Angebinde fuͤr den Wuͤrtembergiſchen Abgeordneten Herrn Weber von Kuͤnzelsau, und einige deutſche Urverleger, uͤber den Nachdruck.
Jn Jhrem, der hochanſehnlichen Deputirten - kammer des Koͤnigreichs Wuͤrtemberg erſtatteten Kommiſſionsbericht uͤber den Nachdruck gedachten Sie einer meiner Schriften, des Judenſpiegels auf ſolche Art, die mich und mehrere meiner Freunde vermuthen ließ, Sie moͤchten dem auserwaͤhlten Volke Gottes ſehr nahe verwandt ſeyn. Zwei Jh - rer ſchoͤnen Landsmaͤnninnen aber, welche jetzt eine Luſtreiſe durch die Schweiz machen, verſicherten mich, daß Sie kein Beſchnittener, ſondern ein Ge - taufter ſind, und ſich zur allein ſeligmachenden lu - theriſchen Kirche bekennen, der ich gleichfalls mit Leib und Seele zugethan bin. Den Damen und — den Aerzten, ich meyne den Seelenaͤrzten, muß man in ſolchen Punkten ſchon trauen; deshalb hab’ ich auch dieſem Angebinde ſeinen gegenwaͤrtigen Platz angewieſen, und wegen unſerer Glaubensgenoſſen - ſchaft es weit glimpflicher gemacht, als ich Anfangs im Sinn hatte.
Nie war ich ſo gluͤcklich oder ſo ungluͤcklich, mit Jhnen in irgend einem Verhaͤltniſſe zu ſtehen, und daher begriff ich in der That nicht, was Sie, Herr Abgeordneter, veranlaſſen konnte, meiner Schrift mit Ausdruͤcken zu erwaͤhnen, die nicht allein Ta - del, ſondern perſoͤnliche Beleidigung enthalten? Man6 kann ein Buch ſchlecht nennen, ohne deshalb den Charakter des Verfaſſers herabzuwuͤrdigen; ſagt man aber von einer Schrift: » daß ſie wegen ihres Jnhalts die ganze Verachtung jedes Gebildeten ver - diene, « ſo tadelt man nicht mehr das Buch allein; man bezeichnet auch den Verfaſſer und jeden, der mit Beifall deſſen Schrift las, als ungebildete, verabſcheuungswerthe Menſchen. Dergleichen ſollte billig ein Abgeordneter in einem amtlichen Bericht ſich nicht erlauben! Er ſetzt ſich dadurch Antwor - ten aus, die ihm in ſeiner Stellung nicht angenehm ſeyn koͤnnen, und wer am Ende die meiſten Lacher auf ſeiner Seite hat, verlaͤßt doch in der Regel als Sieger den Kampfplatz. Wenn Sie, Herr Ab - geordneter, Abrahams Saamen fuͤr eine gute Saͤ - merei halten, und gerne Jhre Felder und das ganze Koͤnigreich Wuͤrtemberg damit beſaͤen moͤchten; ſo thun Sie es, ſo weit es Jhnen moͤglich iſt, in Gottes Namen! Aber was fuͤr ein Recht haben Sie, Andere, die nicht gleich Jhnen Schierling und Trespe fuͤr Waitzen anſehen, fuͤr Menſchen zu er - klaͤren, die » der ganzen Verachtung jedes gebildeten Mannes « werth ſind?
Sehr gelehrte und zum Theil hochgebildete Maͤnner haben mit mir das auserwaͤhlte Volk Got - tes aus gleichem Geſichtspunkte betrachtet und auf aͤhnliche Weiſe ſich uͤber daſſelbe ausgeſprochen, wie ich. Nicht einmal die Namen eines Eiſenmenger,7 Buxtorff, Joh. Muͤller, A. J. von der Hardt, Eſtor, Marperger*)M. ſ. P. J. Marpergers Neueroͤffnetes Kauf - mannsmagazin Hamb. 1708. 8. S. 664 bis 668. und mehrerer aͤlterer Schrift - ſteller; nicht einmal einen Grattenauer, der, wie es heißt, durch perſoͤnliche Beleidigungen gegen die Juden gereizt war, und in dieſem gereizten Zu - ſtande Wahrheiten ſagte, die ſchon viele Andere lange vor ihm geſagt hatten, will ich hier anfuͤh - ren; ſondern einen Voltaire, Ruͤhs, Fries und faſt alle gebildete chriſtliche Kaufleute und Fabrikanten, die nur eine Stunde laͤnger und vielleicht etwas beſonnener, als Sie uͤber das Leben und Treiben der Juden unter uns Chriſten nachdachten. Fragen Sie in Palaſt und Huͤtte, den Reichen und den Armen, den Proteſtanten und den Katholiken, den Pietiſten und den Naturaliſten, wer und was an dem Verſchwinden des baaren Geldes, an dem Ver - bluͤhen des chriſtlichen Handels und Gewerbes, an dem Verfall unſerer Manufakturen und Fabriken, an der dadurch taͤglich mehr ſich verbreitenden Ar - muth und Sittenloſigkeit ſchuld ſey; allenthalben wird man ihnen, außer dem, in manchen Laͤndern unleidlichen Druck der Regierungen, die Juden nennen.
Wie tief ich uͤbrigens ruͤckſichtlich meiner litera - riſchen Bildung unter Jhnen, Herr Abgeordneter,8 ſtehe, moͤge dahin geſtellt ſeyn. Jch habe nicht die Ehre, Sie perſoͤnlich zu kennen, ſo ſehr ich es wuͤnſche. Jhre Perſoͤnlichkeit kuͤmmert mich auch wenig, denn hier iſt es einzig und allein Jhr geiſt - voller Bericht uͤber den Buͤchernachdruck, womit ich es zu thun habe.
Jn dieſem Bericht duftet eine große Menge von Blumen und Bluͤthen, wodurch Sie wahrſcheinlich den ungeheuern Umfang Jhrer Beleſenheit und Ge - lehrſamkeit beurkunden wollten. Jeder Unbefangene erkennt aber gleich, daß viele jener Blumen ſich nicht in Jhrem Garten entfalteten; daß manche gar nicht an ihrem Platze ſtehen, und daß die meiſten farbe - und geruchloſe Gaͤnſebluͤmchen ſind. Das Witzwort zum Beiſpiel vom heiligen Crispin iſt ſchon ſo oft gehoͤrt und geſagt worden, daß es be - reits den Scheitelpunkt der Alltaͤglichkeit erlangt hat. Mit den witzigen Einfaͤllen aber iſt es, wie mit den Blumen, die Farbe und Duft verlieren, wenn ſie zu oft aus einer Hand in die andere ge - hen. Wer uͤberdies den Nachdruck fuͤr eine Ent - wendung von fremdem, geiſtigem Eigenthum erklaͤrt, und ihn aus dieſem Grunde verbieten will, muß ſich ja keinen Nachwitz erlauben. Jſt der Nach - druck eine Entwendung geiſtigen Eigenthums, wie viel mehr iſt es der Nachwitz? Der Nachdruk - ker giebt ſich nicht fuͤr den Verfaſſer oder — wel - ches einerlei iſt — fuͤr den geiſtigen Eigenthuͤ -9 mer des nachgedruckten Werks aus; ſondern er nennt denſelben, wenn er ſich anders ſelbſt genannt hat. Der Nachwitzling aber nennt den Urheber des » nachgewitzten « Worts nicht; er maßt vielmehr ſich ſelbſt das Eigenthumsrecht an, und begeht folg - lich einen offenbaren Raub an fremdem geiſtigem Gut. Das iſt eine abſcheuliche, eine ſchreckliche Suͤnde! Ein ſtrafenswerthes Verbrechen! Das gei - ſtige Eigenthum iſt das heiligſte Gut des Menſchen! Wer dem andern ſeine Gedanken und ſeine witzi - gen Einfaͤlle ſtiehlt, ſtiehlt ihm mehr, als Geld und Geldeswerth. Er entwendet ihm etwas Un - ſchaͤtzbares. Jndeſſen glaube ich nicht, daß man Diebe und Raͤuber dieſer Art aufknuͤpfen muͤſſe; denn wo ſollten die Stricke, wo ſollte in dieſen holzarmen Zeiten das Holz zu allen Galgen herkom - men? Und — was noch das Wichtigſte iſt, wer ſoll den letzten Gedanken - und Witzdieb haͤngen, wenn außer ihm Niemand mehr uͤbrig iſt? Zu ſol - chen Jdeen -, Gedanken - oder Anſichtendieben gehoͤren Schriftſteller, die, ohne ihre Quellen zu nennen, buchſtaͤblich oder doch mit ſehr aͤhnlichen Worten, die Schriften Anderer abſchreiben, und dergleichen Pla - giate nachher fuͤr ihr urſpruͤngliches Geiſteserzeug - niß verkaufen; Ueberſetzer, die ſich als Verfaſſer ihrer Dollmetſchungen dem Publikum nennen; Mi - niſter und Raͤthe, die das, was ihnen ihr Sekretaͤr etwa Kluges eingetrichtert hat, dem Fuͤrſten oder10 den Kollegien als einen, aus ihrem eigenen ver - brannten Gehirn entſprungenen weiſen Anſchlag vortragen, und dadurch den Verdientern um die, mit Recht erwartete Belohnung bringen; und end - lich auch Nachdrucker, die ſo unverſchaͤmt ſind, ſich oͤffentlich oder heimlich fuͤr Verfaſſer der von ihnen nachgedruckten Schriften auszugeben. Faͤlle der letztern Art verdienen, obgleich ſie aͤußerſt ſelten vorkommen, Pranger und Brandmahl, denn dem Schriftſteller wird durch ſolchen Raub des geiſtigen Eigenthums ſein, durch Kopfbrechen und Nachtwa - chen ſchwer errungener Nachruhm entriſſen; er ver - liert, wenn ſein Werk ultramonarchiſchen oder ari - ſtokratiſchen Jnhalts war, alle goldenen Doſen, Penſionen, Ordensbaͤnder und dergleichen Koſtbar - keiten, die nun der raͤuberiſche Nachdrucker an ſich reißt; ihm werden ſeine Hoffnungen auf Aemter und Wuͤrden vernichtet; er buͤßt die ſuͤße Wonne ein, ſeinen werthen Namen gedruckt zu ſehen, und muß ſogar auf die hohe Ehre verzichten, daß viele, die nicht leſen koͤnnen, hinter ihm herfluͤſtern: das iſt ein kluger Mann! Er hat ein Buch gemacht!
Alle weiſe und gerechtigkeitliebende Regierungen ſollten alſo billig daruͤber wachen, daß kein Nach - drucker ſich dergleichen Anmaßungen von fremdem Geiſteseigenthum zu Schulden kommen ließe, und ſehr zu wuͤnſchen waͤre es, daß unſere geſetz - gebenden Gewalten endlich einmal ernſthafte Maß -11 regeln gegen Verbrechen jener Art ergriffen. Auſ - ſerdem waͤre es aber auch Pflicht unſerer Regierun - gen, durch zweckmaͤßige Verordnungen dafuͤr zu ſorgen, daß kein Schriftſteller in ſeinen Werken die Grundſaͤtze, Anſichten und witzigen Einfaͤlle eines Andern mit denſelben Worten und Wendungen, als die ſeinigen vortruͤge; daß kein Ueberſetzer ſich als den urſpruͤnglichen Verfaſſer und Geiſteseigenthuͤmer der, nur von ihm uͤberſetzten Schriften nennte; daß kein Zeitungsſchreiber die, aus andern Zeitun - gen entlehnten politiſchen Urtheile fuͤr ſeine Hirn - geburten ausgaͤbe; daß auch in Geſellſchaften Nie - mand ſich mit Witzworten als eigenem Geiſteseigen - thum bruͤſtete, die er entweder aus Buͤchern oder von andern Leuten aufgeſchnappt hat u. ſ. w. Jedem, dem Einheimiſchen und dem Fremden, dem Chriſten und dem Nichtchriſten muß das Seinige, und beſonders ſein geiſtiges Eigenthum ge - ſchuͤtzt werden, und daher muß es ſich Niemand anmaßen, die Gedanken, Urtheile und Einfaͤlle eines Andern weder muͤndlich, noch ſchriftlich zu verbreiten, woferne ihm nicht der Urheber und wahre Eigenthuͤmer jener Jdeen kontraktlich das aus - ſchließliche Recht zur weitern Ausbreitung uͤber - tragen hat. Freilich wird es in unſern Geſellſchaf - ten dann vielleicht eben ſo einſylbig, wie in denen der Fiſche, hergehen, weil jeder genoͤthigt ſeyn wird, blos aus ſeinem, oft ziemlich geringfuͤgigen12 Geiſtesvermoͤgen zu ſchoͤpfen, allein das geiſtige Eigenthum wird doch geſichert ſeyn, und das iſt wahrlich viel werth!
Wie ich glaube, hab’ ich Sie, Herr Abgeord - neter, voͤllig uͤberzeugt, daß Sie Selbſt, indem Sie ein Geſetz zur Sicherung des geiſtigen Eigen - thums bewirken wollten, Sich durch das Witzwort vom heiligen Crispin an dem geiſtigen Eigenthum eines Andern verſuͤndigten. Moͤgen Sie mir nun vielleicht tauſendmal aus meinen Schriften beweiſen, daß ich mich gleicher Suͤnden ſchuldig gemacht habe, ſo thut dies hier nichts zur Sache. Durch das bisher Geſagte wollte ich blos zeigen, was nach meiner Anſicht eigentlich Verletzung des geiſtigen Eigenthums ſey. Meine Begriffe weichen freilich von der geiſtigen Eigenthumslehre mancher Ver - lagsbuchhaͤndler, wodurch auch Sie, wie viele an - dere helldenkende und rechtliche Maͤnner Sich haben taͤuſchen laſſen, ſehr ab. Leſen Sie, wenn Sie anders die Langeweile nicht ſcheuen, zum Beiſpiel manche der neuern Sammlungen von Gedichten, die bei ſolchen Verlegern erſchienen, welche ſehr viel, ſchriftlich und muͤndlich, von der Heiligkeit und Unverletzbarkeit des geiſtigen Eigenthums ſchwatzen; ſo werden Sie faſt auf jeder Seite mit Eckel und Unwillen finden, wie unſere ausgezeich - netſten Dichter, beſonders Goͤthe, Schiller, Koͤrner, Muͤllner und Weſſenberg von den elendeſten Dich -13 terlingen gepluͤndert werden. Leſen Sie dann auch die Ankuͤndigungen der ehrlichen Verleger von die - ſem zuſammen geſtohlenen und durchwaͤſſerten Gei - ſtesgut, ſo muͤſſen Sie mit eben ſo viel Unwillen erſtaunen uͤber den Pathos, womit dergleichen Sudeleien » als die genialſten Originalwerke, als wahrhaft klaſſiſche Dichtungen, als Meiſterſtuͤcke lyriſcher, dramatiſcher oder epiſcher Kunſt « ausge - ſchrieen werden. Hoͤrt man nun ſolche Maͤnner, wie die Verleger und Vertroͤdler dieſer Diebeswaa - ren ſind, noch gar von ihrem Eifer fuͤr Wiſſenſchaft und Literatur prahlen; ſo faͤllt Einem ganz unwill - kuͤhrlich der Jude ein, der mit Roſenkraͤnzen, Kru - zifixen und Reliquien ſchachert, und hoch und theuer ſchwoͤrt, es ſey ihm blos um die Ehre des Hei - landes zu thun.
Ferne ſey es von mir, alle Buchhaͤndler Deutſch - lands einer aͤhnlichen Handlungsart beſchuldigen zu wollen. Jch kenne ſehr viele vortreffliche und ein - ſichtsvolle Maͤnner unter ihnen, denen nicht allein ihr Gelderwerb, ſondern auch die Ehre unſerer Literatur am Herzen liegt, und die gerne derſelben wichtige Opfer bringen. Beſeſſen ſind aber die meiſten von der fixen Buchhaͤndleridee, daß ein Schriftſteller das ausſchließliche Recht, ſeine Gei - ſteswerke durch den Druck zu verbreiten, an ſeinen Verleger uͤbertragen koͤnne, und daß Jeder, der dies vermeintliche, einem Verlagsbuchhaͤndler uͤber -14 tragene Recht kraͤnkt, ein Schelm und Spitzbube ſey. Man wuͤrde den Verſtand der meiſten Buch - haͤndler beleidigen, wenn man glaubte, dies ſey eine Jdee ihres Kopfes; es iſt bloße Jdee ihres Beutels, die ihnen daher weder Grieſinger*)M. ſ. die Schrift: der Buͤchernachdruck aus dem Geſichtspunkte des Rechts, der Mo - ral und Politik betrachtet von D. Ludwig Friedrich Grieſinger. Stuttgart 1822. 8. mit ſeiner uͤberzeugenden philoſophiſch-juriſtiſchen Gruͤnd - lichkeit, noch Weiſſer**)M. ſ. Friedrich Weiſſer uͤber den Buͤcher - nachdruck im ſechsten Theile ſeiner ſaͤmmtlichen proſaiſchen Werke, und einzeln (mit Verbeſſe - rungen des Verfaſſers) Stuttgart 1820. 8. mit ſeiner feinen ſatyri - ſchen Laune ausreden wird. Selbſt die beſten und vernuͤnftigſten Menſchen koͤnnen, wenn ihr Eigen - nutz oder eine andere Leidenſchaft ſie blendet, ſich zu den tollſten Verkehrtheiten hinreißen laſſen; war - um ſollte dies nicht auch bei unſern Buchhaͤndlern der Fall ſeyn, von denen doch viele eben ſo wenig zu den beſten, als zu den vernuͤnftigſten unter Adams Kindern gehoͤren ſollen?
Papier und Druck, ſagen die Buchhaͤndler, moͤgen immerhin Eigenthum des Nachdruckers ſeyn, der ſie bezahlt hat; aber nicht die Jdeen des Schrift - ſtellers. Dieſe ſind Geiſteseigenthum des letztern, der ſie im Manuſkript mittelſt eines Vertrags ſei -15 nem Verleger zum Eigenthum uͤberlaͤßt; und wer ſie nachdruckt und verkauft, iſt ein Dieb. Mit nichten! Durch den Verlagsvertrag wird keineswegs das Eigenthum der, in der Handſchrift enthaltenen Jdeen dem Verleger uͤbertragen; denn waͤre dies, ſo koͤnnte ja der letztere mit den, angeblich als Eigenthum auf ihn uͤbergegangenen Jdeen machen, was er wollte; er koͤnnte ſie ins Feuer ſtecken; ſie zerreißen oder auf andere Weiſe vernichten, welches bei manchen, beſonders fixen, Jdeen gar ſo uͤbel nicht waͤre, aber von dem Verfaſſer doch ſchwerlich wuͤrde gut geheißen werden.
Nicht das » geiſtige Eigenthum « des Jnhalts und der Jdeen iſt es, was der Schriftſteller mit - telſt des Verlagsvertrags dem Buchhaͤndler uͤberlaͤßt, und was Gegenſtand eines Diebſtahls werden kann, ſondern blos das Manuſkript, in welchem dieſe Jdeen durch gewiſſe Worte und Zeichen angedeutet ſind. Dagegen verpflichtet ſich der Verleger, die in der Handſchrift enthaltenen Worte und Zeichen in gleicher Folge abdrucken zu laſſen, und die Ab - druͤcke durch unbedingten Verkauf zum vollen Eigen - thum des Publikums zu machen. Die Jdeen blei - ben deſſen ungeachtet immer » geiſtiges Eigen - thum « des Schriftſtellers, und wenn ſie gleich durch Millionen Vor - und Nachdruͤcke verbreitet werden; ſo wenig auf den Vordrucker, als auf den Nachdrucker geht etwas von dem » geiſtigen16 Eigenthum « uͤber; noch immer ſind Horazens Oden die Oden des Horaz, und keines andern; man ſpricht von Goͤthe’s Wahlverwandtſchaften und nicht von Cotta’s Wahlverwandtſchaf - ten. Dies iſt die einzige Art von geiſtigem Eigenthum, die man ſich vernuͤnftiger Weiſe den - ken kann. Es iſt ſo geiſtiger Natur, daß es weder von Motten und Roſt gefreſſen, noch von Vor - und Nachdruckern geraubt werden kann. Eine unrechtmaͤßige Entreißung dieſes geiſtigen Eigen - thums von Seiten des Nachdruckers kann blos durch das unwahre Vorgeben ſtatt finden, daß er und nicht der Schriftſteller Verfaſſer des nachge - druckten Werks ſey; ein Fall aber, der ſich ſeit unſers Heilandes Geburt gar in Deutſchland nicht zugetragen hat. Der Nachdrucker entwendet folg - lich dem Schriftſteller, deſſen Namen er dem Werke vordrucken laͤßt, gar nichts von ſeinem » geiſti - gen Eigenthum, « und eben ſo wenig ſtiehlt er dem Verleger etwas von ſeinem » materiellen; « denn er raubt demſelben weder das, vom Verfaſſer ihm uͤbergebene Manuſkript, noch die davon genom - menen Abdruͤcke; ſondern er macht blos von dem, ihm ohne alle Bedingung verkauften Exemplar einen Gebrauch, den Jeder von ſeinem rechtmaͤßigen und unbedingten Eigenthum machen darf. Wird man doch Niemanden das Recht beſtreiten, ſein Buch an tauſend und abermal tauſend Perſonen auszuleihen,wenn17wenn auch der Verleger dadurch noch ſo großen Nachtheil erlitte; warum ſollte er es denn nicht eben ſo gut ganz oder theilweiſe abſchreiben und ſeine Abſchriften verkaufen und verſchenken duͤrfen, an wenn er will? Der Druck aber iſt ein Erſatzmittel des Schreibens; iſt alſo der Eigenthuͤmer befugt, ſein Buch abzuſchreiben, ſo kann er es gleichfalls abdrucken, und mit ſeinen gedruckten Kopieen, wie mit den geſchriebenen handeln.
» Nein! rufen hier einige Verleger; das ſollſt du nicht. Daraus wuͤrde uns ein zu großer Nach - theil entſtehen, aber abſchreiben magſt du, ſo viel dir beliebt! « Gut! fahre ich fort, das Abdrucken erklaͤrt Jhr fuͤr ein Verbrechen, fuͤr einen Diebſtahl; das Abſchreiben hingegen nicht. Jch habe eine Schreibemaſchine, mit der ich in kuͤrzerer Zeit mehr Abſchriften liefern kann, als mit zehn Druckerpreſ - ſen. » Dann iſt es ein Diebſtahl! Ein Raub! « werden auch hier die Buchhaͤndler ſchreien, und mir das Abſchreiben als etwas Widerrechtliches verbie - ten, was ſie kurz vorhin, weil ſie keinen wichtigen Schaden beſorgten, mir noch als etwas Rechtmaͤßi - ges geſtatteten. Wo giebt es eine groͤßere Jnkon - ſequenz, als in dieſer Handlungsweiſe? Wie kann ſich wohl der Eigennutz, ohne allen Schein des Rechts, ſtaͤrker und empoͤrender ausſprechen, als in ſolchem Betragen der Verlagsbuchhaͤndler?
Jn Schilda verkaufte einſt ein Gaͤrtner, derIII. Baͤndchen. 218mit Frau und Kindern blos vom Blumenhandel lebte, einem Buchhaͤndler mehrere hundert Nelken - ſtoͤcke. Der letztere zog aus dem Saamen und durch Ableger eine Menge anderer, verkaufte ſie wieder zu wohlfeilerem Preiſe, als der Gaͤrtner die ſeini - gen, und dieſer gerieth daruͤber mit ſeiner Familie in Armuth und Duͤrftigkeit. Er klagte deshalb. » Jch habe, ſprach er, dem Buchhaͤndler zwar die Nelkenſtoͤcke verkauft, um ſich an dem Geruch und dem Anblick der Blumen zu erfreuen, nicht aber um Ableger zu ziehen, und durch deren Verkauf mir in meinem Gewerbe zu ſchaden. Jch bitte, daß dem Buchhaͤndler dies unterſagt, und er verurtheilt wird, mir alle Schaͤden und Koſten zu erſtatten. « Nein, erwiederte der Buchhaͤndler, einer ſolchen, das Eigenthum beſchraͤnkenden, Bedingung iſt gar dei unſerm Handel nicht gedacht worden. Jeder Kaͤufer erlangt durch unbedingten Kauf das volle Eigenthum der Sache; er kann ſie verbeſſern, ver - mehren, nachmachen und vervielfaͤltigen auf alle beliebige Weiſe. Er darf ſie mit ihren Fruͤchten und Acceſſorien oder Zuwachſen verkaufen, an wen und zu welchem Preiſe er will. Dies und nichts mehr that ich gleichfalls. Jch that nichts anders, als was aus dem, mir mittelſt des Verkaufs uͤber - tragenen vollen Eigenthum als rechtliche Befugniß entſpringt. Hat der Gaͤrtner hiedurch Schaden erlitten, was kuͤmmert mich das? Haͤtte er den19 Nachtheil nicht wollen, ſo haͤtte er bei dem Ver - kauf ſeiner Nelkenſtoͤcke es ausdruͤcklich bedingen muͤſ - ſen, daß ich keine Ableger machen und wieder ver - kaufen ſollte. Dann aber wuͤrde ich mich fuͤr den Handel bedankt haben. « Der Gaͤrtner konnte die - ſer Schutzrede des Buchhaͤndlers gar nichts entgegen ſetzen, und ward deshalb abgewieſen und zu den Koſten verurtheilt. Bald nachher ließ der Buch - haͤndler eine gruͤndliche Anleitung, Nelken zu ziehen, drucken. Der Gaͤrtner kaufte auch ein Exemplar und bezahlte es baar. Er fand das Buch ganz vortrefflich, und weil er hoffte, ſeinem Schaden an den Nelkenſtoͤcken dadurch nachzukom - men; fieng er an, von ſeinem erkauften Exemplar gleichfalls Ableger zu machen, d. h. es durch den Druck zu vervielfaͤltigen, und die Ableger nachher zu verkaufen. Kaum erfuhr das der Buchhaͤndler, als er ploͤtzlich mit lautem Geſchrei zum Richter lief, und den Gaͤrtner verklagte. » Jch habe ihm, ſprach er, blos ein Exemplar verkauft, um ſich durch den Jnhalt zu belehren, keineswegs aber um es durch den Druck zu vervielfaͤltigen, ſeine Able - ger, Abdruͤcke wollte ich ſagen, zu verkaufen, und mir dadurch in meinem Abſatz zu ſchaden, Er iſt ein Dieb und ein Raͤuber! « Nie, antwortete der Gaͤrtner, nie war bei dem Verkaufe des Buchs von einer Bedingung die Rede, wodurch die freieſte Benutzung des, durch den Kauf von mir erworbe -2 *20nen Eigenthums im Mindeſten beſchraͤnkt worden waͤre. Als Eigenthuͤmer meines Buchs hab’ ich eben ſo wohl das Recht, es, wenn ich kann, zu vervielfaͤltigen und Ableger oder Abdruͤcke davon zu machen, und zu verkaufen, wie der Buchhaͤndler dieſe Befugniß ruͤckſichtlich der Nelkenſtoͤcke hatte. Warum ſollte man in Betreff eines Buchs nicht eben ſo volle und unbeſchraͤnkte Eigenthumsrechte erwer - ben koͤnnen, als in Hinſicht jeder andern Sache? Was der Buchhaͤndler mit den von mir gekauften Nelkenſtoͤcken zu meinem Schaden thun konnte und durfte, das darf ich mit ſeinem Buche gleichfalls thun, und wenn er auch, wie ich, mit Frau und Kindern daruͤber zu Grunde gehen ſollte. Wie kann er mich aber einen Dieb und Raͤuber nennen? Hab’ ich ihm ſein Geld, oder ſein Manuſkript oder ſeine Abdruͤcke geſtohlen? Keineswegs! Die Ab - druͤcke, die ich beſitze, ſind mein wahres rechtmaͤßi - ges Eigenthum, nicht das ſeinige. Sie koſten mir mein Geld, meine Muͤhe und meine Zeit. Der Buchhaͤndler kann ſie mittelſt keiner Eigenthumsklage von mir oder irgend einem andern Beſitzer fodern. Jch koͤnnte aber ſie durch eine ſolche Klage von ihm und jedem dritten Beſitzer zuruͤckbegehren, denn ich habe daſſelbe volle Eigenthumsrecht daran, was er an ſeinen Nelkenablegern hatte; und daher bin ich auch befugt, ſie zu verkaufen, an wen ich will. « Alle vernuͤnftige Menſchen in Schilda, wo es21 deren aber nur ſehr wenige giebt, waren uͤberzeugt, der Gaͤrtner muͤſſe ſeine Sache gewinnen; allein der Sachwald des Buchhaͤndlers ſprach ganz an - ders. Er ſchwatzte viel verworrenes Zeug von » geiſtigem Eigenthum, « von oͤffentlicher Mei - nung, von ſtillſchweigend vorbehaltenem Verle - gerrecht, dem der Gaͤrtner weinend ſein ſtillſchwei - gend vorbehaltenes Ablegerrecht entgegen ſetzte, und endlich faͤllte der Richter, ein Oheim oder Vetter des Verlegers, das Urtheil: der Gaͤrtner ſolle dem Buchhaͤndler alle verurſachten, oder doch von letzterm angegebenen Schaͤden und Koſten er - ſetzen, und die noch vorhandenen abgelegten Exem - plare ſollten zum Beſten milder Stiftungen konfis - cirt werden. Was ſagen Sie zu dieſem Urtheil, Herr Abgeordneter? Nicht wahr, es geht ganz wunderlich und abſcheulich her in der Welt, und beſonders in Schilda!
Das angeblich Ehrloſe und Unrechtliche des Nachdrucks finden die Verlagsbuchhaͤndler nicht in der Handlung des Nachdruckens ſelbſt, ſondern in der vermeintlichen Beſchaͤdigung, welche ſie durch die Verbreitung der Nachdruͤcke leiden. Fraͤgt man alſo: warum iſt der Nachdruck ein, wie Jhr ſagt, ehrloſes und unredliches Gewerbe; ſo erhaͤlt man die naive Antwort zuruͤck: weil er unſern Abſatz beeintraͤchtigt, und uns hindert, das Publikum ſo zu brandſchatzen, wie wir gerne moͤchten. Fraͤgt22 man weiter: Sind euch die Leihbibliotheken, die Leſegeſellſchaften, iſt euch ſelbſt nicht jeder Kaͤufer nachtheilig, der das von euch gekaufte Buch an zehn, an hundert Andere verleihet, und dieſe da - durch der Ausgabe uͤberhebt, das ihnen ſonſt noͤthige Werk von euch um ſchweres Geld kaufen zu muͤſ - ſen? Sind dieſe euch nicht eben ſo ſchaͤdlich an eurem Abſatze, ſchaͤdlicher vielleicht noch, als alle Nachdrucker zuſammen genommen? Freilich wohl, wird die ehrliche Antwort lauten, falls dieſe Her - ren anders eine ſolche Antwort zu geben im Stande ſind, freilich ſind uns die Genannten noch weit nachtheiliger; allein wuͤrden wir mit denen Allen zu zanken beginnen, ſo wuͤrde man uns, die wir jetzt blos die Nachdrucker fuͤr Schelme und Diebe ausrufen, ſelbſt fuͤr die eigennuͤtzigſten Prellhanſe und Schelme erklaͤren; wir wuͤrden den Theil der oͤffentlichen Meinung, den wir und unſere Streit - genoſſen durch Trugſchluͤſſe, ſchiefe Gleichniſſe, hohlklingende rhetoriſche Floskeln gewonnen haben, verlieren; wir wuͤrden die ungluͤcklichſten Menſchen von der Welt ſeyn. Aber, wenn blos das Wider - rechtliche und Ehrloſe des Nachdrucks in dem ver - meintlichen Schaden liegt, der euch Buchhaͤndler aus der Verbreitung der nachgedruckten Exemplare entſpringt, wie kann dann ein billiger Sittenrichter, wie kann ein einſichtsvoller Geſetzgeber wohl den Nachdruck fuͤr eine unmoraliſche Handlung erklaͤren,23 ohne zugleich das Buͤcherverleihen, ſelbſt das un - entgeldliche, das Abſchreiben einzelner Stellen, das Vorleſen in Geſellſchaften, das muͤndliche Erzaͤhlen des Jnhalts, und dergleichen als unſittlich und widerrechtlich zu verdammen? Jhr werdet ja hie - durch offenbar noch weit mehr, als durch die Nach - drucker in Eurem Abſatze, in » Eurem Verkehr « beeintraͤchtigt, und deshalb iſt ja nur, wie ihr ſagt, der Nachdrucker ein Dieb und ein Spitzbube, weil er euch in » eurem Verkehr « nachtheilig iſt. Warum wollt Jhr, gerechten Maͤnner, denn nicht uͤber die andern, die euch eben ſo ſchaͤdlich und zum Theil noch ſchaͤdlicher, und folglich eben ſo unmoraliſch und ſchlecht, und zum Theil ſogar noch unmoraliſcher und ſchlechter ſind, als die Nach - drucker, warum wollt ihr nicht uͤber jene dieſelbe Verdammniß ergehen laſſen, wie uͤber die wenigen Nachdrucker? Gleicht ihr nicht offenbar dem dum - men Schaͤfer, welcher dem Fuchs nachlaͤuft, der ihm ein Huͤhnchen ſtahl, und ſich unterdeſſen von den Woͤlfen ſeine ganze Heerde rauben laͤßt?
Jch ſtimme den Buchhaͤndlern uͤbrigens voͤllig bei: Jeder, der ſie in ihrem Verkehr im Min - deſten benachtheiligt, iſt ein Schurke, ein Schelm, ein Spitzbube, ein Raͤuber, ein Dieb, und wie dieſe feinen Ehrentitel weiter heißen. Jeder Ver - leger iſt, wie Sie, Herr Abgeordneter und Herr Cella durch eine huͤbſche Parabel ſehr treffend gezeigt24 haben, zu vergleichen einem Garteneigenthuͤmer, der hundert Schluͤſſel an ſeine Bekannten austheilt, um ſich fuͤr ihre Perſon in ſeinem Garten zu belu - ſtigen. Die Gartenſchluͤſſel nemlich ſind die ver - kauften Exemplare eines Buchs, der Garten ſelbſt iſt die Weisheit oder Albernheit, die darin ſteckt, und die lieben Freunde und Bekannten ſind die Kaͤufer des Buchs. Wer einen ſolchen, blos ihm fuͤr ſeine Perſon anvertraueten Schluͤſſel einem Drit - ten leiht, um in dem Garten zu naſchen und ſich Koͤrbe und Taſchen voll zu pfluͤcken, handelt hoͤchſt unſittlich und widerrechtlich, und iſt nichts beſſer, als der Schelm und Spitzbube, der den geliehenen Schluͤſſel zu dieſem Zwecke benutzt. Der Garten - eigenthuͤmer und der Buchverleger; der Jnhaber des Schluͤſſels und der Kaͤufer eines Buchs; der, wel - cher einen Schluͤſſel zu einem Garten leiht, um darin zu naſchen und zu ſtehlen, und der, ſo ein Buch borgt, um darin zu leſen, ſind ſich, nach Jhnen, Herr Abgeordneter und nach Herrn Cella, ſo gleich, wie ein Ei dem andern. Folglich iſt der Verleiher eines Buchs ein eben ſo ſchlechter Menſch, wie der, welcher einen ihm blos fuͤr ſeine Perſon anvertraueten Gartenſchluͤſſel einem Dritten giebt, um von fremdem Gut ſtehlen und naſchen zu koͤn - nen; und wer ein Buch leihet um es zu leſen und zu benutzen, iſt, nach Jhrem Gleichniſſe, nichts beſſer als der Gartendieb, der mittelſt eineser -25erborgten Schluͤſſels in einen fremden Garten drang, um ſich einen Korb voll Obſt und Gemuͤſe zu ho - len. Endlich iſt hiernach ſogar derjenige, durch deſſen Unachtſamkeit ein Buch in fremde Haͤnde faͤllt, dem Verleger fuͤr allen Schaden eben ſo verant - wortlich, wie der, welcher einen fremden Garten - ſchluͤſſel verloren hat, es dem Eigenthuͤmer des Gartens iſt.
Sehen Sie, Herr Abgeordneter, wie paſſend Jhr Gleichniß vom Garten und den hundert Schluͤſ - ſeln iſt, wenn man es gehoͤrig durchfuͤhrt. Nur moͤchte ich wiſſen, ob Sie noch niemals einen Gar - tenſchluͤſſel der Art verliehen oder von einem an - dern geliehen, oder vielleicht gar verloren haͤtten?
Der Jnbegriff der, in einem Manuſkript ent - haltenen Jdeen iſt alſo ein Garten; iſt der Garten des Schriftſtellers oder des Verlegers, der — nach ſeiner Behauptung, — das Manuſkript durch Kauf oder Schenkung von dem Verfaſſer erhalten hat. Die Abdruͤcke der Handſchrift ſind Schluͤſſel, die der Verleger oder Garteneigenthuͤmer an ſeine lieben Freunde, die Buͤcherkaͤufer, austheilt, verſteht ſich nemlich fuͤr baar Geld, welches oft weit mehr be - traͤgt, als der ganze Garten mit allem darin be - findlichen Unkraut werth iſt. Die Jdeen, Anekdo - ten, Parabeln, Verſe, witzigen und aberwitzigen Einfaͤlle u. ſ. w. ſind das Gemuͤſe, die Fruͤchte, die Blumen und ſeltenen Gewaͤchſe. Der Schluͤſſel,III. Baͤndchen. 326d. h. das Exemplar von dem Buche iſt uns blos verkauft, um uns fuͤr unſere Perſon mittelſt deſſel - ben zum Anſchauen dieſer Herrlichkeiten zu verhel - fen; benutzen duͤrfen wir aber keine der letztern fuͤr uns, noch weniger einem Andern etwas davon mit - theilen. Es iſt ein Garten, und ob man aus einem irdiſchen Garten einen Korb voll Kohl, Ruͤben und Kartoffeln, oder aus einem geiſtigen einen Bogen voll Jdeen, Anekdoten und Parabeln ſtiehlt, iſt voͤllig eins, ſelbſt wenn man das Geſtohlene auf ſeine eigene Weiſe zubereiten und mit einer eigenen Bruͤhe begießen ſollte. Folglich haben Schriftſteller, oͤffentliche Lehrer und ſelbſt landſtaͤndiſche Abgeord - nete kein Recht, Thatſachen, Aktenſtuͤcke, Anſichten und Grundſaͤtze aus Buͤchern anzufuͤhren; ſie ſind vielmehr blos befugt, die Titel und Seitenzahlen der Werke, wo von dieſen und jenen Dingen die Rede iſt, und die Namen der legitimen Verle - ger, bei denen man die Buͤcher haben kann, zu nennen, ohne etwas von dem, was man dort fin - den wird, zu verrathen. Daſſelbe iſt Pflicht des Sachwaldes, der von einer ſtreitenden Parthei um Rath gefragt, und des Arztes, der von einem Krauken um Verhaltungsregeln und aͤrztliche Vor - ſchriften gebeten wird. Nicht minder muͤſſen auch die Poſtillenritter ernſtlich und bei Strafe des Pran - gers angewieſen werden, wenn ſie an Sonn - und Feſttagen von den heiligen Brettern herab ihren27 Zuhoͤrern ganze Predigten aus Zollikofer, Loͤffler, Ammon, Schleiermacher oder gar aus dem from - men (Gott ſey bei uns!) Claus Harms ans Herz legen wollen, blos die Sammlung der Predigten, den Band, die Seitenzahl und den legitimen Verleger zu nennen, und dann nach einem andaͤchtigen Unſer Vater ſich flugs von der Kanzel zu ſcheren.
Dies Alles iſt nicht mehr als billig, damit der legitime Garteneigenthuͤmer oder Verleger nicht auf eine ungerechte raͤuberiſche Weiſe um ſeine theuer bezahlten Gurken, Jdeen, Kartoffeln und Sauer - kraut gebracht werde.
Sie ſehen, Herr Abgeordneter, ich blieb im - mer bei Jhrer oder Cella’s ſchoͤner Parabel vom Garten und vom Schluͤſſel ſtehen, aus der ſich ſo herrliche Folgerungen ableiten laſſen, wenn man ſich, wie es, dem Anſcheine nach, bei Jhnen der Fall war, nur nicht ſcheuet, ſie ganz durch - zufuͤhren! Es iſt eine gar koͤſtliche Parabel, und » Parabeln verſinnlichen und lehren. « Durch Gleichniſſe der Art kann ein guter Krum - macher das Geradeſte krumm, und das Krummſte gerade machen, nur muß man ſich huͤten, nicht zu weit zu gehen! Man muß ſolch Parabelchen mit ſechs Zeilen leicht hinwerfen, und ja nichts beruͤh - ren, woraus etwa folgen koͤnnte, daß das Gleich - niß auf den vorkommenden Fall nicht die entfern - teſte Anwendung findet. Dann verſinnlicht und lehrt3 *28man nicht allein, dann blendet man auch. Wer nur den Pfiff verſteht, wer nur Meiſter in der Kunſt iſt, alle ſittlichen und Rechtsgrundſaͤtze gehoͤ - rig zu verwirren, der kann den Teufel zum Heili - gen und unſern Herrgott zum Beelzebub machen.
Doch, laſſen Sie uns noch einige Augenblicke bei dem Garten und den Schluͤſſeln verweilen. Ge - ſetzt alſo, ein Garteneigenthuͤmer verkauft mir einen Schluͤſſel zu ſeinem Garten, um mich darin zu beluſtigen und zu belehren; mit welchem Rechte kann er mir dann verbieten, mir einen leeren, gleich großen Platz zu kaufen, dieſelben Anlagen darauf zu machen, dieſelben Gewaͤchſe dort in gleichen Li - nien zu pflanzen, ebenfalls Schluͤſſel dazu zu ma - chen, und dieſe, ſo wie er die ſeinigen, aber zu wohlfeilerm Preiſe zu verkaufen? Wie kann er mir dies wehren? Jch laſſe ihm ja ſeinen Garten; ich laſſe ihm alle ſeine Anlagen und Gewaͤchſe darin. Die Luſthaͤuſer in dem meinigen habe ich aus mei - nem Holze gebauet, die Pflanzen aus dem von mir erkauften Saamen gezogen. Jch ſtehle ihm nichts. Daß ich meine Schluͤſſel zu wohlfeilerm Preiſe ver - kaufe, als er die ſeinigen, iſt nicht meine, es iſt ſeine Schuld; er koͤnnte ſeine Schluͤſſel ja eben ſo wohlfeil verkaufen; allein das will er nicht, um einen hebraͤiſchen Gewinn zu ziehen. Auch dem fein - ſinnigen Kunſtgaͤrtner, der ſeinen Garten anlegte, entziehe ich gar nichts von der Ehre der erſten Er -29 findung oder Urheberſchaft. Jch habe vielmehr mit großen goldnen Buchſtaben auf meine Gartenthuͤre malen laſſen: Der Erfinder und erſte An - geber der herrlichen, in dieſem Garten befindlichen Anlagen iſt der beruͤhmte Kunſtgaͤrtner Herr N. N. Jch bin blos der mechaniſche Nachbildner derſelben, nach einem mir bekannten Original - garten.
Auf dieſe Weiſe geſtellt, Herr Abgeordneter, paßt nach meiner Anſicht das Gleichniß vom Gar - ten und den Schluͤſſeln auf den vorliegenden Fall weit beſſer, als ſo wie Sie und Cella es angewandt wiſſen moͤchten. Der Nachbildner des Gartens iſt nemlich der Nachdrucker. Das leere Grundſtuͤck, was er zur Anlage des Gartens kauft, iſt das Papier. Die Anlagen, Blumen und ſeltenen Pflan - zen ſind die Worte, Buchſtaben und Zeichen in gleiche Linien geſtellt, wie in dem Original, viel - leicht gar etwas ſchoͤner und regelmaͤßiger; auch wird man hin und wieder weniger Unkraut, d. h. Druckfehler finden. Das Holz und der Saame (die Formen und die Schrift oder Lettern) woraus jene Anlagen erbauet, jene Pflanzen und Blumen gezo - gen ſind, gehoͤren gleichfalls nicht dem Eigenthuͤmer des erſten Gartens, ſondern dem Nachbildner oder Nachdrucker. Der Duͤnger ſogar, die Drucker - ſchwaͤrze und das Oehl, hat der letztere gekauft. 30Dieſer hat alle Koſten aus ſeinen eigenen Mitteln beſtritten, und dem Eigenthuͤmer des erſten Gar - tens, dem Vordrucker keinen Kreuzer geſtohlen; er ſehe nur ſeine Kaſſe nach, und zaͤhle alles Geld, was er gehabt hat: kein Heller wird ihm fehlen, wenigſtens nicht durch die Schuld des Nachbildners oder Nachdruckers. Daß er mehr haͤtte haben koͤnnen, wenn der Nachbildner oder Nachdrucker nicht ſeinen Garten angelegt, und nicht ebenfalls Schluͤſſel verkauft haͤtte, iſt ein albernes Gewaͤſch! Womit will er beweiſen, daß einer von allen den Leuten, die dem Nachbildner fuͤr einen wohlfeilen Schluͤſſel und die Eintrittsbewilligung drei Thaler zahlten, ihm wuͤrde zehn Thaler gegeben haben, um ſeinen Garten voll Schmutz und Unkraut (Loͤſch - papier und Druckfehler) zu ſehen, und ſich zu — aͤrgern? Und koͤnnte er Jenes auch wirklich dar - thun, wie darf er denn den Nachbildner, der ihm nie einen Heller geſtohlen hat, und dem er uͤber - haupt nichts Unſittliches vorwerfen kann, einen ſchlechten Menſchen, und wohl gar einen Dieb und Raͤuber nennen? Der Kaffeewirth, bei welchem ich wohne, koͤnnte gleichfalls weit mehr haben, wenn in dieſer Stadt nicht noch drei andere Kaffee - haͤuſer waͤren; allein ich moͤchte es ihm nicht ra - then, einen ſeiner Nebenwirthe einen Schelm und Spitzbuben oder einen unrechtlichen Mann zu nen - nen; und es wird ihm ohnehin nie in den Sinn31 kommen. Der Kunſtgaͤrtner oder Verfaſſer endlich hatte den Wunſch, daß man in ſeinen Anlagen ihn als Kuͤnſtler bewundern und loben, daß andere Gaͤrtner ſich dadurch belehren und alle Garten - freunde ſich daran erfreuen moͤchten; er haͤtte des - halb gerne zehntauſend aͤhnliche Gaͤrten geſchaffen und ſie zu freiem Anſchauen durch die ganze Welt verſtreuet. Weil er dazu aber nicht im Stande war, ſo machte er dem Gartenbeſitzer die Bedin - gung, eine Anzahl Schluͤſſel zu ſeinem Garten ver - fertigen zu laſſen, und gegen billigen Preis an alle Kenner und Nichtkenner zu verkaufen, damit ſie ſein, des geiſtvollen Kuͤnſtlers Werk ſehen, ſich dar - uͤber freuen und es zum Vorbilde waͤhlen moͤchten. Der Gartenbeſitzer uͤbertheuerte ſeine Schluͤſſel ſo ſehr, daß nur reiche und ſehr bemittelte Leute ſie kaufen konnten. Dies gab dem Nachbildner Ver - anlaſſung zur Anlage ſeines Gartens und zur Aus - theilung wohlfeilerer Schluͤſſel. Dem Verdienſte ſeine Kronen! ſprach er, und ließ deshalb, wie billig, mit großen goldnen Buchſtaben auf die Gartenthuͤre die Worte ſetzen: Der Erfinder und erſte An - geber der herrlichen, in dieſem Garten befindlichen Anlagen iſt der beruͤhmte Kunſtgaͤrtner Herr N. N. Jch bin blos mechaniſcher Nachbildner. Er entzog alſo dem Kuͤnſtler nichts von ſeinem wohlverdienten Ruhm; haͤtte er das gethan, haͤtte er ſich fuͤr den urſpruͤng -32 lichen Erfinder und Darſteller dieſer Anlagen aus - gegeben, ſo waͤre er ein Spitzbube geweſen, und wirklich ein recht arger Spitzbube, da er ſich das ſchoͤnſte und edelſte Eigenthum eines Andern, den Ruhm des Kuͤnſtlers angemaßt haͤtte. Das that er aber nicht. Blos um den Ruhm des Letztern noch mehr zu verbreiten, und deſſen Wuͤnſchen beſſer, als der Beſitzer des Urgartens zu entſprechen, der durch die Uebertheurung der Schluͤſſel die Abſicht des Kuͤnſtlers faſt ganz vereitelte, gab der Nach - bildner ſeine Schluͤſſel zu einem dreimal geringeren Preiſe, ſo daß der minder Wohlhabende und ſelbſt der Arme ſie kaufen, und ſich uͤber das Werk des geiſtvollen Kunſtgaͤrtners freuen kann. Wer kann den Mann deshalb tadeln? Wer kann ihm einen Vorwurf daruͤber machen, daß er durch den Ver - kauf ſeiner Schluͤſſel ſich einen billigen Vortheil zu machen, und ſich fuͤr die koſtbare Anlegung des nachgebildeten Gartens zu entſchaͤdigen ſucht? Ge - wiß kein Vernuͤnftiger!
So ausgefuͤhrt, Herr Abgeordneter, wuͤrde, wie mir duͤnkt, das Cella’ſche Gleichniß dem Sach - verhaͤltniſſe am richtigſten entſprechen? Was mey - nen Sie? Jch bin Jhnen wirklich ſehr verbunden, daß Sie mir durch jene ſechs Zeilen in Jhrem Commiſſionsbericht uͤber den Buͤchernach - druck*)M. ſ. dieſen Commiſſionsbericht S. 9, und zu dieſer Ausfuͤhrung Gelegenheit gaben. 33» Sey es eine Parabel — Parabeln verſinnlichen und lehren! «
Und Sie, meine Herren Buchhaͤndler, haͤtten Sie doch fruͤher beherziget, wie reich an fruchtbaren praktiſchen Folgerungen der unumſtoͤßliche Grund - ſatz iſt, daß Jeder, der Jhnen in Jhrem Verkehr und Abſatze, ſey es auch durch die erlaubteſte und rechtmaͤßigſte Handlung von der Welt, im Minde - ſten nachtheilig wird, der ſchlechteſte Menſch und der aͤrgſte Dieb und Raͤuber iſt, ſo wuͤrden Sie nicht allein gegen die Nachdrucker, ſondern mit gleichem Rechte gegen die Buͤcherverleiher und gegen Jeden, der ein Buch benutzt und liest, welches er blos geliehen hat, uͤber Raub und Diebſtahl geklagt haben. Auf jeden Fall thaten Sie ſehr unrecht gegen Sich Selbſt und Jhren Verkehr, daß Sie Jhrer Beſchwerde nicht dieſe Ausdehnung gaben. Da uͤbrigens nach Jhrer eigenen Behaup - tung alles Unrechtmaͤßige und Ehrloſe des Nachdrucks nicht in der Handlung des Nachdruckens ſelbſt, ſondern blos in dem vermeintlichen Schaden liegt, der Jhnen dadurch entſteht, ſo fraͤgt ſich immer: mit welchem Recht ſoll der Sittenlehrer wohl den Nachdruck als unmoraliſch ver - dammen, und der Geſetzgeber ihn als*)die Debatten uͤber den Buͤchernachdruck (Stuttgart 1822) S. 1207.34 widerrechtlich verbieten, ohne zugleich alles Verleihen und Vorleſen von Buͤ - chern, alles Ausſchreiben einzelner Stel - len, alles Ueberſetzen, kurz jede Mit - theilung der, in Jhren Verlagswerken enthaltenen Jdeen, und ſo auch jeden ſchriftlichen und muͤndlichen Tadel der - ſelben gleichfalls als unſittlich zu ver - dammen und als widerrechtlich zu ver - bieten? Ein unpartheiiſches Geſetz, wodurch die angeblichen Rechte der Buchhaͤndler ſowohl gegen den Nachdruck, als gegen andre demſelben aͤhnliche Beeintraͤchtigungen geſchuͤtzt werden ſollten, muͤßte etwa nachſtehende Punkte enthalten:
Alle Handlungen, die irgend einem deutſchen Verlagsbuchhaͤndler den Abſatz der, von ihm gedruckten Buͤcher ſtoͤren und erſchweren, ſind unſittlich, ehrlos und widerrechtlich;
Es wird daher 1) Jeder ernſtlichſt und bei will - kuͤhrlicher Strafe gewarnt, kein Buch, es moͤge daſſelbe ihm von einem Buchhaͤndler verkauft wor - den oder auf eine andere Weiſe in ſeinen Beſitz ge - kommen ſeyn, ohne Vorwiſſen und ausdruͤckliche Erlaubniß des Verlegers und Schriftſtellers irgend Jemanden, und ſelbſt nicht ſeinen Eltern, ſeiner Gattin, und ſeinen Kindern zu leihen oder vorzu - leſen. Wer den Jnhalt eines Buchs zu wiſſen wuͤnſcht,35 moͤge ſich daſſelbe ſelbſt von dem Verleger oder deſ - ſen Kommiſſionaͤr oder Handelsfreunde kaufen.
2) Soll Niemand den Jnhalt eines Buchs we - der im Allgemeinen, noch im Einzelnen ausplau - dern, oder gar ſchriftlich einem Andern etwas dar - aus mittheilen; und daher iſt es auch allen Schrift - ſtellern ſtrenge unterſagt, keine Stelle aus irgend einem Buch, und ſelbſt nicht einmal als Motto, weder woͤrtlich, noch dem Jnhalte nach mit andern Worten anzufuͤhren. Den Schriftſtellern iſt blos erlaubt, in Faͤllen, wo ſie ſich auf ein anderes Werk beziehen, Titel, Band und Seitenzahl anzugeben, damit ſie nicht den Leſer der Nothwen - digkeit uͤberheben, ſich das Buch von dem Verleger ſelbſt anzuſchaffen und die in Bezug genommene Stelle nachzuleſen.
3) Aller, ſowohl muͤndlicher als ſchriftlicher Tadel irgend eines unter legitimer Cenſur erſchiene - nen Werks wird auf das Strengſte verboten, weil er leicht dem Verfaſſer und dem Verleger in ih - rem Verkehr nachtheilig werden kann, und daher eine unmoraliſche, ehrloſe und widerrechtliche Hand - lung iſt. Selbſt durch Mienen und Geberden z. B. durch Achſelzucken, Laͤcheln, Kopfſchuͤtteln, Zun - genausſtrecken und dergleichen ſoll Niemand uͤber ein Buch Hohn oder Mißfallen bezeugen. Das Rezen - ſiren bleibt uͤbrigens nach, wie vor erlaubt; nur mit dem Unterſchiede, daß alle Buͤcher, welche mit36 Erlaubniß einer legitimen Cenſur gedruckt ſind, durchaus als klaſſiſche Meiſterwerke, u. ſ. w. u. ſ. w. gelobt werden muͤſſen, und waͤren ſie auch noch erbaͤrmlicher, als die Werke des Herrn Ludolph Beckedorf. Die Rezenſenten werden beſonders auf - gemuntert, die ultramonarchiſchen, ariſtokratiſchen, jeſuitiſchen, pietiſtiſchen und myſtiſchen Schriften mit gebuͤhrendem Lobe und in recht hochtoͤnenden Phra - ſen zu empfehlen. Diejenigen, welche ſich in dieſer Ruͤckſicht vorzuͤglich auszeichnen, erhalten goldene Ehrenmedaillen von zehn bis fuͤnfzehn Kremnitzer Dukaten an Werth, oder da manchen unter ihnen das Geld lieber, als die Ehre ſeyn ſoll, ſo viel an Gelde.
Noch iſt zu bemerken, daß den ſaͤmmtlichen Redaktionen der kritiſchen Zeitſchriften ein monat - liches Verzeichniß derjenigen Schriften und Schrift - ſteller uͤbergeben werden ſoll, in deren Hinſicht den Rezenſenten der bitterſte Tadel zur Pflicht gemacht wird. Moͤgen ſie an dieſen ihrer Galle Luft machen.
4) Den deutſchen Buchhaͤndlern iſt verſtattet, fuͤr ihren Verlag Werke aus allen andern Sprachen uͤberſetzen zu laſſen; ſtrenge verboten iſt aber, deutſche Werke, ohne Einwilligung des Verlegers in fremde Sprachen zu uͤbertragen, weil der letztere dadurch in ſeinem Verkehr auf eine ehrloſe, unſittliche und widerrechtliche Weiſe benachtheiligt werden koͤnnte. Wer kein Deutſch verſteht, moͤge37 es lernen, um von unſern deutſchen Buchhaͤndlern » ſich auf das prompteſte und ſolideſte « behandeln zu laſſen.
5) Niemand ſoll ein geliehenes, gefundenes, ererbtes oder ihm geſchenktes Buch leſen, ohne ſich deshalb vorher mit dem Verleger oder geiſtigen Garteneigenthuͤmer zu beſprechen und abzufinden; im widrigen Fall iſt er ſchuldig, dem Buchhaͤndler den doppelten Werth des Buchs zu entrichten, und ſoll außerdem als ein Dieb, der in einem fremden Garten genaſcht und geſtohlen hat, mit Ausſtellung am Pranger beſtraft werden.
6) Das Nachdrucken an ſich iſt, wie ſelbſt der Herr Praͤlat von Abel und Herr Brockhaus zuge - ben, erlaubt; es wird aber, wie jede andere Hand - lung, ehrlos, ſuͤndlich und ſtrafbar, ſobald ein Verlagsbuchhaͤndler dadurch in ſeinem. Verkehr den geringſten Schaden erleidet. Wer alſo alle ſeine Stunden der Andacht zu widmen wuͤnſcht, kann freilich ein vom Verleger oder deſſen Kommiſ - ſionaͤr gekauftes Erbauungsbuch nachdrucken, und » ſeine Zimmer, ja einen ganzen großen Palaſt da - mit tapezieren; « wer gerne die juͤngſten Zeitereig - niſſe vor Augen haben will, mag einen » Ueberblick der neueſten Weltbegebenheiten « nachdrucken und ſein Zimmer damit ausſchlagen; wer endlich ſeine geheimen Gemaͤcher auf eine wuͤrdige Art auszuzie - ren wuͤnſcht, der laſſe das Reſtaurationswerk des38 Herrn von Haller, die Schriften des Herrn Jeſui - ten van den Wyenbergh, der Herren Adam Muͤller, Beckedorf und Konſorten und allenfalls den oͤſter - reichiſchen Beobachter, nachdrucken und bekleide die Waͤnde damit. Jndeſſen muß man ſorgfaͤltig ver - hindern, daß Niemand etwas von den letztgenann - ten Werken liest, und ſich durch den Jnhalt von dem Ankaufe derſelben abſchrecken laͤßt. Weil jede Handlung, wodurch einem deutſchen Verlagsbuch - haͤndler ein wirklicher oder vermeintlicher Schaden entſtehen koͤnnte, im hoͤchſten Grade unſittlich, wi - derrechtlich und ſchaͤndlich iſt; ſo wird der Nachdruck, inſofern der Unternehmer den Zweck hat, die Ab - druͤcke zu verkaufen, zu verſchenken, auszuleihen, oder vorzuleſen bei Galgenſtrafe verboten. Den deutſchen und deutſch-ſchweizeriſchen Buchhaͤndlern iſt es jedoch erlaubt, alle auslaͤndiſche Werke, ohne Ausnahme nachzudrucken und wo ſie koͤnnen, feil zu bieten, und wenn auch der urſpruͤngliche Verle - ger wirklich daruͤber zu Grunde gehen ſollte. Dies ſcheint freilich ziemlich ſonderbar; allein eine Hand - lung, welche ein deutſcher Buchhaͤndler fuͤr ein ehr - loſes, ſtrafbares Verbrechen erklaͤrt, weil man ihm in ſeinem Verkehr dadurch ſchadet, iſt ſehr eh - renvoll, ſittlich und gerecht, ſobald er ſelbſt ſie gegen einen Auslaͤnder begeht.
Hiebei iſt zu bemerken, daß zwar kein deut - ſcher Buchhaͤndler dem andern ein einzelnes Buch39 oder eine Flugſchrift nachdrucken ſoll; daß es aber gar wohl erlaubt iſt, die bei andern Verlegern er - ſchienenen einzelnen Schriften Eines Verfaſſers unter dem allgemeinen Titel: Saͤmmtliche Werke zuſammen zu drucken, und nachher mit beigegebenem beſondern Titel fuͤr jedes Buch im Einzelnen ſowohl, wie im Ganzen zu verkaufen. Dies ſcheint gleich - falls etwas ungereimt, allein da unſere Verleger den Nachdruck fuͤr einen Raub erklaͤrt haben, ſo muͤſſen auch dabei dieſelben Grundſaͤtze in Anwen - dung kommen, die vom Raube gelten. Raub im Kleinen, zum Beiſpiel Straßenraub, iſt ehrlos, unſittlich und ſtrafbar; Raub im Großen, Laͤn - derraub nemlich, iſt ſehr ehrenvoll, ſittlich und erlaubt. Es treten hier die alten Rechtsregeln ein: dem Kleinen einen Strick, und dem Großen ein Band! Dem Kleinen das Rad, und dem Großen eine Krone.
7) Soll jeder als ein Ehren - und Broddieb an Leib und Leben beſtraft werden, der von einem oder einigen deutſchen Buchhaͤndlern behauptet: daß ſie zu der weißen Linie von Abrahams Saa - men gehoͤren, und zum Theil noch aͤrgere Schelme und Prellhanſe ſind, als ihre ſchwarzen Herren Vettern und Oheime; daß ſie durch marktſchreieri - ſche Buͤcherankuͤndigungen, durch beſtochene oder beſoldete Rezenſenten und durch kritiſche Zeitſchrif - ten, die ganz von ihnen und ihren Fabrikarbeitern40 beſorgt und geleitet werden, die elendeſten Schar - teken als klaſſiſche Meiſterwerke auspoſaunen laſſen, die in keiner ordentlichen Buͤcherſammlung fehlen duͤrfen, und auf ſolche Weiſe argloſe Buͤcherkaͤufer und Leſer um Geld und Zeit prellen; daß ſie ihre Buͤcher zu mehr als juͤdiſchen Preiſen anſetzen, und dieſe Hebraͤerpreiſe noch verdoppeln, ja bei manchen Schriften wohl gar verzehnfachen wuͤrden, wenn es keine Nachdrucker gaͤbe.
Jeder Vernuͤnftige begreift, wie hoͤchſt nach - theilig dergleichen haͤmiſche Behauptungen dem Ver - kehr mehrerer deutſchen Buchhaͤndler ſeyn koͤnnen, zumal da ſie durch die taͤgliche Erfahrung als die lauterſte Wahrheit beſtaͤtigt werden, und wie ſchaͤud - lich, unſittlich und ſtrafbar ſie alſo ſind.
So, Herr Abgeordneter, wuͤrde ungefaͤhr der Geſetzesentwurf lauten, den man — nach meiner Anſicht — zum Schutze des Verkehrs unſerer deut - ſchen Verlagsbuchhaͤndler gegen alle » diebiſche, « » ſpitzbuͤbiſche « und » raͤuberiſche « Beein - traͤchtigungen einer geſetzgebenden Gewalt zur Sank - tion vorlegen muͤßte. Einzig und allein den Nach - druck verbieten zu wollen, aber nicht die uͤbrigen Entwendungsarten des geiſtigen Eigenthums, wo - durch die Verlagsbuchhaͤndler unſtreitig weit mehr leiden, als durch den erſtern, waͤre eben ſo unge - recht, als widerſinnig. Der Geſetzgeber wuͤrde ſich dadurch dem Hausbeſitzer gleichſtellen, der alleWaͤn -41Waͤnde und Thuͤren einſchluͤge, und blos die Fen - ſter zuhielte, damit ihm die Diebe nichts ſtehlen ſollten. Aus allzu großer Schuͤchternheit und Be - ſcheidenheit haben die Buchhaͤndler offenbar viel zu wenig begehrt, und daher iſt es eben ſo billig, ihnen zu Huͤlfe zu kommen, als es im entgegen geſetzten Fall gerecht iſt, den allzu dreiſten Plus - petitionaͤr mit ſeiner Zuvielfoderung abzuweiſen.
Die Behauptung der Verlagsbuchhaͤndler, daß ſie von dem Verfaſſer ein ausſchließliches Recht zur Vervielfaͤltigung und Verbreitung des Jnhalts ſeiner Handſchrift erwerben, iſt in der That laͤcher - lich. Welcher Schriftſteller hatte jemals ein ſolches ausſchließliches Recht? Und wie kann man etwas uͤbertragen, was man ſelbſt nicht beſitzt? So lange es noch Einen Staat giebt, wo der Nachdruck nicht durch poſitive Geſetze verboten iſt; ſo lange noch eine Regierung den, in ihrem Lande bereits verbo - tenen Nachdruck wieder erlauben kann und darf; ſo lange kann auch von einem ausſchließlichen Ver - breitungsrechte des Jnhalts einer Schrift zwiſchen Verfaſſer und Verleger niemals die Rede ſeyn. Was der Letztere von dem Erſtern erwirbt, beſchraͤnkt ſich auf das Recht des Vor drucks, d. h. des erſten Drucks, wobei ſich der Verfaſſer fuͤr ſeine Perſon verpflichtet, von ſeinem natuͤrlichen Rechte, den Jnhalt des Manuſkripts gleichfalls zu drucken und zu verbreiten, keinen Gebrauch machen zu wollen. III. Baͤndchen. 442Dieſer Vertrag iſt uͤbrigens ohne alle rechtliche Folgen fuͤr die Kaͤufer der gedruckten Exemplare; ihnen kann dadurch das natuͤrliche Recht, ihr er - kauftes Buch, wie jedes andere Eigenthum nach Belieben zu vervielfaͤltigen, auf keine Weiſe entzo - gen werden, denn ſie kaufen ganz ohne alle Bedin - gung, und muͤſſen ja nicht allein Papier, Drucker - ſchwaͤrze und Arbeitslohn, ſondern auch das, dem Schriftſteller etwa gezahlte Honorar erſtatten hel - fen. Der Buchkaͤufer erlangt an dem Jnhalt ſeines Exemplars nicht allein ein eben ſo großes Recht, wie der Verleger an dem Jnhalte der Handſchrift, ſondern ein weit groͤßeres, indem ihm das volle unbeſchraͤnkte Eigenthum, mithin die Befugniß uͤber - tragen wird, nach Gutduͤnken uͤber den Jnhalt ſeines Abdrucks zu verfuͤgen, ihn zu vernichten, zu veraͤndern und zu benutzen, auf welche Weiſe er will; ein ſolches Recht hat der Verleger aber nicht in Ruͤckſicht des Jnhalts der, ihm vom Verfaſſer uͤbergebenen Handſchrift.
Der zwiſchen einem Buchhaͤndler und einem Schriftſteller geſchloſſene Verlagsvertrag iſt kein Kaufkontrakt (Contractus emtionis venditionis), wodurch ein Eigenthum uͤbertragen wird; ſondern ein Vollmachtskontrakt (Contractus mandati). Der Kaufkontrakt ſetzt weſentlich ein Kaufgeld (Pretium) voraus; dies iſt aber keineswegs der Fall beim Verlagsvertrage, denn, wenn der Verleger wirklich43 ein Honorar zahlt, ſo iſt es kein Kaufgeld, ſondern eine zufaͤllige, ganz außerweſentliche Bedingung. Es giebt Schriftſteller, die gar keinen Ehrenſold fuͤr ihre Werke nehmen, und dennoch beſteht zwiſchen ihnen und ihren Verlegern, dem Weſen nach, der - ſelbe Kontrakt, welcher zwiſchen dem Verfaſſer, der ſich einen Ehrenſold fuͤr ſeine Schriften zahlen laͤßt, und deſſen Verleger ſtatt findet. Jſt es alſo nicht albern, wenn unſere Buchhaͤndler immer und in Einem fort kraͤchzen und ſchreien, daß ſie allein die ausſchließlich rechtmaͤßigen Eigenthuͤmer und Ver - kaͤufer der Jdeen ſind, welche man in den, ihnen zum Verlag uͤbergebenen Handſchriften findet? An den Jdeen haben ſie gar keinen Antheil. Sie ſind blos vom Verfaſſer bevollmaͤchtigt, durch eine Anzahl gedruckter Kopieen die, in dem Manu - ſkript enthaltenen Worte und Zeichen zum Ei - genthum des Publikums zu machen. War der Ver - faſſer rechtlich befugt, ihnen dieſe Vollmacht zu ertheilen, und waren ſie mithin berechtigt, ihren Buͤcherkaͤufern das volle unbedingte Eigenthum an den verkauften Kopieen zu uͤbertragen, ſo muͤſſen auch die Kaͤufer in Hinſicht der letztern alle die Rechte ausuͤben duͤrfen, welche aus einem vollen und unbeſchraͤnkten Eigenthumsrechte entſpringen, wozu weſentlich die natuͤrliche Befugniß gehoͤrt, das Eigenthum auf jede moͤgliche Weiſe zu vergroͤßern, zu vermehren, zu vervielfachen, und zu veraͤußern.
4 *44Der Verleger iſt, wie geſagt, bloßer Bevoll - maͤchtigter (Mandator) des Schriftſtellers; er er - wirbt kein Eigenthum an dem Jnhalt der Hand - ſchrift; er darf nichts eigenmaͤchtig hinzuſetzen, nichts hinwegſtreichen, nichts davon ungedruckt laſſen. Keine Zeile, kein Wort, keine Sylbe darf er aͤn - dern ohne Einwilligung des Verfaſſers; denn obgleich es manche Buchhaͤndler geben mag, die ſich der - gleichen Freiheiten erlauben, und oft ganze Seiten der Handſchrift, nach ihrem Gutduͤnken verbeſſern oder verwaͤſſern*)Jch ſelbſt habe freilich nie dieſe Erfahrung gemacht; allein von zwei ſehr achtungswerthen Schriftſtellern in Berlin iſt mir mehr, als zwanzig Mal geklagt und gezeigt worden, wie der Jnhalt ihrer Hand - ſchriften von ihren Verlegern, welche nicht einmal ihre Mutterſprache richtig ſchreiben konnten, entſtellt, und ganz fremdartige Dinge eingeſchaltet waren., ſo ſind ſie doch dazu keineswegs befugt. Der Eigenthuͤmer hingegen kann mit der Subſtanz ſeines Eigenthums vornehmen, was ihm beliebt; er kann es veraͤußern, verkleinern, ver - groͤßern, vervielfachen, ja ſelbſt vernichten, und uͤberhaupt anwenden, zu welchem Zwecke er will. Nicht ſo der Verleger oder der Bevollmaͤchtigte des Schriftſtellers; denn wuͤrde der aͤrgſte Sudler es ſich wohl gefallen laſſen, wenn der Buchhaͤndler, ſtatt ſeine Handſchrift zu drucken, und die Abdruͤcke zu verbreiten, Fidibus daraus machte, ſo vernuͤnf -45 tig dies doch in manchen Faͤllen wohl ſeyn moͤchte? Und — welcher Schriftſteller wuͤrde es gut heißen, wenn der Verleger das Manuſkript ungedruckt laſ - ſen, und es an eine Bibliothek als Seltenheit ver - kaufen wollte? Gewiß unter hunderten kein einziger, und gewoͤnne er ſelbſt den zehnfachen Betrag des Honorars dadurch. Der Buchhaͤndler muß alſo puͤnktlich den uͤbernommenen Auftrag erfuͤllen, und erlangt durch den Verlagskontrakt nicht das min - deſte Eigenthumsrecht in Ruͤckſicht des Jnhalts der Handſchrift. Selbſt in Betreff der, von ihm ge - druckten Exemplare ſind ſeine Befugniſſe ſehr be - ſchraͤnkt. Er darf ſie nicht verheimlichen; nichts darin durchſtreichen und unleſerlich machen; nichts herausſchneiden, ſondern muß ſie ganz ſo verbreiten und verkaufen, wie ſie in Gemaͤßheit der Hand - ſchrift abgedruckt ſind. Auch ſogar die, aus dem Verlagskontrakte entſpringenden Klagen ſind denen des Vollmachtskontrakts in der Hauptſache gleich, woraus ſich hinlaͤnglich ergiebt, daß hier wohl von der Uebertragung einer Vollmacht, aber nicht eines Eigenthums die Rede iſt.
Ganz anderer Art, als jene Befugniſſe des Verlegers, iſt das Eigenthumsrecht des Buchkaͤufers. Er kann mit dem gekauften Exemplar vornehmen und am Jnhalt aͤndern, was ihm beliebt. Er darf hinzuſetzen, durchſtreichen, herausſchneiden, und ſo - gar das ganze Buch vernichten; weder Verleger,46 noch Schriftſteller koͤnnen es ihm wehren, denn es iſt ſein unbeſchraͤnktes, volles Eigenthum. Als ſolches kann er es gebrauchen, wozu er will; es leſen oder nicht leſen; es verleihen, verkaufen, ver - ſchenken und verpfaͤnden. Er darf es kopiren, ſo oft und auf welche Weiſe es ihm gefaͤllt, denn kein Kontrakt verbietet es ihm, und weder durch das Naturrecht, noch durch das Civilrecht, noch durch irgend ein goͤttliches Geſetz iſt es unterſagt, ſein Eigenthum auf kuͤnſtliche Weiſe durch Nachbildung, oder auf natuͤrlichem Wege, z. B. durch Saͤen und Pflanzen zu vervielfaͤltigen und zu vermehren. Daß aber dem Eigenthuͤmer an ſeinen, durch Nachbil - dung oder auf andere Art bemerkten Eigenthums - vermehrungen dieſelben Rechte zuſtehen muͤſſen, die er in Ruͤckſicht des Originals hat; wird doch wohl Niemand beſtreiten? — Und daher muß er auch befugt ſeyn, jene Vermehrungen zu verſchenken, zu verleihen, zu verkaufen, an wen er will. Darf ich das Korn veraͤußern, welches ich aus dem Saa - men zog, oder die Buͤſten, die ich nach andern Buͤſten aus gleichem Stoff gebildet habe; warum ſollte ich nicht daſſelbe thun duͤrfen, mit den ge - ſchriebenen oder gedruckten Kopien eines Buchs? Und mit welchem Rechte ſollte ein Verleger, der erweislich nicht einmal Eigenthuͤmer des Jnhalts der, ihm von dem Verfaſſer uͤbergebenen Handſchrift, ſondern blos Bevollmaͤchtigter deſſelben war, und47 als ſolcher mir das volle unbeſchraͤnkte Eigenthum an dem von mir gekauften Exemplar, ohne allen Vorbehalt uͤbertrug, mich an der Ausuͤbung des wichtigſten Theils meines Eigenthumsrechts, nemlich an der Vervielfaͤltigung und Veraͤußerung hindern koͤnnen und duͤrfen? Wenn ein Pferdehaͤndler und Pferdeverleiher Jemanden ohne weitere Bedingung ein Geſpann Pferde verkaufte, und wollte nachher dem Kaͤufer verbieten, ſie nicht zu verleihen und keine Fuͤllen davon aufzuziehen, weil ihm, dem Verkaͤufer, dies in ſeinem Verkehr nachtheilig ſey; — wuͤrde nicht jeder vernuͤnftige Richter, im Fall einer Klage des Pferdehaͤndlers, dieſen ohne weitere Umſtaͤnde zuruͤck weiſen? Doch ich waͤhle ein an - deres Gleichniß, weil jenes Manchem vielleicht zu profan duͤnken moͤchte! Geſetzt, ein Maler liehe (ich ſage: liehe) einem andern eins ſeiner Gemaͤl - de, ohne alle weitere Bedingung; der letztere kopirte es fuͤnfzig oder hundertfach, ſo daß man keinen Unterſchied zwiſchen dem Urbilde und Nachbilde wahrnehmen koͤnnte. Er verkaufte ſeine Kopieen, jedoch mit der ausdruͤcklichen Angabe, daß es Nach - bildungen jenes Originals waͤren, und der Maler verloͤre dadurch vielleicht ſelbſt den Kaͤufer, der ihm Tauſende fuͤr ſein Urbild geboten hatte; — mit wel - chem Rechte frage ich, koͤnnte man den Nachbildner einen Dieb, einen Betruͤger ſchelten? Wo iſt das Sittengeſetz, welches verbietet, ein mir geliehenes48 Originalgemaͤlde zu kopiren und meine Nachbildun - gen zu verkaufen? Geſchieht dies nicht taͤglich? Nur dann waͤre der Nachbildner ein Betruͤger, wenn der Maler ihm, blos unter der ausdruͤcklichen Be - dingung, das Gemaͤlde nicht zu kopiren, es gelie - hen, oder wenn er ſeine Nachgebilde gar fuͤr Ur - bilder ausgegeben haͤtte.
Der Nachdrucker eines Buchs leihet nicht einmal, wie jener nachbildende Maler, das Werk, welches er nachdruckt, von dem Urverleger, ſondern kauft es dieſem um einen theuern Preis und ohne alle Bedingung ab. Er wird unbeſchraͤnkter Eigenthuͤmer ſeines Exemplars und erwirbt als ſol - cher auch die Befugniß, es zu vervielfaͤltigen, wel - che unſtreitig eins der wichtigſten und weſentlichſten Rechte iſt, die aus dem Begriffe von unbedingtem und unbeſchraͤnktem Eigenthum herfließen. Der Nachdrucker giebt ferner, eben ſo wenig, wie der Nachbildner, ſeine Nachdruͤcke fuͤr Urabdruͤcke aus, ſondern fuͤr Kopieen, denen er deshalb nicht die Firma des Urverlegers, ſondern die ſeinige vorſetzt. Er liefert ſie in der Regel auf beſſerm Papier, ſchoͤner und korrekter gedruckt, und dennoch gewoͤhn - lich um zwei Drittheile wohlfeiler, als der legi - time Verleger ſeine loͤſchpapiernen Urabdruͤcke. Was der letztere dem Verfaſſer an Ehrenlohn zahlte, und worauf er ſo unbaͤndig pocht, kann in den meiſten Faͤllen, ſelbſt wenn das Honorar ſehrbe -49bedeutend ſeyn ſollte, mit dem ſechsten und gewoͤhn - lich mit dem zehnten Theil des Verkaufpreiſes ge - deckt werden. Selten betraͤgt das Honorar der erſten Auflage fuͤr den Oktavbogen, wo etwa fuͤnf und zwanzig bis dreißig Zeilen auf die Kolumne gerechnet ſind, mehr als fuͤnfzehn bis zwanzig Tha - ler. Geſetzt nun, der Verleger macht von einem, ſolcher fuͤnf und zwanzig Bogen ſtarken Buche eine Auflage von fuͤnfzehnhundert Exemplaren und be - ſtimmt, wie ich ſo eben ein Beiſpiel vor mir habe, zwei Thaler zwoͤlf Groſchen als Ladenpreis, ſo bleiben ihm, nach Abzug des Honorars, ſelbſt wenn dies zwanzig Thaler fuͤr den Bogen betragen haͤtte, 3250 Thaler zur Deckung der Druck - und andern Koſten und zu ſeiner » Ergoͤtzlichkeit. « Der Nachdrucker hingegen liefert daſſelbe Werk auf weit beſſerm Papier und mit mehr typographiſcher Schoͤnheit zu zwanzig Gro - ſchen, alſo gerade um zwei Drittheile wohlfeiler, als der Urverleger. Dieſer erhaͤlt nemlich fuͤr ſeine erſte Auflage, ruͤckſichtlich welcher er alle Vortheile des erſten Drucks genießt, nach Abzug deſſen, was ihm der Ehrenſold koſtete, 3250 Tha - ler und der Nachdrucker hat fuͤr ſeine eben ſo ſtarke, aber weit koſtbarere und ſchoͤnere Auflage nur etwa 1084 Thaler, und muß außerdem alle Vortheile des fruͤhern Drucks entbehren. Jſt denn nun der Urverleger, der an ſeinen graugelben, loͤſchpapier -III. Baͤndchen. 550nen, kaum leſerlichen Originalabdruͤcken reine zwei Drittheile mehr verdienen will, als der Nachdrucker an ſeiner korrekt und ſchoͤn gedruckten zweiten Auflage, nicht mehr als dreimal ge - winnſuͤchtiger, denn dieſer? Jſt nicht die ganze Leſewelt befugt, den » ſoliden und uneigen - nuͤtzigen « Herrn Urverleger, wenn er ſich erfrecht, den Nachdrucker einen Schelm und Dieb zu nennen, ſelbſt fuͤr den aͤrgſten Prellhans, Schelm und Spitz - buben zu erklaͤren, und noch außerdem fuͤr einen Ehrenraͤuber und Verleumder, weil er einen Mann des Diebſtahls beſchuldigt, der nichts weiter thut, als was ihm die Geſetze ſeines Landes, und das ihm von dem Herrn Urverleger ſelbſt uͤbertragene unbedingte und volle Eigenthumsrecht geſtatten?
Nach Abrechnung deſſen alſo, was der Urverleger an Honorar zahlt, und was ich nach einem ziemlich hohen An - ſchlage bereits abgezogen habe, loͤst er dreitauſend Thaler, wo der Nachdrucker unter weit bedenklichern Umſtaͤnden nur tauſend einnimmt. Der letztere lebt dennoch mit ſeiner Familie anſtaͤndig und verdient oft betraͤchtlich. Wie groß muß folg - lich wohl der Verdienſt des Urverlegers und Vor - druckers ſeyn, der ſich ſeine Waare, die ihm nichts mehr, und oft nicht einmal ſo viel koſtet, als dem Nachdrucker die ſeinige, dreimal ſo theuer bezahlen laͤßt? Und wie groß, wie ruhmwuͤrdig iſt die51 Billigkeit, welche unſere Herren Urverleger bei Be - ſtimmung ihrer Buͤcherpreiſe beobachten, da ſie ſich das, was ein Anderer mit gleichem Koſtenaufwand und mit bedeutendem Vortheil auf ſeiner Seite fuͤr zehn Thaler liefert, mit dreißig Thalern und druͤ - ber bezahlen laſſen?
Das ausſchließliche Druck - und Verbreitungs - recht eines Verlegers oder Schriftſtellers hoͤrt in demſelben Augenblick auf, wo das erſte Exemplar ausgegeben wird, und das volle unbedingte Eigen - thum an demſelben auf den Kaͤufer uͤbergeht. Sollte es nur eine Sekunde laͤnger gelten, ſo muͤßte es auch ſo lange dauern und ſich vererben laſſen, wie jedes andere Eigenthum, z. B. wie ein Grundſtuͤck, ein Kapital, eine Jagdgerechtigkeit, d. h. ſo lange erweislich rechtmaͤßige Erben des Ureigenthuͤmers oder ſeiner Nachfolger vorhanden ſind. Daß dies aber nicht der Fall ſey, geben alle unſere Verlags - buchhaͤndler zu, indem ſie ſelbſt neue Ausgaben ſolcher Werke veranſtalten, deren Verfaſſer oder urſpruͤngliche Verleger noch leben, oder erſt vor Kurzem geſtorben ſind, und bekannte rechtmaͤßige, oft ſehr duͤrftige Erben hinterlaſſen haben. Nicht wenige Beiſpiele koͤnnte ich anfuͤhren, daß Buch - haͤndler von Schriften, deren Verfaſſer ihnen nur die erſte Auflage uͤberlaſſen hatte, nach deſſen bald darauf erfolgtem Tode eine zweite, dritte und vierte Auflage erſcheinen ließen, ohne ſich um die arme5 *52Wittwe und Waiſen des Verſtorbenen, durch deſſen Geiſteswerke ſie ſich bereicherten, im Mindeſten zu kuͤmmern. So ſteht es mit dem Rechtſinn dieſer wuͤrdigen Maͤnner! So mit ihrer zaͤrtlichen Be - ſorgniß fuͤr das Wohl des Schriftſtellers, deſſen geiſtiges Eigenthum ſie ihm ſo gerne ſchuͤtzen wollen, und welches ſie doch, wenn kaum ſeine Augen geſchloſſen ſind, ganz kontraktswidrig und folglich widerrechtlich ſeiner nothleidenden Familie entreißen. Jſt der Nachdrucker, der blos als unbedingter Eigenthuͤmer ſeines Exemplars und der darin enthaltenen Worte und Zeichen betrachtet werden muß, rechtlich nicht verbunden, ſich um die arme Familie des verſtorbenen Schriftſtellers zu bekuͤmmern; ſo iſt es doch dahingegen der Verleger, der ſich durch einen Kontrakt dem Verfaſſer und deſſen Erben verpflichtete, gegen den ihm geſtatte - ten Vortheil des Vordrucks von ſeinem natuͤrlichen Rechte des Nachdrucks nicht eher Gebrauch machen zu wollen, als bis er ſich mit dem Schriftſteller oder deſſen Erben wegen des fuͤr eine kuͤnftige Auflage zu zahlenden Honorars vereinbart haben wuͤrde.
Nun frage ich nochmal: mit welchem Rechte koͤnnen unter dieſen Umſtaͤnden wohl die Vordrucker einen Nachdrucker eines Diebſtahls beſchuldigen? Jſt die Vervielfaͤltigung einer, mir zum unbeſchraͤnk - ten Eigenthum durch Verkauf oder auf andere53 Weiſe uͤbertragenen Sache ein Diebſtahl oder nur ein Unrecht, eine Unſittlichkeit? Keineswegs! Habe ich das Recht, eine Tapete nachzudrucken und mei - ne Nachdruͤcke zu verkaufen, ſo hab’ ich auch daſ - ſelbe Recht in Ruͤckſicht eines Buchs! Was ſtiehlt alſo der Nachdrucker dem Verleger; was entzieht er auf heimliche oder gewaltſame Weiſe dem Beſitze deſſelben? Etwa ſeine Uhr oder ſein Geld? Nein! Oder das, ihm vom Verfaſſer uͤbergebene Manu - ſkript, deſſen Jnhalt er, der Verleger, mittelſt des Drucks und unbedingten Verkaufs, als Bevollmaͤch - tigter des Schriftſtellers zum unbeſchraͤnkten Eigen - thum der ganzen Welt machen ſoll? Auch das nicht! Was denn?
Meine Kaͤufer ſtiehlt er mir! ruft hier ein Urverleger. Deine Kaͤufer? Hatteſt du ſie denn ſchon im Kaͤficht, daß ſie dein Loͤſchpapier kaufen mußten, um wieder heraus zu kommen? Erbrach vielleicht der Nachdrucker deinen Kaͤficht, und ver - ſetzte die Kaͤufer in den ſeinigen, damit ſie von ihm ſich loskaufen muͤßten? — Nein, ſie waren ganz frei! Sie durften kaufen, oder es unterlaſſen! — Gut, wie iſt es denn moͤglich, daß ein vernuͤnfti - ger Menſch, einen Andern beſchuldigen kann, er habe ihm ſeine Kaͤufer geſtohlen, da er gar kein Zwangsrecht hatte, von irgend Jemanden zu ver - langen, daß er ihm ein Buch abkaufen ſollte? Wie kann uͤberhaupt ein kluger Mann — und das ſollte54 doch wohl jeder Verlagsbuchhaͤndler ſeyn — behaup - ten, ein Anderer habe ihn durch tauſend nachge - druckte und verkaufte Exemplare ſeines Buchs um eben ſo viele Kaͤufer und » Doppelluggidor « gebracht? Wie und womit will er jemals beweiſen, daß ein Einziger von jenen tauſend Leuten, die drei Thaler fuͤr ein Nachdrucksexemplar zahlten und zahlen konnten, faͤhig und willig geweſen waͤre, fuͤr einen Urabdruck zehn Thaler zu geben? Man - cher, ſelbſt wohlhabende Mann, der gerne ein Buch kauft, bezahlt vielleicht mit Vergnuͤgen einen Tha - ler dafuͤr, er kauft aber nicht, wenn er drei geben ſoll; ſondern wartet lieber, bis er weniger drin - gende Ausgaben hat, und daruͤber wird es vergeſ - ſen; oder er beruhigt ſich, bis er das Buch irgend - wo geliehen oder aus einer Verſteigerung fuͤr einen Spottpreis erhalten kann.
Geſetzt aber wirklich, der Buchhaͤndler verloͤre durch den Nachdruck tauſend Kaͤufer ſeiner Exem - plare; wem iſt die Schuld anders beizumeſſen, als ihm ſelbſt? Warum uͤbertrug er ſeinen Buͤcherkaͤu - fern ein volles und unbeſchraͤnktes Eigenthum, und mithin das daraus entſpringende unbedingte Be - nutzungs - und Vervielfaͤltigungsrecht an dem ver - kauften Exemplar? Warum ließ er ſich nicht kon - traktlich von Jedem verſprechen: das Buch nicht auszuleihen; nicht zu verſchenken; zu verkaufen; zu vertauſchen oder auf ſonſtige Weiſe zu veraͤußern;55 nicht in Abſchrift Andern mitzutheilen; es nicht aus Unvorſichtigkeit oder Vorſatz irgendwo liegen zu laſſen; es nicht zu verlieren und beſonders, es nicht nachzudrucken? Nur durch einen Kontrakt, worin dieſe und noch manche andere Bedingungen gehoͤrig beſtimmt und feſtgeſetzt, und ihre Erfuͤllung allen - falls eidlich von dem Kaͤufer zugeſichert waͤren, koͤnnte der Buchhaͤndler ſich ein ausſchließliches Ver - breitungsrecht auf eine rechtliche Weiſe vorbehalten. Jn wie ferne dies aber fruchten wuͤrde, iſt eine Frage! Denn waͤren auch alle Kaͤufer noch ſo ge - wiſſenhaft und vorſichtig, wie leicht koͤnnte nicht » ein diebiſcher « Nachdrucker Einem oder dem Andern das Buch entwenden, und die » gekauf - ten Jdeen des genialen Dichters und Schriftſtel - lers « nachdrucken laſſen? Der arme Buchhaͤndler ſitzt hier offenbar in einer hoͤlliſchen Klemme; mag er thun, was er will, er iſt ſich keinen Augenblick ſeines » vom Schriftſteller erſchacherten geiſtigen Eigenthums « ſicher und muß in ſteter Sorge ſchweben, daß ein » habſuͤchtiger raͤuberiſcher Nach - drucker « ihn um ſeine ſaͤmmtlichen gottſeligen und gottloſen, unſchuldigen und ſuͤndlichen, ſervilen und liberalen Anſichten und Jdeen bringt, die er mit ſo ſchwerem Gelde bezahlt hat, und die alſo jetzt alle mit einander ſeine, des Herrn Ver - legers, eigene Jdeen ſind. Und was verlieren nicht die » geiſtvollen und genialen Herr en56 Verfaſſer, « die ſo manche Feder daruͤber zerkauet und zerſtampft, ſo manchen koſtbaren Bogen Conceptpapier verſchrieben haben, wenn jene Jdeen und Anſichten, die ſie dem Publikum blos als Geheimniſſe unter dem Siegel der ſtreng - ſten Verſchwiegenheit anvertrauen woll - ten, ſo daß jeder Kaͤufer ſie nur fuͤr ſeine Perſon benutzen, das heißt bezahlen und leſen ſollte, nicht allein muthwillig ausgeplaudert, ſondern ſogar durch geſchriebene und gedruckte Ko - pieen in der ganzen Welt verbreitet werden? Sie buͤßen ja dadurch offenbar die Ausſicht ein, ihre goͤttlichen Jdeen und Anſichten, die ihnen oft ſchon das erſte Mal um das Zehnfache zu theuer be - zahlt wurden, noch zwanzig Mal verkaufen zu koͤn - nen, und muͤſſen, da ſie ſonſt vielleicht zwanzig Auflagen haͤtten machen koͤnnen, ſich mit neunzehn begnuͤgen. Hieraus wird ganz natuͤrlich der groͤßte Nachtheil fuͤr die deutſche Literatur entſpringen, denn » die vortrefflichſten und beſten un - ter Deutſchlands Schriftſtellern, « d. h. diejenigen, denen es mehr um Ehrenſold, als um Ehre, mehr um Geld, als um die Aufklaͤrung, das Gluͤck und das Vergnuͤgen ihrer Mitbuͤrger zu thun iſt, werden ſchweigen; die Literatur wird in Verfall gerathen, weil jene » Herrlichen « ſich zuruͤckziehen, und ganz Deutſchland wird in die ſtockfinſterſte Barbarei gerathen.
57Doch ich hoffe zu Gott, es iſt mit dieſen Dro - hungen gar ſo ernſtlich nicht gemeint. Unſere Her - ren Urverleger werden, ungeachtet des Nachdrucks, und wuͤrde er auch, welches ſehr zu wuͤnſchen waͤre, in allen deutſchen Staaten geſetzlich erlaubt, immer noch ein ſo erkleckliches Honorar geben, daß jene » Vortrefflichen und Beſſern « lieber zu der leichtern Feder, als zu dem ſchwerern Pfluge und Dreſchflegel greifen werden. Der Nachdruck kann der Literatur und der Aufklaͤrung niemals ſchaden, er muß ihr vielmehr befoͤrderlich ſeyn, in - dem er, wie ich nachher zeigen werde, die einzige zweckmaͤßige Schutzwehr gegen die Uebertheuerung der Buͤcher iſt, wodurch minder Wohlhabende auſ - ſer Stand geſetzt werden, ſich Werke von einiger Bedeutung anzuſchaffen.
Jch ſagte vorhin: das ausſchließliche Druck - und Verbreitungsrecht eines Schriftſtellers oder Ver - legers hoͤrt in demſelben Augenblick auf, wo das erſte Exemplar ausgegeben wird, und das volle unbedingte Eigenthum an demſelben auf den Kaͤufer uͤbergeht. Es iſt gerade damit, wie mit einem Geheimmittel (Arkanum), welches Jemand einem Andern, ohne ihm die Pflicht der Verheimlichung aufzulegen, verkauft. Erlauben Sie, daß ich hier zwei Beiſpiele anfuͤhre, um dies noch mehr zu verdeutlichen. Ein Arzt hatte ein ſehr ſicheres Mittel gegen die Waſſerſcheu erfunden, bei deſſen Gebrauch aber ein58 beſonderes Verfahren genau beobachtet werden mußte. Er wuͤnſchte hievon, außer der Anwendung in ſei - ner eigenen Praxis, einen Vortheil zu ziehen, und ſchrieb deshalb ein Buͤchelchen, worin er ſowohl das Mittel ſelbſt, als die Art des Gebrauchs und das Verhalten des Kranken umſtaͤndlich angab. Dies Buch ließ er unter ſeinen Augen drucken, nahm die abgezogenen Exemplare zu ſich, und verkaufte ſie, eins hier, das andere dort zu ſehr hohem Preiſe ohne alle weitere Bedingung. Einer der Kaͤufer fand es vortheilhaft fuͤr ſich und nuͤtzlich fuͤr An - dere, die ihm von dem Arzt verkaufte Vorſchrift, durch mehrere hundert Abdruͤcke zu vervielfaͤltigen, und zu einem weit geringern Preiſe zu verkaufen. Der Kaͤufer kamen bald ſehr viele, denn gerade war jene ſchreckliche Krankheit an mehreren Orten ausgebrochen, und der Arzt, der Verfaſſer und Urverleger, hielt fortwaͤhrend die Urabdruͤcke ſeines Buchs in ſo unerſchwinglichem Preiſe, daß manche arme Leute ſie gar nicht, manche ſie nur mit der groͤßten Beſchwerde kaufen konnten. Sie wandten ſich deshalb ſaͤmmtlich an den Nachdrucker, und der Herr Doktor Prellhans, ſo hieß der Arzt, blieb mit einem großen Theil ſeiner ſtarken Auflage ſitzen. Jetzt klagte er gegen den Nachdrucker, der ihm, wie er behauptete, nicht allein durch die Ver - breitung ſeiner aͤrztlichen Vorſchrift an dem Abſatze ſeiner Urabdruͤcke, ſondern ſogar in ſeiner Praxis59 geſchadet hatte, da manche Menſchen, die ſich ſonſt ſeiner Huͤlfe haͤtten bedienen muͤſſen, ſich jetzt, mit - telſt der ihm nachgedruckten Anleitung ſelbſt geheilt hatten. Nicht wahr, der Nachdrucker war ein ab - ſcheulicher Menſch; ein Dieb, ein Spitzbube, ein Raͤuber; er hatte freilich durch ſeinen Nachdruck vie - len Menſchen das Leben gerettet, allein er hatte dem Herrn Schriftſteller und Verleger ſowohl an dem Abſatze ſeines Buchs, als in ſeinem aͤrztlichen Verkehr geſchadet, und das war ſehr gottlos.
Wir bleiben bei dem eben geſetzten Fall, nur mit dem Unterſchiede, der Arzt haͤtte ſich bei dem Verkauf ſeines theuern Buchs ausdruͤcklich von den Kaͤufern ausbedungen, den Jnhalt deſſelben zu verheimlichen, und blos fuͤr ihre Perſon zu benuz - zen. Was ſagen Sie, wenn Sie nun zu der Zahl der Kaͤufer gehoͤrten, und Sie koͤnnten durch ſchnellen Nachdruck ihres Urexemplars und durch wohlfeilen Verkauf der nachgedruckten Kopieen eine zahlloſe Menge von Menſchen retten, die außer Stande waͤren, ſich die theure Vorſchrift des Arz - tes zu verſchaffen; wuͤrden Sie wohl einen Augen - blick anſtehen, ſogar das eidliche Geluͤbde der Ver - heimlichung zu brechen, welches Sie dem eigennuͤz - zigen Arzte gethan hatten? Wuͤrden Sie Sich nicht gleich und ohne Bedenken entſchließen, ein Nach - drucker zu werden, um den Kindern ihre Eltern, der Gattin den Gatten, der Schweſter den Bruder,60 der Braut ihren Geliebten zu erhalten? Nach dem Wenigen, was ich uͤber Jhre Denkart, Jhre Hand - lungsweiſe und Jhren Charakter weiß, und weshalb ich Sie, bei aller Verſchiedenheit unſerer ſonſtigen Anſichten von Herzen hochachte, glaube ich es ge - wiß! Ja, Sie thaͤten es ſicherlich, wenn der Herr Doktor auch daruͤber an den Bettelſtab kaͤme! Und welcher rechtliche Mann wuͤrde nicht, wenn dieſer Herr Doktor gar den biedern Nachdrucker Weber von Kuͤnzelsau fuͤr einen Dieb, fuͤr einen Raͤuber ausrufen wollte, ſeinen Stock ergrei - fen, und den erſtern fuͤr den gefuͤhlloſeſten, men - ſchenfeindlichſten und eigennuͤtzigſten Schurken, den letztern aber fuͤr den edelſten, ruhmwuͤrdigſten Menſchenfreund erklaͤren?
Sie, Herr Abgeordneter, ſehen alſo, daß Sie in den verzweifelten Fall kommen koͤnnten, nicht allein, trotz Jhres Widerwillens gegen den Nach - druck, ſelbſt ein Nachdrucker zu werden, ſondern ſogar ein, dem Verfaſſer und Urverleger gethanes eidliches Geluͤbde zu brechen. Nun wiſſen Sie ja, eben ſo gut, wie ich, daß die meiſten Verlagswerke unſerer Herren Urverleger nicht blos » durchaus klaſſiſch, ſondern fuͤr jeden Gebil - deten und fuͤr jeden, der ſich bilden will, ganz unentbehrlich ſind; « daß man ohne ihre Er - bauungs - und Predigtbuͤcher nicht in den Himmel kommen; ohne ihre Topographieen und Wegweiſer61 nicht von einem Dorf zum andern finden; ohne ihre mediziniſchen Werke nicht lange leben und geſund bleiben; ohne ihre Erziehungsſchriften, ihre A B C Buͤcher und ihre andern zahl reichen oder vielmehr zahl loſen Neujahrs -, Weihnachts - und Geburts - tagsgeſchenke fuͤr die lieben Kleinen mit illuminirten und mit ſchwarzen Kupfern, ſeine Kinder nicht zu frommen, geſitteten und gluͤcklichen Menſchen bilden; daß man ohne alle ihre Sprachlehren, ihre Woͤr - terbuͤcher, ihre Chreſtomathieen keine einzige Spra - che erlernen kann; dies Alles, Herr Abgeordneter, wiſſen Sie, oder koͤnnen es taͤglich aus den meiſten Buchhaͤndleranzeigen erfahren. Sie wiſſen aber auch, daß ſehr viele unſerer Herren Urverleger mit ihren klaſſiſchen, und fuͤr zeitliches und ewiges Heil ganz unentbehrlichen Verlagsbuͤchern eben ſo theuer und verhaͤltnißmaͤßig zum Theil weit theurer ſind, als Herr Doktor Prellhans mit ſeinem Arka - num, und daß ſehr viele minder wohlhabende Leute, Gelehrte und Ungelehrte, fuͤr ſich und ihre Kinder Buͤcher anſchaffen muͤſſen, wozu ſie, wenn ſie die - ſelben von manchen unſerer billigen, legitimen, ſoliden und prompten Urverleger beziehen ſoll - ten, kein Geld haben wuͤrden. Muß man daher nicht den Nachdruckern noch Dank wiſſen, daß ſie, wenn auch nicht alle, doch einige jener Meiſter - und Halbmeiſter werke nachdrucken, und unſern aͤrmern Landsleuten zum dritten oder zum vierten62 Theil des Preiſes das verkaufen, was ſie ſonſt unmoͤglich ſich haͤtten anſchaffen koͤnnen? Die Nach - drucker haben ſich ja durch keinen Kontrakt, durch kein eidliches Geluͤbde verpflichtet, die von ihnen theuer bezahlten, und als volles unbedingtes Eigen - thum an ſich gebrachten Urabdruͤcke nicht zu kopi - ren, und ihre Kopieen nicht an Andere zu ver - kaufen. Wo iſt hier etwas Unſittliches? Wo etwas Rechtswidriges, oder gar etwas Spitzbuͤbiſches? Wollte man ſo etwas darin finden, dann muͤßte man auch Jenen, der dem Herrn Doktor Prellhans ſein Arkanum nachdruckte, fuͤr einen Schelm und Spitzbuben halten? Und wofuͤr ſollte man wohl den menſchenfreundlichen, edeln Mann erkennen, der Herrn Prellhans ſogar ein eidliches Verſprechen ge - geben, das koſtbare Arkanum Niemanden zu ent - decken, und es demungeachtet durch den Nachdruck allgemein bekannt machte, blos um ein paar hun - dert Menſchen das Leben zu retten?
Hat nun der Kaͤufer eines mediziniſchen, che - miſchen, oͤkonomiſchen oder andern Geheimmittels, welches ihm ohne alle Bedingung als volles Eigen - thum verkauft wird, das natuͤrlich damit verbun - dene Recht, es durch Abſchriften und Abdruͤcke, unentgeldlich oder gegen Vergeltung, ſo vielen Lieb - habern mitzutheilen, als immer ſich finden, und wenn auch » der geiſtvolle und geniale Arzt, Chemiker und Oekonom und ſein,63 eben ſo geiſtvoller und genialer Kom - miſſionaͤr « den groͤßten Nachtheil dadurch litten; hat er ſogar die Befugniß, das Arkanum in allen Zeitungen auszupoſaunen, und ſich dafuͤr noch von den Redaktionen ein verhaͤltnißmaͤßig großes Hono - rar zahlen zu laſſen; wie ſollte man denn dem Kaͤufer eines Buchs dieſes Recht ſtreitig machen? Jſt das Honorar gerecht, welches der Verleger dem Schriftſteller fuͤr ſeine nie - dergeſchriebenen Jdeen zahlt; iſt es ge - recht von dem Buchhaͤndler, ſich wegen dieſes Honorars und ſeiner uͤbrigen Ko - ſten und Bemuͤhungen von ſeinen Buͤcher - kaͤufern entſchaͤdigen zu laſſen, und die - ſen dagegen ein unbedingtes volles Ei - genthum an den verkauften Abdruͤcken zu uͤbertragen; ſo muß auch der Nachdruck gerecht ſeyn. Der Kaͤufer eines Buchs kauft ja, wie ſchon vorhin geſagt wor - den, nicht blos die Druckerſchwaͤrze und das Papier; er kauft den Jnhalt gleich - falls, und muß folglich uͤber den letztern zu ſeinem Nutzen verfuͤgen koͤnnen, wie ihm beliebt, denn es iſt ſein, ohne allen Vorbehalt auf Seiten des Verkaͤufers, wohlerworbenes volles Eigenthum. Blos fuͤr den Verfaſſer und Urheber des Jn - halts darf er ſich nicht ausgeben, weil64 dies eine Luͤge zum Nachtheil eines An - dern ſeyn, und dem wirklichen Verfaſſer ſein Ruhm dadurch entzogen und geſchmaͤ - lert wuͤrde.
Was iſt ein Buch anders, als eine oͤffentliche Rede, als ein offener Brief an alle Menſchen, die Faͤhigkeit und Jntereſſe haben, ihn zu leſen? Handle ich widerrechtlich, wenn ich eine oͤffentliche Rede nachſchreibe, und abſchriftlich tauſend Andern mit - theile? Gewiß nicht, wenn ich nur nicht durch vor - ſaͤtzliche Weglaſſungen und Zuſaͤtze Sinn und Jn - halt entſtelle, oder mir gar die Ehre der Autor - ſchaft, das einzige geiſtige Eigenthum, welches dem Urheber ungekraͤnkt verbleiben muß, anmaße! Handle ich unſittlich und widerrechtlich, wenn ich einen offenen Brief, deſſen Jnhalt nach der Abſicht des Schreibers, wo moͤglich der ganzen Welt be - kannt werden ſoll, buchſtaͤblich abſchreibe, und meine Abſchriften verkaufe, um mich fuͤr den Aufwand von Zeit, Muͤhe und Koſten zu entſchaͤdigen? Nein. Jch befoͤrdere ja gerade die Abſicht des Briefſtellers; ich nenne ihn als den Verfaſſer, und entziehe ihm nichts von der Ehre oder — der Schande, die ihm ſein Brief erwerben kann und nach ſeinem eigenen Wunſche erwerben ſoll. So wenig man den Schnell - ſchreiber, der eine oͤffentliche muͤndliche Rede nach - ſchreibt, durch tauſend, und abermal tauſend Ab - ſchriften, ja ſogar ſie durch das Einruͤcken in Zei -tun -65tungen und Zeitſchriften in der ganzen Welt ver - breitet, und ſich dafuͤr von den Redaktionen großes Honorar bezahlen laͤßt, einer Unſittlichkeit zeihen darf; ſo wenig man den Abſchreiber und Verbreiter einer geſchriebenen, an das ganze Publikum gerichteten Nachricht eines Unrechts oder eines Dieb - ſtahls beſchuldigen kann; eben ſo wenig kann man billiger Weiſe ſich dergleichen gegen einen Nach - drucker erlauben. Ob die oͤffentliche Rede oder die Nachricht muͤndlich, oder ſchriftlich, oder durch den Druck dem Publikum mitgetheilt wird, iſt ganz gleichguͤltig; und eben ſo gleichguͤltig iſt es, ob ich mich zur weitern Verbreitung der muͤndlichen Rede oder eines Erſatzmittels derſelben, des Schrei - bens oder des Drucks bediene. Wird wohl irgend Jemand einen Studierenden, der ſeine gutgeſchrie - benen Kollegienhefte abſchreibt oder abſchreiben laͤßt, die Abſchriften verkauft oder verſchenkt, und auf dieſe Weiſe Andere der Nothwendigkeit uͤberhebt, dem Profeſſor ein bedeutendes Honorar zu zahlen, deshalb einen unſittlichen Menſchen oder gar einen Spitzbuben ſchelten? O ſicherlich nicht! Und was thut dieſer Studierende denn anderes, als was der Nachdrucker gleichfalls thut? Der letztere druckt ſogar nur ein Werk nach, deſſen Jnhalt der Ver - faſſer zum Eigenthum der ganzen Welt machen wollte; der Studierende hingegen vervielfaͤltigt Vorleſungen, die der Urheber blos fuͤr ſeineIII. Baͤndchen. 666Zuhoͤrer, die dafuͤr ihre Zahlung geleiſtet, beſtimmt hatte. Handelt ja einer von beiden unſittlich und widerrechtlich, ſo iſt es gewiß der Student; aber welcher Vernuͤnftige hat je es gewagt, etwas Un - ſittliches und Widerrechtliches darin finden zu wol - len? Wuͤrde der akademiſche Lehrer wegen dieſer Benutzung ſeiner Vorleſungen den Studierenden ei - nes Mißbrauchs oder gar eines Diebſtahls ankla - gen; ſo wuͤrde der letztere unſtreitig erwiedern: » ich habe dir fuͤr deine Vorleſungen Dein Honorar baar und richtig bezahlt, Du haſt nicht bedungen, daß ich ſie nicht verleihen und nicht durch Abſchriften vervielfaͤltigen ſollte. Sie ſind mein Eigenthum, eben ſo gut, wie das Kompendium hier, wornach du geleſen haſt. Dir gebuͤhrt nichts davon, als die Ehre der Urheber (Autor) zu ſeyn, die ich dir kei - neswegs beſtreite. Ob Du ein Privatiſſimum oder ein Publikum laſeſt, iſt mir gleichguͤltig. Wer Geld genug hat und daran wenden will, mag Dein Privatiſſimum hoͤren; wer es nicht hat oder nicht dafuͤr geben mag, dem leihe ich meine Hefte, oder laſſe ſie ihm fuͤr Geld und gute Worte abſchreiben; denn ſie ſind mein Eigenthum, und ich kann ſie daher vervielfaͤltigen, ſo oft es mir beliebt. « So wuͤrde der Studierende ſprechen, wenn auch das Kollegium, welches der Herr Profeſſor las, ein Privatiſſimum geweſen waͤre; ſollte nicht der Nachdrucker mit noch weit groͤßerm Rechte daſſelbe67 ſagen koͤnnen in Ruͤckſicht eines Buchs, deſſen Jn - halt ohne alle Bedingung dem ganzen Publikum mitgetheilt ward?
Gar poſſierlich klingt es, wenn ein Verleger, indem er die Nachdrucker der Widerrechtlichkeit und gar des » geiſtigen Diebſtahls « beſchuldigt, ſich das Anſehen giebt, als ſey es ihm nicht um den eigenen Vortheil, ſondern um Schutz des — angeblichen — » geiſtigen Eigenthums « der Schriftſteller zu thun. Wem faͤllt da wohl nicht der Marder ein, der ſich ſeiner Zaͤrtlichkeit gegen die Tauben ruͤhmt? Nicht das ſogenannte » geiſtige Ei - genthum « der » genialen Schriftſteller und Dichter, « nicht der Eifer fuͤr Wiſſenſchaft und Literatur, ſon - dern die ausſchließliche und freie Befugniß, das leſende Publikum durch faſt unerſchwingliche Buͤcher - preiſe brandſchatzen zu koͤnnen, iſt es, was dem groͤßten Theil unſerer Buchhaͤndler am Herzen liegt. Die Schriftſteller ſind die Citronen, die ſie bis auf den letzten Tropfen zu ihrem Punſch auspreſſen; und der arme magere ausgepreßte Verſe - und Buch - macher muß nachher mit waͤſſerndem Munde zu - ſchauen, wie der wohlbeleibte Herr Verleger die rauchende Bowle leert, wozu er Saft und Kraft lieferte. Blos fuͤr das » geiſtige Wohl, « fuͤr das » geiſtige Eigenthum « der Schriftſteller, ſind die Herren Urverleger beſorgt; um das Leib - liche bekuͤmmern ſie ſich gar nicht. Man betrachte6 *68doch unſere deutſchen Buchhaͤndler, von der Elbe bis zum Rhein, und von der Weſer bis zur Do - nau, ob ſie nicht alle ſo rund und fett ſind, wie die Kapuziner in Solothurn! Die Schriftſteller hingegen, ſind ſie nicht in der Regel eben ſo duͤrre und mager, und faſt noch beſſer zu Fidibus und Schwefelhoͤlzchen zu gebrauchen, als ihre unſterbli - chen waſſerſuͤchtigen Geiſteskinder*)Mein bischen Embonpoint iſt keineswegs die Frucht buchhaͤndleriſchen Ehrenſoldes, ſondern vaͤterliches Erbtheil.? Erwiſcht wirk - lich ſolch’ armes Wuͤrmchen durch beſondere Huld der Frau Verlegerin manchmal einen etwas beſſern Biſſen, wovon man aber nur ſelten ein Beiſpiel hat, ſo koͤmmt ihm dies Freß honorar faſt noch weniger zu ſtatten, als das armſelige Geld hono - rar des Herrn Gemahls; denn die Leiſtungen fuͤr das erſtere ſind haͤufig weit angreifender, als was der Herr Verleger fuͤr ſeine leichten und beſchnitte - nen Dukaten begehrt.
Aber, Scherz bei Seite! Wie ſehr es den Ur - verlegern mit dem Wohl der Schriftſteller Ernſt ſey, beweist das verhaͤltnißmaͤßig geringe Honorar, welches ſie gerade fuͤr ſolche Werke geben, durch deren Verlag ſie, wie ſie im Voraus mit Gewißheit berechnen koͤnnen, ſelbſt im Fall eines oder mehre - rer Nachdruͤcke, viele Tauſende gewinnen werden. 69Faſt alle Verlagsbuchhaͤndler ſind wohlhabend, und die meiſten unter dieſen Wohlhabenden ſind reich. Findet ſich wirklich hin und wieder ein armer Teu - fel, ſo iſt er entweder junger Anfaͤnger, oder er ward durch außerordentliche Ungluͤcksfaͤlle, durch unuͤberlegte und zu große Unternehmungen, oder vielleicht durch Einfalt, Unkenntniß ſeines Fachs und uͤble Wirthſchaft zu Grunde gerichtet. Die meiſten Schriftſteller hingegen, durch deren Werke jene Buchhaͤndler ihre Reichthuͤmer erwarben, ſind arm oder doch ohne bedeutendes Vermoͤgen, wo - ferne ſie es nicht auf andere Weiſe erlangten. Man kann nicht behaupten, dies ſey Mangel an Wirth - ſchaftlichkeit der Schriftſteller; denn jene Buchhaͤnd - ler waren, wo es die Freude des Lebens galt, nichts weniger als filzig, und lebten immer comme il faut, und oft auf ſehr glaͤnzendem Fuß. Was waren es aber fuͤr Werke, durch deren Verlag ſich die meiſten unſerer Buchhaͤndler in ſehr kurzer Zeit zu ungeheurem Reichthum erhoben, obgleich die Verfaſſer bei der groͤßten Eingezogenheit darben mußten? Es waren faſt immer gerade ſolche Schrif - ten, die nachgedruckt wurden, und von denen, die Herren Urverleger trotz der Nachdruͤcke, raſch hinter einander neue Originalauflagen veranſtaltet, die ſie eben ſo raſch mit dem groͤßten Vortheil ab - ſetzten, ohne daß der Schriftſteller oder ſeine nach - gelaſſene, oft in Duͤrftigkeit ſchmachtende Familie70 das Mindeſte dabei gewann. Daraus ſieht man, wie erbaͤrmlich es iſt, wenn Verleger die Gefahr des Nachdrucks als die Urſache des, gegen ihren Gewinn ſo unverhaͤltnißmaͤßig geringen Honorars vorſchuͤtzen. Wegen des Nachdrucks hat noch nie ein Buchhaͤndler den Verlag eines Werks abgelehnt und nie einen Heller Ehrenſold weniger an einen Schriftſteller bezahlt, als, was er, wenn kein Nachdruck waͤre, gezahlt haben wuͤrde. Der letztere iſt blos ein Vorwand, den Abrahams ſchlaue Kin - der vortrefflich zu benutzen verſtehen. Wuͤrde der Nachdruck auch in der ganzen Welt verboten, ſo wuͤrden Deutſchlands Verlagsbuchhaͤndler doch den Ehrenſold der Schriftſteller um keinen Kreuzer er - hoͤhen, und eben ſo wenig wuͤrden ſie dann ihre Buͤcher zu einem billigern, ſondern gewiß zu einem noch weit hoͤhern Preiſe verkaufen.
Das » geiſtige Eigenthum, « rufen ſie und mit ihnen ihre Mitſchreier unter den Schriftſtellern, von denen die wenigſten etwas von dem Nachdruck zu fuͤrchten haben; das » geiſtige Eigenthum « muß den Schriftſtellern geſichert werden! Was uͤbertragen ſie denn durch den Verkauf eines Buchs fuͤr ein Eigenthum an ihre Kaͤufer? Doch wohl nicht allein das Eigenthum an dem Papier und der Druckerſchwaͤrze, ſondern auch an dem Jnhalt, alſo das, was nach ihnen geiſtiges Eigenthum iſt. Wer blos bedrucktes Papier zu kaufen wuͤnſcht, der71 wird Makulatur fodern, und es wird ihm ganz gleichguͤltig ſeyn, ob der Verfaſſer derſelben, C. L. von Haller, Beckedorf oder van den Wyenbergh heißt. Wie wollen Buchhaͤndler und Schriftſteller denn an dem, was ſie ſo eben ohne Bedingung verkauft haben, an dem Jnhalte eines Werks, noch ferner ein Eigenthum behaupten? Sie verwechſeln hier, nicht aus Jrrthum, ſondern um zu taͤuſchen, das Eigenthum des Buchs mit der Autor - ſchaft. Dieſe bleibt aber ja immer dem Verfaſ - ſer, und wenn das Buch tauſendmal nachgedruckt wuͤrde. So wenig der Nachdrucker, als einer ſei - ner Kaͤufer, wird ſich fuͤr den Verfaſſer ausgeben und dem Schriftſteller ſeine wirklichen oder vermeint - lichen Lorbeeren abſtreiten wollen; er ſucht ihm dieſe im Gegentheil noch zu vermehren, indem er das Buch weiter verbreitet, als es ohne den Nach - druck gekommen ſeyn wuͤrde.
Wenn die Schriftſteller und ihre Verleger ein Geſetz gegen den Nachdruck und die Verbreitung der dadurch gewonnenen Abdruͤcke begehren, ſo verlan - gen ſie offenbar ein Vorrecht vor allen uͤbri - gen Menſchen; ſie fodern eine Beſchraͤnkung der natuͤrlichen Freiheit, die durchaus dem Begriffe des unbedingt von ihnen uͤbertragenen Ei - genthums widerſpricht; und verdienen mit Recht den Vorwurf des Betruges; indem ſie wollen, daß dasjenige, was ſie unbedingt verkauft haben, den72 Kaͤufern durch ein Geſetz entriſſen und ihnen wie - der zugewandt werden ſoll.
Der Schriftſteller und der Verleger wollen nicht, daß die von ihnen verkaufte Waare nachgemacht und die Nachbildungen von dem Nachbildner ver - kauft und verbreitet werden ſollen; muͤſſen ſich das aber nicht alle andere Menſchen gefallen laſſen? Mit welchem Recht wollen ſie eine Ausnahme be - haupten?
Der geiſtvolle Kuͤnſtler, welcher viele Jahre voll Nachdenken und Arbeit und große Koſten auf die Verfertigung eines Uhrwerks oder einer andern Maſchine verwandte, muß es dulden, daß ein An - derer, der ſein Werk kauft, und zerlegt, es in kurzer Zeit, mit geringer Arbeit und wenigem Geld - aufwande nachmacht und verkauft, wodurch ihm, dem urſpruͤnglichen Erfinder, oft nicht allein der gehoffte Gewinn, wodurch ihm auch der Erſatz aller ſeiner Koſten und Muͤhen entzogen wird. Ein Glei - ches trifft bei dem Chemiker zu, der ſein Vermoͤgen und ſeine Geſundheit aufopferte, und durch eine koſtbare Zuſammenſetzung eine ſeltene Farbe ꝛc. dar - zuſtellen, durch deren Abſatz er in Kurzem bedeu - tenden Wohlſtand und große Reichthuͤmer zu erwer - ben glaubte. Kaum hat er etwas verkauft, ſo wird es von einem andern Scheidekuͤnſtler unterſucht, der mit leichter Muͤhe die Beſtandtheile, ihre Ver - haͤltniſſe gegen einander, und die Art ihrer Zuſam -men -73menſetzung entdeckt, und nun mit dem erſten Erfin - der den Gewinn theilt, oder ihm wohl gar alle Vortheile ſeiner Erfindung entzieht. Kein Geſetz ſchutzt dieſe Klaſſen geiſtvoller Maͤnner vor dem Nachbilden und Nachmachen ihrer Waaren. Blos die Ehre der erſten Erfindung laͤßt man ihnen, weil es das Einzige iſt, worauf ſie ausſchließlichen An - ſpruch haben. Und der Verfaſſer eines elenden Romans, der aus eilf andern Buͤchern das zwoͤlfte zuſammen ſudelte, und keine Koſten weiter hatte, als einige Groſchen fuͤr Papier, Federn und Tinte, wollte vor Jenen ſich eines Vorrechts erfreuen; Er allein ſollte, mit Verletzung aller natuͤrlichen, aus dem Begriffe vom Eigenthum entſpringenden Rechte, von der Geſetzgebung gegen die Ausuͤbung jener Rechte in Schutz genommen werden? Dem Kuͤnſt - ler, dem Chemiker, dem Arzt ſollte doch wohl eben ſo gut ein » geiſtiges, alle Nachbildung ausſchließen - des Eigenthum « gebuͤhren, als dem faſelnden Ro - manſchreiber, der aus neun und zwanzig Buͤchern das dreißigſte macht? Der Chemiker, der Arzt, der Landwirth, der Kuͤnſtler, die große Koſten und Arbeiten, ja ſelbſt Geſundheit und Leben aufs Spiel ſetzen, ohne noch einen Schatten von Wahrſchein - lichkeit zu haben, daß ſie fuͤr ihren Aufwand an Geld, Zeit und Arbeit entſchaͤdigt oder gar belohnt werden, ſollten weniger in Hinſicht ihrer Erfindun - gen beguͤnſtigt werden, als der Verfaſſer der Fle -III. Baͤndchen. 774geljahre oder des Paul Yſop? Unbegreiflich! Jſt der Nachdruck ein Unrecht, ſo iſt es das Nachbilden einer kuͤnſtlichen Maſchine oder eines Uhrwerks, und das Nachma - chen einer Farbe, einer Arzenei u. ſ. w., woferne es dem urſpruͤnglichen Erfinder nachtheilig werden kann, gleichfalls und um ſo mehr, da der letztere weit mehr Koſten, Zeit, Muͤhe und oft auch weit mehr Geiſtesanſtrengung auf ſeine Erfindung verwenden mußte, als der Ver - faſſer und Verleger eines Buchs. Haͤlt man hin - gegen den Kaͤufer einer Maſchine oder einer chemi - ſchen Zuſammenſetzung befugt, die gekaufte Waare ſelbſt zum Schaden des Erfinders nachzumachen und zu verkaufen; wie will man dann den Nachdruck verbieten? Jſt das Verbot des Nachbildens einer gekauften Sache eine widerrechtliche Beſchraͤnkung der natuͤrlichen Eigenthumsrechte des Kaͤufers, ſo iſt es unſtreitig das Verbot des Nachdruckens nicht minder.
» Wenn man aber, heißt es, wenn man aber auch nicht den Nachdruck als unſittlich und ungerecht verbieten wollte, ſo muͤßte man es ſchon deshalb, um unſere Literatur vor gaͤnzlichem Verfall zu ſichern. Jſt der Nachdruck erlaubt, ſo wird kein Werk von bedeutendem Umfange mehr unternommen, keine neue verbeſſerte Auflage mehr veranſtaltet wer - den, und viele Schriftſteller werden ſich zuruͤck75 ziehen, weil ſie keine hinlaͤngliche Belohnung ihrer Muͤhe zu hoffen haben. «
Dieſer Einwand gegen den Nachdruck iſt der einzige, der noch einen Schatten von Vernunft fuͤr ſich hat, aber blos einen ſehr elenden Schatten.
Unſere Buchhaͤndler ſind nicht ſo aͤngſtlich, ſie ſind herzhafter und kluͤger, als ſie ſich ſtellen. Sie uͤbernehmen lieber den Verlag von Werken, die wahrſcheinlich nachgedruckt werden, als von ſolchen, bei denen das nicht zu beſorgen iſt. Die Furcht vor dem Nachdruck iſt ein ſchlauer Vorwand, um dem Schriftſteller von dem gefoderten Honorar etwas abzudingen, oder ihm, auf eine feine und ſchmei - chelhafte Art, ein Koͤrbchen zu geben.
Aber, ſagt man, die Buchhaͤndler werden keine Werke von bedeutendem Umfange uͤbernehmen koͤn - nen, ſo lange der Nachdruck geduldet wird.
Die Erfahrung lehrt das Gegentheil. Ein Werk von großem Umfange muß ſchon ſehr gut gegan - gen, es muß ſtarke Nachfrage darnach geweſen ſeyn, wenn ein Nachdrucker es wagen ſoll, eine wohl - feilere Ausgabe davon zu veranſtalten. Ueberdies ſteht es ja dem Urverleger frei, ſich durch ein Pri - vilegium gegen den Nachdruck zu ſchuͤtzen, und außerdem hat er den Weg der Unterzeichnung und Vorausbezahlung, um ſich ruͤckſichtlich des Honorars, der Druck - und Verlagskoſten und ſeines Gewinns7 *76voͤllig ſicher zu ſtellen. Warum ſoll man unter dieſen Umſtaͤnden einigen hundert Buchhaͤndlern und Schriftſtellern zu Gefallen, durch ein allgemeines Geſetz die natuͤrlichen Rechte aller uͤbrigen Staats - buͤrger beſchraͤnken? Will man den Schriftſtellern und Buchhaͤndlern ein ausſchließliches Recht zur Nachbildung und Verbreitung der, von ihnen her - ausgegebenen Schriften, oder wie ſie es nennen, » ein geiſtiges Eigenthum « einraͤumen; ſo muß auch jeder Erfinder einer Maſchine, einer Arzenei - oder Farbewaare, eines Deſſins ꝛc. eines gleichen aus - ſchließlichen Rechts zur Verfertigung und zum Ver - kaufe der von ihm erfundenen Waare genießen. Waͤre aber dieſer Grundſatz von jeher angenommen und befolgt worden, in welcher Barbarei wuͤrden wir jetzt leben? Weder bildende, noch mechaniſche Kuͤnſte haͤtten ſich zu irgend einiger Vollkommenheit erheben koͤnnen; und Millionen von Menſchen, die jetzt durch kuͤnſtliche Nachbildung fremder Erfindun - gen in bluͤhendem Wohlſtande leben, und ſich eben ſo ſehr durch geiſtige und ſittliche Vorzuͤge, wie durch ihren Kunſtfleiß auszeichnen, wuͤrden als rohe und halbwilde Jaͤger, vielleicht gar als Raͤuber, in Waͤldern und Gebirgen umherſtreifen.
Der Nachdruck ſoll Schriftſteller und Buch - haͤndler hindern, beſonders von groͤßern Werken verbeſſerte und vermehrte Auflagen zu machen. So lange wir noch faſt eben ſo viel legitime Sou -77 veraͤne, wie legitime Verleger haben, wird es hoffentlich an vermehrten Auflagen nicht fehlen. Daß die Buchhaͤndler wenigſtens durch den Nach - druck nicht gehindert werden, ſelbſt von bedeutenden Werken neue verbeſſerte und vermehrte Auflagen zu veranſtalten ſieht man taͤglich. Das Converſa - tionslexikon und die Stunden der Andacht, beides Werke von großem Umfange, ſind nachge - druckt, und dennoch nachher in vermehrten und verbeſſerten Ausgaben von den Urverlegern wieder - holt aufgelegt worden; daſſelbe iſt faſt bei allen nachgedruckten Schriften der Fall. Der Nachdruck ſelbſt iſt uͤberdies fuͤr den Schriftſteller und den Urverleger ein wichtiger Beweggrund, ihrer neuen Ausgabe den hoͤchſtmoͤglichen Grad von Vollkom - menheit zu geben, um ſie dadurch ſowohl fuͤr die Beſitzer der Nachdruͤcke, als der erſtern Urabdruͤcke unentbehrlich zu machen*)Das Converſationslerikon wuͤrde ohne die groſ - ſe Menge der, bei jeder neuen Auflage hinzukommenden Veraͤnderungen, die freilich wohl nicht immer Verbeſſerungen ſeyn moͤgen, keinen ſo ungeheuern Abſatz gefunden ha - ben, wie jetzt, und wenn es auch niemals waͤre nachgedruckt worden. So iſt es aber als ein beweg - liches Gemaͤlde zu betrachten, welches bei jeder neuen Auflage neue Anſichten und Ge - genſtaͤnde darbietet. Faſt keine dieſer zahlreichen Auflagen macht die andre uͤberfluͤßig, und ſelbſt der.
78Durch ein allgemeines Verbot des Nachdrucks werden, wie geſagt, die Buchhaͤndler nie bewogen werden, den Schriftſtellern einen hoͤhern Ehrenſold zu zahlen, und die Preiſe ihrer Buͤcher herabzuſez - zen. Es iſt alſo von einem ſolchen Verbot nichts fuͤr die Befoͤrderung der Wiſſenſchaften und die Verbreitung der Literatur zu hoffen. Jm Gegentheil wuͤrden die Herren Verleger, wenn die Konkurrenz mit den Nachdruckern nicht mehr zu fuͤrchten waͤre, durch Erhoͤhung ihrer ohnehin ſchon uͤbertriebenen Buͤcherpreiſe der Befoͤrderung der Literatur noch mehr ſchaden, als jetzt. Durch ein allgemeines Verbot des Nachdrucks wuͤrde man das ganze leſen - de Publikum dem Eigennutze von einigen hundert Buchhaͤndlern hingeben, deren Mehrzahl es genug -*)Nachdruck unterſcheidet ſich in manchen Stuͤcken ſehr von der Ausgabe, die ihm zum Vorbilde diente. Gewiß hat noch kein deutſches Werk in ſo kurzer Zeit ſeinem Verleger ſo große Vortheile gewaͤhrt als das Converſationslexikon! Muß man aber da nicht laͤ - cheln, wenn der gute Mann noch uͤber großen Schaden ſeufzt, den er bei dem Verlage ſeines Con - verſationslexikons erlitten hat? Worin beſtand dieſer Schaden, der ihm durch den Nachdruck zugefuͤgt ſeyn ſoll? Hoͤchſtens darin, daß er, ſeiner Meinung nach, die ihm nachgedruckte Auflage ein halbes Jahr ſpaͤter abſetzte, um wieder eine neue veranſtalten zu koͤnnen. Wahrlich ein ſchreckliches Ungluͤck! Wer muß da wohl nicht Mitleid fuͤhlen?79 ſam beweist, daß kein Funken Eifer fuͤr Wiſſen - ſchaft, Literatur und ſittliche und geiſtige Vervoll - kommnung ihrer Mitbuͤrger, ſondern ein wahres hebraͤiſches Schmachten nach edeln Metallen es iſt, was ſie beſeelt. Schwerlich kann ich mir etwas Nachtheiligeres fuͤr die deutſche Literatur denken, als ein ſolches allgemeines Verbot des Nachdrucks. Gerne gebe ich zu, daß eine große Anzahl wacke - rer Maͤnner von Deutſchlands Buchhaͤndlern unter keiner Bedingung die Graͤnzen der Billigkeit gut - willig uͤberſchreiten moͤchte; aber eine unſtreitig weit groͤßere Anzahl wuͤrde ſich, ohne alle Ruͤckſicht, ihrem Gelddurſt uͤberlaſſen, und die Preiſe vieler unentbehrlichen Werke ſo ſehr ſteigern, daß dem Minderwohlhabenden die Anſchaffung voͤllig unmoͤg - lich waͤre. Was wuͤrde daraus entſtehen? Der groͤßere Theil der Nation wuͤrde von aller Erwei - terung ſeiner Kenntniſſe, von aller geiſtigen, ſittli - chen und religioͤſen Ausbildung gewaltſam ausge - ſchloſſen, und gerade die nothwendigſten Buͤcher wuͤrden die theuerſten werden. Selbſt die rechtlichen Verlagsbuchhaͤndler muͤßten, woferne ſie Sortiment haͤtten, ſich mit fortreißen laſſen, und ihre Preiſe gleichfalls erhoͤhen, um von der theuern Waare ih - rer Mitbruͤder eintauſchen zu koͤnnen. Nun denken Sie Sich den ungluͤcklichen Fall, daß auch nur zehn bis zwoͤlf reiche und eigennuͤtzige Verleger ſich mit einander verſtaͤnden, durch großes Honorar, wo80 moͤglich, alle diejenigen Schriftſteller an ſich zu ziehen, deren Werke fuͤr das Publikum durchaus unentbehrlich waͤren, z. B. Aerzte, Rechtsgelehrte, Chemiker, Landwirthe u. ſ. w. Die Preiſe der Schriften dieſer Leute wuͤrden dann von jenen Buch - haͤndlern ſo ſehr geſteigert werden, daß blos der Reiche ſie kaufen koͤnnte; was ſollte aus unſerm Vaterlande werden? Muͤßte nicht jeder Minder - wohlhabende, der einen oder mehrere talentvolle Soͤhne haͤtte, darauf verzichten, ihnen eine wiſſen - ſchaftliche hoͤhere Bildung zu geben und dadurch ihr Fortkommen zu befoͤrdern? Wuͤrden nicht auf dieſe Weiſe durch den Eigennutz von zehn bis zwoͤlf Buch - haͤndlern dem gemeinſamen Vaterlande vielleicht ge - rade die beſten und faͤhigſten Diener entriſſen? Und wo ſollte unter jenen Umſtaͤnden der Arzt, der Rechtsgelehrte, der Geiſtliche, dem keine großen Gluͤcksguͤter beſchieden waren, bei einer zahlreichen Familie wohl das Geld zu den koſtbaren Buͤchern hernehmen, um ſich in ſeinem Fache zu vervollkomm - nen und mit ſeinem Zeitalter fort zu ſchreiten? Jetzt wird jener Eigennutz der Buchhaͤndler noch etwas gebaͤndigt durch die Beſorgniß vor dem Nach - druck; was ſollte ihm aber die Wage halten, wenn dieſe Beſorgniß hinwegfiele?
Geſetzt indeſſen, alle unſere Verlagsbuchhaͤnd - ler waͤren ſo fromm und ſo rein, wie die Engelchen im Himmel; es waͤre durchaus von dergleichen81 Einverſtaͤndniſſen und von ſolchen eigennuͤtzigen Er - hoͤhungen der Buͤcherpreiſe nichts zu beſorgen; wer buͤrgt uns, daß ihre Kinder und Nachfolger ſo denken werden, wie ſie; daß dieſe ſich nicht einer Freiheit bedienen werden, die ihre Vaͤter und Vor - fahren aus wohlbekannter » Soliditaͤt und Billig - keit « nicht benutzten?
An ein Maximum der Buͤcherpreiſe, welches, wie Sie meynen, noch uͤberdies von Buchhaͤndlern feſtgeſtellt werden ſollte, iſt gar nicht zu denken. Dies iſt ein gordiſcher, ganz unaufloͤsbarer Knoten. Nach welchem Maaßſtabe wollte man das Maxi - mum wohl beſtimmen? Nach der Groͤße des Ho - norars, der Koſten fuͤr Papier, Druck, Verſendung u. ſ. w., nach dem Preiſe der Lebensbeduͤrfniſſe an dem Wohnort des Verlegers? Dieſe Koſten muͤß - ten alle, bei Beſtimmung eines Maximums in An - ſchlag kommen, und ſie ſind, wie wir wiſſen, ſchon im Koͤnigreich Wuͤrtemberg, wie viel mehr in ganz Deutſchland aͤußerſt verſchieden; ſie wechſeln taͤglich und ſtuͤndlich, und manche von ihnen haͤngen außer - dem von perſoͤnlichen und Familienverhaͤltniſſen ab.
Jch bin uͤberzeugt, daß fuͤr den Buchhandel ſich durchaus kein Maximum feſtſetzen laͤßt. Man kann wohl auf einige Tage in einer einzelnen Stadt fuͤr ſehr einfache Gegenſtaͤnde, wie Brod und Fleiſch ein Maximum beſtimmen; allein wie will man das bei einem ſo zuſammen geſetzten, in ſo viele Aeſte82 ſich theilenden Erwerbzweig wie der Buchhandel iſt, in einem ſo großen Lande wie Deutſchland moͤglich machen? Will man wirklich dem Buchhaͤndler einen aͤußerſten Preis fuͤr jede Klaſſe und jedes Format von Buͤchern vorſchreiben; ſo muͤßte man auch den Schriftſtellern in Ruͤckſicht ihres Honorars, imglei - chen den Schriftgießern, Setzern, Druckern, Pa - pier -, Oehl - und Kienrußhaͤndlern, Fuhrleuten, kurz allen Menſchen, die in mittelbarer oder un - mittelbarer Beruͤhrung mit dem Buchhaͤndler ſtehen, hinſichtlich ihrer Arbeiten und Lieferungen Maxima vorſchreiben; daß dieſe Maxima bei jeder merklichen Preisveraͤnderung der erſten Lebensbeduͤrfniſſe gleich - falls veraͤndert werden muͤßten, waͤre nicht mehr als billig. Wie ſollte man aber dies Alles wohl bewerkſtelligen, ohne nicht die ungeheuerſten Miß - griffe zu thun? Wer ſollte das Maximum beſtim - men? Die Bundesverſammlung? Die hat, wo ich nicht irre, wichtigere Geſchaͤfte! Die Buchhaͤndler? Das waͤre herrlich, wenigſtens fuͤr ſie und die, mit ihnen verbuͤndeten Schriftſteller; nur das arme Publikum waͤre ſehr zu bedauern.
Waͤre wirklich ein Maximum aufzufinden, ſo wuͤrden die Schriftſteller, fuͤr die man doch eigent - lich am meiſten ſorgen will, dadurch gar nichts gewinnen. So wie der ſchlaue Bar Jſrael vom Buchhaͤndler ſich jetzt hinter den Nachdruck ſteckt, um von dem gefoderten Ehrenlohn etwas abzuhan -83 deln; ſo wuͤrde er dann das Maximum in Einem fort wiederkaͤuen, und der arme Buch - und Verſe - macher waͤre noch ſchlimmer daran, als vorher.
Doch fort mit dem Maximum! Und fort mit Monopol der Buchhaͤndler! Wie koͤnnen ſie ruͤck - ſichtlich ihrer Waaren ausſchließliche Vorrechte be - gehren, deren kein anderer Einwohner im Staate genießt? Der Nachdruck iſt, wie geſagt, das ein - zige Mittel, den Eigennutz der Verleger einiger - maßen im Zaume zu halten, und auch den aͤrmern, minder wohlhabenden Klaſſen der Nation einen An - theil an dem Genuſſe der vaterlaͤndiſchen Literatur zu ſichern. Verbietet man den Nachdruck allgemein, ſo giebt man der letztern den Todesſtoß, denn fuͤr den groͤßten Theil der Deutſchen, das heißt, fuͤr alle, die kein bedrucktes Papier mit Gold aufwaͤgen koͤnnen, wird ſie aufhoͤren, zu ſeyn. Dafuͤr wer - den die meiſten der deutſchen Buchhaͤndler ſchon ſorgen.
Blos die Konkurrenz mit den Nachdruckern iſt es, was ihrer eigennuͤtzigen Willkuͤhr jetzt noch Schranken ſetzt; man reiße dieſe Schranken nieder, ſo wird eine Buͤchertheurung in Deutſchland entſte - hen, als ob nie eine Buchdruckerkunſt erfunden waͤre; man wird ſich die gedruckten Kopieen zu eben ſo hohen, und vielleicht weit hoͤhern Preiſen bezah - len laſſen, als ehemals die geſchriebenen.
Laͤcheln muß man uͤber Herrn Staatsrath Sack’s84 ſonderbare Aeußerung: » die Klagen uͤber auffallende Theurung mancher Buͤcher ſind ohne Grund. Die wohlthaͤtige Konkurrenz durch mehrere Schriften uͤber ein und denſelben Gegenſtand haͤlt ſchon den Buͤcherpreis in gehoͤrigen Schranken*)Der deutſche Bund nach ſeinem ganzen Umfange. Anſichten eines Geſchaͤftsmannes. Zuͤllichau und Leipzig 1816. S. 31.. « Wie konnte wohl ein preußiſcher Staatsrath ſo urtheilen? Lei - ſer und Gluͤck haben uͤber die Pandekten, Thibaut und Savigny uͤber den Beſitz geſchrieben; es iſt alſo ganz gleichguͤltig, ob ich Leiſers Meditationen oder Gluͤcks Commentar, ob ich Thibaut oder Sa - vigny uͤber den Beſitz habe? Henke, Reinhard, Claus Harms und viele andere haben Predigten her - ausgegeben; es iſt in dieſem Fach, nach dem Ur - theil des Herrn Staatsrath Sack, alſo eine fehr wohlthaͤtige Konkurrenz, denn wem Henke’s und Reinhards Predigten zu koſtbar ſind, der kann ſich jene von Claus Harms anſchaffen; das iſt, nach dem Herrn Staatsrath ganz einerlei. Blum und Voß haben Jdyllen gedichtet; ob mir der Buchhaͤndler die Jdyllen von Blum oder die von Voß giebt, das kann mir gleichguͤltig ſeyn; Jdyllen ſind ja Jdyllen! Herr Staatsrath Sack haͤtte bedenken ſollen, daß Buͤcher, die uͤber einen und denſelben Gegenſtand geſchrieben ſind, darum ſich noch keineswegs wech -85 ſelſeitig erſetzen, und deshalb auch keine Konkurrenz bewirken koͤnnen. Wer Eichhorns Weltgeſchichte haben will, wird des wohlfeilern Preiſes wegen nicht Schloſſers Weltgeſchichte kaufen; wer Buͤffons Naturgeſchichte bedarf, kauft der groͤßern Wohlfeil - heit halber nicht jene von Hellmuth oder gar vom ſeligen Raff. Nur ſolche Konkurrenz kann im Buch - handel fuͤr das Publikum vortheilhaft ſeyn, wodurch die Moͤglichkeit entſteht, ein vom Verleger uͤber - theuertes Buch von einem andern zu einem billigern Preiſe zu kaufen. Eine Konkurrenz der Art aber kann blos durch den Nachdruck erhalten und herge - ſtellt werden. Statt dieſen alſo durch ein allgemei - nes Geſetz verbieten zu wollen, ſollte man ihn vielmehr geſetzlich in ganz Deutſchland erlauben und in Schutz nehmen.
Sonderbar finde ich die Behauptung: » man muͤſſe ein Geſetz gegen den Nachdruck geben, weil ſich die oͤffentliche Meinung dagegen erklaͤre. « Ach, wollten wir alles abſchaffen und vertilgen, wogegen ſich die oͤffentliche Meinung erklaͤrt, welche Veraͤn - derungen wuͤrden wir nicht in Deutſchland erleben!
Aber wo iſt denn jene oͤffentliche Meinung? Wo anders, als auf der Buchhaͤndlermeſſe in Leip - zig? Und wer aͤußert ſie? Einige hundert Buch - haͤndler und ihre Mitſchreier unter den Schriftſtel - lern, denen dann noch ein Heer gedankenloſer von Vorurtheilen befangener Nachbeter beipflichtet, ohne86 ſich weiter den Kopf daruͤber zu zerbrechen, ob die Buchhaͤndler und ihre Genoſſen oder die Nachdruk - ker Recht haben? Wegen einer, auf ſolche Weiſe entſtandenen oͤffentlichen Meinung eine, an ſich durchaus nicht unrechtmaͤßige, Handlung verbieten, und dadurch die ganze Leſewelt dem Eigennutz und der Willkuͤhr einiger hundert gewinnſuͤchtiger Mo - nopoliſten Preis geben zu wollen, waͤre wahrlich, zu arg.
Ueberdies fraͤgt es ſich noch, ob die Meinung wirklich ſo oͤffentlich und allgemein iſt, als man behauptet? Faſt ſollte man das Gegentheil glauben, denn ungeachtet jenes wilden tobenden Geſchreies finden die Nachdrucker allenthalben Abnehmer und Kaͤufer fuͤr ihre Nachdruͤcke, und zwar unter Maͤn - nern, denen man in ſittlicher Ruͤckſicht nicht den geringſten Vorwurf machen kann, und die ſich die mindeſte Verletzung fremden Eigenthums unter kei - ner Bedingung verzeihen wuͤrden*)Jch kenne ſowohl hier in der Schweiz, als in Deutſchland viele ſehr wuͤrdige katholiſche und pro - teſtantiſche Geiſtliche, die mir haͤufig geſagt haben, daß ſie die meiſten ihrer eigenen Buͤcher, und ſo auch die Erbauungs - und Schulbuͤcher fuͤr ihre Ein - gepfarrten und Schulen, von Nachdruckern bezoͤgen, weil die Originalausgaben zu koſtbar waͤren. Soll - ten jene Maͤnner, die, wie ihnen Jeder, der ſie genauer kennt, bezeugt, ſich nie eine Unbill gegen. Sehr allge -87 mein, ſehr laut und oͤffentlich ſpricht ſich dagegen das Urtheil aus, daß viele unſerer Verlagsbuch - haͤndler durch ungeheuere Buͤcherpreiſe das Publikum auf eine oft empoͤrende Weiſe uͤbervortheilen, und daß man, ohne bedeutendes Vermoͤgen, allen Buͤcherkauf einſtellen muͤßte, wenn es nicht Nach - drucker, Antiquare und Verſteigerungen gaͤbe. Dieſe Meinung iſt die allgemein herrſchende und ſie wird durch die Ladenpreiſe unſerer meiſten Verlagsbuch - haͤndler, oder wenigſtens doch der Haͤlfte derſelben zur Genuͤge als ſehr gegruͤndet beſtaͤtigt.
Daß die Bundesverſammlung noch kein verbie - tendes Geſetz gegen den Nachdruck gegeben hat, mag wahrſcheinlich folgende Urſachen haben:
1) Fanden die Herren Geſandten am Bundes - tage vermuthlich, daß die Urverleger und Schrift - ſteller ſo wenig nach natuͤrlichem, als nach buͤrger - lichem Rechte befugt ſind, ein ſolches Geſetz zu begehren.
2) Glaubten ſie vielleicht, daß ſie nicht zu dem Zweck in Frankfurt verſammelt waͤren, die eigen - nuͤtzigen Abſichten einiger hundert Buchhaͤndler, ſon -*)Andre zu ſchulden kommen ließen, wohl nicht gleich - falls beurtheilen koͤnnen; ob der Nachdruck eine unſittliche, widerrechtliche Handlung ſey? Und ſollten ſie, wenn ſie ihn dafuͤr erkannten, ihn wohl durch Abnahme und Verbreitung nachgedruckter Schriften gar noch befoͤrdern? Gewiß nicht!88 dern das Beſte der ganzen Nation zu beſorgen, und bemerkten, daß von dem letztern gerade das Ge - gentheil geſchehen wuͤrde, wenn man das ganze leſende Publikum der gewinnſuͤchtigen Willkuͤhr we - niger Einzelnen auf Diskretion uͤbergeben wuͤrde.
3) Ueberzeugten ſie ſich auch wohl ſelbſt aus den eigenen Rechnungen, die ſie an ihre Buchhaͤnd - ler zu zahlen hatten, von der » Soliditaͤt und Billigkeit « vieler deutſchen Verleger, und fan - den es darnach nicht rathſam, dieſen Herren noch groͤßern Vorſchub zu thun, und ihnen durch außer - ordentliche Beſchraͤnkung fremder Eigenthumsrechte ein noch weiteres Feld fuͤr ihren Rebbes einzu - raͤumen. Endlich
4) konnte es ihnen keineswegs entgehen, daß die Buͤcher durch ein allgemeines Verbot des Nach - drucks nicht wohlfeiler, ſondern theurer werden wuͤrden. Der Kornjude, der keine Konkurrenz und keinen Nebenbuhler zu fuͤrchten hat, verkauft ſein Korn zum allerhoͤchſten Preiſe, den er nur bekom - men kann, und wenn gleich Alles um ihn her vor Hunger umkommen muͤßte. Der Buͤcherjude macht es nichts beſſer, und daß ſich unter unſern Buch - haͤndlern manche Abrahamskinder von der weißen Linie befinden, wird wohl Niemand leugnen.
Dieſe und manche andere Gruͤnde ſind es hoͤchſt wahrſcheinlich, wodurch das ſo heiß erſehnte allge - meine Geſetz gegen den Nachdruck verzoͤgert ward,wel -89welchen die Herren Geſandten vermuthlich fuͤr das einzige zweckmaͤßige Mittel gegen die Uebertheurung der Buͤcher erkannten.
Gegen die Anzahl der Schriftſteller, welche wider den Nachdruck ſprachen, kann man eine gleiche, und vielleicht eine noch groͤßere Anzahl eben ſo ausgezeichneter Maͤnner aufſtellen, die ſich fuͤr den Nachdruck erklaͤrten. Auf einige von jenen, die Sie, Herr Abgeordneter, als Gegner des Nach - drucks anfuͤhren, moͤchte ich mich nicht einmal be - rufen. Unſer » geradſinniger « Luther zum Beiſpiel hat Manches gethan und behauptet, was wohl kein rechtlicher und verſtaͤndiger Mann billigen kann. Denken Sie nur an ſein elendes Betragen waͤhrend dem Bauernkriege (1525), wo er ſtatt durch ſeinen Einfluß Gutes fuͤr die Ungluͤcklichen zu wirken, die nichts weiter als eine menſchliche Be - handlung von ihren großen und kleinen Blutigeln begehrten, ſie mit wilder ultramonarchiſch-pfaͤffiſcher Wuth zur Hoͤlle verdammte, und Fuͤrſten und Edel - leute zur grauſamſten Strenge gegen ſie auffoderte! Kinder mit Kroͤpfen hielt er fuͤr Kinder des Teu - fels und wollte ſogar in Deſſau den Fuͤrſten von Anhalt bereden, ein ſolches Kind erſaͤufen zu laſſen. Waͤre der Fuͤrſt nicht kluͤger und gewiſſenhafter ge - weſen, als der weiſe und fromme Reformator, ſo haͤtte dieſer einen Mord auf ſich geladen, der ihn bei der ganzen vernuͤnftigen Nachwelt gebrandmarktIII. Baͤndchen. 890haͤtte*)M. ſ. Luthers Tiſchreden, Kap. 24.. Das Urtheil eines ſo wenig denkenden Mannes kann in Dingen von ſo verwickelter Art, wie die vorliegenden, gar nichts entſcheiden. Wenn es auf Autoritaͤten ankommen ſoll, ſo beweist der Name Eines Reimarus, Eines Hofacker, Eines Knigge, Eines von Almendingen, gewiß zehnmal mehr fuͤr die Rechtlichkeit des Nachdrucks, als der Name eines Luther gegen dieſelbe. Dem Lieblings - humoriſten Jean Paul wuͤrde ich einen Leſſing ent - gegen ſtellen, der zwar weniger gefaſelt, aber doch mehr gedacht hat, und ſo koͤnnte man gegen jeden Widerſacher einen und wohl mehr eben ſo geiſtrei - che und einſichtsvolle Vertheidiger des Nachdrucks anfuͤhren. Die von Jhnen in Bezug genommenen Autoritaͤten koͤnnen folglich hier durchaus nichts entſcheiden. Kaͤme es uͤberdies auf die Stimmen - mehrheit an, ſo moͤchte der Ausgang des Streits wohl ſehr zweifelhaft ſeyn; und will man auf die Vernunftmaͤßigkeit und Wichtigkeit der Gruͤnde, nicht auf falſche Vorausſetzungen und daher abgeleitete Trugſchluͤſſe und Folgerungen ſehen, ſo wird ohne allen Zweifel die Sache fuͤr die Nachdrucker ent - ſchieden werden.
Eben ſo wenig, wie Autoritaͤten einzelner Schriftſteller beweiſen die » erleuchteten Geſetzgebun - gen Englands, Frankreichs, der Niederlande,91 Preußens und Sachſens « etwas gegen die Recht - maͤßigkeit und Zulaͤßigkeit des Nachdrucks. Daß in dieſen Laͤndern, die ſaͤmmtlich, mit Ausſchluß von Sachſen, ſehr viel groͤßer ſind, als Wuͤrtem - berg, mehr Buchhaͤndler wohnen, und der Buchhan - del alſo auch weit bedeutender ſeyn muß, iſt kein Wunder, und keineswegs eine Folge des dort ver - botenen Nachdrucks. Jn England und Frankreich befinden ſich außerdem die meiſten und wichtigſten Verlagsbuchhandlungen in den beiden Hauptſtaͤdten, London und Paris; in Deutſchland hingegen ſind ſie uͤberall zerſtreuet; daher entſteht denn in Paris und London natuͤrlich der Schein einer groͤßern Bluͤthe des Buchhandels, die man ſehr mit Unrecht dem Verbot des Nachdrucks zuſchreibt. Daß in Staͤdten, wie jene beiden, wo eine ſo große Menge von Buͤcherliebhabern leben, beſſere Maͤrkte zum Abſatz ſind, als in Stuttgart, iſt ſehr begreiflich. Der reiche Englaͤnder kauft Buͤcher, wenn er ſie auch nicht liest, der reiche Franzoſe desgleichen, und wie viele reiche und wohlhabende Leute giebt es in den gedachten Staͤdten nicht? Wo iſt ein Ort in Deutſchland, der ſich in dieſer Hinſicht mit Pa - ris und London meſſen koͤnnte, und wie kann man alſo den ſchnellern Abſatz der dortigen Buchhaͤndler, der offenbar aus der Oertlichkeit und den verhaͤlt - nißmaͤßig billigern Preiſen der Buͤcher entſpringt, dem Verbot des Nachdrucks zuſchreiben?
8 *92Sachſen hat eine groͤßere Anzahl von Buch - haͤndlern und einen viel lebhaftern Verkehr derſelben als Wuͤrtemberg; dies iſt aber keineswegs die Folge des, in Sachſen verbotenen Nachdrucks, ſondern der Lage des Landes im Mittelpunkte von Deutſch - land und ſeiner Meſſen in Leipzig. Laͤge Wuͤrtem - berg an Sachſens Stelle, haͤtte es eine Meßſtadt gleich jener, ſo wuͤrde es, bei ſeiner liberalen Ver - faſſung und Regierung ungeachtet des Nachdrucks einen noch weit bluͤhendern Buchhandel haben, als jetzt Sachſen; viele Buchhaͤndler wuͤrden, blos der liberalen Regierung halber nach Wuͤrtemberg ziehen, und ſich wenig darum kuͤmmern, ob dort der Nach - druck erlaubt waͤre, oder nicht.
Ganz richtig iſt Jhre Bemerkung, » daß Leipzig einen Centralpunkt der Buchhaͤndler bildet, den das Ausland nicht kennt, und der ſich leicht gegen das Publikum wenden koͤnnte. « Dies wuͤrde nicht allein leicht, es wuͤrde ſicherlich geſchehen, wenn der Nachdruck durch ganz Deutſchland verboten wuͤrde. Ein allgemeines Maximum fuͤr die Buͤcher - preiſe aufzufinden, iſt, wie geſagt, eine wahre Unmoͤglichkeit, ſo lange nicht Papier, Lettern, Druck - koſten, Fuhrlohn, und alle uͤbrigen Beduͤrfniſſe des Buchhaͤndlers und ſeiner Familie in ganz Deutſch - land Einen Preis haben. Waͤre aber auch dies letztere der Fall, ſo muͤßte doch billiger Weiſe den, von Leipzig entferntern Buchhaͤndlern wegen des93 Fuhrlohns und der groͤßern Verſendungskoſten wie - derum ein hoͤheres Maximum zugeſtanden wer - den, als den in Leipzig oder in der Umgegend wohnenden. Wie will man hier jemals eine ver - haͤltnißmaͤßig gleiche und billige Berechnung treffen? Wie leicht koͤnnen Umſtaͤnde, z. B. gaͤnzlicher Miß - wachs und Theurung, das Abbrennen oder Weg - ſchwemmen einer oder mehrerer Papiermuͤhlen, wo - durch ein einzelner Buchhaͤndler genoͤthigt wird, das Papier zu hoͤherm Preiſe und mit groͤßern Koſten herbei zu ſchaffen, eine ganz andere Beſtimmung des Maximums nothwendig machen? Und wer ſoll es in ſolchen einzeln vorkommenden Faͤllen immer beſtimmen? Wer die Koſten der Taxationen tra - gen? Oder will man das Maximum gleich fuͤr Jeden ſo hoch feſtſetzen, daß er fuͤr alle eintretenden Veraͤnderungen und fuͤr alle Ungluͤcksfaͤlle dadurch gedeckt ſeyn ſoll; was wird das Ergebniß ſeyn? Der Verleger wird ſeine Buͤcher nie unter dem, ihm beſtimmten Maximum, alſo immer zum hoͤchſten Preiſe verkaufen, und ſtatt der Billigkeit, die man durch das Maximum bewirken wollte, wird man ſelbſt Gelegenheit zu noch groͤßerer Uebertheurung geben. Es bleibt folglich kein anderes Mittel, das Publikum gegen die letztere zu ſichern, als — der Nachdruck.
Unſere Buchhaͤndler ſind auch durchaus keine Feinde des Nachdrucks, ſondern blos derjenigen,94 die ihnen nachdrucken. Warum ſollten ſie eine Handlung haſſen, die ſie ſich gegen Andre ſelbſt erlauben? Nur dann iſt dieſe Handlung in ihren Augen abſcheulich und ſtrafbar, wenn ſie von Leu - ten begangen wird, die nicht zu ihrer Zunft gehoͤ - ren, und wenn fuͤr ſie ein Nachtheil daraus ent - ſpringt. Einer ihrer vorzuͤglichſten und einſichtvoll - ſten Wortfuͤhrer gegen die Nachdrucker, Herr Brock - haus in Leipzig, druckt ſelbſt nach, zwar eigentlich keine deutſche, aber doch franzoͤſiſche, engliſche und italieniſche Werke. Nun fraͤgt ſich, wenn anders der Nachdruck durchaus ein Diebſtahl ſeyn ſoll, ob derjenige, welcher dem Englaͤnder Murray die Uhr aus der Taſche zieht, nicht eben ſolcher Dieb iſt, wie der, welcher dem Deutſchen Brockhaus die ſei - nige ſtiehlt? Ja, erwiedert man, dem franzoͤſiſchen, engliſchen und italieniſchen Buchhaͤndler kann der in Deutſchland veranſtaltete Nachdruck keineswegs ſchaden! Die Franzoſen, Englaͤnder und Jtaliener werden nicht von Brockhaus in Leipzig, ſondern von dem, ihnen naͤher wohnenden Urverleger in ihrem Vaterlande ihre Buͤcher beziehen. Laͤppiſcher Ein - wand, als ob es in Deutſchlands groͤßern Haupt - und Handelsſtaͤdten, beſonders in den am Meere und an den Graͤnzen gelegenen, nicht viele gebil - dete Franzoſen, Englaͤnder und Jtaliener gaͤbe, die eben ſo gerne, wie wir Deutſchen, gute Buͤcher zu wohlfeilen Preiſen kaufen? Und waͤre auch dies95 nicht, giebt es nicht ſelbſt eine große Menge gebil - deter und wohlhabender Deutſcher, welche franzoͤſiſch, engliſch und italieniſch verſtehen, und eben ſo ger - ne, ja oft noch lieber Buͤcher in dieſen Sprachen, als in ihrer Mutterſprache leſen? Sollten nicht dieſe Leute das, was ſie mit großen Koſten erſt aus Mailand, aus Paris, aus London ſich ver - ſchreiben und worauf ſie lange warten muͤßten, lie - ber aus dem weit naͤhern Leipzig beziehen? Das iſt freilich nicht zu leugnen! ſagt man. Aber was Brockhaus thut, verdient nicht Tadel, ſondern Lob. Er wird von reinem Eifer fuͤr die Literatur beſeelt; er wuͤnſcht die Deutſchen bekannter mit den Meiſter - werken der Auslaͤnder zu machen, und lieferte ih - nen deshalb wohlfeilere, ja manchmal ſogar mit Ueberſetzungen verſehene Ausgaben. Jhm gebuͤhrt dafuͤr der Dank jedes Deutſchen. Damit ſtimme ich voͤllig ein. Allein Macklot ward von aͤhnlichem Eifer beſeelt, als er das Converſationslexikon nach - druckte. Er wuͤnſchte ſeine unvermoͤgendern Lands - leute, die den ziemlich hohen Preis fuͤr die Uraus - gabe nicht aufbringen konnten, mit dieſem » klaſ - ſiſchen « vaterlaͤndiſchen Werke gleichfalls bekannt zu machen, und lieferte es ihnen daher wohlfeiler und auf beſſerm Papier gedruckt, damit auch ſie aus dem unerſchoͤpflichen Quell der Weisheit und des Erkennntniſſes ſich ebenfalls moͤchten laben koͤnnen. Wenn man alſo Brockhaus wegen ſeines96 obigen Beginnens lobt, wie kann man dann Mack - lot wohl tadeln? Von einem noch ſchoͤnern ruhm - vollern Eifer, ward Maͤcken beſeelt, als er die Stunden der Andacht nachdruckte. Brockhaus hatte blos den Zweck, uns mit fremden Literatur - werken, die gar nichts zu unſerer Seligkeit, viel - leicht eher noch zu unſerer ewigen Verdammniß et - was beitragen koͤnnen, bekannt zu machen. Maͤcken hingegen wuͤnſchte auch das Reich Gottes in die Huͤtten der Armen verbreitet zu ſehen, und ver - ſchaffte ihnen mittelſt ſeines Nachdrucks herrliche Schluͤſſel zum Himmelreich, die ſie ſonſt entbehrt haben wuͤrden, weil ſie die etwas koſtbarern Ur - ſchluͤſſel nicht bezahlen konnten. Wie der Herr Ur - verleger, ein ſonſt ſehr vortrefflicher, geiſtreicher, edler Mann ſo maͤchtig zuͤrnen und eine ganze Reichsverſammlung in Bewegung ſetzen konnte, iſt wahrlich unbegreiflich. Jene nachgedruckten Schluͤſſel waren ja keine Dietriche zu ſeinem Geldſchrank, ſondern blos Schluͤſſel zu himmliſchen Guͤtern, in Ruͤckſicht deren er kein Monopol hatte, und wozu wir alle berufen ſind. Er ſelbſt hatte die Urſchluͤſ - ſel oͤffentlich und ohne alle, das Eigenthum ein - ſchraͤnkende Bedingung verkauft; jeder Kaͤufer war demnach befugt, ſeinen Himmelſchluͤſſel zu verleihen oder ihn nachzumachen und an ſeine Freunde aus - zutheilen. Ob tauſend Menſchen mehr in den Himmel kommen, oder nicht, das kann ja dem Urverlegerjenes97jenes Werks nichts ſchaden. Fuͤr ihn bleibt noch immer Raum die Fuͤlle, denn unſer himmliſcher Vater hat der Wohnungen und Gemaͤcher ſehr viele.
Durch dieſen Nachdruck erwarb ſich uͤbrigens Maͤcken ein großes Verdienſt um das Reich Got - tes. Wie viele arme Seelen, die nicht Geld genug aufbringen konnten, um Urabdruͤcke zu bezahlen, waͤren ohne ſeinen Nachdruck ewig verloren gewe - ſen? Und außerdem gab er dadurch auch Anlaß, daß der Herr Urverleger, welches fruͤher ſchon haͤtte geſchehen koͤnnen, außer der koſtbaren Ausgabe, noch eine wohlfeilere fuͤr Minderbeguͤterte veranſtal - tete. Maͤcken kann daher fuͤglich mit Gellert ſagen:
Schwerlich wird Brockhaus in Ruͤckſicht ſeiner Nach - druͤcke von Byrons Schriften und andern ſehr welt - lichen Werken das ſagen koͤnnen! Er hat, wie Martha, blos das Jrdiſche erwaͤhlt.
Unſere Verlagsbuchhaͤndler ſchreien einſtimmig uͤber den Nachdruck als eine widerrechtliche ſpitzbuͤ - biſche Handlung; ſie wollen ihn durch ein Geſetz in allen deutſchen Landen verboten wiſſen; aber was zum Nachdruck und was nicht dazu gerechnetIII. Baͤndchen. 998werden ſoll, das iſt unter ihnen noch lange nicht ausgemacht. Sie vertauſchen, je nachdem ihr Vor - theil es heiſcht, ihre Anſichten ſehr ſchnell und leicht, und daher muß man ſich nicht wundern, daß, wer vor einer Stunde noch mit dem groͤßten Eifer dieſe Meinung verfocht, in der folgenden eine ganz ent - gegengeſetzte behauptet. Die entfernte Ausſicht auf eine vortheilhafte Spekulation, die Furcht durch irgend einen Andern im Verkehr beeintraͤchtigt zu werden, aͤndert gleich das ganze Syſtem, deſſen oberſter Grundſatz es iſt: Alles, was uns ſchadet, iſt unrecht, was uns nuͤtzt, iſt erlaubt.
Daß ein deutſcher Buchhaͤndler berechtigt ſey, auslaͤndiſche Werke nachzudrucken, ſelbſt wenn der fremde Buchhaͤndler daruͤber mit Frau und Kind an den Bettelſtab kaͤme, iſt ein, faſt durchgehends als richtig angenommener Grundſatz, der uͤber al - len Zweifel erhaben iſt. Wenn unſere deutſchen ſoliden und legitimen Urverleger hievon die ſchwei - zeriſchen Buchhaͤndler ausnehmen, ſo glauben ſie wahrſcheinlich, dies der, den Schweizern zugeſicher - ten Neutralitaͤt ſchuldig zu ſeyn. Eben ſo ausge - macht und richtig wie jenes iſt es, daß der Verle - ger, dem von dem Verfaſſer nur das Recht zum Druck einer Auflage gegen ein beſtimmtes Hono - rar zugeſtanden ward, und der ſich dagegen kon - traktlich verpflichtete, ohne des Verfaſſers oder ſeiner Erben Genehmigung keine weitere Ausgaben99 zu veranſtalten, nach dem Tode des letztern die Befugniß erlangt, ſo viele und ſtarke Auflagen zu machen, wie er will, ohne mit den rechtmaͤßigen Erben des Schriftſtellers ſich daruͤber zu verein - baren.
Ueber nachfolgende Fragen iſt man uneinig. 1) Jſt es einem Schriftſteller oder einem Buchhaͤnd - ler erlaubt, Ausgaben » ſaͤmmtlicher Werke, « die einzeln bei andern Verlegern erſchienen ſind, ohne Zuſtimmung der letztern zu veranſtalten? Von den meiſten wird dieſe Frage bejaht, und ſelbſt dem Verleger der » ſaͤmmtlichen Werke « das Recht zugeſtanden, die darin enthaltenen einzelnen Schrif - ten unter ihren beſondern Titeln einzeln zu ver - kaufen, wodurch doch dem Urverleger eines ſolchen Buchs eben ſo großer Abbruch geſchieht, als ob man es einzeln nachgedruckt haͤtte, ohne es in die Ausgabe der ſaͤmmtlichen Werke aufzunehmen. 2) Gehoͤren Anthologieen, wie z. B. jene von Ramler, Matthiſſon und Raßmann, ferner Aus - zuͤge aus groͤßern Werken, und dergl. zur Klaſſe der Nachdruͤcke? Die Meiſten behaupten: Ja, wenn ſie nur bei einem » legitimen und ſoliden « Verleger herauskommen; ſonſt aber nicht. 3) Kann ein Schriftſteller oder ein Anderer eigene, oder fremde, in Zeitſchriften und aͤhnlichen Werken ent - haltene Aufſaͤtze ſammeln und herausgeben, ohne dadurch ſich einen widerrechtlichen Nachdruck zu er -9 *100lauben? Dieſe und viele andere wichtige Fragen*)M. ſ. Krauſe uͤber den Buͤchernachdruck S. 7 ff. ſind zwiſchen den Buchhaͤndlern ſelbſt ſehr ſtreitig; Jeder beantwortet ſie, wie ſein augenblicklicher Vor - theil, und wenn dieſer gerade nicht in Anregung koͤmmt, wie ſeine Laune es fodert. Wer muß es nicht einſehen, daß gerade das, was die Buchhaͤnd - ler ſich ſelbſt erlauben, und durch Mehrheit der Stimmen fuͤr ſehr gerecht und billig erklaͤren, nichts gerechter und billiger iſt, als was ſie den Nach - druckern verbieten wollen? Wie koͤnnen die Urver - leger unter allen dieſen Verhaͤltniſſen wohl erwar - ten, daß eine weiſe und billige Geſetzgebung zu ihrem Vortheile einſchreiten ſoll? Jſt in dieſem und jenem Lande der Nachdruck verboten, ſo folgt dar - aus noch nicht, daß es in allen Laͤndern geſchehen muͤſſe. Napoleon war freilich ein ſehr großer Mann; aber mehr Feldherr als Geſetzgeber, obgleich das unter ſeiner Regierung abgefaßte Geſetzbuch nach ſeinem Namen genannt ward. Weil er im Koͤnigreich Jtalien ein Geſetz gegen den Nachdruck gab, ſoll man auch im Wuͤrtembergiſchen eins ge - ben? Welche Folgerung! Napoleon verbot die Einfuhr der engliſchen Waaren; nach ſeinem un - gluͤcklichen Sturz wurden dieſe Dekrete aufgehoben, und ich glaube, es waͤre beſſer, daß man ſie an manchen Orten wieder, zum Beſten unſerer Fabri -101 ken erneuerte, als daß man auf die Unterdruͤckung des Nachdrucks daͤchte.
Zwei unſrer groͤßten und herrlichſten Fuͤrſten, deren Andenken gewiß jedem Deutſchen ehrwuͤrdig iſt, und denen wohl Niemand einen hohen Grad von Biederſinn und Regentenweisheit abſprechen wird, haben den Nachdruck in ihren Landen und in ihren Reſidenzſtaͤdten nicht allein geduldet, ſon - dern der Eine hat ihn ſogar mit ausdruͤcklichen Wor - ten als die einzige Schutzwehr gegen die wucheriſche Gewinnſucht der Buchhaͤndler gebilligt. Jch meyne Joſeph den Zweiten und Karl Friedrich von Baden. Der erſtere ſchrieb eigenhaͤndig un - ter die Sonnenfelsſche Vorſtellung der k. k. Stu - dienkommiſſion gegen den Nachdruck:
» Um von Journaliſten geprieſen und von Dich - tern beſungen zu werden, will ich mein Volk dem Eigennutze gewinnſuͤchtiger Buchhaͤndler nicht laͤnger Preis geben*)M. ſ. Grieſinger a. a. O. S. 25; und Krauſe a. a. O. S. 2.. «
Karl Friederich von Baden, ein Fuͤrſt, der durch ſeine Tugenden, ſeine Weisheit und ſeine edle Fuͤrſorge fuͤr das Beſte ſeines Volks die erſte Koͤ - nigskrone verdient haͤtte, ließ unter ſeinen Augen in Carlsruhe die Nachdrucker, wie alle andere ſei - ner Unterthanen ihr Geſchaͤft treiben, ohne ſich um102 das Schimpfen und Toben der Buchhaͤndler und Schriftſteller im Mindeſten zu kuͤmmern. Sollte ein Fuͤrſt von ſo vieler Einſicht und ſo tiefem Recht - lichkeitsgefuͤhl, dem uͤberdies das Meiſte, was im Felde der Literatur Wichtiges ſich ereignete, ſehr bekannt war, wohl ſo geruhig zugeſehen haben, wenn ihm der Nachdruck als etwas Unſittliches oder Widerrechtliches erſchienen waͤre? Er war doch ſonſt allem, was gegen Recht und Billigkeit ver - ſtieß, aͤußerſt feind!
Jch wuͤrde dieſe Beiſpiele nicht anfuͤhren, wenn Sie, Herr Abgeordneter, mich nicht durch ihre Berufung auf Napoleons in Jtalien erlaſſenes De - kret dazu veranlaßten. Wer keine Gruͤnde hat, beruft ſich gerne auf Autoritaͤten; man muß ihm daher mit andern Autoritaͤten entgegen kommen, ſo wenig ſie auch in einer Streitfrage entſcheiden, wo nur Vernunftgruͤnde etwas gelten koͤnnen.
Selbſt ein Schimpfwort engliſcher Verleger, wodurch ſie den Nachdruck bezeichnen, ſoll, nach Jhnen, eine Autoritaͤt gegen denſelben bilden. Gu - ter Gott, haͤtten Sie doch ſtatt dieſen erſt bewieſen, worin der von den Buchhaͤndlern behauptete Raub und Diebſtahl der Nachdrucker beſteht? Aus wel - chem Grunde Schriftſteller und Buchhaͤndler ſich anmaßen koͤnnen, die Nachbildung einer, von ihnen unbedingt und mit vollem Eigenthum verkauften und dem Kaͤufer uͤbergebenen Waare verbieten zu wol -103 len, da doch alle andere Verkaͤufer ſich hinſichtlich ihrer Waaren aͤhnliche Nachbildungen muͤſſen gefal - len laſſen? Der Ausdruck pirated edition iſt in England eben ſo wenig eine allgemeine Bezeichnung des Nachdrucks, als in Deutſchland die von man - chen unſerer Buchhaͤndler dafuͤr gebrauchten Worte » Diebſtahl « oder » Entwendung geiſtigen Eigen - thums. « Jeder, dem erſten Druck eines Werks folgende Druck, moͤge er vom Nachdrucker, vom Urverleger oder vom Verfaſſer ſelbſt veranſtaltet werden, heißt reprinting of a work. Das wird ihnen das erſte, beſte Woͤrterbuch ſagen. Schimpf - reden, die ſich Jemand gegen Perſonen, Sachen und Handlungen bedient, beweiſen gar nichts fuͤr die Schlechtigkeit derſelben, ſondern blos dafuͤr, daß es dem Schimpfenden an vernuͤnftigen Gruͤnden fehlt, etwas Beſſeres zu ſagen.
Ehe ich hier weiter gehe, muß ich einen Ein - wand der Verlagsbuchhaͤndler gegen die Rechtmaͤſ - ſigkeit des Nachdrucks beruͤhren, den Sie vielleicht in der Eile uͤberſehen haben, der aber doch, auf den erſten Anblick etwas wichtiger ſcheint, als die pirated edition.
Die Herren Urverleger vergleichen nemlich den Buͤchernachdruck mit der Falſchmuͤnzerei, und wol - len aus der vermeintlichen Aehnlichkeit von beiden die Unſittlichkeit oder Rechtswidrigkeit des erſtern herleiten. Hier irren aber die guten Herren gewal -104 tig. Das Falſchmuͤnzen iſt ein Verbrechen, weil es den Geſetzen des Staats widerſpricht, auf Be - trug der Staatsbuͤrger abzweckt und den Muͤnzbe - rechtigten die ihnen durch Herkommen oder Geſetz zugeſicherten Vorrechte entzieht. Der Falſchmuͤnzer muß uͤberdies, wenn ſeine Waare Abgang finden ſoll, den Stempel der Muͤnzberechtigten auf eine, ſowohl fuͤr die Sicherheit des oͤffentlichen, als des Privatvermoͤgens gefaͤhrliche Weiſe mißbrauchen. Von dem Allem thut der Nachdrucker aber nichts. Er will Niemanden betruͤgen; er giebt nicht, wie der Falſchmuͤnzer, ſein Gepraͤge oder vielmehr ſei - nen Druck fuͤr den Druck des Urverlegers aus, um Andere zu hintergehen; er mißbraucht keinen fremden Stempel; er entzieht Niemanden etwas von dem, was ihm durch Geſetz oder Privilegium zuge - ſichert iſt; kurz, er verletzt, ſo lange in einem Staate kein poſitives Geſetz gegen den Nachdruck vorhanden iſt, weder ein ſolches, noch irgend ein natuͤrliches Geſetz, oder eine moraliſche Vorſchrift; ſondern bedient ſich blos ſeines natuͤrlichen Rechts, wie jeder Fabrikant, der eine fremde Waare nach - bildet.
Selbſt der biedere Rechtsſinn unſerer Vorfah - ren erkannte in dem Nachdruck nichts Widerrechtli - ches oder Unſittliches, ſondern betrachtete ihn viel - mehr als eine ganz erlaubte Handlung; das beweiſen die Privilegien, die man dagegen nachſuchte und105 ertheilte. Haͤtte man ihn fuͤr eine Rechtsverletzung gehalten, ſo wuͤrde man keine Privilegien, wohl aber polizeiliche und ſcharfe peinliche Geſetze dage - gen erlaſſen haben. Durch ein Privilegium erkennt man die dadurch verbotene Handlung als eine natuͤrlich erlaubte an, welche man gegen Jeden, der nicht mit einem Privilegium verſehen iſt, ohne einer Rechtsverletzung ſich ſchuldig zu machen, un - ternehmen darf. Daher gab man wohl Privilegien gegen den Nachdruck, allein keine gegen Diebſtahl und Nothzucht, denn dieſe wurden als natuͤrlich unerlaubt betrachtet, und es waͤre daher eine Schaͤndlichkeit geweſen, nur Einzelne durch Privi - legien dagegen ſchuͤtzen zu wollen.
Die Furcht, » daß benachbarte Staaten Wuͤr - tembergiſche Verlagsartikel, im Wege der Retorſion leicht fuͤr vogelfrei erklaͤren duͤrften, « ſcheint wirklich ganz ohne Grund. Geſchaͤhe es aber auch, was verloͤre Wuͤrtemberg dadurch? Seine Buch - haͤndler, zum Theil ſehr reiche Maͤnner, die bis jetzt nicht nachgedruckt haben, wuͤrden ſich dann in den Stand der Nothwehr verſetzt ſehen, ihr ſehr zartes Gewiſſen gegen alle Skrupel beſaͤnftigen, und tapfer mit nachdrucken helfen. Sie wuͤrden hiebei gar nichts verlieren, denn je groͤßer die Zahl und der Verlag derer waͤre, die ihnen nachdruckten, um ſo groͤßer wuͤrde das Feld ſeyn, worauf ſie wie - derum erndten koͤnnten. Wenn zum Beiſpiel die106 Herren Brockhaus, Barth und Fleiſcher in Leipzig, Bertuch in Weimar, Arnold in Dresden, Nicolai, Amelang, Reimer und Maurer in Berlin, Mohr und Winter in Heidelberg, Fuͤßli und Geßner in Zuͤrich, Sauerlaͤnder in Aarau ſich vereinigten, und dem Herrn von Cotta alle ſeine Verlagsartikel nachdruckten, » um ſich an ihm wegen des vermeintlichen Unrechts zu raͤchen, wel - ches nicht Er, ſondern ſeine Landsleute ihnen gethan haͤtten, « wer koͤnnte wohl bei dieſem Kriege am meiſten gewinnen? Keiner an - ders, als Cotta, wenn er nemlich eine Menge Preſſen in Bewegung ſetzte, um jenen Herren Glei - ches mit Gleichem zu vergelten; und er muͤßte bei ſeinen Nachdruͤcken um ſo mehr gewinnen, da Pa - pier und Druck im Wuͤrtembergiſchen verhaͤltnißmaͤſ - ſig wohlfeiler ſind, als in den Wohnlaͤndern ſeiner angenommenen Gegner. Wahrlich, bei einem ſolchen Kriege kann der Einzelne, der gegen Viele kaͤmpft, wenn er nur Geld, Druckerpreſſen und wohlfeiles Papier und ſeine Widerſacher vielen und guten Verlag haben, ungeheuern Rebbes machen. Der Kampf wuͤrde dem ganzen leſenden Publikum in Deutſchland viel Vergnuͤgen und eben ſo großen Vortheil gewaͤhren, und ich freue mich im Voraus auf den Augenblick, wo alle andern deutſchen Buch - haͤndler den Wuͤrtembergern den Krieg erklaͤren. Den erſtern wuͤrde eine ſolche Fehde uͤberdies ſehr107 viel Ehre machen, denn bekanntlich iſt nichts edler, als wegen einer wirklichen oder vermeintlichen Be - leidigung, die man von Jemanden erlitt, ſich nicht an ihm, ſondern an ſeinem Verwandten oder Lands - mann zu raͤchen. Uebrigens wuͤrde dies wohl nicht der erſte Kampf ſeyn, wo die geringere Anzahl uͤber die groͤßere den Sieg davon truͤge! Auch in politiſcher Hinſicht wuͤrde dieſer Buchhaͤndlerkrieg dem ganzen Koͤnigreiche große Vortheile gewaͤhren! Welche Menge von Menſchen wuͤrden nicht beſchaͤftiget werden; welche ungeheure Summen wuͤrden nicht fuͤr die Nachdruͤcke ins Land kommen, wenn man alle die klaſſiſchen Werke nachdrucken wollte, die nach dem Meßkatalog und den Anzeigen der Herren Verleger » bereits erſchienen, und in allen ſoliden Buch - handlungen zu haben ſind? «
Sie ſagen (S. 11. Jhres Berichts): » Franzo - ſen, Jtaliener, und noch mehr die Britten wuͤrden ſich entſetzen vor Wuͤrtembergiſchen Abdruͤcken, wenn ſie bis zu ihnen gelangten. Aus Furcht vor dem Nachdruck unterbleibt alles Elegante und Schoͤne. « Nach der anſcheinenden Jdeenverbindung, die hier herrſcht, glaube ich, daß der, den Wuͤrtembergiſchen Abdruͤcken gemachte Vorwurf nicht blos die Nach - druͤcke, ſondern auch die Urabdruͤcke treffen ſoll, und beſonders die letztern; da thun ſie aber, nach meiner Anſicht, ihren wackern Landsleuten zu nahe. Was ich noch von Stuttgarter, Tuͤbinger, Heil -108 bronner, Ulmer und Reutlinger Urabdruͤcken und Nachdruͤcken geſehen habe, empfahl ſich, wenn gleich nicht immer, doch ſehr haͤufig durch Eleganz, durch korrekten, reinen, leſerlichen Druck und durch gu - tes Papier. Betrachtet man dagegen manche in Leipzig und Berlin erſchienenen Werke, ſo ſollte man glauben, daß die Herren Verleger ſich mit den Augenaͤrzten verſchworen haͤtten, und man findet es dann ganz natuͤrlich, daß Knaben von ſechs bis fuͤnfzehn Jahren, die in gewiſſen A B C Buͤchern, Katechismen, Sprachlehren, Woͤrter - und Taſchen - buͤchern, Romanen und ſo weiter viel ſtudieren, ſchon Brillen tragen.
Am Schluß Jhres Berichts fuͤhren Sie, Herr Abgeordneter, noch einen ſehr triftigen Beweggrund an, den Nachdruck zu verbieten, weil nemlich » der Nachdrucker nach Allem greift, und eben ſo leicht auch nach dem Schlechten, Gemeinen und Schmu - zigen. « Das beweiſen Sie mit dem Nachdruck von Beckers Rathgeber und von meinem Judenſpiegel, » der nach Jhrer pathetiſchen Verſicherung, die Ver - achtung jedes gebildeten Mannes verdient. « Schon zu Anfange dieſes Angebindes habe ich mich uͤber dieſen Ausfall, der leicht ein Ruͤckfall werden koͤnnte, hinlaͤnglich erklaͤrt, und will Jhnen nun weiter nicht wehe thun. Sonderbar klingt es freilich, daß Sie ein Geſetz gegen den Nachdruck fodern, weil unter den vielen hundert in Reutlingen nachgedruck -109 ten Buͤchern ſich zwei befinden, die Sie fuͤr ihre Perſon mißbilligen; das erſte iſt eine mediziniſche Schrift von einem in wiſſenſchaftlicher und ſittlicher Hinſicht ſehr geachteten und achtungswerthen Arzt in Leipzig; das andere (der Judenſpiegel) iſt ein Buch, worin blos Anſichten uͤber das Volk Gottes ausgeſprochen ſind, die ſchon vor mir viele gebil - dete Maͤnner auf gleich ſtarke Weiſe oͤffentlich aus - geſprochen haben, die aber nicht die Jhrigen ſind, » und folglich die ganze Verachtung jedes gebildeten Mannes verdienen. «
Sie behaupten alſo, man muͤſſe den Nachdruck verbieten, weil Sie unter vielen hundert nach - gedruckten Buͤchern zwei gefunden haben, die Jh - nen anſtoͤßig waren. Jch gehe viel weiter! Jch halte ſogar dafuͤr, man muͤſſe das Buͤcherdrucken uͤberhaupt verbieten, weil dadurch noch weit mehr aͤrgerliche Schriften, als durch den Nachdruck ver - breitet werden. Wenn man keine gottloſen Buͤcher mehr vor drucken darf, ſo kann man auch keine mehr nach drucken, und daher iſt es begreiflich, daß dem Uebel am beſten geſteuert werden wuͤrde, wenn man das Buͤcherdrucken uͤberhaupt verboͤte. Will man ja etwas geſtatten, ſo erlaube man den Druck ſolcher Werke, wie die Schriften der Herren C. L. von Haller, Adam Muͤller, Maſtiaux, van den Wyenbergh, von Pilat, Geiger in Luzern und Lu - dolph Beckedorf. Allenfalls moͤchte man außer dieſen110 noch den Druck einiger Sprachlehren und Woͤrter - buͤcher, einiger approbirter und orthodox befundener Bibeluͤberſetzungen, Katechismen und Andachtsbuͤ - cher (aber um Gotteswillen nicht die Stunden der Andacht!) ferner der Reimereien, Legenden, Ritter - und Teufelsgeſchichten des Herrn und der Frau von la Motte-Fouqué und anderer roman - tiſcher Myſtiker ꝛc. erlauben. Von deutſchen Zeitun - gen wuͤrde ich blos den Beobachter an der Donau und ſeinen ihm gleich denkenden Amtsbruder, den Beobachter an der Spree nebſt einigen ihrer Nach - beter fortdauern laſſen. Was brauchen ſich die Voͤlker um die Weltangelegenheiten zu bekuͤmmern? Was geht die Deutſchen es an, ob die griechiſchen Rebellen von ihren legitimen Oberherren, den Tuͤrken und deren Spießgeſellen, den Englaͤndern, geſchunden oder gebraten werden? Das iſt Sache der irdiſchen Herrgoͤtter, und nicht ihrer Sklaven!
Durch das Buͤcherſchreiben und Buͤcherdrucken iſt viel Unheil verbreitet; das hat bereits der Je - ſuit von Eckartshauſen eben ſo klar bewieſen, als » daß Gott die reinſte Liebe iſt. « Wie ruhig, wie ſelig und zufrieden konnten Fuͤrſten, Maͤtreſſen und Miniſter, Freiherren, Ritter und Prieſter ſchlummern, ehe Fauſt ſeine ſchwarze, hoͤlliſche Kunſt erfand. Weder das Rauſchen eines Zeitungsblatts, noch die ſpitzige Feder eines Schriftſtellers ſchreckte und aͤngſtigte ſie. Man wußte von keinen andern111 Staͤnden, als dem Herren - und Pfaffenſtande; von keinen andern Konſtitutionen, als denen der Kaiſer und Paͤbſte*)Quod principi placuit, habet legis vigorem. L. 1. pr. D. de constitutionibus principum. ; von keinen Rechten, als den Rechten der Fuͤrſten, der Edelleute und Geiſtlichen; von keinen Pflichten, als den Pflichten der Buͤrger und Bauern. Selbſt Abrahams beliebter und glorreicher Saame lebte damals in ziemlich behaglichem Wohlſeyn, ob - gleich man ſo wenig hebraͤiſche Barone und hebraͤi - ſche Staatsbuͤrger, als hebraͤiſche Staatspapiere kannte. Stellte man auch hie und dort einmal eine Judenhetze an, ſo gieng das Schauer doch bald voruͤber, und mancher von Jſraels gottſeligen Kin - dern rettete ſich durch die Noth taufe von zeit - licher und ewiger Verdammniß, und kehrte nach dem Gewitter zum alten Teſtamente und zum al - lein ſeligmachenden Glauben ſeiner Vaͤter zuruͤck.
Das Alles hat ſich maͤchtig veraͤndert, und daran iſt nach den glaubwuͤrdigen Berichten vieler Diplomaten und einiger Beobachter nichts anders ſchuld, als Fauſtens gottloſe Kunſt. Die ungezuͤ - gelte Preßfreiheit, nicht das Beduͤrfniß der Menſch - heit, war es, was die rebelliſchen Griechen gegen den milden Scepter ihrer legitimen Beherrſcher, der Tuͤrken, bewaffnete; was in Spanien die vier, durch Alterthum und Wurmfraß gleich ehrwuͤrdigen112 Saͤulen der Monarchieen, das Lehnweſen, das Pfaffenthum, die Jnquiſition und die Geiſtes - und Gedankenſperre, zu Boden ſtuͤrzte und ſtatt derſel - ben den Willen der Voͤlker als einzig rechtmaͤßige Gewalt und als die ſicherſte Grundlage der Throne hervorrief. Die zuͤgelloſe Preßfreiheit war es gleich - falls, was, geraden Weges die erhabenen Anſich - ten und Wuͤnſche der weiſeſten und erfahrenſten Diplomaten, faſt ganz Suͤdamerika in Freiſtaaten verwandelte, und das zu einer Zeit, wo man in Europa ſein Moͤglichſtes that, um die letzten Spu - ren aller Jllegitimitaͤt und aller republikaniſchen Verfaſſungen zu vertilgen, und ſtatt derſelben lau - ter legitime monarchiſche Staaten einzufuͤhren*)Mit der Legitimitaͤtslehre iſt es ein ganz eigenes Ding. Je mehr man daruͤber nachdeukt: je tiefer geraͤth man in ein Labyrinth, aus dem man ſich gar nicht wieder herausfinden kann. Es geht Einem damit, wie mit der Lehre von der heiligen Dreifal - tigkeit, uͤber welche ſchon mancher ſein bischen Ver - ſtand verlor und ſich am Ende ſelbſt fuͤr eine der drei goͤttlichen Perſonen hielt, weil er ſeine Ver - nunft nicht gefangen nehmen wollte unter den Glauben. Dem guten Jean Jacques Rouſſeau waͤre es damit bald nichts beſſer ergangen. Man hoͤre nur, was er ſagt: Je n’ai rien dit du roi Adam, ni de l’empereur Noé, pere de trois grands monarques qui se partagerent l’ uni - vers, comme firent les enfans de Saturne,.
113Selbſt der fromme Jeſuit und Reſtaurateur C. L. von Haller, der mit einigen andern Stillen im Lande ſo chriſtlich bemuͤht war, aus ſeinem re - publikaniſchen Vaterlande ein legitimes Koͤnigreich zu ſchaffen, mußte ſein Beginnen und den gottſeli - gen Wunſch aufgeben, » erſter Miniſter des Koͤnigs der Schweiz und zugleich Biſchof von Porentruy zu werden*)Jene Hoffnung war, nach der Verſicherung genau unterrichteter Perſonen auch die Haupt urſache des Uebertritts des Herrn von Haller von der refor - mirten zur katholiſchen Kirche. Laͤcheln mußte man bey dieſer Apoſtaſie uͤber den hohen Werth, den die Jeſuiten und manche katholiſche Geiſtliche dem uͤber - gelaufenen, mit der „ Drehkrankheit ‟ behafte - teten Schaͤflein beilegten, waͤhrend alle vernuͤnfti - ge Mitbuͤrger deſſelben, ſowohl Katholiken als Pro - teſtanten, ſich herzlich freueten, ihn aus ihren Mau - ern und aus ihrem Lande mit guter Manier los zu werden., « und harrt*)qu’on a cru reconnoitre en eux. J’ espere qu’on me saura gré de cette moderation; car descendant directement de l’ un de ces princes, et peut-être de la branche ainée que sais-je si, par la verification des titres, je ne me trouverois point le legitime roi du genre humain? M. ſ. Oeuvres compl. de J. J. Rousseau, Tome 8. (Contrat social) chap. 2. p. 13. Edition classée par ordre des matieres 1790. gr. 8.III. Baͤndchen. 10114nun ſehr demuth - und ſehnſuchtvoll, als Mitarbei - ter am Drapeau blanc, in Paris auf beſſere Zei - ten. Ja, ſogar die heilige, allein ſeligmachende Kirche erlitt durch das Buͤcherſchreiben und Buͤcher - drucken ſo furchtbare Erſchuͤtterungen und Stoͤße, daß ſie jetzt beinahe noch morſcher und baufaͤlliger iſt, als irgend ein Schaf - oder Gaͤnſeſtall unter dem Monde.
All’ dies Ungluͤck, alle dieſe Leiden verdanken wir der heilloſen Buchdruckerkunſt, und daher be - haupte ich mit Recht, daß man die Freiheit, Buͤ - cher drucken zu laſſen, auf eine gewiſſe Zunft ge - pruͤfter, frommer und geiſtvoller Maͤnner, wie die vorhin genannten und deren Gelichter einſchraͤnken muͤßte. Uebrigens zweifle ich doch, daß man hie - durch den beabſichtigten Zweck voͤllig erreichen wuͤr - de, wenn man nicht zugleich alles Sprechen, und*)Aehnliche Hoffnungen und Wuͤnſche, wie jene des Herrn von Haller ſchwebten auch wahrſcheinlich dem verſtorbenen Grafen F. L. von Stolberg vor, als er ſich von einem eifrigen lutheriſchen Zionswaͤchter ploͤtzlich in einen eben ſo eifrigen Papiſten umwan - delte. Dies gab nachher Jemanben Anlaß zu dem Sinngedicht:Den Lorbeerkranz ſich zu erwerben, Gelang ihm nicht ſo ganz; Um doch nicht ohne Kranz zu ſterben, Nahm er den Roſenkranz. 115 beſonders alles Denken und Empfinden verboͤte; denn man kann den Leuten wohl das Reden ver - wehren, aber nicht das Zaͤhneknirſchen, und dies ſoll weit gefaͤhrlicher ſeyn, als das erſtere.
Die Geiſtlichkeit, der man ſo viel Herrliches und Schoͤnes verdankt, fuͤhrte zwar, um den uͤbeln Wirkungen der, durch die Buchdruckerkunſt ſo ſehr erleichterten Gedankenmittheilung vorzubeugen, die Cenſur oder den Geiſterzwang ein, der mit Fauſts Hoͤllenzwang manche Aehnlichkeit hatte. Allein man beherzigte nicht, daß ſich auch ohne alle ſchriftliche Mittheilung, blos durch muͤndliche Be - ſprechung uͤber das, was iſt, und was ſeyn ſollte, ein Jdeenreich ausbilden kann, welches um ſo gefaͤhrlicher iſt, da es unmittelbar aus der Em - pfindung und dem Anſchauen der Verhaͤltniſſe her - vorgeht, und nicht von todten Buchſtaben, ſondern von der lebendigen Rede, von Mienen, Geberden, zuruͤckgehaltenen Seufzern und Thraͤnen verbreitet und unterſtuͤtzt wird. Was die Schriftſteller, mit Ausſchluß ſolcher, wie die Herren Haller, Pilat, Beckedorf u. ſ. w. in ihren Werken uͤber oͤffentliche Angelegenheiten vortragen, iſt gewoͤhnlich blos der dumpfe Wiederhall des laut ausgeſprochenen Jdeen - reichs oder der Stimme der Voͤlker, und gerade der Umſtand, daß Jeder das, was er bereits ſelbſt gedacht oder empfunden hat, in dieſen Schriften wieder10 *116findet, ſichert ihnen den allgemeinen Beifall und die guͤnſtige Aufnahme.
Darum iſt es unſtreitig am Beſten, daß man alles Buchdrucken, mit Ausnahme des Erwaͤhnten, verbiete. Wenn nicht weiter vor gedruckt wird, ſo kann man auch nicht mehr nach drucken, und dann braucht man ſich den Kopf nicht ferner uͤber ein Maximum der Buͤcherpreiſe zu zerbrechen. Wie es verlauten will, ſoll bereits wirklich ſo etwas im Werke ſeyn. Gebe doch der heilige Vater ſeinen Segen dazu!!!
Mancher Leſer wird ſich vielleicht wundern, daß ich als Schriftſteller ſo Manches zur Vertheidigung und Rechtfertigung geſagt habe, zumal da ich noch vor ungefaͤhr einem Jahre mich in der Neckar - Zeitung bitter daruͤber beſchwerte. Mir gieng es fruͤherhin, wie vielen andern Schriftſtellern, die theils aus Gedankenloſigkeit, theils aus Eigennutz wider den Nachdruck eifern. Jch bin ja Menſch und beſitze mein bischen Eigennutz eben ſo gut, wie einer der legitimen, ſoliden und promten Herren Urverleger. Von manchen mir ſehr ach - tungswerthen Maͤnnern, von Brockhaus, Bertuch, Sauerlaͤnder, Voigt und andern hatte ich uͤberdies gehoͤrt, daß der Nachdruck ein himmelſchreiendes Unrecht ſey, und daß man uns Schriftſtellern blos deshalb nicht ſo viel Honorar geben koͤnnte, wie wir gerne haben moͤchten, weil man den Nachdruck,117 die boͤſe Nemeſis, fuͤrchten muͤſſe. Was man von Leuten hoͤrt, die man hochachtet, und als einſichts - volle und rechtliche Menſchen kennt, das glaubt man in der Regel, ohne weiter daruͤber zu gruͤ - beln, ob ſie ſich nicht durch Vorurtheile und Leiden - ſchaften irre leiten laſſen. Vor einem Jahre ward mir in Reutlingen der Judenſpiegel nachgedruckt, gerade in dem Augenblick, als ich ſelbſt eine dritte Auflage veranſtalten wollte. Mir entſtand dadurch ein in meinen Verhaͤltniſſen ſehr fuͤhlbarer Verluſt, und ich wuͤnſchte in allem Ernſt, daß dem Schelm vom Nachdrucker meine Seufzer und Thraͤnen in ſeiner Sterbeſtunde, aber keinen Augenblick laͤnger, wie gluͤhende Kohlen auf der Seele bren - nen moͤchten. Mit der groͤßten Erbitterung ſchimpfte und beklagte ich mich in der Neckar-Zeitung uͤber das, mir vermeintlich geſchehene Unrecht, und be - ſchloß ein Buch gegen den Nachdruck zu ſchreiben. Bei reiflicherm Nachdenken uͤber dieſen Gegenſtand zeigten ſich mir aber ſo viele wichtige und uͤberwie - gende Gruͤnde fuͤr den Nachdruck, daß ich, obgleich nach hartem Kampf mit mir ſelbſt, meine Neigung zur Nache und meinen Eigennutz der beſſern Ueber - zeugung aufopfern mußte. Wenn man geirrt und aus Jrrthum und Leidenſchaft Andern Unrecht ge - than hat, ſo iſt es nicht allein Pflicht, es zu be - reuen, man muß es ſuchen nach Moͤglichkeit zu verguͤten. Jch bin Menſch, und ſchaͤme mich daher118 nicht zu bekennen, wenn ich gefehlt und geirrt habe. Moͤchten doch Alle in dieſer Hinſicht ſo denken, wie ich. Uebrigens wird es mir ſehr gleichguͤltig ſeyn, was man uͤber mich und dieſes Angebinde urtheilen wird. Mag Jeder ſchimpfen und ſchmaͤhen, ſo viel ihm beliebt, das ſoll mich nicht kuͤmmern. Jch werde auf keine Schmaͤhungen antworten, und mich mit dem Bewußtſeyn beruhigen, nicht, wie es mein Privatvortheil, ſondern wie es mein Gewiſſen und meine beſſere Ueberzeugung heiſchten, gehandelt zu haben. Alle rechtliche Menſchen, und waͤren ſie auch ſelbſt Verlagsbuchhaͤndler, werden deshalb mich achten und mir wohlwollen.
Sie, Herr Abgeordneter, bitte ich zum Schluß, die Verſicherung der hohen Achtung zu genehmigen, die ich Jhrem Geiſt, Jhren Kenntniſſen und Jhrem Charakter zolle, und womit ich, ungeachtet der Verſchiedenheit einiger Meinungen und Anſichten verharre als
Jhr
ganz ergebenſter Diener der Verfaſſer des Judenſpiegels.
Gleich ſeinen ſchwarzen Bruͤdern und dem Unkraut im Evangelium iſt Abrahams weiſſer Saame in der ganzen Welt zerſtreuet. Jn den Palaͤſten der Fuͤrſten und Großen und in den Huͤtten der Bau - ern; in den Saͤlen der Richter und in den Stu - dierſtuben der Gelehrten; in den Haͤuſern und Buden der Kaufleute und Kraͤmer und in den Werkſtaͤtten der Kuͤnſtler und Handwerker; auf den Schaubuͤh - nen und — auf den Kanzeln, kurz unter allen Klaſſen und Staͤnden findet man ihn.
Jſraels weiſſe Kinder unterſcheiden ſich nicht, wie die ſchwarzen, durch beſondere kirchliche For - men von uns uͤbrigen Menſchen. Sie halten im Gegentheil, wo ihr Vortheil es heiſcht und ſie un - ter Chriſten leben, oft weit ſtrenger, als dieſe auf Glauben und Rechtglaͤubigkeit, auf Taufe und Abendmahl, auf Kirchengehen, Meſſehoͤren, Beich - ten, letzte Oehlung und alle die Herrlichkeiten, ohne die man hienieden nicht gluͤcklich und dort nicht ewig ſelig werden kann. Sie martern ihre Kinder nicht mit der ſchmerzhaften Beſchneidung, ſondern laſſen ſie taufen, und eſſen, wie die Chri -120 ſten reine und unreine Thiere, ohne ſich vor dem Bauchgrimmen und den Magenkraͤmpfen der hebraͤi - ſchen Hoͤlle zu fuͤrchten.
So wie es nach der Lehre unſerer Rabbinen geſegneten Andenkens noch ungeheure Laͤnder giebt, die ganz von ſchwarzen Juden bewohnt ſind, und unter denen das vorzuͤglichſte durch den Fluß Sab - bathjon von ſeinen Umgebungen getrennt wird; ſo giebt es, wie es heißt, nicht ferne von uns eine ſehr bekannte Jnſel, die durch den groͤßten Kanal der Welt vom Feſtlande geſchieden iſt, und deren Bewohner, wenigſtens der Mehrzahl nach, zu Abra - hams weiſſem Saamen gehoͤren. Sie ſind eins der grauſamſten, hochmuͤthigſten und habgierigſten Voͤl - ker der Welt; bekannt durch ihren teufliſchen Wu - chergeiſt, der ſie nur zu haͤufig verleitete, große Laͤnder zu entdecken und — zu verwuͤſten; gluͤckliche Voͤlker zu taufen und in Ketten zu ſchmieden, und wo ſie konnten, die verderblichſten Kriege anzuzet - teln. Gebrandmarkt ſind ſie ſeit kurzem auch in der Geſchichte durch das Sterbegeſchrei, das Blut und die Thraͤnen einer edeln und heldenmuͤthigen Nation, deren Vorfahren Europa die Grundlage ſeiner ſittlichen, geiſtigen und wiſſenſchaftlichen Bil - dung verdankt, und mit deren viehiſchen Henkern ſich dieſe weiſſen und andere leider, allzu bekannte Juden vereinigten. Freilich ſoll ihre Jnſel nicht; wie das Land Chavila oder Sabbathjon von lauterHe -121Hebraͤern bevoͤlkert ſeyn; es ſollen viele Chriſten oder beſſer: viele gute biedere Menſchen dort woh - nen; allein die hoͤchſte Gewalt befindet ſich leider, in den Haͤnden einiger hundert juͤdiſcher Schacherer, deren einziges Sittengeſetz es iſt: was uns nuͤtzt, iſt erlaubt, was uns ſchadet, iſt unrecht. Uebri - gens ſind ſie aͤußerſt fromm; ihren verhungernden Mitbuͤrgern geben ſie Bibeln und gottſelige Trak - taͤtchen, aber kein Brod, und ruͤhmen ſich dann noch voll Hochmuth einer Wohlthaͤtigkeit, die ih - nen nichts koſtet und Niemanden nuͤtzt*)Jch ſchrieb dies zu einer Zeit, wo der Marquis von Londonderry noch nicht ſein eigener Richter geworden war. Vielleicht rettet Canning ſeine Na - tion von dem Vorwurfe des weiſſen Judenthums..
Auch in andern Laͤndern Europa’s treibt Abra - hams weiſſer Saame ſehr ſtark jenes gefaͤhrliche Spiel, welches man Politik nennt. Politik, kleines, dreiſylbiges Wort, wie viele Thraͤnen und Fluͤche der Menſchheit, wie viele Greuel und Ver - brechen ſind in dir nicht enthalten! Welche Erin - nerungen weckſt du in der Seele, welche Gefuͤhle in der Bruſt jedes ehrlichen Mannes! Vor vielen grauen Jahrhunderten erfanden gewiſſe alte, durch Vorurtheil, Herrſchſucht, Ahnenſtolz und Eigennutz verſteinerte, und von Schmarotzerpflanzen umwun - dene Mumien, die man Diplomaten nannte, dies heilloſe Karten - oder Landkartenſpiel, womit manIII. Baͤndchen. 11122noch jetzt hin und wieder um Seelen und Koͤpfe, wie um Dreier und Pfenninge ſtreitet; und nach dem Vorbilde deſſelben erſann man ein anderes Politikſpiel, welches fuͤr das gemeine Leben, fuͤr alle Staͤnde, Volksklaſſen und Glaubensſekten be - rechnet iſt. Jeder, der nur auf ſeinen Vortheil ſich verſteht, ſeinem Eigennutz alle Gefuͤhle fuͤr Recht und Billigkeit, fuͤr Tugend und Menſchlichkeit un - terzuordnen, und ſich als das hoͤchſte Ziel, ſo wie ſeine Umgebungen als Mittel zu betrachten und zu benutzen weiß, iſt faͤhig, ohne geographiſche, diplo - matiſche, geſchichtliche und ſtatiſtiſche Kenntniſſe, ohne Zeitungen und Landkarten, ohne Kanonen und Soldaten dies Spielchen mitzuſpielen, und heißt dann ein » politiſcher Mann « oder ein » weiſ - ſer Jude. «
Um alſo dies letztere zu ſeyn oder zu werden, braucht man ſein Praͤputium weder dem Mohel, noch dem Moloch zu opfern, wenn man ſich nur mit recht glaͤubiger feſter Ueberzeugung zu der er - habenen, allein ſelig machenden Lehre bekennt: Al - les, was mir nuͤtzt, iſt recht; was mir ſchadet, iſt unrecht. Ob man uͤbrigens zwei, oder ſieben Sa - kramente oder gar keines annimmt; ob man an einen oder an drei Goͤtter glaubt; ob man ſich beim Abſchiede aus dieſem Leben nach dem alten Spruͤchworte: wer gut ſchmiert, der gut faͤhrt, mit Oehl beſalben laͤßt oder ungeſalbt gen Himmel123 faͤhrt; das Alles thut nichts zur Sache. Das weiſſe Judenthum iſt an keine kirchliche Formen und an keine Dogmatik gebunden. Es hat ſeine Bekenner unter allen Chriſten, Ketzern, Heiden und Goͤtzen - dienern; ja ſogar unter Magnaten, Ariſtokraten, Diplomaten, Patriarchen, Scholarchen, und an - dern Aten und Archen ſoll es weiſſe Juden geben, und dieſe ſollen gerade die ſchlimmſten ſeyn.
Den ſpezifiſchen Geruch, wodurch ſich Abra - hams ſchwarze Roſe bei allen Voͤlkern der Welt ſo beruͤhmt und beliebt gemacht hat, ſucht man zwar bei der weiſſen vergeblich; indeſſen ſind ſie doch in Neigungen und Leidenſchaften, im Thun und Laſ - ſen einander ſo aͤhnlich, daß die Abſtammung bei - der von einem und demſelben Stammvater ganz außer Zweifel iſt. Wo es den Erwerb edler Me - talle und Steine, und uͤberhaupt die Vergroͤßerung des Vermoͤgeus, der Macht und des Anſehens gilt, da zeigt der weiße Jude, und vorzuͤglich der be - ſternte, ſich faſt noch gieriger und unerſaͤttlicher, als der ſchwarze. Alle Mittel ſind ihm, woferne er anders nicht ein ſehr junger Bar Jſrael iſt, voͤllig gleich, um zu ſeinem Ziel zu gelangen. Eide werden gebrochen, ganze Nationen in Jammer und Elend, in Blut und Thraͤnen geſtuͤrzt, der Ge - ſchichte und dem Weltgerichte wird Trotz geboten und Hohn gelacht; wenn nur ſolcher unwuͤrdiger Mauſchel ſeine erhabenen Abſichten erreichen kann. 11 *124Wir haben in den neueſten Zeiten ein Beiſpiel die - ſer Art erlebt: Napoleon Bonaparte! Weil er den Voͤlkern nicht hielt, was er verſprach, und ihnen eidlich geſchworen hatte; weil er die heilig - ſten Rechte der Menſchen mit Fuͤßen trat; weil er durch ſchaͤndliche Spione und polizeiliche Spuͤrhunde ins Jnnere der Gemaͤcher, in die Geheimniſſe der Familien, der Freunde und Verwandten eindrang und einzudringen ſuchte, und dadurch alles oͤffent - liche und perſoͤnliche Vertrauen, ja ſogar Treue und Glauben, Tugend und Redlichkeit erſtickte; weil er durch verraͤtheriſche Aufreizer rechtliche Men - ſchen, die ihm verdaͤchtig oder widerlich waren, zu unbedachtſamen Aeußerungen und Handlungen ver - leiten ließ, um ſie dafuͤr nachher beſtrafen zu koͤn - nen; weil er Handel und Wandel und alle Gewerbe durch unerſchwingliche Auflagen und Erpreſſungen zerſtoͤrte; weil er allen freien Geiſtes - und Gedan - kenverkehr gewaltſam zu hemmen ſtrebte; weil er Voͤlker, die nichts weiter als Anerkennung ihrer menſchlichen und volksthuͤmlichen Rechte begehrten, auf das Grauſamſte unterdruͤckte; weil er darauf ausgieng, die eine Haͤlfte der Menſchheit in Pe - ſcheraͤhs aͤhnliche Sklaven und die andere in Scher - gen und Aufpaſſer zu verwandeln, um jene Skla - ven zu bewachen und im Zaume zu halten; kurz, weil Napoleon dieſe, und noch viel mehr Verbre - chen und Greuel begieng, die man in den waͤhrend der Jahre 1813 bis 1815 wider ihn gerichteten125 Proklamationen und Aufrufen an die Voͤlker ſehr breit und ausfuͤhrlich erzaͤhlt findet, ward er ſeiner » uſurpirten « Kronen verluſtig erklaͤrt, eine legiti - me allerchriſtliche Dynaſtie trat wieder an die Stelle des » juͤdiſchen « Tyrannen, der bekanntlich von ei - nem brittiſchen Henker zu Tode gemartert ward*)Auffallend war es, daß gewiſſe weiſſe Juden in den Jahren 1813 und 1814 Napoleon, vor dem ſie we - nige Monate vorher noch ſklaviſch gekrochen hatten, durchaus in einen ſchwarzen Juden umwandeln wollten. Daß ſelbſt achtungswerthe deutſche Schrif - ſteller ſich zu dergleichen Nichtswuͤrdigkeiten gebrau - chen und aufhetzen ließen; kann bloß durch den blinden Fanatismus entſchuldigt werden, den man damals Vaterlands - und Freiheitsliebe nannte, und in welchen man ſich durch die eitle Vorſpiegelung beſſerer Zeiten hatte verſetzen laſſen..
Durch die Mediatiſation aller nicht legiti - men Regenten und Regierungen und durch die allgemeine Einfuͤhrung des allein ſeligmachenden, abſoluten monarchiſchen Prinzips wird hoffentlich die leidende, gehorchende und blutende Menſchheit in Zukunft vor aͤhnlichen » Ungeheuern « geſichert werden. Doch davon im folgenden Abſchnitt.
So wenig Jſraels weiſſe Kinder im Aeußern und in den bloß kirchlichen Gebraͤuchen und Lehr - ſaͤtzen ihren ſchwarzen Bruͤdern gleichen; ſo aͤhnlich ſind ſie dieſen in den Tugenden, wodurch Abra - hams Saame ſich zum auserwaͤhlten Volke Gottes erhoben und bei allen andern Voͤlkern der Erde126 ſich » ſtinkend « gemacht hat. Habgier und wu - cheriſcher Eigennutz, Raͤnkeſucht, Eid - und Wort - bruͤchigkeit, ſchmarotzende Kriecherei gegen die Groſ - ſen und gegen Alle, die ihnen leicht ſchaͤdlich oder nuͤtzlich werden koͤnnen, neugieriges ſpionirendes Forſchen nach fremden Geheimniſſen, verraͤtheriſche Argliſt, Prahlſucht im Gluͤck, muthloſe Verzagtheit im Ungluͤck und zitternde Feigheit bei jeder drohen - den Gefahr ſind Hauptzuͤge in dem Charakter der weiſſen Juden. Aeußern ſie ſich auch nicht bei al - len gleich ſtark, oder auf ſehr mannichfache Weiſe, was Folge des Temperaments, der Erziehung, und mancher andern Umſtaͤnde ſeyn kann; ſo wird man doch immer einen oder mehrere jener Charak - terzuͤge wahrnehmen, die faſt ausſchließlich zu dem Bilde eines weiſſen Juden gehoͤren, und woran man ihn eben ſo, wie ſeine ſchwarzen Bruͤder an ihrem Zwiebelgeruch, ſehr leicht erkennen kann.
Jn dieſen beiden letzten Buͤchern meiner Juden - ſchule werde ich daher beſonders alle die Eigenſchaf - ten darzuſtellen ſuchen, die in den verſchiedenen Staͤnden und Verhaͤltniſſen des Lebens den weiſſen Hebraͤer vor andern Menſchen auszeichnen. Lieb - habern des alten Teſtaments werde ich dadurch den Nutzen verſchaffen, beliebigen Falls zu Jſraels Kin - dern uͤberzutreten, ohne deshalb, wie weiland Lord Gordon, dem Gott Abrahams, Jſaaks und Jakobs ihr Praͤputium opfern zu muͤſſen.
Meines Wiſſens giebt es freilich, außer Sr. Ma - jeſtaͤt dem Kaiſer Jturbide, unter den irdiſchen Herrgoͤttern zur Zeit keinen einzigen weiſſen Juden, denn wir haben nur allerchriſtliche, katholiſche, apoſtoliſche, evangeliſche, allergetreueſte, muhame - daniſche und andere Regenten und Herrſcher, de - nen man nichts aus dem alten Teſtament zur Laſt legen kann. Jndeſſen hat es doch in aͤltern Zeiten auch in chriſtlichen Laͤndern, ja ſogar in Deutſch - land Kronen -, Diademen -, und ſelbſt Krummſtab - traͤger in Menge gegeben, die in gerader Linie von Vater Abraham und deſſen zweiter Gemahlin, der Ketura, herſtammten.
Der allerglaͤubigſte Erzvater heirathete nem - lich nach dem betruͤbten Hinſcheiden der Sara, et - wa in ſeinem hundert und fuͤnfzigſten Jahre, auſ - ſer einer betraͤchtlichen Anzahl von Kebsweibern oder Maͤtreſſen, die Ketura. » Sie gebar ihm, nach glaubwuͤrdigen Nachrichten*)1 B. Moſ. 25. V. 2., den Simran und den Jakſan, den Medan und den Midian, den128 Jesbak und den Suah. « Von ſeinen Kebsweibern hatte er gleichfalls viele Kinder, die er aber mit kleinen Geſchenken abfand, und wie er ſchon fruͤ - her mit Jsmael gethan, in die weite Welt ſchickte. Man ſieht, daß Vater Abraham in ſeinem hoͤchſten Alter noch bei ungeſchwaͤchter Kraft der Lenden war.
Jene ſechs Großfuͤrſten und Erzherzoge, die Kaiſer Abraham mit der Frau Ketura erzielte, nemlich der Simran und der Jakſan, der Medan und der Midian, der Jesbak und der Suah wur - den die Stammvaͤter der legitimen weißen Jſrae - liten und dieſe, welche wir in der Folge Soͤhne der Ketura nennen werden, legten ſich haupt - ſaͤchlich aufs Herrſchen und Regieren, aufs Erobern und Kriegfuͤhren, auf Diplomatik und Politik und auf große Schurkereien. Daß ſie nicht bloß ihre legitimen Halbbruͤder, ſondern auch andere ehrliche Menſchen auf jede Weiſe zu placken und zu piſacken, zu draͤngen und zu druͤcken ſuchten, und hin und wieder noch ſuchen, iſt in der Ord - nung, denn ihr Vater Abraham gieng ihnen ja darin mit dem beſten Beiſpiele vor. Von den Maͤ - treſſen Seiner Abrahamitiſchen Majeſtaͤt entſproßen die illegitimen weißen Hebraͤer, deren Erbtheil, außer dem leidenden Gehorſam, der Betrieb klei - ner Gaunereien und Bubenſtuͤcke iſt. Sie gehoͤren, gleich der uͤbrigen Menſchheit, mit zur ſeufzenden129 Kreatur, und wir finden uͤber ihre Genealogie nichts Naͤheres bemerkt, wahrſcheinlich weil es bei illegitimen Perſonen darauf nicht ankoͤmmt.
Beide weiße Linien ſind uͤbrigens weit ſchlim - mer, als die ſchwarzen Juden. Dieſe beſitzen noch oft Gefuͤhl fuͤr Menſchenrecht und Billigkeit; bei den weißen findet man davon aber hoͤchſt ſelten die mindeſte Spur.
Jetzt wuͤßte ich, außer jenem von Mexiko, kei - nen einzigen Thron, der von einem Sohn der Ke - tura beſeſſen waͤre. Wenn Jhr aber in ein Land kommt, lieben Leſer, wo Jhr in den Haͤnden der ruͤſtigſten Maͤnner und Juͤnglinge nur Schwer - ter und Waffen, in denen der Frauen, der Greiſe und Kinder nur Pflugſcharren ſeht; wo Jhr viele bleiche, abgehaͤrmte Geſichter, viele verkruͤppelte Menſchengeſtalten, in Lumpen gehuͤllt, wahrnehmt, die den Tod um Rettung anflehen; wo Jhr hoͤrt, daß der Herrſcher ſich wohl um ſeine Soldaten, Liturgien und Pfaffen, aber nicht um ſeine Buͤrger bekuͤmmert, und daß Handel und Gewerbe, Acker - bau und Viehzucht durch unerſchwingliche Auflagen erſchwert und erdruͤckt werden; wo Jhr mehr Zoͤll - ner, als Kaufleute, mehr gemißhandelte, zu nuͤtzli - cher Thaͤtigkeit unfaͤhig werdende Krieger, als frohe gluͤckliche Landarbeiter und Staͤdtebewohner erblickt; wo Jhr Buden und Maͤrkte von Waaren, von Kaͤufern und Verkaͤufern leer, die Wachſtuben und130 Paradeplaͤtze aber mit Waffen und buntgekleideten Puppen angefuͤllt findet; wo Jhr bemerkt, daß Einwohner und Fremde uͤberall von Schergen und Aufpaſſern belauert werden, und daß man uͤber oͤffentliche Angelegenheiten mehr durch Mienen und Seufzer, als durch Worte redet; wo Geiſtes - und Gedankenverkehr von Polizeiſpionen und Cenſoren gewaltſam gehemmt werden; wenn Jhr, ſage ich, dies Alles, oder auch nur Etwas im Einzelnen davon findet; ſo fliehet das Land; denn es herrſcht ein Sohn der Ketura darin.
Nicht immer iſt der, welcher, dem Titel und Namen nach, der Hoͤchſte im Staate ſeyn ſoll, es in der That. Manche Staatsoberhaͤupter ſind bloße Nominalregenten; ſie regieren nicht, ſie wer - den regiert, und ſtehen zu wirklichen Regenten, wie z. B. Friedrich der Große, Joſeph II., Karl Frie - drich von Baden ehemals waren, und wie die meiſten jetzigen Souveraͤne in Europa Gottlob! noch ſind, in demſelben Verhaͤltniſſe, wie Herrn von Rothſchilds Papiergeld zu Friederichs - und Napoleonsd’or. Sie ſteigen und ſinken ſowohl in Ruͤckſicht ihrer Macht, als der oͤffentlichen Mei - nung, je nachdem ſich ein kluger oder unkluger, ein guter oder ſchlechter Steuermann am Staatsruder befindet. Man darf ihnen daher ſo wenig das Gute, als das Boͤſe zuſchreiben, was in ihrem Lande geſchieht; denn man muß nie den Pinſel131 mit dem Maler, das Meſſer nie mit dem Moͤrder verwechſeln. Es kann ein Land geben, deſſen Zuſtand dem oben bezeichneten ſehr aͤhnlich, und deſſen Oberhaupt doch der allerchriſtlichſte Mann von der Welt iſt. Wo ein ſolcher Herr auf dem Throne vegetirt, kann man ihn wohl der Unfaͤhigkeit zu dem, was er dem Titel nach ſeyn ſoll, aber nicht des weißen Judenthums anklagen. Jch wiederhole es nochmal, man muß nicht den Pinſel mit dem Maler verwechſeln. Sollte alſo wirklich irgendwo ein Land ſeyn, ich weiß freilich in Europa kein einziges, wo ein Zuſtand wie jener vorherrſchend waͤre, ſo wird mit Recht mir Nie - mand Schuld geben koͤnnen, als haͤtte ich den Nominalregenten einen weißen Juden genannt. Wahrſcheinlich wuͤrden manche Goͤtter der Erde nach ganz andern Grundſaͤtzen handeln, wenn ihre Un - tergoͤtter es wollten, und wenn ſie wuͤßten, was nach wenigen Jahrzehenden, vielleicht ſchon nach einem halben Jahrzehend uͤber ſie wird geſagt, ge - ſchrieben und geurtheilt werden.
Dank ſey es uͤbrigens der Humanitaͤt der großen Regenten und Miniſter Europa’s, daß jetzt ſelten ein weißer Jude ſich an ein Staatsruder andraͤngen kann. Kongreſſe unſerer Fuͤrſten, ſtaͤn - diſche Verfaſſungen und die faſt allgemein herrſchen - de Preßfreiheit ſichern uns hinlaͤnglich vor den Soͤhnen Ketura’s, denen unſere Vorfahren noch vor132 einem halben Jahrhunderte Preis gegeben waren. Da ſahe man ſelbſt in Europa große Seelenver - kaͤufer, die den weinenden Gattinnen ihre Gatten, den huͤlfloſen Kindern ihre Vaͤter und den Eltern ihre Soͤhne, die letzten und einzigen Stuͤtzen ihres Alters, gewaltſam entrißen, ſie nach fernen Welt - theilen verſchacherten, und das Blutgeld an Spiel - tiſchen und in den Armen ihrer Huren verſchwelg - ten; und dieſe Buben, dieſe Ungeheuer nannten ſich dann noch — — Vaͤter ihrer Unterthanen! Ja, ſie hatten wohl gar die Frechheit, jene afri - kaniſchen Mohrenkoͤnige, die ihre Gefangenen und Sklaven an Hollaͤnder, Englaͤnder und Portugie - ſen verkaufen, unmenſchliche Barbaren zu ſchelten, da ſie doch ſelbſt dergleichen, und wohl groͤßerer Barbarei ſich ſchuldig machten. » Jch hoͤrte Vaͤter klagen, ſagt ein ſehr ehrwuͤrdiger Schriftſteller Ewald, ich hoͤrte Vaͤter klagen uͤber den Raub ihrer Soͤhne; ich ſah’ ihre bebenden Lippen, ihre krampfhaft ſich windenden Haͤnde; ich ſah manche gezwungene Soldaten, wie ſie den Sklavenrock mit Fuͤßen traten, und ihr Gewehr an einem hinge - kritzelten Fuͤrſtenbilde verſuchten; ich hoͤrte ihren graͤßlichen Fluch und ſah ihren noch graͤßlichern Blick. «
Wehe dem Lande, das von einem Sohne Ke - tura’s beherrſcht wird! Nicht allein das Vermoͤgen der Einwohner, auch ihr Blut betrachtet er als133 ſein wohlerworbenes, als ſein rechtmaͤßig ererbtes Eigenthum, womit er ſchachern und wuchern kann, wie ihm es beliebt. Jn Seelen zaͤhlt er nur Sa - chen, kaum einiger Pfenninge werth, die man ver - tauſchen, vererben, verkaufen, ja ſelbſt an ſchwarze und weiße Juden verpfaͤnden, und durch Heirath erwerben kann*)Mancher Landesfuͤrſt, ſagt der edle und große Kai - ſer Joſeph der II. in ſeiner Schrift uͤber Staats - verwaltung, mancher Landesfuͤrſt denkt, daß er das Vermoͤgen des Staats und ſeiner Unterthanen als ſein vollkommenes Eigenthum betrachten koͤnne, glaubt, daß die Vorſehung Millionen Menſchen fuͤr ihn erſchaffen hat, und laͤßt ſich nicht traͤumen, daß er fuͤr den Dienſt dieſer Millionen zu ſeinem Platze von derſelben beſtimmt iſt.. Gleich ſeinen ſchwarzen Bruͤ - dern glaubt er durch keine Verheißungen, durch keine Eide, durch keine Vertraͤge gegen ſeine Voͤlker ſich verpflichten zu koͤnnen, und iſt, falls er die Macht nur hat, zu jeder Stunde bereit, die beſtehenden und beſchworenen Verfaſſungen zu vernichten und umzuſtuͤrzen, wenn es ſein Ehrgeiz, ſeine unerſaͤtt - liche Herrſchſucht und Laͤndergier heiſchen. Der Sohn Ketura’s will herrſchen, aber nicht regieren; ſelbſt feige und furchtſam, will er nur gefuͤrchtet, aber nicht geliebt ſeyn. Darum ſucht er nicht in der Verehrung und Liebe ſeiner Unterthanen, ſon - dern in den Waffen ſeiner Schergen und Traban -134 ten, in Jnquiſitionsgerichten, und in den heimlichen Angebereien ſeiner Spione und Spuͤrhunde Zuflucht und Sicherheit. Nichts iſt den Soͤhnen Ketura’s verhaßter, als das ſittliche und geiſtige Fortſchrei - ten der Voͤlker. Gerne moͤchten ſie mit Circens Zauberſtab die ganze Menſchheit in eine Heerde Saͤue verwandeln, um ſie deſto leichter beherrſchen und — ſchinden zu koͤnnen. Denn ihnen iſt es weit lieber die Oberhaͤupter großer Viehheerden, als die Leiter vernuͤnftiger, mit ihren Rechten und Pflichten bekannter Weſen zu ſeyn. Tyrannen fuͤrch - ten nichts mehr, als mit der Vernunft in Ver - wickelung zu kommen; daher ſchließen ſie, wo ſie nur koͤnnen, an das Pfaffenthum ſich an; dieſes, ſelbſt auf Finſterniß gegruͤndet, bietet ihnen ja die ſicherſte Stuͤtze dar. Das war von jeher die Po - litik aller legitimen Soͤhne Ketura’s, ſowohl in Republiken, als in Monarchieen; eine Politik, die von weiſen und edlen Regenten verſchmaͤhet und verachtet, von gekroͤnten Taugenichtſen und Schur - ken aber mit Eifer gehandhabt ward, weil ſie ih - nen das ſicherſte Mittel ſchien, ſich in ihrer unrecht - maͤßigen Gewalt zu erhalten, und bei der verblen - deten Menge ſich Gehorſam zu ſchaffen. Ja, wir haben Beiſpiele in der Geſchichte, daß Herrſcher der Art fuͤr Soͤhne der Goͤtter, fuͤr Statthalter Gottes und ſelbſt fuͤr Goͤtter gehalten ſeyn wollten, ſich bei ihrem Leben noch Tempel und Altaͤre er -135 richten und ſich goͤttliche Anbetung erweiſen ließen, um dadurch ihrem ungemeſſenen Ehrgeiz ein Opfer zu bringen, und ihren thoͤrichten und unmenſchli - chen Befehlen das Anſehen goͤttlicher Gebote zu geben. So weit konnte die Menſchheit verſinken; ſo weit von weißen herrſchenden Juden und von Pfaffen verblendet werden.
Wenn aber das Schwert eines kuͤhnen Erobe - rers uͤber dem Haupte eines ſolchen Erdengottes blitzt, oder wenn ſein wurmſtichiger Thron von unten auf erſchuͤttert wird; dann zeigt ſich der weiße, feige Jude ganz in ſeiner elenden Nichtig - keit. Dann ſchwoͤrt er dem vorhin zertretenen und gedruͤckten Volke, wimmernd und winſelnd, wie ein aͤchter Hebraͤer, Erleichterung, Abbuͤrdung der Laſten, mehrere Freiheiten und Gerechtſame, wenn es nur diesmal ſeinen morſchen Thron noch be - ſchuͤtzen, ihn nur diesmal nicht umſtuͤrzen will. Daun gelobt er gern Alles, und erkennt, was ſonſt nur leiſe zu aͤußern, in ſeinen Augen ein Majeſtaͤtsver - brechen war, daß Menſchen auch Rechte haben; daß die Gewalt und Macht nicht von ihm, ſon - dern vom Volke ausgehe; daß nicht er das Volk, ſondern dieſes ihn beſchuͤtzen muͤſſe; und daß er ohne den Willen deſſelben der armſeligſte Wicht ſey. Kaum aber iſt der Sturm beſchworen, kaum iſt der Feind von der Graͤnze zuruͤckgedraͤngt; ſo tritt der weiße Bar Jſraels in ſeiner ganzen, ſtol -136 zen Herrlichkeit wieder hervor. Dann werden alle Verheißungen fuͤr nichtig, ihre Erfuͤllung fuͤr un - zulaͤßig erklaͤrt, beſchworne Vertraͤge und Verfaſ - ſungen werden aufgehoben und aufgeſchoben, und das arme Volk iſt noch ungluͤcklicher, als vorhin. Dies ſind Thatſachen, die nicht allein durch die aͤltere Geſchichte beſtaͤtigt werden, wir haben ſelbſt Ein Beiſpiel in der neueſten Geſchichte, man denke an Ferdinand den Siebenten. Jch will kei - neswegs behaupten, daß der jetzige Koͤnig von Spanien ein Sohn der Ketura ſey; das iſt er ſicherlich nicht, denn er iſt ja ein Bourbon, und alſo von legitimen allerchriſtlichem und katholiſchem Gebluͤt. Aber eine ſchwere Schuld laſtete ſchon fruͤher auf ihm, weil er nach ſeines Vaters Krone griff; eine Schuld, die er leicht der vergeltenden Nemeſis mit ſeinem Haupte haͤtte bezahlen muͤſſen, wenn die Spanier nicht eine ſo edle und großmuͤ - thige Nation waͤren.
Beſonders eigen iſt es den Soͤhnen der Ketu - ra, wenn ſie auf einem Thron oder auch nur auf einem Landammannsſtuhl ſitzen, ſich in die kirchli - chen und liturgiſchen Formen der Voͤlker zu mi - ſchen. Je mehr Dunkelheit und Finſterniß ſie dort hineinbringen koͤnnen; je ſalbungsvoller, demuͤthi - ger und andaͤchtiger die Gebete ſind, welche die Pfaffen auf den Kanzeln fuͤr die geheiligte Perſon des Herrn Landammanns oder Schultheiſſen her -plaͤr -137plaͤrren muͤſſen; um deſto lieber iſt es ihnen; um deſto ſicherer glaubt der Herr Landammann oder Schultheiß in ſeinem Lehnſtuhl ſitzen und ſchlum - mern, toben und fluchen, und allen Rechten der Menſchen Hohn ſprechen zu koͤnnen. Selbſt in pro - teſtantiſchen und paritaͤtiſchen Kantonen ſuchten ſie vormals durch unbedeutende Kleinigkeiten, z. B. durch Bekleidung der Altaͤre, durch Meß - gewaͤnder und Chorhemder und ſelbſt durch Titel fuͤr die Geiſtlichen, die Proteſtanten wieder an die Aeußerlichkeiten des Pabſtthums zu gewoͤh - nen, weil ſie waͤhnten, die katholiſche Kirche ge - waͤhre dem Despotismus mehr Sicherheit, als die proteſtantiſche; haͤtte man nur erſt den Katholicis - mus in den aͤußern Formen wieder hergeſtellt, dann wuͤrde das Weſentliche, wofuͤr man blinde Unter - werfung des Volks unter den Willen der Regieren - den hielt, ſchon folgen. Die Thoren! Sie bedach - ten und bedenken nicht, daß Katholicismus und Papismus zwei ſehr verſchiedene Dinge ſind; daß der letztere nicht durch den erſtern bedingt wird; und daß der Proteſtant und der Katholik dieſelben Begriffe von menſchlichen Rechten und menſchlichen Pflichten haben! denn moͤgen auch manche aͤußere Formen ihrer Gottesverehrung noch ſo verſchieden ſeyn, die Ele - mente ihres Glaubens, ihres ſittlichen und geiſtigen Strebens bleiben ſich immer und uͤberall gleich. Das erſte Land in Europa, welches ſich vom Joch derIII. Baͤndchen. 12138Tyrannen befreiete, die Schweiz, war damals durchaus katholiſch. Das erſte Reich in Europa, wo man mit philoſophiſchem Scharfſinn die Rechte des Menſchen entwickelte, Frankreich, iſt katholiſch. Die europaͤiſchen Laͤnder, in denen man jetzt, mit beſſerm und hoffentlich mit dauernderm Erfolge, als leider, in Frankreich, die Menſchheit in ihre Rechte wieder herzuſtellen ſucht, Spanien und Portugall huldigen beide der katholiſchen Kirche. Dieſe letz - tere hat daher keine Urſache, dem erbaͤrmlichen Haller zu danken, daß er ſie als ein Bollwerk ty - ranniſcher Willkuͤhr anzupreiſen ſucht. Das iſt ſie eben ſo wenig, als die Meßgewaͤnder und Chor - hemden ihrer Geiſtlichen kugelfeſt ſind und dem Despotismus ein ſicheres Aſyl gewaͤhren koͤnnen. Blos der Papismus, das Pfaffenthum, es mag ſich chriſtlicher, mahomedaniſcher, heidniſcher oder wel - cher aͤußern Formen es wolle, bedienen, blos das Pfaffenthum kann der Willkuͤhr der weiſſen Juden zur Schutzwehr dienen. Stuͤrzt nur das Pfaffen - thum, dann habt Jhr den Despotismus geſtuͤrzt. Sie ſtuͤtzen ſich beide auf einander, wie zwei Bo - ten, von denen der eine hinkt, und der andere lahm iſt. Befeſtigt nur den Grundſatz in den Ge - muͤthern, daß der Geiſtliche, er moͤge Katholik oder Proteſtant ſeyn, nichts weiter iſt, als oͤffentlicher Beamter, der durch Lehre und Beiſpiel ſeiner Ge - meine den Weg zu zeitlicher und ewiger Gluͤckſelig -139 keit zeigen ſoll; daß Prieſterweihe und Salbung der Koͤnige Trug und Thorheiten ſind; daß Ge - walt kein Recht giebt; dann habt Jhr dem Pfaf - fenthum und dem Despotismus die wichtigſten Stuͤtzen geraubt.
Man beſchuldige mich nicht wegen dieſer Aeuſ - ſerungen revolutionaͤrer Geſinnungen! Bei dem jetzigen Zuſtande Europa’s, wo ſich faſt alle Staa - ten unſers Welttheils des Friedens, des bluͤhend - ſten Wohlſtandes und der liberalſten Regierungen erfreuen; wo ein heiliger Bund, von Weisheit und Liebe fuͤr die Menſchheit geleitet, eifrigſt bemuͤht iſt, dieſen geſegneten Zuſtand uns durch alle moͤgli - che Mittel zu bewahren; wo die Voͤlker von Dank - barkeit und Verehrung fuͤr ihre Herrſcher beſeelt ſind; wo ſollte man da wohl irgend eine gewalt - ſame Umwaͤlzung wuͤnſchen oder befuͤrchten koͤnnen? Die eigenen Handlungen unſerer meiſten Regenten, die Verfaſſungen ihrer Staaten, und ihre Art zu regieren, muͤſſen ihnen ſchon Buͤrge ſeyn, daß ſie von der Stimmung ihrer Voͤlker nichts zu beſorgen haben. Nur wo despotiſche Soͤhne der Ketura herrſchen; wo man allen Wohlſtand zu vernichten, alle freie Gedankenmittheilung zu hemmen ſtrebt; wo man, wie vormals in Spanien, durch geiſtliche und weltliche Jnquiſitionsgerichte und Spaͤher jedes Wort und jede Miene belauſchen laͤßt, um ſodann den Verdaͤchtigen zur Verantwortung und Strafe12 *140zu ziehen; wo man durch ſchaͤndliche Aufreizer arg - loſe Menſchen zu uͤbereilten Aeußerungen und Hand - lungen zu verleiten ſucht, um ſie nachher im Wege Rechtens aufs Blutgeruͤſt ſchleppen und morden zu koͤnnen; wo man alle menſchlichen und Volksrechte mit Fuͤßen tritt, und von keinen andern Rechten, als von denen der Herrſcher etwas wiſſen will; nur dort kann von gewaltſamen Umwaͤlzungen die Rede ſeyn; dort ſind ſie nicht allein zu fuͤrchten, ſondern ſie erfolgen gewiß, moͤge man auch ergrei - fen, welche Maaßregeln man wolle.
Laßt uns die weißen legitimen Juden noch etwas naͤher betrachten. Jch weiß freilich wohl, daß fuͤr unſere Zeiten dieſer Gegenſtand wenig Jn - tereſſe hat, weil er der Vergangenheit, und nicht der Gegenwart angehoͤrt! Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Tiberiuſſe, der Caligula, Clau - diuſſe, Nerone, Domitiane, und wie jene gekroͤn - ten Henker des Menſchengeſchlechts hießen! Auch Napoleon Bonaparte, der ihre Zeiten zuruͤckfuͤhren wollte, ſchlummert im Grabe. Stolz und voll Entzuͤcken koͤnnen wir auf unſere Monarchen hin - blicken, denen wir Freiheit im Denken, Reden und Handeln, Frieden, bluͤhenden Wohlſtand und Ver - faſſungen verdanken, wodurch die Rechte der Men - ſchen und Voͤlker geſichert ſind und aller tyranni - ſchen Willkuͤhr vorgebauet iſt. Es iſt kein Kaiſer und Koͤnig, kein Fuͤrſt in Europa, der nicht die141 gegruͤndetſten Anſpruͤche auf den Namen eines Ti - tus, eines Nerva, eines Trajan, eines Antonin, eines Mark Aurel machen duͤrfte! Es giebt keinen Landammann, keinen Amtsſchultheiſſen, keinen Amtsburgermeiſter, keinen taͤglichen Rath in der Schweiz, der nicht mit einem Solon, einem Miltiades, einem Ariſtides, einem Themiſtokles, koͤnnte verglichen werden!
Sehr prahlſuͤchtig ſind die Kinder der Ketura und ſehr eitel. Wenn ſie mehr zur Luſt, als der Nothwendigkeit halber, mehr um ſich in der freien Ausuͤbung ihrer despotiſchen Willkuͤhr zu befeſtigen, als das Gluͤck der Voͤlker zu gruͤnden, eine Reiſe von hundert Stunden unternehmen, ſo muͤſſen ihre Herolde es auspoſaunen, welche ungeheure Opfer ſie der ganzen Menſchheit darbringen, da ſie auf Monate lang ſich von ihren » geliebten « Voͤlkern trennen, um die Ruhe des Erdballs zu ſichern. Dies war namentlich und ſehr oft der Fall bei Napoleon. Machten auch Witzlinge und Zeitungs - ſchreiber daruͤber ſich luſtig, fluͤſterte man dem hoch - muͤthigen Jmperator auch ziemlich laut und derbe ins Ohr: » eine ſo anmaßende Sprache gebuͤhre ſich nur gegen rohe Voͤlker, wie etwa die Kalmuͤcken, Baſchkiren und Tartaren, nicht gegen einen Welt - theil voll gebildeter Nationen, denn dort ſey ſie laͤcherlich und unanſtaͤndig; es wohnten hinter dem Berge gleichfalls Leute; « ſo tobte er gegen die,142 welche die Wahrheit ihm ſagten, ſuchte den ohnehin ſchon genug beſchraͤnkten freien Geiſtes - und Ge - dankenverkehr noch mehr zu unterdruͤcken, und be - griff nicht, wie man es wagen duͤrfte, gegen ſeine geheiligte Perſon, deren Tugenden » weit uͤber alle andern menſchlichen und Regenten - tugenden erhaben waren, « ſo etwas zu denken, zu reden oder zu ſchreiben. Jeder Euro - paͤer war nach ſeiner Meinung ihm zum Danke verpflichtet fuͤr die Muͤhen, die es ihn koſtete, das Reich der unbeſchraͤnkten Willkuͤhr recht feſt zu be - gruͤnden. Dieſer thoͤrichte, laͤcherliche Hochmuth Napoleons empoͤrte und erbitterte die Gemuͤther der Nationen gegen ihn. Er wollte der Vormund und der Selbſtherrſcher von ganz Europa ſeyn, und das beſchleunigte ſeinen Sturz. Schwerlich wird jemals ein vernuͤnftiger Fuͤrſt, wofern er nicht ganz dem weißen Judenthume angehoͤrt, nicht ganz von allem Verſtande verlaſſen und von eitlem Wahnſinn befangen iſt, dem Beiſpiele Napoleons folgen.
Feige, wie alle Hebraͤer, ſind auch die Kinder der Ketura; daher umgaben ſie ſich von jeher mit großen Leibwachen, mit Mamelucken und vorneh - men und geringen Spionen. Allenthalben fuͤrchten ſie Kugel und Dolch, weil ſie keines Guten ſich bewußt ſind; weil ſie fuͤhlen, was ſie werth ſind. So umringte ſich Tiberius mit heimlichen Angebern143 und Meuchelmoͤrdern, um Jeden aus dem Wege raͤumen zu koͤnnen, der ihm gefaͤhrlich ſchien; ſo ſchlief Cromwell nie zwei Naͤchte nach einander in einem und demſelben Zimmer; ſo zitterte Napoleon, dem es doch an perſoͤnlichem Muthe nicht fehlte, vor der Feder jedes Schriftſtellers, der nicht ſei - ner despotiſchen Willkuͤhr zu huldigen bereit war, und ſandte auf ſeinen Reiſen Polizeibeamte, Spio - ne und Mamelucken vor ſich her, um alle ihm ge - faͤhrlich ſcheinenden Menſchen aus den Staͤdten, in denen er ſich verweilen wollte, zu entfernen, und entfernen zu laſſen. Wer moͤchte alle Reiche der Welt und dieſe zitternde Angſt mit dem groͤß - ten, dem unbeſchraͤnkteſten Herrſcher wohl theilen? Wer wuͤrde nicht gerne den Scepter mit dem Bet - telſtab vertauſchen, um nicht von ſo qualvollen Traͤumen gefoltert zu werden? Allein die Soͤhne der Ketura ſind zu ehrgeizig und herrſchgierig; ſie wuͤrden lieber in der Hoͤlle die Rolle des Beelzebub oder Adramelech ſpielen, als im Himmel mit dem frommen Lazarus auf Abrahams weichem Schooße ſitzen.
Der Wahlſpruch des allernichtswuͤrdigſten und allerchriſtlichſten Ludwig des Vierzehnten: l’ Etât c’est moi! Jch bin der Staat! dieſer despotiſche ſchurkiſche Wahlſpruch, der ſo viel Jammer und Elend auf Erden verbreitet hat, iſt der leitende Grundſatz aller herrſchenden Kinder Ketura’s, gleich -144 viel, ob ſie als Ober - oder als Untergoͤtter uͤber die ſeufzende Kreatur Menſchheit gebieten; ob ſie als Ober - oder Unterſteuermaͤnner am Staatsru - der ſitzen; ob ſie nur dem Namen nach, oder mit der That regieren! Sie ſind der Staat; ſie ſind der Zweck, die Beherrſchten ſind bloße Mittel und Werkzeuge! Wenn es ihnen nur wohl geht; wenn ſie nur in Ueberfluß, in Freude und Wonne leben, wenn dann unter ihnen auch alles in Blut und Thraͤnen ſchwimmt; das iſt gleichguͤltig. Das Ge - winſel der Sterbenden auf den Schlachtfeldern; der Jammer und das Wehgeſchrei der Muͤtter, der Wittwen und Waiſen, die dem Hochmuth und der Naubgier eines ſolchen Herrſchers ihre Soͤhne, ihre Gatten und Vaͤter opfern mußten; die Fluͤche und Verwuͤnſchungen vieler Millionen, die er mit eiſer - ner Fauſt in das Sklavenjoch ſchmiedet und zu erhalten ſucht; die Verachtung, der Haß und der Abſcheu der ganzen Menſchheit, deren Fortſchreiten zu hoͤherer Entwickelung er durch Heere ſtehender Schergen, durch Blutgerichte, durch Pfaffenliſt und Pfaffentrug, durch Spionenweſen und andere ſchaͤnd - liche Mittel zu hemmen ſtrebt; das Alles kuͤmmert den weißen legitimen Juden nichts, wenn ſein Thron nur feſt ſteht; wenn ſeiner Brut nur die Herrſchaft uͤber große Nationen geſichert bleibt. Wie Prokruſtes, moͤchte er nicht allein die Leiber, ſon - dern ſelbſt die Geiſter der Menſchen beſchneiden undzu -145zuſtutzen, um ſie deſto leichter beherrſchen und in ſeine tyranniſchen Formen einzwaͤngen zu koͤnnen. Alle Einrichtungen zur Befoͤrderung ſittlicher und geiſtiger Veredlung werden von ihm mit roher Hand vernichtet; an die Stelle weiſer und edler Maͤnner treten als Vorſteher hoͤherer Bildungsan - ſtalten und als Leiter der Jugend Jeſuiten und Freſſinous auf; die Menſchheit muß um Jahrhun - derte zuruͤck geſchleudert werden; ſie iſt zu weit vor - geſchritten, als daß ein legitimer Sohn der Ketura ruhig auf ſeinem Thronſeſſel ſich maͤſten koͤnnte.
Jhr glaubt, lieben Leſer, wenn Jhr die Ge - ſchichte nicht kennt, daß ich meine Schilderung uͤbertreibe; daß ich die Farben zu grell auftrage; Jhr ſtellt Euch alle Beherrſcher der Erde, die je - mals geweſen ſind, und in Zukunft ſeyn werden, ſo edel, ſo gerecht, ſo weiſe, wie unſere jetzigen europaͤiſchen Regenten vor, denen alle Herzen voll Liebe, voll Dankbarkeit und Verehrung huldigen muͤſſen. Allein leſet die Geſchichte voriger Jahr - hunderte und Jahrtauſende; Jhr werdet eine Menge weiſſer gekroͤnter Hebraͤer finden, die dem Bilde vollkommen gleichen, das ich von ihnen mit weni - gen Zuͤgen entwarf.
Freilich ſind Ketura’s erhabene Kinder ſehr lichtſcheu; ſie moͤchten gerne den ganzen Erdball mit aͤgyptiſcher Finſterniß bedecken, um ſeine Ruhe zu ſichern, fuͤr die ſie ſo aͤngſtlich beſorgt ſind; alleinIII. Baͤndchen. 13146der heimliche Wunſch, ihren unwuͤrdigen Namen der Nachwelt auf eine glaͤnzende Weiſe uͤberliefert zu ſehen, verleitet ſie doch manchmal fuͤr das Fort - ſchreiten des menſchlichen Geiſtes wider ihren Wil - len etwas zu thun. Sie moͤchten gerne das An - ſehen haben, als waͤren ſie eifrige Befoͤrderer der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften; nur muß der Gelehrte und Schriftſteller ja nicht aus dem Kreiſe heraus - treten, den ihre Weisheit ihm anwies. So be - ſchuͤtzte Octavianus Auguſtus, einer der geprieſen - ſten und verworfenſten Schurken, welche jemals einen Thron entehrten, dem Anſcheine nach Wiſſen - ſchaft und Kunſt. Er wollte durch die ſchmeichle - riſchen Gedichte Virgils, Ovids und des elenden Schmarotzers Horaz bei ſeinen Zeitgenoſſen verherr - lichet, bei der Nachwelt verewiget ſeyn, und uͤber - haͤufte daher dieſe Dichter mit Geſchenken und Auszeich - nungen. Einen großen Theil der Werke des Livins hingegen, woran doch ſicherlich viel mehr gelegen war, als an allen Oden des Horaz, an allen Elegieen Ovids und allen Eklogen Virgils ſuchte er weislich zu unterdruͤcken, und unterdruͤckte ſie wirk - lich, weil ſie ihm, dem despotiſchen Sohn der Ketura, und ſeinem Ruhm bei der Nachwelt ge - faͤhrlich werden konnten. Der Tyrann Nero machte ſogar ſelbſt Verſe, die noch weit ſchlechter waren, als Er. Ludwig der Vierzehnte, unter allen Bour - bons einer der verabſcheuungswertheſten, welches147 wahrlich viel ſagen will, ein Koͤnig, deſſen Ge - ſchichte mit Blut und Thraͤnen aufgezeichnet iſt, brandſchatzte ſein ungluͤckliches Volk durch uner - ſchwingliche Auflagen, um blutige, ungerechte Kriege fuͤhren, und ſchaͤndliche Huren und ſchmarotzende Verſemacher beſolden zu koͤnnen. Boileau, Racine und andere, die ſich auf feinen Weihrauch und wohlklingende Reime verſtanden, erhielten von ihm bedeutende Jahrgehalte; Chapelain, der Abbé Co - tin und Desmarais empfiengen eben ſo große Wohl - thaten, die ſie ihm mit den erbaͤrmlichſten Verſen vergalten. Dem albernen, unwiſſenden Thoren war es gleich, ob ſein koͤniglicher Name von einer Nachtigall beſungen, oder von einer Unke bequackt wurde. Jhm galten die Verſe eines Cotin eben ſo viel, wie jene eines Racine, wenn er nur dadurch verherrlicht zu werden glaubte. Die Herzoge von Weimar und Gotha haben, ſo klein ihre Laͤnder im Verhaͤltniß gegen Fraukreich auch ſind, weit mehr fuͤr Kuͤnſte und Wiſſenſchaften gethan, als jener große Ludwig, der deshalb von ſeinen Fran - zoſen ehemals vergoͤttert ward.
Auch Handel, Gewerbe und Ackerbau ſuchen Keturas legitime Soͤhne manchmal in ihren Laͤn - dern dem Anſcheine nach zu befoͤrdern, denn ſie halten es mit dem Grundſatz des roͤmiſchen Rechts: was der Sklave erwirbt, gehoͤrt ſeinem Herrn. Allein immer wird doch die Betriebſamkeit und der13 *148Erwerbfleiß ihrer Unterthanen durch ungeheure Ab - gaben, die zu unnuͤtzen, oft ſogar zu ſchaͤndlichen und ſchlechten Zwecken verwandt werden; durch Monopole und andere Krebsſchaͤden niedergedruͤckt; nie werden ſich unter ihren Fittigen Handlung, Gewerbe und Landbau zu wirklichem Flor erheben, denn das ſchmerzhafte, aͤngſtigende Bewußtſeyn der Unterthanen, daß ihre Rechte in Ruͤckſicht des Er - worbenen auf keine Weiſe geſichert ſind; daß der eigennuͤtzige habſuͤchtige Herrſcher, wenn ihm es gefaͤllt, die Fruͤchte ihres Fleißes und ihrer Arbei - ten ihnen zu jeder Stunde entreißen kann; wird Kraft, Muth und Neigung bei ihnen kaͤhmen, und ſie von allen wichtigen Unternehmungen und An - ſtrengungen zuruͤck ſchrecken. Daher ſticht auch das laute, rege Leben in kleinen Staͤdten, welche unter dem Scepter eines guten Regenten ſtehen, und einer liberalen Verfaſſung ſich erfreuen, gar wun - derbar ab gegen die todte Stille in jenen ungeheuern Maſſen von Palaͤſten und Haͤuſern, wo der Herr - ſcher von einem Sohne Ketura’s ſich zum Ungluͤck ſeiner Unterthanen leiten laͤßt. Jn einem Lande, wo Jhr den Arbeiter mit mißmuͤthigem, kummer - vollen Blick hinter dem Pfluge herſchleichen ſeht; wo Jhr kein frohes Lied des Schnitters, ſondern vielleicht nur hin und wieder einen andaͤchtigen Bußpſalm oder dergleichen vernehmt; wo nirgend frohes Gelaͤchter Euch in den Doͤrfern und auf149 Euren Wegen entgegen toͤnt; wo Jhr haͤufig gutes, brauchbares Land wahrnehmt, das weder zur Wei - de, noch zum Ackerbau benutzt wird; wo Euch auf den Landſtraßen keine Fracht - und Waarenwagen, keine Kaͤrner, keine Handelsleute, aber wohl Gens - darmen und arbeitsloſe Bettler begegnen, die gerne arbeiten moͤchten, wenn ſie nur Unterkommen fin - den koͤnnten; wo Jhr in Staͤdten und Doͤrfern haͤufig die zerbrochenen Fenſterſcheiben mit Papter beklebt oder gar mit eckelhaften Lumpen zugeſtopft findet; in einem ſolchen Lande, glaubt es mir ſicherlich, in einem ſolchen Lande herrſcht ein Sohn der Ketura entweder als Ober - oder als Unter - gott. Vor mehreren Jahren reiste ich durch zwei Laͤnder, deren Klima und Fruchtbarkeit ſich gleich ſind. Jn dem erſtern ſah ich viele und herrliche Palaͤſte, die um ſo prachtvoller erſchienen, da ſie ſtolz uͤber eine Menge elender Strohhuͤtten empor - ragten. Auf allen Wegen begegneten mir aber muͤrriſche, unfreundliche Geſichter, in Lumpen ge - huͤllte und ungezogene Kinder, dann und wann eine glaͤnzende Kutſche, mit Sechſen beſpannt, die von einem Heer heulender, ſchreiender und hungri - ger Bettler verfolgt ward, aber nirgend ein Fracht - wagen. Jede Stunde traf ich einen Gensdarmen, der argwoͤhniſch mich nach meinem Paß und dem Zweck meiner Reiſe fragte. Ließ irgendwo ein Ge - ſang ſich hoͤren, ſo war es ein andaͤchtiges Mor -150 gen - und Abendlied, oder ein ſolches, welches man in Kreuz, Truͤbſal und Anfechtung ſingt: Nicht bloß an allen Stadtthoren, ſelbſt in Zollhaͤuſern auf dem Lande ward mein Gepaͤck durchſucht, ob auch verbotene Waare darin ſey. Auf den Poli - zeien mußte ich, trotz der Anzahl von Beamten, Schreibern und Maulaffen Stundenlang warten, ward ſehr ſorgſam uͤber Alles befragt und mit ſtol - zer Ungeſchliffenheit abgefertigt. Von dem Regenten hoͤrte man nur leiſe und heimlich reden. Man ſoll nicht von ihm ſprechen, hieß es, und er iſt es auch nicht werth! Und dann folgten Erzaͤhlungen von geheimen Spaͤhern und Angebern, und Fluͤche und Verwuͤnſchungen uͤber den dermaligen Zuſtand der Dinge und uͤber den S — vom K —, dem man Tod und Teufel und Hoͤlle auf den Leib wuͤnſchte. Jn den Gaſthoͤfen nahm man mir fuͤr ſchlechte Be - wirthung und unreinliche Betten unmaͤßige Bezah - lung ab, und ich dankte dem Himmel, als ich endlich die Graͤnze des Nachbarlandes erreicht hatte. Hier ſah ich freilich wenig Palaͤſte; und dieſe we - nigen hatten das Anſehen großer Beſcheidenheit, welches ihnen vielleicht die Menge wohlgebaueter Haͤuſer gab, von denen ſie umgeben waren. Al - lenthalben begegnete ich aber gut gekleideten, freund - lichen Menſchen, auf deren Geſichtern man Froh - ſinn und Heiterkeit las. Selbſt die Kinder der Bauern zeigten durch Hoͤflichkeit und geſittetes151 Betragen, daß fuͤr Erziehung und Unterricht ganz anders, als in dem erſtern Lande geſorgt war. Nirgend traf man einen Bettler; alles zeugte von Wohlſtand und Jeder ſprach mit Achtung und Zu - friedenheit von der Regierung; Jeder war ſtolz auf die Verfaſſung ſeines Landes, welche er fuͤr die beſte und muſterhafteſte unter allen Verfaſſungen hielt. Auf den Landſtraßen ſahe man mehr Fracht - wagen und Karren, als Kutſchen. Unter den letztern war mir ein ſchlichter offener Wagen auf - fallend, weil der Herr, der darin fuhr, von Allen ſehr freundlich begruͤßt, eben, ſo freundlich wieder gruͤßte. Es iſt unſer Großherzog! antwortete man mir auf meine Frage. Ein vortrefflicher Mann! Ein guter Herr! Waͤre er nur zwanzig Jahre juͤnger! Das war das allgemeine Urtheil, was ich ſelbſt in den vertrauteſten Kreiſen, vernahm. Das Land mußte betraͤchtliche Auflagen zahlen. Es iſt nicht Schuld unſerer Regierung, nicht Schuld unſers Großherzogs, hieß es. Er ſchraͤnkt ſich genug ein; er lebt ja faſt nicht beſſer, als wir; aber der Krieg — der Krieg hat vielen Wohlſtand zerſtoͤrt. Moͤchte nur durch ihn errungen ſeyn, was allen Deutſchen ſo heilig gelobt ward! Gerne moͤchte unſer und der Unſrigen Blut gefloſſen ſeyn! Wir, fuͤr uns, haben freilich, was wir nur hoffen und wuͤnſchen durften; eine gute, liberale Verfaſſung; Gleichheit aller Staatseinwohner vor dem Geſetz;152 Freiheit des Handels, ſo weit er von außen nicht beſchraͤnkt wird; Freiheit im Denken, Reden und Schreiben, in ſo ferne nur kein Fremder mit ſeiner Adlerklaue in unſer friedliches Treiben eingreift, und unſer biederer Großherzog uns ſchuͤtzen kann. Er iſt der geiſtvollſte, edelſte, bravſte Mann im ganzen Lande, vielleicht in ganz Deutſchland; auch der Thronfolger iſt gut; allein wir behielten den Alten noch gerne; wir ſind es unter ihm gewohnt, ſind unter ihm grau geworden, und verdanken ihm Vieles. So ſprach man uͤberall, denn die Deut - ſchen ſind treu und erkenntlich gegen ihre Regierer; undankbar und feige handelt daher der Fuͤrſt, der das Gegentheil von ihnen behauptet, und ſie als eine rebelliſche Nation anklagt. Von keinem Zoͤll - ner und keinem Gensdarmen ward ich in dieſem Lande belaͤſtigt. Auf der einzigen Polizeibehoͤrde, die ich beſuchte — der erſten im Lande —, fand ich nur drei bis vier Beamte und Schreiber; alle hoͤfliche Maͤnner, die, ohne um den Zweck meiner Reiſe ſich zu bekuͤmmern, ohne eine argwoͤhniſche, unbeſcheidene Frage zu thun, meinen Paß unter - zeichneten, und mir mit zuvorkommender Artigkeit ſagten, auf welchem Wege ich naͤher, bequemer und ſicherer wuͤrde reiſen koͤnnen; denn es war damals in manchen Laͤndern Deutſchlands ſehr gefaͤhrlich zu reiſen. Jn allen Doͤrfern und Staͤdten des Großherzogthums ſah’ ich froͤhliche, gluͤckliche und153 arbeitſame Menſchen; in keinem Gaſthofe ward ich geprellt; in allen gut und billig, als ob ich taͤgli - cher Gaſt und Freund des Hauſes waͤre, bewir - thet. Mit Wehmuth ſchied ich aus dem Lande eines der beſten und gebildetſten Fuͤrſten, welches mir noch immer eine meiner liebſten Erinnerungen darbietet. Moͤge es dem edeln Großherzoge und ſeinem Volke immer recht wohl gehen! Moͤchte ihm ſtatt eines Großherzogthums ein Kaiſerthum beſchieden ſeyn!
Wenn Jhr mir ſagt, daß ein Volk roh, un - wiſſend, traͤge und liederlich iſt; ſo antworte ich Euch, daß die Regierung grauſam, hart und nichts - wuͤrdig ſeyn, daß einer oder mehrere weiße Hebraͤer dort herrſchen muͤſſen. Jn Neapel wuͤrde kein ein - ziger Lazarone ſeyn, wenn nicht Despotismus und Pfaffenthum den Scepter dort fuͤhrten. Die Roͤ - mer waren beſſere Chriſten, wie ſie noch Heiden und Republikaner waren, als jetzt, da ein heiliger Vater im Vatikan ſich maͤſtet. Kein Volk iſt ſchlecht, wenn nur ſeine Regierung und ſeine Re - ligion etwas taugen. Selbſt die ſchwarzen Juden koͤnnten eine vortreffliche Nation werden, wenn ſie von ihrem religioͤſen Aberglauben abließen, und unter einer vernuͤnftigen Regierung einen eigenen Staat wieder bildeten; nur muͤßte kein frommer David, kein weiſer Salomo, oder ein aͤhnlicher Taugenichts uͤber ſie herrſchen; auch nicht Herr Amſchel von Rothſchild.
154Gottlob, wir leben jetzt in einem Zeitalter, wo ein heiliger Bund uns Europaͤer vor der Re - gierung weißer Juden bewahrt. Wenigſtens werden ſie nie als Oberſteuermaͤnner ſich eines Staatsru - ders bemaͤchtigen koͤnnen; und ſchleichen ſie wirklich — welches hin und wieder der Fall ſeyn moͤchte — als Großveziere ſich ein, ſo iſt ihre Herrſchaft doch nicht erblich, nicht ewig dauernd; ihr ſchaͤdliches Treiben wird dem Scharfblick der Monarchen nicht lange verborgen bleiben, und ſie werden bald in Nuheſtand verſetzt werden. Gaͤbe doch Gott, daß, wie oͤffentliche Nachrichten jetzt melden, auch Sr. Hoheit der Großſultan zum Mitgliede des heiligen Bundes aufgenommen wuͤrde*)Jch ſchrieb dies nemlich zu Ende des Septembers 1822, wo nach den Berichten der Allgemeinen Zei - tung und anderer Blaͤtter die Rede von dieſem Projekt war. Moͤchte mein Wunſch doch erfuͤllt werden., und daß die gu - ten Tuͤrken gleichfalls Theil an den Segnungen des uͤbrigen Europa nehmen moͤchten; dann wuͤrde ich voll Entzuͤcken mit dem frommen Simeon ſprechen: Herr, nun laß deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben dein Heil geſehen. Un - ſtreitig wuͤrde dies auch fuͤr unſere Mitbruͤder, die irregeleiteten Griechen von den vortheilhafteſten Folgen ſeyn. Durch die Vermittelung der uͤbrigen großen Maͤchte wuͤrde ihnen wahrſcheinlich Verzei -155 hung und Gnade wiederfahren, und blos die Haupt - raͤdelsfuͤhrer und Empoͤrer, die Kolokotroni, Ypſi - lanti, Mauro-Cordati und andere griechiſche Car - bonari und Freiheitsritter wuͤrden mit ihren unru - higen Koͤpfen fuͤr ihre Unthaten buͤßen.
Jch koͤnnte noch viel von Ketura’s legitimen Soͤhnen melden; allein der Gegenſtand gehoͤrt, wie geſagt, nicht unſerer Zeit und unſerm Welttheile an, und koͤnnte blos etwa fuͤr die Mexikaner ein Jntereſſe haben. Jch zweifle aber, daß meine Ju - denſchule in Mexiko wird geleſen werden, denn Sr. Majeſtaͤt der Kaiſer Jturbide wird gewiß in ſeinem großen, ungeheuern Reiche ihre Einfuͤhrung ſehr ſtrenge verbieten. Daher ſchließe ich. Was noch weiter von Ketura’s Kindern zu ſagen iſt, und Alles, was ſie verſprochen und nicht gehalten haben, findet man in der Chronika der Koͤnige Juda.
Dieſer Gegenſtand iſt nahe verwandt mit dem vorigen, und hat fuͤr unſere Zeiten ein groͤßeres Jntereſſe, als jener, da immer eine Moͤglichkeit vorhanden iſt, daß einer oder der andere von Ke - tura’s ſchlauen Kindern ſich als Miniſter, Geſand - ter, Staatsrath, Volksvertreter oder als Fuͤrſten - erzieher irgendwo eindraͤngt.
Mit den Miniſtern geht es freilich ſehr oft, wie mit ihren Gebietern; ihre Sekretaͤre, Haus - freunde, Frauen, Maͤtreſſen, ja ſelbſt ihre Kam - merdiener verwalten haͤufig das Amt, von welchen jene Herren den Titel fuͤhren, und man kann manchen Lakaien mit doppeltem Recht Miniſter des Miniſters, ſo wie manchen Miniſter Koͤnig des Koͤniges nennen. Jndeſſen gehoͤrt doch in der Re - gel zum Großvezier mehr Geiſt, als zum Groß - ſultan, da dieſer nicht durch Verſtand und Faͤhig - keit, ſondern durch Geburt zu ſeiner Wuͤrde gelangt; jener ſie aber — wenn gleich nicht immer, doch gewoͤhnlich — durch eigene oder fremde, ſcheinbare oder wirkliche Verdienſte erwerben muß.
157Nicht allein die aͤltere, ſelbſt die neuere Ge - ſchichte ſtellt uns eine betraͤchtliche Anzahl der wei - ſeſten und vortrefflichſten Staatsmaͤnner auf, die durch kluge Leitung der oͤffentlichen Angelegenheiten ſowohl in großen, als kleinen Laͤndern das Gluͤck und die Veredlung der Menſchheit zu foͤrdern ſuch - ten; aber weit groͤßer iſt die Zahl der weißen He - braͤer, welche von jeher in Monarchieen und Re - publiken der Herrſchaft uͤber Fuͤrſten und Voͤlker ſich zu bemaͤchtigen wußten, und oft ganze Natio - nen um Jahrhunderte weit auf ihrem Wege zu geiſtiger und ſittlicher Veredlung zuruͤckwarfen.
Finſterniß iſt die Grundlage jenes despotiſchen Prinzips, welches dieſe Herren ſeit Nimrods des großen Parforzjaͤgers Zeiten geltend zu machen ſuchten. Daher ihr aͤngſtlicher, oft eben ſo grau - ſamer, als thoͤrichter Eifer gegen Alles, was ihren Zwecken entgegen ſteht; ihr ſpionirendes, gewaltſa - mes Streben nicht blos uͤber die Stimmung der Voͤlker zu herrſchen, ſondern auch die Geſinnungen jedes Einzelnen zu erforſchen; daher die Delatoren der Tiberiuſſe, die Jnquiſitionsgerichte, das Lehns - ſyſtem, die Leibeigenſchaft, die Jeſuiten, die Pfaf - fen, die Cenſoren und alle die ſchaͤndlichen Werk - zeuge und Mittel, wodurch man den freien Auf - ſchwung des menſchlichen Geiſtes von jeher zu hemmen, die Voͤlker in Barbarei und Unwiſſenheit uͤber ihre Rechte und Pflichten zu erhalten ſtrebte.
158Gleich ihren ſchwarzen Bruͤdern betrachten die weißen Juden die Welt als ihr ausſchließliches Ei - genthum; die Menſchheit, als einen Jnbegriff thie - riſcher Weſen, die nur erſchaffen ſind, den Launen und Grillen der legitimen Soͤhne Ketura’s zum Spiel und Opfer zu dienen. Wenn ſich irgendwo eine Stimme vernehmen laͤßt, die ihnen nicht gar lieblich in die langen Ohren klingt, ſo wimmern und winſeln ſie augenblicklich: Ach mein, der Geiſt der Zeit, der Beelzebub, der boͤſe Sammael laͤßt ſich hoͤren! Wir muͤſſen den Beelzebub, den Sam - mael, der in der Luft herrſcht, bekaͤmpfen. Und dann eilen ſie herbei mit Biſchoͤfen und Pfaffen, mit Jeſuiten und Moͤnchen, mit Freyſſinous und Mangins, mit Polizeien und Spionen, mit Tuͤrken und Juden, um dem Beelzebub, dem boͤſen Sam - mael den Hals zu zerbrechen. Man viſirt, viſitirt, ſpionirt und arretirt aufs fleißigſte; man haͤlt Kon - troverspredigten voll Unſinn und Sprachſchnitzer gegen den Sammael; man beſoldet hungrige Skrib - ler, deren Schriften von Niemand geleſen werden, um gegen die oͤffentliche Meinung zu ſchreiben; denn die oͤffentliche Meinung iſt ein gar ſchlimmes Ding, um ſo ſchlimmer, wenn ſie nicht laut wer - den darf, und ſich in heimlichen, bittern Groll, in Zaͤhneknirſchen verwandeln muß. Kluͤger handeln jene Soͤhne Ketura’s, die um die oͤffentliche Mei - nung ſich nicht ſo ſorgſam bekuͤmmern; nicht ſo159 aͤngſtlich ihr Lautwerden zu hindern ſuchen; man haͤlt ſie wenigſtens nicht fuͤr elend und feige, ſon - dern fuͤr herzhaft; man achtet ſie, wenn man ſie gleich haßt. Die Voͤlker ſind, wie die Kinder. So wie dieſe ſich freuen und ihr Zorn geſtillt wird, wenn man den Stein ſchilt oder ſchlaͤgt, an den ſie ſich geſtoßen haben; ſo freuen ſich jene, wenn man laut und oͤffentlich den Machthaber oder Be - amten tadeln und verachten darf, der ihnen blutige Feſſeln anlegt. Da iſt ihm recht geſchehen, denken ſie, wenn man ohne Scheu und Furcht uͤber einen ſolchen Beamten, die Wahrheit oder ſie ihm wohl gar ins Geſicht ſagt; da iſt ihm recht geſchehen! und geduldig nehmen ſie das eiſerne Joch auf ſich. Waͤre ich ein Regent oder ein Miniſter, und wollte ich ein Deſpot oder ein Tyraun werden, ohne mein Daſeyn in Gefahr zu ſetzen; ſo wuͤrde ich alle Schriftſteller und Redner, die recht laut und herzhaft auf meine Maaßregeln und auf mich, als einen Bedruͤcker der Menſchheit ſchimpften, mit Jahrgehalte reichlich belohnen, und deneu, die mich ruͤhmten, nur ein Ordensband verehren, als ein Sinnbild des Stricks, den ſie verdient haͤtten. Der Tadel und Abſcheu, den man laut uͤber mich aus - ſprechen duͤrfte, wuͤrde mich hinlaͤnglich gegen alle Ausbruͤche eines heimlichen Grolls ſichern, den all - gemeinen Unwillen gegen mich ſchwaͤchen, und mir am Ende wohl gar den Ruhm eines ſehr großen,160 liberalen, edeln und weiſen Regenten zuwenden. So vernichtete Friedrich der Zweite — wir wollen ihn weder den Großen, noch den Wei - ſen, noch den Einzigen nennen, denn ſelten hat, mit Ausſchluß unſerer jetzigen, von ganz Europa, ja von der ganzen gebildeten Welt vergoͤtterten und angebetenen Mo - narchen, ein Fuͤrſt, der wirklich auf ſolche Beinamen Anſpruch machen koͤnnte, auf einem eu - ropaͤiſchen, geſchweige denn auf einem Koͤniglich - preußiſchen Throne geſeſſen; — ſo, ſage ich, ver - nichtete Friederich der Zweite durch das Niedriger - haͤngen der, wider ihn angeſchlagenen Pasquille in Berlin alle uͤbeln Eindruͤcke, welche die Tabacks - regie, die Auflagen auf oft - und weſtindiſche Waa - ren, und andere ſeiner ſehr laͤſtigen Maaßregeln gegen ihn hervorgebracht hatten. Napoleon wuͤrde wahrſcheinlich jetzt ganz Europa und halb Aſien beherrſchen, und wir wuͤrden in beiden Welttheilen vielleicht eben ſo viel durch ihn mediatiſirte Kaiſer, Koͤnige und Großherzoge, als in Deutſchland me - diatiſirte Fuͤrſten, Grafen und Reichsritter zaͤhlen, wenn er nicht mit tyranniſcher Wuth allen freien Gedanken - und Geiſtesaustauſch haͤtte hemmen, und durch Aufpaſſer, Aufreizer, Schergen, Gens - darmen und Henker der oͤffentlichen Stimme haͤtte gebieten und trotzen wollen. Man nehme dem Menſchen Alles; man laſſe ihm nur das Edelſte,was161was er hat, die Freiheit, ſeine Gedanken und ſeine Gefuͤhle ausſprechen und andern mittheilen, ſeine Thraͤnen ungeſtoͤrt ausweinen zu duͤrfen, ſo wird er das haͤrteſte Tyrannenjoch ertragen, und wohl gar mit ſeiner Geiſtesfreiheit gegen Andere noch prahlen, die Weins und Brods die Fuͤlle haben, aber nie ihre Empfindungen duͤrfen laut werden laſſen.
Wo ein gekroͤnter Automat, nicht Autokrat, mit Fiſche -, Vogel - und Maͤdchenfang ſich die Zeit vertreibt; oder als Zinngießer, Drechsler, Knopf - macher oder Lackfabrikant allen Zinngießern, Drechs - lern, Knopfmachern und Lackfabrikanten ſeines weiten Reichs es zuvor thun will; wo ein Korpo - ral mit dem Scepter die Knoͤpfe an den Weſten und Hoſen ſeiner Soͤldner zaͤhlt, ihnen die Haar - zoͤpfe einflicht, und ihnen wohl gar mit eigenen hohen Haͤnden hinten den Guͤrtel ihrer Beinkleider zuſchnallt; wo die Rechte der Voͤlker nicht durch zweckmaͤßige Verfaſſungen geſichert, und die Men - ſchen wohl von muthwilligen Baſcha’s und Buben zer treten, aber von Keinem ver treten werden; wo das Kriegsheer ſchwoͤren muß, blos fuͤr den Ehrgeiz, die Leidenſchaften und die Launen eines willenloſen oder willkuͤhrlichen Despoten oder Mi - niſters, nicht fuͤr das Beſte und den Schutz des Volks und der Verfaſſung ſein Blut zu vergießen; da draͤngt ſich leicht ein juͤngerer Sohn der KeturaIII. Baͤndchen. 14162ein Richelieu, Mazarin, Louvois oder gar ein — Dubois als Großvezier, Major Domus, erſter Miniſter an das Staatsruder, um Fluch und Un - heil uͤber die ganze Menſchheit zu verbreiten.
Unſeliges Land, wo ein weißer Jude die Rolle der Hand, und der Koͤnig oder Fuͤrſt die Rolle eines Handſchuh ſpielt! Der Thron wird von Maͤtreſſen, von Pfaffen, Schmarotzern und Hof - ſchranzen umlagert ſeyn, denn, wo ein Aas iſt, verſammeln ſich ja gerne die Adler, ſagt unſer Heiland ſchon. Ein Heer unnuͤtzer und muͤßiger, oder blos fuͤr den Fuͤrſten -, Miniſter -, Pfaffen - und Adeldespotismus thaͤtiger Beamten wird mit jenen Hoͤflingen zugleich das Mark des Landes aus - ſaugen; Buͤrger und Bauer werden, dieſer an ſei - nem Pfluge, jener in ſeiner Werkſtaͤtte die Haͤnde fallen laſſen, weil ihnen kein Eigenthum, kein ein - ziges Recht, als das, im Stillen zu ſeufzen und zu — fluchen, uͤbrig bleibt; weil Alles, was ſie erwerben, ja ſie ſelbſt mit ihren Weibern und Kin - dern den hochgebietenden legitimen Herren ge - hoͤren, denen Gott den Erdball mit Allem, was darauf lebet und webet, fliegt und kriecht, zum Erbtheil gab. Zoͤllner und Schinder, Spione und Schergen werden als treue Diener jener Herren in zahlloſen Schaaren gemaͤſtet. Nirgend wird man einen Laut ſchuldloſer Freude, wohl aber das Klirren von Ketten und Waffen, das Seufzen und163 den heimlichen Fluch gequaͤlter menſchlicher Weſen, und das ſchaͤndliche Hohngelaͤchter ihrer großen und kleinen Henker vernehmen. Die Menſchen werden durchaus entſittlicht werden; denn wo Armuth ih - ren Gipfel erreicht, und keine Ausſicht auf recht - lichen Erwerb, keine Hoffnung zum Behalten des Erworbenen vorhanden iſt; wo Despotismus, Pfafferei und weißes Judenthum herrſchen, da ent - fliehen Tugend, Sitte und alle edlern Gefuͤhle, die den Menſchen uͤber das Thier erheben; da wird der Muth - und Kraftvolle am Ende ein wilder gewaltſamer Raͤuber; der Feige und Liſtige ein verſchlagener Dieb oder Bandit, der Muthloſe und Schwache ein veraͤchtlicher Bettler und Lazarone werden. So weit moͤchten Ketura’s Kinder es gerne auf der ganzen Erde gebracht; zu dieſem Stande der Erniedrigung und Entſittlichung moͤch - ten ſie das menſchliche Geſchlecht gerne herabgewuͤr - diget ſehen, um deſto ruhiger in den Armen ihrer Huren ſchwelgen, deſto unbeſorgter, Alles, was Menſch heißt, und nicht Sultan, Baſcha, Pfaffe, Derwiſch oder Spion und Scherge iſt, mit Fuͤßen zertreten zu koͤnnen. Darum eilen ſie denn auch, wo einer ihrer Glaubensgenoſſen die, ſeinen Voͤl - kern beſchworenen Vertraͤge laͤnger nicht halten will, auf Adlerfluͤgeln herbei, um mit ihm, unter Waf - fen - und Kettengeklirr, ein glaͤubiges Col niddre*)M. ſ. dieſer Judenſchule 2. Buch S. 378. und ferner.14 *164anſtimmen, und nach vollbrachter Arbeit, das heißt, nach vollendetem Meineid ein andaͤch - tiges Tedeum ſingen zu koͤnnen. Wo aber ein frommes, geiſtreiches und edles Volk mit viehiſchen, nach Blut unerſaͤttlichen Henkern um ſeine Freiheit, um die unveraͤußerlichſten Rechte des Menſchen ringt; wo Tauſende von Familien auf das Grau - ſamſte niedergemetzelt, ihre bluͤhenden Toͤchter und Soͤhne in die ſchmaͤhlichſte Sklaverei geſchleppt wer - den, um den wildeſten Barbaren, theils zum Opfer der ſchaͤndlichſten Luͤſte, theils als Eunuchen in ihren Harems zu dienen; da ſehen jene verab - ſcheuungswuͤrdigen Soͤhne Ketura’s laͤchelnd und gleichguͤltig das jammervolle Schauſpiel mit an; helfen wohl gar den viehiſchen Wuͤrgern; verleum - den das ungluͤckliche Volk bei ihren edeln Monar - chen und andern Nationen, als eine Horde auf - ruͤhriſcher Rebellen, die man aus diplomatiſchen und politiſchen Gruͤnden muͤſſe umkommen laſſen; und ſuchen ihm jede Huͤlfe, welche andere Voͤlker ihm gerne gewaͤhren moͤchten, zu vereiteln und ab - zuſchneiden! Da ruͤhmen ſie ſich in hochtoͤnenden Phraſen ihrer Liebe zum Frieden, ihrer zaͤrtlichen Sorgfalt fuͤr das Beſte der Menſchheit! O, daß der Himmel einſtuͤrzte, und ſie zerſchmetterte, daß die Erde ſich aufthaͤte, und ſie verſchlaͤnge, wann und wo es ſie giebt oder jemals geben wird, dieſe herz - und gefuͤhlloſen Ungeheuer, dieſe nichtswuͤr - digen Soͤhne Keturas!!
165Schwer wird es ihnen, ſich in Laͤndern, wo die gegenſeitigen Befugniſſe der Voͤlker und der Regenten durch freiſinnige, den Rechten der Menſch - heit gemaͤße Verfaſſungen feſtgeſtellt ſind, und wo uͤberdies noch ein weiſer, mit gehoͤrigem Scharfblick begabter, von Liebe fuͤr ſein Volk gluͤhender Fuͤrſt, ein Wilhelm von Wuͤrtemberg, ein Maxmilian Joſeph von Baiern, ein Ludwig von Heſſendarm - ſtadt an der Spitze ſteht, ſich des Staatsruders zu bemeiſtern. Jn gleichem Grade muͤſſen ſie den Fuͤrſten und das Volk fuͤrchten, vorzuͤglich wenn das letztere rechtliche Vertreter hat, die nicht durch Aemter und Wuͤrden zu beſtechen, deren Muth nicht durch Drohungen zu erſchuͤttern, deren Gewiſſen weder zu verſilbern, noch zu vergolden iſt. Ge - lingt es ihnen ja, ſo haben ſie doppelten Kampf zu beſtehen mit Fuͤrſten und Volk; und nur, wenn der erſtere ſchwach, oder von Ehrgeiz und unge - baͤndigter Herrſchgier verblendet, und das andere leichtſinnig in Hinſicht ſeiner Rechte iſt, nicht gleich bei der erſten Verletzung derſelben ſeine Stimme kuͤhn zum Fuͤrſten erhebt, tragen ſie den Sieg davon.
Ein ſchaͤndlicher Grundſatz weißjuͤdiſcher Di - plomaten war es von jeher, die Gewalt des Re - genten und jene der Nation als zwei feindſelige, einander gegenuͤber ſtehende Kraͤfte darzuſtellen. Fuͤrſt und Volk muͤſſen Eins ſeyn; alle Gewalt des166 erſtern ſtammt von dem letztern her; ohne dieſes iſt Er nichts. Er iſt um des Volkes willen, nicht aber das Volk um ſeinetwillen da. Alle Macht, die ihm gegeben ward, ward ihm vom Volke gegeben und er ſoll ſie zum Beſten, nicht zur Unterdruͤckung deſſelben verwenden. Dafuͤr iſt er der erſte Buͤrger im Staat, und genießt, als ſol - cher, das groͤßte Anſehen und die meiſten Vorzuͤge und Einkuͤnfte. Wo der Fuͤrſt ſein Jntereſſe als geſchieden von dem des Volkes oder wohl gar als demſelben entgegen geſetzt betrachtet; |wo er die Freiheiten der Staatsbuͤrger auf alle Weiſe zu be - ſchraͤnken, ſeine Gewalt immer mehr zu erweitern ſtrebt; wo er den Staat fuͤr einen Marſtall, und die Buͤrger fuͤr ſeine eigenthuͤmlichen Roſſe und Laſtthiere haͤlt, die thun und leiden muͤſſen, was ihm beliebt; wo er ſich als den Grundeigenthuͤmer des Landes mit Allem, was auf und unter der Erde iſt, anſieht; wo nach Ludwig des Vierzehnten Grundſatz: l’ état c’est moi! der Regierende der Staat, der Zweck von Allem, und die Regierten blos Werkzeuge und Mittel ſind, wo man von den letztern begehrt, ſie ſollen als geiſt - und lebloſe Sachen mit ſich ſchalten und walten laſſen, wie es dem durchlauchtigſten Herrſcher gefaͤllt; ſich allen ſeinen Verfuͤgungen und thoͤrichten Einfaͤllen unter - werfen; Vermoͤgen, Blut und Leben hergeben, ohne laut zu fragen: wie? wozu? und warum? ohne167 zu widerſprechen, wenn der Regent Handlungen vornimmt, die der Gerechtigkeit und dem gemein - ſchaftlichen Wohl des Ganzen entgegen ſind; wo der Wille des Fuͤrſten, moͤge er ſo albern und ſchaͤdlich ſeyn, wie er wolle, Geſetzeskraft hat; wo man nicht den Grundſatz anerkennt, ja ihn wohl gar fuͤr ein Majeſtaͤtsverbrechen gegen den gnaͤdig - ſten Herrn zu verſchreien ſucht, daß der Staat eine große Geſellſchaft, der Regent ihr Vorſteher ſey, und daß jedes Mitglied das Recht habe, fuͤr ſein und das allgemeine Beſte zu ſprechen; daß der Fuͤrſt nicht Eigenthuͤmer der Geſellſchaft, daß dieſe nicht ſeinetwegen, ſondern er ihretwegen da ſey, und daß jede Geſellſchaft, wenn ihr Vorſteher uͤber die Schranken der, ihm anvertrauten Befug - niſſe heraustreten will, oder ſeinen Pflichten kein Genuͤge leiſtet, einen oder mehrere andere Vorſte - her waͤhlen und ihn ſeines Amtes entlaſſen koͤnne; wo des elenden Kotzebue’s ſchmarotzender Wahl - ſpruch gilt: wenn das Haupt ſich nur wohl befin - det, dann iſt es immer genug; da iſt der Fuͤrſt ſelbſt, oder auch ſeine Rathgeber ſind weiße Hebraͤer, und er iſt ein elender Dummkopf oder Boͤſewicht, wohl werth eine Heerde Saͤue, aber nicht Millio - nen denkender und vernuͤnftiger Weſen zu leiten.
Nichts gleicht der Ehrſucht und Herrſchgier der Soͤhne Ketura’s! Wer ihrer Willkuͤhr eine Graͤnze zu ſetzen wagt, heißt ihnen ein Empoͤrer, ein Ma -168 jeſtaͤtsverbrecher, ein Ruheſtoͤrer; daher toͤnen ihnen auch die Worte Konſtitution, Verfaſſung, Men - ſchen - und Voͤlkerrechte fuͤrchterlicher, als ihren ſchwarzen Oheimen und Vettern der Ausruf Hep! Hep! Sogar der Schatten einer Verfaſſung iſt ih - nen ein grauenvolles Geſpenſt, welches ſie mit frecher Hand zu vernichten ſtreben, ſelbſt wenn ſie ſeine Erhaltung noch ſo heilig beſchworen haben. Stets ſuchen ſie Mißtrauen und Argwohn bei den Fuͤrſten gegen ihre Voͤlker zu erregen, um ſich und ihre Kreaturen deſto unentbehrlicher zu machen. Jede freie Rede eines muthvollen Mannes iſt bei ihnen das Signal zu einem Aufruhr; jeder Tadel ihrer Handlungen ein Hochverrath. Weislich wie - gen ſie die Koͤnige in ſuͤße Traͤume ein, uͤber den gluͤcklichen Zuſtand der Voͤlker und uͤber die Zufrie - denheit derſelben mit ihrem Schickſale, und moͤchten gerne die ganze Welt uͤberreden, daß alle Thraͤ - nen, die man ſieht, Wonnethraͤnen, daß alle Fluͤ - che und Seufzer Segnungen waͤren. Der Fuͤrſt, der ſich auf Rebhuͤhner - und Maͤdchenjagd und andere Thorheiten und Spielereien beſchraͤnkt, und ihnen ſorglos das Staatsruder hingiebt, heißt bei ihnen ein weiſer Regent, ein Vater ſeiner Unter - thanen, den Welt und Nachwelt vergoͤttern muͤſſen. Unter allen Despotismen iſt Miniſterdespotismus der Menſchheit am verderblichſten. Der despotiſche Fuͤrſt wird, wenn auch nicht aus Liebe fuͤr ſeinVolk,169Volk, doch aus Ehrgeiz das Beſte deſſelben oft noch zu foͤrdern ſuchen; der despotiſche Miniſter hingegen ſorgt nur fuͤr ſein und der Seinigen Wohl; er weiß, wie kurz das Leben der Menſchen iſt, wie wankelhaft die Launen der Fuͤrſten ſind, und wie leicht eine Thronveraͤnderung ihn von ſeinem Platze hinweg und in ſein urſpruͤngliches Nichts zuruͤckſchleudern kann. Darum bemuͤht er ſich bei Zeiten, Schaͤtze zuſammen zu haͤufen, und ſich in ſeiner Wuͤrde durch eine zahlloſe Menge reichbeſol - deter Kreaturen zu befeſtigen; darum laͤßt er nie einen Tadel ſeiner Verwaltung laut werden und zu den Ohren ſeines Gebieters gelangen; darum ſtrebt er ſo eifrig, alle Freiheit der Preſſe und der Gedankenmittheilung zu hemmen. Der weiße He - braͤer fuͤrchtet nicht allein, daß die Voͤlker, ſondern daß auch die Fuͤrſten zu klug werden.
Wehe dem Lande, deſſen Koͤnig ein Kind iſt, und wehe dem Lande, deſſen Koͤnig von einem Sohne Ketura’s ſich leiten laͤßt. Bringt die Na - tion fuͤr die Erhaltung des Throns die unerſchwing - lichſten und blutigſten Opfer dar, ſo wird der Miniſterjude ſich den Ruhm, Regenten und Volk durch ſeine Weisheit, durch ſeine feine Politik vom Untergange gerettet zu haben, allein anmaßen, um dafuͤr mit — fuͤr ſtlichen Wuͤrden und fuͤrſtli - chen Schaͤtzen auf Koſten der ungluͤcklichen, von Schulden, Auflagen und Abgaben erdruͤckten Un -III. Baͤndchen. 15170terthanen belohnt zu werden. So verſchlingt Abra - hams weißer, geld - und ehrſuͤchtiger Saame oft die Einkuͤnfte ganzer Provinzen, waͤhrend Wittwen und Waiſen der tapfern Krieger, die Blut und Leben muthvoll und freudig fuͤr Fuͤrſten und Vater - land hingaben, kaum ihren Hunger ſtillen, kaum ihre abgezehrten Glieder mit erenden Lumpen be - decken koͤnnen. Selbſt dem, um Frankreich mehr, als faſt irgend ein anderer Miniſter verdienten Sully werfen ſogar ſeine Verehrer vor, daß er von Hein - rich dem Vierten ungeheure Geſchenke ſich machen ließ, als dieſer Koͤnig zwar viele Huͤhnchen im Bette, aber ſeine Bauern und Buͤrger noch kein einziges im Topfe hatten.
Wo ein weißjuͤdiſcher Plusmacher den Finanz - miniſter, ein weißjuͤdiſcher Raͤnkeſchmied den Juſtiz - und Polizeiminiſter ſpielt, wo ihnen gleich geſinnte Staatsraͤthe die Haͤnde bieten, wo keine Verfaſſung das Eigenthum und die Rechte der Menſchen ſichert; und ein tiefverſchuldeter Großvezier, der nur durch fuͤrſtliche Dotationen von ſchmaͤhlichem Bankerott ſich retten kann, an der Spitze ſteht; da iſt auch der bluͤhendſte Staat bald an den Rand des Abgrunds gebracht; da werden Ackerbau, Ge - werbe und Handel durch Erpreſſungen und Steu - ern, durch Schaaren von Zoͤllnern und Spaͤhern vernichtet; ſtatt der Kaufhaͤuſer und Werkſtaͤtten wird man Zucht - und Armenhaͤuſer, ſtatt rechtli -271 cher Buͤrger und Handwerker ſchwarze und weiße wuchernde Juden und lumpige Bettler, ſtatt froher arbeitſamer Bauern Heere ſchlecht beſoldeter, ſchlecht gekleideter und noch ſchlechter behandelter Krieger wahrnehmen, die blos da ſind, um den Unwilleu ihrer in druͤckendes Sklavenjoch geſchmiedeten Vaͤ - ter, Bruͤder und Verwandten, im Zaume zu hal - ten, oder einem elenden Despoten zum Puppenſpiel und Zeitvertreibe zu dienen. Man wird eine Menge von Auflagen erfinden, die angeblich zu ſehr guten und nuͤtzlichen Zwecken, zu Befoͤrderung der Wiſ - ſenſchaften, Kuͤnſte und Gewerbe, zu Verbeſſerung der Heerſtraßen, der Bruͤcken und des Armenwe - ſens ꝛc. beſtimmt ſind. Forſcht man aber nach, ſo wird man leider, erfahren, daß von all’ dem Gelde, was man den armen Unterthanen abgelo - gen und abgewuchert hat, nichts fuͤr das allge - meine Beſte verwandt iſt, ſondern daß man Alles oder doch das Meiſte mit Schmarotzern, Hofſchran - zen, Huren und Pfaffen, auf Luſtreiſen, in Baͤ - dern und an Farobanken verſchwelgt und durchge - bracht hat. Selbſt die aͤrmlichen Penſionen, die man verdienten Kriegern und Beamten oder ihren Wittwen und Waiſen gab, wird man ihnen ent - reißen und einziehen, um faule Kammerherren und hochadliche Buhldirnen und Zofen deſto beſſer maͤ - ſten zu koͤnnen. Die Miniſter werden reich, und der Fuͤrſt und ſeine ungluͤcklichen Unterthanen wer -15 *172den arm werden. Durch Kabinetsbefehle wird man die Gerechtigkeitspflege in eine Pflege der Unge - rechtigkeit verwandeln, wegen erdichteter Verſchwoͤ - rungsentwuͤrfe die rechtlichſten Maͤnner in Ketten und Banden, und wohl gar auf das Blutgeruͤſt bringen; durch Mangins und Woͤlfels wird man Unzufriedene aufreizen, ihr Mißvergnuͤgen laut werden zu laſſen, um ſie dann unter dem Schein des Rechts auf die Seite zu ſchaffen.
Keine Grauſamkeit, die Tyrannen ſich jemals erlaubten, iſt ſchaͤndlicher, als Einmiſchung in die Gerichtspflege. Wo der Richter nicht nach dem Geſetz und ſeinem Gewiſſen, ſondern nach dem Willen des Fuͤrſten oder Miniſters urtheilen, der Sachwalter nicht frei und ohne Furcht das Recht ſeiner Parthei vertheidigen darf; da iſt der Staat als aufgeloͤst zu betrachten und der Buͤrger nicht mehr zum Gehorſam gegen den Machthaber ver - pflichtet, denn wo der Fuͤrſt nicht die Rechte des Menſchen achtet, da ſind ſeine Unterthanen nicht laͤnger verbunden, ihn auf dem Throne zu dulden. Der Zweck jedes Staats iſt Sicherung der Rechte ſeiner Mitglieder; wenn man dieſen Zweck ver - kennt und aus den Augen ſetzt, ſo hoͤren auch die Verbindlichkeiten Aller gegen den Einzelnen und des Einzelnen gegen Alle auf, und Jeder tritt in den Stand der Natur zuruͤck. Ob dieſer nicht haͤu - fig beſſer und wuͤnſchenswerther, als das Leben in173 einem despotiſch-regierten Staat ſey; iſt eine Frage. Man ſagt freilich: auch in dem despoti - ſchen Staat ſind den Einwohnern Leben und Ruhe geſichert. Guter Gott, was helfen Leben und Ruhe dem, der keiner Guͤter des Lebens, keiner Rechte frei ſich erfreuen darf; der jeden Augenblick fuͤrchten muß, von argwoͤhniſchen, willkuͤhrlichen Herrſchern eingekerkert, oder gar zur ewigen Ruhe befoͤrdert zu werden?
Doch genug und nicht zu viel, von weißjuͤdi - ſchen Großvezieren! Danken wir Gott, daß wir in einem Zeitalter leben, wo das Meiſte, was wir von ihnen wiſſen, zu den Sagen der Vorzeit gehoͤrt.
Jn der Rolle von Geſandten, Geſchaͤftstraͤ - gern (Chargés d’ Affaires), Conſulen laͤßt ſich Abrahams weißer Saame gleichfalls haͤufig erblik - ken. Viele, ich moͤchte faſt ſagen, die Mehrzahl der Geſandten ſind Spionen ihrer Hoͤfe und Re - gierungen; andere werden blos geſandt, um ihren Herren auch im Auslande Ehre und unnuͤtze Koſten zu machen; dem Fuͤrſten, an den ſie geſchickt ſind, zu ſeinen ehelichen und außerehelichen Freuden be - huͤlflich zu ſeyn und Gluͤck zu wuͤnſchen, mit ihm von Rehen, Haſen, Fuͤchſen, Maͤdchen und Wei - bern zu ſchwatzen, und ſich in die Raͤnke und Jn - triguen der Hofſchranzen zu miſchen, um nach ihrer Heimkehr ihrem durchlauchtigſten Gebieter174 etwas erzaͤhlen und die Langeweile vertreiben zu koͤnnen*)Einen Geſandten der letztern Art lernte ich in der Perſon eines Herrn Baron von M — g kennen. Nach dreißig Jahren ſprach er von dem Gegenſtande ſeiner Miſſion noch immer, als von dem wichtig - ſten Staatsgeheimniſſe und gewoͤhnlich nur leiſe, obgleich Jedermann wußte, daß ſein Oheim, der erſter Miniſter des Fuͤrſten war, ihn blos als Ge - ſandten fortgeſchickt hatte, um ihm mit Ehren einen großen Jahrgehalt zur Tilgung ſeiner Schulden zu - wenden zu koͤnnen, und daß man ihn an dem frem - den Hofe blos zum Harlekin und Kuppler gebraucht hatte. Um ſolche Wichte fuͤttern zu koͤnnen, muͤſſen Wittwen und Waiſen oft ihren letzten Biſſen Brods hergeben, und ganze Familien vor Hunger und Kaͤlte umkommen..
Es ſteht keiner Regierung zu verdenken, von den geheimen Maßregeln anderer Staaten, die ihr nachtheilig werden koͤnnen, ſich auf rechtlichem Wege Kenntniß zu verſchaffen. Wenn aber der Geſandte ſtatt mit Wuͤrde ſeine Geſchaͤfte zu ver - richten, allenthalben den argwoͤhniſchen Spaͤher und Aufpaſſer macht; wenn er ſchlecht genug denkt, durch Beſtechungen und Verheißungen fremde Be - amten zum Verrath und zum Meineid gegen ihre Nation und ihre Obern zu verleiten; wenn er dem Fuͤrſten, an deſſen Hofe er ſteht, Mißtrauen gegen ſein Volk und ſeine Nachbaren einfloͤßt; wenn er175 ſich in die innern Angelegenheiten bei jeder Gele - genheit miſcht; wenn er ſtatt liberale Einrichtungen und Anordnungen gut zu heißen, dem Regenten anraͤth, ſeinen Unterthanen ihre Freiheiten zu be - ſchraͤnken oder wohl gar zu entreißen; wenn er durch Geld und Beſtechungen Queſada’s, Trappi - ſten und Merino’s gegen ihre rechtmaͤßige Obrigkeit, das heißt, gegen die Nation aufhetzt, und blutige Buͤrgerkriege veranlaßt; wenn er ſeine Landsleute, die wegen politiſcher oder anderer Anſichten ihr Vaterland verließen, und unter einer fremden Re - gierung Schutz und Sicherheit ſuchten, bei der letztern verdaͤchtigt und anſchwaͤrzt; dann handelt er als gemeiner Spion und Judas, und entehrt durch ſein Treiben den Fuͤrſten, deſſen Jntereſſe er beſorgen ſoll.
Jn konſtitutionellen Staaten, wo die Voͤlker durch Staͤnde oder beſſer durch Abgeordnete vertre - ten werden, treiben Ketura’s Kinder oft ein noch heilloſeres Spiel, als ſelbſt in Despotien. Die Geſchichten Frankreichs und Englands haben uns unzaͤhliche Beiſpiele geliefert, daß ſogenannte Volksvertreter faſt eben ſo ſehr und mehr, als die Koͤnige und Miniſter ſich bemuͤhten, die Rechte der Nationen zu zertreten, und unbe - ſchraͤnkte Willkuͤhr geltend zu machen. Wo die Mehrzahl der Volksabgeordneten um die Gunſt des Machthabers und Miniſters, und nicht um den176 Beifall und die Zufriedenheit ihrer Mitbuͤrger ſich bewirbt; wo man freiſinnige, fuͤr das Wohl ihres Vaterlandes arbeitende Maͤnner mit frecher Stirne der Empoͤrung und aufruͤhriſcher Abſichten beſchul - digen und anklagen darf, und gar noch wohl mit Geſchenken und Ehrenſtellen dafuͤr belohnt wird; wo die Miniſter die Wahlen der ſogenannten De - putirten des Volkes leiten, und durch alle Kuͤnſte der Beſtechung, ja ſelbſt durch Drohungen ihre Schmarotzer und Kreaturen in die Reihen der Volksvertreter einſchieben; da iſt die Charte oder Verfaſſung nur noch ein Schatten, ein Blendwerk, womit man das ungluͤckliche geaͤffte Volk zu taͤu - ſchen und zu betruͤgen ſucht. Der Machthaber, der ſogar ſchlecht genug iſt, ſelbſt die, ihrer Pflicht noch getreuen Abgeordneten ſeines Volks durch Drohungen und Strafen einzuſchuͤchtern, oder durch Belohnungen ſie zu verleiten, die beſchworne Ver - faſſung umſtuͤrzen zu helfen, und dem Umſturz ſchweigend mit zuzuſehen, handelt, und wenn ihn auch die ganze Welt den allerchriſtlichſten Mann auf Erden nennte, weit ſchaͤndlicher, weit gewiſ - ſenloſer, als der unumſchraͤnkte Despot, als ein Nero oder Tiberius, der vom Chriſtenthum nichts weiß, ſich durch keine Vertraͤge, durch keine Eide verpflichtet hat, und als wilder Tiger ſeine Macht zur Qual und Unterdruͤckung ſeiner Unterthanen mißbraucht. Aber ſchrecklich iſt das Erwachen der177 Voͤlker, wenn ſie einmal durch den geſpenſtiſchen Schatten ihrer Verfaſſung geweckt und an die ih - nen geraubten Rechte erinnert werden. Grauſam iſt die Rache, die uͤber die meineidigen Gewalt - haber und die treuloſen Volksvertreter ergeht, die um Geld, um Ehrenſtellen oder gar wohl aus Feigheit ganze Nationen auf Jahrhunderte lang in Ketten zu ſchmieden verſuchten. Noch lebt das Andenken Karls des Erſten in der Geſchichte; moͤchte es von allen, die nach unbegraͤnzter Macht ſtre - ben, und die Rechte der Menſchheit hoͤhnend mit Fuͤßen treten wollen, beherziget werden! Moͤchten die Fuͤrſten immer bedenken, daß nicht unbegraͤnzte Willkuͤhr ihnen die Liebe, wohl aber den Haß der Voͤlker erwirbt; daß Pfaffen, Schergen, Spione und Henker eine ſehr ſchwache und entehrende Leib - wache fuͤr Koͤnige ſind; daß der gute und konſtitu - tionelle Regent ſicherer ohne Begleitung in der Mitte ſeiner Buͤrger einhergeht, als der ſchlimme und willkuͤhrliche, der ſich mit Tauſenden von Krie - gern umgiebt, um ſich gegen die wohlverdiente Rache ſeiner von ihm gequaͤlten Sklaven zu ſchuͤtzen!
Man ſollte nicht ſo viel klagen uͤber den boͤ - ſen, unruhigen Geiſt unſerer Zeit. Die Voͤlker178 ſind recht gut, wenn nur ihre Fuͤrſten etwas tau - gen. Der Geiſt der Zeit iſt gleichfalls kein Sam - mael, kein Beelzebub, den man durch Biſchoͤfe und Pfaffen muͤßte austreiben laſſen. Es iſt noch der - ſelbe Geiſt, der 1812 und 1813 die Voͤlker beſeelte, daß ſie freudig die groͤßten, die blutigſten Opfer darbrachten, um ſich vom Despotismus zu befreien und ihren Fuͤrſten die bedrohten und erſchuͤtterten Throne zu ſichern, die entriſſenen ihnen wieder zu erkaͤmpfen. Wenn aber dieſe Voͤlker an manchen Orten ſehen und fuͤhlen muͤſſen, daß die meiſten jener Opfer umſonſt gebracht wurden; daß man von Allem, was man verſprochen, nichts zu erfuͤl - len gedenkt; daß der Druck in vielen Laͤndern haͤr - ter und unertraͤglicher geworden iſt, als er fruͤ - herhin war; daß man zu jedem Pfunde der alten Laſten noch einen Centner neuer hinzugefuͤgt hat; dann werden ſie unmuthig und mißvergnuͤgt; dann zuͤrnen ſie laut und mit Recht, daß man ſie ſo juͤdiſch betrogen, dann fluchen ſie, Rache ſchwoͤrend, ihren unſinnigen Henkern, und knirſchen, dort wo die Sprache verboten iſt, heimlich mit den Zaͤhnen, welches, wie geſagt, weit gefaͤhrlicher iſt, als die laute, ernſte Stimme eines oder mehrerer muth - voller Maͤnner.
Schwer werden dereinſt vor dem Koͤnige, » welcher die Koͤnige waͤgt, « die Fuͤrſtenerzieher das Blut und die Thraͤnen ver -179 antworten muͤſſen, welche durch ihre Zoͤglinge aus - gepreßt ſind. Selten findet man einen Fenelon oder einen Engel, und wo man ſie auch hin und wieder einmal trifft, zerſtoͤrt ein Villeroi*)C’ etait le Marechal de Villeroi, qui de - vait à la Marquise de Maintenon l’ oubli de ses fautes déshonorantes et des folies de son orgueil; homme frivole et arrogant, également déplacé à la tête et des conseils et des armées, presomptueux et incapable, enflé du vent de la faveur, superficiel en toutes choses avec un grand air d’ assu - rance, mais souple et amusant dans sa futilité, complaisant de Louis XIV, qui l’avait crû propre á lui gagner des batail - les, parcequ’il savait le flatter; depuis cor - rupteur de Louis XV, qu’ il aurait voulu rendre orgueilleux comme lui, et auquel, dans son tendre enſance, il disait ces mots si remarquables par leur bassesse, en lui montrant du haut des Tuileries une mul - titude innombrable assemblée dans le jar - din: Voyez, mon maitre, voyez ce peuple; tout cela est à Vous; Vous etes le maitre de tous cela. Oeuvres posthumes de Marmontel, (Regence du Duc d’ Orle - ans) Tome I. p. 51 et 52. Par. 1805. 8. oder gar wohl ein — Diericke das Gute, welches ſie ſtifteten. Wenn das Prinzchen noch in den Win - deln liegt, iſt in der Regel alles Ungeziefer, was in der Hofluft ſo uͤppig gedeihet oder gerne gedei - hen moͤchte, gleich den Koͤnigen aus dem Mohren -180 lande bemuͤht, dem Kindlein Gold, Weihrauch und Myrrhen darzubringen. Miniſter und Marſchaͤlle, Kammerherren und Guͤnſtlinge, Beichtvaͤter und Zofen ſtehen da ehrfurchtsvoll, und erheben die ſalomoniſche Weisheit des allerdurchlauchtigſten Va - ters, die himmliſche Schoͤnheit der allergnaͤdigſten Mutter, den herriſchen Muth ſeiner allertapferſten, aber laͤngſt verfluchten und verſpotteten Ahnherren, die ſich bereits in allen Zuͤgen des kleinen neuge - bornen Kalibans ausſprechen; feile Dichter beſingen in dem, kaum aus der Taufe gehobenen Saͤugling den kuͤnftigen Titus, Nerva, Mark Aurel, obgleich es noch ſehr ungewiß iſt, ob er nicht ein wuͤthen - der Nero oder ein einfaͤltiger grauſamer Claudius werden, ob er ſich nicht mit dem Hohn, dem Ab - ſcheu und der Verachtung ſeiner Zeitgenoſſen und der Nachwelt brandmarken wird. Ja, ſelbſt Ver - treter der Voͤlker ſieht man haͤufig mit ſklaviſcher Ehrfurcht, ihre Pflichten und ihre Wuͤrde vergeſ - ſend, die Wiege eines ſolchen Fuͤrſtenbuben demuths - voll umringen, um ihm die kleine Tigerklaue zu lecken, womit er dereinſt ihnen und der ganzen Menſchheit die blutigſten Wunden reißen und kraz - zen wird. Tyrannen haben Sklaven gemacht und ſind von den Sklaven verewigt worden! ſagt Rouſſeau; und er hat Recht. Haͤtte man der Ge - walt und Herrſchgier des Despoten immer und zur rechten Zeit Gewalt und Trotz, und Verachtung181 ihren Drohungen entgegen geſetzt; haͤtte man ſtatt aus kindiſchreligioͤſem Aberglauben oder aus Furcht ihren Befehlen zu gehorchen; ſtatt aus Eigennutz oder aus Feigheit ihren Launen zu ſchmeicheln, ſie verlacht und ihnen Hohn geſprochen, ſo wuͤrde die Weltgeſchichte nie mit ſo vielen und ſchrecklichen Blut - uud Greuelſcenen befleckt worden ſeyn. Wer muß nicht voll Zorn und Unwillen das Heer jener nichtswuͤrdigen Zeitungsſchreiber verwuͤnſchen, die von allem, was ein neugebornes Fuͤrſtenſoͤhnchen, ein Koͤnig von Rom oder ein Herzog von Bordeaux in der Wiege gemacht — oder was man mit ihm gethan hat, ſo getreu, als waͤren es die wichtig - ſten Staatsaktionen, als hienge das Gluͤck und die Ruhe der ganzen Welt davon ab, den umſtaͤnd - lichſten, oft eckelhafteſten Bericht erſtatten? Was kuͤmmert die Nationen es, ob der Sohn eines Koͤnigs mit ſeiner Amme ſpatzieren gefahren, wann er ſeine erſten Hoͤschen bekommen, ob er in den Windeln zum Großmeiſter eines Ordens, oder auf dem Steckenpferde zum General eines Kavallerie - regiments von ſeinem albernen Vater ernannt worden iſt? Wie koͤnnen die Furſten es dulden, daß ihre Herolde durch offizielle Nachrichten der Art die Achtung verletzen, welche man den Voͤlkern und der Stufe geiſtiger Bildung ſchuldig iſt, auf welcher wir uns Gottlob befinden? Daß man offiziel der Vernunft großer einſichts - und geiſt -182 voller Nationen Hohn ſprechen, und das Andenken an ihre Regenten bei der Nachwelt beſchimpfen darf? Wahrlich, wir muͤſſen in der Seele man - ches Fuͤrſten vor unſern Nachkommen erroͤthen, de - nen etwa eine oder mehrere jener offiziellen Zeitungen vor Augen kommen ſollten. Und was ſoll das fuͤrſtliche Buͤbchen, wenn es einſt leſen kann, und alle die Herrlichkeiten erfaͤhrt, die man von ſeiner kleinen, erhabenen Perſon, als es noch in den Windeln lag, der Welt ſchon mitgetheilt hat, was ſoll es nicht von ſeiner Wichtigkeit fuͤr Begriffe erlangen? Es muß ja ſo aufgeblaſen von Hochmuth und Verachtung gegen die Menſchen wer - den, daß es noch vor der Zeit zerplatzt, wie der Drache zu Babel vom ſiedenden Pech!
Fruͤh ſollte man dem jungen Fuͤrſtenſohn die, manchen Herrſchern ganz unbegreiflichen Wahrhei - ten einpraͤgen, daß alle Macht des Regenten vom Volke herſtammt; daß er um des letztern, und dieſes nicht um ſeinetwillen da ſey; daß man die Voͤlker nicht als Heerden von Schafen betrachten muͤſſe, die blos zum Schlachten und Scheeren be - ſtimmt ſind; daß ſie vielmehr die volle und unver - aͤußerliche Befugniß haben, eine von ihnen uͤber - tragene, von ihrem Vorſteher gemißbrauchte Gewalt zuruͤck zu nehmen; daß ſie nicht als vernuͤnftige und denkende Weſen, gleich einem Marſtall voll Pferde oder einem Hauſe voll lebloſer Moͤbeln vom183 Vater auf den Sohn vererbt, als Heirathsgut mitgegeben, oder an einen Fremden verſchachert werden koͤnnen, ſondern daß ſie erſt mittelſt der Huldigung dem Thronfolger die Erlaubniß und das Recht ertheilen, den Thron ſeines Vorfahren zu beſteigen; daß man die Stimme der Voͤlker nicht gewaltſam erdruͤcken, ſondern gerne und willig hoͤ - ren und ihr folgen muͤſſe, weil ſie beſſer, als der Regierende wiſſen und fuͤhlen koͤnnen, was zu ih - rem Gluͤcke nothwendig, was demſelben hinderlich iſt.
Beſonders ſollte man zeitig den Thronfolger nicht als Gebieter und Herrſcher, ſondern als Menſch empfinden und fuͤhlen lehren. Man ſollte ihn haͤufig in die Huͤtten der Armen und Duͤrfti - gen fuͤhren; ihm oft es bemerken, wie Tauſende von Familien ſo Manches opfern, wie ſie oft die erſten und nothwendigſten Beduͤrfniſſe ſich verſagen muͤſſen, damit er in Pracht und Ueberfluß leben koͤnne; und wie ſehr er zur Dankbarkeit verpflich - tet und verbunden ſey, fuͤr die Befoͤrderung des oͤffentlichen Gluͤcks und den Erſatz der ihm gebrach - ten Opfer zu ſorgen. Man ſollte ihn auch fruͤhe bekannt machen, nicht mit Rehe -, Zofen - und Schnepfenjagd; nicht mit Faro - und Chombreſpiel, ſondern mit den gegenſeitigen Verhaͤltniſſen der ver - ſchiedenen Volksklaſſen und Gewerbe; ihm zeigen, wie Eins auf das Andere vortheilhaft oder nach -184 theilig einwirkt, und was dem Aufkommen eines Jeden hinderlich und foͤrderlich ſeyn koͤnne. Nie ſollte man mit einem jungen, zum Regenten be - ſtimmten Prinzen die Geſchichte Alexanders des Macedoniers leſen, nie ihm die Thaten großer Er - oberer als Beiſpiele der Nachahmung aufſtellen; ſie haben ſchon manchen Despoten verleitet, die Welt mit Blut und Thraͤnen zu fuͤllen, und ſein Land ſelbſt in Elend und Jammer zu ſtuͤrzen. Jch kenne keine beſſern Buͤcher fuͤr einen jungen Fuͤrſten, als Rouſſeaus Werk vom Geſellſchaftsvertrage, Pay - ne’s Rechte der Menſchen, und Engels Fuͤrſten - ſpiegel. Außerdem ſollte man alle Erbprinzen recht fleißig Marmontels Geſchichte der Regentſchaft des Herzogs von Orleans, Rabaut, Lacretelle’s, Pruͤd - homme’s Schriften uͤber die franzoͤſiſche Revolution und aͤhnliche Werke ſtudieren laſſen; ſie wuͤrden ſich dadurch an Grundſaͤtze und Anſichten gewoͤhnen, die in der Hofluft ſehr fremdartig; fuͤr ihre kuͤnftigen Untergebenen aber aͤußerſt heilſam ſeyn duͤrften.
Lord Holderneſſe ließ als Erzieher des jetzigen Koͤnigs von England und ſeiner aͤltern Bruͤder ih - nen zu Kew ein Stuͤck Land geben, welches ſie ſelbſt bearbeiten, mit Waitzen beſaͤen und dieſen eigenhaͤndig zu Brod verbacken mußten*)Schloͤzers Briefwechſel Theil 5, Heft 28. Nr. 37.. Deredle185edle Lord hat uns bekanntlich zwar keine Meiſter - ſtuͤcke ſeiner Paͤdagogik hinterlaſſen; wenn aber die koͤrperliche Arbeit, welche man einem jungen Prin - zen auferlegt, nicht bloße Spielerei iſt, und man ihm es begreiflich macht, wie ſchwer es ſey, im Schweiße ſeines Angeſichts ſein Brod zu eſſen, und wie ſchaͤndlich, wie unverantwortlich derjenige han - delt, der dem fleißigen, huͤlfloſen Armen die Fruͤchte ſeiner Arbeit entreißt, um ſie in uͤppiger Luſt zu verſchwelgen; dann kann eine ſolche prak - tiſche Lehre einem Prinzen und noch mehr in der Zukunft ſeinem Volke ſehr nuͤtzlich werden.
Ueberhaupt ſollte man junge Fuͤrſten fruͤher an das Gehorchen, als an das Gebieten gewoͤhnen. Wo ihnen ſchon in der Kindheit das despotiſche Prinzip eingepraͤgt wird, da ſetzt man fuͤr die Folge ihre Koͤpfe und ihre Kronen wahrlich in die groͤßte Gefahr. Jenes Prinzip paßte wohl fuͤr die grauen Jahrhunderte, wo die Menſchen noch Thiere wa - ren; es mag auch noch paſſen fuͤr orientaliſche Barbaren, fuͤr Tataren, Kalmuͤcken, Baſchkiren, Koſacken, Wallachen, die bloße Thiermenſchen ſind, und ſich mit dem Stourdza oder Kantſchuh regieren oder beherrſchen laſſen; nur nicht fuͤr gebildete Na - tionen, die durch tauſendfache Verletzung der Rechte des Menſchen zur Erkenntniß dieſer Rechte gefuͤhrt wurden; ſie mit einer, dem Despotismus ſehr un - guͤnſtigen Klarheit entwickelt, und uͤberall, wennIII. Baͤndchen. 16186gleich nicht immer in der Praxis, doch in der Theorie verbreitet und geltend gemacht haben.
Man muß den jungen Fuͤrſtenſoͤhnen auf allen Wegen und Stegen es zurufen: daß die Staats - buͤrger nicht Unterthanen des Regenten*)Laͤcheln mußte ich, als ich vor etwa zwanzig Jah - ren in oͤffentlichen Blaͤttern die Antwort einer jungen, kaum ſechzehnjaͤhrigen Fuͤrſtentochter las, welche ſie den Abgeordneten ihrer kleinen Reſidenz auf den Gluͤckwunſch zu ihrer Vermaͤhlung ertheilte: „ Unſere Unterthanen koͤnnen ſich auf Unſere Gnade und Weisheit verlaſſen. ‟ Jetzt iſt ihr Laͤndchen mediatiſirt, und von ihrer Weisheit iſt niemals die Rede geweſen. Daſſelbe ſagte einſt der Schwachkopf Ludwig XVI. zu einer Deputation der National - verſammlung. Bald nachher endete er auf dem Blutgeruͤſt., ſondern Unterthanen der Geſetze ſind, welche die Staats - geſellſchaft zur Befoͤrderung ihres gemeinſamen Wohls angenommen hat; und daß die Vorſteher dieſer Geſellſchaft, die erſten, die am meiſten ver - pflichteten Unterthanen der Geſetze ſind; man muß es ihnen einpraͤgen durch Wort und That, daß in einer gebildeten Geſellſchaft kein Einzelner, der uͤberdies noch vielleicht an Einſicht, Kenntniß, Er - fahrung allen uͤbrigen oder doch den meiſten Mit - gliedern weit nachſteht, ſich das Recht anmaßen koͤnne, den letztern willkuͤhrlich vorzuſchreiben, nach welchen Geſetzen ſie handeln ſollen, und nach wel -187 chen Normen er ſie regieren wolle. Die Geſetze ſind nicht um des Einzelnen, nicht um des Regie - renden willen, ſondern zum allgemeinen Beſten der Geſellſchaft da. Deshalb muͤſſen ſie auch von die - ſer gegeben und vorgeſchrieben werden, wie es ihr Beſtes erfodert; nicht von dem Vorſteher, wie er es ſeiner Willkuͤhr, ſeinen Launen, ſeinen Leiden - ſchaften erſprießlich und zutraͤglich findet. Er kann, von dem Standpunkte aus, auf welchem er ſteht, nicht ſo gut beurtheilen, und wenn er gleich ein Salomo waͤre, was den einzelnen Klaſſen und dem Ganzen nuͤtzlich und vortheilhaft ſeyn, was ihnen ſchaden koͤnne, als die Geſellſchaft, deren Vorſteher er iſt, ſelbſt es vermag. Darum muß er — wenn er anders nicht von Wahn und despotiſcher Will - kuͤhr verblendet, wenn er kein Tyrann iſt — die Stimmen der einzelnen Klaſſen und der ganzen Geſellſchaft vernehmen, und ſich auf die Vollziehung ihrer Beſchluͤſſe beſchraͤnken. Doch muß das Recht dergleichen Beſchluͤſſe zu faſſen, nie auf gewiſſe erbliche Kaſten, auf Familien und auf Erdſchollen beſchraͤnkt ſeyn; jeder Staatsbuͤrger muß die Be - fugniß haben, fuͤr ſein Beſtes zu ſprechen, oder durch ſeinen Vertreter ſprechen zu laſſen; ſonſt iſt er kein Staatsbuͤrger mehr, ſondern ein elender Sklave fremder Willkuͤhr.
Ein Fuͤrſtenerzieher, der als erſter Kammer - diener oder Lakai demuthsvoll hinter dem Stuhle16 *188ſeines jungen Zoͤglings lauſcht; jeden unklugen und thoͤrichten Bubenſtreich des letztern beifaͤllig belaͤ - chelt; ihm es taͤglich mit tauſend Kratzfuͤſſen vor - ſchwatzt, daß er nach ſeines durchlauchtigſten Herrn Vaters Tode legitimer Erbe und Eigenthuͤmer vieler tauſend Seelen und Koͤpfe werde, uͤber die er nach Willkuͤhr hie zeitlich und dort ewiglich ſchalten und walten koͤnne; daß Geburt und Macht, nicht Verſtand, Tugend und Faͤhigkeit, ein Recht geben, uͤber andere Menſchen zu herrſchen; daß der Fuͤrſt die Quelle aller oͤffentlichen, buͤrgerlichen und kriegeriſchen Gewalt ſey, und daß dieſe keines - wegs vom Volke ausgehe; daß Jeder, der den al - bernen und verruͤckten Einbildungen eines Fuͤrſten widerſpricht, ein Majeſtaͤtsverbrecher und Hoch - verraͤther ſey; daß Gott die Erde blos der Heilig - keiten, Majeſtaͤten, Koͤniglichen Hoheiten, Durch - lauchten, Eminenzen und Excellenzen halber gemacht habe, und daß alle uͤbrige Menſchen nur zum Laſt - tragen, zum Arbeiten, zum Dulden erſchaffen worden; daß der Regent Alles durch Gottes Gna - den, und nichts durch des Volkes Gnade oder durch die Verfaſſung des Staats ſey; daß die oͤf - fentlichen Einkuͤnfte nicht zur Verwendung fuͤr das Beſte der Staatsbuͤrger, ſondern blos fuͤr die Be - friedigung der Launen und Geluͤſte des Fuͤrſten erhoben werden; daß dieſer mit dem Leben, dem Blut und Vermoͤgen der Einwohner machen duͤrfe,189 was ihm beliebt; daß er das Recht habe, jeden ehrlichen Buͤrger und Bauer nach Gutduͤnken zu hudeln, zu plagen und zu ſchimpfen; daß jedes huͤbſche Weib, jedes ſchoͤne Maͤdchen, welches ſei - nen Augen wohlgefaͤllt, ſein rechtmaͤßiges (legiti - mes) Eigenthum ſey; daß der Regent nicht allein uͤber die Leiber, ſondern auch uͤber die Geiſter der Staatsbuͤrger (ſeiner Unterthanen) gebieten, und ihnen befehlen koͤnne, was ſie glauben, den - ken, beten, ſchreiben, ſprechen, loben, tadeln, lieben, haſſen und verachten, ja gar, was ſie eſſen und nicht eſſen, und wie ſie ſich kleiden und nicht kleiden ſollen*)Wer ſollte es ſich vielleicht nach fuͤnfzig Jahren vorſtellen, daß ein alter, veraͤchtlicher Fuchs - und Hurenjaͤger in Europa allen Beamten in ſeinem kleinen, kaum zehntauſend Schritte langen und fuͤnf - tauſend Schritte breiten Laͤndchen im Jahr 1822 bei Strafe der Abſetzung und Einziehung ihrer Gehalte und Penſionen verbot: „ nichts uͤber politiſche Angele - genheiten und uͤber Gegenſtaͤnde zu ſchreiben (war - um nicht auch zu denken?) ‟, die vor irgend einer Gerichtsbehoͤrde ſeines Fuͤrſtenthuͤmchens verhandelt worden. Gottlob, daß dieſer elende Wicht kein Koͤnigreich und kein Kaiſerthum beſitzt.; daß die Fuͤrſten Stellvertreter Gottes auf Erden ſind, und daß, was ſie und die Pfaffen hienieden heilig nennen, auch dort oben fuͤr heilig werde erkannt werden; daß die Regenten nur Rechte, die Voͤlker blos Pflichten haben; ein190 ſolcher Fuͤrſtenerzieher, der dieſe und aͤhnliche Leh - ren ſeinem Zoͤglinge eintrichtern und ſie in ihm be - feſtigen kann; der ſtatt verdienter Verweiſe ihm Lobſpruͤche ertheilt; ſtatt ſich mit Unwillen von ſei - nen Bubenſtuͤcken hinweg zu wenden, oder ihm, wenn er es darf, dafuͤr den legitimen Ruͤcken zu ſalben, ihm noch wohl gar zur Ausuͤbung und Bemaͤntelung derſelben behuͤlflich iſt; ein ſolcher Prinzenerzieher, ſage ich, iſt ein Judas, ein Ver - raͤther an den heiligſten Rechten der Menſchheit und verdient mit Ahitophels Strick an Hamans Galgen geknuͤpft zu werden.
Jch breche hier ab, weil ich fuͤrchte, manchen Leſern zu langweilig zu werden, denn das Meiſte, was in dieſem und in dem vorhergehenden Aufſatze bemerkt worden, gehoͤrt, wie geſagt, jenen grauen Jahrhunderten der Vorzeit an, wo man noch von keinen Rechten der Menſchen, von keinen Pflichten der Fuͤrſten, von keinem heiligen Bunde etwas wußte; jenen Zeiten, wo die Menſchen noch Thie - re, und ihre Regenten wilde Parforzjaͤger waren, die ſich als alleinige, legitime und unbeſchraͤnkte Herren der Erde, und alles deſſen, was darauf lebet und webet, betrachteten; jenen Zeiten, wo das despotiſche Prinzip zuerſt erfunden ward, um die eine Haͤlfte der Menſchheit in dumme, aber - glaͤubiſche geiſt - und kraftloſe Sklaven, die andere in heimtuͤckiſche, ſchmarotzende Schergen, Henker,191 Spione und Pfaffen zu verwandeln. Uns iſt Gott - lob das goldne Zeitalter gekommen, von dem un - ſere Vorfahren und Chiliaſten ſo viel Schoͤnes getraͤumt haben! Erhalte uns, guͤtiger Gott, un - ſere Monarchen, unſere Staatsmaͤnner, unſere Diplomaten und Beobachter! Segne ſie, ſie ſind es wuͤrdig, mit Abrahams Glauben, mit Davids Froͤmmigkeit, mit Salomons Weisheit und Reich - thum! Erleuchte ihren Verſtand, und gieb, daß bald eine ſo tiefe Stille und Ruhe auf Erden wer - de, daß man keine Katze mehr brummen, keine Kanone mehr donnern hoͤre, als wo etwa eine Heerſchau oder ein, die ganze Menſchheit begluͤcken - des und entzuͤckendes Beilager gehalten, ein fuͤrſt - liches Kindlein geboren oder durch das Bad der heiligen Taufe aus einem blinden Heiden in einen allerchriſtlichen Prinzen und Dauphin verwandelt wird.
Die Pfaffen verdienen hier ihren Platz, denn ſie ſind die kraͤftigſte Stuͤtze der Soͤhne Ketura’s, der Despoten. Kein Kriegsherr gewaͤhrt den letztern ſo große Sicherheit, als ein von einer maͤchtigen Pfaffenkaſte bei dem Volke unterhaltener blinder Gehorſam gegen die Befehle des Herrſchers; als der fanatiſche Wahn, daß dieſer im Weltlichen, ſo wie die Pfaffen im Geiſtlichen, ein Stellvertreter Gottes, daß ſeine Winke, Launen und Befehle Eingebungen des Himmels ſind. Der Schutz, wel - chen ein Despot von einem Kriegsheere, wenn es nicht von jenem Wahne geleitet wird, erwarten darf, iſt immer ſehr ungewiß, zumal wenn es nicht aus Schaaren feiler und fremder Miethlinge zu - ſammen geſetzt iſt, die da glauben, daß ihre Exi - ſtenz mit der ihres Gebieters unzertrennlich ver - bunden ſey. Wir haben in der aͤltern und neuern Geſchichte Beiſpiele in Menge, daß ſtehende Heere, die aus den Soͤhnen der Staatsbuͤrger gebildet waren, um dem Herrſcher zur Schutzwehr gegen ihre Vaͤter und Bruͤder zu dienen, zuerſt ihreSchwer -193Schwerdter gegen ihn richteten und den wurmſti - chigen Thron umſtuͤrzten. Eben ſo wenig laͤßt ſich fuͤr die perſoͤnliche Sicherheit eines Tyrannen von einer privilegirten erblichen Volkskaſte, dem Adel, erwarten. Die meiſten Thronrevolutionen wurden von Edelleuten angezettelt und ausgefuͤhrt, wenn gleich ſelten oder nie zum Beſten der Voͤlker, doch immer zum Beſten eines Guͤnſtlings der Anſtifter oder ihrer erblichen Kaſte, welcher ſie dadurch groͤßere Unabhaͤngigkeit von dem Herrſcher und mehr Vorrechte vor den uͤbrigen Volksklaſſen zu verſchaffen ſuchten. Dieſe letztern gewannen in der Regel nie das Mindeſte dabei, denn ob der Tyrann Peter oder Paul hieß, das konnte ihnen gleichguͤl - tig ſeyn; ſie waren ja unter jeder Bedingung zu Opfern der großen und kleinen, der geiſtlichen und weltlichen Blutigel beſtimmt.
Auſſer der Liebe und Achtung des Volks, welche aber kein willkuͤhrlicher Herrſcher zu erlan - gen vermag, giebt es alſo nur eine einzige zuver - laͤſſige Stuͤtze des Despotismus, ein uͤber die Ge - muͤther durch religioͤſen, blinden Aberglauben ge - bietendes Pfaffenthum, deſſen Jntereſſen mit denen des Thrones auf das Jnnigſte verknuͤpft ſind. Dies hat man in neuern Zeiten wiederum eingeſehen, und deshalb wurden und werden vielleicht fuͤrder noch in mehreren großen Staaten dem Zeitgeiſt der Pfaffengeiſt, den Liberalen und ſogenanntenIII. Baͤudchen. 17194Aufklaͤrern Schaaren von Moͤnchen, Jeſuiten, Prieſtern, Miſſionaͤren, geiſtlichen und weltlichen Spionen, kurz dem Lichte die Finſterniß entgegen geſetzt. Ob dies Treiben von Dauer ſeyn, ob es auf die Laͤnge ſich halten, und die Abſichten einer guͤtigen Vorſehung, die, wie es ſcheint, auf eine allgemeine Entwickelung, Veredlung und Befreiung des Menſchengeſchlechts gerichtet ſind, verhindern werde; ob man eine ungeheure Maſſe von Jdeen, die mit den Zwecken gewiſſer Diplomaten und mit manchen politiſchen, hin und wieder vorhandenen Verhaͤltniſſen im Widerſpruche ſtehen, durch das Pfaffenthum aus den Koͤpfen wird heraus zaubern koͤnnen; das ſind Fragen, welche die Zukunft be - antworten wird. Bis jetzt hat noch immer das Licht uͤber die Finſterniß geſiegt; Pfafferei und Ty - rannenthum machen, je heftiger ſie kaͤmpfen und ſchnauben, ſich mit jedem Tage verhaßter, und wer vielleicht ihnen noch aus angeerbtem Wahn, aus Eigennutz oder aus Furcht huldigen moͤchte, wagt es kaum mehr, der lauten Stimme der ganzen, gebildeten Menſchheit zu trotzen.
Die Elemente des Pfaffenthums ſind ſich uͤbri - gens in allen kirchlichen Sekten ziemlich gleich. Der Biſchof zu Chur und der Biſchof zu P — —; der Dalai Lama in Tibet, und jener im Vatikan, der Mufti in Konſtantinopel und der in Paris wuͤrden vielleicht ihre Dogmatiken und Liturgieen eben ſo195 ſchnell, wie ihre Schafſtaͤlle mit einander vertau - ſchen, wenn Jeder von ihnen dabei nur glaubte zu verdienen » eppes Moos «. Die ſolchem Tauſche ſich etwa entzoͤgen, wuͤrden es ſicherlich nicht aus vernuͤnftigen Gruͤnden, ſondern aus blindem Fana - tismus thun. Wer nur die herrliche Kunſt ver - ſteht, die religioͤſen Gefuͤhle und Ahnungen der Menſchen zu Befoͤrderung ehrgeitziger, herrſchgie - riger, und anderer ſelbſtſuͤchtiger Abſichten zu be - nutzen; wer durch eitle kirchliche Formen die Scha - fe oder Gaͤnſe ſeines Stalles gehoͤrig zu blenden vermag, um ſie deſto beſſer ſcheren, rupfen und — ſchlachten zu koͤnnen; der iſt faͤhig in jeder po - ſitiven Konfeſſion ein weißer Rabbiner zu werden, moͤge er ſeine Dogmatik oder Paſtoralklugheit in Berlin, in Konſtantinopel oder bei den frommen Vaͤtern der Geſellſchaft Jeſu zu Freiburg im Uecht - lande geholt haben. *)Volkslehrer, welche vielleicht irrige Lehrſaͤtze und ſonderbare aͤußere Formen; die ihrer Kirche eigen ſind, zur moͤglichſten ſittlichen und geiſtigen Vered - lung ihrer Gemeine anwenden, kann man nicht zu der Klaſſe der weißen Rabbiner oder Pfaffen rechnen. Nur ſolche geiſtliche Hirten gehoͤren dahin, die ſich, wie oben bemerkt worden, der Lehren und Gebraͤu - che ihrer Kirche nicht zur Ausbildung, nicht zur Erhebung der Gemuͤther vom Jrrdiſchen zum Hoͤ - hern und Himmliſchen, ſondern zur Unterjochung und Gefangennehmung des geſunden Menſchenver -
17 *196Durch Verfinſterung, Aberglauben und Einfalt der Voͤlker, durch die Einfuͤhrung einer Menge eben ſo verderblicher, als unvernuͤnftiger Glaubens - lehren und kirchlichen Gebraͤuche, und beſonders durch die, den meiſten poſitiven Religionsſekten ei - genen, ſchaͤndlichen und fuͤr die Sittlichkeit nach -*)ſtandes bedienen, und jedem Lichtſtrahl aͤngſtlich zu wehren ſuchen, der von irgend einer Seite in ihren Schaf - oder Gaͤnſeſtall eindringen koͤnnte. Es giebt in faſt allen chriſtlichen Konfeſſionen geiſt - reiche Maͤnner, die auch den bloß kirchlichen, durch Pfaffengeiſt, Eigennutz, Ehrſucht und Dummheit eingefuͤhrten Lehrſaͤtzen und Gebraͤuchen eine edlere Beziehung und Deutung zu geben ſuchen, um da - durch die Gemuͤther nach und nach von den rohen, aberglaͤubiſchen Begriffen und Anſichten abzuziehen und auf etwas Beſſeres zu leiten. Moͤgen auch Bemuͤhungen der Art haͤufig verkannt werden, oder bei den ungebildetern Gemeindegliedern, die gewoͤhn - lich an Buchſtaben und aͤußern Zeichen kleben, und unfaͤhig ſind, den Seim ihrer Lehrer zu faſſen, we - nig Nutzen ſchaffen, ſo verdienen ſie doch immer Achtung und Anerkennung. Nur ſollte man, ſtatt zu ſtuͤtzen, fallen laſſen, was ſich von kirchlichen Formen und Lehrſaͤtzen laͤnger nicht halten kann, und wo es irgend thunlich waͤre, den alten Sauer - teig ganz auskehren. Jn den Haͤnden des Dummen und Boͤſen iſt er toͤdtliches Gift, und ſelbſt in den Haͤnden des Klugen und Beſſern kann er wenig mehr nuͤtzen.197 theiligen Lehrſaͤtze: daß Gott durch blutige und an - dere Opfer verſoͤhnt; daß durch die Schmerzen und den Tod eines unſchuldigen Thieres oder Menſchen die Schuld eines Andern oder vielleicht der ganzen Menſchheit getilgt und die Strafen aller, auch der abſcheulichſten Verbrechen abgebuͤßt werden, und daß die Pfaffen die Vertrauten, die Abgeordneten der Gottheit, jede begangene und zukuͤnftige Miſſe - that vergeben koͤnnen; daß man durch Geſchenke und Vermaͤchtniſſe an die Diener der Gottheit und durch geiſtliche Stiftungen, durch Erbauung von Tempeln, Kirchen, Moſcheen, Altaͤren und derglei - chen den Himmel verdiene; daß nicht eine rechtliche Handlungsweiſe, ſondern blinder Glaube an die Worte der Prieſter, fleißiges Beten und Faſten, haͤufige Bußen und Kaſteiungen zur Seligkeit er - forderlich ſeien; durch alle dieſe Mittel und Glau - benslehren, ſo wie durch eine Menge oft eben ſo prachtvoller und glaͤnzender, als laͤppiſcher Kir - chengebraͤuche ſuchten die Pfaffen faſt aller Na - tionen und Konfeſſionen die Menſchen zu unterjo - chen und an ſich zu ziehen; Vernunft, Tugend und Sitte von der Erde zu verbannen, und ſich eine unbedingte Herrſchaft nicht allein uͤber die Gemuͤ - ther der, durch ſie verblendeten Voͤlker, ſondern auch der durch ſie, und oft noch mehr durch eige - ne Herrſchgier und Ehrſucht geblendeten Fuͤrſten zu erwerben.
198Die letztern fuͤhlten ſehr gut, daß nur in den eben angedeuteten Elementen des Pfaffenthums der Despotismus wahrhaft gedeihen und einen Anſtrich von Rechtmaͤßigkeit (Legitimitaͤt) gewinnen koͤnnte. Sie ſahen es ein, daß Aberglaube und Stumpfſinn der Voͤlker die ſicherſten Stuͤtzen despotiſcher Thro - ne ſind, und wurden daher mit Freuden zum Theil ſogar veraͤchtliche Sklaven der Pfaffen, um uͤber andere Sklaven deſto willkuͤhrlicher und tyranniſcher herrſchen zu koͤnnen.
Ferne ſei es von mir, die Stroͤme von Men - ſchenblut aufzaͤhlen zu wollen, die ſeit Jſraels glor - reichem Einzuge in Kanaan bis auf unſere Zeiten von Pfaffen und Despoten zur Ehre Gottes ver - goſſen wurden! Ferne ſei es, die Greuel alle an - zudeuten oder zu beſchreiben, welche jene weiſſen Rabbiner, die ſich ruͤhmten, Juͤnger und Apoſtel des Heilandes zu ſein, von den Zeiten des ſoge - nannten großen Konſtantins her in allen Weltthei - len zur Schande des, von ihnen gepredigten Chri - ſtenthums veruͤbten. Nur einige der ſchaͤndlichen Mittel werde ich aufuͤhren, deren ſie ſich Vorzugs - weiſe bedienten, den menſchlichen Geiſt in Feſſeln zu ſchlagen und darin zu erhalten.
Gewiß iſt die Lehre von der Suͤnden - vergebung, welche ſchon bei Abrahams ſchwar - zem Saamen verhanden war, ſo wie ſie gewoͤhn - lich gelehrt und geglaubt wird, fuͤr das Pfaf -199 fenthum eines der erſprießlichſten, fuͤr die Menſch - heit aber eins der unheilbringendſten Dogmen, wel - che jemals erfunden worden. Moͤge ſie auch vielen tauſend beaͤngſtigten Gemuͤthern auf ihren Sterbe - betten Beruhigung und Troſt geben, ſo hat ſie doch dagegen viele Millionen Boͤſewichter gemacht, die ohne ſie vielleicht nuͤtzliche und ſehr rechtliche Menſchen geworden waͤren. Wer ſich bei ſeinem Hinſcheiden nicht uͤberzeugen kann, daß Gottes Liebe eben ſo unendlich iſt, wie ſeine Gerechtigkeit; daß die meiſten unſerer ſchlimmen Handlungen als die, wenn gleich nicht nothwendiger, doch ſehr na - tuͤrlichen Folgen der Lagen und Verhaͤltniſſe zu be - trachten ſind, in die uns die Vorſehung ſetzte, und daß ſie alſo von einem unendlich guͤtigen Weſen nicht mit endloſer Pein beſtraft werden koͤnnen; wer allen ſeinen Miſſethaten, allen ſeinen boͤſen Anſchlaͤgen und Entwuͤrfen, keine einzige gute Hand - lung, keinen einzigen edeln Entſchluß entgegen zu ſetzen weiß; o, der gehe hin und verzweifle zu ſei - ner Strafe und Andern zum Schrecken und Bei - ſpiel; er gehe hin und verzweifle hienieden, um dort, wenn gleich vielleicht nach vielen Jahrtauſenden oder nach Ewigkeiten zu erfahren und zu fuͤhlen, daß Gott kein rachgieriges, kein ohne Ziel und Ende zuͤrnendes Weſen, kein ewiger, ſchadenfroher, grau - ſamer Quaͤler ſeiner Geſchoͤpfe, ſondern ein alllie - bender Vater ſei, deſſen Strafen nicht zweckloſes,200 unendliches Martern, ſondern die Beſſerung des Beſtraften zur Abſicht haben. *)Wenn im neuen Teſtament von den Strafen der Verdammten geſprochen wird, ſo heißt es haͤufig: ſie werden gequaͤlt werden von Ewigkeit zu Ewig - keit, alſo von einer Ewigkeit zur andern. Offen - bar dient hier das Wort Ewigkeit zur Bezeich - nung eines ſehr langen Zeitraums, der aber ein Ende nimmt, da nachher eine andere Ewigkeit be - ginut. Von einer Qual, die niemals endet, iſt nir - gends die Rede. Wer die Unendlichkeit der Hoͤllen - ſtrafen leugnet, kann noch immer ihre Ewigkeit zu - geben, und widerſpricht damit keineswegs der Bibel. M. ſ. auch die kleine Schrift von Walther: Beweis, daß die Hoͤllenſtrafen nicht ewig dauern.Das Gute, was durch die Lehre von der Unendlichkeit der Hoͤllen - ſtrafen bewirkt worden, iſt gewiß ſehr unbedeutend gegen das ſehr viele Boͤſe, was die Lehre von der Vergebung der Suͤnden geſtiftet hat. Dieſes letzte - re Dogma ward uͤbrigens eben ſo erſprießlich fuͤr das Anſehen, den Wohlſtand und die Macht der Pfaffen, als es fuͤr Tugend und Sittlichkeit ver - derblich war. Wie haͤtte man nicht den heiligen und ehrwuͤrdigen Maͤnnern, die mit dem wichtigen Amte der Schluͤſſel des Himmelreichs von Gott ſelbſt bekleidet waren, und Jedem nach Belieben die Pforten des Paradieſes und der Hoͤlle oͤffnen und zuſchließen konnten; wie haͤtte man ihnen nicht mit vollen Haͤnden Geſchenke und Gaben darbringen,201 wie haͤtten nicht ſelbſt Koͤnige den ſtolzen Nacken vor ihnen beugen ſollen, um den nicht verdienten Him - mel zu erwerben und der wohl verdienten Hoͤlle zu entrinnen? Wo es viele zerknirſchte, bußfertige Suͤnder giebt, die vor der letztern ſich fuͤrchten und doch gerne fort ſuͤndigen moͤchten, da ſind Suͤn - denvergebung und Ablaß ſehr verkaͤufliche Handels - artikel, und die weißen, beſonders die chriſtlichen, Rabbiner verſtanden von jeher es meiſterhaft, ih - re ſchlechten Waaren zu hohen Preiſen an den Mann zu bringen. Weit ſtehen die Judenpaͤbſte Aaron, Eli, Samuel, Elias, der mit eigenen from - men Haͤnden vierhundert und fuͤnfzig Baalspfaffen ſchlachtete, die vielleicht beſſer, als er waren, Kai - phas, der ſich gleichfalls durch prompte Juſtiz ſo beruͤhmt gemacht hat, weit ſtehen dieſe unſern weißen Hohenprieſtern in Rom an gluͤhendem Ei - fer fuͤr ihre Dogmatik, an Herrſch - und Habgier, an Ehrgeiz, blinder Rachſucht, Verfolgungs - und Verketzerungswuth und andern paͤbſtlichen und prie - ſterlichen Tugenden nach, von denen ſpaͤterhin die Rede ſeyn wird. Sogar mancher Dorf-Levit, be - ſonders von der allein ſeligmachenden roͤmiſch ‒ ka - tholiſchen Kirche thut es den ſchwarzjuͤdiſchen Ho - henprieſtern, und den Phariſaͤern und Schriftgelehr - ten zu Jeruſalem in manchen Stuͤcken ſehr zuvor, und wir moͤchten Tauſend gegen Eins wetten, daß Jeſus Chriſtus keine drei Monate unter uns wan -202 deln wuͤrde, ohne von den Soͤhnen Ketura’s, den Diplomaten, als ein Jakobiner und Carbonaro, und von Mitgliedern der Geſellſchaft Jeſu und an - dern Leviten als ein Aufklaͤrer, ein Freigeiſt, ein Jrrlehrer und Ketzer angeklagt und gekreuzigt zu werden.
Zu den kirchlichen Gebraͤuchen, wodurch die Pfaffen uͤber die Gemuͤther der Menſchen ſich eine Herrſchaft zu erwerben wußten, gehoͤren beſonders die ſogenannten Sakramente. Da von dem Gebrauch derſelben die kuͤnftige Seligkeit ab - haͤngig gemacht ward, und die Prieſter ſich das Recht anmaßten, die Ertheilung dieſer ſymboliſchen Zeichen oder Sakramente ſelbſt Koͤnigen und Fuͤr - ſten zu verweigern; da ſogar die Biſchoͤfe von Rom frech genug waren, große Reiche und Laͤnder mit Jnterdikten zu belegen, allen oͤffentlichen Gottes - dienſt zu verbieten und viele Millionen dadurch in Verwirrung, Jammer und Elend zu ſetzen; ſo ſtieg das Pfaffenthum bei den Chriſten zu einer Macht empor, wie es noch bei keiner andern Religions - ſekte erlangt hat und vielleicht jemals erlangen wird. Jeder, er mochte Kaiſer oder Bettler ſeyn, muß - te ſich dem Willen der ehrſuͤchtigen, herrſch - und geldgierigen Bonzen fuͤgen, um nicht des Gebrauchs der heiligen Sakramente und mit demſelben der ewigen Seligkeit beraubt zu werden. Selbſt die wenigen Freidenkenden waren genoͤthigt, ihren Na -203 cken in das eherne Pfaffenjoch zu beugen, wel - ches oft eben ſo ſchwer, als das des weltlichen Zwing - herrenthums laſtete, wenn ſie nicht des oͤffentlichen Schutzes und aller buͤrgerlichen Rechte verluſtig ge - macht, und wohl gar der blinden fanatiſchen Men - ge, als Kinder des Teufels, wollten Preis gegeben ſeyn. Man rede alſo nicht ſo viel von den Segnungen des Chriſtenthums fur die Menſchheit! Das meiſte Chriſtenthum, was unter uns waltet, iſt kein Segen, ſondern ein Fluch fuͤr das Men - ſchengeſchlecht. Waͤre Conſtantin nie zur chriſtli - chen Religion uͤbergetreten; haͤtte ſich nie eine welt - liche Macht um die chriſtlichkirchlichen Angelegen - heiten bekuͤmmert, nie ſich ſo thaͤtig darein gemiſcht, wie die roͤmiſch-griechiſchen Kaiſer, und nach ih - nen faſt alle uͤbrigen Chriſtenfuͤrſten thaten, und noch gerne jetzt thun; ſo waͤre das Chriſtenthum gewiß ein Segen fuͤr die Menſchheit geworden, es wuͤrde ſich dann ein weit ſchoͤnerer, freierer, kirchlicher und politiſcher Zuſtand in Europa und den uͤbrigen Welttheilen ausgebildet haben; kein Pfaffenthum waͤre empor gekommen; die Erde waͤ - re nicht um unbedeutender und laͤppiſcher, oder gar ſchaͤndlicher und verderblicher Lehrmeinungen und Ge - braͤuche willen mit Blut und Leichen bedeckt; keine Jeſu - iten, Pfaffen und Moͤnche haͤtten die Macht erlangt, das ſittliche und geiſtige Fortſchreiten der Menſchen zu204 hindern; Chriſtus Lehre wuͤrde ſich in ihrer ur - ſpruͤnglichen Reinheit und Einfachheit erhalten ha - ben, und nicht von Paͤbſten und Synoden verfaͤlſcht ſeyn. Allein jene Einmiſchung der weltlichen Ge - walthaber in die kirchlichen und religioͤſen Angele - genheiten der Chriſten, ihre Verbindungen mit den Biſchoͤfen und Kirchenlehrern, die Herabwuͤrdigung der Religion zum Deckmantel aller Bosheiten und zum Werkzeuge des Despotismus, des Eigennutzes und Hochmuths; dies Alles raubte dem Chriſten - thum faſt allen ſittlichen und hoͤhern Werth und verwandelte es aus einem Segen in eine Strafe fuͤr die Menſchheit. Am tiefſten wurde tieſe Stra - fe empfunden, als das Pfaffenthum den hoͤchſten Gipfel ſeiner Macht erreicht hatte. Ob das Bre - chen dieſer Macht durch die Reformation eine Wohlthat war, moͤge dahin geſtellt ſeyn. Waͤre Luther auch nie gekommen, ſo waͤre das ſchreckliche Prunkgebaͤude des geiſtlichen und weltlichen Despo - tismus dennoch zuſammengeſtuͤrzt, u. vielleicht ſchuel - ler u. vollſtaͤndiger mit weniger Geraͤuſch und weniger Blutvergießen! Luther und ſeine Gehuͤlfen arbeite - ten oft ohne Zweck darauf los; ohne feſten und beſtimmten Plan rißen ſie ein, was ihren augen - blicklichen Anſichten und Leidenſchaften entgegen und haͤufig das Minderſchaͤdliche war; ließen ſtehen und befeſtigten wohl gar, was auf das Schickſal der Voͤlker den verderblichſten Einfluß hatte. Der205 Auguſtiner von Wittenberg ließ ſich vom Pfaffen - geiſt eben ſo ſehr leiten, wie die meiſten ſeiner Gegner, und uͤberdies war er ſklaviſcher Despoten - knecht; haͤtte er 1525, ſtatt die ungluͤcklichen Bau - ern zur Hoͤlle zu verdammen, die mit der Bibel in der Hand und mit Thraͤnen in den Augen ihre ty - ranniſchen Henker um Mitleid anflehten, haͤtte er damals als freiſinniger und biederer Mann laut und ernſt zu den Fuͤrſten fuͤr die Rechte der Men - ſchen geſprochen, ſo wuͤrde man ihn nicht allein zu den großen Kirchenreformatoren, ſondern vielleicht auch zu den Wohlthaͤtern des Menſchengeſchlechts rechnen; aber ein Menſch, der den rohen, barba - riſchen, und ohnehin gegen die Bauern auf das Äuſſerſte erbitterten Despoten gar rathen konnte, jene Ungluͤcklichen mit Weibern und Kindern von der Erde zu vertilgen, erſcheint uns als ein wilder, herz - und ſinnloſer, fanatiſcher Pfaffe, der alles Gute, was durch ihn etwa geſchah, mehr aus Zu - fall, als mit vernuͤnftiger Ueberlegung vollbrachte.
Unter allen Mitteln der weißen Leviten ihre Gewalt und ihr Anſehen zu ſichern, und zu ver - groͤßern; ſind jene, welche den freien Geiſtes - und Gedankenverkehr zu hemmen ſuchen, unſtreitig die verderblichſten. Geheime Polizeien, Jnquiſitions - gerichte und Buͤchercenſuren verdanken ihre Entſte - hung dem Pfaffenthum, denn
ſagt Haller, der Großvater des kleinen Haller. 206Dieſe Mittel, welche hin und wieder auch von welt - lichen Machthabern, zur Stoͤrung des politiſchen Jdeenaustauſches den Pfaffen nachgeahmt wurden, ſind eben ſo nichtswuͤrdig, als ſchlecht, moͤgen ſie angewandt werden von einer geiſtlichen oder einer weltlichen Gewalt, zur Aufrechthaltung eines kirch - lichen Syſtems oder eines politiſchen Prinzips. Be - ſonders waren gebeimes Spionenweſen und Jnqui - ſitionsgerichte von jeher allen Voͤlkern, die noch einigen Sinn fuͤr Rechtlichkeit hatten, verhaßt; ſie empoͤren um ſo mehr, da ſie nicht allein das oͤf - fentliche und das beſondere Vertrauen, ſondern ſelbſt die Sittlichkeit der Buͤrger erſticken, ohne welche kein Staat beſtehen und im Fall eines An - griffs von auſſen oder innen ſich halten kann. Wo der Gatte nicht ſeiner Gattin, der Bruder nicht dem Bruder, der Herr nicht dem Diener mehr trauen darf; wo geheime Angeber auf jedes Wort lauſchen, um es gegen einen ſchaͤndlichen Lohn ei - nem veraͤchtlichen feigen Zwingherrn und ſeinen Schergen zu uͤberbringen, wo Kinder gegen ihre Eltern, Freunde gegen ihre Freunde, Nachbaren gegen ihre Nachbaren, Dienſtboten gegen ihre Herrſchaften durch ſchnoͤden ehrloſen Gewinn zum Verrath, ja wohl gar zum falſchen Zeugniſſe und zum Meineide angereizt werden; wo der Tyrann frech, nichtswuͤrdig und ſcham - los genug iſt, fuͤr die ſeinen Poſten anvertraueten, verſiegelten Briefe ſich theures Poſtgeld zahlen, und207 ſie nachher durch eigentlich dazu angeſtellte Spione entſiegeln zu laſſen, um zu erfahren, ob nicht viel - leicht etwas gegen ſeine erhabene Perſon darin ent - halten ſei; da ſind alle buͤrgerlichen und Familien - bande aufgeloͤſt, und der Staat wird nicht mehr durch Liebe der Buͤrger zum Vaterlande, nicht durch Anhaͤnglichkeit an Verfaſſung und Regenten, ſondern bloß durch Schergen zuſammengehalten; die recht - lichen Maͤnner, einer ſolchen Hoͤlle uͤberdruͤſſig, werden ſich trotz aller Spione und Verraͤther, ſu - chen und finden, ſich vereinigen, und ehe noch die Machthaber es denken, ihrer gemißbrauchten Ge - walt ein Ende machen. Selbſt eine religioͤſe Poſſe, welche die Pfaffen anfangs vielleicht aus bloßer Neugier einfuhrten, die Ohrenbeichte mußte den weltlichen Despoten haͤufig zum Sicherungs - mittel gegen Verſchwoͤrungen und geheime Verbin - dungen ihrer hartbedraͤngten Unterthanen dienen. Moͤchte man dieſe nuͤtzliche Erfindung dort, wo ſie durch den proteſtantiſchen Lehrbegriff auſſer Ge - brauch gekommen iſt, und wo man ſich ſo maͤchtig vor Verſchwoͤrungen aͤngſtigt, doch wieder herſtellen. Man koͤnnte dann fuglich die Spione zu Beichtvaͤ - tern, und die Beichtvaͤter zu Spionen machen. Mit - tel der Art ſind uͤbrigens immer ein Beweis, wie tief eine Regierung ihre Schwaͤche und Nichts - wuͤrdigkeit empfindet, und wie ſehr ſie es fuͤhlt, daß ſie die Verachtung, den Unwillen und Abſcheu des Volks verdient habe.
208Die Cenſur, urſpruͤnglich eine der ſaubern Erfindungen der weißen Rabbiner, um den menſch - lichen Geiſt in Feſſeln zu erhalten, iſt nachmals an die Despoten uͤbergegangen, als eine Schutzwehr ihrer wurmſtichigen und baufaͤlligen Throne gegen demagogiſche Angriffe und Anſichten. Manche uͤbri - gens freiſinnige Maͤnner haben es gewagt, die Cen - ſur zu vertheidigen, als ein Mittel der Verbreitung unſittlicher und irreligioͤſer Schriften zu wehren. Haͤtten die Buͤchercenſuren keinen andern Zweck, und auch nie einen andern gehabt, als das Er - ſcheinen wirklich unſittlicher Werke, d. h. ſol - cher zu verhindern, in denen das Laſter mit ſehr gefaͤlligen und reitzenden Farben geſchildert wird; ſo moͤchte man vielleicht geneigt ſeyn, ſie gelten zu laſſen. Nur muͤßte keinem engbruͤſtigen Cenſor es erlaubt ſeyn, den Jnhalt eines Buchs zu durchſtrei - chen und unleſerlich zu machen, weil ihm einige Stellen darin anſtoͤßig waren; er muͤßte es unver - letzt dem Verfaſſer zuruͤckgeben, und dieſem muͤßte es frei ſtehen, ſich an eine andere liberalere Behoͤrde zu wenden. Die Begriffe vom Sittlichen und Un - ſittlichen ſind ja uͤberdies ſo verſchieden, daß einem Cenſor daruͤber gar keine beſtimmte Vorſchriften von der Behoͤrde gegeben werden koͤnnen; der Schriftſteller iſt folglich immer der guten oder uͤbeln Laune eines oft unwiſſenden, eigenſinnigen und al - bernen Menſchen uͤberlaſſen, der aus den ſchoͤnſtenBlumen209Blumen wohl Gift, aber keinen Honig zu ſaugen verſteht. Der ſtrenge Herrnhuther wird in Wielands, in Thuͤmmels, in Schillers, in Goͤthes, ja ſelbſt in Gellerts Schriften viel — ſeiner Anſicht nach — Unſittliches finden, und wie groß iſt dennoch die Zahl geiſt - und einſichtsvoller Eltern, die ihren jungen Toͤchtern alle, oder doch die meiſten dieſer Werke ohne Bedenken zu leſen geben! Wer nur reines Herzens iſt, wird ſo leicht durch kein Buch, und waͤre es wirklich etwas ſchluͤpfrig, verfuͤhrt werden. Vor etwa zwanzig Jahren thaten die mei - ſten weißen Rabbiner alle ſchoͤne Maͤdchenbuſen, die damals ziemlich offen getragen wurden, foͤrm - lich in den Bann, ſo angenehm auch manchen von ihnen dergleichen Kleinigkeiten hinter der Gardine ſeyn mochten; und doch gab es viele ſehr geſittete und tugendhafte Frauen und Jungfrauen, die ſich nach der damaligen Mode kleideten, ohne etwas Un - ſchickliches dabei zu ahnen. Eben ſo verſchieden ſind die Anſichten in Betreff der Buͤcher; was in den Augen des einen Cenſors ſehr unanſtaͤndig ſeyn kann, iſt in den Augen des andern gerade das Ge - gentheil. Jch ſelbſt habe dieſe Erfahrung mehr als einmal gemacht, und in der That war in den mei - ſten derjenigen Staaten, wo man die Cenſur bei - behielt, um angeblich die Verbreitung unſittlicher Schriften zu hindern, dieſer Grund nur ein juͤdi - ſcher, pfaͤffiſcher Vorwand, um das alte, liebeIII. Baͤndchen. 18210Jnſtitut, welches in ſeiner vollſtaͤndigen Ausdeh - nung dem Geiſte der Zeit nicht entſprach, beibehal - ten und unter beſſern Umſtaͤnden, wieder voͤllig her - ſtellen zu koͤnnen. Den Zweck hat man jetzt an man - chen Orten erreicht, und man fraͤgt dort nicht mehr darnach: ob ein Buch unſittlichen Jnhalts, ſondern ob es gegen das despotiſche und hierarchi - ſche Prinzip gerichtet ſey. Jſt nur dies nicht der Fall, dann wird, es moͤge uͤbrigens ſo ſchaͤndlich und unſittlich ſeyn, wie es wolle, dann wird kein Cenſor und kein Biſchof eine Zeile darin ſtreichen.
Unweit thoͤrichter war der, von den Pfaffen aufgeſtellte Beweggrund zur Einfuͤhrung der Buͤ - chercenſuren » um die glaͤubigen Seelen vor Ein - fuͤhrung irreligioͤſer Schriften zu bewahren. « Am Laͤcherlichſten klingt dieſer Vorwand in ſolchen Staa - ten, die von verſchiedenen Religionsſekten bewohnt werden. Dem ſtrengen Katholiken muͤſſen natuͤrlich die Schriften eines Luther, eines Bengel, eines Arndt, eines Treſcho, ſo orthodox ſie auch nach lutheriſchen Anſichten ſind, als irreligioͤs erſcheinen. Dem Proteſtanten werden hingegen die Werke ei - nes Boſſuet, Jais, Brunner gleichfalls irreligioͤs duͤnken, da ſie Dinge enthalten, die dem Augsbur - giſchen Glaubensbekenntniſſe geradezu entgegen ge - ſetzt ſind. Beide, Proteſtant und Katholik, muͤſſen ſich vollends uͤber die Erbauungsbuͤcher des Juden aͤr - gern, welcher von keiner Dreieinigkeit und von211 keinem Meſſias, der ſchon gekommen iſt, von kei - ner Taufe und keinem Abendmahle etwas wiſſen will. Begriff man aber unter irreligioͤſen Schriften ſolche Werke, welche die Unterſuchung einzelner oder aller Lehrſaͤtze der, in einem Staat herrſchenden Re - ligionsparthei zum Gegenſtande hatten, ſo handelt man wahrlich noch unſinniger, und ungerechter, denn dergleichen oͤffentlichen Pruͤfungen allein ver - dankt man ja alle die Vertheidigungen, welche die Theologen der verſchiedenen Konfeſſionen fuͤr die Wahrheit und Goͤttlichkeit ihres Kirchenſyſtems ge - liefert haben. Eine Glaubenslehre, die durch eini - ge Zweifel und ein paar Dutzend witziger Einfaͤlle kann umgeſtoßen werden, taugt wahrlich nicht viel und daher war es in der That ſehr juͤdiſch, die Welt mit theologiſchen Cenſureinrichtungen zu belaͤ - ſtigen. Religion und was damit verwandt iſt, ge - hoͤrt zu den wichtigſten Angelegenheiten des Men - ſchengeſchlechts; und jeder muß befugt ſeyn, ſeine Zweifel und Anſichten frei und oͤffentlich vorzutra - gen, damit er und andere durch die Widerlegungen einſichtsvoller Gegner belehrt und auf den richtigen Weg gebracht werden koͤnnen. Freret, Voltaire und Leſſing haben wahrlich mehr Nutzen fuͤr das Reich Gottes geſtiftet, als ganze Schwadronen Poſtillen - reiter; waͤre kein Leſſing geweſen, ſo wuͤrden wir nie die herrlichen Vertheidigungsſchriften eines Mel -18 *212chior Goͤtze und anderer wuͤrdigen Maͤnner bekom - men haben!!
Die polidiſche Cenſur, zu welcher die Pfaf - fen durch ihren theologiſchen Hoͤllen - und Geiſter - zwang die Veranlaßung gaben, kann, beſonders in unſern Zeiten, dem Despotismus durchaus nicht mehr frommen. Die Voͤlker ſind zu weit voraus geeilt; ſie haben Rieſenſchritte genommen, waͤhrend manche ihrer Diplomaten weit im Hintergrunde, in den grauen Jahrhunderten des Mittelalters, bei den Ritterburgen ihrer laͤngſt vermoderten und vergeſſenen Ahnherren geblieben ſind. Die Menſch - heit dorthin zuruͤck zu fuͤhren, iſt nicht das Werk von Quinquennien, von Cenſuranſtalten, von Jnquiſi - tionsgerichten, von geheimen Polizeien und aͤhnlichen Mitteln. Es iſt eine große, mit dem despotiſchen, ariſtokratiſchen und hierarchiſchen Prinzip im ſtaͤrk - ſten Widerſpruch ſtehende Jdeenmaſſe durch die ganze Welt verbreitet, die nicht etwa in den Schrif - ten einzelner Gelehrten, in den Buchlaͤden und den Bibliotheken, ſondern in den Koͤpfen, bei Reichen und Armen, bei Vornehmen und Geringen, ja ſelbſt unter manchem Fuͤrſtenhute zu finden iſt. Man kann alle Buͤcher, die ſeit zehn Jahren er - ſchienen ſind, durch Cenſoren und Henker vernich - ten und verbrennen laſſen; nimmermehr wird man eine einzige jener Jdeen von der Erde verbannen; man wird ſie nur dadurch noch mehr aufregen213 und ins Leben rufen. Dieſe Maſſe von Anſichten iſt nicht das Werk einzelner Schriftſteller, ſondern das Werk mancher Regierungen ſelbſt, die durch heftigen Druck den Zunder in Flammen ſetzten, welchen ſie jetzt durch noch heftigern Druck gerne ausloͤſchen moͤchten, und immer mehr anfachen.
Durch ſtrenge politiſche Cenſuren und durch Verbote ſogenannter demagogiſcher oder jakobini - ſcher Schriften kann man keine gewaltſame Staats - umwaͤlzungen verhuͤten, von denen der Keim in der ſchlechten Verfaſſung oder der Nichtverfaſſung eines Staats ſelbſt liegt, und durch die Verletzung der Menſchen - und Volksrechte und das Nichthalten ge - gebener Verheiſſungen, deren Erfuͤllung als noth - wendig gefuͤhlt wird, bei den Voͤlkern entwickelt ward. » Jhr glaubt, « (ſagt ein ſehr geiſtreicher Schriftſteller, der Verfaſſer des Manuſkripts aus Suͤddeutſchland, deſſen Buch man gleich - falls verbot, ohne es unterdruͤcken zu koͤnnen,) Jhr glaubt, wenn Jhr die Diplomaten beruhigt habt, ſo ſei Alles ruhig? Jhr vergeßt, daß hinter den Diplomaten noch Voͤlker ſtehen, die ihre Jntereſſen, ihre Bedurfniſſe, ſogar ihren eigenen Verſtand ha - ben. Jhr moͤget das demokratiſche Prinzip aus al - len geſchriebenen Konſtitutionen ausſtreichen; Gott hat es in die Natur der Dinge geſchrieben, die laͤnger dauern und maͤchtiger ſeyn wird, als alle Bann - formeln, die den Geiſt mit funfjaͤhrigem Jnterdikt214 belegen. « — » Die Waͤlle der Cenſur, welche die Ausſicht ins Freie verdecken, koͤnnen doch nicht ver - hindern, daß die Sonne uͤber die Umzaͤunung tritt, und das Leben erleuchtet. «
Ja, wahrlich, uͤber kurz oder lang werden die Voͤlker, die noch jetzt in tiefem Schlummer liegen, aus dem ſchweren aͤngſtlichen Traume erwachen, in welchen ſie von weltlichen und geiſt - lichen Tyrannen eingewiegt waren; ſie werden dann ihre Rechte als Menſchen, als freie, zu hoͤherer Veredlung beſtimmte Weſen erkennen und zuruͤckfor - dern, und jeden Zwingherrn vernichten, der ſie mit Scepter oder mit Krummſtab noch laͤnger in eiſer - ne Feſſeln ſchlagen, noch laͤnger von ihrem Ziele zuruͤckhalten und wohl gar zu Thiermenſchen her - abwuͤrdigen will.
Die politiſche Cenſur, dieſe Tochter der religi - oͤſen, und Enkelin des Pfaffenthums, iſt in der That das erbaͤrmlichſte Schutzmittel fuͤr die Sicher - heit der Throne und den Ruheſtand der Voͤlker. Eine Regierung, die zu verhindern ſtrebt, daß man nichts uͤber ſie ſchreiben, ſprechen, leſen und denken ſoll, zeigt einen eben ſo hohen Grad von Feigheit, als Schwaͤche und Schlechtigkeit, denn wer das Licht ſcheuet, muß Fehler und Gebrechen, und wohl gar Bosheit und Verbrechen zu verbergen haben. Wie ſoll der Regent eines nicht konſtitutionellen, oder eines ſolchen konſtitutionellen Staats,215 wo den Wortfuͤhrern der Staatsbuͤrger, den Abge - ordneten und Reichsſtaͤnden der Mund mit Pen - flonen, Beſtechungen und Aemtern verſtopft, oder gar durch Drohungen und Strafen verſchloſſen iſt, wo der Thron von einer Schaar eigennuͤtziger, ſelbſt - ſuͤchtiger Miniſter, Hoͤflinge, Beichtvaͤter, Zofen ſorg - ſam bewacht, jede Bittſchrift, jede Klage und Be - ſchwerde vor ihrer Uebergabe an den Fuͤrſten von ſeinen Belagerern unterſucht wird; ob ſie auch ei - ner beguͤnſtigten Kaſte, einem Miniſter, Beamten oder einem Lieblinge ſchaden koͤnne; wie ſoll der Regent dort jemals von den Leiden, den Beduͤrf - nißen und Wuͤnſchen des Volks, und der Einzelnen deſſelben von den Bedruͤckungen, welche ſich obere und untere Beamte erlauben, von den Ungerech - tigkeiten der bevorzuͤgtern Klaſſen gegen die minder bevorzuͤgten unterrichtet werden? Bureaukratie und Beamtendespotismus werden, ſelbſt wenn der Fuͤrſt es noch ſo redlich meinte, uͤberhand nehmen, die Bewohner des ungluͤcklichen Landes, deren Stimme man nicht hoͤren, auf deren ſtille Seufzer und Thraͤnen man nicht achten wollte, zur Verzweif - lung treiben, und ſie dahin bringen, das mit den Waffen in der Hand zu fordern, was ſie mit Wor - ten nicht fordern durften. *)Moͤchte fuͤr Deutſchland wieder eine Zeit kommen, wo Werke, wie Schloͤzers vortreffliche, und noch immer ſchaͤtzbare, Staatsanzeigen und ſein Brief -
216Die politiſche Preßfreiheit iſt alſo nicht allein vortheilhaft fuͤr das Heil der Voͤlker, ſondern ſelbſt fuͤr die Sicherheit der Throne. Die Anſicht, daß von den Schriftſtellern demokratiſche, dem monar - chiſchen Prinzip nachtheilige Grundſaͤtze und Jdeen verbreitet werden, iſt ſehr ſchief, ſehr unrichtig; der Regent ſuche nur ſein Volk ſo gluͤcklich zu machen, die natuͤrlichen Freiheiten deſſelben ſo wenig zu be - ſchraͤnken, als es ihm moͤglich iſt, und die Ver - haͤltniſſe es irgend erlauben; dann wird ſich Nie - mand nach Veraͤnderungen ſehnen, und wenn ſich wirklich hie und da eine murrende Stimme erheben ſollte, denn deren gibt es in jedem monarchiſchen, ariſtokratiſchen und demokratiſchen Staat, ſo wird ſie der Ruhe des Ganzen nie ſchaͤdlich werden. Jn Wuͤrtemberg, Baiern, Weimar, Baden, Heſſendarm - ſtadt u. ſ. w., wo theils voͤllige, theils ein wenig beſchraͤnkte Preßfreiheit herrſcht, wo Jeder ſprechen und ſchreiben kann, wie es ihm um’s Herz iſt, hoͤrt man gar nicht, oder doch aͤußerſt ſelten uͤber Regenten und Regierungen eine Klage, und wuͤr -de*)wechſel waren, erſcheinen und allgemein durften ge - leſen werden. Dies wuͤrde wenn gleich nicht die großen, doch die kleinern Bedruͤcker, die Bureau - kraten u. ſ. w. im Zaume halten, denn Mancher, der ſich nicht ſchaͤmt, ſich ſelbſt zu brandmarken, ſchaͤmt ſich doch von Andern und oͤffentlich gebrand - markt zu werden.217man den Murrkopf vielleicht fragen: ob er eine andere, eine republikaniſche Verfaſſung und Regie - rung wuͤnſche, wuͤrde man ſie ihm wohl gar mit den Waffen anbieten, ſo waͤre er vermuthlich der Erſte, der ſie mit den Waffen in der Hand zuruͤck - wieſe. Keine Regierung, keine Verfaſſung iſt voll - kommen; aber dennoch muß man es wuͤnſchen, je - der den hoͤchſtmoͤglichſten Grad irdiſcher Vollkommen - heit zu geben; dies kann nur durch freien ungehin - derten Jdeentauſch geſchehen. Der beſte und wei - ſeſte Regent kann Fehler begehen, wodurch nicht allein der Einzelne, ſondern ſein ganzes Volk ſehr gedruͤckt wird. Jſt er wirklich ein edler und wei - ſer Menſch, ſo muß es ihm ſehr willkommen ſeyn, die Stimme Anderer, und klaͤnge ſie auch fuͤr den Augenblick nicht ſo lieblich und angenehm, wie der Silberton einer Catalani, uͤber ſeine Handlungen zu vernehmen. Er fuͤhlt dann, wo und wem er wehe gethan hat; er kann verguͤten, und ſich in der Fol - ge vor aͤhnlichen Mißgriffen in Acht nehmen.
Die Buͤchercenſur, ſowohl in ſittlicher und theo - logiſcher, als in politiſcher Hinſicht iſt folglich ei - ne der ſchlimmſten Erfindungen, die wir den Pfaf - fen verdanken. Frankreich, Spanien und Portugal wuͤrden ſchwerlich jemals gewaltſame Umwaͤlzungen erfahren haben, wenn man keine Baſtillen, keine Lettres de Cachet, keine Buͤchercenſuren, keine Jn - quiſitionsgerichte, keine Beichtvaͤter und PfaffenIII. Vaͤndchen. 19218dort gehabt haͤtte; wenn jeder oͤffentlich, laut und frei haͤtte ſchreiben und ſprechen duͤrfen, was ihm fuͤr ſein und ſeiner Mitbuͤrger Wohl heilſam ſchien; wenn die Fuͤrſten ſtatt ihren Leidenſchaften und der Stimme ihrer Miniſter, ihrer Huren, ihrer Beicht - vaͤter, ihrer Schmarotzer und Hoͤflinge zu gehor - chen, der Stimme ihrer Voͤlker Gehoͤr gegeben, und denſelben gefolgt waͤren. Nie wuͤrde von den Rechten der Menſchen die Rede geweſen ſeyn, wenn dieſe Rechte nicht von Fuͤrſten, Pfaffen und Rittern ſo grauſam waͤren zertreten worden. Nie haͤtte man von Pflichten der Regenten geſprochen, wenn dieſe nicht von jeher alle fuͤrſtlichen und menſchli - chen Pflichten ſo oft und frevelnd verletzt haͤtten; und hieran war beſonders bei den Chriſten die, durch ſchmeichleriſche, ehrgeizige, herrſch - und hab - gierige Pfaffen vollbrachte Entſtellung der Chriſtus - lehre Schuld. Die ſchoͤnen und erſten Grundſaͤtze derſelben: daß alle Menſchen goͤttlichen Geſchlechts ſind; daß alle gleiche Anſpruͤche auf den Genuß und die Freuden des Lebens haben; daß alle, ſie moͤgen ſeyn, von welcherlei Volk und welches Glau - bens ſie wollen, ſich mit inniger Bruderliebe um - faſſen; daß keiner den andern als ſein Eigenthum und als einen Sklaven, als eine Sache behandeln ſolle; dieſe erſten und herrlichſten Grundſaͤtze der Lehre des Heilandes wurden aus den Glaubens - und Sittenlehren des Chriſtenthums ausgetilgt,219 und dafuͤr ſchob man unvernuͤnftige, den Geiſt der Menſchen verwirrende und beaͤngſtigende Dogmen und die Lehre ein, daß die Fuͤrſten erbliche Eigen - thuͤmer ihrer Voͤlker waͤren, und mit ihnen ſchalten und walten koͤnnten, wie ihnen beliebte. So ent - ſtand nach und nach die Lehre von einer erblichen Legitimitaͤt der Regenten, deren Willen, Launen und Leidenſchaften alle Menſchen, uͤber die ſie eine Herrſchaft ſich anmaßten, ohne nur zu murren, gehor - chen muͤßten; ſo entſtand die ſchaͤndliche, aus den Koͤpfen der Pfaffen entſprungene und in der Koͤpfe der meiſten Diplomaten uͤbergegangene und eingewurzelte Wahn, daß die Voͤlker ein zu vererbendes, zu verſchachern - des und auf jede Weiſe zu veraͤuſſerendes Eigen - thum ihrer Beherrſcher, daß ſie bloße Heerden von Wollen - und Schlachtvieh waͤren, die von ihren weltlichen und geiſtlichen Herren geſchoren, ge - geſchlachtet und gemißhandelt werden koͤnnten, wie es den letztern gefiele. Dies ſuchte man darzuthun mit dem Ausſpruche des Heilandes: Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt, und Gott, was Got - tes iſt. Wahrlich, nur von einem ſchmarotzenden pfaͤffiſchen oder einem bebaͤnderten diplomatiſchen Raͤnkeſchmied konnte dieſer Ausſpruch auf jene Wei - ſe verdrehet und ausgelegt werden. Chriſtus be - ſahe, ehe er ſein Urtheil faͤllte, zuvor die Muͤnze, die man ihm brachte, und deutete dadurch ſchon an, daß man befugt ſei, die angeblichen Rechte eines19 *220Kaiſers und weltlichen Gewalthabers zu unterſuchen, und wenn man ſeine Forderungen unrechtmaͤßig faͤnde ſie zu verweigern. Er ſagte: Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt; allein er ſprach kei - nesweges: Gebet dem Kaiſer alles, was er begehrt; gebt ihm, wenn er es verlangt, Hab’ und Gut, und laßt die Eurigen vor Kaͤlte und Hunger um - kommen; opfert ihm Weib und Kind, und die un - veraͤußerlichſten Rechte des Menſchen; opfert ſelbſt euer Blut und euer Leben ſeinen Launen, ſeinen Leidenſchaften und ſeiner Willkuͤhr! Wie haͤtte Chri - ſtus, der edelſte, weiſeſte und freimuͤthigſte Menſch, der jemals von blutgierigen Pfaffen gemordet ward, wohl dergleichen Unſinn behaupten koͤnnen? Und wie wenig wuͤrde er dieſe Lehre vom unbedingten Gehorſam gegen die Obern durch ſein eigenes Bei - ſpiel beſtaͤtigt haben, Er, der den Tollheiten der juͤdiſchen Vorgeſetzten laut und oͤffentlich wider - ſprach, ihnen ſogar ins Geſicht ſagte: daß ſie Ot - terngezuͤcht waͤren, und keinem ihrer Befehle, der ſeinen Anſichten zuwider war, gehorchte? Schon ſein edler Vorgaͤnger Johannes ſtarb auf dem Blutgeruͤſt, weil er — nach unſern despotiſchen Prinzipien — ein Majeſtaͤtsverbrecher war, indem er mit wuͤrdevollem Ernſt und oͤffentlich die Laſter eines Koͤniges ruͤgte; und Chriſtus endete am Kreuz, weil er eben ſo wenig, wie Johannes dem despoti - ſchen Prinzip ſich mit feigem blinden Gehorſam221 unterwerfen wollte. Der von den Pfaffen ver - drehete Ausſpruch: Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt! beweiſt alſo nichts fuͤr, ſondern alles gegen die teufliſche Lehre vom blinden Gehorſam gegen die Obern, wodurch die Menſchheit von welt - lichen und geiſtlichen Hirten viele Jahrhunderte hindurch in die ſchmaͤhlichſten Feſſeln gehalten ward. Wenn ich ſage: gebet dem Kaufmann, was des Kaufmanns iſt; begehre ich damit von Euch, daß Jhr Jhm einen Pfenning mehr fuͤr ſeine Waare zahlen ſollt, als Jhr ihm ſchuldig ſeyd? Nur das, was ihm zukoͤmmt, was er rechtlich verlangen kann, das ſollt ihr ihm geben; keinen Kreuzer daruͤber.
Die Ermahnung des Apoſtels: Seyd unter - than der Obrigkeit, die Gewalt uͤber euch hat, ward gleichfalls von den ſchmarotzenden Pfaffen als ein goͤttlicher Befehl zum blinden Gehorſam gegen die Willkuͤhr jedes geiſtlichen und weltlichen Despoten ausgelegt. Allein mit nichten. Offenbar verſteht Paulus hier unter Gewalt nur eine auf rechtmaͤßigem und geſetzlichem Wege erlangte, keine durch Uebermacht angemaßte Gewalt; denn ſonſt muͤßte ich verpflichtet ſeyn, jedem Raͤuber, der mich uͤberfiele und es forderte, zu folgen und ihm bey ſeinen Verbrechen huͤlfreiche Hand zu leiſten. Die Gewalt ſoll aber nicht allein auf rechtmaͤßigem und geſetzlichem Wege erlangt, ſondern auch auf eine, mit der Vernunft und den unveraͤußerlichen222 Rechten der Menſchen und Voͤlker uͤbereinſtimmen - de Weiſe angewandt werden, denn die Obrigkeit ſoll Gottes Dienerin ſeyn; ſie muß alſo nichts thun, was der Vernunft und den unveraͤußerlichen, von Gott dem Menſchen gegebenen Rechten wider - ſpricht. Sie muß nicht begehren, daß freie, zu gei - ſtiger und ſittlicher Vervollkommnung erſchaffene, und zum Genuß aller Guͤter des Lebens berechtigte Weſen ihren Geiſt in tyranniſches Sklavenjoch beu - gen, und jedem Genuß des Lebens entſagen ſollen, damit der Allerdurchlauchtigſte oder Durchlauchtigſte mit ihrem Schweiß und Blut ganze Schaaren fau - ler Schmarotzer, Windbeutel, Huren, Beichtvaͤter, Jagdhunde, Spione, Schergen, Henker, Zoͤllner, Schinder und dergleichen Ungeziefer maͤſten koͤnne; denn thut ſie das, ſo iſt ſie keine Dienerin Gottes, wie der Apoſtel ſagt, ſondern eine Dienerin des Teufels, keine rechtmaͤßige Obrigkeit, ſondern eine Ausgeburt der Hoͤlle, der man keinen Gehorſam weiter ſchuldig iſt. Die Obrigkeit ſoll eine Dienerin Gottes ſeyn zur Strafe uͤber den, der Boͤ - ſes thut; ſie ſoll aber uicht den guten und redlichen Buͤrger und Bauer quaͤlen und ausſaugen; nicht die Fruͤchte ſeiner muͤhevollen Arbeit in eiteln Luſt - gelagen und an Spieltiſchen verpraßen; nicht ihm ſeine Soͤhne entreißen, um ſie zu elendem Puppen - ſpiel zu mißbrauchen, ſie an Muͤßiggang und Laſter zu gewoͤhuen, und ſie zu nuͤtzlicher Thaͤtigkeit an223 Seele und Leib unfaͤhig zu machen. Die Dienerin Gottes, die Raͤcherin zur Strafe uͤber den der Boͤ - ſes thut, ſoll auch ihren Untergeordneten nicht ihre ſchoͤnen Toͤchter nehmen, um mit ihnen Schande und Unzucht zu treiben, weil dadurch dem Volke ein ſehr ſchlimmes Beiſpiel gegeben wird. Sie ſoll ferner nicht durch unerſchwingliche Auflagen allen Handel, allen Kunſt - und Erwerbfleiß ertoͤdten, weil hiedurch Nahrungsloſigkeit und Armuth, und durch dieſe Verzweiflung, Unſittlichkeit und Verbre - chen herbeigefuͤhrt werden. Die Dienerin Gottes, die Raͤcherin zur Strafe uͤber den der Boͤſes thut, ſoll keine rechtlichen Maͤnner, die nichts Boͤſes ge - than haben, in Ketten und Banden ſchlagen und vor Jnquiſitionsgerichten und in Kerkern herum - ſchleppen, weil ſie ihrer ungezuͤgelten Herrſchgier etwa verdaͤchtig ſind; ſie ſoll nicht durch ſchaͤndli - che Beſtechungen oder durch Drohungen Dienſtboten gegen ihre Herrſchaften, Freunde gegen ihre Freun - de, Geſchwiſter gegen Geſchwiſter, Kinder gegen ih - re Eltern, Gatten gegen ihre Gatten zu ſchaͤndli - chem Verrath und zu falſchen Eiden verreizen; nicht durch geheime Aufpaſſer und Spaͤher jedes Wort und jede Miene belauſchen laſſen, weil durch Richtswuͤrdigkeiten der Art alles buͤrgerliche und haͤusliche Gluͤck zerſtoͤrt; alles oͤffentliche und be - ſondere Vertrauen getoͤdtet, und Tugend, Recht und Sittlichkeit von der Erde verbannt werden. 224Wenn die Dienerin Gottes, eine Raͤcherin zur Stra - fe uͤber den der Boͤſes thut, ſich von dem Vorbe - merkten etwas zu Schulden kommen laͤßt, ſo iſt ſie keine Dienerin Gottes mehr, ſondern eine Die - nerin des Teufels, dem wir Chriſten beim Empfange der heiligen Taufe feierlich allen Gehorſam aufgekuͤn - digt haben.
Der heilige Paulus war uͤbrigens, als er je - ne ſo oft von Zwingherren und Pfaffen gemiß - brauchte Stelle niederſchrieb, mit ſich uͤber die Be - fugniſſe der obrigkeitlichen Gewalt noch gar nicht im Klaren; dies beweiſen die vagen Ausdruͤcke, in denen dieſe Ermahnung an die roͤmiſchen Chriſten abgefaßt iſt. Die Handlungen des Apoſtels zeigen, daß er dem Grundſatz vom blinden Gehorſam kei - neswegs huldigte, denn ſonſt haͤtte er weder den Juden, noch den Roͤmern, noch den Griechen das Evangelium verkuͤndigen muͤſſen.
Jene Anmahnung an die roͤmiſchen Chriſten, die unter den Verfolgungen der heidniſchen Roͤmer ſchon dazumal litten, muß uͤberhaupt als eine po - litiſche Vorſichtsmaßregel, keineswegs als ein fuͤr alle Chriſten verbindlicher Befehl: ſich blindlings der Willkuͤhr ihrer Obern und Vorgeſetzten zu unter - werfen, betrachtet werden. Haͤtte es das Letztere ſeyn ſollen, ſo haͤtte Paulus auch die andern Chri - ſten in ſeinen uͤbrigen Briefen zum blinden Gehor - ſam ermahnen muͤſſen. Das alte Teſtament lehrt225 von einer ſolchen ſklaviſchen Unterwuͤrfigkeit unter den Willen der Obern gerade das Gegentheil. Da - vid, Jerobeam, Jehu und die Makkabaͤer lehnten ſich mit gewaffneter Hand gegen diejenigen auf, welche nach der gegenwaͤrtigen heiligen Legiti - mitaͤtslehre ihre rechtmaͤßigen Oberherren waren. Jm alten Teſtamente finden die legitimen Des - poten alſo wenig Troſt fuͤr ihre Willkuͤhr, und eben ſo wenig im neuen, am allerwenigſten aber in den Lehren unſers goͤttlichen Erloͤſers. Was ſoll da wohl am Ende aus dem heiligen despotiſchen Prinzip werden, welches an der Vernunft, am Gei - ſte der Zeit und der Stimme aller Voͤlker die hef - tigſten Widerſacher hat, und ſelbſt in der Bibel nicht einmal eine zuverlaͤßige Stuͤtze ſuchen kann? *)Nach der Schlacht von Malplaquet ſahe ſich Lud - wig XIV. genoͤthigt, die großen Grundbeſitzer gleich - falls mit einer ſehr druͤckenden Abgabe zu belegen, welche er ſchon fruͤher, ohne ſich das mindeſte Ge - wiſſen daraus zu machen, von dem aͤrmern Theil der Nation, dem Buͤrger - und Bauernſtande erho - ben hatte. Jetzt aber befragte er zuvor ſeinen Beichtvater le Tellier und die Sorbonne: ob er ein Recht habe, auch die großen Gutsbeſitzer mit je - ner Abgabe zu belegen? Sie antworteten ihm: die Guͤ - ter ſeiner Unterthanen gehoͤrten ihm; und er naͤhme nur, was ſein waͤre. Marmontel a. a. O. Tome I. p. 148. Der Grundſatz: daß Gut, Blut und Leben der Un -
226Doch ich kehre zur Cenſur, weche die weltlichen Zwingherrn von den geiſtlichen geerbt haben, zu - ruͤck. Nichts iſt der Verbreitung eines bereits ge - druckten Buchs vortheilhafter, als ein ſtrenges Ver - bot. Semper in vetitum nitimur. Wer ſonſt auch nie, oder doch ſelten ein Buch in die Hand nimmt, wuͤnſcht den Jnhalt des verbotenen zu kennen. Es wird gerade wegen des Verbots das Tagesgeſpraͤch einer ganzen Nation; wer es nicht bekommen kann, laͤßt ſich von Andern daraus berichten, und ſo theilt ſich oft gerade die bitterſte Quinteſſenz des Jnhalts, die, waͤre ſie mit dem Ganzen genoſſen worden, weit minder ſcharf geweſen ſeyn wuͤrde, von Munde zu Munde uͤberall mit. Selbſt unrich - tige Darſtellungen des Verfaſſers werden fuͤr wahr und fuͤr richtig aufgenommen, weil man voraus - ſetzt, daß gerade die Unmoͤglichkeit, ſie zu wider -*)terthanen Eigenthum der Herrſcher ſind, ward dieſen von jeher durch die Pfaffen eingeknuͤpft, und er iſt noch jetzt ein weſentlicher Beſtandtheil des despoti - ſchen und hierarchiſchen Princips. Jndeſſen fordert man doch, wie Ludwig XIV, aus wohlbekannter Billigkeit Gut, Blut und Leben der aͤrmern und nuͤtzlichen Klaſſen zuerſt, und erſt dann, wenn man ſich weiter nicht helfen kann, wenn jene voͤllig aus - geſogen ſind, zieht man auch die reichen und bevor - zuͤgten, oft wenig nuͤtzlichen, oder wohl gar ſchaͤdli - chen Staͤnde herbei.227 legen, an dem Verbot Schuld ſey. Ein Werk, das ſonſt kaum einige hundert Leſer gefunden haben wuͤrde, wird, ſobald man es verbietet, von vielen Millionen mit Begierde verſchlungen, denn jedes Exemplar durchlaͤuft oft die Haͤnde von Tauſenden. Das wußten Frankreichs Buchhaͤndler und Schrift - ſteller vor der Revolution ſehr gut, und daher bewirkten ſie oft mit großen Koſten ſelbſt Verbote der von ihnen herausgegebenen Schriften, in de - nen haͤufig keine Zeile enthalten war, die man nicht, ohne die mindeſte Gefahr im Beiſeyn des ganzen Hofes und der ganzen Nation laut haͤtte ausrufen koͤnnen. Moͤge man verbieten, ſo viel man will! Der Gewalt wird Liſt und Klugheit entgegen geſetzt. Gerade in den Laͤndern, wo man die mei - ſten heimlichen Spione haͤlt, werden die meiſten verbotenen Buͤcher geleſen, und gerade dort ſind ſie zum Nachtheil des despotiſchen Prinzips am wirkſamſten.
Waͤre in Deutſchland auch kein einziger Staat, wo ein Buch ohne Cenſur gedruckt werden duͤrfte; gaͤbe es auch keinen einzigen Buchdrucker mehr, der den Druck eines nicht cenſirten Werks uͤberneh - men koͤnnte und moͤchte; ſo wuͤrden ſich in andern Laͤndern, zum Beiſpiel in Frankreich, in England, in den Niederlanden, ja ſelbſt in Spanien Buch - drucker in Menge finden, die den Druck gerne be - ſorgten. Selbſt dem vermoͤgensloſen Schriftſteller wuͤrde es, wenn er anders ein wirklich geiſtvolles228 Werk geſchrieben haͤtte, in dieſem Falle nicht an Unterſtuͤtzung und Huͤlfsmitteln fehlen, es drucken zu laſſen, und mit großem Gewinn allenthalben, wo er nur wollte, abzuſetzen, denn uͤberall giebt es Menſchen, die dem hierarchiſchen und despoti - ſchen Hoͤllen - und Geiſterzwang abhold ſind, und mit Freuden, wenn gleich mit groͤſter, eigener Ge - fahr, die Haͤnde bieten, um eherne, unſers Zeitalters unwuͤrdige Ketten abſchuͤtteln zu helfen. Das Zwingherrnthum hat alſo an der Cenſur, dieſer ehrloſen Erfindung der Pfaffen, ein ſehr ſchlechtes Erbtheil empfangen.
Durch die Hemmung des freien Gedankenver - kehrs wurde die Menſchheit zwar um Jahrhunder - te lang in ihrer geiſtigen und ſittlichen Ausbildung aufgehalten; allein unmoͤglich iſt es, ihr laͤnger zu wehren. Die ſchwachen Daͤmme, die man ihr noch hin und wieder entgegenſtellt, werden zer - ſprengt und durchbrochen, und die, welche ſich ihr noch mit ohnmaͤchtiger Hand widerſetzen wollen, werden fortgeſchleudert und in den Abgrund begra - ben werden. *)Etwas Aehnliches, wenn auch mit andern Worten, ſagte ich ſchon vor mehreren Jahren in meiner klei - nen Schrift: Ueber Herrn Regierungsrath Graͤvells Werk: Neueſte Behandlung eines preußiſchen Staatsbeamten; uͤber des Koͤnigl. preußiſchen geheimen Staats -Die in den grauen Zeiten der Vor -229 welt von Pfaffen und Zwingherren erfundenen Geiſtesfeſſeln ſind elende Spinnegewebe, leicht zer - reißbar fuͤr große, zum Alter der Reife und Voll - jaͤhrigkeit gediehene, und uͤber ihre Rechte und ih - re Beſtimmung aufgeklaͤrte Nationen, die nicht Neigung haben, ſich ferner, wie Kinder unter der Ruthe, oder gar wie veraͤchtliche, barbariſche Skla - ven und Thiermenſchen unter einem kalmuͤckiſchen Kantſchu halten zu laſſen. Aber man wird jene Spinngewebe in gluͤhende, eiſerne Ketten verwan - deln fuͤr Alle, die den menſchlichen Geiſt laͤnger noch feſſeln, die Rechte der Voͤlker laͤnger noch mit Fuͤßen treten, ſie zu Peſcheraͤhs herabwuͤrdigen und ihnen keinen hoͤhern Lebensgenuß, als den, eines qualvollen blos thieriſchen Daſeins geſtatten wollen. Es wird eine Zeit kommen, und ſie koͤmmt vermuth - lich, ehe man es glaubt, wo man wohl freie, gluͤck - liche und gebildete Nationen, aber keine Soͤhne Ke - tura’s, keine Dalailama’s, keine Biſchoͤfe, keine Beicht - vaͤter und keine Diplomaten mehr ſehen wird.
*)raths und Cenſors, Herrn Renfner Betragen gegen mich; und uͤber Cenſur, Steindruck, Geiſtesdruck und audern Druck. Leipz. 1819. 8. Die Verhaͤltniſſe haben ſich ſeitdem in mancher Ruͤckſicht maͤchtig veraͤndert, und es ſcheint faſt, als ſollte hin und wieder, der Zeitpunkt, von dem dort die Rede iſt, von denen noch fruͤher herbei gefuͤhrt werden wollen, die gerade am meiſten Urſache haͤtten, ihn zu verzoͤgern.
230Man verzeihe mir, daß ich mich ſo lange bei Gegenſtaͤnden verweilte, die vielleicht nach der An - ſicht manches Leſers, mit dem in der Ueberſchrift dieſes Aufſatzes genannten in keiner nahen Verbin - dung ſtehen. Jene Gegenſtaͤnde aber ſind, wie ſchon bemerkt worden, theils Ausfluͤſſe und Erfindungen des chriſtlichen Rabbinerthums, theils ſind ſie durch Beihuͤlfe und Mitwirkung des letztern entſtanden, und durften daher nicht ganz uͤbergangen werden.
Jch gehe jetzt uͤber zu der aͤußern Erſcheinung der weißen Leviten, und zu den Tugenden, wodurch ſie ſich ein ſo großes Anſehen und eine ſo allgemei - ne Herrſchaft uͤber die Gemuͤther der Voͤlker erwar - ben, und noch an manchen Orten erhalten.
Das Aeußere der Leviten des neuen Bundes, denn nur von dieſem kann hier die Rede ſeyn, iſt freilich eben ſo verſchieden, wie jenes aller uͤbrigen Menſchen. Jndeſſen giebt es doch manche phyſiog - nomiſche Grundzuͤge, manche Gebehrden und Mienen, wodurch ſich der weiße Rabbiner von ehrlichen Leu - ten, wenn ſie mit ihm in gleicher Kleidung erſchei - nen, ſehr merklich auszeichnet. Die fromme, ſal - bungsvolle Miene, das gottſelige Augenverdrehen, der demuthsvolle Blick, wenn ſie mit einem Hoͤhern, der hochmuͤthige und ſtolze, wenn ſie mit einem Ge - ringern ſprechen; das lauernde und heimtuͤckiſche Laͤcheln und viele andere Merkmale machen die chriſtlichen Leviten ſo kenntlich, daß man ſie mit231 andern Geiſtlichen deſſelben Glaubens ſchwerlich ver - wechſeln wird. Am Beſten laſſen ſich dieſe aͤußerlich bemerkbaren Zeichen aus den Tugenden herleiten, wodurch ſich der weiße Rabbiner von dem chriſtli - chen Volkslehrer oder — Geiſtlichen unterſcheidet.
Die erſte dieſer Tugenden iſt unſtreitig ein heiliger, gluͤhender Eifer fuͤr Alles, was zum Glaubenund zum Anſehen der Geiſt - lichkeit und der Kirche gehoͤrt. Dieſer Ei - fer war bei den juͤdiſchen Prieſtern die Quelle je - ner giftigen Verketzerungswuth, welche den Welt - heiland ans Kreuz ſchlug, und die Pfaffen des Chriſtenthums, von den Zeiten Konſtantins des ſo - genannten Großen bis zu unſern Tagen herab verleitete, Jeden mit Fluch und Bann, mit Gift und Dolch, mit Feuer und Schwerdt zu verfolgen, der nicht glaubte, was ſie glaubten, oder geglaubt haben wollten. Er war die Quelle, aus der ſie die unzaͤhligen Dogmen, Spitzfindigkeiten und For - meln ſchoͤpften, wodurch ſie die ſchoͤne einfache Lehre unſers goͤttlichen Erloͤſers entweihten, und ſie fuͤr den Schwachen in ein Labyrinth, fuͤr den Hellerſe - henden und Schlechtunterrichteten aber in einen Ge - genſtand des frevelhafteſten Spottes verwandelten. Aus dieſem, mit Goldgier und Ehrgeitz verbundenen Eifer entſprang die tyranniſche Bekehrungsſucht, durch welche Amerika ſeiner meiſten Ureinwohner beraubt und viele andere Laͤnder in den blutigſten Kriegen entvoͤlkert wurden.
232Man glaube nicht, daß die Verketzerungs - und Bekehrungswuth der weißen Leviten durch die gei - ſtige und ſittliche Fortbildung der Menſchheit ver - mindert worden ſei. Sie hat bloß eine andere Richtung genommen, und andere Mittel erwaͤhlt, weil Scheiterhaufen, Dragonaden, Exkommunika - tionen, Jnterdikte, Bannfluͤche und dergleichen fuͤr unſere Zeiten nicht mehr paſſen. Sie iſt um ſo ge - faͤhrlicher, je mehr ſie im Verborgenen wuͤthet, und ſich der Macht irdiſcher Herrgoͤtter bedient, um die Menſchheit in die alte Barbarei zuruͤck zu ſchleudern. Auch findet man ſie nicht nur bei der allein ſe - ligmachenden katholiſchen, ſondern ſelbſt bei der al - lein ſeligmachenden proteſtantiſchen Kirche. Die zahlreichen Austheiler und Verfertiger frommer Trak - taͤtchen; die Stifter und Stifterinnen gottſeliger Konventikeln und Klatſchanſtalten, in denen der Vernunft, dem geſunden Menſchenverſtande und oft ſogar aller Sittlichkeit Hohn geſprochen wird; die ruͤſtigen Zionswaͤchter in biſchoͤflichem und prieſter - lichem Gewande, die wider den Geiſt der Zeit und der Voͤlker das Kreuz predigen und die letztern als aufruͤhriſch und rebelliſch verlaͤſtern; alle dieſe und viele andere heilige Maͤnner und Frauen wuͤrden mit Freuden das Holz zu neuen Scheiterhaufen her - beitragen, um Aufklaͤrer, Freigeiſter, Jakobiner und Carbonari braten zu koͤnnen. Man wuͤnſcht jene finſtern Jahrhunderte wieder herbei zu zaubern, wowelt -233weltliches und geiſtliches Zwingherrenthum noch in voller Bluͤthe ſtanden, und viele proteſtantiſche Leviten wuͤrden eben ſo, wie viele proteſtantiſche Herrſcher und Diplomaten, willig ihr Haupt unter den Pantoffel des heiligen Vaters beugen, wenn ſie nur hoffen duͤrften, daß die frommen Zeiten des Mittelalters zuruͤckgebracht werden und ſie ihre Pfruͤnden und Weiber beibehalten koͤnnten.
Ferne ſei es, rechtliche Maͤnner geiſtlichen oder weltlichen Standes, die den Lehrſaͤtzen und Gebraͤu - chen ihrer Kirche, und waͤren dieſe noch ſo ver - nunftwidrig und ſonderbar, aus wirklicher Ueber - zeugung feſt anhaͤngen, deshalb dem Hohn und der Verachtung Preis geben zu wollen. Sittlicheit und Seligkeit des Menſchen werden nicht durch Dog - men und aͤußere Formen bedingt, obgleich dieſe un - ſtreitig auch auf das ſittliche Leben ſtark einwirken koͤnnen. Es giebt Juden, die, gleich ihren Glau - bensgenoſſen, alle uͤbrigen Menſchen als Kinder des Sammaels betrachten, um deren gaͤnzliche Ver - tilgung ſie taͤglich dreimal recht inbruͤnſtig den Gott Abrahams, Jſaaks und Jakobs anflehen; und doch ſieht man ſie nicht ſelten weit edler und menſch - licher gegen dieſe vermeintlichen Satanskinder han - deln, als manche chriſtliche Leviten und Rabbiner, die uns von ihren Kanzeln herab die Ermahnungen des großen Gekreuzigten zur Bruder - und Feindes - liebe, zur Barmherzigkeit, zur Geduld und NachſichtIII. Baͤudchen. 20234gegen Andere in hochtoͤnenden Phraſen zurufen, ohne ſelbſt eine dieſer goͤttlichen Lehren zu befolgen oder befolgen zu wollen. Handeln und Glauben, Werke und Lehren des Menſchen ſtehen haͤufig in diametriſchem Widerſpruch.
Gerne moͤchte man noch jenen geiſtlichen Blind - ſchleichen die Unverſchaͤmtheit verzeihen, womit ſie allen Andersdenkenden ihr Kirchenſyſtem aufzudrin - gen bemuͤht ſind, denn es koͤnnte wirklich ein red - licher Eifer fuͤr das vermeintlich Wahre und Rech - te hier obwalten. Aber es giebt nicht wenige unter ihnen, die Jeden, der nicht alle Poſſen mitmacht, die ſie als beſeligend fuͤr Zeit und Ewigkeit anprei - ſen; nicht alle Thorheiten glaubt, die ſie glauben, oder zu glauben vorgeben, mit giftiger Feder und Zunge als einen Freigeiſt, einen Ketzer, einen Jrr - lehrer, einen Jakobiner und Carbonaro darſtellen und anſchwaͤrzen, ihm ſeinen buͤrgerlich guten Ruf und ſeinen Kredit untergraben, und ihn mit Weib und Kind an den Bettelſtab zu bringen ſuchen. Zionswaͤchter der Art haben wir unter Proteſtan - ten und Katholiken ſehr viele gehabt, und leider, heißt noch jetzt ihre Zahl Legion.
Jhre auſſerordentliche Demuth iſt gleichfalls eine wichtige Tugend der chriſtlichen Rabbiner, wo - durch ſie in wenigen Jahrhunderten zu ſo hohem Anſehen gelangten, und eine Gewalt uͤber die Ge - muͤther der Regenten und der Voͤlker erwarben, welche alle Stuͤrme der Zeit, alle Reformationen235 und Staatsumwaͤlzungen nicht haben brechen koͤn - nen. Pfaffendemuth iſt keine Veilchendemuth, ſon - dern die Demuth des Epheu, welches ſchmarotzend an dem hohen Eichbaum emporkriecht, und ſelbſt deſſen Krone zu uͤberranken ſtrebt. Moͤge der hei - lige Vater im Vatikan tauſendmal verſichern, daß er ein Knecht der Knechte Gottes ſey; moͤgen un - fere katholiſchen und proteſtantiſchen Leviten noch ſo oft betheuern, daß » ſie ſich zwar fuͤr berufene, aber fuͤr unwuͤrdige Diener ihres Herrn und Hei - landes halten; daß ſie viel zu geringe ſind aller Barmherzigkeit und Treue, die Gott an ihnen ge - than hat; « man traue ihnen nicht; ſie treiben ei - nen hoͤflichen Scherz, und wuͤrden es ſehr uͤbel nehmen, wenn man ihnen Recht geben wollte. Der pfaͤffiſche Hochmuth, welcher ſo gerne ſich in den Mantel einer uͤbergroßen Beſcheidenheit huͤllt, iſt um ſo ſchlimmer, da jeder Pfaffe ſich einbildet, oder doch der Welt einbilden moͤchte, daß er ein hoͤheres und heiligeres Weſen ſey, als alle uͤbrigen Menſchen. Durch die Ordination oder Prieſter - weihe glaubt er ſich in ein naͤheres, unmittelbares Verhaͤltniß mit Gott verſetzt; er haͤlt ſich nicht fuͤr einen Diener des Staats, ſondern fuͤr einen Die - ner der Gottheit. Wer ihn beleidigt, beleidigt nicht den Menſchen, ſondern Gott ſelbſt, deſſen Diener er iſt, und daher iſt es nicht Rachgier, ſon - dern Pflicht, jede Kraͤnkung auf das ſtrengſte zu20 *236ahnen. Dies ſind die Anſichten der weißen Rab - diner, und leider, auch der von ihnen verblendeten Menge von der Wuͤrde und Heiligkeit ihres Stan - des und ihrer Perſonen! Das groͤßte Ungluͤck, wel - ches der Lehre unſers goͤttlichen Erloͤſers und der Menſchheit uͤberhaupt widerfuhr, war, daß ein Klerus ſich unter den Chriſten bildete, und ſich aus - fchließlich das Lehramt und die Leitung aller kirch - lichen Gottesverehrungen anmaßte. Mit ſeiner Ent - ſtehung gieng die urſpruͤngliche Einfachheit und Rein - heit der Chriſtnslehre zu Grunde. Die beiden ſchoͤ - nen und einzigen Symbole des Chriſtenthums, Taufe und Abendmahl, wurden von den Pfaf - fen in kalte kirchliche Formen und in geiſtliche Er - werbzweige verwandelt, die ſo, wie ſie jetzt bei faſt allen Bekennern des Chriſtenthums geuͤbt wer - den, ganz ihren erhabenen Zweck verfehlen. Was ſoll die Taufe, dies Symbol der Sinnesreinheit und der Aufnahme in die Gemeine der Chriſten, einem Kinde wohl nuͤtzen, das noch kaum ſein Daſeyn empfindet? Wie viel aber muͤßte ſie wirken, wenn der Taͤufling den Zweck dieſer heiligen Hand - lung zu begreifen und einzuſehen im Stande waͤre! Das Abendmahl, welches zum Gedaͤchtniſſe unſers goͤttlichen Erloͤſers von ihm geſtiftet ward, und zu deſſen Feier wir Chriſten uns, ohne Unterſchied des Standes, vereinigen ſollen, um das Band der Bruderliebe feſter zu knuͤpfen, und uns zu eriunern,237 daß wir Alle Kinder Eines großen guͤtigen Vaters ſind, wie ſehr weicht es jetzt nicht ab von den Lie - besmahlen der erſten Bekenner des Heilandes? Nie war es dem erhabenen Stifter des Chriſten - thums in den Sinn gekommen, einen beſondern Prieſterſtand unter ſeinen Bekennern einzufuͤhren. Jn jenen erſten Zeiten der Chriſten war Jeder, der Faͤhigkeit und Neigung hatte, befugt, in ihren gottesdienſtlichen Verſammlungen zu lehren, ohne daß ihm Einkuͤnfte und Ehrenvorzuͤge dafuͤr zu Theil wurden. Erſt ſpaͤterhin uͤbertrug man jene Befug - niß, womit man eine Art von Richteramt und geiſt - licher Oberherrſchaft verband, ausſchließlich beſtimm - ten Perſonen, welche nachmals ihr Anſehen und ihre Vorrechte immer mehr zu erweitern ſuchten, und deshalb eine Menge kirchlicher Gebraͤuche und Glaubenslehren erfanden, von denen unſer goͤttli - cher Erloͤſer nie etwas geſagt hatte. So ward das reine Chriſtenthum durch den Ehrgeiz, die Herrſchſucht und die Geldgier derjenigen erſtickt, die mehr, als alle uͤbrigen verpflichtet geweſen waͤ - ren, es in ſeiner Urſchoͤne zu erhalten, und der Nachwelt zu uͤberliefern. Die Geiſtlichkeit der Chri - ſten iſt alſo keinesweges, wie manche weiße Leviten uns ſo gerne bereden moͤchten, goͤttlichen Urſprungs; ſie iſt nicht von dem erhabenen Stifter des Chriſten - thums angeordnet, ſondern verdankt, wie alle an - dern bevorzuͤgten Klaſſen, ihre Entſtehung einer238 widerrechtlichen Anmaßung, den unedelſten ſelbſt - ſuͤchtigſten Leidenſchaften, und dem Aberglauben und der Einfalt des rohen Haufens. Laͤcheln muß man, wenn ſogar noch proteſtantiſche Pfarrer ſich fuͤr » unmittelbar von Gott berufene Diener der Religion « ausgeben. Dieſe fromme Prahlerei paßt nicht uͤbel zu der chriſtlichen Demuth, und ſteht den Maͤnnern Gottes beſonders dann ſehr wohl, wenn ſie durch Schleichwege, durch Beſtechungen oder wohl gar durch die Schuͤrze zum Beſitz ihres Schafſtalls gelangt ſind.
Gerne glauben wir es, daß unſere Dalai-La - ma’s, Paͤbſte, Mufti’s, Biſchoͤfe, Paſtoren, Patres, und wie die Herren ſich weiter zu nennen belieben, fuͤr das Seelenheil der Menſchheit ganz unentbehr - lich ſind; nur ſollten ſie in unſern Zeiten ſich ja nicht mehr das Anſehen geben, als ſtaͤnden ſie im naͤhern vertrautern Umgange mit der Gottheit, denn durch Aufſchneidereien der Art, und waͤren ſie noch ſo leiſe ausgeſprochen, werden ſie dem Ge - bildeten laͤcherlich, und hindern ſelbſt das Gute, was ſie durch ihre Lehren bewirken koͤnnten. Der heilige Geiſt flattert nicht mehr in Taubengeſtalt auf der Erde umher; er theilt an die Ehrenmaͤn - ner von der ſchwarzen Legion keine Wundergaben mehr aus, und daß ſie durch Ordination und Prieſterweihe gleichfalls nicht kluͤger und froͤmmer werden, ſieht man ja taͤglich. Beſonders ſollten239 unſere Volkslehrer, wenn ſie anders nicht den Na - men weißer Rabbiner verdienen wollen, nicht bloß ihre Zuhoͤrer uͤber die Pflichten der Menſchen, ſondern auch uͤber die Rechte derſelben belehren, nicht immer von der Unwuͤrdigkeit der armen Suͤn - der, ſondern auch von ihrer Wuͤrde als vernuͤnf - tige, zu hoͤherer Veredlung erſchaffene Weſen etwas ſagen. Ein Volkslehrer, der ſeinen Eingepfarrten keine ſchoͤneren Tugenden anzupreiſen weiß, als die Demuth, die Zerknirſchung des Herzens, die Ge - duld, den leidenden, blinden Gehorſam gegen die Befehle der Obern, die Beobachtung der kirchli - chen Gebraͤuche und dergleichen, erwirbt ſich wahr - lich um die Bildung ſeiner Gemeine ein ſchlechtes Verdienſt. Nur der Menſch, der ſeine Wuͤrde und ſeine Rechte als Menſch erkennt und fuͤhlt, vermag es ſich zu einer hoͤhern Stufe von Sittlichkeit zu erheben, welche dem, der ſich ſelbſt als ein veraͤcht - liches, bloß zum Dulden und zum blinden Gehor - chen und Glauben erſchaffenes Weſen betrachtet, zu erſteigen unmoͤglich iſt.
Was ſchon Chriſtus an den juͤdiſchen Phari - ſaͤern ſo oft und ſo bitter tadelte, die leidige Hei - ligthuerei, war von jeher und iſt noch jetzt eins der beliebteſten und kraͤftigſten Mittel chriſtlicher Bonzen, um ſich bei der Welt in Anſehen zu ſetzen. Richtet nicht, ſo werdet Jhr auch nicht gerichtet! Verdammet nicht, ſo werdet Jhr auch nicht ver -240 dammet; dieſe liebevollen, menſchenfreundlichen Ge - bote des goͤttlichen Erloͤſers ſind aus der Sitten - lehre der groͤßten Anzahl ſeiner heutigen, angebli - chen Apoſtel verbannt. Gerne geb’ ich zu, daß es ein widernatuͤrliches Verbrechen ſei, wenn eine jun - ge Frau ſechs Monate nach ihrer Hochzeit von ei - nem wohlgeſtalteten Kindlein entbunden wird, oder wenn gar ein ſchoͤnes Maͤdchen, welches, wie wei - land die heilige Mutter Gottes, von keinem Man - ne weiß, und den Bußthaler nicht einmal zahlen kann, mit Leibesfruͤchten geſegnet wird; gerne ge - ſtehe ich ein, daß es eine eben ſo ſchreckliche Suͤnde ſei, wenn ein armer Schelm aus dem Garten des Pfarrers ein halbes Dutzend Apfel oder Birnen maust, um nicht vor Hunger oder Durſt zu ver - ſchmachten; auch leugne ich keineswegs die Suͤnde wider den heiligen Geiſt, welche nach meiner ganz orthodoxen Anſicht hauptſaͤchlich darin beſteht, wenn man den Herren Geiſtlichen nicht mehr mit ſo vollen Haͤnden, wie ehemals, Geſchenke und Gaben bringt; wenn man ſtatt guter ſchwerer Gro - ſchen ſchlechte preußiſche Muͤnzgroſchen oder alte Knoͤpfe den Pfarrern als Beichtpfenninge in die Hand druͤckt; wenn man hinter dem Ruͤcken dieſer hochwurdigen und hochehrwuͤrdigen Maͤnner die Krokodillthraͤnen belaͤchelt, die ſie in Stroͤmen und Baͤchen uͤber den Geiſt unſerer Zeit und uͤber das taͤglich zunehmende Sittenverderben vergießen; al -lein241lein ich glaube nur nicht, daß wegen all’ dieſer Suͤn - den und Vergehungen, moͤgen ſie gleich ſo abſcheu - lich ſeyn, wie ſie wollen, die ganze Welt, wie einſt die großen und beruͤhmten Staͤdte, Sodom und Gomorra, mit Feuer vom Himmel werde vertilgt werden; denn wie viele gottſelige Rabbiner muͤßten nicht mit uns andern Sterblichen in den Flammen umkommen, wenn ſie nicht etwa, wie der fromme Blutſchaͤnder Loth auf eine hoͤchſt wunderbare Wei - ſe gerettet wuͤrden. *)Die Geſchichte Loths iſt unſtreitig eine der wun - derbarſten und — ſchaͤndlichſten im ganzen alten Te - ſtament, und uͤberdieß noch voll unaufloͤslicher Wi - derſpruͤche. Zwei Engel fuͤhren ihn nebſt den Sei - nigen aus dem, mit dem Untergange bedrohten So - dom, und gebieten ihnen, nicht hinter ſich zu ſehen. Loths Weib thut es dennoch, und wird dafuͤr in ei - ne Salzſaͤule verwandelt, welche ſogar aͤltere (chriſt - liche Reiſende noch in der Gegend des todten Mee - tes wollen geſehen haben. Vater Loth wandert mit ſeinen Toͤchtern nach Zoar, weil ſie ſich aber vor den dortigen Einwohnern fuͤrchten, ſo gehen ſie et - was weiter, und verkriechen ſich in eine Hoͤhle, um darin zu uͤbernachten. Die aͤltere Schweſter ſtellt der juͤngern vor: es gebe außer ihrem Vater keine Maͤnner mehr auf Erden, ſie wollten ihn mit Wein betrunken machen, ſich zu ihm legen, und ſich von ihm „ Saamen erwecken laſſen. ‟ Der Bor - ſchlag wird genehmigt, und in den erſten beiden Naͤchten ausgefuͤhrt. Das tragiſche Schickſal ihrer
III. Baͤndchen. 21242Eben ſo wenig kann ich mich uͤberzeugen, daß es eine poſitive Strafe des Himmels ſei, wenn der Blitz einem Mann, der aus uͤbler Gewohnheit oder aus Mangel an Bildung bey jedem zehnten Wort ausruft: Gott ſtrafe mich! Der Teufel hole! Das Donnerwetter! das Haus anzuͤndet, und vielleicht gar ihn ſelbſt erſchlaͤgt; oder wenn der Hagel dem fleißigen Landmann, der am Sonntage lieber arbeiten, als faul - lenzen und ſich betrinken mochte, ſeine Kornfelder verwuͤſtet, und dergleichen mehr.
Unſre chriſtlichen Leviten hingegen ſind in Sa - chen dieſer Art ganz anderer Meinung. Wo ein Land, eine Stadt, eine Familie, oder ein einzelner*)Mutter und der Stadt Sodom mußte alſo auf die Fraͤulein Toͤchter des Herrn Loth keinen tiefen Ein - druck gemacht haben. Wo ſie in ihrem unterirdi - ſchen Schlupfwinkel den Wein hernahmen, und wie ein in der ſinnloſeſten Betrunkenheit ſich befinden - der Mann zu ſolchen Geſchaͤften faͤhig ſeyn koͤnne, iſt ganz unbegreiflich. Aber weit unbegreiflicher iſt es, daß Loths Toͤchter, die durch Zoar, wo es un - ſtreitig Maͤnner gab, gekommen waren, und uͤber - dies Loths und Abrahams Verhaͤltniſſe ſehr gut kann - ten, alſo auch wißen mußten, daß Abraham eine große Anzahl von Knechten hatte, im Mindeſten zweifeln konnten, daß außer ihrem Vater noch Maͤn - ner auf Erden waͤren! Mir ſcheint, wie geſagt, die - ſe Geſchichte eine der abentheuerlichſten im ganzen alten Teſtament, welches doch wahrlich viel ſagen will. Credat Judaeus Apella! 243 Menſch von einem Ungluͤck betroffen wird, da iſt es gewoͤhnlich die Hand der goͤttlichen Gerechtigkeit, die das Boͤſe beſtraft. Jſt es einer von ihren Leu - ten, ein Stiller im Lande, welchem ein Unfall be - gegnet, ſo iſt es Zuͤchtigung von oben herab, denn » wen der Herr lieb hat, den zuͤchtiget er! ‟ Jſt ein Jrrglaͤubiger, ein Aufklaͤrer, ein Freigeiſt in ſeinen Unternehmungen oder ſonſt irgendwo gluͤcklich, dann laͤßt der Herr es geſchehen, um ihn durch Guͤte vielleicht noch zu ſich zu ziehen, oder um ſein Maaß ihm recht voll zu machen. So waren dieſe Blindſchleichen zu allen Zeiten die Dollmetſcher der guten und ſchlimmen Ereigniſſe, die ſich in Hinſicht ganzer Voͤlker oder einzelner Menſchen zutrugen. Sie haben im Rathe der Waͤchter geſeſſen; ſie wiſſen immer genau, warum Gott an einem Orte Regen und an dem andern Sonnenſchein gab; und verſtehen meiſterhaft die Kunſt, jedes Gluͤck und jedes Un - gluͤck auf die heimtuͤckiſchſte Weiſe zum Nachtheil de - rer zu deuten, die von ihnen gehaßt ſind, und ih - ren liebloſen Deutungen bei hohem und niedrigem Poͤbel Eingang und das Anſehen von Goͤtterſpruͤ - chen zu verſchaffen. Wehe dem, der unter die Nat - ternzunge oder unter die giftige Feder eines Pfaf - fen geraͤth; Meine Seele komme nicht in ihren Rath und meine Ehre ſei nicht in ihrer Kirche! ſagte ſchon Jakob, ſo wenig er ſelbſt etwas taugte, von ſei - nem Sohn Levi, und diß gilt noch von unſern heu -21 *244tigen chriſtlichen Pfaffen. Empoͤrend iſt es und ſchaͤndlich, wenn ein Volkslehrer, der die ſanfte lie - bevolle Lehre des Heilandes verkuͤndigen ſoll, ſelbſt von der Kanzel herab ſich die boshafteſten Verun - glimpfungen erlaubt, und oft die Ehre, das Gluck und die Ruhe ganzer Familien zu untergraben ſucht. Leider giebt es ſolcher Bonzen noch immer ſehr viel, und ſelbſt in Laͤndern, wo ihnen dergleichen nament - liche Schmaͤhungen unterſagt ſind, wiſſen ſie durch haͤ - miſche Anſpielungen, die haͤufig ſchlimmer ausgelegt werden, als der Urheber vielleicht ſelbſt es im Sinn hat, ihrem Naͤchſten zu ſchaden. Jhre Klatſchſucht ermangelt dann auch ſelten, dem, der zu ihrer geiſt - lichen Satyre den Schluͤßel nicht hat, damit recht dienſtfertig an die Hand zu gehen.
Sie wollen immer heiliger und beſſer ſeyn, als alle andere Menſchen; ſelbſt dem Heilande und ſeinen erſten Juͤngern moͤchten ſie es, dem aͤußern Schein nach, gleich, oder wohl gar noch zuvor thun, und daher wird jede ſchuldloſe Freude als eitle Augen - und Fleiſchesluſt von ihnen verdammt und begeifert. Sie bedenken es nicht, dieſe gottſeligen Maͤnner, daß der Schoͤpfer ſeine Welt nicht um - ſonſt ſo herrlich geſchmuͤckt hat; daß er den Trieb zur Geſelligkeit und gegenſeitigen Mittheilung, die Empfindungen der Freundſchaft und der Liebe in unſre Bruſt pflanzte, um uns dadurch zu ver - edeln, und uns immer mehr zu ſich hinan zu bilden. 245Jch kenne nichts Unheilbringenderes, als die durch pfaͤffiſche Heiligthuerei in manchen Laͤndern einge - fuͤhrten Verbote aller oͤffentlichen Vergnuͤgungen an Sonn - und Feſttagen, beſonders des Tanzes, der Muſik und mancher unſchuldigen Spiele, die zur Staͤrkung des Koͤrpers und zur Erheiterung des Geiſtes dienen. Vorzuͤglich grauſam ſind dergleichen Verbote dort, wo die arbeitenden Klaſſen, der Buͤr - ger, und der Bauernſtand alle Tage, und oft noch wohl halbe Naͤchte der Woche hindurch verwenden muͤſſen, um neben einem hoͤchſt kuͤmmerlichen Un - terhalt die ungeheuern Laſten und Abgaben aufzu - bringen, die man ihnen auflegt, ſo daß bloß ein Theil des Sonntags ihnen uͤbrig bleibt. Raubt man dem Menſchen jede Freude, jeden heitern Ge - nuß des Lebens, bei welchem er vielleicht den Kum - mer vergeſſen kann, der ihn zu Boden druͤckt; ſo macht man ihn ſtumpfſinnig, gefuͤhllos, hartherzig, neidiſch, heimtuͤckiſch und boshaft, und wuͤrdigt ihn zum Laſtthiere herab, dem man nur deshalb noth - duͤrftiges Futter giebt, damit es nicht vor der Zeit umkommen moͤge, und man es deſto laͤnger gebrau - chen koͤnne. Jeder Sonn - und Feſttag ſollte alſo, und vor Allem dort, wo kein bluͤhender Wohlſtand den arbeitenden Volsklaſſen es geſtattet, auch an den Werktagen ſich eine Erheiterung und Erholung zu verſchaffen, eben ſo ſehr den oͤffentlichen Vergnuͤ - gungen, als der Gottesverehrung gewidmet ſeyn. 246Jeder Pfarrer ſollte es ſich zur Pflicht machen, ſeine Gemeindeglieder zum Genuß unſchuldiger Freu - den aufzufodern, und ſtatt Muſik, Tanz, Schei - benſchieſſen, Ball - und Kegelſpiel in ſeinem Kirch - ſprengel als ſuͤndlich und gottlos zu verketzern, ſie vielmehr bei ſeinen Eingepfarrten als nothwendige Aufheiterungsmittel zu empfehlen und zu befoͤr - dern ſuchen. Eine ſchoͤne Muſik (und der Nicht - kenner findet leicht eine ſehr mittelmaͤßige ſchoͤn,) erhebt und veredelt das Gemuͤth weit mehr, als eine ſchlechte oder mittelmaͤßige Predigt. Jch habe Pfarrer gekannt, und ſie gehoͤrten ſicherlich zu den edelſten und achtungswuͤrdigſten jenes Standes, welche an den Sonn - und Feſttagen ſelbſt mit ihren Familien dergleichen Vergnuͤgungen ihrer Gemei - nen beiwohnten, und ſich unbedenklich den Mitge - nuß derſelben erlaubten, ohne dadurch im Minde - ſten etwas von ihrem Anſehen zu verlieren. Ver - wandelte doch der goͤttliche Erloͤſer ſelbſt zu Cana das Waſſer in Wein, um Heiterkeit und Frohſinn unter den Gaͤſten zu verbreiten.
Fort alſo, Jhr Murrkoͤpfe, die Jhr jeden heitern Lebensgenuß als ſuͤndlich verſchmaͤht! Der aͤchte Volkslehrer muß ſeiner Gemeine das Beiſpiel geben, wie man auf eine ſchuldloſe Weiſe des Le - bens ſich freuen kann! Er muß ſich nicht, wie dies von euch, Blindſchleichen, geſchieht, wegen der ver - meintlichen Wuͤrde ſeines Amts von den oͤffent -247 lichen Vergnuͤgungen ſeiner Gemeine, von Baͤllen, Maskeraden, Konzerten, Schauſpielen und andern Ergoͤtzlichkeiten ſcheinheilig zuruͤckziehen, ſondern der Erſte dort auf dem Platz ſeyn, und der Letzte, der wieder fortgeht, um allen Unordnungen und Unſitt - lichkeiten vorzubeugen. Nur dann iſt er nach dem Sinne unſers Heilandes ein guter Hirt, der ſeine Heerde gehoͤrig zu huͤten verſteht.
Der pfaͤffiſchen Heiligthuerei liegt oft ein ſehr gemeiner, poͤbelhafter Eigennutz zum Grunde.
Jch kannte in meinem Vaterlande einen alten Pfarrer, der eben ſo orthodox, als geizig war. Er waͤhlte ſich deshalb zum Hauslehrer einen Kandi - daten der Gottesgelehrtheit, der zwar ihm voͤllig gleich dachte, und außer nothduͤrftiger Koſt und Kleidung wenig begehrte, aber naͤchſt dem Dreieini - gen und den ſymboliſchen Buͤchern, Kaffe und Ta - bak am meiſten liebte. Der Pfarrer mußte ſich daher, wiewohl ungerne, entſchlieſſen, ihn mit Beiden frei zu halten. Nun ſaßen die Herren immer recht fried - lich in ihre Dampfwolken gehuͤllt und ſchwatzten ſehr erbaulich vom Laͤmmlein und von Blut und Wun - den, worein ſie ſich verkriechen wollten, wenn einſt der Weltenrichter kommen, und ſie als faule, un - nuͤtze Knechte beurtheilen wuͤrde. Jndeſſen war doch jede friſche Pfeife, die Herr Chriſtlieb, der Kandidat, einſtopfte, und jede Taſſe, die er hinun - ter ſchluͤrfte, dem gottſeligen Pfarrer ein Pfahl im Fleiſch.
248Aber, beßter Herr Kandidat! ſprach er einſt, ſeinem Geſellſchafter liebevoll die Hand reichend, wir muͤſſen nicht bloß thun, was das Laͤmmlein ge - than, wir muͤſſen auch Alles laſſen, was das Laͤmmlein unterlaſſen hat, um nicht aus der Gnade zu fallen, und den Kindern der Welt, die da kluͤger ſind, als Kinder des Lichts, aͤhnlich zu werden. Darum muͤſſen wir ringen und kaͤmpfen mit Fleiſch und Blut, und allen unſern Luͤſten, Neigungen und Begierden entſagen. Dem Laͤmm - lein, dem Laͤmmlein, liebſter Freund in Chriſto, wollen wir ſuchen in jeder Hinſicht, in Thun und Laſſen ganz gleich zu ſeyn.
Geruͤhrt und mit Thraͤnen umarmten ſich die frommen Erweckten auf das Zaͤrtlichſte; und ver - ſprachen ſich gegenſeitig, ihren Lebenslauf ſtrenge zu pruͤfen, und von heute an Alles zu thun, was Chriſtus gethan, und alles zu unterlaſſen, was er unterlaſſen haͤtte. Das neue Teſtament und ein ganzes Buch Papier wurden zur Hand genommen. Man fand jedoch bald, daß man gar wenig von dem thun konnte, was der Erloͤſer gethan. Man konnte keine Todten erwecken, keine Blinden ſehend, keine Lahmen gehend, keine Tauben hoͤrend, keine Stummen redend machen; und ſelbſt nicht einmal Teufel austreiben konnte und durfte man, da die hohe Regierung ſo eben durch ein ſehr langes und breites Edikt den Teufel, zum Leidweſen der249 Glaͤubigen und Stillen im Lande, gegen alle Oſtra - cismen, Exorcismen feierlich in Schutz genommen hatte.
Thun koͤnnen wir wenig, theuerſter Freund in Jeſu! ſprach der Pfarrer; wir muſſen ſehen, wie es mit dem Laſſen ſteht.
Hier zeigte ſich wieder, daß das Laͤmmlein ge - geſſen, getrunken, geſchlafen hatte, und daß man dies Alles ohne zu ſuͤndigen, gleichfalls thun duͤrfte.
Aber, fragte der Hochehrwuͤrdige ploͤtzlich, ſollte das Laͤmmlein wohl geraucht haben?
Herr Chriſtlieb, wie vom Donner getroffen, ſtutzte und meinte: es ſei doch wohl zu vermuthen!
Um Verzeihung, mein Beſter, ich glaube es nicht! erwiederte der gelehrte und rechtglaͤubige Seelſorger. Jch erinnere mich, geleſen zu haben, daß der Spanier Franz Drake, welcher Amerika entdeckte, erſt vor einigen hundert Jahren den Ta - bak aus der Provinz Nicotiana zu uns nach Eu - ropa brachte, weshalb man ihn auch noch lateiniſch Nicotiana nennt. Aber laſſen Sie uns im Huͤbner nachſchlagen.
Nach dieſem Gewaͤhrsmann hatte der Pfarrer in Nebenſachen zwar Unrecht, in der Hauptſache aber ganz Recht.
Da das Laͤmmlein nicht geraucht hat, ſo rau - che ich auch nicht! ſprach der gottſelige Mann, und ſetzte ſeine Pfeife mit chriſtlicher Faſſung vors Fenſter.
250Der ungluͤckliche Kandidat ſaß verzweifelnd da, wie ein armer Suͤnder, uͤber den man ſo eben den Stab gebrochen hat. Er that noch ein paar kraͤftige Zuͤge, ſeufzte, und warf darauf voll Un - muth den ſchoͤnen porzellaͤnenen Kopf auf den Bo - den, daß er in Stuͤcke zerſprang.
Ganz Recht, beſter Freund, ſagte der troͤſten - de Seelenhirt; aͤrgert dich deine Hand, ſo haue ſie ab, und wirf ſie von dir; aͤrgert dich deine Pfeife, ſo wirf ſie entzwei.
Voll Wehmuth betrachtete der junge Mann Gottes die Truͤmmer ſeiner Lieblingspfeife! Der Kopf war ein Geſchenk von Chriſtinchen, der hol - den, mannbaren Kuͤſtertochter, die auf dem Wege der Gnade und in den Betſtunden beim Pfarrer mit ihm bekannt geworden war. Sie ſelbſt hatte dies Angebinde mit der geiſt - und ſinnvollen Auf - ſchrift: » Wandle auf Roſen und Vergißmeinnicht, « auf dem Jahrmarkte fuͤr ihn auserkiest, und mit einem zaͤrtlichen Kuß in Ehren ihm uͤberreicht. Was ſollte er vorſchuͤtzen, womit ſich entſchuldigen, ohne zu luͤgen, wenn Chriſtinchen darnach fragte, und das geſchahe gewiß, wenn ſie ihn heute Abend nach der Betſtunde, das heißt um eilf Uhr, ihrem Ver - ſprechen gemaͤß, beſuchte, da ſie mit ihm ohnehin ein Woͤrtchen im Vertrauen uͤber die Wirkungen der Gnade und uͤber ihren Seelenzuſtand zu ſpre - chen hatte! Eine Thraͤne ſchimmerte in dem Auge251 des Liebenden, als der Pfarrer nach eifrigem Leſen und Blaͤttern endlich die Frage aufwarf:
Sollte das Laͤmmlein wohl Kaffe getrunken haben?
Der arme Hauslehrer ruͤckte aͤngſtlich auf dem Stuhl und wuͤnſchte den Baſeler Lumpenſammler, der ſonſt ſein Lieblingsſchriftſteller war, aber heute zu jenem ungluͤcklichen Geluͤbde die Veranlaſſung gegeben hatte, zum Kuckuk.
Jch ſollte doch glauben, Herr Pfarrer! begann er, ſich endlich ermannend; denn das Gericht, wo - fuͤr der fromme Jakob dem gottloſen Eſau ſeine Erſtgeburt abhandelte, war ſicherlich kein anderes, als eine Portion Kaffe. Jch wuͤßte wenigſtens auſ - ſer dem Kaffe nichts von Speiſen oder Getraͤnken auf der Welt, wofuͤr ich meine Erſtgeburt und meine vaͤterliche Erbſchaſt hingeben moͤchte, die, wie Sie wiſſen, bloß in der Weimar’ſchen Bibel, in Luthers Katechismus, in einem Geſangbuche, in Sebaſtian Friedrich Treſcho’s und Claus Harms ſaͤmmtlichen Werken, in Jung-Stillings grauem Mann und grauenvoller Geiſterkunde, nebſt einem halben Duz - zend geflickter Hemden und Struͤmpfe beſteht; auſſer dem kaffebraunen Rock und den ſchwarzſammtenen Hoſen, die ich anhabe. Dies Alles, Alles, mein ganzes Vermoͤgen will ich hingeben, ehe ich den Kaffe mir nehmen laſſe!
Gemach, gemach, lieber Freund! Wenn das252 Laͤmmlein ihn trank, dann thun wir es gleichfalls! Aber da der Kaffee aus Amerika koͤmmt —
Mit Jhrer Erlaubniß, Herr Pfarrer, nicht aus Amerika, ſondern aus Arabien, wie ich Jhnen aus Raffs Naturgeſchichte, die ich mehr als zwanzig Mal durchſtudiert habe, beweiſen kann.
Arabien liegt etwa ſechs Stunden von Jeru - ſalem, oder etwas weiter, und daher iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß Jakob ſeinem Bruder Eſau fuͤr nichts and ers, als fuͤr eine Taſſe Kaffee die Erſt - geburt abtauſchte.
Mit nichten, mein Theurer! Sie ſind auf Jrr - wegen; Eſau war nicht durſtig und trank nicht; er war hungrig und aß. Das ſind die Worte der Schrift und der muͤſſen wir glauben. Ergo war es kein Kaffee, was Jakob ihm vorſetzte, denn der Kaffee wird getrunken und nicht gegeſſen.
Allein, beſter Herr Pfarrer, Arabien, wo viel Kaffe waͤchst, ligt ja nur wenige Stunden von Je - ruſalem, und daher muͤſſen wir annehmen —
Wir muͤſſen nichts mehr und nichts weniger annehmen und glauben, lieber Freund, als was in der Bibel, in den ſymboliſchen Buͤchern, im oͤſterreichiſchen Beobachter und in den Schriften un - ſerer orthodoxen Theologen und unſerer legitimen Politiker ſteht. Wir muͤſſen uns nicht den Kindern dieſer Welt, einem Jeruſalem, Leſſing, Nicolai, Teller, Herder, Paulus, Eichhorn, Voltaire, Rouſ - ſeau, und ſolchen Boͤſewichtern gleich ſtellen. Jch253 will ſie nicht verdammen, denn: richtet nicht, ſo werdet ihr auch nicht gerichtet! Verdammet nicht, ſo werdet ihr auch nicht verdammet! Aber ſie wer - den ihren Lohn ſicherlich empfangen in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennet. Dort wer - den ſie gezwickt, gequaͤlt und gemartert werden Tag und Nacht vor Gott und dem Laͤmmlein. Der Teufel iſt ein ſtarker Raucher; er muß Fidibus ha - ben, und dazu gebraucht er die Seelen der Neo - logen, der Aufklaͤrer, der Freigeiſter, der Spoͤtter, der Jlluminaten, der Jakobiner und Carbonari.
Aber, Herr Pfarrer, wenn das Laͤmmlein Kaffe getrunken haͤtte, und wir thaͤten es nicht; was ſollten wir an jenem Tage nicht antworten, wenn es nun hieße: Warum habt ihr keinen Kaffee getrunken? fragt der verſchmuͤtzte Kandidat.
Lieber Freund, waͤre Jenes der Fall, ſo faͤnden wir es gewiß in den Evangeliſten, in der Apoſtel - geſchichte, in den Briefen, in der Offenbarung Jo - hannis, worin man doch Alles finden kann, was man nur will. Selbſt in den ſymboliſchen Buͤchern und der heiligen Concordienformel ſteht nichts von Tabak und Kaffee. Laſſen Sie uns zum Ueberfluß unſere beſten Schriftausleger nachſchlagen, das heißt die, ſo nicht die Wahrheit verleugnet, ſondern ihre Vernunft gefangen genommen haben unter dem Glauben; denn die Schriften der Neulinge beruͤhre ich nicht einmal, viel weniger moͤchte ich ſie leſen oder gar unter meinem Dache haben.
254Sorgſam ward jetzt die ganze Bibliothek des Pfarrers durchblaͤttert, die aus mehr als fuͤnfzig Baͤnden beſtand, und Alles enthielt, was, wie Voß ſagt:
„ Was Fecht und Goͤtz und Hollatz klexte. ‟
Nirgend fand ſich aber eine Sylbe vom Kaffe.
Sehen Sie nun Beſter, triumphirte der Seelſor - ger; ſehen Sie, daß ich Recht habe? Von heute an trinke ich keine Taſſe mehr! Und Sie? —
Freilich! Wenn Sie keinen mehr trinken —
Trinken Sie auch keinen! Topp! Seyn Sie deshalb nicht mißvergnuͤgt, mein Guter! Wir muͤſ - ſen unſer Fleiſch und Blut kreuzigen ſammt den Luͤſten und Begierden! Laſſen Sie uns mit Freuden der Eitelkeit dieſer Welt, dem Tabak und dem Kaf - fe entſagen; deſto groͤßer wird dereinſt unſer Lohn im Himmel ſeyn! Alſo topp!
Herr Chriſtlieb mußte einſchlagen. Betruͤbt ſammelte er die Scherben ſeiner Pfeife zuſammen, und es fehlte wenig daran, daß er nicht die Gnade mit allen ihren Wirkungen zum Baſeler Sammler und dieſen auf den Blocksberg gewuͤnſcht haͤtte. Der Seelenhirt blieb ſo heitern Sinnes, wie zuvor; aber dem Erzieher ſeiner holdſeligen Kleinen war faſt kein Wort abzugewinnen. Alle Freuden dieſes Lebens waren von ihm gewichen; Chriſtinchen allein blieb noch ſein Troſt, ſeine einzige Wonne in dem Herrn.
Mehrere Monate waren bereits ohne Kaffe und Tabak verfloſſen, als Herr Chriſtlieb einſt, fruͤher denn gewoͤhnlich, von einem Beſuche bei ſei -255 ner Angebeteten heimkehrte. Das Wetter war eben ſo truͤbe und neblicht, wie die Stimmung ſeiner Seele; aus allen Schornſteinen ſchlug der Rauch nieder, und je naͤher er der Pfarre kam, je ſtaͤrker vermehrte ſich ein lieblicher, levantiſcher Duft, den er ſo lange hatte entbehren muͤſſen, und der ſo ſuͤße Erinnerungen in ihm zuruͤck rief. Er befluͤ - gelte deshalb ſeine Schritte und ſtuͤrzte ganz uner - wartet und athemlos in das Zimmer des Pfarrers.
Dieſer ſprang erſchrocken vom Lehnſtuhl, ließ die brennende Pfeife zur Erde fallen, ſchuͤttete der Frau Pfarrerin eine große Kanne voll heiſſen Kaf - fe uͤber das Kleid und rieb ſich verlegen die Haͤnde.
Ha, ſo war es gemeint! rief Herr Chriſtlieb.
Ei nun, was giebt es denn? Jch habe ja bloß —
Mich angefuͤhrt, Unwuͤrdiger —
Eine Pfeife Tabak geraucht, fuhr der Seelen - hirt fort, und eine Taſſe Kaffe getrunken wegen der Zahnſchmerzen! —
Mich betrogen haben Sie, Elender! unterbrach der entruͤſtete Hofmeiſter; und jetzt luͤgen Sie noch, um das Maaß Jhrer Suͤnden recht voll zu machen! Glauben Sie etwa, daß Sie mir eben ſo, wie dem Almoſenkaſten, falſche Muͤnze fuͤr richtige aufbuͤrden koͤnnen! Jch weiß Alles, Alles! Jch weiß, daß Sie zehn und wohl zwanzig proCent von Jh - rem Mammon nehmen; daß Sie das gute Klinge -256 beutelgeld gegen ſchlechtes umtauſchen; daß Sie den Armenkaſten betruͤgen; daß —
Beſter Freund, ich bitte Sie, hoͤren Sie doch —
Jch will es dem Konſiſtorium berichten —
Mein Gott, ſo hoͤren Sie nur!
Endlich ließ ſich Herr Chriſtlieb beſaͤnftigen. Der Pfarrer ſah ein, daß ſein Gegner alle ſeine Geheimniſſe und gewiß durch Niemanden anders, als durch Chriſtinchens Vater erfahren hatte. Er er - bot ſich deshalb ſelbſt, dem Herrn Kandidaten die Adjunktur auf die fette Kuͤſterpfruͤnde zu verſchaf - fen, welche der beſcheidene Chriſtlieb ſchon lange gewuͤnſcht hatte, und nach einer halben Stunde ſaßen beide Herren wieder ſo friedlich, wie jemals bei einer Taſſe Kaffe, rauchten freundſchaftlich ihr Pfeifchen, und ſprachen vom Laͤmmlein, von Blut und Wunden, von den Wirkungen der Gnade, von der Seligkeit durch den Glauben und von der Ent - behrlichkeit aller guten Werke.
Vierzehn Tage nachher ward Herr Chriſtlieb zum Kuͤſter - Adjoint und Dorfſchullehrer beſtellt, und da Chriſtinchen ſich gerade auf dem Vorgebuͤr - ge der guten Hoffnung befand; ſo feierte man noch an demſelben Tage in chriſtlicher Stille die Hoch - zeit. Bald darauf ſtarb der Vater Chriſtinchens an einer Unverdaulichkeit, die er ſich von einem Kindtaufſchmauſe geholt hatte. Herr Chriſtlieb und ſeine Huldin ſind alſo jetzt im ungetheilten Beſitzeiner257einer ſehr eintraͤglichen Kuͤſterpfruͤnde. Ein Duz - zend Jungen und Maͤdchen, die nach den Berichten des Baſeler Sammlers, gleich ihren Eltern in der Gnade ſtehen, und nicht durch Werke, ſondern ein - zig und allein durch den Glauben ſelig zu werden ſuchen, umſpielen das fromme, erweckte und gluͤck - liche Ehepaar. Herr Chriſtlieb iſt ein fleißiger, treuer Arbeiter in dem, ihm anvertraueten Wein - berge, und blaͤuet mit kraͤftigem Arm ſeinen Zoͤg - lingen oder Zuͤchtlingen die drei Perſonen, die zwei Naturen, das Amt der Schluͤſſel des Himmelreichs, den Teufel und die ewige Verdammniß, wovon er ihnen ſchon hienieden einen Vorſchmack giebt, recht tuͤchtig ein.
Jch hatte dieſe, durchaus wahre Geſchichte ei - gentlich fuͤr die Baſeler Sammlungen zur Gottſee - ligkeit beſtimmt; weil aber der Herr Herausgeber, wie ich hoͤre, ſo viel Manuſkript vorraͤthig hat, daß an eine baldige Aufnahme ſchwerlich zu denken ſeyn moͤchte, ſo theile ich ſie hier mit. Jch hoffe, daß man gewiſſe charackteriſtiſche Zuͤge, woran man den weißen Leviten von ehrlichen Leuten unterſchei - den kann, und die bei allen chriſtlichen Rabbinern zu finden ſind, nicht uͤberſehen wird.
Zu jenen Zuͤgen gehoͤrt beſonders eine uner - ſaͤttliche Habgier und ein ſchmutziger Geiz. Wer ſeinem eigenen Hauſe nicht wohl vorſtehet, der iſt aͤrger, denn ein Heide! Das iſt der leitende Grund -III. Baͤndchen. 22258ſatz und das hoͤchſte Moralprinzip der chriſtlichen Leviten und Rabbiner. Nie kann man ihnen ge - nug geben; alles, was ſie ſehen, und was irgend einen Werth hat, das begehren ſie. Ja, in man - chen Laͤndern behaupten ſie wohl gar, daß derjeni - ge, welcher ihnen fuͤnf oder zehn Jahre nach ein - ander alljaͤhrlich ein beſtimmtes Geſchenk macht, fuͤr ſich und ſeine Familie in der Zukunft verpflich - tet ſei es immer zu thun, ſo lange er oder die Sei - nigen in der Pfarrgemeine bleiben,*)Dies iſt namentlich der Fall im Mecklenburgiſchen, im Hannoͤverſchen, Holſteinſchen, in Pommern und andern norddeutſchen Laͤndern, und vielleicht uͤberall, wo es weiße Rabbiner giebt. und dieſer Grundſatz wird von vielen Gerichten ſelbſt als gel - tend angenommen. Daher die Menge von Abga - ben und Leiſtungen an die Pfarrer, wodurch man - che Gemeinen gedruͤckt ſind. Man huͤte ſich alſo wohl einem geiſtlichen Blutigel ja nicht fuͤnf oder zehn Jahre hinter einander zu gewiſſen Zeiten ein und daſſelbe Geſchenk zu machen. Die Eier, die Wuͤrſte, die Braten, welche dieſe Herren von ihren Einge - pfarrten beziehen, ſind ſaͤmmtlich Fruͤchte jener hab - gierigen Anmaßung. Wer einem Pfaffen zum Neu - jahr zwei Friedrichsd’or giebt, und ihm am naͤchſt - folgenden Neujahrstage gar nichts oder etwa die Haͤlfte bieten will, der wird vom Herrn Pfarrer und der Frau Pfarrerin, oder woferne der letztere259 ein Katholik iſt, von deſſen Nichte uͤberall verkez - zert, verlaͤſtert und verfolgt werden. Am ſicher - ſten faͤhrt man immer, wenn man ihnen nie mehr giebt, als ſie mit dem unbeſtreitbarſten Rechte be - gehren koͤnnen. Der pfaͤffiſche Geiz aͤußert ſich oft auf die widerlichſte und unanſtaͤndigſte Weiſe, und was Vater Gleim ſagt:
Die Prieſter gehen mit leerem Magen Zum Hochzeitſchmaus.
iſt wahrlich kein ungegruͤndeter Vorwurf. Aerger - lich fuͤr den Wirth und laͤcherlich fuͤr ſeine uͤbrigen Gaͤſte iſt es, wenn der Bonze mit gierigen Blicken alle Schuͤſſeln und Flaſchen auf der Tafel zaͤhlt; jedes Gericht, welches ihm dargereicht wird, durch - wuͤhlt, um ſich das beſte Stuͤckchen heraus zu fiſchen, und bald dieſe, bald jene Speiſe voruͤber gehen laͤßt, um von einer folgenden, ihm wohlſchmecken - dern deſto mehr zu ſich zu nehmen. Jn vielen Ge - genden Norddeutſchlands, ich weiß nicht, ob auch in andern Laͤndern, nennt man einen und zwar den beſten Theil am Kaͤlber - und Hammel - oder Schoͤpſenbraten ſehr charakteriſtiſch den Pfaffenknochen, weil die Herren Geiſtlichen ſich bei Hochzeit-Kind - tauf - und Begraͤbnißſchmaͤuſen dies Stuͤck als ihr legitimes Eigenthum von jeher anmaßten. Haͤu - fig hatte ich in fruͤhern Zeiten Gelegenheit bei dergleichen Gaſtmahlen, die von geringern Buͤrgern und Bauern (denn bei Vornehmen maͤßigen22 *260die Herren ſich zuweilen noch etwas) gegeben wur - den, mein Auge an der Gefraͤßigkeit und Habgier der Pfarrer und Kuͤſter und ihrer gewoͤhnlich ſehr zahlreichen Familien zu weiden. Nicht bloß die hoch - ehrwuͤrdigen und gottſeligen Baͤuche werden ſo voll gepfropft; daß die Knoͤpfe von den Roͤcken und Weſten ſpringen, ſondern Alles, was man nur ei - niger Maßen mit Ehren oder heimlich bei Seite bringen kann, wird in die großen Rock - und Ho - ſentaſchen, in Koͤrbe, Huͤte und Unterfutter hinein gehamſtert, um der werthen Familie auf einige Tage zum Mundvorrath zu dienen. Dies garſti - ge Betragen vieler Geiſtlichen wird ſehr oft als die Folge einer ſchlechten Erziehung betrachtet, da meiſtens junge Leute aus den niedrigern Volksklaſ - ſen, die weniger Kenntniß des Schicklichen haben, den geiſtlichen Stand waͤhlen; allein man findet es doch nicht ſelten bei Maͤnnern dieſes Standes, die aus ſehr angeſehenen und hochgebildeten Familien entſproſſen ſind, und wie viele Bauern und gerin - gere Buͤrger trifft man nicht, die ſich eines ſolchen Benehmens hoͤchlich ſchaͤmen wuͤrden, und bei de - nen der Pfarrer, der ſich deſſelben ſchuldig macht, alle Achtung und alles Anſehen verliert!
Man verzeihe mir, daß ich hier ein ſo widri - ges Gemaͤlde von den chriſtlichen Rabbinern ent - warf. Jch hoffe, vielleicht manchen redlichen Mann geiſtlichen Standes, der ohne gerade zu den weißen261 Leviten zu gehoͤren, und ohne etwas Schlimmes dabei zu ahnen, ihr unanſtaͤndiges Beiſpiel nach - ahmt, und ſich als Lehrer ſeiner Gemeine dadurch ſchadet, einen Dienſt zu leiſten, wenn ich ihn auf das Unſchickliche und Unanſtaͤndige jenes Betragens aufmerkſam mache. Niemand wird ſchaͤrfer beob - achtet als der Volkslehrer; iſt er ein rechtlicher Mann, ſo iſt jeder Verluſt an oͤffentlicher Achtung, den er verſchuldeter oder unverſchuldeter Weiſe er - leidet, auch ein wichtiger moraliſcher Verluſt fuͤr ſeine Gemeine, auf welche dann ſelbſt ſeine beßten Lehren und Beiſpiele nicht mehr den Eindruck ma - chen koͤnnen, den er dadurch machen ſollte, und zu machen wuͤnſcht. Darum iſt es Pflicht jedes gutgeſinnten Pfarrers, alle Handlungen, und waͤren ſie uͤbrigens noch ſo erlaubt und ſchuldlos, ſorgfaͤl - faͤltig zu meiden, die ihm von jener Achtung etwas entziehen koͤnnen. Alſo nicht Spottſucht, nicht Wi - derwille gegen den Stand der Volkslehrer, der in meinen Augen zwar nicht heilig, aber doch ſehr eh - renwerth und nuͤtzlich iſt, leitete mir bei dieſer, ſo wie bei allen uͤbrigen Ruͤgen die Feder.
Nicht minder unangenehm, wenn gleich weni - ger laͤcherlich, offenbart ſich der Geitz der chriſtli - chen Leviten in ihrer Rauhheit und Harther - zigkeit gegen Arme und Duͤrftige. Wie oft ſieht man nicht, daß der reiſende Handwerker, oder der verkruͤppelte Krieger, der ſein Blut fuͤr das Va -262 terland vergoß, waͤhrend der Herr Pfarrer in hoch - toͤnenden Worten vom ſchoͤnen Tode fuͤr’s Vater - land, von der Liebe zu dem angeſtammten Fuͤrſten - hauſe und vom tauſendjaͤhrigen Reich predigte, wo Gerechtigkeit und Freiheit, Friede und Wohlſtand ſich kuͤſſen werden; wie oft ſieht man nicht, ſage ich, daß jene Ungluͤcklichen von dem Geiſtlichen, an deſſen Thuͤre ſie anklopfen, mit einem Bibel - ſpruch getroͤſtet oder gar mit den rauhen und bar - ſchen Worten abgewieſen werden: » Gehet hin und arbeitet! Jhr ſeid noch jung und geſund! « » » Wenn wir nur etwas zu arbeiten haͤtten! Wenn nur nicht von Fuͤrſten und Regierungen alle Erwerbzweige ſo ſehr durch Auflagen niedergebeugt waͤren, daß Jedem Vermoͤgen und Neigung geraubt wuͤrden, etwas arbeiten zu laſſen; dann wollten auch wir lieber zu nuͤtzlicher Thaͤtigkeit unſere Kraͤfte ver - wenden, als bei hartherzigen, ſcheinheiligen Prie - ſtern, bei reichen, zur Arbeit unfaͤhigen und ſchwel - geriſchen Edelleuten, oder bei erbarmungsloſen, muͤßigen und menſchenfreundlichen Beamten die Brodtrinden betteln, die unter ihre Tiſche fallen und ſelbſt von ihren Hunden verſchmaͤhet werden. « « Das iſt die gewoͤhnliche Sprache jener Elenden, wenn ſie durch die Verweigerung der geringſten Gaben an den Rand der Verzweiflung und faſt bis zum Selbſtmorde gebracht ſind.
Jch habe weiße Phariſaͤer und Leviten gekannt,263 und kenne deren noch viele, die ſorgfaͤltig ihre Hausthuͤren verriegeln, damit kein Armer ihre Schwelle uͤberſchreiten, ſie in ihren gottſeligen Traͤumen ſtoͤren, und ſie zu einer unbedeutenden Ausgabe auffodern moͤge. Ja, ich kenne ſogar hier in der Schweiz einen Pfarrer, der unmenſchlich genug war, einen ſolchen Ungluͤcklichen, der aus Mangel am Gehoͤr nicht gleich gieng, als man ihm die hoͤflich erbetene Gabe verweigert hatte, von der Treppe herunter ſtuͤrzte, ſo daß er ſich einen Arm verrenkte, und ins Spital gebracht wer - den mußte. Auch jetzt that der geiſtliche Barbar nichts, um ſein Unrecht einigermaaßen wieder gut zu machen, er war ſchamlos genug, wenige Sonn - tage nachher die Pflichten der Menſchen - und Bru - derliebe ſeiner Gemeine recht kraͤftig ans Herz zu legen. Jedermann wandte ſich voll Unwillen von ihm hinweg, und ſo gut ſeine Rede vielleicht ſeyn mochte, ſo zweifle ich doch, daß ſie in irgend ei - nem der Zuhoͤrer einen frommen Entſchluß geweckt habe.
Man wende mir nicht ein, daß viele Pfarren ſo ſchlecht und wenig eintraͤglich ſind, daß dem Prediger es unmoͤglich iſt, Wohlthaten an Arme und Nothleidende zu ſpenden, wenn er nicht ſelbſt mit den Seinigen darben will. Gewoͤhnlich ſind die Jnhaber der ergiebigſten Pfruͤnden gerade die hartherzigſten und geizigſten, und die katholiſchen264 Geiſtlichen, welche doch keine Familien zu verſor - gen haben, verſchließen ihre Thuͤren und Herzen eben ſowohl dem Duͤrftigen, wie manche Prote - ſtanten.
Freilich glaube’ ich, daß wer dem Altar dient, auch vom Altar leben muͤſſe, und daß jeder Schaͤ - fer befugt ſey, ſeine Schafe ſo gut zu ſcheren, wie ers vermag; allein mir ſcheint es doch grauſam, wenn der Pfarrer einem Verſtorbenen den letzten Liebesdienſt, das Begraͤbniß, verweigert, weil die arme Wittwe und ihre noch unerzogenen Waiſen nicht im Stande ſind, ihrem Seelſorger die Ge - buͤhren dafuͤr zu entrichten. *)Ein ſolcher Fall, welcher ſich im Meklenburgiſchen zutrug, wird ausfuͤhrlich in Schloͤzers Staatsan - zeigen — ich weiß nicht, in welchem Bande — er - zaͤhlt. Den Namen des Pfarrers, den ich perſoͤnlich als einen ſehr rauhen Geizhals gekannt habe, nenne ich hier nicht; er iſt todt und ſeine Aſche moͤge in Frieden ruhen. Jn jenem Werke aber iſt er, wo ich nicht irre, mit ſeinem ganzen Namen genannt.Mir ſcheint es grauſam, wenn der fromme Seelenhirt der Witt - we und den Waiſen ihr letztes Lager entreißt, um ſich fuͤr ſeine geiſtlichen Sporteln bezahlt zu machen. Moͤge der Schaͤfer immerhin ſeine Schafe ſcheeren, nur muß er nicht das Fleiſch zugleich mit der Wol - le hinwegſchneiden.
Sehr265Sehr beruͤhmt waren von jeher Levi’s chriſtli - che Kinder wegen ihrer Klatſchhaftigkeit und Schmaͤh - ſucht. Beſonders ſind die Haͤuſer der beweibten Geiſtlichen hinſichtlich der Neuigkeiten, die in ihren Gemeinen und ihrer Umgegend ſich zutragen, haͤu - fig daſſelbe, was Bloyds Kaffehaus und die Boͤr - ſen in den großen Handelsſtaͤdten in Ruͤckſicht der Weltbegebenheiten ſind. Die neueſten Dorf - und Stadt - ereigniſſe erfaͤhrt man gewoͤhnlich in des Pfarrers Hauſe am fruͤheſten, am richtigſten, und mit ei - ner Menge hiſtoriſcher, kritiſcher, theologiſcher und moraliſcher Anmerkungen begleitet, wozu nicht al - lein der Herr Pfarrer, ſondern auch die Frau Pfar - rerin und ihre Toͤchter, oder die Jungfer Schaff - nerin ihre eben ſo wort - als geiſtreichen Beitraͤge liefern. An manchen Orten iſt das Haus des Seel - ſorgers der einzige oder doch der vorzuͤglichſte Ort, wo neue Heirathen geſchmiedet, alte Ehen vernich - tet, und die meiſten ehrlichen Namen zu Grabe gelaͤutet werden.
Klatſchſucht, dies haͤßliche, entehrende Laſter faͤllt an Niemanden ſo widerlich auf, als an einem Volkslehrer, welcher der erſte und innigſte Vertrau - te aller ſeiner Eingepfarrten, ihr gemeinfchaftlicher, partheiloſer Freund, ihr Friedenſtifter und ihr vor - zuͤglichſter Rathgeber in ſittlichen, oft ſelbſt in haͤus - lichen Angelegenheiten ſeyn ſoll. Wenn das Haus eines ſolchen Mannes ein Magazin neuer ZeitungenIII. Baͤndchen. 23266und eine Werkſtaͤtte ſkandaloͤſer Chroniken iſt, wenn er und die Seinigen ſtatt den Entzweiten ernſthaft zum Frieden und zur Verſoͤhnung zu rathen, aus Eigennutz oder aus heimtuͤckiſcher Schadenfreude die Flammen mit Oehl loͤſchen; wenn er vielleicht gar den Winkeladvokaten und geheimen Anwald eines Gemeindegliedes gegen das andere macht; muͤſſen da nicht Achtung, Liebe und Vertrauen fuͤr einen ſolchen Pfarrer ſelbſt bei denen hinwegfallen, die fuͤr ihre Perſonen gar von jenen Zaͤnkereien nicht beruͤhrt werden? Leider, giebt es nicht wenig Maͤnner dieſes Standes, die an allen Zwiſtigkeiten zwiſchen ihren Eingepfarrten, nicht als Friedensver - mittler, ſondern als aufhetzende Beiſtaͤnde des ei - nen oder des andern Streitenden den thaͤtigſten Antheil nehmen und oft ſogar beiden Partheien ge - gen einander beiraͤthig ſind.
Der geiſtlichen Schmaͤhſucht iſt ſchon fruͤher erwaͤhnt. Sie iſt das natuͤrliche Ergebniß der ho - hen Meinung von ihrer eigenen Heiligkeit, welche die weißen Leviten wirklich hegen, oder gerne bei Andern moͤchten geltend machen. Der Prieſterman - tel iſt ſelten ein Mantel der Liebe, womit man die Fehler und Schwachheiten des Naͤchſten zu be - decken ſucht. Jſt es ein Erweckter, ein Frommer und Stiller im Lande, ja dann werden die aͤrgſten Bosheiten und Schandthaten entſchuldigt oder gar gut geheißen. Jſt es ein Reicher oder Vornehmer,267 dem man Verbindlichkeiten ſchuldig iſt, oder bei dem man ſich einzuſchmeicheln wuͤnſcht, dann iſt man gleichfalls mit Freuden bereit, jede Ungerechtigkeit und jedes Laſter deſſelben zu verhuͤllen, und ſie wohl gar als etwas Gutes und als Tugend darzuſtellen. Aber man laße einmal einen Geringern fehlen, oder auch einen Mann hoͤheren Standes, von dem man keine Gaben und Geſchenke, und keine Wuͤr - den und Pfruͤnden erwarten darf, gleich wird jede ſeiner Handlungen, und waͤre ſie noch ſo edel, ge - mißdeutet, jeder ſeiner wirklichen oder erdichteten Fehler wird entſchleiert und vergroͤßert, und wenn nicht oͤffentlich, doch insgeheim als ein Muſter zur Warnung und zum Abſcheu fuͤr Andere aufge - ſtellt. Manche dieſer geiſtlichen Molche ſchaͤmen ſich oft nicht einmal die Predigten ihrer aufgeklaͤrtern und beſſern Amtsbruͤder behorchen, von Geſchwind - ſchreibern nachſchreiben zu laſſen, und ſie nachher durch Zuſaͤtze und Weglaſſungen entſtellt einem ho - hen orthodoxen Konſiſtorium als Beweiſe der He - terdoxie des ihnen verhaßten Mannes zu uͤberrei - chen, um ihn von Ehre und Brod zu bringen, und ſeine Stelle, nach welcher entweder ihnen ſelbſt oder einem der Jhrigen geluͤſtet, an ſich zu reiſſen. *)Auch unter den Nichtgeiſtlichen giebt es Blindſchlei - chen der Art. Eine der wichtigſten in neuerer Zeit war unſtreitig der verſtorbene Graf Friedrich Leo -
23 *268Mit der Schmaͤhſucht iſt der levitiſche Hang zum Schmarotzen ſehr nahe verwandt. Die Pfaf - fen gehoͤren zu dem elenden Gewuͤrm, was auf Erden kriecht, denn nur durch Kriechen erklommen*)pold zu Stolberg, vormaliger Regierungspraͤſident zu Eutin. Jn einem excentriſchen, lutheriſch-or - thodoxen Sendſchreiben eines holſteini - ſchen Kirchſpielvogts an ſeinen Freund in Schweden ſuchte er, obgleich die Sache ihn gar nicht einmal etwas angieng, die neue vortreff - liche, von dem wuͤrdigen Superintendent Adler ein - gefuͤhrte Kirchenagende auf das Heimtuͤckiſchſte als ſchriftwidrig zu verketzern, und jenen wackern Mann ſelbſt als einen Jrrlehrer zu verlaͤſtern; und kurze Zeit nachher trat dieſer lutheriſche Zelot, dieſer eifrige Zionswaͤchter fuͤr die Reinheit des Luther - thums, zum Erſtaunen des ganzen gebildeten Deutſchlands, zur katholiſchen Kirche uͤber. Das letztere wird ihm ſicherlich kein Vernuͤnftiger verdacht haben, wenn es Sache wirklicher und ge - reifter Ueberzeugung war. Denn von Handlungen dieſer Art iſt man Niemanden, als Dem Rechen - ſchaft ſchuldig, der Herzen und Nieren pruͤft. Allein das Erſtere warf auf Stolbergs Kopf und Herz ei - nen haͤßlichen Schatten, und ich geſtehe aufrichtig, daß ich ſeit dem Augenblick, wo ich jenes Sendſchrei - ben las, von allen ſeinen, zum Theil ſehr gemuͤth - lichen und anziehenden Gedichten kein einziges mehr leſen und hoͤren mochte. Wenn Fuͤrſten und Mini - ſter ſich um die Liturgieen ihrer oder gar anderer Voͤlker bekuͤmmern, dann iſt mir fuͤr ihr Herz und ihren Kopf wahrlich ſehr bange. Nur alsdann ha -269 ſie bei allen Voͤlkern die erſtaunlichen Hoͤhen, von welchen ſie mit ſo ſtolzer Demuth auf Andre her - abblicken. Durch Schmarotzen und Kriechen, durch Luͤgen und Betrug und durch Verblendung der Voͤlker wurden die Paͤbſte in Rom und ihre Amts - bruͤder in Tibet aus elenden, geiſtlichen Poſſen - reiſſern große, gewaltige Herren. Allein nicht im - mer ſind es dreifache Kronen und koſtbare Fiſcher - ringe, warum Levi’s weiße und chriſtliche Soͤhne ſchmarotzen. Eine gute Mahlzeit, eine Portion Kaffe, eine Wurſt, ja ſelbſt ein Ei ſind die wich - tigen Gegenſtaͤnde, um die ſie gar gerne auf eini - ge Stunden ihre Wuͤrde und alle ihre Pflichten als Menſchen und als Volkslehrer vergeſſen. Jch habe Prediger gekannt, und manche von ihnen le - ben vielleicht heute noch, die mit den tiefſten Kratz - fuͤßen bei jedem Gaſtmahl erſchienen, wozu ein reicher Edelmann ſie einlud, und dann es ſich aus aͤchtchriſtlicher Demuth gerne gefallen ließen, daß man fuͤr ſie, weil ſie nicht von Adel waren, ein beſonderes Tiſchchen deckte, woran ſie es ſich ſehr gut ſchmecken ließen, obgleich ſie es fuͤhlen mußten, daß ſie nur zur Zielſcheibe der lauten witzigen Ein -*)ben ſie ein Recht hiezu, wenn der aͤuſſere Kultus einer Religionsparthei dem Staate oder einzelnen Mitgliedern deſſelben gefaͤhrlich werden kann, wie dies bei manchen Gebraͤuchen der Juden z. B. beim Col niddre der Fall iſt.270 faͤlle und Spoͤttereien des Hausherrn und ſeiner Gaͤſte dienten! Jch habe viele ſolcher Maͤnner Gottes geſehen, die ein ungluͤckliches gefallnes Maͤd - chen von ihrer Kanzel zur Hoͤlle verdammten, und einer Fuͤrſten - oder Edelmannshure ſchmeichelnd die Hand und wohl gar den Pantoffel leckten, um fuͤr ihre Soͤhne, die dergleichen oft im Mindeſten nicht bedurften, ein Stipendium zu erfiſchen. Sie machen ſich keinen Vorwurf daruͤber, den guten Namen und das ganze Lebensgluͤck rechtlicher Men - ſchen durch die giftigſten Laͤſterungen zu vernichten, wenn ſie ſich dadurch die Gunſt eines Großen er - werben koͤnnen; ſie werden Verraͤther an den hei - ligſten, ihnen anvertrauten Geheimniſſen fuͤr das freundliche Kopfnicken eines Fuͤrſten, eines Mini - ſters, eines Guͤnſtlings oder einer Buhlerin, und wuͤrden gewiß um einen weit wohlfeilern und bil - ligern Preis, als ihr Vorgaͤnger Judas, den Erloͤ - ſer ſeinen Feinden uͤberantworten. Nichts ſtreitet ſo ſehr mit der Wuͤrde eines Volkslehrers und uͤberhaupt mit der Wuͤrde jedes ehrlichen Mannes, als dieſe ſchaͤndliche, ſelbſtſuͤchtige Schmarotzſucht und dies demuͤthige Kriechen und Kratzfuͤßeln vor Allen, von denen man einen Vortheil oder Nach - theil erwarten darf.
Sehr prozeßliebend ſind Levi’s chriſtliche Soͤhne und ſehr zaͤnkiſch. Die Ermahnung des Apoſtels: » So viel an Euch iſt, haltet mit Jedermann Friede «271 gehoͤrt nicht in ihre Moral. Jhr Hang zu Rechts - ſtreiten iſt ſo beruͤhmt, daß an vielen Orten das allgemeine Spruͤchwort herrſcht: er iſt ſo prozeß - ſuͤchtig, wie ein Pfaffe. Dieſer unſelige Hang wird in manchen Laͤndern noch mehr durch die Einrich - tung genaͤhrt, daß der Pfarrer alle Prozeſſe, wel - che auf Vermehrung und Erhaltung des Kirchen - und Pfarreinkommens und der geiſtlichen Einkuͤnf - te Bezug haben, auf Gefahr und Koſten des Kir - chenſchatzes fuͤhren darf. Hat eine Kirche kein Ae - rarium, ſo muͤſſen andere Kirchen Anleihen machen, um die unbefugte Streitluſt eines ſolchen Seelen - hirten zu befriedigen. Dieſe Pfaffenprozeſſe werden gewoͤhnlich mit Hildebrandiſcher Anmaßung und Er - bitterung gefuͤhrt, und muͤſſen natuͤrlich alles Gute erſticken, was der Prediger etwa noch, wenn gleich nicht durch ſein Beiſpiel, doch durch ſeine Lehre haͤt - te ſtiften koͤnnen. Die Gegenſtaͤnde ſolcher Rechts - ſtreite ſind oft ſo unbedeutend, daß man kaum be - greift, wie angeſehene Gerichtshoͤfe es dulden koͤn - nen, daß man ſie Jahrelang damit belaͤſtigt. Ein halbes Dutzend Eier, ein Viertelpfund Flachs, ei - ne Elle Wurſt ſind haͤufig die wichtigen Dinge, woruͤber der weiße Rabbiner, auf Koſten des Kir - chenaerariums, ſich viele Jahre und manchmal wohl die ganze Zeit ſeines Lebens*)Jch erinnre mich hier eines Prozeſſes zwiſchen ei - mit ſeiner Gemeine herumzankt.
272Schon fruͤher iſt der Verfinſterungsſucht der levitiſch-chriſtlichen Blindſchleichen gedacht wor - den. Dunkelheit iſt das wahre Element, worin*)nem Pfarrer und einem adelichen Gutsbeſitzer uͤber ein Stuͤck Land, welches den Namen Pfaffen - land fuͤhrte. Bloß auf dieſen Namen und auf nichts weiter gruͤndete der geiſtliche Herr ſeine Befugniß es als Pfarreigenthum in Anſpruch zu nehmen. Da der Edelmann ſich aber der Abtretung des Landſtrichs weigerte, ſo verſagte der Pfarrer ihm und den Sei - nigen die Ertheilung des heiligen Abendmahls, woruͤber neben jenem Rechtsſtreit, noch ein bitterer Jnjurienprozeß entſtand, der zum Nachtheil des geiſtlichen Herrn bald entſchieden und abgemacht war. Der gerichtliche Krieg uͤber den Acker hinge - gen dauerte volle zwoͤlf Jahre, und der Pfarrer verlor durch alle Jnſtanzen. Hiemit noch nicht be - ruhigt, verklagte er ſeinen eigenen Sachwald, und beſchuldigte dieſen der wahrſcheinlichen Praevarika - tion, weil es ſonſt unmoͤglich geweſen waͤre, „ eine ſo gerechte Sache verlieren zu koͤnnen. ‟ Der Pro - zeß dauerte drei Jahre und ging gleichfalls fuͤr den Kanzelritter verloren. Die Koſten wurden indeſſen mit den Ueberreſten des Kirchenſchatzes beſtritten. Nicht lange nachher brannte die Kirche ab, und mußte von der duͤrftigen Gemeine wieder erbauet werden, weil Advokaten und Gerichte ſich in das Aerarium getheilt hatten. Dieſer Mann Gottes hatte in fuͤnfzehn bis ſechzehn Jahren nicht weniger als drei und fuͤnfzig Prozeſſe mit ſeiner Gemeine und einzelnen Mitgliedern derſelben, die er ſaͤmmt -273 dieſe Natternbrut am Beſten gedeihen kann; daher ihre Widerſetzlichkeit gegen alles Neue und Beſſere, ihr Loben und Ruͤhmen der alten und ihr Verlaͤ - ſtern der gegenwaͤrtigen Zeit; daher der Eifer, wo - mit ſie auf alles Herkoͤmmliche halten, und die Bannſtrahlen, die ſie gegen Jeden ſchleudern, der ihren dunkeln Schafſtall erhellen will.
Allein nicht immer nehmen ſie eine ſo duͤſtere Miene an, ſie geben ſich oft wohl ſogar das aͤuſ - ſere Anſehen, als waͤren ſie wirklich aufgeklaͤrte Maͤnner, als huldigten ſie dem Geiſte der Zeit und wuͤnſchten das Fortſchreiten der Menſchheit zur Freiheit und zu hoͤherer Veredlung zu foͤrdern. Al - lein man traue ihnen nicht; ſie ſind die wahren Woͤlfe in Schafskleidern, von denen unſer goͤttli - cher Erloͤſer ſchon ſagt. Die freundliche Maske, welche ſie annehmen, iſt nur ein Koͤder, um Un - befangene zu locken und ins Verderben zu ziehen, oder ſie heucheln, weil ſie wiſſen, daß ſie mit ih -*)lich verlor, bis auf den letzten, der eine jaͤhrliche Abgabe von drei wilden Enteneiern betraf, und zu ſeinem Vortheil entſchieden ward. Als er eine Stun - de vor ſeinem Tode dieſe erfreuliche Botſchaft ver - nahm, rief er, die Haͤnde gen Himmel faltend, aus: Jch habe einen guten Kampf gekaͤmpft, ich ha - be Glauben gehalten, darum iſt mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit! und damit verſchied er zur Freude aller ſeiner Eingepfarrten.274 ren Molchslarven bei der gebildeten und weit fort - geſchrittenen Gemeine keinen Beifall und kein Ver - trauen mehr finden wuͤrden. Jm Stillen arbeiten ſie deſto kraͤftiger, um die Menſchheit in das alte Dunkel zuruͤck zu fuͤhren, und das geiſtliche und weltliche Zwingherrnthum wieder in die Befugniſſe und Vorrechte einzuſetzen, welche ihnen durch den Geiſt der Zeit und durch die Stimmung der Voͤl - ker theils ſchon entriſſen ſind, theils auf eine ſehr kraͤftige Weiſe ſtreitig gemacht werden.
Dies ſey genug von dem ſchaͤndlichſten aller Ungeziefer, wodurch die Welt jemals verpeſtet ward.
Jch wiederhole es nochmal: nicht Haß gegen den ſogenannten geiſtlichen Stand, oder gar gegen die Religion ſelbſt, hat mir bei dieſem Aufſatze die Feder geleitet. Jch halte den Stand der Volks - lehrer fuͤr einen der nuͤtzlichſten, der unentbehrlich - ſten und achtungswuͤrdigſten, wenn die Mitglieder deſſelben die erhabenen Pflichten, die ihnen oblie - gen, mit Wuͤrde, mit Eifer und Treue erfuͤllen, und alles thun, was in ihren Verhaͤltniſſen moͤglich iſt, um die ſittliche und geiſtige Veredlung ihrer Gemeineglieder zu foͤrdern. Jch habe viele ſehr vortreffliche und hochgebildete Menſchen unter ihnen gekannt, welche die Freude und der Stolz ihrer Eingepfarrten, und aller derer waren, die das Gluͤck hatten, mit ihnen in naͤhern Verbindungen275 zu ſtehen. Will man ſich recht zufrieden und wohl fuͤhlen, ſo gehe man in die beſcheidene Wohnung manches Dorfgeiſtlichen; dort wird man Rechtlich - keit, Frohſinn und Tugend mit geiſtiger und ſitt - licher Bildung, mit zuvorkommender Gaſtfreund - ſchaft und Menſchenliebe vereinigt finden. Jch ge - ſtehe es gerne, daß ich viele der ſchoͤnſten meiner Lebensſtunden in den Haͤuſern von Landpredigern und in den liebenswuͤrdigen Kreiſen ihrer Familien verlebt habe; Stunden, deren Andenken mir noch immer ſo wohl und ſo wehe thut, und die ich ſo gerne zuruͤckzaubern moͤchte, wenn es dem Menſchen vergoͤnnt waͤre, die Vergangenheit nicht blos in der Erinnerung, ſondern auch in der Wirklichkeit noch einmal zu genießen. Jn vielen jener Woh - nungen der Tugend, des haͤuslichen und ehelichen Gluͤcks, des Friedens und Stilllebens habe ich die reizenden Gemaͤlde, welche uns Voß, Lafontaine, Starke und Andere von dem freundlichen Leben und Wirken der Landgeiſtlichen und ihrer Familien ent - worfen haben, verwirklicht gefunden, und noch jetzt denke ich mit Sehnſucht zuruͤck, an Dich mein trauter, biederer, geiſtvoller K — l zu B — rode, an Dich, mein guter, ſanfter L — d zu N — dt und an manche von Euch, die ich hier zwar nicht nenne, deren Andenken aber nie in meinem Her - zen verloͤſchen wird.
» Verdienten Spottes Zielſcheibe iſt allein der,276 ſagt ein ſehr wuͤrdiger katholiſcher Geiſtlicher*)Keller in ſeinen Jdealen der Sittlichkeit S. 79 und 80., welcher den Namen eines Geiſtlichen entweiht, der eigentliche Pfaffe; und Pfaffe iſt, der geiſtlos kirch - liche Pflichten als vorgeſchriebenes Tagewerk uͤbt, gemaͤchlich fuͤr heiliges Tagewerk fette Renten be - zieht, nebenbei nach kleinlichen Vorzuͤgen geizt; Sittenverfall minder bedenklich findet, als Abwei - chung von einer Kirchenlehre, und darum geſchaͤftig die leiſeſte Spur neuerungsſuͤchtiger Ketzer verfolgt. Pfaffe iſt, der in geheimnißreiche Formeln ſeinen Aberwitz und in ehrwuͤrdiges Gewand ſeine Laſter verhuͤllt; der mit ſchwererlernten Gebehrden ſich zum Heiligen heuchelt, aber im Herzen den Gott verhoͤhnt, dem ſeine Lippen dienen; der zur ſchnoͤ - den Ruhe fuͤr ſeine Traͤgheit menſchliche Luͤgen zu Ausſpruͤchen Gottes erhebt, und fuͤr Nichtsthun an ſeiner Kirche Krippe ſchwelgt; der wuͤthend den Weiſen, der die Fackel der Wahrheit empor haͤlt, zu Boden ſchlaͤgt, daß nicht ſein Licht ihn in ſei - ner Gemaͤchlichkeit ſtoͤre, und haͤmiſch ihm das Brandmal der Ketzerei aufdruͤckt, damit das Volk ſeinen Lehren kein Gehoͤr gebe. Pfaffe iſt, der zu - frieden laͤchelt, ſo es ihm gelingt, das andaͤchtige Volk durch fromme Spielereien um die Frucht ſei - ner Aecker zu betruͤgen, und ſich Freudenmahle von277 dem Fett ſeiner Heerden und dem Moſt ſeiner Trauben zu bereiten. Pfaffe iſt, der nie eifriger ſeine Stimme erhebt, als wenn ihm das Einkom - men ſeiner Pfruͤnde beſchnitten wird, und man ihn aus den Graͤnzen des Herkommens ins Gebiet ei - ner wuͤrdigern Amtsfuͤhrung zu verlocken den Ver - ſuch macht. Pfaffe iſt endlich, der mit der Keule der Orthodoxie Jeden gewaltſam abtreibt, der nicht ſeines Sinnes iſt, und ihm zumuthen will, alten Schlendrian fuͤr Beſſeres hinzugeben, und ge - wiſſenhafter das Zeitbeduͤrfniß zu berathen. Fuͤr alten Wahn eingenommen empoͤrt ihn jede neue Wahrheit, jeder Lichtſtrahl thut ſeinen bloͤden Augen weh, und er fuͤhlt ſich am behaglichſten im Dunkel beſchraͤnkten Wiſſens. «
Jch ſage: » Die juͤdiſchen Moͤnche des neuen Bundes; « denn ſchon im alten Teſtament, ſo wie noch jetzt bei Heiden und Mahomedanern, gab es eine unzaͤhlbare Menge von Thoren, die da glaubten der Gottheit keinen groͤßern Dienſt zu leiſten, als wenn ſie ihren beiden erſten Geboten: ſeyd fruchtbar und mehret euch, und: im Schweiß eures Angeſichts ſollt ihr euer Brodt eſſen, recht ungehorſam waren. Freilich iſt in Europa wohl kein Volk und kein Fuͤrſtenhaus, bei welchen nicht Moͤnchskutten und Narrenkappen zu irgend einer Zeit fuͤr ſehr ehrenwerthe Dinge galten; indeſſen ſind doch Aegypten und Syrien als die erſten Wie - gen des Moͤnchthums zu betrachten. Bei den Ju - den ſtiftete Samuel, wahrſcheinlich nach dem Vor - bilde der Aegypter, eine Art von Kloͤſtern, Pro - phetenſchulen genannt, deren Mitglieder ſich einer ſtrengen Enthaltſamkeit, einem beſchaulichen Leben und himmliſchen Entzuͤckungen widmeten. Das Se - herthum der Jſraeliten ſcheint zwar hiernach, nicht das Werk goͤttlicher Eingebungen, ſondern eine279 Art von Kunſt oder Wiſſenſchaft geweſen zu ſeyn, die ſchulmaͤßig erlernt werden mußte; allein die Verfaſſer der noch vorhandenen prophetiſchen Schrif - ten des alten Teſtaments waren wohl keine Zoͤg - linge jener, von Samuel geſtifteten Seherſchulen, da ſie bekanntlich unter unmittelbarem Einfluße des heiligen Geiſtes ſtanden. Auch wiſſen wir, daß der kleine Prophet Amos mit ſeinen Weiſſagungen bei Juden und Heiden bloß deshalb keinen Eingang fand, weil er ein Kuhhirte war. Als juͤdiſcher Do - minikaner, Kapuziner oder Jeſuit; als Apoſtel des monarchiſchen Prinzips, des blinden Gehorſams, der Legitimitaͤt, der Jnquiſition und ſtrenger Cenſur - anſtalten; als Erfinder von Verſchwoͤrungen und Entdecker demagogiſcher und carbonariſcher Umtriebe wuͤrde er eben ſo gut, wie unſere Haller, Pilat’s, Freſſinous, Woͤlfels, B — ſt — fs, K — z und an - dere, wenn gleich nicht bei den Voͤlkern, doch bei ihren Zwingherren Gehoͤr und Beifall erhalten ha - ben. Ein anderer kleiner Prophet, Hoſeas, wahr - ſcheinlich ein Ahnherr des beruͤhmten Kardinals Hoſius, mußte ſogar auf Gottes ausdruͤcklichen Be - fehl eine Hure zur Frau nehmen, mit welcher er drei Soͤhne erzielte. War dies gleich nicht das er - ſte Mal, daß der Himmel ſich zum Beſten einer Hure verwandte; ſo beweist es doch, daß Hoſeas kein Moͤnch war, denn wie haͤtte er, als ſolcher, wohl heirathen, oder gar unter eigener Firma drei280 Soͤhne zeugen duͤrfen? Moͤgen alſo immerhin die ehrwuͤrdigen Vaͤter des Karmeliterordens Recht haben, wenn ſie den Propheten Elias fuͤr ihren er - ſten Abt und Stammvater halten, und ſogar glau - ben, daß auch Chriſtus und ſeine Apoſtel Karme - litermoͤnche waren; allein daß alle Propheten daſſelbe geweſen, wie ſie behaupten, iſt durchaus gegen die Schrift, und der muͤſſen wir doch glauben.
Die Muhamedaner haben gleichfalls ihre Der - wiſche, ihre Kalender, ihre Edhemis und andere Moͤnchsorden, die ſo, wie unſere Kapuziner, Fran - ziskaner, Auguſtiner, Bernhardiner, Benediktiner und Jeſuiten, ſich der Keuſchheit und Froͤmmigkeit, dem Luͤgen und Truͤgen, und dem Faullenzen und Betteln geheiliget haben. Die tuͤrkiſchen Edhemis verdienen jedoch vor manchen ihrer katholiſchen und griechiſchen Amtsbruͤder einen Vorzug. Sie woh - nen in Einoͤden und Wildniſſen, und leben aͤuſſerſt enthaltſam von nichts als Gerſtenbrodt und Waſ - ſer. Jhre Haͤnde ſind immer geoͤffnet, ſeltner um zu empfangen, als um zu geben, und zwar einem Jeden, der es bedarf, ſei er, welches Volkes und welches Glaubens er wolle. Freilich gewinnen ſie Alles, was ſie den Duͤrftigen ſchenken, durch Bet - teln; allein welcher Chriſt wuͤrde ihnen, die oft mit ihrer einzigen ſchlechten Bekleidung einen verun - gluͤckten Unglaͤubigen bedecken, und ſich ſelbſt der Kaͤlte, dem Sturm, dem Regen und den gluͤhendenStrahlen281Strahlen der Sonne bloß ſtellen, welcher Chriſt wuͤrde ihnen wohl eine Gabe verweigern? Nicht lieber ihnen ein Almoſen reichen, als den unwuͤr - digen Bettelmoͤnchen, die zur Schande des Chriſten - thums und unſers Jahrhunderts in manchen Laͤn - dern Schaarenweiſe umherſchwaͤrmen, das ungluͤck - liche, verblendete Volk bethoͤren und bedruͤcken, und die Wohlthaten, oder vielmehr die geraubten Guͤter, die ſie wirklichen und wuͤrdigern Armen entreiſſen, und oft ſelbſt von Armen erpreſſen, in ihren heiligen Schlupfwinkeln verſchwelgen?
Anfangs wollte ich in dieſem Buche das Klo - ſterunweſen mit Stillſchweigen uͤbergehen. Jch be - trachtete Moͤnche und Nonnen als Sterbende, und des Sterbenden muß man nicht ſpotten. Die neu - ern Ereigniſſe haben aber gezeigt, und ſelbſt in dem Lande, wo ich dies ſchreibe, ſieht man taͤglich, daß das Befinden der Maͤnner Gottes in den Kutten gar ſo uͤbel nicht iſt; daß ſie noch ſehr eifrig, wo ſie nur koͤnnen, ſowohl fuͤr ſich ſelbſt, als fuͤr gei - ſtiges und weltliches Zwingherrnthum wirken, und daß ſie gerade eine der kraͤftigſten Stuͤtzen des Reichs der Finſterniß ſind. Wenn auch keiner die - ſer heiligen Maͤnner mein profanes Buch beruͤhren wird; ſo kann es doch vielleicht Leſer finden, die auf die fortdauernden Beſtrebungen des Pfaffen - und Moͤnchthums aufmerkſam gemacht, denſelben entgegen wirken koͤnnen. Daher werde ich einigeIII. Baͤndchen. 24282der wichtigern moͤnchiſchen Untugenden andeuten, die ich theils aus eigener Erfahrung, theils durch Andere kennen gelernt habe.
Man erwarte hier keine Schilderung der zahl - reichen Moͤnchs - und Nonnenorden und aller ih - rer, noch weit zahlreichern heimlichen und oͤffentli - chen Greuel, ihrer kloͤſterlichen Einrichtungen, Re - geln, Gebraͤuche und Albernheiten; denn nur in ſo ferne dies Alles nachtheilig auf die jetzige Mit - und Auſſenwelt des Moͤnchthums wirkt, koͤmmt es fuͤr den gegenwaͤrtigen Zweck in Betracht. Dage - gen muß ich jedoch beilaͤufig noch Manches uͤber die Weltgeiſtlichkeit bemerken, die dem Moͤnchthum einen ſo großen und vielleicht den groͤßten Theil ihres Glanzes und Anſehens verdankt.
Moͤncherei und Pfaffenthum erlitten in neuern Zeiten ſehr harte Stoͤße, von denen ihnen aber noch keiner toͤdtlich war, denn leider haben ſie mit manchem kriechendem Ungeziefer jene Eigenſchaft gemein, welche unſere Naturforſcher die Reproduk - tionskraft nennen. Selbſt in Laͤndern, wo man ſie faſt ganz fuͤr vernichtet hielt, wie in Frankreich und Oeſterreich, erhoben ſie nach wenigen Jahren mit neuer Frechheit ihre Hydrahaͤupter, und nach den ſchnellen Fortſchritten, die ſie in ſehr kurzer Zeit an manchen Orten, und beſonders in dem zu - erſt genannten Lande gemacht haben, iſt an einem voͤlligen Aufkommen gar nicht zu zweifeln. Eine283 koͤnigliche Betſchweſter kann eine ganze aufgeklaͤrte Nation mit aͤgyptiſcher Finſterniß bedecken.
Kaiſer Joſeph der Zweite, um deſſen Tugen - den willen die Geſchichte dereinſt manche Unthaten und Schwachheiten vieler ſeiner Vorfahren und Nachkommen mit dem Mantel der Liebe bedecken wird, gab zuerſt den katholiſchen Fuͤrſten ein glaͤn - zendes Beiſpiel, wie ein vernuͤnftiger Regent, dem das Wohl ſeiner Voͤlker kein Scherz iſt, mit Pfaf - fen und Moͤnchen verfahren muß. Mochten die geiſt - lichen Hummeln und ihr verblendeter Anhang noch ſo ſehr toben und wuͤthen; Joſeph behielt dennoch die Stimme aller Vernuͤnftigen fuͤr ſich. Freilich mußte er ſeine raſchen Schritte mit dem Leben be - zahlen, allein ein Fuͤrſt, wie Er, ſtirbt immer auf dem Bette der Ehren, wenn er auch von einem Jeſuiten oder Dominikaner vergiftet wird. Die franzoͤſiſche Staatsumwaͤlzung und der Luͤneviller Friedenſchluß ſchienen ſpaͤterhin dem Pfaffen - und Moͤnchthum ein gaͤnzliches Verderben zu drohen, denn zahllos war die Menge der Erzbisthuͤmer und Bis - thuͤmer, der Abteien, Kloͤſter und geiſtlichen Stif - tungen, welche ſaͤkulariſirt wurden, um Fuͤrſten und Voͤlkern zum Erſatz fuͤr die Schaͤden zu dienen, die ſie durch Kriege und noch mehr durch Friedens - vertraͤge erlitten hatten. Leider, zeigte ſich aber bald, daß nicht allenthalben zum Beſten der un - gluͤcklichen Voͤlker, ſondern haͤufig blos zum Vor -24 *284theil fuͤrſtlicher Huren, habſuͤchtiger Juden und ad - licher Taugenichtſe und Hoͤflinge ſaͤkulariſirt worden war. Von Millionen Gulden kamen oft kaum hundert in die oͤffentlichen Staatskaſſen, und von dieſen hundert wurden ſelten kaum zehn fuͤr das allgemeine Beſte verwandt. Was die Fuͤrſten er - hielten, war in der Regel von geringer Bedeutung, denn Spitzbuben jeglicher Art, Miniſter, Kommiſ - ſaͤre, Juden, Kammerherren, Pfaffen, Zofen, Schreiber und Lakaien theilten den groͤßten und be - ſten Theil der Beute unter ſich, und den armen betrogenen Voͤlkern ließ man nicht einmal ein Hem - de, um ihre Bloͤße bedecken, nicht einmal ein Schnupftuch, um ihre Thraͤnen abtrocknen zu koͤn - nen. Man frage nur in den meiſten der vormals ſo gelobten Laͤnder glaͤnzender Biſchofſitze, reicher Abteien, Kloͤſter und Pfruͤnden, und man wird, faſt uͤberall, die Wahrheit beſtaͤtiget finden. Dies teufliſche, ungerechte Verfahren gegen die Voͤlker, zu deren Entſchaͤdigung jene geiſtlichen Beſitzthuͤmer beſtimmt waren und rechtlich nur beſtimmt werden konnten, zog der Saͤkulariſation manche Gegner zu, die fruͤher ſelbſt dieſe Maßregel gewuͤnſcht und dazu beigetragen hatten.
Was helfen uns alle Saͤkulariſationen und alle Vergroͤßerungen unſerer Gebieter? ſagten Buͤrger und Bauern. Je groͤßer und maͤchtiger ſie werden, deſto ſchwerer und druͤckender werden die Laſten285 und Abgaben, die man uns auflegt. Wir fuͤhlen es ſehr wohl, daß man dem Pfunde, welches wir vormals zu tragen hatten, noch einen Centner hin - zugefuͤgt hat.
Das iſt eurer Suͤnden Schuld! erwiederten Pfaffen und Moͤnche. Man vergreift ſich nicht um - ſonſt an dem Eigenthum Gottes und ſeiner Kirche! Dieſe Antwort fand leicht bei Hoͤhern und Niedri - gern Gehoͤr, und ſelbſt geiſtreiche Maͤnner*)Unter ihnen ſogar ein Komoͤdiant! M. ſ. Bruch - ſtuͤcke aus den Ruinen meines Lebens von H — l (Heigel) Aarau 1820. Brodneid war die Urſache der Feindſchaft, welche von jeher zwiſchen Pfaffen und Schauſpielern herrſchte. Haͤtten beide ihre Vortheile gehoͤrig gekannt, und ſich, wie Ver - nunft und Pflicht es erheiſchten, bruͤderlich vertra - gen, ſo waͤren die Prieſter nicht ſo oft die Ziel - ſcheibe witziger Spoͤtter geweſen, und die Schauſpie - ler wuͤrden von allen Stillen und Glaͤubigen verehrt worden ſeyn. Ob man ein geiſtliches oder weltliches Luſtſpiel auffuͤhrt; ob man auf einer Kanzel oder auf einer Schaubuͤhne den Harlekin macht, iſt wahrlich ſehr gleichguͤltig. unſerer Tage verſchreien jetzt die Saͤkulariſation der geiſt - lichen Beſitzungen als die groͤßte Ungerechtigkeit, und entſehen ſich nicht, laut und eifrig der gaͤnzli - chen Wiederherſtellung des Pfaffen - und Moͤnch - thums das Wort zu reden.
Die Saͤkulariſation, ſagt man, war eine Ver - letzung der Rechte aller Welt - und Kloſtergeiſtli -286 chen, die dadurch aus dem Beſitz und Genuß ihres wohlerworbenen Eigenthums verdraͤngt wurden. Aber nichts weniger als das! Die Bisthuͤmer und Kloͤſter widerſprachen von jeher dem hoͤhern Zwecke der Menſchheit: der ſittlichen und geiſtigen Ausbil - dung derſelben; ſie waren durchaus unvereinbarlich mit dem Geiſte der Zeit und dem Wohlſeyn der Voͤlker und Staaten; folglich war jedes Volk und jede Regierung befugt, und ſogar verpflichtet, ſie aufzuheben. Die Behauptung, daß die meiſten Kloͤſter und geiſtlichen Stiftungen den letztwilligen Verfuͤgungen von Verſtorbenen ihren Urſprung ver - dankten, und daß man Verfuͤgungen der Art auf - recht erhalten muͤſſe; iſt eben ſo unrichtig. Jeder letzte Wille verliert ſeine Guͤltigkeit, ſo bald er dem Beſten des Staats oder der ganzen Menſchheit ent - gegen iſt, und uͤberdies ſollte man nie die Guͤltig - keit letztwilliger Verordnungen laͤnger als unter Eltern und Kindern etwa zwei Menſchenalter, und unter Fremden hoͤchſtens ein Menſchenalter hindurch beſtehen laſſen, woferne nicht die oberſte Staats - gewalt ihre laͤngere Dauer bewilligte oder geneh - migte. Majorate, Fideicommiſſe, Erbvertraͤge, geiſtliche Stiftungen und dergleichen haben viel Un - heil in der Welt geſtiftet. Die Todten muͤſſen, wenn ſie laͤngſt ſchon vergeſſen ſind, wenn ſelbſt ihr Name verſchollen und auf ihren Leichenſteinen ver - wittert iſt, nicht auf Erden noch herrſchen wollen. 287Dieſe Welt iſt fuͤr die Lebenden, nicht fuͤr die Ver - ſtorbenen da, die von den Verhaͤltniſſen nach ihrem Tode keine Kunde haben koͤnnen, und alſo keines - wegs befugt waren, der Nachwelt, die ihr Beſtes ſelber beurtheilen muß, Vorſchriften zu machen. Haͤtten alle Verſtorbene uͤber ihre Beſitzthuͤmer letzt - willige, noch fuͤr uns verbindliche Verordnungen errichtet; welch’ ein Wirrwarr wuͤrde dann unter dem Monde nicht herrſchen! Wie viele hohe Haͤup - ter, die jetzt in Purpur gekleidet ſind, und mit ihren Sceptern uͤber Millionen gebieten, wuͤrden dann wohl in Lumpen gehuͤllt, am Bettelſtabe oder hinter einer Heerde Gaͤnſe oder Schafe ſehr demuͤ - thig einherſchreiten? Vater Noah machte freilich ein ſolches Teſtament, worin er ſeine Soͤhne Ja - phet und Sem mit allen ihren Nachkommen zu Herren der Erde einſetzte, und den Ham nebſt den Seinigen zu Sklaven der Japhethiſchen Linie beſtimm - te; ob uͤbrigens dies Teſtament in allen ſeinen Punkten vollzogen worden ſey, laſſen wir unent - ſchieden.
Ueberdies iſt es Jedem bekannt, auf welche Weiſe der groͤßte Theil der Vermaͤchtniſſe an die Geiſtlichen und Moͤnche entſtand, und welche Be - weggruͤnde ſie veranlaßten. So wenig die Art ih - rer Entſtehung, als die Urſachen derſelben ſprechen fuͤr ihre Dauer. Doch hievon noch in der Folge.
» Der Krummſtab der geiſtlichen Fuͤrſten, ſagt288 man, war dem Scepter vieler weltlichen Gebieter ſehr vorzuziehen. Die Regierung der erſten war in der Regel ſanft und friedlich. Die Geiſtlichen bewieſen ſich als Wohlthaͤter zahlloſer Armen, die ohne ihre Huͤlfe haͤtten umkommen muͤſſen, und die Kloͤſter, deren Gaſtfreiheit ſelbſt ihre Feinde faſt ohne Ausnahme ruͤhmen muͤſſen, dienten allen Be - draͤngten und Nothleidenden zum Zufluchtsort. « Die Regierung der Chineſen, ſo despotiſch ſie iſt, verdient unſtreitig den Vorzug vor jener der Tuͤr - ken, und ſo mag auch manche Regierung beſſer und minder geweſen ſeyn, als die Herrſchaft vieler weltlichen Fuͤrſten. Allein unter der großen Schaar von Erzbiſchoͤfen, Biſchoͤfen und Aebten, welche Deutſchland ſeit Karl dem Großen aufzuweiſen hat, findet man ſehr wenige, die durch wahre Humani - taͤt, durch Befoͤrderung der geiſtigen und ſittlichen Bildung und des irdiſchen Wohlſtandes der ihnen anvertraueten Voͤlker, durch Duldung und Vertraͤg - lichkeit gegen Andere ſich ausgezeichnet haͤtten. Jhre Sanftmuth und Milde zeigte ſich vorzuͤglich, ſo wie jene des großen Lama im Batikan, gegen Verbre - cher und Boͤſewichter, gegen Banditen, Raͤuber und Moͤrder. Wuͤthend, wie Tiger, verfolgten die meiſten einen Jeden, der in ihren finſtern Schaf - ſtaͤllen ein Licht anzuͤnden wollte. Die Wohlthaͤtig - keit der Geiſtlichen und Kloͤſter gegen die zahlrei - chen Armen ihrer Umgebung war uͤberdies nichtsmehr,289mehr, als Schuldigkeit. Sie gaben den Ungluͤck - lichen ja kaum die Zinſen von dem zuruͤck, was ſie ihnen und den Jhrigen entriſſen hatten. Die Kloͤ - ſter waren haͤufig Zufluchtsoͤrter der ſchlechteſten Menſchen, die Galgen und Rad laͤngſtens verwirkt hatten; wirklich edeln Maͤnnern, die wegen politi - ſcher oder religioͤſer Anſichten verfolgt wurden, ei - nem Hutten, einem Rouſſeau, einem Condorcet wuͤrde ſich ſchwerlich eine Kloſterpforte geoͤffnet ha - ben. Die Tugend der Gaſtfreiheit kann man vie - len Kloͤſtern nicht abſprechen; man muß aber be - denken, daß die Herren Aebte und Moͤnche gewoͤhn - lich mit Allem, was dazu erfodert wird, im Ueber - fluß verſehen ſind, und daß ihnen jede Gelegenheit ſehr willkommen iſt, wo ſie ihre eigene Trink - und Eßluſt, und nebenher ihre Neugier nach irdiſchen Dingen mit chriſtlichem Anſtand befriedigen koͤn - nen*)Jch hatte einmal das Gluͤck, mich einer frugalen kloͤſterlichen Bewirthung zu erfreuen. Es war an dem Namenstage eines Abts, der eine große Ge - ſellſchaft, und auch mehrere Proteſtanten zu dieſer wichtigen Feyer eingeladen hatte. Schon am Mor - gen verſammelten wir uns zum Fruͤhſtuͤck, welches von acht bis zwoͤlf Uhr dauerte. Alle geiſtliche Ver - richtungen wurden einſtweilen aufgeſchoben, und mußten es werden. Nach einer halbſtuͤndigen Pau - ſe begann das Mittagmahl, bei welchem nicht we - niger als ſechs verſchiedene Arten des koſtbarſten.
III. Baͤndchen. 25290Aber faͤhrt man vertheidigend fort, die Kloͤ - ſter haben doch die groͤßten Anſpruͤche auf die Dank - barkeit der ganzen gebildeten Menſchheit. Waren*)Weins, Flaſche an Flaſche, aufgeſetzt wurden. Die Tiſche bogen ſich unter der Menge und Laſt der aus - geſuchteſten Speiſen. Nach einem Zwiſchenraum von etwa einer Stunde begann das Abendeſſen, welches mit einem Punſch beſchloſſen ward. Zu dieſem Punſch dienten, als Bowlen, zwei maͤchtige, eigends dazu verfertigte, mit einem ſehr wohlriechenden Harz aus - geſtrichene Zuber, von denen jeder ſiebzig bis acht - zig Flaſchen halten mochte. Die ganze Geſellſchaft, mit Einſchluß der Moͤnche, beſtand etwa aus ſechzig Perſonen, und ihre Unterhaltung waͤhrend dieſes Bacchanals drehte ſich um alle nur moͤglichen Suͤn - den wider das ſechste Gebot, wobei die jungen Moͤnche, welche ſaͤmmtlich wie Feuerroſen gluͤhten, vorzuͤglich das Wort fuͤhrten, und ſich als ſehr gruͤndliche Theoretiker zeigten. Sr. Hochwuͤrden, der Herr Abt wollte zerſpringen vor Lachen. Erſt, als der Morgen anbrach, begab man ſich zur Ruhe. Alles ſchlief im Speiſeſaal und in den Zellen bunt durch einander, Katholiken, Lutheraner und Reformirte, Moͤnche und Laien; und die Koͤpfe der meiſten wa - ren beim Ankleiden ſo befangen, daß Offiziere in Moͤnchskutten und Moͤnche in Uniformen zum Fruͤh - ſtuͤck kamen. Das war der gluͤcklichſte Tag meines Lebens, ſagte der Abt, als wir fort ritten. Man will unſere Weinkeller ſaͤkulariſiren; das moͤgen ſie thun, die verfl — Ketzer! Aber den Wein ſollen ſie nur in unſern Baͤuchen finden!291 ſie nicht in den finſtern Jahrhunderten der Barba - rei und Unwiſſenheit, die treuen Bewahrer und Ueberlieferer aller literariſchen Schaͤtze des Alter - thums? Waͤren nicht ohne ſie viele unſterbliche Werke der griechiſchen und roͤmiſchen Geſchichtfor - ſcher, Weltweiſen und Dichter, die uns noch jetzt zu Vorbildern dienen, fuͤr uns auf immer verlo - ren gegangen? Verdanken wir alſo nicht ihnen den hohen Grad geiſtiger und ſittlicher Ausbildung und Veredlung, den wir ohne ihren ſorgſamen Eifer fuͤr die Erhaltung alles deſſen, was in das Feld des menſchlichen Wiſſens einſchlaͤgt, niemals er - langt haben wuͤrden?
Traurig genug, antworten wir, daß Pfaffen und Moͤnche von dem Zeitpunkte an, wo das Chriſtenthum herrſchend ward und ſich uͤber unſern Welttheil verbreitete, alles geiſtige Fortſchreiten zu hemmen, jeden Zweig des menſchlichen Wiſſens an ſich zu reiſſen, und Alle, die nicht Moͤnche und Geiſtliche waren, davon auszuſchlieſſen ſuchten. Sie fuͤhlten, daß Denkfreiheit und Pfaffenthum, Moͤn - cherei und Vernunft nicht neben einander beſtehen koͤnnen; und deshalb hielten ſie ſich befugt, durch alberne Dogmen, Maͤhrchen und Legenden den Geiſt der Voͤlker zu umnachten, und dieſen jedes Mittel zu entziehen, wodurch ſie ſich uͤber den frommen Betrug haͤtten aufklaͤren koͤnnen. Die Griechen und Roͤmer hatten keine Moͤnche, keine25 *292Kloͤſter, und dennoch wurden die Werke vieler ihrer aͤlteſten Schriftſteller und Dichter von Geſchlecht auf Geſchlecht vererbt, und allen den Voͤlkern, die griechiſche und roͤmiſche Kultur annahmen, mitgetheilt. Die Kloͤſter waren alſo kein nothwen - diges Vehikel zur Ueberlieferung der literariſchen Schaͤtze des Alterthums. Jm Gegentheil ward viel Gutes, Schoͤnes und Herrliches in ihnen aufgehaͤuft, begraben und vernichtet, was ohne moͤnchiſche Hab - gier, Unwiſſenheit und Rohheit, gewiß auf die Nachwelt gekommen waͤre. Bloß die Verfinſterungs - ſucht, der Eigennutz und die Herrſchbegierde der Moͤnche und Pfaffen waren daran ſchuld, daß wir manche jener Schaͤtze, die noch gerettet wurden, ſo unvollſtaͤndig erhielten; daß ſie in fruͤhern Zei - ten nur von ſo Wenigen und ſo wenig benutzt werden konnten, und beſonders, daß ſie ſo ſpaͤt und ſo langſam zur Kunde der Menſchheit kamen, wodurch dieſe um viele Jahrhunderte in ihrer geiſtigen und ſitt - lichen Entwickelung gehemmt wurde.
Die Verpflichtung, welche man in dieſer Hin - ſicht dem Moͤnchthume haben ſoll, loͤst ſich alſo nicht allein in Nichts auf, ſondern verwandelt ſich mit Recht in Zorn und Unwillen gegen die Blind - ſchleichen, die ſo lange und ſo heimtuͤckiſch der Welt ihr Eigenthum vorenthielten, ohne einmal ſelbſt es benutzen zu koͤnnen.
Geſetzt aber auch, die Kloͤſter jener finſtern293 Jahrhunderte waͤren der einzige ſichere Bewahrungs - ort und die Moͤnche die einzigen faͤhigen Werkzeuge zur Ueberlieferung jener literariſchen Schaͤtze gewe - ſen; welches Recht gaͤbe dies wohl unſern heutigen Auguſtinern, Kapuzinern, Benediktinern und wie die haͤßliche Brut der Dummheit, des Aberglau - bens und der Bosheit weiter heißen mag, unſere Dankbarkeit in Anſpruch zu nehmen? Wie koͤnnen ſie deshalb von den Voͤlkern begehren, laͤnger Ein - richtungen zu dulden und beſtehen zu laſſen, die durchaus mit dem Wohlſeyn und der geiſtigen und ſittlichen Fortbildung unvereinbarlich ſind? Auf dieſe Weiſe duͤrften mit weit mehrerem Rechte alle Hebraͤer verlangen, daß man ihrem Wucher und Schacher, ihrem Hange zum Stehlen, zum Betruͤ - gen und ihren andern Schelmereien weder Maaß, noch Ziel ſetzen ſolle, weil der Weltheiland von einer Juͤdin geboren ward!
Die Saͤkulariſation enthielt keine Ungerechtig - keit weder gegen die Biſchoͤfe, noch gegen die Klo - ſtergeiſtlichen, da bekanntlich ihnen reichliche Pen - ſionen angewieſen wurden, von denen ſie gemaͤch - lich und ohne Zwang und Arbeit leben konnten. Giengen auch nachher manche dieſer Jahrgehalte und Entſchaͤdigungen verloren; ſo haben andere Menſchen durch die Ereigniſſe der Zeit nicht minder große Verluſte erlitten, fuͤr die ſie von Niemanden entſchaͤdiget wurden. Und was haben Biſchoͤfe,294 Aebte, Moͤnche und Nonnen, (denn von den Pfar - rern, in ſo ferne ſie Volkslehrer und Staatsbeamte ſind, kann hier die Rede nicht ſeyn,) was haben jene fuͤr Recht, uͤberhaupt Entſchaͤdigung zu begeh - ren? War es nicht ſchon genug Nachſicht von Seiten der Voͤlker und ihrer Regierungen, daß man ihnen ſo lange verſtattete, ſich auf eine allen hoͤhern Zwecken der Menſchheit widerſprechende Art mit dem Mark des Landes zu maͤſten? Die einzige Befug - niß ſowohl der Biſchoͤfe, als der Kloſtergeiſtlichen, ſtatt der ihnen entzogenen Pfruͤnden und Einkuͤnfte Schadloshaltung zu fodern, war keine andere, als die Befugniß jedes Bettlers: das Mitleiden guter Menſchen in Anſpruch zu nehmen. Man muß da - her laͤcheln, wenn man hoͤrt und liest, wie manche Biſchoͤfe, Aebte u. ſ. w. fuͤr die ihnen genommenen Einkuͤnfte mit frecher Stirne Aequivalente be - gehrten, und wie viele Regierungen thoͤricht und gutwillig genug waren, ſolchen Foderungen, wenn gleich nicht ganz, doch dem groͤßten Theile nach, Gehoͤr zu geben. Auf dieſe Weiſe wurden die ar - men Voͤlker, fuͤr die mittelſt der Saͤkulariſation ſehr oft kein Heller gewonnen war, dadurch noch mehr gedruͤckt, als ſie es fruͤher waren, indem ſie, auſ - ſer den bisherigen Abgaben noch zu den Penſionen der Saͤkulariſirten beitragen mußten, damit ja die Fuͤrſten, oder vielmehr ihre Miniſter, Hofſchran - zen, Hofjuden, Kommiſſaͤre und Beamten das den295 Geiſtlichen entriſſene Gut ungeſchmaͤlert theilen und verſchlingen konnten.
Jndeſſen gewann doch die Menſchheit durch die - Verweltlichung der geiſtlichen Pfruͤnden unendlich! Eine Menge von Verfinſterern und Blindſchleichen, die ſich allem Fortſchreiten zum Beſſern eifrigſt ent - gegen ſtellten, und jedem Lichtſtrahl zu wehren ſuchten, der ihr unwuͤrdiges Thun und Treiben haͤtte beleuchten koͤnnen, wurden dadurch in Un - thaͤtigkeit geſetzt, und zum allmaͤhligen Ausſterben verurtheilt. Um dieſen Preis konnte man ſchon den vornehmen und geringen, weißen und ſchwarzen Juden, den Hoͤflingen, Kommiſſaͤren, Beamten, Maͤtreſſen und Zofen, das Vergnuͤgen goͤnnen, ſich in den irdiſchen Nachlaß der geiſtlichen Dickbaͤuche und Vollmondsgeſichter zu theilen.
Der heilige Vater in Rom verlor durch die Verweltlichung der Bisthuͤmer und anderer geiſtli - chen Pfruͤnden, beſonders aber durch die Einzie - hung der, ſeinem Stuhl unmittelbar unterworfenen Abteien in Deutſchland ſeine ganze ſchwere Artille - rie, die er in fruͤhern Zeiten mit ſo gutem Gluͤck zur Befoͤrderung des Aberglaubens und des Elen - des der Voͤlker gebraucht hatte, und mit ihr eine ungeheure Summe von Einkuͤnften, die das, von weltlichen und geiſtlichen Zwingherren bis zum Ue - bermaß erdruͤckte Volk mit Jammer und Noth auf - bringen mußte. Bedenkt man, daß manche kleine296 Abtei von kaum zehn aͤrmlichen Doͤrfern faſt alle zwoͤlf bis fuͤnfzehn Jahre, wenn ein hochwuͤrdiger Schin - der geſtorben und ein Nachfolger ihm erwaͤhlt war, zwanzig bis dreißigtauſend Gulden fuͤr Exemtionen ꝛc. nach Rom ſenden, und daß die ungluͤcklichen Einwohner dies Geld, ſo wie alle uͤbrigen gewoͤhn - lichen Abgaben zahlen mußten, damit der Herr Praͤlat, ſeine Domherren, Pfaffen, Moͤnche, Ne - poten, Huren und Hurkinder ſich ordentlich maͤſten konnten; bedenkt man ferner, daß dieſes Gezuͤcht gerne recht viel und auch gerne etwas Gutes ißt und trinkt, und nebenher noch große Schaͤtze auf - haͤufen will; nimmt man hiezu die Summen, wel - che fuͤr Ablaſſe, Dispenſen und andere Charlatane - rien nach Jtalien verſchleppt oder von geiſtlichen und weltlichen Blutigeln zuſammen gelogen, geſo - gen, getrogen, gebettelt, geraubt und verſchlemmt wurden; und berechnet man dann die unzaͤhligen Feiertage, woran unſere armen katholiſchen Mit - bruͤder ſo reich ſind, daß ſie beinahe die Haͤlfte des Jahres zur Ehre Gottes und ſeiner Heiligen faul - lenzen muͤſſen; ſo darf man ſich nicht uͤber die Bettelhaftigkeit und Armuth mancher Voͤlker, uͤber ihre Unſittlichkeit, ihre Rohheit, ihre Arbeitſcheu wundern. Armuth, ſo wenig ſie ein Laſter iſt, graͤnzt doch, beſonders bei minder Gebildeten ſehr nahe daran. Und der Menſch, welcher ſieht, daß er mit all’ ſeiner Muͤhe und Anſtrengung nichts297 gewinnt; daß jeder kleine Erwerb ihm auf tauſend - fache Weiſe erſchwert oder verkuͤmmert wird; daß er mit ſeinem Schweiß nur fuͤr Andere ein Sieb zu fuͤllen ſucht, welches niemals voll wird: muß der nicht muthlos werden, und die Haͤnde in den Schooß legen? Muß er nicht verzweifeln, und alle Arbeit verfluchen? Muß er nicht, wenn er Kraft genug und die ſichere Ausſicht hat, durch einen Ablaß ſich von allen Strafen der ſchwerſten Ver - brechen loskaufen zu koͤnnen, muß er dann nicht, frage ich, lieber zu der Waffe des Banditen und Moͤrders greifen, die ihn mit Einem Male reich machen kann, als zum Pfluge, durch deſſen Huͤlfe er kaum die Foderungen ſeiner Schinder zu befrie - digen, geſchweige denn ſich und den Seinigen das Unentbehrlichſte zu erringen vermag? Muß der Feige, dem Kraft und Muth fehlen, oder der, dem fein innerer Richter es zuruft, daß kein luͤgender Pfaffe, und hieße er auch Pius der Siebenzigſte, Suͤnden vergeben koͤnne, nicht zum verachteten und veraͤchtlichen Bettler herabſinken, wenn er nicht feinem elenden Daſeyn ſelbſt ein Ziel ſetzen will?
Die hohen verbuͤndeten Maͤchte moͤgen ſich viel - leicht 1814 und 1815 ein großes Verdienſt um die Legitimitaͤt erworben haben, als ſie ihren heiligen Vater, Pius den Siebenten, wieder zum geiſtlichen Hirten und Oberhaupt uͤber die katholiſche Kirche einſetzten; aber wahrlich kein Verdienſt um die298 Menſchheit! Moͤge mit Pius dem Siebenten der letzte legitime Sproͤßling des heiligen Petrus er - blaſſen; moͤge das aͤngſtliche Seufzen und Harren frommer Glaͤubigen, die nichts unbilliger finden, als daß die Hierarchie noch nicht in ihrem vollen Glanze wieder hergeſtellt iſt, und daß in den deutſchen und ſchweizeriſchen Laͤndern immer noch die Einſetzung von Erzbiſchoͤfen und Biſchoͤfen verzoͤgert wird, unerfuͤllt bleiben; die Menſchheit wird ſicherlich dadurch weder an irdiſchen, noch an himmliſchen Guͤtern verlieren. Wer Wuͤnſche dieſer Art hegen, und ihre Gewaͤhrung als eine der wich - tigſten Pflichten der Fuͤrſten und Regierungen dar - zuſtellen ſucht, mag es ſehr gut mit den Pfaffen meinen, aber nicht gut mit den Voͤlkern! Wenn unſere Regenten nur das Uebrige halten, was ſie in der Angſt ihres Herzens ſo heilig gelobt haben, dann mag man ihnen die Wiederherſtellung biſchoͤf - licher und pfaͤffiſcher Baſilisken und Baſiliken gerne erlaſſen.
Wir wenden uns jetzt zu den Kardinaltugen - den des Moͤnchthums! Wer vermoͤchte es wohl, die Menge der Greuel zu ſchildern, die in den hei - ligen, der Froͤmmigkeit geweiheten Hallen der Kloͤ - ſter ſeit vielen Jahrhunderten veruͤbt wurden? Wo iſt eine Zahl fuͤr die Millionen Thraͤnen, die in ihren finſtern Mauern geweint ſind, fuͤr alle die Seufzer und Fluͤche, die von Niemanden, als dem299 Richter dort oben gehoͤrt, aus dieſen Moͤrderhoͤhlen der Dummheit, des Aberglaubens und einer graͤn - zenloſen, teufliſchen Bosheit zum Himmel empor - ſteigen? Keine Verbrechen ſind ſo graͤßlich, keine Laſter ſo widernatuͤrlich, keine Schaͤndlichkeiten ſo empoͤrend und veraͤchtlich, die nicht von Gott ge - weiheten Pfaffen, Moͤnchen und Nonnen in zahllo - ſer Menge begangen wurden! Moͤgen immerhin manche Schriftſteller in ihren Darſtellungen der Nichtswuͤrdigkeiten des Kloſterweſens die Farben ſehr ſtark aufgetragen haben; auch die wildeſte, von Rachſucht befluͤgelte Phantaſie hat in ihren Schil - derungen deſſelben nie die Graͤnzen der Wahrheit uͤberfliegen koͤnnen. Wie viele Todtengerippe ſchuld - loſer Opfer des Fanatismus, der Bosheit und Wolluſt, die man ſo haͤufig bei Aufhebung und Zer - ſtoͤrung von Kloͤſtern, an Ketten geſchmiedet oder in unterirdiſche Gewoͤlbe eingemauert fand, haben nicht in aͤltern und neuern Zeiten ihre Moͤrder bei Mitwelt und Nachwelt verklagt? Und dennoch koͤn - nen hohe und niedrige, diplomatiſche und nichtdi - plomatiſche, gelehrte und ungelehrte Finſterlinge und Blindſchleichen es wagen, zu ihrer eigenen Schande und zur Schande unſers Jahrhunderts dem Pfaf - fen - und Moͤnchthum das Wort zu reden, und die Wiederherſtellung und Erhaltung des letztern als eine Wohlthat fuͤr die Menſchheit anzupreiſen? O geht, Jhr Boͤſewichter, und wenn Jhr auch mit300 dem Purpur roͤmiſcher Heiligkeit bekleidet waͤret oder in den Glanz von Engeln des Lichts Euch gehuͤllt haͤttet; nie muͤſſe es Euch gelingen, die Voͤl - ker wieder in die grauenvolle Nacht zuruͤck zu ſchleu - dern, aus welcher ſie ſich mit ſo vielem Blut, mit ſo vielen Thraͤnen hervorgewunden haben! Haltet Jhr Pfaffenthum und Moͤncherei, Aberglauben und Dummheit fuͤr unentbehrliche Stuͤtzen der Throne, dann laßt immerhin lieber einige alte, wurmſtichige Lehnſeſſel zuſammen ſtuͤrzen, als daß Jhr zum Be - ſten eines oder des andern elenden Zwingherrn Gottes Ebenbild, das Menſchengeſchlecht zu ver - nunftloſen Thieren herabwuͤrdigt!
Moͤnche und Nonnen muͤſſen freilich in der Regel das Geluͤbde der Armuth ablegen; allein nichts deſto weniger wird ihre Mehrzahl von dem ſchnoͤdeſten Eigennutz beherrſcht. Sie betrachten ſich als die Nutznießer aller Einkuͤnfte der Kloͤſter, und glauben, es ſey ein frommes, Gott gefaͤlliges Werk, wenn ſie auf jegliche Weiſe fuͤr das Wohlſeyn ihrer geiſtlichen Nachkommen ſorgen. Die Mittel, deren ſie ſich hiezu bedienen, ſind eben ſo ſchaͤndlich, und oft weit veraͤchtlicher, als jene der Weltprieſter, denn dieſe haben noch zuweilen eine Art von Ehr - gefuͤhl, welches ſie Manches vermeiden laͤßt, was der ſchmutzige, eckelhafte, habgierige Moͤnch, der mit der Außenwelt ſeines Kloſters nur in ſehr ent - fernter Beruͤhrung ſteht, ſich ohne Bedenken erlaubt.
301Wie viele Kloͤſter (und vielleicht ſind es die meiſten!) verdanken nicht ihre Entſtehung dem ab - ſcheulichſten Betruge und den entſetzlichſten Verbre - chen, die ſich in das Gewand der Religion und Froͤmmigkeit huͤllten*)Nie kann ich das, jetzt in eine wohlthaͤtige Anſtalt verwandelte Kloſter Koͤnigsfelden hier in der Schweiz ſehen, oder von demſelben hoͤren, ohne jene Beſtie, jene Agnes von Habsburg zu verwuͤnſchen, die es mit dem Vermoͤgen der, von ihr auf das Grauſam - ſte gemordeten und beraubten Edelleute gruͤndete und ausſtattete. Als ſie mehr denn ſechzig dieſer Ungluͤcklichen, die nichts weiter verſchuldet hatten, als daß ſie mit den Moͤrdern des Kaiſers Albrecht, des Vaters der Agnes, verwandt oder bekannt wa - ren, hinrichten ließ, watete ſie mit wilder Hyaͤnen - wuth in den Blutſtroͤmen umher, und rief: ich bade in Roſen! Nachher nahm ſie ſelbſt den Schleier, und ward Aebtiſſin jenes Kloſters. Wie war es moͤglich, daß dies Ungeheuer weiblicher Bos - heit und Rachgier, dieſe Tigerin in Meuſcheugeſtalt nicht in jedem Laut, der in ihre finſtre Zelle drang, die drohende und anklageude Stimme der ſo ſchuld - los Gemordeten zu hoͤren, daß ſie nicht in jedem Thautropfen die Thraͤnen der Wittwen und Wai - ſen zu ſehen waͤhnte, denen ſie ihre Gatten und Vaͤter auf das Schmaͤhlichſte geraubt hatte! Edle Gertrud von Wart, wer ſollte dir nicht nach Jahr - hunderten noch gerne eine Thraͤne der Wehmuth und der Theilnahme weihen; wer ſollte in dir nicht die Schutzheilige ehelicher Treue bewundern und. Nichts kam fuͤr dieſen302 Zweck der Geiſtlichkeit von jeher beſſer zu ſtatten, als der unvernuͤnftige, von Pfaffen ausgeheckte, und noch in manchen Laͤndern als Rechtsnorm gel - tende Grundſatz: daß alle letztwillige Verordnungen und alle Geluͤbde zum Beſten der Geiſtlichkeit und frommer Stiftungen nicht der Foͤrmlichkeiten beduͤr - fen, die zur Guͤltigkeit aͤhnlicher Verfuͤgungen er - forderlich ſind, welche blos zum Vortheil weltlicher Perſonen gereichen. Hiedurch ward den Herren Beichtvaͤtern ein weites und reiches Feld zur Erndte fuͤr ihren Eigennutz geoͤffnet. Man nahm die herr - lichen Dogmen in das Chriſtenthum auf: » Alles, » was Jhr den Prieſtern und frommen Stiftungen » von Eurem oder fremdem Gut zuwendet, das » ſieht Gott an, als haͤttet Jhr es Jhm zugewandt. » Wer ſeine irdiſche Habe der Geiſtlichkeit vermacht » oder ſchenkt, wird dafuͤr im Himmel durch ewige*)verehren, wenn er ſich voll Zorn und Unwillen von jener ſchaͤndlichen Agnes hinweg wenden muß! Moͤ - ge auch kein ſpaͤter Enkel von dir den Namen ſei - nes ungluͤcklichen Ahnherrn auf die Nachwelt gebracht haben, moͤge auch keiner deiner Vorfahren und Nachkommen mit Diademen geſchmuͤckt worden ſeyn; dein Name wird nach Jahrtauſeuden noch mit Ehr - furcht und heiligem Schauer genannt werden, wenn mancher Kronentraͤger, der bereits in ſeinem Leben von Millionen verflucht oder verachtet ward, lange ſchon vergeſſen iſt.303 » Guͤter belohnt, die weder von Motten, noch von » Roſt gefreſſen werden. Kein Verbrechen iſt ſo » abſcheuwerth, keine Suͤnde ſo groß, deren Stra - » fen nicht durch Vermaͤchtniſſe und Schenkungen an » Prieſter und Moͤnche ſich abkaufen laſſen, denn » dieſe ſind die heiligen Diener des heiligen Gottes; » ſie haben die Schluͤſſel des Himmels und der » Hoͤlle; wem ſie die Suͤnden vergeben, dem ſind » ſie vergeben; wem ſie dieſelben behalten, dem ſind » ſie behalten. « Um dieſen ſchaͤndlichen, alle wahre Sittlichkeit untergrabenden Beweggruͤnden zu Ver - maͤchtniſſen und Schenkungen noch groͤßere Kraft zu geben, malte man den armen ſterbenden, von Angſt und Schmerz gefolterten Suͤndern die Hoͤlle und das Fegefeuer recht flammend und roth, und den Himmel recht ſinnlich und reizend. Man zeigte ihnen den hoͤlliſchen Schwefelpfuhl voll ſcheußlicher Drachen, Schlangen und Molche und den grimmi - gen, pferdefuͤßigen Teufel, wie er mit Geißeln von feurigen Nattern die heulenden, mit den Zaͤhnen klappernden Seelen peitſcht. Man ließ die Glaͤu - bigen durch ihre Einbildungskraft ſchon auf Erden es fuͤhlen, wie ſchmerzhaft und unangenehm es ſeyn muß, von Ewigkeit zu Ewigkeit in Oehl ge - ſotten und in brennendem Pech und Schwefel ge - ſchmort zu werden, waͤhrend die auserwaͤhlten Schaͤfchen auf Abrahams Schooße in dulci Jubilo ihr unendliches Halleluja ſingen. Und dies Alles304 nicht, um die rohe Menge von Bosheiten und La - ſtern zuruͤck zu ſchrecken; ach, nein, ſondern blos um ſie zu Schenkungen und Vermaͤchtniſſen an Pfaf - fen und Moͤnche und zur Bezahlung vieler Seelen - meſſen, Ablaſſe und dergleichen Poſſen zu bewegen. Hiedurch erſtickte das pfaͤffiſche Geſchmeiß bei den verblendeten Menſchen alles Gefuͤhl fuͤr Tugend und Rechtlichkeit, und der durch Schreckbilder jeg - licher Art bethoͤrte und geaͤngſtigte Suͤnder erkaufte ſein ewiges Seelenheil, indem er betruͤgeriſchen und ſchwelgenden Pfaffen ſeine ganze Habe zuwandte, und den Seinigen oft kaum ein Strohlager und einen Bettelſtab ließ.
Jn den finſtern Jahrhunderten der Vorzeit wa - ren die Geiſtlichen faſt ausſchließlich im Beſitz der Schreibekunſt, denn ſelbſt die Ahnherren mancher großer Monarchen konnten wohl rauben, pluͤndern und ſtehlen, aber ihren Namen oder gar noch et - was mehr zu ſchreiben, dazu gehoͤrte fuͤr ſie, wie fuͤr die aͤgyptiſchen Zauberer, die Alles, nur keine Laͤuſe zu machen verſtanden, der Finger Jehovahs. Allzu große Gewiſſenhaftigkeit war niemals eine Untugend der Pfaffen und Moͤnche, und man kann alſo ſich vorſtellen, daß ſie beim Niederſchreiben letztwilliger Verordnungen gekroͤnter und ungekroͤn - ter Suͤnder und Einfaltspinſel ſich ſelbſt nicht ver - gaßen. Wie manches Teſtament, wie manche Schenkung, woran der Erblaſſer oder Schenkernie -305niemals gedacht hatte, wurde außerdem wohl nicht von ihnen untergeſchoben, da ihr Zeugniß von ho - hem und niederm Poͤbel als uͤber alle Zweifel er - haben (omni exceptione major) betrachtet ward, und jede Verfuͤgung, die ihnen zum Vortheil ge - reichte, aller ſonſt uͤblichen Foͤrmlichkeiten entbehren konnte? Unter Verhaͤltniſſen der Art war es kein Wunder, daß die Geiſtlichkeit in vielen Gegenden ſehr ſchnell ungeheure Laͤndereien und Reichthuͤmer an ſich riß, deren echtmaͤßige Erben nachher haͤu - fig als Sklaven und Knechte die Aecker beſaͤen mußten, die man ihren Vorfahren und ihnen auf das Schaͤndlichſte abgelogen und geraubt hatte.
Dort, wo vernuͤnftige Anſichten und Liebe fuͤr die Seinigen manchen Wohlhabenden zuruͤckhielten, aus mißverſtandener Froͤmmigkeit oder aus Furcht vor den Strafen begangener Suͤnden ſein Eigen - thum den Eulenklauen habgieriger Bonzen zu uͤber - liefern; dort bediente dieſe Baſiliskenbrut ſich an - derer Mittel, ihre Zwecke zu erreichen. Gatten wurden mit ihren Gatten, Eltern mit ihren Kin - dern, Verwandte mit ihren Verwandten entzweiet, damit Gottes Diener mit und ohne Kutten ſich in die Stelle der rechtmaͤßigen Erben eindraͤngen konn - ten, denn die Geſchichte beſtaͤtigt es auf allen ih - ren Blaͤttern, daß Abrahams weißer Saame unter Prieſtern und Moͤnchen ſich auf Erbſchleicherei faſt beſſer verſteht, als Vater Jakob geſegneten Anden -III. Baͤndchen. 26306kens. Auch noch jetzt ſind bekanntlich dieſe Maͤn - ner Gottes allenthalben, wo es etwas zu erben oder auch nur zu — freſſen giebt, mit ihren troſtvol - len Spruͤchen, ihren herzſtaͤrkenden Gebeten, ihrem ranzigten Oehl, ihrem kohnichten Wein, ihren ſchmutzigen Hoſtien, und allen den Betteleien und Poſſen gleich bei der Hand, um ja im Teſtament nicht vergeſſen zu werden. Laßt aber einen Armen nach ihrem Zuſpruch, oder vielleicht nach ihrem Rath in irdiſchen Angelegenheiten ſich ſehnen; wie werden ſie dann ſeufzen und ſtoͤhnen uͤber die Weite des Weges, uͤber die Kaͤlte oder die Hitze, uͤber die Gefahren der Anſteckung! Wie hart werden ſie Wittwe und Waiſen, die oft mehr, als der Sterbende ſelbſt ihres Raths und ihres Troſtes be - duͤrfen, anfahren, wenn man ihnen ihre Gebuͤhr nicht bei Heller und Pfennig zu zahlen vermag, oder es auch nur an einer Aufmerkſamkeit fehlen laͤßt, die ſie glauben, fordern zu duͤrfen.
Das groͤßte Unheil, welches die Menſchheit beſonders dem Moͤnchthum verdankte, war unſtrei - tig die faſt gaͤnzliche Vertilgung der reinen, erha - benen Lehre des Heilandes, an deren Stelle man unter dem Namen des Chriſtenthums einen ſchaͤnd - lichen Goͤtzendienſt einfuͤhrte, der, wo moͤglich, noch weit unvernuͤnftiger war und iſt, als irgend ein anderer. Doch — ſo wenig Chriſtus ſelbſt ein ir - diſcher Herrſcher war, ſo wenig ſcheint die Religion,307 die Er gelehrt hat, jemals herrſchend werden zu ſollen.
Faſt noch fruͤher, oder doch in weit ſtaͤrkerem Grade als die Weltgeiſtlichen beeiferten ſich die Moͤnche, die arme bethoͤrte Chriſtenheit in Angſt, in Elend und Verwirrung zu bringen, Alles mit aͤgyptiſcher Nacht zu bedecken, und der Geiſtlichkeit zinsbar zu machen. Zu dieſem Zweck ward jene Menge kirchlicher Fratzen und laͤcherlicher Dogmen ausgeheckt, von denen weder der Heiland, noch ſeine Apoſtel je etwas geahnet hatten. Die orien - taliſche Bilderſprache, in welcher die Bibel, beſon - ders das alte Teſtament, und ſelbſt manche Stel - len des neuen abgefaßt waren, leiſtete hier den gruͤbelnden Moͤnchen und Kirchenvaͤtern einen herr - lichen Vorſchub. Wer die Kirchengeſchichte kennt, muß zugeſtehen, daß ſelbſt juͤdiſche Talmudiſten, Rabbiner und Schriftgelehrten keine ſo tolle und thoͤrichte Spitzfindigkeiten zu Gegenſtaͤnden ihrer theologiſchen Forſchungen machten, als die chriſtli - chen Talmudiſten (Kirchenvaͤter), Rabbiner und Moͤnche. Die alberne Frage: ob der liebe Gott, deſſen Leib und Blut wir mit, in und unter dem Brod und Wein genießen, per posteriora wie - der von uns gehe*)Die, welche dies — vielleicht nicht ohne Grund — bejaheten, wurden von ihren Gegnern Sterco - raner genannt., oder ob er ausgeſchwitzt26 *308werde? war immer noch keine der albernſten und eckelhafteſten, die aus einem moͤnchiſchen Hirnſchaͤ - del entſprangen. Daß man es außerdem an Ent - ſtellung der heiligen Schriften durch eigenmaͤchtiges Weglaſſen und Unterſchieben einzelner Worte und ganzer Phraſen nicht fehlen ließ; daß man auch nur das in den Kanon des neuen Teſtaments auf - nahm; was man, weil es zu bekannt war, nicht ausſchließen durfte, oder was den eigennuͤtzigen Zwecken des Pfaffenthums nicht allzu ſtark wider - ſprach, das iſt zu bekannt, als daß es einer wei - tern Ausfuͤhrung beduͤrfte. Unſere aufgeklaͤrtern Exegeten und Schriftforſcher werden noch lange in dem Augiasſtall zu reinigen und zu kehren haben, den man uns als den Kanon des neuen Teſtaments uͤberlieferte!
Eine der koͤſtlichſten und eintraͤglichſten Erfin - dungen moͤnchiſchen Erwerbfleißes war jedoch der Bilderdienſt, der noch jetzt eine ſo reiche Goldgrube des Pfaffenthums iſt. Jn jenen fruͤhern Jahrhun - derten, wo Chriſtus Lehre von der Erde verbannt, und das Chriſtenthum herrfchend ward, ſtiftete eine fixe Jdee, die unter einer orthodoxen Kutte ausgeheckt war, oft eben ſo viel Unheil, als in unſern Tagen manches despotiſche Prinzip, das un - ter einer legitimen Krone ausgebruͤtet und fluͤg - ge geworden iſt. Um die reizenden Bilderchen von Goͤttern und Goͤttinnen, die von eben ſo frommen,309 als betriebſamen Faulenzern in den Kloͤſtern aus - geſchnitzt oder zuſammen geklext waren, zu recht hohen Preiſen an den Mann zu bringen, beſchloßen die Moͤnche, die reine Lehre des edeln Gekreuzig - ten, welche ihnen und den Pfaffen ſchon laͤngſt viel zu einfach geweſen, voͤllig zu vertilgen, und ſtatt ihrer jenen elenden Goͤtzendienſt einzufuͤhren, der ſich frech mit dem Namen eines allein ſelig machen - den Chriſtenthums bruͤſtet. Durch die verworfen - ſten Raͤnke, Schliche, Aufwiegeleien und Meute - reien wurde die ganze chriſtliche Welt von dem habgierigen Natterngezuͤcht der Kuttentraͤger in Zwieſpalt, in Unruhe, in Blut und Thraͤnen geſetzt, und mehr, als ein Kaiſer, der dem ſchaͤnd - lichen Unweſen zu wehren ſuchte, ward durch Meu - chelmord von den frommen Maͤnnern Gottes aus dem Wege geſchafft, um einem goͤtzendienenden Pfaffenknecht oder einer aberglaͤubiſchen Metze ſei - nen Thron einzuraͤumen. Auf dieſe, und noch auf manche andere Weiſe legten habgierige Moͤnche und Pfaffen die ſchnell ſich entwickelnden Keime zum Umſturz des großen morgenlaͤndiſchen Kaiſerthums, welcher durch die zahlloſe Schaar ſelbſtgeſchaffener Goͤtter und Goͤttinnen nicht abgewandt werden konnte.
Leider, dauern in vielen Kloͤſtern die Goͤtter - fabriken zur Schande unſers Jahrhunderts, und zu noch groͤßerer Schande aller Regierungen fort, die310 dergleichen Unfug dulden oder gar wohl befoͤrdern. Eine der wichtigſten Anſtalten dieſer Art, die ich kenne, iſt jene zu Einſiedeln in der Schweiz. Dort kann man hoͤlzerne, papierene, irdene und andere Herrgoͤtter haben, in jedem Format und zu ſehr billigem Preiſe! Gute, biedere Schweizer der Urkan - tone, was erwarben Eure Vaͤter Euch mehr in ihren blutigen Kaͤmpfen, als das Recht, nicht ferner mit den Zwingherren von Oeſterreich Eure » Anken «*)Ein ſchweizeriſcher Ausdruck fuͤr Butter. und Kaͤſe, Eure Kaſtanien und Nuͤſſe, Eure Erd - toffeln und Ruͤben theilen zu muͤſſen? Sie ſchuͤttel - ten das Joch der weltlichen Zwingherren ab, das in phyſiſcher Hinſicht ihnen unbequem war; aber das Joch der Pfaffen und Moͤnche, welches ſie weit mehr als jenes zu vernunftloſen Thieren her - abwuͤrdigte, behielten ſie, und auch Jhr ſeid ſorg - ſam bemuͤht, daß keine jener Feſſeln geloͤst werde, womit Euch geiſtliche Taugenichtſe und Faulenzer umgarnt halten. Wahrlich ein Volk, das bloß die Banden weltlicher Zwingherrſchaft zerreißt, oder geduldig die diamantenen Ketten traͤgt, wodurch ihm alles Aufſtreben zu geiſtiger und ſittlicher Ver - vollkommnung unmoͤglich gemacht wird, hat wenig Urſache, ſich der errungenen Freiheit zu freuen, oder gar darauf ſtolz zu ſeyn. Es gleicht dem ge - aͤngſteten Hirſch, der den wilden Parforzjaͤger er -311 ſchlaͤgt, und durch die Lappen geht, um ſich von einem grimmigen Tiger zerreiſſen zu laſſen.
Ein eben ſo wichtiger, aber nicht weniger ſchlim - mer Erwerbzweig der Moͤnche iſt ihr Handel mit Reliquien, mit Roſenkraͤnzen, Kreuzen, Weihwaſſer und dergleichen. Wie wird mancher arme Schelm, der zwiſchen Himmel und Erde ſchwebend, den jun - gen Raben, die den Herrn anriefen, zur Speiſe diente, am Auferſtehungstage ſich wundern, wenn er ſeine Gebeine muͤhſam unter den heiligen Kno - chen von Apoſteln, Maͤrtyrern, Kirchenvaͤtern und andern chriſtlichen Leuten hervorſuchen ſoll! Es iſt unglaublich, wie viel das Pfaffengeſchmeiß mit die - fem unwuͤrdigen Schacher gewinnt; unglaublich, mit welcher Verblendung in manchen katholiſchen Staaten das gemeine Volk dergleichen Siebenſaͤ - chelchen zu hohen Preiſen kauft, und wie gutmuͤ - thig und beguͤnſtigend ſogar viele Regierungen die - ſem Unweſen zuſehen! Aber nicht allein in katho - liſchen, ſelbſt in proteſtantiſchen Laͤndern ſchleichen jene geiſtlichen Schacherer unter mancherlei Geſtal - ten umher oder ſenden ihre Abgeordneten aus, um leichtglaͤubige Menſchen zu bethoͤren, und durch den Verkauf ihrer Heiligthuͤmer, beſonders als Schatz - graͤber, Geiſterbanner u. ſ. w. Geld zuſammen zu ſcharren, und auch wohl nebenher Proſeliten zu machen. Unter drei Schatzgraͤbern wird man kaum einen antreffen, der nicht in naͤherer oder entfern -312 terer Beziehung mit irgend einem Kloſter oder mit einzelnen Jeſuiten, Dominikanern, Franziskanern, Kapuzinern, Auguſtinern und Karmeliten ſtaͤnde. Welche Raͤnke und Schurkereien erlaubten ſich nicht noch in den neueſten Tagen Coryola’s fromme Soͤhne zu Freiburg in der Schweiz, um durch Teu - felbeſchwoͤren, Geſpenſterbannen, und aͤhnliche Kuͤn - ſte arme, unwiſſende, katholiſche und proteſtantiſche Landleute um das Jhrige zu prellen! *)Dies ſind Thatſachen, und zwar Thatſachen, die erſt vor etwa anderthalb Jahren ſich zutrugen, oͤffent - lich von ſchweizeriſchen Zeitblaͤttern (beſonders vom Schweizerboten), zur Sprache gebracht wurden, und von jenen Maͤnnern Gottes keinen Widerſpruch fanden.Doch darf man es auch wagen, ſo heilige Maͤn - ner, die ein legitimer meineidiger Koͤnig erſt vor Kurzem in ſeine Staaten zuruͤckrief, um ſeinen Un - terthanen die Lehre vom blinden Gehorſam gegen zwingherrliche Willkuͤhr zu predigen, und die in einem andern großen Reiche von einer koͤniglichen Betſchweſter mit Gnaden und Wuͤrden uͤberhaͤuft werden, noch mehr dem Haß und der Verachtung der Menſchheit Preis zu geben? O immerhin! Koͤ - nige und Pfaffen muͤſſen erfahren, daß man ſchon bei ihrem Leben ihre Thaten beurtheilt, damit ſie ſo handeln lernen, daß ſie nicht von Geſchichte und Nachwelt, und ſelbſt von dem hoͤchſten Rich - ter dereinſt verurtheilt werden!
Bei313Bei keiner Religionsparthei waren die Bonzen ſo erfinderiſch an Mitteln, den menſchlichen Geiſt zu umnebeln, den Aberglauben zu befoͤrdern, und Vernunft und Sittlichkeit von der Welt zu verban - nen, als bei den Chriſten. Die Prieſter der Grie - chen und Roͤmer aͤlterer Zeit ließen ſich, ſo ei - gennuͤtzig ſie uͤbrigens waren, noch von einem ge - wißen Gefuͤhl fuͤr aͤußern Anſtand, oft ſogar von einem hohen aͤſthetiſchen Sinn leiten, den man aber bei den eckelhaften veraͤchtlichen Pfaffen der Chri - ſtenheit gaͤnzlich vermißt. Ein beſchmutzter Lappen von dem Unterroͤckchen der Mutter Gottes oder ei - ner andern Heiligen, das Schnupftuch eines Maͤr - tyrers, der Bart eines Kirchenvaters ſind ihnen Gegenſtaͤnde der groͤßten Verehrung, und ſelig iſt der, dem die Erlaubniß zu Theil wird, dieſe Hei - ligthuͤmer mit ſeinen Lippen zu beruͤhren. Ja, ſie wuͤrden uns ſogar den Unrath des großen Lama im Vatikan als einen koͤſtlichen Leckerbiſſen verſcha - chern, wenn der Europaͤer nicht etwas eckelhafter waͤre, als der Einwohner von Tibet. Daß ſelbſt manche proteſtantiſche Monarchen eine ſo heilige und legitime Waare von allen Einfuhr - und Durch - gangszoͤllen freiſprechen und ihren Abſatz moͤglichſt befoͤrdern wuͤrden, laͤßt ſich von ihrer Weisheit und Froͤmmigkeit vermuthen.
Vielleicht giebt es nur wenig chriſtliche Kloͤ - ſter, wenn anders von chriſtlichen KloͤſternIII. Baͤndchen. 27314uͤberhaupt die Rede ſeyn kann, wo nicht irgend einmal ein Marien - oder Heiligenbild, der Knochen eines Eſels oder der Leichnam eines Moͤnchs große Wunder gethan und viele Glaͤubige zu Wallfahr - ten angereitzt haͤtte. Es wuͤrde uns zu weit fuͤhren, die Betruͤgereien der Pfaffen ihren Wallfahrtsor - ten Zugang und Anſehen zu verſchaffen, hier dar - ſtellen zu wollen; allein ſchaͤndlich iſt es, wenn ſelbſt Regierungen nicht bloß dergleichen Unfug zulaſſen, ſondern ihm noch recht kraͤftigen Vorſchub thun, weil es doch Geld ins Land bringt. Verflucht ſei der Gewinn jedes Volks, den es ſo unwuͤrdigen Mitteln verdankt! Jede weiſe Regierung, die wirk - lich das Beſte ihrer Unterthanen bezweckt, ſollte nicht bloß das Pilgern nach auslaͤndiſchen Wall - fahrtsorten verbieten, ſondern auch im eigenen Lan - de alle Wallfahrtsorte aufheben; um dem Aber - glauben, der Liederlichkeit, dem Muͤſſiggange und den Verbrechen ein Ziel zu ſetzen, die mancher Boͤ - ſewicht durch ſeine Wallfahrt abzubuͤßen meint. Ferne ſei es, der weltlichen Macht die Befugniß zu geſtatten, ſich um die Glaubens - und Gewiſſens - ſachen ihrer Untergebenen zu kuͤmmern; wenn aber die letztern durch Pfaffentrug und albernen Wahn verblendet zur Beruhigung ihrer Seele Mittel er - waͤhlen, die nicht blos ihren irdiſchen Wohlſtand zerruͤtten, ſondern ſelbſt ihre Sittlichkeit vernichten und ſie zu nuͤtzlichen Buͤrgern unfaͤhig machen muͤſ -315 ſen; dann iſt es Pflicht jeder vernuͤnftigen Regie - rung, ſowohl gegen die Verblendeten ſelbſt, als ge - gen deren Angehoͤrige und Mitbuͤrger, dem Unwe - ſen Einhalt zu thun. Will man hier den Schein einer willkuͤhrlichen Gewaltſamkeit vermeiden, den man doch bei andern Gelegenheiten, wenn z. B. von demagogiſchen Umtrieben die Rede iſt, gar nicht ſcheuet, ſo waͤhle man den Weg der Beleh - rung, und ſuche nach Moͤglichkeit die Wall - fahrten zu erſchweren. Haͤufig haben die letztern mehr noch den Zweck, kuͤnftige Bosheiten zu ver - ſoͤhnen*)Eine junge Tyrolerin erzaͤhlte mir einſt ganz un - befangen, ſie ſey vor mehreren Jahren ſchwanger geweſen, und deshalb nach Einſiedeln gewallfahrtet, um nachher ihr Kind umbringen zu koͤnnen, wel - ches ſie auch wirklich gleich nach ihrer Niederkunft gethan hatte. Jch ſchauderte bei dieſem eben ſo ab - ſcheulichen, als argloſen Geſtaͤndniſſe! O, Pfaffen, wie viel unſchuldiges Blut iſt durch euch ſchon ver - goſſen!, als jene, die ſchon vollbracht ſind. Mit dem, am Wallfahrtsort gekauften Ablaß in der Hand geht der aberglaͤubiſche Suͤnder in ſeine Hei - math zuruͤck, und raubt, brennt, mordet und ſtiehlt, was er ſonſt nimmer gethan haben wuͤrde, wenn er nicht ſein Gewiſſen vorher durch einen geiſtlichen Schlaftrunk in Sicherheit gebracht haͤtte. Betrachtet man außerdem noch die Lebensweiſe der27 *316Wallfahrtenden auf ihrer Reiſe, ſo findet man, daß ſie die Zeit, welche ſie haͤufig ihren ſehr draͤn - genden haͤuslichen Geſchaͤften entziehen, zwiſchen Beten und Liederlichkeiten theilen. Wer noch nicht ganz verderbt iſt, muß es, wenn er uͤbrigens in Ruͤckſicht des Aberglaubens und der Unvernunft von den Pfaffen nicht durchaus verwahrlost ward, durch ſolche fromme Pilgereien und durch den Auf - enthalt an Wallfahrtsorten werden, wo man in der Regel mit dem Abſchaum des menſchlichen Ge - ſchlechts ſowohl geiſtlichen, als weltlichen Standes zuſammen trifft.
Das Betteln der geiſtlichen Taugenichtſe iſt freilich nicht ſo empoͤrend und ſelbſt fuͤr die Sitt - lichkeit Anderer weniger verderblich, als jene vorhin gedachten Erwerbsarten; allein gewoͤhulich verbinden dieſe heiligen Bettler mit dem edeln Handwerk des » Terminirens « auch einen ſehr eintraͤglichen Handel mit allerhand gottſeligen Waa - ren, mit Ablaſſen, Kruzifixen, Weihwaſſer, To - lentinbrod, Heiligenbildern u. ſ. w., die ſie auf recht juͤdiſche Weiſe den glaͤubigen Liebhabern anzu - ſchwatzen verſtehen. Wie ſehr Aberglaube und Un - ſittlichkeit hiedurch gefoͤrdert und erhalten werden, iſt ſchon fruͤherhin angedeutet; und es waͤre Pflicht jeder vernuͤnftigen Obrigkeit in den Laͤndern, wo das Betteln zu den freien Kuͤnſten gehoͤrt, wenig -317 ſtens das Hauſiren mit jenen ſehr ſchaͤdlichen Waa - ren ernſtlich zu hindern.
Es mag ſehr bequem ſeyn, aber ohne Zweifel iſt es auch ſehr unartig, auf Koſten anderer ehrli - cher Leute, die im Schweiß ihres Angeſichts ihr Brod eſſen muͤſſen, leben, faullenzen und in den Himmel kommen zu wollen. Jeder Arme und Noth - leidende, und waͤre ſein Ungluͤck ſogar von ihm ſelbſt verſchuldet, hat Anſpruch auf das Mitleid und die Huͤlfe ſeiner Mitbruͤder; aber nicht der ſchwelgeriſche Moͤnch, der in ſeinem Kloſter alles Noͤthige findet, um ſich in heiligem Muͤſſiggang wohlthun und maͤſten zu koͤnnen, und der muthwil - lig, blos aus Aberglauben und Arbeitſcheu das alberne Geluͤbde that, kein nuͤtzliches und thaͤtiges Mitglied der menſchlichen Geſellſchaft zu ſeyn.
Meſſeleſen und Beichtehoͤren ſind jedoch zwei wichtige und nuͤtzliche Geſchaͤfte, ohne welche das Wohl der Menſchheit ſchwerlich beſtehen koͤnnte, und ſelbſt die Weltprieſter bezeugen, daß ihre from - men Halbbruͤder in den Kutten ſich recht eifrig und manchmal uͤber die Gebuͤhr hinzu draͤngen, wenn eine gut bezahlte Meſſe zu leſen, oder eine lange, alberne und eintraͤgliche Beichte zu hoͤren iſt. Das Mein und Dein iſt bei den Moͤnchen, die ſich durch eidliche Geluͤbde zur Armuth verpflichtet haben, ein eben ſo wichtiger Zankapfel, wie bei den frommen Hebraͤern, die Gold und Silber und gute Papiere318 fuͤr das hoͤchſte Ziel des menſchlichen Strebens hal - ten. Eben ſo poſſierlich, als juͤdiſch iſt uͤbrigens die Art, wie ſie ſich bei glaͤubigen Seelen als Beichtvaͤter einzufuͤhren und zu empfehlen ſuchen. » Beichte der Herr doch bei mir! Jch bin nicht ſcharf! » Jch mach’ es gelinde; aber der Pater Fulgentius » Maurus iſt ein Brummbaͤr! Beichten Sie bei » mir! Raub, Mord, Hurerei, Ehebruch, Stehlen, » Fluchen, Schwoͤren, Sabbath - und Knabenſchaͤn - » den, Alles, Alles kann man mir beichten! Es » koͤmmt kein Sterbenswoͤrtchen davon uͤber meine » Lippen und ich ſchmolle und grolle gar nicht dar - » uͤber; denn ich bin ſanft, wie ein Lamm, ſanft » wie das Lamm Gottes, das der Welt Suͤnden » traͤgt. «
Daß im Beichtſtuhl nicht blos vom Suͤnden - vergeben, ſondern auch von andern Sachen, die der hochwuͤrdige Beichtvater gebraucht, z. B. von reiner Waͤſche, neuen Hoſen, Struͤmpfen, Schu - hen, Schnupftaback u. ſ. w., die Rede iſt, koͤnnt Jhr ſchon denken! Jſt das Beichtkind jung, huͤbſch und gefaͤllig, ſo pfuſcht man zuweilen wohl gar ein wenig ins ſechste Gebot hinein, denn wir wiſſen ja, daß ein Moͤnch und ein Engel zwei ganz ver - ſchiedene Dinge ſind.
Ueberhaupt irrt man ſehr, wenn man die Keuſchheit der katholiſchen Geiſtlichen als eine fin - ſtere alte Jungfrau ſich vorſtellt, die alle Freuden319 der Liebe mit gerunzelter Stirne verlaͤſtert. Blos der Eheſtand iſt den Prieſtern, den Moͤnchen und Nonnen verboten, weil er zwar ein Sakrament, aber doch ein recht teufliſches, unkeuſches Sakrament und ein ſchaͤndliches Laſter iſt. Wo findet man wohl ſchoͤnere, bluͤhendere Nichten, Haushaͤlterin - nen, Schaffnerinnen und Dienſtmaͤdchen, als in den Haͤuſern der katholiſchen Weltgeiſtlichen? Wer dort nicht gleich mit der ſechsten Bitte bei der Hand iſt, ſtrauchelt gewiß, ſo feſt er auch ſtehen mag. An den vollbuſigen Magdalenen, und den nackten Erloͤſern haͤlt ſich die Phantaſie wohlbeleib - ter Moͤnche und ſchmachtender Nonnen fuͤr manche Vergnuͤgungen ſchadlos, deren Genuß die ſtrenge Ordensregel verbietet. Doch — wir wollen hier nicht an Widernatuͤrlichkeiten erinnern, deren Schil - derung wir gerne Andern uͤberlaſſen. Die from - men Priape in den chriſtlichen Kloͤſtern muͤſſen wahrlich vom Himmel in mancher Hinſicht beſondere Privilegien haben, oder die Anſichten deſſen, der Sodom und Gomorra mit Feuer und Schwefel vertilgte, haben ſich ſeit mehreren Jahrtauſenden maͤchtig veraͤndert; wie waͤre es ſonſt moͤglich, daß unſere Kloͤſter nicht ſchon laͤngſt ein aͤhnliches Schick - ſal erfuhren?
So ſtolz, wie manche katholiſche Ordensgeiſt - liche, beſonders unter den Jeſuiten und den Bene - diktinern auf den vermeintlichen, ungeheuern Um -320 fang ihrer Kenntniſſe ſind; ſo hochmuͤthig ſind da - gegen andere, und vorzuͤglich die Kapuziner, Kar - meliter und die meiſten Bettelmoͤnche auf ihre Dummheit. » Selig ſind, die da geiſtlich arm ſind, denn das Himmelreich iſt ihr! « das iſt der ſehr mißverſtandene, und ſchlecht angewandte Wahlſpruch dieſer frommen Taugenichtſe, die ſich in manchen weltlichen Dingen noch weit dummer und linkiſcher anſtellen, als ſie wirklich ſind. Betrifft indeſſen die Sache das Wohl ihres Ordens, oder gar ihres Kloſters, dann ſind ſie voll der ſchelmiſchſten Raͤnke und Pfiffe, und kluͤger und boshafter, als Schlan - gen und Nattern. Den Jeſuiten und einigen Be - nediktinern kann man — ohne ungerecht zu ſeyn — es nicht ableugnen, daß ſie in mehreren wiſſen - ſchaftlichen Zweigen ſich auszeichneten; allein nie geſchah es auf eine, in das Leben der Menſchheit vortheilhaft einwirkende Art. Die Folianten Ana - ſtaſius Kircher’s, Caspar Schotts und anderer haben fuͤr geiſtige und ſittliche Veredlung gar kei - nen Werth, und dienten haͤufig blos dazu, gute Koͤpfe vom Nachdenken uͤber gewiſſe Gegenſtaͤnde abzuziehen, die man mit blindem Gehorſam geglaubt und angenommen haben wollte. Da man nach der Reformation nicht die alte aͤgyptiſche Finſterniß in dem Schafſtall der allein ſeligmachenden Kirche erhalten konnte; ſo bemuͤhte man ſich, ein gewiſſes Helldunkel, das dem Schimmer des Lichts glich,321 aber noch ſchlimmer war, als die dunkle Nacht ſelbſt, hervorzurufen, um ſchwache Geiſter zu blen - den, die hoͤchlich erfreuet, daß ſie etwas ſehen konnten, nicht wahrnahmen, daß ſie Alles nur falſch ſahen. Beſonders geſchickt in Erhaltung dieſes taͤu - ſchenden Schimmers ſind die Jeſuiten, denen wir, vorzuͤglich in Deutſchland ſelbſt unter Proteſtanten den Hang zu einem abentheuerlichen, bigotten My - ſticismus verdanken. Die Einbildungskraft iſt unter allen Kraͤften der Seele die einzige, welche Pfaf - fen, Moͤnche und Jeſuiten auszubilden, und der ſie ein Uebergewicht uͤber alle andere zu geben ſu - chen, wohl wiſſend, daß der phantaſiereiche Menſch, bei dem Denkkraft, Vernunft und Scharfſinn im Schlummer liegen, immer der Glaͤubigſte und Ge - horſamſte iſt.
Der laͤcherlichen Behauptung der Karmeliter, daß der Prophet Elias Stifter ihres Ordens ge - weſen, ward ſchon fruͤher erwaͤhnt. Allein derglei - chen Tollheiten ſind dem moͤnchiſchen Hochmuth noch lange nicht genug! Sogar fuͤr leibliche Oheime Gottes wollen dieſe elenden Wichte gehalten ſeyn, und zuͤrnen gar maͤchtig, wenn man ihnen den Titel: Bruͤder der Mutter Gottes be - ſtreitet! Der heilige Franziskus wird von ſeinen Juͤngern nicht allein dem Heilande gleich geſtellt, ſondern noch weit uͤber ihn erhoben.
Doch genug von der veraͤchtlichen pfaͤffiſchen322 und moͤnchiſchen Brut, die unter allen Sekten ſich gleich bleibt, aber bei uns Chriſten mehr, als bei irgend einer andern ſich durch Verfinſterungs - und Verketzerungswuth, durch Proſelytenmacherei, Selbſt - ſucht, Eigennutz und Herrſchgier, und uͤberhaupt durch alle nur moͤglichen Laſter, Verbrechen und Schandthaten ausgezeichnet hat. Moͤgen ſich auch, wie es ſcheint, jetzt weltliches und geiſtliches Zwing - herrnthum feſter, denn jemals mit einander ver - binden; moͤgen ſie ſich gegenſeitig ſalben und kroͤ - nen, und dreimal heilig, heilig, heilig nen - nen; die Menſchheit hat eine Hoͤhe erſtiegen, von welcher ſie das unheilige, nichtswuͤrdige Thun und Treiben dieſer Baſilisken und Molche ſehr gut uͤberſehen kann. Es wird den Pforten der Hoͤlle keineswegs gelingen, den Geiſt der Voͤlker wieder in die alten Feſſeln zu ſchmieden, und ſeinen Auf - ſchwung durch Bannſtrahlen, Jnterdikte, Jnquiſi - tionen und dergleichen zu hemmen. Vergebens werden ſich Blindſchleichen und Finſterlinge jeglicher Art, weltliche und geiſtliche, autokratiſche und ari - ſtokratiſche, ſervile und liberale oder liberalſchei - nende dem allgewaltigen Strom entgegen ſtellen; ſie werden, wie elendes Geſtruͤpp ohne Haltung und Wurzel, mit fortgeriſſen und in den Fluthen begraben werden*)Das mit eben ſo viel Geiſt, als Kenntniß geſchrie -.
323Der weißjuͤdiſche Adel verdient als bevorzuͤgter Stand und als vermeintliche Stuͤtze der Throne ſei - nen Rang, wenn gleich nicht vor, doch neben den chriſtlichen Rabbinern, denen er freilich an Heilig - keit in der Regel weit nachſteht.
Abrahams Saame ſoll ſich mehren, wie der Sand am Meer und zerſtreuet werden unter allen Voͤlkern der Erde. Kein Wunder alſo, wenn es unter unſern unbeſchnittenen und getauften Stan - desherren (nicht Landesherren!) Grafen, Freiherren und Rittern Nachkommen des beruͤhmten Stamm - vaters aller Glaͤubigen und ſeiner zweiten Gemah - lin Ketura giebt, denn ſo rein ſie auch gewoͤhnlich ihre ehelichen Waitzenfelder von allem, beſonders buͤrgerlichem Unkraut zu erhalten ſtrebten, ſo ſtreuete doch der boͤſe Feind, der umher gehet, wie ein bruͤllender Loͤwe, manch’ iſraelitiſches Saamenkoͤrn - chen hinein, das leider, aufgieng, und hundertfaͤl - tige Frucht trug. Bei den europaͤiſchen Souveraͤ - nen (Landesherren) war es ein Anders; die Legi - timitaͤt ſtand von jeher unter des Himmels heili - gem und unmittelbaren Schutz, und wenn325 wir gleich nicht die Keuſchheit aller Ahnfrauen der legitimen Regenten beſchwoͤren koͤnnen, ſo ſind wir doch mit Herrn von Haller und Andern einverſtan - den, daß auf ihrem heiligen Grund und Boden nie ein illegitimes Saamenkorn gedieh.
Vielen weißjuͤdiſchen Edelleuten muß man es zugeſtehen, daß ſie manchen Tugenden oder — Un - tugenden ihrer geiſtlichen Herren Vettern keineswegs, oder doch nicht in gleichem Grade ergeben ſind. Die fromme Demuth der letztern macht ſie gleich - guͤltig gegen Ehre und Schande, alſo auch gleich - guͤltig in der Wahl ihrer Mittel, um zu Reich - thum und Macht, zu Anſehen und Wuͤrden zu gelangen. Ganz verſchieden denkt hierin der weiß - juͤdiſche Edelmann. Dieſer will lieber ertrotzen, was der chriſtliche Rabbiner erſchleicht; er will ſelbſt, wenn er raubt, ſtiehlt, betruͤgt, mordet, ſengt und brennt, den aͤußern Schein eines Ehren - mannes behalten, woran hingegen der ſchwarzen Legion, die nur ihren Ruhm bei Gott, und nicht bei Menſchenkindern ſucht, gar wenig gedient iſt. Daher findet man bei dem weißjuͤdiſchen Adel weit ſeltner die kriechende Schmarotzerei, den ſchmutzigen Geiz, die Klatſchhaftigkeit, die Verleumdungsſucht, die unanſtaͤndige Freßgier und mehrere andere Ei - genſchaften, von denen im vorigen Aufſatz die Rede war. Die chriſtlichen Rabbiner — den Hohenprie - ſter im Vatikan keineswegs ausgenommen — ſtre -326 ben zwar, wie alle Hebraͤer, nach Anſehen, nach Reichthum und Macht; aber ſie wollen in der Re - gel Alles durch Heucheln und Schmeicheln, durch Luͤgen und Truͤgen gewinnen; ſie wollen nichts da - fuͤr geben, als fremdes Leben und Gut. Die weiß - juͤdiſchen Junker trachten, wie jene, gleichfalls auf Gefahr und Koſten ihrer Mitbuͤrger nach Vergroͤſ - ſerung ihres Anſehens und Vermoͤgens, und nach Erweiterung ihrer Vorrechte vor andern ehrlichen Menſchen; allein ſie ſetzen, wenn ihr Zweck es erfodert, eigenes Gut und Leben, ja ſelbſt die ei - gene Seligkeit dafuͤr ein, um ihr Ziel zu erreichen, und daher erſcheinen ſie manchem Weltmann weni - ger veraͤchtlich, als jene Maͤnner Gottes, die Alles mit Schlangenliſt an ſich ziehen, aber keinen Bluts - tropfen wagen moͤgen*)Ein franzoͤſiſcher Geiſtlicher aͤußerte einſt ſehr naiv gegen mich: „ Jch moͤchte wohl das Geld und die Ehre haben, welche Voltaire durch ſeine Schriften auf dieſer Welt erworben hat; aber was ihm jen - ſeits dafuͤr wiederfahren, moͤcht’ ich nicht mit ihm theilen! ‟ So ſind dieſe Herren! Sie moͤgen gerne Ruhm und Schaͤtze erwerben, aber nie wollen ſie leiden, was dafuͤr gehoͤrt.. Geleitet von einem ge - wiſſen Gefuͤhl fuͤr Anſtand und Ehre, und haͤufig in hoͤhern Kreiſen von wahrhaft edeln Eltern und Erziehern gebildet, wiſſen manche weiße Hebraͤer von Adel die ihnen anklebenden Fehler, wodurch327 der toͤlpiſche Chriſtenrabbiner ſo oft ſich laͤcherlich macht, ſchlau zu verſtecken, oder ihnen wohl gar das Anſehen glaͤnzender Tugenden zu geben. Sie ſind freilich eben ſo rachgierig, verfolgungsſuͤchtig und boshaft, wie ihre geiſtlichen Bruͤder; allein der weißiſraelitiſche Edelmann, woferne er nicht zu den verworfenſten ſeines Standes und Stammes gehoͤrt, ſtellt ſich ſeinem Feinde gegenuͤber im offe - nen Felde; der chriſtliche Rabbiner hingegen erſcheint uͤberall als ein feiger, elender und heimtuͤckiſcher Buſchklepper, deſſen liebſte Waffen Lug und Trug, Gift und Dolch ſind, und der keine andere Lehre des Heilandes kennt, als —: ſeyd klug, wie die Schlangen.
Man halte dies nicht fuͤr eine Vertheidigung der weißen Hebraͤer unter dem Adel; ſo wie es auch keineswegs von allen gilt. Statt jener un - ruͤhmlichen Eigenheiten, die ſie mit den chriſtlichen Leviten nicht theilen, beſitzen ſie viele andere, die weder ein Gluͤck, noch eine Zierde der Menſchheit ſind.
Der Erbadel hat in neuern Zeiten ſehr harte Anfechtungen erfahren, aber eben ſo, wie das Pfaf - fenthum, ſelbſt in Laͤndern, wo man ihn fuͤr immer vernichtet hielt, ſein gedemuͤthigtes Haupt ſtolz wieder empor gehoben. Dies war uͤbrigens durch - aus nicht, wie man gerne die Welt uͤberreden moͤchte, Folge ſeiner Unentbehrlichkeit fuͤr das Wohl328 der Voͤlker und der — Throne, ſondern vielmehr einzig und allein ein Ergebniß der Ruͤckkehr ande - rer, eben ſo wenig unentbehrlicher, politiſcher Ver - haͤltniſſe und Einrichtungen, die man durch Wieder - herſtellung des Erbadels ſtuͤtzen zu koͤnnen glaubte.
Nicht Geburt, nicht die Verdienſte laͤngſt ver - moderter Ahnherren, ſondern blos eigene Faͤhigkei - ten und eigener Werth koͤnnen zu Anſpruͤchen auf Vorzuͤge vor minder Faͤhigere und minder Ver - dientere berechtigen. Geſchicklichkeit, Kenntniß, Klugheit und Tugend ſind Guͤter, die ſehr ſelten von dem Vater auf den Enkel und Urenkel bis zu den ſpaͤteſten Geſchlechtern hin fortgeerbt werden. Ueberdies iſt es leider bekannt, daß viele Vorfah - ren unſers jetzigen Adels und ſelbſt manche Ahn - herren von Kaiſern, Koͤnigen und Fuͤrſten zu den ehrenwerthen Leuten gehoͤrten, welche zu ihrer Zeit die Wege und Straßen ziemlich unſicher machten, und eher Schwert, Galgen und Rad, als Sterne, Ordensbaͤnder und Kronen verdient hatten.
Geſetzt aber wirklich, alle jene Ahnherren der grauen Vorzeit waͤren die weiſeſten, edelſten und beſten Menſchen, die tapferſten Krieger, die unei - gennuͤtzigſten Beſchuͤtzer ihrer Mitbuͤrger geweſen; was giebt dies ihren Nachkommen, die ſo haͤufig von allem dem gerade das Gegentheil ſind, fuͤr Anſpruͤche auf Vorrechte vor ihren Zeitgenoſſen? Wenn der Vater ein vortrefflicher Arzt oder einein -329einſichtsvoller Rechtsgelehrter iſt, muͤſſen denn ſeine Soͤhne und alle ſeine Enkel bis ins tauſendſte Glied daſſelbe ſeyn? Vielleicht moͤchte man noch eine Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß Tugenden, Kennt - niſſe und Faͤhigkeiten, wenn auch nicht in gleichem, doch in minderem Grade durch Erziehung und Bei - ſpiel vom Vater auf den Sohn fortgeerbt werden koͤnnten; aber daß dies von Generation auf Ge - neration nothwendig geſchehen muͤſſe, daß die ſittliche und geiſtige Nachlaſſenſchaft, je weiter ſie von Geſchlecht zu Geſchlecht vererbt wird, nicht verringert, ſondern vergroͤßert werde; iſt eine Laͤ - cherlichkeit, die der Vernunft und der Erfahrung Hohn ſpricht. Auf eben dieſe Laͤcherlichkeit aber ſtuͤtzt ſich der Grundſatz: daß der Erbadel um ſo beſſer ſey, je aͤlter er iſt, oder je mehr Ahnherren zwiſchen dem erſten Erwerber und deſſen letzteſten Nachkoͤmmlinge ſtehen.
Der Wahn, daß man Verdienſte, Tugenden und Faͤhigkeiten, wie Vater Adam die Erbſuͤnde, auf ſeine ſpaͤteſten Nachkommen vererben koͤnne, hat viele der edelſten Herzen und der beſten Koͤpfe ver - derbt und in Geiſſeln ihrer Mitbuͤrger und Zeitge - noſſen verwandelt. Wer aber einen Edelmann blos deshalb tadelt, oder gar fuͤr einen Thoren erklaͤrt, weil er mit Stolz auf die wirklichen oder vermeint - lichen Verdienſte ſeiner Vorfahren zuruͤck blickt, der handelt ſehr unbillig, denn mit gleichem und mitIII. Baͤndchen. 28330noch weit ſtaͤrkerem Rechte muß man dann ja den Nationalſtolz verdammen, der doch die Quelle ſo vieler ausgezeichneter und herrlicher Thaten und Handlungen war. Alle Nationen, die ſich auf ei - ner bedeutenden Stufe geiſtiger und ſittlicher Bil - dung befinden, ruͤhmen ſich voll edeln Stolzes der großen Maͤnner, die ſie hervorbrachten, und ſtrei - ten wohl gar, bei welcher von ihnen dieſe Entdek - kung oder Erfindung zuerſt und von wem ſie ge - macht worden? Wie koͤnnte man alſo wohl jenes rein menſchliche Gefuͤhl verurtheilen, das aus dem Bewußtſeyn entſpringt: auch unter meinen Vorfah - ren und Verwandten waren Menſchen, die Achtung und Dankbarkeit verdienten, und noch werth ſind, mit Achtung genannt zu werden? Wem es gleich - guͤltig iſt, ob ſeine Voraͤltern Diebe und Raͤuber, oder ob ſie ehrliche Leute waren, der iſt auch nahe daran, ein Schelm und Spitzbube zu werden. Jch habe einen Mann gekannt, der allenthalben damit prahlte, daß er mit Klopſtock verwandt ſey, obgleich dieſe Verwandtſchaft kaum mit einem Sack voll Linſen zuſammen gerechnet werden konnte, und man ziemlich weit zu Noahs Arche herabſteigen mußte. Die Verwandtſchaft mit dem Saͤnger des Meſſias ſpornte ihn aber an, gleichfalls Hexameter zu machen, die freilich nicht zu den beſten gehoͤr - ten; allein er machte auch Gedichte, die keineswegs ungereimt waren, zu ihrer Zeit manchen Muſen -331 almanach und manche Zeitſchrift ſchmuͤckten, und noch jetzt mehr werth ſind, als ganze Ballen von Gedichten, Legenden, Volksſagen und Maͤhrchen, womit jede Leipziger Buͤchermeſſe ganz Deutſchland uͤberſchwemmt. Waͤre Klopſtock nicht der Herr Vetter dieſes Dichters geweſen, ſo haͤtte er nie ei - nen Vers gemacht, oder gar drucken laſſen. Sollte nicht auf aͤhnliche Art das Andenken an große und gute Vorfahren und Verwandte auch auf das Sitt - liche des Menſchen einwirken koͤnnen? Und ſollte man daher nicht manchem Edelmann eine kleine Eitelkeit auf die Verdienſte ſeiner Vorfahren zu Gute halten, wenn anders dieſe Verdienſte nur nicht, wie ſehr haͤufig der Fall war, in Straßen - raub, Nothzucht, Ausuͤbung des Rechts der erſten Nacht, Bauern - und Buͤrgerquaͤlerei und derglei - chen Unbillen beſtanden?
Wenn man aber weiß, daß nicht allein von den Ahnherren manches Edelmannes, ſondern ſelbſt manches legitimen Prinzen nichts weiter zu ruͤhmen iſt, als daß ſie, beguͤnſtigt vom Dunkel grauer Jahrhunderte, trotz aller ihrer Raͤubereien und Bubenſtuͤcke, dem Schwert, dem Galgen, dem Ra - de, dem Staupbeſen und Brandmahl gluͤcklich ent - wiſchten, welche ſie doch mit beſſerm Rechte, als ihre Nachkommen Ordensbaͤnder, Sterne und — Diademe, verdient hatten; daß ſie blos durch Rauben und Morden, durch Sengen und Brennen,28 *332und durch die ſchaͤndlichſten, alle Rechte der Menſch - heit verhoͤhnenden Anmaßungen große Laͤnder und Guͤter an ſich rißen, in deren Beſitz noch jetzt ihre unwuͤrdigen Sproͤßlinge ſchwelgen und uͤber den Jammer und die Fluͤche der bedruͤckten Voͤlker Hohn lachen; dann moͤchte man mit den Zaͤhnen knirſchen uͤber das freche, hochmuͤthige Pochen, womit ſich mancher elende Menſchenpeiniger als einen Geſalb - ten und Heiligen Gottes ankuͤndigt, weil er ein legitimer Nachkomme großer und gluͤcklicher Ban - diten und Raͤuber iſt.
Unſere carbonariſchen und jakobiniſchen Aerzte und Naturforſcher verſichern, daß es mit der Zeu - gung und Geburt eines Prinzen und Edelmanns gerade ſo zugehe, wie mit der Zeugung und Ge - burt eines — Bauern. Ja, ſie behaupten ſogar, daß der Stoff, die Organiſation und die geiſtigen Anlagen vieler Bauerzungen weit beſſer ſind, als die mancher Kronprinzen*)Ganz anders dachte hieruͤber ein Herr Jakob, Frei - herr von Lichtenberg, der zu Ende des ſiebenzehn - ten Jahrhunderts „ florirte. ‟ „ Es vermag, ſchreibt er, es vermag die Natur durch lange Zeit, daß aus einem Koͤrper ein anderer wird, daher iſt con - tinua alteratio in einem jeden Leib, Menſchen und Vieh, da wird alle wege der Menſch geartet nach der Speiß, die er geneußt. Geneußt er allewege Fiſche, ſo wird ſeine Natur kalt, wie der Fiſchen und hieraus ziehen333 naſeweiſe Demagogen den laͤcherlichen Schluß, daß, da Geburt und Zeugung aller Menſchen ſich gleich ſind, ſie auch Alle zu gleichen Anſpruͤchen auf Leben und Lebensgenuß befugt ſeyn, und daß der kluge und faͤhige Sohn eines Bauern oder Buͤrgers dem dummen und unfaͤhigen Luͤmmel eines Miniſters oder Kammerherrn bei Beſetzung von Staatsaͤm - tern vorgehen muͤſſe, von deren gewiſſenhafter und einſichtsvoller Verwaltung das Gluͤck vieler Fami - lien und oft vieler Tauſende abhaͤngt. Jene Car - bonari und Jakobiner folgern weiter: daß wir Men - ſchen alle Eines, und zwar goͤttlichen Geſchlechts und zu hoͤherer geiſtiger und ſittlicher Veredlung in*)iſt. Item allewege grob Schweine - Fleiſch, wird ſchweinen die Natur und grober Art; das wird an den Bauern erfahren, darum ſie auch ſo ruͤltzet und Schweinen ſeynd. Alſo wiederum, die ſo ſich reiner, ſubtiler, adlicher Speiſe gebrauchen, werden adlich, ſubtil, hohes Verſtandes, großer Vernunft. ‟ Der liebe Mann hatte, nach dieſen Aeuſſerungen, wohl nie reine - ſubtile, adliche Speiſe genoßen! Uebrigens hat man haͤufig Freiherren geſehen, die immer fuͤrſtlich und koͤniglich aßen, und am Ende doch keine Fuͤrſten und Koͤnige, ſondern Bettler wurden. Das Mittel iſt folglich nicht, als durch - aus probat zu empfehlen. M. ſ. Jakob, Freiherrn von Lichtenberg-Entdeckung aller fuͤr - nehmſten Artikel der Zauberei durch Jakob Weckernan den Tag gegeben. 334 dieſer und in jener Welt beſtimmt ſind; daß alſo eine Handvoll eigenwilliger, aufgeblaſener und herrſchgieriger Erdenſoͤhne nicht das Recht haben koͤnne, viele Millionen vernuͤnftiger Weſen als Heerden von Schlachtvieh zu betrachten, die Seelen derſelben, wie Rechenpfenninge unter ſich zu ver - theilen, und jenen erhabenen Zwecken der Vorſe - hung durch Hemmung alles geiſtigen Verkehrs und andere despotiſche und pfaͤffiſche Mittel entgegen zu arbeiten. Dieſe Grundſaͤtze ſind keineswegs neu! Ein Mann, der vor achtzehnhundert drei und zwanzig Jahren zu Bethlehem in Kanaan geboren und nachmals wegen demagogiſcher Umtriebe von juͤdiſchen Prieſtern ans Kreuz geſchlagen ward, lehrte ſie ſchon, und ſelbſt vor ihm hatte man ſie haͤufig von Andern bald oͤffentlich, bald nur zwi - ſchen vier Waͤnden behaupten gehoͤrt; ja ſogar vor den Zeiten Nimrods und anderer großen Parforz - jaͤger des Menſchengeſchlechts ſollen ſie allenthalben geuͤbt worden, und in vielen Laͤndern Amerika’s noch an der Tagesordnung ſeyn.
Die Jakobiner und Carbonari haben offenbar Unrecht, denn ihre Anſichten ſtreiten ja geradezu wider das monarchiſche Prinzip und die Lehre von der Legitimitaͤt, worauf das Heil der ganzen Menſch - heit beruhet.
Sehr vernuͤnftig hingegen iſt, was Abrahams hochadliche Kinder von der weißen Linie behaupten:335 Als Gott, die Erde und Alles, was darauf lebet, webet und kriecht, geſchaffen hatte, da machte er auch ein Maͤnnlein und ein gnaͤdiges Fraͤu - lein, beide von altem turnier - und ſtiftsfaͤhigem Adel, und ſetzte ſie ein zu Herrſchern uͤber die Erde. Die Leckerhaftigkeit der Ahnfrau Eva, der wir die Erbfuͤnde und das Dogma verdanken, daß Gott geoffenbart wurde im Fleiſch, brachte uns um un - ſer Stamm - und Rittergut Gan-Eden, und der Herr verurtheilte uns, obgleich wir vom Apfel gar nicht mitgenaſcht hatten, ganz unſchuldiger Weiſe zu arbeiten und im Schweiß unſers Angeſichts Brod zu eſſen und — Waſſer zu trinken. Weil den Herrn aber nachmals, wie dies bekanntlich, laut der hei - ligen Schrift, ſehr oft der Fall war, gereuete, was er gethan hatte, ſo hoͤrte er auf, die Erde zu verfluchen um des Menſchen willen, und ſchuf Buͤrger und Bauern, die wir kantſchuen, peinigen, beherrſchen, und die fuͤr uns arbeiten ſollten.
Spaͤterhin kamen die Kinder Gottes, die hei - ligen Engel oder Prinzen vom Himmel und ſahen die Toͤchter der Menſchen, wie ſie ſo ſchoͤn waren und ſich ſo reizend geſchmuͤckt hatten. Sie nahmen zu Gemahlinnen von ihnen, welche ſie wollten, (1 B. Moſ. Kap. 6.), und zeugten mit ihnen große und gewaltige Helden, welche die Ahnherren aller jetzigen irdiſchen Herrgoͤtter ſind, bei denen die Edelleute von Rechtswegen die Stelle der Seraphim336 und Cherubim vertreten. Man ſieht hieraus, daß die allein ſeligmachende Lehre von der Legitimitaͤt ſchon in der Schrift gegruͤndet iſt. So gut nun der Sohn eines irdiſchen Herrgotts, der nicht ein - mal zum Gaͤnſehirten klug genug iſt, durch Geburt und durch ſeine Abſtammung von den Kindern Got - tes, des eigentlichen Lehnherrn der Erde, das Recht erlangt, große Staaten oder Staͤlle voll Buͤrger und Bauern zu beherrſchen, ihr Vermoͤgen und Blut nach Laune und Willkuͤhr zu verſchwenden, alle ihre Erwerbzweige durch unerſchwingliche Mauthen, Abgaben und Laſten zu ertoͤdten; eben ſo gut iſt der Sohn eines Edelmanns, und waͤre er uͤbrigens kaum zum Thorſchreiber geſchickt, durch ſeine Ge - burt berechtiget, Miniſter und Rath eines ſolchen Fuͤrſten zu werden.
Auf dieſe Weiſe ließen ſich am Beſten und, wie ich glaube, allein nur die ſchoͤnen Lehren von der Legitimitaͤt der Throne, vom monarchiſchen Prinzip, vom ausſchließlichen Vorrecht der Edel - leute auf alle eintraͤgliche und ehrenvolle Staats - und Kriegsaͤmter, vom ſchuldigen, blinden Gehor - ſam der Buͤrger und Bauern gegen den Willen ihrer fuͤrſtlichen und adlichen Zwingherren vertheidigen. Freilich ließe ſich wohl nicht Alles ganz klar aus der Bibel beweiſen; allein wir muͤſſen bedenken, daß es mit dem alten und neuen Teſtament nichts beſ - ſer gieng, als mit vielen andern Teſtamenten, dievon337von Pfiff - und Dummkoͤpfen verdrehet, verſtuͤmmelt und durch mancherlei Zuſaͤtze und Weglaſſungen ſo ſehr entſtellt wurden, daß man von ihrem wahren Jnhalte nachher wenig mehr erkennen konnte. Wo etwas jenen erhabenen Lehren widerſpricht, da muß man es fuͤr untergeſchoben erklaͤren; wo et - was fehlt, das vortheilhaft ſeyn koͤnnte, da ſage man: es ſei durch Schuld der Abſchreiber weg ge - blieben. Es laͤßt ſich aus der Bibel Alles machen, was man nur will, und es iſt ſchon vieles daraus gemacht worden, was nicht haͤtte ſeyn ſollen. Lei - der, iſt die Lehre von der Legitimitaͤt, als die Frucht des tiefen Nachdenkens großer Monarchen und Diplomaten des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts, der Menſchheit zu ſpaͤt bekannt geworden. Fruͤ - herhin ſchienen ſelbſt manche der willkuͤhrlichſten Zwingherren der Meinung zu ſeyn, daß man Men - ſchen nicht als Viehheerden oder gar als todte, leb - loſe Sachen vererben, verſchachern, vertauſchen, verſchenken und erheirathen koͤnnte, ſondern daß man ſie als vernuͤnftige, zu geiſtiger und ſittlicher Vervollkommnung beſtimmte Weſen betrachten und behandeln muͤſſe, und deshalb ward bei jedem Thronwechſel die Huldigung erfordert, wodurch dem Herrſcher ſeine angemaßten oder uͤbertragenen Be - fugniſſe von den Voͤlkern zuerkannt und beſtaͤtiget wurden. Dieſer Umſtand iſt wichtig. Er beweist uns, daß Geburt, ſelbſt nach der Meinung ſehrIII. Baͤndchen. 29338despotiſcher Fuͤrſten, keineswegs Jemanden ober - herrliche Rechte uͤber ein Volk ertheilen koͤnne, ſon - dern daß dieſelben bloß durch den Willen und das Anerkenntniß des letztern dem Regierenden uͤbertra - gen werden. Die Gewalt geht alſo nicht, wie ge - wiſſe Herren ſo gerne uns einbilden moͤchten, von den Fuͤrſten, ſondern von den Voͤlkern aus, und darf folglich auch von dieſen zuruͤck genommen werden, ſobald der damit Verſehene ſie nicht zu den beabſichtigten Zwecken verwendet. Doch hievon an einem andern Orte ein Mehreres!
Wollte man den Erbadel als eine Belohnung der Verdienſte wirklich ausgezeichneter und vortreff - licher Maͤnner und als eine Mahnung an ihre Nachkommen betrachten, ſich gleiche Anſpruͤche auf den Dank ihrer Mitbuͤrger zu erwerben, ſo haͤtte man bloß eine Art von aͤuſſerer Ehre damit verbinden ſollen, die zwar als eine Anerkennung der großen, edlen und nuͤtzlichen Thaten und Hand - lungen der Vorfahren, nicht aber als eine Aus - zeichnung des Nachkommen haͤtte gelten, oder gar dieſen zu Vorzuͤgen vor Andern haͤtte berechtigen muͤſſen.
Durch fremdes, nicht durch eigenes Verdienſt auf Erden gluͤcklich und jenſeits ſeelig werden zu wollen, mag in den Augen der Diplomatiker und Dogmatiker recht gut und heilſam ſeyn; aber fuͤr die Sittlichkeit iſt es ſehr nachtheilig, und ungerecht339 auch gegen Andere. Der Edelmann, der ſeinen Mitbuͤrgern vorgezogen ſeyn will, weil nicht er, ſondern ſein Ahnherr ſich wirkliche Verdienſte um ſeine Zeitgenoſſen erwarb, iſt ein elender, veraͤcht - licher Jude, der Bezahlung fuͤr etwas begehrt, was laͤngſt ſchon bezahlt worden, und ihm durchaus nicht gehoͤrt. Aber der, welcher gar deshalb An - ſpruͤche auf das Mark des Landes und auf das Land ſelbſt macht, weil ſeine Vorfahren gluͤckliche Raͤuber, Moͤrder und Diebe waren, iſt ein ſchaͤnd - licher Boͤſewicht, der den Galgen verdient, wel - chem ſeine hochgeprieſenen Ahnherrn leider entgiengen.
Wir glauben, zur Ehre unſers Jahrhunderts bekennen zu muͤſſen, daß nicht mehr ſo viele weiße Hebraͤer unter unſern Edelleuten ſind, wie ehemals, und daß man deshalb ganz Recht gethan hat, ſchwarzjuͤdiſche Grafen und Barone zu backen, um den Abgang an der weißen Linie zu erſetzen; allein dennoch giebt es von der letztern noch immer ſehr viele, und ſie niſten haͤufig gerade dort, wo man ſie am wenigſten dulden ſollte: an Hoͤfen, in Kabinetten, Gerichtsſaͤlen, Polizeiſtuben und — in den Kriegsheeren. Aber wer iſt ſchuld daran? Niemand anders, als die Fuͤrſten und — auch die Voͤlker ſelbſt, durch die Nachſicht, womit ſie der - gleichen Unfug, ohne zu murren, zugaben.
Es iſt ein thoͤrichter verzweifelter Wahn man - cher Regierenden, daß ihre Lehnſeſſel nicht ſicher ſte -29 *340hen, wenn ſie nicht von einer Hetze hungriger, hab - ſuͤchtiger, ſchmarotzender, ausgemergelter, verſchul - deter und fader Junker gehalten werden; daß Zu - friedenheit und Liebe der Voͤlker gar nichts bedeu - ten, daß große Heere mißvergnuͤgter, ſchlecht be - ſoldeter und ſchlecht verpflegter Krieger, theuer be - zahlte Banden heimlicher Laurer, Haͤſcher, Angeber und Jnquiſitoren die zuverlaͤſſigſten Bollwerke der Throne ſind; daß man die Meinung der Voͤlker nicht mehr zu fuͤrchten braucht, wenn man ihnen nur durch Jnterdikte, durch Cenſur - und Polizei - Verordnungen und durch geheime Aufpaſſer den Mund verſtopft, und daß eigennuͤtzige, bloß auf ihr Wohlſeyn und auf den Ruin aller andern Volks - klaſſen bedachte Edelleute die weiſeſten und beſten Rathgeber ſind. Hiedurch entfremden ſich die Re - gierenden die Herzen der Voͤlker, und der Unwille, den ihre Umgebungen gewoͤhnlich mehr verdient haͤtten als ſie, trifft haͤufig ſie ganz allein.
Manche Regenten haben das traurige Schick - ſal, ſchon von der Wiege an in der Gefangenſchaft weißadlicher Juden zu ſeyn. Die koͤſtlichen Grund - ſaͤtze, daß die Welt nur fuͤr ſie und den Adel er - ſchaffen iſt; daß ſie das Recht haben, Hirſche, Rehe, Buͤrger und Bauern nach Belieben zu quaͤ - len und parforzzujagen; daß Jeder, der nicht ihrem Willen blindlings gehorcht, nicht Alles, was ſie ſagen und thun, als Salomoniſche Weisheit in den341 Himmel erhebt, ſondern wohl gar ſich Mißbilligung und Tadel erlaubt, ein Majeſtaͤtsverbrecher und Hochverraͤther iſt; daß Bauern und Buͤrger ja nicht zu klug werden muͤſſen; daß der Fuͤrſt, der um das Wohlſeyn derſelben ſich kuͤmmern wollte, eben ſo unanſtaͤndig handeln wuͤrde, wie ein Edelmann, der mit eigenen hohen Haͤnden ſeine Gaͤnſe und Schweine fuͤttert; dieſe Anſichten ſind es, die man von Kindheit auf vielen jungen Fuͤrſten einzupraͤ - gen, und wodurch man ſie von ihren Voͤlkern zu entfernen ſucht.
Der weißjuͤdiſche Adel iſt immer darauf be - dacht, die angemaßten Vorrechte ſeines Standes und ſeiner Familie zu erhalten und zu erweitern. Daher das Streben dieſes Ungeziefers, ſich den Fuͤrſten ſo unentbehrlich, als moͤglich, zu machen, und ihnen Verachtung, Argwohn und Mißtrauen gegen alle andere Volksklaſſen einzufloͤßen. Je ſchlechter die Erziehung des jungen Regenten iſt, je fruͤher man ihn zu eiteln Vergnuͤgungen, zum Muͤßiggang und zu Ausſchweifungen gewoͤhnt, wo - durch er an Leib und Seele verderbt und verkruͤp - pelt wird, deſto beſſer, denn deſto unfaͤhiger wird er zu dem, was er ſeyn ſoll; deſto unentbehrlicher wird man ihm, und deſto leichter wird es nachher, das Staatsruder ihm aus den Haͤnden zu winden. Ludwig XV, einer der veraͤchtlichſten und nichts - wuͤrdigſten unter allen Bourbons, welches doch342 wahrlich viel ſagen will, waͤre vielleicht ein guter und edler Koͤnig geworden, wenn der Speichellek - ker Villeroi nicht ſein Fuͤhrer oder Verfuͤhrer, St. Simon nicht haͤufig ſein Ahitophel, und eine Menge ſchaͤndlicher, eigennuͤtziger, herrſch - und habgieriger Edelleute und adlicher Huren nicht ſeine Teufel geweſen waͤren.
Abrahams weißer adlicher Saame haßt das Licht eben ſo ſehr, wie ſeine levitiſchen Vettern, und Einer ſucht immer ſein Jntereſſe zum Jntereſ - ſe des Andern zu machen. Wer eine Kroͤte tritt, der hat auch alle Molche und Blindſchleichen wider ſich, denn Zwingherrnthum jeglicher Art kann nur im Finſtern gedeihen. Daher ſind große und kleine, geiſtliche und weltliche Zwingherren voͤllig einver - ſtanden, daß man alles geiſtige Fortſchreiten, allen Gedanken - und Jdeenverkehr durch Cenſuren, Poli - zeien, Spione, Jnquiſitionen, Jeſuiten, Pfaffen, und wie dieſe Teufeleien und Teufel mit ihren zum Theil ſehr undeutſchen Namen alle heißen, moͤg - lichſt zu hemmen ſuchen muͤſſe. Was Biliams unver - nuͤnftiger Eſelin erlaubt war, ihren Herrn zu fra - gen: warum ſchlaͤgeſt und marterſt du mich, das wollen jene Menſchenpeiniger vernuͤnftigen, gebilde - ten Voͤlkern verweigern, und gerne wuͤrde mancher Pharao, wenn ein zweiter Moſes ſein Land mit aͤgyptiſcher Finſterniß bedeckte, den Wunderthaͤter mit Gold und Schaͤtzen belohnen, und ihn bitten,343 die dunkle Nacht doch ewig dauern zu laſſen, denn im Dunkeln iſt ja gut Munkeln und auch gut Herr - ſchen und — Schinden. Selbſt dort, wo weiſe und geiſtvolle Fuͤrſten, die lieber im Licht, als in der Finſterniß wandeln; die lieber achtungs - und ehrenwerrhe Leiter vernuͤnftiger und gebildeter We - ſen, als dumme, veraͤchtliche Schaf - Gaͤnſe - und Sauhirten ſeyn wollen, durch freiſinnige, den Rech - ten und den Beduͤrfniſſen der Voͤlker entſprechende Verfaſſungen und Anſtalten Aufklaͤrung und Men - ſchenwohl zu foͤrdern und zu ſichern ſuchen; ſelbſt dort moͤchten jene Baſilisken mit ihren Habichts - und Eulenklauen hinein greifen, um das ſchoͤne Band zu zerreißen, was die Regierenden und Re - gierten umſchlingt, und das Licht zu verloͤſchen, weil ſie fuͤrchten, es moͤchte auch ein Schimmer davon in ihre Kerker und Viehſtaͤlle eindringen, und weil ſie ſich zu dumm, zu ſchlecht, zu nichts - wuͤrdig und zu kopflos fuͤhlen, um ſich anders, als nur im Dunkeln auf ihrer Hoͤhe halten zu koͤnnen.
Man ſagt: Erbadel und Geiſtlichkeit, als be - vorzuͤgte Staͤnde, ſind die ſicherſten Stuͤtzen der Throne. Alberne Thorheit!
Wer hat wohl mehrere Thronen geſtuͤrzt, und meh - rere Fuͤrſten, theils gute, theils ſchlimme, gemor - det, als Pfaffen, Adel und — ſtehende Heere, auf welche herrſchgierige, mit der Geſchichte ſehr unbe - kannte Zwingherren ein ſo großes Vertrauen ſetzen!
Auch die Bourbons ſchienen zu glauben, daß ein eigennuͤtziger, ſtolzer, uͤppiger, verſchwenderi - ſcher Adel, eine eben ſo habſuͤchtige, als maͤchtige Geiſtlichkeit, in geiſtige und leibliche Sklavenketten geſchmiedete Bauern, verarmte und in Lumpen ge - huͤllte Buͤrger, verhoͤhnte und zertretene Rechte der Menſchheit die ſicherſten Stuͤtzen der Throne waͤren, und Ludwig XVI, einer der Beſten unter den Bourbons, welches freilich kein großes Lob iſt, hat fuͤr dieſen Wahn auf dem Blutgeruͤſte gebuͤßt. Und was thaten ſeine weißjuͤdiſchen adlichen und geiſtli - chen Schmarotzer zu ſeinem Schutze? Sie packten eiligſt, als ſie fuͤr ſich die mindeſte Gefahr witter - ten, ihre und auch wohl anderer Leute goldene und ſilberne Geraͤthe zuſammen; liefen, wie Schelme zum Lande hinaus, trieben zu Koblenz, wo ſie von einem veraͤchtlichen Pfaffen geſchuͤtzt wurden, den groͤßten Unfug; machten es nachher zu Blankenburg ſo arg, daß der Herzog von Braunſchweig ſie fort - weiſen mußte, und Jedermann froh war, als ſie von dannen zogen, obgleich ſie allen Menſchen ſchuldig blieben. Jn Mietau zeigten ſie gleichfalls, daß ſie, wie Napolevn ſehr richtig bemerkte, auf345 ihren Reiſen nichts gelernt, und nichts vergeſſen hatten, und erſt in England kamen ſie etwas zur Ruhe und zur Beſinnung, weil der Britte nicht gewohnt iſt, ſich von franzoͤſiſchen Bettlern und Landſtreichern pruͤgeln, berauben, betruͤgen, ſchin - den und martern, und ſeine Frauen und Toͤchter von ihnen nothzuͤchtigen zu laſſen, wie die Einwoh - ner von Koblenz und deſſen Umgegend, auf gnaͤ - digſtes ausdruͤckliches Verlangen ihres durchlauch - tigſt hochwuͤrdigſten Churfuͤrſten und Erzpfaffen thun mußten*)Dies ſind leider, allgemein bekannte Thatſachen zur Schande, nicht der deutſchen Nation, ſondern jenes durchlauchtigſt - hochwuͤrdigſten Pfaffen und ſeiner damaligen Verbuͤndeten. Die Emigranten bildeten nicht allein eine Garde fuͤr ihre verlaufe - nen Prinzen, ſie errichteten ſogar zu Koblenz einen Gerichtshof, dem ſie die Einwohner der Stadt und der Umgegend unterwarfen; ſie hatten ihre Baſtille und andere Gefaͤngniſſe, und der deutſche Buͤrger mußte ihre Lettres de Cachet oft weit mehr fuͤrch - ten, als der geborne Franzoſe. Sie empfiengen Geſandte von auswaͤrtigen Maͤchten, (von Rußland den Grafen von Romanzow); ſie legten Kornmaga - zine und Waffenplaͤtze an, und warben Regimenter und Truppen von jeglicher Art, um — ihr Vater - land in Blut und Flammen zu ſetzen. Und in die - ſem Augenblicke (im Januar 1823) ſcheint das ſpa - niſche Lumpengeſindel von Seo-Urgel auf franzoͤſi - ſchem Grund und Boden dieſelben Scenen erneuern.
346Wahrlich, die hohen Verbuͤndeten konnten die Franzoſen fuͤr all’ das Unrecht, was ſie andern Voͤlkern gethan, nicht beſſer beſtrafen, als daß ſie ihnen jenes verlaufene Ungeziefer mit ihren Bour - bons, die von jeher weder zu regieren, noch zu gehorchen verſtanden, wieder zuruͤck gaben.
Nirgends ſind die weißen Juden, moͤgen ſie adlichen oder buͤrgerlichen, geiſtlichen oder weltli - chen Standes ſeyn, der Menſchheit gefaͤhrlicher, als an den Hoͤfen. Man ſagt freilich, der Fuͤrſt muͤſſe einen glaͤnzenden Hofſtaat halten, um ſich bei Fremden Anſehen und Ehrfurcht zu verſchaffen. Guter Gott! Floͤßen denn Tauſende, floͤßen Mil - lionen gluͤcklicher, zufriedener und wohlhabender Bauern und Buͤrger nicht mehr Ehrfurcht fuͤr den Fuͤrſten ein, als eine Legion unnuͤtzer Schmarotzer und Faullenzer, die ſich vom Mark des Landes maͤſtet und oft noch bis zur Ungebuͤhr bereichert? Kann der Fremde, welcher ein Land durchreist, wo ihm lauter bleiche, abgehaͤrmte, mißvergnuͤgte Geſichter, zahlloſe Bettler, verhungerte, mit den Zaͤhnen klappernde Soldaten, argwoͤhniſchlauernde Polizeiwachen und Zoͤllner, und — Verbrecher mit*)zu wollen, die vor zwanzig Jahren aͤhnliches Lum - penpack von franzoͤſtſcher Herkunft in Deutſchland ſpielte! O tempora! O mores! O patres, o pa - stores! Und o — Diplomaten und Trappiſten! Wie ſeyd Jhr Euch doch alle ſo aͤhnlich!347 klirrenden Ketten; aber nirgends froͤhliche Men - ſchen begegnen, wohl Achtung haben fuͤr den Re - genten, und wenn er auch am Hofe viele Tauſen - de wohlbeleibte, reichbebaͤnderte Miniſter, Hofmar - ſchaͤlle, Kammerherren, Kammerjunker, Fuͤrſten, Grafen, Freiherren, Beichtvaͤter und außer dieſen noch mehr Zofen und Kebsweiber faͤnde, als der weiſe Koͤnig Salomo liederlichen und nichtswuͤrdi - gen Andenkens jemals gehabt hat? Und was ſoll man gar von dem Verſtande manches Fuͤrſten den - ken, wenn man ſeine Umgebungen naͤher betrach - tet? Geiſt - und herzloſe, raͤnkevolle Weſen, die durch ihre taͤglich wechſelnden Farben, durch ihre Geſchmeidigkeit, ihre kalte Glaͤtte, ihre Schluͤpf - rigkeit, ihr giftiges Lispeln und Ziſchen einen Jeden zweifelhaft machen, ob man ſie zu der Brut der Chamaͤleone, der Aale, der Schlangen oder der Nattern rechnen ſoll, und von deren Charakter ſich ſelten nichts Beſtimmtes weiter ſagen laͤßt, als daß ſie ſaͤmmtlich Barometer und Thermometer der Gunſt des Herrſchers ſind, und daß, ſo wie der Eine faͤllt, der Andere zu ſteigen wuͤnſcht. Sehr ſelten findet man unter Hunderten dieſer irdiſchen Seraphim und Cherubim einen Einzigen, mit dem man laͤnger, als eine Stunde, ohne hoch zu gaͤh - nen, verleben koͤnnte. Hofraͤnke und Pagenſtreiche, Chambre, Whiſt und Faro, Rebhuͤhner -, Sau - und Maͤdchenjagd, Pferde und Hunde, hoͤchſtens noch348 Moden, Baͤlle, Opern, Schauſpiele, die elenden Teufels - und Rittermaͤhrchen von Spieß oder la Motte Fouqué und die Krankheiten, womit Cy - priens Goͤttin ihre Verehrer oft heimſucht; das ſind die Unterhaltungen, die man mit einem deutſchen, weißjuͤdiſchen Hofſchranzen anſpinnen kann; aber uͤber Alles wird er in der Regel nur im innigſten Vertrauen mit Euch ſprechen, als ob es die wich - tigſten Staatsſachen waͤren. Fuͤr jeden Tag, fuͤr jedes Hoffeſt haben dieſe Ehrenleute ihren klugen und witzigen Einfall, der, mag er paſſen, oder nicht, abgehaspelt werden muß, und gerade uͤber ein Jahr, wenn ſie noch leben und geſund ſind, wieder angebracht wird. Wehe aber dem, der ihre abgebrauchten Witzworte nicht beifaͤllig belaͤchelt, oder ihren klugen Gemeinſpruͤchen wohl gar wider - ſpricht. Wahrlich, ich moͤchte lieber ein Bettler ſeyn, und unter Loͤwen und Drachen wohnen, als daß ich ein Kaiſer waͤre, und unter ſolcher Brut mich langweilen muͤßte.
Es giebt ſehr viele geiſtvolle und edle Maͤnner und Frauen, die den groͤßten Theil ihres Lebens an Hoͤfen zubrachten; allein ſicherlich nicht an ſol - chen Hoͤfen, von denen hier die Rede iſt! Auch in dieſer Hinſicht koͤnnen wir Deutſche| ſtolz ſeyn auf manche unſerer Fuͤrſten, deren Palaͤſte oft Sammelplaͤtze großer, vortrefflicher und gebildeter Menſchen waren, unter denen der fuͤrſtliche Wirth nicht ſelten eine der erſten Stellen behauptete.
349Jn einem der groͤßten Waͤlder Germaniens ſah’ ich einmal, ich weiß nicht, ob wachend oder im Traume, denn es ging mir, wie dem Apoſtel Paulus, der nicht wußte, ob er im Leibe oder auſ - ſer dem Leibe geweſen war; dort alſo ſah’ ich ein - mal ein Fuͤrſtenthuͤmchen, deſſen Beherrſcher wohl in etwas mehr, als figuͤrlichem Verſtande, den Na - men eines Landesvaters verdiente. Jn dieſer groſ - ſen Monarchie von ſechs und einer halben gevierten Meile, konnte nemlich faſt jedes huͤbſche Weib und jedes ſchoͤne Maͤdchen ſich ruͤhmen, ein Unterpfand der landesvaͤterlichen Liebe zu beſitzen. Der ſech - zig jaͤhrige » Titus, « denn ſo ward er in einem Geburtstagsgedichte ſeines Hofpoeten, eines ver - ruͤckten Magiſters aus L — g, deren es dort noch mehrere giebt, buchſtaͤblich genannt, der ſechzigjaͤh - rige » Titus « konnte, wenn gleich nicht unter die Bildniſſe aller ſeiner Unterthanen, doch unter jene ſeiner meiſten Miniſter, Raͤthe, Beamten und Diener, ja ſelbſt ſeiner ganzen Armee mit Wahr - heit die Worte ſetzen: Ipse ſeci, wenn anders nur nicht die Rede von den Bildern, ſondern bloß von den Originalen war. Man kann folglich leicht den - ken, wie treu und liebevoll ſie ſaͤmmtlich ihm an - hiengen, und wie einig und vertraͤglich mit einander ſie lebten. Nur ein einziges Mal, erzaͤhlte man mir, waͤre bald dieſe patriarchaliſche Ruhe geſtoͤrt wor - den. Der Herr Oberjaͤgermeiſter pruͤgelte nemlich350 den Hundejungen, und dieſer ſuchte ihn durch die chriſtliche Erinnerung zur Sanftmuth zu bewegen: Um Gotteswillen! Wir ſind ja Bruͤder! Aber nicht von Einer Mutter, du Spitzbube! rief der gnaͤdige Herr, und ſchlug noch heftiger, als vorher. Hier - uͤber theilte ſich der ganze Hofſtaat in zwei maͤchti - ge Partheien, von denen die eine wegen ihrer ſtifts - faͤhigen Muͤtter den Vorzug, und die andere wegen ihres hochfuͤrſtlichen Vaters gleiche Rechte begehrte. Der letztere entſchied am Ende fuͤr den Statum quo und behielt ſich das Recht der Zuͤchtigung vor, weil » Bruͤder, und waͤren ſie wirklich auch nur Halbbruͤder, ſich unter einander lieben, und nicht kantſchuen ſollen. «
Dieſer kleine ſelbſt gebildete Hofſtaat und die - ſes aus den eigenen legitimen und monarchi - ſchen Lenden des Landesvaters entſproſſene Kriegs - heer hatte in der That ſehr viel Anziehendes und Gemuͤthliches; denn ſchon die wahrhaft zaͤrtliche Sorge, womit der durchlauchtige Herrſcher fuͤr das Beßte ſeiner uͤberaus zahlreichen Nachkommenſchaft auf das Eifrigſte bemuͤht war, und die herzinnige Dankbarkeit, womit er ſeinen Freundinnen, mochten ſie adlichen oder buͤrgerlichen Standes, mochten ſie gnaͤdige Fraͤulein oder ungnaͤdige Viehmaͤgde ſeyn, jeden Liebesdienſt zu vergelten ſuchte, muß - ten ihm alle Herzen gewinnen! Ueberdies iſt er die Huld und Milde ſelbſt. Einen gottloſen Bauer,351 welcher mit Pulver nach einem wilden Eber ſchoß, der ihm ſeine Saatfelder verheerte, beſtrafte er bloß mit zweijaͤhriger Kettenſtrafe, und begnadig - te einen dreifachen Pferdedieb, der zum Galgen verurtheilt war, aber eine niedliche Tochter hatte. Noch vor Kurzem ſoll er ein ſehr weiſes Geſetz er - laſſen haben, daß keiner ſeiner Unterthanen uͤber politiſche Gegenſtaͤnde und beſonders uͤber den Kon - greß zu Verona etwas denken, reden, leſen und ſchreiben ſoll. Zum Gluͤck ſind die meiſten Leſens und Schreibens unkundig. Se. Durchlaucht ſind uͤbrigens zu jenem Kongreſſe nicht mit eingeladen worden!
Zuͤrnen muß man jedoch uͤber manchen kleinen Duo - dezmonarchen, der mehr Hofmarſchaͤlle, Kammer - herren, Kammerjunker, Oberjaͤgermeiſter, Pagen, Lakaien haͤlt, als er Truppen ins Feld ſtellen kann. Ein ſolcher Hofſtaat von unnuͤtzen Freſſern gleicht nicht uͤbel den weiten Hoſen eines Geitzigen, von denen Shakeſpear ſagt, daß ſie fuͤr die magern Beine ihres Beſitzers viel zu weit ſind. Sollte nicht jeder Hofſchranze, der an der Tafel eines ſol - chen fuͤrſtlichen Wuͤſtlings ſich maͤſtet, vor ſich ſelbſt erroͤthen, wenn ihm eine arme Wittwe mit ihren halbverhungerten Waiſen, ein zitternder, in Lumpen gehuͤllter Greis, ein kummervoller Vater begegnet, welcher die kranke Gattin, die frierenden Kleinen ohne Huͤlfe, ohne Brod laſſen muß, um nur ſei -352 nem hochfuͤrſtlichen Zwingherrn den ſauererworbenen Groſchen darzubringen, der mit vielen tauſenden in einer Stunde verſchwelgt wird? Ach, Gott nein, daran denkt Abrahams weißer hochadlicher Saame nicht! Die Erde iſt ja ihm und den Soͤhnen der Kinder Gottes zum Eigenthum gegeben; Buͤrger und Bauern ſind bloß erſchaffen, um fuͤr ihn und die irdiſchen Herrgoͤtter zu arbeiten, ihr Blut zu vergießen, ihre huͤbſchen Weiber und Toͤchter zu Huren, ihre Soͤhne zu Kriegern oder zu veraͤchtli - chen Soldatenpuppen herzugeben, und ſich nach Be - lieben mißhandeln und kantſchuen zu laſſen.
Jſt der weißjuͤdiſche Edelmann ſchon ſo gefaͤhr - lich als bloßer nichtsbedeutender Hofſchmarotzer, was muß er nicht ſeyn, als Miniſter, als Feldherr, als oberer Staatsbeamter? Wie wird er dort fuͤr ſeinen Stand und ſeine Familie ſorgen? Wie wird er jeden ſeiner Glaubens - und Kaſtengenoßen zu Aemtern und Wuͤrden zu helfen ſuchen, moͤge auch Fuͤrſt und Volk, und die ganze Menſchheit daruͤber zu Grunde gehen! Jn einem ſolchen Lande war es, wo ich an einem großen, herrlichen Palaſte einmal folgende Verſe las:
Empoͤrend iſt es, wenn ein weißjuͤdiſcher, adli - cher Laffe, der kaum faͤhig iſt, wie Saul, der Sohn Kis, des Vaters Eſel und Schafe zu huͤten, mit der unbeſcheidenſten Anmaßung, auf die Verdienſte laͤngſt vermoderter und verdienſtloſer Ahnen pochend, ſich zu den wichtigſten Staatsaͤmtern draͤngt, und, wenn er wegen ſeiner Dummheit, Schlechtigkeit, Ungeſchliffenheit und Unwiſſenheit zuruͤckgewieſen wird, noch wohl gar die Rolle des Tiefgekraͤnkten und Beleidigten ſpielt. Aber ſchaͤndlich handeln Staatsoberhaͤupter und Miniſter, wenn ſie den un - faͤhigen Junker, blos weil er ſechzehn oder mehrere Ahnen zaͤhlt, oder ihnen befreundet iſt, dem recht - ſchaffenen, tauglichen und verdienten Buͤrgerlichen vorziehen, und ſo nicht allein dieſem ein Unrecht thun, ſondern ſelbſt das Gluͤck vieler Familien, ja wohl gar des ganzen Staats in Gefahr ſetzen.
Nie ſollte in Konkurrenzfaͤllen bei Beſetzung von Aemtern etwas anders, als die groͤßern Faͤ - higkeiten, und wo dieſe ſich gleich ſind, erworbene perſoͤnliche Verdienſte und das Alter entſcheiden. Der Adliche muͤßte ſo wenig vor dem Buͤrger, als dieſer vor jenem den Vorzug haben. Sollen Buͤr -III. Baͤndchen. 30354ger und Bauern mit dem Adel gleiche und vielleicht noch groͤßere und druͤckendere Laſten, als dieſer tragen, ſo muͤſſen ſie auch mit ihm gleiche Rechte genießen.
Durch die Mediatiſation erhielt Deutſchland eine ganz neue Kaſte des Adels: die Standes - herren. Man hat dieſe Maßregel als eine him - melſchreiende Ungerechtigkeit getadelt, und ſollte die Legitimitaͤtslehre ihre Richtigkeit haben, ſo iſt ſie es wirklich; denn wenn jeder Landesherr, vom heiligen Vater zu Rom bis zum Dey von Algier herab, Alles nur » von Gottes Gnaden « iſt und beſitzt; ſo hat kein Teufel und noch weniger ein weltlicher legitimer Monarch das Recht, ihm ein Sandkoͤrnchen davon zu entreißen. Die Saͤku - lariſation der geiſtlichen Beſitzungen und die Me - diatiſation der ehemaligen weltlichen Unmittelbaren in Deutſchland, welche man als rechtmaͤßig fort - dauern laͤßt, ſind alſo zwei Maßregeln, die, wie mir duͤnkt, mit der Lehre von der Legitimitaͤt durch - aus im Widerſpruch ſtehen. Daß man die Repub - liken Venedig, Genua und Lucca nicht wieder re - ſtaurirt hat, iſt ganz natuͤrlich. Republiken, und waͤren ſie auch keine Frei ſtaaten, ſondern Zwangs - ſtaaten, wie Venedig, Genua und Lucca es waren, vertragen ſich ſchlechterdings nicht mit dem goͤtt - lichen monarchiſchen Prinzip, welches der heilige Geiſt ſelbſt unſern Diplomaten einge -355 geben hat. Von Reſtauration jener Republi - ken und der deutſchen Reichsſtaͤdte konnte folglich eben ſo wenig die Rede ſeyn, wie von Wiederher - ſtellung der roͤmiſchen Republik, oder gar des groſ - ſen babyloniſchen Reichs, deſſen legitime Erben man jetzt, wegen Mangel vollſtaͤndiger genealogiſcher Kalender, ſchwerlich auffinden wuͤrde. Allein durch die Fortdauer der rheinbundiſchen Mediatiſation, welche man ſogar ſpaͤterhin durch Vermittelbarung der Fuͤrſten von Yſenburg und von der Leyen er - weiterte, ſcheint das monarchiſche Prinzip und die Legitimitaͤtslehre auf eine ſchlimmere Sandbank ge - rathen zu ſeyn, als durch die Empoͤrung der rebel - liſchen Griechen gegen ihren huldvollen, legitimen Oberherrn, den Großſultan. Dieſe Empoͤrung ließe ſich uͤbrigens am Ende noch wohl legitimiren, wenn man nur erſt den rechtmaͤßigen Thronfolger des letzten griechiſchen Kaiſers herausgefunden haͤtte, der am beſten per publica proclamata praeclusi - va im oͤſterreichiſchen Beobachter und andern viel - geleſenen und ſehr beliebten Blaͤttern zur Angabe und Beſcheinigung ſeiner legitimen Anſpruͤche vorgeladen werden koͤnnte. Aber die Fortdauer der Mediatiſation ſo vieler Fuͤrſten und Grafen von Gottes Gnaden iſt wahrlich ein kitzliches Ding! und ich moͤchte lieber die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit mit der Regel de Tri in Einklang bringen, als jene Maßregel und ihre Fortdauer30 *356mit der Lehre von der Legitimitaͤt. Monarchenmo - ral iſt doch keine Moral der Spinnen, von denen jede groͤßere das Recht hat, die kleinere zu ver - ſchlingen, um nach hundert Jahren ein koͤſtlicher Diamant zu werden?
Betrachtet man hingegen die Vermittelbarung jener kleinen Herren von Gottes Gnaden aus einem etwas carbonariſchen Geſichtspunkte; ſo er - ſcheint ſie gar nicht ſo ungerecht, als unter der Brille der Legitimitaͤt. Den Voͤlkern gebuͤhrt das Recht zu beſtimmen, wer ſie regieren ſoll, und nach welchen Normen ſie regiert ſeyn wollen. Die - ſer Grundſatz ſteht unerſchuͤtterlich feſt, und ſelbſt unſere erhabenen Monarchen haben ihn durch mehr als tauſend ſprechende Thatſachen beſtaͤtigt. Haͤtten ſie ſonſt wohl die durch die Voͤlker vollbrachte Ent - thronung Napoleons, ſeiner Bruͤder und Schwaͤger gut heißen, und die Unterthanen dieſer Monarchen ſelbſt durch ſo manche Aufrufe, welche noch jetzt als klaſſiſche Meiſterwerke der Redekunſt bewun - dert werden, dazu veranlaſſen koͤnnen? Waren nicht die Napoleoniden von ihnen als legitime Fuͤrſten anerkannt, und geſtanden ſie nicht den Voͤlkern, indem ſie dieſelben von aller Verbindlich - keit gegen jene Monarchen losſprachen, und ſie zur Abwerfung des Zwingherrnjochs anreizten, die Be - fugniß zu, einem legitimen Souveraͤn die ihm uͤbertragene hoͤchſte Gewalt wieder zu nehmen? Jſt357 uͤberdies nicht jede Huldigung, die einem Regenten von den Staatsbuͤrgern geleiſtet wird, ein thaͤtiges Anerkenntniß, daß alle Gewalt vom Volke ausgehe, und daß ohne deſſen Willen der Fuͤrſt nichts ſey?
Wer koͤnnte nach Thatſachen der Art noch wohl jenen, von unſern Monarchen ſelbſt aner - kannten Grundſatz beſtreiten, daß die Voͤlker die hoͤchſte Gewalt von dem Regierenden, nach Belie - ben, zuruͤck fodern, und einem Andern uͤbertragen koͤnnen? Dies war es ja gerade, was in den Jahren 1813 und 1814 in Frankreich, in Holland, in Weſtphalen, in Jtalien, in Pohlen geſchah, und wozu die hohen Verbuͤndeten in ihren Manifeſten ſelbſt ſo dringend und kraftvoll ermahnten? Haben die Einwohner der mediatiſirten Laͤnder aber etwas anders gethan, als ſie ihren jetzigen legitimen Re - genten huldigten, und ihnen damit diejenigen Rechte zuerkannten, die ſie durch eine fruͤhere Huldigung ihren vorigen rechtmaͤßigen Landesherren, den nun - mehrigen Standesherren, uͤbertragen hatten? Sind alſo die Fuͤrſten nicht Alles, was ſie ſind, durch das Anerkenntniß und den Willen der Staatsbuͤr - ger, und hoͤren ſie nicht, ſelbſt nach dem Zugeſtaͤnd - niſſe unſerer erhabenen Souveraͤne auf, rechtmaͤſ - ſige oder legitime Landesherren zu ſeyn, ſobald die Voͤlker es gut finden, ſich eine andere Staatsver - faſſung oder einen andern Regenten zu waͤhlen? 358Betrachtet man nun die Mediatiſation aus dieſen Geſichtspunkten, ſo enthaͤlt ſie ſchlechterdings keine Ungerechtigkeit, vorausgeſetzt nur, daß ſie ein rei - nes Ergebniß des freien Entſchluſſes der mediati - ſirten Staatsbuͤrger war, denn ſonſt iſt ſie jedem andern Laͤnderraube voͤllig gleich.
Daß die vermittelbarten Herren von Got - tes Gnaden nicht mit dieſen Anſichten einſtimm - ten, war natuͤrlich. Es ſoll eine ſchwere, aber auch eine ſehr ſuͤße Laſt ſeyn, uͤber Andere gebieten und herrſchen zu koͤnnen. Ueberdies fragten die mediatiſirten Fuͤrſten und Grafen, und wohl nicht immer mit Unrecht: Waren wir nicht eben ſo le - gitime Regenten, wie jene, die uns ihren Sceptern unterwarfen? Haben wir unſere Gewalt nicht auf eben ſo rechtmaͤßigem Wege erlangt, wie ſie? Hat nicht mancher von uns und unſern Vorfahren weit mehr fuͤr das Gluͤck ſeines kleinen Landes und ſelbſt des ganzen deutſchen Vaterlandes gethan, als viele Souveraͤne? Sind nicht mehrere der mediatiſir - ten Staaten durch ihre Groͤße und Menſchenzahl ehe befugt, auf Erhaltung ihrer Selbſtſtaͤndigkeit Anſpruch zu machen, als verſchiedene kleine Kroͤten - monarchien, die man theils reſtaurirte, theils gar aus dem Nichts hervorrief?
Dieſe Fragen waren aͤußerſt vernuͤnftig, und billiger Weiſe ließ ſich nichts darauf antworten, als: Euch iſt die Landeshoheit genommen, weil359 Eure Voͤlker, von denen Jhr ſie empfangen, ſelbſt es gewollt haben. Dieſen Willen ſprachen ſie aus durch die Huldigung, die ſie ihren jetzigen Regenten leiſteten, denn von ihnen allein haͤngt es ab, wer ſie regieren ſoll; alſo habt Jhr keine landesherrli - chen Rechte mehr, und das von Rechts wegen.
Unleugbar gewannen auch die Bewohner meh - rerer Gegenden Deutſchlands, wo es oft beinah’ eben ſo viele Landesherren, wie Unterthanen gab, durch die Mediatiſation in gerichtlicher und polizeilicher Ruͤckſicht gar Manches, und wohl Niemand mehr, als die reichsritterſchaftlichen Unterthanen, denen unter vielen ihrer kleinen aufgeblaſenen Herrſchlinge durchaus kein rechtlicher Zuſtand geſichert war. Ue - berdies hatten ſich manche der mediatiſirten Regen - ten an gewiſſe Begriffe von Staats - und Voͤl - ker rechten gewoͤhnt, die mit allen Menſchen - und Volks rechten im lauteſten Widerſpruche ſtehen, aber noch hin und wieder bei andern großen und kleinen Herren, die leider nicht mediatiſirt ſind, zum Ungluͤck und zur Schmach unſers Jahrhunderts gefunden werden. Zur Ehre manches vermittelbar - ten Fuͤrſten und Grafen muß man indeſſen beken - nen, daß man ihm lieber eine Stelle unter den Souveraͤnen und ſelbſt unter den Monarchen goͤnnen moͤchte, als andern, die ſonder Verdienſt und bloß von Gottes Gnaden oder durch die Gunſt ihrer großen Herren Vettern ihre Unmittelbarkeit behaup - teten!
360Wenn man die Mediatiſation als eine, im Ganzen ſehr wohlthaͤtige Maßregel betrachtet, ſo irrt man gar ſehr, und vielleicht wiſſentlich aus Ge - faͤlligkeit gegen die Souveraͤne, denen die jetzigen Standesherren unterworfen ſind. Sollte der Re - gent eines kleinen Laͤndchens, ſelbſt bei maͤßigen Faͤhigkeiten, wenn er nur von gutem Willen beſeelt wird, nicht ſein Volk unweit gluͤcklicher machen koͤnnen, als der geiſtvollſte, menſchenfreundlichſte Beherrſcher eines unermeßlichen Reichs ſeine vielen Millionen? Freilich hat Deutſchland an ſeinen mehr als drei Dutzend Monarchen uͤberfluͤßig zu tragen; allein durch die Verwandlung von einigen Hundert Landesherren in — Standesherren iſt es wenig erleichtert worden. Dieſe haben ſich zum Theil ihre Verzichtleiſtung auf die Ehre, an der Weltregierung Theil nehmen zu duͤrfen, iſraelitiſch theuer bezahlen laſſen, indem ſie eine Menge von Guͤtern und Einkuͤnften als Privateigenthum zuruͤck behielten, wovon in fruͤhern Zeiten die oͤffentliche Ausgaben beſtritten wurden. Natuͤrlich mußten da her die Landesherren ihren, durch die Mediatiſation erworbenen. Unterthanen zu dem Centner alter, noch einen Centner neuer Laſten hinzufuͤgen, ſo daß ſich jetzt in vielen ſtandesherrlichen Gebieten die Klage vernehmen laͤßt, daß man doppelt und drei - fach mehr durch die neue, als fruͤher durch die alte Ordnung oder Unordnung der Dinge zu leidehabe,361habe, und daß man mit Freuden den Standesherrn und ſeinen ganzen Hofſtaat hingeben wuͤrde, um nur den legitimen Landesherrn mit ſeinen Zoͤllnern, ſei - nen Steuern, Abgaben, Einquartierungen und an - dern Plackereien los zu werden.
Auf dieſe Weiſe hat man an vielen der ver - mittelbarten Voͤlker keine getreue und zufriedene Buͤrger und an manchen ihrer vorigen Landesherren ſehr unzuverlaͤßige und gefaͤhrliche Magnaten er - worben, die ein Beiſpiel von beinahe uͤbermenſch - licher Uneigennuͤtzigkeit geben werden, wenn ſie nicht bei erſter guͤnſtiger Gelegenheit Alles aufbie - ten, um die ihnen entriſſenen landeshoheitlichen Rechte wieder zu erringen. Die ſittliche und recht - liche Befugniß hiezu werden ſie in der Art finden, wie ſie dem Scepter der Souveraͤne unterworfen wurden, und die Mittel werden ihnen ihre Reich - thuͤmer, ihre Stellung in den meiſten Staaten als bevorzuͤgte Adelskaſte, ihr daher entſpringender Einfluß, und das ihnen zugeſicherte Recht der Eben - buͤrtigkeit gewaͤhren, wodurch es ihnen moͤglich wird, ſich mittelſt Heirathen auch im Auslande maͤch - tigen Anhang und kraftvolle Unterſtuͤtzung zu ver - ſchaffen.
Unſtreitig iſt die Kaſte der Standesherren, welche jetzt in mehreren konſtitutionellen Staaten Deutſchlands den groͤßten Theil der Pairskammern bildet, eine der ſchlimmſten Fruͤchte der Mediatiſa -III. Baͤndchen. 31362tion. Wollte man mit unſern deutſchen Pairskam - mern das brittiſche Oberhaus nachahmen, ſo uͤber - ſah man offenbar, daß die Standesherren in Ver - gleich mit engliſchen Pairs in viel zu hohem Grade vor andern Staatsbuͤrgern bevorzugt ſind, und dem Souveraͤn durch Verwandtſchaft und — Eben - buͤrtigkeit viel zu nahe bleiben, um als Stellver - treter der Voͤlker gelten zu koͤnnen. Moͤchten im - merhin die Standesherren und der Adel mit den uͤbrigen Staatsbuͤrgern Stellvertreter waͤhlen; aber warum ſollen ſie noch eigene abgeſonderte Kaſten bilden, zu einer Zeit, die allem Kaſtengeiſte ſo feind, und zu aufgeklaͤrt iſt, um ihm guͤnſtig zu ſeyn?
Zum Leidweſen ihrer Unterthanen gaben, wie ſchon vorher angedeutet worden, viele der jetzigen deutſchen Standesherren ſehr unzweideutige Beweiſe, daß ſie mit dem alten Teſtamente auf das Jnnig - ſte vertraut waren. Mag man gleich die Media - tiſation fuͤr keine glaͤnzende Handlung der Gerech - tigkeit halten, ſo wird man es doch nicht weniger ungerecht finden, daß manche der mediatiſirten Fuͤrſten, Grafen und Reichsritter, Guͤter, Kapi - talien und Einkuͤnfte, die nicht ihr Privateigenthum, ſondern wirkliches Staatsgut waren, den Souve - raͤnen vorenthielten und ihnen dafuͤr oft bedeuten - de, blos perſoͤnliche Schulden als Staatsſchulden aufbuͤrdeten. Wer mußte dieſe Unbill buͤßen? Die363 armen Unterthanen, die ewig ſeufzenden Suͤnden - boͤcke der Landes - und Standesherren, welche nun mit deſto groͤßern Laſten belegt wurden, um die Staats - und manche andere oͤffentliche und geheime Beduͤrfniſſe ihrer legitimen und illegitimen Gebieter zuſammen zu bringen. Mir ſind mehrere Faͤlle dieſer Art bekannt, aber kein einziger, der zur ge - richtlichen Unterſuchung gebracht wurde. Wie koͤnnte auch wohl ein Mediatiſateur einen Mediatiſirten wegen dergleichen Handlungen zur Rechenſchaft zie - hen? Wuͤrde er ſich nicht Antworten ausſetzen, die ſich mit ſeiner Legitimitaͤt eben ſo wenig ver - einbaren ließen, wie das Krimpeln mit der Ehre und Rechtlichkeit eines Standesherrn?
Am gefaͤhrlichſten zeigt ſich der weißjuͤdiſche Adel in ſogenannten Freiſtaaten, wo ihm die hoͤchſte Gewalt ausſchließlich uͤbertragen iſt; wo er mit Eifer uͤber die Erhaltung und Ausdehnung ſeiner Vorrechte wacht, und ſich zu dieſem Zweck wohl gar mit Pfaffen, Moͤnchen und andern Blind - ſchleichen verbindet. Wo eine ſolche allgewaltige, uͤberall verwundbare, tauſendkoͤpfige Hydra das Ruder fuͤhrt; da kann nie etwas Großes und Gu - tes fuͤr Menſchenwohl und Menſchenbildung gedei - hen. Jedem Schimmer von Licht wird man eben ſo aͤngſtlich, als ſorgſam zu wehren ſuchen, denn weltliche und geiſtliche Zwingherren ſind, wie Hu - ren und Diebe, ſehr lichtſcheu und kennen fuͤr ſich31 *364kein beſſeres Element als die Nacht. Deshalb ver - wandelt man ſo gerne alle beſſern Erziehungs - und Schulanſtalten in Treibhaͤuſer des Aberglaubens, der Einfalt und jener geheimen Suͤnden, welche den Klugen dumm, und den Dummen noch dum - mer machen. Jedem rechtlichen Mann, der ſich dem Unweſen entgegenſtellt, und wenn er wirklich zur herrſchenden Kaſte gehoͤrt, ſucht man das Le - ben zu verbittern, und ihn, wenn man nur kann, von Ehre und Brod und wohl gar in das Grab zu bringen. Jeder Andere, der durch Geiſt, Kennt - niß und Tugenden ſich auszeichnet, wird von ge - heimen Spaͤhern und Lauſchern umringt ſeyn, die ſeine unſchuldigſten und gleichguͤltigſten Schritte be - wachen, und die geringſte Beleidigung gegen die Perſon eines Regierenden, gegen deſſen Gattin, Kinder, Freunde und — Huren, wird von der ganzen ungeheuern Sippſchaft empfunden, und, woferne es moͤglich iſt, eben ſo hart beſtraft wer - den, als haͤtte man einen Phalaris oder Nero ge - kraͤnkt. Jn der despotiſchſten Monarchie kann man, wenn der Herrſcher nur nicht immer von zuruͤck - ſtoßenden Wachen umgeben iſt, und noch zu Zeiten ein menſchliches Gefuͤhl bei ſich aufkommen laͤßt, ehe Gerechtigkeit finden, als in einer despotiſchen Republik, wo das ganze Heer ariſtokratiſcher Gan - erben und Herrſchlinge verwandt, verſchwaͤgert und befreundet, und die Gerichtspflege nicht den365 Geſetzen, ſondern dem Willen der regierenden Her - ren, und oft ſogar ihrer Weiber und Kinder un - terworfen iſt. Leider ſind noch nicht alle Frei - ſtaaten dieſer Art mit Venedig und Genua ausge - ſtorben, und mehrere neuere Vorgaͤnge, in Laͤndern, wo man dergleichen ſchwerlich erwarten ſollte, ha - ben gezeigt, daß es eben ſo gut unter einem tuͤr - kiſchen Sultan, als in mancher Republik ſich wohnen laͤßt. Ein grauſamer, ſtolzer und will - kuͤhrlicher Herrſcher ſteigt vielleicht nach wenigen Jahren ſchon wieder vom Thron ins Grab, und ein edler, gerechter Fuͤrſt tritt an ſeine Stelle; allein wo eine zahlreiche, gebieteriſche, ehrgeizige und eigennuͤtzige Volksklaſſe erblich regiert, da iſt keine Rettung, keine Ruhe, keine Sicherheit anders zu hoffen, als durch die gaͤnzliche Umwaͤlzung oder den Untergang des ungluͤcklichen Staats ſelbſt.
Wenn gleich zu Anfange dieſes Aufſatzes ge - ſagt ward, daß der weißjuͤdiſche Edelmann ſich hinſichtlich mancher Untugenden weniger unangenehm auszeichnete, als die chriſtlichen Rabbiner, ſo kann man doch nicht umhin, dem Erbadel uͤberhaupt ſehr viele und große Uebel zuzuſchreiben, unter denen die Menſchheit ſchon ſeit Jahrhunderten geſeufzt und geblutet hat. Wie viele Kriege mußte ein Stand nicht anzetteln, deſſen einziges Handwerk der Krieg, und deſſen hoͤchſte Ehre die auf dem Schlachtfelde erworbenen Lorbeeren waren? Freilich hoͤrten die366 Edelleute nach Einfuͤhrung der ſtehenden Heere auf, die einzigen Krieger ihres Landes zu ſeyn; aber blieben ſie nicht faſt uͤberall die Anfuͤhrer jener ſtehenden Soͤldner, und mußten die Voͤlker es nicht aus dieſem Grunde ſehr oft auf das Schmerzhaf - teſte empfinden, daß ihre Fuͤrſten groͤßtentheils elende Spielbaͤlle des Adels, der Geiſtlichkeit und haͤufig ſogar der veraͤchtlichſten Buhlerinnen wa - ren? Dadurch, daß der Adel alle uͤbrigen Staͤnde, mit Ausnahme der Pfaffen, von dem Umgange der Fuͤrſten ausſchloß, wirkte er am verderblichſten zum Schaden der Menſchheit. Wie ſollte der Re - gent, wenn er es noch ſo gut mit ſeinem Volke meinte, jemals von dem Druck und den Leiden deſſelben, von ſeinen Beduͤrfniſſen, und von den Mitteln, ihnen abzuhelfen, unterrichtet werden, da er beſtaͤndig von den aͤrgſten Volksbedruͤckern um - geben war, die Keinen, der nicht zu ihrer Kaſte und zu ihrem Glauben gehoͤrte, vor ihn ließen, und recht muthwillig jedes Buch unterdruͤckten, was ihm die Augen haͤtte oͤffnen koͤnnen? Wo ſollte er, wenn er wirklich den klugen Einfall bekam, ſtatt der ewigen Luͤgen, einmal zur Abwechſelung etwas Wahr - heit zu hoͤren, wo ſollte er ſie anders hernehmen, als — bei ſeinem Hofnarren, da ſie bei Edelleuten und Beichtvaͤtern fuͤr keinen Preis mehr zu haben war? Und wirklich moͤchte man ſelbſt jetzt noch manchem Souveraͤn, der gegen ſtaͤndiſche und volksvertre -367 tende Verfaſſungen einen ſo großen Widerwillen hegt, den wohlgemeinten Rath geben, ein Dutzend ernſthafter Miniſter und Diplomaten zum Teufel zu jagen, und ſtatt ihrer eben ſo viele luſtige Raͤ - the ſich anzuſchaffen, nur muͤßten die letztern um Gotteswillen nicht aus der Kaſte der Standesher - ren, aus der Nobleſſe oder gar aus der ehrwuͤr - digen Geiſtlichkeit der weißen Judenſchaft genommen werden, denn ſo viele Narren es auch unter dieſen geben mag, ſo ſchwer wird man die Wahrheit bei ihnen finden koͤnnen.
Die letztere iſt freilich eine Pflanze, die nur ſelten in der Hof - und — Kirchenluft gedeihet; indeſſen ſollte man doch ſuchen, ſie in Anwachs zu bringen! Als der legitime Kaiſer Napoleon 1814 zu Fontainebleau eine Menge von Flugſchriften durchblaͤtterte, worin manche ſeiner Handlungen ſehr hart und bitter getadelt wurden, rief er laut aus: » Haͤtte man mir vor drei Jahren den hundertſten Theil dieſer Wahrheiten geſagt, mein Thron ſtaͤnde noch heute. «
Wer Ohren hat zu hoͤren, der hoͤre! Amen.
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