Herrn Geheimer Legations-Rath Friedrich von Matthiſſon.
Jhnen, verehrungswuͤrdigſter Freund, weih’ ich dieſe Blaͤtter. Sie ſind nur eine kleine Gabe; aber ich konnt’ Jhnen nichts Groͤße - res ſchenken, und ich moͤcht’ Jhnen etwas ſchenken.
Einſt war eine Zeit, wo mein junger Geiſt noch nicht ſo kuͤhn ſtrebte, wo ich warm und ſtille, mit kindlicher Liebe, das heitere Bild des Lebens im ungekraͤnkten Buſen trug, und nur manchmal quoll, wie der Mond im im klaren Waſſer, eine blaſſe wunderbare Ahn - ung in den naſſen Augen des Knaben. Da war ich gluͤcklich.
Mein Leben war wie ein weicher ver - verſchwebender Morgenhauch. Jhre Lieder wa - waren da meine heitern ewigjungen Geſpielen, schlangen ſich liebend und laͤchelnd um mein heißes Herz. Jch fuͤhlte Sie, verſtand Sie, und war das nicht viel?
Schon den Knaben ergriff ein tief und heftig Verlangen, den Mann zu ſehen, den den er ſo liebte, ſo verſtand, und doch .... nicht kannte. Der Juͤngling kam, ſchwieg.
Sie waren ſo mild, ſo voll Huld und Nachſicht, verwarfen nicht die erſten Verſuche.
Ach! jene Zeiten waren verſchunden, und das ſo bald! Mit ihnen jene ſtille Ein - falt des heitern kindlichen Sinnes, des unge - truͤbten, warmen Herzens, jenes ahnende ſchwel - lende Hangen an Allem, jenes Wogen und Fuͤhlen einer ſo vollen, ſo zarten, und doch ſo geſtillten Bruſt! Das all’ war dahin!
Mich umgab die unermeßliche Welt, die Bilder alles Schoͤnen und Großen, mit rau - ſchender Fuͤlle. Mit kuͤhnem, unbefriedigtem Sinne griff ich nach allem, draͤngte mich ſu - chend und ſtrebend in alles. Aber alles war ſo weit, ſo auseinander, ſo fern und kalt, ſo gar nicht mein, und ich wollte doch etwas ſo ganz Anderes! Was mir oft, wie ein heißer, liebender Kuß, meine gluͤhenden Wangen druͤckte, das fand ich nicht!
Warum war ich herausgegangen aus mir? Suchte mit namenloſem Drange nach jenem Etwas, und konnt’ es doch nur finden im eigenen Buſen? Jch ſuchte mich ſelbſt und ſuchte mich auſſen.
Jch fand, und .... das genuͤgte mir doch nicht. O wie mich das ſchmerzte!
Jch gieng tiefer, bald mit Wehmuth, bald mit Verzweiflung. Aber mein Sehnen ward nur heißer, nur voller.
Da fand ich das Eine, jenes Etwas, das alt iſt, wie Gott.
Entſagen konnt’ ich nicht. Das ſchmerzte mich zu tief, und doch haͤtt’ ich es uͤberall ſollen. Wie ward’ ich gekraͤnkt. Nur Eines wollt’ ich, und wozu ſollte mir all’ das Wechſelnde, Mannigfaltige, Fremde nuͤtzen? Ueberall Schranken! Auch die Menſchen thaten mir wehe, ſo ſehr ich den Menſchen liebte.
Da warf ich mich mit wilder Jnbrunſt an den Buſen der Natur, drang in ſie, ahnte ſie, glaubte ſie zu verſtehen; erkannt’ in ihr, wie in der eig’nen ſchwellenden Bruſt, den Schaffenden, Liebenden, des Alls Vater, den alten Geiſt, erkannt’ ihn, da wo er iſt, im Menſchen und in der Natur.
Er iſt die ſchrankenloſe Freyheit. Jhn ahnt der Menſch, aber er gehorcht ihm. Weh’ ihm, wenn er mehr will! Wahnſinn faͤllt auf ihn.
So entſtand dieß Gebilde, meine Welt! O Freund! ſie iſt mein, ich bin nur in ihr, durch ſie. Phaethon hat mich geſchaffen.
Betrachten Sie ſo dieſe Blaͤtter! Streben nach Jugend in einer ver - alteten Zeit! Nur ſo werden Sie mich nicht mißverſtehen! Wenn ich weniger ſagte, als ich wollte, vergeben Sie mir; es iſt mein Erſtes.
Tuͤbingen: Dezember 1822.
F. W. W.
Dein Bruder iſt jetzt abgereist. Mir ward der Abſchied ſchwer von dem Guten, der, wie mein Schatten, mir durch’s ſonnige Jtalien folgte. Ewig unvergeßlich, wie meiner Kindheit Tage, iſt mir der Abend, wo wir zum erſtenmal die Alpenfirnen, wie Truͤmmer einer Urwelt, glaͤnzen ſah’n, und, gleich gebaͤndigten Titanen, die Nebelwolken unten lagen im Thale, und oben die milchweiſſen Stirnen vom Purpur der Abendſonne gluͤhten, wie beſchei - dene Maͤdchenwangen, und die Rieſenlawinen don - nernd von jaͤhen, fuͤrchterlichen Hoͤh’n herab ſich waͤlzten, wir uns im Arme lagen, und bey Tells und Arnolds Vaterland uns ew’ge Freundſchaft ſchwuren.
Und als wir giengen auf den ſieben Huͤgeln, und wandelten zwiſchen den ſchaurigen Geſtalten der hohen Vorwelt, und ſah’n, wie um die alten duͤ - ſtern Mauern ſich der jugendliche Epheu rankte — als wir ſaſſen an den Ufern der blonden Tiber, und1 *4[i]hrem Wellenſchlage lauſchten, und es aus den Waſ -[ſ]ern erklang zu uns, den Spaͤtgebor’nen, wie eine ernſte, mahnende Stimme — als wir wandelten durch die langen Hallen, wo ſchweigend unſ’re alten Goͤtter ſtanden, und wir uns anblickten, und uns in die Arme ſanken, ach! da, wo jeder graue moosbe - wachs’ne Truͤmmer, wo jedes Saͤulenſtuͤck, wo jeder Grashalm an den finſtern Mauerriſſen, wo alles, alles zu uns ſprach — da fuͤhlten wir ſchwellen un - ſern Buſen; die Ahnung floh und es ward klar vor uns, unſer Auge ſchwamm in Licht und Fuͤlle, und, wie eine goͤttliche Erſcheinung, ſah’n wir niederquel - len den Geiſt der Schoͤnheit, wir fuͤhlten unſern Be - ruf und den Drang in unſerem Jnnern und knieten nieder und riefen: dir, heil’ge Kunſt, dir weih’n wir unſer Leben!
Ach! und nun bin ich laͤngſt wieder ferne von dem Lande, und bin ſo ganz allein! Niemand hab, ich, den ich an meinen Buſen ſchließen koͤnnte, warm und innig, wie ich’s moͤchte, keine Seele! Theodor! Das iſt viel!
Und weißt Du, was es iſt, das mich allein noch troͤſtet? Es iſt der Geiſt der Natur, die in ihrer ruhigen Fuͤlle vor mir liegt, wie meine alte, gluͤck - lichere Welt.
5Jch ſollte ſehen, wie ſich alles drauſſen regt, und tauſend lebensvolle Keime ſchwellen, und Eins ſich liebend an das And’re draͤngt, und ſollte dennoch klagen?
Ach die Kinder! die ſchweben durch ihr Leben, wie gold’ne Woͤlkchen durch das Morgenroth. So heiter iſt noch ihr Blick und ſo unbewoͤlkt, wie der blaue Himmel, und ihre Seele rein, wie die Luft. Ein Kind zu ſeyn, das iſt ein Gluͤck. Wiſſen die Kinder etwas vom Himmel? und doch iſt der Him - mel nur in ihnen!
Ein Kind iſt ſich ſelbſt genug in ſeiner Fuͤlle. Warum bin ich denn das nicht?
Jch habe nun eine neue Wohnung gemiethet. Ein kleines Haͤuschen bewohn’ ich ganz allein. Hat dir eine ſo angenehme Lage drauſſen vor dem Dorf am Abhang eines kleinen Rebenhuͤgels. Man hat eine weite Ausſicht durch die engen Fenſterſcheiben. Zu einer Seite liegt das freundliche Dorf und druͤ - ber hin auf dem gruͤnen Wieſengrund ein paar andre, dann zur andern Seite liegt das Waldge - birge und unter ihm auf jaͤher Felswand glaͤnzt im Abendlicht die Burg.
All’ den vielen Kram hab’ ich weggeſchafft und es ſteht jezt nur noch mein Amor und mein Klavier in dem groͤſſern Zimmer, worinn ich arbeite, dane - ben iſt ein anderes, worinn ich ſchlafe.
Meinen Homeruskopf hab’ ich ans Fenſter ge - ſtellt zur Morgenſeite. Der erſte Strahl der alten heilgen Sonne verklaͤrt das Angeſicht des grauen Saͤngers. Mir iſt’s oft, als ob er lebte, wann ich erwache und der Alte gluͤhet!
7Und ſollteſt ſehen, wie ſchoͤn! drauſſen um die Waͤnde kruͤmmen ſich Traubenranken und die ſchoͤ - nen großen Blaͤtter breiten ſich geſchlaͤngelt bis ans Fenſter! So nah’ hab ich die Natur!
Mir iſt auch wohl dabey, wie dem Saͤugling am vollen Mutterbuſen.
Jnnen ſiehts freylich nicht ſo ſchoͤn aus! Da lie - gen die paar Buͤcher, die ich noch habe, zerſtreut umher, wie die Gedanken in meinem Kopfe. Du laͤchelſt und ſagſt vielleicht: war ja von jeher alles untereinander! Du haſt Recht. Es iſt mir auch nichts ſo zuwider, als uͤbertriebne Regelmaͤßigkeit.
Mit meinem Amor bin ich bald zu Ende. Er laͤ - chelt mich an, wie eine beſſere Zeit. Jch gehe nicht baͤlder zur Graͤfin hinuͤber, bis ich ihn fertig habe.
Es wird mir ſchwer werden zu ſcheiden von ihm. Meine Arbeit iſt mir uͤber den Kopf gewach - ſen. Mit jedem Meiſſelſchlag iſt ſie weniger mein. Sie iſt mein Schoͤpfer, nicht ich der ihre.
Mir wirds oft wunderbar. Jch weiß nicht, wo - her ich ſie habe, dieſe quellenden trunkenen Augen, dieſe ſanftgeblaſenen Formen an der weichlich uͤppi - gen Geſtalt. Als haͤtt’ es mir ein Gott eingegeben!
Des Abends wandl’ ich den Huͤgel hinan. Wie ein Rieſe, ſteht droben eine alte lange Eiche und ſtreckt, wie ſtarke Arme, die breiten Aeſte auseinan - der. Mir iſts als ob mich zarte liebe Geiſter um - wehten, wann der Abendwind durch die Blaͤtter ſaͤuſelt. Da hab’ ich meine ſchoͤnſten Stunden. Jch leſe meinen Homer oder auch einen Chor aus den9 alten Tragikern. Ach! und wenns dann ſtill wird umher und immer ſtiller, und durch die dunkle Eiche der lezte Strahl der warmen heil’gen Sonne meine gluͤhenden Wangen kuͤßt, wie der Mund eines Maͤd - chens, wenn die grauen Woͤlkchen im goldnen Meer der Abendroͤthe ſchwimmen, wie zarte verflieſſende Bilder der Vergangenheit, und das linde Weh’n der kuͤhlen Luͤfte ſo zaͤrtlich liebend in meinen Locken ſpielt, und wenn dann allmaͤhlich im blaſſen Duft auch die fernen Berge zuſammenſchwimmen mit dem Himmel, wie eine Seele mit der andern, und der Nebelflor auch uͤber dem Thale wallet, und die Abend - glocken ſo voll, wie mein ſchwellend Herz, aus der Ferne klingen, ach! da wein’ ich wie ein Kind und druͤcke den lieben Homer an meine Bruſt, und be - netz’ ihn mit meinen Thraͤnen, und die Natur, die Ewige, die Liebende, laͤchelt mich an, wie eine Mut - ter. Dann fuͤllt ſich mein Jnnres an mit einer un - endlichen Wonne und ich fuͤhle jeden Pulsſchlag der lebendigen Natur, und wandle dann wieder ſo hinunter.
Welches iſt das Land Theodor, wo der Segen der Goͤtter in Fuͤlle herabtraͤufelte und die Natur ſich entfaltete in den reichſten vollſten Geſtalten, wo die Menſchen ſchoͤn waren wie ihre Goͤtter, und heiter und froͤhlich wie ihr Himmel, wo Weisheit und Schoͤnheit ſich wie Schweſtern, mit bluͤhenden Armen umſchlangen und der Geiſt ſich regte ſo klar, ſo helle? Es gab nur Ein Griechenland.
Sieh’, ich moͤchte mich an eine Bruſt werfen, und meinen Schmerz ausweinen in blutigen Thraͤnen. Denn ach! es gibt kein Griechenland mehr! verlo - ren, ewig verloren wie die Tage der Unſchuld.
Warum bin ich nicht zwey Jahrtauſende fruͤher geboren? Glaubſt du nicht, um ein einziges Jahr geb’ ich dann all’ die vielen Jahre dahin, die ich verlebt habe?
Wie ſich die Welt abſpiegelt in dieſen ewig jungen Geiſtern! rein und heiter, wie die Gewaͤſſer, die ihres Landes lachende Ufer umrauſchen.
11Was iſt heiliger als die Natur, und wo war ſie gefeyerter als in Griechenland?
Da kannte man nicht jene laͤcherliche Veracht - ung des Lebensgenuſſes, mit dem ſich bey uns die Maͤnner bruͤſten, die rauh ſind, wie der Boden, der ſie traͤgt, und finſter, wie die Eichenwaͤlder, um die ſie hauſen.
Selbſt der trozige Ajas nimmt noch Abſchied vom lieben Licht der Sonne und von den Quellen und Fluͤßen und Bergen, eh’ er das Schwerdt ſich in den Buſen ſtoͤßt. Er findet die Erde noch ſchoͤn, und will doch zu den Schatten.
Hat den erſten Deutſchen in Hyrkaniens Wald - gekluͤften nicht ein Baͤr geſaͤugt? Merkt mans doch den Roͤmern an, daß ihr Stifter nicht die Milch aus einer Menſchenbruſt geſogen.
Was kann auch werden bey uns? Unſer Land iſt ein Gewaͤchsthum aller Nationen. Gabs nicht in Griechenland auch viele Voͤlker? Es gab Athe - ner und Boͤotier, und Korinther und Spartaner, aber wenn ſie zu Elis ſich verſammelten, war alles Ein Volk, alles Eine Seele!
12Mir wirds oft bange unter dieſen Menſchen, wo eine ſolche Kluft den einen von dem andern trennt.
Und was ſind das fuͤr Begriffe von Schick - lichkeit! Theodor! ich moͤchte mich zu Tod aͤrgern wenn ich ſehe, wie’s Menſchen gibt, die lieber die Welt durch ein umflortes Glas anſehen, und and’re verdammen wollen, die der lieben Sonne ins An - geſicht ſchauen. Solche nied’re Seelen, die nie aus dem Gleichgewichte kamen, weil jeder Schwung fuͤr ſie zu kuͤhn war, die ſich leicht beherrſchen koͤnnen, weil ſie nicht viel zu beherrſchen haben, die jedes warme ſchmerzliche Gefuͤhl verbannen, weil ſie’s an ihrer kalten Arbeit ſtoͤrt, die wollen ein lei - dend Gemuͤth, das ringend auf dem ſturmbeweg - ten Meere treibt, vom Hafen aus verlachen? Ach! das iſt leicht!
Und wo offenbart ſich tiefer das Gemuͤth, als wenn es leidet? Und muß es nicht leiden?
Unſer Himmel iſt nicht fuͤr die Kunſt. Uns glaͤnzt die Freyheit, wie der Dioskuren Liebe, nur als ein matter Stern am Himmel. Wo ſind die Hirten der Voͤlker?
Die unbeſchraͤnkteſte Freyheit fuͤhrte dem goͤtt - lichen Ariſtofanes, wie ein launichter Genius, den kuͤhnen Griffel.
Die Griechen kannten nicht, was wir Gelehr - ſamkeit nennen. Der junge friſche Geiſt ward nicht durch Formeln ausgetrocknet: Das heitere Gemuͤth erſchwoll am Buſen der allliebenden Natur. Darum lernten ſie auch fruͤher denken.
So wuchſen ſie auf, ſchoͤn und voll wie die Roſen, ein erhabenes Geſchlecht, wuͤrdig, abzuſtam - men von den Goͤttern.
Und iſt nicht alles bey ihnen der Abglanz ihrer Schoͤne? Jhre Werke ſind ſchoͤn, wie ſie ſelbſt.
14Die Religion ſpiegelte ihre Schoͤnheit, wie ein ſilberklarer Quell zuruͤck. Jn ihr beſchauten ſie ihr goͤttlich Bild. Aus ihr ſchoͤpften ſie dieſe Fuͤlle herrlicher Geſtalten und fuͤllten ihren Himmel an mit Goͤttern, ſchoͤn wie ſie.
Die Religion iſts ja, die der Kunſt das Auge trocknet, wann ſie weinet uͤber die erſehnte Ur - ſchoͤnheit in ihrem hoͤchſten Glanze.
Die Religion reicht der Kunſt mit dem war - men, aber keuſchen Kuß ihrer Lippen die Weihe, der Menſchheit das Goͤttliche darzuſtellen im ſchoͤnen Bilde. Sie ſind die innigſten Freundinen und druͤk - ken ſich ewig an den Buſen.
Das iſts, wenn Sokrates, der Gottbegeiſterte, den Kuͤnſtler nur fuͤr weiſe haͤlt, und der tiefe Pin - daros den Saͤngergeiſt nur Weisheit nennt.
Die Natur, die Ewige, die Wandelloſe, war der Gott der Griechen, und Gott iſts, der aus al - lem, was ſie ſchufen, ſpricht.
Wir Griechen, ſagt der ernſte Thukydides, ſtre - ben nach der Schoͤnheit, ohne viel Anſtrengung, und nach der Weisheit, ohne daß wir weichlich werden. 15Das ſagt Thukydides und klarer hat das Weſen des menſchlichſten und goͤttlichſten der Voͤlker nie - mand ausgeſprochen!
Die Griechen ſind Kinder, hoͤchſtens Juͤng - linge.
O herrlich, goͤttlich Land, wo Weisheit, Staͤrke, Schoͤnheit, wie drey Goͤtter, wohnten, wo aus dem zarten weichen Knaben der ſchoͤne Juͤngling wie ein junger Gott, emporwuchs, und aus dem Juͤngling ſich des Mannes hoher Bau, wie aus der vollen Knospe ſich der Stamm, entwickelt — der Mann mit ſeinen ſtarken Gliedern, mit der hohen Bruſt, in der die goͤttlichen Entwuͤrfe reiften, wo das Ge - ſchlecht, das ewig kraͤftige, gewandt ſich auf der heil -’ gen Rennbahn trieb, den ſchoͤnen Oelzweig ſich um ſeine Schlaͤfe wand, und ewig rege, wie des Springquells Saͤule, ſich jene volle Heldenkraft er - warb, mit der es den Barbaren niederkaͤmpfte.
Jch wandelte geſtern durchs Gebirge. Es iſt ein hohes maͤnnliches Gefuͤhl, zu ſchreiten durch dieſe alten Rieſeneichen. Es ſcheint, als ob die Natur dieſe gewalt’gen Staͤmme zum Beiſpiel fuͤr den Men - ſchen ſchuf. Strecken ſie ſich nicht in die Luͤfte, wie Titanen, und wandelt der Menſch nicht, wie ein Zwerg, unter dieſen kuͤhnen, ragenden Gewaͤchſen? Aber ach! auch die Eichen ſtehn nicht feſt. Jch ſtand an einem tiefen Gekluͤfte. Durch uͤber einan - der geworf’nes, ſtarrendes Geſtein und hohes Wald - gebuͤſche ſchob toſend in dem Abgrund ſich ein Gieß - bach fort, raſch, unaufhaltſam, wie das Leben des Menſchen, und aus den Wurzeln vom Sturm ge - riſſ’ne Eichenſtaͤmme lagen in wilder Zerſtoͤrung uͤber die Schlucht hin. Eine dunkle Maſſe ſchat - tender Tannen hob ſich in duͤſtern Gruppen an dem Abgrund, und eine gewalt’ge Felswand ragte druͤ - ber hinaus, wie die finſt’re Stirne eines alten Got - tes. Da dacht’ ich mir den Titanen Prometheus an die graue ungeheure Felſenwand geſchmiedet, und17 grauſend gieng ich meinen Weg voruͤber. Und wie ich nun auf einem einſam ſteilen Bergpfad eine Stelle fand, wo fuͤrchterlich jaͤh der Fels hinab - ſchoß, und ſchlankſtaͤmmige Eichen uͤber mir ſich woͤlbten, und ich durch das wildverſchlungene Ge - zweig’ ins tiefe Thal hinabſah, wie in einen Keſ - ſel, und druͤben die waldbewachsnen dunkeln Berg - esruͤcken, das Rauſchen der nahen Waſſerleitung und das einſame Fluͤſtern des Windes in den ge - ſchuͤttelten Aeſten, und aus dem tiefen Forſt den ſchallenden Hammer der Steinbrecher, durch die Finſterniß hin das verwitterte Ruingeſtein der zerfall’nen Feſte. Theodor — mir fuhr ein Schauer durch die Bruſt, wie ich ſo klein mich ſah unter dieſen rieſigen Geſtalten.
Ach! und das Traurigſte folgt noch. Die Sonne brannte gluͤhend roth durch die vergoldeten Eichenwipfel und ich wandelte wie im Schwindel, meinen Pfad dahin.
Da hoͤrt’ ich eine Stimme. Mir fuhr’s durch Mark und Bein, und wie ich ſchnell mich umſah, erhob ſich ein alter Mann von einem Truͤmmer, und wankte langſam, wie ein ſchuͤchterner Geiſt, auf mich zu. Seine Locken waren weiß, wie der friſche218Schnee und ſeine Stimme wie eines Abgeſchied’nen. Da faßte mich ein noch tieferes Grau’n. Der Alte bettelte. Theodor! er war achtzig Jahr alt. Jch ſtand vor ihm, wie ein Gerichteter. Was ſuchſt du noch auf der Welt, dacht’ ich, und warf ihm ſchau - dernd etwas in den Hut. Jch rannte weiter — O Lieber! das hat mich furchtbar geſtimmt. Wenn’s nur auch zumal hinuͤbergienge von der Fuͤlle ins Nichts, wie eine lohe Feuerſaͤule! aber ſo! nur ſtu - weiſe! weiter und immer weiter! Theodor! wie mir der Mann ſeinen Seegen mit Freudenthraͤnen nachwinſelte und rief, bis ich ihn nimmer hoͤren konnte — der Alte dem Jungen — Gott! wie war mirs? O was iſt all’ unſer Leben!
Jch hab’ einen Menſchen kennen gelernt, der mir ſehr gefaͤllt. Schon lange her iſt’s, daß ich ihn taͤglich vorbeygehen ſeh’ an meinem Hauſe. Er gruͤßte mich immer freundlich. Er hat ein wahr - haft griechiſches Profil, ein paar runde, lebendige Augen, einen ſanften, faſt ſchmerzlichen Mund, und einen ſchoͤnen, edlen Gang. Heut rief ich ihm, wie er wieder vorbey kam. Er waͤr auch lange ſchon gern mit mir bekannt geweſen, und faßte doch nie den Muth, mich anzureden. Mein Amor macht’ ihm gar viel Freude. Er erzaͤhlte mir viel von der Graͤfin Caͤcilie und von ihrer Tochter. Das muͤſſen herrliche Menſchen ſeyn. Man kennt ſie aber nicht viel in der Gegend. Letzthin ſah’ ich ihr Haus auf meiner Wand’rung durch’s Gebirge.
Es iſt ein wunderbar Gefuͤhl, das mich uͤber - wallt, wenn ich dieſen ſchoͤnen Juͤngling anſehe. Jch hange mit einer ſchwaͤrmeriſchen Neigung an dieſem ſeltſamen Menſchen.
Jch begreife, Theodor, wie die Griechen ſchoͤne Knaben und Juͤnglinge lieben konnten.
Denk’ an die ſuͤße Trunkenheit, womit das Vollgefuͤhl der unendlichen Lebensgluht ewig keim - ender Natur im Morgenglanz ihrer jugendlichen Schoͤnheit ein zart empfindendes Gemuͤth uͤberſchuͤt - tet. Und gibt’s in unſerm rauhen Norden Geiſter, die ſo vom Gefuͤhl der heil’gen Naturſchoͤne uͤber - waͤltigt werden, wie allmaͤchtig war dieſe Empfin - dung unter dem ſonnigen Himmel jenes gluͤcklichſten der Voͤlker, deſſen Einheit mit dem Naturgeiſt, deſ - ſen zart empfaͤnglicher Sinn fuͤr jede Beruͤhrung der ſtummlebendigen Welt jene Orgien, jene Ora - kel, jener geheimnißvolle Ceresdienſt und jene tau - ſend Myſterien bezeugen, von denen uns kaum noch eine matte Ahnung in duͤſtern und unheimlichen Phaͤnomenen zuruͤckblieb. Dieſe ſchoͤpferiſche Herr - lichkeit und Bluͤtenfuͤlle der beſeelten Natur war es, was die Griechen aus der Schoͤnheit maͤnnlicher Jugend mit unwiderſtehlicher Gewalt ausſprach. Es war eine wunderbare, anbetende Liebe.
21Und iſt die maͤnnliche Jugend-Schoͤnheit im Glanze der Thatkraft und der Freyheit nicht mehr, als die Pflanzennatur des Weibes, die groͤßten - theils doch nur das Beduͤrfniß mit ihren Reitzen uͤberkleidet?
Sieh den Bachus an, den jugendlichen Gott der ſchaffenden Natur! Wie eine Jungfrau, ſenkt er ſchmachtend die uͤppigvollen Augen nieder; die zar - ten Glieder ſchwellen, wie die Trauben, die ſeine reichen Locken kraͤnzen, und rein und bluͤhend iſt die Schoͤnheit uͤber all’ ſein Weſen wie ein Einz’ger linder Hauch gegoſſen.
Das Leben der griechiſchen Juͤnglinge war wie ein ew’ger Kuß. Begreifſt du, wie man einen Kuß von Chamoleos um zwey Talente bezahlte?
Mich duͤnkt, der Hypolytos des Euripides klaͤre daruͤber auch die duͤmmſten Koͤpfe auf. Jn dieſem heil’gen Gemuͤth ſpiegelt ſich der Aether ab, der reine, wolkenloſe. Er iſt ſchoͤn, wie der Mond, und keuſch, wie ſeine Goͤttin. Jhr iſt ſein Buſen nur geheiligt, und der Maͤdchen liebeſchmachten - des Auge uͤberſehend, zieht er mit Genoſſen und Hunden jagend durch die Waͤlder. Er iſt eine maͤnnliche Artemis.
22Jſt ja der Mann der Sohn der Sonne, aber das Weib die Tochter des Mondes.
Theodor! ſo etwas verſteht man nicht mehr. Denn die Welt altert.
Nicht wahr, nur in Griechenland war’s moͤglich, daß eine Phryne vor den Augen aller Griechen ins Bad ſtieg, und wie die ſuͤſſe Goͤttin der Wol - luſt und der Liebe, aus den Wellen tauchte? Wo feyert ein Volk noch Wettſpiele in der Schoͤnheit?
Die jungfraͤulichen Leiber, die auf den Hoͤh’n des Eryx ſich dem Dienſt der Venus weihten, hieſ - ſen heilig.
Und was gilt koͤrperliche Staͤrke noch bey uns? Welcher Geiſt war goͤttlicher, als der Geiſt des Platon? und Platon rang in den heil’gen Spielen des wellenumrauſchten Jſthmos.
Aus der Gymnaſtik entſprang die erhab’ne Todesverachtung eines Harmodios und Ariſtogei - ton, und Freyheit und Freundſchaft erhob ſich aus ihr, wie Bluͤthen aus dem geſunden kraͤftigen Stamme. Wie ein Schleyer umhuͤllte der gewandte ſchoͤne Koͤr - per den ewig jungen Geiſt. Weisheit und Tapfer - keit waren wie Blumen, die aus Einem Staͤngel24 bluͤhen. Wir fuͤhlen nur halb des Lebens Kraft und Schoͤne: denn ſeine andere Haͤlfte, der Koͤrper, iſt fuͤr uns verloren. Wir ſtaunen an die Werke des Alterthums, wie unglaubliche Rieſenſchoͤpfungen, aber die Quelle, woraus der Geiſt der Alten floß, bemerken wir nicht.
Der Geiſt des goͤttlichen Pindaros ruht, wie eine unermeßliche Eiche, uͤber den griechiſchen Kaͤmpf - ern, in deren Schatten ſie den Schweiß ſich trock - nen von der freyen. Heldenſtirne. Jn ſeinen feuer - trunk’nen Geſaͤngen liegt das Geheimniß griechiſcher Erziehung. Kein Grieche ſpricht den Geiſt ſeines Volkes mehr aus in ſeiner Kraft und Fuͤlle, wie er. Alle Strahlen griechiſcher Vollkommenheiten ſind in ihm geſammelt, und wie zu Einer großen Sonne geworden.
Meine ſeligſten Stunden bracht’ ich im Anti - kenſaale zu. Schon als ein kleiner Knabe, wo mich die Zukunft, wie ein zarter Geiſt umſaͤuſelt, wo ich mit kindlich heiterm Sinn nur nach dem Naͤch - ſten griff, ach! wo mich all’ das, was ich jetzt er - kannt, wie eine dunkle Ahnung noch umſpielte, vergaß ich laͤchelnd Gegenwart und Zukunft, und kniete ſtaunend in dem heil’gen Raume. Da hieng25 an den weißen Geſtalten der hohen Vorwelt mein trunk’nes Auge ſelig und begeiſtert. Der alte große Goͤttervater, deß majeſtaͤtiſch hohe Stirne die Wel - len des wild aufwallenden Gelocks umfließen, in all’ ſeiner Herſchergroͤße aus dem tiefen Auge blik - kend und doch ſo liebendvaͤterlich, ſo wuͤrdig mild, wie der Geiſt, der ernſte, alldurchblickende … und wie das Gemuͤth ihm gegenuͤber der Liebe ſchmach - tend ſuͤße Goͤttin in ihrer uͤppig beſcheid’nen Schoͤne, mit ihrem holdlaͤchelnden Auge, mit ihrem vollen gewoͤlbten Nacken, mit ihren weichen ſchwellenden Gliedern, wie ins Morgenroth getaucht .... hier wie die aufquellende Kraft, des erhabenen Vaters aͤhnlichſter Sohn, der jugendlich ſtarke Apollon, in flammender Anmuth ſeines Zornes, und neben ihm ſeine Schweſter, die ſchoͤne keuſche Jaͤgerin, leichtſchwebend wie ein ſchlankes Reh, den Boden kaum mit ihrem Fuß betretend … hier die koloſ - ſale Geſtalt der hoͤheren Athene, das tiefe Bild der ernſten Maͤſſigung, mit jungfraͤulichem Ernſt die großen Augen auf die Erde kehrend, und neben ihr, wie Ungeſtuͤmm bey Weisheit, der junge tro - zig wilde Gott des Krieges, mit kuͤhnem Selbſt - gefuͤhl die hochgewoͤlbte Bruſt geſchwellt ..... Theodor! ach da ſchwanden mir die Sinne, (dem knieenden Knaben,) und alles graute mir vor mei -26 nem Blick, und große heil’ge Thraͤnen ſchwammen mir im Auge, und ſchauernd fuͤhlt’ ich ihn wehen durch die ſtillen Geſtalten, den Geiſt der Fuͤlle, Maͤſſigung und Schoͤne.
Des Morgens bin ich gern im Freyen. Da ſchließt ſich mein Buſen wieder auf, wie die Blumenglok - ken auf der Wieſe: mein ganzes Weſen iſt ſo friſch, wie das thaubeſprengte Gras. Jch lieg’ oft ſtun - denlang unter meiner Eiche auf dem Huͤgel, und hoͤr’ all’ das geſchaͤftig rege Treiben umher mit ei - ner wunderbaren Wonne. Ach! und du weißt nicht, was ſich da fuͤr Gedanken regen, wenn ich hinuͤberſehe auf die vielen ſtillen Doͤrfer. Jch meine, ich muͤſſe etwas dort ſuchen, und weiß doch nicht was. Dann ergreift mich ein niegefuͤhltes Sehnen, hinuͤber draͤngts mich, hinuͤber! und ich ſtrecke meine Arme aus, als wollt’ ich eine Braut umfangen, und weine hinuͤber in die blauen daͤmmernden Fer - nen. Ach! ſie laͤcheln mich ſo lieblich unſchuldig an, wie die Wangen eines Kindes.
Oft uͤberraſcht mich mein Johannes — ſo heißt jener ſchoͤne Juͤngling, von dem ich dir ſchrieb — und ſezt ſich zu mir und trauert mit mir. Jch ſah’s ein paarmal ſchon, daß ſein Auge blinkte, wie der Thau auf der Blume, und er ſich zur Seite wandte, und28[d]ie Thraͤnen ſich abwiſchte. Er muß auch einen Kummer auf ſeinem Herzen haben.
Ach! wozu fuͤhrt mich noch all’ das unbegreif - liche, unausſprechliche Sehnen?
Ein Etwas blickt mich oft an, wie die beſchei - denen Strahlen der Morgenſonne, und umweht mich, wie der buhlende Wind. Da iſts mir, als ahnt’ ich etwas Groſſes, Heiliges, das da kommen wuͤrde — Theodor! denke dir, was du willſt!
Oft wann ich erwache bey Nacht, da ſeh’ ich mei - nen Amor vom Mondlicht, wie von einem zarten innigen Leben, gluͤhend, und es iſt mir dann, als ob das ſtumme Bild mehr als todter Marmor waͤre.
Warum will die Jugend immer nur das Große? Jn ungeheuren Schoͤpfungen will ſie ſich offenba - ren, und was iſt mehr, die Rieſengeſtalten Aegyp - tens, oder die ſtille, gemaͤßigte, natuͤrliche Schoͤne der Griechen?
Die Kunſt der Griechen iſt wie das wellenloſe ſpiegelklare Meer. Sie iſt immer heiter. Der ſchoͤne Himmel Griechenlands iſt uͤberall abgeſpie - gelt. Aus allem laͤchelt das Leben, wie bey uns aus allem der Tod. Denn was iſt anders, das uns anhaucht in dunkeln Schauern aus den unendlich verzierten und verſchnoͤrkelten Strebepfeilern, Ge - woͤlben und Boͤgen, den langen, bemalten Fenſter - ſcheiben, den unzaͤhligen Niſchen und Spizgebaͤud - chen, den Kruzifixen, Blumen und Heiligenbildern des gothiſchen Domes, als der Tod? Jch will es30 nicht tadeln, aber iſt das heitere Spiel des Lebens und der Schoͤnheit nicht mehr, als der ſchaurige, ewig aus den geſpenſterartigen Formen hervortre - tende Geiſt des Grabes?
Jn allen Werken der Alten iſt Ruhe, die Schwe - ſter der Groͤße. Das Kolyſſaͤum, wie die Sieges - geſaͤnge des Pindaros, iſt rieſengroß, aber ein ruhig ſtiller Geiſt ſpricht aus dem Bau der Steine wie der Strophen.
Maaß in Fuͤlle, und Fuͤlle in Maaß, das iſt das Weſen der Griechen, wie uͤber - haupt das Weſen der Kunſt.
Auf der Stirne des Zeus ſtraͤuben ſich die Lok - ken, wie die Maͤhne eines Loͤwen, und ſtrudeln uͤber die Schlaͤfe hinunter, aber die Miene des Weltge - bieters iſt mild, und er ſchuͤttelt nur die Locken, ſo zittert Himmel und Erde.
Jch kann dir’s nicht verbergen, auch mich er - greift noch das Gigantiſche, das Maas Ueberſchrei - tende. Der verlaßene, auf der Haide mit den em - poͤrten Elementen kaͤmpfende Lear waͤr’ ein Vor - wurf fuͤr mich. Aber laß nur die Wogen ſich baͤu - men, dann beſaͤnftigt ſich das Meer ſchon wieder.
31Das iſt eben das Groͤßte, daß bey den Grie - chen alle Werke Ein Geiſt beſeelt.
Stelle dich vor den Laokoon und erkenn’ in ihm den tiefen Geiſt der Ruhe des Sophokles. Er hat den Knoten der Begebenheiten, wie der Schlan - gen, geſchlungen.
Wie der gewaltige Phidias nur das Rieſenmaͤſ - ſige liebte, ſo geht auch Aeſchylos uͤber das Gewoͤhn - liche hinaus, und ſein hoher maͤchtiger Geiſt regt ſich wie im alten Reiche der Urgoͤtter. Die Geſtal - ten des Sophokles haben die Rundung des vatikan - iſchen Apoll, aber ſie ſind noch keuſch, wie die Tochter Latona’s. Jm Euripides ſchweifen ſie ins Weichliche, Ueppige hinuͤber, wie in den rundlich ſchwellenden Formen des Dionyſos. Wenn der Blick an den uͤbermaͤßigen Formen des Phidias und Aeſchylos aufgehalten wurde, ſo gleitet er ruhig und ſelig uͤber die liebliche Fuͤlle des Sophokles und des Antinoos hin.
Es iſt alles Einheit und Harmonie bey den Griechen.
Ach Theodor! warum bin ich ſo allein?
Sieh! ich weiß oft nicht, wo’s noch hinaus will mit mir, wenn ich’s denke. Da klopft, da gluͤht mein Herz, und mein Klavier iſt dann mein einziger, mein ſchmerzlich ſuͤßer Troſt. O es iſt etwas Großes, Goͤttliches, ſein Jnneres ſo ganz wiederklingen zu hoͤren, wie’s kaum von einer har - moniſchen Seele klingt.
Dieſe Fuͤlle in meinem Buſen und all’ das Sehnen! — o Theodor! mein Herz blutet!
Waͤre nur erſt die Kunſt meine Braut, und die Welt die Roſenlaube, worinn ich ſie umarme, aber ach! ich fuͤhle mich noch ſo gering, und viele, die mich kennen, verſtehen mich nicht.
Nach Thaten duͤrſt’ ich, wie nach dem ſtaͤrken - den Labequell der erhitzte Wanderer.
Und was ſoll ich auch thun? Das Land, wo ich am liebſten handeln moͤchte, ſteht da, wie eine verlaſſene Welt.
33Kein Ahorn umſchattet mehr am Jlyſſos die heiligen Bilder der Nymphen |und des Acheloos, und keinen ſchoͤnen Juͤngling bezaubert Sokrates, der Goͤttliche, mehr an den gruͤnen Ufern durch ſei - ne erhabenen Lehren. Diana, die Keuſche, ſpielt nimmer mit den Nymphen am lorbeerumwehten Eurotas. Wo ſind die Tauben in Dodona’s ural - ten Eichenwaͤldern, und ihre wunderbaren Saͤu - len? Die Goͤtter flohen und halbzerbroch’ne Saͤu - lenſchaͤfte, verwitterte Marmorbloͤcke unter’m Schat - ten der Platanen, deuten allein noch ſchaurig auf die alten Tempel.
O hinan rennen haͤtt’ ich moͤgen das Olympi - ſche Stadium, und ſiegen, Theodor! daß der Oel - zweig meine Stirne kraͤnzte, wie ein Abendwoͤlk - chen die gold’nen Bergesſcheitel.
Warum erinnert mich auch alles daran, daß ich allein bin auf der Welt?
Vor einigen Tagen kam Johannes zu mir. Seine Miene war ungewoͤhnlich heiter, ſeine Ge - baͤrden haſtig und munter. Mir fiel es auf. Es war ein ſchoͤner Morgen und wir giengen ins Freye. Johannes ward immer reger und faſt wild. Wir ſetzten uns endlich auf einem Huͤgel nieder. 334Lange waren wir ſtill, und Jeder erwartete, daß der Andere zuerſt ſprechen wuͤrde. Johannes, was iſt dir? ſagt’ ich leiſe. Er ſchwieg. Da ward ich noch ſtiller. Jch fuͤhlte mich beleidigt. Der Un - muth ſchwebte wie ein finſt’res Gewoͤlke uͤber meine Seele. Theodor! du weißt ja, wie ich bin. Jch kenne kein Maaß, und weil mein Herz ſo un - begraͤnzt liebet, ſo fordr’ ich es auch von andern. Jch ſtand auf und ſah den Huͤgel hinunter.
Da fuͤhlt’ ich ihn an meinem Hals, und ſei - nen Arm wuͤthend um mich geſchlungen. Jch ſah ihn an. Die ganze Fuͤlle ſeiner Seele ſchwamm in hellen Tropfen durch ſein Auge. Phaeton! ſchluchzt’ er, ich lieb’ ein Maͤdchen, und ſie liebt mich wieder. Jch ſah ihm durch alle Winkel ſei - ner Seele und preßt’ ihn an meine Bruſt und rief: vergieb mir, guter, biederer Johannes! ver - gieb mir!
Wir ſetzten uns. Er erzaͤhlte mir, wie ſie einander lieben und wie ſo ganz Eins ſie ſeyen und zuſammenſchlagen gleich zwey gluͤhenden Flam - men. Jn ſeinen Augen, voll von Thraͤnen und vom ſonnigen Laͤcheln der Liebe, glaͤnzt’ ihm, wie ein Regenbogen, die trunkene Begeiſterung. Jch35 muͤſſe ſie ſehen, rief er immer nur, wie ſchoͤn, wie liebenswuͤrdig ſie ſey.
Und wie ich heute etwas ſpaͤt nach Hauſe kam, und durch’s Dorf wandelte, und alles ſchon ſtill war, und ich an die große Linde kam, da tritt er mir entgegen und hat ſein Maͤdchen an der Hand. Das iſt ſie, Phaeton! lispelt’ er leiſe, wie der Abendwind, der durch die Blaͤtter der Linde ſaͤu - ſelte. Die ſchoͤne kleine Blondine blickte verſchaͤmt zur Erde und wollte ſeine Hand fahren laſſen, aber er hielt ſie feſt, und ſie blickt’ ihn jetzt ſo wunder - bar an. O Theodor! ich habe noch nie die Liebe ſo in einem Auge geſehen. Jch gab dem Maͤdchen die Hand, ſie nahm ſie ſchuͤchtern, und ich ſah, wie ſie die Hand des Geliebten aͤngſtlicher und ſtaͤr - ker druͤckte. Wir blieben noch faſt eine Stunde unter der Linde ſitzen. Lieber! o was iſt all’ un - ſer Treiben gegen eine ſolche Begeiſterung? Du haͤtteſt ſie ſehen ſollen, wie ſie da ſaßen, die Lie - benden, Arm in Arm, und Eins dem Andern in das naſſe Auge blickte. — Theodor! ich habe die halbe Nacht durchweint.
Jch mußte einen Menſchen kennen lernen, der auf ſein Wiſſen ſich gewaltig viel zu gut thut. O wie die Menſchen nur ſich einbilden koͤnnen, ſie wiſſen etwas. Das iſt der Fluch unſerer Zeit, daß ſie ewig nur belehren will mit hiſtoriſchem Wiſſen. Es iſt ſuͤndhaft, ſo elend zu verſchleudern ſein Leben. Wo die Vernunft, der uͤberirdiſche Funken ſonſt frey aus ihrer Tiefe, wie Apollons Prieſterin, Orakel ſprach, da ſoll der todte Buchſtabe erſetzen ihr Licht und ihre Kraft. Sie erkuͤhnen ſich, auszumeſſen den Umfang der Sonne, und vergeſſen d’ruͤber, wie die Heilige, allliebend uns, wie eine Mutter, an ihren Buſen voll Waͤrme haͤlt. Die Armen! weil ſie an der Flamme ſich die Hand verbrennen, ſo faſſen ſie die Aſche mit den Haͤnden.
Und gleichen ſolche Menſchen nicht dem Kna - ben, der Licht will, am Heerd, auf dem das heil’ - ge Feuer brennt, voruͤbergehet, und die Lampe ins kalte Waſſer taucht, worin, gleich einem Traum, das Feuerbild des Mondes ſchwebt?
37Was die Hand erſchafft, wird nur durch ſie bewegt. Ohne ihre Kraft iſt es tod. Solche Men - ſchen lieben das todte Werk mehr, als die lebendi - ge, ſchaffende Hand.
Wenn’s nur etwas zu ſcheiden, zu zerſchneiden, abzutheilen gibt. Selbſt das Unermeßliche meſſen ſie. Wo etwas Ganzes, wo Eine Fuͤlle waltet, da kommen ſie mit Faͤchern, Theilen, Geſchlechten, Arten und Gattungen. Jhr Thoren! warum zer - ſpaltet ihr den Koͤrper? Wißt ihr denn nicht, daß der Geiſt, das unſichtbare, geſtaltloſe Weſen, euch unter den Haͤnden entwiſcht? Was wollt ihr ma - chen mit dem ſeelenloſen Koͤrper, wann ihr ihn ge - trennt? Jhr hebt ihn auf, als eine Mumie: denn das Todte liebt ihr ja.
Das iſt, wie ſie’s heißen, ein ſyſtematiſcher Weg. Aber wer faßt den Grundſatz aller Philoſo - phie, den Einzigen und Ewigen, in Worte? Jm Leben ſucht ihn und nicht in Buchſtaben, Zeichen und Zahlen. O dieſes verfluchte Wiſſen, unſelige Geſichte, Fratzen und Blendwerke laͤßt es dem Getaͤuſch - ten, wie Banquo’s Koͤnigsſtamm voruͤberſchweben.
Die Wiſſenſchaft iſt gar nichts anders, als ein todter Koͤrper. Bringſt du den Geiſt, bringſt du38 dich ſelbſt nicht hinein, ſo haſt du ewig nur ein tod organiſches Maſchinenwerk.
Was ſoll auch das ewige Leſen und Schreiben? O koͤnnt’ ich nur wirken, Theodor! und handeln auf eine ſchickliche Weiſe. Und glaubſt du mir nicht, eine ſehende Begeiſterung, eine gluͤckliche Ahn - ung iſt am Ende doch das Hoͤchſte?
Jene ewige rege Spannkraft des ungeſchwaͤch - ten Geiſtes, die ſich der Grieche aus ſeinen Gym - naſien erwarb, und aus der innigen Gemeinſchaft mit der Natur, jene Harmonie des Koͤrpers und des Geiſtes iſt’s, was uns ſo weit zuruͤckſetzt gegen die Alten.
Freund! mit Einem alle meine Bruͤder zu um - armen — und Bruͤder ſind wir alle, — die Menſchen ſind, alle zu ſchließen an dieſe gluͤhende Bruſt, und Eins zu ſeyn mit allen in Einem Kuß, das iſt mein goͤttlichſter, mein menſchlichſter Gedanke.
O die Harten, die auf dem Markte wandeln mit der Laterne und ſagen, ſie ſuchen Menſchen und finden keine. Sie ſind keine Menſchen, denn ſie fuͤhlen nicht menſchlich. Das iſt der thoͤrichte39 Uebermuth eines eingebildeten Narren, ſich ſelbſt allein fuͤr einen Menſchen zu halten unter ſo vielen. Und das war moͤglich in Griechenland?
Der brave Mann, der ſeine Felder baut, mit demſelben ſtarken Arm, mit dem er Weib und Kin - der treu ernaͤhret, ſein angebetet Vaterland verthei - digt, er iſt als Menſch ſo viel werth, als der blei - che Sohn des Wiſſens, und mag der Thor in ſei - nem Wahn den friſchen Sohn des Lebens auch ver - achten.
Es gibt eine gewiſſe Saite in meinem Jnnern, wer sie zu ſtimmen weiß, hat mich gewonnen. Wer ſie aber anruͤhrt mit taͤppiſchen Haͤnden, der laͤßt einen ewigen Mißklang zuruͤck. Caton hat ſie getroffen, der Verwalter der Graͤfin. Geſtern Nachmittag ſtand ich vor meinem Amor und glaͤttete mit der feinſten Feile noch manche Haͤrte. Der Geiſt mei - nes Bildes ſchwebte mir in ſeiner Vollendung vor Augen. Da klopft’ es an die Thuͤre, und wie ich ſie oͤffnete, ſtand ein Mann vor mir, groß, mit breiten Schultern, einer vollen Bruſt. Zwiſchen einem ſtarken Bart laͤchelten ein Paar zarte Lippen hervor, aber das Auge ſpruͤhte dumpfe Funken un - ter den ſtarken Braun’. Es war der Verwalter Caͤciliens. Jch bot dem ſchoͤnen ſtolzen Mann ei - nen Stuhl.
Caton ſtand vor meinem Bild. Jch hatte mei - nen Arm gelehnt ans Fenſter. Lange ſah er ſtumm die Figur an. Jch wagte kein Wort zu ſprechen.
41Es wuchſen die Flammen in ſeinem Auge, und eine duͤſtere Ahnung ſchwebte, wie eine Wolke, um ſeinen Mund.
Jhr Bild gefaͤllt mir, ſprach Caton endlich. Jch erroͤthete.
Wie bildeten Sie dieſe jugendlichen Formen? Haben Sie bey uns ſolche Natur gefunden? erwie - dert’ er.
Nirgends, ſeufzt’ ich, und ein unwillkuͤhrliches Ach! entfloh meinen Lippen. Er faßte mich feſter ins Auge.
Nur unter Griechenlands gemaͤßigtem Himmel wandelten ſolche Naturen. Dieſe reiche Fuͤlle ge - deiht im Norden nicht, ſagte Caton.
Griechenland — ſchluchzt’ ich, und ſucht’ um - ſonſt eine Thraͤne zu verbergen.
Junger Mann, verſetzte Caton, lieben Sie die Griechen ſo ſehr? Es war ein ſchoͤnes Volk; ſie wußten zu leben. Auch ich ſtand unter den goͤttli - chen Propylaͤen und war zu Miſitra und ſah des alten Sparta finſtre Truͤmmer.
42Dieſe Worte klangen mir wie Donner, und mein unmaͤchtiger Schmerz ward zur zuckenden Be - geiſterung. Mein Auge muß ihm’s geſagt haben, wie mir war. Caton ergriff meine Hand und druͤckte ſie und ſagte: Jhr Weſen gefaͤllt mir. Der Geiſt des goͤttlichen Volkes weht in ihrem Bilde. Jch war von Sinnen.
Caton ſetzte ſich. Wir ſprachen uͤber die Grie - chen. Er laͤchelte uͤber mein leidenſchaftlich Weſen. Jch ſah ihn an, wie einen, der aus dem Grabe ſtieg, den Sterblichen die hohe Borwelt zu ver - kuͤnden.
O Theodor! dieſe Ruhe, dieſe antike Groͤße, die aus dieſem Manne ſprach! Wie ſo ganz ver - ſchieden von meinem wilden unſtaͤten Charakter.
Er ſagte, die Graͤfin koͤnne laͤnger nicht mehr warten, das Bild zu ſehen. Sie werde in einigen Tagen mit ihrer Tochter ins Dorf fahren.
Er lud mich dringend ein, hinuͤber zu kommen ins Schloß. Es iſt wahr. Warum hab’ ich’s auch bisher immer unterlaſſen?
43Die Geſtalt dieſes Mannes verlaͤßt mich heut den ganzen Tag nicht. Jch moͤchte mich oft er - zuͤrnen, daß ich ſo allem Einfluß blosgeſtellt bin.
Theodor! wir ſind unſterblich. O das iſt ein gro - ßer Gedanke!
Mag auch der Himmel ſich in Wolken huͤllen, in ihrem Schooß des Blitzes Flammen kochen, und niederſenden die Donner, ſeine Bruͤder, daß die Erd’ erzittert, mag er die ſchwarzen hochgewachs’ - nen Staͤmme mit Rieſenkraft aus ihren Wurzeln reißen, mag auch ſein Feuer den Leib, der ſterblich iſt, verzehren, er kann mich doch nicht toͤd - ten.
Jch bin ein Funken der Flamme, die ſich Gott nennt. Jch bin aus ihr entſproſſen, und kehr’ einſt wieder zuruͤck zu ihr.
Darum iſt mir auch das Winſeln und Aechzen und Kriechen vor Gott ſo zuwider, das manchen45 Menſchen fuͤr Froͤmmigkeit gilt. Warum ſollt’ ich auch meiner Schwaͤchen und Menſchlichkeiten mich ſchaͤmen? Und thu’ ich eine Suͤnde, wenn ich menſchlich bin? Jch kann nicht mit ewigem Zagen und Zittern, mit ewiger Furcht und Reue, daß ich ein Suͤnder ſey, vor Gott treten. Mein Gott iſt kein Gott der Zerknirſchten, er iſt ein Gott der Lebendigen.
Die Religion ſoll beſeligen, nicht ſchrecken, uns zu Gott fuͤhren und nicht von ihm hinweg, in den Himmel und nicht auf die Erde. Sie iſt das na - menloſe Gefuͤhl der Entzuͤckung, wann wir in ei - ner Stunde des Lichts die Gottheit kuͤſſen. Die Religion iſt wie eine keuſche, ſonnenweiße Jungfrau, die ſehnend ihre Arme zum Himmel hebt. Jn ih - rem Auge ſchauert die Thraͤne einer ungeſtillten Sehnſucht. Um ihre Lippen ſpielt die Unſchuld, wie der Weſt um eine nieberuͤhrte Roſe. Jhr gan - zes Weſen aber iſt ein Geheimniß, und wehe dem Frechen, der’s auszuſprechen wagt.
Die wahre Religion und die hoͤchſte Poeſie liegt in der Aſtronomie.
Jch bin nie entſtanden und nie werd’ ich un - tergehen. Wie kann etwas entſtehen auf der Welt? 46Gott hat ſie nicht aus nichts geſchaffen. Alles, was iſt, iſt vom Anfang*)〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉. Aristot. .
Das iſt Knabenſinn, zu glauben, die Erde gehe ſobald wieder unter, da ſie erſt die wenigen Jahrtauſende geweſen. Unſere Welt bleibt noch mehr als Millionen Jahre in ihrer Geſtalt. Es waͤre ſonſt zu kleinlicht fuͤr den Rieſenſchoͤpfer.
Es gab eine Zeit, wo mir die Erde zu groß war fuͤr den Gedanken. Jetzt iſt ſie mir zu klein.
Oft wenn ich hinausblicke bey Nacht und bren - nen ſehe am Bogen des dunkeln Himmels all’ die flammenden Welten und ſehe, wie die eine wieder verloͤſcht und die andere funkelnd hervortritt, wenn ich ſchaue jenes bleiche Meer von Koͤrpern, das aus der Fuͤlle der ſchaffenden Gottheit ſtroͤhmte, wie aus den Bruͤſten einer Mutter, und erkenne den großen erhabenen Geiſt der Ordnung und Weisheit, der dieſe gewaltigen Rieſenſchoͤpfungen zuſammen - haͤlt, wenn ich mir die Erde denke, wie auch ſie47 von jenen Sternen aus, ein ſchwachglimmendes Puͤnktchen, im Ozean der Unendlichkeit ſchwimmt, und ich mir vorſtelle, wie ich ſelbſt gegen dieſe kleine Erde nur bin, was ſie gegen die ungemeſſene Schaar der ſichtbaren Welten, ach! da moͤcht’ ich mich zernichten, weil ich nur ſo ein kleiner Theil bin vom unendlichen All.
Und doch ſchwingt ſich mein befluͤgelter Geiſt empor, und ſchwaͤrmt durch die Raͤume der Unend - lichkeit, wie Bienen durch die Blumen.
Und doch bin ich unſterblich, und werd’ einſt mit allen meinen Bruͤdern, dieſen unendlich kleinen Theilen der Weltſeele, zuſammenfließen in Eins mit ihr.
Es gab ja Menſchen, die eine Welt aus ſich gebaren, Urbilder der Menſchheit, zuſammenfließend mit Gott. Die neuere Zeit kennt nur drey ſolche Geiſter: Raphael, Shakſpeare und Mozart.
O denke dir den Prometheus in der groͤßten aller Tragoͤdien an der himmelragenden Stirne des Kaukaſos haͤngen, wie eine kleine Welt im Raume der Unendlichkeit. Und wenn auch dieſe ewige Urkraft gefeſſelt iſt an die ſtarre Nothwendigkeit, es lebt in48 ihr eine Fuͤlle, die allen andringenden Gewalten ihren Buſen voll Unſterblichkeit entgegenſtemmt, mit der Titanenkraft des Willens ſelbſt dem Ew’gen trotzt, und wenn zuletzt die allverzehrende Flam - menlocke herabgeſchleudert wird, wenn ſich die Erde losreißt, aus der Wurzeln Fugen von der Winds - braut Hauch geruͤttelt, da kann ſie unterſinken mit ſammt dem Felſen unterm wirbelnden Zuſammen - ſtroͤhmen aller Elemente, aber ſterben kann ſie nicht.
Sieh! das iſt doch nicht recht, Theodor, daß ich ſo abſterbe fuͤr jede unſchuldige Freude, und immer weniger Kind werde.
Es iſt ein Feſt heut im Dorf. Alles freut ſich, alles Eine Seele! Die muntern Leute tanzen um die Linde. Ueberall klingen Floͤten und Schall - meyen. Jch ſaß wieder unter meiner Eiche. Der off’ne Platz um die Linde lag frey vor mir. Auch mein Johannes war unter der Maſſe. Nur ein Paarmal ſah ich ihn, wie er, ſeinen Arm um das ſchlanke Maͤdchen geſchlungen, den froͤhlichen Reigen tanzte. Alles, alles Ein Jubel, Theodor! und ich nahm keinen Theil daran. Was ſollt’ ich auch un - ter ihnen thun? Mich liebt ja niemand! Es haͤtt’ ihnen ihre Freude nur geſtoͤrt, haͤtten ſie den trau - renden Juͤngling geſehen. Und laß mich’s dir nur geſteh’n, ich ſah ihre Freude mit Neid, wollte mich zwingen, traurig zu ſeyn, und waͤre doch ſo gerne froͤhlich geweſen.
450Ach! gluͤcklicher Johannes! ſeufzt’ ich, haͤtteſt du ein Koͤnigreich zu deinem liebenden Maͤdchen und ließeſt mir die Wahl, was ich moͤchte, ich naͤhme das liebe zarte Geſchoͤpf.
Und ich ward wieder ſtill. Ja, ja, rief ich dann wieder aus: ich will mir’s nur recht oft vor - ſagen: ich bin ungeliebt, ungeliebt!
Jch war wie aufgeloͤst, konnte mich nimmer halten. Jch Armer weinte laut.
O Theodor! aus der Welt haͤtt’ ich moͤgen gehen!
Jn ein Paar Tagen bin ich fertig mit meinem Werke. Jch habe die Jdee, nun die Polyxena zu bilden.
Der ganze Geiſt der Griechen weht durch dieſe Dichtung. Der Peleione liebt die ſchoͤne zarte Phrygerin. Am Brauttag muß er niederſteigen in des Aïs Reich. Priams Veſte faͤllt und ihre ſchwarzen Truͤmmer ſtarren, wie ſchaurige Geiſter, aus der Aſche. Da ſteigt der Aeakide wieder aus dem Grab, vom Gold der Ruͤſtung ſeine Felſenbruſt umſchim - mert, und zuͤrnend will der große Geiſt zum Opfer die Geliebte. Die heldenmuͤth’ge Schoͤne kniet, enthuͤllt dem Mordſtahl ihren reinen Buſen, und ſinkt fuͤr Hellas Wohl, wie die Abendſonn’ ins goldene Gebirg, in voller Jugendanmuth in ihr Grab.
Welch’ liebes Herz, welch’ ruͤhrende Gemuͤths - kraft liegt in dieſer ſtillen Ergebung!
4 *52Sie muͤßte knieen mit einem Fuß. Ein leicht Gewand umhuͤllte ſie in ſanften Falten. Der obere Theil nur waͤr’ entbloͤßt. Eine Hand zeigte auf den nackten jugendlichen Buſen, die andre muͤßte ſich bedeutſam ſenken. Vom rundgewoͤlbten Nacken aus erhuͤbe ſich der zarte Hals und das kleine von lan - gem Gelock umfloſſene Haupt richtete ſich vorwaͤrts mit einer ruͤhrenden Bewegung.
Am meiſten macht mir Sorge, ob ich irgend ein Modell bekomme.
Ach! das fuͤhl’ ich wohl, ich gedeihe nicht unter dieſem Himmel. Hinuͤber moͤcht’ ich, wo der ſchoͤne Lorbeer, wie eine heilige Prieſterbinde, die beſonn - ten Huͤgel deckt, hinuͤber, wo der Mandelbaum die Silberbluͤten, wie Flocken Schnee’s, zum blauen Aether ſendet, wo ſich die Thraͤnenweide traurig an den Ufern in ſpiegelklare Waſſer ſenkt, wie das naſſe Auge in die Tiefen der Vergangenheit, hinuͤber, wo die volle Frucht der Trauben ſo ſchwellend an der Sonne Liebesfuͤlle gluͤht, wo die Natur in ihrem ſtillen Geiſt aus tauſend Blumen, tauſend Quellen, hold, wie der Saͤugling aus der Wiege, laͤchelt, hinuͤber, wo die Menſchen um die warme Erde ſich wie Pflanzen ſchlangen, wo die Natur gleich ſchoͤn iſt, wann ſie durch die ſanften Gruͤnde den Bach wie holde Silberſtreifen zieht, wie, wann ſie aus den hohen Rieſenfelſen, wo nur des Adlers kuͤhner Fittig rauſcht, die dunkeln Schauer ihres Geiſtes wehet, wie, wann ſie hohe54 ſchneeumhuͤllte Gipfel der alten Berge mit dem Roth der Abendſonne, wie eines Greiſen Haupt mit Roſen, uͤberwebt — o hinuͤber, hinuͤber — all’ mein Sehnen, all’ mein Schmerz wuͤrde enden.
Mein Amor iſt fertig. Wie ich die Feile aus der Hand gelegt, ach! Theodor, es war ein wunder - bar Gefuͤhl. O jene ſchlafloſen Naͤchte, wo mir der ewig wiederkehrende Gedanke die Wonne eines ſuͤßen Schlummers raubte — ſie ſind belohnt, be - lohnt durch den einz’gen Augenblick, wo das Werk, wie durch ſich ſelbſt erſchaffen, vor meinen Augen ſtand.
Alles, alles, Theodor! alles iſt anders. Meine ganze Seele iſt voll von Einem.
Geſtern wollt’ ich dir ſchreiben. Jch konnte nicht.
Was war all’ mein Weſen bisher? Ein elend unbedeutend Stuͤmperwerk. Wem zu Lieb hab’ ich gearbeitet! Hab’ ich eine Empfindung gehabt, eine, ſo lang’ ich lebe, gegen die, die jetzt wie der Aether, der ewige, unveraͤnderliche, mich umwe - het? Alles, alles war nichts.
War mir das Leben bisher mehr als der Dia - mant, der leuchtet, aber nicht erwaͤrmt? Ach ganz, ganz hat meine Ahnung ſich enthuͤllt. So mußt’ es kommen.
Jch traͤumte wohl ſchon von ſolcher Seligkeit, aber das Erwachen war mein groͤßter Schmerz. Und das iſt wirklich, wahrhaft!
57Sah’ſt du die Natur, wann vom heil’gen Him - mel die duͤſtern Regenwolken, wie finſt’re Traͤume floh’n, und durch das hellzerriſſene Gewoͤlke die Sonne wieder brach, die alte, ewigſchoͤne, und von den Blaͤttern die Tropfen traͤufelten, wie milde Thraͤnen, und alles, alles uͤbergoſſen war vom Leben Einer Schoͤne? So denke dir mein Weſen.
O Gott, Gott! noch ſind meine Augen wie geblendet von all’ dem, was ich geſeh’n, was mich umgeben.
Und kann ich’s dir ſagen? Ach kann ich denn dem Augenloſen beſchreiben das Bild der Morgen - ſonne, wann ſie ſich erhebt uͤber die umſchleyerten Berge wie eine Braut? Soll ich nicht ſchweigen, wie ſie?
Jch will ſprechen, Theodor! ich will ſprechen.
Geſtern Mittag ſaß ich vor meinem Bilde, und ſah es an, wie die Mutter ihr Kind. Jch hatt’ es umkraͤnzt mit friſchen Roſen, die mir Jo - hannes gebracht. Ein ſtiller Geiſt umwehte mich. Jch ſchaukelte meine Seele in ſuͤßen Traͤumen auf und ab, und dachte mich zuruͤck in die ſchoͤnen Zeiten der Griechen. Da hoͤrt’ ich einen Wagen in58 der Naͤhe. Jch ſprang an’s Fenſter. Er kam und hielt vor meinem Huͤttchen. Jch wußt’ es, wer es war. Jch ſprang hinaus zur Thuͤre, meine Seele war umnebelt von einer niegefuͤhlten Ahnung, wie die grauen Berge, wann die letzten Schatten der Nacht um ihre Stirne ſchweben.
Jch ſtand an dem Wagen. Ach Theodor! ſoll ich da nicht eine Luͤcke laſſen? Nur mein Auge koͤnnt’ es dir ſagen, wenn du bey mir waͤreſt.
Eine Frau ſchwang ſich heraus von ſchlankem hohem Wuchs, wie eine Juno. Ein langer weißer Schleyer floß wie zarte Luft von ihrem Haupt herunter. Jhr erſter Anblick forderte Verehrung. Jhr folgte eine weiße Geſtalt. Die Zarte zitterte und Caton hob ſie ſchuͤchtern herab.
Gott! mich uͤberlief’s!
Theodor! ich kann’s nicht ſchildern. Erlaß mir alle Worte: ich kann’s nicht ſchildern. Die hoͤchſte Schoͤnheit laͤßt ſich nicht beſchreiben, die hoͤchſte Schoͤnheit fuͤhlt man nur.
Wer nie noch die Natur geſehen im Morgen - glanz ihrer himmliſchen Schoͤne, und nun zumal59 in ihrer hoͤchſten Fuͤlle ſie vor ſich ſieht, die See - lenvolle, die Allliebende, und trunken in den Aether ſchaut, den unergruͤndbar tiefen — ſo, ſo war mir’s, wie ich Sie ſah vor mir ſtehn.
Wie der ſelige Geiſt aus dem dunkeln Grabe zum Himmel ſich hebt, ſo quoll ihr ſchwarzes Auge ſchauernd aus den Wimpern.
Vergleich ich ſie mit der zarten, aufſchwellen - den Roſe, die keine Beruͤhrung leidet, die ihre gluͤ - henden Blaͤtter oͤffnet, wie weiche Maͤdchenwangen? Jhr ganzes Weſen war wie ein einziger Kuß der Liebe.
Jch ſtand da, beſinnungslos, wie der finſter - liebliche Mann die Bebende herabließ, und wie ferne, verklingende Akkorde toͤnten endlich ſeine Worte: Graͤfin Caͤcilie, und Atalanta, ihre Tochter.
Theodor! dieſe Schoͤnheit! dieſes holde keuſche Laͤcheln einer unſchuldsvollen Wange — dieſes große ſchwarze Aetherauge in dem reinen blendendweißen Angeſicht — dieſe weiche Zartheit in der ſchlanken Geſtalt. — Es iſt alles, alles Umſonſt; ich kann’s nicht ſchildern.
60Jch weiß nicht, was ich ſprach. Mein Blick war ſtarr zur Erde geheftet. Caton ſchuͤttelte meine Hand, ach! und warum mußt’ er das thun? meine Verwirrung ward nur groͤßer. Die Frauen traten in das Huͤttchen. Caton folgte mit mir.
Noch hatte ſie nichts geſprochen: aber ihre ganze Seele ſchwamm im Auge, wie das Bild des reinen Himmels im klaren Waſſer. Sie ſtanden vor dem Bilde. Mein Blick hing feuertrunken an ihr, wie ſie da ſtand vor dem ſchoͤnen aufquellen - den Juͤngling, der ſeine Augen niederſenkte, wie uͤberraſcht von ſolcher Schoͤnheit.
Caton ſaß am Fenſter und ſchien ſich zu freuen. Die ſchoͤne Caͤcilie ſchwieg lange, dann ſprach ſie. Ach in einem einzigen ſeelenvollen Blick war all’ meine Muͤhe belohnt.
Atalanta ſchwieg immer noch. Sie hatte ihren Arm gelehnt auf die Schultern Caͤciliens, und ihre Locken, dunkel, wie ihr Auge, floſſen uͤber den weißen Hals, ihr Koͤpfchen lag am Buſen der hoͤ - hern Mutter und ihr Auge ruhte feſt auf dem jun - gen Gotte.
61Und einmal blickt’ ich ſie an, und Fieberhitze brannte durch mein gluͤhendes Auge. Da trifft ſie mich: ich fuͤhlte die ganze unendliche Schoͤnheit ihrer Seele, und eine flammende Roͤthe goß ſich uͤber ihre ſchuͤchternen Wangen. Lieber! mir wank - ten die Knie.
Mein Blick fiel auf Caton. Sein Auge irrte unruhig umher, und ruhte zuletzt auf dem Maͤd - chen und ich ſah, wie er mich anblickte. Was ſollte das bedeuten?
Jch uͤbergehe alles Folgende. Und wie ſollt’ ich das Entzuͤcken ſchildern, das mich uͤberwallte, wie ihre Lippen ſich bewegten und ſie ſprach, und jedes Wort, wie ein Lichtſtrahl durch die Nacht, in meine Seele fiel?
Nur das noch! Wie ſie aufſtand, und vor meinen Homer hintrat, und ich das junge bluͤhende Geſicht neben den ſaftgruͤnen Traubenblaͤttern am offenen Fenſter ſah, und neben dem ernſten heili - gen Alten, und ihre vollen weichen Maͤdchenwangen, wie zwey Kuͤſſe, gluͤhten an den baͤrtigen Wangen des Saͤngers, und ich fuͤhlte, wie’s ihr war in die - ſem Augenblick, ach da haͤtt’ ich ihr moͤgen zu Fuͤßen ſinken und meine Seele ſtroͤhmen in die ihre.
62Und wie ſie endlich mich fragte, warum kroͤnen Sie ihn nicht auch den Lieben, Guten, und ich die Roſen nahm vom Haupte des Eros, und ſie flocht um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie ich ſie dann anblickte, und fragte: iſt’s recht ſo, und ſie laͤchelte, und dem Alten den Kranz noch tiefer in die Stirne druͤckte und wieder ſchwieg, da, da verſtand ich ſie ganz, und ihr Blick war wie warme, gluͤhende Mayenſonne.
Und hoͤre nur! Griechiſche Worte klangen von ihren Lippen! Die Sprache Homer’s herausgewogt aus laͤchelnden Maͤdchenwangen!
Caton war in ſich gekehrt und ergriff endlich meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins Freye? Mir fiel der Huͤgel ein an meiner Huͤtte. Wir ſtiegen hinauf. Auf dem gruͤnen Raſen dro - ben ſetzten wir uns unter meiner Eiche. Jch er - zaͤhlte, wie ich dieſen Baum lieb habe, wie er ſo alt ſey, und doch noch jeden Fruͤhling, wie ein Juͤngling, bluͤhe, und was ich da genieße und empfinde, wie ich ſo oft daliege, wann die Sonne untertaucht, und mein ſtrebender Geiſt ihr dann folge, und, wie in einem Bad, im Abendroth ſich kuͤhle.
63Caͤcilie ſtand auf und mit ihr Atalanta. Das Maͤdchen ſchlang die Arme um die ſchoͤne Mutter, wie junge Blumenranken um eine ſchlanke Saͤule, und liebend ſah’n ſie einander ins Auge und dann wieder hinuͤber in die Ferne, unendlich wie ihre Liebe.
Sie ſetzten ſich nieder. Caton ward immer ſtiller. Ein ſchwaͤrmeriſches Feuer gluͤhte in ſeinem Auge. O Theodor! wie wir da ſaßen im Schatten der ehrwuͤrdigen Eiche — die Tochter, wie ein lie - bend Kind, an ihre Mutter geſchmiegt und der finſtere, baͤrtige Caton, das umlockte Haupt auf ſeine Arme ſtuͤtzend, und ich zu ſeiner Seite, ver - gehend in dem Anſchau’n dieſer wunderbaren We - ſen! — — — —
Da ſagte Caton: ſchoͤn iſt’s hier auf dieſem Huͤgel, liebe Kinder. Doch ach! es iſt noch nicht das Schoͤnſte. Er ſchwieg, dann ſeufzt’ er, Grie - chenland.
Jch ſah’ ihm ſtarr ins Auge. Er fuhr fort:
Ja Griechenland, wo Myrthe, Lorbeer und Cypreſſe, wie Schweſtern neben einander gruͤnen, wo der ſchoͤnen Flora Kinder um warme volle Huͤ -64 gel ſich, wie um den Buſen eines Maͤdchens ſchlin - gen, wo an den Blumenufern, die die Lilie ſanft umbluͤht, der heit’re Fiſcher ins Gewaͤſſer blickt, wo zwiſchen grauen Saͤulencapitaͤlen und altem moosbewachſenen Geſtein, wie ein traurender Geiſt, die Wehmuth wohnt und die ſtille Betrachtung, um hohe Felſenadern ſich der Epheu rankt, und die kahlen Gipfel, wie ein Eichenblatt, der bunte Schmetterling umflattert — wo tauſend lodernde Cascaden, wie blaue Baͤnder, uͤber Felſen ſpru - deln. — O Kinder, noch iſt mir’s, als ob ich ſtuͤnde auf Akrokorinth, und das ganze ſchoͤne Land laͤge vor meinem Auge, wie ein entſchleyertes Ge - heimniß, des hohen Argos Gebirge, Achaia, Si - cyon, die Haͤupter des Rieſen Taygetos im milch - weißen Schimmer der Sonne glaͤnzend, der Titane Partenios, die dunkeln Kuͤſten des waldigen Lako - niens, das kampfberuͤhmte Salamis, Megara und das prieſterliche Eleuſis, die gewaltigen Scheitel des wilden Kitharone, in deſſen Schluchten einſt der Labdakide weinte, Athens beruͤhmtes Piraͤos, der Epidauros und Kalaurea!
O Theodor! alle meine Nerven waren ange - ſpannt, und ich ſank weinend in den Schooß des Gluͤcklichen, und alles ſchwand vor meinen Sinnen,65 was um mich war. Da legt’ er ſeine Haͤnde auf mein Haupt und ſagte: junger, lebhafter Schwaͤr - mer, auch du mußt einſt nach Griechenland wan - deln. Jch fuͤhlte ganz, ganz dieſe Sehnſucht in ſeinem Buſen, und wie von Berg zu Berg, er - klang’s von ſeiner Seele zu der meinen.
Da blickt’ ich wieder auf. Das ſchoͤne Maͤd - chen hatte die zarten Arme auf der Mutter Schooß geſtuͤtzt, und das Haupt ruhte auf den kleinen Haͤnden, und ich ſah ſie gluͤhen vom Purpur der Abendſonne, wie eine Aurora, und mich anlaͤcheln. Theodor! da war mir’s, als waͤre ſie’s, was ich geahnt, gewuͤnſcht, als haͤtt’ ich nach ihr ſo oft ge - weint, und mich vergeblich Naͤchtelang geſehnt. Da war aller Mißklang weg aus meiner Seele, und in meinem tiefſten Jnnern klang’s: nur ſie, nur ſie!
O auch ſie mußt’ es fuͤhlen, wie mir’s war in dieſer Stunde. Denn ſie blickte holderroͤthend nie - der, ſo oft mein fieberſchauernd Auge ſie traf.
Die Sonne war hinunter und Atalanta fragte: geh’n wir nicht nach Hauſe. Caͤcilie laͤchelte und ſtand auf. Sie ſchwebten den Huͤgel hinunter. Wir Maͤnner folgten.
566Nun ſprach man erſt von Amor. Caͤcilie will ihn haben, ſo bald als moͤglich und auch Ata - lanta blickte mich lieblich bittend an. Morgen laͤßt ſie ihn abholen, und ich gehe mit hinuͤber.
Erſt wie die Graͤfin Abſchied nahm, faßt’ ich ſie feſter ins Geſicht, und ſah ihr gluͤhend ſchwaͤr - meriſches Auge. Wie liebt ſie ihr zartes Kind, dieſe lebhaft ahnungsvolle Seele. Sie gingen auf den Wagen zu. Mein Buſen klopfte. Jch glaubte, Atalanta kehre ſich nimmer um, aber ich durfte ſie noch einmal ſehn, und mein Auge flog, wie ein Pfeil, zu ihr hinuͤber. Ach wie mir war als Ca - ton ihr die Hand gab und die Liebliche in den Wa - gen ſchwang! — Die andern folgten und der Wa - gen rollte fort. Jch kehrte ſchwindelnd zu meiner Huͤtte.
O Theodor! ich mußte ſie ſehen, wenn ich nicht zu Grunde gehen ſollte.
Es ſchlief in meinem Jnnern, wie im Stein die Flamme, wie der unſichtbare Keim in der Erde, der warmen, allnaͤhrenden Mutter.
Heut hab’ ich einen wunderbaren Tag. Mei - nen Johannes ſah ich nicht ſeit einigen Tagen. Jch rannte durch die Felder, und wußte nichts von all’ dem, was mich umgab. Dann formt’ ich wieder am Thon zu meiner Polyxena; dann kuͤßt’ ich die Roſen an der Stirne Homers, die ſie beruͤhrt mit ihren Fingern, und leſen mocht’ ich gar nicht. Ach und morgen, morgen!
Der Schlaf floh mein Auge. Jch durchwachte die halbe Nacht. Jhre zarte Seele ſchwebte uͤber mir, laͤchelte mich an, bebte durch mein ganzes Weſen, wie mit einem Kuſſe. Erſt gegen Morgen ſank ein leichter Schlummer auf mich herab, wie ein zartes Thaugewoͤlke. Als ich meine Augen oͤffnete, war’s lichter Tag. Jch hatte mich in ſeligen Traͤumen gewiegt.
Schon geſtern Abend ward mein Amor hin - uͤber getragen. Jch machte mich nun auch auf den Weg. Jn einer halben Stunde kam ich an einen waldigen Abhang. Der allein verdeckt das Schloß der Graͤfin, ich ſaͤh’ es ſonſt von meinen Fenſtern aus. Dort lebt ſie, dort, die Zarte, Sinnige: die - ſer Gedanke bebte zuckend durch mein Tief-Jnnerſtes. Lange ſaß |ich auf einem abgebrochenen Felſenſtuͤck69 und ſchaute ſtumm hinuͤber, und Gott weiß, was ich mir dachte.
Jch ſtand vor dem Schloß, und wußte nicht, wie ich hinkam. Mir war’s als ſtuͤnd’ ich mitten in der Welt der Griechen. Zwey Gebaͤude traten mir ins Auge. Zwiſchen dem Hellgruͤn ſchlanker Akazien und wilden hohen Roſengebuͤſchen ragte wie eine Ruine, ein altſcheinendes Haͤuschen empor, mit rothen Steinen, und ringsum trugen graue Saͤulen des Daches nied’re Woͤlbung. Alte moos - umwachſene Marmorbloͤcke, zerbroch’ne Architrave lagen unter dem jungen friſchen Baumgezweige und am Eingang vornen ſtand zu jeder Seite die Sta - tue eines griechiſchen Weiſen. Jhm gegenuͤber war ein Haus von heit’rem, ſchoͤnem Geiſt: von allen Seiten war es frey, und eine edle ruͤhrende Ein - falt ſchien jeden Stein an den andern gefuͤgt zu haben.
Jch fuͤhlte die ganze Bedeutung des wunderba - ren Gegenſatzes. Das Alter ruhte freundlich neben der Jugend, und die Vergangenheit lag hold der Gegenwart am Buſen. Jch ging an der Statue vorbey mit einem geheimen ehrfurchtsvollen Schauer, und oͤffnete eine Thuͤre. Caton ſtand vor mir.
70Gruͤße dich Gott, rief er, wie gefaͤllt es dir bey uns? Jch wußt’ ihm nichts zu antworten, und deutete nur mit einem ſchmerzlich wehmuͤthigen Blick auf die Arabesken, die oben an dem grauen, dunkeln Getaͤfer in ſeltſamen Geſtalten hiengen. Da ſchlangen ſich gefluͤgelte Liebesgoͤtter um die Blumen, wie Bruͤder; hier lag ein ſchoͤner Knabe und las die ſchwellenden Fruͤchte auf, die ein an - derer, noch ſchoͤnerer, aus einem Fuͤllhorn goß. Da ſchlang einer ein Band um die Maͤhne eines Loͤ - wen und dort ſchuͤttelte ein anderer mit ſchalkhaf - tem Laͤcheln einen Koͤcher. Wo bin ich? ſeufzt’ ich leiſe. Caton antwortete: Lieber, du biſt bey uns!
Ach wie mir’s war in dieſer Umgebung. Das Licht brach nur in matten Strahlen durch das Aka - zienlaub am Fenſter, und warf einen ungewiſſen, halbdunkeln Schein auf die antiken Bilder und die griechiſchen Jnſchriften an den dunkeln Waͤnden. Da ſchien jeder Hauch mir heilig zu ſeyn, und die Bruſt ſchwoll ahnend in Betrachtung all’ der Fuͤlle, von Einfalt und ſtiller Groͤße.
Bald ergriff mich Caton an der Hand, fuͤhrte mich ſchweigend wieder hinaus und gieng mit mir auf das ſchoͤne freundliche Gebaͤude zu. Da wohnt71 Caͤcilie, ſagt’ er, und Atalanta. Mir war’s, als wuͤrd’ ich in das Heiligthum der Ordnung und der Schoͤnheit treten. Den Eingang zierten ein Paar ſchlanke Saͤulen. Ein verwelkter Kranz lag an der Vaſe der einen. Mit jedem Tritte ward ich feyer - licher geſtimmt.
Da ſtanden wir vor einer weißen Thuͤre. Ca - ton oͤffnete ſie, und — mir raubte das Entzuͤcken alle Sinne — Atalanta ſah mein Auge.
Geiſt und Gemuͤth, wie entzuͤckte, liebende, ſich umarmende Kinder, wirbelten hinan, kuͤßten ſich, verloren ſich, wie blaue fromme, himmel - trunk’ne Augen, in unermeßlichen Fernen.
Sie ſaß am Fenſter: ihr Koͤpfchen lag auf den nackten Armen. Jhre Locken floſſen, wie Wellen, uͤber den Nacken. Ein weißes Gewand umſchwebte, wie eine duͤnne Wolke, die ſchoͤnen jungen Glieder. Zu ihren Fuͤßen ſtand ein Korb mit friſchen Blu - men und Fruͤchten. Sie ſah ſich um und erblickte mich. Theodor! dieſes Engelsauge, das lieblich uͤberraſcht auf den jungen Buſen ſich ſenkte, und die ſanften Worte, die wie Lautenklaͤnge, ſich ſchmei - chelnd in meine Sinne draͤngten — und das ſchuͤch - terne Erroͤthen der Jungfrau auf den vollen Ju -72 gendwangen — Und ich ſah das, und hielt’s aus?
Die Mutter will ich rufen, ſagte ſie verſchaͤmt, und eilte ſchnell und leicht, wie Artemis, durch eine Thuͤre.
Caͤcilie kam und brachte die Tochter wieder mit. Caton bot mir einen Sitz.
Saß ich nicht, wie unter den Uranionen? Durch die hohen Bogenfenſter lag das weite Thal vor uns mit ſeinen Doͤrfern und den hellen Gruͤn - den und den niedern Huͤgeln, und der trunkene Blick drang, wie uͤber die Schranken der Gegen - wart, uͤber die fernen Berge hinuͤber. Ach! und wenn ich ſo hinausſtarrte, und dann wieder zuruͤck ſah auf die ſchoͤnen Weſen, die mich umgaben, wie unſterbliche Goͤtter, und ich Atalanten ins Auge blickte, und ſie laͤchelnd den Korb mit Fruͤchten mir reichte, und ich einige nahm davon, friſch und ju - gendlich, wie ihre Wangen und ſie zu Munde fuͤhrte, da fuͤhlt’ ich, wie ich ewig, ewig ſie im Buſen tragen muͤſſe.
Caton ſchlug vor, in den Garten zu gehen. Atalanta band die langen Locken auf dem Nacken73 zuſammen mit einer blaßrothen Schleife und nahm die Mutter an der Hand und ſagte: Ja Mutter, wir wollen gehen! es iſt ſchoͤn im Garten jetzt.
Wir giengen an Catons wunderbarem Saͤulen - hauſe voruͤber. Jch mußte ruͤckwaͤrts blicken und das jugendliche Schloͤßchen mit den großen Bogen - fenſtern gegenuͤber von dem alten, ſo ehrwuͤrdig aus den Truͤmmern ſich erhebende Gebaͤude kam mir vor, wie die ſchuͤchterne bluͤhende Tochter vor dem grauen alten Vater.
Ploͤtzlich ſtand ich wie in einer Welt voll Wun - der. Eine kleine Wieſe mit weißen Lilien hatten wir noch vorbey zu wandeln; dann umfing uns ein wildes Roſengebuͤſche, aus deſſen Mitte ragten, wie graue Geiſter, drey ſchlanke Saͤulen, die eine nie - d’rer als die and’re, und auf dem gruͤnen Boden lagen Architrave mit ihren Staͤben und Platten, von gruͤnem Epheu umſchlungen. Catons Mauſo - leum — ſo nannt’ er mir ſein Haus — lag tief verſteckt von hohen Maulbeerbaͤumen.
Jetzt ergriff der wunderbare Mann mich an der Hand. Wir giengen auf eine gruͤne Anhoͤhe zu: ein kleines Waͤldchen von Orangen woͤlbte ſich vor uns. Atalanta flog hinauf. Die ſchoͤnen braunen74 Locken flatterten in den Luͤften. Ein Meer von Wohlgeruͤchen ſtroͤhmt’ auf uns. Da erblickt’ ich einen kleinen Tempel auf der Hoͤhe. Mein Aug’ erkannte zwey Geſtalten droben: da klopfte, da ſchlug mein Buſen! Atalanta war’s, die Liebliche, und die and’re war mein Amor.
Caton — ſtammelt’ ich, und weiter nichts. Er laͤchelte mich an. Drey Marmortreppen fuͤhr - ten zu der Statue; das niedre Tempeldach war nur getragen von 6 Saͤulen, und am Portale ſtand geſchrieben: der Liebe!
Mit Staunen blieb ich ſteh’n vor meinem Bild. Ein Kranz von friſchen gruͤnen Akazien, Veilchen und Roſen wand ſich um ſeine Schlaͤfe. Er ſah gegen Morgen.
Wir ſaßen auf dem Raſen. Drunten lag ein ſpiegelklarer See, von duͤnkeln Trauerweiden, Tan - nen und von kleinen weißen Bildern umgeben. An ſeinen Ufern ſchaukelten die Winde einen angebun - denen Kahn in den Silberwellen. Druͤber hinein lag das Waldgebirge und die Burg.
Und lange ſchwiegen alle. Atalanta ſah auf die Blumen zu ihren Fuͤßen. Jhr weißer Hals75 war zart gebogen, wie ein ſchlanker Zweig. Die Weſte ſpielten mit ihren losgewund’nen Locken.
Da blickte Caͤcilie die gekroͤnte Statue an, und dann mich, mit ihrem lichten Feuerauge und ſag - te: warum kroͤnen wir immer die Goͤtter und nicht auch die Menſchen? ich fuͤhlt’ es, was ſie wollte; Meine gluͤhende Roͤthe verrieth mich. Doch ſchnell, wie ein junger Baumſproß, war ich aufrecht, und nahm den Kranz vom Haupt des Gottes, und druͤckt’ ihn zitternd Atalanten in die Locken.
Ach! wie ſie ſich ſtraͤubte, die Beſcheidene, und feuriger gluͤhend, als die Roſen auf ihrem Haupte, ein Hochroth ihr im ſchoͤnen Antlitz brannte, und das große keuſche Auge unter den gruͤnen Zweigen dunkelſchauernd ſich bewegte und das meinige traf, und ſichtbar das blaue Band erbebte vom Drang, der ihren zarten Buſen ſchwellte, und meine zit - ternde Hand zum erſtenmal ihr Haupt beruͤhrte — Lieber! und von der Beruͤhrung alle meine Nerven in Einem Wirbel bebten — ach! warum bin ich ihr da nicht in den Schooß geſunken, warum hab’ ich da nicht meine flammenden Lippen auf die ihri - gen gedruͤckt, und ausgeweint mein unendlich Ge - fuͤhl an ihrem Buſen?
76Catons und Caͤciliens Auge ruhte mit Wonne auf dem ſchoͤnen Maͤdchen, und wie ſie auch ſich weigerte, ſie mußte den Kranz auf dem Haupte dulden.
Ach Theodor! es war ein gold’ner Tag. Auch Caton ſpeißte dießmal in dem Schloſſe. Der Son - derling ißt ſonſt allein in ſeinem Mauſoleum. Und ſie! welch’ eine Seele! welch’ eine Fuͤlle, welch’ eine Unendlichkeit ihrer Gemuͤthskraft! O es wan - deln noch Abbilder der hoͤchſten Schoͤnheit auf der Erde. Jch Armer glaubte, der alte Weiſe habe uͤber’s Morgenroth hinausgeblickt.
Am Abend giengen wir allein im Garten auf und ab, ich und Atalanta. Es war ſchoͤn, unend - lich ſchoͤn! Die Natur laͤchelt’ uns an, wie eine Mutter ihre lieben Kinder. Aus jedem Blaͤttchen, jeder Blume, jeder Quelle, aus jedem Grashalm ſprach’s: die Welt iſt ſchoͤn! Mein ganzes Weſen war erfriſcht wie die Wieſe, nach einem warmen Regen. Sie gieng neben mir, die Schoͤne, Heili - ge, und oͤffnete keine Lippe, als wollte ſie kein lei - ſes Saͤuſeln in den Blumen uͤberhoͤren. Jhr Ange - ſicht war wie ein ſichtbar gewordener, geſtalteter Herz und Geiſt durchſchauernder Klang. Jhr Bu - ſen ſchwoll der Natur entgegen, wie eine Schweſter77 der andern, und auf ihren Wangen wehte die Vor - wonne eines großen, heiligen Kuſſes. O dieſer Augenblick — keine Aeonen wiegen ihn auf!
Alles, alles ſprach zu unſern Herzen. Wie ein Saͤuſeln des allliebenden Vaters klang jeder ver - wehende Windhauch. Jch hatte keinen Sinn mehr fuͤr alles, ich dachte nur, was ſie fuͤhlte.
O Natur, ſprach ſie endlich, du Mutter mit deinen Blumen und Kindern! Allheilige! Welch’ ein Bewegen und Schwellen! welch’ ein Saͤuſeln und Rauſchen! welch’ ein Wogen und Wiegen um und um! Liebe aus allem … Liebe aus allen Kin - dern fuͤr ſie, die Mutter! Liebe im Waſſer, Liebe im Licht, wann ſie wallend ſich kuͤſſen! Liebe aller Blumen und Kraͤuter, alles Lebendigen! und Eins doch Alles … Er! der wandelloſe, alles durchquil - lende Geiſt ..... Alles in ihm! und er in Al - lem .... Gott!
Jch weinte, hatte keine Worte, ſah ihr ins Auge.
Ein klares Gewaͤſſer ſprang aus moosbewachs’ - nem Tufgeſtein, und ſprudelte wie eine duͤnne Saͤule, uͤbers wankende Geſtraͤuch, und wallte dann78 durch Ranunkel dahin. Die Kieſel, die er mit ſanftem Quillen uͤberhuͤpfte, blickten durch die Waſ - ſer, wie Atalantas Seele durch ihr klares Auge.
Setzen wir uns nicht da nieder, ſprach ich un - willkuͤhrlich, und erſchrak, wie mir’s einfiel, ich habe die heil’ge Stille unterbrochen. Sie liſpelte: ja, und ſenkte nieder ſich auf’s Gras, und ſtuͤtzte ihr niedlich Fuͤßchen auf einen Stein, der aus den Waſſern ſich erhob.
Wie oft ſaß ich als Knabe ſo an den Ufern eines Baches, ſprach ich, und ſchaute zu, wie eine Welle nur die and’re ſchiebt, wie alle, alle fort und immer fort ſich draͤngen und endlich gar — ver - ſchwinden, und nie nie mehr zuruͤckkehren — O! da ſtampft’ ich den Boden in meiner kindiſchen Wuth und weinte bitt’re Thraͤnen, wenn ich rief, ſie ſollen ſtehen bleiben und die Wellen mir nicht gehorchten. Es iſt ſchrecklich, daß die Stunden un - ſers Gluͤckes eilen, wie dieſe Waſſertropfen.
Atalanta blickte mich an; mir ſchien’s, als thaut’ ihr eine Thraͤn’ im Auge. Sie brach eine Roſe und warf ſie hinunter in den Bach. Schwim - me hinunter, rief ſie, du Blume, Bild der Jugend.
79Da warf auch ich eine Roſe hinein und rief: ſo ſchwimmt mit einander hinunter, ihr Blumen, Bilder der Jugend! O es iſt ſuͤß, unendlich ſuͤß, wenn eines mit dem andern fuͤhlet, und das Leiden an zwey Herzen ſchlaͤgt, wie an zwey Ufer die Welle.
Atalanta ward roth und blickte zur Seite. Jſt Phaethon nicht gluͤcklich? ſeufzte ſie endlich, und blickte mich dabey an mit einem ſolchen Auge voll Schmerz und Liebe, daß ich glaubt’, ich ſeh’ in einen offenen Himmel.
Er iſt es nicht, Atalanta, rief ich und blickt’ in den Bach. Phaethon iſt nicht gluͤcklich.
Sollt’ es moͤglich ſeyn? ſagte ſie. Die Welt iſt ſo ſchoͤn —
Ach aber allein darin zu ſeyn — —
Allein, Phaethon? fragte ſie, und ſah mich mit großen Augen an, allein? Jſt’s nicht Undank? Wie lebt’s und webt’s in dieſem Augenblick um uns — das klare, rege Waſſer, die lieben Blumen, die wachſen und vergeh’n wie wir, und lieben wie wir, die Blaͤtter auf den Baͤumen, ſie leben und die Keime ſchwellen daraus und entfalten uns die80 lieblichen Fruͤchte, — die Voͤgel in den Luͤften, auf den Zweigen, die Fiſche im Waſſer, ſelbſt die Muͤk - ken, die uns umſummen, und die Grillen, die ne - ben uns ſingen, und die Winde, die uns ſchmei - chelnd die brennenden Lippen kuͤhlen — und aus all’ dem jene ewige Liebe, jenes ewige Leben und Gluͤhen, jenes Werden und Seyn, jene Fuͤlle von Licht, wie ausgeſprochen ſein Name, der Name des Hoͤchſten, Unerſchaffenen, der Geiſt des Lebens und der Liebe — Phaethon wir ſollten allein ſeyn?
O Theodor! ich fuͤhlt’ es, wie ſie recht habe, wie mich hingeriſſen mein namenloſer Schmerz, er - griff ihre Hand, benezte ſie mit meinen Thraͤnen und rief: vergieb mir, Atalanta. Mich hat mein Sehnen uͤbermannt, ich glaubte mich ungeliebt!
Das iſt kein Menſch, ſagte ſie, und zog ihre Hand ſanft aus der meinen und ſtand auf. Jch folgt’ ihr ſtumm.
Seitdem iſt ſie mir noch heiliger. Meine Wor - te meß’ ich ab vor ihr, wie vor einem goͤttlichen Weſen, zu dem man betet.
Was will noch werden aus all’ dem?
Alles, was ich thue, Theodor, das bezieh’ ich nur auf ſie, und ohne ſie kann ich nichts denken.
Sonſt hab’ ich Wald und Thal und Berg und Wieſe durchwandert, und mir weiter nichts dabey gedacht. Jetzt rauſcht’s in jedem Blaͤttchen: Ata - lanta, in jeder Quelle, ſie!
Jch raſe nicht, mein Lieber! Nicht wild und krampfhaft iſt mein Gefuͤhl. Ach! es umſpielt mich leiſe, zaͤrtlich liebend, und kuͤhlt mir, wie eine friſche Quelle, meinen brennenden Buſen.
Jch weiß es, ich fuͤhl’ es, die Theorien des weiſen Diſtima im Sympoſion des goͤttlichen Pla - ton iſt das beſeligendſte Geheimniß.
Zwiſchen drey Welten ſchaukl’ ich mich herum. Mit allen Bildern, zarten, wie herben, ſchwebt mir die Vergangenheit am innern Geſicht voruͤber;682in der Gegenwart treib’ ich mich ſo fort, und ahn - ungsvoll daͤmmern mir der Zukunft Bilder, wie ferner Berge Nebelgeſtalten im magiſchen Spiel des Mondlichts.
Mein letzter Gedanke, meine letzte Empfindung, die durch meine Seele ſchwebt, eh’ Geiſt und Koͤr - per, wie ein Wiegenlied, der Schlummer einlullt, knuͤpft an die Erſcheinung lieblich bedeutſamer Traͤu - me ſich an, und dieſe wieder an die erſte Regung, die beym Erwachen, wie der Morgenſtrahl durch’s Fenſter, durch die Seele zittert.
Faſt jeden Abend bin ich druͤben. Jch bin ſchon halb zu Haus im Garten und im Schloͤßchen, nur in Caton’s Mauſoleum nicht. Wenn ich einmal nicht hinuͤbergehe des Abends, dann ſitz’ ich ſtun - denlang in meinem Zimmer, lege mein Geſicht auf meinen Arm und hoͤre meinem Pulſe zu, und jeder ſeiner Schlaͤge wallt fuͤr ſie. Oder geh’ ich auch auf den Huͤgel und ſetze mich an die Stelle, wo ſie einſt ſaß und ſehe die Sonne hinunter wandeln und ſtrecke meine Arme aus nach ihr, als wollt’ ich ſie umfaſſen.
Und des Nachts traͤum’ ich von ihr. Da hal - ten wir uns in Armen, wie unſchuldige Kinder, und ſitzen auf einer Wieſe unter ſchattigen Baͤumen — wir pfluͤcken uns Blumen und ich ſteck’ ihr eine Roſe an den Buſen, und druͤck’ ihr dann einen Kuß auf den keuſchen, lieblichen Mund, und wir6 *84laͤcheln uns dann wieder an, und liegen einander wieder an der Bruſt. Ach! und wenn ich dann erwache und glaube, ich habe ſie in meinen Ar - men, und es war nur ein Traum!
Du mahnſt mich an, auch zu arbeiten. Lieber, das thu’ ich. Jch gehe ja erſt des Abends hinuͤber, und das nicht einmal jeden Tag.
Meine Polyxena iſt laͤngſt ſkizzirt. Jch habe ſie ſchon vor einigen Tagen angefangen, in Ton zu arbeiten. Da ſie kniet, wird ihre Hoͤhe nicht be - traͤchtlich.
Mit einer Hand hebt ſie das Gewand unterm Buſen. Der Faltenwurf und uͤberhaupt die Stel - lung macht mir Muͤhe. Am meiſten aber noch macht mich das Haupt verlegen. Die Skizze ſchon hat Aehnlichkeit mit Atalanta.
Ach Theodor! ich kann mir ſie nicht anders denken. — Atalanta wird erroͤthen und ſollt’ ich’s nicht noch mehr?
O im Freyen iſt mir ſo ſchmerzlich wohl. Und iſt’s nicht natuͤrlich? Du reine, heilige Luft, du umſaͤuſelſt mich ja, Ewige, Endloſe! Jn deinen Armen ruhet die Erde, wie der Saͤugling im Schooß der Mutter! Du kuͤſſeſt die jaͤhen Rieſen - ſtirnen einer Felswand, wie das beſcheidene Bluͤm - chen, das um eine Quelle wanket. Du biſt’s, die tauſendjaͤhr’ge Eichenſtaͤmme mit ſtarkem Arm an ihrer Krone faßt und aus der Wurzel die Gewalt’ - gen wirbelt, du biſt es, die in kindiſch-heiter’m Spiel um eines Maͤdchens Locken, wie um eine volle Roſe wehet, Mutter! Allliebende! Du kuͤhlſt mir, wie das Fluͤſtern einer fernen Ahnung, oft die heiße Stirne, und legſt dich ſchmeichelnd an meinen gluͤhenden Buſen. Nach dir duͤrſten alle Weſen, du Allernaͤhrende! Ach! und ſie haſt du lie - bend ſchon umfangen, als ſie, ein harmlos laͤchelnd87 Kind, an ihrer Mutter Bruͤſten lag und in der Wiege mit farbigen Blumen ſpielte — und jetzt noch kuͤſſeſt du die vollen Wangen der Jungfrau, und ſie erroͤthet nicht, denn deine Lippen ſind keuſch! du Reine! Du biſt ja die Erſte, die den Menſchen mit freundlichen Armen umfaßt, wenn er eintritt in die Welt, und du biſt’s, die den letz - ten verklingenden Seufzer von ſeinen Lippen nimmt, Goͤttliche! Anbetungswuͤrdige!
Was ſind das fuͤr wunderbare Menſchen! Unbe - greiflicher werden ſie mir jeden Tag. Jch komme mir ſo klein vor unter dieſen Dreyen. Und doch iſt Caton der Raͤthſelhafteſte. Er ſchweigt ſchon lange von ſeinem Griechenland, und nannte nicht einmal den Namen. O es iſt eine Wonne, zu ſtehen vor dieſer erhabenen Geſtalt! Dieſe dunkeln, vergluͤhenden Augen, und der verbiſſene Schmerz darin, dieſe ernſten Falten in der gewoͤlbten um - lockten Stirne, dieſer finſtere Bart, aus dem die ſchoͤnen Lippen laͤcheln, wie der Mond durch ein krauſes Woͤlkchen, dieſer ſtolze Hals auf den brei - ten Mannesſchultern! — Und ſein ſeltſam unerklaͤr - bares Betragen gegen Atalanta! Jch ſah’s ſchon, wie er vor ihr ſtand, und die Schoͤne, Liebliche an ihm hinaufblickte — da gluͤhte ſein Auge, und drehte ſich ſchmerzlich in den großen umbuſchten89 Boͤgen, dann legt’ er ſeine Hand auf die Stirne, und kehrte ſich um.
Schon etlichemal wollt’ ich ſpaͤt Abends noch zu ihm, und fand ihn nicht. Caͤcilie ſchuͤttelte ge - heimnißvoll das Haupt, wie ich ſie fragte, wo ich ihn finden koͤnne. Jch weiß nicht, was das iſt. Aber gewiß iſt’s, dieſe Maͤnnerbruſt traͤgt einen fuͤrchterlichen Schmerz.
Und warum hab’ ich ihn nicht ſchon gebeten, mir Alles, was er trage, zu geſtehen? Ach Theo - dor! ein einziger Blick des Hohen weißt mich zuruͤck.
O wenn ich ihr ſo nahe bin, ſo nahe, daß ich ihr um den Hals fallen koͤnnte! —
Ach! was iſt’s mit all’ unſern Wuͤnſchen? Wir wuͤnſchen nur, daß uns das Bischen, das wir ha - ben, auch entleide. Und warum bin ich denn nicht zufrieden, ſo um ſie zu ſeyn, wie ich bin? Jſt denn das nicht genug? Was fordert dieſes Herz noch?
Wie gelaͤutert iſt mein ganzes Weſen in ihrer Naͤhe. Und wenn ich ſie einmal von ungefaͤhr be - ruͤhre, da zuckt es wie ein Blitz durch’s Jnnre und ich fahre zuſammen, und blicke ſie an, als wollt’ ich um Vergebung flehen.
Jch mag gehn, wohin ich |will, ſie wandelt mir zur Seite, wie mein Genius. Lieber! ich koͤnnt’ ihr nimmer vor’s Auge treten, haͤtt’ ich et-ſ91 was Schaͤndliches begangen. Jhre Augen koͤnnen aus mir machen, was ſie wollen.
O Theodor! wie viele meiner Bruͤder geh’n verloren durch ſchwelgeriſchen Sinnengenuß! Die Wolluſt weht durch ihre Seele, wie der Hauch ver - ſengender Winde, und verzehrt die edle Kraft. Bruͤder! der Name Kunſt, fuͤllt er nicht euer Jn - nerſtes an mit ſeiner Heiligkeit Fuͤlle? Und euer Auge, das Befleckte, glaubt ihr, es werde anſchauen duͤrfen die Schoͤnheit, wenn ſie herabſteigt vom Himmel in ihrer Klarheit in den Stunden der Ahn - ung, und die Fuͤlle des Gerichts, wie ein Licht - meer den Heilig-Bebenden umwallet? Jn eurem Buſen ſchlaͤgt die Stimme Gottes, wie ſie ſchlaͤgt im Buſen eines Kuͤnſtlers? Jhr wollt mit unheili - gen Haͤnden den Schleyer luͤften vom Bilde der Jſis? und ſchauen die Urbilder, wie ſie weben in Gott, in wandelloſer Schoͤne? Jhr Unreinen, woll - tet Prieſter ſeyn der heiligen Kunſt, die eine Ver - kuͤndigerin iſt der goͤttlichen Vollkommenheit? Nicht der geuͤbte Meißel macht den Kuͤnſtler; der Drang von Jnnen, der erklingt wie eine Stimme von Gott, die heilig ſchaffende Kraft, im vollen Bu - ſen, die bruͤnſtige Liebe des Ewigen, und die ge - heimnißvolle Anſchauung der Gottheit in ihrer92 Reinheit und Groͤße. Wißt ihr nichts von dem, ſo iſt eure Kunſt nur ein Handwerk. Umſonſt iſt’s dann, wenn ein Abbild euch erſcheint der unendli - chen, vollendeten Schoͤnheit: entheiligt iſt euer Auge, erloſchen ſeine Kraft, und ihr koͤnnet das Goͤttliche nimmer erkennen im Menſchlichen.
Und ich kann das, Theodor, ich ſag’ es dir in heißen Thraͤnen, ich kann das! Mein Buſen iſt keuſch! Das Goͤttliche flieht mich nicht.
Atalanta, du Schoͤne, du reines, unſchuldiges, keuſches Kind, welch’ ein namenloſes Etwas quillt mir aus deinem Anſchau’n!
Kraft mit Kraft .... Auge mit Auge .... Liebe mit Liebe .... Geiſt mit Geiſt .... hinuͤber - ſchwimmend, verloren in lauter Tiefe, in lauter Seele, lauter Himmel .... zuckend und zitternd in Einem, wie Kuß und Kuß, in einander lodernd wie Feuer und Feuer … Bruder .....
Jch habe die Sakontala mit ihr geleſen. Theodor, zu ſehen, wie die Tochter Kauſikas und der himm - liſchen Nymphe Menaka, gleich einem jungen Blatte, das noch keine Hand beruͤhrte, gleich einem Diamant, der ungefeilt in ſeinem Urlicht ſchimmert, die Liebliche unter ihren Blumen wandelt, den zar - ten Schweſtern ihrer Jugend, und unter den Ge - ſpielen, mit ihr zu Lieb’ und Blumenpflege verbunden, wann der blaſſe Mond noch uͤber den weißen dufti - gen Bergen ſchwebt, die Morgenwolken, wie junge Maͤdchenlippen im Oſten daͤmmern, die Blumen der Nacht ſich ſchließen und der Pfau ins Thal herunterflattert von den dunkeln felſenhohen Ge - ſtraͤuchen; wie der Nachkomme Puru’s, der feurige Duſchmanka das Maͤdchen mit dem Gazellenauge ſchaut und gluͤht in Lieb’ und Verlangen, und auch ſie, die Zarte, dem ſchoͤnen Drang des Herzens folgt, zu ſehen, wie die holde Kranke, den balſa - miſchen Uſtra auf dem Buſen, und das Band von den Faſern der Waſſerlilienſtaͤngel an den Armen, den Schweſtern ſchuͤchtern ihr Gefuͤhl geſtehet, und94 die Liebenden zuſammenfließen in einer Umarmung, und die Hand des Maͤdchens wieder bluͤhet wie ein junger Camalataſproſſe; wie die Schwangere nun da ſteht mit ihrer Morgengabe, und um ſie die gluͤckwuͤnſchende Schaar der heiligen Frauen, mit Koͤrben geweihten Kornes, und ſie unter Kanna’s Segen zum Palaſt des Braͤutigams wandelt — ach! wie nun ſo ploͤtzlich der Baum ihrer Hoffnung bricht, weil ſie den Ring verlor im Teiche, und der Fluch Durwaſa’s waltet uͤber dem Koͤnigshauſe, und ihr Herr ſich nimmer erinnert der jugendlichen Geliebten — wie’s ihm nun klar wird zumal, ſei - ne Seele ſich fuͤllt mit Verzweiflung, und auf die Mauerhoͤhe wo kaum blauhalſige Tauben flattern, der Fuͤhrer tritt von Jndra’s Wagen, und der Koͤ - nig uͤber regenſchwang’re Wolken faͤhrt, und helle Tropfen umher der Umkreis ſtiebt der Raͤder, wie auf dem Gebirge der Knabe den Loͤwen ſchleppt, ſeine Maͤhne zerzauſend, und Duſchmanka den un - baͤndigen Knaben liebt — ach! und wie die trau - rende Sakontala nahet und wieder findet, die Jun - ge, den Sohn ihres Herrn, der ſie noch liebet, und das verbund’ne Paar ſich umarmt vor dem Throne Caſyapa’s und Aditi’s … tauſendmal ſtockte mir die Stimme, wie ich’s las, ich blickte Atalanta an, druͤckt’ ihre Hand .....
95Jhr Auge voll Geiſt und Seele weinte, wie die liebende Sakontala, die zarte Blume des Oſtens.
O ſo ganz Ein Gluthauch der Liebe dieſes Lied! Eine Anmuth — Ein Laͤcheln und Weinen wie in Einem Auge — ſo ſelig und traurig — ſo voll von Gottheit — ſo ganz Ein Kuß iſt dieſes Lied.
Zart iſt die Seele des Maͤdchens und tief, wie die Seele ihrer Blumen! ach! und es ſcheint, als ob ſie ihre Keime nur zur farb’gen Bluͤth’ entfalte, um zu duften, und zu — ſterben unter den Schau - ern der Winde.
Du holde, weiche Seele, du Buſenkind deiner Natur! du ſtirbſt ja nur, um zu leben, und aus dem Tode quillt dir ein edler Daſeyn, wie aus der Bluͤthe die Fuͤlle reifer Fruͤchte.
Bruder! ich bin gluͤcklich, uͤberſchwaͤnglich gluͤck - lich! Rettung, Rettung, ruft der Gott in meinem Jnnern!
O die Worte fließen mir zuſammen, die ich ſchreibe, vor meinen naſſen Augen. Was iſt all’ mein Leiden gegen dieſes Gluͤck?
Jch gieng heut Abend hinuͤber. Es war als triebe mich eine Ahnung deſſen, was mir begegnen wuͤrde. Meine Seele war voll Licht, und das letz - te ſchmerzliche Gefuͤhl entſchwebte, wie die Wolke uͤber die ſonnige Wieſe.
Caton lag auf einem alten grauen Stein vor ſeinem Mauſoleum und ſpielte mit einem friſchge - broch’nen Zweig in ſeinen Haͤnden. Lange bemerkt’ er mich nicht. Da buͤckt’ ich mich uͤber ihn hinein, und ſagte: Guten Abend!
97Biſt du’s? rief er heiter, und zog mich auf den Marmor.
Und wie wir ſo eine Zeitlang gegen einander ſaßen, da faßt’ er mich ins Geſicht und ſagte: Phaethon, ziehe zu uns heruͤber!
Caton … ſtammelt’ ich betroffen.
Du haſt noch Platz im Haus der Graͤfinn, fuhr er fort. Wir richten dir ein Zimmer ein, dem Dorfe gegenuͤber, und du vollendeſt hier deine Po - lyxena.
Jch konnte nichts hervorbringen. Schweigend druͤckt’ ich ihm die Hand.
Caͤcilie wuͤnſcht, verſetzt’ er, daß du fuͤr ſie deine Polyxena bildeſt, und Atalanta .....
Jch bebte.
Und Atalanta’s Zuͤge ſeh’ ich ja doch in deiner Phrygerin. Du moͤchteſt wohl, daß ſie dir ſtehe.
Caton! Caton! rief ich ſchluchzend, und lag ihm weinend an der Bruſt.
798Er aber ſah’ mich an mit ernſter Miene und ſprach: Nicht dieſe Leidenſchaft, wilder Juͤngling. Dein inn’res Treiben iſt mir nicht verborgen. Auch ich war einſt jung, aber ich ward gebrochen in meiner Jugend, wie der Zweig in meinen Haͤn - den. — Moͤchteſt du gluͤcklicher ſeyn!
Und hier ſeufzt’ er, als ob die Bruſt ihm haͤtte zerſpringen wollen. Auch er, dacht’ ich, auch er, der ſtarke, feſte Mann? … Freund! ſah’ſt du ſchon Felſen zittern, die, in die Erde tief gewur - zelt, das kuͤhne Rieſenhaupt zum Himmel ſtrecken?
Und willſt du? fragt’ er endlich. O Gott, ich will! ich will! war das Einzige, was ich konnte ſagen. So wollen wir zu Caͤcilie gehen, ſagt’ er freundlich. Wir giengen. Mein Herz klopfte. Jch wagte kein Wort zu ſprechen. Caton rief: er will, er zieht zu uns! — O Himmel! und wie nun die Mutter mich bat, gleich in den naͤchſten Tagen zu kommen, und Caton ſagte: Atalanta, du mußt ihm die Zuͤge leih’n zu ſeiner Polyxena, und die Holde verſchaͤmt zur Erde blickte und ſchwieg .....
Mein Gluͤck’ iſt vollendet. Jch habe mein Ziel gefunden, und wandle unter Geſtalten, wie kaum99 ein kuͤhner Traum ſie mir gezeigt. Gott! Gott! den ganzen Abend jauchz’ ich ..
Dein Freund iſt gluͤcklich, wie die Goͤtter es ſind! wie gefluͤgelt iſt meine Seele und ich glaube, der Sonnengott ſey mein Vater und ich tauche ſelig meine Finger in ſein Morgenroth!
Jch hab’ alles ſchon zuſammengeraͤumt. Johan - nes half mir. Es thut mir weh, zu ſcheiden von dieſem Menſchen. Aber es iſt umſonſt. Kann der Gluͤckliche laͤnger verweilen bey den Armen, die um ihn weinen, wenn er hinuͤber ſchon blickt in das Leben, wo man gluͤcklich iſt, ganz gluͤcklich! Ach! er druͤckt den Zuruͤckbleibenden die Hand, und kuͤßt ihre Lippen, und ſcheidet.
Jch komme nicht zur Beſinnung dieſe Tage. Caton war geſtern hier, und drang darauf, daß ich morgen ſchon hinuͤber komme. Es geſchieht.
Jch habe Abſchied genommen von der lieben Huͤt - te, die mich geborgen, und nicht einmal die Trau - ben darf ich genießen, die um mein Fenſter bluͤh - ten! Hinuͤber! hinuͤber! O Gott dieſes hinuͤber! …
Mein ganzer Haushalt iſt fortgebracht. Jch blieb bis zum Abend im Dorf und ſchied mit Thraͤ - nen. Meinen Johannes bat ich, recht oft mich zu beſuchen.
Und nun bin ich unter den wunderbaren Dreyen. Mein Attelier iſt geraͤumig. Der Eingang iſt gerade Catons Mauſoleum gegenuͤber. Das Licht kommt von oben, und das iſt ja dem Kuͤnſtler noͤthig.
All’ das iſt ſo ſchnell erfolgt auf einander, daß ich es kaum zu erfaſſen vermag mit Einem Ge - danken.
Theodor! Ach tauſend kleine Wonnen knuͤpfen ſich, wie Blumen zu einem Kranze, zuſammen zu Einer großen, allbeſeligenden Wonne. Und kann ich ſa - gen, meine Bruſt iſt reif, zu tragen dieſe Fuͤlle, wie der Baum die Fruͤchte? Mein Leben iſt Ein goͤttlicher Genuß.
Laßt mich nur ſchwelgen. Jch kann, ich mag kein Maaß halten. Ganz, ganz will ich gluͤcklich ſeyn, bis auf den Grund hinunterſtrudeln den ſchaͤumenden Becher, und wenn ich dann taumle und mich verliere, und mein Daſeyn mir zum Traume wird — ach! dann, dann wird mir ein - mal wohl werden. Aber das begreift ihr nicht!
Jch lebe wie unter den alten Griechen. Denke dir, ſchild’re dir mein Entzuͤcken! Atalanta iſt mir zum erſtenmal geſtanden.
Jch wartete lang auf ſie. Der Buſen ſchlug mir heftig und meine Hand zitterte. Vor dem Bil - de war ein rother Teppich ausgebreitet. Jetzt gieng die Thuͤre auf, Caͤcilie trat mit Atalanta herein. Da iſt ſie, ſagte die Mutter, und ließ die Hand der Tochter fallen. Die Holde ward roth.
Durch ihre braunen Locken flochten ſich ein Paar gluͤhende Roſen, ein blendend weiß Gewand umhuͤllte die ſchlanke Geſtalt, und umſchwebte mit duͤnnem Flor den jugendlichen Buſen, wie Woͤlkchen den rundlich vollen Mond.
104O Lieber! wie ſie da ſtand und auf den Boden blickte und dann wieder auf zum Himmel, die Schoͤne, Goͤttliche, wie ſie endlich niederkniete auf den Teppich, und das Gewand in langen reichen Fal - ten uͤber das gebog’ne Knie hinunterwallte, wie ſie die ſchoͤne zitternde Hand auf den Buſen legte und mich anblickte, ſo lieblich ſchmerzlich, als wollte ſie ſagen, warum forderſt du das von mir? O wandle von Stern zu Stern, und du findeſt doch nichts, das erhab’ner waͤre.
Jch verlor mich beſinnungslos in die Schoͤne des knieenden Maͤdchens, und wenn ſie dann die Augen aufhob und ſah meine Verwirrung, und daß ich ſie nur anblicke, ohne zu arbeiten, da flog ein gluͤhend Roſenlicht uͤber ihre Wangen, und ihr Auge ſah ſo wunderbar trunken empor, als fuͤhlte ſie ſelbſt, wie ſchoͤn ſie ſey.
Eine unendlich ſuͤße Begeiſterung ſchwebte zu - letzt, wie befruchtender Thau, in meine Seele, und ich arbeitete trunken, wie in einem Schwindel, fort und fort. — — — Und hundertmal fragt’ ich: iſt Atalanta muͤde? Dann antwortete ſie laͤ - chelnd: nein!
105Großer Peleione, wenn deine Phrygerin ſo ſchoͤn, wie Atalanta, war, begreif’ ich, wie du wieder aus dem Grabe ſteigen mochteſt.
Und wie ich endlich wieder fragte, lispelten ihre Lippen: ein wenig! Und ich flog auf ſie zu, und hob ſie zitternd vom Teppich auf.
Jeden Abend geh’ ich zu Bette mit dem Vorſatz, ihr Morgen um den Hals zu fallen. Und wenn ich dann am folgenden Tage vor ihr ſtehe, und wir allein ſind, und mich’s mit unwiderſtehlichem Drang an ihre Bruſt zieht, da verſchuͤchtert mich ein einziger Blick aus dem ſchwarzen Auge, und ein unbekanntes Etwas haͤlt mich zuruͤck.
Und kann ich denn keine Blume bluͤhen ſehen in ihrer Unſchuld an der warmen Erde? muß ich ſie denn brechen? Anbeten ſollſt du das Heilige, beruͤhren darfſt du es nicht.
Und heilig iſt die Jungfrau, die Reine, die Keuſche, weich und zart, wie ungekuͤßte Blumen, nach Leib und Seele, o Gott, das ſchoͤne Bild deines keuſchen Geiſtes, deiner klaren, milchweißen Sonnen — Ein Licht — Eine Seele — Eine laͤ -107 chelnde Unſchuld, geweiht und umwallt von zarter Schaam, wie von einem unerklaͤrbaren Geiſte.
Wandelt nicht naͤchtlich der liebe Mond uͤber meinem Haupt und kuͤßte mir liebend meine Lippen mit ſeinem beſcheidenen Lichte, und iſt mir’s je ein - gefallen, zu langen nach ihm?
So denk’ ich im Augenblick, aber nachher reut mich’s doch wieder.
Oft an heiterm Vormittage draͤngt mich’s, mein Zimmer zu verlaſſen und ich wandle dann hinaus ins Freye. Ach welch’ ein Gefuͤhl, zu irren durch die ſtillen Wieſen und Gruͤnde, wenn alles ſo ſtille iſt umher, und nur ſelten ein Menſch geſchaͤftig ſeinen Weg voruͤberwandelt! Da leg’ ich mich dann am Fuß eines kleinen Abhangs nieder mit einem Buche. Theodor, wenn ich dann aufſchaue und hinuͤberblicke uͤber die ſchweigenden Doͤrfer, und die liebe Sonne bald ins Gewoͤlke ſich huͤllt, bald in all’ ihrem Lichte wieder heraustritt, und zu meinen Fuͤßen eine Quelle mit tiefbeſcheid’nem Rieſeln durch die Graͤſer ſprudelt — wenn’s dann immer ſtiller wird und feyerlicher, nur hie und da ein reifer Apfel vom belad’nen Aſte toͤnend auf den Boden faͤllt oder ferne Stimmen erklingen und wechſelnd ſich antworten — wenn dann mein ganzer Buſen ſich fuͤllt, und ich fuͤhle das geheime, gluͤhende109 Leben, Huͤgel und Berge, Quellen und Wieſen, Baͤume, Blumen und Graͤſer bis ins Tiefſte wie von Einem Geiſte der Fuͤlle und Ruhe beſeelt ſind — wenn dann die Erinnerungen aus den Tagen meiner Kindheit, wie blaſſe Wolkenbilder, in heili - gem Schweigen heranſchweben, mich linder und ſuͤßer umwallen, und alle jene Wuͤnſche meines Jnnern ſich erneuern, jene Traͤume von Gluͤck und ſeliger Zufriedenheit — die Welt wieder vor mir ſteht, wie ich ſie damals mir geſchaffen, und meine Bruſt anſchwillt, und es klingt, wie eine Ahnung, du wirſt noch gluͤcklich werden — Bruder! wenn dann mein Buch mir aus der Hand faͤllt und mein Auge verſchwimmt in den grundloſen Aether ..... heilige, heilige Natur! Mutter! Allbeſeelte! deine ewige Waͤrme fuͤhl’ ich, deine Ruhe, und ich kom - me mir vor, wenn ich unter den Graͤſern und Blu - men ſitze, als ſey auch ich dein Kind und dein — l[i]ebſtes Kind.
Jch ſchwimme, wie ein Stern im Aether, in einem ungemeſſenen Meer von Wonne. Wir ſind Eins, ich und Atalanta ſind Eins.
Jch ſtieg heut Abend mit Atalanta den kleinen Huͤgel hinan zum Tempel des Eros. Jch war voll von Platon’s Jdeen. Wie ein Lichtquell von oben, bebte das Geheimniß ſeiner Schoͤnheit durch meine Seele. Seine Worte waren mir wie Geſichte ge - worden. Jch empfand anbetend die Fuͤlle ihrer Goͤttlichkeit, aber nur ahnen konnt’ ich ſie, und empfinden. Unter den Orangen ſetzten wir uns nieder. Die vollen gold’nen Fruͤchte blickten, wie Haͤupter junger Liebesgoͤtter, aus dem dunkeln Laube, und balſamiſche Duͤfte quollen, wie Weih - rauch, aus tauſend Blumen und Kraͤutern.
Da ſaß ſie nun neben mir, die Liebliche, wie die junge Goͤttinn der Liebe unter ihren Blumen,111 und die Bluͤhenden ſchlangen ſich liebend um ihr Gewand und kuͤßten ihre Fuͤße. Jhr Angeſicht war wie einziges Lied voll Wehmuth und Empfindung. O meine Bruſt ſchwoll von Ahnung der goͤttlichen Schoͤnheit.
Ja, Atalanta, rief ich endlich begeiſtert aus, die Liebe, dieſe wunderbare Tochter der Anmuth und der Fuͤlle, iſt die Vermittlerinn zwiſchen Him - mel und Erde, zwiſchen Gott und Menſch. Sie ſchwillt im Buſen des Betenden, und der Gott, dem das Opfer brennt, ſteigt liebend zu den Men - ſchen herunter.
Und wer kann’s entraͤthſeln, ſagte Atalanta, das Weſen der Liebe?
O ich fuͤhl’ es, fuͤhl’ es ganz, Atalanta, die Lie - be iſt Liebe der Schoͤnheit und der Weisheit. Die Liebe iſt irdiſch und himmliſch in Einem. Die Har - monie der Schoͤpfung beſeelt der Geiſt der Venus Urania und die hohe mutterloſe Tochter des Him - mels ſchwebt wie eine ewige Morgenroͤthe, uͤber der himmliſchen Welt. Aus ihrem Auge traͤufelt, wie eine große Thraͤne, die Liebe zu Gott und zum Guten und die goͤttliche Begeiſterung, wenn der Menſch, wie Berg und Luft in der Ferne, zuſam -112 menſchwimmt allliebend in den Stunden der Er - leuchtung mit Gott — ihr Haupt umſchweben, wie ein Flammenkranz, die leuchtenden Sterne, denn ſie leitet mit ihrer Weisheit die unermeßliche Zahl der wandelnden Welten in ihrer Bahn — in ihren Armen haͤlt ſie, wie Blumen und ſchwellende Fruͤchte, das Fuͤllhorn der Sittlichkeit und der hoͤ - heren Schoͤnheit — um ihre Lippen ſchwebt, wie ein Kuß, das unerklaͤrbare Verlangen aller Weſen nach jenem uͤberſchwaͤnglichen Genuß ihres Da - ſeyns, und aus ihrem keuſchen Buſen quillt, wie zarte Muttermilch, die unendliche Fuͤlle von Harmo - nie, die mit ihrer ſchaffenden Urkraft aus dem geſtalt - loſen Chaos durch Liebe die Elemente zog, und die Weltkoͤrper regelnd nach ihrer Triebkraft an ein - ander ſtellte.
Phaethons Auge gluͤht, lispelte Atalanta, und gluͤhte noch ſtaͤrker. Meine Seele irrt, wie ein gold’nes Woͤlkchen durch den Aether, in dieſen end - loſen Fernen der Gedanken.
Die Liebe, Atalanta, ſchwellet befruchtend die Seele an, und erfuͤllt ſie mit dem Keime, dem ewig Wachſenden und Goͤttlichen, woraus die Weis - heit und die Tugend, gleich Roſen, ſich entwickeln. 113Da wandeln ſie dann umher und immer voller und groͤßer wird der unſterbliche Keim, und ein un - nennbar tiefes Leben ſtroͤhmt, wie Saft im Bau - me, durch ihr Weſen. Und ſtaͤrker immer und ſtaͤrker treibt’s, und vollendet iſt die Frucht des Goͤttlichen in ihrem Schooße. Mit namenloſem Drang fuͤhlt nun der Menſch den Buſen ſich er - fuͤllt, und eilt und ſchaut nach dem Schoͤnen, die heil’ge reife Frucht darein zu legen. Die Schoͤn - heit ſieht er, Atalanta; da ſprudelt der Drang, wie ein Springquell, aus ſeinem Buſen auf die Lippen und ſein Mund traͤufelt von den Worten der Begeiſterung, wie vom Honig des Hymettos. Jn ſeinem Auge gluͤht das Feuer der gluͤhendſten Sehnſucht, und ſeine Arme ſtreckt er beſinnungslos aus, das gefundene Schoͤne zu ſchließen an ſeine Bruſt voll Liebe.
Jch verſtehe, Phaethon, ſagte Atalanta, und wenn er nun zuſammengefloſſen mit ihm, innig und ewig, wie Quelle mit Quelle, da entwickelt ſich die unſterbliche Frucht, und Ein Sehnen, Ein Verlangen, Eine Liebe, gluͤht mit ewig treibender Kraft durch ſeine Bruſt.
Atalanta, rief ich mit raſendem Entzuͤcken, und wenn er dann ſich aufſchwingt von der Be -8114trachtung der einzelnen Schoͤnheit des Geliebten zur Allgemeinen, wenn er allmaͤhlich die Schoͤnheit der Seele verſteht wie die Schoͤnheit des Koͤrpers, und dieſe ihm wird wie eine bald erloͤſchende Flamme, und jene, wie die große, ewige Sonne, und er aufſteigt von der Stufe der ſittlichen Schoͤnheit zur Stufe der Allumfaſſenden des Geiſtigen, wenn der Himmelstrunk’ne dann der hoͤchſten Stufe ſich naͤ - hert, und urploͤtzlich der Schleyer des Goͤttlichſten der Geheimniſſe verſchwindet, wie die Wolke vor dem blendend wallenden Licht der heiligen Sonne, und der Selige anſchaut die ewige, weder Anfang und Wachſen, noch Abnehmen und Vergehen ken - nende, in allen Theilen vollkommene, von aller Huͤlle befreyte, reine und lautere, ſich gleichblei - bende Urſchoͤnheit, und alle bloſen Abbilder, wie matte blaͤuliche Funken, vor ſeinem Geiſte zuſam - menſchweben mit dem Urlicht, und er unſterblich ſich ſiehet, und der Gottheit befreundet ........
Atalanta .... Geliebte .... Engel .... du biſt’s, die mich hinanhebt auf den Sproſſen der ge - heimnißvollen Leiter der Schoͤnheit! du biſt’s, rief ich wie wahnſinnig, und umfaßte die Weinende mit meinen Armen, ihr weicher Buſen ſchlug an dem meinen, ihr Mund bebte auf dem meinen,115 ihre Arme lagen um meinen Nacken geſchlungen, und Kuß auf Kuß ſtrudelten unſere Seelen zuſam - men.
Phaethon, … Phaethan, … rief ſie ſchluch. zend: ich hatte keine Beſinnung mehr; mein Haupt lag auf ihrer Bruſt, und erdruͤckte die langen Lok - ken. Phaethon, .... rief ſie wieder, und wand ſich los aus meinen Armen, blickte mich noch ein - mal an mit einem Auge voll uͤberſchwaͤnglicher Liebe, und flog den Huͤgel hinunter.
Gott! Gott! noch tauml’ ich von all der Won - ne; noch fuͤhl’ ich ihre weichen Lippen und das Feuer ihres Auges und die Waͤrme ihres Buſens.
Theodor! was hab’ ich gethan? Jch kann nicht denken mehr in dieſem Augenblick. Meine Kraft iſt zu ſchwach fuͤr dieſe Fuͤlle. Laß mich, laß mich! Die Mitternacht iſt laͤngſt vorbey. Auch Caton’s truͤbe Lampe iſt erloſchen. Jch will mich auf’s Bett werfen.
Freund! Was hab’ ich geſehn? was werd’ ich noch erfahren? Was iſt der Menſch? Die fernſten Raͤth - ſel ſtrebt er zu entwirren, und er ſelbſt in ſeinem Weſen iſt das tiefſte Raͤthſel.
Jch ſchlummert’ ein Paar Stunden. Bald wacht’ ich wieder auf. Der Tag daͤmmert’ uͤber den ſchwarzen Bergen in blaßgelben Streifen. Jch oͤffnete meine Thuͤre und trat hinaus. Alles war noch ſtill in der Natur, kein Blatt regte ſich, kein Vogel ſchlug.
Auch ſie, auch Atalanta ſchlummert noch, ſo dacht’ ich, und vielleicht .... vielleicht traͤumt ſie von mir.
Jch ſtand vor Catons Mauſoleum, das heller mit ſeinen rothen Steinen aus dem dunkeln Laube117 blickte. Lange blieb ich ſtehen und wunderbare Ge - danken erweckten ſich in meiner Seele.
Da bemerkt’ ich, daß das dichte Roſenlaub auseinandergeſchoben war und eine kleine Oeffnung ſich zeigte durch das getheilte Gezweige. Jch weiß nicht, wie’s mir einfiel, durchzuſchluͤpfen, und wunderbar! ich ſtand an einer Treppe, die in die Tiefe ſich hinunterſenkte.
Jch ſtieg auf ihr hinab. Da ſtand ich ploͤtz - lich vor einer Sphinx, aus dunkelm Baſalt gehauen. Ein tiefer Schauer uͤberlief mich, und eine inn’re Stimme rief mir zu: fuͤrchte, fuͤrchte das Geheim - niß, Juͤnger!
Und wieder blieb ich ſtehen, und bedachte mich, ob ich die Treppe wollte hinabſteigen.
Da gewahrt’ ich eine Thuͤre. Ein junger Ge - nius war auf ihr gebildet, der mit der einen Hand eine Fackel ſenkte, und mit der andern eine Tafel hielt, worauf die Worte ſtanden mit der Schrift des Griechen: Vaterland und Liebe. Und wie ich leiſe an die Thuͤre ſtieß, da gieng ſie auf mit einem dumpfen Droͤhnen.
118Ein wunderſamer Geruch von Weihrauch wallte mir entgegen. Es war Grabesnacht vor meinen Augen.
Lange blieb ich wieder ſtehen, bis ich an einer Wand den ſchwachen blaſſen Schein einer Lampe bemerkte. Jch trat einige Schritte vorwaͤrts. Das Licht ward heller und beweglich. Der Geruch ver - ſtaͤrkte ſich.
Ploͤtzlich ſtand ich vor einer Maueroͤffnung, durch die der Lichtſtrahl brach. Jch blickte durch und — traute meinen Augen nicht.
Denn eine Geiſtererſcheinung glaubt’ ich zu er - blicken. Jch ſah in ein zirkelrundes Gewoͤlbe. Die alten duͤnnen Saͤulen, die ſchlank hervortraten aus den ſchwarzen Waͤnden, verbanden verwelkte Ro - ſenkraͤnze. An ihren Fuͤßen lagen Schilde, Helme, alte zerbroch’ne Vaſen und Reliefe, an einer der Saͤulen hieng die Maske eines Jupiterskopfes.
Mitten im Gewoͤlbe ſtand ein ſchwarzer Sar - kophag mit wunderbaren Zeichen: auf ihm ſchlug aus einem alten, blumenumwund’nen Gefaͤße hell - lodernd eine blaue Flamme. Zu beyden Seiten glaͤnzten weiße Bilder in zwey Niſchen, oben brann -119 ten ſchwache Lichter auf drey langen mit Flor be - hang’nen Candelabern, und an ſeinem Fuße ſaß ein Mann, mit langem Bart, in einem weißen Ge - wand, das Haupt auf die Arme geſtuͤtzt und das Angeſicht verdeckend mit der Hand.
Lange ſtarrt’ ich ihn an, aber er war unbe - weglich, wie der Sarkophag.
Jſt es ſein Geiſt, dacht’ ich ſchaudernd, iſt er’s ſelbſt? Denn ich hielt ihn fuͤr Caton.
Gott! was ſoll dieß fuͤrchterliche Spiel? Was plagt den großen Mann? Jſt’s das Bewußtſeyn einer Schuld? So dacht’ ich, und glaubt’ es nicht.
Da rauſcht’ es in der Naͤhe. Es war wie der dumpfe ferne Glockenklang einer Uhr. Es ſchlug viermal.
Mir graute!
Die Geſtalt bewegte ſich. Die Hand ſenkte ſich langſam vom Haupt, und ich ſah das ernſte maͤnn - liche Angeſicht des unerklaͤrbaren Freundes.
120Es war die hoͤchſte Zeit. Jch flog von der Maueroͤffnung weg, rannte durch die Thuͤre und draͤngte mich wieder durch das Roſengezweige.
Es war lichter Tag geworden.
Mein ganzes Jnnere war angefuͤllt mit dem Geheimniß. Jch arbeitete an meinem Bilde. Nach ein Paar Stunden trat Caton mit Atalanta her - ein. Jch weiß nicht, welches von beyden mich mehr verwirrte. Caton war wie ſonſt. Das zarte Maͤdchen brachte mir friſche Blumen: ich dankt’ ihr mit dem gluͤhendſten Blick der Liebe. Sie laͤ - chelte mich an, wie der junge Tag im Oſten.
Wir giengen ins Freye. Den ganzen Tag be - gleitete mich das Bild des geheimnißvollen Gewoͤlbes.
Meine Homerusbuͤſte ruht nun bey den drey Saͤu - len im Garten auf einem hohen marmornen Ge - ſtelle mit drey Stufen. Wenn Atalanta auf der dritten ſteht, kann ſie das Haupt umfaſſen mit den Haͤnden.
Jch ſpreche nun auch neugriechiſch. Atalanta lehrt es mich! Und wie ſie das Altgriechiſche aus - ſpricht!
Mit welcher Luſt ich arbeite an meiner Poly - xena! Sie iſt’s ganz, meine Atalanta. Die gro - ßen runden Augen — die vollen laͤchelnden Lippen, das Kindliche, Schuͤchterne um den kleinen Mund — das laͤngliche Oval. — Und doch es iſt noch Etwas in ihrem Angeſicht, das ich nicht in mein Bild bringen kann! — Unausſprechliche Unſchuld? Seele? Liebe? Leben? Geiſt?
Krankheit ſey die Liebe? laßt mir, laßt mir dieſe Krankheit. Wie aus einem Heilquell ſchoͤpf’ ich Geſundheit aus ihr, und ewige himmliſche Geſund - heit.
Nichts Schoͤneres giebt es auf der Erde, nichts Schoͤneres im Himmel, als dieſe Geſundheit. Sie kraͤftigt die Seele und fuͤllt ſie an mit Waͤrme. Sie bereitet die Geiſter vor, die Urſchoͤnheit zu ſchauen in ihrer reinen Goͤttlichkeit, in ihrer ew’gen unveraͤnderlichen Fuͤlle. Sie deckt endlich den Rie - ſenſchleyer auf des Groͤßten der Geheimniſſe.
Gott ſelbſt erfreut ſich ihrer. Durch ſie iſt er Gott. Ewige, nie verbluͤhende Jugend iſt ihre Tochter. Jn ihrem friſchen Waſſer zu baden, iſt die Wonne der Unſterblichen.
123Sie iſt voll und uͤppig wie die Roſe. Aus ihrem Kelche ſaugen die Menſchen, wie Bienen, ewiges Gedeih’n. Jhre Farbe iſt weiß, wie Milch - denn ſie iſt voll Unſchuld. Jhre Stimme iſt wie der Klang einer Glocke, denn alles ſtaunt ob ihrer Fuͤlle. Aber auch ſanft iſt ſie oft, wie verhallende Harmonikalaute, und in der Ferne der Erinnerung klingt ſie wie leiſes Wellengemurmel.
Ein Kuß iſt das groͤßte Geheimniß dieſer Liebe. Die Liebe zur ganzen Menſchheit iſt Eins mit ihr.
Weiſſagend iſt dieſe Liebe, lauter Wahrheit: nur der Begeiſterte fuͤhlt ihre Kraft, ihren Segen. Alles bringt ſie dem Menſchen, denn die Geſandte, die Prieſterin Gottes iſt ſie. Ohne ſie iſt nichts Edles auf Erden, nichts Gutes und Großes: ohne ſie iſt kein Leben. Jhr warmes Licht aber, das Klare, Keuſche, faͤllt nur in zarte Seelen, durch - dringt ſie ganz, macht ſie unendlich durchſichtig, laͤutert und reinigt ſie uͤberſchwaͤnglich.
Voll Glauben iſt ſie — ſie laͤßt uns erkennen Gott in unſerm Jnnern, und zeigt uns, wie alles, was iſt, durch ihn, durch ſie iſt, und erfuͤllt von ihm allein Natur, Schoͤpfung, und unſern eigenen Buſen.
124Uneigennuͤtzig iſt ſie. Siehe, wie ſie laͤchelt, die Unſterbliche, aus dem Auge der Mutter, wann ſie den Saͤugling an den Bruͤſten traͤnkt. Geben und Rehmen, das wird ihr zu Einem.
Jch lernte lieben, lieben aus ihrem Auge, ih - rem Kuſſe, lieben aus ihrer Seele, ihrem Geiſte.
Jhn lernt’ ich erkennen, faſſen, lieben! den alten ewigen Geiſt, den Wandelloſen, der alles Daſeyn ſchafft und giebt, den Vater des Maaßes, das Maaß ſelbſt, den Urheber alles Lichts, das Licht ſelbſt, die Urkraft und das Urleben, der die Weisheit erfand, ihn, den Alleinigen, Unerſchaffe - nen, ihn, die Liebe, die Wahrheit.
O! richtet nicht!!
Jch weiß ja wohl; es iſt nichts leichter, als urtheilen und verdammen. Tauſendmal wird ge - richtet, bis Einmal der Richter verſteht, was er zu richten waget. Er braucht, um vieles zu erkennen, eine Kraft, ein angebor’nes Etwas, das man nicht lernen, nicht erwerben kann.
Menſchen, die keine Leidenſchaften haben, weil ſie ohne Herz, ohne Kraft ſind, predigen der Ju -125 gend, mit ihren Wuͤnſchen, ihren Trieben der Ver - nunft nicht zu entlaufen! ..
Jch ſagt’ es dir ſchon hundertmal: ſolch eine Ruhe will nichts heißen. Der ſich mit ſeiner Kuͤhn - heit bruͤſtet und keinen Feind noch ſah, der iſt kein Held. Aber der iſt ein Mann, der ſich bewegt durch’s wildeſte Gedraͤnge.
Wunden … Wunden! Laß ſie bluten! Eine Bruſt iſt ſtark. Du biſt doch ein Mann. So zu bluten, das iſt groß.
Mich laßt nur irren! O ich bin gluͤcklicher als ihr auf eurer rechten Bahn. Nicht bedauern duͤrft ihr mich, weil ich irre, ihr Kluͤglinge, ihr Selbſt - gefaͤllige, beneiden muͤßt ihr mich. Ach ſolch ein Jrren iſt mehr als all’ euer Fortſchlen - dern.
Du kannſt dir mein Weſen nicht vorſtellen. Und all’ das ſollte nur ein Traum ſeyn? Der arme Menſch, wenn er einmal gluͤcklich iſt, da ſoll er traͤumen. Und waͤr’s auch ein Traum, warum wollt ihr mich erwecken? Ein ſolcher Traum iſt mehr als euer Wachen. Jch geſtehe ja, mein Geiſt iſt berauſcht. Aber ich ſage dir, eure Nuͤchternheit iſt der ſchimpflichſte Zuſtand des Menſchen.
Natur und Kunſt ſind wie zwey Schweſtern, die ſinnig ſchweigend mit ihren Armen ſich umſchlingen. Sie halten einen ewig friſchen Kranz mit vollen Blumen in den Haͤnden, der bedeutet die Liebe.
Heut war eine ſchoͤne Mondnacht. Jch wandelte mit Atalanta durch den Garten. Jch hatte meinen Arm um ſie geſchlungen und ſah mit Entzuͤcken, wie unſere langen Schatten auf der Erde ſich ver - maͤhlten. Von ungefaͤhr ſtanden wir am See: der Kahn ſchaukelte ſich vor uns am dunkeln Ufer.
Beſteigen wir den Kahn nicht, Atalanta? ſagt’ ich. Sie laͤchelte, ja. Jch ſprang hinein, loͤſte die Seile und gab ihr die Hand. Die Schuͤchterne huͤpfte in den Kahn.
Jch nahm das Ruder zur Hand und plaͤtſcherte damit in den Wellen. Ein kuͤhler Abendwind trieb uns bald aus den Uferſchatten.
Theodor! was war das fuͤr eine Stunde! Wie Traͤume, umſchwebten zartgehauchte ſilberne Woͤlk - chen den Vollmond, der in ſeiner lieblichen Fuͤlle,129 wie das Angeſicht eines keuſchen Maͤdchens, herab - quoll auf die zitternden Gewaͤſſer. Die Tannen am Ufer druͤben ſchienen ſich mit ihren Rieſenſchat - ten in der kuͤhlen Fluth zu baden. Wie ein duͤnn - gewob’ner Schleyer von Duft, umwallte die Ge - gend umher ein blaues Licht, und die Berge ſchweb - ten, wie die verklungenen Wuͤnſche unſerer Kind - heit, aus ihren Fernen heruͤber. Der Garten mit ſeinen dichten Ufergebuͤſchen ward wie eine dunkle Wolke: nur die drey Saͤulen ragten in ſchwachem Licht aus dem Dunkel, wie geheimnißvolle Truͤm - mer einer entſchwundenen Urzeit.
Die Geliebte lag an meiner Bruſt und hatte zaͤrtlich ihren Arm um meine Schultern geſchlun - gen. Jhr blaſſes Antlitz blickte aus den Locken, wie der weiße Mond aus dem dunkeln Aether. Wir ſchwiegen: nur manchmal druͤckt’ ich die Liebende waͤrmer an meine Bruſt, und kuͤßte die milchweiſ - ſen Wangen.
Kein Laut aus der Ferne, nur das melodiſche Plaͤtſchern des Waſſers beym Schlage des Ruders. Da begann ich endlich:
Atalanta, fuͤhlſt du den ſtillen Geiſt, der uͤber der ruhenden Gegend ſchwebt?
9130Sie druͤckte meine Hand, und blickte mich an mit dem Auge voll namenloſer Liebe, und liſpelte ſeufzend: Jch fuͤhle! und dann ſchwiegen wir wie - der, und manchmal nur bebten unſere Lippen: O Gott! Unſere Seelen wurden, wie das klare, reine Gewaͤſſer, unſer Leben wie ein einziger Hauch der Liebe.
Ja, Atalanta, ſprach ich wieder, wie die Mondnacht iſt unſer Leben, wann es am ſchoͤnſten iſt. Jſt nicht die Gegend wie ein Traum? Wir ſchweben umher; der Wind kuͤhlt unſere heißen Wangen, und lindert das brennende Sehnen unſe - rer Bruſt. Die Pfade ſind eben und glatt, wie die Waſſer. Ferne liegt die Wirklichkeit, wie das Ufer, mit ihren finſtern Geſtalten. Und wenn ſie nicht ſo ferne laͤgen, ach! da waͤr’ unſer Leben auch nicht ſo ſchoͤn.
Kannſt du, ſagte Atalanta, kannſt du ein Ende denken dieſer Wonne? Bricht endlich nicht die Mor - genroͤthe von Oſten her, und beleuchtet jene Geſtal - ten, die ſo ſchoͤn ſind aus der Ferne?
Unendlich, ewig, Atalanta, iſt die Liebe, wie deine Seele. Tod waͤre das Ende der Liebe, und131 die Seele ſtirbt nicht. Die Liebe iſt ewig jung und wandelt ewig unter Blumen.
Ach! aber die Blumen welken, Phaethon! ſeufzte Atalanta mit einem unausſprechlichen Schmerz im Auge.
Ewige Jugend … du zarter Engel! Die Liebe kennt kein Alter, wie der warme Sonnenſtrahl, der auch um graue Mauertruͤmmer quillt. Und einſt, wie die jungen Geiſter ſich loͤſen aus der al - ten ehrwuͤrdigen Huͤlle, und frey ſind und dahin ſchweben koͤnnen durch den Aether und zum erſten - mal als Geiſter ſich kuͤſſen … Atalanta … ein Kuß der Geiſter … Und wenn ſie nichts mehr hindert, in einander zu fließen, und eine Umarm - ung wird die Ewigkeit ....
Atalanta blickte in das Waſſer und dann hin - auf zum Mond, als wollte ſie ihn bitten, den Lieben, Sanften, ſie hinauf zu nehmen zu ſeinem reinen Licht. Dann ſagte ſie: Phaethon, ach hier iſt’s ſchoͤn, doch dort ..... Die ewige Vollendung glaͤnzte in ihrem feuchten Auge; ihre Bruſt hob ſich unter dem Gewande. Mir war, als weinte ſie nun die letzte Thraͤne, als ſey dieſer ſehnende Blick der letzte, den ſie dem Sterblichen zuwerfe, und ſie9 *132ſchwebe aus meinen Armen, ein goͤttlich Weſen, in der ſchoͤnen Mondnacht zum Himmel, dem ewigen Ziel ihrer heißen bruͤnſtigen Sehnſucht. Mein Mund verſtummte, ich ſchloß ſie heftiger an die Bruſt, ihr Auge wandte ſich auf mich, und unſere Lippen waren gluͤhend an einander geſchloſſen.
Da hoͤrten wir aus der Ferne eine Floͤte. Wie zarte, liebende Geiſter, klangen die ſchwebenden, empfindungsreichen Toͤne zu uns heruͤber. Unſere Seelen ſelbſt waren wie zuſammenſchwimmende Ak - korde, voll unendlicher Harmonie, voll ſchwellender Empfindung. Sie loͤſten ſich auf in ein ſtilles, aber uͤberſchwaͤnglich ſeliges Anſchau’n unſeres Jn - nern, und verſchwammen endlich hinuͤber, wie die blauen Bilder der Berge. Nur „ dein, dein ‟ ſeufz - ten unſere Lippen „ hier und dort. ‟
Am Ufer ſtand eine lange ſchwarze Geſtalt, unbeweglich, wie die Tannen um ſie her. Es war Caton. Unſer Nachen fuhr ans Land. Caton trat uns entgegen, und hob Atalanta aus dem Nachen. Die tiefſinnigen Zuͤge des ſchoͤnen Mannes gluͤhten wunderbar im Mondlicht. Er druͤckte dem Maͤd - chen die Hand mit Feuer, und wir wandelten lang - ſam wieder dem Schloſſe zu.
Noch iſt Staͤrke, Schoͤnheit, Tugend nicht gewi - chen von der Erde. O ich fuͤhl’ es, fuͤhl’ es, wie mein Jch, was wuͤrdig iſt des Menſchen. Rein iſt der Menſch von ſeinem Urſprung an: denn von der Gottheit ſtammt er. Jn ſeinem Buſen quillt der ewig treibende Keim des Guten, wie eine klare, den Himmel abſpiegelnde Quelle. Ungluͤcklich iſt er, wenn ſie getruͤbt wird, aber verloren iſt er, wenn ſie verſiegt. Der Geiſt, das Groͤßte, was Gott erſchaffen auf der Erde, iſt der Mann. Er iſt’s, der Star - ke, der Muth hat und Kraft und unveraͤnderlichen Willen. Ruhig ſteht er da in ſeiner erhabenen Wuͤrde, wie eine hundertjaͤhr’ge Eiche, deren Rie - ſenwipfel vergeblich Wind und Stuͤrme ſchuͤtteln. Die Sonne ſpielt in ſeinen Zweigen ſchmeichelnd und niedere Creaturen der Erde kriechen um ſeine maͤchtigen Wurzeln. Und iſt er auch geſchmiedet,134 der Mann, an eine Felſenſtirne, und kann er ſeine Arme nicht bewegen; in ſeinem Buſen lebt die an - geſtammte unerſchuͤtterliche Kraft, ſelbſt dem Un - endlichen zu trotzen. Aber rein iſt der Mann, denn er iſt das Abbild Gottes. So denke dir meinen Caton. Seine Bruſt gleicht dem Dia - mant, der, unzerbrechlich feſt, doch in ſich faßt das warme Licht der Sonne.
Um ihn ſchlingen, wie zarte weiche Blumen um die Eiche, das Weib ſich und das Maͤdchen. Die Sanften wuͤrden verwelken, wenn ſie der kraͤft’ - ge edle Stamm nicht an den Buſen hielte. Denn weich iſt das Maͤdchen, deren Mund der Hauch der Jugend, wie ein gluͤhend Morgenroth, beſeelt, wie die Mutter, wann ſie ihr laͤchelnd Kind am warmen milcherfuͤllten Buſen ſaͤugt. Aber die aͤchte Jungfrau iſt noch Kind, und die aͤchte Mutter iſt noch Jungfrau.
Ein tiefes Geheimniß iſt die keuſche Jungfrau. Jhre Jungfrauſchaft hoͤrt auf, wenn ſie kein Ge - heimniß mehr iſt. Sie iſt das vollkommenſte, ruͤh - rendſte Sinnbild der Entwicklung und der Frucht - barkeit, das Sinnbild der Natur. Darum iſt ihre Naͤhe heilig, und das Unheilige flieht vor ihrer Ge - genwart wie vor dem Tempel der Gottheit.
135Des Mannes Tugend gleicht dem Rieſenfelſen, der weit die Schatten auf die Thaͤler wirft; des Weibes Tugend iſt ein ſanfter, ewigfließender Bach, der ſtill beſcheiden ſich durch Blumen windet und liebend an den Ufern die Zarten kuͤßt und traͤnkt. So denke dir Caͤcilie und Atalanta.
Caͤciliens Haus iſt den Grazien geweiht, aber nicht den Niedern, die das bloße Beduͤrfniß verſchoͤ - nern und heben, ſondern jenen allwaltenden, wei - ſen und keuſchen Vefoͤrderinnen alles Schoͤnen und Guten, von denen der weiſe Pindaros ſingt:
Dieſe, Theodor, die heitern Kinder des Weiſen, laͤcheln aus allem. Sie ſind nichts anders, als das Maaß.
Atalanta wußte nichts, wie ich ſie fragte, von Catons unterirdiſchem Gewoͤlbe. Sie wußt’ auch nicht, aus welchem Land er ſtamme; nur ferne, ſage die Mutter, ferne ſey er hergekommen. Auch ihren eig’nen Vater kennt ſie nicht. Sie hab’ ihn ſchon verloren, als ein zartes Kind.
Das Neugriechiſche war die Sprache ihrer Kindheit. Sie ſtammelte, griechiſch. Die Sprache unſer’s Vaterlandes lernte ſie erſt ſpaͤter.
Wie Caton heute vor mir ſtand, und wir allein waren, faßt’ ich mir Muth und ſagte: Caton, verdien’ ich dieſe Kaͤlte?
Er aber ſagte etwas dumpf: was iſt dir, Phaethon?
138O verdien’ ich dieſes Schweigen? erwiedert’ ich heftiger und eine Thraͤne rollte mir aus dem Auge.
Es verſchwebten an ſeiner Stirne die Runzeln und er ſagte, halb finſter, halb wehmuͤthig, mit einem unerklaͤrbaren Blick: Auch ich trag’ etwas auf der Bruſt, aber frage mich nicht — er ward ernſter — ich darf nicht weiter davon ſprechen.
Er warf mir einen Blick zu, der mir auf ewig die Zunge laͤhmte. Dann ſagt’ er noch einmal: frage nie mehr, und gieng fort.
Und auch Caͤcilie kann ich nicht entraͤthſeln. Sie iſt geheimnißvoll wie die ſtille Nachtviole. Nur Atalanta iſt, wie eine off’ne Roſe, der man bis in des Kelches Tiefe ſchaut.
Jch trat geſtern Abend die Treppen herauf. Es war ſchon dunkel. Atalanta flog durch eine Thuͤre; ich kannte ihren Tritt. Schnell folgt’ ich ihr. Jch erreichte ſie, ſank ihr wild um den Hals und rief wie raſend: Ewig, ewig dein ....
Phaethon, rief ſie aͤngſtlich, nicht dieſen Unge - ſtuͤm, und wand ſich los aus meinen Armen. Jch wollte ſie halten, blickte hinter mich, da ſtand .... Caͤcilie vor mir. Atalanta flog mit einem Schrey139 zur Thuͤre hinaus: mir bebten die Kniee, ich ſank ihr zu Fuͤßen: Caͤcilie, rief ich, mit wankender Stimme, kann Caͤcilie vergeben? Lange blieb ſie ſtumm, ich hatte ihre Hand ergriffen, weinte meine Thraͤnen auf ſie. Und wie ich hinaufblickte, und ihr Auge traf, und das Wohlwollen herabquellen fuͤhlte auf mich, wie linden Thau, und ſie ihre Hand aus der meinigen zog, mir noch einen liebe - vollen Blick zuwarf, und dann verſchwand … O Gott! ich blieb in heiligem Entzuͤcken auf den Knieen, als ob ſie noch vor mir ſtuͤnde, und ſtroͤhmte meine Seele aus in einem bruͤnſtigen Ge - bete.
Jch lebe wie zu den Zeiten Homers. Die Wirk - lichkeit beruͤhrt mich kaum, wie die Fluth den Fuß des Gebirges, deſſen wolkenumwob’ne Scheitel wei - ter reichen, als das Auge traͤgt.
Jch ſaß vor dem Bilde Homers auf der unter - ſten Stufe. Atalanta ſaß neben mir. Sie ſpielte mit den Epheublaͤttern, die um ein altes Architrav ſich ſchlangen.
Die Sonne war nahe am Untergehen. Durch die wilden Roſengebuͤſche blickte der blaue See mit ſeinen gruͤnen Ufern. Da zog ich den Homer her - aus. Atalanta ſah mich an, und liſpelte, die Hand mir druͤckend: Leſen wir? Jch ſagte: ja. Wie feyern wir ſchoͤner den Abend? Und welche Rhapſodie ſchlag ich auf, Atalanta? Da haſt du das Buch! Nauſikaa klang’s von ihren Lippen.
141Sie las. Theodor! wie die griechiſchen Worte wogten von den zarten Lippen, die Worte des Maͤo - niden. Jeder Laut war wie aus tiefſter, innigſter Seele.
Das Saftgruͤn der Blaͤtter und die Gluth der Roſen und der Abendſonne … die grauen alten Saͤulen .... die Truͤmmer um uns her .... und druͤber hinein das Himmelblau .... und das Maͤd - chen, vom quillenden Strahl der Sonne gekuͤßt, mit ihrem Engelauge, mit ihren Roſen in den dun - keln Locken, mit ihrem Homer in den Haͤnden …!
Da rief ich endlich aus:
Atalanta, denke dir den Saͤnger, wie er ſtand auf dem grauen Felſen von Chios, wann die war - me Morgenſonne ſeine weißen Locken umwallte, wie das Haupt eines Heiligen, und um ihn her ſaßen im Kreiße die Schuͤler auf den ſteinernen Baͤnken — wie der alte Lehrer hinuͤberblickte uͤber die lachenden Fluren des Eilands von der jaͤhen Klippe, und ſein Auge von den gruͤnenden Buchten und dem friſchen Geſtade hinuͤberdrang, wie ein Lichtſtrahl, in die graͤnzenloſe Weite des Meeres, und endlich verſchwamm in der Flamme des auf - ſteigenden Sonnengottes, wie nun ſeine Bruſt ſich142 hob, und eine Thraͤne bebte im Auge des Alten, Ehrlichen, wie er da lehrte, und ſeine Lippen uͤber - quollen von der Fuͤlle ſeines Herzens, wie von Strahlen der ewige Lichtquell der Sonne, er, der Sohn des Himmels, auf dem Felſen, und um ihn der endloſe, im Morgenroth wallende Aether, rein, wie ſeine Dichterſeele .....
Atalanta war mir an die Bruſt geſunken: ich blickte hinab auf das jugendliche Haupt und fuͤhlte mein ganzes Weſen uͤberwallen, wie ich ſie ſo nah mir ſah, dieſe unausſprechliche Schoͤnheit. Jhr dunkles Auge voll ewigem Frieden weinte verklaͤrt zum blauen Himmel hinauf, und ich druͤckte, von der Seligkeit der Goͤtter durchſchauert, einen heißen Kuß auf ihre keuſchen, unentweihten Wangen.
Ja, Atalanta, rief ich endlich, mich erholend aus der betaͤubenden Wonne, blick ihn an mit dei - nem Auge voll Liebe, er iſt’s! Seine Seele iſt un - ergruͤndlich, wie das Meer, aber durchſichtig, wie der unermeßliche Aether. An ſeinen Buſen voll warmem Jugendfeuer druͤckt er die Natur, wie eine Braut, und ſeine Geſaͤnge ſind die ewig jugendli - chen Kinder ſeiner Liebe. Wie holde Blumen in einem Kranze ſchlangen Weisheit, Schoͤnheit, Maͤ -143 ßigung und Ruhe ſich in ihm zuſammen. Sein Lied iſt wie das ſpiegelhelle unbewegte Meer, wann es die Farbe des Himmels traͤgt. Er iſt ein ge - waltiges Gebirge, das, tiefgewurzelt in die gute muͤtterliche Erde, das weiße Haupt in Aetherfernen ſtreckt.
Es rauſcht’ im Gebuͤſche und Caton trat her - ein. Er laͤchelte und ſetzte ſich auf einen Saͤulen - ſtumpf. Die Sonne war hinunter. Es ward ſchon dunkel um uns. Caton ſagte: Griechenlands Saͤnger ſind die groͤßten. Wie Kinder ſpielten un - ter Blumen in dem ſchoͤnen Lande die Soͤhne des Himmels. Aber groͤßer ſind Griechenlands Helden. Wo iſt eine Bruſt wie die freyheitstrunkene Seele des Leonidas, wo iſt die ernſte Thatkraft eines Epaminondas, wo ſind unſ’re Timoleone? Jch verſtand nicht, was er wollte damit ſagen. Wir giengen ins Schloß.
Aber der Geiſt Homers wich nicht von meiner Seele. Jch kehrte ſpaͤt zuruͤck zu den drey Saͤulen: Einſam ſaß ich an ihrem Fuß unter dem Bilde Homers. Seine Helden ſtiegen in meinem Geiſt empor aus den Truͤmmern um mich her und ſchwebten an mir voruͤber in langen dunkeln Ge -144 ſtalten. Kein Mond war am Himmel. Eine Nach - tigall ſchlug in der Naͤhe in vollen ſchwellenden Ak - korden. Jch ſchlummert’ ein.
Hoͤre meinen Traum.
Jch trat in ein elyſiſch ſchoͤnes Land. Durch fette Wieſengruͤnde waͤlzten Baͤche ſich. An ihren Ufern ſtiegen im Schatten des Lorbeers und der Myrthe Saͤulentempel in die Luͤfte. Unendlich klar war das Blau des Himmels. Der linde war - me Hauch eines ewigen May’s war uͤber Wieſen, Waͤlder, Huͤgel und Himmel gegoſſen.
Da hoͤrt’ ich ein unterirdiſch Droͤhnen, als ob die Erde wollte Rieſen hervorſtrudeln aus ihrer Tiefe. Die Baͤume wankten und die Felſen bebten. War es ſo, als aus dem geſtaltloſen Chaos mit Brauſen und Donnern die Elemente ſich ſchieden, aus dem kochenden Wirbel der Urkraͤfte, wie das geſtaltete Eiſen aus der Flamme, die Welten ſich loͤßten, und die alten Rieſengoͤtter im Kampfe lagen mit den neuen, wie der gewaltig genialiſche Geiſt in ſeiner ſchrankenloſen Erhabenheit, in ſeiner uͤber - ſchwellenden Groͤße, in ſeiner unermeßlichen Pracht, wenn die Kunſt ihn zwingen will in geruͤndete Formen, in vollendete, harmoniſche Bildung, ins Ebenmaaß?
145Ein Mann ſtieg aus der Erde. Sein Auge ſpruͤhte Begeiſterung, wie Funken die Sonne: die wilden langen Locken umwallten in regelloſem Wir - bel die hohe gefaltete Stirne und den unbeugſam maͤnnlichen Nacken. Er ergriff die alten Eichen und wuchtete die Ungeheuer mit Stamm und Kron’ und Wurzel aus der Erde, daß ſie, lautdroͤhnend, mit entſetzlichem Gekrache, wie vom Himmel geſchleu - derte Giganten, niederſtuͤrzten. Dann riß er Fel - ſen aus dem Boden, und warf, wie leichte Steine ſie empor, und thuͤrmte einen auf des andern Gi - pfel. Dann ſchwang er ſich hinauf, und ſtand auf dem himmelragenden Geklippe, daß ſeine Haare, von den Winden gewirbelt, wie Schlangen, in den Luͤften flogen. Darauf ſtieg er nieder und eine Flamme zuͤndet’ er an auf einem Altar am Fuß des Felsgekluͤftes, und betete an die wechſelloſe Rie - ſenmacht des allgebietenden Geſchicks und die Grund - kraͤfte der lebendigen Natur, die alten Urgoͤtter, und flehte, Gerechtigkeit walten zu laſſen auf Er - den, und Heil und Fuͤlle zu verleihen dem heißge - liebten, goͤttlichen Vaterland. Es war Aeſchylos.
Richt weit von ihm quoll nieder eine Flamme, daß Tempel umher und Myrthen und Blumen von dem Lichte glaͤnzten. Es war die ewig heilige10146Flamme der Religion. Aus ihr trat, wie gelaͤu - tert, hervor ein Mann, in himmelblauem Gewan - de. Jn ſeinem Antlitz kuͤßten ſich, wie Braͤutigam und Braut, der Ernſt und die Sanftmuth, die Wuͤrde und das Gefuͤhl, die Hoheit und die Liebe, die Kraft und die Anmuth, und wie Lilien bluͤhte darin der Geiſt der Reinheit und der Ahnung der Gottheit in ihrer hoͤchſten Fuͤlle. Sein ganzes We - ſen war Harmonie und Ruhe. Er war ein Greis, aber jugendliche Schoͤne ſchwebte noch in den edeln, wuͤrdig milden Zuͤgen. Er trat vor einen Altar und kniete nieder, und betet’ an die alten Geſetze, die ewigen, aͤthergeborenen, in denen der Gottheit nie alterndes Weſen wohnt, und blickte mit einem Antlitz voll anbetender Liebe, voll frommen ſeligen Vertrauens empor zu dem Geiſte der Welt. Es war Sophocles.
Nahe bey ihm war ein Myrthengebuͤſch. Ein Duft von Salben, Blumen, Raͤuchereyen ſtroͤhmte mir entgegen. Zugleich vernahm ich den Klang einer Floͤte, und ein laut-frohlockend Rufen, ein bacchantiſch Getuͤmmel. Es theilte ſich der Myr - thenbuſch. Ein Mann lag auf einem gruͤnen Ra - ſen in den Armen einer Floͤtenſpielerinn. Ein Kranz von Epheu und Violen und feſtlich ſchmucke147 Binden waren ihm um’s Haupt gewunden. Ueppi - ge Weinreben, das Bild der Freude, wuchſen em - por aus der Erde, und wie volle Kinderwangen, laͤchelten ſchwellende Trauben aus dem dunkeln Laube. Jn ſeinem Feuerauge blinkte die ſuͤße Be - geiſterung des Dionyſos, um ſeinen Mund ſchwebte ein ſpoͤttiſch-ſuͤßer Zug, aber aus ſeiner Stirne ſprach ein ſtrenger, tiefer Ernſt, eine unausſprech - liche Weisheit, eine unglaubliche Staͤrke, eine un - beugſame Kuͤhnheit. Sein ganzes Weſen war ein Raͤthſel. Denn waͤhrend er ohne Zucht und Scheu, mit wilder Luſt, mit kecker Derbheit, alles, was um ihn war, Goͤtter und Menſchen, zu hoͤhnen ſchien, ſtrahlte doch aus ihm die Anmuth und jede Gabe der Huldinnen in einer unerſchoͤpflichen Fuͤlle. Sie ſchienen von ihm abhaͤngig, nicht er von ihnen. Man mußt’ ihn anſtaunen und doch lieben, den Wilden, Zuͤgelloſen. Mit der einen Hand ſchwang er bald mit lautem Jubel einen vollen Weinbecher, bald eine klingende Handpauke, und bald die Maske der Thalia, waͤhrend er mit der andern den Hals des Maͤdchens umſchlang, und mit dem Verlangen der Liebe ihren blendend weißen Buſen kuͤßte. Dann ſprangen Beyde auf mit wildem Gelaͤchter und opferten den Charitinnen und der Aphrodite. Es war Ariſtofanes.
10 *148Die Flamme des Aeſchylos ſchlug gewaltſam auf vom Felſenaltar in lodernder, dunkelrother Saͤule: die Flamme des Sophocles ſchwebte in milchweißer Klarheit empor, wie ein ausgehauchtes Sehnen unſerer Bruſt: die Flamme des Ariſtofanes flatterte knatternd in die Luͤfte, und duftete von ſuͤß - er Geruchesfuͤlle.
Und ploͤtzlich ſah ich uͤber den Dreyen einen Wagen ſchweben auf einer Wolke. Amarynthen, die Blumen der Unſterblichkeit, hiengen in ſchwellenden Kraͤnzen um ihn. Unendliche Fuͤlle des erhabenen Geſichts! Anbetend ſank ich nieder. Ein wunderbar - er Mann ſtand auf dem Wagen, wie ein Licht - geiſt, deſſen Koͤrper zart gewebt war wie Aether, und um und um eine Huͤlle trug von unzaͤhligen Fluͤgeln. Um ſein Haupt bewegten ſich dreymal drey Sterne, aber der reinſte, klarſte, der Stern der Weisheit und der Schoͤnheit, brannte, wie eine Sonne, uͤber ſeiner Stirne. Zwey Roſſe lenkte der befluͤgelte Mann an ſeinem Wagen: weiß war das eine, wie friſcher Schnee im Glanz der Sonne, mit ſchwarzen Augen; ſein ſchlanker Hals war ge - bogen, wie der Hals eines Schwanen, er war zart und voll zuͤchtiger Schaam, und ſtrebte nach oben. Aber neben ihm flog ein ſchwarzes Roß, von haͤß -149 licher Mißgeſtalt, mit kurzem ſteifem Hals: ſeine Naſe ſchwoll von Wuth und Ungeſtuͤm: ſein blutig Auge waͤlzte ſich wild im Kreiſe. Unaufhoͤrlich blickte der Befluͤgelte nach oben; ſein Auge war trunken, wie das Auge des Seligen, der die Schoͤn - heit ſchaut in ihrem reinſten Lichtglanz: und immer heftiger regten ſich die Federkeime um ſeinen Koͤr - per und ſchwollen und ſtrebten hinan. Wie von heiliger Scheu war das eine Roß durchdrungen, das ſchwarze aber ſchuͤttelte die wogende Maͤhne mit wildem Schnauben, und baͤumte ſich wiehernd empor, und keucht’ an dem zuruͤckgezog’nen Zuͤgel. Da riß der ergrimmte Fuͤhrer am Gebiß, daß Blutstropfen traͤufelten vom Mund des Roſſes, und lautdroͤhnend, mit entſetzlichem Geſchnaube, das Ungebaͤndigte zu Boden ſtuͤrzte. Da ſchoſſen gewaltig die Fluͤgel aus dem unendlich verherrlich - ten Koͤrper des Wagenlenkers, ſein Auge ward wie Morgenroth, er ward verklaͤrt zu lauter Seele, lauter Geiſt. Platon war der Wagenlenker.
Es ward ſtille. Da hoͤrt’ ich die fernen Toͤne klingender Saiten. Und immer naͤher kam der wunderbare Klang von oben. Ein milchweißes Woͤlkchen bemerkt’ ich niederſchweben aus der blauen Luft, und heller immer ward’s und groͤßer, und150 blieb am Ende ſtehen uͤber dem Haupt des goͤttli - chen Wagenlenkers. Jetzt verklangen die Laute: es theilte ſich die Wolke, und ein Greis trat her - vor in blendendweißem Lichtgewand, mit langſam - feyerlichem Tritt, eine Harfe in der Hand. Um ihn waͤlzte ſich in undurchdringlichen, immer be - weglichen Stroͤhmen das reinſte Licht: ein hellgruͤn - er Kranz wand ſich mit friſchem Laub um ſeine grauen Locken; Ruhe thaute ſein ernſtes Auge und vollendete Harmonie, und in reicher unermeßlicher Fuͤlle quollen die Strahlen, wie melodiſche Quellen, herab aus ſeiner Wolke unter die Betenden unter ihm. Die Flammen ihrer Altaͤre wurden gewaltig - er von dem Lichtregen, und der aufwallende Rauch ſammelte ſich zu einer dichten Wolke unter den Fuͤß - en des Greiſes. Wer war es anders als Homeros.
Und auf einmal ward’s noch klarer um uns, daß die Tempel umher der Goͤtter erglaͤnzten und die Baͤume im Hellgruͤn. Der Greis verſchwamm faſt in das wogende lautere Licht. Da hoͤrt’ ich eine Stimme .. ſie kam von ihm … Schauet em - por, ihr Reinen, daß ihr die Schoͤnheit, nach der ihr verlangtet auf Erden, ſchauet in ihrer wahren Goͤttlichkeit, ohne Farbe und ohne Geſtalt, ohne Anfang und ohne Ende, die Schoͤnheit in Gott, in151 der ich wohne. Sie ſchauten empor: auch ich woll - te mein Auge hinanheben … da erwacht’ ich.
Jch fuͤhlte einen Kuß auf meinen Lippen, Ata - lanta kniete neben mir, in ihrer Schoͤnheit, zart, wie junge Erdbeerbluͤthe. Friſche Morgenroſen flochten ſich durch ihre dunkeln Locken, und auch mir hatte ſie einen Kranz gewunden. Atalanta! rief ich, ich hab’ ihn geſehen, unſern Homeros, im Traume hab’ ich ihn geſehen und nahe war, die hoͤchſte Schoͤnheit zu ſchauen mit den groͤßten Geiſt - ern. Ach! und war das Licht um den Saͤnger reiner und weißer, als dein Angeſicht, Goͤttliche, Unendlich-Geliebte? war die Erſcheinung beſeligen - der, als dein Auge voll Frieden und Liebe.
Phaethon .... rief ſie ſchauernd in Entzuͤcken: ich preßte ſie heftig an meinen Buſen.
Dann erzaͤhlt’ ich ihr meinen Traum. Wir blieben lange noch ſtehen vor dem Bilde Homers, Arm in Arm, wie zwey Kinder. Die Sonne war laͤngſt aufgeſtiegen: wir wandelten in’s Schloß hin - uͤber.
Auch ich war einſt von Wiſſensdrang geplagt. Aber ach! mein ewig Weinen und Sehnen ward da nicht geſtillt, und was das innigſte, geliebteſte Heilig - thum meines Herzens war, das fuͤhlt’ ich ungeregt. O Theodor! bey allem Suchen und Streben hab’ ich nichts wahr gefunden, als den Schmerz.
Einen wahren beſeligenden Genuß verſchafft mir noch die Welt der Dichter. Hier darf ich ja nicht fragen: wozu? woher? warum? das befriedigte Streben, das geſtillte Sehnen meines Geiſtes iſt die Antwort.
Von den Alten leſ’ ich Homer und von den Neuen Shakſpeare und Calderon. Wenn andere Dichter einer Nation ſind, ſo iſt Shakſpeare Dich - ter des Univerſums. Du laͤchelteſt oft ſchon uͤber meine graͤnzenloſe Anbetung dieſes erdgeborenen, himmelſtuͤrmenden Rieſen, aber laͤchle nur! er iſt doch nach Homer der erſte aller Dichter.
153Und iſt wirklich ſeine Welt mir faſt zu reell — ich ſchwebe im Aether — ſo lieb’ ich im Calderon das Zerfloſſene, das Unbegraͤnzte, das Blumige. Calderon’s Welt iſt wie ein unendlicher Garten, wo auf lachend jungen Gruͤnden, unter gluͤhend ſuͤdlich - em Himmel, die uͤppigſte Fuͤlle von farbigen Blu - men ſich wiegt und aus tauſend Kelchen und Glok - ken das laͤchelnde Kinderhaupt gefluͤgelter Liebes - goͤtter blickt. Seine Geſtalten ſchieben ſich, in rei - zender Unordnung, wie Arabesken durcheinander, und alles iſt mit den holdeſten Blumengewinden wie von goͤttlicher Hand durcheinandergeſchlungen.
Lieber! wenn ich an meinem Klavier ſitze und Atalanta ſitzt neben mir — wenn die Toͤne bald ſchmelzend und tiefſchmerzlich, wie mein Jnneres klingen, und in ſanften, verſchwebenden Akkorden, in linden, unendlich empfindungsreichen Accenten, eine namenloſe Sehnſucht hauchen, wie das Auge der Geliebten, und unſere Herzen erbeben und zer - ſchmelzen, und weinend ein unerklaͤrbares Verlangen fuͤhlen; bald wie aus der Tiefe, wie ein unterirdi - ſches Donnern zittern, als verkuͤndigten ſie das Aufſteigen der ſchauervollen Geiſterwelt, und im - mer weiter anwachſen und ſchwellen, und unſere Seelen, wie in einem Sturme, unaufhaltſam fort - gewirbelt werden, und alles um uns und uͤber uns zittert und wanket, da ergreif’ ich oft ihre Hand; ihr Auge wird wie die durchſichtige, aber uner - gruͤndbare Luft, wie das endloſe, unermeßliche Meer, und ich finde keinen Grund und kein Ende, und glaube zu vergehen in dem Anſchau’n dieſer uͤberſchwaͤnglichen Schoͤne.
155Jch ahne jene Sagen der Vorwelt, geheimniß - voll, wie die Vorwelt ſelbſt, wo die Macht der Toͤne ſelbſt das Lebloſe mit Leben und Waͤrme fuͤllte, jenen goͤttlichen Muſenruf des d〈…〉〈…〉 kaͤiſchen Schwanes:
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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