„ Die bloße Koͤrperuͤbung kann ihren Nutzen haben, wiegt aber dem ganzen Einfluß unſeres uͤbrigen Lebens gegenuͤber ſelbſt fuͤr ihren Zweck zu wenig. “(Schloſſer gegen Friedrich Buͤlau. )
Crefeld, gedruckt in der J. H. Funcke’ſchen Buchdruckerei.
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„ Betrachtet und würdiget man die Turnkunſt an ſich ſelbſt, abgeſehen von der helleniſchen Gymnaſtik, ſo muß man mit Bewunderung anerkennen, daß ihr in der kurzen Zeit von einigen Jahren eine vielſeitige Geſtaltung und außerordentliche Ausbildung zu Theil geworden, und daß, falls ſie ſich einer gemeinſamen nationalen Pflege und Begünſtigung zu erfreuen gehabt hätte, durch ihre Wirkung viel Großes und Schönes in Betreff der Er - ſtarkung der jungen Geſchlechter hätte geleiſtet werden können. Sie würde auch ohne die gymniſche Eigenthüm - lichkeit der helleniſchen Gymnaſtik fähig ſein, zu voll - bringen, was bereits Jahn als Zweck und Ziel derſelben ſehr beſtimmt und treffend aufgeſtellt hat. „ Die Turn - kunſt ſoll die verloren gegangene Gleichmäßigkeit der menſchlichen Bildung wiederherſtellen, der blos einſeitigen Vergeiſtigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen, der Ueberfeinerung in der wiedergewonnenen Mannlichkeit das nothwendige Gleichgewicht geben, und im jugendlichen Zuſammenleben den ganzen Menſchen umfaſſen und er - greifen. “ Um aber ein ſolches Ziel zu erreichen, müßte die Turnkunſt erſt nationale Geltung gewinnen, ſie müßte auf dem Boden des Volkes friſche Wurzeln ſchlagen und zu einem volksthümlichen Jnſtitut werden, wie es die Gymnaſtik der Griechen war: ſie müßte Pflege undJahrb. d. Turnkunſt. II. 12Nahrung finden in aller Weiſe, gleich unſerer geiſtigen Ausbildung. Oeffentliche Anſtalten, wie die Gymnaſien, Paläſtren und Laufbahnen der Hellenen waren, müßten ins Leben treten, damit Winter und Sommer ohne Unterbrechung die Uebungen fortgeſetzt werden könnten. Durchgebildete kunſterfahrene Turn - lehrer, gleich den helleniſchen Gymnaſten und Pädotriten, ferner ethiſche Aufſeher, gleich den Sophroniſten jenes Volkes, müßten zu dieſem Behuſe von Seiten des Staa - tes angeſtellt werden. Ueberhaupt, wollte man anders dauerndes Leben und Gedeihen in ſolche Beſtrebungen bringen, müßte dieſe neue Gymnaſtik analog der helle - niſchen, die zweite Hälſte der Erziehung ausmachen: die Anſtalten für phyſiſche Ertüchtigung müßten den zur gei - ſtigen Ausbildung beſtimmten an Geltung wenig nach - ſtehen, und dieſe Lehrer der Leibesübungen neben denen der Wiſſenſchaften ihre Bedeutung behaupten. So würde die Erziehung, welche ſich noch gegenwärtig bei weitem mehr auf die Ausbildung des Geiſtes beſchränkt, einen hinreichenden Gegenſatz gewonnen, und ſomit Einklang und Gleichförmigkeit der geiſtigen und leiblichen Cultur in ihre Beſtrebungen gebracht haben.
Ob es einſt dahinkommen werde, iſt ſchwer zu beſtimmen. Große Wahrſcheinlichkeit iſt nicht vorhanden, wenn man die Geſchichte der verfloſſenen Jahrhunderte beſragt. Denn dieſe liefert kein Beiſpiel, daß eine Na - tion nach einem bis zur höchſten Blütho der Cultur fort - ſchreitenden Entwickelungsgange von vielen Jahrhunderten erſt ſpät in ſeinem gereiften Mannesalter begonnen habe, ſich endlich auch gymnaſtiſch auszubitden. Bei den Hel - lenen wenigſtens trat die Gymnaſtik ſchon in der heroi - ſchen Zeit glänzend hervor, als die Nation noch ihr Knabenalter verlebte. Jedoch Unmöglichkeit darf man hieraus auch nicht ohne Weiteres folgern. Denn es kann geſchehen, daß man nach einer langen Reihe von Jah - ren, wenn Siechthum und Schwächlichkeit immer mehr um ſich gegriffen haben, lebendiger und allgemeiner von3 der Heilſamkeit und Nothwendigkeit der Leibesübungen überzeugt werde, als bisher, und daß endlich auch die Regierungen der Staaten allgemein zur Verwirklichung der bereits aufgeſtellten Theorien, welche ſich immer vervielfachen dürften, einſchreiten und nachdrücklich Hand an’s Werk legen werden. Hoffentlich wird es dann eine ruhige, friedliche Zeit ſein, wo man von keiner Seite und in keiner Beziehung bei dem Aufblühen dieſer Jn - ſtitute an politiſche Jdeen und an eine der beſtehenden Ordnung der Dinge entgegenlaufende ſträfliche Richtung denken wird.
Abgeſehen von allen Hypotheſen dieſer Art bleibt es gewiß, daß eine jede Staatsconſtruction, möge ſie ideale oder praktiſche Tendenz haben, auf gedachte oder beſtehende Elemente baſirt ſein, der Gymnaſtik irgend eine Stelle anweiſen muß, wenn ſie Gleichgewicht in das Erziehungsgeſchäft bringen will. Platon und Ariſto - teles haben ihr im helleniſchen Geiſte ihre Stelle ge - ſichert. Früher ſchon war ſie durch die Geſetzgeber Lykurg und Solon im hohen Grade gewürdiget und zum Erziehungselemente erhoben worden. Jn ähnlicher Weiſe mögen alle übrigen helleniſchen Nomotheten ihre pädago - giſche Bedeutſamkeit erkannt haben. Bei den neuern Nationen hat nun zwar das gymnaſtiſche Element faſt überall in der Theorie wie im Leben eine geringere Geltung gehabt, und wo es auch einmal aufgetaucht iſt, weniger Nationalität gewonnen als bei den Hellenen; indeß haben es doch die Vertreter der Pädagogik ſchon ſeit langer Zeit durch Wort und That verſucht, ſie in ihr Bereich und ſomit in’s Leben zu bringen, wie ſchon oben gezeigt worden iſt. Begehrt dieſes Element aber der Pädagog, ſo kann es auch die Staatsphiloſophie nicht entbehren, da die möglichſt beſte Form der Er - ziehung doch immer einen integrirenden Theil ihrer Doctrin ausmachen wird. Bildet ferner die Gymnaſtik den kräftigen Mann und beruhet auf kräftiger Männ - lichkeit die kriegeriſche Wehrfähigkeit, ſo muß auch von4 dieſer Seite die Gymnaſtik von der Staatsphiloſophie gewürdiget werden, ſo lange der Krieg noch als noth - wendiges Uebel die Menſchheit behaftet und die Aus - gleichung politiſcher Wirren der Nationen noch nicht auf vernünftigerm Wege gefunden wird. “
Dr. Joh. Heinr. Krauſe: Die Gymnaſtik und Agoniſtik der Hellenen. S. 887 — 890.
Ueber die Heilſamkeit der Leibesübungen ſind die Stimmen aller Aerzte alter und neuer Zeit einig. Da - her wird man ſich vielleicht wundern, hier wieder eine Stimme darüber zu hören. Allein es iſt nicht mein Zweck, die Leibesübungen im Allgemeinen ärztlich zu beleuchten, ſondern die Nothwendigkeit der Turn - ubungen für unſere Zeit darzuthun und einige Andeu - tungen über Anlage der Turnplätze und Ausführung der Turnübungen zu geben.
Daß ich aber für’s Turnen laut werde, bin ich der Sache ſelbſt ſchuldig. Schwächlichen Körpers hatte ich die Hochſchule Berlins bezogen, und kam dort auf den Turnplatz, wo ich zwei Jahre unausgeſetzt turnte. Jn Halle wurde die Sache dann mit mehrern Freunden fortgetrieben, und bis jetzt habe ich das Turnen nie aus - geſetzt. Denn ich fühlte mich ſeitdem wohler, luſtiger zur Arbeit und lebensfroher für die Zukunft. Seit ich dies gewahrte, ſuchte ich alle meine Bekannten zum Turnen heranzuziehen, und von ihnen allen weiß ich keinen, der die Turnkunſt nicht geprieſen hätte. Könnte ich es Euch, deutſchen Jünglingen, allen recht laut und eindringlich zurufen: wie wohl uns das Turnen gethan, könnte ich Euch alle auf Euer Leben lang ſo kräftig und ſo wohl ſehen, wie es durchgeturnte Knaben und Jüng -6 linge ſind! Dann auch als Arzt muß ich für das Tur - nen reden, weil wir Aerzte für den Leib ſorgen ſollen, daß er wohl wachſe und gedeihe, nicht bloß daß er ge - neſe, wenn er erkrankte. Zwar haben Könen, Koch, Lo - rinſer es dargethan, daß es Turnen und Leben heißen müſſe: aber es ging damit, wie mit allen Aufforderun - gen zu guter That, ſie wird gebilligt und geprieſen, nur nicht wiederholt und nicht wiedergethan. Es iſt wahr, Anklang ſand die Sache im ganzen Vaterlande, aber was hilft das bloße Klingen, laßt uns ſchwingen und ringen!
Jn der That ſind ſeit der Lorinſer’ſchen Anregung wieder mehrere Turnplätze entſtanden, aber noch immer nicht genug. Und doch iſt das Turnen für alle Jugend nothwendig, weil die Anſprüche an den Geiſt ſo bedeu - tend ſind und die körperliche Erziehung mit dieſen nicht gleichen Schritt hält. Wenn wir noch wie unſere Alt - vordern im Naturzuſtande lebten, ſo hätte unſere Jugend das Turnen freilich nicht nöthig. Aber nicht genug, daß ſchon viele Kinder den Keim zum künftigen Siechthum von ihren Aeltern mit zur Welt bringen, viele Väter und Mütter ſorgen mit Aengſtlichkeit dafür, daß aus dem ſchwachen Säuglinge ja ein Marzipanpüppchen werde, welches dem ſchönen Erdenleben mit Jammer und Elend entgegentritt und kaum gegen die unbedingt noth - wendigen Lebensreize hinreichende Lebenskraft beſitzt. Wenn das, oft nur in enger Stubenluft bis zum 6. Jahre gehegte und gepflegte Kind das Aelternhaus zuerſt ver - läßt, beſtimmt man es zum ſechsſtündigen täglichen Bank - rutſchen. Kehrt es darauf artig gleich wieder heim, ſo wird es gefüttert und genudelt, als hätte es zehn Tage die Hungerkur gebraucht. Macht ſich in ihm aber das körperliche Bedürfniß nach Gottes freier Luft rege, tum - melt es ſich unter frohen Spielen, und vergißt das A B C und das Heimkehren, ſo ſehen manche Aeltern darin nur den großen Hang zur Unordnung, nicht aber das Lebensverlangen nach Körperbewegung und geſunder7 Luft. Denn ſie waren es ja auch gewöhnt, von der Schulbank an den Brodſchrank und auf die Lodderbank zu gehen. So kommen viele Kinder ſchon als Siech - linge in die Schule, und werden durch unſinnige, häus - liche Verhätſchelung und Verweichlichung immer elender. Dieſe Püppchen ſollen nun geiſtig friſch bleiben bei kör - perlichem Kränkeln!
Man tadelte daher den heutigen Lehrplan, und meinte, die geiſtigen Anforderungen an die Jugend wä - ren zu groß, der Schul - und häuslichen Arbeitsſtunden wären zu viel. Abgeſehen davon, daß im Gebiete des Geiſtes „ Vorwärts! “die Loſung heißt, fragt es ſich, ob wirklich ſo übermäßig viel in der Schule und zu Hauſe gearbeitet wird. Wenn ein Knabe bei 6 Schul - ſtunden nicht binnen 2 — 4 Stunden mit ſeinen häus - lichen Arbeiten fertig wird, ſo iſt er ein Dummkopf, der in 6 Stunden noch mehr verdutzt und zuletzt ohne alle geiſtige Thätigkeit halbſchlafend in’s Buch ſtiert. Dazu kommt denn noch in den obern Klaſſen das liebe Tabakrauchen, was dem gedankenloſen Dämmern durch die ruhige Behaglichkeit, welche es mit ſich führt, vor - trefflichen Vorſchub leiſtet; auch beginnen dann oft ſchon die Bier -, ja leider bisweilen die Schnappsſtudien, an - derer Genüſſe gar nicht zu gedenken. Viele Aeltern ſind darin ihren Kindern ſogar noch förderlich, indem ſie die - ſelben zu allen Feſten und Bällen mitnehmen, wonach denn natürlich die jungen Nachtſchwärmer nicht rege zur häuslichen oder Schularbeit bleiben können. Nicht genug alſo, daß man den Körper vernachläſſigt, man mißhan - delt ihn auch. Da ſoll er friſch, der Geiſt rege bleiben, die Schule zu große Anforderungen machen!
Dieſe Sünde an unſerm Körper rächt ſich von ſelbſt, weil wir trotz alles geiſtigen Strebens mit ihm doch an der Erde haften bleiben. Anfänglich ertrug er geduldig dieſe Zurückſetzung und Nichtachtung, ſcheint ſich daran zu gewöhnen, aber nur, um früher oder ſpäter ſeine Herrſchaft über den Geiſt rege zu machen und8 dann leider auf die gräulichſten Weiſen. Daher jene Laſter, für welche unſere keuſche Sprache keinen Namen hat. Daher die Arbeitsſcheu und Ruhſucht bei vieler Jugend, daher dieſe ſchwächlichen Körper, die oft dem ſpäteren Berufsleben nicht genügen können, dieſe Richter, die bald über ihren ungeſunden Aktentiſch klagen, dieſe Geiſtlichen, die in der kalten Kirche den Huſten bekom - men, dieſe Aerzte, welche bei Aufforderungen zu nächt - lichen Krankenbeſuchen im erſten Schweiße liegen; daher alle armſeligen Schlucker und Mucker.
Die Arbeiten, Mühen und Beſchwerden des Lebens ſind allerdings jetzt ſo vielfach und anſtrengend, daß ein rüſtiger Körper dazu gehört, um ihnen gewachſen zu ſein. Wenn nun hierzu nicht ſchon in der Jugend der Grund gelegt wird, ſo hat man Lebenslang dafür zu büßen; oder wenn man das Verſäumte nachholen will, ſo wird es einem ſpäter viel ſchwerer, und dennoch bleibt man hinter den Altersgenoſſen zurück, denen dies Glück von Jugend auf zu Theil war. Nicht genug aber, daß das Turnen den Körper zur Ertragung von Anſtrengungen eignet, iſt es auch in ſteter Rückwirkung auf den Geiſt, wie dies Koch — die Gymnaſtik aus dem Geſichtspunkt der Diätetik und Pſychologie, Magdeburg 1830 — zur Genüge dargethan hat. „ Die Seele, die in einem ge - ſunden Leibe wohnt, greift kräftiger und fröhlicher jedes Werk an, als wo der Körper ſchlaff und ohne gewecktes Kraftgefühl iſt. “— Zarnack: Nachrichten über den ge - genwärtigen Zuſtand des Potsdamiſchen Militair-Waiſen - hauſes. Berlin 1817. S. 55. — Hier die Worte des erfahrenen Zarnack: „ Frag’ ich meine eigenen Erfahrungen von den Jugendjahren her, ſo iſt mir nie eine geiſtige Arbeit beſſer gelungen, als wenn eine leibliche Uebung dazwiſchen war; ja hatte ich dieſe eine Zeit lang getrieben, ſo ergriff mich wieder ein unerklärliches Ver - langen nach jener, und viele verſtändige Menſchen, mit denen ich über dieſen Gegenſtand geſprochen, haben mich dasſelbe verſichert. “— S. 56. — Jch habe dies auch9 an mir ſelbſt beſtätigt gefunden. Wir dürfen uns nicht wie die Leute vor 30 Jahren auf Alt-Griechenland be - rufen, ſondern hören die Erfahrungen von Plamann, Jahn, Paſſow, Arndt, Schroer, Häbler, Zarnack, Straß, Göttling, Klumpp, Koch, Dieſterweg u. ſ. w., über den heilſamen Einfluß des Turnens auf geiſtige Regſamkeit und ſittliche Rüſtigkeit der Jugend. — S. Geislers Turnfreund. Berlin und Leipzig 1819. —
Die Vorſehung ſchuf uns mit einem natürlichen Hange zur Regſamkeit. Das ſehen wir an dem vor - übenden Kriechen der kleinſten Kinder, dem muntern Tummeln geſunder Knaben und Mädchen, die nicht eher mit Bewegung feiern, als bis ſie müde zu Bette tau - meln; das ſehen wir an allen Kinderſpielen, die nichts von dem Stillſitzen langweilender Geſellſchaftsſpiele in ſich tragen, dies zeigen uns ſelbſt die Jahre, in denen der Körper ſeiner Ausbildung entgegengeht, und bei denen man bei der Benennung nur die ungeſchlachte Art, wie er ſich geltend macht, aufgefaßt hat, ſtatt hierin wieder einen Wink der Natur zu ſehen. Deßhalb die Turnluſt jedes geſunden Kindes. Jch habe es oft mit großer Freude bemerkt, wie 6 — 7jährige Knaben, welche den Turnplatz zum erſten Male beſuchten, bald das Tur - nen ſo lieb gewannen, daß der Lehrer die Luſt zu mäßigen hatte. Er fühlt ſich körperlich wohl, und ſehnt ſich nicht nach den Leckerbiſſen der Kuchenbäcker und Garköche, ſondern läßt ſich bei geſunder einfacher Koſt genügen. Man ſehe nur einmal die kräftigen Knaben auf einer Turnfahrt, wie herrlich ihnen ein einfaches Mahl mundet. Sie wiſſen nichts von Schlafloſigkeit, ſondern ſchlummern auf hartem Strohlager, als wäre es der weichſte Pfühl. So wird das Blut nicht erhitzt, die körperliche Entwickelung nicht verfrühzeitigt und die Jugend jung erhalten.
Aber warum denn grade Turnen? Sind dieſe heil - ſamen Ergebniſſe nicht durch andere Uebungen zu gewin - nen? Nein! Die Uebungen der alten Griechen ſind theils10 zeit - und volksgemäß in unſere Turnkunſt übertragen, — Springen, Laufen, Ringen, Schocken, Hanteln, Wer - fen — theils ſind ſie wie der rauferiſche Fauſtkampf mit Recht ganz verbannt. Das Gehen, welches die Turnkunſt auch durch Turnfahrten übt, ſetzt nur einen Theil der untern Glieder in thätige Bewegung, muß auch immer länger dauern, wenn es gleichheilſamen Ein - fluß auf den Körper wie das Turnen haben ſoll, als es mit den Schularbeiten verträglich iſt. Das Schwim - men — auch ein Theil der Turnkunſt, kann die übrigen Turnübungen nicht entbehrlich machen, weil es nur eine gewiſſe Zeit im Jahre und täglich doch auch nur höch - ſtens eine halbe bis eine ganze Stunde dauern und von Knaben nur unter Aufſicht getrieben werden kann. Vom Reiten, Graben, Rudern und andern nur unter gewiſſen Umſtänden und an geeigneten Orten ausführbaren Uebun - gen will ich gar nicht reden. Die Spiele der Jugend, Ballſpiel, Bärſchlag, ſchwarzer Mann, Barlauf, Fuchs in’s Loch u. ſ. w., die zum Theil der Turnplatz auch treibt, wird jeder Jugendfreund loben: aber ſie können das Turnen nicht erſetzen, da ſie ſämmtlich nicht ſo manchfache Bewegungen erfordern, als die vielen Turn - übungen. Die Turnübungen dagegen nehmen alle Glie - der des Körpers in Anſpruch, wenn auch bei einzelnen Uebungen einige vorzugsweiſe thätig ſind. Durch zweck - mäßige Anordnungen wechſeln Uebungen für die obern und untern Glieder, wodurch auf alle Muskeln belebend eingewirkt, das Blut gleichmäßig in alle Theile gelockt, und einſeitige Ermattung ganz vermieden wird. Hierzu kommt noch, daß der größte Theil der Turnübungen auch im Winter in Turnſälen getrieben werden kann, während die meiſten angeführten andern Uebungen und Spiele hier fortfallen. Der Verbannung aller Einförmig - keit und Langeweile will ich gar nicht gedenken, ſondern nur noch den heut zu Tage wichtigen Umſtand erwähnen, daß gerade die gleichzeitige Beſchäftigung und Anſtren - gung beider Körperhälften bei den allermeiſten Turn -11 übungen das wirkſamſte Gegenmittel gegen das Schief - werden der Kinder iſt. Allen jenen einzelnen Uebungen geht aber mehr oder minder die zweckmäßige Stufenfolge der Turnübungen ab, welche nicht nur alle Gefahr be - ſeitigt, ſondern auch die Körpererziehung in Ordnung bringt.
Viele haben vom Turnen die einſeitige und plumpe Anſicht, es ſolle nur die Körperkraft wecken und ſtärken. Namentlich neigen unter der Jugend viele Breitſpurer, dazu, die auf den Hochſchulen ſich dann auspauken, um ſpäter ganz gemächlich zu ruhen. Jndeß ſchon ein flüch - tiger Blick auf die Rundlauf -, Schwing -, Fecht -, Ring -, Stabſpringübungen u. ſ. w. lehrt, daß hier Gewandtheit und Anſtand mehr als Körperkraft gefordert wird. Man hat bis jetzt dieſen Körperanſtand durch Tanzen oder durch Schauſtellungen u. ſ. w. erzielen wollen. Allein, abgeſehen davon, daß bei dem erſten nur die Füße, bei den andern die Ziererei in Anſpruch genommen werden, erreicht man ſeinen Zweck auch nie, weil das Tanzen der höchſtens 3 Monate währenden Tanzſtunden ein ganz anderes als das der Ballnächte iſt. Das Turnen führt zur Körperſchönheit, Kraft und Gewandtheit, denn es zerfällt nicht in ein Schul - oder Duellturnen.
Aus dieſem Grunde halte ich das Turnen auch nicht nur für die Gelehrtenſchulen, ſondern ſelbſt für Landſchulen und Handwerker nothwendig. Die Beſchäf - tigungen der letztern ſind entweder wie die der Landleute mit roher Kraftentwickelung verknüpft, oder ſie führen ein Sitzleben mit ſich, was alle Gebrechen des Gelehr - tenſtandes in ſich trägt, Onanie, Hypochondrie, Unter - leibskrankheiten u. dergl. Dieſem arbeitete Jahn bereits durch die in Berlin früher üblichen Sonntagsſtunden für Handwerker entgegen. Neuerdings hat Olawsky — die Wiedereinführung der Leibesübungen in die Gymnaſien, betrachtet vom Profeſſor E. C. Olawsky — Programm Liſſa 1838 — dieſen Gedanken wieder in Anregung gebracht. Man könnte ſonach das Turnen für eine bloße12 Erziehungsſache anſehen, und wahr iſt es allerdings, daß es für das Jugendalter hauptſächlich gehört. Aber bei unſrer jetzigen Lebensweiſe, welche durch den Bil - dungsgang des Menſchengeſchlechts faſt nothwendig ge - worden zu ſein ſcheint, bedarf es noch über die Knaben - und Jünglingszeit hinaus einer Körperpflege; ſoll nicht der Menſch vor lauter Vergeiſtigung zum Jrrwiſch werden, den jeder Abendwind umweht. Bei dem häu - figen Genuß gewürzhafter und fader, üppiger und glib - briger Koſt, dem Stubenhocken und Bauchdrücken des gewöhnlichen Geſchäftslebens, dem nächtlichen Brüten über Arbeiten oder dem Tanzraſen und Zechen der ſo - genannten Geſellſchaften iſt es kein Wunder, daß die Unterleibskrankheiten, Hypochondrie und Goldaderflüſſe nebſt ihrem ganzen Nachtrabe den Arzt hauptſächlich be - ſchäftigen. Das Heer liederlicher Krankheiten iſt leider Gottes! immer dasſelbe geblieben, und es iſt wahr - ſcheinlich nicht zu viel behauptet, daß kaum ein Viertel der Männer noch wahrhaft keuſch in die Ehe treten. Der ſo gröblich gemißhandelte Körper welkt ohne alle Bewegung hin, aus dem frohen und ſchönen Erdenleben wird ein trübes und ſieches Daſein, ſchwächliche oder gar kranke Kinder rufen dem Vater ſein früheres Trei - ben täglich vor Augen, und klagen ihn bei Gott an. — Da meint denn mancher über die Maßen viel für ſeinen Körper zu thun, wenn er täglich eine oder zwei Stunden geluſtwandelt ſei, und viele übertreiben ihre Geſundheitsgeherei bei ihrem ſchwachen Körper ſo weit, daß ſie bei dem allerungeſundeſten Wetter dennoch hin - auslaufen. Ein anderer geht vom Arbeitstiſche nur zum Weintiſche oder Kuchenbäcker und ſtärkt ſitzend ſeinen Leib mit Magenballaſt, weil er wähnt, hier den wahren Lebensſaft einzutrinken und zu eſſen. Unſere Vorfahren, ſelbſt noch vor ein paar Jahrvierzigen, vergnügten ſich durch Kegelſpiel und Eislauf. Das erſte halten jetzt die meiſten für ſpiesbürgerlich, das andere für halsbrechend. Wohl denn! So nehmt mit Freuden das entgegen, was13 Euch der Turnplatz darbietet! Aber ich glaube, ein glie - derdurchfahrender Schrecken zuckt da in Euch, wenn Jhr Euch am Reck - oder Klettergerüſt denkt. So thörichte Anforderungen wird kein Turner an Euch machen, daß Jhr damit beginnen ſollt. Es gibt Turnübungen, welche demjenigen, der nicht jung ſchon turnte, faſt immer un - ausführbar bleiben; aber das ſind denn doch in Betracht der großen Zahl der übrigen nur wenige. Die Gelenk - übungen, Gehen, Laufen, Freiſpringen, Stabſpringen, Bockſpringen, ſehr viele Schwingübungen, Barren -, Reck -, Ring - und Rundlaufübungen, das Schweben, Ziehen, Schieben, Heben und Tragen. Seil -, Stab - und Han - telübungen, die Turnſpiele ſind ſelbſt noch für Männer ausführbar und durch die vielſeitigen Bewegungen, mit denen ſie verbunden ſind, im höchſten Maße heilſam. Man wird hier vom Manne nie die Gewandtheit ver - langen, welche dem durchturnten Knaben innewohnt, denn es handelt ſich hier nicht um Turnfertigkeit, ſondern um Erturnen der Geſundheit. Sydenham, Fuller, Reil u. ſ. w. preiſen alle den heilſamen Einfluß körperlicher Bewegung auf Unterleibskrankheiten und Hypochondrie. Hätten ſie die Turnkunſt ſchon gekannt, ſie würden ihr dasſelbe Lob ertheilt haben wie der Reitkunſt u. ſ. w. Die Glie - der erhalten durch ſie größere Fähigkeit und Stärke, die Eßluſt wird geſteigert, die Verdauung verbeſſert, das Blut im ganzen Körper gleichmäßig vertheilt, der Geiſt auf neue Gegenſtände und von der Krankheit abgezogen. Viel trägt hierzu auch der Frohſinn der übrigen Turner bei, deren muntern Kreis ich niemals mißlauniſch verlaſ - ſen habe. Jn Berlin turnen Beamte und Kriegsleute. An Vorgängern fehlt es alſo nicht mehr. Die erſten Male wird es freilich den meiſten ſehr ſauer werden, aber es handelt ſich um das ſchönſte körperliche Lebens - gut. „ Wiſſet ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geiſtes iſt, der in euch iſt, welchen ihr habet von Gott, und ſeid nicht euer ſelbſt? 1 Cor. 6, 19 — 20.
14Endlich muß ich hier noch des Mädchenturnens er - wähnen, welches zu Burgdorf in der Schweiz am groß - artigſten, zu Pretzſch bei Wittenberg, zu Berlin und an andern Orten getrieben, und dem von Seiten der Geſundheitspflege mit Recht das Wort geredet wird. Delpech hat es zuerſt als Gegenmittel gegen das Schief - werden in Anwendung gebracht und dabei gleichzeitig den heilſamen Einfluß auf Beſeitigung von Bleichſucht und Scrofeln beobachtet. Da das Weib aber nicht zum Kampfe mit dem äußern Leben, ſondern für das Haus beſtimmt iſt, ſo bedarf es der Körperkraft und Gewandt - heit auch nicht in dem Maße als der Mann. Es würde durch große Ausbildung derſelben nur entweiblicht wer - den. Daher bin ich kein unbedingter Lobredner des Mädchenturnens, ſondern halte es nur ſo lange für nothwendig, als das Mädchen noch Kind, die körperliche Form noch der des Knaben gleich iſt. Sobald das Dir - nenalter beginnt, bei uns alſo im 12., 14., 15. Jahre, tritt das Weibliche im Mädchen hervor, dem ſich dann alle Pflege zuwenden muß. Geſchieht dies nicht, ſo gehen aus der Mißerziehung Zwitterweſen hervor, die für das Weib zu viel Männliches und für den Mann zu viel Weibliches haben. Daher bin ich ganz der An - ſicht des Dr. Toggenburg — Toggenburg über die Sorge der öffentlichen Erziehung für körperliche Ent - wickelung und Ausbildung der Jugend. Winterthur 1834. — und des Beurtheilers in den neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik von Seebode, Jahn und Klotz — Neunter Jahrgang. 25. Bd. 1. Heft. — daß man mit der Auswahl der Uebungen ſehr behutſam ſein müſſe, wenn man nicht auf der einen Seite zu ſehr die Kraft, auf der andern die Eitelkeit und Ziererei befördern und alles weibliche Scham - und Zartgefühl untergraben wolle. Unter den gegenwärtigen Turnübungen dürften deshalb nur die Gelenk -, Stab -, einige Spring -, Seil -, Rundlauf -, Barren -, Reck -, Leiter -, Kletter -, die Schwebe -, Geh -, Lauf -, Hantelübungen, die Tauwippe, Schaukelwippe für15 Mädchen geeignet ſein. Wenn ſo das Mädchen vom 6. bis 12. und 14. Jahre geturnt hat, iſt hierdurch für ſeine körperliche Ausbildung genügender Grund gelegt. Dann beginnen die Arbeiten in Haus und Hof, in Küche und Keller, welche nebſt Luſtwandeln und Baden dem Weibe die nöthige Bewegung verſchaffen. Freilich habe ich hier eine bürgerliche Erziehung vor Augen, wo das Mädchen zur kräftigen Hausfrau gebildet, nicht eine Modeerziehung, wo es zur Balltummlerin und Geſell - ſchafterin verzogen wird. Daß es nothwendig ſei, die Mädchenturnſtunden von den Knabenſtunden ganz zu trennen und alle Zuſchauer zu entfernen, darf ich wohl kaum erwähnen.
Soll aber das Turnen wahrhafte Leibespflege und Arznei für den Körper werden, ſo muß der Turnplatz draußen in Gottes freier Luft und nicht in der Stadt angelegt werden. Denn obwohl die Zerlegung der Luft an verſchiedenen Orten dieſelben Beſtandtheilen in den - ſelben Verhältniſſen ergeben hat, ſo dient dies noch nicht zum Beweiſe, daß die Luft überall gleich geſund iſt. Der Beruf des Landmannes und Jägers iſt wohl der beſte Beleg, daß jene Unterſuchungen über den Einfluß der Luft auf Geſundheit noch kein genügendes Licht gegeben haben. Die Erfahrung lehrt uns, daß der Aufenthalt in freier Luft geſunder, als der in der Stadt ſei, wenn wir auch mit den Gründen davon noch nicht ganz im Klaren ſind. Das Athmen und die Bereitung des hell - rothen Blutes, welches gerade zur Belebung und Er - nährung aller Theile dient, wird dadurch befördert, und gleichzeitig wirkt die friſche Luft auch belebend auf Ner - ven. und Haut ein. Man fühlt förmlich das angenehm Belebende derſelben beim tiefen Einathmen. Abgeſehen davon, daß viele Säftekrankheiten, die tauſendfältigen Scrofeln, die engliſche Krankheit, die Bleichſucht, die ſogenannte plethora venosa abdominalis und dergleichen durch Aufenthalt in friſcher Luft am zweckmäßigſten be - kämpft werden, gibt es überdies auch faſt niemals in16 Städten ſolche nackte Räume, wo wir Renn - und Schock - bahn, Wunderlauf u. ſ. w. haben könnten. Endlich iſt es auch für die Uebung und Stärkung des Geſichts nothwendig, den Turnplatz im Freien anzulegen, wo das belebende Grün der Felder und Bäume, das Luftbad und die Ausſicht in die Ferne die beſten Mittel zur Erhaltung geſunder Augen ſind, während unſere meiſt nahen Umgebungen in Städten uns geradezu kurzſichtig machen. Deshalb iſt auch auf jedem Turnplatz ein Kletterthurm zu wünſchen, und ſind die Turnfahrten zu empfehlen.
Ueber die nothwendige Lage eines Turnplatzes in einiger Entfernung von der Stadt, die Sicherung gegen Nordoſt - und Oſtwind, Anlage auf einer Höhe hat Jahn im Turnbuche S. 187 u. f. das Nöthige geſagt. Jch halte es noch für wünſchenswerth, daß man hierbei auch wo möglich die ſchönſte Gegend bei der Stadt auswähle, um ſo auch durch das unmittelbare Anſchauen und Leben in ſchöner Umgebung heilſam auf den Geſchmack der Jugend einzuwirken. Da läßt ſich denn gleich der Spiel - platz der Jugend neben den Erholungsort der Aeltern legen, wie dies in Merſeburg, und namentlich in Jacobs - ruh bei Tilſit der Fall iſt. Dadurch gewährt man den Aeltern die Beruhigung, die Kinder in ihrer Nähe zu wiſſen, und gibt ihnen die bequeme Möglichkeit, ſich vom Treiben derſelben zu überzeugen. Dadurch wirkt Alt und Jung belebend auf einander ein.
Jm Winter fällt freilich der Turnplatz im Freien fort, und wir müſſen uns dann mit Turnſälen behelfen. Aber wir haben noch die Schneefreuden und die große Wonne des Eislaufs.
Ueber die Turnzeit und Turntracht ſpricht ſich be - reits Jahn — Turnbuch S. 222 — genügend aus. Hier nur noch die ärztliche Bemerkung, daß gerade die leichte leinene Turntracht ohne Halstuch und Mütze bei den Uebungen die geſundeſte iſt, indem ſie jede Bewe - gung geſtattet, alle unnütze Erhitzung verhütet, den An -17 drang des Blutes zum Kopfe verhindert, und die Luft belebend auf die äußere Haut einwirken läßt, und ſo dem häufigen Vorkommen von Erkältungen, Katarrh und Rheumatismus in den ſpätern Jahren entgegenarbeitet.
Ohne Unterricht wird das Turnen für Kinder nicht nur Spielwerk, ſondern kann auch zu Unglücksfällen An - laß geben, welche der ſtufenweiſe Lehrgang ordentlicher Turnplätze verhütet. Dadurch wird das Turnen der Jugend noch lange nicht zur mühevollen Arbeit oder Laſt, ſondern dient dazu, auch dem Vergnügen und der Erholung Ordnung zu verleihen.
Dr. H. Ulr. Mühlhauſen.
Es iſt jüngſt eine Schrift des Profeſſors Dr. Klumpp zu Stuttgart an’s Licht getreten, worin auf den Grund einer dreißigjährigen, pädagogiſchen Erfah - rung das Turnen als ein deutſch-nationales Entwickelungs - Moment dargeſtellt wird. „ Wenn ihn nicht Alles täuſche, “ſagt dieſer erfahrene Schulmann in dem Vorworte, „ ſo ſei das Turnweſen nunmehr auf demjenigen Punkte ſeiner Entwickelung angekommen, von welchem aus das - ſelbe einen allgemeinen und durchgreifenden Einfluß auf unſere National-Erziehung zu gewinnen beſtimmt ſein dürſte. “
Wer nur einigermaßen dem Gange der Zeit gefolgt iſt, wird in der That beobachtet haben, wie zwar lang - ſam und allmählig, aber deſto tiefer ein friſcher, ernſter Sinn das Herz des endlich wieder erwachten deutſchen Volkes erwärmt. Zwei Jahrhunderte lang konnte das19 Vaterland ſchlummern; aber dennoch glimmte unter den Schlacken einer traurigen Zeit die Urkraft des deutſchen Weſens fort, um unter Gottes Beiſtand in unſerem Jahrhundert wieder neue Keime zu treiben. Freudig wurden als ſolche erkannt: die Erhebung gegen den franzöſiſchen Uebermuth im ewig denkwürdigen Befreiungs - kriege, die wieder hergeſtellte politiſche Einheit Germa - niens durch den deutſchen Bund, der Zollverein als Vorbote freien Verkehrs und großartiger Entwickelung der deutſchen Gewerbe. Jhnen, als bedeutenden Erſchei - nungen des äußeren Lebens, ſchließen ſich ergänzend an zwei Keime, die in dem Jnnern des deutſchen Gemüthes wurzeln: der Geſang und die Turnkunſt, mit ihnen wieder erhebende, des deutſchen Charakters würdige Volksfeſte. Beide haben auch in Frankfurt einen frucht - baren Boden gefunden, und ſind, um mit Klumpp zu reden, auch in unſerem Kreiſe zu nationalen Entwickelungs - Momenten geworden; davon zeugen die blühenden Ge - ſangvereine, davon zeugt die immer wachſende Theil - nahme an des Verfaſſers Turnanſtalt. Zunächſt iſt es nun jene Theilnahme und ſodann der Wunſch, über eine Anſtalt, die in der Oeffentlichkeit ihre vorzüglichſte Schutzwaffe gegen Mißgunſt oder Vorurtheile findet, klares Licht zu verbreiten, welche den Entſchluß hervor riefen, von nun an in dieſen Blättern jährlich einen Bericht über das hieſige Turnweſen im Allgemeinen und die Wirkſamkeit jener Turnanſtalt insbeſondere zu geben. Die Beſtimmung dieſer Blätter als Chronik läßt es jedoch wünſchenswerth erſcheinen, dieſen Berichten eine kurze Geſchichte der Leibesübungen überhaupt, wie und wo ſolche in Frankfurt früher und bis zur Gründung der allgemeinen öffentlichen Turnanſtalt, betrieben wurden, voran zu ſchicken. Wohl fühlend, daß die Löſung dieſer Aufgabe Schwierigkeiten eigener Art darbietet, bittet der Verfaſſer dieſer, in wohlmeinender Abſicht niedergeſchrie - benen Zeilen um die Nachſicht des Publikums, ſo wie derſelbige etwaige, ihm durch die Redaction dieſer Blätter20 zugehende Berichtigungen oder Zuſätze mit Dank entgegen nehmen und ſpäter zweckdienlich benützen wird.
Als nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts die einſeitige Geiſtesbildung in Deutſchland ihren Gipfel erreicht hatte, war es Baſedow (oder vielleicht auch einer der Lehrer an der von ihm zu Deſſau begründeten Philantropine), welcher 1776 die erſte Anregung zur Vornahme gymnaſtiſcher Uebungen gab. Von hier ver - pflanzte letztere Salzmann nach Schnepfenthal, wo ſie 1785 durch Gutsmuths weiter entwickelt und durch die Schrift*)Gutsmuths Gymnaſtik. 1792 1. Auflage, 1804 2. Auflage. Guts - muths Turnbuch 1817. zu einem Gemeingute gemacht wurden. Andere, insbeſondere Vieth**)Vieth’s Eneyelopädie der Leibesübungen, 2 Thle. 1794 u. 95., wirkten für die weitere Verbrei - tung und ſo war das Saamenkorn gelegt, welches ſich dereinſt zu einem ſo vielverſprechenden Keime ausbilden ſollte. Freilich hatte die auf Entwickelung geſunder Lebenskräfte des Leibes und des Geiſtes gerichtete Gym - naſtik mit den Vorurtheilen damaliger Zeit harte Kämpfe zu beſtehen. Sie war auch noch weit entfernt, ein Gemeingut des Volkes zu werden, oder, wie heut zu Tage, als weſentliches Erziehungsmittel Geltung und Anerkennung der Staatsbehörden zu erhalten. Die Gymnaſtik blieb vielmehr auf den Kreis verhältnißmäßig weniger Erziehungsanſtalten beſchränkt und gewann auch auf den Hochſchulen nur allmählig Eingang. ***)1804 wurde zu Erlangen von Carl Roux eine gymnaſtiſche An - ſtalt für Hochſchüler eröffnet.Daß die Sache auf dieſer ihrer erſten Entwickelungsſtufe in Frankfurt Theilnahme gefunden habe, möchte zu bezwei - feln ſein. Wenigſtens ſind die dieſerhalb angeſtellten Nachforſchungen bis jetzt ohne Reſultat geblieben.
So breitete ſich die Gymnaſtik in dem Zeitraume von 1776 bis 1809 nur langſam aus. Es bedurfte eines befruchtenden Gewitterſturmes, um das dem Boden anvertraute Samenkorn zur Entfaltung zu bringen. Als ſolcher brach die Zwingherrſchaft der Franzoſen über das entartete, verweichlichte, in ſich zerriſſene deutſche Volk herein. Zu jener Zeit nun, als die Noth am höchſten geſtiegen war, als, geläutert durch ſo herbes Geſchick, die Edleren voll Begeiſterung den Gedanken faßten, das Vaterland zu befreien, als es galt, für den heißen Kampf ſtreitbare Männer zu erziehen — da bildeten ſich auf Jahn’s Anregung (1810 im Frühlinge) in Berlin ein Verein junger Männer für die Pflege kräftigender Leibes - übungen und vaterländiſcher Geſinnungen. Alle Aus - länderei in That und Wort verbannend, wurde die Gymnaſtik, für die neue, edlere Richtung zugleich be - zeichnender, Turnkunſt benannt. Alt und Jung beſtrebte ſich, in erfreulichem Wetteifer das Verſäumte nachzu - holen. Entſcheidend war dabei die hierzu von dem un - ermüdlichen Jahn ausgehende, fortwährend kräftige An - regung, auf deſſen Betrieb während der Befreiungskriege das Turnen in Deutſchland faſt allgemeine Verbreitung fand. Jnsbeſondere war auch er es, welcher im Spät - ſommer 1815 bei einer kurzen Anweſenheit die Turn - kunſt unmittelbar in unſere Stadt verpflanzte. Hier wurde ſie von einer kleinen Schaar Gymnaſiaſten, denen ſich ſpäter auch einige andere junge Leute anſchloſſen, noch in dem Herbſt desſelben Jahres auf der Pfingſt - weide zunächſt mit Gerwerfen, Steinſtoßen und Weit - und Hochſpringen mit und ohne Stab eröffnet. Die Geräthe bewahrte man in dem damaligen Gladbachiſchen Gartenhauſe, dicht an der Pfingſtweide, auf, wo auch 1816 zwei Recke, 2 Barren, 1 Maſt und 1 Drei -22 baum aufgeſchlagen wurden. Die Uebungen fanden jeden Mittwoch und Samſtag Nachmittag unter lebhafter Theilnahme des Publikums, jedoch ohne Mitwirkung der Schulbehörden, ſtatt. Die Koſten wurden unter die Theilnehmer gleichmäßig vertheilt, deren Zahl (1815 5, 1816 12, 1817 20 und ſo fort) bis zum Jahre 1819 allmählig auf 30 bis 35 ſtieg. Es herrſchte unter dieſen jungen Leuten ganz der turneriſche Geiſt, wie er von Jahn ausgegangen war: ſtrenger Ernſt, einfache Kleidung, Sittlichkeit und Schweigſamkeit. Geſchriebene Geſetze gab es nicht; Turnfahrten und Turnläufe wur - den gemacht; keiner der Turner betrat ein Gaſt - oder Weinhaus; Turnproben (Prüfungen), Wett-Turnen und eigentliche Turnfeſte fanden nicht ſtatt; dagegen wurde der 18. October ſeit 1816 durch großes Turnen und Beleuchtung der Gerüſte, ſo wie durch einen Geſammt - zug zu dem Freudenfeuer an der Warte mit Geſang von Turnliedern gefeiert. Jn dieſer Weiſe ſchien die Sache den gedeihlichſten Fortgang zu nehmen, als 1819 im Königreiche Preußen das Turnen verboten, in Frank - furt ſelbſt die Feier des 18. Octobers beſchränkt und bald darauf (1820) auch den Schülern des hieſigen Gymnaſiums das Turnen unterſagt wurde.
Während ſich nun das Turnweſen in der oben beſchriebenen Weiſe unter den Schülern des Gymnaſiums entwickelt hatte, blieb die Muſterſchule nicht zurück. Hier wurden nämlich im Jahre 1816 gleichfalls Turnübungen eingeführt. Laſſen wir in dieſer Beziehung den, wo es die Förderung wahrer Menſchenbildung galt, unermüd - lichen Kirchner reden. *)Kirchners Anſichten von Frankfurt. Wilmans, 1818, Band I, Seite 275 und Band II, Seite 259.
„ Noch müſſen wir dankbar einer Anſtalt gedenken, welche zween würdige Lehrer dieſer Schule: Dr. Die - ſterweg und Hahn, ſeit kurzem — zunächſt für Zög - linge derſelben, gegründet haben; einer Turnſchule23 nämlich, in welcher im Sommer auf einem räumigen Platze im Schulgarten in den Freiſtunden, unter Auſſicht der Lehrer, Turnübungen ſtattfinden. Anſtalten dieſer Art ſind jetzt nicht mehr dem Vaterlande allein, ſondern der menſchlichen Natur ſo zum Bedürfniſſe geworden, daß ſie alles Sträubens unerachtet über lang oder kurz „ Allgemein “werden müſſen. Haben ſogar einzelne Dörfer unſeres nördlichen Vaterlandes ihre eigenen Turn - plätze zur Uebung ihrer jüngeren Einwohnerſchaft; ſo kann und wird Frankfurt in dieſer wichtigen Erziehungs - angelegenheit nicht länger zurückbleiben. Die Stimme der Natur fordert eine ſolche Bürgerauſtalt laut; die Mittel, ſie in den Gang zu bringen, find ſo einfach, daß es weniger Mühe koſtet, die Jugend zu dieſen Uebungen zu vermögen, als die Ente zum Schwimmen, oder den Storch zum Fliegen zu bringen. Hauptſächlich aber iſt eine Turnſchule der Ort, wo (wie der ehemalige Oberlehrer der Muſterſchule, Gruner, in einer Ein - ladungsſchrift [1806] ſo richtig ſagt) die Geſundheit und durch dieſe die Unſchuld der Kinder gar wunderbar geſchützt, und ihre Geſammtkraft auf das herrlichſte angeregt wird. Möge doch der Staat oder irgend ein Bürgerfreund, der es gut mit den Nachkommen meint, recht bald einen räumigen Turnplatz für Frankfurts Ge - ſammtjugend ſtiften; dann werden wir künftig, ſtatt mancher hohläugigen Hageprunke und Zierlinge, markige, furchtloſe und gewandte Jünglinge ſchauen; dem Vater - lande eine lebendige Schutzmauer gegen jeden Feind. “
Dieſterweg folgte im Jahre 1818 einem ehren - den Rufe nach Berlin; Hahn führte die Sache zwar noch bis 1819 fort, von da an aber hörte, ſo wie am Gymnaſium, ſo auch an der Muſterſchule das Turnen wieder auf. Aus letzterer hatten 50 — 60 Knaben an den Uebungen Theil genommen, wovon Jeder zur Deckung der Koſten monatlich einen Gulden entrichtete. Am 18. October, nach dem Geſang auf dem Römer - berg, wurde im Garten der Muſterſchule jedesmal eine öffentliche Turn-Prüfung gehalten.
24Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß ſchon frühzeitig für die Waiſenknaben in dem Garten des Waiſenhauſes ein Turnplatz eingerichtet wurde, wo ſie ihre Freiſtunden unter Leibes - und Kriegsübungen zu - brachten.
Es iſt nicht zu bezweifeln, daß damals die Turn - übungen auch noch anderweit in Privat-Jnſtituten und Privat-Häuſern hieſiger Stadt verbreitet waren; die Erzählung deſſen, was hier gewirkt und geſchehen, würde jedoch zu weit führen, und liegt außer dem Kreiſe die - ſer, nur der öffentlichen Entwickelung der Turnkunſt gewidmeten Darſtellung.
Es folgte nun von 1820 an ein Stillſtand in dem Wachsthume des kaum ſo kräftig aufgeblühten Keimes. Man hatte mit einigen bemerklich gewordenen Auswüch - ſen leider auch die friſchen lebenskräftigen Sprößlinge abgeſchnitten; ſo mußte die Pflanze verkümmern, bis erſt wieder friſche Säfte aus der noch unverſehrten Wurzel neue Triebe entwickelten. Mit ihrer Entfaltung beginnt ein neuer Abſchnitt der Turnkunſt, die nun in einem, die ſchulmäßige Gymnaſtik Baſedows mit der kriegeriſch ernſten Turnerei Jahn’s mehr vermittelnden Sinne auf - gefaßt wurde. Die in Preußen und einigen andern Bundesſtaaten erlaſſenen Verbote*)Jn der Frankfurter Geſetzſammlung findet ſich kein Verbot gegen das Turnen. beſtanden zwar fort, aber die Nützlichkeit geregelter Leibesübungen war bereits zu einleuchtend geworden, als daß deren Wiederaufnahme für die Dauer ein Hinderniß hätte entgegengeſetzt werden können. Ja an einigen Orten, wie z. B. in Stuttgart, erlitten ſie gar keine Unterbrechung, und auch in unſerer25 Stadt ſetzten mehrere, beſonders eifrige Schüler des Gymnaſiums das Turnen 1820 bis 1822 auf dem Riedhofe, dann 1823 und 1824 in dem am Wege nach dem Kirſchenwäldchen vor dem Eſchenheimerthore gelege - nen, damals Wagner’ſchen, Garten privatim noch fort. Auch an der Muſterſchule kam das Turnen unter Acker - mann bald wieder in Aufnahme, und ſchon 1824 fan - den die hohen Behörden für dienlich, die Vornahme körperlicher Uebungen in den Lehrplan (§. 8) der hieſigen drei evangeliſch-proteſtantiſchen Volksſchulen aufzunehmen. Da jedoch der wirkliche Beginn dieſer Uebungen von der Ermittelung eines hierzu geeigneten Platzes abhängig war, ein ſolcher Raum aber nicht alsbald aufgefunden werden konnte, ſo kam dieſer wohlmeinende Beſchluß leider nicht zur Ausführung.
Von 1825 bis 1829 fanden unter den Schülern des Gymnaſiums keine gemeinſamen Turnübungen ſtatt; dagegen nahm die Sache 1830 in einem an der Pfingſt - weide errichteten Turnplatze wieder einen namhaften Aufſchwung; 1831 wurde der Turnplatz an den Eſchers - heimer Weg, 1832 an die ehemaligen Zimmerplätze verlegt. Die Zahl der Theilnehmer ſchwankte in dieſem Zeitraume zwiſchen 60, 80 bis zu 120. Allmälig aber verringerte ſich dieſe Zahl wieder bis auf zehn Schüler (1834), denen es, bei allem Eifer für die Sache, dennoch ſchwierig wurde, den auf den ehemaligen Zim - merplätzen an der Mainzer Landſtraße noch innehabenden Turnplatz für ſich allein aufrecht zu erhalten. Unter dieſen Umſtänden trat der ſpäter näher zu erwähnende Privat-Turnverein in das Mittel, indem letzterer den gedachten Turnplatz für ſeine Rechnung übernahm, den Schülern des Gymnaſiums deſſen fortgeſetzte Benutzung aber gegen einen jährlichen (die Wintermonate natürlich ausgeſchloſſen) Beitrag von 2 fl. per Kopf überließ. Letztere behielten ihre frühere Geſellſchaftsverfaſſung bei und nahmen an Zahl auch wieder zu, ſo daß man 1835 ſchon 28, 1836 45 und 1837 ſogar 53 Turner zählte. Jahrb. d. Turnkunſt. II. 226Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß alle dieſe Beſtrebungen für die Einführung geregelter Leibesübungen ſich des verdienten Beifalles des Rectors und der Pro - feſſoren zu erfreuen hatten.
Was den oben gedachten Privat-Turnverein betrifft, ſo war derſelbe 1833 von dem Verfaſſer dieſer geſchicht - lichen Darſtellung geſtiftet worden und beſtand anfänglich aus 23 Mitgliedern, meiſt jungen Männern von 20 bis 30 Jahren, aus allen Ständen, welche durch Ein - lage von 2 fl. 42 kr. und einen jährlichen Beitrag von 3 fl. 12 kr. (ſpäter 3 fl.) die Mittel zur Einrichtung eines Turnplatzes vor dem Eſchenheimer Thore am Ju - denweg herbeiſchafften. Die Zeitverhältniſſe waren der Fortbildung dieſes zwar ſtillſchweigend geduldeten, aber keineswegs öffentlich autoriſirten Vereines im höchſten Grade ungünſtig, ſo daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn nach verrauchtem erſten Feuer die Zahl der Tur - ner ſich 1834 auf 16, 1835 auf 14, 1836 auf 9 und 1837 gar nur auf 3 verringerte. Dennoch wurden die Turnplätze (1834 und 35 der von den Gymnaſial - ſchülern übernommene Platz an der Mainzer Landſtraße, 1836 und 37 der neu gemiethete Platz an der Pfingſt - weide) in leidlichem Stande erhalten, da außer den Beiträgen der Schüler des Gymnaſiums auch noch von Zöglingen eines Privat-Jnſtitutes für die Mitbenutzung des Turnplatzes einige Geldmittel eingingen, und zudem viele Handarbeiten und Reparaturen durch ein beſonders thätiges Mitglied des Vereines unentgeltlich übernommen worden waren. Es wurde regelmäßig wöchentlich zwei Mal mit Eifer geturnt, auch fanden Turnfahrten in klei - nem Maßſtabe ſtatt. Feſte fielen natürlich weg. Dies die kurze Geſchichte des erſten Turnvereins Erwachſener, in deſſen Kreis die Jdee der Herſtellung eines der allgemeinen Benutzung der hieſigen Jugend zu eröffnenden Turnplatzes ſchon frühe lebhaften Anklang gefunden hatte, eine Jdee, deren Verwirklichung beſonders von Dr. Schwarz, und als dieſer durch27 anderweite Berufsverpflichtungen davon abgezogen wurde, von dem Verfaſſer*)Jedoch erſt, nachdem vielfache Verſuche, einen anderen geeigneten Mann zu gewinnen, geſcheitert waren. lebhaft erſtrebt wurde. Die Nütz - lichkeit und Nothwendigkeit der Leibesübungen war übri - gens damals ſchon ſo allgemein von den hieſigen Be - hörden anerkannt, daß die Genehmigung zur Errichtung einer allgemeinen Turnanſtalt in jenem Sinne, ſo wie die Bewilligung der dazu erforderlichen Geldmittel (500 fl. für die erſte Einrichtung und 400 fl. als jährlichen Koſtenzuſchuß) Seitens des hohen Senates im Frühjahr 1838 unbedenklich erfolgte und auch bei den übrigen Staatsbehörden keine Beanſtandung fand. So war dem Bedürfniſſe der Zeit vorläufig Genüge geſchehen, und eine Anſtalt begründet, die, unabhängig von der Gunſt des Augenblickes und äußeren Einflüſſen, denen die frü - heren Veranſtaltungen unterworfen geweſen waren, auf einem ſicheren Boden ruhte und für die Zukunft reiche Entwickelung verſprechen mochte.
Während nun ſo die Schüler des Gymnaſiums und ſpäter der Privat-Turnverein die Leibesübungen hegten und pflegten, hielten viele andere Bildungsanſtal - ten unſerer Stadt hierin gleichen Schritt. Jn dem Waiſenhauſe namentlich waren die Turnübungen gar nicht unterbrochen und beſonders 1836 und 37 durch Dr. Schwarz in uneigennütziger Weiſe gefördert worden. Jn der Gutermann’ſchen Erziehungsanſtalt fanden ſie — wiewohl nur auf einige Zeit — Eingang. Die Er - ziehungsanſtalten von Bunſen und Stellwag hatten ſie längſt als Lehrgegenſtand und beſonderes wirkſames Bil - dungsmittel eingeführt. An der Muſterſchule wurde unter Scholderer und ſeit 1830 unter Peipers (mit einer 50 — 60 Köpfe ſtarken Schaar) fleißig geturnt. Seit der 1837 eingetretenen neueſten Organiſation der mit der Schule verbundenen Beaufſichtigungsanſtalt wird unter Dr. Schwarz bei den Zöglingen das Turnen als28 förmlich eingeführtes Lehr - und Bildungsmittel in An - wendung gebracht, während die dieſer Anſtalt nicht an - vertrauten Knaben in ziemlicher Anzahl den allgemeinen Turnplatz beſuchen. Jn dieſe Periode fällt auch die Einführung der Leibesübungen an der Philantropin durch Sabel. Vielfach wurde außerdem noch das Turnen bei der Privat-Erziehung, beſonders durch Hadermann und einige der oben Genannten, in Anwendung gebracht. — Auch fällt in die letzten Jahre dieſes Zeitraums die Aufnahme gymnaſtiſcher Uebungen bei jungen Mädchen, die ſpäter ein Mode-Extrem unſerer Zeit genannt wor - den ſind; bei der Art und Weiſe, wie ſie aber hier getrieben werden, nichts anders als ein recht zweckmäßiges Mittel ſein dürften, den wirklich zahlreich vorhandenen anderweiten Mode-Extremen unſerer weiblichen Jugend einigen Abbruch zu thun.
Hiermit ſchließt ſich die kurze Ueberſicht, welche wir von der Entwickelung der Leibesübungen bis zu der Gründung einer allgemeinen Turnanſtalt zu geben ge - dachten. Unſcheinbar war der Anfang; niemals iſt hier, wie in andern deutſchen Städten es der Fall war, das Turnweſen mit leidenſchaftlichem, bald wieder erkaltendem Schwindel ergriffen worden; überall haben aber ſeine Keime gewurzelt und nachhaltige Nahrung gefunden. So mochte ſich denn die allgemeine Turnanſtalt mit der Hoffnung auf einen, wenn auch nur allmäligen, doch deſto nachhaltigeren Erfolg jenen vielfachen Beſtrebungen anſchließen.
Es iſt oben erzählt worden, auf welche Art die allgemeine Turnanſtalt*)Sie wurde anfänglich „ gymnaſtiſche Anſtalt “benannt; die falſche Richtung, welche ſpäter jedoch einige unter gleicher Benennung anderwärts aus Staatsmitteln begründet29 worden iſt. Es ſind nun zunächſt die Bedingungen zu erwähnen, welche dem Vorſteher dieſer Anſtalt als Ge - genleiſtung für den bewilligten Koſtenzuſchuß auferlegt wurden, da hiermit zugleich der Wirkungskreis des Jn - ſtitutes bezeichnet und geordnet worden war. Dieſe ver - pflichteten zunächſt, den Schülern des Gynmaſiums und der andern öffentlichen Schulen, welche an dem Unterrichte Theil nehmen würden, in geeigneten, nicht mit dem Schulunterrichte zuſammentreffenden Stunden, gegen ein halbjährig zu entrichtendes Honorar, was aber die Hälfte, reſp. ein Dritttheil des gewöhnlichen Honorars (für Pri - vatſchüler) nicht überſchreiten dürfe, den Zutritt in die Anſtalt zu geſtatten; ferner ſei für ein geeignetes Lokal, Anſchaffung und Unterhaltung der Geräthſchaften beſtens Sorge zu tragen und die Anſtalt als eine der Schul - behörde untergeordnete Privatanſtalt anzuſehen, mit dem Vorbehalte, die vorerſt nur auf die Dauer von drei Jahren gegebene Erlaubniß jederzeit, wenn es nöthig erſchiene, zurücknehmen zu können. Ferner ſolle die Theil - nahme an dem Unterrichte nicht als ein Theil des öffentlichen Unterrichts in den Schulen angeſehen werden und endlich ſeien Gehülfen oder Mitlehrer nur mit Ge - nehmigung der vorgeſetzten Schulbehörden anzuſtellen. Jm Jahre 1841, als in Folge der Verlegung der An - ſtalt in ein geräumigeres Lokal der jährliche Zuſchuß aus dem Aerar von 400 fl. auf 600 fl. erhöht worden war, wurden jene Gegenleiſtungen gleichzeitig verhältniß - mäßig erweitert und genauer feſtgeſtellt. Demnach wurde obigen Grundbeſtimmungen hinzugefügt, daß der Preis des Turnunterrichts für die Schüler der Volksſchulen halbjährig nicht über 2 fl., für die Schüler des Gym - naſiums, der Selecten -, Muſter - und Mittelſchule nicht über 3 fl. ſteigen dürfe, daß im Sommer während 20 und im Winter während 10 Stunden wöchentlich die*)begründete Jnſtitute einſchlugen, ließen bald wieder den, dem pädagogiſchen Zwect ohnehin beſſer entſprechenden, deutſchen Namen „ Turnanſtalt “Platz greifen.30 Anſtalt der öffentlichen Benutzung einzuräumen ſei und daß endlich 12 Waiſenkinder unentgeldlich aufzunehmen ſeien.
War nun hiermit die äußere Stellung der Anſtalt zum Staate bezeichnet, ſo zeigten kurze gedruckte Nach - richten, welche 1838, 1839 und 1842 von dem Vor - ſteher ausgegeben wurden, ihre innere Einrichtung. Wir entheben dieſen Nachrichten das Weſentliche: 1) Aus - bildung und Veredlung der körperlichen Kräfte und in ihrem Gefolge Stählung der Geſundheit, Beförderung der Sittlichkeit und Erzielung größerer Empfänglichkeit der Seele für geiſtige Bildung der Pflegbefohlenen ſind der Hauptzweck der Anſtalt. 2) Die Uebungen umfaſſen das Turnen in ſeinem ganzen Umfange, einſchließlich des Roßſchwingens (Voltigirens), des Fechtens und Exercirens, letztere beide jedoch als beſondere, von dem gewöhnlichen Unterrichte getrennte Disciplinen. 3) Es findet in den Uebungen ein, alle Gefährlichkeiten vermeidender Ueber - gang vom Leichten zum Schweren ſtatt. 4) Es werden die Uebungen während des ganzen Jahres, mit Ausſchluß von je einigen Wochen Ferien in den Monaten April und September, fortgeſetzt. Jm Winter finden dieſelben in einem entſprechend geheizten Saale ſtatt. 5) Die Aufnahme neuer Zöglinge iſt halbjährig. 6) Die Turn - beiträge betrugen, mit Rückſicht auf die von hohem Se - nate den Schülern öffentlicher Unterrichtsanſtalten vor - behaltenen oben erwähnten Vergünſtigungen, halbjährig:
| a) | für ſolche Knaben und Jünglinge, welche keine öffentlichen Lehranſtal - ten beſuchen ..... | 1838 — 39 fl. kr. 9. — | 1839 — 41 fl. kr. 9. — | 1842 fl. kr. 5. 24 |
| b) | für die Schüler des Gymnaſiums ..... | 4. 30 | 4. 30 | 2. 42 |
| c) | für die Schüler der Selecten -, Muſter - u. Mittelſchule ..... | 3. — | 3. — | 2. 42 |
| d) | für die Schüler der Weißfrauen -, Allerhei - ligen -, Dom - und Drei - königsſchule ...... | 1838 — 39 fl. kr. 3. — | 1839 – 41 fl. kr. 3. — | 1842 fl. kr. 1. 48 |
| e) | für Erwachſene .... | 6. — | 4. 30 | 3. 30 |
| f) | für Mädchen ..... | 6. — | 6. — | 5. 24 |
7) Vorausbezahlung iſt Grundſatz; weitere Auslagen, die Anſchaffung einer Turnjacke ausgenommen, ſind nicht erforderlich. 8) Enthält Näheres über die Stundenein - theilung. 9) Betrifft den gymnaſtiſchen Unterricht für Mädchen. 10 — 13) Betrifft den Fechtunterricht für Erwachſene, welcher jedoch ſeit dem Frühjahr 1842 auf gegenſeitiger Unterweiſung der zu dieſem Behufe ver - einigten Freunde der Waffenübungen beruht, nachdem alle Verſuche, einen tüchtigen Fechtmeiſter dauernd zu feſſeln, fehlgeſchlagen waren. 14 — 16) Betrifft den Exercir-Unterricht a) für Knaben und b) für junge Leute, welche ſich für den Stadtwehrdienſt vorbereiten wollen; doch ſteht hierfür erſt von der Zukunft eine größere Theilnahme zu erwarten, die ſich bis jetzt nur in gerin - gem Maße gezeigt hat. 17) Privatunterricht, wo ſol - cher beſonders verlangt wird, betreffend, ſo wie ortho - pädiſche Behandlung leichter Verkrümmungen unter ärzt - licher Mitwirkung.
Zwei Schriftchen, das eine unter dem Titel „ Hand - buch für die Schüler der Turnanſtalt zu Frankfurt a. M. Nach Jahn, Eiſelen, Spieß und Euler. Nebſt neuen Tafeln über Heb - und Schwebeübungen; Frankfurt a. M., 1841, in Commiſſion bei Friedr. Wilmans (Preis 18 kr. ), “die Geſetze, vollſtändiges, nach Stufen geordnetes Ver - zeichniß der Uebungen, Erklärung der Spiele und einige Lieder enthaltend, und das andere unter dem Titel: „ Die Turnkunſt in ihrer ſittlichen Richtung als Beförderin edler Geſinnungen und vaterländiſcher Tugenden. Erwach - ſenen Turnern als ein freundlicher Wegweiſer zu ihrer Selbſtveredelung; Behörden, Schulmännern und Freun - den der Turnkunſt aber als ein Beitrag zur Würdigung32 der moraliſchen Bedeutung dieſes Bildungsmittels ge - widmet. Frankfurt a. M., in der Jäger’ſchen Buch - handlung, 1842 (Preis 12 kr. ) “gingen von dem Vorſteher der Anſtalt aus und geben Rechenſchaft, in welchem Geiſte derſelbe das ihm von der Vorſehung anvertraute wichtige Amt zu verwalten beſtrebt iſt.
Dieſe allgemeinen Bemerkungen, womit die äußere Stellung, die innere Einrichtung und die Richtung der Anſtalt als eines Hülfsmittels für die Veredlung unſerer Jugend hinlänglich bezeichnet ſein dürfte, voraus geſchickt, dürfen wir nunmehr auf die kurze Erzählung ihrer be - ſonderen Geſtaltung und Entwickelung übergehen, die ſich am beſten und mit Hinſicht auf die für in Zukunſt be - abſichtigte Geſchichtserzählung nach Jahrgängen zuſam - menſtellen läßt.
Erſter Jahrgang, 1838.
Die Anſtalt wurde in dem, einſchließlich einer Dach - wohnung, zu 450 fl. gemietheten Garten des Junghofes am 1. Mai ohne Feierlichkeit in beſcheidener Stille er - öffnet. Der über einen Morgen große Garten war mit zahlreichen Bäumen beſetzt, unter deren Schatten die Turngeräthſchaften ſo vertheilt wurden, daß noch ein freier Raum für Spiele erübrigte. Jn dem Hauſe dien - ten ein geräumiger Boden und zwei große Zimmer für die Vornahme der Uebungen in der ſchlechten Jahreszeit. Die Zahl der Zöglinge vertheilte ſich in dem erſten
| Jahre, wie folgt: | Sommerhalbjahr. | Winterhalbjahr. |
| Auf das Gymnaſium ...... | — | 4 |
| „ die Muſterſchule ...... | 8 | 13 |
| „ „ Mittelſchule ...... | 20 | 16 |
| „ „ Weißfrauenſchule .... | 1 | — |
| „ das Stellwagiſche Jnſtitut. | 17 | — |
| „ „ Haſſel’ſche Jnſtitut .. | — | 14 |
| Privatſchüler ........... | 6 | 6 |
| Erwachſene ........... | 14 | 5 |
| Mädchen ............. | 6 | — |
| Geſammtzahl | 72 | 58 |
Hierzu kamen im Sommerhalbjahr 30, im Win - terhalbjahr 20 Knaben aus dem Waiſenhauſe, die bis zum Jahre 1842, wo eine deßfallſige Verpflichtung eintrat, unentgeldlich an den Uebungen Theil nahmen. 52 Schüler des Gymnaſiums benutzten, unter Beibehal - tung ihrer früheren Einrichtung, die Anſtalt als Miether, ein Verhältniß, welches indeß von der Schulbehörde ſpäter abgeſtellt wurde und daher nur für die Dauer des Sommerhalbjahrs beſtand.
Die Einnahme der Anſtalt belief ſich, einſchließlich des aus dem Aerar bezogenen Koſtenbeitrags von 900 fl., auf 1407 fl. 47 kr. *)507 fl. 47 kr. kamen hiernach auf das Erträgniß der Turnbeiträge. Daß dies, mit der oben angegebenen Zahl der Zöglinge verglichen, nicht ganz übereinſtimmt, hat ſeinen Grund darin, weil einige Unbemittelte ganz frei, wieder andere um den halben Betrag aufgenommen worden waren, während auch bei Solchen, die ausnahmsweiſe inmitten eines Semeſters eintraten, ein verhältnißmäßiger Nachlaß ſtattfand. Dieſe Verhältniſſe fan - den natürlich auch in den folgenden Jahren ſtatt, was nicht überſehen wer - deu wolle.
Die Ausgaben beliefen ſich auf 947 fl. 9 kr., und vertheilten ſich, zufolge der, hoher Schulbehörde nicht allein für das erſte Jahr, ſondern fortwährend ſpeziell vorgelegten Nachweiſung, ſummariſch, wie folgt:
| Lokal-Miethe, Ueberzugskoſten ...... | 363 fl. | 12 kr. |
| Betriebs-Ausgaben ............ | 37 „ | 55 „ |
| Herſtellung des Platzes und Anſchaffung der erforderlichen Mobilien ..... | 90 „ | 11 „ |
| Turngeräthſchaften ............ | 410 „ | 26 „ |
| Heizung und Beleuchtung ........ | 16 „ | 38 „ |
| Unterrichtsbehelfe und literariſche Hülfsmittel | 28 „ | 47 „ |
| 947 fl. | 9 kr. |
Demnach ergab ſich ein Reinerträgniß von 460 fl. 38 kr.
Einige Turngänge fanden in dieſem Jahre ſchon ſtatt; auch wurde am 31. Auguſt, unter ziemlicher Theil - nahme eines engeren Kreiſes von Eltern und Freunden34 der Turnkunſt, ein Wett-Turnen in verſchiedenen Dauer - übungen abgehalten.
Zweiter Jahrgang, 1839.
Die Zahl der Zöglinge vertheilte ſich, wie folgt:
| Sommerhalbjahr. | Winterhalbjahr. | |
| Auf das Gymnaſium ...... | 23 | 7 |
| „ die Selectenſchule ..... | 3 | 2 |
| „ „ Muſterſchule ...... | 23 | 11 |
| „ „ Mittelſchule ...... | 19 | 5 |
| „ „ Weißfrauenſchule .... | 3 | 2 |
| „ „ Allerheiligenſchule ... | 1 | — |
| „ das Haſſel’ſche Jnſtitut .. | — | 25 |
| Privatſchüler ........... | 9 | 2 |
| Erwachſene ........... | 23 | 12 |
| Mädchen ............. | 11 | — |
| Geſammtzahl | 115 | 66 |
Hierzu kamen im Sommerhalbjahr 50 und im Winterhalbjahr 25 Freiſchüler aus dem Waiſenhaus.
Die Einnahme der Anſtalt belief ſich, einſchließlich des aus dem Aerar bezogenen Koſtenbeitrags von 400 fl., auf 1042 fl. 4 kr.
Die Ausgaben vertheilten ſich ſummariſch wie folgt:
| Lokal-Miethe ............... | 350 fl. | — kr. |
| Unterhaltung des Lokals und der dazu ge - hörigen Mobilien .......... | 28 „ | 42 „ |
| Betriebsausgaben ............ | 34 „ | 50 „ |
| Ergänzung und Reparatur der Turngeräthe | 35 „ | 37 „ |
| Heizung und Beleuchtung ........ | 21 „ | 57 „ |
| Unterrichtsbehelfe und literariſche Hülfsmittel | 7 „ | 31 „ |
| 478 fl. | 37 kr. |
Demnach ergab ſich ein Reinerträgniß von 563 fl. 27 kr.
Am 7. April durfte die Anſtalt zum erſtenmal wagen, vor dem Publikum öffentlich aufzutreten, um die Ergebniſſe ihrer bisherigen Leiſtungen darzulegen. Es35 geſchah dies in einem in der Mittelſchule abgehaltenen, mit einer Rede über Zweck und Nutzen der Turnkunſt eingeleiteten Prüfungs-Turnen, welches ſich vielen Bei - falls erfreute. Der Sommer brachte Turnfahrten der Knaben, ſo wie der erwachſeneren Turner; im Herbſte gab es am 8. September ein dem vorjährigen ähnliches, doch belebteres Wett-Turnen.
Dritter Jahrgang, 1840.
Die Zahl der Zöglinge vertheilte ſich, wie folgt:
| Sommerhalbjahr. | Winterhalbjahr. | |
| Auf das Gymnaſium ...... | 21 | 11 |
| „ die Selectenſchule ..... | 5 | 4 |
| „ „ Muſterſchule ...... | 27 | 11 |
| „ „ Mittelſchule ...... | 17 | 6 |
| „ „ Weißfrauenſchule ... | 5 | 4 |
| „ „ Allerheiligenſchule ... | 1 | — |
| „ das Haſſel’ſche Jnſtitut ... | — | 23 |
| Privatſchüler ........... | 6 | 7 |
| Erwachſene ........... | 14 | 13 |
| Mädchen ............. | — | 7 |
| Geſammtzahl | 96 | 86 |
Hierzu kamen im Sommerhalbjahr 30 und im Winterhalbjahr 20 Freiſchüler aus dem Waiſenhaus.
Die Einnahme der Anſtalt belief ſich, einſchließlich des aus dem Aerar bezogenen Koſtenbeitrags von 400 fl., auf 1134 fl. 9 kr.
Die Ausgaben vertheilten ſich ſummariſch, wie folgt:
| Lokal-Miethe ............... | 350 fl. | — kr. |
| Unterhaltung des Lokals und der dazu ge - hörigen Mobilien .......... | 30 „ | 4 „ |
| Betriebsausgaben ............ | 44 „ | 20 „ |
| Ergänzung und Reparatur der Turngeräthe | 66 „ | 54 „ |
| Heizung und Beleuchtung ....... | 15 „ | 42 „ |
| Unterrichtsbehelfe und literariſche Hülfsmittel | 8 „ | 1 „ |
| Honorare ................ | 4 „ | — „ |
| 519 fl. | 1 kr. |
Demnach ergab ſich ein Reinertrag von 615 fl. 8 kr.
Auch in dieſem Jahre fand in der Mittelſchule, am 29. März, ein öffentliches Prüfungs-Turnen ſtatt, gleich - falls eingeleitet durch eine kurze Rede, welche ſich dies - mal über die geſchichtliche Entwickelung der Turnkunſt und ihren weſentlichen Unterſchied von den ſogenannten Gauklerkünſten verbreitete. Die Pfingſtfeiertage gaben Veranlaſſung zu einer größeren Turnfahrt auf den Don - nersberg. Der Spätſommer brachte am 6. September das gewöhnliche Wett-Turnen, immer noch in Form eines Familien-Feſtes, dieſesmal aber durch Beleuchtung des Gartens und ein einfaches gemeinſchaftliches Mahl der ausgezeichneteren Turner gefeiert.
Die Turnanſtalt hatte nun gleichſam drei Probejahre glücklich beſtanden; es mußte ſich entſcheiden, ob ihr fernerhin und definitiv die thätige Unterſtützung aus Staatsmitteln zugewendet werden wolle; es mußte ſich namentlich auch für den Vorſteher derſelben entſcheiden, und dieſe Frage hing mit der erſten innig zuſammen, ob er es wagen dürfe, ſeine Entlaſſung aus ſeiner bis - herigen ehrenvollen und ſichernden Stellung als Fürſtlich Thurn und Taxis’ſcher Poſtbeamter nachzuſuchen, um ſeine Kräfte thätiger einer Anſtalt zu widmen, deren allmälige Ausdehnung ſolches dringend zu fordern, die aber vorausſichtlich nur unſicheren pekuniären Erſatz zu verſprechen ſchien. Der innige Wunſch, eine gute, ein - mal mit Wärme ergriffene Sache mindeſtens dem Punkte ihrer vollſtändigen Entwickelung zuzuführen, ließ über die großen, ſich dieſem entgegenſtellenden Privat-Rückſichten und Bedenklichkeiten hinweg ſehen. Bereitwillig wurde von den hohen Behörden unſrer Stadt, in Rückſicht auf den mit einem ſehr bedeutenden Kapitalaufwande bewirk - ten Ankauf, reſp. Bau, einer Lokalität und die damit bewirkte Ausdehnung der Anſtalt ein jährlicher Koſten - beitrag von 600 fl. bewilliget, und ſo ſah ſich eines - theils das Jnſtitut in ſeinem Beſtehen geſichert, der37 Vorſteher desſelben aber anderntheils für das von ihm freiwillig dargebrachte Opfer ſich theilweiſe entſchädiget. Anträge des Letzteren auf Einführung der Turnkunſt in den Lehrplan der öffentlichen Schulen, auf bedeutendere Ermäßigung des Turngeldes, auf Ernennung einer Com - miſſion zur Verwaltung der ökonomiſchen Angelegenheiten der Anſtalt und endlich auf Anſtellung eines öffentlichen Turnlehrers blieben indeß vorerſt noch ohne unmittelbaren Erfolg, wiewohl ſich im Allgemeinen eine lebhafte Theil - nahme der hohen Staatsbehörden an der Entwickelung der Turnanſtalt nicht verkennen ließ.
Vierter Jahrgang, 1841.
Am 19. April begannen die Turnübungen in dem neuen, käuflich erworbenen Lokale auf der Seilerſtraße; früher ein Bleichgarten. Der Platz iſt etwa drei Viertel Morgen groß und ließ, da keine Bäume zu berückſich - tigen waren, eine ſehr zweckmäßige Vertheilung der Gerüſte zu. Von einer Terraſſe läßt ſich das Ganze bequem überſehen; auf ihr ſteht auch das neu erbaute Haus, worin der 46 Fuß lange, 25 Fuß breite und 12¼ Fuß hohe Turnſaal nebſt allem Erforderlichen eingerichtet wurde.
Die Zahl der Zöglinge vertheilte ſich, wie folgt:
| Sommerhalbjahr. | Winterhalbjahr. | |
| Auf das Gymnaſium ...... | 33 | 44 |
| „ die Selectenſchule ..... | 6 | 1 |
| „ „ Muſterſchule ..... | 43 | 17 |
| „ „ Mittelſchule ...... | 22 | 12 |
| „ „ Weißfrauenſchule .... | 10 | 4 |
| „ „ Allerheiligenſchule ... | — | 1 |
| „ „ Domſchule ....... | 1 | 1 |
| „ „ Realſchule ....... | — | 1 |
| Privatſchüler .......... | 6 | 5 |
| Erwachſene ........... | 34 | 34 |
| Mädchen ............. | 22 | 25 |
| Freiſchüler aus dem Waiſenhaus | 12 | 12 |
| Geſammtzahl | 189 | 157 |
Die Einnahme der Anſtalt belief ſich, einſchließlich des aus dem Aerar bezogenen Koſtenbeitrages von 600 fl., auf 1728 fl. 40 kr.
Die Ausgaben vertheilten ſich ſummariſch, wie folgt:
| Lokal-Miethe .............. | 400 fl. | — kr. |
| Unterhaltung des Lokals und der dazu ge - hörigen Mobilien .......... | 18 „ | 39 „ |
| Betriebsausgaben ............ | 82 „ | 52 „ |
| Ergänzung und Reparatur der Turngeräthe (ein ſchließlich des Auszugs in das neue Lokal und die Einrichtung dortſelbſt) | 294 „ | 6 „ |
| Heizung und Beleuchtung ........ | 36 „ | 30 „ |
| Unterrichtsbehelfe und literariſche Hülfs - mittel (worunter 86 fl. 30 kr. für den Druck des Turnbüchleins) ..... | 98 „ | 35 „ |
| Honorare ................ | 20 „ | 36 „ |
| 951 fl. | 18 kr. |
Demnach ergab ſich ein Reinertrag von 777 fl. 22 kr.
Das diesjährige Prüfungs-Turnen fand am 15. März in dem Saale des Weidenbuſches ſtatt und erhielt durch ein Schauturnen, welches ſich dem pädagogiſchen Theile der Handlung (der dieſesmal durch eine Rede über den mediziniſchen Nutzen der Turnkunſt eingeleitet worden war) anſchloß, einen feſtlichen Anſtrich, der durch die Mitwirkung des Geſangvereins „ Orpheus “und ein ſich anſchließendes gemeinſames Feſtmahl mehrerer Freunde der Turnkunſt und der erwachſenen Turner ſelbſt noch erhöht wurde. Die Koſten dieſer verſuchsweiſen Veran - ſtaltung waren jedoch zu bedeutend, als daß — wie es beabſichtigt war — aus den von Nichtangehörigen der Zöglinge erhobenen Eintrittsgeldern ein Ueberſchuß für milde Zwecke hätte erübrigt werden können. Dagegen war dieſes mit einigem äußeren Gepränge ausgeſtattete Schauturnen von merklich günſtigem Einfluſſe auf die Steigerung der Theilnahme an der Anſtalt, wie die oben39 für 1841 angegebenen Zahlen der Zöglinge im Vergleiche zu früheren Jahrgängen zeigen.
Sehr reich war der Sommer 1841 an Turnfahr - ten, worunter zu Pfingſten eine in den Odenwald und nach Heidelberg, ſpäter eine ſolche als Schnellgang Er - wachſener an einem ſchönen Nachmittage von Frankfurt über Cronberg auf den Feldberg und über Homburg zurück (Abgang aus Frankfurt halb 1 Uhr Nachmittags, Rückkunft daſelbſt 11 Uhr Abends), Erwähnung verdienen.
Am 5. September fand das gewöhnliche Wett-Tur - nen auf dem zu dieſem Behufe feſtlich geſchmückten Turnplatze ſtatt. Durch die größere Zahl der mitwir - kenden jüngeren und älteren Turner, durch die zahlreich anweſenden Eltern und Freunde der Turnkunſt und durch die damit zum erſtenmale verbundene Austheilung von Siegerkränzen erhielt es einen beſonders feſtlichen An - ſtrich. Eine allgemein geſchichtliche eigenthümliche Be - deutung erhielt es als erſtes Wett-Turnen, welches in Hinſicht auf die Theilnahme erwachſener Turner über die Schranken der Oertlichkeit hinausging, indem namentlich aus Hanau viele wackere junge Leute der Einladung zur Theilnahme an dem feſtlichen Wettkampfe gefolgt waren. Das Feſt begann Nachmittags 3 Uhr mit einem Aufzuge der Knabenab - theilung und Geſang; dann kurze Feſtrede und Ausruf der vorjährigen Sieger. Nach einem von 14 Zügen ausgeführten Riegenturnen folgte das Wett-Turnen von 18 Knaben. Die von den drei Kampfrichtern als be - ſonders ausgezeichnet erkannten 6 Knaben wurden feierlich bekränzt. Hiermit war der erſte Theil des Feſtes be - endet und es folgte nun, nach einem Geſang, das Riegen - und dieſem das Wett-Turnen der Erwachſenen. Neun Kämpfer waren angemeldet, worunter vier aus Hanau; drei der beſten wurden mit dem Lorbeer bekränzt. Einem kräftigen Schlußgeſange folgte dann ein, in dem Turn - ſaale veranſtaltetes, einfaches Abendeſſen, an dem auch die Sieger aus der Knabenabtheilung Theil nahmen.
40Fünfter Jahrgang, 1842.
Die bedeutend geſtiegene Zahl der Zöglinge ver - theilte ſich, wie folgt:
| Sommerhalbjahr. | Winterhalbjahr. | |
| Auf das Gymnaſium ...... | 55 | 25 |
| „ die Selectenſchule ..... | 6 | 2 |
| „ „ Muſterſchule ...... | 51 | 20 |
| „ „ Mittelſchule ...... | 36 | 10 |
| „ „ Weißfrauenſchule ... | 30 | 15 |
| „ „ Allerheiligenſchule ... | 4 | 1 |
| „ „ Domſchule ...... | 4 | — |
| „ „ Realſchule ...... | 4 | 2 |
| Privatſchüler ........... | 17 | 5 |
| Erwachfene ........... | 69 | 38 |
| Mädchen ............. | 26 | 6 |
| Freiſchüler aus dem Waiſenhaus | 12 | 12 |
| Geſammtzahl | 314 | 136 |
Die Einnahme der Anſtalt belief ſich, einſchließlich des aus dem Aerar bezogenen Koſtenbeitrages von 600 fl., auf 1813 fl. 57 kr.
Die Ausgaben vertheilten ſich ſummariſch, wie folgt:
| Lokal-Miethe .............. | 400 fl. — kr. |
| Unterhaltung des Lokales und der dazu gehörigen Mobilien ......... | 16 „ 29 „ |
| Betriebsausgaben ............ | 36 „ 16 „ |
| Ergänzung und Reparatur der Turngeräthe | 278 „ 48 „ |
| Heizung und Beleuchtung ........ | 36 „ 13 „ |
| Unterrichtsbehelfe und literariſche Hülfsmittel | 14 „ 15 „ |
| Honorare ................ | 3 „ 58 „ |
| 785 fl. 59 kr. |
Demnach ergab ſich ein Reinertrag von 1027 fl. 58 kr.
Jn dieſem Jahre wurde das Prüfungs-Turnen am 28. März in dem Lokale der Anſtalt, unter Mitwirkung der Geſellſchaft der erwachſenen Turner, welche dasſelbe durch ein öffentliches Riegenturnen und mit Geſang be -41 ſchloſſen, abgehalten. Eine zwar an ſich unbedeutende, doch hartnäckige Fußverletzung des Vorſtehers der An - ſtalt wirkte auf die Veranſtaltung von Turnfahrten ſtö - rend ein, unter welchen nur eine nach Mainz, Wies - baden, Niedernhauſen und auf den Feldberg als bemer - kenswerth erſcheint.
Jn ähnlicher Weiſe, wie 1841, fand am 28. Auguſt abermals ein Wett-Turnen, dieſesmal jedoch nur der Knaben, ſtatt, indem die Abtheilung der erwachſenen Turner an dem am 18. Sept. in Mainz veranſtalteten zweiten allgemeinen Wett-Turnen Theil nahm. Es dürfte hier der Ort ſein, zu erwähnen, daß dieſes Feſt in Mainz ſelbſt die lebhafteſte Theilnahme fand. Die Zahl der jungen Leute und jungen Männer, welche aus Hanau, Darmſtadt und Frankfurt ſich eingefunden hatten, belief ſich über 100. Hier wurden die Sieger, dem altgermaniſchen ſinnigen Gebrauche gemäß, von weiblicher Hand mit den Ehrenzeichen geſchmückt.
Hiermit ſchließt ſich die Geſchichtserzählung aus den Jahren 1838 bis 1842, ſo weit ſie die allgemeine Turnanſtalt betrifft. Sonderanſtalten für Leibesübungen hatten ſich theils aus früherer Zeit erhalten, theils wäh - rend des gedachten Zeitraumes neu gebildet in den Kna - ben-Erziehungs-Anſtalten von Haſſel, Stellwag und Dr. Weil und an dem Waiſenhauſe, wo überall das Turnen als förmlicher und weſentlicher Theil des Unter - richts in die Lehrpläne aufgenommen wurde; dann in der von Dr. Schwarz geleiteten Beaufſichtigungsanſtalt an der Muſterſchule und in dem Garten des Herrn Hadermann, nicht zu gedenken zahlreicher Privatveran - ſtaltungen für Turnübungen. Wenn gleich nur für die phyſiſche Erziehung von Wichtigkeit und auch da in der Wirkung auf den Geſammt-Organismus dem Turnen nachſtehend, hat doch auch das Baden im Maine, ver - bunden mit Schwimmübungen, unter Alt und Jung ſeitdem eine ſonſt nicht gekannte zahlreiche Theilnahme gefunden, ſo daß die beſtehenden Bade - und Schwimm -42 anſtalten kaum dem Bedürfniſſe genügen konnten. Die Reitkunſt, der damit verbundenen Koſten halber auf die Klaſſe der Bemittelten beſchränkt, fand gleichfalls ver - hältnißmäßig vermehrte Theilnahme. Die Fechtkunſt, welche im Mittelalter in unſerem Frankfurt einen ihrer Hauptſitze hatte, dürfte vielleicht wieder in vermehrte Aufnahme kommen, wenn die für ihre Pflege in der Turnanſtalt getroffenen Einrichtungen einmal tiefere Wur - zel geſchlagen haben werden. Das Scheibenſchiéßen fin - det noch immer bei der beſtehenden Schützengeſellſchaft einige Pflege. Endlich iſt, ſo viel es die Umſtände er - lauben, bei dem hieſigen Linien-Militär mit turneriſchen Waffenübungen ein Anfang gemacht, indem daſſelbe im Fechten mit dem Bajonnet Unterricht erhält.
Schlußwort.
Man ſieht aus obigem kurz gefaßten geſchichtlichen Abriß, daß Frankfurt in Hinſicht der Leibesübungen gegen andere deutſche Bundesſtaaten nicht unbedingt zu - rückgeblieben iſt. Bringt man jedoch in Betracht, daß die Bevölkerung unſeres kleinen Staates zumeiſt dem Gewerbs -, Handels - und Gelehrtenſtande angehört, daß ſie auf eine mehr ſitzende, den Leib und Geiſt abſtumpfende Lebensart angewieſen iſt, und zudem noch an dem, größeren Städten leider eigenen, Hang zu erkünſtelten und übermäßigen Genüſſen leidet, ſo dürfte das, was bisher geſchehen, doch kaum in Anſchlag gebracht werden können. Zu der Maſſe der Bevölkerung verglichen, bleibt es immer vorerſt nur ein guter Anfang. Erſt wenn die Turnanſtalt zu einer öffentlichen Bildungsanſtalt erhoben und in unmittelbare Verwaltung des Staa - tes genommen wird, erſt wenn geregelte Leibesübungen in den Lehrplan der ſämmtlichen hieſigen Schul - anſtalten aufgenommen ſein werden, wenn endlich ſolchergeſtalt das Turnweſen in der öffentlichen Meinung ſeinen Halt und Hort findet, und die Feſte, die es der Jugend und den heranwachſenden Bürgern bereitet, zu43 wahren Volksfeſten werden — erſt dann möchte das vollſtändig zu erreichen ſein, was die hohen Behörden unſerer Stadt im Auge hatten, als ſie der neuen An - ſtalt ihren wohlwollenden Schutz angedeihen ließen: die Erziehung einer kernhaften, der Genußſucht und Wolluſt abgeneigten, Ordnung und Sitte liebenden und zu jeder Berufsthätigkeit anſtelligen und willigen Jugend. Unſer Gemeinweſen hat ſich noch immer freigebig gezeigt, wenn es galt, Schul - und Bildungsanſtalten mit den Mitteln zu ſegenreichem Gedeihen auszuſtatten. Es wird auch hier, wo ein ſo hoher, mit dem künftigen Staatswohl ſo innig zuſammenhängender Zweck vor Augen ſchwebt, zu rechter Zeit einzuſchreiten wiſſen.
Daß aber dieſe Zeit wirklich gekommen iſt, davon möge ein königl. preuß. Miniſterialerlaß in Betreff des Turnweſens ſchließlich Zeugniß geben. Er lautet wie folgt: „ Da es bei den größeren Anſprüchen, welche an die geiſtige Ausbildung der Jugend nach dem Entwickelungs - gange und dem jetzigen Standpunkte der Bildung ge - macht werden müſſen, nothwendig iſt, der Erhaltung und Kräftigung der körperlichen Geſundheit der Jugend eine beſondere Sorgfalt zu widmen, um durch eine harmo - niſche Ausbildung der geiſtigen und körperlichen Kräfte dem Vaterlande tüchtige Söhne zu erziehen, ſo haben des Königs Majeſtät mittelſt Allerhöchſter Kabinets - ordre vom 6. Juni 1842 zu beſtimmen geruht, daß die Leibesübungen als ein nothwendiger und unentbehrlicher Beſtandtheil der männlichen Erziehung förmlich anerkannt und in den Kreis der Volkserziehungsmittel aufgenommen werden. Die Gymnaſtik ſoll demgemäß dem Ganzen des Erziehungsweſen angereiht, und es ſollen zunächſt mit den Gymnaſien, den höheren Stadtſchulen und den Schullehrer-Seminarien Anſtalten für gymnaſtiſche Uebun - gen verbunden werden. “
Dank den deutſchen Männern, die in der Nacht, die 1819 über Deutſchland hereinbrach, ausgeharrt haben! Jhnen verdanken wir es, nicht allein, daß wir wiederum von dem verfehmten „ Turnen “ſprechen, ſondern ſogar in eigener Perſon „ turnen “dürfen, ja daß in Preußen und Darmſtadt das Turnweſen für die höhern Schulan - ſtalten verbindlich wird. Damit hängt zuſammen, daß wir wieder vaterländiſch, ſogar deutſchgeſinnt ſein dürfen, ohne in Unterſuchungen zu gerathen, oder doch verdächtigt zu werden. Unſere Erziehung iſt deut - ſcher geworden, unſer Bildungsweſen hat auch das Va - terländiſche mehr und mehr in ſeinen Bereich gezogen. Noch iſt aber Vieles zu thun übrig. Der beſſere Geiſt kann und darf noch nicht überall in Deutſchland hervor - brechen und ſich weiter entfalten. Selbſt die das Beſte des Volkes wollen, hangen und haften noch zu ſehr an alten Vorurtheilen, weil aufgewachſen in einer Zeit, in der die Erziehung ſyſtematiſch die Jugend zu entleiben beſtrebt war, oder ſie werden durch die politiſchen Frage - zeichen, die eine Wiedergeburt und Erneuung von Außen ſtatt von Jnnen heraus bezwecken, ſo in Anſpruch ge - nommen, daß es an Zeit und Kraft, an Muth, Luſt und Geld gebricht, für die Erziehung des Menſchenge - ſchlechtes von Jnnen heraus größere Sorge zu tragen. Um ſo mehr müſſen wir ſtreben und kämpfen und un -45 ſere Stimme erheben, um gehört zu werden vor dem großen Geſchrei des Marktes. Unter dieſe Vorurtheile gehören folgende drei:
1. Hoffen wollen wir, daß die Zeit bald erſcheine, wo man es ſchwer wird begreifen und glaublich finden, daß die, ſo ſich rühmen, die Erbſchaft des Ritterthums allein oder doch vorzugsweiſe übernommen zu haben, die Leibesübungen vernachläſſigt, ja verachtet, das Eiſen nur zum Schein und zur Zierrath an der Seite getragen haben; daß junge Offiziere ihr Ausbleiben, im Sommer Morgens um 6 Uhr, damit entſchuldigen dürfen, „ ſie hätten im Schweiße gelegen, und hätten nicht gewagt, die Federn zu verlaſſen, aus Furcht, den Schnupfen zu bekommen. “ Und wer wird es glauben, daß ſolche Ent - ſchuldigungen von den vorgeſetzten Offizieren als gültig angenommen worden? Jn Königsberg entſchuldigte ſich ein Offizier auf dieſe Weiſe, weil er die Stunde ver - ſchlafen hatte, und es wurde ebenfalls angenommen. Das ſind die Retter, Ritter und Helden des Vaterlan - des, die, wenn es in den Kampf und Streit geht, nach vier Wochen im Dienſt des Vaterlandes (?) Jnvalide geworden!
Wenn es dagegen wahr iſt, daß in einem Feldzuge, der mit einiger Kraft geführt wird, die Hälfte der Mann - ſchaft drauf geht, die bei weitem kleinſte Anzahl aber durch Eiſen und Blei, die andere übergroße Mehrheit dagegen in Folge der Mühſeligkeiten auf dem Marſch und im Lager in den Lazarethen dem Tode verfällt, der Schwäche und der Ausdauerloſigkeit den höchſten und46 letzten Zoll gibt, — ſo können wir wahrlich nicht be - greifen, warum bei unſerm Heere ſo wenig auf die Er - zeugung und Erzielung dieſer Kraft und Ausdauer hin - gearbeitet wird. Dies iſt aber eine andere Kraft, eine andere Ausdauer als die, ſo ſelbſt der ſtärkſte und aus - dauerndſte Rekrute mitbringt. Es iſt nicht die Kraft im Widerſtande, nicht die Ausdauer im Dul - den allein, wie denn der Zuſtand der Dulderſchaft (der Paſſivität) allein — der Menſchenwürde zuwider iſt; es iſt zugleich die Kraft im Angriff und die Ausdauer im Kampf und Streit, — eine Kraft und Ausdauer, die mit dem ſteigenden Druck einen Wettkampf eingeht, und ihn im günſtigen Augenblick überwindet. Jene beſteht in der Gewandtheit (Kraft verbunden mit Gelenkigkeit), dieſe in der Zähigkeit des Körpers, die allen Stürmen trotzen. Der Soldat ſoll alſo nicht allein Hitze und Kälte und Näſſe, Hunger und Durſt ertragen können, ſondern auch alle Mühſelig - keiten der Märſche bei Tag und bei Nacht, kurz alle Unbilden des Himmels und der Erde. Solche eiſenfeſte Körper zeigten die Napoleoniſchen Garden, die in Aegyp - ten, in Spanien und an der Bereſina kämpften. Es iſt alſo eine Kraft der That, eine Ausdauer vorzugsweiſe in der That. Aber dieſe Kraft der That, dieſe Aus - dauer in der That ſetzt nothwendig voraus, die Federkraft des Willens, die Feſtigkeit des Geiſtes, das Einmal - Gewollte und Geſollte auch durchzuführen. Beide be - ruhen auf dem Vermögen, auf dem Bewußtſein, daß der Körper auch alles das vermöge, was nothwendig iſt, um das Ziel zu erreichen. Denn was hülfe dem Reichen ſein Reichthum, ſo er in ſteter Furcht lebt, verhungern zu müſſen? ſo dem Krieger, der trotz ſeines eiſenfeſten Körpers muthlos wird bei dem geringſten Hinderniß? Dieſes körperliche und geiſtige Vermögen finden wir ohne Gleichen in der Nibelungen Not. Völker haben ſie bewieſen: die Hegelingen nach dem Kampfe auf dem Wulpenſande bis zum Sturm auf Ludwig’s Burg, und47 Preußen von der Schlacht bei Jena bis zum Sieg bei Schönbund. Aber dieſe geiſtigen und leiblichen Eigen - ſchaften, und dies Bewußtſein, vermöge deren man in den trübſten Stunden wie Scharnhorſt, Blücher und Jahn, den Himmel offen ſieht, iſt kein Ergebniß des Augenblickes, kommt auch nicht über Nacht. Solche Güter wollen errungen ſein.
Der Gegner muß am beſten wiſſen, ob Hieb oder Stich geſeſſen. Daraus ſchließen wir folgerecht: es gibt kein beſſer Mittel als das Turnen, um dieſe Eigenſchaften zu erlangen. Durch das Turnen wird die juventus, die Jugend verlängert, die productive, bildende Lebenskraft erweitert und verſtärkt, und die Widerſtandsfähigkeit gegen alle Angriffe des Lebens er - höhet. Der Körper verliert die — leider jetzt überall herrſchende — Paſſivität, die Trägheit, Verſteiftheit, wird dagegen ſchnell-kräftig, ausdauernd, energiſch. Durch das Turnen erhält der Geiſt die Kenntniß, daß der Körper ihm in allen Lagen ein treuer und anſtelliger Diener iſt; ferner — was von unberechenbarem Nutzen iſt — er lernt nicht allein die verſchiedenen Schwierig - keiten in ihrer wahren Größe kennen, ſondern auch das Maß der Kraft, die nöthig iſt, um jede einzelne Schwie - rigkeit zu überwinden. Daraus ergibt ſich eine Ruhe und Zuverſicht, die man eben früher nicht wollte, die dem Manne und Krieger ſo nothwendig iſt und ſo ſchön ſteht. Nur ein ſo gebildeter und geſchulter Körper und Soldat hat Appell in allen Lagen des Lebens und Streites.
Das Turnweſen iſt von den Deutſchen aus ſeinem verborgenen Orte hervorgeholt, und am meiſten und gründlichſten behandelt und bearbeitet worden; — und Deutſche waren es, welche die Turnkunſt zu allen Völ - kern vom Ural bis zum Weltmeere trugen. Aber Frank - reich, England, unſere Baltiſchen Vettern (Dänemark und Schweden), und Rußland haben bis jetzt den mei - ſten Nutzen davon gehabt. Selbſt die Hellenen haben48 ihre Gymnaſtik durch die deutſche Turnkunſt erneut und verjüngt. Jene Völker bilden ſeit Jahren ihre Soldaten turneriſch aus, während wir in ganz Deutſchland noch keinen einzigen Truppentheil haben, der turneriſch geübt wird, wie die chasseurs d’Orléans und das Bataillon des 6. Jnfanterie-Corps, ſo in Moskau liegt, was ſeit 1837 rein turneriſch durch den Dr. Mandileni ausge - bildet wird. *)S. die deutſche Turnkunſt, von K. Euler. Danzig, 1840. S. 19. — Ueber das Turnweſen in England vergl. Leibesübungen vom Prof. Vogeli. Zürich, 1843. Einleitung; Ueber das Turnweſen in Frankreich: Leibesübun - gen, 1830, Landshut, und Vögeli’s Leibesübungen in der Einleitung.
Mit dem Regierungsantritt unſeres Königs iſt in dieſer Beziehung eine neue Zeit hereingebrochen. Sofort ward ein Befehl erlaſſen, bei der Einübung der Solda - ten mehr auf „ Leibesübungen “zu ſehen. Und von Jahr zu Jahr ſehen wir den Kreis der Turnübungen bei der Einübung der Soldaten ſich erweitern, Theile der Ge - lenk - und Hantelübungen und das Bajonnettfechten wer - den jetzt getrieben, ja in der hieſigen Artillerie - und Pionier-Caſerne ſind Pferd, Barren und Reck zu belie - bigem Gebrauche errichtet. Und es iſt darüber nur eine Stimme des Beifalls im Volke. Jn den Kriegs - ſchulen iſt nach einem Befehl unſeres Kriegsminiſters von Boyen das Turnen ſchon jetzt auf den Schul - und Stundenplan aufgenommen worden. Ob dieſer Befehl auch für die Brigade - und Diviſionsſchulen gegeben iſt, haben wir nicht gehört. Nur leider! es gibt noch ſo viele Direktoren von Diviſionsſchulen, wie der Oberſt - lieutenant von Madeweis in Königsberg, die für das Turnen wie für das Hiebfechten nicht gut geſtimmt ſind. Hoffen wir, daß die Cadettenſchulen den übrigen Schulen nicht mehr vorgezogen werden.
Wenn wir uns herzlich freuen müſſen, daß in Preußen endlich durch den König ſelbſt der guten Sache ihr Recht geworden, daß auch die Soldaten end - lich auf eine vernünftigere, weil naturgemäßere,49 Weiſe eingeübt werden ſollen, und den trägen Geiſtern, die am liebſten in der Schlafmütze der Zopfzeit und des Schlendrians, Herkommen genannt, die Gegenwart ver - dämmern, um zu keinem Fortſchritt gezwungen zu wer - den, ein Wecker geſetzt worden, — ſo müſſen wir uns doch eben ſo ſehr verwundern, daß die Großherzoglich Heſſen-Darmſtädtiſche Regierung — ſo viel uns bewußt — für die turneriſche Ausbildung des Soldaten bis jetzt gar nichts gethan hat. Sie hat nunmehr die Nothwendigkeit und Verbindlichkeit des Turnweſens für die Schulen anerkannt und ausgeſprochen, aber hierbei ſich wiederum an die deutſche Hoffnung und Geduld gewandt, indem ſie in der Sache noch nichts thun, vielmehr das Turnweſen vorläufig ſeiner eigenen Entwickelung überlaſſen will. Wir hatten uns ſchon der freudigen Hoffnung überlaſſen, daß ſie feſten Fuß faſſen und dann auch in Beziehung des Kriegsweſens einen Fortſchritt thun wolle. Aber das iſt der Fluch, daß in Deutſchland nichts Ganzes ge - ſchehen kann. Vor dem vielen Denken haben wir das Thun, vor der Theorie die Praxis vergeſſen.
Gehen wir nun noch zu den Unteroffizieren und Offizieren über, ſo erſcheint dieſe Nothwendigkeit zu turnen in noch höherm Grade. Sehen wir von den beſondern ſtaatlichen „ Exercier-Reglements “ab, ſo iſt gewiß, wenn auch der Unteroffizier beim Einüben der Soldaten nicht willkürlich verfahren kann und darf, daß doch auf die Art und Weiſe des Einübens ſehr viel ankommt; ferner daß es eine Menge vorbereitende Uebungen gibt, die im „ Exereier-Reglement “nicht ſtehen. Dürfen dieſe auch nicht auf dem „ Exercierplatze “geübt werden, ſo bleibt es einem freundlich geſinnten Unter - offizier und Lieutenant doch unbenommen, den ſteifen Rekruten dieſelben zur freiwilligen Einübung in den Freiſtunden anzugeben und zu empfehlen. Dadurch wird nicht nur dem Soldaten, ſondern auch dem Unteroffizier ſelber die Arbeit bedeutend erleichtert. Aber es gibt noch einen bedeutendern Nutzen. Viele Unteroffiziere wieJahrb. d. Turnkunſt. II. 350Offiziere kennen die Schwierigkeiten, mit denen ſo man - cher Soldat zu kämpfen hat, viel zu wenig, und mancher junge Lieutenant trägt die Naſe viel zu hoch, als daß er Gelegenheit haben könnte, dieſelben kennen zu lernen. Man muthe mir nicht zu, daß ich nur a priori ſpreche. Vor meinem Fenſter werden die Fußſoldaten ausgebildet, ich brauche demnach nur die Augen aufzuſperren, um zu ſehen, was vorgeht. Jch will ein Beiſpiel angeben:
Heute Morgen ſollten die Soldaten „ die Mühle “(Uebung des Schultergelenkes) wechſelarmig und gleich - armig machen. Sie machten dieſe Uebung folgender Maßen: Beide Arme wurden wagerecht nach vorne aus - geſtreckt, mit dem Rücken der Hand nach oben, die flache Hand nach unten gewandt. (Warum dieſe in der ur - ſprünglichen, natürlichen Haltung der Arme nicht befind - liche Haltung genommen wird, iſt mir unbekannt.) Hierauf ließen ſie die Arme fallen, und machten die Mühle rück - wärts, d. h. nach hinten. Jedermann weiß, daß es vermöge unſeres Knochenbaues unmöglich iſt, dieſe Mühle nach hinten zu machen, ohne den Arm in ſeiner Längen - axe zu drehen oder zu rollen, ſo daß, indem zuerſt der Daumen nach Jnnen und der kleine Finger nach Außen gerichtet war, das Verhältniß nunmehr das umgekehrte wird, d. h. man rollt den Arm ſo, daß der Daumen nach Außen und der kleine Finger nach Jnnen gerichtet iſt. Der fragliche Soldat nun wollte dieſe Uebung ohne dieſe Drehung machen, was natürlich nicht ging. Der Unteroffizier citirte ein „ heilig Donnerwetter “nach dem andern; ein bartloſer, zärtlicher Lieutenant im Mantel (!) machte ſich über ihn luſtig: „ der Kerl macht, als ob er ſchwimmen wolle; “ein anderer Unteroffizier wollte ihm helfend beiſpringen, aber was half’s? Es ging nicht! Keiner ſah, woran es lag, und der die Uebungen lei - tende Unteroffizier, offenbar klüger, als der Lieutenant, meinte zuletzt: „ na laſſen Sie ihn, es wird ſchon gehen, wenn er gelenkiger iſt. “ Ferner verlangte man von demſelben Soldaten, er ſolle dieſe Mühle „ ſenkrecht “51machen, was wegen des bewußten anatomiſchen Baues nicht möglich iſt, da die Hand nach hinten in eine andere Ebene überzugehen genöthigt iſt, als in der ſie vorne ſich bewegte.
So macht man ſich und andern die Arbeit unnütz ſchwer. So könnte ich eine Menge Beiſpiele anführen, halte es aber für unnöthig, da es ſich von ſelbſt ver - ſteht, daß man nicht lehren kann, was man nicht ver - ſteht. Würden nun unſere Offiziere und Unteroffiziere turneriſcher ausgebildet ſein, ihr Dienſt wäre
Jch verlange alſo vor Allem, bis das Turnweſen in alle Volksſchulen eingeführt iſt, daß auf den Höfen der Caſernen, in den Exercierhäuſern und wo es ſonſt angeht, einige Turngeräthe für die Soldaten zum fort - währenden beliebigen Gebrauch und dann beſonders unter einer vernünftigen Anleitung, eingerichtet werden, daß vor Allem die Unteroffiziere und Gefreite einen ordentlichen Turnunterricht genießen, wie in Frankreich und England durch Clias geſchehen, und namentlich jetzt beſonders in Frankreich durch Clias von Neuem gründ - lich eingeführt wird, und wie es auch vor 10 Jahren in Rußland gethan worden. Weil aber die alten Unter - offiziere ſchwerlich etwas Ordentliches mehr im Turnen leiſten werden, ſo ſoll künftig keiner mehr Unteroffizier werden, der nicht im Turnen durch das „ Exercier-Regle - ment “vorgeſchriebenen beſtimmten Anforderungen Genüge52 leiſten kann. Dies wird ſehr leicht gehen, wenn wir beachten, daß in den Militair-Waiſenhäuſern zu Potsdam und Annaburg ſehr fleißig geturnt wird, daß wir ſchon jetzt tüchtige Unteroffizirre haben, die in jenen Anſtalten ihre gute turneriſche Vorbildung empfangen haben, wie ich ſelbſt drei ſolche in Dauzig unter meinen Turnern zählte. Vor Allem aber verlangen wir, daß die Offiziere in allen körperlichen Uebungen Meiſter, hieb - und ſtich - feſt zugleich ſind.
2. Es erſcheint zum wenigſten überflüſſig, die Nothwendigkeit der körperlichen Ausbildung der Elemen - tarſchüler in Stadt und Land zu erweiſen, nachdem ein - mal von unſerm Könige die Leibesübungen als nothwen - diger Beſtandtheil der männlichen Erziehung anerkannt worden. Aber es gibt der Leute zu Viele, die aus körperlicher und geiſtiger Trägheit die Wahrheit verkehren zur Lüge, daß es hier wie überall Noth thut, ihnen und den oberflächlichen Schreiern des Tages entgegen zu treten. Es hat Zeiten gegeben, in denen man nur die Vorneh - men berechtigt hielt, die rudis indigestaque moles ab - zuſtreifen, geiſtig und körperlich ſich zu bilden. Sie ſind zum Heil der Völker wie der Einzelnen vorüber. Jeder, der Anſpruch auf den Titel „ Menſch zu ſein “hat und macht, darf nicht nur ſondern ſoll und muß ſich geiſtig und körperlich ausbilden. Mit dem Wiederaufleben der Wiſſenſchaften und dem Ueberhandnehmen der Söldner - heere (soldati, soldurii), ſo wie der ſchwarzen Kunſt (des Pulvers) meinten nun jene, die ſonſt im alleinigen Beſitz der körperlichen Ausbildung waren („ adliche Exer - citien “), ihrer entrathen zu können als unnöthig und über - flüſſig. War das Mittelalter hindurch die Geiſtlichkeit gegen die ritterlichen Uebungen, trotz dem, daß Biſchöfe, geiſtliche Kurfürſten und Päpſte den Harniſch trugen und in die Schlacht zogen, ſo iſt darin durch das Aufleben der wiſſenſchaftlichen Studien und durch die Reformation nichts geändert worden, und da die Ritter ſelbſt den Harniſch ablegten, und die ritterlichen Uebungen vernach -53 läſſigten, bis man letztere gar nicht mehr kannte, ſo be - gann die Zeit, wo man durch die franzöſiſche Erziehungs - weiſe in Perücken, Zöpfen und Puder den Leib ſyſtema - tiſch zu tödten, den Menſchen nach allen Regeln der Kunſt zu entleiben beſtrebt war. Auch hier brach zum 2ten Male den entnervten Völkern durch Deutſchland die Wiedergeburtsſtunde an. Zuerſt ward durch Guts - muths und Vieth die „ Gymnaſtik “neubelebt. Da ſie aber ohne volksthümliches Gepräge auftrat, ſo hat ſie in Deutſchland wenig Eingang gefunden, um ſo mehr aber bei den Ausländern, beſonders in Dänemark. Clias ſuchte ſeit 1816 die Gutsmuths’ſche Gymnaſtik eigen - thümlicher zu geſtalten, und führte ſie in Frankreich und England ein, doch ohne ihr ein Volksgepräge aufdrücken zu können. Aber beide Völker benutzen ſeine Anwei - ſungen zu kriegeriſchen Zwecken, in England, um die Matroſen, in Frankreich — wo Clias neuerdings thätig iſt — um die Truppen für den Dienſt in Algier vor - zubereiten. Da trat Jahn 1810 auf mit ſeinem „ deut - ſchen Volksthum, “errichtete 1811 den erſten „ Turnplatz. “ So lange die Wörter „ Volksthum und Turnkunſt “ge - ſprochen werden, wird Jahn, der ſie geprägt, genannt werden müſſen.
Dem Vaterlands - und dem Menſchenfreunde ging mit dieſen Wörtern ein Himmel auf. Die Vaterlands - liebe und die Menſchenliebe klammerten ſich an beide feſt. Das „ Volksthum “lehrt jede Volksthümlichkeit in ihren Grenzen achten, fordert aber auch dieſelbe Achtung für ſich und fördert ſie zugleich; die Turnkunſt lehrt da - gegen jede Bewegung einem Geſetz unterwerfen, damit Maß hineinkomme, fordert und fördert die Bewegung mit und in Maß und Ziel, damit „ eine geſunde Seele in einem geſunden Leibe wohnen könne, “ohne welche Bedingung kein Volksthum möglich iſt. Wie aber der Begriff „ Volk “nicht einem Stande allein zukommt, ſon - dern allen im Lande, ſo hat alſo auch jeder Anſpruch an der Volksthümlichkeit, ſoll zu volksthümlicher Haltung54 und Geſinnung herangebildet werden, und iſt berufen und verpflichtet, ſie in Noth und Tod zu vertheidigen. Welcher Grundſatz bis jetzt leider nur von Preußen, wo Jahn lehrte, lebte und litt, anerkannt iſt, da jeder hier Wehrmann ſein muß. Und ſo iſt damit die leib - liche und geiſtige Ausbildung einem Jedem im Volke gegeben. Jeder iſt berechtigt und verpflichtet hierzu: „ denn es ſollen ja unſere Jungen Land und Leute ver - theidigen und Kriegsleute ſein; dieſelben ſind als Pfeile, die da treffen; der Herr ſchießt ſie ab und gibt ſie! Luther.
So hat uns Jahn in der Turnkunſt etwas mehr als Gymnaſtik, als Leibesübung gebracht, er hat eine Jdee damit verbunden, ihr das Volksgepräge aufgedrückt, eine Wegzehrung mitgegeben, die ihr das Leben und die Urkraft erhielt in der Zeit einer einundzwanzigjährigen leiblichen wie geiſtigen Fehme. Dieſe Fehmrichterei war das letzte Aufflackern einer feigen Zeit, wo man den Menſchen zum Geſpenſt, zum Schemen entkleiden wollte. Aber jene Jdee, der Turnkunſt unverſiegbarer Hort, ſchlug, gerade durch dieſe Stürme genährt, ſo tiefe Wur - zeln, daß jetzt von allen Seiten, ſelbſt von den Thronen, die Forderung ergeht, „ zu turnen. “ Und es ſcheint hier wiederum Preußen, das Vaterland der Turnkunſt und des Altmeiſters der Turnkunſt, den Preis zu erringen. Wie es zuerſt durch ſeinen König die Nothwendigkeit erkannt hat, daß jeder Preuße auch Wehrmann ſei, ſo hat auch am 6. Juni 1842 der König die Leibesübun - gen als nothwendigen Beſtandtheil der männlichen Bildung anerkannt. Es iſt daher bis jetzt befohlen worden, daß in allen Gymnaſien, höhern Bürgerſchulen und Schul - lehrer-Seminarien, und dann in allen Kriegsſchulen ge - turnt werden ſolle. Jn den Seminarien werden die Lehrer des Volks, die Elementarlehrer gebildet. So iſt alſo hiermit ſchon die Einleitung gemacht und gegeben, daß das Turnweſen auch in die Elementarſchulen in Stadt und Land eingeführt werde. Jſt in Preußen auch55 noch nicht befohlen, daß in dieſe Schulen die Turn - übungen einzuführen, wie ſolches ſchon ſeit einem Men - ſchenalter in Dänemark geſchehen, ſo wird doch ſchon das Leben ſelbſt hier vielfältig vorarbeiten und das Weitere fordern und zugleich fördern. An den Schulen, die mit den Seminarien verbunden, und an den Waiſen - häuſern wird jetzt ſchon vielfältig geturnt. Wird erſt einmal an den höhern Schulen geturnt, leider iſt die Ausführung des Königlichen Befehles bis auf Weiteres vertagt, ſo werden bald einzelne Dorfſchaften durch ver - nünftige Prediger und Schullehrer Turnanſtalten erhalten, wie es ſchon 1817 welche gab. Daß es aber von unendlichem Nutzen für das Leben iſt, wenn das Turnen in dem Maße eingeführt und getrieben wird, kann nur von Blödſichtigen und Schwachſinnigen in Abrede geſtellt werden. Jeder Handwerker klagt über die Unbeholfen - heit ſeiner Lehrjungen, alle Hausherren über die Unan - ſtelligkeit der Dienſtboten und Taglöhner, darum es denn auch in England ſeit 1826 Turnanſtalten geben zur Ausbildung der Dienſtboten. Wenn man aber ſo kurz - ſichtig iſt zu meinen, die Landjungen turnten ſchon genug, ſo mährtet man wie jener Bauer: wo Rauch — iſt Feuer. Jhn heilte Eulenſpiegel von ſeinem Wahnglauben, indem er ihn mit der Naſe in einen dampfenden Miſt - haufen ſtieß. Man ſehe doch nur unſere Rekruten an. Sie können nicht ſtehen, nicht gehen. Von dem Finden des Gleichgewichts iſt gar keine Rede, und die Haltung, daß ſich ein Unteroffizier erbarme! Und gerade dieſe Haltung iſt der Grund jeder kriegeriſchen Ausbildung. Unſere Rekruten ſind ſo ſteif, wie der Pflugſtier, die Füße meiſt einwärts gekehrt, die Kniee krumm, eine noth - wendige Folge der einwärts ſtehenden Füße, der Rücken rund, die Schultern nach vorn gezogen, die Bruſt daher flach und der Kopf vorwärts hängend. Jhre ganze Kraft iſt eine paſſive, nur auf den Widerſtand berechnet und unbrauchbar zum Angriff. So ſind wir Deutſche das56 Gegentheil von dem geworden, was wir vor 2000 Jahren geweſen. *)Truces et caerulei oculi, rutilae comae, magna corpora, et tan - tum ad impetum valida u. ſ. w. Tacit. German. IV.
Wie nun Jeder berufen und verpflichtet iſt, Wehr - mann zu ſein, wie Luther ſchon ſo treffend ſpricht: „ Alte Leute ſind nicht geſchickt zum Kriege; ſondern wo Arbeit iſt, dieſelbige ſollen junge Leute auf ſich nehmen. Sie gerathen auch in dem Krieg und Streit wohl, wenn Gott ſeinen Segen gibt; denn derſelbige will alſo, daß die Jüngern Land und Leute beſchützen und vertheidigen ſollen, “ſonach muß auch jeder mit den Vorbedingungen zum Wehrmannsdienſt ausgerüſtet erſcheinen. Und dies um ſo mehr, als bei uns in Preußen der Dienſt 1 bis 2½ Jahre dauert, wovon leider der Haupttheil beinahe ver - braucht und vernutzt wird, um jenen Leuten dieſe Vor - bedingungen erſt beizubringen, ja noch in aller Eile dieſem und jenem einzutrichtern, mit denen ſie doch ſchon bei ihrem Eintritt verſehen ſein ſollten. Es iſt und erſcheint auffallend, daß, wer irgend eine Laufbahn beginnt, mit gewiſſen vorgeſchriebenen Bedingungen verſehen und ge - rüſtet, dieſelbe betreten muß, — dieſe Bedingungen gerade bei dem Wehrmannsſtande und Dienſte nicht gefordert werden. Und doch hängt in Zeiten der Fahr und Noth — des Vaterlandes Ehre und Schmach davon ab. Kommen die Rekruten ſo vorgeübt, dann ſind unſere Unteroffiziere wie im Himmel. Nicht als ob ſie nun nichts mehr zu thun hätten, ſondern weil es nichts, Geiſt und Körper Ertödtenderes geben kann, als dies ewige Einerlei in der Einübung unſerer Rekruten. Daher denn auch die Unter - offiziere, welche vorzugsweiſe mit dem erſten Dienſt der Rekruten beſchäftigt ſind, am früheſten bruſtkrank und abgeſtumpft werden. Wenn unſere Unteroffiziere einmal einen etwas geiſtigern Unterricht zu ertheilen haben, ver - bunden mit mehr Abwechſelung, dann werden ſie ſelbſt friſcher werden und bleiben, ſo wie ihre eigene Behand - lung des Unterrichts und der Rekruten.
57Wie nothwendig aber für unſere Jugend körperliche Uebungen ſind, geht aus folgenden zwei Urſachen vor - zugsweiſe hervor: Jn Preußen ſind nur 22 Procent zum Kriegsdienſt tauglich, 78 Procent untauglich. Es ſind Fälle vorgekommen, daß Städte ihr Contingent nicht ſtellen konnten. Jn Sachſen waren von 14,000 Ein - berufenen 11,000 untauglich. Die zweite und zwar die Haupturſache ſind die auf eine unglaubliche Weiſe im Volke verbreiteten Skrofeln. Und gerade dieſe Skrofeln ſind mit die Haupturſache, daß ſo viele untauglich er - funden werden für den Dienſt des Vaterlandes. Aus - gemacht iſt es aber, daß, wie dieſe Krankheit die mo - dernſte, vielverbreitetſte und vielgeſtaltigſte iſt, es kein wirkſamer Mittel gegen ſie gibt, als gerade das Turnen in friſcher und freier Luft.
„ Derohalben müſſen unſere Knaben ernſt und ſtreng auferzogen werden, nicht tändelnd noch ſpielend, wie etliche thun. Sie ſollen frühzeitig lernen entbehren, die Arbeit lieben, Beſchwerden ertragen und keine Anſtren - gung ſcheuen; denn ſie müſſen hinaus in das Leben und hinfort in den Krieg ziehen; da iſt aber eitel Arbeit und viel Drangſal zu erdulden, die Tugenden, mit welchen wir unſre Knaben ausrüſten ſollen, ſind vornehmlich: Gottesfurcht, Arbeitſamkeit, Vaterlandsliebe, Mäßigung, Muth und Demuth. Mit ſolchen Waffen ſind ſie zu jeglichem Kampfe wohl gerüſtet, denn ſie haben eine geſunde Seele in einem geſunden Körper. “ Luther.
3. Bei unſern Altvordern brachte die Braut dem Manne als Mitgift: Schwert, Speer und Schild, jetzt dagegen Pantoffeln, Schlafrock und Schlafmütze. *)Dotem non uxor marito, sed uxori maritus offert. Intersunt parenles et propinqui; ac munera probant: Munera non ad delicias muliebres quasita, uce quibus nora nupta comatur; sed boveset frenatum equum, el scutum cum framea gladioque. In hacc munera uxor accipitur. Atque invicem ipsa armorum aliquid narito affert. Tacit. Germania XVIII. Die Burgfräulein trugen wie die Ritter Harniſche von Stahl58 und Eiſen, unſere Ritter und Fräulein von Watte und Fiſchbein, um die Fülle des Mangels und die mangelnde Fülle zu verbergen und den Rumpf aufrecht zu erhalten, da die Schwäche ſich ſelbſt nicht mehr zu tragen ver - mag. Es gemahnt Einen ſeltſam, wenn man unſere Ritter und Fräulein aus und nach dem Modeblatt ge - ſchnitten die Säle durchwandern ſieht, in denen die Har - niſche der Vorzeit aufbewahrt ſind. Und woher jene Kraft und unſere Schwäche? Die Helleninnen turnten, ſo wie die Töchter unſerer Urväter, aber jetzt?!
Tacitus rühmt die Deutſchen, unſere Vorfahren, daß die Mütter ihre Kinder ſelbſt nähren (sua quemque mater uberibus alit, nec ancillis ac nutricibus delegan - tur). Die Mütter der Vornehmen nicht allein, ſondern ſelbſt des Mittelſtandes ſind jetzt theils zu vornehm für dieſes natürlichſte, ehrendſte und beglückendſte Geſchäft, theils nicht mehr vermögend dazu. Und man muß Metzen dingen, um die eigenen Kinder zu ſtillen, damit die „ Mutter der Kinder “in Geſellſchaft gehen, ange - nehme Ruhe pflegen kann, oder gar, damit ſie nicht in Gefahr gerathe, unter dieſem Geſchäft zu erliegen. So daß es ſchon dahin gekommen, daß in manchen Gegenden ⅒ der unehelichen Kinder auf Speculation in die Welt kommen, damit die faule Mutter einen bequemen Dienſt erhalte. Ja es iſt erſchienen, daß der Segen Gottes: ſeid fruchtbar und mehret euch! nicht mehr in Erfüllung gehen kann. Der Boden iſt unfruchtbar geworden, und nur zu oft hat ſchon eine ſchwache Erndte die Trag - kraft der Erde vernichtet. Und wie ſchwach und kraftlos die Erndte oft iſt, ſehen wir nur zu häufig. Was für Mittel wendet man aber an, um den unfruchtbaren, nicht tragungsfähigen Boden fruchtbar zu machen? Gerade die entgegengeſetzteſten. Man kennt ja die Urſache nicht, oder will ſie nicht kennen. Jſt es nicht furchtbar, in welchem Maße die Skrofeln und Nervenkrankheiten, die Schiefheit und Bleichſucht verbreitet ſind? Was kann die Entartung des Menſchengeſchlechtes mehr bezeichnen,59 als daß die Bleichſucht verbunden mit der Chloroſis ſchon im 9., 10. Jahre vorkommt, ja eine ſehr moderne Krank - heit geworden iſt? und vor Allem, daß unſere Frauen die Scheu vor dem Fall, der Schmach und der Schande des eigenen Geſchlechtes gar nicht mehr zu kennen ſcheinen, wie könnten ſie es ſonſt über ſich gewinnen, feilen oder doch leichtſinnigen Dirnen ihre eigenen Kinder ohne Noth zu übergeben, mit ihnen die ſüßen Mutterpflichten und Mutterfreuden zu theilen! Wenn die Frauen nicht mehr die Sitte ſchirmen und ſchützen, wer ſoll denn ihr Vogt und Anwalt ſein?
Wie die Erziehung der Knaben eine verderbliche war und noch größten Theiles iſt, ſo war und iſt die der Mädchen noch verderblicher. Ja wir müſſen mit Dieſterweg bekennen, eine Erziehung und Bildung der Mädchen gibt es gar nicht. Man iſt naiv genug, dies durch den Namen „ Töchterſchule “unumwunden einzu - geſtehen. Fragen wir doch einmal: wie und wodurch werden die Mädchen für ihren künftigen Beruf vorbe - reitet? Etwa durch das Erlernen des Engliſchen, Fran - zöſiſchen und Jtalieniſchen, der Geſchichte von Griechen - land und Rom, der Botanik oder Würzkunde der Blumen, Algen und Mooſe, aber nicht der Gemüſe und des Ge - treides, und was ſonſt zu des Leibes Nahrung und Noth - durft dient? Jm Franzöſiſchen einen Schnitzer machen, hält man für eine Schande, deutſch zu ſprechen, ver - nünftig denken, Vaterlandsliebe in die zarten Gemüther zu impfen, ſagt doch ihr Weiſen des Unterrichts, welchen Unterricht gibt es dafür?! Wo und wodurch geſchieht die Erziehung und Vorbildung und Vorbereitung für Haus, Familie und Vaterland? Die beiden erſten Be - dingungen, Haus und Familie, kennt man in unſerer Mädchenerziehung kaum dem Namen nach. An die Stelle von „ Vaterland “iſt Weltbürgerlichkeit, Welt - bürgerthum getreten. Fragen wir überhaupt: wie viele Lehrer und vor Allem, wie viele Lehrer und Lehrerinnen an den Mädchenſchulen wurzeln im Vaterlande? Was60 ſie aber ſelbſt nicht beſitzen, wie ſollten ſie das andern mittheilen können? Fragen wir ferner, in welcher Mädchenſchule werden vaterländiſche Feſte gefeiert?
Die „ Dame “kündigt ſchon durch dieſen Namen an, daß ihr Geſicht nach Frankreich gerichtet iſt, daß ſie im Vaterlande nicht zu Hauſe, in der Heimath nicht heimiſch ſein will, daß deutſcher Sinn, deutſche Treue ihr nicht gefällt, die Franzoſen ihr vor Allem gefallen. Die Römer erzählen, daß ſie oft, wenn ſie die deutſchen Männer in die Flucht geſchlagen, noch mit den deutſchen Frauen einen harten Kampf zu kämpfen gehabt, ja daß die ſchon wankende Schlacht durch dieſelben wieder her - geſtellt worden ſei. *)Memoriae proditur, quasdam acies inelinatas iam et labantes a feminis restitutas, constantia precum obiectu pectorum etc. Tacit. Germ. VIII. — Florus I. III. 3. de uxoribus Cimbrorum: nec minor cum uxoribus eorum pugna, quam ipsis fuit: quum obiectis undique plaustris, atque carpentis, altae desuper quasi et turribus lanceis pugnarent etc. Die Franzoſen wiſſen zu erzählen, daß ſie nach dem Siege von den deutſchen „ Damen “mit freundlicher franzöſiſcher Rede aufgenommen worden. Die deutſche Geſchichte erzählt: „ daß die Sachſen und Thüringer von den Slaven in die Flucht geſchlagen, bei ihrer Heimkehr von ihren Weibern wegen ihrer Feig - heit mit Prügeln empfangen und mit Knütteln von den Pferden geworfen wären. “ Dies geſchah vor 1000 Jahren. Nach der Schlacht bei Jena, der Uebergabe von Magdeburg, Küſtrin u. ſ. w. geſchah ſo etwas nicht! Ja es mährtete eine Ratzeburger „ Dame “nach dem Freiheitskriege, was es denn für ein Unglück geweſen, wenn man Schiller und Göthe nur mehr franzöſiſch geleſen?
So ſind wir am Ende unſerer Betrachtung ange - kommen, und haben für nothwendig gefunden, in politi - ſcher, ſittlicher und arzeneilicher Beziehung: daß unſere Soldaten tüchtig turnen und die Offiziere ihr Vorbild ſein müſſen; daß die Turnübungen in alle Elementar -61 ſchulen eingeführt werden müſſen; und zuletzt, daß auch das weibliche Geſchlecht turneriſch ausgebildet werden müſſe, ſoll es anders nur einigermaßen ſeine natürlichſte, die ihm von der Natur vorgeſchriebene Beſtimmung erfüllen. Demnächſt hat ſich uns noch ergeben die Nothwendigkeit einer weſentlichen Umgeſtaltung unſeres Erziehungsweſens.
Wie ſonſt der Kriegseid lautete: „ treu zu dienen zu Lande und zu Waſſer, “ſo muß auch ein echter und rechter Turner ſchwören: „ treu zu turnen zu Lande und zu Waſſer. “ Es wäre zu wünſchen, daß bei jedem Turnplatz auch ein Schwimmplatz wäre, und zwar aus zwei Gründen. Erſtens wird beim Turnen wie in den alten Paläſtren und Rennbahnen der sudor et pulvis Olympicus erregt, und da der römiſche Dichter ſagt, daß Gott den Trocknen alles Harte beſcheere (siccis omnia dura deus proposuit), ſo iſt es für Reinheit und Geſundheit zuträglich, nach gehöriger Beruhigung der Lungen ſich in die Wogen zu werfen. Denn der mit dem Schweiße angetrocknete Staub verſtopft die Poren und hemmt die freie Ausdünſtung.
Zweitens bringt jede Muskelanſtrengung in warmer und ſtaubiger Luft Ermüdung hervor. Nun gibt es keine kräftigere Erquickung als das Bad und zumal wenn man63 dabei ſchwimmt, wobei die elaſtiſche Welle die Muskeln wieder ſtärkt und kräftigt.
Jn Berlin ſind jetzt in der Nähe des Turnplatzes zwei Schwimmanſtalten, die der Herren Lutze und Tichy. Der deutſche Schwimmmeiſter Exc. General von Pfuel ſagte mir einmal auf der hieſigen Schwimmanſtalt am Oberbaume, daß er die reinſten Freuden dem Waſſer verdanke. Auch ich kann dies ſagen. Hat mich eine Sorge oder ein Verdruß mißgeſtimmt, die gaukelnde Welle hat beide bald wieder hinweggeſpült und jede Aufregung beſchwichtigt und abgekühlt. Hiezu kommt noch beim Schwimmen der erhebende Gedanke, manchen Ver - unglückenden dem nahen Tode zu entreißen und zur „ ſchönen freundlichen Gewohnheit des Daſeins und Wir - kens “zurückzuführen. Auch haben die Helden der Vor - zeit das Schwimmen verſtanden und geübt. Der viel - gewandte Odyſſeus war auch ein rüſtiger Schwimmer und entkam dadurch dem Schiffbruche zur Jnſel der Fäaken. Leander ſchwamm, wie in neuer Zeit Lord Byron, über den Hellespont, und Karl der Große bei ſeiner Burg Jngelheim über den Rhein. Alle Natur - völker ſind ſeit ihrer Kindheit mit den Wellen vertraut und ſcheinen das Schwimmen mit dem Gehen zugleich zu erlernen. Bei ihnen iſt Turnen zu Waſſer und zu Lande ein Naturtrieb, und nur in unſerm gebildeten oft überbildeten geſelligen Zuſtande muß es mit Anſtrengung erworben werden.
Für den preußiſchen Staat ſcheint mir die Uebung der Leibeskräfte vorzüglich ein dringendes Bedürfniß. Man ſehe ſeine Lage auf der Landkarte: ein ſchmaler in zwei Maſſen getheilte Streifen, eine Wespengeſtalt beim Herzen durchgeriſſen. Wird er von übelwollenden Nachbaren angegriffen, wie es im ſiebenjährigen Kriege der Fall war, ſo haben ſie bald das Land überſchwemmt. Drum hat Preußen in neuer Zeit ſo trefflich für ſein Heerweſen geſorgt, das als Muſter nicht blos für Deutſchland, ſondern als Muſter für ganz Europa da -64 ſteht. Dies Heerweſen zu unterſtützen, iſt ein rüſtiger Körper und frühe Kräftigung des Leibes nöthig. Dies wird durch Turnen zu Lande und zu Waſſer gefördert.
Für große Städte wie Berlin, wo man vom Ober - bis zum Unterbaum eine Stunde gehen muß, wäre eine Verein-Turn-Schwimmanſtalt in der Mitte der Stadt zu wünſchen. Dazu paßt nur eine einzige Stelle, wo die Spree ein großes Becken bildet, nämlich bei der ſogenannten Jnſel. Wird noch ein Muſterge - fängniß nach penſilvaniſchem Syſteme gebaut, ſo gäbe die Stadtvogtei einen ſchönen Turnplatz. Es ſind jetzt ſchon Bade - und Schwimmhäuſer an der Waiſenbrücke, und zwiſchen dem Mühlendamm und der Kurfürſtenbrücke war früher ein Badefloß, ſowie noch unterhalb der letztern ein Badeſchiff.
Jch laſſe hier einige meiner Schwimmlieder folgen, welche unſer glücklicher Händelſohn (Felix Mendelſohn) in Töne gebracht hat.
A. Zeune.
Obwohl es beinahe Eulen nach Athen tragen heißt, Erfahrungen über die heilſamen Wirkungen der Turn - übungen an Jung und Alt mitzutheilen, da von Herodi - kos und Hypokrates an bis auf Hufeland und Koch ſchon ſo unendlich Vieles darüber geſagt und geſchrieben worden iſt. Aber jedes Geſchlecht will den Weg der Erfahrung ſelbſt gehen; und dann — unſer Geſchlecht hat ein gar kurzes Gedächtniß. Was geſagt und geſun - gen, iſt heute vergeſſen, und man hat das leidige Ge - ſchäft, das geſtern Geſagte ſchon heute zu wiederholen. Die Männer von Gedächtniß ſind Männer der Wiſſen - ſchaft, doch nicht Männer der That, und die Männer der That und Erfahrung ſind ſo ſelten! Darum läßt es ſich ſo leicht erklären, daß die claſſiſche Sprachgelehrſam - keit unſerer Turnkunſt in Nichts zu Gute gekommen, vielmehr kam mit von dort her das Geſchrei: „ Eine68 neue Narrheit, die alte Deutſchheit wieder aufbringen wollen. “ Wohl pries man auf dem Lehrſtuhl die großen Antiken, hielt aber dafür, nur dieſe ſeien würdig und werth der Turnkunſt und der Freiheit der That. Und ſind auch die Zeiten der Zöpfe vorüber, wo die Wiſſen - ſchaft und die Schule ſich krampfhaft an das helleniſche und lateiniſche Alterthum feſtklammerte, um vom Leben und von der Gegenwart nicht berührt zu werden, ſo iſt aber doch noch nicht Alles neu geworden. Der Turnkunſt ſtehen in dem entarteten Volksleben noch ſo mächtige Hinderniſſe entgegen, daß es ſchwer hält, letz - tere aus dem Wege zu räumen. Dieſe Hinderniſſe ſind hauptſächlich: Verachtung des Leiblichen und Ueberſchätzung des Geiſtigen, Bequemlichkeitsliebe und Vergnügungsſucht. Gegen ſie wollen wir nicht zu Felde ziehen: das hieße ſolchen Leutlein zu viel Ehre erweiſen. Wir wenden uns vorerſt gegen die alten Jungfern unter beiden Ge - ſchlechtern.
1. Jm Jahre 1836 war in einer größern Ge - ſellſchaft in Berlin auch die Rede auf das Turnen der Mädchen gekommen. Eine großgewachſene alte Jungfer v. Sch. meinte: ſie würde lieber ſterben als turnen, „ man bekäme ja große Hände davon. “
Hiergegen wäre nnn mancherlei einzuwenden geweſen, was man am wenigſten 40 — 50jährigen Jungfrauen geſagt, z. B. daß ſie in dieſe Gefahr niemals kommen könnten, da ſie ſchon ganz ſtattliche Hände hätten u. ſ. w. Jndeß ſoll mir dies jetzt wie damals Gelegenheit geben zu unterſuchen, ob die Turnkunſt ſtarke, d. h. große Hände bewirke. Wir wollen dieſe Frage um ſo mehr beantworten, als ſie auch noch neuerdings in einem Ber - liner Blatte aufgeworfen worden.
Frage ich zuerſt die Erfahrung, ſo muß ich dies durchaus verneinen. Und doch iſt meine Erfahrung ſo ſehr klein nicht, da ſie einige tauſend Schüler zählt, und in Königsberg 153 Mädchen vom 5. — 20. Jahre. Und vor Allem müßten denn doch die Turnlehrer ſelbſt69 ganz gewaltige Hände haben, was ich bis jetzt nicht ge - funden. Sollte Jemand dies bezweifeln, ſo will ich demſelben auf ſeine Koſten ein Halbdutzend Gypsab - drücke von Turnlehrerhänden zur Ueberzeugung zukom - men laſſen. —
Was nun die Hände betrifft, gilt auch in Beziehung auf die Füße, derentwegen ich dasſelbe Auerbieten mache.
Blicken wir aber auch auf das Leben um uns her. Mir iſt ſo manches Mädchen in Stadt und Land ent - gegen getreten, mit ſchönern Händen und Füßen, als wir ſie oft in jenen Kreiſen finden, wo beide Theile mit großer Beſorgniß und ſo oft vergebens erzielt werden. Und doch lebten jene Mädchen von ihrer Hände Arbeit, die oft ſehr kraftanſtrengend war. Fragen wir aber auch die Geſchichte. Die Antiken belehren uns auch hier eines Andern. Sind nicht die meiſten Antiken wirkliche Ab - bildungen? Und doch turnten in Hellas beide Theile. Wir müſſen nun freilich geſtehen, daß durch körperliche Uebungen die Muskeln auch der Hände etwas zunehmen, aber denn doch nicht in dem Maß und Grad, als die Muskeln der Arme, der Schenkel und des Rumpfes, ſodaß durch dieſe körperlichen Uebungen die Hände und Füße im vollkommenſten Verhältniß zur Fülle des gan - zen übrigen Körpers ſtehen, ja zuweilen noch kleiner er - ſcheinen, als vorher. Die Belege hierzu liefert jeder vernünftig gehaltene Turnplatz. Und dann hängt die Größe der Hand zum größten Theil von der Größe der Knochen ab. Daß aber die Turnkunſt auf die Größe der Knochen wirke, dagegen ſprechen meine Erfahrung, ſo wie meine — wenn auch geringen mediziniſchen Kenntniſſe. Auf die Feſtigkeit und Härte der Knochen, aber nicht auf den Umfang derſelben wirkt die Bewegung. Dies beweiſt auch hinlänglich das Leben. Der poſitive und negative Beweis läßt ſich ſchlagend führen. Jn Be - ziehung auf den letztern bemerke ich nur, daß alle die, ſo nichts thun als allenfalls ſticken u. dgl., die kleinſten Hände haben müßten, was geradezu falſch iſt. Aber70 das iſt wahr, manche Hand ſieht ſehr groß aus, weil die Arme muskellos, Haut und Knochen ſind. Eine ab - ſolute Kleinheit der Hände und Füße gibt es nicht; ſie wird beſtimmt durch die übrigen Verhältniſſe des Körpers, ſonſt wären die verkrüppelten chineſiſchen Füße die ſchönſten. So viel iſt und bleibt feſt, wer von der Natur mit keinem großen Knochenbau beglückt iſt, erhält ihn durch das Turnweſen gewiß nicht.
2. Andere meinen nun, und das iſt ihr letzter Nothanker: „ das Turnen ſei gegen den weiblichen Charak - ter. “ So hat vor einiger Zeit ein wohlweiſer Verein von Stud. medic. in Bonn, wie berichtet wird, richtig herausgebracht. Nun ja, es gibt auch unter den Stu - denten alte Jungfern, jetzt mehr als vor zwanzig Jahren, die das Hübſchen und Süßthun für weiblicher halten. Solche Schemen haben ſelber niemals geturnt, und gibt es deren einige, die einige Bruchſtücke gemacht, ſo ſind ſie ſo „ klug und weiſe, “zu meinen, das Turnen der Mädchen ſei daſſelbe, wie das der Knaben; und ſetzt man ihnen auseinander, daß ſchon die Kleidung und die geringe Kraft der Turnerinnen, ſo wie ihr Geſundheits - zuſtand dies unmöglich mache, und daß die Beſtimmung des Geſchlechtes etwas ganz anderes bedinge, kurz, daß ſich nach dem Zweck das Mittel richte, ſo dämeln ſie, das ſei nun gleich, es ſei doch ein „ Turnen. “ Wir wollen auch hier auf den Höhepunkt der Dämlichkeit und Dummheit folgen. Wir wollen nicht geſchichtlich nach - weiſen, daß die Helleninnen, die altdeutſchen Jungfrauen, die Ritterfräulein, die heutigen Franzöſinnen und Lady’s, ſo wie viele Prinzeſſinnen und die Großfürſtinnen turnen, ohne etwas von ihrem echtweiblichen Charakter verloren zu haben. Wir wollen uns einmal ſprachlich und be - grifflich verſtändigen, dann wird das Sachliche ſich von ſelbſt finden. „ Turn “iſt eine altdeutſche Wurzel, die ſelbſt ins Franzöſiſche und Engliſche hinüberklingt, und bedeutet überall „ bewegen, drehen, wenden. “ Sonach wären Turnübungen ſolche, die nach den Geſetzen der71 Kunſt (und da nur wahrhaft ſchön, was wahrhaft nützlich iſt) und der Heilkunde geregelt ſind. Jede Uebung, jede körperliche Bewegung geordnet und geregelt nach den Geſetzen der Kunſt und der Arzeneikunde gehört demnach in die Turnkunſt. Wir wollen nun denjenigen ſehen, der den Mädchen im Jntereſſe des weiblichen Charakters ſolche Bewegungen und Uebungen verbieten will. Zum Ueberfluß wollen wir noch einen Arzt ſprechen laſſen: „ Entwickelung ſchöner Körperformen ſoll dem phyſiſchen Erzieher als Zweck vorſchweben, wie dem Bildhauer, indem er das Modell einer Grazie entwirft, und wie dieſer die Geſtalt formt, während die Maſſe noch weich und bildbar iſt, muß jener die von innen her nach Voll - endung ſtrebende Kraft zu leiten, auf der richtigen Bahn zu erhalten bemüht ſein, während die zarte Snbſtanz des Körpers noch weſentliche Formänderungen geſtattet; von früheſter Kindheit bis zum Ende des Knaben - und Mädchenalters. “
„ Eine nach Maßgabe der individuellen Anlage mehr oder minder zum Jdeal anſtrebende Entwickelung der Form kann ohne gleichmäßiges Fortſchreiten der formen - den Kraft nicht wohl gedacht werden. Dieſe aber ſetzt wiederum einen ungeſtörten Geſundheitszuſtand voraus, indem jede Kränklichkeit, ſelbſt leichte Unpäßlichkeit die organiſchen Kräfte ſo in Beſchlag nimmt, daß auch die zur Ausbildung der Geſtalt wirkende Aeußerung derſelben in ihrer Energie merklich geſchwächt wird. “
„ Deßhalb muß die Erhaltung eines nach Maßgabe der Anlage möglichſt gleichmäßigen und guten Geſund - heitszuſtandes als eigentliche Baſis aller der Uebungen betrachtet werden, welche die Vollendung der Körper - formen herbeiführen ſollen, und die modernen Romanen - Darſtellungen ſtets leidender weiblicher Schönheits - Jdeale dürften der klaſſiſchen bildenden Kunſt wohl immer fremd bleiben. “ A. Meckel, Prof. der Anatomie in Bern, in ſeinem Vorwort zur „ Kaliſthenie von Clias, Bern 1829 bei Jenni. “
72Und zuletzt frage ich auch hier meine Erfahrung, ſo muß ich das vollſte Gegentheil behaupten, daß viel - mehr die wahre Weiblichkeit dadurch befördert werde. Die Schönheit und Geſundheit des Körpers und Geiſtes gewinnt durch die harmoniſche Körperentwickelung. Das Erſcheinen und Auftreten der Mädchen wird daher ein freieres, geſunderes, fern von allem prüden und koketten Weſen. Durch die mancherlei Uebungen verlieren ſie die unnatürliche Schüchternheit, das weibiſche und zim - perliche Weſen, und da auch auf ihrem Turnplatz der Wille in Zucht genommen wird, ſo werden ſie befähigt, auch in den übrigen Verhältniſſen des Lebens dieſe Zucht des Willens zu üben. Man hat es in vielen Kreiſen Königsbergs mit großem Wohlgefallen bemerkt, daß, un - ter Anderm, die Unterhaltung derjenigen Mädchen, welche turnten, eine größere Friſche und geſundere Anſichten athmeten, während ſie früher meiſt nur in Tändelei be - ſtand und auf Gegenſtände des Putzes gerichtet war. Dankbar muß ich noch erwähnen, daß ich in Königsberg faſt keine Mädchenturnſtunde hielt, ohne daß nicht irgend eine der betheiligten Mütter dem Unterrichte be[i]wohnte.
3. Andere ſchreien: „ Die Mädchen werden in ihren Bewegungen, in ihrem Benehmen zu männlich, ſie werden wild. “ Dieſer Punkt fällt eigentlich mit dem vorigen zuſammen, aber die Gegner ſtellen ihn noch ganz beſonders auf, und um der Schwachheit der Leute willen wollen wir ihn denn auch feſthalten und beleuchten.
Zur Ehre der Sache müſſen wir geſtehen, daß die Mädchen an Kraft und Geſundheit, an körperlicher und geiſtiger Friſche und Munterkeit, an Heiterkeit gewannen, und manche früher beſorgte Mutter dankte uns, weil ihre Tochter nun immerdar fröhlich ſei, ja ausgelaſſen heiter. Da ich, wie ſchon bemerkt, theils durch den Beſuch der Mütter während des Turnunterrichts, theils durch Umgang mit den Schülerinnen und deren Eltern in beſtändiger Berührung blieb, habe ich bis jetzt nur das Gegentheil von dieſem gemachten Vorwurf vernom -73 men. Es gibt aber viele hyſteriſche und hypochondriſche Leutlein, die, weil ſie ſelber niemals froh und fröhlich ſein können, es auch nicht gern bei Andern ſehen. Hinc illæ lacrimæ!
4. Ganz beſonders wohlthätig fand ich die Turn - übungen bei Skropheln und Bleichſucht, wo ſich raſch eine friſchere Geſichtsfarbe einſtellte, ſo daß beſonders in letzterm Falle bald keine Spur mehr von der frühern Krankheit zu erblicken war. Nur muß ich auch klagen, daß mir der eine und andere Arzt hemmend entgegentrat: eben weil die Mädchen kränklich ſeien, dürften ſie nicht turnen. Während andere Aerzte mir dieſelben aus dem Grunde zuwieſen, weil ſie krank ſeien.
5. Wie nachtheilig der zu frühe Schulbeſuch oft iſt, geht aus folgendem Beiſpiele hervor.
Jn Königsberg vermochte ich endlich die mir be - freundeten Eltern eines von ihnen angenommenen Mäd - chens von 6 Jahren, dasſelbe — weil ſchwächlich — turnen zu laſſen. Das Kind, an ſich geſund, war ſchon in die Schule geſchickt worden. Die Folge davon war, daß es die friſche Geſichtsfarbe und die geſunde Eßluſt verlor. Es trat den 10. Februar — 1. Juni 1842 ein, turnte alſo nicht ganz 4 Monate. Die Erfolge waren ſehr erfreulich. Die friſche Geſichtsfarbe kehrte ſofort zurück, und eine Eßluſt, nach dem Ausſpruch der Eltern, die nicht zu ſtillen. Mit dem 1. Juni trat ſie leider wieder aus. Die Eltern meinten, ſie müſſe in die Schule gehen, um etwas zu lernen, der weite Weg nach derſelben wäre Bewegung genug. Das Ende vom Liede war, daß das Mädchen bald wieder kränkelte, gar kei - nen Appetit mehr hatte, und zuletzt bettlägerig wurde. Dieſer Zuſtand dauerte bis zu meiner Abreiſe von Kö - nigsberg, Oſtern 1843. Daß die Eltern nicht Unrecht haben wollen, bedarf wohl keiner Erhärtung, bald ſoll es vom Wachſen ſein, bald ſoll dem Kind eine Krank - heit in den Gliedern ſtecken, und was ſie ſonſt noch für ähnliche Entſchuldigungen haben. Ebenſo bekannt iſt es,Jahrb. d. Turnkunſt. II. 474daß immer noch die verkehrteſten Mittel angewandt wer - den. Da das Kind wenig genoß, bekam es die ſtärkend - ſten und nahrhafteſten Speiſen und Getränke, z. B. Wein, Chokolade u. ſ. w. Daß dadurch nur Oel in’s Feuer gegoſſen wurde, iſt offenbar. Wohl ſollte ſie, wieder hergeſtellt, das Turnen von Neuem beginnen, die - ſer Tag war aber bis zu meiner Abreiſe nicht erſchienen.
6. Jm Herbſt 1837 kam ich nach Danzig, nach - dem meine Anſtellung an den drei ſtädtiſchen Schulen bei der Stadtverordneten-Verſammlung mit der Mehrheit von einer Stimme durchgeſetzt war. Die Danziger überzeugten ſich bald, daß die Turnübungen nicht ſo halsbrechend ſeien, als ſie ſich vorgeſtellt, und es ging anfangs, wie alles Neue, ganz gut. Jm Sommer 1838 kam ein Premier-Lieutenant von 39 Jahren, der über ſeine Bruſt klagte. Er erzählte, daß er — wie es unter den jungen Lieutenanten nur zu oft vorkommt — ſich früher geſchnürt habe. Als ob ein Wespenleib ſchön ſei! Jn Folge deſſen leide er nun ſeit einiger Zeit an der Bruſt. Der Regimentsarzt Dr. Sinogowitz, jetzt in Berlin, habe ihm nun das Turnen angerathen. Unter dieſen Umſtänden hielt ich es für nothwendig, daß er wöchentlich wenigſtens 4 Mal turnen müſſe. Dies that er ein volles Jahr mit Ernſt und Eifer, und ich habe ihn nie mehr ſeitdem über ſeine Bruſt klagen hören, wohl aber, daß er ſich vollkommen wohl befinde, und darum fleißig auf die Jagd gehe.
7. Dieſem ähnlich iſt folgender Fall: Jm Herbſt 1840 überſiedelte ich mich nach Königsberg, nachdem das Turneriſche Leben in Danzig durch die vollkommene Theilnahmloſigkeit der drei Direktoren und der übrigen Lehrer, ſowie der Gleichgültigkeit der Aerzte eingegangen war. Hier erhielt ich gleich im Anfange einen Studen - ten, der das Fechten erlernen wollte, dem ich anrieth, ſeiner Bruſt wegen zu turnen. Es gibt der Leute noch ſo ſehr viele, die nicht zu begreifen vermögen, wie das Turnen auf die Bruſt einen wohlthätigen Einfluß üben75 könne. So auch anfangs dieſer Fechter. Endlich frug er, ob es auch gut ſei gegen Bruſtſtiche. Jch erwiederte: nein und ja! es komme auf die Urſache derſelben an. Sei dieſelbe ein organiſcher Fehler, ſo gebe es dafür kein Mittel; rührten dieſelben aber her von einer unent - wickelten Bruſt, von ſtockenden Säften u. ſ. w., ſo könne hiergegen ſehr leicht geholfen werden. Hierbei erfuhr ich denn, daß ſchon ein älterer Bruder als Student an einer Bruſtkrankheit (ich glaube Lungenſchwindſucht) geſtorben ſei, ſein jüngerer Bruder, Primaner des Friedrichs-Colle - giums, leide an Bruſtſtiche. Mit dieſem Primaner be - ſprach ich mich nun, und ſetzte ihm das Anatomiſche auseinander, und ſodann die diätetiſche Einwirkung des Turnens auf den Körper überhaupt und insbeſondere auf die Bruſt, und gab ihm Koch’s Gymnaſtik zu leſen. Er fühlte ſich überzeugt und meldete ſich nun zum Tur - nen, November 1840. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß er nur einige Uebungen machen durfte; viele gar nicht, wozu er ſonſt recht wohl die Kraft gehabt hätte, andere Uebungen mußte er täglich zu Hauſe von Zeit zu Zeit machen, nach meinem Rathe Morgens gleich nach dem Aufſtehen und Abends vor dem Schlafengehen. Aber nicht allein die Uebungen ſelbſt wurden genau angegeben, auch das Maß, die Art und Weiſe, z. B. ich kann eine Uebung raſch oder langſam, zehn Mal oder hundert Mal hinter einander machen. Dies iſt nichts weniger als gleichgültig, ebenſowenig es gleichgültig iſt, ob ich 5 Tropfen einnehme oder 15, einſtündlich oder zweiſtündlich. Die Folge hiervon war, daß die Bruſtſtiche nach 14 Tagen nicht mehr verſpürt wurden. Hierauf kamen die 14 Tage Weihnachtsferien, wo alſo nicht geturnt wurde. Jn den letzten Tagen derſelben kehrten dieſelben Bruſt - ſtiche, wenn auch mit geringerer Stärke wieder. Hier - auf turnte er fort bis Oſtern, und da er ſich wohl fühlte, kam er nicht wieder, und ein Jahr darauf, weiß ich aus ſeines Bruders Munde, waren die Bruſtſtiche nicht wiedergekehrt. Der Arzt dieſes Kranken war der76 nunmehr verſtorbene in Königsberg ſehr gerühmte Dr. Jacobſon. Derſelbe war entgegengeſetzter Meinung als der obenerwähnte Dr. Sinogowitz in Danzig. Er rieth demſelben durchaus ab zu turnen, weil zum Turnen ein ſtarker und geſunder Körper gehöre. Wie er turnen wolle, da er nicht einmal ohne Bruſtſtiche gehen könne! Dr. Jacobſon begegnete demſelben einſtmals am Mucker - platz, er ließ den Wagen halten, ſtieg aus und frug denſelben: er habe gehört, daß er doch turne, wie es ihm bekomme? „ Sehr gut, die Bruſtſtiche ſind weg, “entgegnete dieſer. Dr. Jacobſon drehte nun die Sache um und ſagte: ſehen Sie, habe ich es Jhnen nicht ge - ſagt, daß das Turnen Jhnen gut ſein würde. “ Dies die Erzählung aus dem Munde des Kranken ſelbſt. Jn einer mir befreundeten Familie Königsbergs ſagte derſelbe Arzt: Turnen und Schwimmen iſt gut, nicht turnen und nicht ſchwimmen iſt beſſer. Uebrigens ſind mir ſolche Fälle, wie mit dieſem Kranken, öfter vorgekommen, wie z. B. im Jahre 1834 in der Charité in Berlin, wo die guten Folgen einer Behandlung der Arzt ſich zueig - nete, gegen die er ſich entſchieden ausgeſprochen.
Jm Winter 1841 kam der ältere Bruder, der wie oben erwähnt, fechten gelernt, eines Morgens früh zu mir mit den Worten: helfen Sie mir, wie Sie meinem Bruder geholfen. Er klagte über Bruſtſchmerzen, er habe die Nacht faſt nicht ſchlafen können. Auch er turnte dieſen Winter durch, und blieb Oſtern 1842 weg, da er ſich befreit fühlte.
Jch erlaube mir hier nun noch die Bemerkung hin - zuzufügen, daß man mir nicht zumuthen möge zu glau - ben, daß dieſe Leute von ihrem Uebel gänzlich befreit ſeien. Jch habe die Ueberzeugung, das daſſelbe über kurz oder lang wiederkehren werde. Daß ſie ſich augen - blicklich erleichtert, ja von den Schmerzen befreit fühlten, und daß dies nicht auf einer Täuſchung beruhte, glaube ich aufrichtig, nicht aus Eitelkeit, ſondern aus dem Grunde ſchon, weil eine ſolche Täuſchung doch unmöglich77 über Jahr und Tag dauern kann, und dann auch mich ſtützend auf die langjährigen Erfahrungen an meinem eigenen Körper gemacht. Wenn ich nämlich einige Zeit nicht geturnt, aber viel am Schreibtiſch geſeſſen habe, ſo leide ich an Bruſtſchmerzen. Dann turne ich mich aus und durch, und ich bin von meinem unbehaglichen Zuſtande befreit. Jch bin kein Arzt, glaube aber doch, daß dieſer Zuſtand nicht gerade von Engbrüſtigkeit her - zukommen braucht, vielmehr örtlich-ſtockende Säfte, eine Anhäufung venöſen Blutes in den Haargefäßen u. ſ. w. hinlänglich iſt, um ſolche Schmerzen zu bereiten. Daß dieſe nun ſchnell verſchwinden können, iſt leicht einzuſehen, und zwar um ſo mehr, da ja nach dem Ausſpruch der erſten und größten Kenner des menſchlichen Körpers tüch - tige körperliche Bewegungen ſchon in 4 Wochen auf die feſteſten Knochen einen bemerkbaren Einfluß üben. Wie vielmehr muß dies nun der Fall ſein bei den flüſſigen Theilen? Finden wir uns ja ſchon von den nachtheiligen Folgen eines zu anhaltenden Sitzens oft durch einen einfachen Spaziergang in’s Freie erleichtert, nach einer mehrtägigen Fußreiſe befreit. Jn wiefern aber körperliche Uebungen auf die Ausbildung des Rumpfes, des Bruſt - kaſtens wirken, hat Koch in ſeiner Gymnaſtik hinlänglich genug dargethan.
Betrachten wir die drei letzten Beiſpiele, ſo drängt ſich uns eine unangenehme Empfindung auf, daß die Leute keine Ausdauer haben, worüber Dr. Kleeberg in ſeinem hübſchen Aufſatz (im erſten Hefte) ſchon klagt. Man ſollte denken, wer die wohlthätigen Folgen der Turnkunſt ſo augenſcheinlich und handgreiflich an ſich ſelbſt erfahren, müſſe dem Turnplatz treu bleiben. Doch das Geld und die Zeit verwendet man zu andern Ge - nüſſen, die aber die Kräfte zerrütten, die Jugend ver - kürzen, und uns, unempfänglich für höhere und geiſtige Genüſſe, abſtumpfen.
D. H.
Gegenwärtiger Trinkſpruch iſt mir von Freundes Hand zugekommen, und ich habe ihm gerne in dieſem Hefte einen Ort gegönnt. Nicht, als ob ich die manch - fachen Mängel nicht kennete, ſondern ehrend die tüchtige Geſinnung, und weil ich dadurch zugleich Gelegenheit habe, Turner und Freunde der Turnkunſt, denen die Gabe der Dichtung beiwohnt, freundlichſt aufzufordern, ähnliche Erzeugniſſe einer tüchtigen turneriſchen Geſin - nung einzuſenden. Unter vielen Liedern wird nun wohl das eine und andere innerlich und äußerlich trefflich,80 Eigenthum der Turner werden, und ſo auch noch den Enkeln verkünden, daß der Turnergeiſt in uns ein echter und rechter war, wie ihn Heydenreich 1812 ſchon gezeichnet: Friſch, frei, fröhlich und fromm.
D. H.
Eben, als die Handſchriſt in die Druckerei ſoll, kommt uns folgendes Lied von unſerm Freiligrath zu, und wir meinen, daß „ Prinz Ludwig von Preußen “neben Schill, Oels und den Helden des Freiheitskrieges auf unſern Turnplätzen geſungen werden möge.
Wenn es wahr iſt, daß leibliches und geiſtiges Leben in ewigem Fluß ſein muß, wenn es nicht unter - gehen ſoll; wenn es wahr iſt, daß das jetzige Geſchlecht auf einer ſo tiefen Stufe menſchheitlicher Entwicke - lung ſteht durch Vernachläſſigung der körperlichen Bildung, daß die Reihe der unheilbaren Krankheiten durch dieſe Verkümmerung des einen weſentlichen Theiles des Menſchen bedeutend vermehrt und allgemeiner geworden, und zwar in dem Maß allgemein geworden, daß die Kenntniß derſelben, ſonſt nur wenigen Aerzten bekannt83 und zugänglich, jetzt Gemeingut der Aerzte geworden; wenn es nur zu wahr iſt, daß die traurigen Folgen der ſtagnirenden Säfte und des Mangels der Blut - bildung (Scrofeln, Hämorrhoiden — Hyſterie, Krämpfe und Bleichſucht) uns auf jedem Tritt und Schritt be - gegnen, dadurch aber die Bildung großer Charaktere unendlich erſchwert, ja in vielen Fällen unmöglich ge - macht wird, dagegen aber den Leidenſchaften und Lüſten, mit einem Wort der Unzufriedenheit Thür und Thor geöffnet iſt, — ſo thut es wahrlich Noth, dieſe Ver - kümmerungen der menſchlichen Natur, die Leiden der Völker zu mildern, und wir müſſen es als eine heilige Pflicht der Hirten der Völker anerkennen, und fordern es von ihnen, etwas zur Linderung dieſer Leiden, zur Beruhigung der Menſchen zu thun. Verſeſſene und hypochondriſche Menſchen wie Völker taugen zu nichts, weil ſie, ewig unzufrieden mit ſich und ihrer Umgebung, aus einem Genuß in den andern ſich ſtürzen, und da - durch ihr Uebel nur vermehren ſtatt vermindern, nicht lindern und heilen, ſondern ſteigern. Verſeſſene ſind ſchlimmer als Beſeſſene.
Wenn es ferner die tägliche Erfahrung und die Arzneiwiſſenſchaft lehrt, daß das Weib ſeine Beſtim - mung: Mutter und Nährerin zu ſein, nicht mehr ſo wie früher zu erfüllen vermögend iſt, als auch, wo die erſte oder ſelbſt beide Bedingungen noch ſtattfinden, an eine vernünftige Erziehung im ſeltenen Fall zu denken iſt, ſo muß auch von Seiten des Staates für die weibliche Erziehung etwas geſchehen. Und wir können nicht anders, als jeder Regierung all die furcht - baren Folgen, all das Elend und den Jammer, woran unſer Geſchlecht in Folge dieſer Verkrüppelungen und Verkümmerungen der Erziehung leidet, zur Laſt legen, wofür ſie wie für jedes unterlaſſene Gute einſt Rechen - ſchaft ablegen muß. Das, was wir verlangen, iſt kein zweiſchneidig Schwert, wo man erſt zu überlegen hätte, ob der Schaden nicht etwa den Nutzen über -84 wöge. Laſſe man die Jugend ſich auf dem Turnplatz austoben. Dies iſt beſſer, als wenn ſie, wie es jetzt überall geſchieht, in Wirthshäuſern u. ſ. w. ſich herum - treibt, Kräfte und Säfte vergeudet, ſtatt ſie auf dem Wettplan der Jugend zu ſtählen, den Muth in männ - lichen Uebungen und Entbehrung und in der Selbſtbe - herrſchung zu zeigen, als in den Rauf - und Saufduellen der Feigheit und der Schmach. Wir ſtaunen die Vor - zeit an, wir ſtehen immer wieder und wieder vor den Bildern der Helden, vor den großen Charakteren der Antiken, wir können ihr Leben nicht genug betrachten, aber kehren wir in das Leben und die Gegenwart zu - rück, ſo iſt die Begeiſterung weg, und wir ſind ſo nüchtern und dumm wie vorher. Können wir uns denn noch nicht überzeugen, daß es eine geſunde Seele in einem geſunden Leibe war, die fortwährende geiſtige und körperliche Arbeit und Bewegung, der nie unterbrochene Fluß des geiſtigen und leiblichen Lebens und das Feſt - wurzeln und Stehen im eigenen, heimiſchen und vater - ländiſchen Boden, was jene großen und ſtarken Charakter bildete und prägte? Ein Perikles, Sokrates und Plato waren Turner eben ſo in geiſtiger wie leiblicher Arbeit. Jſt Metternich etwa größer als Perikles, Schelling und Hegel höher und geiſtiger als Sokrates und Plato, weil ſie nicht leiblich geturnt? Oder iſt Herr von Kamptz ein größerer Geſetzgeber als Solon, weil er das Turnen in den Bann that und über die Turner das Jnterdict ver - hängte? Oder hat Hufeland die menſchliche Natur mehr ergründet als Hypocrates? Möchten wir doch mehr die Alten leſen, um Nutzen daraus zu ſchöpfen, als zu weibiſchem Kitzel und Reiz. Aber wir ſtehen vor dieſem Spiegel der That und der Kraft, ohne Bewußt - ſein uuſerer ſelbſt, unſerer Kleinheit, und daß ſie, wie ſchon Salluſt ſagt, uns zur Nacheiferung entflammen ſollen. Und kehren wir dem Spiegel den Rücken, ſo wiſſen wir nichts mehr, wie ein Menſch, der ſich im Spiegel beſehen nicht mehr weiß, wie er geſtaltet, ſo er von ihm weggegangen.
85Wir fordern demnach vom Staate, als dem Ober - vormund des Erziehungsweſens, daß er das Turn - weſen ordne in Beziehung auf alle Stände und Geſchlechter. Demnach vorerſt:
D. H.
Es iſt in dem erſten Hefte dieſer Jahrbücher die Frage aufgeſtellt worden: „ was muß geſchehen, damit das deutſche Turnweſen eine deutſche Turnſitte werde? “
87Dieſe dürfte weſentlich durch die regelmäßige Ver - anſtaltung allgemeiner deutſcher Wett-Turnfeſte geſchehen können, die ihrerſeits wieder manche Bedingungen theils vorausſetzen, theils erzeugen, welche nicht fehlen dürfen, wenn das Turnweſen volksthümlich werden ſoll. Fragen wir nach jenen Bedingungen, ſo ergeben ſich als zunächſt nothwendig, folgende:
Daß dieſe Vorbedingungen in der That ſchon vor - handen ſind, iſt bekannt; darum laßt uns nicht ſäumen, auf dieſem guten Grunde weiter zu bauen. Hierzu be - darf es nur der werkthätigen Theilnahme der Turner und Turnfreunde ſelbſt. Auf ihnen beruht die volks - thümliche Entwickelung des Turnweſens, während die Regierungen, wo es die Geſtaltung einer neuen Volks - ſitte gilt, nur eine vermittelnde Stellung einzunehmen berufen ſein dürften. Wie nun dieſe werkthätige Theil - nahme zu einem Ganzen heranzubilden, auf ein be - ſtimmtes Ziel zu lenken ſein möchte, dazu verſuchen wir nachſtehend einen Vorſchlag, dem wir, ſeiner Natur ge - mäß, die Form eines Geſellſchafts-Statuts geben:
Dies unſer Vorſchlag. Haben wir uns in der zu ſeiner Verwirklichung erforderlichen Theilnahme des Herrn Euler nicht geirrt, ſo dürfte ſeiner Ausführung wohl kaum ein Hinderniß im Wege ſtehen, da wir überzeugt zu ſein glauben, daß Jeder, der es mit dem Turnweſen gut meint, die kleine Mehrausgabe für die Jahrbücher nicht ſcheuen wird. Mache man mit dem 2. Hefte den Verſuch und verſende davon eine, mit Mitgliedervorweis verſehene Ausgabe ſtatt zu 7½ Sgr. oder 27 Kr. zu 22½ Sgr. oder zu 1 Gulden 21 Kr. und man wird ſehen, daß dieſe Ausgabe von Vielen gekauft und ſo auf höchſt einfache Weiſe ein Verein gebildet wird, der in ſeiner Verzweigung über das ganze Vaterland das Turnweſen in nicht gar ferner Zeit zu einer Turnſitte umgeſtalten wird.
Frankfurt a. M., im Mai 1843. Aug. Ravenſtein.
Wir leben in einer Zeit großen Drängens und Treibens. Oben und Unten will man vorwärts, und die es nicht wollen, greifen, der ſittlichen Weltordnung entgegen und zuwider, in die Speichen der unabänderlich dahinrollenden Zeit. Man laſſe die Geiſter aufeinander treffen und platzen, einige müſſen immer drauf gehen nach rechtem Kriegsbrauch. Aber die Rückwärtſer ſind überall und immer eine traurige spolia opima.
91Jetzt ſoll es mit dem Turnweſen vorwärts! Soll es in der That vorwärts, iſt es den Herrſchern und den Beherrſchten wirklich ernſt, ſo geht Deutſchland einer großen Zukunft entgegen. Groß und heiter iſt ſie, wie alle Zeiten, wo Fürſt und Volk dasſelbe wollen und erſtreben. Und ſelten wird ſich ein Gegenſtand finden, bei welchem das Volk der Regierung ſo entgegenkommen würde, als das Turnweſen iſt. Von allen Seiten iſt die Königl. Cabinetsordre vom 6. Juni 1842 mit Jubel - ruf begrüßt worden. Jn ganz Deutſchland ward ſie begrüßt, und auf ganz Deutſchland wird ſie wohlthätig zurückwirken. Alle Blätter, Vierteljahres -, Monats - und Tagesblätter, die ſonſt vornehm der Beſprechung des Turnweſens ihre Spalten verſchloſſen hatten, ertönen immer mehr und weiter von dem friſchen Turnerruf.
Es ſoll organiſirt werden! Soll es dies, ſo ver - langen wir zwei Dinge: einen organiſirenden Geiſt an der Spitze, und dann eine kühne, kräftige Zeichnung mit wenigen Strichen. Einen einfachen Grundriß, von kühner, kräftiger, ſicherer Hand hingeworfen. Alles Uebrige bringt die Zeit und die Entwickelung. Alles zu viele Denken und Bedenken hemmt die Kühnheit und die Kraft, und läßt nur halb oder gar nicht zur That kommen. Die That muß friſch und kräftig ſein wie das Leben, das ſie hervorrufen ſoll. Schon vor 1½ Jahren iſt die Königl. Cabinetsordre erſchienen, die That, ja ein beſtimmter Gedanke iſt noch unſichtbar. Aber das Wort hat in den Herzen des Volkes Geſtalt gewonnen, das Leben hat ſeine allgewaltigen Schwingen entfaltet, und es geht vorwärts! Wo Turnplätze nicht beſtehen können, weil das Leben der mangelnden That von Seiten der Re - gierung noch fehlt, da nehmen ſich Turnvereine der ver - waiſeten Anſtalten an. Soll aber dies turneriſche Leben ſich und ſeiner eigenen Entwickelung frei und unbeſchränkt überlaſſen bleiben, ſo möchte es hier und da ein Gepräge erhalten, die mit der künftigen Geſtaltung der Dinge im Widerſpruch gehalten würde, und demnächſt eine Hem -92 mung des Lebens erfahren müßte. Eine Hemmung iſt aber auch zugleich ein Rückſchritt. Ungeſtraft geht Nie - mand irre! Darum muß der Staat, eben weil ein Jrren möglich iſt, einen einfachen Gedanken aufſtellen, einen Grundriß zur Anſchauung geben, — ſtellt ſie ja ſchon im bürgerlichen Leben überall an Krenzwege Weg - weiſer für Reiſende — damit das turneriſche Leben zwar ungehemmt, in voller Rege aber richtig und ſicher ſich entwickeln könne. Mögen denn die Berathungen in Mitten der Regierungen geſchloſſen werden, und die Organiſation eintreten, ſo iſt dies nicht mit einer Hem - mung des Lebens verbunden.
Eine Hemmung des Lebens! dies Wort ſollte nicht da ſein, — es gemahnt Einen an — Tod! Was iſt denn der Tod anders als Hemmung des Lebens? Aber eine Hemmung des geiſtigen Lebens ſollte es nicht geben, und doch! die Turnkunſt hat ſie erfahren, und viel Leben ſtarb des frühen Todes, aber die zu Grunde liegende göttliche Jdee war noch zu mächtig im Volke, als daß der Tod der Turnkunſt hätte erfolgen können. Damit nun das Leben nicht wieder ſolche Schlagſchatten erfahre, verlangen wir von der Regierung einen Weg - weiſer für die turneriſche Entwickelung.
Zum Organiſiren des Turnweſens gehört ein freier Blick ins Leben des Volks. Und das Leben liegt ſo offen da, aber die Meiſten ſind mit ſehenden Augen blind. Man frage und erlauſche die Natur und das Leben, und die Antwort wird nie fehlen. Sie erfolgt immer klar und wahr. Das Leben begnügt ſich nicht mit langſamen Gedanken; es will Thaten! Während die Denkenden denken, geht das Leben im Thatenſturm vor - wärts. Und wenn die denkenden Denker die Augen auf - ſchlagen, das Leben anders finden, und ihre Thorheit einſehen, dann hört man immer und immer die Ent - ſchuldigung: ja ich dachte! Denken muß der Menſch, das iſt eine Mitgift des göttlichen Lebens, aber über dem Denken darf man das Leben und ſeine unveräußer -93 lichen Anſprüche — die That — nicht vergeſſen. Ueber - all und immer muß das innere und äußere Leben in Einklang gebracht werden, ſoll der eine oder der andere Theil nicht verkümmern.
Mögen darum die Regierungen überall es von Jhrer Seite nicht fehlen laſſen, damit das turneriſche Leben in ſeinem Entwickelungsgange nicht auf Abwege gerathe, und ſonach eine Hemmung ſeines Lebens, ja die frühern Schlagſchatten erfahre. Und da wir über - zeugt ſind, daß die Regierungen es treu und aufrichtig, es ernſtlich mit dem Turnweſen meinen, ſo geben wir uns auch der vollen Zuverſicht hin, daß Sie dieſer Entwickelung des neuen Lebens die nöthige Fürſorge ſchenken werden.
„ Wer Zeit gewonnen, hat Alles gewonnen! “drum friſch auf.
D. H.
Unterm 26. März 1819, ſchreibt Heydenreich in Tilſit, empfing ich folgende Verfügung der Königl. Re - gierung zu Gumbinnen:
„ Nach dem Befehl Sr. Majeſtät des Königs ſollen die Turnübungen in dieſem Jahre nur nach einem Plane vorgenommen werden, welcher ſie dem geſammten Unterrichtsweſen gehörig unterordnet und in eine richtige Verbindung ſetzt. Wir ſind höhern Orts angewieſen, dieſe Allerhöchſte Willensmeinung Sr. Majeſtät des Königs den Vorſtehern der Turnanſtalten mit der Aufforderung bekannt zu machen, daß ſie94 für’s Erſte und bis die näheren Beſtimmun - gen wegen Verbindung dieſer Uebungen mit dem Unterrichtsweſen erfolgt ſein werden, wegen Eröffnung der Turnplätze keine Anftalten und Einleitungen zu treffen hätten. Jndem wir denſelben Obiges mittheilen, fordern wir ſie auf, ſich pflichtmäßig nach dieſen Allerhöchſten Beſtimmungen überall zu richten. “
Die Turnübungen wurden daher in dieſem Jahre nicht wieder begonnen, das Turnzeug auf Befehl der Polizei fortgeräumt, ſelbſt die Turnſpiele hörten auf, Sang und Klang verſtummte.
Soweit Heydenreich. Hieraus geht nun Folgendes hervor: Daß unſer Hochſelige König ſchon 1819 eine Cabinetsordre erlaſſen hat, wornach das Turnen dem geſammten Unterichtsweſen „ untergeordnet “werden ſolle; daß die Cabinetsordre vom 6. Juni 1842 nur eine wiederholte Einſchärfung der vor 24 Jahren gegebenen iſt. Ferner, daß jene erſte Cabinetsordre ebenſowenig, als die zweite vom 6. Juni 1842 veröffentlicht worden iſt. Aber noch etwas anderes im höchſten Grade Un - erfreuliches geht daraus hervor, nämlich daß eine König - liche Cabinetsordre nun ſchon bald 25 Jahre auf ihre Ausführung wartet. Und wer für getäuſchte Hoffnungen ein Gedächtniß hat, der kann ſich nicht des trüben Ge - dankens erwehren, daß wenn eine Königl. Cabinetsordre in 24 Jahren keine Erlöſung gefunden, die zweite, jene erſte einſchärfende, Cabinetsordre wenigſtens ſobald nicht ihre Ausführung erhalten werde. Und endlich, daß die Polizei gegen den klar und deutlich ausgeſprochenen Willen Sr. Majeſtät des Königs die Turngeräthe ohne Weiteres wegnehmen konnte. Und doch waren die Turn - geräthe nicht öffentliches, ſondern Privateigenthum, das nun ebenfalls ſeit 25 Jahren auf ſeine Wiedererſtattung harret. Und wenn auf Befehl unſeres Königs die Turn - geräthe in der Berliner Haſenheide, ſo dem Vater Jahn gehörten, demſelben vor Kurzem wieder erſetzt wurden,95 ſo ſcheint damit die Wiedererſtattung der übrigen weg - genommenen Privatturngeräthe doch noch nicht ausge - ſprochen.
Es gibt wohl mancherlei Arten, Anordnungen und Gebote zu erkären, aber eine ſolche Erklärungsweiſe Einer Königl. Cabinetsordre iſt wohl in den Tagen der Ge - ſchichte nicht leicht erhört worden, als die Polizei in Til - ſit, Memel u. ſ. w. dieſem Königl. Befehle und dieſer Verfügung der Königl. Regierung in Gumbinnen hat angedeihen laſſen.
So die Vergangenheit. Wie nun die Zukunft? Holen wir in der Vergangenheit den Schlüſſel zur Pforte der Zukunft, ſo hoffen wir wenig oder nichts; fragen wir aber die Gegenwart, ſo ſcheint die Morgen - röthe beſſerer Tage hereinzubrechen. Wir wiſſen recht wohl, daß nicht jede Morgenröthe uns einen ſchönen hellen Tag bringt. Man muß die Farben unterſcheiden. Und da wir die rechte und wahre Farbe zu ſehen glauben, drum hoffen wir zuverſichtlich. Freilich fragen wir die Stimme des Volks, ſo deuten die überall entſtehenden Turnvereine eine Beſorgniß an, die wir — wenn auch nicht theilen — doch auch nicht gänzlich zu unterdrücken vermögen, als ob die Organiſation noch nicht ſo nahe vor der Thüre ſei. Nur beim Kriegsweſen ſehen wir jetzt ſchon einen bedeutenden Fortſchritt. Jedermann kennt das frühere Exerzierweſen, wie verſchieden iſt es von dem jetzigen! Aber woher dies? Weil hier die Befehle des Königs raſch und kräftig durchgeführt wur - den, wenn auch nur theilweiſe, wie wir bald ſehen wer - den. Gleich nach ſeiner Thronbeſteigung erließ unſer König einen Befehl, daß bei der Einübung der Rekruten mehr auf Leibesübungen geſehen werden ſolle. Jn Folge dieſes Befehles ſieht man denn zum Erſtaunen und zur großen Befriedigung der Zuſchauer außer den gewöhn - lichen Exerzierübungen auch Gelenk -, Hantel - und Schwebe - übungen und das Bajonetfechten. Jn einer zweiten Cabinetsordre vom 9. (?) Juni 1842 ward die Einfüh -96 rung der Turnübungen in die Kriegsſchulen beſohlen. Seit dem 1. September 1843 hat denn auch vorläufig jeder Cadett wöchentlich zwei Turnſtunden. Jn Bezie - hung der Diviſions - und Brigadeſchulen und ſelbſt der Unteroffiziere ſchweben die Berathungen noch. Doch wird in dieſem Winter in der hieſigen Diviſionsſchule (ob auch anderwärts?) der Anfang mit dem Schwingen (Voltigiren) gemacht. Dann hat in Folge dieſer Königl. Befehle der Prinz Auguſt angeordnet, daß in jeder Ar - tillerie-Caſerne Turngeräthe errichtet und kompagnieweiſe täglich eine halbe Stunde geturnt werden ſolle. Jn der hieſigen Pionir-Caſerne ſind einige Barren und Recke, aber geturnt wird höchſt ſelten, weil Niemand iſt, der ſich dafür intereſſirt, oder das Turnweſen verſteht. Die Unteroffiziere haben nie geturnt, und iſt auch einer da, ſo will er doch nicht unentgeltlich ſich eine Laſt aufbür - den. Jn der hieſigen Artillerie-Caſerne findet folgendes Verhältniß ſtatt. Den einen Flügel der Caſerne bewohnt die 7. Brigade, den andern die 8. Brigade. Jene hat einen Schwingel, einen Barren und zwei Recke. Dieſe hat gar kein Turngeräth, turnt natürlich auch nicht. Jene turnt ſelten aus dem oben angeführten Grunde. Ueberall ſind aber die Turngeräthe mehr oder weniger unzweck - mäßig eingerichtet. Was will man denn mit einem Barren anfangen, der ſtatt 16 — 17 Zoll, 24 — 26 Zoll breit iſt? Und das eine Reck iſt reichhoch, das andere noch höher, und der Schwingel zwar ſtellbar, war über 5 Fuß hoch gemacht. Was ſollen da die Anfänger machen? Dieſen und ähnlichen Nachtheilen würde am einfachſten und beſten durch Anſtellung eines Turnlehrers abgeholfen werden. Nehmen wir z. B. an, daß das Kriegsminiſterium, ſo doch über circa 23 Millionen Thaler gebietet, jährlich 1000 (ſage eintauſend) Thaler für ordentliche Turnlehrer feſtſetzte, wie viel könnte da - durch geleiſtet und genützt werden? So müßte z. B. der Turnlehrer in Köln von Seiten des Kriegsminiſteriums 200 Thaler erhalten, dafür müßte derſelbe in jeder Ca -97 ſerne wöchentlich eine öffentliche Turnſtunde ertheilen; ferner müßten aus den verſchiedenen Truppentheilen ge - eignete Unteroffiziere (und Offiziere) ausgeſucht und in Privatturnſtunden unterrichtet werden, welche alsdann in jenen öffentlichen Turnſtunden, alſo unter Anleitung des Turnlehrers, die Vorturner machen lernten. Und wenn ſie ſich ſo gut geübt und vorgebildet haben, müßten ſie in die Provinz als Turnlehrer der übrigen Truppentheile vertheilt werden. Auf dieſe Weiſe würde in 2 — 3 Jah - ren die ganze Provinz mit turneriſch-ausgebildeten Un - teroffizieren und mit Kriegsturnlehrern verſehen ſein. Dies wird auf den turneriſchen Sinn des Volkes ſelbſt nicht ohne bedeutende Einwirkung bleiben, indem die Soldaten, nach Hauſe zurückgekehrt, nicht ermangeln werden, dort auf manchfache Weiſe den Turnlehrer zu ſpielen. Dies werden ſie aber leicht können, wenn der Turnunterricht in den Anfangsgründen ordentlich geleitet worden iſt, und Uebungen gemacht werden, die ſie überall im Leben mit Luſt und Nutzen verwenden können. Und ſolcher „ praktiſcher Uebungen “gibt es ſo ſehr viele, die ſelbſt noch dazu dem gemeinen Mann in die Augen fallen, alſo Ehrgeiz erregen und Nacheiferung erwecken. —
Aber auch abgeſehen davon, daß im Unterrichtsmi - niſterium für das Turnen ſelbſt noch nichts geſchehen, vielmehr ſämmtliche Unterbehörden durch die erwartete „ Organiſation des Turnweſens von Seiten des Staates “mehr oder weniger ſich gebunden fühlen, nicht wohlwol - lende Schulbehörden aber eine ſolche Ankündigung als Grund ihres Nichtsthuns benutzen und erklären: „ ſie dürften nichts thun, es hieße ja der künftigen Organiſa - tion des Turnweſens vorgreifen; “ſelbſt abgeſehen von dieſen plötzlich eingetretenen Uebelſtänden haben und hegen wir doch volle Hoffnung auch von Seiten des Unterrichtsminiſteriums. Erſtens vertrauen wir dies Mal feſt auf die neue Cabinetsordre vom 6. Juni 1842; zweitens iſt eben zum Organiſiren des Turnweſens Maß - mann aus München gerufen worden; drittens hat ſichJahrb. d. Turnkunſt. II. 598der Herr Miniſter Eichhorn von jeher und noch neuer - dings hier in Köln entſchieden dafür ausgeſprochen, die Lehrer des Friedrich-Wilhelms-Gymnaſiums aufgefordert, auf die nächſte Zukunft ihre Blicke in dieſer Beziehung zu richten. Und viertens, wenn die Rekruten turnen, alſo die Alten, ſo folgt vernünftigerweiſe, daß auch die Jungen turnen müſſen. Oder ſollte wohl dem Grundſatz gehuldigt werden, die jungen Leiber erſt verſteifen und verderben zu laſſen, um ſie nachher verjüngen zu können, wie es Städte gibt, die die Jugend erſt verwahrloſen laſſen, um die Ehre und das Vergnügen zu haben, ſie nachher in „ Correctionshäuſern zu corrigiren. “ Was unſer Rheiniſches Prov. Schul-Collegium und unſere Königl. Regierung in Köln betrifft, ſo ſind beide dem Turnweſen ernſtlich und aufrichtig ergeben, und befördern es nach Kräften, deſto weniger aber die ſtädtiſche Behörde in dem reichen Köln. Wie ganz anders Mainz und Frank - furt! —
D. H.
Erzieher und Aerzte älterer und neuerer Zeit*)Herodicus, Hippocrates, Plato, Galenus, Ce[lſ]us, Otibaſius, Aetius, Hieronymus Mercurialis, Aviceuna, Sanctorius, Rivinus, Hoffmann, Stahl, Sydenham, Boerhave, Baglivi, Johnſton, Fuller, v. Swieten, Tiſſot, Tronchin, Rouſſeau, J. P. Frank, Salzmann, Hufeland, Peſtalozzi, v. Fellenberg, Reil, v. Koenen, Bally, Niemeyer, Guthsmuths, Straß, Koch, Lorinſer, Clias, Guerin, u. ſ. w. ſind, faſt ohne Ausnahme, über den Nutzen der99 Leibes-Uebungen zur Ausbildung des Körpers und Geiſtes, zur Befeſtigung der Geſundheit und zur Beſeitigung gewiſſer Krankheits-Anlagen und Kränklichkeiten einig, und die neueſte Zeit beginnt mit immer wärmerem Eifer auf die Wiedereinführung derſelben in den Erziehungs - und Unterrichts-Plan der Jugend zu beſtehen. Jn allen deutſchen Landen regt ſich eine günſtige Meinung für die Wiederaufnahme des Turnens, als derjenigen Leibes - Uebungen, die nach gewiſſem Maß und Geſetz geleitet und betrieben für die Jugend am erſprießlichſten ſind.
Ob aber auch der weiblichen Jugend ſolche Uebun - gen Noth thun, iſt manchen Eltern zweifelhaft, und dem Arzte wird nicht ſelten die Frage geſtellt, ob Mädchen turnen dürfen, oder ſollen?
Jn den meiſten Fällen ſcheint mir dieſe Frage da - hin zu beantworten zu ſein, daß, wenn für die männ - liche Jugend Turnen als pädagogiſches, diätetiſches, präſervatives, und therapeutiſches Mittel, als förderlich und heilſam allgemein anerkannt iſt, gerade der weibli - cheu Jugend dergleichen Uebungen noch unentbehrlicher ſind, als der männlichen. Jn folgenden mehr aphoriſti - ſchen als erſchöpfend entwickelten Sätzen will ich dieſe Behauptung zu begründen verſuchen.
Die mancherlei ſchädlichen Potenzen, die auf den Menſchen im civiliſirten Europa aus den mittleren Stäu - den, und beſonders in den Städten einwirken, ſeine Ge - ſundheit untergraben, ihn ſchwach und kränklich machen, ſind etwa folgende: Genuß von warmen gewürzhaften Speiſen und Getränken, unzweckmäßige Kleidung, die mehr der herrſchenden Mode, als den Regeln der Ge - ſundheit angepaßt iſt; Aufenthalt in volkreichen Städten, dumpfen Straßen und engen Wohnungen, Mangel an friſcher Luft, an reinem Waſſer und Sonnenlicht; über - mäßige Anſtrengung des Geiſtes in früher und ſpäterer Jugend zur Befriedigung der Anſprüche der Zeit in Hin - ſicht des Wiſſens und Könnens; angeerbte Schwächen und Dyscraſien; endemiſche, epidemiſche und Entwickelungs -100 Krankheiten. Die unzähligen nachtheiligen Einflüſſe der Gemüthsbewegungen, Leidenſchaften, Exceſſe und üblen Gewohnheiten kommen noch hinzu, und bilden ſo eine Summe von Schädlichkeiten, bei denen auch ohne be - ſondere Fehler der Erziehung, das Gleichgewicht und freie Spiel der Lebenskräfte, die Einheit der Lebensthä - tigkeit des Organismus, die Geſundheit des Leibes und der Seele leicht geſtört wird. Und iſt dann etwa die weibliche Jugend dieſen ſchädlichen Einflüſſen nicht, oder weniger ausgeſetzt? oder läßt ſich nicht im Gegentheil behaupten, daß das weibliche Geſchlecht ſeiner körperli - chen Conſtitution, wie ſeiner Stellung in der Geſellſchaft nach, für dieſe Schädlichkeiten empfänglicher iſt, daß das weibliche Geſchlecht, weil es auf Stillleben im Hauſe, auf weibliche Arbeit, auf häufiges andauerndes Sitzen angewieſen, dieſen Jnfluenzen weniger ausweichen kann, wie das männliche? Ueberdies iſt das Gewebe des weiblichen Körpers zarter und feiner, und daher zu jener langen Reihe von Krankheiten geneigter, die aus Er - ſchlaffung der Faſer entſpringen. Daher ſehen wir denn auch ſo häufig das Siechthum der Muskel - und Nerven - Schwäche, jene mangelhafte Entwicklung des Knochenge - rüſtes, des Bruſtkaſtens, des Rückgrats, Beckens, die ſich in höheren Graden als Rhachitis und Knochen-Er - weichung äußert; daher jene mangelhafte Säfte-Miſchung und Blut-Bereitung, die, vollkommen ausgebildet, ſich als Bleichſucht äußert, in niederen Graden aber viel häufiger auftritt, und in erdfahler, blaſſer, ſchmutzig grauer Haut - farbe ſich kund gibt; daher jene Leiden der Schleimhäute, die ſich als Catarrhe aller Art, als Verdauungsſtörungen ausſprechen, jene Drüſen-Stockungen, die ſich zu Scro - pheln und Tuberkeln heranbilden; daher endlich jene ganze Reihe von Zuſtänden, die in einem geſtörten Ner - ven - und Sexual-Leben, vor, während, und nach der Pubertät wurzeln, Geſundheit und Wohlbefinden ſtören.
Jſt nun das weibliche Geſchlecht im Allgemeinen beſonders zu jenen Krankheiten disponirt, ſo iſt dieſes101 noch mehr der Fall bei Bewohnerinnen großer Städte. Hier iſt der Schauplatz für die Zerſtörungen, die all - mälig aus geringen Abweichungen von der Geſundheit ſich entwickeln, in der zweiten, dritten Generation aber ſchon zu den ſchrecklichſten Krankheiten ſich geſtalten, zu tuberculöſer Schwindſucht, zu Erweichung des Hirns und Rückenmarks, zu Krankheiten der großen Gefäße und des Herzens.
Sollte unter dieſen Umſtänden nicht jedes Mittel willkommen ſein, um jenen ſchädlichen Einflüſſen auf die Geſundheit der Mädchen und Jungfrauen, beſonders in großen Städten, entgegen zu wirken? und das Turnen iſt ein um ſo willkommneres Mittel, als es am allge - meinſten anwendbar iſt. Zu den anderen Leibes-Uebun - gen, zum Jagen, Fahren, Reiten, Schwimmen, Reiſen, gehört größerer Aufwand, als die meiſten zu machen im Stande ſind; Tanzen, wie es gewöhnlich geſchieht, raſches Walzen und Galopiren, kann keinesweges Turnübungen erſetzen; es treibt Athem und Circulation zu gewaltig an, erſchöpſt anſtatt zu ſtärken, und hat in ſeinem Ge - folge gar zu leicht Affektionen der Lunge; zum Spazieren - gehen im Freien, zu Wanderungen über Berg und Thal iſt den Städterinnen ſelten Gelegenheit geboten; ſelbſt zu zweckmäßiger Beſchäftigung im Haus, Hof und Gar - ten iſt nicht häufig Rath zu ſchaffen, — zu Turnübun - gen dagegen überall. Dafür genügt der kleine Raum des Zimmers, des Corridors, ein Stab, ein Reifen, einige Stühle: es gibt hunderte von Uebungen, die auf dem kleinſten Raum mit den geringfügigſten Apparaten von einer Perſon allein, oder in Geſellſchaft von mehren ausgeführt werden können, wenn man nur turnen ge - lernt hat.
Jn den Turn-Uebungen der Mädchen iſt allerdings eine gewiſſe Auswahl zu treffen; für Mädchen paſſen die ſchwereren Muskel-Uebungen, und die eine heftige Erſchütterung des ganzen Körpers hervorbringen, z. B. ſtarkes Springen, nicht, wohl aber die leichteren Uebun -102 gen der Hände, Arme, Beine, des Rückens, mit Stehen, Gehen, Laufen, Ziehen, Bücken, Biegen, die Uebungen mit dem Stabe, Reifen, den Hanteln, das Klettern an den Strickleitern, das Schwingen am Barren, an der Streckſchaukel, ſelbſt mäßige Uebungen im Springen, wenn es die Höhe von 2 — 2½ Fuß nicht überſchreitet.
Man hat den Turn-Uebungen der Mädchen den Vorwurf gemacht, daß ſie die Muskeln zu ſehr ent - wickeln, und die ſanften weiblichen Umriſſe der Glieder ſtören; eine ſolche Hypertrophie der Muskeln, und in deren Folge ein Hervortreten der Apophyſen der Knochen kann nur bei lange fortgeſetzten unpaſſenden Uebungen hie und da ausnahmsweiſe, und gewiß auch nur in den Fällen auftreten, wo eine Anlage zu ſtärkerer Glieder - Entwickelung da iſt; ohne eine ſolche Anlage wird nicht leicht die ſchöne Hand, der runde Arm und die ſanft geſchweifte Schulter, werden nicht leicht die weiblichen Formen etwas von ihrer organiſchen Rundung verlieren, die Schönheitslinie ſich nicht verwiſchen, und die Kraft ſich nicht auf Koſten der Grazie entwickeln.
Maß und Ziel zu halten, die richtige Wahl der Uebungen zu treffen, Kräfte und Conſtitution der Schü - lerinnen zu beachten, Rückſichten des Anſtandes, der Sitte zu beobachten, alles das ſetzt Kenntniß, Bildung, Sittlichkeit und manche andere Eigenſchaften des Turn - lehrers voraus, deſſen Perſönlichkeit faſt allein bei der Frage, ob Mädchen turnen ſollen, entſcheidet.
Wird nun das Turnen von ärztlicher Seite zur Ausbildung des Körpers auch für Mädchen ernſtlich zu empfehlen ſein, ſo iſt nicht minder hoch deſſen Einfluß auf die pſychiſche Entwickelung anzuſchlagen, und verdient das Turnen auch deswegen als Erziehungsmittel für die weibliche Jugend empfohlen zu werden.
Die Sphäre des Weibes iſt allerdings das Haus; Anmuth, Duldſamkeit, Sanftmuth, Liebe ſind die Ele - mente, aus denen die Bildung des Mädchens, der Jung - frau vollendet werden muß; ſie ſollen weder Athleten,103 noch Aequilibriſten werden, auch nicht die Zartheit der Empfindung vertauſchen gegen keckes, kühnes Weſen, aber wohl könnte es Noth thun, der künftigen Hausfrau, Gattin und Mutter Muth, Geiſtesgegenwart und Ent - ſchloſſenheit anzuerziehen. Jſt nicht in den verſchiedenen Wechſelfällen eines bewegten Lebens der Frau geiſtige Kraft eben ſo nöthig wie dem Manne? ſind nicht den Mädchen und Frauen Prüfungen und Leiden in eben dem Maße vorbehalten wie dem Manne, bedürfen ſie nicht eben ſo ſehr der Anfriſchung, Erheiterung und Be - lebung, eines hellen, ſtarken, heiteren Geiſtes, eines ge - ſunden Körpers, und aller geiſtigen Hülfsmittel wie der Mann? (Miß Wright.)
Durch zweckmäßig geleitete Turnübungen bilden ſich aber gerade Wille und Thatkraft, Entſchloſſenheit und Sicherheit, Muth und Gewandtheit (Eigenſchaften des Geiſtes und des Körpers) überhaupt der geſunde Geiſt im geſunden Körper aus; durch Turnen wird das Leben reicher, die Lebenserſcheinungen vermehrt und verbeſſert, das Turnen hat einen unverkennbaren Einfluß auf das Nervenſyſtem, und ſomit auf alle Funktionen des Gei - ſtes. Nicht allein alle Eindrücke, die durch äußere Sinne zum Gehirn gelangen, ſondern auch die Thätigkeiten des inneren Sinnes werden geſchärft und verſtärkt.
Wer in ſpäteren Jahren geturnt hat, wird die Er - fahrung gemacht haben, daß zur Erhaltung und Her - ſtellung der Klarheit ſeiner Jdeen, der Reinheit ſeiner Gefühle, der Heiterkeit und des Frohſinns, eine tüchtige Turnbewegung genügt; daß das Turnen durch erhöhtes Lebens-Gefühl mit der Gegenwart ausſöhnt, daß jene Unzufriedenheit und Blaſirtheit, jener Weltſchmerz, jene Sehnſucht nach der Ferne, nach Unerreichbarem, jene Krankheit unſerer Zeit, die allen friſchen Lebensgenuß ſtört und verdirbt, durch Turnen am ſicherſten und ſchnellſten gebeſſert und geheilt wird, und dafür ein freies offenes Weſen an die Stelle tritt. Jeder ältere Turner kennt den wohlthätigen Einfluß auf Digeſtion,104 Haut-Thätigkeit und Nervenſtimmung. Hypochondriſten loben den Einfluß des Turnens nicht allein auf ihre tauſendfältigen Krankheits-Gefühle, ſondern auf wirkliche Herſtellung unregelmäßiger, tief geſtörter Funktionen. Aus dieſen günſtigen Reſultaten des Turnens als Heilmittel bei Hypochondrie und Melancholie, ergiebt ſich von ſelbſt die Anwendbarkeit des Turnens bei Krankheiten der Frauen, entweder zur Verhütung oder Heilung derſelben. Hat nicht die Hypochondrie und Nerven-Verſtimmung der Männer ihre Parallele in der Hyſterie der Frauen? und ſollten nicht in dem Boudoir einer krampfbehafteten, nervenverſtimmten Dame Turn-Apparate eben ſo gut ihren Platz finden, wie in den Spielſtuben der Kinder? Grillen, Langeweile und Vapeurs finden in Turnübun - gen eine immer ſichere, immer fertige Heilkraft.
Das Turnen ſtellt die natürlichen Appetite wieder her; dem Turner genügt friſche Luft, Bewegung, reines Waſſer und einfache Nahrung; er bedarf nicht der Reiz - mittel und Gewürze; das Turnen wirkt ähnlich wie Reiſen, Bergeſteigen, Bergluftathmen, es erweckt das Gefühl des Leicht - und Frei-Seins, es beſchleunigt die Oxydation des Blutes, den Verbrennungs-Proceß des Kohlenſtoffs in den Lungen; wie tiefes Aufathmen befreit es Herz und Lungen, Hirn und Eingeweide von dem kohlenſtoffigen venöſen Blut, und treibt daſſelbe nach der Peripherie, nach der Haut, nach den Muskeln. Das Blut wird friſcher und lebendiger, und aus dieſem rei - neren Quell ſchöpfen dann alle anderen Organe, und beſonders das Nervenſyſtem, ihre Nahrung, ſo daß alle an der belebenden erfriſchenden Einwirkung participiren. Dies iſt der phyſiologiſche Grund für die herrlichen Fol - gen der Leibes-Uebungen und des Turnens; ein anderer liegt in dem mit den Turn-Uebungen verbundenen ca - meradſchaftlichen Zuſammenſein, wodurch freundſchaftliches Anſchließen, freundliche Mittheilung, Aemulation befördert, Selbſtſucht, Abgeſchloſſenheit, Mißgunſt, Eitelkeit aber ausgemerzt werden. Die Heiterkeit der Turn-Uebungen105 und Spiele bildet einen zweckmäßigen Gegenſatz zu dem Ernſt der Schule, und zieht ſich der Erwachſene nicht vom Turnplatz zurück, zu dem Ernſt des Lebens, und nichts iſt geeigneter, den Ueberreizungen des Gehirns und Nervenſyſtems nach Anſtrengungen der geiſtigen Thätigkeit, durch Beruhigung, Ableitung und Abſtumpfung der Erregbarkeit zu begegnen, als Muskel - und Gelenk - Uebung, als Turnen.
Eltern mögen daher immerhin ihre Töchter am Turn-Unterricht und an den Turn-Uebungen Theil neh - men laſſen; dieſe werden im ſpäteren Leben oft die wohlthätige Einwirkung auf Körper und Geiſt zu preiſen haben, und mit Vergnügen auf die Heiterkeit der turne - riſchen Jugendſpiele zurückſchauen, die ihnen mit ſo ge - ringem Aufwand, mindeſtens eben ſo reine Freuden verſchafft haben, wie ſpäter Geſellſchaften, Bälle, Thea - ter, und ſelbſt koſtſpielige Reiſen ſie zu bieten vermögen; und gern werden ſie im ſpäteren Leben die Turnübun - gen wieder aufnehmen, wenn Trübungen der Geſundheit, oder Verſtimmung der Nerven zu beſeitigen ſind.
Durch Einführung des Turnens in die weibliche Erziehung wird nicht nur das gegenwärtige Geſchlecht geſunder, ſtärker, gewandter, heiterer, ſchöner und beſſer werden, ſondern es werden auch die künftigen Genera - tionen den wohlthätigen Einfluß einer ſolchen Erziehungs - Methode an der fröhlicheren und kräftigeren Entwickelung des Menſchengeſchlechts erfahren, deſſen Entartung nach Rouſſeau beſonders durch die Schwäche der Frauen be - fördert wird.
Cöln, Dezember 1843. Dr. Stucke.
Wenn auch bis jetzt nur an den Gymnaſien in Kurheſſen der Unterricht in der Gymnaſtik in den Lehrplan aufgenommen wurde, ſo iſt doch die erfreuliche Ausſicht vorhanden, daß mit der Zeit auch an den Real - und Bürgerſchulen ein Gleiches geſchieht. (Bei der Realſchule in Caſſel ſollte ſchon in dieſem Jahre der Turnunterricht beginnen, aber bis jetzt iſt leider für unſere große Schülerzahl noch kein geeigneter Raum aufgefunden.)
Jn Hanau, Rinteln und Hersfeld waren ſchon früher Turnplätze vorhanden, dagegen wurde in Fulda erſt im Jahre 1840 und in Marburg 1841 bei den dortigen Gymnaſien ein Raum für gymnaſtiſche Uebun - gen eingerichtet und mit den nöthigſten Gerüſten verſehen. Was die Räumlichkeit dieſer letztern Turnplätze betrifft, ſo iſt dieſe etwas beſchränkt, ſo daß einige Turn-Appa - rate gar nicht aufgeſtellt werden konnten; dieſes war aber nicht zu ändern, indem man bei der Wahl des Platzes die Nähe desſelben beim Schullokal im Auge hatte, was allerdings manche Vorzüge hat.
Was nun die Gymnaſtik in Caſſel betrifft, ſo wurde der Unterricht in derſelben zu verſchiedenen Zeiten107 durch mancherlei Umſtände und Hinderniſſe unterbrochen. Ein ſolches Haupthinderniß war immer der Raum. Ein geordneter Unterricht wurde im Jahre 1830 an der Privat-Anſtalt des Herrn Pfarrers C. gegeben; nachdem dieſe eingegangen war, wurde einige Jahre Privat-Un - terricht im Turnen ertheilt, an welchem nur 24 — 30. Schüler Theil nahmen, die aber mit großer Liebe die Sache betrieben, indem ſie ſich bald von dem großen Nutzen dieſer Uebungen überzeugten. Jm Sommer 1835 wurden dann einige Stunden für den gymnaſtiſchen Unterricht an dem damals beſtehenden Lyceum Friederi - cianum feſtgeſetzt; dann aber unterblieb er wieder bis im Frühjahr 1838 ein bleibender Turn-Unterricht am Gym - naſium eingerichtet wurde. Die nun folgenden weitern Mittheilungen ſind zum Theil einem, Oſtern 1843 er - ſchienenen Programm vom Gymnaſial-Direktor Dr. Weber entnommen. — Die Größe und Einrichtung des Turn - und Spielplatzes für die Schüler des Gymnaſiums da - hier läßt faſt nichts zu wünſchen übrig. Er hat die Größe von 21,806 O. -F., iſt ganz eben, mit feinem Sand bedeckt, und es ſind auf ihm nicht allein ſämmt - liche Apparate: ſieben Rekke und 5 Barren von ver - ſchiedener Höhe, ein Wagbaum, ein Stoßbalken, ein Rieſenſpringel, eine Vorrichtung zum Gerwerfen und Stechvogelſchießen, ein Springgerüſt, ein Voltigirpferd, ein Klettergerüſt mit Schrägbalken, zwei Holzleitern, einer Strickleiter, einem glatten Tau, Knotentau, Doppel - tau ꝛc. aufgeſtellt, ſondern es befindet ſich auch auf demſelben eine, auf der nach dem Turnplatz gerichteten Seite offene, mit Säulen geſtützte Halle, worin Ring - ſpiele, eine wagerechte Leiter und eine Kegelbahn (außer - dem ſind noch zwei unbedeckte Bahnen vorhanden) an - gebracht ſind; auch kann dieſe Halle bei ungünſtigem Wetter zu Fußübungen benutzt werden.
Ferner iſt der Platz auf zwei Seiten mit Zier - ſträuchern, auf der dritten mit einer Roſenhecke einge - faßt, zwiſchen welchen zwei mächtige Pappeln ſtehen;108 auf der vierten Seite, längs des Gymnaſialgebäudes zieht ſich eine 13 F. breite Terraſſe hin, deren Abhang mit Raſen bedeckt iſt. Am Saume desſelben ſtehen Kugelakazien und eine ſüdweſtlich gepflanzte Reihe von Ahornbäumen und mehrere über einen Brunnen ſich wölbende Linden geben immer mehr Schutz gegen die Sonnenhitze; auch ſind in der Nähe hohe Häuſer, welche dem Zugwind den Eingang verwehren. Hier und da ſind Bänke angebracht. Dieſes das Aeußere.
Da bei uns, wie dieſes auch an andern Auſtalten der Fall war, die Bemerkung gemacht wurde, daß die Turnübungen wegen der dadurch vermehrten Stunden nicht nach Wunſch benutzt wurden, (es nahmen an dieſen
| Stunden Theil im Jahre 1838 | 185 Schüler |
| ‒ ‒ 1839 | 238 ‒ |
| ‒ ‒ 1840 | 188 ‒ |
| ‒ ‒ 1841 | 206 ‒ |
| ‒ ‒ 1842 | 173 ‒) |
ſo verlegte man, nach dem Vorgange des Gymnaſiums in Dortmund, die gymnaſtiſchen Uebungen in die ſoge - nannte Erholungszeit, des Morgens ½ St. von ¾10 bis ¼ auf 11 Uhr, und Nachmittags ¼ St. zwiſchen 3 und 4 Uhr, damit das rechte Gleichgewicht zwiſchen Leib und Seele, zwiſchen pſychiſcher und phyſiſcher Spannkraft auch im Kreis der Schule erzielt werde, und behielt nur zwei wöchentliche Stunden zur Unterweiſung in der Gymnaſtik und Ausbildung von Vorturnern bei. Jn dieſer Erholungszeit nun treiben die Schüler auf dem Spielplatze gymnaſtiſche Uebungen oder Spiele, aber in einer beſtimmten Ordnung, ſo daß von jeder Claſſe wöchentlich ſämmtliche Spiel - und gymnaſtiſche Apparate benutzt werden. Außerdem können die Schüler den Spielplatz auch nach dem Unterricht oder an freien Ta - gen nach Belieben benutzen, indem ſie Kegel ſchieben, Ball ſpielen, Laufen, Springen, Stelzengehen u. ſ. w., wodurch das oft ſo nachtheilige Herumtreiben in den Straßen oder vor den Thoren der Stadt vermieden109 wird. Jn den eigentlichen Turnſtunden treten die Schüler auf ein, mit einer Glocke gegebenes Zeichen in Riegen an, und auf ein zweites Zeichen werden dieſelben von dem Erſten (Riegenführer) an das betreffende Gerüſt geführt. Alle Viertelſtunden wird auf das Zeichen mit der Glocke gewechſelt, und iſt die Einrichtung getroffen, daß jede Riege allemal von einer anſtrengenden Uebung zu einer minder anſtrengenden übergeht.
So iſt uns die erfreuliche Ausſicht geworden, daß immer mehr Schüler Antheil an der Gymnaſtik nehmen. Ueberhaupt muß man nur den muntern Spielen, den heitern Scherzen, dem jugendlichen Frohſinn und dem ungezwungenen, lebhaften Treiben der ſich herumtum - melnden Knaben und Jünglinge zuſchauen; man muß beobachten, wie ſich Große und Kleine unter Anleitung und Theilnahme ihrer Lehrer zu gemeinſchaftlichen Spielen verbinden, ſei es zum Tauziehen in friſcher Erinnerung an Homer, oder zum Schneeball-Kampfe, wenn der Himmel die Munition dazu liefert, ſei es zum Wettlauf oder zum Sprung im kreiſenden Seile, ſei es zum Schwingen am Reck oder zum Steigen am Tau, und man wird wahrnehmen, wie jeglicher Unterſchied zwiſchen den Klaſſen verſchwindet, wie ſich alle in dem einen Gefühle, Schüler ein und derſelben Anſtalt zu ſein, ver - einen. Bei dem Anblicke dieſer beweglichen und fröh - lichen Jugend muß einem Jeden die Ueberzeugung wer - den, daß auf dieſe Weiſe das oben ausgeſprochene Ziel gewiß erreicht wird, und dieſer Anblick muß und wird beſonders bei Denen, welche noch immer gegen dieſe Uebungen wegen Gefährdung der Geſundheit ꝛc. mit Mißtrauen erfüllt ſind, jede Beſorgniß und jegliches Mißtrauen verſcheuchen!
Caſſel, den 12. Juni 1843. Schwaab.
Vielleicht erinnern Sie ſich noch des Sonntags, an welchem wir im Sommer 1841 von Berlin aus, in Gemeinſchaft mit einigen andern Turnlehrern, einen Spaziergang nach dem nahen Treptow unternahmen. Damals erzählte ich Jhnen, daß auch für das Gymna - ſium in Zeitz ein Turnplatz eröffnet werden ſolle, und daß ich mich während meiner Anweſenheit in Berlin unter Eiſelen für Leitung eines Turnplatzes fähig machen würde. Jetzt will ich mit Jhnen auf dem Briefbogen einen andern Spaziergang unternehmen, der auch für Sie einiges Jntereſſe haben dürfte. Jch nehme an, daß Sie mich in unſerm alten aber ſehr freundlich gelegenen Zeitz beſuchen. Wir treten aus dem Thore der Stadt, und es öffnet ſich uns eine ganz andere Ausſicht, als die damals nach der unüberſehbaren Sandfläche bei jener Excurſion nach Treptow, nachdem wir aus dem Köpnicker Thor getreten. Vielleicht wiſſen Sie, daß unſer Zeitz auf einer ziemlich bedeutenden Anhöhe an dem rechten Ufer der weißen Elſter gelegen iſt,*)Soviel ich mich entſinne, bin ich im J. 1828 auf einen halben Tag in Zeitz geweſen. D. H. und von dem Waſſerthore können wir unſern Blick nach dem anmu - thigen Elſterthale, den naheliegenden Dörfern und den ſich weiter hinziehenden bewaldeten Anhöhen werfen. Jch mache Sie auf ein Eichen - und Buchenwäldchen jenſeit der Elſter aufmerkſam; nach einigen Minuten haben wir die Elſterbrücke überſchritten, und langen bei jenem Wäldchen, welches ſich an dem Ufer der Elſter wohl eine halbe Stunde weit hinzieht, ſelbſt an. Jch erzähle Jhnen, daß das Wäldchen den Namen Thiergarten111 führt, weil es vor Zeiten einen herzoglich ſächſiſchen Wildpark bildete, der früher umhegt, jetzt aber, durch verſchiedene geebnete Wege durchkreuzt, dem Zeitzer Publikum zu angenehmer Promenade überlaſſen worden iſt. Gleich beim Eintritt in den Thiergarten fällt uns das Förſterhaus mit ſeinem Gehöfte auf, in deſſen Nähe mehrere Lauben, ſchattige Gänge, Ruhebänke ꝛc. ange - bracht ſind. Hier verſammelt ſich im Sommer öfter die Zeitzer haute volée zu Conzerten ꝛc. Etwas weiter da - von wird eine Rotunde mit einem zierlichen Schieß - ſtande bemerkbar und Sie erfahren von mir, daß hier viele der hieſigen Jagdfreunde im Sommer zu ihrem Vergnügen Schießübungen vornehmen. Wir laſſen dieſe Anlagen rechts liegen und ſchlagen links den Weg nach dem Dorfe Zangenberg, einem freundlichen Beſuchsorte der Zeitzer, ein. Bald blinken uns die weißen Turnge - räthe durch das grüne Gebüſch entgegen; wir ſtehen vor dem Turnplatz, der hart an den Zangenberger Weg ſtößt. Sie überſchauen den Turnplatz, welcher einen Flächenraum von circa 150′ Breite und 120′ Länge einnimmt und freuen ſich über die glückliche Lage des - ſelben. Die Eingangsſeite des Turnplatzes, welche an den Zangenberger Weg ſtößt, iſt mit einer zierlichen Einfaſſung von blendend weißem Birkenholz abgegränzt, während die übrigen drei Seiten des Turnplatzes von einer lebendigen Hecke gebildet werden. Zwei mächtige Eichen und zwei kleinere Buchen ſind von dem früheren Waldbeſtande übrig geblieben und gewähren dem Turn - platze Schatten und Zierde. Sie überſehen flüchtig die Turngeräthe; ehe wir jedoch den Turnplatz ſelbſt betreten, ſchlendern wir noch einige Augenblicke vor demſelben in der angrenzenden Lindenallee auf und ab, und dabei er - fahren Sie zugleich die Geſchichte des Zeitzer Turn - platzes.
Schon im Jahre 1840 ſuchte der Rector Prof. Dr. Kießling für das hieſige Stifts-Gymnaſium einen Turnplatz zu acquiriren. Eine Verhandlung mit dem112 hieſigen Magiſtrat hatte nur den Erfolg, daß derſelbe einen ſchlecht gelegenen Platz hinter der Stadtmauer gegen einen jährlichen Miethzins von 50 Thlrn. abzu - treten geneigt war. Da ein ſolcher Miethzins für die geringen disponiblen Gelder zu bedeutend erſchien, wur - den Unterhandlungen mit einigen Gartenbeſitzern ange - knüpft, die jedoch zu keinem genügenden Reſultate führten. Da endlich half ein edler Mann; der hieſige Oberförſter Graf v. d. Schulenburg. Derſelbe erklärte ſich bereit, bei den betreffenden Behörden darauf anzu - tragen, daß dem Gymnaſium ein Stück Wald zu einem Turnplatze abgetreten werden möchte. Nach vielen Schreibereien wurde zu Anfang des Jahres 1842 von dem Hohen Miniſterium des Königl. Hauſes jener Platz im Thiergarten dem Gymnaſium überlaſſen, und der Abraum des ſtehenden Holzes angeordnet. Zugleich trug Dr. Kießling bei den Behörden des Gymnaſiums auf Geldunterſtützung zur weitern Einrichtung des Turn - platzes an, die bereitwillig gewährt wurde. Mit einem Koſtenaufwande von circa 180 Thlrn. wurde der Turn - platz eingerichtet. Bei dem Zeit raubenden Geſchäfts - gange, auf welchem das Bewilligen der nöthigen Gelder, die Reviſion der Anſchläge ꝛc. erfolgen muß, wurde es erſt am 15. Septbr. 1842 möglich, den Turnplatz durch eine kleine Feier zu eröffnen. Ein heiterer Tag begünſtigte dieſelbe. Merſeburger Turner gedachten uns mit ihrem Turnlehrer Freyer zu beſuchen, wurden aber davon abgehalten, da eine Reviſion des Gymnaſiums in dieſe Zeit fiel. Nachmittags drei Uhr verſammelten ſich ſämmtliche Gymnaſiaſten in Turnanzügen mit ihren Lehrern und vielen Honoratioren der Stadt auf dem Turnplatze, in deſſen Mitte eine mit Eichenlaubgewinden geſchmückte Tribüne errichtet war. Nach der Melodie: „ Heil Dir im Siegerkranz “ꝛc. wurde ein vaterländiſches Lied, von Blasinſtrumenten begleitet, angeſtimmt, worauf der Conrector Fehmer, der in den Jahren 1811 und 1812 den großen Berliner Turnplatz beſuchte, das Wort113 nahm. Jn trefflicher Anſprache bezeichnete er die hohe Bedeutung des Turnens für Geiſtes - und Leibeswohl, für Wehrfähigkeit ꝛc., und trug dadurch weſentlich dazu mit bei, daß Schüler und Publikum immer mehr für das Turnen gewonnen wurden. Darauf machte ich die Schüler mit der Turnordnung und den Turngeſetzen bekannt, und mit dem Liede von Maßmann: „ Jch hab mich ergeben ꝛc. “nach der ſchönen und ergreifenden Melodie: „ Wir hatten gebauet ꝛc. “ſchloß die einfache aber angemeſſene Feier. Jetzt konnten die Turnübungen ſelbſt beginnen, da ich ſchon einige Wochen vorher die Vorturner eingeturnt hatte. Alle Schüler zeigten die regſte Theilnahme für die Turnübungen und beſonders machten ſich wider mein Erwarten die Schüler der obern Claſſen als Vorturner recht brauchbar. — Von dieſem Tage an wurde ſehr fleißig geturnt und der heitere Herbſt geſtattete uns bis zum 22. October den Beſuch des Turnplatzes. Die Stimmung des hieſigen Publikums iſt für die Turnübungen ſehr günſtig, und dazu trugen auch die Aerzte mit bei, indem dieſe ſelbſt ſchwächlichen Schülern die Theilnahme am Turnen an - riethen.
Doch jetzt treten wir in den Turnplatz ſelbſt. Jn der Mitte deſſelben fällt Jhnen ſogleich das Kletter - gerüſt auf, welches aus zwei ſtarken und zwei ſchwä - chern Klettermaſten, einem ſchrägen Klettermaſt, Quer - baum, Klettertau, Strickleiter, ſchräger Leiter ꝛc. beſteht. Links davon ſind ſechs Recke von verſchiedener Größe eingegraben, ſowie rechts davon vier Barren. Statt des Schwingels iſt ein gut gearbeiteter Bock aufgerichtet, der mit Pauſchen verſehen werden kann, und ſich zu den hauptfächlichſten Schwingelübungen als recht brauchbar erwieſen hat. Ein mit Brettern ausgeſchlagener Graben zum Weitſchwingen, einige Kreiſe zum Rundlauf ꝛc. werden ebenfalls bemerkbar. Die beweglichen Turnge - räthe, als Springel, Springbretter, Springſtangen, Zieh eile, Reckſtangen ꝛc. werden in einem verſchloſſenen114 Raume des nahen Förſterhauſes aufbewahrt. Mit dem Frühjahr werden die Geräthe noch durch einen Schwebe - baum, Enterbaum und einer Vorrichtung zum Tiefſprung vermehrt. Die Zahl der Turner belief ſich ſeit Eröff - nung des Turnplatzes auf circa 100. Erſt vor Kurzem hat der Magiſtrat darauf angetragen, daß die hieſigen Bürgerſchüler ebenfalls an den Turnübungen Theil neh - men können. Nach einem vorläufigen Abkommen mit dem Directorio des Gymnaſiums werden die Schüler der Bürgerſchule an beſonderen Tagen, getrennt von den Gymnaſiaſten, von mir Turnunterricht erhalten. — Den Eröffnungstag unſeres Turnplatzes gedenken wir durch ein größeres Schauturnen zu feiern. Die Eiſelen’ſchen Turntafeln, welche wir beim Unterrichte zu Grunde le - gen, erweiſen ſich als recht brauchbar. Jhre „ deutſche Turnkunſt “hat mir weſentliche Dienſte beim Anfertigen - laſſen der Turngeräthe geleiſtet. Neuerdings iſt mir das „ Turnbüchlein von H. Krahmer, “Magdeburg bei Hein - richshofen, in jeder Beziehung als recht praktiſch erſchienen.
Zeitz, den 18. März 1843. Moritz Kloß, Lehrer am Stifts-Gymnaſium in Zeitz.
Dieſen Aufſatz erhielt ich für das erſte Heft zu ſpät, und ſo findet er hier ſeine gute Stelle. D. H.
Wie ſehr das Turnen dem Weſen und dem Cha - rakter des deutſchen Volkes angemeſſen ſei, und wie ſehr es zur Befeſtigung desſelben beitrage, Zeuge deſſen iſt115 das raſche Aufblühen der Anſtalten zur Förderung dieſer edeln, Leib und Seele ſtärkenden Kunſt, die freudige Unterſtützung, die ihnen bisher geworden, und welche jetzt von allen Seiten gemeldet wird. Ueberall, wo dieſe Uebungen Eingang gefunden haben, da machten ſie auch ihren wohlthätigen Einfluß geltend, überall regte ein friſcherer Geiſt die Schwingen, überall zeigte ſich auch ein mehr ſittiger und ſittlicher Gemeinſinn unter der Jugend, die ihnen oblag. Auch in Darmſtadt iſt im laufenden Jahre eine Turnanſtalt errichtet worden, die ſich bis jetzt der lebhafteſten Theilnahme erfreute. Auch hier laſſen ſich ihre erfreulichen Folgen wahrnehmen. Schon ſeit längerer Zeit wurde in Darmſtadt geturnt, beſonders in der Anſtalt des Herrn Candidaten Schmitz, ſowie in einigen Privathäuſern. Jm Frühjahr 1842 jedoch bekam die Sache wieder mehr Aufſchwung, indem der Schriftſetzer Franz Wilhelm Metz aus Leipzig eini - gen höhern Gewerbſchülern auf deren Anſuchen Privat - unterricht ertheilte, welchen ſich im Laufe des Sommers auch Schüler vom Gymnaſium anſchloſſen, ſodaß ſich die Turnerzahl auf 60 Mann belief. Jm Frühjahr 1843 ſtieg die Zahl bis auf 100, da aber der Turn - lehrer blos auf ſeine Mittel beſchränkt blieb, ſo mußten die Turngeräthe mangelhaft bleiben, und die Sache konnte nicht den gewünſchten Aufſchwung nehmen. Da trat nun, um der guten Sache mehr durchgreifenden und allgemei - nen Eingang zu verſchaffen, auf die Einladung des Gym - naſiallehrers Dr. Wagner ein Verein von Männern zu - ſammen, der mit friſchem Eifer zuſammengreifend ſeinen Zweck nicht verfehlen konnte. Der erſte Schritt, den ſie thaten, war, daß ſie eine Aufforderung zum Anſchluß in Umlauf ſetzten, in Folge deren 117 Actionäre ſich mit einem jährlichen Beitrage von 3 Gulden betheiligten. Der hieſige Gemeinderath bewilligte eine Summe von 250 Gulden zur erſten Einrichtung der Turnanfialt auf einem geräumigen, im Süden der Stadt gelegenen Platze, den der Kaufmann Karl Netz mit rühmlicher Uneigen -116 nützigkeit vorläufig auf drei Jahre ohne Miethe der Ge - ſellſchaft überließ. Auf dieſe Weiſe näherte ſich der Plan raſch ſeiner Verwirklichung, und in kurzer Zeit meldeten ſich an 150 neue Turner zur Aufnahme. Am 3. Juli dieſes Jahres waren die Vorbereitungen ſoweit gediehen, daß man zur Eröffnung des Turnplatzes ſchrei - ten konnte, auf welchen 80 Schüler des Herrn Metz mit übergingen. Die Feier begann mit einer körnigen Rede des Herrn Dr. Wagner, desſelben, der das ganze Unternehmen angeregt hatte; dann wurden die Geſetze vorgeleſen und vertheilt, Herr Metz als Turnlehrer vor - geſtellt, und ihm, ſowie einem Herrn der Geſellſchaft, das Halten derſelben mit Handſchlag bekräftigt, und die Turner in Riegen getheilt. Turnſpiele ſchloſſen. Am 8. Februar war das erſte regelmäßige Riegenturnen, und ſeitdem machte das Unternehmen erfreuliche Fort - ſchritte durch neues Anſchließen von Actionären, deren es jetzt 127 ſind, ſowie auch von Turnern, welche ſich auf 250 beliefen. Schon den 16. September erlaubten die überraſchenden Fortſchritte der Schüler ein Schau - turnen, zu der ſich zahlreiche Zuſchauer, theilweiſe aus den höchſten Ständen, einfanden. Das herrlichſte Wet - ter begünſtigte das Feſt, luſtig flatterten die Fahnen im Winde, der Platz war feſtlich geſchmückt, das Lied: Tur - ner auf zum Streite u. ſ. w. von vollſtimmigem Chor mit Hörnerbegleitung geſungen, führte das ſchöne Feſt ein. Das nun folgende Riegenturnen beſchloß das Lied: „ Wer gleichet uns Turnern, uns frohen? “ Die Beſten aus der Schaar rangen nun im Schönturnen am Reck, Barren und Schwingel um den Preis der Kraft und Gewandtheit. Von einem Mitgliede der Geſellſchaft, Herrn Heinrich Felſing, der auch dem Auslande als Kupferdrucker wohlbekannt iſt, und der ſich überhaupt um die Anſtalt viel Verdienſt erworben hat, wurden den beſten Turnern ſchöne Kupferſtiche als Preiſe und zum Andenken gegeben. Während des Schönturnens zeigten mehrere ihre Fertigkeiten im Klettern; unter Leitung des117 Herrn Felſing wurden Ring -, Hink -, Reiter - und Seil - zieh-Kämpfe, ſowie Wett -, Figuren - und Schlangenläufe aufgeführt. Es machte einen angenehmen Eindruck, zu ſehen, wie Alle mit frohem Muthe beizutragen ſtrebten, zur Erreichung des hohen Zieles, das ihnen vorgeſteckt war. Nachdem ein kleines Feuerwerk die Feſtlichkeit beſchloſſen, kehrten die Turner unter fröhlichen Scherzen und Ge - ſang heim. — Wenn auch dies unſer Schauturnen nicht den größern Feſten an die Seite geſtellt werden kann, die andere Städte Deutſchlands in letzter Zeit ſahen, ſo zeigte doch der allgemeine Beifall der Anwe - ſenden, der ſie belohnte, daß man ihren Beſtrebungen, und namentlich den Leiſtungen des Herrn Metz als Leh - rer volle Anerkennung zollte. Wenn wir beobachten, wie auch bei uns die Turnübungen ihre Beſtimmung immer mehr erfüllen, die Jünglinge zu tüchtigen Männern her - anzubilden, ſo müſſen wir für’s Erſte den wackern Män - nern, die aus reinem Eifer für den edlen Zweck mit aufopfernder Liebe die Sache in’s Werk richteten und in gutem Gang erhielten, unſern wärmſten Dank zollen. Sodann können wir den Wunſch nicht unterdrücken, daß die Staatsregierungen auf dem von Privaten gelegten Grunde fortzubauen bemüht ſein mögen, auf daß die trefflichen Früchte, welche durch wohlthätige Vereine in einzelnen engen Kreiſen erzielt wurden, durch Anſtalten, die alle Schulen umfaſſen, überall reifen. Denn wohl - geleitete Turnanſtalten machen nicht nur den Körper ſtark und gewandt, ſie fördern auch eine heitere Sittlich - keit und führen die Zeiten herbei, in denen die Jugend durch eine gleichmäßige Bildung aller Kräfte jenes ſchöne Jdea! der griechiſchen Vielſeitigkeit und Harmonie er - reicht.
Mülheim am Rhein, im Octbr. 1843. Jm Frühling dieſes Jahres hat die hieſige höhere Bürger - ſchule eine Turnanſtalt erhalten. Die ſtädtiſche Behörde hatte die nöthigen Mittel dazu bewilligt und zugleich einen geeigneten Platz für dieſelbe angewieſen. Gleich nach Pfingſten begannen die Vorübungen unter der Lei - tung eines der Lehrer der Anſtalt; ſpäter übernahm Herr Euler, Turnlehrer aus Köln, in zwei Stunden wöchentlich den Unterricht. Faſt ſämmtliche Schüler der Anſtalt, die nicht durch körperliche Verhältniſſe von der Theilnahme abgehalten wurden, mit wenigen Ausnahmen, nehmen an den Uebungen Theil, ſo daß fünfzig und einige Turner ſich zu denſelben einfanden. Die Knaben hatten ſich aus eigenem Antriebe ſämmtlich gleichförmig uniformirt, und nicht nur bei ihnen, ſondern auch bei den Eltern fanden die Uebungen bald allgemeines Jn - tereſſe, nachdem durch die Beobachtung des ſtufenmäßigen Ganges derſelben vom Leichtern zum Schwerern die Be - denken gegen die Gefährlichkeit des Turnens ſchnell ge - ſchwunden waren.
Am 5. Auguſt beging die Anſtalt mit der Feier der tauſendjährigen Selbſtſtändigkeit Deutſchlands zugleich die förmliche Eröffnung ihres Turnplatzes. Die ſtädti - ſchen Behörden verſammelten ſich mit den Lehrern und Schülern der Anſtalt auf dem Turnplatze, wo der Prä - ſes der Schulcommiſſion, Herr Landrath Schnabel, in kräftiger Rede über den Zweck des Turnens und die Wichtigkeit der körperlichen Ausbildung ſprach. Bei dem hierauf folgenden Schauturnen hatten die Anweſenden Gelegenheit, ſich nicht nur von den bisherigen Leiſtungen zu überzeugen, ſondern auch über das Turnen im All - gemeinen, das bisher den meiſten eine völlig fremde Sache geweſen, ein richtiges Urtheil zu gewinnen.
Krieckhaus.
Wenn unſer deutſcher Fürſt und König ſein Volk feierlich an die tauſendjährige Selbſtſtändigkeit Deutſch - lands erinnert, ſo mag dieſe tauſendjährige Zeit mit ihren manchfachen Wechſelfällen, Beziehungen und Ein - wirkungen wohl nicht allein zu dieſem Feſt die Veran - laſſung gegeben, ſondern dasſelbe eine höhere, als die blos geſchichtliche, Bedeutung haben. Ein Aufruf viel - mehr, eine Mahnung, daß in allen deutſchen Stämmen die alte deutſche Treue, Biederkeit, der Wahrheits-Sinn, die gegenſeitige Offenheit und Gradheit bei Fürſt und Volk, immer mehr Wurzel faſſen; Ein Geſammt-Jntereſſe alle Stämme des deutſchen Vaterlandes immer inniger vereinigen, und ſo ihre Geſammt-Kraft nach Jnnen und Außen erhalten und bewahren mögen.
Haben wir ſo die Erforderniſſe zur Erhaltung der Selbſtſtändigkeit und Förderung der Einheit Deutſch - lands auch zu unſerer eigenen Ermahnung, Erhebung und Erſtarkung in der Treue zu König und Vaterland erkannt, dann mögen wir auch bei dieſer Feier beſonders der Körper - und That-Kraft gedenken, wodurch der Deutſche ſtets, und vorzüglich unſere Alt-Vordern, ſich ausgezeichnet haben.
Woher denn dieſe Kraft? durch eine frühe körper - liche Ausbildung; und dieſe durch geregelte Leibes-Be - wegungen, körperliche, ritterliche Uebungen, durch die Turnkunſt. Verſchwand dieſelbe auch durch die Zeit, aus beſondern Anſichten und Verhältniſſen, ſo iſt ſie, als eine deutſche Angelegenheit, wieder in das Leben getreten, die auch uns mahnt, dieſelbe bei der Jugendbildung nicht außer Acht zu laſſen.
Wie wir uns die Jugendbildung für das geiſtige Leben angelegen ſein laſſen, ſo wollen wir nun auch ihre Körper kräftigen durch zweckmäßige Leibesübungen;120 durch dieſe Geſundheit, Kraft und Gewandheit des leib - lichen Lebens fördern, Schwächlinge und Weichlinge ſtärken, dazu beitragen, daß ſie ſich einſt als ganze Menſchen an Seele und Leib fühlen, ihren Geiſt und Willen mit der That einigen, frohen Muthes ihrer künf - tigen Beſtimmung entgegen gehen, mit einem Körper, der vorbereitet zur Ertragung der Anſtrengungen und Beſchwerden, die das Leben des Menſchen bietet, auch das Vaterland zu ſeinem Schutz und ſeiner Erhaltung fordert.
Demnach hat das Turnweſen einen hohen Zweck, und iſt wahrlich kein eitles vorübergehendes Knabenſpiel.
Jede Bewegung hat ihre Bedeutung, die ihr, lieben Schüler, durch den Unterricht kennen lernen werdet, warum ſie auch in Zukunft nützen.
Um dieſe Leibesübungen nun regelmäßig und folge - recht durchzuführen, iſt der Turnmeiſter Herr Euler er - ſucht, die Lehrer unſerer höhern Bürgerſchule, welche aus reger Liebe zur Jugendbildung den Turn-Unterricht über - nommen, hierin für’s Erſte zu unterſtützen.
Dank Jhnen, meine Herren, für Jhre fortwährende, erfolgreiche und ſegensvolle Wirkſamkeit. Auch ſind wir überzeugt, daß ihr, lieben Schüler, wenn auch heitern und frohen Sinnes, der der Jugend wohl anſteht, doch mit der gehörigen Ruhe und Beſonnenheit, mit dem der Sache würdigen Anſtand auch in dieſem Unterricht euern Lehrern gern und dankbar folgen werdet.
Dank auch unſerm Stadt-Rath, dem die Förderung des Guten und Gemeinnützigen, ſo auch des Schulwe - ſens, namentlich der höhern Bürgerſchule, Zweck der Gemeinde-Vertretung iſt, daß er die Mittel zur Errich - tung und Erhaltung unſerer Turn-Anſtalt bewilligt, welche die Königliche Regierung genehmigt hat.
Daß ſolche Anſtalten in die Volkserziehung und Jugendbildung wieder aufgenommen, iſt auch der Wille Sr. Majeſtät Unſeres Königs, damit jeglicher im Volk nicht nur mit ſeinem geläuterten freien Geiſt, ſondern121 auch mit Körper - und That-Kraft zu jeder Zeit feſtſtehe zu ſeinem eigenen und des Vaterlandes Frommen.
Hierfür, und daß Unſer König uns erinnert, daß wir Deutſche ſind, und uns mahnt, kräftige und ſelbſt ſtändige Deutſche zu bleiben, Sr. Majeſtät ein treu er - gebenes, aufrichtiges deutſch-kräftiges Lebehoch!!! —
Hiermit werde nun[unſere] Turn-Anſtalt förmlich eröffnet, mit dem Wunſch des beſten Erfolgs, des hohen Zweckes würdig. —
Jeder Beitretende iſt verpflichtet, den Geſetzen des Jnſtiſtutes, ſo wie allen Anordnungen der Directoren und Zugführer während der Uebungen, insbeſondere der Anweiſung des jederzeit bei den Uebungen gegenwärtigen Arztes ohne Widerrede Folge zu leiſten.
Niemand, er ſei Theilnehmer oder nicht, darf bei polizeilicher Ahndung außer den allgemeinen Uebungs - ſtunden den Uebungsplatz betreten.
Neckereien und Beleidigungen in Wort und That können auf dem Turnplatze nicht geduldet werden.
Niemand darf ohne dringende Abhaltung die Uebungen verſäumen, und wiederholtes Fehlen ohne An -Jahrb. d. Turnkunſt. II. 6122zeige der Veranlaſſung wird für freiwilliges Ausſcheiden angekommen.
Das Singen beim Hinaus - und Hereinwege, vor den Uebungen und während derſelben, iſt unterſagt.
Die Zöglinge gehen zu den Uebungen nach Able - gen des Rockes, der Kopfbedeckung, Halsbinde, Uhr ꝛc. bekleidet mit einer grauleinenen Jacke, einfachen, beque - men, die Bewegung der Schenkel nicht hemmenden Beinkleidern und Halbſtiefeln oder Schuhen. Es iſt aber nicht erlaubt, in jener Jacke ohne andere Beklei - dung ſich von der Wohnung nach dem Uebungsplatze zu begeben.
Sämmtliche Turner gehen in Zügen an die vor - geſchriebenen Uebungsſtellen, wo dieſelbe Reihenfolge der Uebenden bleibt, in welcher ſie in dem Zuge ſtehen; von dieſem darf ſich Niemand entfernen, auch nicht, wenn ihm einzelne Uebungen zu ſchwer ſcheinen ſollten.
Vor und während der Verſammlung der Turner iſt es nicht erlaubt, daß einzelne hier und da ihre Kunſt - fertigkeit zeigen; vielmehr muß auf dem Verſammlungs - platze das Zeichen zu dem gemeinſchaftlichen Abgange nach den vorgeſchriebenen Stellen abgewartet werden.
Bei Erhitzung, zumal nach dem Laufen, darf Nie - mand ſtill ſtehen oder ſich ſetzen, ſich lagern oder gar trinken, ſondern er muß umhergehend ſich abkühlen.
Es darf Niemand ohne Bewilligung des Zugführers zu einer ihm neuen Uebung vorſchreiten.
Strafen ſind: Ausſchließung von einzelnen Uebun - gen, von den Spielen, oder gänzliche Entfernung.
Die Zugführer werden von dem Directorium er - wählt.
Magdeburg, den 16. November 1841.
Der Zweck des Turnens iſt eine möglichſt vollkom - mene und allſeitige Ausbildung des Körpers, mit welcher zugleich unmittelbar eine Kräftigung des Geiſtes durch das Bewußtſein der dem Körper inwohnenden Kraft und Sicherheit erzielt wird.
Dieſen Zweck zu fördern, die gegen das Turn - weſen gerichteten Vorurtheile ſo viel als möglich zu be - kämpfen und für das Allgemeinerwerden der turneriſchen Uebungen nach Kräften zu ſorgen, tritt der Turnverein zuſammen.
124Zur Aufnahme in denſelben ſind berechtigt:
Der Turnverein hält jährlich eiue Generalverſamm - lung zur gemeinſamen Berathung über die Vereins-Ange - legenheiten und zwar im Frühlinge vor dem Beginnen des Sommerturnens.
Die Einladung erfolgt durch die Königsberger Zeitung.
Organ des Turnvereins iſt der Turnrath. Der - ſelbe beſteht aus zwölf Perſonen, von welchen wenigſtens zwei ältere Turner ſein müſſen.
Der Turnrath wird in allgemeiner Jahres-Ver - ſammlung auf ein Jahr gewählt, wonächſt derſelbe wie - derum aus ſeiner Mitte
Dem Turnrath liegt es vorzugsweiſe ob, dafür zu ſorgen, daß der oben angedeutete Zweck des Turnver -125 eines beſtmöglichſt erreicht werde. Als Mittel dazu bie - ten ſich ihm dar die Annahme armer Turnſchüler zu dem Turnunterricht auf Koſten des Vereins, die Veranſtaltung von allgemeinen Turnfahrten nach benachbarten Orten, von Turnfeſten mit Preisvertheilungen an die tüchtigſten Turner und von öffentlichen Schauturnen.
Der Turnrath hat darauf hinzuwirken, daß ähnliche Vereine in allen Theilen der Provinz ſich bilden.
Von dem Turnrathe erfolgt die Einladung zu den Jahres-Verſammlungen (§. 2.), auch ſteht ihm das Recht zu, außerordentliche Verſammlungen zu veranlaſſen, zu welchen die Einladung ebenfalls durch die Königsberger Zeitung ergeht.
Dem Turnrath ſteht das Recht zu, ungeeigneten Jndividuen die Aufnahme in den Verein zu verſagen, auch bereits aufgenommene Mitglieder, die durch ihr Betragen ſich der Geſellſchaft unwürdig zeigen ſollten, von dem Vereine auszuſchließen.
Zu jedem Beſchluſſe des Turnrathes iſt die An - weſenheit von mindeſtens acht Mitgliedern erforderlich, unter welchen abſolute Stimmenmehrheit entſcheidet, und im Falle der Stimmengleichheit die Stimme des Ord - ners den Ausſchlag gibt. Handelt es ſich um die Aus - ſtoßung eines Mitgliedes aus dem Vereine, ſo müſſen wenigſtens ſieben Stimmen ſich für dieſe Maßregel erklären.
Jn der allgemeinen Jahres-Verſammlung legt der Turnrath Rechnung über ſeine Verwaltung ab, und er - ſtattet Bericht über die Wirkſamkeit des Vereines, deſſen Veröffentlichung durch geeignete Blätter erfolgt.
Die Mitglieder des Vereines haben das Recht und die Pflicht, dem öffentlichen Turnunterricht möglichſt126 fleißig beizuwohnen, und ihre Bemerkungen dem Turn - rathe zur geeigneten Berückſichtigung mitzutheilen.
Zur Deckung der allgemeinen Unkoſten bei Turn - fahrten, Turnfeſten, Preisvertheilungen ꝛc. zahlt jedes Mitglied einen vierteljährigen Beitrag von 5 Sgr.
Ehrenmitglieder können nur Auswärtige werden, und zwar nur dann, wenn ſie ſich durch Beförderung der Zwecke des Vereins Anſprüche auf die dankbare An - erkennung desſelben erworben haben.
Der Verein behält es ſich vor, dieſe Geſetze nach Jahresfriſt abzuändern, falls Erfahrungen die Unzuläng - lichkeit derſelben darthun. Zur Entſcheidung hierüber ſollen zwei Dritttheile der in allgemeiner Verſammlung anweſenden Stimmen erforderlich ſein.
Königsberg in Pr., am 9. Juni 1842.
Den 10. Mai 1843 kam ich hier in Köln an. Jch wählte Köln zu meinem künftigen Aufenthaltsort und Wirkungskreis, trotz aller abmahnenden und abſchreckenden Stimmen, die von Köln wie von Berlin aus an mich ergingen. Jch hatte mein Vertrauen auf das Volk geſetzt! Wenn mir in Köln große Schwierig -127 keiten entgegentraten, die noch nicht alle überwun - den ſind, ſo gingen dieſelben nicht von dem Volke aus. Die Regierung und das Provinz. -Schul-Collegium ſchenkten der jungen Anſtalt Jhr Vertrauen, und beglei - teten ſie in ihrem Fortgange mit Jhrem Wohlgefallen. Von den Direktoren nahm ſich meiner nur Dr. Carl Hoffmeiſter, Direktor des Friedrich-Wilhelms-Gymnaſiums, an, welcher mir mit Genehmigung des Provinz. -Schul - Rathes Dr. Landfermann in Koblenz ſeinen Gymnaſial - Schulplatz zum Turnplatz ſämmtlicher Schüler Kölns auf das Bereitwilligſte hergab. Wenn die an - dern Direktoren ſich noch von der Sache fern hielten, ſo glaubten ſie ſich durch die als nahe verkündigte Or - ganiſation des Turnweſens von Seiten des Staates ge - bunden, und dann hatten ſie böſe Erfahrungen in jüngſt verfloſſener Zeit gemacht. Gleich dem Direktor nahmen ſich auch ſämmtliche Lehrer des Friedrich-Wilhelms-Gym - naſiums der Turnſache bei ihren Schülern an. So wurde denn die Turnanſtalt mit 60 Schülern dieſes Gymnaſiums eröffnet, welche Zahl bald bis auf 88 ſtieg. An ſie ſchloſſen ſich im Laufe des Sommers von der höhern Bürgerſchule zwei, von Elementarſchulen fünf. So neu die Sache auch war, und der Turnplatz ungünſtig (in Beziehung auf die Einrichtung), ſo fanden ſich doch Erwachſene, namentlich zwei Aerzte und ein Oberlehrer des Friedrich-Wilhelms-Gymnaſiums zum Tur - nen ein. Vor Allem aber muß ich dankbar erwähnen die Theilnahme, welche das Turnen der Mädchen gefun - den hat. Eben erſt angelangt nahmen ſich meiner von Allen am Erſten der Kaufmann Wendelſtadt und Frau an, indem ſie mir, dem Fremden, ſofort auf das Freund - lichſte und Uneigennützigſte aus eigenem Antriebe einen Saal in ihrem Hauſe zum allgemeinen Fecht - und Mädchenturnſaal anboten, ihre beiden erwachſenen Töchter an dem Turnunterricht Antheil nehmen, den äl - tern Sohn turnen und fechten, und den kleinern turnen ließen. Jhnen, dem Direktor Hoffmeiſter, ſowie dem128 Schulrath Dr. Landfermann verdanke ich es allein, daß ich in Kölu überhaupt eine Turnanſtalt habe einrichten können. So begann der Mädchenturnunterricht mit dem Juni, und die Anzahl der Schülerinnen ſtieg trotz ſo vieler Hemmniſſe auf 17. Und es ſtellt ſich demnach der Beſuch der Turnanſtalt bis zum 1. Oktober 1843 überſichtlich alſo dar:
Was die Knabenturnanſtalt betrifft, ſo gewann ſie im Volke immer mehr Beifall, was ſich beſonders bei dem zweiten Schauturnen ergab, worüber die Allgemeiue Preuß. Zeitung vom 31. Juli 1843 alſo berichtet:
„ Köln, 26. Juli. Auch hier iſt im Laufe dieſes Sommers ſeit der Anweſenheit des Turn - und Fecht - lehrers Herrn Karl Euler der Jugend Gelegenheit zum Turnen geboten. Aber wenn auch hier und da ein er - freulicher Anfang damit gemacht wurde, ſo zeigt ſich doch noch keinesweges das Jntereſſe dafür allgemein und auf eine der Wichtigkeit der Sache entſprechende Weiſe. Un - ter den hieſigen drei höheren Lehranſtalten hat, was be - fremdend erſcheinen muß, erſt eine, nämlich das Frie - drich-Wilhelms-Gymnaſium, zu regelmäßigen Uebungen für ihre Schüler in dem freilich etwas beengten Schul - hofe die Einrichtung getroffen und bei einem neulich ab - gehaltenen Schauturnen, einer Art öffentlicher Prüfung129 der Turnſchüler, die, vielleicht an ſich von zweifelhaftem Werth, unter Umſtänden zur Belebung des Jnterefſes für die Sache wohl geeignet iſt, in Jung und Alt der anſehnlichen Zuſchauerzahl die lebhafteſte Theilnahme er - weckt. Wenn auch das Wie und Wo der Einrichtung der Turnplätze ſelbſt manche Schwierigkeit macht, wie dies allerwärts mehr oder weniger der Fall iſt, ſo wür - den doch, da in dieſer Hinſicht die hieſige Feſtungs-Be - hörde mit der größten Bereitwilligkeit entgegenkommt und Herr Euler ſelbſt ganz die erforderliche Erfahrung nud Geſchicklichkeit zu beſitzen ſcheint, ſolche äußerliche Hin - derniſſe ſich leicht überwinden laſſen, wenn der Eifer im Allgemeinen reger und namentlich im größeren Publikum die eigentliche Kenntniß der Sache, die vollſtändigere Einſicht in den wahren Werth des Turnens verbreiteter wäre. Man ſcheint nicht allgemein genug zu erwägen, daß durch wohlgeleitete Turn-Uebungen, neben der Be - förderung der Gefundheit, der Stärke, der Gewandtheit, der Glieder und des Anſtandes, das ganze Leben der Jugend eine Richtung zu gewinnen im Stande iſt, welche ſie der überhand nehmenden weichlichen Genuß - ſucht, dem Heere Geiſt und Herz abſtumpfender Zer - ſtreuungen, denen ſie in Ermangelung einer gemeinſchaft - lichen würdigeren Unterhaltung vereinzelt nach allen Seiten hin nachjagt, allmälig wieder zu entziehen, und mit der Pflege der Beſcheidenheit und Sitten-Einfalt für einfache, angemeſſene, nicht in die ſpätere Lebensſphäre übergreifende Vergnügungen in ihr den Sinn wieder zu erſchließen vermöchte. Wahrlich, wird die Turnerei, jenes heitere Zuſammentreten der Jugend unter freiem Him - mel zu friſcher lebensvoller Thätigkeit, die gemeinſchaft - liche Nöthigung zum Schweren, zur Abhärtung und Entſagung, die fortgeſetzte Anſchauung der Reſultate von Maß, Zucht und Ordnung, von Willensſtärke und Ver - trauen, im rechten Lichte aufgefaßt, ſo hat man wohl nicht zu befürchten, daß die erſte Stadt des Rheinlandes hierin die vom Gouvernement ausgehenden Anregungen130 minder beachten und hinter anderen Städten zurückbleiben werde; vielmehr iſt zu erwarten, daß einem verſchiedent - lich laut gewordenen Wunſche gemäß bei der Einrichtung von Turn-Anſtalten nicht blos die Schüler der höheren Lehr-Anſtalten, ſondern auch die große Zahl derjenigen jungen Leute in’s Auge gefaßt werde, die, durch ihre Beſtimmung zu Handel und Gewerbe den Schulen ent - zogen und dadurch zu manchem Mißbrauch ihrer früheren Selbſtſtändigkeit verleitet, gewiß in eben ſo hohem Grade, wie jene, eines Jmpulſes bedürfen zur würdigen Ver - wendung ihrer freien Stunden und einer Vereinignng, wie ſie durch die gemeinſchaftlichen Uebungen bedingt iſt. “
Während dieſer Zeit wurden die Turnübungen auch in der Taubſtummen-Anſtalt durch die Bemühungen des Arztes der Anſtalt, des Dr. Stucke, eingeführt, welchem der Vorſteher dieſer Anſtalt, Stadtrath von Wittgenſtein und der Direktor derſelben, Grunewald, ſehr bereitwillig entgegenkamen. Die Knaben und Mädchen turnen mit außerordentlicher Luſt, und entwickeln ſich ſehr gut. Sel - ten haben aber auch Kinder eine ſolche Bewegung nöthiger, als gerade ſie, da ſie in außerordentlichem Grade ſammt und ſonders mit den Scrofeln behaftet ſind.
Auch in dem nahen Mülheim am Rhein übernahm ich den Turnunterricht an der höhern Bürgerſchule, wo der Oberlehrer Krieckhaus unter den Turnern eine muſter - hafte Zucht und Ordnung eingeführt hatte, und mich in allen Turnſtunden in der Handhabung derſelben auf das Treulichſte unterſtützte, wogegen die andern Lehrer ſich in unnahbarer Ferne vom Turnplatze hielten. Daß der Landrath Schnabel ſich der Sache auf das Herzlichſte annahm, gibt ſeine Rede am Allerdeutſchen-Feſt hinrei - chend kund. Hier in Mulheim auch den Winter hindurch die Uebungen fortzuſetzen, fehlte es an dem Raum und den Mitteln, einen ſolchen zu beſchaffen.
Mit denſelben Schwierigkeiten hatte ich auch in Köln zu kämpfen, da zur Fortſetzung des Turnweſen[ſ]in dem Winter ein Turnſaal zu beſchaffen war, welche[n]131— wo möglich — alle Schulen, ſowie die Erwachſenen und die Mädchen beſuchen könnten. Da ich einen ſolchen durch die Zeitung und andere Wege nicht in Erfahrung bringen konnte, ſo wandte ich mich an die Regierung, und dies um ſo mehr, als unſer König den Königsberger Turnern auf den Antrag des Oberpräſidenten Böttcher den großen Moskowiter-Saal als Winter-Turnſaal be - willigt hat. Da die Regierung keine verfügbare Räume hatte, ſo legte ſie ſelbſt der Städtiſchen Behörde die Sache dringend an’s Herz, jedoch ohne Erfolg. Zugleich kam ich bei der Direktion des katholiſchen Gymnaſiums wegen Bewilligung der Aula für die Schüler ihres Gym - naſiums ein. Die Bedingungen aber, woran das Prov. - Schul-Collegium ſeine Bewilligung geknüpft hatte, und die mir erſt Ende November mitgetheilt wurden, waren der Art, daß ſchwer darauf einzugehen war. Da ſo ſammtliche Wege von meiner Seite erfolglos geblieben, ſo blieb — um endlich zum Ziel zu gelangen — nichts anderes übrig, als nach dem Vorſchlag des Direktors Dr. Carl Hoffmeiſter einen Turnſaal durch Unterzeichnung zu erbauen. Er ſelbſt wollte einen Theil ſeines Gartens als Bauplatz hergeben, und ſoviel Raum hinzufügen, um auch im Freien turnen zu können. Die Unterſchriften hatten einen ſehr erfreulichen Fortgang, als auf einmal auch dieſer Plan zu Waſſer ward. Es ſoll nämlich ein alter Plan ausgeführt und eine Straße durch dieſen Theil des Direktorial-Gartens gezogen werden, und zwar ſchon im nächſten Frühjahre. So blieb mir alſo nichts übrig, als die Gründung eines Turnvereines zu veran - laſſen, auf denſelben Grundſätzen, nach welchen ich im Jahre 1842 den Königsberger Turnverein gegründer. Es traten daher meine ältern Turner Dr. med. Stucke, der ſich bisher der Knaben - wie der Mädchenturnanſtalt auf das Thätigſte angenommen hatte, Dr. med. Thomè, Dr. und Oberlehrer vom Friedrich-Wilhelms-Gymnaſiums, Backes, und Aſſeſſor Jung als proviſoriſches Comite zu - ſammen, und Aſſeſſor Jung erließ in der Kölniſchen132 Zeitung vom 1. November im Namen des proviſoriſchen Comites folgenden „ Aufruf. “
Einer der ſchönſten Fortſchritte unſerer Zeit iſt, daß alles Große, ja, nur irgendwie Bedeutende nicht mehr ausſchließlich den Fürſten oder dem zufälligen Wohl - wollen reicher Mäcenaten überlaſſen bleibt, ſondern den vereinigten Kräften Vieler, der Aſſociation der Gleich - denkenden ſein Entſtehen verdanken muß. — So wenden wir uns auch heute mit vollem Vertrauen an die Bür - ger Kölns, die gemeinſchaftlich ſchon ſo vieles Große geſchaffen, zu Gunſten eines Jnſtitutes, deſſen Nothwen - digkeit unbeſtritten iſt, und deſſen Errichtung durch all - gemeine Beiträge, bei der unverzeihlichen Zögerung der Perſonen, denen eigentlich die Pflicht ſeiner Pflege obläge, einen neuen Triumph des ſtets wachen Volksgeiſtes über die Jndolenz Einzelner bilden wird. — Um es kurz zu ſagen, es handelt ſich von der Errichtung eines Vereines zur Förderung des Turnweſens, wozu, wie man gleich hören wird, gegenwärtig die beſte Gelegenheit ſich dar - bietet, und nur geringe Geldmittel erforderlich ſind. — Köln hat gegenwärtig keine Turnanſtalt, beſonders keine für den Winter, und doch iſt es unbeſtritten, daß ohne eine ſolche die körperliche Ausbilduug der Jugend un - möglich iſt. — Es gab eine Zeit, wo in Deutſchland die Turnanſtalten ſehr im Flor waren, die man jedoch, wegen der Demagogie, unterdrückte. Man hat ſeitdem die Uebereilung eingeſehen, und von allen Seiten drängt man auf Errichtung von Turnanſtalten, und eine Cabi - netsordre des Königs vom Jahre 1842 befiehlt die Or - ganiſation derſelben an allen Schulen, und doch iſt noch nirgends etwas geſchehen, wo nicht die Städte ſelbſt ſich ins Mittel legten. So beſolden die Städte Königsberg, Stettin, Danzig, Pillau ſtädtiſche Turnlehrer mit 200 bis 400 Thlrn. jährlich, und haben ihnen Locale einge - räumt; ſo hat auch die Nachbarſtadt Mainz 300 Gulden133 für Turngeräth, eine Kirche als Turnſaal und 500 Fl. Gehalt für den Turnlehrer bewilligt; viele andere preu - ßiſche und nichtpreußiſche Städte thaten Aehnliches. Soll Köln allein zurückbleiben und noch länger zuſehen, daß die Erziehung ſeiner Jugend in einem der wichtigſten Puncte vernachläſſigt werde? Zum Ueberfluß bietet ſich jetzt eine treffliche Gelegenheit dar, das Verſäumte nach - zuholen. Jm Frühjahr dieſes Jahres kam der Turnlehrer Euler aus Königsberg nach Köln und wandte ſich, mit Empfehlungen aus Berlin verſehen, an die Direktoren der Gymnaſien und Bürgerſchule. Nur der Direktor Hoffmeiſter nahm ſich der Sache an und räumte ihm ſofort den Spielplatz des Friedrich-Wilhelms-Gymnaſiums, nicht allein zum Unterricht der Schüler desſelben, ſondern aller andern, ohne Unterſchied, ein. — Herr Euler hatte während dieſes Sommers 90 Schüler, ſämmtlich bis auf zwei aus dem Friedrich-Wilhelms-Gymnaſium. Außer - dem kann ein Verein von Männern, worunter mehre Familienväter, die bei ihm turnen, Zeugniß von ſeiner Tüchtigkeit ablegen. Das Turnen im Freien iſt aber bereits unmöglich geworden, und Herr Euler ſieht ſich zur Fortſetzung ſeines Unterrichtes vergeblich nach einem Saale um und wird, wenn nicht bald Abhülfe kommt, die Stadt, welche ihm keine Beſchäftigung bietet, wieder verlaſſen müſſen. Zwar iſt ihm Hoffnung gemacht wor - den, die Aula des Jeſuiten-Gymnaſiums eingeräumt zu erhalten, aber einerſeits ſcheint die Sache ſich ſehr in die Länge zu ziehen, andererſeits genügt dieſelbe nicht, denn die Erfahrung lehrt, daß die Schüler anderer Schu - len faſt nie zum Unterricht in einem fremden Schul - Locale zu bringen ſind; an wem die Urſache davon liegt, mögen wir hier nicht unterſuchen, genug, daß dem ſo iſt. Außerdem würden die Mädchen, die Hr. Euler unter - richtet und deren Anzahl bis jetzt im Steigen war, auch ſchwerlich ein ſolches Local betreten. Nachdem nun die Regierung, die Stadt, die Schulvorſtände, an die man ſich alle gewandt hat, nichts zu thun vermögen, ſo rufen134 wir als letzte und größte Macht, die ſelten Hinderniſſe kennt, den Geiſt der Aſſociation aller Gleichdenkenden auf, dieſen Geiſt, der in Köln ſchon ſo vieles Große geſchaffen hat, der Eiſenbahnen gebaut, Kirchen wieder aufgebauet hat, abgebrannte Dörfer aus dem Schutte erſtehen ließ. Köln, welches für fremde Noth ſo oft ſeine milde, gabenreiche Hand öffnete, es wird ein kleines Opfer nicht ſcheuen, wo es das Wohl, die Erziehung ſeiner eigenen Jugend gilt. Der Egoiſt, der nichts für Andere thut, denkt und handelt doch für ſich ſelbſt. Köln, welches ſo viel für Andere that und thut, wird auch ſeine eignen Bedürfniſſe nicht vernachläſſigen. Wir for - dern alſo Jeden, der es wohl meint mit Köln, mag er nun turnfähige Kinder haben oder nicht, auf, ſich am Sonntag, den 5. November, im Saale des Caſino, links vom Eingang, einzufinden, woſelbſt zur Bildung eines Turnvereins und zur Berathung der Statuten und der weitern Maßregeln geſchritten werden kann.
Das proviſoriſche Comite.
Darauf erſchien vom Direktor Dr. Carl Hoffmeiſter, dem das Turnweſen in Köln ſchon ſo viel verdankt, in der Kölniſchen Zeitung vom 4. November noch folgende Mahnung, welche jenen „ Aufruf “bei den vielen Leſern der Zeitung nur noch eindringlicher machen, die Sache aber, die es hier galt, bedeutend heben mußte.
Turnweſen in Köln.
Der Aufruf an die Bürger Kölns (in der Beilage zu Nr. 305 d. Ztg.), einen Verein zur Förderung des Turnweſens zu gründen, hat gewiß bei allen Jugend - und Schulfreunden freudigen Anklang gefunden, und dem proviſoriſchen Comite, welches ſich aus Kölnern zu dieſem Zwecke gebildet hat, gebührt vornehmlich auch von Seiten des hieſigen Lehrerſtandes aufrichtiger Dank. Daß das vorgeſetzte königliche Miniſterium den beſten Willen hat, die Cabinetsordre Sr. königlichen Majeſtät vom 6. Juni vorigen Jahres auszuſühren, iſt keinem135 Zweifel unterworfen, und der Hr. Miniſter Eichhor[n]hat bei ſeiner Anweſenheit den hieſigen Gymnaſial-Lehrern, welche die Turnangelegenheit zur Sprache brachten, be - ruhigende Zuſicherungen gegeben. Die dem Schulweſen der Rheinprovinz zunächſt vorgeſetzte königliche Behörde aber hat, ohne die erſehnte allgemeine Organiſation des Turnweſens für den ganzen Staat abzuwarten, bereits unter dem 23. October d. J. eine Verfügung erlaſſen, durch welche ſie ſchon jetzt bei jeder höhern Lehranſtalt körperliche Uebungen, wo ſie noch nicht beſtehen, anord - net, mit der Zuſicherung, daß ſie dieſelben auf jede ihr mögliche Weiſe unterſtützen werde. Deſſen ungeachtet fehlt es wenigſtens der Provinzial-Behörde an ausreichenden Geldmitteln zur Beſoldung eigener Turn - lehrer und zur Gewinnung von geeigneten Plätzen mit einem geräumigen Turnhaus für die Uebungen im Win - ter. Für das große Köln aber muß ein gemeinſchaftlicher Turnplatz innerhalb der Stadt erworben und zweck - mäßig eingerichtet werden. Dieſes kann nur eine Aſſo - ciation von Gleichgeſinnten erreichen, und es eröffnet ſich dem bürgerlichen Gemeingeiſt hier wieder ein neuer wür - diger Wirkungskreis. Eine Mineralwaſſer-Anſtalt iſt gegründet für Kranke, damit ſie geſunden; es wäre jetzt auch eine Anſtalt zu ſtiften für Geſunde, damit ſie nicht krank werden. Es handelt ſich um ein Jnſtitut, aus welchem noch Größeres, als Wohlſtand und Reichthum — aus welchem kräftige, gewandte Körper und friſche, muthige Herzen der jungen Generation hervorgehen. Wäre der Platz geräumig genug und könnte er ſpäter, wie die Gymnaſien der Alten, würdig verſchönert und bequem eingerichtet werden, ſo gäbe es für das bethei - ligte, das gebildete Publikum kein edleres Vergnügen, als in ſchönen Tagen der Anblick zweckmäßig geleiteter, anmuthiger Spiele einer ſich herrlich entwickelnden frohen Jugend! Köln hätte einen öffentlichen Platz mehr ge - wonnen, welcher dem beſten Zwecke geweiht wäre. — Möchte der Plan auf eine der Stadt Köln würdige —136 auf eine großartige Weiſe in Erfüllung gehen! Dies iſt der heißeſte Wunſch beſonders aller hieſigen Lehrer, die es ſchon von Amts wegen am beſten wiſſen müſſen, woran es unſerm Schulweſen bis jetzt fehlt. Wir haben nur den Unterricht, aber für die eigentliche Erzie - hung kann die Schule, wie ſie jetzt iſt, wenig thun, und auch die häusliche Einwirkung iſt unzureichend. Die Erziehung der Jugend, die immer ein nationales Gepräge haben muß, kann nur von gemeinſchaftlich, öffentlich getriebenen Leibesübungen ausgehen, welche der Gemeingeiſt der Bürger in Schutz nimmt. Ohne dieſen Gemeingeiſt kann in unſerer Zeit keine große Angelegenheit der Geſellſchaft gedeihen: was er nicht pflegt und trägt, wird nur ein kümmerliches und kurzes Daſein haben. Wie konnte ſich aber der Ge - meingeiſt bisher am Schulweſen wahrhaft und thätig betheiligen, ſo lange das Schulweſen in den vier Mauern eingeſchloſſen war? Jetzt, wo die Schule durch die Turn - kunſt ihre nothwendige Ergänzung erhält und ſie an ihrer Hand in das Licht der Oeffentlichkeit tritt, bietet ſich dem bürgerlichen Aſſociationsgeiſt die beſte Gelegenheit dar, mächtig auf unſre ganze Jugendbildung einzuwirken. Jndem er ſich des Turnweſens annimmt, ſtellt ſich die an daſſelbe geknüpfte volksthümliche Erziehung haupt - ſächlich unter ſeinen Einfluß, wie dagegen der Unter - richt als ſolcher von der Regierung und den Technikern vom Fach (den Lehrern) geleitet und beſorgt wird. Der nationalen Entwickelung, der volksthümlichen Geſinnung zu dienen, iſt, über die körperliche Ausbildung hinaus, der höhere Zweck des Turnens; dieſes Ziel aber kann wahrlich nur erreicht werden, wenn ſich die öffentliche Meinung am Turnweſen werkthätig betheiligt. Sie vindicirt ſich hierdurch ihren längſt vorenthaltenen Autheil an der Jugend - und Volkserziehung, welche nur als Werk der Gemeinſchaft vollkommen gelingen wird. — Die Gründung eines Vereins für das Turnweſen iſt alſo ſo zeitgemäß, als etwas ſein kann. Schon die Auf -137 forderung hierzu durch ein Comite kölniſcher Bürger, zu dem kein Mitglied des Lehrerſtandes gehört, ehrt die Stadt Köln — wie dieſe Aufforderung aus dem Jntereſſe des Bürgerſinnes an der Jugendbildung entſprang, ſo zeigt ſie, welches Vertrauen man in dieſes Jntereſſe ſetzen kann. Aber noch größere Ehre wird der Stadt die Ausführung ſelbſt bringen. Köln wird das Beiſpiel in Rheinpreußen nicht umſonſt geben: in allen größeren Städten der Provinz wird der patriotiſche Bürgerſinn ähnliche Vereine ſtiften. Für das Erziehungsweſen wird dann eine neue Aera beginnen: es wird ſich der thäti - gen Theilnahme des bürgerlichen Gemeingeiſtes zu er - freuen haben, es wird die mächtigen Jmpulſe der öffent - lichen Meinung freudig erfahren. Eben weil hier ſchon ſo Erſtaunliches durch den Bürgerſinn bewirkt wurde und Alles in freudigſtem Anffchwung begriffen iſt, darf man Köln vertrauensvoll mit dem Dichter zurufen: „ Noch viel Verdienſt iſt übrig; auf! hab’ es nur! “
Köln, 2. November 1843. Karl Hoffmeiſter.
So nahete denn Tag und Stunde, wo es ſich zeigen mußte, ob mein Vertrauen auf Kölns Bürger ge - rechtfertigt war oder nicht, es mußte offenbar werden, ob Köln auch in dieſem ſo wichtigen Zweige der Men - ſchen - und Volkserziehung und Bildung mit den übrigen Schweſterſtädten Preußens gleichen Schritt halten wolle. Und als die Stunde erſchien, da füllten ſich die Räume des großen Saales, wie es ſelten geſchehen. Es ward viel und lebendig geſprochen und verhandelt, und von Allen die Nothwendigkeit der Gründung eines Turnver - eines anerkannt. Die Anweſenden erkannten ſich ſofort als Turnverein, die Statuten wurden berathen und der Turnrath gewählt. Den beſchloſſenen Statuten waren die des von mir am 9. Juni 1842 gegründeten Königs - berger Turnvereines zu Grunde gelegt worden, und ſind folgende:
138Statuten des Kölner Turnvereines.
Der Zweck des Turnens iſt eine möglichſt voll - kommene und allſeitige Ausbildung des Körpers, mit welcher zugleich unmittelbar eine Kräftigung des Geiſtes durch das Bewußtſein der dem Körper inwohnenden Kraft und Sicherheit erzielt wird.
Dieſen Zweck zu fördern, die gegen das Turn - weſen gerichteten Vorurtheile ſo viel als möglich zu be - kämpfen und für das Allgemeinerwerden der turneriſchen Uebungen nach Kräften zu ſorgen, tritt der Turnverein zuſammen.
Zur Aufnahme in denſelben iſt berechtigt, jeder der einen jährlichen Beitrag von 1 Thlr. zahlt.
Der Turnverein hält halbjährlich eine Generalver - ſammlung zur gemeinſamen Berathung über die Vereins - Angelegenheiten und zwar im Frühlinge und Herbſt vor dem Beginnen des Sommer - und Winterturnens.
Die Einladung erfolgt durch die Kölniſche Zeitung.
Organ des Turnvereines iſt der Turnrath, der aus zwölf Perſonen beſteht.
Der Turnrath wird in allgemeiner Jahres-Verſamm - lung auf ein Jahr gewählt, wonächſt derſelbe wiederum aus ſeiner Mitte
Dem Turnrath liegt es vorzugsweiſe ob, dafür zu ſorgen, daß der oben angedeutete Zweck des Turnvereins beſtmöglichſt erreicht werde. Als Mittel dazu bieten ſich ihm dar die Berufung eines tüchtigen Turnlehrers, die Beſchaffung der Turngeräthe und des Turnplatzes, die Annahme armer Turnſchüler zu dem Turnunterricht auf Koſten des Vereins, die Veranſtaltung von öffentlichen Schauturnen, allgemeinen Turnfahrten nach benachbarten Orten und Turnfeſten.
Von dem Turnrath erfolgt die Einladung zu den General-Verſammlungen (§. 2.), auch ſteht ihm das Recht zu, außerordentliche Verſammlungen zu veranlaſſen, zu welchen die Einladung ebenfalls durch die kölniſche Zeitung ergeht. Zu jedem Beſchluſſe des Turnrathes iſt die Anweſenheit von mindeſtens 5 Mitgliedern erfor - derlich, unter welchen abſolute Stimmenmehrheit entſchei - det, und im Falle der Stimmengleichheit die Stimme des Ordners den Ausſchlag gibt.
Jn der allgemeinen Jahres-Verſammlung legt der Turnrath Rechnung über ſeine Verwaltung ab, und er - ſtattet Bericht über die Wirkſamkeit des Vereines, deſſen Veröffentlichung durch geeignete Blätter erfolgt.
Der Verein behält es ſich vor, dieſe Geſetze nach Jahresfriſt abzuändern, falls Erfahrungen die Unzuläng -140 lichkeit derſelben darthun. Zur Entſcheidung hierüber ſollen zwei Dritttheile der in allgemeiner Verſammlung anweſenden Stimmen erforderlich ſein.
Köln, den 5. November 1843.
Die Fortſetzung der Geſchichte der jungen Turn - anſtalt in Köln erfolgt im nächſten Hefte, und enthält vor Allem die Wirkſamkeit des neubegründeten Turn - vereines, und die Schwierigkeiten, mit denen derſelbe gleich bei ſeinem Eintritt in’s Leben zu kämpfen gehabt; den erfreulichen Beſuch der Turnanſtalt von Seiten ſämmtlicher Hauptſchulen Kölns, der Erwachſenen, ſowie der Mädchen und ſelbſt von Unteroffizieren; die Auf - munterungen in den bisherigen turneriſchen Beſtrebungen von Seiten Eines Hohen Miniſteriums, der Regierung und des Prov. -Schul-Collegiums. Nur für Curioſitäten - Sammler wollen wir folgende Anzeigen aus der Kölniſchen Zeitung beifügen:
Jn früherer Zeit hat ſchon das Turnen beim weib - lichen Geſchlecht ein wichtige Rolle geſpielt, wo der Turn-Saal in jeder Hausmannsküche ſich vorfand. Jetzt aber würde das Turnen in andern Sälen außerhalb der Küche eine ſonderbare Wendung nehmen, die den Müttern ihre Jungfrauen nicht für die zukünftige Praxis als geeignete Hausfrauen ausbilden möchten. Daher verſcheucht und vergeßt nicht die alte Turn-Methode, die doch wohl unſtreitig die beſte für Jungfrauen zu bilden genannt werden kann, die ſich ſo viele Jahre als prak - tiſch bewährt, ohne daß irgend eine die Knochen zer - brochen hat.
Ein Verehrer der frühern Turn-Methode.
Einer jeden deutſchen und redlichen Hausfrau und Mutter, der die moraliſch-häusliche Erziehung ihrer Toch - ter am Herzen liegt, konnte die heutige Erinnerung des Verehrers der früheren Turn-Methode nur eine willkom - mene und zeitgemäße Gabe ſein, für welche demſelben hiermit der verbindlichſte Dank erſtattet wird von vie - len, dem häuslichen und bürgerlichen Leben huldigenden Müttern.
Köln, den 9. November 1843.
Von ihnen ſprechen, iſt Verlegenheit.
Die Mütter ſind es!
Mütter!
Schaudert’s dich?
Die Mütter! Mütter! — ’s klingt ſo wun - derlich.
Für die Leſer des Jahrbuchs wird es nicht unwill - kommen ſein, zu erfahren, daß auch von Turngeſell - ſchaften das Erinnerungs-Jubeljahr der deutſchen Selbſt - ſtändigkeit feierlich begangen iſt, und ſo will ich hier mittheilen, wie dies mit der kleinen Turngemeinde in Barmen ſtattgefunden.
Sonnabend Vormittag fand in der Schule mit ſämmtlichen Schülern eine ſtille Feierlichkeit, durch Ge - ſang, Rede und geſchichtlichen Vortrag ſtatt. Etwas lebendiger wollten wir es mit den Turnern feiern, und dazu wurde der Nachmittag deſſelben Tages beſtimmt. An dieſem Nachmittage vereitelte aber der unaufhörlich ſtarke Regen unſer Vorhaben, und ſo beſtimmten wir den nächſten Turntag, Mittwoch Nachmittag, den 9., dazu. Es waren außer den Eltern, Freunden der Turner noch beſonders geladen, der Magiſtrat und ſämmtliche Herren Stadträthe von Barmen, und ſo fand ſich ein zahlreiches Perſonal von Herren und Frauen ein.
Da wir kein Schauturnen, ſondern ſo zu ſagen, ein Feſtturnen halten wollten, ſo hatten wir, beſonders zu Begleitung der Marſch - und Laufübungen und des Geſanges, eine Muſikbande angenommen.
Zuerſt ſtellten ſich die 6 Turnriegen, jede zu 9 Turner, wie gewöhnlich bei Beginn der Uebungen, hin - tereinander in geſchloſſener Colonne auf, und wurden als Einleitung, bis ſich die Gäſte zahlreicher eingefunden hatten, einige Exerzirübungen vorgenommen. Hierauf wurde das Lied geſungen: „ Heil unſerm König Heil ꝛc. “; hierauf Rede an die Verſammlung, mit Bezug auf das Feſt, auf die turnende Jugend zu demſelben, und zugleich einiges auf deren Lokalverhältniſſe, wozu die Gelegenheit wohl am ſchicklichſten zu benutzen war. Jn den Schluß der Rede „ Deutſchland, und in ihm und mit ihm unſer143 deutſcher König Friedrich Wilhelm IV. hoch, “ſtimmte Alles mit lautem Jubel ein. Dann Geſang: „ Was iſt des Deutſchen Vaterland? “dann Abmarſch zum Riegen - turnen, während welchem die Muſik ſpielte. Nach ¾ Stunden Colonne-Aufſtellung; Vorleſung eines Kapitels aus dem Jahrbuch der Turnkunſt, „ Turnfeſte. “ Geſang von Turnerliedern, dann Schauturnen der Vorturner und Geübtern, Spiele, Tauziehen ꝛc. der Andern. Hernach Marſchübung mit Geſang. — Ein allgemeiner Dauer - lauf mit Ueberſpringung von Hinderniſſen, Schlangen -, Zickzack - und Schneckenlauf, beſchloß, zur allgemeinen Beluſtigung, das Ganze. Höchſt zufrieden und erfreut gingen Gäſte und Turner auseinander. Mit Beifall wurde auch die Mittheilung aufgenommen, die ich kurz zuvor erhalten hatte, daß in Mülheim am Rhein die neue Turngemeinde, unter dem Turnlehrer Euler aus Köln, auf ähnliche Weiſe das deutſche Feſt, und zugleich die Einweihung ihres Turnplatzes, gefeiert hatte.
Der Eindruck, den unſere Feſtlichkeit auf ſämmtliche Anweſenden hervorgebracht, war ſo günſtig geweſen, daß ſchon am andern Tage eine beifällige Mittheilung darüber in der Barmener Zeitung ſtand, welche zugleich auffor - derte, ſich des Turnweſens allgemein anzunehmen. Außer - dem fand meine Anſprache, zu dieſem Zwecke einen Turnverein zu bilden, Anklang, und es ſteht zu erwarten, daß ein ſolcher zu Stande komme. Gott helfe weiter.
Walter.
Es iſt eine höchſt merkwürdige Erſcheinung und mehr als ein bloßes Spiel des Zufalls, daß ſich der Kunſt, deren Aufrechthaltung und Belebung dieſe Blätter gewidmet ſind, eine Wiſſenſchaft ſchweſterlich an die Seite ſtellt, die gleich wie ſie in frühern Jahrhunderten faſt ganz vernachläſſigt war, zugleich mit ihr ins Leben trat, dieſelbe Berechtigung, vorzüglich in unſerer Zeit, beſitzt, mit der nämlichen Jugendfriſche heutzutage gepflegt wird, dieſelben wunderbaren Fortſchritte macht und endlich, damit die Kraft im Frieden nicht erſchlaffe, ganz ent - ſprechende Anfeindungen von Seiten der Selbſtſucht und Beſchränktheit zu erdulden hat. Jch meine die neuere Sprachwiſſenſchaft, deren einer Theil wenigſtens ſowohl begrifflich als geſchichtlich ſo enge mit der Turn - kunſt verbunden iſt, daß der Herausgeber dieſer Jahr - bücher ihr mit Recht einen Platz in denſelben angewieſen hat. Es möge daher hier verſucht werden, kurz darzu - legen, was dieſe Wiſſenſchaft uns nach ihrem heutigen Standpunkte über die im 1. Hefte, Seite 97 unter Nr. 8. vorgelegte Aufgabe für Aufſchlüſſe gibt, um das dort aufgeſtellte Thema wenigſtens von einer Seite aus zu löſen. Die Ausdrücke, deren ſich die Sprache, und145 zwar zunächſt unſere deutſche Sprache, zur Bezeichnung des Begriffes Mann bedient, haben ſämmtlich das Schickſal getheilt, dem mit wenigen Ausnahmen faſt alle Wörter in den Sprachen folgen müſſen. Jedes Wort hat urſprünglich einen bezeichnenden, in alter Zeit leben - dig gefühlten Sinn, verliert indeſſen allmälig denſelben im Verlaufe der Sprachentwicklung und behält zuletzt nur noch den Werth einer Hieroglyphe, die Niemand als der Forſcher auf dem Wege der Etymologie zu ent - ziffern vermag. Jeder, der ſich mit den älteren deutſchen Sprachzweigen beſchäftigt hat, wird geſtehn, daß es ihm während dieſes Forſchens oft wie Schuppen von den Augen gefallen iſt; und wie unbedeutend ſind die Auf - ſchlüſſe, die uns ſelbſt das Gothiſche über unſere Sprache zu geben vermag, gegen das Licht, das uns zu Theil wird, wenn wir, natürlich neben dem Altdeutſchen, noch die älteren Sprachen, vorzüglich die heilige Sanſkrita, mit in den Kreis der Forſchung ziehn! Für den ſchla - gendſten Beweis für dieſe Behauptung habe ich immer die naturgeſchichtlichen Namen gehalten; nur wenige Thiernamen unſerer Sprache haben noch jetzt im Volks - bewußtſein ihren lebendigen Sinn, wie z. B. Fliege, Spinne und Schlange; mit Hülfe der altdeutſchen Dia - lekte erkennen wir ſchon weit mehr; wir lernen z. B. Biene heiße Saugerin, Froſch der Kalte, Nachtigall die Nachtſängerin, Hering der in Scharen Ziehende u. dgl. ; wer würde aber ſelbſt mit Hülfe des Gothiſchen jemals gefunden haben, was die Sprachwiſſenſchaft jetzt offen dargelegt und bewieſen hat, daß Hirſch der Gehörnte, Ochs der Ziehende, Roß der Renner, Sau die Frucht - bare u. ſ. w. heißt? Doch ohne uns weiter in das Einzelne, das hier nicht am Orte iſt, zu verlieren, wollen wir ſogleich in dieſem Sinne die Bezeichnungen für Mann und die abgeleiteten Wörter im Germaniſchen zu betrachten verſuchen.
Ein ſehr altes und ſchon verhältnißmäßig früh unter - gegangenes Wort für Mann iſt zunächſt fir oder feorhJahrb. d. Turnkunſt. II. 7146im Angelſächſiſchen, fyr im Nord. Die frühere Etymo - logie (die der Klanghäſcher, wie Pott ſagt) ſtellte es mit dem lat. vir zuſammen, die heutige Forſchung aber verbindet es richtiger mit dem angelſ. feorh das Leben, das zuſammengeſetzt z. B. im gothiſchen fairghaus die Welt erſcheint, und mit dem mhd. verch in verch-blut Lebensblut und verch-wund lebenswund. Es faßt alſo den Mann oder, was in der erſten Anſchauung der Völker daſſelbe iſt, den Menſchen nur als Geſchöpf auf, wie es auch ſeiner Ableitung gemäß des lat. homo (wo - von unten) und das ahd. parn thut. Seiner Bedeutung nach könnte dieſes Wort alſo eben ſo gut ein Thier wie einen Menſchen bezeichnen, es trifft kein Merkmal des Letztern, und wir haben auch wirklich dieſen Wortſtamm in unſerer Sprache nur noch in Bezeichnungen aus dem Thierreiche erhalten, wie in Farre und Ferkel (lat. porcellus, eigentlich nur „ das kleine Thier “). Wir be - ſitzen in dieſem Worte alſo die gewiſſermaßen farbloſeſte Bezeichnung des Begriffs.
Zwar nicht ſeinem urſprünglichen Sinne, aber doch ſeiner ſpätern Anwendung nach ſchon viel beſtimmter iſt das Wort für Mann, das im Goth. und Agſ. guma, im Ahd. gomo oder komo lautet, jetzt gleichfalls ver - ſchwunden und nur noch in Bräutigam (das ſicher nicht zu γαμέω gehört) erhalten. Es iſt, wie das Laut - verſchiebungsgeſetz zeigt, gleich dem lat. homo. Dieſes homo aber, vom Thema homin, iſt nichts als ein Partic. Medii von der Sanſkritwurzel bhû ſein (gleich φίω, lat. fui, fio, fore ꝛc. ), ſo daß der Sinn des Wortes ebenfalls nur „ der Erzeugte, Geborne “iſt; urſprünglicher hat ſich die Form in fœmina (= griech. φυομένη) erhalten, das alſo, mit tranſitiver Bedeutung, die Gebärende bezeichnet. Der weitere Beweis hiervon gehört nicht hieher und es möge nur genügen, daß die ausgezeichnetſten Kenner des Römiſchen vom Standpunkte der vergleichenden Sprachforſchung dieſe Erklärung noch heute als unumſtößlich anſehn, nachdem alle früheren147 hinreichend widerlegt ſind. So wie wir übrigens oben von fir ein abgeleitetes Wort in der Bedeutnng von Welt anführten, ſo finden wir auch hier ein ähnliches, nämlich das agſ. gumrîce (das Menſchenreich).
Das dritte Wort lautet im Goth. vair, im Agſ. vër, in beiden Dialekten mit vielen Ableitungen. Es faßt den Mann im Gegenſatz zum Weibe von der Seite der wahren Männlichkeit auf, indem es dieſelbe Wurzel mit den noch jetzt erhaltenen Wörtern Wehr, wehren (ἐρύω) theilt. Dieſen Begriff der Männlich - keit ſehen wir recht deutlich im lat. vir, ganz demſelben Worte, und dem altrömiſchen Sinn des abgeleiteten vir - tus, noch deutlicher aber im Sanſkrit, wo vîras ganz beſtimmt immer einen Helden bedeutet und z. B. urivîras (ἀνής und vir, alſo Männerheld) der ehrendſte Bei - name eines Kriegers oder Fürſten iſt*)Daß auch die entfernten malayiſchen Sprachen den Begriff des Mannes von dem der Kraft herleiten, beweiſt W. v. Humboldt Kawiſprache II, 219.. Der Verluſt dieſes Wortes im Nhd. iſt um ſo mehr zu bedauern, als das jetzige Mann, wie wir gleich ſehn werden, dafür ſeiner urſprünglichen Beſtimmung nach nur noth - dürftigen Erſatz darbietet. Außer in jenem Stamm Wehr finden wir das Wort jetzt nur noch in zwei Ableitungen in ſeiner erſten Bedeutung: 1) in Währ - wolf, λυκάνϑρωπος, und 2) in weralt, werlde, Welt, das ſich alſo begrifflich zu vair, wie oben fairghaus zu fir und gumrîce zu guma verhält und eigentlich ſeiner Zuſammenſetzung mit alt gemäß urſprünglich mehr die Ausdehnung in der Zeit (αἰών, ævum, sæculum), als die im Raume auffaßt (Vgl. das mhd. alters-eine allein in der Welt). Dieſer zeitliche Begriff iſt ſicher früher noch lebhafter gefühlt worden und ich möchte das mhd. zer werlde lieber mit jemals als mit irgendwo überſetzen.
Undeutlich ſeinem Urſprunge nach iſt das Wort für Mann, das im Angelſ. ceorl, im Schwed. karl, und148 im Nhd. Kerl lautet und welches u. A. ſich in unſerm Namen Karl findet. Wackernagel ſtellt es mit dem griech. γέρων zuſammen, es könnte indeſſen auch möglicherweiſe zu dem Skr. kri, lat. creo, griech. κραίνω, ſämmtlich mit der Bedeutung wirken, gehören und würde dann den Schaffenden, Wirkenden bedeuten. Aber auch ohne daß wir den Urſinn des Wortes beſtimmen können, hat es etwas höchſt Belehrendes, indem es, urſprünglich den Mann im Allgemeinen bezeichnend, dann ſchon im Agſ. dem eorl oder Edeln gegenübergeſtellt allmälig zum Be - griffe eines gemeinen Menſchen herabſinkt. Wunderbar haben in dieſer Bedeutungsänderung das Deutſche und Schwediſche genau denſelben Gang genommen, indem in beiden Sprachen das Wort nur entweder zum Aus - druck der Verachtung oder der Gemüthlichkeit (ein braver Kerl) dient. Der Mann verdrängte den Kerl, wie jetzt der Herr den Mann.
Unſer Wort Mann endlich, in allen germaniſchen Dialekten weitverbreitet, iſt ſeinem Urſprunge nach un - ſtreitig der höchſte Ausdruck für den in Rede ſtehenden Begriff. Der Mann erſcheint hier als Denkender (denn andere Erklärungen wie z. B. die Kaltſchmidts, ſind nicht der Mühe werth zu widerlegen), von der im Skr. noch. rein erhaltenen Wurzel man denken, wovon manas Geiſt, im Griech. in μένος, μῆτις, im Röm. in memini, moneo, mens u. ſ. w. leicht zu erkennen. Wir finden von unſerm deutſchen Worte zwar keine Ableitung im Sinne von Welt, wie bei jenen drei erſten Aus - drücken, aber ein um ſo richtigeres anderes Derivatum. Jene andere Wörter für Mann, beſonders vair, be - ginnen nämlich ſchon früh zu ſchwinden und man, das früher ſeiner Abſtammung nach den Begriff von Menſch hatte, bekommt den beſondern Sinn von vair. Es fehlt alſo der Sprache nun an einen allgemeinen Begriffe für Menſch; ſie muß dieſen hervorbringen und wählt nun dazu wie immer den paſſendſten Weg, indem ſie eine Ableitung von dem aus ſeiner Stelle gerückten149 Worte an dieſer Stelle zurückläßt. Dieſer Ausdruck erſcheint als mennisco*)Aehnlich leitet das Skr. ein Wort fuͤr Menſch von Mann ab, naͤmlich manudscha = vom Manne erzeugt. und in andern ähnlichen For - men, im Nhd. als Menſch, von welchem Worte es jetzt nach Widerlegung der falſchen Meinungen, z. B. Adelungs, ſicher iſt, daß wir darin das Suffix isc, griech. ἰσκός, lat. iscus beſitzen, wie wir es auf ähn - liche Weiſe verkappt in Wunſch, deutſch, hübſch und raſch haben.
Dieſe Ableitung Menſch von Mann kann eben deshalb, weil ſie der Sprache, wie eben gezeigt, ſo un - umgänglich nöthig war, nicht jenen tadelnden Nebenbe - griff haben, wie die analogen Wörter weibiſch und kin - diſch, obwohl andrerſeits die Neigung dieſer Endung zum Ausdrucke des Tadels ſich gleichfalls, im Gebrauche des Wortes Menſch als Neutrum (welches Genus doch ſtets das eigentlich Menſchliche ausſchließt), doch nur ſeit den Zeiten des Neuhochdeutſchen**)Mhd. daz kristen mensche u. A. hat noch keinen Anſtoß., offenbart.
Alſo die Begriffe Welt und Menſch erklärt unſere Sprache ſo zu ſagen für ſolche, die aus dem Begriffe Mann entſtehen; die klaſſiſchen Sprachen thun das da - gegen nicht, ſondern haben für dieſe Begriffe in ihrem κοσμός, mundus, homo und ἄνϑρωπος***)ἄνϑρωπος iſt ſicher zuſammengeſetzt aus ἄνϑος mit dem haͤufigen Suffixe ρο und ὤψ und heißt alſo der mit dem bluͤhenden Geſichte, was noch mehr faſt als das hebr. adam (= edom. der rothe) eine auszeichnende Eigenſchaft des Menſchen trifft. ganz ſelbſt - ſtändige Ausdrücke. Dagegen einen andern Begriff, und zwar den der Tugend, leiten jene Sprachen in ihrem virlus und ἀνδρία dorthin ab, indem ſie ihrer mehr ſinnlich natürlichen Anſchauung zufolge, zumal in den ältern Zeiten, die Haupttugend in der Männlichkeit er - blickten. Wir dagegen haben ein viel weiteres und ſicher150 höher ſtehendes Wort in unſerm Tugend, einem ver - ſteinerten und ſeinem Vokale nach noch auf mhd. Stand - punkte ſtehenden Partic. von taugen, das niemals in unſerer Sprache die eigentliche Männlichkeit, ſondern immer die ſogenannte chriſtliche Tugend insbeſondere be - zeichnet hat. Gewiß ein höchſt bedeutſamer Fingerzeig; nur der germaniſche Geiſt ſchuf ſich bei ſeiner anerkannt reinſten Auffaſſung des Chriſtenthums ein neues Wort für dieſen Begriff, die romaniſchen Sprachen dagegen empfinden dieſes Bedürfniß nicht und blieben in ihrem virtú, virtud, vertu an dem alten Worte hängen, das ſogar das germaniſche Engliſch in ſeinem virtue hin - übernahm.
Doch auch noch eine andere Lehre knüpft die Sprache an dieſe. Die Romanen haben bekanntlich das lat. vir ſämmtlich verloren und durch homme, hombre, uomo erſetzt und eben ſo haben auch wir das auf der nämlichen Anſchauung der Wehrhaftigkeit beruhende vair eingebüßt und dafür Mann, den denkenden, eingeführt, Wir ſehen alſo hier, wie überall, das große Geſetz, daß die Sprache aus ſinnlicher Anſchauung und den dieſer entſprechenden Wörtern zu höherer geiſtiger Auffaſſung und den mit ihr zuſammenhängenden Ausdrücken übergeht. Weit entfernt indeſſen, die hiſtoriſche Entwickelung der Sprache in der ſchwermüthigen Auffaſſung mancher Sprachforſcher als ſtets wachſendes Verderbniß anzuſehen, geben wir uns auch bei Betrachtung dieſes Fortſchrittes durchaus keiner einſeitigen Freude hin. Denn hier wie in allen Kreiſen des Lebens wie des Wiſſens tritt uns recht handgreiflich die tiefe philoſophiſche Wahrheit ent - gegen, die noch kein Sprachforſcher vom rechten Geſichts - punkte aus gehörig gewürdigt hat, daß der Fortſchritt eines höhern Elements den Rückſchritt eines niedern be - dingt und ſtets eine Ungerechtigkeit gegen letzteres zur Folge hat. Wo der Jnhalt wächſt, vermindert ſich die Form, wo die Wahrheit ſteigt, ſinkt die Schönheit, wo das Geiſtige ſich ausbildet, tritt das Körperliche zurück. 151Unſer Gegenſtand zeigte das oben recht deutlich; wo die Sprache den Mann als ein Geiſtiges auffaßt, vernach - läſſigt ſie es zuſehends, ihn als Körperliches zu betrach - ten, wie in früherer Zeit, und verliert daher, nicht zu - fällig, ſondern nothwendig, die darauf bezüglichen Aus - drücke. Mit der Sprache aber geht ſtets der Geiſt, deſſen Bild ſie iſt, der Volksgeiſt, Hand in Hand, und wer möchte läugnen, daß der Begriff der Männlichkeit von Seiten des Körperlichen aufgefaßt immer mehr und mehr in unſerer Zeit auf wahrhaft betrübende Weiſe ſchwin - det! Nun aber iſt es, und nothwendig iſt es das, ein Streben unſerer Zeit, ſolche durch ein oft zu ſchnelles Fortſchreiten höherer Jntereſſen ungerecht vernachläſſigten niederen, meiſtens aber an ſich dennoch höchſt bedeutenden Elemente in ihre Rechte einzuſetzen und ſo die nothwen - dige Gleichmäßigkeit im Zeitfortſchritte wieder hervorzu - bringen. Jn Bezug auf unſern eben beſprochenen Punkt haben wir aber von keiner andern Seite her die Löſung dieſer Aufgabe zu erwarten, als von unſerer deutſchen Turnkunſt, deren Nothwendigkeit und Hauptbeſtimmung wir ſo auch durch die Sprache einfach dargethan zu haben glauben. — Näher hierauf einzugehen, überlaſſe ich gern Fähigern, die mehr in den Geiſt dieſer Kunſt eingedrun - gen ſind, und begnüge mich vorläufig nur mit dieſen wenigen Andeutungen. Mögen daher Andere kräftiger und tiefer hierüber, beſonders in dieſen Blättern, ſprechen; mir aber drängt ſich, eben ſo warm wie ihnen, der leb - hafte Wunſch auf, daß unſere Turnkunſt, indem ſie bleibe bei dem, was ihres Amtes iſt, immerdar zur Erweckung wahrer Männlichkeit und Zucht das Jhrige kräftig beitragen und ſegensreich wirken möge!
E. Förſtemann.
Crefeld, gedruckt in der J. H. Funcke’ſchen Buchdruckerei.
So eben iſt in unterzeichnetem Verlage erſchienen und in allen Buchhandlungen zu haben: Die Leibesübungen hauptſaͤchlich nach Clias von Dr. Hans Heinrich Vögeli, Profeſſor der Geſchichte an der Kantonsſchule in Zuͤrich 8. Mit ſechszehn lithographirten Tafeln. Preis ſchoͤn broch. 1 Thlr. 8 Gr. oder 2 fl. 24 kr.
Dieſes Werk, auf einer beſtimmten Weltanſchauung ruhend, fordert die Leibesuͤbungen als einen Theil der Erziehung des Menſchengeſchlechtes, weiſt ihren Betrieb allen Lebensaltern an, geht auf die Nothwendigkeit derſelben fuͤr Deutſchland ins Beſondere uͤber und ordnet ſie in die großen Staatsinſtitute, die Schule und das Heer, ein Dasſelbe hat daher nicht nur fuͤr alle Turner, Lehrer, Erzieher, Schulfreunde, Mitglieder von Verwaltungsbehoͤrden, Aerzte, Jnſtruktionsoffiziere u. ſ. w., ſondern auch fuͤr alle Eltern einen großen Werth, indem es auf ganz neue und originelle Weiſe auch diejenigen Leibesuͤbungen angibt, welche mit den Kindern vom fuͤnften Lebensmonat bis zum zuruͤck - gelegten fuͤnften Jahre vorgenommen werden ſollen; um ſo mehr, da die Eltern ſelbſt den Kindern dazu Anleitung geben koͤnnen, und dieſe Uebungen als hoͤchſt wohlthaͤtig fuͤr die Geſundheit der Kinder ſich bereits vielfach erprobt haben. Die Einfachheit und Sicherheit der Methode wird hauptſaͤchlich dazu beitragen, die Leibesuͤbungen in Deutſchland wieder ein - heimiſch zu machen Meyer & Zeller, in Zuͤrich.
So eben iſt in unterzeichnetem Verlage erſchienen und in allen Buchhandlungen zu haben: Timm, Dr. H., Liederbuch für Turner.
Partiepreis bei 15 Expl. ⅛ Thlr.; einzeln ⅙ Thlr.
Dieſe mit dem ſicherſten Tacte getroffene Auswahl unſerer volksthuͤmlichſten und ſchoͤnſten patriotiſchen Lieder und der beſten eigentlichen Turnlieder wird gewiß zur Erreichung des Turnziels allenthalben maͤchtig mitwirken; denn keineswegs gleichguͤltig iſt es, was der Turner bei ſeinem froͤhlichen Thun ſingt.
Das Aeußere des kleinen Buches iſt ſchoͤn, ſeine Form zweckgemaͤß, der Preis moͤglichſt billig.
Parchim & Ludwigsluſt, Mai 1843.
Hinſtorff’ſche Hofbuchhandlung.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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