PRIMS Full-text transcription (HTML)
Johann van Eyck und seine Nachfolger.
Zweiter Band.
Johann van Eyck und seine Nachtolger.
Beides, ihre Kunſt und ihr Leben war bei ihnen in ein Werk eines Gußes zu - ſammengeſchmolzen, und in dieſer innigen, ſtärkenden Vereinigung ging ihr Daſeyn einen deſto feſteren, ſicheren Gang durch die flüchtige umgebende Welt hindurch. (W. H. Wackenroder. )
Zweiter Band.
Frankfurt am Main1822. Druck und Verlag von Heinrich Wilmans.

Jnhalts-Verzeichniß des zweiten Bandes.

  • Seite.
  • Lukas van Leyden1
  • Johann von Mabuſe, auch Maubeuge und Ma - boggio genannt24
  • Johann von Schoreel39
  • Hans Holbein, der juͤngere90
  • Lukas Kranach109
  • Martin Hemskerk133
  • Anton Moro von Utrecht163
  • Johann Schwartz, auch Swarte Jan genannt171
  • Johann von Calkar175
  • Karl von Mander180
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Lukas von Leyden.

Lukas von Leyden gehörte zu den Seltnen, welchen die Natur das Siegel ihrer Beſtimmung auf Erden beim erſten Lebenshauch deutlich aufdrückt, bei denen ſchon die Knospe der Kindheit die ganze, bald prächtig ſich entfaltende Blüthe ihrer Zukunft deut - lich zeigt, die himmelweit verſchieden ſind von jenen kraftlos in die Höhe geſchoßnen kränklichen Pflanzen, welche in unſern Tagen durch pädagogiſche Treibhaus - künſte zum ſchnellen Entfalten gezwungen werden, eine Zeitlang als Wunderkinder ihre armen Künſte machen, und dann wie taube Blüthen fruchtlos zu - ſammen ſinken. Er war ein wirkliches Wunderkind, das im Jahr 1494, in den letzten Tagen desII. Bd. 12Monats Mai, oder den erſten des Juni zu Leyden in das Leben trat.

Hugo Jakobs, ſein Vater, war ein geachteter Maler, und Malergeräth das erſte Spielwerk des Knaben. Lukas erſter Blick fiel auf Paletten und Pinſel, auf Kreide, Reißfeder und Radirnadel. Mit ſchwacher kindiſcher Hand griff er nach dieſen und führte ſie, beinahe ehe er ſie nur gehörig feſt zu halten wußte. Der Vater hatte innige Freude an dem natürlichen Geſchicke, welches der Knabe dabei zeigte, er half ihm und lehrte ihn, wirklich ſpielend, den Gebrauch aller dieſer Werkzeuge; das Kind kannte bald keine andere Luſt als an dieſen Dingen, und die Luſt ſtieg ſo wie es heran wuchs. Oft, wenn Lukas in ſpater Nacht noch zeichnete, ſchalt ſeine Mutter und nahm ihm das Licht weg, weil ſie fürchtete, ſeine Geſundheit möchte unter der unabläſſigen Anſtrengung leiden, aber er lies dennoch nicht ab. Er zeichnete nach der Natur Alles was ihm vorkam, Köpfe, Hände, Füße, Gebäude, Gegenden, vor Allem aber, und mit auffallender Vorliebe, Gewänder von verſchiedenartigen Stoffen,3 an denen er den aus dieſer Verſchiedenheit ent - ſtehenden Charackter ihres Faltenwurfs unermüdet nachzubilden ſtrebte.

Angehende Maler, Glasmaler und Goldſchmiede waren, ſo wie der junge Lukas heranwuchs, ſeine liebſten Geſpielen, weil er mit ihnen treiben konnte was einzig ihn ergötzte. Mit gleichem Eifer, gleicher Freudigkeit und gleichem Gelingen ergriff er in früheſter Jugend alle Zweige der Kunſt; er malte geſchichtliche Gegenſtände, Porträte, Landſchaften, mit Waſſerfarben und in Öl, malte auf Glas, ſchnitt in Holz, gravirte auf Kupferplatten, zeichnete mit der Feder, mit der Kohle, vor Allem aber gerne, und in ſpätern Jahren ganz vortrefflich, mit ſchwar - zer Kreide.

Es klingt eben ſo unglaublich als es wahr iſt, daß Lukas von Leyden ſchon als neunjähriges Kind Zeichnungen von ſeiner eignen Erfindung ſehr ſauber und fein in Kupfer ſtach. Man trifft noch zuweilen auf einzelne ſeltene Abdrücke ohne Jahrzahl, von dieſen ſeinen frühſten Jugendarbeiten.

Da er zwölf Jahre alt war, malte er die Le -1 *4gende vom heiligen Hubertus mit Waſſerfarben auf Leinwand, und erregte dadurch die Bewunderung Aller, welche dieſes Gemälde erblickten. Ein Kunſt - freund, Herr von Lockhorſt, gab dafür dem Knaben ſo viele Goldſtücke als er Jahre zählte, um ihn zu fernerem Fleiß zu ermuntern.

Kaum mochte Lukas das vierzehnte Jahr er - reicht haben, als er ein höchſt ausgeführtes, mit der Jahrzahl 1508 bezeichnetes Blatt nach eigner Zeichnung in Kupfer ſtach, welches den Mahomed darſtellt, wie dieſer in der Trunkenheit einen Mönch ermordet. Jm folgenden Jahr erſchienen neun andre Blätter in Form runder Medaillons, die eben ſo viel Scenen aus der Leidensgeſchichte Chriſti darſtellten. Nächſtdem die Verſuchung des heiligen Antonius, dem der Teufel in Geſtalt einer ſchönen Frau erſcheint. Auch noch im nämlichen Jahr, die Bekehrungsgeſchichte des Apoſtels Paulus. Der junge Künſtler hatte den Moment gewählt, in welchem Paulus, vom Strahl des Himmels geblendet, nach Damaskus geführt wird, und dabei den Zuſtand dieſer plözlichen Blindheit ganz vortrefflich ausge -5 drückt. Sowohl bei dieſen als allen ſeinen Blättern muß man neben der vollendeten Ausführung, neben der Mannigfaltigkeit der Köpfe und Stellungen, auch den durchaus naturgetreuen Ausdruck höchlich bewun - dern. Nirgend erſcheint Verworrenheit oder Zwang, ſelbſt in ſeinen figurenreichſten Kompoſitionen; alle ſeine Blätter tragen den Stempel eines hellen origi - nellen Geiſtes, der ſich ſelbſt von jedem Strich, jeder Linie, Rechenſchaft zu geben wußte, und frei und leicht unter jedem Bedingniß ſeiner Kunſt ſich bewegte. Die größte Mannichfaltigkeit herrſcht in ſeinen Gewändern, auch war er unerſchöpflich in Erfindungen, um ſeine den Tagen der Vorzeit oder fremden Nationen angehörenden Geſtalten ſo viel möglich zu charackteriſiren.

Lukas verlor ſehr früh ſeinen Vater und erſten Führer auf der ſo hoffnungsreich begonnenen Bahn; und kam gleich darauf bei Cornelis Engelbrecht in die Lehre, deſſen Sohn, ein Glasmaler Namens Peter Cornelis, unter die Zahl ſeiner Jugendfreunde gehörte.

Meiſter Cornelis Engelbrecht war ein ſehr guter6 Zeichner, ein verſtändiger verdienſtvoller Maler, deſſen Werke von ſeinen Mitbürgern ſehr hoch ge - halten wurden. Man ſagte ſogar, er ſei der Erſte in Leyden geweſen, der nach Johann van Eycks Weiſe der Ölfarben ſich bediente. Einigen ſeiner vorzüglichſten Gemälde wurde ein Ehrenplaz auf dem Stadthauſe zu Leyden, doch hielt man ein Ge - mälde mit zwei Flügelbildern, welches einen Gegen - ſtand aus der Apokalypſe darſtellte, für ſeine beſte Arbeit. Dieſes hieng zuerſt in einer Kapelle, über der Familiengruft der Herren von Lockhorſt, ward aber ſpäterhin von einem Abkömmling dieſes Ge - ſchlechts nach Utrecht gebracht.

Unter einem ſo guten Lehrer machte der von der Natur ſo reich begabte Jüngling in unglaublich kurzer Zeit die größten Fortſchritte im Zeichnen und Malen. Jm Kupferſtechen hatte ihm ein Künſtler Namens Harnaſſen noch beſondern Unterricht ertheilt, der ihm zugleich den Gebrauch des Scheidewaſſers lehrte. Auch ſagt man daß ein geſchickter Gold - ſchmied ihm bei ſeiner Bildung für die Kunſt viel geholfen habe. Jm Jahr 1510 da Lukas von Leyden7 ſechzehn Jahre zählte, erſchien abermals von ihm ein allgemein bewundertes Blatt, ein Ecce Homo, und ſo folgte in ſchneller Folge eines ſeiner Kunſt - werke dem andern. Sein Ruhm ward groß in ſeinem Vaterlande, und verbreitete ſich bald über die Gränze deſſelben in Deutſchland und Jtalien; überall ſtrebte man nach dem Beſitz der Abdrücke ſeiner Werke, und mancher italiäniſche Meiſter benutzte, ohne ſich deſſen zu rühmen, bei der Kompoſition ſeiner Ge - mälde die Erfindung des niederländiſchen Meiſters, der nie ſein Vaterland, kaum ſeine Vaterſtadt ver - laſſen hatte und ohne fremde Einwirkung nur ſeinem Genius und der Natur treulich folgte. Va - ſari ſelbſt erwähnt rühmend den Namen Lukas von Leyden, und preiſ’t die Anordnung, die Wahrheit und die Ausführung ſeiner Arbeiten.

Lukas von Leyden wußte den Pinſel mit nicht minderm Gelingen zu führen als die Reißfeder und das Radireiſen. Seine Gemälde waren der Stolz ſeiner Vaterſtadt, und die Bewunderung aller Kunſt - verſtändigen. Das Stadthaus zu Leyden prangte mit einer trefflichen Darſtellung des jüngſten Ge -8 richts von ſeiner Hand, an welcher beſonders die Zeichnung und Karnation der vielen nackten Figuren bewundert wurden. Ein ſehr ſchönes Marienbild, ein Knieſtück, auf welchem das Kind eine Traube mit einer von dieſer herabhängenden Weinranke in der Hand hält, und deſſen Drapperie beſonders geprieſen wird, kaufte ſpäterhin der kunſtliebende Kaiſer Rudolph, und lies es nach Prag bringen. Ein anderes ſehr bewundertes Gemälde ſtellte die Kinder Jſrael vor, wie ſie das goldne Kalb verehren, und bei Luſtgelagen und Banketten des Herrn und ſeiner Gebote vergeſſen. Und ſo gingen in ununterbroch - ner Reihe mehrere treffliche Arbeiten in Öl und in Waſſerfarben aus der Werkſtatt des fleißigen Mei - ſters hervor. Auch auf Glas malte er mit hohem Gelingen; unter andern wie die Töchter Jſraels dem König David tanzend entgegen ziehn. Doch weder in ſeinen Gemälden noch in ſeinen andern Arbeiten beſchränkte er ſich einzig auf geiſtliche Dar - ſtellungen, er wählte oft und gern auch andere, mitunter ſogar humoriſtiſche Gegenſtände; wie zum Beiſpiel zu dem kleinen, von Vaſari geprieſenen9 Blatt, auf welchem ein Bauer ſich von einem Quack - ſalber den Zahn ausreißen läßt, während eine Frau, von ihm unbemerkt, ihm die Taſche leert.

Sein von ihm ſelbſt gezeichnetes Porträt zeigt ihn ſehr jugendlich, ohne Bart, von etwas ſchwäch - lichem Anſehen, doch mit hellen klaren Künſtler - augen. Er trägt ein mit Federn geſchmücktes Barett auf dem Kopf, und einen Todtenſchädel im Buſen. Von Geſtalt war Lukas von Leyden klein, zierlich und ſchmächtig. Er verheirathete ſich ſehr jung mit einer edlen reichen Jungfrau aus dem adlichen Ge - ſchlecht der von Boshuyſen, wodurch er in große und vornehme Familienverbindungen gerieth, zu - gleich aber auch zu ſeinem Leidweſen veranlaßt ward, mehr Zeit bei Gaſtmahlen und Feſtlichkeiten zu verlieren als ihm lieb war. Sogar die Feierlich - keiten, welche ſeine eigne Vermählung unter den Verwandten ſeiner Frau herbei führten, preßten ihm Klagen aus, ſo ſehr hatte er ſich gewöhnt, jede Stunde ſeiner Zeit einzig der Kunſt zu weihen. Er achtete faſt jede Minute für verloren, die er anders hinbringen mußte, und arbeitete ſtets mit einem10 Eifer, einer Anſtrengung, als ob ihm ein vorah - nendes Gefühl die Kürze ſeiner irdiſchen Laufbahn geweiſſaget habe.

Eine einzige Tochter war die Frucht ſeiner zufriednen Ehe. Er führte mit ſeiner Frau in Ehre und Anſehen unter ſeinen Mitbürgern ein ruhiges glückliches Leben. Nicht nur durch ſeine Heirath, ſondern auch durch ſeine Kunſt war Lukas von Leyden bald ſehr wohlhabend geworden. Seine Staffelei - Gemälde wurden von reichen Kunſtfreunden wohl bezahlt, und ſeine ſehr geſuchten Holzſchnitte und Kupferſtiche ſtanden ſchon bei ſeinem Leben in nach damaliger Art ungewöhnlich hohem Preiſe.

Um ganz fehlerfreie Abdrücke der letztern war er ſo beſorgt, daß er jedes Blatt, das nur den ge - ringſten Mackel trug, verbrannte, damit die Welt nur Vollkommnes von ſeiner Hand erhalten möge. Hierdurch hat er aber freilich auch den Nachkommen den Beſitz derſelben ſehr erſchwert und die jetzige große Seltenheit der Abdrücke veranlaßt. Sein Eulenſpiegel, ein Kupferſtich auf einem Quartblatt, den Albrecht Dürer für einen halben Stüber kaufte,11 wurde ſchon zu Sandrarts Zeiten, in der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts, für vierhundert Gulden verkauft, und iſt jetzt vielleicht im Original um keinen Preis mehr zu haben.

Endlich entſchloß ſich Lukas von Leyden eine Reiſe nach Seeland, Flandern und Brabant zu unternehmen, um ſich ſelbſt eine Erholung von angeſtrengtem Fleiß, und ſeinen Tagen einige Abwechſelung zu gewähren. Nach holländiſcher Art machte er dieſe Reiſe zu Waſſer, auf denen das Land überall durchkreuzenden Kanälen, und als ein wohlhabender Mann, in einem eignen Schiff mit einer wohlverſchloßnen, mit allen Bequemlich - keiten verſehenen Kajüte; vermuthlich ſo eine Art von Treckſchuyte, wie ſie noch in Holland gebräuch - lich ſind. Da Lukas von Leyden, wie wir aus Al - brecht Dürers Tagebuch wiſſen, mit dieſem Meiſter in Antwerpen zuſammentraf, ſo muß er die Reiſe im Jahr 1521, als er ſieben und zwanzig Jahre alt war, gemacht haben, und nicht ſechs Jahre ſpäter in ſeinem drei und dreißigſten Jahr, wie Karl von Mander und nach ihm Sandrart es meinen. Auch12 findet ſich in Albrecht Dürers Tagebuch von dem oft erwähnten Beſuch deſſelben in des Meiſters Lukas Hauſe in Leyden ſelbſt, keine Spur, es geht viel - mehr aus Allem hervor, daß Albrecht Dürer jene Stadt nie geſehen hat und daß er Lukas von Leyden nur in Antwerpen zum erſten und auch wohl letztenmal erblickte.

Mit einem ſeltſam gemiſchten Gefühl mögen beide große Meiſter im erſten Augenblick einander gegenüber geſtanden haben. Beide waren Jahre - lang, mit beinahe gleichem Gelingen und gleichem Ruhm die nämliche Bahn gegangen, hatten oft in den Gegenſtänden ihres künſtleriſchen Bemühens die nämliche Wahl getroffen, und waren gewiß auch oft genug zu gegenſeitigem Nachtheil mit einander verglichen worden. Denn die Welt hatte von jeher die Unart, von der ſie auch wohl nie laſſen wird, zu glauben, daß ſie keinen ihrer großen Zeitgenoſſen nach Verdienſt ehren könne, ohne ihm einen zweiten gegenüber zu ſtellen, auf deſſen Koſten ſie ihn erhebt. Sie wird nie bedenken, daß es beſſer wäre ſich des Glücks zu freuen, beide in ihrer Mitte13 zu beſitzen und dabei jeden für ſich auf ſeine Weiſe gelten zu laſſen.

Albrecht Dürers Reiſe glich, wie wir wiſſen, einem Triumphzuge der Kunſt, von dem das Gerücht gewiß auch bis zu Lukas nach Leyden gedrungen war, und ihn vielleicht veranlaßt hatte, gerade in dieſer Zeit nach Antwerpen zu kommen. Er erkannte den hohen Werth des großen Nürnberger Meiſters mit voller Überzeugung, ſo wie auch dieſer ihm alle Gerech - tigkeit widerfahren ließ und überall zum Beſitz ſeiner Arbeiten zu gelangen ſuchte. Doch Lukas war jünger, ehrgeiziger, von etwas kränkelnder Lebhaf - tigkeit, und hatte, wie behauptet wird, wenn gleich ohne es vielleicht jemanden anders als ſich ſelbſt zu geſtehen, oft mit Albrecht Dürer abſichtlich in der Behandlung des nämlichen Gegenſtandes gewett - eifert.

Jede andere Regung, außer die herzlicher Freude, wich indeſſen aus ihrem Gemüth, ſobald beide Meiſter einander erblickten; denn Männer von dieſem Werth konnten ſich nie ungerecht ver - kennen. Sie brachten in gegenſeitiger Freundlich -14 keit die kurze Zeit ihres Beiſammenſeyns mit einan - der zu und Jeder zeichnete zuletzt des Andern Bild, um es als das eines geehrten und geliebten Freundes und Kunſtverwandten mit ſich in die Hei - math zu nehmen.

So wie Albrecht Dürer während ſeiner Reiſe überall eine höchſt ehrenvoll gaſtfreie Aufnahme fand, ſo zeichnete der bei Fürſten und großen Herren nicht ſo perſönlich bekannte Lukas von Leyden ſich ſeinerſeits wieder durch Freigebigkeit und gaſtliches Zuvorkommen gegen die Künſtler aus, in deren Wohnort er längere Zeit weilte. Jn jeder größeren Stadt, durch welche ſein Weg ihn führte, gab er den dort einheimiſchen Malern in ihrem Gildehauſe ein Gaſtmahl und hatte für jedes dieſer Feſte ein - mal für allemal ſechzig Gulden beſtimmt. Eine damals bedeutende Summe, beſonders wenn man ſich Albrecht Dürers Bemerkung bei einem ihm von Meiſter Bernhard von Oelay gegebnen Feſte erin - nert, das er als ſehr verſchwenderiſch beſchreibt, und meint, es könne wohl an zehn Gulden gekoſtet haben.

15

Zu Middelburg erfreute ſich Lukas von Leyden beſonders an den Gemälden des damals dort woh - nenden Johann von Mebuſe; auch der Meiſter ſelbſt, und ſein muntres luſtiges Weſen zogen ihn an. Er unterließ nicht in dieſer Stadt ſein gewohn - tes Maler-Banket zu geben, wobei er ſehr ſchön und anſtändig gekleidet erſchien, in einem gelblichen Rock von feinem Seiden-Kammelot, der in der Sonne wie Gold glänzte. Aber nun kam Mebuſe in einem Kleide von wirklichem goldnen Brokat; dieſe übergroße Pracht erregte Meiſter Lukas etwas überſpannte Empfindlichkeit, dem es nun bedünken wollte, als würde er wegen ſeiner einfacheren Tracht von ſeinen übrigen Gaſten weniger geachtet. Hier - aus mochte wohl eine nicht ganz angenehme Span - nung in der Geſellſchaft entſtanden ſeyn, denn ſonſt wäre dieſer an ſich unbedeutende Umſtand ſchwerlich auf die Nachwelt gekommen.

So viel Vergnügen dieſe erſte und einzige Kunſtreiſe dem Meiſter Lukas während ihrer Dauer gemacht haben mochte, ſo gedachte er ihrer nach ſeiner Heimkehr doch nur mit Reue und Schmerz. 16Er fühlte ſich, ſo wie er wieder zu Hauſe war, von einem langſam ſchleichenden Übel ergriffen, welches, ſeine Kräfte untergrabend, ihn allmählig dem Un - tergange zuführte, und kam dadurch auf den unſe - ligen Gedanken, von irgend einem Neider ſeines Ruhms Gift empfangen zu haben. Freilich läßt die Natur ſich ſelten ungeſtraft in ihrem gewohnten Gange vorgreifen. Früchte, die früh blühten, reifen früh und fallen ab, und der Geiſt, der ſchon den neunjährigen Knaben ſo mächtig beſeelte, mußte auch um ſo früher die gröberen Bande zerſtören, welche ihn an die Erde feſſelten. Doch dieß be - dachte Lukas von Leyden nicht, ſondern quälte ſich Tag und Nacht mit dem peinlichen Glauben an ſeine Vergiftung, von dem kein Zureden ſeiner Freunde ihn abzubringen vermochte.

Er lebte und kränkelte fort während einer ziemlichen Reihe von Jahren, und behielt das Schreckbild des langſam herannahenden Todes immer im Geſicht. Dabei zerſtörte er durch verdoppelten Fleiß alle ihm übrig gebliebne Kraft, ſtatt durch Ruhe für ſeine längere Erhaltung zu ſorgen.

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Die letzten ſechs Jahre ſeines Lebens mußte er wegen ſeiner außerordentlichen Schwäche größten - theils im Bette liegend zubringen, doch ſelbſt dieß hinderte ihn nicht, jeden leidlichen Moment ſeinen Arbeiten zu widmen. Er hatte ſich zu dieſem Zweck nach eigner Erfindung Werkzeuge und beſondere Vorrichtungen verfertigen laſſen, die es ihm mög - lich machten ſelbſt in dieſer Stellung zu zeichnen, in Holz zu ſchneiden oder in Kupfer zu ſtechen. Auch malte er in dieſer Zeit noch ſein letztes Gemälde in Öl, ein Werk, welches als eines ſeiner vorzüglich - ſten in dieſer Art geprieſen wird, und zu welchem er wahrſcheinlich jede Stunde benutzte, in der er von ſeinem Schmerzenlager ſich erheben konnte.

Dieſes Gemälde war mit zweien, daſſelbe ver - ſchließenden Flügelthüren verſehen, mit der Jahrzahl 1531 bezeichnet, und ſtellte den Heiland dar, wie er einem Blinden das Geſicht wieder verleiht. Die Blindheit des von ſeinem Knaben geführten Armen, das Mitleid und die himmliſche Güte im Angeſicht des Erlöſers werden als höchſt vortrefflich ausge - drückt geprieſen. So auch die MannichfaltigkeitII. Bd. 218und der Ausdruck in den Köpfen der Umſtehenden, die Gewänder, die Bäume und Gebüſche in der den Hintergrund bildenden Landſchaft. Ein Kunſt - liebhaber in Harlem kaufte ſpäterhin dieſes letzte Meiſterwerk Lukas von Leyden um einen bedeuten - den Preis und es gehört vielleicht noch zu den wenigen, die von ihm bis auf unſere Zeit gekom - men ſind.

Die allerletzte Arbeit mit der er ſich bis kurz vor ſeinem Ende beſchäftigt hatte, war ein Holz - ſchnitt, welcher die Göttin der Weisheit darſtellte. Dieſen behielt er immer bei ſich und ſein brechen - des Auge betrachtete ihn noch mit Wohlgefallen, als die ſchwache Hand ihm jede weitere Anſtrengung verſagte.

Neun Tage vor ſeinem Tode erfreute ihn noch ſeine, während ſeiner Krankheit verheirathete Tochter durch die Geburt eines Enkels, doch legte er dabei auch einen traurigen Beweis ſeiner, durch langes Leiden auf das Höchſte gereizten Empfind - lichkeit ab. Denn als die Pathen mit dem Kinde von der Taufe zurückkehrten, fragte er angelegent -19 lich nach dem Namen, den man dem Kinde beige - legt habe, und als man antwortete, man habe dafür geſorgt daß nach ihm noch ein Lukas von Leyden blühen ſolle, ward er dadurch verletzt, ſtatt ſich darüber zu freuen, und nahm es ſo, als ob die Seinigen wünſchten, nur recht bald der läſtigen Sorge für ihn enthoben zu ſeyn.

Wenige Tage darauf verlangte er noch einmal den blauen Himmel zu ſehen. Er ward aus dem Bette an das Fenſter getragen, ſtill und ſinnend verweilte er dort, ließ ſich dann wieder auf ſein Lager bringen, und athmete zwei Tage darauf zum letztenmal aus ſchwer beklemmter Bruſt. Er wurde nur neun und dreißig Jahre alt, und ſtarb im Jahr 1533.

Sein Enkel Lukas Dameſſen wurde ein mittel - mäßiger Maler und ſtarb zu Utrecht ein und ſiebzig Jahre alt; ein zweiter nach ſeinem Tode geborner Enkel Namens Johann de Hovy zeichnete ſich eben - falls nicht unter der Menge aus, war aber noch zu Karl von Manders Zeiten Hofmaler des Königs von Frankreich.

2 *20

Die Zahl der von Lukas von Leyden bis auf Sandrarts Zeiten gekommen Kupferſtiche gibt dieſer auf hundert zwei und ſiebzig Stücke an, die jedoch ſchon damals ſehr ſchwer zuſammen zu bringen waren, ſo daß man ein kleines Blatt, Abraham und Hagar, mit fünfhundert Gulden bezahlte. Sein in Kupfer geſtochnes Bildniß des Kaiſers Maximilian, welchen er während deſſen Aufenthaltes in Leyden zeichnete, wird als das vortrefflichſte geprieſen, welches der Meiſter in dieſer Art hervorgebracht.

Von den Gemälden ſind ebenfalls nur wenige bis auf unſere Tage gekommen, doch bewahrt die Boiſſeréeſche Sammlung von ihm ein köſtliches großes Altarblatt, auf welchem ſieben Figuren, faſt nach alter byzantiniſcher Art neben einander in einer Reihe ſtehen. Bis zur Hälfte des Mittelbildes halten Engel einen Teppich mit goldnen Blumen durchwirkt; über ihn hinaus verliert ſich der Blick in die blaue Ferne, man ſieht das Meer mit ſeinen Jnſeln und Klippen, und die ſtolz ſich erhebenden Thürme einer großen Stadt; Alles liegt hell und21 deutlich im klaren Himmelsſchein. Vor dem Tep - pich, in der Mitte, ſteht der heilige Bartholomäus, das Meſſer, als Emblem ſeiner Marter, in der Rechten, in der Linken ein Buch. Würdevoller Ernſt, unerſchütterliche Ruhe ſpricht aus der hohen Geſtalt, wie aus dem von dunkelem Bart und Haar umfloßnen edlen Geſicht. Er trägt ein blaues Gewand, und über demſelben, in leichte ſchöne Falten geworfen, einen weißen, mit Gold einge - faßten Mantel. Jhm zur Seite ſteht die heilige Cäcilie mit ihrer Orgel und horcht, den reinſten Ausdruck himmliſcher Seeligkeit in den leuchten - den Augen, auf die Töne, welche unter ihrer Hand, ihr ſelbſt faſt unbewußt, der Orgel entſchweben. Zur andern Seite des Heiligen ſteht die heilige Agnes, ſchön, hold und jung wie eine Blume, ge - ſchmückt wie eine Fürſtin. Lang hinabwallendes goldiges Haar umgibt das roſig blühende Köpfchen, ihr Auge ruht auf einem geöffneten Buche, welches, nebſt dem die Heilige bezeichnenden Palmzweig, in den zarten Händchen ruht, zu ihren Füßen ſchmiegt ſich ein ſchneeweißes Lamm.

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Auf dem rechten Flügelbilde ſteht der heilige Jakob der ältere, mit der Keule, als bezeichnendem Emblem ſeines Märtyrertodes, und ebenfalls mit einem Buche; ein herrlicher geiſtreicher Kopf voll lebendigen Ausdrucks; neben dieſem die heilige Chriſtina; der Mühlſtein neben ihr, ihr gewohntes Emblem, ragt wirklich halb zum Bilde heraus. Auf dem linken Flügelbilde ſteht Johannes der Evange - liſt und blickt mit der Ruhe des über alles Jrdiſche erhabnen Heiligen auf die Schlange, die unter ſeinem Segensſpruch aus dem Kelch emporſteigt, den er hält. Neben Johannes erblickt man die hei - lige Margaretha. Schön, edel, mit entzückender Freude ſieht ſie in Geſtalt eines zornſprühenden Un - geheuers den Urheber alles Böſen ſich kraftlos unter ihrem Fuße winden, der, wie die Legende er - zählt, ihr in dieſer Geſtalt im Kerker erſchien, um die heilige Jungfrau zu ſchrecken. Die heitere Feier - lichkeit, die ernſte Pracht dieſes Bildes läßt ſich durch Worte nicht darſtellen, man ſteht davor, wie vor einem lichterfüllten, heiligen Tempel. Die techniſche Vollkommenheit deſſelben, die Schönheit23 der Drapperien, des reichen mannigfaltigen Schmuk - kes, die Haare, das lebenswarme Kolorit, ſtellen es zu dem herrlichſten, was je die Kunſt der alten Meiſter hervorbrachte.

24

Johann von Mabuſe, auch Maubeuge und Maboggio genannt.

Jn Maubeuge oder Mabuſe, einem Ort im Hennegau, ward dieſer Meiſter zu Ende des funf - zehnten Jahrhunderts geboren, und nahm nach da - maligem Künſtlergebrauch den Namen ſeiner Vater - ſtadt an. Wer ſeine Eltern waren, iſt eben ſo un - bekannt geblieben, als der Name des Meiſters, unter deſſen Leitung er zuerſt die Künſtlerbahn betrat. Nur ſo viel iſt gewiß, daß er ſchon in der Jugend als ſeine hohe Meiſterin die Natur aner - kannt haben muß, der er auch in der Folge, bei mancher Abweichung, dennoch im Grunde ſtets treu blieb. Sein wilder ungeregelter Geiſt, ſein leiden - ſchaftliches Weſen rißen ihn ſpäter zu tauſend Ver - irrungen hin, ſo daß er, während eines wüſten ausſchweifenden Lebens, in der Welt bald hie - bald dorthin geworfen ward. Daher iſt es ſehr ſchwer, ja faſt unmöglich dem Gange ſeiner Schickſale genau zu folgen. Aus der ausgezeichneten Vortrefflichkeit ſeiner Werke geht indeſſen hervor, daß er während25 ſeiner Lehrjahre treu und fleißig der Übung ſeiner Kunſt ſich widmete, denn ohne dauernden ernſten Gebrauch aller Kräfte wird Keiner ein Meiſter wie Mabuſe es ward. Auch iſt die Geduld, die Treue, die Zierlichkeit, deren er bei Ausführung ſeiner Arbeiten ſich befliß, gerade bei einem ſonſt ſo raſt - loſen Gemüth zwiefach bewundernswerth, und be - weiſ’t daß dennoch innige Alles überwiegende Liebe zur Kunſt der Grundton ſeines Weſens war.

Jn der erſten ſchönſten Blüthe ſeiner Jugend zog Mabuſe nach Rom, um dort ſeine Bildung für die Kunſt zu vollenden. Mit rühmlichem Eifer nahm er die großen italiäniſchen Meiſter ſich zum Vorbilde, welche jene wunderreiche Zeit, zu der er ſelbſt auch gehörte, verherrlichten. Sowohl ihre Werke, als der Anblick der uns gebliebnen plaſtiſchen Gebilde einer großen Vorzeit, erfüllten den für die Kunſt glühenden Jüngling mit Bewun - derung. Höhere Wünſche ſtiegen in ihm auf, er wollte es den großen Meiſtern ſeiner urſprünglichen heimathlichen Schule nicht nur gleich thun, er wollte ſie wo möglich noch übertreffen, und von der26 treueſten Nachahmung der lebendigen Natur ſich bis zum Jdeal der höchſten Schönheit hinaufſchwingen, das in dem Marmor vor ſeinen wonnetrunknen Blicken zu athmen ſchien. Doch ſein guter Genius bewahrte ihn hier auf dem Scheidewege vor jenen Jrrgängen, auf welchen viele ſeiner Nachfolger und zuletzt die deutſche Kunſt ſelbſt zu Grunde gingen; Mabuſe erkannte, daß Wahrheit ewig das erſte Be - dingniß der Schönheit ſeyn werde, und wagte es deshalb nie, ſich von ihr und der Natur zu entfer - nen, obgleich er ſtets, und oft ſehr glücklich, dar - nach ſtrebte, ſie mit dem, ſeinem inneren Sinne vorſchwebenden, ihm höher dünkenden Reiz des Jdeellen zu ſchmücken.

Er war es, der zuerſt bei ſeiner Heimkehr aus Jtalien die ſpäterhin auf Koſten des guten Ge - ſchmacks nur zu ſehr herrſchend gewordnen allegori - ſchen Darſtellungen in das Gebiet ſeiner vaterlän - diſchen Kunſt einführte. Er zuerſt brachte die ita - liäniſche Weiſe in der Kompoſition ſeiner Gemälde an, und auch jene ſüdliche Art vorzüglich nackte Figuren zu malen, was die züchtigen ehrbaren Alt -27 väter ſonſt immer ſo viel möglich zu vermeiden pflegten. Und ſo wurde er bald berühmt, fand überall Bewunderer und Anhänger.

Mabuſe lebte eine Zeitlang in Utrecht, im Dienſte des dortigen Biſchofs, Philipp von Bur - gund, und malte viel und fleißig; aber er verſank zugleich auch immer tiefer in Ausſchweifungen, zu welchen die ſchlechteſte Geſellſchaft, die er ſich vor - zugsweiſe erwählte, ihn nur verleiten konnte. Die Staffelei und der Aufenthalt in Schenken bei wilden lärmenden Gelagen, theilten ſich in ſeiner Zeit, und es iſt ſchwer zu begreifen, wie er bei dieſer Lebens - weiſe den klaren Blick und die feſte Sicherheit der Hand ſich erhalten konnte, oder wie es ihm möglich war, ſo viel Fleiß auf die höchſte Vollendung ſeiner Gemälde zu verwenden.

Von Utrecht zog Mabuſe nach Middelburg, wahrſcheinlich auf Verlangen des Abts Maximilian von Burgund, der damals dort lebte und im Jahr 1524 ſtarb. Dieſer trug ihm ein großes Altarge - mälde für die Kirche ſeiner Abtei auf, ein Werk von gewaltigem Umfange, mit zwei Flügelthüren,28 die ſo groß und ſchwer waren, daß man ſie jedesmal bei Eröffnung des Altars ſtützen mußte. Der Meiſter wendete viel Zeit und faſt unglaublichen Fleiß auf dieſes ſehr figurenreiche Gemälde; es ſtellte eine Abnahme vom Kreuze dar und ward von den Kunſtverſtändigen der Zeit als ſeine vollendetſte Arbeit höchlich geprieſen. Albrecht Dürer, der es ſah, als er im Jahr 1521 nach Middelburg kam, wo er auch Mabuſen in ſeinem Hauſe beſuchte, fället indeſſen in ſeinem Tagebuche das Urtheil: das Bild ſey beſſer gemalt als gezeich - net. Späterhin ſchlug der Blitz in die Kirche ein, in welcher es den Altar ſchmückte, und dieſe ward unrettbar mit allen Schätzen welche ſie enthielt ein Raub der Flammen.

Mabuſe ſcheint in Middelburg Anfangs mit großem Aufwande gelebt zu haben, wie die Ge - ſchichte ſeines goldbrokatnen Gewandes bei Lukas von Leydens Gaſtmahl beweiſ’t. Doch ließ er des - halb nicht von ſeinem gewohnten Leben und mag es wohl ziemlich arg getrieben haben, denn der Ma - giſtrat fand endlich für gut, ihn unerachtet ſeines29 hell leuchtenden Künſtlerruhms gefänglich einzuziehen, ob wegen Schulden oder ſonſt ſträflicher Handlun - gen, iſt nicht bekannt. Mabuſe wendete indeſſen dieſe unfreiwillige Einſamkeit zu mehreren vortreff - lichen Zeichnungen an, von denen Karl von Mander, der ſie noch geſehen hat, mit Freude und Bewun - derung ſpricht.

Es ſcheint, als ob Mabuſe nach wieder er - langter Freiheit eine Reiſe nach London gemacht habe; vielleicht zog Hans Holbein ihn hin, der damals unter dem Schutze König Heinrichs des achten dort lebte. Denn außer vielen, vielleicht noch in England exiſtirenden, trefflich gemalten Bildniſſen von Mabuſens Hand, wurde in der ſehr bedeuten - den Gallerie des alten Pallaſtes von Whitehall noch inſonderheit das von ihm gemalte Porträt zweier vornehm geſchmückter Knaben bewundert, die wahr - ſcheinlich zu der Familie des Königs gehörten. Doch der Pallaſt ſelbſt, die alte Reſidenz der Könige von England, von Heinrich des achten Zeit bis auf die der Königin Anna, ward ſeitdem bis auf einen kleinen Theil zerſtört. Neuere Ge -30 bäude aller Art erfüllen jetzt den weiten Raum, welchen dieſes Prachtgebäude ehemals von den Ufern der Themſe an bis zu dem jetzigen St. Jamespark mit ſeinen weitläuftigen Nebengebäuden bedeckte. Die Gemälde daraus ſind alle zerſtreut oder ſpurlos verloren, und ſo mögen denn auch Mabuſens Ar - beiten kein beſſeres Schickſal gehabt haben.

Eine Zeitlang, ob früher oder ſpäter? iſt ſchwer auszumitteln, befand ſich Mabuſe als Hof - maler im Dienſte eines vornehmen Niederländers, den Karl von Mander den Marquis van der Veren nennt. Dieſer muß ſehr reich und ſehr vornehm ge - weſen ſeyn, denn ſein Haushalt war ganz auf fürſtlichen Fuß eingerichtet. Er hielt ſich einen Poeten, einen Maler und einen Philoſophen als unentbehrliche Mitglieder ſeines Hofſtaats. Ob er dieſen dreien auch den luſtigen Rath beigeſellte, finde ich nicht erwähnt, es ſcheint faſt, als ob Ma - buſe auch dieſen Ehrenpoſten neben ſeinem eigen - thümlichen mitunter verſehen habe, wie aus folgen - dem Zuge aus ſeinem Hofleben hervorgeht.

Kaiſer Karl der fünfte dachte einſt dem Mar -31 quis van der Veren die hohe Ehre ſeines Beſuches zu und dieſer machte natürlicher Weiſe ſogleich die allervortrefflichſten Anſtalten zum würdigen Em - pfange des hohen Gaſtes. Die ganze Dienerſchaft ward neu und glänzend gekleidet, beſonders aber ſollten der Poet, der Philoſoph und der Maler in neuen Gewändern von prächtigem weißen ſeidnen Damaſt das Feſt verherrlichen helfen. Die Schneider nähten Tag und Nacht, doch Mabuſe wußte unter dem Vorwande, ſeinem Kleide einen ganz neuen maleriſchen Zuſchnitt zu geben, den ihm beſtimmten Damaſt unverarbeitet in die Hände zu bekommen; und da er, wie Alle ſeines gleichen, in ewiger Geldnoth war, ſo verkaufte er ihn heimlich, trug das Geld in die Schenke, und machte ſich dafür, um die Folgen ganz unbeſorgt, auf ſeine Weiſe einen guten Tag. Der Marquis erfuhr es wohl, denn wann wäre an einem kleinen Hofe ein ſolches Ge - heimniß verborgen geblieben? aber er kannte ſeinen Mann, ließ ihn ſtillſchweigend gewähren, und verließ ſich auf deſſen Talent, ſich aus jeder Ver - legenheit zu ziehen.

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Der große Tag kam, der Kaiſer auch. Die Majeſtät ward gebührend empfangen, und endlich von dem Marquis auf einen Balkon geführt, um die lange Reihe der geſchmückten Diener anzuſehen, die Prozeſſionsartig unten im Hofe vorbei zogen. Der Poet und der Philoſoph in ihren ſchönen weißen damaſtnen Gewändern ſtolzirten an der Spitze des Zuges, und in ihrer Mitte Mabuſe in einem ähn - lichen, doch weit ſchöneren Kleide. Damaſt von ſolcher Pracht, ſo blendend weiß, mit ſo herrlichen geſchmackvollen Laubgewinden und Blumen hatte der Kaiſer noch nicht geſehen, auch lobte er ihn über die maßen.

Bei der Taſel endlich, wo der Poet, der Philoſoph und der Maler in ihren ſchönen Kleidern unter der übrigen geputzten Dienerſchaar zur Auf - wartung bereit daſtanden, fiel des Kaiſers Blick abermals auf Mabuſens vortrefflichen Damaſt; dem Maler wurde gewinkt, näher zu treten, der Damaſt blieb auch in der Nähe ſo ſchön, daß der Kaiſer einen Zipfel des Gewandes ergriff, um ihn beſſer zu unterſuchen, und nun erſt entdeckte er die33 Täuſchung. Das ganze Gewand war Papier, über und über mit Blumen und Ranken, dem wirklichen Stoffe ſo ähnlich, übermalt, daß wirklich nur das Gefühl den unglaublichen Jrrthum entdecken konnte.

Die Majeſtät lachte daß ihr die Augen über - gingen, als ſie die Geſchichte des wunderſamen Rockes jetzt vernahm, die ganze Tiſchgeſellſchaft lachte mit, und ſo lange der Kaiſer regierte hatte er keine ſo fröhliche Tafel gehalten. Um viel hun - dert Ellen des herrlichſten Damaſts hätte der Marquis dieſen Schwank ſeines Hofmalers nicht miſſen mögen, und dieſer gewagte Streich befeſtigte ihn gar ſehr in der Huld ſeines Herrn, der, minder geſchickt ausgeführt, ihn wahrſcheinlich völlig ge - ſtürzt hätte.

Doch Mabuſe wußte auch auf edlere Weiſe ſein großes Talent im Hauſe ſeines Beſchützers geltend zu machen. Er malte deſſen Gemahlin nebſt ihrem Sohn, als Madonna mit dem Kinde, und wandte ſo viel Fleiß auf die Ausführung dieſes köſtlichen Bildes, daß ſogar ſeine übrigen Gemälde, ſo treff -II. Bd. 334lich gemalt ſie auch ſind, dagegen rauh und unvol - lendet erſchienen.

Dieſes aber iſt auch Alles, was ich vom Leben dieſes großen Meiſters in Erfahrung bringen konnte, deſſen Natur das Höchſte mit dem Niedrigſten auf ſo ſeltſame Weiſe vereinte. Man ſagt, er ſey im Jahr 1562 in ziemlich hohem Alter geſtorben, doch iſt ſowohl der Ort, wo er ſtarb, als die Art ſeines Todes unbekannt.

Das Grab bedeckt die Verirrungen ſeines Lebens, doch was er in Hinſicht auf die Kunſt war, beweiſen drei ſeiner unſchätzbaren Gemälde in der Sammlung der Herren Boiſſerée. Das eine, eine Kreuzigung, iſt ein großes Bild, von dem man ver - muthet, daß er es vor ſeiner Reiſe nach Jtalien gemalt haben könne, aber dennoch ſpricht ſchon aus dieſem ſein lebhaftes, dem warmen Süden ſich annäherndes Weſen. Weniger fromm, ruhig und innig, als ſeine großen Vorgänger und Zeitgenoſſen bei Behandlung dieſes Gegenſtandes es waren, brachte er in die Darſtellung ein höchſt effectvolles Leben, ich möchte ſagen ein dramatiſches Fort -35 ſchreiten; alles iſt in Bewegung, doch immer fern von aller Übertreibung. Die drei Kreuze nehmen die Mitte des Bildes ein; auf der den Hintergrund bildenden Landſchaft erblickt man Jeruſalem und viele hin und her Wandelnde unter den Mauern der Stadt. Wunderſchön iſt der Kontraſt zwiſchen dem ſterbenden Heiland und den in peinlicher Qual ver - ſcheidenden Verbrechern ausgedrückt, nicht minder auch der zwiſchen dieſen beiden obwaltende Unter - ſchied der Karaktere. Beider Sterben iſt furchtbar, doch fern von gräßlicher Verzerrung, ihre Phyſiog - nomien gänzlich verſchieden, ſo wie auch ihre Hal - tung im Tode.

Angeklammert an den Fuß des Kreuzes, welches den Erlöſer trägt, mit dem vollen Ausdruck wilden verzweiflenden Schmerzes, halb knieend, halb aufgerichtet, blickt Magdalena zu ihm herauf, faſt zürnend dem Himmel, der dieß Ungeheure geſchehen läßt. Seitwärts erliegt die weinende Mutter ihrem ſtilleren, doch nicht minder herzzer - reißenden Schmerz. Johannes und Maria Salome unterſtützen, im eignen Jammer faſt vergehend, die3 *36Halbohnmächtige. Wahrhaft herzergreifend iſt die Gottergebenheit der Alles duldenden Mutter, im Gegenſatz mit dem leidenſchaftlichen Stürmen der weit jüngern Magdalena, die im Drange des Welt - lebens noch nicht lernen konnte ſich unter den Willen Gottes fromm zu beugen. Der Ausdruck, die Gruppirung, die Schönheit der Köpfe, ſo wie die Drapperie dieſer Gruppe ſind vor Allem bewun - dernswerth, beſonders in letzter Hinſicht das dun - kelblaue Gewand der Magdalena und das der Maria Salome; ein ſehr reizendes mit einer Art von goldnem Netz verbundnes Häubchen ſchmückt das ſchöne Köpfchen der letzteren. Die um das Kreuz verſammelten Phariſäer bilden einen zweiten Kontraſt mit den weinenden Frauen; Kriegsknechte auf ſtolzen Pferden ſchließen an dieſe ſich an, unter denen ſich ein vornehmer Mann im rothen Gewande auszeich - net, wahrſcheinlich Pontius Pilatus. Alle dieſe Geſtalten, dieſe Köpfe, vom verſchiedenſten Aus - druck, ſind voll Leben und Wahrheit. Es iſt ein Bild, das den Blick unwiderſtehlich feſſelt, es ath - met, es bewegt ſich wenn man es länger betrachtet.

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Ein zweites, weit kleineres Bild, welches Mabuſe nach ſeiner Heimkehr aus Rom malte, erin - nert an die Werke Michael Angelos, und an alles Herrliche italiſcher Kunſt. Es zeigt uns die heilige Jungfrau in hoher Anmuth, in fürſtlicher Pracht, als Königin des Himmels. Der tiefe Ernſt des Kindes iſt wahrhaft göttlich zu nennen, das prächtige faltenreiche Gewand der Mutter fließt weit über den Boden hin. Jch kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß dieſes Gemälde, bei aller Schönheit der Mutter und des Kindes, dennoch das gerühmte Porträt der Gemahlin des Marquis van der Vere ſeyn könnte. Höher konnte wohl weder Mabuſe, noch irgend Jemand die Kunſt des Malens treiben, wie auf dieſem höchſt vollendeten kleinen Gemälde geſchah, das in Hinſicht der Ausführung der Triumph aller Malerei genannt zu werden verdient.

Das dritte Bild Mabuſens zeigt in prachtvoller goldner Rüſtung den Erzengel Michael, den Über - winder Luzifers, welcher kraftlos unter ſeinem Fuße ſich windet. Himmelsglorie umſtralt die hohe Hel - dengeſtalt des göttlichen Streiters, während ſein38 Schützling auf Erden, der Donator dieſes Bildes, demüthig und fromm, ſeitwärts zu ſeinen Füßen knieet. Es iſt ein Gemälde von wahrhaft blenden - der Pracht, herrlich gemalt, und ſtammt ebenfalls aus der ſpätern Zeit des Meiſters, nach ſeiner Rückkehr aus Jtalien.

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Johann von Schoreel.

Jn Schoreel, einem kleinen holländiſchen Dorf, ohnweit Alkmaar, trat dieſer ſeltne, von der Natur durch ihre edelſte Gaben ausge - zeichnete Geiſt, am erſten Auguſt des Jahrs 1495 in das irdiſche Leben. Nahe Verwandte nahmen ſich mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt des verwaisten Knaben an, der in frühſter Jugend beide Eltern verlor, und nun fromm und einfach unter Jener treuen Pflege heran wuchs. Sobald er das dazu gehörige Alter erreicht hatte, wurde er nach Alk - maar auf die Schule gebracht, wo er ſich durch ſittliches Betragen und ſchnelles Fortſchreiten in Allem was ihm gelehrt ward, beſonders in der latei - niſchen Sprache, vor ſeinen Mitſchülern auszeichnete. Was er auch unternahm, begünſtigte ein ſeltnes Gelingen; ſeine natürlichen Fähigkeiten, ſein großes Faſſungsvermögen, machten ihm auch das Schwerſte leicht, doch ſein angeborner Beruf zur bildenden Kunſt trat vor Allem auffallend vor und äußerte ſich ſogar in ſeinen kindiſchen Spielen. Die ihm40 zugänglichen Gemälde, ſelbſt die damals allgemei - nen gemalten Fenſterſcheiben nachzuzeichnen und zu malen, war ſeine innigſte Freude, und bei ſeinen Schulkameraden machte er ſich beſonders dadurch beliebt, daß er ihre in der Schule üblichen Tin - tenfäſſer von weißem Horn mit allerlei artigen Ver - zierungen ſchmückte, indem er Menſchen und Thiere, Bäume und Blumen ſehr ſauber und erfindungsreich mit einem Federmeſſer hineinſchnitt. Zum Glück waren Schoreels Pflegeältern nicht nur ſo verſtändig dieſes Alles gehörig zu beachten, ſondern auch liebe - voll genug, um ſelbſt mit eigner Aufopferung das aufkeimende Talent des Knaben zu unterſtützen, ſobald ſie es erkannt hatten. Sie nahmen ihn des - halb ſchon im vierzehnten Jahre aus der Schule, wo er indeſſen zu ſeiner wiſſenſchaftlichen Ausbildung einen recht tüchtigen Grund gelegt hatte, und brachten ihn nach Harlem zu dem beſten Maler den ſie kannten, zu Meiſter Wilhelm Cornelis.

Dieſer Wilhelm Cornelis, der aber mit meh - reren ſeiner Kunſtgenoſſen, die auch Cornelis hießen, nicht zu verwechſeln iſt, war in der That41 ein nicht ungeſchickter Maler, und wohl fähig ſeinen hoffnungsvollen Lehrling dem Anfange der rechten Bahn zuzuleiten, doch dabei rohen harten Gemüths, eigennützig in hohem Grade, und auch dem Trunke ergeben. Er machte viel Einwendung, ehe er ſich entſchloß, den Knaben in die Lehre zu nehmen, und willigte endlich nur unter der Bedingung darein, daß die Vormünder deſſelben ſich ſchriftlich anheiſchig machten, ihn drei Jahre in ſeinem Dienſte zu laſſen, oder, im Falle er die Werkſtatt ſeines Meiſters früher verließe, eine bedeutende Geldbuße zu zahlen. Schoreels Pflegeältern, denen das Fortkommen des verwaisten Knaben ſehr am Herzen lag, willigten in Alles, das ungefügige, aufge - blaßne Weſen des Meiſters brachte den einfachen treuen Landleuten nur einen um ſo feſtern Glauben an ſeine Kunſt bei, indem ſie meinten, daß, wo ſo viel gefordert würde, auch viel geleiſtet werden müſſe; ſie unterſchrieben daher was man verlangte, und Schoreel zog fröhlichen Muthes als wohlbeſtall - ter Lehrling bei ſeinem Meiſter ins Haus.

Daß es ihm dort mitunter übel genug ergehen42 mochte, iſt leicht zu erachten, aber er ertrug Alles, denn er durfte ja zeichnen und malen den ganzen Tag. Auch machte er in kurzer Zeit ſo ſchnelle und ſo bedeutende Fortſchritte, daß er ſchon im erſten Jahr im Stande war, ſeinem eigennützigen Lehr - herrn durch ſeine Kunſtarbeiten einen Gewinn von mehr als hundert holländiſchen Gulden einzubringen; eine ſehr beträchtliche Summe in jener Zeit. Der arme Knabe hatte aber leider mit einem, jeder guten Empfindung unfähigen Menſchen zu thun; denn ſtatt daß, wie zu erwarten ſtand, Fleiß und Talent ihm wenigſtens eine freundlichere Behandlung ſeines Meiſters erworben hätten, zogen dieſe Eigen - ſchaften ihm nur Neid und Argwohn zu. Wilhelm Cornelis konnte nicht ohne inneren Verdruß den Fortſchritten des Lehrlings zuſehen, der ihn in kurzem zu verdunkeln drohte, fand es hinwieder aber auch zu bequem, müßig in der Schenke zu ſitzen, während dieſer daheim für ihn Geld ver - diente, als daß er nicht hätte dafür ſorgen ſollen, ſich einen ſolchen Arbeiter zu erhalten. Daß Liebe und Freundlichkeit hier Alles thun könne, fiel ihm43 nicht ein; lieber bewachte er den armen Knaben Tag und Nacht auf die unleidlichſte Weiſe, über - häufte ihn mit Arbeit, und verwieß ihn, bei dem kleinſten Zeichen gerechten Unwillens über eine ſolche Behandlung, auf die Verſchreibung, die ihn noch auf lange Zeit zu ſeinem Leibeignen machte, und die der Meiſter von nun an immer bei ſich trug.

Siehſt du Jean? ſtammelte er oft, wenn er betrunken war, und klopfte dabei höhniſch lachend auf ſeine Taſche, ſiehſt du, da hab ich dich, da ſteckſt du feſt darin. Gehſt du mir davon, ſo weiß ich ſchon, was ich mit deinen Freunden anzufangen habe, die ſollens empfinden.

Den armen Schoreel ſchmerzten dieſe ewigen Neckereien und Drohungen jedesmal tief in der Seele, er begann ſogar ſich heimlich darüber zu härmen, und der Gedanke, ſo verkauft zu ſeyn, ward ihm endlich ſo entſetzlich, daß er beſchloß Alles anzuwenden, um der heilloſen Verſchreibung habhaft zu werden. Es gelang ihm auch wirklich, in einer ſehr ſtürmiſchen dunkeln Nacht, da der Meiſter44 völlig betrunken wie ein Todter da lag. Leicht wie ein Vogel ſprang Schoreel mit ſeinem Raube davon, lief auf die Brücke, wo er das Papier, in tauſend Stückchen zerriſſen, dem Winde und den Wellen übergab, kehrte dann leichteren Herzens wieder heim, und ging ruhig zu Bette.

Jn der reinen Seele des jetzt funfzehnjährigen Knaben war bei alle dem keine Spur des Gedankens aufgekommen, ſich auf dieſe Weiſe durch Zerſtörung der Handſchrift von der gegen ſeinen Lehrherrn ein - gegangnen Verbindlichkeit befreien zu wollen. Sein treues redliches Gemüth glaubte ſich hinfort nicht minder an das für ihn gethane Verſprechen gebun - den als zuvor, aber der verhaßte Anblick der Hand - ſchrift, und das ewige Drohen mit dieſer konnte ihn nun doch nicht mehr plagen; er fühlte ſich frei, weil nur ſeine innere Überzeugung ihn band, und ertrug nunmehr Alles mit Geduld, ward vielleicht aber auch beſſer gehalten.

Redlich und treu, ohne einen Verſuch zu ent - fliehen, arbeitete er nun für den Meiſter nach beſten Kräften fort, lernte, ſo viel ſeine jetzige Lage ihm45 erlaubte, und kannte kein Vergnügen als Sonntags und Feiertags, wenn die Sonne und die warme Sommerluft ihn lockten, einſam hinaus in das nahe Harlemer Holz zu wandern. Dort, unter den hohen herrlichen Laubgewölben, vergaß er Alles was ſein Leben beengte; lagerte ſich mit jener un - nennbaren Sonntagsfreude, welche die Kinder vor - nehmer Eltern ſelten kennen lernen, an irgend einem ſtillen Plätzchen in das grüne weiche Gras, zeichnete Bäume, Büſche, Blumen und Kräuter nach der Natur, und ergötzte ſich dabei an dem Gezwitſcher der kleinen Vögel und dem Feſtgeſang zahlloſer Nachtigallen, die noch alljährlich im Harlemer Holze ihre Wohnung aufſchlagen. Wenn dann die Sonne ſank, kehrte der junge Künſtler mit berei - cherter Mappe wieder heim in ſeine unerfreuliche Wohnung, und war doch innerlich vergnügt, wie ein Prinz es nur immer ſeyn könnte.

Endlich im Jahre 1512 waren die drei ſauern Lehrjahre überſtanden; Schoreel, jetzt ſiebzehn Jahre alt, fühlte Kraft und Muth, ſich ferner ſelbſt durch die Welt zu helfen, und war klug genug,46 ſich durch die plötzlich eingetretne Freundlichkeit ſeines Lehrherrn nicht zu einem falſchen Schritte verleiten zu laſſen. Er nahm geziemenden Abſchied von ihm, und wanderte leichten Muthes nach der großen ſchönen Handelsſtadt Amſterdam, wo er bald nach ſeiner Ankunft in der Wohnung und der Werkſtatt des Meiſter Jakob Cornelis, den er wahrſcheinlich ſchon früher hatte kennen gelernt, ſehr freundlich aufgenommen ward.

Dieſer Meiſter Cornelis war ſowohl in Hinſicht ſeiner Sitten als ſeiner Kunſt von dem Cornelis himmelweit verſchieden, welchen Schoreel eben ver - laſſen hatte. Von armen Bauern in Ooſtſanen, einem Dörfchen im Waterland geboren, hatte er durch eigne Kraft, durch Ausdauer und Muth ſich den Weg zu der Höhe bahnen müſſen, auf der er jetzt ehrenvoll ſtand. Er galt in der That um die Zeit, wo Schoreel in ſeinem Hauſe Aufnahme fand, für einen der berühmteſten Maler in den Nieder - landen, beſonders wegen der Wahrheit ſeiner Ge - mälde. Er malte Alles, ſo viel möglich nach der Natur, vor Allem die Gewänder, welche er ſehr47 vorzüglich in aller Eigenthümlichkeit der Farben und Stoffe darzuſtellen wußte. Seine Gemälde ſchmück - ten Kirchen und Altäre, ſowohl in Amſterdam ſelbſt, als in den benachbarten Städten, doch wurden dieſe faſt alle ſpäterhin durch die Bilderſtürmer zerſtört: Karl von Mander erwähnt beſonders einer Abnahme vom Kreuz, damals im Beſitz einer Wittwe Namens von Sonneveldt zu Alkmaar. Schoreel hatte zu dieſem Bilde die Landſchaft, welche den Hinter - grund bildete, gemalt, und es war ein Werk, das ſowohl dem Meiſter als ſeinem Schüler Ehre machte.

Jakob Cornelis war auch wegen ſeiner Kunſt in Holz zu ſchneiden berühmt, und vielleicht ſind einige Abdrücke dieſer ſeiner Arbeiten auch bis auf unſere Zeiten gekommen. Beſonders ſollen neun runde Paſſionsſtücke, neun eben dergleichen Blätter, welche Reiter zu Pferde darſtellen, und eine größere Darſtellung des Leidens Chriſti auf einem Quart - blatt, in Hinſicht auf Zeichnung und Ausführung als ſehr vorzüglich bewundert worden ſeyn. Aus allem dieſem geht wenigſtens hervor, daß Schoreel für die Ausbildung ſeines Talents nicht leicht in48 beſſere Hände hätte fallen können. Nicht minder vortheilhaft war die Veränderung ſeines Aufenthalts für die häuslichen Verhältniſſe des angehenden Künſtlers. Meiſter Jakob war ganz das Bild eines wäckern Hausvaters aus dem Bürgerſtande der da - maligen Zeit, der mit Liebe und Verſtand in ſeinem Hauſe unumſchränkt herrſchte, ohne daß es einem der Mitglieder deſſelben je einfiel, zu wünſchen oder zu glauben, daß dieß anders ſeyn könne. So - wohl ſeines tadelloſen Wandels als ſeiner Kunſt wegen, ward er auch im öffentlichen Leben von ſeinen Mitbürgern hochgeachtet und ſtand in Ehre und Anſehen bei Groß und Klein.

Er hatte viele Kinder, aber ſie waren alle ſchon gänz erwachſen, und die mehrſten weit älter als Schoreel; nur ein ſpät nachgebornes Töchterchen zählte erſt zwölf Jahre. Das holdſelige Kind war die Freude des Vaters, der Liebling des ganzen Hauſes, und wuchs ſo von Liebe gepflegt heran, in unvergleichlicher Schönheit; rein und klar wie ein Thautropfen im Frühroth, auf der eben entfalteten Roſe, ſanft und gut, und unbekannt mit der Welt,49 wie ein Vögelchen im Neſte, unter den ſchützenden Flügeln ſeiner Mutter. Jn dieſen Umgebungen verlebte Schoreel die glücklichen Tage ſeiner Jüng - lingszeit. Mit Luſt und Gelingen arbeitete er für ſeinen Meiſter, unter deſſen Aufſicht tägliches Zu - nehmen in der Kunſt ſeinen Eifer belohnte, und der ihm dennoch nicht nur ein ganz anſtändiges Jahrgeld für ſeine Arbeiten zahlte, ſondern ihm dabei auch noch die Freiheit ließ, in Nebenſtunden für ſeine eigne Rechnung zu malen was er wollte. Viele gelungne Arbeiten gingen ſchon damals in dieſen ſeinen freien Stunden unter des jungen Künſtlers fleißigen Händen hervor und fanden bald Liebhaber, die nicht nur Schoreels frühen Ruhm begründeten, ſondern auch gut bezahlten, was ſie von ihm erkauf - ten, ſo daß er in kurzer Zeit ſich eine nicht ganz unbedeutende Summe für die nächſte Zukunft er - worben hatte.

Mit allen ſeinen Hausgenoſſen lebte Schoreel in Friede, Liebe und Vertrauen, vor Allem aber entſtand zwiſchen ihm und dem ſchönen Töchterchen ſeines Meiſters ein unbeſchreiblich zartes Verhältniß. II. Bd. 450Jn der Bruſt des achtzehn oder neunzehnjährigen Jünglings mußte gar bald heiße innige Liebe aus dieſem unſchuldigen Vertrauen entſtehen, aber das zwölfjährige Mädchen war ſich nur bewußt, ihm herzlich gut zu ſeyn, und verheelte ihm dieß eben ſo wenig, als ob er wirklich einer ihrer Brüder geweſen wäre.

Das ging eine Weile ſo hin; ſüße Worte, liebe Verſprechen nie einander zu vergeſſen, wurden gewechſelt, und Schoreels ganzes Streben hätte ſich vielleicht in Liebe und Sehnſucht aufgelöſ’t, wäre er nicht kräftig genug geweſen, ſich ſelbſt aus dem ſüßen Taumel empor zu reißen. Die Zukunft an der Hand ſeines unbeſchreiblich holden Mädchens erſchien ihm im himmliſchen Glanz, aber auch die Liebe zur Kunſt ſprach laut in ſeiner Bruſt. Er bedachte ſeine eigne große Jugend, und die ſeiner kaum den erſten Jahren der Kindheit entwachſenen Geliebten, und beſchloß hinaus zu gehen in die Welt, ſich auf jede Weiſe des Glücks würdig zu machen, das ihm als einzig wünſchenswerth erſchien, und dann erſt heimzukehren, wenn er im Stande51 ſey, würdig und ehrenvoll um die Hand der Tochter ſeines Meiſters zu werben.

Meiſter Jakob Cornelis war ein zu verſtän - diger Mann, als daß er, ſo lieb und nützlich Schoreel ihm auch war, nicht dieſem Entſchluß hätte beiſtimmen ſollen, und ſo reißte dieſer dann endlich mit ſchwerem Herzen ab, begleitet von den Se - genswünſchen des Vaters und den bittern Thränen ſeines lieblichen Mädchens.

Der allgemeine Ruf, welcher Johann von Mabuſe als einen der erſten damals lebenden Meiſter verkündete, zog den lehrbegierigen Jüngling zuerſt nach Utrecht, wo jener im Dienſte des dor - tigen Biſchofs, Philipp von Burgund, lebte. Ma - buſe empfing den jungen Schoreel auf das freund - lichſte, wies ihm eine Wohnung in ſeinem Hauſe an, öffnete ihm ſeine Werkſtatt, und Beide begannen eifrig mit einander zu arbeiten. An der Staffelei ging Alles vortrefflich, aber nicht weiter. Das wüſte Leben des Meiſters konnte dem edlen, an ſtrenge Sitte gewöhnten Jüngling nicht gefallen. Bald mußte er Mabuſen zu ſeinen Trinkgelagen be -4 *52gleiten, und wenigſtens die koſtbare Zeit dort ver - geuden, bald in der Schenke für ihn bezahlen, bald gar, wenn jener mit ſeinen Spiesgeſellen über den Bechern oder Würfeln in Zwiſt gerieth, für ihn ſich herumſchlagen. Schoreel hielt dieſes Leben nicht lange aus, ſondern nahm bei der erſten Gelegenheit höflichen Abſchied und wanderte weiter.

Er wendete ſich von Utrecht nach Köln, und von dort nach Speier. Hier weilte er eine Zeitlang bei einem kunſtreichen Geiſtlichen, für den er einiges malte, und der ihm dafür in der Linienperſpektive, in der Lehre von den Verkürzungen, und in der Be - handlung architektoniſcher Gegenſtände Unterricht ertheilte. Dann zog er weiter nach Strasburg, von dort nach Baſel. So zog er während ſeiner Wan - derſchaft durch noch mehrere Städte, ſuchte überall nach damaliger Künſtler-Sitte die Gildehäuſer der Maler auf, und bemühte ſich überall, bei den be - rühmteſten Meiſtern Zutritt zu erhalten, bei ihnen zu arbeiten und von ihnen zu lernen. Wohin er kam, ſah man ihn gern, alle Werkſtätten ſtanden ihm offen, die größten Meiſter ſeiner Zeit beeiferten53 ſich, ihn zum Gehülfen zu haben, und belohnten ihn auf das freigebigſte, denn ſein Fleiß und ſeine Kunſt hielten immer gleichen Schritt. Er brachte in einer Woche hervor, woran Andere ſich Monate lang abquälten, ohne daß ſie dennoch die ſchon damals ſeltne Vortrefflichkeit ſeiner Arbeiten hätten erreichen können. Doch blieb er in keiner Stadt länger als es ihm für ſeinen Zweck nöthig ſchien, denn all ſein Denken und Streben war der Kunſt und ſeiner jungen Geliebten zu eigen; die Liebe zu Beiden vereinte ſich zu einer einzigen hellen ſtillen Flamme in ſeiner Bruſt, die ſein ganzes Weſen durchglühte, und ihn unaufhaltſam zum Vorwärts - ſtreben bis zum Ziele trieb, an welchem der Beſitz ſeines holden Liebchens ihm entgegen winkte.

Albrecht Dürers großer allgefeierter Name bewog ihn endlich, auch nach Nürnberg zu ziehen. Er kam an, und der edle Meiſter nahm den jungen talentvollen Künſtler mit Freuden in ſeiner Werkſtatt und in ſeinem Hauſe auf. Beide einander ſo nah verwandte Geiſter würden ſich wahrſcheinlich bald gegenſeitig erkannt und dann auf ewig gefunden54 haben, wäre nicht das damals allgemein herrſchende Streiten über Religionsmeinungen auch zwiſchen ſie getreten. Albrecht Dürer hing, wie wir aus ſeinem Leben wiſſen, mit voller klarer Überzeugung an Luthern und ſeiner Lehre; was ſeine Seele erfüllte, davon wußte er auch zu denen zu ſprechen, die er ſeines Vertrauens werth hielt, und ſo kamen oft zwiſchen ihm und Schoreel, während ſie mit einan - der arbeiteten, Geſpräche auf, in denen Albrecht ſeinen jungen Freund über das, was ihm das Wich - tigſte war, erleuchten zu wollen ſchien, die aber dieſer nicht ohne Schauer und Widerwillen zu er - tragen vermochte. Unwandelbare Treue war der Grundton von Schoreels innerſtem Weſen; was er einmal für wahr hielt, woran er glaubte, was er liebte, das vermochte er nie wieder zu laſſen, es ſchien ihm ſogar frevelhaft nur zu unterſuchen, ob er recht thue ſo beharrlich zu ſeyn. Daher trennte er ſich lieber nach einem kürzeren Aufenthalte als er An - fangs gewünſcht hatte, von dem edlen Mann, den er in jeder andern Hinſicht lieben und ehren mußte, nur um ſich nicht länger der Gefahr auszuſetzen, in55 dem ihm ehrwürdigen Glauben ſeiner Väter geirrt zu werden.

Mehrere Jahre waren indeſſen während Schoreels bald längerem, bald kürzerem Aufenthalt in den Städten, wo er arbeitete, an ihm vorüber - gezogen, und er mochte ungefähr zwei und zwanzig Jahre zählen, als ſeine fernern Wanderungen, bald nach der Trennung von Albrecht Dürer, ihn nach Kärnthen führten, wo er in einem der adligſten und reichſten Beſitzer bedeutender Güter in dieſem Lande einen warmen Kunſtfreund fand, der gaſtfrei auf ſein Schloß ihn einlud, und bei dem er längere Zeit verweilte.

Jn Ruhe und Freiheit malte er dort vieles, theils für den Freiherrn ſelbſt bei dem er wohnte, theils für deſſen kunſtliebende Freunde, und ward mit reichen Geſchenken, mit Lob und Ehren von allen Seiten überhäuft; doch ward ihm auch ein Lohn in dem Herzen der Tochter des edlen Hauſes, welches ihn ſo gaſtfrei empfing, deſſen bloße Mög - lichkeit dem anſpruchsloſen Jüngling nie in den Sinn gekommen war. Schoreels Liebenswürdigkeit im56 Umgang, ſein angenehmes Äußere, ſein gebildeter Geiſt machten auf das Fräulein einen zu tiefen und lebhaften Eindruck, als daß ihr Vater lange darüber hätte im Dunkeln bleiben können, und der hochher - zige Mann ehrte die Kunſt und den Künſtler, den er ſelbſt liebte, zu ſehr, um hier Rang, Geburt und Vermögen zu berechnen, da es noch überdem das Glück ſeines Kindes galt. Er ſelbſt bot dem jungen Maler die Hand des Fräuleins, um die, wie er wohl wußte, des Jünglings Beſcheidenheit ihm nie erlauben würde zu werben, und mit dieſer ein ſo glänzendes Loos, wie es kaum im Traum Schoreelen vorgeſchwebt haben konnte. Doch das roſige ſüßlächelnde Bild der Tochter Jakob Cornelis lebte noch immer in dem treuen Gemüth, welches Alles eher konnte als vergeſſen, und ſo blieb Scho - reelen denn nichts übrig als das gaſtfreie Schloß zu verlaſſen, in dem er unter dieſen Umſtänden nicht länger zu weilen vermochte, und mit dem tiefſten Gefühl ſchmerzlicher Dankbarkeit von neuem den Wanderſtab zu ergreifen.

Mit dem vollen Bewußtſeyn, noch nicht das57 zu ſeyn, was er zu werden Kraft und Muth in ſich fühlte, lenkte er ſeine Schritte immer weiter von der Heimath ab, wo, wie er hoffte, der ſüßeſte Lohn indeſſen für ihn heranblühte. Er zog nach Venedig. Hier geſellte er ſich mehreren Malern und Kunſtfreunden aus Antwerpen zu, und wandte friſchen Muths aufs neue jeden Augenblick ſeiner Zeit mit gewiſſenhafter Treue für ſeine Kunſt an. Das regere Leben der reichen glanzerfüllten Stadt, die große Anzahl Fremder aus allen Nationen die dort ſich vereinten, das Kommen und Gehen der vielen reichbeladnen Schiffe, beſchäftigten neben der Kunſt ſeinen Geiſt, und erweiterten ſeine An - ſicht der Welt. Vor Allem aber zog ihn die Bekannt - ſchaft eines ſehr unterrichteten und kunſtverſtändigen Landsmannes an; dieſer war ein Kloſterbruder aus einem der Wohlthätigkeit geweihten holländiſchen Or - densſtifte, und hielt ſich in Venedig auf um mehrere Pilger zu erwarten, die von dort aus mit ihm ſich zu einer Wallfahrt nach Jeruſalem einſchiffen wollten.

Das Zureden ſeines frommen Freundes, mehr vielleicht noch der ihm inwohnende Trieb recht viel58 von der Welt zu ſehen, deren Einzelheiten nachzu - bilden er ſich berufen fühlte, bewogen Schoreelen, der frommen Geſellſchaft ſich anzuſchließen, und wirklich ging er, daß Alles zur Abreiſe bereit war, mit ihr unter Segel. Wind und Wetter begün - ſtigten die Fahrt, ſo daß Schoreel ſelbſt auf dem Schiffe der gewohnten Übung ſeiner Kunſt nicht entſagen durfte. Er malte während der Reiſe mehrere ſeiner Begleiter, und zeichnete alle ihm vorkommende merkwürdige Gegenſtände ſehr ſauber und treu in ein kleines Buch, welches er zu dieſem Behuf ſtets bei ſich führte. Auch auf den Jnſeln Kandia und Zypern, wo ſein Schiff eine kurze Zeit vor Anker ging, benutzte er den Aufenthalt zu Studien nach der Natur; er zeichnete die Herbergen wo er Obdach fand, Städtchen, feſte Schlöſſer, Anſichten der mit einer ſüdlichen Pflanzenwelt ge - ſchmückten Gegend, und ſammlete ſo unſchätzbaren Vorrath für künftige Arbeiten im fernen Vater - lande.

Endlich gelangte er nach Jeruſalem, dem Ziel ſeiner Reiſe, wo ihm ſein frommer Freund und59 Reiſegefährte in dem Pater Guardian des Kloſters Sion eine eben ſo nützliche als angenehme Bekannt - ſchaft zuführte; denn dieſer nahm ihn nicht nur freundlich auf, ſondern lud ihn auch zur Begleitung auf ſeinen Berufsreiſen durch die Umgegend von Jeruſalem ein. Schoreel lernte auf dieſe Weiſe das Land weit beſſer kennen als es ihm ſonſt möglich geweſen wäre; er zeichnete auch hier vieles nach der Natur, beſonders die Ufer des Jordans; eine Zeichnung, die er ſpäter in den Niederlanden zu einer Darſtellung des Durchganges der Jſraeliten durch dieſen Strom benutzte. Auch zeichnete er Anſichten der Stadt Jeruſalem von verſchiedenen Seiten, das heilige Grab, und alle merkwürdigen Stellen jener dem heiligſten Andenken geweihten Gegenden.

Nach ſeiner Heimkehr im Vaterlande benutzte Schoreel ſpäterhin alle dieſe Studien zu herrlichen landſchaften, welche, beſonders für ſeine Zeitge - noſſen, das Jntereſſe ſeiner vielen Darſtellungen aus der Geſchichte des neuen Teſtaments ungemein er - höhten. Denn damals war noch nicht die ganze60 Welt in Bilderbüchern für Groß und Klein zu finden, es gab noch Dinge in ihr, welche nicht jeder Schul - knabe zu kennen glaubte, und die Leute betrachteten mit um ſo ehrfurchtsvollerer Bewunderung Schoreels Meiſterwerke, auf welchen er die Bergpredigt, oder den Heiland am Ölberge abgebildet hatte, da ſie zugleich die Gegenden treu nach der Natur vor ſich ſahen, die das Andenken jener Begebenheiten ihnen zum Heiligthum ſchuf. Eines ſeiner vorzüglichſten Gemälde in dieſer Art ward im Jakobs-Kloſter zu Harlem aufgeſtellt, auf welchem er ſein eignes Bild mitten in einer Gruppe von Pilgern angebracht hatte, die im Begriffe ſind, zum Thore von Je - ruſalem einzuziehen.

Der Pater Guardian hatte Schoreelen während ſeines Aufenthalts in Jeruſalem ſo lieb gewonnen, daß er ihn nur ungern von ſich laſſen wollte, und Alles anwandte, um ihn wenigſtens für ein Jahr dem Kloſter Sion zu gewinnen. Vielleicht hätte dieſer, angezogen durch die Neuheit ſeiner Um - gebungen, ſich auch zu dieſem Aufſchub ſeiner Heim - reiſe bereden laſſen, doch der holländiſche Kloſter -61 bruder, der aus guten Gründen ihn ungern in dieſen Händen laſſen wollte, drang ſo lange mit Bitten, verſtändigen Vorſtellungen, und mitunter nöthigen Warnungen in ihn, daß er ſich endlich bewegen ließ dieſen Plan aufzugeben, und mit ſeinem erſten Reiſegefährten zurück nach Venedig zu ſchiffen. Doch drang der Guardian ihm noch beim Abſchiede das Verſprechen ab, während der Reiſe ein Bild für ſein Kloſter zu malen. Schoreel hielt Wort, und malte auf dem Schiffe den Apoſtel Thomas, wie er zweiflend die Seitenwunde des Heilands berührt. Es war im Jahr 1520, und Schoreel fünf und zwanzig Jahre alt, da er aus dem heiligen Lande zurückkehrte. Das Schiff landete diesmal unterwegs auf Rhodus, wo damals die Johanniter-Ritter noch ihren Sitz hatten, indem Sultan Soliman der zweite erſt zwei Jahre ſpäter durch die Eroberung der Jnſel ſie zwang ſolche zu verlaſſen und ſich nach Malta zu begeben. Schoreels glücklicher Stern begleitete ihn auch hierhin, denn der damalige Großmeiſter des Ordens, Villiers, nahm ihn nicht nur ſehr freundlich auf, ſondern verhalf ihm62 auch zur möglichſten Benutzung ſeines kurzen Aufent - halts, indem er ihm Gelegenheit ſchaffte, auch hier vieles Merkwürdige nach der Natur zu zeichnen. Und ſo langte Schoreel, beladen mit Vorarbeiten für die Zukunft, nach einer ſehr glücklichen Reiſe endlich wieder in Venedig an.

Seine erſte Sorge war hier, das Bild, das er auf dem Schiffe gemalt, zurück nach Jeruſalem an ſeinen dortigen geiſtlichen Freund abzuſenden. Es langte wohlbehalten an und erhielt einen ſehr ehrenvollen Platz an der durch die Geburt des Hei - lands geheiligten Stätte; viele Reiſende haben es dort geſehen und wahrſcheinlich befindet es ſich noch in dieſem Augenblick am nämlichen Orte.

Von Venedig reißte Schoreel bald nach ſeiner Ankunft wieder ab, um jetzt Jtalien kennen zu lernen. Er beſuchte die für ſeine Kunſt bedeutend - ſten Städte dieſes Landes und gelangte endlich nach Rom. Welchen Eindruck der Anblick dieſer Königin der Städte auf ein Gemüth wie das ſeine machen mußte, läßt ſich beſſer empfinden, als be - ſchreiben. Raphaels hoher Geiſt hatte ſich, viel -63 leicht nur wenige Monden früher, der ewigen Heimath zugeſchwungen, doch Michael Angelo lebte und wirkte noch in voller Thatkraft ſeines Geiſtes, und Julius Romano, und ſo viele Meiſter, deren große Namen damals der Unſterblichkeit zuſtrebten.

Umſtrahlt vom zwiefachen Glanz der hohen Gegenwart und der herrlichſten Vergangenheit, durchwandelte nun Schoreel die weiten Räume dieſer der Kunſt geheiligten Stadt; jeder Schritt, jeder Blick brachte ihm unſäglichen Gewinn. Wie er dieſen Aufenthalt in Rom benutzte ausführlicher zu berichten, wäre unnütze Wiederholung des oft ſchon Geſagten; er athmete hier in ſeinem eigent - lichen Element, und weihte jeden Augenblick ſeines Lebens dem unabläſſigen Streben, zu erringen, was er von Andern ſo glorreich errungen ſah, während die ſeinem Gemüth inwohnende Treue ihn dabei immer feſter an die Natur band, und ihn vor glän - zenden Abwegen bewahrte. Vor Allem zogen Raphaels Werke ihn an; verloren in ihrem Anblick, brachte er vor ihnen die ſeligſten Stunden hin; er fühlte ſich tief im Gemüthe dem hohen einfachen64 Geiſte verwandt, der aus ihnen, Leben athmend, ihm entgegen trat, und Muth und Hoffnung loder - ten immer heller in ihm auf.

Es war ihm nicht möglich, die Monden ſeines Aufenthalts in Rom zu zählen oder abzukürzen, ob - gleich das Bild ſeiner fernen Geliebten ihm hier faſt ſichtbar vorſchwebte, wo er in tauſendfacher Geſtalt überall ſie wieder zu erkennen glaubte. Doch er fühlte, wie jeder Tag dem Ziele ihn näher führte; dieß gab ihm Kraft, die tiefe Sehnſucht zu beherrſchen, die ihn oft zurück über die Alpen zog, und ſo weilte er noch in Rom, als im Jahr 1522 Leo des zehnten Nachfolger, Adrian der ſechſte, den päpſtlichen Thron beſtieg. Glück und Talent hatten dieſem aus dem Staube des tiefſten Dunkels den Weg zum damals höchſten Gipfel irdi - ſcher Größe gebahnt. Er war, wie Schoreel, in Hol - land geboren, der Sohn eines armen Webers aus Utrecht; es war ſogar möglich, daß er in ſeiner Jugend noch die Eltern Schoreels gekannt hatte, wenigſtens ehrte er in dieſem wahrſcheinlich den Landsmann nicht weniger als den Künſtler, und65 überhäufte ihn mit vielen und großen Beweiſen ſeiner Huld und Gnade. Viele bedeutende Arbeiten, die Schoreel mit großem Gelingen für ſeinen hohen Beſchützer ausführte, ſetzten ihn immer feſter in deſſen Gunſt. Zu dieſen gehörte auch das vorzüg - lich gelungene Bildniß des Papſtes, welches dieſer einem von ihm in Löwen geſtifteten Kollegium ver - ehrte. Endlich trug Adriau ſeinem kunſtreichen Landsmann auch die Aufſicht über Belvedere auf, und ſchien ſo deſſen Glück für ſein ganzes künftiges Leben zu gründen.

Doch was iſt wandelbarer als menſchliche Pläne und irdiſche Größe! Adrian ſtarb am vierzehnten September des Jahres 1523, nachdem er nur wenige Monate über ein Jahr die päpſtliche Krone getragen, und Schoreel blieb plözlich verwaiſet zurück, in einem Lande, wo ſein ſchnelles Empor - ſteigen in der Gunſt des heiligen Vaters gewiß nicht unbeneidet geblieben war. Er gab von nun an alle Gedanken auf, ſeine Geliebte nach Rom heimzuholen, die wohl früher, von den Umſtänden begünſtigt, in ihm aufgeſtiegen ſeyn mochten. SeinII. Bd. 566Bewußtſeyn ſagte ihm: er dürfe jetzt es wagen, um den lieblichen Lohn ſeines unermüdeten Strebens ohne Erröthen zu werben, und ſo verließ er denn Rom, überſtieg die Alpen, glühend von Sehnſucht, Liebe und frohem Erwarten, und eilte unaufhalt - ſam der Wohnung des geliebten Mädchens zu, die jetzt, in völlig erblühter Pracht ihrer ſchon in der Kindheit ſo wunderbaren Schönheit, ſeinem wonneerfüllten Gemüth wie ein Götterbild vor - ſchwebte.

Sein Weg führte ihn durch Frankreich, wo damals, mitten im wild eſten Getümmel des Krieges, Franz der erſte durch Liebe, Kunſt, Poeſie und treue Pflege alles Schönen ſeinem unruhvollen Leben unſterbliche Kränze einzuflechten ſtrebte. Der Ruhm Schoreels war mit ſeinen Meiſterwerken bis zu dem Könige gedrungen und dieſer ſandte ihm deshalb die vortheilhafteſten und glänzendſten An - erbietungen entgegen, um ihn für ſeinen Dienſt zu gewinnen. Doch Schoreel mochte jetzt keinem Fürſten dienen; er gehörte einzig ſeiner lieb - lichen Herrin, und eilte, alle Vorſchläge des67 Königs von ſich abweiſend, unaufhaltſam weiter, bis er Utrecht erreichte.

Hier, Amſterdam, ihrem Wohnort, ſo nahe, wagte er es zuerſt nach ihr zu fragen. Sie war verheirathet an einen Goldſchmied in Amſterdam. Sein langes Ausbleiben, die weite Entfernung, ihre große Jugend, da er von ihr ſchied, hatten ſein Andenken verlöſcht, ſie hatte gemeint, er käme wohl nie wieder. Treue, wie er ſie übte, iſt ja ſo ſelten wie der Vogel Phönix, niemand glaubt mehr daran, ſie ſind beide ſchon längſt ins Fabelland verwieſen, und theilen auch mit einander das Loos, einſam in ſich ſelbſt zu verglühen.

Das Gefühl Schoreels bei dieſer Nachricht zu beſchreiben, wird hoffentlich mir erlaſſen. Nur will ich noch hinzuſetzen, daß er es nie vermochte, das Bild, welches er in treuer Bruſt Jahre lang durch ferne Länder, über das Meer und über die Alpen getragen, aus ſeinem innigſt damit verflochte - nen Leben zu reißen; eben ſo wenig gewann er es über ſich, ein unendlich ſchmerzliches Wiederſehen zu ertragen. Die ſchönſte Hoffnung ſeines Lebens5 *68war untergegangen, und ſo warf er ſich mit ver - doppelter Kraft der Kunſt in die Arme, die mit ſeiner Liebe ſo ganz eins in ihm geworden war, daß er beide nie wieder in ſeinem Herzen von einander zu trennen vermochte.

Schoreel blieb, nachdem ihn dieſer Schlag ge - troffen, wo er war, in Utrecht, im gaſtfreien Hauſe eines Freundes, der dieſe Gunſt von ihm erbat. Und warum hätte der Künſtler ſie ihm nicht gewähren ſollen? Die Zeit, wo er Lebenspläne bil - dete, war vorüber.

Was Liebe ihm verſagte, ſchien während ſeines ganzen Lebens treue Anhänglichkeit würdiger Freun - de ihm ſo viel möglich erſetzen zu wollen. Die Nähe des Mannes, in deſſen Hauſe er jetzt lebte, war ganz dazu geeignet, ſeinem wunden Gemüthe wohl zu thun. Er hieß von Lockhorſt, war damals Dechant des alten Münſters zu Utrecht, geiſtreich, unterrichtet, liebte und kannte die Kunſt. Dieſe ſeine Liebe zu derſelben ſowohl, als ſein Name machen es wahrſcheinlich, daß es derſelbe Herr von Lockhorſt war, der ſiebzehn Jahre früher das auf -69 blühende Talent des damals zwölfjährigen Lukas von Leyden aufzumuntern ſtrebte, indem er ihm für ſein erſtes bedeutendes Gemälde nach der Zahl ſeiner Jahre zwölf Goldſtücke gab. Denn die Einwoh - ner dieſer holländiſchen Städte lebten, bei der ge - ringen Entfernung, von jeher in einer Art von Nachbarſchaft, welche die vielen, das Land durch - kreuzenden Kanäle ſehr begünſtigen, und Maler und Kunſtfreunde finden ja noch immer in der Welt den Weg zu einander.

Jm Hauſe dieſes ſeines edlen Freundes malte Schoreel auf deſſen Verlangen viel Bedeutendes in Öl und mit Waſſerfarben; unter andern den Einzug Chriſti in Jeruſalem, ein großes Gemälde mit zwei Thüren. Auf dieſem hatte er jene Stadt auf das treuſte nachgebildet, und viele Gruppen der Einwohner und ihrer Kinder angebracht, wie ſie den Weg des Heilandes mit ihren Feſtge - wändern, mit Blumen und Palmzweigen bedecken. Die Freunde des edlen Beſitzers ſtellten nach ſeinem Tode dieß Gemälde zu ſeinem Gedächtniß über ſeinem Grabmal in der Dom-Kirche auf.

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Nach Verlauf einiger Jahre, während welchen Schoreel ſich fortwährend in Utrecht aufhielt, ent - ſtanden dort bedeutende Unruhen; die Stadt theilte ſich in zwei Partheien, von denen es die eine mit ihrem Biſchof, die andere mit dem Herzog von Geldern hielt, die beide mit einander wegen gegen - ſeitiger Anſprüche in Streit gerathen waren. Alle Gräuel eines bürgerlichen Aufruhrs tobten Tag und Nacht in den ſonſt ſo ruhigen Straßen, die friedlich geſinnten Bürger entflohen, und auch Schoreel fühlte ſich bewogen ſeinen Wohnort einſt - weilen zu verändern.

Er zog nach Harlem, wo der Komthur des Johanniter-Ordens, Simon Saen, ein warmer Verehrer der Kunſt, ihm mit offnen Armen und großer Freude entgegen kam, und ihm ſogleich mehrere bedeutende Arbeiten auftrug. Einige von dieſen befanden ſich noch zu Karl von Manders Zeiten in Harlem, und Letzterer gedenkt ihrer mit großem Lobe; vor Allem einer Darſtellung der Taufe des Heilands im Jordan, auf welcher Schoreel, ganz im Geiſte Raphaels, eine unendlich anmuthige71 Gruppe ſchöner Frauen angebracht hatte, die zu dem in Geſtalt einer Taube niederſchwebenden heili - gen Geiſt hinauf blicken.

Schoreels Ruf verbreitete ſich jetzt immer weiter, immer heller ſtrahlte ſein Name im Gebiete der Kunſt, und er wurde deshalb von ſo vielen Seiten mit Bitten um Annahme von Schülern um - lagert, daß er ſich endlich entſchloß zu dieſem Zweck ein großes Haus in Harlem zu miethen, in welchem er ſich eine geräumige Werkſtätte einrichten ließ. Aus dieſer gingen von nun an ſeine bedeutendſten wundervollſten Schöpfungen hervor, unter andern eine ſehr berühmte Kreuzigung für den Hochaltar der alten Kirche in Amſterdam.

So lebte und arbeitete er fort, geliebt, ge - ehrt und bewundert von Allen. Die Edelſten ſeines Landes, ausgezeichnet durch Geiſt und Wiſſenſchaft oder hohe Geburt, ſuchten ſeinen Umgang. Denn, abgeſehen von ſeiner Kunſt, war er auch einer der liebenswürdigſten und dabei wiſſenſchaftlich gebil - detſten Männer ſeiner Zeit, der lateiniſchen Sprache vollkommen mächtig, ein vortrefflicher Redner, und72 dabei Meiſter in Allem was das Leben erheitert und verſchönt. Muſik war ſeine Freude, und er wußte auch Andere durch ſeine Fertigkeit in dieſer ſchönen Kunſt zu erfreuen. Er ſprach franzöſiſch, italiäniſch und hochdeutſch, mit gleicher, während ſeiner Reiſen erworbner Fertigkeit, und verband mit dieſen geſelligen Talenten auch die Gaben des Dichters Unzählige traurige und frohe Lieder, Refrains und Rondelais nach damaliger Art, ſang er in trüben und frohen Stunden, oder dichtete kleine Scherzſpiele und dramatiſirte Schwänke für die Geſellſchaft, in der er lebte. Denn ſeine ge - täuſchte Hoffnung hatte ihn weder gegen die Men - ſchen noch gegen das Leben erbittert, er war und blieb bis aus Ende heitern und milden Geiſtes, und verſchmähte keine geſellige Freude, die ſich in den Schranken der Sittlichkeit hielt. So war er auch unter andern als ein trefflicher Schütze mit der Armbruſt unter ſeinen Freunden berühmt, die nach damaligem Zeitgebrauch mit ihm hierin oft wett - eiferten.

Vor Vielen, welche in näherem Verhältniß73 mit ihm lebten, zeichnete Schoreels Neigung beſon - ders den jungen Johannes Everard aus, einen der geiſtreichſten, anmuthigſten Dichter ſeiner Zeit, und auch der unſern unter dem Namen Johannes Sekundus allbekannt. Dieſer war im Jahr 1511 im Haag geboren, und von ſeinem Vater, einem großen Rechtsgelehrten, der unter Kaiſer Karl dem fünften in Mecheln die Stelle eines Präſidenten des ſouveränen Raths von Holland und Seeland be - kleidete, ſchon früh der Rechtswiſſenſchaft geweiht worden. Wirklich hatte er ſich in derſelben auch ſchon im ein und zwanzigſten Jahre den Doctor - Hut erworben, doch ſein innerer Beruf führte ihn der Poeſie und der bildenden Kunſt zu, über welche er gern die Pandekten und den Kaiſer Ju - ſtinian vergaß. Gelungne Verſuche im Zeichnen, im Kupferſtechen, vor Allem aber in kleinen Arbei - ten aus Alabaſter füllten die Stunden ſeiner Muſe aus. Schoreels Aufmerkſamkeit ward durch dieſe vielleicht zuerſt dem Jüngling zugewendet, doch ſein Geiſt, ſeine Lieder, vor Allem ſein in treuer Liebe glühendes Herz mußten ihm in kurzer Zeit74 des edlen Meiſters noch innigere Zuneigung erwer - ben. Er ſah in dem um ſechzehn Jahre jüngern Freunde ſeinen eignen Frühling wieder erblühen. Denn ſo wie Schoreel das Bild der ſchönen Tochter ſeines Meiſters, ſo trug Johannes das ſeiner Julia in treuer Bruſt, ſein Leben, alle ſeine Wün - ſche und Hoffnungen waren ihr geweiht, und ſeine Lieder führten ihren Namen neben Petrarcas Laura, Dantes Beatrice und Taſſos Leonore kommenden Jahrhunderten zu. Beide Freunde wandelten nur kurze Zeit neben einander; Johannes Sekundus ging zur ferneren Ausbildung ſeiner Talente nach Jtalien, und von dort nach Spanien, wo er als Sekretär des Erzbiſchofs von Toledo angeſtellt ward. Schoreel malte ſein Bildniß kurz vor dieſer Trennung. Ein Kupferſtich nach dieſem Gemälde zeigt uns den Dichter in tiefer Betrachtung eines Medaillons mit dem Bildniß ſeiner Julia, neben ihm ein Tiſch, auf welchem zwei kleine Meiſel ſeine Beſchäftigung mit der bildenden Kunſt andeuten.

Jm Mai des Jahres 1533, kurz ehe Jo - hannes Sekundus Jtalien verließ um nach Spanien75 zu reiſen, ſchrieb er noch an Schoreel, und zwar nach dem Gebrauch der damaligen elegant gebildeten Welt in lateiniſcher Sprache. Eine Stelle aus dieſem Briefe gewährt ein zu anziehendes Bild ſeines vertrauten Verhältniſſes zu Schoreelen, als daß man ihr nicht gern hier einen Platz einräumen ſollte.

Jch ſcheue mich keinesweges zu ſagen, ſchrieb Johannes Sekundus, daß die Natur mir etwas Gemeinſames mit Dir gegeben. Jch meine jenes geheime Gebot, wodurch ſie mich getrieben, die Künſte der Zeichnung und Malerei zu bewun - dern und zu erfaſſen. Außerdem habe ich mit leichtem Jugendſinn mich in der Bildnerei verſucht, und da ich nach Deinem ſehr gültigen Urtheile hierin nicht ganz unglücklich war, ſo überlaſſe ich mich noch ferner dieſem angenehmen Spiel. Damit Du jedoch ſehen mögeſt, ob ich Fortſchritte ge - macht, ſo überſchicke ich Dir das Bildniß des Erz - biſchofs von Palermo, welches ich in der letzten Zeit gemeißelt. Sage mir darüber Dein offnes Urtheil. Denn kaum kann ich mich überreden, daß Deine Meinung vom Bilde meiner Julia ganz76 unbeſtochen geweſen. Vielleicht hat ihr Bildniß eben ſo Deine Augen wie ſie ſelbſt die meinen be - zaubert.

Johannes Sekundus ferneres Geſchick umfaſſen wenige Worte. Er glich jenen Blumen, welche weit und breit die Lüfte mit berauſchend - ſüßen Düften erfüllen, in denen aber innerhalb wenigen Stunden ihr Leben dahin ſtrömt. Der Duft weht noch lange an der Stätte wo ſie blühten, doch ſie ſelbſt neigten im Morgenroth ihr Haupt, und kehren nimmer wieder.

Von dem Erzbiſchof von Toledo dazu über - redet, ſchloß Johannes Sekundus von Spanien aus ſich Kaiſer Karls des fünften Zuge nach Tunis an. Doch ſeine ohnehin ſchwache Geſundheit erlag den Mühſeligkeiten des Kriegerlebens und dem afrika - niſchen Himmel; ſie zwang ihn die Heimath ſo ſchnell als möglich wieder aufzuſuchen, in der bald darauf ein bösartiges Fieber ihn im blühenden Alter von fünf und zwanzig Jahren hinwegnahm. Er ſtarb zu Utrecht, wahrſcheinlich in den Armen ſeines edlen Freundes, am achten October des Jahres 1536.

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Ein ſehr ehrenvoller Auftrag hatte um dieſe Zeit Schoreelen zurück nach Utrecht gerufen. Er ſollte mit lebensgroßen Figuren die vier Flügel - thüren ſchmücken, welche das mit künſtlichem Bild - werk verzierte Jnnere des Hauptaltars der von Kaiſer Heinrich dem vierten in jener Stadt erbauten Marienkirche verſchloſſen. Auf einer derſelben malte er die heilige Jungfrau mit dem Kinde und den heili - gen Joſeph; auf der zweiten den Kaiſer Heinrich ſelbſt im vollen Ornate, knieend zu den Füßen ſeines ehe - maligen Lehrers, des Biſchofs Konrad von Utrecht. Die beiden andern Thüren, welche das Opfer Abrahams darſtellten, vollendete Schoreel einige Jahre ſpäter, und malte inzwiſchen zwei große Ge - mälde mit Waſſerfarben auf Leinwand, welche einſtweilen ihre Stelle erſetzten. Die ſeltne Vor - trefflichkeit dieſer beiden Gemälde bewog den König Philipp, ſie nach Vollendung des Ganzen, während ſeiner Anweſenheit in Utrecht im Jahr 1549, der Kirche abzukaufen und mit ſich nach Spanien zu führen, wo ſie den Namen des hohen Meiſters auch in dieſem ſüdlichen Lande ehrenvoll bekannt machten.

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Doch auch im hohen Norden kannte und ehrte man ihn. Der König von Schweden wendete ſich mit der Bitte an Schoreelen, ihm einen Baumeiſter zu empfehlen, und Schoreel benutzte dieſe Gelegen - heit, um dem Könige durch den Architekten, welchen er ihm ſandte, ein Bild der heiligen Jungfrau über - reichen zu laſſen. Der König nahm dies Geſchenk ſo hoch auf, daß er dem Meiſter nicht nur in einem von ihm eigenhändig unterzeichneten Schreiben dafür dankte, ſondern ihm auch einen koſtbaren Ring, einen ſehr ſchönen Marderpelz und ſeinen eignen Eisſchlitten nebſt vollſtändigem Geſchirr für ein Pferd dafür ſandte. Dieſem wirklich königlichen Geſchenke fügte er auch noch einen rieſengroßen, zweihundert Pfund ſchweren ſchwediſchen Käſe hinzu. Doch leider kam von allen dieſen Herrlichkeiten nichts als der erbrochne Brief in Schoreels Hände, alles Übrige hatte unterwegs einen andern Herrn gefunden.

Körperliche Uebel mancherlei Art, Gicht und Steinſchmerzen trübten das ſpätere Alter des edlen Meiſters und machten ihn, lange vor dem gewöhn - lichen Laufe der Natur, zum frühen Greiſe. Doch79 ſein kräftiges Gemüth, ſein reines Bewußtſeyn, halfen ihm jedes Geſchick in ſtiller Ergebenheit mit Geduld und mit Ruhe ertragen. Er ſtarb am ſechſten December des Jahres 1562, in einem Alter von ſieben und ſechzig Jahren, vier Monaten und ſechs Tagen. Zwei Jahre vor ſeinem Tode, malte einer ſeiner liebſten Schüler, Autonius Moro, ſein ſehr ähnliches Bildniß, doch weiß ich nicht, ob dieſes bis auf unſre Zeit gekommen iſt. Ein Zeitraum von einhundert Jahren liegt zwiſchen Johann van Eyck und Johann von Schoreel, aber keiner, von allen Nachfolgern des großen Stifters der alten deutſchen Schule war jenem im Geiſte näher ver - wandt, als dieſer, ſogar nicht der in feuriger Begei - ſterung glühende Hemling. Schoreels wie van Eycks Werke umgibt dieſelbe lichthelle Klarheit, aus beiden ſpricht der nämliche heitre, ruhig erhabne Sinn. Dieſelbe unübertroffne Farbenpracht ſtrahlt von Beider Tafeln uns entgegen, dieſelbe Wahrheit des Kolorits, des Ausdrucks, der Anordnung, der Zeichnung, dieſelbe gerade zum Herzen dringende Jnnigkeit. Wie van Eycks Geſtalten, ſo ſtehen80 auch die Schoreels im reinen Lichte des Himmels; entfernt von unnatürlicher Künſtelei oder gewaltſam erzwungnem blendendem Scheinen, und in der Aus - führung auch der zarteſten Einzelheiten, konnte er vielleicht nur durch van Eyck übertroffen werden. Sie ſind in nichts unterſchieden, als in jenem unaus - ſprechlichen Zauber, der von den Gebilden van Eycks ausgeht, und ihn als den Einzigen bezeichnet, dem hierin keiner ſeiner Nachfolger völlig gleichkam, und dennoch ſteht ſelbſt hierin Schoreel ihm neben Hemling näher als Alle.

Die blinde Wuth wahnſinniger Fanatiker, die ich leider ſchon ſo oft in dieſen Blättern anklagen mußte, hat uns auch um viele der unſchätzbarſten Meiſterwerke Schoreels gebracht. Jm Jahr 1566, nur vier Jahr nach ſeinem Tode, verbrannten, zerbrachen, zerſtörten die furchtbaren Bilderſtürmer beinahe alle ſeine in Kirchen und Klöſtern aufbe - wahrten Gemälde, von denen die mehrſten gerade aus ſeiner beſten Zeit ſtammten; auch die koſtbaren Thüren des Hochaltars in der Marienkirche zu Utrecht, und die berühmte Kreuzigung in der alten81 Kirche zu Amſterdam gingen damals mit zu Grunde. Doch wurde auch manches gerettet, beſonders was in fürſtlichen Häuſern, oder in reicher Kunſtfreunde Privatſammlungen, oder auſſerhalb ſeines Vater - landes ſich eben befand.

Die Boiſſeréeſche Sammlung beſitzt vier ſeiner, dem Untergange entronnenen Tafeln, alle vier von unſchätzbarem Werthe. Von dieſen will ich zuerſt eines kleinen etwa drittehalb Fuß hohen Bildchens erwähnen. Es ſtellt die ſchönſte, in wunderfriſcher Frühlingspracht grünende Landſchaft dar, von vielen kleinen Figuren belebt, durch die Schoreel, nach Hemlings Weiſe, eine Scene aus der Kindheits - geſchichte des Heilands dramatiſch uns vor Augen ſtellt. Krieg und Frieden ziehen auf dieſem Bilde im wunderlichſten Verein durch die Welt. Blaue Berge ſchließen den Hintergrund der herrlichen Land - ſchaft; etwas näher thront Herodes Burg ſtattlich auf einer Höhe über der blühenden Ebne, durch welche der Jordan ſich windet; Bethlehem liegt an ſeinen Ufern und etwas näher, unfern der Stadt, ein Dorf. Mordluſtige Krieger ſtürmen ausII Bd. 682der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen auf grünem Hügel ſeine Schaafe hütet, achtet ihrer nicht, und auch ſie ziehen an ihm vorüber, dem Orte zu, wo ſchon der blutige Mord der Unſchuld begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre Kinder vertheidigen, andere ſuchen ſich mit ihren Säuglingen durch ſchleunige Flucht zu retten. Eine von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter - thüre des Hauſes, während die Krieger ſchon die vordere Thüre deſſelben erſtürmen, eine andere ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche welche vor ihr im Graſe liegt. Jnzwiſchen geht das Treiben der Menſchen in der Umgegend dieſes un - glücklichen Ortes ſeinen gewohnten Gang; eben wie in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchſten Schmerz der tiefſte Friede wohnt. Die Leute erndten, ſäen, tragen Korn zur Mühle, fleißige Bienen ſchwärmen, einige Krieger die von dem blutigen Tagewerk zurückkommen, beſchenken einen Armen dem ſie begegnen, ein anderer Krieger ſteht neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles83 dieſes geht in der Entfernung vor, doch im Vor - grunde, am Saum eines wunderſchönen Waldes ſitzt Maria im Schatten herrlicher Bäume, mit dem Ausdruck himmliſcher Ruhe und ſüßer Mut - terfreude. Jhr Blick ruht auf dem ſchönen Kinde in ihrem Arm, das liebevoll zu ihr hinauf ſieht, und keine Ahnung der Schrecken, denen ſie ent - gangen iſt, trübt ihren Sinn. Ein kleiner Quell rieſelt ſeitwärts den Felſen herab, Joſeph tritt aus dem Gebüſch hervor, wo er den fernern Weg er - forſchte, und im kühlen Walde graſet das treue Thier, welches Mutter und Kind ſicher hieher trug. Die Ausführung der Kräuter im Vorgrund, der Blumen, des Weizenfeldes mit ſeinen Klatſchroſen und blauen Cyanen kann man ſich nicht vollen - deter denken. Das ganze Bild macht einen unbe - ſchreiblich anmuthigen Eindruck, denn jene Schrek - kensſcenen bei aller ihrer Wahrheit ſind zu fern, um dieſen zu ſtören. Man ſieht die ſchöne Mutter mit dem Kinde, man freut ſich, ſie hier im ſichern Schatten ruhig zu wiſſen, und vergißt darüber unwill - kührlich den Blick weiterhin in die Ferne zu wenden.

6 *84

Die drei andere weit größeren Gemälde, ein Altarblatt mit zwei Seitentafeln, gehören zu den herrlichſten Kleinoden dieſer überreichen Sammlung altdeutſcher Meiſterwerke. Die Mitteltafel führt uns zum Sterbebette der Mutter des Erlöſers; nie ſah ich den Tod ſo ganz aller ſeiner Schrecken beraubt, und doch ſo heilig, ſo rührend fromm dargeſtellt. Mitten in einem heitern, feſtlich ge - ſchmückten Zimmer, mit dem Fußende gegen den Anſchauer gewendet, ſteht das ſchöne umhangene Bette, auf welchem Maria hinüberſchlummernd ruht. Die Legende, welcher Schoreel, zu Folge ſeiner Religion, vollen Glauben beimeſſen mußte, belehrt uns, daß die Zeit machtlos an der Geſtalt der Mutter des Heilandes vorüberging. Siebenzig Jahre lang wandelte ſie auf Erden, und blühte immerfort in unverwelklicher Schönheit, die hold - ſeligſte der Frauen. So ruht ſie auch hier, und man kann ſich bei ihrem Anblicke nicht des Gedan - kens erwehren, daß der Meiſter in ihr die ſchönen Züge der jungen Geliebten verewigte, die er mit ſo unbelohnter Treue lebenslang im Herzen trug. 85Marias Geſicht gleicht einer weißen Roſe, die ein ätheriſcher röthlicher Hauch kaum ſichtbar färbt. Ein leiſes ſeliges Lächeln umſchwebt die noch im Tode friſchblühenden Lippen des ſchönen Mundes, und die gewölbten Augenlieder ſcheinen wie vor Wonne über das blendende Licht des Paradieſes geſchloſſen. Alles drückende, beängſtigende iſt aus dieſem Sterbe - zimmer verbannt; im Hintergrunde, zur rechten Seite des Bettes, gewährt eine offne Thüre die Ausſicht ins Freie; zur linken ſteht ein Altar, mit dem Bilde Moſes und Aarons. Ehrfurchtsvolle Stille herrſcht unter den, um die Mutter ihres Herrn verſammelten Apoſteln; Hoffnung erhebt ihren Schmerz zur ſeligſten Wehmuth. Zwei von ihnen beten leiſe am Fenſter, die übrigen ſtehen, in mannichfaltige Gruppen geordnet, dem Bette näher, an deſſen Hauptende zur Rechten deſſelben Petrus ſo eben einige erhebende Worte an ſeine Brüder gerichtet zu haben ſcheint. Johannes ſteht in Weh - muth verſunken, einer der Apoſtel ſchwingt den Weihrauchkeſſel zu den Füßen des Bettes. Der mannichfaltigſte Ausdruck tiefen Schmerzes belebt86 jede dieſer Geſtalten, doch deutet Alles dabei auf das Gefühl heiliger Ergebenheit in Gott, welches jede laute Klage zurückdrängt. Auch uns ergreift vor dieſem Anblick ein Strahl der Empfindung, welche die Jünger verſtummen läßt; letztere ſtehen mit ſolcher lebendigen Wahrheit vor uns, daß wir uns mitten unter ihnen glauben. Laut und heftig vor dieſem wahrhaft heiligen Bilde zu ſprechen, kann in der That niemanden möglich ſeyn, ſo wenig wie vor einem wirklichen Sterbebette, und doch geht von demſelben ein unbeſchreibliches Gefühl ſtiller Seligkeit und erhabner Ruhe aus, das alle Schrecken des Todes vernichtet.

Die beiden zu dieſem Gemälde gehörenden Seitenbilder zeigen uns, wie gewöhnlich, den Stifter deſſelben nebſt den Seinen, an der Seite ihrer Schutzheiligen; neben dieſen ſeitwärts die Wappen ihrer edlen Geſchlechter.

Auf dem erſten Seitenbilde knieet im kräftig - ſten Mannesalter der Ritter, deſſen ſchöne Burg in der Landſchaft des Hintergrundes hoch vom Felſen ins Land ſchaut; neben ihm, dem man es wohl an -87 ſieht, daß ſeine Kniee nur vor Gott ſich beugen können, ſein Sohn, ein Jüngling im blühenden Frühling des Lebens. Sankt Dionyſius ſteht hinter dem Vater. Des Schutzheiligen, der Legende nach - gebildeter, halb abgehauener Schädel iſt ein neuer Beweis, wie ſchonend ächte Kunſt auch einen an ſich abſchreckenden Gegenſtand zu behandeln weiß. Jm Paradieſe blutet keine Wunde, daher iſt auch an dieſer keine blutige Spur mehr zu erblicken, und der Heiligenſchein, der das ſo wunderbar verkürzte Haupt umgibt, verſchmilzt ſo kunſtreich mit dem - ſelben und dem hellen Hintergrunde, daß alles Widerliche, ſogar faſt alles Auffallende des Anblicks vermieden iſt. Neben dem Sohne ſteht im glän - zenden Waffenſchmuck der ritterliche Heilige, Sankt Georg, mit dem Lindwurm unter ſeinen Füßen.

Des Ritters treue Hausfrau, im ſchwarzen Feſtgewande, mit goldnem Gürtel und reichen Span - gen geſchmückt, knieet auf dem zweiten Bilde, in einer ſehr heitern blühenden Landſchaft; neben ihr ihre Tochter, das reinſte Bild ſittſamer und an -88 ſpruchloſer Unſchuld. Die heilige Gudula, ihre Schutzheilige, legt etwas vorgebeugt die ſehr ſchöne Hand dem jungen Fräulein auf die Schulter, ihr frommes klares Geſicht trägt den vollſten Ausdruck herzlicher Milde und Güte. Sie iſt reich, aber doch einfach gekleidet, und trägt ihr Attribut in der Hand, eine Laterne, an welche ein kleines drachen - artiges Ungeheuer ſich klammert; denn wie die Le - gende erzählt, pflegte Gudula, als ſie noch auf Erden lebte, oft noch in ſpäter Nacht die Armen und Kranken zu beſuchen, und der Teufel ſtrebte dann oft, jedoch immer vergebens, ſie auf dieſen frommen Wegen zu irren, indem er wenigſtens ihre Leuchte auszulöſchen ſich bemühte. Zur Ritterfrau lächelnd herabgebeugt, ſteht die heilige Chriſtina, die reizendſte Heilige die es geben kann. Wie aller - liebſt die altdeutſche goldne Schneppenhaube dieſem freundlichen wunderſchönen Geſichtchen ſteht, iſt eben ſo unbeſchreiblich, als die anmuth der ganzen Geſtalt. Hieher ſollten unſere jungen Künſtler und unſere Schauſpieler wallfahrten, um an dieſen beiden Bildern zu lernen, wie ſie ihre89 Ritter und altdeutſche Edelfrauen zu koſtumiren haben.

Alle dieſe Ritter und Frauenbilder, ſo wie der Charakter der Landſchaften im Hintergrunde, ſind unverkennbar in Deutſchland zu Hauſe. Die Farbenpracht, der Glanz der Waffen, der Edel - ſteine und des Goldes, Zeichnung, Gruppirung, Kolorit und Kompoſition dieſer drei Tafeln wären van Eycks würdig; Alles erinnert hier bei möglich - ſter Originalität dennoch unwiderſtehlich an ihn. Jch weiß nichts Höheres und Beſſeres weder ihrem Lobe noch ihrer Charakteriſtik hinzuzufügen.

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Hans Holbein, der juͤngere.

Die allgemeine Sage nennt gewöhnlich Baſel als den Geburtsort dieſes berühmten Meiſters, doch wahrſcheinlicher iſt es Augsburg, wo deſſen Vater, Hans Holbein der ältere, als ein bedeu - tender geachteter Maler und anſäſſiger Bürger noch nach dem Jahr 1498 lebte, dem Geburtsjahr des berühmten jüngern Hans Holbein. Namen und Jahrzahl auf mehreren Gemälden Hans Holbeins des Vaters, die ſich zu Sandrarts Zeiten in Augsburg befanden und vielleicht noch dort befinden, beſtä - tigen dies, unter andern auf einem, wo man neben dem Namen des Meiſters auf einer Glocke die Jahrzahl 1499 angezeichnet findet. Wahrſcheinlich zog der Vater Holbein bald darauf mit ſeinen drei Söhnen Ambroſius, Bruno, und Hans Holbein nach Baſel. Alle drei ſuchte er dort für die Kunſt zu bilden, doch nur der letzte lohnte ihm durch über - wiegendes Talent und wurde groß und berühmt.

Der alte Hans Holbein hatte auch einen ſehr kunſtreichen Bruder Namens Siegmund, welcher91 ihm bei der Erziehung ſeiner Söhne Beiſtand leiſtete. Dieſer war eigentlich ein Goldſchmid, doch hat er vieles in Kupfer geſtochen und in Holz geſchnitten, und zwar ſo vortrefflich, daß ſeine Arbeiten mit denen ſeines berühmten Neffen ſpäterhin zuweilen verwechſelt wurden, unter andern ein großes Alpha - bet mit Holzſchnitten, welche einzelne Scenen aus der bibliſchen Geſchichte darſtellen.

Ob Hans Holbein, außer ſeinem Vater und ſeinem Oheim noch einen andern Lehrer in der Kunſt gehabt habe, iſt unbekannt; man weiß nur, daß er nie zu ſeiner ferneren Bildung Jtalien, oder überhaupt das Ausland beſuchte, ſondern dieſe einzig ſeinem Genius verdankte, und dem Orte, an welchem er ſeine Jugend verlebte.

Jm Knabenalter ſchon erwarb der junge Hol - bein durch Fleiß, Talent und hohes Gelingen, auf der von ihm betretnen Bahn ſich allgemeine Bewun - derung. Wie ſehr er dieſe verdiente, zeigen die von ihm im Jahr 1512, wo er vierzehn Jahre alt war, nach dem Leben gezeichneten Bildniſſe ſeines Vaters und ſeines Oheims, welche Sandrart, der92 dieſe Zeichnungen beſaß, im zweiten Theil ſeiner deutſchen Akademie in Kupfer ſtechen ließ.

Holbeins immer herrlicher ſich entfaltendes Ta - lent erwarb ihm ſchon früh in Baſel einen bedeu - tenden Namen, doch wußte er es auch zuweilen auf eine Weiſe zu üben, die von unſeren jetzigen Anſichten der Kunſt ſehr abweicht. Jn jener, an bedeutenden, ruhmwürdigen Meiſtern ſo überreichen Zeit, pflegte man ſogar auch die Außenſeite ge - wöhnlicher Bürgerhäuſer durch ihre Kunſt zu ſchmücken, was jetzt den Tünchern überlaſſen bleibt, und Hans Holbein mußte ſich auch hiezu in ſeiner Jugend bequemen. Der Einfluß der Witterung zerſtörte dieſe Kunſtwerke natürlicherweiſe im Laufe weniger Jahre; nur trübe, halb verloſchne Über - reſte und die Sage haben ihr ehemaliges Daſeyn bis auf uns gebracht. Als ausgezeichnet vortreff - lich wurde ein Bauerntanz von Holbeins Zeitgenoſſen ſehr bewundert, den er auf dieſe Weiſe an die Mauer eines am Baſeler Fiſchmarkt belegnen Eck - hauſes gemalt hatte; doch ſowohl von dieſem, als von Holbeins berühmtem Todtentanz, den er in93 dem Jnnern der nach Schweizerart über die große Brücke angebrachten hölzernen Bedachung malte, iſt uns nur die Kunde nebſt einigen nach dieſen Gemälden verfertigten Holzſchnitten geblieben.

Dennoch bewahrt die Bibliotheck der Stadt Baſel noch immer einen ſehr bedeutenden Schatz an Porträten, hiſtoriſchen Gemälden und Zeichnungen von Holbeins Hand; ihre Zahl iſt zu bedeutend um ſie hier alle aufzuführen, und jedes an ſich zu vor - trefflich um eine Auswahl zu machen. Als die Krone von Allen werden indeſſen allgemein acht kleine Ölgemälde anerkannt; ſie gehören zu einan - der und ſtellen Scenen aus der Paſſionsgeſchichte dar. Alle ſind höchſt vollendet in der Ausführung, dabei lebensreich, ausdrucksvoll, groß und edel gedacht; unerachtet des kleinen Raums der ſie be - ſchränkt, bilden ſie für ſich allein eine Gallerie, von der man nur mit Mühe ſich wegwenden mag, und in der man bei längerer Betrachtung immer neue Schönheiten entdeckt.

Jm häuslichen Leben war Holbein anfangs nicht glücklicher als ſein großer Zeitgenoſſe Albrecht94 Dürer. Wie dieſer hatte auch er ſehr jung ſich verheirathet, und ſeine Wahl war unglücklicher - weiſe auf eine Frau gefallen, deren zankſüchtiges bößartiges Weſen ſeine Tage verbitterte. Vielleicht wäre auch er in dieſem traurigen Verhältniß zu Grunde gegangen, aber das Schickſal erbarmte ſich ſein, und führte ihm einen Freund zu, deſſen Rath und thätige Hülfe ihn veranlaßte, ſich bald wieder von dieſen unwürdigen Feſſeln zu befreien.

Der berühmte Erasmus von Rotterdam, wel - cher damals in Baſel ſich niedergelaſſen hatte, war dieſer Freund, der frühe ſowohl des jungen Künſtlers hohes Talent, als ſein trauriges Leben erkannte, und ihn beredete, nach England zu reiſen. Er ſelbſt hatte lange Zeit in dieſem Lande gelebt und dort be - deutende Verbindungen geſchloßen, die ihn in den Stand ſezten, Holbeins erſtes Auftreten daſelbſt mächtig zu begünſtigen.

Die Vorbereitungen zu dieſer Veränderung ſeines Wohnorts begann Holbein damit, daß er das Bild ſeines edlen Freundes malte. Er wandte alle ſeine Kunſt daran, es zu einem Meiſterwerk zu er -95 heben, und es gelang ihm in ſo hohem Grade, ſo - wohl in Hinſicht der Ähnlichkeit als der Ausführung, daß Erasmus die glänzendſten Hoffnungen für die Zukunft des Meiſters darauf baute, der Solches vermocht. Ausgeſtattet mit dieſem Gemälde, und einem Briefe an den Großkanzler Thomas Morus, Erasmus vertrauteſten Freunde, dem das Bild zum Geſchenk beſtimmt war, reißte Holbein nach London, gerade zum Großkanzler hin. Der Brief des Erasmus war allerdings darauf eingerichtet Holbeins Ver - dienſte im glänzendſten Lichte zu zeigen, indem er den jungen Künſtler ſogar über Albrecht Dürer erhob, deſſen Zeichnung, wie Erasmus verſicherte, mit dieſem Gemälde, ſogar in Hinſicht der Ähnlichkeit, durchaus nicht zu vergleichen ſey.

Holbein, der Brief und das Bild fanden bei Thomas Morus die freundlichſte Aufnahme, vor allem lezteres, deſſen ſeltne Vortrefflichkeit den Großkanzler zu dem Entſchluß bewog, den Meiſter ſogleich bei ſich in ſeinem Hauſe zu behalten. Drei Jahre lang lebte Holbein daſelbſt aller Welt unbe - kannt und in tiefer Verborgenheit, beſonders durfte96 König Heinrich der achte von ſeinem Daſeyn nichts erfahren, weil Thomas Morus überzeugt war, daß dieſer einen Meiſter ſolcher Art nicht lange in ſeinem Dienſt laſſen würde. Holbein war damit wohl zu - frieden, er freute ſich der ſorgloſen Exiſtenz, und wendete alle ſeine Zeit für ſeinen hohen Beſchützer und ſeine Kunſt an. Mit Luſt und Freude malte er in lang entbehrter Ruhe den Großkanzler, deſſen Gemahlin, Verwandte und Freunde; auch gingen mehrere hiſtoriſche Gemälde, nach des Großkanz - lers eigner Angabe, aus der ſtillen Werkſtatt her - vor, ſo daß dieſer, nach Verlauf der drei Jahre, ſich einer Reihe von Meiſterwerken erfreute, deren Beſitz ihn mit jedem Tage mehr entzückte.

Jezt endlich dünkte es ihm Zeit, den ſeltnen Meiſter ans Licht treten zu laſſen, deſſen Daſeyn er ohne Ungerechtigkeit gegen ihn und den König nicht länger verborgen halten zu können glaubte. Er lud zu dieſem Zweck den König und den ganzen Hof zu einem großen Feſte ein, und führte dann ſeine Gäſte in einen Saal, wo Holbeins Ge - mälde alle, nach der Reihe geordnet, im höchſten97 Glanz ihrer friſchen Farbenpracht ihnen entgegen leuchteten.

Der König ſtaunte beim Anblick ſo vieler Mei - ſterwerke eines ihm ſogar dem Namen nach unbe - kannten Künſtlers. Er wanderte unermüdet von einem zum andern, überall traten Bekannte ihm wie lebend aus dem Rahmen entgegen. Die Wahr - heit, die Wärme des Kolorits, der Ausdruck der verſchiedenartigſten Köpfe ſetzten ihn in immer neues Erſtaunen. Die Anmuth der ſchönen Frauen, die er hier dargeſtellt ſah, entzückte ihn. Der Sammet, der Atlas, der Schmuck, die goldnen Stickereien glänzten ihm wie in der Wirklichkeit entgegen, er war außer ſich vor Freude und Bewunderung.

Mit ächt hofmänniſcher Geſchmeidigkeit bot jetzt Thomas Morus ſeinem Könige alle dieſe Gemälde zum Geſchenke, und der Erfolg dieſer anſcheinenden Freigebigkeit, die natürlicher Weiſe abgelehnt ward, entſprach vollkommen ſeiner Er - wartung, denn der König fragte nur nach dem Meiſter, der ſo Großes vermochte, und äußerte laut den Wunſch, dieſen Mann in ſeinem DienſteII. Bd. 798zu wiſſen. Holbein ward aus ſeiner beſcheidnen Entfernung herbei gerufen, und war von dieſem Tage an nicht nur der Hofmaler des Königs, ſon - dern auch ſein Günſtling, um den alle Großen und Vornehmen des Reichs ſich drängten. Von nun an gab es keine ſchöne reiche Frau mehr in England, die nicht von ihm gemalt ſeyn wollte; die vornehm - ſten Familien ſtritten ſich um die Ehre ihm zu ſitzen, und auch ſeine hiſtoriſchen Gemälde wie ſeine Hand - zeichnungen wurden mit Guineen aufgewogen. Noch bis dieſen Tag werden ſeine Werke von den reichen Engländern als der ſchönſte Schmuck ihrer Palläſte und Kunſt-Sammlungen betrachtet, die ganze Nation hat ſich gewöhnt, ihn, der ſo lange in ihrer Mitte lebte, als ihr ausſchließendes Eigenthum zu betrach - ten, und ſeinen deutſchen Urſprung zu vergeſſen, dem er eigentlich doch ſeine Kunſtbildung verdankte.

Daß er unzählige Aufträge des Königs voll - führen mußte, die dieſer auf das Freigebigſte be - lohnte, bedarf wohl keiner beſondern Erwähnung. Oft malte er ihn ſelbſt im königlichen Schmucke nach dem Leben, auch mußte er mit Waſſerfarben die99 Wand eines Saales in dem jetzt zerſtörten Pallaſt von Whitehall mit allegoriſchen Darſtellungen ſchmücken, die jetzt leider nicht mehr ſind. Sie ſtellten die Triumphzüge des Reichthums und der Armuth in zwei ſehr großen Kompoſitionen dar, voll allegoriſcher Perſonen, nach dem damals immer mehr ſich verbreitenden Geſchmack. Auch malte er in Öl mehrere große Darſtellungen öffentlicher Ver - handlungen, in welchen er die Porträte der merk - würdigſten anweſenden Perſonen nach dem Leben anbrachte, eine Art von Verewigung des Moments, welcher die engliſche Nation noch in dieſem Augen - blick ſehr zugethan iſt.

Holbeins unermüdlicher Fleiß, beſonders wenn man die, bis in die kleinſten Einzelheiten aus - geführte Vollendung ſeiner Gemälde betrachtet, gränzte an das Unglaubliche, dazu malte er, wie man behauptet, ſtets mit der linken Hand. Außer ſeinen vielen Gemälden in Öl und in Waſſer - farben zeichnete er auch noch Vieles, ſelbſt für Goldſchmiede, Formſchneider und Kupferſtecher. Er erwarb ſich auf dieſe Weiſe ein ſehr bedeutendes7 *100Vermögen, und ſtand überall in Ehre und An - ſehen.

Wie hoch der ſonſt gegen alle Welt übermüthige und tyranniſche Heinrich der achte den Meiſter ſchätzte, davon erfuhr ein vornehmer Pair des Reichs einen ſehr unangenehmen Beweis, den ich indeſſen, ſo bekannt die Geſchichte auch iſt, hier nicht über - gehen darf.

Holbein hatte, wie alle Portraitmaler, zu - weilen Bildniſſe zu malen, die er als ein Geheim - niß behandeln und jedem dazu unberufnen Auge verbergen mußte. Er war einſt gerade mit einer ſolchen Arbeit beſchäftigt, als ein junger Lord bei ihm Zutritt verlangte, um ſeine Werkſtatt zu ſehen. Holbein trat ihm ganz höflich auf dem Vorplaz ent - gegen und bat ſich zur gelegneren Stunde die Ehre von ihm aus, Mylord hingegen meinte, jede ihm ſelbſt beliebige Zeit ſey gerade die gelegne. Hol - bein proteſtirte gegen dieſe Behauptung, anfangs ziemlich gelaſſen, hernach heftiger, der Streit er - hitzte ſich von beiden Seiten, und da Mylord end - lich mit Gewalt die Treppe zur Werkſtatt hinauf101 wollte, faßte der Maler ihn beim Kragen, und warf ihn ſo unſanft hinab, daß er ſeiner unten - ſtehenden erſchrocknen Dienerſchaft mit einem Schrey des Schmerzes vor die Füße fiel.

Mit einem Blick überſah Holbein das Unheil welches er geſtiftet, nebſt allen, für ihn möglicher Weiſe daraus entſtehenden Folgen. Übrigens be - dachte er ſich nicht lange, ſondern ſtieg eilends die Treppe hinauf, zu einem Dachfenſter heraus, und ſuchte ſeinen Weg über die Dächer.

Die Diener des Lords waren noch lange um ihren jämmerlich zugerichteten Herrn beſchäftigt, als Holbein ſchon athemlos vor ſeinem Könige ſtand, und deſſen Vergebung erbat, ohne ihm indeſſen ſein Vergehen zu nennen bis er derſelben gewiß war. Nach angehörtem Bekenntniß erfolgte freilich eine tüchtige Strafpredigt, und ſehr ernſtliche Er - mahnungen zur künftigen beſſern Mäßigung in ähn - lichen Fällen, doch wies ihm der König auch zu - gleich ein Nebenzimmer an, wo Holbein die Been - digung der Geſchichte abwarten ſollte.

Jetzt kam der Lord, von zwei ſeiner Diener102 geführt, und, vielleicht etwas mehr als nöthig, mit Pflaſtern und Bandagen bedeckt. Kläglich und zornig zugleich klagte er den Frevler an, und drang auf deſſen ſchleunige Beſtrafung; doch entging Heinrich dem Achten nicht, wie der Kläger ſorgfäl - tig jeden Umſtand wegließ, der zur Entſchuldi - gung des Malers dienen konnte. Der König hörte deshalb den edlen Lord mit einer Gelaſſenheit an, die dieſer nicht erwartet hatte, und die ihn ſo empörte, daß er zuletzt die Mäßigung gänzlich ver - gaß, welche die Gegenwart ſeines Herrn ihm auf - legen mußte. Er begann mit eigenmächtiger Rache dem Thäter zu drohen, indem er laut ausſprach, daß er wohl ſähe, wie wenig die Majeſtät geneigt ſey, ſelbſt die gerechte Strafe über ihn ergehen zu laſſen.

Jetzt ergrimmte der König, beſchuldigte den Lord eines Eingriffs in ſeine geheiligten Rechte, und endete zuletzt mit der Verſicherung: der Streit gelte nicht mehr dem Maler, ſondern ſeiner eignen geheiligten Perſon. Meint Jhr denn, ſprach er, faſt wie Kaiſer Maximilian zu dem Edelmann,103 der ſich weigerte Albrecht Dürern die Leiter zu

halten; Meint Jhr denn, ein Meiſter wie Hol - bein ſey ſo unbedeutend? Bringt mir ſieben Bauern, und ich mache euch, wenn ich will, in einer Viertelſtunde ſieben ſolche Grafen, wie Jhr ſeyd, daraus; aber aus ſieben ſolcher Grafen vermag ich nimmermehr nur einen einzigen Hans Holbein zu ſchaffen.

Die ganze komi-tragiſche Geſchichte endete zu - letzt mit dem heiligen Verſprechen des Lords an dem Maler weder perſönliche Rache ſelbſt zu nehmen, noch durch Andere nehmen zu laſſen, und mit des Königs ſehr ernſtlicher Verſicherung, daß er jede, Holbein zugefügte Beleidigung, als ihm ſelbſt widerfahren, aufnehmen und beſtrafen würde. Wie höflich ſich in der Folge der ganze hohe und niedere Adel von England gegen Holbein betrug, iſt leicht zu erachten, und gewiß hat keiner mehr gegen deſſen Willen ſich in ſeine Werk - ſtatt zu drängen geſucht.

Bei aller dieſer Huld und Gnade des Mo - narchen war Holbeins Exiſtenz an dieſem Hofe104 doch gewiß nicht durchaus erfreulich. Die Ent - fernung allein, in welcher er von politiſchen und Hofhändeln ſich hielt, konnte Leben und Freiheit unter dem Scepter dieſes furchtbaren Despoten ihm friſten, dem er freilich Alles verdankte, von dem aber die Gräuel, die dieſer täglich unter ſeinen Augen verübte, ihn dennoch gewaltſam zu - rückſchrecken mußten. Er ſah ein ganzes Land unter den Bedrückungen des grauſamſten engher - zigſten und blutdürſtigſten Wollüſtlings erliegen. Tauſend blutige Verbrechen ſeines Beſchützers gingen an ihm vorüber. Er ſah ſeinen edlen Freund, Thomas Morus, den Gründer ſeines ganzen Glücks, zum Blutgerüſte ſchleppen, ſah Anna Bo - leyns ſchönes Haupt, deſſen edle Züge er kurz zuvor mit Aufwand aller ſeiner Kunſt in der vollen Glorie einer Königin der Nachwelt überliefert hatte, unter dem Beile des Henkers fallen. Auch Katharina Howard ging vor ſeinen Augen den nämlichen Weg, vom Throne zum Schaffot; jeder Tag brachte neues Entſetzen, neue Schlachtopfer, neue Thränen, bis der königliche Mißethäter unter105 den entſetzlichſten Qualen des endlich erwachten Gewiſſens im Jahr 1547 ſo ſchrecklich endete wie er gelebt hatte. Sieben Jahre ſpäter, während welchen Holbein ruhig in London fortlebte, wan - delte im Jahr 1554 eine furchtbare peſtartige Krankheit die ganze lebensreiche Stadt zur ſchrek - kenvollſten Einöde um. Tauſende fielen ihr zum Opfer, und unter ihnen auch, im ſechs und ſech - zigſten Jahre ſeines Lebens, der edle Meiſter Hans Holbein ſelbſt. Wahrſcheinlich ſtarb er ver - laſſen und allein, in einer Zeit, wo die allge - meine entſetzliche Noth alle Bande auflöſ’te, und Jeder nur ſich ſelbſt zu retten bedacht war. Sein entſeelter Körper ward mit andern an der Peſt Verſtorbnen in eines jener weiten Gräber geworfen, die damals immer offen ſtanden, ohne Unterſchied Alle aufnahmen, und Niemand weiß den Ort wo ſeine Gebeine ruhen.

Graf Arundel war zu Anfange des ſiebzehn - ten Jahrhunderts einer der wärmſten Verehrer der Kunſt, beſonders aber Holbeins, deſſen Werke,106 ſowohl Zeichnungen als Gemälde, er mit großem Aufwande von Mühe und Koſten ſammlete. Dieſer wünſchte dem großen Meiſter ein würdiges Denk - mal an der Stätte, wo er begraben ward, zu ſetzen. Doch vergebens ſtellte er die mühſamſten Nachforſchungen an, der durch Holbeins Staubge - geheiligte Ort bleibt ewig verborgen.

Holbeins Gemälde ſind zu allgemein bekannt und bewundert, als daß ich hier viel zu ihrem Lobe oder zu ihrer Charakteriſtik ſagen dürfte. Was er war, noch ehe er Baſel verließ, beweiſ’t ſein Gemälde, auf welchem er in unausſprechlicher Anmuth und Hoheit die Madonna darſtellte, zu ihren Füßen den Burgermeiſter von Baſel, als Stifter des Gemäldes, neben ſeiner Hausfrau und ſeinen blühenden Söhnen und Töchtern. Wer kennt nicht dieſes Bild als eines der herrlichſten Kleinode der Dresdner Gallerie, wenigſtens aus Kupferſtichen! Keines von Allen die ich in England von ihm ſah, übertrifft dieſes an Wahrheit, Aus - druck, und Ausführung. Als vollendeter Meiſter107 kam er zu den Britten hinüber; er iſt unſer, das dürfen wir mit Stolz und Gewißheit be - haupten.

Von ſeinen vielen Porträten bewahrt die Boiſſeréeſche Sammlung eines der allervortreff - lichſten; es lebt und blickt uns an mit unaus - ſprechlicher Wahrheit. Der Gegenſtand deſſelben iſt der nämliche Erzbiſchof von Palermo, deſſen Bildniß Johannes Sekundus ſeinem Freunde Scho - reel, als einen Beweis ſeines Fortſchreitens in der Kunſt der Bildnerei aus Jtalien ſchickte. Dieſer Erzbiſchof hieß Johann von Carandolet, war aus Brügge gebürtig, und lebte als Kanzler von Flandern und Mitglied des hohen Raths zu Mecheln in den Niederlanden. Er war einer der vertrauteſten Freunde des Erasmus von Rotter - dam, ein Umſtand, der gewiß den dieſem ſo er - gebnen Hans Holbein vermochte ſein Bild mit ſo großer Liebe und Sorgfalt auszuführen, der aber auch zugleich beweiſ’t, daß es ebenfalls vor ſeiner Reiſe nach England vollendet ward.

Überhaupt iſt wohl wenig von ſeinen in jenem108 Lande vollendeten Meiſterwerken zu uns über das Meer gelangt, denn Jedermann weiß, wie die Eng - länder alle ihre Schätze jeder Art gern für ſich allein zu behalten pflegen.

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Lukas Kranach.

Dieſer berühmte alte Meiſter ward in Kranach, einem fränkiſchen, zum ehemaligen Bißthume Bam - berg gehörenden Städtchen, im Jahr 1472 ge - bohren. Sein Familien-Name war Müller, oder, wie Andere nach alten Handſchriften behaupten wollen, Sünder; beide Namen ſind jedoch ſo gänz - lich in dem untergegangen, welchen er nach dama - ligem Künſtlergebrauch von ſeinem Geburts-Ort annahm, daß es ſehr ſchwer hält zu entſcheiden, ob er eigentlich Müller oder Sunder geheißen.

Von ſeinem Vater erhielt Lukas Kranach den erſten Unterricht in der Kunſt, hauptſächlich im Zeich - nen, dann trat er die Wanderjahre an, und zog, wie damals faſt alle angehenden Maler, nach den Niederlanden. Wer eigentlich dort ſein Lehrer geweſen, iſt nicht bekannt, wahrſcheinlich waren es mehrere, und er bereiſete nach einander viele Städte, und ſuchte Eingang in den überall durch die Niederlande zerſtreuten Werkſtätten der be - rühmteſten Maler ſeiner Zeit.

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Nach Vollendung ſeiner Wanderjahre kehrte er zurück ins Vaterland, wo er bald darauf in Wit - tenberg ſich häuslich niederließ. Er hatte die von Johann van Eyck auf die Meiſter der altdeut - ſchen Schule vererbte Behandlung der Farben, und überhaupt alle techniſchen Vorzüge derſelben, in ſofern ſie auf die Führung des Pinſels Bezug haben, ſich zu eigen gemacht, und übte von nun an ſeine Kunſt, zur Freude und Bewunderung ſeiner Mitbürger, unter denen ſein edler Geiſt, ſeine ſeltne Güte bei großer Feſtigkeit des Charak - ters ihm allgemeine Achtung und Liebe erwarben.

Seine Frau, mit der er ſich bald nach ſeiner Zurückkunft aus den Niederlanden verheirathete, hieß Barbara, und war die Tochter eines Bürger - meiſters von Gotha, Namens Brengbier. Gegen die gewöhnliche Art der Maler, hatte er ſich bei der Wahl einer Gattin nicht durch den Glanz äußerer Schönheit leiten laſſen. Man ſagt, ſeine Barbara ſey ſo wenig hübſch geweſen, daß er ſich nie entſchließen mochte ſie ſo zu malen, daß man ihr Geſicht ſehen konnte; dennoch lebte er mit ihr in111 zufriedner, glücklicher Ehe, deren Band die Geburt und Erziehung von zwei Söhnen und zwei Töchtern mit jedem Jahre feſter knüpfte.

Friedrich der Weiſe, welcher im Jahre 1502 die jetzt aufgehobene Univerſität zu Wittenberg ſtiftete und deshalb dieſer Stadt ſeine beſondere Aufmerkſamkeit ſchenkte, konnte natürlicher Weiſe einen Meiſter wie Lukas Kranach war, nicht über - ſehen. Er überhäufte ihn mit Beweiſen ſeiner Huld, übertrug ihm die Stelle eines Hofmalers, und um ihn noch auffallender zu ehren, berechtigte er ihn im Jahr 1508 vermittelſt eines Adelbriefs, das Wappen zu führen, welches ſeitdem faſt alle Ge - mälde Lukas Kranachs bezeichnet; eine ſchwarze roth gekrönte Schlange im gelben Schilde, mit einem goldnen Rubinringe im Munde. Das Original dieſer Urkunde bewahren die im Brandenburgiſchen lebenden Nachkommen Lukas Kranachs noch bis auf den heutigen Tag. Jm Sommer des Jahres 1509 beſuchte Lukas Kranach auf Befehl ſeines Herrn zum zweitenmale die Niederlande, wo er in Mecheln den nachmaligen Kaiſer Karl den fünften als damals112 neunjährigen Prinzen malte, und überall wegen ſeiner großen Kunſtfertigkeit Achtung und Bewun - derung ſich erwarb. Unter andern zeichnete er einſt im Beiſeyn mehrerer Künſtler den Kaiſer Maximi - lian mit einem Stück Kohle ſo ſprechend ähnlich auf die Wand hin, daß Alle, auch die welche den Kaiſer nur einmal geſehen, ihn ſogleich wieder erkannten. Dieſe durch unermüdeten Fleiß erworbne Fertigkeit, jede von ihm aufgefaßte Jdee ſchnell in die Wirklichkeit treten zu laſſen, war überhaupt eine der ausgezeichnetſten Eigenſchaften Lukas Kra - nachs. Bis in ſein ſpäteſtes Alter verwendete er daheim wie auf Reiſen, beinahe jede Stunde ſeines Lebens, auf Übung ſeiner Kunſt. Was er einmal geſehen, hielt ſeine Einbildungskraft auf immer feſt, und ſeine fertige Hand ſtellte es in unglaub - lich kurzer Zeit auf die Tafel hin. Selbſt wenn er nicht malte beſchäftigten Entwürfe zu künftigen Arbeiten ſeinen Geiſt, daher iſt die Zahl derſelben faſt unüberſehbar; ſie beſchränken ſich nicht auf Gemälde oder Zeichnungen; Lukas Kranach ſtach auch in Kupfer, und man zählt daneben noch an113 dreihundert Blätter, die er, mitunter recht ſauber und kräftig, in Holz ſchnitt. Er ſchmückte mehrere auf Pergament abgedruckte Bibeln mit ſolchen Holz - ſchnitten, die er hernach mit Gold und ſehr leb - haften Farben ausmalte. Seine große Thätigkeit erleichterte ihm Alles und ſchuf ihm Zeit zu Allem was er unternehmen wollte.

Wir finden in Müllers ſächſiſchen Annalen, zu denen der Verfaſſer den Jnhalt vieler Archive durch - ſuchen mußte, daß Lukas Kranach den Kurfürſten Friedrich den Weiſen auf ſeiner Wallfahrt nach dem gelobten Lande als Hofmaler begleitete, um ſo - wohl unterwegs als in Jeruſalem die merkwürdig - ſten Gegenſtände zu zeichnen; doch wird dieſe Reiſe wieder dadurch etwas zweifelhaft, daß in dem Ver - zeichniſſe derer, welche den Kurfürſten auf ſeiner Wallfahrt begleiteten, Lukas Kranachs Name nicht zu finden iſt, und man nirgend eine Spur ſeiner Arbeiten während derſelben antrifft. Das Gefolge des Kurfürſten war indeſſen ſehr groß; es beſtand aus acht Grafen, fünf und dreißig Edelleuten, neun Prälaten, Gelehrten und Geiſtlichen, ohne dieII. Bd. 8114Diener; da konnte der Name des einzelnen Malers wohl übergangen werden, der dennoch ſchwerlich in einem ſo fürſtlichen Zuge fehlen durfte. Seine während der Reiſe gefertigten Zeichnungen liegen wahrſcheinlich noch irgendwo in Staub und Dunkel verborgen, und vielleicht gelingt es einſt dem jetzt überall regen Forſchungsgeiſte, ſie wieder aufzufin - den, oder überhaupt uns über die Reiſe ſelbſt auf - zuklären.

Jm Jahr 1519 wurde Lukas Kranach die ehrenvolle Stelle eines Bürgermeiſters von Witten - berg übertragen, die er neben ſeinen Kunſtbeſchäf - tigungen, zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltete, bis er einige Jahre vor der Belagerung der Stadt aus eignem Antrieb ſie niederlegte. Wahrſcheinlich ſchloß ſich auch damals das feſte Band inniger Freund - ſchaft, das ihn von nun an lebenslang mit Martin Luther vereinte, der in jener Zeit muthig und kraft - voll den großen Kampf öffentlich begann. Lukas Kranach war der Vertraute aller Pläne und Hand - lungen dieſes heldenmüthigen Geiſtes, er vor Allen beförderte durch Rath und That Luthers Verbin -115 dung mit Katharina von Bora, und war auch bei der Verlobung und Vermählung dieſes ſeltnen Paares als Zeuge zugegen. Luther hingegen nahm dafür auch ſeinerſeits den herzlichſten Antheil an allen trüben und freudigen Ereigniſſen in Lukas Kranachs häuslichem Leben; ſein Zuſpruch war dem gebeug - ten Vater vor Allem tröſtlich, als Johann, Lukas Kranachs älteſter Sohn, im Jahr 1536 in Jtalien ſtarb, wohin er nach damaligem Gebrauch auf eine der dortigen hohen Schulen geſandt worden war. Und ſo ſtrebten beide edle Männer einander gegen - ſeitig in den Stürmen des Lebens aufrecht zu erhal - ten. Jn der Entfernung ſuchten ſie durch vertrau - ten Briefwechſel in ununterbrochener Verbindung zu bleiben, und immer fand jeder den andern zu größern oder kleinern Dienſtleiſtungen in freudiger Bereitſchaft. So zum Beiſpiel verſchaffte Lukas Kranach Martin Luthern aus dem kurfürſtlichen Schatze alle Gattungen farbiger Edelſteine zur An - ſicht, deren dieſer bei ſeiner Überſetzung der Offen - barung Johannis bedurfte und die er nachher wieder nach Altenburg zurückſchickte.

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Nichts hat Lukas Kranach ſo oft mit ſolcher Liebe und mit ſo hohem aus dieſer hervorgehendem Gelingen gemalt, als Martin Luthers kräftige Hel - dengeſtalt. Bald ſtellte er ihn in voller Lebensgröße, bald in Öl-Miniatur dar, am öfterſten mit der Bibel in der Hand und im Prieſtergewande, das er trug, nachdem er dem Mönchthum entſagt hatte, doch hat er ihn auch in der Mönchskutte, oder als Ritter Jörgen, in der Tracht die er auf der Wartburg trug, mitunter gemalt.

Nach dem im Jahr 1525 erfolgten Tode Friedrichs des Weiſen behielt deſſen Nachfolger, Johann der Beſtändige, den Hofmaler Lukas Kra - nach in ſeinem Dienſt. Dieſer Fürſt hatte ihn von jeher begünſtigt und auch ſchon früher zu ſeiner Sendung in die Niederlande mitgewirkt. Er ſtarb ſieben Jahre nachdem er Kurfürſt geworden war, im Jahr 1532, und nun trat Lukas Kranach in den Dienſt ſeines dritten Herrn, des Kurfürſten Johann Friedrich des Großmüthigen, dem er von nun an ſein ganzes Leben hindurch mit faſt beiſpiel - loſer Liebe und Treue anhing, und den er ſelbſt im117 tiefſten Unglück, als alle ſeine Getreuen ſich von ihm abwendeten, nimmer verlies.

Jedermann kennt das traurige Geſchick jenes unglückſeligen Fürſten. Als Johann Friedrich nach der Schlacht bei Mühlberg im Jahr 1547 gefan - gen war, und Kaiſer Karl nun Wittenberg belagerte, verlangte Lukas Kranach vor dieſen geführt zu werden. Karl der fünfte ließ den Maler, den er wohl kannte, in ſein Zelt bringen, unterhielt ſich eine Zeit lang ſehr gnädig mit ihm, indem er ſich zugleich erinnerte, als achtjähriges Kind in den Niederlanden von ihm gemalt worden zu ſeyn, und forderte ihn zuletzt auf, ſich eine Gnade von ihm zu erbitten.

Da fiel der ehrwürdige fünf und ſiebzigjährige Greis, der wohl noch nie anders als vor Gott ge - knieet hatte, vor dem Kaiſer hin, und bat mit heißen Thränen um die Freiheit ſeines gefangenen Fürſten. Du ſollſt erfahren, daß ich deinem Herrn Gnade widerfahren leſſen werde, erwiederte Karl der fünfte ſehr gleichmüthig, und wandte ſich ab.

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Wie kaiſerlich Karl Wort hielt, weiß die Welt. Der unglückliche Kurfürſt wurde von einem Gericht, bei welchem der furchtbare Herzog Alba den Vorſitz hatte, zum Tode verurtheilt; er mußte die Schmach erdulden, begnadigt zu werden, und wurde dann fünf Jahre lang in ſchmählicher Gefan - genſchaft von Land zu Land geſchlept, bis es gelang, ſein hartgebeugtes Gemüth zur Entſagung des ihm und ſeinen Kindern angebornen Rechtes zu bewegen. So mußte er denn Leben und Freiheit endlich durch ein Opfer erkaufen, das ihm gewiß härter ſchien als der ihm angedrohte Tod auf dem Schaffot, den man ihm zu geben nicht wagen durfte, und deſſen Ankündigung er früher beim Schachſpiel mit großem Gleichmuth angehört hatte. Dem Maler Lukas Kranach blieb der Kaiſer nach wie vor in Gnaden gewogen, doch dieſer mochte von einer ſolchen Huld keinen Gebrauch machen. Er ſchlug die Stelle eines kaiſerlichen Hofmalers aus, die ihm geboten wurde, und als Karl der fünfte ihm eine ſilberne Schüſſel voll Dukaten zum Geſchenk überſandte, nahm er nur ſo viel davon als er mit119 zwei Fingern faſſen konnte, und ſchickte das Übrige zurück.

Jn ſeinem hohen Alter verließ Lukas Kranach Alles, was er in der Welt beſaß, um freiwillig das Gefängniß ſeines unglücklichen Herrn mit dieſem zu theilen. Seine Frau war ſchon vor ſechs Jahren geſtorben, aber er hatte in Wittenberg Kinder und Enkel, Freunde und Verwandte, Haus und Hof. Alles dieß achtete er nicht, ſein ganzes Leben war jetzt einzig dem Beſtreben geweiht, das unglückliche Loos des von Allen verlaßnen Kurfürſten nach Kräf - ten zu erleichtern. Er verließ ihn von nun an nie, ließ ſich mit ihm von einem Gefängniß zum andern ſchleppen, betete mit ihm, las mit ihm die Bibel oder Luthers Schriften, und führte ihn in heitern Stunden durch Übung ſeiner Kunſt weit über die beengenden Mauern hinaus, die Beide umſchloſſen hielten. So führten ſie ihr ſtilles frommes trübes Leben unzertrennlich mit einander fort, bis im Jahr 1552 ihr Kerker geöffnet ward und Lukas Kranach an der Seite ſeines fürſtlichen Freundes und deſſen älteſten Sohnes in Weimar einzog.

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Doch nur ein Jahr genoß er noch das theuer erkaufte Glück, ſeinen geliebten Herrn in Freiheit zu ſehen, und in ſeiner Nähe, von Allen geehrt und geliebt wie er es verdiente, zu leben. Ein lebens - müder, aber noch kräftiger Greis von ein und achtzig Jahren, ging er am ſechzehnten October des Jahres 1553 in eine beßre Welt.

Er ward auf dem Gottesacker der Sanct Jakobs-Kirche in Weimar begraben. Der Leichen - ſtein, mit dem ſein Fürſt den Hügel bezeichnete, unter dem ſeine Gebeine ruhen, ſteht jetzt neben demſelben der Kirchhofsmauer eingefügt. Der alte Meiſter iſt in Lebensgröße, die Palette in den Händen, darauf abgebildet, und eine lateiniſche Um - ſchrift verkündet ſeinen Namen, ſein Alter, ſein Sterbejahr, und die wohlerworbne Liebe ſeines Herrn, der wenige Monate ſpäter im nächſtfolgen - den Jahre mit ihm dort wieder vereint ward, wo keine Thränen Unterdrückter mehr fließen.

Lukas Kranachs ſeltne Treue und Feſtigkeit des Gemüths, ſein reines fleckenloſes Leben, machen ihn, ſelbſt abgeſehen von allem Übrigen, der innig -121 ſten Verehrung ſeiner Nachkommen werth, und auch ſeinen wohlerworbnen Künſtlerruhm wird Nie - mand wagen ihm ſchmälern zu wollen. Dennoch fühlt Jeder, der ſeine Gemälde und die ſeiner großen Vorfahren kennt, daß es wahrhaft ſchmerzlich ſeyn müßte, ſie neben denen van Eycks, Hemlings, oder auch ſeines Zeitgenoſſen Schoreels aufgeſtellt zu erblicken, und zwar um ſo ſchmerzlicher, da Nie - mand ſein großes Talent neben dem ernſten, zum Theil auch gelungnen Beſtreben verkennen kann, gleich jenen an Natur und Wahrheit feſt zu halten. Aber ihm fehlte, bei auffallendem Mangel an Kennt - niß der Perſpektive, jene hohe poetiſche Begeiſterung, jenes innere Vermögen, ein Werk, ehe es nur noch im Kontur auf der Tafel ſteht, im Geiſte als vollen - det zu überſchauen. Und durch dieſes allein nur kann ein vollkommnes lebendiges Ganze hervor - gebracht werden, das uns mit täuſchender Wahr - heit in die Mitte der Handlung verſetzt, welche wir dargeſtellt ſehen. Alle Geſtalten Lukas Kranachs ſtehen im hellſten Licht, die wenigen Schatten, die er als unvermeidlich anbringen mußte, ſind oft un -122 richtig angegeben, und ſeine Gemälde machen des - halb ſelten eine gefällig-maleriſche Wirkung; auch war er in der Wahl ſeiner Motive nicht glücklich, und wich oft in dieſer von der Bahn des guten Ge - ſchmacks ab. Dennoch war er keinesweges arm an Erfindungsvermögen, wie aus den Stellungen und den naturgetreuen Bewegungen der mehrſten ſeiner Figuren hervorgeht. Seine Umriſſe ſind mehr ſtreng und pünktlich als richtig zu nennen, denn er wandte während der Arbeit ſeine Aufmerkſamkeit mehr der Ausführung einzelner Theile als der Darſtellung eines harmoniſchen Ganzen zu. Daher haben faſt alle Köpfe, die er malte, etwas Verſchobnes, ob - gleich jeder Theil derſelben einzeln betrachtet mit muſterhafter Treue der Natur nachgebildet erſcheint.

Jn der Behandlung der Farben, die er in den Niederlanden erlernt hatte, erſcheint er allerdings als einer der vorzüglichſten Meiſter; dieſe glänzen noch in einer, durch die Zeit unverminderten Schön - heit, friſch und lebendig. Nirgend erſcheinen ſie zu ſtark aufgetragen, und bei der allerforgfältigſten Ausführung, auch der kleinſten Einzelheiten, tritt123 auf keinem ſeiner Gemälde ängſtlicher Fleiß oder gezwungene Mühſeligkeit hervor. Sein Kolorit iſt die Wahrheit ſelbſt, beſonders in den Lokaltinten des Fleiſches, es iſt warm und kräftig, blühend und zart, wie es jedesmal der dargeſtellte Gegen - ſtand erfordert; jedoch fallen die Schatten zuweilen ein wenig ins Graue; ſeine oft ſchneidend ſtrengen Umriſſe ſind ebenfalls durchaus nicht unangenehm, weil ſie auf Bedeutung abzwecken und keineswegs ſteif ſind. Seine Gewänder, wie aller dabei an - gebrachte Schmuck von Gold und Edelſteinen, prangen in glänzenden Farben, und ſind mit Treue und Sorgfalt gemalt, aber die Falten erſcheinen größtentheils in ſanften weichen Biegungen und Brüchen, man vermißt faſt durchaus den grosartigen weiten ſchönen Faltenwurf, den wir bei den erſten Meiſtern der alten deutſchen Schule ſo oft bewun - dern müſſen. Selten ſtrebte er, das Koſtum früherer Zeit oder fremder Nationen beizubehalten, er moderniſirte das Alterthum, und hielt ſich faſt immer an das, was gerade zu ſeiner Zeit und in ſeiner Nähe gebräuchlich war, ohne ſich um andere124 Völker oder frühere Zeiten zu bekümmern. Auch vermiſſen wir bei ihm den wahren lebendigen Ausdruck innern Gefühls. Den Zuſtand voll - kommner Ruhe ſtellte er dagegen ſehr glücklich dar, und deshalb ſind ſeine Porträte oft ſo vortrefflich, daß man ſich lebenden Perſonen gegenübergeſtellt glauben möchte. Heftige Bewegung des Gemüths, leidenſchaftliches Empfinden auszudrücken, vermochte und verſuchte er nie. Jch erinnere mich hiebei be - ſonders eines, übrigens ſehr ſchön gemalten Bildes, welches ſich jetzt in der oft erwähnten Sammlung in Berlin befindet, auf welchem er die alt - teſta - mentaliſche Heldin Jael abgebildet hat, wie ſie dem ſchlafenden Feldherrn Siſſera, der auf der Flucht in ihrer Wohnung Schutz geſucht hatte, einen Nagel durch die Schläfe ſchlägt. Es iſt ein Knie - ſtück, und der Kopf des Siſſera, von dem man beinahe nichts weiter ſieht, nimmt ſchon auf dem Schooße der Jael ſich übel aus. Sie ſelbſt iſt in Purpur-Sammet, mit goldnem Geſchmeide, ganz wie eine Prinzeſſin aus den Zeiten Lukas Kranachs gekleidet. Ein hübſches Beckermädchen aus Weimar,125 das er oft bald als Venus, bald in anderer Geſtalt malte, hat auch hier ihm zum Modell gedient, und das artige Kind ſieht bei der blutigen Arbeit ſo ge - müthlich und unbefangen aus dem Bilde heraus, und führt den Hammer mit einem ſolchen Gleichmuth, als klopfe ſie Nüſſe auf.

Das große Altargemälde in der Hauptkirche zu Weimar iſt ohnſtreitig eine der größten ſo wie der vorzüglichſten Arbeiten Lukas Kranachs. Die Mitteltafel deſſelben hat eilf Fuß ſechs Zoll Höhe, bei einer Breite von neun Fuß und eilf Zoll, und die beiden dazu gehörigen Seitentafeln ſind bei näm - licher Höhe halb ſo breit. Jn der Mitte der Haupttafel ſehen wir den Heiland am Kreuze, nicht unedel dargeſtellt, wenn gleich etwas hager, be - ſonders an den Armen. Dicht neben dem Krucifix, zur Rechten deſſelben, erblicken wir ihn noch einmal ganz in Lebensgröße, als auferſtandnen Sieger über Tod und Teufel, die unter ſeinem Fuße ſich kraftlos winden, indem er ſie mit der ſtrahlenden Lanze von Kriſtall vollends vernichtet. Dieſe Figur iſt weit vorzüglicher als der Gekreuzigte, beſonders128 grunde und an einem Felſen hinter dem auferſtand - nen Heiland entſprießen, ſind ſo wahr, ſo friſch, ſo vollendet in der Ausführung, daß dieſer Theil des Bildes zu dem allervortrefflichſten auf demſelben gerechnet werden kann; doch der Felſen ſelbſt zeigt von Lukas Kranachs Unbehülflichkeit bei landſchaft - lichen Gegenſtänden; ſo auch im Hintergrunde das Lager der um die eherne Schlange verſammelten Jſraeliten, und die Hirten auf dem Felde, welchen die Geburt des Heilands verkündet wird. Bei allen dieſen kleinen Figuren darf man ja nicht an den Zauber denken, den Hemling bei ähnlichen Darſtel - lungen zu üben wußte; ſie ſind roh in der Farbe, die Umriſſe hart und ſchwarz wie mit der Feder ge - zogen. Dicht hinter dem Felſen, an welchem der auferſtandene Chriſtus ſteht, lodert die Hölle empor, und Tod und Teufel jagen einen nackten Mann ihrem Abgrunde zu; ohnfern davon ſteht Moſes mit den Geſetztafeln; noch erblickt man vier Geſtalten unter denen eine in Purpur und Herme - lin wahrſcheinlich den König David vorſtellt. Dieſe Figuren ſind etwa einen Fuß hoch, und weit129 beſſer gezeichnet und kolorirt als die kleineren im Hintergrunde. Die Köpfe ſind ohne Ausnahme tadellos; beſonders richtig gezeichnet und ſchön gemalt iſt der Unglückliche, welcher der Hölle zu - gejagt wird.

So ſteht das ganze Gemälde als Muſter aller Werke dieſes Meiſters da; vortrefflich im Einzelnen, mangelhaft im Ganzen, und nicht frei von jener Verworrenheit, die aus Lukas Kranachs Unkunde in der Behandlung der Ferne wie der Beleuchtung entſteht; ein Fehler, welcher hier noch durch das von beiden Seiten flatternde lange Tuch um die Hüften des Gekreuzigten, und durch allerlei Paniere mit Sprüchen vermehrt wird.

Martin Luther ſtarb am achtzehnten Februar 1546, daher iſt es wahrſcheinlich, daß die mitt - lere Tafel dieſes Altarblattes nicht ſpäter ge - malt worden, denn Luthers Porträt iſt zu aus - geführt bis in die kleinſten Einzelheiten, als daß die Möglichkeit denkbar wäre, Lukas Kranach habe es bloß nach Erinnerungen ſo Leben-athmend darſtellen können. Die beiden Seitentafeln hin -II. Bd. 9130gegen ſind augenſcheinlich aus einer ſpätern Zeit. Die erſte derſelben zeigt uns den Kurfürſten Johann Friedrich und ſeine Gemahlin; beide knieen in betender Stellung vor einem Pulte, über wel - chem ein mit Wappen und Borten reich geſtickter Teppich ausgebreitet liegt. Jn gleicher Stellung als ihre Eltern erblicken wir auf der zweiten Tafel drei Söhne dieſes Paares; der vierte, im Februar des Jahres 1553 verſtorbne Prinz Johann Ernſt, iſt nicht mehr in der Reihe ſeiner Brüder mit abgebildet, und dieſer Umſtand ſowohl, als die Narbe der in der Mühlberger Schlacht empfangenen Wunde auf der Wange des Kurfürſten, machen es mehr als wahrſcheinlich, daß dieſe Tafeln die letzte Arbeit des ein und achtzigjährigen Lukas Kranach waren, der im October des nämlichen Jahres von der Welt ſchied. Daß er die erſte derſelben noch während der Gefangenſchaft ſeines Herrn gemalt habe, iſt ihrer Größe wegen, die den Transport ſehr ſchwer gemacht hätte, kaum zu glauben, noch weniger möchte man beide Tafeln einem andern Meiſter zuſchreiben, denn in der damaligen Zeit131 lebte keiner, weder in Weimar noch in deſſen Umge - bungen, der dieſes vermocht hätte.

Möglich, ſogar wahrſcheinlich, iſt es indeſſen, daß Lukas Kranachs von ihm ſelbſt für die Kunſt gebildeter Sohn, Lukas Kranach der jüngere, nach dem Tode des Vaters ſie vollendet habe, ſo wie er auch ſchon bei deſſen Leben ihm bei ſeinen größern Arbeiten behülflich war. Alle dieſe fünf lebensgroße Bildniſſe ſind trefflich gemalt und kolorirt, beſon - ders das des mittelſten Prinzen; obgleich die Köpfe nicht ſo ganz ausgeführt erſcheinen, als die Martin Luthers und Lukas Kranachs auf der mittlern Tafel. Ein goldbrokatner Vorhang bildet den Hintergrund, der dem Ganzen etwas ſehr heiteres gibt; die Hände ſind wahr und ſchön bei aller Einförmigkeit ihrer Haltung, und das Ganze beider Tafeln gewährt einen ſehr freundlichen Eindruck.

Lukas Kranach der jüngere, der einzige Sohn des würdigen alten Meiſters nach dem Tode ſeines in Jtalien verſtorbnen Bruders Johann, erreichte zwar bei weitem nicht den Ruhm ſeines Vaters, war aber ein guter Maler, beſonders im Porträt, dabei9 *132ein ſehr vorzüglicher Koloriſt. Man findet noch in Weimar, Dresden, und andern ſächſiſchen Städten, beſonders aber in Wittenberg, mehrere ſeiner Ge - mälde. Er lebte an letzterem Ort, wo er ebenfalls die Stelle eines Bürgermeiſters bekleidete, und ſtarb daſelbſt, ein und ſiebenzig Jahre alt, im Jahr 1586. Sein Monument mit einer lateiniſchen Jnſchrift iſt noch in der dortigen Pfarrkirche zu ſehen; er war zweimal verheirathet und iſt der Ahnherr der in Brandenburg noch lebenden Herren von Kranach. Von ſeinen beiden Schweſtern war die älteſte, Namens Urſula, an einen Lizentiaten verhei - rathet, die jüngere, Anna, an einen Bürgermeiſter von Wittenberg, Namens Kaspar Freund. Jch weiß nicht, ob von dieſen noch Nachkommen leben.

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Martin Hemskerk.

Hemskerk, ein unbedeutendes holländiſches Dorf unfern Harlem, iſt der Ort, wo dieſer Meiſter im Jahr 1498 geboren ward und deſſen Namen er ſpäterhin annahm. Sein Vater hieß Jakob Willems van Veen und war ein ganz ge - wöhnlicher Bauer, der ſich durch ſeines Sohnes früh aufkeimendes Talent zwar bewegen ließ, ihn nach Harlem zu einem Maler Namens Cornelis Villems in die Lehre zu geben, doch aber auch dieſen Schritt bald wieder bereute, indem er den Vortheil berech - nete, den der heranwachſende Sohn ihm in der Wirthſchaft bringen könnte. Er nahm deshalb den armen Martin lange vor Vollendung der Lehr - jahre wieder zurück auf das Dorf, und hier mußte er nun graben, hinterm Pfluge gehen, die Kühe melken und tauſend Dinge treiben, die ihm läſtig waren. Doch Martin ergab ſich darein, wenn gleich mit Widerwillen, denn Willems van Veen war ein harter roher Mann, der ſeinen Sohn bei jedem Verſehen ſeine ſchwere Hand fühlen lies. Das134 trübſelige Leben des armen Jünglings währte ſo eine ziemliche Weile fort, bis er eines Abends, den vollen Milcheimer auf dem Kopf, vom Melken heimkehrte. Seine Gedanken mochten wohl ſehr ins Weite ſchweifen, denn er vergaß einem Baume aus dem Wege zu gehen, an den er mit dem Eimer ſo heftig ſtieß, daß ihm dieſer vom Kopfe fiel. Traurig ſah er die weiße Milch die ſchwarze Erde tränken, und zugleich in der Ferne den Vater mit einem ſo tüchtigen Knittel herbei eilen, daß ihm ſogleich die Luſt verging, deſſen Ankunft vollends abzuwarten. Er lief davon, war ſo glücklich ſich die Nacht über in einem Heuſchober vor dem ihm drohenden Ungewitter verbergen zu können, und ſchlich erſt am Morgen heim zu ſeiner Mutter, als der Vater, wie er wohl wußte, ſich ſchon längſt auf dem Felde bei der Arbeit befand. Die Mutter war eine gute, vernünftige Frau, welche den höheren Beruf ihres Sohnes wohl einſah, und gern ſeinem Glück die Freude, ihn um ſich zu haben, aufopfern mochte. Sie hing ihm einen wohl - gefüllten Knappſack über die Schultern, gab ihm135 einiges Reiſegeld aus ihrer Sparkaſſe in die Taſche, dazu ihren Segen, und hieß ihn nun mit Gott ſich auf den Weg machen, gut und brav bleiben, und zuſehen, wie er es anfangen könne, um in der Welt fortzukommen und ein ordentlicher Maler zu werden, wozu er doch nun einmal einzig Luſt und Geſchick habe.

So wanderte Martin fort, kam glücklich, ohne eingefangen zu werden, durch Harlem durch, und gelangte nach Delft, wo er in der Werkſtatt und dem Hauſe eines Malers, Namens Johann Lukas, Aufnahme fand. Bei dieſem Meiſter blieb er mehrere Jahre, zeichnete und malte ſehr fleißig und machte, von ſeinem Talent unterſtützt, bedeu - tende Fortſchritte in der Kunſt, bis Schoreels weit - verbreiteter Ruhm in ihm den lebhaften Wunſch erregte, unter die Zahl der Schüler dieſes großen Meiſters aufgenommen zu werden, was ihm auch endlich gelang, da Schoreel einige Jahre nach ſeiner Rückkehr aus Jtalien ſich in Harlem zur Annahme mehrerer Lehrlinge einrichtete. Nun erſt war Martin Hemskerk an dem Platze, wohin er gehörte, denn136 unter der Leitung eines Meiſters dieſer Art und bei ſeinem ausgezeichneten Fleiße mußte in kurzer Zeit das ihm angeborne große Talent ſich auf das Herr - lichſte entfalten. Er lernte von Schoreel die Natur in allen ihren Einzelheiten beobachten, und machte in kurzem deſſen Art ſie aufzufaſſen und darzuſtellen ſich ſo ganz zu eigen, daß man oft die Arbeiten des Meiſters von denen des Schülers kaum zu unter - ſcheiden vermochte. Daß Schoreel den Werth eines Lehrlings dieſer Art wohl erkannte, iſt leicht zu erachten, und Beide lebten einige Jahre im freund - lichſten Verhältniſſe gegen einander, bis dieſes ſich ganz unerwartet und plötzlich wieder auflößte, Martin Hemskerk Schoreels Haus und Werkſtätte verließ, und zu einem Goldſchmied Namens Peter Jan Fopſen zog, in deſſen Hauſe er von nun an für ſich allein arbeitete.

Es ging in jenen Tagen das Gerücht, welches ſich auch in der Geſchichte der Maler jener Zeit erhalten hat, daß Schoreel die gewaltigen Fort - ſchritte ſeines Lehrlings mit Unmuth und Mißgunſt anſah und ihn verſtieß weil er ſich in kurzem von137 ihm verdunkelt zu ſehen befürchtete; dennoch ſtimmt dieſes ſo wenig mit Allem, was wir von dem Leben und dem Charakter dieſes ſo ausgezeichnet guten und edeln Menſchen wiſſen, daß es unmöglich iſt, dergleichen von ihm zu glauben. Wahrſcheinlich ſtammt dieß Gerücht von Hemskerk ſelbſt her, der vielleicht wegen eines ihm unbedeutend ſcheinenden Vergehens entlaſſen ward und ſelbſt glauben mochte, was er Andern klagend erzählte; denn, als Folge ſeiner erſten Erziehung unter der Zucht eines harten rohen Vaters, zeigte er Zeit ſeines Lebens ſich auffallend argwöhniſch und furchtſam. Und ſo wäre denn dieſe ganze Geſchichte nur ein neuer Beweiß daß die Welt gern dem Bößen Glauben beimißt und eine wohl erſonnene Klät - ſcherei ſich durch eigne Kraft Jahrhunderte hindurch zu erhalten vermag.

Jm Hauſe des Goldſchmieds befand Martin Hemskerk ſich eine Zeitlang ſehr wohl, beſonders da die Hausfrau Jan Fopſens ihm ganz beſonders gewogen war. Sie ereiferte ſich gewaltig, wenn man bei ihr nach dem Maler Martin fragte, der138 ihrer ſehr richtigen Meinung nach wohl verdiente, Meiſter Martin zu heißen. Dafür aber malte ihr auch Meiſter Martin an ihre Bettſtelle in einer Hin - terſtube Sol und Luna in Lebensgröße, auch Adam und Eva, und zwar, wie man ſagt, nach lebenden Modellen, was damals in den Niederlanden wenig üblich war. Doch ſcheint er ſich endlich auch mit dieſen ſeinen Hausgenoſſen entzweit zu haben, denn er verließ ihre Wohnung und zog zu einem andern Goldſchmied in Harlem, Namens Jens Cornelis.

Martin Hemskerk wohnte mehrere Jahre in Harlem, er malte viel, und ſein Ruhm verbreitete ſich immer weiter mit jedem Tage. Auch gingen wahrhaft bewundernswerthe Gebilde unter ſeinen fleißigen Händen hervor, die dem Herrlichſten der alten Schule van Eycks mit Recht zur Seite geſtellt werden können; Natur und Wahrheit leiteten ſeinen Pinſel. Dabei hielt er feſt an Schoreels Weiſe, und wußte, wie dieſer, Anmuth, Leben und Geiſt - ſeinen Werken mitzutheilen. Jm Jahr 1532, da Martin Hemskerk vier und dreißig Jahre alt war, entſchloß er ſich endlich, eine Kunſtreiſe nach Jtalien139 zu unternehmen; vorher aber malte er noch den Apoſtel Lukas, wie er die heilige Jungfrau mit dem Chriſtuskinde abbildet, und ſchenkte dieſe Tafel der Harlemer Malergilde zum Angedenken. Dieſes Bild, von dem Karl von Mander uns mit großem Lobe deſſelben eine Beſchreibung mittheilt, wurde zu deſſen Zeit von der Obrigkeit der Stadt als ein ſeltnes Kleinod hoch in Ehren gehalten und auf dem Rathhauſe aufbewahrt, wo es vielleicht noch zu finden iſt. Maria, umſtrahlt von Schönheit und Anmuth, mit dem lieben freundlichen Kinde, das auf einem über die Kniee der Mutter gebreite - ten reichen Teppich ſitzt, war ganz nach Schoreels Weiſe gedacht und ausgeführt; zum Apoſtel Lukas hatte ein wohlgeſtalteter Bäcker aus Harlem geſeſſen, denn Martin Hemskerk war damals durchaus ge - wöhnt, die Natur überall, wo er es konnte, zum Vorbilde zu nehmen. Die Palette des Schutzpa - trons der Maler war auf dieſer Tafel mit ſo täu - ſchender Wahrheit gemalt, daß ſie wirklich hervor - zuſtehen ſchien, und überhaupt das Ganze mit mög - lichſter Treue ausgeführt. Hinter dem Apoſtel140 ſtand eine grün bekränzte Figur, einen Poeten vor - ſtellend, in welchem Hemskerk ſich ſelbſt abgebildet hatte, und nicht weit davon war auch ein Engel mit einer Fackel in den Händen angebracht. Wahr - ſcheinlich lag in dieſen beiden Figuren irgend eine allegoriſche Bedeutung, die jetzt ſchwer zu entziffern iſt. Ein Papagei in einem Korbe hing oben an der Wand, und unten an derſelben war ein wie mit Wachs angeklebter Zettel gemalt, auf welchem die Harlemer Maler mit recht gut gemeinten, in niederländiſcher Sprache abgefaßten Reimen Martin Hemskerks Namen, ihren Dank für ſein Geſchenk, und den drei und zwanzigſten Mai des Jahres 1532 als den Tag, da dieſes vollendet ward, der Nach - welt verkünden. Bei allen Vorzügen, die dieſes Gemälde gewiß beſaß, bei aller Schönheit und An - muth der Köpfe, der Farbenpracht und dem treff - lichen Faltenwurf der Gewänder, die Karl von Mander uns beſchreibend anrühmt, dünkt mir doch, als leuchte ſchon aus der Anordnung deſſelben der Keim der Verirrungen hervor, zu welchen der Meiſter in ſpätern Jahren ſich hinreißen ließ. Dieſer Engel141 mit der Fackel, dieſer gekrönte Poet, von denen Niemand begreift, was ſie da wollen oder ſollen, wie verſchieden ſind ſie von dem hohen einfachen Geiſte, in welchem Johann van Eyck den nämlichen Gegenſtand ſo klar und dennoch ſo anziehend darzu - ſtellen wußte!

Jn Rom, wo Martin Hemskerk nach vollen - deter Reiſe glücklich anlangte, fand er im Hauſe eines Kardinals, an den er Empfehlungsbriefe mit - brachte, Wohnung und Unterhalt. Mit glühendem Eifer warf er ſich jetzt auf das Studium der An - tike, entſagte faſt aller Gemeinſchaft mit ſeinen Landsleuten, um nur keine Zeit bei ihren Luſtge - lagen verlieren zu müſſen, und malte und zeichnete den ganzen Tag nach den Überbleibſeln antiker Baukunſt, nach Statuen und Basreliefs und nach Michael Angelos Werken, den er allen andern mo - dernen Künſtlern vorzog. Die Neuheit der Gegen - ſtände blendete ihn, er ergriff ſie in wilder eifriger Haſt, ohne ſich ſelbſt Zeit zu laſſen, ſich mit ihrem eigentlichen Weſen zu befreunden, oder ihren Geiſt in ſeinem Jnnern aufzufaſſen. Die glänzende Ober -142 fläche dieſer ihm fremd erſcheinenden Kunſtwelt ge - nügte ihm, ohne daß es ihm einfiel ihre Tiefe nur zu ahnen, und ſo verlor er darüber nach und nach die Natur faſt gänzlich aus dem Geſichte, die ſo lange in ſeiner Werkſtatt befreundet ihm zur Seite geſtanden hatte.

Jndeſſen ging dieſe traurige Veränderung wahr - ſcheinlich nicht gleich vor ſich; Martin Hemskerk war zu weit auf rechter Bahn vorwärts geſchritten, um nicht auch zum Rückwege einige Zeit zu brauchen. Seine erſten Arbeiten in Rom, deren ihm mehrere aufgetragen wurden, erwarben ihm den allgemein - ſten Beifall bei Künſtlern und Kunſtkennern. Auch Vaſari gedenkt rühmlichſt ſeiner unter dem Namen von Martin Tedesco, und lobt vor Allem die Ge - mälde, die dieſer grau in grau für den Einzug Karl des fünften in Rom malte, doch vergißt er auch nicht dabei des guten griechiſchen Weines zu erwähnen, der dem Meiſter und ſeinen deutſchen Gehülfen im Überfluſſe gereicht ward, um ſie bei der Arbeit zu begeiſtern.

Martin Hemskerk war jedoch weder aus -143 ſchweifend in ſeinen Sitten, noch ein Trunkenbold, ſondern vielmehr mäßig, bedachtſam und haushäl - teriſch mit ſeinem Gelde wie mit ſeiner Zeit und mit ſeiner Geſundheit; er kannte kein anderes Ver - gnügen als, wenn er ſich zu Hauſe müde gemalt hatte, hinaus ins Freie zu wandern, und die Um - gegend, alte Ruinen oder merkwürdige Gebäude zu zeichnen.

Mit unſäglichem Erſchrecken fand er einſt, da er von einem ſolchen Gange nach Hauſe kam, in ſeinem Zimmer zwei ſeiner Gemälde aus dem Blendrahmen geſchnitten und mitgenommen; ängſt - lich öffnete er ſeinen Kaſten, und auch hier fehlten ſehr viele ſeiner Zeichnungen und andere Kunſt - ſachen. Der Verluſt war im Ganzen zu bedeutend als daß er ihn in der Stille hätte verſchmerzen mögen; er begann dem Räuber nachzuforſchen, entdeckte ſolchen in einem ihm bekannten Jtaliäner, der ihn früher zuweilen beſucht hatte, und war ſogar glücklich genug, den größten Theil des Geraubten zurück zu erhalten. Nun aber begann dem armen Martin erſt vor ſeinem Räuber zu grauen; alle144 Mordgeſchichten die er je von Rache dürſtenden Jtaliänern erzählen gehört, fielen ihm mit einem - male ein, er glaubte ſchon den kalten Dolch in der Bruſt zu fühlen und ängſtigte ſich über ſeine eignen Einbildungen dermaßen ab, daß er ſich endlich ent - ſchloß, lieber Alles aufzugeben um nur das Leben zu retten. Er packte ſchnell ein und vergaß vor allen Dingen nicht, eine ziemlich bedeutende Summe Geldes mitzunehmen, die er, obgleich kaum drei volle Jahre in Rom, ſich dort ermalt und mit haus - hälteriſcher Sparſamkeit zuſammengehalten hatte. So ſchnell als er es vermochte eilte er nun über die Alpen zurück und hielt ſich für ſicher da er dieſe im Rücken hatte, ohne zu ahnen, daß er im eignen Vaterland einer weit dringenderen Lebensgefahr entgegen gehe, als es die vielleicht nur erträumte war, die ihn ſo ſchnell aus Rom vertrieben hatte.

Er war glücklich in der holländiſchen Stadt Dordrecht angekommen, und ſehr freundlich von einem Gaſtwirth empfangen worden, dem er einen Brief von deſſen in Rom lebenden Sohne mit - brachte. Man hatte ihn ſogar durch Bitten und145 Zureden bewogen, die Einladung Peter Jakobs, eines warmen Kunſtfreundes auszuſchlagen, und im Gaſthofe über Nacht zu bleiben, als eine noch am Abend ſich unvermuthet bietende Schiffsgelegen - heit ihn bewog, gleich nach Harlem aufzubrechen, ohne, wie er erſt Willens geweſen, bei dem freund - lichen Wirth bis zum folgenden Tage zu verweilen. Dieſer Zufall rettete ihm, ohne daß er es wußte, das Leben, denn das Haus, in welchem er bleiben wollte, ward wenige Monate ſpäter von der Obrig - keit für eine Mordherberge erkannt, deren Beſitzer ſchon Jahre lang einkehrende Reiſende, welche Geld bei ſich führten, umgebracht und im Keller ver - graben hatten. Man fand dort eine große Grube voll Überreſte dieſer Unglücklichen, deren Zahl Hemskerk gewiß zu vermehren beſtimmt war, denn dem Sohne dieſer Verbrecher konnte das fürchter - liche Gewerbe ſeiner Eltern nicht unbekannt ſeyn, da eine ſeiner Schweſtern ſchon früher mit einem jungen Maler nach Venedig geflüchtet war, weil ſie weder die Gräuel im väterlichen Hauſe länger anzuſehen, noch ihre Eltern anzuklagen vermochte. II. Bd. 10146Hemskerk war bei dem Einpacken ſeiner in Rom erworbnen Schätze wahrſcheinlich nicht vorſichtig gegen einen Landsmann geweſen und hatte dieſen dadurch bewogen, ihn mit jenem Uriasbriefe ſeinen Eltern als eine gute Beute zuzuſenden.

Mit der Ankunft in Harlem, ſeinem Wohn - orte von nun an, beginnt in Martin Hemskerks Leben ein neuer Abſchnitt, welcher zuförderſt eine Beſchreibung der in der Boiſſeréeſchen Sammlung aufbewahrten Gemälde aus ſeiner beſten Zeit noth - wendig macht, um auf dieſe Weiſe ſoviel als mög - lich dem Leſer einen Begriff von dem zu geben was er war. Dann wollen wir zu dem übergehen, was er nach ſeiner Rückkehr aus Jtalien wurde. Das erſte dieſer Gemälde ſtellt uns Kaiſer Karl den fünf - ten in noch jugendlichem Alter dar; er ſteht als Feldherr, den Kommandoſtab in der Hand, in voller Rüſtung, über welche ein rother Mantel in freien ſchönen Falten geworfen iſt; der edle ſehr ausdrucksvolle Kopf zeigt ſich im Profil. Es iſt ein ſo lebendiges Bild, daß man gar nicht müde wird, es anzuſchauen; nichts kann wärmer und147 naturgemäßer gemalt ſeyn als dieſer Kopf, nichts edler und wahrer als dieſe Stellung der kraftvollen Heldengeſtalt des vollendeten Mannes, in blühen - der Friſche der Jugend.

Jn einer von allen Seiten offnen Halle, welcher der heitre blaue Himmel zum Hintergrunde dient, ſteht auf einem andern Gemälde die Kaiſerin Helena, die heilig geſprochne Mutter Konſtantins; das wahre Kreuz des Heilandes, deſſen Wiederfin - den die Legende zum Theil den Bemühungen dieſer frommen Fürſtin zuſchreibt, lehnt ihr im Arme. Sie iſt faſt nonnenartig gekleidet und in einen durchſichtig-feinen weißen, in ſchönen Falten ſie umſchwebenden Schleier gehüllt, über welchem ſie die goldne Kaiſerkrone auf dem Haupte trägt. Recht wunderbar wußte der Maler die Kaiſerin und die Heilige in der Darſtellung dieſer hohen, ernſten, etwas ältlichen Frau zu vereinen; aus den blitzen - den Augen, aus der ganzen Haltung der edlen Geſtalt, ſpricht ſo viel Feſtigkeit, ſo viel ſicheres Bewußtſeyn, ſo viel Strenge gegen eigne Schwä - chen, daß man unwillkührlich bei ihrem Anblick10 *148von Ehrfurcht ergriffen wird und gleichſam ihren Richterſpruch erwartet.

Jhr gegenüber ſteht in wahrhaft fürſtlicher Haltung und Geſtalt der ebenfalls heilig geſprochne Kaiſer Heinrich der zweite. Die Züge des etwas ſeitwärts gewendeten Kopfes haben Ähnlichkeit mit Karl dem fünften, der Ausdruck derſelben iſt edel und ſtolz, kühn und mild zugleich, Bart und Haare beſonders ſchön gemalt. Er trägt einen reichen Wappenrock über der glänzenden Rüſtung, und hält als Stifter des Bisthums Bamberg das Modell des Domes dieſer Stadt in der rechten Hand. Zu den Füßen dieſer beiden Heiligen knieet in ſchwarzer feſtlicher Kleidung, in ganz kleiner Miniatur darge - ſtellt, der Donator des Bildes mit ſeinen Söhnen, lauter ächt deutſche, fromme, ruhige Geſichter. Das Gegenſtück zu dieſem Bilde zeigt uns in einer der vorigen ganz ähnlichen offnen Halle die edle Geſtalt des Evangeliſten Johannes, in einem hellfarbigen, in ſchönem Faltenwurfe ihn umgeben - den Gewande; in der Rechten hält er, faſt als wolle er ihn fortſchleudern, den ſchäumenden149 Kelch, welchen, wie die Legende erzählt, die Heiden bei einem Gaſtmahl vergiftet ihm reichten, und aus welchem, dieß Verbrechen bezeichnend, ein kleiner Drache ziſchend emporſteigt; die andere Hand iſt wie zum Segnen erhoben. Aus dem wunderſchö - nen, von röthlich goldnen Locken umgebenen jugend - lichen Geſichte ſpricht flammend der edelſte Zorn über die Unthat, der zugleich in Mitleid übergeht, das ihn verhindert, die Verbrecher zu vernichten.

Jhm zur Seite ſteht, fürſtlich geſchmückt, die heilige Katharina, die ſchöne Braut Chriſti, und blickt theilnehmend auf ihren erzürnten Freund. Sie hält in einer ungemein anmuthigen Stellung der Arme und Hände ein Buch, und zu ihren Füßen knieet, ebenfalls in Miniatur dargeſtellt, die Gattin des Stifters dieſer Bilder mit ihren Töchtern. Alle dieſe heiligen Geſtalten, in ihrer edlen Einfachheit, gewähren durch die über dem Ganzen ſchwebende Heiterkeit einen höchſt erfreu - lichen Eindruck. Jener Strahl innern Lebens, der die Gebilde der höchſten Meiſter dieſer Schule ver - herrlicht, umleuchtet auch ſie. Aus Allem, aus150 der Wahl der Stellungen, dem lebensvollen Kolorit, der Zeichnung, der Schönheit der Drapperien, und der vollendeten Ausführung, geht das hohe Talent des Meiſters hervor, die Natur mit zartem edlen Sinn aufzufaſſen, mit gewiſſenhafter Treue darzu - ſtellen, und nirgend erblicken wir eine Spur von Manier und erkünſteltem Weſen.

Auf dem nun folgenden Altarblatt, zu welchem zwei Seitentafeln gehören, ſtellt das Hauptge - mälde eine Kreuzigung dar; der vielleicht nicht ganz todt genug erſcheinende Chriſtus hängt, umgeben von den Seinen, am Stamme des Kreuzes, deſſen oberer Theil im Rahmen des Bildes verſchwindet. Maria iſt in lautloßen Jammer verſunken, Joſeph von Arimathia mit noch einem Freunde ſtehen etwas zurück, noch weiterhin eine Dienerin, in welcher der Meiſter mit bewundernswürdigem Ausdrucke die Verſchiedenheit der Empfindung einer Fremden, und des zerreißenden Schmerzes der Angehörigen des Entſeelten darſtellte. Wo dieſe, überwältigt von Jammer und Wehmuth, faſt vergehen, empfin - det jene nur ängſtliche Scheu und banges Schrek -151 ken. Seitwärts lehnt an einem Hügel zur Linken die heilige Magdalena, das feine liebe Geſichtchen iſt bleich, und aus allen Zügen deſſelben ſpricht völlige Erſchöpfung aller Kräfte; ſie kann nicht mehr weinen, und die müde gerungnen Hände und Arme ſinken in ſehr anmuthiger natürlicher Stellung kreuzweiſe über einander hin. Jhr Gewand iſt von roth und blau ſchillernder Seide, wie Raphael und überhaupt die italiäniſchen Meiſter es ſo oft malten.

Auf der erſten der beiden Seitentafeln ſteht der heilige Stephan, mit geſchornem Haupte, im reichen prieſterlichen Gewande von Goldſtoff. Sein ruhig ernſtes Geſicht trägt die Spur früheren Kampfes, man ſieht es ihm an, daß es nicht immer ſo ſtill und ruhig war, und daß der Heilige in ſeinem Jnnern manchen Sturm beſiegen mußte, ehe er dahin gelangte, wo er jetzt ſteht. Auf der zweiten Tafel iſt der heilige Mauritius in glänzender Rüſtung mit darüber geworfnem rothen Wappen - rock, muthig und fromm, in kühner vorſchreitender Stellung abgebildet, und auch dieſer Kopf trägt die Züge Kaiſer Karls des fünften.

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So malte Martin Hemskerk als er im Jahr 1532 nach Rom zog, und auch wohl noch in der erſten Zeit ſeines dortigen Aufenthalts, ehe er ganz von der Natur und den Lehren ſeines Meiſters Schoreel ſich abwandte.

Er ward in Harlem bei ſeiner Heimkehr von Künſtlern und Kunſtfreunden ſehr ehrenvoll empfan - gen, auch übertrugen ihm ſeine Mitbürger die Stelle eines Kirchen-Raths, welcher er zwei und zwanzig Jahre lang bis an ſeinen Tod vorſtand. Er verheirathete ſich mit Maria Coninghs, einem der ſchönſten und liebenswürdigſten Mädchen der Stadt, und feierte ſeine Hochzeit mit großem Glanz; ſogar die damals ſehr ſeltne Vorſtellung eines Schauſpiels, welches die Rhetoriker der dortigen hohen Schule ihm zu Ehren aufführten, verherr - lichte das Feſt. Leider aber war ſein häusliches Glück nur von kurzer Dauer, denn ſeine junge ſchöne Frau ſtarb nach anderthalb Jahren im erſten Wochenbette, auch das Kind überlebte die Mutter nicht.

Jn Hinſicht auf ſeine Kunſt trat Hemskerk jetzt153 mit einer Selbſtzufriedenheit auf, in der die vielen unberufnen, vom Reiz der Neuheit geblendeten Bewunderer, welche er leider überall antraf, ihn nur zu ſehr beſtärkten, während ächte Kunſtver - ſtändige mit Bedauern bemerkten, wie ſehr ſeine neueren Werke gegen ſeine früheren zurückſtanden. Eine unbegreifliche, wahrſcheinlich aus Eitelkeit, aus dem Wunſche ſich auszuzeichnen, entſtandne Ver - kehrtheit des Geiſtes bewog ihn, ſich bald gänzlich, nicht nur von Schoreels Lehre und Beiſpiel, ſondern auch von der Natur abzuwenden, und eine durchaus fremdartige Manier anzunehmen. Er ſuchte von nun an ſeiner früheren alten deutſchen Schule, welche einzig die Natur als Vorbild anerkannte, in Allem entgegen zu arbeiten, ohne ſich deshalb doch den, mehr dem Jdeellen höherer Schönheit nach - ſtrebenden italiäniſchen Meiſtern, welche ihm vor - ſchwebten, nähern zu können. Seine in den ver - kehrteſten übertriebenſten Stellungen den anticken Statuen nicht nachgebildeten, ſondern nachkopirten Geſtalten verloren mit der Wahrheit allen Charakter, allen Geiſt, alles Leben; trüber Schein mußte die154 Wirklichkeit erſetzen, und ſogar die ihm ſonſt eigne Pracht ſeiner Farben ging in dieſer ſeiner Verwor - renheit mit zu Grunde.

Des Kontraſtes wegen bewahren die Herren Boiſſerée ein Gemälde, welches Hemskerk nach dieſer traurigen Umwandlung malte; Niemand, der es erblickt, wird von ſelbſt auf den Gedanken kom - men, daß dieſelbe Hand, derſelbe Geiſt, welche jenen eben beſchriebnen Meiſterwerken das Daſeyn gaben, auch dieſes, ihnen in Allem ſo entgegenge - ſetzte Zerrbild entſtehen ließen. Es iſt ſo flach wie ein illuminirter Kupferſtich, und ſtellt einen Heiligen oder Apoſtel, der ein beſeßnes Mädchen heilt, auf eine Weiſe dar, daß man beinahe glauben könnte, die Kranke habe ſowohl ihrem Arzte als allen Um - ſtehenden ihr Übel mitgetheilt. Das Ganze iſt ohne allen Charakter, und die Anordnung deſſelben durch die geſpreizten übertriebnen Stellungen der Figuren durchaus unverſtändlich. Unerachtet dieſes ſeines auffallenden Übergangs vom Vortrefflichen zum Tadelnswerthen, vom Leben zum dürftigen weſenloſen Schein, gewann Hemskerk täglich nicht155 nur Bewunderer, ſondern auch Nachahmer in Menge, ja man darf wohl behaupten, daß von ihm der An - fang des bald darauf mit ſchnellem Schritte herein - brechenden Untergangs aller ächten deutſchen Kunſt zuerſt ausging. Denn die angehenden Künſtler be - gannen von nun an nach ſeinem Beiſpiele, nur dem äußeren Scheine, den effektmachenden Künſteleien nachzuſtreben, ohne ſich um die wahre Geſtalt und das eigentliche Weſen der Gegenſtände, welche ſie darſtellen wollten, weiter zu bemühen.

Vergebens verſuchten es von jeher die Beſſer - wiſſenden, ſich der, vom bethörenden Reize der Neuheit berauſchten Menge zu widerſetzen, oder den allgemeinen Beifall zu bekämpfen, welcher das Schlechtere bis in den Himmel erhebt, ſobald es nur neu und auffallend erſcheint, und darüber das längſt für gut und recht Anerkannte gedankenlos in den Staub tritt. Die, welche von ſolcher Ver - blendung ferne bleiben, werden nach und nach es wenigſtens müde, ungehört und nutzlos für Wahr - heit zu kämpfen, ſie ſchweigen, bis zuletzt auch ſie die gewaltige Macht der Gewohnheit beſiegt, und156 ſo geht nach und nach mit dem Guten und Schönen ſogar auch die Erinnerung an deſſen einſtigen Beſitz verloren, bis ein glücklicher Zufall es wieder ans Licht bringt, und ihm zum zweitenmal den bezau - bernden Reiz der Neuheit verleiht.

Hemskerk malte auf dieſe ſeine neue Weiſe unendlich vieles; Geld, Ehre und Schüler ſtröm - ten von allen Seiten ihm zu, und machten ihn taub gegen jeden Tadel von Außen, vielleicht auch gegen die Stimme, die ſich doch wohl zuweilen in ſeinem Jnnern gegen ſein jetziges Treiben erheben mochte. Einer ſeiner Schüler wagte einſt die Äußer - ung, daß einige Kunſtkenner Hemskerks frühere, nach Schoreels Weiſe gemalte Bilder ſeinen in der neuen Manier weit vorzögen. Hemskerk erwiederte ganz gelaſſen: Mein Sohn! als ich jene Bilder malte, wußte ich gar nicht was ich that. Wohl hatte er hierin Recht, mehr als er ſelbſt es damals glauben mochte, denn gerade in dieſer Unbefan - genheit, dieſer durchaus mit keinen Nebenabſichten verbundnen treuherzigen Einfalt, mit welcher die alten Maler ſich den Eingebungen ihres Genius157 überließen, und, bei möglichſter Treue im Dar - ſtellen der Wirklichkeit, es nie unternahmen, die Natur noch übertreffen zu wollen, liegt ja das Ge - heimniß ihrer, mit dieſer wetteifernden Größe. Nichts aber ſteht ächter Kunſt mehr entgegen als Künſtelei, Abſichtlichkeit und oberflächliches Haſchen nach glänzendem Effekt.

Hemskerk begnügte ſich nicht, nur in ſeinen Ge - mälden dieſe Abirrung von der rechten Bahn immer weiter zu verbreiten; er zeichnete auch viel, und da er ſelbſt weder in Holz ſchnitt, noch in Kupfer ſtach, ſo wurden viele hundert Blätter nach ſeinen Zeichnungen von andern Meiſtern, beſonders von einem, Namens Coornhardt, radirt, in Holz ge - ſchnitten, und geätzt. Dieſe ſind zum Theil bis auf unſere Zeiten gekommen, und ganz im Geſchmack ſeiner ſpätern Gemälde; einzelne Lichtpunkte, welche in dieſen wie in jenen bezeugen was der Meiſter vormals war, betrüben ſtatt zu erfreuen, denn ſie erſcheinen wie lichte Momente eines in trübem Wahnſinn untergegangnen, einſt hohen, edlen und reichen Geiſtes.

158

Von allen Seiten ſtrömten Hemskerken Beſtel - lungen bedeutender Arbeiten für Kirchen, Palläſte und Sammlungen von Kunſtfreunden zu; große Summen, zum Theil auch lebenslängliche Leibren - ten waren ſein Lohn. Er brachte ganz ungewöhn - liche Kunſtſtücke und Verzierungen auf dieſen ſeinen Arbeiten an; ſo malte er zum Beiſpiel den polirten Marmorboden einer Verkündigung für den Altar einer Kirche in Harlem ſo aus, daß der darauf ſtehende Engel Gabriel ſich in dieſem abſpiegelte, als ſtünde er auf klarem Eiſe. Ein reicher Kunſt - freund, Jakob Rauwaart, zog ſogar zu ihm ins Haus, und ließ ſich unter die große Zahl ſeiner Schüler aufnehmen. Dieſer nämliche Freund zählte ihm für eine Darſtellung des jüngſten Gerichts den Tiſch ſo lange voll goldener Doppeldukaten, bis Hemskerk ſelbſt ausrief, es ſey nun genug, was gewiß ſehr ſpät geſchah, denn der Meiſter war nichts weniger als uneigennützig oder freigebig.

Seine große Liebe zum Gelde verleitete ihn ſogar wenige Jahre nach dem Tode ſeiner erſten jungen ſchönen Frau ein altes ſehr häßliches,159 dabei geiſtloſes und ganz ungebildetes Mädchen zu heirathen, das ihm aber ein bedeutendes Vermögen zubrachte. Dieſe zweite Gattin verbitterte ihm nicht nur im Hauſe das Leben, ſondern brachte ihn und ſich auch außer demſelben durch ihr Betragen oft in ſchimpfliche Verlegenheit, indem ſie bei Kaufleuten theils Waaren ausnahm, die ſie nicht bezahlte, theils manches heimlich mit gehen hieß, ſo daß ſie zuletzt durch die Entdeckung dieſer Be - trügereien in den Augen ihrer Mitbürger für völlig ehrlos galt.

So war denn Hemskerk nach und nach zu einem ſehr großen Vermögen gelangt, aber er verſtand nicht die Kunſt, ſich ſeines Reichthums auf würdige Weiſe zu erfreuen, vielmehr lebte er immerfort mit ängſtlicher Sparſamkeit, fühlte dabei ſtets eine heimliche Angſt, einſt im Alter Noth leiden zu müſſen, zitterte immer vor plötzlichen Unglücksfällen, die über ihn hereinbrechen könnten, und trug des - halb ſtets eine bedeutende Anzahl Goldſtücke mit ſich herum, die er eigenhändig in ſeine Kleider ein - genäht hatte. Überhaupt war er unglaublich furcht -160 ſam, ängſtlich und kleinmüthig, ſo daß er, wenn die Schützengeſellſchaft mit Gepränge zu ihrem Feſte durch die Straßen von Harlem zog, ſich auf die Spitze des höchſten Thurms flüchtete, um nicht durch ein zufällig losgehendes Gewehr erſchoſſen zu werden, und ſelbſt dort glaubte er ſich noch nicht ganz ſicher und außer dem Schuſſe.

Bei dieſer ſeiner großen Muthloſigkeit war er natürlicher Weiſe auch einer der erſten, welche im Jahr 1572, da die Spanier Harlem belagerten, aus der bedrohten Stadt flüchteten. Er zog nach Amſterdam zu ſeinem Schüler und Freunde Jakob Rauwaart, und kehrte erſt nach völlig hergeſtellter Ruhe in ſeine Heimath zurück. Jndeſſen hatten die Spanier beim Übergange der Stadt eine große Anzahl ſeiner Gemälde unter dem Vorwande, ſie kaufen zu wollen, mit ſich nach Spanien genom - men; viele gingen ſpäterhin durch die Bilder - ſtürmer zu Grunde, und ſelbſt ſchon zu Karl von Manders Zeiten war nur wenig von ihm noch in Harlem und der Umgegend zu finden.

Martin Hemskerk war nun vier und ſiebenzig161 Jahre alt, ſeine Frau todt, er kinderlos und frei, daher dachte er jetzt mit Recht ernſtlich daran, ſein Haus zu beſtellen.

Mit jener Art Prachtliebe, die man ſo oft bei ſonſt geizigen Naturen antrifft, ließ er vor allen Dingen auf dem Kirchhofe des Dorfes Hemskerk ſeinem Vater, dem alten Bauer, der ihn mit dem Knittel der Kunſt zugetrieben hatte, ein prächtiges Monument ſetzen, und beſtimmte in ſeinem Teſta - mente die Zinſen eines nicht unbedeutenden Kapitals zu deſſen Erhaltung auf ewige Zeiten. Das Bruſt - bild des alten Jakob Willems van Veen war darauf an einer ſteinernen Pyramide im Medaillon ange - bracht; auch fehlte es nicht an Todtenköpfen, weinen - den Genien mit umgekehrten Fackeln, deutſchen und lateiniſchen Jnſchriften, und einem großen ſchönen Wappen mit Adlern, Löwen, und auf die Kunſt Bezug habenden Sinnbildern. Die Zinſen eines andern Kapitals beſtimmte Hemskerk zur Aus - ſtattung einiger jungen liebenden Paare, die noch zu Karl von Manders Zeiten, ſo wie jener es in ſeinem Teſtamente verordnet hatte, auf deſſenII. Bd. 11162Grabe alljährlich getraut wurden. Hemskerk ordnete ſonſt noch manche fromme wohlthätige Stiftung für künftige Zeiten an, ſchied endlich am erſten Ok - tober des Jahres 1574 als ein ſechs und ſiebenzig - jähriger Greis aus dieſem Leben, und ward von ſeinen Mitbürgern in der Kapelle an der Nordſeite der großen Kirche zu Harlem ehrenvoll und feier - lich begraben.

163

Anton Moro von Utrecht.

Auch dieſer im Jahre 1519 zu Utrecht ge - borne Meiſter widmete ſich unter Schoreels Leitung der Malerei und wußte durch Fleiß, Talent und gutes Betragen ſich die Zufriedenheit ſeines großen Lehrers in kurzer Zeit zu erwerben. Das Beiſpiel Schoreels, welchen Anton Moro einzig durch ſeine Kunſt zu Ehre und Vermögen gelangt ſah, feuerte den ehrgeizigen und lebensluſtigen Jüngling an, ihm mit Kraft und Ausdauer nachzuſtreben; er hielt ſich genau an Lehre und Beiſpiel ſeines Meiſters, blieb wie dieſer, der Natur und der Wahrheit getreu, ohne ſich durch die Blendwerke neuerer Erfindung irren zu laſſen, und reißte zulezt nach damaligem Gebrauch auf einige Jahre nach Jtalien, von wo er als vollendeter Meiſter wiederkehrte und ſich beſonders durch ſeine Porträte allgemeine Bewun - derung erwarb.

Dieſe wußte er mit kräftigem markigen Pinſel und ſehr vollendeter Ausführung nicht nur ſprechend ähnlich, ſondern auch mit einer ganz eignen Anmuth11 *164gleichſam wie lebend darzuſtellen, ſo daß der Kar - dinal Granvella ihn vor allen Andern dem Kaiſer Karl dem fünften empfahl, als dieſer einen geſchick - ten Maler wegen des Porträts der erſten Braut ſeines Sohnes Philipp, der Prinzeſſin Marie von Portugall, nach Liſſabon ſenden wollte.

Anton Moro kam glücklich in Liſſabon an, ward ehrenvoll empfangen, herrlich bewirthet, und malte nicht nur die Prinzeſſin, ſondern auch ihre Eltern zur allgemeinen Zufriedenheit. Außer ſechshundert Dukaten, welche Kaiſer Karl dem Maler für dieſe drei Porträte gab, ward er noch vom König von Portugall mit koſtbaren Geſchenken überhäuft, und das portugieſiſche Volk ließ dem glücklichen Maler noch obendrein eine ſchwere goldne Ehrenkette, tauſend Gulden an Werth, überreichen. Nächſt - dem malte er noch viele Vornehme des Liſſaboner Hofes, erhielt für jedes Bild hundert Dukaten, für manches noch obendrein reiche Geſchenke an goldnen Ketten und anderen Kleinodien, und kam auf dieſe Weiſe, überhäuft mit Ehrenbezeigungen und beladen mit Reichthümern, bei ſeinem Kaiſer165 an, in deſſen Dienſten er von nun an verweilte. Er malte auch das Porträt Philipps des zweiten, als dieſer fünf und zwanzig Jahre alt war, und wurde dann nach England geſendet, um das Porträt der Königin Marie, Philipps zweiten Braut, zu fer - tigen. Das Bildniß dieſer Königin, eines ſeiner gelungenſten, wurde ſehr freigebig belohnt. Er erhielt dafür, außer einer ſchweren goldnen Kette und einhundert Pfund Sterling, noch eine jährliche Rente von ebenfalls einhundert Pfund, und über - dem noch bedeutende Geſchenke von mehreren fürſt - lichen und vornehmen Perſonen, denen er Kopien von dieſem Bilde überreichte.

Jn ſeinem Vaterlande, wohin er von Eng - land zurückkehrte, blieb Anton Moro, nachdem Karl der fünfte dem Thron entſagt hatte, im Dienſte von deſſen Sohn, Philipp dem zweiten, und ging nach dem mit Frankreich im Jahr 1559 abgeſchloß - nen Frieden, mit dieſem ſeinem Herrn nach Madrid, wo er eine Zeitlang an deſſen Hofe verweilte.

Anton Moro war nicht nur ein vorzüglicher Maler, ſondern auch geiſtreich, gebildet, ange -166 nehm im Umgange, ſtattlich und gefällig in ſeinem Äußern, und hatte das Glück, ſich durch dieſe Ei - genſchaften bei dem Könige in ganz beſondere Gunſt zu ſetzen. Dieſer fürchterliche Despot, bei deſſen bloßem Namen ſonſt Alles zitterte, würdigte den Maler einer Vertraulichkeit im Umgange, die Allen, beſonders aber der Alles beachtenden Jn - quiſition auffallen mußte. Er ſelbſt fühlte ſich durch des Königs Benehmen oft zu einer Sorgloſigkeit und Vergeſſenheit hingeriſſen, die auf dem Boden, auf welchem er ſtand, ihm höchſt gefährlich werden konnte, denn oft dachte er gar nicht daran, daß er dem unumſchränkten Herrſcher über Leben und Tod gegenüberſtände.

Einſt, als Anton Moro im Beiſeyn des Königs malte, klopfte ihm dieſer im freundlichen Geſpräch ein paarmal auf die Achſel, und der un - glückſelige Maler fühlte ſich endlich zu einem ſolchen Grad von Vergeſſenheit hingezogen, daß er dieſe Vertraulichkeit erwiederte, und zwar mit dem Malerſtock, den er eben in der Hand hielt. Wun - derbar genug ſchien der König dieſes unvor -167 ſichtige Benehmen ſeines Lieblings gar nicht zu be - merken. Vermuthlich betrachtete er ihn wie ein wohlgelittnes Hausthier, dem man ſeiner gefälligen Künſte wegen wohl einmal eine kleine Unart über - ſieht, aber der tauſendäugigen Jnquiſition war es nicht entgangen. Dieſe traf ſchon die ernſtlichſten Anſtalten, ſich des Frevlers an des Königs gehei - ligter Perſon zu bemächtigen, und der arme Anton Moro wäre ſelbſt ſeinem hohen Beſchützer unrettbar verloren geweſen, hätte nicht ein Großer des Hofes, der ihm wirklich wohl wollte, die Gefahr, in welcher er ſchwebte, noch bei Zeiten entdeckt. Unter irgend einem paſſenden Vorwande wußte dieſer brave Mann vom Könige einen Urlaub für den Maler zu erhalten, den dieſer mit dem Ver - ſprechen, bald wieder zu kehren, ſchnell benutzte, ein Schiff beſtieg und ſeinem Vaterlande zuſegelte, ehe die Jnquiſition Zeit hatte, ihn mit der ſchon ausgeſtreckten Kralle zu faſſen.

Dieſes muß um das Jahr 1560 geweſen ſeyn, und Anton Moros Aufenthalt in Spanien folglich kaum ein Jahr gewährt haben, denn er ſuchte nach168 ſeiner Heimkunft ſeinen alten Freund und Lehrer Schoreel wieder auf, deſſen ſehr ähnliches Bildniß, obgleich er ihn ſehr leidend fand, er noch zwei Jahre vor deſſen im Jahr 1562 erfolgten Tode mit ausge - zeichneter Sorgfalt und Liebe malte.

Anton Moro dachte in Utrecht, wo er ſich niederließ, ſehr oft mit Sehnſucht ſeines verlornen glänzenden Lebens, bis eine Botſchaft des Herzogs Alba, der ihn zu ſich nach Brüſſel berief, ihn dieſer unfreiwilligen Eingezogenheit wieder entriß. Er war ſo entzückt über dieſen Ruf, daß er alles ſein Hausgeräth verſchenkte, aus ſeinen Staffeleien ein Freudenfeuer machte, und dann, ſo ſchnell er konnte, ſeinem hohen Gönner entgegen zog.

Er muß eine ganz eigne Gabe beſeſſen haben, die wildeſten blutdürſtigſten Gemüther zu zähmen und zu gewinnen, denn wie König Philipp, ſo war auch deſſen nicht minder furchtbarer Alba dem Anton Moro zugethan. Er überhäufte ihn mit Beweiſen ſeiner Huld, machte ihm nicht nur bedeutende Ge - ſchenke, ſondern übertrug ihm auch eine Stelle bei dem Steuerweſen in Weſtflandern, bei der es viel169 einzunehmen, und wenig zu thun gab, ſo daß der Maler wie ein kleiner Fürſt leben konnte, und immer mit einem ſtattlichen Gefolge und vielen ſchönen Pferden in Brüſſel einherzog. Auch ſeine Kinder, deren er viele hatte, wurden alle durch Kanonikate, Präbenden und auf andere Weiſe ſehr reichlich und anſtändig verſorgt.

Dafür malte Anton Moro Alles was ſein Be - ſchützer von ihm verlangte, beſonders alle ſchöne Damen, welche Herzog Alba nach ſeiner Art liebte und deren nicht wenige waren. Oft ließ König Philipp ſeinen Maler zur Rückkehr nach Madrid ermahnen; doch der Jnquiſition durfte Niemand, der ihr einmal glücklich entgangen war, zum zweiten - mal ungeſtraft nahen. Dieß bedachte Anton Moro, und war ſo glücklich mit Hülfe des Herzogs Alba, der ihn auch nicht verlieren mochte, den Anforderun - gen des Königs immer durch geſchickte Wendungen auszuweichen.

So lebte Anton Moro in Freude und Herrlich - keit ein genußreiches aber nicht langes Leben; er ſtarb ſchon im ſechs und funfzigſten Jahre ſeines170 Alters im Jahr 1575 zu Antwerpen, wohin er berufen war, um eine Beſchneidung für die dortige Frauenkirche zu malen. Denn er war auch in ge - ſchichtlichen Darſtellungen ein großer geachteter Meiſter und hatte deren viele für ſeinen König und auch ſonſt gemalt, unter andern eine meiſter - hafte Kopie der Danae von Tizian, welche nach Madrid kam.

Das Gemälde in Antwerpen blieb nach dem Tode des Meiſters unvollendet. Überhaupt ſind ſeine Gemälde jetzt ſo ſelten, daß man erzählt, ein Kaufmann in Paris habe eine große Summe Geld damit erworben, indem er ein Bild von ihm auf dem Jahrmarkte von Saint Germain öffentlich zeigte, welches den Heiland zwiſchen den Apoſteln Petrus und Paulus darſtellte.

171

Johann Schwartz, auch Swarte Jan genannt.

Johann Schwartz ward gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts in Gröningen, der Hauptſtadt Oſtfrieslands geboren. Von ſeinem frühern Leben weiß man nur, daß er im Jahre 1522 um die Zeit, da Schoreel aus Jtalien wiederkehrte, in Gouda lebte, und daß der all - gemein ausgebreitete Ruf jenes großen Meiſters ſehr ſchnell bis zu dem kalten neblichen Wohn - orte des jungen geiſtvollen Malers drang, der ſich alſobald durch dieſen bewogen fühlte, Scho - reeln aufzuſuchen, um von ihm zu lernen. Später ging er nach Jtalien, wo er ſeine Bildung vol - lendete, doch aber keinesweges Schoreelen und der Natur untreu ward. Jm Gegentheil hatte er Schoreels Art zu malen ſich durchaus angeeignet, beſonders in den landſchaftlichen Hintergründen, welche dieſer ſo meiſterhaft darzuſtellen verſtand, und war und blieb ein ſehr ausgezeichneter ehren -172 werther Meiſter der alten von van Eyck ſtammen - den deutſchen Schule.

Seine Gemälde ſind in unſern Tagen ſelten anzutreffen, doch beſitzt die Boiſſeréeſche Samm - lung eines davon; ein kleines, höchſt anmuthiges Bild, welches ſowohl durch die Wahl des Gegen - ſtandes, als durch Pracht der Farben, durch ſorg - fältige Ausführung und naturgemäße, höchſt leben - dige Darſtellung an die herrlichſte Zeit der alten deutſchen Kunſt auf das Lebhafteſte erinnert.

Es ſtellt die heiligen drei Könige zu den Füßen des Chriſtkindes dar. Maria ſitzt, das Kind auf dem Schooß haltend, in der Mitte des Gemäldes, und Huld und Anmuth umſtrahlen die edle Geſtalt der holdſeligen Mutter. Der älteſte der Könige bietet knieend dem kleinen Chriſtus ein goldnes Prachtgefäß, und dieſer hebt, kindlich ſpielend, den Deckel davon ab. Die Anmuth des wunder - ſchönen Kindes, der Kontraſt dieſes anmuthigen Spieles mit dem wahrhaft göttlich ernſten Blick, mit welchem es den knieenden König betrachtet, gibt dem Bilde etwas unnennbar Anziehendes. Ehr -173 furchtsvoll zu dem Kinde hingeneigt, bietet der zweite König ſeine reiche Gabe, während von der andern Seite der Mohrenkönig mit kühnem Schritt, jedoch entblößten Hauptes, herantritt. Dießmal iſt er ein wirklicher Mohr von kleiner, faſt zwergähn - licher Geſtalt. Die übrigen Umgebungen ſind un - gemein vollendet in der Ausführung, und geben dem Ganzen etwas Heiteres, wozu die Friſche des blühenden Kolorits nicht wenig beiträgt.

Mehrere von Johann Schwartz in Holz ge - ſchnittne Zeichnungen, haben ihm auch in dieſem Zweige der Kunſt unter den Meiſtern ſeiner Zeit einen ehrenvollen Plaz erworben; vor Allem eine Darſtellung des Heilandes, der von einem Nachen in der Mitte des Stromes dem Volke predigt, wobei der Künſtler viele bedeutende, geiſtreich gedachte und gezeichnete Gruppen der am Ufer verſammelten Zuhörer anbrachte. Auch einige mit Pfeil und Bogen bewaffnete Türken zu Pferde, von ihm auf die nämliche Weiſe abgebildet, werden ſehr gelobt.

174

Sein übriges Leben verhüllt das Dunkel der Zeit. Man kennt nicht einmal den Ort wo er ſtarb, noch das Jahr ſeines Todes.

175

Johann von Calkar.

Johann von Calkar ward um das Jahr 1500 in der im Herzogthum Cleve liegenden Stadt, deren Namen er führt, geboren, und auch von dieſes Meiſters Jugendgeſchichte und ſeinem Beginnen auf der Bahn der Kunſt iſt nur wenig bis auf unſere Zeiten gekommen. Er vollendete ſeine Bildung in Jtalien, und könnte, als einer der vorzüglichſten Schüler Tizians, eher zu den italiäniſchen Meiſtern als zu den Nachfolgern van Eycks gezählt werden. Doch ſeine Geburt eignet ihn uns an, er nimmt in der Reihe der großen Meiſter jedes Landes einen ſo ehrenvollen Plaz ein und hielt bei allen Vor - zügen der italiäniſchen Schule, welche er ſich an - zueignen wußte, dennoch ſo feſt an der Natur, blieb ſo ferne von allen erzwungnen Künſteleien, daß wir billig uns freuen, ihn den Unſern zu nennen, und uns keinesweges dieſes Rechtes begeben dürfen.

Wahrſcheinlich kam er auf ſeiner Wanderung nach Jtalien in jene Mörderherberge zu Dordrecht, deren in Hemskerks Leben Erwähnung geſchieht,176 und die Tochter jenes Hauſes rettete ſich und ihn, indem ſie mit ihm nach Venedig entfloh. Denn als im Jahr 1536 die dort verübten Gräuel endlich von der Obrigkeit entdeckt wurden, lebte dieſes unglückliche Mädchen bei Johann von Calkar, in ſeinem Hauſe zu Venedig, wo dieſer damals ſchon anſäſſig war. Sie ward auf Verlangen der Obrig - keit von Dordrecht, in Venedig vor Gericht gezo - gen, doch da ſie ihre Unſchuld an den Verbrechen ihrer Eltern beweiſen, und man ſie doch nicht dafür beſtrafen konnte, daß ſie dieſelben verſchwiegen hatte, ſo ließ man ſie bald wieder frei zu ihrem Be - ſchützer zurückkehren.

Johann von Calkar hatte ſich Tizians Art zu malen ſo ganz angeeignet, daß es oft ſchwer war, die Arbeiten des Schülers von denen des Meiſters zu unterſcheiden. Man ſagt, daß die größten Kenner und bedeutende Künſtler ſeiner Zeit ſich durch die große Ähnlichkeit zwiſchen beiden zuweilen für den Moment irre führen ließen, und eine Mater Doloroſa von ihm in der Boiſ - ſeréeſchen Sammlung iſt in der That von ſo hoher177 Schönheit, daß man die Möglichkeit eines ſolchen Jrrthums leicht begreift.

Ein weiter dunkelblauer Mantel umgibt im herrlichſten Faltenwurf die ſchöne Geſtalt, wahr - ſcheinlich das Porträt einer edlen noch jugendlichen Frau. Nichts kann einfacher und dabei doch herz - ergreifender gedacht werden, als der tiefe Aus - druck unendlichen Schmerzes in den ſchönen Zügen dieſes Geſichts. Und doch iſt über dem Ganzen eine ſo unbeſchreibliche Anmuth verbreitet, daß wir dabei eine Art wehmüthiger Freude empfinden ein ſolches Leid ſo getragen zu ſehen. Sie weint nicht mehr, denn alle ihre Thränen ſind längſt vergoßen, ſie klagt nicht, denn ihr Schmerz iſt zu groß für jede Klage. Sie weiß, es gibt keinen Troſt mehr für ſie auf Erden, aber ſie hat ſich darein ergeben, nicht aus weichlicher Schwäche, ſondern im feſten Vertrauen in Gott und ſeinen Willen. Die Linke der ſchönen Hände ruht auf der noch ſchmerzlich wogenden Bruſt, die Rechte iſt erhoben, als deute ſie auf einen Gegen - ſtand auſſerhalb dem Bilde, zu welchem das Gegen -II. Bd. 12178ſtück, wahrſcheinlich ein Ecce Homo, verloren ging.

Wie hoch Johann von Calkarts Gemälde, auch in ſpätern Zeiten, von den bedeutendſten Kennern geſchätzt wurden, beweiſ’t die große Vorliebe, mit der Rubens ein kleines, kaum über eine Spanne großes Bildchen von ihm bewahrte, das er überall mit ſich führte. Es ſtellte die Hirten vor, wie ſie Joſeph an der Krippe des neugebornen Heilan - des freundlich empfängt, und der Künſtler hatte dabei, wie Correggio in ſeiner berühmten Nacht, das Licht von dem Kinde ausgehen laſſen. Sandrart erkaufte dieß Gemälde nach Rubens Tode in deſſen Nachlaß-Verſteigerung. Er überließ es ſpäter dem Kaiſer Ferdinand dem dritten, der es mit ſich nach Prag führte, von wo es nach Wien kam, und ſich jetzt wahrſcheinlich dort in der Gallerie von Belvedere befindet.

Johann von Calkarts Zeichnungen mit Feder und Kreide ſind von nicht minderem Kunſtwerth als ſeine Gemälde. Faſt alle Bildniſſe der Maler in Vaſaris Beſchreibung von deren Leben ſind179 von ſeiner Hand gezeichnet, ſo auch die Tafeln zu dem anatomiſchen Werk des berühmten Arztes Veſalius. Er zog zuletzt von Venedig nach Neapel, vielleicht weil die Geſchichte des un - glücklichen Mädchens von Dordrecht dort zu viel Aufſehen erregt hatte, ſtarb aber wenige Jahre nach dieſer Veränderung ſeines Aufenthaltes im Jahre 1546, und in der Blüthe ſeiner Jahre, leider viel zu früh für die Kunſt, deren Zierde er war.

12 *180

Karl von Mander.

Dieſer durch hellen Geiſt, unermüdlichen Fleiß, und feſten ſtets friſchen Lebensmuth aus - gezeichnete Mann, verdient es wohl, daß wir ihm und ſeinen mannichfaltigen Schickſalen am Schluſſe des Buches einige Blätter weihen, welches ohne ſein treues Vorarbeiten gar nicht hätte ge - ſchrieben werden können. Denn ihm allein ver - danken wir den größten Theil deſſen, was wir von dem Leben der alten Meiſter noch wiſſen. Mit unſäglicher Mühe und Geduld forſchte er dem nach, was er davon in Erfahrung bringen konnte, zeichnete es treulich für die Nachwelt auf, und ward ſo der eigentliche Urheber aller alten deutſchen Kunſtgeſchichte.

Auch in Hinſicht auf die Malerei ſelbſt iſt Karl von Mander merkwürdig, wenn gleich nicht als treuer Nachfolger van Eycks und der Natur, ſondern als Beiſpiel der unglaublichen Verblen - dung, welche in jener Zeit ſich auch Solcher be - mächtigte, die mit den reichſten Anlagen ausge -181 ſtattet waren und früher gewiß in der Reihe der preißwürdigſten Meiſter einen ehrenvollen Plaz eingenommen hätten.

Karl von Mander ward geboren im Mai des Jahres 1548 zu Meulebeck, einem großen Dorf in einer der anmuthigſten Gegenden von Flandern. Er ſtammte aus einem altadeligen Geſchlecht, und mehrere ſeiner Ahnherren bekleideten ſchon im drei - zehnten Jahrhundert hohe geiſtliche Würden und bedeutende Ehrenämter in ihrem Lande. Sein Vater Cornelis von Mander, war ein ſtattlicher, ſehr verſtändiger Mann, der mit ſeiner Gattin Johanna von der Beck, und ſeinen Kindern auf ſeinem eignen Landgute in Meulebeck in Wohlhaben - heit und Anſehen ein angenehmes ländliches Leben führte. Auſſer ſeinen eignen Beſitzungen verwaltete er noch ſehr große Güter, wit welchen er von der Regierung ſeines Landes belehnt war, und galt als Amtmann und Einnehmer der fürſtlichen Gefälle für einen der bedeutendſten Einwohner der Um - gegend ſeines Ortes.

Karl von Mander hatte noch einen ältern182 Bruder, Namens Cornelis, einen jüngern der Adam hieß, und zwei Schweſtern. Cornelis war von Jugend auf ein ſtiller ordentlicher Knabe, Karl aber ſchon als Kind ſehr lebhaften Geiſtes, voll witziger Einfälle, und täglich allerlei luſtige Knabenſtreiche übend, die aber nie ins bößartige fielen. Dabei zeigte Karl ſchnelle Faſſungsgabe, hellen Verſtand, unermüdliches Streben nach geiſti - ger Ausbildung und ein erklärtes Talent für Malerei und Poeſie. Tiſche, Bänke und Wände bedeckte er mit Zeichnungen und allerlei Reimen von ſeiner Fabrick, auch ſeine Schreibebücher blieben nicht frei davon, und ſo beſchloßen die Eltern end - lich den viel verſprechenden Knaben nach der nahen Stadt Thielt in die lateiniſche Schule zu bringen. Er machte dort in allem, was ihm gelehrt ward, ſchnelle und bedeutende Fortſchritte, jedoch ohne das Malen und Reimen zu unterlaſſen. Später - hin ſchickte man ihn nach Gent, zu einem franzö - ſiſchen Sprachmeiſter, wo ſein in jener Stadt lebender Oheim die Aufſicht über ihn hatte. Dieß war Franz von Mander, der als ein auf Reiſen183 in fremden Ländern vielſeitig gebildeter Mann, ſich vollkommen dazu eignete, die Erziehung ſeines lebhaften geiſtvollen Neffen zu leiten.

Des allmählig zum Jüngling heranwachſenden Knaben unwiderſtehlicher Hang zur Poeſie und Malerei, der ſich immer deutlicher zeigte, bewog nach einiger Zeit den Oheim, ihn mit Beiſtim - mung der Eltern zu Lukas de Heere förmlich in die Lehre zu geben. Dieſer ward damals in Gent, ſeinem Wohnorte, nicht nur als ein bedeutender Meiſter in der Malerei, ſondern auch als ein ſinn - reicher Poet in großen Ehren gehalten. Das Lob - gedicht auf van Eycks Meiſterwerk zu Gent, welches letzterem gegenüber in der Kirche aufge - ſtellt ward, war von ihm, und Karl von Mander mußte ſich bei dieſem Manne völlig in ſeinem Ele - mente befinden, da er ihm Malen und Verſemachen lehrte. Auch hing er dafür Zeitlebens mit ganzer Seele an ſeinem Meiſter und brachte in der Folge in ſeinem Malerbuche deſſen Lob bei jeder einigermaßen ſchicklichen Gelegenheit an.

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Nach einigen ſo verlebten Jahren nahm Karl von Manders Vater dieſen von Gent fort, und brachte ihn nach der ebenfalls nah belegnen Stadt Courtray zu einem andern Meiſter Namens Peter Ulrick, unter deſſen Leitung er noch etwas über ein Jahr die Kunſt übte, und dann als ein und zwanzigjähriger Jüngling im Jahr 1569 wieder im väterlichen Hauſe einzog.

Es ſchien beinah, als ob er jetzt die bil - dende Kunſt aufgeben wollte, um ſich ganz den ſchönen Wiſſenſchaften, vor Allem der Poeſie zu weihen. Er malte Anfangs nur wenig, las, ſchrieb und dichtete aber um ſo mehr, und fand beſonders große Freude an theatraliſchen Darſtel - lungen, die er durch ſeine Geſchwiſter und ſeine nächſten Umgebungen im väterlichen Hauſe auf - führen ließ. Bei dieſen war er Dichter, Deko - rateur und Direktor in Einer Perſon, und zeigte dabei Talent und bedeutendes Erfindungsvermögen. Jene Kunſt war damals noch ganz in der Kindheit, von Theatern, wie wir ſie jetzt beſitzen, noch keine Spur vorhanden. Nur Fürſten und große Herren185 ließen zuweilen bei feſtlichen Gelegenheiten allego - riſche Aufzüge, bei denen geſprochen ward, in ihren Palläſten aufführen, während das Volk nur Poſſen - ſpiele kannte, die um Faſtnacht oder auf Jahrmärk - ten, gewöhnlich unter freiem Himmel, auf breter - nen Gerüſten dargeſtellt wurden, oder geiſtliche Komödien, welche die Schüler unter der Leitung der Geiſtlichkeit zuweilen in der Schule aufführten. Jung und alt ſtrömte daher aus der Umgegend zu - ſammen, als Karl von Mander eine Darſtellung der Sündfluth veranſtaltete; der Beifall war unermeß - lich, und man achtete es nicht, daß ein großer Theil der Zuſchauer, die ſich dem Theater zu nahe gedrängt, naß bis auf die Haut, ſich eiligſt zurück - ziehen mußten. Denn um die Sache recht natür - lich zu machen, hatte Karl von Mander eine Menge Waſſer mit Handpumpen in ein nahes Haus bringen laſſen, welches, als die Sündfluth hereinbrach, von dort mit großer Gewalt auf das Theater herab - ſtürzte. Vorher ſah man, wie Noah ſeinen ſündigen Zeitgenoſſen Buße predigte, dann die Arche baute, und ſie mit den Seinen bezog. Man ſah alle Thiere186 paarweiſe ihm folgen, man ſah die Arche auf den Wellen treiben, den Raben und die Tauben aus - fliegen; ein großes mit Ertrinkenden über und über bemaltes Tuch wurde dabei an Stricken queer über das Theater gezogen, und ſtellte den Untergang der Gottloſen ſo anſchaulich dar, daß viele der Zu - ſchauer bei dem Anblick in Thränen zerfloſſen, und ſich vor Jammer und Rührung nicht zu laſſen wußten. Kurz die ganze Darſtellung ging ſo vor - trefflich, daß der jüngere Cornelis von Mander, der ſonſt mit dem Treiben ſeines Bruders Karl wenig zufrieden war, und es lieber geſehen hätte, wenn ihm dieſer bei ſeinem Leinwand-Handel ge - holfen hätte, ſich dennoch von ihm bereden ließ, die Koſten des Schauſpiels zu bezahlen. Dafür aber erklärte ihn auch die Mutter für einen noch größern Narren als Karl, weil dieſer ohne ſein Geld ſolche Poſſen nicht hätte ausführen können.

Dieſem Schauſpiele folgten noch viele andere, die Karl von Mander alle ſelbſt dichtete; Ne - bukadnezars Geſchichte, Salomos Urtheil und der - gleichen, lieferten ihm die Motive dazu. Das187 prächtigſte aber, wobei funfzig Perſonen mitſpiel - ten, Kameele nebſt vielen andern fremden Thieren auftraten, wurde am Pfingſttage aufgeführt, und ſtellte den Beſuch der Königin von Saba bei dem weiſen Salomo vor. Der Zulauf dabei war un - geheuer, Haufenweiſe zogen die Leute aus Brügge, Gent und andern benachbarten Städten herbei, und Karl von Manders Name ward dadurch berühmt und bekannt in der Ferne wie in der Nähe. Er galt aber auch noch überdies für einen tüchtigen Poeten wegen ſeiner vielen Lieder geiſtlichen und weltlichen Jnhalts, ſeiner Tafel-Lieder, Refrains und Minnelieder. Von allen Seiten erhielt er Auf - träge zu Gelegenheits-Gedichten, und erwarb durch ſeine Reime mehrere der in damaliger Zeit aus - geſetzten Ehren-Preiſe, die aber in ſeinem Lande nicht wie in Toulouſe aus goldnen Veilchen oder ſilbernen Lilien, ſondern aus gutem brauchbaren Zinngeräthe beſtanden. Daneben dichtete er auch manches Spottlied und luſtige Faſtnachtsſtück, welche er durch die Bauern in Meulebeck zu aller Welt Ergötzen aufführen ließ.

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So verlebte er fünf Jahre fröhlichen Muthes, und malte zuletzt auch wieder ſehr fleißig für Kirchen, Rathhäuſer und Privatſammlungen, bis im Jahr 1574 die Eltern ſeinen Bitten nachgaben und ihm erlaubten nach Rom zu reiſen. Der Vater verſorgte ihn mit Geld, der vielgereißte Oheim aus Gent, der auch einſt in Jtalien geweſen war, gab ihm allerlei nützliche Notizen und Ermahnungen mit auf den Weg, die Mutter ſorgte für ſeine Gar - derobe, und ſo zog er denn freudig und erwartungs - voll im blühenden Alter von ſechs und zwanzig Jahren aus dem väterlichen Hauſe in die weite Welt.

Einige junge Edelleute, mit denen er die Reiſe antrat, verließ er bald unterweges, denn dieſe wollten immer vorwärts, er hingegen hielt ſich bei allem ihm unterweges vorkommenden Merkwür - digen auf, beſonders in den italiäniſchen Städten, durch welche ſein Weg führte. Hier beſuchte er alle Werkſtätten der berühmten noch lebenden Maler, und betrachtete mit Entzücken die hohen Meiſter - werke der zunächſt vergangnen Zeit, die ihm überall189 noch friſchen Glanzes in Kirchen und Palläſten ent - gegen ſtrahlten. Nach ſeiner Ankunft in Rom be - nutzte er jede Stunde mit gewiſſenhafter Treue für ſeine Kunſt, nebenher zeichnete er Alles, was ihm bemerkenswerth erſchien, in ſeinem Tagebuche auf, beſonders die Beſchreibung der vielen Feierlich - keiten, von welchen er im Jahr 1575 bei der ſeltnen Feier des päpſtlichen Jubiläums Augenzeuge war. Aus all dieſem bildete er ſpäterhin eine Reiſe-Be - ſchreibung, welche auch im Druck erſchienen iſt. Er zeichnete viel nach der Anticke, malte ſehr fleißig, und that ſich beſonders durch große Landſchaften hervor, die er auf friſchen Kalk in den Palläſten einiger Kardinäle malte, denen er bekannt gewor - den war.

Doch leider ſank die Kunſt in ſeinen Tagen immer tiefer und tiefer, artete immer mehr und mehr in Manier und Künſtelei aus. Die über - triebenſte Unnatur in Form und Ausdruck, über - ſpannt hervortretende Muskeln, wunderliche Ver - drehungen der menſchlichen Körper, erkünſtelte Farbenreflexe, verdrängten allmälig Natur, Wahr -190 heit und ächte Schönheit gänzlich aus ihrem Ge - biete. Der bloße Schein gewann immer mehr den lauten Beifall der verblendeten Menge, und ſo ließ auch Karl von Mander vom Strome ſich hinreißen, um ſo mehr, da ſein lebhafter Geiſt ohnehin ſchon ihn allem Neuen gewaltig zutreiben mußte. Sein in Antwerpen geborner Landsmann Bartholomäus Spranger, den er als Hofmaler Pius des fünften in Ehre und Anſehen in Rom lebend fand, trug vor Allem durch Lehre und Beiſpiel dazu bei, jeden Funken ächten Kunſtge - fühls vollends in ihm zu erſticken, und die edlen alten Meiſter ſeines Vaterlandes, nebſt ihren, der Natur nachgebildeten herrlichen Werken, aus ſeinem Gedächtniſſe zu tilgen.

Bartholomäus Spranger war in der damaligen Zeit einer der berühmteſten Verbreiter des überhand nehmenden falſchen Geſchmacks, und wurde, ohner - achtet der in ſeinen Werken herrſchenden Unnatur, dennoch ſelbſt vom Papſte und vom Kaiſer Rudolph dem zweiten hochgeehrt. Beide ernannten ihn zum Hofmaler, der Papſt räumte ihm eine Wohnung in191 Belvedere ein, der Kaiſer erhob ihn in den Adel - ſtand und verlieh ihm eine dreifache goldne Ehren - kette. Dieſer allgeehrte Meiſter nahm nun den jungen Karl von Mander in ſeinen beſondern Schutz, verſchaffte ihm vom Papſte die Erlaubniß einen Degen tragen zu dürfen, was damals in Rom eine ſeltne Auszeichnung war, und ſo iſt es wohl begreiflich, wie der von all dem Glanz geblendete junge Künſtler ſich mit Herz und Sinn ihm völlig zu eigen ergab.

Nach dreijährigem Aufenthalt in Rom, im Jahr 1577, reißte Karl von Mander der Heimath wieder zu. Jn Baſel malte er unterwegs auf dem dortigen großen Gottesacker den Auszug Jakobs mit ſeinen Söhnen, völlig in Sprangers Manier, mit dem er in Wien wieder zuſammen - traf. Denn der Kaiſer hatte dieſem vom Papſte die Erlaubniß verſchafft, nach ſieben und dreißig - jähriger Abweſenheit ſein Vaterland beſuchen zu dürfen. Jn Wien arbeitete Karl von Mander einige Zeit mit Sprangern und dem Bildhauer Haus Mandt an dem großen Triumphbogen, der192 zum nahen Einzuge des Kaiſers errichtet wurde. Dann reiſete er, beladen mit Zeichnungen und Studien, doch leider für die Kunſt ganz verbil - det, dem väterlichen Hauſe wieder zu, wo Eltern und Geſchwiſter mit Sehnſucht ſeiner harrten. Sein Bruder Adam ging ihm ſogar, ſobald er von ſeiner Annäherung Nachricht erhielt, mit allen Hausgenoſſen und an der Spitze ſeiner Schulge - fährten eine weite Strecke entgegen, ſo daß ſeine Ankunft daheim einem kleinen Triumphzuge glich.

Karl von Mander führte nun einige Jahre hindurch ein beneidenswerthes Leben in ländlicher Stille. Er malte, ſchrieb, dichtete, und ſah ſich dabei unter den Töchtern in der Nachbarſchaft nach einer Gefährtin für ſeine künftigen Tage um, bis die in Flandern immer mehr überhand nehmenden bürgerlichen Unruhen ſein und der Seinen häusliches ſtilles Glück völlig vernichteten. Geſetzloſe Em - pörung brach überall aus, die längſt unzufriednen Wallonen überſchritten ihre Gränze, bemächtigten ſich der Städte, Dörfer und Flecken in der Umge - gend von Meulebeck, deren Bewohner an fünf193 tauſend Mann ſtark, meiſtens bewaffnete Bauern, gegen ſie wieder aufſtanden; der alte Cornelis von Mander mußte einigemal ſein Eigenthum an der Spitze ſeiner Knechte und Bauern gegen die Auf - rührer vertheidigen, und das ganze einſt ſo geſegnete Land ward bald der wildeſten Unordnung zum Raube und allem Elende eines Bürgerkrieges Preis ge - geben.

Bei der immer mehr überhand nehmenden Un - ordnung flüchteten die angeſehenſten Einwohner des flachen Landes, und auch Karl von Manders Eltern, ihre beſte Habe, Silbergeſchirr, Geld und Ju - welen nach Brügge, Courtray und in andere benachbarte Städte, zuletzt führten ſie ſelbſt ein wanderndes raſtloſes Leben, ſtets auf der Flucht, um nur ſich vor Gefahren zu retten. An Schreiben und Malen konnte Karl von Mander in ſolcher Lage jetzt nicht denken, all ſein Thun und Sinnen ging einzig nur darauf aus, ſich ſeinen Eltern hülf - reich zu beweiſen. Sein ſtets friſcher Lebensmuth verließ ihn nicht, er dichtete mitten im allgemeinen Elende noch manches Liedchen, unter andern eines,II. Bd. 13194in welchem er alle die Mädchen aus der Nachbar - ſchaft beſingt, die aus Furcht vor den Soldaten aus dem Hauſe ihrer Eltern in die Städte flohen. Jn dieſem Liede heißt es unter andern:

Noch weis ich Eine,
Artiger Keine,
Und die iſt geblieben zu Haus.

Dieſe Eine war ein ſehr hübſches achtzehn - jähriges Mädchen, zwar von niederer Abkunft und ohne Vermögen, doch ſo liebenswürdig und gut, daß Karl von Manders treue redliche Liebe zu ihr ihm den Muth gewährte, ſie mitten in allen dieſen Unruhen zu heirathen. Er führte ſeine junge Frau nach Courtray, wo auch ſeine älteſte Schweſter mit ihrem Manne lebte, und war nun faſt immer auf dem Wege zwiſchen jener Stadt und Meulebeck, um hier wie dort den Seinen beizuſtehen.

Am Vorabend des heiligen Dreikönigs-Tages fuhr er einſt mit drei Wagen von Meulebeck ab, die er, mit Getreide und allerlei Geräthe beladen, nach Courtray für ſeine Eltern in Sicherheit bringen wollte; denn das Land wimmelte von Soldaten, ein195 walloniſches und ein deutſches Regiment lagen in der Nachbarſchaft, die größten Frevel wurden unge - ſtraft verübt, und der Landmann erlag unter den fürchterlichſten Laſten. Kaum war Karl von Mander zum Dorfe hinaus, ſo fiel eine Rotte plündernder Wallonen in das Haus ſeiner Eltern. Der alte Vater lag gefährlich krank, und der jüngſte, damals achtzehnjährige Sohn Adam ſah wohl ein, daß er allein dem Unheil nicht wehren könne. Mit großer Geiſtesgegenwart griff er alſo nach einem Degen, den er verborgen hatte, und miſchte ſich unter die Plünderer, die ihn, da er ſehr geläufig ihre Sprache redete, für einen von den Jhrigen hielten. Adam machte unſäglichen Lärm, fluchte wie beſeſſen, brach Kiſten und Kaſten auf, wo er wußte daß die beſten Sachen verborgen lagen, und machte ſo die reichſte Beute, mehr als er tragen konnte. Dann wandte er ſich zur Mutter und zwang ihr mit den entſetz - lichſten Drohungen das Geld ab, welches ſie mit verſtelltem Widerſtande ihm gab, und ſich dabei im Herzen der wohlgelungnen Liſt ihres Sohnes freute, durch welche dieſer zugleich ſeine vermein -13 *196ten Kameraden bewog, ſich um die Frau nicht zu bekümmern, die ſie bei ihm in guten Händen zu ſehen glaubten. Dem armen Karl von Mander ging es unterdeſſen beinahe noch ſchlimmer als den Seinen daheim. Kaum war er zum Dorfe hinaus, ſo über - fielen auch ihn Wallonen und raubten ihm Alles, ſogar ſeine Kleider. Auch er ſprach ihnen in ihrer Sprache zu, aber ſie ſchlangen ihm demungeachtet einen Strick um den Hals, führten ihn zu einem nahen Baum, und trafen alle Anſtalten ihn aufzu - hängen, während ſie mit ihm um die Summe han - delten, mit der er ſich aus ihrer Gewalt loskaufen ſollte. Ein Jtaliäner, der eben des Weges ge - ritten kam, ſah dieſem Treiben eine Weile ganz vergnüglich zu, bis Karl von Mander ihn gewahr ward und ihn in italiäniſcher Sprache um Beiſtand bat. Der Jtaliäner, ſehr verwundert, daß ein Bauer, für welchen er Karl von Mander in ſeiner jetzigen Geſtalt halten mußte, ſeine Sprache rede, fragte ihn, wo er italiäniſch gelernt hätte? Jn Rom! war die Antwort. Was er da gemacht habe? er - wiederte der Jtaliäner; gemalt, ſprach Karl von197 Mander. Nun faßte der Jtaliäner ihn recht ins Auge, ſchrie dann wie toll: Laßt mir meinen Freund los! nehmt den verdammten Strick ihm vom Halſe! gebt ihm ſeine Kleider wieder! und theilte dabei rechts und links vom Roſſe herab flache Klingenhiebe unter die Wallonen aus, die zu Fuße dem Reuter wenig anhaben konnten oder mochten. Alles geſchah wie er es befahl; gern hätte er auch Wagen, Pferde und alles Übrige wieder erſtatten laſſen, aber das Getümmel war groß, und er am Ende ſelbſt froh, als die Wallonen, ohne ſich viel zu beſinnen, mit ihrer Beute davon jagten.

Nun gab es eine Erkennungsſcene zwiſchen Karl von Mander und ſeinem Befreier, der ehemals im Dienſte eines Kardinals geſtanden hatte, bei dem Karl von Mander als Maler aus und einge - gangen war, und ſich durch mancherlei kleine Ge - ſchenke des Dieners Zuneigung erworben hatte, ſo daß er bei ihm in gutem Andenken geblieben war. Der Jtaliäner wollte ſeinen Schützling jetzt durchaus ins Lager führen, um ihn nach überſtandnem Schrecken dort herrlich zu bewirthen, doch Karl von198 Mander entſchuldigte ſich mit ſeinem kranken Vater in Meulebeck, und ſeiner jungen Frau, die unlängſt ihm in Courtray ihr erſtes Kind geboren hatte, und ſo begnügte jener ſich damit, ihn zu begleiten bis er ihn in Meulebeck in völliger Sicherheit ſah.

Jm väterlichen Hauſe fand er die leeren Wände, und laute Klagen der Seinen ſtrömten von allen Seiten ihm entgegen. Doch Bruder Adam führte ihn vor allen Dingen an einen von hohen Hecken umgebnen trocknen Graben, aus welchem er mit Karls Hülfe ihre jüngſte Schweſter Janneke heraus - zog, die er vor den Soldaten dorthin glücklich ver - borgen hatte. Dann zeigte er ihm triumphirend die reiche Beute, die er als Wallone von dem väter - lichen Eigenthum gemacht hatte. Der kranke Vater, dem die Plünderer Betten und Kleider genommen, ward nun fürs erſte aus dem geretteten Vorrath warm gekleidet, und dann von ſeinen Kindern drei Stunden weit bis Courtray getragen, denn im ganzen Dorf war weder Pferd noch Wagen mehr. Dort fand der Greis die nöthige Pflege und freund - liche Aufnahme im Kloſter der barmherzigen Brüder,199 denen er in früheren Zeiten viele Wohlthaten erwieſen hatte. Auch die Seinen wurden bei Freunden un - tergebracht, und ſo waren alle einſtweilen wieder in Ruhe und Sicherheit.

Karl von Mander erhielt ein Altarblatt zu malen, das ihm fünf und zwanzig Pfund flämiſch einbrachte; ſeine Frau beſchenkte ihn im Laufe des Jahres mit einem zweiten Kinde, und er wäre gewiß bei ſeiner heitern Gemüthsart in dieſer be - ſchränkten Lage völlig zufrieden geblieben, wenn nicht die Peſt, dieſe furchtbare Begleiterin des Krieges, ihn von neuem aus ſeinem Zufluchtsort vertrieben hätte. Jeder Tag zählte neue Opfer dieſes entſetzlichſten aller Übel, Karl von Manders in Courtray verheirathete Schweſter mit allen den Jhrigen gehörte unter die erſten, welche den Unter - gang fanden, und ſo blieb dieſem nichts übrig, als Frau und Kinder durch ſchleunige Flucht zu retten. Mit einigem Gepäcke und wenigem Gelde wanderten ſie aus den Thoren der unglücklichen Stadt, um ſich nach Brügge zu begeben; ſeine Frau trug, in warme Decken eingehüllt, ihr neugebornes Kind, doch ſie200 kamen nicht weit, als abermals raubſüchtige Plün - derer ſie überfielen, die ihnen Alles nahmen, ſogar die Kleider und die Hüllen des armen kleinen Kindes. Da ſtanden ſie nun auf freiem Felde, die Frau ſuchte weinend ihr Kind in die dürftige kaum ſie ſelbſt bedeckende Bekleidung zu hüllen, die man ihr ge - laſſen. Karl von Mander ſelbſt hatte nichts als eine alte Decke, welche die Soldaten weggeworfen und in die er ſich einwickelte. Doch da ſeine Frau noch ein Goldſtück entdeckte, welches die Räuber in der Taſche des einzigen armſeligen Röckchens, das ſie behalten, nicht gefunden hatten, ward er plözlich wieder guten Muthes, wie in ſeinen glück - lichſten Tagen; er tröſtete die Frau, indem er ihr erzählte, wie er in Brügge friſch ans Malen gehen, und Kleider und Geld bald wieder erwerben wolle; dann nahm er ihr das Kind vom Arm, tanzte damit vor ihr her und ſang mit lauter Stimme ein frohes Lied, ſo daß ſie mitten in ihren Thränen über ihn lachen mußte. So kamen ſie ohne fernere Wider - wärtigkeiten glücklich in Brügge an.

Hier fand Karl von Mander in dem Maler201 Paul Weyts einen alten Bekannten, der ihm Arbeit verſchaffte, durch die er bald ſo viel erwarb, als er zu ſeiner und der Seinen Erhaltung bedurfte. Doch auch in Brügge begann die Peſt zu wüthen, während die Feinde von Auſſen die unglückliche Stadt in ewiger Unruhe hielten. Karl von Mander fühlte, daß er vielleicht auf immer jeder Hoffnung auf eine ruhige Exiſtenz in ſeinem dem Raube, der Peſt, der Verwüſtung hingegebnen Vaterlande ent - ſagen müſſe, und faßte endlich den Entſchluß, es zu verlaſſen und nach Holland zu gehen.

Er ſchiffte ſich im Jahr 1583 mit Frau und Kindern ein, und gelangte glücklich nach Harlem, wo er, von Allen geachtet, zwanzig Jahre lang lebte. Er malte dort viele Gemälde für Kirchen und Kunſtfreunde, und bildete viele Schüler. Jn freien Stunden dichtete er eine Menge Lieder, über - ſetzte die Jlias, Virgils Bucolica und Georgica, und Ovids Metamorphoſen, auch begann er hier an ſeinem Malerbuche zu arbeiten. Dieſes vollendete er in Siebenbergen, einem Schloße zwiſchen Alk - maar und Harlem, wo er ein Jahr lang ſich wegen202 einiger ihm aufgetragner Gemälde aufhielt. Jn dieſem ſeinem Wohnorte erwachte noch einmal ſeine alte theatraliſche Luſt. Er ließ durch ſeine Schüler ein von ihm ſelbſt gedichtetes, auf die Kunſt Bezug habendes Stück aufführen, zu welchem er alle Künſtler und Kunſtfreunde aus der Nachbarſchaft einlud. Wahrſcheinlich war dieſes Stück, das auch ein Feuerwerk verherrlichte, allegoriſcher Art. Das Theater war dabei nach ſeiner Angabe mit Kränzen, Feſtons, und aus Malergeräth künſtlich gebildeten Trophäen geſchmückt, und das Ganze fand bei den Zuſchauern vielen Beifall. Von Siebenbergen zog er im Jahr 1604 nach Amſterdam. Hier fühlte er bald ſich körperlich leidend, und obgleich er lange durch innere Geiſteskraft das Krankheits-Gefühl zu beſiegen ſtrebte, ſah er ſich endlich doch gezwun - gen, einen Arzt zur Hülfe herbei zu rufen. Leider fiel die Wahl deſſelben nicht glücklich aus, allzuſehr ihn ſchwächende Arznei zerſtörte gänzlich alle Lebens - kraft, er ſtarb an den Folgen dieſer Behandlung acht und funfzig Jahre alt, im Jahr 1606. Seine Brüder waren bei ſeinem Tode gegenwärtig, und203 ſuchten ſeine Wittwe zu tröſten, die mit ſieben Kindern um ihn weinte. Ein Lorbeerkranz ſchmückte ſein Haupt im Sarge, den dreihundert Verehrer und Freunde des Verſtorbnen zur letzten Ruheſtätte begleiteten; unzählige Lobgedichte verkündeten den Verluſt des allgeſchätzten Meiſters und Poeten, und ſein Name wurde noch lange, in ſeinem Vaterlande wie in Holland, in hohen Ehren gehalten.

Jn ſeinem Malerbuche, dieſem bedeutendſten ſeiner Werke, folgt einer in Reimen geſchriebnen Anleitung zum Malen, erſtlich das Leben der antiken Maler, ſoviel er davon in Erfahrung zu bringen wußte, dann geht er zu dem der italiäniſchen Meiſter über und benutzte dabei hauptſächlich das bekannte Werk des Vaſari. Doch den letzten und bedeutend - ſten Theil ſeines Buches füllt das mitunter ſehr aus - führlich beſchriebne Leben der niederländiſchen und hochdeutſchen Meiſter, von den Gebrüdern van Eyck bis auf die damals noch lebenden Zeitgenoſſen Karls von Mander. Aus jeder Zeile deſſelben geht nicht nur die vertrauteſte Bekanntſchaft mit den alten Meiſtern und ihren Werken hervor, ſondern204 auch klares Anerkennen ihres hohen Werthes und innige Liebe zur vaterländiſchen Kunſt. Überall ſehen wir, wie er mit wahrhaft rührender Treue, oft mit unſäglicher Mühe, den kleinſten Einzelheiten aus dem Leben ſeiner großen Vorfahren nachforſchte. Und dennoch konnte er die von ihnen ſo glorreich geöffnete Bahn verlaſſen, denn während in ſeinen Gemälden keine Spur ihres einfachen Geiſtes, ihres Beſtrebens, der Natur treu zu folgen, blieb, er - kannte er es dennoch in ſeinem Buch mit Bewun - derung an. Er ſelbſt tadelte darinnen Hemskerks Verirrungen, und ſank noch tiefer als dieſer. Dieß beweiſ’t ſeine Darſtellung der Sündfluth, eines ſeiner berühmteſten Gemälde, welches die Herren Boiſſerée als trauriges Denkmal des Verfalls der Kunſt aufbewahren.

Dieſes Bild iſt nicht unrichtig gezeichnet, aber flach, todt, ſeelenlos, ohne Verſtand gedacht und ausgeführt. Theatraliſch Verzweiflende, unter ihnen der Borgheſiſche Fechter, kleben an Felſen die aus dem Waſſer ragen, hängen auf Dächern und Bäumen, in den unmöglichſten verzerrteſten205 Stellungen, während ſie in der nahen, auf einer Anhöhe liegenden Stadt noch ganz trocken bleiben könnten, und nigend iſt eine Spur von Wahrheit in dem ganzen Jammer, in allen gehäuften Gräß - lichkeiten der qualvoll zu Grunde Gehenden.

Dieſe Verblendung eines von der Natur gewiß reich begabten edlen Geiſtes iſt ein trauriger Be - weis, wie ſchwer es ſey, ſich vom Jrrthum rein zu halten, wenn Beiſpiel und Autorität geachteter Perſonen dieſen unterſtützen, und die nach Neuheit dürſtende Welt ihn mit lautem voreiligen Beifall begünſtigt. Daher trachte jeder vor Allem nur dar - nach, den reinen wahren Zweck ſeines Strebens nie aus den Augen zu verlieren, ohne ſich durch Lob oder Tadel der dazu Unberufnen irren zu laſſen. Das Rechte ſiegt dennoch am Ende, wenn es auch für den Augenblick verkannt wird. Auch die alten Meiſter, deren Namen dieſe Blätter ſchmücken, lagen lange verachtet, in Staub und Nacht ver - borgen, und jetzt umſtrahlt ſie friſcher jugendlicher Glanz; ihr Andenken iſt bei uns erwacht, und hof -206 fentlich werden nachkommende Jahrhunderte ihren hohen Werth anerkennen und ihre Werke mit frommer Sorgfalt von gänzlichem Untergange zu ſchützen ſuchen.

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Druckfehler-Verzeichniß des zweiten Bandes.

  • Seite 5 Zeile 15 fehlt das Wort: als.
  • 13 18 fehlt, ſinnentſtellend hinter die, das Komma.
  • 27 11 lies: ſeine ſtatt ſeinen.
  • 30 vorletzte Zeile, ſollte heißen: Zuge ſeines Hoflebens.
  • 35 17 muß heißen: hinauf ſtatt herauf.
  • 72 6 lies: ſeinen ſtatt ſeiner.
  • 106 6 das letzte Wort getrennt zu leſen.
  • 124 13 lies: teſtamentariſche ſtatt teſta - mentaliſche.
  • 137 14 lies: Boͤſen ſtatt Boͤßen.
  • 150 14 lies: lautloſen ſtatt lautloßen.
  • 154 11 ſoll heißen: ließ ſtatt ließen.
  • 181 17 lies: mit ſtatt wit.

About this transcription

TextJohann van Eyck und seine Nachfolger
Author Johanna Schopenhauer
Extent220 images; 31238 tokens; 6845 types; 216581 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationJohann van Eyck und seine Nachfolger Zweiter Band Johanna Schopenhauer. . 206 S. WilmannFrankfurt (Main)1822.

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Universiteitsbibliotheek Gent UB Gent, ACC.027972http://lib.ugent.be/catalog/bkt01:000329256

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Kunstgeschichte; Wissenschaft; Kunstgeschichte; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkUB Gent, ACC.027972
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