Motto:
„ Bei Privatunternehmungen findet ein Fortſchreiten Statt und man kann nach Gefallen dem Glücke mehr oder minder anvertrauen. Wer aber nach der Ober - herrſchaft ſtrebt, der hat nur den Gipfel oder den Abgrund vor ſich. “
Den unvergeßlichen Freunden in Jena, in dankbarer Erinnerung. Die Verfaſſerin.
Die bereits im Weſten verſinkende Abendſonne verſandte noch gluthgetränkte Strahlen auf die üppi - gen Fluren, in denen kein Laut, kein Ton das Leben verkündete. Eine Stille herrſchte rings umher, daß man aus weiter Entfernung das Niederfallen eines Blatts, das Schwirren eines Käfers, das Summen eines Jnſects hätte vernehmen können. Wie das Ohr durch keinen Naturlaut am Horchen, ſo wurde auch das Auge durch keinen Gegenſtand am Umherſchweifen verhindert. Eine, wie es ſchien, unermeßliche Ebene breitete ſich vor den Blicken aus. Sie war mit ver - ſchiedenen üppig wachſenden Gräſern und Jmmergrün, ſonſt aber weder mit Blumen, noch Kräutern ange - füllt: ſo weit das Auge blickte, ſah es nichts als hohe, verſchiedenartig gefärbte Gräſer, worunter das blaue Moskitogras, welches oft weite Strecken ein - nahm, ſich freilich aus der Entfernung wie ein mit blauen Blumen bedeckter Teppich ausnahm.
12Gegen Weſten wurde dieſe Ebene von einem ſchö - nen und mächtigen Fluſſe begrenzt; es war der Miſ - ſiſippi; er hatte ſich aber ſein Bett ſo tief in den Boden gegraben und ſein Waſſer war in dieſer Jah - reszeit ſo ſeicht, daß man ihm ſchon ziemlich nahe gekommen ſeyn mußte, um ihn zu erblicken.
Dem Fluſſe ſtrebten die Schritte eines durch die Prairie Dahinwandernden zu, der, mit der Büchſe im Arm, mit der Jagdtaſche über dem Rücken, in Be - gleitung eines großen und ſehr ſchönen Hundes, mit ſchon matter werdenden Schritten die Stillung ſeines brennenden Durſtes aus den kühlen und reinen Flu - then des Miſſiſippi ſuchte. Er ſchien in der ihn um - gebenden Einöde ſehr bekannt und mit den ſie durch - furchenden Büffelpfaden durchaus vertraut zu ſeyn, indem er, ohne den Fluß noch erblicken zu können, geradeswegs auf ihn zueilte.
Bald zeigten ſich die beſchilften, mit hohen Schwertlilien und einer Menge anderer Blumen be - kränzten Ufer deſſelben, und ſowohl der Wandernde als ſein vierfüßiger Begleiter beeilten ihre Schritte, um das erſehnte Ziel zu erreichen.
Hier nahm die Natur plötzlich einen ganz andern Charakter an. Die in der Prairie herrſchende Tod - tenſtille verwandelte ſich in reges Leben; buntbefiederte Vögel wiegten ihren zierlichen Leib auf den braunen3 Kolben des Schilfrohrs; unzählige Waſſerinſecten, die blauen Libellen, Moskitos und Mücken aller Art um - ſchwirrten die Blumen des Ufers; Fröſche ſprangen, ſo wie ſie herannahende Fußtritte vernahmen, aus dem hohen Graſe, in dem ſie ſich bisher verborgen hatten, in den Fluß hinab, um ſich in ſeinen Wellen vor Verfolgung zu beſchützen, und bunt geringelte Schlangen, langgeſchwänzte Eidechſen, mit den klugen, goldumſäumten Augen, ſprangen aller Orten hervor und ſuchten Schutz vor den gewitterten Verfolgern.
Unfern des Ufers ſtand auch hie und da ein Strauch, der eine zwar ſaure, aber trotz dem erquick - liche Frucht trug. Es waren Stachelbirnſträuche und obgleich nur niedrig und von wenig maleriſchem An - ſehen, waren ſie doch die Freude des Wanderers in der öden, ſonſt baum - und ſtrauchloſen Prairie. Auch das Auge des Jägers ruhte mit ſichtbarem Vergnü - gen auf ihnen und als er vermittelſt ſeiner aus dem Fluſſe gefüllten Jagdflaſche ſeinen Durſt geſtillt und auch ſein Begleiter ſich ſatt getrunken hatte, ſtreckten Beide ſich neben einem ſolchen Strauche nieder, ver - muthlich in der Abſicht, den Anbruch der Nacht hier zu erwarten, ja wohl gar dieſe an dem wenigſtens etwas geſchützten Orte zu verbringen.
Der Jäger — wir wollen ihn bei ſeinem Vor - namen, Arnold, nennen — ſtreckte die müden Glie -1 *4der lang in dem üppigen Graſe aus und ſchaute, den Blick zum Himmel gewandt, mit Entzücken zu dieſem empor. Die Sonne war bereits untergegangen und ein Gluthmeer nahm den ganzen Weſten ein, wäh - rend der Himmel über ihm jene tiefe, man möchte ſagen, geheimnißvolle Bläue hatte, die das Herz mit einer Sehnſucht erfüllt, deren Quell man nicht zu ergründen vermag. Nur von Zeit zu Zeit riſſen ſich einzelne, ſchneeweiße, mit Purpur umſäumte Wölkchen aus dem Weſten los und ſchifften, vom ſanften Abend - winde langſam fortgetrieben, über dem Haupte des Beſchauers hin, wie Segelſchiffe auf tiefblauem Ocean. Auch auf das treue und ſchöne Thier, das neben ſei - nem geliebten Herrn lang im Graſe ausgeſtreckt lag, ſchien die Schönheit und Feier der Natur einen an - genehmen Eindruck zu machen, denn von Zeit zu Zeit erhob er das auf den vorgeſtreckten Pfoten ruhende zottige Haupt und ſchaute bald zum Himmel empor, bald mit jenem unausſprechlichen Blick, worin Weh - muth und Liebe gemiſcht ſind und der von allen Thie - ren nur dem Hunde eigenthümlich iſt, auf ſeinen Ge - bieter, deſſen Hand ſein ſeidenweiches Fell liebreich ſtreichelte.
Beide waren Fremde auf dieſem Boden; Beide hatten eine Heimath gehabt und das war es wohl, was ſie ſo innig an einander knüpfte, Eins dem An -5 dern ſo unentbehrlich machte. Tauſend frohe und traurige Erinnerungen erwachten in Arnolds Seele, wenn er auf Bruno blickte, den er ſelbſt groß gezo - gen, der ihn auf ſo vielen Spaziergängen und Streif - zügen in der geliebten Heimath begleitet hatte. Auch in Bruno mochte noch dann und wann eine Erinne - rung an das Ehemals aufdämmern und er, gleich ſei - nem Herrn, ſich zurückſehnen nach den Gegenden, die ihn werden ſahen; denn wer kann wiſſen, wie weit die Seelenkräfte des Thiers reichen, da wir ihre Spra - che nicht verſtehen lernen, wie ſie durch langen Um - gang mit uns die unſrige. Daß Bruno ſich in dem fremden Welttheile nicht eben behaglich fühle, zeigte ſein gänzlich verändertes Weſen; aus einem fröhlichen, muntern Hunde war er ein trauriger, grämlicher ge - worden, der, als wittere er überall für ſich und ſei - nen geliebten Herrn auf dem fremden Boden Gefahr, beim geringſten unerwarteten Geräuſche knurrend die Zähne zeigte und ſich allein durch den Zuruf ſeines Gebieters davon abhalten ließ, einen, für den heran - nahenden vermeintlichen Feind ſehr verderblichen, Ge - brauch davon zu machen.
Schon ſeit einiger Zeit hatte Bruno dann und wann das Haupt erhoben und die Ohren geſpitzt, als wit - tere er entfernte Gefahr; jetzt ſprang er plötzlich aus ſeiner behaglichen Lage auf, ſtreckte einen Augenblick6 die Glieder und erhob, das Haupt gegen Oſten ge - wandt, ein erſt leiſes, aber immer mehr ſich verſtär - kendes Knurren, dem bald ein Bellen folgte. Arnold wußte, daß das Thier ſich niemals zum Spaße der - gleichen erlaubte, und ſo richtete auch er ſich mit hal - bem Leibe empor, ſtützte das nach Oſten gewandte Haupt mit der einen Hand und legte die andere, in Erwartung der Dinge, die kommen würden, auf die geladene doppelläufige Büchſe.
Der junge Mann in dieſer Stellung und Um - gebung bot, obſchon man ihn ſelbſt nicht eben ſchön nennen durfte, doch ein hübſches Bild dar. Seine ziemlich lange, ſchlanke Figur, die in allen Theilen wohlgebildet, obſchon faſt zu mager war, zeichnete ſich hübſch in dem ſchönen, ſaftreichen Graſe ab, auf dem er lag; der Abendwind ſpielte ſanft mit ſeinem reichen dunklen Haar und entblößte von Zeit zu Zeit die hohe weiße Stirn, die, nebſt zwei ſchönen dunklen und ausdrucksvollen Augen, die in die Augen fallende Schönheit ſeines Geſichts bildete. Man hätte Arnold auch ſonſt vielleicht hübſch nennen können, wenn ſein Teint nicht allzuſehr von der Sonne gebräunt und ſein Geſicht nicht ſehr mager geweſen wäre; denn alle Formen deſſelben waren vollkommen gut und har - moniſch, der Mund ſogar beſonders angenehm, da ſehr ſchöne Zähne ihn zierten. Alle dieſe äußern Vor -7 züge boten ſich aber nicht auf den erſten Blick dar, ſondern man mußte dieſes Geſicht erſt ſtudiren, um jenen Ausdruck von geiſtiger Schönheit darin zu ent - decken, der für Den, welcher ſich darauf verſteht, die höchſte und im Grunde einzigſte iſt. Man hatte da - her auch über Arnolds Aeußeres die verſchiedenartigſten Urtheile, je nach der Jndividualität des Beurtheilers, ausſprechen hören, indem Einige ihn für nichts weni - ger als hübſch, ja wohl gar für häßlich, Andere da - gegen für ſchön erklärten, und letzteres war er auch in der That nur dann, wenn irgend ein großer oder ſchöner Gedanke durch ſeine Seele ging oder eine leb - haftere Empfindung ſeine in der Regel bleichen Wan - gen colorirte und zugleich ſeinen dunklen Augen einen beſondern Glanz verlieh. So wie er aber war, mußte er den Frauen gefährlich werden; auch hatte er, ohne es zu ahnen, ſchon oftmals Glück bei ihnen gemacht, ſo daß es nur bei ihm geſtanden hätte, für einen Löwen in der großen Welt angeſehen zu werden.
Seine Kleidung paßte vollkommen zu der Jah - reszeit und zu der Gegend, in der er lebte. Ein leichter Strohhut bedeckte ſein Haupt; er trug einen ſehr feinen, hellgrünen Palletot, dazu weiße Panta - lons, leichte Halbſtiefel und den Hals, wie einen Theil der Bruſt, völlig frei. Ein ſchneeweißer, vorn offenſtehender Hemdkragen fiel nachläſſig auf den Pal -8 letot hinab; die Taille war von einem breiten, vorn mit einer Schnalle zugemachten ſchwarzen Ledergurt umgürtet, in dem ein ſcharfer Dolch in einer Leder - ſcheide ſteckte, und an der einen Seite hing die Jagd - taſche, an der andern die blecherne Jagdflaſche, deren Riemen ſich auf der Bruſt kreuzten, herab.
Das Bellen Brunos wurde indeß immer ſtärker und anhaltender, auch lief das treue Thier, zum Zei - chen, daß ſich etwas Unheimliches nahte, unruhig hin und her. Endlich erblickte Arnolds ſcharfes, ſehr ge - übtes Auge am fernſten Rande des Horizonts einen dunklen Punkt, der aber von Minute zu Minute grö - ßer wurde, und nicht lange, ſo unterſchied er einen Reiter, der ſich im ſchnellſten Galopp der Stelle nä - herte, wo er lagerte. Er erhob ſich jetzt gänzlich, nahm die Büchſe auf und unterſuchte die Ladung und das Schloß, eine Vorſicht, die dem einſamen Wan - derer jener Gegenden durch die Umſtände geboten iſt.
Als der Reiter etwa auf Flintenſchußweite zu ihm hinangekommen war, beruhigte Arnold ſich in - deſſen und ſetzte die Kolbe ſeiner Büchſe auf den Bo - den nieder, und auch Bruno hielt nicht nur mit Bel - len ein, ſondern rannte dem Ankommenden ſogar mit fröhlichem Schweifwedeln, wie einem wohlbekannten Freunde, entgegen. Bei dem Anblick des treuen Thiers ſprang der Reiter vom Pferde, um es, indem er es9 zärtlich in ſeine Arme nahm und es wiederholt küßte, zu liebkoſen. Dann nahm er ſein Roß beim Zügel und ging zu Fuß auf Arnold zu.
Der Herannahende hatte eine helmbuſchartige Verzierung von Reiher - und Adlerfedern auf dem Haupte, das mit ziemlich langem, kohlſchwarzem, ſchlichtem Haare bedeckt war; ſeine Hautfarbe glich an Röthe der des friſch gegoſſenen Kupfers; ſein Wuchs war faſt rieſenhaft und alle Verhältniſſe der Geſtalt dabei doch im ſchönſten Ebenmaße. An den ziemlich großen Ohren hing eine Zierath von Silber, um den Hals eine Schnur von Bärenklauen und am Gürtel eine zweite, von der eine Anzahl Scalps oder Kopfhäute herabhing. Jn dieſem Gürtel ſteckte auch die furchtbarſte Waffe der Wilden, der Tomahawk, welcher zugleich die Stelle des Beils und des Meſſers vertreten muß. Die Beine des Wilden waren mit einem Paar Lederhoſen, von ungegerbtem Leder, be - deckt und der Leib von einem ziemlich eng anſchlie - ßenden Rocke von demſelben Stoffe, über den aber noch eine Art Ueberwurf von langhaarigem Büffelfell, wie ein Mantel, geworfen war. Die Füße ſteckten in feſt anſchließenden, buntbemalten Halbſtiefeln oder Mo - caſſins, denen aber die Sohle fehlte. Außer dem To - mahawk trug der Sioux — denn einen Wilden die - ſes Stammes hatte unſer Freund vor ſich — auch10 noch Bogen und Pfeile, die er über ſeinen Rücken gehangen hatte.
So wie er Arnolds anſichtig worden war, ver - klärte gleichſam die Freude ſeine edlen, wohlgeformten Geſichtszüge und er ſtieß jenen Laut aus, wie ihn nur die Kehle eines von Jugend auf daran gewöhnten Wilden hervorzubringen vermag und der bei ihnen das Zeichen der höchſten Freude iſt.
— „ Jch wußte “, rief er dem Europäer in ſei - ner wohlklingenden, an Vokalen ſo reichen Sprache entgegen, „ daß ich dich in der Prairie finden würde, mein bleicher Bruder, da ich dich in deinem Hauſe nicht traf. “
— „ Du haſt mich beſuchen wollen, Waupee? “fragte ihn der Europäer, ihm zutraulich beide Hände entgegenſtreckend.
— „ Ja, ich war in der Stadt der Bleichgeſich - ter, dich zu ſuchen, “verſetzte der Wilde; „ dort ſagte man mir aber, du habeſt deine Büchſe und Bruno genommen und ſei’ſt in die Prairie auf die Jagd ge - gangen, und das war mir lieb, denn da wußte ich dich zu finden. “
— „ Die Prairie iſt groß und der Pfade darin ſind viele, Waupee, wie durfteſt du hoffen, mich darin zu finden? “
— „ Nirgends leichter als hier, mein bleicher11 Bruder “, verſetzte der Sioux lächelnd. „ Muß doch Jeder, der darin wandert, ſeinen Weg zum Waſſer nehmen, und ſo ſuchte ich dich gleich am Fluſſe; auch zeigte ſich mir deine und Bruno’s Spur im hohen Graſe; o, ich kenne deine Spur, Bleichgeſicht! “fügte er betheuernd hinzu. „ Aber ſchelten muß ich mit dir, Bruder “, fuhr er nach einer Weile fort.
— „ Schelten, Waupee? Was hätte ich dir ge - than? “
— „ Mir nichts, gar nichts, mein bleicher Bru - der, “war die Antwort; „ aber dir ſelbſt durfteſt du Schaden zufügen, indem du, wie ich ſehe, dein Nacht - lager am Ufer des großen Waſſers aufſchlagen woll - teſt. Haſt du ſchon vergeſſen, wie wir, White - hawk und ich, dich faſt ſterbend hier am Ufer fan - den, weil du in deiner Unwiſſenheit dem böſen Geiſte getrotzt, der hier ſeine Wohnung aufgeſchlagen hat, und mit tödtlicher Krankheit die Verwegenen beſtraft, die Nachts am Waſſer ſchlafen? “
— „ Nein, du gute Rothhaut, “verſetzte der Eu - ropäer mit gerührtem Tone und indem er ihm noch - mals die Hand reichte, „ nein, das habe ich noch nicht vergeſſen, und auch nicht, daß ihr mich mit euch nahmt und mir in eurem Wigwam alle nur erdenkliche Pflege angedeihen ließet, bis mein Leben gerettet und meine Geſundheit wieder hergeſtellt war. “
12— „ Es iſt gut, mein bleicher Bruder, daß du deſſen noch gedenkſt “, verſetzte der Wilde, „ denn das überhebt mich der Mühe, dich wieder daran zu erin - nern, jetzt, wo ich da bin, um einen Gegendienſt von dir zu verlangen. “
— „ Sprich, gute Rothhaut, was verlangſt du von mir? “
— „ Daß du mir den einzig mir noch übrig ge - bliebenen Sohn, White-hawk, retteſt. “
— „ White-hawk? Sprich, was iſt mit ihm? “fragte Arnold mit dem Tone des Erſchreckens, denn er liebte den Jüngling wie einen Bruder.
— „ Das iſt eine lange Geſchichte, “verſetzte der Wilde mit traurigem Tone, „ und ich erzähle ſie dir auf dem Wege; denn nicht wahr, mein Bruder, du kommſt mit mir, und das gleich? denn Zeit haben wir nicht zu verlieren. “
— „ Gewiß komme ich mit dir, ſobald es dir oder White-hawk nützen kann, “antwortete ihm Arnold.
— „ O, ſehr kannſt du ihm und mir nützen, denn du kannſt ihm das Leben retten, mein Bruder! “
— „ So iſt er vielleicht gar in die Hände der Chippewas gefallen, mit denen ihr, wie ich weiß, im Kriege lebt? “
— „ Hätte Manitou, der gute Geiſt, doch ge -13 wollt, daß wir noch Feinde wären, “ſeufzte der Sioux, „ denn dann würde ich weniger den Tod White-hawks zu befürchten haben, als jetzt; ja, er wäre mir wohl gar mit Kopfhäuten am Gürtel aus der Schlacht zu - rückgekehrt, die Lederhoſe mit Haaren beſät, ſtatt daß er jetzt vielleicht in ein ruhmloſes Grab ſinken muß, unbeweint von mir und allen Andern des Stammes. “
— „ Jch verſtehe dich nicht, Nothhaut, “verſetzte der Europäer mit einiger Ungeduld, „ und wenn ich dir und deinem Sohne helfen ſoll, mußt du dich mir deutlicher erklären. “
— „ Als ob ich das nicht gewollt hätte, mein bleicher Bruder? Aber verlieren wir keine Zeit, und wenn du vom Wandern in der Prairie müde biſt, ſo beſteige du mein Muſtang, während ich, der ich den ganzen Tag zu Pferde war, neben dir hergehe und dir erzähle. “
Er ſtellte mit dieſen Worten das Pferd ſo, daß Arnold ſich bequem in den Sattel ſchwingen konnte, was dieſer, ermüdet wie er war, auch ohne Umſtände that; Waupee reichte ihm ſeine Büchſe, die Jagdtaſche und Flaſche, ſo wie ſeinen Strohhut nach, Arnold legte alles dieſes an und die Reiſe wurde von Beiden, trotz des nahen Einbruchs der Nacht, angetreten; denn der Sioux kannte bei Nacht wie bei Tage alle Pfade in der Prairie und im Walde.
14— „ Sieh, “hub der Wilde, nachdem man eine kurze Strecke zurückgelegt hatte, mit traurigem Tone an, „ wir lebten, wie du weißt, lange Zeit mit den Chippewas, unſern nächſten Nachbarn, im Kriege und ſtanden uns gut dabei, denn nicht nur erbeuteten un - ſere Krieger manche Kopfhaut von den Feinden, ſon - dern auch viele andere Dinge, die uns Nutzen gewäh - ren konnten. Da führte Takwantona, der böſe Geiſt — denn Manitou konnte es nicht ſeyn — eine An - zahl Bleichgeſichter, von den Trappers, die in unſern Wäldern und Prairien der Jagd nachgehen, erſt zu den Chippewas, und als ſie dieſe mit den Honigwor - ten ihres Mundes beſchwatzt hatten, auch zu uns. Unter ihnen war einer von den Schwarzröcken, die bei uns Makota-Konayas genannt werden und vor denen wir Furcht haben, ihr aber Liebe, und der ver - ſtand ſeine Rede ſo gut zu führen, der redete ſo ſüße Worte, bis unſer Nanawa, eben wie der der Chippe - was, den Ausſpruch that, es ſei jetzt des Bluts ge - nug zwiſchen den beiden Stämmen gefloſſen und auch genug der Scalps genommen, daher ſolle Frieden ſeyn. Wir mußten gehorchen, denn was der Nanawa befiehlt, muß geſchehen. Es wurde alſo ein Tag feſt - geſetzt — o des für mich unglückſeligen Tages! — an dem wir mit den Chippewas im Walde zuſammen - kommen wollten, um das Calumet, die grüne Frie -15 denspfeife, mit einander zu rauchen. Für mich ſollte, ſo hatte man beſtimmt, dies ein doppelter Feſttag werden, indem man White-hawk, der wenige Tage zuvor ſeine erſte Kopfhaut erbeutet, in die Reihen der Krieger aufnähme. “
— „ Mein Herz war zugleich voll Stolz und Freude, “fuhr der Sioux nach einer Pauſe in ſeiner Erzählung fort, „ denn die Ehre, die man White - hawk erzeigen wollte, erzeigte man ja doppelt mir, ſeinem Erzeuger. Ria-weki, mein Weib, ſchmückte den Wigwam mit friſchen Blumen und Kräutern und bereitete vom Buckel des Büffels, den White-hawk, und vom Rothwilde, das ich erlegt, das leckerſte Mahl; ich und der Sohn färbten uns das Antlitz roth und ich umgürtete mich mit allen genommenen Scalps, während White-hawk ſich nur mit einem umgürten konnte, wozu er aber bald mehre gefügt haben würde. Da die Ehre des Tages nun ſein ſeyn ſollte und ich wünſchte, ihn im höchſten Putze zu ſehen, damit un - ſere ehemaligen Feinde ihm auch Ehre anthäten, gab ich ihm meine Büchſe, das werthe Geſchenk von dir, mein bleicher Bruder, und ſo begaben wir uns freu - dig auf den Verſammlungsplatz im Walde, er ſtolz wie ein junger Adler, der ſich zum erſtenmale aus dem Neſte hoch in die Lüfte emporſchwingt, ich glück -16 lich wie ein Vater, deſſen Sohn man mit Ehren krö - nen will. “
— „ Die Chippewas ſäumten auch nicht zu kom - men; aber ſie führten mit ſich, was nicht gut iſt und was ich jetzt auf immer doppelt haſſen werde. Sie hatten von den Bleichgeſichtern, die eine Zeitlang des Handels wegen bei ihnen gelebt, das Feuerwaſſer ken - nen gelernt und liebten es ſo über alle Maßen, daß ſie nicht ohne daſſelbe ſeyn zu können glaubten, und ſo brachten ſie auch zum Friedensfeſte davon mit. Manche Sioux, darunter auch mein Sohn, ließen ſich bereden, davon zu trinken, und da es ihnen ſchmeckte, tranken ſie mehr und mehr, bis ſie eine Ausgelaſſen - heit ergriff, daß ſie wie Raſende umherſprangen und nicht mehr wußten, was ſie thaten. Jn dieſem Zn - ſtande befand ſich auch White-hawk, und da er nicht mehr wußte, wer der gute, noch wer der böſe Geiſt ſei, legte er, wie er mir ſpäter ſagte, nur zum Scherze, ſeine Büchſe auf einen jungen Chippewa an, drückte mit dem Finger den Hahn und der Schuß ging los, dem Chippewa mitten durch die Bruſt, ſo daß er, ohne einen Laut von ſich zu geben, todt zu Boden ſank. “
Der Sioux hielt hier inne und trocknete ſich mit dem Rücken der Hand den Schweiß von der Stirn.
— „ Und was geſchah darauf, Waupee? “fragte17 ihn Arnold, der ihm mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugehört hatte.
— „ Kannſt du es dir nicht denken, Bleichge - ſicht? “antwortete ihm der Jndianer, deſſen Bruſt von einem tiefen Seufzer gehoben wurde. „ Einen Augenblick ſtanden Alle, Sioux und Chippewas, wie von Erſtarrung ergriffen da; dann ſtießen die letztern ein Geheul aus, wie eine Horde Wölfe, die die nahe Beute wittern. Darauf bildeten ſie, während wir ent - ſetzt und unbeweglich an unſern Plätzen ſtehen blieben, einen dichten Kuäuel um den Gefallenen, wobei ſie Drohungen und Wuthgeſchrei ausſtießen und ihre To - mahawks gegen uns ſchwangen. Wir griffen jetzt auch zu den unſrigen und ein Kampf auf Tod und Leben wäre wohl zwiſchen beiden Stämmen entſtanden und mehr Blut gefloſſen, als der Boden trinken konnte, wenn nicht White-hawk ſeine Waffen niedergeworfen und ſich unbewehrt, wie er jetzt war, in die Reihen der Feinde hinüber begeben hätte. “
— „ Jch weiß “, ſagte er mit feſter Stimme, denn durch den Schrecken war die Trunkenheit von ihm gewichen, „ ich weiß, was ich mir und euch ſchuldig bin: nehmt mich hin und thut mit mir, wie es Recht und Sitte und Gebrauch iſt. “
— „ Der Mörder liefert ſich ſelbſt der Blut -218rache aus! “riefen Einige, und Andere: „ Es iſt keine Urſache zum Kriege mehr! “
— „ Jch ſtand von fern und ſagte kein Wort, denn das Herz in der Bruſt wollte mir vor Leid zer - ſpringen. “
— „ Brüder, Freunde, Rothhäute, “nahm dann White-hawk wieder das Wort — und ſeine Stimme bebte nicht ſo wie das Herz in meiner Bruſt, „ Brü - der, ich habe gefehlt und will büßen; ich habe ge - tödtet und will ſterben, wenn ihr es wollt; haltet das Blutgericht über mich und was es befiehlt, will ich thun und leiden. “
Da trat Opiska Toaki, der weiße Raabe, Nanawa der Chippewas, aus dem Kreiſe der Seinen hervor, legte die Hand auf das Haupt White-hawks und ſprach die Worte:
— „ Du haſt dich ſelbſt der Blutrache überliefert, Sioux, und biſt nun heilig bis zu der Stunde, wo wir dich vor uns fordern werden, damit du durch die Hand des Bluträchers entweder ebenfalls den Tod er - leideſt und ſeine Hand deinen Scalp nimmt, oder du durch würdige Gabe dein Leben einlöſeſt. Der, den du tödteteſt, war mein jüngſter Bruder und da der Vater bereits bei Manitou weilt, bin ich der Blut - rächer des Gemordeten. Jch lade dich daher, White - hawk, zum Tage des nächſten Vollmonds, zu den Hü -19 geln am weſtlichen Ausgange der Prairie, damit du erleideſt, was dir zukommt. “
— „ Und ich werde kommen, “antwortete Whi - te-hawk mit feſter Stimme.
— „ Genug und nicht mehr! “nahm Opiska Toaki wieder das Wort, „ und nun, Freunde, feiern wir unſer Friedensfeſt weiter, als ob nichts vorge - fallen wäre. Jch habe es geſagt! “
— „ Und was wird jetzt geſchehen? “fragte Arnold, als der Wilde abermals in Schweigen ver - ſank.
— „ Du warſt ſo lange unter uns und weißt es doch nicht? “antwortete ihm Waupee mit vorwurfs - vollem Tone.
— „ Ein ſolcher Fall kam während meines Aufent - halts bei euch nicht vor, wie ſollte ich es denn wiſ - ſen? “verſetzte Arnold.
— „ So will ich es dir ſagen, Bleichgeſicht: ich muß den Sohn am erſten Tage des Vollmonds aus - liefern, damit die Chippewas ihn tödten, wenn ich ihn nicht durch reiche Gaben auslöſen kann. Zu dem Ende ſuchte ich dich in Nauvoo auf, damit du mir die Hand zur Rettung White-hawks böteſt, denn ich bin arm und habe dem Bluträcher nichts zu geben, die Bleichgeſichter aber ſind reich und haben viele Sa - chen, die den Chippewas ſchon gefallen könnten. “
2 *20— „ Was würde ich darum gegeben haben, daß du mich in Nauvoo getroffen! “rief der junge Mann aus; „ wie aber ſoll ich dir jetzt helfen, wo ich faſt nicht mehr beſitze, als du dem Bluträcher bieten könn - teſt, die Büchſe und die Jagdtaſche nebſt einigen un - bedeutenden Kleinigkeiten, worauf man geringen Werth ſetzen wird? “
— „ So muß White-hawk ſterben und es iſt ſo der Wille Takwantonas, der lange ſchon den Roth - häuten zürnt und ihnen die böſe Seuche geſchickt hat, um ſie von der Erde zu vertilgen. Manitou hat ſeine Macht verloren und es iſt vergebens, daß wir ihm Gaben und Gebete darbringen; beſſer thäten wir, uns an Takwantona, an Anim Teki, den Donner, und Kinnebek, die große Schlange, damit zu wenden, um ſie uns wo möglich geneigt zu machen; denn ſie ſind jetzt mächtiger auf Erden, als der gute Geiſt. “
Unter dieſen und ähnlichen Geſprächen ſetzten die nächtlichen Wanderer ihren Weg durch die Prairie fort und langten mit Anbruch des Tages in dem großen Urwalde an, hinter dem die Niederlaſſungen, jenſeits des Fluſſes, der Sioux lagen. Menſchen und Thiere waren ſo ermüdet, daß man einige Stunden Ruhe ſuchen mußte, was man während der Nacht, der Raubthiere wegen, nicht zu thun gewagt hatte, da die baumloſe Prairie nicht einmal die Mittel dar -21 bot, ein großes Feuer, zum Schutze gegen dieſelben, anzumachen. Mit Anbruch des Tages aber kriechen die Beſtien in ihre Höhlen zurück und man hat nichts von ihnen zu befürchten.
Waupee, den die Sorge um den Sohn wach er - hielt, benutzte die Zeit, während Arnold ſchlief und das Pferde graſete, für Speiſe und Trank zu ſorgen. Er erlegte mit ſeinen Pfeilen einige Vögel, ſammelte Stachelbirnen und machte ein Feuer von dürrem Holze an, woran er die erlegten und ſauber gerupften Vö - gel an einem hölzernen Spieße briet. Dann füllte er die Jagdflaſche Arnolds mit dem kryſtallhellen Waſſer eines aufgeſuchten Waldquells an und als Arnold end - lich die Augen wieder aufſchlug, duftete ihm ein ſaft - reiches Frühſtück entgegen, das ihm, hungrig wie er war, trefflich mundete. Nachdem man ſich geſättigt und Bruno auch ſeinen Antheil gegeben hatte, brach man wieder auf, um die Reiſe fortzuſetzen. Der Wald zog ſich immer in der Nähe des Fluſſes hin und man mußte ihn, der zum Glück nur ſeicht war, durchwaten; allein Arnold war an ſolche Dinge be - reits gewöhnt und ſo wagte er ſich ohne Zaudern mit22 ſeinem Pferde in den Fluß hinein; ihm folgten Wau - pee und Bruno, die noch weniger als er die Furcht kannten.
Als man am jenſeitigen Ufer wohlbehalten ange - langt war, hatte man nur noch ein paar Stunden im Walde zurückzulegen und langte um die Zeit, wo die Sonne am höchſten am Himmel ſtand, in der Niederlaſſung an, welche aus etwa hundert kegelförmi - gen Zelten beſtand, die von gegerbten Thierfellen ge - macht waren und am Saume des Waldes zerſtreut umherlagen. Hier wohnte nur ein Theil des Stam - mes und etwa eine Meile weiter ein anderer; denn um ſich nicht gegenſeitig in der Jagd zu beengen, hat - ten ſie ſich getrennt.
Eine tiefe Stille herrſchte in der Niederlaſſung. Nur hie und da ſpielten einige Kinder von den Wig - wams, die Mädchen mit Blumen und Früchten, die Knaben, indem ſie ſich Pfeile und Bogen ſchnitzten, um ſich ſchon früh auf ihre kräftige Beſchäftigung, Krieg und Jagd, vorzubereiten. Die Squaws oder Weiber waren in den Wigwams mit Zubereitung der Speiſen und der Felle beſchäftigt, welche letztere ihnen Kleidung und Wohnung gaben, und die Männer ent - weder auf die Jagd oder auf den Fiſchfang am nahen Creek ausgegangen.
Ohne ein Wort mehr zu ſprechen, nahm Waupee23 ſeinen Weg zu ſeinem Wigwam und Arnold folgte ihm dahin. Als ſich Pferdegetrappel vor der Hütte hören ließ, trat White-hawk aus derſelben hervor und reichte erſt dem zurückkehrenden Vater, dann Arnolden die Hand zum Willkomm.
Seine Miene war durchaus ruhig und in ſeinen ſchwarzen Augen lag auch nicht der mindeſte Ausdruck von Traurigkeit oder Unruhe. Ganz wie ſonſt lä - chelte er ſeinen bleichen Bruder, wie er Arnold nannte, an; ganz wie ſonſt überhäufte er den ihn gleich wie - der erkennenden und an ihn hinanſpringenden Bruno mit Liebkoſungen, auch redete er mit keinem Worte von der ſein Leben bedrohenden nahen Gefahr. All ſein Denken war nur noch darauf gerichtet, wenn der Tod für ihn unvermeidlich wäre, jene Ruhe und To - desverachtung zu zeigen, auf die der Sohn der Na - tur den höchſten Werth, in den er ſeinen größten Ruhm ſetzt; und er war ſich ſeiner Kraft und Stand - haftigkeit bewußt, deshalb war er vollkommen ruhig.
Ganz eben ſo erſchien Waupee auch und nur wenn man ihn genau beobachtete, deutete ein leiſes Zucken, das von Zeit zu Zeit ſeine Mundwinkel um - ſpielte, auf den Schmerz hin, den ſein Vaterherz er - füllte; aber auch nicht durch ein einziges Wort ver - rieth er, was in ſeiner Seele vorging, denn das wäre nach ſeinen Begriffen unmännlich geweſen. Nur die24 Mutter des Opfers machte ihr Weiberrecht geltend, indem ſie ſtill vor ſich hinweinte und von Zeit zu Zeit angſtvolle Blicke auf den Liebling heftete; aber Kei - ner ſchien das bemerken zu wollen, Keiner ſprach ein Wort des Troſtes und der Beruhigung zu ihr, ſelbſt Arnold nicht, der durch ſeinen längern Aufenthalt un - ter den Wilden ſchon wußte, was ſich in ſolchen Fäl - len ſchickte.
Die Squaw hatte, indem ſie Feuer in einer Erd - vertiefung angemacht, ſo daß die Steine, womit ſie ausgelegt war, bis zum Glühen erhitzt waren, darin der Buckel eines am Tage zuvor von White-hawk mit dem Laſſo erlegten Büffels gebraten, und in der That war das auf dieſe Weiſe bereitete Gericht ein ſo leckeres, daß der raffinirteſte europäiſche Gourmand es für ein ganz vortreffliches erklärt haben würde; auch ließen es ſich Alle gut ſchmecken und Keiner zeigte ei - nen minder großen Appetit als ſonſt. Zum Nachtiſche wurden einige Scheiben wilden Honigs aufgetragen und dieſe vorzüglich dem werthen Gaſte zu Ehren.
Nachdem man ſich geſättigt hatte, führte Waupee Arnold aus dem Wigwam hinaus, zu einer kleinen waldigen Anhöhe. Nachdem er ſich hier mit ihm nie - dergelaſſen hatte, fragte er ihn ohne Umſchweife, durch welche Gegenſtände er das Leben White-hawks von dem Bluträcher zu erkaufen gedenke?
25— „ Jch habe meine doppelläufige, mit Silber ausgelegte Büchſe, ein Geſchenk des Mormonhäupt - lings, und für den Kenner ein überaus koſtbares Stück, “war die Antwort des Europäers.
— „ Sie iſt gut und ſehr ſchön, ſchöner als irgend ein Sioux oder Chippewa ſie hat, “verſetzte Waupee; „ ich habe ſie ſchon beſehen, bleicher Bru - der; aber White-hawks Leben iſt mehr werth. “
— „ Dann meine Jagdtaſche, die Blechflaſche, ein gutes Meſſer mit verſchiedenen Geräthſchaften daran, “fuhr Arnold fort, „ und endlich dieſer Dolch, ein Stück, in ſeiner Art ſo gut wie die Büchſe. “
— „ Gut, Alles ſehr gut; aber ich fürchte den - noch, daß es nicht genug ſeyn und den Bluträcher nicht zufrieden ſtellen wird. Haſt du nicht noch mehr, Bleichgeſicht? “
— „ Was ich dir nannte, iſt Alles, was ich bei mir führe; doch will ich dem Chippewa noch mehr verſprechen, Waupee, denn ich beſitze nichts, was mir zu koſtbar wäre, um das Leben deines Sohnes zu retten. “
— „ Jch weiß das, mein bleicher Bruder, “ant - wortete ihm Waupee mit einem ſo ruhigen Tone, als handle es ſich nicht um das Leben ſeines einzigen Soh - nes, ſondern um einen Tauſch, einen Handel oder dergleichen; „ ich weiß das; aber der Bluträcher wird26 trotz dem nicht zufrieden ſeyn, und was deine Ver - ſprechungen anbetrifft, ſo ſchweig damit nur ſtill: die Rothhäute geben nichts mehr darauf, ſeit die Bleich - geſichter ihnen ſo oft ihr Wort gebrochen; ſie glau - ben nur noch, was ſie ſehen. “
Er erhob ſich mit dieſen Worten, Arnold folgte ſeinem Beiſpiele und Beide gingen den Hügel hinun - ter, dem Wigwam des Wilden zu. Als ſie in den - ſelben eintraten, erblickten ſie White-hawk, der auf einer zottigen Büffelhaut ſaß und ſo ruhig rauchte, als ſei ihm recht wohl und behaglich um’s Herz, auch bot er, um den Anforderungen der Gaſtfreundſchaft volles Genüge zu thun, Arnolden wie ſonſt ſeine Pfeife an, der ſie aber ausſchlug, da er nicht gewohnt war zu rauchen. Der Europäer ließ ſich neben dem jungen Wilden auf das Büffelfell nieder und dieſer er - zählte ihm mit dem ruhigſten Tone von der Welt von den Jagd - und Kriegsabenteuern, die er beſtanden, ſeit ſie ſich nicht geſehen hatten.
Während dieſer Zeit beſchäftigte ſich Waupee mit den Waffen und der Kleidung, die er und White-hawk am nächſten Tage anthun wollten; er ſteckte neue Fe - dern in den Kopfputz; er putzte die Waffen, die Span - gen, welche die Mocaſſins über den Knöcheln feſt hiel - ten; er bürſtete die Lederhoſen und Röcke ab, ſchüt - telte das Fell, aus welchem der Ueberwurf beſteht,27 kurz, bereitete Alles wie zu einem Feſte vor und White-hawk ſah ihm mit der unerſchütterlichſten Ruhe zu, etwa wie eine Tochter der Mutter, die ihr das Ballkleid bereitet.
Als die Nacht angebrochen war, trat Waupee noch einmal vor den Wigwam hinaus und betrachtete mit aufmerkſamen Blicken den Mond, der faſt voll war; dann in die Hütte zurückgehend, ſagte er kein anderes Wort, als: „ Morgen! “
— „ Morgen! “wiederholte White-hawk und ſtreckte ſich dann neben Arnolden auf dem Büffelfelle zum Schlafe aus.
Der Europäer konnte nicht ſchlafen, da ſo viele traurige Gedanken ſeine Seele erfüllten; aber die tie - fen Athemzüge des neben ihm ruhenden Jünglings ver - riethen ihm deutlich, daß dieſer ſich ganz wie ſonſt der Erquickung eines geſunden Schlafs erfreute. Dieſe Ruhe, dieſe kühne Todesverachtung des Wilden, die - ſer Schlaf, gleichſam im Angeſichte eines ſchauder - haften Todes, hatten etwas Großartiges und Erhe - bendes für Arnold, zugleich aber demüthigten ſie ihn, indem er ſich ſagen mußte, daß, mit aller ihm an - geborenen Willenskraft, er nicht im Stande ſeyn würde, in ähnlicher Lage es dieſem rohen Kinde der Natur gleich zu thun.
Auch Waupee ſchlief, wenn gleich nicht lange,28 denn die Furcht, zu ſpät an dem beſtimmten Platze mit dem Schlachtopfer anzulangen — und dies würde ein unauslöſchlicher Schimpf für den ganzen Stamm geweſen ſeyn — weckte ihn bald wieder auf. Nur Arnold und die unglückliche Mutter waren gänzlich wach geblieben. Letztere ſaß in einem Winkel des Wigwams auf der Erde und hatte beide Arme, in deren Händen ihr thränenſchweres Haupt ruhte, auf die Kniee geſtützt; ſo ſaß ſie unbeweglich und weinte ſtill vor ſich hin; denn laut zu weinen oder wohl gar zu ſchluchzen, würde ſie nicht gewagt haben, weil ihr das ſicher Scheltworte vom Gatten und Vorwürfe vom Sohne zugezogen hätte.
Nachdem Waupee kaum drei Stunden geruht, erhob er ſich vom Boden und trat vor die Thür der Hütte hinaus, um zu ſehen, wie weit es bereits an der Zeit ſei, und da der Untergang des Mondes und der Stand der Geſtirne ihn darüber belehrte, daß der Anbruch des neuen Tages nicht mehr fern ſei, weckte er erſt mit lauter Stimme die Schläfer im Wigwam und ließ dann die Töne eines großen, mächtig ſchal - lenden Horns, das Aehnlichkeit mit unſerm Kuhhorn hatte, ertönen, um auch die Schläfer in den andern Hütten zu erwecken.
Es dauerte nur wenige Minuten, ſo füllte ſich der Platz vor Waupees Wigwam mit Männern, Grei -29 ſen, Jünglingen und Knaben an. Auch die letztern ſollten dem Zuge folgen, um frühzeitig zu lernen, wie man ſich in ſolchen Fällen zu benehmen habe, um den Seinigen keine Schande, ſondern vielmehr Ehre zu machen, und von White-hawk, dem tapfern, edlen Jünglinge, erwartete man das beſte Beiſpiel kühner Todesverachtung für die aufblühende Jugend.
Während die Sioux ſich nach und nach auf dem Platze vor dem Wigwam Waupees verſammelte, war dieſer drinnen emſig beſchäftigt, den Sohn und ſich ſelbſt auf’s Beſte zu ſchmücken. Er legte jenem nicht nur die Kleider an und ſetzte ihm den befiederten Kopfputz auf, ſondern färbte ihm auch mit dem Safte rother Beeren das Geſicht roth, wie dieſe Wilden es bei freudigen Anläſſen zu thun pflegen, während ſie das Antlitz bei Kriegserklärungen halb, und im Kriege ſelbſt ganz ſchwarz färben. Jetzt aber durfte Nichts Trauer oder Schmerz verrathen und mußte ſich das Opfer wie zum Feſte ſchmücken laſſen.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als man ſchon mit allen dieſen Vorbereitungen fertig war; nur ein falber Streif im Oſten zeigte die Stelle an, wo die Königin des Tags als Beſiegerin der Nacht her - vortreten würde, und in eben dem Augenblick, wo der hellgraue Streif ſich mit einer ſchwachen Röthe zu färben begann, ſetzte ſich der Zug in Bewegung.
30Die arme Mutter, welche es nicht gewagt hatte, den vielleicht für immer von ihr ſcheidenden, einem ſchauderhaften Tode entgegengehenden Sohn noch ein - mal an ihr Herz zu ſchließen und, ſeine Wangen mit ihren Thränen bethauend, einen letzten Abſchied von dem Geliebteſten zu nehmen, ſtand, als der Zug ſich in Bewegung ſetzte, mit dem Rücken gegen den Wig - wam gelehnt und bedeckte ſich das von Thränen über - fluthete Antlitz mit beiden Händen.
Ein unausſprechliches Mitleid mit der Armen er - füllte Arnolds Herz und er mußte der eigenen theuren, durch den Tod auf immer von ihm getrennten Mutter lebhafter denn je gedenken. Er, der dem Zuge als der Letzte gefolgt war, kehrte daher noch einmal um und die eiskalte Hand Ria-weki’s — dies war der Name des armen Weibes — ergreifend, ſagte er:
— „ Beruhige dich, Mutter! Wenn irgend mög - lich, ſoll dir der Sohn gerettet werden. “
— „ So ſpricht mein Sohn, das gute Bleichge - ſicht, “ſchluchzte das Weib, „ und ich weiß, daß er halten wird, was er der armen Mutter White-hawks verſprochen, ſofern er ſein Verſprechen halten kann; aber ach! zu gering ſind die Gaben, die du zur Sühne zu bieten haſt, und arm wie wir ſind, beſitzen wir ſelbſt nichts, was die Chippewas nicht eben ſo gut und vielleicht noch beſſer beſäßen und ſo mit Verach -31 tung zurückweiſen würden. Suche alſo nicht mein Herz mit Hoffnungen zu erfüllen, gutes Bleichgeſicht, denn doppelt groß würde mein Schmerz ſeyn, wenn ich vergebens gehofft hätte. Nein, nein, “fuhr ſie, lauter weinend und zum erſten Male ſchluchzend, fort, „ nein, ich werde ihn nicht wiederſehen, der die Sonne meines Herzens war, deſſen Blick mir ſchöner ſchien, als das Leuchten des großen Geſtirns, deſſen Worte meinem Ohre lieblicher klangen, als das Girren der Holztauben und der Geſang der Vögel am Morgen! “
— „ Hoffe trotz dem, Ria-weki, “tröſtete ſie Arnold; „ in mir iſt Etwas, das mich auf einen glück - lichen Ausgang hoffen läßt. “
— „ So hoffe denn du, mein bleicher Sohn, “antwortete ſie ihm mit von Thränen faſt erſtickter Stimme; „ die arme Ria-weki hofft aber nicht! “
Arnold, der tief ergriffen von dem Schmerze der unglücklichen Mutter war, drückte ihr nochmals die Hand und eilte dann den Andern nach, die bereits, da ſie ihre Schritte ſehr beeilten, um gewiß zuerſt auf dem beſtimmten Platze anzulangen, eine ziemliche Strecke voraus waren, ſo daß er den Zug nur im Laufe einholen konnte. Dieſer bewegte ſich im tiefſten Schweigen und in guter Ordnung vorwärts, den weſt - lichen Hügeln zu, die zum Sammelplatze beſtimmt waren. Allen Uebrigen voran, ſchritt White-hawk,32 feſtlich geſchmückt und ſtolz wie ein junger Held, aber ohne Waffen. Hoch im Winde flatterten die buntge - färbten Federn ſeines Hauptputzes und ſtolz hob er das Haupt empor, lebhaft blickte das dunkle Auge um ſich. Sein Schritt war feſt und ſicher, ſeine Haltung die edelſte; kein Ausdruck von Trauer oder Furcht zeigte ſich in ſeinen Mienen. Die eine Hand hatte er in die Seite geſtemmt, mit der andern hielt er den mantelartigen, nur über die eine Schulter ge - worfenen Ueberwurf von Büffelfell vor der Bruſt zu - ſammen. Jn den Ohren glänzte das ſilberne Ge - ſchmeide, an den Knöcheln der ſauber geputzte und hellpolirte Metallring und vom Gürtel hernieder hing ſeine ſchönſte Zier, die erſte von ihm genommene Kopf - haut. Sein hoher Wuchs, ſeine ſchöne Haltung, ſein feſter und doch wieder leichter Tritt, machten ihn zu einer wahrhaft ſchönen und impoſanten Erſcheinung.
Dicht hinter ihm ging Waupee. Auch er war feſtlich geſchmückt und im vollen Waffenglanze. Wie polirtes Silber glänzte ſein vom Gürtel herabhangen - der Tomahawk und der leichte Morgenwind ſpielte mit den Trophäen ſeiner vielen Siege über die Feinde ſei - nes Stammes, mit den genommenen Scalps, auf die er ſtolzer war, als es ein König auf die in der Schlacht eroberte Krone eines mächtigen Reichs ſeyn könnte. Neben den Scalps ſteckte in dem breiten33 Ledergürtel den ihm einſt von Arnold geſchenkte Dolch, jetzt ohne Scheide; auf dem Rücken trug er den Bo - gen und die nie ihr Ziel verfehlenden Pfeile.
Hinter dieſen Beiden ging ein naher Blutsfreund Waupees und White-hawks. Er führte an ſeiner Hand den völlig geſattelten und gezäumten Mustang des Jünglings, der die auf ſeinem Rücken befeſtigten Waffen ſeines Gebieters trug; denn wenn dieſer dem Tode zur Beute fiel, mußte das Thier auch ſterben und nebſt ſeinen Waffen neben ihm begraben werden, ſo wollte es der Gebrauch. Es war, als ob das edle Roß eine Ahnung davon habe, zu welcher Beſtim - mung man es ſo mit ſich führe, denn gleich ſeinem jungen Gebieter erhob es ſtolz das Haupt und blähte die fleiſchfarbenen Nüſtern weit auf.
Die übrigen Sioux ſchritten paarweiſe, Alle be - waffnet, Alle geſchmückt wie zu einem Feſte, Alle im tiefſten Schweigen und mit ernſter, aber nicht trauri - ger Miene. Von Zeit zu Zeit ließ Einer aus dem Haufen das mächtige Horn ertönen, um den gleich - falls herbeieilenden Chippewas das Zeichen ihres Her - annahens zu geben.
Den Beſchluß machte Arnold, neben dem Bruno herlief, der, nach Art der Hunde, aber bald hierhin, bald dorthin ſtreifte, um dieſen oder jenen guten Be - kannten unter den Wilden, vorzüglich aber ſeinen334Freund und Gönner, White-hawk, aufzuſuchen, der ihm immer die leckerſten Biſſen zugeworfen hatte und deshalb hoch in ſeiner Zuneigung ſtand. Es war über - haupt eine auffallende Erſcheinung, daß der Hund unter den Wilden weit fröhlicher und unbefangener, als unter den Weißen war, welche letztere, mit Aus - nahme ſeines Herrn, ſich ihm kaum ohne Gefahr nä - hern durften, und denen er gleich knurrend ſein ſchar - fes Gebiß zeigte, während er gegen die Sioux fromm wie ein Lamm und ſo zutraulich war, daß Keiner et - was von ihm zu befürchten hatte; auch liebten Alle das ſchöne, treue Thier. Es war, als fühlte er ſich den Wilden näher ſtehend als den Menſchen aus der civiliſirten Welt; oder lehrte ihn vielleicht ſein wun - derbarer Jnſtinct, daß jene beſſer wären, als dieſe?
Der öſtliche Himmel hatte ſich indeß mit immer höheren Tinten gefärbt und ein ſo brennendes Roth, daß es das Auge kaum ertrug, verkündete den nahen Aufgang der Sonne.
Wieder ſtieß jetzt der Träger des Horns in daſ - ſelbe und wenige Seeunden darauf antwortete ein an - deres auf dieſen Zuruf. Auf dieſes Zeichen flog ein Gemurmel durch die Schaar der Sioux und zugleich verdoppelte der Allen vorauf ſchreitende White-hawk ſeine Schritte, denn jetzt wußte man die Chippewas nahe und es galt, vor ihnen die Hügelkette zu er -35 reichen, die, von den erſten Strahlen der Morgen - ſonne beſchienen, nur etwa noch tauſend Schritte von ihnen entfernt, vor ihnen lag.
Bruno war der Erſte, der ſie erreichte und ſich auf einer der Hügelſpitzen den Blicken der Wilden darbot.
Jmmer mehr und mehr beeilte White-hawk ſeine Schritte und zuletzt artete ſogar das Gehen in Lau - fen aus, ſo bange war der zur Opferſtätte wan - dernde Jüngling, nicht vor ſeinen Schlächtern an der - ſelben einzutreffen.
Noch einmal, und zuletzt, ertönte das Horn und ganz aus der Nähe, von der andern Seite des Hü - gels, erfolgte die Antwort; aber man hatte nichts mehr zu fürchten, denn der Sammelplatz war glück - lich erreicht.
Die Sioux bildeten jetzt, auf Waupees Befehl, einen Halbkreis, an den wohl er ſelbſt, nicht aber White-hawk, ſich anſchloß. Dieſer ſetzte ſich, weit von ſeinen Freunden und Stammgenoſſen entfernt, allein auf den Boden nieder und erwartete ſo die An - kunft ſeiner Feinde. Nur Bruno ließ es ſich nicht nehmen, ſich zu ſeinem Freunde zu ſetzen, als wolle er ihm bedeuten, daß, wenn auch Alle ihn verließen, er doch treu bei ihm ausharren würde. Der An - blick und die Nähe des ſchönen Thieres rührte ſichtbar den Jüngling; er wandte ſich zu dem auf ſeinen Hin -3 *36terpfoten neben ihm ſitzenden Bruno, ſtreichelte ihm das ſeidenweiche Fell und ſah ihm liebevoll in das treue Auge.
Arnold, der ſich nicht mit in den Kreis der Sioux geſtellt, ſondern ſich am Fuße eines der Hü - gel ſo gelagert hatte, daß er die ganze Scene über - ſchauen konnte, ſann darüber nach, wie es ihm mög - lich werden dürfte, den heldenmüthigen Jüngling doch noch zu retten, ſelbſt wenn die von ihm dargebotenen, neben ihm im Graſe ruhenden Geſchenke nicht als Lö - ſegeld ausreichen ſollten; aber vergebens zermarterte er ſein Gehirn, kein Rettungsweg wollte ihm einfal - len, ſo daß er mit Furcht und Zittern der Ankunft der blutgierigen Chippewas entgegenſah.
Jndem er ſo da lag, ſteckte er zufällig die Hand in den Buſen; eine brennende Röthe bedeckte auf ei - nen Augenblick ſein Geſicht, ſchnell aber zog er die Hand wieder zurück und ſeufzte tief und ſchmerzlich auf. Ja, es gab, wenn auch Alles fehl ſchlüge, für ihn wohl noch ein Mittel, den armen White-hawk zu retten; aber um welchen Preis! Um den des Lieb - ſten und Theuerſten, was er auf Erden beſaß, um den des Bildniſſes einer von ihm angebeteten Mutter, das er auf ſeinem Herzen trug und von dem er ſich gelobt hatte, daß es mit ihm begraben werden ſollte!
Nur wenige Minuten nachdem die Sioux ſich aufgeſtellt hatten, zeigte ſich, um den Fuß des Hü - gels herum kommend, der Vortrab der Chippewas. Obgleich den benachbarten Stämmen faſt gleich geklei - det und bewaffnet, war doch ihr Anblick weit wilder und furchtbarer. Sie ſchienen eine Nation von Rie - ſen zu ſeyn und es war nicht ein Einziger unter ih - nen, der nicht eine anſehnliche Leibeslänge gezeigt hätte, die Meiſten aber gingen über das gewöhnliche Maß hinaus.
Um das Entſetzen zu vermehren, das ſie durch ihr wildes Anſehen einflößten, hatten ſie ſich die Ge - ſichter ganz ſchwarz gefärbt, als wenn es zum Kriege ginge, und in der That waren ſie ja auch in tödt - licher Abſicht da.
Allen voraus ſchritt Opiska Toaki, als Häupt - ling und Bluträcher. Er hatte in der Eigenſchaft als letzterer alle bunten Federn von ſeinem Hauptſchmucke abgenommen und ſchwarze dafür aufgeſteckt. Jn ſei - ner Hand blitzte der furchtbare Tomahawk, den er zum Zeichen ſeines Zornes wiederholt um ſein Haupt ſchwang, als wolle er damit zum tödtlichen Streiche auslangen.
38Ein Gemurmel ging durch die Reihen der Chip - pewas, ſowie ſie White-hawks anſichtig wurden; dieſer aber behielt nicht nur ſeine frühere Ruhe und Gelaſſenheit, ſondern er zündete ſich, zum Zeichen, daß nicht die mindeſte Furcht ſeine Seele bewege, eine Pfeife an und blies den Tabaksdampf mit der größe - ſten Gemächlichkeit von ſich, und mit ſeinen Augen die ſich kräuſelnd erhebenden Dampfwolken, wie im größeſten Behagen, verfolgend.
Auf einen von Opiska Toaki erhaltenen Befehl ſtellten ſich jetzt auch die Seinen in einem Halbkreiſe auf, und zwar ſo, daß die äußerſten Enden deſſelben faſt an die der Sioux reichten, wodurch ein großer Kreis gebildet wurde, in deſſen Mittelpunkte das un - glückliche Schlachtopfer ſaß. Nachdem ſich auch die Chippewas aufgeſtellt und Opiska Toaki mit donnern - der Stimme Ruhe geboten hatte, herrſchte für einige Augenblicke eine tiefe Stille unter den Wilden; dann trat der Häuptling in den Kreis, auf White-hawk zu, berührte die Schulter deſſelben mit der Hand und fragte, ſich an die Sioux wendend:
— „ Jſt dieſer junge Mann mein? “
— „ Er iſt dein, “antwortete ihm die Stimme Waupees, indem auch er den Halbkreis der Seinen verließ und ſich dem Bluträcher näherte. „ Nimm ihn und verfahre nach deinem Willen mit ihm. Wir ſind39 hier, daß Recht und Gerechtigkeit geübt und die Sitte der Väter aufrecht erhalten werde. “
— „ So wird er ſterben, der im Frieden das Blut eines Chippewa vergoß und ich, der Bruder und Bluträcher des Gemordeten, werde ihn tödten, “war die Antwort des Häuptlings.
— „ Das wirſt du, Opiska Toaki, denn ſein Leben iſt in deiner Hand und ſein Blut bereit, zur Sühne des durch ihn vergoſſenen Blutes zu fließen, “erwiederte Waupee, „ ſofern dein Vortheil es nicht er - heiſchen ſollte, dir ſein Leben abkaufen zu laſſen. “
— „ Jch würde mich aber nicht mit geringem Preiſe begnügen, denn der Jüngling iſt edel und tapfer und eines großen Preiſes würdig, “entgegnete Opiska Toaki. „ Er trägt, obſchon kaum dem Kna - benalter entwachſen, bereits eine genommene Kopfhaut am Gürtel und in der Schlacht ſah ich ihn es mit den ſtärkſten Männern aufnehmen. “
— „ Dein Mund redet Wahrheit, “verſetzte Waupee, „ und wie du ihn anſiehſt, ſehen ihn auch ſeine Brüder an, die große Hoffnungen auf ihn ſetz - ten. Es ſchickt ſich nicht, daß ich, ſein Vater, ſeine Tugenden und Vorzüge preiſe, ſonſt würde ich ſagen, daß White-hawk von Keinem in alle Dem übertrof - fen werde, was die Zierde und den Ruhm des Man - nes ausmacht. “
40— „ Und was haſt du, ſein Vater, mir zur Sühne des durch ihn vergoſſenen Bruderbluts, was haſt du mir für das Leben eines Jünglings zu bieten, der der Stolz und die Freude deines Herzens, die Hoffnung deines Stammes iſt? “fragte der Häupt - ling.
— „ Jch, “verſetzte Waupee mit traurigem Tone, „ beſitze Nichts, was ich wagen dürfte, dir für ein ſolches Leben zu bieten, denn ich bin arm und habe Nichts, was du nicht beſſer hätteſt; aber ich habe unter den Bleichgeſichtern einen Freund und White - hawk hat in ihm einen Bruder gefunden; er iſt hier und wenn es dir recht iſt, führe ich ihn in den Kreis, damit er dir zeige, womit er ſeines Bruders Leben zu erkaufen gewillt iſt. “
— „ Führe ihn her, “ſagte Opiska Toaki, „ da - mit ich ſeine Gaben ſehe und ſchätze. “
Waupee verließ jetzt den Kreis und näherte ſich Arnolden, der, in der Erwartung, gerufen zu wer - den, bereits aufgeſtanden war und ſich dem Kreiſe ge - nähert hatte, in den er, wie er wußte, als Fremd - ling nicht ohne eine beſondere Aufforderung von Sei - ten der Wilden treten durfte.
— „ Komm, “ſagte Waupee mit ſanfter Stimme zu ihm, „ komm, mein bleicher Bruder, und bringe deine Gaben dem Bluträcher dar! “
41Arnold folgte der an ihn ergangenen Auffor - derung und trat in den Kreis, dicht an White-hawk hin, der noch immer ſo ruhig fortrauchte, als ginge die ganze Verhandlung ihn nichts an.
Der Europäer bog ſich zu dem Jünglinge nieder und flüſterte ihm Worte des Troſtes und der Beruhi - gung zu, auf die aber White-hawk nicht zu hören ſchien. Dann richtete ſich Arnold wieder empor und ſich gegen die Chippewas wendend, ſprach er, die koſtbare Büchſe hoch emporhebend, ſo daß Alle ſie ſehen konnten:
— „ Seht hier, Rothhäute, ein Feuerrohr, das von ſolcher Vortrefflichkeit und Arbeit iſt, wie nie Einer von euch je eins beſeſſen hat, noch ohne dieſen Anlaß je beſitzen würde; denn ſolche Waffen führen bei uns nur die Fürſten und um keinen andern Preis, als den des Lebens meines Bruders White-hawk, würde ich mich davon trennen. Hier liegt es neben ihm, und mögeſt du, Opiska Toaki, großer Häupt - ling der Chippewas, es deiner und als Blutpreis würdig finden. Was ich ſonſt zu bieten habe, iſt von geringerem Werthe, “fuhr er nach einer Pauſe fort, indem er das Einlegemeſſer, den Dolch, die Jagdtaſche, alles Geld, das er bei ſich hatte, und einige andere Kleinigkeiten, die er zufällig bei ſich trug, ne - ben die Büchſe legte; „ was ich aber habe, biete ich42 dir, großer Opiska Toaki, für das Leben meines Bru - ders dar. Jch habe es geſagt! “ſchloß er, nach Art der Wilden, ſeine Rede.
— „ Wenn deine Gaben deinem Edelmuthe und deiner aufopfernden Freundſchaft an Würdigkeit gleich wären, Bleichgeſicht, “verſetzte der Häuptling, „ ſo würden wir des Handels bald einig ſeyn; bedenke aber, was iſt ein Feuerrohr, ſelbſt wenn es ſo köſt - lich ſeyn ſollte, als dein Mund beſagt, was iſt ein Feuerrohr gegen das Leben White-hawks, von dem ſelbſt ſein Vater behauptet, daß ihn an männlichen Tugenden kein anderer junger Mann übertrifft? Haſt du uns daher nicht mehr zu bieten, ſo trage er ſeine Schuld mit dem Leben ab. “
— „ Jch gab Alles her, was für den Augen - blick in meinem Beſitze war, “antwortete ihm Arnold mit ſchmerzlich bewegter Stimme; „ denn ich hatte nicht Zeit, mich auf das, was hier vorgehen ſollte, vorzubereiten; ich wußte nicht, daß es ſich um die Lebensrettung meines Bruders handelte, denn ſonſt würde ich mich noch mit anderen Gaben verſehen ha - ben. Am Ausgange der Prairie traf mich Waupee an, der mich vergeblich in Nauvoo geſucht hatte, und die Zeit war zu kurz, um zurückkehren und mich mit dem Nöthigen verſehen zu können; denn ſonſt würde mir Nichts zu werth, Nichts zu koſtbar geweſen ſeyn,43 das Leben des Sohnes Desjenigen zu erkaufen, der mir das Leben rettete. “
— „ Du ſprichſt gut und weiſe, Bleichgeſicht, “antwortete ihm Opiska Toaki, „ und deine Worte hö - ren ſich gut an; deshalb will ich mit meinen Brü - dern berathen, ob ſie die von dir gebotenen Gaben für genügend halten, die Blutſchuld zu ſühnen. “
Er nahm mit dieſen Worten die Büchſe vom Boden auf und trat mit ihr in die Reihe der Seinen zurück; die andern ihm von Arnold dargebotenen Ga - ben würdigte er nicht einmal eines Blicks, ſo gering - fügig kamen ſie ihm vor. Die Büchſe ging von Hand zu Hand; kunſtverſtändig prüften die Wilden ſie und unterſuchten den Lauf, das Schloß, die Kolbe mit einer Sorgfalt, die dem geübteſten Büchſenſchmidt Ehre gemacht haben würde. Dann gab man ſie in die Hände des Häuptlings zurück, ein Gemurmel flog durch die Reihen, Opiska Toaki warf noch einen Blick, wie zum ſchmerzlichen Abſchiede, auf das ſchöne Waf - fenſtück, das er ſo gern behalten hätte, trat dann zu White-hawk und legte die Büchſe ſchweigend ne - ben demſelben nieder.
Damit war das Todesurtheil des armen Jüng - lings ausgeſprochen: man hatte die dargebotene Sühne nicht für groß genug gehalten und forderte White - hawks Leben.
44— „ Nimm dein Gewehr zurück! “rief Opiska Toaki Arnolden mit gebietender Stimme zu, und zu - gleich hob ſein rieſiger Arm ſich, mit dem furchtbaren Tomahawk bewaffnet, hoch in die Luft empor, um den Todesſtreich auf White-hawks Haupt zu führen.
— „ Halt ein! Halt ein! “rief Arnold, von Entſetzen ergriffen; „ halt ein, Opiska Toaki! Jch kann dir noch mehr für das Leben dieſes Jünglings bieten! “
— „ Jch meinte, du hätteſt mir Alles geboten, was du beſäßeſt, Bleichgeſicht? “murmelte der Wilde, indem er den mit der tödtlichen Waffe bewehrten Arm ſenkte; „ du haſt alſo gelogen, wie deine Brüder zu lügen pflegen, wenn ſie uns beſuchen, um Handel mit uns zu treiben? Jch hätte dich für beſſer gehalten, “fügte er, einen vorwurfsvollen Blick auf ihn heftend, hinzu.
— „ Jch hatte mir gelobt, “antwortete ihm Arnold, durch den ihm von dem Wilden gemachten Vorwurf, wiewohl dieſer ungerecht war, einigermaßen beſchämt, „ mich niemals von dieſem Kleinode zu trennen; doch da ich um keinen andern Preis mei - nen Bruder retten kann, ſo nimm es hin, Opiska Toaki! “
Er öffnete mit dieſen Worten ſeinen Rock und zog aus dem Buſen das reich in Gold und Diaman -45 ten gefaßte Bildniß ſeiner Mutter hervor, das er an einer goldenen Kette ſeither ſtets auf der Bruſt ge - tragen hatte, küßte es mit der innigſten Zärtlich - keit, warf noch einen letzten ſchmerzlichen Blick dar - auf und legte es dann in die Hand des Wilden. Kaum hatte Opiska Toaki einen Blick auf das Ge - mälde geworfen, das eine ſehr ſchöne Frau in der Blüte der Jahre darſtellte, als er einen Laut aus - ſtieß, der halb wie Verwunderung, halb wie Freude klang. Mit eiligen Schritten verließ er Arnold und ſein Schlachtopfer und kehrte zu den Seinigen zurück. Das Bild ging von Hand zu Hand, wie zuvor das Gewehr; aber der Häuptling ſetzte einen ſolchen Werth darauf, daß, wenngleich er das Portrait hinreichte, damit auch die Andern es ſehen und bewundern möch - ten, er doch die Kette nicht aus der Hand ließ, gleich - ſam als fürchtete er, daß man es ihm rauben möchte.
Die Verhandlung dauerte lange, viel zu lange für Arnolds Furcht und Ungeduld, denn jeder der Chippewas wollte das Kleinod ſehen und mit der Hand berühren. Man hielt das für glückbringend, da man das Bildniß für eine Art von Talisman hielt, in welcher Meinung die Wilden noch durch den Um - ſtand beſtärkt wurden, daß Arnold ſich nur gezwun - gen, nur nach heftigem Kampfe mit ſich ſelbſt, da - von getrennt hatte.
46Als alle Chippewas der Luſt des Schauens und Betaſtens genügt hatten, hing der Häuptling ſich die goldene Kette über den Nacken; dann ſprach er einige Worte zu den Seinen, worauf dieſe ihm um den Fuß des Hügels herum folgten.
— „ Erhebe dich, mein Bruder, “ſagte Arnold, der nun nicht mehr an der Rettung ſeines jungen Freundes zweifeln zu dürfen glaubte; „ erhebe dich, man hat den Sühnpreis angenommen! “ Ein tiefer Seufzer begleitete dieſe Worte.
— „ Noch nicht, mein bleicher Bruder, “ver - ſetzte der Wilde, immer noch die unerſchütterliche Ruhe bewahrend, die den Europäer mit Erſtaunen und Be - wunderung erfüllte.
— „ Und weshalb noch nicht, White-hawk? “fragte Arnold, überraſcht durch dieſe Antwort. „ Haſt du nicht geſehen, daß der Bluträcher den Preis für dein Leben angenommen hat und daß ſich alle Chip - pewas mit ihm entfernt haben? “
— „ Sie werden zurückkehren, verlaß dich dar - auf, “war die Antwort, „ und für mich, das ihrer Rache geweihte Opfer, würde es ſich nicht ſchicken, dieſen Platz zu verlaſſen, bis der Mund des Blut - rächers es mir befohlen haben wird. “
— „ So iſt die Sache noch nicht zu Ende und47 die Furcht für dein Leben noch immer nicht beſeitigt? “fragte der Europäer ungeduldig.
— „ Sprich das Wort Furcht in meiner Gegen - wart nicht aus, mein bleicher Bruder, “verſetzte White-hawk faſt zürnend; „ man kennt es unter den Sioux nicht und es beleidigt mein Ohr. “
Jn dieſem Augenblick kehrten die Chippewas zu - rück. Die drohende ſchwarze Farbe war von dem Antlitze Aller verſchwunden: ſie hatten ſie, zum Zei - chen daß ſie der Blutrache entſagten, in einem jen - ſeits des Hügels belegenen Creek abgewaſchen und zeigten ſich jetzt in ihrer natürlichen Farbe. Bei die - ſem Anblick erhob ſich ein Freudengeſchrei in den Rei - hen der Sioux, in das nur Waupee und White-hawk nicht einſtimmten, weil es für ſie nicht ſchicklich ge - weſen wäre, Freude über die Lebensrettung an den Tag zu legen, für den Einen nicht, als Vater des Opfers, für den Andern nicht, weil er ſelbſt das Opfer hatte ſeyn ſollen.
Opiska Toaki, deſſen Bruſt noch immer das Bildniß ſchmückte, war zu Arnolden und White-hawk getreten.
— „ Bruder, “ſagte er zu dieſem, indem er mit ſeiner Hand das Haupt des Jünglings berührte, „ Bruder, erhebe dich und kehre in die Reihen der Deinen zurück, denen ich Glück wünſche zum Beſitze48 eines ſo muthigen jungen Mannes; denn mehr, als du in blutiger Schlacht gekonnt, haſt du dich hier als unerſchrockener Mann bewährt. Mein Lob und die Bewunderung der Meinen, ich weiß es, machen dich nicht beſſer, als du ſchon von Natur biſt; allein mir kommt es zu, dich wegen deiner Tugenden zu beloben und den Meinen, dir den gerechten Tribut der Be - wunderung zu zollen; denn wir wünſchen dich zu un - ſerem Freunde zu behalten und würden Viel darum geben, dich zu den Unſern zählen zu dürfen. Jch habe es geſagt! “
Mit dieſen, den Jüngling ehrenden Worten bog ſich der Chippewa-Häuptling zu White-hawk nieder, umarmte ihn und drückte den Friedenskuß auf ſeine Stirn. Der Jüngling erhob ſich jetzt und kehrte, ohne ein Wort zu antworten, zu den Seinen zurück, die ihn mit Jubel aufnahmen, ihn umringten und mit Lob - und Freudenbezeugungen überhäuften.
Waupee, der bis zu dieſem Augenblick eine faſt übermenſchliche Geiſtesſtärke und einen unglaublichen Muth an den Tag gelegt hatte, drohte jetzt, wo die Gefahr für das Leben des geliebten Sohnes beſeitigt war, ſchwach zu werden. Man ſah die Kupferröthe auf ſeinem Antlitze einer in’s Bläuliche ſpielenden Farbe weichen; er holte tiefe Athemzüge aus der be - klemmten Bruſt hervor; er ſchwankte ſogar einen49 Augenblick, wie ein Stamm, der von der Axt im Marke getroffen, auf der Wurzel ſchwankt, bevor er zu Boden ſinkt. Aber dieſer Zuſtand dauerte nur einige wenige Augenblicke und bald war er ganz wie - der er ſelbſt.
Nur er allein ſprach kein Wort des Lobes zu dem wackern Sohne, ſondern begnügte ſich damit, ihm die Hand zu reichen; daſſelbe that er bei Arnol - den, der noch immer mitten im Kreiſe, neben dem Chippewa-Häuptlinge ſtand, und auch dem Europäer wurde kein Wort des Lobes über das dem Leben White-hawks gebrachte Opfer zu Theil. Er würde, deß war Waupee gewiß, unter ähnlichen Verhältniſ - ſen Daſſelbe für Arnolden gethan haben, und ſo fand er das, was dieſer für White-hawk gethan hatte, nichts weiter als natürlich; weshalb ihn denn dafür loben? Opiska Toaki aber ſchien ein ganz beſonderes Gefallen an dem jungen Europäer zu finden.
— „ Bleichgeſicht, “ſagte er zu Arnolden, in - dem er ihm die Hand reichte, „ du haſt dich als den Freund deiner Freunde gezeigt, denn als ſolchen er - probt man ſich nur in der Noth, und ich bitte da - her, daß du auch mir fortan Freund und Bruder ſeyn wolleſt, wenigſtens für ſo lange, als die Chip - pewas mit deinen ältern Freunden nicht in Feindſchaft leben werden. “
450— „ Jch nehme dein Anerbieten an, gute Roth - haut, “antwortete ihm Arnold, und mit dieſen weni - gen Worten war für Beide ein Bund für das Leben geſchloſſen.
Die beiden Stämme vermiſchten ſich jetzt mit einander, als wären ſie zu einer friedlichen Beſprechung, zu einem Feſte zuſammengekommen. Die Jünglinge drängten ſich zu White-hawk, der in ihren Augen, und wohl mit Recht, als der Held des Tages ange - ſehen wurde und dem es gleich zu thun, ihr höchſter Wunſch war; die Knaben aber, welche ſich beſcheiden in einiger Entfernung von den Männern und Jüng - lingen gelagert hatten, blickten mit geheimem Neide auf die letztern, denen es bereits vergönnt war, ſich unter die Männer zu miſchen.
Da der Tag noch lang und man einmal beiſam - men war, wurde beſchloſſen, daß man ihn gemein - ſchaftlich verbringen wolle und die Jünglinge und Knaben erhielten Befehl, für Speiſe und Trank zu ſorgen; ja, die Chippewas, welche dem Sammelplatze am nächſten wohnten, wollten ſogar einige von den Jhrigen ausſenden, um, zur Verherrlichung des Fe - ſtes, ein Fäßchen mit Feuerwaſſer, wie ſie den Brann - tewein nannten, das ſie von den Trappers auf’s Neu eingetauſcht, holen zu laſſen. Gegen dieſe Abſicht er - klärte ſich aber Waupce in einer wohlgeſetzten Rede.
51— „ Brüder, “ſagte er, „ hätte doch Manitou verhindert, daß wir den verderblichen Trank, der ſo vieles Unheil ſtiftet, je kennen gelernt! Bevor wir wußten, daß das Feuerwaſſer in der Welt ſei, waren wir reich, und jetzt ſind wir arm, denn für dieſes Waſſer giebt der Sioux wie der Chippewa mit Freu - den die Beute ſeiner Jagd und den Ertrag ſeines Fiſchfangs hin und nicht lange, ſo wird er, wenn er es nicht anders erlangen kann, ſeine Waffen, ja wohl gar die gewonnenen Kopfhäute, dafür hingeben und Noth, Elend und Schande wird unter uns herrſchen. Erlegte ſonſt Einer einen Moſkotaj (Büffel) mit dem Laſſo oder ein Rothwild mit dem Pfeile, ſo bereite - ten die Squaws leckere Speiſen von dem Fleiſche und gute Kleidungsſtücke, Häute zu den Wigwams und weiche Felle für die Schlafſtätte von der Haut des erlegten Thieres, ſo daß man ſich gut nähren, gut kleiden und Nachts weich ruhen konnte. Wenn er für ſich und die Seinen nicht Alles verbrauchte, dann ſparte er ſo viele Felle und Häute zuſammen, bis er ſich ein gutes Feuerrohr und Donnerpulver und Blei dafür kaufen konnte, die ihm die Jagd erleich - terten und dem Feinde Schrecken einflößten. Jetzt aber, ich ſage es mit Trauer, iſt das Alles anders geworden und die Bleichgeſichter, die uns gern von der Erde vertilgen möchten, um unſern Boden zu4 *52gewinnen, haben uns, um ihren Zweck durch Hinter - liſt zu erreichen, da ſie nicht ſtark genug waren, oder zu feig, ihn zu erzwingen, zwei Seuchen zugleich zu - geführt: die Pocken, wie ſie eine tödtliche und gar - ſtige Krankheit nennen, und den Genuß des Feuer - waſſers, und ich weiß nicht, welche von beiden ich die verderblichere nennen ſoll. Wollt ihr daher auf mich hören, ihr Brüder, wollt ihr frei bleiben und wieder reich werden, wie ihr einſt waret, ſo gelobt mit mir, niemals wieder von dem verderblichen Waſ - ſer zu koſten, das offenbar in den finſtern Höhlen ge - braut wird, in dem Takwantona, der Geiſt des Ver - derbens, ſeinen Wohnſitz aufgeſchlagen hat. Jch hab’ es geſagt! “
— „ Du haſt weiſe geredet, mein Bruder Wau - pee, “nahm der Chippewa-Häuptling nach einer Pauſe das Wort, „ und große Wahrheit liegt in dem, was du ſagteſt; aber doch würdeſt du anders reden und das Feuerwaſſer nicht mehr verdammen, wenn deine Lippen es einmal gekoſtet und dein Herz die Wolluſt gefühlt hätte, wovon es durch das Feuerwaſſer erfüllt wird. Da du dich aber niemals dazu entſchloſſen haſt, redeſt du wie der Blinde vom Sonnenlichte, und ich für meinen Theil ſchwöre dir, daß ich lieber auf der Stelle todt ſeyn, als für immer dem Genuſſe dieſes köſtlichen Trankes entſagen wollte. “
53— „ Du haſt geſehen, Opiska Toaki, “verſetzte Waupee mit traurigem Tone, „ wohin der Genuß deſ - ſelben führt: dir hat er den geliebten Bruder, mir hätte er bald den einzigen noch übrig gebliebenen Sohn gekoſtet. “
Der Chippewa wollte antworten und vielleicht hätte der Streit zu neuen Feindſeligkeiten geführt, wenn Arnold ſein Anſehen in beiden Stämmen nicht geltend gemacht hätte und zwiſchen die Streitenden ge - treten wäre. Auch kehrten die Jünglinge und Kna - ben, reichlich beladen mit Beute aller Art, zu - rück. Man hatte, nicht unfern, in der Prairie, eine Hundeſtadt entdeckt, wie man die Orte nennt, worin ſich die ſeltſamen Thiere, Prairiehunde ge - nannt, in Geſellſchaft vieler Hunderte zuſammen - halten und eine Art von Colonie bilden. Eine Menge dieſer Thierchen war erlegt worden, die jetzt die leckerſten Braten hergeben ſollten. Jetzt mußte Alles mit Hand anlegen, und das hob, zum Glück für beide Theile, die Streitigkeiten vollends auf. Beim fröhlichen Mahle legte ſich end - lich jegliche Verſtimmung und man verließ ſich mit Anbruch der Nacht unter gegenſeitigen Freundſchafts - bezeugungen.
— „ Mein bleicher Bruder, “nahm Waupee das Wort, als er ſich mit Arnold und White-hawk wie -54 der in ſeinem Wigwam befand und mit einer Freude, die er nur ſchlecht zu verhehlen vermochte, das Ent - zücken ſeines Weibes über den ihr wiedergeſchenkten Sohn geſehen hatte, „ mein bleicher Bruder, mein Leben und Alles, was ich beſitze, iſt dein; verfüge alſo zu jeder Zeit nach Gefallen darüber. “
— „ Und über das meinige, “ſagte auch White - hawk, dem Europäer ſeine Hand reichend.
Weiter wurde nicht über die Vorgänge des Tags geſprochen, denn dieſe Kinder der Natur lieben es nicht, viele Worte zu machen; Arnold aber, der ſie und ihre Art und Weiſe kannte, wußte, wie er mit ihnen daran war und daß er ſich in Beiden Freunde auf Leben und Tod erworben hatte.
Da ihn nichts davon abhielt und er keine feſte Stellung hatte, die ihm Pflichten auferlegt hätte, gab Arnold ſeinen Wünſchen darin nach, noch einige Zeit unter den ihm ſchon von früher lieb gewordenen Sioux zu verweilen. Das Leben unter dieſen Kindern der Natur ſagte ihm ſo ſehr zu, er fühlte ſich ſo voll - kommen frei und wie in alle ſeine Menſchenrechte55 wieder eingeſetzt in ihrer Mitte, daß oft der Gedanke in ihm emporkeimte, ſich unter ihnen anzuſiedeln und ſein Leben unter ihnen zu beſchließen.
Aber wir ſind durch unſichtbare und zugleich mächtige Bande an die Civiliſation geknüpft und füh - len ſie allemal ſtraff wieder angezogen, ſo wie wir den Verſuch machen oder nur den Gedanken hegen, uns ihnen entziehen zu wollen, ſo daß wir erſchrocken davor zurückbeben, auf immer mit dem Gewohntge - wordenen zu brechen.
Es iſt in der That nicht ſo leicht, als Mancher ſich vielleicht vorſtellen mag, allen den Bedürfniſſen zu entſagen, mit denen die Civiliſation uns von der Geburt an, wie mit einem Netze, umſponnen hat und wir werden uns erſt des Werthes, den ſie in der That durch lange Gewohnheit für uns gewonnen ha - ben, in dem Augenblick bewußt, wo wir auf dem Punkte ſtehen, ihnen zu entſagen. Der Naturzuſtand iſt das für uns verlorene Paradies, und auch die er - ſten Menſchen würden nicht in das ihrige haben zu - rückkehren können, ſelbſt wenn es ihnen geöffnet ge - worden wäre: ſie hatten bereits die große Welt mit ihren Blicken umfaßt und die Beſchränkung in der kleinen, wenngleich noch ſo ſchönen, würde ihnen nicht mehr genügt haben.
Arnolds Leben unter den Sioux, die ihn, wenn -56 gleich als ein höheres, begabteres Weſen, deſſen gei - ſtige Ueberlegenheit ſie willig anerkannten, von der andern Seite ganz wieder als den Jhrigen anſahen, bot in der That der Reize und Annehmlichkeiten viele dar. Alles war befliſſen, dem geliebten Gaſte Freude und Wohlleben zu bereiten: für ihn wurde das weichſte Büffelfell zum Lager ausgebreitet; für ihn waren die leckerſten Biſſen, für ihn wurde für die Jagd des Büffels oder des Rothwilds das beſte Pferd geſattelt und gezäumt; man beſaß Nichts, das man ihm nicht auf den nur leichthin geäußerten Wunſch mit Freuden gegeben haben würde, denn dadurch, daß er das Le - ben Eines von ihnen gerettet und ſein Liebſtes für dieſen Zweck hingegeben hatte, war er der Wohl - thäter Aller geworden und Jeder fühlte ſich ihm zum Danke verpflichtet.
Auch erkannte man ſeine geiſtige Ueberlegenheit willig an, ohne ſich indeß Rechenſchaft darüber ab - legen zu können, worin ſie beſtände, denn in Allem, was ſie zu ihrem einfachen Leben bedurften, hatten ſie ſeines Rathes nicht nöthig und reichten ihre Erfah - rungen und Kenntniſſe vollkommen dazu aus und hö - here Bedürfniſſe kannten ſie nicht. Allein eine Art von dunkler Ahnung ſagte ihnen, daß in der Seele dieſes jungen Mannes andere Gedanken und Vorſtel - lungen ihren Sitz hätten, als in der ihrigen und das57 gab ihm bei ihnen ein Uebergewicht, ein ganz beſon - deres Anſehen, das noch dadurch vermehrt wurde, daß Arnold ſich einige mediciniſche Kenntniſſe erwor - ben hatte, von denen er bei vorkommenden Fällen zu ihrem Vortheile Gebrauch machte und die durch einen glücklichen Zufall und die unverdorbene Natur der Wilden mit Erfolg gekrönt wurden.
Seine große Wißbegierde trieb ihn an, ſich nach Allem zu erkundigen, was auf das Leben, die Sitten und Gebräuche ſeiner wilden Freunde Bezug hatte; ſo war er bald ſo darin eingeweiht, als ſei er unter ihnen aufgewachſen, und da er ſich nie über irgend Etwas mißfällig äußerte, noch weniger aber darüber ſpottete, ſtand man nicht an, ihm Alles mitzutheilen, was er nur irgend zu wiſſen wünſchte.
Er ſammelte eine Menge ihrer oft hochpoetiſchen Sagen ein und man machte ihn gern mit allen den Traditionen bekannt, die im Volke umgingen und aus denen er auf den Urſprung deſſelben, der offenbar in Aſien wurzelte, ſchließen konnte. Dies beſchäftigte Arnolden auf die angenehmſte und anregendſte Weiſe; als er aber Alles wußte und man ihm nichts Neues mehr mittheilen konnte, ſehnte er ſich wieder in die Civiliſation zurück, wo, wie er wußte, ſeinem ewig nach Nahrung dürſtenden Geiſte dieſelbe geboten wer - den würde.
58Man ſagte ihm nicht, als er ſeinen Entſchluß, ſie wieder zu verlaſſen, zu erkennen gab: bleib doch noch! aber in Aller Blicken las er Traurigkeit und als endlich die Stunde des Abſchieds wirklich da war, äußerte ſie ſich durch lautes Wehklagen. Jndeß ſein Entſchluß ſtand feſt und ſo nahm er Abſchied von ſei - nen Freunden.
White-hawk hatte ſeinen beſten Muſtang, ein ſchönes, edles Thier, das er mit großer Mühe ge - zähmt und abgerichtet, für Arnolden geſattelt und ge - zäumt und ein zweites Pferd für ſich; denn er wollte es ſich nicht nehmen laſſen, ſeinen Lebensretter durch die Prairie und wenigſtens bis zur Grenze von Jlli - nois zu begleiten, um jede Gefahr von ihm abzu - halten.
Als man den Miſſiſippi wieder paſſirt hatte, nahm White-hawk Abſchied von ſeinem Freunde, und als dieſer ihm das Pferd wieder zuſtellen wollte, bat er ihn mit wenigen, aber eindringlichen Worten, es ihm zu Liebe zu behalten, eine Bitte, der ſich Arnold um ſo lieber fügte, da er an dem ſchönen, muntern und doch ſo zahmen Thiere ein großes Wohlgefal - len fand.
— „ Bleichgeſicht, “ſagte White-hawk mit ab - gewandtem Geſichte zu dem Europäer, als es an’s Abſchiednehmen ging, „ Bleichgeſicht, vergiß niemals,59 daß jenſeits des Fluſſes und der Prairie die Freunde wohnen, die willig und bereit ſind, jeden Bluts - tropfen in ihren Adern für dich zu verſpritzen. “
— „ Jch danke dir und euch Allen für eure Liebe, “antwortete ihm Arnold, der ſich gleich dem Wilden einiger Rührung nicht zu erwehren vermochte, „ und ſollte je der Fall eintreten, wo ich der Freun - deshülfe bedürfte, ſo werden die Sioux die Erſten ſeyn, an die ich mich mit meinem Geſuche wende. “
— „ Du haſt es geſagt, mein bleicher Bruder, und ſo wird es ſeyn, “verſetzte der Wilde, reichte Arnolden nochmals die Hand, beſtieg ſeinen Muſtang und ritt an den Fluß zurück, den er wenige Minu - ten darauf mit ſeinem kräftigen Thiere durchſchwamm, während Arnold ſich in Begleitung Brunos, der mun - ter neben ihm hergelaufen war, ſo lange White-hawk ſie begleitete, jetzt aber traurig die Ohren hängen ließ, als habe auch er ſchmerzlich den Abſchied mit gefühlt, den Weg nach Nauvoo fortſetzte.
Es war faſt Abend, als er dieſe Stadt der Wun - der — denn ſo durfte man ſie füglich nennen — er - reichte. Wo ſie jetzt ſtand, wenngleich erſt nur noch ſkizzirt, war vor wenigen Jahren noch eine Einöde geweſen, in der wilde und reißende Thiere ungeſtört ihr Weſen trieben, und wo jetzt eine ſchöne Brücke ſich über den Des Moines, der ſich nicht weit von60 der Stadt in den Miſſiſippi ergießt, zu wölben be - gann, hatten noch vor Kurzem der Puma oder rothe Panther, der Prairiewolf und der graue und ſchwarze Bär ihren Durſt aus den ſilberhellen Fluthen gelöſcht und den Urwald ungehindert da nach Beute durch - ſtreift, wo jetzt ſchöne Kinder furchtlos vor den Thü - ren anſehnlicher Häuſer oder niederer Hütten ſpielten.
Zwar ſtanden dieſe Häuſer noch ziemlich von einander getrennt da, aber ſie waren doch ſchon nach einem regelmäßigen Plane angelegt und die künftig aus den einzeln ſtehenden Gebäulichkeiten entſtehenden Gaſ - ſen und Plätze angedeutet; auch durfte jeder neue An - ſiedler zwar einen bedeutenden Raum für ſich in An - ſpruch nehmen, mußte ſich aber denſelben anweiſen laſſen und durfte nicht bauen, wohin er wollte.
Zum Theil ſind nur noch erſt niedre Lehmhütten und Blockhäuſer — wie man die bloß aus Brettern und Balken aufgeführten Gebäulichkeiten in jenen Ge - genden nennt — vorhanden; aber doch erhebt ſich ſchon hie und da ein ſtattliches, mehrſtöckiges Haus, von blühenden Gärten umgeben, die aber mit der Zeit neuen Häuſern werden weichen müſſen und die man nur ſo lange im Umkreiſe der Stadt dulden wird, als noch Raum im Ueberfluſſe vorhanden iſt.
Jm Mittelpunkte dieſer, nach einem großartigen Zuſchnitte angelegten Stadt, die einſt die Königin des61 Nordoſtens Amerikas werden wird, erhebt ſich ein wahrhaft prachtvolles Gebäude, ein Meiſterſtück des Geſchmacks und der Baukunſt, der ſogenannte Mor - montempel.
Nauvoo, in der Grafſchaft Hancock, im Staate Jllinois belegen, verdankt ſeine Entſtehung einer der vielen Religionsſecten, welche in Amerika, wo völlige Religionsfreiheit beſteht, emporblühen, um oft ebenſo ſchnell zu verſchwinden und andern Platz zu machen. Unter dieſen zeichnete ſich bald die Secte der Mormons, deren Stifter ein gewiſſer Joe Smith war, durch die bedeutende Zahl ihrer An - hänger und den an Fanatismus grenzenden Religions - eifer ihrer Bekenner aus.
Joe Smith, den man für einen Amerikaner von Geburt hielt, war nach langem Umhertreiben in der Welt und wahrſcheinlich nach vielen erlebten Aben - teuern nach dem Staate Ohio gekommen und hatte ſich dort ein einſam, auf einem Hügel belegenes Häus - chen gekauft, das er längere Zeit hindurch nur in Ge - ſellſchaft einer weiblichen Perſon, die für ſeine Toch - ter galt, bewohnte.
Seine ſchöne, imponirende, faſt herculiſche Ge - ſtalt; ſeine edlen und reinen Geſichtszüge, ſein leuch - tendes dunkles Auge; ſeine treffliche Haltung und das tiefe Geheimniß, womit er ſeine Perſon und ſeine62 frühern Erlebniſſe umgab, machten bald die neugierige Menge aufmerkſam auf ihn, und je entſchiedener er ſich von der ganzen übrigen Welt zurückzog und jeg - lichen Umgang mit Andern vermied, deſto eifriger ſpürte man ihm nach und ſuchte in Berührung mit ihm zu kommen.
Jeden Morgen ſah man ihn kurz vor Aufgang der Sonne das Häuschen verlaſſen, das von ihm be - wohnt und jedesmal bei ſeinem Weggange ſorgfältig hinter ſich verſchloſſen wurde, und einer tief in den Hügel geſprengten Grotte zugehen, wo er, wie man vermuthete, im Gebete verweilte. Dann kehrte er in ſeine Wohnung zurück und man ſah ihn den ganzen Tag nicht wieder. Die benöthigten Lebensmittel wur - den ihm von einem Manne zugeführt, den man nur unter dem Namen Hieram kannte und der, ohne daß man wußte, woher er gekommen, faſt zu gleicher Zeit mit Joe Smith im Staate Ohio erſchienen war. Doch auch dieſer, das nahmen die neugierigen Späher deutlich wahr, durfte das Heiligthum des kleinen, feſt mit grünen Jalouſien verſchloſſenen Hauſes nicht be - treten, ſondern er ſetzte die mit Lebensmitteln gefüll - ten Körbe vor der Hausthür nieder, gab ſeine Ge - genwart durch Klopfen kund und entfernte ſich dann mit eiligen Schritten, während das Gebrachte herein - genommen wurde.
63Es war nichts natürlicher, als daß man ſich an dieſen Mann drängte und ihm ſeine Geheimniſſe, ſeine Beziehungen zu dem Wundermanne — denn mit die - ſem Namen bezeichnete man Joe Smith bereits — abzufragen ſuchte. Längere Zeit beobachtete Hieram ein geheimnißvolles Schweigen und antwortete bald: er wiſſe nicht mehr, als alle Uebrigen; bald gab er ſich den Anſchein, als binde ein Eid ſeine Zunge. Nach und nach rückte er aber trotz dem gegen Einige, die ſich ſeines beſondern Vertrauens zu erfreuen zu haben ſchienen, mit einzelnen Aeußerungen über den geheimnißvollen Fremden, den er nie anders als den großen Propheten nannte, hervor und bald wußte die ganze Umgegend, was ſie wiſſen ſollte.
Joe Smith, ſo behauptete Hieram gegen ſeine Vertrauten, wäre ein von der Gottheit ſelbſt Aus - erſehener, ein Prophet und dazu berufen, alle jetzt beſtehenden Religionen zu ſtürzen und dem wahren Gott einen neuen Tempel zu errichten. Die durch ihn begründete neue Secte, die zur Herrſcherin über den Erdkreis von Gott beſtimmt ſei, werde den Namen der Mormons führen, in welchem Namen ein großes Myſterium verborgen, das allein von dem Stifter der Secte gekannt ſei. Eine innere, unverkennbar gött - liche Stimme habe dem Propheten geſagt, daß er in einer Höhle im Staate Ohio, zwiſchen zwei Fels -64 ſtücken eingeklemmt, eine neue Offenbarung in Geſtalt einer in goldenen Deckeln eingeſchloſſenen Bibel finden und den Ort nur durch Faſten und Gebet entdecken würde.
Jetzt endlich, nach langen Jahren eines ſtreng ascetiſchen Lebens und Wandels, ſchloß Hieram ſeine Mittheilungen, ſei der glückliche Augenblick gekommen und der Prophet wirklich im Beſitze der goldenen Bi - bel, deren Jnhalt ihm, obgleich ſie in nie vorher von ihm geſehenen Characteren geſchrieben, völlig klar ſei und ihm und ſeinen Anhängern alles nur zu wün - ſchende zeitliche und ewige Glück verheiße.
Dies war genug und mehr als genug, die leicht - gläubige Menge für die neue Lehre und den neuen Propheten zu entflammen. Man drängte ſich an Hieram und überhäufte ihn mit Bitten und Geſchen - ken, um durch ſeine Vermittlung mit dem Haupte der Mormons in Verbindung zu kommen. Den nächſten Freunden Hierams wurde bald das heißerſehnte Glück zu Theil, den Saum des Gewandes des neuen Hohen - prieſters küſſen zu dürfen, ja, von ihm in die Ge - meinſchaft der Mormons aufgenommen zu werden, was unter wunderbaren und geheimnißvollen Ceremo - nien geſchah. Die Neueingeweihten mußten ſich durch ſtrenges Faſten und Gebete auf die mit ihnen vorzu - nehmende heilige Handlung vorbereiten. Ein Altar65 war in einem reichgeſchmückten, wenngleich nur mäßig großen Zimmer des Hauſes errichtet; er war mit Grün, aber nicht mit Blumen verziert und auf einem grü - nen, mit Goldtreſſen beſetzten Sammtkiſſen, auf dem Altare, lag unter einer großen Glasglocke das gol - dene Buch, neben dem zwei ungeheuer große Wachs - kerzen auf goldenen Leuchtern brannten.
Die tiefſte Stille herrſchte im „ Tempel, “wie man bereits das Gemach nannte. Es war mit be - täubenden Wohlgerüchen erfüllt, worunter ſich wahr - ſcheinlich viele Narcotica befanden, indem Diejenigen, welche das Heiligthum betraten, von einer Art von Schwindel ergriffen wurden, der aber von einem ge - wiſſen Wohlbehagen begleitet war. Auf der oberſten Stufe des Altares ſtand der Prophet im durchaus weißen, lang herabfallenden und weiten Gewande, das durchaus keine weitere Zierde hatte, als einen breiten goldenen Gürtel, womit es über den Hüften zuſammengehalten war. Das noch immer ſchöne, von lockigem dunklem Haare umwallte Haupt des Prophe - ten war mit einem Kranze von Jmmergrün geſchmückt; ſeine Mienen waren ernſt, ſeine Haltung majeſtätiſch, der ganze Ausdruck ſeiner Erſcheinung Ehrfurcht ge - bietend. Feſt, als wolle er die Seele des Schülers durchſchauen, durchdringend, heftete er das große, blitzende Auge auf denſelben, ſo daß dieſer den Blick566nicht zu ertragen vermochte und den ſeinigen zur Erde ſenken mußte. Dann murmelte der Hierophant in ei - ner völlig unbekannten Sprache Gebete her, wobei er, das Antlitz gegen den Altar und das goldene Buch gewandt, auf den Stufen des erſtern niederkniete.
Nachdem dieſe Feierlichkeit vorüber war, wurde der Neubekehrte in ein anderes Zimmer geführt und von Hieram, der ſich dort befand, in den Glaubens - artikeln der neuen Lehre unterrichtet, zuletzt aber auch noch katecheſirt. Beſtand er in ſeinen Antworten, dann gab der Lehrer dem Propheten, der im Altar - zimmer zurückgeblieben war, angeblich, um zu beten, mit einer Glocke ein Zeichen, führte den Schüler zum Altare zurück und übergab ihn dem Hierophanten mit der Verſicherung, daß er würdig ſei, in den neuen Bund aufgenommen zu werden. Man befahl ihm, niederzuknieen und einen ihm vorgeſagten Schwur nach - zuſprechen, und erſt nachdem dies geſchehen war, er - hielt er den Weihekuß von dem Propheten, womit er in den Bund der Mormons aufgenommen war.
Man wird ſich vorſtellen können, wie alles Die - ſes auf die Phantaſie der ungebildeten Menge wirken mußte, und in der That drängten ſich bald auch ſo Viele zum Mormonismus, daß Joe Smith, der Pro - phet, ſich genöthigt ſah, ſich nach Hülfe umzuſehen, weil ſeine Zeit nicht mehr zu den neuen Einweihungen67 ausreichen wollte. Es wurde alſo eine Art von Prie - ſterſchaft aus der Schaar der Auserwählten errichtet, die nicht nur den Gottesdienſt im Tempel verrichten, ſondern auch die ſich von allen Seiten herbeidrän - genden Aſpiranten unterrichten und aufnehmen muß - ten, während Joe Smith ſich nur noch dazu hergab, den Neuaufgenommenen den Segen durch den Weihe - kuß zu geben.
Nachdem die Zahl der Mormons bis zu einigen Tauſenden herangewachſen war, machte ſich der Prophet auch zum Geſetzgeber ſeiner Anhänger und da er jetzt eine unumſchränkte Gewalt über ſie ausübte, nahmen ſie willig die von ihm entworfenen Statuten an, die in der That auch von Urtheil und Weisheit zeugten, denn Klugheit und Erfahrung konnte man dieſem Manne nicht abſprechen.
Jndeß verſtießen dieſe Geſetze doch in manchen Punkten gegen die im Staate Ohio bereits geltenden und dadurch entſtanden nicht ſelten arge Conflicte. Die ſich zu andern Secten Bekennenden fingen zugleich Streitigkeiten mit den Mormons an, in denen letztere in der Regel unterlagen, da ſie die Schwächeren wa - ren und Erſtere obendrein die im Lande geltenden Ge - ſetze und meiſt auch die Behörden für ſich hatten.
Joe Smith ſah als ein kluger Mann ein, daß unter dieſen Verhältniſſen der Boden unter ſeinen5 *68Füßen wankte und daß, wenn er nicht einen ſchnellen Entſchluß faßte, ſein Reich bald ein Ende haben würde. Er berief alſo ſeine Mormons zuſammen und erklärte ihnen, der Allmächtige habe ihm geboten, im Nordoſten, im Staate Jllinois, einen großen Tempel zu erbauen und für ſeine Getreuen das ihnen von vorn herein verheißene große Reich, zunächſt aber eine Stadt zu gründen, deren Name Nauvoo ſeyn ſollte, und er fordre ſie daher auf, ihm dahin zu folgen, wohin Gottes Stimme ſie riefe.
Keiner wagte es, ſich dem vermeintlichen gött - lichen Befehle zu widerſetzen. Jn Kurzem war alles unbewegliche Gut verkauft, das bewegliche auf Karren und Wägen geladen und fort ging es, der neuen Heimath zu. Man fand am linken Ufer des Miſſi - ſippi, da wo der Des Moines in denſelben mündet, eine zwar noch völlig uncultivirte Gegend, aber einen reichen Boden und, da dieſer Theil des Staates ſeit - her nur von den Thieren der Wildniß bewohnt ge - weſen war, kein Hinderniß der Anſiedelung.
Jn der erſten Zeit hatten die Coloniſten freilich mit Mühſeligkeiten und Entbehrungen aller Art zu kämpfen; allein ſie ſcheuten, Fanatiker wie ſie waren, weder die einen noch die andern, da ſie ein Gott wohlgefälliges Werk zu betreiben wähnten, und ſo ſtiegen bald mehre Hundert Hütten und Blockhäuſer69 empor; ſo war der Wald bald ausgerodet und der Boden, welcher vielleicht Jahrtauſende hindurch nur Pechtannen, Fichten, Magnolien und weiße Berg - ahorne oder Sycamoren getragen hatte, wurde in reiche Gärten und Getreidefelder umgewandelt.
Als das Nothwendigſte beſchafft war, dachte man zunächſt an den Bau des großen Tempels, dem ſich Wohnungen für die Prieſter anreihen ſollten, während man für den Propheten ſelbſt und deſſen Tochter zu - gleich im Tempel einen ſchicklichen Aufenthaltsort be - reitete.
Mit unglaublicher Schnelligkeit ſtieg dieſer für heilig geachtete Bau vom Boden empor, da, nach ei - nem von Joe Smith gegebenen Geſetze jeden fünften Tag von jedem Mormon an den öffentlichen Gebäu - den und ſonſtigen öffentlichen Werken gearbeitet wer - den mußte, wodurch eine große Menge von Kräften in Bewegung geſetzt und jedes Werk ſchnell geför - dert wurde.
An Material fehlte es auch nicht, indem die Wälder Holz, die Berge trefflich zu benutzende Steine darboten. Jmmer raſcher ging es mit dem Bau, da der neuen Secte täglich neue Mitglieder zuſtrömten, Abenteuerer, nicht bloß aus allen Theilen Amerikas, ſondern aus der ganzen Welt. Noch war die Co - lonie kein ganzes Jahr begründet, ſo zählte Nauvoo70 allein ſchon an zehn Tauſend Bewohner und die dop - pelte, ja wohl gar die dreifache Anzahl von Mor - mons lebte in der Umgegend und in den angrenzen - den Staaten zerſtreut umher, denn ſelten hat ſich wohl je eine andere Religionsſecte ſo ſchnell ausge - breitet, als der Mormonismus.
Nach zwei Jahren, als eben der große Tempel vollendet war, trat Joe Smith bereits als eine Macht auf und der damalige Gouverneur von Jllinois, Car - lin, ein etwas ſchwacher Mann, ſah ſich gezwungen, Notiz von ihm zu nehmen und ihn ſich durch Ver - leihung von Aemtern und Würden zum Freunde zu machen. Joe Smith wurde zum Generallieutenant der Miliz des Staates Jllinois ernannt und Carlin, der Gouverneur, drückte ſelbſt die Augen zu, als er wahrnahm, daß der Mormon-Prophet außerdem noch ein ſtehendes Heer organiſirte und Männer von Ruf und Talent an ſich zog, um es unter ſeinem Ober - befehl auszubilden. Dieſe ſogenannte Nauvoo-Legion zählte bald funfzehn Hundert Köpfe und außerdem gab es noch eine Art von Leibgarde, die den ſeltſamen Namen der Danites führte und der die Bewachung des Tempels und der geheiligten Perſon des Prophe - ten anvertraut war.
Es dürfte an der Zeit ſeyn, einige Worte über den neuerbauten großen Tempel der Mormons, der71 ihr Heiligſtes, die goldene Bibel, einſchloß, zu ſa - gen. Er iſt — denn noch jetzt beſteht er — hundert Fuß breit und achtzig tief und von glattbehauenen, ſehr ſchönen und feſten Steinen aufgeführt. Jm Mit - telpunkte der ſich bildenden Stadt belegen, kehrt er ſeine Fronte einem ſehr großen Marktplatze zu, der ein regelmäßiges Viereck bildet und zum Paradeplatze benutzt wird. An der einen Seite wird dieſer Markt von der geräumigen Caſerne begrenzt, die der Leib - garde oder den Danites zum Aufenthalte dient, von der andern von den Wohnungen der Prieſter, die, da dieſe verheirathet, geräumig genug für eine zahlreiche Familie und hinten mit hübſchen Gärten verſehen ſind. Dem Tempel gegenüber, gegen dieſen Fronte machend, ſteht das Arſenal, ein weitläufiges, ſchönes Gebäude, und groß genug, bedeutende Kriegsvorräthe in ſich aufzunehmen. An der vierten Seite iſt der Marktplatz noch offen.
Jm Tempel ſelbſt, der in ſeinem Souterrain das, etwas ſeltſame, Sinnbild des Marmonismus, zwölf große hölzerne Ochſen, enthält, die einen coloſſalen Taufſtein tragen, in dem nicht nur neugeborene Kin - der, ſondern ſelbſt Erwachſene durch Untertauchen ge - tauft werden, wohnte, in wahrhaft prachtvollen und geräumigen Gemächern, der Prophet, gleichſam über der Kirche, in der in einem gläſernen Schrein die72 goldene Bibel auf einem Altare vom köſtlichſten Mar - mor aufbewahrt wird. Schöne, ſchlanke Säulen tra - gen die Kuppel des Tempels, aus der durch eine mit Glas bedeckte Oeffnung das Licht einſtrömt; andere Fenſter giebt es nicht in dieſem Gebäude, außer in dem für den Aufenthalt des Propheten beſtimmten Anbau.
Mormon kann werden, und zwar ohne daß er eine Ahnung davon hat, wer ſich auch nicht zu der Secte bekennt, und zwar dadurch, daß ſich ein wirk - liches Mitglied derſelben im Namen der Perſon noch - mals taufen läßt, der er gern die Glückſeligkeit ver - ſchaffen möchte, zu dem Bunde zu gehören, der ihn ſelbſt ſo glücklich macht; ja, dieſe Wohlthat — wenn es eine iſt — darf ſelbſt auf Verſtorbene ausgedehnt werden und ſo iſt dieſe Ehre, lange nach ihrem Tode, Waſhington und Jafferis zu Theil geworden.
An der Hinterſeite des Tempels erblickt man ei - nen von hohen Mauern eingefaßten, überaus ſchönen Garten, mit Lauben, Baumgängen, Blumenbeeten und Bosquets. Er wird in ſeiner vollen Breite von ei - nem Bache durchſchnitten, über den ſich eine hübſche Brücke wölbt, und das ſilberhelle, munter dahin - fließende Waſſer verleiht dieſem Orte einen ganz be - ſonderen Reiz. Trotz dem aber hat der Garten et - was Trauriges: er iſt nicht durch Menſchen belebt73 und die Natur entfaltet hier alle ihre Schönheiten, bietet alle ihre Schätze faſt vergeblich dar: ſelten nur erfreut ſich ein Menſchenauge daran.
Nur einen alten Gärtner, der den Schlüſſel zu einer in der Mauer angebrachten Pforte hatte, die nach ſeiner eigenen Wohnung hinausgeht, oder viel - mehr nach dem Garten, der auch dieſe umgiebt, ſah man oft durch die einſamen Gänge hin und her wan - deln, zuweilen auch in Begleitung ſeines Sohnes darin arbeiten. Dieſen Beiden war es auch allein geſtat - tet, in das Jnnere des Tempels und in die Wohnung des Propheten zu dringen, zu welchem Ende ſie in den Beſitz der dazu benöthigten Schlüſſel geſetzt wor - den waren; kein Anderer aber durfte, bei ſchwerer Ahndung, in das Heiligthum dringen.
Jn die Geſellſchaft dieſer Menſchen hatte das Geſchick Arnold in Folge einer Jugendverirrung geführt. Wie viele Andere, hatte er die Heimath, hatte er Europa verlaſſen, um in der neuen Welt ein neues Leben anzufangen. Wenn tiefe Reue, wenn völlige Beſſerung uns mit der ewigen Gerechtigkeit wieder auszuſöhnen vermag, ſo durfte unſer junger Freund74 ſich über die Vergangenheit beruhigen und mit Zuver - ſicht in die Zukunft blicken. Nicht nur hatte Arnold ſich von ſeinem Falle erhoben, ſondern er war geläu - terter, veredelter aus der Prüfungszeit hervorgegangen und ſein Gewiſſen hatte eine Zartheit erhalten, daß er ſich auch das kleinſte Verſehen zum ſchweren Feh - ler, ja zur Sünde anrechnete.
Seine Kenntniſſe und Talente hatten ihm den Weg zu einem genügenden Auskommen gebahnt. Jm Militärſtande aufgewachſen und ſich mit großer Vor - liebe den mathematiſchen und geometriſchen Studien widmend, konnte es nicht fehlen, daß er für Joe Smith der rechte Mann ſeyn mußte, um dieſem bei ſeinen vielen neuen Anlagen, Vermeſſungen u. ſ. w. trefflich an die Hand zu gehen. Trotz dem war das Verhältniß beider Männer bis dahin ſo geblieben, daß Keiner an den Andern gebunden war und Jeder ſeine volle Freiheit bewahrt hatte. Arnold wurde für die der Colonie geleiſteten Dienſte anſtändig von dem Oberhaupte der Mormons bezahlt, aber nichts nö - thigte ihn, als ſein eigener Wille, ſie zu leiſten und er durfte ſich vollkommen als den Herrn ſeiner Zeit anſehen, durfte kommen oder gehen, wie es ihm ge - fiel, eine Ungebundenheit, die ihm um ſo mehr zu - ſagte, da Abhängigkeit von einem Manne, den er verachtete, für ſeinen ſtolzen und wahrheitsliebenden75 Character völlig unerträglich hätte ſeyn müſſen. So oft Joe Smith, der ſeine Talente und ſein Wiſſen zu würdigen verſtand, daher auf ein feſteres Verhältniß zwiſchen ihnen hindeutete, gab ihm Arnold zu erken - nen, daß er ein ſolches nicht wünſche und ſeine Un - abhängigkeit um jeden Preis bewahren wolle, da er ſie als ſein theuerſtes Gut betrachte.
War es dieſer Stolz, der dem Propheten um ſo mehr imponirte, da er ſich ſonſt nur von unter - würfigen Sclaven umgeben ſah? war es ein geheimer Zug der Natur, der ihn zu dem jungen Manne hin - zog? genug, er konnte ſich des Wunſches nicht er - wehren, Arnolden näher zu treten und, wo möglich, ſein Vertrauen, ja ſeine Zuneigung zu gewinnen; ſo ging er mit ihm um, wie mit keinem Andern in ſeiner Umgebung und beobachtete ein ſo achtungsvolles Be - nehmen gegen ihn, daß es oft den Neid Anderer her - ausforderte.
Allein alle ſeine Bemühungen ſcheiterten an dem Mißtrauen, das Joe Smith Arnolden einflößte. Die - ſer durchſchaute ihn und ſeine weit ausſehenden Pläne; dieſer verachtete den Lügner und Heuchler in ihm, der ſelbſt das Höchſte, die Religion, mißbrauchte, um ſeine Zwecke zu erreichen; ihn, der die Rolle des Prieſters, des Propheten ſpielte, um dadurch zur76 Dictatur zu gelangen; denn nach Allem, was Arnold ſah, war dies das Ziel Joe Smiths.
Von einem Menſchen der Art abhängig zu ſeyn oder wohl gar Wohlthaten von ihm anzunehmen, wäre für einen Character, wie Arnolds, völlig un - erträglich geweſen. Sowie ſie jetzt einander gegenüber ſtanden, konnten ſie es noch lange thun, Arnold ohne Zwang Dienſte leiſtend, Joe Smith ſie bezahlend; anders aber durfte es nicht werden, wenn der Erſtere ſich nicht von einem nicht zu ertragenden Joche bela - ſtet fühlen ſollte.
Auf dieſe Weiſe hatte das Verhältniß zwiſchen Beiden ſchon drei Jahre fortgedauert; aber alle Ver - ſuche des Propheten, dem jungen Starrkopfe näher zu treten, waren geſcheitert und die Kälte, die Ver - achtung Arnolds gegen Joe hatte eher zu -, als ab - genommen.
Als er diesmal nach ſeinem Ausfluge wieder in ſeine Wohnung zurückkehrte, ſagte ihm der alte John Adams, ſein Hauswirth, daß der Prophet bereits öfter nach ihm gefragt und ſeine Rückkehr, wie es ihm geſchienen, mit großer Ungeduld erwartet habe.
— „ So meldet dem Herrn Generallieutenant, “antwortete ihm Arnold, „ daß ich jetzt wieder da bin. “
— „ Jch habe Befehl, euch zu dem Propheten zu führen, “verſetzte John Adams, einen giftigen77 Blick auf den jungen Mann werfend, deſſen Stolz, dem von ihm vergötterten heiligen Manne gegenüber, ihm völlig unerträglich war und der Arnold haßte, weil er ſich darin keinen Zwang auferlegte.
— „ Jch erwarte Herrn Smith bei mir zu ſe - hen, “erwiederte ihm Arnold, „ wenn er meiner etwa bedürfen ſollte. “
— „ Die Antwort ſoll ich ihm von euch brin - gen? “fragte der Alte, blaß vor verhaltenem Zorne werdend.
— „ Zu dem Zwecke ertheilte ich ſie euch, “ver - ſetzte Arnold mit Ruhe.
— „ Jhr thätet vielleicht gut, eure Saiten nicht ſo hoch zu ſpannen, Sir, “ſagte Adams nach einer Pauſe, während welcher er bemüht geweſen war, ſei - nen Zorn niederzukämpfen, „ und etwas weniger Hoch - muth einem Manne gegenüber an den Tag zu legen, der nicht nur die allgemeine Ehrfurcht in Anſpruch nimmt, ſondern euch auch vermöge ſeiner hohen Stel - lung einmal ſehr nützlich werden könnte. “
— „ Jch überlaſſe die Demuth und das Kriechen Denen, die Gunſt und Beförderung ſuchen, ich aber ſuche beide nicht, “war Arnolds Antwort.
— „ Jhr trotzt auf eure Unentbehrlichkeit, Sir, “ſagte der Alte, der ſeinen Zorn nicht länger zu be - meiſtern vermochte; „ aber ihr dürftet die Rechnung78 ohne den Wirth gemacht haben: es giebt noch An - dere, die eben ſo viel verſtehen, wie ihr und die es für ein großes Glück anſehen würden, ihre Dienſte ei - nem Manne weihen zu dürfen, auf den ganz Amerika mit Ehrfurcht und Bewunderung ſieht und den Gott vor vielen Millionen Menſchen beſonders begnadigt hat. “
Arnold, der nicht dazu aufgelegt war, ſich noch tiefer mit dem alten Fanatiker einzulaſſen, griff nach einem Buche und ſetzte ſich damit an das offene Fen - ſter; Adams warf noch einen giftigen Blick auf ihn und entfernte ſich dann, um dem Propheten die Rück - kehr Arnolds zu melden.
— „ Habt ihr ihn gebeten, ſich zu mir zu be - mühen? “fragte Joe Smith den Alten, als dieſer ſeinen Bericht abgeſtattet hatte.
— „ Jch that, wie mein Herr und Meiſter mir befohlen, “war die Antwort John Adams.
— „ Und er kommt? “
— „ Nein, “ſagte der Alte, „ er kommt nicht, ſondern erwartet euch bei ſich. “
— „ Das ſagte er? “
— „ Mit nackten Worten. Jch weiß nicht, wie ihr den unerträglichen Dünkel und Hochmuth dieſes Abenteuerers noch immer ertragt, “fügte der Alte hinzu. „ Jch, an eurer Stelle, hätte ihm längſt ſei - nen Abſchied gegeben. “
79Joe Smith antwortete ihm nicht. Auf ſeinem Geſichte zeigte ſich aber einen Augenblick die Röthe des Zorns und er durchlief mehre Male das Gemach mit haſtigen Schritten. Bald aber legte ſich ſeine innere Aufregung, ſein Geſicht nahm wieder den ge - wöhnlichen Ausdruck an und einen Augenblick vor dem Alten ſtehen bleibend, ſagte er:
— „ So meldet ihm, daß ich zu ihm kommen werde. “
— „ Jhr, trotz der mir für euch gegebenen gro - ben Antwort zu ihm? “fragte Adams und ſeine Züge drückten das höchſte Erſtaunen aus.
— „ Er iſt in ſeinem Rechte, das zu fordern, “verſetzte Smith; „ ſeine Stellung mir gegenüber iſt eine völlig unabhängige. “
— „ Aber, Sir .....? “
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