Dieſes Kapitel hat mehr als ein halbes Jahr überſprungen. — Anton debütirt als Kunſtreiter. Er bleibt Laura’s Freund, aber die Gattin des Direktor’s wird ſeine Gegnerin.
Die Linden ſtanden in voller Bluͤthe. — Doch meine ich diesmal nicht jene Linden zu Liebenau, in deren Dufte vor zwei Jahren unſere Erzaͤhlung begann. Es ſind die Linden der Reſidenz von denen ich rede; unter denen, in Staubwolken gehuͤllt, Schaaren ſchauluſtiger Staͤdter nach dem Cirkus des Herrn Guillaume wandern, woſelbſt heute, den an vielen Baumſtaͤmmen klebenden Anſchlagezetteln zu Folge, „ Herr Antoine aus Paris “zum Erſtenmale auftre - ten und ſich „ zu Pferde als Virtuoſe mit einem Vio - linſolo produziren “ſoll.
Vor der Kaſſe war der Andrang ziemlich ſtark. Bekannte gruͤßten ſich und tauſchten im Voraus Muthmaßungen uͤber den Debuͤtanten. Ob er jung iſt? fragte eine aͤltliche Dame. Zu wuͤnſchen waͤr’ es,Die Vagabunden. II. 12erwiderte eine noch aͤltere, daß Herr Guillaume daran daͤchte, ſeine Truppe aufzufriſchen. Seine beſſeren Reiter ſind ſaͤmmtlich uͤber die Jahre hinaus und ſeine juͤngeren ſind Kinder. Dieſer Antoine kommt aus Paris? aͤußerte eine Dritte; nous verrons?!
Ehe wir ihn ſelbſt erſcheinen laſſen, muͤſſen wir doch erfahren, was mit ihm geſchah, ſeitdem wir uns von ihm und Laura in M. getrennt haben.
Sie hatten Guillaume bald in D. erreicht, wo er „ brillante Geſchaͤfte “machte und in beſter Laune lebte. Anton wurde freundlich empfangen und als er mit ſeinem Plane herausruͤckte, dem er durch Vio - linenbegleitung melodramatiſche Wirkung einhauchte, ging der Direktor gern darauf ein; doch konnte er die Bemerkung nicht unterdruͤcken, daß der junge Herr nicht ſo raſch zum Ziele gelangen werde, als er ſich’s einbilde. Jhr ſeid wohl jung, mein lieber Antoine, ſprach er, doch ſeid ihr eben ein junger Mann, kein Knabe mehr. Jn eurem Alter, bei eurer Groͤße, bei eurer Kraft, Eigenſchaften die euch trefflich zu Stat - ten kommen, ein guter Stallmeiſter zu werden, duͤrft’ es euch ſchwer genug fallen, als Kunſtreiter nachzu - holen, was unſere kleinen Jungen im zehnten Jahre ſpielend machen. Doch Wille und Muth beſiegen3 dieſe Schwierigkeiten und ich nehme euch als Eleven an. Auch will ich eine Ausnahme mit euch machen, ihr ſollt nur drei Jahre lang Eleve ſein. Waͤhrend dieſer Zeit erhaltet ihr nichts von mir, als Unterricht, Koſt und Kleidung, — fuͤr die beiden letzteren Artikel wird Madame Amelot Sorge tragen, nach Allem was ich hoͤre, fuͤgt’ er laͤchelnd bei. Jhr habt euch aber, gleich allen uͤbrigen Lehrburſchen, jedem Befehle zu fuͤgen, und mitzumachen, was verlangt und ange - ordnet wird. Auf Gage duͤrft ihr erſt nach Ablauf des zweiten Jahres rechnen und dies nur dann, wenn ihr alle Erwartungen uͤbertrefft.
Anton ſah ſich durch dieſe Grundzuͤge des Ver - trages in ſeinen eitlen Erwartungen gar ſehr getaͤuſcht, doch ging er ihn ein, ohne zu zeigen, wie ſchwer ihm dies wurde. Was auch haͤtt’ er thun ſollen? Ein Ruͤckſchritt war in ſeinen Verhaͤltniſſen ſchon Laura’s wegen nicht moͤglich. Er murmelte nur, waͤhrend er ſeinen (?!) Namen unterſchrieb: aller Anfang iſt halt ſchwer! Und ſich zu Laura wendend ſagt’ er ihr leiſe: jetzt haſt Du einen Lehrjungen zum Liebhaber! Worauf dieſe mit ihrer lieblichſten Frivolitaͤt erwie - derte: das bemerk ich bisweilen; doch ohne Sorgen, wir wollen ſchon einen Meiſter aus ihm machen!
1 *4Das Erſte, was dieſe, in derlei Treiben und Ver - kehr eingeweihte Dame veranlaßte, war, — natuͤrlich von ihrem Gelde, — der Ankauf eines guten, ſicheren Pferdes, auf welchem der Scholar, als auf ſeinem ausſchließlichen Eigenthum, uͤben koͤnne, wann und ſo oft er wolle; mit welchem er ſich gleichſam einlebe.
Der Furioſo beſaß ein ſolches, um ſo paſſender fuͤr Anton den Anfaͤnger, als es Jenem zu ſeinen eigenen Raſereien nicht wild und feurig genug erſchien. Er gab es willig und billig her. Und Anton begann ſeine Studien.
Man erzaͤhlt ſich von Duport, — (ſpaͤterhin Unternehmer und Direktor der Wiener Hof-Oper, die er, fuͤr ſeine Perſon ein wunderlicher Knicker und Geizhals, im Ganzen und Großen nobel zu fuͤhren verſtand), — wie er aus einem ſubordinirten Muſiker des Pariſer Orcheſters durch feſten Willen der erſte Taͤnzer Europa’s geworden ſei:
Er fragte, waͤhrend ſie einen gerade ſehr beliebten Taͤnzer accompagnirten, ſeine Nachbarn an den Pul - ten, wie viel dieſer Mann fuͤr jeden Abend, wo er auftrete wohl empfange? Die bedeutende Summe ward ihm genannt. Duport legte an dieſem Abende ſeine Klarinette nieder, mit den Worten: ich will5 auch Taͤnzer werden; ich will auch ſo viel einnehmen! Und obgleich laͤngſt uͤber die Jahre hinaus, wo man eine ſolche Laufbahn zu ergreifen fuͤr faͤhig gilt, betrat er ſie. —
Nach einigen Jahren empfing er das Dreifache jener Summen, die ihn angelockt und iſt als Millio - nair*)Möglich ſogar, daß er als ſolcher noch lebt. Er zog ſich, nachdem er (1836) die Direktion des Theaters am Kärnth - nerthor niedergelegt, ohne erſetzt zu ſein, nach Paris zurück. Jſt er noch am Leben, ſo wird er zuverläßig weder Sozialiſt noch Kommuniſt geworden ſein, wenn er gleich bon-gré mal - gré Republikaner werden müſſen. geſtorben. —
Wenn auch nicht im Erfolge, doch im feſten Wil - len und in der Kraft, denſelben durchzufuͤhren, ließe ſich unſer Freund mit Duport vergleichen. Nachdem er nur die nothwendigſten Andeutungen fuͤr die erſten Hand - und Kunſtgriffe durch Guillaume erhalten, und ſo viel Routine gewonnen hatte, feſt auf dem Sattel zu ſtehen, waͤhrend ſein Fuchs galopirte, begab er ſich an jedem Morgen, lange bevor die gewoͤhnlichen Uebungsſtunden der juͤngeren Mitglieder ſchlugen, allein nach der Manège, wo ein von ihm bezahlter, im Dienſte eingeuͤbter Garçon bereit war die Peitſche des Stallmeiſters zu fuͤhren. Nicht ſelten6 fand auch Laura ſich ein, den entſchloſſenen nie ver - zagten Liebling durch ihren Zuruf immer feuriger anſpornend, oder ihn tadelnd, ſobald er im Eifer die grazioͤſe Haltung verlor, die ſie ihm als Hauptbedin - gung der Schule und als hoͤchſtes zu erreichendes Ziel aufgeſtellt hatte. Haͤufig fiel er vom Pferde, doch jedesmal ſo gluͤcklich, oder ſo geſchickt, daß er keinen Schaden nahm. Leichte Kontuſionen, an denen es nicht fehlte, wußte Laura bald zu heilen. Jn dem Grade wie ſeine Fertigkeit ſtieg, wuchs ihre Leiden - ſchaft fuͤr ihn. Sie war ungeduldiger auf ſein erſtes oͤffentliches Erſcheinen, als er ſelbſt es je ſein konnte; dabei aber wiederholte ſie taͤglich, er duͤrfe nicht auf - treten, bis er ſeiner Sache ſicher waͤre.
Jhr beiderſeitiges Verhaͤltniß zu den uͤbrigen Mit - gliedern war ein hoͤflich-kaltes; ſie kamen mit jenen wenig in Beruͤhrung. Madame Adelaide hatte zur Zeit nur Augen fuͤr — es iſt ſchrecklich zu ſagen, — ihren Bajazzo, der allerdings, wenn er die entwuͤrdi - genden Flecken ſeiner Narrenſchminke abgewaſchen, ein huͤbſcher Mann und in jeder Beziehung zuverlaͤſſig genannt werden durfte. Die uͤbrigen Weiber oder Maͤdchen der Truppe huͤteten ſich wohl mit einer Schoͤnheit wie Laura auch nur ſcheinbar in die7 Schranken zu treten; und Adele Jartour, die zu ſol - chem Wageſtuͤck berechtiget geweſen waͤre, ging dem jungen Zoͤgling entweder aus dem Wege, oder zeigte ſich durchaus gleichguͤltig. Die Maͤnner jedoch ver - mieden, den Direktor nicht ausgenommen, Antons Umgang deshalb, weil ſie den Anfaͤnger als ihres Gleichen nicht anerkennen und ihn doch auch als einen Lehrjungen nicht behandeln wollten; theils wegen ſeines Verhaͤltniſſes zu Madame Amelot, theils in Anbetracht ſeines anſtaͤndigen Benehmens.
Dieſe Zuruͤckgezogenheit hatte fuͤr ihn den Vor - theil, daß er nicht genoͤthiget wurde, rohe und gemeine Genoſſenſchaft zu hegen. Er las viel, auch mit Laura, die er ſo weit brachte, es ſogar mit deutſchen Buͤchern zu verſuchen.
Guillaume ſchonte ihn moͤglichſt, ließ ihn vom Parade reiten frei, ſo wie vom Dienſt bei Auflockerung der Reitbahn. Dagegen ergriff Anton ſelbſt mit Eifer jede Gelegenheit, ſich bei Spektakel-Darſtellungen zu betheiligen, wobei er im dickſten Pulverdampf luſtig um ſich her ſchlug, Barrièren ſprang und ſich, wenn auch durch Tracht, Bart und Schminke unkenntlich, als tapferſter Geſell bewaͤhrte. Auch die Voltige unterließ er niemals mit zu machen und machte ſie8[be]wundernswuͤrdig leicht, daß er nicht weit hinter[B]ajazzo, dem Hauptvoltigeur zuruͤckblieb.
Die Monate vergingen ſchnell genug.
Als D. bis auf den Grund erſchoͤpft war, wand[ſ]ch der Knaͤuel der Zentauren nach St. und endlich[er]ſchallten ihre Fanfaren in der Reſidenz, woſelbſt denn[au]ch der große Tag anbrechen ſollte, an welchem unſer[H]eld, — nicht mehr kuͤnſtlich entſtellt und ſeine Per -[ſö]nlichkeit verleugnend, — vielmehr im ganzen Zau -[be]r derſelben vor dem Publiko erſcheinen darf, um in[do]ppelter Eigenſchaft, als Reiter und Virtuoſe, Au -[ge]n, Ohren, wer weiß, ob nicht auch Herzen, zu[ge]winnen.
Jch muß nur den Leſer bitten, zu erwaͤgen, daß[ein]e Reihe von dreißig Jahren verfloſſen iſt, ſeitdem[ſi]ch begab, was ich zu erzaͤhlen verſuche. Heut zu[T]age, wo dreijaͤhrige Kinder als Reiter und vierjaͤh -[ri]ge als Tonkuͤnſtler erſcheinen, duͤrfte es nur unbe -[bede]utendes Aufſehen machen, wenn zwei Pferde ein[Fo]rtepiano truͤgen, das dritte einen Wunderbalg, der[au]f dem Fortepiano mit allen Vieren ſpielte, waͤhrend[di]e drei Roſſe auf allen Vieren liefen. Ja es iſt moͤg -[li]ch, unſere blaſirte Zuſchauerſchaft waͤre damit noch9 nicht zufrieden, weil ihr die Pferde zu langſam laufen, im Vergleich mit den Dampfwagen.
Damals waren die Anſpruͤche noch beſcheidener.
Anton erſchien in ſpaniſchem Koſtuͤm; ſo einfach, daß man genau Acht geben mußte, um an der Gedie - genheit der Stoffe den Werth derſelben zu erkennen. Wie er nur in den Cirkus trat und ſeine Verbeugung machte, die gewoͤhnlich im weichen, aufgewuͤhlten Boden ſchlecht gelingt, die ihm aber durch Laura beſonders ſorgfaͤltig einſtudirt war, ging ein „ Ah! “des Wohlgefallens durch alle Raͤume. Er ſchwang ſich keck auf’s Pferd, ſo zwar, daß er gleich zu ſtehen kam, ließ ſich die Violine reichen, gab der Kapelle einen Wink, das Muſikſtuͤck begann, der Fuchs ging in richtigem Tempo. Laura hatte ſich auf’s Orcheſter gezogen; ihr ſonſt ſo friſches bluͤhendes Geſicht ſchaute leichenblaß, wie vor des Tigers Kaͤfig, zwiſchen Trompete und Baß-Poſaune hernieder. Als Anton ſie erblickte, mußt’ er an die Menagerie denken; an Bradipus urſinus, den verbrannten Jndianer; an Apfel und Sonnenſchirm; .... dieſe Bilder, und in ihrem Gefolge noch unzaͤhlige andere zogen vor ſeines Roſſes Kopfe daher: ein Schwindel uͤberfiel ihn, er verlor den Haltpunkt, er wankte; noch ein Haar10 breit, und er fiel! Da vernahm er durch Trompeten - und Poſaunen-Geſchmetter ein lautes: courage, mon ami! — und er hielt ſich. Nicht vergebens hatte Laura’s Kennerblick ſeine Haltung geregelt; hatte ſie ihm eine Reihe edler Stellungen einſtudirt, wie ſie ſolche als junges Maͤdchen bei Franconi’s und Aſtley’s beſten Mitgliedern geſehen. Jn dem Ver - folge dieſer Stellungen lag Berechnung und Zuſam - menhang. Waͤhrend Anton mit der Rechten den Bogen, mit der Linken die Violine hielt, nahm er abwechſelnd bald mit einem, bald mit dem anderen Fuße die Spitze des Sattels, wobei der Oberkoͤrper ſich in den zierlichſten Wendungen nach dieſer oder jener Seite neigte, ohne doch jemals die maͤnnliche Kraft aufzugeben. Jede neu-veraͤnderte Stellung wollte immer nur fuͤr einen Verſuch gelten, den rich - tigeren und bequemeren Platz zu erringen, der fuͤr das Geigenſpiel paſſend ſei. Man koͤnnte nichts Anmu - thigeres ſehen, als dieſes Spiel mit dem Spiele; dieſes Ringen nach einem Nichts. Von Verzagtheit des Schuͤlers blieb keine Spur.
Die Kunſtreiter, Groß und Klein, zuſammenge - draͤngt bei der Thuͤr, welche zu den Pferdeſtaͤllen fuͤhrt, konnten nicht umhin, ſeinen Muth zu loben11 und der Furioſo, den ſchwarzen Bart ſtreichelnd, ſagte laut genug, damit die zunaͤchſt ſitzenden Zuſchauer es vernehmen mochten: Bei all’ dem hat der Burſche Aplomb und Geſchick; ich haͤtt’ ihm das nicht zugetraut!
Nun verſtummte die Jntroduktion des Orcheſters. Anton ſtand nun unbeweglich, wie eine Bildſaͤule, Geige und Bogen bereit haltend, um eben zu beginnen. Der Fuchs durchlief einmal ohne Muſik den Cirkus. Jm ganzen Raume herrſchte die Stille der Erwar - tung. Schon beim erſten Strich zeigte ſich, daß der junge Mann ſeiner Sache gewiß ſei: der Ton klang rein und voll, und ob es gleich eine getragene Melodie war, die er ſpielte, bemerkte man durchaus keine ſtoͤrende Wirkung durch die Bewegung des Pferdes hervorgebracht.
Der Beifall, der ſich waͤhrend des zarten Muſik - ſtuͤckes zuruͤckgehalten, brach am Schluſſe deſſelben mit deſto ſtaͤrkerer Kraft hervor; der Debuͤtant wurde ſo zu ſagen davon uͤberſchuͤttet; ja, ſelbſt vornehme Damen bewegten ihre ſchoͤnen Haͤnde. Als er den Schauplatz verließ, begluͤckwuͤnſchten ihn ſaͤmmtliche Mitglieder der Truppe, und wie er wahrzunehmen waͤhnte, mit Herzlichkeit. Nur Adele Jartour, ihm12[di]e Liebſte von Allen, wegen ihrer duͤſtern und doch[m]ilden Zuruͤckgezogenheit, blieb auch heute konſequent[u]nd hielt ſich fern von ihm; was ihn beinah ſchmerzte. [A]ls ſie ihn auf ſeine Garderobe zueilen ſah, wandte[ſi]e den Ruͤcken, ſich in die ihrige zu verlieren. Son -[d]erbar, ſagt’ er bei’m Umkleiden zu ſich ſelbſt, dies Maͤdchen iſt nicht mehr gar jung; auch ſchoͤn iſt ſie[n]icht; mit Laura verglichen wenigſtens nicht; dennoch uͤbt ſie auf mich einen geheimnißvollen Reiz. Je abſtoßender ſie ſich gegen mich benimmt, deſto mehr fuͤhl’ ich mich zu ihr hingezogen. Truͤg’ ich nicht ſuͤße Bande — dieſe koͤnnte mir gefaͤhrlich werden. Aber was hat ſie gegen mich? Sie vermeidet mich recht abſichtlich. Jch bin ſo artig und aufmerkſam fuͤr ſie, wie ſonſt keiner. Und ſie .... ich muß ſie doch einmal ganz ehrlich fragen, was ich ihr zu Leide gethan? Draußen fing der Laͤrm der Muſik wieder an. Die große Pauke droͤhnte durch die hoͤlzernen Waͤnde. Andere trieben ihre Kuͤnſte.
Anton hatte ſeinen Spanier an den Nagel gehaͤngt. Er ſaß, wie traͤumend davor, ſchaute den Putz an, als ob er ſtaunen muͤßte, daß er ſolche Tracht getra - gen und ſeine anderen Kleidungsſtuͤcke in Haͤnden haltend, zoͤgerte er noch dieſelben wieder anzulegen. 13Das geraͤuſchvolle Toben aus dem Cirkus kontraſtirte ſo wunderlich mit der leeren Ankleidekammer, die ſelten und nur ausnahmsweiſe fuͤr Einen allein offen ſtand. Er betrachtete ſein Koſtum, wie das eines Fremden: Bin ich es denn, der alſo aufgeputzt vor Tauſenden jetzt eben ſein Probeſtuͤck ablegte? — Mein Gott, wenn ſie das zu Hauſe wuͤßten! — Oder wenn die Großmutter das erlebt haͤtte? — Und was wuͤrde Ottilie .....
Die Garderobenthuͤr knarrte. Anton vermuthete Laura eintreten zu ſehen. Er ſah Madame Adelaide.
Erſt jetzt, aus ſeiner traͤumeriſchen Zerſtreuung aufgeweckt, bemerkte er, daß er, ohne es zu wiſſen, ſeine buͤrgerliche Kleidung noch nicht angelegt.
Bravo, Antoine, rief die Eintretende, die nicht im Mindeſten uͤber den befremdenden Anblick erſtaunt und noch weniger durch denſelben erſchreckt ſchien. Bravo, mein Junge, Du verſprichſt!
„ Und was er verſpricht, pflegt er zu halten; des - halb ziemt es ſich, mit Verſprechungen ſparſam zu ſein. Nicht wahr, mein Freund? “ Mit dieſen Wor - ten hatte ſich Laura zwiſchen die Direktrize und ihn gepflanzt, ohne daß die Letztere den Eintritt der Gegnerin geahnet.
14Madame, fuhr die Amelot fort, wenn mich nicht Alles taͤuſcht, kommt die Reihe, ſo wie dieſe Nummer vorbei iſt, an Sie? Fuͤr den Augenblick arbeitet Ba - jazzo auf der Leiter und er wird troſtlos werden, wenn Sie ihn nicht bewundern.
Merci, ma chère! entgegnete die junoniſche Dame, die mit einem zornſpruͤhenden Blick auf Beide das Kaͤmmerlein verließ.
Madame Laura hoͤhnte laut lachend hinter ihr her. „ Jetzt, mein Kleiner, zieh’ Dich an, und laſſ’ uns gehen. Uebrigens wirſt Du nie mehr mit dieſem Weibe reden! Nie mehr. “
Anton beſaß von nun an eine erklaͤrte Feindin an der Frau ſeines Herrn Prinzipals.
Nicht Alles iſt Gold, was glänzt; Anton zweifelt an ſeinem Beruf und empfin - det den Druck von Laura’s Feſſeln. — Adele und Adelaide. Ein gutes Mädchen und eine böſe Katze.
Als nach einigen Wochen durch allabendliches Er - ſcheinen und ſtets wachſenden Beifall Antons Eitelkeit befriedigt, ſein Ehrgeiz abgeſtumpft war, fing er an die leere Nichtigkeit dieſes Seins und Wirkens zu ahnen. So lange noch unglaͤubiger Zweifel von Sei - ten der Reiterſchaar und eigene Sehnſucht nach Selbſt - ſtaͤndigkeit ihn zu rieſenhaften Anſtrengungen ermun - tert und darin gekraͤftiget, hatte er nur das Ziel ſelbſt, nicht deſſen Bedeutung vor Augen gehabt. Dieſes Ziel war nun erreicht und nun durchſchaute ſein rich - tiges Urtheil erſt, wie verzweifelt wenig dahinter ſtecke. Man wiederholte ihm ſtuͤndlich als eine Hauptregel des „ Metiers, “daß der „ Artiſte, “um ein beruͤhm - tes und in Europa geſuchtes „ Suͤjet “zu werden, ſich vorzugsweiſe auf ein Stuͤck richten und es in die - ſem allein zur moͤglichſt-groͤßten Sicherheit und Voll - endung bringen muͤſſe. Das hin und her Suchen, Verſuchen, Streben — zerſplittere die Kraft und bringe zuletzt Leute hervor, die bei kleinen, ſchwach - beſetzten Truppen als „ vielſeitig brauchbar “ſich16 kuͤmmerlich durchſchlagen muͤſſen, waͤhrend dem Mei - ſter, der durch eine vollendete Leiſtung ſeinen Ruf begruͤndet, Paris und London offen ſtehen. Dies fand auf ihn um ſo mehr Anwendung, weil die Ruͤckſicht fuͤr’s Violinſpiel ihm nicht geſtattete durch eigentlichen Kraftaufwand und heftige Bravouren ſich abzuarbei - ten; denn er hatte ſeine Muskeln und Nerven zu ſchonen, und ſich in Ruhe zu halten, wenn er ein Adagio geigen wollte. So blieb ihm alſo die Aus - ſicht, ein ganzes Leben hindurch auf das zu verwen - den, was er, waͤhrend er es eingeuͤbt, nur fuͤr eine Stufe zu anderen, groͤßeren Verſuchen betrachtet hatte. Das war nicht denkbar, dabei konnte er nicht aus - dauern. Es iſt nur Brodneid, der ſie ſo ſprechen lehrt, ſagte er; ich will ſchon etwas Neues heraus - gruͤbeln und ſie alle zu Schanden machen.
Und nicht nur jene Langeweile, welche ſein oͤffent - liches Auftreten und der mit demſelben verbundene gleichfoͤrmige Beifall ihm erregte; mehr noch die Abhaͤngigkeit, in welcher ſein Verhaͤltniß mit Laura ihn feſthielt, druͤckte den urſpruͤnglich heitern, freien Sinn danieder. Er nahm, wie uns bekannt, noch nichts ein. Madame Amelot beſtritt ſeine Exiſtenz, denn ſie wollte nicht einmal, daß er bei Guillaume17 wohne; oder ſpeiſe, wo Madame Adelaide die Hon - neurs machte. Da ſie nun eben ſo unziemlich fand, mit ihm gemeinſchaftliche Wohnung zu haben, ſo ſtiegen die Ausgaben doppelt. Mochte ſie immerhin laͤchelnd verſichern, ihr kleiner Schatz ſei groß genug, um nicht ſo bald erſchoͤpft zu werden, — immer blieb ſie es doch, welche gab; — und das fand Anton im Grunde ſeiner unwuͤrdig. Moͤglich, daß er es nicht ſo ſtreng mit dieſer ſeiner maͤnnlichen Wuͤrde genommen haͤtte, waͤren nicht bereits einige Auftritte vorgefallen, die ihn darauf hinwieſen, daß Laura bei all’ ihrer ſcheinbaren oder wirklichen Gleichguͤltigkeit gegen Mein und Dein, doch recht wohl wiſſe, wie ſie es ſei, die durch ihrer Boͤrſe Gewicht, das Gewicht der Oberherrſchaft behaupte.
Durch ihr entſchiedenes Ein - und Auftreten in die Garderobe, — wie wir es am Schluſſe des vori - gen Kapitels ſchilderten, — war Anton, obwohl er die Aufdringlichkeit der Frau Adelaide keinesweges loͤblich, ja fuͤr ſich nicht einmal ſchmeichelhaft fand, doch verletzt worden; hatte ſeiner Freundin auch un - umwunden eingeſtanden, daß ſie ihn damals behandelt habe, wie einen Schulknaben. Noch ſchlimmer jedoch drohten ſich jene Zerwuͤrfniſſe anzulaſſen, welche durchDie Vagabunden. II. 218vielerlei an ihn ergehende zaͤrtliche Zuſchriften herbei - gefuͤhrt wurden. Manche derſelben trugen zwar unverkennbare Spuren niedriger Herkunft, weshalb ſie nicht einmal zur oberflaͤchlichſten Eiferſuͤchtelei Anlaß boten; dagegen wieder verleugneten andere um ſo weniger die Berechtigung ihrer Abſenderinnen, recht reiche Wappen zu fuͤhren, als ſich letztere, in feinſtem Lack abgedruͤckt, rein und lockend auf den Briefhuͤllen zur Schau ſtellten. Gewoͤhnlich in franzoͤſiſcher Sprache abgefaßt, — denn wer ſollte in anderer mit „ Monſieur Antoine aus Paris “anknuͤpfen wollen? — ſprachen ſie den Wunſch aus, die naͤhere Bekanntſchaft eines jungen liebenswuͤrdigen Kuͤnſtlers zu machen, der ... und ſo weiter. Da Madame Amelot nicht zur Truppe gehoͤrte, mochte ihre Exiſtenz den meiſten Schreiberinnen eben ſo unbekannt ſein, als Antons Stellung zu ihr. Er galt fuͤr frei! — Madame Amelot hatte ſehr ſchlaue Vorkehrungen getroffen, damit jedes an Anton gerichtete Schreiben ihr zukom - men moͤge. Er erfuhr den Jnhalt der ſuͤßen Blaͤtter immer erſt aus den bittern Worten, in welche die Geliebte ihn kleidete. Auch ließ ſie die naͤhere Be - zeichnung jener Orte, wo man ihm zu begegnen hoffte, ſtets ein Geheimniß fuͤr ihn bleiben. Er waͤhrte nicht19 lange, ſo galt der ſchoͤne Antoine bei gewiſſen galanten Damen von Stande fuͤr einen ausgeſproche - nen Weiberfeind. Dies und die Neckereien ſeiner Genoſſen, welche ihn ſpoͤttiſch bedauerten, daß Laura’s Aufſicht gar zu ſtreng ſei, ihm gar keine Freiheit goͤnne! verbunden mit dem eigenen Bewußtſein von unaufloͤsbarer Abhaͤngigkeit; — wurde ihm gar bald zur ſchweren Strafe fuͤr eine leichtſinnig eingegan - gene Verbindung. Seine Zaͤrtlichkeit erkaltete, das trug dazu bei, die Freundin argwoͤhniſcher zu machen, ihre Eiferſucht zu ſteigern. Bald wurde ihm ein Joch, was im Beginn ein Blumenkranz geweſen.
Doch ſein Schutzgeiſt wollte nicht, daß er zum luͤgneriſchen Heuchler werden, daß er die liebliche Freundin durch falſche Worte taͤuſchend, ſich inner - lich ganz von ihr abwenden, daß er Zerſtreuung und wilden Troſt im Betruge ſuchen ſolle. Was ihn retten konnte lag nahe: die Trennung ohne ſeine Schuld. Eingeleitet ward ſie durch ein Ereigniß, welches ſeinem Herzen nur Ehre macht, und welches wir ſogleich mittheilen werden. Vollendet ward ſie durch Dazwiſchenkunft eines Dritten der auch ſchon unterwegs iſt.
Wie ſtets geſchieht,[w]o Kunſtreiter in großen2 *20Staͤdten laͤngeren Aufenthalt machen, hatte ſich auch in B. eine Anzahl taͤglicher Beſucher geſammelt, die Theilnahme fuͤr die Reitkunſt, Paſſion fuͤr Pferde - Dreſſur, Bewunderung fuͤr dieſes oder jenes Frauen - zimmer, Muͤſſiggang, Gewohnheit, wohl gar ein poetiſch-romantiſcher Hang dahin zieht, wo die nuͤch - ternſte, niedrigſte Proſa ſich hinter gleißende Gewaͤn - der, fremde Sprachen, drohende Gefahr und Sinnen - reiz oft ſo gluͤcklich zu verbergen weiß, daß nur ein ſcharf geuͤbtes Auge ſie herauszufinden vermag.
Die aus den verſchiedenſten Lebensaltern durch - einander geworfenen habitue’s — (ich finde kein ſo bezeichnendes deutſches Wort) — vom Greiſe bis zum Knaben herab, durften der Mehrzahl nach fuͤr Nebenbuhler des Bajazzo erklaͤrt werden: ſie verein - ten ſich in Bewunderung fuͤr die Perſoͤnlichkeit von Madame Adelaide. Doch konnte dieſe Bewunderung nicht hindern, daß jeder Kenner der Sache in Demoi - ſelle Adele Jartour die beſſere, elegantere Reiterin, die ſinnige Darſtellerin ihrer kleinen Sattelſcenen, die Grazie im allgemeinen erkannte, wo Madame Ade - laide mehr durch uͤppige Schoͤnheit glaͤnzte. Dieſe aber war die Frau nicht, andere Goͤttinnen zu dulden neben ſich; ſie hatte dem un[t]er ihrem Pantoffel gleich -21 muͤthig dahin wandelnden und dirigirenden bon homme von Gatten das Engagement der Jartour lediglich geſtattet, weil dieſe ihr an Teint, Fuͤlle, Koketterie leicht beſiegbar ſchien und weil ſie der Hoffnung lebte, ſie werde der Beſcheidenen den Sie - geskranz eben ſo leicht vom Haupte reißen, als ſie aus der gleichnamigen, volltoͤnenden „ Adelaide, “bereits eine demuͤthig klingende „ Adele “gemacht. Auch gab man der Armen ſchlechte Pferde, placirte ſie unvortheilhaft, geſtattete ihr nicht darzuſtellen was ſie wuͤnſchte, kurz legte ihr jedes Hinderniß in den Weg, wodurch man aber dennoch nicht dazu gelangte, ſie in der oͤffentlichen Meinung herabzuſetzen. Waͤh - rend die Parthei der Madame Adelaide ſich bei deren erquaͤlten und einfoͤrmigen Attituͤden die Haͤnde wund klatſchte, blieb die Mehrzahl der Zuſchauer kalt. Dagegen bei der Jartour, wo niemand aus dem Direktions-Winkel das Zeichen gab, erhoben ſich alle Unbefangenen zu lautem, vielſtimmigem Lobe.
Das aͤrgerte die Prinzipalin. Waͤre etwas im Stande geweſen, ſie abzumagern, dieſer Aerger muͤßt’ es auf die Laͤnge gethan haben. Sie jedoch war ſich am Beſten bewußt, daß ihr Fleiſch ſie zu dem machte, was ſie ihren Verehrern galt; ſie wollte es à tout22 prix konſerviren und deshalb ſollte nun die Jartour vertrieben werden. Haͤndel mit ihr zu beginnen, einen Zwiſt herbeizufuͤhren und dann den Gemahl zu zwingen, daß er ſie entlaſſe, — das war unaus - fuͤhrbar. Wer konnte dieſes ſanfte, nachgiebige, duldſame Geſchoͤpf, — auf dem Roſſe eine Loͤwin, auf dem Boden ein Lamm, — dazu verleiten, in einen Skandal einzugehen? Haͤtte Madame ihr ohne Urſach eine Ohrfeige auf die rechte Wange gegeben, Adele wuͤrde in Demuth die linke auch dargeboten haben. Folglich wurde beſchloſſen, daß Engagement ihr zu verleiden: ſie ſollte kuͤndigen; ſie ſollte erklaͤren, daß ſie ſcheiden wolle!
Dazu benuͤtzte Madame Adelaide ihre dienſtwil - lige Klike und Klake; blieb, um dieſelbe aufzumun - tern ſchon acht Tage vor Ausfuͤhrung der veraͤchtlichen Kabale ſtundenlang im Gedraͤng ihrer albernen Kur - macher ſtehen, jeder Zudringlichkeit Stich haltend; zum groͤßten Aerger Bajazzo’s, der verſchiedenemale, wie aus Verſehen, ſeine ſpitze, graue Hanswurſt - Muͤtze, einem Donnerkeil aͤhnlich dazwiſchen ſchleu - derte. Waͤhrend dieſer acht Tage vernahm man jedesmal wenn die Jartour den Cirkus verlaſſend, ihre Verbeugung machte, anhaltendes Ziſchen und23 Pfeifen von den hintern Plaͤtzen, welches bisweilen ſo anhaltend wurde, daß die Beifallſpendenden ſich einſchuͤchtern ließen und verſtummten; worauf dann die Erſtaunte verlegen und beſchaͤmt nach Hauſe wandern mußte.
Anton, der ſich unverhohlen uͤber dieſe vollkom - men ungerechten Feindſeligkeiten ausgeſprochen und ſich daruͤber empoͤrt erklaͤrt hatte, weil er die Jartour und ihr Talent achtete, legte ſich jetzt auf’s Beobach - ten und gerieth bald auf den Zuſammenhang des Komplottes. So bemerkte er zuerſt, daß ein junges Herrlein, wie ihm ſchien um mehrere Jahre juͤnger als er ſelbſt, den Ziſchern im dritten Range oͤfters Zeichen und Winke gab. Einer derſelben war es denn auch der eines Abends, mitten in den Tumult hinein, nach der Reiterin einen Blumenſtrauß warf, wie ſie eben vom Pferde ſtieg. Sie blickte ſchuͤchtern auf die unerwartete Gabe, zoͤgernd, ob ſie wagen duͤrfe, ſich derſelben zu bemaͤchtigen. Doch als ſie es endlich that und eine große Anzahl von Zuſchauern Beifall dazu klatſchte, erhob ſich das boͤswillige Geziſch mit ſolcher Energie daß kein Zweifel blieb: die Blumenſpende war nur angeordnet geweſen, damit ſich eine neue Schmach daran knuͤpfen laſſe.
24Doch ſollte dieſer Abend nur der Vorlaͤufer eines zweiten, noch boshafter angelegten Planes ſein. Anton bekam davon eine Ahnung, die noch geſteigert wurde, als er kurz vor Beginn der Vorſtellung das junge Herrlein mit jenem gehorſamen Ziſcher vom letzten Range, bei einem Geſpraͤch belauſchte. Nur die duͤnnen Bretterwaͤnde der Garderobe trennten ihn von dem fluͤſternden Paare. Er vernahm die Frage: Habt ihr ſie hier? und die darauf erfolgende Ant - wort: „ Sehr wohl, Herr Graf, Friedrich hat ſie oben bei ſich im Futterſack! “ Ob er gleich den Sinn dieſer Worte nicht ganz verſtand, genuͤgten ſie doch, ihn eine neue Feindſeligkeit gegen die Verfolgte erwarten zu laſſen; weshalb er gewiſſermaßen auf dem Sprunge ſtand; ſchon im Voraus bereit, zu verhin - dern, was er etwa verhindern koͤnne; oder zu raͤchen, was zu verhindern unmoͤglich ſei.
Als Madame Adelaide heut erſchien, flog ihr ein Blumenregen entgegen, und aus derſelben Ecke des letzten Platzes, wo abermals jener dem jungen Herr - lein vertraute Diener Poſten gefaßt, ſchien ſich ein Wolkenbruch von Straͤußen und Kraͤnzen zu ent - laden. Dies zu ſehen troͤſtete Anton beinahe, denn er wurde geneigt zu glauben, es ſeien eben dieſe harm -25 loſen Blaͤtter und Bluͤthen geweſen, nach denen der verliebte Juͤngling gefragt, und die ſeine Helfer, proſaiſch genug, in einem Futterſack herbeigeſchleppt. Mag ſich das eitle Weib meinetwegen in Blumen erſticken laſſen! dachte er; was kuͤmmert’s mich? Wenn ſie nur der armen, wehrloſen Adele kein Leid zufuͤgen!
Die zweite Abtheilung begann; die Reihe ſie zu eroͤffnen war an Adele. Mit niedergeſchlagenen, rothgeweinten Augen, denen man den Schmerz uͤber die geſtern erlittene Kraͤnkung noch anſah, ſchwang ſich die Jartour auf’s Pferd. Anton, obgleich es nicht ſein Tag war, hatte ſich ſelbſt zum Manègen - dienſt erboten, um fuͤr alle Faͤlle bei der Hand zu ſein und folgte dem Stallmeiſter, der die Leitpeitſche fuͤhrend und den Gaul antreibend, ſeine uͤblichen kleinen Kreiſe beſchrieb; auch uͤberreichte er der Jar - tour ihre Fahne, mit der ſie den großen Rundlauf zu machen hatte und die ſo konſtruirt war, ſich durch einen Griff in zwei Fahnen theilen zu laſſen, welche dann lebhaft geſchwungen wie Blitze um die dahin - fliegende Reiterin ſauſten. Jn dem naͤmlichen Moment, wo die Kapelle das fuͤr die Carrière beſtimmte raſchere Tempo einſetzte, flog eine ſchwarze26 Katze uͤber die Koͤpfe der Damen welche die vorderen Plaͤtze einnahmen, in die Manège. Das ungluͤckliche Thier, deſſen Tod fuͤr ſolchen niedertraͤchtigen End - zweck vorher gewaltſam beabſichtiget worden, hatte ſich, der dieſen Geſchoͤpfen eigenthuͤmlichen Lebens - zaͤhigkeit gemaͤß, von der erſten Betaͤubung erholt, waͤhrend es im bewußten Futterſack ſteckte, und ſuchte nun, ſchwer verletzt, aus einigen Wunden blutend, von Schmerz gequaͤlt, im wilden Todeskrampfe mit ſeinen ſcharfen Krallen zu packen, was ſich ihm dar - bot. Der Wurf der es heruͤbergeſchleudert war ſo geſchickt berechnet, daß dieſes gemarterte Geſchoͤpf vor der Stirn des weißen Schimmels, den die Jar - tour ritt, haͤngen blieb, wo es ſich wuͤthend mit allen vier Pfoten anklammerte, des Pferdes Augen ver - letzte und in deſſen Naſe verbiß. Der Schimmel, ein ohnedies ungeſtuͤmes und gefaͤhrliches Thier, — Dank ſei der liebevollen Fuͤrſorge von Madame Ade - laide, die ihn fuͤr Adele ausgewaͤhlt! — that, was auch ein kindfrommes Schulpferd in ſolchem Falle gethan haben wuͤrde! Es machte ungeheure Saͤtze, ſchlug vorn und hinten aus, ſtieg hoch in die Hoͤhe, daß es ſich zu uͤberſchlagen drohte, und weder Stall - meiſter noch Reitknechte waren raſch genug, einen27 entſchiedenen Entſchluß zu faſſen. Adele, da ſie durchaus nicht begriff, was vorgefallen ſei, befand ſich gaͤnzlich außer Faſſung und hielt, mehr erſtaunt und erſchreckt, als fuͤrchtend, mit beiden Haͤnden die Maͤhnen feſt. Dieſer peinliche Zuſtand waͤhrte aber nur einige Sekunden lang. Schon hatte Anton eine der zu Boden gefallenen Fahnen ergriffen, mit deren Stiele die ſterbende Katze herabgeſchlagen, des Pferdes Zuͤgel gepackt und ſich mit ſolcher Gewalt daran gehaͤngt, daß es ſich auf einen Augenblick ver - hindert fuͤhlte, zu baͤumen, oder auszuſchlagen. Dieſer Augenblick gab Adelen ihre Faſſung wieder, ſie ließ ſich mit der ihr eigenen Geſchicklichkeit zu Boden gleiten, kam unverſehrt im weichen Sande an, erhob ſich dann und ſchuͤttelte fuͤr’s Erſte den Staub von ihren Gewaͤndern. Unterdeſſen hatte Anton das raſende Pferd ſich ſelbſt uͤberlaſſen muͤſſen, wollte er nicht von deſſen Hufen zerſchmettert werden. Es ſetzte ſchaͤumend, ſeiner zwiefachen Laſt entledigt, doch nicht ſeiner Schmerzen, uͤber die ungeoͤffneten Thuͤrfluͤgel der Barrièren hinaus. Nach und nach gelangten denn auch die Zuſchauer aus ihrer erſten Verbluͤfftheit zum Bewußtſein deſſen, was ſich eigent - lich zugetragen. Von allen Seiten wurden Stim -28 men laut, welche die Zuͤchtigung des Nichtswuͤrdigen begehrten; dieſer jedoch hatte ſich, wie die naͤchſten Nachbarn verſicherten, ſammt ſeinen Kameraden bei Zeiten davon gemacht. Jn das verworrene Durch - einander-Geſchrei rief Anton mit kraͤftigem Tone, und in einem Deutſch, welches aus „ Antoine’s des Pariſers “Munde in Erſtaunen ſetzen mußte: „ Meine Herrn, geben Sie ſich keine Muͤhe, einen Elenden zu verfolgen, der nur das Werkzeug dieſer Jnfamie war, hier hab’ ich die Ehre, Jhnen den Urheber zu zeigen. “ Zugleich ſchritt er, vor Wuth und Zorn gluͤhend, auf den Juͤngſten von Adelaidens Anbetern zu, und gab ihm mit der noch blutigen Fahne einen Schlag. Lauter Beifallsruf folgte dieſem Schlage. Der Ge - troffene wollte ſich auf Anton ſtuͤrzen; mehrere von der Truppe, Furioſo obenan, warfen ſich dazwiſchen und trennten ſie. Von den Herren, die in des jun - gen Grafen Naͤhe geſtanden, blieb nicht Einer am Orte; ſie zerſtreuten ſich eiligſt. Sicherheitsbeamte machten durch ernſtliches Einſchreiten Ordnung. Die Repraͤſentation ging, wenn auch matt und lahm, dennoch zu Ende, nachdem Anton ſowohl, als ſein Gegner, veranlaßt worden waren den Cirkus zu mei - den; mit dem Bedeuten, die Sache werde bei der29 Behoͤrde anhaͤngig gemacht und unterſucht werden. Eine Drohung die ſpaͤter nicht erfuͤllt wurde, weil ſich kein Klaͤger meldete und man zuletzt froh war, die haͤßliche Geſchichte nicht weiter aufruͤhren zu muͤſſen.
Laura verſchonte Anton nicht mit Vorwuͤrfen uͤber ſeine unberufene Einmiſchung. Auch knuͤpfte ſie, — aͤcht weiblich, — die Bemerkung daran: es naͤhme ſie Wunder, daß er die Fahne fuͤr eine Gegnerin von Madame Adelaide ſchwinge! Wahrſcheinlich ziehe er aͤtheriſche, das heißt magere Geſtalten, den profanen irdiſchen vor! Und dann freilich duͤrfe ſie, neben einer Jartour, die in Fleiſchloſigkeit excellire, nicht in die Schranken treten!
Dieſe ungerechten Neckereien aͤrgerten Anton um ſo heftiger, weil er in Beziehung auf ſeine Theil - nahme fuͤr Adele wirklich nicht ganz unbefangen war. Er verließ, ohne etwas zu erwiedern, Madame Amelot. Und dies war, ſeit ihrer Verbindung, der erſte Abend, welchen ſie von einander getrennt zu - brachten.
Ein Zweikampf, der nicht zu Stande kommt. — Herr Amelot. — Eiferſucht ohne Liebe. — Adele trennt Anton von Laura.
Am naͤchſten Morgen verſpuͤrte Anton nicht die geringſte Luſt, nach der Manège zu gehen um ſich zu uͤben; was er doch ſonſt niemals unterließ. Er blieb in ſeinem Stuͤbchen und las.
Da pochte es kaum hoͤrbar an die Thuͤr. Er waͤhnte, das ſei Lara, die ihn zu verſoͤhnen komme, woruͤber er eigentlich Freude empfand. Doch that er ſich Gewalt an und gab ſein: entrez! ſo muͤrriſch als moͤglich.
Die Jartour ſtand vor ihm.
Er ging ihr freundlich entgegen, indem er ſich zuvoͤrderſt entſchuldigte, daß er geſtern Abend ver - ſaͤumt habe, ſich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
Jhr Befinden, erklaͤrte ſie, waͤre recht gut. Dann verſtummte ſie wieder. Zitternd, wie eine verſchaͤmte Bettlerin ſtand ſie vor ihm, ohne ihn anzublicken. Er noͤthigte ſie zum Sitzen. Sie ſchuͤttelte ver - neinend den Kopf — und ſchwieg. Anton war ſehr verlegen, denn er wußte durchaus nicht, was er mit dieſem ſprachloſen Gaſte beginnen werde? Jn ſeiner31 Verlegenheit fragte er hin und her: ob ſie heute auf - treten werde? — was der Schimmel mache? — wie ſich Madame Adelaide geſtern noch benommen? — was der Direktor ſage? — nur um zu ſprechen. — Doch vergebens: ſie blieb ſtumm.
Nun gerieth er foͤrmlich in Angſt. Zwar wußt’ er, daß ſie nur gekommen ſei, ihm zu danken; daß ſie dafuͤr keine Worte finde, weil ſie ſich bedruͤckt fuͤhle, ihn bis jetzt ſo unfreundlich behandelt zu haben; und ſchon wollte er, dieſe peinliche Empfindung in ihre Seele hinein mit fuͤhlend, ſo unzart ſein, dieſen Punkt zur Sprache zu bringen; blos damit auch ſie endlich die Sprache finden moͤge; ... da vernahm er die Treppe herauf Fußtritte, Sporengeklirr, Saͤbelgeraſſel. Aufhorchend deutete er mit der Hand nach der Thuͤr. Aber in dem naͤmlichen Augenblick fuͤhlte er, noch eh’ er ſie zuruͤckziehen konnte, ſeine Hand an ihren Lippen, von heißen Thraͤnen benetzt. Pardon, Antoine! fluͤſterte ſie entfliehend. — Die Thuͤr ging auf. Ein junger Offizier ſtand ihr gegenuͤber.
Nun gab es eine Scene, deren ſtummes Spiel vielſagend genannt werden darf.
32Der erſte Blick des Eintretenden richtete ſich, nicht ohne ironiſches Laͤcheln, auf Anton, der den - ſelben ernſthaft erwiederte und von deſſen finſterer Stirn er nach Adelen glitt, als wollt’ er ſagen: Deshalb alſo, Demoiſelle, kaͤmpft dieſer Ritter fuͤr Sie?
Adele aber, vor einer Minute noch ſprachlos ver - worren, niedergeſchlagen, vor Anton bebend wie ein Kind vor dem zuͤrnenden Lehrer, ſtand jetzt feſt und ſicher vor dem Fremden. Sie gab ihm ſeine fragen - den Blicke muthig zuruͤck und darin lag eine Antwort; eine ſo entſchiedene, unzweifelhafte Antwort, daß der Spott im Angeſichte des Lieutenants ungeheucheltem Erſtaunen wich: um ſo raſcher wich, weil die Spuren innigſter Thraͤnen noch ſichtbar blieben auf des Maͤdchens Wangen.
So verging ein ganzes Weilchen bis der Fremde die im freundlichſten Tone geſprochenen Worte fand: „ Wenn ich ſtoͤre — “
Keinesweges, unterbrach ihn die Jartour. Jch kam, zu danken. Dies iſt geſchehen. Doch kann ich mich nicht entfernen, ohne Sie, mein Herr, zu ver - ſichern, daß dieſes Wort des Dankes das erſte geweſen, welches zwiſchen Jhm und mir gewechſelt33 wurde. Verzeihen Sie, Antoine, daß ich es ſage: ich thu’ es nur um Jhretwillen. Denn was liegt an mir? —
Und nun, Herr Lieutenant, fuhr Anton fort, nachdem Adele ſie verlaſſen, was ſteht zu Jhrem Befehle? Doch ſprechen wir in unſerer Sprache, bitt’ ich; Sie hoͤren, ich bin ein Deutſcher.
„ Jhre Erklaͤrung, “erwiederte der Offizier, „ giebt mir einen erwuͤnſchten Uebergang, gleichſam zur Einleitung fuͤr das unangenehme Geſchaͤft welches mich hierher fuͤhrt. Sie ſind kein Franzoſe, obgleich Sie dafuͤr gelten? So waͤre denn vielleicht auch wahr, was als Geruͤcht zu unſern Ohren gelangte: daß Sie, von hoͤherem Stande, Jhren gegenwaͤrtigen nur in jugendlich-uͤbermuͤthiger Laune erwaͤhlt haͤtten? Daß Sie von Geburt waͤren? Daß Sie vielleicht naͤchſtens, wenn Sie des Scherzes, oder jener erotiſchen Beweg - gruͤnde, die Sie zu ſolcher Verkleidung brachten, muͤde ſind, Jhren Namen wieder tragen und die Jugendthorheit belaͤcheln duͤrften? “
Und in welcher Abſicht, mein Herr, ſtellen Sie mir dieſe Gewiſſensfragen?
„ Jn der redlichſten von der Welt. Sie haben geſtern den jungen Grafen Louis groͤblich inſultirt. Die Vagabunden. II. 334Welche Motive Sie dafuͤr hatten, will ich nicht unterſuchen; eben ſo wenig, als ich den verzogenen Schlingel rechtfertigen mag. Jch will Jhnen ſogar zugeſtehen, daß ich an Jhrer Stelle vielleicht noch heftiger gehandelt haͤtte! — mehr koͤnnen Sie von mir nicht verlangen. Aber wie die Sachen nun ein - mal liegen bleibt dem Beleidigten keine Wahl, als ſich mit Jhnen zu ſchießen auf Leben und Tod, — (fuͤr den Fall, daß Sie Satisfaktion geben koͤnnen!) — oder Sie bei naͤchſter beſter Gelegenheit uͤber den Haufen zu ſtechen, wie einen tollen Hund. Es iſt uͤbel, doch laͤßt ſich’s nicht aͤndern. Der Junge ſollte in unſer Regiment eintreten. Jch bin ſeinem Vater Verpflichtungen ſchuldig. Nach der geſtrigen Ge - ſchichte iſt nichts weiter zu thun, als ſo — oder ſo! “
Jch bin Jhnen ſehr dankbar, Herr Lieutenant, muß aber gleichwohl bekennen, das Geruͤcht war diesmal wieder zu voreilig. Ein Schleier liegt auf meiner Vergangenheit, das iſt richtig. Auch moͤchte wohl von Jhrem ſogenannten edlen Blute in meinen Adern wallen; doch iſt es auf nichts weniger als legitimen Wege dahin gelangt und da wir keinen Monarchen zu unſerer Dispoſition haben, der meine Geburt ſanktioniren und meine Mutter ſammt dazu35 gehoͤrigen Vorfahren in ihren Graͤbern nach-adeln koͤnnte, ſo wird Jhrem Graͤfchen nichts uͤbrig bleiben, als ein Baſtard, — oder der tolle Hund. Den erſteren anlangend ſteht er jederzeit zu Dienſten, ſo bald Sie und andere Ehrenmaͤnner der Meinung werden, daß ein Schimpf, den ſich der junge Herr ſelbſt zugefuͤgt, dadurch getilgt werden koͤnne? Den letzteren betreffend, — den tollen Hund naͤmlich — muß dieſer freilich auf Alles gefaßt ſein. Doch wuͤrde ich ſeinem Gegner anrathen, ſich auch auf Alles gefaßt zu machen; denn mit tollen Hunden, Sie begreifen wohl, iſt nicht zu ſpaßen.
„ Nehmen Sie mir dies ſchlecht gewaͤhlte Gleich - niß nicht uͤbel, Antoine, “fuhr jetzt der Lieutenant fort. „ Es paßt wahrlich am Wenigſten auf Sie, der Sie ſo ruhig und anſtaͤndig verhandeln. Jhren Spott gegen unſere Vorurtheile verſteh’ ich recht wohl und finde ihn aus Jhrem Standpunkte eben ſo natuͤrlich, als ſie dieſelben Vorurtheile natuͤrlich und begreiflich finden duͤrften, wenn Sie ſich auf unſern Standpunkt verſetzen wollten, oder koͤnnten. Auch ſoll nichts mich hindern, mir Muͤhe zu geben, daß ich ein Arrangement zwiſchen Louis und Jhnen, allen Vorurtheilen zum Trotz, herbeifuͤhre! Jch bin im3 *36Voraus uͤberzeugt, es wird Jhnen an Muthe nicht fehlen. “
Das kann ich wahrlich vorher nicht verſprechen, mein Herr Lieutenant, entgegnete Anton. Jch habe noch keinen recht klaren Begriff, von der Empfindung die es hervorbringt, wenn man genoͤthiget wird, um - zubringen, oder ſich umbringen zu laſſen. Aber ich zweifle nicht, daß es eine artige, allerliebſte Sache ſei, weil ſie ſo lange in der Mode bleibt und ſo anhal - tenden Beifall findet. Jch werde folglich zu innigem Danke mich verpflichtet finden, wenn Jhre Fuͤrſorge mir Gelegenheit goͤnnen will, auch durch dieſe Erfahrung meinen Lebenslauf zu bereichern.
„ Sie ſind ein Schalk, mein Lieber, “ſagte der Offi - zier. „ Doch wirkt Jhr Weſen und Benehmen ſo ver - ſoͤhnend-freundlich, ſo beruhigend, daß ich jetzt ſchon den verdruͤßlichen Skandal minder ſchwarz betrachte, als vor zehn Minuten, wo ich bei Jhnen eintrat. Jch werde den vortheilhaften den Sie auf mich her - vorgebracht, meinen Kameraden beſtens ſchildern. Vielleicht gelingt es unſerer Mehreren, die Form zu retten, ohne das Aeußerſte herbeizufuͤhren, vielleicht laͤßt ſich ein Knabenſtreich, — der obenein wie ich fuͤrchte, durch ein boͤſes Weib provozirt wurde,37 — als ſolcher behandeln, und wir beduͤrfen, wenn Sie zu einem ausgleichenden Worte ſich verſtehen wollen, wodurch Sie Jhre unuͤberlegte That als eine bewußtlos im Zorn vollbrachte erklaͤren, gar keiner Piſtolen? “
Thun Sie, was Jhnen paſſend ſcheint; ich zweifle nicht an Jhren guten Abſichten, und fuͤge mich im Voraus jeder Entſcheidung, die Sie zweck - maͤßig finden koͤnnen, indem ich Alles in Jhre Hand lege.
„ Dann, “rief der Lieutenant aus, „ legen Sie zuvoͤrderſt Jhre eigene Hand in die Meinige! Sie ſind ein braver Burſche; ich freue mich Jhrer Bekannt - ſchaft, und hoffe Sie bald wiederzuſehen. “
Sie ſchuͤttelten ſich recht herzlich die Haͤnde, wie ein Paar alte Freunde, und ſchon hatte der Lieutenant zum Gehen bereits mit ſeiner Linken die Thuͤr ergrif - fen, als dieſe ſich oͤffnete — und Laura eintrat.
Das ſtumme Spiel von vorhin wiederholte ſich, doch allerdings in ganz anderer Art.
Madame Amelot hielt den fragenden, forſchen - den Blick des Offiziers auch aus; ja, noch ſicherer, noch kecker als ihre Vorgaͤngerin; aber aus ihren Augen ſprach, wie ſie ihn erwiederte, nicht jene thraͤ - nenumſchleierte Reinheit, wodurch Adele jeden ſpoͤtti -38 ſchen Argwohn beſiegte. Laura zeigte ſich und gab ſich wie ſie war, deshalb konnte, — obgleich ſie wirk - lich dieſe Schwelle zum Erſtenmale betrat, — kein Zweifel obwalten, ſie komme als Herrin!
„ Diesmal, “ſprach der Lieutenant mit einem ver - traulichen Kopfnicken zu Anton, „ wuͤrd’ ich wirklich ſtoͤren, wie mir ſcheint! Adieu, Antoine, auf Wieder - ſehn! Madame, Jhr Diener! “
Anton war guter Laune. Die Liebenswuͤrdigkeit des gegneriſchen Vermittlers hatte ihn erheitert. Er baute Laura’s Entgegenkommen goldene Bruͤcken; die Verſoͤhnung bot keine Schwierigkeiten, und erſt nachdem ſie abgeſchloſſen und beſiegelt war, fiel der Schoͤnen auf’s Herz, daß ſie nicht zu Anton haͤtte kommen, ſondern vielmehr daheim harrend haͤtte ſchmollen und maulen muͤſſen, bis er bittend zu ihr gekommen waͤre. Dieſe tadelnswerthe Avance durch eiligen Ruͤckzug gut zu machen, ſtand ſie ſchon im Begriff, da klirrte es abermals die Treppen herauf und des Lieutenants Stimme ließ ſich von außen ver - nehmen: wenn er ungelegen ſei, wolle er ſpaͤter wie - derkehren. Daß er eintrete, um nur ein Ende zu machen, rief Laura aͤrgerlich und riß die Thuͤre weit auf. Der Gute war noch nicht ſichtbar da ſchickte er39 ſchon eine Entſchuldigung voran, indem er ſagte: „ ich komme mir vor, wie ein außerordentlicher Bot - ſchafter, der entſendet um Unterhandlungen anzu - knuͤpfen, zu fruͤh abreiſete; gleich nachdem er fort war hat zu Hauſe eine Staats-Umwaͤlzung Statt gefunden, die all’ ſeine diplomatiſchen Feinheiten unnuͤtzt macht. Waͤhrend ich vor einigen Stunden und ſeitdem ich bei Jhnen war, Beſter, iſt ſo viel geſchehen, daß ich gar nicht weiß, womit ich erzaͤhlend beginnen ſoll. Jhr Duell kann nicht zu Stande kom - men; auch dann nicht, wenn Sie vom reinſten und aͤlteſten Adel waͤren, denn Jhr Gegner iſt auf und davon! Es klingt unglaublich, doch leider muß ich’s glauben. Denken Sie: wir berathen geſtern Abend alles Ernſtes unter einander, was etwa geſchehen koͤnnte, den Schimpf des Fahnenſchwenkens von des Gelbſchnabels Kopf zu waſchen — und unterdeß ſchleicht er zu einer bewußten Dame, um bei ihr und von ihr, verſprochenen Lohn zu empfangen fuͤr die an Demoiſelle Adele veruͤbte Buͤberei. Eine gewiſſe luſtige Perſon eurer Truppe bekommt Wind, wird daruͤber zur traurigen, vielmehr zornigen Perſon; glaubt ſich in eigenen Rechten gekraͤnkt; ſprengt eine verſchloſſene Thuͤr, dringt ein und trennt das ungleiche40 Paar, — wodurch?? Durch den zwiſchen Beider Zaͤrtlichkeit geworfenen Leichnam ſelbiger Katze! ſo daß man das alte Spruͤchwort paſſend anbringen koͤnnte: womit Du ſuͤndigeſt ſollſt Du geſtraft wer - den. Aus dem geſtoͤrten Duett entſteht ein Terzett, in welchem, wie die Nachbarn behaupten, Bajazzo’s lederne Reitgerte taktirt haben ſoll. Der Reſt iſt Schweigen. Unſer fruͤhreifer Louis hat begriffen, daß eines Hanswurſten Peitſche tiefere Wunden ſchlage, als der Jartour blutige Fahne und iſt, nicht ohne ſei - nen Glaͤubigern heftigen Schreck zu bereiten, in aller Fruͤhe nach Hauſe gereiſet, allwo er ſeine Eltern fuͤrchterlich anzuluͤgen nicht ermangeln und auch an ſeinem uͤberzaͤrtlichen Papa einen glaͤubigen Hoͤrer finden wird. Jch jedoch habe bereits an die Mutter geſchrieben, und dieſer verehrungswuͤrdigen Frau die Wahrheit mitgetheilt, damit das verdorbene Soͤhn - chen durch ihren Einfluß wenigſtens etwas ſtrenger gehalten werden moͤge. Der alte Graf, — zwar an Jahren iſt er noch ein junger Graf, — nimmt mir dieſe Einmiſchung gewiß hoͤlliſch uͤbel; doch das iſt gleichviel; ich beſuche ſein Haus ohnedies nicht mehr, ſo lange der Schlingel von Sohn vorhanden iſt. Nun mein guter Antoine wiſſen Sie, was Sie wiſſen41 mußten, zur Ergaͤnzung unſeres erſten Zwiegeſpraͤch’s. Jch wiederhole Jhnen, daß wir uns freuen werden, Sie unter uns zu ſehen und empfehle mich der ſchoͤ - nen Dame zum Zweitenmale; diesmal um fuͤr’s Erſte nicht wieder zu belaͤſtigen. “
Laura beſaß ſchon genuͤgende Kenntniß der deut - ſchen Sprache, um den Hauptinhalt dieſes Berichtes zu faſſen, woran ſie ſich nicht wenig ergoͤtzte. Auch Anton fuͤhlte ſich gluͤcklich, ſo leichten Kaufs aus einer ſo kitzlichen Klemme befreit zu ſein.
Fuͤr ſein Verhaͤltniß bei der Truppe ſchien die Begebenheit nuͤtzlich. Madame Adelaide war, — fuͤr’s Erſte wenigſtens, — von ihren Praͤtenſionen zuruͤckgekommen, ſie ſchwieg beſchaͤmt zu der beifaͤlli - gen Theilnahme, die ſich jetzt neuerregt auf Adele und deren kuͤhnen Ritter richtete. Jhre Anbeter ver - loren ſich. Das Geruͤcht von der todten Katze hatte ſie zerſtreut.
Doch ſollte dieſe Ruhe und Selbſtzufriedenheit in welcher Anton’s Ehrgefuͤhl noch einmal einge - ſchlaͤfert ward, nur eine ſcheinbare, ſie ſollte nur von kurzer Dauer ſein.
Wenige Tage nach den ſo eben geſchilderten Vor - faͤllen, verbreitete ſich bei der Geſellſchaft ploͤtzlich die42 Kunde: Herr Amelot ſei eingetroffen, habe auch bereits dem Direktor eine Antritts-Viſite abgeſtattet, um ſich und ſeine Kuͤnſte zu offeriren.
Wir haben weiter oben Herrn Amelot, den von Laura getrennt-lebenden Gatten, Seiltaͤnzer genannt. Das war er eigentlich nicht. Jm Beginn ſeiner Lauf - bahn ſoll er ſich wohl auch in jener Richtung verſucht haben, doch ohne vorzuͤglichen Erfolg; weshalb er ſich ſpaͤter ausſchließlich zum Springer bildete und als ſolcher die hoͤchſt moͤgliche Wirkung erreichte. Seine Koͤrperkraft und Gewandheit konnte nur mit ſeinem Muthe, der jede Gefahr gering ſchaͤtzte, ver - glichen werden. Er trotzte dem Tode, wie wenn er ihn aufſuchen wollte; man ſah ſeine Haupt-Stuͤcke nicht ohne Schauder an. Doch in dieſem Schauder gerade beſteht fuͤr viele Zuſchauer, ja unglaublicher Weiſe fuͤr viele Zuſchauerinnen ein eigenthuͤmlicher Reiz; dieſer war es denn auch zunaͤchſt, der ihm — abgeſehen von ſeiner allerliebſten Figur, welche auch das ihre gethan, — Laura’s Neigung gewonnen. Sie nannte ihn zwar jetzt, ſobald von ihm die Rede war, nicht anders als: „ Ungeheuer, “wie wenn das ſein Taufname geweſen waͤre. Doch daß er ihr noch nicht gleichguͤltig ſei, und daß ſie oͤfter, als Anton43 nothwendig erachtete uͤber ihn klagte, ließ Letzteren nicht mit Unrecht vermuthen, das Ungeheuer ſei noch nicht gaͤnzlich aus ihrer Gunſt verbannt. Deshalb empfand er, vorzuͤglich in den Roſenmonden ſeiner Liebe zu ihr, nicht ſelten jene ruͤckwirkende Eiferſucht die um ſo peinigender quaͤlt, wenn ſie einem Unbe - kannten gilt und folglich einer geſchaͤftigen Phantaſie deſto weiteren Spielraum darbietet.
Jetzt war nun dieſer unbekannte Gegenſtand ſei - ner Unruhe anweſend, er ſollte ihn perſoͤnlich kennen, ſollte zugleich erfahren lernen, wie Madame Amelot ſich Herrn Amelot und ihm gegenuͤber benehmen werde. Eine gefaͤhrliche Probe, fuͤr beide Theile!
Laura empfand dies nur allzuſehr und ſuchte ſich zuvoͤrderſt den Ruͤcken zu decken, durch die Erklaͤrung: ſie werde nicht dulden, daß der Direktor das Unge - heuer engagire, wenn es aber wider ihren Willen geſchehe, werde ſie ohne Aufſchub abreiſen.
Und ich? fragte Anton; was wird mit mir? Bindet nicht mein Kontrakt mich fuͤr noch laͤnger als zwei Jahre an Guillaume?
„ So brich ihn und folge mir. “
Niemals, Laura, niemals. Es waͤre feig von uns Beiden. Deine Flucht muͤßte den Menſchen, der44 Dich unwuͤrdig behandelte, der Dich ſchlug wie Du behaupteſt — (ich begreife das nicht?) — argwoͤhnen laſſen, er ſei Dir noch gefaͤhrlich. Und ich will nicht zum Betruͤger an einem guten Manne werden, der mir wohlwollend entgegenkam. Zeige jetzt, wie eine Frau von Geiſt und Bildung ihre Stellung zu behaupten verſteht; halte den groben Luftſpringer durch kalte Hoͤflichkeit fern und wenn er ſich vertrau - liche Anreden erlaubt, ſo weiſe ihn mit der Bemerkung zuruͤck, daß er jedes Recht auf Dich laͤngſt verſcherzt habe.
„ Und wenn Du mir Scenen machſt? Wenn Du mich mit Eiferſucht plagſt? Gott, welche Exiſtenz! “
Fuͤrchte nichts. Jch werde Dich nicht plagen. Du ſollſt mit mir zufrieden ſein. So beſchloß Anton die Unterhaltung.
Aber Laura war nichts weniger denn zufrieden. Anton’s beſonnene Kaͤlte mißfiel ihr. Wenn er wenig - ſtens gedroht haͤtte, meinen Gemal zu toͤdten, mur - melte ſie, das waͤre doch etwas!
Jch habe durchaus nicht daruͤber klar werden koͤn - nen, warum Herr Amelot, Laura’s Bitten und Schmeicheleien bei’m Direktor entgegen; Adelaidens Einwendungen zum Trotz, — denn Letztere fuͤrchtete45 in ihm einen drohenden Rivalen des wiederum mit ihr verſoͤhnten, ein aͤhnliches Kunſtgebiet bearbeiten - den Bajazzo, — dennoch engagirt werden ſollte und entdecke keinen anderen Grund, als den ſtuͤrmiſchen Beifall, den er bei einigen Gaſtvorſtellungen fand und der Herrn Guillaume fuͤr die Kaſſe das Beſte folgern ließ.
Anfaͤnglich ging Alles gut. Amelot bekuͤmmerte ſich dem Anſcheine nach eben ſo wenig um Laura, als Laura um ihn, vielmehr machte er aus Leibeskraͤften ſeine Kur an Madame Adelaide, wodurch Bajazzo, der ſich die Palme des Salto mortale ohnehin durch ihn entriſſen ſah, melancholiſch wurde. (Ein melancho - liſcher Bajazzo gehoͤrte ſeiner Zeit uͤberhaupt nicht unter die Seltenheiten, ſo wenig, als ein hypochon - driſcher Harlekin. Und wenn ein ſolcher ſonſt nur Humor und Witz beſaß, wirkte er hypochonder und melancholiſch wie er war, durch den Kontraſt um ſo mehr; — als es uͤberhaupt noch Bajazzo’s gab! Die jetzigen Kunſtreiter geben es vornehmer, verachten den Bajazzo, tituliren ihre Spaßmacher „ clown “und letztere verfertigen ſo anſtaͤndige und vornehme Spaͤße, daß ein armer, ehrlicher Menſch meines Schlages nicht mehr im Stande iſt, je daruͤber zu46 lachen und ſich nach dem alten, verwieſenen Bajazzo vergeblich ſehnt.)
Anton fand nicht die geringſte Urſach’ zur Klage, mußte Laura’s Benehmen loben und wuͤrde auch vollkommen beruhiget geweſen ſein, haͤtte nicht das Verfahren der Jartour ihn ſtutzig gemacht. Dieſe naͤmlich, noch eben ſo wenig mit ihm redend, ihm noch eben ſo aͤngſtlich ausweichend wie ſonſt, ſchien ſich die Aufgabe geſtellt zu haben, Madame Laura Amelot in ihrer Beziehung auf Herrn Amelot zu uͤberwachen. Es ſtellte ſich beinahe dar, wie wenn ſie den Mann innig liebe, jeden ſeiner Blicke auf - lauern, auskundſchaften wolle, ob die von ihm getrennte Frau ſich auch nur verſtohlen nach ihm wende. Wo eine Moͤglichkeit ſich ergab, daß die Bei - den an einander voruͤbergehen, daß ſie, ſich begegnend, eine Silbe wechſeln koͤnnten, lauſchte Adele gewiß in irgend einem Verſteck. Wie dies Allen auffiel, entging es auch Anton nicht. Der Argwohn fluͤſterte ihm mit ſchneidender Stimme in’s Herz: nicht um Jhrer ſelbſt Willen uͤbt jene das beſchwerliche Waͤchteramt, ſie thut es fuͤr Dich! Und die natuͤrliche Folge davon war, daß auch er mißtrauiſch wurde, dies Miß - trauen trug ſich auf ſeinen Umgang mit Laura uͤber,47 verſtimmte auch ſie. Die unbefangene Freude des Zuſammenlebens ging verloren. Anton empfand, daß er im Herzen laͤngſt geſchieden ſei von ihr, die er zu lieben gewaͤhnt. Aber eingeſtehen mochte ſein Eigenſinn ſich’s nicht. Er war dennoch eiferſuͤchtig. Vielleicht nur aus Eitelkeit!
Eines Abends in die Garderobe tretend, um ſich raſch anzukleiden, findet er im Schube ſeines Toilet - tenſpiegels ein zum Knoten zuſammengekniffenes Zettelchen, worauf ihm in ſchlechtgeſchriebenen Zeilen der Rath ertheilt wird, heute noch eine Unpaͤßlichkeit zu verheucheln und ſeiner Dame zu ſagen, er muͤſſe nach vollbrachter Arbeit heim gehen, die Ruhe zu ſuchen. Dann aber ſolle er, bei Nacht, weiter ver - fahren, wie ſein Gefuͤhl ihn am Beſten belehren werde. Unterzeichnet war dies franzoͤſiſche Gekritzel: „ Von einem Freunde, der nicht will, daß ein edles Herz unwuͤrdig betrogen ſei. “
Noch im Kampfe mit ſich ſelbſt, ob er ſolch’ luͤgenhaften Kunſtgriff nicht verſchmaͤhen muͤſſe? kam ihm ein heftiger Herzkrampf zu Huͤlfe, der ihn ploͤtz - lich uͤberfiel und ihn um ſo mehr erſchreckte, als er ihm etwas voͤllig Fremdes war. Die Beaͤngſtigung wurde ſo ſtark, daß er ſeine Kameraden anſprach;48 dieſe riefen nach einem Arzte und der Arzt, zufaͤllig als Zuſchauer bei der Hand, erklaͤrte dem herbeige - holten Direktor, Herr Antoine ſei fieberhaft aufge - regt, es ſcheine wuͤnſchenswerth, daß man ihn vom Reiten freilaſſe. Das Programm des Abends wurde ſchnell geaͤndert, eine andere Nummer eingeſchoben. Laura erbot ſich, Anton zu geleiten, was dieſer ent - ſchieden abwies, mit der unwahren Verſicherung, er kenne aͤhnliche Anfaͤlle ſchon von fruͤher, brauche nichts als Ruhe und werde morgen friſch und munter ſein. Man beſorgte ihm einen Wagen und er verließ den Cirkus.
Der Anfall dauerte wirklich gar nicht lange. Die Tropfen die der Arzt ihm verſchrieben wirkten zauber - haft. Nach Verlauf einer Stunde fuͤhlte ſich der Kranke geſund, — bis auf jenes Leiden, welches kein Arzt zu heilen verſteht. Wie koͤrperlich erleichtert, ſo fand er ſich geiſtig unter deſto ſchwererem Drucke. Die Eiferſucht fuͤhrt, ihrem hoͤlliſchen Urſprunge gemaͤß, den Graͤuel mit ſich, daß ſie bereits erkaltete, gleich guͤltig-gewordene Herzen mit Flammenqualen martert, welche der Leidende fuͤr neu-auflodernde Liebe haͤlt, waͤhrend ſie doch nur vom Neide ange - facht werden, von Mißgunſt, Selbſtſucht, Eitelkeit;49 von den niedrigſten Maͤchten, die mit uns Sterblichen ihr Spiel treiben.
Laͤnger als bis gegen Mitternacht hielt es Anton nicht aus. Er verließ die Stadt und begab ſich durch das prachtvolle Thor hinaus nach Laura’s Gar - tenwohnung. Auf dem einſamen Fußpfade dahin, den er ſeit ihrem Aufenthalte in B. ſo oft mit entge - gengeſetzten Gefuͤhlen und Erwartungen zuruͤckgelegt, hatte ſich erſt ſeit geſtern, wo er ihn zuletzt betreten, eine ſolche Menge herbſtlich abgewehter duͤrrer Blaͤt - ter geſammelt, daß er beim Rauſchen derſelben vor ſeinen eigenen Tritten ſcheu wurde. Er blieb einen Augenblick ſtehen, aufhorchend, ob ſonſt in der Naͤhe ein Geraͤuſch zu vernehmen ſei. Jhn wollte beduͤnken vor ſich her Schritte im Laube zu hoͤren. Dieſer ſchmale, ſelten begangene Seitenweg fuͤhrte nur nach dem einen Hauſe deſſen oberes Stockwerk Laura inne hatte; niemand ſonſt wohnte darin, außer den Leuten, die es uͤber Sommer zu vermiethen und die Bedie - nung zu uͤbernehmen pflegten. Die Schritte des vor ihm gehenden konnten folglich nur dahin gerichtet ſein, wohin ſeine eigene Unruhe ihn zog. Er empfand wiederum die Beaͤngſtigung des Anfalls, den er im Ankleidezimmer gehabt und mußte ſich, bis ſie einiger -Die Vagabunden. II. 450maßen voruͤberging, an einen Baum lehnen. Dadurch gewann der vor ihm Gehende ſo viel Vorſprung, daß Anton, nachdem er ſich leidlich erholt, nichts mehr von ihm hoͤrte. Er beſchleunigte nun ſeinen Gang und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht. Jm Erdgeſchoß waren die Laden geſchloſſen; es herrſchte naͤchtliche Ruhe. Oben ſchimmerte Licht aus einem halbgeoͤffneten Fenſterfluͤgel, den man, wie es ſchien, nicht feſt zugewirbelt und mit welchem der Luftzug leiſe ſpielte. Anton wußte durchaus nicht, wie er am kluͤgſten verfahren ſollte. Gerade darum that er, ohne Vorbedacht, das Zweckmaͤßigſte: er unterließ jedes Zeichen, wodurch ſeine Gegenwart haͤtte kund werden koͤnnen, und erkletterte eine Pap - pel, die zwanzig Schritte vom Hauſe entfernt, dem halboffenen Fenſter gegenuͤber, ſich erhob. Erſt als er hoch genug war, das Lager des Feindes uͤberſehen zu koͤnnen, wendete er ſich ihm zu. Seine Vorgefuͤhle hatten ihn nicht getaͤuſcht: Herr Amelot war zugegen.
Wenn nun Dieſer oder Jener von meinen Leſern vermuthet, die Entdeckung habe dem Betrogenen wehe gethan, ſo iſt er, — was den Moment betrifft wenigſtens, — im Jrrthum. Das Erſte was Anton51 empfand, war Freude. Er umarmte die ſchlanke Pap - pel mit beiden Haͤnden, druͤckte ſie gleichſam an ſein Herz, als ob er ihr Dank ſagen wollte, daß ſie ihm Klarheit gegeben. „ Jch bin frei! “ So ſprach ſich ſeine Empfindung aus: „ Frei, — ohne Undankbar - keit; ohne Treuloſigkeit von meiner Seite! Frei, weil ſie mich betruͤgt! Frei, von einem ſchmaͤhlichen Zwange, dem ich mich als unerfahrener Knabe ver - kaufte! Jn welchem ich untergegangen waͤre, haͤtte mich dieſer geſeegnete Luftſpringer nicht erloͤſet! Lebe wohl, Laura! “
Dann ließ er ſich langſam herabgleiten.
Schon auf dem Heimwege entwarf er im Kopfe den Brief, den er, ſo wie nur der Tag da waͤre, an Madame Amelot ſenden wollte. Jn dieſen Brief ſchichtete ſein beleidigter Stolz Alles zuſammen, was ihn ſeither bedraͤngt hatte. Kaum daß er ſich Zeit genommen wenige Stunden zu ſchlafen, ſaß er am Tiſche, ſchreibend und die ſchoͤnſten franzoͤſiſchen Floskeln fuͤr ſeine ſchaarenweiſe herbeiſtroͤmenden, ſehr deutſchen Gedanken zu ſuchen.
So lange man in aͤhnlichen Lagen das Wort fuͤh - ren und kraͤftige Ausdruͤcke fuͤr gerechten Groll anwen - den darf, ſpuͤrt man den verletzenden Schmerz, ohne4 *52welchen der Bruch eines ſo lange beſtandenen Ver - haͤltniſſes ein fuͤr allemal nie bleiben wird, ungleich weniger; man troͤſtet ſich durch zornige Aufwallun - gen. Ganz anders jedoch geſtaltet ſich der inwendige Zuſtand, ſobald eine tuͤckiſche Wendung unſeres Ge - ſchickes uns dieſen Troſt „ des erſten Wortes “raubt; ſobald wir hoͤren oder leſen muͤſſen, was wir ſelbſt auszuſprechen vor Ungeduld brannten. Dies geſchah dem armen Anton. Waͤhrend er noch an ſeinem Abſageſchreiben drechſelte, brachte der Zetteltraͤger mit dem Anſchlagezettel des Tages, der Herrn Antoine als wieder hergeſtellt pomphaft verkuͤndete, ein zierliches, ſeiden-papiernes Epiſtelchen, deſſen Jnhalt wir, ſo gut und ſchlecht als moͤglich zu ver - deutſchen wagen:
„ Sie ſind ein zu braver Junge, Antoine, und waren mir zu theuer, als daß ich Sie betruͤgen oder taͤuſchen moͤchte. Deshalb ſag’ ich Jhnen ohne lange Vorrede: ich habe mich mit meinem Gemal ver - ſoͤhnt. Herr Amelot verlaͤßt das noch nicht feſt abgeſchloſſene hieſige Engagement. Der Direktor iſt nicht boͤſe daruͤber, — aus mehrfachen Gruͤnden! Und ich verlange es, aus den begreiflichſten von der Welt. Wir reiſen morgen, oder uͤbermorgen.
53Sie werden ſich leicht troͤſten, denn mehr oder weniger ſind Sie meiner uͤberdruͤßig. Jhnen und Jhrer Jugend nehm’ ich das nicht uͤbel. Jch bin zu alt fuͤr Sie und wenn ich auch immer noch eine ſchoͤne Frau bleibe, ſind Sie doch viel zu jung fuͤr mich. Was wollen Sie? Es war ein Jrrthum, von beiden Seiten. Doch war er manchmal ertraͤglich; nicht wahr?
Jhnen bluͤht noch Gluͤck genug auf Erden, wenn Sie es nur zu benuͤtzen verſtehen. Sie koͤnnen noch eine ſchoͤne Zukunft haben.
Die meinige wird nicht glaͤnzend ſein, ich weiß es. Dennoch folg’ ich ihr ohne Zagen.
Mein Gemal hat ſich nicht geaͤndert: er wird mich behandeln wie fruͤher. Ja, wenn er erſt wieder ganz ſicher in ſeinen Rechten iſt, wird er mich ſchlagen, mich betruͤgen, — wie ſonſt.
Und Sie fragen, warum ich ihm dennoch folge? Jch koͤnnte antworten, weil er ſich hinter meinen Beichtvater geſteckt und dieſer mir eine Wiederver - einigung als religioͤſe Pflicht auferlegt hat. Jch wuͤrde darin die Wahrheit ſagen, — doch auch eine Luͤge. Und fuͤr Sie hab’ ich nur Wahrheit.
Mein armer Antoine, Sie ſind ein gutes uner -54 fahrenes Kind. Sie wiſſen nicht, — (und woher ſollten Sie es wiſſen?) — daß Gott Weiber ſchuf, die gemißhandelt ſein wollen; die keine Ruhe finden, kein dauerndes Gluͤck an der Seite eines treuen, ergebenen, untergebenen Liebhabers; die des Tyrannen Fauſt fuͤhlen muͤſſen, gerade wie unſer großer Tiger, der nur gegen Pierre nachgiebig war, weil dieſer ihn oft halb todt ſchlug mit einer eiſernen Stange.
Apropos vom Tiger: Denken Sie noch an ihn, — an den Apfel, — an den Bradipus Urſinus — an meinen zerbrochenen Sonnenſchirm?? ... Mein huͤbſcher, kleiner Antoine; waren Sie damals dumm!? Gott der Goͤtter, war er dumm! Nun, etwas kluͤger iſt er jetzt; aber das kam mir theuer zu ſtehen; — oder vielleicht meiner Mutter. Die ſchoͤne Menagerie!
Jetzt adieu, Antoine! Halte mich nicht fuͤr ſchlecht. Jch bin ein Weib — voila tout Laura A.
Koko gruͤßt und dankt noch einmal ſeinem Retter aus den Schnaͤbeln der Kraͤhen. “
55Da ſaß er nun, hielt dies Blatt in Haͤnden; zer - riß das ſeinige und weinte; denn von allen bitter - kraͤnkenden Vorwuͤrfen, die er der Verraͤtherin machen wollen, ſchien jetzt keiner mehr zu paſſen.
Anton ſtürzt vom Pferde. — Adele wird ſeine Pflegerin. — Ein liebens - würdiger Arzt tritt auf. — Ein Jude im Leben und einer auf der Bühne. — Die Weinſtube.
Als Anton am Abend im Cirkus erſchien, wurde ihm lauter Beifallsgruß zu Theil, in den die Damen freudig einſtimmten. Doch ſah er ſehr leidend aus, was man auf ſein geſtriges Uebelbefinden ſchob und ihn um ſo huͤbſcher fand. Er war zer - ſtreut, — unachtſam, — verſaͤumte ſogar, was er ſonſt niemals unterließ, ſeinen Fuchs vorher zu lieb - koſen und dieſer ſchien eben ſo ſchlecht disponirt, eben ſo wenig bei der Sache wie ſein Reiter.
Beide hatten dieſelbe Urſach. Der Fuchs war daran gewoͤhnt, vor dem Eintritt in die Manège durch Laura begruͤßt, geſchmeichelt, mit Zucker gefuͤt - tert zu werden; Anton war daran gewoͤhnt, ſie auf dem Orcheſter zu erblicken; — und Laura fehlte! Da ging denn nichts zuſammen. Dreimal nahm das56 Thier falſches Tempo; dreimal mußte Anton ſtill halten und die Muſik von Neuem beginnen laſſen. Das machte ihn immer verdruͤßlicher. Er fing an, in ſein Pferd hineinzuſchlagen, wodurch er ihm den Verdruß mittheilte, ohne ſich davon zu befreien, und wie ein Ungluͤck niemals allein kommt, mußte gerade an jenem Abend eine ſehr alberne Dame, in der erſten Reihe ſitzend, ſich unendlich viel mit ihrer Schoͤnheit zu thun machen; an ihrer Kleidung ruͤcken, zupfen, putzen, wie ſchon manche Frauenzimmer nicht anders koͤnnen, in der Hoffnung ſich bemerkbar zu machen. Zum Ueberfluſſe warf ſie, weil ihr die unausgeſetzten Toiletten-Beſtrebungen eingeheizt, ihr rothes Umſchlagetuch uͤber die Barrière und zwar in dem Augenblick, wo Anton ſein Geigen-Solo begin - nend, ſo nahe bei ihrem Sitze war, daß der Kopf des Pferdes faſt daran ſtreifte. Der Fuchs uͤber dieſen unerwarteten Anblick erſchreckt, prallte wild zuruͤck, Anton ſtuͤrzte ruͤcklinks herab, ſchlug mit dem Hinter - kopf gegen einen Pfoſten und wurde bewußtlos vom Schauplatz getragen, was ſoviel Antheil und Bedauern erregte, daß die eitle Naͤrrin Zeit gewann zu entſchluͤpfen, bevor noch der Unwille der Anwe - ſenden ſich gegen ſie aͤußern konnte.
57Wir finden Anton auf ſeinem Lager, noch immer ohne Bewußtſein, den glatt geſchorenen Kopf mit Eisumſchlaͤgen bedeckt. Vor ihm ſtehen ſein Direk - tor, der Furioſo, der Arzt von geſtern und ein Wund - arzt. Es kann, aͤußert der Arzt, eine allerdings heftige, aber doch moͤglicherweiſe voruͤbergehende Erſchuͤtterung ſein, die gar keine bedeutenden Folgen haben wird; aͤußere Verletzungen, welche Beſorgniſſe erregten, ſind durchaus nicht vorhanden. Es kann aber ebenſo der Tod ſein! Daruͤber iſt morgen erſt zu ſprechen. Blut haben wir ihm gelaſſen. Jetzt iſt nichts nothwendig, als Ruhe und aufmerkſame Pflege, hauptſaͤchlich wegen des Eiſes, welches unaufhoͤrlich erneuert werden muß. Wenn Sie wollen, werd’ ich eine zuverlaͤſſige Krankenwaͤrterin ſenden ....
Da erhob ſich eine bleiche Geſtalt, das ausdruck - volle Antlitz durch tief eingefallene, verweinte Augen entſtellt, feierlich von dem Koffer, worauf ſie in einer dunklen Ecke des Zimmers geſeſſen.
Die Fremden erſchraken vor ihr.
„ Es iſt nur die Jartour, “ſagte der Direktor.
Und Adele an’s Lager tretend, legte die Hand auf’s Herz und ſprach mit einer Stimme die dem Arzte durch alle Nerven drang; die ſogar den ziemlich58 gleichguͤltigen Chirurgen ruͤhrte: ich, ganz allein! ich bitte!
„ Auf ſie koͤnnen Sie ſich verlaſſen, “fuͤgte der Furioſo bei; „ das iſt ein edles Herz. “—
Als die Jartour mit dem Kranken allein blieb ſank ſie auf ihre Kniee und betete: Heilige Jungfrau, erbarme Dich meiner! Jch bin ſeine Moͤrderin, wenn er ſtirbt! Laß ihn nicht ſterben! Meine Zuſchrift hat ihn von Laura getrennt. Er liebte ſie! Er liebt ſie noch; dieſe Trennung hat ihn krank gemacht; weil er krank war, verlor er die Kraft; deshalb iſt er geſtuͤrzt. Ohne mich waͤr es nicht geſchehen. Um meinetwillen, um Deines Sohnes Willen, erhalte ihn am Leben. Wenn er geneſet unter meinen Haͤnden, will ich mich gaͤnzlich dem Dienſte Gottes und der Kranken wei - hen. Jch will barmherzige Schweſter werden. Das iſt mein Geluͤbde.
„ Wo bin ich? “— mit dieſen drei Silben beant - wortete aus Anton’s Munde die heilige Jungfrau das Gebet einer glaͤubigen Suͤnderin. Dieſe wen - dete ſich, auf den Knieen liegend, zu ihrem Kranken und indem ſie ausrief: ich danke Dir, er wird leben; Du erhoͤrſt mich! winkte ſie ihm zu, er moͤge ſchweigen. Er gehorchte dieſem Winke nicht ſogleich,59 ſondern fragte erſtaunt: „ Die Jartour? Was bringen Sie mir? Was iſt denn vorgefallen? “
Da legte ihm Adele ihre Hand auf die Lippen, wiederholte den Befehl des Arztes, welcher Ruhe geboten und erzaͤhlte ihm dann, ſo ſchonend und beſchwichtigend als moͤglich, was mit ihm vorgegan - gen; wobei ſie fuͤr ſich die Erlaubniß erbat, ihn pfle - gen zu duͤrfen.
Fuͤrchten Sie nicht, Antoine, — mit dieſen ſanft geſprochenen Worten beſchloß ſie ihre Meldung, — fuͤrchten Sie nicht, daß irgend ein eigennuͤtziger Plan, eine zweideutige Abſicht, eine verſteckte Hoffnung in irgend einer Falte meines Herzens ſich verberge. Das Geluͤbde, welches ich an dieſer Staͤtte ſo eben ablegte, iſt ſchon in voller Guͤltigkeit. Jch gehoͤre nicht mehr der Welt. Wenn Sie geneſen ſind, mehr davon. Jetzt nichts als: Ruhe, — Schlaf — und fri - ſches Eis!
Durch Amelot’s raſche Abreiſe, wie durch Anton’s Niederlage verloren die Abende im Cirkus viel von ihrer Anziehungskraft. Da es ohnedies ſpaͤt im Jahre war, ſo dachte Herr Guillaume ernſtlich daran, ſich nach einer andern Stadt zu uͤberſiedeln, wo der Reiz der Neuheit die in ſeiner Truppe entſtandene60 Luͤcke verdecken koͤnne. Er hatte fuͤr Dr. bereits Vorkehrungen getroffen und wurde daſelbſt erwartet.
Anton befand ſich außer Gefahr. Doch behaup - tete ſein Arzt, daß jede zu fruͤhzeitige Anſtrengung unzulaͤſſig ſei; daß ſicherer fuͤr ihn gebuͤrgt werden koͤnne, wenn er in ungeſtoͤrter koͤrperlicher wie geiſti - ger Abſpannung verbleibe. Jhm alſo durfte man fuͤr’s Erſte den Aufbruch der Truppe gar nicht bekannt werden laſſen. Aber was ſollte mit ſeiner Pflegerin geſchehen? Wuͤrde er die Wahrheit nicht errathen, wenn ſie ploͤtzlich fehlte? Und wuͤrde er dann nicht darauf beſtehen, ihnen zu folgen? Oder, mit Gewalt zuruͤckgehalten, ſich in Ungeduld abquaͤlen und dadurch krank machen?
Der wohlmeinende Arzt, an ſeinem jungen Pa - tienten, den er liebenswuͤrdig fand, aufrichtigen Theil nehmend, geſtand offenherzig, daß er keinen rechten Rath wiſſe und uͤberließ es dem Scharfſinne der Jartour, mit welcher verſchiedene geheime Berathun - gen gepflogen wurden, ein Auskunftsmittel zu erſin - nen. Beſſer konnt’ er’s nicht treffen. Wo niemand Huͤlfe weiß, wird es uneigennuͤtziger aufopfernder Liebe damit gelingen, — wofern auf Erden noch Huͤlfe vorhanden. Adele erklaͤrte ſich bereit, mit61 Guillaume zu unterhandeln; ſchon beim naͤchſten Beſuch des Arztes konnte ſie dieſem, wie ſie ihm auf den Vorflur das Geleite gab, die erfreuliche Nachricht ertheilen, der Direktor habe ihr einen Urlaub auf unbeſtimmte Zeit bis zu Antoine’s voͤlliger Gene - ſung geſtattet; auch fuͤge ſich’s eben ſo gluͤcklich, daß derſelbe ein junges Ehepaar, welches bei einer anderen, zu Grunde gegangenen Reitergeſellſchaft außer Engagement kam, einſtweilen fuͤr Dr. benuͤtzen koͤnne, wodurch ihre, wie Anton’s Stelle einiger - maßen ausgefuͤllt ſei.
Deſto beſſer, erwiederte der freundliche Arzt; mit einer ſolchen Waͤrterin hab’ ich leichtes Spiel. — Durch welche Opfer das arme Maͤdchen dieſe Ver - guͤnſtigung erkaufen muͤſſe, danach fragte er freilich nicht. Sie aber noch weniger.
Nachdem Anton erſt ſo weit genas, daß er ſprechen, leſen, aufſtehen durfte, wurd’ es Adelen unmoͤglich, ihm laͤnger einen Theil der Wahrheit zu verbergen. Stuͤndlich fragte er ſie, warum denn gar niemand ſich um ihn bekuͤmmere? Warum nicht wenigſtens der Furioſo ſich blicken laſſe? Sie ſind abgereiſet, Antoine, antwortete die Jartour in dem tiefen, maͤnnlichen Tone, den Taͤnzerinnen und Reiterinnen haͤufig haben, der jedoch bei ihr von ſel -62 tenem Wohllaut war; ſie ſind abgereiſet, und mir hat Guillaume Urlaub gegeben, bis wir Beide ihn einholen koͤnnen. Er hat fuͤr dieſe Zeit Felix und deſſen Frau aufgenommen; wiſſen Sie, die bei Gautier waren. Der Mann ſpringt die Baͤnder und ſie nimmt in der Carrière vier Schnupftuͤcher mit den Zaͤhnen vom Boden: wenig Schule, doch viel Bra - vour; es iſt eben nur fuͤr unterdeß.
„ Aber Jhre Gagen, Adele? “fuhr Anton fort, der ſie dabei forſchend anblickte. „ Zahlt er Jhnen fuͤr dieſes Jnterim Jhre vollen Gagen? “— Und nach - dem einmal der Geldpunkt beruͤhrt war, ſchrak er heftig zuſammen, bei dem Gedanken an ſeine eigene Kaſſe. Er war ſeither daran gewoͤhnt aus dem Vollen zu leben; Laura hatte ihm niemals Zeit gelaſſen, zu uͤberlegen, wer ihre beiderſeitigen nicht geringen Ausgaben decke. Er fuͤr ſeine Perſon empfing ja, ſo lang’ er Eleve hieß, nicht das Geringſte; hatte kontraktmaͤßig keine Forderung zu machen. Von was lebte er denn jetzt? Wer beſtritt die Koſten ſeiner Exiſtenz, ſeiner Krankheit? Wovon ſollte er ferner leben?
Adele las in ſeinen Geſichtszuͤgen welche peini - genden Gedanken ihm wie Schlangen die Bruſt durchwuͤhlten. Sie gerieth in furchtbare Angſt, daß ſein Zuſtand ſich dadurch verſchlimmern werde. Aber63 ſie blieb ſtark, wie in ſolchen Augenblicken es nur ein Weib, nur ein liebendes Weib vermag: dieſelben Muskeln die ihrer ausdrucksvollen Phyſiognomie mit krampfhaftem Zucken den Stempel heftigen Schmerzes aufzwingen wollten, mußten einem ſtaͤrkeren Willen gehorchend, in lautes Gelaͤchter uͤbergehen. Jſt das ein Kind, rief ſie jubelnd aus; begreift er nicht, daß wir beide, er und ich, ſchon geſtern in’s Hospital haͤtten wandern muͤſſen, ohne Guillaume’s Groß - muth!? Nein, lieber Freund, machen Sie ſich keine Sorgen, Guillaume hat uns hinreichend verſorgt. Es liegt ihm ſo viel an Jhnen, und er iſt ſo erkennt - lich fuͤr die Vortheile die Sie ihm bereits gebracht, daß er ſich die kuͤnftig noch zu bringenden um jeden Preis ſichern will. Er weiß am Beſten, wer ihm die vornehme Damenwelt in ſeinen Cirkus zaubert. Einen ſolchen Magneten laͤßt man nicht verderben: hier iſt Gold, vollauf!
„ Das haͤtt’ ich nicht erwartet, “ſagte Anton tief aufathmend und vollkommen beruhiget; „ fuͤr ſo nobel hab’ ich „ Papa Bonhomme “nicht gehalten. Nun, es freut mich, daß ich ihm mein Unrecht abbitten darf und ich will all’ meine Kraͤfte aufbieten, reich - lich zu vergelten, was er an mir thut. “
Von dieſer Stunde an beſſerte ſich Anton’s64 Befinden zuſehend. Der Arzt geſtattete ihm bald, auszugehen. Doch von der Reiſe nach Dr. wollte er noch nichts wiſſen. Die laß ich ihn nicht eher unternehmen, aͤußerte er gebieteriſch, bevor nicht der dumpfe Druck im Kopfe, uͤber den er bisweilen noch klagt, gaͤnzlich vergangen iſt. Denn ſteckt er erſt wieder bei den Andern, ſo will er auch gleich auf die Schindmaͤhre kriechen, das kennt man ſchon; da iſt kein Halten. Und das koͤnnte ihm jetzt noch ſchlecht bekommen. Wir muͤſſen ihm hier einige Zerſtreuungen bereiten, damit er nicht ſo gewiſſenhaft an ſeine ver - dammten Verpflichtungen gegen die vierbeinige Geſell - ſchaft denke. Er klagte ja neulich, daß er waͤhrend eures hieſigen Aufenthaltes nicht in’s Theater gehen konnte, weil er taͤglich in eurer Bude beſchaͤftiget war? Schicken Sie ihn dahin; das wird ihm wohl thun. Beſonders wenn man Luſtſpiele giebt. Er ſoll lachen. Er iſt zu ernſthaft fuͤr ſeine Jahre. Er iſt wohl verliebt, und ohne Hoffnung? He? Das muͤſſen Sie wiſſen?
Die Antwort der Jartour auf dieſe Frage des behag - lichen Arztes beſtand in ſanftem Erroͤthen und ernſtem Schweigen. Der alte Herr ſah ihr ein Weilchen in’s Geſicht, ſchuͤttelte ſodann ſeinen grauen Kopf und brummte vor ſich hin: Jn den Augen iſt nichts zu65 leſen, was nach meinem Argwohn ſchmeckt. Da ſteht nichts drinn, als Ehrlichkeit, Treue und Sittſamkeit. Und doch .... na, die Welt dreht ſich um, das muß ich ſagen. Solche Edition von einer Kunſtreiterin iſt unerhoͤrt.
Jhren Rekonvaleszenten zum erſten Ausgange zu bewegen, hatte der Jartour unendliche Muͤhe gemacht. Denn er fand ſich gar haͤßlich. Die von dem ſcharfen Meſſer des Wundarztes glatt abgeſchorenen Locken wuchſen nur ſehr langſam nach. Seine Haare hatten einen Hauptbeſtandtheil jener Eitelkeit, die ihn ſonſt bisweilen vor den Spiegel gefuͤhrt, abgegeben. Jetzt wich er dem eigenen Anblick moͤglichſt aus. Jch bin ganz unkenntlich, rief er faſt betruͤbt. „ Deſto beſſer, “wendete ihm Adele, gutmuͤthig ſcherzend, dawider ein; „ ſo wird niemand wiſſen, daß es der ſchoͤne Antoine iſt, den er erblickt und Sie koͤnnen ſich dreiſt unter die Menge miſchen, wie auf einem maskirten Ball. “
Wir erinnern uns aus dem erſten Theile dieſes Buch’s an einen Abend wo Genoveva in Liebenau dargeſtellt wurde. Seit jenem Abende hatte Anton unterſchiedlichen theatraliſchen Auffuͤhrungen bei -Die Bagabunden. II. 566gewohnt, in P., in D., in K. — keine jedoch war der Art geweſen, großen Eindruck auf ihn hervorzubringen.
Sei es nun, daß ihn damals die Veraͤnderung ſeiner Lage, die auf ihn eindringenden Umgebungen, die ſteigende Leidenſchaft fuͤr Laura minder empfaͤng - lich machten? Sei es, daß er bedeutungsloſe Stuͤcke unwirkſam dargeſtellt ſah? Er hatte nicht erfuͤllt gefunden, was die erbaͤrmliche Dorfkomoͤdie ihm ahnungsvoll verheißen. Jetzt hoffte er etwas zu genießen, was ihn neu beleben, erfriſchen, was die Leere ausfuͤllen werde, die ſeit Laura’s Verrath in ſeiner Seele herrſchte.
Das Schauſpiel „ der Jude “aus dem Engliſchen des Cumberland ſtand angekuͤndiget. Anton hatte, ſo lang’ er in Liebenau heranwuchs nur einmal einen Juden geſehen, einen alten Mann, der auf dem Schloſſe ein ihm gehoͤriges Wunderthier, eine Ente mit drei Beinen produzirte. Die Geſpielen der Schloßfraͤuleins durften einige ſchuͤchterne Gratis - Blicke in jenen Kaſten werfen, worin die bedauerns - werthe Mißgeburt ſchmachtete; einige der kuͤhnſten wagten ſogar, das Suplement-Bein zu ergreifen, um der Schmachtenden verſtohlen die dritte Pfote zu67 druͤcken. Anton aber hatte weder Ente, noch Pfote eines Blickes gewuͤrdiget; die großen Augen des neunjaͤhrigen Knaben waren unausgeſetzt auf dem alten ſchmutzigen Mann heften geblieben, der wie er glaubte den Heiland kreuzigen helfen. Heimgekehrt befragte er dringend ſeine Großmutter, warum denn auch ſolche Moͤrder frei umherlaufen und ſogar drei - beinige Enten beſitzen duͤrften, waͤhrend doch die rechtſchaffenſten Chriſten ſich mit zweibeinigen zufrie - den ſtellen muͤßten; derer nicht zu gedenken, die gleich ihnen, gar keine beſaͤßen? Worauf Mutter Gokſch den Fragenden an die unbegreifliche Langmuͤthigkeit Gottes verwieſen, welche ausnahmsweiſe dergleichen bisweilen dulde. Dieſe goͤttliche Langmuͤthigkeit war ihm ſpaͤterhin, namentlich waͤhrend des Aufenthaltes im Polniſchen, hoͤchſt ausgedehnt erſchienen, wo es von Juden rings um ihn her wimmelte und mitunter von ſolchen, die an aͤußerer Armuth noch weit hinter dem ehemaligen Entenbeſitzer zuruͤckblieben. Jn naͤhere Beruͤhrung war er mit keinem derſelben gerathen. Ein Jude blieb ihm etwas Exotiſches. Deshalb kam ihm auch unerklaͤrlich vor, wie man einen ſolchen zur Hauptperſon eines Drama’s machen koͤnne. Dies Befremden theilte er ſeinem Arzte mit,5*68der ihm auf dem Wege nach dem Schauſpielhauſe begegnete und fragte dieſen um Rath, ob er nicht lieber einen andern Abend zu ſeinem erſten Theater - beſuche waͤhlen ſolle?
Der Arzt ſchlug ein helles Gelaͤchter auf, als er Antons Anſichten von der Stellung gegenwaͤrtiger Judenſchaft zu gegenwaͤrtiger Welt vernahm. „ Was denken Sie ſich denn uͤberhaupt unter einem Juden, Sie naͤrriſcher Menſch? Meinen Sie, daß er ſich von den Chriſten unterſcheiden ſoll, wie ihr in euren Stal - lungen Mauleſel von Pferden unterſcheidet? Ein Jude, wenn er erzogen, angezogen, — oder ungezogen iſt, wie Euresgleichen, duͤrfte manchmal ſchwer fuͤr einen Juden zu erkennen ſein. Ja, ich wette, es giebt Juden hier in B., mit denen Sie lange umgehen koͤnnen, ohne zu ahnen, daß es welche ſind. “
Wie waͤre denn das moͤglich, fragte Anton, ein wenig eingeſchuͤchtert. Muß ein Jude nicht ausſehen, wie die Kerls, die in P. auf den Plaͤtzen umherliefen, mit ſchwarzem Kittel und langem Bart?
„ Nein, zum Teufel, das muß er nicht. Da, ſeh’n Sie her: hab’ ich einen Judenbart? Jſt das hier ein Kittel, was ich auf meinem Leibe trage, oder ein Frack, ein hoͤchſt chriſtlicher Frack? Wie? Sag’ ich69 „ Schachermachai? “ Wie? Und ich bin ein Jude, ein Jude, von Kopf bis zum Fuß, und habe Sie wieder auf Jhre chriſtlichen Fuͤße gebracht, nachdem Sie auf Jhren chriſtlichen Kopf gefallen waren. — Na, erſchrecken Sie nicht; wir bleiben gute Freunde. Und jetzt geh’n Sie in’s Parterre. Sie ſollen etwas ſehen, was in ſeiner Art einzig iſt; was ſo noch nie - mals da war; und ſo niemals wiederkommen wird; Jffland iſt vielleicht ein groͤßerer Kuͤnſtler geweſen, ich weiß nicht, doch fuͤr Rollen dieſer Art, wie der Jude Schewa, hat es noch niemals einen groͤßeren Schauſpieler gegeben, als Sie heute bewundern wer - den. Jch beneide Sie um das Gluͤck, einen ſolchen Kunſtgenuß zum Erſtenmale zu erleben. “
Anton fuͤhlte ſich noch zu verlegen durch die Ent - deckung, daß ſein guͤtiger Arzt auch ein Jude ſei; des - halb ſchwieg er. Sonſt wuͤrd’ er wohl Zweifel kund gegeben haben, an der Moͤglichkeit des verheißenen Entzuͤckens. Er empfahl ſich erroͤthend, loͤſete ſein Billet und miſchte ſich unter die Menge.
Fuͤr diejenigen Leſer, die mit unbefangenem Sinne und empfaͤnglichem Gemuͤthe begabt, noch ſelbſt erlebt haben, was hier der Verfaſſer andeutet, bedarf es kei - ner auseinanderſetzenden Beſchreibung deſſen, was70 unſer Held ſah und hoͤrte. Denjenigen jedoch, welche ſolches Eindruckes nicht mehr theilhaftig geworden, muͤßte meine Schilderung nutzlos bleiben. Und nicht blos die meinige, weil ſie ſchwach, matt, armſelig ausfallen duͤrfte; nein, jede, auch die beredetſte. Denn was ein ſchoͤpferiſcher Genius auf der Buͤhne in’s Leben rief, ſtirbt mit ihm; — ja leider gar oft noch vor ihm, wenn er ſeinen Glanzpunkt uͤberlebt. Das Beſte, was man davon ſagen und ſchreiben koͤnnte, verhaͤlt ſich zu dem, was beſchrieben werden ſoll, wie ein Buch uͤber die Gartenkunſt zum Fruͤh - ling. Doch gleich dem Fruͤhling, der mit all’ ſeiner Herrlichkeit den ſchlichten Landmann, als gewoͤhnliche alljaͤhrlich wiederkehrende Erſcheinung, eben nur in ruhiges Behagen verſetzt, waͤhrend er die Seele des wiſſenſchaftlich-ſtrebenden Naturfreundes mit himm - liſcher Wonne durchdringt, — gewaͤhrt wohl auch dramatiſche Vollkommenheit, ſo lange dieſelbe in den Formen und Grenzen unſeres alltaͤglichen Daſeins nachahmend wirkt, nur dem Kunſtkenner hoͤchſte Be - friedigung, der in ihr den Triumph kuͤnſtleriſch-ver - edelter Wahrheit und Naturtreue ſieht, wo der Unein - geweihte, gerade weil er die reine Natur zu betrachten waͤhnt, gar keine Kunſt ahnet. Nicht anders erging71 es unſerem Anton mit dem Juden Schewa. Er war ergriffen, geruͤhrt, erſchuͤttert, entzuͤckt; er weinte ſee - lige Thraͤnen des Mitgefuͤhls; — aber er dachte nicht daran, dieſes Opfer dem Kuͤnſtler zu ſpenden. Er bracht’ es dem Menſchen, an den er glaubte, der fuͤr ihn der wirkliche Jude Schewa wurde, den er aus Herzensgrunde flehentlich um Verzeihung bat, daß er mit kindiſch-feindlichem Vorurtheile in ſein Haus getreten ſei.
Und wie in Liebenau nach Darſtellung der Geno - veva, obgleich diesmal mit ganz anderen Empfindun - gen, blieb er unter dem Gewicht des Miterlebten und Durchlebten ſinnend, traͤumend ſtehn, wo ſeine Nach - barn laͤngſt, leere Worte wechſelnd, verſchiedenen Zer - ſtreuungen zueilten. Die Hand ſeines Arztes, die ſich ſanft ihm auf die Schulter legte, erweckte ihn. Jch brauche weiter nicht zu fragen, ſprach dieſer; die Thraͤnen auf ihren Wangen ſagen mir deutlich genug, daß meine Prophezeihung wahr geworden an Jhnen. Deſto beſſer: eine ſo wohlthuende Ruͤhrung kann nicht ſchaͤdlich ſein. Das Stuͤck war kurz, es iſt noch eine volle Stunde Zeit, bis die Buͤrgerglocke des Re - konvaleszenten ſchlaͤgt. Fuͤr dieſe Stunde moͤgen Sie mein Gaſt ſein. Jch lade Sie ein, mir in eine72 Weinſtube zu folgen. Jn Unkoſten will ich mich Jhrethalb nicht ſtecken, denn ich ſetze Jhnen nichts vor, als ein Glas Selterſer Waſſer mit Zucker; Wein erlaubt Jhnen Jhr Arzt zur Nacht noch nicht. Dafuͤr ſollen Sie eine Ueberraſchung genießen, die ich Jhnen vorbehalte. Nur Eines verſprechen Sie mir: daß Sie kein deutſches Wort vorbringen und ſich anſtellen wollen, als waͤren Sie ein Stockfranzoſe.
Sie fanden den Weinſchank in der Naͤhe des Schauſpielhauſes. Der Arzt begab ſich mit ſeinem Gaſt in eine Ecke des nicht allzugeraͤumigen Gemaches, wo ſie die Nachbartiſche am Beſten uͤberſehen konnten. Es waren um dieſe Stunde nur wenig Gaͤſte gegen - waͤrtig: einige ſtumme alte Herren; auch dieſe ver - loren ſich, bei der Kunde: das Theater ſei geſchloſſen; wie wenn ſie einer bald zu erwartenden Schaar von ſpaͤteren Stammgaͤſten Platz machen wollten, mit denen zuſammen zu treffen, ſie nicht viel Luſt bezeig - ten. Solche fanden ſich denn auch bald in lauten Geſpraͤchen ein, um ſich haͤuslich niederzulaſſen. Mehrere gruͤßten den Arzt, indem ſie ihn einluden, in ihre Naͤhe zu ruͤcken, wobei er entſchuldigend auf ſeinen jungen Gaſt wies, um welchen ſich zu bekuͤm - mern Keiner Zeit fand. Denn ſie waren alle heftig73 angeſtrengt, durch das Beduͤrfniß „ witzig zu ſein “, dem ein jeder ſich fuͤgen mußte, wollte er bei ihnen gelten. Wem es damit nicht gelang, ſah ſich genoͤ - thiget zum Stichblatt fuͤr die Witze der Gluͤcklicheren zu dienen. Aber auch das ſtrengt an, weshalb denn jeder ſein Buͤndel zu tragen hatte.
Der Arzt ſagte leiſe zu Anton: ich habe mit Jhnen abgeſondert von jenem Konvivium bleiben wollen, um Jhnen mitunter einige Bemerkungen zufluͤſtern zu koͤnnen, uͤber die Originale, die ſich da gruppiren. Der Große, zum dick werden Hinneigende, mit dem urſpruͤnglich edlen, jetzt verſchwommenen, aſchgrauen Schlemmerangeſicht iſt ein ehemaliger Hauptmann, der eine ſchoͤne Schauſpielerin ehelichte, die er aber natuͤrlich ſehr ungluͤcklich macht. Er iſt ein unwiſſen - der, doch begabter Kopf; imponirt durch Ruchloſig - keit und behauptet ſich auch hier durch freche Spaͤße. Der neben ihm ſitzende, noch laͤnger als er, aber zaun - duͤrre, ſchwarz braune Mann, der immer das kleine Brillenglaͤschen vor’s Auge kneift, iſt eine der ſelt - ſamſten Perſoͤnlichkeiten auf Erden. Von ſehr guter Familie, mit welcher ihn ſein unordentlicher Lebens - wandel bald in Zwieſpalt bringt, ſeine Gutmuͤthigkeit bald wieder verſoͤhnt, zieht er gewoͤhnlich vor, den74 Salon ſeines Schwagers, des Herrn Miniſters Ex - cellenz gegen Kneipen und Spiel-Spelunken zu ver - tauſchen. Seine Eigenſchaft als Spieler von Pro - feſſion zieht ihn zum Hauptmann, der dies auch iſt, den er aber daneben vollſtaͤndig verachtet und fuͤr einen gemeinen Kerl erklaͤrt. Jener bleibt ihm nichts ſchuldig und nennt ihn einen Saͤufer, was ſich leider auch beſtaͤtiget. So leben dieſe Menſchen in ſtetem Kampfe, ohne ſich entbehren zu koͤnnen und beluſtigen ihre Gefaͤhrten, durch die witzigen Bitterkeiten, die ſie ſich in’s Geſicht werfen. Waͤhrend der Sommer - monate der Bade-Saiſon, vagabundiren ſie auf Raub am gruͤnen Tiſche im Lande umher. Der freundlich - ernſte Mann auf der anderen Seite der Tafel, dem Sie leicht abmerken werden, daß er zu Jhnen nicht paßt, und daß er halb und halb wider ſeinen Willen in ihrer Geſellſchaft weilt, iſt ein Re[ch]tsgelehrter, ein wuͤrdiger Beamter, bei dem ſogar fromme Richtungen vorherrſchen, der aber daneben eine ſo leidenſchaftliche Vorliebe fuͤr Poeſie und Literatur beſitzt, daß er Die - jenigen, die darin etwas leiſten, aufſuchen muͤßte, wenn ſie auch ſchon in der Hoͤlle ſchwitzten. Jn die - ſer ſch witzt nun gewiſſermaßen der neben ihm aus einem ſcharfen Vogelgeſicht herausglurende kleine75 Teufelskerl, dem zu Ehren er hier iſt; dem zu Ehren und zu Liebe er die Gemeinheiten, an denen es oft nicht fehlt, uͤberhoͤren will.
„ Warum ſchwitzt aber der Kleine gewiſſermaßen in der Hoͤlle? “fragte Anton mitleidsvoll.
Der Arzt entgegnete: Erſtens und zunaͤchſt weil er, wie ich gruͤndlich weiß, an einer unheilbaren Krankheit leidet, vor der Gott Jeden bewahren wolle, indem ſie ein recht artiger Vorgeſchmack von Hoͤlle und Zubehoͤr ſein mag: die Ruͤckenmarkſchwindſucht! Zweitens weil er in lauter Hoͤllenſpuck, Zauberer - Wirthſchaft und Teufels-Phantaſieen lebt, webt und dichtet. Die modernen Leute und Weiſen unſerer Zeit finden das hochpoetiſch. Jch, der ich noch aus der aͤlteren Zeit und Schule herſtamme, verſtehe weder das Entzuͤcken der Leſer, noch die Abſichten des Ver - faſſers, — der mich uͤbrigens nicht leiden kann, weil er mit Juden-Haß kokettirt. Aber das macht nichts. Von uns Alten iſt keine Rede und die Gegenwart hat Recht. Er, ſehen Sie Antoine, er iſt ſo eigentlich das Centrum dieſes excentriſchen Kreiſes, den man freilich nicht Kreis nennen ſollte, denn die Rundung fehlt ihm und man ſtoͤßt ſich an ſeine ſcharfen Ecken, ſobald man zu nahe kommt. Jch beſuche ihn dennoch bis -76 weilen, und hege, trotz meiner Abneigung gegen ihre Formen, Reſpekt vor der Maͤnner Geiſt und Humor, welcher letztere um ſo draſtiſcher auf mich wirkt, aus je zerriſſeneren Herzen er hervordringt.
„ Jch verſtehe Sie nicht recht, “ſagte Anton aufrichtig.
Das ſchadet gar nichts, lachte der Arzt; an mei - nen Urtheilen verlieren Sie nichts. Die uͤbrigen Anweſenden, — denn es findet heute, wie ich ſehe, keine brillante Sitzung ſtatt, — ſind ziemlich unbe - deutende Geſellen. Junge Herren, die ſich der noblen Paſſion des Kartenſpieles widmen, — ein angehen - der Poet, — einige Theater-Mitglieder, — das ſchießt ſo an, wie Schmarotzer-Pflanzen um Baumſtaͤmme.
„ Aber lieber Herr Doktor, Einen ſeh’ ich, den Sie mir nicht naͤher bezeichnen und der mir der Merk - wuͤrdigſte ſcheint. Dort, am Ende des Tiſches, der Schweigende, dem die langen ſchwarzen Haare in’s bleiche Antlitz haͤngen, mit der krummgebogenen Naſe, mit den Augen, wie ich im Leben noch keine ſah. — Sagen Sie mir um Gottes willen, wer iſt der Menſch? “
Das wiſſen Sie nicht? ſchrie der Arzt ſo laut, daß Alle ſich erſtaunt nach ihm hinwendeten; das wiſſen Sie nicht und kommen aus dem Theater? 77Theuerſter, ſind Sie denn noch einmal auf den Kopf gefallen und diesmal gar auf die Stirn? Das iſt ja Der, um deswillen ich Sie uͤberhaupt hierher fuͤhrte; um deswillen ich Sie in’s Theater ſchickte. Das iſt ja Er! Er ſelbſt!
„ Wer, er ſelbſt? Nun verſteh’ ich Sie noch weniger, als vorhin. “
Menſch! Kunſtreiter! Violinſpieler! Pferd! Pferdekopf, der Sie ſind! Haben Sie einen Komoͤdien - Zettel? — Kellner, den Komoͤdien-Zettel von heute! — Hier, da legen Sie den Finger hin. Da leſen Sie, was ſteht hier?
„ Schewa, ein alter Jude! “
Gut. Und in der gegenuͤberſtehenden Kolumne?
„ Herr Devrient! “
Nun, alſo!
„ Wie denn, alſo? Was hat der alte Jude mit dem ſchoͤnen jungen ſchwarzhaarigen Manne zu thun? “
Nichts weiter, als daß er es ſelbſt iſt.
„ Sie wollen uͤber mich ſpotten; uͤber meine Leicht - glaͤubigkeit. Das iſt ja rein unmoͤglich. “
Der Arzt vergaß, daß er ſeinem Gaſte anempfoh - len, ſich zu ſtellen, als verſtaͤnde er nur Franzoͤſiſch — (wahrſcheinlich damit ſeine Gegenwart die Unge -78 zwungenheit der Geſellſchaft nicht hindere). — Er ſprang auf, naͤherte ſich dem anderen Tiſche und rief den Herren zu: Wie finden Sie das? Hier, mein jugendlicher Patient, der heute im Schauſpiel war, nennt mich einen Luͤgner, weil ich ihm die Verſicherung gebe, der Darſteller des Schewa ſitze unter uns.
„ Wer iſt der junge Menſch? “fragten mehrere Stim - men. Antoine war wegen des noch nicht hergeſtellten Haarwuchſes, wie bereits erwaͤhnt, ſehr veraͤndert.
Der Kunſtreiter Antoine, antwortete der Arzt, mein Pflegling, mein lieber junger Freund, ein braver Burſch; aber daß er auch ſo albern ſein koͤnnte, haͤtt’ ich ihm nicht zugetraut.
„ Sie haben mir mitgetheilt, Herr Doktor, “begann jetzt Anton, der ſich unterdeß geſammelt, „ daß in die - ſem Kreiſe, wo der Witz vorherrſcht, manchmal Dieſer und Jener als Stichblatt dafuͤr herhalten muͤſſe. Sie haben auch gewiß Recht, wenn Sie mich zu den Aermeren an Geiſt zaͤhlen, die in ſolchem ungleichen Kampfe der leidende Theil zu ſein pflegen. Jch unter - werfe mich gern. Nur bitte ich doch, daß Sie es fuͤr mich etwas feiner einrichten. Die Schlinge, die man mir jetzt legen will faͤllt gar zu ſehr in die Augen. Der alte Jude von heute Abend hat mich tief bewegt79 und zu inniger Theilnahme und Verehrung aufge - fordert. Aber gerade weil ſein Alter, ſeine Gebrech - lichkeit, ſein ſchwerer Streit zwiſchen erhabenen Ge - ſinnungen und niederen Gewohnheiten ganz natuͤrlich, einfach auf mein Gemuͤth wirkten, ſoll mich niemand uͤberreden wollen, der Menſch, den ich oben auf der Buͤhne vor mir leben ſah, koͤnne ein Anderer geweſen ſein, als ein gebeugter, unterdruͤckter, kleiner Greis. Seine Phyſiognomie ſteht noch ſo deutlich in meiner Erinnerung, daß ich ſie unter Tauſenden wieder erkennen wuͤrde. Wie moͤgen Sie nun verlangen, daß ich dieſen Kopf, uͤber deſſen wunderſame Schoͤn - heit ich Jhnen mein Entzuͤcken ſo eben in’s Ohr lis - pelte — Verzeihen Sie, mein Herr! — fuͤr den grauen, kahlen Schaͤdel des Juden halte? Jch bitte Sie Alle, ſtehen Sie mir bei und erſuchen Sie meinen lieben Arzt, mich auf eine ſchwierigere Probe zu ſtellen. Dieſe ſetzt ſeine Meinung von meinem Verſtande gar zu ſehr herab. “
Aller Augen, die mit freundlicher Theilnahme am Sprechenden gehangen, wendeten ſich jetzt, fragend und erwartend dem beruͤhmten Schauſpieler zu. Nie - mand redete. Anton that wie Jene. Auch er betrachtete ſchweigend des Kuͤnſtlers Angeſicht.
80Jn dieſem ging eine unbeſchreibliche Veraͤnderung vor. Die großen Augen wurden enger, Kinn und Unterlippe ſchienen zuruͤckzutreten*)Es iſt bekannt, daß Jffland ſowohl, wie Ludwig Devrient, in ihren bedeutendſten Rollen ſich ſo viel wie gar nicht ſchminkten und den mimiſchen Ausdruck faſt immer von geiſtiger Einwirkung abhängig machten. Bei Devrient fand nur dann eine Ausnahme ſtatt, wenn er ſich für gewiſſe Schwänke eine förmliche Maske erfand, die dann freilich ſo außerordentlich gerieth, daß er mit Demjenigen, den er viel - leicht kopieren wollte, zu verwechſeln war. Als nach dem Ab - gange des beliebten, aber fratzenhaften Komikers Becker in Breslau z. E. die „ Pfarre “von Jul. von Voß aufgeführt wurde, erſchien Devrient als Becker, der im gewöhnlichen Leben ſo viel Aehnlichkeit mit ihm hatte, wie ein Bulldogg mit einem Löwen; und brachte ſolch’ vollkommene Täuſchung hervor, daß im Parterre Wetten gewagt wurden: B. ſei wieder zurückgekehrt und wolle das Publikum überraſchen. Anm. des Verfaſſers. , der Ruͤcken beugte ſich krumm, die Bruſt fiel ein; mit beiden Haͤnden ſtrich der Mann ſein rabenſchwarzes Haar aus der Stirn und ſtreifte es, in gehorſam ſich ſchmie - genden Locken glatt zuruͤck. So, ein ganz anderer Menſch, bevor noch ein menſchliches Auge entdecken konnte, wann und wie er dies geworden, richtete er an Anton jene alle Nerven durchdringenden Worte, die kein Fuͤhlender vergeſſen kann, der ſie je aus D. ’s81 Munde vernahm: „ Das iſt der edler Mann, was mich hat gerettet aus die Haͤnde von die vergrimmten Maͤtroſen! “
Dann ruͤckte er ſich wieder zurecht, ließ die Haare wieder in’s Geſicht fallen, ſchlug ſein Goͤtter-Auge zu Anton empor und fragte mit liſtig-laͤchelnden Lippen: Nun, Roſſebaͤndiger, ſaitenſtreichender Orpheus, bin ich’s?
Anton ſtand bleich und unbeweglich.
Nach einem Weilchen des Schweigens fuͤhlte er mit der Rechten nach ſeinem Kopfe und ſagte zum Arzte: ich denke, wir gehen?
Dann ſuchte er ſeinen Hut, trat vor Devrient hin, ergriff deſſen Hand, druͤckte ſie an ſein Herz und ſprach mit bebender Stimme: Jetzt weiß ich wohl, was ein Schauſpieler iſt! — Der Arzt fuͤhrte ihn nach Hauſe.
Ueber den Umgang mit Schauſpielern. — Adele reiſet ab.
„ Giebt es viele ſolche Schauſpieler? “fragte am naͤchſten Tage Anton ſeinen Arzt.
Es kommt darauf an, wie die Frage geſtellt wird, erwiederte Dieſer. Der außerordentliche Menſch, den Sie geſtern kennen lernten, bleibt eben auch ein Menſch und als ſolcher findet er nicht nur Grenzen fuͤr ſein Genie, welche er meiner beſcheiden en Anſicht zu Folge, nicht ſo haͤufig uͤberſchreiten ſollte, als er thut; — es geſchieht auch ſonſt von ſeiner Seite gar Vieles, dieſe Grenzen taͤglich beſchraͤnkender zu machen, weil er foͤrmlich darauf hinarbeitet, ſeinen Organis - mus zu zerſtoͤren; ſich koͤrperlich wie geiſtig aufzurei - ben. So jung er noch iſt, Sie wuͤrden ihn, wenn ſie ihn in mancherlei Darſtellungen ſehen ſollten, zu denen ſeine Kraͤfte nicht mehr ausreichen, fuͤr eine Ruine halten; und noch dazu fuͤr die Ruine eines ſehr inkorrekten Gebaͤudes. Deshalb will ich glauben und hoffen, daß es in Deutſchland an Schauſpielern nicht fehle, die ihn in ſolchen Rollen zu uͤberbieten vermoͤgen. Handelt ſich’s aber um Charaktere, die ihm zuſagen, die ihn ganz erfuͤllen und von ihm ganz ausgefuͤllt83 werden, ... nun, da hab’ ich Jhnen ja bereits meine Meinung eroͤffnet: Da, denk’ ich, hat es nichts Glei - ches gegeben, — und wird es auch nicht ſo bald.
„ Jſt er wohl im Umgang eben ſo hinreißend, wie auf der Buͤhne? “
Jm Ganzen neigt ſich ſeine Natur zur Schweig - ſamkeit. Wie wir ihn geſtern ſtumm ſitzen, ſeinen Wein ſchluͤrfen, die Nachbarn durch Blicke zu ihren Hahnenkaͤmpfen anſpornen ſahen, ſo kann er’s lange aushalten. Dann belebt er ſich wohl einmal, und dann redet er klug und gut, wie ein geiſtreicher, be - deutender Mann. So hab’ ich ihn oͤfters gehoͤrt. Auch darin macht er eine Ausnahme von den meiſten Schauſpielern.
„ Wie ſoll ich das verſtehen? Wollen Sie dadurch andeuten, die meiſten dieſer Herren waͤren nicht geiſt - reich? Nicht liebenswuͤrdig und belehrend im Um - gang? Nicht wiſſenſchaftlich gebildet? Jch denke doch, dies Alles muͤßten ſie nothwendig ſein, durch ihren Beruf, und fuͤr denſelben? “
O Gott, Du hoͤrſt das Lallen des Unmuͤndigen! rief der Arzt mit aufgehobenen Armen. Antoine, Sie ſind ja eine voͤllige Unſchuld, — was dieſen Punkt betrifft.
6*84„ Warum, wenn es nicht ſo waͤre, wuͤrden ſo viele junge Leute die Geſellſchaft von Schauſpielern auf - ſuchen? Wie Sie ſelbſt mir neulich erzaͤhlten, als wir von meinem und Adelens Gegner, dem kleinen Grafen redeten? “
Warum? Kind, das iſt ein kurzes Frage-Wort, brauchte aber eine lange Antwort, ſollte dieſelbe er - ſchoͤpfend ſein. Zu ſolcher hab’ ich heute nicht Muße, denn ich ſoll noch einigen meiner Kundſchaften auf dem Wege zum Friedhofe behuͤlflich werden; nehmen Sie alſo mit einer kurzen vorlieb: Die Sucht mit Schauſpielern zu verkehren, kann zweierlei Gruͤnde haben. Bei jungen Maͤnnern, die entweder Neigung und Beruf zur dramatiſchen Kunſt, zur theatraliſchen Poeſie in ſich ſelbſt ſpuͤren, oder doch von deren Wir - kungen entzuͤndet ſind, iſt es begreiflich, daß ſie mit Denen umzugehen trachten, welche Beides uͤben und darſtellen. Sie erblicken in ihnen nur die Prieſter vom Tempeldienſte des Schoͤnen; halten ſich an ihre beſſeren perſoͤnlichen Eigenſchaften; uͤberſehen, ent - ſchuldigen, verzeihen ihre Schwaͤchen und Fehler. Ja ſogar, wenn ſinnliche Verirrungen den Konflikt mit Schauſpielerinnen herbeifuͤhren, bleiben ſie doch auf der Hoͤhe reiner Begeiſterung fuͤr eine Sache, um85 deren Willen unliebenswuͤrdige Perſonen liebens - wuͤrdig erſcheinen koͤnnen. Dieſe Art von Verkehr kann ich weder ſchaͤdlich noch gefaͤhrlich finden. Eltern und Erzieher haben Unrecht, daruͤber zu klagen und die Schuld auf den Umgang mit Schauſpielern zu ſchieben, wenn ſolche Burſche, dem Verbot entgegen, auf die Bretter laufen. Denn das wuͤrden ſie, fruͤher oder ſpaͤter auch ohne ſolchen Umgang gethan haben, wofern ihr Trieb wirklich ein unbeſieglicher war. Jſt er dies aber nicht, dann dient gerade die naͤhere Bekanntſchaft mit Theaterleuten dazu, ſehr nuͤtzliche Enttaͤuſchungen hervorzubringen: Man lernt endlich Sache und Perſonen von einander ſondern und bleibt der Liebe zur Kunſt getreu, ohne auf die Kuͤnſtler zu ſchwoͤren. Das iſt, wie Sie mich alten Kerl hier vor ſich ſehen, mein eigener casus geweſen. Als ich vor beinahe vierzig Jahren, ein munterer Junge in Jhrem Alter, von der Univerſitaͤt zuruͤckkehrte, gefiel mir das Doͤbbeliniſche Theater ungleich beſſer, wie das ana - tomiſche. Wir beſaßen damals noch keine ſtehende Buͤhne; reiſende Schauſpielunternehmer wechſelten mit ihren Truppen. O mein lieber Antoine, Sie merken es dieſem grauen Kopfe nicht an, wie ſuͤß heute noch die Namen: „ Witthoͤft, Mekour, Bruͤck -86 ner, Schuͤler, Boͤheim, Tilly, Scholz und anderer theatraliſcher Vagabunden in meinem Herzen nach - klingen!? Waͤr’ ich nicht zu dem Volke gehoͤrig gewe - ſen, welches im Großen und Allgemeinen das Vaga - bundenthum fuͤr die ganze Erdkugel gepachtet zu haben ſcheint, — (zum Volke der Juden, meine ich) — ich wuͤrde vielleicht der Arzeneikunde entſprungen ſein, um auf der Buͤhne mein Unheil zu verſuchen. Das Vorurtheil ward mein Retter. Dennoch ging ich fleißig mit Schauſpielern um und habe dieſem Um - gange viel zu verdanken; ja, waͤre mir auch nichts davon verblieben, als die Erinnerung, die mich wun - derſam friſch erhalten fuͤr Alles, was groß und ſchoͤn bleibt im Gebiete jener phantaſtiſchen Kuliſſen-Welt. Dabei bin ich doch ein ſolider Arzt geworden, der ſeine Kranken ganz ertraͤglich behandelt, wie Figura zeigt. Meinem Jugend-Umgang zum Trotz! Solchen Umgang hat ja auch ſeine Philiſter-Mitwelt dem großen Gotthold Ephraim Leſſing vorgeworfen, — waͤhrend die Nachwelt gerade demſelben Umgang Werke zuſchreiben muß, die derohne wahrſcheinlich nicht ent - ſtanden waͤren. Das iſt denn die Lichtſeite. Aber auf der Schattenſeite erblicken wir die Neigung junger Maͤnner, ſich mit Schauſpielern umherzutreiben, —87 und dieſe nimmt immer mehr uͤberhand, je mehr die Schranken fallen, welche ſonſt den „ Komoͤdianten “vom Leben trennten, — eine Neigung, die lediglich aus Langerweile, innerer Hohlheit, dummer Ober - flaͤchlichkeit, geiſtiger Armuth entſpringt. Jm Kaffee - hauſe, ihrer hohen Schule; bei’m Billard, oder Spiel - tiſch: ihren Kathedern, aufgewachſen, ſuchen jene Tagediebe unter den Schauſpielern nichts, als privi - legirten Muͤßiggang, gedankenloſe Luͤderlichkeit, fades Kuliſſengetraͤtſch und Kuppelei. Ohne Begeiſterung fuͤr die Kunſt, ja ohne Theilnahme dafuͤr, gehen ſie nur auf die handwerksmaͤßige Erbaͤrmlichkeit ein, die von jeder