PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Ein Bauernſohn.
Eine Erzählung für das Volk aus der neueſten Zeit
Leipzig.A. Wienbrack. 1849.
[II][III]

Vorwort.

Für das Volk! Dies Wort ſteht auf dem Ti - tel dieſer Erzählung ich habe es vor der Größe der Aufgabe, die ich mir damit geſtellt, zitternd niederge - ſchrieben, denn ich weiß, was dieſes Wort bedeutet.

Es iſt eine ſehr einfache Geſchichte, die ich da ge - geben ein ſtilles Dorf iſt ihr ganzer Schauplatz, ein Bauernſohn ihr Held. Wird ein ſolches Buch Leſer finden in dieſer Zeit politiſcher Bewegung? und wenn auch: werden es denn auch die rechten Leſer ſein, diejenigen, die ich ihm wünſche und für die ich es verfaßt habe?

Ach, ich möchte, ich könnte dies Buch in die Hüt - ten tragen auf dem Lande, damit es dem Landmann erzähle, wie groß wir in der Stadt von ihm denken! Damit es auf den ſtillen Dörfern da und dort ei - nen Bundesgenoſſen mehr werbe für die großen undIV heiligen Gedanken, welche dieſe Zeit bewegen, die ei - nen Jeglichen, er ſei Hoch oder Niedrig, Gelehrt oder Einfach, Bürger oder Bauer, aufruft, Theil zu neh - men an dem Kampf für den Fortſchritt, der jetzt ſicht - barer gekämpft wird als jemals. Denn ſo einfach dies Buch iſt, ſo iſt es doch durchdrungen von dieſem hohen Gedanken der Zeit.

Und wieder auch möcht ich, dies Buch käme in die Hände mancher Städter, damit ſie von Johannes, deſſen Stolz es iſt, ein Bauernſohn zu ſein, den Land - mann noch höher achten, als ſie bisher wohl gethan und ſich’s nicht mehr einfallen ließen, ſich irgendwie über ihn erheben zu wollen.

Für das Volk! Das Volk iſt auf dem Lande wie in der Stadt es iſt überall, wo große, einfache, unverbildete Herzen ſchlagen, in urſprünglicher Ge - ſundheit und Kraft. Für dieſe habe ich geſchrieben, an dieſe wende ich mich! Jhnen weihe ich dies Buch.

Oſtern 1849. Louiſe Otto.

[1]

Pfingſten.

Heil’ger Abend iſt’s vor Pfingſten. Das Feſt iſt dies - mal fruͤh im Jahre gefallen, und die Baͤume ſtehen alle noch in voller Bluͤthe. Die dichte Kirſchallee, die ſich den Huͤgel hinanzieht, gleicht von Weitem einem doppelten weißen Band, das auf gruͤner Decke liegt. Die großen Aepfelbaͤume vor dem Pfarrhaus wollen auch nicht die allerletzten ſein, die das große Fruͤhlingsfeſt mit begehen. Jhre roſigen Knospen ſind ſchon groß gewor - den und angeſchwollen und warten nur auf den naͤchſten Sonnenſchein, um ſich aufzuthun. Das Gras iſt ſchon ein ganz Stuͤck in die Hoͤh gewachſen und tauſende von Blumen duften und bluͤhen darin. Beſonders thun ſich die goldgelben Himmelsſchluͤſſelchen hervor, die auch an keinem Pfingſtfeſte fehlen duͤrfen.

Wunderbar ſtill und klar iſt die Luft. Der Himmel ganz lichtblau und ſo durchſichtig, als muͤßte man durch ihn durch wer weiß wie weit ſchauen koͤnnen, wenn12nur da oben Etwas zu ſehen waͤre fuͤr die bloͤden Augen von uns Menſchenkindern!

Jm Dorfe ſelbſt iſt’s aber nicht ſo ganz ſtill. Da laͤuten eben alle Glocken den Feierabend und den Feier - tag ein. Von den Nachbardoͤrfern klingt’s auch ſo laͤu - tend heruͤber, daß es ein feierliches Jneinanderklingen und Toͤnen iſt. Dabei glitzert noch der hohe vergoldete Thurmknopf der kleinen weißen Kirche wunderbar im Golde der ſinkenden Sonne. Mit Eggen und Pfluͤgen kommen die Leute vom Felde heim und in den Gehoͤften wie vor den Thuͤren kehren und fegen die Maͤgde noch emſig, damit morgen das ganze Dorf ein fein ſonntaͤg - liches Anſehen habe. Ein Stuͤcklein von der Kirche ent - fernt, am Eingange des Dorfes, liegt die Schenke, ein ſtattliches Haus aus rothen Ziegeln erbaut. Ein paar maͤchtige Linden, die es jetzt eben auch nicht erwarten koͤnnen bis ſie gruͤn werden, ſtehen davor, und darunter ſind Tiſche und Baͤnke in die Erde gerammelt.

Auch jetzt, zum Samſtag Abend ſind dieſe Baͤnke nicht ganz leer. Da ſitzt der Dorfrichter Stephan, ein großer, breitſchultriger Mann, dem man die Wohl - habigkeit gleich auf den erſten Blick anſieht, wiewohl er ſie eben nicht zur Schau traͤgt. Er ſitzt in Hemds - aͤrmeln da wie die andern Landleute, traͤgt eine blau - tuchene Weſte und Hoſen von derbem Leder, dazu ein3 paar tuͤchtige ſchwarze Stiefeln, mit denen er gewaltig auftreten kann. Neben ihm ſitzt der Schulmeiſter des Dorfes, Karl Langer, ein rechter Mann fuͤr’s Volk. Zwar ſieht er klein und mager aus neben der ſtattlichen Geſtalt des Richters aber ſaͤhe man ihn unter lau - ter Staͤdtern, wuͤrde ſein Wuchs noch ganz vollkommen erſcheinen und ſein munteres Geſicht gegen die bleichen und eingefallnen Wangen, die man an den Stadtherr - leins zu ſehen bekommt, gar ſehr abſtechen. Erſt ſeit einem halben Jahr war Langer hier im Dorfe Schul - lehrer; er iſt uͤberhaupt noch ein ganz junger Mann von vier und zwanzig Jahren und als ſolcher ſchon zeitig genug in Amt und Wuͤrden gekommen. Darum iſt er auch noch ohne Hausfrau und deren Stelle erſetzt ſeine Schweſter Laura, die er einſtweilen mit zu ſich genommen. Jetzt alſo ſitzt er in der Schenke gemuͤthlich unter den Landleuten, die ihm meiſtens herzlich gut ſind. Anfangs zwar haben ſie ein wenig ſcheel ihn kommen ſehen, weil er ihnen faſt zu fein ausſah und ſie ſich an ſein langes, modiſch gekaͤmmtes Haar, das in einen Lockenkranz endigte, nicht recht gewoͤhnen konnten. Aber bald hoͤr - ten ſie auf, daran Anſtoß zu nehmen, da ſie ſahen, wie das neue Regiment, das er bei der Schuljugend einfuͤhrte, ein ganz anderes, namentlich viel beſſeres war, als das des fruͤhern Schulmeiſters. Der hatte1 *4immer nur mit dem Stock den Kindern Alles einpraͤgen wollen dabei aber lernten ſie Nichts und hatten nicht einmal Reſpekt, geſchweige denn Liebe zu ihrem Lehrer; durch das viele Pruͤgeln ſtumpfte ſich ihr Ehrgefuͤhl ab und ſie wurden nur immer unbaͤndiger ſtatt geſitteter im taͤglichen Leben; mit den Fortſchritten in der Schule ſah es aber noch klaͤglicher aus. Da ging der Lehrer nicht von dem alten Schlendrian ab und was bei einer einfachen Methode die Kinder in ein paar Wochen haͤt - ten lernen koͤnnen, das war ihnen in Jahren kaum bei - zubringen durch die Weiſe, nach welcher es ihnen vor - getragen ward. Dieſer erbaͤrmlichen Wirthſchaft hatte nun Langer bald ein Ende gemacht. Freilich, in einem halben Jahre hatte er noch nicht das ganze Un - kraut, das ſein Vorgaͤnger geſaͤet, ausrotten koͤnnen; aber man ſah doch die neue gute Saat ſchon aufgehen und konnte leicht vorausſagen, wie Alles noch beſſer kommen werde. Die Kinder hatten Liebe zu Langer, und wenn er ſich ja einmal genoͤthigt ſah, den Stock zu benutzen bei den Knaben (bei den Maͤdchen kam es nun ſchon gleich gar nicht mehr vor) ſo macht es in der ganzen Klaſſe ſolches Aufſehen, weil es ſo ſelten war, daß es der Geſchlagene gewiß nicht ſo bald wieder zu einem neuen Anlaß zum Schlagen kommen ließ. Nun gab es ſchon im Dorf auch einige alte grießgraͤmige5 Leute, die ſo ſehr am Alten hingen, daß ſie Alles nur gerade ſo haben wollten, wie es zu ihrer Zeit geweſen, und deshalb tadelten, was ihnen anders und neu er - ſchien. Da kommen ſie aber gerade heute damit ſchoͤn an doch davon nachher ! Dieſe Leute nun waren mit Langer ewig unzufrieden und ſuchten ihm allerlei in den Weg zu legen. Deſto zufriedener aber waren alle jungen Maͤnner des Dorfes mit ihm, da er mit allen vertraulich umging, ſich gar nicht wichtig machte wie ſein Vorgaͤnger, ſondern Allen, die ihm freundlich ge - ſinnt waren, wie lieben Kindern die Hand druͤckte und mit Vielen Bruͤderſchaft machte. Wie er bei den Maͤd - chen ſtand, davon ſchwiege ich lieber. Es gab gar Man - che darunter, die ſich jetzt auf einmal aͤrgerten, daß ſie ſchon aus der Schule gekommen, ehe ſie einen ſo huͤb - ſchen Lehrer gehabt hatten und Viele, die verſtohlen in ſeine innigen blauen Augen ſahen und froͤhlich erroͤthend ihre Blicke niederſchlugen, wenn er ſie herzlich gruͤßte. Die aber war am gluͤcklichſten, mit der er einmal getanzt hatte. Daruͤber auch war die ganze Gemeinde einig (jene Grießgrame abgerechnet, die ſich auch daruͤber aͤrger - ten und es gar eine Heidenwirthſchaft nannten, daß in der Kirche die geiſtlichen Lieder ein Wenig ſchneller ge - ſungen wurden als ſonſt, wo man eine Zeile end - los ausdehnte ) daruͤber war die ganze Gemeinde6 einig, daß Niemand ſo ſchoͤn in der Kirche die Lieder vorſingt und ſo ſchoͤn die Orgel ſpielte, wie unſer Langer.

Aber ſehen wir uns weiter um nach den Leuten, die mit vor der Schenke ſitzen.

Da iſt auch der Bote Martin, der zweimal die Woche mit ſeinem Planwaͤgelchen und ſeiner Schecke in die Stadt faͤhrt. Ein Mann in den Vierzigen mit einer kleinen gedrungenen Geſtalt und einem rothen Geſicht, dem man es recht eigentlich an der Naſe an - ſieht, weß Geiſtes Kind er iſt naͤmlich Einer, der die hitzigen Getraͤnke etwas liebt und der dieſe Liebhaberei damit entſchuldigt, daß er unterwegs bei der austrock - nenden Straßenluft ſich oft vor Durſt gar nicht zu laſſen wiſſe. Aber daß er manchmal Einen uͤber den Durſt trinkt, iſt nur zu gewiß. Jetzt raucht er aus einer kurzen thoͤnernen Pfeife und ſieht verdrießlich den großen Wolken nach, die er daraus blaͤſt. Noch einige andere Landleute, die ich nicht erſt einzeln nahmhaft machen will, ſitzen um ihn herum.

Einer von ihnen beginnt zu dem Boten: Aber Gevatter Martin, warum biſt Du nur gerade heute ſo verdrieß - lich, haſt’s doch lange genug gewußt, daß der Tag einmal kommen werde, wo Du mit Deiner Schecke einen andern Weg fahren mußt. Da ſitzſt Du nun und7 ſchneideſt Geſichter, indeß wir andern luſtig und guter Dinge ſind.

Martin zog ſeine Beine noch weiter an und legte ein Knie uͤber das andere. Das iſt’s ja eben, was mich am Meiſten aͤrgert ſagte er und ſah dabei trotzig um ſich, beſonders warf er dem Schulmeiſter einen gif - tigen Seitenblick zu, daß Jhr den Tag wie einen Feſttag begehen wollt, gleichſam als haͤttet Jhr ein Ver - gnuͤgen daran, den Ruin von einer Menge Menſchen zu verherrlichen.

Lieber Martin, begann der Richter und nahm da - bei eine Art von kluger Amtsmiene an: Jhr duͤrft gar nicht in Eurer eignen Sache Anklaͤger und Richter ſelber ſein wollen. Jhr habt nun einmal eine Wuth auf die Eiſenbahn und weil Eure Schecke keinen Ver - gleich mit einer Locomotive aushalten kann, ſo ſchimpft Jhr auf dieſe, anſtatt daß Jhr ſie bewundern ſolltet wie wir. Auf Euch und Eurer Schecke hat doch wirk - lich die Regierung keine Ruͤckſicht zu nehmen, wenn ſie etwas fuͤr das allgemeine Wohl thun will.

Der Bote murmelte einige unverſtaͤndliche Worte zwiſchen den Zaͤhnen und ſtuͤrzte ein großes Glas Bier auf einen Zug aus; wie er das leere Glas mit einer derben Bewegung wieder auf den Tiſch ſetzte, ſagte er: Jch bin, weiß es Gott, froh, ſo ſehr ſie mir fehlt, daß8 meine Alte den Tag nicht erlebt hat, die weinte ſich die Augen aus.

Nein, nein, verſuͤndigt Euch nicht noch an ihr verwieß der Richter, das war eine brave, reſolute Frau! moͤglich, ſie haͤtt es ein Wenig arg getrieben, bis ſie ſich an die Aenderung gewoͤhnt, aber endlich wuͤrde ſie ſich darin gefunden und der ganzen Sache noch eine gute Seite abgewonnen haben.

Da hat ſich was, erwiderte Martin unzufrieden, laßt Euer Reden lieber, Jhr macht mich ſonſt noch wild!

Der Schenkenwirth war jetzt zwiſchen die Thuͤr ge - treten und ſagte aufgeregt zu Martin: Ja, Gevatter, ich ſtimme mit Euch, die Eiſenbahn iſt unſer Aller Un - gluͤck, da mag der Kuckuk noch laͤnger Schenkenwirth ſein! Druͤben an der Eiſenbahn haben ſie ein abſonder - liches Haus hingebaut, wo Alles zur ebenen Erde drinn iſt und gar kein Aufſatz, nicht einmal ein ſtattliches, reſpectables Dach iſt darauf, ſondern ein ganz niedriges Ding von einem Dach mit grauem Schiefer gedeckt. Das nennen ſie fuͤrnehm Reſtauration , um uns gleich an Ort und Stelle alle Gaͤſte wegzuſchnappen.

Aber begann der Schullehrer, wie koͤnnt Jhr nur ſo engherzig ſein und bei allem Großen, was in der Welt geſchieht, nur an Euren eignen Vortheil oder Nach -9 theil denken? So macht doch nur einmal die Augen auf und ſeht uͤber Euer eignes Haus hinweg, denkt an Eure Mitmenſchen, denkt nur bei ſo etwas Ungeheuerm wenigſtens einmal an’s Allgemeine! Wollte nun jeder Menſch ſo an jeden Fortſchritt, an jedes große Ereigniß nicht immer ſein eigenſuͤchtiges kleines Jntereſſe als hem - mendes Bleigewicht haͤngen die Menſchheit waͤre nach Jahrtauſenden noch nicht weiter als wo ſie jetzt iſt.

Da koͤnnen ſie ſtundenlang noch ſo fortreden, das iſt gewiß, mein Bube macht morgen den Aufzug nicht mit und dabei bleibt es! ſagte der Wirth trotzig und ging in das Haus, Martin folgte ihm.

Das wird nur der Schade des Jungen ſein, den Sie um ein Vergnuͤgen bringen, rief der Schullehrer noch dem Wirth nach, das kann ein Jeder mit ſeinen Kindern halten wie er will!

Woruͤber aber ſtritten die Leute eigentlich? Der Grund hierzu war einfach der, daß am erſten Pfingſt - feiertag die große Eiſenbahn, welche die Hauptſtadt des Landes mit einer der groͤßten Handelsſtaͤdte verband, er - oͤffnet werden ſollte. Zum Erſtenmal wollte man die ganze Strecke mit einem Feſtzug befahren und dann Tags darauf dem allgemeinen Vertrieb uͤbergeben. Nun fuͤhrte die Eiſenbahn etwa in einer Entfernung von einem kleinen Stuͤndchen an unſerm Dorfe voruͤber,10 dort war, allerdings nur fuͤr Guͤterzuͤge, eine Zwiſchen - ſtation errichtet und jene Reſtauration erbaut worden, welche unſer Schenkenwirth vorhin beſchrieb. Nun war es wohl natuͤrlich, daß die Dorfbewohner ſich auch freu - ten, die ſeltſamen, fliegenden und brauſenden Wagen - zuͤge ohne Pferde zu ſehen, von denen ſie bisher nur immer hatten ſo viel erzaͤhlen hoͤren. Es war auch von feſtlichen Aufzuͤgen die Rede, welche die Staͤdter ver - anſtalteten, warum ſollten nun da die Bewohner des Landes zuruͤckbleiben? Unſer Schullehrer war der Erſte, der es im Dorfe zur Sprache brachte, doch auch zum Pfingſtfeſt an den Bahnhof zu ziehen und das neue Wunder ſelber anzuſtaunen und zu begruͤßen. Jhm ſelbſt war es weniger um das Wunder zu thun, das er ver - wirklicht vor ſich ſah, als vielmehr um die Gefuͤhle der Freude und Begeiſterung, die er dabei in ſeiner Umgebung und beſonders bei den Schulkindern anzuregen und in ihren jungen Herzen wie ſanfte, fromme Glockentoͤne die dann lange Zeit, vielleicht ein ganzes Leben hindurch nachhallen zu wecken gedachte. Solch eine Ge - legenheit ließ er ſich niemals entgehen. So trug er denn zuerſt dem Pfarrer die Sache vor. Der Pfarrer war ein Mann in den Funfzigen, ein Diener des Herrn in Wahrheit. Er hatte ſich nie angemaßt, auf ſeinem Dorfe etwa den Papſt ſpielen zu wollen und ſich wie ein11 Heiliger, Unfehlbarer, dem blindlings zu gehorchen ſei, hoch und fern uͤber ſeine Gemeinde zu ſtellen, als mache ihn der Prieſterrock zu einem ganz apparten Menſchen, zu dem nur mit tiefer Ehrfurcht und Unterthaͤnigkeit aufzuſehen ſei. Ja, dieſer Pfarrer, obwohl jung ge - weſen in der alten Zeit und alt geworden in der neuen Zeit, hielt doch dieſe werth und unterwarf ſich allen ihren Forderungen. Darum eben ſo wenig als er einen geiſtlichen tyranniſchen Herrſcher ſpielen wollte, maßte er ſich an, der Vater ſeiner Gemeinde ſein und dieſe als ſeine Kinder betrachten zu wollen. Dies Verhaͤltniß wußte er recht gut, gehoͤre in die alte Zeit; ſo ſchoͤn es auch damals geweſen, es wollte ſich nicht mehr fuͤr die neue Zeit ſchicken denn die neue Zeit hat alles Volk muͤn - dig geſprochen und es fuͤr eine Entwuͤrdigung erklaͤrt, muͤndige Menſchen wie Kinder betrachten zu wollen, uͤber die irgend Einer ſich erheben duͤrfe und ſagen: ich bin euer Vater, ihr ſeid meine Kinder. Dies klingt zwar ſehr gemuͤthlich, aber es ſteckt dahinter doch eine Be - leidigung; denn es iſt als ſagte der, welcher ſo ſpricht, eben nichts Anderes als: ich habe Euch recht von Her - zen lieb, aber ich weiß, daß ich geſcheidter bin als Jhr und tauſend Dinge allein recht beurtheilen kann, wovon Jhr nichts verſteht, darum ſorge Jch fuͤr Euch, die Unwiſſenden und Unmuͤndigen, die Jhr Euch nicht ſelbſt12 zu rathen und zu helfen wißt, wie ein Vater fuͤr ſeine Kinder ſorgt, und gebe Euch je nach meinem Belieben wie ich denke, daß es Euch gut thut, entweder Lob oder Tadel, Zuckerbrod oder den Stock. So klein denken die von dem Volke, die das Verhaͤltniß vom Vater und den Kindern noch auf größere Kreiſe uͤbertragen wollen. Da ſind die Fuͤrſten und Koͤnige oft die Beſten die und ihre Schmeichler machen ein großes Ruͤh - mens davon, wenn von einem Fuͤrſten geſagt wird: Der Koͤnig iſt ein echter Vater des Volks und das Volk liebt ihn dafuͤr als ſeine Kinder. Nun, ſo iſt’s nicht mehr, ſo ſoll es auch nirgends ſein! Lieben koͤnnen wir unſern Koͤnig ſchon auch, wenn er gut iſt und unſere Liebe verdient, aber wie unſern erſten Buͤrger, wie einen Menſchen, der die große Pflicht, welche er gegen uns uͤbernommen hat, gern erfuͤllt und gegen den wir deshalb wieder unſere Pflichten mit Freuden thun, als einen Ehrenmann, dem wir deshalb auch den Ehrenplatz goͤnnen, den er einnimmt. Das wird ihn mehr ehren, wenn das Volk ihn in ſolcher Weiſe liebt, als wie wenn es ſich ihm als Kinder gegenuͤber ſtellt, die blind vertrauen und gehorchen, weil ſie es ſo gelernt, oder weil eine dunkle Regung, Gewohnheit, Herkommen und dergleichen ſie dazu treiben. Wir moͤgen keinen andern Vater als den, welchen uns die Natur gegeben; andern13 Menſchen gegenuͤber ſind wir in kein anderes Verhaͤlt - niß zu bringen und wollen wir noch einen Vater haben, ſo laſſet ihn uns uͤber der Erde ſuchen, der liebe Gott im Himmel iſt unſer Vater und ſonſt Keiner. Die nun Gottes Wort lehren, ſollten das vor Allem auch recht bedenken. Die ſollten nicht jenem Papſt zu Rom nachahmen, der ſich gar heiliger Vater nennen laͤßt, um die Menſchen dumm zu erhalten wie die kleinen Kinder und ſie dadurch deſto beſſer beherrſchen zu koͤnnen. Aber mit dieſer Herrſchaft geht es auch ganz zu Ende. Eine Gemeinde wird ihren Pfarrer auch lieben wenn er gut iſt und Liebe verdient wenn ſie ihn auch nicht als Vater uͤber ſich ſtellt und ſich ſelbſt zu ſchwa - chen Kindern macht, die ihm blindlings folgen ohne ſelbſt zu pruͤfen und zu uͤberlegen. Eine Gemeinde wird in ihrem ehrenwerthen Pfarrer ihren beſten Freund ſehen und ſich um ſo lieber Rath und Troſt bei ihm holen, als er ſich als der Bruder ſeiner Dorfbewohner zeigt und keine Scheidewand zieht zwiſchen ſich und ihnen. Der Pfarrer des Dorfes, von dem ich erzaͤhle, hatte das wohl erkannt. Er fuͤrchtete nicht, wie viele ſeiner Amtsbruͤder, ſeiner Stellung etwas zu vergeben, wenn er die Leute ſeines Kirchſpengels nicht mit hochmuͤthiger Herablaſſung behandelte, ſondern mit ihnen vertraulich als mit ſeines Gleichen redete, ſich und ſeinen Rath ihnen aber auch14 niemals aufdrang, wo er nicht am Orte war oder nicht gefordert ward. Dadurch kam es von ſelbſt, daß ihn Alle mit Zutrauen und Liebe behandelten und nie Etwas im Dorfe geſchah, ohne daß man zuvor die Zuſtimmung des Herrn Pfarres eingeholt. Er hatte es aber auch durch ſein wahrhaft ſegensreiches Wirken fuͤr alles Gute und Große was zugleich das wahr - haft Chriſtliche iſt verdient, daß ihm Jung und Alt mit ſo großem Vertrauen entgegenkam.

Zu ihm nun war unſer Schullehrer zuerſt gegangen und hatte ihm vorgeſtellt, ob nicht die ganze Kirchfahrt den Tag, an welchem die Eiſenbahn eröffnet werde, feier - lich begehen wolle, da es doch eines der groͤßten Ereig - niſſe ſei, die man ſeit Langem hier in der Gegend er - lebt. Unſer Pfarrer war gleich dabei und wie nun die Sache im Gemeinderath zur Sprache gebracht ward, ſo gab es gar kein langes Streiten daruͤber, man war einig, den erſten Pfingſtfeiertag diesmal noch zu einem ganz beſondern Feſttag zu machen; nur uͤber das Wie berieth man ſich noch lange.

Der Bote Martin aber und der Schenkenwirth ſaßen nicht mit im Gemeinderath, die wuͤrden ſonſt ſchon da - gegen aufgetreten ſein. Durchſetzen haͤtten ſie ihre An - ſicht aber doch nicht koͤnnen, denn ſie waren die beiden Einzigen im ganzen Dorf, die gegen die Eiſenbahn wa -15 ren und gar nicht an ſie erinnert ſein mochten. Purer Eigennutz war’s, der ſie ſo geſtimmt hatte, weiter Nichts. Der Martin mußte nun ſeine Fuhren in die Stadt einſtellen, in die man nun mit Dampf gelangen konnte und der Schenkenwirth fuͤrchtete die Concurrenz mit der fuͤrnehmen Reſtauration.

So war nun der Pfingſtmorgen auch herange - kommen.

Wieder war es ein feierliches Laͤuten und ſchon am fruͤheſten Morgen waren einige Burſche auf einen nach Oſten gelegenen Berg gegangen, gleichſam der Sonne entgegen, und wie nun unten im Dorf und endlich von allen Nachbardoͤrfern die Glocken zu laͤuten anfingen, ſo ſchoſſen ſie mit ihren Flinten dazwiſchen und ein viel - ſtimmiges Echo ließ die Schuͤſſe lange und weit nach - hallen, gleichſam als huͤpfte der Knall von Berg zu Berg fort, bis er ſich endlich unten im Thale zur Ruhe fand. Jm Dorfe aber war ſchon ein andres Leben, wenn auch eben erſt die Glocke vier Uhr ſchlug, die Haushaͤhne noch nicht gar zu lange mit zuen Augen guten Morgen gekraͤht, indeß einige faule Huͤhner noch nicht einmal auf den Weckruf gehoͤrt, ſondern ſich wieder zur Ruhe geſetzt und nur die Beine einmal ge - wechſelt hatten. Jn des Schulmeiſters Gaͤrtlein war’s wo’s ſchon munter zuging. Wohl ein Dutzend Jung -16 frauen aus dem Dorf ſaßen da verſammelt und wanden noch Kraͤnze, weil ſie am Abend zuvor, wo ſie erſt ſpaͤt hatten anfangen koͤnnen, da es noch allerhand zu ſorgen und zu ordnen gegeben, nicht mit allen fertig geworden waren. Laura, die Schweſter des Schulmeiſters bringt eben noch einen Korb friſch geſchnittener Blumen herbei. Jhr Bruder ſelbſt darf ſich jetzt nicht ſehen laſſen, er wuͤrde die Maͤdchen nur ſtoͤren. Einige von ihnen wer - fen zuweilen verſtohlene Blicke nach dem kleinen Fen - ſter hinauf, hinter dem er jetzt wohl arbeiten mag, denn er hat viel zu thun und muß auch die fruͤhen Sonntag - morgen, ehe er in die Kirche geht, mit dazu nehmen. Suschen, die Tochter des Richters, erroͤthet jedesmal, wenn ſie ſich ſelbſt beim traͤumeriſchen Hinaufſchauen ertappt dann will es bei ihr mit dem Kranzwinden immer nicht recht vorwaͤrts gehen, ſie wickelt zuweilen ein Stuͤcklein wieder auf, wo die Blumen zu dick oder zu duͤnn geworden ſind. Die andern Maͤdchen ſchaͤkern daruͤber.

Jetzt kommen die Burſchen, die auf dem Berge ge - ſchoſſen haben, wieder herab und gruͤßend an dem Gaͤrt - lein voruͤber.

Gelt, das knallte und platzte? fragt der Eine von ihnen die Maͤdchen.

Das iſt ein luſtiger Brauch! antwortete Laura,17 wußte gar nicht, was es gaͤbe, wie ich das Schießen hoͤrte bei uns in der Stadt thut ſo etwas kein Menſch.

Nicht wahr? ſagte Friedrich, ein langer, ſtatt - licher Burſche mit krauſem, braunem Haar und Augen ſo treu und hellblau wie Bluͤmlein Vergißmeinnicht, nicht wahr, Jungfer Laura ach verzeiht, ſollte wohl Mamſell ſagen unterbrach er ſich.

Aber Laura fiel ihm in’s Wort: Warum denn Mamſell? nennen Sie doch alle dieſe Maͤdchen hier Jungfer, warum denn nun mich anders heißen wollen? weil ich aus der Stadt bin? Mamſell iſt ein fremdes Wort und die fremden Worte mag ich gar nicht gern leiden; da wir Deutſche ſind, wellen wir doch auch deutſch reden! ſagt der Bruder immer.

Ach, ich beſinne mich, begann Friedrich wieder, indem er ein Wenig verlegen die Augen niederſchlug, in der Stadt ſagen ſie jetzt: Fraͤulein.

Das klingt nun wieder vornehm, als waͤr man eine große Dame, nein, laſſt’s nur ein fuͤr allemal bei der Jungfer, das iſt ja gar ein ſchoͤnes Wort! ent - gegnete Laura.

Wills meinen! bekraͤftigte Friedrich.

Aber da haben ſie ja ganz die Rede von vorhin vergeſſen, ſagte Laura erinnernd.

Je nun, ich wollte nur ſagen, daß es bei uns218doch auch huͤbſch iſt und ob’s Jhnen nicht auch auf die Laͤnge gefallen koͤnnt wie in der Stadt? fragte Fried - rich und ſah dabei auf die Flinte nieder, auf die er ſich geſtaͤmmt hatte.

Ach, in der Stadt muß es ſchlecht wohnen ſein, da moͤcht ich im Leben nicht hin! warf Suschen dazwiſchen.

Laura aber antwortete: Nun, leben laͤßt ſich’s in der Stadt ſchon auch, wenn’s nur keine gar zu große iſt, daß einem vor dem ewigen Menſchenwirbel auf den Straßen und den hohen und finſtern Haͤuſern ganz angſt und bange wird aber wohler iſt’s mir auf dem Lande, friedlicher und heimiſcher, ich weiß nicht wie ich ſagen ſoll, mir iſt gar als waͤren die Menſchen hier beſſer und als wuͤrd ich’s ſelber mit.

Jn Friedrichs Geſicht war es bei dieſen Worten als ginge eine Sonne auf, ſo von Gluͤck und Freude ſtrahlte es ploͤtz - lich, aber er ſagte kein Woͤrtlein darauf, die andern Bur - ſchen ſchaͤkerten indeß mit den andern Maͤdchen, wollten ih - nen uͤber’s Gelaͤnder weg Blumen ſtehlen und wurden end - lich von dieſen zuruͤckgewieſen, indem eines der Maͤd - chen ſagte: Da iſt aber kein Fertig werden, nun macht, daß Jhr fortkommt.

Die Burſchen hatten nun alle in den Knopfloͤchern ſtattliche Blumen, die ihnen die Maͤdchen geſchenkt. Nur Friedrich nicht. Er hatte auch um keine gebeten,19 aber als jetzt die Burſchen alle geſchmuͤckt gruͤßend von dannen gingen, ſah er traurig auf ſeine ſchoͤne gruͤne Sammtweſte nieder, an der keine Blume prangte. Laura ſah dieſen Blick und that einige Schritte in den Garten ruͤckwaͤrts.

Auf Wiederſehen, Jungfer Laura! rief er ihr nach, denn er war jetzt der Letzte, welcher ging.

Wartet doch nur einen Augenblick! bat ſie wir werden Sie doch nicht ohne Blume gehen laſſen? Jetzt kam ſie an das Gelaͤnder vor und reichte ihm uͤber das - ſelbe hinweg ein wunderherrliches Pfingſtroͤschen, das eben erſt aufgebluͤht war. Sie hatte es im Garten be - merkt und nun friſch gepfluͤckt, der Thautropfen, der beim Sonnenaufgang in ſeinen Kelch gefallen war, gluͤhte noch darin.

Friedrich nahm das Roͤschen und er wußte gar nicht, wie ihm zu Muthe war, als dabei Laura’s Finger zufaͤllig ſeine Hand beruͤhrten, es zuckte dabei wunder - ſam raſch durch ſeinen ganzen Koͤrper. Ei, ich danke ſchoͤn! ſagte er innig bewegt und ſprang dann raſch den andern Burſchen nach, nicht als habe er ein Ge - ſchenk erhalten, ſondern als habe er einen Raub be - gangen. Das Roͤschen aber zaͤrtlich anzublicken, konnte er gar nicht muͤde werden.

Eh ſie noch das Erſtemal in die Kirche laͤuten hoͤrten, hatten die Maͤdchen ihr Geſchaͤft beendigt und trennten2 *20von einander, um nun den Kirchenſtaat anzulegen.

Unſer Pfarrer hielt eine rechte Pfingſtpredigt aus fro - hem, begeiſtertem Herzen. Er ſprach von dem heiligen Geiſt, dem rechten Gottesdienſt, der Begeiſterung der damals die einmuͤthig verſammelten Juͤnger beim Ge - danken an das Werk, fuͤr das Jeſus geſtorben war, ſo allmaͤchtig anfuͤllte, daß ein Jeder von ihnen mit einem Jeden der Hoͤrer in der Sprache zu reden ver - ſtand, die bei dieſen am ſicherſten Eingang fand; von der hoͤhern Klarheit, mit der die Apoſtel an dieſem Tage zum erſtenmal uͤber die Groͤße ihres Berufs durch - drungen waren, daß Jedermann dieſe hoͤhere Begeiſterung ihnen anſah, gleichſam als ob ſie in ſichtbaren Feuerzeichen von ihren Stirnen geleuchtet haͤtte. Und der Pfarrer ſprach von dieſem Geiſt weiter, wie er durch alle Zeit fortlebe und die einzelnen Menſchen mit ſeiner Kraft er - fuͤllend die ganze Menſchheit dem Ziel ihrer Heiligung auf der Bahn des Fortſchrittes weiter entgegen und naͤher fuͤhre. Und ſo fuhr er fort, iſt aller wahr - hafte Fortſchritt auf Erden im Leben des Einzelnen wie in dem ganzer Voͤlker eine Offenbarung dieſes heiligen Geiſtes, der nach dem Wort der Verheißung bei uns iſt alle Zeit und bis an der Welt Ende. Auch das Ereigniß, das wir heute noch zu feiern gedenken, ob es gleich aus - ſehen mag, als gelte es ganz und gar nur den kleinen Vor -21 theilen des gewoͤhnlichen Lebens auch dies Ereigniß iſt ein Zeugniß fuͤr das Fortwirken dieſes Geiſtes. Alle große, weltbewegende Erfindungen ſind dies geweſen. Denkt an die Buchdruckerkunſt. Was waͤre aus Luther und ſeiner ganzen Reformation geworden, haͤtte er nicht die Buchdruckerkunſt als ſeine Bundesgenoſſin und Die - nerin zur Seite gehabt? Was haͤtte ſeine Bibeluͤber - ſetzung genuͤtzt, wenn er ſie nur haͤtte niederſchreiben koͤnnen und ſo die heilige Schrift immer nur in den Haͤnden einiger weniger Gelehrten geblieben waͤre, die ihren Jnhalt nach Gutduͤnken dem Volke vorenthalten konnten? Aufklaͤrung iſt der große Zweck der Sendung des heiligen Geiſtes wie haͤtte es ohne die Buchdrucker - kunſt jemals zur allgemeinen Aufklaͤrung kommen koͤnnen? Die Benutzung der Dampfkraft und der Eiſenbahnen ſind eine Erfindung von gleich großer Wich - tigkeit. Durch die große Schnelligkeit, mit welcher man nun viele Meilen Wegs in ganz kurzer Zeit zuruͤcklegen kann, durch den ganzen erleichterten Verkehr wird, was ſonſt nur Einzelnen vergoͤnnt war, jetzt Tauſenden moͤg - lich. Es iſt wie damals mit der Buchdruckerkunſt, ehe ſie erfunden war, konnten nur einige Gelehrte ſchreiben und leſen, was ſie davon dem Volke ſagten, mußte es blindlings auf Treu und Glauben hinnehmen Jetzt aber kann nun Jeder leſen und ſelber pruͤfen. Das Volk iſt22 in dieſem Sinne nicht mehr abhaͤngig von einigen We - nigen, die alle Weisheit fuͤr ſich allein in Anſpruch neh - men; es lieſt was es will und nimmt ſich daraus, was ihm Recht ſcheint und ihm gefaͤllt; es laͤßt ſich nicht mehr am Gaͤngelband fuͤhren; es iſt ſelbſtſtaͤndig ge - worden und geht ſeinen eigenen Weg. Das Licht der Aufklaͤrung ſoll Allen ſcheinen. Durch die Eiſenbahn nun koͤnnen auch Tauſende reiſen, die es ſonſt nicht konnten, ſie lernen die Welt kennen und die fruͤher nur in Buͤchern laſen, die lernen nun in der Welt ſelber leſen. Die Voͤlker ruͤcken einander naͤher. Was ſonſt durch weite Entfernungen getrennt war, kommt jetzt zur innigen Vereinigung. Die durch viele Meilen Ge - trennten ſehen ſich nun und erkennen ſich auch als Bruͤder und Schweſtern. Ein gegenſeitiger Austauſch deſſen, was man erfahren, fuͤhrt oft zu einem gemein - ſchaftlichen Streben, einem Streben im Dienſte des hei - ligen Geiſtes. Die Zeit der Aufklaͤrung und des Lichtes iſt mit der Erfindung der Buchdruckerkunſt an - gebrochen die Zeit der Vereinigung und der Liebe, der allgemeinen Verbruͤderung aller Menſchen wird durch die Eiſenbahnen erſcheinen. Und ſo begruͤßen wir denn den heutigen Tag auch noch des - halb mit hoher Freude, weil er auch unſerm Vaterlande ja ſogar uns ſelbſt in unſrer kleinen Heimath eine23 Eiſenbahn gebracht hat und deren Wohlthaten auch uns wird zu Theil werden laſſen.

Der Bote Martin war heute nicht in die Kirche ge - kommen, der Schenkenwirth aber rutſchte bei dieſer Stelle unruhig in ſeinem Stande hin und her und war eben nicht ſehr andaͤchtig. Sonſt aber war es die ganze Ge - meinde; am meiſten unſer Schulmeiſter, dem die Be - geiſterung ordentlich wie damals den Apoſteln von der Stirne leuchtete und der noch nie ſo ſchoͤn wie heute den Choral Nun danket alle Gott geſpielt hatte.

Nachmittag zwiſchen 3 und 4 Uhr war die Stunde, wo der Dampfwagen an der naͤchſten Station voruͤber - fahren ſollte. Man machte ſich alſo um 2 Uhr dahin auf den Weg. Voran ſchritt ein Trupp Dorfmuſikan - ten, ſo gut wie man ſie hatte aufbringen koͤnnen, dann kam der Schullehrer mit der ganzen Dorfjugend. Die Kinder waren alle mit Gruͤn und Blumen geſchmuͤckt. Dann folgten die erwachſenen Maͤdchen des Dorfes in weißen Kleidern meiſt mit bunten, flatternden Baͤndern. Auch Laura und Suschen waren unter ihnen. Sie gingen voran und daruͤber, daß ſie die beiden huͤbſche - ſten Maͤdchen unter dieſen allen waren, war weiter gar nicht zu ſtreiten. Sie hatten alle gruͤne Kraͤnze im Haar und wie ſie paarweiſe gingen, trugen ſie auch zwei und zwei eine Blumenkette. Die Burſchen des Dorfs24 ſchloſſen ſich ihnen an mit Straͤußen auf den Huͤten und an der Bruſt. Eine gruͤne Fahne, auf der ein Pflug und eine Korngarbe zu ſehen war, ward ihnen voran - getragen. Dann kam der Pfarrer, umgeben von dem Gemeinderath. Hinterdrein folgte noch Alles, was nicht mit in dieſen Abtheilungen vertreten war und uͤberhaupt Beine hatte. Jm Dorfe war’s unterdeß wie ausge - ſtorben. Nur in der Schenke war einiges Leben, weil am andern Abend dort Tanz ſein ſollte und es da vor - zubereiten gab. Der Schenkenwirth hatte ſeinen Jungen doch noch gehen laſſen. Er ſelbſt war aus Aerger zu Hauſe geblieben und aͤrgerte ſich doch eigentlich gerade daruͤber, daß er den verwuͤnſchten Dampfwagen nicht einmal ſehen konnte. Nun waͤre er ſo gern mit dabei geweſen, aber er dachte, er werde ausgelacht, wenn er nun noch mitgehe, und ſo war er geblieben zu ſeinem eigenen Verdruß. Den ſuchte er dafuͤr an ſeinen Leuten auszulaſſen, die ſchon ſo genug unter ſeiner Halsſtarrig - keit litten, da ſie nicht mit dem Zuge hatten gehen duͤrfen.

Auf dem Bahnhof war ſchon lange ein großes Le - ben. Der Durchſtich eines Berges in der Naͤhe hatte viel Arbeit gekoſtet und deshalb war auch dieſe Strecke die letzte der ganzen Bahn, welche fertig geworden und die Eroͤffnung ſo lange verhindert hatte. Die Berg -25 leute, wie uͤberhaupt die ganzen Arbeiter, die hierbei beſchaͤftigt geweſen, hatten ſich laͤngs der Bahn aufge - ſtellt. Die Bergleute in ihren Feſtanzuͤgen, alle mit ih - ren kleinen brennenden Grubenlichtern, nahmen ſich gar ſchmuck aus; die andern Arbeiter trugen auch ihre beſten Sachen, hatten mit dem allererſten jungen Eichenlaub ihre Muͤtzen geſchmuͤckt und die Werkzeuge ihrer Arbeit, wie Schaufel und Hacke, bei ſich als ihre Triumphzeichen denn die Werke der Arbeit ſind der groͤßte Triumph des Menſchen, darum ſind auch die Werkzeuge der Arbeit Ehrenzeichen fuͤr den, der ſie traͤgt, denn heilig und ehrenvoll iſt jede Arbeit, durch welche etwas Nuͤtzliches, Großes oder Schoͤnes geſchaffen wird. Heilig iſt die Arbeit und jeder Arbeiter iſt nicht nur ſeines Lohnes, ſondern auch ſeiner Ehren werth. Darum war die Er - oͤffnung dieſer Bahn, welche die Vollendung des großen Werkes vieler Tauſende von Arbeitern kroͤnte, auch ein Feſt - und Ehrentag fuͤr ſie alle. Ohne ſie, ohne ihre Geſchicklichkeit und ihren Fleiß waͤre dies große Unter - nehmen, deſſen Ausfuͤhrung ſo große Schwierigkeiten bot und deshalb ſo große Arbeitskraͤfte noͤthig machte, gar nicht zu Stande gekommen und wenn zehnmal die reichen Leute ihr Geld dazu gegeben haͤtten und gelehrte Maͤnner ihre Zeichnungen und Plaͤne dafuͤr entworfen. Darum ſind die Arbeiter im Staate, die Nichts haben26 als ihre Arbeitskraft eben ſo viel werth als die Reichen und Beſitzenden, (ja eigentlich mehr als dieſe doch davon ein andermal) die nur mit ihrem Capital arbeiten, darum ſind ſie auch eben ſo viel werth als der Gelehrte, der Denker, der Erfinder, der ſeine großen und ſchoͤnen Jdeen wohl zu Papier bringen, aber nicht verwirklichen kann ohne die Arbeiter.

Unſer laͤndlicher Zug ward, als er auf dem Bahn - hofe anlangte, dort von Allen froͤhlich willkommen ge - heißen. Auch die, welche einander noch fremd waren, druͤckten ſich die Haͤnde wie alte Bekannte, weil jetzt ein und dieſelbe Freude ſie an dieſen Ort gefuͤhrt hatte. Viele der Landleute hatten noch keine Locomotive geſehen, hoͤrten ſtaunend den Beſchreibungen der Arbeiter zu, welche ſchon oft dergleichen geſehen und harrten der Wunderdinge, die da kommen ſollten. Jetzt begannen die Telegraphen, die an der ganzen Linie aufgeſtellt waren, zu ſpielen und ihre bunten Scheiben, die erſt am Bo - den geſeſſen, ſchwirrten mit Eins bis zur hoͤchſten Spitze der Stange empor. Das war das Zeichen, daß nun der Zug in einer Viertelſtunde da ſein muͤſſe. Alle gingen nun auf ihre Plaͤtze zu beiden Seiten der Bahn, jenſeit der Gruben, die neben dieſer hinliefen, ſtellten ſie ſich auf und aller Augen ſchauten nach rechts, von wo - her der Zug kommen mußte. Jetzt ſtiegen dort auch27 uͤber den Wald, der hier den Horizont begrenzte, eigen - thuͤmliche weiße Woͤlkchen auf und zogen uͤber den dunk - len Tannen hin, aus denen der junge Maiwuchs licht - hell empor leuchtete, gleichſam als haͤtten die Baͤume auch goldene Lichter zur Feier aufgeſteckt, oder als waͤren auf ihren Wipfeln heilige Pfingſtflammen entzuͤndet worden. Nun hoͤrte man ein ſeltſames Klappern, Rol - len und Brauſen und jetzt kam es aus dem Walde hervorgeſauſt und wie eine Windsbraut naͤher und im - mer naͤher Jetzt war der Zug da und hielt ein paar Minuten zum Gruße an. Die Locomotive an der Spitze war ſchoͤn geſchmuͤckt mit Fahnen und Kraͤnzen Alles blitzte und funkelte ſo hell und nagelneu an ihr und ihre Pfeife toͤnte ſo gellend und jauchzend zugleich, daß alle Menſchen, die an der Bahn ſtanden, lachten und jubel - ten und wieder nicht wußten, ob ſie ſich die Ohren zuhalten oder lieber recht hinhoͤren ſollten, weil es gar zu naͤrriſch klang. Auch die Wagen, die an der Loco - motive hingen, waren alle mit Blumen und Kraͤnzen geſchmuͤckt und der eine Wagen gar mit einer goldenen Krone. Da drinnen ſaß der Koͤnig mit ſeinen Miniſtern. Das war nun ein Jubeln und Hurrah rufen von allen Seiten und hallte noch lange fort, wie auch der ganze Wagenzug ſchon laͤngſt verſchwunden war.

Den Meiſten von unſern Freunden war’s eigentlich28 viel zu ſchnell gegangen und der ganze Spaß viel zu kurz geweſen zu den langen Vorbereitungen, die man ſeinetwegen getroffen hatte.

Der Pfarrer hatte andaͤchtig ſeine Muͤtze zwiſchen die gefalteten Haͤnde genommen und ſtand mit entbloͤß - tem Haupte da. Jhm war ſo feierlich zu Muthe als ſei er in der Kirche, eine allmaͤchtige Regung durchzitterte ſein ganzes Herz er nahm einen Greis bei der Hand, der an ſeiner Seite ſtand und ſich vor Weinen kaum zu halten wußte! Nicht wahr guter Alter! daß wir das noch erleben! wie haͤtten wir jemals daran denken koͤnnen? Der Greis, ein ſchlichter, armer Landmann, der ſonſt immer ſchuͤchtern und wohl gar demuͤthig an des Pfarrers Thuͤr vorbeiging, fiel jetzt dieſem ſelber um den Hals und ſagte ſchluchzend vor Freuden: Ach Herr Pfarrer, nun will ich gerne ſterben, nun ich das noch geſehen habe! und die muͤden Augen unter der runzlichen Stirn des ſilberhaarigen Greiſes glaͤnzten wie von uͤberirdiſcher Wonne und Befriedigung. Er haͤtt es nicht weiter in Worte zu faſſen vermocht, was ihn ſo gewaltig bewegte es war wie eine goͤttliche Ahnung, welche er vor dem Wunderwerk einer Kraft empfand, von welcher unſer Pfarrer ſelbſt am Morgen geſagt hatte: ſie werde die Zeit der Vereinigung und der Liebe, der allgemeinen Verbruͤderung aller Menſchen herauf -29 fuͤhren. Der Greis hatte jetzt einen Blick und einen Schritt in die große Zeit gethan er war zu alt, ihr noch dienen zu koͤnnen, aber er hatte ihren Anbruch doch noch begruͤßen duͤrfen nun blieb ihm kein Wunſch mehr uͤbrig, er hatte das groͤßte erlebt, was ihm noch vorbehalten geweſen und wonach er ſich unbewußt ge - ſehnt nun konnte der Tod kommen und ihn von der Erde nehmen, von dieſer Erde, auf der ſich der Geiſt der Freiheit und der Liebe auf’s Neue offenbart hatte.

Suschen war ernſt geworden und ſagte zu Laura: Jch weiß nicht, mir ward ganz graulich zu Muthe, wie ſo das Ungethuͤm daher geſauſt kam und dann ploͤtzlich wieder verſchand und Alles mit Eins vorbei war das war eine Haſt, ein Laufen, mir ward ganz drehend da - bei und ich dachte am Ende geht nun alles im Leben ſo ſchnell auch ſo ſchnell voruͤber da ſei doch Gott vor!

Eh noch Laura geantwortet hatte, war unſer Schul - meiſter hinzugetreten, deſſen Geſicht von lauter Freude und Gluͤckſeligkeit ſtrahlte und antwortete jetzt auf Suschens Rede: Was thuts auch, wenn nun Alles im Leben ein Wenig ſchneller geht? auch das, daß man ſich gut wird und lieb gewinnt und verſteht? voruͤber brauchts deshalb ja nicht ſo ſchnell zu ſein!30 er ſah ſie zaͤrtlich an und hatte unvermerkt ihre Hand in die ſeinige genommen, ſie innig druͤckend. Aber Suschen zog ihre Hand raſch weg, ward uͤber und uͤber roth und ſprang ſchnell einige Schritte fort unter eine Gruppe anderer Maͤdchen. Er hatte die Worte leiſe zu ihr geſagt, Niemand weiter hatte ſie hoͤren koͤnnen, das war noch ihr einziger Troſt, ſonſt haͤtte ſie ſich wer weiß wie ſehr geſchaͤmt nicht nur uͤber die Rede, ſondern eben auch daruͤber, daß ſie roth ward und da - durch am Ende gar etwas merken ließ, daß keine Men - ſchenſeele merken durfte, am wenigſten der Schullehrer ſelbſt, der ihr mit ſeinen blauen Augen noch ſo lange und innig nachſah, daß ſie’s fuͤhlte, obwohl ſie kein einziges Blickchen wieder zu ihm wagte.

Mit Sang und Klang zogen dann Alle wieder in ihr Dorf zuruͤck heiter plaudernd, einander noch fragend und erklaͤrend uͤber das Staunenswuͤrdige, das ſie heute geſehen und erlebt.

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Kindtaufe.

Der Dorfrichter Stephan hatte außer Suschen noch ein aͤlteres Kind, einen Sohn, Traugott hieß er, der ſeit einem Jahr verheirathet war, ſeine eigene Wirth - ſchaft im Dorfe beſaß und eben ein paar Wochen nach Pfingſten zum Erſtenmale Kindtaufe hielt.

Da ſtand nun der neue Großvater, der Richter, beim Enkel Pathe und Suschen und der Schulmeiſter ſtanden mit. Die Eltern der Woͤchnerin waren beide lange todt und die Mutter des Kindtaufvaters auch. Darum kam ſeine Schweſter mit an die Reihe. Und unſern Schulmeiſter hatte man gebeten, um ihn recht zu ehren. Vielleicht auch hatte die junge Mutter, denn Jhr wißt ja, wie ſchlau die jungen Weiber in tauſend Stuͤcken ſind, gerade den Schulmeiſter aufgeſucht, weil ſie recht wohl geſehen, daß Suschen immer roth ward, wenn nur von ihm die Rede war, und weil ſie ſelbſt, die junge Frau, ſo gluͤcklich war mit ihrem lieben32 Manne; warum ſollte ſie nicht die Hand bieten, daß wieder ein gluͤckliches Paar wuͤrde, zumal ſie Suschen ſo lieb hatte und der ſchmucke Schulmeiſter ihr ſelbſt gar wohlgefiel? Merken aber ließ Kaͤthe, das junge Weib, gar nichts von dem Plaͤnchen, das ſie ſich in ihrem eigenen Kopf ganz ſtill zurecht gelegt. Mit dem Merken laſſen wußte ſie, haͤtte ſie Alles von vorn her - ein verdorben. Denn Suschen war gar ſchaͤmig und ſittig und haͤtte eher alles Andere mit ſich thun laſſen, als daß ſie ſelbſt nur einen kleinen Finger dazu ge - geben haͤtte, um ein Kraͤnzlein in’s Haar und dann ein Haͤuschen zu bekommen. Suschen hatte ihr Koͤpfchen in allen Stuͤcken ganz fuͤr ſich, in dem aber zumeiſt. Das bedachte Kaͤthe wohl. Deshalb ſagte ſie auch ih - rem Manne kein Wort davon; denn ſie wußte wie dann die Maͤnner ſind, die koͤnnen nachher ſo ein Spaͤs - chen nicht laſſen, zumal wenn ſie nur erſt ein Wenig tief in’s Glas geguckt haben, was bei einer Kindtaufe gewoͤhnlich nicht unterbleibt.

Wie nun der Kindtaufvater zu unſerm Schulmeiſter kam, um ihn in aller Form in eigener Perſon einzu - laden, erſchrack dieſer nicht wenig und hatte Muͤhe, Schreck und Verlegenheit hinter einer Miene und vielen Worten freudiger Ueberraſchung zu verbergen. Warum er erſchrack? als wenn’s nicht Jedermann wuͤßte und33 Einer oder der Andere es ſelbſt ſo erlebt! Gevatterſtehen iſt eine theure Ehre und unſer Schulmeiſter hatte das Geld eben nicht uͤbrig. Sein Gehalt war gar klein und dann verſtand er auch das Wirthſchaften noch nicht ſo recht. Nicht etwa, daß er geſchwelgt haͤtte und unnuͤtz Geld verthan! Das konnte ihm gewiß Niemand nachſagen. Sein Fruͤhſtuͤck beſtand oft aus trockenem Brod und ſein Mittagsmahl aus Kartoffeln oder gar kalter Semmelmilch, aber wenn ein Armer vor ſeine Thuͤr kam, den konnt er nicht fortſchicken und haͤtt er den letzten Biſſen mit ihm theilen ſollen. Auch konnt er die Freunde in der Stadt nicht vergeſſen und Alles, was er dort mit ihnen getrieben, war ihm lieb und un - entbehrlich geworden ſo ſchrieb er manchen Brief, deſſen Befoͤrderung auch nicht umſonſt war und gab manches Stuͤck Geld fuͤr Zeitungen, Buͤcher und Noten aus, denn er wollte nicht zuruͤckgehen, weil er auf dem Dorfe war, ſondern weiter lernen und weiter leben mit ſeiner Zeit, damit er die ihm anvertrauten Kinder auch immerfort erziehen koͤnne in der Zeit und fuͤr die, wel - cher ſie angehoͤrten, nicht fuͤr eine alte, die vergangen war; und daß er uͤberhaupt heilſam zu wirken ver - moͤge in dem ganzen Kreis, in den er geſtellt war. Denn ſeine Zeitungen und Buͤcher vergrub er nicht etwa wie die Gelehrten thun in ſeinem Studirpult., nein, er nahm334ſie mit in die Schenke oder wo er ſonſt hoͤrbegierige Maͤnner traf, theilte ihnen daraus mit, was gut und nuͤtzlich zu hoͤren war und half ſo immer mehr anregen, foͤrdern, einen jeden Einzelnen und ſo auch das ganze Dorf.

Alſo zuerſt erſchrak unſer Schulmeiſter uͤber die Einladung, weil ihm die große Ausgabe juſt recht un - gelegen kam, wie aber Traugott geſagt hatte, Suschen werde mit ihm ſtehen, da ſchien ihm gegen ſolche Freude die Ausgabe noch gering angeſchlagen und gern haͤtt er Alles dafuͤr hingegeben. Das wuͤrden ſchoͤne Stunden ſein an ihrer Seite und noch mehr! eine feierliche Handlung, zu der ſie zugleich auserſehen waren, knuͤpfte ja eine Art Band um ſie beide, brachte ſie einander naͤher. Wie dankte er nun wahrhaft geruͤhrt dem Traugott fuͤr die Ehre und ſprach aus vollem Herzen ſeine Gluͤckſeligkeit daruͤber aus. Nun konnte er den Sonntag kaum erwarten, der ihm ein rechter Ehren - und Freudentag werden ſollte.

Jn Traugotts Hauſe waren nun ſchon allerlei Vor - kehrungen zur Taufe getroffen worden. Suschen half dabei der Hausfrau und war unermuͤdlich im Aufputzen des gan - zen Hauſes. Die alte Mutter Eva war unterdeß viel bei dem Kinde und wiegte und herzte es oft ohne Ende. Die Frau Eva hatte den Auszug bei Traugott und35 wenn und wo ſie konnte, machte ſie ſich gern nuͤtz - lich.

Nun waren die Gaͤſte gekommen. Unſer Schul - meiſter meinte, er habe Suschen noch gar nicht ſo ſchoͤn geſehen wie diesmal. Sie trug ein weißes Kleid mit einem roſa Leibband; um den Hals hatte ſie ein roſa ſeidnes Tuͤchlein geknuͤpft. Da eben die Roſen an zu bluͤhen gefangen, trug ſie einen vollen Roſenkranz in dem ſchoͤnen blonden Haar, das vorn glatt geſcheitelt, im Nacken zu einem runden Neſt aufgeſteckt war. Ei - nen Strauß von Myrthen und Roſen, den ihr der Schulmeiſter geſchenkt hatte, trug ſie vor der hoch - klopfenden Bruſt. So ging ſie zwiſchen dem Schul - lehrer den ſie gar nicht anzuſehen wagte, der aber heut die Augen gar nicht von ihr wegbringen konnte und dem Vater zur Kirche. Die Kinderfrau trug das Kind vornweg, die beide Eltern folgten. Unſer Pfarrer hielt eine ſehr erquickende und gemuͤthliche Taufrede unſer Schulmeiſter hoͤrte heute aber gar nicht darauf und als vollends Suschen als die juͤngſte Pathe das Kind auf ihren Arm nahm, es darauf wiegte und zaͤrtlich an - laͤchelte, waͤhrend der Pfarrer die heiligen Zeichen dar - uͤber machte da ward unſerm Schulmeiſter ganz heiß und enge um’s Herz, das Blut ſchoß daraus in ſein Geſicht empor und er fuͤhlte eine quaͤlende Unruhe, in -3 *36deß er doch noch nie ſo ſelig geweſen war wie jetzt im Anblicke Suschens. Er vermochte aber kein Wort mit ihr zu reden als ſie wieder aus der Kirche gingen.

Jm Hauſe Traugotts, in der funkelneu eingerich - teten Oberſtube ward die Taufe noch gemuͤthlich mit Eſſen und Trinken gefeiert. Da waren noch einige Ver - wandte zugegen, Laura und der Pfarrer mit ſeiner Frau. Die Mutter hatte ihren praͤchtigen Buben, Auguſt war er getauft worden, auch mit herzugeholt und zeigt ihn mit ſtolzen Blicken im Kreiſe herum.

Ja, das iſt nun ſchon ſo, ſagte die alte Eva, wenn man die Kinder ſo klein hat, iſt man ganz naͤrriſch vor Freude und denkt, ſo wie man ſie da auf dem Schooße ſchaukelt, muͤſſt man ſie immer auf den Armen halten koͤnnen! Moͤcht’s doch ſo ſein, daß man ſie niemals brauchte von ſich zu laſſen! Aber die kleinen Voͤgel werden alle groß, fliegen aus den Neſtern, verfliegen ſich wohl gar in der Fremde wer weiß wie weit und kommen nicht wieder. Ach, gerade ſo war mein Jo - hanneslein auch und wie die Kaͤthe jetzt ſpricht, ſie wuͤrd ihren Jungen nie von ſich geben, ſo ſagt ich’s auch, und hab’s doch gemußt. Nun iſt er unter die fremden Menſchen gekommen und ich weiß nicht, ob ich ihn noch habe, ob nicht?

Freilich wohl, das iſt nun der Eltern Schickſal! 37feufzte die Pfarrerin ſie hatte zwei Toͤchter und beide waren auch in fremden Staͤdten verheirathet, darum wußt ſie ein Lied davon zu ſingen wie es iſt, wenn die Kinder ſich aus den Neſtern verfliegen und nicht wieder kommen, ſie war nun in ihrem Alter allein, ohne Kinder in ihrem Neſt. Aber ſie ſagte fromm er - geben: Die Kinder ſollen wir einmal nicht fuͤr uns allein behalten, zu unſerm Gluͤck allein erziehen, wir muͤſſen ſie hingeben in die Welt, an andre Menſchen, damit ſie wieder unter ihnen wirken, wie wir ja auch gewirkt haben. Es ſteht ſchon in der Bibel geſchrieben, daß die Toͤchter die Mutter verlaſſen, um mit ihren Maͤnnern zu gehen, einſt werden ſie’s wieder ſo erleben und ſich am Ende auch daruͤber kraͤnken wir ſelbſt haben’s ja auch nicht anders gemacht und ſind von un - ſern Eltern gegangen ſo thut einmal Jedes wieder daſſelbe, wie es ſchon zuvor gethan worden.

Nun ja doch, fuhr Eva fort, es muß wohl ſo ſein; aber wenn’s Einem Jemand ſo ſagte, da wo man ſie nur eben erſt mit Schmerz und Freude zur Welt gebracht und nun vor Liebe ſich oft nicht zu laſſen weiß wenn da Jemand ſagte: Du mußt ſie doch hergeben und in deinen alten Tagen wirſt du kinderlos und verlaſſen und einſam daſtehen und nicht vielmehr davon erfahren, ob du noch Kinder haſt oder nicht 38 wenn das Jemand ſagte, dem wuͤrden wir nicht glau - ben, meinen, er rede dies nur, um uns boͤswillig in un - ſerm Heiligſten und Liebſten zu kraͤnken. Damals waͤr ich gewiß vor Gram und Sorgen geſtorben, jetzt hat man ein zaͤheres Leben bekommen, und ſtirbt nicht gleich, wenn man auch wieder verlaſſen iſt!

Hat Euch Euer Johannes wohl lange nicht ge - ſchrieben? fragte die Pfarrerin theilnehmend.

Das nun eben nicht, gewiſſenhaft bleibt er und ſchreibt aller vier Wochen, wie er’s nun einmal ver - ſprochen, antwortete Mutter Eva, aber da ſind nun ſchon Jahre vergangen und ich hab ihn nicht wieder geſehen, weiß nun gar nicht einmal, wie er ausſieht ach! und dann Frau Pfarrerin! iſt ein Gelehter und Dichter aus ihm geworden und lauter vornehme Herren und Damen gehen mit ihm um ich aber bin eine alte ſchlichte Bauersfrau da wird mir manchmal ganz angſt und bang um’s Herz, wenn ich da denk, er koͤnnt ſich wohl ſeiner alten ehrlichen Mutter ſchaͤ - men da moͤcht ich doch gleich, daß der Herr Amt - mann ihn niemals geſehen haͤtt und ſich ſeiner nicht angenommen da waͤr er jetzt Tageloͤhner oder Knecht, aber waͤr bei mir geblieben als mein lieber Junge und hielte mich in Ehren. Aber da hab ich ihn hingeben muͤſſen, weil’s hieß, er werde ſein Gluͤck machen, wenn39 er ſtudiren koͤnnt nun iſt er ein großer Herr ge - worden und wenn’s ihm einmal einfaͤllt, wird er vor den vornehmen Leuten ſeine alte Mutter verleugnen und da moͤgen ſie noch Alle ſo ſchoͤn thun mit ihm wie die Mutter hat ihn doch Niemand lieb!

Eva fing leiſe an zu weinen und wiſchte ſich mit der weiten weißen Schuͤrze die hellen Thraͤnen von den runzlichen Backen. Die grauen Haare, die unter dem weißen Muͤtzchen auf der Stirn hervorkamen, ſchob ſie wieder darunter und machte ſich vor ihrem Geſicht zu thun, damit die heitern Gaͤſte nicht gewahr wuͤrden, wie ſie weinte.

Unſer Schulmeiſter hatte es doch gemerkt und fluͤſterte Suschen zu: Warum weint denn die Mutter Eva ?

Sie hat’s heute ſchon den ganzen Tag ſo getrieben, verſetzte Suschen, ſobald ſie den kleinen Buben zu ſehen bekommt, denkt ſie an ihr Johanneslein, an den Tag, da er getauft worden und wie ſie ihn nun nicht mehr haben kann wie damals, weil etwas Großes aus ihm geworden iſt. Moͤcht ihn ſchon auch einmal wieder - ſehen muß ein ſchoͤner Menſch geworden ſein!

Die letzte Bemerkung verdroß unſern Schullehrer ein Wenig, warum hatte denn Suschen das Verlangen, den Johannes wieder zu ſehen? und warum mußte ſie denn vorausſetzen, daß er ein ſchoͤner Menſch geworden ſei? ſie hatte gar nicht noͤthig, ihn ſchoͤn zu finden. Er40 fragte ſie weiter nach dem Johanneslein und was denn eigentlich mit ihm ſei?

Da erzaͤhlte Suschen: Johanneslein war zehn Jahr alt, wie ſein Vater ſtarb, der das Guͤtchen hier hatte und auch nicht hatte, denn Ungluͤck aller Art vielleicht auch, daß er nicht immer gut gewirthſchaftet, hatte ihn zuruͤckgebracht, und da er ſtarb fand ſich’s, wie verſchuldet Alles war die arme Eva konnte Nichts vom ganzen Gut behalten, als die Auszugskammer, die ſie noch hat. Damals war noch ein Gerichtshalter hier im Dorfe (ſeitdem iſt das anders geworden, damals aber hatten wir noch ein beſonderes Gericht, unter das wir gehoͤrten) der einen Buben hatte, nur ein Jahr aͤlter als Johannes, der ſein liebſter Spielgefaͤhrte war. Der Gerichtshalter war zu fuͤrnehm, den Buben in die Dorfſchule zu ſchicken die war damals auch ſchlecht und gar nicht wie jetzt, ſeit Suschen erroͤthete und brach ihre Rede ab, der Schulmeiſter druͤckt ihr ganz ſchnell und leiſe die Hand, wodurch ſie vollends ver - legen ward und das Wort im Munde vergaß; end - lich fing ſie nach einer guten Weil wieder an, wo ſie ſtehen geblieben, da ſie durch Schweigen nichts gewann, als daß ſie fuͤhlte, wie zaͤrtlich und gluͤhend des Schul - meiſters Blicke auf ihr ruhten und er auch kein Wort ſprach, ſondern nur immer wieder nach der Hand haſchte,41 die ſie doch jedesmal wegzog ſo fuhr ſie fort: Alſo der Gerichtshalter ließ ſeinen Buben beim Herrn Pfarrer ſelber Schule geben und da der meinte, Einer allein ſei nicht gut, ſo kamen Friedrich und Johannes mit dazu. Aber der lernte von Allen am Beſten, wie der Herr Pfarrer immer ſagte. So ging es nun auch fort, wie ſein Vater todt war, Eva hatte fuͤr den Buben nicht viel zu ſorgen und nun ſeht: wie der Junge des Ge - richtshalters Vierzehn war, zum Abendmahl ging und dann in die Stadt ſollte auf eine Schul, um einmal ein Gelehrter zu werden, da ſagte der Bube, er ginge nicht, wenn Johannes nicht mit ginge. Der Gerichts - halter uͤberlegt es hin und her und endlich entſchloß er ſich doch, denn er war reich und hatte weiter keine Kin - der. Und ſo gingen die beiden zuſammen fort und Mutter Eva hatte nun ihren Johannes immer nur, wenn Ferien war, da kam er her. Wie er nun aber immer groͤßer ward und immer kluͤger, zog er noch weiter fort auf die Hochſchul und ward ein großer Herr Studente. Da war es auch, wo der Gerichtshalter hier fortkam und wir haben ſeitdem Niemand von ſeiner ganzen Sippſchaft wieder geſehen. Johannes iſt nun aber auch ſeit Jahren nicht zur Mutter Eva gekom - men, weil die Stadt ſo weit iſt, in der er ſtudirt und weil das Studiren ſo viel Geld koſtet, daß er gar nicht Alles von ſeinem Wohlthaͤter annehmen mag, viel -42 mehr ſo fleißig iſt, ſich ſchon ſelbſt Manches zu ver - dienen aber da hat er weder Zeit noch Geld uͤbrig zur Reiſe und hat nicht herkommen koͤnnen. Da kraͤnkt ſich nun die Mutter Eva, daß ihr ſei als habe ſie kein Kind mehr, und daß ſie auch nicht wiſſe, ob er noch ſo gut und fromm ſei wie damals, als ſie ihn wegge - geben und ob er nicht gar ein vornehmer Herr gewor - den und der Bauernmutter ſich ſchaͤme.

Da muͤßt er ja ein ganz ſchlechter Menſch ſein! rief unſer Schulmeiſter aus, das wird er doch nicht. Die Mutter muß er doch in Ehren halten und waͤr er ein Fuͤrſt geworden. Was waͤre das fuͤr eine Zeit, in der ein Kind ſeiner Mutter ſich ſchaͤmen duͤrfte, nur deshalb, weil ſie arm und keine vornehme oder gelehrte Frau iſt. Das macht doch nicht den Werth des Menſchen aus!

Das Geſpraͤch ward jetzt unterbrochen, weil die Thuͤr auf einmal ganz leiſe aufgemacht ward und ein junger Mann hereintrat und dazwiſchen wie eine Er - ſcheinung ſtehen blieb. Er ſah ſo fremd aus und Nie - mand kannte ihn. Lichtbraunes Haar floß lang und ein wenig verwirrt um ein ſchoͤnes, edles Angeſicht und ein zierlicher Bart um den laͤchelnden Mund. Mit dunklen, wunderbar leuchtenden Augen ſpruͤhte er im Kreiſe umher. Jn dem ſchwarzen Sammtuͤberrock bis oben hinauf unter einen weißen Hemdkragen zugeknoͤpft,43 in der Hand einen runden, grauen Filzhut und ein Spazierſtoͤckchen mit blitzendem Knopf von Stahl, ſah er gar ritterlich aus. Niemand kannte ihn, gleichwohl ward Alles ſtill, weil Alle mit Verwunderung nach dem Fremdling aufſchauten und der Kindtaufvater endlich zu - erſt auf ihn zuging, fuͤglich zu fragen: was er wohl wollte. Eva hatte im Nebenſtuͤbchen zu thun gehabt da wundert ſie ſich, daß es auf einmal drinn, wo die Gaͤſte ſitzen, ſo ſtill geworden ſie geht hinein, um zuzuſchauen, was es drinn wohl giebt. Wie ſie nun zwiſchen die Thuͤr kommt und ſieht den ſchoͤnen Fremd - ling, den Alle anſtaunen und der jetzt den Kindtauf - vater nur mit betruͤbter Stimme antwortet: Ach, kennt mich denn keine Menſchenſeele mehr? da bleibt unſre Mutter Eva erſt ganz erſtarrt zwiſchen der Thuͤr ſtehen, dann ſchreit ſie auf, ſchreit Johanneslein! und ſtuͤrzt, ohne nur weiter ein einzig Wort hervor zu bringen, auf den Fremdling zu der nun Allen kein Fremder mehr iſt. Da ſpringen nun Alle auf, umringen ihn mit lau - ten froͤhlichen Gruͤßen aber noch hat er fuͤr Niemand weiter Zeit. Nur ſein Muͤtterlein herzt und kuͤßt er; gar kein Ende will er damit finden. Auch Mutter Eva kann noch immer kein Wort herausbringen ſie weint ganz laut, daß die hellen Thraͤnen uͤber ihr Geſicht herabrinnen. Der Sohn iſt gar ſo hoch aufgewachſen,44 er muß ſich tief buͤcken und ſie ſich ganz lang machen, daß ſie ihn nur recht in die glaͤnzenden Augen ſehen kann. Endlich iſt der erſte Sturm der Ueberraſchung doch voruͤber. Da iſt nun das Johanneslein, von dem eben ſo viel die Rede war, mitten unter ihnen und iſt ein gar ſtattlicher Johannes aus ihm geworden. Es iſt gegangen wie’s das Sprichwort ſagt: wenn man den Teufel an die Wand mahlt, ſo kommt er, nur daß es diesmal freilich kein Teufel war, ſondern ein guter, lie - ber Menſch, der theuere Sohn einer theuern Mutter, welcher kam. Mutter Eva vergißt Alles, was ſie nur vorhin erſt geſagt hat vom Fortfliegen und Verfliegen der Kinder und wie ſie nicht wiſſe, ob ſie noch einen Sohn habe, ob nicht, und wie ſie ſich quaͤle, ob er ſeine alte Mutter noch lieb habe. Jetzt ſieht ſie es, jetzt hat ſie ihn wieder und da iſt Alles gut. Und wie ſie ihn ſo ſchoͤn und groß vor ſich ſieht, hat auch der muͤtter - liche Stolz und Ehrgeiz wieder ſein Recht. Da richtet ſie ſich nun endlich vor ihm auf aus der langen Um - armung und ſagt mit unendlichem Triumph im Ton der Stimme und in dem vom hoͤchſten Gluͤck verklaͤrten Mienen: Nun ſeht einmal! das iſt mein Johannes.

Und Johannes ſchuͤttelt nun auch dem Wirth und der Wirthin die Haͤnde und ſpricht: Nun, Jhr nehmt’s doch nicht uͤbel, daß ich gleich ſo herein gekommen bin45 an Eurem Ehrentag. Gleich unten, wie ich in’s Haus trat, fragt ich nach Mutter Eva die Maͤgde ſtaunten mich an und ſagten, ſie ſei droben bei den Gevattergaͤſten da konnte ich nun nicht ſchnell genug die Treppe her - aufkommen, daß ich ſie wieder ſehe aber ich dachte auch: Jhr wuͤrdet mich ſchon erkennen und doch kennt mich Niemand, als eben nur die Herzensmutter. Das nun freilich haͤtt ich mir nicht traͤumen laſſen! Auch Sie, Herr Pfarrer, haben mich nicht einmal er - kannt, das koͤnnte mich betruͤbt machen, wenn ich nicht eben zu gluͤcklich waͤre uͤber all dies Wiederſehen! Laſſen Sie ſich’s nur nicht kraͤnken, ſagt der Pfarrer, meine alten Augen fangen an bloͤde zu werden, aber im Herzen iſt noch jede Erinnerung friſch und jung. Wie Sie ſprachen, erkannte ich Sie gleich! Die Stimme iſt geblieben wie ſie war, aber lang heraus - gewachſen ſind Sie und in ihrem Alter aͤndern fuͤnf Jahre das Geſicht auch. Damals ſah man noch kein Haͤrchen, wo jetzt der zierliche Bart iſt.

Johannes wendete ſich darauf zu den Andern und ſagte: Dort iſt ja auch Suschen, groß herausge - wachſen und aufgebluͤht, die damals noch in die Schule ging! Nun wir werden ſchon wieder gute Freunde wer - den und bleiben wie einſt! und er ſchuͤttelte ihr herz - lich die Hand.

46

Ei ja doch! ſagte ſie wenn nur ſonſt Johannes wieder zu uns kommt, wie er fortgegangen; und ſie laͤchelte ihn dabei gar zutraulich an.

Unſer Schullehrer ſah ein wenig ſcheel darein bei dieſem Haͤndeſchuͤtteln und Zulaͤcheln. Er hatt es von vorhin noch nicht vergeſſen koͤnnen, daß ſie geſagt hatte, ſie moͤge wohl auch gern den Johannes einmal wieder - ſehen, er muͤſſe ein recht ſchoͤner Menſch geworden ſein nun war er gar ſchon da, war ein ſchoͤner Menſch geworden, druͤckte ihr die Hand, ſie ließ es ſich gefallen wie von ihm noch niemals und ſah ihn mit ſo großen Augen treu - herzig und vertraulich an, wie ihn auch noch nie - mals gute Freunde brauchten ſie nun gar nicht zu werden und zu bleiben, dachte unſer Schullehrer, das hatten ſie gar nicht noͤthig und kurz, er ſah ganz aͤrger - lich vor ſich nieder.

Traugott ſagte zu dem Ankoͤmmling: Aber nun ſoll’s an ein Erzaͤhlen gehen! Nun ſetzen ſie ſich zu uns, neben Jhr Muͤtterlein hierher und

Traugott! rief Johannes ganz vorwurfsvoll: wollt Jhr mich denn mit Gewalt unter Euch zum fremden Manne machen? Sind wir nicht Duzbruͤder geweſen von Kindheit auf? und nun ich endlich einmal wieder komme, froh und gluͤcklich mein liebes Heimathdorf zu begruͤßen, wo mir die liebſten Menſchen wohnen und47 ich Euch lieber Alle umarmen moͤchte vor Freude, daß ich nun da bin, wo jeder Baum und jedes Haus, ja jedes Winkelchen hier mich noch vertraulich gruͤßt da iſt’s, als waͤren die Menſchen nicht mehr die Alten kennen mich nicht nennen mich Sie und

Nun, nun! unterbrach ihn Traugott, wenn Du ſo ganz der Alte wiederkommſt, heftig, wie Du als Junge warſt, aber treu, daß man Haͤuſer auf Dich bauen konnte, nun, da wird ſchon auch Alles mit uns in’s alte Geleis kommen aber ſieh! daß ich’s nur gerade heraus ſage, wenn wir von Dir redeten, da hieß es immer: Ja, der Johannes hat nun viel gelernt, iſt ein großer und feiner Herr geworden, der nur mit vornehmen und gelehrten Leuten umgeht, der wird nicht mehr nach dem ſchlichten Bauernvolk fragen, unter dem er aufgewachſen. Der kommt nun auch nicht mehr zu uns, das Doͤrflein iſt ihm viel zu gering geworden, ſeit er in den großen, ſchoͤnen Staͤdten leben gelernt.

Und ich habe bei Euch wirklich in keinem beſſern Andenken gelebt? ſagte Johannes vorwurfsvoll: Wo - mit hab ich das verdient? habt Jhr denn die Leute ſo Schlechtes von mir reden hoͤren?

Erzaͤhlt iſt uns eben immer nur Gutes von Dir worden. Die groͤßten und beruͤhmteſten Maͤnner gingen mit Dir um und die ſchoͤnſten und vornehmſten Frauen48 riſſen ſich darum, mit Dir zu tanzen. Du haͤtteſt gar viel gelernt und waͤrſt bei Alt und Jung gern gelitten. Auch, daß du ſchoͤne Verſe machen kannſt und ein großer Zeitungsſchreiber geworden. Und ſieh nur, da dachten wir, wenn Alles ſich ſo verhaͤlt, wird er frei - lich fuͤr uns verloren ſein; da wird ihm bei uns ſchlich - ten Leuten die Zeit lang werden und er wuͤrde ſich ſchoͤn umſehen, wenn er manchmal mit vornehmen Leu - ten ſpazierte und Einer von ſeinem Dorf kaͤm und ſpraͤche: Bruder, das ganze Dorf laͤßt Dich gruͤßen! erklaͤrte Traugott.

Ja, ſagte Eva und ſtreichelte die Locken des Soh - nes, ich mußt auch immer an den alten Berger den - ken, wie der mir erzaͤhlte, wie’s ihm in der Stadt mit ſeinem Sohn gegangen und den der Schmerz um ihn bald umbrachte als er zu mir ſagte: Das hat man davon, wenn die Soͤhne vornehme Herrn werden und man bleibt ſelber doch ein Bauer, Jhr werdet’s ſchon auch noch erfahren!

Und was war dem Berger begegnet? fragte Jo - hannes geſpannt.

Eva ſagte: Nein ſo koͤnnteſt Du doch nicht ſein! und ſtreichelte ihren Sohn, aber wollte weiter nicht mit der Sprache heraus.

Jch bitt Euch, erzaͤhlt! bat Johannes.

49

J, nahm die Kindtaufsmutter das Wort, dem Berger ſein Sohn iſt Schreiber in der Stadt geworden und hat’s nun bis zum Regiſtrator gebracht. Da macht er ſich nun gar wichtig. Kommt da einmal ſein alter Vater in die Stadt und ſucht den Sohn in dem Gaſt - haus, wo er zu eſſen pflegt mit ſeinen Kameraden und andern Leuten, die noch mehr ſind. Wie nun der Va - ter eintritt, laͤuft der Sohn ſchnell auf ihn zu aber nicht, um ihn zu umarmen, wie er denkt, ſondern um ihm zuzuraunen: Kommt hernach mit auf meine Stube, hier kann ich Euch nicht ſprechen vor den fremden Her - ren, thut nicht etwa vertraut mit mir, daß ſie merken, Jhr waͤret mein Vater ich rath Euch Gutes.

Das iſt doch ganz niedertraͤchtig! riefen Einige der Gaͤſte.

Johannes ſagte: Nun, Gott ſei Dank, Mutter, daß Du vorhin ſagteſt, ſo koͤnnte Dein Sohn nicht ſein! wenn Du je mich haͤtteſt fuͤr einen ſolchen Schurken halten koͤnnen ich haͤtt’s nie vergeſſen!

Nun, brauſe nur nicht gleich auf! ſagte die Mutter beſaͤnftigend, aber die Welt iſt nun einmal ſo, bedenk einmal recht, glaub’s ſchon, die Mutter wuͤrdeſt Du nie verleugnen und ſie wegweiſen, kaͤm ſie einmal zu Dir aber kaͤm nun ſo ein armer Knecht, der auch Dein Schulkamerad geweſen und redete Dich vertraulich450an, wenn Du mitten unter hohen Herrſchaften waͤreſt, ſpraͤcheſt doch am Ende, Du kennteſt ihn nicht, oder er ſollte Dich ungeſchoren laſſen bis Du allein mit ihm reden koͤnnteſt und wer weiß, ob Du nicht irgend ein - mal gethan, als wenn Du kein Bauersſohn waͤreſt!

Ach, Mutter, wie moͤgt Jhr mich nur Alle ſo be - truͤben? ſagte Johannes ich antworte auf dies Alles gleich gar nicht, aber es kraͤnkt mich, daß Jhr ſo ſchlecht von mir denkt, ich weiß nicht, womit ich’s verdient habe. Es wird da ſchon gut ſein, wenn ich einmal lange hier bei Euch bleibe, damit Jhr mich wieder ordentlich kennen lernt. Vertheidigen mag ich mich nicht Eins aber koͤnnt ich wohl thun. Jhr habt ſchon gehoͤrt, daß ich Verſe mache nun, da hab ich neulich welche in ein großes Blatt ruͤcken laſſen, das viele Tauſende leſen, da koͤnnt Jhr darnach ſehen, wie ich bin erlaubt Jhr mir, daß ich ſie Euch vorleſe?

Ei ja! rief Alles und Johannes las:

Jm ſtillen Dorfe war’s, wo ich geboren,
Wo unterm Strohdach meine Wiege ſtand;
Drum hab ich Treu dem biedern Volk geſchworen,
Bei dem mir meine Jugendzeit entſchwand.
Die Pflugſchaar, hinter der mein Vater ging,
Des armen Heerdes kuͤmmerliche Flamme,
Sie ſind das Schoͤnſte, was ich fruͤh empfing:
Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme!
51
Die Pflugſchaar lernt ich als ein Heil’ges ehren,
Und ehren jede Hand, die ſie gefuͤhrt;
Sie iſt das Werkzeug, Tauſende zu naͤhren,
Wenn ſie die Felder ſegensvoll beruͤhrt.
Die Arbeit iſt es, der mein Preis erklingt,
Der Muͤßiggang iſt’s, den ich laut verdamme,
Ein Jauchzen meinem Herzen ſich entringt:
Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme!
Es iſt mein Stolz, als Bruder Dich zu nennen,
Der Du das Feld behuͤtet und bebaut;
Jm finſtern Sturm und bei der Sonne Brennen
Hab ich mit Ehrfurcht zu Dir aufgeſchaut.
Und waͤrſt Du blieben nur ein armer Knecht,
Jch weihe doch Dir meiner Liebe Flamme,
Nur wer nichts thut, iſt fuͤr mein Herz zu ſchlecht:
Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme!
Jm Volke, das da ſchafft mit kraͤft’gen Haͤnden,
Wohnt auch die Kraft, der Jetztzeit ganzes Leid
Zu Freud und Freiheit ſiegend einſt zu wenden;
Drum ruf ich’s meinen Bruͤdern: ſeid bereit!
Dem Bruder, der das Bruderwort verſtand,
Den faßt allmaͤchtig der Begeiſt’rung Flamme;
Mich knuͤpft an Euch ein unzertrennlich Band:
Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme!
4 *52

Mutter Eva ſaß da mit andaͤchtig gefalteten Haͤn - den, als ſei ſie in der Kirche ſie ſah bewundernd zu ihrem Sohne auf und wußte gar nicht mehr, was ſie vor freudigem Staunen thun und ſagen ſollte. Außer den Verſen im Geſangbuch und den Hochzeitcarmen, wie ſie zuweilen im Dorfe uͤblich waren, hatte ſie nie Verſe gehoͤrt. Dieſe ganze Kunft erſchien ihr als ſo außer - ordentlich, daß ſie gar nicht begriff, wie ihr Sohn dazu komme und wie ſie ſelbſt dazu komme, einen ſolchen Sohn zu haben vor Bewunderung war ſie ganz ſtill ge - worden. Traugott aber und ein paar der juͤngern Maͤn - ner ſprangen haſtig auf, umarmten unſern Johannes und ſagten, auf einmal ganz zutraulich geworden: Und das haſt Du wirklich Deinen vornehmen Bekannten vor - geleſen und in den großen Blaͤttern drucken laſſen? Ja Du biſt unſer Bruder, unſer alter Johannes!

Unſer Pfarrer aber trat auch zu ihm hin: legte ſeine Hand wie ſegnend auf ſeine Stirn und ſagte zur Mutter Eva: Wohl dem, der Freude an ſeinen Kindern erlebt!

Unſer Schullehrer, der eigentlich nicht gut auf Jo - hannes zu ſprechen geweſen, weil er ihm mit Suschen zu vertraut that, ſtreckte ihm jetzt auch die Hand uͤber den Tiſch weg hin und ſagte herzlich: Nun kann ich53 ſchon hoffen und bitten, daß wir auch bald gute Freunde werden!

Johannes dankte Allen froͤhlich und herzlich und ſagte: Nun, wenn die paar einfachen Verſe Euch Alle bekehrt haben, wieder an den alten Johannes zu glauben, ſo koͤnnen Euere Zweifel an ihm doch nicht ſo gar groß geweſen ſein. Wenn wir nun lange bei einander ſind, denk ich, werden wir Alle gut zuſammen auskommen!

Und Du willſt wirklich lange bei uns bleiben, mein Junge? fragte Mutter Eva. Aber nun erzaͤhl nur auch, wie Du eigentlich hergekommen?

Das iſt bald geſagt, auf der Eiſenbahn! da iſt nun der weite Weg zu einer kleinen Strecke einge - ſchmolzen und das Reiſen weit um die Haͤlfte billiger, begann Johannes der Richter ſchlug triumphirend auf den Tiſch und rief:

Hab ich’s nicht gleich geſagt, daß uns die Eiſen - bahn allerlei Gutes bringen wird?

Johannes fuhr fort: Jch hatt es lang im Sinne, zu kommen, ſobald ſie fertig ſei, aber ich ſchrieb es nicht, weil ich immer dachte: am Ende kommt Dir doch noch etwas darein, wie ſchon oft, dann wartet die gute Mutter vergebens und graͤmt und aͤngſtigt ſich halb todt, wenn ich ausbleibe, drum ſchreib ich lieber Nichts. Jn den erſten Tagen kam ich auch wirklich nicht gleich dazu54 und nur auf ein paar Tage mocht ich mich nicht los machen, ſondern auf laͤnger

Und auf wie lange? fragte Mutter Eva, die es gar nicht erwarten konnte, zu berechnen, wie lange ſie ihr Herzenskind bei ſich haben koͤnnte, zugleich aber immer fuͤrchtete, er werde ſie wieder aus ihrem Himmel ſtuͤrzen, wenn er den Tag der Abreiſe feſtſetzte, den ſie dann wie ein ſchwarzes Geſpenſt ſich immer drohend naͤher ruͤcken ſehen muͤſſe; darum fuͤgte ſie hinzu: Oder ſag’s lieber nicht, ich will gar nicht wiſſen, wann Du wieder gehſt, der graͤßliche Tag wird bald genug kommen, ich will nur froh ſein, daß Du da biſt!

Freue Dich immer, Mutter, aber ſagen kann ich’s doch auch jetzt haben wir Juni Juli Au - guſt September und vorher wollen wir kein Wort vom Fortgehen und Trennen reden, dann wird ſich’s finden; ſo lange muͤßt Jhr mich ſchon im Dorfe behalten! laͤchelte Johannes.

Alle ſprachen nur ihre Freude und Verwunderung aus, daß er wirklich ſo lange bei ihnen bleiben wolle unſere Mutter Eva war aber zu uͤberſelig, um nur ein Wort ſprechen zu koͤnnen. Sie umarmte ihren Sohn mit beiden Armen und weinte wieder ſtill vor Freude, das Geſicht an ſeine Bruſt gedruͤckt, weil ſie ſich ſcheute, ihre heiligen Mutterthraͤnen ſehen zu laſſen.

55

Nun, Muͤtterchen, laß nur! fluͤſterte er, nun mach ich wieder gut, was ich durch jahrelanges Weg - bleiben verſchuldet habe und Du darfſt nicht mehr daran denken, wenn ich Dir unterdeß Kummer gemacht hab ihn ſelber ja auch gehabt, denn immer hatt ich Sehnſucht, wollte reiſen und konnte doch nicht.

Aber wirſt auch nicht Langeweile haben? ſagte ſie wieder bedenklich

Nein, ich darf hier auch nicht muͤßig gehen, ſon - dern habe mir viel Arbeit mitgebracht deßhalb eben konnt ich ſo lange abkommen. Jch hab ein Buch fuͤr das Volk zu ſchreiben verſprochen, das zum Herbſt fer - tig ſein ſoll das bringt mir genug ein, daß ich ein - mal die Reiſe machen und den andern Verdienſt in der großen Stadt, Zeitſchriften und Alles im Stich laſſen konnte. Fuͤr das Buch wird es gut ſein, wenn ich hier in rechter Stille lebe, fern von den Zerſtreuungen und dem tobenden Getreibe der Stadt, erklaͤrte Jo - hannes.

Die Leute, die vorhin endlich zutraulich geworden waren, ſahen ihn jetzt wieder verdutzt an, erſtaunt und bedenklich zugleich. Ein ganzes Buch wollt er ſchreiben in ein paar Monaten und gerade mitten unter ihnen, ſo ganz allein aus ſich heraus, ohne andere Buͤcher und Huͤlfsmittel das erfuͤllte ſie abermals mit einer Art56 Ehrfurcht vor ihm; aber er ſcherzte dieſe bald wieder hinweg, da er nach einer Menge Leute und Dinge fragte, an die er ſich noch von fuͤnf Jahren her er - innerte, und uͤber Alles um Auskunft bat.

Dann ſagte Traugott: Du bleibſt doch bei uns? wir raͤumen Dir das Nebenſtuͤbchen ein, neben der Kammer Deiner Mutter

Oder, ſagte der Richter, wenn hier am Ende das Kleinekinderſchrein ihn ſtoͤrt, ſo kann er auch bei uns wohnen; in der Oberſtube iſt Platz.

Ei ja doch! fiel Suschen ein, da will ich’s ſchon gemuͤthlich einrichten, die Fliegen hinausjagen, daß Sie keine unterm Schreiben ſtoͤrt, und kein Maͤuschen ſoll ſich ruͤhren!

Unſerm Schulmeiſter ward ganz blau vor den Au - gen, wenn er daran dachte, daß Johannes mit Suschen unter einem Dach wohnen koͤnnte, und daß ſie ihn ſelbſt dazu einlud, brachte ihn foͤrmlich auf; natuͤrlich ließ er ſich’s weiter nicht merken, nur daß er unwillkuͤrlich von Suschen ein Stuͤcklein mit ſeinem Stuhl wegruͤckte, den er vorhin gar nicht nahe genug zu ihr hatte ſchieben koͤnnen. Er athmete ein Wenig leichter auf, als er auch den Pfarrer ſagen hoͤrte:

Wohnt bei uns, lieber Johannes, da iſt es am allerſtillſten und Sie finden bei mir gleich Alles, was Sie brauchen.

57

Ja, bekraͤftigte die Pfarrerin, da wuͤrde es in unſerm Haus wieder einmal ein Bischen lebendig. Seit meine Maͤdchen ſich beide in andere Neſter verflogen, wie Mutter Eva ſagt, iſt es in den huͤbſchen Tapeten - ſtuben ganz ſtill und einſam; wie wollt ich mich freuen, wenn ſie wieder einmal bewohnt wuͤrden!

Johannes dankte geruͤhrt fuͤr ſo viel Guͤte und Liebe, nahm aber keins von allen Anerbieten an, indem er ſagte: Jch habe meinen Plan ſchon gemacht, dieſe Nacht bleib ich bei meiner guten Mutter und morgen zieh ich in die Burg.

Jn die Burg? riefen Alle verwundert.

Nun war die Burg naͤmlich die Ruine eines alten Schloſſes, das ehemals auf dem Berg, der ſich gleich hinter der Kirche erhob, geſtanden hatte. Die Guts - herrſchaft unſres Dorfes beſaß es, zugleich aber noch einen ſtattlichen Herrenhof auf einem andern Dorf, ei - nige Stunden entfernt, wo ſie auch nur hier und da im Sommer lebte. Jn der Ruine wohnte im Erdge - ſchoß ein alter Vogt mit ſeiner Frau, der die verfallene Beſitzung zu huͤten hatte und nebenbei die Fremden herum zu fuͤhren und wohl auch zu bewirthen, die etwa herkamen, die Burg zu ſehen. Das geſchah aber ſelten, weil ſie eben keine beſondern Merkwuͤrdigkeiten bot, von der Hauptſtraße fuͤr die Reiſenden zu weit ablag58 und uͤberhaupt nicht beruͤhmt war. Der Thurm davon war noch gut erhalten und enthielt eine altvaͤteriſch ein - gerichtete Stube und Kammer, in der aber noch nie Jemand von der Gutsherrſchaft gewohnt hatte und in die der Vogt die Fremden auch nur auf Augen - blicke ließ.

Johannes ſagte jetzt: Die Erlaubniß dazu hab ich in der Taſche ich traf vor ein paar Wochen unſern Gutsherrn ganz zufaͤllig in einer Geſellſchaft, er wußte nicht, wer ich war, und man hatte mich vorzuſtellen ver - geſſen. Jch hatte ein Gedicht vorgeleſen und er ſagte mir einiges Schmeichelhafte daruͤber es ſtanden ge - rade noch ein paar Herren mit Orden um ihn herum und die alte Luſt ſpukte wieder einmal in mir, die vorneh - men Herren ein Bischen zu aͤrgern und zu demuͤthigen.

Das haͤtt ich nicht gedacht, ſagt ich zu ihm, daß Sie einmal ein Gedicht von dem aͤrmſten Bauerjungen aus Jhrem Dorfe loben wuͤrden. Er ſah mich groß an und ich nannt ihm meinen Namen und erzaͤhlte kurz, wie Alles gekommen. Er nahm eine leutſelige Miene an, hinter der er, der Herr Graf, ſeinen Ver - druß zu verbergen ſuchte, daß er mit dem Bauersſohn an einem Tiſche geſeſſen und ſo freundſchaftlich ge - ſprochen hatte, und ſagte: Es freut mich ungemein, daß ſich unter meinen Dorfkindern ein ſolches Talent ge -59 funden, wenn Sie einmal Jhre Heimath beſuchen, werde ich mich freuen, Sie in meinem Schloſſe zu ſehen und kann ich nicht vielleicht hier etwas fuͤr Sie thun ich unterſtuͤtze Talente gern Sie ſehen, ſagte ich, daß ich mich mit Huͤlfe unſres ehemaligen braven Herrn Gerichtshalters ſchon ein Wenig herausgearbeitet habe hier brauche ich Jhre Guͤte nicht in Anſpruch zu neh - men, aber wenn ich wieder in mein Dorf gehe, da haͤtt ich wohl eine Bitte er mochte denken Wunder was ich fordern werde und ſah mich groß an ich bat ihn um die Erlaubniß, in ſeinem Thurm zu wohnen, wor - uͤber er ſogar lachte und mir am andern Tag einen Brief an ſeinen Vogt zur Legitimation zuſchickte.

Durch dieſe kleine Geſchichte ſtieg nun unſer Jo - hannes auf’s Neue ſehr in Anſehn und Liebe bei Allen, die ſie hoͤrten. Der Gutsherr, wußten ſie, war ein ſehr ſtolzer Mann, der ſie ganz wie Unterthanen be - trachtete er war aber doch gegen Johannes freundlich geweſen und dieſer hatte gleich einen Beweis gegeben, wie er auch vor den Herren mit Stern und Orden ſich als armen Bauerjungen zu erkennen gab.

So verging nun der ganze Abend noch auf’s Froͤh - lichſte. Am ſeligſten von Allen war aber doch Mutter Eva und konnte nun auch erſt recht die Freude der Kaͤthe uͤber ihren Buben von ganzem Herzen theilen. Nun60 ſagte ſie gar nicht mehr, daß die Kaͤthe ſchon auch noch Schmerz erleben werde, wo ſie jetzt nur lauter Freude ſaͤhe wenn es ihr gehen werde wir ihr, der Eva, daß ihr Bube groß werde, ſie ihn hergeben muͤſſe und er gar verfliege, daß es ſei, als habe ſie kein Kind mehr nun ſagte Mutter Eva, gerade auf ihren Herzens-Jo - hannes zeigend, zur Kaͤthe: Moͤg Dein Auguſt auch ſo Dein Stolz und Deine Freude werden, wie mir’s mein Johannes geworden!

[61]

Die Burg.

Unſre Mutter Eva hatte fuͤr ihr Johanneslein das Bett ſo ſorgfaͤltig zurecht gemacht, wie ſie damals zu thun pflegte, als er noch ganz klein war und in der Wiege lag, und wie er nun von ihr gute Nacht nahm, um zu Bett zu gehen, da lehnte ſie die Thuͤr in ihr Kaͤmmerlein nur an, damit ſie auch hoͤre, wenn ihr Liebling ſchlafe. Sie hatte ihr Laͤmpchen angezuͤndet und las den Abendſegen leiſe vor ſich hin. Und wie ſie ihn zu Ende geleſen und das Buch zugeſchlagen hatte, ſaß ſie noch lange mit gefalteten Haͤnden da und dankte Gott inbruͤnſtig fuͤr den heutigen Tag und fuͤr das Gluͤck, das er ihr geſchenkt hatte. Jhre ganze Seele ging in dem einzigen Gedanken auf. Dann erhob ſie ſich, nahm die Brille ab, ſchob ſie wieder in ihr Futteral und machte ſich noch allerlei zu thun. Ein Stuͤndlein mochte nun wohl vergangen ſein, ſeit der62 Johannes ſich ſchlafen gelegt. Mutter Eva mußte ihn doch noch einmal ſehen, ehe auch ſie ſchlafen ging. Sie zog ihre Pantoffeln aus, damit ihr Auftreten ja kein Geraͤuſch mache, dann machte ſie ganz ſacht und leiſe die Kammerthuͤr auf, ſteckte erſt nur ihren Kopf durch und lauſchte. Sie hoͤrte ruhige Athemzuͤge, wie ein junger Mann ſie thut, der einen geſunden Schlaf hat. Nun nahm ſie auch ihr Laͤmpchen, zog erſt mit einer Stecknadel den Docht ein Wenig in die Hoͤhe, damit er heller brenne und hielt nun die eine Hand vor dem flackernden Schein. So ſchlich ſie ſich wieder in das Stuͤbchen, zum Lager des Sohnes. Er ſchlief feſt und ruhig; ſein Antlitz war ihr zugekehrt, ein heiterer Friede lag darauf, wenn auch ein Zug um den Mund, die Wangen hinauf andeutete, daß auch ſchon mancher Schmerz und mancher Kampf von dem Schläfer ge - rungen worden. Der Schlaf hatte die Wangen hoͤher geroͤthet, die vorhin blaß geweſen waren. Jn die ſchoͤ - nen theuern Augen konnte die Mutter jetzt freilich nicht ſehen, aber ſie weidete ſich doch am Anblick dieſes theuern Geſichtes, des Geſichts ihres Sohnes! Sie ſtellte das Laͤmpchen auf einen Tiſch hin, daß es ihn beſchien, aber doch nicht zu nahe war in ſeliger Ruͤhrung neigte ſie ſich uͤber ihn und kuͤßte ihn noch einmal, ganz leiſe nur, damit ſie ihn ja nicht wecke. Eine lange63 Zeit war ſo vergangen das Laͤmpchen fing an ganz matt zu brennen, da riß ſie ſich endlich von ſeinem An - blick los, um nun auch ſchlafen zu gehen. Sie ſchlich wieder leiſe in ihr Kaͤmmerlein, ließ die Thuͤr aber weit auf. Das Laͤmpchen verloͤſchte ſie nun auch und legte ſich zur Ruhe. Aber das half ihr nicht viel, die Freude ließ ſie nicht ſchlafen, ſie konnte davor kein Auge zu - thun; immer nur dachte ſie an ihren Johannes daß ſie ihn wieder habe, lange behalten werde, daß ſein Herz auch in der großen Welt ganz ſo geblieben ſei, wie ſonſt, ſie ſo lieb habe und ſein ganzes Dorf gewiß viel mehr als all die großen Leut, mit denen er lebte und wie ſie ihn nun ſo ſtattlich und ſchoͤn vor ſich geſehen habe. Unterdeß ging der Mond auf und ſchaute in die kleinen Fenſter hell und neugierig herein. Da ſagte Mutter Eva ſtill zu ſich ſelber: Schlafen kann ich nun einmal nicht, warum ſoll ich’s nicht machen, wie ſonſt? Da hab ich Naͤchte lang an Johanneslein’s Wiege wach geſeſſen und ſeinen Schlaf belauſcht, wenn ich dachte, es fehlte ihm etwas das Johanneslein iſt nun groß geworden und die Wiege iſt lange zerbrochen, aber drinnen liegt der große Johannes, den ich endlich wieder habe nach langer, langer Zeit, warum ſoll ich mich denn nicht zu ihm ſetzen und ſehen, wie er ſchlaͤft? Und ſo ſtand ſie wieder auf, kleidete ſich an und ſchlich in das Stuͤbchen. 64Johannes ſchlief ſo feſt, wie vorhin; er war muͤde von der Reiſe und hatte ein paar Naͤchte zuvor, wo er noch allerhand vor ſeiner Abreiſe zu thun gehabt, mit Ar beiten durchwacht, ſo war’s wohl kein Wunder, daß er heut ſo feſt ſchlief. Wie vorhin der Schein des Laͤmp - chens, ſo fiel jetzt der des Mondes auf ſein Geſicht. Mutter Eva ruͤckte ſich ganz leiſe einen alten Lehnſtuhl neben das Bett des Sohnes und ſchaute ihn nun immer unverwandt an. Aber nun war ſie doch bei ihm, ſo konnte ſie eher Ruhe finden. Endlich fielen ihr die muͤden Augen zu und der Kopf lehnte ſich zuruͤck an die Polſterlehne des Stuhls. So ſchlief ſie bis in den Morgen hinein.

Unſer Johannes aber wachte auf, wie unten im Stall die Kuͤhe zu bloͤcken begannen und die Gaͤnſe ſchnatternd uͤber den Hof flogen. Ueber ſeinem Kopf war ein Taubenſchlag angebracht, von dem ihn nur eine duͤnne Bretterdecke trennte. Das war auch ein Gurren, Flattern und Zanken da oben unter den Tauben, daß Johannes erſt gar nicht wußte, was es eigentlich gaͤbe, und wundernd auf und um ſich ſchaute. Er hatte lang nicht auf dem Dorfe geſchlafen, und er, der ruhig fort - ſchlafen konnet, wenn Hunderte von Wagen uͤber das harte Steinpflaſter unter ſeinen Fenſtern in der laͤr - menden Stadt voruͤberraſſelten, oder das widerliche Ge -65 ſchrei von allerhand Ausrufern und Verkaͤufern durch die Straßen ſummte, wachte gleichwohl jetzt auf vor den Stimmen des lieben Viehes, die gar nicht ſo laut klangen, ihm aber fremd, weil er ſie ſo lange nicht gehoͤrt. Er mußte leiſe lachen uͤber dies drollige Durch - einander von Kuͤhen, Schweinen, Ziegen, Gaͤnſen, Huͤhnern und Tauben da fielen erſt ſeine Augen auf den Lehnſtuhl und die ſchlafende Mutter drinnen. Er fuhr ſich mit der Hand uͤber die Stirn, um ſich zu beſinnen, wann wohl die Mutter gekommen? Er wußte es nicht, gewiß hatte ſie ihn wecken wollen, weil ſie viel fruͤher auf geweſen er hatte wohl das Wecken nicht gehoͤrt und ſie hatte ſich nun hergeſetzt, um es abzuwarten bis er von ſelbſt erwache; das mochte zu lange gedauert haben, daruͤber war ſie ein - geſchlafen, ſo dacht er. Nun wollt er ſie wieder nicht wecken und ganz leiſe aufſtehen. Aber eine alte Mutter ſchlaͤft niemals ſo feſt, wie ein junger Sohn ſie hoͤrte es gleich wie er ſich ein Wenig mehr bewegte und ſah ihn mit hellen Augen an. Aber ſie ſchaͤmte ſich ordent - lich, ihm zu geſtehen, daß die Mutterfreude ſie erſt gar nicht habe ſchlafen laſſen und wie ſie nun die halbe Nacht hier geſeſſen, nur um ihn anzuſehen, gerad ſo, wie ſie’s an ſeiner Wiege oft gethan habe. Aber das große Kind habe beſſer geſchlafen als das kleine und ſich566gar nicht geregt, darum ſei ſie ſelbſt auch endlich einge - ſchlafen. Nun wollte ſie nur aber gleich gehen und das Fruͤh - ſtuͤck zurecht machen es ſei am Ende ſchon ſpaͤt und die Kaͤthe werde ſich wundern, daß ſie noch nicht zu Platze ſei.

So ging ſie, indeß Johannes aufſtand.

Eigentlich war es unſrer Mutter Eva gar nicht recht, daß ihr Sohn nicht bei ihr wohnen bleiben wollte. Zum erſten Mal fuͤhlte ſie es wieder hart, daß ſie kein eigen Haus mehr hatte, daß es doch eigentlich ein fremdes geworden war, in dem ſie nun lebte. Sonſt haͤtte Johannes nicht in den finſtern Thurm gedurft, wo vor den Fenſtern zuweilen Eulen und Kaͤuzchen ſchrieen und drinnen am Ende gar Ratten und Maͤuſe ihr Weſen trieben. Freilich war es ihr noch lieber, er zog in den Thurm, wo er nun ſein eigener Herr ſein ſollte und er ſich bei Niemand zu bedanken hatte, als dem Gutsherrn, der ihn damit ehrte, ihm zu erlauben, was er ſonſt noch nie Jemand erlaubt gehabt hatte. Darauf war ſie nun auch wieder ſtolz. Waͤre er auf die Pfarre gezogen oder zu dem Richter, das waren Leute im Dorf, wo er ſich am Ende viel haͤtte bedanken muͤſſen und die ſeine Mutter nun nur ſo mit gelitten haͤtten aber gewiß waͤr ſie oft nicht recht gekommen, im Wege ge - weſen oder ſo. Dann haͤtt es ſie noch mehr nieder - gedruͤckt, daß er nicht bei ihr ſein koͤnne, die ihm Alles67 an den Augen abgeſehen und zu Lieb gethan, ſondern bei fremden Leuten, wo er doch oft Manches nicht wuͤrde gekonnt und gehabt haben, wie er gern gemocht die ſeinetwegen Umſtaͤnde gehabt und er dafuͤr Verbind - lichkeiten, die ihm eine Kette geworden waͤren. So war es ihr noch ein rechter Troſt, daß er in den Thurm zog; werde er doch taͤglich herabkommen und ſie koͤnne auch oben bei ihm zu halben Tagen ſitzen, ſie waͤren da allein und es haͤtte Niemand etwas drein zu reden; ſo war’s ihr recht.

Nach dem Fruͤhſtuͤck ging ſie gleich mit ihrem Jo - hannes den Huͤgel hinauf, wo der Thurm ſtand. Sie war noch ruͤſtig zu Fuße und der Berg ward ihr nicht ſauer, zumal heute nicht, wo ihr Sohn ſie fuͤhrte undſtuͤtzte. Es war ein wundervoller Morgen! Hunderte von Voͤgeln ſan - gen und zwitſcherten in den Baͤumen und die Lerchen zumal tummelten ſich wie freudetrunken in den Luͤften herum.

Der Wald, durch den die Haͤlfte des Weges ſich ſchlaͤngelte, machte dieſen ſchattig und angenehm. Ueber den Wald ragte der Thurm hervor. Er war ganz aus Ziegelſteinen maſſenhaft aufgefuͤhrt, die Mauern ſo dick und feſt, daß es ſtaunenswerth war. Die Ringmauer, welche ihn und die ganze alte Burg ſonſt umgeben hatte, ſtand noch zur groͤßten Haͤlfte, der große, finſtere Thor - weg, der unterhalb des Thurmes hereinfuͤhrte, war mit5 *68ſeiner feſten Eiſenthuͤr noch unverſehrt; man meinte wirklich noch in eine Ritterburg zu kommen, wenn die Thuͤr ſich aufthat, aber war man nun durch den langen Thorweg, ſo ſtand nur noch die Ringmauer und rechts drinn ein wie ein Vogelneſt hineingeklebtes Gebaͤu, ein kleines Haus, das der Burgvogt , wie er ſich groß - artig nannte, mit ſeiner Frau bewohnte. Links ſah man noch einzelnes Gemaͤuer im Verfall, deſſen fruͤhere Beſtimmung nicht mehr zu unterſcheiden war. Ueberall wucherten Gras und Geſtruͤpp, manche Mauern waren von uraltem Epheu ganz uͤberzogen und oben auf ihnen, wo ſie ganz verwittert waren, wuchſen Straͤucher und Baͤume. Der urſpruͤngliche Schloßhof war noch da, mit ſchoͤnen Steinplatten belegt, die aber eine dunkle, gruͤn - graue Farbe angenommen hatten und hier und da zerſprengt waren, ſo daß auch ſtellenweis zwiſchen ihnen Gras her - vorſprießte. Dichte alte Fliederſtraͤuche und Baͤume hat - ten in allen Ecken ſich eingeheimelt und da ſie eben in voller Bluͤthe ſtanden, erfuͤllten ſie alle Raͤume mit ihren Duͤften. Wilde Rofen und Akazien, die darunter gemiſcht waren, meinten, auch ſie haͤtten ein Wort mit drein zu reden und gaben ihre Duͤfte dazu. Eine Luͤcke in der Ringmauer fuͤhrte in einen Grasgarten, der auch vom hohen Wall umgeben war. Ein paar ſtaͤmmige Eichen, die wohl uͤber ein paar Jahrhunderte alt ſein69 mochten, ſtanden hier an dem Eingang, aber drinnen breitete ſich ein juͤngeres Geſchlecht von Baͤumen aus. Der Garten, in dem fruͤher vielleicht Hirſche und Rehe, wohl gar wilde Eber ſich getummelt hatten, damit die alten Ritter nahe Jagdfreuden genießen oder die zarten Burg - fraͤulein ſich zierliche Rehe und weiße Hirſchlein zaͤhmen konnten der Garten war jetzt zum gewoͤhnlichen Nutzgarten geworden, in dem allerhand Obſtbaͤume in blumigem Raſen ſtanden, und rechts gar große geord - nete Gemuͤſebeete ſich ausdehnten und die Kartoffeln, die erſt lange nach der Ritterzeit nach Deutſchland gekommen waren, von einem ziemlichen Stuͤck Land Beſitz ge - nommen hatten.

Jn dieſen Gemuͤſebeeten kauerte jetzt die Frau des Vogts erhob ſich und wiſchte ihre erdigen Haͤnde an ihren wollnen Rock, als ſie Jemand kommen ſah. Dann hielt ſie die eine Hand vor die Augen, weil die Sonne ſie blendete, und rief dann: J, Frau Eva, kommt Jhr denn auch einmal herauf? ſeit wann macht Jhr denn den Wegweiſer fuͤr fremde Herrſchaften? war mein Mann nicht drinn? wenn Jemand herumgefuͤhrt ſein will da muß ich doch gleich

Sie machte einen tiefen Knix vor Johannes und ging eilfertig aus den Gemuͤſebeeten heraus

J nun, ſagte Mutter Eva lachend und machte70 zugleich dabei eine wichtige Miene, wenn die Herrſchaft, die da den Thurm ſehen will, mein Sohn iſt, hab ich ſchon ein Recht, Fuͤhrerdienſte zu thun!

Was redet Jhr da? ſagt die Frau Vogt, die ihren Ohren nicht traute.

Nun, das iſt mein Johannes! rief Eva mit Mutterſtolz und Freude.

Jene aber ſtemmte beide Arme unter und ſtarrte unſern Johannes an, der ſie nun vertraulich auf die Schulter klopfte, freundlich ſprechend: Nun, Frau Vogt! da kommt der Johannes wieder, der immer nachlief, wenn Jhr Fremde in den Thurm fuͤhrtet, wo Jhr oft ſagtet: muͤßt Jhr denn ewig hinterdrein zie - hen wie ein Pudel, ſo bald’s nur in den Thurm geht, hundertmal ſeid Jhr nun ſchon in alle Winkel ge - krochen und ſeht, da will ich nun abermals in den Thurm und mir’s ſogar heimiſch drinnen machen.

Die Frau Vogt erholte ſich ſchwer von ihrem Er - ſtaunen und er mußte nun auch von ihr all die Re - densarten wieder hoͤren, die er jedesmal vernahm, wenn er Leuten im Dorf begegnete, die ihn ſonſt gekannt und jetzt doch nicht wieder erkannten und immer Eins mehr verwundert ausſah als das Andere, wenn Mutter Eva voll freudigen Stolzes ſagte: Das iſt mein Johannes, wo dann immer Jedes zur Antwort gab, was fuͤr ein71 großer Herr er geworden, wie ſchoͤn und ſchmuck ſein Anſehen und ob’s ihm nun wohl auch noch auf dem Dorfe gefallen werde?

Nun holt Euern Mann, daß er mich in den Thurm fuͤhre! bat Johannes, wie die erſte lange Be - gruͤßung vorbei war.

Alſo wollt Jhr wirklich das alte Neſt gleich wieder ſehen, da Jhr doch geſtern erſt gekommen ſeid, ich daͤchte, da gaͤb es eher im Dorfe umzuſehen, bei der Freundſchaft und bei allen Bekannten, als wie hier oben zu ſchauen, ob die jungen Eulen bald fluͤgge, denn weiter weiß ich hier nichts Neues zu zeigen, eiferte die Frau Vogt.

Mutter Eva wollte es gleich herausſagen, was ihr Sohn bei dem Thurm beabſichtigte, aber er winkte ihr laͤchelnd, noch Nichts zu verrathen, und ſo ſchwieg ſie.

Als ſie nun aus dem Grasgarten in den Burg - hof und auf das kleine Haus zugingen, trat der Vogt heraus; er hatte ſchon gehoͤrt, was es gaͤbe, und hieß unſern Johannes herzlich willkommen. Der Vogt war ein kleiner duͤrrer Mann, der beinah etwas Aehnliches hatte von der Ruine, deren Huͤter er war. Sein Haar hatte ſich unterdeß ziemlich grau gefaͤrbt, ſein Geſicht war runzlich geworden, ſeine ganze Geſtalt noch mehr zuſammengeſchrumpft, ſonſt aber war er noch ruͤſtig und72 munter, ja er ſchien eher an der eigenthuͤmlichen Be - hendigkeit, welche oft kleinen duͤrren Maͤnnern ſo eigen iſt, gewonnen als verloren zu haben.

Und da ſoll nun wirklich der erſte Gang in den Thurm ſein? da muß ich die Schluͤſſel ſchon holen! ſagte er, war wie der Wind in das Haus, in die Stube hinein und eben ſo ſchnell auch wieder heraus. Das maͤchtige Schluͤſſelbund hatte er in der Hand.

Ei! lachte Johannes, ſoll ich mich allemal mit dem ganzen Bund da ſchleppen? Jch meine, an ein oder zwei Schluͤſſeln wird’s genug ſein.

Der Vogt antwortete: Es muß Alles ſeine Ord - nung haben und Sie ſind ja kein Knabe mehr, der, was er zum hundertſten Male geſehen, doch immer wieder zu ſehen verlangt und wird’s wohl jetzt der erſte und letzte Beſuch ſein, den ſie diesmal unſerm Thurm machen

Weit gefehlt! lachte Johannes.

Nun, mich ſollt’s freuen, wenn Sie oͤfter kommen, erwiderte der Vogt, aber der Geſchmack aͤndert ſich mit den Jahren.

Wirklich? ſollt es Euch freuen ei, das waͤre mir lieb, denn ungebet’ne Gaͤſte das wiſſen Sie ſchon, wie das Sprichwort ſagt, meinte Johannes, indem er einige bemooſte Stufen, die von außen73 nach der kleinen Eiſenthuͤr des Thurmes fuͤhrten, vor - ausſchritt.

Der Vogt oͤffnete: Wollt Jhr denn auch mit her - ein, Mutter Eva? wendete er ſich an dieſe, die immer hinterdrein getrippelt war.

Ei ja doch! muß doch ſehen, wie mein Sohn woh - nen wird! platzte ſie heraus.

Der Vogt blieb wie erſtarrt am Eingang in das Thurmgewoͤlbe ſtehen, in das Johannes ſchnell hinein und voran ſchluͤpfte: Was ſagtet Jhr, Mutter Eva?

Nun ich will Nichts geſagt haben, geht nur, der Johannes iſt ſchon die ganze Treppe hinauf, der hat flinkere Beine als wir! ſagte Eva.

Jch glaube, Jhr ſeid vor Freuden uͤber Euern Prachtjungen etwas uͤbergeſchnappt, meinte der Vogt in freundlichem Ton, verdenken koͤnnt ich’s Euch juſt nicht, ich mag’s ihm gar nicht in’s Geſicht ſagen, wie ſehr er mir gefaͤllt und wie ſchoͤn er ausſieht, loben verdirbt die Jugend, zudem hat er ſo was Zierliches in Gang und in den Bewegungen, daß man denkt, er ſei vornehmer Leute Kind!

Ho, ho, verſetzte Mutter Eva raſch, mein Kind iſt er und iſt drum ſo gut als waͤr er Graf oder Baron; und was das Loben betrifft, da haben ihn noch andere Leute gelobt als Jhr! Allen Reſpekt vor Euch und74 Euer Wort in Ehren, aber die vornehmen Leute in der Stadt haben alle einen rechten Narren an ihm gefreſſen, aber er blaͤſt nicht mit in ihr Horn und in das der Adelſchwaͤnze und Schmeichler, die ſich Wunder was duͤnken, wenn ſie ſich ſtellen, als waͤren ſie mit den großen Herren auf Du und Du und ihres Gleichen, mein Johannes ſagt es ihnen in’s Geſicht, daß er ein Bauersſohn iſt und fragt den Kuckuk nach ihnen.

Ei Mutter! rief Johannes laͤchelnd von oben herab, ſo iſt’s brav geſprochen, das iſt beſſer als geſtern, wo Du mich noch mit dem Mißtrauen kraͤnkteſt, als koͤnnt ich je mein Doͤrflein und Alles, was drinnen lebt und webt, einmal vor den vornehmen Bekannten ver - leugnen aber noch etwas haſt Du vergeſſen oder nicht recht geſagt, ich meine eben, die großen Herren ſind auch nichts Anders als unſers Gleichen und wer - den’s ſchon fuͤhlen, wenn wir ſie nicht mehr anders be - handeln, Baron, Buͤrger, Bauer das iſt kein Unterſchied, das iſt all Eins und wer unter ihnen der beſte Menſch iſt, dem gebuͤhrt die meiſte Ehre, ſonſt Keinem!

Was das fuͤr Reden ſind! ſagte der Vogt ganz erſtaunt, wenn ſo Etwas unſer gnaͤdiger Herr Graf hoͤrte und gerade in ſeinem Beſitzthum ſprecht Jhr ſolche Worte aus!

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Das erſchreck Euch nur nicht! fuhr Johannes fort, ich hab ihm Aehnliches in’s Geſicht geſagt und was meint Jhr, was er darauf that?

Nun, das kann ich nicht wiſſen wenn ich ſo was geſagt haͤtte, koͤnnt ich darauf rechnen, eine Ohr - feige bekommen zu haben ich weiß nicht, ob er vor Jhren langen Haaren mehr Reſpekt hat, als vor meinen grauen, kurzen meinte der Vogt.

Da waͤr er ſchoͤn angekommen! die Ohrfeige haͤtt ich ihm auf der Stelle wieder gegeben lachte Johannes.

Ach, das wuͤrden Sie doch nicht gethan haben gerade ihm! er iſt unſer Herr und Sie ſind von ſeinem Dorfe Aber dieſe Worte des Vogts unterbrach Jo - hannes ſchnell:

Was, Herr! wir ſind keine Leibeignen mehr! wer auf dieſem Dorfe geboren iſt, iſt doch wahrhaftig nicht des Grafen Knecht! Selbſt unſre Frohn - und Zehnten - laſten ſind abgeloͤſt, ſchlimm genug, daß wir ihm im - mer noch Lehensleute ſind, aber das giebt ihm kein Recht, uns wie Unterthanen zu behandeln und ſelbſt Unterthanen duͤrfen heutzutage nicht mehr roh und grob behandelt werden! Aber davon ſprechen wir ſchon noch. Jch wollt erzaͤhlen, was der Graf that, nach - dem ich ihn wie meines Gleichen behandelte er gab76 mir dieſen Brief an Euch und Johannes gab den Brief des Grafen an den Vogt ab.

Erſtaunt nahm ihn dieſer. Er wird mir ſchreiben, ſagte er, daß ich mich bemuͤhen ſoll, Jhnen wieder den gehoͤrigen Reſpekt vor den Herrn Grafen und hoͤchſt deſſen Familie einzufloͤßen. Aber was machte er fuͤr Augen, als er im Brief nach einigen allgemeinen Ver - haltungsbefehlen las: Den jungen Mann aus unſerm Dorfe, der dieſen Brief uͤberbringt, raͤumt den Thurm zur Wohnung ein, auf ſo lange Zeit, als er ſie be - nutzen will und laßt ihn uͤberall frei ſchalten und walten. Fuͤgt Euch ſeinen Anordnungen, wenn er etwa kleine Veraͤnderungen im Garten oder dergleichen wuͤnſcht und betrachtet ſie als die meinigen.

Ganz unwillkuͤrlich verneigte ſich der Vogt ſo tief, als wenn er vor dem Grafen ſelbſt ſtaͤnde, vor unſerm Johannes, daß dieſer laut auflachen mußte. Als aber der Vogt endlich die erſten Worte bei ſeiner Verwunde - rung ſuchte und nur herausbrachte: Es ſoll gleich Alles zu Dero Befehl geſchehen haben Sie die Ge - wogenheit, in das Zimmer einzutreten ſo ward es unſerm jungen Freund zu toll, er ſchuͤttelte den Vogt mit beiden Haͤnden, ihn greifend an den Achſeln und rief: Mann! wache auf! die alte Zeit iſt todt, in der das Wort eines maͤchtigen Goͤnners uns zum Ritter77 ſchlug! Du traͤumſt wohl noch davon, weil Du in der Herrenburg wohnſt aber ſchau, ſie iſt ja Ruine und ſo iſt auch das alte Herrenrecht mit ruinirt. Nun, wir werden uns ſchon noch beſſer verſtaͤndigen. Sie ſind im Dienſt des Grafen und ich achte jedes Dieners Treue aber nun freut’s mich erſt recht, daß Sie ſchon vorhin ſagten, Sie wuͤrden’s gern ſehen, wenn ich oft kaͤme, denn ſonſt muͤßt ich nun denken, ich habe es nur dem Befehl des Grafen zu danken, wenn ſie mich freundlich aufnehmen!

Der Vogt wackelte mit dem Kopf, machte ſich von unſerm Johannes los und ſagte aufathmend: Nun, das muß wahr ſein, ein wilder Burſche waren Sie immer, aber jetzt ſcheinen Sie vollends als ein rechter Sauſewind wiedergekommen zu ſein, das iſt ja wie im Fruͤhling, wenn die erſten Thauſtuͤrme kommen, daß es hier klingt, als muͤßten gleich die ganzen uralten Mauern vollends zuſammenbrechen. Und Jhr, Mutter Eva, hoͤrt und ſeht auch bei all dem tollen Reden und Trei - ben ganz ruhig zu und ſeht dabei aus als lachte Euch das Herz vor Freuden im Leibe.

Muß auch ſchon ſo ſein! erwiderte ſie, aber er hat’s mir auch ſchon geſagt, ich ſoll ihn nicht ſo ſehr vor andern Leuten loben, das ſei auch Eigenlob, wenn man ſein Kind lobe; ſei wirklich etwas Gutes an ihm,78 wuͤrden’s die Leut auch ſchon von ſelbſt finden, ohne daß ich weiter erzaͤhl. So muß ich’s denn auch ab - warten, wie Jhr hier zuſammen vonkommen werdet und darf weiter gar Nichts drein reden.

Unterdeß waren ſie nun in die Stube getreten und der Vogt hatte die Fenſterladen aufgeſtoßen. Ein Bis - chen kehren wird meine Alte hier muͤſſen! ſagte er, als ihm in den Fenſterniſchen die Spinneweben ins Ge - ſicht zogen. Hoch und groß war das Zimmer und unſrer Mutter Eva ſchien es eben nicht ſehr wohnlich, weil ſie an ihr Kaͤmmerlein dachte, in dem man die Decke mit der Hand erlangen konnte, was ihr gerade recht gemuͤthlich vorkam.

Die Waͤnde waren mit einer blau und ſilbergrauen Seidentapete uͤberzogen, die, obwohl ſchon alt, doch noch wunderbar gut erhalten war. Ein paar Spiegel mit vergoldeten, etwas ſchwarz gewordenen Rahmen, hingen an den Pfeilern. Die Vorhaͤnge, die an den Fenſtern herniederwallten, waren von rothem Damaſt, ein Wenig verſtaͤubt und verſchoſſen, nahmen ſich aber im - mer noch ganz ſtattlich aus. Eben ſo die Ueberzuͤge, die aus gleichem Stoffe waren, der alten eichenen Moͤ - beln. Ein rieſiges Pult mit ſchoͤner Schnitzarbeit ſtand an dem einen Fenſter und war zum Schreiben recht wie gemacht. Zwei alte Ahnenbilder hingen neben einander79 uͤber dem breiten weichen Sopha. Das eine dieſer Bil - der zeigte einen ſchoͤnen Ritter mit ſtolzen, gluͤcklichen Blicken in ruͤſtiger Manneskraft, das andere ein lieb - liches Maͤdchen in der einfachen buͤrgerlichen Tracht der damaligen Zeit, das ſittſam die Augen niederſchlug. Johannes blieb vor den Bildern ſtehen und ſah ſie lange ſinnend an; zu dem Vogt ſagt er: Ja, die bei - den, das ſind meine Leute, die paſſen ſo recht fuͤr mich! Jhr wißt doch die Geſchichte, Mutter Eva? Der Ritter da iſt auch ein Urahn des jetzigen Grafen. Er lernte das ſchoͤne Buͤrgermaͤdchen daneben, die Tochter eines biedern Baͤckers, lieben und da ſie beide in ihrer Liebe ſo gluͤcklich waren und niemals von einander laſſen mochten, ſo heiratheten ſie ſich. Da verflucht der Va - ter des Ritters dieſen, ſeinen leiblichen Sohn, warum meint Jhr wohl? weil er das Maͤdchen, das er liebte, geheirathet hat und vor Gott und alle Welt anerkannt als ſein ehelich Gemahl das war ſein Verbrechen! Haͤtte er das Maͤdchen verfuͤhrt, geſchaͤndet und dann die Ungluͤckliche verlaſſen, das waͤre dem alten Herrn recht geweſen, ſo etwas kam bei den Großen ja immer vor, Niemand haͤtte von ſolcher Schandthat ein Auf - hebens gemacht, im aͤußerſten Fall haͤtte man ſich mit Geld abgefunden oder die Ungluͤckliche im Kloſter unter - gebracht aber wenn ein Graf mit einem ehrſamen80 Buͤrgermaͤdchen eine ehrſame Heirath ſchloß, dadurch, hieß es, werde die Ehre des Hauſes geſchaͤndet, der Stammbaum entweiht und befleckt. Nun, was muß das fuͤr eine Ehre ſein, die durch eine ehrliche Hand - lung vernichtet werden kann, durch eine unehrliche aber nicht? Und weil nun dieſe Rittersfrau kein adliches Blut und kein Wappen gehabt hat, ſo iſt ihr Bild aus dem Ahnenſaal verbannt und haͤngt hier mit dem ihres Gemahls; in dieſer Burg haben ſie auch einſt zuſammen gluͤckliche Tage gelebt und ſich nicht darum gekuͤmmert, wie die Tollheit der Welt ſie ver - dammt hat, da ſie ſich mit ihrem guten Gewiſſen und ihrer treuen Liebe leicht uͤber die Vorurtheile erheben konnten.

Das iſt aber doch nicht nur in den alten Zeiten ſo geweſen, nahm der Vogt das Wort. Unſer Herr Graf wuͤrde es gerade ſo machen wie ſein Ahnherr; Gott ſei’s geklagt, ſein Sohn, der Junker Kurt, hat mehr als ein Maͤdchen verfuͤhrt und der Graf hat dabei ein Auge zugedruͤckt, aber zugeben wuͤrde er’s doch nun und nimmermehr, wenn der Herr Sohn ein Dorf - oder Buͤrgermaͤdchen heirathen wollte das ginge doch auch gar nicht.

Ginge gar nicht? fuhr Johannes wieder auf, warum ginge es denn nicht? Weil ſich’s Buͤrger und Bauer81 oft genug gefallen laſſen, daß die vornehmen Herren mit ihren Maͤdchen ſchoͤn thun, wohl gar ſich etwas darauf einbilden und hinterher, wenn das Maͤdchen verfuͤhrt worden und von dem vornehmen Verfuͤhrer verlaſſen im Elend ſitzt, auch ganz ſtill ſind, hoͤchſtens auf das Maͤdchen ſchimpfen, das ſo ſchon genug fuͤr ihren Leicht - ſinn beſtraft iſt, niemals aber auf den nichtswuͤrdigen Verfuͤhrer, den ſie nicht einmal den Muth haben zu verachten, nur, weil er ein großer Herr iſt: der ſcheint ihnen daruͤber erhaben. Ließe ſich nur uͤberhaupt der Bauer die Willkuͤrlichkeiten, Grobheiten und Tyranneien im Kleinen und Großen von den vornehmen Leuten nicht mehr gefallen, ſo hoͤrten ſie ganz von ſelber auf.

Der Vogt antwortete weiter nicht, ſondern oͤffnete eine kleine Tapetenthuͤr, welche in eine geraͤumige Kam - mer fuͤhrte, von derſelben Hoͤhe und Tiefe, wie das Zimmer, aber nicht breiter, als Raum fuͤr ein allerdings ſehr großes Bett war. Rothe Vorhaͤnge, die zu bei - den Seiten durch ſchwere Seidenſchnuren zuruͤckgehalten waren, die wieder in den Schnaͤbeln von vergol - deten, zierlichen Tauben ruhten, die an den Waͤn - den befeſtigt waren, aber zu fliegen ſchienen mach - ten aus dieſer Lagerſtatt ein Himmelbett. Die Waͤnde der Kammer waren nur geweißt, der Fußboden hin -682gegen mit an einander geſtickten bunten Tuchſtreifen aus - geſchlagen. Ein paar alte eichene Seſſel ohne Lehnen, aber mit ſonderbaren Schnitzereien verziert, und ein halb - runder Tiſch mit einer Marmorplatte, auf der allerhand alterthuͤmliches Waſchgeraͤth ſtand, befanden ſich noch in der Kammer.

Unſere Mutter Eva ſchlug die Haͤnde in einander und rief aus: Du meine Guͤte! Das haͤtt ich nie - mals gedacht, daß mein Johannes in einem Himmel - bett ſchlafen wuͤrde, in ſolchem Prunkgemach eher auf der Streu in der Scheuer.

Wie’s juſt kommt, Mutter! antwortete Johannes, es mag ſich ganz gut da in dem Himmelbett liegen, aber ich hab oft genug auch auf der Streu gelegen und eben auch nicht ſchlecht geſchlafen. Das iſt nun einerlei, man muß im Leben Alles mitnehmen, wie ſich’s gerade trifft.

Sie gingen nach einer Weile wieder hinab in den Burghof und die Frau Vogt war nicht minder ver - wundert, als ihr Mann es geweſen, wie ſie erfuhr, daß Johannes im Thurm wohnen werde. Sie freute ſich aber gar ſehr daruͤber und begann gleich eine Menge Dinge zuſammen zu ſuchen und zu holen, weil ſie die Wohnung oben recht fegen und reinigen wollte, ehe der liebe Gaſt einzoͤge.

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Aber, ſagte ſie und machte dabei ein bedenkliches Ge - ſicht: werden Sie ſich denn auch nicht fuͤrchten? ein Wenig graulich iſt’s doch da oben, ſo ganz allein, wo wohl ſeit Menſchengedenken Niemand mehr gewohnt hat. Dazu die beiden alten, großen Bilder, die moͤgen, wenn nur ein Licht in dem weiten Zimmer brennt, oder gar der Mond herein ſcheint, recht geſpenſterlich ausſehen. Wenn nun gar der Wind geht, ſo wirft und plautzt es mit allen Thuͤren und Fenſtern in dem Thurm, daß es ganz mit tauſend Schrecken iſt; oben auf dem Gelaͤnder aber ſitzen die Eulen und Kraͤhen zuweilen Nachts in ganzen Schaaren und verfuͤhren einen Laͤrm, daß Jhr am Ende kein Auge davor zuthun koͤnnt!

Ach du mein Himmel! rief Mutter Eva ganz er - ſchrocken aus.

Schwatze doch nicht ſo dummes Zeug! verwies der Vogt ſeiner Frau, ich hab es Dir nun ſchon wie viel Mal geſagt, Du ſollſt nicht von Geſpenſtern und ſolchen Sachen reden, weil’s keine giebt und Du ja am allerwenigſten Eins geſehen haſt. Mit dem Thuͤren - werfen und Eulenkraͤchzen iſt’s nun auch ſo arg nicht, und wenn’s iſt, ſo geht das doch ganz natuͤrlich zu und ein Mann fuͤrchtet ſich vor ſo Etwas gleich gar nicht.

Ein Mann fuͤrchtet ſich uͤberhaupt gar nicht, das heißt fuͤrchtet ſich niemals! fiel Johannes laͤchelnd ein. 6 *84Von Geſpenſterfurcht kann nun uͤberhaupt heutzutage gleich gar nicht mehr die Rede ſein, daruͤber iſt doch ſchon jedes Kind aufgeklaͤrt und hinweg. Und was die beiden Bilder betrifft, Frau Vogt, den edlen Ritter und ſeine zuͤchtige Frau, die ſtehen bei mir in gar hohen Ehren, und wenn ich ſpaͤt Abends noch manchmal ſinne und ſchreibe, kann’s wohl kommen, daß gerade ihr An - blick mich begeiſtert und mir allerlei gute Gedanken ein - giebt. Daß ein Gewitter aber ſich da oben gar ma - jeſtaͤtiſch ausnimmt und der Thurm in ſeinen Grund - feſten zu beben ſcheint, will ich gern glauben aber Jhr wißt’s ja: Wetter und Sturm ſind auch Gottes Stimmen, in denen er mit der Erde ſpricht, wie ſollt’s da nicht Luſt ſein, zuzuhoͤren? Jch will mich freuen, wenn ich ſie recht laut vernehme.

Bald nach dieſem Geſpraͤch ſtiegen Mutter und Sohn wieder den Berg hinab.

Mutter! wir wollen noch an des Vaters Grab gehen, bat Johannes, ich hab zwar ſchon hundertmal an ihn gedacht ſeit ich hier bin, aber ich will doch auch gern zu der Stelle gehen, an der er nun ſchon ſo lange ſchlaͤft.

Ja wohl, ſchon lange, ſagte Mutter Eva mit einem Seufzer und ſchlug den Weg zu dem Kirch - hof ein.

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Sie traten durch die ſchwarze Lattenthuͤr hinein. Eine Allee ſchoͤner Linden durchſchneidet den Gottesacker bis zur Kirchthuͤr. Zu beiden Seiten breiten ſich die Graͤber - reihen aus, die mit ſchoͤnen, gruͤnen Raſen uͤberdeckt ſind. Auf den meiſten Graͤbern erheben ſich hoͤlzerne ſchwarze Kreuze, zuweilen iſt wohl auch ein eiſernes dar - unter, darauf ſind die Namen derer zu leſen, welche ſich hier unter dieſen Huͤgeln zur Ruhe gefunden haben. Auf manchem Grab ſteht auch ein Roſenſtrauch, oder andere Sommerblumen ſchmuͤcken es. Jetzt ſieht Mutter Eva das Grab, welches ſie ſucht, ſie weiß die Stelle gar genau, zu oft ſchon iſt ſie da geweſen; oft auch hat ſie im tiefſten Schmerz darauf geſeſſen und gewuͤnſcht, auch da zu liegen, da ſie einmal Nichts mehr im Leben habe, weil ihr Liebſtes, ihr All genommen ſei, erſt der Gatte durch den Tod, daß ſie ihn nun nur auf dem Kirchhof beſuchen kann, dann der Sohn, durch ſein Fortwandern, den ſie in der Fremde gleich gar nicht zu ſuchen und zu finden weiß aber heute iſt es anders, heute iſt der Sohn da, heute will ſie nicht ſterben, heute moͤchte ſie nur ſo gern den Gatten wieder auferwecken, damit er ihre Freude theile uͤber ihr Kind, das ſo groß und ſchoͤn geworden und doch ſo gut geblieben! Ja, wie groß wuͤrde dann erſt die Freude ſein, wenn beide Eltern zugleich ſie haͤtten! Nun hat ſie die Mutter allein. 86Dies allein iſt es, was ihr jetzt auch ſtille Thraͤnen aus - preßt. Wie ſie nun an das rechte Grab kommen, ſchau: da haͤngt an dem halb verwitterten, ſchon morſch gewordenen Kreuz ein großer, zierlich gewundener Kranz von friſch bluͤhenden Roſen und ganze Behaͤnge von Kornblumen ziehen ſich um das Grab. Mutter und Sohn ſahen einander fragend an. Beide wiſſen von Nichts, wiſſen nicht, wer all den Schmuck hierher - gebracht haben kann aber ſie ſind unendlich geruͤhrt davon, wiſſen uͤberhaupt beide nichts zu ſprechen an der heiligen Staͤtte, ſtehen nur beide mit gefalteten Haͤnden ſtille da, ſchauen auf das Grab nieder und dann wieder zu einander auf die Mutter druͤckt den Sohn wie - der zaͤrtlich an’s Herz, der ihr das Leben nochmals lieb gemacht, das ihr ſchon lange eine rechte Laſt geweſen, und dann gehen ſie Hand in Hand und ſchweigend wieder zu dem Kirchhof hinaus.

Wer nur die Kraͤnze dahin gebracht haben mag? beginnt endlich ſinnend Mutter Eva.

Weißt Du Niemand hier, wer ſo ſchoͤne Kraͤnze zu flechten verſteht? fragt unſer Johannes.

Wenn es nicht Suschen geweſen iſt, das gute Kind, ſagte die Mutter, ſo wuͤßt ich Niemand. Jch will die Kaͤthe aushorchen, damit wir ihr danken koͤnnen.

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Spaͤter thut dies die Mutter. Die Kaͤthe weiß von Nichts, weil Suschen immer geheimnißvoll mit derlei Dingen ſei, wo Andere freilich oft ein großes Gerede darum machten; gerade darum ſei es allerdings wahr - ſcheinlich, weil Alles ſo heimlich gegangen und betrieben worden, daß es durch Suschen geſchehen ſei. Endlich wird dieſe ſelber gefragt; ſie will erſt leugnen, wird aber roth dabei und muß endlich Alles geſtehen.

Ei, ſagt ſie zu Mutter Eva, wenn Jemand zu - ruͤckkommt, windet man Kraͤnze zu ſeinem Empfang das war nun gar nicht gegangen, weil Euer Johannes kam, eh man ſich’s verſah, und keine Menſchenſeele ſich’s hatte denken koͤnnen. Nun haͤtt ich gern Euch und ihm eine Freude gemacht da dacht ich: an das Grab gehen ſie doch wenn ſie nun beide zuſammen ſind, iſt dort ihr groͤßtes Heiligthum, das iſt wie ein Altar, auf dem du deinen Schmuck am beſten an - bringen und wie eine Liebesgabe niederlegen kannſt. So bin ich heut einmal vor den Huͤhnern aufgeſtanden, wie Alles noch ſtill war in’s Kornfeld gegangen, hab die blauen Blumen geholt und dann aus dem Garten die Roſen; was daraus geworden, habt Jhr geſehen aber nun macht weiter keine Worte d’rum, denn ’s iſt nicht der Rede werth!

Herzensmaͤdel, antwortete Mutter Eva und ſchuͤt -88 telte Suschens Haͤnde, mein Johannes wird Dir beſſer danken!

Mutter Eva, wenn Jhr mir einen Gefallen thun wollt, ſo ſagt dem Nichts davon! bat Suschen, macht weiter kein Gerede d’ruͤber.

Das verſprech ich nun ſchon nicht, ſagte Mut - ter Eva und ging davon. Bald genug hatte ſie’s auch richtig ihrem Johannes geplaudert.

Am Nachmittag hatte Suschen allerlei auf dem Felde, der Wieſe, in der Wirthſchaft zu thun, kurz, unſer Johannes konnte ihrer nicht eher habhaft werden, als am Abend, wo ſie vor ihrer Thuͤr ſaß, aber auch jetzt die fleißigen Haͤnde noch nicht feiern ließ, ſondern an einem großen blauen Strumpfe ſtrickte. Laura, die Schweſter unſres Schulmeiſters, ſaß neben ihr und haͤkelte Spitzchen.

Das blaue Knaͤuel war Suschen entlaufen und kol - lerte unſerm Johannes entgegen, der es aufhob. Jch werde den Faden abreißen, ſagte er, damit Sie nicht ſo fleißig ſind.

Lachend ſprang ſie auf und nahm das Knaͤuel haſtig weg, damit er ſeine Drohung nicht etwa ausfuͤhre.

Suschen, ſagte er und haſchte ihre Hand, die er ſchuͤttelte, ich komme nur, um zu danken.

89

Ach, laßt das nur, ſagte ſie abwehrend und ſah ſchaͤmig zur Erde nieder.

Jn dieſem Augenblicke kam unſer Schulmeiſter ver - gnuͤgt daher gegangen; er wußte, daß ſeine Schweſter bei Suschen war, mit ihr vor der Thuͤr zu plaudern; da wollt er ſich nun auch wie von Ohngefaͤhr dazu fin - den, vielleicht konnt er ein Wenig an Suschens Seite ſitzen, oder doch irgend ein freundlich Woͤrtlein von ihr erhaſchen. Wie anders iſt es nun, als er ſich’s gedacht! Er wird ganz blaß, dann wieder roth im Geſicht, wie er mit Johannes Suschen Hand in Hand ſtehen ſieht und gar mit erroͤtheten Wangen und niedergeſchlagenen Augen. Zwar zieht ſie jetzt die Hand weg, aber ſie ſieht auch wieder ſo zutraulich mit ihren großen, klaren Augen zu Johannes auf unſerm Schulmeiſter wird ganz heiß und wie ſchwindelnd, er geht ſchnell voruͤber, als wenn er wer weiß was fuͤr einen eiligen Gang habe und gruͤßt nur ganz fluͤchtig im Vorbeirennen, ohne Suschen anzuſehen.

Sie ſchaut ihm ganz verwundert nach: Was hat denn Dein Bruder ſo eilig? fragt ſie Laura, er ſah aus, als ob ihm was Boͤſes widerfahren waͤr.

Wer weiß, was es iſt; er wird wohl auf den Ruͤck - weg wieder vorbeikommen, meinte Laura, aber er kam nicht wieder voruͤber.

90

Johannes verabſchiedete ſich bald von den Maͤdchen, ging dann noch einmal zu ſeiner Mutter, ihr gute Nacht zu ſagen, plauderte noch ein Weilchen mit ihr und ſtieg dann hinauf in ſeine Burg.

Grade mit dem erſten Sternlein kam er oben an.

Es iſt ſchon Alles zurecht gemacht, rief ihm die Frau Vogt entgegen, ich will gleich die Laterne an - zuͤnden und Sie hinaufleuchten.

Ei, da muͤßt ich Sie wieder hinunterleuchten, weil Sie ſich fuͤrchten, allein zu gehen, von wegen der Ahnen - bilder und Kaͤuzlein, des Werfens und Scheuchens, da - von Sie mir geſagt haben, lachte Johannes.

Ob die liebe Jugend heutzutage nicht immer das Alter aufziehen muß, eiferte die Frau Vogt, jetzt will immer das Ei kluͤger ſein als die Henne, zu meiner Zeit war das anders.

Das iſt nun wieder einmal gar Nichts geſagt, weil es eben ſeit Menſchengedenken alle Tage ſo geſagt wird, antwortete Johannes, aber Alles im heitern und gemuͤth - lichen Ton. Das Sprichwort, das Sie brauchten, iſt viel fruͤher als zu Jhrer Lebenszeit entſtanden, drum iſt’s zu Jhrer Zeit auch gerade ſo geweſen, wie jetzt zu dieſer, zu meiner, nur daß Sie damals ſelbſt das kluͤgere Ei waren, jetzt aber die Henne geworden ſind, die Nichts mehr von den Eiern wiſſen mag. Nun, gute Nacht,91 beſchlaft noch die Geſchichte mit der Henne und dem Ei und haltet’s mir zu Gute, wenn ich auch die Worte nicht waͤge.

Boͤſe ſein kann man Euch ſchon lange nicht, ſagte die Frau Vogt, und waͤren Sie auch ein wilder Burſche, wie mein Mann ſpricht; ſchlaft wohl und verſchließt die Thuͤren ordentlich, ſonſt geht der Zugwind ganz unbarm - herzig mit ihnen um.

Gute Nacht! rief Johannes noch einmal und die Frau Vogt paßte noch ſo lange im Burghof auf, bis ſie hoͤrte, daß er die unterſte Thurmthuͤr wirklich ord - dentlich zugeſchnappt und verriegelt hatte.

[92]

Die Spitzenkrauſe.

Es war Mittwoch Nachmittag.

Das iſt eine gluͤckliche Zeit fuͤr unſern Schulmeiſter, denn da hat er keine Schule zu geben. Aber er ſieht eben nicht ſehr vergnuͤgt aus. Freilich hat er auch noch Arbeit genug, wenn es gleich heißt, er hat den Nachmittag frei. Das iſt nun ſo ein frei haben! Da ſitzt er an ſeinem Pult und vor ihm liegen ganze Stoͤße von Schulbuͤchern der Kinder, die er alle durchſehen und corrigiren muß hundertmal daſſelbe leſen, die - ſelben Saͤtze und jedesmal dabei dennoch auf einen neuen Schnitzer, einen neuen Unſinn zu ſtoßen, oder die alte Nachlaͤſſigkeit und Unachtſamkeit unvertilgbar zu fin - den da gehoͤrt eine wahre Engelsgeduld dazu, um nicht des Kuckuks werden zu moͤgen! Doch unſer Schulmeiſter hat dieſe Engelsgeduld. Die Dummheiten der Schulkinder ſind es nicht, die ihm jetzt ſo in dem Kopf93 herumgehen, daß er ſo verdrießlich auf die Arbeit ſieht. Der Grund zu ſeiner aͤrgerlichen Stimmung ſteckt ganz anderswo. Er iſt in ſeinem Herzen, ſtatt in ſeinem Kopfe zu ſuchen.

Er denkt eben jetzt wieder daſſelbe, was er ſchon hundertmal, wenn das reicht! gedacht, er denkt an Suschen.

Seit dem Montag, wo er ſo ſchnell an Jhr vor - uͤberlief, hat er ſie nicht wieder geſehen.

Wie gluͤcklich war er nicht am Sonntag geweſen, wie er in der Kirche mit ihr Gevatter geſtanden! Sie war ſo hold und lieb geweſen und ſo viel er hatte aus ihrem Erroͤthen, ihrem Augen-Niederſchlagen, ihrem ſchuͤch - ternen Aufblicken zu ihm, ihrem Zittern, wenn er nach ihrer Hand faßte und wie’s derlei Dinge mehr waren, ſchließen koͤnnen, war ſie von einem aͤhnlichen Gefuͤhl geweſen, wie er ſelbſt. So hatte er gehofft, bis zu dem Augenblick da Johannes gekommen war. Unſer Schulmeiſter, obwohl er nicht gerade eitel war, ſagte ſich doch wohl ſelbſt, beſonders wenn er ſich Sonntags ſorg - faͤltiger angezogen und die Locken noch einmal ſo glatt als gewoͤhnlich gekaͤmmt hatte, daß er gar nicht uͤbel ausſehe und allenfalls auch im Aeußern genug An - ziehungskraft fuͤr ein huͤbſches Maͤdchen beſitze. Er fand ſich alſo vollkommen zu der Hoffnung berechtigt, Sus -94 chens Wohlgefallen, obwohl ſie das huͤbſcheſte Maͤdchen im Dorfe war, zu erregen. Als er am Kindtaufsmahl neben Suschen ſaß, dachte er ſchon daruͤber nach, wie er ihr bei eheſter Gelegenheit, vielleicht noch an dem - ſelben Abend ſagen wolle, wie herzlich lieb er ſie habe, und er zitterte ſchon vor Wonne dem Moment entgegen, wo er ſie werde als ſein Braͤutchen kuͤſſen duͤrfen da auf einmal mußte dieſer Johannes kommen! Unſer Schullehrer war, wie geſagt, nicht uͤbertrieben eitel, er mußte geſtehen, noch nie einen ſchoͤnern Juͤng - ling geſehen zu haben, als dieſen Johannes, und daß er ſelbſt mit ihm durchaus in dieſem Punkt gar keinen Ver - gleich aushalte. Und dieſer ſchoͤne Menſch war nicht etwa als ein Fremdling gekommen, ſondern als Suschens Geſpiele, er ſchien alte Rechte auf ihre Freundſchaft gel - tend machen zu koͤnnen ſie ſelbſt hatte ihm dies ge - ſtattet, hatte ihm ganz zaͤrtlich die Hand gedruͤckt und war gegen ihn nicht halb ſo zuruͤckhaltend geweſen, wie gegen unſern Schullehrer. Sehr traurig war er Abends von der Kindtaufe nach Hauſe gegangen, die erſt ſo gluͤcklich fuͤr ihn begonnen hatte. Ein ordentlicher Troſt waͤr es ihm geweſen, wenn er den Johannes haͤtte haſſen oder wenigſtens etwas an ihm auszuſetzen fin - den koͤnnen er fand aber Nichts, außer eben jener Vertraulichkeit mit Suschen, die er ihm auch wieder95 ganz und gar nicht verargen konnte, wenn er ſich un - parteiiſch an ſeine Stelle verſetzte. Ja, er meinte ſogar, er muͤſſe Johannes noch mehr ſchaͤtzen, als all die An - dern, weil er ihm an Kenntniſſen und dergleichen am naͤchſten ſtuͤnde und ſo am beſten zu beurtheilen wußte, weil er eher auch als die Landleute das Leben in den großen Staͤdten kannte und alſo wußte, was es heißt, da gefeiert zu ſein und in den hoͤchſten Kreiſen zu leben: wie leicht da Einer ſtolz und hochmuͤthig wird, beſonders wenn er ganz allein durch eigenes Ver - dienſt ſich heraus und emporgearbeitet und es ihm an der Wiege nicht geſungen worden war, welch glaͤnzende Rolle er einſt ſpielen werde. Und daß Johannes trotz dem Allen ſo gut und einfaͤltiglich im edelſten Sinne des Worts geblieben war, daß er ſo ganz der Alte wieder zu den ſchlichten biedern Bewohnern ſeines Hei - mathdorfes gekommen, das machte ihn unſerm Schul - meiſter beſonders werth. Als dieſer nun aber vollends von Johannes hatte das Lied ſagen hoͤren:

Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme, ſo waͤr er dem Dichter lieber gleich um den Hals ge - fallen, ſo hatte er ihm das Lied aus der eigenen Seele geſungen. Aber uͤbrigens konnte ſich unſer Schulmeiſter nicht helfen, er war von der Kindtaufe ſehr traurig nach Hauſe gekommen. Am andern Tag uͤberlegt er96 Alles noch einmal. Er iſt geſtern zu aufgeregt ge - weſen, am Ende koͤnn er ſich doch getaͤuſcht haben, meint er. Wenn er ein Maͤdchen wiederſehe, mit dem er aufgewachſen es wuͤrde am Ende gerade ſo ein zaͤrtliches, froͤhliches Wiederſehen geben, wie das zwiſchen jenen beiden. Nein, er will nicht vorſchnell urtheilen, er hat geſtern Alles zu argwoͤhniſch, wie mit einer truͤben Brille angeſehen, er will Alles vergeſſen; er macht ſich jetzt Vorwuͤrfe, daß er geſtern zuletzt ſo ſtill neben Sus - chen geweſen und daß er einen ſo froſtigen Abſchied von ihr genommen. Das will er heut Abend Alles wieder gut machen. Vielleicht ſitzt ſie vor der Hausthuͤr oder im Garten, da will er ſie ſprechen, wieder herzlich und freundlich ſein, wie er immer geweſen, vielleicht iſt auch ſie wieder ſo. Da mußte er nun juſt dazu kommen, wie Johannes bei ihr ſteht und ihr fuͤr die Bekraͤnzung des Grabes dankt, wie ſie der Dank in Verlegenheit bringt, wie jeder, und ſie ihn ablehnen will, indem ſie beſchaͤmt die Augen niederſchlaͤgt wovon die Rede iſt, weiß er gar nicht, er deutet dies Haͤndefaſſen und Erroͤthen noch anders und ſtuͤrzt außer ſich an dem Paar voruͤber. Abends, wie Laura nach Hauſe kommt und ihn harmlos fragt, warum er denn vorhin ſo vor - beigelaufen, antwortet er nur: Jch wollte den Herrn Johannes nicht ſtoͤren, der etwas Wichtiges mit97 Suschen abzuhandeln ſchien! O! verſetzt da Laura: er dankte ihr nur, weil ſie am Morgen das Grab ſeines Vaters ſo ſchoͤn bekraͤnzt hatte. Aber was er da hoͤrte, war weit entfernt, unſern Schullehrer zu beruhigen, vielmehr brachte es ihn nur noch mehr aus der Faſſung und machte fuͤr ihn ſeine ſchreckliche Ahnung gar zur Gewißheit. Sie liebt ihn! ſagte er zu ſich dieſe zarte Aufmerkſamkeit! wann haͤtte ſie je - mals nur etwas Aehnliches wie dies, fuͤr ihn gethan? Nein! ihm ſcheint es immer gewiſſer: wann Suschen auch ja etwas fuͤr ihn empfunden nun hat er ſie verloren, ſeit dieſer Johannes wieder in’s Dorf ge - kommen. Dieſe Tage ſeither weicht er ihr nun uͤber - all aus, ſo hat er ſie nicht wiedergeſehen und ge - ſprochen, er will ſuchen ſie zu vergeſſen.

Mit dem Vergeſſen aber geht es bis jetzt ziemlich ſchlecht, denn waͤhrend er in den Schulbuͤchern der Kinder mit rother Tinte herumackert, denkt er dabei im - mer an die rothen Lippen und Wangen Suschens. Jndem er ſo uͤber der Arbeit ſitzt und ein truͤbſeliges Ge - ſicht macht, wird heftig an die Thuͤr gepocht, er ruft hoͤflich herein! Die Thuͤr geht ſchnell auf und Jo - hannes ſteht vor ihm.

Guten Abend! mein lieber Herr Langer! ruft er herzlich, ſtoͤre ich auch heute ſogar und ich habe bis798dieſen Nachmittag mit meinem Beſuch bei Jhnen ge - wartet, weil man mir ſagte, da haͤtten Sie frei unterdeß hab ich Sie gar nicht habhaft werden koͤnnen.

Die Buͤcher koͤnnen ruhen! rief unſer Schullehrer, ich bin ſehr erfreut, Sie bei mir zu ſehen, aber gehen wir nicht vielleicht lieber in den Garten hinunter, es iſt ſo ſchwuͤl hier, ſagte er, um nur uͤberhaupt etwas zu ſagen, weil ihm Johannes, an den er eben nur mit ſo viel Schmerz gedacht hatte, zu uͤberraſchend kam, als daß er gleich viel zu reden gewußt haͤtte. Auf dem Wege hinunter und im Garten findet ſich’s ſchon eher, dacht er. Mit Johannes hatte es nun ſchon keine Noth, was das Reden anbelangte, der war immer ge - ſpraͤchig, und war es auch jetzt. Er warf, als ſie un - ten bei der Schulſtube, in der Laura eben auskehrte und deshalb die Thuͤr geoͤffnet hatte, einen Blick hin - ein und ſagte:

Da ſind noch die alten Baͤnke, auf denen ich auch geſeſſen habe daß ich den alten Schullehrer nicht mehr finde, iſt mir weiter nicht leid. Seine Lehrmethode be - ſtand hauptſaͤchlich im Pruͤgeln, daß es eine Suͤnde und eine Schande war, wie er mit uns Knaben um - ſprang. Es war hohe Zeit, daß er in den Ruheſtand verſetzt ward. Daß er nicht hier geblieben, ſondern in die Stadt gezogen, ſpricht dafuͤr, daß er ſelbſt einſah,99 wie wenig Liebe und Vertrauen er ſich erworben und recht gut wußte, wie wenig Achtung er beſaß und ihn Alle gern gehen ſahen, ſonſt wuͤrde er nicht auf ſeine alten Tage noch in die fremde Stadt gezogen ſein.

Aber ſie glauben nicht, antwortete nuſer Schul - meiſter, was fuͤr einen ſchweren Stand ich trotzdem ge - habt und auch noch habe, wenngleich faſt Alle froh wa - ren wie mein Vorgaͤnger ging. Sie wollten wohl einen Lehrer haben, der nicht gar zu ſehr pruͤgele, bei dem die Kinder mehr lernten und der ihnen gegenuͤber nicht ſo herriſch auftrete aber wie ich nun kam, war ih - nen gleich des Neuen zu viel. Sie meinten, ich ſei ein junger Springinsfeld, der gleich mit Einemmale Alles umſtuͤrzen wollte, und widerſetzten ſich in hundert Stuͤcken ja, aber wenn man Alles ſo verwildert und eingeroſtet vorfindet wie ich und man will ſo be - hutſam, wie es dieſe Leute wollen, das Neue, Beſſere einfuͤhren, ſo dringt man ohngefaͤhr in hundert Jahren damit durch und unterdeß iſt wieder etwas Neues, Beſſeres gekommen, weil die Menſchheit in allen ihren Geſtaltungen im ewigen Fortſchreiten iſt und ſo kommt es, daß Doͤrfer und kleine Staͤdte immer um ein halbes Saͤculum zuruͤck ſind. Jch ſehe aber nicht ein, warum es nicht moͤglich ſein ſollte, gerade das Land mit vorwaͤrts zu fuͤhren und aus ſeiner Stellung ewigen7 *100traͤgen Nachhinkens heraus zu bringen. Gelehrte Leute will ich aus den Bauern nicht ziehen, aber aufgeklaͤrte, ganze Menſchen.

Der Herr Pfarrer hat mir ſchon viel Ruͤhmliches von ihren Beſtrebungen geſagt und ich meine, ich bin eben zur rechten Zeit hergekommen, um dieſelben zu unterſtuͤtzen, ſagte Johannes, ich bin in dieſem Dorf und ſeinen Einwohnern aufgewachſen, kenne ſie alſo Alle genau und weiß ſie zu behandeln. Mißtrauiſch ſind ſie, Sie haben geſehen, wie ſie mich auch ſo willkommen hießen und dachten, ich moͤchte ein Anderer geworden ſein, nur weil ich einige Jahre in der großen Stadt vom Dorfe entfernt lebte vielleicht auch, weil ich einen Sammtrock und lange Locken trage; ſetzte er lachend hinzu.

Jch ahnte es gleich, erwiederte unſer Schul - meiſter, daß Jhre Anſichten den meinen beiſtimmen wuͤrden, beſonders hoͤrte ich das aus Jhrem Gedicht her - aus, mit dem immer wiederkehrenden Schlußvers:

Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme!

Sie wollten damit nicht nur zeigen, wie hoch Sie Jhr Dorf, den Landmann und alle Arbeit uͤberhaupt achte - ten, ſondern dadurch auch dieſen Stolz in den Dorf - bewohnern ſelber wecken, das iſt es, wonach ich auch ſtrebe.

101

Die Hauptſache iſt, daß wir die Jugend wecken fuͤr maͤnnlichere und edlere Freuden, an denen wir zu - gleich ſelbſt mit Theil nehmen, ſagte Johannes. Es iſt ein Elend, wenn die jungen Bauerburſche kein an - dres Vergnuͤgen kennen als entweder, wenn ſie Abends von der Arbeit kommen, in der engen, dumpfen Stube auf der Ofenbank gleich einzuſchlafen oder in die Schenke zu gehen, um zu trinken oder zu ſpielen. Das Er - ſtere hat etwas Thieriſches, indeß das Letztere oft gerade - zu zum Laſter wird, und noch zu allerhand groben Aus - ſchweifungen fuͤhrt.

Unſer Pfarrer hat ſich, um den Leuten Anregung zur Unterhaltung zu geben, um die Verbreitung nuͤtz - licher Volksſchriften ſehr verdient gemacht, nahm der Schullehrer wieder das Wort. Er hat bei ſich ſelbſt eine Art von kleiner Leihbibliothek eingerichtet aber die Sache ſcheint leider keinen rechten Fortgang zuhaben.

Ach, das Leſen iſt ſchon recht gut, fiel Johannes ein, aber Buͤcher allein thun es nicht, ich weiß, wie es damit geht. Hat man ſie auch gluͤcklich bis in die Wohnſtube des Landmanns gebracht, ſo treiben, ſie ſich dennoch oft Jahrelang auf Tiſchen und in den Fenſter - niſchen herum und ſind oft vor dem Zerreißen nicht ſicher. Den meiſten Landleuten, wenn ſie nicht ſchon eine beſonders gute Erziehung genoſſen haben, beſonders102 den Knechten und dergleichen, iſt das Leſen immer und ewig eine Arbeit. Man geht aber nicht an die Ar - beit, wenn man nur eben ganz ermuͤdet von der Arbeit kommt, da will man ausruhen und eine Unterhaltung haben. Sehen Sie dieſe Leute! mit dem erſten Morgenruf ſind ſie ſchon auf und muͤſſen in’s Feld hinaus. Dort arbeiten ſie faſt raſtlos den ganzen Tag im Schweiße ihres Angeſichts, die heiße Mittagsſonne brennt ihnen auf den Schaͤdel, und immer muͤſſen ſie ſich fortbewegen und unter ihren ſengenden Strahlen thaͤtig ſein. Was Wunder, wenn dabei nicht nur die koͤrperliche, ſondern auch die geiſtige Kraft ermattet und alle Gedanken vergehen. Wenn ſie dann muͤde und erſchoͤpft nach Hauſe kommen, dann koͤnnen ſie nicht mehr arbeiten, ſondern nur noch genießen. Sie werden dann Keinen ein Buch mehr in die Hand nehmen ſehen die Augen, die ſo lange die Sonne ertragen haben, koͤnn - ten kaum die ungewohnten Buchſtaben erkennen, die ermuͤdeten Gedanken wuͤrden nicht zu folgen vermoͤgen und die matten Augen ſchlaͤfrig daruͤber zufallen. Das Buͤcherleſen wird fuͤr den Landmann nur auf den Sonntag zu verſchieben ſein, wo er keine andre Arbeit hat, und allenfalls auf die Winterabende, wo die vor - hergehende Arbeit minder anſtrengend geweſen iſt; nur wenn er noch unermuͤdet an das Leſen geht, wird er103 daran Geſchmack finden und Nutzen und Vergnuͤgen zu - gleich davon haben.

Jch muß Jhnen Recht geben, aber ich hoͤre gerade von Jhnen dieſe Aeußerungen mit Erſtaunen, ſagte der Schulmeiſter, Sie ſchreiben ſelbſt fuͤr das Volk und raͤumen doch dem Buͤcherleſen nur eine ſo beſchraͤnkte Stellung ein.

Jch mache mir nur keine eiteln und thoͤrichten Hoffnungen uͤber ſeine Wirkungen, antwortete Johan - nes, leſen wird und muß das Volk zu ſeiner Weiter - bildung, und immer mehr, je leichter man es ihm macht, d. h., je beſſer die Volksſchulen eingerichtet ſind und aus ihnen ſelbſt heraus der ihr Entwachſene die Luſt zum Leſen mitbringt und fuͤr ſein ganzes Leben behaͤlt, was von der jetzigen Schuljugend noch nicht ſehr zu ſagen geweſen iſt. Jch ſage nur, daß es das Leſen nicht allein thut, daß jeder Menſch aus dem eig - nen Leben und fremden Buͤchern zugleich lernen muͤſſe, wenn er wahrhaft weiter kommen will; und daß wir verpflichtet ſind, dem Volke andere Mittel zur Ver - edlung zu geben, als nur Buͤcher.

Und welche meinen Sie damit? fragte unſer Schullehrer.

Was die edleren Vergnuͤgungen betrifft, ſagte Jo -104 hannes, ſo haben Sie ſelbſt einen guten Anfang an dem Tage gemacht, als Sie den Feſtzug zur Eroͤffnung der Eiſenbahn zu Stande brachten, der, wie ich hoͤre, Jhr Werk war. Eine große Jdee, fuͤr’s Allgemeine ſich zu begeiſtern, lag dieſem Unternehmen zum Grunde daß Alle ein Gedanke beſeelte und ſie vereinigte, hat, auch wenn ſich nicht Alle dieſes Gefuͤhls klar bewußt worden ſind, ihnen doch eine hoͤhere Weihe gegeben wenn ſolche Tage ſich wiederholen, iſt ihr Einfluß un - berechenbar.

Ja, ſagte der Schulmeiſter, aber auf dem Lande finden ſich aͤhnliche Gelegenheiten ſo aͤußerſt ſelten.

So muͤſſen wir dafuͤr ſorgen, daß ſie ſich oͤfter finden, fiel Johannes ein; Kirmeß und Erntefeſte lie - ßen ſich zeitgemaͤß umgeſtalten, die jetzt nur zu Schwel - gereien benutzt werden, muͤßten edlern Vergnuͤgungen dienen als Eſſen und Trinken ſind. Sagen Sie, lieber Langer, ſind Sie nicht fruͤher bei Turn - und Saͤngervereinen geweſen?

Ja wohl, antwortete der Schulmeiſter geſpannt, ich war Vorturner und hatte auch einmal bei einer nicht unbedeutenden Liedertafel die Direction.

Nun das trifft ja vortrefflich, rief Johannes ver - gnuͤgt, wir muͤſſen das Turnen und die Liedertafel auf dem Lande einfuͤhren!

105

Nein dazu habe ich keinen Muth, ſagte unſer Schullehrer kleinlaut.

O, Sie werden ihn ſchon bekommen, ich nehme Alles auf mich, nur duͤrfen Sie mich nicht im Stich laſſen! und Johannes fuhr fort: Jch ſagte vorhin, daß die Leute, wenn ſie ſo ermattet von der Arbeit kommen, nur noch genießen koͤnnen; der Geſang, beſonders der gemeinſchaftliche, iſt ein ſolcher Genuß und wirkt auch durchaus veredelnd. Wir wollen ſchon ein ganz ſtattliches Saͤngerchor hier zuſammen bringen!

Jch habe mir mit der Kirchenmuſik Muͤhe ge - geben, ſagte unſer Schulmeiſter, und weil es unmoͤg - lich war, ein groͤßeres Muſikſtuͤck ordentlich zur Auf - fuͤhrung zu bringen, und beſonders die Jnſtrumental - muſik ein wahrer Jammer war, ſo habe ich an deren Stelle vierſtimmigen Maͤnnergeſang geſetzt, der ſich ganz gut ausnimmt. Viel Widerſpruch hab ich freilich An - fangs auch damit gefunden, jetzt aber laͤßt man ſich’s gefallen; die vier Saͤnger, die ich zuſammenbrachte, ſtim - men gut zuſammen. Friedrich, Jhr Schulkamerad, ſingt den erſten Tenor ganz vortrefflich und ſie haben auch alle Luſt dazu. Einen Sonntag um den andern fuͤhre ich ſolche Geſaͤnge auf, wozu ich ſelbſt die Orgel ſpiele; ſoll es recht feſtlich ſein, nehmen wir das Chor und Po -106 ſaunen dazu das Gequitzſch der Geigen und die graͤß - lich verſtimmten Trompeten aber konnt ich nicht aushal - ten, und hab ſie ein fuͤr allemal zum Tempel hinaus gejagt!

Das iſt ja Alles herrlich! rief Johannes und ſchlug froͤhlich in die Haͤnde. Aber nicht in der Kirche allein duͤrft Jhr damit ſtecken bleiben, heraus mit Euch in’s Dorf mitten hinein, auf’s Feld, auf den Berg, in den Wald da ſoll’s wiederklingen von muntern Liedern, die Vaterland, Freude und Freiheit jauchzen wir wol - len damit das Volk aufſingen aus ſeiner Traͤgheit, daß es froͤhlich, munter und muthig werde, und ſeine ſtill - ſchlagenden Herzen Begeiſterungsflammen auflodern laſ - ſen! O, nicht wir allein wollen’s aufſingen, wir wollen uns nicht anmaßen, mehr zu ſein als ſie und ſie zu fuͤh - ren nach ihrem Gutduͤnken! nein, ſie ſollen ſich ſelber aufſingen aus ihrer Ruh, zu großen Gefuͤhlen und zu großen Thaten! Alles Edelſte liegt im Volke und ſchlum - mert nur, weil man ihm vorenthaͤlt, was es wecken koͤnnte wir wollen ihm den Geſang geben, laſſen Sie uns zu - ſammen wirken, um unſern Bruͤdern zu dienen.

Unſer Schulmeiſter ſchlug kraͤftig in die Hand ein, die ihm Johannes zum Bunde hinhielt und ſagte: Jch verlaſſe mich auf Sie, weil Sie vom Dorfe ſtam - men, juſt auch von dieſem Dorfe, und ſo auch die Leute107 beſſer kennen als ich. Jch bin auch armer Leute Kind, aber doch in der Stadt geboren und aufgewachſen, da ſind die Menſchen wieder anders, auch die Armen und die Arbeiter. Mein Vater war ein Schuhmacher. Damals in der ſogenannten guten alten Zeit, als auch das Handwerk noch einen goldnen Boden hatte, ging es mit ſeinem Verdienſt ganz gut ich konnte alſo in eine leidliche Schule geſchickt werden, und dann in das Seminar kommen, weil meine Lehrer meinem Vater ge - ſagt hatten, ich koͤnne und werde mehr lernen als ein Handwerker, es ſei ſchade um mich, wenn er mich dazu beſtimme beilaͤufig geſagt, ein ganz albernes Gerede, denn Keiner iſt zum Handwerker zu gut, und wenn er als Handwerker recht viel lernt und weiß, deſto beſſer wird er auch ſein Handwerk verſtehen und damit vorwaͤrts kommen, und ein deſto nuͤtzlicherer Staatsbuͤrger wird er uͤbrigens werden. Wie ich nun aber ſchon auf dem Se - minar war, kam die Gewerbefreiheit und ruinirte alle Handwerker, die nicht mit einem großen Kapital ſich wei - ter helfen konnten oder von der alten ſoliden Arbeit der neumodiſchen Schleuderarbeit ſich zuwandten. So kam auch mein Vater zuruͤck und was ſoll ich’s weiter erzaͤhlen, ich habe die Noth und die Armuth in allen ihren Geſtalten kennen lernen! ich ſelbſt erhielt mich nebenbei mit Stundengeben und meine Schweſter erhielt die alte108 Mutter durch Naͤharbeit, da ſie gluͤcklicher Weiſe das Schneidern gelernt hatte. Die Mutter ſtarb auch bald, und als ich dieſe Stelle bekam, nahm ich die Laura mit her. So hab ich auch ſchon in der Jugend viele Er - fahrungen gemacht und das Leben von ſeiner haͤrteſten Seite vielfach kennen gelernt. Wie es nun anzufangen, Arbeiter und Handwerker in der Stadt weiter zu brin - gen, das wuͤßt ich ſchon, da das Vertrauen der Maͤnner zu gewinnen und mit ihnen Hand in Hand weiter zu kommen, aber wie geſagt, auf dem Lande iſt es wie - der anders, da muß ich ſelbſt erſt lernen und wie ich glaube, noch manches Lehrgeld geben!

Nun, ſo will ich Jhnen mit an dem Lehrgeld er - ſparen helfen, ſagte Johannes, weil ich hier manche Auskunft geben kann.

Aber, warf der Schulmeiſter wieder mit einem et - was mißtrauiſchem Blicke ein, Sie ſind Dichter. Sie werden mit der edelſten Jugend unſres Vaterlandes jetzt zuſammengelebt haben, und was Sie fuͤr kuͤnftige Zeiten erſehnen und ertraͤumen moͤchten Sie es nicht allzu - ſchnell einfuͤhren wollen in das wirkliche Leben, das Jh - nen zu kalt und nuͤchtern vorkommt und dennoch auch berechtigt iſt? Tragen ſie nicht die Poeſie, die in Jhrem Herzen lebt, zu gluͤhend in das Leben?

Das ſoll mit andern Worten heißen, antwortete109 Johannes ſehr ernſt, koͤnnen Sie praktiſch ſein, weil Sie Dichter ſind? auch von Jhnen, auch von der Jugend dieſe Frage? Und Jhr wundert Euch noch, daß das Le - ben oft ſo langweilig und elend iſt, daß alle Erbaͤrmlich - keiten und Verbrechen, daß alle Gemeinheiten darin freien Spielraum haben, indeß alles Edle und Hoͤhere ſich ſcheu in alle Winkel verkriechen moͤchte als ſei es nicht werth den Tag zu ſehen Jhr wundert Euch noch daruͤber, wenn Jhr von vornherein nun alles Gemeine und Her - gebrachte fuͤr berechtigt erklaͤrt, das Schoͤne und Gute aber vom Leben ausſchließt, dem Volke vorenthalten wollt o nicht das Volk iſt’s, welches Suͤnde thut! das iſt der Fluch, daß tagtaͤglich an ihm Suͤnde gethan wird!

Unſer Schulmeiſter war aufgeſprungen, wie auch Jo - hannes zuvor, und warf ſich dem Aufgebrachten haſtig in die Arme, damit er nur nicht ſo weiter ſpreche. Er hatte eine Thraͤne im Auge und bat: Johannes, hoͤren Sie auf! in ſolchem Grade verdien ich dieſe Vorwuͤrfe nicht, ich habe immer gedacht und geſagt wie Sie auch aber da kommen die aͤltern kluͤgern Leute, die das Leben aus Erfahrung kennen, das Volk auch lieb haben und nun das Beſſere wollen, wuͤrdige Maͤnner wie zum Beiſpiel unſer Herr Pfarrer und ſagen: Sie haͤtten, wie ſie jung geweſen, auch gedacht wie wir, aber nun haͤtten ſie ſich die Hoͤrner abgelaufen und ſehen die Dinge anders an,110 man muͤſſe bedaͤchtig zu Werke gehen, nicht zu viel ver - langen und zu erſtreben ſuchen wenn man wirken wolle; da dacht ich nun, es ſei beſſer auf den Rath dieſer er - fahrenen Leute zu hoͤren, als meinen eigenen Gefuͤhlen blindlings zu vertrauen und ich meinte recht zu han - deln, wenn ich ſie niederkaͤmpfte, es iſt mir oft ſchwer genug geworden!

Nein und tauſendmal nein! rief Johannes, nur keinen Kampf mit dem Feuer unſrer eignen Jugend, das fuͤr das Edelſte gluͤht in der Liebe zur Menſchheit! Ehren wir die Erfahrung und Bedachtſamkeit des Al - ters aber ſollten alle Menſchen ſo ſein, ſo wuͤrden ſie alt geboren! Das wußte der Schoͤpfer wohl ſo einzurich - ten. Er hat uns dieſe Jugendgluth gegeben, wir wollen ſie verwenden in ſeinem Dienſt, indem wir ſie ſeinen Ge - ſchoͤpfen, den Menſchen widmen. Wir laſſen dem Alter ſein Alter, mag es auch der Jugend ihre Jugend laſſen! Nun ich denke wir ſind einig , fuͤgte er ruhiger hinzu, indem er die Hand des Schullehrers ſchuͤttelte und um ein einiges thatkraͤftiges Wirken fuͤr unſre Bruͤder, fuͤr dieſe ganze Gemeinde!

Eben begann es Abend zu laͤuten, wie die beiden jun - gen Maͤnner ſo da ſtanden es war als wollten ih - rem Bund auch die feierlichen Glocken ihre Weihe geben.

Laura war auch in den Garten gekommen, die Bei -111 den ſahen ihr aber ſo feierlich aus, daß ſie ſich gar nicht zu ihnen naͤher wagte, ſondern weit von der Laube, in die ſie gegangen waren, ſtehen blieb und vorn uͤbers Ge - laͤnder die Dorfgaſſe hinabſchaute. Eben ging Suschen da voruͤber und ſah recht betruͤbt aus. Laura rief ſie an:

Guten Abend, Suschen, wo gehſt Du denn ſo eilig hin, daß Du gar kein Blickchen hinein wirfſt?

Ach denke nur antwortete Suschen, meine ſchwarze Spitzenkrauſe iſt nirgend zu ſehen und ich weiß gar nicht mehr, wo ich ſie ſuchen ſoll.

Nun wußte Laura recht gut, daß die Spitzenkrauſe nicht etwa ein Putzſtuͤck Suschens war, ſondern vielmehr deren Lieblingshenne, die ſie ſo genannt hatte, weil ſie ganz ſchwarz ausſah und nur um den Hals weiß ge - ſprengelt war, was ihr allerdings gerade wie eine Spitzen - krauſe ließ. Das iſt ja ewig Schade ſagte Laura theil - nehmend, ſeit wann iſt ſie denn weg?

Ja, ich vermißte ſie eben erſt vorhin, wie ich die Huͤhner noch einmal fuͤtterte, ehe ſie zu Bette gingen, da kam ſie nicht mit. Heute Mittag war ſie noch da, ſie gluckte und ich dachte: die wird auch noch bruͤten wollen; ein Wenig ſpaͤt iſt’s ſchon im Jahr, aber da’s die Spitzenkrauſe iſt, dacht ich, willſt du ihr das Bruͤten nicht verwehren. Jch machte ihr ſchon ein Neſt zurecht und zeigt’s ihr aber ſie iſt wieder davon fort gelaufen,112 die andern Neſter ſind auch leer und ich finde ſie nir - gends. Der Großknecht will ſie auf der großen Dorf - gaſſe geſehen haben, ſo ſuch und lauf ich nun im gan - zen Dorfe umher.

Warte nur einen Augenblick, bis ich hinaus komme, bat Laura, ich helfe Dir mit ſuchen, daß Du minde - ſtens nicht ſo allein umher zu laufen brauchſt.

Unſer Schulmeiſter hatte gleich, wie ſie kam, Sus - chens Stimme vernommen, wenn er auch zu entfernt war, ihre Worte zu verſtehen. Warum mußte ſie aber gerade jetzt kommen? war das nicht ein Tropfen Bitter - keit in den Kelch der Freundſchaft, den er eben mit Jo - hannes leeren wollte? hatten die beiden es nicht zu - ſammen abgekartet, daß ſie hier voruͤbergehen wollte, waͤh - rend er drinn ſei? Sie war jetzt ſo lange nicht zu Laura gekommen und gerade heut mußte ſie kommen! Unſer Schulmeiſter ward ſehr traurig aber Johannes war ihm nur eben erſt, durch Alles was er geſprochen, zu lieb geworden, als daß er ihm jetzt haͤtte grollen koͤn - nen er wußte ſelbſt nicht, wie’s ihm herausfuhr oder warum er’s eigentlich ſagte, kurz, er ſagte zu Johannes: Dort iſt Suschen! und deutete nach der Stelle, an der ſie ſtand. Johannes nahm das fuͤr eine Aufforderung, daß ſie hingehen und ſie begruͤßen wollten und eilte an das Gelaͤnder. Langſam ſchlich unſer Schulmeiſter nach113 und ſah Suschen lieber gar nicht an, weil er ſich nicht traute, ſie ohne vorwurfsvolle Blicke anſehen zu koͤnnen, gleichwohl wollte er ſich nun lieber gar nicht merken laſſen, wie ſehr ſie ihn kraͤnke. Sie erzaͤhlt nun die Geſchichte von der Spitzenkrauſe noch einmal und daß Laura mit ſuchen wollte.

Ei, da ſuchen wir Alle mit, ſagte Johannes munter.

Aber ich hab keine Zeit mehr zum Warten! ver - ſicherte Suschen.

Das iſt auch nicht noͤthig! und Johannes wendete ſich an den Schulmeiſter, kommen Sie mit und ſuchen wir die Spitzenkrauſe.

Dabei werde ich wohl uͤberfluͤſſig ſein, antwortete unſer Schulmeiſter ſchnell und fuͤgte ſanfter hinzu: ich habe oben noch ſo viel Buͤcher durchzuſehen, ſo leid es mir thut, ich kann jetzt nicht mitgehen. Guten Abend miteinander! und er ging in das Haus.

Suschen ſah ihm recht betruͤbt nach, aber er konnte dieſe Blicke nicht mehr ſehen. Faſt haͤtte ſie uͤber ſein Betragen die Lieblingshenne und ihre Flucht ganz ver - geſſen warum war denn nur auf einmal der Schulmeiſter ganz wie umgewandelt, daß er jetzt nicht einmal die Henne mit ihr ſuchen mochte, ſondern recht abſichtlich von ihr weg ging, als moͤge er ihr gar keinen8114Gefallen mehr thun, indeß er ſonſt ſich jede Minute zu Nutz gemacht, in der er in ihrer Naͤhe hatte ſein koͤnnen?

Da nun aus ihr nicht viel zu bringen war wahr - ſcheinlich war ſie uͤber die Henne ſo außer ſich, und konnte nichts Andres denken, ſo redete Johannes mehr mit Laura, die auch harmlos mit ihm ſcherzte.

Jetzt kam der Bote Martin verdrießlich daher ge - gangen. Jſt meine Henne etwa bei Euch? die kleine Gans fand ſich neulich auch in Euerm Garten wieder! rief ihm Suschen entgegen.

Ei was! erwiderte er muͤrriſch, fehlt Euch eine Henne? das iſt weiter nicht zu verwundern; ſeitdem die Eiſenbahn fertig iſt, treibt ſich allerlei muͤßiges Geſindel hier herum und in allen Doͤrfern wird ſchrecklich ge - mauſt. Da wird ſo ein Eiſenbahner die Henne haben mitgehen heißen. Soll mir lieb ſein, wenn’s Euch auch noch zu Haus oder zu Hof kommt! Jch hab es von vornherein geſagt, daß die Eiſenbahn unſer Aller Ungluͤck iſt. Jhr werdet’s ſchon noch ſehen.

Das iſt nur Euere fixe Jdee, Martin, ſagte Laura. Die Eiſenbahn iſt unſer Aller Ungluͤck, iſt Euere taͤgliche Redensart, was ſoll denn aber dabei heraus kommen?

Nichts als die Wahrheit, die nun freilich zu ſpaͤt115 kommt, aber man wird doch einſehen, daß ich recht prophezeiht habe! ſagte Martin wichtig.

Ueber dieſen Punkt iſt mit Euch nicht zu reden. Die Henne habt Jhr alſo nicht geſehen? ſagte Suschen.

Nein, ich habe noch keine Hausſuchung bei den Eiſenbahnern gehalten, ſagte Martin entſchieden und ſpitzig fuͤgte er hinzu: Euch, ſchmucke Jungfern, hat freilich der Dampfwagen ſchon was Gutes gebracht, den feinen Burſchen, der ſich ſogar herablaͤßt, Huͤhner mit Euch zu ſuchen nehmt Euch in Acht, Herr Johannes, daß Jhr nicht Haͤndel kriegt, wenns die Liebhaber der Maͤd - chen nicht leiden und er ſchlug eine hoͤhniſche Lache auf.

Die Maͤdchen erroͤtheten und wurden ganz verle - gen.

Johannes ſagte verweiſend: Jhr habt’s wohl ein Wenig im Kopfe, Martin wenn ich das nicht daͤchte, wuͤrde ich ihn Euch zurecht ſetzen ſo geht nur unangefochten nach Hauſe und ſchlaft Euern Rauſch aus.

Martin ging, unverſtaͤndliche Worte murmelnd, von dannen, indem er im Fortgehen noch eine drohende Be - wegung machte.

8 *116

Die Maͤdchen waren wieder in eins der Gehoͤfte ge - gangen, darin nach der Henne zu fragen, indeß Jo - hannes vor der Hofthuͤr wartete. Da kam Friedrich des Wegs daher vom Felde heimkehrend.

Johannes hatte ihn ſchon laͤngſt wieder begruͤßt und wirklich war Friedrich der Einzige von allen fruͤhern Gefaͤhrten geweſen, der ihm unbefangen entgegen ge - kommen war und die alte zutrauliche Weiſe nicht ver - loren hatte. So gingen ſie auch jetzt herzlich auf einander zu. Was machſt Du denn hier? ſagte Friedrich.

Eigentlich ſuch ich eine Henne, aber ich merke ſchon, daß ich mich ziemlich ungeſchickt anſtelle, denn ich weiß nicht recht, wie ich’s anfangen ſoll, die Maͤdchen ſind hier hineingegangen, haben mich aber vor der Thuͤr ſtehen laſſen, antwortete Johannes.

Welche Maͤdchen und welche Henne? forſchte Friedrich.

Laura und Suschen, die ihre Spitzenkrauſe ſucht .

Ei Johannes, nun ſei einmal ehrlich, ſagte Fried - rich, und legte ſeine Hand auf die Schulter des Freun - des: Welcher zu Lieb biſt Du mitgegangen? und er ſah ihm dabei ganz treuherzig aber ernſt und forſchend in die Augen.

117

Das iſt eine naͤrriſche Frage, ſagte Johannes ver - wundert, denn ich ging eben nur mit, weil ich einmal dachte, wir gingen Alle, und es ſei meine Pflicht, den Maͤdchen behuͤlflich zu ſein und er erzaͤhlte den ganzen kleinen Hergang von vorhin.

Friedrich ſah ziemlich unbefriedigt ſtumm vor ſich nieder und kaute an den Naͤgeln. Endlich ſagte er nur: So, ſo, wohl nur, um Etwas von ſich zu geben, weil er merken konnte, daß Johannes auf ein paar Worte von ihm wartete. Dieſer begann nun ſeinerſeits zu fragen:

Aber ſage, was Du haſt? Jhr ſcherzt und geht ja auch mit den Maͤdchen hier, warum ſoll ich’s denn nicht auch ſo machen?

Johannes! begann Friedrich wieder nach einer langen Pauſe, ich will Dir’s lieber gleich ſagen, was bis jetzt noch keine Menſchenſeele weiß, ſie ſelber auch nicht die Laura hab ich lieb

Sieh, das iſt brav! rief Johannes, ich merke, daß Du noch der alte, ehrliche Burſche biſt! Du haſt die Laura ſo lieb, daß Du jetzt ſchon ein Bischen eifer - ſuͤchtig geweſen biſt, weil Du es nicht unnatuͤrlich fin - deſt, daß mir das huͤbſche Maͤdchen auch gefiele da ſagſt Du mir Dein zartes Geheimniß lieber gleich, da - mit ich Dir nicht in’s Gehege komme jetzt, denkſt118 Du, iſt’s noch Zeit ich kann ſie hoͤchſtens erſt ſeit drei Tagen lieben, wie Du vielleicht ſchon ſeit drei Mo - naten und wir koͤnnten leicht beide einander ungluͤck - lich machen, uns verlieren, wenn die Liebe zwiſchen die Freundſchaft traͤte. Das iſt recht ſo! Nun wirſt Du’s auch glauben, wenn ich Dir frei und ehrlich ant - worte: ich bin in Laura ſo wenig als in Suschen ver - liebt, und bin ich auch den Maͤdchen gegenuͤber nicht bloͤde, gehoͤre ich doch auch nicht zu den Thoren, die jedem huͤbſchen Geſicht nachlaufen. An’s Heirathen nun vollends denk ich gar nicht! Jch habe zu viel im Dienſt des Vaterlands und der Freiheit zu thun, als daß ich mich einem Weibe widmen koͤnnte ich habe keine Zeit fuͤr das Spiel der Liebe.

Wenn ich das auch nicht ganz verſtehe, ſagte Friedrich, ſo befriedigt es mich doch und ich glaube Deiner einfachen Verſicherung, daß Du’s nicht auf die Laura abgeſehen haſt. Es war natuͤrlich, daß ich vor - hin auf den Gedanken kam ſie iſt ein Stadtmaͤdchen und hat wohl mehr gelernt als die Dirnen hier, auch hat ſie feinere Manieren und da dacht ich: die iſt eigentlich wie gemacht fuͤr den Johannes und am Ende wird ſie es ſelber finden aber nun bin ich ru - hig, und wenn Du nur nicht ſchoͤn mit ihr thuſt, ſo wird ſie ſich auch nicht in Dich verlieben dazu iſt119 ſie viel zu zuͤchtig, als daß ſie dem Mann nachliefe, der ihr nicht zuvor nachgelaufen

Sieh! ſagte Johannes, nun kannſt Du wohl denken, daß mir die Laura heilig ſein wird, gleich als waͤr ſie ſchon Dein Weib; aber Du darfſt auch gar kein Mißtrauen aufkommen laſſen und meinen, wenn ich oft zum Schulmeiſter gehe, es ſei etwa ihretwegen. Denn hingehen werd ich oft, weil mir der Mann ge - faͤllt und ich allerlei mit ihm vorhabe auch hat er ein Pianoforte, auf dem ich manchmal ſpielen und dazu ſingen werde, wenn mir’s oben in meiner Burg juſt zu langweilig wird, und ich dem alten Pfarrer, der mir ſeins angeboten, nicht immer die Ohren voll trommeln will. Verſprichſt Du mir alſo, niemals eiferſuͤchtig zu ſein?

Friedrich ſah ihm noch einmal pruͤfend in die Augen und ſagte dann: Ja, ich verſprech’s, und nun iſt’s gut.

Haſt Du’s ihr ſchon geſagt? fragte Johannes.

Ach nein! dazu hab ich kein Herz! ſagte Friedrich verlegen, kommt Zeit, kommt Rath! aber wo ſtecken denn die Maͤdchen?

Ja, das weiß der Himmel! meinte Jo - hannes, wer weiß, wo ſie nach der Spitzenkrauſe ſu - chen.

120

Noch eine Weile verging, dann kamen die Maͤdchen heraus. Suschen ſah kummervoll aus, weil ſich das Huhn durchaus nicht finden wollte; der Martin habe doch am Ende recht und es ſei geſtohlen; ſie haͤtte nun ſchon uͤberall geſucht, wo ſie denken konnte es zu finden, und immer ſei Alles vergebens geweſen; da es nun vollends beginne finſter zu werden, wolle ſie lieber nach Hauſe gehen, und alles Suchen aufgeben; faſt das ganze Dorf wuͤßte es ja nun, und wer die Henne finde, werde ſie ihr ſchon bringen. Laura’s Geſicht verklaͤrte ſich mit froͤhlichem Laͤcheln, als ſie Friedrich gewahr ward und ſie ſagten einander den herzlichſten guten Abend. Wie nun die Vier das Stuͤcklein Weg’s zuſammen nach Hauſe gingen, dachte Johannes es recht gut zu machen, wenn er Friedrich mit ſeinem Liebchen ein Wenig allein gehen laſſe, er plauderte daher Sus - chen allerlei vor und ging mit ihr voraus, damit ſie das Paar ungeſtoͤrt ließe. Aber das hatte er recht boͤs gemacht, denn wie ſie bei der Schule vorbei kamen, guckte unſer Schulmeiſter zum Fen - ſter heraus und ward ganz außer ſich, als er Jo - hannes ſo traulich neben Suschen gehen ſah er mochte gar nicht weiter hinſehen, ſondern ſchlug das kleine Fenſter zu und ſetzte ſich in den finſter - ſten Winkel ſeiner Stube. Ein paar Thraͤnen tra -121 ten in ſeine Augen, doch entſchloſſen ſchluckte er ſie nieder.

Unten vor der Thuͤr trennten ſich die Paare. Jo - hannes ſtuͤrmte noch ganz vergnuͤgt die Treppe des Schul - meiſters hinauf und ſtand vor dieſem, ehe er ſich’s verſah.

Jch komme noch einmal , ſagte er, da wir vorhin ſo haſtig von einander gegangen waren, ſind die Buͤcher nun alle durchgeſehen?

Ja; es ward finſter daruͤber, gab unſer Schul - meiſter zerſtreut zur Antwort.

Auf einmal rief Laura: Kommt einmal herunter! ich muß Euch etwas zeigen!

Johannes ſtieg gleich ſchnell hinab, der Schulmeiſter folgte langſam.

Laura fuͤhrte nun mit wichtiger Miene Beide zu ei - nem alten Schuppen, der unbenutzt in dem Grasgarten ſtand und deſſen Brettverſchlag nicht im beſten Zuſtande war. Sie oͤffnete die Thuͤr und da ſaß in einem Winkel die Spietzenkrauſe gluckte aͤngſtlich, wie ſie Geraͤuſch hoͤrte, ſpreizte die Fluͤgel aus und krauſte alle Federn empor.

Johannes mußte ganz unmaͤßig lachen, wie er die Vermißte dort ſitzen ſah, die in ihrer Angſt und Wuth122 zugleich, daß man ſie entdeckte, ſich drollig genug aus - nahm unſer Schulmeiſter aber laͤchelte nur betruͤbt vor ſich nieder.

Sie beißt, ſagte Laura, wenn man ſie anfaſſen will. Jch ging vorhin hier herein, weil ich dachte, wenn man einmal alle Winkel durchſucht, kann ich auch in die - ſen ſchauen und juſt da wo ich zuletzt hinſehe, muß ſie ſitzen, ſo geht’s gewoͤhnlich! Sie hat ſich hier ein Neſt gebaut und eine Menge Eier unter ſich, wahrſchein - lich hat ſie ſchon manchmal hierher gelegt und unſere Huͤhner haben auch hier und da Eins dazu gegeben. Jch meine, wir laſſen ſie ſitzen, denn ſie wird auf kein anderes Neſt gehen moͤgen und die Eier hier ſind wohl ſchon angebruͤtet bei uns weiß ſie Suschen gut auf - gehoben aber ſagen muͤſſen wir’s ihr heut Abend noch und zeigen, daß ſie da iſt gehſt Du vielleicht hin zum Richter? fragte ſie ihren Bruder.

Dieſer antwortete: Johannes geht wohl hin und ſagt es mit

Jn der That , erwiderte Johannes unbefangen, wuͤrde mir das ein Wenig zu ſpaͤt werden, ich habe noch meinem Muͤtterlein zu kommen verſprochen und die geht immer zeitig ſchlafen, ich kann ſie nicht warten laſſen.

Unſer Schulmeiſter war ein Wenig verwundert und123 ſagte zu ſeiner Schweſter: Nun, ſo gehſt Du doch hin, ich muß noch einen Gang in die Schenke wo mich ein paar Leute baten hinzukommen.

Laura ſchuͤttelte den Kopf, wie bei etwas Unbegreifli - chem und ſagte halb aͤrgerlich: Wenn ich nun auch ſpraͤche: ich kann nicht, ich habe noch dies und jenes vor, ſo erfuͤhr ſie’s gar nicht und koͤnnte die Nacht nicht ſchlafen uͤber die Henne, was ihr doch ſo bald erſpart iſt. So ſind die Maͤnner! auch gegen die Maͤdchen, denen ſie ſonſt ſchoͤne Dinge ſagen, iſt’s ihnen aber einmal nicht gelegen, weichen ſie aus. Da ſind wir Maͤdchen doch viel beſſer ich laſſe Alles ſtehen und liegen und laufe hin.

Schnell war ſie fort, indeß ſich die Beiden langſamer ent - fernten. Johannes drohte dem loſen Maͤdchen noch lachend uͤber ihre Strafpredigt nach, indeß unſer Schulmeiſter ſehr uͤbel gelaunt ausſah. Es war nicht wahr, daß er verſprochen in die Schenke zu kommen, er ging nur hin, um Suschen auszuweichen, im Fall ſie kaͤme nach dem Huhn zu ſuchen. Wenn er das ſonſt haͤtte thun ſollen, wo er lieber aus der Schulſtube von den Kindern fort - lief, wenn er ihre Stimme im Hauſe hoͤrte! Aber jetzt wollte er ſie nicht ſehen was ging ihm das Liebchen von Johannes noch an?

Wirklich kam ſie mit Laura noch in das Schulhaus124 und ſo ſehr ſie ſich uͤber die wiedergefundene Henne freute, ſo traurig war ſie doch, daß auch jetzt der Schulmeiſter nicht da war doch verbarg ſie ſtill ihren Kummer auch vor Laura.

Die Spitzenkrauſe mußte auf dem ſelbſtgewaͤhlten Neſt ungeſtoͤrt ſitzen bleiben, das verſtand ſich.

[125]

Grießgraͤmliche Leute.

Sonntag Nachmittag waren ziemlich viel Gaͤſte in der Schenke.

An dem einen Tiſch unter der Linde ward beſonders eine lebhafte Unterhaltung gefuͤhrt. Der Schenkenwirth ſelber hatte daran den Vorſitz. Neben ihm ſaß der Bote Martin, der verdrießlich wie immer ſein Bier trank, dann der graͤfliche Jaͤger, der ſich Herr Foͤrſter ſchimpfen ließ und etwa ein halb Stuͤndchen von unſerm Dorfe entfernt im Walde wohnte. Zwei große Jagdhunde hatte er im - merwaͤhrend bei ſich und auch heute lagen die ungeſchlach - ten Beſtien zu ſeinen Fuͤßen, knurrten Jeden an, der ih - nen zu nahe kam und fletſchten gleich ganz ingrimmig die Zaͤhne, wenn ſie ihr Herr nicht mit einem Fußtritt zur Ruhe verwies. Jhm gegenuͤber ſaß ein reicher Guts - beſitzer, Herr Damme mit ſeinem Sohne Chriſtlieb, einem recht wuͤſten Burſchen, vor dem Niemand im Dorfe Ruhe126 hatte, weder Jung noch Alt, weder Mann noch Weib. Die Maͤdchen flohen uͤberall, wo er ſich blicken ließ, weil er oft unzuͤchtige Reden fuͤhrte und in aller Weiſe zu - dringlich war; die Burſchen gingen ihm aber auch gern aus dem Wege, weil er ſtets Haͤndel anfing und am lieb - ſten gleich drein ſchlug. Weil er aber viel Geld hatte, zu Zeiten Etwas aufgehen ließ und ſeine Kameraden frei hielt, ſo hatte er dennoch einen gewiſſen Anhang. Sein Vater galt fuͤr einen ſehr klugen und erfahrenen Mann an der Erziehung ſeiner Kinder hatte er aber dieſe Klug - heit nicht bewieſen, denn auch ſeine Tochter war eben ſo mißrathen als der Sohn aber kurz, er galt fuͤr ſehr klug, war vielleicht auch dadurch in dies Renomme ge - kommen, weil er erſtens ſeine Klugheit uͤberall auszu - kramen ſuchte und ſelbſt damit prahlte, und zweitens, weil er ſich allmaͤhlig ein großes Vermoͤgen erworben; allein wie Alles dabei und damit zugegangen, wußte man auch nicht, man raunte ſich zwar allerhand daruͤber in die Ohren, konnte aber nichts beweiſen, und ſo blieb es bei dem ſtillen Gemunkele, indeß man oͤffentlich dem Herrn Damme mit der groͤßten Achtung und Zuvor - kommenheit begegnete. Nur einige Wenige im Dorf hatten ſich davon nicht anſtecken laſſen, dazu gehoͤrte auch Traugott. Er war jetzt auch in der Schenke, ſaß aber mit ein paar andern Bauern an einem andern entfernten Tiſch.

127

Nun ſagt einmal, Herr Foͤrſter, begann der Wirth, was meint denn Jhr dazu, daß jetzt in der Burg ſolches Leben iſt und der Graf dem Johannes er - laubt hat, in den Thurm zu ziehen? Seit Menſchenge - denken iſt dergleichen nicht erlebt worden! Der Vogt hatte ſtrengen Befehl, keinen Menſchen, er ſei hoch oder gering, in dem Thurm wohnen zu laſſen; einmal hatte ſich ſo ein verruͤckter Englaͤnder herverlaufen, der durch - aus auf ein paar Wochen hineinziehen wollte und wer weiß wie viel dafuͤr bot der Vogt ſchrieb an den Gra - fen, er dachte auch einen Schlag zu machen, ward aber abſchlaͤglich beſchieden und nun iſt’s dieſem wilden Jun - gen, der vom Dorfe ſelber iſt, ſo mir Nichts dir Nichts erlaubt worden. Jch glaube noch gar nicht, daß der Brief vom Grafen ſelber iſt ſo ein Vagabund, wie der Johannes ſein mag, iſt am Ende zu Allem faͤhig.

Das dachte ich auch, ſagte der Foͤrſter, und be - ſuchte deshalb heute Morgen den Vogt, um mir den Brief zeigen zu laſſen aber es war wahrhaftig Hand und Siegel des Herren Grafen, die kenne ich genau. Das war auch noch nicht genug, wie ich dort ſitze, bringt der Poſtbote juſt noch einen Brief des Herrn Grafen, was meint Jhr wohl, was darin ſtand?

Nun? fragten Alle geſpannt.

Da ſtand: der Johannes ſei nun doch wohl ange -128 kommen und in den Thurm gezogen wenn er darin etwas anders einrichten wolle, ſolle ihm der Vogt nicht hineinreden wenn es den Bewohner freue, ſolle auch die große Windharfe wieder hergerichtet werden, die ſonſt zwiſchen den hohen Seitenmauern angebracht geweſen und dergleichen Dinge mehr es ſei lange Nichts an die Burg gewendet worden, der Vogt moͤge kein Geld ſcho - nen, wenn Johannes Verſchoͤnerungen verlange, dieſen gruͤßen u. ſ. w.

Die Welt iſt verruͤckt geworden! fiel der Wirth ein.

Na, das ſag ich auch, beſtaͤtigte der Bote Martin, ſeitdem der verfluchte Dampf erfunden iſt, und die Wa - gen nicht mehr von Pferden gezogen werden, hat alle Ordnung aufgehoͤrt, Nichts geht mehr wie es ſonſt ge - gangen iſt!

Nun, und was ſoll denn das bedeuten, ſagte der alte Damme, daß eine Menge Burſchen auf die Burg gehen, ich habe ſchon immer da hinuͤber auf den Weg geſehen der Johannes giebt wohl ein großes Ge - lage?

Nein, ſagte der Jaͤger, der Vogt meinte, ſein Bier - keller habe den Profit davon, ſie wollen da oben Alle zuſammen ſingen.

Singen? widerholte Chriſtlieb und brach in ein129 hoͤniſches, gemeines Gelaͤchter aus, das wird auch ein ſchoͤ - nes Vergnuͤgen ſein, das fehlte noch, daß wir die Bruͤllerei auch hier hoͤren muͤßten, man aͤrgert ſich in der Stadt ge - nug nun, der Verſemacher wird heute wohl nur den Mond anſchreien wollen und die andern werden’s dicke bekommen, nach ſeiner Pfeife zu tanzen.

Jch glaube vielmehr, ſagte der Bote Martin, unſer ſauberer Herr Schulmeiſter hat Alles angeſtellt, der iſt ſo von denſelben Geluͤſten und ſtuͤrzte im Dorfe gern das Oberſte zu Unterſt, wenn er nur koͤnnte! Die Singerei da oben ſieht ihm aͤhnlich ob da nicht wieder ſo ein Unſinn dabei heraus kommen wird, wie der Zug nach der Eiſenbahn war.

Ja, die Dummheit hab ich auch nicht mitgemacht, ſagte Chriſtlieb, aber da iſt auch der Pfarrer ſo ſchwach, nimmt ihn noch in Schutz und laͤßt ihm ſo viel freien Willen mir ſollt er kommen mit ſeinen Aufzuͤgen!

Und daß der’s auch zugelaſſen, was er in der Kirche ſelbſt vorgenommen hat! warf der Wirth wieder hin. Sonſt ſang man doch ein Lied ordentlich langſam mit Bedacht, das geht jetzt aber wer weiß wie ſchnell und die Orgel ſpielt er auch ganz anders als der vorige Schul - meiſter. Da ſingen ſie auch jetzt nur, wo ſonſt ſchoͤne Muſik war und von der iſt gar nichts mehr zu hoͤren und zu ſehen die Poſaune und die Orgel ſelber ausgenom -9130men und alle dieſe Willkuͤrlichkeiten hat der Herr Pfarrer zugelaſſen man weiß gar nicht mehr, was man denken ſoll.

Jch will wetten, der Pfarrer iſt bei der Singerei auf der Burg heute auch mit, denn er ſcheint an dem Johan - nes auch einen wahren Narren gefreſſen zu haben, ſagte Martin wieder. Jch begreife die Leute nicht, was ſie an dem Burſchen haben, ein Zierbengel iſt er mit ſeinem ſchwarzen Sammtrock und den langen Locken, mir ſoll er nur kommen! Und die Maͤdchen ſind auch alle ganz naͤrriſch in ihn neulich iſt er mit der Laura und Richters Suschen die halbe Nacht herumgelaufen, ich bin ihnen ſelber begegnet. Chriſtlieb, Jhr wollt auch immer gern Hahn im Korbe ſein nehmt Euch vor dem Jo - hanes bei den Maͤdels in Acht.

Treff ich ihn nur, wo ich ihn nicht haben mag und nicht zu leiden brauch, ſagte Chriſtlieb drohend, da ſetzt’s Puͤffe mir darf er nicht kommen!

Dem Himmel ſei’s geklagt! ſagte der alte Berthold, meine Jule iſt auch ganz verliebt in ihn, obwohl ich glaube, er hat noch nicht zehn Worte mit ihr geredet aber ſie laͤuft allemal an die Thuͤr oder an’s Fenſter, wenn er ſich blicken laͤßt.

Er wird ihnen Allen die Koͤpfe verdrehen und nehmen wird er doch keine! lachte Martin, dazu thut131 er viel zu wichtig und wenn er auch immer redet und thut als waͤr er unſres Gleichen man muß es ſagen, er behandelt den geringſten Burſchen nicht anders ſo juckt ihn doch innerlich der Hochmuth und er denkt ge - wiß: ich bin viel kluͤger und viel mehr als ihr Alle, da - rum wohn ich auch in der Burg und ihr muͤßt’s Euch alle ſehr zur Ehre anrechnen, daß ich mit Euch vertrau - lich umgehe.

Das iſt’s ja eben, was mich am allermeiſten ver - drießt, ſagte Damme, der reiche Gutsbeſitzer, und warf ſich dabei ganz gewaltig in die Bruſt, er behandelt Alle gleich! Neulich kam er auch, wie es ſchien nur ſo im Vorbeigehen hatt ich die Ehre, lachte er hoͤhniſch, mit zu mir herein und ſprach, wie man nur ſo mit ſeines Gleichen ſpricht, daß er beſonders herzlich geweſen waͤre, wie hier ſonſt immer Alles von ihm ſchreit, koͤnnt ich ge - rade nicht ſagen. Aber wir redeten doch ein vernuͤnftiges Wort mit einander und wie er ging, geh ich mit ihm hinaus. Da laͤßt er mich ſtehen und laͤuft auf meinen Knecht zu, den Jacob, ein wahrer Lump iſt’s, den ich nur ſo aus Barmherzigkeit nahm, weil ſein Vater im Gemeindehaus iſt. Johannes laͤuft auf den Jacob zu, klopft ihm ganz freundſchaftlich auf die Schulter und ſagte: J Jacob, biſt Du auch noch hier im Dorfe? ich dachte ſchon, ich wuͤrde gar nicht die Freude haben,9 *132Dich wieder zu ſehen. Der Jacob kratzte ſich im Kopfe, und weil ich dem Johannes zeigen wollte, wer ſein Dutzbruder waͤr und daß ich’s nicht liebe, wenn man meine Knechte von der Arbeit abhaͤlt, rief ich ihm zu, als er eben erſt das Maul zum Reden aufmachte: Jacob! jetzt ſpannſt Du die Ochſen ein, da iſt keine Zeit, Maulaffen feil zu halten, und ich ging ſchnell ins Haus, um dem Johannes zu beweiſen, daß ich’s mir nicht gefallen laſſe, daß Einer den Herrn ſtehen laͤßt, um mit ſeinem Knecht zu ſchwatzen im Ruͤck - blicken ſah ich noch, wie der Jacob zu heulen anfing und hoͤrte, wie Johannes zu ihm ſagte: Nun, ſo geh nur an die Arbeit, wie’s Dein ſtrenger Herr will, denn in weſſen Dienſt man einmal iſt, dem muß man auch gehorchen, aber ſo bald Du frei haſt, komm zu mir hinauf in die Burg, da verbietet’s uns Niemand, mit einander zu plaudern, da koͤnnen wir uns allerlei erzaͤh - len gieb mir die Hand darauf, daß Du kommſt! nun ſchuͤttelten ſie ſich die Haͤnde und der Knecht heulte noch mehr. Johannes war wie der Wind zum Thore hinaus. Auf einmal kam er wieder zuruͤck und gar zu mir herein. Jch dachte, was er wollen werde. Herr Damme, ſagte er ſehr hoͤflich, ſah aber dabei ganz er - ſchrecklich wuͤthend aus haͤtten Sie wohl die Guͤte, Jhrem Knecht Jacob zu erlauben, nach dem Feierabend133 ein Stuͤndchen zu mir auf die Burg zu kommen? Um ihn nun noch mehr zu aͤrgern, daß er fuͤhle, ſein Freund ſei ein gemeiner Knecht, ſagte ich: meinetwegen, aber da wird der Kerl muͤde ſein, und die Arbeit, die Sie wahrſcheinlich von ihm beſtellt haben wollen, ſehr ſchlecht verrichten, ich will Jhnen doch einen andern Knecht ſchicken o nein, antwortete er, der Jacob ſoll ein Glas Bier in vollkommner Ruhe mit mir trinken, er iſt ein guter Freund von mir, und da ſie ihm nicht er - laubten, jetzt mit mir zu ſprechen, bitte ich Sie, es ihm dann zu erlauben, wenn ihn die Unterhaltung nicht mehr von der Arbeit abhaͤlt ach ſo, antwortete ich, das konnt ich freilich nicht denken, daß mein duͤmmſter Knecht Jhr Freund ſei nun, ich goͤnne Jhnen das Vergnuͤgen ſeiner Unterhaltung. So werde ich’s meinem Freund gleich ſelbſt ſagen, ich danke Jhnen, ant - wortete er ganz hoͤflich und ohne daß man ihm die mindeſte Verlegenheit angemerkt haͤtte, empfahl ſich und rief dem Jacob zu: ich habe den Herrn fuͤr Dich gefragt, Du darfſt kommen, es iſt weiter keine Rede darum, ſo komm nur! und nachher iſt der Jacob wirklich bis Thorſchluß bei ihm geweſen nun, was meint Jhr zu der Geſchichte? mit dem Freund meines Knechtes umzugehen, ſchickt ſich doch weder fuͤr mich noch fuͤr meinen Sohn!

134

Ja, aber Kinder! ſagte der Wirth, hochmuͤthig kann man ihn da eigentlich wieder nicht heißen, wenn er ſich ſo mit den Leuten gemein macht

Verruͤckt iſt er! rief Chriſtlieb mit furchtbar lau - ter Stimme, indem er auf den Tiſch ſchlug, iſt das eine Art, ſo mit reicher Leute Knechten umzugehen? waͤre ich zu Hauſe geweſen, ich haͤtt ihn ſchon fuͤhren wollen!

Mit Redensarten richtet man bei ihm Nichts aus, ſagte der Bote Martin, er iſt gar zu geſchickt im Ant - worten. Am beſten iſt’s, wer ein paar Faͤuſte hat, der braucht ſie.

Ja, aber Kinder! hub der Wirth wieder an, vom Zaune brechen kann man eine Pruͤgelei doch auch nicht, und namentlich ſoll mir’s lieb ſein, wenn ſie nicht hier in meinem Hauſe geſchieht, da hat man denn allerhand Haͤndelei mit den Gensdarmen und mit dem Gericht.

Nun hat der gleich wieder vor einer Unterſuchung Angſt! hoͤhnte Chriſtlieb.

Um aber wieder auf den Schulmeiſter zu kommen begann Martin, dem duͤrfen wir doch die Fluͤgel nicht zu lang wachſen laſſen er hat, glaub ich, ſchon uͤber das Strohdach auf ſeinem Hauſe geredet und der Richter fing neulich ganz ernſtlich davon an, daß die135 Gemeinde eigentlich verpflichtet waͤre, das Schulhaus in einen beſſern Stand zu ſetzen, als in dem es jetzt iſt.

Das fehlte noch! riefen Alle zugleich, eine ſolche Ausgabe und Laſt wird ſich die Gemeinde nicht auf - buͤrden laſſen es ſchlaͤft ſich unter Stroh eben ſo gut, wie unter Ziegeln, und fuͤr die Kinder iſt’s nun vollends gleich, ob ſie unter einem Stroh - oder unter einem Ziegeldache ſitzen, wenn ſie nur Etwas lernen. Es iſt Zeitlebens ſo geweſen, und ſo eine Neuerung die fehlte nun gerade noch.

Wie ſie auf dieſen Gegenſtand zu reden gekommen waren, war ihre Unterhaltung viel heftiger und lauter geworden, als wie ſie Anfangs gefuͤhrt war, wo ſie mehr unter einander gefluͤſtert und gemurmelt hatten, als ge - ſchrieen wie jetzt ſo erregten ſie nun auch die Auf - merkſamkeit der Leute an den andern Tiſchen. Traugott, der etwas entfernt geſeſſen, erhob ſich jetzt und fragte: Was giebt’s denn bei Euch fuͤr einen Streit, das Jhr auf einmal ſo entſetzlich zu toben anfangt?

Streit nicht, Herr Nachbar, ſagte der Bote, wir ſind gerade Alle einig

Streit kann nun gerade erſt werden, wenn Jhr hineinredet, ſagte Chriſtlieb patzig.

Der Wirth zog ſich zuruͤck und ging in das Haus136 hinein, als ob er darin Etwas zu thun habe, in der That aber nur, um nicht bei dem Geſpraͤch zu ſein, deſſen Verlauf er vorausſehen konnte, weil er es nie gern mit einer der beiden Parteien verdarb ſchon der Kundſchaft wegen.

Ho ho! ſagte Traugott zu Chriſtlieb. Jhr ſeht mich ſo herausfordernd an, als ob Jhr Haͤndel ſuchtet was ſoll denn das bedeuten?

Chriſtlieb antwortete nur mit einem rohen Gelaͤchter.

Der alte Damme aber ſagte: Nun, es iſt Euer Ge - vatter, Jhr werdet daher anderer Meinung ſein wir meinten aber eben unter einander, daß wir gerade nicht viel von unſerm Schulmeiſter hielten.

Das iſt Euer altes Lied! ſagte Traugott viel ru - higer, als es jene erwartet hatten, aber mit einem ver - aͤchtlichen Tone. Jch hab es gleich geſagt, wie er her - kam, wir koͤnnten uns Gluͤck wuͤnſchen, daß wir ihn haͤtten, und nun kommt es doch immer mehr auf meine Rede der Johannes ſagt es auch.

Ei freilich, das iſt ein ſchoͤner Gewaͤhrsmann! hoͤhnte Chriſtlieb.

Was, Jhr fangt wohl gar auch an uͤber den Johan - nes loszuziehen? wer das thut, hat’s mit mir zu thun, rief Traugott und machte eine drohende Be - wegung.

137

Jn dieſem Augenblick kam unſer Pfarrer des Wegs daher gegangen und rief den Leuten einen herzlichen gu - ten Abend zu, den ſie natuͤrlich erwiderten, und damit war ihr fruͤheres Geſpraͤch unterbrochen. Unſer Pfarrer blieb bei ihnen ſtehen und ſagte: Nun wie iſt’s Chriſt - lieb, ich hab Sie doch auch manchmal ſingen hoͤren, wa - rum ſind Sie denn nicht mit auf die Burg gekommen, wo heute alle Burſchen verſammelt ſind, die nur einmal in ihrem Leben einen Ton geſungen haben?

Mich hat Niemand eingeladen! antwortete Chriſt - lieb, ich habe noch nicht die Ehre gehabt wie unſer Knecht Jakob, die Bekanntſchaft des Herrn Johannes naͤher zu machen.

Unſer Pfarrer maß den patzigen Burſchen mit einem langen Blick; da er ihn aber als unverſchaͤmt und uͤber - haupt als einen ziemlich verlorenen Menſchen kannte, ſo hatte er keine Luſt, der wunderlichen Antwort weiter nach zu fragen, ſondern wandte ſich an Traugott.

Begleiten Sie mich vielleicht mit auf die Burg? wir wollen erſt ganz von Weitem zuhoͤren, ob die Bur - ſchen ſchon einen guten Anfang gemacht haben und wenn es dann etwa noch eines Wortes der Ermunterung bedarf, daß ſie auch fortſetzen was ſie anfangen, ſo will ich es daran nicht fehlen laſſen.

Jch gehe herzlich gerne mit, antwortete Traugott,138 wenn ich auch kein Saͤnger bin, ſo hab ich doch auch meine Freude an dem Singen und denke, die Burſchen werden mich auch nicht zuruͤckweiſen.

Und er ging mit dem Pfarrer, der die Andern wieder freundlich gruͤßte, aber eben keine Luſt zu einem weitern Geſpraͤch mit ihnen zu haben ſchien. Dieſe ſahen ihm nach und als er mit ſeinem Begleiter an der Ecke ver - ſchwunden war, lachten ſie einander bedeutungsvoll zu.

Hab ich’s nicht gleich geſagt? begann der Bote Martin, vor Freuden uͤber ſein gluͤckliches Prophetenthum ſchmunzelnd, der Pfarrer iſt mit bei der Singerei auf der Burg! Da geht er nun hin und ſcheint ſich ordent - lich daruͤber aufzuhalten, wenn ein Burſch nicht mitgeht. Daß Jhr, Chriſtlieb, nicht mit dabei waret, ſtand ihm gar nicht an, er machte ein verteufelt ernſthaftes Geſicht uͤber Eure Antwort.

Schien Luſt zu haben mir den Text zu leſen! ſagte Chriſtlieb aufgeblaſen, daß er mir nicht gruͤn iſt, weiß ich ſchon lange aber er ſagte doch Nichts ich haͤtt es auch nicht zu leiden brauchen und wuͤrde ihm ſchon geantwortet haben Pfarrer oder nicht, das iſt mir nachher auch einerlei.

Jndeß die Maͤnner nun wieder all ihre Galle in Re - den ausſchuͤtteten, wobei vorzuͤglich Chriſtlieb immer groß -139 maͤulig vorweg war, ging unſer Pfarrer mit Traugott zur Burg hinan.

Traugott ſagte zum Pfarrer: Da ſaßen ſo die Rech - ten zuſammen in der Schenke. Jch hatt es ſchon lange von Weitem mit angehoͤrt, wenn ich auch nicht jedes Wort verſtand, wie ſie loszogen uͤber den Schulmeiſter und uͤber den Johannes, endlich ward mir’s zu bunt und ich trat zu ihnen, um ſie zu fragen, was ſie eigentlich haͤtten .

Gebt Euch keine Muͤhe damit, es iſt vergebens, dieſe Leute von ihren Vorurtheilen durch Worte abzubringen, ſagte unſer Pfarrer, nur Thaten koͤnnen ſie allmaͤhlich eines Beſſern uͤberzeugen.

Ach, die ſind auch dadurch nicht zur Vernunft zu bringen, eiferte Traugott, es ſind nur lauter vernuͤnf - tige Dinge, welche der Schulmeiſter in’s Werk gerichtet hat und fuͤr die wir ihm Alle nur dankbar ſein koͤn - nen aber dieſe ſehen’s nicht ein, wollen’s mit Gewalt nicht einſehen, da das Beſſere zugleich allemal etwas Neues und ihnen alles Neue von vornherein ein wah - ter Graͤuel iſt, ſo tadeln ſie auch das Beſſere, nur weil es neu iſt.

Da haben ſie den Nagel auf den Kopf getroffen! ſagte unſer Pfarrer, wir muͤſſen uns troͤſten, daß es in140 jeder Gemeinde Mißvergnuͤgte giebt, welche namentlich durchaus nicht von dem alten Schlendrian loszubringen ſind und durchaus Alles beim Alten laſſen wollen. Den - ken die alten Leute ſo, ſo muß man es entſchuldigen, wenn man es auch nicht billigen kann. Sie ſind ihr Le - belang mit den alten Einrichtungen gut verkommen und haben ſich ganz in ſie hineingefuͤgt, ſo moͤgen ſie ſich nun auf ihre alten Tage nicht davon trennen und ſie denken, wie wir durch’s Leben gekommen ſind und mit Ehren grau geworden, ſo werden’s unſ’re Kinder auch koͤnnen. Wie geſagt, den alten Leuten vergeb ich es im - mer, wenn ſie da ſtehen bleiben wollen, wo ſie ſtehen, und auch Alles da ſtehen laſſen, wo ſie es gefunden; was mich aber verdrießt, iſt, wenn die jungen Leute es nun den alten Leuten nachmachen und mitten in ihrer Ju - gend mit aller Gewalt alt ſein wollen oft aus bloßer Traͤgheit und Faulheit, oder wer weiß was fuͤr eigenſuͤch - tigen Gruͤnden, wie zum Exempel dieſer Chriſtlieb.

Herr Pfarrer, man ſpricht es nicht gern geradezu ſagte Traugott, aber da kann ich mir einmal nicht hel - fen, den Chriſtlieb halte ich fuͤr den ſchlechteſten Menſchen im ganzen Dorfe.

Der Pfarrer ſchwieg und zuckte die Achſeln. Nach einer Pauſe ſagte er: Es faͤllt mir ſchwer, ein hartes Urtheil uͤber Jemand auszuſprechen, aber freilich ſcheint141 mir dieſer wirklich ein raͤudiges Schaaf zu ſein, wie ſie jede Gemeinde aufzuweiſen hat. Weil er reich iſt denkt er, er kann ſich Alles erlauben und der Vater dazu, mit dem auch Nichts anzufangen iſt. Jch habe fruͤher manchmal in aller Liebe und Guͤte mit ihm uͤber den ungerathenen Sohn geſprochen, aber es iſt Alles vergebens. Er findet die Schlechtigkeiten des Sohnes ſelbſt nicht ſchlecht und weil er mir das doch nicht geradezu ſagen kann, ſo thut er, als wenn er nicht daran glaubte und ſein Sohn nur verleumdet werde. Chriſtlieb iſt aber nur zu oft betrun - ken und fuͤhrt uͤbrigens ein ſo ausſchweifendes Leben, daß mir allemal fuͤr das arme Maͤdchen Angſt wird, das ich an ſeiner Seite ſehe in der Schenke, beim Tanz oder ſo denn eine Solche halte ich gewoͤhnlich fuͤr verloren an’s Heirathen hat er noch nicht gedacht.

Unter dieſem Geſpraͤch waren ſie zur Burg hinan ge - kommen. Die Sonne war eben im Untergehen und be - leuchtete das Gemaͤuer, indeß ſich auf’s Dorf unten ſchon abendliche Schatten legten. Die Glocken laͤuteten den Tag, der nun geſchieden war, ſanft zur Ruhe. Es war Alles feierlich ſtill nur einige Heimchen genoſſen noch den ſinkenden Tag und zirpten mit einander um die Wette, muntere Brachkaͤfer trieben ſich gaukelnd in der Luft herum und ein paar Lerchen ſchwebten trillernd ſo hoch zum Himmel hinauf, daß es war, als wollten ſie dort die er -142 ſten Sternlein beſuchen, die nun bald hervorblinken muß - ten, aber jetzt noch nirgend zu ſehen waren, vielleicht daß nur die hochfliegenden Lerchen ſie ſahen.

Auf einmal tauchte ein lautſtimmiger Maͤnnerchorge - ſang aus der Burg hervor, ſo voll und begeiſtert als wolle er geradezu gen Himmel ſtroͤmen. Lauſchend blieben un - ſre beiden Wandrer ſtehen jetzt erkannten ſie die Me - lodie vernahmen auch die Worte es war Luthers herrlicher Choral:

Ein feſte Burg iſt unſer Gott Ein gute Wehr und Waffen

Unſrem Pfarrer ging das Herz vor Ruͤhrung weit auf und eine Thraͤne hoher Freude trat in ſein Auge. Trau - gott nahm die Muͤtze ab und faltete unwillkuͤrlich die Haͤnde, als waͤr er in der Kirche. So blieben die Bei - den wie angewurzelt da ſtehen wo ſie einmal ſtanden, hoͤrten zu und ſangen bruͤnſtig im Herzen mit. Wie der letzte Vers geſungen ward, gingen ſie leiſe durch das finſtere Burgthor hinein und traten eben durch den Hof in das Gemaͤuer, in dem ſich die Saͤnger aufhielten als dieſe mit den kraͤftigen:

Laß fahren dahin, laß fahren dahin
Sie habens keinen Gewinn
Das Reich Gottes muß uns bleiben!

das hoch herrliche Lied ſchloſſen.

143

Bravo! ſagte unſer Pfarrer laut.

Etwa gegen dreißig junge Burſchen waren hier ver - ſammelt, darunter unſer Schulmeiſter, Johannes, Fried - rich und der Knecht Jacob. Sie gruͤßten Alle den Pfar - rer ehrerbietig, der in ihre Mitte trat und Allen freund - lich zunickte: Das habt Jhr brav geſungen! ſagte er, wir kamen herauf, wie das Lied eben erſt begann, da wir aber nicht ſtoͤren wollten, blieben wir draußen ſtehen nun thut auch jetzt nicht als ob ich da waͤre und ſingt weiter, ich hab meine ganze Freude an ſo einem Maͤnner - chor. Gewiß macht es Euch auch Allen Freude, ſo mit einander zu ſingen?

Ja, das Herz geht einem ordentlich dabei auf, ſagte Friedrich.

Es iſt, als wuͤrde man ein ganz anderer Menſch wenn man ſo ſingt, meinte ein Andrer.

Man vergißt alle Sorgen daruͤber, ſagte der Knecht Jacob und ſeufzte dabei tief, als wolle er auch damit Alles abſchuͤtteln was ihn immer ſo niederdruͤckte.

Und ſo hatten noch Viele Etwas zum Lobe dieſes Geſanges vorzubringen.

Seht, nahm der Pfarrer wieder das Wort, ſo klug haͤttet Jhr nun lange ſchon ſein koͤnnen und Euch die Freude bereiten; wie viel edler iſt ſie doch als Kartenſpie - len und Trinken und Jhr werdet ſie immer mehr ſchaͤtzen144 lernen, denn je oͤfter man ſo zuſammen ſingt, je mehr Vergnuͤgen hat man daran und ich denke, Jhr kommt nun oft dazu zuſammen. Aber nun laßt Euch nicht ſtoͤren und ſingt wieder Eins, ich ſetze mich dort ganz ſtill in eine Ecke und hoͤre zu.

Der Choral ging nun freilich am beſten, ſagte un - ſer Schulmeiſter, weil ihn Alle ſchon lange geſungen haben ſo werden nach und nach alle Lieder gehen ruht Euch noch ein bischen aus, wir wollen unterdeß ein Quartett zuſammen ſingen.

Und unſer Schulmeiſter, Friedrich, Johannes und noch ein Burſche ſangen einen vierſtimmigen Geſang zuſam - men, der ganz vortrefflich klang. Darauf vereinigten ſich wieder alle Saͤnger zu einem heitern Lied; da kamen nun freilich einige Mißtoͤne zum Vorſchein und der Schul - meiſter hatte beim Taktſchlagen ſeine liebe Noth, daß nicht Einer oder der Andere ganz aus dem Takt kam und endlich Alle herausbrachte, indeß ging es doch ſo leid - lich. Nun das wird ſchon werden troͤſtete er ſie, Rom ward nicht in einem Tage erbaut und fuͤr das Erſtemal iſt heute alles Moͤgliche geleiſtet worden! Der Pfarrer bekraͤftigte dies und theilte noch allerhand Lobſpruͤche aus. Mutter Eva, die ebenfalls in einem Winkelchen verſteckt geſeſſen und zugehoͤrt hatte, kam jetzt auch hervorgekrochen und ſagte zu unſerm Pfarrer mit Stolz: Und das hat145 Alles mein Johanneslein angeſtellt! aber fuͤgte ſie aͤngſt - lich hinzu, ich weiß es wohl, es ſind ihm Viele im Dorfe gram, obwohl er keiner Fliege, geſchweige denn einem Menſchen etwas zu Leide thut bloßer Neid iſt’s, wei - ter Nichts von den Andern, nun werden ſie gewiß auch wieder uͤber ihn ſchreien, da iſt es dann ein wahrer Troſt Herr Pfarrer, daß ſie gekommen ſind und ihm auch Al - les fuͤr Recht ſprechen. Sie glauben gar nicht, was ich manchmal fuͤr Angſt habe nehmen Sie ſich ja meines Johannes an.

Jhr wißt ja, Mutter Eva, wie lieb ich ihn habe, ſagte unſer Pfarrer, aber ich wuͤßte doch nicht, warum Jhr Angſt haben ſolltet? Jch bin ihm gut wie meinem Sohn, der Richter iſt es auch, der Herr Graf hat ihm ja das groͤßte Zeichen ſeiner Gewogenheit gegeben. Der Schulmeiſter iſt ſein beſter Freund, und die Burſchen alle, die hier um ihn ſtehn, den muͤßt Jhr’s, daͤcht ich, Allen aus den Augen leſen, wie viel ſie auf ihn halten und ſo im ganzen Dorfe Alt und Jung um die paar grießgraͤmlichen Leute, die Alles tadeln und vielleicht auch ihn, hat er ſich weiter nicht zu kuͤmmern.

Nun ja, das iſt ſchon wahr! ſagte Mutter Eva, aber ihr glaubt gar nicht, was man um ſo einen Sohn fuͤr Angſt hat! erſt klein, nun Jhr wißt ſchon, wie es da geht, da hat keine Mutter eine recht ruhige Mi -10146nute, muß immer denken, ’s koͤnnt ihrem Liebling was begegnet ſein und doch ſind die Sorgen noch klein gegen die andern die großen Sorgen kommen erſt, wenn die Kinder groß werden! Das weiß ich am beſten. Wie mein Johanneslein groß ward, verflog er und ich wußt endlich gar nicht mehr, ob ich ihn denn noch ein - mal wiederſehen werde ach, das war doch ein wah - rer Jammer die ganzen Jahre, daher jetzt, wo ich ihn wieder habe, weiß ich’s gar nicht, wie ich’s nur trug, ohne ihn zu leben! Und nun ich ihn hier bei mir habe, hoͤrt die Angſt doch darum nicht auf. Da ſieht ihn der oder jener ſcheel an und das kann ich nicht aushalten oder wenn ich’s uͤberleg, zu wie viel Ehren er ſchon gekommen, der doch noch ein junger Burſch iſt, denk ich: wer hoch ſteigt, kann auch tief fallen. Und dann zu Jhnen kann ich’s ja ſagen: wenn er mit mir redet von Dem und Jenem, da muß ich ihm immer Recht geben und ſagen, es iſt wohl ſchoͤn ſo, wenn’s auch an - ders klingt, als wie ich’s ſonſt zu hoͤren gewohnt war, der Johannes hat ſo viel gelernt und erlebt und muß das beſſer wiſſen als ich alte Bauerfrau aber ſehen Sie, wenn ich ihn nun von andern Leuten ſo reden hoͤr, zum Exempel ſo: die Menſchen waͤren Alle gleich und ein Graf nicht mehr werth als ein armer Bauer, oder: die Armen haͤtten ganz daſſelbe Recht auf die Freuden147 der Welt wie der Reiche, ja der Reiche und Vornehme, wenn er faullenze, verdiene viel eher verachtet zu werden, als der arme fleißige Arbeiter ſo wird mir unwillkuͤr - lich ganz heiß und kalt, wenn ich ſolche Reden vor An - dern reden hoͤre und denke, ſie koͤnnten doch einen ſchlech - ten Gebrauch davon machen.

Das wird ſchon nicht geſchehen, ſagte der Pfarrer troͤſtend, er wird in der Stadt eben ſo frei geſprochen haben wie hier und iſt damit durchgekommen auf dem Lande geht das noch viel eher, man iſt an dem ru - higen Sinn des Landvolks gewoͤhnt und haͤlt die Worte eines Dichters, wie Euer Sohn iſt, auf dem Dorfe doch gewiß noch fuͤr viel unſchaͤdlicher als in der Stadt da wird ihm Niemand Etwas in den Weg legen. Ohne - hin muͤſſen der Richter und der Pfarrer fuͤr viele Dinge einſtehen, die auf dem Dorfe geſchehen und wie ge - ſagt, Jhr wißt, daß wir beiden die beſten Freunde Eures Johannes ſind und niemals Etwas wider ihn vor - bringen werden.

Mutter Eva hatte aufmerkſam zugehoͤrt, war aber durch dieſe Erklaͤrung doch nicht ſo ganz befriedigt; ihr aͤngſtliches Mutterherz hoͤrte es heraus, daß doch einige Gefahr bei ihres Johannes Reden ſein koͤnne, da der Pfarrer etwas wie Verwunderung durchblicken ließ, daß der Dichter auch in der Stadt damit durchgekommen. Und10*148er wuͤrde ja wieder in die Stadt gehen, und am Ende koͤnnt es ihm dann dort ſchlecht bekommen, dachte ſie es war ein unklares Gefuͤhl, aber ſie konnte keine rechte Ruhe mehr finden. Herr Pfarrer, ſagte ſie wie - der: reden Sie ihm doch zu, daß er ja Nichts thut, was ihm ſchaden koͤnnte um meinetwillen! ich weiß es wohl, er iſt einmal verflogen, er gehoͤrt mir nicht mehr ganz und wenn er auch wieder einmal zuruͤckgekommen und viel auf mich haͤlt aber wuͤßt ich ihn in Ge - fahr, muͤßt ich vergehen vor Angſt und waͤr die Ge - fahr gar wirklich da und haͤtt ihn ſchon gefaßt, mein Tod muͤßt es ſein!

Johannes trat in dieſem Augenblick zu ihr und wollte heitre Worte an ſie richten ſie faßte ihn haſtig in beide Arme, als ſolle er ihr gleich genommen werden und ſagte: Nicht wahr, Du willſt Deiner alten Mutter kei - nen Kummer machen?

Was haſt Du denn auf einmal? rief er ganz ver - wundert, habe ich Dich denn ſchon mit Etwas gekraͤnkt? jetzt? ſeit ich hier bin? heute?

Sie ſchuͤttelte den Kopf und die Thraͤnen traten ihr in die Augen: Nein mein Junge, nein! da ſei Gott fuͤr, daß ich ſagte, Du waͤrſt nicht immer gut geweſen, auch gut und lieb gegen mich aber mir fiel ein, ob’s die Leut hier auch Alle hoͤren wollten, wenn Du149 ſprichſt, der Graf ſei eigentlich auch nicht mehr wie ſie und alles Alte ſei ſchlecht und nicht mehr zu gebrauchen ſie muͤßten an das Neue ſich hingeben und was um ſo mehr iſt ich glaube, ſie koͤnnten Dir doch gram werden, der Graf koͤnnt ein Aergerniß haben, wenn Du ſeine Unterthanen ſtolz machteſt und der Amtmann in der Stadt dazu, der auch von allem Neuen nichts wiſſen mag, denn er nennt die Leut von unſerm Dorf faſt Alle er und hoͤr ſie und iſt ein gar grober Mann und das koͤnnt ich nicht uͤberleben, wenn Jemand Hand an Dich legen und Dir etwas thun wollt drum thu und red Du lieber nichts, worauf es geſchehen koͤnnt!

Da ſei nur ganz ruhig! troͤſtete er, ich weiß nicht, wie Du auf die Gedanken koͤmmſt! in den erſten Tagen, wie ich nur eben gekommen war, haſt Du mir ja in Allem ganz Recht gegeben und zu dem Vogt hier geſprochen, wie wir das Erſtemal heraufgingen, daß ich recht mein Wunder und meine Freude daran hatte was iſt denn nun auf einmal uͤber Dich gekommen?

Ja ſchau, ſagte ſie, ich weiß es ſelber kaum; es iſt wohl nur, daß mir Angſt geworden, weil ich ſah, wie Dir oft die Leute ſtaunend zuhoͤren und dann ſagen: der ſpricht noch anders als der Herr Pfarrer und der Schulmeiſter, Recht hat er ſchon, aber man hat’s ſo noch150 nicht von Andern gehoͤrt, es hat ſich’s noch Keiner ge - traut nun, wobei etwas nicht zu getrauen iſt, da muß es doch nicht ſo ganz mit rechten Dingen zugehen.

Nein Mutter, antwortete Johannes zuverſichtlich, das iſt nun eben das Schlimme dieſes ſich nicht ge - trauen. Keiner will den Anfang machen und darum allein kann’s oft nie zu Etwas kommen. Aber laß das nur gut ſein und mach Dir das Leben nicht ſchwer mit unnuͤtzen Sorgen.

Die jungen Leute kamen nun uͤberein, eine Liedertafel zu bilden und alle Sonntag Nachmittage auf der Burg zuſammen zu kommen und zu ſingen im ganzen Chor. Dazwiſchen noch wollte der Schulmeiſter ein paarmal woͤchentlich Abends in ſeiner Stube Uebungen mit Ein - zelnen vornehmen. Er ward zum Leiter des Ganzen er - nannt. Jn der heiterſten Stimmung blieben Alle noch lange bei einander, dann zogen ſie ſingend heim durch’s Dorf. Als ſie ſo ſpaͤt bei der Schenke voruͤber kamen, machte der Wirth ein graͤmliches Geſicht, denn Viele von den Burſchen waren ſonſt zu ihm in die Schenke gekommen und heute waren ſie alle ausgeblieben und kam auch jetzt Keiner. Chriſtlieb redete laut zu ihm uͤber die Bruͤllerei , wie er nun einmal den Maͤnnergeſang nannte am ſpaͤten Abend und daß dies eigentlich nicht zu dulden151 waͤre. Aber noch gab Niemand viel auf ſeine Worte. Man ließ ihn reden.

Johannes ging allein wieder zuruͤck. Da der Abend noch ſo wunderſchoͤn war, macht er noch einen Umweg, um nicht den gewoͤhnlichen Gang auf die Burg zu ge - hen. Wie er da voruͤber kommt, wo der Kirchhof endet, ſieht er zu deſſen oberer Thuͤr, einem Pfoͤrtchen, das we - nig benutzt wird, weil es auf das Feld und den Wald hin - ausfuͤhrte, hinter’m Dorfe hin ein Maͤdchen heraustreten. Er erkannte Suschen. Sie blieb ſtehen, wie ſie einen Mann kommen ſieht, wahrſcheinlich, weil ſie allein im Dunkeln Keinem begegnen mag. Er gruͤßt ſie von Wei - tem, damit ſie ſehe, wer es iſt und ſich nicht fuͤrchte, geht aber ſeines Weges weiter, ohne zu warten, bis ſie denſel - ben Pfad betreten, auf dem er geht. So iſt er voruͤber, ehe ſie von dem Seitenweg auf den breiten Weg kommt, auf den er gegangen. Er geht fort, ohne ſich weiter um - zuſehen auf einmal hoͤrt er ſie fuͤrchterlich ſchreien und unterſcheidet deutlich wie ſie ruft: Zu Hilfe, Jo - hannes, zu Hilfe!

Er kehrt ſchnell um, denn er ſieht, wie ein Mann Suschen umfaßt hat, ſie kuͤſſen und nun eilig mit ſich fortzerren will. Johannes iſt mit einem Satze da und reißt das Paar mit Rieſenkraft, wie man ſie ſeiner ſchlan - ken Geſtalt gar nicht zutrauen ſollte, auseinander. 152 Suschen klammert ſich an ſeinen Arm an und ſtoͤhnt: Gott ſei Dank! Johannes erkennt jetzt den Mann. Es iſt Chriſtlieb, der ſich mit untergeſtaͤmmten Armen und ausgeſpreizten Beinen ihm jetzt gegenuͤber ſtellt und mit einer herausfordernden Miene ihn trotzig anſieht.

Was unterſtehen Sie ſich? beginnt Johannes.

Ho ho! unterſtehen? faͤllt ihm der Andere ins Wort es fragt ſich, wer ſich Etwas zu unterſtehen und wer Etwas zu verbieten hat was unterſtehen Sie ſich, mir mein Maͤdchen wegzureißen?

Dieſe Frechheit iſt empoͤrend! ſagte Johonnes, Sie wollten gegen Suschen Gewalt brauchen ſie ſchrie nach Hilfe!

Ei, welches Maͤdchen ſperrt ſich denn nicht, wenn man ihr einen Kuß geben will? lachte Chriſtlieb, wenn ſie auch ſelbſt noch ſo große Luſt dazu hat, denkt ſie doch, ſie muß ſchreien die wirkliche Hilfe aber kommt dann immer ſehr ungelegen, wie jetzt Sie uns und er wollte Suschen wieder anfaſſen.

Das iſt abſcheulich! rief ſie und hing ſich an Jo - hannes, Chriſtlieb fiel uͤber mich her ich ſag es ge - rade heraus, ich hab ihn niemals leiden moͤgen und bin ihm uͤberall ausgewichen, nun iſt es hier doch geſche - hen, ach, laſſen Sie uns eilen, daß wir fort kommen! nicht wahr Johannes, Sie gehen bis zu Hauſe mit mir?

153

Chriſtlieb! ſagte Johannes, wer eine ſo freche Luͤge den Leuten in’s Geſicht ſagt, mit dem kann ich weiter gar nicht reden! und wollte an ihm voruͤber, wirklich machte nun auch Chriſtlieb Platz und ſagte:

Ach ſo iſt die Geſchichte der Suschen gefaͤllt das neubackne Stadtherrlein, das als Herr von Habenichts auf der Burg wohnt, beſſer als der reiche Gutsbeſitzer und eh ſie eine ehrbare Hausfrau wird auf dem Lande, laͤuft ſie lieber die halbe Nacht mit dem großartigen Ge - lehrten herum, weil er lange Locken und weiße Haͤnde hat, die nicht ſo derb zugreifen nun Jungfer Suschen, ich wuͤnſche viel Gluͤck zum Schatz, der Sie ſitzen laͤßt wenn dann Keiner Sie haben mag ſpaziert nur noch ungehindert im Walde herum, nun ich einmal weiß, daß Jhr ein Paͤrchen ſeid, will ich Euch nicht ſtoͤren ich mag auch keinen Kuß, wo ſie bei Euch ſchon ſo wohlfeil geworden, ſolche Reden fuͤhrte Chriſtlieb noch lange fort, indeß Suschen vor Angſt und Schaam zit - ternd den Weg ins Dorf lief und Johannes an der Hand mit ſich fortzog. Johannes wuͤrdigte den Schmaͤhenden keines Wortes weiter, weil er recht gut wußte, daß dieſer dann nur immer gemeinere Schimpfreden ausſtoßen wuͤrde, wenn er Widerſpruch faͤnde und damit Suschen, die an allen Gliedern zitterte, ſich nicht noch mehr ſchaͤmen brauchte, that er, als hoͤre er die Worte Chriſtlieb’s gar154 nicht und ging ſchnell mit Suschen weiter. Sie hatte ſich an ſeinen Arm gehangen, ſah erhitzt aus und wußte ſich kaum aufrecht zu erhalten. Er ſprach auch kein Wort mit ihr, weil er ſie nicht noch mehr in Verlegen - heit bringen wollte. So waren ſie in die Dorfgaſſe ge - kommen, in welcher der Richter wohnte. Die Lichter drinnen waren ſchon alle ausgeloͤſcht.

Sie haben nicht gewußt, daß ich weggegangen, ſagte Suschen, am Ende ſind ſie Alle zur Ruhe und das Thor iſt zu.

Johannes klinkte und brachte nicht auf, Suschen probirte auch, das Thor war wirklich verriegelt. Drin - nen aber fing der Kettenhund, der losgelaſſen war, ein großes Geheul an und zeigte ſeine grimmigen Zaͤhne durch eine Luͤcke an der Thuͤrſchwelle. Suschen ſtand rathlos da, wie ſich entſchuldigen, ſagte ſie zu Johan - nes, mir war den ganzen Tag ſo eigen zu Muthe, das Herz ſo ſchwer, ich wußte nicht von was da dacht ich, wenn ich auf den Kirchhof geh an der guten Mutter Grab, da wird es gewiß beſſer weil ich nun das Fragen nicht erſt mochte was mir fehle und derlei mehr, ſchlich ich mich leiſe fort, wie es ſchon daͤmmrig zu wer - den begann draußen iſt mir nun die Dunkelheit uͤber den Hals gekommen und das Weitere wiſſen Sie ja waͤr ich nur hinein!

155

Jnnen ſteckt der Schluͤſſel, ſagte Johannes, wozu habe ich denn Turnen gelernt, ich ſteig uͤber die Mauer und ſchließ von Jnnen auf.

Nein, da wird der Kettenhund beißen, ſagte ſie aͤngſtlich, lieber wecke ich den Vater.

So locken Sie nur den Hund mit Jhrer Stimme, die er doch kennt, dort an die Luͤcke, da werde ich ſchon mit ihm fertig, ſagte Johannes und ſtand ſchon oben auf der Mauer, ſo daß ſie ihn nicht mehr zuruͤckhalten konnte und nur den Hund an der Luͤcke zuredete. So ging Alles gut. Johannes war in den Hof geſprungen und konnte nun Suschen hineinlaſſen; ſie dankte ihm tauſendmal und nahm, als er ſchon auf der Straße ſtand, mit einem langen Haͤndedruck von ihm Abſchied.

Wie er nun wieder allein vor ſich hingeht, ſieht er einen Mann auf der andern Seite der breiten Dorfgaſſe gehen, aber da es zu dunkel iſt und er weiter nicht ſte - hen blieb, erkennt er ihn nicht und geht voruͤber.

Johannes aber war von unſerm Schulmeiſter erkannt worden, der auf ſeinem Heimweg vorhin an Suschens Wohnung voruͤber gegangen war und ſchon lange gegen - uͤber geſtanden hatte, wo er im Schatten von beiden nicht geſehen worden war.

[156]

Verliebte.

Daß gerade an dem einen Sonntag Abend Alles ſo zuſammen kommen mußte!

Suschen hatte die einfache Wahrheit geſagt. Seit jener Kindtauf, wo ſie erſt ſo gluͤcklich geweſen war, weil unſer Schulmeiſter ſie ſo ſichtlich ausgezeichnet, und ihr ſo viel Liebes und Gutes geſagt hatte fand ſie, daß er ploͤtzlich gegen ſie veraͤndert worden, und wußte ſich’s nicht zu erklaͤren. Beſonders war ihr dies an dem Abend aufgefallen, als ſie die Spitzenkrauſe vermißt hatte und er nicht mit hatte ſuchen moͤgen, ja nachher fortgegangen war wie er’s hatte erwarten koͤnnen, daß Suschen hin - kommen werde. Seitdem war ſie mehrmals dort gewe - ſen, die Spitzenkrauſe zu beſuchen und ihr Futter zu brin - gen, aber nun war ſie auch in den Stunden gegangen, wo der Schulmeiſter Schule zu geben hatte, weil ſie be - merkte, daß er ſie mied. Freilich konnte ſie nicht ahnen,157 daß er, waͤhrend ſie in dem Schuppen bei der Henne war, oft unruhig in der Schulſtube hin und her ging, bald nach dem Fenſter, bald nach der Thuͤr ſah und Muͤhe hatte, den Unterricht in gewohnter Weiſe fortzugeben. Er ſehnte ſich ſo, ſie wenigſtens zu ſehen und doch wollte er ſich’s nicht merken laſſen, ihr ſelbſt nun gleich gar nicht oder andern Leuten im Dorfe, die, wie er meinte, den ver - ſchmaͤhten Liebhaber leicht zum Beſten haben koͤnnten. Da ſah er denn meiſt nur von Weitem durchs Fenſter, wenn ſie voruͤber ging, ſo daß ſie es gar nicht gewahr werden konnte und den Schulkindern das Hinſehen in ſol - cher Entfernung eben auch weiter nicht auffiel. Davon konnte nun Suschen freilich nichts ahnen und da er, wenn er ihr im Dorf begegnete oder ſie vor ihrem Thor - weg Abends ſitzen fand, wo er ſonſt oft mit ihr geplau - dert hatte, immer nur mit einem ernſten Gruß voruͤber ging, wobei er halb kalt und gezwungen, halb betruͤbt ausſah, ſo wußte ſie gar nicht mehr, was ſie davon den - ken ſollte. Sie wußte nicht genau warum aber faſt jeden Abend, wenn ſie allein in ihrer kleinen Kammer war und vorm Schlafengehen das Vaterunſer betete, mußte ſie weinen und betete ſtumm und wortlos noch eine Bitte hinzu, bei der ſie die Haͤnde immer bruͤnſtiger vor der unruhig wogenden Bruſt faltete. An jenem Sonntag Abend war ihr’s nun wieder juſt recht bange um’s Herz. 158Sonntags war er ſonſt immer ein Weilchen gekommen, diesmal auch nicht ihr Vater hatte ſich ſelbſt daruͤber gewundert und da er Suschen geradezu fragte, ob ſie etwas mit ihm gehabt habe? ſo machte er dadurch deren Kummer nur aͤrger. Nun wußte ſie, ſie war es nicht allein, der ſein veraͤndertes Benehmen auffiel. Andere wurden das auch gewahr, nun ſo mußte es wohl ſo ſein! Sie hielt es zuletzt vor innerer Unruhe nicht mehr im Hauſe aus und ſchlich ſich noch ſpaͤt, als es ſchon zu daͤmmern begann noch leiſe fort auf den Kirchhof. Es war wie ſie zu Johannes geſagt hatte: das Herz war ihr ſo voll, daß ſie es auf dem Grabe ihrer Mutter aus - ſchuͤtten wollte.

Da hatte nun nachher gerade der Chriſtlieb kommen muͤſſen! Sie kannte ihn als einen ſchlechten, ausſchweifen - den Menſchen, der kein Maͤdchen friedlich an ſich vorbei ließ, ohne ſie zu necken und mit Zudringlichkeiten zu quaͤlen. Es gab wohl auch manche Dirne im Dorfe, die ſich ſo Etwas gefallen ließ, leichtfertige Dirnen giebt es ja uͤberall und dann war der Chriſtlieb auch kein uͤbler Burſche, ſtaͤmmig und hatte ein friſches Geſicht, auf dem freilich die Sinnlichkeit gleich geſchrieben ſtand und das ein haͤmiſcher Zug beim geringſten Anlaß recht haͤßlich machen konnte. Aber daß er der reichſte Burſche im Dorfe war, wußte auch Jede, der doch auch eine Haus -159 frau brauchte und Manche, beſonders manches arme Maͤd - chen wuͤnſchte es zu werden. Waͤr er arm geweſen, haͤtte ihn vielleicht Keine angeſehen und er waͤre mit ſeinen Zudringlichkeiten uͤberall abgewieſen worden ſo aber! ach die Welt iſt einmal ſo ſchlecht! wer reich iſt, dem iſt immer Alles zu Willen, dem geht Alles fuͤr voll aus, was der Arme niemals wagen duͤrfte! So hatte denn Chriſtlieb auch keine Achtung mehr vor den Frauen und Maͤdchen, weil Viele ſich ihm gefuͤgt und Viele ihn we - nigſtens nicht ſtreng zuruͤckgewieſen hatten, indeß Einige ihm ſogar nachgelaufen waren. Wie er es nun mit Vie - len gemacht, dacht er, koͤnne er es mit Suschen auch machen. Da kam er aber ſchoͤn an! Sie wich ihm uͤber - all aus, denn ſchon ſeine rohen Redensarten und ſeine oft unzuͤchtigen Scherze waren ihr ſo zuwider, daß ſie ſich ordentlich vor ihm fuͤrchtete. Zu ihrem Ungluͤck hatte er ſie nun an dem Sonntag Abende erſpaͤhen muͤſſen wie er ſie nun mit ſeinen gewaltigen Armen umfaßte, da war es wohl kein Wunder, daß ſie vor Schrecken laut aufſchrie und nach Johannes rief, den ſie vorher auf dem Wege geſehen und erkannt hatte. Der Johannes, wußte ſie, wuͤrde ſie ſchuͤtzen. Wie einen Bruder hatte ſie ihn lieb und vertraute ihm. Sie war mit ihm auf - gewachſen und wie er nun nach langen Jahren wiederge - kommen, da freute ſie ſich, daß er gegen die Geſpielen ſei -160 ner Kindheit noch ſo freundlich war wie vorher, da er doch nun ein großer Herr geworden, wie die Leute alle ſagten. Sie bildete ſich darauf Etwas ein und eben weil ihr Herz ſchon lange nicht mehr frei war, ſondern ganz und gar von dem Schulmeiſter ausgefuͤllt, ſo war ſie ganz unbefangen herzlich gegen Johannes wie dieſer es gegen ſie auch war, ſie fand das ſo natuͤrlich und ge - ſtattete ihm darum auch mehr Freiheit, als einem andern Burſchen, wie einen Haͤndedruck oder eine heitre Plaude - rei vor der Hausthuͤr. Wie ſie vom Kirchhof kam, hatte ſie ſich nicht von ihm anreden laſſen, nur weil ſie ihm nicht zu ſagen wußte, warum ſie ſo betruͤbt ſei und noch ſpaͤt an das Grab gegangen, weil ſie gar kein Gerede davon gemacht haͤtte. Nun aber, da Chriſtlieb ſie gefaßt hatte, war ſie gluͤcklich, daß ſie gerade Johannes anrufen konnte! Hatten doch auch vor ihm die Burſchen im Dorfe am meiſten Reſpekt und hatte er in allen Dingen eine Art ſie ſo beizulegen, daß weiter kein Zank darum und daraus wurde; war ſie doch gewiß, daß er nicht wei - ter von dem Vorfall ſchwatzen werde, wobei ſie ſich im - mer haͤtte ſchaͤmen muͤſſen, wenn ſie auch ganz unſchul - dig dazu gekommen; ihm dankbar zu ſein, war ihr ja auch kein laͤſtiges Gefuͤhl, wie’s ihr doch gegen einen frem - den Burſchen geweſen waͤre. Und wie ſie nun auch unter ſeinem Schutz den Chriſtlieb bald los ward, da dachte ſie,161 wie gut es geweſen, daß gerade der Johannes mit ihr hatte gehen koͤnnen! Sie wuͤrde nicht ſo gedacht haben, wenn ſie Alles gewußt haͤtte! Sie ſah den Schulmeiſter nicht, der gegenuͤber im Schatten der Haͤuſer ſtand. Dieſen hatte die Unruhe der Liebe und Sehnſucht noch ſpaͤt unter Suschens Fenſter getrieben er war zuruͤckgeſprungen, wie er ſie hatte kommen ſehen, er hoͤrte nicht, was ſie ſprachen, aber er hoͤrte doch Etwas, das ihm wie zaͤrtliches Gefluͤſter klang. Er erkannte Johannes, ſah ihn uͤber die Mauer ſteigen alſo ſo weit, ſagte er ſich, ſind ſie ſchon, daß ſie Abends allein mit ihm vom Hauſe weg iſt, ohne daß der Vater es wiſſen darf und daß Johannes ſchon alle Schliche und Wege kennt ihm ſchwindelte ganz dabei. Wenn es ein andrer Burſche geweſen, unſer Schulmeiſter wuͤrde ihn ausgeforſcht haben, weil er zu verwundert geweſen er haͤtte Alles erfahren und die argen Gedanken waͤren ihm alle vergangen; nun aber mußt es gerade der Johan - nes ſein, den wagt er nicht zu fragen da war es ja ſonnenklar er war einig mit Suschen in dieſen acht Tagen ſchon ſo einig geworden!

Ganz verzweifelnd ſtuͤrzte unſer Schulmeiſter fort und auf ſein Haͤuschen zu.

Als er vorhin dort weggegangen war, ſaß Laura allein im Garten in einer ziemlich verſteckten Laube. Er hatte im Weggehen die Thuͤr aufgelaſſen und gar nicht geſagt,11162daß er noch ausginge, weshalb, als ſie jetzt Maͤnnertritte hoͤrte, ſie nicht anders glaubte, als daß es ihr Bruder ſein muͤſſe. Wie verwundert war ſie daher, als eine an - dere Maͤnnerſtimme ein ſchuͤchterens: guten Abend ſagte und ſie aufſehend Friedrich vor ſich gewahrte.

Sie antwortete freudig uͤberraſcht auch mit einem guten Abend und ſtand auf.

Laſſen Sie ſich ja nicht ſtoͤren, Jungfer Laura, ſagte er und ſchlug die Augen nieder auf ſeine Sonntags - muͤtze, die er in der Hand hielt.

Sie wollen wohl zu meinem Bruder, ſagte ſie auch mit niedergeſchlagenen Augen, er war nur eben hier, wahrſcheinlich wird er in ſeine Stube hinauf gegangen ſein.

Ja! antwortete Friedrich, obwohl er recht gut wußte, daß der Schulmeiſter in’s Dorf gegangen war, er hatte ihn das Haus verlaſſen ſehen und war gerade deshalb noch hergekommen, der Schalk! Er mochte das aber nicht eingeſtehen und ließ es geſchehen, daß Laura in das Haus ging, den Bruder zu rufen. Sie findet ihn doch nicht, dachte Friedrich und unterdeß gewinn ich ein we - nig Zeit, um Worte fuͤr das zu ſuchen, was ich eigent - lich ſagen will. Es war aber Nichts damit, er fand keine Worte, weil er immer nur an Laura’s huͤbſches Geſicht dachte und bei jedem Graͤschen und Zweiglein, das163 ſich im Winde regte, erſchrak, indem er meinte: jetzt kommt ſie und ich weiß immer noch nicht, was ich ſa - gen will.

Er wußte es auch nicht, wie ſie kam und richtig ſagte: Jch finde meinen Bruder nicht, ich weiß gar nicht, wo er noch muß hingegangen ſein.

So ſo! antwortete er und blieb unbeweglich ſte - hen.

Sie ſchlugen Beide die Augen nieder und ſchwiegen als hoͤrten ſie den Grillen zu, die ganz laut im Graſe, muſicirten, immer eine lauter als die andere, das fiel nun aber unſerm Paar gar nicht ein, es hatte an ganz andere Dinge zu denken. Endlich ſagte Laura nach einer langen Pauſe: Es wird ſchon recht dunkel.

Ja, ſagte Friedrich und dachte, ſie wird meinen, ich koͤnnte gehen, damit wird nun aber gar Nichts, er faßte ſich ein Herz und ſagte: Laſſen Sie ſich doch von mir nicht ſtoͤren, ich kann mich wohl ein Bischen zu Jhnen ſetzen? Er dachte: ſitzen wir nur erſt, dann wird das Reden ſchon eher gehen, ſo im Stehen iſt gleich gar Nichts.

Laura fand es eigentlich nicht recht paſſend, daß er bei ihr allein bleiben wollte, nun gerade, da es zu daͤm - mern anfing; aber es haͤtte ihr doch auch wieder leid ge - than, wenn er gegangen waͤre, ſie ſetzte ſich alſo wieder11 *164auf ihren vorigen Platz und ſagte gleichwohl: Jch weiß nur gar nicht, ob mein Bruder lange bleiben wird oder nicht.

O, es wird ſchon nicht zu lange dauern! antwortete Friedrich und ſetzte ſich neben ſie.

Sie erroͤthete und an dem Strickzeug, das ſie in der Hand hielt, wollten die Finger ſich nicht mehr fortbewe - gen und es uͤberhaupt damit nicht vorwaͤrts gehen. Er nahm es ihr aus der Hand und ſagte: Arbeiten im Zwielicht verdirbt die Augen!

Sie ließ es ſich gefallen und antwortete Nichts, aber ſie fing zu zittern an, als er ihre Hand in die ſeinige nahm und ihr ein Wenig naͤher ruͤckte, aber ohne ein Wort zu ſagen. Sie wehrte es ihm nicht und ſo ſaßen ſie Beide ſchweigend da. Sie ſchlug die Augen auf ihre Bruſt nieder, die ſo unruhig auf und ab ging, er ver - wendete keinen Blick von ihrer Hand, die er ganz feſt hielt. So verging wieder eine lange Zeit. Endlich holte Friedrich tief Athem und begann ganz leiſe: Jch wollte eigentlich ſie wagte es jetzt, ihn anzuſehen wie er ſprach, aber da war vor dieſem ſanften fragenden Blick wieder ſein ganzer Muth zum Sprechen vorbei er ſtockte, hielt inne und brachte kein Wort mehr heraus. Sie ſah wieder zu Boden und ward immer unruhiger. So dauerte es eine Weile.

165

Auf einmal ließ er ihre Hand los und umfaßte ſie mit beiden Armen: Laura! rief er, es muß heraus, Sie moͤgen nun daruͤber boͤſe ſein oder nicht, ich kann mir nicht mehr helfen ich hab Sie ſo erſchrecklich lieb!

Sie lehnte ſich zitternd an ihn an, eine Thraͤne trat in ihr Auge, ſie ſah ihn damit unausſprechlich innig an und fluͤſterte dann ganz leiſe: Mein guter Friedrich!

Fuͤr ihn war es laut genug ſein ganzes Herz ju - belte vor Gluͤck hoch auf und er wagte nun auch einen herzhaften Kuß, vor dem ſie aber ſcheu das Koͤpfchen zu - ruͤcklehnte, doch nur um es ſchaͤmig an ſeiner Schulter zu bergen, damit er nicht ſehe, wie roth ſie geworden nach einer Weile gab ſie aber auch ſelbſt den Kuß zuruͤck.

Nun war auf einmal Alles gut und klar zwiſchen ihnen. Nun wußten ſie ſich tauſenderlei zu ſagen, wie lieb ſie ſich hatten, laͤngſt gehabt, wie gluͤcklich ſie nun waren ſo ein Herz im andern ſich wieder zu finden. Friedrich geſtand nun auch, wie er gewußt, daß ihr Bruder nicht da ſei und er gerade deswegen gekommen. Nun koͤnnten ſie ihm ſchon Alles geſtehen, aber ſagen habe er’s ihr doch allein muͤſſen. Sie meinte, es werde ſich nicht ſchicken, daß ſie ſo allein im Dunkeln in der Laube ſaͤßen, die Nachbarn koͤnnten es doch bemerken und Allerlei dar - uͤber denken und reden, man muͤſſe kein Aergerniß geben. 166Er ſchalt ſie zaͤrtlich aus, daß ſie jetzt an andere Leute denken und auf ſie Ruͤckſicht nehmen koͤnne, indeß er nach der ganzen andern Welt nicht frage, da er endlich wiſſe, daß Laura ſein ſei, ſo koͤnne ſie ihn doch nicht ſo lieb haben wie er ſie. So ſtritten ſie ſich zaͤrtlich ein Weil - chen und glichen darin ganz Laura’s Lieblingstauben, die auch damit abwechſeln, ſich zu ſchnaͤbeln und zu zanken.

Daruͤber kam unſer Schulmeiſter endlich nach Hauſe ganz außer ſich, weil es fuͤr ihn nun gewiß geworden, daß er Suschen an Johannes verloren habe. Er ſah auch verſtoͤrt aus aber die Liebenden waren zu ſehr von ihrem Gluͤck erfuͤllt, als daß ſie ihm gleich haͤtten die Betruͤbniß anſehen ſollen. Laura rief ihn froͤhlich zu ſich, da er kam. Er antwortete mit einem verdrießlichen: Was giebts denn? und gerade uͤber dieſe verdrießliche Frage mußte ſie lachen und Friedrich rief froͤhlich:

Ein Brautpaar giebt’s und ſo Gott will bald eine Hochzeit!

Wie vom Donner geruͤhrt ſtand unſer Schulmeiſter. Zu jeder andern Zeit wuͤrd er uͤber ſo eine Nachricht vor Freuden geſprungen ſein denn er wußte, was Friedrich fuͤr ein braver Burſche war und daß ſeine Schweſter, de - ren Gluͤck ihm ſelbſt ſo ſehr am Herzen lag, nicht leicht eine beſſere Wahl haͤtte treffen koͤnnen aber daß er ge - rade heute und jetzt noch in ſeiner truͤben Stimmung167 Zeuge eines ſolchen Gluͤckes ſein mußte das hatte ihm eigentlich nur noch gefehlt! Erſt brachte er gar kein Wort heraus, dann ſchuͤttelte er kraͤftig Friedrichs Hand und ſagte zu ihm: Du wirſt meine gute Schweſter ge - wiß recht gluͤcklich machen! Als er dieſe auch wie ſeg - nend kuͤſſen wollte, fuͤhlte ſie, was ſie in der Daͤmmerung nicht ſehen konnte, wie ihm die hellen Thraͤnen aus den Augen ſtuͤrzten. Sie wunderte ſich uͤber ſeine Erregung aber einzig und allein mit dem Gluͤck ihres eigenen Herzens beſchaͤftigt meinte ſie, es ſei einzig und allein Ruͤhrung daruͤber, daß er weine und ſie fragte weiter nicht. Er konnte es nicht laͤnger bei dem Paar aushalten und wollte ſich entfernen, aber noch ehe er es that ſagte Friedrich ſelbſt: Jch muß doch nun fort und Euch gute Nacht ſagen, Laura trieb mich ſchon vorhin er kuͤßte ſie nochmals herzlich und dann ging er.

Laura hatte nun erwartet, ihr Bruder werde noch viel mit ihr von Friedrich plaudern, ſie fragen, wie Alles ge - kommen ſei, wie Alles wohl werden moͤge? Sich erzaͤh - len laſſen, wann ſie zuerſt einander gut geworden, und ob ſie ſich wohl gedacht habe, es werde ein Tag wie der heutige kommen? wie ihr nun eigentlich zu Muthe ſei, und ſo tauſend Dinge mehr. Aber Nichts von dem Al - len that und ſagt er, ſondern wuͤnſchte ihr ganz einfach herzlich gute Nacht, ſagte, er ſei muͤde und ging in ſeine168 Kammer. Laura ſchuͤttelte daruͤber den Kopf, wußte nicht, was ſie davon denken ſollte und nahm ſich endlich vor, an gar Nichts weiter als an ihren Friedrich zu denken. Das war nun fuͤr ſie eine ziemlich leichte Sache.

Das Herz unſres Schulmeiſters ſchlug zu edel, und fuͤr ſeine Schweſter in zu treuer Geſchwiſterliebe, als daß ein Gefuͤhl, wie Neid haͤtte hineinkommen koͤnnen aber er konnte doch nicht dafuͤr, daß er in der Stille ei - nen Vergleich machen mußte, daß er ſich ſagte, er ſei ſo ungluͤcklich, als ſie gluͤcklich! Wie ſchoͤn waͤre es gewe - ſen, wenn Alles geblieben, wie er ſich’s vor ein paar Wo - chen dachte, und nun ſo gekommen waͤre. Daß er ſeiner Schweſter haͤtte ſagen koͤnnen: ſo gluͤcklich wie Du und Friedrich, gerade ſo gluͤcklich, oder wenn das moͤglich iſt, noch gluͤcklicher ſind ich und Suschen und wenn Du nun mein Haͤuschen verlaͤßt, ſo zieht Suschen ein. Dieſer Gedanke brachte ihn darauf, daß Laura, wenn ſie heirathe, ihm nun auch zureden werde zu heirathen und daß alle Leut im Dorfe ſagen wuͤrden, er muͤſſe nun Je - mand haben, der ihm die Wirthſchaft und das Haus ver - ſorge an Lauras Stelle; die Leute wuͤrden ſich wundern, wenn er ledig bliebe und Alle ihn zum Heirathen draͤn - gen aber daran meint er, ſei nun gar nicht zu denken, da es nicht Suschen ſein koͤnne, ſolle es nun auch gar keine ſein!

169

Er quaͤlte ſich immer wieder mit dem Gedanken an Suschen und Johannes. Ja, wenn ſie nur auch gluͤck - lich wuͤrde, meint er aber war ſie denn dieſem Jo - hannes nicht vielleicht nur ein Spielzeug, das er wegwer - fen werde, wenn er es ſatt habe oder wenn er gehe? Nur dieſen Sommer wollte er hier auf dem Dorf blei - ben ſo lange meint er, werde vielleicht ſein Liebesſpiel dauern, er werde die Liebe des Maͤdchens auch nicht an - ders betrachten, als wie eine Sommerblume, die er pfluͤk - ken und brechen duͤrfe und dann wegwerfen, wenn er ſie genug betrachtet und ſie ihm langweilig geworden. Konnte und wollte Johannes heirathen? Wovon wollte ein armer Dichter, der ſich auf gut Gluͤck nur ſo in der Welt herumtrieb ſeine Frau ernaͤhren? Und werde Sus - chen nicht ungluͤcklich ſein und werden in den großen Staͤdten, in die ſie dann Johannes mit ſich fuͤhren muͤſſe, weit weg von ihrem ſtillen Heimathdorf, unter lauter fremde Menſchen, die doch wohl mit Verachtung und Hochmuth auf das arme Landmaͤdchen herabſehen wuͤr - den? Das war es, was unſern Schulmeiſter zumeiſt quaͤlte und ſo hoch er ſelbſt Johannes ſchaͤtzte, er haͤtte doch lieber Suschen mit mehr Ruhe an der Seite des aͤrmſten Bauerburſchen geſehen als an der des Dichters!

Es vergingen einige Tage, in denen er gar nicht aus - ging und weder Suschen noch Johannes ſah. Laura170 theilte beim erſten Wiederſehen dieſer ihr Herzensgluͤck mit Friedrich mit. Suschen hoͤrte ihr theilnehmend zu, aber ſie konnte es nicht aͤndern, daß ſie mitten in ihren Gluͤckwuͤnſchen ſeufzen mußte. Sie hatte ſonſt immer Laura Alles erzaͤhlt, was ſie bewegte, jetzt konnte ſie es nicht mehr. Wenn ſie ihr von ihrem Bruder geſprochen haͤtte und wie ſehr ſein veraͤndert Weſen ſie kraͤnke, ſo waͤr es ihr vorgekommen, als ſolle Laura ihr behilflich ſein, eine Erklaͤrung zwiſchen ihr und ihrem Bruder her - beizufuͤhren, und um Alles wollte ſie das nicht, ſie haͤtte ſich ja dann vor ſich ſelber ſchaͤmen muͤſſen. So blieb ſie ganz ſtill und verſchloſſen. Von dem Vorfall am Sonntag Abend mit Chriſtlieb und Johannes ſagte ſie auch nichts, weil ſie dann immer wieder die letzte Frage Lauras fuͤrchtete: aber warum war Dir das Herz ſo ſchwer, daß Du noch ſo ſpaͤt allein auf den Kirchhof gingſt? daß ſie, um es nicht zu dieſer Frage kommen zu laſſen, lie - ber von der ganzen Sache Nichts erzaͤhlte.

Chriſtlieb war nun aber nicht wie Suschen und Jo - hannnes, die beide aus reinem Zartgefuͤhl kein Wort von jenem Abend ſagten der brachte es bald nach ſeiner Weiſe im ganzen Dorfe herum: Die Beiden beſtellen ſich alle Abende hinter die Kirchhofmauer, kuͤſſen und koſen zuſammen und was daraus werden wird, moͤgt Jhr ſel - ber denken. Er hat ja weder Haus noch Hof, auf was171 will er ſie denn heirathen? ſeine Gelehrſamkeit bringt dem Teufel Nichts ein und ein Tagedieb iſt er doch, er mag noch ſo ſchoͤne Reden vom Werthe der Arbeit halten. Mit den Schwalben wird er fort gehen und ſein Maͤdel wird das Nachſehen haben jetzt thut ſie wer weiß wie wichtig, dann aber wird ſie andere Seiten aufſpannen muͤſſen und Keiner wird ſie nehmen wollen jetzt ſeid ihr Alle zu ſchlecht und dann wird ſie Allen zu ſchlecht ſein.

Solche und noch viel haͤßlichere Reden fuͤhrte Chriſt - lieb nun immer fort.

Da war nun Bertholds Julie, mit welcher der Chriſt - lieb fruͤher auch ſchoͤn gethan und die er jetzt nicht mehr anſah, weil er ſie ſatt hatte die lief dem Jo - hannes auch nach, wie’s ihr Vater ſelber in der Schenke erzaͤhlte. Wahr war es, wie dieſer ſagte: geredet habe Jo - hannes noch nicht zehn Worte mit ihr und ſie ſei doch ganz naͤrriſch auf ihn. Aber es war keine rechte Liebe, ſondern nur Eitelkeit. Der Johannes war freilich nicht ſo reich wie der Chriſtlieb, der ihr damals viel ſchoͤne Tuͤcher und Baͤnder und allerlei Putz geſchenkt hatte, aber er war dafuͤr wieder gar hoch geehrt und ein feines Stadtherrlein geworden. Julie wollte in Allem gern hoch hinaus, der ſchlichte Bauersmann war ihr zu ſchlecht, ſie wollte was Abſonderliches haben.

172

Sonſt hatte ſie nicht viel nach der Frau Vogt gefragt, jetzt fing ſie an, ſich bei ihr einzuniſten und ſich immer irgend etwas auf der Burg zu ſchaffen zu machen, damit ſie den Johannes dann und wann einmal ſehe. Es ge - lang ihr aber ſelten und wenn es geſchah, ſo beachtete er ſie weiter gar nicht und ein Gruß war meiſt Alles, was ſie von ihm erlangen konnte. Er bemerkte es nicht, daß ſie ſich Muͤhe um ihn gab, eben weil er gar keine Acht darauf hatte und ſprach nicht mit ihr, da ihm das eitle Maͤdchen nicht ſonderlich gefiel. Sie aber ward dies bald uͤberdruͤſſig und meinte: da koͤnne der Grund dazu nur darin ſtecken, daß er eine andere Liebe habe und dies koͤnne Niemand anders als Suschen ſein. Jhr ganzer Haß wendete ſich nun gegen dieſe, ſie ſprach uͤberall ſchlecht von ihr und nahm ſich vor, ſie vor Allem bei Mutter Eva zu verketzern.

Bei eheſter Gelegenheit, als Julie die Mutter Eva im Garten fand, trat ſie zu ihr.

Nun, fing ſie an, wie geht’s Mutter Eva?

Ei! ich denke, jetzt muß es ja immer gut gehen, ſeit mein Johanneslein hier iſt, ſagte dieſe.

Glaub’s wohl, man merkt’s Euch ordentlich an, Jhr ſeid wie juͤnger und ruͤſtiger geworden, fuhr Julie fort, und der Weg auf die Burg wird Euch auch nicht ſauer?

173

O behuͤte Gott, der fuͤhrt mich ja zu meinem Kinde, ich ging ihn gern, wenn er auch zehnmal weiter und hoͤ - her fuͤhrte! rief Eva.

So, ſo, ſagte Julie, ſonſt haͤtt ich Euch den Vorſchlag machen wollen, wenn Jhr auf die Burg geht und es waͤren juſt die Stunden, wo mich die Arbeit nicht treibt oder juſt Feierabend iſt, da haͤtt ich Euch fuͤhren wollen, daß Jhr Euch auf mich ſtuͤtzen koͤnntet.

Ei, Jhr ſeid ja ſehr gefaͤllig, antwortete Mutter Eva, das hat aber nicht Noth, ich kann den Weg ganz gut allein gehen und geht’s herunter, ſo giebt mir mein Jo - hannes faſt immer das Geleit.

Nun, wißt Jhr’s denn, begann Julie wieder nach einer Pauſe, der Friedrich und Schulmeiſters Laura ſind ja nun auch einig!

Ja, das iſt ein ſchmuckes Paͤrchen, antwortete Eva, da iſt weiter keine Heimlichkeit dabei ich kam juſt dazu, wie die Laura und Suschen mit einander ſich neckten und da erzaͤhlte mir’s die Suschen, als die Laura dabei ſtand, die ganz ſchaͤmig ausſah, aber’s doch ruhig mitanhoͤrte und mich auch um meinen Segen bat.

Na, die Suschen, das iſt die Rechte warf Julie veraͤchtlich hin.

Was ſoll denn das heißen? fragte Eva gereizt.

Die laͤuft jedem huͤbſchen Burſchen im Dorfe nach 174 man ſchaͤmt ſich ordentlich mit ihr umzugehen ich weich ihr allemal auf zwanzig Schritt aus, wenn ich ſie nur kommen ſehe.

Nun bitt ich einen Menſchen! ſpracht ihr denn wirklich von Richters Suschen? rief Eva ganz erſtaunt und ſtaͤmmte herausfordernd beide Arme in die Seiten.

Von keinem andern Menſchen ſonſt! betheuerte Julie, ich daͤchte doch, wie ſie Euerm Johannes nachlaͤuft, muͤß - tet Jhr ſelber ſehen; mit dem Schulmeiſter hat ſie’s auch arg genug getrieben und mit dem Chriſtlieb kommt ſie gar in der Nacht zuſammen es iſt ein Spektakel wenn’s Eine mit Dreien zugleich halten will, das iſt doch gar zu arg!

Was das nur fuͤr Sachen ſind! rief Eva. Jch glaube, Jhr laͤſtert noch das Blaue vom Himmel herunter, wenn’s Euch juſt einfaͤllt. Kann gar kein ſittiger Maͤd - chen geben im ganzen Dorfe als die Suschen, und Jhr wollt ihr auf einmal die ſchlechteſten Dinge nachreden. Waͤre auch nur ein wahres Wort daran, ſo muͤßt ich doch auch Etwas davon wiſſen!

Das iſt nun noch nicht ausgemacht! erwiderte Ju - lie, die ſo zimperlich thut, hat es gerade am Meiſten hinter den Ohren! Warum haͤtte ſie’s denn juſt ſo eingerichtet, daß ihre Gluckhenne, die Spitzenkrauſe, in Schulmeiſters Schuppen bruͤtete, wenn ſie nicht einen175 Anlaß haben wollte, alle Tage hinzulaufen, damit der Schulmeiſter ſie ſuche und ſie ihn, bis ſie ihn in ihr Garn bekomme?

Das hat ſie mir ſelbſt erzaͤhlt, wie es mit der Spitzen - krauſe zugegangen, ſagte Eva, da iſt nun weiter keine Rede daruͤber. Eine Henne bruͤtet, wo ſie eben Luſt hat und ungeſtoͤrt iſt. Das muß ich auch wiſſen.

Das glaub ich wohl, daß ſie Euch die Geſchichte ſo erzaͤhlt hat, daß Jhr ſie ihr glauben koͤnnt, denn im Luͤ - gen iſt ſie ausgefeimt, ſagte Julie, aber da moͤcht ich wohl wiſſen, wie ſie Euch die Geſchichte mit dem Chriſt - lieb erzaͤhlt hat?

Von dem Chriſtlieb hat ſie kein Wort geſagt; mit ſo einem rohen Burſchen kann ſie gewiß im Leben nicht gut ſein, antwortete Eva, und uͤbrigens daͤcht ich, thaͤ - tet Jhr ſelber wohl, von dem nicht gerade viel Redens zu machen.

Julie ward purpurroth, aber ſie konnte ſchon Etwas vertragen, ehe ſie ſich aus der Faſſung bringen ließ, und ſo fuhr ſie auch jetzt nur heftiger fort: Na da ſieht man’s doch, daß ſie dafuͤr nicht einmal eine Luͤge gewußt hat, ſo hat ſie lieber geſchwiegen fragt nur Euern Jo - hannes, ob der ſie nicht mit dem Chriſtlieb getroffen hat aber den hat ſie nachher auch wer weiß was weiß gemacht wahrſcheinlich Jedem was Anderes. 176Aber wie ſie Euerm Johannes nachgelaufen iſt, wie er nur den erſten Fußtritt hierher geſetzt hat, das koͤnnt Jhr doch ſelber ſehen, wenn Jhr nicht mit aller Gewalt blind ſein wollt. Am Grabe Eures Seligen hat ſie angefan - gen, gleich um ſich bei Euch ſowohl, wie bei Eurem Sohn einzuſchmeicheln.

Das iſt nun eine graͤuliche Laͤſterung! rief Eva und ihre Stimme zitterte, ſo war ſie innerlich boͤſe und aufgebracht uͤber Juliens Reden. Aber weiter wußte ſie doch im Augenblick Nichts darauf zu ſagen. Laßt mich mit ſolchen Reden ungeſchoren! fuhr ſie fort. Jhr thut ja ſonſt, als waͤret Jhr viel zu gut, mit mir armen alten Frau zu reden und wißt Jhr mir nichts Beſſeres zu ſa - gen als ſolchen boͤſen Leumund, ſo haͤttet Jhr mich nicht an das Gartengelaͤnder zu rufen brauchen. Und damit trat Mutter Eva von dem Zaun, uͤber den hinweg ſie mit Julien geſprochen hatte, zuruͤck und ließ dieſe allein draußen ſtehen. Julie rief ihr noch triumphirend nach: Der Glaube wird Euch ſchon noch in die Haͤnde kom - men und Jhr werdet bald einſehen, wer beſſer iſt und es ehr - licher mit Euch meint, ich, die Jhr jetzt ſchmaͤhlich zurecht - weiſen wollt oder das ſaubere Suschen, das geſchickt zu luͤgen und wie eine Katze zu ſchmeicheln verſteht! Da - mit ging ſie aͤrgerlich weiter und hatte noch den Verdruß, zu ſehen, wie eben Johannes in den Garten zu ſeiner177 Mutter hereintrat. Dies waͤre fuͤr Julie eine gute Ge - legenheit geweſen, ihn zu ſprechen ſie hatte ſich nun dieſelbe ſelbſt verſcherzt durch ihr haͤmiſches Reden, was Mutter Eva nicht laͤnger hatte hoͤren moͤgen.

Aber wie es nun immer geht, es war doch etwas Mißtrauen von dieſen Reden in Mutter Eva geweckt wor - den. Sie wollte es ſich ſelbſt nicht eingeſtehen, daß ſie auf die Worte eines Maͤdchens, wie Julie, nur das Ge - ringſte gaͤbe allein ſie ſagte ſich, daß an jeder Sache immer doch etwas Wahres ſei und wenn Julie auch log, ſo frech von ihrem Johannes ihr ins Geſicht luͤgen, konnte ſie doch nicht Johannes mußte alſo doch bei Nacht Suschen mit Chriſtlieb getroffen haben und wenn gar nichts Unrechtes dabei war, warum hatte er denn der Mutter Nichts davon erzaͤhlt und Suschen ihr auch Nichts geſagt, die doch ſonſt ihr gern jede Kleinig - keit vertraute? Gegen Johannes ſtieg kein Verdacht in ihr auf aber Suschen? und Mutter Eva ſchuͤttelte immer bedenklicher mit dem Kopfe. Wundert Euch daruͤber nur nicht und nehmt deshalb keinen Anſtoß an Mutter Eva ſie iſt darum nicht ſchlechter als Jhr ge - dacht habt. Das Mißtrauen der alten Leute iſt gerade oͤfter eine Frucht der Milde und Naͤchſtenliebe, als der Haͤrte und Menſchenverachtung! Bei unſrer Mutter Eva12178wenigſtens war es ſo. Sie hatte ſo Vieles erlebt und dabei doch nicht vergeſſen, daß ſie auch einmal jung ge - weſen war! Jn der Jugend iſt man leicht, eitel, leicht - ſinnig und wenn man gar verliebt iſt, kann man leicht auf Jrrwege kommen, ohne deshalb ſchlecht zu ſein. Das wußte Eva und ſie wußte auch, daß die beſten Leute Fehler haben und ſich einmal von einem ſolchen uͤbereilen laſſen, ohne daß ſie darum gleich zu den verachtungswer - then Menſchen herabſinken darum nur, weil ſie das Leben kannte und die Menſchen nachſichtig beurtheilte, da ſie weder wahre Engel noch Teufel unter ihnen gefunden hatte, ſondern eben nur Alles, was dazwiſchen liegt, dachte ſie, es koͤnne wohl am Ende mit Suschen nicht ganz richtig ſein daß ſie’s mit dem Chriſtlieb hielte, glaubte ſie nun ſchon gar nicht aber mit ihrem Johannes? Warum denn nicht? ſchoͤn und liebenswerth war er ge - nug dazu, daß ein Maͤdchen ihm gut ſein muͤſſe, das wußte die Mutter am beſten. Aber wenn es nun ſo war was ſollte denn daraus werden! Da mußt es ein Ungluͤck geben denn jetzt konnt er doch lange nicht an’s Heirathen denken. Auf’s Dorf fuͤr immer paßt er doch wohl nicht mehr und die Suschen paßte wieder nicht in die Stadt unter die vornehmen Leute, mit denen der Johannes umging und die doch nicht dachten wie er, daß Alle gleich waͤren, ſondern die hoͤchſtens ihm179 zu Gefallen einmal ſo redeten, dann aber doch das Land - maͤdchen uͤber die Achſel anſehen wuͤrden!

Unter all dieſem Hin - und Herſinnen ſuchte Mutter Eva, um ſich nur etwas zu thun zu machen, nach jun - gen Schoten auf den Gartenbeeten. Johannes war im - mer neben ihr im naͤchſten Gange auf - und abgegangen und wunderte ſich, warum die Mutter heut gar nicht ſo geſpraͤchig war wie ſonſt immer, wo ſie Tauſenderlei zu fragen hatte und er Nichts als antwortend zu erzaͤhlen. Heute aber redete ſie nur davon, daß die Schoten gar nicht recht wachſen wollten, und daß es gut waͤre, wenn bald Regen kaͤme, ſonſt vertrockne am Ende noch Alles mit dem Gießen laſſe es ſich gar nicht mehr erzwingen. Johannes trat endlich mit nahe an das Beet und begann auch in den Schoten zu ſuchen. Er pfluͤckte ſich ein paar reife, knickte ſie auf und ſtrich ſich mit den Zaͤhnen die zarten Koͤrnlein heraus, die wunderſam darin angereiht, von der dichten Schale gehuͤtet lagen.

Mutter Eva ſah es und lachte: Da machſt Du es nun wieder, wie da, als Du noch mein kleines Johan - neslein warſt und immer hinter den Schoten her, daß man ſie nicht genug vor Dir huͤten konnte! Ja, es iſt wie ich ſagte, fuhr ſie mit einem Seufzer nachdenklich fort, daß war damals oft eine meiner groͤßten Sorgen,12 *180weil Du noch klein warſt werden die Kinder groß werden, werden die Sorgen auch groß!

Aber Mutter, ſagte Johannes, warum denn im - mer klagen? Kannſt Du denn auch jetzt die Sorgen nicht vergeſſen, von denen ich gar nicht weiß, worin ſie beſtehen die Sorgen um mich, auch jetzt wo ich da bin?

Juſt jetzt Johannes! ſeufzte die Mutter.

Der Sohn ſah ſie recht betruͤbt an. Er konnte leicht heftig werden und aufbrauſen, wenn ihn Jemand kraͤnkte oder redete, wie er dachte, daß es nicht recht ſei. Aber mit ſeiner Mutter hatte er Geduld, er konnte von ihr Alles ruhig anhoͤren nur daß es ihm gerade von ihr um ſo weher that, wenn ſie ihn anders nahm als er war, oder ſich unnuͤtz um ihn aͤngſtigte und betruͤbte. Nun ſag einmal, begann er, biſt immer noch in Angſt, weil ich die Burſchen im Dorf zum Singen bringe, vom Trinken und Spielen hinweg, das ihnen nun an - faͤngt, ein Graͤuel zu werden. Jſt’s denn nicht gut ſo? aber ’s giebt Leute hier im Dorf, welche mich deshalb ausſchelten und wider mich aufſaͤſſig ſind, die haben Dir mit uͤblen Reden bange gemacht und Du haſt auf ſie gehoͤrt? Gelt, das ſind die großen Sorgen, um Deinen großen Johannes?

Nein, nein ſo iſt’s nicht, rief Mutter Eva, daran181 hab ich jetzt gar nicht einmal gedacht aber komm nur mit heraus aus den Schoten

Wenn Du mir ſagſt, was Du eigentlich jetzt auf dem Herzen haſt, Mutter! rief Johannes und ſie bei der Hand faſſend, zog er ſie ein Stuͤck mit ſich fort, bis zu einer Brettbank, auf die ſich beide ſetzten: Nun beichte.

Ja, fing Mutter Eva mit niedergeſchlagenen Au - gen an. Du haſt mir immer ſo viel von Deinen gro - ßen Staͤdten erzaͤhlt und den ganzen Jahren daher, aber niemals haſt Du mir was von einem Schatz geſagt und ſonſt ſeid Jhr jungen Burſche doch immer ſchnell ge - nug da!

Johannes ſchuͤttelte die hellen Locken aus ſeiner Stirn und ſah traurig vor ſich nieder, ſeine Mutter aber fragt er: Wie kommſt Du denn darauf?

Wie man nun ſo auf Allerlei kommt, wenn man ſeine alten Gedanken zuſammennimmt, ſagte Mutter Eva, aber ich ſehe ſchon, Du haſt keine Luſt, mir zu ant - worten!

Warum auch nicht? fiel Johannes ein, es iſt ja ſo menſchlich als es ſchmerzlich iſt. Er brach eine Ro - ſenknospe, die eben aufbluͤhen wollte, von einem nahen Strauch und ſie ſeiner Mutter hingebend ſagte er: Sieh, ſo war meine Aurora, ſo ſchoͤn und jung aber auch gebrochen, wie dieſe ſie verbluͤhte ſchnell an mei -182 nem Herzen drei Jahre ſind es ſchon, daß ſie todt iſt, ich trage ihr Bild unentweiht in meinem Herzen und auch aͤußerlich trag ich’s bei mir und kann Dir’s zeigen. Er holte ſeine Brieftaſche hervor und zeigte da - rin das fein gemalte Bild eines wunderlieblichen Maͤd - chens. Es trug einen dichten Roſenkranz in den goldnen Locken und ein himmelblaues Kleid von ſchillernder Seide.

Mutter Eva betrachtete das Bild andaͤchtig und Thraͤ - nen traten ihr dabei in die Augen. Dies ſchoͤne Maͤd - chen war todt und ſie hatte die ſchmerzlichſte Erinnerung im Herzen ihres Sohnes geweckt; daruͤber machte ſie ſich Vorwuͤrfe aber wie konnte ſie das auch ahnen ſie hatte ganz Anderes zu hoͤren gedacht. Das iſt ja ein wahres Engelsbild! begann ſie, und wenn ſie ſo gut als ſchoͤn geweſen iſt

O viel beſſer! fiel Johannes ein, eine Engelsſeele in einer Engelsgeſtalt, Mutter! wie lieb wuͤrdeſt Du ſie gehabt haben und ſie Dich wieder!

Aber wie’s der Anzug zeigt, ein vornehm Fraͤulein! warf die Mutter bedenklich ein, die wuͤrde mir armen alten Frau doch immer fremd begegnet ſein.

Mutter, ſo eben war ſie gar nicht! fiel Johannes raſch ein. Sie war ganz Liebe und Hingabe an alle gute Menſchen, gleichviel, ob ſie hoch oder niedrig,183 geiſtigſtark oder wiſſensreich oder einfaͤltiglich waren, wenn ſie nur wie Du ſelber ſagſt aber im hoͤchſten Sinne Gott vor Augen und im Herzen trugen aber an mich hatte ſie ihr ganzes Herz hingegeben und ich habe ihr immer viel von Dir erzaͤhlen muͤſſen. Sie war auch nicht gar ſo hochgeboren, wie Du vielleicht denkſt. Jhr Vater war ein Buchhaͤndler, der auch aus dem Volke aus Armuth und Duͤrftigkeit hervorgegangen war, und es durch Fleiß, Ausdauer und Gluͤck zugleich bis zum reichen angeſehenen Manne gebracht hatte. Es iſt derſelbe Buch - haͤndler, fuͤr welchen ich hier das Buch ſchreiben will. Sieh nun, dieſe Aurora hab ich geliebt und bin mit ihr gluͤcklich geweſen ach! nur Monate lang! Jm Spaͤtſom - mer hatt ich ſie kennen gelernt und wie der naͤchſte Fruͤh - ling kam, legte ſie ſich unter die Blumen und ſtarb. Das Nervenfieber hatte ſie ſchnell hinweggerafft. Sie ſtarb mit Bewußtſein und wie eine Seherin, vor der ganze kommende Jahre und Zeiten ſich aufrollen. Jch muß Dich allein laſſen, ſagte ſie, damit Du Dein Herz an keinen einzelnen Menſchen mehr haͤngſt, ſondern an die ganze Menſchheit Deine einzige Geliebte ſei nur die Freiheit! So hab ich mich fuͤgen lernen in das herbe Geſchick und habe den Schmerz uͤberwunden aber die ſuͤße Erinnerung halt ich feſt.

Mutter Eva ſtreichelte liebevoll die Wangen ihres184 Sohnes, ihr war, als habe ſie nun etwas gut zu machen an ihm, weil die kurze Erzaͤhlung ſeiner Liebe und ſei - nes Leides ihn doch ſchmerzvoll bewegt hatte und daran war ſie nur ſchuld. Sie hatte daruͤber auch ganz vergeſſen, was ſie eigentlich hatte mit ihm ſprechen wol - len. Er ſchwieg auch in Erinnerung verſunken. So verging ziemlich lange Zeit, in der beide ganz ſtill neben - einander ſaßen. Die Lerche war unterdeß vielmal auf - und niedergeſtiegen und hatte die hoͤherſteigende Sonne auch immer hoͤher angeſungen; andere Voͤgel hatten ſich in die dichtern Zweige verkrochen, im Schatten der wach - ſenden Hitze auszuweichen. Die Bienen hatten wer weiß wie viel zu thun, indem jetzt alle Blumen ſich er - ſchloſſen und friſche Beute in den gluͤhenden Tiefen ihrer Kelche verhießen. Die Ameiſen krochen zum Sonnen - ſchein hervor und ſchleppten geſchaͤftig ganze Laſten mit ſich, die ſie zu ihren kuͤnſtlichen Bauen gebrauchten. Dies Alles und noch viel Anderes war geſchehen, indeß unſre Beiden muͤſſig und ſtumm da ſaßen. Die Mutter wagte gar kein Wort mehr ſie haͤtte dem Liebling ſo gern die traurigen Gedanken vertrieben, die ſie ſelbſt erſt geweckt, aber ſie wußte nun gar nicht, wovon ſie begin - nen ſollte, daß ſie’s nur nicht aͤrger machte. Jhm aber fiel es doch wieder auf, daß die Mutter, die doch ſonſt immer geſpraͤchig war, jetzt ſo ſtumm blieb und ſo dacht185 er wieder daran, wie ſie vorhin geſagt hatte: wenn die Kinder groß wuͤrden, ſo wachſen auch die Sorgen mit und daß er nicht klug aus ihr geworden, was ſie eigent - lich damit gemeint habe. Er fragte darum endlich noch einmal: Warum ſie ihn denn gerade jetzt und ſo aͤngſt - lich auf’s Gewiſſen nach ſeiner Liebe gefragt habe? ob ſie denn denken koͤnne, er werde ihr einmal damit Kummer machen?

Erſt wollte ſie lange nicht mit der Sprache heraus, endlich geſtand ſie all die Gedanken, die ſie ſich eben nur gemacht hatte. Die Suschen ſei ein gutes Kind, aber ſie tauge nicht fuͤr ihn, er moͤge ihr Nichts in den Kopf ſetzen, es koͤnne doch wohl kommen, ſie bilde ſich Etwas auf ſein Freundlichthun ein. Und ob er denn von ihrem Zuſammenſein mit dem Chriſtlieb wiſſe? Sie wolle nichts Arges davon denken, aber am Ende ſei doch an allen Dingen Etwas und ſelbſt die Dorfklatſcher und haͤ - miſchen Dirnen, die ſelbſt genug Werg am Rocken haͤt - ten, koͤnnten Nichts aus der Luft greifen!

Johannes laͤchelte bitter vor ſich hin. Alſo hier wie uͤberall und uͤberall wie hier! Ueberall daſſelbe Gedeutſch und Geklatſch, wo muß man denn hinfliehen, um davor ſicher zu ſein? Es koſtete ihn einige Ueberwindung aber endlich erzaͤhlt er doch haarklein ſeiner Mutter den Vorfall jenes Abends, wo er Suschen vor Chriſtlieb be -186 ſchuͤtzt hatte. Sagte ihr, wie Suschen viel zu unbefan - gen gegen ihn ſei, als daß er denken koͤnne, ihr Herz komme mit in’s Spiel und er ſelbſt? Nein, nach Allem, was er nur eben ſeiner Mutter von ſeiner Aurora erzaͤhlt, fand er’s fuͤr ſeiner unwuͤrdig, noch erſt lange zu betheuern, wie er jetzt weder Suschen noch ein anderes Maͤdchen lieben koͤnne. Aber es war ihm gelungen, die Sorgen ſeiner Mutter zu verſcheuchen und ſie zu be - ruhigen, wenigſtens ſo lang, wie er ſelber redete.

[187]

Johannistag.

Der Vogt oben auf der Burg ſchuͤttelte mit dem Kopf, wenn er im Garten die wunderlichen Stangen, Leitern und Geſtelle betrachtete, welche Johannes dort hatte vor wenig Tagen anbringen laſſen. Daß die große Wind - harfe ſtark beſaitet und glockenrein von Johannes ſelbſt geſtimmt, wieder am Gemaͤuer ſchwebte, ließ ſich unſer Vogt ſchon eher gefallen. Er wußte noch die Zeit, wo ſie dort geweſen, bis ſie eines Tages herabgeſtuͤrzt und in Stuͤcken gegangen war, daß man ſie in die Rumpelkam - mer geworfen hatte zu anderm unbrauchbaren Gerill und Geroͤll und der Herr Graf hatte ja in ſeinem letz - ten Schreiben ausdruͤcklich ihrer erwaͤhnt; das war alſo ganz in der Ordnung; aber mit den Stangen und Geſtellen! da fand unſer Vogt, daß die Sache nicht im Geringſten in der Ordnung war. Doch hatte er ſich fuͤgen muͤſſen, als die Zimmerleute auf Johannes Geheiß188 daſelbſt Alles hergerichtet hatten, denn der Herr Graf hatte es ja befohlen, den ehemaligen Dorfjungen jetzt wie den Herrn der Burg anzuſehen und ſeinen Anord - nungen zu gehorchen.

Wie nun Johannes ſagte, es ſei Alles fertig und die Zimmerleute abgelohnt waren, ſo konnte ſich unſer Vogt nun gar nicht denken, wie zwei Balken, die durch einen Querbalken verbunden, frei in die Luft ragten, etwas Fertiges ſein konnten und als er ſich endlich doch uͤber - wand zu fragen, was das eigentlich vorſtelle? und die Antwort bekam: ein Reck, ſo wußte er gerade ſo viel wie erſt, naͤmlich Nichts.

Johannes aber lief triumphirend zum Schulmeiſter hinab und rief vergnuͤgt: Nun kommen Sie mit in den Burggarten, nun koͤnnen wir endlich turnen!

Unſer Schulmeiſter ging gleich mit ihm, denn er war jetzt auf alles Neue, alles Fortſchrittmaͤßige zumal, ganz verſeſſen. Er mußte Etwas haben, woran er ſein Herz haͤngen und ſich zerſtreuen konnte, da er jetzt im Jnnern ſo ungluͤcklich war, ſo krank vor Liebe. Er wich Sus - chen aus ſo viel er konnte, aber daß es ſo wenig auffaͤl - lig als moͤglich ward. Außerdem bracht er ihren Na - men nie mehr uͤber ſeine Lippen, am Wenigſten gegen Johannes. Der hatte auch immer ſo viel zu reden uͤber andere, hoͤhere Dinge, daß auf die Maͤdchen das Geſpraͤch189 mit ihm ſchon gar nicht kam. Gegen Langer war er von Herzen freundlich, weil er ihn ſchaͤtzen gelernt, weil er ihn im ganzen Dorf an geiſtigen Faͤhigkeiten am naͤchſten ſtand und Johannes Meinungen von vorneherein aus freien Stuͤcken theilte, ohne ihm blindlings Alles nachzu - ſprechen, wie wohl die Andern thaten, die ihn liebten und ſchaͤtzten. Unſer Schulmeiſter aber nahm dieſe freund - ſchaftlichen Geſinnungen und Beweiſe von Anhaͤnglichkeit und Vertrauen des Dichters zu ihm als ein Zeichen auf, daß Johannes auf der einen Seite an ihm wieder gut machen wolle, was er auf der andern an ihm verſchuldet daß er ihm Suschen genommen habe Denn das haͤtte ſich unſer Schulmeiſter von Niemand mehr ausre - den laſſen, daß Suschen Johannes Liebchen geworden. Eine Untreue konnt er ihr deshalb nicht vorwerfen, denn ſie waren ja noch gar nicht einig geweſen aber daß er ſie lieb hatte, konnte ſie doch wiſſen, meint er und daß ſie jetzt auch ihm auswich, beſtaͤtigte ihm, daß ſie wohl ihm gegenuͤber kein gutes, reines Gewiſſen habe. Viel - leicht hatte ſie das Alles auch ihrem Johannes geſagt. Dieſer aber freute ſich innigſt des regen Eifers des Schul - meiſters, ohne zu wiſſen, aus welcher Quelle deſſen Haß und Unruhe kam.

Jetzt nun hatte Johannes oben auf der Burg Alles zum Turnen vorrichten laſſen und nicht mehr im190 zierlichen ſchwarzen Sammetrock ſondern vom Kopf bis zum Fuß in hellgraue Leinwand gekleidet, ſchwang er ſich hinauf auf’s Reck der Schulmeiſter behaͤnd wie eine Katze ihm nach, daß der Vogt ganz ſtarr vor Stau - nen auf der Stelle, von der aus er ihnen zugeſehen, wie angewurzelt ſtehen blieb.

Die Gelenke ſind mir doch noch nicht zu ſteif ge - worden, wenn ich auch lange nicht geturnt habe, ſagte der Schulmeiſter, ich habe ſchon noch Geſchick genug, allenfalls auch noch einen Turnlehrer abzugeben.

Nun, ſo lang ich hier bin, ſagte Johannes, kann ich das Amt ſchon uͤbernehmen; ich laufe ohnehin unter Euch herum wie ein Tagedieb, wenigſtens komm ich mir ſo vor, obwohl ich recht gut weiß, daß ich in meinem Leben kaum ſo fleißig geweſen bin, als eben jetzt. Wie aber iſt ſo ein Lehrer dagegen belaſtet! von fruͤh bis Abend dieſelbe anſtrengende Arbeit und fuͤr die groͤßte Muͤhe den kaͤrglichſten Lohn, fuͤr den ſchwerſten und wuͤrdigſten Be - ruf oft eine unwuͤrdige Stellung. Ja, aber was hilft das Alles! Klagen uͤber Klagen werden laut und kom - men in Form von Petitionen auf die Landtage und in die Kammern aber es iſt eben Alles vergebens. Weiß der Himmel, wenn es einmal anders werden wird daß es aber einmal anders und beſſer werden muß, iſt ge - wiß. Einſtweilen, da die neue, beſſere Zeit nicht mit Eins191 vom Himmel faͤllt, ſondern muͤhſam gepflegt und erwor - ben ſein will, ſo ſuchen wir das Unſrige zu thun!

Sie ſehen ſagte unſer Schulmeiſter, ich bin zu Allem bereit. Jch frage nicht mehr, wie bei unſrer erſten Unterredung: uͤbereilen wir auch Nichts? gehen wir nicht zu haſtig zu Werke? duͤrfen wir auch dem Ungeſtuͤm un - ſrer Jugend vertrauen?

Da hatten es nun die Beiden verabredet, daß aus der naͤchſten Stadt, in der ſie Bekannte hatten und ein Turnverein beſtand, einige Turner zu ihnen kommen ſollten, um ſich ſelbſt mit Turnen zu beluſtigen, den Bur - ſchen des Dorf’s dadurch auch Luſt dazu zu machen. Der Pfarrer war mit in’s Geheimniß gezogen worden. Er hatte Johannes freundſchaftlich auf die Schulter geklopft und geſagt: Jch wollte, das ganze Dorf lernte Turnen, Klein und Groß, damit wir zu geſun - den, ſtarken Menſchen kaͤmen und wieder ein kraͤftiges Ge - ſchlecht aufwachſen ſehen, wie es unſre Altvordern auch geweſen! Aber ich bitt Euch nur, bleibt bei der Sache und vermengt nicht Dinge mit der Leibesuͤbung, die nicht dazu gehoͤren und die dann Andre Euch verwehren moͤchten!

Johannes wußte, was die Warnung ſagen wollte und nahm ſie ſchweigend hin. Er ſagte nicht nein, nicht ja. Er kannte die Bedenklichkeit des Alters, er ahnte dieſe192 ſelbſt, indem er nicht widerſprach. Aber er dachte ſich ſelbſt getreu: dem Alter ſeine ruhige, anſtaͤndige, aber eben mit ihm auch alt gewordene Anſchauungsweiſe zu laſſen, es darum nicht zu verachten und hoͤhniſch zuruͤckzuweiſen doch auch nimmer ihm die eigne jugendliche Erkennt - niß und Selbſtbeſtimmung zu opfern. Darum eben, weil er ſelbſt ſo nachſichtsvoll gegen das Alter war und ihm immer nur mit einer Art von Ehrfurcht entgegentrat hatten auch die alten Leute ihn gern und wie er ihnen ihr Feſtwurzeln im Vergangenen vergab, duldeten ſie auch ſein Draͤngen in die Zukunft und ſahen ſeinem Unge - ſtuͤm Manches nach, was an Andern, die oft weit weni - ger kuͤhn und ſtuͤrmiſch, aber roh und unduldſam zu Werke gingen, ſie verletzte und zum Widerwillen und Widerſtand ſie reizte.

Der Johannistag war nun gekommen oder viel - mehr, er war noch nicht da, es konnte aber nicht mehr lange dauern, ſo brach er an. Aber ſchon war ein ſtilles geſchaͤftiges Leben im Dorfe.

Jn allen Gaͤrten und auf allen Wieſen war es Tags vorher den Blumen ſchlecht gegangen, die Maͤdchen hatten dort bis zur Abenddaͤmmerung gepluͤndert. Aber an ſolch ſonnenheißen Tagen und Naͤchten iſt’s ein ewiges Wach - ſen, Bluͤhen und Entfalten, ſo daß auch heut ſchon wieder neue Blumen an die Stelle der geraubten gekommen193 waren und war dadurch der Diebſtahl auch noch nicht erſetzt oder zuruͤckgegeben, ſo war der Schaden doch be - traͤchtlich gemindert. Jetzt nun in der fruͤheſten Morgen - ſtunde ward der geſtrige Blumenraub von den Maͤdchen zu ſchoͤnen Ketten und Kraͤnzen gebunden; uͤberall vor die Hausthuͤren gebracht und dieſelben damit ge - ſchmuͤckt. Die Burſchen halfen den Maͤdchen beim Auf - machen.

Wie Laura vor ihre Thuͤr trat, einen ganzen Korb mit Blumengewinden am Arm, ſtieß ſie einen Schrei froher Ueberraſchung aus, denn da ſtand dicht davor eine wundervolle große Roſenpyramide mit einer hohen Lilien - krone. Daran hing ein kuͤnſtlich aus feuerfarbnem Pa - pier geſchnittenes Herz, worauf mit zierlichen Buchſtaben ſtand: Meiner Laura! Sie wußte nun wohl, weſſen das Herz war, das ihr gehoͤren ſollte und wer die Pyra - mide dahin gebracht hatte, die ſie gar nicht ſatt werden konnte zu bewundern aber ſie war auch beinah wie beſchaͤmt davon. Sie hatte ihrem Liebſten einen großen Roſenkranz vor ſeine Thuͤr haͤngen wollen, eh er ſelbſt wach waͤre und nun war er ihr zuvorgekommen. Wie ſie ſo noch ſinnend daſtand, ſah ſie ploͤtzlich, wie eine Maͤnnergeſtalt, die ſie nur zu gut kannte, ſich leiſe hin - ter dem Hauſe wegſchleichen wollte. Es war Friedrich, der’s nicht hatte erwarten koͤnnen, ſie zu ſehen und ſelbſt13194der Zeuge ihrer Ueberraſchung und Freude uͤber ſeine Be - ſcherung zu ſein, nun aber unbemerkt von dannen gehen wollte. Doch Laura hatte ihn erkannt und rief ihn beim Namen. Er that, als hoͤre er nicht und entfernte ſich immer weiter. Da ſprang ſie ihm nach und geſchickt im Werfen, warf ſie ihm den großen Roſenkranz uͤbers Haupt. Nun mußte er ſchon ſtehen bleiben, da ſie ihn mit Blu - men gefangen hatte. Jetzt aber war ſie’s, die davon lief. Doch er holte ſie mit raſchem Sprunge ein und hielt ſie bald feſt in ſeinen Armen, wo ſie nicht mehr lange ſich ſtraͤubte, ſondern mit unzaͤhligen zaͤrtlichen Kuͤſſen ihm dankte. Dann mußt er ihr helfen, die eigne Hausthuͤr bekraͤnzen.

Unſer Schulmeiſter hatte dies verliebte Spiel von oben mit angeſehen und einen tiefen Seufzer dabei aus - geſtoßen. Es duldete ihn auch nicht mehr in der engen Wohnung; er warf ſich ſchnell in die Kleider und lief hinaus. Laura, die noch unten, aber allein an der Thuͤr war, wollt es ihm verwehren und ſagte, er moͤge doch nicht immer ſo in der Jrre umherlaufen, zumal heute nicht. Er mochte nicht darauf hoͤren, bis ſie endlich mit der Sprache herausruͤckte: die ganzen Schulmaͤdchen wuͤr - den kommen und ihm ihre Kraͤnze bringen, da ſolle er nur nicht fortlaufen. Es war ihm gar nicht recht, aber er ergab ſich darin und ging nur hinuͤber auf den Kirch -195 hof. Da waren einige Graͤber friſch bekraͤnzt, auch das von Johannes Vater war es. Unſer Schulmeiſter ſchritt weiter durch die Graͤberreihen. Da ſtand Suschen am Grabe ihrer Mutter, deſſen Kreuz ſie eben mit Blumen umwunden hatte. Sie neigte ſich ſtill uͤber das Kreuz hinweg, aber er konnte doch von Weitem ſehen, wie ſie blaß und traurig ausſah und helle Thraͤnen in den Au - gen hatte. Sie verbarg dieſe auch nicht, denn ſie hatte keine Ahnung davon, daß ſie beobachtet ſei und am Wenigſten von wem. Unſer Schulmeiſter ſah mit tiefer Bekuͤmmerniß zu ihr hin. Warum weinte ſie denn jetzt an den Graͤbern in der fruͤhen Morgenſtunde dieſes Freudentages, an dem Alles jubelte? dann laͤchelte er bit - ter. Was wird’s am Ende ſein, ſagte er ſich, als daß ſie einen kleinen Streit mit Johannes gehabt, wie Ver - liebte ihn haben und daß ihr nun iſt, als muͤſſe daruͤber gleich die ganze Welt zu Grunde gehen. Sieht ſie ihn aber wieder, ſo wird Alles wieder gut ſein. Oder wenn dieſe Thraͤnen doch ernſter waͤren? dachte er nach einer Weile, da Suschen ganz unbeweglich, wie in ſich ſelbſt verſunken, an dem Grabe blieb. Wenn ſie daran den - ken ſollte, wie Alles noch enden koͤnne, muͤſſe, was denn eigentlich ihr Loos fuͤr kuͤnftig ſein werde? Jo - hannes hatte ja nur dann und wann einmal den Reigen mit ihr vorgetanzt, er hatte ſie weder fuͤr ſeine Braut er -13 *196klaͤrt, noch vor den Leuten als ſolche behandelt, wie’s doch mit ſeiner Schweſter Laura Friedrich that. Drum neckte ſie juſt auch Niemand miteinander aber unſer Schul - meiſter ließ ſich’s doch nicht ausreden, daß ſie zuſammen - hielten, aus all den Gruͤnden, die wir ſchon oft geſchil - dert, zumeiſt aus dem, daß er ſie noch naͤchtlicher Weile an jenem Sonntag Abend beiſammen und ſo vertraut geſehen, das eben war ihm das Quaͤlendſte, dies Heim - lichthun dabei. War es denn nicht vielleicht auch gerade dies, was Suschen jetzt quaͤlte? Meint es Johannes auch ernſtlich mit ſeiner Liebe und konnt er’s ernſtlich damit meinen? und wenn nicht, was ſollte aus Suschen werden? Sie dauerte ihn nun wieder mehr als jemals und an der Unruhe ſeines Herzens um ſie fuͤhlt er, wie ſehr er ſie immer noch lieben mußte. Waͤr es nicht Suschen geweſen, ſondern ein ander Maͤdchen, das ihm gleichguͤltiger er haͤtte bei Johannes Freundesrecht ge - braucht, haͤtte ihm geſagt, daß die Jungfer ſich’s zu Her - zen nehmen werde, mehr als er denke und vielleicht wolle, daß ſie zu gut ſei zu einer Liebelei, einem Zeitvertreib, daß ſie daran zu Grunde gehen werde, wenn ſie ihm nie mehr ſein ſolle; er moͤge daher einlenken, weil’s noch Zeit ſei. Aber uͤber Suschen konnt er ihm Nichts ſa - gen dann haͤtte Johannes doch gedacht: er redet nur ſo, weil er das Maͤdchen fuͤr ſich will und wuͤrde gar197 Nichts auf ſeine Worte geben. Da war er auch zu ſtolz dazu.

Warum aber weinte denn auch Suschen und ging jetzt immer an das Grab ihrer Mutter, die ſie wohl im - mer in Ehren gehalten und ihr Andenken in treuer Liebe bewahrt hatte, die aber doch ſchon lange unter dieſem Huͤgel ſchlief, an dem die Tochter trauernd ſtand, wie wenn’s eben ein ganz friſcher waͤre? Suschen wußt es ſelbſt nicht recht, ſie konnt’s nicht ſagen darum gerade ging ſie hierher, weil ſie dachte, ihre ſelige Mutter werde ſie auch ſchon ohne Worte verſtehen und ſie koͤnne ſich hier ſtill ausweinen, ohne erſt auf die quaͤlende Frage: was fehlt Dir? Rechenſchaft von Etwas geben zu muͤſ - ſen, wofuͤr ſie gleichwohl keine Worte hatte. Die Graͤber an dieſem Morgen zu bekraͤnzen, war ihr ohnehin eine fromme Pflicht, wo jedem Lebenden ſein Kranz gewunden ward, da mußten auch die Todten, die noch im treuen Gedaͤchtniß fortlebten, ihr Blumenopfer auf dem Graͤber - altar erhalten. Jetzt kraͤhte der Hahn vergnuͤgt die aufgehende Sonne an er war Suschen ein Zeichen, nun die Traͤumereien zu laſſen und zum gewohnten Wir - ken in das Haus zuruͤckzugehen. Wie ſie ſich nun auf - richtete und umkehrte, ſtand ploͤtzlich unſer Schulmeiſter ziemlich nahe vor ihr und gruͤßte ſie leiſe. Sie fuhr ein Wenig zuſammen, ward purpurroth, ſchlug die Augen198 nieder und ging mit ihrem gewohnten Gange an ihm voruͤber, indem ſie mehr in ſich hinein als frei heraus: Guten Morgen! ſagte.

Guten Morgen! und das war Alles, was ſie ſich ſagten, die doch einander ſo viel zu ſagen gehabt haͤtten! Es war, als habe der Himmel ſelber ſie hier zuſammen - gefuͤhrt, daß ſie in der ſtillen heiligen Morgenſtunde einan - der ungeſcheut ihr ganzes Herz ſagen koͤnnten, dann haͤtte ſich Alles fuͤr ſie aufgeklaͤrt und waͤre Alles gut gewor - den. Aber ſie thaten’s nicht, ſie konnten Nichts thun die Morgennebel vor der Sonne begannen zu zerreißen, aber die Nebel, die ihre Seele umhuͤllt hatten, blieben. Der guͤnſtige Augenblick ging ungenuͤtzt voruͤber und gu - ten Morgen! war und blieb Alles, was ſie ſich geſagt hatten gleichwohl war auch das ein eitler vergeblicher Wunſch, das war kein guter Morgen, der fuͤr ſie ange - brochen.

Unſer Schulmeiſter ging nun wieder zuruͤck in ſein Haus. Es dauerte nicht lange, ſo kamen die Schulmaͤd - chen ſingend mit ihren Kraͤnzen, das Schulhaus von Jn - nen und Außen zu ſchmuͤcken und damit ihren Schul - meiſter zu ehren; auf der Pfarre hatten ſie’s eben ſo gemacht. Unſer Schulmeiſter dankte in herzlicher An - ſprache und wie ſie fort waren, ſagte er zu ſeiner Schwe - ſter: Haͤtt ich gewußt, daß dies Bekraͤnzen hier am heu -199 tigen Tag als Ehrenbezeugung uͤblich iſt, ſo haͤtte man den Leuten einen Wink geben koͤnnen, daß ſie die Kinder damit hinauf auf die Burg zum Johannes ſchickten, denn mehr wie der hat’s doch Niemand verdient; wir ſollten unſern Gaſt ehren und ohnehin iſt’s ja auch ſein Na - menstag.

Laura lachte: Wo Jhr klugen Maͤnner erſt hindenkt, wenn es zu ſpaͤt iſt, da ſind wir einfaͤltigen Dirnen meiſt ſchon geweſen! Aber die Kinder! was wiſſen die viel von dieſem Johannes, die ſtarren ihn hoͤchſtens verwun - dert an, wenn er im Sammetrock durchs Dorf geht, oder laufen ihm nach, wenn er von der Semmelfrau Wecken und Bretzeln fuͤr ſie kauft und dann unter ſie vertheilt. Nein, die wuͤrden ihn nicht ſo recht von Grund des Herzens ehren das paßt beſſer fuͤr uns Jungfrauen und wir werden das Unſrige thun!

Unſer Schulmeiſter ſah ſie etwas verbluͤfft an: Die Jungfrauen Suschen ſagte er leiſe gedehnt.

Sie ſo gut, wie wir Andern, antwortete Laura un - befangen, wir werden gleich Alle hinauf auf die Burg gehen, ehe Johannes wieder zuruͤckkommt, muß die Be - kraͤnzung fertig ſein.

Damit fiel ein Stein von Karl’s Herzen: Er wird alſo nicht da ſein? ſagte er.

Friedrich hat es ſo angeſtellt, fuhr Laura fort, die200 Burſchen ſind jetzt mit ihm hinaus auf die Berge gegan - gen, paſſende Plaͤtze auszuſuchen, wo ſie zum Abend die Johannisfeuer anzuͤnden koͤnnen; da iſt natuͤrlich der Johannes mit dabei. Sie aber gehen unterdeß hinauf.

Wir wiſſen recht gut, daß Jhr heute auf der Burg etwas Abſonderliches vorhabt, daß Euch Johannes einge - laden hat, mit ihm oben zu ſingen und ſo gilt am Ende unſre ganze Bekraͤnzung Euch Allen. Zugleich wir wollen den Nachmittag auch ein Wenig dabei ſein, Euch ſingen hoͤren und ſehen, was Jhr eigentlich da oben treibt und unſre Theilnahme am Feſt wollen wir uns durch die Kraͤnze verdienen.

Unſer Schulmeiſter konnte wider dies Alles Nichts haben, vor Kurzem noch wuͤrde er uͤber dieſe alſo ange - ſtellte Feſtlichkeit entzuͤckt geweſen ſein. Einmal war er uͤberhaupt von dem Gedanken durchdrungen, daß an den ſchoͤnſten Feſten der Burſchen die Maͤdchen auch Theil ha - ben muͤßten, einmal das Feſt zu verſchoͤnern und durch ihre Gegenwart ſchon die Burſchen zu zaͤhmen, die Aus - bruͤche ihrer Rohheit zu verhuͤten und ſie geſitteter zu machen, auch weil er den Frauen uͤberhaupt eine wuͤrdi - gere Stellung in der Geſellſchaft einraͤumen wollte als ſie jetzt einnahmen, weil er ſie fuͤr berufen hielt, mit den Maͤnnern nicht nur zu tanzen und zu liebeln, ſondern201 auch mit ihnen zu wirken fuͤr’s Allgemeine und damit ſie dazu faͤhig wuͤrden, auch mit den Maͤnnern die Mit - tel zu nuͤtzen, welche zur Begeiſterung fuͤr’s Allgemeine ſich allenfalls auffinden ließen wie nun z. B. auch das heutige Feſt war. Aber noch mehr! wie gluͤcklich wuͤrde er fruͤher geweſen ſein, in Suschens Gegenwart ſingen zu koͤnnen aber jetzt floh er ſie ja! Jetzt, allein unter Maͤnnern, wo er ſie und alle Maͤdchen vergeſſen und mit den Kameraden fuͤr hoͤhere Dinge als die Liebe iſt, fuͤr Vaterland und Freiheit ſich begeiſtern konnte, jetzt war die Gegenwart der Maͤdchen ihm ſtoͤrend, weil er dadurch ohne Unterlaß an ſeinen ſtillen Kummer erinnert ward. Er antwortete weiter Nichts auf Laura’s Mitthei - lung und dieſe ging nun, um die andern Maͤdchen im Dorf zuſammenzurufen, daß ſie mit auf die Burg gingen, wie verabredet war.

Karl wollte ihnen oben durch das Fenſter nachſehen, vielleicht Suschen wieder zu gewahren. Da mußte er einen neuen Aerger haben! Er konnte naͤmlich aus dem einen Fenſter in die Dorfgaſſe ſehen, in der das Gut von Chriſtlieb Damme lag. Da gewahrte er, wie vor demſelben eine ganze Allee von jungen ſchoͤnen Birken - bäumen aufgepflanzt war. Daruͤber gerieth er nun or - dentlich außer ſich. Das hatte der Chriſtlieb ganz offen - bar nur ihm und Johannes zum Poſſen gethan! Frei -202 lich war’s lange Zeit im Dorfe Sitte geweſen, daß jeder Bauer vor ſeine Hausthuͤr Johannistag einen Maien - baum ſetzte, den er ſich aus den nahen Waldungen geholt. Aber unſer Schulmeiſter hatte es in der Schule den Kin - dern auseinander geſetzt, wie ſie das ſommerliche Feſt ſtatt mit Maienſetzen zu verſchoͤnern, eigentlich dadurch gerade entweihten und entheiligten, daß ſie junge, ſchoͤne Baͤume faͤll - ten, die lange Zeit haͤtten wachſen muͤſſen, eh ſie ſo groß ge - worden und die nun mit Eins mitten aus dem friſchen Leben des Sommers herausgeraubt und gemordet wuͤrden, blos um ein paar Stunden einen feſtlichen Schmuck ab - zugeben und einem eingebildeten Vergnuͤgen zu dienen. Er hatte den Kindern geradezu geſagt, es ſei Suͤnde , die ſchoͤnen Baͤume umzuhauen ſie ſollten es ja nicht thun, ſondern lieber Blumen ſuchen die bluͤhten dazu, daß die Menſchen ſich damit ſchmuͤckten, und vergaͤngen auf ihren Stengeln ohnehin faſt eben ſo ſchnell, als wenn ſie davon gepfluͤckt wuͤrden ſie haͤtten auch keinen an - dern Zweck, als den der Freude zu dienen, das ſei ihre Beſtimmung. Wie anders ſei es dagegen mit den Bir - ken! Die waͤren ſchon viele Jahre muͤhſam aufgezogen worden und könnten nun noch viele, viele Jahre wachſen und groß werden, ehe ſie damit fertig wuͤrden. Und wie viel Nutzen gaͤbe dann nicht ſo eine groß und alt gewordene Birke! Erſt Jahrelang den Menſchen Schatten und203 Wohlgefallen, dann ſchirmende Waͤrme fuͤr viele lange, kalte Wintertage; wie viel erſtarrte Haͤnde koͤnnten ſich daran zu neuer Thaͤtigkeit erwaͤrmen! Aber das Alles abgerechnet: ſo ein Baum lebe auch! er wolle auch ſich ſelbſt und ſein Lebensziel erfuͤllen, wie es ſein Schoͤpfer ihm vorgeſteckt, er wolle nicht ſich opfern laſſen, wenn er noch lange nicht einmal die Haͤlfte ſeiner Lebenszeit er - reicht habe, er wolle nicht ſich opfern laſſen von dem Leicht - ſinn der Menſchen er wolle mehr ſein als das Spiel - werk ihres eiteln Sinnes! Mit dem und viel Aehn - lichem, was unſer Schulmeiſter den Kindern vorſagte, hatte er die kleinen Herzen ſo geruͤhrt, daß auch die wil - deſten Buben ihm verſprachen, die jungen Baͤume zu ver - ſchonen. Johannes hatte das Saͤngerchor bearbeitet, das Maienſetzen aufzugeben und der Pfarrer wie der Richter hatten uͤberall nach dem Vorgange unſrer beiden Freunde das Jhrige gethan, dem Wunſche derſelben mit ihren eignen Ermahnungen Nachdruck zu geben. Faſt Alle hatten’s verſprochen, da alle die vorgebrachten Gruͤnde den Vernuͤnftigen einleuchteten und alle Maͤdchen ſich bereit erklaͤrten, gern noch einmal ſo viel Kraͤnze als ſonſt winden zu wollen, damit nur die ſchoͤnen Baͤumlein ver - ſchont blieben und dafuͤr an anderm Schmuck bei der Ankunft des heiligen Johannes es nirgends fehle. Nun war der Johannistag gekommen und uͤberall im Dorf204 war nach dieſen Verſprechungen gehandelt worden aber eben gerade deshalb hatte der widerſpenſtige Chriſtlieb, der ſich andere Jahre mit einer einzigen Maie vor ſeinem Haus begnuͤgt, dies Jahr eine ganze doppelte Reihe da - von aufpflanzen laſſen. Man wußte recht gut, daß es nicht Anhaͤnglichkeit an eine alte Sitte ſei, ſondern nur Trotz gegen diejenigen, die es anders gewollt hatten; er ſelbſt wollte dadurch den Leuten beweiſen, er mache, was ihm gut duͤnkte und ſchere ſich um Niemand im Dorfe Etwas, weder um den Pfarrer, noch den Richter, am Wenigſten um Johannes und den Schulmeiſter. Dieſer ward nun ganz aufgebracht von ſolchem Hohn und wußte vor Aerger nicht, was beginnen. Ganz ingrimmig ſtand er am Fenſter und ſchaute mit zuckenden Haͤnden hinaus.

Der Johannistag war aus der Reihe der privilegirten Feiertage geſtrichen, aber es war auch jeder Gemeinde frei gegeben, ihn mit einer kirchlichen Feier, wie in alter Zeit, zu begehen. Unſer Pfarrer gehoͤrte nun nicht zu den gewoͤhnlichen und traͤgen Geiſtlichen, welche froh ſind, wenn ſie ſich einmal eine Predigt erſparen koͤnnen ihm war es ein Ernſt um den Dienſt im Reich der allge - meinen Bruderliebe, dazu er berufen war. Er freute ſich daruͤber, daß ſeine Gemeinde ihn angegangen war, auch am Johannistag zu predigen und hielt am Morgen Got -205 tesdienſt, indeß der Nachmittag ganz fuͤr eine heitere Feier beſtimmt war.

Unſer Schulmeiſter fand jetzt, daß es Zeit ſei, in die Kirche zu gehen. Er eilte hinein und hinauf auf’s Or - gelchor. Es war noch ziemlich leer wie er kam, nur die Saͤnger zu dem vierſtimmigen Geſang, der heute aufge - fuͤhrt werden ſollte, waren ſchon da. Er ſah hinunter in das Schiff der Kirche, das ſich mehr und mehr zu fuͤllen begann. Da ſaß Suschen in ihrem Stand mit geſenk - tem Koͤpfchen und ſtiller Trauer in dem lieblichen Geſicht. Sie bot ihren duftenden Blumenſtrauß der Mutter Eva, die neben ihr ſaß und ſie zuweilen verſtohlen pruͤfend, ja kopfſchuͤttelnd anſah. Mutter Eva war auch wieder be - denklich geworden uͤber ihren Johannes und Suschen. Oben auf dem Chor ſtieß Friedrich unſern zerſtreuten Schulmeiſter an: es waͤre nun wohl Zeit zum Anfangen. Erſchrocken und ſich beſinnend fuhr dieſer auf die Orgel zu, winkte den Baͤlgetretern und begann: Wie groß iſt des Allmaͤchtigen Guͤte, recht von Herzen wollte es ihm diesmal aber nicht gehen, der Arme war ja nahe da - ran, an der Guͤte des Allmaͤchtigen, in Bezug auf ſich ſelbſt, zu verzweifeln.

Kurz nach Mittag nun eilten Johannes, Friedrich und unſer Schulmeiſter hinaus nach dem Bahnhof. Sie ſcheuten den weiten Weg nicht, den ſie in der brennend -206 ſten Sonnenhitze zuruͤckzulegen hatten, denn es galt ja helfende Geſinnungsgenoſſen freundlich zu empfangen.

Wie nun unſere Drei um die dritte Nachmittags - ſtunde vom Bahnhof zuruͤck mit zwoͤlf fremden jungen Bur - ſchen ſingend daher gezogen kamen, ſo lief das ganze Dorf neugierig zuſammen. Die fremden Burſchen waren vom Kopf bis zum Fuß in graue Leinwand gekleidet, trugen ſolche Hoſen und Jacken mit rothen Litzen benaͤht und gleiche, lichte Muͤtzen mit rothen Raͤndern. Jhre Schritte gingen im muntern gleichmaͤßigen Takt, daß es von Wei - tem klang, als marſchire eine Compagnie Soldaten in’s Dorf ein. Erſt ſahen ſich die Leute im Dorf verwundert an, dann aber empfingen ſie die einwandernden Gaͤſte mit froͤhlichen Hurrahs. Die Saͤnger des Dorfes aber, die Mitglieder der Liedertafel, ſchloſſen ſich dem Zuge an und ſo zogen ſie Alle zuſammen hinauf auf die Burg. Johannes bewillkommnete ſie hier, und ſaͤgte:

Deutſche Bruͤder und Kameraden! Da ſind wir nun hier zuſammengekommen, Staͤdter und Landleute, in froher fraͤftiger Jugend einmal vereinigt, den heiligen Jo - hannistag zu feiern. Der heilige Johannes war ein kraͤf - tiger ernſter Mann, ein Prediger in der Wuͤſte, der darin gegen alle aͤußere Eindruͤcke ſich gekraͤftigt und abgehaͤrtet hatte. Das that ihm Noth zu ſeinem gefahrvollen und wirkensreichen Lebenswandel, da brauchte er Kraft, Staͤrke,207 Entſagung und Muth. Alles das thut uns auch Noth, wenn wir ihm nachfolgen und wuͤrdig verehren wollen, d. h., wenn er uns ein Beiſpiel ſein ſoll, wie man kaͤm - pfen muß mit der Gemeinheit und dem Kraͤmerſinne vie - ler Menſchen, die nichts Hoͤheres kennen, als ſinnliches Wohlleben, die Einer den Andern verachten oder verehren um irdiſch Gut, und unter ſich einen Unterſchied machen wollen von Hoch und Niedrig, den Nichts beſtimmt, als der Zufall der Geburt oder des Reichthums an Geld und Land. Ja, mit dieſer Gemeinheit wollen wir kaͤmpfen und ihr Trotz bieten, wie es Johannes gethan. Hoͤren wir aber auch auf ſeinen Spruch: Thut Buße, bis das Alte neu geworden! thut Buße, denn das Himmelreich iſt nahe herbeigekommen! Aber die Buße, die er verlangt, iſt nicht etwa die, welche Kopfhaͤnger oder froͤmmelnde Strafprediger uns auferlegen moͤchten es iſt die, welche jede Zeit, aber eine große, wie die damalige und wie die unſre auch werden wird, ja eigentlich ſchon iſt, von uns fordert: die Buße, das Alte abzuthun und dem Neuen zu dienen. Die alten Gewohnheiten, wenn ſie ſchlecht und unbrauchbar geworden ſind, muͤſſen wir von uns thun, weil ſonſt nie die beſſere Erkenntniß und mit ihr der Fortſchritt ſich Bahn brechen kann und wir dann Alle immer und mit uns alle Menſchen ſtehen bleiben, wo wir einmal ſtanden. Das darf aber nicht ſein, denn208 Fortſchreiten iſt der Beruf und die Beſtimmung der gan - zen Menſchheit. So muͤſſen wir Alles aufſuchen, unter uns einfuͤhren und uns aneignen, was dieſem Zweck dient. Dieſer Ruf ergeht an alle Menſchen. Jſt es aber nicht natuͤrlich, daß wir Maͤnner in der Kraft der Jugend dieſem Rufe am Schnellſten und Freudigſten folgen? Wir wollen das Neue aufnehmen, das die neue Zeit uns bietet!

Die Kraft des Koͤrpers zu entfalten, weil nur im geſunden Koͤrper eine geſunde Seele wohnen kann das iſt auch unſere heilige Pflicht. Edle Maͤnner in unſerm deutſchen Vaterlande erkannten dies ſchon vor langer Zeit und riefen die Jugend auf zur Uebung der Koͤrperkraft, um damit auch zugleich die der Seele zu großen und edlen Thaten zu uͤben. Nun gab es Leute in Deutſchland, die eben dieſe ſchoͤne Thatenluſt der Ju - gend ungern ſahen und ſie verhinderten lange Zeit, was jene edlern Maͤnner erſtrebt hatten. Unſern Tagen aber war es vorbehalten, auch denen, welche die Macht, zu verbieten und zu erlauben haben, zu beſſerer Einſicht zu verhelfen und das Turnen ward nicht nur erlaubt, ſondern auch in allen Schulen in den Staͤdten von Staatswegen eingefuͤhrt. Und ſo gruͤße ich Euch deutſche Turner, Bruͤder, die Jhr heute zu uns gekommen ſeid Jhr werdet denen unter uns Landleuten, welche noch209 nicht wiſſen ſollten, was Turnen eigentlich iſt, daſſelbe zeigen, ihnen Luſt machen und wir werden, ſo Gott will, bald Eure wuͤrdigen Turnbruͤder ſein. Friſch, frei, froͤh - lich und fromm! das iſt der Spruch der deutſchen Tur - ner! er ſei heute die Looſung fuͤr uns Alle!

Damit endete Johannes. Die Turner und unſer Schulmeiſter riefen ihm jauchzenden Beifall zu, der Pfar - rer ſtand in Nachdenken verſunken da, Etwas wie eine truͤbe Ahnung ſchien ſeine Seele zu bekuͤmmern, doch ſprach er Nichts davon aus. Einige der Bauernburſche lachten vergnuͤgt in ſich hinein, andere kratzten ſich ver - legen hinter den Ohren und wußten weder, was ſie ſa - gen, noch was ſie denken ſollten. Die Maͤdchen, die auch mit hergekommen waren, ſteckten neugierig und fluͤ - ſternd die Koͤpfe zuſammen. Mutter Eva lief auf ih - ren Johannes zu, umarmte ihn mit Thraͤnen in den Augen und wußte doch nicht warum. Sie richtete ſich an ihm, wie ſtolz, hoch auf und fuͤhlte doch ihren gan - zen Koͤrper zittern, wie vor Bangen und Angſt um ihren Liebling.

Aber jetzt eilten die Burſchen zu den Stangen und Balken. Jm Nu ſaßen ſie oben auf dem Reck, bau - melten und ſchwenkten ſich daran hin und her und Jo - hannes war wie der Blitz oben auf der hoͤchſten Stange, von der das rothe Faͤhnlein herunter wehte. Unſrer14210Mutter Eva verging Hoͤren und Sehen, ſie hielt ſich die Augen zu. Die Maͤdchen riefen einmal uͤber das andere Ach und Oh! halb vor Verwunderung, halb vor Schrek - ken. So Etwas hatten ſie in ihrem Leben noch nicht geſehen. Unſer Schulmeiſter that auch ſein Moͤglichſtes in kuͤhnen Schwenkungen auf dem Reck. Die andern Burſchen bekamen bald Luſt vom Zuſehen, man konnte es ihnen anmerken, aber ſie waren zu ſchuͤchtern, damit hervor - zutreten. Johannes redete ihnen allen ermunternd zu, Friedrich und noch ein paar verſuchten endlich ihr Heil ſie machten zwar dabei einige laͤcherliche Purzelbaͤume, aber die Turner lachten ſie dafuͤr nicht aus, ſondern ſpra - chen ihnen nur immer Muth zu und gaben da und dort ihnen Winke, wie ſie’s anzugreifen haͤtten. Die Maͤdchen freilich konnten ein verſtohlnes Kichern nicht unterdruͤk - ken, auch einige von den Bauernburſchen, die ſich gleich gar nicht hervorwagen wollten, machten etwas derbe Witze uͤber die Wagehaͤlſe. Jndeß ging Alles friſch und gut, und froͤhlich bewegten ſich Alle durcheinander.

Wie nun die hellen Glocken vom Thurm Feierabend laͤuteten, ſo machten die Burſchen auch mit ihrer Turnerei Feierabend und zogen von der Burg hinab nach der Schenke. Jeder Burſch hatte ein Maͤdchen an ſeine Hand genommen und ſo wollten ſie unten im Freien tanzen auf dem gruͤnen Plan unter den gaſtlichen Lin -211 den. Unſer Schulmeiſter nahm raſch, als ob er etwas verſaͤume, eines der juͤngſten Dirnlein an die Hand, das noch bis Oſtern zu ihm in die Schule gegangen war und gar nicht wußte, wie es zu der Ehre kam. Johan - nes aber nahm richtig Suschens Hand, weil dieſe ſich ganz in eine Ecke verkrochen hatte und ſo auch von den fremden Burſchen uͤberſehen worden war, daß ſie bald ganz ohne Begleiter geblieben waͤre. Mutter Eva ſah gar bedenklich drein unſer Schulmeiſter aber wandte ſich mit purpurrothem Geſichte ab und druͤckte, weil es ihm war, als muͤſſe er durch irgend eine Bewe - gung ſeinen Schmerz und ſeinen Zorn auslaſſen, die Hand des Dirnleins, die in der ſeinigen lag, ſo ſehr, daß dieſes, gar nicht wiſſend, wie ihm geſchah, leiſe aufſchrie. Daruͤber ward er aber nur noch verlegner und ging nun immer ſcheu vor ſich nieder blickend ganz ſtill in dem Zuge mit weiter.

Der Tanz unten dauerte nun eben nicht lange, denn die fremden Turner wollten heute noch fort und die Jo - hannisfeuer ſollten zugleich als Abſchiedsgruͤße fuͤr ſie, ihnen noch nach von den Bergen lohen. Der Schen - kenwirth aber freute ſich der fremden unerwarteten Gaͤſte und begann jetzt die Eiſenbahn und ihre Naͤhe zu preiſen, auf die er vorher doch ſo geſchimpft hatte. Gegen Jo - hannes aber war er heute hoͤflicher als je. Er klopfte14*212ihm mehr als einmal ſchmunzelnd auf die Schulter, da er recht gut wußte, daß doch nur auf ſeine V[e]ranlaſſung die Fremden hergekommen waren. Johannes achtete das weiter nicht, nur einmal raunte er dem Wirth zu: Nicht wahr, ein andermal, Landsmann, urtheilt Jhr nich von einer Sache in’s Blaue hinein, wie der Blinde von der Farbe, ſondern wartet es erſt huͤbſch ab, bis das Ding vor Euch Geſtalt gewonnen hat?

Der Schenkenwirth zuckte die Achſeln, lachte in ſich hinein und gab weiter keine Antwort.

Der Johannistag iſt zwar faſt der allerlaͤngſte Tag, aber er neigt ſich doch auch einmal zu Ende und muß der Nacht weichen, wenn dieſe auch noch ſo kurz iſt. Den ganzen Tag hatte die Sommerſonne heiß und ſengend geſchienen, nun aber war ſie doch hinter den Bergen hinabgegangen und die Erde ſtroͤmte wohl - thuend in feuchten Duͤnſten die empfangene Waͤrme in die kuͤhlende Abendluft aus. Starker Thau fiel beim Sonnenuntergang, daß es von Weitem ausſah, als fließe und walle ein ſilberner Strom uͤber alle Wieſen und Felder. Der Himmel gluͤhte wunderbar in Purpur und Gold, bis allgemach dieſer Glanz verloͤſchte und die Him - melsluft, die erſt einem Beet von Vergißmeinnicht gegli - chen, jetzt in ein Feld dunkler Kornblumen ſich umdunkelte. Darin funkelten nach einander ſilberne Sternlein auf,213 immer eins groͤßer und blitzender als das andere. Drun - ten im duftigen Gras und Heu konnten die Heimchen das Zirpen immer noch nicht laſſen, es war ein Muſici - ren, als ſaͤße unter jedem Halm ſolch ein kleiner Muſi - kante und dann kamen ſie auch hervorgehuͤpft, hin und wieder in großen Bogen ſich ſchnellend, als wollten ſie heute gar nicht zur Ruhe kommen. Leuchtende Jo - hanniswuͤrmchen flogen in den Buͤſchen auf, wie ſpruͤ - hende Goldfunken. Zu ganzen Schaaren ſaßen ſie auf den uͤppiggruͤnenden Weidengeflechten am Bach, als ſei es ihre Pflicht, zum heiligen Johannisfeſt die ganze Flur zu illuminiren. Die Voͤgelchen waren allgemach zur Ruhe gegangen und hatten in den dichten Baͤumen ſich die dunkelſten Plaͤtzchen zum Schlafen ausgeſucht. Nur ein paar zaͤrtliche Nachtigallen konnten und wollten noch nicht ſchlafen, ſie riefen einander ſeufzende Liebesgruͤße zu, in ſanften Toͤnen klagend. Wer ſie ſo ſchlagen hoͤrte, dem ward ganz ſchwuͤl um’s Herz, er wußte ſelbſt nicht warum.

Solch ein wonnevoller Abend war’s, als Johannes ſein rothes Faͤhnlein hoch wehen ließ und, indeß die Tur - ner zum Abmarſch riefen, damit den Andern das Zeichen gab, ihm nun zu folgen. Die Muſik war verſtummt und der Tanz hatte aufgehoͤrt. Jetzt aber mußten die Muſikanten einen muthigen Marſch aufſpielen. Die214 Turner gruͤßten die Maͤdchen, die alle unter den Linden zuruͤckblieben, und zogen nun mit den Dorfburſchen unter zahlreichen Hurrahs zum Dorfe hinaus, bis auf eine kleine Hoͤhe ſeitwaͤrts von demſelben, der alten Burgruine gegenuͤber. Dort ſtellten ſie ſich auf und ſangen Alle vereint den vaterlaͤndiſchen Geſang:

Was iſt des Deutſchen Vaterland!

Dabei zuͤndete Johannes auf dieſer Hoͤhe, daß es weit den Weg, den die Turner ziehen mußten, beleuchtete, ein großes Johannisfeuer an, zu dem ſchon Alles bereit lag. So trennten ſie ſich unter vielen Gruͤßen und Haͤndeſchuͤtteln und dem Turnerruf: Gut Heil!

Johannes ſtand da wie ein ſchoͤner altdeutſcher Held und ſchuͤrte das Feuer, das mit rother Gluth ſein blaſſes Angeſicht uͤbergoß. Seine blauen Augen glaͤnzten heller als je, wie von hoͤherer Begeiſterung. Unſer Schulmeiſter hatte lange traͤumeriſch in die Flamme geſtarrt jetzt wußte er ſich auf einmal nicht zu halten und zu helfen, er ſprang auf Johannes zu und ſchuͤttelte und druͤckte heftig deſſen Hand. Johannes aber hatte nur Sinn fuͤr den einen Gedanken, der ihn allezeit, zumal aber heute und gerade jetzt am meiſten in dieſer Stunde beſeelte: den Gedanken, auch ſeine laͤndlichen Bruͤder aufzuwecken zum Bewußtſein ihrer wahren Menſchenwuͤrde, ſie aufzuwek - ken zum Streben nach Freiheit, und ſo deutete er auch215 die Erregtheit unſeres Schulmeiſters nur in dieſem Sinne und ſagte, deſſen dargebotene Hand herzlich ſchuͤttelnd: Nicht wahr, wir feiern ſolche ſchoͤne Tage noch oft und wenn ich nicht mehr hier bin, ſo ſorgen Sie, daß unter meinen Bruͤdern niemals wieder einſchlaͤft, was dieſer Sommer geweckt hat?

Unſer Schulmeiſter war tief beſchaͤmt, weil er eigent - lich jetzt und immer an Suschen und gar nicht an das Allgemeine gedacht hatte. Er ſagte auch nur: Ja, ge - wiß! aber weiter bracht er auch kein Wort heraus. Er konnte aus dieſem Johannes nicht klug werden, den er gern gehaßt haͤtte und den er doch wider ſeinen Willen unausſprechlich lieb haben mußte.

Darauf zogen alle Burſchen, da das Feuer verloͤſcht war, froͤhlich den Berg hinab und begleiteten ihren Lieb - ling Johannes noch bis hinauf auf die Burg. Dort riefen ſie ihm alle noch herzlich gute Nacht zu.

[216]

Hetzereien.

Es war einige Tage nach dem Johannistag. Schon laͤngſt hatte man im Dorf Feierabend gemacht. Die letz - ten Kuͤhe kamen eben von der Dorfhut heim. Nach dem Stall bruͤllend lenkte eine jede Kuh auf ihr Thor zu, das ihr auch alsbald aufgethan ward; und ſo fanden ſie ſich wieder zurecht in die heimiſchen Staͤlle, eine jede, wohin ſie gehoͤrte. Die Braune ging wie immer mit der Grauen in ein Gehoͤft, die Schwarze mit der Gofleck - ten und ſo fort. Das liebe Vieh iſt klug und merkt auch ohne Pfeifen und Peitſchenknallen des Kuhjungen oder den lockenden Ruf der Viehmagd, wohin es zu ge - hen hat und verlaͤuft ſich nicht. Auch die Schaafe ka - men von der Weide nach Hauſe; in hohen Wolken zog der Straßenſtaub des breiten Dorffahrweges vor ihnen her, den ſie aufwirbelten.

217

Die Abendglocken hatten ſchon ausgeklungen. Die taͤglichen Arbeiten auf dem Feld und im Haus waren zu Ende. Unſer Schulmeiſter, Friedrich, Jakob, Damme’s Knecht und etwa noch zwanzig Burſche waren zu Jo - hannes auf die Burg gegangen, dort ſich im Turnen zu uͤben.

Unterdeß ſaßen in der Schenke einige Gaͤſte zuſam - men, die fuͤr uns Alle bekannte Geſichter haben. Der Bote Martin, der reiche Damme und ſein Sohn Chriſtlieb, der Foͤrſter und noch einige andere Bauern. Die ſteckten Alle bedenklich die Koͤpfe zuſammen, als haͤtten ſie Wun - der was Großes unter ſich auszumachen. Jm Dunkeln iſt gut munkeln, ſagt ein altes Reimſprichwort das bewaͤhrten ſie auf ein Haar, denn ſie waren in die fin - ſterſte Ecke des Platzes vor der Schenke geruͤckt, wo ein Voruͤbergehender ſie gar nicht gut ſehen konnte, und mun - kelten nun Allerlei, als haͤtten ſie wer weiß was ſich zu vertrauen. Der Schenkenwirth ging ab und zu er mochte Nichts von dem Geſpraͤch verlieren, aber er hatte auch nicht Luſt, darein zu reden, weil er ſelbſt eben nie eine eigne Meinung hatte, ſondern am liebſten denen von ſeinen Gaͤſten zu Willen redete, die am meiſten bei ihm aufgehen ließen.

Chriſtlieb fuͤhrte wieder das große Wort, wie ge - woͤhnlich. Aber ſagt mir nur, Nachbar, ſollen wir denn Alle die Teufelswirthſchaft oben auf der Burg geduldig218 mit anſehen und zugeben, wie uns durch dieſen Johannes im ganzen Dorf das Oberſte zu unterſt geſtuͤrzt wird? denn das muͤßt Jhr doch einſehen, daß es darauf ange - fangen wird! Keine andere Menſchenſeele iſt aber daran Schuld als dieſer Johannes, mit dem ich ſchon als Kind gar nicht umgehen mochte, weil mir der alberne Junge viel zu gering war ein Betteljunge, ein ſchlechter Knecht waͤr er geworden und Nichts weiter, haͤtt nicht des Herrn Gerichtsdirectors verruͤckter Bengel einen ſol - chen Narren an ihm gefreſſen gehabt! Kein Menſch hatte mehr an den verlaufnen Kerl gedacht und nun muß er auf einmal wieder herkommen, zu unſrer Aller Aerger. Thut nun wichtig, wenn es gleich nicht ſo heißen ſoll, aber es muß doch Alles nach ihm gehn und nach ſeiner Pfeife tanzen, juſt ſo wie er’s haben will. Da ruhig zuſehen mag ein And’rer wie ich ich will doch ſehen, ob ich’s nicht mit ſo einem verlaufnen Burſchen noch aufnehme! Und was wird denn groß ſein mit ſeiner Schreiberei? Das bringt auch den Teufel wenig ein und ich habe mir in der Stadt ſagen laſſen, daß die Fe - derfuchſer verdammt lumpige Kerle ſind, die nur zum Schreiben greifen, weil ſie nichts Anderes, Ordentliches gelernt, weil ſie Nichts haben und nur immer in der Welt herumziehen wollen als Bruͤder Luͤderlich. Das ſind dann Menſchen, denen Nichts auf Gottes Erdboden219 recht iſt und die Alles nach ihrem eignen dummen Kopfe einrichten wollen. So ein Menſch iſt nun der Johan - nes geworden da iſt’s ihm nun eingefallen, herzukom - men und das ganze Dorf nach ſeiner Pfeife tanzen zu laſſen und da ſind die Leute auch ſo dumm und tan - zen danach!

Jhr duͤrft es nicht auf den Johannes allein ſchie - ben, ſagte der Bote Martin bedaͤchtig, der Schulmeiſter iſt gerade ſo ſchlimm, der mengt ſich auch in Alles, ſtatt nur um ſeine Schulkinder ſich zu bekuͤmmern, und iſt auch ſo Einer, der ſonſt in der Stadt das ganze dumme Zeug mitgemacht hat, mit dem ſie nun unſern Burſchen hier die Koͤpfe verdrehen, Chorſingen, Turnen und dies Zuſammenkommen und Redenhalten.

Ach geht! fiel ihm Chriſtlieb in’s Wort, wenn das auch ſchon wahr iſt, was Jhr da von dem Schulmeiſter ſagt, ſo bleibt es doch dabei, daß der Johannes ganz al - lein an Allem Schuld iſt. Der Schulmeiſter wagte doch nicht, ſo mit ſeinem verruͤckten Zeuge herauszugucken, er that’s hoͤchſtens nur in Sachen, wo er den Pfarrer zum Ruͤckenhalt hatte und wie mir ſchien, war der am Jo - hannistag, wie die Fremden hier waren, eben nicht ſo ſehr auf Laune; ich ſah ihn ein ganz bedenkliches, miß - muthiges Geſicht machen, wie er nach Hauſe ging. Nein, den Schulmeiſter, den haͤtten wir ſchon unterdruͤcken und220 klein kriegen wollen, er war zuletzt ſchon ganz anders ge - worden und wir haͤtten ihn allmaͤlig noch muͤrber ge - macht, nun aber dieſer Johannes da iſt, denkt der Schul - meiſter auch ganz anders auftreten zu koͤnnen und macht nun Alles willig, was der ihm eingiebt.

Das Schrecklichſte bei dem Allen, warf der Foͤrſter ein, indem er mit den Fuͤßen hin und herſcharrte, iſt: daß Johannes bis zum Spaͤtherbſt hier bleiben will was er bis dahin noch Alles anſtiften wird?

Der alte Damme legte ſich gravitaͤtiſch in ſeinen Stuhl zuruͤck und ſagte, indem er ſich eine ganz abſon - derliche Wuͤrde zu geben ſuchte: Man muß dieſen Alles - Beſſer-Wiſſern ernſtlichen Widerſtand entgegenſetzen und ihnen beweiſen, daß man auch noch da iſt!

Ja, wie Jhr es mit den Maien gemacht hattet am Johannistag, ſagte ein alter Bauer, aber das hilft nur nicht viel, ſtatt einer, die Niemand ſetzen ſollte, hattet Jhr eine ganze Reihe gepflanzt. Damme trat den Spre - cher unter dem Tiſch bedeutungsvoll auf den Fuß und deutete mit einem Augenzwinkern zum Foͤrſter hinuͤber, vor dem er die Geſchichte mit den Maien nicht gern be - ſprechen hoͤrte; der Alte aber kehrte ſich nicht daran und fuhr fort: Es war in der That ein geſcheidter Einfall von Euch, Gevatter aber was half’s? Jhr waret der Einzige, der’s ſo gehalten hatte und was hattet Jhr221 denn davon? Nichts, als daß faſt jeder Burſch im Dorfe, der voruͤber ging, die Hand drohend gegen Euer Haus ballte und dabei einen Fluch murmelte, daß es Euch ſchon einmal zu Haus und zu Hof kommen ſollte das war erſt eine Gelegenheit, wobei ſie Alle dem Schul - meiſter, dem Jhr doch hattet einen Poſſen ſpielen wollen, bewieſen, daß ſie mehr auf ſeine Worte gaben, als auf Euere Thaten ein andermal, Gevatter, muͤßt Jhr ſo Etwas kluͤger anfangen!

Hoho! der faͤngt noch an, gute Lehren zu geben, fuhr Chriſtlieb auf; der Foͤrſter aber ergriff zugleich das Wort und ſagte: Da hab ich noch ein Huͤhnchen mit Euch zu braten von wegen der Maien, Herr Damme!

Jch hab ſie nicht aus Eurem Revier geholt, Herr Foͤrſter, antwortete Damme patzig, ich weiß wohl, daß Jhr auch wie ein Narr mit den Straͤuchern ſeid!

Nun, das fehlte auch noch, daß Jedermann gleich ſo in’s Holz gehen und Baͤume ſtehlen koͤnnte, obwohl’s ſo geſchieht, antwortete der Foͤrſter, aber da iſt eben mein College druͤben ſo ein Schuft und verkauft die jun - gen gruͤnen Birken, was er gar nicht darf, und Jhr ſoll - tet Euch ſchaͤmen, dergleichen zu unterſtuͤtzen. Aber wie iſt mir doch die Sache anders erzaͤhlt worden? Da hieß es: das ganze Dorf waͤr einig geworden, keine Maien zu ſetzen zum großen Aerger des Johannes, der von den222 Baͤumen ganze Ehrenpforten und Laubgaͤnge fuͤr die Fremden habe bauen wollen, und Jhr, Herr Damme, haͤt - tet recht abſichtlich nur deshalb welche geſetzt, weil die Fremden nicht durch Eure Gaſſe weiter ziehen wuͤr - den und ſie ſehen ſollten: es gaͤbe wohl noch Maien am Johannistag und im Dorf nur gerade fuͤr ſie nicht. Wer hat mir’s doch gleich ſo erzaͤhlt?

Da ſeid Jhr ſchlecht berichtet, ſagte der Schenken - wirth, der eben jetzt hinzu getreten war, denn was wahr iſt, muß man ſagen: Johannes iſt zuerſt wider das Maienſetzen geweſen und dann hat es der Schulmeiſter in der Schule verboten. Das iſt die Wahrheit. Es iſt viel Gerede um die Sache geweſen, mehr als der Bettel eigentlich werth iſt; mir war’s ſehr egal, ob ich eine Maie vor der Thuͤr hatte oder nicht, und ſo macht ich mit, was die Meiſten zuſammen verabredet hatten.

Oho! ſagte der Foͤrſter, Maien ſind kein Bettel! Jhr wißt aber Alle nicht, was das heißt, einen Wald be - ſtellen, und denkt, das waͤchſt Alles nur ſo wild heraus und auf, daß keine Menſchenſeele ſich darum zu kuͤmmern braucht. Alſo der Johannes einzig und allein hat den geſcheidten Einfall gehabt, wider das Birkenſetzen zu eifern? Wer hat mich nur gleich ſo verkehrt berichtet? So ſagt’s doch nur, wirklich der Johannes hat die Baͤume in Schutz genommen?

223

Was wahr iſt, muß man ſagen! rief der Wirth noch einmal und die Andern bekraͤftigten es.

Nun, wenn’s ſo iſt! rief der Foͤrſter, ſo lauf ich gleich ſelber zum Johannes hinauf auf die Burg und ſag ihm, daß er ganz mein Mann iſt, wenn er ein Ein - ſehen hat bei ſolchen Sachen, uͤber die ich mich Jahrelang geaͤrgert habe und die Jhr Alle nicht begrifft, wenn ich auf Aenderung dringen wollte!

Jhr ſeid wohl nicht klug, rief Chriſtlieb und hielt den Foͤrſter am Arme, daß Jhr dem verruͤckten Bengel eben noch beſonders ſein Thun und Treiben fuͤr Recht ſprechen wollt, da er doch ſchon denkt, er hat allein alle Weisheit in ſich mit Loͤffeln gefreſſen?

Der Foͤrſter ſchob Chriſtlieb zuruͤck und ſagte: Jhr ſeid auch nur ein Gelbſchnabel gegen mich, ich bedanke mich fuͤr Euern Rath und werde ſchon thun und laſſen was ich will!

Ei, ſagte der Bote Martin haͤmiſch, ſo geht doch hinauf zu dem großen Herrn Johannes und bedankt Euch fein gleich mit fuͤr die Erklaͤrung, die er neulich den Bauern gegeben, deren Felder zunaͤchſt an die Waldflur ſtoßen: daß ſie doch ja um Entſchaͤdigung einkommen ſoll - ten fuͤr den Schaden, den das Wild alljaͤhrlich auf ih - ren Feldern mache und, wenn ſie von der einen Behoͤrde abgewieſen wuͤrden, ſo moͤchten ſie nur an eine224 andere, hoͤhere gehen und ſo immer weiter. Sollten ſie auch uͤberall abgewieſen werden, ſie moͤchten dann dennoch die Klage nicht aufgeben, ſondern immer wieder von Neuem anfangen wenn man ſich nur nicht irre und wankend machen laſſe, ſondern ganz entſchieden bei einer Sache beharre, als bei ſeinem guten Recht, ſo komme man auch dazu, es muͤſſe ſchon noch Gerechtigkeit geben!

Was das iſt ja ganz unverſchaͤmt, die Leute ſo aufzuhetzen! rief der Foͤrſter, wenn Jhr mir nur nicht wieder Luͤgen ſagt! drohte er.

Das iſt nun allerdings wieder die einfache Wahr - heit! bekraͤftigte der Schenkenwirth, dem jetzt als ziemlich unparteiiſch am meiſten Glauben geſchenkt ward.

Oh, es kommt noch beſſer! fuhr der Bote Martin fort, Jhr habt den Herrn Johannes noch fuͤr Vieles zu danken, ei ja doch, Jhr gerade! lachte er hoͤhniſch!

Der Foͤrſter ſetzte ſich ganz ſtill auf ſeinen Platz wie - der nieder. Chriſtlieb und ſein Vater warfen ſich trium - phirende Blicke zu, der Bote Martin erzaͤhlte weiter:

Ueberhaupt hat er den Leuten geſagt, da bald der Landtag wieder zuſammentrete, ſo moͤchten ſie eine Peti - tion machen um Aufhebung des Jagdrechtes. Die Jagd - geſetze waͤren ganz mittelalterlich und ſtammten noch aus den alten boͤſen Zeiten her, da die Bauern leibeigen oder hoͤrig geweſen. Es ſei ganz unnatuͤrlich, daß der225 Gutsherr auf den Feldern des Bauern jagen duͤrfe dieſer muͤſſe eigentlich auch das Recht haben, auf ſeinem eignen Grund und Boden zu ſchießen, was ſich dahin verliefe.

Was? rief der Foͤrſter, deſſen Haar ſich foͤrmlich zu ſtraͤuben begann uͤber das, was er hoͤrte, ſolchen Un - ſinn hat der Johannes geſchwatzt und die Leute haben ihm doch nicht geglaubt?

Jm Gegentheil, antwortete Martin lachend, Alle ſchwoͤren ganz ſteif und feſt auf ſeine Worte, denn das muß man ihm laſſen, er hat ſo eine Art, den Leuten Et - was einzureden, daß ſie am Ende glauben, ſchwarz iſt weiß, wenn es ihm einfaͤllt, das behaupten zu wollen. Dann hat er weiter geſagt, in dieſer Petition muͤſſe mit vorgebracht werden, daß ſelbſt, wenn man das ganze bis - herige Jagdrecht nicht gleich aufheben und die Jagd ab - loͤſen oder ganz freigeben wolle, dann doch die Jagdgeſetze geaͤndert werden muͤßten. Namentlich ſei das Geſetz ge - gen die Wilddiebe ganz unmenſchlich. Wenn jetzt ein Jaͤger einen Menſchen im Walde finde, der eine Flinte oder eine Axt bei ſich habe und er wuͤrfe auf den erſten Ruf des Jaͤgers die Waffe nicht gleich weg, ſo habe die - ſer das Recht, ihn ohne Weiteres niederzuſchießen.

Nun, das iſt doch ganz in der Ordnung? unter - brach der Foͤrſter den Sprecher und ſah ſich im Kreiſe15226der ganzen Anweſenden um, als frage er Jeden: wie nur hier eine andere Einrichtung als vernuͤnftig denkbar ſei.

Hoͤhnend aber fuhr Martin fort: Euer lieber Herr Johannes aber, der fuͤr Eure Maienbaͤumchen ſo beſorgt iſt, hat gerade umgekehrt geſagt: das ſei gar nicht in der Ordnung, dadurch wuͤrden die Wildjaͤger zu Menſchenjaͤ - gern, zu ganz gemeinen Moͤrdern, die aber das Geſetz, ſtatt ſie zu beſtrafen im vorkommenden Falle, in Schutz nehme; ja die Verblendung ginge ſo weit, daß dieſe Leute mein - ten, wenn ſie in ihrem ſtolzen Uebermuth einen Mord begingen, nur ihre Pflicht gethan zu haben und gar noch deſſelben ſich ruͤhmten. Dies muͤſſe durchaus anders werden. Die Wilddiebe und Holzfrevler ſeien wohl geſetzlich zu beſtrafen, wie alle Verbrecher, aber ihr Leben duͤrfte nicht der Willkuͤr eines Jaͤgers Preis gegeben ſein. Es muͤſſe den Jaͤgern verboten werden, auf Menſchen zu ſchießen und wenn ſie es dennoch thaͤten, muͤßten ſie als Moͤrder beſtraft werden.

Nun hoͤrt auf mit Eurem Unſinn! ſchrie der Foͤr - ſter wuͤthend auf, und das hat wirklich der Johannes Alles geſagt?

Genau wie ich Euch ſage! verſicherte Martin.

Und er iſt dafuͤr von allen Leuten als ein verruͤck - ter Junge tuͤchtig ausgelacht worden? frug der Foͤrſter heftig weiter.

227

J, bei Leibe nicht! lachte Martin, die Leute ha - ben beifaͤllig mit dem Kopfe genickt und ihn um’s Him - mels Willen gebeten, er moͤchte die Petition fuͤr ſie nur abfaſſen, die ganze Gemeinde wuͤrde ſie unterſchreiben.

Nun, ſo weiß ich was ich thue! rief der wuͤthend gewordene Foͤrſter mit Entſchloſſenheit: ich berichte Alles an den Herrn Grafen!

Recht ſo! riefen Alle beifaͤllig und triumphirend, das iſt auch wirklich das Beſte!

Jch ſchreibe an den Herrn Grafen, wiederholte der Foͤrſter, was fuͤr eine Schlange er ſich ſelbſt in dieſem Johannes naͤhrt. Wie ſehr es zu ſeinem eignen Schaden iſt, daß er dieſen Menſchen hierhergelaſſen und ihm nun gar in ſeiner eignen Burg freie Wohnung giebt! Jch ſchreib ihm, wie Johannes das ganze Dorf aufwiegelt und das Unvernuͤnftigſte verlangt mit einem Worte, ich ſchreibe ihm Alles, was Jhr mir eben uͤber dieſen Aufwiegler geſagt habt und dann ſorg ich weiter nicht, der Herr Graf werden ſchon Rath zu ſchaffen wiſſen, wie der verteu - felte Burſche hier wegzubringen iſt, lieber heute als morgen!

Ja und vergeßt nur nicht, ſagte Chriſtlieb hoͤhniſch den Foͤrſter aufziehend, die großen Verdienſte des Jo - hannes, um die Maienbaͤume mit zu erwaͤhnen, der Herr Graf moͤgen ſich dafuͤr bedanken.

Wer weiß, die Sache hat vielleicht auch noch ihren15*228beſondern Haken, ſagte der Foͤrſter, aber darauf verlaßt Euch: ich ſchreibe gleich morgen des Tages, und wer mir noch mehr Stoff zu dem Briefe zu geben weiß, der mag mir’s nur in Zeiten melden.

Aber, liebe Gevattern, ſagte der alte Herr Damme, in allen ſolchen Faͤllen iſt Schweigen die Hauptſache. Laßt ja gegen Niemand Etwas von Eurem Vorhaben verlauten, werther Foͤrſter ſie koͤnnten uns ſonſt wohl gar auf geſchickte Art entgegenarbeiten und wir verloͤren das Spiel. Auch gegen den Schenkenwirth wollen wir ja Nichts verlauten laſſen; ich traue ihm nicht mehr. Er haͤlt’s jetzt auch halb und halb mit dem Johannes, ſeitdem er Profit von ihm hat. Sag ja alſo Keiner einer Seele Etwas, es bleibt Alles unter uns.

Daß die Singerei und nun gar die Turnerei im Dorfe nicht weiter wie ein ſchaͤdliches Fieber um ſich freſ - ſen, muß man doch Etwas dagegen thun, ſagte Chriſt - lieb. Jch habe heute unſern ſaͤmmtlichen Knechten an - gekuͤndigt: Wer von ihnen das Turnen mit anfangen will, der iſt am laͤngſten bei uns geweſen und kann ſehen, wo er einen andern Dienſt findet. Zwei von den Leuten waren vernuͤnftig und ſagten, ſie machten das dumme Zeug ſo nicht mit, ich koͤnne mich darauf verlaſſen. Dem Knecht Jacob aber ſah ich die innerliche Wuth an, er ward ganz roth vor Aerger, wagte aber doch kein Wort zu ſagen 229 dieſer einfaͤltige Jacob iſt Johannes guter Freund, ich bin nun neugierig, was der anſtiften wird!

Recht ſo! ſtimmte der Bote Martin bei. Jch glaube, Euer Jacob ginge fuͤr den Johannes in’s Feuer, nun er mag ſehen, wie er zurecht kommt, wenn Jhr ihn von Euerm Hofe fortweiſt. Jch wenigſten litte einen ſolchen Menſchen, der Alles thut, was mein Feind will, und das iſt doch Johannes von Euch keine Minute laͤnger unter meinem Dache. Jhr koͤnnt ja gar nicht ſicher ſein, daß er’s Euch nicht einmal uͤber dem Kopfe anzuͤndet!

Jch habe auch ſchon daran gedacht, ſagte Herr Damme und ich warte nur auf eine guͤnſtige Gelegen - heit, ihn auf gute Weiſe fortzuzeigen, daß es nicht hart - herzig ausſieht; man muß doch den Schein bewahren. Jch denke, nun wird ſich dieſe Gelegenheit ſchon bald finden.

Fuͤr heute alſo gute Nacht! ſagte der Foͤrſter auf - ſtehend, ich muß noch einen Gang zu dem Richter.

Nun, da verſchnappt Euch nicht, warnten die Andern, denn der haͤlt’s auch ganz und gar mit dem Johannes, das iſt eben das Ungluͤck!

Der Bote Martin beſann ſich, daß er noch auf die Pfarre mußte und ſo trennten ſich die Feinde unſeres Johannes nach allen Seiten hin.

Der Pfarrer ſaß im Garten mit ſeiner Gattin und ſah etwas bekuͤmmert aus. Haſt Du dem Etwas mit230 Johannes gehabt? begann die Pfarrerin, er ſah ganz erhitzt aus, wie er vorhin fortging, halb mitleidig, halb trotzig; ich hatte ihn noch niemals ſo geſehen!

Weiß der Himmel, begann der Pfarrer ſeufzend, ich koͤnnte meinen eignen Sohn nicht lieber haben als dieſen Menſchen! Er iſt fromm und gut wie ein Kind und dabei hab ich noch keinen andern jungen Mann ge - kannt, der hoͤhere geiſtige Gaben gehabt als er aber es iſt ein Umgeſtuͤm und Thatendrang in ihm, den ich zuͤgeln moͤchte. Er geht in allen Dingen, die er unter - nimmt, ſo raſch und zuverſichtlich zu Werke, als koͤnn es ihm gar nicht fehlen, daß ich immer denke, er wird noch einmal unvermerkt an ſolchen Widerſtand ſtoßen, daß er daran zu Grunde geht. Dabei, wenn man ihm, wie die Leute ſagen, nur den kleinen Finger giebt, ſo nimmt er gleich die ganze Hand, daß ich ihm vorhin eben ernſtlich ſagte, ich moͤge mit ſeinen Plaͤnen Nichts mehr zu thun haben, er moͤge mich aus dem Spiele laſſen und ich wuͤrde es auch dem Schulmeiſter ſagen, daß er ſich nicht mehr von ihm verfuͤhren ließe. Verfuͤhren, o mein Gott! rief er. Sie auch?! und er ſtuͤrzte fort, ohne weiter Etwas zu antworten oder von mir eine fer - nere Antwort abzuwarten. Beinah haͤtt ich ihm nachge - rufen und mich von ſeiner Leidenſchaftlichkeit verleiten laſſen, meine Worte zuruͤckzunehmen oder durch vaͤterliches231 Zureden und freundliches Auseinanderſetzen ſie doch zu mildern, aber ſoll denn das Alter in dieſer neuen Zeit der Jugend immer nachgeben? Wie ich jung war, war es anders!

Die Pfarrerin entgegnete mit ſanfter Stimme, in der eben doch ein leiſer Ton des Vorwurfs herauszuhoͤren war: Wenn Du freilich ſo ganz wider Deine gewohnte Art und Weiſe mit dem Johannes geſprochen haſt, ſo wundert mich’s nicht, daß er fortgelaufen. Bisher haben wir ihn doch nur lauter Gutes im Dorfe reden und thun ſehen, wie magſt Du nur auf Einmal all ſein Thun verdammen und anders wuͤnſchen?

Es giebt Viele im Dorfe, die nicht mit ihm zufrie - den ſind, antwortete der Pfarrer ernſt. Jch habe mich bisher gerade nicht ſehr daran gekehrt, denn es ſind meiſt Leute, auf die ich nicht viel gebe, wie Damme, Berthold und dergleichen, die immer an Allem maͤkeln, was nicht in ihren Kram paßt. Aber wie ich geſtern in der Stadt war, mußt ich von allen Leuten reden hoͤren uͤber das Singen und Turnen auf unſerm Dorfe und wie man von Oben herab ein Auge auf uns habe. Einer unſ’rer Aktuarien ſagte mir, daß wenn Johannes nicht in unſerm Dorfe ſeine Heimath habe, ſo wuͤrde er laͤngſt ausgewieſen wor - den ſein ſo aber wiſſe man nicht, was zu thun waͤre. Jch ſolle ihn, naͤmlich den Aktuarius, nicht verrathen, er232 ſage mir dies nur aus Freundſchaft im Vertrauen, damit ich wiſſe, woran ich ſei und mich darnach richten koͤnne auch Johannes warnen, im Fall er mir lieb ſein ſollte, aber nur als vaͤterlicher Freund und aus eigner Beſorg - niß; ihn ſelbſt und ſeinen gutgemeinten Rath ſolle ich ja um Alles aus dem Spiele laſſen, ſonſt hieße es gleich, er wolle demagogiſche Umtriebe beguͤnſtigen und halte es auch mit ſolchen gefaͤhrlichen Subjekten. Sieh, liebe Frau, ſo weit iſt es bereits gekommen, daß dieſer Johan - nes bei den Behoͤrden als ein gefaͤhrliches Subjekt bezeichnet iſt!

Aber Du haſt ihn doch vertheidigt, ſagte die Pfar - rerin beſorgt, und ihn gegen alle Verleumdungen in Schutz genommen?

Freilich hab ich das gethan nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen, ſagte der Pfarrer, aber daß er ein We - nig zu ungeſtuͤm und hitzig ſei, das Neue zu foͤrdern und Verbeſſerungen einzufuͤhren, konnt ich doch nicht in Abrede ſtellen ich fuͤrchte, daß was ihn bei mir ent - ſchuldigt, doch vor den Behoͤrden als kein Entſchuldi - gungsgrund dienen kann, falls er wirklich einmal zu weit gehen ſollte.

Dieſes Geſpraͤch war in einer dichten Gartenlaube gefuͤhrt worden. Der Bote Martin war waͤhrend des - ſelben in den Garten getreten, ohne bemerkt zu werden233 und da er den Pfarrer mit der Pfarrerin in ſo eifrigem Geſpraͤch gewahrte, ſo hatte er, neugierig wie er war, auch gar keine Luſt gehabt, ſich bemerklich zu machen. Der alte Schleicher war vielmehr auf einen Seitenweg bis hinter die Laube gegangen, hatte ſo Alles, was die Bei - den mit einander ſprachen, behorcht und trat erſt jetzt hervor einen guten Abend! ſagend, als waͤre er nur eben gekommen.

Der Pfarrer gruͤßte ihn freudlich und nachdem Mar - tin ſeine Meldungen gemacht hatte, ging er wieder, ſich verſtohlen in’s Faͤuſtchen lachend davon, um ſogleich die wichtige Entdeckung, die er durch das erhorchte Geſpraͤch gemacht hatte, Chriſtlieb mitzutheilen und mit ihm zu bereden, was nun weiter zu thun ſei.

Unterdeß turnte unſer Johannes mit dem Schul - meiſter und noch vielen Burſchen nach Herzensluſt droben auf der Burg. Johannes ſagte kein Wort da - von, daß der Pfarrer heute auf ihn und das ganze Turnen nicht gut zu ſprechen geweſen, er dachte: die Jugend kann das Alter nicht durch Worte, ſie muß es durch Thaten und Leben uͤberzeugen und wo es noͤthig, des Beſſeren belehren. Er dachte auch uͤberhaupt viel zu billig, als daß er haͤtte Nachſicht haben ſollen mit dem Alter, wie er das Gleiche von dieſem fuͤr die Jugend verlangte. Schon zu oft hatte er es erfahren, daß die Leute, welche234 einmal in alten Anſchauungen erzogen und aufgewachſen waren, auch ſpaͤter, wenn ſie davon einigermaßen ſich losgerungen und bei ihren fruͤhern Gefaͤhrten und Ge - noſſen nun fuͤr hoͤchſt freiſinnig galten, doch faſt niemals auf der Bahn des Fortſchrittes gleichen Schritt hielten mit der energiſchen Jugend und vor deren kuͤhnerm Auf - treten zuruͤckbebten.

Nach einigen Tagen ging Johannes wieder zum Pfarrer als waͤre Nichts geſchehen und redete mit ihm in gewohnter, fruͤherer Weiſe von hundert verſchiedenen Dingen. Aber der Pfarrer ließ ihn nicht ſo leichten Kaufes davon. Er begann wieder:

Es kann Dir nicht unbekannt ſein, lieber Johannes, daß die Sing - und Turnvereine uͤberall von Oben herab mit mißtrauiſchem Auge betrachtet, wohl auch gelegentlich uͤberwacht werden Du allein biſt Schuld, wenn unſer Dorf, in dem man bisher treiben und laſſen konnte was man wollte, nun dieſe Beaufſichtigung auch auf ſich lenkt und nun viel weniger Gutes zu Stande kommen kann als bisher, wo dies in aller Stille geſchah und Niemand uns beobachtete.

Johannes laͤchelte und ſagte: So lange die Bur - ſchen hier nur in der Schenke ihr Geld verſpielten und vertranken, war freilich weiter Nichts zu beobachten; denn das Recht, dieſen Laſtern zu froͤhnen, iſt Jedermann235 unbenommen. So lange die jungen Staatsbuͤrger in Verdummung und Schwelgerei dahinleben, ſind ſie auch den Regierungen und deren Willkuͤrlichkeiten nicht ge - faͤhrlich, darum iſt es dieſen auch Recht, wenn ſie darin erhalten werden und Jeder, der ſie davon zuruͤckbringen will, wird als ein Stoͤrenfried beobachtet und verſchrieen. O lieber Herr Pfarrer, ich weiß es recht gut, was Sie mir ſagen wollen und koͤnnen, ich bin als ein ſolcher Stoͤrenfried ſchon im ganzen Lande verſchrieen, uͤberall, wo ich hinkomme, ſpielt daſſelbe Stuͤck, aber mich macht man dadurch nicht anders, ich fange uͤberall daſſelbe Trei - ben von vorn an und kann mir wohl ſagen, daß ich da - durch, daß ich niemals in kleinen Kreiſen fuͤr die gute Sache zu wirken verſchmaͤhte, mehr genuͤtzt habe, als viele meiner gleichgeſinnten aber ruhmſuͤchtigen Freunde, die immer nur in den großen Staͤdten und nur wo ſie gekannt und genannt wurden, dem Fortſchritt zu dienen ſuchten. Man muß es ihnen vergeben, weil Viele von ihnen gleich nur in dieſen groͤßern Verhaͤltniſſen aufge - wachſen ſind, weil ſie nicht gelernt haben, wie man mit dem Bauer, dem Arbeiter, dem gemeinen Mann uͤber - haupt reden muß, das weiß nur der, der in der Huͤtte geboren und unterm Volke aufgewachſen iſt, drum komm ich immer wieder auf mein altes Wort zuruͤck:

Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme!

236

Ja lieber Johannes, fiel ihm der Pfarrer in’s Wort, daruͤber brauchſt Du Dich nicht zu ereifern, die Gabe, Dich dem Volke verſtaͤndlich zu machen, mit dem Bauer, auch mit dem unwiſſendſten zu reden wie mit Dei - nesgleichen, wie er’s gern hoͤrt und verſteht, haſt Du. Waͤr es anders, ſo koͤnnte man Dich in Gottes Namen thun und reden laſſen was Du wollteſt; dann blieb es wir - kungslos und Du waͤreſt weder geliebt noch gehaßt, weder gefaͤhrlich noch gefaͤhrdet!

Aber was hab ich nur auf einmal Graͤßliches oder Gefaͤhrliches geſagt und gethan? fuhr Johannes etwas ungeduldig auf, wenn ich nur das erſt wuͤßte!

Die Liedertafel hab ich ſelbſt beguͤnſtigt, ſagte der Pfarrer, ja ich weiß es Dir noch Dank, daß Du dies zu Stande gebracht haſt, denn der Geſang veredelt die Menſchen, er hat auch ſchon ganz unvermerkt die Bur - ſchen unſres Dorf’s veredelt und aus manchem wuͤſten Geſellen iſt ſeitdem ein Menſch geworden, der fuͤr hoͤ - here Freuden als Trunk und Spiel Sinn hat. Das Turnen ſelber moͤchte auch noch ſein aber daß Ver - bindungen mit den Staͤdtern angeknuͤpft werden, will mir nicht recht zu Sinn und in dieſer groͤßern Oeffentlichkeit, dieſen weitern Verzweigungen liegt eben das Gefaͤhrliche. Jch weiß auch, Du laͤßt Dich dann leicht hinreißen trotz aller Erfahrungen, die Du ſchon magſt gemacht237 haben und redeſt ſo kuͤhn und frei heraus, wie es ein - mal nicht ſein ſoll und Nichts nuͤtzt Du wirſt Dich noch ſelbſt in’s Ungluͤck hineinreden Johannes, denke an Deine Mutter! Sie aͤngſtigt ſich zu allermeiſt um Dich und hat es nicht umſonſt geſagt: wie die Kin - der groß werden, ſo wachſen die Sorgen auch mit groß! Ja, denke an Deine Mutter ihr zu Lieb biſt Du hergekommen, laſſ es nicht zu ihrem Schmerz, zu ihrem Ungluͤck geſchehen ſein!

Meine Mutter! rief Johannes und verſank geruͤhrt in ein langes Schweigen.

Der Pfarrer bemerkte den Eindruck, welchen ſeine Erin - nerung an die Mutter auf Johannes gemacht hatte. Der Pfarrer war eben nur auf Johannes Beſtes bedacht, er ſah Schlimmes fuͤr ihn in der Zukunft, er wollte dem vorbeugen und ſeinen jungen Freund durch War - nungen und Verwahrungen ſchuͤtzen jetzt erkannte er, wodurch er am Beſten auf ihn wirken koͤnne; ſo beſchloß er, ſelbſt kein Wort weiter an Johannes zu verlieren, aber mit ſeiner Mutter uͤber ihn zu ſprechen.

Johannes ſchuͤttelte ſeine goldnen Locken aus den blauen Augen, auf die ſie gefallen waren, als er ſeinen Kopf geſenkt hatte und wiederholte noch einmal: Meine Mutter! aber weiter ſagte er Nichts.

Die Pfarrerin war waͤhrend dieſer letzten Worte eben238 eingetreten und hatte ſich ſchweigend an Johannes Seite geſtellt; ſie legte ihre Hand wie ſegnend auf ſeine hohe klare Stirn und ſagte: Ja lieber Johannes, ich weiß es auch, was eine Mutter fuͤhlt und leidet um ihre Kinder! Jch und die gute Frau Eva, wir haben einander oft unſre Noth geklagt, wie mir die beiden Toͤchter fortgezogen wa - ren und wie ſie von Euch, ihrem Einzigen, nicht wußte, ob ſie ihn je wiederſehen werde oder nicht. Ach, ich weiß es wohl, es giebt viele Kinder, Soͤhne zumal, die ihre Mutter vergeſſen, die hochmuͤthig von der alten Frau ſich wenden, die ihnen einſt das Leben gab und mehr! ihr Beſtes, eignes Leben, ſetzte ſie fuͤr die Kinder ein und zu unter taͤglichen und naͤchtlichen Wachen und Sorgen. Aber die Kinder denken, wenn ſie groß gewor - den ſind, entweder gar nicht mehr daran oder ſie denken, das hat Alles eben nur ſo ſein muͤſſen! ſie wiſſen’s der Mutter keinen Dank und vergelten mit Gleichguͤltigkeit und Kaͤlte ihre aufopfernde Liebe! Seht Johannes, das hat mich von Euch ſo gefreut, daß Jhr anders ſeid wie dieſe Soͤhne! Nehmt es mir nicht uͤbel, daß ich ſo frei zu Euch herausrede, aber ich bin auch eine Mutter und hab ſchon ein Recht dazu, ſo mit Euch zu ſprechen. Wenn mir Mutter Eva nicht eiferſuͤchtig wuͤrde, ſo moͤcht ich ſchon ſagen, Jhr ſeid wie mein eig’ner Sohn, denn ſo lieb hab ich Euch, daß ich wollte, Jhr waͤret’s. So239 haltet auch einer alten Frau ein Wort zu Gute und denkt, ſie redet, wie ſie’s eben verſteht. Jch weiß wohl, daß es eine gute und ſchoͤne Sache iſt, fuͤr die Jhr ſchreibt, denkt und handelt, denn Jhr ſeid viel zu edel, einer ſchlechten Sache zu dienen, da kenn ich Euch. Aber ihr jungen Maͤnner denkt, weil die ganze Welt Euch noch offen ſteht, die ganze Welt muͤſſe Euch auch gehoͤren, naͤmlich im edeln Sinne. Jhr denkt, es ſei auch ein Leichtes, die ganze Welt umzugeſtalten, zu ver - beſſern, und das vermag doch nicht Einer allein, wenn er auch noch ſo klug und gut iſt. Jhr tragt nun im - mer nur fertige Volksverbeſſerungsplaͤne mit Euch im Kopfe herum und denkt, es ſei Eure Pflicht, Alles daran zu ſetzen, was Jhr ſelber getraͤumt, in die Wirklichkeit einzufuͤhren. Aber es iſt eine eigne Sache damit, das wirkliche Leben iſt nicht gefuͤge und in ihm ſelber geht es nicht ſo bunt und raſch zu wie im Traum. Men - ſchen und Dinge laſſen in der Wirklichkeit ſich nicht regieren und einrichten wie auf dem Papier. Ein ſchoͤ - nes Buch koͤnnt Jhr ſchon aus Euren Gedanken machen, aber ein ſchoͤnes Leben doch nimmer. Jch ſehe auch recht gut, daß nicht Alles iſt, wie es ſein ſollte und ich frage bei manchem Uebel, das ich ſehe, wie der liebe Gott ſo etwas nur zulaſſen kann; aber ich habe nun genug erfahren, um zu wiſſen, daß ſich das nicht aͤndern laͤßt240 und es damit bleiben wird, wie es einmal immer gewe - ſen ſeit Menſchengedenken. Es kann ſchon Vieles mit und in der Zeit beſſer werden, aber ich glaube, das wird am eheſten dadurch, daß Jeder bei ſich ſelber anfaͤngt mit dem Beſſern, eh er ſich an andre Menſchen und groͤ - ßere Zuſtaͤnde wagt. Das ſoll nicht etwa ein Vorwurf ſein fuͤr Euch Johannes, Jhr ſeid gut, ich weiß es, und Jhr denkt Euch dabei doch nicht vollkommen zu ſein aber mit ſchlechten Menſchen iſt doch Nichts anzufangen und die bloße Aufklaͤrerei macht ſie nicht beſſer und bringt kein Heil. Seht, ſo denk ich in meinem einfachen Sinn: ſind die Menſchen erſt gut, ſo werden’s auch die Zeiten ſein. Sonſt hilft doch Alles Nichts.

Johannes ergriff die Hand der Pfarrerin und druͤckte ſie warm. Er achtete die Pfarrerin zu hoch und war davon, daß ſie es gut mit ihm meinte und ihr Alles ſo recht von Herzen ging, was ſie da ſagte, ſo innig uͤber - zeugt, daß er um keinen Preis durch Widerſpruch, der doch auch Nichts genuͤtzt haͤtte, ihr weh thun wollte. Er ſagte daher nur: Das moͤgt Jhr mir wohl Alle glau - ben, wie ſehr dieſe Beweiſe Eurer Liebe mich ruͤhren, die Jhr mir da in der Sorge um mich gebt ich werde auch erkenntlich dafuͤr ſein und wo es moͤglich iſt, alle Rathſchlaͤge zu nuͤtzen ſuchen. Aber wenn ich das Gute nicht thaͤte und foͤrderte wie und wo ich koͤnnte waͤr241 ich dann noch dieſer Achtung werth, die Jhr mir ſelber zeigt, von Eurer Liebe noch gar nicht zu reden?

Das Geſpraͤch ward unterbrochen durch Leute, welche den Pfarrer abriefen. Johannes ging auch fort und zwar zu dem Schulmeiſter.

Sagen Sie mir, was das iſt? rief er dieſem ent - gegen, der Pfarrer und die Pfarrerin quaͤlen mich auf einmal mit Bedenklichkeiten und wiſſen nichts Andres zu reden, als mich zu ermahnen, zu warnen, waͤhrend der Pfarrer doch noch bis vor Kurzem mit Allem einverſtan - den war, was ich that!

Er iſt ein ſeelensguter Mann, aber das Alter macht ihn bedenklich, ſagte unſer Schulmeiſter ruhig. Er hat mir auch ſchon in’s Gewiſſen geredet, daß ich Nichts uͤbereilen und uͤbertreiben moͤge. Aber nun bin ich nicht mehr in meiner Ueberzeugung irre und wankend zu ma - chen. Was kann mir denn auch geſchehen? hoͤchſtens werde ich abgeſetzt das iſt zwar ſchlimm genug fuͤr einen armen Menſchen, aber im ſchlimmſten Falle helf ich mir ſchon fort. Jch ſtehe ja nun allein, und es bin - den mich keine Pflichten mehr fuͤr Andere, ſeitdem meine Schweſter Friedrich’s Braut iſt und nun bald ſeine Frau wird. Jch laſſe mich durch Nichts mehr zuruͤck - ſchrecken.

Das iſt brav geſprochen! rief Johannes, daͤchten16242doch alle jungen Maͤnner ſo! aber noch immer kann man ſie zaͤhlen.

O es iſt weiter kein Verdienſt bei mir, ſagte unſer Schulmeiſter vor ſich niederblickend, wenn man mit dem Leben und ſeinen gewoͤhnlichen Freuden abgeſchloſſen hat, ſo iſt es leicht. Vielleicht aber muß man dies vorher haben.

Johannes ſah den Freund verwundert an. Nach ei - ner Pauſe ſagte er: Jch nehme das Leben auch ernſt, aber doch nicht ſo traurig. Man braucht ja deshalb nicht freiwillig auf alle Freuden zu verzichten, wenn man auch bereit iſt, ſie alle freudig zu opfern, wenn die gute Sache es ſo gebieten ſollte.

Unſer Schulmeiſter ſchwieg immer fort, denn er fand in dieſen Worten eine neue Beſtaͤtigung ſeines Argwohns. Er glaubte nun um ſo ſicherer, Johannes gehoͤre wirklich zu den leichtſinnigen Maͤnnern, die auch die Liebe eines Maͤdchens hinnehmen, wie jede andre Freude des Augen - blickes, ohne an die Zukunft zu denken und namentlich, ohne um die des Maͤdchens ſich zu bekuͤmmern. Er meinte, Johannes wolle ſich mit dieſen Worten vor ihm rechtfertigen, wohl gar ihn veranlaſſen, ſich ſeine leichtſin - nige Weiſe auch zum Muſter zu nehmen. Aber wie es ihm ſchon immer ging, ſo ging es unſerm Schulmeiſter auch diesmal, er ſeufzte wieder nur und konnte ſich nicht243 entſchließen, eine Erklaͤrung herbeizufuͤhren. Endlich ſagte er, wieder auf das Vorige zuruͤckkommend: Die Hetze - reien im Dorfe ſind jetzt ſchlimmer als je, unſre alten grießgraͤmlichen Leute wollen namentlich das Turnen nicht leiden, es mag wohl ſein, daß der Pfarrer nur des - halb auf einmal ſo aͤngſtlich iſt, weil er Ruh und Frie - den in der Gemeinde uͤber Alles liebt und nun wohl ſieht, daß dieſe nicht immer ſo harmlos fortbeſtehen koͤnnen, wenn ein regeres Leben ſich entwickelt, das dem Einen ſeine ganze Gluͤckſeligkeit, dem Andern ſein ewiges Aerger - niß iſt. Mich ſoll aber verlangen zu erfahren, was un - ſre Gegner thun werden. Wir duͤrfen keineswegs durch Nachgeben oder Einhalten ihnen das Feld freiwillig ein - raͤumen. Dahin wollen ſie uns wahrſcheinlich mit ihrem Angſtmachen nur draͤngen, aber die Freude dieſes Trium - phes ſollen ſie nicht haben.

Unſer Schulmeiſter und Johannes waren alſo in die - ſem Punkt ganz einverſtanden und die guten Lehren des Pfarrers hatten weiter keine Frucht getragen als dieſe, daß ſie ihre ferneren Plaͤne nicht erſt von ſeiner Beiſtim - mung abhaͤngig machten, ſondern nach eignem Gutduͤnken in’s Werk ſetzten.

So vergingen noch ein paar Monate und der Herbſt kam. Die Petition wegen Aufhebung der Jagd oder doch eines neuen Jagd - und Wildſchadengeſetzes war von16*244Johannes abgefaßt und zahlreich unterſchrieben worden. Die Liedertafel und der Turnverein gediehen froͤhlich fort. Einige Gutsbeſitzer, wie Damme und Berthold, verwehr - ten zwar ihren Knechten die Theilnahme daran, aber das ſchadete doch dem Ganzen weiter nicht. Der Schulmei - ſter war bei Allem am eifrigſten er ſchlug ſich Sus - chen ganz aus dem Sinne und eben, um nicht an ſie zu denken, gab er ſich ſo entſchieden den fortſchrittsmaͤßigen Beſtrebungen hin. Suschen ſelbſt aber ward immer ſtil - ler und ſah meiſt ſehr traurig aus; kein Menſch aber wußte, was ihr fehle. Der Schulmeiſter ſeufzte, wenn er ſie ſah und dachte: ſie graͤmt ſich um Johannes und ihre Zukunft. Er wußte keinen Troſt fuͤr ſie.

Johannes aber ſchrieb in dieſer Zeit fleißig an ſeinem Buch in der Thurmſtube weiter und Mutter Eva war alle Tage gluͤcklich uͤber ihren Liebling.

Seine Feinde aber waren im Stillen thaͤtig und war - teten nur auf einen Anlaß, wie ſie ihn verderben koͤnnten.

[245]

Erntefeſt.

Jm September, wie die Staaten und Fruͤchte alle eingeerntet waren, ward großes Erntefeſt gefeiert im Dorf.

Es hatte aber zu demſelben Tag, ein Sonntag war’s, die Turnerſchaar der naͤchſten Stadt eine Turnfahrt be - ſchloſſen in das Dorf, deſſen Burgruine jetzt ein erwuͤnſch - ter Zielpunkt fuͤr manchen wanderluſtigen Geſellen ge - worden war. Auch wußte man jetzt ringsum in der Ge - gend, daß Johannes, der muthige, begeiſterte Dichter und unermuͤdliche Kaͤmpfer fuͤr die Sache des Fortſchritts, auf der Burg lebte und ſein Name ſchon zog Viele hin, ob - wohl er ſelbſt keinen fremden Umgang geſucht und immer nur ganz ſtill im Kreis ſeiner laͤndlichen Freunde gelebt hatte. Die Turnerſchaar hatte es einige Tage vorher dem Richter des Dorfs angezeigt, daß ſie hinkommen wuͤrden, ihre Bruͤder auf dem Lande zu begruͤßen und dieſer hatte246 ihnen einen froͤhlichen Empfang verheißen wenn der Amtmann die Zuſammenkunft erlaube. Der Amtmann hat erſt die Sache ein paar Tage in Erwaͤgung gezogen und ſie dann erlaubt unter der Bedingung, daß der Rich - ter fuͤr Ruhe und Ordnung auf dem Dorfe ſtehe und daß eben nur geturnt wuͤrde und nicht, wie der Aus - druck hieß: aufruͤhreriſche Reden gehalten. Der Richter nahm lachend dieſe Verantwortung auf ſich. Die Amts - hauptmannſchaft aber ſorgte fuͤr einige Gensdarmen, die an dieſem Tag auf dem Dorf gegenwaͤrtig ſein ſollten.

Johannes laͤchelte uͤber derartige Vorbereitungen.

Der Pfarrer aber war ſehr bedenklich, wie man ihm von dem ganzen Plan ſagte. Er hatte in der letzten Zeit Johannes ſtill gewaͤhren laſſen, jetzt aber hielt er es fuͤr ſeine Pflicht, noch einmal ein ernſtes Wort mit ihm zu reden ſolch ein Erntefeſt werde nicht gut endigen, er moͤge doch nicht ſo viel wagen und da er einmal uͤber dieſe Leute Alles vermoͤge, auch bewerkſtelligen, daß dieſe Turnfahrt, in deren Geleit gewiß fuͤr ihn wie fuͤr das ganze Dorf Gefahr ſei, unterbleibe.

Johannes antwortete ruhig und er redete ernſt wie immer die Wahrheit: Sie wiſſen, daß ich niemals gelogen habe ja eben, daß ich immer und uͤberall ruͤckſichtslos die Wahrheit rede, macht man mir zum Vorwurf, ich habe daher nicht erſt noͤthig, Alles was247 mir heilig iſt, zum Zeugen aufzurufen Sie werden mir doch wohl noch glauben, wenn ich Jhnen einfach verſichere, daß ich nicht der Veranlaſſer dieſer Turnfahrt bin, alſo auch Nichts fuͤr ihr Unterbleiben thun kann. Die Behoͤrden, die doch ſonſt immer umſtaͤndlich und quaͤ - leriſch ſind, haben die Sache erlaubt, ich ſehe alſo nicht ab, warum wir aͤngſtlicher ſein ſollen als die Behoͤrden, das wuͤrde uns doch mehr als laͤcherlich machen. Daß wir uns aber bei dem Feſt mit betheiligen und die fremden Gaͤſte als liebe Bruͤder empfangen, geziemt uns doch; ich wuͤßte nicht, warum wir eine Ausnahme vor andern Ortſchaften machen ſollten!

So, ſagte unſer Pfarrer ruhig, ich ſehe freilich, daß ich zu ſpaͤt komme, wenn Alles ſchon ſo beſtimmt und entſchieden iſt, aber eins muß ich Dir doch noch in’s Gedaͤchtniß zuruͤckrufen! es iſt den Turnvereinen verboten, Politik zu treiben.

O ſeien Sie daruͤber nur außer Sorgen, lieber Herr Pfarrer, antwortete Johannes, ich kenne alle dieſe laͤ - cherlichen Verordnungen und Vorſchriften und weiß mich darnach zu richten. Es hat mir auch Niemand eine Ueberſchreitung derſelben nachweiſen koͤnnen ich bin klug und groß geworden in dieſer ſtrengen Schule unſres deutſchen polizeilichen Lebens ich mache keine dum -248 men Jungen-Streiche mehr, bei denen Nichts heraus kommt. Verlaſſen Sie ſich auf mich.

Der Pfarrer, wie er unſren Freund ſo ſichermuthig und getroſt ſprechen hoͤrte, ging bald darauf zwar freund - lich und mit einer letzten gutgemeinten Warnung, aber doch bedenklich den Kopf ſchuͤttelnd, von ihm fort. Dem iſt ſo nicht beizukommen, ſagte er zu ſich ſelbſt ich muß doch zu dem aͤußerſten Mittel greifen. Und er ging zu Mutter Eva, ſie war wirklich ſein aͤußerſtes Mittel.

Unſer Pfarrer war nun einmal ſorgen - und ahnungs - voll. Er wußte, wie viele Uebelwollende im Dorfe lebten, die nur auf eine Gelegenheit warteten, um Johannes in einer Schlinge zu fangen und ihn unſchaͤdlich zu machen. Er wußte noch mehr: daß naͤmlich nicht nur die Leute im Dorfe ſo dachten, ſondern vor Allem auch der Amt - mann ſelbſt und ſeine Aktuarien, daß ſie ihn gern weg - gehabt haͤtten und eben auch nur auf eine guͤnſtige Ge - legenheit warteten, ihn ihre Macht fuͤhlen zu laſſen. Der Pfarrer hatte deshalb geglaubt, man werde die Turn - fahrt verbieten, theils um Johannes damit zu aͤrgern, theils weil damals uͤberhaupt eine Zeit der Verbote und jeder Beamte immer ſchnell damit bei der Hand war. Darum hatte unſer Pfarrer ſo lange gegen Johannes ge - ſchwiegen. Aber das Gegentheil geſchah, das Feſt ward249 erlaubt das machte unſerm Pfarrer nur noch bedenk - licher. Er konnte ſich von dem Argwohn nicht trennen, daß die Behoͤrden dies nur geſchehen ließen, um dann bei einer moͤglichen Ausartung oder einem an ſich unbe - deutenden Vorkommniß Veranlaſſung zu nehmen, ſpaͤter um ſo entſchiedener und ſtrenger aufzutreten. Es war das innigſte Wohlwollen fuͤr Johannes und der waͤrmſte Eifer, ihm wahrhaft zu dienen, welcher unſern Pfarrer ſo unruhig umhertrieb. Wenn er nur wenigſtens ſelbſt bei der Sache auch das Allergeringſte vermeidet, das ihm Schaden bringen koͤnnte, dacht er, oder was Boͤswillige im Stande waͤren, ihm anders auszulegen als es gemeint iſt. Wenn er das Feſt nicht verhindern kann, ſo waͤr es am Beſten, er hielte ſich ſelbſt fern davon oder waͤre wenig - ſtens ganz ſtill dabei ſo dachte unſer Pfarrer und wie er nun ſah, daß er bei Johannes ſelbſt mit ſeinen Warnungen Nichts ausrichtete, ſo fiel ihm wieder jene Stunde ein, wo er Johannes auch in aͤhnlicher Weiſe vergeblich ermahnt und er eben bei der Erinnerung an ſeine Mutter aus tiefſtem Herzen gerufen hatte: Meine Mutter! dann ganz ſtill geworden war und gar nicht mehr widerſprochen hatte. Nur ſeine Mutter vermag Etwas uͤber ihn ſonſt Niemand, ſagte da unſer Pfarrer zu ſich ſelbſt und nahm ſich vor, mit Mutter Eva zu reden. Dieſer Gang ward ihm nicht leicht, denn es that250 ihm weh, daß er die alte Frau, der er bisher immer nur troͤſtend zugeredet, nun mit ſeiner Angſt anſtecken ſollte. Aber er ſagte ſich: es muß ſein, damit er ihr gerettet wird und fuͤr ſeine Mutter erhalten. Weiter hoͤrt er ſonſt doch auf Niemand.

Johannes war dieſen Abend nicht hinab in’s Dorf gegangen. Zu morgen, wo das Ernte - und Turnfeſt gefeiert werden ſollte, war ſchon Alles geordnet, nur daß noch einmal fuͤr den Chor Probe bei dem Schulmeiſter war. Da hatte er nicht noͤthig, mit dabei zu ſein.

An dieſem Tage hatte er gerade ſein Volksbuch vol - lendet. Wenn nun ein Dichter mit einem Buch fertig iſt, an dem er Monate lang gearbeitet und ſich ganz hin - eingelebt wie in eine andere Welt, ſo iſt ihm, wenn er den letzten Federzug daran gethan hat, ganz unbeſchreib - lich ſeltſam zu Muthe. Halb fuͤhlt er ſich befriedigt wie nach jeder vollendeten Arbeit und athmet froͤhlich auf, als ſei nun ein Stein von ſeinem Herzen gefallen. Aber wieder bald fuͤhlt er ſich traurig und ploͤtzlich wie verein - ſamt. So lange Zeit hat er alle dieſe Bilder, die er da mit der Feder niedergezeichnet hat, mit ſich herumgetra - gen, taͤglich hat er ſich damit beſchaͤftigt, ſie ſind ihm lieb und werth und wie ein Stuͤck von ſeinem eignen Leben geworden nun ploͤtzlich iſt das Alles vorbei, nun muß er ſich von ihnen losreißen, Abſchied nehmen und aufhoͤren,251 von ihnen zu traͤumen und zu denken. Da iſt’s ihm nun ploͤtzlich, als ſei eine große Leere eingetreten und wie geſagt, es wird ihm ganz ſeltſam zu Sinne, ſehn - ſuͤchtig, wehmuͤthig und doch wieder gehoben von dem Gedanken, ein Werk vollendet zu haben. Vorher hat er oft wie in fieberhafter Aufregung und langer Anſpan - nung ſeiner ganzen Geiſteskraͤfte gelebt jetzt folgt dar - auf die Erſchoͤpfung. So ging es unſerm Johannes auch. Ein eigenthuͤmliches, weiches Gefuͤhl hatte ſich ſeiner ſtarken Seele bemaͤchtigt. Jhm war, als muͤßte er in Liebe die ganze Welt umarmen, und doch hatte er auch wieder das Beduͤrfniß, einſam zu ſein mit der Natur, ſeiner aͤlteſten und treueſten Freundin. Es war aber auch noch ein beſonderer Umſtand, der fuͤr ihn an die Vollendung dieſes Buches ſich knuͤpfte. Er hatte ſo lange in ſeinem Heimathdorf bleiben wollen, als er daran ſchriebe. Er wollte es wieder verlaſſen, wenn er mit dem Buch fertig war; dann mußte er damit wieder in die große Stadt, wo es gedruckt werden ſollte und wobei ſeine Anweſen - heit, wenn auch nicht nothwendig, doch gut war. We - nigſtens hatte er es bisher immer ſo gehalten. Es zog ihn auch wieder hinaus in das groͤßere Leben, aus der ſtillen Abgeſchiedenheit ſeines Dorfes und er freute ſich, alle die Freunde wieder zu begruͤßen, von denen er ſo lange getrennt geweſen war. Es draͤngte ihn nun wie -252 der, mit Leuten von gleicher, geiſtiger Bildung zu verkeh - ren, von ihnen und mit ihnen zu lernen und zu empfan - gen, waͤhrend er hier nur immer der geweſen war, der Andere von ſeinem geiſtigen Reichthum gegeben hatte, ohne dafuͤr etwas Andres einzutauſchen als treue, lie - bende Anhaͤnglichkeit, die ihm freilich auch viel und werth war, die aber nur ſein Herz, nicht ſeinen Geiſt ſtaͤrken und reifen konnte; dieſer ſo nicht gefoͤrdert ward in hoͤherer Erkenntniß und neuen Anſchauungen. Er ſehnte ſich wieder zu ſeinen Kameraden und geiſtigen Kampfgenoſſen, die in großen Zeitſchriften fuͤr die gute Sache thaͤtig waren. Aber es that ihm auch weh, ſein Heimathdorf zu verlaſſen, und wenn er an ſeine traute Mutter dachte, ſo blutete ſein Herz. Er hatte noch nicht den Muth gehabt, ihr zu ſagen, daß er bald, laͤngſtens in ein paar Wochen gehen muͤſſe. Heute hatte er es erſt gewollt aber weil er ſich doch auch wieder nicht dazu entſchließen konnte, ſo war er lieber gar nicht hinab - gegangen zu ihr und hatte ſie den ganzen Tag nicht ge - ſehen. Sie wird wehklagen und keine frohe Minute mehr haben, ſagte er zu ſich ſelbſt, es iſt am Beſten, ich rede gar nicht davon, bis der Tag des Abſchieds wirklich kommt; ſo uͤberſteht ſie’s wohl noch am Leichteſten, ſonſt verderb ich ihr auch die Zeit noch, die ich bei ihr bin, wenn ſie253 ſieht, wie ein Tag nach dem andern hingeht, der die Trennung naͤher bringt.

So ſinnend ſtand er auf dem Vorſprung der Ruine, von dem aus man hinab in das Thal ſehen konnte. Da gewahrte er ploͤtzlich, wie Mutter Eva den Berg zu ihm herauf kam. Er ſprang ihr haſtig entgegen, um ſie vol - lends zu fuͤhren. Gleich wie er ihr guten Abend bot und die Hand hinſtreckte, ſah er, daß ſie rothgeweinte Augen hatte. Er dachte bei ſich, gewiß hat ſie geweint, weil ich heute noch nicht hinabgekommen bin und ſie mich den ganzen Tag nicht geſehen hat, aber wie ſoll es dann erſt werden, wenn ſie mich gar nicht mehr ſieht? Er fuͤhlte ein tiefes Mitleiden mit dem Schmerz ſeiner Mut - ter, und wie ſie jetzt muͤde, ein Wenig ſtill ſtand, um zum weiteren Steigen Athem zu ſchoͤpfen, ſo nahm er ſie laͤchelnd in ſeine beiden ſtarken Arme und trug ſie vollends hinauf. Sie wußte erſt lange gar Nichts zu ſprechen und ſagte nur immer, ihn liebkoſend, recht aus Herzensgrunde: Johannes, mein liebes Johanneslein!

Nach einer Weile, als er nur von dem ſchoͤnen Herbſt - wetter geſprochen und dann ſich entſchuldigt hatte, daß er heute nicht zu ihr hinabgekommen, er ſei eben juſt ſo im Schreiben geweſen, daß er ſich nicht habe entſchließen koͤnnen, eher aufzuhoͤren als eben jetzt, da es angefangen zu daͤmmern, ſagte Mutter Eva ernſthaft:

254

Johannes, denkſt Du noch daran, wie ich immer ſage: werden die Kinder groß, werden die Sorgen auch groß? Jch habe lange nicht davon mit Dir geredet, weil Du doch meinſt, ich habe Unrecht damit und Du mach - teſt mir keine Sorgen aber Johannes, Du machſt ſie mir doch.

Er wollte antworten, aber ſie fiel ihm gleich wieder in die Rede, indem ſie fortfuhr: Sieh, ich weiß ſchon, was Du mir ſagen willſt, daß ich ja keine Sorgen um Dich zu haben brauche, wie andere Muͤtter ſie haben muͤſſen, arme Muͤtter, wie ich nur bin, zumal die nicht wiſſen, wie ihre Soͤhne ihr Brod ſich verdienen, ob ſie Etwas gelernt haben, um ihr Fortkommen in der Welt zu fin - den, ob ſie gut thun im Dienſt und ſo Vieles mehr. Die Sorgen hab ich alle nicht, weil Du ſo viel gelernt und ſo groß und angeſehen worden biſt, wie Niemand weiter im Dorf aber das ſind ganz andere Sorgen, die ich um Dich habe, und die hat keine Mutter weiter! Die Thraͤnen traten ihr in die Augen, und ſie ver - mochte nicht weiter zu ſprechen, mit ihren beiden Haͤn - den faßte ſie nach Johannes, als muͤſſe ſie ihn recht feſt halten.

Er wußte nicht, was ſie eigentlich meine, und weil er ſelbſt eben mit dem Gedanken an ſeine Abreiſe beſchaͤf - tigt geweſen war, als er ſie hatte zu ſich heraufkommen255 ſehen, ſo dachte er auch jetzt nur daran und meinte, ſie wolle ihre Furcht ausſprechen, daß ſie ihn nun wohl bald wieder nicht mehr haben werde waͤhrend doch viele Muͤtter fuͤr ihr ganzes Leben bei ihren Soͤhnen blieben. Er ſagte deshalb im Voraus troͤſtend: Nun Mutter, warum quaͤlt Jhr Euch denn eigentlich ſchon? wenn ich auch wieder von hier fort gehe, ich kann ja nun bald und oͤfter zuruͤckkommen, ſeitdem wir die Eiſenbahn hier haben, da iſt’s nun gar keine Entfernung mehr.

Ach an die Zeit mag ich gar nicht denken! ant - wortete Mutter Eva, mir iſt das Herz noch von ganz andern Dingen ſchwer! Sieh, Anfangs wie Du nur her - kamſt und ſo zutraulich und herzig mit allen Leuten warſt, da dacht ich: der Johannes iſt ein gutes, ſanftes Kind, der kann keiner Fliege etwas zu Leide thun, viel weni - ger denn einem Menſchen, darum muͤſſen ihn auch Alle lieb haben und gut ſein. Nach und nach aber kam es doch anders. Da ſind wohl viele Leute, die moͤchten Dich vor lauter Liebe auf den Haͤnden tragen und wiſ - ſen gar nicht, wie ſie Dir’s genug beweiſen ſollen, mit denen kannſt Du machen was Du willſt aber es ſind auch wieder Andere, die haſſen Dich und nehmen ein Aergerniß an Dir, die goͤnnen Dir die Liebe der An - dern nicht, und moͤchten Dir um jeden Preis Schaden zufuͤgen. Ach, ich kann nicht denken, daß ſo Etwas gut256 endigen ſollte; ich weiß weiter keinen Menſchen, dem’s ſo geht wie Dir. Jch weiß wohl, es iſt ſchon wahr: jeder Menſch hat ſeine Freunde und ſeine Feinde, aber dann ſtehen wieder andere Leute dazwiſchen, denen iſt er gleich - guͤltig, die goͤnnen ihm weder ſehr das Gute noch das Boͤſe, das ihm widerfaͤhrt bei Dir aber iſt’s nicht ſo, da iſt Alles auf’s Aeußerſte getrieben, Haß und Liebe und Nichts dazwiſchen. Da iſt mir nur ſo angſt um die, die Dich haſſen um die hier im Dorf auch nicht al - lein das ſind nur die Schlechten, die Dir uͤbel wol - len, ich weiß es, aber gerade weil ſie ſchlecht ſind, muß man ſie fuͤrchten aber unſre Landsleute und was da drum und dran haͤngt ſind auch ſchlecht zu ſprechen auf Dich, und am Ende ſind’s gar alle Großen uͤberhaupt! ach Johannes, das iſt doch immer ein Ungluͤck!

Liebe Mutter, erwiderte Johannes milde, das Un - gluͤck iſt nun eben nicht ſo groß und Jhr moͤchtet ſelbſt gar nicht, daß es anders waͤre. Oder moͤchtet Jhr, ich waͤr ſo Einer geworden, der nur immer den Großen, wie Jhr ſie nennt, zu Willen redet, zum Nachtheil ſei - ner eignen Bruͤder, wenn’s nur ihm ſelber Vortheil bringt? Pfui! einen ſolchen Sohn moͤchtet Jhr nicht. Oder ſo Einen, der bei den Amtsleuten gut ſteht, weil er von ihnen ſich brauchen laͤßt, da und dort herumzuhorchen und die armen Leute anzugeben, die aus Noth und Ver -257 zweiflung einmal einen kleinen Fehltritt gethan oder gar die, die einmal ein freies Wort reden, wie’s ihnen zukommt? moͤchtet Jhr einen ſolchen Sohn haben, der da verachtet und gemieden waͤr von ſeines Gleichen, aber bei Denen, die uͤber ihn heißen und ſich doch noch was Beſſeres duͤnken, nicht ſchlecht ſtaͤnde? Nein Mutter, ich weiß es ja: Jhr wuͤrdet Euch ſchaͤmen, wenn Jhr einen ſolchen Sohn haͤttet und nicht mit Wohlgefallen auf ihn zeigen, wie Jhr’s jetzt oft auf mich gethan. Warum es nun da auf einmal ein Ungluͤck nennen, wenn Jhr zu - faͤllig erfahren, ein paar unſrer reichen Bauern, die groͤß - ten Gutsbeſitzer ſind mir gram, und ein Amtsſchreiber oder ſo dergleichen hat uͤbelwollend von mir geredet?

Nein Johannes, ſo iſt’s ja nicht nur! nahm Mut - ter Eva wieder das Wort. Jch ſag es wieder, wie ich’s immer ſagte: Du redeſt anders als irgend Einer hier im Dorf und wie’s jemals unter uns gehoͤrt wor - den. Du ſagſt Alles ſo frei heraus, wie Du’s denkſt und das wird Dir einmal uͤbel bekommen. Jch weiß es nun erſt recht: es iſt Gefahr bei dem freien Reden, denn die, welche die Macht haben, wollen’s ſo nicht lei - den, und ſo iſt Gefahr fuͤr Dich nicht nur hier, ſondern uͤberall und je mehr Leute Dich ſo ſprechen hoͤren, je ge - faͤhrlicher iſt’s, denn da findet ſich immer leichter Einer, der das Reden uͤbel auslegt und noch faͤlſchlich berichtet. 17258Wie Du nur herkamſt und ſagteſt zu mir: der Herr Graf waͤr auch nichts Beſſres als ſeine Bauern, und ſo Vieles mehr, da lachte mir wohl das Herz im Leibe und ich habe Dir in Manchem Recht gegeben, aber ich hab auch da ſchon oft gerufen: wenn der Herr Graf Dich ſo ſprechen hoͤrte oder der Herr Amtmann! wie wuͤrde es Dir dann ergehen! aber Du haſt deſſen gar nicht geachtet und uͤberall dieſelben Reden gefuͤhrt. Am Johannistag, wie die Fremden da waren, da uͤberlief mich’s ganz kalt und ich zitterte an allen Gliedern, wie Du ſo freie Worte ſprachſt und wie Jhr dann herumklettertet an den Stangen und Euch ſchwenktet nach Leibeskraͤften, da dacht ich nicht nur: wenn jetzt Dein Johanneslein herunter - fiele, weil er ſich ſo frech auf die Stange wagt und braͤche den Hals ſondern ich dacht mit noch viel groͤßrer Angſt: wenn nur ſeine Kuͤhnheit ihm nicht ſchlecht be - kommt und er ſich ſo hoch herauswagt mit ſeinen freien Gedanken, daß ſie ihn von ſeiner Hoͤhe herabſtuͤrzen und er in’s Ungluͤck kommt! Und nun haſt Du nicht nur ſo fort geredet, ſondern auch Vieles gethan, was den andern Leuten nicht recht iſt, die ſich was Beſſres duͤnken als unſer einer. Und wenn ſo Etwas geweſen, wo ſie ein Aergerniß daran haben und Schaden fuͤrch - ten, da heißt’s allemal: ja, der Johannes hat das angegeben und die Leute aufgewiegelt, denen259 waͤr’s ſonſt im Leben nicht eingefallen; der Johannes iſt an Allem Schuld und ganz allein, es wird ihm ſchon auch noch einmal ſchlecht bekommen, und man wird’s ihm gehoͤrig eintraͤnken, daß er kuͤnftig ſolche Sachen wohl bleiben laͤßt aber er laͤßt’s ſchon nicht eher, bis er ein - mal recht ordentlich angekommen! Sieh, wenn ich das ſo mit anhoͤre und uͤberleg, was wohl daraus werden koͤnnt da iſt mir gleich, als muͤſſ ich ganz und gar vergehen vor Angſt!

Muͤtterchen! ſagte Johannes innig, das ſind ſchlechte oder boͤswillige Leute, die Dir ſo Etwas von mir vorreden, das Dir Angſt machen kann; ſie goͤnnen mir’s nicht, Dich gluͤcklich zu ſehen und ſie goͤnnen Dir’s nicht, Freude an mir zu haben, ſie moͤchten uns Beiden gern das Leben verbittern, weiter iſt’s Nichts! Das iſt nicht werth, daß Du nur im Geringſten darauf hoͤrſt!

Ach nein, Johannes, ſagte Mutter Eva dagegen, wieder kopfſchuͤttelnd, diesmal haſt Du’s nicht getroffen, gerade die ſind’s, welche warnen, die Dich nach mir mit am liebſten haben. Es iſt ſo gut gemeint, Du willſt es nur nicht zugeben, weil Du keine Luſt haſt, darauf zu hoͤren und darnach zu handeln! Es ſchallt wohl auch ſchon manchmal ein Wort aus dem Leben draußen in unſer ſtilles Dorf herein Du ſelbſt biſt Schuld daran, daß es ſo geſchieht, denn eh Du da warſt, las außer dem17*260Pfarrer Niemand die Zeitungen und nun iſt mit Dir mehr als eine Zeitung gekommen und faſt alle Maͤnner ſtudiren darin. Da hat’s neulich ja auch drinnen ge - ſtanden, daß ein ganz guter, edler Mann, der immer nur das Beſte des Volkes gewollt hat, und deshalb von al - lem Volk hoch in Ehren gehalten worden iſt, nur weil er geſchrieben und geredet, wie es den hohen Herrſchaf - ten nicht gefallen, nun ſchon ſeit vielen Jahren elend im Gefaͤngniß ſitzt und darin wohl noch viele Jahre ſitzen wird unter Dieben und Moͤrdern, als ſei er ſelbſt ein ganz ſchlechter Menſch. Johannes, ſo Etwas kann Dir auch paſſiren, das redeſt Du mir nicht mehr aus, ver - ſuch’s gar nicht erſt und wenn ich nun wuͤßte: mein guter, frommer Johannes, der immer ein ſo ehrlicher Burſch geweſen, ſteckt als ehrlos im ſchlechten Gefaͤng - niß unter Dieben und Moͤrdern nein, ich uͤberlebt’s nicht! So quaͤlt mich nun die ewige Angſt um Dich! Johannes wenn Du mich nicht umbringen willſt, ſo laß das Reden und Schreiben, das Dich nur in Gefahr bringt und den Andern doch Nichts nuͤtzt! Und Mut - ter Eva ſchlang ſo ſprechend, innig feſt ihre Arme um Jo - hannes und ſah ihn mit thraͤnenden Augen bittend an.

Auch ihm gingen die Augen uͤber. Er liebte auf der ganzen Welt keine Seele inniger als ſeine Mutter, und es war ihm ein tief ſchmerzlicher Gedanke, ihr Kum -261 mer und Sorge zu machen. Gleichwohl wußt er nicht, wie er’s aͤndern ſollte. Er konnte doch nicht um einer Mutter Willen, die mit dem Leben fertig war und Nichts von deſſen hoͤheren Zwecken verſtand, auf einmal ſeinem ganzen Beruf im Leben, ſeinem Volke untreu werden, ſelbſt wenn wirklich, was er recht gut wußte, Gefahr in ſeinem Wirken war? Aber wenn er das auch ſeiner Mutter auseinander ſetzte und ſie es halb verſtaͤnde, ſie wuͤrde doch in ihrer Angſt und bei ihrem Bitten bleiben; denn ihr galt eben die ganze Welt Nichts, ihre Welt war ihr Sohn, er war es, der ihr ganzes Herz ausfuͤllte und fuͤr andere Gefuͤhle war darin kein Raum. Er konnte ſie alſo jetzt nur bitten: Sei nur ruhig Mutter, ich wage gewiß nicht zu viel, es hat mir ja noch Niemand darum Etwas zu Leide gethan, warum denn gerade nun auf einmal Angſt haben?

Ja ſieh Johannes, ich habe Angſt vor morgen! fuhr Mutter Eva wieder mit beklemmter Stimme fort. Da wollen die vielen fremden Burſchen heraus kommen, mit den hieſigen zuſammen turnen und ſingen ach, das wird gewiß nicht gut endigen! und wenn Du wieder mitten darunter biſt und ſo frei herausredeſt, wie dazu - mal am Johannistag, ſo muß ich vor Angſt vergehen! Nicht wahr, das thuſt Du nicht, verſprich mir’s, daß Du nur morgen nicht ſo reden willſt! verſprich262 mir’s, dann geh ich ruhiger hinunter und will ſorglos ſchlafen!

Johannes ſah eine Weile ſchweigend vor ſich nieder; dann ſagte er: Nun ich verſprech’s Dir zu lieb! ohne Noth will ich nicht reden und will mich fein ſtill verhal - ten unter all den Burſchen; aber wenn Etwas geſchehen ſollt, wo Schweigen ſchlecht und feig waͤre, da will ich immer und uͤberall reden, und immer und uͤberall die Wahrheit! Aber morgen nicht, wenn es nicht ſein muß!

Halb und halb wenigſtens war Mutter Eva mit die - ſer Erklaͤrung zufrieden. Sie ließ ſich von Johannes in das Dorf hinunter fuͤhren und wie ſie ſich von ihm trennte und ihm den gute Nacht-Kuß gab, mußte er ihr nochmals ſein Verſprechen wiederholen. Er aber ſtieg tief bewegt wieder auf ſeine Burg hinauf.

Es war eine wundervolle Herbſtnacht. Die Sterne flimmerten ſo hell und klar, wie immer in dieſem Mo - nat, die blaue Luft war durchſichtig wie Kriſtall, auf der Erde breiteten ſich feuchte, weiße Schleier aus, aber droben am Himmel war Alles leuchtende Klarheit.

Johannes ſtieg noch auf die hoͤchſte Ringmauer der Burg hinauf. Er wollte dieſem klaren Himmel ſo nah als moͤglich ſein. Tiefbewegt war ſein Herz und es war ihm, als koͤnne er am Erſten Ruhe finden, wenn er ſie am Sternenhimmel ſuche.

263

Er dachte ſtille bei ſich: meine Mutter mag nicht Unrecht haben mit ihrer Angſt. Ein ſtilles, einfaͤltiges Gemuͤth kommt oft der Wahrheit am Naͤchſten. Es kann ſchon ſein, daß ſie mich heut oder morgen oder ir - gend einmal auch in den Kerker werfen, den ſie fuͤr Je - den in Bereitſchaft halten, der fuͤr die Freiheit kaͤmpft das hab ich mir ſchon Tauſendmal geſagt und bin ſelbſt auf jede Stunde bereit geweſen, fuͤr die Freiheit zu leiden und ihr jedes Opfer zu bringen, das ſie fordern koͤnnte. Es iſt in dieſem Gedanken nichts Schreckendes fuͤr mich geweſen, obwohl ich nie leichtſinnig und unuͤberlegt mich in Gefahr geſtuͤrzt habe, ich bin ihr ſogar ausgewichen, wenn es mit meinem Gewiſſen und meiner Ehre ſich vertrug. Aber nun die Angſt einer Mutter! meiner Mutter! Jch habe es mir nie ſo ausgemalt, wenn ich daran dachte, wie ich ſie jetzt fand. Nein, ſo habe ich ſie mir nicht gedacht, ſo doch nicht! Aber kann ich’s aͤndern? kann ich aufhoͤren, der Freiheit zu dienen? dann muͤßte ich aufhoͤren, ich ſelber zu ſein, dann waͤr ich auch nicht werth, der Sohn meiner Mutter zu heißen, dann waͤr ich nicht mehr der Johannes, den ſie jetzt ſo lieb hat, auf den ſie ſtolz iſt. Aber eine Mutter, deren Ge - danken nicht weiter gehen als wie ihr Dorf, kann das freilich nicht recht begreifen darum thaͤt es wohl Noth, man ſuchte es nicht nur den Maͤnnern, ſondern auch den264 Frauen begreiflich zu machen, was es da auf ſich hat mit den Worten: Freiheit und Vaterland, damit die Frauen nicht mehr ihre Maͤnner, die Muͤtter nicht mehr ihre Soͤhne zuruͤckhielten, wenn es gilt, auch auf gefahr - vollen Bahnen fuͤr dieſe heiligſten Guͤter zu wirken. Ach ich ſehe ſchlimme Tage heraufkommen uͤber uns Alle! Das Recht muß endlich einmal ſiegen aber nicht willig wird das Unrecht ihm Platz machen. Und es werden ſo Viele ſein, die nicht begreifen wollen, was Recht und was Un - recht iſt. Darum thut es Noth, daß man es ihnen ſchon lange vorher ſagt und das Volk daruͤber aufklaͤrt! Wie ſchoͤn waͤre es, wenn nun jetzt die Mutter, ſtatt nur an ſich zu denken, an das große Ganze haͤtte denken koͤnnen. Wenn ſie zu mir geſagt haͤtte: Es wird mir wohl das Herz brechen, wenn Dir einmal ein Ungluͤck widerfaͤhrt und man Dich in’s Gefaͤngniß wirft, weil Du die Wahrheit geredet: aber ich weiß es ja, Du wirſt Dich nicht leichtſinnig in Gefahr begeben, wenn es aber ſein muͤßte und Gott wollte es, daß ich mein Liebſtes in Dir hergaͤbe, wie Abraham einſt ſeinen Sohn Jſaac opfern ſollte, ich muͤßte dann denken: ich habe ihn ja nicht fuͤr mich allein empfangen und groß gezogen, ſondern fuͤr die Welt, fuͤr das Vaterland, fuͤr die Menſchen nun muß ich ihn auch leben und wirken laſſen in ſeinem Beruf und wenn er dem nur treu iſt, ſo muß ich alles Andre265 ertragen, es mag fallen wie es wolle. Ja, ſo muͤßten wir die Frauen denken lehren dann koͤnnten dieſe Kaͤmpfe nicht mehr ſein, die jetzt oft des Mannes Bruſt zerreißen, wenn hier das Vaterland und die Freiheit zur muthigen That ruft, dort aber die Angſt und das Flehen einer Mutter oder eines Liebchens ihn zuruͤckhaͤlt. O dann ſtaͤnde es ſchon anders, beſſer um uns. Der Widerſtreit der Pflichten in des Mannes Bruſt hoͤrte auf, wenn nicht das Weib dahin, das Vaterland und die Freiheit ihn dorthin riefen, ſondern wenn das Weib auch keinen heili - geren Ruf kennte, als den der Gebote der Pflicht, fuͤr das Wohl des Vaterlandes zuerſt zu wirken. O meine Mutter! morgen werd ich Dir mein Wort halten, wenn nicht die Pflicht mich unabweislich zwingen ſollte aber wenn auch morgen, was nuͤtzt es? Vielleicht wirſt Du doch noch Schmerz uͤber mich haben, wie jetzt die Zei - ten boͤſe ſind und die hinterliſtigen Machthaber zu jedem Frevel faͤhig, damit ihre Gewalt ja nicht erſchuͤttert werde. O meine Mutter, ich weiß nicht, ob es Dir er - ſpart bleiben wird!

Jndem Johannes ſo dachte und einen fragenden Blick gen Himmel warf, ſchoß aus dem Stern, den er juſt be - trachtet hatte, eine leuchtende Sternſchnuppe herab und zerſtaͤubte in der Luft. Unſer Johannes war nicht aber - glaͤubiſch, aber er konnte keine Sternſchnuppe ohne Er -266 ſchrecken ſehen. Es war ihm wie ein ſtoͤrendes Ereigniß, das auch die Ruhe, den Frieden des Sternenhimmels un - terbrach, als ſolle nun nirgend mehr Ordnung, nirgend mehr Friede ſein nicht einmal da, wo ſeit Jahrtau - ſenden dieſelben Sterne ihre urewigen Bahnen wandeln, nach feſten vorgeſchriebenen Geſetzen, nicht einmal da, wo das glaͤubige tieffuͤhlende Herz den Frieden fuͤr ſich ſelbſt ſo gerne ſucht am Sternenhimmel.

Johannes ſtand erſchuͤttert auf von ſeinem Platz und ging, wie von naͤchtlichen Schauern geſchuͤttelt, in ſeinen Thurm und ſuchte auf ſeinem Lager die Ruhe. Erſt konnte er ſie lange nicht finden. Endlich aber ſchlief er doch und ſchlief bis zum Morgengrauen. Dann ſtand er auf ſo friſch und munter wie immer. Am hellen, freudi - gen Tage erſchien ihm wieder Alles ganz anders, als ge - ſtern in der duͤſtern Sternennacht, ſelbſt an die Sorgen ſeiner Mutter, die ihm geſtern ſo viel zu ſchaffen gemacht, konnte er heute nur mit Laͤcheln denken. Sie ſind doch ganz unnoͤthig, lachte er, nur in der Nacht ſieht man ſchwarz, wer koͤnnte mir denn jetzt Etwas thun, ſo lange ich ſelbſt noch gar Nichts gethan? Und er ging leichten Muthes und ſeelenvergnuͤgt, wie er immer war, hinab in das Dorf.

Am Nachmittag dieſes Tages ruͤckten nun die frem - den Turner ein. Wohl gegen hundert muntere, kraͤftige267 Burſchen, die mit Sang und Klang eingezogen kamen und von den Turnern des Dorfes empfangen wurden. Sie erholten ſich erſt durch einen Trunk Bier in der Schenke, weshalb der Schenkenwirth ihnen und auch Johannes, auf den er jetzt ſehr gut zu ſprechen war, ein ganz freundliches Geſicht machte. Friedrich und der Schul - meiſter waren natuͤrlich mitten darunter.

Dann zogen ſie hinauf auf die Burg, in dem Burg - garten zu turnen. Die Burſchen der laͤndlichen Lieder - tafel ſangen droben ein einfaches Lied zum Willkommen - gruß, das Johannes zu dieſem Zweck nach einer bekann - ten Melodie gedichtet hatte. Darauf ſprach einer der fremden, ſtaͤdtiſchen Turner zur Antwort:

Wir ſind hierhergekommen zu Euch als muntre Tur - nerbruͤder, Euch, unſre wackre Kameraden, einmal zu be - gruͤßen und mit Euch uns zum gemeinſamen Streben zu vereinigen. Das thut in dieſen Zeiten Noth, wo jedes hoͤhere und edlere Streben darniedergehalten wird von der Gewalt der Regierungen, die ſich unſichtbar zu machen ſtrebt, und die, wenn ihr auch das gelingt, doch eben um ſo fuͤhlbarer iſt. Die Rede, das geſchriebene Wort, die Vereinigung das Alles iſt nicht frei! Nur die Bewegungen unſres Koͤrpers hat man uns noch frei ge - laſſen, indeß man den Geiſtern die Knechtſchaft fuͤhlen laͤßt. Wir duͤrfen turnen, ſingen und dazu wenig -268 ſtens uns vereinigen und verſammeln. So machen wir denn von dieſem Recht Gebrauch. So ſind wir hierher - gekommen, Euch zu begruͤßen! Zu begruͤßen die maͤnn - liche Jugend dieſes Dorfes, die den andern Doͤrfern als ein ruͤhmliches Beiſpiel voranleuchtet. Vor Allem aber zu begruͤßen den edlen Dichter Johannes, den Bauern - ſohn, wie er ſich ſelber nennt. Wir wußten dem Bauern - ſohn nicht anders unſre Liebe und Verehrung zu bezeigen, als daß wir Alle miteinander herzogen, ſeine Hand zu druͤcken und zu rufen: Es lebe Johannes! Es lebe der Bauernſohn!

Alle Burſchen ſtimmten begeiſtert in dieſen Ruf ein und er hallte vielfaͤltig in den alten Burgruinen wieder. Jn einer Ecke derſelben aber lauerte ein Gensdarme mit Chriſtlieb verſteckt und dieſer ſtieß ihn jetzt an, indem er ſagte:

Das iſt ſchon toll genug, aber nun paßt auf, was nun erſt der Johannes ſelber herausgeben wird und merkt es genau.

Der Gensdarme nickte beifaͤllig laͤchelnd, er ſpitzte die Ohren und ſtreckte den Kopf behutſam ein Wenig vor, wie eine Spinne, die in der Ecke ihres Netzes ver - ſteckt auf ihr Opfer lauert.

Johannes ſchuͤttelte herzlich die Haͤnde der fremden Burſchen, die ſich ihm alle entgegenſtreckten. Mit einer269 bewegten Stimme, der man die innere tiefe Ruͤhrung an - merkte, antwortete er: Jch dank Euch meine Bruͤder fuͤr ſo viel Liebe und Guͤte ich will mich beſtreben, immer derſelben werth zu bleiben. Wenn ich hier und jetzt nicht zu Euch rede, wie ich gern moͤchte, ſo denkt an das, was der Sprecher vor mir geſagt: die Rede iſt nicht frei! Laſſet uns aber aushalten, bis wir doch aus dem Egypten der Unfreiheit in das Kanaan der Freiheit ge - langen. Wir Bauern werden und muͤſſen, wie die Staͤdter, nicht aufhoͤren, nach dem Reiche Gottes auf Erden nach dem Reiche der Freiheit zu trachten, ſo wird uns das Andre Alles von ſelbſt zufallen. Und nun meine Bruͤder! friſch auf! laſſet in kuͤhnen Spielen un - ſern Koͤrper uns kraͤftigen, damit wir, das junge Geſchlecht, uns in Staͤrke und Muth unſern alten Vorfahren, den freien Germanen, wuͤrdig zeigen!

Die Turner liefen nun zu ihren Stangen und Reck, dem Zweck ihrer Zuſammenkunft zu genuͤgen.

Der Gensdarme fluͤſterte Chriſtlieb zu: Jch dachte, er wuͤrde mehr ſprechen!

Chriſtlieb kaute mißvergnuͤgt an den Naͤgeln. Jch dachte es auch aber es ſchadet Nichts, man kann es drum anzeigen und die Kerle, die ich beſtellt habe, werden ſchon am Abend das Jhrige thun.

Wo ſind ſie denn jetzt? fragte der Gensdarme.

270

Chriſtlieb antwortete: Martin wollte ſie immer in die Schenke fuͤhren und im Schnaps ihnen gehoͤrig zu - ſprechen, daß ſie ſich Muth traͤnken und um ſo rauflu - ſtiger wuͤrden. Jch dachte aber, der Schenkenwirth moͤchte Unrath merken, der hat immer eine ewige Angſt vor al - len Pruͤgeleien und iſt zudem jetzt gar dem Johannes ge - wogen ſo traktirt Martin die Leute auf ſeiner Stube, natuͤrlich mit einem Schnaps. Uebrigens jetzt, wo ſie nicht mehr reden, habt Jhr nicht mehr noͤthig, Euch in einen Winkel zu verkriechen, damit ſie ſich unbeobach - tet glauben. Stellt Euch jetzt nur recht breit hin, mit - ten unter ſie und ſchaut ihnen zu, daß ſie’s recht merken, ſie ſtehen unter Eurer Aufſicht, das aͤrgert die Großmaͤu - ler, die immer thun wollen, als habe ihnen kein Menſch Etwas zu befehlen, am meiſten.

Der Gensdarme nickte beifaͤllig zu dieſem Rath, ſchritt gravitaͤtiſch auf die Turner zu und ſtellte ſich mit in ein - andergeſchlagenen Armen und geſpreizten Beinen vor ſie hin, recht als waͤren die jungen Maͤnner ungezogene Bu - ben, wo er aufpaſſen muͤſſe, daß ſie keine Dummheiten machten.

Einige von den Turnern wollten, daruͤber aufgebracht, theils ernſte, theils ſpoͤttiſche Worte an den ſelbſtgefaͤlli - gen Gensdarmen richten, aber Johannes verwies es ih - nen, indem er ſagte: Warum wollen wir den Leuten271 nicht das Vergnuͤgen laſſen, uns zuzuſehen? Wir thun ja Nichts, was nicht die ganze Welt ſehen koͤnnte. Die Burſchen lachten und der Gensdarme blieb unangefochten auf ſeinem Poſten ſtehen.

Die Maͤdchen und Frauen des Dorfes hatten auch dem Turnen zugeſchaut. Mutter Eva ſtand bei der Frau Pfarrerin und fluͤſterte dieſer leiſe zu: Jch hab ihm geſtern in’s Gewiſſen geredet, und er hat mir verſprochen, nicht mehr zu reden als er eben muͤßte, ich weiß es, er iſt ein guter Junge und wird Wort halten.

Laura und Suschen ſtanden auch dabei. Laura freute ſich wohl aus Herzens Grunde uͤber jede kuͤhne Schwenkung, die ihr Friedrich machte, Suschen ſchrie aber einmal ganz laut auf, wie unſer Schulmeiſter ſo hoch herab ſprang, daß man erſt nicht wußte, ob es ge - ſprungen oder gefallen war. Er hoͤrte wohl den Angſt - ſchrei und ſah ſich um, aber er wußte nicht, woher er gekommen war.

Nach beendigtem Turnen zogen Alle paarweis mit Geſang hinab in die Schenke. Johannes fuͤhrte den Vorturner zu Suschen und ſagte: Das iſt das Toͤch - terlein unſres Richters, der ſelber ſo bereitwillig unſer Feſt unterſtuͤtzte. Jhr kommt die Ehre zu, an Eurer Hand hinabzugehen.

Der Turner ſagte Suschen allerhand Schoͤnes, aber272 er antwortete Johannes: Euch kommt der Ehrenplatz un - ter uns Allen zu und ich ſehe, die Burſchen haben ſchon Alle Maͤdchen an der Hand und Jhr muͤßt allein gehen.

Ei ſo nehm ich mein Muͤtterlein, lachte Johannes und nahm Mutter Eva bei der Hand. Nun ſeht Jhr’s doch, daß Jhr keine Angſt zu haben braucht! raunte er er ihr zu, und ſie druͤckte ihm zufrieden und beruhigt da - fuͤr die Hand.

Als ſie ſo Alle den Berg hinabgingen, kam auf ein - mal der Amtsbote, ein andrer Gensdarme als der mit auf der Burg war und jetzt auch dem Zuge folgte und ein betreßter Diener des Grafen ihnen entgegen. Hin - terdrein Chriſtlieb, der Bote Martin und einige rohe Knechte, die am Jubiliren und Taumeln verriethen, daß ſie betrunken waren.

Der Amtsbote winkte auch den andern Gensdarmen her - bei und Beide riefen, auf Johannes lostretend: Jhr ſeid doch der freche Aufwiegler, der Johannes? Jhr ſeid verhaftet im Namen des Geſetzes!

Es thut mir leid, daß Sie im Jrrthum ſind ſagte Johannes ruhig, ich habe Nichts verbrochen und muͤßte vorerſt bitten, mir einen Grund fuͤr Jhre Hand - lung anzugeben.

Den Grund wißt Jhr allein und erfahrt ihn273 im Loche noch ganz ausfuͤhrlich! lachte der Gens - darme.

Johannes achtete auf Nichts mehr, denn er fuͤhlte ploͤtzlich, wie ſeine Hand, die in der Mutter Eva’s lag, krampfhaft gepreßt ward und wie dieſe mit einem lauten, furchtbaren Schrei an ſeiner Seite zuſammenſtuͤrzte Johannes warf ſich mit dem Herz zerreißenden Ruf: meine Mutter! uͤber ſie.

Der Fuͤbrer der Turner trat vor und herrſchte dem Amtsboten zu: Wir dulden dieſe willkuͤrliche Verhaftung nicht und haften Alle mit unſerm Kopfe fuͤr ſeine Un - ſchuld!

Ein ſpoͤttiſches Gelaͤchter antwortete ihm, die andern Turner umringten Johannes, wie um ihn zu ſchuͤtzen, zugleich ſchrie aber Chriſtlieb: Sie vergreifen ſich an den Diener des Geſetzes! Helft! Und dies war das Zeichen fuͤr die trunkenen Kerle, die mit Stoͤcken auf die Turner einhieben dieſe wehrten ſich natuͤrlich und ſo entſtand eine allgemeine Pruͤgelei. Der Richter und Schulmeiſter mahnten vergeblich zum Frieden, weil ja ſo die Sache fuͤr Johannes, wie fuͤr das ganze Dorf noch ſchlimmer werde.

Johannes ſprang auf und rief: Um Gottes Willen haltet ein ich gehe mit den Gensdarmen gewiß komme ich morgen ſchon gerechtfertigt wieder ſorgt18274fuͤr meine Mutter, troͤſtet ſie, ſo gut Jhr koͤnnt! Es iſt das Werk unſrer Feinde, daß dieſer Tag uns geſtoͤrt wird, geht ruhig nach Hauſe, damit ſie nicht ſagen koͤnnen, wir truͤgen die Schuld und nun geh ich hin, wohin die Diener des Gerichts wollen der Unſchuldige braucht Nichts zu fuͤrchten.

So ward er abgefuͤhrt und in einen Wagen geſetzt, der ihn nach der Stadt fuhr. Die Meiſten ſahen ihm klagend, Chriſtlieb und ſeine Genoſſen aber hohnlachend nach.

[275]

Wie Alles kam.

Daß unſer Johannes ſo ploͤtzlich gefangen genommen ward, daran waren doch eigentlich nur die ſchlechten eigen - ſuͤchtigen Menſchen im Dorfe ſchuld, die ihn niemals hat - ten leiden moͤgen: der Bote Martin, Berthold, die bei - den Damme, Vater und Sohn und der Foͤrſter, den ſie zuletzt ſo verhetzt hatten.

Der Foͤrſter naͤmlich hatte richtig nichts Eiligeres zu thun gehabt, als dem Herrn Grafen zu berichten: Johan - nes hetze die Bauern auf, daß ſie wider ihn, den Gra - fen eingekommen waͤren, uͤber Wildſchaden klagten, ver - guͤtet haben wollten und ihm nicht einmal das edle Ver - gnuͤgen der Jagd mehr goͤnnen moͤchten. Das Alles habe der Johannes ihnen vorgeredet und ſie machten eben Alles, was dieſer wollte. Aller Reſpect der Bauern vor der Herrſchaft und vor allen alten Rechten und Ge - ſetzen hoͤrte auf, ſeitdem dieſer Johannes da ſei. Auf der18 *276Burg ſchalte und walte er nun ganz wie er wollte. Er habe da im Garten eine Vorrichtung zum Turnen ma - chen laſſen der Vogt habe zwar geſagt, der Herr Graf haͤtten es erlaubt aber das koͤnne doch wohl nicht der Wille des Herrn Grafen ſein, daß alle Woche einmal ein Heidenlaͤrm dort waͤre, da die ganzen Bur - ſchen des Dorfes, gemeine Bauernluͤmmel, ihr Weſen dort trieben im Schwenken, Verrenken, Klettern und Springen, was ſie Alles zuſammen Turnen heißen, da - mit der Unſinn doch einen Namen habe. Auch halle die alte ehrwuͤrdige Burgruine oft wieder von wilden neuen Liedern, die ebenfalls die Burſchen ſingen, daß die ganzen hochadlichen Fledermaͤuſe keine Ruhe mehr im Gemaͤuer haͤtten und die erhabenen Ahnenbilder an den Waͤndeu wackelten. Aber das Schlimmſte bei der Sache waͤre doch, daß naͤchſten Sonntag eine Geſellſchaft von frem - den Turnern aus der Stadt hinkommen und daſelbſt ihr Weſen treiben wollten. Man koͤnne ſich ſchon denken, wie es da zugehen werde! Denn das moͤchten auch ſchoͤne Kerle ſein, die aus der Stadt auf’s Dorf zoͤgen, mit den Bauernluͤmmeln ſich herumzubalgen. Der Herr Graf moͤchten doch dieſes Unweſen, uͤber das ſich auch alle ru - higen und vernuͤnftigen Leute im Dorfe entſetzten, nicht dulden und einen Befehl an den Vogt ſenden, daß der Burggarten ſolchen rohen Geſellen verſchloſſen werde.

277

Solches Alles und noch viel Aehnliches hatte der Foͤr - ſter uͤbertrieben und verlaͤumderiſch an den ſtolzen Grafen berichtet, der wirklich uͤber all dieſe Neuigkeiten ganz erſtaunt und entſetzt war. Das haͤtte er dem Johannes doch nicht zugetraut er hatte immer gemeint, da derſelbe ſich auch unter vornehmen Leuten ſo heimiſch zu benehmen wiſſe, ja ganz ſtolz unter ihnen auftrete, ſo ſei es doch wohl nur eben Rederei von ihm, wenn er die Bauern ſeine Bruͤder nenne, wenn er wieder unter ſie komme, werde es ihm ſchon vergehen, mit dieſen dummen und ro - hen Geſellen, wie der Graf die Landleute zu nennen be - liebte, ſich einzulaſſen. Ja, der Graf nahm es fuͤr eine Beſtaͤtigung dieſer Anſicht, als Johannes ihn um die Wohnung in der Burgruine bat. Das thut er doch nur, weil ihm die Bauernhuͤtten zu ſchlecht ſind, fol - gerte der Graf. Jetzt fand er ſich nun durch den Brief des Foͤrſters ploͤtzlich eines Andern uͤberzeugt und Al - les, was er jetzt von Johannes erfuhr, ſtieg uͤber ſeine Faſſungskraft. Am meiſten aber entſetzte es ihn doch, was er uͤber die Jagdangelegenheit vernehmen mußte. Die Jagd war ſein Hauptvergnuͤgen, wie das vieler mit - telalterlichen großen Herren, und Nichts brachte ihn ſo ſehr in Wuth, als wenn ihn Jemand Etwas da hinein reden wollte und nun gar die Bauern ſeines Dorfes und in ſeinem eignen Revier. Er haͤtte eher Himmels278 Einſturz erwartet, als daß je die Bauern ſich ſo Etwas unterſtehen wuͤrden! Es war ihm ganz klar, daß ſie allein nicht auf dieſen Gedanken gekommen waͤren, noch weniger, daß ſie jemals gewagt haͤtten, ihn auszuſprechen alſo konnte wirklich Niemand Anders als Johannes an dieſer Sache Schuld ſein, wo haͤtten ſie ſonſt dieſe Anſichten und wo den Muth zu dieſem Wagniß herge - nommen?

Da gerieth nun der Graf in eine ſolche Wuth uͤber Johannes, daß er ſogleich einen expreſſen Boten an den Vogt ſandte, mit dem Befehl: Johannes duͤrfe ſich nur noch drei Tage in der Burg aufhalten dann muͤßte er dieſelbe raͤumen, denn er, der Graf, werde nie einen aufruͤhreriſchen Unterthan in ſeiner eignen Beſitzung dul - den. Zugleich befahl er in dieſem Schreiben, daß die Turnanſtalt im Burggarten augenblicklich niedergeriſſen und derſelbe allen Leuten verſchloſſen werde adliche Standesperſonen ausgenommen. Hoffentlich komme der Bote noch zeitig genug, das Turnfeſt, das darin veran - ſtaltet werden ſollte, zu verhindern, es ſei dies ſein aus - druͤcklicher Befehl. Zugleich ſchrieb der Graf auch an den Amtmann ungefaͤhr Folgendes: Er hoffe zwar, daß auch ohne ſeine Mahnung der Amtmann ſeine Pflicht thun und das beabſichtigte Turnfeſt in ſeinem Dorfe nicht geſtatten werde, aber er koͤnne doch nicht umhin, ihn279 noch beſonders auf die Gefahren aufmerkſam zu machen, in welche der Aufwiegler Johannes das ganze Dorf und das ganze Land ſtuͤrze, er rufe die Gerichte um Schutz gegen dieſen ſeinen Unterthanen an: man moͤge das Dorf von dieſem gefaͤhrlichen Subjekt befreien. An einen An - laß dazu koͤnne es gewiß nicht fehlen, wenn man ihn naͤher beobachte er, der Graf, habe ihm bereits erklaͤrt, daß er ſeine Burg verlaſſen muͤſſe, aber das allein ſei nicht genug er, der Graf, habe in der Ferne nur eben erſt von dem hochverraͤtheriſchen Treiben dieſes Men - ſchen erfahren wie man es aber in der Naͤhe ſo lange ruhig habe mit anſehen koͤnnen, begreife er nicht und muͤſſe hiermit die Obrigkeit an ihre Pflicht erinnern.

Chriſtlieb, der Bote Martin und noch Einige ihres Anhanges konnten nun nicht wiſſen, welchen Eindruck das Schreiben des Foͤrſters auf und bei dem Grafen machen werde, und da ſie nun vor allen Dingen ſich des Johannes wo moͤglich entledigen und es wenigſtens dahin bringen wollten, daß die Turnerei kuͤnftig unterbleibe und uͤberhaupt alle aͤhnlichen Neuerungen, ſo hatten ſie ſich beredet, an dem Tage, wo die Fremden da waͤren, eine Pruͤgelei zu Stande zu bringen und ſo eine Unruhe an - zuzetteln, deren Schuld ſie allein auf ihre Feinde ſchieben wollten, hauptſaͤchlich auf Johannes, der die Leute ſo aufrege, daß das ſonſt ſo ruhige Dorf gar nicht mehr280 wieder zu erkennen ſei. Um nun aber ſelbſt aus dem Spiele zu bleiben, hatte Chriſtlieb einige handfeſte Kerle gedungen, einige waren arme Knechte, andere wuͤſte Tage - diebe, die fuͤr Geld zu Allem zu gebrauchen waren. Dieſe nun ſollten in der Schenke Haͤndel ſuchen und die Pruͤ - gelei anfangen, vielleicht gar noch Johannes ſchlagen, der, wie ſie wußten, hitzig genug war, um einen Schlag nicht ruhig hinzunehmen.

Andererſeits war auch die Obrigkeit auf ihrer Hut, die, wie wir wiſſen, noch ehe des Grafen Schreiben ein - traf, ein ſchacfes Aug auf Johannes hatte, und ent - ſchloſſen war, ihn bei eheſter Gelegenheit beim Schopf zu faſſen, deshalb allein hatte auch der Amtmann das Turn - feſt geſtattet, da er hoffte, hierbei koͤnne ſich vielleicht die guͤnſtige Gelegenheit finden. Es wurden deshalb zwei Gensdarmen beauftragt, die genau auf Alles aufpaſſen und beim geringſten bedenklichen Anlaß nicht viel Feder - leſens mit Johannes machen ſollten.

Der Bote des Grafen hatte ſich Etwas verſpaͤtet und kam erſt am Nachmittag des Sonntags, an dem das Turnfeſt Statt finden ſollte, bei dem Amtmann an, dem er zuerſt das Schreiben uͤberbringen ſollte. Der Amt - mann laͤchelte teufliſch triumphirend: der gewuͤnſchte An - laß war nun gefunden ſogleich ward das Noͤthige ver - fuͤgt und ſo geſchah es denn, daß der Bote des Grafen,281 der noch dem Vogt den Befehl ſeines Herrn zu bringem hatte, mit einer Gerichtsperſon und einem Gensdarmen zugleich in das Dorf eilte, wo ſie gegen Abend ankamen, um Johannes zu verhaften.

Mutter Eva war, als dies geſchah, betaͤubt zu Boden geſunken. Vor Schreck hatte der Schlag die alte Frau geruͤhrt. Man trug ſie in das Haus, Suschen und Katharina waren die ganze Nacht um ſie beſchaͤftigt, ſie athmete noch aber auch der herbeigerufene Arzt ver - mochte ſie nicht zu retten. Vielleicht werde ſie noch ei - nige Tage leben, ſagte er, aber laͤnger nicht.

Die Beſtuͤrzung war im ganzen Dorfe gleich. Die fremden Turner, die unter Sang und Klang am Mittag gekommen, waren am Abend ganz ſtill heimgezogen. Es hatte ihnen Niemand das Bleiben verwehrt aber der ganzen Burſchen, der aus der Stadt eben ſowohl wie der aus dem Dorfe, hatte ſich eine ſo tiefe Niedergeſchla - genheit bemaͤchtigt uͤber die Gefangennehmung und Be - ſchimpfung ihres Lieblings Johannes, daß ſie nicht im Stande geweſen waͤren, den Tag ſo zu beendigen, wie ſie es erſt im Sinne gehabt. Der Schenkenwirth war auch ganz beſtuͤrzt, zumeiſt daruͤber, daß nun der Tanz in ſei - ner Schenke nicht Statt fand und er vergeblich eine Menge Eßwaaren dazu angeſchafft, was nun Alles ver - derben werde, ja daß er ſich auch nun ganz unnuͤtzer282 Weiſe habe eine freie Nacht geben laſſen und man ihm dieſe, gewiß als gehalten, anrechnen werde. Chriſtlieb und ſein Anhang hatten zwar verſucht, den Tanz dennoch zu beginnen aber nicht nur, daß ſie weiter keine Mittaͤnzer hatten auch die Taͤnzerinnen flohen fort es mochte kein Maͤdchen an demſelben Tage froͤhlich ſein und tan - zen, an dem etwas ſo Schreckliches geſchehen war wie dieſes, daß man den guten Johannes eingeſteckt und der haͤßliche Gensdarme ihn mit ſo barſchen Worten aus ihrer Mitte geriſſen hatte. Was konnte es nur ſein, daß er ſollte verbrochen haben? fragten Alle einander im ganzen Dorfe hin und her. Niemand konnte ihm etwas Unrechtes, geſchweige denn etwas Boͤſes zutrauen und doch war er eben vor Aller Augen wie ein ganz gemeiner Ver - brecher verhaftet worden gerade ſo war man mit ihm verfahren wie vor einem halben Jahr auch am hellen lichten Sonntag mit des Richters Knecht, der ſeinen gu - ten Herrn auf alle Art und Weiſe, zuletzt aber auch mit Geld beſtohlen gehabt hatte. Da war es denn heraus - gekommen, ehe er es geahnt und er war ploͤtzlich auch von dem Gensdarmen aus der Schenke geholt worden, um von da an ſeiner Seite in’s Loch zu ſpazieren , wie ſie’s nannten. Aber Johannes? Was hatte denn der verbrochen? Wie konnte man ihn denn ſo mir Nichts dir Nichts hinwegholen und einſperren? Und nun das283 Ungluͤck, daß Mutter Eva juſt dabei ſtehen mußte, wie er ergriffen und abgefuͤhrt ward.

Es war auch nicht einmal das allein. Auf der Burg aber drang ein Gerichtsbote in Johannes Stube, durch - ſuchte darin Alles und nahm alle Buͤcher und Papiere mit, die er darin fand. Dann erhielt die Frau Vogt von dem Diener des Grafen Befehl, alle Sachen, die Jo - hannes gehoͤrten, einzupacken und zu ſeiner Mutter zu ſchicken : in den Thurm duͤrfe er nie wieder, ſelbſt wenn er los kaͤme, woran aber ſo bald nicht zu denken ſein wuͤrde. Am andern Tage ſollten auch die Turn - ſtangen und Alles dazu Gehoͤrige aus dem Burggarte weggenommen und zerhackt werden.

Chriſtlieb und der Bote Martin thaten nun das Jh - rige, die Leute im Dorf aufzuhetzen und ihnen Angſt zu machen: das haͤtte man davon, ſagte er, daß das Unwe - ſen des Johannes im Dorfe getrieben, ſo lange waͤre ge - duldet worden und daß die einfaͤltigen Menſchen ſich Alle haͤtten von ihm verfuͤhren laſſen; nun haͤtten ſie es doch und kaͤmen Alle mit in das Ungluͤck hinein. Nicht ge - nug, daß ſchon das ganze Dorf in Verruf gekommen und man in der Stadt ſcheel angeſehen werde, wenn man ſage, daß man von hier ſei nun werde auch gewiß Jeder ſein Theil Strafe bekommen, der es mit dem Jo - hannes gehalten. Man werde das ganze Dorf in Pro -284 zeſſe verwickeln, uͤberall Hausſuchungen veranſtalten u. ſ. w. und die Gemeinde, die ohnehin arm genug ſein werde, am Ende die ganzen Koſten zu tragen haben. Wer ſich noch retten wolle, moͤge nur in Zeiten bekennen, von Jo - hannes verfuͤhrt worden zu ſein und von all den unſin - nigen Dingen, die dieſer geſtiftet, ſich losſagen, wie von dem Turnverein, der Liedertafel es ſei jetzt keine Ret - tung als eben die: Johannes fuͤr einen Betruͤger und Luͤgner zu erklaͤren und vor Gericht wider ihn zu zeugen, was Jeder mit gutem Gewiſſen thun koͤnne, ja was die Pflicht eines Jeden ſei wer aber wirklich noch zu Johannes halte, moͤge ſich in Acht nehmen, denn Allen, die etwa gar verſuchen ſollten, ihn zu entſchuldigen und Etwas wider ſeine Verhaftung einzuwenden, denen werde es jedenfalls nicht beſſer gehen wie dem Johannes ſelbſt. Nun ſei es endlich auch an den Tag gekommen, wie er den Herrn Grafen betrogen, daß dieſer ihm ſeine Gnade zugewendet, bis er eingeſehen, an welchen unwuͤrdigen Menſchen er ſie verſchwendet. Man wuͤrde gewiß noch viele ſchoͤne und wunderbare Dinge zu hoͤren haben, wenn erſt Alles werde herausgekommen ſein.

So und aͤhnlich redeten Chriſtlieb und Martin uͤberall im Dorfe herum und wenn ſie auch braven Burſchen, wie z. B. Friedrich und der Knecht Jacob, nicht mit ſol - cherlei Gerede kommen durften, ſo machte es doch Ein -285 druck auf manche aͤngſtliche und mißtrauiſche Gemuͤther, ſo daß Viele ganz kleinlaut wurden, die ſonſt am laute - ſten Johannes Beifall geklatſcht, jetzt aber ganz anders zu reden anfingen, als wie ſie es vordem gethan hatten.

Unſer Pfarrer war zu Mutter Eva gegangen, ſo bald er nur von dem ganzen Ereigniß gehoͤrt hatte. Die Frau Pfarrerin war ihm nachgeeilt es war ihr, als habe man ihr den eignen Sohn gneommen. Sie hatte es ja oft ausgeſprochen, daß ſie den Johannes eben ſo lieb habe, als ſei er ihr eigen Kind und daß ſie es ſeiner Mutter Eva nicht verdenken koͤnne, wenn ſie ſo ſtolz auf ihn ſei, ſo wenig, wie ſie ihr die Angſt verdachte, die ſie um den Liebling ausſtand. Und nun war dieſe Angſt ſo ploͤtzlich und ſchrecklich als gar nicht zu voreilig beſtetigt worden! Die Pfarrerin wußte, was Mutter Eva em - pfinden mußte an dem, was ſie, die Pfarrerin, ſchon ſelber fuͤhlte, wie ſie den Johannes ſo zwiſchen den Gendar - men hatte voruͤber gehen ſehen, als ſie in der Pfarre am Fenſter ſtand das Herz wollte ihr auch brechen und wie lieb ſie ihn auch hatte: er war doch nicht ihr eigen Fleiſch und Blut! Die wahre Mutter fuͤhlt noch ganz anders als ſo eine muͤtterliche Freundin. Jo - hannes hatte in dieſem Voruͤbergehen der Pfarrerin noch traulich zugewinkt ſie hatte das Fenſter aufgeriſſen und ihn angeſtarrt, aber vor Schreck keine Frage, kein286 Abſchiedswort hervorgebracht. Er hatte wohl traurig aus - geſehen, aber nicht traurig wie ein Schuldbewußter, ſon - dern wie Einer gar nicht um ſich, aber tief um Anderer Willen bekuͤmmert iſt. So hatte er zum Fenſter hinauf - gerufen: Troͤſtet meine Mutter, Frau Pfarrerin ſie wird Troſt brauchen koͤnnen und von Euch wird ſie ihn am eheſten anhoͤren! Er wußte wohl, daß eine Mut - ter nur von einer andern Mutter verſtanden werden kann! Dies waren ſeine letzten Worte, die er im Dorfe ſprach.

Mutter Eva lag auf ihrem Bett, Kaͤthe und Sus - chen waren um ſie beſchaͤftigt, beide vermochten nicht, ihre Thraͤnen zuruͤckzudraͤngen und Schreck und Angſt lag auf ihren Geſichtern. Der Chirurgus ging mit Achſelzucken wieder zur Thuͤr hinaus, an der Traugott lehnte und von innerm Schmerz verlegen an den Naͤgeln kaute es war bei ihm auch vergebens, daß er ſich ſeiner Thraͤnen erwaͤhren wollte, ſie rannen in großen Tropfen uͤber ſein braunes Geſicht, das ſonſt immer munter und wie lau - ter Lachen ausſah. Der Pfarrer trat ein, er ſchuͤttelte Traugott ſtumm und ſchmerzlich die Hand und ſetzte ſich an Mutter Eva’s Lager nieder. Sie ſah ihn mit halb - gebrochenen Augen an und verſuchte vergebens zu ſpre - chen, der Schreck hatte auch ihre Zunge gelaͤhmt. Sie war aber nicht voͤllig bei Bewußtſein. Wie die Pfarrerin287 eintrat, folgte ihr der Schulmeiſter. Er ſtand erſt lange ganz ſtumm an dem Bette, dann ſagte er im Ton der Verzweiflung zu dem Pfarrer:

Ach Gott Herr Pfarrer wenn ich mit Schuld daran haͤtte, daß der Johannes nun ſo ploͤtzlich uns Al - len entriſſen iſt! waͤre ich weniger auf alle ſeine Vor - ſchlaͤge eingegangen vielleicht waͤre es doch nicht dahin gekommen wir haben Jhre Warnungen nicht gehoͤrt!

Der Pfarrer ſagte ernſt aber milde: Nun iſt das Klagen zu ſpaͤt! Nun iſt es auch zu ſpaͤt, ſich und An - dern Vorwuͤrfe zu machen, wo Nichts mehr zu aͤndern iſt! Was Gott einmal geſchickt hat, muß man denn auch zu tragen vermoͤgen! Wir wiſſen noch gar nicht, warum Johannes verhaftet worden, ob um ſeiner Reden oder um der Veranſtaltung dieſes Feſtes willen oder warum ſonſt. Meine bange Ahnung iſt eingetroffen, ich vermochte Nichts dagegen zu thun, moͤge nicht noch eine andere ſich erfuͤllen! Haben Sie auch ſchon daran gedacht, und er nahm unſern Schulmeiſter laͤchelnd bei der Hand, was Sie thun werden, wenn es Jhnen vielleicht noch aͤhnlich wie Johannes gehen ſollte? Weiſt ſich nicht die ganze Sache als ein Mißverſtaͤndniß aus, ſon - dern behaͤlt man Johannes in Gewahrſam dann weiß ich nicht, was Jhnen bevorſtehen wird. Jedenfalls wird man Sie mit verhoͤren und das Wenigſte wird ſein, daß288 man ein wachſames Auge auf Sie hat vielleicht Sie verſetzt.

Oder auch meines Amtes entſetzt, fiel der Schul - meiſter ein, ich bin auf Alles vorbereitet haͤtten ſie mich doch gleich lieber ſtatt des Johannes mitgenommen ich habe ja keine Mutter! ich habe ja kein Herz, das um mein Ungluͤck brechen wird!

Suschen hatte der Rede des Pfarrers ſchon mit ge - ſteigerter Angſt zugehoͤrt, jetzt trat ſie auf einmal nahe zu den Beiden, faßte des Pfarrers Hand und ſagte, in - dem ſie ihn mit ihren großen blauen Augen durch Thraͤ - nen anſah: Herr Pfarr, iſt das wahr?

Was denn mein liebes Kind? fragte der Pfarrer innig.

Suschen erwiderte, indeß ihre Augenlider ſich ſenkten und ihr ganzes Geſicht, das vor Schreck und Thraͤnen erſt blaß geworden war, ſich hoch roͤthete: daß es wahr, daß es wie dem Johannes auch dem da ſie deutete auf den Schulmeiſter, gehen kann?

Der Pfarrer antwortete: Wir wiſſen Alle nicht, woran wir ſind, wir wollen Alle das Beſte hoffen, muͤſſen uns aber auch in Demuth auf das Schlimmſte vorberei - ten.

Nein! dann gaͤb’s ja keine Gerechtigkeit mehr auf Erden! rief Suschen außer ſich.

289

Unſer Schulmeiſter ſah ſie ganz verwundert an dann gaͤb’s ja keine Gerechtigkeit mehr auf Erden! hatte ſie gerufen dann! er mußte ſich es immer in der Stille wiederholen alſo dann erſt, dann erſt, wenn auch er verhaftet wuͤrde, wollte ſie verzweifeln! Er vergaß einen Augenblick lang alles Andere uͤber dies eine kleine Wort vor einigen Monaten noch haͤtte es ihn uͤberſelig gemacht, da haͤtte er es ganz zu ſeinen Gunſten ausgelegt. Aber jetzt? durft er’s denn da auch? jetzt konnte es ihn ja nicht ſelig, ſondern nur verwundert machen. Sie mußte doch gewiß zumeiſt außer ſich ſein uͤber Jo - hannes ihren Liebſten!

Es war eine lange Stille eingetreten nach dieſem Ausruf Suschens Niemand wollte und hatte Etwas darauf zu ſagen, auch der Pfarrer nicht und Suschen ſelber ſchwieg auch; der Schulmeiſter aber war ganz in ihr Anſchauen verſunken.

Es ward ſpaͤt, Mutter Eva lag ſtill da und nur das Zucken ihrer Glieder verrieth zuweilen, daß ſie noch lebe. Suschen ſagte, ſie wolle bei ihr wachen, die Andern moͤch - ten ſich nun aber doch ſchlafen legen, es koͤnne ja Nie - mand hier Etwas helfen. Nach der Kaͤthe ſchrie ohnehin in der Unterſtube der Junge immer, ſie moͤge nur gehen, damit er endlich zur Ruhe kaͤme. Wenn Etwas die Nacht bei der Kranken geſchehen ſolle, wolle ſie ſchon19290Traugott rufen, ihr beizuſtehen und Alle, wenn es ſein muͤſſe, jetzt waͤre es aber beſſer, wenn Alle zur Ruhe gin - gen und man ſie allein laſſe. Der Pfarrer fand den Rath vernuͤnftig, er nahm ſeine Frau am Arm und wuͤnſchte Allen eine gute Nacht, ſo gut wie ſie eben heute moͤglich ſein werde. Wenn es geſchehen ſolle, daß Mut - ter Eva aber nach ihm, dem Pfarrer, verlangen ſollte, ſo moͤge man es ihn zugleich wiſſen laſſen, er werde dann augenblicklich kommen und wenn es mitten in der Nacht ſei. Traugott ging mit Kaͤthen hinab zu den Kindern, Suschen brauche nur oben mit einem Stuhlbein zu po - chen ſagten ſie, ſo hoͤrten ſie’s ſchon und kaͤmen herauf, wenn ſie Beiſtand brauchte. So waren die Vier zuſam - men gegangen und hatten nicht bemerkt, wie unſer Schul - meiſter oben an der Treppe ſtehen geblieben und ſo nicht mit ihnen hinabgegangen war. Er ſchlich ſich nach einem Weilchen wieder in die Krankenkammer hinein und als Suschen ihn ſtumm aber verwundert fragend anſah, ant - wortete er ganz leiſe:

Suschen! ich kann Sie nicht allein laſſen! ich be - greife die Andern nicht, daß ſie’s thun, ſie meinen aber wohl, es ſtehe nicht ſo ſchlimm um Mutter Eva mir hat es aber der Chirurg geſagt, daß ſie nicht mehr lange zu leben hat es iſt ſchrecklich, ſchauerlich, bei einem Sterbebett allein zu ſein. Laſſen Sie mich noch hier bleiben.

291

Suschen ſagte: Jch glaube nicht, daß es ſo ſchnell geht, ſelbſt wenn kein Aufkommen in ihrem Alter moͤg - lich waͤre ſie wird doch wohl noch Tage zu leben haben ach! ich meine, ſie kann nicht eher erſterben, als bis ſie ihren Johannes noch einmal geſehen hat!

Jch habe auch ſchon daran gedacht, ſagte der Schul - meiſter, nun, ſelbſt wenn er gefangen iſt und es bleiben ſollte, ſo denke ich, wird man ihn doch zu ſeiner ſterben - den Mutter laſſen, wenn bei den Behoͤrden darum nach - geſucht wird. Heute waͤre es doch zu ſpaͤt und vergeb - lich geweſen aber wenn ſie den naͤchſten Tag noch erlebt, wie Sie glauben und wohl moͤglich iſt, dann will ich hinein in die Stadt, dem Amtmann und allen Leuten, die etwa ein Woͤrtchen mit darein zu reden haben, Vorſtellungen machen ſie werden doch den Sohn zur ſterbenden Mutter laſſen! wenn es nicht anders ſein kann, koͤnnen ihn ja Gerichtsperſonen begleiten.

Ja, das meine ich auch, ſagte Suschen, und wer weiß, wie der Schreck ihr geſchadet, koͤnnte wohl auch die Freude ihr wieder aufhelfen! Jch habe gleich gedacht, aber nicht Sie ſollen in die Stadt gehen ich habe es ſelbſt im Sinne.

Sie, Suschen? fragte der Schulmeiſter und ſah ſie mit großen Augen verwundert und betruͤbt zugleich an.

19 *292

Sie denken, weil ich immer nicht zu reden weiß und auch immer eine rechte Scheu habe vor allen Amts - und Gerichtsleuten? antwortete Suschen, aber wenn es ſein muß, will ich mein Heil ſchon verſuchen, ich weiß: der liebe Gott wird mir bei einer ernſten Sache Muth geben und mich nicht verlaſſen! Jch will es ihnen ſagen: ſeine Mutter iſt vor Schreck uͤber die Gerichtsmaͤnner, die ihren Sohn ſo roh von ihrer Seite geriſſen haben, vom Schlage geruͤhrt worden nun liegt ſie auf dem Sterbebette und kann doch nicht ruhig ſterben, bis ſie den Sohn nicht noch einmal geſehen, er iſt ihr einziges Kind und es iſt ſchrecklich, wenn eine Mutter, von ihrem Kinde verlaſſen, ſterben muß der Johannes kann auch nichts ſo Schlechtes verbrochen haben, daß ihm zur Strafe auch der letzte Segen der Mutter entzogen werden ſollte und daß er ihr nicht die Augen zudruͤcken duͤrfte!

Ja Suschen, ſo wuͤrde ich gerade auch ſprechen, ſagte der Schulmeiſter, und ſo kann ich ja auch hin - gehen

Nein, nein! fiel ihm Suschen ein, Sie duͤrfen nicht.

Der Schulmeiſter erwiderte mit niedergeſchlagenen Au - gen und mit noch leiſerer Stimme, als ſie ohnehin um der Kranken willen ſchon war: Suschen, wenn Sie auch gingen ich glaube nicht, daß den armen Johan - nes irgend Jemand ſehen darf

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Sie ſah ihn, wie er innen hielt, groß und ſchmerzlich an ſagte aber kein Wort. Suschen war ein einfaches Naturkind, aber ſie wußte gar wohl, was der Schulmei - ſter mit dieſen Worten ihr ſagen wollte ſie wußte aber auch, daß ſie den Vorwurf, der darin lag: ſie wolle nur, um Johannes wieder zu ſehen, in die Stadt, nicht im Geringſten verdiente! Daß der Schulmeiſter ſie ſo ver - kennen, ihren reinen Willen mißdeuten konnte, ſchmerzte ſie ſo tief, daß ſie im Gefuͤhl ihrer Unſchuld und Wuͤrde, ja auch im Gefuͤhl ihrer Liebe, die ſo von dem rechten auf einen falſchen Gegenſtand uͤbertragen und geſucht ward, ganz ſtill ſchwieg und den Schulmeiſter nur mit einem langen, betruͤbten und zurechtweiſenden Blick an - ſah, daß er auch verſtummte.

Sie wendete ſich zu der Kranken, die ſich eben regte, die Arme ausſtreckte und einen Schrei ausſtieß der Schrei klang, wie der Name Johanneslein! aber nur die, welche wußten, was ohngefaͤhr wohl der Ruf heißen koͤnne, konnten ihn verſtehen, denn Mutter Eva vermochte die Sylben nicht deutlich zu ſprechen. Suschen neigte ſich uͤber ſie und fluͤſterte ihr leiſe zu: Morgen wird er kommen, verſchlaft nur die Nacht ruhig, dann habt Jhr ihn wieder!

Mutter Eva ſtreichelte Suschens Stirn, man ſah ihr an, daß ſie ihre Pflegerin erkannte, aber auch, daß294 ſie unbefriedigt von der Antwort war. Sie rang die Haͤnde und ſtoͤhnte immer fort, bis ſie nach ziemlich einer Stunde wieder in denſelben Zuſtand der Erſchoͤpfung verfiel, in dem ſie vorhin gelegen. Unterdeſſen ſaß der Schulmeiſter ganz ſtill an der Thuͤr, aber ohne einen Blick von Suschen und der Kranken zu verwenden, damit er gleich hinzu - ſpringen koͤnne, wenn man ihn brauchen ſollte. Wie ſie jetzt ſtill lag mit halbgeſchloſſnen Augen, erhob ſich Sus - chen von ihrem Platz, ſah ſich um und als ſie den Schul - meiſter gewahrte, ging ſie nahe zu ihm und ſagte:

Sie ſind immer noch da? Sie ſehen, es geſchieht ihr weiter Nichts, ich kann ſie allein verſorgen. Wenn das der Amtmann mit anſehen koͤnnte! er ſchickte den Johannes gleich her ſo liegt ſie nun zwiſchen Leben und Sterben und kann ohne ihr Herzenskind weder das Eine noch das Andere!

Der Schulmeiſter ſeufzte nur unendlich traurig.

Nach einer Weile ſagte Suschen wieder: Am Ende waͤr’s das Beſte, wenn der Herr Pfarrer ſelbſt den Gang machen wollte, den wir Beide vorhatten ſeine Fuͤrſprache helf doch am meiſten.

Und warum ich nicht? fragte der Schulmeiſter

Sie waͤren eben der Letzte, der gehen duͤrfte, ant - wortete Suschen und ward ganz roth dabei, was dem Schulmeiſter nicht entging, obwohl die kleine Lampe, die in295 einer Ecke des Gemachs brannte, nur einen ſchwachen Licht - ſchein um ſich warf. Verſprechen Sie mir’s nur, daß Sie nicht ſelber gehen wollen, ſondern den Pfarr dazu bereden, vielleicht thut er’s auch ſchon von allein wenn Sie hingingen, da wuͤrden die Leut auf dem Ge - richt nur gleich ſagen: der iſt gerade ſo ſchlimm wie der Johannes, nun will er ihn gar noch frei machen ſo wollen wir ihn doch auch gleich da behalten und ſo ging’s eben wie mit dem Johannes nein, nein! ſo darf’s nicht kommen! nicht wahr, Jhr geht nicht hin? und ſie faßte ihn aͤngſtlich und zitternd bei der Hand, als ſolle er eben gleich fortgeriſſen werden und ſie koͤnne ihn halten.

Er ſah ihr forſchend und tief in die Augen in dieſen Blicken erzählten ſie ſich doch Beide eine ganze Ge - ſchichte, die keines mehr wie wohl einſt im Herzen des Andern zu leſen gehofft hatte. Suschen! ſagte er mit dem weichſten Ton ſeiner Stimme: Sind Sie denn nicht um den Johannes viel mehr in Angſt als um mich?

Sie antwortete Nichts, aber druͤckte mit ihrer Rechten ſeine Hand, die darin lag, nur feſter, und legte auch ihre Linke noch innig darauf.

Warum’s denn nicht ſagen? begann der Schulmei - ſter, ehe der Johannes kam, da dacht ich wohl, Suschen296 koͤnnte Etwas fuͤr mich empfinden aber dann, dann war es vorbei, hat denn Suschen den Johannes nicht lieber?

Sie ſagte wieder Nichts. Sie nahm ihre Hand von ihm weg, blickte auf die Kranke, die ganz ſtill lag und dann erſt begann ſie: Mutter Eva liegt ganz ſtille geht nun nach Hauſe, wenn Jhr mich lieb habt und ſagt’s dem Herrn Pfarr, daß er morgen den Gang thut fuͤr Mutter Eva und Johannes.

Er wollte nicht weiter in ſie dringen er ahnte jetzt endlich ſein Gluͤck, daß Suschen ihm doch gut ſein muͤſſe aus Allem was ſie ſagte und wie ſie’s ſagte und auch zumeiſt aus dem, was ſie nicht ſagte. Jch gehe jetzt, fluͤſterte er, und ſag es beim Fruͤheſten dem Pfar - rer. Gute Nacht, mein Suschen! er druͤckte ihr noch einmal zaͤrtlich die Hand wie noch nie und ging leiſe auf den Zehen zur Thuͤr hinaus und behutſam die Stiege hinunter, damit er kein Geraͤuſch mache. Er wußte ſelbſt gar nicht, wie ihm war als ſei er ſeit lange, lange nicht ſo ſelig und ruhig im Herzen geweſen, wie eben heute und doch kam er von einem Sterbebette, doch war ſein liebſter Freund gefangen, doch war auf einmal von einem Gewaltſtreich an einem Abend Al - les, Alles zertruͤmmert, was er im Dorf ſo lange muͤhſam aufgebaut; zwar wußt er, daß ſeine Feinde jetzt thaͤtiger297 als je waren, wider ihn zu wirken wußte er, daß vielleicht ſchon morgen ihm ſelber ein gleiches Loos bevor - ſtand, wie es Johannes heute betroffen war ſo ſeine ganze Zukunft in Nacht und Dunkel gehuͤllt und ſo zu ſagen in Frage geſtellt und dennoch war er heute von einem beſeligenden Gefuͤhl belebt, wie es lange ſeinem Herzen fremd geweſen. Er durfte ja wieder an Suschen ohne Schmerz, ohne Bitterkeit denken! und ſo dachte er immer an ſie geſtern noch war’s die Verzweiflung, aber heute war’s die Liebe, die ihm Kraft gab, allem gekom - menen und noch kommenden Unheil muthig Trotz zu bieten! Es war zu keiner Erklaͤrung und Worten uͤber Alles, was ihn von Suschen getrennt und ſie einander entfremdet hatte, zwiſchen ihnen Beiden gekommen eine Kranken - kammer, wohl gar eine Sterbekammer, waͤre kein Ort dazu geweſen, noch weniger haͤtten die traurigen Stun - den ſich dazu eignen wollen, die durch Alles, was eben geſchehen, uͤber ſie hereingebrochen waren aber es war dennoch auf einmal Alles klar vor ſeiner Seele gewor - den, heute taͤuſchte er ſich nicht, heute hatte er Suschen verſtanden, und ſie ihn auch? vielleicht! er durfte es hoffen. Er konnte vor Unruhe kein Auge zu thun und lag in halbwachen Traͤumen: die Turner, die erſt mit klingendem Spiel und Freude jauchzend gekommen, nach - her aber ganz traurig abzogen die Gensdarmen, die298 Johannes mit ſich fuͤhrten der letzte Schmerzensruf des Freundes meine Mutter! und dann dieſe ſelbſt, Mutter Eva, vergebens nach dem einzigen Kinde auf dem Sterbette wimmernd der betruͤbte Pfarrer, deſſen Warnung man nicht geachtet der Hohn Chriſt - liebs und die ſchadenfrohen Geberden ſeines ganzen An - hanges die Beſtuͤrzung und Angſt im ganzen Dorfe, die deutlich genug ſagten: nun ſei Alles aus und verlo - ren, was man bisher erſtrebt dies Alles miſchte ſich wirr in ſeinen wachen Traͤumereien durcheinander aber als lieblicher, verſoͤhnender Engel ſchwebte immer Suschens Bild uͤber all dieſem Gewirr.

Die lange Nacht an dem Krankenbette verging fuͤr Suschen aͤngſtlich und ſchmerzlich genug. Nicht, daß es etwa mit Mutter Eva gar zum Ende gegangen waͤre, daß ſie großer Huͤlfsleiſtungen bedurft haͤtte aber ſie be - gann oft jaͤmmerlich zu wimmern und dann wieder laut zu ſchreien immer aber war es Johannes Name, der auf ihren Lippen ſchwebte. Sie rief nach ihm mit heftiger Ungeduld, dann wieder rang ſie die Haͤnde in Verzweif - lung und betete im unverſtaͤndlichen Gefluͤſter, daß der liebe Gott ihr nur noch einmal ihr Kind ſenden moͤge. Oft auch ſchrie ſie auf, die Maͤnner verfluchend, die ihr den Sohn geraubt hatten in Todesangſt ſchrie ſie nach ihm, als gelte es, ihn durch herzzerreißende Rufe aus299 den Haͤnden wuͤthender Verfolger zu befreien ſowie das Huhn aͤngſtlich und laͤrmend ſchreit nach dem Kuͤch - lein, daß die Katze mit ihren Krallen erfaßt hat. Es war ein Jammer, das ſo mit anzuhoͤren wie Suschen und Nichts ſagen zu koͤnnen, als immer die unge - wiſſe Hoffnung: Seid nur ruhig, morgen kommt Euer Johannes beſtimmt wieder, der Herr Pfarr wird ihn wohl ſelber holen!

Als es Tag ward, kam Kaͤthe auch wieder mit hinzu. Suschen erzaͤhlte, wie ſie die Nacht zugebracht und wie - derholte: Mutter Eva kann nicht ruhig erſterben, wenn ſie den Johannes nicht wieder ſieht! O wenn ich’s nur den geſtrengen Herrn in dem Amt ſo recht erzaͤhlen koͤnnte, was das fuͤr ein Jammer iſt, ſie muͤßten ſich doch bewe - gen laſſen und ihn herſchicken. Das waͤren doch Unmen - ſchen, die eine Mutter koͤnnten ſo ſterben laſſen, wenn es ihnen nur ein Wort koſtet, das den Sohn an ihr Ster - bebette fuͤhrte wenn ſie ihn nachher auch gleich wie - der mit ſich nehmen! Ob nur der Herr Pfarr ſchon in die Stadt iſt, ſonſt lauf ich doch noch ſelber hinein!

Jndem ſie ſo ſprach, kam auch Laura, nach Mutter Eva zu fragen.

Wo iſt Dein Bruder? fragte ſie Suschen aͤngſt - lich und erroͤthend.

Der muß thun, was ſeines Amts iſt, antwortete300 Laura, heute wie immer. Es iſt ſieben Uhr vorbei, da iſt die Schule ſchon laͤngſt angegangen. Er laͤßt Dich aber ſchoͤn gruͤßen und ſagen, der Herr Pfarrer wuͤrde ſich gleich auf den Weg in die Stadt machen. Er hoffte, es werde ihm gelingen, Johannes mit herzu bringen, wenn auch in Begleitung eines Gensdarmen. Denn daß man ihn unſchuldig finden und gleich wieder frei laſſen werde, glaubt der Herr Pfarrer nun einmal nicht. Aber er ſpricht, daß ſei nur einfache Chriſtenpflicht, einer Ster - benden ihr ſeliges Ende zu erleichtern man werde ge - wiß daran denken. Wir ſollten nur Mutter Eva un - terdeß troͤſten und ihrer Sehnſucht Befriedigung ver - ſprechen.

Drei Stunden, ſagte Suschen, werden im beſten Falle immer vergehen, ehe er kommen kann! Die wer - den auch lange dauern!

Aber ſie werden zu uͤberſtehen ſein! ſagte Kaͤthe troͤſtend. Dann wird er kommen und Mutter Eva be - ruhigen. Wenn der gute Herr Pfarr ſich ſelbſt ver - wendet, ſo iſt es ganz gewiß, daß ſeine Vorſtellungen Erhoͤrung finden.

Die drei Stunden vergingen, wie die Nacht vergan - gen war Eva ſchrie und flehte und lag fortwaͤhrend im Todeskampf. Der herbeigerufene Dorfdoctor, der noch einmal kam, verſuchte vergebens durch krampfſtillende und301 niederſchlagende Mittel, ihr Ruhe zu verſchaffen ſie rang fort zwiſchen Leben und Sterben und rief nach ihrem Johannes.

Jede Minute konnte nun der Pfarrer kommen, aber er kam nicht.

Es wird ein gutes Zeichen ſein, troͤſtete Kaͤthe, er wird gleich auf ihn warten ſollen und das geht nicht ſo ſchnell. Eh die Gerichtsperſonen ausfuͤhren, was ſie be - ſchloſſen haben, hat’s immer gute Weile!

Aber wo es ſich um ein Sterbebette handelt, wo jede Minute gezaͤhlt ſein kann! rief Suschen vorwurfs - voll und halb entruͤſtet.

Nochmals waren drei Stunden vergangen unter ewi - gem Wehklagen der Kranken, unter Beten, Horchen und aͤngſtlichem Erwarten der Andern, das von Minute zu Minute ſich zur furchtbarſten Angſt und quaͤlendſten Un - geduld ſteigerte.

Endlich kam der Pfarrer allein.

Er kommt nicht mit? rief Suschen, indem ſie auf ihn zuſtuͤrzte.

Der Pfarrer ſah ſehr bleich und angegriffen aus, Thraͤnen ſtanden in ſeinen Augen er vermochte kaum zu ſprechen. Endlich ſagte er: Es war Alles vergebens! Erſt mußte ich ſtundenlang warten, ehe ich nur mit dem Amtmann ſprechen konnte endlich wurde ich zu ihm302 gelaſſen. Jch ſagte Alles, was ich ſagen konnte ich ſprach nicht als Freund des Gefangenen oder ſeiner Mutter, ſondern nur als Seelſorger meiner Gemeinde, als Chriſt, als Vater, als Menſch. Es war Alles um - ſonſt. Jch will es nicht wiederholen, wie ſchnoͤde ich abgewieſen ward!

Bleicher Schrecken lag auf allen Geſichtern der Um - ſtehenden aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen rang ſich ein Fluch Mutter Eva ſtoͤhnte und flehte um den Tod ſie hatte nicht verſtanden, was der Pfar - rer geſagt, aber ſie ahnte Alles und rief: Sagt’s nur ſeinen Henkern, daß ſie mich ermorden ich kann ja ſo nicht ſterben! Johannes, Johanneslein!

So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und ſo ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht ſprechen aber auch nicht ſterben. Sie winſelte nur in Einem fort und wenn man auch keine Worte mehr hoͤrte, ſo wußte man doch, warum ſie winſelte und wonach ſie verlangte.

Wie der Tag graute, ſagte Suschen: Jch kann es nicht mehr aushalten, verſuchen muß ich’s, was ich ver - mag. Es ſind ja auch Menſchen. Der Herr Amtmann hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu303 ihr gehen, eine Mutter muß doch wiſſen, was eine Mut - ter fuͤhlt und Mitleid haben. Sie wird ihren Mann ſchon bereden koͤnnen, daß er thut, was ſie bittet nun hat ja das Elend auch noch einen Tag laͤnger gedauert nun werden ſie barmherziger ſein!

Und Suschen ging in die Stadt. Es gelang ihr auch, die Frau Amtmann zu ſprechen. Aber die vor - nehme Mutter in der Stadt, die ihren Sohn auch ſehr lieb hatte, mußte doch denken, die Mutter auf dem Lande ſei aus anderm Stoff gemacht, denn ſie : un - erhoͤrt wies ſie Suschen ab, da koͤnne ſie ſich nicht hinein - wagen, Suschen moͤge ſelber auf’s Amt gehen. Suschen ging dahin um zur Thuͤr hinausgeworfen zu werden.

Voll Verzweiflung kehrte ſie in’s Dorf zuruͤck. Mut - ter Eva lebte noch unter fuͤrchterlichen Qualen einen Tag dann ſtarb ſie den langſamen, qualvollen Tod unerfuͤllter Sehnſucht. Jn den letzten Angenblicken kehrte ihr volles Bewußtſein und auch die Sprache wieder. Sie ſagte zu dem Pfarrer, der an ihrem Bette ſtand: Sagen Sie zu meinem Johanneslein, daß ich ihm Alles vergeben habe aber denen, die jetzt kein Erbarmen haben mit mir und ihm, vergeb ich nicht! Geben Sie meinen Se - gen dem Johannes!

So hatte Mutter Eva in drei Tagen endlich den ſchwerſten Todeskampf ausgerungen.

[304]

Schwere Tage.

Johannes ſaß in einer engen Kammer gefangen. Doch hatte ſie wenigſtens ein Fenſter, wennſchon Eiſengitter davor waren, doch immer eine Wohlthat durch das er in das Freie blicken konnte. Daß ſein Lager nur von Stroh war und ſein Eſſen außer Waſſer und Brod taͤg - lich nur in einer elenden Suppe beſtand, kuͤmmerte ihn nicht. Er hatte entbehren gelernt, er war abgehaͤrtet und hatte ſich niemals von Beduͤrfniſſen abhaͤngig gemacht, die nicht unmittelbar zum Leben und zu ſeiner Arbeit nothwendig waren. Zur Arbeit! das war es eben, was er ſchmerzlich vermißte. Er bat vergeblich um Buͤcher, um Schreibzeug und Papier. Es war umſonſt, daß er ſeinen Huͤtern vorſtellte, er koͤnne ja Nichts ſchreiben, daß ſie nicht leſen wuͤrden, er wolle nur ganz harmloſe Sachen aufzeichnen aber er koͤnne nicht leben ohne Arbeit. Man antwortete ihm: er habe ſchon zu viel un -305 nuͤtze Sachen geſchrieben, es geſchehe ihm ſchon recht, wenn er eine Zeit lang gar nicht ſchreiben duͤrfe, das ſei eben ſeine Strafe. So war er denn zum Muͤßiggang ver - dammt auch ſeine Bitte um Buͤcher ließ man uner - hoͤrt. Nachdem er ſchon ziemlich eine Woche geſeſſen, ſagte einer der Gefaͤngnißwaͤrter zu ihm, nachdem er ihm das Eſſen hingeſchoben hatte:

Der Herr Pfarr aus Seinem Dorfe wollte gerne mit Jhm ſprechen, er hat ſchon mehrmals den Verſuch gemacht, man weiß aber recht gut, daß er mit Jhm un - ter einer Decke geſteckt hat, und ſo iſt es ſtreng verboten, den Pfarrer zu Jhm zu laſſen. Da er endlich einſah, es konnte Nichts damit werden, hat er mir aufgetragen, Jhm zu ſagen, daß vorgeſtern ſeine Mutter begraben worden iſt. Sie hat geſagt, daß Er Schuld waͤre an ihrem Tode und daß ſie Jhm das niemals vergeben könne.

Was ſagt Jhr? rief Johannes ſtarr vor Ver - zweiflung.

Der Gefangenwaͤrter wiederholte Alles noch einmal in derſelben rohen Weiſe und fuͤgte hinzu: Ja, ſie hat ge - ſagt, Er ſolle es ſich huͤbſch zu Herzen nehmen, daß Er Seine Mutter auf die Art todt gemacht habe und kuͤnf - tig nicht ſolche ſchlechte Sachen anſtiften, dafuͤr er in’s Loch wandern muͤſſe, Seine Mutter hat die Schande nicht uͤberleben koͤnnen.

20306

Johannes ſank vernichtet auf ſein Strohlager nieder und wuͤhlte ſeinen Kopf tief hinein. Der Gefangenwaͤr - ter warf einen haͤmiſchen Blick auf den Ungluͤcklichen, den er durch eine freche Luͤge ſo zu Boden geſchmettert hatte und verließ das Gemach.

Das freilich war keine Luͤge, daß Mutter Eva vor - geſtern begraben worden war, und daß der Pfarrer dies un - ſerm Johannes mittheilte. Aber die Art dieſer Mittheilung war eine ganz andere geworden, als wie ſie haͤtte ſein ſollen.

Der wuͤrdige Pfarrer hatte an Johannes einen Brief voll chriſtlicher Milde und Ergebung geſchrieben, in dem er ihm, nachdem er mehrmals vergeblich verſucht hatte, perſoͤnlich zu ihm gelaſſen zu werden, den Tod und das Begraͤbniß von Mutter Eva mittheilte. Er hatte dies in ſeinem Brief auf die ſchonendſte Weiſe gethan. Er hatte geſucht, die Schuld dieſes Todes auf Mutter Eva’s hohes Alter uͤberhaupt und ihre zunehmende Altersſchwaͤche zu uͤbertragen. Wohl erwaͤhnte er des Schmerzes, den Mutter Eva empfunden, daß ſie ihren Sohn nicht noch einmal habe ſehen koͤnnen, aber er ſchrieb auch, wie ſein Name ihr letztes Wort geweſen und wie ſie ihren heilig - ſten und liebevollſten Mutterſegen in ſeiner, des Pfarrers Haͤnde gelegt habe. Sie habe ihm Alles, Alles vergeben aber er verſchwieg, daß ſie ſeinen Feinden dabei geflucht habe.

Dieſer Brief, welchen die froͤmmſte Gottergebenheit307 und die chriſtliche Liebe durchwehte, in dem jedes Wort zur ſtillen Duldung und Fuͤgung in das Unvermeidliche auf - forderte dieſer Brief fand dennoch keine Gnade vor den Augen von Johannes Huͤtern.

Der Pfarrer hat ihn dem Gefangenwaͤrter gleich offen uͤbergeben dieſer lieferte ihn an den Vorgeſetzten zur Durchſicht ab und dieſer fand fuͤr gut, ihn zu unterſchla - gen. Das allein war nicht genug. Um den armen Jo - hannes recht zu quaͤlen, ward ihm der Tod ſeiner Mut - ter nicht nur auf die roheſte Art und Weiſe mitgetheilt, ſondern der uͤbrige Jnhalt des Briefes geradezu verdreht. Man ſcheute ſich nicht, den Segen einer Sterbenden in Fluch zu verwandeln und den Verwaiſten in ſeinem Schmerz noch durch eine frevelhafte Luͤge zu quaͤlen. Man wußte recht gut, daß er ein tiefes, weiches Gemuͤth hatte, auf das nur die edelſten und heiligſten Gefuͤhle einen Ein - fluß zu uͤben vermochten man wollte ihn hier faſſen, damit er zerknirſcht durch den Fluch einer Mutter und durch das Bewußtſein, die Schuld ihres Todes zu tra - gen, Alles bereue, was er gethan und ſich ſelbſt, als einen Miſſethaͤter und Verbrecher anklage.

Jn dieſer Hinſicht kam dem Gericht der Tod der Mutter Eva ſehr gelegen.

Johannes uͤberließ ſich dem ganzen Ausbruch ſeines ungeheuern Schmerzes. Nie hatte ein Sohn ſeine Mut -20*308ter ſo geliebt, wie dieſer die ſeinige und jetzt mußte er wiſſen, daß ſie todt ſei durch ſeine Schuld daß ſie geſtorben ſei, getrennt von ihm daß ſie, die immer nur Liebesworte fuͤr ihn hatte, eine Schuld auf ſein Haupt gewaͤlzt und ohne Vergebung dafuͤr ge - ſtorben ſei. Seine Mutter war todt er war ihr ſo nahe geweſen und hatte doch nicht um ihren Segen bit - ten duͤrfen, hatte nicht ihren letzten Athemzug von ihrem Mund kuͤſſen koͤnnen, hatte nicht einmal ihr die Augen zuzudruͤcken und ihrem Sarge zu folgen vermoͤgen. Es gab keine Worte, die Groͤße ſeines Schmerzes auszudruͤk - ken. Er rang lange mit ſich ſelbſt, mit ſeinem Schick - ſal und mit ſeiner Verzweiflung er verſank tagelang in dumpfes, troſtloſes Hinbruͤten, in dem er immer nur den einen Gedanken hatte: meine Mutter iſt todt durch meine Schuld ſie hatte es mir zuvor geſagt, daß ſie es nicht uͤberleben wuͤrde, wenn mir einmal um mei - nes Strebens willen ein Leids geſchaͤhe und ich habe dieſe Warnung der muͤtterlichen Liebe nicht beachtet! Seine ganze geiſtige Kraft ſchien vernichtet von dieſen Ge - danken, die ihn ſo unausgeſetzt quaͤlten, was um ſo na - tuͤrlicher war, als er ja die ganze Zeit ſeiner Haft eben nichts Anderes thun konnte, als ſinnen und gruͤbeln, denn er hatte ja keine Arbeit, keine Unterhaltung, keine Zer - ſtreuung und jedes Mittel dazu war ihm durch die Grau -309 ſamkeit ſeiner Huͤter entzogen. Aber dies unausgeſetzte Sinnen, auf das er angewieſen war und das nahe daran war, ſeinen Geiſt krank zu machen eben dies Sinnen machte ihn auch wieder geſund und gab ſeinen Gedanken eine andere Richtung. Wie der erſte Schmerz der Ver - zweiflung voruͤber war, richtete er ſich auf zu ſtrengſter Selbſtpruͤfung und er fand ſich ohne Schuld. Nur das Edelſte, nur das, was zum Wohle ſeiner Bruͤder und ſeines ganzen Volkes dienen ſollte, hatte er angeſtrebt. Er war ſich keiner unrechten Handlung dabei, nicht einmal einer unklugen bewußt, er war immer in den Grenzen der Maͤßigung geblieben und hatte immer un - verwandt ſein Streben nach vorwaͤrts richtend, doch nie vergeſſen, daß die Zeit noch nicht reif ſei, ein leuchtendes Ziel im Sturmſchritt zu erreichen. Vielleicht eben des - halb, weil er vorſichtig und darum ſicher zu Werke ging, hatte man ihn bei Seite geſchafft. Warum war er denn eigentlich in dieſem ſchmaͤhlichen Gefaͤngniß? man ließ ihn auf dieſe Frage, ſo oft er ſie auch ſtellte, ohne Antwort. Wenn er auf Unterſuchung dringen wollte, ſo ward ihm geantwortet, die Sache ſei noch nicht ſo weit gediehen, es werde mit der Zeit Alles an den Tag kommen. Es war klar, man hatte ihn nur feſtgenommen, um ihn unſchaͤd - lich zu machen um eine Stimme zum Schweigen zu bringen, welche immer die Wahrheit und deshalb auch310 oft da redete, wo es nicht Allen angenehm war, ſie zu hoͤren. Es war fuͤr die Wahrheit, was er litt. Dies Bewußtſein richtete ihn wieder auf. Und ſeine Mutter? nein! es war ihm auf die Laͤnge der Zeit unmoͤglich, zu glauben, daß ſie geſtorben ſei mit Worten des Vorwurfs und der Drohung gegen ihn auf ihren Lippen ſie war eine arme, ſchwache Frau, aber ſie hatte bei dem Allen ein großes, tiefes Gemuͤth, das Liebe zu ihrem einzigen Sohn ausfuͤllte er war ihr Alles! er begriff es, daß ſie ſterben konnte aus Schmerz und Schreck um ihn, aber er begriff nicht, wie ſie ihn ohne ihren Segen haͤtte zuruͤcklaſſen koͤnnen und darum glaubte er bald nicht mehr an die Erzaͤhlung ſeines Gefaͤngnißwaͤrters von ihr. Und hatte er denn Schuld an ihrem Tod? nein! nicht er, ſon - dern diejenigen, die ihn von ihrer Seite ploͤtzlich und roh hinwegriſſen, die ihn widerrechtlich gefangen nahmen. Dieſe waren die Moͤrder! Ein gluͤhender Haß erfuͤllte ihn gegen dieſe Moͤrder ſeiner Mutter.

Aber Mutter Evas Tod und Johannes Feſtnehmung waren nicht die einzigen Leiden, die nun ploͤtzlich uͤber das ganze arme Dorf hereinbrachen. Gleich nachher wur - den die Turnvereine und Liederfeſte nicht nur in unſerm Dorfe, ſondern im ganzen Lande uͤberhaupt verboten und jede Moͤglichkeit einer gluͤcklichen Vereinigung dadurch ab - geſchnitten. Der Pfarrer bekuͤmmerte ſich wieder nur wie311 fruͤher um das geiſtige Wohl ſeiner Gemeinde und ließ alles Andere, auch die Politik, die er ſonſt manchmal auf die Kanzel mitgebracht, er verzichtete darauf, ſeiner Ge - meinde mehr ſein zu koͤnnen, als ein ſtiller Seelſorger. Denn er ward ſcharf von den obern Kirchenbehoͤrden uͤber - wacht und ihm in mehr als einem Warnungsſchreiben von oben herab mit Entſetzung ſeines Amtes in ſeinen alten Tagen gedroht, wenn er, wie es in dem Schreiben hieß: fortfahren werde, durch eine verderbliche Aufklaͤre - rei und durch das Hinuͤberziehen politiſcher Dinge auf kirchliches Gebiet, die Koͤpfe der Bauern zu verwirren. Es blieb ihm keine Wahl, als die, ſich ſtill zu fuͤgen, wenn er im Amte bleiben wollte. Wenn er daraus ſcheide, wußte er, werde man ſeine Stelle mit einem altglaͤubigen Dunkelmann beſetzen, der leicht Alles wieder verderben koͤnne, was er in ſo vielen Jahren muͤhſam aufgebaut. Noch weniger glimpflich verfuhr man mit dem Schul - meiſter. Jhm ward es ein fuͤr allemal verboten, ſich nie wieder in etwas Politiſches zu miſchen, dies gezieme dem Lehrerſtande nicht und Jeder, der dawider handeln werde, ſei aus demſelben ausgeſtoßen. Es blieb auch ihm nichts Andres uͤbrig, als ſich der eiſernen Nothwendigkeit zu fuͤ - gen, und dem zu gehorchen, was der uͤbel ausgelegte Buchſtabe des Geſetzes ſeine Pflicht nannte.

Jndeß es nun unſern Freunden Allen im Dorfe ſo312 ſchlecht und truͤbſelig ging, waren ihre Feinde, die grieß - graͤmlichen Leute, oben auf und benutzten die Niederge - ſchlagenheit Jener, bald das ganze Dorf zu tyranniſiren. Chriſtlieb trieb ſeine ſchlechten Streiche wieder toller und oͤffentlicher als je, aber Niemand durfte ſich getrauen, ein Wort wider ihn zu ſagen, denn er war der beſondere Liebling des Herrn Amtmann und mit allen Gensdarmen und Gerichtsboten auf Du und Du.

Noch einmal hatte es unſer Pfarrer verſucht, ſich fuͤr Johannes zu verwenden und zwar bei dem Herrn Gra - fen ſelbſt, zu dem er eigens deshalb gereiſt war. Al - lein der Graf ward ganz aufgebracht, wenn man ihm nur den Namen Johannes nannte und wollte gleich gar Nichts von ihm hoͤren. Die Petition um ein verbeſſertes Jagdge - ſetz, die Beſchwerde uͤber Wildſchaden, war ſchon laͤngſt abgegangen. Johannes hatte ſie, wenn auch in ſehr ge - maͤßigten und beſcheidenen Ausdruͤcken, verfaßt, die Bauern hatten ſie unterſchrieben und wenn der Graf auch recht gut wußte, daß dieſe Petition keinen Erfolg haben wuͤrde, wofuͤr er in den Kreiſen der einflußreichen Ari - ſtokratie und des Hofes Sorge zu tragen verſtand, ſo war es ihm doch immer ein unertraͤglicher Gedanke, daß die Bauern, welche er in ſtolzem Hochmuth ſeine Unter - thanen zu nennen beliebte, ſich ſo Etwas unterſtanden hatten. Ohne Johannes waͤre es in dieſem ſtillen Dorfe313 nie dazu gekommen fuͤr den Grafen war alſo dieſer Johannes noch immer viel zu ſpaͤt eingeſteckt worden und er hatte nicht die geringſte Luſt, irgend einen Schritt fuͤr ſeine Befreiung oder die Milderung ſeiner Gefangenſchaft zu thun. Der Graf empfing den Pfarrer in ſehr ungnaͤdiger Weiſe, obwohl er fruͤher, zwar immer nur in herablaſſende. Art, aber doch ganz freundſchaftlich mit ihm verkeht hatter Jetzt empfing er ihn wie eine untergeordnete Perſon, der er Luſt und Recht hatte, ſeine hohe Unzufriedenheit zu erkennen zu geben. Er behandelte den Pfarrer mit weg - werfender Geringſchaͤtzung und zwar ſo, als ſei dieſer al - lein an Allem Schuld, was im Dorfe geſchehen war und die Augen der Behoͤrden darauf hingelenkt hatte. Von Johannes ſprach der Graf wie von dem verworfenſten Menſchen, dem ſchaͤndlichſten Verbrecher.

Er ſagte: Jch habe mich dieſes einfaͤltigen Bauern - ſohnes angenommen ich habe es ertragen, mit ihm in einer Geſellſchaft zu ſein und habe mich herabgelaſſen, freundſchaftlich mit ihm zu ſprechen ich hatte mir ge - dacht, daß ein Bauernluͤmmel, wie er wohl grob und ungeſchlachtet ſein und bleiben wuͤrde, wovon er auch Beweiſe gab aber ich hatte ihn keiner ſolcher verruch - ten Handlungen fuͤr faͤhig gehalten. Jch habe eine Nat - ter an meiner Bruſt genaͤhrt ich gab ihm Obdach und ließ ihn in meinem Eigenthum den Herrn ſpielen 314 und der ſchaͤndliche Betruͤger benutzt meine Guͤte, um meine Unterthanen zu verfuͤhren und wider mich aufzu - hetzen er begeht die ſchaͤndlichſten Streiche gegen mich und ich ſoll die Großmuth ſo weit treiben, noch Etwas fuͤr ihn zu thun, da ihn endlich die ſtrafende Hand der Geſetze erreicht hat. Sind Sie toll Herr Pfarrer?

Nein, antwortete dieſer ruhig dem Wuͤthenden, ich ſehe nur, daß Sie falſch berichtet ſind und daß Sie ſich noch ſelbſt taͤuſchen. Sie waren es nicht, der den Bauern - ſohn erziehen ließen, ſie waren es nicht, der des hilfloſen armen Kindes, Jhres Unterthanen, ſich annahmen ſie haben Nichts fuͤr ihn gethan, denn ſie lernten ihn erſt kennen, da Sie ihm zufaͤllig als beruͤhmten und gefeier - ten Schriftſteller in einer vornehmen Geſellſchaft begegne - ten. Sie erfuhren erſt, daß er ein Bauernſohn war, als Sie ſchon mit ihm, wie mit Jemandem, der Jhnen naͤ - her ſteht als dieſer, geſprochen. Einfaͤltig kann dieſer Bauernſohn ſchon nicht ſein, ſonſt waͤre er nicht der ge - worden, als den Sie ihn kennen lernten. Jch verkenne nicht, daß es guͤtig von Jhnen war, ihm ſeinen Wunſch zu erfuͤllen und Jhre Burgruine zur Wohnung zu geben. Aber es konnte Jhnen dies vollkommen gleichguͤltig ſein, und Sie wußten recht gut, daß Sie ſich nur ſelbſt damit ehrten, indem Sie ſich die Miene gaben, ein Genie, das unter ihren Unterthanen, freilich unerkannt von Jhnen,315 aufgewachſen war, zu unterſtuͤtzen. Das iſt das Einzige, wofuͤr Jhnen Johannes Dank ſchuldig waͤre und er hat keinen Beweis von Undank gegeben. Denn fuͤr eine ſolche Gefaͤlligkeit, die Sie einem Menſchen erweiſen, werden Sie doch nicht verlangen, daß ſich dieſer Jhnen dafuͤr mit Leib und Seele verkaufe und nun ploͤtzlich, was ihm und Anderen Unrecht ſcheint, bei einem vorkommenden Fall Recht nenne?

Der Pfarrer konnte nicht weiter ſprechen, denn der Graf verließ mit einem Blick groͤßter Wuth und hoch - fahrendſter Verachtung auf den Sprechenden, das Zimmer und warf die Thuͤr hallend hinter ſich in das Schloß, ſo daß unſerm guten Pfarrer Nichts uͤbrig blieb, als ſich gleichfalls und unverrichteter Sache zu entfernen.

Jahannes blieb im Gefaͤngniß, wie es hieß, in der Unterſuchungshaft aber es war eine Unterſuchungs - haft ohne Unterſuchung. Man ließ ihn ſitzen, weil man es eben wollte, wie man damals alle freiſinnigen Maͤn - ner ſitzen ließ, ſo bald nur irgend ein geſchriebenes oder geſprochenes Wort ſich vorfand, das man als Grund zu ihrer Verhaftung gebrauchen konnte. Saßen ſie einmal, war es ja gut, denn ſie waren unſchaͤdlich gemacht und bald wohl auch vergeſſen, da die cenſirte Preſſe nicht an ſie erinnern durfte. Bei dem heimlichen Gerichtsverfahren und der Schreibſtubenherrſchaft erfuhr auch Niemand, wie316 weit eine Unterſuchung oder ein Prozeß gediehen ſei, da - nach zu fragen, war verboten und ſo konnten die Diener des Geſetzes ſich bei allen Dingen huͤbſch Zeit nehmen, beſonders aber, wenn ihnen gerade daran lag, die un - gluͤcklichen Opfer polizeilicher Willkuͤr ſo lange als moͤg - lich innen zu behalten.

Es war eine Zeit der tiefſten Erniedrigung. Es wa - ren nicht nur ſchwere Tage uͤber unſer Dorf, ſondern ſchwere Jahre gekommen uͤber ganz Deutſchland!

So traurig nun aber auch Alles in unſerm Dorf ge - kommen war und ſo ſchlimm es beſonders nun wieder in vielen Stuͤcken unſerm Schulmeiſter erging: in einem Stuͤck war er doch auf einmal gluͤcklich geworden.

Seine Schweſter Laura und Friedrich machten Hoch - zeit mit einander, wie der heilige Chriſt mit ſeinen Feier - tagen herangekommen war. Unſer Pfarrer hatte die Bei - den getraut und die Pfarrerin hatte in ihrem eignen Hauſe ſelbſt die Hochzeit ausgerichtet, da es ſich bei Laura ſelbſt in der Schule nicht recht ſchicken wollte.

Nachmittags nach dem Gottesdienſt am zweiten Feier - tage ward das Paar getraut. Es war keine Zeit mehr in unſerm Dorf zu froͤhlichen Feſtern, wie ſie im Som - mer waren gefeiert worden, darum waren auch nicht viele Gaͤſte geladen. Nur Suschen war dabei als Lauras beſte Freundin und Brautjungfer, die ihr das Myrthen -317 kraͤnzlein in’s Haar gewunden, ihr Vater, als unſres Schulmeiſters Goͤnner aber Suschens Vater ver - mochte eben auch Nichts mehr im Dorf, denn weil er damals die Turnerei erlaubt und all das Unweſen ge - ſtattet und beguͤnſtigt hatte, wie die grießgraͤmlichen Leute ſagten, ſo war er von Amtswegen ſeines bisherigen Schul - zenamts entſetzt und daſſelbe in die Haͤnde des reichen Damme, Chriſtliebs Vater, gelegt worden, der, wie er ſagte, die uͤbermuͤthigen Burſche beſſer im Zaum zu hal - ten wiſſen werde als er. Dann war noch Traugott da mit ſeiner Frau Kaͤthe und natuͤrlich Friedrichs Vater, ſo wie ein Bruder deſſelben mit ſeiner Frau. Jndeß ſaßen ſie alle recht gemuͤthlich zuſammen in der Pfarre und wenn ſie auch dachten: wie viel ſchoͤner muͤßt es ſein, wenn der liebe Johannes mit dabei ſein koͤnnte, der nun immer noch gefangen ſitzt von aller Welt verlaſſen! und wenn ſie auch Alle recht wehmuͤthig darein ſchauten, wie ſie ſeine Geſundheit tranken, ſo waren ſie doch uͤbri - gens heiter und vergaßen der traurigen Zeiten in dem Gluͤck eines liebenden, zaͤrtlichen Paares.

Die vier aͤltlichen Maͤnner hatten ſich zum Spiel ge - ſetzt, das Brautpaar ſaß in einer Ecke und ſchnaͤbelte mit einander, die Pfarrerin ſprach mit Kaͤthe und Friedrichs Muhme von Kinderzucht und Kindernoth und Gluͤck Suschen und unſer Schulmeiſter waren recht eigentlich318 auf einander angewieſen. Sie hatten ſchon Allerlei zu - ſammengefluͤſtert. Es war nun laͤngſt, wenn auch nur mittelbar durch Laura und Friedrich, Alles klar zwiſchen ihnen geworden. Der Schulmeiſter wußte, das Suschen den Johannes nur wie einen Bruder liebe und daß ſie eben deshalb, weil er ihr auch viel zu hoch vorgekommen als daß ſie, ein einfaches Landmaͤdchen, den vornehm ge - wordenen Dichter je habe mehr ſein koͤnnen, als die Ge - ſpielin ſeiner Kindheit, eben deshalb ſo zuthunlich gegen ihn geweſen und war ſo unbefangen in ſeiner Naͤhe, was der Schulmeiſter, der ſich gerade nicht ſehr auf Maͤdchen - herzen verſtand, fuͤr Verliebtheit genommen hatte. Er wußte nun auch, wie Alles zuſammenhing an jenem Sonntag Abend, da er ſie noch zu ſo ſpaͤter Stunde mit Johannes zuſammen geſehen hatte und ſo auch wie alles Weitere und Aehnliche gekommen. Und Suschen wieder wußte nun auch endlich, daß ihr der Schulmeiſter immer gut geweſen und es wohl auch noch ſei, aber wie er ſich von ihr zuruͤckgehalten, weil er geglaubt, ſie ſei des Johannes Liebchen geworden! Aber wenn ſie auch Vie - les, um ihr gegenſeitiges Mißverſtehen aufzuklaͤren, einan - der mitgetheilt und abgefragt, geradezu von ihrer Liebe hatten ſie doch weiter nicht geredet.

Jetzt war Suschen in die Nebenſtube gegangen, um den Strickſtrumpf der Frau Pfarrerin zu holen, nachdem319 dieſe erſt ſelbſt hatte gehen wollen. Aber die gute Pfarrerin konnte nun lange warten, ehe ſie zu ihrem Strumpf kam! Unſer Schulmeiſter ſchlich Suschen nach in das Stuͤbchen und lehnte gar die Thuͤr, die erſt halb offen geſtanden hatte, hinter ſich an. Er ſtand ſchon lange hinter Suschen, ehe er nur ein Wort ſagen konnte. Auf einmal legte er beide Arme um ſie und ſagte zaͤrt - lich: Suschen! ich kann nicht mehr! es muß ein Tag fuͤr uns kommen, wie dieſer heute, fuͤr Laura und Friedrich!

Sie zitterte am ganzen Koͤrper und da er ſie kuͤßte, ließ ſie es ſtille geſchehen. Sie herzten nun einander eine Weile, ohne eben viel Worte dabei zu haben dann faßten ſie Muth und gingen Hand in Hand hinein in die Stube.

Nicht wahr, ich darf Euer Kind lieb haben und der Herr Pfarrer ſegnet uns einſt ein, wie heute das Paar? ſagte unſer Schulmeiſter, mit ihr zu dem Vater tretend und dieſer legte ſegnend die Hand auf ſie ſeine beiden Kinder!

[320]

Befreiung.

Ein ſtiller Winter war fruͤhzeitig vergangen. Es war, als wollte es ſchon Fruͤhling werden, da der Februar nur zu Ende ging. Es war der Februar 1848.

Wißt Jhr’s ſchon? fragte unſer Schulmeiſter eines Sonntag Abends in der Schenke, in die er ſelten zu ge - hen pflegte, darum dachten ſchon alle Gaͤſte und der Schen - kenwirth ſelbſt, es muͤſſe etwas Außerordentliches ſein, das ihn herfuͤhrte. Der Schenkenwirth ſah ihn eben auch nicht gern kommen; der hing immer den Mantel nach dem Winde und da jetzt Chriſtlieb und ſeine Freunde uͤberall oben auf ſchwammen und machen konnten, was ſie wollten, ſo hielt er es mit dieſen.

Wißt Jhr’s ſchon?

Nun was denn? fragten Alle ungeduldig.

Jn Frankreich haben ſie Republik! verkuͤndete der Schulmeiſter.

321

Die Leute ſahen ſich verdutzt an, Einigen blieb Mund und Naſe offen ſtehen, Andere ſahen ſehr gleichguͤltig aus und Einer ſagte endlich: Was geht uns denn das an und was heißt denn das Republik?

Republik, erklaͤrte der Schulmeiſter, iſt die ein - fachſte und natuͤrlichſte Regierungsform, da iſt nicht Ei - ner Koͤnig, wie in der Monarchie, ſondern da iſt das ganze Volk Koͤnig!

Was? das ganze Volk? und mehr als ein er - ſtaunter Mund ward immer weiter aufgeriſſen.

Ja, das iſt ſehr einfach, fuhr der Schulmeiſter fort. Das Volk giebt ſich ſelbſt die Geſetze in der Re - publik und laͤßt ſie von denjenigen handhaben und aus fuͤhren, denen es das meiſte Vertrauen ſchenkt und die es deshalb dazu aus ſeiner Mitte frei herauswaͤhlt; das iſt Republik. Es iſt natuͤrlich, daß dies die wohlfeilſte und einfachſte Art iſt, einen Staat zu ordnen und ein Volk zu begluͤcken. Die Franzoſen haben immer darnach geſtrebt ſie haben wenigſtens darnach geſtrebt, frei und gluͤcklich zu leben, aber in der letzten Zeit wurden ſie von Jahr zu Jahr geknechteter und ungluͤcklicher ſie konn - ten das endlich nicht mehr ertragen ſo hat ſich denn ganz Paris erhoben, den alten Koͤnig Louis Philipp, den ſein Volk erhoben hat, iſt von dem Volk vertrieben worden, und jetzt iſt das ſiegende Volk Koͤnig und wird21322es bleiben, ſo lange es der Freiheit wuͤrdig iſt, die es ſich jetzt auf die hochherzigſte Weiſe erkaͤmpft hat.

Und weiter erklaͤrte der Schulmeiſter, wie Alles zuge - gangen und las aus den Zeitungen, die er mitgebracht hatte, die Stellen vor, welche ſich auf das große Ereig - niß bezogen.

Aber was geht das uns an? fragte einer der We - nigen, auf den dieſe Mittheilungen keinen beſondern Ein - druck gemacht hatten.

Ei ſehr viel! rief unſer Schulmeiſter begeiſtert. Frankreich iſt immer der Heerd der Freiheit geweſen und Alles, was darauf ſich bezieht, iſt uns Deutſchen erſt von dort gekommen. Seht da die Ruͤckwirkung auf Deutſch - land! und er theilte einige jener Bewegungen mit, die damals ſchon in deutſchen Staͤdten ſtattgefunden hatten.

Es waren einige Tage vergangen und dieſe Bewegun - gen in Deutſchland brachen an allen Ecken und Enden los und wuchſen rieſenhaft empor. Ueberall ſtellte das Volk dieſelben Forderungen, uͤberall wurden ſie gewaͤhrt und uͤberall, wo ſie nicht gutwillig gewaͤhrt wurden, erhob das Volk die Waffen und eroberte ſich, was ihm ver - weigert worden war. Das deutſche Volk war uͤberall Sieger.

Als auf unſerm Dorf wieder von dem Allen die Rede323 war, ſagten Einige: Ja, jetzt koͤnnte uns auch geholfen werden, wir koͤnnten auch loskommen von den Lehnsla - ſten, die wir tragen muͤſſen, koͤnnten endlich die gruͤne Raupe los werden, die Jagd des gnaͤdigen Herrn. Wir koͤnnten die Ungerechtigkeiten des Amtmanns aufdecken und all den Gerichtsleuten, die uns geplagt und geſchun - den haben, Eins auswiſchen; wir koͤnnten jetzt auch Et - was thun, um all den alten Laſten, die uns ſo unge - recht druͤcken, ein Ende zu machen, um all das zu ver - moͤgen in einem Tage, warum wir ſo lange, lange Jahre geduldig und vergeblich petitionirt haben! Und von all dieſem Reden war immer das Ende: Ja, wir koͤnn - ten das Alles, wenn wir nur Jemanden haͤtten, der uns rathen und ſagen wollte, wie wir’s anzuſtellen haͤtten ja, wenn der Johannes noch da waͤre!

Ei! rief der Knecht Jacob, der auch mit hinzu ge - kommen war, ſo wollen wir den Johannes holen!

Die Leute ſahen wieder einander verdutzt an und der Schulmeiſter rief: das war brav geſprochen! Jacob; eine Suͤnde und Schande iſt’s, daß der edle Johannes noch immer ſitzt um Nichts und wieder Nichts, nur weil’s dem Amtmann und dem Grafen ſo gefiel und weil er’s gut gemeint mit uns Allen und das ganze Dorf aufge - klaͤrt hat uͤber ſeine Rechte, daß Jhr jetzt Alle wißt, was21 *324die Glocke der Freiheit geſchlagen hat und Jhr heiliges Sturmlaͤuten verſteht! Dieſer Johannes iſt auch der großen Zeit unter uns vorangegangen wie jener heilige Johannes, den wir am Johannistag feierten mit frohen Liedern! Er iſt ein Maͤrtyrer fuͤr die Freiheit, die nun doch gekommen iſt und die er allem Volk gepredigt, auf deren Kommen er uns beſonders vorbereitet hat. Und dieſer Apoſtel der Freiheit iſt noch in ſchmaͤhlicher Haft ja, Schande uͤber uns, wenn wir ihn ferner darin laſſen!

Gleich auf der Stelle muß er frei werden! rief Jacob gluͤhend, unſer beſter Freund und Helfer! Wir nehmen Senſen und Heugabeln, Dreſchflegel und was ſonſt ſich findet und ziehen hin in die Stadt, wir muͤſ - ſen ihn wieder haben! Die Turner drinnen von ſonſt, die es mit anſehen, wie ſchaͤndlich er von uns fortgeriſſen ward, die werden uns helfen!

Alle wackern Burſche werden uns helfen! ſagte Friedrich ruhiger. Aber wir wollen nicht gleich mit der Thuͤr in’s Haus fallen, wir wollen es machen, wie ſie es uͤberall gemacht haben: es erſt im Guten verſuchen. Geht’s in Gutem nicht, nun dann geht’s im Boͤſen! Locker laſſen wir nicht wieder, bis wir ihn haben, aber geſcheidt wollen wir die Sache anfangen.

Es ward nun verabredet, daß ſie zuerſt eine Deputa - tion an den Amtmann ſchicken wollten mit der Bitte:325 Johannes frei zu geben, wie man jetzt uͤberall mit den politiſchen Gefangenen thue. Unterdeß ſollten die Dorf - bewohner ſich bewaffnen und bis an das Thor der Stadt ziehen, um noͤthigenfalls, wenn die Freigebung verwei - gert werden ſollte, dieſelbe zu erzwingen. Einige der Burſchen ſollten unbewaffnet in die Stadt gehen und ih - ren bekannten, zuverlaͤſſigen Buͤrgern und den ehemaligen Turnern mittheilen, um was und um wen es ſich han - delte.

Johannes hat fuͤr uns Alle mit ein halbes Jahr im elenden Gefaͤngniß verbracht, es iſt nur unſre Schul - digkeit, wenn wir jetzt unſer Blut fuͤr ihn wagen! Das riefen die braven Burſchen uͤberall im Dorfe einander zu und bereiteten ſich vor zu ihrem edlen Werke.

Die Deputation, die ſich zu dem Amtmann begab, beſtand aus Friedrich, dem Schulmeiſter, Traugott und noch einem aͤltern Landmann. Es war Sonntag Nach - mittag 3 Uhr, als ſie bei dem Amtmann anlangten. Es hieß, er waͤre nicht zu ſprechen.

Zum Warten haben wir gar keine Zeit, ſagte Friedrich ruhig, aber in einem Tone, wie die Gerichtsleute nicht gewohnt waren, daß ein Bauer mit ihnen redete. Sagt nur dem Herrn Amtmann, er moͤge die Guͤte ha - ben und kommen, die Sache habe Eile und ſei gar nicht aufzuſchieben.

326

Nach einer abermaligen Weigerung rief Traugott un - geduldig: Das Donnerwetter! jetzt iſt die Zeit vorbei, wo ein Amtmann nicht zu ſprechen iſt, wenn er keine Luſt hat, ſich ſtoͤren zu laſſen, um die Bauern zu em - pfangen. Er muß den Augenblick herzu, ſonſt moͤchten wir gar große Luſt bekommen, ihn zu ſtoͤren!

Der Diener entfernte ſich ganz zitternd. Nach eini - ger Zeit wurde die Thuͤr aufgemacht, ſie ſollten eintreten. Der dicke Amtmann ſaß ſchmunzelnd auf dem Sopha und machte eine uͤberaus freundliche Miene, wiewohl man ihm dennoch den verbiſſenen Aerger anſah. Lieben Leute, ſagte er mit katzenfreundlichem Ausdruck: Was wuͤnſcht Jhr denn von mir?

Der Schulmeiſter trat vor und uͤberreichte ihm eine Schrift, die von Hunderten unterſchrieben war. Es war die Petition um Johannes Befreiung. Man hatte die Sache lieber zu Papier gebracht, damit der Amtmann gleich aus den vielen Unterſchriften ſehen koͤnnte, daß es mehr Leute gab, die Johannes Befreiung wuͤnſchten, als diejenigen, welche jetzt vor ihm ſtanden.

Was ſoll ich damit machen, lieben Kinderchen? ſagte der Amtmann, indem er jehr gemuͤthlich that.

Das iſt einfach, den Johannes uns gleich mitgeben! ſagte Friedrich entſchieden.

Welche Forderung, lieben Kinder! antwortete der327 Amtmann, einen Verbrecher frei laſſen das iſt ja ganz unmoͤglich!

Der Johannes iſt kein Verbrecher! ſagte der Schul - meiſter, wir wiſſen das und haben die Gruͤnde unſres Verlangens in dieſer Schrift niedergelegt, darum haben wir daruͤber weiter Nichts zu ſagen.

Der Amtmann zuckte die Achſeln.

Es wird wohl moͤglich ſein, uns den Johannes frei zu geben, ſagte Friedrich ſonſt duͤrften wir es moͤglich machen.

Lieben Kinder ich allein kann Nichts dabei thun, Jhr redet, wie Jhr es verſteht; ſagte der Amtmann mit ſeinem unvertilgbaren, huldvollen Laͤcheln.

Die Zeiten der Kinder und des Jhr ſind vor - bei, rief Friedrich und die Zeit des Wartens iſt es ebenfalls auch bei uns! Entſchließen Sie ſich, uns den Johannes frei zu geben, wir haben verſprochen, nicht ohne ihn in das Dorf zuruͤckzukommen.

So verſprecht ein andermal nicht, was Jhr nicht halten koͤnnt! ſagte der Amtmann und da er die wuͤ - thenden Geſichter der vier Maͤnner ſah, fuͤgte er hinzu: ich werde die Sache in Erwaͤgung ziehen das Bitt - geſuch verſchicken und nach einigen Tagen Reſolution in dieſer Angelegenheit ertheilen.

Da iſt Nichts zu erwaͤgen, Nichts zu verſchicken! 328rief Traugott und mit dem Verſprechen wollen Sie uns nur los ſein, wir ſind aber keine Narren und gehen nicht. Entweder oder, wollen Sie uns den Johannes mitgeben oder nicht?

Der Amtmann raffte ſeine ganze Wuͤrde zuſammen, gab den freundlichen Ton von vorhin auf und zeigte ſich in ſeiner wahren Geſtalt. Mit Hochmuth und veraͤchtli - chem Tone rief er: Jch ſoll mir wohl noch von mei - nen albernen Bauern Vorſchriften machen laſſen? Den Augenblick geht! Jhr werdet ſchon noch den Weg in Euer Dorf zuruͤck ohne den Johannes finden muͤſ - ſen!

Jſt das Jhre letzte Antwort? fragte der Schulmei - ſter ruhig.

Jch habe dieſe Verhandlung ſatt, rief der Amt - mann entruͤſtet, ſtand auf und ging an das Fenſter und kehrte der Deputation mit Verachtung den Ruͤcken zu.

Es iſt gut, ſagte Traugott, aber nun ſind Sie Schuld, wenn Unheil geſchieht, wir ſind weder alberne noch Jhre Bauern, und wenn Sie das bisher gedacht haben, ſo werden Sie es bald anders erfahren. Wir duͤrfen Jhnen aber Nichts verſchweigen. Das ganze Dorf iſt aufgeſtanden und wer darin eine kraͤftige Fauſt hat, zieht uns nach, um bewaffnet darein zu ſchlagen, wenn wir ohne Johannes zuruͤckkommen. Die Burſche329 waͤren gleich herangeſtuͤrmt, wenn wir es nicht verhindert haͤtten. Sie hoͤrten auf uns, wie wir ſagten, wir woll - ten es erſt im Guten verſuchen aber wenn’s im Gu - ten nicht geht, geht’s im Boͤſen! war ihr Troſt, den ſie uns noch nachriefen.

Der Amtmann erblaßte, aber ohne ſich umzuſehen, ſagte er hoͤhniſch: Mit dem lumpigen Bauernpack wird wohl noch fertig zu werden ſein! Sagt Jhnen, daß ich in einigen Tagen, ſobald ich Reſolution habe, thun werde was ich kann.

Der Schulmeiſter wollte noch Etwas ſprechen, aber Traugott fiel ihm in die Rede, indem er verdrießlich ſagte: An dem iſt Hopfen und Malz verloren! da iſt’s ja ſchade um jedes Wort. Herr Amtmann, auf Wieder - ſehen, wahrſcheinlich bald!

Damit entfernte ſich die Deputation. Der zitternde Amtmann haͤtte ſie am liebſten als Rebellen verhaften laſſen, allein er hatte außer dem einzigen Diener, der ſie angemeldet, Niemand von den Gerichtsleuten in ſeiner Naͤhe ſo war er nur froh, wie ſie zur Thuͤr hinaus waren. Kalter Schweiß ſtand auf ſeiner Stirn und wie ein Verzweifelnder lief er in Todesangſt hin und wieder.

Bald waren die bewaffneten Landleute in der Stadt. Sie hatten ruhig am Thore der Ruͤckkunft ihrer Abge -330 ſandten gewartet. Wie dieſe allein zuruͤckkamen, erhob ſich ein Wuthgeſchrei gegen den Amtmann und alle Ty - rannen: Johannes heraus ward das Looſungs - wort. Der ganze Schwarm der Bauern, mit Dreſch - flegeln, Heugabeln, Senſen und einzelnen Flinten bewaff - net, zog auf den Platz, an dem das Gefaͤngnißhaus ſtand, in welchem Johannes ſchon ſo lange ſchmachtete. Viele Staͤdter geſellten ſich zu ihnen. Johannes heraus! war der fortwaͤhrende Ruf Aller. Ein Tambour der Buͤr - gergarde, Soldaten ſtanden nicht im Orte, mußte Gene - ralmarſch durch die Gaſſen wirbeln. Aber von den Buͤr - gern, die da haͤtten kommen ſollen, erſchien kaum die Haͤlfte. Viele von ihnen waren Feiglinge, die fuͤrchteten ſich vor den Senſen der Bauern und wenn ſie auf die - ſelben in erbaͤrmlichem, ſchaͤndlichem Hochmuth auch gern Feuer gegeben haͤtten, ſo kamen ſie doch nicht aus Furcht, da ſie wohl ſahen, ſie wuͤrden gegen die Wuͤthenden Nichts ausrichten und da wollten ſie es doch lieber huͤbſch zu Hauſe abwarten, wie die Sache ſich entſcheiden werde; dann meinten ſie, ließe ſich ſchon eine Entſchuldigung fuͤr ihr Nichterſcheinen finden. Siegten die Bauern, ſo konn - ten ſie, die guten Buͤrger, ſagen: wir kamen nicht, weil wir haͤtten gegen Euch einſchreiten muͤſſen und das haͤtten wir auf keinen Fall thun moͤgen, Jhr ſeid uns alſo großen Dank ſchuldig, daß wir nicht gekommen ſind. Wuͤrden aber331 die Bauern zuruͤckgeſchlagen, dann wollten ſie, die guten Buͤrger, ſchon eine andre Entſchuldigung fuͤr ihr Außen - bleiben finden und waͤre es auch nur die geweſen, daß es ſich ja gar nicht erſt der Muͤhe verlohnt haͤtte, um ſolchen Lumpenpackes Willen herbeizukommen, das ſei mit ein paar Polizeidienern auseinander zu treiben, oder die guten Buͤrger waͤren ſchnell noch hinzugekommen, wenn ſie geſehen, daß der Poͤbel Reißaus gemacht. Diejeni - gen aber, welche auf den Trommelruf kamen, die riefen den Bauern kameradſchaftliche Gruͤße zu und fragten, was ſie eigentlich wollten.

Den Johannes frei! ſchrie Jacob, weiter nicht das Geringſte! und tauſend Stimmen wiederholten es.

Da rief die Buͤrgergarde, die auf dem Platze war, wie ein Mann: Ja, da helfen wir Euch! den Johan - nes raus! der muß frei werden!

Mit Entſetzen blickten die Polizei - und Gerichtsdiener aus ihren Verſtecken und die Mitglieder der geaͤngſteten Behoͤrden auf dieſes Schauſpiel, da Buͤrgergardiſten und Bauern einander zum Bunde die Hand reichten! Das Volk machte Miene, das Gefaͤngniß und die Amtswohnung zu ſtuͤrmen. Wie leicht koͤnnte nicht auch das Rathhaus daran kommen! dachte voll Schaudern der Stadtrath. Aus ſeiner Mitte ging jetzt eine Deputation zum Amt - mann: er ſolle Johannes frei geben, der Buͤrgermeiſter,332 wie der geſammte Stadtrath wollten Alles verantworten ſonſt werde die wuͤthende Rotte am Ende die ganze Stadt in Brand ſtecken und wer weiß, welches Elend uͤber die Stadt bringen Johannes aber doch befreien mit Ge - walt, denn es ſei kein Widerſtand moͤglich, da die Buͤr - ger mit den Bauern gemeinſchaftliche Sache machten. Man wolle Johannes lieber aus freier Entſchließung freigeben, dann ſei man auch ſicher, ſtatt einer Katzen - muſik und eingeworfnen Fenſtern noch Staͤndchen und Dankadreſſen zu bekommen. Der Amtmann hatte vor Angſt ganz den Kopf verloren und rief am ganzen Koͤr - per zitternd und ſchwitzend: Meinetwegen! macht was Jhr wollt.

Wollen Sie nicht eine Rede an das Volk halten? rief ein Stadtrath.

An das Geſindel? fragte der Amtmann veraͤchtlich, das waͤre etwas Neues.

Jch fuͤrchte ſagte der Stadtrath ahnungsvoll: es wird noch Manches geſchehen und wir werden noch Vie - les thun muͤſſen, das uns etwas Neues iſt; doch iſt die Rede nicht gerade noͤthig.

Es ward nun in der Eile Befehl gegeben, Johannes aus dem Gefaͤngniß zu fuͤhren.

Johannes ſaß waͤhrend dem ruhig wie immer in ſeiner Kammer. Er wußte wohl, daß draußen ſchon333 Fruͤhlingsluft wehe, er konnte die milde Luft durch ſein Kerkerfenſter einathmen aber nie hatte man ihm eine Zeitung in ſeine Zelle gebracht, die Gefaͤngnißwaͤrter, und weiter ſah er Niemand, hatten ihm nie Etwas erzaͤhlt, er hatte keine Ahnung davon, daß es Fruͤhling im Voͤlker - leben, Fruͤhling in Deutſchland geworden war. Er konnte aus ſeinem Fenſter nicht auf die Gaſſen ſehen, aber er hoͤrte heute ſchon ſeit mehr als einer Stunde ein ſeltſa - mes Geraͤuſch an ſein Ohr ſchlagen, wie von hunderten von Stimmen. Er oͤffnete das Fenſter und lauſchte wunderbar bewegt. Das Gewirr wuchs, er wußte gar nicht, was es koͤnnte zu bedeuten haben. Einmal auch war es ihm, als waͤre der Ruf: Johannes heraus! deutlich hoͤrbar geweſen er konnte es aber nicht be - greifen und laͤchelte uͤber ſeine Traͤumerei, denn er meinte, falſch verſtanden zu haben.

Auf einmal that die Thuͤr ſeines Gefaͤngniſſes ſich weit auf es war zu einer ungewohnten Stunde und Johannes ſah ſich verwundert um.

Kommt heraus! ſagte der Huͤter.

Johannes ſtarrte ihn an: Der Abend daͤmmert ſchon, ſagte er, will man mich endlich einmal verhoͤren? oder bei Nacht und Nebel in ein andres Gefaͤngniß bringen? fragte er zoͤgernd.

Macht hurtig! ſagte jener, die wuͤthende Rotte334 unten ſchmeißt uns ſonſt noch Alles in Grund und Boden!

Johannes trat in den Gang und ſchritt langſam vor - waͤrts.

Ei, habt Jhr nicht mehr Eile, auf die Straße zu Euren guten Freunden zu kommen, daß Jhr ſo ſchleicht? fragte der Begleiter, hier, die Treppe hinab.

Johannes fragte: Erklaͤrt mir nur was ſoll’s mit mir der Laͤrm? ſie hoͤrten ihn jetzt deutlicher auf einmal ward die unterſte Thuͤr von der Gaſſe herein mit tuͤchtigen Axtſchlaͤgen aufgebrochen ein Freuden - geſchrei erſcholl von der Menge, wie ein Sieges - und Triumphesruf. Johannes heraus! ſcholl es deutlich, wir holen ihn!

Jn dieſem Augenblick, wo eine Menge Volks durch die gewaltſam erſtuͤrmte Thuͤr draͤngte, der Knecht Jacob voran, hoch die maͤchtige Axt ſchwingend, mit der gerade er den zertruͤmmernden Schlag gethan, ſo daß er auch jetzt der Erſte im Hauſe war in dieſem Augenblick hatte Johannes die letzte Treppenſtufe erreicht. Er er - kannte Jacob und ſtuͤrzte in ſeine Arme.

Johannes ſah bleich aus von der Gefaͤngnißluft, die Jugendfriſche bluͤhender Geſundheit war dahin aber ſeine goldenen Locken waren noch ſo ſchoͤn wie einſt und335 ſeine blauen Augen leuchteten noch in Begeiſterung trotz Allem, was er erlitten.

Du biſt frei, Johannes! rief Jacob triumphirend, wir, Deine Bruͤder haben Dich befreit! Und er hob ihn auf ſeine ſtarken Arme und trug den Befreiten hin - aus aus dem Hauſe.

Draußen donnerte der Ruf von allen Seiten: Jo - hannes lebe! unſer Johannes! unſer Freund und Bru - der! er iſt nun frei!

Und ſo viel Maͤnner, als nur an Johannes heran konnten, umringten ihn und hoben ihn auf ihre Schul - tern, daß das Volk ſeinen geretteten Liebling ſehe!

Er wußte nicht wie ihm war, er fuͤhlte nur, daß er frei war; frei durch die Liebe des Volkes daß es ihn nicht vergeſſen hatte. Aber er verſtand Nichts von Al - lem und ſein Auge ſtarrte traumverloren auf eine maͤch - tige ſchwarz-roth-goldene Fahne, die ein Turner vor ihm neigte und ſchwenkte. Das waren ja die heiligen Farben, die er verborgen als Student auf ſeiner Bruſt ge - tragen und um deretwillen er zuerſt verfolgt worden war und jetzt wehten ſie hier auf dem Markt einer deutſchen Stadt jetzt ſah er ſie auf hunderten von Huͤten und Muͤtzen.

Friedrich Du auch? rief Johannes, als er dieſen gewahr ward, ich traͤume wohl?

336

Ach, haſt Du denn das gar nicht geahnt? fragte Friedrich, wir wuͤrden Dich vergeſſen, haſt Du denken koͤnnen?

Nein, ich wußte, daß Jhr mein Loos beklagtet aber auch, daß Jhr mir nicht helfen koͤnntet! ſagte er.

Ja fruͤher, aber jetzt, meinte Friedrich

Jetzt? fragte Johannes, es iſt wohl viel geſche - hen, das ich nicht weiß! ein halbes Jahr in einem Ker - ker iſt lang!

So hat man Dir nicht geſagt, daß in Frankreich Republik iſt und daß wir in Deutſchland taͤglich freier werden?

Johannes ſchuͤttelte das Haupt, dann winkte er dem Volke und es ward todtenſtill: Meine Freunde, ſagte er, ich danke Euch, Jhr habt mich befreit, ich habe jetzt keine Worte fuͤr meine Gefuͤhle, es wird ſchon noch die Stunde kommen, da ich Euch danken kann. Jch bin wie Einer, der im Todtenſchlaf gelegen und durch Euch zum Leben erweckt iſt. Jch weiß nicht, was dieſe Fah - nen, dieſe Verſammlung, dieſe Waffen, was all dieſe Zei - chen bedeuten geht jetzt ruhig dahin, wohin die Pflicht Euch ruft mich laßt allein mit ein paar Freunden in mein Dorf gehen und ich werde mir dort dies Alles erklaͤren laſſen. Vielleicht, daß ich dann bald die Kraft habe, die mir jetzt fehlt, Euch zu danken.

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Er ſank wie erſchoͤpft in ſich zuſammen, da er dieſe Worte mit großer Anſtrengung geſprochen hatte. Der Abend daͤmmerte herein. Es fuhr ein Wagen herbei, der fuͤr Johannes beſtimmt war. Er ſtieg hinein, man rief ihm Vivat und warf ihn mit Blumen und Kraͤnzen aus allen Fenſtern. Jm Wagen ſaß unſer Schulmeiſter, den er noch nicht geſehen hatte, und der ihn jetzt ſprach - los umarmte. Die Menge zertheilte ſich. Ein ſtarker Trupp zog nach dem Hauſe des Amtmanns man hoͤrte Scheltworte und Wuthgeſchrei.

Johannes! ſagte unſer Schulmeiſter zu ihm, Du vermagſt Alles uͤber dieſe Leute ich fuͤrchte, ſie werden die Daͤmmerung benutzen, um ihre Wuth, die ſie Deinetwegen auf den Amtmann haben, noch an ihm zu kuͤhlen, vielleicht mit Steinwuͤrfen und dergleichen. Auf mich allein hoͤren ſie nicht, Du kannſt Alles mit ih - nen machen der Amtmann iſt zwar Dein Feind, aber ich weiß, daß Du auch Deinen Feind ſchuͤtzen wirſt in der Noth, und wenn Du das nicht wollteſt, ſo gewiß doch Deine Freunde vor Uebereilung, mit der ſie nur Dir und ſich Schande machten.

Johannes hieß den Wagen halten und rief heraus: Bruͤder, Freunde! was wollt Jhr noch? Jhr ſagt, daß Jhr Euch verſammelt habt aus Liebe zu mir nun, ſo geht auch aus Liebe zu mir friedlich nach Hauſe,22338Wenn Jhr Rache nehmen wollt an irgend einem meiner Gegner, ſo wird die Schuld davon auf mich zuruͤckfallen oder wenn ihr, nachdem Jhr eine edle That gethan, mit einer unedlen den Tag beenden wollt, ſo muͤßtet Jhr Euch ja vor Euch ſelber ſchaͤmen und ich mich ſolcher Befreier! Wer mich lieb hat und mir wohl will, der gehe nach Hauſe nur wer mein Verderben will, kann einen Frevel begehen und ſagen, es ſei aus Liebe zu mir! Solchen wuͤrd ich nicht fuͤr meine Freiheit danken, von tobſuͤchtigen Straßenlaͤrmern moͤcht ich ſie gar nicht an - nehmen!

Alle ſtanden lauſchend ſtill, wie er ſprach. Dann riefen ſie wieder: Johannes lebe! murmelten noch mit einander und folgten ſeinen Worten. Einer war unter ihnen, der nicht nachlaſſen wollte und die um ihn Stehenden immer aufſtachelte, dem Amtmann die Fenſter einzuwerfen, aus Liebe zu Johannes und Rache fuͤr ihn, wie er ſagte. Aber der Knecht Jacob riß dieſem Einen den verhuͤllenden Hut ab und ſchrie: Seht da Chriſtlieb der es erſt dahin brachte, daß der Johannes einge - ſteckt ward, ſein erbittertſter Gegner. Was ſo ein Kerl wie der uns raͤth, muß eine ſchlechte Sache ſein und eine hinterliſtige Falle, drum wollen wir ruhig nach Hauſe gehen.

Und ſo zerſtreute ſich die Maſſe.

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Jn Wahrheit hatte Chriſtlieb die Leute zu einer ſchlech - ten That verlocken wollen, um hinterher Alles auf Jo - hannes ſchieben und ſo ihn noch einmal verderben zu koͤnnen.

Johannes fuhr nun mit dem Schulmeiſter in ſein Heimathdorf. Der Wagen hielt vor der Pfarre. Er vermochte kein Wort zu ſprechen, als er in den Armen des wuͤrdigen Pfarrerpaares lag, das ihn liebte wie treue Eltern ihr Kind und ihn lautſchluchzend empfing. Jn dieſem Augenblick vergaß er wieder Alles, was er eben erlebt und gehoͤrt und was mit heiligen Schauern ſein Herz erbeben gemacht hatte: die Republik Frankreich, die ſchwarz-roth-gold’nen Fahnen, die werdende deutſche Freiheit, ſeine eigne Befreiung, die Liebe des Volks, die ſich ihm ſo innig und herrlich gezeigt hatte Alles, Alles vergaß er, obwohl jede Vorſtellung ſchon von einem dieſer Dinge ſeine ganze Seele fieberhaft maͤchtig be - wegte er vergaß Alles vor der Allmacht eines einzigen andern Gedankens und wie es ſein letztes Wort geweſen, was er damals im Dorfe geſprochen: meine Mutter! als er in’s Gefaͤngniß geſchleppt ward, ſo war es jetzt ſein erſtes, da er heraus kam: meine Mutter! rief er ſtammelnd, da er den Pfarrer eine Weile ſchwei - gend umarmt gehabt und ſank mit dieſem Schmerzensruf vor ihm auf die Knie.

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Der Pfarrer legte ſegnend ſeine Hand auf ſeine Stirn und ſagte: Es war ihr letztes Wort, daß ich Dir ihren Segen geben ſollte ich ſegne Dich heute in ihrem Namen, mit dieſer Hand, die ſie ſterbend druͤckte, wie ich es gethan, da ich Dir vor ihren letzten Stunden ſchrieb.

Johannes richtete die großen blauen Augen wundernd zu dem Ehrwuͤrdigen auf und ſagte: Jch habe keinen Brief erhalten. Er ſtand auf und ſetzte ſich neben den Pfarrer nun kam es an ein Erklaͤren, was der Pfar - rer geſchrieben und wie ſchaͤndlich man ſelbſt in dieſer heiligſten Angelegenheit Johannes betrogen hatte. Man hatte einen Sohn um den Segen einer Mutter bringen wollen!

Johannes ward getroͤſteter als er war durch des Pfarrers Erzaͤhlung von ſeiner Mutter, wenn es ihm auch war, als muͤſſe ſein Herz nochmals brechen, da er ihrer Sehnſucht nach ihm gedachte, die er nicht hatte er - fuͤllen duͤrfen. Das war derſelbe Amtmann, den er heute vor der Wuth des Volkes beſchuͤtzt hatte, derſelbe, der da - mals der ſterbenden Mutter den troͤſtlichen Anblick des Sohnes verweigert hatte. Er ſelbſt war ſchuldlos am Tode ſeiner Mutter die Schuld traf diejenigen, die ihn ſo ungerecht verfolgt und verrathen, die nicht geruht hatten, bis ſie es ihn in Kerkermauern unmoͤglich ma -341 chen konnten, ferner dem Volke und ſeiner heiligen Sache zu dienen!

Er kam kraͤnklich und bleich aus dem Kerker, aber die Kraft ſeines Geiſtes war geſund geblieben und ſein Herz gluͤhte wie ehemals in Liebe fuͤr ſein Volk. Er war unveraͤndert im Jnnern, der Johannes von Einſt.

Am andern Tage, wie er nun Alles verſtanden hatte, was unterdeß geſchehen war und wie Alles gekommen im Lauf der Tage, ſtanden die Bauern wieder wie geſtern be - waffnet und verſammelt vor der Pfarre und harrten auf Johannes.

Friedrich ſagte, daß der Graf auf ſeinem Gute waͤre und mit den Bauern verhandeln wolle, denn er ſei in großer Angſt, weil man ihm eines ſeiner entferntern Schloͤſſer verbrannt, da er nicht in alle Forderungen ge - willigt.

Johannes begleitete die Bauern zu dem Gutsherrn. Der Graf erſchrak, da er ihn gewahrte. Der Bauern - ſohn iſt nicht mehr gefaͤhrlich, ſagte Johannes laͤchelnd, da nun alle Leute ſo klug ſind, wie er damals allein war und der Graf mußte es ſich gefallen laſſen, ge - rade mit ihm zu unterhandeln und noch viel mehr zu ge - waͤhren, als Johannes jemals fruͤher von ihm zu for - dern nothwendig gefunden, wofuͤr ſchon der Graf ihn ſo tuͤckiſch verfolgt hatte.

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Das war die einzige Rache, die Johannes an ſeinem Feinde nahm.

Aber nun duldete es unſern Freund auch nicht laͤn - ger mehr in dem kleinen Dorfe er mußte fort, dahin, wo die groͤßern Weltgeſchicke ſich entſcheiden, in die Haupt - ſtaͤdte des Landes, wo man jetzt begeiſterte Maͤnner brau - chen konnte, die ſchon Jahrelang fuͤr die Freiheit treulich gearbeitet und geduldet hatten.

Er nahm Abſchied von allen ſeinen Freunden. Sus - chen mußte ihm noch verſprechen, die Blumen auf dem Grabe ſeiner Mutter zu huͤten und unſer Schulmei - ſter ſah ruhig zu, wie ſie’s dem ſcheidenden Freunde ſo - gar mit einem Kuß verſprach. Den laͤngſten, innigſten Abſchied nahm er aber von dieſem Grabe, an dem er ge - lobte, den ſchnellen Tod derjenigen, die darin ſchlief, damit zu raͤchen, daß er raſtlos fortkaͤmpfe fuͤr die Freiheit, bis es auch keine Mutter mehr gaͤbe, die nicht ihr Kind muthig von ſich ließe, ſelbſt wenn es Gefahren entgegenginge im Dienſte der Freiheit, dem Heiligſten auf Erden!

Der Knecht Jacob, den Chriſtlieb aus ſeinem Dienſt gejagt, nahm Johannes mit ſich und ſie haben neben ein - ander auf mehr als einer Barrikade getreulich gekaͤmpft und geſiegt.

Druck von R. Behm in Zerbſt.

About this transcription

TextEin Bauernsohn
Author Louise Otto-Peters
Extent357 images; 70281 tokens; 9051 types; 458429 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEin Bauernsohn Eine Erzählung für das Volk aus der neuesten Zeit Louise Otto-Peters. . IV, 342 S. WienbrackLeipzig1849.

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LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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