Herbart hat den Wunsch testamentlich aus - gesprochen, dass vorliegendes Document, zu - nächst für die Privatmittheilung, gleich nach seinem Tode gedruckt würde. Obgleich an eine Sache anknüpfend, die zu ihrer Zeit viel Aufsehen und wenig Befriedigung hervorge - bracht hat, ist die Betrachtung in der Art ver - allgemeinert, dass eine neue Aufregung jener Angelegenheit, die nun todt ist, nicht zu be - fürchten steht. Aber Deutschland hört auf seine Philosophen; Worte Verstorbener gleichen Orakelsprüchen: mögen also Wohldenkende die Frage näher erwägen, ob, sobald die Deutschen Universitäten, wie es seit den grossen Befreiungskriegen ver -4 schiedentlich der Fall schien, sich mit der Politik verwickeln, es nicht als - dann um die Aufgabe und Freiheit der Wissenschaft, wie um ihre Würde und nöthige Ruhe, gethan sei? — eine Frage, auf deren Beantwortung gerade das Interesse des gegenwärtigen Denkmals beruht. Die bei - den Männer, deren Erklärungen schliesslich hier in Betracht gezogen sind, werden sich, falls ihnen die Schrift irgend zu Gesicht kom - men sollte, zu einer Erwiederung kaum ver - anlasst finden. Ueberdiess, der Wirklich-Ver - storbene wird nicht mehr antworten.
Königsberg den 15. Juni 1842. Taute.
Ein Schritt der Kühnheit gegen die höchste Staatsgewalt, an sich ein gefährliches Beispiel, kann nach Verschiedenheit politischer Meinun - gen verschieden beurtheilt, er kann nach eini - gen derselben, unter Umständen, als heraus - gefordert und hiemit gerechtfertigt erscheinen. Wenn aber dieser Schritt zugleich ein ganzes Collegium in eine, seinem Zwecke durchaus entgegengesetzte, falsche Stellung bringt, wenn er andern Collegien vorgreift, wenn er auf künftige Zeiten hinaus ein schon wankendes Vertrauen vollends untergräbt: dann würde zu seiner Rechtfertigung ein höchst evidenter Grund gehören; und die mindeste Schwankung der Ansichten unter Denen, welche als urtheilsfä -6 hig zu betrachten sind, sollte hinreichen, um davon abzumahnen. Allein gesetzt, der Schritt sey dennoch geschehen, so wird man ihn zwar tadeln, doch immer die Grösse der Gesinnung schätzen, vielleicht sogar bewundern, wodurch seltene Männer manchmal gerade da, wo sie weit über die rechte Bahn hinausschreiten, eben auch das Gemeine recht weit hinter sich zurücklassen.
Aufopferungen, zu denen die Mehrzahl der Menschen sich nicht leicht entschliesst, wenn sie aus starkem Rechtsgefühl entsprin - gen, wird man auch dann gern von der rühm - lichsten Seite betrachten, wenn man sie nur als Seltenheiten, nicht als Beispiele zur Nach - ahmung, charakteristisch für gewisse Indivi - duen findet, aus deren Eigenheit sie natürlich hervorgehn.
Aber solche Individuen preisen zuweilen eben das, was zu ihnen passt, weil es aus ihnen hervorgeht, als Muster an; und können nicht begreifen, dass, wenn Andere dasselbe7 thäten, es schon nicht dasselbe, vielmehr im Widerstreite gegen die allgemeinen Lebens - Regeln höchst verkehrt seyn würde.
Es ist freylich ein übler Umstand, wenn Jemand seine Individualität zum Maassstabe macht, nach welcher Jedermann sich müsse beurtheilen lassen. Doch auch dies findet wohl Nachsicht, wenn Verstimmung, wenn irgend etwas von Entbehrung dazu kommt.
Nur schmähen, kränken, verletzen müssen Diejenigen nicht, welche ihr Beispiel nachge - ahmt wissen wollten, und die Nachahmung ausbleiben sehen. Schmähen müssen sie am wenigsten auf Die, welche durch sie und ihr Benehmen in bittere Verlegenheit gesetzt, be - unruhigt, vielfach gestört sind. Das Unglück hat seine Rechte, die man gern einräumt, wenn sie schon, genau besehen, nur Begünstigungen seyn möchten; aber Niemand muss aus seinem Asyl Pfeile abschiessen; vollends dann nicht, wenn er einen Vortheil der Stellung hat, ver -8 möge deren man ihn nicht leicht im gleichen Streite erreichen kann.
Die Herren Dahlmann, Grimm u. s. w. haben sich einmal in eine Stellung versetzt, vermöge deren sie mit ungemeiner Dreistigkeit über Alles sprechen können, was man anderwärts kaum anzudeuten wagt. Sie haben eine Macht der Meinung für sich gewonnen, zu welcher Worte zu finden höchst leicht ist, und keinesweges einer solchen Meisterschaft in der Sprache be - darf, wie jene sie besitzen.
Daher kann es nicht die Absicht der nach - stehenden Blätter seyn, einen Wettstreit der Sprache, oder des fortgesetzten Disputs mit jenen Männern einzugehn. Vielmehr, da man hier solche Gegenstände berührt finden wird, die immer disputabel bleiben werden, der Ver - fasser aber sich schwerlich auf weitere Ent - gegnungen einlassen wird, soll der längern Rede kurzer Sinn gleich in folgende wenige Zeilen zusammengefasst, die persönliche Ue -9 berzeugung des Verfassers, unmaassgeblich für Andere, ausdrücken.
Der vorige König, als er das Grundgesetz von 1833 publicirte, hatte auf dasselbe den Diensteid der Beamten ausgedehnt. Wäre diese Ausdehnung unterblieben: nichts desto weniger würden die Beamten verpflichtet gewesen seyn, sich derjenigen Form anzuschliessen, in wel - cher nun Ordnung und Ruhe im Lande sollte ge - handhabt werden. Denn die Pflicht, zur Ordnung mitzuwirken nach dem Geschäftskreise eines Je - den, entsteht nicht erst durch den Diensteid; sie fällt auch nicht mit ihm hinweg. Wohl aber ist sehr wesentlich der Umfang des Geschäfts - kreises, worin jeder einzelne Beamte sich be - findet: denn hiemit sind die Gränzen gegeben, worin Jeder sich bewegen soll, weil gerade das Ueberschreiten dieser Gränzen am meisten die Ordnung in Gefahr zu setzen pflegt. Sol - ches Ueberschreiten muss um desto sorgfälti - ger vermieden werden, wenn die Form, worin10 fernerhin die öffentliche Ordnung soll gehand - habt werden, in einiger Ungewissheit schwebt. Das Weitere ergiebt sich von selbst, wenn man den Beruf des Lehrstandes, insbesondere der akademischen Lehrer, gehörig in Erwä - gung zieht.
Vorgestern wurde das Decanat niederge - legt, was mich in Verwickelungen hineinzog, die, meinen Ansichten nach, einem akademi - schen Lehrer fremd bleiben sollten. Damit fallen einige Bedenklichkeiten weg, die man sich sonst wohl macht, so lange man im Na - men Anderer zu handeln hat. Was ich hier schreibe, bedarf keiner collegialischen Geneh - migung; denn ich schreibe nur in meinem ei - genen Namen.
Vor mehr als vierzig Jahren war ich Fichtes Schüler; seine Uebertreibungen lehrten mich Mässigung. In seinem Naturrechte vom Jahre 1796 heisst es S. 207, wo von der Ga - rantie der Constitution die Rede ist:
„ Das Gesetz muss, wo es nicht gewirkt hat, „ wie es sollte, ganz aufgehoben werden. ‟
Darum Ephoren und Interdict. Die Epho - ren haben gar keine executive, aber eine ab - solut-prohibitive Gewalt; „ die Gewalt, allen12 „ Rechtsgang, von Stund an, aufzuheben; die „ öffentliche Macht gänzlich und in allen ihren „ Theilen zu suspendiren. ‟ Fichte bemerkt hier ausdrücklich die Analogie des kirchlichen Interdicts.
Ein solches Heilmittel, möchte Jemand sagen, sey schlimmer als das Uebel. Eben in dieser Verschlimmerung nun sucht Fichte die Sicherheit, es zu heilen. Er sagt deutlich: „ Die Ankündigung des Interdicts ist zugleich „ die Zusammenberufung der Gemeine. Dieselbe „ ist durch das grösste Unglück, das sie betref - „ fen konnte, gezwungen, sich sogleich zu ver - „ sammeln. Die Ephoren sind, der Natur der „ Sache nach, Kläger; und haben den Vortrag. ‟
Noch einen Hauptzug aus der Fichteschen Lehre, (die übrigens Jeder in ihrem ganzen Zusammenhange durch eignes Nachlesen im angeführten Buche aufsuchen möge) wollen wir anführen:
„ Es ist sonach Grundsatz der recht - und „ vernunftmässigen Staatsverfassung, dass „ der absolut-positiven Macht eine absolut-ne - „ gative an die Seite gesetzt werde. ‟ Das Ephorat ist also nach Fichten wenigstens von älterem Datum als das Interdict. Jenes muss verfassungsmässig dastehn, ehe und bevor an das letztere zu denken ist.
13So wenig nun ein Arzt, der das Leiden des Kranken auf den höchsten Grad steigert, um die Heilkraft der Natur herauszufordern, — dem Kranken willkommen seyn wird; und so wenig eine Staatslehre von ähnlicher Art sich auf die Länge praktisch brauchbar zeigen kann: so ist doch im Gebiete des blossen Denkens manchmal rathsam, einen Irrthum im ganzen Umfange seiner Consequenz zu betrachten, um desselben sich desto sicherer zu entschlagen.
Es kann daher nützlich seyn, sich das ganze Unheil der vollendeten Anarchie vorzu - stellen, welches, nach Verkündigung eines Fich - teschen Interdicts sogleich entstehend, allem durch die Staatsgewalt gebändigten Frevel auf einmal Thür und Thor öffnen, — und in den Augen der Menge zunächst Diejenigen verant - wortlich machen würde, welche den Geschäf - ten sich entziehend die gewohnte Hülflei - stung versagt hätten. Die Beamten wären dann der nächste Gegenstand, entweder der Verachtung oder der Volkswuth; Militär-Ge - walt wäre das nächste nothwendige Surrogat der öffentlichen Ordnung; die Wiedergeburt dieser Ordnung müsste vom Despotismus er - wartet werden.
Wo aber sollen wir die Ephoren suchen? Welche Personen können, mit so gefährlichen14 Aufträgen bekleidet und beständige Besorg - niss eines verhängnissvollen Spruches verbrei - tend, mit eigner Sicherheit im Staate leben? Suchen wir sie nur gleich da, wo das Inter - dict gefunden wurde, nämlich bey einer mit den Schlüsseln des Himmels und der Hölle be - waffneten Geistlichkeit. Eine solche konnte recht in der Mitte des Mittelalters neben der Staatsgewalt nicht bloss ihre Existenz, son - dern auch eine überwiegende Wirksamkeit be - haupten; aber das Mittelalter ist vorüber; es ist nicht unsre Zeit.
Wenn jetzt keine Ephoren zu finden sind; — wenigstens nicht solche, die einen absolu - ten Stillstand alles Staatslebens zu gebieten sich einfallen lassen dürften: so mag wohl Je - mandem der ganz besondere Gedanken bey - kommen, sich ohne sie zu behelfen, und das Interdict dennoch zu erreichen.
Wie wäre es, wenn man dazu den Dienst - eid der Beamten benutzte und deutete?
Zwar der Natur der Sache nach hängen die Beamten ab von Dem, an dessen Stelle sie arbeiten, der ihnen ihren Geschäftskreis anweiset, abändert, begränzt, ausdehnt. Und hier wäre besonders das Ausdehnen etwas sehr Bedenkliches, wenn ungefragt auf einmal der Beamte es sich müsste gefallen lassen,15 nachdem er zuvor, gemäss der frühern Gränz - bestimmung, das Amt übernommen hätte. Es sey erlaubt, mich selbst zum Beispiele anzu - führen. Aus weiter Ferne bin ich gekommen, ein Amt anzunehmen, ohne die mindeste Ah - nung, es könne an dies Amt eine Zumuthung geknüpft werden, in die Reihe der Verfas - sungs-Wächter, — falls es solche wirklich giebt, einzutreten; und nichts ist gewisser, als dass ich das mir angetragene Amt sogleich würde ausgeschlagen haben, wenn sich etwas der Art im mindesten hätte erwarten lassen. Ein Amt muss innerhalb der Gränzen bleiben, worin es übernommen wird; lässt man sich eine Ausdehnung des Diensteides gefallen, so geschieht dies in gutem Vertrauen, die we - sentlichen Verpflichtungen werden sich darum nicht ändern.
Aber die Ephoren freilich könnte man spa - ren, wenn die Beamten verpflichtet wären, gar nicht einmal auf die Ankündigung des Inter - dicts zu warten. Man dürfte nur in den Dienst - eid einen solchen Sinn hineinlegen, dass unter gewissen Umständen Jeder Beamte zu Prote - stationen verpflichtet wäre, deren Wirkung auf ihn zurückfallend ihn ausser Thätigkeit setzte. Wenn nun alle Beamte diese Verpflich - tung treulich beobachteten, so wäre das Fich -16 tesche Heilmittel, — nämlich die vollkommene Stockung aller öffentlichen Geschäfte, hie - mit erreicht.
Dem Fichteschen Vorschlage weiter nach - denkend würde man sich aber doch gestehen müssen, es sey höchst misslich, wegen der Dringlichkeit der Umstände ein gleiches Ur - theil von allen Beamten auf einmal zu erwar - ten; und die grosse Gefahr, welche hier aus Verschiedenheit der Meinungen hervorgehe, mache es räthlich, zu unterscheiden zwischen solchen Beamten, deren Unthätigkeit die fühl - barste Stockung der Geschäfte plötzlich hervor - bringe, und andern, deren Wirksamkeit auf eine entferntere Zukunft hinausgehe. Die letz - tern nämlich würde man, (schon um die An - zahl deren, welche gleichzeitig die Dringlich - keit beurtheilen sollten, möglichst zu verrin - gern) lieber ganz ausnehmen; auch ist kaum zu glauben, dass Fichte selbst bey seinem In - terdict an Aerzte und Baukünstler sollte gedacht haben. Oder was konnte es ihm helfen, die Kranken sterben, die Gebäude verfallen zu lassen?
Was aber ist von den öffentlichen Leh - rern zu sagen? Sollen diese auch protestiren, um auch durch die zu erwartende Rückwir - kung ausser Thätigkeit gesetzt zu werden?
17Oder verändert sich etwa bey diesen auf einmal die Ansicht der Sache? Ist etwa ihre Auctorität so gross, dass, wenn sie protesti - ren, dann auf einmal ein geneigtes Gehör von Oben her zu erwarten ist?
Schwerlich möchte unter der ganzen Zahl der Beamten-Klassen Eine zu finden seyn, die so wenig auf geneigtes Gehör zu rechnen hätte, als gerade diese. Den Lehrer denkt man sich als Gelehrten vertieft in seine Wis - senschaft; als docirend beschäftigt mit der Ju - gend, die erst das Regelmässige lernt, bevor das Anomale und Vorübergehende sie angeht; erst die Geschichte der Vergangenheit, spä - terhin solche Dinge, die für die Geschichte noch zu jung, noch nicht reif sind. Wenn aber die Lehrer der Jugend in Tages-Bege - benheiten eingreifen wollen, so müssen sie da - rauf gefasst seyn, dass die Macht nicht auf sie hört; die Macht, die vom Katheder nicht will belehrt seyn. Die Macht, die um so leichter sich mit dem Recht identificirt, je weiter vom rechten Standpunkte abweichend ihr Diejenigen erscheinen, die anderwärts re - den, als wo sie Gehör zu suchen angewiesen sind. Ist es etwa rathsam, den Mächtigen ge - rade in dem Augenblick, wo man seiner An - sicht der Sachen eine Veränderung abzuge -218winnen sucht, in der Vorstellung von seinem Recht noch dadurch zu bestärken, dass ihm Diejenigen entgegentreten, die er von aller Befugniss dazu am weitesten entfernt erachtet?
Gleichwohl haben wir das Beispiel solcher akademischen Lehrer, welche sich protestirend erhoben, wo Staatsdiener aller Klassen mit ihnen in gleicher Lage waren, nunmehr vor Augen. Ich schweige von dem, was ihnen geschehn ist; denn ich vermag nicht es zu ändern. Wenn ich rede von dem, was sie er - warten mussten, so geschieht es in Folge ih - res Benehmens gegen Collegen. Erwarten aber mussten sie, ausser Thätigkeit gesetzt zu werden; erwarten mussten sie die Suspen - sion auch anderer Staatsdiener, wofern andere aus gleichem Grunde, ihnen ähnlich, und ihrem Beyspiel gemäss, handeln würden; was denn konnte herauskommen? Schwerlich im We - sentlichen etwas anderes, als ein Fichte - sches Interdict.
Handle so (sagte Kant), dass du wollen könnest, die Maxime deines Handelns sey all - gemeines Gesetz.
Wenn nun jene Herren das wirklich woll - ten: was denn wollten sie? Das Fichtesche Interdict mit seinen natürlichen Folgen? Konn - ten so gelehrte Historiker davon Heil erwar -19 ten? Ist das die Politik, die sie aus der Ge - schichte gelernt haben?
Ich habe schon vorhin gesagt, und wieder - hole es hier ohne Besorgniss, aus der Ge - schichte widerlegt zu werden: Die Beamten wären der nächste Gegenstand entweder der Verachtung oder der Volkswuth; Militär-Ge - walt das nächste nothwendige Surrogat der öffentlichen Ordnung; und die Wiedergeburt dieser Ordnung müsste vom Despotismus er - wartet werden. Und ich glaube: ähnlicher Meinung sind gar Viele gewesen, die jenem Beispiele nicht folgten; weit entfernt von der Einbildung, ein drastisches Mittel helfe schnell, und dann sey auf einmal die Ruhe wieder her - gestellt. Gerade im Gegentheile: ist ein Staat einmal im Innern aufgewühlt, dann giebt es Schwankungen, Oscillationen der Partheyen, deren Ende Niemand absehen kann.
Auf den ersten Blick erscheint es nur als eine geringe Probe des Fichteschen Interdicts, wenn eine Universität in ihrer Thätigkeit ge - hemmt wird; und der Schlag, den Göttingen jetzt fühlt, wiederum nur als die Probe der Probe. Allein der Verfall des deutschen Uni - versitätswesens, dessen Gefahr aus dieser2 *20Probe hervorblickt, ist wichtiger, als es dem jetzigen politisirenden Zeitalter bedünken mag.
Mehreren Universitäten hat man das Recht zugestanden, einen Deputirten zur Ständever - sammlung zu senden. Ein Geschenk von sehr zweifelhaftem Werthe. Denn das constitutio - nelle Deutschland wird noch viele Erfahrungen machen und theuer kaufen, mit deren Kosten man die Universitäten verschonen würde, wenn man überlegt, dass sie nicht blos Beamten - Schulen, sondern Musensitze seyn und bleiben müssen, wenn sie ihre alte Würde behaupten sollen.
In Zeiten rühriger Berathschlagung mag es natürlich seyn, dass man in die Mitte geschäfts - kundiger Männer auch solche beruft, die, in ei - nem weitern Kreise von Kenntnissen und Ge - danken einheimisch, zugleich im öffentlichen Sprechen geübt sind, und deren Grundsätze aus ihren Schriften erhellen. Es ist ohne Zweifel eine Ehre, welche von den Universi - täten mit Dank angenommen wird, — und eine Verheissung des Schutzes, wenn da, wo alle öffentlichen Interessen zur Sprache kommen, auch die Angelegenheiten des Lehrstandes ih - ren Vertreter haben, welcher dahin sehen kann, dass diesem Stande soviel Hülfsmittel, und soviel sorgenfreie Musse vergönnt und erhalten21 werde, als nach den Umständen des Landes sich erreichen lässt.
Zu diesem letztern Zwecke möchte je - doch ein heständiger, in allen Berathungen den übrigen gleichstehender Deputirter nicht nöthig seyn. Und vollends wo Verfassungs-Angele - genheiten berathen werden, wo sich Partheyen bilden: was bedeutet da der eigentliche Ge - lehrte? Seinen Rath verlangt der Parteygeist nicht; soll er denn mit Geringschätzung ange - sehen werden, oder selbst Parthey machen? Soll er später als Partheymann zu seinen Col - legen zurückkehren, und auch hier Sympathien und Antipatien erwecken, die sich der Jugend mittheilen? Soll die öffentliche Geltung eines Gelehrten von seinen politischen Meinungen abhängen? Solche fallen schwer ins Gewicht; so schwer wie etwa das Schwert des Brennus.
Das politische Interesse ist bekanntlich eines der stärksten und dauerndsten von al - len, die ein menschliches Gemüth ergreifen können. Meint man, derjenige, welcher einmal in einer Ständeversammlung glänzte, könne füglich auf einer Universität, die nun einmal keine Ständeversammlung ist, — auf einem Katheder, wo er zwar die Hoffnungen der Zu - kunft, aber keine einflussreiche Gegenwart vor sich sieht, ganz seine alte Stelle wieder finden?
22Oder ist etwa das politische Interesse ein wohlthätig mitwirkender Hebel, um diejenige Thätigkeit, welche den Universitäten gebührt und eigenthümlich ist, noch mehr aufzuregen? — Wohl schwerlich wird irgend ein akademi - scher Lehrer von sich die Meinung verbreiten wollen, als fehlte es ihm am unmittelbaren Interesse für seine Wissenschaft, und als wäre noch irgend eine fremdartige Steige - rung desselben bey ihm möglich. Wen die Wissenschaft nicht in die ganze Thä - tigkeit, deren er fähig ist, zu setzen ver - mag, der suche doch lieber jeden andern Platz in der weiten Welt, als einen akademischen Lehrstuhl. Das politische Interesse hat auf einer Universität überall gar kein Geschäft; es mag nur ja so fern bleiben als möglich.
Vorausgesetzt nun vollends, man rede nicht bloss von einer Landes-Universität, son - dern von einer solchen, die auf einigen Be - such von Ausländern zu rechnen gewohnt ist: so tritt das so eben Gesagte noch von einer andern Seite ins Licht. Die reine Liebe zu den Wissenschaften muss gerade um desto we - niger mit besondern Angelegenheiten eines oder des andern Landes behelligt werden, je gewisser theils die akademischen Lehrer, theils ihre Zuhörer, aus den verschiedensten Gegen -23 den hier zusammenkamen, in der Absicht und Erwartung, hier den Ort zu finden, den die politische Geographie ignoriren dürfe; hier das Asyl zu erreichen, wo man es allenfalls wa - gen könne, keine Zeitung zu lesen. Verlässt Einer diesen Sammelplatz für wissenschaftliche Musse, dann braucht er nur wenige Meilen zu reisen, um Liberale und Conservative von al - len Farben neben sich zu sehen und zu hören. Und geht der junge Mann, der hier eine Zeit - lang studirte, in sein Vaterland zurück, so werden ihn die Eigenheiten, welche ihn dort umringen, bald genug wieder in ihr Gleis brin - gen; er wird den Seinigen um desto weniger entfremdet seyn, je weniger man sich hier um Politik bekümmerte. Wenn dagegen die For - men und Fragen Eines Landes sich vordrän - gen, so müssen die der andern Länder in Schatten treten. Und wo das geschieht, da kann unmöglich in den Studien die gemüthliche Ruhe und Unbefangenheit herrschen, welche Allen, von wannen sie auch kommen, auf der Universität zu wünschen ist.
Auf deutschem Boden, von der Ostsee bis zu den Ufern des Rheins und bis zu dessen Quellen, giebt es gar verschiedene politische Verhältnisse, Erfahrungen, Erinnerungen, Aus - sichten. Es gab auch eine Zeit, — und nicht24 sehr lange ist sie abgelaufen, — wo der Weg von einer Universität zur andern offen stand; wo man einen edeln Wetteifer in allen Thei - len des gelehrten Deutschlands für die sicher - ste Bürgschaft fortdauernden wissenschaftlichen Strebens ansah. Damals kam man von allen Seiten auf den Universitäten zusammen. Seit wann sind die zuvor offenen Wege theilweise gesperrt? Seit wann giebt es besondere Re - gierungs-Bevollmächtigte? Und warum? Ist das jetzt schon vergessen?
Oder was hat das constitutionelle Deutsch - land an neuen Hoffnungen darzubieten? Meint man, dass solche Formen, die an republikani - sche Einrichtungen erinnern, mehr Freiheit der Meinungen für die Jugendlehrer darbieten, als die rein monarchischen? Im demokratischen Athen trank Socrates den Giftbecher. Es ist bekannt und ganz natürlich, dass gerade in den sogenannten Freistaaten, wo die öffentli - che Meinung sich ihrer Wichtigkeit am mei - sten bewusst ist, die Werkstäten der Meinung am schärfsten bewacht und beargwohnt werden.
Es ist leider nicht mehr etwas Besonde - res und Neues, den Saamen des Argwohns auszustreuen; er ist schon da!
In einem sehr bekannt gewordenen Arti - kel, in Galignanis Messenger, vom 18. No -25 vember 1837, um dessen Anfang ich mich hier nicht bekümmere, ist gesagt: Die Universitä - ten Deutschlands seyen nicht blosse Lehran - stalten, sondern auch politische Centra, wel - che dem Lande Impuls geben. Jenseits des Rheins seyen die Professoren gewissermassen angesehen als Magistrate, beauftragt, die Rechte des Volkes eben sowohl als die Grundsätze der Vernunft zu vertheidigen.
Schade fürwahr, dass der Mann, der so vortrefflich von den Verhältnissen Deutscher Professoren unterrichtet ist, nicht auch noch die Stände-Versammlungen für überflüssig er - klärte; und dass er nicht genauer beschrieb, wie denn wohl die Professoren es machen sollten, in ihre wissenschaftlichen Vorlesun - gen — oder in Schriften — oder wie sonst? — das hineizulegen, was dienlich, was hinrei - chend seyn könnte, um dem eingebildeten Auf - trage zu genügen. Oft genug freilich hat man Gelegenheit sich zu wundern über die ro - manhaft überspannten Begriffe von dem, was Professoren über ihre Zuhörer vermögen; an - dere noch mehr romanhafte Begriffe von dem, was wiederum die Zuhörer zur Leitung öffent - licher Angelegenheiten beytragen, muss man hinzudenken, um nur irgend einigen Zusam - menhang von Gedanken in solche Zeitungs -26 Artikel hineinzukünsteln. Am einfachsten ist anzunehmen, dass ein minimum von Thätigkeit und Wirksamkeit schon hinreichend erachtet werde, um in Deutschland die Rechte des Volks zu schützen. Selbst dies minimum aber würden doch die Stände-Versammlungen für sich in Anspruch nehmen, und sie zuerst wür - den ohne Zweifel den Vorwitz der Professo - ren zurechtweisen, wenn ein solcher sich ein - fallen liesse, ihnen ins Amt zu greifen.
Merkwürdig aber ist, wie leicht aus ein - zeln stehenden Ereignissen allgemeine Schlüsse gezogen, wie leicht dem, was sich ereignet, sogar Quasi-Aufträge vorgeschoben werden, als ob es sich auf andre Weise nicht füglich begreifen liesse. Was für Auffassungen der nämlichen Ereignisse mögen nun wohl da ent - stehn, wo ein alter Verdacht schon vorhan - den, ein alter Verdruss schon geschäftig, wo eine Reihe älterer Thatsachen sogar schon gesammelt ist, an welche sich das Neue mit einigem Scheine passend anknüpfen lässt!
Wie sollen es die Universitäten wohl an - fangen, sich gegen den Argwohn zu schützen? Die natürlichste Antwort ist: Die Veranlassun - gen meiden.
Wer aber besitzt eine hinreichende Be - redsamkeit, um Allen, die Veranlassung geben27 können, eindringlich ans Herz zu legen, was sie längst wissen: dass die Wissenschaft nur durch ihr ruhiges Daseyn wirken kann, indem sie weder die Macht des Staats noch der Kirche besitzt; und dass sie, um dies ruhige Daseyn sich zu erhalten, keine Furcht, son - dern Vertrauen einflössen muss!
Soll man, nach Analogie des gewöhnlich angenommenen Urrechts eines jeden Menschen auf sein eignes Leben und auf seine gesunden Glieder, der Wissenschaft ebenfalls ein Ur - recht auf ihr Daseyn, Leben, und Wirken beylegen? Oder soll man sie von der Seite ihrer Nützlichkeit, ja ihrer Unentbehrlichkeit empfehlen? Soll man entwickeln, dass, wenn die Wissenschaften nicht mehr gepflegt, oder wenn sie auf den Staatsdienst beschränkt wer - den, sie alsdann kränkeln, und eben diesen Dienst nicht mehr leisten können? Dass als - dann keine Verfassung in der Welt im Stande ist, die Gedanken der Menschen zu ordnen und gegen Vorurtheile und Einbildungen zu schützen? — Was helfen dergleichen be - kannte Betrachtungen gegen das allgewaltige politische Interesse, welches sie darüber weit erhaben fühlt!
28Herr Hofrath Albrecht, der zweimal mein College war, (in Königsberg und in Göttingen) ist gewiss von meiner aufrichtigen Hochach - tung für seine Person zu fest überzeugt, um es mir als einen Mangel derselben auszulegen, wenn ich in Hinsicht der obwaltenden Mei - nungs-Verschiedenheit seiner Darstellung des Fragepunkts zuerst erwähne. Er sagt gleich im Anfange seiner bekannten Schrift:
Wie kommt denn wohl Unser-Einer, der eben nur Professor ist, und den die Welt für weiter nichts gelten lässt, über den Stand - punkt seines Berufs hinaus? Etwa durch ei - nen blossen Gedankensprung? Gerade für Pro - fessoren wäre das ein bedeutender Vorwurf; es liegt wesentlich in ihrem Berufe, gegen29 Gedankensprünge zu warnen. Allein zu eini - ger Entschuldigung, wenn etwa wirklich ein solcher Sprung nicht ganz vermieden wäre, habe ich schon vorhin das Recht der Univer - sität angeführt, einen Deputirten zur Stände - Versammlung zu senden. Nun ist freilich die Wahl eines Deputirten noch immer weit ver - schieden vom Stimmrecht; denn der Deputirte soll nach eigner Ueberzeugung seine Stimme abgeben, die vielleicht nicht genau die Stimme der Pluralität unter denen ist, welche ihn ge - wählt haben. Und wiederum giebt es noch eine Distanz zwischen der Pluralität und ir - gend welchen einzelnen Gliedern der wählen - den Corporation. Allein man sieht doch unge - fähr, wie ein solches einzelnes Mitglied dazu kommen kann, Schritte zu thun, deren Würdi - gung einen ganz andern Standpunkt voraussez - zen soll, als den, worauf das Individuum wirk - lich steht.
Wo ist denn dieser andre Standpunkt zu suchen? Er liegt vermuthlich höher, als der, worauf man die Nachtheile der Universität zu verhüten sich verpflichtet finden würde; denn er soll ja dem Tadel, über den Beruf des Professors hinauszugehen, nicht zugänglich seyn. Man stelle sich also auf die Höhe ei -30 ner Verfassung, und schaue von dort her auf die Universität herab.
Von der Höhe der jüngern Verfassung auf die ältere Universität!
Vor kurzem hat unsre Universität ihre Säcularfeyer begangen. Was sie im Laufe ei - nes Jahrhunderts wurde und war, das ver - dankt sie wenigstens nicht einer sehr neuen Verfassung. Der alte Baum wuchs im alten Boden. Die neue Verfassung ging neuern Ereignissen entgegen. Wenn man das Alte verletzt, so wolle man nur ja nicht Bürgschaf - ten von neuer Art, des Ersatzes wegen, anbieten.
Die heutige Zeit, die bekanntlich viel von sich selber zu reden gewohnt ist, gelegent - lich auch wohl einmal voraussagt, wie die Geschichte von ihr urtheilen werde, nennt sich ganz gewöhnlich eine bewegte Zeit. Diese Redensart ist so sehr üblich geworden, dass man schon längst mit einer Art von Scheu sich rückwärts getrieben fühlt; man schont und schützt das Alte, um gegen gar zu viel Bewegung bey ihm Schutz zu finden. Dieser Trieb rückwärts ist nicht immer zu lo - ben; aber wenn von Verfassungen und von Universitäten die Rede ist, so mag man wohl überlegen, was man thut, bevor man ihn tadelt.
31Es giebt zwar Leute, welche glauben, man könne einen Staat aus einer Verfassung erzeugen. Ist aber die Verfassung wesent - lich etwas Anderes als der wahre Ausdruck dessen, was aus der Zusammenwirkung der Kräfte im Staate entsteht, so erzeugen sich diese Kräfte eine andere Verfassung; beson - ders pflegen die Formen, wenn die Personen wechseln, falls sie diesen nicht bequem sind, eine Gegenwirkung zu erfahren. In solchen Fällen soll man doch wohl das nil admirari bey den Historikern voraussetzen. Von ihnen könnte man denn auch vorzugsweise den Trost erwarten, dass nach einiger Zeit jede politische Bewegung eine Neigung zur Ruhe im Gleich - gewichte zu zeigen pflegt; und dass, wenn die näheren Bestimmungen des Gleichgewichts deutlich hervor treten, dann auch das Wort zur Sache, die Verfassung zu den Verhältnissen, sich ohne grosse Schwierigkeit finden lässt.
Aber wie viel Bedauerliches auch in die - sem Theile des menschlichen Looses liegen mag: keinenfalls hat man Ursache, von der Höhe der Verfassungen, — die ihrer Natur nach nicht die festesten Punkte des menschlichen Daseyns abgeben, — auf die Universitäten stolz herabzuschauen, als dürften sie wohl,32 um jene zu erhalten, dem Umsturz Preis gegeben werden!
Von einer Seite betrachtet, stehn die Uni - versitäten fester, von einer andern Seite sind sie als kostbare Schätze zu betrachten, die, einmal verloren, nicht zu ersetzen seyn werden.
Die heilige Schrift und das corpus iuris Romani, Hippocrates, Platon und Aristoteles, mögen hinreichen, um auf die vier Facultäten und deren bleibendes Fundament hinzuweisen. Es ist nicht nöthig, noch an Euclides und Newton, an die gesammte Philologie und Ge - schichte zu erinnern. Keine Verfassung ruhet auf solchem, so altem Grunde.
Aber von der andern Seite liegt in der Existenz einer Universität, wie Göttingen, so - viel von höchst seltener Zusammenwirkung aus Gunst der Könige, Fürsorge der Minister, Geist und Kenntniss der Lehrer, Fleiss und Zunei - gung der Studirenden, Schonung selbst frem - der Herrscher, Achtung selbst fremder Natio - nen: dass keine menschliche Macht es in ih - rer Gewalt hat, dies Werk des verflossenen Jahrhunderts wieder zu schaffen, wenn es zer - stört wäre.
Und hier ist nicht bloss von Göttin - gen die Rede. Welcher Verdacht uns hier drücken kann, als wären unsre Gedanken33 nicht hinreichend beschäftigt durch gelehrte Studien, nicht versenkt in die Wissenschaften: derselbe Verdacht wird weiter fortgetragen, und seine Folgen sind bekannt.
Und wenn das Deutsche Universitäts-Le - ben erstirbt, welche Nation wird es wieder schaffen? Etwa jene andern, welche durch po - litisches Leben hervorragen? Warum haben sie denn keine solche Universitäten hervorge - bracht, geschützt, benutzt, festgehalten, aus - gebildet? Jene alten Fundamente besitzen sie ja gemeinschaftlich mit uns! Der wahre Grund liegt gerade in ihrem politischen Leben. Dies wirft ihre geistige Existenz in die Zeit; macht ihre Gedanken zur Beute des Augenblicks, raubt ihnen die innerliche Musse, für welche die Vergangenheit ein stehendes Schauspiel, Altes und Neues nur durch seinen Werth ver - schieden seyn muss.
Es ist nicht meine Sache zu beurtheilen, was und wieviel an dem politischen Leben der Deutschen zu verbessern sein möge. Nur das sage ich: nach dem politischen Leben darf sich der Geist der Universitäten nicht modeln. Denn die Universitäten haben den Grund ihres Wesens in den Wissenschaften; diese aber sind wie alte Bäume, deren jährlicher Wachs - thum selbst im besten Zunehmen doch immer334gering bleibt gegen das, was sie längst wa - ren. Darum ist es gänzlich falsch zu meinen: voran gehe die Verfassung, hintennach komme die Universität. Nicht also! Sondern die Universität braucht ruhige Musse und Lehrfrei - heit; dass ihr beydes vergönnt bleibe, ist zu bezweifeln, wo die Universitäten für ein Prin - cip der Unruhe gehalten werden.
Was erwarteten denn wohl unsre Sieben nach Ihrem berühmten Schritte von Denjenigen ihrer Collegen, mit denen sie nicht Rückspra - che gehalten hatten? Trauten sie ihren Mo - tiven eine solche Allgemeinheit, ihren Gründen eine solche Evidenz zu, dass man ihnen unbe - dingt beystimmen werde? Freylich haben wir gelesen, „ wenn die unterzeichneten Mit - glieder der Landes-Universität als Einzelne auftreten, so geschieht es nicht, weil sie an der Gleichmässigkeit der Ueberzeugung ihrer Collegen zwei - feln, sondern weil sie so früh als mög - lich ‟ u. s. w. Wer hatte die Herren beauf - tragt, von Gleichmässigkeit der Ueberzeugun - gen zu reden? Der nächste Gedanke, auf den diese Rede führt, ist wohl der: Die Andern haben bey gleicher Ueberzeugung nicht glei -35 chen Muth zu sprechen. — Ist es denn aber auch genau wahr, dass die Herren nicht zwei - felten? Oder ist die Redensart: „ nicht, weil sie zweifeln, ‟ als eine Bejahung des Zwei - fels zu verstehen? In Hinsicht meiner hatten sie wenigstens einige Ursache zu zweifeln, denn meine Grundsätze konnten ihnen schwer - lich ganz unbekannt seyn. Auch lagen die Beyspiele vor Augen, dass Andere, deren Meinung der ihrigen näher stand, doch nicht den gleichen Schritt für hinreichend motivirt erachteten. Die Eile, so früh als möglich auf - zutreten, durfte aber meines Erachtens auf keinen Fall so gross seyn, dass von der Be - rathung eines Schrittes, der die ganze Univer - sität compromittirte (da ja ausdrücklich die Gleichmässigkeit der Ueberzeugung erwähnt wurde), auch nur irgend einer der Collegen hätte ausgeschlossen werden dürfen. In sol - chen Fällen will Jeder gefragt seyn, bevor Einer die Gesinnungen des Andern auch nur vermuthungsweise anzudeuten unternehmen darf. Es ist bekannt genug, dass selbst geringe Ab - weichung der Meinungen auf weitläuftige Dis - cussionen führt. Wo nun Keiner nachgiebt, und doch die Einzelnen handeln wollen, da müssen sie ungeachtet der ihnen bekann - ten Verschiedenheit der Ansichten, nicht36 aber voraussetzend eine Gleichmässig - keit, nach der sie nicht einmal gefragt hatten, — lediglich sich stützend auf das Kraft - gefühl ihrer individuellen Ueberzeugungen, thun was ihnen gut und recht däucht.
Es lässt sich wohl denken, dass im Eifer des Vordringens die Herren diesen falschen Zug ihres Beginnens nicht besonders beachte - ten; wären sie sich desselben deutlich bewusst worden, so möchten sie wohl die ihnen so anstössige Deputation nach Rotenkirchen bes - ser begriffen haben. Allein hier wird nöthig an den verhängnissvollen Artikel in Galignanis Messenger zu erinnern, der seinerseits sich auf einen andern im Courier français beruft. Dass solche Zeitungs-Artikel existirten, wurde hier wenige Tage vor der Deputation bekannt. Die Universität war also doppelt compromittirt. Der Moment zeigte schon, dass jetzt eine Deputa - tion nicht ohne Beziehung auf das Zunächst - Vorhergehende seyn — und bleiben konnte. Einige der Sieben waren im Senat. Wenn sie damals wegen der Deputation votirten, so ha - ben sie in eigner Sache votirt. Es kam aber nicht ihnen zu, der Deputation Befehle mitzu - geben. Und was den abgekürzten Senat an - langt, in welchem die Decane als solche kei - nen Sitz haben, so ist er für Abkürzung der37 Geschäfte bestimmt; mit dem Vertrauen, dass bei dem beständigen Wechsel der Mitglieder des Senats diejenigen, welche nun gerade die Geschäfte besorgen, dies mit Rücksicht auf alle Wählbaren thun sollen! Wenn übrigens Einige, sich vereinzelnd, oder belie - big vereinigend, nach eignem Sinne hervortre - ten, so ist dies kein Beispiel der Zurückhal - tung für Andere.
Ich finde nicht nöthig, die Stelle, die ich hier mit kurzen Worten erwiedert habe, aus - drücklich anzuführen. Es ist nicht nöthig, Bitterkeiten zu vergelten, die bloss eine grosse Verstimmung bezeugen können, und in solcher ihre Entschuldigung finden. Ich vergesse nicht, dass politische Aufregung eine Sprache zu führen pflegt, die sonst ganz ungewöhnlich ist.
Nur an Eins will ich erinnern. Von der Protestation jener Herren hat der Prorector zu Rotenkirchen als von einem Gegenstande ge - sprochen, dessen Verbreitung ein unglückli - ches Ereigniss sey. Ob diese Entschuldigung unter andern Umständen ihren Zweck würde erreicht haben, lässt sich jetzt nicht bestimmen; damals aber trat ihr mit besonderer Deutlich - keit die Erwähnung solcher Zeitungs-Artikel in den Weg, von welchen mir nur jener im Galignanis Messenger bekannt geworden ist. 38Daran liess sich nun in Rotenkirchen nichts ändern.
Mögen die Herren ihre eigene Unbehut - samkeit anklagen, die, — gleichviel wie, wann, woher, wohin, — eine für sie so nachtheilige Publicität veranlassen konnte. Mögen sie zu - gleich sich fragen, wieviel Einfluss, wieviel Gewicht nun noch, nachdem ein solcher Zeitungs-Artikel seine Wirkung schon gethan hatte, — für die Deputation einer einzelnen Corporation in einer allgemeinen Landes-Sache übrig bleiben mochte.
Es ist nicht meine Sache, vollständiger ge - gen die gänzliche Verblendung zu sprechen, die sich zu Tage gelegt hat. Sogar das hat man ge - meint: Die Deputation wäre besser ohne Au - dienz erlangt zu haben, zurückgekehrt. Sollte sie denn das mit zurückbringen, was später erfolgte? Sollte sie die Schuld einer noch höher gesteigerten Ungunst auf sich laden? Sollte sie, als ob noch res integra wäre, von vorn an Wünsche vortragen, während schon nicht mehr das, was gewünscht wurde, sondern die Art, diese Wünsche vorzubringen, der Ort, wo sie vorgebracht waren, die Aufre - gung, die zu besorgen stand, — mit einem Worte: die Verbreitung den Punct aus - machte, auf den es hier ankam. Darüber, wenn39 nicht etwa auch jene Herren die Verbreitung als ein unglückliches Ereigniss betrachteten, — fehlte es an Einstimmung; und diese Ein - stimmung, — so unbegreiflich es jenen auch dünken möge, und so grosse politische Sünde sie darin finden mögen, — konnte und sollte nicht vorgespiegelt werden; aus dem ein - fachen Grunde nicht, weil die Vorspiegelung eine Unwahrheit gewesen wäre.
Das war eben das Unheil, was die Herren angerichtet hatten, dass in Beziehung auf Göt - tingen die Form wichtiger wurde als die Sache.
Mag man nun immerhin entgegnen: das allgemein Ausgesprochene sey nur meine indi - viduelle Behauptung. Dann ist die Behauptung wenigstens nicht für den jetzigen Gebrauch erfunden; sondern schon längst bin ich durch die Erfahrungen meines Lebens und durch mein Nachdenken auf den Standpunkt gestellt worden, von welchem aus ich das Gegenwär - tige beurtheile. Hierüber muss ich mir noch einige Worte erlauben. Damit ich aber nicht allein rede, will ich mir einen sehr verehrten Gegner aufsuchen; ich will es wagen, nach ihm zu sprechen, obgleich seine Sprache zu erreichen mir unmöglich ist. Was werde ich40 damit gewinnen? Nichts weiter, als dass recht deutlich an den Tag komme, die Verschie - denheit des Thuns sey aus wirklicher Ver - schiedenheit der Ansichten entsprungen.
Der Meister und Lehrer der Sprache — Jakob Grimm, sagt in der Schrift über seine Entlassung:
Den Schluss dieser schönen Rede mag man hinzudenken; er lässt fühlen, dass es schwer ist, für das Beantworten jeder Frage und für das: keinen Augenblick ver - schweigen, Ort und Zeit zu finden, wenn man nicht etwa davon absieht, dass auf heitere Witterung auch Stürme zu folgen pflegen. Meine Gedanken kehren noch einmal in meine Jugend442und zu Fichten zurück. Freymüthig sprach er gegen das Nächste, was ihm missfiel; gegen die Zweikämpfe der Studirenden. Darob zürn - ten sie ihm, und er fand für gut, sich zum Sommer einen ländlichen Aufenthalt zu wählen. Er kam zurück; nach einigen Jahren hatte er seinen Idealismus rücksichtlos in die Theolo - gie übertragen wollen; es erfolgte die Anklage wegen des Atheismus; und bald hatte er sei - nen Abschied. Viele folgende Jahre durchlau - fend erinnere ich mich des Wartburgfestes. Es war, glaube ich, nicht gar lange darauf, als ich in mein Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie folgende Anmerkung einschaltete:
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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