PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ausverkauf meiner ſchriftſtelleriſchen Arbeiten oder Neueſte Streifereien im Gebiete des Scherzes und des Ernſtes,
Berlin. Gedruckt beiA. W. Schade, Alte Grünſtr. Nr. 18.1824.

Sr. Hochwohlgeboren dem Doktor der Medicin, Herrn Heim, Koͤniglichen Geheimen Rath, Mitglied der Armen-Direction, Ritter mehrerer Orden,

widmet dieſe Blaͤtter hochachtungsvoll der Verfaſſer.

Vorrede.

Wie ein Zwerg im Kampfe gegen einen Rie - ſen unfehlbar unterliegen muß, ebenſo unter - lag in dem vorigen harten Winter mein theu - rer Stubenofen, und war mit dem beſten Wil - len nicht im Stande, weder meine blumen - und landſchaftreichen Fenſterſcheiben auch nur in einen gelinden Schweiß zu bringen, noch meinen vier und zwanzig Grad Kälte zeigen - den Thermometer zu bekehren.

Bedacht auf ein Mittel, meinem ohnmäch - tigen Ofen zu Hülfe zu eilen und mich von innen zu erwärmen, wählte ich nicht etwa, wie es viele thun, geiſtige Getränke, weil ich ſehr weislich berechnete, daß nach dergleichen anſpannenden Reizmitteln die darauf folgende Abſpannung nur deſto fühlbarer und em - pfindlicher wird; wie denn auch die Erfah -VI rung ſchon bewieſen hat, daß diejenigen, welche, aus Furcht zu frieren, geiſtige Ge - tränke zu ſich genommen hatten, wohl gar erfroren gefunden ſind. Jch wählte daher ſtatt koſtſpieliger geiſtiger Getränke vielmehr die zur Zeit in hohem Cours ſtehenden gei - ſtigen Arbeiten, und kann aus Erfahrung ru - fen: probatum est!

Wie es aber leider! mit den allerbeſten und vorzüglichſten, in unſerer ſo reichhaltigen Medizin im Überfluß vorhandenen Mitteln zu gehen pflegt: daß nämlich in der Regel faſt jedes einzelne derſelben ſolche Nebenwirkun - gen hervorbringt, die man wohl eher zu ver - wünſchen als zu wünſchen hat, ganz ſo iſt es auch hier der Fall, und ich erfuhr dieſen Nach - theil nur allzubald, denn durch die Anſtren - gung, welche zu der von mir gewählten gei - ſtigen Arbeit nothwendig erforderlich war, zog ich mir eine eben ſo anhaltende, als heftige Migraine zu, daß ich, um einer Apoplexie, die beſonders damahls gar ſehr hauſete, vor - zubeugen, meine geiſtige Arbeit, die unter dem Titel: » Philoſophiſcher Beweis der Unſterblichkeit « erſcheinen ſollte, über Hals und Kopf einſtellen mußte,VII um nicht, der Unſterblichkeit wegen, und an der Unſterblichkeit, zu ſterben.

Da aber bekanntlich die Migraine nur den halben Kopf trifft und ſchadhaft macht, ſo blieb denn auch bei mir die andere Hälfte in ich will nicht ſagen, in gutem doch aber wenigſtens im alten Zuſtande ſo daß ich, zum Glück, zu meiner dießjährigen Lieferung ſo vollkommen damit ausreichte, als wenn ein ehrlicher Kleidermacher, ohne ſeinen Scha - den, das Maß dazu genommen hätte, und ſo konnte ich meinem am Fenſter hangenden Anti-Dittmar trotzen, und das Gegenge - wicht halten.

Billige und gerechte Leſer werden daher auch dieſes Bändchen mit Nachſicht beur - theilen, und nicht mit dem ganzen Kopfe rezenſiren, was der Verfaſſer mit dem hal - ben geſchrieben hat. Auch ſollte man ſchon, ſeiner Offenherzigkeit wegen, Nachſicht mit ihm haben, denn hat wohl jemals Einer, der etwas geſchrieben, wovon er wünſcht, daß es geleſen werden möge, in ſeiner Vorrede ſo ehrlich ſich ausgeſprochen, wenn ehrliche Re - zenſenten nicht bisweilen die Verräther gewe - ſen wären?

VIII

Noch füge ich zum Troſte die Verſicherung hinzu, daß ich alle meine mediziniſchen Kennt - niſſe daran wenden werde, um mich wieder in den Stand zu ſetzen, künftig auch die an - dere Hälfte meines Kopfes gebrauchen zu kön - nen. Dazu habe ich auch bereits die ſchönſte Hoffnung, und daß dem wirklich ſo iſt, daß der ſchadhafte Theil ſchon wieder anfängt zu wirken, beweiſt ſich ja wohl am beſten da - durch, daß ich dieſe Vorrede ſchließe.

Um noch denjenigen zu begegnen, die dem Verfaſſer etwa zum Vorwurf machen wollten, daß er nicht für halbköpfige Arbeiten den halben Pränumerationspreis angeſetzt habe, ſey es geſagt: Dieſe verſtehen das Handwerk nicht; ſie ſollten wiſſen, daß es bei weiten mühſamer iſt, mit einem halben, als mit ei - nem ganzen Kopfe zu arbeiten. Und ſo wie man dem Solo-Tänzer am meiſten wegen der Künſte Beifall klatſcht, die er mit der Hälfte ſeiner Beine macht, ſo ſollte es auch hier ſeyn.

IX

Jnhalt.

  • Seite
  • Der allzugroßmüthige Pränumerant, oder die ent - wendete Pränumerationsliſte1
  • De abgefertigte Dichterling1
  • Der Bauer und der Oberſt, ſein Sohn2
  • Aus dem Leben des Hofraths Herz3
  • Der Buffo und das da capo6
  • Das Herausrufen zu rechter Zeit6
  • Der Taufſchein6
  • Die allzugroße Familie7
  • Der billige Zahnarzt8
  • Der Magiſter convivii8
  • Die ſchreckliche und gute Nachricht9
  • Der Willkommen auf dem Poſtwagen11
  • Die geizige Tante und der witzige Verwandte12
  • Der Bußtag und der große Sünder13
  • Der Pſeudo-Graf13
  • Der wachſame Hund und der geizige Banquier14
  • Die wohlfeile Muſik14
  • Der gut aufbewahrte Dukaten15
  • Großer Fehler des Malers15
  • Lobenswerthe Ökonomie15
  • Die Kunſtreiſe16
  • Das ſinkende Haus17
  • X
  • Seite
  • Sprachlos, und doch noch witzig17
  • Die Probe18
  • Origineller Briefwechſel eines zärtlichen Paares18
  • Die Spieldoſe auf einer Waſſerparthie20
  • Der abgeſchaffte Monat April21
  • Der ehrliche Antiquar21
  • Die wohlfeilen Eide22
  • Der unſchätzbare Solitair23
  • Der Tölpel meinte es gut23
  • Der zuckerſüße Courmacher24
  • Hans Überall24
  • Die Reue25
  • Der liſtige Tod26
  • Die Rettung durch verſtorbene Ältern in Hunds - geſtalten28
  • Die fehlgeſchlagene und ſchädliche Hülfe29
  • Große Veränderung der Zeit31
  • Replik und Gegenreplik32
  • Die witzige Jüdinn32
  • Der Polizeibeamle und ſein Arreſtant33
  • Lebensrettung durch ein originelles Gebet34
  • Der ſchadenfrohe Wirth und der witzige Gaſt35
  • Der Fürſt und ſein Hofnarr36
  • Der Fürſt und der Poſtillon37
  • Der gefällige Wirth39
  • Die warnende Überſchrift eines Gaſthofs40
  • Boshafter Willkommen42
  • Der Tauſchhandel43
  • Der witzige Pole und ſeine reichen Verwandten44
  • XI
  • Seite
  • Die Heirath aus Rache45
  • Der gute Eſſer und noch beſſere Trinker45
  • Die betrogenen Betrieger47
  • Die Kunſt, das Griechiſche zu conſerviren47
  • Der merkwürdige gelehrte Diebſtahl48
  • Der witzige Optikus49
  • Gleiches Schickſal49
  • Die Hinterfüße50
  • Der fette Weinkeller und die magere Antwort50
  • Der junge Arzt, ein wahrer Hippokrates50
  • Die neue Oper, ein Meiſterſtück52
  • Fabeln54
  • Die ſtolzen und gedemüthigten Pferde54
  • Der ehrliche Gevatter, oder die Reiſe nach dem Himmel55
  • Die Axt ohne Stiel67
  • Der Kongreß im Reich der Thiere68
  • Zeitungs-Gloſſen73
  • Entgegengeſetzte Mißgeburt73
  • Der Blitz und das Papiergeld74
  • Das geſprengte Glaubensheer74
  • Die Ärzte zu Cadix75
  • Der gemißhandelte Eſel75
  • Vergleiche76
  • Satyriſche Blitze78
  • XII
  • Sentenzen89
  • Memorabilia, ſeltene Eigenheiten und Zufälle berühmter Gelehrten älterer Zeit92

Der allzugroßmuͤthige Praͤnumerant oder die entwendete Praͤnumerationsliſte.

Er pränumerirte nicht etwa auf ein Exemplar,
Er pränumerirte auf die ganze Liſte ſogar!
Er konnte vielleicht ſein Leben lang
Zu keinem würdigen Namen kommen:
Drum hat er durch dieſen glücklichen Fang
Sich deren in großer Menge genommen.

Anekdoten.

Der abgefertigte Dichterling.

Ein Dichterling, vorlaut, anmaßend und ſpöt - tiſch bei jeder Gelegenheit, fragte einſt im Geſpräch einen Schriftſteller, der ihn in jeder Hinſicht weit über - ſah, auf eine ſpöttiſche Weiſe, warum er nicht einA2Mal über den Mond ſchriebe? Den Mond, ant - wortete der Gefragte ganz kalt, überlaſſe ich den Dichtern und den Hunden: die Einen beſingen ihn, die Andern bellen ihn an.

Der Bauer und der Oberſt, ſein Sohn.

Der Sohn eines Bauers, dem Pflug und Egge nicht behagen wollten, faßte den Entſchluß, Soldat zu werden; er nahm dem Vater das beſte Pferd aus dem Stalle, ritt ohne Lebewohl davon, und ließ ſich bei dem nächſten Regiment anwer - ben. Ein bedeutender Krieg war eben ausgebro - chen, der junge Martisſohn machte alle Feldzüge mit, blieb von Wunden verſchont, ſchwang ſich durch Tapferkeit und Glück immer höher empor, erwarb ſich mehrere Orden, und kehrte nach dem Frieden als Oberſt des Regimentes, mit welchem er als Gemeiner ausmarſchirt war, in die Garniſon zurück. Bisher hatte er ſeinem Vater keine Nach - richt von ſich gegeben: jetzt, da er ihm mit Ehren unter die Augen treten konnte, ſtellte er ein großes Gaſtmahl an, lud die Vornehmſten der Stadt da - zu ein, und ließ ſeinen Vater aus ſeinem Dorfe ebenfalls dazu holen. Der Alte, höchlich verwun - dert, wollte die Ehre durchaus ablehnen, da er nicht begreifen konnte, wie er dazu käme. Jndeſſen halfen3 alle ſeine Gegenvorſtellungen nichts, und er mußte an der Tafel den Platz neben dem Wirthe ein - nehmen.

Nach beendigter Mahlzeit, als die Becher wak - ker im Kreiſe umhergegangen, und der Alte ungemein fröhlich und ſelig geworden war, gab ſich endlich der Oberſt, als ſeinen entflohenen Sohn zu er - kennen.

Wie, was! ruft der Alte, Du biſt der Fritz? Du mein Sohn? Ja, Du biſt es, ich erkenne Dich. Aber, daß Du mir damals mein beſtes Pferd aus dem Stalle geritten haſt, höre Junge, das kann ich Dir nicht verzeihen, dafür mußt Du doch noch was haben! Mit dieſen Worten lief er nach dem Stock, und wer weiß, was geſchehen wäre, wenn er ihn an ſeinem Orte gefunden hätte.

Aus dem Leben des Hofraths Herz.

1.

Der verſtorbene Hofrath Herz war bekanntlich ein ſehr witziger Kopf, und gab öfters, da ihm Geiſtesgegenwart im hohen Grade eigen war, ſchnelle und treffende Antworten. Es iſt Schade, daß man keine Sammlung derſelben beſitzt. Einzelne werden hin und wieder noch von ihm erzählt, wie z. B. folgende:

A 24

Einſt kam er zu einem ſeiner Kranken, mit wel - chem er ſich eine kurze Zeit zu unterhalten pflegte. Die Rede war heute von der hohen Stufe der Bil - dung, deren man ſich jetzt erfreue, und von der Er - ziehungsmethode der Neueren. Unſere Ältern, ſagte unter andern der Kranke, haben uns zuviel lernen laſſen. Ganz trocken fiel Herz ein: Nun, was mich betrifft, ſo kann ich mich darüber eben nicht beſchweren!

2.

Herz war bekanntlich Arzt an dem hieſigen - diſchen Krankenhauſe. Jn demſelben befand ſich einſt ein alter Pole, der ihm, wie ungebildete Kranke wohl zu thun pflegen, ſehr viel zu ſchaffen machte. Bei einem Beſuche redete Herz ihn mit den Wor - ten an: Nun, was gibt es denn heute Neues zu klagen?

Ach, ich bin ſehr krank! erwiederte der Pole; ſehen Sie doch nur, Herr Hofrath, wie mir der Schweiß von oben herunter läuft.

H. Aber mein Gott, ſoll denn der Schweiß etwa von unten hinauf laufen? Habt nur Geduld! Beſſer, Jhr ſchwitzt, als ich. Mich hat geſtern ſchon die Angſt, Jhr möchtet heute nicht ſchwitzen, in Schweiß gebracht.

(Es war dieß nämlich ein erwünſchter kritiſcher Schweiß.)

5

Brauche ich denn das zu leiden, Herr Hofrath? fragte der Kranke.

Herz ſtutzte bei dieſer Frage. Jch meine, er - klärte ihm der Patient, ob ich mich wohl abtrock - nen darf?

2.

Zwei Schüler fanden ſich einſt vor der Woh - nung des Hofraths Herz ein, als er gerade, von ih - nen ungeſehen, mit der Pfeife im Fenſter lag, und ein unbemerkter Zeuge ihres Geſpräches ward. Sie konnten nicht einig werden, wer von ihnen hinauf gehen ſollte. Beide! ſagte der Eine, das iſt un - ſchicklich: gehe Du dreiſt hinauf, Du bekommſt ge - wiß etwas. Das kann ich nicht, erwiederte jener; er möchte mich kennen, ich habe kürzlich erſt etwas von ihm erhalten. Dieß Debattiren dauerte eine geraume Zeit, endlich wurden ſie einig, gemein - ſchaftlich ihr Glück zu verſuchen. Aber vor der Thür des Zimmers ſank dem Einen der Muth, leiſe öffnete er daſſelbe und ſtieß ſeinen Kameraden hinein. Dieſer zum Tode erſchrocken, fing an zu weinen, und entſchuldigte ſich damit, daß ihm der andere gewaltſam hinein geſtoßen habe. Sey ruhig, mein Söhnchen, erwiederte Herz, ich werde Dich ganz gemächlich wieder hinaus werfen!

6

Der Buffo und das da capo.

Ein italieniſcher Buffo gab hier einige Male Jntermezzo’s, aber, da er der deutſchen Sprache nicht mächtig war, in ſeiner Mutterſprache. Als er eine Arie geſungen hatte, die ſo allgemeinen Bei - fall fand, daß man da capo rief, erhob ſich im Parterre eine mißbilligende Stimme: Wozu ſoll denn das da capo? der Menſch verſteht ja kein Deutſch!

Das Herausrufen zu rechter Zeit.

Ein herumreiſender Schauſpieldirektor wählte zu ſeinen Vorſtellungen ein Lokal, an welchem man mit Recht auszuſetzen hatte, daß es, im Verhältniß zu der ſchauluſtigen Menge, nicht groß genug ſey. Zu Ende des erſten Aktes rief man den Direktor her - aus. Gott ſei Dank! rief einer der Zuſchauer, ſo kommt doch wenigſtens einer heraus, das Haus iſt ohnehin zu klein.

Der Taufſchein.

Ein Jſraelit, der zur chriſtlichen Religion über - trat, verlangte von dem Prediger ſeinen Taufſchein, bat aber zu gleicher Zeit, der Prediger möge ſeinen7 alten Namen, unter dem er als Kaufmann bekannt ſey, Abraham Moſes & Comp., hinein ſetzen. Recht gern erhielt er zur Antwort, aber ich dächte, wir ſchrieben Jſaak und Jakob auch noch dazu!

Die allzugroße Familie.

Ein polniſcher Jude kam zu einem chriſtlichen Prediger, und meldete ihm, daß er Willens ſey ſich taufen zu laſſen. Der Prediger, der wohl merkte, daß mehr der Eigennutz, als die wahre Überzeug - ung ſeinen Proſelyten antreibe, beſchloß ihn auf eine Probe zu ſtellen. Er fragte ihn, ob er denn auch wirklich von der Vortrefflichkeit des chriſtlichen Glaubens überzeugt ſey? Die Antwort war: Ja. Ferner, ob er auch wohl im Stande ſey, etwas für denſelben zu leiden und zu dulden, und, ob er ſich wohl einer Prüfung ſeiner Standhaftigkeit unter - werfen wolle? Auch dazu war der Proſelyt erbö - tig. Nun rief der Pfarrer ſeinen Knecht herein, und befahl ihm, dem Übergänger, auf ſein jedesma - liges Ja, drei Hiebe zu geben. Dieſem aber kündigte er an, daß er bei jedem chriſtlichen Heiligen, den er anerkennen würde, die ſo eben ausgeſprochene Prüfung erdulden müſſe. Darauf nannte er den Johannes; der Neubekehrte bequemte ſich zum Ja - und bekam drei Hiebe: beim Petrus und Paulus8 ging es eben ſo. Aber nun rief der Märterer mit wehmüthiger Miene aus: Ach, Herr Prediger, - ren Sie auf, hören Sie auf, die Familie iſt mir doch zu groß; wir wollen es lieber beim Alten laſſen.

Der billige Zahnarzt.

Ein Landmann kam zu einem herumziehenden Zahnarzt, um ſich einen Zahn ausnehmen zu laſ - ſen. Unglücklicher Weiſe faßte der Künſtler zwei für einen, beſänftigte aber auf der Stelle ſeinen aufge - brachten Patienten durch die Verſicherung, daß er ſich doch nur für einen bezahlen laſſen wolle.

Der Magister convivii.

Bei einem Trinkgelage ergriff der Magister con - vivii, ehe man die Gläſer noch füllte, eine volle Weinflaſche, und gebot ſeinen Gefährten, alles nach - zuahmen, was er ihnen zeigen würde. Er machte darauf alle nur erdenklichen Manual-Operationen, drehte die Flaſche bald nach oben, bald nach unten, legte ſie um, richtete ſie wieder auf, ſchwenkte ſie trotz dem gewandteſten Fahnenträger oder Tam - bourmajor um und über dem Kopfe u. ſ. w. La - chend wurde ihm alles nachgemacht, bis man ihn9 endlich um die Erklärung aller dieſer Ceremonien bat, welche er folgendermaßen gab:

Meine Freunde! Jch habe damit nur im Vor - aus alle die Revolutionen andeuten wollen, welche die Flaſche bei uns hervorbringen wird, und gleich - ſam vorher Repreſſalien gebraucht. Denn den Einen von uns wird ſie zum vierten Theil, den Andern halb, den Dritten ganz umwerfen; aber, ſeht her, Freunde! ſie hat keinen Schaden gelitten, trotz al - ler dieſer poſſierlichen Bewegungen. Sie hat dabei nicht das mindeſte verloren, ſondern iſt geblieben, was ſie war. Und das hat ſie mir zu verdanken, denn ich habe, da ſie mir überlaſſen war, alle mög - liche Sorgfalt für ihre Erhaltung getragen. Über - laſſen Sie Sich, meine Freunde, auch meiner Füh - rung, und ich will dafür Sorge tragen, daß der viertel, halb und ganz Selige unbeſchädigt bleibe. Ergo bibamus!

Die ſchreckliche und gute Nachricht.

Von ungefähr traf Jemand in einer Geſellſchaft einen Fremden, und erfuhr, daß er eben aus der Stadt komme, in welcher ſein alter Vater lebte. Er redete ihn an, und erkundigte ſich, ob ihm dieſer vielleicht bekannt ſey? Die Antwort lautete: O ja, ich habe ſogar die Ehre, ihn genauer zu kennen,10 und öfters bei ihm zu Mittag gegeſſen. Wie geht es ihm denn, fragte der Sohn, wie lebt er? Hof - fentlich doch gut?

D. Fremde. So, daß ich wünſche, alle böſe Menſchen mögen ein ſolches Leben führen, wie Jhr Herr Vater!

D. Sohn. Wie ſo? Sie erſchrecken mich! Jſt denn mein Vater etwa krank?

D. Fremde. Gott bewahre! Er iſt ſo geſund, wie ein Fiſch!

D. Sohn. Oder hat er vielleicht ein bedeutendes Unglück gehabt?

D. Fremde. Jm Gegentheil. Er hat erſt vor ganz kurzer Zeit einen nicht unbedeutenden Gewinn in der Lotterie gemacht.

D. Sohn. Aber, wie ſoll ich mir denn Jhren ſonderbaren Wunſch erklären?

D. Fremde. Jhr Herr Vater iſt vom frühen Morgen an nur darauf bedacht, wie er Gutes um ſich her verbreiten könne. Er führt ein ſtilles häus - liches Leben, und findet ſein höchſtes Glück nur darin, das Glück anderer Menſchen zu befördern. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß man zu wünſchen hätte, alle böſe Menſchen möchten ein ſol - ches Leben führen?

11

Der Willkommen auf dem Poſtwagen.

Auf einem Poſtwagen befanden ſich zwei Paſſa - giere ziemlich wohl, da ſie in ihrer Mitte eine ſchöne gefällige Paſſagierinn hatten. Man wettei - ferte von beiden Seiten, der Reiſegefährtinn die Zeit durch alle nur erſinnliche Späßchen ſo angenehm als möglich zu vertreiben. So ward man bald be - kannt, und die anbrechende Nacht fand unſer Klee - blatt in der angenehmſten Stimmung. Es war im Herbſt, und die Witterung ziemlich rauh und kalt. Beide Paſſagiere waren menſchlich genug, alle Sorge zu tragen, daß die holde Schöne nicht friere, daher rückten ſie ihr immer näher. Aber beide Reiſende waren auf eine kalte Nacht ganz und gar nicht vorbereitet, und die Schöne war artig genug, ſie herzlich zu bedauern, da ſie ſelbſt mit einem guten Pelzmantel, nach der damaligen Mode, mit Schlit - zen von beiden Seiten, verſehen war. Die Un - terhaltung nahm nach und nach ab; die Stunde des Schlafes rückte heran, und es fehlte den beiden Jünglingen nur der Mohnkopf auf dem Haupte, oder ein Mohnkopf in der Hand, um einem Sohne der Nacht ganz ähnlich zu ſeyn. Da geſchah es von ungefähr, ſey es nun durch die Macht des Morpheus oder durch eine andere natürliche Ur - ſache, daß der eine Paſſagier, den zu frieren ſchien,12 für ſeine halb von Kälte erſtarrte Hand in dem ihm zunächſt befindlichen Schlitze einen Zufluchtsort ſuchte. Man müßte nie in einer ähnlichen Verſuchung ge - weſen ſeyn, um nicht zu wiſſen, wie wohl es be - kömmt, wenn man in einer kalten Herbſtnacht auch nur eine Hand auf ſolche Art unterbringen kann. Aber auch dem zweiten Reiſenden ſchien die Gelegenheit günſtig, und er fand ebenfalls für eine von ſeinen Händen in dem andern Schlitz einen Schlupfwinkel. War nun unſerer Schönen ebenfalls eine reichliche Portion Mohnkörner in die Augen geſtreut, oder war ſie menſchlich genug, dieß von ihren beiden Nachbarn geſchehen zu laſſen, darüber wollen wir nicht entſcheiden. Unglücks - fälle gibt es überall, und ſo wollte das Ungeſchick, daß ſich beide Hände hier begegneten. Da rief der zuletzt Angelangte dem anderen einen freundlichen Willkomm zu, und fragte ihn: Aber ſagen Sie mir doch, wie geht es denn zu, daß Sie früher an - gekommen, als ich, da wir doch zu gleicher Zeit ausgefahren ſind?

Die geizige Tante und der witzige Verwandte.

Zur Eröffnung eines Teſtamentes hatten ſich ſämmtliche Competenten bei der Schweſter des Ver -13 blichenen, einer eben ſo reichen, als geizigen Tante, verſammelt. Die dazu erforderliche Gerichtsperſon ward wahrſcheinlich durch einen heftigen, anhalten - tenden Regenguß, der ſo eben eintrat, abgehalten, zu erſcheinen. Alle Verwandte ſaßen wartend da, ohne daß ihnen die Wirthinn auch nur einen Trunk Waſſers angeboten hätte. Der Bruder derſelben, ein ſehr witziger Kopf, äußerte bei dieſer Gelegen - heit: es iſt doch ein großes Vergnügen, wenn der Regen gleichſam vom Himmel herabſtürzt, ſo trok - ken zu ſitzen, wie wir hier!

Der Bußtag und der große Suͤnder.

Wie? redete ein Freund den andern an, dem er auf der Straße begegnete, es iſt heute Bußtag, und Sie großer Sünder ſind nicht in der Kirche?

Ach, entgegnete der Andere, ich weiß es gar wohl, daß ich ein ſo großer Sünder bin, daß ſelbſt ein ganzes Bußjahr bei mir nicht ausreichen wird, was ſoll mir denn da der Buß tag helfen?

Der Pſeudo-Graf.

Ein gefährlicher Betrieger, der überall umher - reiſete, ſich für einen Grafen ausgab, und falſche Staatspapiere fabricirte und verbreitete, ward endlich14 ertappt. Seiner Verbrechen überführt, geſtand er auch alles ein, und ſetzte ganz kaltblütig hinzu: Da es mit dem Hochgeboren nicht vorwärts wollte, ſo wird doch wohl wenigſtens Hochgeſtorben daraus werden!

Der wachſame Hund und der geizige Banquier.

Ein Banquier, als ein großer Geizhalz bekannt, brachte einſt ſeinen Lieblingshund mit in eine Geſell - ſchaft. Ein witziger Kopf und guter Bekannter von ihm, der es ſich oft herausnahm, ihn ein wenig zu necken, ſagte: Hören Sie, das muß wohl ein ſehr wachſamer Hund ſein! Der Geizhals wollte wiſſen, woher er dieß vermuthe? Ei, das ſieht man dem Thiere an! Anſehen? Wie ſo? Allerdings, der Hund ſieht ja aus, als ob er vor Hunger nicht ſchlafen könnte.

Die wohlfeile Muſik.

Auf dem Spaziergange, unweit eines Stadt - grabens, ſagte ebenderſelbe Banquier zu dieſem ſei - nem witzigen Freunde: Das Geſchrei der Fröſche iſt für mich die angenehmſte Muſik; ich höre es ſehr15 gern. Das glaube ich wohl, antwortete ſein Freund, denn ſie gehen nicht mit dem Notenblatt herum.

Der gut aufbewahrte Dukaten.

Als dieſer Geizige einſt einen Dukaten bekam, äußerte er, er wiſſe nicht, wo er den Dukaten hin - ſtecken ſollte, daß er ihn nicht, ſtatt eines Groſchens, einem Armen gäbe. Stecken Sie ihn doch, fiel der Witzling ein, nur unter die Groſchen in ihre Taſche.

Großer Fehler des Malers.

Der ebengenannte Witzling war einſt bei ſeinem Freunde, in deſſen Wohnung, und erblickte das Gemälde deſſelben. Aber, rief er aus, der Maler hat einen groben Fehler begangen, welcher Sie ganz unkenntlich macht; er hat ſie im ſchwarzen Hut und weißen Halstuch gemalt; den ſchwarzen Hut hätte er weiß malen müſſen, und das weiße Halstuch ſchwarz, dann wären Sie zum Sprechen getroffen.

Lobenswerthe Oekonomie.

Als dieſer reiche Geizhals auf dem Todbette lag, beſuchte ihn der Arzt, und gab ihm zu verſtehen,16 daß er ihn für ſehr bedeutend krank halte. Jch werde ihnen noch etwas anderes verſchreiben, fügte er hinzu; es iſt zwar eine ſehr theure Medizin, in - deſſen kann ſie vielleicht doch noch helfen! Er verſchrieb ſie, und gab das Recept dem Diener, um es ſogleich machen zu laſſen. Der Kranke aber gab in demſelben Nu dem Diener einen Wink, und zeigte ihm pantomimiſch, damit es der Arzt nicht merke, daß er nur die Hälfte beſtellen ſolle.

Die Kunſtreiſe.

Ein als Witzling bekannter, alter polniſcher Jude, der ehedem alle Meſſen bezog, entſchloß ſich, da es keine Geſchäfte für ihn mehr auf der Meſſe gab, eine Reiſe nach Deutſchland zu machen, um ſeine Verwandten aufzuſuchen, und ihre Hülfe in Anſpruch zu nehmen. Ein Kaufmann, der ihn kannte, traf denſelben in Berlin, und befragte ihn um die Urſache ſeiner Reiſe in ſeinem hohen Alter. Jch mache eine Kunſtreiſe war die Antwort. Eine Kunſtreiſe? Was ſoll das heißen? Sie wa - ren ja, ſo viel ich weiß, nie Künſtler. Ganz recht, erwiederte der Jude, eben das iſt aber die Kunſt. Sehen Sie, ich bin aus meiner Heimath, 180 Meilen von hier, mit 4 polniſchen Gulden ab - gereiſt, bin hier bereits vier Wochen, und werdevon17von hier über Hamburg nach Amſterdam gehen, ohne irgend eine Ausſicht auf Geld. Das, denke ich, kann man bei meinem Alter doch wohl eine Kunſtreiſe nen - nen, welche ſo leicht Niemand nachahmen wird.

Das ſinkende Haus.

Als ebenderſelbe eine Zeit lang in Deutſchland geweſen war, ohne daß er Luſt geäußert hätte, nach Hauſe zurückzukehren, ſchrieb ihm ſeine alte Frau, ſie lebe in nicht geringer Angſt, denn das Haus, worin ſie wohne, ſinke ſichtlich. Sichtlich! ſchrieb er ihr zur Antwort, das will ich wohl glauben; aber es wird ſich wahrſcheinlich bei der Unterſu - chung ergeben, daß nicht das Haus ſinkt, ſondern der Unflath vor dem Hauſe ſich häuft.

Sprachlos, und doch noch witzig.

Vom Schlage getroffen lag N. ganz ſprachlos da. Man reichte ihm eine Tafel hin, und er ſchrieb mit vieler Mühe mehrere Schuldner darauf. Man gab ihm zu verſtehen, er möchte auch Gläubiger, die er doch wahrſcheinlich auch haben würde, aufzeich - nen. Das mögen meine Gläubiger thun, ſchrieb er wieder, wenn ſie ſo ſprachlos, wie ich, daliegen werden.

B18

Die Probe.

Ein polniſcher Jude ward auf der Meſſe von einem deutſchen Kaufmann an ſeinen Laden heran - gerufen, ob ihm gleich der Pole ſchon vor einigen Tagen erklärt hatte, daß er nie wieder mit ihm handeln werde, weil er ſich mit den von ihm gekauf - ten Waaren ſo abſcheulich betrogen gefunden habe.

Hört, ſagte der deutſche Kaufmann, ihr könnt mich dieſe Meſſe probiren, ihr ſollt mit mir zufrie - den ſeyn. Hört, erwiederte der Pole, habt ihr ſchon geſehen, wie man einen Gold - oder Silber - barren probirt? So möchte ich euch auch probiren. Wer in der Oſtermeſſe ein Betrieger war, wird in der Michaelismeſſe wohl ein Schurke, aber ſchwerlich ein ehrlicher Mann ſeyn!

Origineller Briefwechſel eines zaͤrtlichen Paares.

Ein polniſcher Jude, der, ſeiner Handelsgeſchäfte wegen, von ſeiner Frau entfernt lebte, und der Schmachtenden keine Hoffnung geben konnte, bald zurück zu kommen, mußte darüber in ihren Briefen die bitterſten Vorwürfe leſen. Unter andern hieß es in einem derſeiben: Mein erſter, ſelig verſtorbener Mann blieb, wenn er verreiſen mußte, doch nur19 Monate lang von mir entfernt, Du hingegen biſt nun ſchon im zweiten Jahre auf Reiſen, und ſcheinſt ganz vergeſſen zu haben, daß ich noch ein junges Weib bin u. ſ. w. Der Geſcholtene erwie - derte ihr: Die beiden Gedankenſtriche, welche in Dei - nem Briefe auf das junge Weib folgen, habe ich ſehr wohl verſtanden; indeſſen wäre auch einer hinrei - chend geweſen, um mir lebhaft zu denken, was Du dabei gedacht haſt. Was deinen ſeligen Mann be - trifft, der, wie Du mir zu verſtehen gibſt, Dich mehr geliebt hat, als ich, ſo habe ich nichts dage - gen, wenn Du Dich, im Falle dir die Zeit zu lang werden ſollte, zu ihm begeben willſt. So war denn der Briefwechſel dieſer beiden Leutchen nichts, als ein ununterbrochener Hader und Zank, beſonders aber verſtand die Frau die Briefe ihres Mannes beſtändig unrecht, oder ſtellte ſich wenigſtens ſo, als ob ſie ſie nicht verſtände, und antwortete ihm in der Regel ganz verkehrte Dinge darauf, und dadurch ward dieſer endlich veranlaßt, ihr folgenden drol - ligen Einfall zu ſchreiben: Jch wünſche, daß der Teufel mich holen möchte; denn wenn ich Dir ſchriebe, ich wünſche, daß der Teufel Dich holen möchte, ſo würdeſt Du doch nur das Entgegenge - ſetzte leſen.

B 220

Die Spieldoſe auf einer Waſſerparthie.

N. beſuchte auf einer Reiſe mit einem Freunde den berühmten Garten zu Wörlitz. Dort wurde unter andern eine Waſſerparthie gemacht. Unſer Reiſender war ein zu würdiger und allgemein aner - kannt biederer Mann, als daß man ihm die kleine Schwäche, im Aeußern gern glänzen zu wollen, und z. B. deswegen ſehr theure Ringe und andere Koſtbarkeiten zu tragen, nicht zu gut halten und ſie verzeihlich finden ſollte. Er ließ eine Doſe mit einem Spielwerk in der Taſche oder aus der Taſche ſpielen. Da er wohl vermuthen konnte, daß die Schiffer noch nie dergleichen gehört oder geſehen hätten, und durch die ungekannten Töne vielleicht gar, wie die Mohren in der Zauberflöte, verwun - derungsvoll zum Tanzen gereizt werden könnten; wenn der kleine Schiffsraum es nur geſtattete, ſo hoffte er, ſich an ihrer Ueberraſchung zu weiden. Er ſtellte ſich daher ganz unwiſſend, und fragte, was denn das für Muſik ſey? Wir ſind, erwiederte einer der Neptunsgeſellen, hier nicht weit von einem Dorfe, und das, was wir hören, kommt vom Amts - vieh her!

21

Der abgeſchaffte Monat April.

Ein Einfaltspinſel, der ſtets etwas neues wiſſen wollte, und faſt alles glaubte, was man ihm auf zu bürden beliebte, lag mit einem Pfeifchen Tabak im Fenſter, und fragte einen vorübergehenden Be - kannten, ob es nichts neues gäbe? Allerdings, gab dieſer zur Antwort, wiſſen Sie denn noch nicht, daß der Fürſt den Monat April, der ſchlechten Witterung wegen, ganz abſchaffen will? Oho, das glaube ich doch nicht, rief der ſonſt ſo Leichtgläubige aus, lieber laſſen ſich die Menſchen den Mai, als den April nehmen. Zudem ſind ja die meiſten Mieths - kontrakte im April um, und da würde es gehen, wie bei allen Neuerungen, es würden nur Unordnungen folgen. Man laſſe Alles hübſch beim Alten, unſere weiſen Vorfahren waren auch keine Narren!

Der ehrliche Antiquar.

Ein Antiquar, dem Jemand nach und nach meh - rere Bücher zum Verkauf brachte, merkte endlich, daß dieſer wohl nicht auf die ehrlichſte Art dazu ge - kommen ſey, und nahm ſich vor, nichts mehr von demſelben zu kaufen. Als der Verkäufer bald dar - auf mit dem dreizehnten Bande eines Werkes, das aus weit mehr Bänden beſteht, wieder kam, gab er22 ihm denſelben zurück, und ſagte: Freund, dieß Buch können Sie ja beſſer anbringen, als ich, denn der, dem es fehlt, bezahlt es gewiß am beſten, ich aber weiß nicht, wem es fehlt!

Die wohlfeilen Eide.

Auf einem Kaffeehauſe an einem Meßplatze ka - men während der Meſſe viele Käufer und Verkäu - fer zuſammen, und ſchloſſen manchen Handel da - ſelbſt ab. Ein Galanteriehändler bot einſt einen ſchönen Brillantring feil, und war mit dem Käufer um zwei Louisd’or, die er noch verlangte, nicht ei - nig. Er hatte geſchworen, den Ring nicht zu ver - kaufen, wenn er nicht die zwei Louisd’or noch be - käme. Nun, da Sie geſchworen haben, erwiederte der Käufer, ſo laſſen Sie uns die zwei Louisd’or noch theilen; ich lege noch einen zu meinem Gebot. Nach einiger Weigerung willigte der Galanterie - händler ein, und der Handel ward abgeſchloſſen. Ein Dritter, der zugegen war, ſagte, nachdem der Verkäufer ſich entfernt hatte, zum Käufer: den Ring haben Sie, wie ich glaube, wohlfeil genug bekommen, aber den Eid haben ſie zu theuer be - zahlt! Den Eid? Wie ſo? Sie haben ihm, weil er geſchworen hatte, einen Louisd’or zugelegt, aber ich verſichere Jhnen, der Mann verkauft für einen Louisd’or ein Dutzend ſolcher Eide!

23

Der unſchaͤtzbare Solitair.

Auf demſelben Kaffeehauſe brachte Jemand einen ſeiner Meinung nach ſehr koſtbaren Stein zum Vor - ſchein, zeigte ihn einem Juvelier, der eben zugegen war, und fragte nach dem Werthe deſſelben. Dieſer, der ihn auf den erſten Blick für unächt erkannte, ſagte ſehr ernſthaft: Dieſer Stein iſt gar nicht zu ſchätzen, es ſey denn, daß noch einer da wäre, der ihm ähnlich iſt; dann könnte man ſagen: es iſt einer ſo viel werth, als der andere.

Der Toͤlpel meinte es gut.

Unter ſo manche Wundermittel, die gegen das viertägige Fieber, in Polen beſonders, noch im Rufe ſtehen, gehört auch irgend ein kleinerer Fiſch, der in dem Bauche eines größeren unverſehrt aufgefun - den wird. Dieſen pulveriſirt man und nimmt ihn eßlöffelweiſe als ein probates Mittel. Ein Tölpel von Sohn, der ſeiner Mutter oft Fiſche zubereiten mußte, war ſo glücklich, ein ſolches verſchlucktes Fiſchchen zu entdecken. Außer ſich vor Freuden, lief er zu ihr, und rief: Ach, liebe Mutter, wenn Du doch das viertägige Fieber bekämeſt! ich möchte gar zu gern den Verſuch machen, ob dieß wirklich ein probates Mittel ſey.

24

Der zuckerſuͤße Courmacher.

Ein zuckerſüßer Courmacher aller Damen wurde auf der Promenade, als er eine Schöne begleitete, von einem Bettler, der ihn um eine Gabe anſprach, verfolgt, und in ſeiner gar wichtigen Unterhaltung geſtört. Er griff in die Taſche, fand aber alles, wie nicht ſelten, auch dieß Mal wüſt und leer. Auf Ehre! rief er unwillig aus, einen Louisd’or wollte ich darum geben, wenn ich einen Groſchen bei mir hätte!

Hans Ueberall.

Wo es nur etwas zu ſehen oder zu hören gab, da fand ſich Hans unfehlbar ein, und drängte ſich auf eine anſtändige oder unanſtändige Weiſe, ihm gleich viel, überall ein. Wiederholte Unannehmlich - keiten und Beleidigungen, die ihm widerfuhren, blie - ben fruchtlos. Einſt wurde der Befehl gegeben, zur Generalprobe der damaligen großen Oper keine Zu - ſchauer zuzulaſſen. Deſſen ungeachtet wußte ſich Hans durch ein Trinkgeld den Eingang zu verſchaffen. Es dauerte aber nicht lange, ſo erſchien der wachhabende Offizier, und erbot ſich, ihn hinaus zu begleiten, wenn er geneigt ſeyn ſollte, ſich gefälligſt hinaus zu begeben. Da er aber, unartig genug, ſich deſſen weigerte, ward25 er ganz anſtändig hinaus geworfen. Auf dem Wege traf ihn ein Bekannter, der den Verdruß auf ſeinem Geſichte las, und ihn um die Urſache befragte. Of - fenherzig genug, erzählte Hans das Geſchehene, und ſetzte noch hinzu: es ärgere ihn am meiſten, daß es nicht einmal die Oper ſelbſt, ſondern nur die Gene - ralprobe geweſen ſey, aus der man ihn transportirt habe. Freund, ſagte ihm ſein Bekannter, das geht ja ganz natürlich zu. Was iſt denn eine General - probe anders, als eine Probe alles deſſen, was in der rechten Oper gemacht werden ſoll? So hat man denn auch die Probe gemacht, wie man Dich in der Oper ſelbſt hinauswerfen wird!

Die Reue.

Als wir noch Brautleute waren, ſagte eine Frau bei einem ehelichen Zwiſte zu ihrem Manne, hielt ich dich für einen ganz anderen Menſchen. Als Jüngling hielt ich dich für einen Mann, der noch als Mann würde Jüngling ſeyn können. Nun, mein Kind, erwiederte der Herr Gemahl, eben ſo bitter ſcherzend, ſo war doch der Jrrthum nicht ſo groß, als wenn man einen Engel wähnte, und einen Teufel findet. Als du noch Braut warſt, liebte ich dich ſo innig, daß ich dich vor lauter Liebe hätte aufeſſen können, und es thut mir herz - lich Leid, daß ich es nicht wirklich gethan habe.

26

Der liſtige Tod.

Jn Polen lebte ein Rabbi, der weit und breit in dem Rufe eines großen Kabbaliſten ſtand, und auf dieſe Art gar gewaltige Wunderdinge that, beſonders an denjenigen, welchen es an Glauben nicht fehlte. Er unternahm nicht nur die Heilung aller Krank - heiten, ſondern er wagte es ſogar, ſelbſt dem Tode das Handwerk zu verderben. Aus allen Gegenden kamen Unglückliche an, die ihre Zuflucht in ſolchen Fällen zu ihm nahmen. Nicht weit von dem Wohn - orte dieſes Rabbi in einem Flecken erkrankte einſt plötzlich ein Mann, und zwar ſo, daß der Arzt we - nig Hoffnung zur Wiederherſtellung gab. Seine arme geängſtigte Frau ſchickte ihren Sohn in der größten Eile zu dem Kabbaliſten, und ließ ihn fle - hentlich bitten, ihren Mann zu retten. Der Sohn langte an, und forderte von dem Rabbi, mit Thrä - nen in den Augen, Hülfe für ſeinen Vater. Dieſer hörte die Bitte an, entfernte ſich darauf aus dem Zimmer, kam aber bald zurück, und ſprach zu dem jungen Menſchen: Laufe nur nach Hauſe, und ſage deiner Mutter, ihr Mann ſey außer Gefahr. Vol - ler Freuden und athemlos überbrachte der Sohn die Nachricht, aber der Jubel dauerte nicht lange, denn in der folgenden Nacht ward der Zuſtand des Kran - ken noch weit ſchlimmer, und der Arzt gab alle27 Rettung auf. Mein Sohn, ſprach die Mutter, deren Hoffnung auf den Wundermann noch nicht unterge - gangen war, mit dem Anbruch des Tages mußt du noch ein Mal zu dem Rabbi wandern, und ihm ſa - gen, daß der Vater noch weit kränker geworden ſey. Abermals ließ der Rabbi ihn etwas warten, als er ſeinen Auftrag ausgerichtet hatte, und ſchickte ihn dann mit der troſtreichen Nachricht zurück, daß dem Kranken der Todesengel nichts anhaben könne, weil er ihm das Meſſer*)Die alten Juden ſtellten nämlich den Tod in der Geſtalt eines Engels vor, und gaben ihm, ſtatt der Senſe, ein großes Meſſer in die Hand, womit er ſeine Funktion verrichtete. weggenommen habe. Noch ſchnel - ler, als das erſte Mal, langte der Sohn mit dieſer frohen Kunde zu Hauſe an; aber ſie beſtätigte ſich ſehr ſchlecht, denn ſchon nach einigen Stunden ging der Alte in die Ewigkeit. Troſtlos forderte die eben ſo unglückliche als abergläubige Mutter ihren Sohn auf, dem Rabbi wenigſtens die Todesnachricht zu überbringen, und ſich zu erkundigen, wie dieß zuge - gangen ſey, da er doch vorgegeben, dem Tode das Meſſer genommen zu haben. Aber, ſich ganz ver - wundert ſtellend, ſprach der verlegene Rabbi: Sage deiner Mutter nur, das Meſſer hätte ich allerdings in Beſchlag genommen, es könne daher nicht anders28 ſeyn, der ſo liſtige Todesengel müſſe den Seligen gewürgt haben.

Die Rettung durch verſtorbene Aeltern in Hundsgeſtalten.

So wie es bei den Griechen Dämonen und Schutz - geiſter gab, ſo gab es dergleichen, nur mit ungleich mehr Modifikationen, auch unter den alten Juden. Unter andern herrſchte der Glaube, daß verſtorbene Ältern auf ihre Kinder immer noch ein wachſames Auge hätten, und ihnen im Augenblicke der Gefahr unter allerlei Geſtalten, je nachdem ſie erforderlich wären, erſcheinen könnten. Da gibt es nun eine Menge recht drolliger Anekdoten, wovon folgende als Probe dienen mag:

Auf dem Gute eines polniſchen Edelmannes leb - ten zwei Juden, die den Krug gemeinſchaftlich ge - pachtet hatten. Da ſie aber ſchon mehrmals, der eingetretenen Feiertage wegen, ihre Pflichten ge - gen den Edelmann nicht erfüllt hatten, ſo ward dieſer endlich, bei einer ähnlichen Gelegenheit, ſo erbittert, daß er ſie zu einer Züchtigung verur - theilte. Alle vorgebrachte Entſchuldigungen blieben ohne Wirkung, es ward ein Bund Stroh herbeige - bracht, und ſchon ſtand der Vogt mit der Peitſche ſchlagfertig, als einer der Diener hereintrat, und29 dem Edelmanne, einem leidenſchaftlichen Jäger, ei - nen Brief von ſeiner Braut überreichte, welcher von zwei ausgeſucht ſchönen Jagdhunden begleitet war. Voll Freude über den lieben Brief, und auch wohl wahrſcheinlich über die noch lieberen Hunde, erließ er den beiden armen Sündern die Strafe, mit dem Bemerken, daß ſie es den beiden Hunden zu danken hätten, ſo glücklich davon gekommen zu ſeyn.

Dankend blickten beide auf dem Wege nach Hauſe gen Himmel. Wer weiß, ſprach der Eine, wer weiß, was wir hätten leiden müſſen, wenn der Zufall nicht in dieſem Augenblick die beiden Hunde herbeigeführt hätte! Sünder und Tölpel! rief ihm der Andere zu, glaubſt du denn, daß es wirkliche Hunde waren? Ja, der Geſtalt nach, allerdings, aber unſere Schutz - geiſter waren es, ohne Zweifel der eine Hund dein, der andere mein Vater!

Die fehlgeſchlagene und ſchaͤdliche Huͤlfe.

Jn die ſchöne und tugendhafte Tochter eines Glaſermeiſters verliebte ſich ein junger Mann, und da er in gutem Rufe ſtand, ſo ward ihm die Er - laubniß von den Ältern des Mädchens, ſie nach Belieben zu beſuchen. Beide aber, das Mädchen ſowohl, als der junge Mann, konnten ſich in ihrer gegenſeitigen Liebe nicht mehr gleichen, als ihre Lage30 darin vollkommen gleich war, daß ſie beide ganz ohne Vermögen waren. Eines Tages hörte der junge Mann von dem Vater ſeiner Geliebten die bitterſten Klagen, daß ihn ſeine Profeſſion nicht mehr ernähren wolle. Seit dem großen Hagel - ſchlage, der ſo viele Scheiben heimgeſucht, habe er, außer unbedeutenden Laternengläſern, faſt gar nichts zu thun gehabt. Der Liebhaber ward von der Noth der Familie gar ſehr gerührt, und empfand ſein Un - vermögen zu helfen deſto ſchmerzhafter, je größer ſein guter Wille war. Da kam ihm der Einfall, dem Vater ſeiner Geliebten auf eine beſondere Art zu helfen, und er beſchloß, denſelben ſo bald als möglich auszuführen. Am folgenden Abende bat er mehrere junge Bekannte und Freunde zu ſich, und ſchaffte eine großmächtige Bowle Punſch an, die bis in die ſpäte Nacht ausdauerte. Als ſich nun die Geſellſchaft ziemlich voll gepunſcht hatte, erzählte er die unglückliche Lage jenes Glaſermeiſters, und for - derte ſeine Gefährten auf, in dem von der Wohnung des Glaſermeiſters nicht weit gelegenen Hauſe eines reichen Banquiers alle Fenſter einzuwerfen, um dem armen Manne zu einem Verdienſt zu helfen. Das iſt ein köſtlicher Einfall, rief der ganze Chor ein - ſtimmig aus, laßt uns raſch zur That ſchreiten, ehe uns die Nacht verläßt, die unſerem Vorhaben ſo günſtig iſt! Geſagt, gethan, und der künſt -31 liche Hagel hauſte noch weit ärger unter den ſchö - nen Spiegelſcheiben, als jener natürliche. Jn der ganzen Front des Hauſes blieb kein Fenſter unver - nichtet.

Nach einigen Tagen ging unſer verliebter Haus - freund zu ſeiner Geliebten, in der Hoffnung, ihren Vater in einer beſſeren Stimmung zu finden, als diejenige war, in der er ihn verlaſſen hatte; aber ſtatt deſſen erzählte ihm ſein Mädchen mit Thrä - nen, daß ihrem Vater ein großes Unglück getroffen habe. Es ſeyen nämlich einem reichen Banquier in der Nachbarſchaft in einer Nacht alle Fenſterſcheiben im Hauſe eingeworfen, und ihr Vater müſſe dieſe alle ohne Bezahlung machen, da er mit dem Banquier in einem Jahr-Kontrakt ſtehe, nach welchem er für eine keines Weges bedeutende Summe alle Glaſerarbeit, die im Hauſe nothwendig ſey, anfertigen müſſe. Man kann ſich die Beſtürzung des jungen Mannes leicht denken, der nun bei allen Verwünſchungen der Thäter ſtill ſchweigen, und um ſich nicht zu verrathen, wohl gar auf ſich ſelbſt noch mit ſchim - pfen mußte.

Große Veraͤnderung der Zeit.

Jn Breslau lebte eine jüdiſche Familie unter dem Namen Kuh, aus welcher unter andern auch ein32 im vorigen Jahrhunderte beliebter Dichter ab - ſtammte. Einige Glieder dieſer Familie traten ſpä - ter zur chriſtlichen Religion über. Ein Witzling nahm davon Gelegenheit, zu äußern: Wie ſich doch die Zeiten geändert haben, ehemals taufte man die Milch, jetzt tauft man die Kühe ſelbſt.

Replik und Gegenreplik.

Eine ähnliche Anekdote, die vielleicht die Mut - ter oder die Tochter der vorhergehenden ſeyn mag, iſt folgende:

Ein iſraelitiſcher Gelehrter kehrte auf einem Spa - ziergange mit einem chriſtlichen gelehrten Freunde an einem öffentlichen Ort ein, und ließ ſich Kaffee rei - chen. Der Chriſt machte die Bemerkung, daß die Milch zum Kaffee ſehr getauft ſey. Ei, ei, mein Freund, erinnerte ihn ſein Begleiter, wie kann man ein ſo heiliges Wort alſo mißbrauchen. Nun, erwiederte der Chriſt, wenn von Dukaten die Rede wäre, ſo würde ich ſagen, ſie ſeyen beſchnitten!

Die witzige Juͤdinn.

Eine jüdiſche ſehr witzige Dame ging in Beglei - tung eines chriſtlichen Freundes, eines Profeſſors, auf einer Promenade ſpazieren. Der Profeſſor wardvon33von einem äußerſt zudringlichen Bettler verfolgt, der, obgleich mehrmahls mit Heftigkeit abgewieſen, dennoch nicht von ihm ließ; wie es denn überhaupt die Maxime eines Bettlers von Profeſſion zu ſeyn ſcheint, Herren, die in Begleitung von Damen ſich öffentlich zeigen, vorzüglich in Contribution zu ſetzen. Nach vielen vergeblichen Verſuchen, die Hartherzig - keit des Profeſſors zu beſiegen, brach endlich der Bettler in die Worte aus: Mein Herr, um der Wunden Jeſu willen, bitte ich um ein Almoſen. Sey es nun, daß dieſe Worte das Jhrige leiſteten, oder daß der Profeſſor kein anderes Mittel vor Au - gen ſah, um ſich den Zudringlichen vom Halſe zu ſchaffen, genug, er zog die Börſe, um ihn zu befrie - digen. Erlauben Sie, mein Herr Profeſſor, ſprach die Dame, und hielt ihn zurück, die Wunden Jeſu muß ich bezahlen.

Der Polizeibeamte und ſein Arreſtant.

Ein Polizeibeamte hatte auf der Gränze des Landes eine Diebsbande aufgehoben, und transpor - tirte ſie geſchloſſen und zu Wagen nach einer nahen Stadt. Als man unter Weges durch ein Dorf fuhr, hatte einer der Gefangenen die Tabakspfeife im Munde, und rauchte. Der Polizeibeamte ritt an ihn heran, und verwies ihm das Rauchen, ſo langeC34er im Dorfe ſey. Nun, erwiederte der Kerl, Herr Polizei-Jnſpektor, Sie ſind ein vernünftiger Mann, ſagen Sie doch, was habe ich denn zu befürchten? Daß man mich arretirt? Das kann man thun, daraus mache ich mir nichts.

Lebensrettung, durch ein originelles Gebet.

Zu einem Juden, der von der Meſſe nach Hauſe wanderte, geſellte ſich ein abgedankter ſchnurrbärti - ger Kriegsknecht, und bot ſich ihm zum Reiſegefähr - ten an. Da beider Weg derſelbe war, ſo hatte der Jude nichts dagegen, und ſetzte in ſeiner Begleitung die Reiſe fort. Die Straße führte durch eine Heide. Faſt in der Mitte derſelben packte aber der Soldat den Juden, und forderte ihm ſeine Barſchaft ab, mit der Drohung, wenn er ſie verweigere, ihm das Leben zu nehmen. Höre, ſprach der Jude, der noch ein junger raſcher Kerl war, gutwillig gebe ich dir mein Geld nicht, erſt will ich mich wehren; da du aber ein alter Soldat biſt, und ſtärker, als ich, ſo wirſt du wahrſcheinlich ſiegen, und mich dann um - bringen. Darum vergönne mir, daß ich zu dem Gott meiner Väter noch ein kurzes Gebet ſenden möge. Das bewilligte ihm der Soldat. Mit lau - ter Stimme begann nun der Jude: » Lieber Gott, bleib du nur neutral, ſtehe weder mir, noch ihm35 bei, dann ſollſt du dein blaues Wunder ſehen. « Und kaum hatte er geendigt, ſo ſprang er auf den Räuber zu, der durch das ſonderbare Gebet ſchon beſtürzt geworden war, und warf ihn mit leichter Mühe zu Boden. Siehſt du, Spitzbube, fuhr er fort, jetzt ſteht dein Leben in meiner Hand, ich könnte gerechte Vergeltung üben, aber ich will dir verzeihen, wenn du mir verſprichſt, mich ruhig mei - nes Weges ziehen zu laſſen. Der Soldat gelobte mit Freuden alles, was der Jude von ihm forderte, und war herzlich froh, ſo gut davon gekommen zu ſeyn.

Der ſchadenfrohe Wirth und der witzige Gaſt.

Ein armer polniſcher Jude, der auf Reiſen war, kam am Sabbath in eine Stadt, und erhielt von den Vorſtehern der dortigen Judenſchaft, wie es frü - her Sitte war, eine Anweiſung zum Mittageſſen bei einem reichen iſraelitiſchen Einwohner. Er fand ſich zur rechten Zeit ein, und es ward ihm, obwohl ungern, von ſeinem Wirth ein Platz am Tiſche an - gewieſen. Die Suppe ward aufgetragen; der Haus - herr genoß zuerſt davon, und verbrannte ſich, da ſie noch ſehr heiß war, die Zunge dermaßen, daß ihm die Thränen aus den Augen liefen. WasC 236iſt Jhnen, fragte ſein Gaſt, ich ſehe, daß Sie wei - nen. Der Wirth, der ſeinem unwillkommenen Gaſt einen Poſſen ſpielen wollte, unterdrückte ſeinen Schmerz, und ſprach: Dieſe Thränen fließen dem Andenken meines Vaters; dieſe Suppe war ſein Leibgericht, und ich kann ſie nicht ſehen, ohne über ihn zu weinen. Der arme Pole ſagte einige Worte des Troſtes, griff ganz unbefangen zu ſeinem Löffel, und hatte gleiches Schickſal mit ſeinem Wirthe. Aber was iſt euch denn, fragte dieſer, als er ſeine Thränen gleichfalls rinnen ſah, ihr weint ja auch? Ach, ſprach der Jude, ich weine ebenfalls über Jhren Vater, und zwar, daß er einen ſolchen Schelm, wie Sie, in die Welt geſetzt hat.

Der Fuͤrſt und ſein Hofnarr.

Ein Fürſt hatte auf einer Reiſe im Winter ſei - nen Hofnarren mitgenommen, der ihm unter Weges die lange Weile durch ſeine Poſſen vertreiben ſollte. Jndeſſen machte es der Narr zu arg; er ſcherzte ſo lange, bis die fürſtliche Geduld riß, und ihm ſein Gebieter befahl, zur Strafe während der nächſten Meile in puris naturalibus auf dem Kutſchbocke zu ſitzen. Kein Proteſtiren half, der Narr mußte dem gnädigſten Befehle gehorchen.

Die Meile war zurückgelegt, und dem Märterer37 der Wahrheit ward die Erlaubniß, ſich wieder an - zukleiden und ſeinen vorigen Platz im Wagen einzunehmen. Lachend fragte ihn der Fürſt, wie ihm die Lection bekommen ſey? Mit dem ruhigſten Geſichte von der Welt, antwortete der Narr: Mein Troſt war es, daß Ew. Durchlaucht ſich in einer Lage befanden, die der meinigen, wenn auch im um - gekehrten Verhältniß, ganz ähnlich war.

Wie ſo? fragte der überraſchte Fürſt.

Ew. Durchlaucht hatten den ganzen Körper ge - gen die Kälte wohl verwahrt, nur mit der Naſe wollte es nicht gelingen; dieſe mußte alles Unge - mach erdulden. Mit mir war es umgekehrt der Fall; den ganzen Leib mußte ich dem Froſte Preis geben, während ein gewiſſer Theil, auf dem ich ſaß, nichts davon empfand. Wie gern hätte ich meinem gnädigſten Herrn damit aus der Noth geholfen!

Der Fuͤrſt und der Poſtillon.

Ein Fürſt reiſte incognito unter dem Namen eines gewiſſen Barons. Eilboten flogen vor ihm her, um auf jeder Station für die nöthigen Pferde zu ſorgen, damit die Reiſe durch nichts verzögert würde. Einem Poſtillon ward von ſeinem Poſtmei - ſter angekündigt, daß er ſich bereit halten ſolle, um einen durchreiſenden Fürſten zu fahren. Die beſten38 Ermahnungen folgten, ſich ja keine Verzögerung zu erlauben, damit Sr. Durchlaucht keine Urſache zu klagen fänden, und demnächſt machte ihm der Poſt - meiſter die Hoffnung, ein reichliches Trinkgeld zu erhalten. Niemand war froher als der Poſtillon. die freudige Nachricht wirkte ſo ſtark, daß er, in dem bezaubernden Gedanken an die bevorſtehende reiche Spende, raſch ins Wirthshaus eilte, und ſich auf Rechnung derſelben trefflich bene that.

Nach Verlauf einiger Stunden kam die erſehnte Extrapoſt an. Ein Poſtoffiziant ſprengte voran, ſprang vom Pferde, und rief: Raſch, die Pferde für den Herrn Baron von N. Der Poſtillon, in der Meinung, der Fürſt werde auch bald kommen, zögerte, aber der zürnende Poſtmeiſter trieb ihn zur Erfüllung ſeiner Pflicht. Murrend ſpannte er ſeine Pferde vor, traurig ſetzte er ſich in den Sattel und fuhr davon. Dahin war die Freude, vernichtet die Hoffnung auf das reichliche Trinkgeld, einem anderen ſollte nun dieſes zu Theil werden. Jm Ärger über ſein Mißgeſchick vergaß er ſeine Pferde anzutreiben, die immer langſamer und langſamer gingen. Dem Fürſten fiel dieß am Ende auf; er konnte ſich nicht enthalten, den Schwager darüber zu befragen. Wo - her kommt es, rief er ihm zu, daß du ſo ſchlecht fährſt, biſt du etwa krank, oder iſt eines deiner Pferde krank?

39

Ach nein, erwiederte der Poſtillon, krank bin ich ſo wenig, als meine Pferde es ſind, aber verdrieß - lich bin ich.

D. F. Verdrießlich? Warum denn?

D. P. J, da hatte mir der Poſtmeiſter heute morgen geſagt, ich ſollte einen Fürſten fahren. Jch habe nun ſchon im Wirthshauſe auf das Trinkgeld eine artige Zeche gemacht. Da kamen Sie, ich muß Sie fahren, und wenn nun unterdeſſen der Fürſt kommt, ſo wird mir mein Kamerad das ſchöne Trinkgeld vor der Naſe weg nehmen.

D. F. Was hätte dir der Fürſt wohl zum Trinkgeld gegeben?

D. P. Wenigſtens doch einen Dukaten.

D. F. Nun, wenn ich dir auch einen Dukaten gebe, ſo biſt du ja entſchädigt.

D. P. Was? Sie wollen mir auch einen Du - katen geben? Da mag der Fürſt zum Teufel fah - ren, was kümmerts mich?

Und damit trieb er ſeine Pferde an, und fuhr luſtig davon.

Der gefaͤllige Wirth.

Eine Geſellſchaft verabredete ſich, zu einem Re - ſtaurateur zu gehen, und ſich einen frohen Abend zu machen. Man war vergnügt und ausgelaſſen40 luſtig bis in die ſpäte Nacht. Als aber beim Weg - gehen die Rechnung gefordert ward, brachte dieſe all - gemein eine ernſthafte Stimmung hervor, denn ſie war übertrieben hoch. Es gibt, ſagte einer der Gäſte, Geſellſchaften, die auf Abentheuer ausgehen; wir ſind auf einen theuern Abend losgegangen. Beim Abſchied bat der Wirth, ihn bald wieder zu beſuchen. Zu einem Manne, der ſo ehrlich und ge - fällig iſt, wie Sie, kehrt man gern wieder, entgeg - nete ein Anderer. Jn den Speiſen haben wir Salz und Pfeffer vermißt, Sie waren aber ehrlich genug, uns beides in der Rechnung zu geben. Zudem ſind ſie ein gefälliger Mann, ſie wollen mit ihren - ſten lachen: Wer zuletzt lacht, lacht am beſten!

Die warnende Ueberſchrift eines Gaſthofs.

Jn einer altdeutſchen kleinen Stadt ſtand über der Thüre eines Gaſthofes die Überſchrift:

» Geſegnet wirſt du ſeyn, wenn du ankommſt, » und geſegnet, wenn du ausgeheſt. «

Zwei Freunde, die auf gemeinſchaftliche Koſten reiſten, kehrten daſelbſt ein, um ſich einige Tage in dem Städtchen aufzuhalten. Der Eine, der viel Welt - und Menſchenkenntniß beſaß, äußerte ſo - gleich beim Anblick dieſer Überſchrift, daß er keinen guten Begriff von dieſem Gaſtwirthe habe: da, wo41 der Segen vor dem Hauſe ſtehe, pflege der Fluch im Hauſe zu reſidiren. Und in der That beſtätigte der Erfolg dieſe Prophezeiung: man fand bei der Abreiſe eine nichts weniger als geſegnete Rechnung, denn außerdem, daß alle Preiſe mehr als übertrie - ben hoch aufgeführt waren, fanden ſich ſelbſt Dinge, die man weder verlangt noch erhalten hatte, auf die - ſer ſaubern Rechnung und, gleichſam als Zugabe, ein kleiner Jrrthum im Addiren, es verſteht ſich, zum Vortheil des Wirthes. Ob man ſich gleich vor - nahm, dieſe Gemeinheit ungerügt durchgehen zu laſ - ſen, ſo wollte man doch wenigſtens zeigen, daß man des Wirthes Betriegerei eingeſehen habe, und ließ ihm auf dem Tiſche folgende Zeilen offen zurück:

» Geſegnet wirſt du ſeyn, wenn du ankommſt, » und geprellt, wenn du ausgeheſt. «

Beſonders beſtätigt ſich die Wahrheit unſers Tex - tes bei dem Wein, den du getrunken und nicht ge - trunken. Der, den du getrunken, iſt eben ſo ſchlecht, als der Preis hoch, und das will viel ſagen; der, den du in der Rechnung findeſt, und weder erhalten noch getrunken haſt, kann aber wohl in der Güte mit dem Preiſe im Verhältniß ſtehen, das iſt mög - lich. Der Rechnungsſehler, der beim Zuſammenzäh - len in der Summe ſich findet, iſt verzeihlich, denn:

Zu einem ſo muſterhaften Barbiren Gehört ein ſo vortreffliches Addiren.

42

Boshafter Willkommen.

Jn einer kleinen Stadt wohnte ein Mathemati - ker, der nur für ſeine Wiſſenſchaft lebte, und ſich weder um große noch kleine Welthändel, noch um irgend eine Begebenheit kümmerte, die nicht in ſein Fach ſchlug. Der Eigenthümer des ſehr baufälligen Hauſes bemühte ſich vergebens ſeine nähere Bekannt - ſchaft zu machen; zu wiederholten Mahlen hatte frei - lich der Gelehrte dem faſt zudringlich gewordenen Wirth einen Beſuch verſprochen, allein es kam nie zur Ausführung. Eines Tages war unſer Mathe - matiker in Triangeln und Quadraten bis über die Ohren verſunken; plötzlich brach der Boden ſeines Zimmers auf der Stelle, wo er ſaß, durch, und er ſtürzte mit ſeinem mathematiſchen Apparat ſehr un - mathematiſch in des Wirthes Zimmer hinab, ohne ſich bedeutend zu beſchädigen. Der Wirth rief dem Mathematikus ganz gelaſſen zu: (vielleicht war es die Wirkung des Schreckens ſelbſt) Seyn Sie mir tauſend Mahl willkommen; wenn es ſich nicht ſo ge - fügt hätte, würde ich wahrſcheinlich der Ehre Jhres Beſuches mich noch nicht erfreut haben. Da Sie unangemeldet gekommen ſind, (es war in der Mit - tagsſtunde) ſo werden Sie ſchon vorlieb nehmen müſſen. Ohne ſich an etwas zu kehren, fragte ihn der Mathematiker: Haben Sie nicht geſehen, wo mein Zirkel geblieben iſt?

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Der Tauſchhandel.

Ein Gascogner wollte den Handel nicht länger fortſetzen. Da der Ausverkauf damals noch unbe - kannt war, ſo kam er auf den weiſen Einfall, meh - rere verlegene Artikel verſchiedenen Commiſſionären zur Meſſe mit zu geben. Einen bedeutenden Vor - rath von rothen Strümpfen, die weiland in der Mode waren, gab er einem Kaufmanne, der zur Meſſe reiſte, in Commiſſion, und verſprach ihm einen guten Rabatt, wofern er ſie anbrächte, gab ihm auch die Vollmacht, auf irgend einen andern Artikel zu tauſchen, und allenfalls Geld zu zu geben, wenn er es vortheilhaft fände. Einem zweiten Kauf - manne, der dieſelbe Meſſe bezog, gab er unter der - ſelben Bedingung eine Partie buntſtreifiger Schlaf - mützen, die ebenfalls aus einem vorigen Säkulum waren, und keinen Käufer mehr fanden. Beide Com - miſſionäre trafen auf der Meſſe zuſammen, und nicht wiſſend, daß dieſe Artikel aus einer und derſel - ben Quelle kämen, boten ſie dieſelben einander an. Sie wurden auf einen Tauſchhandel einig, jedoch mußte derjenige, der die rothen Strümpfe hatte, auf die bunten Mützen 50 Thaler zugeben. Nach Beendigung der Meſſe erhielt unſer Gascogner beide Artikel zurück, und mußte außer der Koſtenrechnung noch 50 Thaler zahlen.

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Etwas ähnliches mag auch wohl bisweilen bei unſern nicht gascogniſchen Papierhändlern Statt finden. Geſchworne und ungeſchworne Mäkler nehmen ihre Gebühren, obgleich die Committenten ſtatt verlegener rother Strümpfe, buntſtreifige Kap - pen freilich ohne Schellen erhalten.

Der witzige Pole und ſeine reichen Ver - wandten.

Ein armer Pole pflegte ſeine reichen Verwand - ten in einer deutſchen Hauptſtadt alle zwei oder höchſtens drei Jahre mit ſeiner Gegenwart heimzuſu - chen, und wußte ſtets dringende Urſacheu anzuge - ben, ihre Hülfe in Anſpruch zu nehmen. Einige Mahle ſchon hatte er vorgeſchützt, eine Tochter unter die Haube und an den Mann bringen zu müſſen. Als er nach mehreren Jahren wiederkam und unter demſelben Vorwand um Unterſtützung bat, ſagte ihm einer ſeiner Verwandten: Jhr ſcheint vergeſſen zu haben, daß Jhr uns zum Troſt einſt ſagtet, Jhr hättet nur vier Töchter, und dieſe haben wir ja bereits verſorgt! Einen Augenblick ſtutzte der Pole, indeſſen faßte er ſich bald und erwiederte: Es iſt freilich wahr, daß ich vier Töchter habe, aber meine Frau hat gleich nach der Hochzeit mit einem Mäd - chen unrichtige Wochen gehalten, und da iſt mir45 eingefallen, daß ich doch wohl der nächſte Erbe mei - ner Tochter ſeyn muß.

Die Heirath aus Rache.

Zum vierten Mahle verheirathete ſich ein als Witzling bekannter Mann und zwar mit der vier - ten Tochter einer Wittwe, deren er drei ſchon geehe - licht und nicht lange nachher begraben hatte. Sage mir, redete ihn ein Freund an, iſt es denn wahr, daß du die dritte Schweſter deiner Frau heiratheſt? du ſiehſt ja offenbar, daß du kein Glück in dieſer Familie haſt! Kein Glück! erwiederte dieſer. Höre, ich will es dir geſtehen, ich hege einen unaus - löſchlichen Haß gegen dieſe Familie, und ruhe nicht eher, bis ich ſie mit der Wurzel ausgerottet haben werde. Daher bin ich auch bereits feſt entſchloſſen, wenn mir die vierte Tochter gleichfalls ſterben ſollte, die zugleich die letzte iſt, unfehlbar die Mutter ſelbſt noch zu heirathen.

Der gute Eſſer und noch beſſere Trinker.

Nach der Beobachtung eines alten Weiſen ſoll der Menſch im Allgemeinen bis zum Alter von 60 Jahren mehr Speiſe als Getränk zu ſich nehmen; nach dem 60 ſten Jahre aber ſoll es ſich umgekehrt verhalten.

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Ein reicher Mann, der gern Fremde an ſeinem Tiſche ſah, verband mit ſeiner Gaſtfreundſchaft auch die Tugend der Wohlthätigkeit; er nöthigte nicht ſelten arme Durchreiſende zur Tafel, die er nicht nur ſättigte, ſondern deren Umſtände er auch in der Regel ſehr fein zu erforſchen ſuchte, um ſie dann nie ohne einige Hülfe zu entlaſſen. Da man wußte, daß er ein Freund von jovialen, fröhlich gelaunten und witzigen Menſchen war, ſo pflegten ſich dergleichen Gäſte alle Mühe zu geben, ihm ſo zu erſcheinen, und einen oder den andern witzigen Einfall beſtmöglichſt anzubringen. So be - merkte einſt ein ſolcher durchreiſender Gaſt: er ver - muthe, daß er durch ſein Eſſen und Trinken auf - falle. Da ich beides im reichlichen Maße genieße, ſo werden Sie, ſagte er zum Wirth, nach jener Be - merkung eines alten Weiſen über mein Alter nicht einig werden können, ob es über oder unter 60 Jahr ſeyn mag. Fügen Sie aber der Beobachtung des alten Weiſen eine andere hinzu, nämlich die: daß das letzte Gewitter im Jahre, wenn Sommer in Win - ter übergeht, in der Regel das ſtärkſte iſt, ſo wird Jhnen klar werden, das ich heute aus dem 60 ſten Jahre ſcheide, und daher in beidem, im Eſſen und Trinken, gleichviel leiſten kann.

47

Die betrogene Betrieger.

Ein luſtiger Burſche, der im zweiten Stockwerke wohnte, hatte gegenüber in demſelben Geſchoß ein lie - bes Mädchen, mit dem er häufig liebäugelte. Dieß würden wir uns nun wohl gefallen laſſen, da wir ſelbſt (welche Offenherzigkeit) in unſerer Jugend kein Koſt - verächter waren; aber auch in dem dritten Stockwerke gegenüber gab es für ihn eine Liebſchaft, und ſo ge - rieth er in eine Verlegenheit, aus der er ſich ſehr weiſe zu retten wußte. Als er einſt mit der Liebſchaft des zweiten Stockwerks ein Rendezvous hatte, ſagte er ihr, er fürchte, daß ihr guter Ruf darunter leiden möchte, wenn die Nachbarn bemerkten, daß er ihr unaufhörlich Küſſe hinüber würfe: da er es aber un - möglich unterlaſſen könne, ſo würde er ſie in Zukunft nach dem dritten Stockwerke richten. Sein treues Mädchen war damit ſehr zufrieden, und machte nur noch die Bedingung, daß ſie die Erwiederung eben - falls nach dem dritten Stockwerke richten würde. Er willigte ein, und auch ſie hatte ihren Zweck, und zwar denſelben, dadurch erreicht.

Die Kunſt, das Griechiſche zu conſerviren.

Ein Magiſter auf einer angeſehenen hohen Schule hatte das eben nicht unerhörte Unglück, ſich den gei -48 ſtigen Getränken ſo ſehr zu ergeben, daß er, als zu ſeinem Amte fernerhin unbrauchbar, verabſchiedet, und, was die Hauptſache war, penſionirt wurde, worüber er ſich indeſſen, ſelten nüchtern, eben keine Sorgen machte. Man bewunderte an ihm, daß er, wenn er auch übervoll war, dennoch die gründlichſte Kenntniß der griechiſchen Sprache zeigte. Es iſt zum Erſtaunen, rief einſt jemand aus, daß dieſer Menſch bei ſeiner Lebensart das Griechi - ſche ſo außerordentlich conſervirt hat, da er es doch bereits ſeit ſo vielen Jahren nicht mehr übt! Das wundert mich nicht im mindeſten, erwiederte ein An - derer, im Spiritus conſervirt man ja ſo manches!

Der merkwuͤrdige gelehrte Diebſtahl.

Jn einer Geſellſchaft brachte jemand mehrere witzige Einfälle vor, und ließ es ſich gefallen, daß ſie als ſein Eigenthum belobt und belacht wurden. Einen andern Witzling, der dabei zugegen war, ver - droß dieß ſo ſehr, daß er ſich nicht enthalten konnte, bei einer ſolchen Gelegenheit über den ſogenannten gelehrten Diebſtahl zu ſprechen. Stellen Sie Sich vor, fuhr er zu ſeinem Nebenbuhler fort, dieſe Be - triegerei geht jetzt ſo weit, daß die witzigen Einfälle, die Sie nur ſo eben hatten, Jhnen ſchon vor zwei Monaten geſtohlen, und gedruckt worden ſind.

Der49

Der witzige Optikus.

Ein nicht unbedeutender Mann ließ einen jüdi - ſchen Optikus mit Brillen zu ſich kommen. Nachdem er manche verſucht und endlich eine gefunden hatte, welche ſeinen Augen zuſagte, rief er aus, indem er den Optikus damit beäugelte: Dieſe hier iſt gut, man kann ſogar dem, welchen man damit anſieht, bis in die Seele ſchauen, und ſehen, daß er ein Be - trieger iſt! Dieſer plumpe Witz verdroß den Opti - kus. Erlauben Sie mir die Brille, entgegnete er, nahm ſie, ſetzte ſie auf und ſah jenen ſcharf dadurch an: Wahrlich, Sie haben ganz Recht! Wir ſchei - nen Augen von gleicher Beſchaffenheit zu haben.

Gleiches Schickſal.

Jn einer Geſellſchaft erzählte jemand aus ſeinem Leben, wie er bei großer Armuth früher mit man - chen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Bei mei - nem Studium, ſagte er, habe ich für meine Erhal - tung ſelbſt ſorgen müſſen; ſo erinnere ich mich noch ſehr lebhaft an die erſten acht Groſchen, die ich mir durch das Abſchreiben von vier Bogen eines Manu - ſkriptes verdiente. Jch habe in meinem Leben, er - wiederte ein in der Geſellſchaft befindlicher reicher Mann, viele Tauſende durch Abſchreiben verdient, und zwar dadurch, daß ich ſo manches, was man von mir verlangte, abgeſchrieben habe.

D50

Die Hinterfuͤße.

Es beklagte ſich jemand, daß man ihm höhere Abgaben, als er für recht und billig halte, aufle - gen wolle. Sie müſſen ſich, erwiederte ein Anderer, auf die Hinterfüße ſetzen! Auf die Hinterfüße? erwiederte jener empfindlich, das können Sie wohl thun!

Der fette Weinkeller und die magere Antwort.

Jn einem kleinen Zirkel von guten Bekannten erzählte jemand, daß ſein Weinkeller ſich jetzt in ſehr guten Umſtänden befände, und nannte alle möglichen Sorten der köſtlichſten Gewächſe, die er gegenwärtig im Keller habe.

Sagen Sie mir doch, fragte ihn jemand, für welchen Preis kann man ſich Jhre Freundſchaft er - werben?

Wenn man mich, erwiederte jener, recht oft beſucht, und vorlieb nimmt mit einem Glaſe Waſ - ſer!

Der junge Arzt, ein wahrer Hippokrates.

Ein junger Arzt und noch jüngerer Praktikus hielt ſich etwas zu früh für mehr, als er wirklich51 war, und ſprach ſchon, keck genug, von ſeinen Beob - achtungen und Erfahrungen. Man hätte dieß nun freilich leicht geſchehen laſſen können, wenn er nur nicht zu kühn geworden wäre, und ſich bisweilen Beobachtungen und Erfahrungen im ſtrengſten Sinne ſelbſt zu machen ſie dem Druck zu übergeben und dem ärztlichen Publikum vorzulegen erlaubt hätte. Ein Rezenſent ließ ſich über ein neu erſchie - nenes Machwerk dieſer Art folgender Maßen aus:

An dem Verfaſſer iſt ein guter Dichter verloren gegangen; er hat eine ſehr lebhafte Einbildungs - kraft, vermöge welcher er Dinge ſieht, die vor ihm noch niemand geſehen hat, und nach ihm ſchwerlich jemals einer ſehen wird; ſein praktiſcher Blick iſt, ohne ihm Argusaugen zu zu ſchreiben, gar nicht denk - bar. Seine Krankengeſchichten erreichen die des Alt - meiſters Hippokrates, wenigſtens in einem Punkt, und zwar in folgendem: Vater Hippokrates hat bei der Beſchreibung dieſer oder jener Krankheit nie unter - laſſen, die Witterung, die Luft, beſonders aber die blaſenden Winde zu beſchreiben; unſer junger Hippo - krates ahmt dieß nun in ſo fern nach, daß wir den Wind wenigſtens in ſeinen Krankengeſchichten nicht vermiſſen.

D 252

Die neue Oper, ein Meiſterſtuͤck.

Ein talentvoller Virtuos, der ſich größten Theils mit Komponiren beſchäftigte, konnte es, trotz ſeines Fleißes, dennoch nicht dahin bringen, ſeine nichts weniger als glänzenden Umſtände zu verbeſſern. Seine Arbeiten fanden zwar Beifall, aber die Mu - ſik hatte zur Zeit den höchſten Gipfel erreicht; man verlangte mehr als bloß das Gefällige. Das lär - mende, rauſchende, was das Trommelfell erſchütterte, machte keine Epoche mehr; auf den Geiſt ſelbſt mußte der Komponiſt zu wirken verſtehen, und das, was dazu unbedingt erforderlich iſt, war es eben, was unſerm Virtuoſen abging, nämlich ſelbſt ruhi - gen Geiſtes zu ſeyn, vielmehr ſah man überall in ſeinen Arbeiten deutliche Spuren vom Gegentheil. Wie konnte dieß aber auch anders ſeyn? Jhm war Sokrates angebliches Schickſal zu Theil geworden, von einer Xantippe beherrſcht zu werden. Längſt ſchon war die Jdee bei ihm zur Reife gelangt, dieſem ewi - gen Streit und Zank ein Ende zu machen, und ſich durch die Entfernung ſeines Poltergeiſtes Ruhe zu verſchaffen, aber dazu fehlte es ihm am Beſten: er wußte das Kapital nicht herbeizuſchaffen, welches ſein Quälgeiſt ihm als Mitgift zugebracht, und ohne welches er nicht weichen zu wollen deutlich genug erklärt hatte.

53

Die Noth hat oft ſchon Wunder gethan, und hier beſtätigte ſich dieſe Erfahrung abermals. Der Unglückliche kam auf den Einfall, eine große Oper nach dem Geſchmack des Tages zu komponiren, und den Gewinn, den ihm dieſe Arbeit verſchaffen würde, wollte er dazu anwenden, ſich Ruhe zu erkau - fen. Raſtlos arbeitete nun der in der bloßen Hoff - nung ſchon Glückliche Tag und Nacht unermüdet, und wenn ihm ſonſt ſein Polter - und Plagegeiſt hin - derlich war, ſo ward er ihm jetzt gerade umgekehrt ein Sporn zur Thätigkeit und zur Beſchleunigung ſeiner Arbeit.

Als er eben im Begriff war, ſeine nun faſt vollendete Oper zu ſchließen, hauſte und tobte ſeine liebe Ehehälfte wie eine Raſende um ihn her, aber ihm ſo zum Heil, als früher zur Verzweiflung, denn ſie regte die Jdee in ihm auf, das Stück mit einem Furienchor zu beendigen, und es entſtand ein Mei - ſterſtück.

Noch war kaum die letzte Reihe vom blinkenden Streuſand getrocknet, ſo überreichte er ſchon mit der größten Gelaſſenheit das eben vollendete Werk ſei - nem allezeit marſchfertigen Weibchen, mit dem An - trag, ob es ihr gefällig ſey, dieſes Werk ſtatt des Kapitals, welches er ihr auszuzahlen hätte, anzu - nehmen, in Ruhe und Frieden zu ſcheiden und ihm ſeine Ruhe wieder zu ſchenken. Gut, fiel die Ueber -54 raſchte, mit bitterer Gleichgültigkeit und mit Krokodill - thränen im Auge, ſchnell ein, ich nehme es an, doch mit der Bedingung, daß es mir frei ſtehe, dieſes Machwerk erſt Kennern zur Durchſicht und Beur - theilung vorzulegen. Auch dieß ließ ſich der Hoff - nungsvolle gefallen.

Allgemein fiel das Urtheil der Kenner dahin aus, daß ſie ohne Bedenken in den Vorſchlag ein - willigen ſolle, allgemein war man darüber einig, daß aus der Feder dieſes Komponiſten noch nie et - was beſſeres gefloſſen ſey. Tauſende von Virtuoſen, ſagt man, beneiden dieſem in ſo hohen Grade Glück - lichen ſein großes muſikaliſches Talent.

Fabeln.

Die ſtolzen und gedemuͤthigten Pferde.

Zwei vor einem belaſteten gewöhnlichen Schlitten geſpannte Pferde zogen ihre Laſt im ruhigen Schritt vor einem Hauſe vorbei, wo ein prachtvoller Jagd - ſchlitten ſtand, deſſen Pferde aufs ſchönſte geſchmückt waren. Verächtlich ſahen dieſe den vorbeiſchleichen -55 den, ganz ſchmuckloſen Pferden nach, und machten ihre Gloſſen darüber ſo laut, daß jene ihr Hohnge - lächter bemerkten. Sie aber tröſteten ſich einander mit den Worten: Laß ſie doch ſpotten, laß ſie nur lachen; wer am ſpäteſten lacht, lacht am beſten.

Nach Verlauf einiger Stunden kamen die bela - ſtet geweſenen Pferde ganz leer durch eine Straße zurück, welche durch eine Menge Menſchen verſperrt war. Neugierig blickten auch ſie hin, und ſahen die beiden geſchmückten Pferde athemlos vor dem pracht - vollen Schlitten darnieder liegen. Hoho! Jhr Un - bedachtſamen, wer iſt nun beſſer daran? riefen ſie ihnen zu, merkt ihr es jetzt, daß das Glänzende nicht das Beſſere iſt, und daß man mit langſam gehen am weiteſten kommt!

Der ehrliche Gevatter, oder die Reiſe nach dem Himmel.

Zur Zeit, als die ſchwarze Kunſt, die Zauberei und die Zauberer noch im Flor waren, lebte ein ſehr berühmter Wundermann dieſer Art, zu welchem man in jedem nur erdenklichen Mißgeſchick, bei al - len Zweifeln und Bedenklichkeiten ſeine Zuflucht nahm. Er hatte ſich nicht nur bei Menſchen, von welchen man es leicht glauben könnte, das größte56 Zutrauen erworben, ſondern ſelbſt bei ſolchen, von denen es nicht leicht zu glauben war.

Nachfolgende Erzählung, die ich wenigſtens nie gedruckt geleſen habe, wird doch hoffentlich ſo viel Glauben verdienen, ich ſage, eben ſo viel Glauben, als dergleichen, die wirklich gedruckt ſind.

Zwanzig Meilen weit kam zu Fuß ein ſehr be - kümmerter Vater, welcher das fünfte Kind aus ſei - ner Ehe bereits hatte begraben laſſen, zu dem Zauber - meiſter her gewandert, von ihm die Urſache zu er - fahren, warum er ſo unglücklich ſey, keines ſeiner, geſund und wohlgeſtaltet zur Welt gekommenen Kinder am Leben erhalten zu können. Jch bin mir keiner Sünde bewußt, die eine ſolche Strafe des Himmels verdiente, ſagte er innigſt gerührt zu dem Wundermann, der ſeine Beichte aufmerkſam anhörte.

Bewußt, nahm der berühmte Zauberer das Wort bewußt ſeyd ihr euch freilich ſolcher Sünde nicht, ſo wie es dergleichen mehrere gibt, welche die Menſchen täglich begehen, ohne ſich ihrer klar und deutlich bewußt zu ſeyn. Ziehet nur in Frieden nach Hauſe; eure Sara wird euch einen Sohn gebären, doch erhalten werdet ihr ihn nur, wenn ihr bei der Wahl eines Gevatters auf weiter nichts ſehet, als auf die Redlichkeit deſſelben, und keine Nebenabſichten, wie ihr bis jetzt gethan, (und die Menſchen zu thun pfle -57 gen) damit verbindet. Befolget ihr meinen Rath nicht, ſo werdet ihr auch dieſen und zwar euren letz - ten Sohn wieder dahin ſcheiden ſehen müſſen.

Mit dem Verſprechen, alles zu befolgen, ver - neigte ſich der Hoffnungsvolle, dankte dem prophe - thiſchen Graukopf, der durchaus keine Belohnung an - nehmen wollte, und machte ſich wieder auf den Weg, auch ſeiner treuen Ehehälfte dieſen weiſen Rath und Troſt zu überbringen.

Wirklich ging die Prophezeiung in Erfüllung: bald befand ſich die bis jetzt unglückliche Mutter in geſegneten Umſtänden, und ſchenkte ihrem Manne einen beſonders muntern Knaben. Seines Verſpre - chens eingedenk dachte nun der glückliche Vater an weiter nichts, als einen Gevatter aufzuſuchen, der ſeinem Verſprechen ganz entſprechen würde.

Weit mehr Schwierigkeiten aber, als er zu fin - den geglaubt hatte, ſtellten ſich bei der Wahl ein, denn es galt jetzt, einen Mann in ſeiner Bekannt - ſchaft zu ſuchen, dem er das Prädikat eines ganz redlichen Mannes beilegen durfte. Die Sache war ihm zu wichtig, und er glaubte bei der Wahl nicht ängſtlich genug ſeyn zu können; ſo hatte er denn an dem Einen dieſes, an dem Andern jenes auszuſetzen. Da er nun durchaus mit ſich ſelbſt nicht einig wer - den konnte, ſo entſchloß er ſich, alles dem Zufall zu überlaſſen, und den erſten beſten Armen, wenn58 auch Unbekannten, auf den er ſtoßen würde, zu wählen, und ſo machte er ſich auf den Weg, den gefaßten Entſchluß auszuführen.

Bereits mochte er eine halbe Meile vom Thore ſeines Wohnortes entfernt ſeyn, ohne auch nur eine menſchliche Geſtalt geſehen zu haben, als er plötzlich im Gebüſch, wie dahin gezaubert, einen Wanderer erblickte, der an einem kriſtallhellen Bache ſaß und auszuruhen ſchien. Groß war ſeine Freude über dieſe Entdeckung, aber eben ſo groß, wo nicht grö - ßer noch, war eine gewiſſe Angſt, eine Bangigkeit, die ihn bei dem Anblick dieſes Fremden überfiel, und die er ſich nicht zu erklären wußte. Deſſen ungeach - tet eilte er mit verdoppelten Schritten ſeinem Ziele raſtlos entgegen.

Grüße euch Gott, mir erwünſchter Wanderer! Ruht ihr ein wenig aus?

Gott danke euch! Ruhen kann und darf ich nicht, ſo lange die Welt ſteht. Aber würdet ihr mich wohl einen Erwünſchten noch nennen, wenn ihr mich kenntet?

Das hoffe ich wenigſtens, erwiederte der durch dieſe Worte noch mehr geängſtigte Vater. Schon euer Aeußeres empfiehlt euch.

Wenn ihr es noch nie erfahren habt, daß das Aeußere trügt, ſo wünſche ich, daß ihr es nie er - fahren möget! Aber ihr ſeht ſo ſehr bekümmert59 aus, ſagt mir, was geht euch ab? Welches Ge - ſchäft, welcher Wunſch hat euch von Hauſe geführt?

Dieß ſagte der Wanderer mit ſo viel Herzlich - keit und Theilnahme, daß unſerm Bedrängten die Frage ſehr willkommen war, da ihm beſonders das äußere Anſehen des Fremden, wenn gleich eine ge - wiſſe Art von Bangigkeit, dennoch zugleich auch ei - nen hohen Grad von Zutrauen eingeflößt hatte, und ohne weiteres Fragen entdeckte er unverhohlen, denn das volle Herz wünſcht ja nichts ſo ſehn - lich, als ſich ausſchütten zu können was wir be - reits wiſſen, und endigte ſeine Erzählung mit dem Antrag, der Fremde möge ihm als Gevatter beiſte - hen, weil er glaube, ganz den Mann, den er ſuche, den ſtrengen, rechtlichen Mann, den er brauche, in ihm gefunden zu haben.

Der bin ich, und mehr noch als ihr es glaubt! rief jener aus. Da ihr, ohne mich weiter kennen zu wollen, ein ſo heiliges Geſchäft mir aufgetragen, ſo werde ich euch folgen und mich erſt beim Schei - den zu erkennen geben.

Schwerlich gab es in dieſem Augenblick jemand, der zufriedener mit ſich ſelbſt geweſen wäre, als unſer ſchon in der Hoffnung glückliche Vater. Mit Freuden wurde der Weg zurückgelegt, und der neue Herr Gevatter fand bei der ohnehin gaſtfreundlichen Wirthinn die beſte Aufnahme. Als dieſe aber hörte,60 wie und auf welche Art der Herr Gevatter ange - worben, da ward ihre Neugierde ein wenig rege. Wer mag es wohl ſeyn? Woher kam er? Wohin geht er? Warum mag er ſich nicht zu erkennen ge - ben wollen? Dieß waren ihre Fragen. Daß er ein redlicher Mann ſey, dafür ſprach auch bei ihr ſein Aeußeres.

Doch die Hoffnung, ihre Neugierde bald befcie - digt zu ſehen, indem die feierliche Handlung auf den folgenden Tag beſtimmt war, gab ihr einige Beruhigung.

Kaum war der Tag angebrochen, ſo begannen auch ſchon die Zubereitungen zur bevorſtehenden Feierlich - keit, von welchen manche darauf berechnet waren, den unbekannten Herrn Gevatter zu ehren, was dieſem nicht entgangen war. Als nun der glückliche Vater ſeinem Gaſte den Morgenbeſuch abſtattete, kam ihm dieſer mit der Anrede entgegen: Wie ge - rufen iſt mir eure Erſcheinung, denn ich habe euch etwas zu eröffnen, bevor ich die Function verrichte, zu der ihr mich gewählt. So hört denn, und ſeyd gefaßt auf das, was ihr hören werdet.

Jch bin nicht, was ihr glaubt, ich bin kein wirk - licher Menſch, ich bin höherer Natur. Meine ei - gentliche Exiſtenz iſt nicht auf Erden, ob ich gleich von ihr unzertrennlich bin. Daß ich euch in menſch - licher Geſtalt erſcheine, iſt die Wirkung der magi -61 ſchen Künſte jenes Zauberers. Jedem Menſchen er - ſcheine ich bei ſeiner Geburt, wenn gleich nicht in dieſer Geſtalt. Erſchreckt nicht, ich erſcheine zu eu - rem Beſten, ich bin der Tod! Jetzt hängt es von euch noch ab, ob ich die Gevatterſtelle vertreten ſoll oder nicht.

Die Verlegenheit, die Angſt und der Schreck, welchen dieſe Erklärung hervorbrachte, läßt ſich leich - ter denken, als beſchreiben. Doch ſchnell ſich zur Standhaftigkeit ermannend, erwiederte der Erſchrok - kene: Jch nehme darum meine Einladung keines Weges zurück. Wie wir täglich ſehen, ſeyd ihr ſtrenge, ehrlich und redlich, denn euch trifft ja der Vorwurf nicht, daß ihr nach Gunſt handelt; bei euch gilt ja kein Unterſchied der Perſon. Heute in des Fürſten Pallaſt, morgen in der Bauerhütte einzukehren, und ſo niemand zu verſchonen, das ehrt euch. Dank ſey es dem großmüthigen Zauberer, der mir euch zuge - führt; ihr ſeyd und bleibt mein Gevatter, nur bleibe das Geheimniß eurer Perſon unter uns.

Nachdem der heilige Aktus der Taufe vorbei war, blieb auch der mächtige Gevatter, um niemand aufzufallen, zu einer Collation noch zurück, und wohnte, wie bei Sara die Engel, dem Feſte bei. Sein Wirth unterhielt ſich dabei faſt unaufhörlich mit ihm, und erfuhr in der That ſo manches Ge -62 heimniß, wovon ſich hienieden unſere Philoſophie nichts träumen läßt.

Hier äußerte im vertraulichen Geſpräch unſer Wirth den nicht geringen Wunſch, ſeinen Gaſt auf der Reiſe nach dem Himmel begleiten zu dürfen, wenn auch nicht um dort zu bleiben, ſo doch um ſich ein wenig daſelbſt umſehen zu können, und er hörte nicht auf, in den Herrn Gevatter zu drin - gen, bis dieſer einwilligte. Die Reiſe ward auf die bevorſtehende Nacht feſtgeſetzt.

Ohne daß etwa Kanonenſchüſſe dieſe Luſtfahrt verkündigt hätten, ging ſie vielmehr ganz im Stil - len zur beſtimmten Zeit vor ſich, und eben ſo glück - lich von Statten, wie die Reiſe, die weiland Herr Cleophas in Geſellſchaft des berühmten Asmodi oder hinkenden Teufels machte.

Jn einem Nu war die Pforte des Himmels, die aus Feuerſäulen beſtand und frei in den Lüften ſchwebte, erreicht. Schon dieſer Anblick verſetzte den Neugierigen in Erſtaunen und Verwunderung, und mit zitternder Stimme fragte er: Lieber Herr Ge - vatter, müſſen wir denn durch dieſe feurige Pforte ſchreiten? Könnten wir ſie nicht lieber umgehen?

Umgehen? nahm der Gevatter das Wort; nein, mein Freund, das geht nicht, davon weiß man im Himmel nichts! Und blicke doch nur hin, gewahrſt du nicht rechts und links neben der brennenden Pforte63 die hochaufbrauſende, wie vom wüthendſten Sturm bewegte See, die einen bei weiten fürchterlich-ſchö - neren Anblick noch gewährt, als die brennende Pforte ſelbſt? Sey unverzagt, ich verſpreche dir, dich ohne allen Schaden wieder zurückzuführen, und ich werde dir Wort halten. Dieſe Pforte, die dir brennend erſcheint, iſt es nur durch eine ganz eigene Erleuch - tung, die du bald näher kennen lernen ſollſt. Hier gab der Gevatter Tod ein Zeichen mit ſeiner Rech - ten, worauf ſich die Pforte öffnete, und ein unge - heuer großer Saal ſich zeigte, in welchem eine un - überſehbare Menge von brennenden Lampen ſtand. Nein, ſo etwas hat noch nie mein Auge geſehen! rief verwunderungsvoll ſein Begleiter aus. Aber darf ich wohl fragen, mein lieber Herr Gevatter, wem zu Ehren dieſe Lampen brennen, oder welche andere Bedeutung ſie vielleicht haben? Denn ich bemerke, daß manche ſchon halb, mehrere ganz im Verlöſchen ſind, während die übrigen noch hell und leuchtend brennen.

Der gefällige Herr Gevatter ließ ſich auch hierin bereitwillig finden, und gab folgende Erklärung.

Alle hier brennende Lampen ſind nichts mehr und nichts weniger, als lebende Menſchen, das heißt, jeder lebende Menſch hat hier ſein Lämpchen, und nach dem Brennſtoffe, welcher ſich in einer oder der andern befindet, hat der Menſch, dem ſie angehört,64 noch zu leben. Verliſcht eine, ſo iſt dieß ein Befehl für mich, ihren Angehörigen zu expediren; ſiehe dort ſo eben eine im Verlöſchen, und ich werde mich bald auf den Weg machen müſſen, um mein Amt zu verrichten.

Das muß ich geſtehen, lieber Herr Gevatter, ich bin euch gar ſehr verbunden für alles das Schöne, Große und Erhabene, welches ich durch euch in ſo kurzer Zeit geſehen und erfahren habe, aber erlaubt mir noch eine Frage? Wäre es euch auch wohl möglich und gefällig, mich meine eigene Lebenslampe ſchauen zu laſſen? Jch bitte flehentlich darum.

Aber der Gevatter Tod ſchüttelte bedenklich den Kopf. Allerdings, ſagte er, wäre es mir möglich und könnte es mir auch gefällig ſeyn, euch eure Le - benslampe zu zeigen, aber wenn ihr meinem Rathe folgen wollt, ſo unterdrückt dieſe Neugierde. Glaubt mir, ſo wie alles zum Wohle des Menſchen einge - richtet iſt, ſo iſt es nicht minder eine große Wohl - that für ihn, daß er nicht weiß, wie lange ſein Le - benslämpchen noch zu brennen hat.

Das mag immerhin ſeyn, erwiederte der Neu - gierige. Jch erkenne dieſe große Wahrheit zwar ſelbſt, aber ich verſichere euch, liebſter Gevatter, ihr werdet mich ſehr gefaßt ſehen, wenn auch der Brenn - ſtoff meines Lämpchens auf die Neige ginge. Schreck -liche65liche Gewißheit iſt bei weiten nicht ſo peinigend, als marternde Ungewißheit.

Nun, rief Gevatter Tod, wenn ihr denn durch - aus nicht anders wollt, ſo geſchehe euer Wille; er gab hier ein Zeichen mit der Hand, ein Lämpchen trat aus der zahlloſen Menge hervor, und unſer Neugierige ſank in Ohnmacht, denn die Lampe war nahe an der Neige.

Jſt das die Faſſung, rief Gevatter Tod, die ihr mir verſprochen habt? Glaubt aber nicht, daß mich dieß im geringſten überraſcht; ich habe es oft erfah - ren und erfahre es noch täglich, daß gerade die, welche ſich ſo gleichgültig ſtellen, und mit ihrer Faſſung prahlen, daß gerade die es ſind, welche im letzten Augenblick ſich gar ſehr widerſprechen, und daß der Menſch da erſt recht in ihnen auflebt, wo er aufhören ſollte.

Zürnt nicht, mein großmüthiger Herr Gevatter! begann der Arme, der ſich indeſſen wieder erholt hatte. Jhr würdet es mir gewiß keinen Augenblick verargen, wenn ihr mich bei der Entdeckung, daß meines Lebens Ziel ſo nahe iſt, erſchrecken ſahet, wenn ihr wüßtet, wie viel Gutes zu thun ich mir noch vorgenommen habe, ehe ich von dannen gehe, wie viel Gelübde ich noch zu löſen habe. Alles die - ſes habe ich nur darum aufgeſchoben, weil ich das Ende meines Lebens noch für weit entfernt hielt. E66Dieß allein iſt der Grund, warum ihr mich ſo ge - faßt nicht findet, als ich es zu ſeyn verſicherte; dieß iſt aber auch der Grund, der mich bewegt, euch die letzte meiner Bitten zu nennen, welche darin be - ſteht, mir behülflich zu ſeyn, mein Lebenslämpchen etwas zu verlängern, da es ja ganz in eurer Macht ſteht, mein lieber Herr Gevatter, vom Brennſtoff der anderen Lampen etwas abzunehmen und ihn zur meinigen hinzu zu thun.

Hier nahm der Herr Gevatter eine ernſthafte Miene an. Jhr ſcheint ganz zu vergeſſen, wo ihr ſeyd, fuhr er ſeinen Begleiter an, ſo handelt man hier nicht. Jhr ſcheint beſonders vergeſſen zu haben, warum ihr mich, nach eurer eigenen Erzählung, zum Gevatter gewählt habt. Das iſt ſo recht echt menſch - lich! Braucht ihr, wenn es euer Eigennutz erheiſcht, einen ehrlichen Mann, ſo ſucht ihr ihn mühſam auf; habt ihr ihn aber gefunden und genützt, ſo verlangt ihr, daß er auf Koſten ſeiner Ehrlichkeit, auf Koſten anderer Menſchen, euretwegen ein Schurke ſey, daß er ſich für euch zu tauſend Teufeleien ver - leiten laſſen ſoll. Was ihr mir da von allem Guten vorſchwatzt, welches ihr euch zu thun noch vorgenom - men, iſt ein ſo altes Lied, daß es auf mich nicht mehr den mindeſten Eindruck macht. Wir kennen eure Politik, die euch in Noth und Gefahr alles mögliche verſprechen läßt, und dann, nachdem ſie67 überſtanden, euch die Erlaubniß gibt, des Ver - ſprochenen nicht weiter zu gedenken.

Auf! ich muß fort! Jch will euch nicht länger hören; ich will euch wieder dahin bringen, wohin ihr gehört. Jhr verdient nicht, da zu ſeyn, wo ihr ſeyd. Thut nur ſo viel Gutes noch, als ihr zu thun Zeit habt, löſet ſo viel Gelübde, als euch eure Zeit erlaubt; mehr wird von euch nicht verlangt. Und in einem Nu befand ſich der Unbefriedigte wieder an Ort und Stelle, und beweinte ſeine verwünſchte Neu - gier.

Die Axt ohne Stiel.

Eine Axt, mit der man Bäume zu fällen pflegte, erzählt eine Fabel in einer hebräiſchen Schrift, flog einſt ohne Stiel in einem Walde umher, und alle Bäume wurden von Angſt und Furcht ergriffen, weil ſie oft geſehen, wie gefährlich ein ſolches Werkzeug ſey. Was zittert ihr, rief da ein alter, weiſer Baum, wiſſet, daß uns die Axt nur dann gefährlich wird, wenn wir den Stiel dazu liefern!

Jhr, die ihr über einen Tyrannen ſchreiet, be - denkt doch, daß er nur die Axt iſt, ihr aber den Stiel dazu hergebet.

E 268

Der Kongreß im Reich der Thiere.

Zum Löwen kam eine Deputation, ein großes Un - glück an zu zeigen, und ein noch größeres zu verhüten. Großmächtigſter, begann die Rede, es hauſt der Tod in unſerm Reiche fürchterlich, und rafft, neuerdings mehr als jemals, ein Mitglied nach dem andern weg. Zeus zürnt ſicher nicht umſonſt, und eine ſtrenge Unterſuchung, wer in unſerer Republik durch begangene Sünde ein ſolches Ungemach über uns herbei gerufen haben mag, möchte wohl nöthig ſeyn.

Euer Wille geſchehe, ſprach der Löwe; Fuchs, Haſe, Tyger und Krokodill mögen einen engern Ausſchuß bilden, und baldmöglichſt erwarte ich Be - richt.

Raſch genug ward durch Eilboten im ganzen Thierreiche ein Vorladungsedikt zu einem Termin bekannt gemacht, und einem jeden ernſtlich anbefoh - len, vor der hochlöblichen Kommiſſion zu erſcheinen, mit der Warnung, daß derjenige, welcher, ohne durch Krankheit, oder ſonſt dringende Umſtände, abgehalten zu werden, ausbliebe, als ſchuldig, als Rebell und ungehorſam erklärt werden würde.

Der Präſes Fuchs, als ganz großer Redner an - erkannt, hielt in jedem Termin den Vorgeladenen eine der Sache ſelbſt und ſeinem ehrlichen Fuchskarakter69 angemeſſene Rede, deren Thema vorzüglich der Werth der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und Wahrheit zu ſeyn pflegte. Dann hielt die zweite Rede der dreiſte Haſe, und ſprach über Muth und Standhaftigkeit, über die Feigheit, begangene Sünden aus Furcht vor der Strafe nicht eingeſtehen zu wollen. Darauf nahm der gerechte Tyger das Wort, über den Werth des Mitleidens, der Erbarmung und der Schonung ſeiner Nebengeſchöpfe, und den Beſchluß machte das ge - fühlvolle Krokodill, deſſen Rede im Weſentlichen der ſeines Vorgängers ganz gleich war, nur mit dem Unterſchiede, daß es ſeinen Vortrag mit einem Thränenſtrome würzte, und alle Herzen gar ſehr da - durch erweichte.

Dennoch verſtrich, trotz aller dieſer weiſen Anſtal - ten und herzergreifenden Reden, ein Termin nach dem andern, ohne daß man weder beim Wolf, noch beim Bären, weder beim Elephanten, noch beim Kameel u. ſ. w. im Lebenswandel etwas entdecken konnte, was widernatürlich ſündlich wäre.

Schon war man zum letzten Termin geſchrit - ten, zu dem ſich dieß Mahl eine beſonders große Menge von Zuhörern zur Rechten und Linken verſam - melte. Der letzte Jnkulpat erſchien: es war das Schaf. Daß dieſes ſchuldig erklärt werden mußte, ſchloß alles, was nur ein wenig Logik hatte, theils a priori, theils a posteriori ſchon im voraus. Be -70 vor aber noch zur Tagesordnung geſchritten wurde, fand der ehrliche Fuchs es höchſt nöthig, die Kom - miſſion zu einer geheimen Sitzung einzuladen, und hielt in derſelben folgende, nach den Regeln der neue - ſten Rhetorik, wohlgeordnete Rede:

Meine Herren Kollegen!

Mit der bevorſtehenden letzten Unterſuchung be - ſchließen wir das uns gewordene, ſo ehrenvolle, als heilige Geſchäft. Wir dürfen zur eigenen Genug - thuung uns wohl geſtehen, daß wir alle Kräfte an - gewendet und nichts vernachläſſigt haben, uns der Ehre würdig zu machen, die uns zu Theil gewor - den. Auch krönt der Erfolg unſern unermüdeten Fleiß und unſere Arbeit. Denn es ſteht feſt, und iſt nicht dem mindeſten Zweifel unterworfen, daß das geſuchte Verbrechen im Schafe ſich finden laſ - ſen muß, da wir bisher durch unſere ſtrenge und ge - rechte Unterſuchung, wobei wir ſo gewiſſenhaſt als unpartheiiſch zu Werke gegangen, nichts entdeckt ha - ben, was den Vorgeladenen zur Laſt gelegt werden konnte, und alle und jeden als unſchuldig anerkennen mußten. Wir könnten füglich die Unterſuchung als beendigt anſehen, wenn wir nicht, um die republika - niſche Freiheit und Ordnung zu erhalten, wenigſtens die äußere Form beobachten müßten. So wollen wir denn unſere Unpartheilichkeit öffentlich darthun71 und den Sünder dennoch hören, wenn es auch nur der Form wegen geſchieht.

Sehr weiſe! riefen Tyger und Krokodill einſtim - mig; ſehr weiſe! wiederholte der beherzte Haſe, nach - dem er ſich einige Mahle erſt umgeſehen hatte, und ſo begab man ſich in gewöhnlicher Ordnung in den überfüllten Saal zur Sitzung.

Das Schaf erſchien. Von ſeinem Sitze erhob ſich der Fuchs, und hielt abermahls eine wohlgeord - nete Rede, worin die Ermahnung, vor Gericht die Wahrheit zu ſagen, und wie man ſich durch ein freiwilliges Geſtändniß die Strafe erleichtern könne, das Weſentliche war.

Das kluge Schaf verſtand weder den Redner noch die Rede; es wußte nicht ein Mahl, warum es ſich handelte, zitterte, ſeiner Schafnatur gemäß, wie ein Eſpenlaub, und geſtand endlich ſo ganz ſchaf - köpfig, daß es ſich einer gar großen Sünde bewußt und bereit ſey, ſie freiwillig zu bekennen. Hört! Hört! erſcholl es, triumphirend ſahen die Kommiſſarien einander an, und in der Verſammlung entſtand ein ſo lautes Gemurmel, daß Stille geboten werden mußte. Als dem Schafe das Wort überlaſſen war, herrſchte eine Todtenſtille rings im Saale.

Es war, ſo begann das unglückliche Schaf, am Ende des Monats April; Felder, Fluren, Wie - ſen und Haine lagen noch im tiefen Schnee begra -72 ben, und ich ſah mich dem ſchrecklichen Hungertode Preis gegeben. Schon war mir der dritte Tag im ſtrengſten Sinne als Faſttag vergangen, da zog ein armer Wanderer aus fremdem Lande vorüber, welcher mit Gras, bei uns noch von keinem Auge geſehen, ſeine Schuhe ausgeſtopft hatte. Welch reizender Anblick für meinen leeren Schafsmagen. (Hört! Hört!) Da ich ſah, daß ein Theil des Überfluſſes aus ſeinem Schuh herausgedrängt wurde, ſo ſchlich ich mich unbemerkt ihm auf dem Fuße nach, ſtahl ihm den Überfluß, (Hört! Hört!) um vor dem Hun - gertode mich zu retten, fühlte mich neu erquickt und ſpürte neues Leben.

Welcher Frevel! rief der Tyger. Und da ſoll Kronion nicht zürnen, und mit ſeinem mächtigen Donner drein ſchlagen? ſetzte das Krokodill mit einem Thränenſtrom hinzu. Bedenklich ſchüttelte der Haſe nur den Kopf und ſchwieg bedeutungs - voll. Aber deſto lauter ſprach der Fuchs über die Abſcheulichkeit einer ſolchen Gräuelthat, über Jupi - ters gerechte Rache und über die unſchuldigen Opfer, die der ſchweren Sünde wegen fallen mußten. Tod! Tod! erſcholl es von allen Seiten. Man verurtheile den Böſewicht, lebendig dem Wolfe vorgeworfen zu werden, rief ein Wolf mit veränderter, unkenntlicher Stimme.

Da der Lärm zu groß ward, gebot abermals73 der Fuchs Stille. Zum Verurtheilen, ſprach er, ſind wir nicht gewählt, das liegt außer unſerm Beruf. Wir müſſen dem großmächtigen Löwen Bericht ab - ſtatten, wir können ihm nicht vorgreifen, ſondern wollen ruhig das Urtheil von ihm erwarten. Das Schaf wurde abgeführt, gefänglich ſtrenge beobach - tet, und hiermit ward dieſe letzte Sitzung und die ſo wichtige Unterſuchung geſchloſſen.

Nach einigen alten, ſehr bedeutenden Sprüchwör - tern, z. B.: » Kleine Diebe hängt man, die großen läßt man laufen, « oder: » Wenn man jemanden hängen will, findet ſich der Strick von ſelbſt, « leidet es keinen Zweifel, daß das Schaf, ſo un - ſchuldig es auch war, zum Tode verurtheilt ward; ob aber dadurch das Sterben verringert, ob es etwa gar dadurch vermehrt worden ſey? darüber ſchweigt dieſe Fabel und wir thun daſſelbe! Fiat applicatio!

Zeitungs-Gloſſen.

Entgegengeſetzte Mißgeburt.

Ein Blatt meldete vor einiger Zeit, daß unter den Schafen eine Mißgeburt zur Welt gekommen,74 welche viel Ähnlichkeit mit einem Menſchen gezeigt habe, aber nicht am Leben geblieben ſey. Entgegen - geſetzte Mißgeburten ſollen auch ſchon Statt gefun - den haben, nur mit dem Unterſchiede, daß noch manche Exemplare derſelben am Leben ſeyn ſollen.

Der Blitz und das Papiergeld.

Ein engliſches Provinzialblatt erzählt, daß ein Mann vom Blitze getroffen worden ſey, weil er ei - niges Silbergeld in der Weſtentaſche trug. Es wollte jemand hieraus Veranlaſſung nehmen, das Papiergeld zu empfehlen und ihm das Wort zu reden. Jch mache eine andere Anwendung davon, und rufe allen denen, die nach Gelde dürſten, zu: Merkt es euch, daß vor des Himmels Blitzen das Geld nicht ſchützt.

Das geſprengte Glaubensheer.

Sag Freund, warum die Zahl der Frommen Auf ein Mahl hat ſo abgenommen, Das Gotteshaus ſteht leer und licht? Haſt du vielleicht den Grund vernommen, So gib gefälligſt mir Bericht. Doch halt, ich hab’s, warum in unſern Tagen Die Kirchen ſtehen licht und leer,75 Die Zeitung kann uns Kunde ſagen, Hier ſteht: es iſt geſprengt, das Glaubensheer.

Die Aerzte zu Cadix.

Zu Cadix iſt es erlaubt, leben zu laſſen, d. h. es iſt, wie ein Zeitungsblatt meldet, erlaubt, zu rufen: Dieſer oder jener ſoll leben! Hingegen iſt der Ruf » Tod dieſem oder jenem! « ausdrücklich verboten. Ein Verläumder behauptet, den Ärzten ſey der letzte Ausruf nachgegeben und erlaubt worden.

Der gemißhandelte Eſel.

Zu dreimonatlicher Zuchthausſtrafe, meldet uns ein Zeitungsblatt aus England, ſey der Beſitzer eines Eſels verurtheilt worden, weil er denſelben muth - williger Weiſe mißhandelt habe. Weiſe und gerechte Geſetze, unter deren Schutz auch ein Eſel ſicher iſt! Einer Eſelinn, die von Bileam gemißhandelt worden, nahm ſich ja ſchon ein Engel an. Mancher unſe - rer jungen Reiter und alten Ritter ſollte ſich ein Beiſpiel daran nehmen, und es durch die Spornen ſeinem Paradeur nicht ſo fühlbar machen, daß er ſich unweit der Wohnung ſeiner Dulcinea befindet.

Es fragt ſich übrigens, wie würde ein Eſel in England beſtraft werden, wenn er einen Menſchen76 mißhandelte, da hier und dort doch Fälle dieſer Art vielleicht nicht ſelten vorkommen möchten.

Uergleiche.

Mädchen nützen, wie die Kriegsſchiffe, dann erſt, wenn ſie bemannt werden.

Mit dem letzten Winter ging es bei uns faſt, wie mit dem erſten Kriege gegen die Franzoſen. Man hatte beinahe in einem halben Jahrhundert keinen ordentlichen Krieg geführt, daher waren die Krieger kampfentwöhnt und konnten einem Heere, das ſeit einer Reihe von Jahren Schlacht auf Schlacht ge - liefert hatte, nicht ſogleich die Wage halten. Wenn ich im Januar 1823 des Morgens aufſtand, und die gefrorenen Fenſterſcheiben ſahe, war mir ganz ſo zu Muthe, wie damals, als ich die erſten uns heimſuchenden Franzoſen erblickte. Stand der Wind auf mein Wohnzimmer, ſo wurde das Bild, mit Franzoſen bequartiert zu ſeyn, ſehr leb - haft in meiner Seele, und mich fror doppelt. Gab es einige gelinde Tage, ſo kam es mir vor, als hätte ich Einquartierung, ohne ſie beköſtigen zu77 dürfen. Man ward damals oft getäuſcht und hörte vom Abmarſch, der nicht zu Stande kam; auch hierzu fand ſich etwas Ähnliches. Beides glücklich überſtanden zu haben, heißt uns wohl ſingen: Nun danket alle Gott!

Menſchen, deren Äußeres viel Vernunft und be - ſonders Ehrlichkeit verſpricht, und bei deren nähe - rem Umgange man findet, daß man ſich hat täu - ſchen laſſen, ſind den Gaſthöfen zu vergleichen, welche von außen wie Palläſte ausſehen, aber in denen man alles in allen ſehr ſchlecht, in denen man das Gegentheil von dem findet, was man zu erwarten ſich berechtigt glaubte. Beide Täuſchungen pflegt man häufig nicht nur theuer bezahlen zu müſſen, ſondern ſie machen auch, daß man mit ſich ſelbſt äußerſt unzufrieden und mißvergnügt wird. Jſt der Fall umgekehrt, ſo iſt der Vergleich umgekehrt der - ſelbe.

Die Erfahrung, welche uns die Zeit lehrt, iſt ech - ter, als die, welche wir aus Büchern ſchöpfen. Die Zeit iſt mit einer rechten, das Buch mit einer Stief - mutter zu vergleichen.

Unnütz ſind die beſten Ärzte, vergeblich iſt die von ihnen gereichte vortrefflichſte Medizin, wo die Natur nicht helfen will, oder zu helfen zu ſchwach78 iſt. Ohne Erfolg trotzt man auf ſein Recht, wenn man der ſchwächere Theil iſt!

Satyriſche Blitze.

Ein ſatyriſcher Beobachter machte die Bemer - kung, daß wohl ehedem Wohlthun weit allgemeiner und nichts ſo ſeltenes geweſen ſeyn müſſe, als jetzt, da alte Zeitungen dergleichen gar nicht erwähnten; vermuthlich aus dem Grunde, weil man doch in Zeitungen etwas nicht allgemein bekanntes zu fin - den hofft.

Wodurch unterſcheidet ſich ein Herr, der gnädig iſt, von einem gnädigen Herrn?

Antwort. Gnädige Herren werden, ſeltene Aus - nahmen abgerechnet, geboren, Herren, die gnädig ſind, aber erzogen.

Anders iſt das Verhältniß zwiſchen einer gnädi - gen Frau und einer Frau, die gnädig iſt, beide wer - den nicht geboren ſondern gemacht.

79

Es gibt Geſellſchaften, deren Unterhaltung ein ewiger Streit iſt; Schade nur, daß ihr ewiger Streit keine Unterhaltung gewährt.

à la Momus.

Hätte Zeus den Weibern, wie den Hühnern, die Gabe verliehen, Eier zu legen, ſo würde es alsdann von dem Manne abhangen, ob ſein Weibchen die Eier ausbrüten, oder ihm einen Eierkuchen daraus backen ſollte. Nur finden wir für nöthig, uns das Gackern bei jedem Ei zu verbitten, um am Gehör nicht etwa Schiffbruch zu leiden.

Der N., ſagt man allgemein, habe den Verſtand verloren! Man ſey nur ruhig, und verſpreche dem ehrlichen Finder keine zu große Belohnung: es gibt keinen ſo unehrlichen Finder, daß er ihm denſelben nicht wiederbringen ſollte!

Folgende Warnungsanzeige las man in einem öffentlichen Blatte: » Jch warne hiermit einen Je - den, mir etwas zu borgen, ich bezahle niemand. Ehrlichmann.

Köpfe aus Gold und Silber in der Taſche, nützen gegenwärtig mehr, als der beſte Kopf auf dem Rumpfe.

80

Kommt die Weisheit vor dem Bart, Jſt ſte nicht von guter Art.

Ein Männchen, das ich heut im Speiſehauſe fand, War mir ausnehmend int’reſſant:

Es war ſo klein, es konnt in meiner Taſche wohnen, Und ſechs große Portionen.

An den Redakteur eines Wochenblattes.

Jch habe Dir Witz zugeſchickt: Du behaupteſt, Du hätteſt keinen erhalten. Jch habe Dir Ver - ſtand zugeſchickt: ich behaupte, Du habeſt keinen er - halten.

An eine ſehr junge Schoͤne.

Chlorinde, wie? du fliehſt vor meinen Küſſen? Ha, Loſe, ſollteſt du es etwa wiſſen, Daß Mädchen, die vor’m Männerkuß ſich ſträuben, Nie ungeküſſet bleiben?

Ein Quentchen Vernunft auf einer, und ein Zentner Thorheit auf der andern Seite der Wage, die Vernunft bleibt in der Tiefe, wenn die Thor - heit bis zum Himmel ſteigt.

Dr. 81

Dr. N. iſt krank; mehrere ſprechen von naher Gefahr. Doch zum Troſt ſey es geſagt: die mei - ſten dieſer mehreren ſind ſelbſt Ärzte, und ſehen nahe Gefahr, je mehr es mit ihm zur Beſſerung geht.

Aus einem freundſchaftlichen Zirkel empfahl ſich Jemand, um noch ein dringendes Geſchäft abzuma - chen. Sie werden doch nicht etwa auf einen Abweg gehen wollen? rief ein Freund ihm zu. Seyn Sie darüber ganz ruhig, war die Antwort, wenn ich das wollte, ſo würde ich, um ſicher zu gehen, mir Jhre Begleitung ausgebeten haben, denn Jhre Wege ſind nicht meine Wege.

Beim härt’ſten Froſt vernahm mein Ohr Geſang von einem Schülerchor. Es war ein Anblick zum Erbarmen! Jn Lumpenhüllen ſchlotterten die Armen, Faſt zugefroren war des Mundes Thor, Und Eulentöne zitterten hervor. Wer ließ ſich ſingen dieſe Jammerlieder? Wer anders denn als fromme, heil’ge Brüder!

Ein Müßiggänger blieb vor einem Redoutenſaal ſtehn, Um die verſchiedenen Masken anfahren zu ſehn. F82Er machte darüber allerhand Gloſſen: Die ſchönſten Masken waren ihm Narrenpoſſen. Oft macht er Bewegung, um weiter zu gehn, Und dennoch blieb er aus Neugier ſtehn. Nun geh ich ohne längern Aufenthalt! So dacht er: denn es war grimmig kalt. Hier länger zu weilen, müßt ich mich ſchämen, Nur den einen Wagen will ich in Augenſchein nehmen. Ein Engel ſtieg aus dem Wagen heraus; Noch immer iſt’s mit ſeiner Neugier nicht aus; Denn dieſer, der ihm folgt, iſt ſonder Zweifel, Der Beelzebub ſelber, der leibhafte Teufel. Hiermit ließ er ſich nun endlich begnügen, Bemerkend, daß die Teufel jetzt fahren, nicht mehr fliegen. Thor! Dieſe Gloſſe iſt nicht neu! Vor hundert Jahren Sah man ſchon arme Teufel gehn, die reichen fahren. Den Splitterrichtern geht es ſo in unſern Tagen, Man hört ſie gewaltig über menſchliche Thorheit klagen, Und können ſich ſelbſt doch von eigenen Schwächen nicht trennen. Verzeiht! wenn wir Euch die Thoren der Thoren nennen. Seyd ehrlich und Jhr werdet als Wahrheit geſtehen:83 Was Jhr heute ſeht, haben ſchon geſtern die Alten geſehen. Wißt Jhr denn nicht, daß Thorheit der Menſchen älteſter Adel? Wollt Jhr weiſe ſeyn, huldigt ihr, oder Euch ſelbſt trifft der Tadel!

Zu der eigenen, mannichfachen und lobenswer - then Art und Weiſe, wie die iſraelitiſche Gemeinde für ihre Armen ſorgt, gehört auch der überall ein - geführte Gebrauch, daß ſich die letzteren auf dem Kirchhofe einfinden, wenn ein Wohlhabender beer - digt wird, wo die Hinterbliebenen öfters bedeutende Summen ſpenden. Bei der Beerdigung eines rei - chen Banquiers, der erſt kurz vor ſeinem Tode große Verluſte erlitten, weil er auf das Steigen eines aus - wärtigen Staatspapieres zur Unzeit ſpekulirt hatte, äußerte ein Witzling: (denn dieſe gibt es bei allen Gelegenheiten, ſowohl in Freuden, als in Leiden) die Armen hätten bei weiten beſſer ſpekulirt, als der Selige ſie ſpekulirten auf herunter!

Als bei einer andern Beerdigung eines wohlha - benden Mannes ein unverſchämter Armer weniger bekam, als er vermuthet hatte, zeigte er die Gabe einem andern Armen, mit der Bemerkung: ob esF 284wohl der Mühe werth ſey, den lieben Gott zu bit - ten, einen Reichen ſterben zu laſſen?

Bei der Beerdigung eines Reichen, der in ſeinem Leben den Armen kaum die Broſamen von ſeiner Tafel vergönnt hatte, hörte man einen Witzling ſa - gen: man dürfe nicht befürchten, daß dieſer Todte ſcheintod ſey und lebendig begraben werde, denn wäre auch nur ein Fünkchen Leben in ihm, ſo würde er gewiß nicht zulaſſen, das liebe Geld in Almoſen zu verſchwenden.

Wer der Erfinder des Schachſpiels auch geweſen ſeyn mag, ein galanter Mann war er gewiß. Wel - chen Spielraum hat er der Dame in ihren Gängen nicht eingeräumt, welche Freiheit ward ihr nicht be - ſchieden! So ſcherzte eine Schöne, mit dem Zuſatze: wie wenige von unſern Männern ſind wohl ſo ga - lant! Nicht zufrieden damit, unſere Gänge zu be - ſchränken, möchten ſie ſie wohl gar jedes Mahl im voraus wiſſen. Mein Kind, erwiederte der weiſe Mann der ſcherzenden ſchönen Frau, wenn alle Männer vor Nebengängen ſo ſicher wären, als es der Erfinder war, oder wenn unſere Damen aus derſelben Maſſe, wie jene, verfertigt wären, könnte und würde man ohne Zweifel eben ſo galant ſeyn. 85 Auch ſind unſere Ritter nicht, wie jene, aus El - fenbein, wohl aber aus Fleiſch und Bein.

Vier und zwanzig Grad.

Jm ſündigen denkt man weder an Ziel noch an Maß, droht aber der Himmel mit Froſt oder Hitze heimzuſuchen, da wird von Graden geſprochen.

Der witzige Nachtwaͤchter.

Sie haben meinen Hund in voriger Nacht in Furcht und Angſt geſetzt, ſagte der Nachtwächter zu einem lockern Burſchen, hörten Sie nicht, wie fürchterlich er bellte? Es iſt wahr, antwortete die - ſer, ſo habe ich ihn noch nie bellen hören. Jch bin dieß an Jhrem Hunde garnicht gewohnt. Wo - her es kam, will ich Jhnen wohl erklären. Sie ſind geſtern gegen ein Uhr ſchon nach Hauſe gekommen: das iſt der Hund an Jhnen nicht gewohnt, weil Sie ſonſt erſt gegen vier Uhr Morgens zu kommen pflegen.

Etwas zu haſtig griff ein Mitglied einer Ge - ſellſchaft, welche ſich zur Feier eines Feſtes bei einem frohen Mahle verſammelt hatte, in das herumge -86 hende Eis. Es ſcheint faſt, ſagte ihm ſein Freund und Nachbar, als wenn Sie auf Jhrem Teller Schlittſchuh laufen wollten.

Wie geht es zu, fragte Jemand, daß unſere Lei - chenreden alle ſo kurz ſind? Sehr natürlich, war die Antwort, es wird ja nur von den Tugenden der Verblichenen darin geſprochen.

Sehr wichtiger Druckfehler, der haͤufig vorkommt.

Statt » gemeinnützig « lies » gemeineigen - nützig. «

Das menſchliche Herz iſt ein Blumengarten, deſ - ſen Boden unaufhörlich verbeſſert werden muß. Der Hofgärtner Tugend darf nie ermüden, das Unkraut beſonders fleißig auszurotten.

Die Unvollkommenheiten der Menſchen aus dem Grunde zu verbeſſern, iſt kein Werk der Menſchen, hat man von jeher behauptet! Wohl aber zu verſchlimmern, hätte man, meiner Meinung nach, hinzuſetzen ſollen.

87

Der N. iſt ein wahrer Sokrates, welcher ſehr weiſe ſagte: er wiſſe allein dieſes, daß er nichts wüßte. Das weiß nun N. zwar nicht von ſich ſelbſt, noch weit weniger hat er es laut behauptet doch wir wiſſen, daß er nichts weiß.

Jgnatius Loyola, der Stifter des Jeſuitenordens, ſchloß die Weiber von der Aufnahme in dieſen Or - den aus. Jch bin in meiner Praxis auf Weiber ge - ſtoßen, die es ſehr wohl verdient hätten, zu dieſem Orden zu gehören!

Jn welchem Sinn ſoll ich dieß nehmen? fragt der Leſer.

Jn welchem Du willſt, Du irreſt nicht! antwor - tet der Verfaſſer.

» Der Verſtand hat ſowohl ſeine nebeligen Tage, » als die Welt, und ein Menſch, der den meiſten Geiſt » hat, iſt des Tages wohl zwanzig Mahl ein Thor. «

Worte eines alten ſcharfſinnigen Schriftſtellers. Man könnte etwa daraus ſchließen wollen, daß demnach die Menſchen, die den wenigſten Geiſt ha - ben, des Tages über wenigſtens vierzig Mahl Tho - ren ſind. Dem iſt aber nicht ſo. Sie ſind es nur Ein Mahl in ihrem ganzen Leben!

88

Wenn der große Mann fällt, hält ſich auch der Allerkleinſte für größer.

Die Unglücklichen meinen es mit und unter ein - ander bei weiten beſſer, als die Glücklichen. Eine weiſe Einrichtung! Hierin liegt Troſt und Beruhi - gung für den Unglücklichen und Demüthigung für die Glücklichen.

Wenn das Getreide gut und am beſten ſteht, fin - det ſich auch eine größere Menge Unkraut ein. So iſt es wohl nicht ſelten mit dem Menſchen der Fall: wenn es recht gut und am beſten mit ihm ſteht, ſo ſind wilde und ausgelaſſene Leidenſchaften nichts Ungewöhnliches.

à la Anacreon.

Eher kann es der Welt an Wein und berau - ſchendem Getränk überhaupt fehlen, als es in der Welt an Urſachen und Bewegungsgründen, ſich zu berauſchen, fehlen wird: Ergo bibamus!

89

Sentenzen.

Oft ſieht man Menſchen da lachen, wo ſie wei - nen ſollten, und weinen, wo ſie lachen ſollten.

Wenn es ein großes Glück iſt, zur rechten Zeit geboren zu werden, ſo iſt es ein noch bei weiten größeres Glück, zur rechten Zeit zu ſterben.

Zufälle und günſtige Umſtände bringen bisweilen große Dinge hervor, von denen man alsdann glaubt, daß ſie Werke der allergrößten Weisheit ſeyen.

Nicht leicht mag es wohl ſeyn, das Eine vom Andern zu unterſcheiden.

Die Uneinigkeiten, die unter den Anhängern einer und derſelben Religion entſtehen, ſind als Ge - burtsſchmerzen anzuſehen, aber wer iſt im Stande, im voraus zu ſagen, was für eine Frucht zu er - warten ſteht? oder ob nicht etwa gar eine Mißge - burt?

Von dem angehenden Arzte fordert man zu viel, von dem ausübenden noch weit mehr. Jn keiner90 Kunſt, in keiner Wiſſenſchaft lernt man ſo viel, um es wieder zu vergeſſen, als in der Arzeneikunſt. Als ausübender Arzt erfährt man erſt, was man alles hätte entbehren können, erfährt man erſt, daß die Kranken, die man in Büchern antrifft, himmel - weit von denen verſchieden ſind, die man im Bette findet.

Noth macht, wie die Ehrſucht, thätig, aber Thätigkeit aus Noth ermüdet ſchnell und entſteht ſchwer, denn dann nur erſt, wenn die Noth am größten iſt, bequemt man ſich zur Thätigkeit. Ganz anders verhält es ſich mit der Thätigkeit aus Ehr - ſucht; dieſe entſteht ſehr leicht und ermüdet nie, ſie wird, wie ein Schneeball im Schnee gewälzt, immer größer, ſie wird, wie die Wolluſt, durch den Genuß, immer mehr gereizt, aber nie geſättigt.

Noch immer behält folgender Gedanke, den ich in einer alten Schrift gefunden, wegen der Wahr - heit, die er enthält, ſeinen großen Werth.

» Die Vorurtheile wider die Armuth ſind zu un - » ſeren Zeiten dergeſtalt eingeriſſen, daß alles, was » von einem armen Manne herkommt, ſo vortrefflich » es auch an ſich ſelbſt ſeyn mag, ohne Unterſchied » verachtet und verworfen wird. Das Wort eines91 » reichen Thoren gilt mehr, als die Ausſprüche von » zehn weiſen Männern, welche arm ſind. Es » ſcheint, als wenn das Gold und Silber in unſern » Tagen eine neue Kraft, deren es ſich vor Alters » nicht rühmen konnte, nämlich die Kraft, weiſe und » verſtändig zu machen, von der Natur erhalten » hätte. Bei den Römern wurde, in ihren erſten » Jahren, der Reichthum als eine Schande angeſe - » hen, und je ärmer jemand war, deſto höher wurde » er gehalten, ja, die Armuth war damahls eine » Stufe, um zu den höchſten Ehrenſtellen zu ge - » langen. «

Der Verfaſſer ruft aus:

o, quantum distamus ab illo!

Wenn man ein hohes Alter erlangt, iſt nichts ſo gewiß, als daß man erlebt, daß das Alte neu und das Neue alt wird; nur das liebe Alter ſelbſt will zum Glück und zum Unglück nie neu werden.

Wenn die Reichen ihren Reichthum von außen zeigen, pflegt es bei den Armen von innen ſchlecht auszuſehen.

Nicht ſelten wählen die Menſchen zur Verbeſſe - rung ihrer Lage ſolche Mittel, welche gerade das92 Gegentheil bewirken: ſie gießen Öl ins Feuer, um das Feuer zu löſchen.

Wer ſich gewöhnt hat, alles zu tadeln, dem wird es endlich ſchwer, ja wohl ganz unmöglich, etwas zu loben, und am Ende tadelt ihn ſelbſt der, welcher alles zu loben ſich gewöhnt hat.

Memorabilia, ſeltene Eigenheiten und Zufälle berühmter Gelehrten aͤlterer Zeit.

Zur Zeit, als ich noch ohne alle Auswahl, im ſtrengſten Sinne, alles las, was mir vorkam, hielt ich ſo manches zu notiren der Mühe werth. Weil ich damals fleißig las, ſammelten ſich meine No - tizen gar ſehr an, bis ich endlich mich genöthigt ſahe, ſtrenger in der Auswahl zu werden, beſonders da ich mit meiner Zeit wirthlicher umzugehen für gut fand.

Die hier folgenden Denkwürdigkeiten ſind noch ein Überbleibſel jener Sammlung. Jch glaube, daß93 ſolche einige Unterhaltung gewähren werden, denn mehr als dieß ſollen ſie nicht leiſten. Wer jene Männer nicht kennt, und mehreres von ihnen und ihren Schriften zu wiſſen wünſcht, muß ſich gefal - len laſſen, Jöchers Gelehrten-Lexicon nachzuſchlagen. Für den aber, der die Quelle aufzufinden weiß, ſind dieſe Blätter nicht.

Jch notirte mir zur Zeit nur dasjenige, was mir der Mühe werth ſchien, für mich und keinen An - dern. Selbſt die Gründe, warum ich mir damals, dieß oder jenes aufzeichnete, ſind mir nicht mehr leb - haft genug erinnerlich, und zum Theil ganz verlo - ſchen. Sollte ich die geleſenen Werke jetzt wieder durchleſen, ſo würde ich mir, davon bin ich völlig überzeugt, ganz andere Dinge aufzeichnen.

Auch ſtehe ich nicht ganz dafür, daß ſich ſo mancher Fehler eingeſchlichen haben mag; jedoch dürften dieſe Fehler wohl nicht bedeutend ſeyn. Da ich aber die Quellen, aus welchen ich geſchöpft, größ - ten Theils nicht mehr weiß, ſo kann ich zur Berichti - gung derſelben nichts thun.

Einzelne Bemerkungen uͤber Toleranz.

Mögen immerhin folgende Gedanken, welche ich unter meinen Notizen finde, wie aus den Wolken94 gefallen, oder, wie man zu ſagen pflegt, wie vom Zaune gebrochen, da ſtehen.

Die Zeit, in der wir leben,
Muß die Entſchuld’gung geben.

» Je mehr bevölkert ein Land iſt, deſto reicher iſt es. Man ſieht hieraus, wie wichtig es ſey, daß eine Regierung bei Fremden nicht auf die Religion ſieht, in ſo fern ſie nur eine ſolche Religion haben, welche die Arbeit befiehlt und den Gehorſam pre - digt. «

Ein Schriftſteller aus alter Zeit, der ſelbſt Ka - tholik war, ſagt bei Gelegenheit der Verfolgung der Proteſtanten: » Der Glaube in der Religion iſt eine » innere Überzeugung, die von Gott kommt. Kann » man nun wohl den Menſchen durch Verbannung, » Gefängniß, Feuer, Rad und Galgen einen ſolchen » Glauben beibringen? Gewiß, niemand wird ſich » dieſes zu behaupten getrauen. Aber man kann » durch dergleichen Leib - und Lebensſtrafen dieſelben » zu gewiſſen Unternehmungen nöthigen, welche wider » ihre Einſichten und die Empfindungen ihres Ge - » wiſſens laufen. Die Verfolgung hilft alſo zu » nichts, als daß ſie die Menſchen ſündigen machet. » Nun aber frage ich, ob es Gott wohl gut heißen95 » könne, daß man die Verbrechen vermehre? Man » wird ſolches mit Nein zu beantworten gezwungen » ſeyn. Und ich befinde mich daher daraus zu ſchlie - » ßen berechtigt, daß es ein offenbarer Widerſpruch » ſey, daß Gott ſolche Mittel, welche auf Sünde » abzielen, genehmigen ſollte, das göttliche Geſetz » verbindet uns alſo zur Toleranz in Religionsſa - » chen. Den großen Herren ſteht auch über dieß kein » Verfolgungsrecht zu; woher ſollten ſie es wohl ha - » ben? Sie müßten daſſelbe entweder von ihrer » Würde ableiten, oder mit der Völker Einwilligung » erworben haben. Von ihrer Würde können ſie es » aber nicht hernehmen, weil dieſe ihnen nur die Macht » gibt, die öffentliche Ruhe und Ordnung, welcher » aber die Verfolgungen gerade entgegengeſetzt ſind, » zu erhalten. Aus der Einwilligung der Völker » kann es ihnen auch nicht kommen; denn es iſt nicht » wahrſcheinlich, daß ſich die Menſchen des aller - » ſchönſten und allerwichtigſten Vorrechtes hätten be - » rauben wollen, welches ohne Zweifel in der Freiheit » beſteht, Gott auf die Weiſe zu dienen, wie es einem » jeden am beſten zu ſeyn ſcheint u. ſ. w. «

Hieraus (ſetzt der Verfaſſer noch hinzu) läßt ſich ſchließen, daß ſowohl die Religion ſelbſt, als auch die wahre Staatsklugheit eine vollkom - mene Toleranz erheiſchen.

96

» Die wahre Religion zwingt die Menſchen nur durch Reizungen der Liebe und der Tugend. Die Wahrheit hat, um ſich zu erhalten, weiter nichts nöthig, als nicht unterdrückt zu werden, ſelbſt zu unterdrücken aber braucht ſie zu ihrer Ausbreitung niemals. «

» Die Bekehrung der Ungläubigen muß man Gott überlaſſen, die Anzahl der Rechtgläubigen zu vermehren, muß ſich darauf beſchränken, dieſe An - zahl in ſich ſelbſt zu vermehren. «

» Was die verſchiedenen Meinungen in der Re - ligion ſelbſt betrifft, ſo glaube ich, daß es gut ſey, deßhalb eine unumſchränkte Freiheit zu geſtatten. Eines Theils erfordert ſolches eine vernünftige all - gemeine Gewiſſensfreiheit, und andern Theils ge - reicht es der wahren Religion zum Nutzen, indem ihre Lehrer dadurch zu einer näheren Prüfung auf - gemuntert und wachſam gehalten werden. Auch ver - liert die Wahrheit dadurch, daß ſie beſtritten wird, niemahls, ſondern erhält vielmehr einen neuen Glanz, wenn nur ihre Vertheidiger weiſe ſind. «

» Man findet keine Religion, die ſich in Anſe - hung der Sittenlehre weit von den übrigen entfernte. Alſo97Alſo können ſie in Anſehung des Staates alle für gleich gehalten werden, und man läßt folglich einem jeden die Freiheit, auf was für einem Wege er dem Himmel zugehen will. Wenn er nur ein guter Bür - ger iſt, wird weiter nichts von ihm verlangt.

» Der falſche Eifer iſt ein Tyrann, der die Län - der von Einwohnern entblößt, die Religionsduldung iſt eine zärtliche Mutter, welche für ſie ſorgt und ſie blühend macht. «

(Die Fortſetzung der Notizen über Toleranz ſoll im nächſten Bändchen folgen.)

Es iſt nichts Neues unter der Sonne; was jetzt vorgeht, hat ſich unter gewiſſen Bedingungen auch früher ſchon zugetragen.

Von einer Religion zur andern über zu gehen, die neue zu verlaſſen, und wieder zur alten zurück zu keh - ren, das war ehedem bei weiten häufiger, als es gegenwärtig iſt. Die Modifikation und zugleich das Merkwürdigſte dabei ſcheint mir unter andern beſonders Folgendes zu ſeyn: erſtens, es waren der - gleichen religiöſe Spaziergänger vor Alters denkendeG98Köpfe und gelehrte Männer; zweitens, derglei - chen Übergänge wurden ſelbſt gegen den zeitigen Vortheil unternommen.

So ließ d’Ablancourt, ein franzöſiſcher Gelehr - ter des ſiebzehnten Jahrhunderts, eine ſehr vortheil - hafte Partie, die er ſelbſt gewünſcht hatte, durch den Übertritt zu einer andern Religion im Stich, und als er ſpäter zur erſten Religion zurückkehrts, gab er die Ausſicht auf eine Stelle auf, die ihm jährlich fünf bis ſechs tauſend Livres Einkünfte ge - bracht haben würde.

Fälle dieſer Art ſind freilich in unſeren Tagen ſeltener.

Unter andern Seltenheiten, die er beſaß, war auch die, daß er der Meinung war, es ſey verdienſt - licher, gute Bücher zu überſetzen, als neue zu ſchrei - ben, die größten Theils nur Wiederholungen von je - nen zu ſeyn pflegten.

Eine Abhandlung von ihm, die er nach einer Unterredung über die Unſterblichkeit der Seele ſchrieb, mag wohl wichtig ſeyn: er behauptete nämlich, daß nur die Religion, aber nicht die natürliche Vernunft die Unſterblichkeit der Seele lehre.

Daß ſich von jeher denkende Köpfe gefunden, denen die Wahrheit über alles ging, was ihnen die99 Welt geben konnte, braucht wohl nicht erſt nachge - wieſen zu werden. Alle Jahrhunderte haben ſolche Männer auf zu weiſen, und die folgenden Jahrhun - derte werden ſtets deren auf zu weiſen haben. Daher kann und wird die Wahrheit nie von irgend einer menſchlichen Macht ganz unterdrückt werden.

Den größten Verfolgungen waren gewöhnlich die Theologen ausgeſetzt, ſobald ſie ſich unterſtanden, auch noch ſo unbedeutend, von dem gewöhnlichen Schlendrian abzuweichen.

Aber einen vollkommen tragi-komiſchen Anblick gewährt es, wenn man auf dergleichen Sachen, die zu der bitterſten Verfolgung Gelegenheit und Grund abgeben mußten, den Blick richtet. Fühlte ich mich ſtark genug dazu, ich würde ein beſonderes Werk veranſtalten, worin nur die Verfolgungen der Ge - lehrten aller Zeiten unter einander und die Gründe dazu aufgenommen werden ſollten; ich bin überzeugt, die Leſer würden im Zweifel ſeyn, ob ſie lachen oder weinen ſollten.

Jm Jahre 1670 ſchrieb ein Prediger und Doktor der Theologie, Balthaſar Becker, einen Commentar über den Heidelbergiſchen Katechismus, unter dem Titel: » Die rechte Speiſe der Vollkommenen. « und ward heftig verfolgt, weil er darin Folgendes auf - geſtellt hatte.

1) Adam ſey vergänglich geſchaffen worden. 2) G 2100Er ſey geſchaffen worden, um ewig in dem irdiſchen Paradieſe zu leben, ohne daß er nöthig gehabt, in den Himmel, oder in einen glückſeligeren Zuſtand, als ſein damaliger geweſen, verſetzt zu werden. 3) Der Eva wären die natürlichen Eigenſchaften der Schlange, ihrer Verſucherinn, unbekannt geweſen, und ſie habe ihre Rede für natürlich gehalten. 4) Die Juden und Türken beteten den wahren Gott an, ob ſie ihn gleich nicht ſo anbeteten, wie man ihn an - beten müſſe. 5) Dasjenige, was wir von der Erde wüßten, ſey weit weniger als was wir nicht wüßten. 6) Die Feier des Sabbaths am erſten Tage der Woche ſey keine göttliche, ſondern menſchliche Verordnung.

Wer befindet ſich hier nicht, wie ſchon geſagt, in einer ſolchen Stimmung, worin es ſchwer zu ent - ſcheiden iſt, ob man mit Demokrit oder Heraklit ein - ſtimmen ſoll?

Nicht beſſer ging es Becker mit einer andern Schrift, worin er behauptete, daß die Kometen kei - nes Weges erſchienen, um bevorſtehende Unglücks - fälle anzukündigen.

Aber ſeinen gänzlichen Untergang zog er ſich zu durch ein Werk unter dem Titel: » Die bezauberte Welt u. ſ. w. « worin er, man denke! den Teufel ſelbſt (Gott ſey bei uns!) angriff, und ſogar keck genug war, ihn, wenn er ſich beleidigt hielt, heraus zu fordern, ſeinen Angreifer zu züchtigen, und ſeine101 Macht, die er ihm abgeſprochen, an ihm zu bewei - ſen. Da er aber auf dieſe förmliche Herausforder - ung ſich nicht geſtellt hat, ſo urtheilen wir, daß er, der Teufel ſelbſt, den Zweikampf nicht billigt.

Gegen die bezauberte Welt erſchien eine große Anzahl von Gegenſchriften, die alle die Rechte des Teufels vertheidigten. Gottlob! jetzt haben derglei - chen Teufeleien ein Ende, obgleich hier und dort der Teufel noch, wie zuvor, ſein Weſen treibt.

Leo Alatius, ein geborner Grieche von der Jn - ſel Chios, der ſich im Beginnen des ſiebzehnten Jahr - hunderts zu Rom den ſchönen Wiſſenſchaften wid - mete, ward einſt vom Pabſte Abexander dem Sie - benten gefragt, warum er nicht in den geiſtlichen Stand treten wolle? Damit ich heirathen kann, wenn es mir beliebt, war ſeine Antwort. Allein warum heirathet ihr denn nicht? verſetzte der Pabſt. Damit ich, erwiederte Alatius, ein Geiſt - licher werden kann, wenn ich auf den Einfall gera - then ſollte!

Mathurin Regnier, Kanonikus zu Chartres, zu ſeiner Zeit berühmt durch ſcherzhafte und ſatyriſche Schriften, führte in ſeiner Jugend ein zügelloſes, ausſchweifendes Leben. Die Folge davon war, daß102 er im vierzigſten Jahre ſtarb, nachdem er ſeit dem dreißigſten ſchon alle Schwachheiten des Alters er - duldet hatte. Er hat ſich ſelbſt folgende Grabſchrift geſetzt:

» Jch habe ohne Nachdenken gelebt, und mich dem » guten Geſetz der Natur ohne Zwang überlaſſen: » es wundert mich alſo gar ſehr, wie der Tod an » mich denken konnte, da ich niemals an ihn ge - » dacht habe. «

Der Mann auf ſeinem Poſten.

Johann Rotrou, ein im ſiebzehnten Jahrhun - dert bekannter und geſchätzter dramatiſcher Dichter, lebte zu Dreux, wo er mehrere öffentliche Ämter be - kleidete.

Als im Jahre 1650 in ſeinem Wohnorte eine anſteckende Krankheit herrſchte, die täglich an 30 Menſchen wegraffte, bat ihn ſein Bruder, der ſich damals in Paris aufhielt, ſehr dringend, er möchte, um ſein Leben zu retten, zu ihm kommen. Deſ - ſen ungeachtet weigerte ſich Rotrou ſtandhaft, ſei - nes Bruders Bitte zu erfüllen, weil ſeine Ge - ſchäfte es nicht erlaubten, weil er der Einzige wäre, der bei der Abweſenheit des Generallieu - tenants und nach dem Tode des Bürgermeiſters, für die Bedürfniſſe der Stadt ſorgen, und die103 Polizei und gute Ordnung handhaben könnte. Die Gefahr, ſchrieb er, iſt ſo groß, daß ſo eben die Glocken für die zwei und zwanzigſte Perſon läuten, die heute geſtorben iſt. Dieſes wird auch für mich geſchehen, wenn es Gott gefallen ſollte.

Einige Tage darauf ſtarb auch er an dieſer Krank - heit in einem Alter von noch nicht 41 Jahren.

Braver Rotrou! Was würdeſt du geſagt haben, wenn du im Jahre 1806 geſehen hätteſt, wie Men - ſchen Ämter und Stellen aller Art im Stiche ließen, und da, wo die Gefahr doch wohl mit der, welcher du dich ausſetzteſt, nicht zu vergleichen war, nur an ſich und an nichts weiter dachten, und ihr Heil in der Flucht ſuchten; wo ſelbſt Ärzte ihre Kran - ken in Verzweiflung ließen, und davon eilten! Da indeſſen alles in der Welt ſeine guten Seiten hat, ſo wäre es ja auch wohl leicht möglich, daß die Abweſenheit mancher Ärzte ihr Gutes gehabt ha - ben könnte. Nur ſind diejenigen nicht zu dieſer Klaſſe zu rechnen, welche aus politiſchen Abſichten oder ähnlichen Motiven zu flüchten ſich weislich ent - ſchloſſen hatten.

Claude Perrault, ein berühmter franzöſiſcher Ge - lehrter des 17ten Jahrhunderts, zeigte ſchon früh104 einen ausgezeichneten Hang zu den Wiſſenſchaften, vorzüglich zu den ſchönen Künſten. Ganz beſondere Kenntniſſe beſaß er in der Arzeneiwiſſenſchaft und Mechanik. Die erſte war ſein eigentlicher Beruf, die andere ſeine herrſchende Neigung, und die meiſte Epoche hat er in der Baukunſt gemacht, über die er bedeutende Werke lieferte.

Despreaux, den er ſich durch ſeine Satyren zum bitterſten Feinde gemacht hatte, rächte ſich dadurch, daß er den vierten Geſang ſeiner Dichtkunſt mit einigen, auf ihn zielenden Verſen anfing, deren Jn - halt ungefähr folgender iſt:

» Zu Florenz lebte vormals ein Arzt, der, wie » man ſagt, ein gelehrter Windbeutel und berühm - » ter Meuchelmörder war. Jhm allein ſchrieb man » daſelbſt lange Zeit das allgemeine Elend zu. » Hier forderte ein verwaiſter Sohn ſeinen Vater » von ihm zurück; dort beweinte ein Bruder den » durch Gift hingerichteten Bruder. Der eine ſtirbt, » weil er ihm alles Blut wegließ, der andere, weil » er ihn mit Sennesblättern vollſtopfte. Bei ſei - » nem Anblicke verwandelte ſich der Schnupfen in » Seitenſtechen, und durch ſeine Vermittelung ging » der Kopfſchmerz bald in Wahnſinn über. Endlich » verließ er, allgemein verabſcheuet, die Stadt. Der » Einzige, der von ſeinen nicht gemordeten Freun - » den übrig geblieben, war ein reicher Abt, der,105 » bis zum Närriſchwerden für die Baukunſt ein - » genommen, ihn in ſeinen prächtigen Pallaſt führte. » Hier ſcheint es ſogleich, als wäre unſer Arzt » bei der Baukunſt geboren und erzogen worden. » Schon redet er vom Bauweſen, wie ein Man - » ſard. Er tadelt den Vordertheil des Saales, » den man erhöhet hat, beſtimmt dem zu dunkeln » Vorzimmer einen andern Platz, und lobt Wen - » deltreppen von einer andern Art. Sein Freund » ſieht es ein, und läßt einen Baumeiſter holen. » Dieſer kommt, hört und beſſert ſich. Doch, um » eine ſo wunderbare Geſchichte kurz zu faſſen, » unſer Meuchelmörder entſagt ſeiner unmenſchli - » chen Kunſt, nimmt das Richtſcheit und das » Winkelmaß in die Hand, und wird aus einem » ſchlechten Arzt ein vortrefflicher Baumeiſter. «

Perrault beſchwerte ſich über dieſe Satyre, allein ſeine Beſchwerde half ihm zu keiner andern Genug - thuung, als daß Despreaux folgendes, noch beißen - dere Epigramm auf ihn dichtete:

» Es iſt wahr, ich habe in meinen Verſen geſagt, » daß ein berühmter Meuchelmörder die unfrucht - » bare Wiſſenſchaft des Galen verlaſſen habe, und » daß aus einem unwiſſenden Arzt ein geſchickter » Baumeiſter geworden ſey. Aber nie hatte ich » die Abſicht, von dir zu ſprechen, Perrault! » Meine Muſe druckt ſich ſehr genau aus: Du106 » biſt, ich geſtehe es, ein unwiſſender Arzt, aber » kein geſchickter Baumeiſter! «

Etwas zur Ahndungsgeſchichte.

John Donne, geboren zu London gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts, war daſelbſt Dechant an der St. Pauls Kirche. Unter andern hat er auch zur Vertheidigung des Selbſtmordes geſchrieben, den er unter gewiſſen Umſtänden für erlaubt hielt.

Sir Robert Drury hatte einſt Donne mit nach Paris genommen, der ſeine Frau in andern Umſtän - den in London zurückließ. Jn Paris erſchien ſie ihm am hellen Tage, mit ſehr traurigem Antlitz und ei - nem todten Kinde auf dem Arme. Drury, dem Donne ſeine Viſion erzählte, hielt ſie für bloße Ein - bildung, ſchickte aber doch, um ſeinen Freund zu be - ruhigen, einen Bedienten nach London, der in 12 Ta - gen mit der Antwort zurückkam, daß Donne’s Frau an eben dem Tage und in eben der Stunde, wo Donne die Erſcheinung gehabt hatte, von einem todten Kinde entbunden ſey, und ſie ſelbſt ſich noch ſehr ſchwach befinde.

Peter Bembo, der in der Mitte des 16ten Jahr - hunderts als Kardinal ſtarb, führte, ehe er in den107 geiſtlichen Stand trat, mit einem ſeiner Verwandten einen Prozeß.

Eines Tages wollte er dem Gerichte eine Schrift zum Beſten ſeiner Sache vorlegen, und ging, wie gewöhnlich, erſt zu ſeiner Mutter, um ihr einen gu - ten Morgen zu wünſchen. Als er ihre Frage, wo - hin er gehen würde, beantwortet hatte, beſchwor ſie ihn, nicht aus zu gehen, und erzählte ihm, daß ihr in der vergangenen Nacht geträumt habe, er ſey auf der Straße mit ſeinem Gegner in einen Wortwech - ſel gerathen und durch mehrere Stiche verwundet worden. Bembo lachte und ging dennoch aus; aber er begegnete wirklich bald ſeinem Gegner, gerieth mit ihm in einen Wortwechſel, und wurde von ihm durch mehrere Dolchſtiche gefährlich verwundet.

Karl der Sechſte beſaß von Jugend auf ein me - lancholiſches Temperament, und ward gegen das Ende ſeines Lebens völlig raſend. Als er einſt mit einem Heer auf dem Marſch gegen Herzog Johann den Fünften von Bretagne war, kam es ihm vor, als wenn aus einem Walde ein ſchwarzer Mann hervorträte, und, ſein Pferd beim Zügel faſſend, ihm zuriefe; » Elender König, wo willſt du hin? Du biſt verrathen! « Da traf es ſich, daß ein Rei - ter, der auf dem Pferde eingeſchlafen war, ſeine108 Lanze auf die Sturmhaube des Königs fallen ließ. Karl, durch die vermeintliche Erſcheinung ſchon ſehr erſchreckt, glaubte nun, die Lanze ſey abſichtlich auf ihn gerichtet geweſen; er gerieth darüber in eine ſolche Wuth, daß er den Degen zog, verſchiedene ſeiner Leute niederſtieß, und in der Raſerei mit dem Pferde in einen Graben ſtürzte.

Eine andere Begebenheit machte ihn aufs neue raſend. Als im Jahre 1393 das Beilager eines Vor - nehmen vom Hofe gefeiert wurde, wollte demſelben der König unerkannt beiwohnen, und wählte mit fünf von ſeinen Höflingen, die von gleicher Größe mit ihm waren und ihn begleiten ſollten, den Anzug eines Waldgottes. Es blieb indeſſen nicht verſchwie - gen, daß der König ſich unter ihnen befände, und der Herzog von Orleans trat, um ihn beſſer zu er - kennen, mit einem Lichte in der Hand hinzu. Un - glücklicher Weiſe fiel aber ein Funke in die rauhe, mit Pech beſtrichene Kleidung eines der Waldgötter, und in einem Augenblick ſtanden ſie alle, die ſich einander helfen wollten, in vollen Flammen. Vier von ihnen mußten den ſchmählichen Feuertod ſter - ben, nur der König und noch einer wurden gerettet. Der Erſtere ward jedoch dadurch abermals in ſeine traurige Geiſteszerrüttung verſetzt, welche bis an das Ende ſeines Lebens ihn nicht wieder verlaſſen hat.

109

Dionyſe de Sallo, Herr de la Courdraye, lebte im 17ten Jahrhunderte zu Paris, ſeinem Geburts - orte, als Parlamentsrath, und iſt auch als Schrift - ſteller nicht unbekannt.

Von ſeinem Karakter bekommt man durch fol - gende Erzählung eine hohe Meinung.

Jm Jahre 1662 war in Paris eine große Hun - gersnoth. An einem Sommerabende dieſes Jahres ging Sallo, nur von einem kleinen Bedienten beglei - tet, ſpazieren, als er von einem Menſchen angefal - len wurde, der ihm mit der Piſtole in der Hand ſeine Börſe abforderte, doch geſchah dieß mit einem ſolchen Zittern, daß Sallo wohl bemerken konnte, der Räuber ſey in ſeinem Handwerke noch ungeübt. Jhr kommt nicht an den rechten Mann, ſprach er ganz gelaſſen zu ihm, ich habe nur drei Piſtolen bei mir, die ich euch indeſſen gern geben will. Ohne das Geringſte weiter zu verlangen, nahm der Unbe - kannte das Geld, und eilte davon. Sallo aber ſandte ihm ſeinen Bedienten nach, mit dem Auftrag, zu ſehen, wo er bleibe. Als dieſer dem Menſchen durch drei oder vier kleine Straßen nachgeſpürt hatte, ſah er ihn in das Haus eines Bäckers treten, wo er ein großes Brot kaufte und eine der Piſtolen verwech - ſelte. Nicht weit von dieſem Bäcker ging er in ein anderes Haus, und ſtieg daſelbſt in das vierte Geſchoß hinauf. Die Stube, in welche er ſich begab, war110 nur ſchwach von dem Schimmer des Mondes er - hellt, und der Bediente, der ſich nachgeſchlichen hatte, bemerkte, wie er das Brot in das Zimmer warf, und zu ſeiner Frau und ſeinen Kindern mit von Thränen erſtickter Stimme ſagte: Eſſet, hier iſt Brot, das mir theuer zu ſtehen kommt; ſättigt euch daran und quälet mich nicht mehr; in den nächſten Tagen werde ich gehängt werden, und ihr werdet Schuld daran ſeyn. Seine Frau, die auch weinte, beſänftigte ihn, ſo gut ſie es vermochte, nahm das Brot und gab es vier armen, halbnackten Kindern, die vor Hunger ganz kraftlos waren.

Am andern Morgen um fünf Uhr ließ ſich Sallo, dem der Bediente alles erzählt hatte, von dieſem nach der Wohnung des Mannes führen. Zuvor er - kundigte er ſich in der Nachbarſchaft nach ihm, und erfuhr, daß er ein Schuhmacher ſey, ein guter, ehr - licher Menſch, ſehr dienſtfertig, aber Vater einer zahlreichen Familie und äußerſt arm. Darauf ging er zu ihm hinauf und klopfte an ſeine Thüre. Der Unglückliche öffnete ſie ſelbſt, erkannte ihn, warf ſich zu ſeinen Füßen und flehete, ihn nicht zu verderben. Macht keinen Lärm, ſagte Sallo, in dieſer Abſicht komme ich nicht zu euch. Jhr treibt ein ſchlimmes Handwerk, fuhr er fort, das euch das Leben koſten wird, wenn ihr es fortſetzet. Da habt ihr 30 Piſto - len, die ich euch ſchenke, kaufet Leder dafür und ar -111 beitet, damit ihr das Leben eurer Kinder erhaltet, aber gebet ihnen nicht ein ſo ſchlechtes Beiſpiel, wie das iſt, was ihr geſtern vorgenommen.

Bemerkenswerthe Eigenheiten.

Leo Alatius bediente ſich vierzig Jahre lang einer und derſelben Feder; als er ſie endlich verlor, ward er ſo ſehr darüber betrübt, daß er ſich der Thränen nicht enthalten konnte.

Johann Rotrou, ſagt die Fama des 17ten Jahr - hunderts, hatte eine unwiderſtehliche Leidenſchaft für das Spiel. Um zu verhindern, daß er ſein Geld auf ein Mahl verſpielte, bewahrte er es in einem Bün - del Reiſig auf, welches er verſchloſſen hielt. Hatte er nun Geld nöthig, ſo mußte er das Bündel ſchüt - teln, damit etwas herausfalle; weil ihm aber dieß eine ärgerliche Mühe war, ſo trieb er es nicht lange, und ward dadurch verhindert, alles auf ein Mahl her - aus zu nehmen.

Jakob Grether, ein in der letzten Hälfte des 16ten Jahrhunderts lebender Jeſuit, ein Schwabe von Geburt, war als theologiſcher Schriftſteller zu ſeiner Zeit ſehr berühmt. Seine ausgezeichneten Kenntniſſe waren mit einer ſeltenen Beſcheidenheit112 verbunden, und er war ein ſolcher Feind von Lobes - erhebungen, die man ihm machte, daß er den Be - wohnern ſeiner Vaterſtadt, die ſein Bildniß wünſch - ten, um es auf ihrem Rathhauſe auf zu ſtellen, zur Antwort gab: wenn ſie ſein Bildniß haben wollten, ſo dürften ſie nur einen Eſel malen laſſen.

Folgte mancher Maler dieſem Rathe, ſo würde die Klage über vermißte Ähnlichkeit vielleicht ſeltener werden.

Richard Simon, ein gelehrter franzöſiſcher Geiſt - licher des 17ten Jahrhunderts, der ſehr viel geſchrie - ben hat, lag beim Studieren gewöhnlich auf einem dicken Teppich und einigen Kiſſen; zur Seite hatte er auf der Erde ein Tintefaß, Papier und die - cher, welche er zum Nachſchlagen gebrauchte. Er ſelten des Abends, und lebte ſo mäßig, daß er kaum hinlängliche Nahrung zu ſich nahm.

Gilles Menage, Parlaments-Advokat in Paris, ſchrieb unter andern ein Werkchen gegen die franzö - ſiſche Akademie, worüber ein anderer damaliger Ge - lehrter urtheilte: » Dieſe Schrift verdiene, daß man ihren Verfaſſer verurtheile, ein Mitglied der Akade - mie zu werden, ſo wie man einen Mann, der einem Mädchen die jungfräuliche Ehre geraubt habe, ver - urtheile, daſſelbe zu heirathen.

Er113

Er hatte ſich durch ſeine literariſchen Streitig - keiten viele Feinde zugezogen. Ein gewiſſer de la Monnaye hatte Anmerkungen zu einem ähnlichen Pamphlet des Menage geſchrieben, die er aber bei deſſen Leben nicht herausgeben wollte, um jeden Streit mit ihm zu vermeiden. Als nach Menage’s Tode ein heftiger Feind deſſelben ihn überreden wollte, ſeine Anmerkungen jetzt bekannt zu machen, lehnte er es ab, und gab ſcherzhaft zur Antwort: Wir wollen jetzt den guten Menage zufrieden laſſen; er war ein zu braver Mann, als daß man ihm nicht gut ſeyn müßte. Laſſen wir den nun auch ruhen, deſſen Verſe und Proſa uns ſo oft eingeſchlä - fert haben.

König Alphons von Neapel, der Wiſſenſchaft und Gelehrte ungemein liebte, ſandte einſt einen be - rühmten Gelehrten, Namens Antonio Panornita, nach Venedig, um die Venetianer zu erſuchen, ihm nur einen Knochen aus dem Arme des Livius zu ſchicken. Er war ſo glücklich, ſeinen Wunſch erfüllt zu ſehen.

Jean Mery, ein berühmter franzöſiſcher Wund - arzt, kam im achtzehnten Jahre nach Paris, um daſelbſt im Hôtel-Dieu unterrichtet zu werden. Er beſaß eine ſolche Liebe zu ſeiner Kunſt, daß er ſichH114nicht mit den Übungen am Tage begnügte, ſondern, ſo oft er konnte, todte Körper ſtahl, die er in ſei - nem Bette verbarg, und während der Nacht zer - gliederte.

Hieronymus Fracaſtor, als Arzt und Gelehrter berühmt, lebte am Ende des 15ten und im Anfang des 16ten Jahrhunderts.

Bei ſeiner Geburt fand man, daß ſeine Lippen bis auf eine kleine Öffnung zuſammengewachſen waren, und ſie mußten erſt von einem Wundarzt auseinan - der geſchnitten werden.

Als Kind trug ihn ſeine Mutter einſt auf dem Arme; ſie ward von einem Blitzſtrahl getroffen und getödtet, er aber nicht im geringſten beſchädigt.

Dieſe ſämmtlichen Memorabilien, die meine geneigten Leſer gleich am als eine Zugabe anzuſehen haben, ſind hiemit bei weiten noch nicht geſchloſſen. Es wird darauf ankom - men, ob ſie wohlgefällig aufgenommen werden, und in dieſem Falle werde ich in meinem ferneren Ausverkauf da - mit fortfahren.

About this transcription

TextAusverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten
Author Sabattia Joseph Wolff
Extent137 images; 21268 tokens; 5272 types; 143037 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAusverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten oder Neueste Streifereien im Gebiete des Scherzes und des Ernstes Sabattia Joseph Wolff. . XII, 114 S., [1] Bl. SchadeBerlin1824.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, 50 MA 46792

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; china

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