe einher reitenden König David mit ſanfter Überredung entgegen tritt und durch weibliche Milde ſeinen ſtrengen Sinn be - ſiegt. Auf dieſem Bilde prangte auch das nach dem Leben gemalte ſehr ähnliche Porträt der ſchönen Ge - liebten des Malers, und der Glückliche empfing dafür mit ihrer Hand den lang erſehnten Lohn.
112Lukas de Heere, welcher Johann van Eycks Meiſterwerk in Gent beſungen hatte, weihte auch dieſem Bilde einige nach Art ſeiner Zeit ſinnreiche Reime, in welchen er die Frauen von Gent auf Hugos van der Goes Gemälde verweiſt, um An - muth und Beſcheidenheit zu lernen, und zuletzt be - hauptet, daß dieſes Meiſters Frauenbilder nur einen einzigen bei ihrem Geſchlecht ſeltnen Fehler beſäßen, den, nicht zu ſprechen.
Ein kleines, kaum anderthalb Fuß hohes Bildchen Hugos van der Goes, in der Jakobs - kirche zu Gent, ſtellte die heilige Jungfrau mit dem Kinde in aller ihrer Holdſeligkeit dar, und war bis auf die kleinſten Blümchen, Kräuter und Kieſel im Vorgrunde mit unausſprechlich zarter Vollendung ausgeführt. Ein anderes ſeiner Gemälde im Ma - rien-Kloſter zu Gent ſtammte aus ſeiner früheſten Zeit; der Stoff dazu war aus der Legende der heiligen Katharina entlehnt, und auch dieſe ſeine Jugendarbeit erwarb ihm ſchon allgemeine Bewun - derung. Von allen dieſen Bildern iſt uns leider nur die Kunde ihres ehemaligen Daſeyns geblieben,113 und überhaupt mögen wohl nur wenige dieſes alten Meiſters bis auf unſre Tage gekommen ſeyn; doch beſitzt die Boiſſeréeſche Sammlung eines oder mehrere derſelben, von denen mir aber nichts näheres bekannt iſt.
Herr Hofrath Hirt erwähnt mit großem Lobe eines Gemäldes von Hugo van der Goes, welches er in Florenz fand, und deſſen Anſchauen ihn bewog das erwähnte Danziger Bild mit Beſtimmtheit für eine Arbeit deſſelben zu erklären. Ohne hierüber entſcheiden zu wollen, kann dieſe Anſicht eines ſo berühmten Kunſtkenners wenigſtens als Beleg der hohen Vortrefflichkeit ſowohl jenes Florentiner Ge - mäldes, als überhaupt der Arbeiten Hugos van der Goes dienen, und zugleich die täuſchende Ähnlich - keit ſeiner Art zu malen mit der ſeines hohen Lehrers beweiſen. Eines der vorzüglichſten Gemälde Hugos, eine Kreuzigung, welche den Altar der Jakobs - Kirche in Gent noch zu Karl von Manders Zeiten ſchmückte, ward damals wie durch ein Wunder vom gänzlichen Untergange gerettet. Lange Zeit war es gleich einem köſtlichen Kleinod ſehr hoch gehalten,8114und ſelbſt die Bilderſtürmer jener Tage hatten nicht gewagt es zu berühren. Es ſtand ruhig uud ſicher an heiliger Stätte, bis man zulezt den Entſchluß faßte, die Kirche alles katholiſchen Schmucks zu berauben und ſie für irgend eine der proteſtanti - ſchen Sekten einzurichten, welche damals mit ihren Predigten das Land durchzogen. Selbſt das Al - tar-Gemälde durfte dießmal ſeinen Standort nicht behalten, es ward herabgenommen, und ein Maler, ein Kunſtverwandter, deſſen Namen Karl von Mander aus zu großer Schonung verſchweigt, gab bei dieſer Gelegenheit den unbegreiflich heilloſen Rath, die ſchöne Holztafel des köſtlichen Gemäldes zu benutzen und das Bild mit ſchwarzer Farbe zu überziehen, um in goldnen Buchſtaben die zehn Ge - bote darauf zu ſchreiben. Der Frevel ward wirklich vollbracht, doch zum Glück hatte Hugo gemalt wie er es von ſeinem Meiſter gelernt hatte; die Farben waren ſehr fein und dünne auf einem ſehr feſten, glatt abgeſchliffnen Grund aufgetragen, und die mit fetten Ölen bereitete ſchwarze Farbe vermochte eben ſo wenig, als das Gold, auf dieſer ſpiegelglat -115 ten, von der Zeit noch mehr gehärteten Fläche zu haften; das Bild wurde bald darauf von beſſer Geſinnten mit großer Sorgfalt wieder gereinigt, und trat nach kurzer Verfinſterung von neuem hell und unverſehrt hervor.
Wohl noch nie reihte ſich der Name des Jüngers mit beſſerm Rechte an den ſeines ihm vor - angeſchrittnen Meiſters, als der Name Hans Hemling an den Namen Johannes van Eyck. Nur der Zeitfolge nach iſt er der zweite nach jenem, ſonſt ſteht er überall dicht neben ihm, ja man möchte ſagen, zuweilen über ihm, wenn es dem Talent möglich wäre, ſich höheren Flugs zu erhe - ben als jener Rieſengeiſt, der erſt den Raum ſich ſchaffen mußte, in welchem er ſich nachher ſo kühn und frei bewegte. Wahrheit, Anmuth, pünktliche Treue bei höchſter Freiheit, tief gefühlter Ausdruck, Vollendung im Höchſten wie im Kleinſten bei licht - heller Klarheit, Poeſie der Erfindung ohne eine Spur von Phantaſterei oder geſuchtem Weſen, kurz Alles, was wir bei Johann van Eyck ſtaunend be - wundern, ſtralt auch aus Hans Hemlings Werken uns blendend entgegen. Mit allem dieſem vereinte er noch die aus der byzantiniſchen Zeit ſtammende117 höhere Korrektheit der Kompoſition, welche Johann van Eyck, hingeriſſen vom eignen Schöpfungs - triebe, nicht immer beachtete.
Hemlings ganzes Weſen war Poeſie, durch ſie ward jedes ſeiner Gemälde zum lebenhauchen - den Gedicht, und viele derſelben ſind gemalte Epo - peen, wie nur die erſten Sänger aller Zeiten ſie in Worte zu faſſen vermochten. Selten genügte ihm die Gegenwart des Augenbliks den er darſtellen wollte, er ſuchte Vergangenheit und Zukunft ihm anzureihen, und benutzte dazu den damaligen Kunſt - gebrauch, die nämlichen Geſtalten welche die Haupt - gruppe eines Gemäldes bilden, nach Maasgabe der Ferne verkleinert, und in den verſchiedenartig - ſten Situationen, auf den entferntern Gründen ſeiner Tafel wieder anzubringen. Ein weites unabſeh - bares Feld, das er freudig zu benutzen wußte, ward ihm hierdurch geöffnet, und viele ſeiner größern Gemälde wimmeln von ſolchen epiſodenar - tigen Darſtellungen. Der geläuterte Geſchmack unſrer Zeit verwirft dieſe damals durchaus übliche Freiheit der alten Maler, und zwar mit Recht;118 aber gewiß wird keiner im Angeſichte der Schöpfun - gen Hemlings ſie unbarmherzig zu verdammen ver - mögen, denn wer wollte dem wahrhaft Schönen das Recht zu exiſtiren ſtreitig machen, es ſey in der Wirklichkeit oder in der Kunſt.
Von den Schickſalen, welchen Hans Hemling während der Laufbahn ſeines Lebens begegnete, iſt nur wenig Geſchichtliches auf unſre Zeiten gekommen; war ja doch ſein Name bis vor wenigen Jahren unter uns faſt verſchollen! Doch ſeine Arbeiten, deren eine verhältnißmäßig große Anzahl uns erhal - ten ward, gewähren uns Andeutungen ſeines Lebens, welche, verglichen mit dem, was wir beſtimmt von ihm wiſſen, wenigſtens die Haupt - epochen und merkwürdigſten Begebenheiten deſſelben mit einiger Sicherheit bezeichnen.
Nach Einiger Behauptung ward Hans Hemling in dem ohnweit Brügge liegenden Orte Damm geboren, nach Andern in jener alt berühmten Stadt ſelbſt; doch eine vom Herrn von Laßberg zu Ep - pishauſen, ohnweit Konſtanz, aufgefundne und den Herren Boiſſerée mitgetheilte Handſchrift macht es119 neuerdings wahrſcheinlich, daß er kein Niederländer war, ſondern eigentlich aus Konſtanz ſtammte.
Dieſe Handſchrift, eine um das Jahr 1386 geſchriebne Elſaſſer Kronick, ward vor kurzem von Herrn von Laßberg in Konſtanz gekauft, und er fand auf den letzten Blättern des Buchs das von ſpäterer Hand geſchriebne Stammregiſter eines Hans Hemling nebſt Familienereigniſſen, wie man dieſe in jener Zeit gewöhnlich in Bibeln oder andern werthgeachteten Büchern aufzuzeichnen pflegte. Dieſes Stammregiſter beginnt mit dem Großvater Rudin Hemling, geboren 1342, geſtorben 1424. Dem folgt der Vater Conrad Hemling, geboren 1394, geſtorben 1448, und deſſen Ehefrau, Margareth Bruſchin, geſtorben 1448. Auf dieſen folgen ſechs Kinder dieſes Ehepaars, unter denen Hans Hemling der vorletzte, im Jahr 1439 ge - boren iſt. Die Familienereigniſſe ſind bis in das Jahr 1490 fortgeſetzt, in welchem der Tod eines der Geſchwiſter angezeigt iſt, und nach Herrn von Laßbergs Verſicherung war das Geſchlecht der120 Mutter Margareth Bruſchin und das des Gatten einer der Töchter, Hans Hubſchlin, in der Gegend von Konſtanz einheimiſch; letzteres blüht dort ſogar noch bis auf den heutigen Tag. Die in dieſen Ge - ſchlechtsnachrichten enthaltnen Zeitbeſtimmungen paſſen übrigens recht gut zu dem, was wir ſonſt noch von dem Leben Hemlings wiſſen, ſo auch der Name. Auf zweien ſeiner in Brügge be - findlichen Gemälde, von denen weiterhin ausführ - licher die Rede ſeyn wird, ſchrieb er, opus Jo - hannis Hemling, anno 1479, und nicht Hemme - linck, wie Descamp, mit ſeiner gewohnten franzö - ſiſchen Flüchtigkeit, es berichtet; ſein eignes Bild, welches er auf einer dieſer Tafeln anbrachte, hat augenſcheinlich das Anſehen eines höchſtens vierzig Jahr alten Mannes, was ebenfalls mit dem Ge - burtsjahr 1439 vollkommen zuſammentrifft. Auſſer dieſen Familiennachrichten finden ſich in der Kronick mehrere von dem Verfaſſer derſelben nicht ange - führte Denkwürdigkeiten der Stadt Konſtanz, von derſelben Hand, welche jene Nachrichten ſchrieb, hinzugefügt, auch eine Aufzählung der Biſchöfe von121 Konſtanz, bis auf Heinrich von Hoewen, welcher von 1439 bis 1475 dieſe Stelle bekleidete.
Ein zweiter Zuſatz kommt in der Kronick bei Friedrich von Blankenheim vor, mit welchem Königshoven, der Verfaſſer derſelben, die Reihe der Strasburger Biſchöfe ſchließt. Dieſer ge - langte um das Jahr 1393 zum Bisthum Utrecht, welchem er bis zum Jahr 1423 vorſtand, und jener Zuſatz hat hauptſächlich Bezug auf dieſe Veränderung. Hieraus ſowohl, als dadurch daß derſelbe in niederländiſcher Sprache geſchrieben iſt, geht hervor, daß dieſes Exemplar der Kronick eine Zeitlang in Utrecht war, und ſo wird es erklärt, wie das Buch ſelbſt in die Hände des in den Nie - derlanden lebenden Malers Hans Hemling kommen konnte.
So wie jetzt junge Künſtler nach Rom gehen um ihr Talent auszubilden, ſo wanderten in ältern Zeiten die Lehrlinge nach den Niederlanden, wo ſchon im dreizehnten Jahrhundert in Köln und Maſtricht die berühmteſten Malerſchulen Deutſch - lands blühten. Jm funfzehnten Jahrhundert zog122 der große Ruhm Johann van Eycks alles an ſich, um ſo mehr da der Reichthum und die Pracht der niederländiſchen Städte der Ausübung bildender Kunſt die günſtigſten Ausſichten boten. Es iſt alſo um ſo leichter erklärbar, wie Hans Hemling gerade nach Brügge kam, da deſſen Lehrjahre eben in die Zeit fielen, in welcher Johann van Eyck die höchſte Stufe ſeiner Kunſt und ſeines überall verbreiteten Ruhmes erreicht hatte. Ob Hemling wirklich des Glücks theilhaftig ward, unter die kleine Zahl der eigentlichen Schüler des großen Meiſters auf - genommen zu werden, läßt ſich freilich nicht mit diplo - matiſcher Gewißheit behaupten, aber daß es mehr als wahrſcheinlich iſt, davon wird jeder, der Hem - lings Gemälde mit denen von Johann van Eyck zu vergleichen Gelegenheit hatte, ſogleich durch den Augenſchein überzeugt.
Der gelehrte Jacopo Morello, Aufſeher der Bibliothek St. Marco zu Venedig, gab im Jahr 1800 das Tagebuch eines anonymen Reiſenden aus dem ſechzehnten Jahrhundert heraus, unter dem Titel: Notizia d' opere di disegno della prima123 meta del Secolo XVI esistenti in Padova, Cre - mona, Milano, Pavia, Bergamo, Crema e Ve - nezia. Scritta da un anonimo di quel tempo, publicata e illustrata da Jacopo Morello. Dieſer Reiſende erwähnt mehrerer trefflicher Gemälde eines ultramontaniſchen Künſtlers, die er in Padua und Venedig geſehen, und den er Memelino oder Memelingo nennt. Daß hiermit kein andrer als Hemling gemeint ſeyn kann, leidet keinen Zweifel; denn ſelbſt Karl von Mander nannte ihn Memmelinck, indem ſein an die niederländiſche Sprache gewöhntes Ohr, ſowohl den Anfangs - buchſtaben als den letzten ſeines Namens verwech - ſelte. Eines dieſer Gemälde, welche der Reiſende alle näher beſchreibt, trug die Jahrzahl 1470, ein anderes, und zwar das Porträt Jſabellens von Portugal, war ſeiner Ausſage nach mit der Jahrzahl 1450 bezeichnet. Dieſes wäre denn freilich das älteſte von dieſem Meiſter, das wir kennen, und ſein Daſeyn wäre ein wichtiger Grund gegen die ſonſt wahrſcheinliche Vermuthung, welche ſein Ge - burtsjahr auf 1439 beſtimmt, wenn ſich hier nicht124 eine abermalige Verwechſelung des im funfzehnten Jahrhundert üblichen Zeichens Λ für ſieben, mit der römiſchen V vermuthen ließe, ſo daß man 1450 ſtatt 1470 las, welche Jahrzahl mit allem Übrigen was wir von Hemling wiſſen, vollkommen überein - ſtimmt.
Dieſe Gemälde ſind wahrſcheinlich alle längſt untergegangen, wenigſtens nicht mehr an den Orten zu finden, wo jener Reiſende vor mehr als zwei - hundert Jahren ſie antraf. Doch aus ihrem einſti - gen nicht zu bezweifelnden Daſeyn, aus den Ähn - lichkeiten mit den antiken Pferden des Markus - platzes von Venedig, aus den Abbildungen des Koliſäums und andrer römiſchen Alterthümer, welche wir in Hemlings ſpätern Arbeiten antreffen, geht wenigſtens die höchſte Wahrſcheinlichkeit hervor, daß er in ſeiner Jugend Jtalien geſehen habe, wo freilich damals ſelbſt Raphaels Lehrer, Pietro Peru - gino, wohl kaum geboren war.
Vielleicht ſtand Hemling mit Antonello in Ver - bindung, deſſen Bekanntſchaft er in Brügge gemacht haben mußte, und kehrte nach einem Beſuche bei125 ihm wieder nach Brügge zurück, wo er nach längſt überſtandnen Lehrjahren, zünftig und anſäſſig war. Wenigſtens ſpricht der Umſtand für dieſe Vermuthung, daß Morellos anonymer Reiſende Hemlings Arbeiten nur in Venedig und Padua antraf, und ſonſt in keiner italieniſchen Stadt.
Die Miniaturmalerei, dieſer jetzt ſo ſehr ver - nachläſſigte und geſunkene Zweig der Kunſt, ſtand damals ſo hoch, daß ſelbſt Meiſter wie Hemling ihn nicht verſchmähen durften; der anonyme Reiſende liefert uns einen Beweis davon in der Beſchreibung eines koſtbaren lateiniſchen Manuſcripts, welches noch gegenwärtig in Venedig aufbewahrt wird. So wie wir den prunkvollen Gottesdienſt der katho - liſchen Kirche überhaupt als den Quell der Erhal - tung moderner Kunſt anzuſehen haben, ſo verdankte damals beſonders die Miniaturmalerei unendlich viel dem Luxus und der Pracht, welche in jenen Zeiten Fürſten und vornehme Geiſtliche mit ihren Gebet - büchern trieben. Mehrere bedeutende Meiſter vereinten ſich gewöhnlich um einige Blätter Perga - ment durch ihre Kunſt zu einem unſchätzbaren Kleinod126 zu erheben, und ein ſolches Buch ging hernach viele Generationen hindurch, in Fürſtenhäuſern und Klöſtern als ein köſtlicher Schatz von einem Erben auf den andern. Eine kurze Geſchichte des Gebet - buchs, von dem eben die Rede iſt, mag hier zum Belege davon dienen. Morellos anonymer Reiſende fand es im Beſitz des Kardinal Grimano, der es von einem Sicilianer, Meſser Antonio, für die damals ſehr beträchtliche Summe von fünfhundert Zechinen erkauft hatte. Bei ſeinem Ableben hinter - ließ der Kardinal dieſes Buch ſeinem Neffen, Ma - rino, Patriarchen von Aquileja, doch mit der Be - dingung, daß es nach deſſen Tode dem Staate zufallen und in der Schatzkammer aufbewahrt werden ſolle. Marinos Nachfolger, der Patriarch Giovanni Grimaldi, erhielt indeſſen von der Sig - noria die Erlaubniß, es ebenfalls Zeitlebens be - halten zu dürfen, und übergab es erſt kurz vor ſeinem Tode dem Staat in einem beſonders dazu verfertigten, mit Edelſteinen und Gemmen reich verzierten Käſtchen von Ebenholz. Lange ward darauf das Buch in der Bibliothek St. Marco mit127 großer Sorgfalt bewahrt, doch kam es ſpäter in den Kirchenſchatz von St. Marco, wo es ſich noch befindet, aber leider nicht mehr ganz unbeſchä - digt erhalten. Dennoch weiß Morello ſelbſt noch jetzt kaum Worte für deſſen Pracht und Herrlichkeit zu finden.
Dieſes Buch iſt in klein Folio auf dem feinſten Pergament geſchrieben. Alle große Buchſtaben deſſelben ſind mehr oder weniger mit Gold und kleinen Figürchen verziert, alle Ränder der Seiten, der Länge nach, mit wunderſchönen Arabesken, Blumengewinden, Früchten, Vögeln und ähnlichen Gegenſtänden. Einzelne Blätter, welche die Ab - ſchnitte bezeichnen, ſind ganz mit Darſtellungen aus der Legende der Heiligen in der feinſten Minia - tur angefüllt, auf andern ſind die zwölf Monate abgebildet, unter denen der Februar als vorzüglich ſchön bewundert wird. Landſchaften und Gebäude, auch die Geſtalten ſelbſt tragen augenſcheinlich das Gepräge des Flammändiſchen National-Charackters, und der Ausdruck, die Kompoſition, die richtige Zeichnung der kleinen hiſtoriſchen Gemälde ſind in128 dieſem ſehr verjüngten Maaßſtab nur um ſo bewun - dernswerther. Nach dem Berichte des anonymen Reiſenden befinden ſich in dieſem Buch einhundert fünf und zwanzig Miniaturen von Girardo da Guant, wahrſcheinlich Gerhard van der Meire, einem mit Hemling gleichzeitig lebenden vorzüglichen Maler aus Gent; ein hundert fünf und zwanzig andre Ge - mälde ſind von einem Maler, den der Reiſende Lievino d'Anverſa nennt, mit dem eigentlich wohl Liever de Witt aus Gent, oder auch Hugo von Antwerpen gemeint iſt, und mehrere ſind von Zuan Memelin, Johann Memeling, deren Zahl aber, wahrſcheinlich wegen einer Undeutlichkeit im Manuſcript, in Morellos Ausgabe dieſes Tage - buchs nur mit Punkten ausgedrückt iſt.
Ein anderes, dieſem völlig ähnliches, lateini - ſches Gebetbuch, von ungefähr einhundert und ſiebenzig Blätter in Quart, befindet ſich in der ſchönen und merkwürdigen Gemälde-Sammlung des Herrn Paſtors Fochem in Köln. Es ward zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts ebenfalls auf Perga - ment geſchrieben, und ſtammt, wie der Beſitzer129 deſſelben mit hoher Wahrſcheinlichkeit vermuthet, aus dem Nachlaſſe Katharinens von Medicis, welche ſich zuletzt in Köln aufhielt. Jn dieſem Buche ſind nicht nur alle große Anfangsbuchſtaben, ſondern auch die Zwiſchenräume der abgeſetzten Zeilen auf das allerzierlichſte mit Gold und Farben ausgemalt; den äußern Rand jeder Seite ſchmückt ein vierecki - ges Feld, ſo lang als die geſchriebne Kolonne und etwa ein Drittel ſo breit. Jn dieſem Felde ſind auf mattem Goldgrund in glänzenden Farben mancherlei Blumen, Vögel, Früchte und Ara - besken höchſt zierlich gemalt. Die Anfänge der Kapitel und Gebete ſind mit großen hiſtoriſchen Gemälden geſchmückt, zu welchen die bibliſche Ge - ſchichte und die Legenden der Heiligen den Stoff boten. Reichthum der Erfindung, Wahrheit und Anmuth der Anordnung, der Behandlung der Ge - wänder und Landſchaften geben allen dieſen im Geiſte und Styl Hemlings ausgeführten Miniaturen einen hohen Werth. Aber die Namen der Meiſter, welche mit ihm zu dieſem Werke ſich vereinten, ſind eben ſo ſchwer auszumitteln, als es ſich be -9130ſtimmen läßt, welche Blätter ausſchließend von ſeiner Hand ſich unter den vielen befinden mögen. Nur einem dieſer Gemälde, der Krone von allen, hat er unverkennbar den Stempel ſeines Genius aufgedrückt, und zwar einer Darſtellung des Pfingſt - feſtes. Hände und Gewänder ſind auf dieſem Bildchen vorzüglich ſchön. Die Köpfchen alle, un - erachtet des kleinen Raumes, voll Geiſt und Aus - druck, und einige der Apoſtel gleichen auffallend denen auf einer Darſtellung des nämlichen Gegen - ſtandes in der Boiſſeréeſchen Sammlung, welche jedoch in der Anordnung von dieſer völlig abweicht. Jn einem altdeutſch verzierten Betſaal mit Kanzel und Betſtühlen ſieht man auf dieſem Bildchen die Apoſtel verſammelt. Die Taube ſchwebt mitten im Saal; Maria, Johannes, und noch zwei Apo - ſtel knieen im Vorgrunde vor einem kleinen Pult, in einem Betſtuhl zur Seite drei andre Apoſtel, und dieſen gegenüber auf der andern Seite noch einer. Jm Hintergrunde unter der Kanzel ſind noch zwei Apoſtel, ein dritte[r], der ſich verſpätete, kommt eben erſt die Treppe herab; in der geöffneten131 Thüre, welche den Blick ins Freie gewährt, ſtehen noch einige Jünger, und alles dieß iſt in dem be - ſchränkten Raume eines kleinen Pergament-Blätt - chens höchſt vollendet, wahr und ausdrucksvoll dar - geſtellt.
Ob Hemling in Köln ſelbſt zum Schmuck dieſes ſeltnen Buches beitrug, läßt ſich nicht mit Gewißheit behaupten, wohl aber geht aus ſeinen andern Werken hervor, daß er in jener ehrwürdigen Stadt, der Wiege und dem Sitz altdeutſcher Kunſt, ſich lange aufhielt und Wilhelms von Köln Mei - ſterwerke für ſeine Kunſt fleißig benutzte. Ueber - haupt muß er geraume Zeit an den Ufern des Rheines verweilt haben; die treffenden Abbildun - gen von Kirchen, Klöſtern und alten Gebäuden aus Köln, die wir in ſeinen Werken antreffen, be - weiſen dieß eben ſowohl, als ſeine vielen Landſchaf - ten, in welchen man die Ufer des Rheins durchaus wieder erkennt. Auch die Urbilder zu den Geſtal - ten auf dem großen Werk, in welchem er das Leben der heiligen Urſula bildlich darſtellte, und welches in dieſen Blättern ſpäterhin ausführlich9 *132erwähnt werden ſoll, ſind augenſcheinlich weder in Jtalien noch in Flandern, wohl aber noch jetzt an den Ufern des Rheines einheimiſch zu finden.
Hemlings Leben fiel in eine trübe, wilde Zeit, voller Streit, Zwietracht und Unheil aller Art, und auch er konnte ihrer fürchterlichen Einwirkung nicht entgehen. Wahrſcheinlich zog er, im Gefolge Karls des Kühnen, als Maler mit in das Feld gegen die Schweizer. Johannes von Müller gibt uns in ſeiner Geſchichte der Schweiz eine Beſchreibung der faſt unglaublichen Pracht und Herrlichkeit der Zu - rüſtungen jenes Fürſten zu dieſem Kriege, zufolge welcher der größte Theil ſeines Hofes und ſeine ganze Dienerſchaft den Herzog damals begleiten mußte. Gewiß befanden ſich mehrere Maler darunter, denn ſie durften in jener Zeit in keiner Hofhaltung großer Herren fehlen. Und was wäre denn wohl natürlicher anzunehmen, als daß der prachtliebende Fürſt den in ſeiner Hauptſtadt anſäßigen, nach dem Tode Johann van Eycks, größten Meiſter in allen Oberdeutſchen und Niederdeutſchen Ländern, für ſeinen Dienſt zu gewinnen wußte? Vielleicht ſuchte133 Hemling, als Krieger gekleidet, nach der Flucht bei Granſon oder Murten die Heimath wieder auf, vielleicht that er auch wirklich Kriegsdienſte, nachdem er die Niederlage ſeines Fürſten geſehen, und floh erſt nach der unglücklichen Schlacht die im Jahr 1477 am ſechſten Januar bei Nancy geſchlagen ward, in Noth und Ungemach mitten im härteſten Winter nach Hauſe. Gewiß iſt es, daß um dieſe Zeit von Damm aus ein Krieger, krank und ent - ſtellt, in ärmliche Lumpen gehüllt, durch die Thore von Brügge hereinwankte und das Mitleid der Bürger in Anſpruch nahm, die in ihm ihren ehema - ligen Mitbürger und Zunftgenoſſen erkannten. Sie führten den Armen in das von dem Stifter zu ſolchem Behufe errichtete Johannis-Hoſpital. Dort ward er verpflegt und geheilt; der Geneſene ergriff Pinſel und Palette, um das Haus, das ihn aufge - nommen hatte, zum Beweiſe ſeiner Dankbarkeit mit ſeiner Arbeit zu ſchmücken, und mit frohem Erſtaunen erkannte man jetzt in ihm den großen Hemling wieder.
Bewundernswerthe Gebilde gingen von nun134 an in dieſem ſeinem Wohnort unter des Meiſters ſchöpferiſchen Händen hervor. Viele davon ſind in der Folge der Zeiten zerſtreut, verloren, unter - gegangen, doch Vieles ward auch dort erhalten. Auſſer dem Bilde der Sibylle Zambeth, welches der kaum vom Krankenlager Erſtandne mit noch ſchwacher Hand malte, bewahrt das Johannis - Hoſpital noch zwei ſeiner größten, herrlichſten Werke. Das erſte von dieſen iſt eines der mit der Jahrzahl 1479 bezeichneten und beſteht aus einem Mittelbilde und zwei Flügeln. Das Haupt - gemälde ſtellt die heiligen Könige zu den Füßen des neugebornen Heilandes dar; die ganze Anordnung deſſelben erinnert unwiderſtehlich an Meiſter Wil - helms von Köln berühmte Abbildung dieſes an lieblichen Kontraſten überreichen Gegenſtandes, den die alten Meiſter der deutſchen Schule ſo oft und gern mit vorzüglicher Liebe und unermüdlichem Fleiße ſich erwählten. Der durch hohes Alter ehrwürdigſte König küßt, hingeſunken in Demuth und Andacht, das Füßchen des Kindes; neben ihm knieet der zweite König mit ſeinen reichen135 Gaben; der dritte ſteht in bewunderndem Anſchauen verloren. Einer der Zuſchauer, in einiger Ent - fernung, mit der Mütze auf dem Haupte, welche ſonſt die Geneſenden in dieſem Hoſpitale trugen, iſt, nach einer in demſelben bis auf unſre Zeiten bewahrten Tradition, das ſchon erwähnte Porträt des Malers ſelbſt, ſo wie der neben ihm ſtehende Hemlings Freund, der Kloſterbruder Florens von Ryſt, welcher ihm zu dieſem Gemälde die erſte Veranlaſſung gab.
Auf dem erſten der zu dieſem Bilde gehörenden Seitengemälde beten Engel den neugebornen Heiland an; auf dem zweiten iſt die Darſtellung deſſelben im Tempel abgebildet; in hoher Würde ſteht die göttliche Mutter am Altar, neben ihr die heilige Anna und der höchſt kräftig und edel gehaltne Hoheprieſter. Kenner, welche Gelegenheit hatten die größten Meiſterwerke italiäniſcher Kunſt zu bewundern, rechnen dennoch dieſe aus fünf Per - ſonen beſtehende Gruppe zu dem Allervortrefflichſten, was je der chriſtlichen Epoche der Kunſt ſeine Ent - ſtehung verdankte. Auf der Auſſenſeite eines der136 Flügelbilder iſt Johannes der Täufer, das Lamm im Arm, abgebildet. Auf der zweiten eine höchſt liebliche Veronika; ſie hält das wunderbare Tuch mit dem Abdruck des edlen Antlizes des Erlöſers.
Das zweite Gemälde im Johannis-Hoſpital, mit der nämlichen Jahrzahl wie das vorige bezeichnet, iſt eine der größten Kompoſitionen Hemlings. Es beſteht in fünf Tafeln, von denen die mittlere die Vermählung der heiligen Katharina vorſtellt. Die ganze Anordnung der Hauptgruppe auf dieſer Tafel gehört augenſcheinlich der byzan - tiniſchen Schule an. Maria mit dem Kinde ſitzt in der Mitte auf einem von Säulen getragenen Throne, deſſen Verzierungen bis an den obern Rand des Gemäldes emporſteigen. Zwei kleine Engel in grünen Gewändern tragen ihre Krone. Rechts dem Throne ſteht die heilige Katharina, neben dieſer ein Engel in Jünglings-Geſtalt, mit einem reichen Chorgewande bekleidet, ſo wie auch Johann van Eyck dieſe Bewohner des Himmels abzubilden pflegte; neben dem Engel, ganz im Vorgrunde, ſteht Johannes der Täufer. Links neben dem137 Throne ſteht ein zweiter Engel, neben dieſem die heilige Barbara, und ganz vorn Johannes der Evangeliſt. Reiche Stoffe, Gold, Perlen, Edel - ſteine ſchmücken in einer nur durch Johann van Eyck übertroffenen Pracht die Heiligen und Engel auf dieſem herrlichen Bilde.
Die Säulen am Throne gehen zu beiden Seiten deſſelben in einer Kolonade aus, deren offne Zwiſchenräume freie Ausſicht auf eine reiche Landſchaft gewähren. Jn ſchönen Windungen ſchlängelt ſich dort der Jordan durch grüne Gefilde, ferne Berge begränzen die Gegend, Felſen, Bäume und ſchöne Gebäude, unter denen das Kolliſäum bemerkbar wird, verleihen ihr mannigfaltigen Schmuck. Die nämliche Landſchaft geht auch auf die Seitengemälde über, welche ſie auf dieſe Weiſe mit dem Mittelbilde zu einem großen Ganzen ver - bindet.
Jn dieſer Landſchaft ließ nun Hemling ſeinen überreichen Geiſt in ungebundner Willkührlichkeit frei walten. Faſt unzählige, zum Theil ganz kleine Figuren beleben ſie, deren einzelne bewun -138 dernswerthe Gruppen zuſammen ein epiſches Gedicht bildlich darſtellen. Der Raum zur Rechten des Throns iſt dem Leben Johannes des Täufers geweiht, welcher auf dieſer Seite, wie oben erwähnt ward, im Vorgrund der Hauptgruppe ſteht.
Ganz oben, faſt am Rande der Mitteltafel, zur rechten Seite hin, liegt der Heilige im Gebete vor Gott; etwas tiefer ſieht man ihn als Prediger in der Wüſte, vom klarſten Himmelslicht beleuchtet, auf einem Felſen ſtehen, und vor ihm mehrere treff - lich gruppirte Zuhörer. Noch tiefer führt ihn ein römiſcher Krieger nach der rechten Seitentafel zum Tode, und nur zwei ſeiner Zuhörer folgen ihm, von Mitleid bewogen, ein Greis und ein Mann mitt - lern Alters. Gegen die Mitte des Bildes, immer noch auf der Mitteltafel, liegt der enthauptete Leich - nam des Heiligen auf einem brennenden Scheiter - haufen, und ein Krieger auf einem weißen Pferde treibt die Männer an, welche das Feuer ſchüren.
Jezt geht die Handlung auf die zur rechten Hand ſich anſchließende Seitentafel über; der blu -139 tende Körper des Heiligen liegt im Vorgrunde auf der Erde, und neben ihm ſteht die ſchöne, reich geſchmückte Tochter des Königs Herodes. Schau - dernd, erbleichend, mit geſenktem Blick empfängt ſie das Haupt des Gemordeten, deſſen edle Züge ſelbſt ſterbend noch den Ausdruck der erhabenſten Ruhe bewahrten. Mehr ſeitwärts ſieht man die nämlichen beiden Männer, in Schmerz verſunken, welche früher den Heiligen auf dem Wege zum Tode begleiteten.
Über dieſer Hauptgruppe des Seitengemäldes erblickt man im Mittelgrunde der Landſchaft den Pallaſt des Königs Herodes und zwei zu ſolchem gehörende terraſſenartig ſich übereinander erhebende Höfe. Verſchiedne aus mehreren Perſonen beſte - hende Gruppen ſcheinen ſich in dieſen Höfen über die eben vorgegangne Hinrichtung des Heiligen zu unterhalten; ein Kind befindet ſich mitten unter ihnen, welches von einem Pferde herab derſelben von dort aus zugeſehen zu haben ſcheint. Auch das Jnnere des Pallaſtes iſt unſern Blicken aufgethan; in einer offnen Halle ſizt Herodes neben ſeiner blut -140 dürſtigen Gemalin Herodias an der Tafel, ſeitwärts ein Chor Muſikanten, nach deren Saitenſpiel die junge Prinzeſſin ihre Eltern durch anmuthigen Tanz erfreut.
Die vom Mittelgemälde ausgehende herrliche Landſchaft ſchließt den Hintergrund und man erblickt dort nochmals den Heiligen, wie er den Erlöſer der Welt im Jordan tauft; die Wolken theilen ſich über ſeinem Haupt und der ewige Vater blickt aus der Klarheit ſeiner Himmel auf ihn und den Sohn herab.
So wie die rechte Seite dieſes Bildes der Geſchichte Johannes des Täufers geweiht iſt, ſo iſt es die linke der des Evangeliſten gleiches Namens, der auch in der Gruppe des Vorgrundes auf dieſer Seite voran ſteht. Jene zeigt uns den klaren Lebensgang eines heiligen frommen Mannes, in dieſer ſchimmert der geheimnißvolle Glanz höherer Offenbarung aus dem unbegreiflichen Dunkel der Apokalypſe myſtiſch hervor.
Jn der Landſchaft auf der Haupttafel, gegen die Mitte derſelben, erblickt man zur Linken den141 Evangeliſten mit zum Gebet gefalteten Händen, in dem Gefäße voll ſiedenden Öls, in welches er auf Befehl des Kaiſers Domitian geworfen ward, das aber zufolge der Legende, ſtatt ihn zu verletzen, ihm wie ein lindes erquickendes Bad dünkte. Fünf Perſonen, theils Henker, theils Zuſchauer, ſtehen um ihn her. Höher hinauf erblickt man einen Biſchof im offnen Portal einer Kirche, wahrſchein - lich der Evangeliſt ſelbſt; vor ihm knieet ein Neube - kehrter, die Taufe erwartend; tiefer hinunter zieht ein römiſcher Krieger den Heiligen dem Strom zu, wo das Boot ſeiner harrt, das, weil Gewalt ihn nicht zu tödten vermag, ihn in die Verbannung auf die wüſte Felſeninſel Pathmos tragen ſoll. Ganz im Hintergrunde läßt ſich noch ein ſehr kleines wunderbar - korrekt gezeichnetes Figürchen erken - nen, und am linken äußerſten Rande dieſer Tafel iſt das ſchön und kraftvoll gemalte Porträt des Donators derſelben angebracht.
Die linke Seitentafel führt uns zur Jnſel Pathmos, wo himmliſche Geſichte den Apoſtel zum Niederſchreiben der Apokalypſe begeiſtern. Er142 ſelbſt, ganz unten im Vorgrunde, erliegt faſt der Ge - walt des Augenblicks und dem Anſchauen der hohen Wunder, welche ſeinem entzückten Auge vorſchwe - ben. Das höchſte Erſtaunen feſſelt die edle, ſchöne Geſtalt, das Wort erſtarrt auf der Lippe und die gehobne Hand vermag es nicht, die begonnene Ge - berde zu vollenden. Wunderbare Lufterſcheinungen, Nebel, Wolken, verhüllen auf der rechten Seite dieſer Tafel die Landſchaft, welche nur dem Mittel - bilde nahe noch ſichtbar bleibt. Ein geheimniß - reiches Rund, aus Licht, Glanz und wunderſam verſchlungenen Regenbogen gebildet, umgibt ein weiter Kreis aus Engeln, heiligen Flammen, und noch einem Alles abſchließenden Regenbogen zuſam - mengeſezt. Der ewige Vater, in der Mitte des Lichtkreiſes, auf einem aus Säulen erbauten Throne, hält in der Linken das Scepter; die Krone liegt in ſeinem Schoße, auf welchen das Lamm ſich ſtützt. Die geheimnißvollen Leuchter der Apokalypſe, mit wunderbar gemalten, in mannig - faltigen Farben glühenden Flammen ſtehen vor ihm, und neben dieſen die bedeutungsreichen, ſechsfach ge -143 flügelten, Geſtalten des Menſchen, des Adlers, des Stiers und des Löwen, lauter myſtiſche Gebilde der Apokalypſe. Zwölf gekrönte Könige in weißen Gewändern bilden zu beiden Seiten des Thrones einen Halbkreis; die Geſtalt des letzten unter ihnen ſieht man nur durch die transparenten Farben des Regenbogens hindurchſchimmern. Noch inner - halb des Kreiſes, doch am äußerſten Rande, ſteht ein Engel vor Gott; ein zweiter, auſſerhalb deſſelben, mit lang herabwallenden Locken, im reichen Meßgewande, opfert vor einem Altar, den Weihrauchkeſſel ſchwingend. Der himmliſchen Er - ſcheinung zur Linken, näher dem Hauptgemälde zu, tritt nun die Landſchaft wieder hervor. Man erblickt dort das Meer, von hohen Felſen umgeben, deren Bild, ſo wie der Himmel über dem Meere, aus der kriſtallhellen Fläche widerſcheint. Er - ſchrockene Menſchen flüchten hier ängſtlich zu den Felsklüften, um ſich vor den grauſenhaften Wun - dern zu verbergen, die an dieſen Ufern hauſen, dem Tummelplaz der unerklärlichſten Geſtalten der Apokalypſe. Der Gekrönte auf dem weißen Roß,144 der den Bogen trägt, das ſchwarze Roß mit ſeinem Reiter, der die Waage in der Hand hält, der Ge - harniſchte auf dem rothen Roß, und endlich das dem flammenden Rachen eines Meerungeheuers ent - ſprungene fahle Roß, das den Tod in der abſchrek - kendſten Geſtalt auf ſeinem Rücken trägt, toſen hier wie fieberhafte Traumgeſtalten. Haltung und Gewand der kleinen Figürchen, beſonders des Königs, ſind bewundernswerth, die ſchönen, augen - ſcheinlich den korinthiſchen zu Venedig nachgebildeten Pferde athmen und leben. Die ganze wunderbare Kompoſition vernichtet durch ihre Vollkommenheit im Einzelnen jeden Tadel, der ſich gegen das Ganze vielleicht mit Recht erheben könnte. Sankt Jakobs von Kompoſtella und des heiligen Antonius edle, ruhige Geſtalten auf dem einen der zulezt ſich an - ſchließenden Flügelbilder, ſo wie die ſchönen heiligen Frauen, Agnes und Klara, auf dem andern, reihen ſich, gleichſam beruhigend, dem gewaltigen Leben auf den drei andern Tafeln an, die, mit dieſen vereint, ein einziges großes Gemälde bilden. Der ſchöne kräftige Kopf des heiligen Antonius, die145 ſanften lieblichen Züge der heiligen Klara, ſo wie alle Figuren auf dieſen wundervollen Tafeln, vom größten bis zum kleinſten, tragen das Gepräge der edelſten Wahrheit und höchſten Vollendung. Figuren von allen Dimenſionen, ſo klein daß ſie das unge - waffnete Auge kaum zu entdecken vermag, bis zur halben Lebensgröße hinauf, können bei der ge - naueſten Betrachtung durch ein Vergrößerungsglas nur gewinnen, weil durch daſſelbe die Großheit der Drapperien, der Ausdruck der Köpfchen in dieſen oft kaum einen Zoll hohen Figürchen, erſt recht ſichtbar wird.
Die königliche Akademie zu Brügge bewahrt die in ihrer hohen Einfachheit höchſt bewunderns - werthe Abbildung des heiligen Chriſtophs, eines Gegenſtandes, den Hemling öfters und ſtets mit großer Liebe behandelte. Geſtützt auf den Baum, der dieſem Rieſen-Heiligen bekanntlich zum Stabe diente, trägt er den Herrn der Welt in Kindes - geſtalt durch die im Morgenroth glänzenden Wogen eines breiten von hohen Felſenufern umgebnen Stroms. Oben auf dem Felſen linker Hand ſteht10146der den heiligen Chriſtoph gewöhnlich begleitende Einſiedler mit ſeiner Leuchte, unten ganz im Vor - grunde auf der einen Seite der heilige Benedict, eine raphaeliſche Geſtalt, auf der andern der heilige Egidius, den durchbohrenden Pfeil im Arm, neben ihm ſein Reh. Die milde treuherzige Freundlich - keit im Geſichte des durch die Fluten nur mühſam unter ſeiner wunderbar ſchweren Laſt fortſchreiten - den Rieſen, das ſtille Felſenbett des breiten Stroms, die Schönheit der beiden jugendlichen Heiligen, die Wahrheit des Ganzen, gewahren einen unbeſchreib - lich wohlthuenden Eindruck von Abgeſchiedenheit und frommer Ruhe. Beide zu dieſem Gemälde ge - hörende Flügelbilder zeigen die Bildniſſe des Dona - tors und ſeiner Familie. Den Vater und ſeine Söhne begleitet als ihr Schutzpatron der heilige Wilhelm, glänzend gewapnet im prächtigem Harniſch, ein Krieger Gottes. Neben der Mutter und ihren Töchtern ſteht freundlich und anmuthig die heilige Barbara. Eine wunderſchöne, vom Mittelbilde ausgehende Landſchaft bildet auch hier den Hinter - grund, grün und friſch wie die Natur ſelbſt; die147 Gebäude, die Vegetation, die Felſen, alles erin - nert hier auf das lebhafteſte an die ſchönen Ufer des Rheins. Johannes der Täufer und der Erz - engel Michael ſind grau in grau auf der Außenſeite dieſer Tafeln gemalt, und wegen der edlen Kor - rektheit der Zeichnung des hohen Meiſters auf alle Weiſe würdig.
Ein anderes Meiſterwerk Hemlings befindet ſich unbegreiflicher Weiſe in Brügge ſelbſt in einem zerſtückelten Zuſtande, indem die Akademie die beiden zu demſelben gehörenden Seitentafeln bewahrt, während das Mittelbild im Rathhauſe aufgeſtellt iſt. Der Gegenſtand deſſelben iſt die Taufe des Heilands. An dem Chriſtus im Vor - grunde vermißt man zwar den Ausdruck erhabner Göttlichkeit, den Hemling auf andern Gemälden glücklicher aufzufaſſen wußte; die edle vom Gefühl ſeines hohen Berufs begeiſterte Geſtalt Johannes des Täufers iſt weit gelungner, wunderſchön aber ein ſehr reich bekleideter Engel mit lang herabflie - ßendem blonden Haar, der während der heiligen Handlung am Ufer des Jordans die einfachen Ge -10 *148wänder des Heilands bewacht. Die ſchöne Land - ſchaft, welche den Hintergrund dieſer Haupttafel bildet, erſtreckt ſich auch hier, wie wir es bei dieſem Meiſter öfter finden, durch beide Flügelbilder, und Hemling hat auch dieſe zu bewundernswerth gruppirten, kleinen epiſodenartigen Darſtellungen benutzt. Links gegen die Hauptgruppe tritt Chriſtus auf den mit grünen Raſen bedeckten Felſen aus dem Schatten ſchöner mit Epheu reich umzogner Bäume hervor. Sinnend lenkt er ſeine Schritte der Wüſte zu, wo die Stimme ſeines Jugendfreun - des erſchallt, vier ſeiner Jünger folgen ihm in ehr - furchtsvoller Entfernung. Rechts auf der näm - lichen Tafel verkündet Johannes der Täufer, als Prediger in der Wüſte, auf einem moosbedeckten Felſenſtück ſitzend, die Ankunft des Herrn. Neun - zehn Zuhörer jedes Geſchlechts und Alters ſammeln ſich um ihn und den Felſen, noch vier andere nahen zwiſchen den Bäumen. Alle dieſe verſchiednen kleinen Figürchen ſind mit unnennbarer Mannichfal - tigkeit, mit Wahrheit und Ausdruck gedacht, zu - ſammengeſtellt und ausgeführt.
149Die Fortſetzung der ſchönen reichen Landſchaft des Mittelbildes füllt den Hintergrund der beiden zu dieſem Gemälde gehörenden Flügelbilder, welche man leider, wie ſchon erwähnt ward, in einem ganz andern Lokal aufſuchen muß. Auf dem erſten der - ſelben knieet der Donator und erhebt die ſchön ge - formten Hände zum frommen Gebet. Er trägt ein ſchwarzſamtnes mit Pelzwerk aufgeſchlagnes Kleid und ſchönes braunes Haar umgibt die angeneh - men Züge des biedern Geſichts; keiner der berühm - teſten ſpätern Niederländer hat in Anmuth und Wahrheit dieſes ſo vollendete, und dabei ſo lebendige Porträt übertroffen. Neben dem Betenden ſteht deſſen Schutzheiliger, der Evangeliſt Johannes, himmliſche Güte in dem ſchönen geiſtreichen Geſicht. Sein weißer Mantel fällt von der Rechten zur Linken in herrlichen Falten über das graue Gewand, ſein Haar fließt in ſchönen Locken ihm über die Schultern hin. Ganz im Hintergrunde der Land - ſchaft ſieht man noch ein ganz kleines Figürchen dem Prediger in der Wüſte auf dem Mittelbilde zueilen.
Auf dem zweiten Flügelbilde knieet im Vor -150 grunde die Gattin jenes Mannes, eine ſchöne Frau mittlern Alters; ſie betet aus einem Buche, welches mit täuſchender Wahrheit aus der Tafel hervortritt. Vier ganz junge Mädchen, ihre Töchter, ſind im lieblichen Kreiſe um ſie verſammlet, andächtig betend wie ſie, in kindlicher Einfalt. Eliſabeth, die Schutzheilige der frommen Gruppe, blickt freundlich auf ſie hin, eine Krone ſchmückt das Haupt der Heiligen; eine zweite ruht auf dem Buche, welches ſie in der Hand trägt.
Beide Flügelbilder drehen ſich auf Angeln, und die Rückſeite derſelben bietet eine vielleicht noch anziehendere Darſtellung. Durch die großen Bogen einer offnen Halle blickt man auf der erſten Tafel in den einen Halbkreis bildenden Hof eines mit Säulen geſchmückten Pallaſtes, über welchen noch höhere Gebäude zu den Wolken emporſteigen. Jn der Halle knieet eine Frau neben einem ganz jungen Mädchen, doch ſcheinen beide durch das Anſchauen irgend eines äußern Gegenſtandes vom Gebete ab - gezogen. Das Kind beſonders iſt ſichtbar zerſtreut, und in ſeinem Gemüth gleichſam wider Willen nach151 Außen gewendet. Hinter den Betenden ſteht ihre Schutzheilige, Magdalena, in der Hand das Sal - bengefäß, einen Turban, und eine Stirnbinde von Perlen zum Kopfſchmuck. Jhr ſchönes Geſicht zeigt eine Ähnlichkeit mit Raphaels heiliger Cäcilie, die ohne den geſenkten Blick der Magdalena noch auffallender erſcheinen würde. Das Gegenſtück zu dieſer Tafel zeigt uns in der heiligen Jung - frau die himmliſche Erſcheinung, welche dort die Aufmerkſamkeit der Mutter und ihrer Tochter ſo unwiderſtehlich rege macht. Die heilige Jungfrau Maria ſitzt neben einem Bette mit grünen Vor - hängen, ſie trägt ein rothes Gewand, über welches die langen blonden aufgelöſ'ten Flechten in kleinen Wellen reich und ſeiden herabfließen, und hält, recht mütterlich ſorgſam, das liebliche Kind auf ihrem Schooße beim rechten Ärmchen feſt, während dieſes mit der linken Hand den Betenden auf der andern Tafel eine Traube entgegen reicht. Hemling ſelbſt hat nichts Anmuthigeres und Vollendeteres gemalt, als dieſen allerliebſten Gegenſtand, die holde jungfräuliche Mutter und dieſes Kind mit dem152 Köpfchen voll reicher Locken und dem lebendige[n]Ausdruck himmliſcher Güte.
Jn der St. Salvaters-Kirche zu Brügge befin - det ſich ein Gemälde Hemlings, deſſen grauſen - hafter Gegenſtand mit den meiſten ſeiner bekannten Werke, beſonders mit dem oben beſchriebnen, ge - waltſam kontraſtirt. Gewiß war er nicht des Meiſters freie Wahl, und die Art, wie er den widerwärtigen Stoff mildernd zu behandeln wußte, iſt ein neuer Beweis der ihm inwohnenden Poeſie, welche auch dem Empörendſten eine verſchönerte Seite abzugewinnen wußte. Das Gemälde ſtellt die Marter des heiligen Hippolyt uns vor Augen. Zufolge der Legende war dieſer Heilige ein römi - ſcher Krieger, der zur Zeit des Kaiſers Valerian ſich zum Chriſtenthum bekehrte und von dieſem furchtbaren Verfolger deſſelben verurtheilt ward, lebendig von Pferden zerriſſen zu werden. Hemling hat zart und ſchonend nur die Vorbereitung zur Vollziehung dieſes grauſamen Urtheils gewählt, und dieſe bot ihm, abgeſehen von dem Gedanken an den zunächſtfolgenden Augenblick, eine Fülle ſchöner153 maleriſcher Kontraſte, in den wild ſchnaubenden Pferden, ihren noch wilderen Treibern, und dem Heiligen, der, noch unverletzt, in frommer Be - geiſterung und ruhiger Erwartung, mit Armen und Beinen an die wilden Roſſe gefeſſelt, da liegt. Auch bei dieſen, ſo wie bei denen auf der Viſion des Evangeliſten Johannes, ſcheinen die vene - tianiſchen antiken Roſſe dem Meiſter vorgeſchwebt zu haben. An dem alten Rahmen dieſes Gemäldes befindet ſich abermals die Jahrzahl 1479.
Eines der alleranziehendſten Werke Hemlings iſt ein kleines, nur aus zwei Tafeln beſtehendes Bildchen im Verſammlungsſaal der zur Beſorgung der Hoſpitäler beſtellten Kommiſſion. Die erſte dieſer Tafeln zeigt uns die heilige Jungfrau, von den blonden Wellen ihres über die Schulter hinab - rollenden Haares umfloſſen, in all ihrer holdſeligen Anmuth und Herrlichkeit. Reich geſchmückt, mit Gold, Perlen und Edelſteinen, einen rothen Mantel über ein glänzend blaues Gewand, reicht ſie freundlich dem Kinde auf ihrem Schooß einen Apfel. Dieſes ſitzt auf einem Kiſſen von Goldbrokat154 mit grünen Blumen, ein Stoff, den Hemling vor - zugsweiſe oft wählte.
Das Gegenſtück zu dieſer Tafel, welches zugleich als Deckel dient ſie zu verſchließen, zeigt uns den frommen Stifter dieſes Bildes in knieender Anbetung, einen Juncker von Neuenhoven, der hier, wie eine Jnſchrift auf dem Bilde uns ſagt, im Jahr 1487 in ſeinem drei und zwanzigſten Jahre abgebildet ward. Obgleich man dieſe bleiche jugend - liche Geſtalt durchaus nicht ſchön nennen kann, ſo iſt es doch unmöglich, ſie ohne die innigſte Theil - nahme zu betrachten. Alles an ihr ſpricht zum Herzen, dieſe ſtille Trauer in Haltung und Ge - berde, dieſes erbleichende ſichtbare Hinſchwinden in eben erblühter Jugend. Die unausſprechliche Milde eines frommen Gemüths leuchtet aus den braunen frommen Augen, aus Haltung und Geberde; man möchte ihm helfen, ihn tröſten, aber man fühlt zugleich, daß dieſem in Sehnſucht und Glauben vergehenden Jünglinge der Troſt nur aus höhern Regionen zufließen konnte.
Das lezte der Meiſterwerke Hans Hemlings,155 welche die Stadt Brügge bewahrt, iſt der berühmte Reliquienkaſten der heiligen Urſula, im Beſitz der Nonnen des Johannis-Hoſpitals. Dieſen Kaſten, in Form einer kleinen Kirche, (einer ſogenannten Baſilika) ſchmücken vierzehn größere und kleinere Miniaturgemälde des großen Meiſters, alle in Bezug auf die Geſchichte der Heiligen, deren Überreſte er aufzubewahren beſtimmt ward. Den Beſitzerinnen deſſelben wurde ſchon öfter in frühern Zeiten ein ähnlicher von gediegnem Silber für dieſes Kunſtwerk geboten, welches die berühmteſten Maler und Kunſt - kenner ſtets als ein unübertroffnes Kunſtwerk bewun - dernd betrachteten.
Als im Jahr 1794 die Franzoſen Kirchen und Klöſter der Niederlande plünderten, verdankten die Nonnen deſſen Erhaltung nur ihrer Einfalt, welche ein glücklicher Zufall zu ihren Gunſten wendete. Descamps Beſchreibung der Niederlande, als Führer zu den niederländiſchen Kunſtwerken, in der Hand, ermangelten die franzöſiſchen Kommiſſarien nicht, auch in das ſtille Heiligthum der frommen Schweſtern zu ſtürmen. La Châsse riefen ſie, la156 Châsse célèbre, und die armen verſchüchterten Nonnen verſicherten lange umſonſt, daß ſie gar nicht einmal wüßten, was man fordere; die unver - kennbare Wahrheit, welche in ihrer Angſt ſelbſt Beſtätigung fand, trug indeſſen endlich den Sieg davon; die Plünderer glaubten ſich von Descamps irre geleitet und zogen mit leeren Händen ab. Nur erſt nach geraumer Zeit erfuhren die Nonnen, daß mit dieſer geforderten Châsse nichts mehr und nichts minder gemeint geweſen ſey, als das Kleinod ihres Hauſes, der Reliquienkaſten der heiligen Ur - ſula, den ſie in ihrem Flandriſchen Patois la Ryve zu nennen gewohnt waren, ein Wort, für das ſie den richtigen franzöſiſchen Ausdruck bis dahin nie gehört hatten.
Die Legende der Märtyrer und Heiligen kennt beinahe keinen an heitern maleriſchen Motifen reich - haltigern Stoff, als die Sage von der ſchönen hel - denmüthigen Urſula und ihren Gefährtinnen, welche Hemling hier zu einer Reihefolge von Darſtellungen ſehr glücklich zu benutzen wußte. Urſula war, wie die Legende erzählt, die Tochter eines Königs, der157 zu Anfang des dritten Jahrhunderts eines der ſieben Reiche beherrſchte, in welche damals das jezt in ſeiner Einheit ſo mächtige England ſich zertheilte. Er ſowohl als ſeine Gemalin, obgleich von Heiden umgeben, hatten ſchon früher zum Chriſtenthum ſich bekannt und erzogen auch ihre Tochter in dieſem ſie beglückenden Glauben. Fromm und gläubig wuchs die Prinzeſſin heran, bis in ihrem ſechzehnten Jahre ihre ſich immer herrlicher entfaltende Schön - heit die Aufmerkſamkeit der benachbarten heidniſchen Könige auf ſich zog und Heirathsanträge ſie von allen Seiten zu verfolgen begannen. Dem frommen Kinde ſchauderte vor einer Verbindung, die ſie in Übung ihrer Religionspflichten ſtören konnte; ängſt - lich um Rettung flehend wandte ſie ſich zu Gott, und eine himmliſche Erſcheinung ward ihr zum Troſt. Dieſe forderte ſie auf, in weit entfernte Länder zu ziehen, und dort in frommer Ergebung die Ent - wickelung ihres Schickſals zu erwarten. Urſula war mit Freuden bereit, dem ernſten Rufe unbedingt Folge zu leiſten, und ihre frommen Eltern, weit entfernt, ihr irgend ein Hinderniß in den Weg zu158 legen, machten ſogleich alle Anſtalten zur Erfüllung des göttlichen Befehls. Bäume wurden gefällt, Schiffe daraus erbaut, und ein Aufruf erging an die edelſten Jungfrauen des Landes, um ſie zur Begleitung der Tochter ihres Königs während der gefahrvollen Reiſe einzuladen. Jhrer fanden ſich eilftauſend aus den angeſehenſten Geſchlechtern ein, alle jung und lieblich wie der Mai, und nicht nur wie die Prinzeſſin ſelbſt, vom glühendſten Verlangen beſeelt Gott zu dienen, ſondern auch bereit in ſeinem Dienſt mit ihr die Märtyrer-Krone zu erringen.
Der fromme Eifer der Jungfrauen erweckte ähnliches Empfinden in der Bruſt der männlichen Jugend. Ritter und Knappen, alle im Frühling des Lebens, zogen von allen Seiten herbei, ge - lobten, heilig und rein ihr Leben und ihre Waffen einzig dem Himmel zu weihen, und gewannen damit die Erlaubniß, die Königstochter und ihre Jung - frauen auf der langen Reiſe begleiten und beſchützen zu dürfen.
Die Flotte war nun bereit, auf welcher die Blüthe des Landes unter frommen Liedern ſich ein -159 ſchiffte; ſie überließ ſich ohne eigenmächtiges Lenken dem Hauche des Himmels, gelangte ſo zuerſt an die holländiſche Küſte, und ſchwamm dann weiter den Rhein herauf bis Köln, dem damaligen römiſchen Agrippinum. Alexander Severus herrſchte damals mit mildem Sinn gegen die Chriſten, und die fromme Schaar fand deshalb in dieſer römiſchen Kolonie eine ſo freundliche Aufnahme, daß ſie ſich am Ziele geglaubt hätte, wenn nicht ein zweites Traumgeſicht die Prinzeſſin nach Rom zu den Füßen des heiligen Vaters gerufen hätte. Die Ritter und Jungfrauen ſchifften ſich dem zu Folge abermals ein, und landeten bei Baſel, von wo ſie den weiten beſchwerlichen Weg über die Alpen zu Fuße an - traten.
Freudig empfing ſie in Rom der Nachfolger Petri, — Ciriakus nennt ihn die Legende, — und verkündete ihnen bald nach ihrer Ankunft, daß auch ihn eine unmittelbar vom Himmel geſandte Offen - barung berufen habe, der frommen Schaar ſich an - zuſchließen, und ſie zurück an den Rhein zu begleiten, wo ihrer Aller die Märtyrer-Krone zum Lohne ihrer160 Frömmigkeit harre. Abermals machten ſich Alle auf den Weg, den heiligen Vater in ihrer Mitte. Die Alpen wurden wieder erſtiegen, Baſel erreicht, wo ihre Schiffe ſie erwarteten. Sie ſchifften ſich ein, ſie erreichten Köln wieder, doch Alexander Severus war indeſſen durch den Meuchelmörder Maximian gefallen, dieſer herrſchte jezt, und eilte, von ſeinen barbariſchen Horden begleitet, der Chriſten - ſchaar mit Tiegerwuth entgegen. Unter den Keulen - ſchlägen, den Schwertern, den Pfeilen der Heiden, auf dem Felde von Köln oder auch in den kalten Wellen des Rheins ſtarben Alle freudig unter Abſin - gung heiliger Pſalmen den ſelbſt erwählten Tod für den Glauben; die Ritter, die Jungfrauen, ja der heilige Vater ſelbſt; die ſchöne Königstochter durch - bohrte ein Pfeil von Maximian ſelbſt geſendet.
So erzählt die Legende, deren glänzendſte Momente Hemling mit ächt poetiſchem Sinn ergriff, um ſie mit geübter Hand auf dem der Heldin derſel - ben geweihten Heiligthume in vierzehn Gemälden darzuſtellen. Sechs der größern ſind, oben bogen - artig abgerundet, auf den beiden langen Seiten des161 kirchenförmigen Reliquienkaſtens angebracht, auf jeder Seite drei; zwei ähnliche an beiden Giebel - enden deſſelben, und den oben dachförmig ſchräg zuſammenlaufenden Deckel ſchmücken ſechs Medail - lons, auf jeder Seite ein größeres zwiſchen zwei kleinen. Das erſte der Gemälde in der Geſchichts - folge, eines von denen an der langen Seite des Kaſtens, zeigt uns Köln an den Ufern des Rheines, mit ſeinem Dom und ſeinen vielen Thürmen; ein Theil des ſchon ausgeſchifften Gefolges nebſt vielen edlen Frauen und Bürgern erwarten am Ufer die Königstochter, welche eben herrlich geſchmückt den Kahn verlaſſen will. Eine ihrer Jungfrauen trägt ihr ein Schmuckkäſtchen vor, zwei andre halten die im Nachen ſich ausbreitende Schleppe ihres Herme - lin-Mantels. Alles iſt Leben und friſche jugendliche Heiterkeit.
Eines der beiden Giebelbilder ſchließt ſich hier der Legende an. Es zeigt uns die Prinzeſſin in ihrem ſtillen Zimmer zu Köln bei nächtlicher Weile. Neben ihr knieet eine ihrer Jungfrauen, das Geſicht11162mit beiden Händen verbergend; Urſula ſelbſt, halb aufgerichtet auf ihrem Lager, heftet den begeiſterten Blick auf die himmliſche Erſcheinung, welche ihr durch das weit geöffnete Fenſter ihres Gemachs entgegen ſtrahlt. Sie ſteht in den Wolken den heiligen Vater, ihre Jungfrauen, ihre Ritter im himmliſchen Glanz, eine unabſehbare Schaar ver - klärter Heiliger, und unter allen dieſen ihre eigne Geſtalt in einer Alle überſtrahlenden Glorie, genau ſo, wie die katholiſche Kirche ſie noch heute als Heilige verehrt, mit dem Pfeil in der Hand. Ein anderes Seitengemälde zeigt uns die fromme Schaar, wie ſie bei Baſel anlandet. Überall herrſcht das frohe, rege Gefühl des Ausſchiffens, des Ankommens, des Weitergehens. Einige Jungfrauen und Ritter ſtehen ſchon gelandet am Ufer, andere gehen eben zum Thore der Stadt ein, noch andere erblickt man bereits jenſeit derſelben, der Alpenkette zueilend, welche den fernen Horizont begränzt. Hochaufge - richtet ſteht die edle Geſtalt der Fürſtin Urſula im Nachen, ſie ſcheint das Ausſchiffen mit ihren Blicken zu leiten, während ſowohl in ihrem als in zwei be -163 nachbarten Schiffen ihre Gefährtinnen, ruhig da ſitzend, den Ausgang erwarten.
Das nächſte Gemälde, eines der vorzüglichſten, zeigt uns die jugendliche Pilgerſchaar in Rom an - gelangt. Urſula nebſt einigen ihrer Jungfrauen knieen in Demuth hingeſunken an den Stufen des Tempels, auf welchen der heilige Vater mit ſeinem geiſtlichen Gefolge herabſteigt, um ſie würdig und freundlich zu begrüßen.
Auf dem fünften Bilde iſt der weite Weg über die Alpen zum zweitenmal wieder zurück gelegt. Wir finden Urſula und ihr Gefolge abermals vor Baſel, im Begriffe ſich zur Reiſe nach Köln einzu - ſchiffen. Der heilige Vater hat ſchon im Nachen ſeinen Platz zwiſchen zween ſeiner Kardinäle einge - nommen, und im anmuthigſten Kontraſt mit den ehrwürdigen Greiſen-Geſtalten ſitzt ihnen gegen - über die Prinzeſſin zwiſchen zwo ihrer lieblichſten Geſpielinnen. Unabſehbare Schaaren von Rittern und Jungfrauen kommen noch jenſeits der Stadt von den Alpen herab und ziehen dem Rheine zu, wo mehrere Schiffe ihrer warten.
11 *164Das ſechste Bild zeigt uns den Untergang alles dieſes jungen, frohen und frommen Lebens. Ritter und Jungfrauen, auf das mannichfaltigſte gruppirt, in unendlicher Abwechſelung der Stellun - gen, fallen, wie Blumen vor der vernichtenden Senſe, unter den blutigen Waffen heidniſcher Bar - baren. Hier will ein Ritter die Jungfrauen ver - theidigen, dort ſinkt eine von einem Pfeil im Arm getroffen, eine andere verbirgt das Geſicht, um den Tod nicht zu ſehen, dem ſie doch nicht zu ent - gehen wünſcht, andere erwarten oder empfangen ihn in ſtiller Ergebung.
Auf dem ſiebenten Bilde endlich, dem letzten der Seitengemälde, erblicken wir die Königstochter in Maximians Zelt; hoch und furchtlos wie ein Held, ſchön und fromm wie ein Engel ſteht ſie da. Das rieſenartige Ungeheuer Maximian ſpannt den Bogen, der Pfeil ſucht ſein Ziel, aber wir ſehen ihn nicht fliegen, wir ſehen die Heldin nicht ſinken. Hemling wollte uns den Anblick des Untergangs der frommen königlichen Jungfrau erſparen, und begnügte ſich,165 nur die nächſte Nähe des ſchmerzlich ſchönen Augen - blicks anzudeuten.
Auf dem zweiten Giebelfelde erblicken wir Urſula, wie die katholiſche Kirche ſie als Schutz - heilige der Kindheit und der reinſten Unſchuld noch jetzt verehrt. Jn himmliſcher Schönheit und hoher Anmuth ſteht ſie da und breitet den Königsmantel weit über ihre Jungfrauen aus, die vertrauensvoll zu beiden Seiten ſich ihr anſchmiegen. Jn jedem der vier kleinen Medaillons auf dem dachförmigen Deckel des Reliquienkaſtens iſt ein wunderlieblicher Engel abgebildet, der mit Saitenſpiel das Lob der Heiligen feiert, deren Apotheoſe eines der größern Medaillons darſtellt. Auf goldnem Stuhl im Licht - gewande thronend ſehen wir die Verklärte. Die Taube ſchwebt über ihr, und der ewige Vater nebſt dem göttlichen Sohn drücken die Krone des Märterthums ihr auf das lichtumſtralte Haupt.
Das zweite dieſer Medaillons zeigt uns die Königin des Himmels, Maria, mit dem Kinde im Arm, welches einen Apfel und eine Blume den zu ihren Füßen knieenden Urſulinernonnen hinreicht.
166Jedes dieſer Gemälde, im Ganzen wie in den Einzelheiten, vereint in verhältnißmäßig ſehr kleinem Raume die unbeſchreiblichſte Anmuth, die vollen - detſte Ausführung, mit unübertroffner Wahrheit; und der Reichthum der Erfindung in allen dieſen mannigfaltigen faſt unzählbaren Gruppen übertrifft allen Glauben.
Auſſer dieſen Gemälden Hemlings in Brügge, bewahrte uns ein günſtiges Geſchick noch manches ſeiner unſchätzbaren Werke in andern Städten. So beſitzt Herr von Bettendorf in Aachen in ſeiner reichhaltigen Sammlung deren zwei, welchen die frühe Zeit ihrer Entſtehung ein um ſo höheres Jn - tereſſe gibt, da wir in ihnen des Meiſters Begin - nen auf ſeiner ſpäterhin ſo glorreich vollendeten Bahn deutlich erkennen. Die erſte dieſer Tafeln zeigt uns in einer von Hemlings köſtlichſten Land - ſchaften den Propheten Elias, einen kräftigen ſchönen Alten mit langem ehrwürdigen Bart. Jn tiefem Schlummer verſunken ahnet er jetzt nicht die Gegenwart des weißbekleideten ſchön gelockten Engels, der neben ihn das zu ſeiner Erhaltung167 nöthige Brod hinlegt. Weiterhin, in einem ent - fernteren Grunde der Landſchaft und durch die Ferne verkleinert, erblicken wir den Propheten erwacht und den fernen Gebirgen zuwandernd.
Die Feier des Oſterlamms in einer iſraelitiſchen Familie iſt der Gegenſtand des zweiten der oben erwähnten Gemälde. An dem gedeckten Tiſche, auf welchem nach dem jüdiſchen Geſetze neben dem Oſter - lamm auch Brod, grüne Blätter, und einige Becher ſich befinden, ſteht der in orientaliſcher Tracht vor - nehm und prächtig gekleidete iſraelitiſche Hausvater, im Begriff das Oſterlamm zu zerlegen. Neben ihm ein nicht minder reich geſchmückter Greis mit langem ehrwürdigen Barte. Ein jüngerer Jſraelit, ebenfalls in reicher feſtlicher Kleidung, ſteht neben dieſem, den Reiſeſtab in den Händen, nach dem Ritus der Juden bei dieſem zum Andenken der Auswanderung aus Egypten geſtifteten feierlichen Mahl, welches ſtehend und gleichſam reiſefertig ge - noſſen werden muß. Zwo Frauen ſtehen noch auf der andern Seite neben dem Hausvater; beiden ſteht ein hinter ihnen ſtehender Mann über die168 Schultern weg, und ein die Aufwartung bei der Tafel beſorgender Knabe tritt zur halb geöffneten Thüre hinein, durch welche man hinaus ins Freie blickt.
Herr von Liewersberg in Köln beſitzt in ſeiner Sammlung acht alte auf Goldgrund gemalte Dar - ſtellungen der Leidensgeſchichte Chriſti, aus der niederrheiniſchen an Wilhelm von Köln ſich anſchlie - ßenden Zeit, in welcher der ſtarre ſteinerne Styl der byzantiniſchen Schule vor dem warmen Hauch ächten Lebens ſich aufzulöſen begann. Aus einigen dieſer Tafeln geht nun Hemlings frühere Bildung nach den Muſtern dieſer Schule auf das deut - lichſte hervor. Vor allen aus einem, welches die Gefangennehmung Chriſti darſtellt. Judas ſteht etwas hinter ſeinem Herrn, als wolle er ſelbſt im Momente, da er den verrätheriſchen Kuß ihm gibt, ſich noch vor deſſen Augen verbergen. Ein Gerichts - diener ergreift den Heiland bei der Bruſt, ein andrer faßt ſein Gewand um ihn fortzuziehen, während Petrus über Malchus das Schwert ſchwingt. Alles dieſes geht im Vorgrunde ziemlich auf einer Linie169 vor; hinter derſelben erblickt man das empörte, mit Schwertern und Stöcken bewaffnete Volk. Eine gleiche Anordnung des nämlichen Gegenſtandes, nur freier und mit größrer Wahrheit behandelt, finden wir auf einem Gemälde Hemlings beibehalten, welches, aus ſeiner früheren Zeit ſtammend, ſich jetzt ebenfalls in Köln in der Sammlung des Herrn Paſtors Fochem befindet. Freilich ſind Hemlings Geſtalten edler, lebendiger, grandioſer, das Ko - lorit wahrer und kräftiger, Schatten und Licht aus - geſprochner und beſſer verſchmolzen, als bei dem alten niederrheiniſchen Maler, doch die Kompoſition iſt augenſcheinlich jener nachgebildet.
Jn Löwen, wo Hemling ſpäterhin höchſt wahr - ſcheinlich längere Zeit lebte, befindet ſich noch eine aus mehreren Abtheilungen beſtehende Reihefolge ſeiner Gemälde. Die Anordnung des mittelſten Bildes, einer Darſtellung der Einſetzung des Abend - mahls, gehört wieder urſprünglich einem jener acht Gemälde des Herrn Liewersberg in Köln. Chriſtus ſitzt an der Mitte der Tafel, ihm zu beiden Seiten zwei Apoſtel, gegen ihm über noch zwei, und drei170 an den beiden ſchmalen Ecken des Tiſches. Jn der obern Abtheilung über dieſer iſt der Märtyrer-Tod des heiligen Erasmus dargeſtellt, ein Gegenſtand, den der Meiſter wahrſcheinlich eben ſo wenig als den des Todes des heiligen Hippolit freiwillig wählte; doch wußte er dieſe Aufgabe ebenfalls mit nicht minderem Gelingen zu löſen. Die untere Ab - theilung iſt wieder dreifach zertheilt. Jn der Mitte ſind die Jünger von Emaus abgebildet, zu beiden Seiten, betend auf den Knieen, die Familie des Donators.
Dieſe Gemälde hängen ſo hoch, daß es ſchwer wird, ſie von unten deutlich genug zu erkennen, um in alle ihre Einzelheiten einzugehen; doch der Di - rektor der Zeichen-Akademie in Löwen, Herr Gnets, hat es ſich möglich gemacht, ſie in der Nähe zu ſehen. Nach ſeinem Urtheile iſt die Zeichnung ſehr lobenswerth und in Allem der Natur getreu; die Köpfe ausdrucksvoll, der des Judas beſonders charakteriſtiſch, der edle Kopf des Heilands höchſt vollendet, und wahrhaft göttlich zu nennen. Das Kolorit iſt friſch, angenehm, und der Natur171 gemäß, die Schatten ſind klar und verſchmolzen; die Ausführung gleicht in allen Einzelheiten der feinſten Miniatur, und nirgend zeigt ſich eine Spur ängſtlicher Kleinlichkeit oder manirirten Weſens.
Dieſes Urtheil gilt nicht nur von dieſen, ſon - dern von allen Werken Hemlings, nur die Jünger von Emaus, in dieſer Reihefolge von Gemälden, machen hierin eine Ausnahme. Dieſe ſind ſchwach, und tragen keine Spur ſeiner gewohnten Meiſter - ſchaft. Wahrſcheinlich wurden ſie von Hemling nur angelegt, und er mußte vielleicht bei ſeiner ſchnellen Abreiſe von Löwen nach Spanien das Bild unvollen - det laſſen, welches dann einem andern Künſtler zur Vollendung übergeben ward.
Freilich läßt es ſich nicht mit Gewißheit behaup - ten, daß Hemling in einem ſchon ziemlich hohen Alter nach Spanien gereiſet ſey, und dort das Ende ſeiner Tage gefunden habe, doch ſind viele Gründe vorhanden, die es als höchſt wahrſcheinlich anſehen laſſen, und ich kenne keinen einzigen, der dieſe Wahrſcheinlichkeit widerlegte. Den bedeutendſten Beweis für Hemlings Aufenthalt in Spanien gewährt172 uns Don Alonzo Ponz, Sekretär des Königs und der Akademie von Sanct Ferdinand, in ſeiner Viage de Espano, en quo se da noticia de les cosas mus apréciables y dignas de saberse gue hay en ella. Von dieſer Reiſebeſchreibung erſchien zu Madrid in den Jahren 1776 bis 1794 eine zweite Ausgabe in Octav in achtzehn Bänden mit Kupfer - ſtichen.
Don Alonzo Ponz ſpricht in dieſem Werke mit ziemlicher Ausführlichkeit von dem Karthäuſer-Kloſter Miraflores nahe bei Burgos. Zu dieſem Kloſter lieferte, zufolge ſeiner Erzählung, ein deutſcher Bau - meiſter im Jahre 1454 den Plan, und erhielt dafür 3350 Maravedis. Dieſer Baumeiſter hies Johann von Köln, und war mit dem Biſchof von Karthagena, Don Alonzo, bei deſſen Rückkehr vom Baſeler Konzilium nach Spanien gekommen. Jhm folgte Garcias Fernandez de Matienzo als Baumeiſter, und dieſem Simon, der Sohn Johanns von Köln.
Jn dem Chor dieſer Karthauſe fand Don Alonzo Ponz einige ſehr alte Gemälde an einem Altar, deren hohe Vortrefflichkeit ſeine ganze Auf -173 merkſamkeit rege machte. Sie ſtellten Epochen aus dem Leben Johannes des Täufers dar, welches Hemling, wie bekannt, oft und mit aus - gezeichneter Liebe behandelte, wahrſcheinlich weil er dieſen ſeinen Namensheiligen beſonders ver - ehrte. Don Alonzo Ponz fühlte ſich durch den edlen Ausdruck der Geſtalten, die hohe Vollendung jeder Einzelheit, und die ſeltne Pracht der noch ganz friſch erhaltnen Farben dieſer Gemälde höchlich angezogen. Er bemühte ſich um Nachricht von dem Meiſter, der in früher Zeit ſo Hohes vermochte, und fand bald was er ſuchte in dem Archive des Kloſters Miraflores.
Ein Maler, Juan Flamenco, (Johann der Fla - mänder), heißt es darin, hat dieſe Gemälde im Jahr 1496 begonnen, und im Jahr 1499 vollen - det. Er erhielt dafür, auſſer den dazu nöthigen Holztafeln, die ihm vom Kloſter geliefert wurden, noch 26735 Maravedis für ſich und ſeine Ge - hülfen.
Nun aber iſt auſſer Hans Hemling in jener Zeit kein niederländiſcher Maler bekannt, der die174 Lobſprüche verdienen konnte, welche Don Alonzo Ponz jenen Gemälden in Miraflores gibt; der Vor - namen des Meiſters, die Wahl des Gegenſtandes, die Eigenſchaften welche vorzugsweiſe an jenen Tafeln gerühmt werden, Alles dient dazu, uns in der Vermuthung zu beſtärken, daß Hemling ſie wirklich malte. Vielleicht haben ſelbſt die eben erwähnten deutſchen Baumeiſter, Johann, oder deſſen Sohn Simon von Köln, Hemling früher ge - kannt und ſeinen Ruf nach Spanien veranlaßt. Auch iſt es ſehr denkbar, daß der junge Philipp von Spanien bei ſeiner Huldigung als Herzog von Brabant, welche in Löwen ſelbſt im Jahr 1494 vor ſich ging, den berühmten Hemling dort kennen lernte und ihn mit ſich nach Spanien führte, einem Lande, wo auch ſpäterhin die Meiſter ſeiner Schule in hohen Ehren gehalten wurden.
Gewiß hatte der um das Jahr 1439 ge - borne Hemling ſchon ein bedeutendes Alter erreicht, als er die Reiſe nach Spanien unternahm, um dort im Jahr 1499 vielleicht ſein letztes Werk in der Karthauſe von Miraflores zu vollenden. Seine175 Rückkehr in die Heimath iſt nicht denkbar, und wahrſcheinlich fand ſeine Aſche unter den Pinien von Miraflores ihre Ruheſtätte, neben den Gräbern der ſtummen Brüder, deren ewigem Schweigen geweihten Wohnſitz er ſchmückte. Auch ſeine Ge - mälde exiſtiren ſchwerlich noch in Miraflores; Plün - derung, Feuer und Schwert haben ſeit Don Alonzo Ponz Reiſe oft dort gewüthet, man weiß gewiß, daß ein franzöſiſcher General im letzten Kriege den Befehl gab, das Kloſter anzuzünden, und wenn gleich die feſten alten Mauern vielleicht damals widerſtanden, wie vernichtend mögen nicht dennoch die letzten innern Unruhen in ihren Ruinen ge - waltet haben.
Bis jetzt war in dieſen Blättern von Ge - mälden Hemlings die Rede, welche theils die Niederlande, theils ſüdlichere Gegenden be - wahren, doch auch die Boiſſeréeſche Sammlung beſitzt eilf Tafeln dieſes hohen Meiſters, deren An - blick Jedem die Wahrheit alles deſſen verbürgt, was zum Lobe der übrigen geſagt werden kann.
Zwei Flügelbilder in dieſer Sammlung, zu176 denen das Mittelbild fehlt, bildeten mit dieſem wahrſcheinlich einen auf das Abendmahl Bezug haben - den Zyklus. Auf dem erſten derſelben erblicken wir den Patriarchen Abraham, ſtolz und kühn tritt er an der Spitze ſeines Haushalts dem Könige Mel - chiſedeck entgegen; Kinder und Kindeskinder, ein unabſehbarer Zug, bilden zu Roß und Wagen ſein Gefolge, einer ſeiner Söhne, reich gewapnet, ſteht neben ihm. Abraham, noch in kräftigem Mannes - alter, mit braunem Haar und ſchönem Bart, in reicher kriegeriſcher Tracht, berührt nur mit der Hand den helmartigen Kopfſchmuck, um den König zu begrüßen, der, glänzend in orientaliſcher Pracht, vor dem frommen Helden das Knie beugt, indem er ihm zum Pfande freundlicher Geſinnungen Brod und Wein entgegen bringt. Die zweite Tafel zeigt uns den die Jſraeliten vom Hungertode errettenden Manna-Regen, doch ſcheint der Meiſter mit poeti - ſchem Geiſt dieſes Wunder mehr ſymboliſch ergriffen zu haben; denn nirgend auf dieſem Bilde iſt eine Spur von einer durch wirklichen Mangel erzeugten Begier zu erblicken, nirgend drängt und ſtößt ſich177 das ſammelnde Volk, wie man wohl ſonſt es auf Darſtellungen dieſes Wunders zu ſehen gewohnt iſt. Die Überzeugung, ſichtbar unter dem unmittel - baren Schutz des Königs der Könige zu ſtehen, ver - drängt für den Moment das Gefühl irdiſchen Be - dürfens. Sehnen und Fürchten, Unmuth und Sorge ſind verſchwunden und frommes Vertrauen erwärmt jedes früher troſtlos verzweifelnde Herz. Darum gleicht das Ganze eher einer religiöſen Feier als dem Abhelfen einer drückenden Noth, denn der An - blick des Wunders allein erhebt ſchon dieſe Menſchen über ſich ſelbſt und über das Leben auf Erden. Flam - mend bricht die Morgenröthe auf dieſer Tafel über der glühend heißen Wüſte hervor, in einem, jeden ſonſt nur denkbaren Farbeneffect übertreffenden Glanz; und doch erbleicht dieſer Glanz vor dem Gluten-Meer, aus welchem auf dieſem nämlichen Bilde Jehova ſtralend vom Himmel auf ſein Volk herabblickt. Der Effect des Lichts iſt blendend im beſtimmteſten Sinne des Worts, und ich zweifle ob je ein Maler etwas Ähnliches her - vorbrachte. Der Hintergrund der ſüdlichen Land -12178ſchaft erhebt ſich terraſſenartig und überall in der Ferne treten die Jſraeliten aus Höhlen und Ge - büſchen hervor, die ihnen bei nächtlicher Zeit ein Obdach gewährten. Jn feierlicher Stille ſammlen einige den Segen des Himmels, andre vergeſſen in frommem Gebet der Gabe, um dem Geber zu danken, deſſen Glorie ſie umſtralt. Vier das Manna ſammelnde Figuren im Vorgrunde künden ſich durch Tracht, Anſtand und Geſtalt als Fürſten des Volkes an. Die eine von ihnen, eine reich gekleidete Frau von ſehr edlem Anſehen, ſteht hoch und ſchön zur linken Hand des Gemäldes; ſie trägt ein rothes goldgeſticktes Gewand, darüber einen durchſichtigen Flor, auf dem Haupt einen weißen Turban, deſſen Ende ſchleierartig herabfällt, und unter dem Kinn durchgehend wieder an den Turban befeſtigt iſt. Ein neben dieſer Frau ſtehendes Kind hebt bittend die Händchen zu ihr auf, doch ſie, von der Feierlichkeit des Moments ergriffen, ſcheint ihm Schweigen zu gebieten. Ein ſehr edler ſchöner Mann, in reichem orientaliſchen Schmuck, ſammelt neben ihr, tief zur Erde gebückt, das Himmels -179 brod; neben ihm ſteht eine andre ſehr anmuthige weibliche Figur, mit einem geſchmackvoll geordneten turbanartigen Kopfputz. Jn einiger Entfernung im Mittelgrunde zeigt ſich eine dieſer ähnlichen Gruppe, welcher ſich die ganz kleinen Figuren im Hinter - grunde anſchließen.
Ein großes Gemälde Hemlings in dieſer Samm - lung, eine ſeiner Epopeen, vielleicht die reichhal - tigſte welche er je malte, pflegen die Beſitzer gerne nur nach und nach theilweiſe den Kunſtfreunden zu zeigen, und ſelbſt ſo iſt es ſchwer, jede der vielen mannichfaltigen Gruppen auf dieſer Tafel vollkom - men aufzufaſſen, obgleich alles klar und folgerecht neben einander ſteht, nirgend Verworrenheit das Auge blendet.
Dieſes Bild für ſich allein bildet eigentlich eine ganze Gallerie, welcher man viele Tage weihen möchte. Es iſt eine wahre Fundgrube für Maler, welche um Stoff und Kompoſition zu ihren Gemäl - den verlegen ſind, denn aus jeder dieſer Gruppen könnten eben ſo viele Meiſterwerke entſtehen, ohne etwas anderes als den Maasſtab derſelben zu ver -12 *180ändern. Man ſagt daß funfzehnhundert verſchie - dene Geſtalten auf dieſer Tafel ſich entdecken laſſen, der Augenſchein bekräftigt die Möglichkeit der Behauptung, doch wer vermöchte hier nachzu - zählen!
Dieſes Bild iſt kaum eine Landſchaft zu nennen, es iſt die treuſte Abbildung des Lebens und der Welt, ihrer Herrlichkeit und Pracht, ihrer Mühe und Arbeit. Dem ungewaffneten Auge kaum ſicht - bar ſtehen die weiſen Könige des Morgenlandes im fernſten Hintergrunde, jeder auf ſeinem Berge, den wunderbaren Stern beobachtend. Sie ziehen herab, ſie kommen näher und näher zu Lande, auf Strömen, wir ſehen ihren ganzen Weg, ihr ganzes reiches Gefolge. Auf dem Kalvariberg ſehen wir ſie, wie auch die Legende es erzählt, alle drei, wenn auch auf verſchiednen Wegen angelangt, im nämlichen Moment zuſammen treffen. Sie erkennen einander, ſie erblicken Jeruſalem zu ihren Füßen liegen, und eilen nun vereint weiter. Wir ſehen ſie auf Brücken über breite Ströme ziehen, wir ſehen ſie bei Herodes einkehren, der ihnen den Weg nach181 Bethlehem bezeichnet. Dazwiſchen geht das Leben der Bewohner des Landes, welches ſie durchziehen, immerfort den gewohnten Gang; die Leute ſäen, erndten und tragen das Korn zur Mühle. Wan - derer beleben die Straßen, Hirten und ihre Heerden die Felder; wir ſehen Städte, Dörfer, Ströme, Palläſte, in einer in Frühlings-Reiz grünenden und blühenden Gegend. Jm Vorgrunde endlich erblicken wir die Könige am Ziel, ſeitwärts eine unbeſchreiblich reizende Gruppe von Hirten, denen Engel das Heil der Welt verkünden. Dann erblicken wir die heilige Familie auf der Flucht nach Egypten, wir ſehen die Krieger des Herodes, welche von den Landleuten, denen ſie begegnen, den Weg der Flüchtigen zu erforſchen ſuchen; es folgt der Kin - dermord zu Bethlehem, und ſo nach und nach alle Hauptepochen des Lebens und Leidens Chriſti bis zu dem Momente, wo er vor den Augen der anbe - tenden Jünger von einem Hügel aufwärts zum Vater ſchwebt. Nun folgt die bei Gelegenheit des in Herrn Paſtor Fochems Sammlung befindlichen Manuſkripts erwähnte Ausgießung des heiligen182 Geiſtes über die um die Mutter ihres Herrn ver - ſammelten Jünger, und ſeitwärts zur rechten Hand mehrere Hauptzüge aus dem Leben derſelben, wie die Legende unter dem Namen ihrer ſieben Freuden und ſieben Schmerzen ſie auf unſre Zeiten brachte; zuletzt ihr frommer ſchöner Tod, in der Mitte der Jünger ihres göttlichen Sohnes. Man müßte dieſem Bilde ein eignes Buch weihen, um jede ſeiner zahl - reichen und mannichfaltigen Darſtellungen gehörig zu würdigen und zu beſchreiben. Alle dieſe viele hundert, oft kaum einen Zoll hohe Figürchen be - wegen ſich, gruppiren ſich, in unbeſchreiblicher Wahrheit, keinem fehlt es an Ebenmaas und Aus - druck, alle, bis in die kleinſten Einzelheiten, der Gewänder, der Haare, ſind ausgeführt wie die feinſte Miniatur. Nichts iſt bunt, verworren oder kleinlich und das Ganze dieſes wunderbaren Bildes reine Harmonie und unausſprechliche Wahrheit.
Minder umfaſſend, aber nicht minder erfreu - lich, iſt ein aus drei Tafeln beſtehendes kleines Altar - gemälde Hemlings in dieſer Sammlung, deſſen Hauptfiguren höchſtens eine Elle hoch ſind. Das183 Mittelbild zeigt uns ebenfalls die drei Könige zu den Füßen des göttlichen Kindes. Die Mutter ſitzt in der Vorhalle eines verfallnen edlen Gebäudes, von Tauben umflattert, von Blumen und duftigen Kräutern in ſüdlicher Fülle umblüht; vor ihr die würdigen bärtigen Geſtalten der in Demuth anbeten - den Weiſen des Morgenlandes. Doch ſo ſehr dieſes ſchöne Gemälde, allein geſehen, Jeden entzücken müßte, ſo wird deſſen Zauber dennoch von der höheren unausſprechlichen Schönheit der beiden zu demſelben gehörenden Flügelbilder übertroffen.
Johannes der Täufer, eine ſehr edle, leicht mit Fellen bekleidete Geſtalt, ſteht auf dem erſten derſelben, das weiche ſchneeweiße Lamm im Arm, ernſt vorwärts blickend, am Rande eines hell und klar durch üppig wachſende Blumen und Kräuter hinrieſelnden Felsbaches. Man hört das Plätſchern der kleinen kriſtallhellen Wellen, man ſieht auf dem ſandigen Grund die Fiſchchen zwiſchen bunten Kieſeln ſpielen. Eine ſchöne Lilie ſproßt neben dem Heili - gen aus dem Graſe auf, und überhaupt trägt jede Pflanze, jede Blume des Vorgrundes den eigen -184 thümlichen Charackter. Kein Zug dieſes köſtlichen Gemäldes, der nicht voll zarter und ernſter Andeu - tungen einer nahen, die Welt beglückenden Zukunft wäre. Das ahnende Erwarten derſelben ſpricht ſich vor Allem in dem ſchönen, edlen, ausdrucks - vollen Kopf des Heiligen aus, doch auch allem Übrigen lieh hier der begeiſterte Künſtler eine jedem Volke verſtändliche Sprache.
Noch iſt die Sonne nicht aufgegangen, noch fehlt ihr belebendes Licht, aber die ganze herrliche, reich blühende Gegend ſchwimmt im roſigen Schim - mer einer Morgenröthe, die den ſchönſten heiterſten Tag verſpricht; neben dem Heiligen auf einem Fel - ſenſtück ſitzt ein Eisvogel, der Verkündiger guter Zeit. Jm Bache, dicht am Ufer, eilt eine ſchöne kleine Schlange hinter einer Eidechſe her; in vielen Gegenden iſt dieſes kleine Thier als Vorläufer der Schlangen allbekannt, und wenn man, von den ſchädlichen Eigenſchaften einiger Schlangen abge - ſehen, ſich erinnert, daß auch im alten Teſtament Chriſtus durch die erhöhte eherne Schlange vorge - bildet ward, deren Anblick Sterbende geſund machte,185 und daß Johannes ſein Verkünder iſt, ſo erſcheint dieſe ganz natürlich herbeigeführte Allegorie ſo ſinn - reich, als eine des Alterthums. Und dieſes Bild gewährt deren noch viele.
Auf dem zweiten Flügelbilde, dem herrlichſten unter dieſen dreien, ward das klare Bächlein der vorigen Tafel zum breiten reißenden Strom, der, aus dem Hintergrunde zwiſchen hohen Felſenufern daher ſtrömend, und im Vorgrunde zu beiden Seiten von noch gewaltigern Felſen begränzt, den größten Theil des Raumes ausfüllt. Der fromme Rieſe Sanct Chriſtophorus ſchreitet faſt mitten in den ſchäumenden Wogen mühſam fort; im purpurrothen aufgeſchürzten Gewande, auf ſeinen mächtigen Stab gelehnt, blickt er nach dem wunderſamen Kinde auf ſeiner Schulter um, deſſen unbegreifliche Schwere ihn beinahe niederdrückt. Sanct Chriſtoph iſt keines jener aufgedunſenen Wolkenbilder, wie ſie die aller - neuſte Kunſt uns zuweilen zeigt, er iſt ein wirklicher Rieſe, mächtig und ſtark, und Jeder ſieht deutlich, daß keine natürliche Laſt ſolcher Art dieſen kräftigen Sehnen und Muskeln zu ſchwer werden konnte. 186Der Ausdruck freundlicher Verwunderung in dem frommen treuherzigen Geſicht des Rieſen iſt höchſt anziehend; doch wahrhaft göttlich groß, bei aller kindlichen Anmuth, iſt der junge, etwa drei Jahr alte Chriſtus. Das lichte Köpfchen von himmliſcher Glorie umfloſſen, hebt er die erhobne Rechte gen Himmel, indem er die ernſten Worte ausſpricht: — „ du trägſt den Herrn der Welt. “— Oben auf dem hohen Felſenufer ſteht eine Einſiedelei, der ſie be - wohnende Eremit vernahm das Geräuſch auf dem Waſſer, er eilte hinaus und ſteht über die Felſen - wand gebogen, ſein ſchwaches Lämpchen hinaushal - tend. Aber im nämlichen Moment ſteigt die Sonne in ſiegender Pracht aus dem unabſehbaren Wellen - bette. Der Strom wird zum Lichtmeer, und die erfreute Welt, ſtralend im Glanze des Himmels, bedarf nicht mehr des künſtlichen ſchwachen Lichts des in der Dämmerung Wohnenden.
Kein Miniaturbild, kein berühmtes Kabinets - ſtück der fleißigſten niederländiſchen Meiſter ſpäterer Zeit, kann bis in die kleinſten Einzelheiten zarter und vollendeter ſeyn als dieſe unbeſchreiblich herr -187 lichen Bilder bei möglichſter Großheit der Zeichnung und des Ausdrucks, und bei der blendendſten Farben - pracht es ſind. Sie ſind ein Juweel, ein Kleinod, deſſen Glanz man geſehen haben muß um daran zu glauben.
Auſſer dieſen ſechs Gemälden Hemlings beſitzt die Boiſſeréeſche Sammlung von dieſem Meiſter noch eine Auferſtehung Chriſti, drei Fuß fünf Zoll hoch, einen Evangeliſten Johannes von derſelben Größe, und, grau in grau gemalt, eine heilige Katharina und eine heilige Barbara. Jedes derſelben iſt ſeiner würdig, doch eile ich an ihnen vorüber zu dem gött - lichſten erhabenſten Chriſtuskopf, der je einem Sterblichen vorgeſchwebt hat und von ihm darge - ſtellt wurde.
Minder jugendlich aufgefaßt, könnte er für einen Gott Vater gelten, doch den Ausdruck deſſel - ben, dieſen innigen Verein göttlicher Hoheit und unendlichen Erbarmens der ewigen Liebe ſprechen Worte nicht aus. Ehrfurchtsvolle Schauer ergreifen Jeden vor dieſem wunderbaren Bilde; Unedles oder Gemeines in ſeiner Nähe nur zu denken, muß un -188 möglich ſeyn, denn die wunderklaren leuchtenden Augen blicken uns in die tiefſten Tiefen der Seele, mit faſt ſtrafendem Ernſt. Die höchſte Schönheit des zum vollkommenſten Mann herangereiften Jüng - lings tritt hier uns entgegen, obgleich wir dabei die Unmöglichkeit fühlen, dieſer Geſtalt irgend im Leben zu begegnen, denn ſie iſt die eines jugend - lichen Gottes, für menſchliche Leiden und Freuden, ſelbſt für menſchliche Tugend zu erhaben.
Wie dieſes wunderbare Bild gemalt iſt, bleibt ein Räthſel; je länger man es betrachtet, je leben - diger wird es; man lobt ja das Waſſer eines Dia - manten, ich möchte dieſen Ausdruck borgen, indem ich von den Augen dieſes Chriſtus ſpreche; nie, ſelbſt nicht in der Natur, meine ich ähnliches ge - ſehen zu haben.
Übrigens gleicht dieſer Chriſtuskopf auf das genauſte dem hundert und fünfzig Jahre nach Chriſto bereits in der Kirche angenommenen Typus deſſelben. Das Bild über welches der Papſt noch alljährlich in Rom die Weihe ausſpricht, ſo wie alle alten Chriſtusbilder der neugriechiſchen189 Schule tragen dieſelben Züge, ja ſelbſt das dunkle furchtbare Haupt auf dem Schweißtuch jener heili - gen Veronika, welche Goethe uns als den höchſten Gipfel byzantiniſcher Kunſt im erſten Heft ſeines Werks über Kunſt und Alterthum ſo anſchaulich dar - ſtellt. Jch habe dieſe beiden Gemälde mit einander lange und aufmerkſam verglichen, und es läßt ſich nicht wegleugnen, jenes meduſenartige braune Haupt, in aller ſeiner wunderſamen Verzogenheit, zeigt dennoch die höchſte Ähnlichkeit mit dieſer ſchönen Geſtalt in der höchſten Blüthe jugendlicher Kraft.
Die Traditionen von der eigentlichen Geſtalt des Heilands ſind vielfältig und auf mannichfache Weiſe bis auf unſre Tage gekommen. Die merk - würdigſten derſelben hat Johann Reiske, Rector zu Wolfenbüttel, im Jahr 16[8]5 geſammelt, und ihnen unter dem Titel de ima inibus Jesu Christi ein gelehrtes und gründliches Werk gewidmet. Einige dieſer Beſchreibungen ſcheinen mit ſo ächt phyſiognomiſchem Sinn und mit ſo individuellen Zügen aufgefaßt, ſie ſtammen aus ſo grauer, den190 Tagen Chriſti naher Vorzeit, ſie tragen ſo ganz den Stempel einfacher Wahrheitsliebe, daß es beinahe unmöglich wird, ihnen in der Hauptſache allen Glauben zu verſagen, wenn gleich ſich Gründe finden, die es mehr als zweifelhaft machen, daß zum Beiſpiel folgender Brief gerade vom Conſul Lentulus geſchrieben ſey, welcher fünf und zwanzig Jahre nach Chriſti Geburt lebte, und ihn perſönlich gekannt haben konnte. Jch laſſe dieſen Brief um ſo lieber hier folgen, als er die Hauptzüge des Hemlingſchen Chriſtuskopfes weit beſſer beſchreibt als ich es vermöchte.
Es hat ſich bei uns hervorgethan und lebt noch ein Menſch von vielen Tugenden, den man Jeſus nennt, welcher von vielen Leuten ein Prophet der Wahrheit, von ſeinen Jüngern aber Sohn Gottes genannt wird. Dieſer erwecket die Todten und heilet die Kranken. Er iſt anſehnlich, lang von Wuchs und von ſolchem Anſehen, daß ihn Jedermann liebet und fürchtet. Er hat bräunliche191 Haare, wie die Farbe einer reifen Haſelnuß, oben glatt und dunkel, doch unten zu etwas kraus und heller um die Schultern, auf dem Haupte getheilt, nach Art der Nazaräer; eine freie Stirn und mun - teres Angeſicht, ohne Runzeln und Flecken, mit einer mäßigen Röthe geziert; Naſe und Mund ſind ohne Tadel, ſein voller Bart, dem Haupthaare ähnlich, iſt nicht lang und in der Mitte geſpalten. Er iſt aufrichtigen und beſtändigen Geſichts, von großen klaren Augen, entſetzlich wenn er beſtraft, liebreich und ſanftmüthig wenn er ermahnt, fröhlich, doch mit einem anſtändigen Ernſt; man hat ihn niemals lachen geſehn, wohl aber zum öftern weinen; er ſpricht wenig, aber Alles mit Anſehn; ſeine Ge - ſtalt iſt vortrefflich vor allen Menſchenkindern.
Auf höchſt überraſchende Weiſe fand ich in Berlin, in der nämlichen reichen Sammlung welche auch die unſchätzbaren Seitentafeln des Genter Gemäldes von van Eyck beſitzt, den deutlichſten Beweis, daß Hemling durch jene alte Beſchreibun -192 gen geleitet, ſeinen wunderbaren Chriſtus malte. Für dieſen Beweis nämlich mußte ich einen Chriſtus - kopf anſehen, den ich dort fand mit folgender Unter - ſchrift. Johes de eyk me fecit et apleivit anno 1438. 31. Jannary AΛE. IXH. XAN. Primus et Novissimo.
Dieſer Kopf, der auch ohne die Unterſchrift für eines der Meiſterwerke Johann van Eycks gelten müßte, ſchien mir jenem von Hemling ſo durchaus ähnlich, daß ich ihn für den nämlichen gehalten hätte, ohne die Kruſte von Kerzendampf und Staub, welcher ihn noch verdunkelt, da hingegen der, welchen die Herren Boiſſerée beſitzen, von allen jenen Unbilden befreit, in blendender Friſche der Farben ſtralt, als käme er eben von der Staffelei. Wahrſcheinlich würde ſich mancher Unter - ſchied zwiſchen beiden Gemälden entdecken laſſen, wäre es möglich ſie neben einander zu ſtellen, doch ſo dünkte mir die Ähnlichkeit täuſchend, nur daß mir das Berliner Gemälde bei genauer Betrachtung minder groß vorkam als das der Boiſſeréeſchen Sammlung. Jedes dieſer Gemälde iſt zu vortreff -193 lich, zu ſichtlich und unwiderleglich von Meiſter - hand, als daß man eines für die Kopie des andern halten könnte, und ſo iſt denn nur denkbar, daß das nämliche Jdeal, aus alten Traditionen und Bildern geſchöpft, beide große Meiſter zu höchſt ähnlicher Darſtellung ihres göttlichen Gegenſtandes begeiſterte.
Kein freundlicher Stern leuchtete der Geburt und der Kindheit des armen Quyntin; Dunkelheit und Armuth empfingen ihn, als er um das Jahr 1450 zu Antwerpen ins Leben trat. Sein Vater, ein armer Handwerker, ſtarb, da Quyntin als un - mündiges Kind dieſen Verluſt noch nicht zu empfinden vermochte, und ſeine Mutter erzog ihn unter Kummer, Mangel und Sorgen, bis er kräftig genug ſchien, um bei einem Handwerker die Lehrjahre antreten zu können. Sie brachte ihn in dieſer Abſicht zu einem Schmied, wahrſcheinlich weil auch ſein Vater dieſes Gewerbe betrieben hatte; dort wuchs er vollends heran, bei ſchwerer Arbeit und grober Koſt, theilte, ſobald er es vermochte, den ſauer erworbnen kärglichen Lohn mit ſeiner Mutter, die mit ihm Haus hielt, und die er herzlich liebte und ehrte, und führte ſo ein dunkles, kümmerliches Leben, bis in ſein zwanzigſtes Jahr.
Die ſchwere Arbeit am Ambos mochte dem von der Natur einer höhern Beſtimmung geweihten195 Jüngling wenig zuſagen; das mühevolle Leben, die gewaltige körperliche Anſtrengung, zu welcher kind - liche Liebe ihn trieb, griffen ihn heftig an, ſeine Kräfte erlagen und er fiel in eine tödtliche Krank - heit. Lange lag er ſchwer und gefährlich krank in der ärmlichen Hütte ſeiner troſtloſen Mutter, die nun, da ſie ihrer einzigen Stütze beraubt war, nicht mehr wußte, wie ſie für ſich und ihren Sohn nur das Noth - dürftigſte herbeiſchaffen ſollte, ſo daß Beide Mangel und Noth litten. Jugend und eine unverdorbne Natur halfen ihm zwar endlich die Todesgefahr überwinden, doch mußte er noch Mondenlang das Bette hüten, und der Anblick ſeiner darbenden Mutter, das Gefühl ihr noch lange nicht helfen zu können, quälten ihn unabläſſig, mehr als Krankheit oder Schmerz, und brachten ihn faſt zur Verzweif - lung. Freunde, Verwandte, Bekannte, die ſeinem Schmerzenslager mitleidig nahten, bat er unab - läſſig, ihm einen Erwerbsquell anzuweiſen, den er in ſeiner gegenwärtigen Lage zur Erleichterung häuslicher Noth ergreifen könne, doch niemand wußte Rath.
13 *196Es war eben um die luſtige Faſtnachtszeit, und mancherlei Gebräuche und Luſtbarkeiten waren in jenen Tagen, beſonders bei den unteren Ständen, im Schwange, von denen unſre verfeinerte Sitte nichts mehr weiß. So war es denn auch damals in den niederländiſchen Städten Gebrauch, daß in dieſer Zeit allgemeiner Fröhlichkeit die Armen und Schwachen, welche in den Hoſpitälern verpflegt wurden, in den Straßen von Haus zu Haus zogen, eine große aus Holz geſchnitzte und mit bunten Lappen behangene Puppe mit ſich herumführten, und den Kindern buntbemalte Bilderchen ſchenkten, von deren Eltern ſie dafür mit mancherlei Gaben wieder erfreut wurden. Dieſe Bildchen, deren man zur Vertheilung eine ſehr große Anzahl be - durfte, beſtanden aus illuminirten Holzſchnitten, und glücklicher Weiſe kam endlich einer von Quyntins Freunden auf den Einfall, ihm zum Anmalen dieſer Holzſchnitte, als zu einem Erwerbszweige zu rathen, dem auch wohl ein Kranker vorſtehen könne. Um zu begreifen, wie Quyntins Freund gerade auf dieſen, dem Handwerk des Hufſchmieds ſo entgegen -197 geſetzten Gedanken verfallen konnte, müſſen wir wohl annehmen, daß Quyntin ohnehin ſchon in ge - ſunden Tagen ſich und ſeine Freunde durch rohe Kunſtverſuche zu ergötzen pflegte, eine Vorausſez - zung, die überdem ſehr natürlich ſcheint, da ange - bornes Kunſttalent, auch bei dem ſchwerſten Druck der Äußerlichkeiten, ſich immer ans Licht drängt, gleich dem auf harten Felſengrund gefallnen Samen - korn, das im Frühlingsthaue wenigſtens Keime treibt, wenn gleich ſpäterhin kein günſtiger Boden die ſchwachen Wurzeln der edlen Pflanze in Schutz nimmt.
Der ſchwache, kaum geneſende Jüngling folgte dankbar des Freundes wohlgemeintem Rathe, und die leichte Arbeit gelang ihm über ſein Erwarten und Hoffen. Seine Fertigkeit in ihr wuchs mit jedem Tage, die Bildchen geriethen zuſehends immer beſſer, ſie gewannen immer ausgebreitetern Abſatz, und Noth und Sorge waren bald aus ſeinem kleinen Haushalte verbannt. Beſſre Pflege und Ruhe des Gemüths beförderten mächtig ſeine gänzliche Her - ſtellung, ſo daß er nach einiger Zeit wieder völlig198 zu Kräften gelangte. Doch während dem waren auch die fröhlichen Faſchingstage vorübergezogen, man bedurfte der Bildchen vor der Hand nicht weiter, und Quyntin mußte ſich wieder, wenn gleich mit ſchwerem Herzen, dem Amboſe zuwenden, und der weit liebern Beſchäftigung entſagen, zu der bittre Noth ihn geführt hatte.
Er lebte und hämmerte nun wieder eine Weile ſo fort, im dumpfbeklemmenden ſehnſüchtigen Ge - fühl, das ſo oft den Frühling talentreicher Jüng - linge umdüſtert, die ohne Mittel und Wege dazu zu entdecken, dennoch den Trieb zum Höheren dringend in ſich empfinden. Doch endlich ging ein heller Stern ſeinem Leben auf, der ihm wirklich der rechten Bahn zuleuchtete.
Dieſer Stern ſtralte in dem Auge eines ſehr ſchönen Mädchens, und dem armen Schmiedejungen gerade ins Herz. Das hübſche Kind war nicht von ſo hohem Stande, daß Quyntin ſich ihr nicht hätte nahen dürfen, es ſchien ihm auch ſogar, als ob er nicht ungern würde geſehen werden, wenn nur nicht ſeine ſchmutzige Arbeitsjacke, ſeine vom Führen199 des Hammers gehärteten Hände, ſein von Kohlen - ſtaub geſchwärtztes Geſicht, das in niederländiſcher Reinlichkeit erzogne Mädchen zurückgeſchreckt hätten, dem es obendrein an Freiern und Verehrern nicht mangelte. Der arme Quyntin wußte ſeiner Noth vollends kein Ende, als ein artiger geputzter Geſell, ein Maler ſeines Handwerks, ſich ernſtlich um das Mädchen bewarb. Er war der Verzweiflung nahe, als eine Äußerung der Jungfrau, die er durch die dritte Hand vernahm, ihn plözlich wieder ermu - thigte: „ Wäre doch jener der Hufſchmied, und Quyntin der Maler, “hatte ſie geſagt, und dieß war ihm genug. Er ließ den Ambos ſtehen, warf den Hammer weg, und ſich ganz der Kunſt in die Arme, zu der ſchon längſt ſein innerer Genius ihn gezogen hatte.
Mit dem Eifer der Jugend, von heißer Liebe getrieben, durch ſchnelles ſeltnes Gelingen begeiſtert, arbeitete er nun Tag und Nacht, und, wie behaup - tet wird, ohne die Leitung eines Meiſters zu Hülfe zu nehmen; was ihm wahrſcheinlich weder ſeine Armuth noch der Wunſch, die Geliebte ſeines200 Herzens bald heimzuführen, erlaubten. Denn nach dem Gebrauche damaliger Zeit, in der auch die Kunſt zunftmäßig betrieben ward, hätte er nicht nur ein Lehrgeld zahlen, ſondern ſich auch auf mehrere Jahre bei einem Lehrherrn verdingen müſſen, die er zu opfern nicht Willens war.
Durch fleißiges Studium der Natur und der vielen herrlichen Werke großer Meiſter, welche ſeine, zu jener Zeit lebensreiche und prachtvolle Vaterſtadt Antwerpen ſchmückten, machte er in kurzer Zeit die bewundernswürdigſten Fortſchritte in der Kunſt, und ward um ſo eher berühmt, da Jedermann auch durch die ſchnelle Entwickelung ſeines Talents, und die wunderbare Umwandlung eines Hufſchmieds in einen Maler in das größte Erſtaunen verſetzt ward. Sein ſchönes Mädchen belohnte ihn, wie billig, mit ihrer Hand, er führte mit ihr unter ſeinen Landsleuten ein langes glück - liches Leben in Ehre und Wohlhabenheit, und auf allen ſeinen Gemälden, wo es nur irgend der Ge - genſtand erlaubte, lächelt uns noch immer, nach mehr als dreihundert Jahren, ihr freundliches an -201 muthiges Köpfchen entgegen, denn er liebte ſie immerfort mit unwandelbarer Treue. Auch die Tonkunſt verſchönerte ſein Leben; er übte ſie mit großem Gelingen, und war deshalb unter ſeinen Landsleuten ebenfalls bekannt und geliebt. Er ſtarb 1529 im neun und ſiebzigſten Jahre ſeines Alters. Wie hoch ſeine Vaterſtadt ihn ehrte, be - weiſ't ſein in Stein gehauenes Profil, an der Außenſeite der Marienkirche zu Antwerpen, mit der Umſchrift des bekannten Verſes „ Connubialis Amor etc. “
Jn der Ausübung ſeiner Kunſt war Quyntin Meßis kein blinder Nachahmer des ſchon Vorgefund - nen. Sein kräftiges beharrliches Gemüth bahnte ſich einen eignen Weg und ſeine Gebilde tragen den Stempel einer ihm ganz angehörenden Origina - lität, die nicht ohne Anmuth iſt. Er verſchmähte die zierliche und ausgeführte Vollendung der Meiſter ſeiner Zeit, vermuthlich weil ſeine durch ſchwere Arbeit in der Jugend minder gefügig gewordne Hand ihm nicht erlaubte, es ihnen hierin gleich zu thun; dafür aber erfand er ſich eine eigenthümliche202 Art, auf den Effekt hin zu arbeiten, die vor ihm Niemand weder kannte noch übte. Sein Kolorit iſt warm und kräftig, obgleich es ſich mit van Eycks und Hemlings Farbenglut nicht meſſen kann. Mit feſtem herzhaften Pinſel ſtellte er was er wollte auf die Tafel hin; in einiger Entfernung geſehen, er - ſchienen ſeine Gemälde ſogar ſehr fleißig gearbeitet, wenn gleich etwas trocken und ſcharf gezeichnet. Der warme Ton, die anſcheinende Ausführlichkeit geben ihnen einen ganz eignen Reiz, doch in der Nähe ſchwindet der Zauber, den ihnen die Ferne verlieh, und man findet ſie im Vergleich eher etwas rauh und hart.
Eines ſeiner vorzüglichſten Gemälde, vielleicht das beſte unter allen, eine Abnahme vom Kreuz, befand ſich zu Karl von Manders Zeiten in der Marien-Kirche zu Antwerpen. Den todt daliegen - den Chriſtus hat er, wie man glaubt, nach der Natur gemalt; der Ausdruck des Schmerzes der Mutter, der heiligen Frauen, und der übrigen Umſtehenden, ſo wie auch die Behandlung der Farben, wird als ſehr vortrefflich geprieſen. Die203 eine der Seitentafeln ſtellte den heiligen Johannes, die zweite die Tochter Herodes im Tanze dar, und obgleich das Ganze ebenfalls auf den Effekt gemalt war, ſo erregte es doch wegen ſeiner übrigen Treff - lichkeit nicht nur allgemeine Bewunderung, ſondern ward auch von Kennern ſehr hoch gehalten. Dieſes Gemälde gehörte urſprünglich der Tiſchlergilde zu Antwerpen, für die Quyntin Meßis es gemalt hatte. König Philipp der zweite von Spanien ſtrebte eifrig nach deſſen Beſitz; die Denous mögen damals doch noch nicht ganz üblich geweſen ſeyn, denn er begnügte ſich, große Summen dafür zu bieten, ohne daß jedoch die Tiſchlerzunft ſich dazu bewegen ließ, das Kunſtwerk dafür hinzugeben. Neue Gefahren drohten dem Meiſterwerke bald darauf, als die Bilderſtürmer vernichtend herumzogen, doch es ward ſorgfältig verborgen und gerettet, wo ſo vieles zu Grunde ging. Endlich im Jahr 1577, zwangen die Umſtände die Beſitzer es an die Stadt Antwerpen ſelbſt zu verkaufen, welche ihm den Ehrenplatz in der Marien-Kirche einräumte. Sie erhielten die damals beträchtliche Summe von204 funfzehnhundert Gulden dafür, die ſie zum Ankauf eines Zunfthauſes verwendeten, deſſen ſie nöthig bedurften.
Die Boiſſeréeſche Sammlung beſitzt ebenfalls ein ſehr vorzügliches-figurenreiches Gemälde dieſes Meiſters, deſſen Gegenſtand mir indeſſen nicht mehr gegenwärtig genug iſt um es hier näher zu beſchreiben. Auch habe ich in andern Sammlungen manche ſeiner Arbeiten getroffen, alle von fröhlichem heiterm Eindruck, doch mögen ſie im Ganzen jetzt ſelten ſeyn.
Johann Meßis, Quyntins Sohn, war zu - gleich deſſen Schüler, und galt zu ſeiner Zeit für einen über die Mittelmäßigkeit ſich erhebenden Maler, ohne bei weitem den Ruhm ſeines Vaters zu erreichen. Jedoch machte er ſich deſſen Art zu malen ſo zu eigen, daß manche ſeiner Arbeiten für die ſeines Vaters gehalten wurden, und vielleicht es noch werden. Die Gallerie in Schleisheim beſaß von dieſem Johann Meßis eine Abbildung des Evan - geliſten Matthäus in halber Figur, die ſich wahr - ſcheinlich jetzt in der Münchner Gallerie befindet. 205Eins ſeiner gelungenſten Werke war eine Wechsler - ſtube, in welcher nach damaliger Art, Gold gewogen und gezählt wird. Dieſes Bild malte er für einen Kunſtliebhaber in Amſterdam, und ich glaube es zu Berlin in der oft ſchon erwähnten Sammlung geſehn zu haben, wo man es uns als ein Werk ſeines Vaters zeigte. Auch befanden ſich zu Antwerpen mehrere gute Arbeiten dieſes Meiſters, die jetzt wohl größtentheils zerſtreut ſind.
Weit freundlicher als dem armen Quyntin Meßis lächelte das Glück der Geburt dieſem Meiſter, der ſchon in früher Jugend nach Rom kam, wo er unter die Zahl von Raphaels Schülern aufgenom - men ward. So vom Schickſal begünſtigt, bildete er ſein angebornes und ausgezeichnetes Talent auf das aller vielſeitigſte aus; er malte in Öl, mit Waſſerfarben, auf Glas, alles mit gleichem Ge - lingen, und kehrte endlich als vollendeter Meiſter nach Brabant zurück, wo Kaiſer Karl der fünfte ihn unter die Zahl ſeiner Hofmaler aufnahm. Beſon - ders erwarb er ſich die Gunſt dieſes Fürſten durch mehrere große Jagdſtücke, nach welchen der Kaiſer in den kunſtreichen Fabricken von Brüſſel koſtbare und prächtige Tapeten weben lies. Die Gegend und die Holzungen um Brüſſel waren in dieſen Ge - mälden auf das treuſte kopirt, ſo daß Karl der fünfte den Schauplatz ſeiner ehemaligen Luſt in ihnen wieder erkennen konnte; auch war deſſen Bildniß207 und das der Fürſtinnen und Fürſten ſeines Hauſes, die bei den Jagdfeſten gegenwartig geweſen, in dieſen Gemälden vollkommen ähnlich dargeſtellt.
Aus dem Dienſte Karls des fünften trat Bern - hard von Oelay in den der Stadthalterin der Niederlande, Margaretha von Parma, Kaiſer Karls natürlichen Tochter. Auch dieſe Fürſtin zeich - nete nach dem Beiſpiel ihres Vaters den Künſtler auf das ehrenvollſte aus und belohnte alle ſeine Arbeiten mit königlicher Freigebigkeit, ſo daß er ſich nicht nur Ehre ſondern auch ein bedeutendes Vermögen erwarb. Für dieſe Fürſtin, ſo wie früher für ihren Vater, malte er außer vielen andern bedeutenden Werken auch noch mehrere große Vorbilder, Kartons oder Patronen zu gewirkten Tapeten, damals ein Hauptgegenſtand des Luxus in den Palläſten der Großen. Sechszehn von dieſen wurden faſt hundert Jahren nach ihrem Entſtehen im Haag wieder ans Licht gebracht; auf jedem der - ſelben ſah man eine Fürſtin oder einen Fürſt aus dem Naſſauiſchen Hauſe zu Pferde abgebildet, und alle waren von ſo ſeltner Vortrefflichkeit, daß der208 damalige Statthalter der Niederlande, Moritz von Naſſau, ſich bewogen fühlte, ſie durch den in Delft wohnenden Maler, Hans Jordaen von Antwerpen, kopiren zu laſſen.
Dieſer Meiſter war damals hoch berühmt, nicht nur wegen ſeiner Kunſt, ſondern auch wegen ſeiner ſeltnen Fertigkeit und der wenigen Zeit, deren er zur Vollendung eines Gemäldes bedurfte. Jn Jtalien, wo er ſich lange aufhielt, pflegten ſeine Kunſtgenoſſen deshalb zu ſagen: er ſchöpfe ſeine Figuren mit dem Löffel aus den Farbentöpfen heraus, und von dieſem Scherz trug er auch ſpäter - hin in ſeiner Heimath den Namen Potlepel (Topf - löffel) davon.
Neben den Arbeiten für den Hof, ſchmückte Bernhard von Oelay auch viele Kirchen und öffent - liche Gebäude in den Niederlanden mit großen Ge - mälden von bedeutendem Werth. Eines der be - rühmteſten und ſchönſten derſelben befand ſich in der Kapelle der Allmoſenpfleger zu Antwerpen; es ſtellte das jüngſte Gericht vor. Die Tafel, auf welche er dieſes Bild malte, ließ er vorher ganz übergol -209 den, wodurch ſeine Farben an Glanz und Durch - ſichtigkeit unendlich gewannen, beſonders in den Luftparthieen, in welchen der goldne Grund ſichtbar hervorſchimmerte; wahrſcheinlich um, wie auf dem Danziger Gemälde, die überirdiſche Atmoſphäre des geöffneten Himmels anzudeuten. Descamp gibt dieſes Gemälde für eine große gemalte Fenſterſcheibe aus, weil er wahrſcheinlich mit gewohnter Flüchtig - keit ſich nicht die Mühe nahm, Karl von Manders Beſchreibung deſſelben recht zu verſtehen, und Fuesli ließ ſich dadurch verleiten, es in ſeinem Künſt - ler-Lexikon ebenfalls als ſolche anzuführen. Dieſes zu widerlegen bedarf es kaum mehr als der Be - merkung daß eine ſtark mit Gold belegte Fenſter - ſcheibe unmöglich durchſichtig bleiben kann, was doch ein Haupterforderniß der alten Glasmalerei war. Übrigens war Bernhard von Oelay, wie ſchon früher erwähnt ward, auch in dieſer, ſeinem Zeit - alter eigenthümlichen Kunſt ein großer Meiſter, und viele Kirchen in Brüſſel prangten mit ſolchen ſchim - mernden Werken von ſeiner Hand.
Für die der Malerzunft eigene Kapelle zu14210Mecheln malte Bernhard von Oelay eine ſehr ge - prießne Darſtellung der heiligen Jungfrau mit dem Kinde; vor ihr iſt der heilige Lukas im Begriffe, die himmliſche Erſcheinung auf ſeiner Tafel nachzuzeich - nen. Die Seitenbilder dieſes Altargemäldes waren von Michael Coxcis, von dem in den nächſt folgen - den Blättern ausführlicher geſprochen werden wird.
Jn unſern Zeiten ſind Bernhard von Oelays Gemälde ſehr ſelten geworden, doch beſitzt die Boiſſeréeſche Sammlung eines derſelben, deſſen ſeltne Vortrefflichkeit in der Ausführung, geiſt - reiche Kompoſition und hohe Naturwahrheit in Aus - druck und Form, den Werth dieſes alten Meiſters auf das anſchaulichſte beurkunden. Es ſtellt den heiligen Norbertus vor, der im Anfange des zwölften Jahrhunderts Biſchof von Magdeburg wurde und kurz vorher nach Antwerpen gerufen ward, um mit einem damals berühmten Ketzer über Glaubensartickel zu disputiren und ihn wo möglich der Wahrheit zuzuwenden.
Der heilige Biſchof ſteht in dieſem Gemälde auf der nicht ſehr hohen Kanzel einer ſchönen, mit211 mehreren Zuhörern belebten Kirche. Eindringende Beredſamkeit, feſte Überzeugung, und ernſtes Hin - ſtreben zum Zweck ſind der Ausdruck ſeines edlen Geſichts und ſeiner zwar warmen doch gemäßig - ten Rednergeberde. Er ſcheint eben ein ſehr ein - dringendes Argument vorgebracht zu haben, und beobachtet den Eindruck deſſelben auf ſeinen ihm rechts gegenüber ſtehenden Gegner. Mit dem Ausdrucke innern Kampfes, halb erfreut, halb betrübt, achtet dieſer mit geſpannter Aufmerkſam - keit auf die Worte des Redners, während ſeine um ihn verſammelten Angehörigen, von einer Art innerer Beklommenheit ergriffen, den Ausgang erwarten. Neben dem Ketzer hat der Maler ſein eignes Bild unter den Zuhörern angebracht, an deſſen Ähnlich - keit mit bekannten Abbildungen des Meiſters die Beſitzer zuerſt dieſes Gemälde für eine ſeiner Ar - beiten erkannten. Unter der Kanzel ſitzt eine ſehr ſchöne Frau mit ihrer kaum der Kindheit ent - wachſenen Tochter; das junge Mädchen fühlt ſich mit jugendlicher Schwärmerei von der eindringenden Rede ergriffen, während die Mutter mit dem14 *212Ernſte der Erfahrung und dem ruhigen Abwarten des reiferen Alters nur ſtill ſinnend dem Vortrage des Heiligen aufmerkſam zu folgen ſcheint. Das ganze Gemälde iſt nicht groß, doch das Leben, der Ausdruck in dieſen kleinen Figuren, ſo wie auch die ganze Anordnung unübertrefflich. Bernhard von Oelay erreichte, wie faſt alle Maler ſeiner Zeit, ein bedeutendes Alter. Er ſtarb, ſiebenzig Jahre alt, im Jahr 1560.
Dieſem Meiſter ward, wie in Johann van Eycks Leben früher erwähnt iſt, die Ehre, das berühmte Altarbild in Gent für König Philipp von Spanien zu kopiren. Jm Jahr 1497 zu Mecheln geboren, zeigte er ſchon in früher Jugend die aus - geſprochenſten Anlagen für ſeine Kunſt, welche er als Schüler Bernhards von Oelay durch den rühm - lichſten Fleiß auszubilden ſtrebte. Mit unermüde - tem Eifer wendete er alle ſeine Zeit auf die Befol - gung der Lehren ſeines Meiſters, kannte kein andres Vergnügen als das Gelingen ſeines Strebens, und verlebte ſo ſeine Jugend in Mäßigkeit und Arbeit, ohne ſich von ſeines Gleichen zu der Verderbtheit der Sitten hinreiſſen zu laſſen, die in den Nieder - landen gerade in ſeinen Jugendtagen nur zu all - gemein herrſchend wurde.
Nach vollendeten Lehrjahren zog er, wie früher auch ſein Lehrer gethan hatte, nach Rom, wo er geraume Zeit verweilte, und unermüdet der Kunſt lebte. Er zeichnete und malte viel nach214 Raphael und andern großen italiäniſchen Meiſtern, nahm Rath und Lehre an, und ward bald auch durch Übertragung bedeutender Arbeiten ehrenvoll ausge - zeichnet. So malte er unter andern in der alten Peterskirche zu Rom eine Auferſtehung Chriſti al Fresco auf der Mauer; auch die Kirche St. Maria della pace und andere prangten mit ſeinen Werken.
An der Hand einer italiäniſchen Gattin kehrte Michael Coxcis endlich wieder in die Heimath zurück. Dieſe war eine eben ſo verſtändige als geiſtreiche Frau, welche durch ihr ſittliches Betragen ſich und ihm allgemeine Achtung erwarb. Sie hielt ſowohl durch Theilnahme an ſeinen Kunſtwerken als durch Bitten und Ermahnungen zu ſtetem Fleiße ihn an, und veranlaßte dadurch nach und nach die Erwer - bung eines bedeutenden Vermögens. Nachdem ſie mehrere Jahre glücklich mit ihm verlebt hatte, ſtarb ſie, und Michael Coxcis wählte bald darauf unter ſeinen Landsmänninnen eine zweite Gattin, doch von minder ausgezeichneten Eigenſchaften. Dieſe zweite Ehe blieb kinderlos, aus der erſten aber215 hatte Michael einen Sohn, Namens Raphael, den er für die Kunſt bildete.
Dieſer ward zwar ein ganz guter Maler, doch gewiß kein Raphael, wozu der Vater ihn doch in der Taufe beſtimmt zu haben ſcheint. Wenige ſeiner Werke ſind auf die Nachwelt gekommen, dennoch erhielt er ſpäterhin eine Art von Berühmtheit durch ſeinen Schüler Caspar de Crayes, welcher zu An - fang des ſiebzehnten Jahrhunderts unter die damals vorzüglichſten in Flandern lebenden Maler gezählt ward.
Das erſte Gemälde, wodurch Michael Coxcis nach ſeiner Rückkunft aus Jtalien ſich berühmt machte, war ein großes Altarbild, ein gekreuzigter Chriſtus, im Schloß Halſenberg, wenige Meilen von Brüſſel, zu welchem alle Kunſtverſtändige und Künſtler aus Brüſſel hinzogen, um es mit freudiger Bewunderung zu betrachten. Eine Darſtellung des Todes der heiligen Jungfrau, auf dem Altar der Kirche St. Gallus in Brüſſel, war ebenfalls ein herrliches allbewundertes Werk unſers Meiſters, doch leider kam dieſes, ſo wie auch das vorer -216 wähnte, ſpäterhin während der niederländiſchen Unruhen in die Hände eines gewiſſen Thomas Werry, eines Kunſthändlers, der in jener traurigen Zeit die allgemein herrſchende Raubſucht und Un - ordnung benutzte, um dieſe und viele andere herr - lichen Kunſtwerke umſonſt oder für ein Spottgeld zu erhalten, und ſie dann nach Spanien führte, wo man ſie mit Gold aufwog. Unzählbare Kunſt - werke wurden damals auf dieſe Weiſe den unglück - lichen Niederlanden entführt, auch die beiden Sei - tengemälde, welche Michael Coxcis zu Bernhard von Oelays Abbildung des Evangeliſten Lukas und der heiligen Jungfrau in der Kapelle der Malergilde zu Mecheln gemalt hatte, und die zu den beſten ſeiner Arbeiten gezählt wurden.
Während eines ſehr langen glücklichen Le - bens gingen viele größere und kleinere Gemälde aus der Werkſtatt des fleißigen Meiſters hervor. So hatte er unter andern für die Marien-Kirche in Antwerpen einen heiligen Sebaſtian von ſeltner Schönheit gemalt, und eine Einſetzung des heiligen Abendmahls, welche den Altar der Kirche St. Gallus217 in Brüſſel ſchmückte. Überall ſtrebte man nach dem Beſitz ſeiner Werke, doch wollten Kunſtver - ſtändige ſeiner Zeit ſeinen früheren Arbeiten vor den ſpäter entſtandnen in mancher Hinſicht den Vor - zug geben. Er ſelbſt hatte die innigſte Freude an ſeiner Kunſt, und bewahrte mehrere ſeiner Lieblings - Arbeiten, die er um keinen Preiß wegzugeben ent - ſchloſſen war, in dreien Pallaſt - ähnlichen Häuſern, welche in Mecheln ſein Eigenthum waren, und einen Theil ſeiner großen wohlerworbnen Reich - thümer ausmachten.
Mit leichtem feinen Pinſel wußte Michael Coxcis ſeinen Geſtalten etwas höchſt gefälliges und heitres zu verleihen, und obgleich man das kräftige naturgetreue Kolorit ſeiner großen Vorgänger wohl zuweilen vermiſſen könnte, ſo iſt es doch unmöglich, dem Zauber ſeiner leicht aufgetragnen hellen ſchönen Farben zu widerſtehen. Wie unbeſchreiblich reizend er ſeine weiblichen Geſtalten darzuſtellen, wie köſtlich er ſie zu ſchmücken wußte, beweiſen zwei Gemälde in der Boiſſeréeſchen Sammlung. Jedes von dieſen enthält nur eine einzige Figur; das eine218 die Abbildung der heiligen Katharina, das andere die der heiligen Barbara, beide fürſtlich geſchmückt, mit Juwelen, Gold, Perlen und hellfarbigen glän - zenden Gewändern. Nichts kann lieblicher ſeyn als dieſe beiden jugendlichen Köpfchen, beſonders das der heiligen Barbara; ein zarter durchſichtiger, leicht geſchlungner Schleier bildet ihren höchſt ge - fälligen Kopfputz. Eigne Erfindung bei der Darſtel - lung bedeutender Momente in ſeinen größern Kom - poſitionen war indeſſen nicht die glänzendſte Seite dieſes ſonſt ſo trefflichen Meiſters. Oft bei der Zuſammenſtellung ſeiner Gruppen in Verlegenheit, half er ſich mit ſeinen aus Jtalien gebrachten Studien, mit Erinnerungen aus den Werken ſeiner dortigen berühmteſten Kunſtgenoſſen. Deshalb war er höchſt unzufrieden als Hieronymus Cock eine Sammlung Kupferſtiche nach Raphaels Werken her - ausgab, weil dadurch offenbar wurde, wie ſehr er dieſe, beſonders bei ſeiner Darſtellung der ſterben - den Maria, benutzt hatte.
Bei ſeinem großen Reichthum ward Michael Coxcis dennoch nicht läſſig im Erwerb und ver -219 ſchmähte ihn ſelbſt im Kleinen nicht. So hatte er eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be - decken, die er ſehr behende mit der Kohle hin zu zeichnen wußte, und ließ ſich durch kleine ihm ange - nehme Geſchenke leicht dazu bewegen.
Den Mangel an innerer, Alles belebenden Poeſie, der aus ſeiner Verlegenheit bei der Kompo - ſition größerer Gemälde hervorgeht, erſetzte bei ihm, wie bei ſo vielen ſonſt geiſtreichen Mannern, ein leichtes ſchnelles Auffaſſungs-Vermögen, und eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengeſetzte Gegenſtände mit einander zu vergleichen. Sein heitrer Umgang ward deshalb von Vielen geſucht, doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte oft die, welche ihm nahten, durch ſcharfe beißende Reden und witzige Einfälle, die niemand ſchonten. Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der, ſchwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunſt - werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei - miſchen Kunſtverwandten und Freunde einlud, ſie anzuſehen. Als er nun bei Vorzeigung ſeiner Schätze220 mehrmals über die Schwere der getragenen Laſt klagte, und wie wund ſie ihm auf dem langen Wege den Rücken gedrückt habe, wandte ſich Michael Coxcis plötzlich mit der Frage an ihn: Warum er ſie nicht lieber und bequemer im Buſen mit ſich getragen habe? Der junge Menſch erklärte ihm mit großer Naivetät: wie das Paket dazu viel zu groß geweſen ſey. So äuſſerlich hatte es der Meiſter freilich nicht gemeint, wie die Anweſenden zur Be - ſchämung des jungen Malers leicht einſahen.
Michael Coxcis erreichte in ununterbrochener Thätigkeit, in Glück und Wohlleben, die äußerſte Gränze des menſchlichen Lebens. Als geſunder rüſtiger Greis arbeitete er noch im fünf und neunzig - ſten Jahre an einem Gemälde im Stadthauſe zu Antwerpen, hatte aber das Unglück um dieſe Zeit eine Treppe herunterzufallen, und ſtarb an den Folgen davon im Jahr 1592.
Ein günſtiges Geſchick bewahrte uns recht an - ziehende Notizen über die Eltern und die Jugend des großen edlen Meiſters, von ſeiner eignen Hand niedergeſchrieben, und ich freue mich um ſo mehr, mit ſeinen eignen Worten dieſe ſeinem Andenken gewidmeten Blätter beginnen zu können, da er ſelbſt in ihrer rührenden treuherzigen Einfalt gleichſam wie lebend vor uns ſteht, fromm und gut, einfach, Gott ergeben und arbeitſam, wie er es war und blieb, bis an ſein Ende.
„ Jch Albrecht Dürer, der jüngere, hab zu - „ ſammengetragen aus meines Vaters Schriften, „ von wannen er geweſen ſey, wie er herkommen „ und blieben, und geendet ſeliglich, Gott ſey ihme „ und uns gnädig, Amen. “
Anno 1524.
„ Albrecht Dürer der ältere iſt aus ſeinem Ge - „ ſchlecht geboren im Königreich zu Hungarn, nicht „ fern von einem Städtlein, genannt Jula, acht „ Meilen Wegs weit unter Wardein, aus einem222 „ Dörflein, zunächſt dabei gelegen, mit Namen „ Eytas, und ſein Geſchlecht hat ſich genähret der „ Ochſen und Pferde, aber meines Vaters Vater „ iſt genannt geweſt Antoni Dürer, iſt Knabenweis „ in das obgedachte Städtlein kommen zu einem „ Goldſchmidt, und hat das Handwerk bei ihm ge - „ lernet. Darnach hat er ſich verheirathet mit „ einer Jungfrauen mit Namen Eliſabeth, mit der „ hat er eine Tochter, Catharina und drei Söhne „ geboren, den erſten Sohn, Albrecht Dürer, der „ iſt mein lieber Vater geweſt, der iſt auch ein „ Goldſchmidt worden, ein künſtlicher reiner „ Mann. Darnach iſt Albrecht Dürer, mein lieber „ Vater, in Teutſchland kommen, lang in Nieder - „ land geweſt, bei den großen Künſtlern, und auf „ die lezt her gen Nürnberg kommen, als man ge - „ zehlet hat nach Chriſti Geburt 1455 Jahr, an „ S. Loyen Tag, und auf denſelben Tag hatte „ Philipp Birkheimer Hochzeit auf der Veſten, und „ war ein großer Tanz unter der großen Linden; „ darnach hat mein lieber Vater, Albrecht Dürer, „ dem alten Jeronymus Heller, der mein Ahnherr223 „ geweſen iſt, gedient eine lange Zeit, bis daß „ man nach Chriſti Geburt gezehlet hat 1467 „ Jahr, da hat ihm mein Ahnherr ſeine Tochter „ geben, eine hübſche gerade Jungfrau, Barbara, „ 1[5]Jahr alt, und hat mit ihr Hochzeit gehabt „ acht Tage vor Viti. Auch iſt zu wiſſen, daß „ meine Ahnfrau, meiner Mutter Mutter, iſt des „ Oellingers Tochter von Weiſſenburg geweſt, hat „ geheiſſen Kunigund, und mein lieber Vater hat „ mit ſeinem Gemahl, meiner lieben Mutter, dieſe „ nachfolgende Kinder gezeugt, das ſetz ich, wie er „ das in ſein Buch geſchrieben hat, von Wort zu „ Wort. “
Hiernächſt folgen die vom alten Dürer aufge - zeichneten Familien-Nachrichten, Geburts-Tage, Namen und Pathen zweier Kinder, dann fährt er weiter fort den Geburts-Tag unſers Albrecht Dürer anzuzeigen.
„ Jtem nach Chriſti Geburt 1471 Jahr in „ der ſechſten Stunde, an S. Prudentien-Tag, „ an einem Freytag in der Creuzwochen, gebahr „ mir meine Hausfrau meinen andern Sohn, zu224 „ dem war Gevatter Antoni Koburger, und nannt „ ihn Albrecht nach mir. “
Nun folgen wiederum Namen, Pathen und Geburts-Tag von noch funfzehn Geſchwiſtern, auf die nämliche Weiſe von dem Vater Albrecht Dürers treulich niedergeſchrieben, ein langes Namen-Re - giſter, nach deſſen Beendigung Albrecht Dürer der Sohn wieder die Feder ergreift.
„ Nun ſind dieſe meine Geſchwiſterigt, meines „ lieben Vaters Kinder, alle geſtorben, etliche in „ der Jugend, die andern, ſo ſie erwachſen, allein „ leben wir drei Brüder noch, ſo lang Gott will, „ nämlich ich Albrecht, und mein Bruder Andreas, „ desgleichen mein Bruder Hanns des Namens, „ meines Vaters Kinder. “
„ Jtem dieſer Albrecht Dürer, der ältere, hat „ ſein Leben mit groſſer Müh, und ſchwerer harter „ Arbeit zugebracht, und von nichten anders „ Nahrung gehabt, denn was er vor ſich, ſein Weib „ und Kind mit ſeiner Hand gewonnen hat, darum „ hat er gar wenig gehabt. Er hat auch mancherlei „ Betrübung, Anfechtung und Widerwärtigkeit225 „ gehabt. Er hat auch von männiglich, die ihn „ gekannt haben, ein gut Lob gehabt, denn er hielt „ ein erbar Chriſtlich Leben, war ein gedultig Mann „ und ſanftmüthig, gegen jedermann friedſam, und „ er war feſt dankbar gegen Gott. Er hat ſich auch „ nicht viel weltlicher Freud 'gebraucht, er war auch „ weniger Wort, hat nicht viel Geſellſchaft, und „ ward ein Gottesfürchtiger Mann. “
„ Dieſer mein lieber Vater hat großen Fleiß „ auf ſeine Kinder, die auf die Ehr Gottes zu „ ziehen, denn ſein höchſt Begehren war, daß er „ ſeine Kinder mit Zucht wohl aufbrächt, damit ſie „ vor Gott und den Menſchen angenehm würden, „ darum war ſein täglich Sprach zu uns, daß wir Gott „ lieb ſolten haben und treulich gegen unſerm „ Nächſten handeln, und ſonderlich hatte mein Vater „ an mir ein Gefallen, da er ſahe daß ich fleißig in „ der Übung zu lernen war. Darum lies mich mein „ Vater in die Schule gehen, und da ich ſchreiben „ und leſen gelernt, nahm er mich wieder aus der „ Schul, und lernet mich das Goldſchmid-Werk, „ und da ich nun ſäuberlich arbeiten konnt, trug15226„ mich mein Luſt mehr zu der Malerei denn zu dem „ Goldſchmid-Werk. Das hielt ich meinem Vater „ für, aber er war nicht wohl zufrieden, denn ihm „ reuet die verlorne Zeit, die er mit Goldſchmid - „ Lehr hatte zugebracht, doch lies er mirs nach, und „ da man zählet nach Chriſti Geburt 1486 an S. „ Andreas-Tag verſprach mich mein Vater in die „ Lehr-Jahr zu Michael Wolgemut, drei Jahr „ lang ihm zu dienen. Jn der Zeit verliehe mir „ Gott Fleiß, daß ich wohl lernete, aber viel von „ ſeinen Knechten leiden muſte. Und da ich ausge - „ dient hat, ſchickt mich mein Vater hinweg, und „ blieb vier Jahre auſſen, bis daß mich mein Vater „ wieder fordert. Und als ich im 1490 Jahr „ hinweg zog nach Oſtern, darnach kam ich wieder „ als man zählt 1494 nach Pfingſten. Und als ich „ anheims kommen war, handelt Hans Frey mit „ meinem Vater, und gab mir ſeine Tochter, mit „ namen Jungfrau Agnes, und gab mir zu ihr 200 „ Gulden, und hielt die Hochzeit, die war am „ Montag, vor Margarethe im 1494 Jahr. Dar - „ nach begab ſich aus Zufall daß mein Vater krank227 „ ward an der Ruhr, alſo, daß ihm die niemand „ ſtellen möcht. Und da er den Tod vor ſeinen „ Augen ſahe, gab er ſich willig drein, mit großer „ Geduld, und befahl mir meine Mutter und befahl „ uns göttlich zu leben. “
Jn dieſem treuherzig - einfachen Ton fährt Albrecht Dürer noch eine Weile in ſeinen Familien - Nachrichten fort, berichtet nähere Umſtände von dem ſeeligen Hinſcheiden ſeines frommen Vaters, erwähnt einiger Todesfälle in ſeiner Verwandſchaft, und erzählt zuletzt, wie er ſeine alte arme Mutter zwei Jahre nach dem Tode ſeines Vaters zu ſich ins Haus genommen, und ſie treulich gepflegt habe, beſonders in ihrer letzten langwierigen Krankheit, da ſie ein ganzes Jahr das Bette hüten mußte, bis auch ſie ſanft und ſelig entſchlief.
Albrecht Dürer hatte, da er in ſeinem ſechzehn - ten Jahre die Werkſtatt ſeines Vaters mit der Meiſters Michael Wolgemuts vertauſchte, ſich ſchon große Geſchicklichkeit erworben in den damals unter den Goldſchmieden üblichen künſtlichen Arbei - ten, wie wir ſie noch jetzt an denen mit getriebnen15 *228Figuren gezierten Bechern und anderem köſtlichen Silbergeräthe der Vorzeit in Kunſtkabinetten bewun - dern. Er hatte, zur großen Freude ſeines Vaters, und zur Bewunderung aller Verwandten und Be - kannten, ſchon die ſieben Fälle des Leidens Chriſti in getriebner Silberarbeit ſehr ſchön und künſtlich ausgeführt, ſo daß es dem Vater allerdings leid ſeyn mußte, den hoffnungsvollen Sohn von der ſo wohl betretnen Bahn abgehen zu ſehen, und gewiß gehörte ſehr dringendes Bitten ſeines Lieblings dazu, um ſeine Einſtimmung zu dieſem bedenklichen Schritt zu erhalten. Doch ergab er ſich endlich, und trat mit ſeinem alten Freunde, dem berühmten Meiſter Martin Schön zu Kolmar, dem er am liebſten ſeinen Sohn anvertrauen mochte, deshalb in ſchriftliche Unterhandlungen; doch dieſer ſtarb vor Vollendung derſelben, und ſo entſchloß der alte Dürer ſich, ſeinen Albrecht dem damals berühmteſten Maler in Nürnberg, Michael Wolgemut, zu übergeben, wahrſcheinlich um ſo lieber, da er ihn auf dieſe Weiſe unter ſeinen Augen behielt.
Auf der Wanderſchaft, die Albrecht Dürer229 nach vollendeten Lehrjahren antrat, beſuchte er die berühmteſten, damals lebenden Maler, nicht nur in Deutſchland, ſondern auch in den Niederlanden, lernte von ihnen mit dem Fleiß, der bis ans Ende ſeiner Tage ihn auszeichnete, und ſtudirte mit beſon - derer Vorliebe die Werke Martin Schöns und Jſraels von Mecheln.
Nach vier Jahren kehrte er heim, ausgebildet an Leib und Geiſt, fromm, rein und gut, wie er vom väterlichen Hauſe ausgegangen war. Seine Probezeichnung, die er nach der Heimkehr in Nürnberg mit der Feder zeichnete, um nach dama - ligem Gebrauch unter die Meiſter aufgenommen zu werden, erhielt wegen ihrer ſeltnen und vollendeten Ausführung von allen Kunſtverſtändigen großes Lob, und erregte allgemeine Bewunderung, beſonders in Hinſicht auf die den Hintergrund bildende Land - ſchaft. Dieſe Zeichnung ſtellte einen Orpheus dar, dem, freilich proſaiſch genug, von den wüthenden Bachantinnen mit Knitteln übel mitgeſpielt wird. Leider iſt die Wahl dieſes Motifs als eine ſehr un - glückliche Vorbedeutung auf ſeine bald darauf ge -230 ſchloßne Ehe mit Agnes Frey anzuſehen, deren Vater, Hans Frey, ſich durch eben dieſe Zeichnung bewogen fühlte, ihm ſeine Tochter zuzuführen, da er ſie bei einem jungen Künſtler, der ſo zu beginnen wußte, für wohl verſorgt achtete. Das bösartige, geizige, zankſüchtige Weſen dieſer Frau vergällte Albrecht Dürers ganzes Leben und führte zuletzt das frühe Ende ſeiner Tage herbei.
Wenn wir den Zeitraum von ein und vierzig Jahren, vom erſten Tage an, da Albrecht Dürer der Kunſt ſich widmete, bis an ſeinen Tod, mit der Menge der uns von ihm erhaltnen Kunſtwerke vergleichen, und dabei bedenken, wie Vieles noch im Lauf von dreihundert Jahren für uns verloren gehen mußte, ſo wird der Fleiß des edlen Meiſters nicht minder unſre Bewunderung erregen, als die Kunſtwerke ſelbſt, deren ſeltne Vortrefflichkeit den hohen Genius beurkunden, der, vom Glück beſſer begünſtigt, und ohne die traurige Beſchränkung der Umgebungen, in denen er leben mußte, wahrſchein - lich neben Raphael und Johann van Eyck zu den höchſten Höhen der Kunſt ſich erhoben hätte.
231Schon in der erſten Hälfte des ſiebenzehnten Jahrhunderts, kaum hundert Jahre nach Albrecht Dürers Tod, war es ſehr ſchwer, alle noch vor - handnen Blätter zuſammen zu bringen, die er in Holz geſchnitten, in Kupfer geſtochen, einige ſogar in Eiſen geäzt, oder in Zinn mit der Nadel geriſſen hatte, denn er verſuchte ſich gern und ohne zu ermü - den in Allem wodurch er ſeine Kunſt zu vervoll - kommnen hoffte. Seiner damals noch vorhandnen Holzſchnitte zählt Sandrart dreihundert und zwölfe, ohne Kaiſer Maximilians große Ehrenpforte und die vier Triumphzüge zum Theurdank; von Kupferſtichen gibt er einhundert und ſechſe als ihm bekannt an. Und wie viele Handzeichnungen bereichern nicht noch die Mappen der Kunſtfreunde, wie viele Kruzifixe, Heiligen-Bilder und ähnliche Werke von Albrecht Dürer aus Holz und Elfenbein meiſterhaft gebildet, werden nicht noch, gleich Heiligthümern, in und auſſer Deutſchland in reichen Sammlungen aufbe - wahrt! Seine, zum Theil großen, figurenreichen Gemälde ſind noch der Stolz vieler Gallerien und Privat-Sammlungen, bei uns wie im Auslande;232 gewiß fand eine nicht minder große Anzahl derſelben im Laufe der Zeiten ihren Untergang, und wahr - ſcheinlich liegt auch noch manches unerkannt, in Staub und Dunkel verborgen.
Auſſer der Übung ſeiner Kunſt beſchäftigte er ſich auch mit der Feder, und erwarb ſich als Schrift - ſteller ebenfalls Achtung und Ehre, ſo daß ſeine Werke in franzöſiſchen, lateiniſchen und italiäniſchen Überſetzungen auch im Auslande gar bald bekannt wurden. Er ſchrieb mehrere Werke über Geometrie, Perſpective, Proportion des menſchlichen Körpers, ſogar über einen ſeiner Kunſt ganz fremden Gegen - ſtand, über Fortifikation; welche Schrift 1527 unter dem Titel: „ Etliche Underricht, zu Befeſti - gung der Stätt, Schloß und Flecken, “im Druck erſchien, nebſt einer Zueignung an den römiſchen König Ferdinand. Seine vier Bücher von der Bild - und Maler-Kunſt wurden von Paulo Galluci aus dem lateiniſchen ins italiäniſche überſetzt, und um ein fünftes Buch vermehrt. Dieſe Überſetzung ward im Jahr 1594 zu Venedig in Folio-Format gedruckt.
233Wie hoch Albrecht Dürers Kunſtwerke auch in Jtalien geſchätzt wurden, wo damals mit ihm gleich - zeitig Michael Angelo und Raphael Alles überſtral - ten, beweiſet des, gewiß gegen die Deutſchen nicht unpartheiiſchen Vaſari eignes Bekenntniß, daß der berühmte Kupferſtecher Marc Antonio ſechs und dreiſig von Albrecht Dürer in Holz geſchnittne kleine Paſſionsſtücke ſogar mit deſſen bekannten Namens - zeichen nachahmte, und ſie als deſſen Arbeit ver - kaufte. Albrecht Dürer verklagte ihn deshalb, und brachte es dahin, daß er auf Befehl der Signoria wenigſtens das Zeichen in den Holzſtöcken weglöſchen mußte.
Albrecht Dürer war im Umgange mit Freunden und Bekannten einer der liebenswürdigſten Men - ſchen; noch jetzt gewinnt in ſeinem Bilde ſein edles, frommes, von langen, lichten, ſanft gekräuſelten Haaren umfloßnes Antlitz alle Herzen, und zeigt von der Milde und Reinheit des Geiſtes, der einſt dieſe Züge belebte. Er war der Stolz ſeiner Vaterſtadt, die ihn zum Beweiſe ihrer Achtung zum Mitglied des großen Raths erwählte. Alle ſeine Mitbürger234 vom größten zum kleinſten liebten ihn, die geiſtreich - ſten Männer ſeiner Zeit ſuchten ſeine Bekanntſchaft, ſeine Nähe, und Kaiſer und Könige zeichneten ihn ehrenvoll aus. Der König von England und viele Fürſten und Große belohnten freigiebig den Fleiß, den er auf ihre Bildniſſe verwendet hatte, vor Allem aber hielt Kaiſer Maximilian ihn in hohen Ehren, ernannte ihn mit einem Jahrgelde von ein - hundert Gulden zu ſeinem Hofmaler, und belohnte überdem auch reichlich jede ſeiner Arbeiten in dieſem ſeinem Dienſt, in welchem nach Maximilians Ab - leben auch Kaiſer Karl der fünfte ihn beſtätigte.
Als Albrecht Dürer einſt in Kaiſer Maximilians Gegenwart auf einer Mauer etwas hinzeichnen wollte, wankte die Leiter, auf welcher der Meiſter ſtand, und der Kaiſer hieß einem ſeiner naheſtehen - den Edelleute die Leiter zu halten. Dieſer aber zog ſich etwas zurück, und winkte einem in der Ent - fernung ſtehenden Diener, an ſeiner Stelle dieſen Dienſt zu verrichten, den er unter ſeiner Würde hielt. Der Kaiſer ward dieß gewahr, und ſtellte ſogleich den Edelmann deshalb zur Rede, und als235 dieſer einige auf ſeinen Rang Bezug habende Gründe vorbrachte, erzürnte ſich der Kaiſer noch mehr, — „ Albert iſt wohl mehr als ein Edelmann wegen Fürtrefflichkeit ſeiner Kunſt, “— ſprach er, — „ denn ich wohl aus einem Bauern einen Edel - mann, aber nicht gleich von einem Edelmann einen Künſtler machen kann. “— Auch gab er von Stunde an dem Albrecht Dürer ein adliches Wappen, drei ſilberne Schilde im blauen Felde, für ſich und ſeine Zunft.
Mehr aber als alle Ehrenbezeugungen, die ihm entgegen kamen, tröſtete Albrecht Dürer die treue Anhänglichkeit ihm herzlich ergebner Freunde, bei ſeinem, wirklich ſehr ſchweren häuslichen Unge - mach, an der Seite der unerträglichen Frau, mit der er in kinderloſer Ehe leben mußte. Mehrere durch Herz und Geiſt ſich auszeichnende Männer ſchloſſen im traulichſten Verein ſich ihm an, und ſuchten jede Noth und Sorge ihm wenigſtens zu erleichtern. Unter dieſen befand ſich Doctor Johann Aegidius A[y]rer, ein warmer Freund der Kunſt, dem Albrecht Dürer ſeine Freundlichkeit und manche ihm erzeigte236 Gefälligkeit dadurch belohnte, daß er ihm bei Anle - gung und Ordnung ſeiner bedeutenden Sammlungen kräftig beiſtand. Doch der eigentliche, bis an ſeinen Tod ihm ergebne Freund ſeines Herzens war der geiſtreiche und gelehrte Nürnberger Rathsherr Bili - bald Pirkheimer. Dieſer beſaß ſein ganzes Vertrauen, und half ihm auch aus mancher beklemmenden Noth; denn unerachtet aller ſeiner Arbeit war dennoch im Hauſe des durchaus uneigennützigen Meiſters nie Überfluß, wohl aber zuweilen Sorge und Mangel zu finden. Jm vertrauten Umgange mit dieſem ſeinem Freunde, war es auch wohl, daß Albrecht Dürer auf Luthers damals hervortretende Erſcheinung zuerſt auf - merkſam wurde. Beide laſen alle damals von dieſem erſcheinende Schriften, welche ganz Deutſchland in Bewegung ſetzten, theilten einander ihre Bemer - kungen mit, und gelangten mit einander zu einer Überzeugung, die beider durch Übermuth des Pfaffenthums aufgeregtes Gemüth der neuen Lehre endlich zuwendete; Pirkheimer ergab ſich ihr mit der Überlegung des Weiſen, der Jedes von allen Seiten betrachtet ehe er es für gut erkennt, und237 kam ſpäterhin in mancher Hinſicht auf andre Gedan - ken, wie aus einem von ihm bald nach Albrecht Dürers Tode geſchriebnen merkwürdigen Briefe hervorgeht, aber Albrechts Künſtler-Natur ergriff mit feuriger Begeiſterung, was ſeinem hellen Auge im ſtralenden Glanz der Wahrheit erſchienen war, ohne ſich je wieder davon abwenden zu laſſen.
Jm Jahr 1506 unternahm Albrecht Dürer eine Kunſtreiſe nach Venedig. Er ward dort von Vielen freundlich empfangen, und führte mehrere Kunſtaufträge, die er erhielt, ehrenvoll aus. Wie fröhlich er, fern von ſeinem häuslichen Elend, unter einem ſchönen Himmel ſeyn konnte, beweiſ't eine Reihe Briefe, welche er an ſeinen Freund Pirk - heimer von Venedig aus ſchrieb, deren mitunter zu derb luſtiger Ton aber freilich nicht mehr in unſere Zeit paſſen will. Zur beſſern Darſtellung ſeiner Lage, ſowohl daheim als in ſeinem damaligen Aufenthalt, hebe ich nur ein paar Stellen aus dieſen Briefen aus.
„ Wollt Gott daß ich euch großen Dienſt könnt, „ denn das wollt ich mit Freuden ausrichten, denn238 „ ich erkenn daß Jhr mir viel thut, und ich bitt „ euch habt Mitleiden mit meiner Schuld, ich ge - „ denk daran öfter denn Jhr. Alsbald Gott mit „ heim hilft ſo will ich euch erbarlich zahlen mit „ großem Dank, weil ich hab den Teutſchen zu „ malen ein Tafel, davon geben ſie mir 110 Gulden „ rheiniſch. Darauf geht mit fünf Gulden Koſtung. „ Die werd ich noch in acht Tagen verfertigen mit „ weißen (gründen) und ſchaben, ſo will ich ſie „ von Stund anheben zu malen, wenn ſie mag, ſo „ Gott will, ein Monat nach Oſtern auf dem Altar „ ſtehn. Das Geld hoff ich, wenn Gott will, all „ zu erſparen, wenn ich gedenk ich dürf der Mutter „ noch dem Weib alsbald kein Geld ſchicken u. ſ. w. “
„ Venedig an der heil. drei Könige Tag im „ Jahr 1506. “
Die in dieſem Briefe erwähnte Tafel war ein heiliger Bartholomäus, für den damaligen Verein deutſcher Kaufleute in Venedig, und ſchmückte einen Altar in der dem deutſchen Hauſe zunächſt liegen - den Kirche. Mit großer Mühe kam Kaiſer Rudolph ſpäterhin zum Beſitz dieſes Gemäldes, indem er ſich239 erbot, jede Summe, welche die Kirche nur immer dafür fordern möchte, zu zahlen. Auf das ſorg - fältigſte eingepackt, ward es hierauf nach des Kaiſers eigner Veranſtaltung durch vier ſtarke Männer auf den Schultern von Venedig bis Prag getragen, damit das koſtbare Gemälde nicht durch das Rütteln eines Wagens unterwegs Schaden litte.
Jn einem andern Briefe ſchreibt Albrecht Dürer an Bilibald Pirkheimer:
„ Jch wollt daß Jhr hie zu Venedig wärt. Es „ ſind ſo viel artiger Geſellen unter den Welſchen, „ die ſich je länger je mehr zu mir geſellen, daß es „ einem am Herzen ſanft ſollt. Denn vernünftig „ gelehrt gut Lautenſchleger, Pfeiffer, verſtändig „ im Gemäle, und viel edles Gemüth, rechte „ Tugends von Leuten, und thun mir viel Ehr und „ Freundſchaft. Dagegen find Jhr auch der untreu - „ ſten verlogen diebiſch Böſewichter da, Jch glaub „ daß ſie auf Erdreich nit ſo leben, und wenns „ einer nit wüßt, ſo gedächt er es wären die artig - „ ſten Leut die auf Erdreich wären. Jch muß ihn „ ſelbſt lachen, wenn ſie mit mir reden, ſie wiſſen240 „ daß man ſolch Boßheit von ihnen weiß, aber ſie „ fragen nie darnach. Jch hab viele guter Freund „ unter den Welſchen, die mich warnen, daß ich „ mit ihren Malern nicht eß und trink, auch ſind mir „ ihrer viel feind, und machen (kopiren) mein Ding „ in Kirchen ab, und wo ſie es mögen bekommen; „ noch ſchelten ſie es, und ſagen es ſey nit antikiſch „ Art, dazu ſey es nit gut; aber Sambellinus „ (Gian Bellino, auf venetianiſch Zan Belin, Ti - „ zians großer Lehrer) der hat mich vor viel Gen - „ tilomen faſt ſehr gelobt. Er wollt gern etwas „ von mir haben und iſt ſelber zu mir gekommen und „ hat mich gebeten, er wolls wohl zahlen. Und „ ſagen mir die Leut alle, wie es ſo ein frommer „ Mann ſey, daß ich ihm gleich günſtig bin. Er iſt „ ſehr alt und iſt noch der Beſte im Gemäle u. ſ. w. „ Geben zu Venedig neun Uhr in die Nacht, am „ Samſtag nach Lichtmeß im 1506 Jahr. “
Von Venedig aus machte Albrecht Dürer eine Ausflucht nach Bologna;
ſchreibt er,
„ in heimlicher Perſpektive, die mich „ einer lernen will, da werd ich ungefehr in acht241 „ oder zehn Tagen auf ſeyn gen Venedig wieder zu „ reiten, darnach will ich mit dem nächſten Boten „ kommen. O wie wird mich nach der Sonne „ frieren! hier bin ich ein Herr, daheim ein Schma - „ rotzer. “
Jn Bologna ward er von den dortigen Malern wie zuvor in Venedig ehrenvoll empfangen, und langte wahrſcheinlich erſt im Spätherbſt deſſelben Jahres wieder in Nürnberg an, wo er in ununter - brochnem Fleiß das gewohnte Leben von neuem begann. Lange gefühlte Liebe und Bewunderung, noch erhöht durch die unſterblichen Werke Raphaels, welche ihm wahrſcheinlich in Venedig und Bologna zu Geſichte gekommen, trieben ihn jetzt unwiderſteh - lich, dieſem hohen Meiſter zu ſchreiben und ihm ſein eignes Bildniß zu überſenden; eine Zeichnung, die er höchſt kunſtreich, ohne alles aufgeſetzte Licht, mit täuſchender Wahrheit ausgeführt. Beides langte glücklich in Rom an, und Raphael erkannte mit Freuden den ihm verwandten Genius, deſſen Ruhm gewiß ſchon früher bis zu ihm gedrungen war. Er nahm das Schreiben wie die Gabe dankbar16242und freundlich auf, und erwiederte beides, mit einem liebevollen Briefe und mit Zeichnungen von ſeiner Hand zum Gegengeſchenke.
Jnniges Verlangen, die großen Meiſter der Niederlande und ihre Werke zu ſehen, bewog Albrecht Dürer vierzehn Jahre ſpäter nochmals ſeine Heimath zu verlaſſen und das Land zum zweiten - male zu beſuchen, wo er früher muthig und ſorglos den Weg zum Ziele begonnen. Jetzt war das freilich viel anders, ſein Weib begleitete ihn mit ihrer Magd Suſanne, und ſo ging Alles viel ſchwer - fälliger als damals, da dem fröhlichen, lehrbegierigen Jüngling Welt und Kunſt im Morgenroth des Lebens entgegen lächelten.
Von dieſer ſeiner Reiſe iſt der größte Theil ſeines ſehr ſorgfältig geführten Tagebuchs bis auf unſre Zeit gekommen, aus welchem ich hier die mir am merkwürdigſten ſcheinenden Stellen dem Leſer mittheile, da das Ganze, bei aller ſeiner naiven Anmuth und herzlichen Einfachheit doch wohl zu viel Raum erfordern möchte. Herr von Murr hat es im ſiebenten Theil des Journals zur Kunſt -243 geſchichte und zur allgemeinen Litteratur, welches er im Jahr 1779 zu Nürnberg herausgab, abdrucken laſſen.
Anno 1520.
„ Am Pfingſttag nach Kiliani hab ich Albrecht „ Dürer auf mein Verkoſt und Ausgeben mich mit „ meinem Weib von Nürnberg hinweg in das Nie - „ derland gemacht, und da wir deſſelben Tags aus - „ zogen durch Erlang, da behaußten wir zu Nachts „ zu Baiersdorf, und verzehrten daſelbſt drei Batzen „ minder ſechs Pfennig u. ſ. w. “
„ Darnach fuhren wir gen Antorff (Antwerpen), „ da kam ich in die Herberg, zum Jobſt Plankfeld, „ und denſelben Abend lud mich der Fugger Factor „ mit Namen Bernhard Stecher, gab uns ein köſt - „ lich Mal. Aber mein Weib aß in der Herberg, „ und dem Fuhrmann hab ich für unſer drei Per - „ ſonen zu führen gegeben drei Fl. an Gold. “
„ Am Sonntag war auch Sanct Oswaldtag, „ da luden mich die Maler auf ihr Stuben, mit „ meinem Weib und Magd, und hatten alleding „ mit Silbergeſchirr, und andern köſtlichen Gezier16 *244„ und überköſtlich Eſſen. Es waren auch ihre Weiber „ alle da, und da ich zu Tiſche geführt ward, da „ ſtund das Volk auf beiden Seiten, als führe man „ einen großen Herrn. Es waren auch unter ihnen „ gar trefflich Perſonen, von Mannen, die ſich all „ mit tiefen Neigen auf das allerdemüthigſt gegen „ mir erzeigten, und ſie ſagten ſie wollten alles das „ thun, als viel möglich, was ſie wüßten das mir „ lieb wäre. Und als ich alſo ſaß, da kam der „ Herren von Antorff Rathsboth mit zweien Knech - „ ten, und ſchenket mir von der Herren von Antorff „ wegen vier Kannen Wein, und ließen mir ſagen, „ ich ſolle hiemit von ihnen verehret ſeyn, und ihren „ guten Willen haben. Deß ſagte ich ihnen unter - „ thänigen Dank, und erbot meine unterthänige „ Dienſt. Darnach kam Meiſter Peter, der Stadt „ Zimmermann, und ſchenket mir zwei Kannen „ Wein, mit Erbietung ſeinen willigen Dienſt. Alſo „ da wir lang fröhlich bei einander waren, und ſpat „ in die Nacht, da belaithen ſie uns mit Windlich - „ tern gar ehrlich heim, und baten mich ich ſoll ihren „ guten Willen haben, und annehmen, und ſollt245 „ machen was ich wollt, darzu wollten ſie mir „ allbehülflich ſeyn. Alſo dankte ich ihnen, und „ legte mich ſchlafen. “
„ Auch bin ich geweſt in Meiſter Quintines „ (Quintin Meßis) Haus. Aber ich bin geweſen „ auf ihren großen drei Schießplätzen, ich hab geſſen „ ein köſtlich Mal, mit dem Staber. Aber ein „ ander mal mit dem Factor von Portugall, den „ hab ich mit der Kohlen konterfeit, mehr hab ich „ meinen Wirth konterfeit, item Jobſt Plankfeld, „ der hat mir geſchenkt ein Zinken weiß Korallen. “
„ Jtem Sebaldt Fiſcher hat mir zu Antorff ab - „ kauft ſechzehn kleiner Paſſion pro 4 fl., mehr 32 „ Bücher pro 8 fl., mehr 6 geſtochne Paſſion pro „ 3 fl., mehr 20 halbe Bogen aller Gattung gleich „ durch einander pro 1 fl. Jtem meinem Wirth hab „ ich zu kaufen geben auf ein Tüchlein ein gemalt „ Marienbild um 2 fl. rheiniſch u. ſ. w. “
„ Jtem am Sonntag nach Bartolomäi bin ich „ von Antorff mit Herr Tomaſin gen Mecheln ge - „ fahren, da lagen wir über Nacht, da lud ich „ Meiſter Konrad und ein Maler mit ihm, zu Nacht -246 „ eſſen, und dieſer Meiſter Konrad iſt der gut „ Schnitzer, der dienet Frau Margareth des Kaiſer „ Maximilians Tochter, desgleichen ich kein geſehen „ hab. Von Mecheln fuhren wir durch das Städt - „ lein Wilßwart, und kamen am Montag gen „ Brüſſel zu Mittag u. ſ. w. “
„ Jch hab geſehen zu Brüſſel im Rathhaus in „ der gulden Kammer, die vier gemalten Materien „ die der groß Meiſter Rudiger (Rogier van der „ Weyde) gemacht hat. “
„ Auch hab ich geſehen die Ding die man dem „ König auß dem neuen gulden Land (Mexico) hat „ gebracht, eine ganz guldene Sonnen, einer ganzer „ Klafter breit, desgleichen ein ganz ſilberner Mond, „ auch alſo groß, desgleichen von allerlei ihrer „ Waffen, Harniſch, Geſchütz, und allerlei wunder - „ barlicher Ding zu menſchlichen Brauch, das da „ viel ſchöner zu ſehen iſt als Wunderding. Dieſe „ Ding ſind alle köſtlich geweſen daß man ſie beſchäzt „ hundert tauſend Gulden werth. Und ich hab aber „ all mein Lebtag nichts geſehen das mein Herz alſo „ erfreut hat, als dieſe Ding. Denn ich hab darin247 „ geſehen wunderliche künſtliche Ding, und hab mich „ verwundert der ſubtilen Jngenio der Menſchen in „ fremden Landen. “
„ Jtem Madonna Margarethe (die Statthal - „ terin) die hat zu Brüſſel nach mir geſchickt, und „ mir zugeſagt ſie woll meine Beförderin ſeyn gegen „ König Karl, und hat ſich ſonderlich ganz tugend - „ lich gegen mich erzeigt. Hab ihr mein geſtochnen „ Paſſion geſchenkt, desgleichen ein ſolchen ihrem „ Pfenning-Meiſter mit Namen Jan Marini, und „ hab ihn auch mit den Kohlen konterfeit. Jtem „ als ich bin geweſt in des von Naſſau Haus, da „ hab ich geſehn das gut Gemähl in der Kapellen „ das Meiſter Hugo (Hugo van der Goes) gemacht „ hat. “
„ Jtem Meiſter Bernhardt (Bernhard von „ Oelay) hat mich geladen, der Maler, und hat „ ein ſolch köſtlich Mahl zugericht, das ich nit „ glaub daß erzeugt ſei mit zehn Gulden. Dazu „ haben ſich von ihm ſelbs geladen mir gut Geſell - „ ſchaften zu leiſten, der Frau Margareth Schatz - „ meiſter den ich konterfeit hab, und des Königs248 „ Hofmeiſter mit Namen der Meteni, und der Stadt „ Schatzmeiſter mit Namen von Pusfladis, dem „ ſchenket ich ein Paſſion in Kupfer geſtochen, und „ er hat mir wieder geſchenkt eine ſchwarze ſpaniſche „ Taſchen drei Gulden werth. Und Erasmo Rot - „ terdammo hab ich auch ein Paſſion geſchenkt in „ Kupfer geſtochen, der iſt des Bonifius Sekre - „ tarius. “
„ Jtem hab Meiſter Bernhardt (von Oelay) „ der Frau Margareth Maler mit der Kohlen konter - „ feit. Jch habe den Erasmum Roterodam noch „ einmal konterfeit. Jch hab dem Lorenz Starken „ geſchenkt ein ſitzenden Hieronymum und die Me - „ lancholey, und hab mein Wirthin Gevatterin kon - „ terfeit. Jtem ſechs Perſon haben mir nichts geben „ die ich zu Brüſſel hab konterfeit. Jch hab aus - „ geben für zwei Püffelhörner drei Stüber, ein „ Stüber für zween Eulenſpiegel. “
(Ein jetzt faſt unbezahlbares Blatt von Lukas von Leyden.)
„ Alſo bin ich am Sonntag nach S. Gilgentag „ mit Herr Tomaſin gen Mecheln gefahren, und hab „ Urlaub von Herrn Hans Ebner genommen, und249 „ er hat vor die Zehrung, ſolang ich bei ihm geweßt, „ nichts wollen nehmen, ſieben Tag, von des Hans „ Geuders wegen. Ein Stüber hab ich des Wirths „ Knecht zuletzt geben. Jch hab mit der Frau „ von Neukirchen zu Nacht geſſen, und bin von „ Mecheln früh am Montag gen Antorff gefahren, „ und ich aß früh mit Portugales, der ſchenket mir „ drei Porgolana (Majolika Schalen) und der Ru - „ derigo ſchenket mir etlich Federn, Calekutiſch (in - „ dianiſch) Ding. “
„ Jtem des Raphaels von Urbins Ding iſt nach „ ſein Todt alles verzogen, aber ſeiner Discipuln „ einer mit Namen Thomas Polonier, ein guter „ Maler, der hat mich begehrt zu ſehen, ſo iſt er „ zu mir kommen, und hat mir ein gulden Ring ge - „ ſchenkt, antica, gar mit ein guten geſchnitten „ Stein, iſt fünf Gulden werth, aber mir hat man „ zwiefach Geld dafür wollen geben. “
Die Sprache des Tagebuchs iſt von hier an durch Herrn von Murr etwas moderniſirt.
„ Verehrte Frau Margareten, Karl des fünf - „ ten Schweſter, ein Exemplar aller meiner Kupfer -250 „ ſtiche und Holzſchnitte. Verfertigte ihr zwo Zeich - „ nungen auf Pergament, und für ihren Leibarzt „ einen Riß zu einem Hauſe. “
„ Dem Thomas Polonius alle meine Werke „ gegeben, die nach Rom geſchickt wurden um dafür „ Raphaeliſche Sachen zu bekommen. Polonius „ verfertigt mein Bildniß um es mit nach Rom zu „ nehmen. “
„ Am Donnerſtag nach Michaelis fuhr ich nach „ Aachen. Am 23. October ſah ich die Krönung „ Kaiſer Karls. Am Freytag vor Simon und Juda „ verließ ich Aachen und kam nach Löwen; am Sonn - „ tag nach Köln, wo ich ein Tractat Doctor Luthers „ um fünf Weißpfennige kaufte, und gab ich ein „ Weißpfennig für die Condemnation Lutheri des „ frommen Mannes. Jn Brüſſel, Aachen und „ Köln hatte ich frei Quartier bei den drei Nürnber - „ giſchen Herren Krongeſandten, Leonhard Groland, „ Hans Ebner und Nikolaus Haller. Jn Köln ſah „ ich am Sonntage nach Allerheiligen Kaiſer Karls „ Fürſtentanz und Banquet (darnach machte er eine „ Zeichnung die in Holz geſchnitten iſt). Am Mon -251 „ tag nach Martini erhielt ich von Kaiſer Karln die „ Beſtätigung als kaiſerlicher Hofmaler. “
„ An unſer Frauen Abend reiſete ich nach See - „ land. Sebaſtian Jmhof lieh mir fünf Gulden. „ Wir mußten die erſte Nacht vor Anker liegen. „ Samſtag konterfeite ich ein Mädchen in ihrer „ Tracht. Kam nach Mittelburg, ſah in der Abtei „ Johann's de Mabuſe große Tafel; iſt beſſer ge - „ malt als gezeichnet. “
„ Kam am Freytag nach Lucia wieder nach Ant - „ werpen zu Jobſt Plankfeld. “
Anno 1521.
„ Am Samſtag nach Oſtern mit Hans Lieber „ von Ulm und Jan Plos, einem guten Maler von „ Brügge gebürtig, nach Brügge gefahren. “
„ Sah in Kaiſers Hauſe Rüdigers (Rogiers „ van Brügge) gemalte Kapelle, und Gemälde von „ einem großen alten Meiſter (wahrſcheinlich Hem - „ ling). Bei St. Jakob köſtliche Gemälde von „ Rüdiger und Hugo (van der Goes) den großen „ Meiſtern. Sah das Marienbild von Alabaſter „ zu unſrer Frauen, das Michael Angelo gemacht252 „ hat. Sah alle gute Gemälde des Johannes (van „ Eyck) und anderer in der Kirchen, und in der „ Malerkapelle. Gaben mir ein großes Banquet „ auf ihrer Stube zu Nacht, und beſchenkten mich. „ Jakob und Peter Moſtaert, die Rathsherren „ ſchenkten mir zwölf Kannen Wein, und die ganze „ Geſellſchaft von ſechzig Perſonen begleiteten mich „ mit Windlichtern heim. “
„ Kam nach Gent. Der Dechant von den „ Malern und die vorderſten empfingen mich herrlich „ und aßen mit mir zu Nacht. Am Mitwoche frühe „ führten ſie mich auf den hohen St. Johannisthurm. „ Sahe des Johannes Tafel (van Eycks berühmtes „ Gemälde) das iſt ein überköſtlich, hochverſtändig „ Gemäld, und ſonderlich die Eva, Maria, und „ Gott der Vater ſind faſt (ſehr) gut. “
„ Sah die Löwen, und zeichnete einen mit „ dem Steffte. Die Maler mit ihrem Dechant haben „ mich nicht verlaſſen, haben zu Morgens und Nachts „ mit mir geſſen und alle Ding bezahlet. Fuhr am „ Dienſtag frühe wieder nach Antwerpen.
Folgendes iſt wieder ganz unverändert im Styl253 Albrecht Dürers. Der ganze Aufſatz aber ſo rührend und herzergreifend, daß ich mich nur mit Mühe entſchließen konnte, ihn, als doch nicht ganz hieher gehörig, nur theilweiſe mitzutheilen.
„ Jtem am Freytag nach Pfingſten im 1521 „ Jahr kam mir Mähr gen Antorff, daß man Martin „ Luther ſo verrätherlich gefangen hätt, denn da „ ihm des Kaiſers Karols Herold mit dem kaiſer - „ lichen Geleit war zugeben, dem war er vertrauet, „ aber ſo bald ihn der Herold bracht bei Eiſenach in „ ein unfreundlich Ort, ſagt er dörfte ſein nit mehr, „ und ritt von ihm. Alsbald waren zehn Pferd da, „ die führten verrätherlich den verkauften frommen, „ mit dem heiligen Geiſt erleuchteten Mann hinweg, „ der da war ein Nachfolger des wahren chriſt - „ lichen Glaubens, und lebt er noch oder haben „ ſie ihn gemördert, das ich nit weiß, ſo hat er „ das gelitten um der chriſtlichen Wahrheit willen, „ und um daß er geſtraft hat das unchriſtliche „ Papſtthum. “— — —
„ Und ſonderlich iſt mir noch das ſchwereſt, „ daß uns Gott vielleicht noch unter ihrer falſchen254 „ blinden Lehr will laſſen bleiben, die doch die „ Menſchen, die ſie Vater nennen, erdicht und auf - „ geſetzt haben, dadurch uns das köſtlich Wort an „ viel Enden fälſchlich ausgelegt wird, oder gar nit „ fürgehalten. “
„ Darum ſehe ein jeglicher, der da Martinus „ Luther Lehre lieſt, wie ſein Lehr ſo klar durchſich - „ tig iſt, ſo er das heilige Evangelium führt. „ Darum ſind ſie in großen Ehren zu halten, und „ nit zu verbrennen, es wäre denn daß man ſein „ Widerpart, die allezeit die Wahrheit widerfech - „ ten, ins Feuer würf mit allen ihren Opinionen, „ die da aus Menſchen Götter machen wollen. Aber „ doch iſts gut, daß man wieder neuer lutheriſcher „ Bücher Druck hatt. O Gott iſt Luther todt, wer „ wird uns hinfür das heilig Evangelium ſo klar für - „ tragen? Ach Gott, was hätt er uns noch in zehn „ oder zwanzig Jahren ſchreiben mögen! O ihr alle „ fromme Chriſtenmenſchen, helft mir fleiſſig be - „ weinen dieſen gottgeiſtigen Menſchen, und Gott „ bitten daß er uns einen andern erleuchten Mann „ ſende. O Erasme Roterodame wo wilt du blei -255 „ ben? ſieh, was vermag die ungerechte Tirannei „ der weltlichen Gewalt, der Macht der Finſterniß? „ Hör du Ritter Chriſti, reuth hervor neben dem „ Herrn Chriſtum, beſchütz die Wahrheit, erlang „ der Märtirer Kron, du biſt doch ſonſt ein alt „ Menniken (Männchen). Jch hab von dir gehört, „ daß du dir ſelbſt noch zwei Jahr zugeben haſt, „ die du noch[t]ügeſt etwas zu thun, dieſelben leg „ wohl an, dem Evangelium und dem wahren chriſt - „ lichen Glauben zu gut. — — — O Erasme „ halt dich hin, daß ſich Gott dein rühme, wie vom „ David geſchrieben ſteht, denn du magſts thun, „ und fürwahr du magſt den Goliath fällen. “
Nach dieſer Erleichterung ſeines frommen, ſorgenerfüllten Herzens führt Albrecht Dürer nach gewohnter Weiſe ſein Tagebuch weiter fort.
„ Jtem am achten Tag nach Corpus Chriſti „ bin ich gen Mecheln mit den Meinen zu Frau „ Margareth gefahren. Bin zur Herberg geweßt „ zum golden Haupt, bei Meiſter Heinrich, Maler, „ da haben mich zu Gaſt geladen in meiner Herberg256 „ die Maler und Bildhauer, haben mir große Ehre „ gethan in ihrer Verſammlung. “
„ War bei Frau Margareth, ließ ihr meinen „ Kaiſer ſehen, und wollt ihr denſelben verehren, „ ſie nahm ihn aber durchaus nit an. Am Freytage „ zeigte ſie mir alle ihre ſchöne Sachen, darunter „ ſahe ich bei vierzig kleine Täfelein von Ölfarben, „ ſo ſchön, daß ich dergleichen nie geſehen hab. Bat „ Frau Margareth um Meiſter Jakobs (Jakob Cor - „ nelis, Schorrels Lehrer) Büchlein, ſie ſagte aber „ ſie hätte es ihrem Maler (Bernhard von Oelay) „ zugeſagt. Sah auch eine ſchöne Bibliothek. “
„ Bin am Samſtag von Mecheln gen Antorff „ kommen. Mich hat zu Gaſt geladen Meiſter Lucas, „ der in Kupfer ſticht, iſt ein klein Männlein und bür - „ tig von Leyden aus Holland, der war zu Antorff. “
„ Den Bernhard Stecher und ſein Weib konter - „ feit, und Meiſter Lucas mit dem Stefft. “
„ Jch hab in allem meinem Machen, Zehrun - „ gen, Verkaufen, und anderer Handlung Nachtheil „ gehabt in Niederland, in all meinen Sachen, gegen „ großen und niedern Ständen, und ſonderlich hat257 „ mir Frau Margareth für das ich ihr geſchenkt und „ gemacht hab, nichts geben. “
„ Alexander Jmhoff lieh mir hundert Gold - „ gulden, an unſrer Frauen Abend als ſie über das „ Gebirg geht, 1521, darum hab ich ihm geben „ mein verſiegelte Handſchrift, daß er mir die zu „ Nürnberg antworten laß, ſo will ich ihm die „ wieder zu Dank zahlen. “
„ An unſrer Frauen Heimſuchung, da ich gleich „ weg von Antorff wollte, da ſchicket der König von „ Dännemark zu mir (Chriſtian der zweite), daß „ ich eilend zu ihm käm, und ihn konterfeiet, das „ thät ich mit der Kohlen, und ich konterfeiet auch „ ſein Diener Antony, und ich mußt mit dem König „ eſſen, erzeugt ſich gnädiglich gegen mich. “
„ Am Tage nach unſrer Frauen Heimſuchung „ nach Brüſſel gefahren auf dem Schiff des Königs „ von Dännemark, dem ich die beſten Stücke meines „ Kunſtdrucks verehrte. “
„ Jtem hab geſehen wie das Volk zu Antorff „ ſich ſehr verwundert hat, da ſie den König von „ Dännemark ſahen, daß er ſo ein mannlich ſchön17258„ Mann war, und nur ſelb dritt durch ſeiner Feinde „ Land kommen. Jch hab auch geſehen, wie ihm „ der Kaiſer von Brüſſel entgegen geritten, und ihn „ empfangen, ehrlich mit großem Prange. Dannach „ hab ich geſehen das ehrlich köſtlich Bankett, das „ ihm der Kaiſer und Frau Margareth gehalten hat „ am andern Tag. “
„ Jtem am Sonntag vor Margaretha hielt der „ König von Dännemark ein groß Bankett dem „ Kaiſer, Frau Margarethen und Königin von „ Spanien; und lud mich, und ich aß auch darauf. „ Jch hab zwölf Stüber für des Königs Futteral „ geben, und ich hab den König von Ölfarben kon - „ terfeit, und er hat mir dreißig Gulden geſchenkt. “
„ Jtem am Freitag frühe von morgens bin ich „ von Brüſſel ausgefahren, fuhren am Sonntag „ frühe gen Ach. u. ſ. w. “
Jch habe mir beim Abſchreiben dieſer Stellen aus Albrecht Dürers Tagebuch nur einige Verän - derung der Orthographie erlaubt, die mir des leich - tern Verſtehens wegen nothwendig dünkte. Nicht nur des Verfaſſers wegen, ſondern auch als merk -259 würdiges Bild des bürgerlichen Lebens jener Zeit, müſſen jene Blätter Aufmerkſamkeit und Theilnahme erregen. Wir ſchelten die Sitten jener Tage roh und ungebildet, ſie waren es auch in vieler Hinſicht, und doch ſpricht die regſte Theilnahme an allem Großen und Schönen aus der Art wie Fürſten, Edelleute und Bürger die beſcheidne anſpruchsloſe Erſcheinung des großen Meiſters überall aufnahmen, und ihm ſelbſt ſogar fürſtliche Ehre erzeigten.
Wie gern er lebte, welche wahrhaft kindliche Freude er an allem hatte, was Gutes und Schönes ihm widerfuhr, geht aus dem Ganzen noch viel deutlicher hervor, als dieſer Auszug es darſtellen kann. Mit großer Gemüthlichkeit führt er viele, größtentheils ihm zu Ehren gegebne Bankette, auch einige Maskenzüge an; auch kommen mit unter einige im Spiel gewonnene oder verlorne Gulden und Stüber vor, denn über Einnahme und Ausgabe hielt er ſehr ordentlich Rechnung. Dennoch war er gern freigebig, wie alle heitre Naturen; faſt verſchwenderiſch theilte er überall ſeine Kunſtwerke nach allen Seiten aus, doch heißt es auch einmal:260 „ Jch machte viel Sachen, den Leuten zu gefallen, aber das wenigſt ward mir bezahlt. “ Da ſeine grämliche Frau ſich gleich häuslich in Antwerpen nie - derlies, Waſchzuber, Blasbalg und Schüſſelnapf ſich kaufte, für ſich und ihre Magd ſelbſt kochte und wuſch, und ihn nach der damaligen Sitte wenig auſſerhalb dem Hauſe zu Gaſtmälern und Feſten begleitete, ſo behielt er Freiheit und fröhlichen Muth; machte auch all die kleinen Reiſen von Ant - werpen aus, ohne ihre läſtige Begleitung. Ge - ſchenke an Wein, Konfituren, und koſtbarem Sei - denzeuge, die ſie ſeinetwegen erhielt, und die er alle ſorgfältig in ſeinem Tagebuch aufzeichnete, mochten ſie auch wohl bei guter Laune erhalten; doch mochten auch kleine häusliche Unglücksfälle zuweilen ſie wieder verſtimmen, als zum Beiſpiel, daß ihr einmal auf dem Markt zu Antwerpen ihre Geldtaſche abgeſchnitten ward.
Zu Hauſe, nach vollbrachter Reiſe ging freilich das ängſtliche Treiben des häuslichen Unfriedens wieder an, ja es nahm dermaßen zu, daß es an dem Leben Dürers nagte, und nach und nach ſeine261 Geſundheit zerſtörte. Ein heitrer Strahl brach in - deſſen doch noch in das Dunkel ſeiner Tage, als Melanchton, im Jahr 1526 zum drittenmal, wegen der Einweihung des Gymnaſiums von St. Ägidien, Nürnberg beſuchte. Bei ſeinem Freunde Pirkheimer lernte Albrecht Dürer den Mann kennen, der ſchon um Luthers willen ihm theuer ſeyn mußte, und ver - lebte dort mit ihm manche herzerhebende Stunde, in troſtreichen frommen Geſprächen und gegenſeitiger erfreulicher Mittheilung ihrer Gedanken.
Zwei Jahre ſpäter, im Jahr 1528, am 6. April, in der Charwoche, im ſieben und funfzigſten Jahre ſeines Alters, entſchwang ſich ſein entfeſſelter Geiſt, und ein metallner Sarkophag mit einer lateini - ſchen Jnſchrift bezeichnete die Stelle, wo man auf dem Kirchhof der St. Johanniskirche ſeine ſterbliche Hülle zur Ruhe brachte.
Von ſeinem Leben in der lezten Zeit und ſeinem Tode, wie auch von ſeinem Verhältniß zu ſeinen Freunden, gibt Bilibald Pirkheimer im An - fange des ſchon erwähnten merkwürdigen Briefes ein zu rührendes und treues Bild, als daß man262 nicht gern einer bis auf die Orthographie getreuen Abſchrift dieſer Stelle hier den Raum gönnen ſollte. Der Brief ſelbſt iſt an Johann Tſcherte, Kaiſer Karls Bau - und Brückenmeiſter in Wien gerichtet, und vollſtändig im zehnten Theil des ſchon erwähn - ten Journals des Herrn von Murr, nach Pirkheimers eigner Handſchrift, abgedruckt.
„ Mein freundlich willig Dienſt ſind euch bevor, „ mein lieber Herr Tzerte, mir hat unſer Freund „ Herr Jorg Hartmann ein Schreiben durch euch an „ ihn gethan angezeigt, in welchem ihr mein nit „ allein im Guten gedenkt, ſondern meßt mir auch „ mehr Lobs und Ehre zu, denn ich mich ſelbſt „ würdig erkenn. Will aber ſolchen guten Willen „ unſer beider in Gott verſtorbnen Freund Albrecht „ Dürer zurechnen; denn dieweil ihr denſelben um „ ſeiner Kunſt und Tugend willen geliebt, ſind euch „ ohne Zweifel auch die ſo ihn geliebt haben auch „ lieb. Solchem will ich euer Lob, und gar nit „ meiner Schicklichkeit zumeſſen. “
„ Jch hab warlich an Albrechten der beſten „ Freund einen, ſo ich auf Erdreich gehabt hab ver -263 „ loren, und dauert mich nichts höher, als daß er „ eines ſo hartſeligen Todes geſtorben iſt, welchem „ ich nach dem Verhängniß Gottes niemand denn „ ſeiner Hausfrauen zuſagen kann, die ihm ſein „ Herz eingenagen, und dermaß gepeiniget hat, „ daß er ſich deſto ſchneller von hinnen gemacht hat, „ denn er war ausgedorrt wie ein Schaub, durft „ niendert keinen guten Muth mehr ſuchen, oder zu den „ Leuten gehn. Alſo hat das böſe Weib ſein Sorg, „ das ihn doch wahrlich nit Noth gethan hat. Zu „ dem hat ſie ihm Tag und Nacht zu der Arbeit „ härtiglich gedrungen, allein darum daß er Geld „ verdient und ihr das ließ, ſo er ſtarb. Denn ſie „ allweg verderben hat wollen, wie ſie dann noch „ thuet, unangeſehen daß ihr Albrecht bis in die „ ſechs tauſend Gulden Werth gelaſſen hat. Aber „ da iſt kein Genügen, und in Summa iſt ſie allein „ ſeines Todes ein Urſach. “
„ Jch hab ſie ſelbſt oft für ihr argwöhnig ſträf - „ lich Weſen gebeten und ſie gewarnet, auch ihr vor - „ hergeſagt, was das Ende hievon ſeyn wird, aber „ damit hab ich nit anders denn Undank erlangt. “
„ Dann wer dieſem Mann wohlgewollt und um „ ihn geweßt, dem iſt ſie feind worden, das wahr - „ lich den Albrecht mit dem Höchſten bekümmert, „ und ihn unter die Erden bracht hat. “
„ Jch hab ihr ſeit ſeines Todes nie geſehen, ſie „ auch nit zu mir wollen laſſen, wiewohl ich ihr „ dennoch in viel Sachen hülflich geweßt bin, aber „ da iſt kein Vertrauen. Wer ihr Widerpart hält, „ und nit aller Sach Recht gibt, der iſt ihr verdächt - „ lich, dem wird ſie auch alsbald feind, darum ſie „ mir lieber weit von mir denn um mich iſt. “
„ Es ſind ja ſie und ihr Schweſter nit Bübinn, „ ſondern wie ich nit zweifel, der Ehren fromm und „ ganz gottsfürchtig Frauen. Es ſollt aber einer „ lieber ein Bübinn, die ſich ſonſt freundlich hielt, „ haben, denn ſolch nagend, argwöhnig, und „ keifend fromm Frauen, bei der er weder Tag noch „ Nacht Ruhe oder Fried haben könnt. Aber wie „ dem, wir müſſen die Sach Gott befehlen, der „ woll dem frommen Albrecht gnädig und barmherzig „ ſeyn, denn er hat wie ein frommer Biedermann „ gelebt, ſo iſt er auch ganz chriſtenlich und ſeeliglich265 „ verſtorben, darum ſeines Heils nit zu fürchten „ iſt. Gott verleih uns ſein Gnad, daß wir ihm zu „ ſeiner Zeit ſeeliglich nachfolgen. “
Von Albrecht Dürers vielen uns noch erhaltnen Gemälden, will ich nur eines der allervortrefflich - ſten anführen. Die Boiſſeréeſche Sammlung be - wahrt dieſes herrliche Bild, es zeigt deutlich ſowohl alle Vorzüge der Schöpfungen Albrecht Dürers, wie das, was ihnen zur höchſten Vollkommenheit noch abgeht.
Das Bild ſtellt die Abnahme des Leichnams Chriſti vom Kreuze dar. Wie wahr, wie ſchön, und doch mit wie großer Verſchiedenheit iſt der Ausdruck des nämlichen Schmerzes in den Köpfen und Stellungen der umſtehenden Freunde des Er - blaßten, in dem vor Allen von ihm geliebten Jünger Johannes, in den heiligen Frauen, die innig und treu ihn verehrten! Wahrhaft erhaben und herzer - greifend iſt die gottergebne Frömmigkeit der Mutter, mitten im tiefſten Seelenleiden ausgedrückt. Die18266Wahrheit des Kolorits, der Gewänder, der Zeich - nung, iſt bewundernswerth, es iſt ein köſtliches Gemälde, das man zu betrachten nicht ermüdet, an dem man immer neue Vorzüge entdeckt, aber es iſt ein Gemälde. Schoreel, Hemling, vor Allen Jo - hann van Eyck ſtellen uns mitten in ihre Schöpfun - gen, ihre Gebilde ſind die Wirklichkeit ſelbſt, die Albrecht Dürer uns nur mit großem Fleiß nach - gebildet zeigt; ihm mangelt die Jugendfriſche, die unausſprechlich ſeelenvolle Heiterkeit, der Strahl des Lebens, der bei den alten Meiſtern recht aus dem Jnnern hervorbricht. Vor ihren Tafeln ver - gißt man oft über dem Werke den Meiſter, hier muß man ſtets, wenn gleich bewundernd, ſeiner gedenken. Dieſe ſchwarzen ſcharfen Umriſſe, die er ſowohl im Kontur der Köpfe, als in den Falten der Gewänder unvermalt ſtehen lies, ſo meiſterhaft, mit ſo feſter Hand ſie auch gezeichnet ſind, kennt die Natur eben ſo wenig als ihre obengenannten treuſten Nachfolger ſie kannten. Auch Albrecht Dürers Farben, bei aller ihrer Schönheit, erblei - chen vor der brennenden Pracht ſeiner Vorfahren,267 und bei manchem ſeiner Werke ſpüren wir recht ſchmerzlich die beengende Lebensluft, in welcher dieſer, von der Natur ſo hochbegabte Meiſter unter dem Keifen ſeines bößartigen Weibes wie zur Frohne arbeiten mußte; er, der ſich in andern Ver - hältniſſen frei, edel und leicht im Gebiete der Kunſt gewiß noch weit höheren Flugs erhoben hätte.
Höchſt bewundernswerth iſt indeſſen die Feſtig - keit, mit der Albrecht Dürer in Zeichnung und An - ordnung ſeiner Geſtalten an der Natur hielt. Sind dieſe gleich nicht immer edel und ſchön zu nennen, ſo ſind ſie dennoch ſtets von unübertrefflicher Wahr - heit. Dieſes iſt um ſo höher zu achten, da ſeine Zeit, obſchon noch immer überreich an trefflichen Meiſtern, dennoch ſchon begann, ſich jener Manier zuzuwenden, welche den Schein der Dinge ſtatt des Weſens ergreift, durch blendende Licht-Reflexe, durch tiefe Schlagſchatten, wo die Natur keine kennt, und durch tauſend ähnliche Künſteleien, das Auge zu feſſeln, und ihre innere Armſeligkeit zu verbergen ſucht. Sehr bald nach ihm führte dieſe268 neue, großentheils durch falſchverſtandnes Studium der italiäniſchen Meiſter und der Antike entſtandne Manier, der bald niemand mehr widerſtrebte, die ächte deutſche Kunſt unaufhaltſam dem Unter - gange zu.
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