PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Prophet.
Hiſtoriſcher Roman aus der Neuzeit Nord-Amerikas.
Dritter Theil.
Jena,Friedrich Luden. 1846.

Motto:

Bei Privatunternehmungen findet ein Fortſchreiten Statt und man kann nach Gefallen dem Glücke mehr oder minder anvertrauen. Wer aber nach der Ober - herrſchaft ſtrebt, der hat nur den Gipfel oder den Abgrund vor ſich.

(Tacitus Geſchichtsbücher, II. Buch. )
[1]

Erſtes Kapitel.

Bald hatte Arnold, Dank ſei es den Bemühun - gen des Gouverneurs, der das Peinliche der Lage des jungen Mannes begriff und ihn in ein Geſpräch zu ziehen wußte, um ihn derſelben zu entreißen, ſeine Faſſung dem ſchönen Kinde gegenüber wieder gewon - nen und brauchte nicht mehr beſchämt vor Floren zu ſtehen. Dieſe ſchien durchaus nicht bemerkt zu haben, welchen Eindruck ſie auf den jungen Fremden gemacht hatte, denn wie eine ſchöne Blume war ſie ſich ihrer zauberhaften Reize nicht bewußt, und von Eitelkeit und Koketterie war überhaupt nicht das Geringſte in ihr.

Auch um das Geſpräch zwiſchen den beiden Män - nern bekümmerte ſie ſich nicht, da es über Gegen - ſtände geführt wurde, die ſie entweder nicht intereſ - ſirten oder wovon ſie nichts verſtand. Sie ſpielte mit ihrem Papagey oder verließ die Veranda, um ihre Blumen zu beſehen, zwiſchen denen ſie wie ein ſchönerIII. 12Schmetterling hin und her ſchwebte, ſich bald zu die - ſer, bald zu jener niederbeugend, um entweder ihre Farbenpracht zu bewundern oder ihren ſüßen Duft einzuathmen, und bald war ſie gänzlich den ſie un - aufhörlich ſuchenden Blicken Arnolds entſchwunden: wahrſcheinlich hatte ſie ſich, durch das Geſpräch der Männer gelangweilt, in das Haus und in ihre Ge - mächer zurückgezogen.

Der Gouverneur hatte viel zu fragen und Arnold war, zu jenes nicht geringer Freude, von Allem unterrichtet, was er zu wiſſen wünſchte. Beſonders ſchien den Erſteren das Leben und Treiben der Mor - mons, und unter dieſen vor allem der Stifter der ſeltſamen Secte, Joe Smith, lebhaft zu intereſſiren und es entging Arnolden nicht, daß er von den Ta - lenten dieſes Mannes eine ſehr große Meinung hege.

Dies vermehrte das Peinliche der Lage des jun - gen Deutſchen dem Gouverneur gegenüber mit jeglicher Minute; denn ſollte er in das Lob des von ihm Ge - haßten und Verachteten einſtimmen und dadurch mit ſich ſelbſt in Widerſpruch gerathen? oder ſollte er ſich, einem ihm noch unbekannten, auch ihn noch nicht kennenden Manne gegenüber gleichſam wie ein Un - dankbarer oder gar wie ein Verläumder zeigen, in - dem er mit ſeiner Anſicht über den Character des Propheten offen hervorträte? Er entſchloß ſich nach3 einem kurzen Kampfe mit ſich ſelbſt, Mr. Boggs, deſſen offenes und biederes Weſen ihm das größeſte Vertrauen einflößte, die Art und Weiſe mitzutheilen, in der er ſich von Joe Smith getrennt hatte, und jenen zu bitten, kein Urtheil über den Character eines Mannes von ihm zu verlangen, zu dem ſein Verhält - niß ſich ſo geſtaltet hätte, daß es ihm ſchwer fallen würde, in jeder Hinſicht gerecht gegen ihn zu ſeyn.

Der Gouverneur hörte ihm mit großer Aufmerk - ſamkeit und unverkennbarem Wohlgefallen zu. Die offene Erklärung des jungen Mannes, der ihm ſchon von vorn herein gefallen hatte, nahm ihn noch mehr für Arnold ein, und er dankte ihm für das ihm ge - ſchenkte Vertrauen mit zwar nur wenigen, aber viel - ſagenden Worten, indem er ihn zugleich bat, in ſei - nen Mittheilungen über Joe Smith ſowohl, als über deſſen muthmaßliche Pläne und Abſichten, fortzufahren und ihm ſeine Anſichten über den Stand der Dinge in Jllinois nicht vorzuenthalten.

Jch geſtehe Jhnen aufrichtig, Sir, ſagte er am Schluſſe dieſer Bitte, daß, ſo ſehr Joe Smiths Perſönlichkeit mich, und auch Andere, für ihn eingenommen hat, ich doch nicht ohne eine ge - wiſſe Unruhe auf das Leben und Treiben dieſes Man - nes und das ſeiner durch ihn fanatiſirten Anhänger ſehen kann, da ſie die Ruhe und Sicherheit der be -1 *4nachbarten Staaten über Kurz oder Lang bedrohen würden, ſobald das Haupt dieſer ſeltſamen Secte ſich mit ehrgeizigen Plänen umhertragen ſollte. Denn hier, man muß es ſich ſagen, iſt dem Muthigen und Ehr - geizigen ein weites Feld eröffnet und ſobald dieſer Joe Smith es wollte, könnte er uns Viel zu ſchaf - fen machen.

Und er wird es, Sir! verſetzte Arnold.

Sie meinen, daß er mit der Abſicht um - gehe, ſich zum Dictator aufzuwerfen?

Ohne Zweifel hegt er eine ſolche, war die Antwort; wozu, ich frage Sie, Sir, zu wel - chem andern Zwecke würde er ſonſt ein wohl disci - plinirtes Heer von faſt fünfzehntauſend Mann und ein ſo reich beſetztes Arſenal unterhalten?

Er hätte eine ſolche Waffenmacht unter ſei - nem Befehl und wir Andern wüßten nichts davon? fragte der Gouverneur überraſcht.

Er hat ſie und vermehrt ſie noch täglich, verſetzte Arnold.

Und Mr. Carlin, der Gouverneur von Jl - linois, geſtattet ein ſolches Unweſen?

Nach Allem, was ich von Mr. Carlin ge - hört habe, iſt er ein ſchwacher, ein überaus indo - lenter Character, antwortete der Gefragte. Joe Smith weiß das, benutzt das, ſchmeichelt der Eitel -5 keit ſeines Vorgeſetzten, macht ihm reiche Geſchenke, erhält die Ordnung in der ihm anvertrauten Graf - ſchaft aufrecht, ſo daß Mr. Carlin von dorther durch Nichts beläſtigt wird, und kann ſo ſchalten und wal - ten, wie er will.

Der Gouverneur verſank nach dieſen Worten in tiefes Nachdenken. Ganz ſo wie Arnold, ſah er den Character des Gouverneurs von Jllinois an, der ein zwar guter und redlicher, aber zugleich auch ſo ſchwa - cher Mann war, daß ihn Jeder, dem darum zu thun war, hinter’s Licht führen und beherrſchen konnte.

Sie haben mir da ſo außerordentliche Dinge geſagt, ſo wichtige Mittheilungen gemacht, Sir, nahm der Gouverneur nach einem ziemlich langen Schweigen wieder das Wort, daß ich nicht werde umhin können, Mr. Carlin auf die ihn zunächſt be - drohende Gefahr aufmerkſam zu machen, und hoffe, Sie werden nichts dagegen einzuwenden haben, daß ich einen ſolchen Gebrauch von Jhrem Vertrauen mache.

Ganz im Gegentheil, antwortete ihm Ar - nold, und zugleich richte ich die Bitte an Sie, Sir, und erſuche Sie, dieſe auch an Mr. Carlin gelangen zu laſſen, den Stand der Dinge in Nauvoo durch völlig Unparteiiſche zu unterſuchen und, bis dies ge - ſchehen ſeyn wird, weder meinen Behauptungen Glau -6 ben zu ſchenken, noch mich durch unverdientes Miß - trauen zu beleidigen; ich fordre das Eine, ich ertrüge das Andere nicht.

Würden Sie vielleicht die Güte haben, Sir, antwortete ihm der Gouverneur nach kurzem Nach - denken, Das, was Sie mir ſo eben mitgetheilt ha - ben, ſo wie überhaupt Alles, was auf dieſen Gegen - ſtand Bezug hat, zu Papier zu bringen?

Jch bin gern bereit dazu, ſagte Arnold, und werde es mit um ſo ruhigerem Gewiſſen thun, da der Krieg zwiſchen dem Propheten und mir offen erklärt iſt. Wie die Sachen ſtehen, habe ich nicht die mindeſte Rückſicht gegen dieſen Mann zu nehmen, und Dank ſchulde ich ihm überdies nicht, da das Miß - trauen und die Verachtung, die ich ihm von vorn herein entgegentrug, mir verboten, Gunſtbezeigungen irgend einer Art von ihm anzunehmen, ſo oft er auch den Verſuch machte, mich dadurch an ſich zu feſſeln. Jch werde mehr thun, fuhr er nach einer Pauſe fort, und hoffe es vor Der verantworten zu können, die mir ihr Vertrauen noch über das Grab hinaus ſchenkte, ich werde Sie, Sir, in den Stand ſetzen, den Character dieſes Joe Smith nach Gebühr zu würdigen. Leſen Sie aber ich fordre Jhr Eh - renwort darauf, daß kein anderes Auge als das Jhrige dieſe Papiere berühre leſen Sie dieſe Blätter mit7 Aufmerkſamkeit, und Sie werden den Mann genau kennen, der, ich zweifle nicht daran, mit verbrecheri - ſchen Plänen umgeht und die Ruhe Nord-Amerikas in kurzer Friſt durch die Ausführung derſelben ſtören würde, wenn man Jhnen nicht zeitig genug zuvor - käme.

Er nahm mit dieſen Worten die ihm von Dina hinterlaſſenen Papiere aus ſeinem Buſen hervor und überreichte ſie Mr. Boggs, der ſie ſchweigend ent - gegennahm.

Darin, daß dieſe Papiere in meinen Beſitz kamen, fuhr Arnold nach einer Pauſe mit bewegter Stimme fort, kann ich nur das Walten der Ne - meſis erkennen, indem dadurch ein durch dieſen Elen - den hingemordetes, edles Weſen noch nach ſeinem Tode an ſeinem Mörder gerächt werden wird. Sie, dieſe unglückliche Dina, die ohne Murren, ohne eine ein - zige Klage die Mißhandlungen dieſes verbrecheriſchen Mannes ertrug, weil ſie nicht genug büßen zu kön - nen glaubte, ſie ſtreckt die Hand jetzt noch aus ih - rem Grabe hervor, um dieſen Ehrgeizigen in ſeinem Laufe zu hemmen; denn ich zweifle nicht daran, daß Sie, Sir, nachdem Sie dieſe Geſtändniſſe geleſen, die geeignetſten Maßregeln ergreifen werden, um den hoch - fliegenden Plänen dieſes falſchen Propheten einen Damm entgegenzuſetzen.

8

Wie muß ich die Stunde ſegnen, in der Sie zu mir eintraten, Sir! ſagte der Gouverneur gerührt und reichte ihm die Hand. Nach Allem, was ich ſo eben von Jhnen hörte, ſchliefen wir, Mr. Carlin und ich, auf einem Vulkan, und Sie waren von der Vorſehung dazu auserſehen, uns auf - zuwecken. Jhre Offenheit, Jhr edles Vertrauen fordert auch mein Vertrauen heraus, fuhr er nach einer Pauſe fort: ſo erfahren Sie denn, daß dieſer Joe Smith ſich um die Hand meiner Tochter bewirbt, deren Bekanntſchaft er zugleich mit der meinigen bei einem Beſuche in Vandalia machte.

Arnold war nicht im Stande, ſeine große Be - wegung, ſeine Ueberraſchung vor den ihn ſcharf beobachtenden Blicken Mr. Boggs zu verbergen, und erſtere war ſo mächtig, daß er die Farbe wechſelte.

Sie werden ſich vorſtellen können, fuhr der Gouverneur fort, nachdem er vergeblich auf eine Antwort von dem jungen Deutſchen gewartet hatte, daß ich auf dieſen Vorſchlag nicht einging, daß es mir nie in den Sinn gekommen ſeyn würde, meine Tochter einem Manne zur Lebensgefährtin zu geben, der ihr Vater ſeyn könnte und von dem ich über - haupt nichts weiter weiß, als daß er reich, angeſehen und mächtig iſt, ja, gegen den ich, als den Stifter einer fanatiſchen Secte, als den Begründer eines in9 meinen Augen lächerlichen Cultus, ein gerechtes Miß - trauen habe. Allein ich hielt es für der Klugheit an - gemeſſen, eben dieſen Mann nicht gegen mich aufzu - bringen und ſo lehnte ich ſeinen Antrag unter dem Vorwande der allzu großen Jugend Florens ſie iſt in der That ja noch faſt ein Kind mit artigen Worten ab. Trotz dem aber ſcheint der Mormon - Prophet ſeinen Hoffnungen und Wünſchen auf Florens Beſitz noch nicht entſagt zu haben, denn erſt vor wenigen Tagen erhielt ich wieder ein Schreiben von ihm, worin er ſeine Anträge erneuert, und zwar auf eine ſo dringende Weiſe, daß mich die Antwort eini - germaßen in Verlegenheit ſetzt, weshalb ich ſie bis jetzt noch aufgeſchoben habe.

Dies erklärt mir Alles, was mir bisher noch in dem Benehmen Joe Smiths gegen mich räth - ſelhaft war, nahm Arnold, als der Gouverneur jetzt ſchwieg, das Wort. Er hatte Lady Flora ge - ſehen, ihr Anblick ſein Herz in Liebe entzündet; er wollte ſie, da er auf keine andere Weiſe zu ihrem Beſitze gelangen konnte, zu ſeiner Gemahlin machen, und um das zu können, mußte er ſeine frühere Ge - liebte, ein zwar ſchönes, aber höchſt geiſtloſes und unbedeutendes Geſchöpf, mit guter Manier los zu werden ſuchen. Mir war die Ehre zugedacht, dieſer Marie meinen Namen zu geben, und allein aus die -10 ſem Grunde nahm er mich in ſein Haus, ließ mich wochenlang mit ihr allein, in der Hoffnung, daß ihre Schönheit mich bethören und ich blindlings mich in ein Liebesverhältniß ſtürzen würde. Jch werde Jh - nen das Alles noch weitläufiger aus einander ſetzen, nachdem Sie die Jhnen anvertrauten Papiere geleſen haben werden, ſchloß Arnold ſeine Rede.

Jch erſuche Sie um jede Jhnen mögliche Aufklärung, war die Antwort; Sie werden be - greifen, Sir, wie wichtig alle dieſe Umſtände für mich, und auch für Mr. Carlin, ſeyn müſſen. Jetzt aber kommen Sie, wenn es Jhnen gefällig iſt, mit mir in’s Haus, damit ich Jhnen die für Sie beſtimm - ten Zimmer zeigen kann, denn ich hoffe, daß Sie es mir nicht abſchlagen werden, mein Gaſt zu ſeyn.

Arnold, dem dieſes Anerbieten ſehr erwünſcht kam, dankte durch eine Verbeugung, der Gouverneur gab ihm den Arm und führte ihn durch mehre Säle und Corridors zu zwei ſehr hübſch eingerichteten Zim - mern, die eine überaus reizende Ausſicht in den Gar - ten gewährten. Als er ſich allein in denſelben ſah, benutzte er die ihm gelaſſene Muße, um ſich umzu - kleiden, denn man hatte ſein Gepäck bereits hinauf gebracht.

Viel länger als ſonſt er wußte ſelbſt nicht, wie das kam verweilte er vor dem Spiegel, um11 ſein Haar, ſeinen Anzug zu ordnen; denn Mr. Boggs hatte ihn gebeten, beim Abendeſſen zu erſcheinen, wenn die durch die Anſtrengungen der Reiſe hervorgerufene Müdigkeit ihn nicht daran verhindern würde, und er war entſchloſſen, von der Einladung Gebrauch zu machen. Durfte er doch hoffen, den reizenden Gegen - ſtand, der jetzt alle ſeine Gedanken erfüllte, auf den ſie, wider ſeinen Willen, immer wieder zurückſchweif - ten, bei Tiſche zu erblicken, den Ton dieſer ſilber - hellen Stimme zu vernehmen, den ſtrahlenden Blicken Florens zu begegnen!

Er wußte ſich ſelbſt nicht zu ſagen, was ihn mit faſt unwiderſtehlicher Gewalt zu dieſem Weſen hinzog; denn es war nicht die unübertreffliche Schön - heit Florens allein, die ihn, wie in einem durch Ma - gie gewebten Netze, gefangen hielt; er hatte bereits vielen ſehr ſchönen Frauen gegenüber geſtanden, ohne daß nur eine einzige die mindeſte Gewalt über ihn erlangt hätte; was aber war es dann, das ihn ſo zu Floren hinzog, zu ihr, von der er noch nichts wußte, als daß ſie ſchön ſei? zu ihr, die noch ein halbes Kind, eine noch nicht völlig entwickelte Knospe war? Wie tief mochte ſie nicht vielleicht geiſtig un - ter ihm ſtehen? wie wenig den Anſprüchen Genüge leiſten, die er an das Weſen machte, das ihm dauernd gefallen ſollte? Er wußte ja noch nichts12 von ihr, ſie hatte kaum die Lippen geöffnet, als um was ihm ſogar zuwider war den Dampf aus ihrer Stroheigarre auszuhauchen; aber doch! aber doch! Er war ſich ſelbſt zum Räthſel ge - worden.

Um die ihm vom Gouverneur beſtimmte Stunde fand er ſich im Wohnzimmer ein. Flora war bereits dort, aber ihr Vater noch nicht. Sie ſtand am offe - nen Fenſter und ſchaute in den geſtirnten Himmel hinaus; ſein Eintritt ſtörte ſie darin nicht, ſondern ſie wandte nur einen Augenblick nachläßig das Haupt nach ihm um und ſetzte dann ihre Betrachtungen fort, als ob ſie allein ſei.

Es trieb ihn, trotz der Vernachläſſigung, die er von ihr erfuhr, zu ihr zu treten.

Verſtehen Sie ſich auf die Aſtronomie ſo heißt, wenn ich nicht irre, die Wiſſenſchaft Sir? wandte ſie ſich jetzt freundlich zu ihm.

Etwas, antwortete er ihr; und Sie, Lady? fügte er fragend hinzu.

Jch? lachte ſie heiter. O, Sie wiſſen nicht, wie unwiſſend ich bin! Mir hat Gott allen Verſtand verſagt, ich kann nichts, gar nichts lernen, beſonders nichts, wobei Zahlen vorkommen, und habe von jeher alle meine Lehrer in Verzweiflung ge - bracht.

13

Trotz dem möchte ich es mit Jhnen ver - ſuchen, Lady, antwortete er ihr in demſelben hei - tern Tone; wollen wir den Anfang machen?

Nur immerzu, Sir! verſetzte ſie. Nen - nen Sie mir einige Sterne und ich will ſehen, ob ich die Namen behalten kann.

Nein, ſo fangen wir nicht an! ſagte er.

Aha! ich merke ſchon, Sie wollen es eben ſo machen, wie meine andern Lehrer; da werden Sie Jhre Freude an mir erleben! Freilich, wenn Sie Muſik verſtünden, das wäre etwas Anderes! Sind Sie muſikaliſch, Sir?

Jhnen zu dienen, war ſeine Antwort.

Das freut mich; da können wir zuweilen zuſammen ſpielen und ſingen; das iſt das Einzige, wovon ich etwas verſtehe, und ich würde es vielleicht weiter gebracht haben, wenn der arme Georg, mein Lehrer, in der letzten Zeit nicht ſo unaufmerkſam ge - weſen wäre; aber er war krank, fügte ſie gutmü - thig hinzu, und ſo thäte ich Unrecht, wenn ich ihn deshalb tadelte, daß er mich oft ſtundenlang ſpielen und ſingen ließ, ohne auch nur eine einzige Note zu corrigiren. Er ſoll ſehr krank ſeyn, der arme Mr. Georg, fügte ſie mit traurigem Tone hinzu; mein Vater ſagt es, und ich habe ihn ſchon mehre Male beſuchen wollen, allein man erlaubt es mir14 nicht, und doch wäre es meine Pflicht, da ich ihm ſo vielen Dank ſchuldig bin.

Der Eintritt des Gouverneurs unterbrach ihr Geplauder. Er ſah ſehr ernſt und ſogar ungewöhn - lich bleich aus. Als er Arnolden die Hand zum Will - komm reichte, drückte er die ſeinige und ſagte:

Jch habe die eben ſo betrübenden, als wich - tigen Papiere geleſen, Sir, und bin ſehr bewegt da - durch geworden. Der Blick in eine ſolche Tiefe des menſchlichen Elends, des menſchlichen Schmerzes, thut unendlich weh; doch danke ich Jhnen für die Mit - theilung dieſer für mich und noch für viele Andere ſo wichtigen Actenſtücke, indem ſie mir Aufſchluß über Dinge und Charactere gegeben haben, die zu kennen als bedeutender Gewinn betrachtet werden muß, be - ſonders in der Stellung, worin ich mich befinde. Jch weiß jetzt, was ich zu thun, welche Maßregeln zu er - greifen habe und hoffe, daß Sie mir bei Allem hülf - reich zur Hand gehen werden, was zu thun mir - thig ſcheinen dürfte.

Sie können auf meine Hingebung und Be - reitwilligkeit rechnen, verſetzte Arnold.

Jch danke Jhnen, Sir; aber jetzt laſſen wir die Geſchäfte ruhen, damit dieſes Kind er zeigte auf Floren auch etwas von unſerer Ge - ſellſchaft habe; denn ſie verſteht nichts davon und15 ſoll, ſofern ich es verhindern kann, auch nie etwas davon verſtehen lernen.

Das Geſpräch glitt von da an über andere Ge - genſtände hin. Sir John veranlaßte Arnold durch mancherlei über ſeine letzte Reiſe an ihn gerichtete Fragen, zu erzählen, was er auf derſelben geſehen und erlebt hatte, und da Arnold ſehr angenehm er - zählte, da er ein ſcharfer und aufmerkſamer Beobach - ter war, hörte man ihm mit ſichtbarem Vergnügen zu, ſo daß die Stunde des Abendeſſens ſchnell dahin ſchwand. Nachdem man damit fertig war, erhob ſich Flora, küßte und umarmte ihren Vater, reichte auch Arnolden, wie einem alten Freunde, die Hand und entfernte ſich, indem ſie letzterm zurief:

Vergeſſen Sie Jhr Verſprechen wegen der Muſik nicht, Sir!

Dann verſchwand ſie, ohne ſeine Antwort abzu - warten.

Die Blicke beider Männer folgten ihr, bis ſich die Thür hinter ihr wieder ſchloß. Jn denen des Va - ters lag der Ausdruck der innigſten Zärtlichkeit; Ar - nolds glühten gleich ſeinen Wangen, die ſich bei der Berührung der kleinen, ſammetweichen Hand Florens beim Abſchiede, als ſie ſie in die ſeinige legte, mit Purpur überzogen hatten.

Was ſagen Sie zu dieſem meinem Kinde? 16ſchien Mr. Boggs ſeinen Gaſt, mit dem auf dieſen nach Florens Verſchwinden gerichteten triumphirenden Blick zu fragen; der junge Mann aber beantwortete dieſe ſtumme Frage nicht, ſondern ſenkte das Auge zur Erde.

Sind Sie ſehr müde, Sir, nahm der Gouverneur nach einer ziemlich langen Pauſe das Wort, ſo ſagen Sie es mir mit der Aufrichtigkeit, die ich mir unter allen Umſtänden von Jhnen aus - bitte; ſonſt ſchenken Sie mir noch eine Stunde, oder auch nur eine halbe, um eine Antwort auf dieſe oder jene Frage zu geben, die ich Jhnen noch vorlegen möchte, um über manche Umſtände völlig aufgeklärt zu werden. Jch geſtehe Jhnen, daß ich ſo aufgeregt, ja über Manches ſo beunruhigt bin, daß für mich an Ruhe noch nicht zu denken iſt.

Auch ich würde noch nicht ſchlafen können, war die Antwort; plaudern wir alſo, Sir, wenn es Jhnen recht iſt.

Es geſchah, und bis tief in die Nacht hinein dauerte die Unterhaltung der beiden Männer, die wir, da ſie den Leſern nur bereits Bekanntes enthielt, nicht mittheilen, obgleich ſie vielleicht das Schickſal des Nordweſtens von Amerika entſchied. Arnold wußte dem Gouverneur ſo viele Aufſchlüſſe und zugleich ſo viele Daten über die Angelegenheiten in Nauvoo, und17 über die Mormons überhaupt, zu geben, daß dieſer die Nothwendigkeit einſah, nicht nur den zunächſt Be - theiligten, den Gouverneur von Jllinois, ſondern auch den Congreß auf die Gefahren aufmerkſam zu machen, von denen die nordweſtlichen Staaten durch die Pläne und geheimen Machinationen des Propheten bedroht wurden.

Aus den überaus genauen Mittheilungen des jungen Deutſchen entnahm er, daß ſeine und Mr. Car - lins Macht, ſelbſt wenn man ſie vereinigte, nicht mehr hinreichend ſeyn würde, den ehrgeizigen Plänen Joe Smiths einen Damm entgegenzuſetzen, und daß man ſich daher ungeſäumt nach anderweitiger Hülfe umſehen müſſe.

Durch eine ziemlich langwierige Krankheit, in die Sir Henry Bennet verfiel, welcher General-Jn - ſpector der Mormonen-Armee und ein überaus klu - ger, kühner und geſchickter Mann war, erhielt Arnold zufällig Gelegenheit, Einſicht in die Militärrollen zu nehmen und ſich mit Allem bekannt zu machen, was auf die von Joe Smith in der Stille geſammelte Heeresmacht Bezug hatte, die ſowohl an Stärke als an Disciplin der der umliegenden Staaten bei wei - tem überlegen war.

Wir werden ſchon morgen, Sie und ich, Sir, einen Bericht über dieſe außerordentlichen Vor -III. 218gänge an den Congreß abſtatten, nahm Mr. Boggs, nachdem Arnold geendet hatte, das Wort. Jetzt aber gehen Sie auf Jhr Zimmer, denn Sie werden der Ruhe bedürfen, fügte er hinzu; wir reden morgen mehr über alle dieſe Dinge. Schlafen Sie wohl und haben Sie nochmals Dank für Jhre Mit - theilungen!

Zweites Kapitel.

Die wichtigen Geſchäfte, welche Arnolds und des Gouverneurs Zeit gleich nach der mit einander gehab - ten Unterredung faſt ausſchließlich in Anſpruch nah - men, ließen Beiden kaum Augenblicke für Flora übrig, was das gute Kind faſt unmuthig machte, denn ſie hatte ſich ſchon darauf gefreut, dem jungen Frem - den ihre Gemächer, ihre Blumen, Vögel, Kupfer - ſtiche u. ſ. w. zu zeigen, um ſein Urtheil darüber zu hören, vor allen Dingen aber, Muſik mit ihm zu machen. Jetzt aber war er vom Morgen bis in die Nacht hinein an den Schreibtiſch gebannt, um aus ſeinen Tagebüchern alle die Notizen zuſammenzutra - gen, deren Mr. Boggs bedurfte, um an den Con - greß einen Bericht abgehen laſſen zu können, der die -19 ſen von der dringenden Gefahr überzeugte, welcher die Jllinois und der Mormoncolonie zunächſt gelegenen Staaten durch Joe Smiths heimliche Rüſtungen aus - geſetzt ſeyn würden, wenn man nicht zeitig genug Vorkehrungen dagegen träfe. Arnolds glückliches Ge - dächtniß, verbunden mit ſeiner ſcharfen Beobachtungs - gabe, befähigte ihn, aus erſterem zu ergänzen, was er nicht niedergeſchrieben hatte, und ſo mußte der Gouverneur es als eine überaus glückliche Fügung an - ſehen, daß dieſer junge Mann zu ihm geführt wor - den war, bevor das Unheil eine Höhe erreicht hatte, die Abhülfe, wenn auch nicht unmöglich, doch ſehr ſchwer gemacht haben würde.

Endlich war dieſer Bericht fertig und ein zuver - läſſiger Bote wurde damit nach Waſhington ab - geſandt.

So werden wir morgen mit einander Mu - ſik machen? wandte ſich Flora an Arnold, als ſie bei der Abendtafel von den beiden Männern vernahm, daß das vorgehabte wichtige Geſchäft glücklich been - digt ſei. Wiſſen Sie wohl, Mr. Arnold, daß Sie mich faſt ungeduldig damit gemacht hätten, daß Sie die Erfüllung Jhres Verſprechens immer weiter hin - ausſchoben? fügte ſie mit liebenswürdiger Naivität hinzu.

Darunter, werthe Lady, litt ich ſelbſt am2 *20meiſten, verſetzte er; allein es lag in den Um - ſtänden, daß ich mich des ſchönſten Glücks ſo lange berauben mußte, des, Sie ſingen und ſpielen zu hören.

Und Sie werden mir aufrichtig, ganz auf - richtig ſagen ich fordre, ich erwarte das von Jh - nen, Sir! ob ich ’was davon verſtehe, antwor - tete ſie; denn Sie werden begreifen, wie glücklich es mich machen würde, doch irgend Etwas zu können, ich, die ich eine ſo arme, unwiſſende Kreatur bin. Aber trotz dem ſollen Sie mir nicht ſchmeicheln, Sir, denn ich haſſe die Schmeichelei und weiß es gleich, wenn man nicht aufrichtig gegen mich iſt.

Jch verſpreche Jhnen die größeſte Aufrich - tigkeit, Lady Flora!

Gut, ſo werden wir immer gute Freunde bleiben, und das wünſche ich, Sir!

Dieſer Wunſch macht mich ſehr glücklich, er könnte mich ſtolz machen, Lady!

Der Gouverneur unterbrach dieſe Unterredung, der er lächelnd zugehört hatte, durch eine an Arnold gerichtete Frage und das Geſpräch nahm dadurch eine andere Wendung.

Am folgenden Morgen ließ ſich unſer Freund, ſeinem Verſprechen gemäß, bei Floren melden und wurde ſogleich angenommen. Er hatte ſie bis dahin21 noch nicht in ihren Gemächern beſucht und war daher nicht wenig überraſcht, als man ihn in das zugleich reizendſte und wunderbarſte Zimmer führte, ein Zim - mer von Florens Erfindung.

Es war ſo groß, daß es füglich für einen Saal gelten konnte und ſtellte, mit ſeiner gewölbten Decke, eine ſchöne Laube dar, die von der Hand eines ge - ſchickten Künſtlers der Natur auf das Täuſchendſte nachgebildet worden war. Aus dem künſtlich geordne - ten Laubgewinde blickten hie und da buntgefiederte Vögel und Schmetterlinge hervor; auf den Blättern ſaßen Jnſecten aller Art, Raupen, Schnecken u. ſ. w., kurz, die Täuſchung war ſo vollkommen, daß man ſich durch das Gefühl erſt überzeugen mußte, daß man Wände und keine wirkliche Laube vor ſich habe.

Floren entging das Erſtaunen und die Ueber - raſchung des jungen Fremden nicht und ſie erfüllten ſie mit einer faſt kindiſchen Freude.

Nicht wahr, ſagte ſie, das iſt hübſch? das überraſcht Sie, Sir?

Wie Alles in dieſem Hauſe, verſetzte er.

Jm Winter, wo Alles erſtarrt iſt, wo Alles voll Schnee und Eis liegt, iſt dieſes Zimmer mein einziger Troſt, nahm ſie wieder das Wort. Jch glaube, daß ich den Winter nicht ertragen, keinen einzigen überleben würde, wenn ich mir nicht einen22 ewigen Sommer durch dieſes Zimmer und meine vie - len lebenden Blumen geſchaffen hätte. Jch vermeide es dann, in’s Freie hinauszuſehen; ich liege auf mei - nem Divan und träume vom Frühlinge; ich athme den Duft me ner Blumen ein, lauſche dem Geſange der Stuben ögel, mache Muſik, beſehe Kupferſtiche, ordne meine Muſchelſammlung und ſo geht die böſe Jahreszeit faſt unbemerkt vorüber. Sie aber müſſen alle meine Herrlichkeiten in Augenſchein nehmen, ſchloß ſie ihre Rede, denn darauf habe ich mich ſchon gefreut und Sie dürfen mir die Freude nicht verderben, Mr. Arnold!

Keine einzige, ſo weit das in meiner Macht ſteht! betheuerte er, die Hand auf’s Herz legend.

Das iſt gut von Jhnen, Sir! Fangen wir mit der Muſik an: wollen Sie zuerſt ſpielen, oder ſoll ich es?

Jch bitte Sie, den Anfang zu machen, Lady.

Mir iſt es ſo recht, antwortete ſie, an einen koſtbaren Flügel eilend und dieſen öffnend. Er trat zu ihr, um ihr zu helfen; ſie nahm ſeine Hülfe freundlich an und ſuchte unter den Noten, während er ihr einen Stuhl hinſtellte, auf den ſie ſich nie - derließ.

Jetzt ſetzen Sie ſich auf den Divan, be -23 fahl ſie: ich ſinge und ſpiele beſſer, wenn ich mich ganz allein glaube und beim Spielen vergeſſe ich die ganze Welt ; alſo thun Sie, wie ich Sie ge - beten habe!

Er gehorchte und ſie begann. Er hatte von die - ſem wunderbaren, feenhaften Weſen das Außerordent - liche erwartet; aber was er jetzt vernahm, übertraf trotz dem ſo alle ſeine Erwartungen, war ſo unge - wöhnlich, daß er in einer andern Welt zu ſeyn glaubte. Jhre Stimme hatte keinen großen Umfang, ihr Geſang war nicht eben brillant, aber es war ihre Seele, die in den Tönen lag, es war der Frühling mit allen ſeinen wundervollen Klängen, den er zu - ren glaubte: das Rauſchen des Windes in den Blät - tern, das Säuſeln der Abendluft durch die Gräſer und Kräuter der Prairie; das Murmeln des Baches über Kieſelgrund hin; das Girren der Turteltaube in den hohen Aeſten der Magnolie, das Flöten der Nach - tigall bei mondhellen Nächten! Die ſüßeſten, die hei - ligſten Erinnerungen an ſeine glückliche Kindheit er - wachten dabei in ſeinem Herzen: wie er am Bache lag und dem munteren Spiele der Forellen mit träu - meriſchem Auge zuſah; wie ſein Ohr dem Geläute der unfern weidenden Heerde lauſchte; wie ſeine Bruſt die reine, friſche Luft mit Entzücken einſog; wie er von Vergißmeinnichten und Ranunkeln umnickt, den24 Blick zum tiefblauen Himmel emporgerichtet, in ſtiller Seligkeit dalag und aus den Händen der Natur und der Einſamkeit die göttlichſten, beglückendſten Gaben empfing und ſeine Seele auf Schwingen der Andacht ſich dankend zum Schöpfer emporhob und ſeine heilige Nähe fühlte, ſein Weſen ahnete.

Alle dieſe Erinnerungen erwachten bei Florens Geſang wieder in ſeiner Seele und noch einmal war er ganz wieder glücklich, noch einmal ein frohes Kind. Sie ſelbſt, die Schöpferin dieſer Wonnen, kam ihm wie der Frühling, wie das Bild der ewigen Jugend vor; er hätte es nicht ertragen, ſie ſich gealtert, dieſe göttliche Stimme ohne Metall und Schmelz zu den - ken; er hätte den Wunſch ausſprechen mögen, daß ſie in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit ſterben, nicht das allgemeine Loos der Menſchen theilen möge, aus dem Lenze in den Sommer, aus dieſem in den Herbſt und endlich in den eiſigen Winter überzugehen. Er grollte mit der Gottheit, daß ſie in einzelnen Fäl - len keine Ausnahme mache, daß ſie gleiche Geſetze für Alle habe, für das Häßliche, wie für das Schöne, für das Große, wie für das Geringe, für das Außer - ordentliche, wie für das Gemeine.

Spiel und Geſang verſtummten endlich; Flora erhob ſich von ihrem Sitze und trat zu Arnold hin, der ſo in Gedanken vertieft war, daß er der Höflich -25 keit darüber vergaß und ſitzen blieb, während ſie vor ihm ſtand und ihn mit fragenden Blicken anſah, denn ihre Lippen ſchwiegen: ſie war ſelbſt zu ergriffen, um reden zu können.

Die Blicke dieſer beiden reinen, tief poetiſchen Weſen trafen ſich und Eins ſchaute dem Andern gleich - ſam in die Seele hinein. Jn dem Blicke Florens lag deutlich das Verlangen ausgedrückt, ein paar freund - liche Worte aus Arnolds Munde über die einzige Kunſt, die ſie beſaß, zu vernehmen; in dem ſeini - gen eine Bewunderung, die vergebens nach Wor - ten rang.

Er fand ſie nicht; aber doch mußte er ihr ſeine Huldigung darbringen; er erhob ſich, kniete vor ihr nieder und küßte ehrerbietig ihre kleine, ſammetweiche Hand. Sie lächelte ihn zufrieden an, denn ſie hatte ihn verſtanden, ohne daß er ſprach.

Jetzt iſt an Jhnen die Reihe, Sir, ſagte ſie dann nach einer Pauſe, nachdem er ſich wieder er - hoben hatte.

O, nicht jetzt, in dieſem Augenblick nicht! flehte er.

Wann dann? fragte ſie. Sie müſſen mir Jhr Verſprechen halten, Mr. Arnold; Verſprechen macht Schuld!

Jch will es halten, verſetzte er, gewiß,26 ich will! Aber dringen Sie jetzt nicht darauf, jetzt nicht!

Gut! So ſehen wir indeß die neuen Kupfer - ſtiche an, die mein Vater für mich aus Europa hat kommen laſſen, ſagte ſie, an eine große Tafel tre - tend, auf der eine Menge Hefte und einzelne Blät - ter, ſehr ſchöne Stahl - und Kupferſtiche enthaltend, ausgebreitet lagen. Jch habe ihn gebeten, fuhr ſie fort, nachdem Arnold ihr dahin gefolgt war, mir Landſchaften von der Gegend kommen zu laſſen, aus der meine gute verſtorbene Mutter ſtammte, die Jhre Landsmännin, eine Deutſche, war, und in dieſem Hefte ſollen ſie enthalten ſeyn, wie man mir ſagte.

Wie, Jhre Mutter war eine Deutſche? fragte Arnold überraſcht.

Ja, mein Vater behauptet es: ich ſelbſt habe ſie nicht gekannt; ſie ſtarb, als ich noch zu jung war, um mich ihrer erinnern zu können. Jch hätte ſie ſo gern gekannt, fuhr ſie mit gerührter Stimme fort: ſie ſoll ſo gut und ſchön geweſen ſein! Wiſſen Sie, Mr. Arnold, fügte ſie nach ei - ner Pauſe hinzu, daß es mir ſehr lieb iſt, in Jhnen einen Landsmann meiner Mutter zu begrüßen? O, wie würde ich meine Mutter geliebt haben, wenn ich ſie gekannt hätte!

Sie öffnete mit dieſen Worten das betreffende27 Heft und zeigte Arnolden die darin enthaltenen Ge - genden; es waren die ihm ſehr bekannten aus der Nähe des Bodenſees.

Da war ich, ſagte er, auf eine ſchöne Burgruine zeigend; da unten, am Fuße des zertrüm - merten Schloſſes, lag ich oft und träumte von alten Mährchen und Sagen, die ſich daran knüpfen. O, es iſt gar herrlich dort, und welche Seligkeit müßte es ſeyn, wenn ich Sie einmal dahin führen, Jhnen die göttliche Ausſicht zeigen könnte, die man von da Oben herab hat!

Und dann ſäße ich neben Jhnen, am Fuße der Mauer, und wir Beide, wie zwei glückliche Ge - ſchwiſter, Hand in Hand! rief ſie, und ihr Auge leuchtete vor Freude. O, es iſt doch betrübt, we - der eine Mutter mehr, noch eine Schweſter, einen Bruder zu haben! fügte ſie traurig hinzu. Sie, Sir, fuhr ſie nach einer Weile fort, Sie ſind wohl glücklicher in dieſem Punkte?

Jch? im Gegentheil, verſetzte er. Den Vater habe ich nie gekannt, die theure Mutter iſt mir vor einigen Jahren ſchon geſtorben und Geſchwi - ſter habe ich nie gehabt.

So will ich Jhnen Schweſter, und Sie, nicht wahr? wollen mein Bruder ſeyn? fragte ſie mit himmliſcher Naivität. Mich dünkt, das Schick -28 ſal hat uns gleichſam darauf angewieſen, einander Er - ſatz für das Fehlende zu gewähren.

Sie reichte ihm mit dieſen Worten die Hand, die er ſich nicht erwehren konnte, an ſeine Lippen zu drücken.

Beide durchblätterten dann die Kupferſtiche. Flora hatte immer etwas zu fragen und ſtreute hie und da Bemerkungen ein, die Arnold um ſo mehr überraſch - ten, da ſie in der That unwiſſend war und ſich Frem - des durchaus nicht angeeignet hatte, außer einige Ge - dichte, denn wie für die Tonkunſt, glühte ihre Seele auch für die Poeſie.

Unſre Beiden verbrachten ſo eine Stunde und darüber mit einander. Dann mußte Arnold ſich auf Florens Wunſch an das Jnſtrument ſetzen und er that es jetzt, ohne ſich zu ſträuben. Er wählte ſein Lieb - lingslied, ein neugriechiſches Volkslied an den Tod, und obgleich Flora den Jnhalt deſſelben nicht ver - ſtehen konnte, ſo ergriff ſie doch die Melodie, eine der ſchönſten und tiefſten, die man hören kann, der - maßen, daß ihr Auge heiße Thränenſtröme vergoß und ſie ſich in einer ganz andern Welt fühlte, in ei - ner Welt voll Poeſie und Wohllaut.

Sie weinte ſelbſt da noch fort, als der Geſang bereits verſtummt war und Arnold ſich erhoben hatte und an das Fenſter getreten war. Dieſes Lied,29 welches ihn an frühere Zeiten ſo lebhaft erinnerte, an ſeine über Alles geliebte Mutter, der er es oft hatte ſpielen und ſingen müſſen, hatte einen Sturm von Empfindungen in ihm aufgeregt und ſein Auge ſchwamm in Thränen, die er vor Floren zu verber - gen wünſchte, weil er als Mann ſich ihrer ſchämte.

Wie es uns oft ergeht, daß ein Ton, eine Me - lodie, der Blick eines Auges, ein Sonnenblick, eine Blume, plötzlich eine längſt verſunkene Zeit wieder in unſere Erinnerung zurückruft, ſo war es auch Arnol - den mit dieſem griechiſchen Liede ergangen. Seine ſchöne, glückliche Kindheit, die theure Heimath, das Bild der Mutter, das hübſche, von Reben umkränzte Haus, in dem er aufgewachſen war; die Stube, ſo golden am Morgen von der Sonne beſchienen, ſo duftig durch die vielen darin blühenden Blumen, alles Das ſtand, wie durch den Schlag einer Zauberruthe hervorgerufen, wieder vor ihm da und erfüllte ſein Herz mit unausſprechlichen Gefühlen. Er blieb lange am Fenſter ſtehen, bemüht, die in ſeiner Seele em - portauchenden Bilder feſtzuhalten, und Flora ſtörte, unterbrach ihn nicht; ſie lag auf ihrem Divan und ſchien ihn, ja die ganze Welt vergeſſen zu haben.

Der Eintritt des Gouverneurs unterbrach dieſe ſtumme Scene. Sein Auge flog von Floren zu Ar - nolden und es entging ihm nicht, daß Beide geweint30 hatten. Er wollte fragen, ſein Erſtaunen äußern, Flora kam ihm mit dem Ausrufe zuvor:

O, mein Vater, daß du nicht hier wareſt, nicht Mr. Arnold ſpielen und ſingen hörteſt!

Es iſt gewiß, daß ich Viel dadurch ver - loren habe, war ſeine Antwort; aber ich hoffe ein Andermal ſo glücklich ſeyn zu können, das Verſäumte nachzuholen. Für den Augenblick ſehe ich mich aber ſogar gezwungen, zwiſchen Mr. Arnolds und dein Vergnügen zu treten, indem ich ihn erſuche, mir in mein Arbeitszimmer zu folgen.

O, die leidigen Geſchäfte! rief ſie geär - gert aus. Jch wollte lieber gleich todt ſeyn, als mir jeden guten Augenblick durch ſie rauben zu laſſen!

Damit du froh ſeyn und genießen könneſt, arbeite ich, verſetzte der Vater, indem er ihre Stirn küßte.

So ſollte es aber nicht ſeyn, erwiederte ſie, ich ſollte auch für dich ſorgen und arbeiten können, mein Vater, damit auch du dich freuteſt und genöſſeſt. So wie es jetzt iſt, komme ich mir wie die Schmarotzerpflanze vor, die ſich um den Stamm des ſchönen Tulpenbaumes in unſerm Garten wand und, indem ſie immer größer, ſchöner und kräftiger wurde, ihm das Mark ſo wegſog, daß er endlich gar abſtarb.

31

Bei uns iſt es umgekehrt, antwortete er, ſie zärtlich anſehend: dein Gedeihen, dein Glück ver - jüngt mich, kräftigt mich, meine Flora; laß es alſo gut ſeyn und ſo bleiben, wie es iſt. Verlaß dich dar - auf, daß ich dabei nicht zu kurz komme.

Er gab bei dieſen Worten Arnolden einen Wink und Beide entfernten ſich aus dem Zimmer.

Es iſt eine neue Botſchaft vom Propheten angelangt, ſagte Mr. Boggs auf dem Wege nach ſei - nem Zimmer zu Arnold, ein Brief, worin er ſeine Bewerbung um Florens Hand dringend erneuert und mich zugleich vor Jhnen warnt. Er beſchuldigt Sie der ſchwerſten Vergehungen und fordert mich auf, Sie, ſollten Sie es trotz dem zwiſchen Jhnen und ihm Vorgefallenen wagen, ſich in St. Louis ſehen zu laſ - ſen, gefangen zu nehmen und an ihn auszuliefern.

Jch erwartete etwas der Art von ihm, antwortete Arnold mit ruhigem Tone, obgleich ein höherer Purpur ſeine Wangen färbte; und weſſen beſchuldigt mich dieſer Mann, wenn ich fragen darf? fügte er hinzu.

Sie ſollen ſeinen Brief leſen, war die Antwort; beunruhigen Sie ſich aber nicht über den Jnhalt, denn ich weiß, was daran iſt, indem Joe Smith, wenn gleich noch verſteckt, bereits mit ſei - nen Abſichten und für das Gemeinwohl verderblichen32 Plänen gegen mich hervortritt. Er deutet in ſeinem Schreiben nicht nur auf ſeine großen Reichthümer, ſondern auch auf die von ihm geſammelte Macht hin und giebt mir nicht undeutlich zu verſtehen, daß der Nordoſten Amerikas unſer ſein würde, wenn wir in ein feſtes, unauflösliches Bündniß mit einander treten würden, und das uns verbindende Band ſoll Flora ſeyn.

Er reichte ihm mit dieſen Worten den Brief Joes hin, der ein kleines diplomatiſches Meiſterſtück war, indem er mit klaren Worten nichts ausſprach, was den Schreiber auf irgend eine Weiſe hätte com - promittiren können, aber doch die geheimen Abſichten deſſelben genugſam errathen ließ. Ueber Arnold ſelbſt waren nur wenige, aber dieſen überaus gravirende Worte eingeſtreut. Er beſchuldigte dieſen, das in ihn geſetzte Vertrauen mißbraucht, ſeine Tochter Ma - rie während ſeiner Abweſenheit verführt und dann, aus Furcht vor ſeinem gerechten Zorne und ſeiner Rache, Nauvoo heimlich verlaſſen zu haben; und ſo groß, ſchloſſen dieſe unwahren Beſchuldigungen, ſo groß war die Macht, die dieſer elende Abenteurer über das Gemüth meines unglücklichen, verblendeten Kin - des ſich zu erwerben gewußt hat, daß auch ſie mich heimlich verlaſſen und dadurch in den tiefſten Kum - mer geſtürzt hat, um dieſem Unwürdigen zu folgen. 33Jch werde aber Alles aufbieten, mein Kind zu retten und den Verführer zur Strafe zu ziehen, und erſuche Sie, mich dabei nach Kräften und Umſtänden unter - ſtützen zu wollen. Jch nährte eine Schlange im Bu - ſen, ſie ſtach mich, ſie verwundete mich im Liebſten und Theuerſten tödtlich; allein ich gebe die Hoffnung nicht auf, ſie erreichen und in meinem gerechten Zorne zertreten zu können u. ſ. w.

Und was werden Sie nach dieſem Briefe thun? fragte Arnold, indem er ihn dem Gouver - neur wieder zu ſtellte.

Jch ſagte mir, nachdem ich ihn geleſen, war die Antwort: C’est le commencement de la fin.

Jch verſtehe Sie nicht, Sir!

Sie werden es, wenn ich Jhnen ſage, daß ich entſchloſſen bin, offen mit dieſem Elenden zu bre - chen, ihm den Krieg zu erklären und mich zugleich zu rüſten. Jeder Augenblick Verzug vergrößert nach meiner Anſicht die Gefahr und ich halte uns für weit geſicherter, wenn wir dieſem Manne als erklärte Feinde gegenüber ſtehen, als wenn er heimlich unſer Feind bliebe, denn das wird er werden, ſo wie ich ihm mit beſtimmten Worten die Hand meiner Tochter abſchlage und er hört, daß Sie bei mir ſind. Aber wir ha - ben keinen Augenblick zu verlieren: Mr. Carlin mußIII. 334von Allem, was in Nauvoo vorgeht, unterrichtet, muß aus dem Schlafe aufgerüttelt werden, und zu dem Ende erſuche ich Sie, Sir, die von uns bereits über das Treiben der Mormons und ihres Prophe - ten an den Congreß geſandte Note copiren zu wollen, damit ich ſie durch einen ſichern Mann an Mr. Car - lin ſenden kann.

Es ſoll geſchehen, war Arnolds Antwort; nach dem aber, was ich ſeither von dieſem Gouver - neur geſehen, was ich aus dem Munde Joe Smiths und anderer Mormons über ihn gehört habe, dürfen wir kein energiſches Auftreten von ihm erwarten, auch hat der Prophet ſo ſehr ſein Ohr, daß er alle meine Angaben für bloße Verläumdungen halten wird.

Sie haben Recht, aber ich werde ihn trotz dem doch zu einiger Vorſicht aufzuſtacheln wiſſen, wenigſtens ihn dahin vermögen, daß er die Augen öffnet und nicht blindlings in die ihm von dem Ehr - geizigen gelegte Falle geht.

Ein Klopfen an die Thür unterbrach das Ge - ſpräch.

Das wird der Bote des Propheten ſeyn, ſagte Mr. Boggs; ich habe ihn herbeſchieden laſſen, um ihm meine Antwort auf den Brief ſeines Herrn und Meiſters zuzuſtellen. Sie iſt kurz und bündig, und nie iſt wohl, glaube ich, eine Kriegserklärung35 mit ſo wenigen Worten gemacht worden, als dieſe. Jch habe weiter nichts in meiner Antwort geſagt, als daß ich mich zugleich für die Ehre bedanke, ſein Schwiegervater und ſein Bundesgenoſſe zu werden; es wird hinreichen, um ihm zu zeigen, wie er mit mir daran iſt.

Auf das Herein! des Gouverneurs trat Joram Adams zu den Beiden in das Zimmer. So wie er Arnoldens anſichtig wurde, nahmen ſeine Geſichtszüge, aber nur auf einen Augenblick, einen Ausdruck von ſo giftiger Bosheit an, daß man vor ihm erſchrecken konnte. Arnold nahm daraus ab, daß er wenigſtens zum Theil in das Geheimniß der Art und Weiſe ſei - ner Trennung von Joe Smith eingeweiht ſei und in Folge deſſen einen grimmigen Haß auf ihn geworfen habe. Trotz dem ſtand er ihm ruhig, ja ſogar ge - bietend, gegenüber und heftete den Blick ſo feſt auf ihn, daß er ſich gezwungen ſah, den ſeinigen zu Bo - den zu ſenken.

Hier, mein guter Freund, nahm der Gouverneur das Wort, indem er ihm die verſiegelte Antwort auf den Brief des Propheten überreichte, bringt das Mr. Joe Smith und nun gehabt euch wohl.

Joram empfing das Schreiben ſchweigend und, dem Anſcheine nach, ehrerbietig; doch zitterte die3 *36Hand, mit der er es entgegennahm. Er warf noch einen letzten Blick auf Arnold, einen Blick, wie der Tiger ihn auf die Beute werfen würde, auf die zu - zuſpringen er im Begriff wäre; dann entfernte er ſich langſam aus dem Gemache, deſſen Thür er leiſe hin - ter ſich zumachte.

Welch einen Postillon d’amour hatte ſich der Prophet da erwählt! rief Mr. Boggs, als Jener ſich entfernt hatte. Jn meinem ganzen Leben iſt mir noch eine ſolche Galgenphyſiognomie nicht vor - gekommen! Das Blut erfriert einem in den Adern beim Anblick dieſes Menſchen. Jſt dieſer einer ſeiner Vertrauten?

Er hat keinen, verſetzte Arnold; nur blinde Werkzeuge zur Ausführung ſeines Willens und ſeiner Pläne können ihm dienen und dazu paßt nichts ſo gut, als eben dieſe Fanatiker, zu denen beſonders dieſer Joram Adams und ſein Vater gehören. Sie würden auf ein bloßes Wort ihres Propheten dem Teufel ihre Seele verſchreiben und doch in den Him - mel zu gelangen glauben.

Und gehorchen ihm alle Uebrigen eben ſo, wie die beiden von Jhnen Genannten?

Wenn ſich ihm auch nicht Alle in dem Maße mit Leib und Seele hingegeben, ſo würde doch kein Einziger anſtehen, für dieſen falſchen Gottbegei -37 ſterten, für ihren Heiligen und Propheten, auf ſein bloßes Wort Gut und Leben hinzugeben und ihm zu - gleich in Allem blinden Gehorſam zu leiſten. Er hat ſie durch den Fanatismus, den er ihnen einzuflößen verſtand, mit Demantketten an ſich gefeſſelt und ſich zum Herrn ihres Gewiſſens und ihres Leibes zugleich gemacht.

Wir haben es, es ſteht nicht zu läugnen, mit einem gefährlichen Gegner zu thun, ſagte nach kurzem Nachſinnen Sir John, und müſſen ſo doppelt auf unſerer Huth ſeyn.

Gewiß! Vorſicht iſt nicht genug anzu - empfehlen, Sir, war Arnolds Antwort; um ſo mehr, da unſre Vorhuth, Mr. Carlin, nach Jhrem und meinem Dafürhalten ſchwach und leicht zu über - rumpeln iſt.

Drittes Kapitel.

Joe Smith, der ſeine ganze Energie wieder ge - wonnen und ſich von der ihm durch Arnold bereiteten Niederlage völlig wieder erholt hatte, war, während man ſich zu St. Louis gegen ihn rüſtete, auch nicht müſſig.

38

Er begriff, daß der entſcheidende Augenblick ge - kommen ſei und er die Maske ablegen müſſe, wenn der junge Deutſche das Vertrauen Mr. Boggs, trotz dem, daß er dieſen vor ihm gewarnt, gewonnen hätte, und bereute nichts ſo ſehr, als daß er ſich durch ein ihm ſelbſt unerklärliches Gefühl davon hatte abhalten laſſen, einen Menſchen aus dem Wege zu räumen, der ihm ſo gefährlich werden konnte, da es ihm nicht möglich geweſen war, ihn für ſich und ſeine Sache zu gewinnen. Dazu würde es ihm an Gelegenheit nicht gefehlt haben, ſobald er ernſtlich Arnolds Tod gewollt hätte, denn dieſer war ja längere Zeit in ſeine Hände gegeben geweſen. Jndeß war ſelbſt jetzt noch das Verſäumte nachzuholen und Joe Smith war, freilich erſt nach einem heftigen Kampfe mit ſich ſelbſt, zum Aeußerſten entſchloſſen, um ſich ei - nen Gegner vom Halſe zu ſchaffen, der für ihn un - gefähr dieſelbe Bedeutung hatte, wie Macduff für den Macbeth, und vor dem er ſich auf eine ihm ſelbſt unerklärliche Weiſe mehr fürchtete, als vor irgend einem andern Menſchen auf der Welt. Es gab Augenblicke, in denen ihm dieſe Furcht lächerlich vorkam, denn was würde dieſer Einzelne, mochte er auch noch ſo viel Character und Energie beſitzen, wohl gegen einen Mann auszurichten vermögen, der über eine wohl disciplinirte Armee von 15,000 Mann,39 an deren Spitze kühne und kriegserfahrene Männer, ja Männer von anerkanntem Talente, ſtanden, zu ge - bieten hatte und der außerdem noch über andere un - ermeßliche Hülfsmittel gebot? Wurde nicht, auf ſein bloßes Gebot, jeder waffenfähige Mormon zum Krie - ger? und hatte er die Seinen nicht bereits ſeit Jahr und Tag in den Waffen geübt? Waren ſeine Caſſen nicht mit Geld, war ſein Arſenal nicht mit Kriegs - vorräthen angefüllt? Was wollte denn dieſer eine junge, unbedeutende Mann, dieſer hülf - und mittel - loſe Fremdling gegen ihn beginnen? Was hatte er ſelbſt von den Gouverneurs der benachbarten Staa - ten, ſelbſt wenn ſie ihre Streitkräfte vereinigten, noch zu befürchten? Wie einen Giftbaum im von Men - ſchenfuß nicht betretenen Thale, wie ein Bohun-Upas, hatte man ihn aufwachſen und groß und ſtark wer - den laſſen, und was ſich ihm jetzt noch nahen wollte, war des Todes!

Trotz dem verſäumte er keine Vorſicht und nicht nur wandte er ſein Augenmerk auf das Heer, das zu ſeinem Gebote ſtand, ſondern er rief zugleich auch noch den Fanatismus zu Hülfe. Er ließ durch ſeine eifrigſten Anhänger das Gerücht ausſtreuen, er, der Prophet, habe erſchreckende Wahrzeichen und Geſichte gehabt, die auf eine für das Mormonenreich nahende große Gefahr hindeuteten. Wallfahrten, Gebete, feier -40 liche Gottesdienſte, bei denen der Prophet in der glänzendſten Kleidung als Hoherprieſter fungirte, wur - den angeſtellt; man öffnete die Thüren des großen Tempels; auf dem Altare, auf dem das ſogenannte goldene Buch oder die Mormonbibel lag, brannten Tag und Nacht Kerzen; die Prieſter ſchwangen un - aufhörlich das Weihrauchfaß; die Gläubigen knieten unaufhörlich vor den Altären und der Prophet hielt faſt täglich begeiſterte Reden, die ihre Wirkung um ſo weniger verfehlen konnten, da ſie durch ſeine im - poſante äußere Erſcheinung, durch eine volltönende Stimme und eine ihm angeborene Beredtſamkeit mäch - tig unterſtützt wurden.

Dann ſetzte er allgemeine Faſten an, nach der von ihm gemachten Erfahrung, daß Nichts dem Fa - natismus mehr Vorſchub leiſte, als ein hungriger Magen. Zu andern Zeiten wurden Proceſſionen von ihm angeordnet, an deren Spitze er ſelbſt ſich ſtellte; barhaupt und barfuß, im ſchlechteſten, abgetragenſten Gewande, Haupt und Blick zu Boden geſenkt, ſchritt er in feierlicher Stille den Gläubigen voran zum Tempel, warf ſich vor dem goldenen Buche nieder, berührte mit ſeinem Antlitze die Marmorſtufen des Altars und lag lange ſo, wie im heißeſten, in - brünſtigſten Gebete, und Alles folgte ſeinem Bei - ſpiele.

41

Darauf erhob er ſich plötzlich wieder; ſeine im - poſante Geſtalt richtete ſich hoch empor; ſeine Wan - gen glühten, ſein dunkles Auge ſchien Funken zu ſprühen und mit einer Stimme, die in ihrer Voll - tönigkeit das ganze große Gebäude ausfüllte, verkün - dete er gleichſam jubelnd: Gott ſei durch ihre Gebete erweicht, durch Reue und Buße verſöhnt worden und das Reich der Mormons ſolle, wie von Anfang an beſtimmt geweſen, trotz der Sünden Einzelner, die den göttlichen Zorn durch Zweifel und Ungehorſam auf ſich geladen, das mächtigſte von allen, die Mor - mons ſelbſt zugleich das größeſte und glücklichſte Volk auf Erden werden, ſofern ſie feſt hielten am Glau - ben und ohne Furcht den vielleicht bald herannahen - den Gefahren entgegengingen.

An alles Dieſes wurden noch wahrhaft lächer - liche, nur auf die rohe, unwiſſende Menge berechnete Ceremonien geknüpft. Es wurden nämlich durch er - wählte Stellvertreter, die ſich in ihrem Namen noch - mals in dem großen Taufbecken taufen laſſen muß - ten, längſt verſtorbene Helden, als ein Cäſar, ein Alexander, ein Waſhington, Napoleon u. ſ. w. in den Bund und in die Gemeinſchaft der Mormons aufge - nommen, damit ihre abgeſchiedenen Geiſter im Fall der Noth den neuen Glaubensbrüdern Beiſtand leiſte - ten. Kurz, es wurde Nichts von dem Propheten42 verſäumt, was die ihm unterworfenen Fanatiker noch mehr fanatiſiren konnte.

Hie und da ließ Joe Smith auch ein Wort fal - len, welches darauf hindeutete, daß er ſich zur Dictatur über den Nordoſten berufen fühle, daß ihm von der Gottheit das Amt des Richters und Beſtrafers über die Verächter des Mormonismus zugetheilt ſei; daß eine Bluttaufe nicht zu vermeiden ſeyn dürfte; daß man mit Feuer und Schwert den Ungläubigen den Weg zum ewigen Heile bahnen müſſe, und keins ſei - ner Worte ging verloren, jedes wurde wie ein Evan - gelium mit Jubel und Freude aufgenommen.

So hatte der Prophet Alles vorbereitet; ſo konn - ten ſich jeden Augenblick die von ihm aufgethürmten Wolkenmaſſen entladen und der tödtliche Blitzſtrahl Diejenigen treffen, die ſich ſeinen großartigen Plänen zu widerſetzen wagten. Trotz dem zögerte er aber noch immer: ſeine rechte Hand, Sir Henry Bennet, unter deſſen Oberbefehl das geſammte Mormonheer ſtand und auf deſſen Talent und Kriegserfahrung er allein alle Hoffnung des Gelingens begründen durfte denn er ſelbſt verſtand nichts vom Kriege lag an einer ſo ſchweren Krankheit darnieder, daß man an ſeinem Aufkommen zweifelte. Dieſer Umſtand rettete vielleicht den Nordoſten Amerikas von der Oberherr - ſchaft der Mormons und der ihres Propheten; denn43 hätte Joe in dem Augenblick den Kreuzzug gegen die andern Staaten gepredigt, ſo würden ſie aller Wahr - ſcheinlichkeit nach die Beute ſeines Ehrgeizes gewor - den ſeyn und Nordamerika eine andere Geſtalt haben als jetzt. Man war durchaus nicht zum Widerſtande vorbereitet; man fürchtete die Mormons nicht, ſon - dern begnügte ſich damit, ſie und ihren Cultus, der in der That viel Lächerliches und Abgeſchmacktes dar - bot, zu verſpotten und zu verhöhnen.

Die Sicherheit, in der Mr. Carlin, der Gou - verneur von Jllinois, lebte, ging deutlich aus ſeiner Antwort an Sir John hervor. Sie war in einem faſt ſpöttiſchen Tone abgefaßt und redete ſogar von den Kämpfen des weltbekannten Ritters mit den Windmühlenflügeln; ja, ſie ging darauf aus, Arnold zu einem Abenteurer und Lügner zu ſtempeln, der ſich allein in das Vertrauen ſeines ehrenwerthen Freun - des eingedrängt habe, um ſich bei dieſem durch vor - geſpiegelte Gefahren wichtig zu machen.

Mr. Carlin überſandte dieſen, in mancher Hin - ſicht beleidigenden Brief durch ſeinen Geheimſecretär und Vertrauten, einen Franzoſen mit Namen Jou - ville, dem der Auftrag geworden war, Sir John über Alles, was dieſem Sorge und Unruhe machte, noch mehr, als es durch den Brief geſchehen könnte, zu beruhigen, und da dieſer Menſch im Solde des44 Propheten ſtand, wurde natürlich Alles von ihm auf - geboten, Mr. Boggs auf eine falſche Fährte zu füh - ren, was ihm indeß ſo wenig gelang, daß dieſer auch faſt gegen ihn Verdacht ſchöpfte, oder doch nicht auf ſein Geſchwätz hörte.

Am Abende vor der Rückkehr des Franzoſen nach Vandalia ſtanden Sir John, Arnold, Jouville und der ehemalige Muſiklehrer Florens, der den Namen George führte und ſich zum Erſtenmale nach langer Krankheit wieder im Präſidio blicken ließ, in dem be - reits von uns erwähnten Gartenhauſe und unterhiel - ten ſich mit einander. Bald jedoch verließ Sir George, für deſſen kranke Bruſt die etwas dumpfe und ſchwüle Luft in dem nur kleinen Gemache unerträglich war, das Gartenhaus und trat in den Garten, in deſſen Laubgänge er ſich verlor, um an Flora, den Gegen - ſtand ſeiner Wünſche, ſeiner heißen, ach! unerwie - derten Liebe, zu denken und wo möglich das ſchöne Kind an einem der Fenſter des Hauſes zu erblicken. Dies war Alles, was er noch zu wünſchen, zu hoffen wagte, denn daß ſie ihn, der faſt ihr Vater hätte ſeyn können, nicht liebte, daß ſie ihn nie würde lie - ben können, wußte er nur zu gut und nährte deshalb keine trügeriſchen Hoffnungen.

Das Zimmer in dem Gartenhauſe, worin ſich die drei Männer befanden, war hell erleuchtet, ſo45 daß man durch die nach dem Garten hinausgehen - den Fenſter jede Bewegung und auch die Phyſiogno - mien der Sprechenden genau unterſcheiden konnte.

Plötzlich fiel ein Schuß, die Kugel ging durch die Fenſterſcheiben dicht an Arnolds Haupt vorüber und fuhr zum gegenüberliegenden Fenſter wieder hin - aus. Ehe man ſich noch beſinnen konnte, fiel ein zweiter Schuß und diesmal ſtreifte die Kugel Sir Johns Arm, aber nur leicht.

Jn demſelben Augenblick ließ ſich ein durchdrin - gender Schrei im Garten vernehmen und der Gou - verneur glaubte Georges Stimme zu erkennen. Man eilte hinaus und fand zwei Männer am Boden lie - gen, die mit einander rangen.

Zu Hülfe! Der Elende mordet auch mich! rief Sir Georges und ſeine Stimme klang wie die eines Sterbenden. Arnold, den die Geiſtesgegenwart nie verließ, ſtürzte zuerſt auf die Ringenden zu, ent - wand den Händen des Einen einen Dolch und ſchleu - derte ihn weit weg, worauf er Sir Georges von ſei - nem Gegner frei machte.

Haltet ihn feſt, Sir! Haltet ihn feſt! rief der Befreite. Es iſt der Meuchelmörder, der die Doppelflinte auf das Luſthaus abſchoß!

Er wollte mehr ſagen, aber der ſtarke Blutver - luſt machte ihn ohnmächtig.

46

Während man ihn in das Haus trug, halfen die auf die Schüſſe herbeigeeilten Diener Arnolden, den Mörder in das Haus zu ziehen.

Ha! du biſt es, Elender? rief Arnold, als er beim Lichte Joram Adams erkannt hatte. Wie, höhnte er ihn, du hatteſt zwei Schüſſe in deiner Büchſe, ein Ziel ſo deutlich und nahe geſtellt als möglich, und doch fehlteſt du? Du mußt deinen Exerziermeiſter zu Nauvoo verklagen, er hat dich ſchlecht eingeübt.

Der Meuchelmörder antwortete ihm nicht, ſah ihn aber mit frechen und giftigen Blicken an.

Der Gouverneur befahl, Joram zu feſſeln und in’s Gefängniß zu werfen; die Diener wollten ihn, aufgebracht über die Verwundung ihres Gebieters, mißhandeln, aber Sir John litt es nicht.

Seine Beſtrafung kommt den Gerichten zu, nicht euch, ſagte der Gouverneur mit ſtrengem Tone, und ich werde Den beſtrafen, der ſich an ihm ver - greift.

Flora zeigte ſich jetzt. Die Schüſſe hatten ſie, die in ihren gewohnten Träumereien verſunken geweſen war, nicht eben ſehr erſchreckt, wohl aber waren ſie ihr auf - gefallen, weshalb ſie, als ſie Geräuſch auf dem Vor - ſaal hörte, herausgetreten war, um ſich nach der Ur - ſache deſſelben zu erkundigen. Man trug eben Sir47 George, deſſen ſtrömendes Blut den Boden färbte, über den Vorſaal in eins der Zimmer, wo ihm der herbeigerufene Wundarzt Hülfe leiſten ſollte.

Ein Schrei des Entſetzens entfuhr ihren Lippen, als ſie ihren Freund und Lehrer in dieſem Zuſtande erblickte. Der Sterbende denn als ſolchen durfte man Sir George betrachten öffnete die Augen und ſeine Blicke trafen die ihrigen; ein verklärtes Lächeln flog über ſein bleiches Antlitz; er wollte die Lippen öffnen, reden, allein ſeine durch den ſtarken Blutver - luſt herbeigeführte Schwäche war zu groß dazu.

Was iſt geſchehen? Um Gotteswillen, was hat ſich mit Mr. George zugetragen? rief ſie mit dem Tone des höchſten Entſetzens aus, indem ſie die bereits erkaltende Hand des Gemordeten ergriff und ſie zwiſchen ihren Händen preßte, wobei ein Strom von Thränen über ihre Wangen ſchoß.

Man hat vom Garten aus auf Jhren Va - ter und Mr. Arnold geſchoſſen, Lady, antwortete ihr einer der Träger, und Mr. George verwundet im Garten liegend gefunden; wir wiſſen ſelbſt noch nicht mehr, Sie werden es aber unten erfahren.

Und mein Vater? Mr. Arnold? fragte Flora, einer Ohnmacht nahe, indem ſie den Trägern nur mit Mühe in das für den Verwundeten beſtimmte Gemach folgte.

48

Maſſa nur leicht verwundet, Maſſa nicht todt, nahm der Schwarze das Wort, der einer der Träger war.

Sie antwortete nicht, hob aber ihre Hände dan - kend zum Himmel empor, warf noch einen Blick auf Sir George und ſtürzte dann die Treppe hinunter. Jhr Auge flog von ihrem Vater auf Arnold und von dieſem wieder auf jenen zurück. Sie wollte ſpre - chen, aber die Stimme verſagte ihr den Dienſt.

Es iſt nichts, beruhige dich, mein Kind, ſagte der Vater, indem er ſie in ſeine Arme ſchloß; meine Wunde ſcheint durchaus unbedeutend zu ſeyn und Mr. Arnold, auf den es wahrſcheinlich abgeſehen war, iſt völlig leer ausgegangen. Nur für Sir George haben wir zu fürchten; iſt er dir begegnet und was macht er?

Er blutete ſtark und ſchien ohnmächtig zu ſeyn, antwortete ſie, vor Schreck noch an allen Gliedern bebend.

Wir wollen uns gleich von ſeinem Zuſtande überzeugen, ſagte der Gouverneur; meine Wunde bedeutet, wie ſchon geſagt, nichts, fügte er hinzu; kommen Sie mit mir, Mr. Arnold, wandte er ſich an dieſen.

Jch will auch mit, will ſehen, wie es um ihn ſteht, nahm Flora das Wort; nicht wahr,49 mein Vater, ich darf mitgehen und ſehen, was mein armer guter Lehrer macht?

Du wirſt ihm ſpäter, wenn er verbunden ſeyn wird und der Wundarzt es erlaubt, den Troſt deiner Theilnahme bringen, war die Antwort des Gefragten; jetzt aber muß ich mir deine Begleitung verbitten. Beruhige dich indeß, geliebtes Kind, fügte er mit zärtlichem Tone hinzu: es wird hoffentlich Alles gut gehen und es auch mit Sir George keine Gefahr haben.

Man fand den Wundarzt, welcher zum Glück in der Nähe geweſen war, bereits mit dem Verwun - deten beſchäftigt, der mit feſtgeſchloſſenen Augen da - lag und nur durch ein ſchmerzliches Zucken, das man von Zeit zu Zeit an ihm wahrnahm, indem ſeine Wunde mit der Sonde unterſucht wurde, verrieth, daß er noch lebe. Die ernſte, faſt traurige Miene des Wundarztes, der ein Freund des Ermordeten war, ſagte nur zu deutlich, daß keine Hoffnung zur Ret - tung vorhanden ſei, und in der That verrieth auch ein heftiges Bluterbrechen, das ſich gleich nach der Sondirung der Wunde einſtellte, daß das Leben des unglücklichen Mannes rettungslos verloren ſei.

Flora! rief George jetzt mit kaum noch vernehmbarer Stimme; Flora! wiederholte er, nur einen Blick noch, bevor ich ſterbe!

III. 450

Der Gouverneur ſah den Wundarzt bei dieſen Worten fragend an; dieſer nahm ihn an den Arm und führte ihn an das äußerſte Ende des ziemlich großen Gemachs.

Erfüllen Sie den letzten Wunſch meines unglücklichen Freundes, flüſterte er Sir John zu: es iſt nichts dabei zu riskiren, da er ſicher ein Mann des Todes iſt. Nur noch einige wenige Athemzüge, und er iſt nicht mehr. Es werde ihm, der im Leben ſo unglücklich war, im Tode noch ein letzter Troſt: der, in den Armen Derer zu ſterben, die er hoff - nungslos geliebt hat.

Es bedurfte für Mr. Boggs keiner weitern Ueber - redung; er ging, um Flora zu holen.

Rede ein paar liebevolle Worte zu deinem ſterbenden Freunde, ſagte er auf dem Wege mit ge - rührter Stimme zu ihr; und ſei ſtark, mein Kind, erſchwere ihm den bittern Todeskampf nicht, meine Flora! fügte er nach einer Pauſe hinzu.

Sie vermochte ihm vor Thränen nicht zu ant - worten.

Als ſie an das Lager des Sterbenden getreten war, legte ſie, unfähig, ein Wort hervorzubringen, ihre Hand auf ſeine bereits erkaltende. Dies ſchien ihn wie ein electriſcher Schlag zu treffen: hoch rich - tete er ſich empor und ſah ſie mit einem unbeſchreib -51 lichen Blick, mit einem Blicke an, in dem die höchſte Seligkeit eines glücktrunkenen Herzens lag; ſeine Lip - pen bewegten ſich wie zur Rede, man vernahm aber keinen Laut.

George, guter, lieber Sir George! rief Flora, aufgelöſt in Thränen neben dem Bette nieder - knieend und ihre brennenden, zitternden Lippen auf ſeine Hand heftend. Sie wollte mehr ſagen, aber Schmerz und Rührung waren zu groß, die Laute er - ſtarben ihr auf den Lippen.

Der Sterbende legte die Hand auf ſein bluten - des Herz; dann ſank er zurück; dann athmete er tief auf und war nicht mehr!

Flora bemerkte nicht, daß er bereits geſtorben war; ſie kniete noch immer neben dem Sterbebette, ſie hielt Georges Hand noch immer in der ihrigen; ſie hoffte, er würde ſie noch einmal anſehen, noch ein paar Worte wenigſtens zu ihr reden; er aber blieb ſtumm, ſtumm für ewig!

Komm, mein Kind, ſagte Sir John, in - dem er ihr die Hand zum Aufſtehen reichte, komm und ſuche deinen Schmerz zu bemeiſtern! Man be - hauptet, daß das Gehör der Sinn iſt, welcher am letzten erſtirbt; alſo keine Klage, kein Jammern in der Nähe dieſes Todten!

Sie begriff noch immer nicht, daß George todt4 *52ſei; ſie hatte noch nie einen Sterbenden, vielleicht nicht einmal einen Todten, geſehen; doch des Gehor - ſams gegen den Vater gewohnt, erhob ſie ſich; er nahm ſie in ſeine Arme und trug ſie mehr hinaus, als ſie ging.

Arnold hatte während dieſer ganzen erſchüttern - den Scene kein Wort geſprochen. Er ſtand am Fuße des Betts und hatte feſt, faſt unabläſſig, den Blick auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet, in dem er jetzt bekannte Züge wahrnahm, die er zuvor nicht darin entdeckt hatte; doch wußte er nicht, wohin er ſie bringen ſollte.

Der Wundarzt, welcher, wie bereits angedeutet, in dem Verſtorbenen einen Freund verloren hatte, hielt lange noch den Puls deſſelben zwiſchen den Fin - gern, dann legte er leiſe die Hand auf die Decke zurück und trat an das Fenſter, um mit trüben Blicken hinaus zu ſchauen.

Arnold mochte ihn in ſeinen Gedanken und Be - trachtungen nicht ſtören, deshalb entfernte er ſich mit leiſen Tritten aus dem Gemache und begab ſich in das gemeinſchaftliche Wohnzimmer, wo er Flora allein und in Thränen antraf. Jhr Vater hatte ſie verlaſ - ſen, um Hülfe für ſeine Wunde zu ſuchen, die, ob - ſchon der Schuß nur den Arm geſtreift hatte, ſehr zu ſchmerzen begann.

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Jſt er wirklich todt, der gute Sir George? rief Flora dem Eintretenden unter heftiger ſtrömen - den Thränen entgegen; iſt Rettung nicht mehr mög - lich?

Nein, verſetzte Arnold, in deſſen Herzen ſich beim Anblick dieſes Schmerzes und dieſer Thränen ein Gefühl von Eiferſucht regte; nein, Lady Flora, an Hülfe, an Rettung iſt nicht mehr zu denken. Es thut mir leid, Jhnen dieſe Nachricht bringen zu müſ - ſen, fügte er nach einer Pauſe hinzu, denn viel - leicht werden Sie Dem auf ewig gram werden, deſſen Lippen ſie ausſprachen.

Wie ſollte ich Jhnen deshalb gram wer - den, Mr. Arnold? verſetzte ſie, die keine Ahnung von dem hatte, was in ſeiner Seele vorging; ſind Sie doch nicht an dem Tode des guten Sir George Schuld!

Wenn auch nicht direct, doch indirect, war ſeine Antwort; denn hätte ſich der edle Ver - ſtorbene nicht auf den Mörder geſtürzt, der es wahr - ſcheinlich auf mein Leben abgeſehen hatte, ſo würde er den tödtlichen Stich nicht erhalten und ich ihn nicht zu beneiden haben.

Zu beneiden? fragte Flora und ſah ihn verwundert an. Sind Sie denn ſo unglücklich, Sir, daß Sie ſich den Tod wünſchen?

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Das nicht, antwortete er ihr; aber wäre ich an Sir Georges Stelle geweſen, ſo .......

Nun? .....

So würde Jhr ſchönes Auge auch vielleicht um mich eine Thräne vergoſſen haben: um dieſe Fluth von Thränen beneide ich den Verſtorbenen, Lady Flora!

O, ſagte ſie und ihr Geſicht verlor bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit eines ſolchen Verluſtes plötzlich alle Farbe, hätte die Kugel des Mörders Jhr Herz, Sir Arnold, getroffen, dann würde ich nie wieder haben aufhören können, zu weinen!

Nie war wohl einem jungen Manne ein unum - wundneres, naiveres Liebesgeſtändniß gemacht wor - den, als dem glücklichen Arnold in dieſem Augenblick von Floren; auch erröthete er lebhaft und konnte ſich nicht enthalten, ihre Hand, die ſie ihm willig ließ, zu küſſen.

Ja, fuhr ſie nach einer Pauſe fort, ſo ſehr mich auch der Tod des guten George betrübt denn er war mir, bis auf die letzte Zeit, wo er ſo krank und verſtimmt ward, der beſte, liebevollſte und aufmerkſamſte Lehrer ſo habe ich doch Gott für viel Gnade zu danken, daß die Kugel des Mörders ihr Ziel verfehlte und weder Sie, noch meinen theuren Vater tödtlich traf.

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Noch Monſieur Jouville, der neben uns ſtand, fügte Arnold hinzu.

Es wird freilich ſchlecht genug klingen, ſagte ſie, aber ich muß trotz dem geſtehen, daß ich an die Gefahr dieſes Mannes noch nicht einmal ge - dacht habe.

Er iſt doch ein hübſcher, liebenswürdiger Mann? wandte Arnold ein.

Das mag er immerhin ſeyn, verſetzte ſie; nach meinem Geſchmacke iſt er aber nicht. Da war mir der arme Mr. George doch weit lieber, ſo ver - ſtimmt und traurig er in der letzten Zeit auch war.

Viertes Kapitel.

Am folgenden Tage wurde Joram vor Gericht geſtellt, um ſeinen Mitſchuldigen zu nennen, denn daß er einen ſolchen gehabt habe, ſchloß man aus dem Umſtande, daß man noch eine zweite geladene doppel - läufige Flinte im Garten gefunden hatte, und zwar in einiger Entfernung von dem Platze, wo man Joram mit George ringend angetroffen. Aller Wahrſchein - lichkeit nach war dieſer Mitſchuldige durch das Ge - räuſch der Tritte des herannahenden George erſchreckt56 worden und hatte ſein Gewehr von ſich geworfen, um deſto ungehinderter entfliehen zu können.

Es war aber Joram auf keine Weiſe beizukom - men; er ſetzte allen an ihn gerichteten Fragen ein trotziges Stillſchweigen entgegen und allein ſeine gifti - gen Blicke, mit denen er bald den beim Verhör ge - genwärtigen Arnold, bald den Gouverneur anſah, redeten. Bei Drohungen und Verſprechungen lächelte er gleich verächtlich und blickte ſo ſtolz um ſich, als ſei er ſeinen Richtern gegenüber der gebietende Herr.

Da man nichts mit ihm anzufangen wußte und er trotz aller Aufforderungen, ein Geſtändniß abzu - legen, bei ſeinem Schweigen verharrte, ſah man ſich genöthigt, ihn in’s Gefängniß zurückzuführen, in der Hoffnung, daß die längere Haft ihn vielleicht kirre machen und auf andere Gedanken bringen würde.

Auf den Wunſch Sir Johns war der Franzoſe bei dieſem erſten Verhör gegenwärtig und es Arnol - den dabei nicht entgangen, daß dieſer mit dem Ge - fangenen bedeutungsvolle Blicke wechſelte. Er theilte dieſe Entdeckung dem Gouverneur mit, und da Mr. Boggs der ſcharfen Beobachtungsgabe des jungen Deutſchen vertraute, erſchien ihm dieſer Umſtand als überaus bedenklich. Der Gedanke lag in der That auch nahe, daß nicht nur dieſer Jouville, ſondern57 vielleicht ſogar der Gouverneur von Jllinois ſelbſt, durch das Gold Joe Smiths erkauft ſei, denn auf keine andere Weiſe vermochte man ſich die Blindheit und Unthätigkeit Mr. Carlins im Angeſichte einer ſo drohenden Gefahr zu erklären.

Dieſe Befürchtungen vermehrten das Schwierige der Lage des Gouverneurs außerordentlich, denn er mußte ſich ſagen, daß, wenn ſie begründet wären, er und der unter ſeiner Aufſicht ſtehende Staat das erſte Opfer ſeyn würden, einmal, weil nur der Miſſiſippi letztern von Jllinois trennt, dann aber auch, weil er ſelbſt vorzugsweiſe den Haß des Propheten durch Verweigerung der Hand ſeiner Tochter auf ſich ge - zogen hatte, und zu welchen Mitteln Joe Smith zu greifen im Stande wäre, um ſeinem Haſſe genug zu thun, hatte man ja durch den intendirten Meuchel - mord geſehen. So waren alſo die Ausſichten, man mochte blicken, wohin man wollte, ſehr trübe und man konnte ſich einer großen Unruhe nicht erwehren. Rettung, das mußte man ſich ſagen, konnte allein vom Congreß kommen und ſo wartete man mit ſchmerz - licher Unruhe auf Nachrichten von Waſhington.

Jn der Zwiſchenzeit beſtattete man den edelmü - thigen Erretter Arnolds oder Sir Johns denn da aus Joram immer noch nichts herauszubringen war, konnte man nicht wiſſen, auf welchen von Beiden es58 eigentlich abgeſehen geweſen war zur Erde und unſer junger Freund erhielt den Auftrag, die hinter - laſſenen Papiere deſſelben durchzuſehen, indem man hoffen durfte, darin einige Aufſchlüſſe über die frühern Verhältniſſe des Verſtorbenen zu finden, um, wenn er vielleicht Familie in Europa hinterlaſſen hätte, die - ſer den Nachlaß Sir Georges zuſtellen zu können.

Arnold, der nicht ohne große innere Bewegung an dieſes für ihn ſchmerzliche Geſchäft ging, ward noch mehr ergriffen, als ihm aus dieſen Papieren klar wurde, daß der Ermordete der unglücklichen Dina Bruder, der arme Georg, geweſen, der vor der Strenge eines harten, ja grauſamen Vaters geflohen war und ſich neue Lebensverhältniſſe in einem andern Welttheile geſucht hatte. Es war ihm wohl ergan - gen, bis er nach Miſſouri kam und für Flora in ei - ner eben ſo heftigen als unglückſeligen Liebe ent - brannte, in einer Liebe, die er nicht einmal aus - zuſprechen wagte, aus Furcht, ſich lächerlich da - mit zu machen, und die ſo doppelt an ſeinem Leben zehrte.

Er hatte ſeinen baldigen Tod, den er als ſeinen Retter und Befreier begrüßte, vorausgeſehen und ſo eine Art von Teſtament hinterlaſſen, worin er die bis zur Vergötterung geliebte Flora zu ſeiner Univerſal - erbin einſetzte und nichts dafür verlangte, als daß ſie59 mit eigener Hand eine Blume auf ſeinen Grabeshü - gel pflanzte.

Arnold theilte Mr. Boggs die gemachte Ent - deckung mit und auch dieſer wurde tief dadurch er - ſchüttert.

Jetzt iſt es mir erklärlich, ſagte Arnold bei dieſer Gelegenheit, weshalb ein gewiſſes Etwas im Ausdrucke der Geſichtszüge des Sterbenden mich ſo außerordentlich rührte und an andere erinnerte, die mir theuer geweſen waren, ohne daß ich wußte, wo - hin ich ſie bringen ſollte. So lange dieſer arme George mir lebend gegenüber ſtand, trat dieſe rührende Aehnlichkeit nicht hervor, denn er war ſeiner Schwe - ſter auch nicht in einem einzigen Geſichtszuge ähnlich; als aber der Tod ſein Siegel auch auf ſein Antlitz drückte, trat die mich ſo tief ergreifende Aehnlichkeit mit Dina hervor.

Wie ſeltſam, wie furchtbar, nahm Sir John nach einer Pauſe das Wort, daß dieſer Tiger von Nauvoo beide Geſchwiſter gleichſam mit einem Griffe mordete, daß beide ihm zum Opfer fallen mußten und das, ohne daß er ihre Verwandtſchaft ahnen konnte, ja, ohne daß er einmal den Tod die - ſes armen George intendirte; denn nicht auf ihn, ſon - dern auf uns war es ja abgeſehen.

Das Geſchick ſchlingt ſeine Fäden oft wun -60 derbar, verſetzte Arnold und was auch im Kopfe und durch die Phantaſie der Romanſchriftſteller aus - geheckt werden möge, ſo bleibt es doch immer noch weit hinter dem zurück, was ſich in Folge der ſelt - ſamen Launen des Schickſals in der Wirklichkeit oft zuträgt; wir haben ein Beiſpiel davon vor Augen.

Auch bin ich ſo weit gekommen, war Sir Johns Antwort, daß ich nichts mehr für un - möglich halte und jeden Augenblick darauf gefaßt bin, daß ſich das Unwahrſcheinlichſte zutrage .......

Dieſes Geſpräch wurde durch den Eintritt des Schwarzen unterbrochen, deſſen Haſt und verſtörte Geſichtszüge verriethen, daß er Wichtiges zu verkün - den habe.

Maſſa, rief er, tief Athem ſchöpfend, der ihm durch das ſchnelle Heraufſteigen der Treppe faſt ausgegangen war, Maſſa, Gefangener fort, Soldaten ermordet!

Was ſagſt du, Unglücklicher? rief Sir John bleich werdend bei der entſetzlichen Nachricht; wie wäre es möglich, daß dein Mund Wahrheit redete?

Jack nichts lügen, Jack die Wahrheit ſagt, Maſſa, antwortete ihm der Schwarze; Männer unten, die es geſagt haben.

Der Gouverneur und Arnold eilten hinunter. 61Ein Corporal des Poſtens, der ſein Wachthaus im Gefängniſſe hatte, war mit einem Gefreiten unten, um die unglückliche Nachricht zu verkünden. Als man am Mittag, berichtete er, mit einer neuen Mann - ſchaft anlangte, um die frühere abzulöſen, fand man keinen Soldaten auf dem Poſten und als man in das Jnnere des Gebäudes drang, ſah man die ſechs Mann, welche die Wache beſetzt gehalten hatten, todt am Bo - den liegen. Auf dem Tiſche ſtanden mehre leere Fla - ſchen; nur in einer war noch ein kleiner Reſt übrig geblieben und bei einer ſpätern Unterſuchung ergab ſich, daß dieſer Reſt ein heftig wirkendes, ſchnell töd - tendes Gift enthielt. Die in das Gefängniß führende, ſtark mit Eiſen beſchlagene Thür war erbrochen, die Ketten, womit man Joram gefeſſelt gehabt hatte, la - gen gleichfalls zerbrochen am Boden da und von die - ſem ſelbſt war keine Spur mehr zu entdecken.

Dies war, was der Corporal meldete. Die bei - den Männer verfügten ſich in ſeiner und des Gefrei - ten Begleitung augenblicklich an Ort und Stelle und man fand Alles ſo, wie er ausgeſagt hatte. Ver - gebens war das Bemühen der herbeigerufenen Aerzte, die Gemordeten in’s Leben zurückzurufen: ſie waren bereits völlig todt, ja ſogar ſchon erkaltet, als man ſie aufnahm, woraus man ſchließen mußte, daß das Ver - brechen ſchon mit Anbruch der Nacht verübt worden ſei.

62

Auf allen andern Umſtänden lag das tiefſte Dunkel, nur glaubte man annehmen zu müſſen, daß die Mormons, von denen dieſe Schauderthat nur her - rühren konnte denn wer wohl ſonſt, als ſie, hätte ein Jntereſſe dabei haben können, den Gefangenen zu befreien? in der Stadt ſelbſt Vertraute und Helfershelfer haben müßten; denn ſchwerlich würden die Kräfte eines Menſchen dazu ausgereicht haben, die ſchwere, mit Eiſen beſchlagene Thür des Gefäng - niſſes zu erbrechen, zu der der Schlüſſel, wie gewöhn - lich, mit Anbruch der Nacht in’s Präſidio abgeliefert worden war, wo er ſich auch noch vorfand.

Aus der Unterſuchung des Weinreſtes ging, wie bereits angedeutet worden, hervor, daß der von den unglücklichen Kriegern genoſſene Wein vergiftet gewe - ſen war; wer aber hatte ihnen denſelben gebracht? wer ihnen den tödtlichen Trank kredenzt? das waren Fragen, die man ſich unaufhörlich vorlegte, ohne ſich eine Antwort darauf geben zu können.

Die Aufregung in Folge dieſes ſchauderhaften Vorfalls war natürlich in St. Louis ſehr groß; Furcht und Mißtrauen bemächtigten ſich aller Gemü - ther; überall witterte man Gefahr, Gift und Dolch, Keiner traute dem Andern mehr und mit lautem Ge - ſchrei forderte das Volk den Tod aller Derer, die für heimliche Anhänger des Mormonismus gehalten wur -63 den, denn Alle ſah man als Theilnehmer des began - genen Verbrechens an.

Nur durch ſeine Beſonnenheit und große Energie gelang es dem Gouverneur, die Ruhe in der Stadt aufrecht zu erhalten und ein Blutbad zu verhindern, indem er die ſtrengſte Unterſuchung und, ſollte dieſe zu dem gewünſchten Reſultate führen, zugleich die ſtrengſte Beſtrafung der Mörder verſprach.

Man wird ſich vorſtellen können, wie beunruhigt Mr. Boggs ſelbſt durch dieſen Vorfall war, mit welchen Befürchtungen für die Zukunft er ihn erfüllte, und dieſe Furcht würde ohne einen günſtigen Zwiſchenfall noch größer geworden ſeyn.

Es traf nämlich eine Antwort vom Congreß ein, welche zwar in der Hauptſache nicht günſtiger lautete, indem man zu Waſhington nicht an die Umtriebe der Mormons glauben wollte und alle Angaben über die von Joe Smith geſammelte Heeresmacht für übertrie - ben hielt, aber doch Mr. Carlin, mit dem man über - haupt unzufrieden war, ſeiner Gouvernementsſchaft über Jllinois enthob und einen überaus tüchtigen und erfahrenen Mann, Sir Francis Ford, an ſeine Stelle ſetzte, indem man ihm zugleich den Auftrag ertheilte, den Stand der Angelegenheiten in Jllinois, und namentlich in der Grafſchaft Hancock, genau zu64 unterſuchen und ſo ſchnell als möglich darüber Bericht abzuſtatten.

Dieſe für ihn unwillkommene Nachricht erhielt der Franzoſe während ſeines Aufenthalts in St. Louis und er konnte nicht umhin, Mr. Boggs Anzeige da - von zu machen, da ſeine Functionen zugleich mit denen ſeines Gebieters ſuspendirt wurden, als es letz - term nicht gelungen war, ſich wieder zum Gouverneur erwählen zu laſſen, worauf er ſich große Hoffnung gemacht hatte. Mr. Carlin trat durch die neue, vom Congreß geleitete Wahl in den Privatſtand zurück und auch Jouville verlor ſeine Stelle als Cabinets - ſecretär, die er einträglich genug für ſich zu machen gewußt hatte.

Wenn ſich nun gleich Sir John auf der einen Seite darüber betrüben und es ihn auf das Lebhaf - teſte beunruhigen mußte, daß man zu Waſhington die Sache ſo leicht nahm und ihm die geforderte Hülfs - macht abſchlug, ſo diente es ihm auf der andern doch ſehr zur Beruhigung, an der Spitze des Nachbarſtaa - tes einen Mann von Muth, Klugheit und Energie zu wiſſen, denn er kannte Sir Francis perſönlich und wußte, was er von ihm zu erwarten hatte.

Von Mr. Boggs und Arnold wurde unter dieſen Umſtänden der Beſchluß gefaßt, daß letzterer ſich, mit dringenden Empfehlungsſchreiben von Sir John ver -65 ſehen, ungeſäumt nach Vandalia begeben ſolle, um Sir Francis von Allem in Kenntniß zu ſetzen, was dieſem zu wiſſen nöthig ſeyn würde, um nicht von der Gefahr überraſcht zu werden.

Wenn gleich alle dieſe wichtigen und zugleich tragiſchen Begebenheiten Arnold nicht daran verhin - derten, an ſeine Liebe zu denken, ſo blieben ihm doch nur Momente dazu übrig, Floren zu ſehen und ſein Glück bei ihr zu verfolgen. Daß er von ihr geliebt ſei, wußte er, denn ſie wäre nicht im Stande ge - weſen, irgend Etwas, am wenigſten aber die zugleich heiligſten und mächtigſten Gefühle, zu verbergen. Freudig, wie eine junge Roſe nach einer thauigen Nacht ihren duftigen Kelch dem Sonnenſtrahl er - ſchließt, öffnete ſie ihr Herz bis dahin ihm völlig un - bekannt gebliebenen Empfindungen. Jhr Auge leuch - tete vor Freude, wenn Arnold zu ihr eintrat, und nach der Weiſe freundlicher Kinder, ſtreckte ſie ihm die Hand beim Kommen entgegen; ſie that es nicht bloß, wenn er ihr allein gegenüber ſtand, ſondern auch in Gegenwart ihres Vaters oder ſonſtiger Per - ſonen. Mit Entzücken lauſchte ſie auf ſeine Worte und ſchon der Ton ſeiner Stimme war Muſik für ihr Ohr, ſein Blick ein Sonnenſtrahl, der ihr Herz be - lebte und tauſend ſchöne Blumen der Empfindung darin emporblühen ließ. Sie wünſchte nichts mehr,III. 566als was ſie bereits hatte: die Nähe des geliebten Mannes, die Möglichkeit, ihn ſehen zu können, wenn die Sehnſucht nach ihm zu mächtig wurde; das Glück, ihn dann und wann eins der Lieder ſingen zu hören, die die Poeſie ihres Herzens gleich einem electriſchen Strome berührten und ſprühende Funken daraus her - vorlockten.

Jetzt kam Arnold, um Abſchied von ihr zu neh - men. Jhr Vater, dem ihre Liebe für den jungen Deutſchen kein Geheimniß hatte bleiben können, hatte im Drange der Geſchäfte vergeſſen, ſie auf die nahe bevorſtehende Trennung von dem geliebten Manne vor - zubereiten, und ſo traf ſie die Nachricht von ſeiner Abreiſe um ſo ſchmerzlicher. Nicht gewohnt, ſich Zwang an zu thun, brach ſie in einen Strom von Thränen aus und äußerte die bangſten Befürchtungen, daß er nie wiederkehren, daß dieſe Trennung eine ewige ſeyn würde. Jhrer aufgeregten Phantaſie ſtell - ten ſich alle Gefahren dar, die Arnold auf dieſer Reiſe liefe, ſowohl durch die reißenden Thiere der Wüſte, als durch die Verfolgungen Joe Smiths und ſeiner Mormons, und es war ihm nicht möglich, ſie zu beruhigen, ihr nur einigen Troſt dadurch einzu - flößen, daß er ihr mit feierlichen Schwüren gelobte, ſich, ſo viel nur irgend an ihm läge, vor allen Ge - fahren hüten zu wollen.

67

Der Augenblick drängte und er mußte ſich faſt mit Gewalt von ihr losreißen. Zum Glück kam ihm Sir John zu Hülfe; er legte die in Thränen zer - fließende Tochter in die Arme des Vaters, verließ in der höchſten Aufregung das Zimmer, beſtieg das ſchon für ihn bereit gehaltene Roß und ſprengte ſo ſchnell durch die Gaſſen von St. Louis, als flöhe er vor ei - ner großen Gefahr, und doch ſtrömte ſein Herz von Seligkeit über, ſich von dem reinſten und edelſten Weſen ſo geliebt zu wiſſen.

Seine Reiſe war eine eben ſo ſchnelle, als glück - liche und der Empfang von Seiten Mr. Fords, auf die mitgebrachten Empfehlungen von Sir John, der allerbeſte.

Obgleich Sir Francis noch ein Neuling in den ihm übertragenen wichtigen Berufsgeſchäften war und noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, ſich in ſeiner neuen Lage zu orientiren, was ihm um ſo ſchwerer fallen mußte, da ſein Vorgänger ihm einestheils die Geſchäfte in großer Unordnung hinterlaſſen hatte und anderntheils im Mißmuthe über ſeine Nichtwieder - erwählung keineswegs geneigt war, ihm zu Hülfe zu kommen; ſo fand Arnold ihn doch weder entmuthigt, noch befangen. Er durfte auch in der That ſeiner Geiſteskraft vertrauen und im Bewußtſeyn einer be - deutenden Energie und Arbeitsluſt hoffen, das Ge -5 *68ſchäfts-Chaos bald zu entwirren, das ihm von ſei - nem Vorgänger hinterlaſſen worden war.

Er hörte Arnolds Mittheilungen über Joe Smiths Abſichten und Umtriebe mit geſpannter Aufmerkſam - keit zu und ließ ſich alle von dieſem geſammelten Da - ten vorlegen. Als er Alles gehört und geprüft hatte, ſagte er:

Jch, für meine Perſon, hege keinen Zwei - fel daran, daß Sie richtig geſehen und der Wahrheit gemäß berichtet haben; allein trotz dem iſt es mir nicht erlaubt, ohne Weiteres feindlich gegen die Mor - mons aufzutreten, ſondern ich habe vielmehr gemeſ - ſene Ordre, Alles aufzubieten, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, den man um ſo mehr fürchtet, da die Vereinigten Staaten, gewiſſer ſtreitiger Gebiete we - gen, in Gefahr ſind, mit England in Krieg zu ge - rathen. Jch muß alſo erſt zu erforſchen ſuchen, ob der Mormon-Prophet nicht durch gütliche Mittel zum Gehorſam zurückzubringen ſeyn wird, mit einem Worte, ob er ſich noch meiner Autorität unterwirft und mir, als Gouverneur des Staates, den Gehor - ſam leiſtet, den ich von ihm zu fordern berechtigt bin.

Wenn man ihm Zeit läßt; wenn Sir Henry Bennet, deſſen ſchwere Krankheit ihn in dieſem Au - genblick an der Ausführung ſeiner großen Pläne ver -69 hindert, weil er keinen Mann hat, der dieſen erſetzen könnte, wieder hergeſtellt würde, dann, Sir, dürfte das Uebel eine Höhe erreicht haben, daß nicht nur Abhülfe unmöglich, ſondern der Nordoſten unrettbar verloren ſeyn würde, wandte Arnold ein.

Jch gebe Jhnen darin Recht, Sir, war die Antwort; auch ſoll keine Zeit verloren werden; nur will ich mich dem Congreſſe gegenüber ſicher ſtel - len; nur will ich mir ſelbſt keine Vorwürfe machen müſſen, durch Uebereilung einen Bürgerkrieg veranlaßt zu haben. Zu dem Ende werden ſchon morgen einige Conſtabler mit der Ordre von mir nach Nauvoo ab - gehen, dieſen Joe Smith zur Verantwortung hieher zu laden. Gehorcht er, ſo kommt er in meine Ge - walt und ich habe die Mittel in Händen, ihn hier feſtzuhalten und während ſeiner Abweſenheit den Stand der Dinge in der Grafſchaft unterſuchen zu laſſen; gehorcht er mir, ſeinem Vorgeſetzten, aber nicht, ſo pflanzt er die Fahne der Rebellion auf und alle Mittel, die wir zu ſeiner Bekämpfung anwenden, werden vor dem Congreß gerechtfertigt ſeyn. Jch darf von Jhrer Einſicht erwarten, Sir, daß Sie das Schwierige meiner gegenwärtigen Lage begreifen und das von mir ergriffene Auskunftsmittel billigen wer - den. Kehren Sie indeß, ich bitte Sie darum, nach St. Louis zurück und bereiten im Verein mit meinem70 ehrenwerthen Freunde, Sir John, Alles zum kräftig - ſten Widerſtande und der thätigſten Hülfe vor, was auch hier geſchehen ſoll, denn aufrichtig geſagt, ich zweifle nicht daran, daß es ſehr bald zum Kriege zwi - ſchen uns und dieſen Fanatikern kommen werde, in - dem Joe Smith ſich ſchon hüten wird, ſich mir in die Hände zu liefern. Weigert er ſich deſſen, ſo kann mir von Seiten des Congreſſes aber nicht der Vor - wurf gemacht werden, daß ich den Bürgerkrieg pro - vocirte; denn Gehorſam iſt dieſer Prophet mir ſchul - dig, und indem er ihn mir verweigerte, verweigerte er ihn der geſammten Union.

Das, was Sir Francis vorgetragen hatte, war ſo weiſe und vernünftig, daß Arnold den von ihm getroffenen Maßregeln ſeinen Beifall nicht verſagen konnte. Er warnte ihn nur noch vor dem Franzo - ſen, der ihm mit Recht verdächtig geworden war und der ſich gefliſſentlich an Mr. Ford drängte, in der Hoffnung, bei dieſem wieder angeſtellt zu werden und dadurch ſich in den Stand geſetzt zu ſehen, dem Propheten auch ferner Dienſte zu leiſten; denn wie ſich ſpäter auswies, war er dieſem ſeit längerer Zeit ſchon verkauft. Sir Francis dankte unſerm Freunde um ſo mehr für den ihm ertheilten Rath, da er wirk - lich ſchon im Begriff geweſen war, dieſen Jouville in der Eigenſchaft eines Geheimſecretärs bei ſich anzu -71 ſtellen, indem er hoffen durfte, von ſeiner Geſchäfts - erfahrung große Vortheile zu ziehen. Unter dieſen Umſtänden unterblieb dies aber, denn war der Fran - zoſe wirklich, wie Arnold vermuthete, eine Kreatur Joe Smiths, ſo konnte er der guten Sache außer - ordentlich gefährlich werden.

Schon am folgenden Tage nach der gehabten Unterredung mit Sir Francis nahm Arnold Abſchied von dieſem, um nach St. Louis zurückzukehren und beide Männer ſchieden mit gegenſeitiger Hochachtung von einander.

Wie Sir Francis verſprochen hatte, gingen auch ſofort vier Conſtabler nach Nauvoo ab, mit dem ge - meſſenen Befehle des Gouverneurs, Joe Smith nach Vandalia zu führen. Man wird ſich vorſtellen kön - nen, welchen Aufruhr das Erſcheinen dieſer Beamten in der Grafſchaft erregte und wie neugierig man war, was ſie bringen möchten. Unter einem immer größer werdenden Gefolge von Mormons, die zum Theil be - waffnet herbeiſtrömten, weil ſie ihr Oberhaupt in Ge - fahr glaubten, langten dieſe Männer vor dem von Joe bewohnten Tempel an und begehrten im Namen des Geſetzes Einlaß in denſelben. Bei dieſer For - derung erhob ſich ein drohendes Murren unter der verſammelten Menge, das ſelbſt dann nicht auf - hörte, als die Conſtabler im Namen des Geſetzes und72 Kraft ihres Amtes die Verſammelten zur Ruhe auf - forderten.

Endlich zeigte ſich der Prophet ſelbſt. Er hatte ſeine glänzende Generalsuniform angelegt und ſeine Miene und Haltung waren ſo gebietend, daß er ſelbſt den Dienern des Geſetzes dadurch imponirte.

Was giebt es, meine Freunde? wandte er ſich an die Conſtabler, und zu welchem Zwecke ſeid ihr hier?

Der Ober-Conſtabler ſagte ihm, in welchem Auf - trage man gekommen ſei und Joe hörte ihm anſchei - nend mit ehrerbietiger Aufmerkſamkeit, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, zu.

Es leidet keinen Zweifel, antwortete er mit feſter Stimme, als Jener geendet hatte, daß ich der an mich im Namen des Geſetzes und meines Vorgeſetzten ergangenen Aufforderung Genüge leiſten werde. Tretet ein, meine Freunde, und laßt mir nur ein paar Stunden Zeit, um einige nothwendige Anordnungen treffen zu können; auch ihr werdet eini - ger Ruhe bedürfen, bevor wir den Weg nach Van - dalia antreten, wohin euch ſogleich zu folgen ich willig und bereit bin.

Bei dieſen Worten ließ er, wie prüfend, den Blick über die Verſammlung hinſchweifen, und in der That wollte er durch dieſe anſcheinende Nachgiebigkeit73 auch nur die Seinen prüfen, um in Erfahrung zu bringen, wie weit er im Fall der Noth auf ſie rech - nen könne; denn es kam ihm keineswegs in den Sinn, ſich in die Gewalt ſeiner Feinde zu begeben, obſchon ſeine Lage in dem Augenblick durch die ſchwere Er - krankung Sir Henry Bennets überaus kritiſch war.

Sein fragender Blick wurde von den Mormons verſtanden; ein wüthendes Geſchrei, das mit Drohun - gen gegen die Conſtabler vermiſcht war, erhob ſich; man umdrängte die letztern, man war in Begriff, ſie zu vernichten; man befahl ihnen, ſich aus dem Staube zu machen, wenn ſie ihr Leben lieb hätten, und ſchwor, daß man es nicht dulden würde, daß man ihren Propheten wie einen Gefangenen fort - führte.

Joe Smith ſelbſt ſprach kein Wort; mit über einander geſchlagenen Armen ſtand er, wie völlig theilnahmlos, da und ließ ſich von dem Sturm der aufgeregten Gemüther umtoben, als ob die Sache ihn durchaus nichts anginge. Dann gebot er der Menge Stille und wandte ſich, als ſeinem Befehle gehorcht worden war, mit den Worten an die Conſtabler:

Erzählt Sir Francis Ford, was ihr hier geſehen habt und fügt eurem Berichte den in wohlmei - nender Abſicht von mir ihm ertheilten Rath hinzu: er ſolle ſich hüten, in die Höhle des Löwen zu kommen!

74

Dann befahl er den Seinen, die ihm augen - blicklich gehorchten, den Conſtablern den Weg zu öff - nen und dieſe entfernten ſich ſo ſchnell als möglich.

Fünftes Kapitel.

Die Sehnſucht nach dem baldigen Wiederſehen der Geliebten trieb den zurückkehrenden Arnold zur größeſten Eile an, ſo daß er ſeinem jungen und kräf - tigen Pferde faſt zu viel zumuthete. Er hoffte durch dieſe Eile einen Tag für ſeine Liebe, für ſein Glück zu gewinnen, und wie viel war das nicht in dieſen ſtürmiſchen Zeiten!

Jndeß nahm er doch bald wahr, daß er ſeinem Pferde zu viel zugetraut hatte, und gegen Abend nach einem langen und ſcharfen Ritte in der Nähe des Miſſiſippi angekommen, ſah er ſich genöthigt, am Saume eines Waldes Halt zu machen und, ſtatt am Ausgange deſſelben noch ein ihm bekanntes Blockhaus zu erreichen, die Nacht im Freien zuzubringen, denn ſein Roß wollte nicht weiter.

Seine Situation war nicht eben angenehm, da die Nächte ſchon empfindlich kalt waren und er da - gegen keinen andern Schutz, als ſeinen Mantel hatte. 75Jndeß blieb ihm nichts weiter übrig, als ſich mit Ge - duld in die Umſtände zu fügen; er nahm daher ſei - nem Roſſe Sattel und Zaum ab, band ihm die Füße, damit es ſich nicht zu weit entfernen könne, und ſtreckte ſich dann ſelbſt, feſt in ſeinen Mantel ge - wickelt, neben einem Gebüſch hin, das ihm durch die Fülle und Größe ſeiner Blätter einigen Schutz gegen den rauhen Nordwind gewährte. Auch Bruno ſchien ſich, trotz ſeines zottigen Fells, nicht eben behaglich zu fühlen, denn er kroch ſo dicht als möglich an ſei - nen Gebieter hinan und legte ſich wie ein Jgel zu - ſammen.

Eine Stunde mochte Arnold ſo geruht, nicht ge - ſchlafen haben, denn er dachte an Flora, an die Freude des baldigen Wiederſehens und dieſe Gedanken erhielten ihn wach, als Bruno erſt zu knurren begann und dann laut anſchlug. Sein Gebieter richtete ſich auf dieſes Anzeichen empor und ſah ſich beim hellen Scheine des in ſeinem vollen Glanze am Himmel ſte - henden Vollmonds nach allen Seiten um, konnte aber nichts entdecken, was Brunos Anſchlagen hätte recht - fertigen können. Dieſer hielt ſich jetzt auch wieder eine Weile ruhig, hob aber dann wieder das Haupt empor und bellte heftiger und anhaltender als vor - her. Arnold wußte, daß er ſich auf dieſes Thier ver - laſſen könne, weil es niemals ohne Urſache bellte -76 und richtete ſich jetzt gleichfalls empor, um ſich wie - der umzuſehen.

Nicht lange hatte er die Blicke nach allen Rich - tungen umherſchweifen laſſen, ſo erblickte er zwei Reiter, die in der Nähe der Stelle, wo ſein Pferd weidete, aus dem Walde hervorbrachen. Der Anblick des Thieres ſchien ſie ſtutzig zu machen, denn ſie hiel - ten ihre Pferde einen Augenblick an und ſchienen zweifelhaft zu ſeyn, was ſie thun ſollten. Endlich aber ſprang einer von ihnen ab, übergab den Zügel des Roſſes ſeinem Begleiter und machte Miene, ſich dem weidenden Pferde nähern zu wollen, wahrſchein - lich in der Abſicht, ſich deſſelben zu bemächtigen.

Bruno ſchlug jetzt ſtärker an und lief knurrend den Beiden, deren Abſicht das kluge Thier errathen mochte, entgegen, um ſie an der Ausführung ihres Vorhabens zu verhindern.

Meiner Treu! rief jetzt einer der beiden Reiter, eben der, welcher noch zu Pferde ſaß, trügt mich nicht Alles, ſo kenne ich dieſen Hund, und irre ich mich nicht, ſo können wir einen weit beſſern Fang machen, als dieſes Pferd zu ſtehlen!

Sein Begleiter trat auf dieſe Worte wieder zu ihm.

Was meinſt du, Joram? fragte er ihn.

77

Du ſollſt es gleich erfahren, war die Ant - wort, und: Bruno! Bruno! rief er.

Der Hund horchte auf dieſen Ruf und hörte mit Bellen auf.

Es iſt ſo, wie ich mir gedacht habe, nahm Joram Adams denn er war es wieder das Wort; dieſer Hund iſt Bruno, mein alter Bekann - ter, und ſomit ſein Herr auch nicht weit, denn Beide ſind unzertrennlich. Folgt mir, Hieram, und helft mir, einen Fang zu machen, den der Prophet, wenn wir es forderten, mit Gold aufwiegen würde, folgt mir und helft mir den Herrn dieſes Hundes ſuchen!

Dieſe Unterredung fiel in zu großer Entfernung von Arnold vor, als daß er die Worte Jorams hätte vernehmen können. Beſorgt um den Verluſt ſeines Pferdes, auf das die beiden Reiter, wie er zu ſehen glaubte, Jagd machten, lieferte er ſich ihnen ſelbſt in die Hände, indem er aus dem Gebüſch hervortrat und ſich ihnen, zwar bewaffnet, näherte.

Redet Jhr ihn an, Eure Stimme kennt er nicht, flüſterte Joram ſeinem Begleiter zu, bis wir ihn ſicher haben und ich ihm den Laſſo über den Nacken werfen kann; ſo wie ich ihn zu Boden ge - riſſen habe, iſt er unſer und wir haben ſein Gewehr nicht mehr zu fürchten. Macht ihn zutraulich, Hieram, ſprecht wie ein Freund mit ihm, damit er keine Ge -78 fahr ahnt, denn ſonſt macht er uns zu ſchaffen: ich kenne ihn als einen entſchloſſenen und muthigen Bur - ſchen.

Er hielt ſein Pferd, nachdem er dieſe Worte ge - ſprochen, etwas zurück, während der Andere vorauf - ritt, bis er in Arnolds Nähe angelangt war.

Das da unten weidende Pferd iſt mein, nahm dieſer das Wort, als er von Hieram gehört werden konnte, und ſofern ich es nicht mit Buſch - kleppern zu thun habe, werdet Jhr mein Eigenthum reſpectiren.

Es iſt uns nicht in den Sinn gekommen, es rauben zu wollen, war die Antwort; nur in Verwunderung ſetzte es uns, ein zahmes Pferd in dieſer Wildniß weiden zu ſehen, und wir ſchloſſen daraus, daß ſein Gebieter nicht weit ſeyn würde. Es macht allemal eine Freude, fügte er mit gutmüthi - gem Tone hinzu, in ſolcher Gegend, und bei Nacht, auf Menſchen zu ſtoßen, und ſo wird, ich hoffe es, auch Euch unſre Begegnung nicht unangenehm ſeyn.

Jm Gegentheil, verſetzte Arnold, durch die zutraulichen Worte des Banditen beruhigt, und wenn es Euch und Eurem Begleiter ſo recht iſt, blei - ben wir bis Anbruch des Tags beiſammen, denn ich ſehe mich durch die Müdigkeit meines Pferdes dazu gezwungen ........

79

Das Wort, welches dieſem folgen ſollte, erſtarb ihm auf den Lippen; er hörte etwas über ſeinem Haupte ſchwirren, dieſes Etwas ſchlang ſich um ſeinen Nacken und riß ihn mit unwiderſtehlicher Gewalt zu Boden; beim Fallen entfiel ſeiner Hand das Gewehr, der neben ihm haltende Reiter ſprang vom Pferde und hob es auf und in der Zeit von einer Minute war der unglückliche junge Mann wie ein Büffel vom Laſſo umſchlungen, zu Boden geriſſen, entwaffnet und in die Hand ſeines grimmigſten Feindes gegeben.

Hieram warf ſich, nachdem er das Gewehr außer ſeinem Bereiche gebracht hatte, auf ihn und ſetzte ihm die Spitze ſeines Dolches auf die Kehle.

Bewege dich nicht, rief er mit drohen - der Stimme, oder ich ſtoße zu und du biſt eine Leiche!

Bruno, das treue Thier, begriff die Gefahr ſei - nes geliebten Gebieters und ſtürzte ſich auf den Meu - chelmörder, dem er mit furchtbaren Biſſen ſo arg zu - ſetzte, daß dieſer ſich gezwungen geſehen haben würde, ſeine Beute loszulaſſen, wenn Joram ihm nicht zu Hülfe gekommen wäre. Dieſer durchbohrte Bruno mit ſeinem Degen, ſo daß das arme Thier tödtlich getroffen zu Boden ſank und ſich nicht wieder aufzu - raffen vermochte. Dies entſchied Arnolds Schickſal. Die beiden Mörder fielen jetzt ungehindert über ihn80 her, banden ihm die Hände auf dem Rücken und zwangen ihn, ſein Pferd, das man indeß geſattelt und gezäumt hatte, zu beſteigen, um ihn deſto ſchnel - ler fortführen zu können.

Flucht war unter dieſen Umſtänden nicht möglich; Arnold begriff das und ergab ſich in ſein Schickſal.

Warum tödtet Jhr mich nicht gleich? wandte er ſich an Joram, den er beim hellen Scheine des Mondes längſt erkannt hatte; Jhr wolltet ja mein Leben, irre ich nicht, denn auf mich war doch wohl die Kugel abgeſehen, die Jhr in St. Louis durchs Fenſter ſchoſſet? macht es Euch alſo jetzt leichter und ſchnell ein Ende mit mir!

Nicht doch! verſetzte Joram. Unſre Ordre lautete: lieber lebendig, als todt, und nur todt, wenn er lebendig nicht zu haben ſeyn wird. Wir haben Euch lange aufgepaßt, um unſre Ordre ſtrict auszuführen, Jhr waret aber verdammt vor - ſichtig und es wollte uns nicht gelingen, Euch an ’nem Orte zu erwiſchen, wo man Euch bequem den Laſſo hätte über den Nacken werfen können; deshalb mußten wir endlich zur Kugel greifen.

Jch wollte, Jhr wäret ein beſſerer Schütze geweſen, ſagte Arnold, dann wäre mir nicht nur dieſe Nacht erſpart worden, ſondern auch jene armen Soldaten, die ihr meuchelmordetet, lebten noch.

81

Jhr hättet beſſer ſtill halten ſollen, hohn - lachte Joram; gerade als ich abdrückte, verändertet Jhr Eure Stellung und die Kugel flog an Euch vor - bei. Ob mich das geärgert hat! fügte er hinzu, und der Spaß, der darauf folgte, war noch bit - terer; ich bin in meinem ganzen Leben nicht ſo dis - guſtirt geweſen, als damals! Aber Ende gut, Alles gut: wir haben Euch, der Prophet wird mit unſerm Eifer zufrieden ſeyn, und was er mit Euch vornehmen wird, geht uns nicht an.

Hieram hatte ſich nicht in das Geſpräch der Beiden gemiſcht; er war überhaupt kein Schwätzer und blieb auch bei dieſer Gelegenheit ſeiner Natur ge - treu. Einen perſönlichen Haß gegen Arnold hatte er überdies nicht, denn dieſer war ihm ganz fremd, da er während des Aufenthalts deſſelben unter den Mor - mons in Jrland geweſen war und Werbungsgeſchäfte für den Propheten betrieben hatte. Er begnügte ſich alſo damit, die Befehle ſeines Gebieters in Ausfüh - rung zu bringen, ohne den Haß deſſelben, wie Joram, zu dem ſeinigen zu machen, und ſo trug dieſer die Koſten der Unterhaltung auf dem langen Wege faſt allein, denn auch Arnold beobachtete bald ein ver - ächtliches Schweigen gegen dieſen Elenden, der in der Freude ſeines Herzens über den gelungenen Streich ungewöhnlich redſelig war.

III. 682

So lange, als die drei Reiſenden noch nicht in der Grafſchaft Hancock angelangt waren, nah - men ſie Umwege und übernachteten ſtets im Freien, bewohnte Gegenden und menſchliche Wohnnngen ſorg - fältig vermeidend, was die Beſchwerden der Reiſe, namentlich für den Gefangenen, ſehr vermehrte, da die Jahreszeit ſchon ſo weit vorgerückt war, daß die Nächte empſindlich kalt waren. Sobald man aber die Grenzen der Grafſchaft überſchritten hatte, führte man Arnold gleichſam im Triumphe durch die bewohnteſten Orte, denn hier durfte man ſicher ſeyn, daß kein Befreiungsverſuch gemacht werden würde, da man nur noch Mormons antraf, die nach und nach alle frühern Bewohner von Hancock verdrängt und ſich zu alleinigen Beſitzern der Graf - ſchaft gemacht hatten.

Arnold gönnte ſeinen Feinden nicht den Triumph, auch nur eine einzige Klage von ihm zu hören, ob - ſchon ſeine körperlichen und moraliſchen Leiden faſt unerträglich waren. Nicht der Gedanke, ſo jung ſchon, und vielleicht unter grauſamen Martern, ſter - ben zu ſollen, crſchreckte ihn und erſchütterte die Standhaftigkeit ſeiner Seele, ſondern allein der, was Flora, das himmliſche, von ihm angebetete, mit dem Schmerze noch völlig unbekannte Weſen durch ſeinen Tod leiden würde, erfüllte ſeine Seele83 mit namenloſer Qual, und wenn ſein Peiniger, Joram, gewußt hätte, in welchem Maße er litt, ſo würde er triumphirt haben. Zu dieſen kaum er - träglichen Seelenleiden geſellten ſich auch noch kör - perliche, denn die beiden Barbaren hatten ihr un - glückliches Schlachtopfer, damit es ihnen nicht ent - wiſchen könne, ſo feſt gebunden, daß ihm beide Arme anſchwollen und die Stricke bereits in das Fleiſch einſchnitten, und der Schmerz war oft ſo unerträglich, daß Arnold einer Ohnmacht nahe war.

Trotz dem bat er nicht um Erleichterung, ei - nestheils aus Klugheit, weil er ſich ſagen mußte, daß ein Menſch von dem grauſamen Character Jorams weit eher noch ſeine Leiden vermehrt, als vermindert haben würde, ſobald er ſich darüber be - klagt hätte; anderntheils litt es aber auch ſein Stolz nicht, an ſeinen Henker eine Bitte zu richten und ſich ihm gegenüber ſchwach zu zeigen. So verrieth allein ſein immer bleicher und bleicher werdendes Geſicht, die Abſpannung, welche ſich in ſeinen - gen kund that, was er und bis zu welchem Grade er litt, aber keine Klage kam über ſeine Lippen.

Endlich langte man in Nauvoo an, wo noch Alles durch die beabſichtigte Wegführung des Pro - pheten im größten Aufruhr war. So wie die Bei - den ihren Gefangenen durch die langen Gaſſen der6 *84Stadt führten, ſtürzte Alles, Jung und Alt, aus den Häuſern hervor, um zu erfahren, was es gäbe.

Wir hatten Auftrag, dieſen Menſchen ein - zufangen und zum Propheten zu bringen, war die Antwort; wir haben unſre Pflicht gethan und wiſſen ſelbſt weiter nichts. Wahrſcheinlich hat er aber irgend ein großes Verbrechen begangen und ſeine Strafe wird demſelben angemeſſen ſeyn.

Er war es ohne Zweifel, der dem heili - gen Manne ’was zu Vandalia einbrockte! riefen einige Stimmen.

Nieder mit dem Hund! Nieder mit dem Verräther! riefen Andere und griffen nach Stei - nen, um den Gefangenen damit zu werfen.

Freunde, rief Joram ihnen zu, greift der Rache des Propheten nicht vor! Wir hatten be - ſtimmte Ordre, Jhn lebendig hieher zu bringen, folglich iſt unſerm Herrn und Gebieter auch daran gelegen, Jhn lebend in ſeine Gewalt zu bekommen. Vielleicht will er Geſtändniſſe von ihm erpreſſen; vielleicht hofft er durch ihn zu erfahren, was ſeine Feinde mit ihm im Sinne haben; ehrt daher ſei - nen Willen und laßt dieſen Verräther von Dem ſeine Strafe empfangen, den er beleidigt hat.

Dieſe Rede verfehlte ihre Wirkung nicht und es gelang den Beiden, Arnold lebend in’s Arſenal85 zu bringen, in deſſen Seitenflügel ſich das Gefäng - niß befand. Man hob Arnold vom Pferde, ſtieß ihn in ein kleines, ſtark vergittertes Zimmer, ſchloß dieſes hinter ihm zu und ging dann, dem Prophe - ten das Einbringen des Gefangenen zu melden.

Joe Smith war in dem Augenblick von der lebhafteſten Unruhe gefoltert, denn eben hatte man ihm die Nachricht von dem Hinſcheiden Sir Henry Bennets gebracht. Dies war ein unerſetzlicher Ver - luſt für ihn, beſonders jetzt, wo er, nach der dem Staate gegenüber gezeigten Widerſetzlichkeit, ſich je - den Augenblick darauf gefaßt machen mußte, von der vereinten Truppenmacht von Jllinois und Miſ - ſouri angegriffen zu werden, denn durch den ver - rätheriſchen Jouville war er von Allem genau un - terrichtet, was ſich in den beiden Preſidios zuge - tragen hatte und welche Stimmung dort gegen ihn vorherrſchte.

Zu jeder andern Zeit würde ihm daher die Gefangennahme Arnolds mehr Freude gemacht ha - ben, als gerade jetzt; ſie war, ſeinen größern Sor - gen gegenüber, ja nur ein untergeordnetes Er - eigniß. Doch befahl er, den Gefangenen auf der Stelle zu ihm zu führen.

Arnold hatte ſich, als man wieder zu ihm ein - trat, auf den feuchten Boden niedergeworfen, weil86 alle ſeine Kräfte erſchöpft waren. Man befahl ihm, aufzuſtehen und mit zu kommen; er vermochte kaum dem Befehle Folge zu leiſten; doch raffte er den letzten Reſt ſeiner Kräfte und allen ſeinen Muth zu - ſammen, als er vernahm, daß man ihn vor ſeinen Todfeind bringen wolle.

Joe Smith ging mit haſtigen Schritten im Zimmer auf und nieder, als man den Gefangenen zu ihm einführte. Arnolds Geſicht zeigte, was er gelitten hatte und noch litt; allein trotz dem ver - rieth weder ſeine Haltung, noch ſein Blick, daß ihn der Muth verlaſſen habe. Er wollte, ſo hatte er ſich gelobt, dem Verhaßten bis zum letzten Athem - zuge Trotz bieten, ihm nicht den Triumph gönnen, ihn kleinmüthig zu ſehen.

Der Prophet hemmte ſeine Schritte, ſo wie Arnold zu ihm eingetreten war und ſeine Begleiter ſich auf einen Wink aus dem Gemache entfernt hat - ten. Feſt, durchbohrend faſt, heftete er die Blicke auf den Gefangenen; doch lag, wie Arnold es von ihm erwartet hatte, keine triumphirende Freude in ihnen.

Beide ſtanden, Aug im Auge wurzelnd, ſo einander eine Zeitlang gegenüber; Jeder ſchien die Anrede des Andern zu erwarten, um ſeine Antwort darnach einzurichten.

87

Wir nahmen Abſchied auf Nimmerwieder - ſehen, ſagte endlich der Prophet, und zwang ſich zu einem ſpottenden Tone, von dem ſein Herz nichts wußte; denn ſeltſam genug, ſo ſchwer er auch von Arnold gereizt worden war; ſo lebhaft er auch den Wunſch gehegt hatte, denſelben in ſeine Gewalt zu bekommen, um ſich an ihm zu rächen, ſo konnte er ſich doch beim Anblick der Leiden, denen dieſer ſo ſichtbar unterlag, eines ihm ſelbſt unerklärlichen Mitleids nicht erwehren.

Sie haben es anders gewollt, Sir, ver - ſetzte Arnold, als Jener, ſich in Gedanken vertie - fend, ſeinen Redeſatz unvollendet ließ. Jch, für meinen Theil, habe das Wiederſehen nicht geſucht, fügte er hinzu, ſondern hätte lieber für immer mit Jhnen abgeſchloſſen gehabt.

Jch glaube Jhnen das, Sir, ich glaube es Jhnen! Jhre Lage, einem Manne gegenüber, den Sie tödtlich beleidigt, deſſen Güte Sie mit Un - dank, deſſen Wohlwollen Sie mit Haß erwidert ha - ben, Jhre Lage, einem ſolchen Manne, als ſein Gefangener, gegenüber, kann nicht eben angenehm ſeyn.

Zu welchem Zwecke haben Sie mich hieher kommen laſſen, Sir? fragte Arnold ſtreng; mich zu tödten, mit eigner Hand zu tödten? dem Ge -88 lüſte können Sie Genüge leiſten, denn ich bin Jhr Gefangener; mich durch Spott und Hohn zu demü - thigen? es wird Jhnen nicht gelingen, denn ich verachte Sie jetzt noch eben ſo, wie vormals, und demüthigen kann ich mich nur vor Dem, den ich achten muß. Machen Sie der Komödie ein Ende, Sir, tödten Sie mich! Löſchen Sie Jhren Haß ich geſtehe, Jhnen zu ſolchem Urſache gegeben zu haben in meinem Blute aus; aber machen Sie ein Ende, denn einen andern Triumph erringen Sie nicht über mich!

Dieſer Trotz, einem über ſein Leben gebieten - den Feinde gegenüber; dieſe Todesverachtung des noch ſo jungen Mannes, waren ganz dazu geeignet, dem Propheten zu imponiren, deſſen Seele, wenn gleich mit gewiſſen Modificationen, von demſelben Gepräge war.

Er antwortete Arnolden lange nicht, ſondern betrachtete ihn mit Blicken, womit ein glücklicher Vater einen Sohn betrachtet haben würde, auf den er mit Stolz blicken durfte. Ja, er liebte dieſen jun - gen Mann, er würde Alles darum gegeben haben, ihn für ſich zu gewinnen, wieder von ihm geliebt zu werden; er mußte ihn immer mehr lieben, je mehr er ihm Trotz bot!

Der Entſchluß, noch einen Verſuch zu machen,89 ihn für ſich zu gewinnen, keimte plötzlich in ſeiner Seele auf. Er trat zu ihm, griff nach einem Meſ - ſer, zerſchnitt die Bande, womit Arnolds Hände gefeſſelt waren und ſagte mit mildem Tone:

Sie leiden, Sie leiden ſehr, ich ſehe es! Man iſt grauſam mit Jhnen umgegangen! Das war nicht mein Wille! Das befahl ich dieſem Büttel von Joram nicht! Wie iſt Jhnen, Sir? fügte er hinzu, als er Arnold plötzlich noch bleicher als zu - vor werden und wie ein von der Sichel abgeſchnit - tenes Rohr ſchwanken ſah.

Der Schmerz, bei der plötzlichen Löſung der in das Fleiſch einſchneidenden Bande, war ſo groß, daß er Arnold ohnmächtig machte und er wäre zu Boden geſunken, wenn der Prophet ihn nicht in ſeinen Armen aufgefangen hätte. Er trug ihn auf einen im Zimmer befindlichen Divan, öffnete ihm die Kleider, um ihm Luft zu verſchaffen, und ent - deckte bei dieſer Gelegenheit das Portrait, welches Arnold ſtets auf ſeiner Bruſt trug.

Wohlbekannte Züge, einſt heißgeliebte, leuch - teten ihm entgegen! Er ſtand wie erſtarrt, wie von einem Zauberſpruch gebannt, athem - und re - gungslos da; er wollte die Hand nach dem Gemälde ausſtrecken, und wagte es doch nicht, es zu berüh - ren, aus Furcht, es durch ſeine Berührung zu ent -90 weihen. Der Schweiß perlte ihm auf der hohen Stirn; ein Zucken durchfuhr ſeine Glieder; eine ganze Welt von Erinnerungen ging durch den An - blick der Züge der Einzigen, die er wahrhaft, die er mit reiner Liebe geliebt hatte, in ihm auf!

Von dem Gemälde glitten dann ſeine Blicke auf das bleiche Antlitz Arnolds über und er konnte die Aehnlichkeit einiger Geſichtszüge des Ohnmäch - tigen mit denen des Portraits nicht länger verken - nen: ſo war es ihr Sohn, Sidoniens Sohn, und zugleich der ſeinige, der in einem todähnlichen Zu - ſtande vor ihm da lag!

Das alſo war es, rief er mit ſeltſam veränderter Stimme und tief Athem ſchöpfend, das alſo war es, was mich mit ſo unwiderſtehlicher Ge - walt zu Dieſem hinzog? Und wenn die Natur ſo mächtig ihre Stimme in meinem Herzen erhob, fuhr er nach einer langen Pauſe in ſeinem Selbſt - geſpräche fort, weshalb ſchwieg ſie denn gänzlich in dem ſeinigen? Hat er mir nicht wiederholt ge - ſagt, daß er mich haſſe, verachte? hat er es mir nicht, ſo oft er gekonnt, bewieſen? Würde ſeine Hand wohl gezittert haben, mich zu vernichten, wenn er es vermocht hätte? Wenn aber ein unzerreiß - bares Band, ein magiſches, zwiſchen Eltern und Kindern durch Natur gewoben iſt, wie kann ſich91 dann das Kind von demſelben losreißen, ja, ſich feindlich Dem gegenüberſtellen, das mit Demantket - ten der Liebe an ihn gefeſſelt iſt? Ein mir ſelbſt bis dahin unerklärliches Etwas zog mich zu dieſem jungen Manne hin und ich mußte ihn wider meinen und ſeinen Willen lieben; aber Er? .....

Arnold ſchlug in dem Augenblick die Augen auf, ſchloß ſie aber gleich vor Ermattung wieder. Der Prophet betrachtete ihn noch eine Weile, dann eilte er an ſein Büreau, auf dem einige ſtärkende Flüſſigkeiten in zierlichen Kryſtallfläſchchen ſtanden, nahm eins davon und rieb mit dem Jnhalte die Stirn und Bruſt des Ohnmächtigen, der bald völlig dadurch wieder zu ſich ſelbſt kam.

Es war der Körper, nicht die Seele, der Jhnen erlag, unterſcheiden Sie das wohl, Sir! ſagte er mit matter Stimme.

Jch weiß, daß Sie ſtark ſind, ein Cha - racter, Sir, antwortete ihm der Prophet, und eben aus dieſem Grunde habe ich Reſpect vor Jh - nen und wünſche ſelbſt jetzt noch, den Frieden zwi - ſchen uns hergeſtellt, ja, uns Freunde, Bundes - genoſſen werden zu ſehen.

Nimmermehr! rief Arnold und ſeine bleichen Wangen färbten ſich auf einen Augenblick mit einem lebhaftern Colorit. Jch würde nie, un -92 ter keinen Umſtänden, ein Bündniß mit der Lüge, dem Betruge und einem verwerflichen Ehrgeize ein - gehen.

Wer ſagt, wer verbürgt es Jhnen denn, daß meine Abſichten verwerflich ſind, nicht auf das wahre Wohl Derer hinzielen, die mir ihr Vertrauen ſchenken? Nur Gott ſieht in das Herz der Men - ſchen, und Sie wollten ſich erkühnen zu behaupten, das meinige erforſcht zu haben?

Das kommt mir nicht in den Sinn; aber ich weiß genug, um auf immer mit Jhnen abge - ſchloſſen zu haben. Haben Sie denn vergeſſen, Sir, daß ich aus Dina’s Geſtändniſſen Jhre ganze Ver - gangenheit kenne?

Der Prophet erbleichte bei der Erwähnung Derer, an die das Andenken, trotz ſeiner in Laſter und Sünden verhärteten Seele, ein ſchneidender Vorwurf für ihn war. Aber nur einen Augenblick beraubten Arnolds Worte ihn der Faſſung, und ſchon nach wenigen Minuten war er ganz wieder Der, der er zuvor geweſen war.

Aber Sie, ſagte er nach einer kurzen Pauſe mit vorwurfsvollem Tone, Sie, der Sie ſich mit einer ſo ſtrengen Tugend brüſten, wie konn - ten Sie es vor ſich ſelbſt verantworten, ein Jhnen geſchenktes edles Vertrauen dahin zu mißbrauchen,93 die Treue einer Dienerin zu verleiten und ſich hin - ter meinem Rücken in die Geheimniſſe eines Hauſes zu drängen, deſſen Thüren ich Jhnen gaſtfreundlich geöffnet?

Es war nicht ſo, wie Sie annahmen, Sir, und ich fühle mich ganz frei von Vorwurf. Durch einen Zufall geriethen dieſe Papiere in meine Hände; ich wollte ſie ungeleſen der unglücklichen Dina wie - der zuſtellen; aber ſie bat mich, ſie zu behalten und erſt nach ihrem Tode zu leſen; ich gelobte es und habe mein Wort redlich gehalten.

Und das ſoll ich Jhnen auf Jhr bloßes Wort hin glauben, Sir?

Sie müſſen es mir glauben, weil Sie mich während unſeres dreijährigen Verkehrs auch nicht auf einer einzigen Unwahrheit ertappten! rief Arnold aus, indem er ſich empor richtete und dem Propheten feſt in’s Auge ſah.

Gut, ich will Jhrer Verſicherung Glauben ſchenken, Sir; ich will überhaupt nur das Beſte von Jhnen glauben, antwortete ihm Joe nach ei - nem kurzen Beſinnen. Beantworten Sie mir aber, ich bitte Sie darum, noch eine Frage, und zwar mit der Wahrhaftigkeit nnd dem edlen Muthe, die ich an Jhnen ſchätze: verwerfen Sie mich und mein Thun,94 nachdem, was Sie aus jenen Papieren über mich erfahren haben, gänzlich?

Gänzlich! antwortete ihm der Gefragte mit feſter Stimme.

Der Prophet erbleichte bei dieſen Worten; ein Zittern durchflog ſeine Glieder: der Sohn, der heiß von ihm geliebte Sohn, hatte das Verdammungs - urtheil über ihn ausgeſprochen und dadurch eine Kluft zwiſchen ihnen gerriſſen, die durch Nichts mehr auszufüllen war.

Er hatte ſich Arnolden zu erkennen geben wol - len; jetzt vermochte er das nicht mehr. Eine ziem - lich lange Zeit blieb er wie vernichtet ſtehen; dann winkte er Arnolden mit der Hand, daß er ſich ent - fernen ſolle, dieſer verſtand ihn nicht und ſah ihn fragend, verwundert an.

Machen Sie jetzt ein Ende, ſagte Arnold mit feſter Stimme: ich erwarte, nachdem was ich Jhnen auf Jhre Frage antworten mußte, den Tod von Jhrer Hand und bin gefaßt darauf. Weshalb zögern Sie, ihn mir zu geben?

Stolzer, rief jetzt der Prophet, Du haſt jede Gabe verſchmäht, die eine mir ſeither un - erklärliche Zuneigung Dir darbot; aber trotz dem ſollſt Du mein Schuldner werden: geh, Du biſt frei, ich ſchenke Dir das Leben!

95

Sie wollen mich ſchwach ſehen, Jhr Spiel mit mir treiben, wie die Katze mit der Maus, ſagte Arnold tief aufathmend; mir noch einmal die Süßigkeit des Lebens in der Perſpective zei - gen denn es iſt wahr, es ſtirbt ſich mit fünf und zwanzig Jahren nicht leicht um dann auf mich loszuſpringen und mich mit einem einzigen Griffe zu tödten; aber es ſoll Jhnen nicht gelingen, mich zu täuſchen, mich auch nur einen Augenblick in Hoffnungsträume einzuwiegen: ich weiß, was ich von Jhnen zu erwarten habe und hoffe nicht!

Geh jetzt, ſagte der Prophet mit ſelt - ſam veränderter Stimme; geh!

Er trat mit dieſen Worten an die Thür, öff - nete ſie, ging auf den Vorſaal hinaus und befahl dem draußen harrenden Joram, ein Roß in Bereit - ſchaft zu ſetzen und es augenblicklich vorzuführen.

Er redete, als er zu Arnolden in’s Zimmer zu - rückkehrte, nicht mehr zu dieſem, ſondern trat an’s Fenſter und ſchaute hinaus. Sein Geſicht war bleich, ſeine Haltung gebrochen, ſeine Mienen verriethen den heftigſten inneren Kampf.

O, welche Gefühle durchflutheten die Bruſt die - ſes Mannes in dem Augenblick! Sich ſo ſeinem Kinde, einem mit allen Kräften ſeiner ſtarken Seele geliebten Sohne, gegenüber zu ſehen! Von dem96 brennenden Bedürfniſſe verzehrt zu werden, den ſüßen Vaternamen von den Lippen deſſelben, nur ein einziges freundliches Wort von ihnen zu verneh - men, und es doch nicht zu wagen, es, unter Auf - deckung des wahren Verhältniſſes, zu fordern, welche namenloſe Qual! Mit Allem, was noch gut, noch unentweiht in ihm war, ſtrebte er dieſem Sohne entgegen, und Alles, was gut, edel, erhaben in Arnolden war, ſtieß ihn zurück. Welch ein Ver - hältniß! Welche Unnatur!

Arnold, der den von Joe gegebenen Befehl durch die offen gelaſſene Thür gehört hatte, wußte nicht, was er denken, was glauben ſollte. Mehre Male fragte er ſich, ob nicht vielleicht alles Dieſes nur ein Traum ſei und er noch im tiefen Schlafe am Saum des Waldes liege? denn wie hätte wohl noch Lebenshoffnung, nachdem was früher, und ſelbſt jetzt, zwiſchen ihm und dem Propheten vorge - fallen war, in ihm aufkommen können?

Joram’s Eintritt unterbrach die in ſeinem Ge - hirn umherfluthende Gedankenreihe; erſterer meldete, daß das Pferd bereit ſei.

Gehen Sie jetzt, wandte ſich Joe an Arnold, und wenn es möglich iſt, ſo ſuchen Sie gerechter als bisher gegen mich zu ſeyn!

97

Arnold ſuchte nach einer Antwort, fand ſie aber nicht.

Kein Wort weiter, ich bitte! rief der Prophet, eine neue Härte von ihm fürchtend, und ſich an Joram wendend, der mit weit aufgeriſſenen Augen in der Thür ſtand, fügte er hinzu:

Uebergebt Mr. Arnolden das Pferd und begleitet ihn zu Nauvoo hinaus. Jhr, Joram, ſteht mir dafür ein, daß ihm auf ſeinem Wege durch die Stadt auch nicht ein Haar gekrümmt werde!

Joram, der einen ganz anderen Befehl erwartet hatte, ſtand regungslos da und ſeine Blicke ſchweif - ten vom Propheten auf Arnold über, der ſich erho - ben hatte und wie ein Träumender mitten im Zim - mer ſtand, denn wie hätte er wohl den Schlüſſel zu dieſem Räthſel finden, wie glauben können, daß das, was er hörte und erlebte, Wirklichkeit ſei?

Habt Jhr mich nicht verſtanden, Joram? wandte ſich der Prophet mit zürnendem Tone noch - mals an dieſen: Jhr ſollt Mr. Arnold ungefährdet durch Nauvoo führen und es dann ſeiner Wahl über - laſſen, welchen Weg einzuſchlagen ihm beliebt. Mit dieſen Worten warf er noch einen letzten Blick auf Arnold und eilte dann durch eine andere Thür in ein Nebenzimmer, das er hinter ſich zuſchloß.

So kommen Sie denn, Sir, nahm,III. 798Joram, einen giftigen Blick auf ſeinen früheren Ge - fangenen werfend, das Wort; es bleibt mir nichts weiter übrig, als zu gehorchen; ich hätte es mir aber anders gedacht. Hätte ich dieſen Ausgang ahnen kön - nen, ſo würde ich mir nicht ſo viele Mühe mit Jhnen gegeben haben.

Arnold folgte ihm wie mechaniſch; aber er war ſo wenig ſicher, daß er die Höhle des Löwen unver - letzt verlaſſen dürfte, daß er von Zeit zu Zeit un - ruhige Blicke um ſich her warf und erſt frei auf - athmete, als er zu Pferde ſaß und den Zügel in der Hand hielt. Joram, gehorſam dem ihm gewordenen Befehle, trabte neben dem Roſſe her und ſcheuchte mit Drohworten alle Die zurück, die, den Gefan - genen erkennend, Miene machten, ihn mißhandeln zu wollen, denn dazu waren dieſe Fanatiker nur zu ge - neigt, nachdem ſie in Arnolden einen Feind ihres Heiligen vermutheten.

Er hatte, in Gedanken vertieft, ſeinem Pferde die Wahl der einzuſchlagenden Richtung erlaubt und ſah ſich von demſelben an die über den Des-Moines geſchlagene Brücke geführt. Hier gab er ſeinem Be - gleiter den Abſchied und ſprengte über dieſelbe, dem Nordweſten zu.

Der Gedanke, ſeine geliebten Sioux und Chip - pewas, auf deren Treue er rechnen durfte, den be -99 drohten Staaten zu Hülfe zu rufen, lag nahe, und ſo nahm er ſich vor, den Weg zu ihren Diſtricten einzuſchlagen.

Aus den vom Congreß erhaltenen Antworten glaubte er abnehmen zu dürfen, daß man auf Unter - ſtützung von dieſer Seite her nicht zu rechnen habe, und ſo erheiſchte die dringende Gefahr ungewöhnliche Hülfsmittel. Daß ihn ſeine wilden Freunde nicht im Stiche laſſen würden, wußte er, denn nie brechen ſie die beſchworene Treue, nie ihr gegebenes Wort.

Erſt jetzt, als er ſo ganz allein durch die grüne Wüſte der Prairie hinritt, mußte er des geſchiedenen Freundes, ſeines treuen Brunos, wieder gedenken, der ſonſt ſo munter neben ihm herzuſpringen pflegte, und er ſchämte ſich der Thräne nicht, die beim An - denken an dieſes gute, treue Thier ſeine Wimpern be - netzte. Hatte er es doch ſelbſt groß gezogen und ſo manchen rührenden Beweis ſeiner Anhänglichkeit em - pfangen; war es doch in ſeiner Vertheidigung ge - ſtorben!

Sechſtes Kapitel.

Der Aufregung, in die ihn die letzten, faſt an Wunder grenzenden Begebenheiten verſetzt hatte, folgte,7 *100ſo wie Arnold ſich in Sicherheit ſah, eine Abſpan - nung und ein Nachlaß der Kräfte, die ihn zwangen, vom Pferde zu ſteigen und einige Ruhe zu ſuchen.

Seine Lage war, obſchon ihm die Freiheit wie - der geſchenkt worden war, noch immer kritiſch genug, da er ſich gänzlich unbewaffnet inmitten der Wildniß ſah und ſo unfehlbar die Beute des erſten ſich ihm zeigenden reißenden Thieres werden mußte; überdies fehlten ihm auch noch alle Hülfsmittel, ſich die noth - wendige Nahrung zu verſchaffen, die ihm von den ſich hie und da zeigenden Stachelbirnen-Büſchen nicht in hinlänglicher Menge dargeboten wurde, da die Früchte derſelben meiſt abgefallen und verdorben wa - ren. Trotz dem entſank ihm der Muth nicht und er hoffte, daß irgend ein glücklicher Zufall ihm, deſſen Leben auf eine ſo wunderbare Weiſe von der Vor - ſehung erhalten worden war, zu Hülfe kommen würde.

Er ſah ſich in dieſer Hoffnung nicht getäuſcht, indem er noch vor Anbruch der Nacht eines ſtattlichen Zuges Jndianer gewahr wurde, die ſein ſcharfes Auge ſchon aus ziemlich weiter Entfernung für ſeine Freunde, Chippewas, erkannte. Er erhob ſich daher vom Bo - den und beſtieg ſein Pferd, um ſich ihnen bemerklich zu machen, denn er mußte fürchten, daß ſie ſonſt eine andere Richtung einſchlagen und, ohne ſeiner an - ſichtig zu werden, an ihm vorüberreiten würden.

101

Die Freude der Wilden beim Anblick ihres Freun - des war groß. Man umringte ihn mit Jubelgeſchrei; man ſtieg vom Roſſe ab und bot ihm die leckerſten Biſſen dar, als er über Hunger klagte, und der Na - nawa ſtand ihm willig Rede und Antwort über den Zweck und das Ziel des Zuges.

Dein Bruder, den ſie in Nauvoo den Pro - pheten nennen, nahm der Nanawa das Wort, hat, wie die Sioux, auch uns mit Boten beſchickt und uns auffordern laſſen, in ein Bündniß mit ihm zu treten und uns reiche Gaben verheißen, wenn wir ihm ge - gen ſeine und unſre Feinde zu Hülfe zögen. Wir ſtehen nicht an, das Bündniß mit ihm abzuſchließen, einmal, weil wir, indem wir ihn vertheidigen, uns ſelbſt beſchützen; denn wie er uns hat ſagen laſſen, haben die Bleichgeſichter jenſeits des großen Fluſſes (Miſſiſippi) die Abſicht, dieſe Gegenden nächſtens mit Krieg zu überziehen und uns in die wildloſen Step - pen des Nordens noch weiter zurückzudrängen; an - derntheils hat er uns ſo große Geſchenke anbieten laſ - ſen, daß wir Thoren ſeyn würden, wenn wir ſeine Vorſchläge zurückwieſen, und ſo ſiehſt du uns auf dem Wege, uns dieſelben Vortheile zu ſichern, die er unſern Brüdern, den Sioux, ſchon hat zukommen laſſen.

Arnold, dem darum zu thun ſeyn mußte, Alles,102 was Bezug auf dieſe wichtige Angelegenheit hatte, in Erfahrung zu bringen, ließ den Nanawa ausreden, ohne ihn zu unterbrechen; dann aber nahm er das Wort und ſchilderte ihnen die Gefahren, denen ſie ſich durch das Bündniß mit einem Manne wie Joe Smith ausſetzen würden, der, als ihr nächſter Nachbar und als ein ehrgeiziger, nach Oberherrſchaft ſtrebender Mann, ſie ſicher vernichten würde, ſobald er mit ih - rer Hülfe mit ſeinen andern Feinden fertig geworden wäre. Am Schluſſe ſeiner wohlbedachten Rede ſagte er ihnen, daß er ſich allein in der Abſicht auf den Weg gemacht habe, um unter für ſie guten und vor - theilhaften Bedingungen ihr Bündniß für ſeine Freunde zu ſuchen, und es ihn daher nicht wenig betrübe, ſie auf der Seite ſeiner Feinde anzutreffen.

Sie hörten ihm mit der geſpannteſten Aufmerk - ſamkeit zu; dann, als er geendet hatte, reichte der Nanawa ihm die Hand und ſagte:

Es bedarf keiner Worte weiter, bleicher Bruder, keiner Ueberredung von Deiner Seite, um uns von dem Bündniſſe mit einem Manne abſtehen zu laſſen, den Du Deinen Feind genannt haſt. Wir haben Dir Treue und Hülfe im Falle der Noth ge - lobt und ſind gewohnt, unſer Verſprechen zu halten. Nie würden wir den Vorſchlägen dieſes falſchen Man - nes denn als ſolchen ſchilderte ihn uns deine103 Rede nur einen Augenblick Gehör gegeben haben, wenn wir die Vermuthung hätten hegen dürfen, daß er Dein Feind wäre; denn Deine Feinde ſind unſre Feinde und Deine Freunde unſre Freunde. Gebiete alſo über uns und ſage, was wir für Dich thun, worin wir Dir dienen ſollen. Zugleich aber rathe ich Dir, ungeſäumt unſre Brüder, die Sioux, aufzu - ſuchen, denn wie wir gehört haben, rüſten die ſich bereits mit Macht, dem Propheten zu Hülfe zu zie - hen und haben auch ſchon ſeine Geſchenke ange - nommen.

So rüſtet auch Jhr Euch, meine Freunde, nahm Arnold das Wort, als der Nanawa ſeine Rede geendet hatte, und haltet Euch auf den erſten Wink bereit, mir nach dem zunächſt bedrohten Platze zu folgen; denn ich darf nicht daran zweifeln, daß die Mormons ungeſäumt mit großer Macht über meine und Eure Freunde herfallen werden.

Es ſoll geſchehen, was Du wünſcheſt, mein Bruder, und Du kannſt feſt auf uns rechnen. Gebe nur der große Geiſt, daß Du noch zeitig genug bei unſern Brüdern anlangeſt, um auch ſie für die Sache Deiner Freunde zu gewinnen, war die Antwort des großen Pelikans. Wenn es Dir recht iſt, fügte er hinzu, ſo ſollen einige von uns Dich durch die Prairie zu den Sioux begleiten, einestheils, um Dir104 zum Schutze zu dienen, anderntheils, um Dir die nächſten Pfade zu zeigen, die ſie beſſer kennen als Du.

Arnold nahm dieſes freundliche Anerbieten mit Dank an und ſetzte ſeine Reiſe, nachdem er ſich eini - germaßen ausgeruht und geſtärkt hatte, in Begleitung zweier Chippewas weiter fort, während der große Pelikan mit den Uebrigen nach der Niederlaſſung zu - rückkehrte, um dort Alles zu dem beabſichtigten Kriegs - zuge in Bereitſchaft zu ſetzen.

Als Arnold bei den Sioux anlangte, fand er bereits ſämmtliche Krieger zum Auszuge bereit und an ihrer Spitze White-hawk, den man einſtimmig zum Anführer erwählt hatte.

So wie dieſer ſeines Freundes und Lebensretters anſichtig wurde, erhob er ein Freudengeſchrei. Man umringte Arnolds Pferd, man hob ihn faſt von dem - ſelben und trug ihn gleichſam auf den Armen in Waupees Wigwam. Hier angelangt, ſetzte unſer Freund Vater und Sohn den Stand der Angelegen - heiten mit wenigen Worten aus einander und, wie bei den Chippewas, fand er auch hier williges Ge - hör; nur erklärten ihm Waupee und White-hawk, daß, da man das Bündniß mit den Mormons bereits abgeſchloſſen und die Geſchenke des Propheten ange - nommen habe, man nicht treulos handeln, ſondern105 erſt nach geſchehener Kriegserklärung und Zurückgabe der Geſchenke feindlich gegen die Mormons auftreten dürfe; denn ſo ſei es Gebrauch bei den Vätern ge - weſen und man werde nicht davon abgehen.

So ſehr nun auch Arnold unter den obwalten - den Umſtänden jeden Zeitverluſt bedauern mußte, ſo konnte er doch nichts gegen das redliche Vorhaben ſeiner wilden Freunde einwenden und dieſe allein um möglichſte Beeilung des Geſchäfts bitten, wozu White - hawk mit Freuden bereit war. Dieſer ergriff ſogleich das große Horn, erſtieg damit den nächſten Hügel und ließ es mächtig nach allen Richtungen hin er - ſchallen. Auf dieſes Zeichen ſtürzte Alles aus den Wigwams hervor und eilte dem allgemeinen Sammel - platze zu, um aus dem Munde des Anführers zu ver - nehmen, was es gäbe.

Als White-hawk ſich von den Seinen umringt ſah, ſetzte er ihnen in wenigen Worten den Stand der Sache aus einander und befahl zugleich, die von Joe Smith geſandten, bereits vertheilten Geſchenke auf einen Haufen wieder zuſammenzutragen, damit ſie dem Geber wieder zugeſtellt würden.

Man gehorchte augenblicklich und ohne Murren und in Kurzem waren alle die Sachen, womit der Prophet die Hülfe der Sioux zum bevorſtehenden Feldzuge hatte erkaufen wollen, ſie beſtanden106 größtentheils aus Waffen und Kriegsbedarf aus den Wigwams herbeigetragen und auf einen Haufen gelegt worden.

Meine Freunde, nahm Arnold das Wort, als er die rührende Bereitwilligkeit der Wilden ſah, der Zuneigung zu ihm ſo große Opfer zu bringen, meine Freunde, ich gelobe Euch, ſofern der große Geiſt mir das Leben friſten ſollte, daß Euch das, was Jhr mir und meinen Freunden bei dieſer Gele - genheit opfert, nicht nur reichlich erſetzt werden, ſon - dern daß Jhr mehr erhalten ſollt, als man Euch gab.

Willſt Du uns kränken oder beleidigen, bleicher Bruder? nahm White-hawk mit faſt zorni - gem Tone das Wort. Weißt Du, der ſo lange ſchon mit uns verkehrte und unſre Geſinnungen und Handlungsweiſe kennen ſollte, weißt Du noch nicht, daß man ſeinen Freunden ohne Eigennutz dient und ſich ſchämt, für ihnen geleiſtete Hülfe Geſchenke an - zunehmen? Behalte, was Du uns zugedacht haſt und kränke uns nicht mit Anerbietungen, die wir ohne Erröthen nicht annehmen könnten. Als Du mir dien - teſt, da haſt Du auch nicht gefragt: was wirſt Du mir dafür geben? und jetzt dienen wir Dir eben ſo. Will das Glück uns wohl, ſo werden wir überdies gute Beute an Scalps und Waffen machen, und wer107 im Kampfe fällt, der bedarf weder der einen noch der andern. Laß es alſo gut ſeyn und gönne uns die Freude, Dir ohne Eigennutz zu dienen. Jch habe es geſagt!

Nach dieſer Rede verließ White-hawk den - gel, um die ferner noch nöthigen Anordnungen zu treffen. Die Geſchenke der Mormons wurden zuſam - mengepackt und auf Roſſe gebunden; eine Anzahl tapferer und muthiger Jünglinge, an deren Spitze ſich White-hawk ſelbſt ſtellte, färbte ſich das Geſicht ſchwarz, wie es Sitte war, wenn man andern Stäm - men den Krieg erklärte, legte die beſte Kleidung und den glänzendſten Waffenſchmuck an, beſtieg die bereit gehaltenen Muſtangs und ſetzte ſich, nach einem herz - lichen Abſchiede von Arnold, nach Nauvoo in Be - wegung.

Joe Smith war bald nach Arnolds Entfernung ganz wieder der Mann von früher. Er ſchämte ſich faſt der Schwäche, in die ihn die Entdeckung, daß Arnold ſein Sohn ſei, für eine kurze Zeit verſetzt hatte, ja ſogar der Empfindungen, die er dieſem ent - gegengetragen, und freute ſich, daß er ſtark genug geweſen war, ihm gegenüber ſein Geheimniß zu be - wahren. Nur Hieram, vor dem er Nichts geheim zu halten brauchte, weil er der Verſchwiegenheit die - ſes Menſchen ganz ſicher war, theilte er die Beweg -108 gründe ſeiner Arnolden gegenüber beobachteten, auf - fallenden Handlungsweiſe mit; alle Andern aber ließ er im Dunkeln darüber und er durfte das, weil er ſie nie daran gewöhnt hatte, ihnen über irgend Et - was Rechenſchaft abzulegen.

Er begriff, daß der entſcheidende Augenblick ge - kommen ſei; daß nach dem, was zwiſchen ihm und dem neuen Gouverneur vorgefallen, an eine friedliche Ausgleichung nicht mehr zu denken ſei und er ſich auf einen baldigen Angriff gefaßt zu halten habe.

Seine nächſte Sorge mußte jetzt dahin gehen, dem Heere wieder einen tüchtigen Anführer zu geben, und das Glück begünſtigte ihn auch hierin, indem ſich gerade im entſcheidenden Augenblick ein Obriſt Smiths meldete, der in Folge gewiſſer Streitigkeiten, die er mit den Officieren ſeines Regiments gehabt, den engliſchen Dienſt in Canada verlaſſen hatte und nach Nauvoo gekommen war, um eine andere Anſtellung bei den Mormons zu ſuchen. Dieſer Mann hatte eine Reihe von Jahren in Oſtindien gedient und in vielen Feldzügen nicht nur ſeine Tapferkeit und ſeinen Muth bewährt, ſondern auch Kriegserfahrungen genug geſammelt, um Joe Smith in dieſem kritiſchen Au - genblick doppelt willkommen zu ſeyn. Dieſer bot ihm die durch den Tod Sir Henry Bennets erledigte Stelle eines Generals an und machte ſich, als er ſein Aner -109 bieten angenommen hatte, mit ihm auf den Weg, um das ſich im ſüdlichen Theile der Grafſchaft zu - ſammenziehende Mormon-Heer zu inſpiciren.

Während ſeiner Abweſenheit übertrug der Pro - phet einem gewiſſen Daniel Bute, einem fanati - ſchen Prieſter und nach ihm ſelbſt dem Vornehmſten im Range, die Oberaufſicht in Nauvoo; denn er wollte Hieram, den er ſonſt damit betraut haben würde, nicht aus ſeiner Nähe miſſen.

Joe, der die Stadt durch das bereits abgeſchloſ - ſene und noch abzuſchließende Bündniß mit den Wil - den völlig geſichert glaubte, auch auf ſeine Marmons unter allen Verhältniſſen rechnen durfte, entblößte Nanvoo von allen Truppen und konzentrirte ſeine ge - ſammte Streitmacht an der Grenze der Grafſchaft, um von dort aus erſt Jllinois und ſpäter dann auch Miſſouri, überfallen zu können, wohin Rachſucht und Liebe ihn mit gleicher Stärke trieben.

An einem Morgen wurden indeß die Bewohner von Nauvoo durch ein ſeltſames Schauſpiel in Schre - cken und Staunen geſetzt. Ueber die über den Des - Moines geſchlagene Brücke zog nämlich ein ſtarker Zug Sioux in die Stadt ein, und zu dem großen Markt - platze hin, wo er Halt machte. Alle waren in vol - lem und glänzendem Waffenſchmuck, die Pferde ſogar mit vielen ſilbernen Zierrathen geſchmückt, die Krieger110 in ihrer beſten Kleidung, die Waffen glänzend, die Haltung ſtolz und gebietend, die Mienen aber ernſt und ſtreng. Dem Zuge voran ritt eine hohe, edle Jüng - lingsgeſtalt, die man, ohne das geſchwärzte Geſicht, für ſchön hätte halten müſſen. Hinter dieſem Krie - ger erblickte man etwa zwanzig andere, wovon jeder ein beladenes Handpferd führte. Der Zug ging lang - ſam und in guter Ordnung bis zum Marktplatze, wo er auf einen Wink des Führers ſtill hielt und die Reiter, bis auf jenen, abſaßen und die Handpferde ſchweigend ihrer Laſt entluden, die man mitten auf dem Markte auf einen Haufen thürmte.

Aus den Häuſern der Gaſſen, durch die der Zug gekommen war, ſtürzten ſämmtliche Bewohner derſel - ben, von Neugierde getrieben, den Wilden nach und bald erfüllte eine unüberſehbare Menſchenmenge den Marktplatz. Man würde ſich vor den Sioux gefürch - tet haben, wenn der Prophet vor ſeiner Entfernung von Nauvoo nicht das von ihm mit dieſen Wilden abgeſchloſſene Bündniß bekannt gemacht hätte; ſo aber ließ man ſich durch ihr in der That furchtbares An - ſehen nicht davon abſchrecken, ihnen zu folgen und die durch ihr Erſcheinen erregte Neugierde zu befrie - digen.

Als alle Handpferde ihrer Laſt entledigt waren, ließ White-hawk denn er war der Führer die111 Seinen wieder aufſitzen und begehrte in gebrochenem Engliſch, mit dem Propheten der Mormons eine Un - terredung zu haben.

Tapferer Sioux, nahm Daniel Bute, der Prieſter, das Wort, denn auf die zu ihm gelangte Kunde vom Einzuge der Wilden in Nauvoo war er ſogleich herbeigeeilt, um zu hören, was es gäbe; tapferer Sioux, ich heiße Dich und die Deinen im Namen unſeres großen Propheten willkommen, denn ich weiß, daß Du als Freund und Bundesgenoſſe kommſt.

Jch habe nicht mit Dir zu reden, alter Mann, ſondern mit dem Oberhaupte ſelbſt, ant - wortete ihm White-hawk; rufe ihn alſo hieher, da - mit ſein Ohr meine Rede vernehme.

Es thut mir leid, Dir darin nicht will - fahren zu können, erwiederte ihm der Prieſter; unſer Prophet iſt nicht anweſend, ſondern zur Be - kämpfung unſerer und Eurer Feinde an die Grenze gezogen. Da er mir aber während ſeiner Abweſen - heit den Oberbefehl anvertraut hat, bitte ich Dich, meinem Ohre zu verkünden, was das ſeine verneh - men ſollte, und mich als ſeinen Stellvertreter betrach - ten zu wollen.

Wenn dem ſo iſt, verſetzte White-hawk, ſo vernimm, Greis, daß wir Sioux nicht nur von112 dem Bündniſſe mit dem Propheten abſtehen, ſondern Euch vielmehr Krieg auf Leben und Tod ankündigen; denn ſo iſt unſer Wille.

Was müſſen meine Ohren hören! rief er - ſchrocken der Prieſter. Wie, ſind denn Treue und Glauben bei den Sioux, die ſeither für Muſter der Redlichkeit galten, auch ſchon zur Fabel geworden? Schämt Jhr Euch nicht, es den treuloſen und wort - brüchigen Schwarzfüßen gleich zu thun und Euren Namen verhaßt und verachtet zu machen, wie ſie den ihrigen? Habt Jhr nicht die Euch zum Preiſe für das mit uns geſchloſſene Bündniß dargebrachten Gaben angenommen? und trotz dem ....

Ereifre Dich nicht, Greis, unterbrach ihn White-hawk: es iſt Alles ſo, wie Du geſagt haſt. Als wir aber auf die Honigworte der Bleichgeſichter hörten, wußten wir noch nicht, daß Gift dahinter ſteckte; wir wußten auch noch nicht, daß unſer Freund und Bruder, der früher auch Eurer Freund war, jetzt Euer Feind geworden; denn hätten wir es gewußt, ſo würden wir Euren Vorſchlägen nimmer Gehör ge - ſchenkt, ſondern Euch gleich mit Euren Gaben und Verſprechungen zurückgewieſen haben. Jetzt ſind wir aus dem Munde unſeres Freundes ſelbſt eines Beſſeren belehrt worden und gekommen, Euch die uns geſandten Gaben zugleich mit der uns angetragenen Freundſchaft113 zurückzuſtellen. Seht her er zeigte auf den ne - ben ihm aufgethürmten Haufen hier iſt Alles, was Euer Prophet uns ſandte, und ſofern Jhr nach - zählen wollt, werdet Jhr auch nicht das Geringſte vermiſſen; denn wir wollen nicht Diebe und Treu - loſe uns ſchelten laſſen, ſondern unſern Namen in Ehren erhalten. Jetzt aber, nachdem wir dieſe Pflicht gegen Euch erfüllt, ſind wir wieder freie Männer und können thun, was uns zuerſt beſchworene Treue und Freundſchaft zu thun gebieten. Verſeht Euch daher von dieſer Stunde an alles Böfen von uns, denn wir wollen Euch ſchaden, ſo viel wir können und ſo viele Scalps von Euch nehmen, als wir vermögen. Zum Zeichen deß haben wir unſern Geſichtern die Farbe des Krieges gegeben und mit keiner andern werden wir Euch fortan gegenüber ſtehen.

Der Prieſter wollte ihm noch antworten, noch einen Verſuch machen, die Sioux durch neue Anerbie - tungen zu ködern; allein White-hawk hörte nicht auf ſeine Worte, ſondern ſetzte ſich augenblicklich mit den Seinen in Bewegung. Nicht wie furchtſame Flücht - linge, obgleich ſie von mehr denn tauſend waffenfähi - gen Männern umringt waren, ſondern langſam, im geordneten Zuge und ſtolz wie Sieger, ritten die Wilden der Brücke wieder zu und erſt als alle Gefahr vorüber war, ſpornte man die Roſſe zu ſchnellerem Laufe an.

III. 8114

Die Beſtürzung in Nauvoo war ſo groß, daß man ſich im erſten Augenblick nicht zu rathen wußte, denn wenn die Sioux ihre Drohungen in Ausführung brachten, ſo war die Stadt verloren, ſo war es die ganze Colonie, da auch nicht ein einziger Krieger zur Vertheidigung derſelben zurückgeblieben war.

Der Prieſter, der im erſten Augenblick die Furcht der Uebrigen getheilt hatte, faßte ſich zuerſt wieder und ſuchte auch die Andern durch die Mittheilung zu beruhigen, daß, wenn man gleich nicht mehr auf die Sioux rechnen könne, doch die Chippewas ſich zu ei - nem Bündniſſe mit Nauvoo bereit erklärt hätten. Da beide Jndianerſtämme, fügte er hinzu, immer neidiſch auf einander wären, würde man ſie leicht zu - ſammenhetzen, ſo daß die Sioux, zu Haus beſchäftigt, der Colonie keinen Schaden zufügen könnten.

Während nun White-hawk auf dem Wege nach Nauvoo war, blieb man in der Niederlaſſung nicht unthätig und Arnold ſelbſt ſtellte ſich mit Einwilli - gung Waupees an die Spitze der Geſchäfte. Das Nächſte, was man vornahm, beſtand darin, Boten mit rothgefärbten Tabacksblättern nach allen Richtun - gen auszuſenden und nicht nur zu den verſchiedenen Niederlaſſungen der Sioux, ſondern auch zu den be - freundeten Chippewas; denn durch ſolche Sendun - gen fordert man Stamm - und Bundesgenoſſen zum115 Kriegs - und Zuzuge auf. Die Abgeſandten fanden überall williges Gehör und man war des langen Friedens bereits ſo überdrüſſig, daß die verſchiedenen Stämme ſich über Kurz oder Lang wieder unter ein - ander befehdet haben würden, nur um einem Zuſtande ein Ende zu machen, der für dieſe kriegeriſchen Ge - müther völlig unerträglich war.

Als daher White-hawk mit ſeiner Schaar in die Niederlaſſung zurückkehrte, fand er bereits über tau - ſend Krieger verſammelt und jede Stunde führte noch mehre herbei. Am Tage nach ſeiner Ankunft ſtellten ſich auch die Chippewas unter Anführung des großen Pelikans ein und der faſt unabſehbare Zug, den ſie im vollen, glänzenden Waffenſchmucke bildeten, bot einen eben ſo ſchönen, als furchtbaren Anblick dar.

Die Führer der verſchiedenen Haufen traten alſo - bald auf einem weiten Wieſenplane zur Berathung zuſammen. White-hawk, ſeinen Freund Arnold an der Hand, war einer der Letzten, die ſich einſtellten, und trotz ſeiner Jugend, galt doch ſchon ſeine Stimme im Rathe der Krieger ſo viel, daß er es mit leichter Mühe durchſetzte, daß man Arnold zum Führer aller verſammelten Kriegerhaufen erwählte.

Freunde, ſagte White-hawk bei dieſer Gelegenheit, ich weiß, daß es Manchen unter uns giebt, der gegen meinen Vorſchlag, als ſeither nicht8 *116üblich, etwas einzuwenden haben wird. Noch nie, ſo lange die Väter zu denken vermögen, iſt einem Bleich - geſichte geſtattet worden, nur in den Reihen der Roth - häute zu kämpfen; aber da die Umſtände jetzt anders ſind als früher; da wir, ſtatt uns unter einander zu befehden, jetzt den Bleichgeſichtern den Krieg erklärt haben, dürfte es uns zum großen Vortheile gereichen, einen Mann ihres Stammes, der mit ihrer Kriegs - führung bekannt iſt, zum Führer zu haben, da ein Solcher es am beſten verſtehen wird, die uns bedro - henden Gefahren abzuwenden und uns die Mittel an die Hand zu geben, den Feinden große Verlüſte bei - zubringen. Jhr Alle kennt nun unſern Freund; Jhr Alle wißt, daß, wenn auch ſein Leib die Farbe der Bleichgeſichter trägt, ſein Herz doch uns Rothhäuten zugewendet iſt, als ob er einer der Unſrigen wäre; Jhr wißt endlich auch, daß er einen tapferen, un - beugſamen Muth hat und vor keiner Gefahr zurück - bebt. Aus allen dieſen Gründen ſtimme ich dafür, daß wir den Oberbefehl in die Hände dieſes Mannes legen, und wer über meinen Vorſchlag denkt wie ich, der thue wie ich!

Mit dieſen Worten legte er ſeine Lanze zu Ar - nolds Füßen nieder; ſeinem Beiſpiele folgte zuerſt der große Pelikan und nach ihm viele Andere, wenn - gleich nicht Alle; man ſchritt jetzt zur Zählung der117 Köpfe, dann zu der der Arnolden zu Füßen gelegten Lanzen, und als man fand, daß er die Mehrzahl für ſich habe, wurde er, ohne weiter Widerſpruch zu er - fahren, zum Führer erwählt und als ſolcher aus - gerufen.

Arnolds Wangen glühten, ſeine Augen leuchte - ten zugleich von kriegeriſchem Feuer und vor innerem Entzücken. Es war nicht der befriedigte Ehrgeiz, der ſein Herz ſchwellte, ſondern der Gedanke, für die Geliebte ſeines Herzens kämpfen, etwas für ihren Beſitz thun zu können; denn das Geſchenk ihrer Liebe ſchien ihm ein zu großes, als daß er es, ohne es durch Thaten verdient zu haben, hätte annehmen mögen.

Jn einer wohlgeſetzten, für ſeine Zuhörer ver - ſtändlichen Rede dankte er dann ſeinen wilden Freun - den für das ihm geſchenkte Vertrauen und verſprach ihnen feierlich, daß ſie es nie bereuen ſollten, ihn damit beehrt zu haben. Durch ein Freudengeſchrei antwortete man auf ſeine Rede und überreichte ihm die Jnſignien ſeiner neuen Würde in einem ſehr ſchö - nen Tomahawk, deſſen Handhabe mit Silber reich ausgelegt war.

118

Siebentes Kapitel.

Obgleich Joe Smith durch einen ihm von Daniel Bute geſandten Boten die Nachricht von dem Abfall und der feindlichen Geſinnung der Sioux erhielt, ließ er ſich doch nicht davon abhalten, die Feindſeligkeiten gegen Sir Francis zu beginnen und mit ſeinem Heere vorwärts zu dringen. Er begriff, daß das Schickſal dieſes Krieges, und ſomit auch das ſeinige, davon abhängen würde, daß er ſeine Feinde nicht zur Be - ſinnung kommen ließe und ſie daran verhinderte, ihre Truppenmacht zu vereinigen.

Ueberall, wohin er kam, durfte er auf Anhän - ger rechnen. Seine Klugheit, aller Orten Anſiedlun - gen von Mormon-Familien zu veranlaſſen, hatte die von ihm gehofften Reſultate herbeigeführt, denn nichts iſt auſteckender als Fanatismus und ſelbſt der unſin - nigſte Cultus, wenn er nur mit Eifer von ſeinen er - ſten Anhängern geübt wird, wenn nur myſtiſche Ge - bräuche mit ihm verbunden ſind, wird überall, wo er auftritt, Zulauf haben. Es ergeht damit, wie mit der Quackſalberei: der ärgſte Charlatan findet bei der großen Maſſe weit mehr Glauben, als der allergeſchickteſte Heilkünſtler.

So hatten auch die hie und da in den umlie -119 genden Staaten angeſiedelten Mormons wacker für die neue Lehre gearbeitet und wohin der Prophet kam, durfte er auf Beihülfe aller Art rechnen, na - mentlich auf Spione, die willig ihr Leben dafür auf’s Spiel ſetzten, einer Sache zu dienen, die ſie als die ihrige anſahen, und den Plänen eines Mannes, der in ihren Augen ein Heiliger, ja, der verheißene Meſ - ſias war.

Was den Propheten zu um ſo größerer Eile an - ſpornte und ſeinen Eifer verdoppelte, war der Um - ſtand, daß er durch den verrätheriſchen Franzoſen, welcher ſich gänzlich in ſeine Dienſte begeben hatte, als er bei Sir Francis mit ſeinen Bemühungen um eine Anſtellung geſcheitert war, von dem zwiſchen Arnold und Flora obwaltenden Verhältniß unterrich - tet worden war. Es hatte Jouville die Liebe Bei - der um ſo weniger entgehen können, da er in Liebes - angelegenheiten ſehr erfahren und Flora zu offen, zu ſehr noch Kind der reinen Natur, ſelbſt zu uner - fahren war, um ihre Gefühle vor den Augen eines ſolchen Spähers verbergen zu können.

Die wütheudſte Eiferſucht erfaßte Joe bei dieſer Nachricht und er ertrug den Gedanken kaum, daß ein Anderer Das beſitzen ſolle, warum er ſich vergebens beworben. Er hatte es ſich mit einem feierlichen Schwure gelobt, allen Hinderniſſen zum Trotze, Flo -120 ren beſitzen zu wollen und er wiederholte ſich dieſen Schwur ſelbſt, als er von Jouville vernahm, daß ihr Herz bereits einem Andern, ſeinem Sohne, ge - höre. Die Leidenſchaft, die er für Flora empfand, erſtickte ſelbſt die Stimme der Natur in ſeinem Her - zen, und nicht gewohnt, ſich irgend einen Wunſch, ſeinen rohen Lüſten die Befriedigung zu verſagen, mußte ein glücklicher Nebenbuhler, ſelbſt wenn dieſer ſein Sohn war, ſeinen tödtlichen Haß auf ſich la - den. Ja, er würde ſich Arnolden, für den doch eine ſo mächtige Stimme in ſeinem Herzen ſprach, mit den Waffen in der Hand zum Kampfe auf Leben und Tod entgegengeſtellt haben, um dieſem die Geliebte zu entreißen.

Bevor er mit ſeinem Heere weiter ging, berief er Hieram zu ſich zu und ertheilte ihm geheime Jn - ſtructionen. Dieſer ſollte, ſo war ſein Wille, mit einem zwar nicht großen, aber auserleſenen Kriegs - haufen ſich auf Umwegen St. Louis nähern, ſich während des Tages in Wäldern und Einöden verbor - gen halten und nur während der Nacht marſchiren, um ſo um ſo ſicherer die Stadt bei Nachtzeit überrum - peln zu können, während er ſelbſt mit dem größern Theil des Heeres ſich Vandalia näherte und die Auf - merkſamkeit des Feindes auf dieſen Punkt lenkte.

Er wußte, wie ſehr er dieſem Manne, ſeiner121 Klugheit, Liſt und Vorſicht vertrauen könne, und war ſo des Gelingens ſeines Planes faſt gewiß, be - ſonders da man auf das Einverſtändniß der in Miſ - ſouri zerſtreut wohnenden Mormons mit Sicherheit rechnen durfte.

Hieram führte auch in der That ſeinen Auftrag ſo gut und geſchickt aus, daß er ſich St. Louis faſt ohne Schwertſtreich bemächtigte. Ein im regulären Heere dienender Mormon hatte ihm die Parole ver - rathen; dadurch wurde die Wache am Thore getäuſcht, umzingelt, niedergemacht und die Stadt von den Mormons unter Hierams Anführung eingenommen, während ihre Bewohner noch im tiefſten Schlafe lagen.

Joe Smiths Befehlen Folge leiſtend, war das Präſidio das erſte von den Eingedrungenen umzingelte Gebäude. Als Sir John, durch das Waffengeräuſch aus dem Schlafe geweckt, zum Fenſter hinaus blickte, ſah er ſeine Wohnung von Bewaffneten umringt und erhielt auf ſeine Frage nach der Urſache dieſer auf - fallenden Erſcheinung von Hieram ſelbſt die Ant - wort: Die, welche er ſähe, wären Mormons, er ſelbſt ihr Gefangener und die Stadt in ihrer Ge - walt.

Oeffnet die Thüren gutwillig, fügte Hieram hinzu, ſonſt ſind wir genöthigt, ſie zu er -122 brechen, und für die Folgen eines eben ſo unſinnigen, als vergeblichen Widerſtandes von Eurer Seite kann ich nicht einſtehen; thut Jhr aber gutwillig, was ich befehle, ſo gelobe ich Euch, daß weder Euch noch den Euren irgend ein Leid zugefügt werden ſoll.

Und wer ſeid Jhr, fragte der Gouver - neur, der ſich erdreiſtet, mir in meiner eigenen Re - ſidenz Befehle zu ertheilen?

Ein Mann, verſetzte Hieram, der den von ihm ertheilten Befehlen Reſpect zu verſchaffen weiß; der Name, denke ich, thut nichts zur Sache.

Und ich bin ein Mann, der auf ſolche Weiſe ertheilten Befehlen ſelbſt um den Preis ſeines Lebens niemals Folge leiſten wird! war Sir Johns zornige Antwort.

Für Eure Perſon, Sir, thätet Jhr Recht daran, nicht zu gehorchen, und ich an Eurer Stelle würde wahrſcheinlich eben ſo antworten, vorausge - ſetzt, daß ich nicht der Vater einer ſchönen Toch - ter und dieſe zugleich mit bedroht wäre, verſetzte Hieram mit ruhigem Tone. Glaubt Jhr es gegen Euer Kind verantworten zu können, fügte er hinzu, daß Jhr uns zum Aeußerſten treibt, uns zwingt, Gewalt gegen Euch und Euer Haus zu gebrauchen, gut, ſo vertheidigt Euch und rettet Eure Ehre, Eu - ren Ruf als tapfern Mann, auf Koſten der Ehre123 Eurer Tochter; ich aber wiederhole, daß ich in die - ſem Falle für Nichts einſtehe und meinen Kriegern nicht verwehren kann, von dem Rechte der Sieger Gebrauch zu machen.

Dieſe klug berechneten Worte verfehlten ihre Wir - kung auf Sir John nicht. Er ſah, wenn er den Feinden Widerſtand leiſtete, Flora Gefahren ausge - ſetzt, an die er nur mit Schauder denken konnte. Trotz dem wollte er ſich aber doch nicht ergeben, be - vor er genau unterſucht hätte, ob Rettung durch Flucht nicht noch möglich ſei. Er lief von einem Zimmer zum andern, er ſpähte in Begleitung der in - deß auch herbeigekommenen, zum Tode erſchrockenen Dienerſchaft aus allen Fenſtern, ob man nicht einen Punkt unbeſetzt gelaſſen habe, aber von allen Seiten ſtarrten ihm Bajonette entgegen, ſo daß an Flucht nicht zu denken war.

Die Lage Sir Johns war entſetzlich und wurde durch Florens Dazukunft noch ſchrecklicher. Durch das Geräuſch im Hauſe und vor demſelben aus dem Schlafe aufgeſchreckt, kam ſie zitternd vor Furcht, um ihren Vater zu fragen, was es gäbe. Dieſer theilte es ihr in wenigen Worten mit und ihr Schrecken war ſo groß, daß ſie ohnmächtig zu Boden fiel. Der Gouverneur befahl den Dienerinnen, ſie auf ihr Zimmer und ein Lager zu tragen und ihr alle nur erdenkliche124 Hülfe zu leiſten, während er ſelbſt ſeine Capitulation, ſo gut es gehen wollte, mit den Feinden abſchlöſſe, denn unter den obwaltenden Umſtänden noch an Ver - theidigung zu denken, wäre Unſinn geweſen.

Hieram, ſeiner Sache gewiß, und ſeiner von dem Propheten erhaltenen geheimen Jnſtructionen ein - gedenk, ſowohl Vater als Tochter mit der größeſten Schonung zu behandeln, harrte indeß ruhig auf die Entſcheidung und zügelte durch ſtrenge Befehle die Ungeduld ſeiner Untergebenen, denen die Sache ſchon zu lange währte und die ſich bereits anſchickten, die Thüre mit Gewalt zu erbrechen.

Dieſe wurde endlich von Jnnen geöffnet und Sir John trat, zwar bleich, aber mit edler Haltung, Hieram entgegen, der ſich ihm als den Anführer des Haufens zu erkennen gab.

Jhren Degen, Sir, Sie ſind mein Gefan - gener! redete der Jrländer ihn an; im Uebrigen rechnen Sie aber auf eine anſtändige Behandlung, denn dazu habe ich ausdrücklichen Befehl von Sir Joe erhalten.

Jhr ſteht alſo im Dienſte des Propheten? fragte Sir John; dies erklärt mir Alles!

Jhnen zu dienen, Sir, und ich denke, Sie können Gott dafür danken, denn ſchwerlich würden andere Feinde ſo glimpflich mit Jhnen umgegangen125 ſeyn, ſo viele Geduld gezeigt haben, wie wir. Jch hoffe, ſie werden uns bei Jhrer Zuſammenkunft mit Sir Joe das Zeugniß nicht verſagen, daß wir Sie mit allem Jhrem Stande und Character zukommen - den Reſpecte behandelt haben, und ich lege Werth darauf, daß Sie es ablegen, damit Sir Joe erfahre, daß ſeinen Befehlen Folge geleiſtet wurde.

Wenn Euer Gebieter mich nicht gekränkt und beleidigt ſehen wollte, wandte Mr. Boggs ein; wenn er den Frieden zwiſchen uns aufrecht zu er - halten wünſchte, wozu denn dieſer nächtliche Ueber - fall?

Darüber wird er ſich ſelbſt gegen Sie er - klären, Sir, verſetzte Hieram, und ich zweifle nicht, daß er Sie von ſeinem guten Rechte, ſo han - deln zu dürfen, wie er that, überzeugen werde. Ge - dulden Sie ſich alſo bis dahin und verſchlimmern Sie Jhre Lage nicht durch Ungeduld und Widerſetzlichkeit. Es iſt für den Augenblick Alles für Sie verloren: die Stadt iſt unſer, Jhre Perſon iſt in unſern Hän - den und der Staat, wie wir aus guter Quelle wiſ - ſen, von Truppen gänzlich entblößt, die Sie Sir Francis Ford zu Hülfe geſendet haben, um ihm Van - dalia beſchützen zu helfen. Sie ſehen, ich weiß Al - les, ich weiß ſo gut wie Sie, daß Jhnen keine an - dere Hülfe kommen könnte, als durch die Beſiegung126 unſeres Propheten in Jllinois; warten wir alſo den Ausgang des Kampfes dort in Ruhe ab, denn er allein entſcheidet Alles.

Er öffnete mit dieſen Worten die Thür eines am Flur belegnen Zimmers und lud Sir John durch eine Verbeugung ein, in daſſelbe zu treten; dann traf er ſeine Anordnungen im übrigen Gebäude, als ob er der Gebieter darin wäre und für den Augen - blick war er das ja auch beſetzte alle Ausgänge, ſtellte draußen Poſten auf und traf ſeine Maßregeln ſo gut, daß er ſicher vor dem Entkommen ſeiner Ge - fangenen ſeyn konnte, obgleich er ihnen im Hauſe volle Freiheit ließ. Auf die Bitte des Gouverneurs, mit ſeiner Tochter zuſammen wohnen zu dürfen, ging er mit Bereitwilligkeit ein und betrug ſich überhaupt ſo artig und rückſichtsvoll gegen Beide, als es die Umſtände nur irgend erlaubten.

Man wird ſich den Schrecken der Bewohner von St. Louis vorſtellen können, als ſie bei ihrem Er - wachen die Stadt in der Gewalt der Feinde ſahen, die alle Poſten beſetzt und die wenigen, zur Aufrecht - haltung der Ordnung zurückbehaltenen Krieger in das große Staatsgefängniß eingeſperrt hatten, wo man auch ſie mit Schonung behandelte; denn es lag in der Politik des Propheten, den Haß der Beſiegten ſo wenig als möglich gegen ſich und die Seinigen aufzureizen.

127

Die Nachricht von der Einnahme von St. Louis traf Joe Smith bei der Belagerung von Vandalia, das in der Eile von Sir Francis nothdürftig befeſtigt worden war und von einer zwar nicht eben ſtarken, aber tapfern Beſatzung mehre Tage muthig verthei - digt wurde und ſo größern Widerſtand darbot, als die Belagerer erwartet hatten. Jndeß konnte ſich der Platz trotz dem nicht lange halten und Sir Francis ſah ſich, wenn er ſeine wenigen Krieger nicht ohne Nutzen aufopfern wollte, genöthigt, während der Nacht ſich über den Miſſiſippi zurückzuziehen, über den er in Begleitung Derer, die etwas zu verlieren hatten, auf Flöſſen ſetzte.

Als die Letzten mit Anbruch des Morgens das jenſeitige Ufer erreicht hatten, zeigte ſich in einiger Entfernung, aus einem Walde hervorbrechend, eine kriegeriſche Schaar und als Sir Francis das Fern - rohr darauf anlegte, entdeckte er, daß es Wilde wa - ren, die ſich in geſtrecktem Galopp ihnen näherten. Er ließ, nicht wiſſend, was dieſe Erſcheinung zu be - deuten und ob man nicht einen neuen Angriff zu er - warten habe, die Seinen Halt machen und ſich auf - ſtellen.

Die Wilden kamen indeß immer näher. Auch ſie ſchienen die Andern jetzt entdeckt zu haben; man ſah ſie in einiger Entfernung Halt machen und ihre128 Reihen formiren, als ſchickten auch ſie ſich zum An - griffe an; denn Keiner konnte ja wiſſen, ob er Freund oder Feind vor ſich habe.

Endlich trennten ſich einige von den Wilden von dem großen Haufen und ritten ziemlich an die am Ufer des Fluſſes aufgeſtellten Truppen hinan; Sir Francis, der aus dieſem Umſtande abnahm, daß man eine Unterredung wünſchte, brach einen grünen Zweig, das Symbol friedlicher Geſinnungen, von einem nahe - ſtehenden Strauche ab und ging damit ohne alle Be - gleitung den Wilden entgegen. Er wußte, da er Sioux in denſelben erkannt hatte, daß er dabei nichts wagte, und ging ſo furchtlos auf ſie zu, um ſie zu fragen, in welcher Abſicht ſie in kriegeriſchem Auf - zuge und in ſo großer Anzahl auf einem ihnen nicht gehörenden Gebiete erſchienen wären?

Kaum aber hatte er ſich dem Haufen auf Büch - ſenſchußweite genähert, ſo ſah er einen der Reiter vom Pferde ſteigen, den Zügel deſſelben ſeinem Ne - benmanne übergeben und ihm, der zu Fuß war, auf eben dieſe Weiſe entgegenkommen.

Sir Francis, wenn ich nicht irre? rief Arnold denn er war es dem Ueberraſchten ſchon von Ferne zu.

Dieſer, deſſen Geſicht nicht ſehr ſcharf war, erkannte ihn erſt, als er ganz in ſeiner Nähe angelangt war. 129Es kam jetzt zu Mittheilungen, zu Erklärungen. Das, was Arnold bei dieſer Gelegenheit erfuhr, war nie - derſchmetternd: Vandalia und St. Louis waren ver - loren und die Rebellen aller Orten Sieger; was ihn aber faſt in Verzweiflung brachte, war die Nachricht, daß Flora und ihr Vater in die Gefangenſchaft des Propheten gerathen; denn Sir Francis war von Allem, was ſich in St. Louis zugetragen hatte, durch einen von dort Entflohenen unterrichtet und theilte Arnolden mit, was er wußte.

Trotz dem verlor dieſer weder ſeinen Muth, noch die Hoffnung, die Geliebte noch zu retten. Er wußte, daß er der Tapferkeit und Treue ſeiner Wilden ver - trauen durfte und Sir Francis führte ihm überdies eine kleine reguläre Truppenmacht zu. Die beiden Anführer verabredeten mit einander, was zunächſt vorgenommen werden ſollte; Sir Francis ging willig auf Arnolds Pläne und Vorſchläge ein, die darin be - ſtanden, daß man St. Louis auf eben die Weiſe wie - der zu nehmen ſuchte, in der es vom Feinde gewon - nen worden war, nämlich durch einen kühnen Hand - ſtreich.

Nachdem Beide alles Nöthige mit einander ver - abredet hatten, trennte ſich Arnold von Sir Francis und erſterer ſetzte mit ſeinen Wilden, die er mit den friedlichen und freundſchaftlichen Abſichten des gegen -III. 9130überſtehenden kleinen Heerhaufens bekannt gemacht hatte, den Weg nach St. Louis fort, in deſſen Nähe man noch vor Anbruch der Nacht anzulangen hoffen durfte, während Sir Francis, deſſen Truppen meiſt aus Fußvolk beſtanden, erſt ſpäter eintreffen konnte. Arnold ſollte, ſo war beſchloſſen worden, ſich ſo lange mit ſeinen Wilden verborgen halten, bis auch Sir Francis angelangt ſeyn würde, um dann gemeinſchaft - lich den Angriff auf die Stadt zu unternehmen, die man zugleich von zwei Seiten berennen wollte, um die Flucht der Mormons und zugleich die Wegführung der beiden Gefangenen zu verhindern.

Achtes Kapitel.

Als ſich am Morgen nach dem Abzuge Sir Francis den ſiegreichen Mormons die Thore von Van - dalia geöffnet hatten, ließ ſich der Prophet kaum ſo viele Zeit, förmlichen Beſitz von dem eroberten Platze zu nehmen, indem es ihn mit unwiderſtehlicher Ge - walt nach St. Louis trieb. Auf einem leichten Kahne ließ er ſich mit einigen wenigen Begleitern über den Fluß ſetzen und langte noch vor Anbruch der Nacht in St. Louis an, wo er ſogleich Beſitz vom Präſidio nahm und Mr. Boggs vor ſich führen ließ.

131

Dieſer, den das Mißgeſchick keineswegs nieder - gebeugt hatte, trat ihm mit würdiger Haltung ent - gegen.

Jch hoffe, Sir, nahm der Prophet nach einer Weile, während welcher ſich Beide ſchweigend gegenüber geſtanden, das Wort, daß Sie ſich nicht über die Jhnen zu Theil gewordene Behandlung zu beklagen haben werden, indem ich die gemeſſenſten Be - fehle gab, es nicht an der Jhnen ſchuldigen Achtung fehlen zu laſſen.

Jch habe mich über Nichts zu beklagen, als über die Ungunſt des Schickſals, verſetzte Sir John mit ruhigem Tone, das mich nöthigte, Jhnen als Gefangener gegenüber zu ſtehen.

Darin eine Aenderung herbeizuführen, ſteht ganz in Jhrer Macht, Sir John: ich bin nur zu geneigt, meinen Frieden mit Jhnen zu ſchließen.

So beſtimmen Sie den Preis, Sir; Sie werden mich nicht knauſerig finden, wo es darauf an - kommt, mir das höchſte Gut, die Freiheit, zu er - kaufen. Sie wiſſen, daß ich reich bin; der größte Theil meines Vermögens liegt in der engliſchen Bank; wie viel fordern Sie, die Hälfte oder noch mehr von meinem Geſammtvermögen, um mich und meine Toch - ter frei zu laſſen?

Jhre Antwort zeigt mir, daß Sie mich für9 *132einen gemeinen Freibeuter halten, und ſo dürfte ich mich dadurch beleidigt fühlen; indeß ich will die mir zugefügte Beleidigung mit der gereizten Stimmung entſchuldigen, in der Sie ſich in Folge des erlittenen Unfalls befinden und nicht mit Jhnen darüber rech - ten, daß Sie ſowohl meinen Character, als auch meine Geſinnungen gegen Sie verkennen. Sie wer - den, ich hoffe es, ſpäter einmal gerechter gegen mich ſeyn und es auch als vortheilhaft für ſich erkennen, daß wir, ſtatt uns einander feindlich gegenüber zu ſtellen, Hand in Hand mit einander gehen und un - ſere Jntereſſen vereinigen.

Das iſt aus dem Grunde unmöglich, ver - ſetzte Sir John mit feſtem Tone, weil ich mir von jeher gelobt habe, ſtreng den Weg der Pflicht und des Rechts zu wandeln und nach keinem andern Ruhme zu ſtreben, als nach dem, ein guter Bürger, ein treuer Diener des Staates, ein ſtrenger Hand - haber der Gerechtigkeit zu ſeyn, während Jhre Hand - lungen zeigen, daß ein anderer Ehrgeiz Sie beſeelt, und daß Sie die Rolle eines Eroberers zu ſpielen ge - willt ſind.

Nun ja, man reicht ſo weit, als der Arm langt, antwortete ihm Joe frech. Jch läugne nicht, daß ich mich dazu berufen glaube, dieſem Theile Amerikas eine neue Geſtalt zu geben, und ein gute133 Anfang dazu iſt, wie Sie erfahren haben, bereits gemacht.

Keiner preiſe ſein Glück vor ſeinem Ende! ſagte ein Weiſer der Vorzeit. Sie thäten vielleicht gut, dieſen Spruch zu beherzigen, Sir, und nicht mit allzu großem Selbſtvertrauen der Zukunft ent - gegenzuſehen.

Nur mit einer gehörigen Portion Selbſt - vertrauen von der Natur ausgerüſtet, betritt man die Heldenlaufbahn, Sir. Wer feig, wer furchtſam iſt, bleibt ruhig zu Haus. Aber laſſen wir das und keh - ren wir zu unſerm Verhältniſſe einander gegenüber zurück. Alſo ohne Umſchweife: ich liebe Jhre Toch - ter, ich begehre Sie zur Gemahlin und Jhre Ein - willigung zu dem von mir gewünſchten Bündniſſe allein vermag Jhre Feſſeln zu löſen. Jch habe mich jetzt unumwunden gegen Sie erklärt und bitte Sie, Daſſelbe gegen mich zu thun.

Darin will ich Jhnen dienen, Sir Joe, verſetzte der Gouverneur mit Lebhaftigkeit, und ſo erfahren Sie denn, daß ich weit lieber eine von mir bis zur Anbetung geliebte Tochter in den Armen des Todes, als in den Jhrigen ſehen würde!

Das ſind Romanphraſen, Sir; dergleichen hört man auf den Theatern, antwortete ihm der Prophet mit einem erzwungenen Lächeln, hinter dem134 er ſeinen Zorn zu verbergen ſuchte; und da wir doch eben dabei ſind, Phraſen zu machen, fügte er mit gereiztem Tone hinzu, ſo vernehmen Sie denn auch von mir, Sir, daß ich es mir gelobt habe, Flora beſitzen zu wollen, entweder mit Jhrer beiderſeitigen Einwilligung als rechtmäßige Gemahlin oder ohne dieſe als Maitreſſe. Sie haben jetzt die Wahl, in vier und zwanzig Stunden erbitte ich mir Jhre beſtimmte Antwort auf meinen ehrenvollen Antrag; ſie wird darüber entſcheiden, welche Rolle fortan Jhre Toch - ter in der Geſellſchaft ſpielen ſoll.

Er wandte Sir John mit dieſen Worten den Rücken und entfernte ſich aus dem Gemache, in dem der unglückliche Vater, den ſchmerzlichſten Empfindun - gen und den ärgſten Befürchtungen hingegeben, eine Weile allein blieb.

Dennoch wankte er in ſeinem Entſchluſſe nicht, ſein Kind einem Manne nicht zur Gattin geben zu wollen, den er als einen Heuchler und Wüſtling ver - achtete und der obendrein mit ſo gefährlichen Abſich - ten und Plänen umging, daß ein trauriges Ende faſt mit Gewißheit für ihn vorauszuſehen war.

Hieram, der zu ihm eintrat, um ihn, wie Joe befohlen hatte, in ein anderes Zimmer, als das ſeit - her mit Floren gemeinſchaftlich bewohnte, und in noch135 ſichreren Verwahrſam zu bringen, unterbrach ſeine trü - ben Gedanken und Vorſtellungen.

Wohin führt Jhr mich? fragte Sir John, ſeine Schritte anhaltend, als er wahrnahm, daß Hieram einen andern Weg mit ihm einſchlug, als den zu Florens Gemache.

Sie haben nicht zu fragen, ſondern allein mir zu folgen, wohin ich Sie führen werde, ant - wortete dieſer ihm barſch.

Man will ſo grauſam ſeyn, mich von mei - nem unglücklichen Kinde zu trennen? rief Sir John ſchmerzlich bewegt aus; welche Grauſamkeit, welche Härte!

Man will Jhnen Muße geben, ſich zu be - ſinnen, Entſchlüſſe zu faſſen, die Jhrer Lage ange - meſſener ſind, als die ſeither von Jhnen an den Tag gelegten, Sir, und dazu iſt nichts ſo förderlich als die Einſamkeit, verſetzte der Elende mit einem bos - haften Lächeln. Wir wenden das penſylvaniſche Syſtem bei Jhnen Beiden an, fuhr er mit einer an ihm ungewohnten Geſprächigkeit fort; man rühmt es als trefflich dazu geeignet, die Leute auf gute Ge - danken zu bringen.

Der Gouverneur antwortete ihm nicht; ſeine Verachtung gegen dieſen Helfershelfer Joes war zu groß, als daß er ſich hätte mit ihm in Streit ein -136 laſſen oder ſein Mitleid in Anſpruch nehmen mögen. Schweigend folgte er ihm in das für ihn beſtimmte Zimmer, das im oberſten Theile des Hauſes belegen war und dadurch ſeine Flucht unmöglich machte.

Unterhalten Sie ſich hier ſo gut als Sie können, ſagte Hieram mit einem boshaften Lächeln, denn das verächtliche Schweigen Sir Johns hatte ihn gegen dieſen aufgebracht; dem Himmel ſo nahe, wer - den Sie ſehr gut aſtronomiſche Beobachtungen an - ſtellen können.

Mit dieſen Worten entfernte er ſich aus dem Zimmer, ſchloß die Thür deſſelben wieder hinter ſich zu und nahm den Schlüſſel mit ſich.

Der Muth Sir Johns war gebrochen, ſein Herz mit Verzweiflung erfüllt; nicht für ſich fürchtete, zit - terte er, ſondern für Flora, deren Lage durch die Trennung von ihm in der That völlig hülflos gewor - den war. Mußte er nicht fürchten, daß ſie, die ſo gänzlich unbekannt mit der Welt und den Menſchen war, deren reines und unſchuldsvolles Herz das Böſe kaum dem Namen nach kannte, der Liſt und Bos - heit ihres gemeinſchaftlichen Feindes erliegen und in irgend eine ihr gelegte Schlinge gehen würde? So lange er noch mit ihr vereint geweſen war und ſie beſchützen konnte, hatte er nichts für ſie gefürchtet, jetzt aber, wo ſie ganz allein, ohne Rath, ohne137 Hülfe, von klugen und zu jeder Schlechtigkeit willi - gen Feinden umringt war, mußte er ſie verloren ge - ben; denn woher ſollte ſie die Kraft und die Erfah - rung nehmen, einem Manne wie Joe Smith Wider - ſtand leiſten, ſeine Liſt und Bosheit durchſchauen und dadurch vereiteln zu können?

Mit dieſen Gedanken und Vorſtellungen quälte ſich der unglückliche Vater, während der Prophet ſich in der That anſchickte, einen Angriff auf Flora zu machen, und allein aus dieſem Grunde hatte er Va - ter und Tochter von einander getrennt.

Flora lag, während der Abweſenheit ihres Va - ters auf ihrem Divan und weinte ſtill vor ſich hin. Zwar hatte ſie keine Ahnung von der Gefahr, die ſie ſelbſt bedrohte, denn ſie wußte von der früheren Werbung des Propheten nichts; allein hatte ſie nicht vor dem Schickſal des Geliebten und des Vaters zu - gleich zu zittern? war der letztere nicht der Gefan - gene ſeines erbittertſten Feindes und Arnold ſpurlos verſchwunden? Würde er ſie und ihren Vater, ſagte ſie ſich, ohne Nachricht von ſich gelaſſen haben, wenn er noch lebte? und mußte ſie ihn, den ſie über Alles liebte, nicht als todt beweinen?

Daß Arnold von Vandalia abgereiſt und auf der Rückkehr nach St. Louis begriffen geweſen war, wußte man aus einem ſpäter eingelaufenen Briefe138 Sir Francis, worin dieſer ſich auf die mündlichen Mittheilungen des jungen Deutſchen über den Stand der Angelegenheiten in Jllinois berief; man durfte alſo nicht daran zweifeln, daß Arnold wirklich ab - gereiſt ſei; aber wo war er geblieben? welches war ſein Schickſal geweſen? Dies waren die Fragen, die ſie ſich unaufhörlich vorlegte, ohne eine andere Ant - wort darauf zu finden, als: Er iſt todt! ſonſt wäre er hier!

Sie hatte weder dieſe Befürchtungen, noch ihre Liebe vor dem Vater verborgen; ihre Seele wußte nichts von Verſtellung, ſie konnte auch vor einem Vater, den ſie mit einer faſt leidenſchaftlichen Zärt - lichkeit liebte, kein Geheimniß haben; ſie war es nicht gewohnt geworden, irgend ein Gefühl, irgend eine Regung ihres Herzens vor ihm zu verbergen, der ſie in Allem verſtand, deſſen Liebe nichts weiter von ihr verlangte, als daß ſie ganz glücklich und in allen Dingen völlig offen gegen ihn ſei.

Welch ein Troſt war alſo ſeine Gegenwart bis - her für ſie geweſen! Jetzt aber verſtrich eine Stunde nach der andern und er kehrte noch immer nicht wie - der! Sie konnte den Blick nicht von dem Zeiger der ihr gegenüberſtehenden Uhr abwenden und mit jeder Minute, die er vorwärts rückte, wurde ihr ängſt - licher, ſchlug ihr Herz ſtärker. Sie ſprang endlich139 vom Sopha auf und trat an das Fenſter; ſie öffnete es, um hinaus zu ſchauen, ob ſie den Vater nicht vielleicht erblickte, ſo thöricht unter den obwaltenden Umſtänden dieſe Hoffnung auch war. Es war ſtille und öde im Garten, nur die Tritte der Schildwacht, die an der Hinterſeite des Gebäudes mit langſamen Schritten auf und niederging, vernahm ſie, ſo wie das ängſtliche Geſchrei ihrer armen Vögel in der Vo - liere, denen man Futter zu geben verſäumt haben mochte. Dieſes Geſchrei that ihr weh und ſie ſchloß ſchnell wieder das Fenſter, um es nicht mehr zu hören.

Jetzt, eben als ſie zu ihrem Divan zurückkehren wollte, vernahm ſie kräftige, unverkennbar männliche Fußtritte auf dem Vorſaal und in der Erwartung, daß es ihr Vater ſei, der zu ihr zurückkehrte, eilte ſie mit laut klopfendem Herzen zur Thür, in deren Schloſſe der Schlüſſel bereits umgedreht wurde.

Sie öffnete ſich, aber ſtatt des Erwarteten, ſtand Joe Smith in glänzender Generalsuniform vor ihr. Sie erkannte ihn auf den erſten Blick wieder, denn ſie hatte ihn ja längere Zeit bei einem Beſuche, den ſie in Vandalia mit ihrem Vater gemacht, geſehen und geſprochen.

Sie hatte bereits die Lippen geöffnet, um ihren Vater mit einem freudigen Zurufe zu begrüßen, ſchon140 die Arme ausgebreitet, ihn damit zu umfangen, bebte aber beim Anblick des Mannes, der, wie ſie wußte, ihr und ihres Vaters Feind, der Urheber ihres jetzi - gen Unglücks war, erſchrocken zurück.

Das, was bei ſeinem Erſcheinen in Florens Seele vorging, entging dem Propheten nicht, auch hatte er keinen freundlichen Empfang von ihr erwar - ten dürfen; aber es lag in ſeinem Plane, von ihrer Abneigung gegen ihn keine Notiz zu nehmen, ſondern ſich vielmehr zu ſtellen, als bemerke er ſie nicht.

Verzeihen Sie, Lady, nahm er nach ei - ner höflichen Verbeugung das Wort, daß ich Jhnen ſo ſpät meine Aufwartung mache und mich erſt jetzt nach Jhrem Befinden erkundige, obgleich ich ſchon ſeit dieſem Morgen in St. Louis angelangt bin. Sie werden ſich aber vorſtellen können, wie viele Ge - ſchäfte der wichtigſten Art meiner hier harrten und es damit entſchuldigen, daß ich nicht ſchon früher eine meinem Herzen ſo theure Pflicht erfüllte.

Flora, die ſich von der Begegnung eines ſo er - bitterten Feindes, wie es Joe gegen ſie und ihren Vater war, eine ganz andere Vorſtellung gemacht, die ihn rauh und hart, oder doch mürriſch wie Hieram, zu finden erwartet haben mochte, ſah den Propheten mit einem naiven Erſtaunen an, als er jetzt in eben dem eherbietigen Tone zu ihr ſprach, in141 dem er bei ihrer erſten Bekanntſchaft im Präſidio zu Vandalia zu ihr geredet hatte, und blieb ihm in ihrer Verwirrung über dieſe unerwartete Erſcheinung die Antwort ſchuldig.

Jch hoffe, fuhr Joe nach einer Pauſe fort, während welcher er auf ihre Antwort gewartet zu haben ſchien, daß man meinen Befehlen ſtreng nachgekommen iſt und Jhnen, ſchöne Lady, nicht die mindeſte Veranlaſſung zur Unzufriedenheit gegeben hat?

Eine ſolche Frage richten Sie an Jhre Ge - fangene, Sir? antwortete ihm Flora, die ſich jetzt wieder gefaßt hatte, mit einem Tone, worin ſich deut - lich zugleich Unwillen und Erſtaunen kund thaten.

Wenn ich von dem Rechte des Siegers Jhnen gegenüber Gebrauch machte, war ſeine Ant - wort, ſo übte ich nur das Vergeltungsrecht; denn Sie, ſchöne Flora, legten mir durch die Gewalt Jh - rer Reize Feſſeln an, bereiteten mir Schmerzen, die weit ſchwerer zu ertragen waren, als das kleine Un - gemach, dem ich Sie unterwerfen mußte, um des Glücks theilhaftig werden zu können, Sie zu ſehen und Jhnen meine Huldigungen zu Füßen zu legen.

Jch verſtehe Sie nicht, Sir, ich verſtehe von allem Dieſen nichts, ſagte Flora mit einiger Heftigkeit, und kann mir die von Jhnen vernom -142 menen Worte nur als Hohn deuten, den Sie, um Jhrer, weder von mir noch meinem Vater provocir - ten Rache völlig genug zu thun, noch zu Jhren übri - gen Beleidigungen hinzuzufügen belieben. Sie irren ſich aber, wenn Sie hoffen, mich dadurch noch mehr zu betrüben; das Maß meines Unglücks iſt voll und jeder noch hinzugefügte bittre Tropfen würde nur überfließen.

Sie verkennen mich gänzlich, erwiederte ihr Joe nach einer ziemlich langen Pauſe, während welcher ſeine Blicke an ihren, durch den Zorn noch erhöhten Reizen geſchwelgt hatten; beim Himmel, Sie verkennen mich! Es liegt in den Umſtänden, daß ich als ſchuldig vor Jhren Augen erſcheinen muß, als ein Mann, der Recht und Gerechtigkeit mit Füßen tritt; allein nicht der Haß, ſondern allein die Liebe, die Liebe zu Jhnen, Flora, war die Triebfeder aller meiner Handlungen. Jch ſah Sie, Jhre unübertreff - lichen Reize entzündeten ein unauslöſchliches Feuer in meinem Herzen und der Wunſch, Sie zu beſitzen, gewann eine ſolche Macht über mich, daß ich ihm Befriedigung verſchaffen, oder ſterben mußte. Jch warb bei Jhrem Vater um Jhre Hand denn meine Lage war ſo, daß ich es wagen durfte, Sir John um den Namen Sohn zu bitten ich warb wiederholt, aber vergeblich, und ſo blieb mir endlich143 nichts weiter übrig, als wie Napoleon mit dem Schwerte um die Braut zu werben. Jetzt reden, jetzt verdammen Sie mich, wenn Sie es nach dem, was ich Jhnen mittheilte, noch vermögen! ſchloß er ſeine Rede.

Flora war wie betäubt durch das, was ſie ge - hört hatte und blieb ihm lange die Antwort ſchuldig. Dann faßte ſie ſich und ſagte mit ſanftem, aber fe - ſtem Tone:

Wenn das, was ich ſo eben von Jhnen gehört habe, Wahrheit iſt, Sir und ich darf kaum daran zweifeln wenn Jhr Herz, das ich nur von Ehrgeiz und Herrſchſucht beſeelt glaubte, wirklich ſanfterer Gefühle fähig iſt; wenn Sie die Macht der Liebe kennen, Sir, dann werde auch ich mit dem Gehör bei Jhnen ſinden, was ich Jhnen zu ſagen, zu entdecken habe: ich liebe, und Sie ſind es nicht, deſſen Bild mein Herz erfüllt, und nie kann ich die Jhrige werden!

Sie ſprach dieſe Worte mit einer Ruhe, mit ei - ner ſo erhabenen Einfachheit aus, daß ſie Joen da - durch imponirte, denn er hatte eine ſolche Energie und Offenheit von dem ſanften, faſt ſchüchternen Kinde nicht erwartet.

Wenn aber, ſagte er mit unſicherer Stimme, nachdem er ſich wieder gefaßt hatte, wenn144 der Glückliche, der Jhre Liebe zu gewinnen wußte, nicht mehr unter den Lebenden weilte? wenn dieſer Arnold ......

Wie, Sie wüßten? unterbrach ſie ihn, indem ihre Wangen zum Marmor erbleichten und ihre Stimme ſo bebte, daß ſie den begonnenen Redeſatz nicht zu vollenden vermochte: Sie wüßten, daß Arnold ......

Alles weiß ich! verſetzte er. Der Tod des von Jhnen Geliebten brachte mich in den Beſitz ſeines Taſchenbuchs, worin der glückliche Unglückliche jede mit Jhnen gehabte Unterredung, jedes zu ihm geſprochene freundliche Wort, jede neue Hoffnung, die er ſchöpfte, notirt hat; hier iſt es, vielleicht er - kennen Sie es wieder, ſo wie gewiß auch ſeine Hand - ſchrift.

Er zog mit dieſen Worten ein Portefeuille aus dem Buſen hervor und überreichte es ihr, die es mit zitternden Händen und noch immer unfähig, ein Wort zu ſprechen, in Empfang nahm. Der erſte Blick, den ſie darauf warf, belehrte ſie, daß es wirk - lich Arnolds war, denn ſie hatte es oft in ſeinen Händen geſehen und konnte ſich alſo nicht darin täu - ſchen, daß es wirklich das ſeinige ſei. Mit einer unwillkürlichen Bewegung drückte ſie es an ihre Lip - pen, an ihr Herz; ſie ſchien die Gegenwart des145 Mannes, der ſich zum Nebenbuhler des Geliebten auf - werfen, das Bild deſſelben aus ihrem Herzen ver - drängen wollte, gänzlich vergeſſen zu haben und nur noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des geliebten Mannes zu leben.

Und er iſt todt? wirklich todt? fragte ſie dann mit tonloſer Stimme. O, meine Ah - nung!

Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias, antwortete ihr der Prophet, und man fand dieſes Taſchenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich für dieſen jungen Mann lebhaft intereſſirte, brachte man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au - genſchein, daß er unter den zur Beſtattung aufge - nommenen Leichen ſei.

Joe ſprach dieſe Lüge denn das Taſchenbuch war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram und deſſen Genoſſen erſt in ihre, dann in ſeine Hände gekommen, mit dem vollſten Tone der Wahrheit aus, ſo daß Flora an ihrem Unglück nicht länger zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder an ſich ſelbſt, noch an Andern die Lüge und den Trug.

Zürnen Sie mir nicht, nahm der Prophet nach einer Pauſe mit dem weichſten, einſchmeichelnd - ſten Tone wieder das Wort, daß ich es ſeyn mußte,III. 10146der Jhnen dieſe Nachricht hinterbrachte; aber Sie zu täuſchen, Sie noch hoffen zu laſſen, da Alles ſchon verloren war, wäre Grauſamkeit geweſen. Seyn Sie jedoch gerecht gegen mich, Flora, und ſchenken Sie meiner Verſicherung Glauben: daß mein Herz Jhren Schmerz theilt, daß ich, wenn der von Jhnen ge - liebte Mann noch unter den Lebenden weilte, Jhr Glück dem meinigen vorgezogen und zu jeglichem Opfer bereit geweſen ſeyn würde, Sie Beide denn auch mir war dieſer Arnold werth und theuer ganz glücklich zu ſehen; ja, hätte ich vorher gewußt, was ich leider erſt erfuhr, als Alles zu ſpät war, daß Jhre Liebe zu einem Andern für mich ein un - überſteigliches Hinderniß ſeyn würde, Sie zu beſitzen, ſo hätte ich meinen Wünſchen, meinen Hoffnungen entſagt und dieſer unglückſelige Krieg wäre nie von mir begonnen worden. Jch wähnte aber, der Wille Jhres Vaters denn von Jhnen ſelbſt empfing ich ja auf meine wiederholte Werbung keine abſchlägige Antwort ſei das einzige Hinderniß, das ſich mei - nen heißeſten Wünſchen in den Weg ſtellte, und daß ich Alles aufbot, es aus dem Wege zu räumen, das wird am wenigſten ein Herz, das die Liebe kennt, mir zum Verbrechen anrechnen wollen.

O nein, verſetzte ſie unter immer heißer ſtrömenden Thränen; o nein, Sir! Aber jetzt, da147 Sie Alles wiſſen, da Sie begriffen haben werden, daß ich nie die Jhrige werden kann, jetzt laſſen Sie mich und meinen theuren Vater frei? Nehmen Sie Alles, denn Sie ſind der Sieger aber geben Sie uns die Freiheit und gönnen Sie mir nur das Grab des Mannes, der meine erſte und einzige Liebe war, damit ich darauf ſterben kann!

Sie hob bei dieſen Worten die Hände und die Blicke flehend zu ihm empor; ſie war ſo ſchön, ſo rührend in ihrem Schmerze, daß die Flamme der Leidenſchaft mächtiger denn je in ihm emporloderte und er, ſtatt ihren rührenden Bitten Gehör zu ſchen - ken, ſich auf’s Neue gelobte, ſie beſitzen, um jeg - lichen Preis beſitzen zu wollen.

Er blieb ihr, in ihrem Anblick verloren, die Antwort ſchuldig und betrachtete ſie mit ſo glühen - den Blicken, daß eine Furcht vor ihm, die ſie ſich nicht zu erklären vermochte, ſich ihrer Seele bemäch - tigte. Sie entfernte ſich und trat an’s Fenſter, ihr von Thränen überſtrömtes Antlitz mit ihrem Tuche verhüllend.

Jch werde mit Jhrem Vater ſprechen, nahm er dann nach einer langen Pauſe das Wort, und hoffe, daß wir uns über die Bedingungen Jhrer und ſeiner Freilaſſung doch noch vereinigen werden.

Welche Bedingungen hätten Sie denn noch10 *148zu ſtellen, Sir? fragte ſie ihn mit dem Tone des lebhafteſten Erſtaunens. Sind Sie nicht Herr über Alles, was wir ſeither unſer nannten? Mein Va - ter kann Jhnen nicht verweigern, was nicht mehr ſein iſt, und das, worum ich Sie für ihn und für mich auflehe, unſere Freiheit, ſie kann Jhnen nichts nützen, während Sie jetzt unſer Einziges, unſer Al - les iſt!

Von dieſen Sachen verſtehen Sie nichts, ſchöne Lady, antwortete er ihr, und für den Au - genblick würde es mir ſchwerlich möglich ſeyn, Jhnen begreiflich zu machen, welche Bedingungen ich noch an Jhre und Jhres Vaters Freilaſſung knüpfe. Sie wer - den es ſpäter, von Jhrem Vater ſelbſt, erfahren und ich darf hoffen, daß er eine gehorſame Tochter an Jhnen finden werde.

Er bemächtigte ſich mit dieſen Worten ihrer Hand, die ſie ihm ohne Widerſtreben ließ, und küßte ſie; dann entfernte er ſich und ließ ſie mit ihrem Schmerze, mit ihrem namenloſen Jammer allein.

Er hatte vergeſſen, Arnolds Taſchenbuch von ihr zurückzufordern. Sie öffnete es, als ſie ſich allein ſah, und las den Jnhalt unter immer heißer ſtrömen - den Thränen. Die Größe ihrer eigenen Liebe lernte ſie erſt durch die Arnolds zu ihr kennen, die aus je - dem ſeiner Worte hervorleuchtete. Es waren theils149 poetiſche, theils proſaiſche Herzensergießungen; aus Allem, was ſie las, leuchtete ihr aber die zugleich reinſte und mächtigſte Liebe eines edlen, unentweih - ten Herzens entgegen, eine Liebe, die an Anbetung grenzte.

Wie oft berührten ihre Lippen die theuren Schrift - züge; wie oft drückte ſie dieſes Vermächtniß des Ge - liebten denn dafür mußte ſie es ja halten an ihr vor Schmerz faſt zerſpringendes Herz; wie oft gelobte ſie ſich, nie einen Andern als Arnold zu lie - ben; mit welcher verzehrenden Sehnſucht gedachte ſie des Todes und ſtellte auf ihn ihre einzige Hoffnung!

So floſſen die Stunden hin und es wurde Abend, wurde endlich Nacht. Die ihr gebrachten Speiſen hatte ſie nicht berührt, ja kaum den Eintritt Hierams wahrgenommen, der ſie ihr gebracht hatte; ſie war ſo verſenkt in Gram und Schmerz, daß ſie nicht ein - mal ihr Lager aufſuchte, um wenigſtens dem Körper Ruhe zu gönnen. Das thränenſchwere Haupt auf die Hand geſtützt, ſaß ſie am Fenſter und ſchaute in die immer ſtiller werdende Nacht hinaus; am Himmel war es dunkel, wie in ihrer Seele und kein Stern leuchtete aus den aufgethürmten Wolkenmaſſen auf die in tiefes Schweigen gehüllte Erde hernieder.

150

Neuntes Kapitel.

Ein Geräuſch vor dem Hauſe, dem Waffenge - klirr und lautes Rufen folgte, ſchreckte ſie aus ihren ſchmerzlichen Träumereien auf.

Licht! Fackeln! hörte ſie ſchreien. Dann wieder: Zu den Waffen! zu den Waffen! Ver - rath!

Schwerter klirrten an einander, Schüſſe blitzten durch die dunkle Nacht hin; ein furchtbares Geheul von nie bisher von Floren gehörten Stimmen, Flüche, Verwünſchungen, Todesgeröchel, Oeffnen und Zuſchla - gen der Thüren, alles Dieſes ſchallte wild durch ein - ander und machte das Blut in den Adern des armen Mädchens erſtarren.

Hieher! Hieher! Mir zu Hülfe! Jch habe ihn! ließ ſich plötzlich eine Stimme vernehmen, die ihr bekannt ſchien.

Sie öffnete das Fenſter und ſchaute hinaus. Ein Lichtſchein fiel aus einem Zimmer in der untern Etage auf zwei kämpfende Männer, die die Waffen weggeworfen oder verloren hatten und ihre Kräfte im Ringen gegen einander erprobten.

Arnold! Arnold! rief jetzt Flora, denn ſie hatte dieſen erkannt, ſie konnte nicht daran151 zweifeln, daß er es ſei, da der volle Lichtſchein auf ſein bleiches Geſicht fiel von der tödtlichſten Angſt erfaßt; dann ſank ſie ohnmächtig nieder, als ſie den Geliebten, der auf ihren Ruf das Haupt zu ihr er - hoben hatte, in eben dem Augenblick von ſeinem Gegner gefaßt und zu Boden geſchleudert ſah, wor - auf dieſer ein Meſſer oder eine ähnliche Waffe aus dem Buſen zog und ſein Schlachtopfer damit durch - bohrte.

Als ſie wieder zum Leben erwachte, lag ſie auf ihrem Ruhebette und neben demſelben ſtand ihr Vater.

Sie haben ihn ermordet, vor meinen Au - gen ermordet! rief ſie mit herzzerreißender Stimme und blickte wild um ſich her, als ſuchten ihre Augen die theure Leiche.

Beruhige Dich, mein Kind, er lebt, unſer Retter lebt und Du wirſt ihn wieder ſehen, ant - wortete ihr Sir John, indem er ihr das feuchte Haar aus der Stirn ſtrich und ſie liebevoll anblickte.

Du willſt mich täuſchen, Vater? ſagte ſie mit vorwurfsvollem Tone. Sah ich ihn nicht zur Erde fallen, Jenen ein Meſſer ziehen und ihn damit durchbohren? Jſt es denn nicht an Zweimal genug, daß ich ſeinen Tod beweinen muß?

Du ſahſt alles Das, antwortete ihr der152 Vater, aber trotz dem lebt er und der Himmel hat uns vor dem Unglück bewahrt, den Tod unſeres Freundes und Erretters beweinen zu müſſen. Der Elende, welcher ihm nach dem Leben trachtete, Hie - ram, unſer ſeitheriger Kerkermeiſter, iſt durch die Barmherzigkeit des Höchſten daran verhindert worden, ſein Vorhaben auszuführen: unſer Freund lebt, ſeine Wunde iſt ſchmerzlich und ſogar tief; allein nach dem einſtimmigen Urtheile der herbeigerufenen Aerzte durchaus nicht tödtlich, und Du wirſt Arnolden ſe - hen, ſobald Du ſelbſt ſtärker und gefaßter als jetzt ſeyn wirſt.

O, ich bin ſtark, mein Vater! rief Flora, ſich mit der Anſtrengung aller ihrer Kräfte vom Lager erhebend, und ich gelobe Dir, mich beim Anblick ſeiner Leiden gefaßt zu zeigen! Aber wie kommt es, daß er lebt? Wähnte ich ihn doch bereits ſeit mehren Tagen todt, bei der Vertheidigung Van - dalia’s gefallen?

Der, welcher Dir dieſe Nachricht hinter - brachte, hat Dir die Unwahrheit berichtet, war die Antwort Mr. Boggs; unſer Freund war nicht mehr in Vandalia, als dieſes von den Mormons be - lagert wurde, ſondern bei ſeinen Freunden, den Sioux und Chippewas, um ſie zu unſerer Hülfe zu be - wegen. Es iſt ihm gelungen; St. Louis wurde in153 dieſer Nacht durch die vereinten Haufen der Truppen von Jllinois und der Wilden überraſcht, wieder ge - nommen und wir ſomit nicht nur befreit, ſondern auch der Prophet zum Gefangenen gemacht. Ein tapferer, junger Sioux, deſſen Name mir entfallen iſt, kämpfte auf Leben und Tod mit ihm, bevor er ſeiner mächtig werden konnte, denn Joe Smith focht wie ein Verzweifelter und ergab ſich erſt, als er vom ſtarken Blutverluſte völlig erſchöpft war.

Flora glaubte zu träumen, als ſie alles Dieſes aus dem Munde ihres Vaters vernahm. Die Bege - benheiten waren einander ſo ſchnell gefolgt, der Ueber - gang von der Verzweiflung zum Glücke ſo plötzlich geweſen, daß es ihr ſchwer fallen mußte, an das Letztere zu glauben.

Als ſie ſich ſo weit wieder erholt hatte, daß man ſie ohne Gefahr für ihr Leben zu Arnolden führen konnte, auch die mit Letzterem beſchäftigten Wund - ärzte nichts gegen eine ſolche Zuſammenkunft einzu - wenden hatten, brachte Mr. Boggs ſie in das Zim - mer, wo Arnold erſchöpft auf einem Ruhebette lag, nachdem man ſeine Wunde unterſucht und verbunden hatte.

Neben ihm knieete ein junger Wilder und hielt, indem er ſeinen verwundeten Freund zugleich mit zärt - lichen und mitleidsvollen Blicken betrachtete, ſeine154 Hand in der ſeinigen. Es war, wie unſere Leſer bereits vermuthen werden, der treue, dankbare White - hawk, der ſeine, die beſiegten Mormons verfolgenden Brüder nicht begleiten und der zu erwartenden Beute lieber hatte entſagen, als ſeinen verwundeten Freund verlaſſen wollen, bis er dieſen gänzlich außer Ge - fahr wußte.

Thränen aber ſie floſſen mehr dem Glücke und der Freude, als dem Schmerze entſtrömten Florens Augen beim Anblick des heißgeliebten Man - nes. Sie knieete an White-hawks Stelle, der ſich bei ihrem und ihres Vaters Eintritte erhoben hatte, neben Arnolds Lager nieder und bedeckte ſeine Hand mit ihren Küſſen; ſie wollte ſprechen, aber ihre Freu - de, die Rührung war zu groß; nur durch Thränen ver - mochte ſie ihrem überwallenden Herzen Luft zu machen.

White-hawk ſtand beim Anblick der ſchönen Jungfrau wie verſteinert da; er vermochte den Blick nicht von ihr abzuwenden; es trieb ihn zu ihren Füßen nieder, um ſie wie eine Gottheit anzubeten, auch hielt er ſie in der That für eine überirdiſche Erſcheinung.

Bleicher Bruder, wandte er ſich endlich in der wohlklingenden Siouxſprache an Arnold, blei - cher Bruder, iſt dies eine von den Gottheiten, die von den Bleichgeſichtern angebetet wird, ſo will auch155 ich ſie zu der meinigen machen und ihr einen beſon - dern Altar in meinem Wigwam errichten, denn ſie iſt es werth, angebetet zu werden.

Sie iſt eine Sterbliche wie wir, antwor - tete ihm Arnold lächelnd, und nur durch himmliſche Güte und Schönheit vor andern ausgezeichnet.

Würde ſie mir nicht zürnen, wenn ich den Saum ihres Gewandes, zum Zeichen der Ehrfurcht und Bewunderung, mit meinen Lippen berührte? fragte der Wilde weiter; würdeſt auch Du, mein Bruder, es mir geſtatten, daß ich ſie fortan zu mei - ner Gottheit machte? O, jetzt begreife ich, fuhr er wie begeiſtert fort, weshalb der Häuptling von Nau - voo euch mit Krieg überzog, weshalb er auf Leben und Tod mit Euch kämpfte: es war um ihren Beſitz! Wäre ſie nicht Deine Geliebte, mein Bruder, ſo würde ich die Welt in Flammen ſetzen, um ſie mir zu gewinnen und zur Gottheit meines Stammes zu machen. Die ſchönſten Blumen der Wieſe, die reichſte Beute der Jagd, ja ſelbſt die im Kriege erbeuteten Scalps, würde ich ihr als Opfer darbringen und zu keiner andern Gottheit mehr beten, als zu ihr!

Arnold flüſterte, ſtatt ihm zu antworten, dem neben ihm ſtehenden Gouverneur einige Worte zu und dieſer entfernte ſich auf einige Augenblicke aus dem Zimmer. Als er dahin zurückkehrte, trug er ein156 trefflich gemaltes, lebensgroßes Bruſtbild Florens in der Hand und reichte es White-hawk mit den Wor - ten dar:

Vergebens haben wir darauf geſonnen, Dich, unſern edlen Freund und Erretter, nach Würden zu belohnen, wohl wiſſend, daß Deine Großmuth gewöhn - liche Gaben verſchmähen würde; ſo nimm denn Dies, das getreue Abbild der Liebſten, was ich habe, zum Zeichen unſerer Erkenntlichkeit an, und ſo oft Dein Blick auf daſſelbe fällt, erinnere Dich der dankbaren Freunde, die bis zu ihrem letzten Hauche den großen Geiſt um Glück und Segen für Dich anflehen werden.

White-hawk konnte lange ſein Glück nicht faſſen und als er es gefaßt hatte, war ſeine Freude ſo groß, wie die eines Kindes, dem man den Lieblingswunſch gewährt hat. Mit vor Verlangen zitternden Händen griff er nach dem Bildniſſe und, als fürchtete er, daß man ihm ſeinen Schatz noch wieder rauben möchte, eilte er damit fort, um ihn in Sicherheit zu bringen.

Selbſt Flora, ſo ernſt und feierlich ſie auch ge - ſtimmt war, konnte ſich eines Lächelus über das Thun dieſes Naturkindes nicht erwehren, das ihr um ſo ſeltſamer vorkommen mußte, da ſie von dem zwiſchen Arnold und White-hawk in der Siouxſprache geführ - ten Geſpräche kein Wort verſtanden hatte.

Es kam jetzt zum Erzählen und zu Erklärungen157 aller Art; denn da die ihm von Hieram beigebrachte Wunde keine edlern Theile verletzt hatte, war Arnol - den das Sprechen nicht verboten, und man wird ſich vorſtellen können, wie es ihn drängte, Floren und ihrem Vater Aufſchlüſſe über Alles zu geben, was ihm in der letzten Zeit begegnet war, ſo wie auch ſolche von ihnen über Das zu erhalten, was ſie be - troffen hatte.

Der Gouverneur theilte ihm mit, daß Joe, durch White-hawk zum Gefangenen gemacht, in das Gefängniß gebracht worden ſei und ſich wahrſcheinlich in dieſem Augenblick unter den Händen der zu ihm geſandten Wundärzte befinde, von denen man bald erfahren würde, wie es um ihn ſtünde und ob noch Hoffnung da ſei, ſein Leben retten zu können.

Der Eintritt Sir Francis, welcher mit einem Theile ſeiner Truppen von der Verfolgung der flie - henden Mormons zurückgekehrt war und ſich nach Arnolds Befinden erkundigen, zugleich aber Abſchied von ſeinen Freunden nehmen wollte, um, ſobald ſich ſeine Krieger ausgeruht haben würden, über den Fluß zu ſetzen und auch Vandalia von den Mormons zu ſäubern, unterbrach für einige Augenblicke die Mit - theilungen der drei Glücklichen.

Es gab, obgleich ein ſchöner Sieg erfochten war, noch ſo viel zu thun, daß man dem Glücke und der158 Ruhe kaum auf Augenblicke ſich hingeben konnte; auch mußte vor allen Dingen daran gedacht werden, die Sioux und Chippewas für ihre Beihülfe würdig zu belohnen, da man durch Arnold erfahren, welche Opfer ſie der Freundſchaft für ihn gebracht hatten; denn wenn ſie ſich gleich großmüthig und uneigen - nützig gezeigt und jeglicher Belohnung von vorn her - ein entſagt hatten, ſo kam es den durch ſie aus einer ſo großen Gefahr Geretteten doch zu, ſich nach Kräf - ten dankbar gegen ihre Erretter zu bezeigen.

Die beiden Männer entfernten ſich, um zu allem Dieſen, ſo wie zur Fortſetzung des Krieges, die - thigen Anſtalten zu treffen und die beiden Liebenden blieben jetzt allein.

Was hatten ſie ſich nicht Alles zu ſagen, was nicht mitzutheilen! Wie flutheten ihre Herzen nicht von Glück, von nie zuvor geahneter Seligkeit über! Wie nach einem furchtbaren Gewitter der erſte, durch die ſich zerſtreuenden Wolkenmaſſen brechende Sonnen - ſtrahl die eben noch vor Furcht bebenden Herzen der Menſchen mit doppeltem Entzücken und ſüßer Beru - higung erfüllt, ſo war auch ihr Glück nach den über - ſtandenen Leiden und Gefahren, nach den ſchrecklichen Befürchtungen, denen ſie preis gegeben geweſen waren, ſo groß, daß ihr Herz es kaum zu faſſen vermochte und es noch oft von der Furcht beſchlichen wurde, es wie einen ſchönen Traum zerrinnen zu ſehen.

159

Der Gegenſatz zu den beiden Glücklichen bildete der Prophet, der ſich unter den Händen der Wund - ärzte im Kerker befand und unſägliche Schmerzen zu erdulden hatte. Der Tomahawk White-hawks hatte ihm mehre furchtbare Wunden beigebracht, wovon zwar keine einzige tödtlich war, die aber ſo ſchmerz - ten, daß er alle ſeine moraliſche Kraft aufbieten mußte, um ſich nicht ſchwach zu zeigen, und das wollte er nicht. Keine Klage, kein Schmerzenslaut entſchlüpfte ſeinen Lippen; nur die tödtliche Bläſſe ſeines ſonſt ſo blühenden Antlitzes; nur der Schweiß, der in Strö - men von ſeiner bleichen Stirn herabfloß, und dann und wann ein faſt unmerkliches Zucken, deſſen er ſich nicht zu erwehren vermochte, verriethen, was er litt, welche Schmerzen er zu erdulden hatte.

Nachdem die beiden Wundärzte mit ihrem Ge - ſchäfte fertig waren, lag Joe einige Augenblicke wie in tödtlicher Ermattung da; ſeine Schmerzen waren ſo groß geweſen und die Anſtrengungen, die er ge - macht, um durch kein Zeichen zu verrathen, was er litt, hatten ihn dermaßen erſchöpft, daß man ihn für todt hätte halten können.

Halten Sie ſich ruhig, ganz ruhig, Sir! befahl ihm einer der beiden Wundärzte, der dem Bette am nächſten ſtand und die von ihm verſuchte Bewe -160 gung bemerkt hatte. Sie haben ſich auf jegliche Weiſe zu ſchonen, wenn Sie leben wollen.

Sir, nahm der Verwundete nach einer ziemlich langen Weile, während welcher er ſeine Kräfte geſammelt zu haben ſchien, mit ſchwacher, kaum ver - nehmbarer Stimme das Wort, Sir, ich fordre bei dem Gott, an den Sie glauben, Wahrheit von Jhnen: ſind meine Wunden tödtlich oder iſt noch einige Hoff - nung auf Wiederherſtellung da? Jm erſteren Falle hätte ich noch einige Rechnungen abzuſchließen: Sie werden mich verſtehen, Sir!

Ja, ich verſtehe Sie, war die Antwort des jungen Mannes, und Sie ſollen die volle Wahr - heit von mir vernehmen: Jhre Wunden ſind tief, gefährlich, ſehr gefährlich ſogar, und die mindeſte Un - vorſichtigkeit würde ſie tödtlich machen; für den Augen - blick ſind ſie es aber nicht und allein von Jhrem ru - higen Verhalten wird es abhängen, daß Sie baldigſt und völlig wieder hergeſtellt werden.

Jch danke Jhnen, Sir, verſetzte der Pro - phet nach einer neuen Pauſe, und vertraue Jhren Worten. Erlauben Sie mir nur noch eine Frage und beantworten ſie mir eben ſo aufrichtig, dann will ich mich ruhig, ganz ruhig verhalten: wiſſen Sie mir zu ſagen, wie es um einen gewiſſen Mr. Arnold ſteht, der vor nicht gar langer Zeit von Nauvoo161 hieher kam, und ob er lebt? ob er mit unter den Kämpfern der vorigen Nacht war?

Jch kam von ihm zu Jhnen, Sir, ant - wortete ihm der Gefragte, und kann Jhnen die Ver - ſicherung geben, daß ſeine Wunde zwar tief, aber durchaus nicht gefährlich iſt und er ſchon in einigen Wochen völlig wieder hergeſtellt ſeyn wird.

Jch irrte mich alſo doch nicht, als ich wäh - rend des Kampfes ſeine Stimme zu hören glaubte, ſagte Joe und es zeigte ſich ein ſeltſamer Ausdruck in ſeinem Geſichte. Dann verſank er in ein tiefes Schweigen und ſchloß wie in tödtlicher Ermattung die Augen.

Der Wundarzt ertheilte einem zum Krankenwär - ter beſtellten Manne die nöthigen Jnſtructionen und entfernte ſich dann mit ſeinem Collegen, um noch andern Verwundeten Hülfe zu bringen, denn es gab noch genug der Art zu thun, da die Mormons ſich wie Verzweifelte gewehrt hatten.

St. Louis bot einige Tage nach dieſen Vorfällen ein zugleich buntes und maleriſches als höchſt ſeltſames Schauſpiel dar, indem die Sioux und Chippewas, nachdem ſie auch Vandalia den Händen den Mormons entriſſen und die Ordnung mit Hülfe der regulären Truppen überall wieder hergeſtellt hatten, nach erſterer Stadt zurückgekommen waren, um, wie ſie verlangten,III. 11162Abſchied von ihrem Freunde Arnold zu nehmen, denn ohne ſolchen wollten ſie nicht in ihre Prairien und Wälder zurückkehren.

Die ihnen zum Dank für die gewährte Hülfe von den beiden Gouverneurs angebotenen Geſchenke hatten ſie mit dem ihnen eigenthümlichen Stolze und Edelmuthe ausgeſchlagen und keine Bitten ſie bewegen können, ſie anzunehmen.

Wir ſind nur gewohnt, Beute von unſern Feinden zu gewinnen, ſagte der große Pelikan, der Nanawa der Chippewas, bei dieſer Gelegenheit, und verachten Den, der Freunden und Verbündeten aus Gewinnſucht Hülfe und Beiſtand leiſtet. Unſer Freund Arnold iſt zu uns gekommen und hat uns ſeine Noth, die Verlegenheit ſeiner Freunde geklagt; wir waren ihm Dank und Liebe ſchuldig; wir wünſchten, ihm Beweiſe unſerer Zuneigung und Anhänglichkeit zu ge - ben und ſind mit ihm gezogen, wohin er uns führte. Wir haben unſer Blut für ihn vergoſſen, wie er das ſeinige für uns vergoſſen haben würde; wenn wir dafür aber Lohn annähmen, ſo würden wir wie Eigen - nützige, wie Söldlinge handeln und nicht wie Freunde unſeres Freundes. Behaltet daher, was Jhr habt und laßt uns den Ruhm der Uneigennützigkeit; wir begeh - ren keinen andern Lohn als dieſen und wollen nichts mit uns in unſre Wigwams zurückbringen, als die163 Scalps unſerer und Eurer Feinde, die wir ihnen im ehrenvollen Kampfe abgewonnen haben. Jch habe es geſagt!

Jn dieſem Augenblicke zeigte ſich Arnold, von Sir John und Sir Francis geführt, denn ſeine Schwäche erlaubte ihm noch nicht, ohne Unterſtützung zu gehen, auf dem großen Marktplatze, auf dem ſich ſeine Freunde verſammelt hatten.

Bei ſeinem Anblick brachen die Wilden in ein Freudengeſchrei aus und Alles drängte ſich zu ihm, um ihm noch einmal die Hand zu reichen und ihm das Verſprechen zu erneuern, daß er unter allen Um - ſtänden auf ſie und ihren Beiſtand rechnen dürfe.

Die Rührungen, welche dieſe Beweiſe der Liebe und Anhänglichkeit von Seiten ſeiner edlen und groß - ſinnigen Freunde in ihm hervorrief, war faſt zu mäch - tig für ſeine geſchwächten Kräfte; Sir John nahm an ſeinem immer bleicher werdenden Geſichte wahr, daß es Zeit ſei, einer ſo ergreifenden Scene eine Ende zu machen.

Freunde, nahm Sir John, der die Sprache der Wilden mit großer Geläufigkeit redete, das Wort, verzeiht, daß wir Euch Euren und unſern Freund ſchon jetzt entführen. Das Unglück hat ihn ſtark und muthig geſehen; das Glück, von ſo vielen edlen und tapfern Männern geliebt und geehrt zu werden, dürfte11 *164ihm aber, bei dem Zuſtande, worin er ſich in Folge ehrenvoll erworbener Wunden befindet, tödtlich wer - den und dies zwingt uns, ihn Eurem Anblicke für jetzt zu entziehen. Er wird aber, ich verſpreche dies in ſeinem Namen, ſobald er völlig hergeſtellt iſt, in Euren Niederlaſſungen erſcheinen, um Euch den Dank darzubringen, den er und wir Euch ſchulden.

Dieſe Worte reichten hin, die Wilden augenblick - lich zu bewegen, ſich von dem Gegenſtande ihrer Zu - neigung zu entfernen. Sie kehrten zu ihren Roſſen zurück, ſchwangen ſich in den Sattel, warfen noch einen letzten liebevollen Blick auf Arnold, der vor Schwäche und Rührung kein Wort hervorzubringen vermochte, und verließen dann im wohlgeordneten Zuge St. Louis, um in ihre Wälder zurückzukehren, da man, nach der völligen Beſiegung der aufrühreri - ſchen Mormons, ihrer Hülfe und ihres Beiſtandes nicht ferner bedurfte, um die Ruhe und Ordnung in den durch dieſe Fanatiker hart bedrohten Staaten wieder herzuſtellen.

Selbſt der neue General des Mormonenheeres, der Obriſt Smiths, ſchien durch die erlittene Nieder - lage und die Gefangennahme des Propheten völlig entmuthigt zu ſeyn, denn er entfernte ſich heimlich von dem kleinen Ueberreſte des Heeres und man hörte nichts weiter von ihm.

165

Nur zwei Männer hatten die erlittene Nieder - lage und das Scheitern ihrer Hoffnungen und Wün - ſche nicht völlig entmuthigt und der Zufall es ſo gefügt, daß ſie auf der Flucht zuſammentrafen.

Beide waren verwundet, aber nicht eben ſchwer; Beide hatten nichts gerettet, als das nackte Leben und den unbeugſamen Muth, und in Folge deſſelben, die Hoffnung auf eine beſſere Zukunft, ſofern Der, von dem ſie ſie allein erwarten durften, noch un - ter den Lebenden weilte. Dieſe waren der Jrländer Hieram und der Fanatiker Joram Adams, die, da ſie wie Verzweifelte gekämpft, faſt wie durch ein Wunder ihr Leben gerettet und ſich der Gefangen - ſchaft entzogen hatten.

Zehntes Kapitel.

Faſt ein voller Monat war ſeit der Wiederein - nahme St. Louis und der Zerſtreuung des Mormonen - heeres verfloſſen und die Wunden des Propheten bei - nahe verheilt, als dieſer in der Nacht durch ein Ge - räuſch erweckt wurde: ihm war, als er aufmerkſam geworden, genauer zuhorchte, als ob kleine Steine oder Erdſtücke gegen ſein Fenſter geworfen würden. 166Da ſich dieſe Erſcheinung mehre Male wiederholte, ſtand er leiſe vom Lager auf, um den in der Nähe ſeines Gefängniſſes ſchlafenden Wächter nicht aufzu - wecken, trat an das ſtark vergitterte Fenſter und öffnete es, um auf die Gaſſe hinabzuſchauen.

Bei einem äußerſt ſchwachen Mondlicht der Himmel war mit Regenwolken bedeckt ſah er in der Gaſſe zwei Geſtalten ſtehen, deren Kleidung und Geſichtszüge er aber nicht zu unterſcheiden vermochte, weil der Mond ſich eben gänzlich hinter den Wolken verkrochen hatte. Kaum aber hatte er das Fenſter geöffnet, was mit einigem Geräuſche geſchah, da es von der Feuchtigkeit ſtark verquollen war, ſo wurde von einer der unten ſtehenden Geſtalten ein Wort ausgeſprochen, das allein ihm verſtändlich und ein Er - kennungswort war.

Hieram! rief der Gefangene überraſcht aus, denn kein Anderer, als dieſer konnte es ſeyn, weil er allein das Looſungswort kannte.

Er ſelbſt! antwortete dieſer mit ſo leiſer Stimme, daß die Worte nur von den lauſchenden Ohren des Propheten gehört werden konnten.

Wie kommſt Du hieher?

Gleichviel! Laßt einen Strick, irgend ein Band, herunter und Jhr ſollt Alles erfahren, war die Antwort.

167

Wer iſt Dein Begleiter?

Ein treuer Freund und Diener ſeines Herrn, wie ich!

Sein Name?

Joram Adams!

Was iſt aus der Schildwacht geworden, die ihren Poſten vor dem Gefängniß hatte?

Eine ſehr ſchweigſame Perſon: ſeht, da liegt ſie! fügte der Gefragte, auf einen am Boden liegenden, dunklen Gegenſtand deutend, hinzu. Der da wird uns nicht verrathen, verlaßt Euch darauf!

Jhr habt ſie ermordet?

Wie hätten wir wohl anders mit ihr fertig werden können? war die Antwort. Um keinen Verdacht zu erregen, werden wir ſie mit uns fort - ſchleppen, ſie und ihr Gewehr, damit man glaube, daß ſie deſertirt ſei. Aber macht ſchnell! Jeder Augenblick iſt koſtbar und ein einziger verlorener könnte alle unſere Pläne und Hoffnungen vereiteln. Habt Jhr nicht ein Endchen Bindfaden oder etwas dem Aehnliches, um es zu uns herabzulaſſen? Aber nochmals, ſputet Euch, ſo ſehr Jhr könnt!

Das, was Du wünſcheſt, ſoll gleich da ſeyn, war die Antwort des vom Fenſter zurück - tretenden Joe, der eiligſt einige zum Verbinden ſei - ner Wunden benutzte und von dem ihn behandelnden168 Wundarzte zurückgelaſſene Bandagen durchriß, die Enden zuſammenknotete und das ſo gebildete Band durch das Gitter zu den beiden Untenſtehenden hin - abließ.

Joram, der ſich bisher völlig ſchweigend und unthätig verhalten hatte, um beſſer Acht auf eine vielleicht ſich nähernde Gefahr geben zu können, nahm jetzt unter ſeinem Mantel einen Bündel hervor, be - feſtigte ihn an die herabgelaſſenen Leinewandſtreifen und forderte den Propheten mit leiſer Stimme auf, dieſe mit dem Darangehängten wieder heraufzuziehen, worauf ſich Beide, als ſie Alles in Sicherheit ſahen, eiligſt entfernten. Sie hatten in der That auch keine Zeit zu verlieren, da jeden Augenblick die Ablöſung kommen konnte, um den Poſten zu wechſeln, und ſie den getödteten Soldaten auch noch mit fortſchleppen mußten, um ihn, wie ſie verabredet hatten, in einen nahen, ſehr tiefen Brunnen zu ſtürzen.

Sobald Joe das Paquet in Sicherheit gebracht und das Fenſter ſo leiſe als es anging wieder ge - ſchloſſen hatte, ging er an die Unterſuchung des er - ſtern. Da es völlig finſter im Gemache war, konnte er ſich nur mit Hülfe des Taſtſinns von dem Jnhalte deſſelben überzeugen: es waren zwei Piſtolen, ein Dolch, eine ſeidene Strickleiter und eine ſehr ſcharfe Feile, die er unterſchied; endlich entdeckte er auch169 noch ein Stück Papier, das wahrſcheinlich beſchrieben war und die nöthigen Jnſtructionen enthielt; er mußte indeß ſeine Ungeduld, ſich mit dem Jnhalte deſſelben bekannt zu machen, bis zum Anbruche des Tages - geln, weil es ihm nicht möglich war, ſich Licht zu verſchaffen.

Seit ſich der Prophet im Beſitze aller dieſer Dinge befand, deren Werth und Nutzen nicht zweifel - haft für ihn ſeyn konnte, war der frühere Muth, das frühere Selbſtvertrauen wieder in ihm erwacht. Was durfte er nicht auch noch von der Gunſt des Schick - ſals erwarten, da es ihm die beiden Männer am Le - ben erhalten hatte, in deren Klugheit, Eifer und Verwegenheit er ein ſo unbegrenztes Vertrauen ſetzen durfte? Nur die Furcht, daß auch ſie bei der Ueber - rumpelung von St. Louis durch die Wilden umge - kommen wären, hatte ſeinen Muth niedergebeugt; ſeit er ſie gerettet, ſie in ſeiner Nähe und mit ſeiner Rettung beſchäftigt wußte, that ſich noch einmal eine glänzende Zukunft vor ihm auf, hoffte er noch Alles erringen zu können, was ſeine Wünſche und Begier - den reizte: Florens Beſitz, die Oberherrſchaft im Nordoſten Amerikas, Ruhm und einen der Unſterb - lichkeit angehörenden Namen.

Bei dem unter ſeinem Fenſter auf der Gaſſe ent - ſtehenden Tumulte, welcher dadurch herbeigeführt wur -170 de, daß die Ablöſung den Poſten deſertirt fand wenigſtens glaubte man das im erſten Augenblick verbarg Joe das Paquet unter ſeinem Bette und legte ſich ſelbſt hin, um, wenn man vielleicht eine Unter - ſuchung bei ihm anſtellte, dem Anſcheine nach in tief - ſter Ruhe und ſchlafend gefunden zu werden.

Er hatte ſich in dieſer Vorausſetzung nicht geirrt: man kam auf Befehl Sir Johns, der ſogleich von dem Vorgefallenen benachrichtigt worden war, in ſein Gemach, verließ es aber gleich wieder, da man das Eiſengitter unverletzt und ihn anſcheinend ſchlafend in ſeinem Bette fand.

Der Gedanke, daß der Poſten deſertirt ſei, mußte ſchon mit Anbruch des Tages aufgegeben werden, in - dem man neben dem Schilderhauſe eine Blutlaache auf dem Straßenpflaſter entdeckte und daraus mit Recht auf eine Ermordung ſchloß. Vergebens ſuchte man aber nach der Leiche des Unglücklichen: ſie war nirgends zu entdecken; man mußte ſie alſo fortge - ſchleppt haben, um glauben zu machen, daß der Sol - dat ſich freiwillig entfernt habe; an die zurückgeblie - benen Spuren des verübten Verbrechens hatte man aber entweder nicht gedacht, oder auch nicht Zeit ge - habt, ſie zu vertilgen.

Nach dem, was vorgefallen, glaubte Mr. Boggs171 nicht daran zweifeln zu dürfen, daß die Ermordung des Soldaten auf ſeinem Poſten mit einem Befreiungs - verſuche Joe’s im Zuſammenhange ſtehe, und da ihm nicht nur daran gelegen ſeyn mußte, die Flucht des Gefangenen zu verhindern, ſondern auch die Mörder in ſeine Gewalt zu bekommen, ſo traf er in aller Stille ſeine Anſtalten, um dieſen doppelten Zweck zu er - reichen.

Es war in der dritten Nacht, als die in einem dem Gefängniſſe gegenüberliegenden Gebäude heimlich poſtirten Soldaten zwei Männer um die Gaſſenecke kommen und ſich auf die Lauer ſtellen ſahen. Mr. Boggs, der gegenwärtig war und Alles ſelbſt leitete, befahl ſeinen Untergebenen, ſich ruhig zu verhalten und ihre Gegenwart nicht eher zu verrathen, als bis er ihnen das Zeichen geben würde, aus dem Hauſe hervorzubrechen und ſich der Beiden zu bemächtigen.

Jndeß hatte er dieſe Schonung der Böſewichter bald zu bereuen, indem dieſe ſich, ſo wie der vor dem Gefängniſſe auf - und abwandelnde Soldat ihnen den Rücken zugekehrt hatte, auf ihn ſtürzten und ihn, wahrſcheinlich zu Tode getroffen, zu Boden warfen. Jn demſelben Augenblick öffnete ſich ein Fenſter im Gefängniſſe, eine Strickleiter rollte aus demſelben auf die Gaſſe hinab und ein Mann man durfte nicht172 daran zweifeln, daß es der Prophet ſelbſt ſei, der ſich durch die Flucht zu retten ſuchte zeigte ſich auf derſelben.

Kein Augenblick war mehr zu verlieren, wenn man ſich ſeine Beute nicht entſchlüpfen laſſen wollte.

Mir nach! kommandirte Sir John und ſtürzte voran aus ſeinem Verſteck auf die Gaſſe hinaus.

Erbittert über die Ermordung ihres Kameraden, gaben die Soldaten, ohne Befehl dazu erhalten zu haben, Feuer auf die Flüchtlinge.

Der Gouverneur hatte nur gewünſcht, ſie gefan - gen zu nehmen, um dadurch einem vielleicht weit ver - zweigten Complot der Mormons auf die Spur zu kommen.

Die aus ſolcher Nähe abgeſchoſſenen Kugeln konn - ten ihr Ziel kaum verfehlen, auch wurden alle Drei, wenn gleich nicht tödtlich, getroffen.

Nur einen Augenblick ſetzte dieſer unerwartete Angriff ſie in Verwirrung und mit einem Muthe, mit einer Entſchloſſenheit, die einer beſſern Sache wür - dig geweſen wären, ſchickten ſie ſich zur Vertheidigung ihres Lebens an, da, wie der Augenſchein lehrte, an Flucht nicht mehr zu denken war.

Keine ihrer Kugeln verfehlte ihr Ziel und ſie173 würden vielleicht, trotz der großen Uebermacht, mit den Soldaten fertig geworden ſeyn, wenn ſie Zeit ge - habt hätten, ihre Piſtolen wieder zu laden.

Ergebt Euch! rief Sir John, der gleich - falls, aber nur leicht, getroffen worden war, ihnen mit lauter Stimme zu, als er ſah, daß das Feuer von ihrer Seite ſchwieg. Ergebt Euch, Jhr ſeht ja, daß Rettung für Euch nicht mehr möglich iſt!

Sie aber hörten nicht auf ihn, ſondern warfen die Piſtolen weg und drangen mit gezücktem Dolche, wie Raſende, auf die Soldaten ein, die, erſchrocken über einen nicht mehr erwarteten Angriff, einen Augen - blick zurückwichen, ſie bald aber mit verdoppelter Wuth mit vorgehaltenem Bajonett wieder zurücktrieben.

Hieram war der Erſte, welcher tödtlich getroffen zu Boden fiel; er ſank, ohne einen Laut von ſich zu geben, von dem ihm entgegengehaltenen Bajonett eines Soldaten durch und durch geſtochen, und man fand, als man ihn nach beendigtem Kampfe aufhob, mehre ſo tiefe Wunden an ihm, daß man nicht begreifen konnte, wie er ſich ſo lange noch hatte aufrecht er - halten können. Bald ſank auch Joram Adams, gleich - falls tödtlich von einer Kugel getroffen, und nur der Prophet wehrte ſich noch gegen ſeine Angreifer mit174 einer Wuth und Verzweiflung, die deutlich zeigten, daß er den Tod ſuchte.

Es ſollte ihm ſo gut nicht werden, mit den Waf - fen in der Hand auf dem Kampfplatze zu fallen: einer der Soldaten verſetzte ihm mit dem Gewehrkol - ben einen ſolchen Schlag auf den Arm, daß die Kno - chen darin zerſplitterten und die Andern benutzten ſeine Entwaffnung, um ihn zu Boden zu reißen, zu knebeln und zurück in das Gefängniß zu bringen.

Hier lag er lange in tiefer Ohnmacht. Als er aus derſelben erwachte und denſelben Wundarzt mit ſich beſchäftigt ſah, welcher ihn ſchon früher verbun - den hatte, ſagte er mit kaum vernehmbarer Stimme:

C’est le commencement de la fin? nicht wahr?

Der junge Mann ſchwieg und ſah vor ſich nieder.

Sie haben mir Wahrheit gelobt und müſſen mir Wort halten, fuhr der Prophet fort: es geht zu Ende mit mir! Wie lange kann es noch dauern?

Der Wundarzt ergriff ſeine Hand und prüfte den Puls; dann ſagte er mit leiſer Stimme:

Eine Stunde, höchſtens zwei!

Gut, ich danke Jhnen, Sir! Und nun noch eine Bitte: beſtellen Sie den jungen Deutſchen, Mr. Arnold, augenblicklich zu mir her: ich muß ihn ſpre -175 chen, bevor ich in das große Räthſel tauche; ich muß ihn nothwendig ſprechen, verſtehen Sie mich!

Jch werde ihn rufen, war die Antwort.

Sagen Sie ihm Jhrer Verſicherung muß er ja Glauben ſchenken wie die Sachen ſtehen und treiben Sie ihn an, keinen Augenblick zu verlieren, indem ich ihm ein Geheimniß ......

Seine Stimme ſtockte und eine tödtliche Bläſſe bedeckte ſein Geſicht, ſo daß der Wundarzt glaubte, es ſei ſchon mit ihm aus. Er griff nochmals nach dem Pulſe und als er ihn noch, wenn gleich nur leiſe ſchlagend, fühlte, legte er die Hand auf die Bettdecke zurück und eilte, Arnold aufzuſuchen, um ihn von dem Wunſche des Sterbenden zu unterrichten.

Er traf ihn bei Floren und Mr. Boggs im Zimmer und Alle in der höchſten Aufregung. Die vor dem Gefängniſſe zwiſchen den Soldaten und den Mormons gewechſelten Schüſſe hatten die Bewohner des Präſidio ſowohl, als die der in der Nähe bele - genen Häuſer geweckt; man war um ſo mehr da - durch erſchreckt worden, da der Ueberfall der Stadt durch die Mormons noch in friſchem Andenken war. Arnold war, trotz der Schwäche, die durch die im vorigen Kampfe empfangene Wunde ihm noch übrig geblieben, einer der Erſten, der auf dem Kampf -176 platze erſchien. Er hatte ſich in der Eile nothdürf - tig bewaffnet, um auf Alles vorbereitet zu ſeyn.

Jch wollte Sie ſchonen, mein theurer Sohn, ſagte der Gouverneur, ſobald er ſeiner an - ſichtig wurde, und ſagte Jhnen deshalb nichts von meinem Vorhaben, an dem Sie ſonſt Antheil hätten nehmen wollen; auch glaubte ich nicht, daß dieſe Menſchen es zum Aeußerſten kommen laſſen würden; ſie haben aber wie Verzweifelte gekämpft und wir waren trotz unſerer Uebermacht nahe daran, unſre Beute fahren laſſen zu müſſen.

Er erzählte ihm dann den Hergang der Sache und Beide kehrten nach dem Präſidio zurück, um auch Flora zu beruhigen, deren tödtliche Angſt man ſich vorſtellen konnte, da auch ſie, wie Arnold wußte, durch das Schießen aufgeweckt worden war. Der junge Wundarzt trat haſtig und unangemeldet zu den Dreien ein und theilte Arnolden den Wunſch des Sterbenden mit, der, ſo ſchwer es ihm auch wurde, dem an ihn geſtellten Verlangen des Pro - pheten Folge leiſtete und ſich augenblicklich in das Gefängniß verfügte.

Joe lag, als die beiden Männer zu ihm ein - traten, noch in dem ſchlummerähnlichen Zuſtande, worin der Wundarzt ihn verlaſſen hatte; von ſeiner177 bleichen Stirn floſſen Ströme von Schweiß über die Wangen hinab, aus denen jede Spur von Farbe entwichen war. Arnold konnte, trotz des Haſſes, den er dieſem Manne weihen mußte, nicht umhin, die außerordentliche Schönheit der Geſichtszüge deſ - ſelben zu bewundern: es war das Haupt des Apolls von Belvedere, welches vor ihm da lag; reinere, edlere Formen hatte er nie erblickt.

Er ſtand lange in ſtummer Betrachtung und auf eine ihm ſelbſt unerklärliche Weiſe ergriffen, neben dem Lager des Sterbenden. Eine ſo tiefe Stille herrſchte in dem Gemache, daß man die leiſen Athemzüge des Schlummernden am äußerſten Ende deſſelben hätte vernehmen können. Die unfern des Fenſters ſtehende Kerze flackerte, durch den Luftzug bewegt, hin und her und erhellte bald das Gemach, bald das Antlitz des Propheten mit einem unge - wiſſen Lichte.

Endlich ſchlug der Sterbende die Augen wieder auf. Sein erſter Blick fiel auf den Wundarzt, der zu Füßen des Bettes ſtand und ihn mit Theilnahme betrachtete; dann ſuchten ſie einen andern Gegenſtand.

Sie haben mich zu ſprechen verlangt, Sir, nahm jetzt Arnold, welcher ſein Erwachen wahrge -III. 12178nommen hatte, das Wort; hier bin ich; womit kann ich Jhnen noch dienen?

Ohne Zeugen! Allein! ..... ſagte der Verwundete mit kaum vernehmbarer Stimme; er wollte noch etwas hinzufügen, allein ſeine Schwäche war zu groß, als daß er den Satz hätte vollenden können. Der Wundarzt verſtand ihn und entfernte ſich; Arnold nahm ſeine Stelle am Fuße des Bet - tes ein.

Mehre Minuten vergingen, bevor der Prophet wieder ſo viele Kraft gewonnen hatte, um einige Worte hervorbringen zu können. Jn ſeinen während des Schlummers ſo ruhigen Geſichtszügen zeigte ſich jetzt die lebhafteſte Unruhe; man ſah ihnen die Angſt an, die der Sterbende vielleicht bei dem Gedanken empfand, mit ſeinem Geheimniſſe auf dem Herzen in das unbekannte Jenſeits hinübergehen zu müſſen; wahrſcheinlich aber war ſie es auch, die die bereits dahinſchwindenden Lebensgeiſter noch auf einige we - nige Minuten wieder zurückrief und ihm die Fähig - keit verlieh, zu Arnolden zu reden.

Sagt Dir Dein Herz bei meinem Anblick noch immer nichts? fragte er dieſen mit einem Blicke, worin ſich zugleich der höchſte Schmerz und179 die unverkennſtbarſte Zärtlichkeit ausſprachen. Wäre es möglich, daß der Sohn dem Vater ſelbſt in einem ſolchen Augenblicke völlig kalt und theilnahmlos ge - genüberſtehen könnte? ......

Sie mein Vater?! rief Arnold, ſo bleich wie der Sterbende werdend; Sie mein Vater?! wiederholte er, an allen Gliedern zitternd und un - fähig, ein Wort weiter hervorzubringen.

So iſt es! verſetzte der Sterbende. Mein wahrer Name iſt Adalbert Braun und Du wirſt dieſen Namen aus Dina’s Mittheilungen kennen. Doch keine weitere Erörterungen, denn die Minuten ſind mir zugemeſſen. Geh und ſchaffe Zeugen her - bei, vor denen ich Dich zu meinem Erben erkläre, denn mit Recht kommt Dir mein Erbtheil zu, ſchon weil ich Dich um das Deiner Mutter betrog. Jch wußte es ihr noch nach meiner Flucht mit Dina abzulocken ſie lebte, reich geboren, in Armuth und Entbehrungen und auch Du! Die Schuld kann ich noch aus meinem Rechnungsbuche tilgen, und ich will es! Rufe Zeugen herbei und Du wirſt mein Sterbebett reich wie ein Fürſt verlaſſen, denn ich habe mit dem Dir entriſſenen Erbtheile gewu - chert und ſterbe als der reichſte Mann in der neuen Welt.

12 *180

Jch entſage ihm, erwiederte Arnold nach einer Pauſe mit feſter Stimme; möge ein Anderer es an ſich nehmen, und geſtatten Sie mir Schwei - gen über die Gründe, die mich dazu bewegen, es auszuſchlagen. Laſſen Sie uns, ich beſchwöre Sie! laſſen Sie uns in dieſem ernſten Augenblick an Wichtigeres, an das Heil Jhrer Seele denken, mein Vater!

An Prieſter und letzte Oelung vielleicht gar? hohnlachte der Sterbende. Geh mir, geh mir mit dieſem Poſſenſpiele!

Ein Hinblick auf Gott, ein Augenblick der Reue wird genügen, mein Vater ......

Jch habe Nichts zu bereuen! Jch that, wie ich mußte! Für mich war keine andere Gottheit da, als mein eignes Jch, unterbrach ihn der Ster - bende unwillig, kein anderes Geſetz, als mich ſo glücklich als möglich zu machen. ....

Dieſe Worte erklären mir Jhre ganze Ver - gangenheit, rief Arnold ſchmerzlich bewegt aus, Alles, was ich an Jhnen tadeln, beweinen mußte, mein Vater. ......

Er wollte noch mehr hinzufügen, allein die181 Züge des Sterbenden veränderten ſich plötzlich ſo, daß Arnold ſchaudernd zurückbebte und die Worte ihm auf den Lippen erſtarben. Nur noch ein tiefer Athemzug, und der Mann war nicht mehr, welcher vielleicht der neuen Welt eine ganz andere Geſtalt gegeben haben würde, wenn der Tod ſeinen großen Plänen nicht ein Ziel geſetzt hätte.

Lange, lange ſtand Arnold noch neben der Leiche ſeines Vaters. Er war tief erſchüttert und erſt in dieſem Augenblick regte ſich das Gefühl der Liebe für den Geſchiedenen auch in ſeinem Herzen; denn: Der Tod hat eine reinigende Kraft! Da löſchen alle Zornesflammen aus .... und ſo erging es auch unſerm Freunde. Wie hatte er dieſen Mann, ſo lange noch Athem und Leben in ſeiner Bruſt war, ſo lange er noch in das Leben Anderer feindlich und zerſtörend in ſeiner ungemeſ - ſenen Selbſtſucht eingreifen konnte, nicht gehaßt und verachtet; wie hatte ſelbſt die Stimme der Natur, die in dem Geſchiedenen, trotz ſeiner innern Ver - derbtheit, ſo laut geredet, in ſeinem Herzen ſich keinen Augenblick geltend gemacht; wie kalt, mit182 welchem Haſſe erfüllt, war er nicht Dem gegenüber geſtanden, der ihm das Leben gegeben hatte!

Würde das anders geworden ſeyn, fragte er ſich, wenn er ſchon früher, nicht erſt in der Stunde des Todes, die Entdeckung gemacht hätte, daß die - ſer Mann ſein Vater ſei? Würde er ihn, trotz der Verſchiedenheit ihrer Grundſätze, Ueberzeugungen und Beſtrebungen, trotz dem, daß er Blicke in ſein Jn - neres gethan, die ihn ſchaudern machten, indem ſie ihm einen Abgrund von innerer Verderbtheit zeig - ten, würde er ihn trotz alle Dem haben lieben müſſen, weil er ſich als ſeinen Sohn erkannt? Dieſe und ähnliche Fragen legte er ſich vor, ohne eine Antwort darauf zu finden.

Durch die letzten Worte des Geſtorbenen hatte ſich ihm auch manches Räthſel der Vergangenheit gelöſt: die Leiden ſeiner angebeteten Mutter; das Geheimniß, in das ſie ſich und ihre frühern Ver - hältniſſe hüllte; die Armuth, in der ſie, die nach Allem, was er wahrnehmen mußte, einſt beſſere Tage geſehen hatte, lebte; der nagende Gram, welcher ihrem Leben ſo früh ein Ziel geſetzt; die Worte, welche ſie ihm auf ihrem Sterbebette noch hatte ſa - gen wollen, ohne daß ſie es gekonnt; die wenigen183 Laute: Jn Amerika! die ſie mit der letzten An - ſtrengung ihrer Kräfte noch hervorgehaucht hatte, und die ihn in den fremden Welttheil getrieben, alles Dieſes trat jetzt wieder vor ſeine Erinnerung und klärte ihn, in Verbindung mit dem, was er aus Dinas hinterlaſſenen Papieren erfahren und ſo eben von dem Verſtorbenen vernommen, über die frühern Verhältniſſe ſeiner unglücklichen Mutter und ſeine eigenen auf.

Auch das Walten der Nemeſis konnte er in Dem, was ſich zugetragen hatte, nicht verkennen: die letzten Worte der ſterbenden Mutter hatten ihn nach Amerika, ihn in die Nähe ſeines Vaters, ihres Mörders, getrieben und ihn, ohne daß er es ahnete, zu ihrem Rächer geweiht. Daß der Geſchiedene ihm, und allein ihm vor allen Andern, eine beſondere, an dieſem Liebloſen doppelt auffallende, Zuneigung ge - weiht, war ihm nicht verborgen geblieben, denn ſo Etwas läßt ſich nicht verkennen, und wie hatte er ihm dieſe Liebe vergolten, mit welchem Abſcheu ſich von ihm abgewandt, wie unverhohlen ſeinen Haß und ſeine Verachtung gegen ihn ausgeſprochen! So war Der, welcher in ſeiner zerſtörenden Selbſtſucht die ihm geweihte Liebe edler, heiliger Herzen verrathen184 und mit Füßen getreten hatte, eben darin beſtraft worden, worin er am meiſten geſündigt: ein um Liebe Bettelnder ſtand er vor ſeinem Sohne und mit Ver - achtung hatte dieſer ihn, ohne zu wiſſen was er that, zurückgewieſen!

Der Wiedereintritt des Wundarztes unterbrach dieſe Gedanken und Betrachtungen. Der junge Mann trat dicht an die Leiche hinan, legte die Hand auf das Herz derſelben, unterſuchte nochmals den Puls und ſagte dann mit gleichgültigem Tone:

Die Mormons werden ſich einen neuen Propheten erwählen müſſen und der Nordoſten kann jetzt ruhig ſeyn.

Arnold wandte ſich von ihm ab, ohne ihm zu antworten. Er wollte die Thränen nicht zeigen, die zwiſchen ſeinen Wimpern zitterten, und die kalten Worte des jungen Mannes hatten ſein Gefühl ver - letzt.

Noch einen letzten Blick warf er auf die Leiche ſeines Vaters, dann ging er, um in der Einſamkeit ſeinem Herzen genug thun zu können.

185

Joe Smith denn nur unter dieſem Namen kannte man ihn in Amerika wurde mit allem ſei - nem frühern Stande und der großen Rolle, die er geſpielt hatte, zukommenden Pompe begraben, denn ſo wollte es Arnolds Gefühl, und Mr. Boggs, dem er ſein Verhältniß zu dem Verſtorbenen mitgetheilt hatte, ſtimmte ihm darin bei.

Die Mormons, durch den Tod ihres Propheten in die tiefſte Trauer geſtürzt, unterwarfen ſich willig allen ihnen geſtellten Bedingungen und man hat ſeit - dem nicht mehr gehört, daß ſie, trotz ihrer immer mehr anwachſenden Anzahl, einen Verſuch gemacht hätten, die Ruhe von Jllinois und der angrenzen - den Staaten auf’s Neue zu ſtören. Sie haben den Prieſter Daniel Bute zu ihrem neuen Oberhaupte erwählt.

Nur zu Anfang dieſes Jahres iſt der Secte wie - der häufiger in den amerikaniſchen Zeitungen Erwäh - nung geſchehen, indem die Anhänger derſelben die Ab - ſicht kund gegeben haben ſollen, dem Weſten in Maſſe zuziehen und in Californien ein neues großes Mor - monenreich begründen zu wollen.

Arnolden erblühte in Florens Liebe, in ihrem186 Beſitze, das ſchönſte, ſeltenſte Glück und ſein Name wird nur mit Achtung genannt.

Er iſt der Tröſter und die Stütze vieler armen Auswanderer, die gleich ihm in der neuen Welt das Glück ſuchten, dem ſie vergebens in der Heimath nachgejagt: das der Freiheit und des Genuſſes der Früchte ihres Fleißes und ihrer Jnduſtrie.

Ende.

About this transcription

TextDer Prophet
Author Amalie Schoppe
Extent195 images; 35038 tokens; 6203 types; 236165 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer Prophet Historischer Roman aus der Neuzeit Nord-Amerikas Dritter Theil Amalie Schoppe. . [1] Bl., 186 S. LudenJena1846.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, 37 MA 12862

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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