PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Prophet.
Hiſtoriſcher Roman aus der Neuzeit Nord-Amerikas.
Dritter Theil.
Jena,Friedrich Luden. 1846.

Motto:

Bei Privatunternehmungen findet ein Fortſchreiten Statt und man kann nach Gefallen dem Glücke mehr oder minder anvertrauen. Wer aber nach der Ober - herrſchaft ſtrebt, der hat nur den Gipfel oder den Abgrund vor ſich.

(Tacitus Geſchichtsbücher, II. Buch. )
[1]

Erſtes Kapitel.

Bald hatte Arnold, Dank ſei es den Bemühun - gen des Gouverneurs, der das Peinliche der Lage des jungen Mannes begriff und ihn in ein Geſpräch zu ziehen wußte, um ihn derſelben zu entreißen, ſeine Faſſung dem ſchönen Kinde gegenüber wieder gewon - nen und brauchte nicht mehr beſchämt vor Floren zu ſtehen. Dieſe ſchien durchaus nicht bemerkt zu haben, welchen Eindruck ſie auf den jungen Fremden gemacht hatte, denn wie eine ſchöne Blume war ſie ſich ihrer zauberhaften Reize nicht bewußt, und von Eitelkeit und Koketterie war überhaupt nicht das Geringſte in ihr.

Auch um das Geſpräch zwiſchen den beiden Män - nern bekümmerte ſie ſich nicht, da es über Gegen - ſtände geführt wurde, die ſie entweder nicht intereſ - ſirten oder wovon ſie nichts verſtand. Sie ſpielte mit ihrem Papagey oder verließ die Veranda, um ihre Blumen zu beſehen, zwiſchen denen ſie wie ein ſchönerIII. 12Schmetterling hin und her ſchwebte, ſich bald zu die - ſer, bald zu jener niederbeugend, um entweder ihre Farbenpracht zu bewundern oder ihren ſüßen Duft einzuathmen, und bald war ſie gänzlich den ſie un - aufhörlich ſuchenden Blicken Arnolds entſchwunden: wahrſcheinlich hatte ſie ſich, durch das Geſpräch der Männer gelangweilt, in das Haus und in ihre Ge - mächer zurückgezogen.

Der Gouverneur hatte viel zu fragen und Arnold war, zu jenes nicht geringer Freude, von Allem unterrichtet, was er zu wiſſen wünſchte. Beſonders ſchien den Erſteren das Leben und Treiben der Mor - mons, und unter dieſen vor allem der Stifter der ſeltſamen Secte, Joe Smith, lebhaft zu intereſſiren und es entging Arnolden nicht, daß er von den Ta - lenten dieſes Mannes eine ſehr große Meinung hege.

Dies vermehrte das Peinliche der Lage des jun - gen Deutſchen dem Gouverneur gegenüber mit jeglicher Minute; denn ſollte er in das Lob des von ihm Ge - haßten und Verachteten einſtimmen und dadurch mit ſich ſelbſt in Widerſpruch gerathen? oder ſollte er ſich, einem ihm noch unbekannten, auch ihn noch nicht kennenden Manne gegenüber gleichſam wie ein Un - dankbarer oder gar wie ein Verläumder zeigen, in - dem er mit ſeiner Anſicht über den Character des Propheten offen hervorträte? Er entſchloß ſich nach3 einem kurzen Kampfe mit ſich ſelbſt, Mr. Boggs, deſſen offenes und biederes Weſen ihm das größeſte Vertrauen einflößte, die Art und Weiſe mitzutheilen, in der er ſich von Joe Smith getrennt hatte, und jenen zu bitten, kein Urtheil über den Character eines Mannes von ihm zu verlangen, zu dem ſein Verhält - niß ſich ſo geſtaltet hätte, daß es ihm ſchwer fallen würde, in jeder Hinſicht gerecht gegen ihn zu ſeyn.

Der Gouverneur hörte ihm mit großer Aufmerk - ſamkeit und unverkennbarem Wohlgefallen zu. Die offene Erklärung des jungen Mannes, der ihm ſchon von vorn herein gefallen hatte, nahm ihn noch mehr für Arnold ein, und er dankte ihm für das ihm ge - ſchenkte Vertrauen mit zwar nur wenigen, aber viel - ſagenden Worten, indem er ihn zugleich bat, in ſei - nen Mittheilungen über Joe Smith ſowohl, als über deſſen muthmaßliche Pläne und Abſichten, fortzufahren und ihm ſeine Anſichten über den Stand der Dinge in Jllinois nicht vorzuenthalten.

Jch geſtehe Jhnen aufrichtig, Sir, ſagte er am Schluſſe dieſer Bitte, daß, ſo ſehr Joe Smiths Perſönlichkeit mich, und auch Andere, für ihn eingenommen hat, ich doch nicht ohne eine ge - wiſſe Unruhe auf das Leben und Treiben dieſes Man - nes und das ſeiner durch ihn fanatiſirten Anhänger ſehen kann, da ſie die Ruhe und Sicherheit der be -1 *4nachbarten Staaten über Kurz oder Lang bedrohen würden, ſobald das Haupt dieſer ſeltſamen Secte ſich mit ehrgeizigen Plänen umhertragen ſollte. Denn hier, man muß es ſich ſagen, iſt dem Muthigen und Ehr - geizigen ein weites Feld eröffnet und ſobald dieſer Joe Smith es wollte, könnte er uns Viel zu ſchaf - fen machen.

Und er wird es, Sir! verſetzte Arnold.

Sie meinen, daß er mit der Abſicht um - gehe, ſich zum Dictator aufzuwerfen?

Ohne Zweifel hegt er eine ſolche, war die Antwort; wozu, ich frage Sie, Sir, zu wel - chem andern Zwecke würde er ſonſt ein wohl disci - plinirtes Heer von faſt fünfzehntauſend Mann und ein ſo reich beſetztes Arſenal unterhalten?

Er hätte eine ſolche Waffenmacht unter ſei - nem Befehl und wir Andern wüßten nichts davon? fragte der Gouverneur überraſcht.

Er hat ſie und vermehrt ſie noch täglich, verſetzte Arnold.

Und Mr. Carlin, der Gouverneur von Jl - linois, geſtattet ein ſolches Unweſen?

Nach Allem, was ich von Mr. Carlin ge - hört habe, iſt er ein ſchwacher, ein überaus indo - lenter Character, antwortete der Gefragte. Joe Smith weiß das, benutzt das, ſchmeichelt der Eitel -5 keit ſeines Vorgeſetzten, macht ihm reiche Geſchenke, erhält die Ordnung in der ihm anvertrauten Graf - ſchaft aufrecht, ſo daß Mr. Carlin von dorther durch Nichts beläſtigt wird, und kann ſo ſchalten und wal - ten, wie er will.

Der Gouverneur verſank nach dieſen Worten in tiefes Nachdenken. Ganz ſo wie Arnold, ſah er den Character des Gouverneurs von Jllinois an, der ein zwar guter und redlicher, aber zugleich auch ſo ſchwa - cher Mann war, daß ihn Jeder, dem darum zu thun war, hinter’s Licht führen und beherrſchen konnte.

Sie haben mir da ſo außerordentliche Dinge geſagt, ſo wichtige Mittheilungen gemacht, Sir, nahm der Gouverneur nach einem ziemlich langen Schweigen wieder das Wort, daß ich nicht werde umhin können, Mr. Carlin auf die ihn zunächſt be - drohende Gefahr aufmerkſam zu machen, und hoffe, Sie werden nichts dagegen einzuwenden haben, daß ich einen ſolchen Gebrauch von Jhrem Vertrauen mache.

Ganz im Gegentheil, antwortete ihm Ar - nold, und zugleich richte ich die Bitte an Sie, Sir, und erſuche Sie, dieſe auch an Mr. Carlin gelangen zu laſſen, den Stand der Dinge in Nauvoo durch völlig Unparteiiſche zu unterſuchen und, bis dies ge - ſchehen ſeyn wird, weder meinen Behauptungen Glau -6 ben zu ſchenken, noch mich durch unverdientes Miß - trauen zu beleidigen; ich fordre das Eine, ich ertrüge das Andere nicht.

Würden Sie vielleicht die Güte haben, Sir, antwortete ihm der Gouverneur nach kurzem Nach - denken, Das, was Sie mir ſo eben mitgetheilt ha - ben, ſo wie überhaupt Alles, was auf dieſen Gegen - ſtand Bezug hat, zu Papier zu bringen?

Jch bin gern bereit dazu, ſagte Arnold, und werde es mit um ſo ruhigerem Gewiſſen thun, da der Krieg zwiſchen dem Propheten und mir offen erklärt iſt. Wie die Sachen ſtehen, habe ich nicht die mindeſte Rückſicht gegen dieſen Mann zu nehmen, und Dank ſchulde ich ihm überdies nicht, da das Miß - trauen und die Verachtung, die ich ihm von vorn herein entgegentrug, mir verboten, Gunſtbezeigungen irgend einer Art von ihm anzunehmen, ſo oft er auch den Verſuch machte, mich dadurch an ſich zu feſſeln. Jch werde mehr thun, fuhr er nach einer Pauſe fort, und hoffe es vor Der verantworten zu können, die mir ihr Vertrauen noch über das Grab hinaus ſchenkte, ich werde Sie, Sir, in den Stand ſetzen, den Character dieſes Joe Smith nach Gebühr zu würdigen. Leſen Sie aber ich fordre Jhr Eh - renwort darauf, daß kein anderes Auge als das Jhrige dieſe Papiere berühre leſen Sie dieſe Blätter mit7 Aufmerkſamkeit, und Sie werden den Mann genau kennen, der, ich zweifle nicht daran, mit verbrecheri - ſchen Plänen umgeht und die Ruhe Nord-Amerikas in kurzer Friſt durch die Ausführung derſelben ſtören würde, wenn man Jhnen nicht zeitig genug zuvor - käme.

Er nahm mit dieſen Worten die ihm von Dina hinterlaſſenen Papiere aus ſeinem Buſen hervor und überreichte ſie Mr. Boggs, der ſie ſchweigend ent - gegennahm.

Darin, daß dieſe Papiere in meinen Beſitz kamen, fuhr Arnold nach einer Pauſe mit bewegter Stimme fort, kann ich nur das Walten der Ne - meſis erkennen, indem dadurch ein durch dieſen Elen - den hingemordetes, edles Weſen noch nach ſeinem Tode an ſeinem Mörder gerächt werden wird. Sie, dieſe unglückliche Dina, die ohne Murren, ohne eine ein - zige Klage die Mißhandlungen dieſes verbrecheriſchen Mannes ertrug, weil ſie nicht genug büßen zu kön - nen glaubte, ſie ſtreckt die Hand jetzt noch aus ih - rem Grabe hervor, um dieſen Ehrgeizigen in ſeinem Laufe zu hemmen; denn ich zweifle nicht daran, daß Sie, Sir, nachdem Sie dieſe Geſtändniſſe geleſen, die geeignetſten Maßregeln ergreifen werden, um den hoch - fliegenden Plänen dieſes falſchen Propheten einen Damm entgegenzuſetzen.

8

Wie muß ich die Stunde ſegnen, in der Sie zu mir eintraten, Sir! ſagte der Gouverneur gerührt und reichte ihm die Hand. Nach Allem, was ich ſo eben von Jhnen hörte, ſchliefen wir, Mr. Carlin und ich, auf einem Vulkan, und Sie waren von der Vorſehung dazu auserſehen, uns auf - zuwecken. Jhre Offenheit, Jhr edles Vertrauen fordert auch mein Vertrauen heraus, fuhr er nach einer Pauſe fort: ſo erfahren Sie denn, daß dieſer Joe Smith ſich um die Hand meiner Tochter bewirbt, deren Bekanntſchaft er zugleich mit der meinigen bei einem Beſuche in Vandalia machte.

Arnold war nicht im Stande, ſeine große Be - wegung, ſeine Ueberraſchung vor den ihn ſcharf beobachtenden Blicken Mr. Boggs zu verbergen, und erſtere war ſo mächtig, daß er die Farbe wechſelte.

Sie werden ſich vorſtellen können, fuhr der Gouverneur fort, nachdem er vergeblich auf eine Antwort von dem jungen Deutſchen gewartet hatte, daß ich auf dieſen Vorſchlag nicht einging, daß es mir nie in den Sinn gekommen ſeyn würde, meine Tochter einem Manne zur Lebensgefährtin zu geben, der ihr Vater ſeyn könnte und von dem ich über - haupt nichts weiter weiß, als daß er reich, angeſehen und mächtig iſt, ja, gegen den ich, als den Stifter einer fanatiſchen Secte, als den Begründer eines in9 meinen Augen lächerlichen Cultus, ein gerechtes Miß - trauen habe. Allein ich hielt es für der Klugheit an - gemeſſen, eben dieſen Mann nicht gegen mich aufzu - bringen und ſo lehnte ich ſeinen Antrag unter dem Vorwande der allzu großen Jugend Florens ſie iſt in der That ja noch faſt ein Kind mit artigen Worten ab. Trotz dem aber ſcheint der Mormon - Prophet ſeinen Hoffnungen und Wünſchen auf Florens Beſitz noch nicht entſagt zu haben, denn erſt vor wenigen Tagen erhielt ich wieder ein Schreiben von ihm, worin er ſeine Anträge erneuert, und zwar auf eine ſo dringende Weiſe, daß mich die Antwort eini - germaßen in Verlegenheit ſetzt, weshalb ich ſie bis jetzt noch aufgeſchoben habe.

Dies erklärt mir Alles, was mir bisher noch in dem Benehmen Joe Smiths gegen mich räth - ſelhaft war, nahm Arnold, als der Gouverneur jetzt ſchwieg, das Wort. Er hatte Lady Flora ge - ſehen, ihr Anblick ſein Herz in Liebe entzündet; er wollte ſie, da er auf keine andere Weiſe zu ihrem Beſitze gelangen konnte, zu ſeiner Gemahlin machen, und um das zu können, mußte er ſeine frühere Ge - liebte, ein zwar ſchönes, aber höchſt geiſtloſes und unbedeutendes Geſchöpf, mit guter Manier los zu werden ſuchen. Mir war die Ehre zugedacht, dieſer Marie meinen Namen zu geben, und allein aus die -10 ſem Grunde nahm er mich in ſein Haus, ließ mich wochenlang mit ihr allein, in der Hoffnung, daß ihre Schönheit mich bethören und ich blindlings mich in ein Liebesverhältniß ſtürzen würde. Jch werde Jh - nen das Alles noch weitläufiger aus einander ſetzen, nachdem Sie die Jhnen anvertrauten Papiere geleſen haben werden, ſchloß Arnold ſeine Rede.

Jch erſuche Sie um jede Jhnen mögliche Aufklärung, war die Antwort; Sie werden be - greifen, Sir, wie wichtig alle dieſe Umſtände für mich, und auch für Mr. Carlin, ſeyn müſſen. Jetzt aber kommen Sie, wenn es Jhnen gefällig iſt, mit mir in’s Haus, damit ich Jhnen die für Sie beſtimm - ten Zimmer zeigen kann, denn ich hoffe, daß Sie es mir nicht abſchlagen werden, mein Gaſt zu ſeyn.

Arnold, dem dieſes Anerbieten ſehr erwünſcht kam, dankte durch eine Verbeugung, der Gouverneur gab ihm den Arm und führte ihn durch mehre Säle und Corridors zu zwei ſehr hübſch eingerichteten Zim - mern, die eine überaus reizende Ausſicht in den Gar - ten gewährten. Als er ſich allein in denſelben ſah, benutzte er die ihm gelaſſene Muße, um ſich umzu - kleiden, denn man hatte ſein Gepäck bereits hinauf gebracht.

Viel länger als ſonſt er wußte ſelbſt nicht, wie das kam verweilte er vor dem Spiegel, um11 ſein Haar, ſeinen Anzug zu ordnen; denn Mr. Boggs hatte ihn gebeten, beim Abendeſſen zu erſcheinen, wenn die durch die Anſtrengungen der Reiſe hervorgerufene Müdigkeit ihn nicht daran verhindern würde, und er war entſchloſſen, von der Einladung Gebrauch zu machen. Durfte er doch hoffen, den reizenden Gegen - ſtand, der jetzt alle ſeine Gedanken erfüllte, auf den ſie, wider ſeinen Willen, immer wieder zurückſchweif - ten, bei Tiſche zu erblicken, den Ton dieſer ſilber - hellen Stimme zu vernehmen, den ſtrahlenden Blicken Florens zu begegnen!

Er wußte ſich ſelbſt nicht zu ſagen, was ihn mit faſt unwiderſtehlicher Gewalt zu dieſem Weſen hinzog; denn es war nicht die unübertreffliche Schön - heit Florens allein, die ihn, wie in einem durch Ma - gie gewebten Netze, gefangen hielt; er hatte bereits vielen ſehr ſchönen Frauen gegenüber geſtanden, ohne daß nur eine einzige die mindeſte Gewalt über ihn erlangt hätte; was aber war es dann, das ihn ſo zu Floren hinzog, zu ihr, von der er noch nichts wußte, als daß ſie ſchön ſei? zu ihr, die noch ein halbes Kind, eine noch nicht völlig entwickelte Knospe war? Wie tief mochte ſie nicht vielleicht geiſtig un - ter ihm ſtehen? wie wenig den Anſprüchen Genüge leiſten, die er an das Weſen machte, das ihm dauernd gefallen ſollte? Er wußte ja noch nichts12 von ihr, ſie hatte kaum die Lippen geöffnet, als um was ihm ſogar zuwider war den Dampf aus ihrer Stroheigarre auszuhauchen; aber doch! aber doch! Er war ſich ſelbſt zum Räthſel ge - worden.

Um die ihm vom Gouverneur beſtimmte Stunde fand er ſich im Wohnzimmer ein. Flora war bereits dort, aber ihr Vater noch nicht. Sie ſtand am offe - nen Fenſter und ſchaute in den geſtirnten Himmel hinaus; ſein Eintritt ſtörte ſie darin nicht, ſondern ſie wandte nur einen Augenblick nachläßig das Haupt nach ihm um und ſetzte dann ihre Betrachtungen fort, als ob ſie allein ſei.

Es trieb ihn, trotz der Vernachläſſigung, die er von ihr erfuhr, zu ihr zu treten.

Verſtehen Sie ſich auf die Aſtronomie ſo heißt, wenn ich nicht irre, die Wiſſenſchaft Sir? wandte ſie ſich jetzt freundlich zu ihm.

Etwas, antwortete er ihr; und Sie, Lady? fügte er fragend hinzu.

Jch? lachte ſie heiter. O, Sie wiſſen nicht, wie unwiſſend ich bin! Mir hat Gott allen Verſtand verſagt, ich kann nichts, gar nichts lernen, beſonders nichts, wobei Zahlen vorkommen, und habe von jeher alle meine Lehrer in Verzweiflung ge - bracht.

13

Trotz dem möchte ich es mit Jhnen ver - ſuchen, Lady, antwortete er ihr in demſelben hei - tern Tone; wollen wir den Anfang machen?

Nur immerzu, Sir! verſetzte ſie. Nen - nen Sie mir einige Sterne und ich will ſehen, ob ich die Namen behalten kann.

Nein, ſo fangen wir nicht an! ſagte er.

Aha! ich merke ſchon, Sie wollen es eben ſo machen, wie meine andern Lehrer; da werden Sie Jhre Freude an mir erleben! Freilich, wenn Sie Muſik verſtünden, das wäre etwas Anderes! Sind Sie muſikaliſch, Sir?

Jhnen zu dienen, war ſeine Antwort.

Das freut mich; da können wir zuweilen zuſammen ſpielen und ſingen; das iſt das Einzige, wovon ich etwas verſtehe, und ich würde es vielleicht weiter gebracht haben, wenn der arme Georg, mein Lehrer, in der letzten Zeit nicht ſo unaufmerkſam ge - weſen wäre; aber er war krank, fügte ſie gutmü - thig hinzu, und ſo thäte ich Unrecht, wenn ich ihn deshalb tadelte, daß er mich oft ſtundenlang ſpielen und ſingen ließ, ohne auch nur eine einzige Note zu corrigiren. Er ſoll ſehr krank ſeyn, der arme Mr. Georg, fügte ſie mit traurigem Tone hinzu; mein Vater ſagt es, und ich habe ihn ſchon mehre Male beſuchen wollen, allein man erlaubt es mir14 nicht, und doch wäre es meine Pflicht, da ich ihm ſo vielen Dank ſchuldig bin.

Der Eintritt des Gouverneurs unterbrach ihr Geplauder. Er ſah ſehr ernſt und ſogar ungewöhn - lich bleich aus. Als er Arnolden die Hand zum Will - komm reichte, drückte er die ſeinige und ſagte:

Jch habe die eben ſo betrübenden, als wich - tigen Papiere geleſen, Sir, und bin ſehr bewegt da - durch geworden. Der Blick in eine ſolche Tiefe des menſchlichen Elends, des menſchlichen Schmerzes, thut unendlich weh; doch danke ich Jhnen für die Mit - theilung dieſer für mich und noch für viele Andere ſo wichtigen Actenſtücke, indem ſie mir Aufſchluß über Dinge und Charactere gegeben haben, die zu kennen als bedeutender Gewinn betrachtet werden muß, be - ſonders in der Stellung, worin ich mich befinde. Jch weiß jetzt, was ich zu thun, welche Maßregeln zu er - greifen habe und hoffe, daß Sie mir bei Allem hülf - reich zur Hand gehen werden, was zu thun mir - thig ſcheinen dürfte.

Sie können auf meine Hingebung und Be - reitwilligkeit rechnen, verſetzte Arnold.

Jch danke Jhnen, Sir; aber jetzt laſſen wir die Geſchäfte ruhen, damit dieſes Kind er zeigte auf Floren auch etwas von unſerer Ge - ſellſchaft habe; denn ſie verſteht nichts davon und15 ſoll, ſofern ich es verhindern kann, auch nie etwas davon verſtehen lernen.

Das Geſpräch glitt von da an über andere Ge - genſtände hin. Sir John veranlaßte Arnold durch mancherlei über ſeine letzte Reiſe an ihn gerichtete Fragen, zu erzählen, was er auf derſelben geſehen und erlebt hatte, und da Arnold ſehr angenehm er - zählte, da er ein ſcharfer und aufmerkſamer Beobach - ter war, hörte man ihm mit ſichtbarem Vergnügen zu, ſo daß die Stunde des Abendeſſens ſchnell dahin ſchwand. Nachdem man damit fertig war, erhob ſich Flora, küßte und umarmte ihren Vater, reichte auch Arnolden, wie einem alten Freunde, die Hand und entfernte ſich, indem ſie letzterm zurief:

Vergeſſen Sie Jhr Verſprechen wegen der Muſik nicht, Sir!

Dann verſchwand ſie, ohne ſeine Antwort abzu - warten.

Die Blicke beider Männer folgten ihr, bis ſich die Thür hinter ihr wieder ſchloß. Jn denen des Va - ters lag der Ausdruck der innigſten Zärtlichkeit; Ar - nolds glühten gleich ſeinen Wangen, die ſich bei der Berührung der kleinen, ſammetweichen Hand Florens beim Abſchiede, als ſie ſie in die ſeinige legte, mit Purpur überzogen hatten.

Was ſagen Sie zu dieſem meinem Kinde? 16ſchien Mr. Boggs ſeinen Gaſt, mit dem auf dieſen nach Florens Verſchwinden gerichteten triumphirenden Blick zu fragen; der junge Mann aber beantwortete dieſe ſtumme Frage nicht, ſondern ſenkte das Auge zur Erde.

Sind Sie ſehr müde, Sir, nahm der Gouverneur nach einer ziemlich langen Pauſe das Wort, ſo ſagen Sie es mir mit der Aufrichtigkeit, die ich mir unter allen Umſtänden von Jhnen aus - bitte; ſonſt ſchenken Sie mir noch eine Stunde, oder auch nur eine halbe, um eine Antwort auf dieſe oder jene Frage zu geben, die ich Jhnen noch vorlegen möchte, um über manche Umſtände völlig aufgeklärt zu werden. Jch geſtehe Jhnen, daß ich ſo aufgeregt, ja über Manches ſo beunruhigt bin, daß für mich an Ruhe noch nicht zu denken iſt.

Auch ich würde noch nicht ſchlafen können, war die Antwort; plaudern wir alſo, Sir, wenn es Jhnen recht iſt.

Es geſchah, und bis tief in die Nacht hinein dauerte die Unterhaltung der beiden Männer, die wir, da ſie den Leſern nur bereits Bekanntes enthielt, nicht mittheilen, obgleich ſie vielleicht das Schickſal des Nordweſtens von Amerika entſchied. Arnold wußte dem Gouverneur ſo viele Aufſchlüſſe und zugleich ſo viele Daten über die Angelegenheiten in Nauvoo, und17 über die Mormons überhaupt, zu geben, daß dieſer die Nothwendigkeit einſah, nicht nur den zunächſt Be - theiligten, den Gouverneur von Jllinois, ſondern auch den Congreß auf die Gefahren aufmerkſam zu machen, von denen die nordweſtlichen Staaten durch die Pläne und geheimen Machinationen des Propheten bedroht wurden.

Aus den überaus genauen Mittheilungen des jungen Deutſchen entnahm er, daß ſeine und Mr. Car - lins Macht, ſelbſt wenn man ſie vereinigte, nicht mehr hinreichend ſeyn würde, den ehrgeizigen Plänen Joe Smiths einen Damm entgegenzuſetzen, und daß man ſich daher ungeſäumt nach anderweitiger Hülfe umſehen müſſe.

Durch eine ziemlich langwierige Krankheit, in die Sir Henry Bennet verfiel, welcher General-Jn - ſpector der Mormonen-Armee und ein überaus klu - ger, kühner und geſchickter Mann war, erhielt Arnold zufällig Gelegenheit, Einſicht in die Militärrollen zu nehmen und ſich mit Allem bekannt zu machen, was auf die von Joe Smith in der Stille geſammelte Heeresmacht Bezug hatte, die ſowohl an Stärke als an Disciplin der der umliegenden Staaten bei wei - tem überlegen war.

Wir werden ſchon morgen, Sie und ich, Sir, einen Bericht über dieſe außerordentlichen Vor -III. 218gänge an den Congreß abſtatten, nahm Mr. Boggs, nachdem Arnold geendet hatte, das Wort. Jetzt aber gehen Sie auf Jhr Zimmer, denn Sie werden der Ruhe bedürfen, fügte er hinzu; wir reden morgen mehr über alle dieſe Dinge. Schlafen Sie wohl und haben Sie nochmals Dank für Jhre Mit - theilungen!

Zweites Kapitel.

Die wichtigen Geſchäfte, welche Arnolds und des Gouverneurs Zeit gleich nach der mit einander gehab - ten Unterredung faſt ausſchließlich in Anſpruch nah - men, ließen Beiden kaum Augenblicke für Flora übrig, was das gute Kind faſt unmuthig machte, denn ſie hatte ſich ſchon darauf gefreut, dem jungen Frem - den ihre Gemächer, ihre Blumen, Vögel, Kupfer - ſtiche u. ſ. w. zu zeigen, um ſein Urtheil darüber zu hören, vor allen Dingen aber, Muſik mit ihm zu machen. Jetzt aber war er vom Morgen bis in die Nacht hinein an den Schreibtiſch gebannt, um aus ſeinen Tagebüchern alle die Notizen zuſammenzutra - gen, deren Mr. Boggs bedurfte, um an den Con - greß einen Bericht abgehen laſſen zu können, der die -19 ſen von der dringenden Gefahr überzeugte, welcher die Jllinois und der Mormoncolonie zunächſt gelegenen Staaten durch Joe Smiths heimliche Rüſtungen aus - geſetzt ſeyn würden, wenn man nicht zeitig genug Vorkehrungen dagegen träfe. Arnolds glückliches Ge - dächtniß, verbunden mit ſeiner ſcharfen Beobachtungs - gabe, befähigte ihn, aus erſterem zu ergänzen, was er nicht niedergeſchrieben hatte, und ſo mußte der Gouverneur es als eine überaus glückliche Fügung an - ſehen, daß dieſer junge Mann zu ihm geführt wor - den war, bevor das Unheil eine Höhe erreicht hatte, die Abhülfe, wenn auch nicht unmöglich, doch ſehr ſchwer gemacht haben würde.

Endlich war dieſer Bericht fertig und ein zuver - läſſiger Bote wurde damit nach Waſhington ab - geſandt.

So werden wir morgen mit einander Mu - ſik machen? wandte ſich Flora an Arnold, als ſie bei der Abendtafel von den beiden Männern vernahm, daß das vorgehabte wichtige Geſchäft glücklich been - digt ſei. Wiſſen Sie wohl, Mr. Arnold, daß Sie mich faſt ungeduldig damit gemacht hätten, daß Sie die Erfüllung Jhres Verſprechens immer weiter hin - ausſchoben? fügte ſie mit liebenswürdiger Naivität hinzu.

Darunter, werthe Lady, litt ich ſelbſt am2 *20meiſten, verſetzte er; allein es lag in den Um - ſtänden, daß ich mich des ſchönſten Glücks ſo lange berauben mußte, des, Sie ſingen und ſpielen zu hören.

Und Sie werden mir aufrichtig, ganz auf - richtig ſagen ich fordre, ich erwarte das von Jh - nen, Sir! ob ich ’was davon verſtehe, antwor - tete ſie; denn Sie werden begreifen, wie glücklich es mich machen würde, doch irgend Etwas zu können, ich, die ich eine ſo arme, unwiſſende Kreatur bin. Aber trotz dem ſollen Sie mir nicht ſchmeicheln, Sir, denn ich haſſe die Schmeichelei und weiß es gleich, wenn man nicht aufrichtig gegen mich iſt.

Jch verſpreche Jhnen die größeſte Aufrich - tigkeit, Lady Flora!

Gut, ſo werden wir immer gute Freunde bleiben, und das wünſche ich, Sir!

Dieſer Wunſch macht mich ſehr glücklich, er könnte mich ſtolz machen, Lady!

Der Gouverneur unterbrach dieſe Unterredung, der er lächelnd zugehört hatte, durch eine an Arnold gerichtete Frage und das Geſpräch nahm dadurch eine andere Wendung.

Am folgenden Morgen ließ ſich unſer Freund, ſeinem Verſprechen gemäß, bei Floren melden und wurde ſogleich angenommen. Er hatte ſie bis dahin21 noch nicht in ihren Gemächern beſucht und war daher nicht wenig überraſcht, als man ihn in das zugleich reizendſte und wunderbarſte Zimmer führte, ein Zim - mer von Florens Erfindung.

Es war ſo groß, daß es füglich für einen Saal gelten konnte und ſtellte, mit ſeiner gewölbten Decke, eine ſchöne Laube dar, die von der Hand eines ge - ſchickten Künſtlers der Natur auf das Täuſchendſte nachgebildet worden war. Aus dem künſtlich geordne - ten Laubgewinde blickten hie und da buntgefiederte Vögel und Schmetterlinge hervor; auf den Blättern ſaßen Jnſecten aller Art, Raupen, Schnecken u. ſ. w., kurz, die Täuſchung war ſo vollkommen, daß man ſich durch das Gefühl erſt überzeugen mußte, daß man Wände und keine wirkliche Laube vor ſich habe.

Floren entging das Erſtaunen und die Ueber - raſchung des jungen Fremden nicht und ſie erfüllten ſie mit einer faſt kindiſchen Freude.

Nicht wahr, ſagte ſie, das iſt hübſch? das überraſcht Sie, Sir?

Wie Alles in dieſem Hauſe, verſetzte er.

Jm Winter, wo Alles erſtarrt iſt, wo Alles voll Schnee und Eis liegt, iſt dieſes Zimmer mein einziger Troſt, nahm ſie wieder das Wort. Jch glaube, daß ich den Winter nicht ertragen, keinen einzigen überleben würde, wenn ich mir nicht einen22 ewigen Sommer durch dieſes Zimmer und meine vie - len lebenden Blumen geſchaffen hätte. Jch vermeide es dann, in’s Freie hinauszuſehen; ich liege auf mei - nem Divan und träume vom Frühlinge; ich athme den Duft me ner Blumen ein, lauſche dem Geſange der Stuben ögel, mache Muſik, beſehe Kupferſtiche, ordne meine Muſchelſammlung und ſo geht die böſe Jahreszeit faſt unbemerkt vorüber. Sie aber müſſen alle meine Herrlichkeiten in Augenſchein nehmen, ſchloß ſie ihre Rede, denn darauf habe ich mich ſchon gefreut und Sie dürfen mir die Freude nicht verderben, Mr. Arnold!

Keine einzige, ſo weit das in meiner Macht ſteht! betheuerte er, die Hand auf’s Herz legend.

Das iſt gut von Jhnen, Sir! Fangen wir mit der Muſik an: wollen Sie zuerſt ſpielen, oder ſoll ich es?

Jch bitte Sie, den Anfang zu machen, Lady.

Mir iſt es ſo recht, antwortete ſie, an einen koſtbaren Flügel eilend und dieſen öffnend. Er trat zu ihr, um ihr zu helfen; ſie nahm ſeine Hülfe freundlich an und ſuchte unter den Noten, während er ihr einen Stuhl hinſtellte, auf den ſie ſich nie - derließ.

Jetzt ſetzen Sie ſich auf den Divan, be -23 fahl ſie: ich ſinge und ſpiele beſſer, wenn ich mich ganz allein glaube und beim Spielen vergeſſe ich die ganze Welt ; alſo thun Sie, wie ich Sie ge - beten habe!

Er gehorchte und ſie begann. Er hatte von die - ſem wunderbaren, feenhaften Weſen das Außerordent - liche erwartet; aber was er jetzt vernahm, übertraf trotz dem ſo alle ſeine Erwartungen, war ſo unge - wöhnlich, daß er in einer andern Welt zu ſeyn glaubte. Jhre Stimme hatte keinen großen Umfang, ihr Geſang war nicht eben brillant, aber es war ihre Seele, die in den Tönen lag, es war der Frühling mit allen ſeinen wundervollen Klängen, den er zu - ren glaubte: das Rauſchen des Windes in den Blät - tern, das Säuſeln der Abendluft durch die Gräſer und Kräuter der Prairie; das Murmeln des Baches über Kieſelgrund hin; das Girren der Turteltaube in den hohen Aeſten der Magnolie, das Flöten der Nach - tigall bei mondhellen Nächten! Die ſüßeſten, die hei - ligſten Erinnerungen an ſeine glückliche Kindheit er - wachten dabei in ſeinem Herzen: wie er am Bache lag und dem munteren Spiele der Forellen mit träu - meriſchem Auge zuſah; wie ſein Ohr dem Geläute der unfern weidenden Heerde lauſchte; wie ſeine Bruſt die reine, friſche Luft mit Entzücken einſog; wie er von Vergißmeinnichten und Ranunkeln umnickt, den24 Blick zum tiefblauen Himmel emporgerichtet, in ſtiller Seligkeit dalag und aus den Händen der Natur und der Einſamkeit die göttlichſten, beglückendſten Gaben empfing und ſeine Seele auf Schwingen der Andacht ſich dankend zum Schöpfer emporhob und ſeine heilige Nähe fühlte, ſein Weſen ahnete.

Alle dieſe Erinnerungen erwachten bei Florens Geſang wieder in ſeiner Seele und noch einmal war er ganz wieder glücklich, noch einmal ein frohes Kind. Sie ſelbſt, die Schöpferin dieſer Wonnen, kam ihm wie der Frühling, wie das Bild der ewigen Jugend vor; er hätte es nicht ertragen, ſie ſich gealtert, dieſe göttliche Stimme ohne Metall und Schmelz zu den - ken; er hätte den Wunſch ausſprechen mögen, daß ſie in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit ſterben, nicht das allgemeine Loos der Menſchen theilen möge, aus dem Lenze in den Sommer, aus dieſem in den Herbſt und endlich in den eiſigen Winter überzugehen. Er grollte mit der Gottheit, daß ſie in einzelnen Fäl - len keine Ausnahme mache, daß ſie gleiche Geſetze für Alle habe, für das Häßliche, wie für das Schöne, für das Große, wie für das Geringe, für das Außer - ordentliche, wie für das Gemeine.

Spiel und Geſang verſtummten endlich; Flora erhob ſich von ihrem Sitze und trat zu Arnold hin, der ſo in Gedanken vertieft war, daß er der Höflich -25 keit darüber vergaß und ſitzen blieb, während ſie vor ihm ſtand und ihn mit fragenden Blicken anſah, denn ihre Lippen ſchwiegen: ſie war ſelbſt zu ergriffen, um reden zu können.

Die Blicke dieſer beiden reinen, tief poetiſchen Weſen trafen ſich und Eins ſchaute dem Andern gleich - ſam in die Seele hinein. Jn dem Blicke Florens lag deutlich das Verlangen ausgedrückt, ein paar freund - liche Worte aus Arnolds Munde über die einzige Kunſt, die ſie beſaß, zu vernehmen; in dem ſeini - gen eine Bewunderung, die vergebens nach Wor - ten rang.

Er fand ſie nicht; aber doch mußte er ihr ſeine Huldigung darbringen; er erhob ſich, kniete vor ihr nieder und küßte ehrerbietig ihre kleine, ſammetweiche Hand. Sie lächelte ihn zufrieden an, denn ſie hatte ihn verſtanden, ohne daß er ſprach.

Jetzt iſt an Jhnen die Reihe, Sir, ſagte ſie dann nach einer Pauſe, nachdem er ſich wieder er - hoben hatte.

O, nicht jetzt, in dieſem Augenblick nicht! flehte er.

Wann dann? fragte ſie. Sie müſſen mir Jhr Verſprechen halten, Mr. Arnold; Verſprechen macht Schuld!

Jch will es halten, verſetzte er, gewiß,26 ich will! Aber dringen Sie jetzt nicht darauf, jetzt nicht!

Gut! So ſehen wir indeß die neuen Kupfer - ſtiche an, die mein Vater für mich aus Europa hat kommen laſſen, ſagte ſie, an eine große Tafel tre - tend, auf der eine Menge Hefte und einzelne Blät - ter, ſehr ſchöne Stahl - und Kupferſtiche enthaltend, ausgebreitet lagen. Jch habe ihn gebeten, fuhr ſie fort, nachdem Arnold ihr dahin gefolgt war, mir Landſchaften von der Gegend kommen zu laſſen, aus der meine gute verſtorbene Mutter ſtammte, die Jhre Landsmännin, eine Deutſche, war, und in dieſem Hefte ſollen ſie enthalten ſeyn, wie man mir ſagte.

Wie, Jhre Mutter war eine Deutſche? fragte Arnold überraſcht.

Ja, mein Vater behauptet es: ich ſelbſt habe ſie nicht gekannt; ſie ſtarb, als ich noch zu jung war, um mich ihrer erinnern zu können. Jch hätte ſie ſo gern gekannt, fuhr ſie mit gerührter Stimme fort: ſie ſoll ſo gut und ſchön geweſen ſein! Wiſſen Sie, Mr. Arnold, fügte ſie nach ei - ner Pauſe hinzu, daß es mir ſehr lieb iſt, in Jhnen einen Landsmann meiner Mutter zu begrüßen? O, wie würde ich meine Mutter geliebt haben, wenn ich ſie gekannt hätte!

Sie öffnete mit dieſen Worten das betreffende27 Heft und zeigte Arnolden die darin enthaltenen Ge - genden; es waren die ihm ſehr bekannten aus der Nähe des Bodenſees.

Da war ich, ſagte er, auf eine ſchöne Burgruine zeigend; da unten, am Fuße des zertrüm - merten Schloſſes, lag ich oft und träumte von alten Mährchen und Sagen, die ſich daran knüpfen. O, es iſt gar herrlich dort, und welche Seligkeit müßte es ſeyn, wenn ich Sie einmal dahin führen, Jhnen die göttliche Ausſicht zeigen könnte, die man von da Oben herab hat!

Und dann ſäße ich neben Jhnen, am Fuße der Mauer, und wir Beide, wie zwei glückliche Ge - ſchwiſter, Hand in Hand! rief ſie, und ihr Auge leuchtete vor Freude. O, es iſt doch betrübt, we - der eine Mutter mehr, noch eine Schweſter, einen Bruder zu haben! fügte ſie traurig hinzu. Sie, Sir, fuhr ſie nach einer Weile fort, Sie ſind wohl glücklicher in dieſem Punkte?

Jch? im Gegentheil, verſetzte er. Den Vater habe ich nie gekannt, die theure Mutter iſt mir vor einigen Jahren ſchon geſtorben und Geſchwi - ſter habe ich nie gehabt.

So will ich Jhnen Schweſter, und Sie, nicht wahr? wollen mein Bruder ſeyn? fragte ſie mit himmliſcher Naivität. Mich dünkt, das Schick -28 ſal hat uns gleichſam darauf angewieſen, einander Er - ſatz für das Fehlende zu gewähren.

Sie reichte ihm mit dieſen Worten die Hand, die er ſich nicht erwehren konnte, an ſeine Lippen zu drücken.

Beide durchblätterten dann die Kupferſtiche. Flora hatte immer etwas zu fragen und ſtreute hie und da Bemerkungen ein, die Arnold um ſo mehr überraſch - ten, da ſie in der That unwiſſend war und ſich Frem - des durchaus nicht angeeignet hatte, außer einige Ge - dichte, denn wie für die Tonkunſt, glühte ihre Seele auch für die Poeſie.

Unſre Beiden verbrachten ſo eine Stunde und darüber mit einander. Dann mußte Arnold ſich auf Florens Wunſch an das Jnſtrument ſetzen und er that es jetzt, ohne ſich zu ſträuben. Er wählte ſein Lieb - lingslied, ein neugriechiſches Volkslied an den Tod, und obgleich Flora den Jnhalt deſſelben nicht ver - ſtehen konnte, ſo ergriff ſie doch die Melodie, eine der ſchönſten und tiefſten, die man hören kann, der - maßen, daß ihr Auge heiße Thränenſtröme vergoß und ſie ſich in einer ganz andern Welt fühlte, in ei - ner Welt voll Poeſie und Wohllaut.

Sie weinte ſelbſt da noch fort, als der Geſang bereits verſtummt war und Arnold ſich erhoben hatte und an das Fenſter getreten war. Dieſes Lied,29 welches ihn an frühere Zeiten ſo lebhaft erinnerte, an ſeine über Alles geliebte Mutter, der er es oft hatte ſpielen und ſingen müſſen, hatte einen Sturm von Empfindungen in ihm aufgeregt und ſein Auge ſchwamm in Thränen, die er vor Floren zu verber - gen wünſchte, weil er als Mann ſich ihrer ſchämte.

Wie es uns oft ergeht, daß ein Ton, eine Me - lodie, der Blick eines Auges, ein Sonnenblick, eine Blume, plötzlich eine längſt verſunkene Zeit wieder in unſere Erinnerung zurückruft, ſo war es auch Arnol - den mit dieſem griechiſchen Liede ergangen. Seine ſchöne, glückliche Kindheit, die theure Heimath, das Bild der Mutter, das hübſche, von Reben umkränzte Haus, in dem er aufgewachſen war; die Stube, ſo golden am Morgen von der Sonne beſchienen, ſo duftig durch die vielen darin blühenden Blumen, alles Das ſtand, wie durch den Schlag einer Zauberruthe hervorgerufen, wieder vor ihm da und erfüllte ſein Herz mit unausſprechlichen Gefühlen. Er blieb lange am Fenſter ſtehen, bemüht, die in ſeiner Seele em - portauchenden Bilder feſtzuhalten, und Flora ſtörte, unterbrach ihn nicht; ſie lag auf ihrem Divan und ſchien ihn, ja die ganze Welt vergeſſen zu haben.

Der Eintritt des Gouverneurs unterbrach dieſe ſtumme Scene. Sein Auge flog von Floren zu Ar - nolden und es entging ihm nicht, daß Beide geweint30 hatten. Er wollte fragen, ſein Erſtaunen äußern, Flora kam ihm mit dem Ausrufe zuvor:

O, mein Vater, daß du nicht hier wareſt, nicht Mr. Arnold ſpielen und ſingen hörteſt!

Es iſt gewiß, daß ich Viel dadurch ver - loren habe, war ſeine Antwort; aber ich hoffe ein Andermal ſo glücklich ſeyn zu können, das Verſäumte nachzuholen. Für den Augenblick ſehe ich mich aber ſogar gezwungen, zwiſchen Mr. Arnolds und dein Vergnügen zu treten, indem ich ihn erſuche, mir in mein Arbeitszimmer zu folgen.

O, die leidigen Geſchäfte! rief ſie geär - gert aus. Jch wollte lieber gleich todt ſeyn, als mir jeden guten Augenblick durch ſie rauben zu laſſen!

Damit du froh ſeyn und genießen könneſt, arbeite ich, verſetzte der Vater, indem er ihre Stirn küßte.

So ſollte es aber nicht ſeyn, erwiederte ſie, ich ſollte auch für dich ſorgen und arbeiten können, mein Vater, damit auch du dich freuteſt und genöſſeſt. So wie es jetzt iſt, komme ich mir wie die Schmarotzerpflanze vor, die ſich um den Stamm des ſchönen Tulpenbaumes in unſerm Garten wand und, indem ſie immer größer, ſchöner und kräftiger wurde, ihm das Mark ſo wegſog, daß er endlich gar abſtarb.

31

Bei uns iſt es umgekehrt, antwortete er, ſie zärtlich anſehend: dein Gedeihen, dein Glück ver - jüngt mich, kräftigt mich, meine Flora; laß es alſo gut ſeyn und ſo bleiben, wie es iſt. Verlaß dich dar - auf, daß ich dabei nicht zu kurz komme.

Er gab bei dieſen Worten Arnolden einen Wink und Beide entfernten ſich aus dem Zimmer.

Es iſt eine neue Botſchaft vom Propheten angelangt, ſagte Mr. Boggs auf dem Wege nach ſei - nem Zimmer zu Arnold, ein Brief, worin er ſeine Bewerbung um Florens Hand dringend erneuert und mich zugleich vor Jhnen warnt. Er beſchuldigt Sie der ſchwerſten Vergehungen und fordert mich auf, Sie, ſollten Sie es trotz dem zwiſchen Jhnen und ihm Vorgefallenen wagen, ſich in St. Louis ſehen zu laſ - ſen, gefangen zu nehmen und an ihn auszuliefern.

Jch erwartete etwas der Art von ihm, antwortete Arnold mit ruhigem Tone, obgleich ein höherer Purpur ſeine Wangen färbte; und weſſen beſchuldigt mich dieſer Mann, wenn ich fragen darf? fügte er hinzu.

Sie ſollen ſeinen Brief leſen, war die Antwort; beunruhigen Sie ſich aber nicht über den Jnhalt, denn ich weiß, was daran iſt, indem Joe Smith, wenn gleich noch verſteckt, bereits mit ſei - nen Abſichten und für das Gemeinwohl verderblichen32 Plänen gegen mich hervortritt. Er deutet in ſeinem Schreiben nicht nur auf ſeine großen Reichthümer, ſondern auch auf die von ihm geſammelte Macht hin und giebt mir nicht undeutlich zu verſtehen, daß der Nordoſten Amerikas unſer ſein würde, wenn wir in ein feſtes, unauflösliches Bündniß mit einander treten würden, und das uns verbindende Band ſoll Flora ſeyn.

Er reichte ihm mit dieſen Worten den Brief Joes hin, der ein kleines diplomatiſches Meiſterſtück war, indem er mit klaren Worten nichts ausſprach, was den Schreiber auf irgend eine Weiſe hätte com - promittiren können, aber doch die geheimen Abſichten deſſelben genugſam errathen ließ. Ueber Arnold ſelbſt waren nur wenige, aber dieſen überaus gravirende Worte eingeſtreut. Er beſchuldigte dieſen, das in ihn geſetzte Vertrauen mißbraucht, ſeine Tochter Ma - rie während ſeiner Abweſenheit verführt und dann, aus Furcht vor ſeinem gerechten Zorne und ſeiner Rache, Nauvoo heimlich verlaſſen zu haben; und ſo groß, ſchloſſen dieſe unwahren Beſchuldigungen, ſo groß war die Macht, die dieſer elende Abenteurer über das Gemüth meines unglücklichen, verblendeten Kin - des ſich zu erwerben gewußt hat, daß auch ſie mich heimlich verlaſſen und dadurch in den tiefſten Kum - mer geſtürzt hat, um dieſem Unwürdigen zu folgen. 33Jch werde aber Alles aufbieten, mein Kind zu retten und den Verführer zur Strafe zu ziehen, und erſuche Sie, mich dabei nach Kräften und Umſtänden unter - ſtützen zu wollen. Jch nährte eine Schlange im Bu - ſen, ſie ſtach mich, ſie verwundete mich im Liebſten und Theuerſten tödtlich; allein ich gebe die Hoffnung nicht auf, ſie erreichen und in meinem gerechten Zorne zertreten zu können u. ſ. w.

Und was werden Sie nach dieſem Briefe thun? fragte Arnold, indem er ihn dem Gouver - neur wieder zu ſtellte.

Jch ſagte mir, nachdem ich ihn geleſen, war die Antwort: C’est le commencement de la fin.

Jch verſtehe Sie nicht, Sir!

Sie werden es, wenn ich Jhnen ſage, daß ich entſchloſſen bin, offen mit dieſem Elenden zu bre - chen, ihm den Krieg zu erklären und mich zugleich zu rüſten. Jeder Augenblick Verzug vergrößert nach meiner Anſicht die Gefahr und ich halte uns für weit geſicherter, wenn wir dieſem Manne als erklärte Feinde gegenüber ſtehen, als wenn er heimlich unſer Feind bliebe, denn das wird er werden, ſo wie ich ihm mit beſtimmten Worten die Hand meiner Tochter abſchlage und er hört, daß Sie bei mir ſind. Aber wir ha - ben keinen Augenblick zu verlieren: Mr. Carlin mußIII. 334von Allem, was in Nauvoo vorgeht, unterrichtet, muß aus dem Schlafe aufgerüttelt werden, und zu dem Ende erſuche ich Sie, Sir, die von uns bereits über das Treiben der Mormons und ihres Prophe - ten an den Congreß geſandte Note copiren zu wollen, damit ich ſie durch einen ſichern Mann an Mr. Car - lin ſenden kann.

Es ſoll geſchehen, war Arnolds Antwort; nach dem aber, was ich ſeither von dieſem Gouver - neur geſehen, was ich aus dem Munde Joe Smiths und anderer Mormons über ihn gehört habe, dürfen wir kein energiſches Auftreten von ihm erwarten, auch hat der Prophet ſo ſehr ſein Ohr, daß er alle meine Angaben für bloße Verläumdungen halten wird.

Sie haben Recht, aber ich werde ihn trotz dem doch zu einiger Vorſicht aufzuſtacheln wiſſen, wenigſtens ihn dahin vermögen, daß er die Augen öffnet und nicht blindlings in die ihm von dem Ehr - geizigen gelegte Falle geht.

Ein Klopfen an die Thür unterbrach das Ge - ſpräch.

Das wird der Bote des Propheten ſeyn, ſagte Mr. Boggs; ich habe ihn herbeſchieden laſſen, um ihm meine Antwort auf den Brief ſeines Herrn und Meiſters zuzuſtellen. Sie iſt kurz und bündig, und nie iſt wohl, glaube ich, eine Kriegserklärung35 mit ſo wenigen Worten gemacht worden, als dieſe. Jch habe weiter nichts in meiner Antwort geſagt, als daß ich mich zugleich für die Ehre bedanke, ſein Schwiegervater und ſein Bundesgenoſſe zu werden; es wird hinreichen, um ihm zu zeigen, wie er mit mir daran iſt.

Auf das Herein! des Gouverneurs trat Joram Adams zu den Beiden in das Zimmer. So wie er Arnoldens anſichtig wurde, nahmen ſeine Geſichtszüge, aber nur auf einen Augenblick, einen Ausdruck von ſo giftiger Bosheit an, daß man vor ihm erſchrecken konnte. Arnold nahm daraus ab, daß er wenigſtens zum Theil in das Geheimniß der Art und Weiſe ſei - ner Trennung von Joe Smith eingeweiht ſei und in Folge deſſen einen grimmigen Haß auf ihn geworfen habe. Trotz dem ſtand er ihm ruhig, ja ſogar ge - bietend, gegenüber und heftete den Blick ſo feſt auf ihn, daß er ſich gezwungen ſah, den ſeinigen zu Bo - den zu ſenken.

Hier, mein guter Freund, nahm der Gouverneur das Wort, indem er ihm die verſiegelte Antwort auf den Brief des Propheten überreichte, bringt das Mr. Joe Smith und nun gehabt euch wohl.

Joram empfing das Schreiben ſchweigend und, dem Anſcheine nach, ehrerbietig; doch zitterte die3 *36Hand, mit der er es entgegennahm. Er warf noch einen letzten Blick auf Arnold, einen Blick, wie der Tiger ihn auf die Beute werfen würde, auf die zu - zuſpringen er im Begriff wäre; dann entfernte er ſich langſam aus dem Gemache, deſſen Thür er leiſe hin - ter ſich zumachte.

Welch einen Postillon d’amour hatte ſich der Prophet da erwählt! rief Mr. Boggs, als Jener ſich entfernt hatte. Jn meinem ganzen Leben iſt mir noch eine ſolche Galgenphyſiognomie nicht vor - gekommen! Das Blut erfriert einem in den Adern beim Anblick dieſes Menſchen. Jſt dieſer einer ſeiner Vertrauten?

Er hat keinen, verſetzte Arnold; nur blinde Werkzeuge zur Ausführung ſeines Willens und ſeiner Pläne können ihm dienen und dazu paßt nichts ſo gut, als eben dieſe Fanatiker, zu denen beſonders dieſer Joram Adams und ſein Vater gehören. Sie würden auf ein bloßes Wort ihres Propheten dem Teufel ihre Seele verſchreiben und doch in den Him - mel zu gelangen glauben.

Und gehorchen ihm alle Uebrigen eben ſo, wie die beiden von Jhnen Genannten?

Wenn ſich ihm auch nicht Alle in dem Maße mit Leib und Seele hingegeben, ſo würde doch kein Einziger anſtehen, für dieſen falſchen Gottbegei -37 ſterten, für ihren Heiligen und Propheten, auf ſein bloßes Wort Gut und Leben hinzugeben und ihm zu - gleich in Allem blinden Gehorſam zu leiſten. Er hat ſie durch den Fanatismus, den er ihnen einzuflößen verſtand, mit Demantketten an ſich gefeſſelt und ſich zum Herrn ihres Gewiſſens und ihres Leibes zugleich gemacht.

Wir haben es, es ſteht nicht zu läugnen, mit einem gefährlichen Gegner zu thun, ſagte nach kurzem Nachſinnen Sir John, und müſſen ſo doppelt auf unſerer Huth ſeyn.

Gewiß! Vorſicht iſt nicht genug anzu - empfehlen, Sir, war Arnolds Antwort; um ſo mehr, da unſre Vorhuth, Mr. Carlin, nach Jhrem und meinem Dafürhalten ſchwach und leicht zu über - rumpeln iſt.

Drittes Kapitel.

Joe Smith, der ſeine ganze Energie wieder ge - wonnen und ſich von der ihm durch Arnold bereiteten Niederlage völlig wieder erholt hatte, war, während man ſich zu St. Louis gegen ihn rüſtete, auch nicht müſſig.

38

Er begriff, daß der entſcheidende Augenblick ge - kommen ſei und er die Maske ablegen müſſe, wenn der junge Deutſche das Vertrauen Mr. Boggs, trotz dem, daß er dieſen vor ihm gewarnt, gewonnen hätte, und bereute nichts ſo ſehr, als daß er ſich durch ein ihm ſelbſt unerklärliches Gefühl davon hatte abhalten laſſen, einen Menſchen aus dem Wege zu räumen, der ihm ſo gefährlich werden konnte, da es ihm nicht möglich geweſen war, ihn für ſich und ſeine Sache zu gewinnen. Dazu würde es ihm an Gelegenheit nicht gefehlt haben, ſobald er ernſtlich Arnolds Tod gewollt hätte, denn dieſer war ja längere Zeit in ſeine Hände gegeben geweſen. Jndeß war ſelbſt jetzt noch das Verſäumte nachzuholen und Joe Smith war, freilich erſt nach einem heftigen Kampfe mit ſich ſelbſt, zum Aeußerſten entſchloſſen, um ſich ei - nen Gegner vom Halſe zu ſchaffen, der für ihn un - gefähr dieſelbe Bedeutung hatte, wie Macduff für den Macbeth, und vor dem er ſich auf eine ihm ſelbſt unerklärliche Weiſe mehr fürchtete, als vor irgend einem andern Menſchen auf der Welt. Es gab Augenblicke, in denen ihm dieſe Furcht lächerlich vorkam, denn was würde dieſer Einzelne, mochte er auch noch ſo viel Character und Energie beſitzen, wohl gegen einen Mann auszurichten vermögen, der über eine wohl disciplinirte Armee von 15,000 Mann,39 an deren Spitze kühne und kriegserfahrene Männer, ja Männer von anerkanntem Talente, ſtanden, zu ge - bieten hatte und der außerdem noch über andere un - ermeßliche Hülfsmittel gebot? Wurde nicht, auf ſein bloßes Gebot, jeder waffenfähige Mormon zum Krie - ger? und hatte er die Seinen nicht bereits ſeit Jahr und Tag in den Waffen geübt? Waren ſeine Caſſen nicht mit Geld, war ſein Arſenal nicht mit Kriegs - vorräthen angefüllt? Was wollte denn dieſer eine junge, unbedeutende Mann, dieſer hülf - und mittel - loſe Fremdling gegen ihn beginnen? Was hatte er ſelbſt von den Gouverneurs der benachbarten Staa - ten, ſelbſt wenn ſie ihre Streitkräfte vereinigten, noch zu befürchten? Wie einen Giftbaum im von Men - ſchenfuß nicht betretenen Thale, wie ein Bohun-Upas, hatte man ihn aufwachſen und groß und ſtark wer - den laſſen, und was ſich ihm jetzt noch nahen wollte, war des Todes!

Trotz dem verſäumte er keine Vorſicht und nicht nur wandte er ſein Augenmerk auf das Heer, das zu ſeinem Gebote ſtand, ſondern er rief zugleich auch noch den Fanatismus zu Hülfe. Er ließ durch ſeine eifrigſten Anhänger das Gerücht ausſtreuen, er, der Prophet, habe erſchreckende Wahrzeichen und Geſichte gehabt, die auf eine für das Mormonenreich nahende große Gefahr hindeuteten. Wallfahrten, Gebete, feier -40 liche Gottesdienſte, bei denen der Prophet in der glänzendſten Kleidung als Hoherprieſter fungirte, wur - den angeſtellt; man öffnete die Thüren des großen Tempels; auf dem Altare, auf dem das ſogenannte goldene Buch oder die Mormonbibel lag, brannten Tag und Nacht Kerzen; die Prieſter ſchwangen un - aufhörlich das Weihrauchfaß; die Gläubigen knieten unaufhörlich vor den Altären und der Prophet hielt faſt täglich begeiſterte Reden, die ihre Wirkung um ſo weniger verfehlen konnten, da ſie durch ſeine im - poſante äußere Erſcheinung, durch eine volltönende Stimme und eine ihm angeborene Beredtſamkeit mäch - tig unterſtützt wurden.

Dann ſetzte er allgemeine Faſten an, nach der von ihm gemachten Erfahrung, daß Nichts dem Fa - natismus mehr Vorſchub leiſte, als ein hungriger Magen. Zu andern Zeiten wurden Proceſſionen von ihm angeordnet, an deren Spitze er ſelbſt ſich ſtellte; barhaupt und barfuß, im ſchlechteſten, abgetragenſten Gewande, Haupt und Blick zu Boden geſenkt, ſchritt er in feierlicher Stille den Gläubigen voran zum Tempel, warf ſich vor dem goldenen Buche nieder, berührte mit ſeinem Antlitze die Marmorſtufen des Altars und lag lange ſo, wie im heißeſten, in - brünſtigſten Gebete, und Alles folgte ſeinem Bei - ſpiele.

41

Darauf erhob er ſich plötzlich wieder; ſeine im - poſante Geſtalt richtete ſich hoch empor; ſeine Wan - gen glühten, ſein dunkles Auge ſchien Funken zu ſprühen und mit einer Stimme, die in ihrer Voll - tönigkeit das ganze große Gebäude ausfüllte, verkün - dete er gleichſam jubelnd: Gott ſei durch ihre Gebete erweicht, durch Reue und Buße verſöhnt worden und das Reich der Mormons ſolle, wie von Anfang an beſtimmt geweſen, trotz der Sünden Einzelner, die den göttlichen Zorn durch Zweifel und Ungehorſam auf ſich geladen, das mächtigſte von allen, die Mor - mons ſelbſt zugleich das größeſte und glücklichſte Volk auf Erden werden, ſofern ſie feſt hielten am Glau - ben und ohne Furcht den vielleicht bald herannahen - den Gefahren entgegengingen.

An alles Dieſes wurden noch wahrhaft lächer - liche, nur auf die rohe, unwiſſende Menge berechnete Ceremonien geknüpft. Es wurden nämlich durch er - wählte Stellvertreter, die ſich in ihrem Namen noch - mals in dem großen Taufbecken taufen laſſen muß - ten, längſt verſtorbene Helden, als ein Cäſar, ein Alexander, ein Waſhington, Napoleon u. ſ. w. in den Bund und in die Gemeinſchaft der Mormons aufge - nommen, damit ihre abgeſchiedenen Geiſter im Fall der Noth den neuen Glaubensbrüdern Beiſtand leiſte - ten. Kurz, es wurde Nichts von dem Propheten42 verſäumt, was die ihm unterworfenen Fanatiker noch mehr fanatiſiren konnte.

Hie und da ließ Joe Smith auch ein Wort fal - len, welches darauf hindeutete, daß er ſich zur Dictatur über den Nordoſten berufen fühle, daß ihm von der Gottheit das Amt des Richters und Beſtrafers über die Verächter des Mormonismus zugetheilt ſei; daß eine Bluttaufe nicht zu vermeiden ſeyn dürfte; daß man mit Feuer und Schwert den Ungläubigen den Weg zum ewigen Heile bahnen müſſe, und keins ſei - ner Worte ging verloren, jedes wurde wie ein Evan - gelium mit Jubel und Freude aufgenommen.

So hatte der Prophet Alles vorbereitet; ſo konn - ten ſich jeden Augenblick die von ihm aufgethürmten Wolkenmaſſen entladen und der tödtliche Blitzſtrahl Diejenigen treffen, die ſich ſeinen großartigen Plänen zu widerſetzen wagten. Trotz dem zögerte er aber noch immer: ſeine rechte Hand, Sir Henry Bennet, unter deſſen Oberbefehl das geſammte Mormonheer ſtand und auf deſſen Talent und Kriegserfahrung er allein alle Hoffnung des Gelingens begründen durfte denn er ſelbſt verſtand nichts vom Kriege lag an einer ſo ſchweren Krankheit darnieder, daß man an ſeinem Aufkommen zweifelte. Dieſer Umſtand rettete vielleicht den Nordoſten Amerikas von der Oberherr - ſchaft der Mormons und der ihres Propheten; denn43 hätte Joe in dem Augenblick den Kreuzzug gegen die andern Staaten gepredigt, ſo würden ſie aller Wahr - ſcheinlichkeit nach die Beute ſeines Ehrgeizes gewor - den ſeyn und Nordamerika eine andere Geſtalt haben als jetzt. Man war durchaus nicht zum Widerſtande vorbereitet; man fürchtete die Mormons nicht, ſon - dern begnügte ſich damit, ſie und ihren Cultus, der in der That viel Lächerliches und Abgeſchmacktes dar - bot, zu verſpotten und zu verhöhnen.

Die Sicherheit, in der Mr. Carlin, der Gou - verneur von Jllinois, lebte, ging deutlich aus ſeiner Antwort an Sir John hervor. Sie war in einem faſt ſpöttiſchen Tone abgefaßt und redete ſogar von den Kämpfen des weltbekannten Ritters mit den Windmühlenflügeln; ja, ſie ging darauf aus, Arnold zu einem Abenteurer und Lügner zu ſtempeln, der ſich allein in das Vertrauen ſeines ehrenwerthen Freun - des eingedrängt habe, um ſich bei dieſem durch vor - geſpiegelte Gefahren wichtig zu machen.

Mr. Carlin überſandte dieſen, in mancher Hin - ſicht beleidigenden Brief durch ſeinen Geheimſecretär und Vertrauten, einen Franzoſen mit Namen Jou - ville, dem der Auftrag geworden war, Sir John über Alles, was dieſem Sorge und Unruhe machte, noch mehr, als es durch den Brief geſchehen könnte, zu beruhigen, und da dieſer Menſch im Solde des44 Propheten ſtand, wurde natürlich Alles von ihm auf - geboten, Mr. Boggs auf eine falſche Fährte zu füh - ren, was ihm indeß ſo wenig gelang, daß dieſer auch faſt gegen ihn Verdacht ſchöpfte, oder doch nicht auf ſein Geſchwätz hörte.

Am Abende vor der Rückkehr des Franzoſen nach Vandalia ſtanden Sir John, Arnold, Jouville und der ehemalige Muſiklehrer Florens, der den Namen George führte und ſich zum Erſtenmale nach langer Krankheit wieder im Präſidio blicken ließ, in dem be - reits von uns erwähnten Gartenhauſe und unterhiel - ten ſich mit einander. Bald jedoch verließ Sir George, für deſſen kranke Bruſt die etwas dumpfe und ſchwüle Luft in dem nur kleinen Gemache unerträglich war, das Gartenhaus und trat in den Garten, in deſſen Laubgänge er ſich verlor, um an Flora, den Gegen - ſtand ſeiner Wünſche, ſeiner heißen, ach! unerwie - derten Liebe, zu denken und wo möglich das ſchöne Kind an einem der Fenſter des Hauſes zu erblicken. Dies war Alles, was er noch zu wünſchen, zu hoffen wagte, denn daß ſie ihn, der faſt ihr Vater hätte ſeyn können, nicht liebte, daß ſie ihn nie würde lie - ben können, wußte er nur zu gut und nährte deshalb keine trügeriſchen Hoffnungen.

Das Zimmer in dem Gartenhauſe, worin ſich die drei Männer befanden, war hell erleuchtet, ſo45 daß man durch die nach dem Garten hinausgehen - den Fenſter jede Bewegung und auch die Phyſiogno - mien der Sprechenden genau unterſcheiden konnte.

Plötzlich fiel ein Schuß, die Kugel ging durch die Fenſterſcheiben dicht an Arnolds Haupt vorüber und fuhr zum gegenüberliegenden Fenſter wieder hin - aus. Ehe man ſich noch beſinnen konnte, fiel ein zweiter Schuß und diesmal ſtreifte die Kugel Sir Johns Arm, aber nur leicht.

Jn demſelben Augenblick ließ ſich ein durchdrin - gender Schrei im Garten vernehmen und der Gou - verneur glaubte Georges Stimme zu erkennen. Man eilte hinaus und fand zwei Männer am Boden lie - gen, die mit einander rangen.

Zu Hülfe! Der Elende mordet auch mich! rief Sir Georges und ſeine Stimme klang wie die eines Sterbenden. Arnold, den die Geiſtesgegenwart nie verließ, ſtürzte zuerſt auf die Ringenden zu, ent - wand den Händen des Einen einen Dolch und ſchleu - derte ihn weit weg, worauf er Sir Georges von ſei - nem Gegner frei machte.

Haltet ihn feſt, Sir! Haltet ihn feſt! rief der Befreite. Es iſt der Meuchelmörder, der die Doppelflinte auf das Luſthaus abſchoß!

Er wollte mehr ſagen, aber der ſtarke Blutver - luſt machte ihn ohnmächtig.

46

Während man ihn in das Haus trug, halfen die auf die Schüſſe herbeigeeilten Diener Arnolden, den Mörder in das Haus zu ziehen.

Ha! du biſt es, Elender? rief Arnold, als er beim Lichte Joram Adams erkannt hatte. Wie, höhnte er ihn, du hatteſt zwei Schüſſe in deiner Büchſe, ein Ziel ſo deutlich und nahe geſtellt als möglich, und doch fehlteſt du? Du mußt deinen Exerziermeiſter zu Nauvoo verklagen, er hat dich ſchlecht eingeübt.

Der Meuchelmörder antwortete ihm nicht, ſah ihn aber mit frechen und giftigen Blicken an.

Der Gouverneur befahl, Joram zu feſſeln und in’s Gefängniß zu werfen; die Diener wollten ihn, aufgebracht über die Verwundung ihres Gebieters, mißhandeln, aber Sir John litt es nicht.

Seine Beſtrafung kommt den Gerichten zu, nicht euch, ſagte der Gouverneur mit ſtrengem Tone, und ich werde Den beſtrafen, der ſich an ihm ver - greift.

Flora zeigte ſich jetzt. Die Schüſſe hatten ſie, die in ihren gewohnten Träumereien verſunken geweſen war, nicht eben ſehr erſchreckt, wohl aber waren ſie ihr auf - gefallen, weshalb ſie, als ſie Geräuſch auf dem Vor - ſaal hörte, herausgetreten war, um ſich nach der Ur - ſache deſſelben zu erkundigen. Man trug eben Sir47 George, deſſen ſtrömendes Blut den Boden färbte, über den Vorſaal in eins der Zimmer, wo ihm der herbeigerufene Wundarzt Hülfe leiſten ſollte.

Ein Schrei des Entſetzens entfuhr ihren Lippen, als ſie ihren Freund und Lehrer in dieſem Zuſtande erblickte. Der Sterbende denn als ſolchen durfte man Sir George betrachten öffnete die Augen und ſeine Blicke trafen die ihrigen; ein verklärtes Lächeln flog über ſein bleiches Antlitz; er wollte die Lippen öffnen, reden, allein ſeine durch den ſtarken Blutver - luſt herbeigeführte Schwäche war zu groß dazu.

Was iſt geſchehen? Um Gotteswillen, was hat ſich mit Mr. George zugetragen? rief ſie mit dem Tone des höchſten Entſetzens aus, indem ſie die bereits erkaltende Hand des Gemordeten ergriff und ſie zwiſchen ihren Händen preßte, wobei ein Strom von Thränen über ihre Wangen ſchoß.

Man hat vom Garten aus auf Jhren Va - ter und Mr. Arnold geſchoſſen, Lady, antwortete ihr einer der Träger, und Mr. George verwundet im Garten liegend gefunden; wir wiſſen ſelbſt noch nicht mehr, Sie werden es aber unten erfahren.

Und mein Vater? Mr. Arnold? fragte Flora, einer Ohnmacht nahe, indem ſie den Trägern nur mit Mühe in das für den Verwundeten beſtimmte Gemach folgte.

48

Maſſa nur leicht verwundet, Maſſa nicht todt, nahm der Schwarze das Wort, der einer der Träger war.

Sie antwortete nicht, hob aber ihre Hände dan - kend zum Himmel empor, warf noch einen Blick auf Sir George und ſtürzte dann die Treppe hinunter. Jhr Auge flog von ihrem Vater auf Arnold und von dieſem wieder auf jenen zurück. Sie wollte ſpre - chen, aber die Stimme verſagte ihr den Dienſt.

Es iſt nichts, beruhige dich, mein Kind, ſagte der Vater, indem er ſie in ſeine Arme ſchloß; meine Wunde ſcheint durchaus unbedeutend zu ſeyn und Mr. Arnold, auf den es wahrſcheinlich abgeſehen war, iſt völlig leer ausgegangen. Nur für Sir George haben wir zu fürchten; iſt er dir begegnet und was macht er?

Er blutete ſtark und ſchien ohnmächtig zu ſeyn, antwortete ſie, vor Schreck noch an allen Gliedern bebend.

Wir wollen uns gleich von ſeinem Zuſtande überzeugen, ſagte der Gouverneur; meine Wunde bedeutet, wie ſchon geſagt, nichts, fügte er hinzu; kommen Sie mit mir, Mr. Arnold, wandte er ſich an dieſen.

Jch will auch mit, will ſehen, wie es um ihn ſteht, nahm Flora das Wort; nicht wahr,49 mein Vater, ich darf mitgehen und ſehen, was mein armer guter Lehrer macht?

Du wirſt ihm ſpäter, wenn er verbunden ſeyn wird und der Wundarzt es erlaubt, den Troſt deiner Theilnahme bringen, war die Antwort des Gefragten; jetzt aber muß ich mir deine Begleitung verbitten. Beruhige dich indeß, geliebtes Kind, fügte er mit zärtlichem Tone hinzu: es wird hoffentlich Alles gut gehen und es auch mit Sir George keine Gefahr haben.

Man fand den Wundarzt, welcher zum Glück in der Nähe geweſen war, bereits mit dem Verwun - deten beſchäftigt, der mit feſtgeſchloſſenen Augen da - lag und nur durch ein ſchmerzliches Zucken, das man von Zeit zu Zeit an ihm wahrnahm, indem ſeine Wunde mit der Sonde unterſucht wurde, verrieth, daß er noch lebe. Die ernſte, faſt traurige Miene des Wundarztes, der ein Freund des Ermordeten war, ſagte nur zu deutlich, daß keine Hoffnung zur Ret - tung vorhanden ſei, und in der That verrieth auch ein heftiges Bluterbrechen, das ſich gleich nach der Sondirung der Wunde einſtellte, daß das Leben des unglücklichen Mannes rettungslos verloren ſei.

Flora! rief George jetzt mit kaum noch vernehmbarer Stimme; Flora! wiederholte er, nur einen Blick noch, bevor ich ſterbe!

III. 450

Der Gouverneur ſah den Wundarzt bei dieſen Worten fragend an; dieſer nahm ihn an den Arm und führte ihn an das äußerſte Ende des ziemlich großen Gemachs.

Erfüllen Sie den letzten Wunſch meines unglücklichen Freundes, flüſterte er Sir John zu: es iſt nichts dabei zu riskiren, da er ſicher ein Mann des Todes iſt. Nur noch einige wenige Athemzüge, und er iſt nicht mehr. Es werde ihm, der im Leben ſo unglücklich war, im Tode noch ein letzter Troſt: der, in den Armen Derer zu ſterben, die er hoff - nungslos geliebt hat.

Es bedurfte für Mr. Boggs keiner weitern Ueber - redung; er ging, um Flora zu holen.

Rede ein paar liebevolle Worte zu deinem ſterbenden Freunde, ſagte er auf dem Wege mit ge - rührter Stimme zu ihr; und ſei ſtark, mein Kind, erſchwere ihm den bittern Todeskampf nicht, meine Flora! fügte er nach einer Pauſe hinzu.

Sie vermochte ihm vor Thränen nicht zu ant - worten.

Als ſie an das Lager des Sterbenden getreten war, legte ſie, unfähig, ein Wort hervorzubringen, ihre Hand auf ſeine bereits erkaltende. Dies ſchien ihn wie ein electriſcher Schlag zu treffen: hoch rich - tete er ſich empor und ſah ſie mit einem unbeſchreib -51 lichen Blick, mit einem Blicke an, in dem die höchſte Seligkeit eines glücktrunkenen Herzens lag; ſeine Lip - pen bewegten ſich wie zur Rede, man vernahm aber keinen Laut.

George, guter, lieber Sir George! rief Flora, aufgelöſt in Thränen neben dem Bette nieder - knieend und ihre brennenden, zitternden Lippen auf ſeine Hand heftend. Sie wollte mehr ſagen, aber Schmerz und Rührung waren zu groß, die Laute er - ſtarben ihr auf den Lippen.

Der Sterbende legte die Hand auf ſein bluten - des Herz; dann ſank er zurück; dann athmete er tief auf und war nicht mehr!

Flora bemerkte nicht, daß er bereits geſtorben war; ſie kniete noch immer neben dem Sterbebette, ſie hielt Georges Hand noch immer in der ihrigen; ſie hoffte, er würde ſie noch einmal anſehen, noch ein paar Worte wenigſtens zu ihr reden; er aber blieb ſtumm, ſtumm für ewig!

Komm, mein Kind, ſagte Sir John, in - dem er ihr die Hand zum Aufſtehen reichte, komm und ſuche deinen Schmerz zu bemeiſtern! Man be - hauptet, daß das Gehör der Sinn iſt, welcher am letzten erſtirbt; alſo keine Klage, kein Jammern in der Nähe dieſes Todten!

Sie begriff noch immer nicht, daß George todt4 *52ſei; ſie hatte noch nie einen Sterbenden, vielleicht nicht einmal einen Todten, geſehen; doch des Gehor - ſams gegen den Vater gewohnt, erhob ſie ſich; er nahm ſie in ſeine Arme und trug ſie mehr hinaus, als ſie ging.

Arnold hatte während dieſer ganzen erſchüttern - den Scene kein Wort geſprochen. Er ſtand am Fuße des Betts und hatte feſt, faſt unabläſſig, den Blick auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet, in dem er jetzt bekannte Züge wahrnahm, die er zuvor nicht darin entdeckt hatte; doch wußte er nicht, wohin er ſie bringen ſollte.

Der Wundarzt, welcher, wie bereits angedeutet, in dem Verſtorbenen einen Freund verloren hatte, hielt lange noch den Puls deſſelben zwiſchen den Fin - gern, dann legte er leiſe die Hand auf die Decke zurück und trat an das Fenſter, um mit trüben Blicken hinaus zu ſchauen.

Arnold mochte ihn in ſeinen Gedanken und Be - trachtungen nicht ſtören, deshalb entfernte er ſich mit leiſen Tritten aus dem Gemache und begab ſich in das gemeinſchaftliche Wohnzimmer, wo er Flora allein und in Thränen antraf. Jhr Vater hatte ſie verlaſ - ſen, um Hülfe für ſeine Wunde zu ſuchen, die, ob - ſchon der Schuß nur den Arm geſtreift hatte, ſehr zu ſchmerzen begann.

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Jſt er wirklich todt, der gute Sir George? rief Flora dem Eintretenden unter heftiger ſtrömen - den Thränen entgegen; iſt Rettung nicht mehr mög - lich?

Nein, verſetzte Arnold, in deſſen Herzen ſich beim Anblick dieſes Schmerzes und dieſer Thränen ein Gefühl von Eiferſucht regte; nein, Lady Flora, an Hülfe, an Rettung iſt nicht mehr zu denken. Es thut mir leid, Jhnen dieſe Nachricht bringen zu müſ - ſen, fügte er nach einer Pauſe hinzu, denn viel - leicht werden Sie Dem auf ewig gram werden, deſſen Lippen ſie ausſprachen.

Wie ſollte ich Jhnen deshalb gram wer - den, Mr. Arnold? verſetzte ſie, die keine Ahnung von dem hatte, was in ſeiner Seele vorging; ſind Sie doch nicht an dem Tode des guten Sir George Schuld!

Wenn auch nicht direct, doch indirect, war ſeine Antwort; denn hätte ſich der edle Ver - ſtorbene nicht auf den Mörder geſtürzt, der es wahr - ſcheinlich auf mein Leben abgeſehen hatte, ſo würde er den tödtlichen Stich nicht erhalten und ich ihn nicht zu beneiden haben.

Zu beneiden? fragte Flora und ſah ihn verwundert an. Sind Sie denn ſo unglücklich, Sir, daß Sie ſich den Tod wünſchen?

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Das nicht, antwortete er ihr; aber wäre ich an Sir Georges Stelle geweſen, ſo .......

Nun? .....

So würde Jhr ſchönes Auge auch vielleicht um mich eine Thräne vergoſſen haben: um dieſe Fluth von Thränen beneide ich den Verſtorbenen, Lady Flora!

O, ſagte ſie und ihr Geſicht verlor bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit eines ſolchen Verluſtes plötzlich alle Farbe, hätte die Kugel des Mörders Jhr Herz, Sir Arnold, getroffen, dann würde ich nie wieder haben aufhören können, zu weinen!

Nie war wohl einem jungen Manne ein unum - wundneres, naiveres Liebesgeſtändniß gemacht wor - den, als dem glücklichen Arnold in dieſem Augenblick von Floren; auch erröthete er lebhaft und konnte ſich nicht enthalten, ihre Hand, die ſie ihm willig ließ, zu küſſen.

Ja, fuhr ſie nach einer Pauſe fort, ſo ſehr mich auch der Tod des guten George betrübt denn er war mir, bis auf die letzte Zeit, wo er ſo krank und verſtimmt ward, der beſte, liebevollſte und aufmerkſamſte Lehrer ſo habe ich doch Gott für viel Gnade zu danken, daß die Kugel des Mörders ihr Ziel verfehlte und weder Sie, noch meinen theuren Vater tödtlich traf.

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Noch Monſieur Jouville, der neben uns ſtand, fügte Arnold hinzu.

Es wird freilich ſchlecht genug klingen, ſagte ſie, aber ich muß trotz dem geſtehen, daß ich an die Gefahr dieſes Mannes noch nicht einmal ge - dacht habe.

Er iſt doch ein hübſcher, liebenswürdiger Mann? wandte Arnold ein.

Das mag er immerhin ſeyn, verſetzte ſie; nach meinem Geſchmacke iſt er aber nicht. Da war mir der arme Mr. George doch weit lieber, ſo ver - ſtimmt und traurig er in der letzten Zeit auch war.

Viertes Kapitel.

Am folgenden Tage wurde Joram vor Gericht geſtellt, um ſeinen Mitſchuldigen zu nennen, denn daß er einen ſolchen gehabt habe, ſchloß man aus dem Umſtande, daß man noch eine zweite geladene doppel - läufige Flinte im Garten gefunden hatte, und zwar in einiger Entfernung von dem Platze, wo man Joram mit George ringend angetroffen. Aller Wahrſchein - lichkeit nach war dieſer Mitſchuldige durch das Ge - räuſch der Tritte des herannahenden George erſchreckt56 worden und hatte ſein Gewehr von ſich geworfen, um deſto ungehinderter entfliehen zu können.

Es war aber Joram auf keine Weiſe beizukom - men; er ſetzte allen an ihn gerichteten Fragen ein trotziges Stillſchweigen entgegen und allein ſeine gifti - gen Blicke, mit denen er bald den beim Verhör ge - genwärtigen Arnold, bald den Gouverneur anſah, redeten. Bei Drohungen und Verſprechungen lächelte er gleich verächtlich und blickte ſo ſtolz um ſich, als ſei er ſeinen Richtern gegenüber der gebietende Herr.

Da man nichts mit ihm anzufangen wußte und er trotz aller Aufforderungen, ein Geſtändniß abzu - legen, bei ſeinem Schweigen verharrte, ſah man ſich genöthigt, ihn in’s Gefängniß zurückzuführen, in der Hoffnung, daß die längere Haft ihn vielleicht kirre machen und auf andere Gedanken bringen würde.

Auf den Wunſch Sir Johns war der Franzoſe bei dieſem erſten Verhör gegenwärtig und es Arnol - den dabei nicht entgangen, daß dieſer mit dem Ge - fangenen bedeutungsvolle Blicke wechſelte. Er theilte dieſe Entdeckung dem Gouverneur mit, und da Mr. Boggs der ſcharfen Beobachtungsgabe des jungen Deutſchen vertraute, erſchien ihm dieſer Umſtand als überaus bedenklich. Der Gedanke lag in der That auch nahe, daß nicht nur dieſer Jouville, ſondern57 vielleicht ſogar der Gouverneur von Jllinois ſelbſt, durch das Gold Joe Smiths erkauft ſei, denn auf keine andere Weiſe vermochte man ſich die Blindheit und Unthätigkeit Mr. Carlins im Angeſichte einer ſo drohenden Gefahr zu erklären.

Dieſe Befürchtungen vermehrten das Schwierige der Lage des Gouverneurs außerordentlich, denn er mußte ſich ſagen, daß, wenn ſie begründet wären, er und der unter ſeiner Aufſicht ſtehende Staat das erſte Opfer ſeyn würden, einmal, weil nur der Miſſiſippi letztern von Jllinois trennt, dann aber auch, weil er ſelbſt vorzugsweiſe den Haß des Propheten durch Verweigerung der Hand ſeiner Tochter auf ſich ge - zogen hatte, und zu welchen Mitteln Joe Smith zu greifen im Stande wäre, um ſeinem Haſſe genug zu thun, hatte man ja durch den intendirten Meuchel - mord geſehen. So waren alſo die Ausſichten, man mochte blicken, wohin man wollte, ſehr trübe und man konnte ſich einer großen Unruhe nicht erwehren. Rettung, das mußte man ſich ſagen, konnte allein vom Congreß kommen und ſo wartete man mit ſchmerz - licher Unruhe auf Nachrichten von Waſhington.

Jn der Zwiſchenzeit beſtattete man den edelmü - thigen Erretter Arnolds oder Sir Johns denn da aus Joram immer noch nichts herauszubringen war, konnte man nicht wiſſen, auf welchen von Beiden es58 eigentlich abgeſehen geweſen war zur Erde und unſer junger Freund erhielt den Auftrag, die hinter - laſſenen Papiere deſſelben durchzuſehen, indem man hoffen durfte, darin einige Aufſchlüſſe über die frühern Verhältniſſe des Verſtorbenen zu finden, um, wenn er vielleicht Familie in Europa hinterlaſſen hätte, die - ſer den Nachlaß Sir Georges zuſtellen zu können.

Arnold, der nicht ohne große innere Bewegung an dieſes für ihn ſchmerzliche Geſchäft ging, ward noch mehr ergriffen, als ihm aus dieſen Papieren klar wurde, daß der Ermordete der unglücklichen Dina Bruder, der arme Georg, geweſen, der vor der Strenge eines harten, ja grauſamen Vaters geflohen war und ſich neue Lebensverhältniſſe in einem andern Welttheile geſucht hatte. Es war ihm wohl ergan - gen, bis er nach Miſſouri kam und für Flora in ei - ner eben ſo heftigen als unglückſeligen Liebe ent - brannte, in einer Liebe, die er nicht einmal aus - zuſprechen wagte, aus Furcht, ſich lächerlich da - mit zu machen, und die ſo doppelt an ſeinem Leben zehrte.

Er hatte ſeinen baldigen Tod, den er als ſeinen Retter und Befreier begrüßte, vorausgeſehen und ſo eine Art von Teſtament hinterlaſſen, worin er die bis zur Vergötterung geliebte Flora zu ſeiner Univerſal - erbin einſetzte und nichts dafür verlangte, als daß ſie59 mit eigener Hand eine Blume auf ſeinen Grabeshü - gel pflanzte.

Arnold theilte Mr. Boggs die gemachte Ent - deckung mit und auch dieſer wurde tief dadurch er - ſchüttert.

Jetzt iſt es mir erklärlich, ſagte Arnold bei dieſer Gelegenheit, weshalb ein gewiſſes Etwas im Ausdrucke der Geſichtszüge des Sterbenden mich ſo außerordentlich rührte und an andere erinnerte, die mir theuer geweſen waren, ohne daß ich wußte, wo - hin ich ſie bringen ſollte. So lange dieſer arme George mir lebend gegenüber ſtand, trat dieſe rührende Aehnlichkeit nicht hervor, denn er war ſeiner Schwe - ſter auch nicht in einem einzigen Geſichtszuge ähnlich; als aber der Tod ſein Siegel auch auf ſein Antlitz drückte, trat die mich ſo tief ergreifende Aehnlichkeit mit Dina hervor.

Wie ſeltſam, wie furchtbar, nahm Sir John nach einer Pauſe das Wort, daß dieſer Tiger von Nauvoo beide Geſchwiſter gleichſam mit einem Griffe mordete, daß beide ihm zum Opfer fallen mußten und das, ohne daß er ihre Verwandtſchaft ahnen konnte, ja, ohne daß er einmal den Tod die - ſes armen George intendirte; denn nicht auf ihn, ſon - dern auf uns war es ja abgeſehen.

Das Geſchick ſchlingt ſeine Fäden oft wun -60 derbar, verſetzte Arnold und was auch im Kopfe und durch die Phantaſie der Romanſchriftſteller aus - geheckt werden möge, ſo bleibt es doch immer noch weit hinter dem zurück, was ſich in Folge der ſelt - ſamen Launen des Schickſals in der Wirklichkeit oft zuträgt; wir haben ein Beiſpiel davon vor Augen.

Auch bin ich ſo weit gekommen, war Sir Johns Antwort, daß ich nichts mehr für un - möglich halte und jeden Augenblick darauf gefaßt bin, daß ſich das Unwahrſcheinlichſte zutrage .......

Dieſes Geſpräch wurde durch den Eintritt des Schwarzen unterbrochen, deſſen Haſt und verſtörte Geſichtszüge verriethen, daß er Wichtiges zu verkün - den habe.

Maſſa, rief er, tief Athem ſchöpfend, der ihm durch das ſchnelle Heraufſteigen der Treppe faſt ausgegangen war, Maſſa, Gefangener fort, Soldaten ermordet!

Was ſagſt du, Unglücklicher? rief Sir John bleich werdend bei der entſetzlichen Nachricht; wie wäre es möglich, daß dein Mund Wahrheit redete?

Jack nichts lügen, Jack die Wahrheit ſagt, Maſſa, antwortete ihm der Schwarze; Männer unten, die es geſagt haben.

Der Gouverneur und Arnold eilten hinunter. 61Ein Corporal des Poſtens, der ſein Wachthaus im Gefängniſſe hatte, war mit einem Gefreiten unten, um die unglückliche Nachricht zu verkünden. Als man am Mittag, berichtete er, mit einer neuen Mann - ſchaft anlangte, um die frühere abzulöſen, fand man keinen Soldaten auf dem Poſten und als man in das Jnnere des Gebäudes drang, ſah man die ſechs Mann, welche die Wache beſetzt gehalten hatten, todt am Bo - den liegen. Auf dem Tiſche ſtanden mehre leere Fla - ſchen; nur in einer war noch ein kleiner Reſt übrig geblieben und bei einer ſpätern Unterſuchung ergab ſich, daß dieſer Reſt ein heftig wirkendes, ſchnell töd - tendes Gift enthielt. Die in das Gefängniß führende, ſtark mit Eiſen beſchlagene Thür war erbrochen, die Ketten, womit man Joram gefeſſelt gehabt hatte, la - gen gleichfalls zerbrochen am Boden da und von die - ſem ſelbſt war keine Spur mehr zu entdecken.

Dies war, was der Corporal meldete. Die bei - den Männer verfügten ſich in ſeiner und des Gefrei - ten Begleitung augenblicklich an Ort und Stelle und man fand Alles ſo, wie er ausgeſagt hatte. Ver - gebens war das Bemühen der herbeigerufenen Aerzte, die Gemordeten in’s Leben zurückzurufen: ſie waren bereits völlig todt, ja ſogar ſchon erkaltet, als man ſie aufnahm, woraus man ſchließen mußte, daß das Ver - brechen ſchon mit Anbruch der Nacht verübt worden ſei.

62

Auf allen andern Umſtänden lag das tiefſte Dunkel, nur glaubte man annehmen zu müſſen, daß die Mormons, von denen dieſe Schauderthat nur her - rühren konnte denn wer wohl ſonſt, als ſie, hätte ein Jntereſſe dabei haben können, den Gefangenen zu befreien? in der Stadt ſelbſt Vertraute und Helfershelfer haben müßten; denn ſchwerlich würden die Kräfte eines Menſchen dazu ausgereicht haben, die ſchwere, mit Eiſen beſchlagene Thür des Gefäng - niſſes zu erbrechen, zu der der Schlüſſel, wie gewöhn - lich, mit Anbruch der Nacht in’s Präſidio abgeliefert worden war, wo er ſich auch noch vorfand.

Aus der Unterſuchung des Weinreſtes ging, wie bereits angedeutet worden, hervor, daß der von den unglücklichen Kriegern genoſſene Wein vergiftet gewe - ſen war; wer aber hatte ihnen denſelben gebracht? wer ihnen den tödtlichen Trank kredenzt? das waren Fragen, die man ſich unaufhörlich vorlegte, ohne ſich eine Antwort darauf geben zu können.

Die Aufregung in Folge dieſes ſchauderhaften Vorfalls war natürlich in St. Louis ſehr groß; Furcht und Mißtrauen bemächtigten ſich aller Gemü - ther; überall witterte man Gefahr, Gift und Dolch, Keiner traute dem Andern mehr und mit lautem Ge - ſchrei forderte das Volk den Tod aller Derer, die für heimliche Anhänger des Mormonismus gehalten wur -63 den, denn Alle ſah man als Theilnehmer des began - genen Verbrechens an.

Nur durch ſeine Beſonnenheit und große Energie gelang es dem Gouverneur, die Ruhe in der Stadt aufrecht zu erhalten und ein Blutbad zu verhindern, indem er die ſtrengſte Unterſuchung und, ſollte dieſe zu dem gewünſchten Reſultate führen, zugleich die ſtrengſte Beſtrafung der Mörder verſprach.

Man wird ſich vorſtellen können, wie beunruhigt Mr. Boggs ſelbſt durch dieſen Vorfall war, mit welchen Befürchtungen für die Zukunft er ihn erfüllte, und dieſe Furcht würde ohne einen günſtigen Zwiſchenfall noch größer geworden ſeyn.

Es traf nämlich eine Antwort vom Congreß ein, welche zwar in der Hauptſache nicht günſtiger lautete, indem man zu Waſhington nicht an die Umtriebe der Mormons glauben wollte und alle Angaben über die von Joe Smith geſammelte Heeresmacht für übertrie - ben hielt, aber doch Mr. Carlin, mit dem man über - haupt unzufrieden war, ſeiner Gouvernementsſchaft über Jllinois enthob und einen überaus tüchtigen und erfahrenen Mann, Sir Francis Ford, an ſeine Stelle ſetzte, indem man ihm zugleich den Auftrag ertheilte, den Stand der Angelegenheiten in Jllinois, und namentlich in der Grafſchaft Hancock, genau zu64 unterſuchen und ſo ſchnell als möglich darüber Bericht abzuſtatten.

Dieſe für ihn unwillkommene Nachricht erhielt der Franzoſe während ſeines Aufenthalts in St. Louis und er konnte nicht umhin, Mr. Boggs Anzeige da - von zu machen, da ſeine Functionen zugleich mit denen ſeines Gebieters ſuspendirt wurden, als es letz - term nicht gelungen war, ſich wieder zum Gouverneur erwählen zu laſſen, worauf er ſich große Hoffnung gemacht hatte. Mr. Carlin trat durch die neue, vom Congreß geleitete Wahl in den Privatſtand zurück und auch Jouville verlor ſeine Stelle als Cabinets - ſecretär, die er einträglich genug für ſich zu machen gewußt hatte.

Wenn ſich nun gleich Sir John auf der einen Seite darüber betrüben und es ihn auf das Lebhaf - teſte beunruhigen mußte, daß man zu Waſhington die Sache ſo leicht nahm und ihm die geforderte Hülfs - macht abſchlug, ſo diente es ihm auf der andern doch ſehr zur Beruhigung, an der Spitze des Nachbarſtaa - tes einen Mann von Muth, Klugheit und Energie zu wiſſen, denn er kannte Sir Francis perſönlich und wußte, was er von ihm zu erwarten hatte.

Von Mr. Boggs und Arnold wurde unter dieſen Umſtänden der Beſchluß gefaßt, daß letzterer ſich, mit dringenden Empfehlungsſchreiben von Sir John ver -65 ſehen, ungeſäumt nach Vandalia begeben ſolle, um Sir Francis von Allem in Kenntniß zu ſetzen, was dieſem zu wiſſen nöthig ſeyn würde, um nicht von der Gefahr überraſcht zu werden.

Wenn gleich alle dieſe wichtigen und zugleich tragiſchen Begebenheiten Arnold nicht daran verhin - derten, an ſeine Liebe zu denken, ſo blieben ihm doch nur Momente dazu übrig, Floren zu ſehen und ſein Glück bei ihr zu verfolgen. Daß er von ihr geliebt ſei, wußte er, denn ſie wäre nicht im Stande ge - weſen, irgend Etwas, am wenigſten aber die zugleich heiligſten und mächtigſten Gefühle, zu verbergen. Freudig, wie eine junge Roſe nach einer thauigen Nacht ihren duftigen Kelch dem Sonnenſtrahl er - ſchließt, öffnete ſie ihr Herz bis dahin ihm völlig un - bekannt gebliebenen Empfindungen. Jhr Auge leuch - tete vor Freude, wenn Arnold zu ihr eintrat, und nach der Weiſe freundlicher Kinder, ſtreckte ſie ihm die Hand beim Kommen entgegen; ſie that es nicht bloß, wenn er ihr allein gegenüber ſtand, ſondern auch in Gegenwart ihres Vaters oder ſonſtiger Per - ſonen. Mit Entzücken lauſchte ſie auf ſeine Worte und ſchon der Ton ſeiner Stimme war Muſik für ihr Ohr, ſein Blick ein Sonnenſtrahl, der ihr Herz be - lebte und tauſend ſchöne Blumen der Empfindung darin emporblühen ließ. Sie wünſchte nichts mehr,III. 566als was ſie bereits hatte: die Nähe des geliebten Mannes, die Möglichkeit, ihn ſehen zu können, wenn die Sehnſucht nach ihm zu mächtig wurde; das Glück, ihn dann und wann eins der Lieder ſingen zu hören, die die Poeſie ihres Herzens gleich einem electriſchen Strome berührten und ſprühende Funken daraus her - vorlockten.

Jetzt kam Arnold, um Abſchied von ihr zu neh - men. Jhr Vater, dem ihre Liebe für den jungen Deutſchen kein Geheimniß hatte bleiben können, hatte im Drange der Geſchäfte vergeſſen, ſie auf die nahe bevorſtehende Trennung von dem geliebten Manne vor - zubereiten, und ſo traf ſie die Nachricht von ſeiner Abreiſe um ſo ſchmerzlicher. Nicht gewohnt, ſich Zwang an zu thun, brach ſie in einen Strom von Thränen aus und äußerte die bangſten Befürchtungen, daß er nie wiederkehren, daß dieſe Trennung eine ewige ſeyn würde. Jhrer aufgeregten Phantaſie ſtell - ten ſich alle Gefahren dar, die Arnold auf dieſer Reiſe liefe, ſowohl durch die reißenden Thiere der Wüſte, als durch die Verfolgungen Joe Smiths und ſeiner Mormons, und es war ihm nicht möglich, ſie zu beruhigen, ihr nur einigen Troſt dadurch einzu - flößen, daß er ihr mit feierlichen Schwüren gelobte, ſich, ſo viel nur irgend an ihm läge, vor allen Ge - fahren hüten zu wollen.

67

Der Augenblick drängte und er mußte ſich faſt mit Gewalt von ihr losreißen. Zum Glück kam ihm Sir John zu Hülfe; er legte die in Thränen zer - fließende Tochter in die Arme des Vaters, verließ in der höchſten Aufregung das Zimmer, beſtieg das ſchon für ihn bereit gehaltene Roß und ſprengte ſo ſchnell durch die Gaſſen von St. Louis, als flöhe er vor ei - ner großen Gefahr, und doch ſtrömte ſein Herz von Seligkeit über, ſich von dem reinſten und edelſten Weſen ſo geliebt zu wiſſen.

Seine Reiſe war eine eben ſo ſchnelle, als glück - liche und der Empfang von Seiten Mr. Fords, auf die mitgebrachten Empfehlungen von Sir John, der allerbeſte.

Obgleich Sir Francis noch ein Neuling in den ihm übertragenen wichtigen Berufsgeſchäften war und noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, ſich in ſeiner neuen Lage zu orientiren, was ihm um ſo ſchwerer fallen mußte, da ſein Vorgänger ihm einestheils die Geſchäfte in großer Unordnung hinterlaſſen hatte und anderntheils im Mißmuthe über ſeine Nichtwieder - erwählung keineswegs geneigt war, ihm zu Hülfe zu kommen; ſo fand Arnold ihn doch weder entmuthigt, noch befangen. Er durfte auch in der That ſeiner Geiſteskraft vertrauen und im Bewußtſeyn einer be - deutenden Energie und Arbeitsluſt hoffen, das Ge -5 *68ſchäfts-Chaos bald zu entwirren, das ihm von ſei - nem Vorgänger hinterlaſſen worden war.

Er hörte Arnolds Mittheilungen über Joe Smiths Abſichten und Umtriebe mit geſpannter Aufmerkſam - keit zu und ließ ſich alle von dieſem geſammelten Da - ten vorlegen. Als er Alles gehört und geprüft hatte, ſagte er:

Jch, für meine Perſon, hege keinen Zwei - fel daran, daß Sie richtig geſehen und der Wahrheit gemäß berichtet haben; allein trotz dem iſt es mir nicht erlaubt, ohne Weiteres feindlich gegen die Mor - mons aufzutreten, ſondern ich habe vielmehr gemeſ - ſene Ordre, Alles aufzubieten, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, den man um ſo mehr fürchtet, da die Vereinigten Staaten, gewiſſer ſtreitiger Gebiete we - gen, in Gefahr ſind, mit England in Krieg zu ge - rathen. Jch muß alſo erſt zu erforſchen ſuchen, ob der Mormon-Prophet nicht durch gütliche Mittel zum Gehorſam zurückzubringen ſeyn wird, mit einem Worte, ob er ſich noch meiner Autorität unterwirft und mir, als Gouverneur des Staates, den Gehor - ſam leiſtet, den ich von ihm zu fordern berechtigt bin.

Wenn man ihm Zeit läßt; wenn Sir Henry Bennet, deſſen ſchwere Krankheit ihn in dieſem Au - genblick an der Ausführung ſeiner großen Pläne ver -69 hindert, weil er keinen Mann hat, der dieſen erſetzen könnte, wieder hergeſtellt würde, dann, Sir, dürfte das Uebel eine Höhe erreicht haben, daß nicht nur Abhülfe unmöglich, ſondern der Nordoſten unrettbar verloren ſeyn würde, wandte Arnold ein.

Jch gebe Jhnen darin Recht, Sir, war die Antwort; auch ſoll keine Zeit verloren werden; nur will ich mich dem Congreſſe gegenüber ſicher ſtel - len; nur will ich mir ſelbſt keine Vorwürfe machen müſſen, durch Uebereilung einen Bürgerkrieg veranlaßt zu haben. Zu dem Ende werden ſchon morgen einige Conſtabler mit der Ordre von mir nach Nauvoo ab - gehen, dieſen Joe Smith zur Verantwortung hieher zu laden. Gehorcht er, ſo kommt er in meine Ge - walt und ich habe die Mittel in Händen, ihn hier feſtzuhalten und während ſeiner Abweſenheit den Stand der Dinge in der Grafſchaft unterſuchen zu laſſen; gehorcht er mir, ſeinem Vorgeſetzten, aber nicht, ſo pflanzt er die Fahne der Rebellion auf und alle Mittel, die wir zu ſeiner Bekämpfung anwenden, werden vor dem Congreß gerechtfertigt ſeyn. Jch darf von Jhrer Einſicht erwarten, Sir, daß Sie das Schwierige meiner gegenwärtigen Lage begreifen und das von mir ergriffene Auskunftsmittel billigen wer - den. Kehren Sie indeß, ich bitte Sie darum, nach St. Louis zurück und bereiten im Verein mit meinem70 ehrenwerthen Freunde, Sir John, Alles zum kräftig - ſten Widerſtande und der thätigſten Hülfe vor, was auch hier geſchehen ſoll, denn aufrichtig geſagt, ich zweifle nicht daran, daß es ſehr bald zum Kriege zwi - ſchen uns und dieſen Fanatikern kommen werde, in - dem Joe Smith ſich ſchon hüten wird, ſich mir in die Hände zu liefern. Weigert er ſich deſſen, ſo kann mir von Seiten des Congreſſes aber nicht der Vor - wurf gemacht werden, daß ich den Bürgerkrieg pro - vocirte; denn Gehorſam iſt dieſer Prophet mir ſchul - dig, und indem er ihn mir verweigerte, verweigerte er ihn der geſammten Union.

Das, was Sir Francis vorgetragen hatte, war ſo weiſe und vernünftig, daß Arnold den von ihm getroffenen Maßregeln ſeinen Beifall nicht verſagen konnte. Er warnte ihn nur noch vor dem Franzo - ſen, der ihm mit Recht verdächtig geworden war und der ſich gefliſſentlich an Mr. Ford drängte, in der Hoffnung, bei dieſem wieder angeſtellt zu werden und dadurch ſich in den Stand geſetzt zu ſehen, dem Propheten auch ferner Dienſte zu leiſten; denn wie ſich ſpäter auswies, war er dieſem ſeit längerer Zeit ſchon verkauft. Sir Francis dankte unſerm Freunde um ſo mehr für den ihm ertheilten Rath, da er wirk - lich ſchon im Begriff geweſen war, dieſen Jouville in der Eigenſchaft eines Geheimſecretärs bei ſich anzu -71 ſtellen, indem er hoffen durfte, von ſeiner Geſchäfts - erfahrung große Vortheile zu ziehen. Unter dieſen Umſtänden unterblieb dies aber, denn war der Fran - zoſe wirklich, wie Arnold vermuthete, eine Kreatur Joe Smiths, ſo konnte er der guten Sache außer - ordentlich gefährlich werden.

Schon am folgenden Tage nach der gehabten Unterredung mit Sir Francis nahm Arnold Abſchied von dieſem, um nach St. Louis zurückzukehren und beide Männer ſchieden mit gegenſeitiger Hochachtung von einander.

Wie Sir Francis verſprochen hatte, gingen auch ſofort vier Conſtabler nach Nauvoo ab, mit dem ge - meſſenen Befehle des Gouverneurs, Joe Smith nach Vandalia zu führen. Man wird ſich vorſtellen kön - nen, welchen Aufruhr das Erſcheinen dieſer Beamten in der Grafſchaft erregte und wie neugierig man war, was ſie bringen möchten. Unter einem immer größer werdenden Gefolge von Mormons, die zum Theil be - waffnet herbeiſtrömten, weil ſie ihr Oberhaupt in Ge - fahr glaubten, langten dieſe Männer vor dem von Joe bewohnten Tempel an und begehrten im Namen des Geſetzes Einlaß in denſelben. Bei dieſer For - derung erhob ſich ein drohendes Murren unter der verſammelten Menge, das ſelbſt dann nicht auf - hörte, als die Conſtabler im Namen des Geſetzes und72 Kraft ihres Amtes die Verſammelten zur Ruhe auf - forderten.

Endlich zeigte ſich der Prophet ſelbſt. Er hatte ſeine glänzende Generalsuniform angelegt und ſeine Miene und Haltung waren ſo gebietend, daß er ſelbſt den Dienern des Geſetzes dadurch imponirte.

Was giebt es, meine Freunde? wandte er ſich an die Conſtabler, und zu welchem Zwecke ſeid ihr hier?

Der Ober-Conſtabler ſagte ihm, in welchem Auf - trage man gekommen ſei und Joe hörte ihm anſchei - nend mit ehrerbietiger Aufmerkſamkeit, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, zu.

Es leidet keinen Zweifel, antwortete er mit feſter Stimme, als Jener geendet hatte, daß ich der an mich im Namen des Geſetzes und meines Vorgeſetzten ergangenen Aufforderung Genüge leiſten werde. Tretet ein, meine Freunde, und laßt mir nur ein paar Stunden Zeit, um einige nothwendige Anordnungen treffen zu können; auch ihr werdet eini - ger Ruhe bedürfen, bevor wir den Weg nach Van - dalia antreten, wohin euch ſogleich zu folgen ich willig und bereit bin.

Bei dieſen Worten ließ er, wie prüfend, den Blick über die Verſammlung hinſchweifen, und in der That wollte er durch dieſe anſcheinende Nachgiebigkeit73 auch nur die Seinen prüfen, um in Erfahrung zu bringen, wie weit er im Fall der Noth auf ſie rech - nen könne; denn es kam ihm keineswegs in den Sinn, ſich in die Gewalt ſeiner Feinde zu begeben, obſchon ſeine Lage in dem Augenblick durch die ſchwere Er - krankung Sir Henry Bennets überaus kritiſch war.

Sein fragender Blick wurde von den Mormons verſtanden; ein wüthendes Geſchrei, das mit Drohun - gen gegen die Conſtabler vermiſcht war, erhob ſich; man umdrängte die letztern, man war in Begriff, ſie zu vernichten; man befahl ihnen, ſich aus dem Staube zu machen, wenn ſie ihr Leben lieb hätten, und ſchwor, daß man es nicht dulden würde, daß man ihren Propheten wie einen Gefangenen fort - führte.

Joe Smith ſelbſt ſprach kein Wort; mit über einander geſchlagenen Armen ſtand er, wie völlig theilnahmlos, da und ließ ſich von dem Sturm der aufgeregten Gemüther umtoben, als ob die Sache ihn durchaus nichts anginge. Dann gebot er der Menge Stille und wandte ſich, als ſeinem Befehle gehorcht worden war, mit den Worten an die Conſtabler:

Erzählt Sir Francis Ford, was ihr hier geſehen habt und fügt eurem Berichte den in wohlmei - nender Abſicht von mir ihm ertheilten Rath hinzu: er ſolle ſich hüten, in die Höhle des Löwen zu kommen!

74

Dann befahl er den Seinen, die ihm augen - blicklich gehorchten, den Conſtablern den Weg zu öff - nen und dieſe entfernten ſich ſo ſchnell als möglich.

Fünftes Kapitel.

Die Sehnſucht nach dem baldigen Wiederſehen der Geliebten trieb den zurückkehrenden Arnold zur größeſten Eile an, ſo daß er ſeinem jungen und kräf - tigen Pferde faſt zu viel zumuthete. Er hoffte durch dieſe Eile einen Tag für ſeine Liebe, für ſein Glück zu gewinnen, und wie viel war das nicht in dieſen ſtürmiſchen Zeiten!

Jndeß nahm er doch bald wahr, daß er ſeinem Pferde zu viel zugetraut hatte, und gegen Abend nach einem langen und ſcharfen Ritte in der Nähe des Miſſiſippi angekommen, ſah er ſich genöthigt, am Saume eines Waldes Halt zu machen und, ſtatt am Ausgange deſſelben noch ein ihm bekanntes Blockhaus zu erreichen, die Nacht im Freien zuzubringen, denn ſein Roß wollte nicht weiter.

Seine Situation war nicht eben angenehm, da die Nächte ſchon empfindlich kalt waren und er da - gegen keinen andern Schutz, als ſeinen Mantel hatte. 75Jndeß blieb ihm nichts weiter übrig, als ſich mit Ge - duld in die Umſtände zu fügen; er nahm daher ſei - nem Roſſe Sattel und Zaum ab, band ihm die Füße, damit es ſich nicht zu weit entfernen könne, und ſtreckte ſich dann ſelbſt, feſt in ſeinen Mantel ge - wickelt, neben einem Gebüſch hin, das ihm durch die Fülle und Größe ſeiner Blätter einigen Schutz gegen den rauhen Nordwind gewährte. Auch Bruno ſchien ſich, trotz ſeines zottigen Fells, nicht eben behaglich zu fühlen, denn er kroch ſo dicht als möglich an ſei - nen Gebieter hinan und legte ſich wie ein Jgel zu - ſammen.

Eine Stunde mochte Arnold ſo geruht, nicht ge - ſchlafen haben, denn er dachte an Flora, an die Freude des baldigen Wiederſehens und dieſe Gedanken erhielten ihn wach, als Bruno erſt zu knurren begann und dann laut anſchlug. Sein Gebieter richtete ſich auf dieſes Anzeichen empor und ſah ſich beim hellen Scheine des in ſeinem vollen Glanze am Himmel ſte - henden Vollmonds nach allen Seiten um, konnte aber nichts entdecken, was Brunos Anſchlagen hätte recht - fertigen können. Dieſer hielt ſich jetzt auch wieder eine Weile ruhig, hob aber dann wieder das Haupt empor und bellte heftiger und anhaltender als vor - her. Arnold wußte, daß er ſich auf dieſes Thier ver - laſſen könne, weil es niemals ohne Urſache bellte -76 und richtete ſich jetzt gleichfalls empor, um ſich wie - der umzuſehen.

Nicht lange hatte er die Blicke nach allen Rich - tungen umherſchweifen laſſen, ſo erblickte er zwei Reiter, die in der Nähe der Stelle, wo ſein Pferd weidete, aus dem Walde hervorbrachen. Der Anblick des Thieres ſchien ſie ſtutzig zu machen, denn ſie hiel - ten ihre Pferde einen Augenblick an und ſchienen zweifelhaft zu ſeyn, was ſie thun ſollten. Endlich aber ſprang einer von ihnen ab, übergab den Zügel des Roſſes ſeinem Begleiter und machte Miene, ſich dem weidenden Pferde nähern zu wollen, wahrſchein - lich in der Abſicht, ſich deſſelben zu bemächtigen.

Bruno ſchlug jetzt ſtärker an und lief knurrend den Beiden, deren Abſicht das kluge Thier errathen mochte, entgegen, um ſie an der Ausführung ihres Vorhabens zu verhindern.

Meiner Treu! rief jetzt einer der beiden Reiter, eben der, welcher noch zu Pferde ſaß, trügt mich nicht Alles, ſo kenne ich dieſen Hund, und irre ich mich nicht, ſo können wir einen weit beſſern Fang machen, als dieſes Pferd zu ſtehlen!

Sein Begleiter trat auf dieſe Worte wieder zu ihm.

Was meinſt du, Joram? fragte er ihn.

77

Du ſollſt es gleich erfahren, war die Ant - wort, und: Bruno! Bruno! rief er.

Der Hund horchte auf dieſen Ruf und hörte mit Bellen auf.

Es iſt ſo, wie ich mir gedacht habe, nahm Joram Adams denn er war es wieder das Wort; dieſer Hund iſt Bruno, mein alter Bekann - ter, und ſomit ſein Herr auch nicht weit, denn Beide ſind unzertrennlich. Folgt mir, Hieram, und helft mir, einen Fang zu machen, den der Prophet, wenn wir es forderten, mit Gold aufwiegen würde, folgt mir und helft mir den Herrn dieſes Hundes ſuchen!

Dieſe Unterredung fiel in zu großer Entfernung von Arnold vor, als daß er die Worte Jorams hätte vernehmen können. Beſorgt um den Verluſt ſeines Pferdes, auf das die beiden Reiter, wie er zu ſehen glaubte, Jagd machten, lieferte er ſich ihnen ſelbſt in die Hände, indem er aus dem Gebüſch hervortrat und ſich ihnen, zwar bewaffnet, näherte.

Redet Jhr ihn an, Eure Stimme kennt er nicht, flüſterte Joram ſeinem Begleiter zu, bis wir ihn ſicher haben und ich ihm den Laſſo über den Nacken werfen kann; ſo wie ich ihn zu Boden ge - riſſen habe, iſt er unſer und wir haben ſein Gewehr nicht mehr zu fürchten. Macht ihn zutraulich, Hieram, ſprecht wie ein Freund mit ihm, damit er keine Ge -78 fahr ahnt, denn ſonſt macht er uns zu ſchaffen: ich kenne ihn als einen entſchloſſenen und muthigen Bur - ſchen.

Er hielt ſein Pferd, nachdem er dieſe Worte ge - ſprochen, etwas zurück, während der Andere vorauf - ritt, bis er in Arnolds Nähe angelangt war.

Das da unten weidende Pferd iſt mein, nahm dieſer das Wort, als er von Hieram gehört werden konnte, und ſofern ich es nicht mit Buſch - kleppern zu thun habe, werdet Jhr mein Eigenthum reſpectiren.

Es iſt uns nicht in den Sinn gekommen, es rauben zu wollen, war die Antwort; nur in Verwunderung ſetzte es uns, ein zahmes Pferd in dieſer Wildniß weiden zu ſehen, und wir ſchloſſen daraus, daß ſein Gebieter nicht weit ſeyn würde. Es macht allemal eine Freude, fügte er mit gutmüthi - gem Tone hinzu, in ſolcher Gegend, und bei Nacht, auf Menſchen zu ſtoßen, und ſo wird, ich hoffe es, auch Euch unſre Begegnung nicht unangenehm ſeyn.

Jm Gegentheil, verſetzte Arnold, durch die zutraulichen Worte des Banditen beruhigt, und wenn es Euch und Eurem Begleiter ſo recht iſt, blei - ben wir bis Anbruch des Tags beiſammen, denn ich ſehe mich durch die Müdigkeit meines Pferdes dazu gezwungen ........

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Das Wort, welches dieſem folgen ſollte, erſtarb ihm auf den Lippen; er hörte etwas über ſeinem Haupte ſchwirren, dieſes Etwas ſchlang ſich um ſeinen Nacken und riß ihn mit unwiderſtehlicher Gewalt zu Boden; beim Fallen entfiel ſeiner Hand das Gewehr, der neben ihm haltende Reiter ſprang vom Pferde und hob es auf und in der Zeit von einer Minute war der unglückliche junge Mann wie ein Büffel vom Laſſo umſchlungen, zu Boden geriſſen, entwaffnet und in die Hand ſeines grimmigſten Feindes gegeben.

Hieram warf ſich, nachdem er das Gewehr außer ſeinem Bereiche gebracht hatte, auf ihn und ſetzte ihm die Spitze ſeines Dolches auf die Kehle.

Bewege dich nicht, rief er mit drohen - der Stimme, oder ich ſtoße zu und du biſt eine Leiche!

Bruno, das treue Thier, begriff die Gefahr ſei - nes geliebten Gebieters und ſtürzte ſich auf den Meu - chelmörder, dem er mit furchtbaren Biſſen ſo arg zu - ſetzte, daß dieſer ſich gezwungen geſehen haben würde, ſeine Beute loszulaſſen, wenn Joram ihm nicht zu Hülfe gekommen wäre. Dieſer durchbohrte Bruno mit ſeinem Degen, ſo daß das