PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Vagabunden.
Roman in vier Bänden
Zweiter Band.
Breslau,Verlag von Trewendt & Granier. 1852.
[1]

Dreißigſtes Kapitel.

Dieſes Kapitel hat mehr als ein halbes Jahr überſprungen. Anton debütirt als Kunſtreiter. Er bleibt Laura’s Freund, aber die Gattin des Direktor’s wird ſeine Gegnerin.

Die Linden ſtanden in voller Bluͤthe. Doch meine ich diesmal nicht jene Linden zu Liebenau, in deren Dufte vor zwei Jahren unſere Erzaͤhlung begann. Es ſind die Linden der Reſidenz von denen ich rede; unter denen, in Staubwolken gehuͤllt, Schaaren ſchauluſtiger Staͤdter nach dem Cirkus des Herrn Guillaume wandern, woſelbſt heute, den an vielen Baumſtaͤmmen klebenden Anſchlagezetteln zu Folge, Herr Antoine aus Paris zum Erſtenmale auftre - ten und ſich zu Pferde als Virtuoſe mit einem Vio - linſolo produziren ſoll.

Vor der Kaſſe war der Andrang ziemlich ſtark. Bekannte gruͤßten ſich und tauſchten im Voraus Muthmaßungen uͤber den Debuͤtanten. Ob er jung iſt? fragte eine aͤltliche Dame. Zu wuͤnſchen waͤr es,Die Vagabunden. II. 12erwiderte eine noch aͤltere, daß Herr Guillaume daran daͤchte, ſeine Truppe aufzufriſchen. Seine beſſeren Reiter ſind ſaͤmmtlich uͤber die Jahre hinaus und ſeine juͤngeren ſind Kinder. Dieſer Antoine kommt aus Paris? aͤußerte eine Dritte; nous verrons?!

Ehe wir ihn ſelbſt erſcheinen laſſen, muͤſſen wir doch erfahren, was mit ihm geſchah, ſeitdem wir uns von ihm und Laura in M. getrennt haben.

Sie hatten Guillaume bald in D. erreicht, wo er brillante Geſchaͤfte machte und in beſter Laune lebte. Anton wurde freundlich empfangen und als er mit ſeinem Plane herausruͤckte, dem er durch Vio - linenbegleitung melodramatiſche Wirkung einhauchte, ging der Direktor gern darauf ein; doch konnte er die Bemerkung nicht unterdruͤcken, daß der junge Herr nicht ſo raſch zum Ziele gelangen werde, als er ſich’s einbilde. Jhr ſeid wohl jung, mein lieber Antoine, ſprach er, doch ſeid ihr eben ein junger Mann, kein Knabe mehr. Jn eurem Alter, bei eurer Groͤße, bei eurer Kraft, Eigenſchaften die euch trefflich zu Stat - ten kommen, ein guter Stallmeiſter zu werden, duͤrft es euch ſchwer genug fallen, als Kunſtreiter nachzu - holen, was unſere kleinen Jungen im zehnten Jahre ſpielend machen. Doch Wille und Muth beſiegen3 dieſe Schwierigkeiten und ich nehme euch als Eleven an. Auch will ich eine Ausnahme mit euch machen, ihr ſollt nur drei Jahre lang Eleve ſein. Waͤhrend dieſer Zeit erhaltet ihr nichts von mir, als Unterricht, Koſt und Kleidung, fuͤr die beiden letzteren Artikel wird Madame Amelot Sorge tragen, nach Allem was ich hoͤre, fuͤgt er laͤchelnd bei. Jhr habt euch aber, gleich allen uͤbrigen Lehrburſchen, jedem Befehle zu fuͤgen, und mitzumachen, was verlangt und ange - ordnet wird. Auf Gage duͤrft ihr erſt nach Ablauf des zweiten Jahres rechnen und dies nur dann, wenn ihr alle Erwartungen uͤbertrefft.

Anton ſah ſich durch dieſe Grundzuͤge des Ver - trages in ſeinen eitlen Erwartungen gar ſehr getaͤuſcht, doch ging er ihn ein, ohne zu zeigen, wie ſchwer ihm dies wurde. Was auch haͤtt er thun ſollen? Ein Ruͤckſchritt war in ſeinen Verhaͤltniſſen ſchon Laura’s wegen nicht moͤglich. Er murmelte nur, waͤhrend er ſeinen (?!) Namen unterſchrieb: aller Anfang iſt halt ſchwer! Und ſich zu Laura wendend ſagt er ihr leiſe: jetzt haſt Du einen Lehrjungen zum Liebhaber! Worauf dieſe mit ihrer lieblichſten Frivolitaͤt erwie - derte: das bemerk ich bisweilen; doch ohne Sorgen, wir wollen ſchon einen Meiſter aus ihm machen!

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Das Erſte, was dieſe, in derlei Treiben und Ver - kehr eingeweihte Dame veranlaßte, war, natuͤrlich von ihrem Gelde, der Ankauf eines guten, ſicheren Pferdes, auf welchem der Scholar, als auf ſeinem ausſchließlichen Eigenthum, uͤben koͤnne, wann und ſo oft er wolle; mit welchem er ſich gleichſam einlebe.

Der Furioſo beſaß ein ſolches, um ſo paſſender fuͤr Anton den Anfaͤnger, als es Jenem zu ſeinen eigenen Raſereien nicht wild und feurig genug erſchien. Er gab es willig und billig her. Und Anton begann ſeine Studien.

Man erzaͤhlt ſich von Duport, (ſpaͤterhin Unternehmer und Direktor der Wiener Hof-Oper, die er, fuͤr ſeine Perſon ein wunderlicher Knicker und Geizhals, im Ganzen und Großen nobel zu fuͤhren verſtand), wie er aus einem ſubordinirten Muſiker des Pariſer Orcheſters durch feſten Willen der erſte Taͤnzer Europa’s geworden ſei:

Er fragte, waͤhrend ſie einen gerade ſehr beliebten Taͤnzer accompagnirten, ſeine Nachbarn an den Pul - ten, wie viel dieſer Mann fuͤr jeden Abend, wo er auftrete wohl empfange? Die bedeutende Summe ward ihm genannt. Duport legte an dieſem Abende ſeine Klarinette nieder, mit den Worten: ich will5 auch Taͤnzer werden; ich will auch ſo viel einnehmen! Und obgleich laͤngſt uͤber die Jahre hinaus, wo man eine ſolche Laufbahn zu ergreifen fuͤr faͤhig gilt, betrat er ſie.

Nach einigen Jahren empfing er das Dreifache jener Summen, die ihn angelockt und iſt als Millio - nair*)Möglich ſogar, daß er als ſolcher noch lebt. Er zog ſich, nachdem er (1836) die Direktion des Theaters am Kärnth - nerthor niedergelegt, ohne erſetzt zu ſein, nach Paris zurück. Jſt er noch am Leben, ſo wird er zuverläßig weder Sozialiſt noch Kommuniſt geworden ſein, wenn er gleich bon-gré mal - gré Republikaner werden müſſen. geſtorben.

Wenn auch nicht im Erfolge, doch im feſten Wil - len und in der Kraft, denſelben durchzufuͤhren, ließe ſich unſer Freund mit Duport vergleichen. Nachdem er nur die nothwendigſten Andeutungen fuͤr die erſten Hand - und Kunſtgriffe durch Guillaume erhalten, und ſo viel Routine gewonnen hatte, feſt auf dem Sattel zu ſtehen, waͤhrend ſein Fuchs galopirte, begab er ſich an jedem Morgen, lange bevor die gewoͤhnlichen Uebungsſtunden der juͤngeren Mitglieder ſchlugen, allein nach der Manège, wo ein von ihm bezahlter, im Dienſte eingeuͤbter Garçon bereit war die Peitſche des Stallmeiſters zu fuͤhren. Nicht ſelten6 fand auch Laura ſich ein, den entſchloſſenen nie ver - zagten Liebling durch ihren Zuruf immer feuriger anſpornend, oder ihn tadelnd, ſobald er im Eifer die grazioͤſe Haltung verlor, die ſie ihm als Hauptbedin - gung der Schule und als hoͤchſtes zu erreichendes Ziel aufgeſtellt hatte. Haͤufig fiel er vom Pferde, doch jedesmal ſo gluͤcklich, oder ſo geſchickt, daß er keinen Schaden nahm. Leichte Kontuſionen, an denen es nicht fehlte, wußte Laura bald zu heilen. Jn dem Grade wie ſeine Fertigkeit ſtieg, wuchs ihre Leiden - ſchaft fuͤr ihn. Sie war ungeduldiger auf ſein erſtes oͤffentliches Erſcheinen, als er ſelbſt es je ſein konnte; dabei aber wiederholte ſie taͤglich, er duͤrfe nicht auf - treten, bis er ſeiner Sache ſicher waͤre.

Jhr beiderſeitiges Verhaͤltniß zu den uͤbrigen Mit - gliedern war ein hoͤflich-kaltes; ſie kamen mit jenen wenig in Beruͤhrung. Madame Adelaide hatte zur Zeit nur Augen fuͤr es iſt ſchrecklich zu ſagen, ihren Bajazzo, der allerdings, wenn er die entwuͤrdi - genden Flecken ſeiner Narrenſchminke abgewaſchen, ein huͤbſcher Mann und in jeder Beziehung zuverlaͤſſig genannt werden durfte. Die uͤbrigen Weiber oder Maͤdchen der Truppe huͤteten ſich wohl mit einer Schoͤnheit wie Laura auch nur ſcheinbar in die7 Schranken zu treten; und Adele Jartour, die zu ſol - chem Wageſtuͤck berechtiget geweſen waͤre, ging dem jungen Zoͤgling entweder aus dem Wege, oder zeigte ſich durchaus gleichguͤltig. Die Maͤnner jedoch ver - mieden, den Direktor nicht ausgenommen, Antons Umgang deshalb, weil ſie den Anfaͤnger als ihres Gleichen nicht anerkennen und ihn doch auch als einen Lehrjungen nicht behandeln wollten; theils wegen ſeines Verhaͤltniſſes zu Madame Amelot, theils in Anbetracht ſeines anſtaͤndigen Benehmens.

Dieſe Zuruͤckgezogenheit hatte fuͤr ihn den Vor - theil, daß er nicht genoͤthiget wurde, rohe und gemeine Genoſſenſchaft zu hegen. Er las viel, auch mit Laura, die er ſo weit brachte, es ſogar mit deutſchen Buͤchern zu verſuchen.

Guillaume ſchonte ihn moͤglichſt, ließ ihn vom Parade reiten frei, ſo wie vom Dienſt bei Auflockerung der Reitbahn. Dagegen ergriff Anton ſelbſt mit Eifer jede Gelegenheit, ſich bei Spektakel-Darſtellungen zu betheiligen, wobei er im dickſten Pulverdampf luſtig um ſich her ſchlug, Barrièren ſprang und ſich, wenn auch durch Tracht, Bart und Schminke unkenntlich, als tapferſter Geſell bewaͤhrte. Auch die Voltige unterließ er niemals mit zu machen und machte ſie8[be]wundernswuͤrdig leicht, daß er nicht weit hinter[B]ajazzo, dem Hauptvoltigeur zuruͤckblieb.

Die Monate vergingen ſchnell genug.

Als D. bis auf den Grund erſchoͤpft war, wand[ſ]ch der Knaͤuel der Zentauren nach St. und endlich[er]ſchallten ihre Fanfaren in der Reſidenz, woſelbſt denn[au]ch der große Tag anbrechen ſollte, an welchem unſer[H]eld, nicht mehr kuͤnſtlich entſtellt und ſeine Per -[ſö]nlichkeit verleugnend, vielmehr im ganzen Zau -[be]r derſelben vor dem Publiko erſcheinen darf, um in[do]ppelter Eigenſchaft, als Reiter und Virtuoſe, Au -[ge]n, Ohren, wer weiß, ob nicht auch Herzen, zu[ge]winnen.

Jch muß nur den Leſer bitten, zu erwaͤgen, daß[ein]e Reihe von dreißig Jahren verfloſſen iſt, ſeitdem[ſi]ch begab, was ich zu erzaͤhlen verſuche. Heut zu[T]age, wo dreijaͤhrige Kinder als Reiter und vierjaͤh -[ri]ge als Tonkuͤnſtler erſcheinen, duͤrfte es nur unbe -[bede]utendes Aufſehen machen, wenn zwei Pferde ein[Fo]rtepiano truͤgen, das dritte einen Wunderbalg, der[au]f dem Fortepiano mit allen Vieren ſpielte, waͤhrend[di]e drei Roſſe auf allen Vieren liefen. Ja es iſt moͤg -[li]ch, unſere blaſirte Zuſchauerſchaft waͤre damit noch9 nicht zufrieden, weil ihr die Pferde zu langſam laufen, im Vergleich mit den Dampfwagen.

Damals waren die Anſpruͤche noch beſcheidener.

Anton erſchien in ſpaniſchem Koſtuͤm; ſo einfach, daß man genau Acht geben mußte, um an der Gedie - genheit der Stoffe den Werth derſelben zu erkennen. Wie er nur in den Cirkus trat und ſeine Verbeugung machte, die gewoͤhnlich im weichen, aufgewuͤhlten Boden ſchlecht gelingt, die ihm aber durch Laura beſonders ſorgfaͤltig einſtudirt war, ging ein Ah! des Wohlgefallens durch alle Raͤume. Er ſchwang ſich keck auf’s Pferd, ſo zwar, daß er gleich zu ſtehen kam, ließ ſich die Violine reichen, gab der Kapelle einen Wink, das Muſikſtuͤck begann, der Fuchs ging in richtigem Tempo. Laura hatte ſich auf’s Orcheſter gezogen; ihr ſonſt ſo friſches bluͤhendes Geſicht ſchaute leichenblaß, wie vor des Tigers Kaͤfig, zwiſchen Trompete und Baß-Poſaune hernieder. Als Anton ſie erblickte, mußt er an die Menagerie denken; an Bradipus urſinus, den verbrannten Jndianer; an Apfel und Sonnenſchirm; .... dieſe Bilder, und in ihrem Gefolge noch unzaͤhlige andere zogen vor ſeines Roſſes Kopfe daher: ein Schwindel uͤberfiel ihn, er verlor den Haltpunkt, er wankte; noch ein Haar10 breit, und er fiel! Da vernahm er durch Trompeten - und Poſaunen-Geſchmetter ein lautes: courage, mon ami! und er hielt ſich. Nicht vergebens hatte Laura’s Kennerblick ſeine Haltung geregelt; hatte ſie ihm eine Reihe edler Stellungen einſtudirt, wie ſie ſolche als junges Maͤdchen bei Franconi’s und Aſtley’s beſten Mitgliedern geſehen. Jn dem Ver - folge dieſer Stellungen lag Berechnung und Zuſam - menhang. Waͤhrend Anton mit der Rechten den Bogen, mit der Linken die Violine hielt, nahm er abwechſelnd bald mit einem, bald mit dem anderen Fuße die Spitze des Sattels, wobei der Oberkoͤrper ſich in den zierlichſten Wendungen nach dieſer oder jener Seite neigte, ohne doch jemals die maͤnnliche Kraft aufzugeben. Jede neu-veraͤnderte Stellung wollte immer nur fuͤr einen Verſuch gelten, den rich - tigeren und bequemeren Platz zu erringen, der fuͤr das Geigenſpiel paſſend ſei. Man koͤnnte nichts Anmu - thigeres ſehen, als dieſes Spiel mit dem Spiele; dieſes Ringen nach einem Nichts. Von Verzagtheit des Schuͤlers blieb keine Spur.

Die Kunſtreiter, Groß und Klein, zuſammenge - draͤngt bei der Thuͤr, welche zu den Pferdeſtaͤllen fuͤhrt, konnten nicht umhin, ſeinen Muth zu loben11 und der Furioſo, den ſchwarzen Bart ſtreichelnd, ſagte laut genug, damit die zunaͤchſt ſitzenden Zuſchauer es vernehmen mochten: Bei all dem hat der Burſche Aplomb und Geſchick; ich haͤtt ihm das nicht zugetraut!

Nun verſtummte die Jntroduktion des Orcheſters. Anton ſtand nun unbeweglich, wie eine Bildſaͤule, Geige und Bogen bereit haltend, um eben zu beginnen. Der Fuchs durchlief einmal ohne Muſik den Cirkus. Jm ganzen Raume herrſchte die Stille der Erwar - tung. Schon beim erſten Strich zeigte ſich, daß der junge Mann ſeiner Sache gewiß ſei: der Ton klang rein und voll, und ob es gleich eine getragene Melodie war, die er ſpielte, bemerkte man durchaus keine ſtoͤrende Wirkung durch die Bewegung des Pferdes hervorgebracht.

Der Beifall, der ſich waͤhrend des zarten Muſik - ſtuͤckes zuruͤckgehalten, brach am Schluſſe deſſelben mit deſto ſtaͤrkerer Kraft hervor; der Debuͤtant wurde ſo zu ſagen davon uͤberſchuͤttet; ja, ſelbſt vornehme Damen bewegten ihre ſchoͤnen Haͤnde. Als er den Schauplatz verließ, begluͤckwuͤnſchten ihn ſaͤmmtliche Mitglieder der Truppe, und wie er wahrzunehmen waͤhnte, mit Herzlichkeit. Nur Adele Jartour, ihm12[di]e Liebſte von Allen, wegen ihrer duͤſtern und doch[m]ilden Zuruͤckgezogenheit, blieb auch heute konſequent[u]nd hielt ſich fern von ihm; was ihn beinah ſchmerzte. [A]ls ſie ihn auf ſeine Garderobe zueilen ſah, wandte[ſi]e den Ruͤcken, ſich in die ihrige zu verlieren. Son -[d]erbar, ſagt er bei’m Umkleiden zu ſich ſelbſt, dies Maͤdchen iſt nicht mehr gar jung; auch ſchoͤn iſt ſie[n]icht; mit Laura verglichen wenigſtens nicht; dennoch uͤbt ſie auf mich einen geheimnißvollen Reiz. Je abſtoßender ſie ſich gegen mich benimmt, deſto mehr fuͤhl ich mich zu ihr hingezogen. Truͤg ich nicht ſuͤße Bande dieſe koͤnnte mir gefaͤhrlich werden. Aber was hat ſie gegen mich? Sie vermeidet mich recht abſichtlich. Jch bin ſo artig und aufmerkſam fuͤr ſie, wie ſonſt keiner. Und ſie .... ich muß ſie doch einmal ganz ehrlich fragen, was ich ihr zu Leide gethan? Draußen fing der Laͤrm der Muſik wieder an. Die große Pauke droͤhnte durch die hoͤlzernen Waͤnde. Andere trieben ihre Kuͤnſte.

Anton hatte ſeinen Spanier an den Nagel gehaͤngt. Er ſaß, wie traͤumend davor, ſchaute den Putz an, als ob er ſtaunen muͤßte, daß er ſolche Tracht getra - gen und ſeine anderen Kleidungsſtuͤcke in Haͤnden haltend, zoͤgerte er noch dieſelben wieder anzulegen. 13Das geraͤuſchvolle Toben aus dem Cirkus kontraſtirte ſo wunderlich mit der leeren Ankleidekammer, die ſelten und nur ausnahmsweiſe fuͤr Einen allein offen ſtand. Er betrachtete ſein Koſtum, wie das eines Fremden: Bin ich es denn, der alſo aufgeputzt vor Tauſenden jetzt eben ſein Probeſtuͤck ablegte? Mein Gott, wenn ſie das zu Hauſe wuͤßten! Oder wenn die Großmutter das erlebt haͤtte? Und was wuͤrde Ottilie .....

Die Garderobenthuͤr knarrte. Anton vermuthete Laura eintreten zu ſehen. Er ſah Madame Adelaide.

Erſt jetzt, aus ſeiner traͤumeriſchen Zerſtreuung aufgeweckt, bemerkte er, daß er, ohne es zu wiſſen, ſeine buͤrgerliche Kleidung noch nicht angelegt.

Bravo, Antoine, rief die Eintretende, die nicht im Mindeſten uͤber den befremdenden Anblick erſtaunt und noch weniger durch denſelben erſchreckt ſchien. Bravo, mein Junge, Du verſprichſt!

Und was er verſpricht, pflegt er zu halten; des - halb ziemt es ſich, mit Verſprechungen ſparſam zu ſein. Nicht wahr, mein Freund? Mit dieſen Wor - ten hatte ſich Laura zwiſchen die Direktrize und ihn gepflanzt, ohne daß die Letztere den Eintritt der Gegnerin geahnet.

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Madame, fuhr die Amelot fort, wenn mich nicht Alles taͤuſcht, kommt die Reihe, ſo wie dieſe Nummer vorbei iſt, an Sie? Fuͤr den Augenblick arbeitet Ba - jazzo auf der Leiter und er wird troſtlos werden, wenn Sie ihn nicht bewundern.

Merci, ma chère! entgegnete die junoniſche Dame, die mit einem zornſpruͤhenden Blick auf Beide das Kaͤmmerlein verließ.

Madame Laura hoͤhnte laut lachend hinter ihr her. Jetzt, mein Kleiner, zieh Dich an, und laſſ uns gehen. Uebrigens wirſt Du nie mehr mit dieſem Weibe reden! Nie mehr.

Anton beſaß von nun an eine erklaͤrte Feindin an der Frau ſeines Herrn Prinzipals.

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Einunddreißigſtes Kapitel.

Nicht Alles iſt Gold, was glänzt; Anton zweifelt an ſeinem Beruf und empfin - det den Druck von Laura’s Feſſeln. Adele und Adelaide. Ein gutes Mädchen und eine böſe Katze.

Als nach einigen Wochen durch allabendliches Er - ſcheinen und ſtets wachſenden Beifall Antons Eitelkeit befriedigt, ſein Ehrgeiz abgeſtumpft war, fing er an die leere Nichtigkeit dieſes Seins und Wirkens zu ahnen. So lange noch unglaͤubiger Zweifel von Sei - ten der Reiterſchaar und eigene Sehnſucht nach Selbſt - ſtaͤndigkeit ihn zu rieſenhaften Anſtrengungen ermun - tert und darin gekraͤftiget, hatte er nur das Ziel ſelbſt, nicht deſſen Bedeutung vor Augen gehabt. Dieſes Ziel war nun erreicht und nun durchſchaute ſein rich - tiges Urtheil erſt, wie verzweifelt wenig dahinter ſtecke. Man wiederholte ihm ſtuͤndlich als eine Hauptregel des Metiers, daß der Artiſte, um ein beruͤhm - tes und in Europa geſuchtes Suͤjet zu werden, ſich vorzugsweiſe auf ein Stuͤck richten und es in die - ſem allein zur moͤglichſt-groͤßten Sicherheit und Voll - endung bringen muͤſſe. Das hin und her Suchen, Verſuchen, Streben zerſplittere die Kraft und bringe zuletzt Leute hervor, die bei kleinen, ſchwach - beſetzten Truppen als vielſeitig brauchbar ſich16 kuͤmmerlich durchſchlagen muͤſſen, waͤhrend dem Mei - ſter, der durch eine vollendete Leiſtung ſeinen Ruf begruͤndet, Paris und London offen ſtehen. Dies fand auf ihn um ſo mehr Anwendung, weil die Ruͤckſicht fuͤr’s Violinſpiel ihm nicht geſtattete durch eigentlichen Kraftaufwand und heftige Bravouren ſich abzuarbei - ten; denn er hatte ſeine Muskeln und Nerven zu ſchonen, und ſich in Ruhe zu halten, wenn er ein Adagio geigen wollte. So blieb ihm alſo die Aus - ſicht, ein ganzes Leben hindurch auf das zu verwen - den, was er, waͤhrend er es eingeuͤbt, nur fuͤr eine Stufe zu anderen, groͤßeren Verſuchen betrachtet hatte. Das war nicht denkbar, dabei konnte er nicht aus - dauern. Es iſt nur Brodneid, der ſie ſo ſprechen lehrt, ſagte er; ich will ſchon etwas Neues heraus - gruͤbeln und ſie alle zu Schanden machen.

Und nicht nur jene Langeweile, welche ſein oͤffent - liches Auftreten und der mit demſelben verbundene gleichfoͤrmige Beifall ihm erregte; mehr noch die Abhaͤngigkeit, in welcher ſein Verhaͤltniß mit Laura ihn feſthielt, druͤckte den urſpruͤnglich heitern, freien Sinn danieder. Er nahm, wie uns bekannt, noch nichts ein. Madame Amelot beſtritt ſeine Exiſtenz, denn ſie wollte nicht einmal, daß er bei Guillaume17 wohne; oder ſpeiſe, wo Madame Adelaide die Hon - neurs machte. Da ſie nun eben ſo unziemlich fand, mit ihm gemeinſchaftliche Wohnung zu haben, ſo ſtiegen die Ausgaben doppelt. Mochte ſie immerhin laͤchelnd verſichern, ihr kleiner Schatz ſei groß genug, um nicht ſo bald erſchoͤpft zu werden, immer blieb ſie es doch, welche gab; und das fand Anton im Grunde ſeiner unwuͤrdig. Moͤglich, daß er es nicht ſo ſtreng mit dieſer ſeiner maͤnnlichen Wuͤrde genommen haͤtte, waͤren nicht bereits einige Auftritte vorgefallen, die ihn darauf hinwieſen, daß Laura bei all ihrer ſcheinbaren oder wirklichen Gleichguͤltigkeit gegen Mein und Dein, doch recht wohl wiſſe, wie ſie es ſei, die durch ihrer Boͤrſe Gewicht, das Gewicht der Oberherrſchaft behaupte.

Durch ihr entſchiedenes Ein - und Auftreten in die Garderobe, wie wir es am Schluſſe des vori - gen Kapitels ſchilderten, war Anton, obwohl er die Aufdringlichkeit der Frau Adelaide keinesweges loͤblich, ja fuͤr ſich nicht einmal ſchmeichelhaft fand, doch verletzt worden; hatte ſeiner Freundin auch un - umwunden eingeſtanden, daß ſie ihn damals behandelt habe, wie einen Schulknaben. Noch ſchlimmer jedoch drohten ſich jene Zerwuͤrfniſſe anzulaſſen, welche durchDie Vagabunden. II. 218vielerlei an ihn ergehende zaͤrtliche Zuſchriften herbei - gefuͤhrt wurden. Manche derſelben trugen zwar unverkennbare Spuren niedriger Herkunft, weshalb ſie nicht einmal zur oberflaͤchlichſten Eiferſuͤchtelei Anlaß boten; dagegen wieder verleugneten andere um ſo weniger die Berechtigung ihrer Abſenderinnen, recht reiche Wappen zu fuͤhren, als ſich letztere, in feinſtem Lack abgedruͤckt, rein und lockend auf den Briefhuͤllen zur Schau ſtellten. Gewoͤhnlich in franzoͤſiſcher Sprache abgefaßt, denn wer ſollte in anderer mit Monſieur Antoine aus Paris anknuͤpfen wollen? ſprachen ſie den Wunſch aus, die naͤhere Bekanntſchaft eines jungen liebenswuͤrdigen Kuͤnſtlers zu machen, der ... und ſo weiter. Da Madame Amelot nicht zur Truppe gehoͤrte, mochte ihre Exiſtenz den meiſten Schreiberinnen eben ſo unbekannt ſein, als Antons Stellung zu ihr. Er galt fuͤr frei! Madame Amelot hatte ſehr ſchlaue Vorkehrungen getroffen, damit jedes an Anton gerichtete Schreiben ihr zukom - men moͤge. Er erfuhr den Jnhalt der ſuͤßen Blaͤtter immer erſt aus den bittern Worten, in welche die Geliebte ihn kleidete. Auch ließ ſie die naͤhere Be - zeichnung jener Orte, wo man ihm zu begegnen hoffte, ſtets ein Geheimniß fuͤr ihn bleiben. Er waͤhrte nicht19 lange, ſo galt der ſchoͤne Antoine bei gewiſſen galanten Damen von Stande fuͤr einen ausgeſproche - nen Weiberfeind. Dies und die Neckereien ſeiner Genoſſen, welche ihn ſpoͤttiſch bedauerten, daß Laura’s Aufſicht gar zu ſtreng ſei, ihm gar keine Freiheit goͤnne! verbunden mit dem eigenen Bewußtſein von unaufloͤsbarer Abhaͤngigkeit; wurde ihm gar bald zur ſchweren Strafe fuͤr eine leichtſinnig eingegan - gene Verbindung. Seine Zaͤrtlichkeit erkaltete, das trug dazu bei, die Freundin argwoͤhniſcher zu machen, ihre Eiferſucht zu ſteigern. Bald wurde ihm ein Joch, was im Beginn ein Blumenkranz geweſen.

Doch ſein Schutzgeiſt wollte nicht, daß er zum luͤgneriſchen Heuchler werden, daß er die liebliche Freundin durch falſche Worte taͤuſchend, ſich inner - lich ganz von ihr abwenden, daß er Zerſtreuung und wilden Troſt im Betruge ſuchen ſolle. Was ihn retten konnte lag nahe: die Trennung ohne ſeine Schuld. Eingeleitet ward ſie durch ein Ereigniß, welches ſeinem Herzen nur Ehre macht, und welches wir ſogleich mittheilen werden. Vollendet ward ſie durch Dazwiſchenkunft eines Dritten der auch ſchon unterwegs iſt.

Wie ſtets geſchieht,[w]o Kunſtreiter in großen2 *20Staͤdten laͤngeren Aufenthalt machen, hatte ſich auch in B. eine Anzahl taͤglicher Beſucher geſammelt, die Theilnahme fuͤr die Reitkunſt, Paſſion fuͤr Pferde - Dreſſur, Bewunderung fuͤr dieſes oder jenes Frauen - zimmer, Muͤſſiggang, Gewohnheit, wohl gar ein poetiſch-romantiſcher Hang dahin zieht, wo die nuͤch - ternſte, niedrigſte Proſa ſich hinter gleißende Gewaͤn - der, fremde Sprachen, drohende Gefahr und Sinnen - reiz oft ſo gluͤcklich zu verbergen weiß, daß nur ein ſcharf geuͤbtes Auge ſie herauszufinden vermag.

Die aus den verſchiedenſten Lebensaltern durch - einander geworfenen habitue’s (ich finde kein ſo bezeichnendes deutſches Wort) vom Greiſe bis zum Knaben herab, durften der Mehrzahl nach fuͤr Nebenbuhler des Bajazzo erklaͤrt werden: ſie verein - ten ſich in Bewunderung fuͤr die Perſoͤnlichkeit von Madame Adelaide. Doch konnte dieſe Bewunderung nicht hindern, daß jeder Kenner der Sache in Demoi - ſelle Adele Jartour die beſſere, elegantere Reiterin, die ſinnige Darſtellerin ihrer kleinen Sattelſcenen, die Grazie im allgemeinen erkannte, wo Madame Ade - laide mehr durch uͤppige Schoͤnheit glaͤnzte. Dieſe aber war die Frau nicht, andere Goͤttinnen zu dulden neben ſich; ſie hatte dem un[t]er ihrem Pantoffel gleich -21 muͤthig dahin wandelnden und dirigirenden bon homme von Gatten das Engagement der Jartour lediglich geſtattet, weil dieſe ihr an Teint, Fuͤlle, Koketterie leicht beſiegbar ſchien und weil ſie der Hoffnung lebte, ſie werde der Beſcheidenen den Sie - geskranz eben ſo leicht vom Haupte reißen, als ſie aus der gleichnamigen, volltoͤnenden Adelaide, bereits eine demuͤthig klingende Adele gemacht. Auch gab man der Armen ſchlechte Pferde, placirte ſie unvortheilhaft, geſtattete ihr nicht darzuſtellen was ſie wuͤnſchte, kurz legte ihr jedes Hinderniß in den Weg, wodurch man aber dennoch nicht dazu gelangte, ſie in der oͤffentlichen Meinung herabzuſetzen. Waͤh - rend die Parthei der Madame Adelaide ſich bei deren erquaͤlten und einfoͤrmigen Attituͤden die Haͤnde wund klatſchte, blieb die Mehrzahl der Zuſchauer kalt. Dagegen bei der Jartour, wo niemand aus dem Direktions-Winkel das Zeichen gab, erhoben ſich alle Unbefangenen zu lautem, vielſtimmigem Lobe.

Das aͤrgerte die Prinzipalin. Waͤre etwas im Stande geweſen, ſie abzumagern, dieſer Aerger muͤßt es auf die Laͤnge gethan haben. Sie jedoch war ſich am Beſten bewußt, daß ihr Fleiſch ſie zu dem machte, was ſie ihren Verehrern galt; ſie wollte es à tout22 prix konſerviren und deshalb ſollte nun die Jartour vertrieben werden. Haͤndel mit ihr zu beginnen, einen Zwiſt herbeizufuͤhren und dann den Gemahl zu zwingen, daß er ſie entlaſſe, das war unaus - fuͤhrbar. Wer konnte dieſes ſanfte, nachgiebige, duldſame Geſchoͤpf, auf dem Roſſe eine Loͤwin, auf dem Boden ein Lamm, dazu verleiten, in einen Skandal einzugehen? Haͤtte Madame ihr ohne Urſach eine Ohrfeige auf die rechte Wange gegeben, Adele wuͤrde in Demuth die linke auch dargeboten haben. Folglich wurde beſchloſſen, daß Engagement ihr zu verleiden: ſie ſollte kuͤndigen; ſie ſollte erklaͤren, daß ſie ſcheiden wolle!

Dazu benuͤtzte Madame Adelaide ihre dienſtwil - lige Klike und Klake; blieb, um dieſelbe aufzumun - tern ſchon acht Tage vor Ausfuͤhrung der veraͤchtlichen Kabale ſtundenlang im Gedraͤng ihrer albernen Kur - macher ſtehen, jeder Zudringlichkeit Stich haltend; zum groͤßten Aerger Bajazzo’s, der verſchiedenemale, wie aus Verſehen, ſeine ſpitze, graue Hanswurſt - Muͤtze, einem Donnerkeil aͤhnlich dazwiſchen ſchleu - derte. Waͤhrend dieſer acht Tage vernahm man jedesmal wenn die Jartour den Cirkus verlaſſend, ihre Verbeugung machte, anhaltendes Ziſchen und23 Pfeifen von den hintern Plaͤtzen, welches bisweilen ſo anhaltend wurde, daß die Beifallſpendenden ſich einſchuͤchtern ließen und verſtummten; worauf dann die Erſtaunte verlegen und beſchaͤmt nach Hauſe wandern mußte.

Anton, der ſich unverhohlen uͤber dieſe vollkom - men ungerechten Feindſeligkeiten ausgeſprochen und ſich daruͤber empoͤrt erklaͤrt hatte, weil er die Jartour und ihr Talent achtete, legte ſich jetzt auf’s Beobach - ten und gerieth bald auf den Zuſammenhang des Komplottes. So bemerkte er zuerſt, daß ein junges Herrlein, wie ihm ſchien um mehrere Jahre juͤnger als er ſelbſt, den Ziſchern im dritten Range oͤfters Zeichen und Winke gab. Einer derſelben war es denn auch der eines Abends, mitten in den Tumult hinein, nach der Reiterin einen Blumenſtrauß warf, wie ſie eben vom Pferde ſtieg. Sie blickte ſchuͤchtern auf die unerwartete Gabe, zoͤgernd, ob ſie wagen duͤrfe, ſich derſelben zu bemaͤchtigen. Doch als ſie es endlich that und eine große Anzahl von Zuſchauern Beifall dazu klatſchte, erhob ſich das boͤswillige Geziſch mit ſolcher Energie daß kein Zweifel blieb: die Blumenſpende war nur angeordnet geweſen, damit ſich eine neue Schmach daran knuͤpfen laſſe.

24

Doch ſollte dieſer Abend nur der Vorlaͤufer eines zweiten, noch boshafter angelegten Planes ſein. Anton bekam davon eine Ahnung, die noch geſteigert wurde, als er kurz vor Beginn der Vorſtellung das junge Herrlein mit jenem gehorſamen Ziſcher vom letzten Range, bei einem Geſpraͤch belauſchte. Nur die duͤnnen Bretterwaͤnde der Garderobe trennten ihn von dem fluͤſternden Paare. Er vernahm die Frage: Habt ihr ſie hier? und die darauf erfolgende Ant - wort: Sehr wohl, Herr Graf, Friedrich hat ſie oben bei ſich im Futterſack! Ob er gleich den Sinn dieſer Worte nicht ganz verſtand, genuͤgten ſie doch, ihn eine neue Feindſeligkeit gegen die Verfolgte erwarten zu laſſen; weshalb er gewiſſermaßen auf dem Sprunge ſtand; ſchon im Voraus bereit, zu verhin - dern, was er etwa verhindern koͤnne; oder zu raͤchen, was zu verhindern unmoͤglich ſei.

Als Madame Adelaide heut erſchien, flog ihr ein Blumenregen entgegen, und aus derſelben Ecke des letzten Platzes, wo abermals jener dem jungen Herr - lein vertraute Diener Poſten gefaßt, ſchien ſich ein Wolkenbruch von Straͤußen und Kraͤnzen zu ent - laden. Dies zu ſehen troͤſtete Anton beinahe, denn er wurde geneigt zu glauben, es ſeien eben dieſe harm -25 loſen Blaͤtter und Bluͤthen geweſen, nach denen der verliebte Juͤngling gefragt, und die ſeine Helfer, proſaiſch genug, in einem Futterſack herbeigeſchleppt. Mag ſich das eitle Weib meinetwegen in Blumen erſticken laſſen! dachte er; was kuͤmmert’s mich? Wenn ſie nur der armen, wehrloſen Adele kein Leid zufuͤgen!

Die zweite Abtheilung begann; die Reihe ſie zu eroͤffnen war an Adele. Mit niedergeſchlagenen, rothgeweinten Augen, denen man den Schmerz uͤber die geſtern erlittene Kraͤnkung noch anſah, ſchwang ſich die Jartour auf’s Pferd. Anton, obgleich es nicht ſein Tag war, hatte ſich ſelbſt zum Manègen - dienſt erboten, um fuͤr alle Faͤlle bei der Hand zu ſein und folgte dem Stallmeiſter, der die Leitpeitſche fuͤhrend und den Gaul antreibend, ſeine uͤblichen kleinen Kreiſe beſchrieb; auch uͤberreichte er der Jar - tour ihre Fahne, mit der ſie den großen Rundlauf zu machen hatte und die ſo konſtruirt war, ſich durch einen Griff in zwei Fahnen theilen zu laſſen, welche dann lebhaft geſchwungen wie Blitze um die dahin - fliegende Reiterin ſauſten. Jn dem naͤmlichen Moment, wo die Kapelle das fuͤr die Carrière beſtimmte raſchere Tempo einſetzte, flog eine ſchwarze26 Katze uͤber die Koͤpfe der Damen welche die vorderen Plaͤtze einnahmen, in die Manège. Das ungluͤckliche Thier, deſſen Tod fuͤr ſolchen niedertraͤchtigen End - zweck vorher gewaltſam beabſichtiget worden, hatte ſich, der dieſen Geſchoͤpfen eigenthuͤmlichen Lebens - zaͤhigkeit gemaͤß, von der erſten Betaͤubung erholt, waͤhrend es im bewußten Futterſack ſteckte, und ſuchte nun, ſchwer verletzt, aus einigen Wunden blutend, von Schmerz gequaͤlt, im wilden Todeskrampfe mit ſeinen ſcharfen Krallen zu packen, was ſich ihm dar - bot. Der Wurf der es heruͤbergeſchleudert war ſo geſchickt berechnet, daß dieſes gemarterte Geſchoͤpf vor der Stirn des weißen Schimmels, den die Jar - tour ritt, haͤngen blieb, wo es ſich wuͤthend mit allen vier Pfoten anklammerte, des Pferdes Augen ver - letzte und in deſſen Naſe verbiß. Der Schimmel, ein ohnedies ungeſtuͤmes und gefaͤhrliches Thier, Dank ſei der liebevollen Fuͤrſorge von Madame Ade - laide, die ihn fuͤr Adele ausgewaͤhlt! that, was auch ein kindfrommes Schulpferd in ſolchem Falle gethan haben wuͤrde! Es machte ungeheure Saͤtze, ſchlug vorn und hinten aus, ſtieg hoch in die Hoͤhe, daß es ſich zu uͤberſchlagen drohte, und weder Stall - meiſter noch Reitknechte waren raſch genug, einen27 entſchiedenen Entſchluß zu faſſen. Adele, da ſie durchaus nicht begriff, was vorgefallen ſei, befand ſich gaͤnzlich außer Faſſung und hielt, mehr erſtaunt und erſchreckt, als fuͤrchtend, mit beiden Haͤnden die Maͤhnen feſt. Dieſer peinliche Zuſtand waͤhrte aber nur einige Sekunden lang. Schon hatte Anton eine der zu Boden gefallenen Fahnen ergriffen, mit deren Stiele die ſterbende Katze herabgeſchlagen, des Pferdes Zuͤgel gepackt und ſich mit ſolcher Gewalt daran gehaͤngt, daß es ſich auf einen Augenblick ver - hindert fuͤhlte, zu baͤumen, oder auszuſchlagen. Dieſer Augenblick gab Adelen ihre Faſſung wieder, ſie ließ ſich mit der ihr eigenen Geſchicklichkeit zu Boden gleiten, kam unverſehrt im weichen Sande an, erhob ſich dann und ſchuͤttelte fuͤr’s Erſte den Staub von ihren Gewaͤndern. Unterdeſſen hatte Anton das raſende Pferd ſich ſelbſt uͤberlaſſen muͤſſen, wollte er nicht von deſſen Hufen zerſchmettert werden. Es ſetzte ſchaͤumend, ſeiner zwiefachen Laſt entledigt, doch nicht ſeiner Schmerzen, uͤber die ungeoͤffneten Thuͤrfluͤgel der Barrièren hinaus. Nach und nach gelangten denn auch die Zuſchauer aus ihrer erſten Verbluͤfftheit zum Bewußtſein deſſen, was ſich eigent - lich zugetragen. Von allen Seiten wurden Stim -28 men laut, welche die Zuͤchtigung des Nichtswuͤrdigen begehrten; dieſer jedoch hatte ſich, wie die naͤchſten Nachbarn verſicherten, ſammt ſeinen Kameraden bei Zeiten davon gemacht. Jn das verworrene Durch - einander-Geſchrei rief Anton mit kraͤftigem Tone, und in einem Deutſch, welches aus Antoine’s des Pariſers Munde in Erſtaunen ſetzen mußte: Meine Herrn, geben Sie ſich keine Muͤhe, einen Elenden zu verfolgen, der nur das Werkzeug dieſer Jnfamie war, hier hab ich die Ehre, Jhnen den Urheber zu zeigen. Zugleich ſchritt er, vor Wuth und Zorn gluͤhend, auf den Juͤngſten von Adelaidens Anbetern zu, und gab ihm mit der noch blutigen Fahne einen Schlag. Lauter Beifallsruf folgte dieſem Schlage. Der Ge - troffene wollte ſich auf Anton ſtuͤrzen; mehrere von der Truppe, Furioſo obenan, warfen ſich dazwiſchen und trennten ſie. Von den Herren, die in des jun - gen Grafen Naͤhe geſtanden, blieb nicht Einer am Orte; ſie zerſtreuten ſich eiligſt. Sicherheitsbeamte machten durch ernſtliches Einſchreiten Ordnung. Die Repraͤſentation ging, wenn auch matt und lahm, dennoch zu Ende, nachdem Anton ſowohl, als ſein Gegner, veranlaßt worden waren den Cirkus zu mei - den; mit dem Bedeuten, die Sache werde bei der29 Behoͤrde anhaͤngig gemacht und unterſucht werden. Eine Drohung die ſpaͤter nicht erfuͤllt wurde, weil ſich kein Klaͤger meldete und man zuletzt froh war, die haͤßliche Geſchichte nicht weiter aufruͤhren zu muͤſſen.

Laura verſchonte Anton nicht mit Vorwuͤrfen uͤber ſeine unberufene Einmiſchung. Auch knuͤpfte ſie, aͤcht weiblich, die Bemerkung daran: es naͤhme ſie Wunder, daß er die Fahne fuͤr eine Gegnerin von Madame Adelaide ſchwinge! Wahrſcheinlich ziehe er aͤtheriſche, das heißt magere Geſtalten, den profanen irdiſchen vor! Und dann freilich duͤrfe ſie, neben einer Jartour, die in Fleiſchloſigkeit excellire, nicht in die Schranken treten!

Dieſe ungerechten Neckereien aͤrgerten Anton um ſo heftiger, weil er in Beziehung auf ſeine Theil - nahme fuͤr Adele wirklich nicht ganz unbefangen war. Er verließ, ohne etwas zu erwiedern, Madame Amelot. Und dies war, ſeit ihrer Verbindung, der erſte Abend, welchen ſie von einander getrennt zu - brachten.

30

Zweiunddreißigſtes Kapitel.

Ein Zweikampf, der nicht zu Stande kommt. Herr Amelot. Eiferſucht ohne Liebe. Adele trennt Anton von Laura.

Am naͤchſten Morgen verſpuͤrte Anton nicht die geringſte Luſt, nach der Manège zu gehen um ſich zu uͤben; was er doch ſonſt niemals unterließ. Er blieb in ſeinem Stuͤbchen und las.

Da pochte es kaum hoͤrbar an die Thuͤr. Er waͤhnte, das ſei Lara, die ihn zu verſoͤhnen komme, woruͤber er eigentlich Freude empfand. Doch that er ſich Gewalt an und gab ſein: entrez! ſo muͤrriſch als moͤglich.

Die Jartour ſtand vor ihm.

Er ging ihr freundlich entgegen, indem er ſich zuvoͤrderſt entſchuldigte, daß er geſtern Abend ver - ſaͤumt habe, ſich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Jhr Befinden, erklaͤrte ſie, waͤre recht gut. Dann verſtummte ſie wieder. Zitternd, wie eine verſchaͤmte Bettlerin ſtand ſie vor ihm, ohne ihn anzublicken. Er noͤthigte ſie zum Sitzen. Sie ſchuͤttelte ver - neinend den Kopf und ſchwieg. Anton war ſehr verlegen, denn er wußte durchaus nicht, was er mit dieſem ſprachloſen Gaſte beginnen werde? Jn ſeiner31 Verlegenheit fragte er hin und her: ob ſie heute auf - treten werde? was der Schimmel mache? wie ſich Madame Adelaide geſtern noch benommen? was der Direktor ſage? nur um zu ſprechen. Doch vergebens: ſie blieb ſtumm.

Nun gerieth er foͤrmlich in Angſt. Zwar wußt er, daß ſie nur gekommen ſei, ihm zu danken; daß ſie dafuͤr keine Worte finde, weil ſie ſich bedruͤckt fuͤhle, ihn bis jetzt ſo unfreundlich behandelt zu haben; und ſchon wollte er, dieſe peinliche Empfindung in ihre Seele hinein mit fuͤhlend, ſo unzart ſein, dieſen Punkt zur Sprache zu bringen; blos damit auch ſie endlich die Sprache finden moͤge; ... da vernahm er die Treppe herauf Fußtritte, Sporengeklirr, Saͤbelgeraſſel. Aufhorchend deutete er mit der Hand nach der Thuͤr. Aber in dem naͤmlichen Augenblick fuͤhlte er, noch eh er ſie zuruͤckziehen konnte, ſeine Hand an ihren Lippen, von heißen Thraͤnen benetzt. Pardon, Antoine! fluͤſterte ſie entfliehend. Die Thuͤr ging auf. Ein junger Offizier ſtand ihr gegenuͤber.

Nun gab es eine Scene, deren ſtummes Spiel vielſagend genannt werden darf.

32

Der erſte Blick des Eintretenden richtete ſich, nicht ohne ironiſches Laͤcheln, auf Anton, der den - ſelben ernſthaft erwiederte und von deſſen finſterer Stirn er nach Adelen glitt, als wollt er ſagen: Deshalb alſo, Demoiſelle, kaͤmpft dieſer Ritter fuͤr Sie?

Adele aber, vor einer Minute noch ſprachlos ver - worren, niedergeſchlagen, vor Anton bebend wie ein Kind vor dem zuͤrnenden Lehrer, ſtand jetzt feſt und ſicher vor dem Fremden. Sie gab ihm ſeine fragen - den Blicke muthig zuruͤck und darin lag eine Antwort; eine ſo entſchiedene, unzweifelhafte Antwort, daß der Spott im Angeſichte des Lieutenants ungeheucheltem Erſtaunen wich: um ſo raſcher wich, weil die Spuren innigſter Thraͤnen noch ſichtbar blieben auf des Maͤdchens Wangen.

So verging ein ganzes Weilchen bis der Fremde die im freundlichſten Tone geſprochenen Worte fand: Wenn ich ſtoͤre

Keinesweges, unterbrach ihn die Jartour. Jch kam, zu danken. Dies iſt geſchehen. Doch kann ich mich nicht entfernen, ohne Sie, mein Herr, zu ver - ſichern, daß dieſes Wort des Dankes das erſte geweſen, welches zwiſchen Jhm und mir gewechſelt33 wurde. Verzeihen Sie, Antoine, daß ich es ſage: ich thu es nur um Jhretwillen. Denn was liegt an mir?

Und nun, Herr Lieutenant, fuhr Anton fort, nachdem Adele ſie verlaſſen, was ſteht zu Jhrem Befehle? Doch ſprechen wir in unſerer Sprache, bitt ich; Sie hoͤren, ich bin ein Deutſcher.

Jhre Erklaͤrung, erwiederte der Offizier, giebt mir einen erwuͤnſchten Uebergang, gleichſam zur Einleitung fuͤr das unangenehme Geſchaͤft welches mich hierher fuͤhrt. Sie ſind kein Franzoſe, obgleich Sie dafuͤr gelten? So waͤre denn vielleicht auch wahr, was als Geruͤcht zu unſern Ohren gelangte: daß Sie, von hoͤherem Stande, Jhren gegenwaͤrtigen nur in jugendlich-uͤbermuͤthiger Laune erwaͤhlt haͤtten? Daß Sie von Geburt waͤren? Daß Sie vielleicht naͤchſtens, wenn Sie des Scherzes, oder jener erotiſchen Beweg - gruͤnde, die Sie zu ſolcher Verkleidung brachten, muͤde ſind, Jhren Namen wieder tragen und die Jugendthorheit belaͤcheln duͤrften?

Und in welcher Abſicht, mein Herr, ſtellen Sie mir dieſe Gewiſſensfragen?

Jn der redlichſten von der Welt. Sie haben geſtern den jungen Grafen Louis groͤblich inſultirt. Die Vagabunden. II. 334Welche Motive Sie dafuͤr hatten, will ich nicht unterſuchen; eben ſo wenig, als ich den verzogenen Schlingel rechtfertigen mag. Jch will Jhnen ſogar zugeſtehen, daß ich an Jhrer Stelle vielleicht noch heftiger gehandelt haͤtte! mehr koͤnnen Sie von mir nicht verlangen. Aber wie die Sachen nun ein - mal liegen bleibt dem Beleidigten keine Wahl, als ſich mit Jhnen zu ſchießen auf Leben und Tod, (fuͤr den Fall, daß Sie Satisfaktion geben koͤnnen!) oder Sie bei naͤchſter beſter Gelegenheit uͤber den Haufen zu ſtechen, wie einen tollen Hund. Es iſt uͤbel, doch laͤßt ſich’s nicht aͤndern. Der Junge ſollte in unſer Regiment eintreten. Jch bin ſeinem Vater Verpflichtungen ſchuldig. Nach der geſtrigen Ge - ſchichte iſt nichts weiter zu thun, als ſo oder ſo!

Jch bin Jhnen ſehr dankbar, Herr Lieutenant, muß aber gleichwohl bekennen, das Geruͤcht war diesmal wieder zu voreilig. Ein Schleier liegt auf meiner Vergangenheit, das iſt richtig. Auch moͤchte wohl von Jhrem ſogenannten edlen Blute in meinen Adern wallen; doch iſt es auf nichts weniger als legitimen Wege dahin gelangt und da wir keinen Monarchen zu unſerer Dispoſition haben, der meine Geburt ſanktioniren und meine Mutter ſammt dazu35 gehoͤrigen Vorfahren in ihren Graͤbern nach-adeln koͤnnte, ſo wird Jhrem Graͤfchen nichts uͤbrig bleiben, als ein Baſtard, oder der tolle Hund. Den erſteren anlangend ſteht er jederzeit zu Dienſten, ſo bald Sie und andere Ehrenmaͤnner der Meinung werden, daß ein Schimpf, den ſich der junge Herr ſelbſt zugefuͤgt, dadurch getilgt werden koͤnne? Den letzteren betreffend, den tollen Hund naͤmlich muß dieſer freilich auf Alles gefaßt ſein. Doch wuͤrde ich ſeinem Gegner anrathen, ſich auch auf Alles gefaßt zu machen; denn mit tollen Hunden, Sie begreifen wohl, iſt nicht zu ſpaßen.

Nehmen Sie mir dies ſchlecht gewaͤhlte Gleich - niß nicht uͤbel, Antoine, fuhr jetzt der Lieutenant fort. Es paßt wahrlich am Wenigſten auf Sie, der Sie ſo ruhig und anſtaͤndig verhandeln. Jhren Spott gegen unſere Vorurtheile verſteh ich recht wohl und finde ihn aus Jhrem Standpunkte eben ſo natuͤrlich, als ſie dieſelben Vorurtheile natuͤrlich und begreiflich finden duͤrften, wenn Sie ſich auf unſern Standpunkt verſetzen wollten, oder koͤnnten. Auch ſoll nichts mich hindern, mir Muͤhe zu geben, daß ich ein Arrangement zwiſchen Louis und Jhnen, allen Vorurtheilen zum Trotz, herbeifuͤhre! Jch bin im3 *36Voraus uͤberzeugt, es wird Jhnen an Muthe nicht fehlen.

Das kann ich wahrlich vorher nicht verſprechen, mein Herr Lieutenant, entgegnete Anton. Jch habe noch keinen recht klaren Begriff, von der Empfindung die es hervorbringt, wenn man genoͤthiget wird, um - zubringen, oder ſich umbringen zu laſſen. Aber ich zweifle nicht, daß es eine artige, allerliebſte Sache ſei, weil ſie ſo lange in der Mode bleibt und ſo anhal - tenden Beifall findet. Jch werde folglich zu innigem Danke mich verpflichtet finden, wenn Jhre Fuͤrſorge mir Gelegenheit goͤnnen will, auch durch dieſe Erfahrung meinen Lebenslauf zu bereichern.

Sie ſind ein Schalk, mein Lieber, ſagte der Offi - zier. Doch wirkt Jhr Weſen und Benehmen ſo ver - ſoͤhnend-freundlich, ſo beruhigend, daß ich jetzt ſchon den verdruͤßlichen Skandal minder ſchwarz betrachte, als vor zehn Minuten, wo ich bei Jhnen eintrat. Jch werde den vortheilhaften den Sie auf mich her - vorgebracht, meinen Kameraden beſtens ſchildern. Vielleicht gelingt es unſerer Mehreren, die Form zu retten, ohne das Aeußerſte herbeizufuͤhren, vielleicht laͤßt ſich ein Knabenſtreich, der obenein wie ich fuͤrchte, durch ein boͤſes Weib provozirt wurde,37 als ſolcher behandeln, und wir beduͤrfen, wenn Sie zu einem ausgleichenden Worte ſich verſtehen wollen, wodurch Sie Jhre unuͤberlegte That als eine bewußtlos im Zorn vollbrachte erklaͤren, gar keiner Piſtolen?

Thun Sie, was Jhnen paſſend ſcheint; ich zweifle nicht an Jhren guten Abſichten, und fuͤge mich im Voraus jeder Entſcheidung, die Sie zweck - maͤßig finden koͤnnen, indem ich Alles in Jhre Hand lege.

Dann, rief der Lieutenant aus, legen Sie zuvoͤrderſt Jhre eigene Hand in die Meinige! Sie ſind ein braver Burſche; ich freue mich Jhrer Bekannt - ſchaft, und hoffe Sie bald wiederzuſehen.

Sie ſchuͤttelten ſich recht herzlich die Haͤnde, wie ein Paar alte Freunde, und ſchon hatte der Lieutenant zum Gehen bereits mit ſeiner Linken die Thuͤr ergrif - fen, als dieſe ſich oͤffnete und Laura eintrat.

Das ſtumme Spiel von vorhin wiederholte ſich, doch allerdings in ganz anderer Art.

Madame Amelot hielt den fragenden, forſchen - den Blick des Offiziers auch aus; ja, noch ſicherer, noch kecker als ihre Vorgaͤngerin; aber aus ihren Augen ſprach, wie ſie ihn erwiederte, nicht jene thraͤ - nenumſchleierte Reinheit, wodurch Adele jeden ſpoͤtti -38 ſchen Argwohn beſiegte. Laura zeigte ſich und gab ſich wie ſie war, deshalb konnte, obgleich ſie wirk - lich dieſe Schwelle zum Erſtenmale betrat, kein Zweifel obwalten, ſie komme als Herrin!

Diesmal, ſprach der Lieutenant mit einem ver - traulichen Kopfnicken zu Anton, wuͤrd ich wirklich ſtoͤren, wie mir ſcheint! Adieu, Antoine, auf Wieder - ſehn! Madame, Jhr Diener!

Anton war guter Laune. Die Liebenswuͤrdigkeit des gegneriſchen Vermittlers hatte ihn erheitert. Er baute Laura’s Entgegenkommen goldene Bruͤcken; die Verſoͤhnung bot keine Schwierigkeiten, und erſt nachdem ſie abgeſchloſſen und beſiegelt war, fiel der Schoͤnen auf’s Herz, daß ſie nicht zu Anton haͤtte kommen, ſondern vielmehr daheim harrend haͤtte ſchmollen und maulen muͤſſen, bis er bittend zu ihr gekommen waͤre. Dieſe tadelnswerthe Avance durch eiligen Ruͤckzug gut zu machen, ſtand ſie ſchon im Begriff, da klirrte es abermals die Treppen herauf und des Lieutenants Stimme ließ ſich von außen ver - nehmen: wenn er ungelegen ſei, wolle er ſpaͤter wie - derkehren. Daß er eintrete, um nur ein Ende zu machen, rief Laura aͤrgerlich und riß die Thuͤre weit auf. Der Gute war noch nicht ſichtbar da ſchickte er39 ſchon eine Entſchuldigung voran, indem er ſagte: ich komme mir vor, wie ein außerordentlicher Bot - ſchafter, der entſendet um Unterhandlungen anzu - knuͤpfen, zu fruͤh abreiſete; gleich nachdem er fort war hat zu Hauſe eine Staats-Umwaͤlzung Statt gefunden, die all ſeine diplomatiſchen Feinheiten unnuͤtzt macht. Waͤhrend ich vor einigen Stunden und ſeitdem ich bei Jhnen war, Beſter, iſt ſo viel geſchehen, daß ich gar nicht weiß, womit ich erzaͤhlend beginnen ſoll. Jhr Duell kann nicht zu Stande kom - men; auch dann nicht, wenn Sie vom reinſten und aͤlteſten Adel waͤren, denn Jhr Gegner iſt auf und davon! Es klingt unglaublich, doch leider muß ich’s glauben. Denken Sie: wir berathen geſtern Abend alles Ernſtes unter einander, was etwa geſchehen koͤnnte, den Schimpf des Fahnenſchwenkens von des Gelbſchnabels Kopf zu waſchen und unterdeß ſchleicht er zu einer bewußten Dame, um bei ihr und von ihr, verſprochenen Lohn zu empfangen fuͤr die an Demoiſelle Adele veruͤbte Buͤberei. Eine gewiſſe luſtige Perſon eurer Truppe bekommt Wind, wird daruͤber zur traurigen, vielmehr zornigen Perſon; glaubt ſich in eigenen Rechten gekraͤnkt; ſprengt eine verſchloſſene Thuͤr, dringt ein und trennt das ungleiche40 Paar, wodurch?? Durch den zwiſchen Beider Zaͤrtlichkeit geworfenen Leichnam ſelbiger Katze! ſo daß man das alte Spruͤchwort paſſend anbringen koͤnnte: womit Du ſuͤndigeſt ſollſt Du geſtraft wer - den. Aus dem geſtoͤrten Duett entſteht ein Terzett, in welchem, wie die Nachbarn behaupten, Bajazzo’s lederne Reitgerte taktirt haben ſoll. Der Reſt iſt Schweigen. Unſer fruͤhreifer Louis hat begriffen, daß eines Hanswurſten Peitſche tiefere Wunden ſchlage, als der Jartour blutige Fahne und iſt, nicht ohne ſei - nen Glaͤubigern heftigen Schreck zu bereiten, in aller Fruͤhe nach Hauſe gereiſet, allwo er ſeine Eltern fuͤrchterlich anzuluͤgen nicht ermangeln und auch an ſeinem uͤberzaͤrtlichen Papa einen glaͤubigen Hoͤrer finden wird. Jch jedoch habe bereits an die Mutter geſchrieben, und dieſer verehrungswuͤrdigen Frau die Wahrheit mitgetheilt, damit das verdorbene Soͤhn - chen durch ihren Einfluß wenigſtens etwas ſtrenger gehalten werden moͤge. Der alte Graf, zwar an Jahren iſt er noch ein junger Graf, nimmt mir dieſe Einmiſchung gewiß hoͤlliſch uͤbel; doch das iſt gleichviel; ich beſuche ſein Haus ohnedies nicht mehr, ſo lange der Schlingel von Sohn vorhanden iſt. Nun mein guter Antoine wiſſen Sie, was Sie wiſſen41 mußten, zur Ergaͤnzung unſeres erſten Zwiegeſpraͤch’s. Jch wiederhole Jhnen, daß wir uns freuen werden, Sie unter uns zu ſehen und empfehle mich der ſchoͤ - nen Dame zum Zweitenmale; diesmal um fuͤr’s Erſte nicht wieder zu belaͤſtigen.

Laura beſaß ſchon genuͤgende Kenntniß der deut - ſchen Sprache, um den Hauptinhalt dieſes Berichtes zu faſſen, woran ſie ſich nicht wenig ergoͤtzte. Auch Anton fuͤhlte ſich gluͤcklich, ſo leichten Kaufs aus einer ſo kitzlichen Klemme befreit zu ſein.

Fuͤr ſein Verhaͤltniß bei der Truppe ſchien die Begebenheit nuͤtzlich. Madame Adelaide war, fuͤr’s Erſte wenigſtens, von ihren Praͤtenſionen zuruͤckgekommen, ſie ſchwieg beſchaͤmt zu der beifaͤlli - gen Theilnahme, die ſich jetzt neuerregt auf Adele und deren kuͤhnen Ritter richtete. Jhre Anbeter ver - loren ſich. Das Geruͤcht von der todten Katze hatte ſie zerſtreut.

Doch ſollte dieſe Ruhe und Selbſtzufriedenheit in welcher Anton’s Ehrgefuͤhl noch einmal einge - ſchlaͤfert ward, nur eine ſcheinbare, ſie ſollte nur von kurzer Dauer ſein.

Wenige Tage nach den ſo eben geſchilderten Vor - faͤllen, verbreitete ſich bei der Geſellſchaft ploͤtzlich die42 Kunde: Herr Amelot ſei eingetroffen, habe auch bereits dem Direktor eine Antritts-Viſite abgeſtattet, um ſich und ſeine Kuͤnſte zu offeriren.

Wir haben weiter oben Herrn Amelot, den von Laura getrennt-lebenden Gatten, Seiltaͤnzer genannt. Das war er eigentlich nicht. Jm Beginn ſeiner Lauf - bahn ſoll er ſich wohl auch in jener Richtung verſucht haben, doch ohne vorzuͤglichen Erfolg; weshalb er ſich ſpaͤter ausſchließlich zum Springer bildete und als ſolcher die hoͤchſt moͤgliche Wirkung erreichte. Seine Koͤrperkraft und Gewandheit konnte nur mit ſeinem Muthe, der jede Gefahr gering ſchaͤtzte, ver - glichen werden. Er trotzte dem Tode, wie wenn er ihn aufſuchen wollte; man ſah ſeine Haupt-Stuͤcke nicht ohne Schauder an. Doch in dieſem Schauder gerade beſteht fuͤr viele Zuſchauer, ja unglaublicher Weiſe fuͤr viele Zuſchauerinnen ein eigenthuͤmlicher Reiz; dieſer war es denn auch zunaͤchſt, der ihm abgeſehen von ſeiner allerliebſten Figur, welche auch das ihre gethan, Laura’s Neigung gewonnen. Sie nannte ihn zwar jetzt, ſobald von ihm die Rede war, nicht anders als: Ungeheuer, wie wenn das ſein Taufname geweſen waͤre. Doch daß er ihr noch nicht gleichguͤltig ſei, und daß ſie oͤfter, als Anton43 nothwendig erachtete uͤber ihn klagte, ließ Letzteren nicht mit Unrecht vermuthen, das Ungeheuer ſei noch nicht gaͤnzlich aus ihrer Gunſt verbannt. Deshalb empfand er, vorzuͤglich in den Roſenmonden ſeiner Liebe zu ihr, nicht ſelten jene ruͤckwirkende Eiferſucht die um ſo peinigender quaͤlt, wenn ſie einem Unbe - kannten gilt und folglich einer geſchaͤftigen Phantaſie deſto weiteren Spielraum darbietet.

Jetzt war nun dieſer unbekannte Gegenſtand ſei - ner Unruhe anweſend, er ſollte ihn perſoͤnlich kennen, ſollte zugleich erfahren lernen, wie Madame Amelot ſich Herrn Amelot und ihm gegenuͤber benehmen werde. Eine gefaͤhrliche Probe, fuͤr beide Theile!

Laura empfand dies nur allzuſehr und ſuchte ſich zuvoͤrderſt den Ruͤcken zu decken, durch die Erklaͤrung: ſie werde nicht dulden, daß der Direktor das Unge - heuer engagire, wenn es aber wider ihren Willen geſchehe, werde ſie ohne Aufſchub abreiſen.

Und ich? fragte Anton; was wird mit mir? Bindet nicht mein Kontrakt mich fuͤr noch laͤnger als zwei Jahre an Guillaume?

So brich ihn und folge mir.

Niemals, Laura, niemals. Es waͤre feig von uns Beiden. Deine Flucht muͤßte den Menſchen, der44 Dich unwuͤrdig behandelte, der Dich ſchlug wie Du behaupteſt (ich begreife das nicht?) argwoͤhnen laſſen, er ſei Dir noch gefaͤhrlich. Und ich will nicht zum Betruͤger an einem guten Manne werden, der mir wohlwollend entgegenkam. Zeige jetzt, wie eine Frau von Geiſt und Bildung ihre Stellung zu behaupten verſteht; halte den groben Luftſpringer durch kalte Hoͤflichkeit fern und wenn er ſich vertrau - liche Anreden erlaubt, ſo weiſe ihn mit der Bemerkung zuruͤck, daß er jedes Recht auf Dich laͤngſt verſcherzt habe.

Und wenn Du mir Scenen machſt? Wenn Du mich mit Eiferſucht plagſt? Gott, welche Exiſtenz!

Fuͤrchte nichts. Jch werde Dich nicht plagen. Du ſollſt mit mir zufrieden ſein. So beſchloß Anton die Unterhaltung.

Aber Laura war nichts weniger denn zufrieden. Anton’s beſonnene Kaͤlte mißfiel ihr. Wenn er wenig - ſtens gedroht haͤtte, meinen Gemal zu toͤdten, mur - melte ſie, das waͤre doch etwas!

Jch habe durchaus nicht daruͤber klar werden koͤn - nen, warum Herr Amelot, Laura’s Bitten und Schmeicheleien bei’m Direktor entgegen; Adelaidens Einwendungen zum Trotz, denn Letztere fuͤrchtete45 in ihm einen drohenden Rivalen des wiederum mit ihr verſoͤhnten, ein aͤhnliches Kunſtgebiet bearbeiten - den Bajazzo, dennoch engagirt werden ſollte und entdecke keinen anderen Grund, als den ſtuͤrmiſchen Beifall, den er bei einigen Gaſtvorſtellungen fand und der Herrn Guillaume fuͤr die Kaſſe das Beſte folgern ließ.

Anfaͤnglich ging Alles gut. Amelot bekuͤmmerte ſich dem Anſcheine nach eben ſo wenig um Laura, als Laura um ihn, vielmehr machte er aus Leibeskraͤften ſeine Kur an Madame Adelaide, wodurch Bajazzo, der ſich die Palme des Salto mortale ohnehin durch ihn entriſſen ſah, melancholiſch wurde. (Ein melancho - liſcher Bajazzo gehoͤrte ſeiner Zeit uͤberhaupt nicht unter die Seltenheiten, ſo wenig, als ein hypochon - driſcher Harlekin. Und wenn ein ſolcher ſonſt nur Humor und Witz beſaß, wirkte er hypochonder und melancholiſch wie er war, durch den Kontraſt um ſo mehr; als es uͤberhaupt noch Bajazzo’s gab! Die jetzigen Kunſtreiter geben es vornehmer, verachten den Bajazzo, tituliren ihre Spaßmacher clown und letztere verfertigen ſo anſtaͤndige und vornehme Spaͤße, daß ein armer, ehrlicher Menſch meines Schlages nicht mehr im Stande iſt, je daruͤber zu46 lachen und ſich nach dem alten, verwieſenen Bajazzo vergeblich ſehnt.)

Anton fand nicht die geringſte Urſach zur Klage, mußte Laura’s Benehmen loben und wuͤrde auch vollkommen beruhiget geweſen ſein, haͤtte nicht das Verfahren der Jartour ihn ſtutzig gemacht. Dieſe naͤmlich, noch eben ſo wenig mit ihm redend, ihm noch eben ſo aͤngſtlich ausweichend wie ſonſt, ſchien ſich die Aufgabe geſtellt zu haben, Madame Laura Amelot in ihrer Beziehung auf Herrn Amelot zu uͤberwachen. Es ſtellte ſich beinahe dar, wie wenn ſie den Mann innig liebe, jeden ſeiner Blicke auf - lauern, auskundſchaften wolle, ob die von ihm getrennte Frau ſich auch nur verſtohlen nach ihm wende. Wo eine Moͤglichkeit ſich ergab, daß die Bei - den an einander voruͤbergehen, daß ſie, ſich begegnend, eine Silbe wechſeln koͤnnten, lauſchte Adele gewiß in irgend einem Verſteck. Wie dies Allen auffiel, entging es auch Anton nicht. Der Argwohn fluͤſterte ihm mit ſchneidender Stimme in’s Herz: nicht um Jhrer ſelbſt Willen uͤbt jene das beſchwerliche Waͤchteramt, ſie thut es fuͤr Dich! Und die natuͤrliche Folge davon war, daß auch er mißtrauiſch wurde, dies Miß - trauen trug ſich auf ſeinen Umgang mit Laura uͤber,47 verſtimmte auch ſie. Die unbefangene Freude des Zuſammenlebens ging verloren. Anton empfand, daß er im Herzen laͤngſt geſchieden ſei von ihr, die er zu lieben gewaͤhnt. Aber eingeſtehen mochte ſein Eigenſinn ſich’s nicht. Er war dennoch eiferſuͤchtig. Vielleicht nur aus Eitelkeit!

Eines Abends in die Garderobe tretend, um ſich raſch anzukleiden, findet er im Schube ſeines Toilet - tenſpiegels ein zum Knoten zuſammengekniffenes Zettelchen, worauf ihm in ſchlechtgeſchriebenen Zeilen der Rath ertheilt wird, heute noch eine Unpaͤßlichkeit zu verheucheln und ſeiner Dame zu ſagen, er muͤſſe nach vollbrachter Arbeit heim gehen, die Ruhe zu ſuchen. Dann aber ſolle er, bei Nacht, weiter ver - fahren, wie ſein Gefuͤhl ihn am Beſten belehren werde. Unterzeichnet war dies franzoͤſiſche Gekritzel: Von einem Freunde, der nicht will, daß ein edles Herz unwuͤrdig betrogen ſei.

Noch im Kampfe mit ſich ſelbſt, ob er ſolch luͤgenhaften Kunſtgriff nicht verſchmaͤhen muͤſſe? kam ihm ein heftiger Herzkrampf zu Huͤlfe, der ihn ploͤtz - lich uͤberfiel und ihn um ſo mehr erſchreckte, als er ihm etwas voͤllig Fremdes war. Die Beaͤngſtigung wurde ſo ſtark, daß er ſeine Kameraden anſprach;48 dieſe riefen nach einem Arzte und der Arzt, zufaͤllig als Zuſchauer bei der Hand, erklaͤrte dem herbeige - holten Direktor, Herr Antoine ſei fieberhaft aufge - regt, es ſcheine wuͤnſchenswerth, daß man ihn vom Reiten freilaſſe. Das Programm des Abends wurde ſchnell geaͤndert, eine andere Nummer eingeſchoben. Laura erbot ſich, Anton zu geleiten, was dieſer ent - ſchieden abwies, mit der unwahren Verſicherung, er kenne aͤhnliche Anfaͤlle ſchon von fruͤher, brauche nichts als Ruhe und werde morgen friſch und munter ſein. Man beſorgte ihm einen Wagen und er verließ den Cirkus.

Der Anfall dauerte wirklich gar nicht lange. Die Tropfen die der Arzt ihm verſchrieben wirkten zauber - haft. Nach Verlauf einer Stunde fuͤhlte ſich der Kranke geſund, bis auf jenes Leiden, welches kein Arzt zu heilen verſteht. Wie koͤrperlich erleichtert, ſo fand er ſich geiſtig unter deſto ſchwererem Drucke. Die Eiferſucht fuͤhrt, ihrem hoͤlliſchen Urſprunge gemaͤß, den Graͤuel mit ſich, daß ſie bereits erkaltete, gleich guͤltig-gewordene Herzen mit Flammenqualen martert, welche der Leidende fuͤr neu-auflodernde Liebe haͤlt, waͤhrend ſie doch nur vom Neide ange - facht werden, von Mißgunſt, Selbſtſucht, Eitelkeit;49 von den niedrigſten Maͤchten, die mit uns Sterblichen ihr Spiel treiben.

Laͤnger als bis gegen Mitternacht hielt es Anton nicht aus. Er verließ die Stadt und begab ſich durch das prachtvolle Thor hinaus nach Laura’s Gar - tenwohnung. Auf dem einſamen Fußpfade dahin, den er ſeit ihrem Aufenthalte in B. ſo oft mit entge - gengeſetzten Gefuͤhlen und Erwartungen zuruͤckgelegt, hatte ſich erſt ſeit geſtern, wo er ihn zuletzt betreten, eine ſolche Menge herbſtlich abgewehter duͤrrer Blaͤt - ter geſammelt, daß er beim Rauſchen derſelben vor ſeinen eigenen Tritten ſcheu wurde. Er blieb einen Augenblick ſtehen, aufhorchend, ob ſonſt in der Naͤhe ein Geraͤuſch zu vernehmen ſei. Jhn wollte beduͤnken vor ſich her Schritte im Laube zu hoͤren. Dieſer ſchmale, ſelten begangene Seitenweg fuͤhrte nur nach dem einen Hauſe deſſen oberes Stockwerk Laura inne hatte; niemand ſonſt wohnte darin, außer den Leuten, die es uͤber Sommer zu vermiethen und die Bedie - nung zu uͤbernehmen pflegten. Die Schritte des vor ihm gehenden konnten folglich nur dahin gerichtet ſein, wohin ſeine eigene Unruhe ihn zog. Er empfand wiederum die Beaͤngſtigung des Anfalls, den er im Ankleidezimmer gehabt und mußte ſich, bis ſie einiger -Die Vagabunden. II. 450maßen voruͤberging, an einen Baum lehnen. Dadurch gewann der vor ihm Gehende ſo viel Vorſprung, daß Anton, nachdem er ſich leidlich erholt, nichts mehr von ihm hoͤrte. Er beſchleunigte nun ſeinen Gang und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht. Jm Erdgeſchoß waren die Laden geſchloſſen; es herrſchte naͤchtliche Ruhe. Oben ſchimmerte Licht aus einem halbgeoͤffneten Fenſterfluͤgel, den man, wie es ſchien, nicht feſt zugewirbelt und mit welchem der Luftzug leiſe ſpielte. Anton wußte durchaus nicht, wie er am kluͤgſten verfahren ſollte. Gerade darum that er, ohne Vorbedacht, das Zweckmaͤßigſte: er unterließ jedes Zeichen, wodurch ſeine Gegenwart haͤtte kund werden koͤnnen, und erkletterte eine Pap - pel, die zwanzig Schritte vom Hauſe entfernt, dem halboffenen Fenſter gegenuͤber, ſich erhob. Erſt als er hoch genug war, das Lager des Feindes uͤberſehen zu koͤnnen, wendete er ſich ihm zu. Seine Vorgefuͤhle hatten ihn nicht getaͤuſcht: Herr Amelot war zugegen.

Wenn nun Dieſer oder Jener von meinen Leſern vermuthet, die Entdeckung habe dem Betrogenen wehe gethan, ſo iſt er, was den Moment betrifft wenigſtens, im Jrrthum. Das Erſte was Anton51 empfand, war Freude. Er umarmte die ſchlanke Pap - pel mit beiden Haͤnden, druͤckte ſie gleichſam an ſein Herz, als ob er ihr Dank ſagen wollte, daß ſie ihm Klarheit gegeben. Jch bin frei! So ſprach ſich ſeine Empfindung aus: Frei, ohne Undankbar - keit; ohne Treuloſigkeit von meiner Seite! Frei, weil ſie mich betruͤgt! Frei, von einem ſchmaͤhlichen Zwange, dem ich mich als unerfahrener Knabe ver - kaufte! Jn welchem ich untergegangen waͤre, haͤtte mich dieſer geſeegnete Luftſpringer nicht erloͤſet! Lebe wohl, Laura!

Dann ließ er ſich langſam herabgleiten.

Schon auf dem Heimwege entwarf er im Kopfe den Brief, den er, ſo wie nur der Tag da waͤre, an Madame Amelot ſenden wollte. Jn dieſen Brief ſchichtete ſein beleidigter Stolz Alles zuſammen, was ihn ſeither bedraͤngt hatte. Kaum daß er ſich Zeit genommen wenige Stunden zu ſchlafen, ſaß er am Tiſche, ſchreibend und die ſchoͤnſten franzoͤſiſchen Floskeln fuͤr ſeine ſchaarenweiſe herbeiſtroͤmenden, ſehr deutſchen Gedanken zu ſuchen.

So lange man in aͤhnlichen Lagen das Wort fuͤh - ren und kraͤftige Ausdruͤcke fuͤr gerechten Groll anwen - den darf, ſpuͤrt man den verletzenden Schmerz, ohne4 *52welchen der Bruch eines ſo lange beſtandenen Ver - haͤltniſſes ein fuͤr allemal nie bleiben wird, ungleich weniger; man troͤſtet ſich durch zornige Aufwallun - gen. Ganz anders jedoch geſtaltet ſich der inwendige Zuſtand, ſobald eine tuͤckiſche Wendung unſeres Ge - ſchickes uns dieſen Troſt des erſten Wortes raubt; ſobald wir hoͤren oder leſen muͤſſen, was wir ſelbſt auszuſprechen vor Ungeduld brannten. Dies geſchah dem armen Anton. Waͤhrend er noch an ſeinem Abſageſchreiben drechſelte, brachte der Zetteltraͤger mit dem Anſchlagezettel des Tages, der Herrn Antoine als wieder hergeſtellt pomphaft verkuͤndete, ein zierliches, ſeiden-papiernes Epiſtelchen, deſſen Jnhalt wir, ſo gut und ſchlecht als moͤglich zu ver - deutſchen wagen:

Sie ſind ein zu braver Junge, Antoine, und waren mir zu theuer, als daß ich Sie betruͤgen oder taͤuſchen moͤchte. Deshalb ſag ich Jhnen ohne lange Vorrede: ich habe mich mit meinem Gemal ver - ſoͤhnt. Herr Amelot verlaͤßt das noch nicht feſt abgeſchloſſene hieſige Engagement. Der Direktor iſt nicht boͤſe daruͤber, aus mehrfachen Gruͤnden! Und ich verlange es, aus den begreiflichſten von der Welt. Wir reiſen morgen, oder uͤbermorgen.

53

Sie werden ſich leicht troͤſten, denn mehr oder weniger ſind Sie meiner uͤberdruͤßig. Jhnen und Jhrer Jugend nehm ich das nicht uͤbel. Jch bin zu alt fuͤr Sie und wenn ich auch immer noch eine ſchoͤne Frau bleibe, ſind Sie doch viel zu jung fuͤr mich. Was wollen Sie? Es war ein Jrrthum, von beiden Seiten. Doch war er manchmal ertraͤglich; nicht wahr?

Jhnen bluͤht noch Gluͤck genug auf Erden, wenn Sie es nur zu benuͤtzen verſtehen. Sie koͤnnen noch eine ſchoͤne Zukunft haben.

Die meinige wird nicht glaͤnzend ſein, ich weiß es. Dennoch folg ich ihr ohne Zagen.

Mein Gemal hat ſich nicht geaͤndert: er wird mich behandeln wie fruͤher. Ja, wenn er erſt wieder ganz ſicher in ſeinen Rechten iſt, wird er mich ſchlagen, mich betruͤgen, wie ſonſt.

Und Sie fragen, warum ich ihm dennoch folge? Jch koͤnnte antworten, weil er ſich hinter meinen Beichtvater geſteckt und dieſer mir eine Wiederver - einigung als religioͤſe Pflicht auferlegt hat. Jch wuͤrde darin die Wahrheit ſagen, doch auch eine Luͤge. Und fuͤr Sie hab ich nur Wahrheit.

Mein armer Antoine, Sie ſind ein gutes uner -54 fahrenes Kind. Sie wiſſen nicht, (und woher ſollten Sie es wiſſen?) daß Gott Weiber ſchuf, die gemißhandelt ſein wollen; die keine Ruhe finden, kein dauerndes Gluͤck an der Seite eines treuen, ergebenen, untergebenen Liebhabers; die des Tyrannen Fauſt fuͤhlen muͤſſen, gerade wie unſer großer Tiger, der nur gegen Pierre nachgiebig war, weil dieſer ihn oft halb todt ſchlug mit einer eiſernen Stange.

Apropos vom Tiger: Denken Sie noch an ihn, an den Apfel, an den Bradipus Urſinus an meinen zerbrochenen Sonnenſchirm?? ... Mein huͤbſcher, kleiner Antoine; waren Sie damals dumm!? Gott der Goͤtter, war er dumm! Nun, etwas kluͤger iſt er jetzt; aber das kam mir theuer zu ſtehen; oder vielleicht meiner Mutter. Die ſchoͤne Menagerie!

Jetzt adieu, Antoine! Halte mich nicht fuͤr ſchlecht. Jch bin ein Weib voila tout Laura A.

Koko gruͤßt und dankt noch einmal ſeinem Retter aus den Schnaͤbeln der Kraͤhen.

55

Da ſaß er nun, hielt dies Blatt in Haͤnden; zer - riß das ſeinige und weinte; denn von allen bitter - kraͤnkenden Vorwuͤrfen, die er der Verraͤtherin machen wollen, ſchien jetzt keiner mehr zu paſſen.

Dreiunddreißigſtes Kapitel.

Anton ſtürzt vom Pferde. Adele wird ſeine Pflegerin. Ein liebens - würdiger Arzt tritt auf. Ein Jude im Leben und einer auf der Bühne. Die Weinſtube.

Als Anton am Abend im Cirkus erſchien, wurde ihm lauter Beifallsgruß zu Theil, in den die Damen freudig einſtimmten. Doch ſah er ſehr leidend aus, was man auf ſein geſtriges Uebelbefinden ſchob und ihn um ſo huͤbſcher fand. Er war zer - ſtreut, unachtſam, verſaͤumte ſogar, was er ſonſt niemals unterließ, ſeinen Fuchs vorher zu lieb - koſen und dieſer ſchien eben ſo ſchlecht disponirt, eben ſo wenig bei der Sache wie ſein Reiter.

Beide hatten dieſelbe Urſach. Der Fuchs war daran gewoͤhnt, vor dem Eintritt in die Manège durch Laura begruͤßt, geſchmeichelt, mit Zucker gefuͤt - tert zu werden; Anton war daran gewoͤhnt, ſie auf dem Orcheſter zu erblicken; und Laura fehlte! Da ging denn nichts zuſammen. Dreimal nahm das56 Thier falſches Tempo; dreimal mußte Anton ſtill halten und die Muſik von Neuem beginnen laſſen. Das machte ihn immer verdruͤßlicher. Er fing an, in ſein Pferd hineinzuſchlagen, wodurch er ihm den Verdruß mittheilte, ohne ſich davon zu befreien, und wie ein Ungluͤck niemals allein kommt, mußte gerade an jenem Abend eine ſehr alberne Dame, in der erſten Reihe ſitzend, ſich unendlich viel mit ihrer Schoͤnheit zu thun machen; an ihrer Kleidung ruͤcken, zupfen, putzen, wie ſchon manche Frauenzimmer nicht anders koͤnnen, in der Hoffnung ſich bemerkbar zu machen. Zum Ueberfluſſe warf ſie, weil ihr die unausgeſetzten Toiletten-Beſtrebungen eingeheizt, ihr rothes Umſchlagetuch uͤber die Barrière und zwar in dem Augenblick, wo Anton ſein Geigen-Solo begin - nend, ſo nahe bei ihrem Sitze war, daß der Kopf des Pferdes faſt daran ſtreifte. Der Fuchs uͤber dieſen unerwarteten Anblick erſchreckt, prallte wild zuruͤck, Anton ſtuͤrzte ruͤcklinks herab, ſchlug mit dem Hinter - kopf gegen einen Pfoſten und wurde bewußtlos vom Schauplatz getragen, was ſoviel Antheil und Bedauern erregte, daß die eitle Naͤrrin Zeit gewann zu entſchluͤpfen, bevor noch der Unwille der Anwe - ſenden ſich gegen ſie aͤußern konnte.

57

Wir finden Anton auf ſeinem Lager, noch immer ohne Bewußtſein, den glatt geſchorenen Kopf mit Eisumſchlaͤgen bedeckt. Vor ihm ſtehen ſein Direk - tor, der Furioſo, der Arzt von geſtern und ein Wund - arzt. Es kann, aͤußert der Arzt, eine allerdings heftige, aber doch moͤglicherweiſe voruͤbergehende Erſchuͤtterung ſein, die gar keine bedeutenden Folgen haben wird; aͤußere Verletzungen, welche Beſorgniſſe erregten, ſind durchaus nicht vorhanden. Es kann aber ebenſo der Tod ſein! Daruͤber iſt morgen erſt zu ſprechen. Blut haben wir ihm gelaſſen. Jetzt iſt nichts nothwendig, als Ruhe und aufmerkſame Pflege, hauptſaͤchlich wegen des Eiſes, welches unaufhoͤrlich erneuert werden muß. Wenn Sie wollen, werd ich eine zuverlaͤſſige Krankenwaͤrterin ſenden ....

Da erhob ſich eine bleiche Geſtalt, das ausdruck - volle Antlitz durch tief eingefallene, verweinte Augen entſtellt, feierlich von dem Koffer, worauf ſie in einer dunklen Ecke des Zimmers geſeſſen.

Die Fremden erſchraken vor ihr.

Es iſt nur die Jartour, ſagte der Direktor.

Und Adele an’s Lager tretend, legte die Hand auf’s Herz und ſprach mit einer Stimme die dem Arzte durch alle Nerven drang; die ſogar den ziemlich58 gleichguͤltigen Chirurgen ruͤhrte: ich, ganz allein! ich bitte!

Auf ſie koͤnnen Sie ſich verlaſſen, fuͤgte der Furioſo bei; das iſt ein edles Herz.

Als die Jartour mit dem Kranken allein blieb ſank ſie auf ihre Kniee und betete: Heilige Jungfrau, erbarme Dich meiner! Jch bin ſeine Moͤrderin, wenn er ſtirbt! Laß ihn nicht ſterben! Meine Zuſchrift hat ihn von Laura getrennt. Er liebte ſie! Er liebt ſie noch; dieſe Trennung hat ihn krank gemacht; weil er krank war, verlor er die Kraft; deshalb iſt er geſtuͤrzt. Ohne mich waͤr es nicht geſchehen. Um meinetwillen, um Deines Sohnes Willen, erhalte ihn am Leben. Wenn er geneſet unter meinen Haͤnden, will ich mich gaͤnzlich dem Dienſte Gottes und der Kranken wei - hen. Jch will barmherzige Schweſter werden. Das iſt mein Geluͤbde.

Wo bin ich? mit dieſen drei Silben beant - wortete aus Anton’s Munde die heilige Jungfrau das Gebet einer glaͤubigen Suͤnderin. Dieſe wen - dete ſich, auf den Knieen liegend, zu ihrem Kranken und indem ſie ausrief: ich danke Dir, er wird leben; Du erhoͤrſt mich! winkte ſie ihm zu, er moͤge ſchweigen. Er gehorchte dieſem Winke nicht ſogleich,59 ſondern fragte erſtaunt: Die Jartour? Was bringen Sie mir? Was iſt denn vorgefallen?

Da legte ihm Adele ihre Hand auf die Lippen, wiederholte den Befehl des Arztes, welcher Ruhe geboten und erzaͤhlte ihm dann, ſo ſchonend und beſchwichtigend als moͤglich, was mit ihm vorgegan - gen; wobei ſie fuͤr ſich die Erlaubniß erbat, ihn pfle - gen zu duͤrfen.

Fuͤrchten Sie nicht, Antoine, mit dieſen ſanft geſprochenen Worten beſchloß ſie ihre Meldung, fuͤrchten Sie nicht, daß irgend ein eigennuͤtziger Plan, eine zweideutige Abſicht, eine verſteckte Hoffnung in irgend einer Falte meines Herzens ſich verberge. Das Geluͤbde, welches ich an dieſer Staͤtte ſo eben ablegte, iſt ſchon in voller Guͤltigkeit. Jch gehoͤre nicht mehr der Welt. Wenn Sie geneſen ſind, mehr davon. Jetzt nichts als: Ruhe, Schlaf und fri - ſches Eis!

Durch Amelot’s raſche Abreiſe, wie durch Anton’s Niederlage verloren die Abende im Cirkus viel von ihrer Anziehungskraft. Da es ohnedies ſpaͤt im Jahre war, ſo dachte Herr Guillaume ernſtlich daran, ſich nach einer andern Stadt zu uͤberſiedeln, wo der Reiz der Neuheit die in ſeiner Truppe entſtandene60 Luͤcke verdecken koͤnne. Er hatte fuͤr Dr. bereits Vorkehrungen getroffen und wurde daſelbſt erwartet.

Anton befand ſich außer Gefahr. Doch behaup - tete ſein Arzt, daß jede zu fruͤhzeitige Anſtrengung unzulaͤſſig ſei; daß ſicherer fuͤr ihn gebuͤrgt werden koͤnne, wenn er in ungeſtoͤrter koͤrperlicher wie geiſti - ger Abſpannung verbleibe. Jhm alſo durfte man fuͤr’s Erſte den Aufbruch der Truppe gar nicht bekannt werden laſſen. Aber was ſollte mit ſeiner Pflegerin geſchehen? Wuͤrde er die Wahrheit nicht errathen, wenn ſie ploͤtzlich fehlte? Und wuͤrde er dann nicht darauf beſtehen, ihnen zu folgen? Oder, mit Gewalt zuruͤckgehalten, ſich in Ungeduld abquaͤlen und dadurch krank machen?

Der wohlmeinende Arzt, an ſeinem jungen Pa - tienten, den er liebenswuͤrdig fand, aufrichtigen Theil nehmend, geſtand offenherzig, daß er keinen rechten Rath wiſſe und uͤberließ es dem Scharfſinne der Jartour, mit welcher verſchiedene geheime Berathun - gen gepflogen wurden, ein Auskunftsmittel zu erſin - nen. Beſſer konnt er’s nicht treffen. Wo niemand Huͤlfe weiß, wird es uneigennuͤtziger aufopfernder Liebe damit gelingen, wofern auf Erden noch Huͤlfe vorhanden. Adele erklaͤrte ſich bereit, mit61 Guillaume zu unterhandeln; ſchon beim naͤchſten Beſuch des Arztes konnte ſie dieſem, wie ſie ihm auf den Vorflur das Geleite gab, die erfreuliche Nachricht ertheilen, der Direktor habe ihr einen Urlaub auf unbeſtimmte Zeit bis zu Antoine’s voͤlliger Gene - ſung geſtattet; auch fuͤge ſich’s eben ſo gluͤcklich, daß derſelbe ein junges Ehepaar, welches bei einer anderen, zu Grunde gegangenen Reitergeſellſchaft außer Engagement kam, einſtweilen fuͤr Dr. benuͤtzen koͤnne, wodurch ihre, wie Anton’s Stelle einiger - maßen ausgefuͤllt ſei.

Deſto beſſer, erwiederte der freundliche Arzt; mit einer ſolchen Waͤrterin hab ich leichtes Spiel. Durch welche Opfer das arme Maͤdchen dieſe Ver - guͤnſtigung erkaufen muͤſſe, danach fragte er freilich nicht. Sie aber noch weniger.

Nachdem Anton erſt ſo weit genas, daß er ſprechen, leſen, aufſtehen durfte, wurd es Adelen unmoͤglich, ihm laͤnger einen Theil der Wahrheit zu verbergen. Stuͤndlich fragte er ſie, warum denn gar niemand ſich um ihn bekuͤmmere? Warum nicht wenigſtens der Furioſo ſich blicken laſſe? Sie ſind abgereiſet, Antoine, antwortete die Jartour in dem tiefen, maͤnnlichen Tone, den Taͤnzerinnen und Reiterinnen haͤufig haben, der jedoch bei ihr von ſel -62 tenem Wohllaut war; ſie ſind abgereiſet, und mir hat Guillaume Urlaub gegeben, bis wir Beide ihn einholen koͤnnen. Er hat fuͤr dieſe Zeit Felix und deſſen Frau aufgenommen; wiſſen Sie, die bei Gautier waren. Der Mann ſpringt die Baͤnder und ſie nimmt in der Carrière vier Schnupftuͤcher mit den Zaͤhnen vom Boden: wenig Schule, doch viel Bra - vour; es iſt eben nur fuͤr unterdeß.

Aber Jhre Gagen, Adele? fuhr Anton fort, der ſie dabei forſchend anblickte. Zahlt er Jhnen fuͤr dieſes Jnterim Jhre vollen Gagen? Und nach - dem einmal der Geldpunkt beruͤhrt war, ſchrak er heftig zuſammen, bei dem Gedanken an ſeine eigene Kaſſe. Er war ſeither daran gewoͤhnt aus dem Vollen zu leben; Laura hatte ihm niemals Zeit gelaſſen, zu uͤberlegen, wer ihre beiderſeitigen nicht geringen Ausgaben decke. Er fuͤr ſeine Perſon empfing ja, ſo lang er Eleve hieß, nicht das Geringſte; hatte kontraktmaͤßig keine Forderung zu machen. Von was lebte er denn jetzt? Wer beſtritt die Koſten ſeiner Exiſtenz, ſeiner Krankheit? Wovon ſollte er ferner leben?

Adele las in ſeinen Geſichtszuͤgen welche peini - genden Gedanken ihm wie Schlangen die Bruſt durchwuͤhlten. Sie gerieth in furchtbare Angſt, daß ſein Zuſtand ſich dadurch verſchlimmern werde. Aber63 ſie blieb ſtark, wie in ſolchen Augenblicken es nur ein Weib, nur ein liebendes Weib vermag: dieſelben Muskeln die ihrer ausdrucksvollen Phyſiognomie mit krampfhaftem Zucken den Stempel heftigen Schmerzes aufzwingen wollten, mußten einem ſtaͤrkeren Willen gehorchend, in lautes Gelaͤchter uͤbergehen. Jſt das ein Kind, rief ſie jubelnd aus; begreift er nicht, daß wir beide, er und ich, ſchon geſtern in’s Hospital haͤtten wandern muͤſſen, ohne Guillaume’s Groß - muth!? Nein, lieber Freund, machen Sie ſich keine Sorgen, Guillaume hat uns hinreichend verſorgt. Es liegt ihm ſo viel an Jhnen, und er iſt ſo erkennt - lich fuͤr die Vortheile die Sie ihm bereits gebracht, daß er ſich die kuͤnftig noch zu bringenden um jeden Preis ſichern will. Er weiß am Beſten, wer ihm die vornehme Damenwelt in ſeinen Cirkus zaubert. Einen ſolchen Magneten laͤßt man nicht verderben: hier iſt Gold, vollauf!

Das haͤtt ich nicht erwartet, ſagte Anton tief aufathmend und vollkommen beruhiget; fuͤr ſo nobel hab ich Papa Bonhomme nicht gehalten. Nun, es freut mich, daß ich ihm mein Unrecht abbitten darf und ich will all meine Kraͤfte aufbieten, reich - lich zu vergelten, was er an mir thut.

Von dieſer Stunde an beſſerte ſich Anton’s64 Befinden zuſehend. Der Arzt geſtattete ihm bald, auszugehen. Doch von der Reiſe nach Dr. wollte er noch nichts wiſſen. Die laß ich ihn nicht eher unternehmen, aͤußerte er gebieteriſch, bevor nicht der dumpfe Druck im Kopfe, uͤber den er bisweilen noch klagt, gaͤnzlich vergangen iſt. Denn ſteckt er erſt wieder bei den Andern, ſo will er auch gleich auf die Schindmaͤhre kriechen, das kennt man ſchon; da iſt kein Halten. Und das koͤnnte ihm jetzt noch ſchlecht bekommen. Wir muͤſſen ihm hier einige Zerſtreuungen bereiten, damit er nicht ſo gewiſſenhaft an ſeine ver - dammten Verpflichtungen gegen die vierbeinige Geſell - ſchaft denke. Er klagte ja neulich, daß er waͤhrend eures hieſigen Aufenthaltes nicht in’s Theater gehen konnte, weil er taͤglich in eurer Bude beſchaͤftiget war? Schicken Sie ihn dahin; das wird ihm wohl thun. Beſonders wenn man Luſtſpiele giebt. Er ſoll lachen. Er iſt zu ernſthaft fuͤr ſeine Jahre. Er iſt wohl verliebt, und ohne Hoffnung? He? Das muͤſſen Sie wiſſen?

Die Antwort der Jartour auf dieſe Frage des behag - lichen Arztes beſtand in ſanftem Erroͤthen und ernſtem Schweigen. Der alte Herr ſah ihr ein Weilchen in’s Geſicht, ſchuͤttelte ſodann ſeinen grauen Kopf und brummte vor ſich hin: Jn den Augen iſt nichts zu65 leſen, was nach meinem Argwohn ſchmeckt. Da ſteht nichts drinn, als Ehrlichkeit, Treue und Sittſamkeit. Und doch .... na, die Welt dreht ſich um, das muß ich ſagen. Solche Edition von einer Kunſtreiterin iſt unerhoͤrt.

Jhren Rekonvaleszenten zum erſten Ausgange zu bewegen, hatte der Jartour unendliche Muͤhe gemacht. Denn er fand ſich gar haͤßlich. Die von dem ſcharfen Meſſer des Wundarztes glatt abgeſchorenen Locken wuchſen nur ſehr langſam nach. Seine Haare hatten einen Hauptbeſtandtheil jener Eitelkeit, die ihn ſonſt bisweilen vor den Spiegel gefuͤhrt, abgegeben. Jetzt wich er dem eigenen Anblick moͤglichſt aus. Jch bin ganz unkenntlich, rief er faſt betruͤbt. Deſto beſſer, wendete ihm Adele, gutmuͤthig ſcherzend, dawider ein; ſo wird niemand wiſſen, daß es der ſchoͤne Antoine iſt, den er erblickt und Sie koͤnnen ſich dreiſt unter die Menge miſchen, wie auf einem maskirten Ball.

Wir erinnern uns aus dem erſten Theile dieſes Buch’s an einen Abend wo Genoveva in Liebenau dargeſtellt wurde. Seit jenem Abende hatte Anton unterſchiedlichen theatraliſchen Auffuͤhrungen bei -Die Bagabunden. II. 566gewohnt, in P., in D., in K. keine jedoch war der Art geweſen, großen Eindruck auf ihn hervorzubringen.

Sei es nun, daß ihn damals die Veraͤnderung ſeiner Lage, die auf ihn eindringenden Umgebungen, die ſteigende Leidenſchaft fuͤr Laura minder empfaͤng - lich machten? Sei es, daß er bedeutungsloſe Stuͤcke unwirkſam dargeſtellt ſah? Er hatte nicht erfuͤllt gefunden, was die erbaͤrmliche Dorfkomoͤdie ihm ahnungsvoll verheißen. Jetzt hoffte er etwas zu genießen, was ihn neu beleben, erfriſchen, was die Leere ausfuͤllen werde, die ſeit Laura’s Verrath in ſeiner Seele herrſchte.

Das Schauſpiel der Jude aus dem Engliſchen des Cumberland ſtand angekuͤndiget. Anton hatte, ſo lang er in Liebenau heranwuchs nur einmal einen Juden geſehen, einen alten Mann, der auf dem Schloſſe ein ihm gehoͤriges Wunderthier, eine Ente mit drei Beinen produzirte. Die Geſpielen der Schloßfraͤuleins durften einige ſchuͤchterne Gratis - Blicke in jenen Kaſten werfen, worin die bedauerns - werthe Mißgeburt ſchmachtete; einige der kuͤhnſten wagten ſogar, das Suplement-Bein zu ergreifen, um der Schmachtenden verſtohlen die dritte Pfote zu67 druͤcken. Anton aber hatte weder Ente, noch Pfote eines Blickes gewuͤrdiget; die großen Augen des neunjaͤhrigen Knaben waren unausgeſetzt auf dem alten ſchmutzigen Mann heften geblieben, der wie er glaubte den Heiland kreuzigen helfen. Heimgekehrt befragte er dringend ſeine Großmutter, warum denn auch ſolche Moͤrder frei umherlaufen und ſogar drei - beinige Enten beſitzen duͤrften, waͤhrend doch die rechtſchaffenſten Chriſten ſich mit zweibeinigen zufrie - den ſtellen muͤßten; derer nicht zu gedenken, die gleich ihnen, gar keine beſaͤßen? Worauf Mutter Gokſch den Fragenden an die unbegreifliche Langmuͤthigkeit Gottes verwieſen, welche ausnahmsweiſe dergleichen bisweilen dulde. Dieſe goͤttliche Langmuͤthigkeit war ihm ſpaͤterhin, namentlich waͤhrend des Aufenthaltes im Polniſchen, hoͤchſt ausgedehnt erſchienen, wo es von Juden rings um ihn her wimmelte und mitunter von ſolchen, die an aͤußerer Armuth noch weit hinter dem ehemaligen Entenbeſitzer zuruͤckblieben. Jn naͤhere Beruͤhrung war er mit keinem derſelben gerathen. Ein Jude blieb ihm etwas Exotiſches. Deshalb kam ihm auch unerklaͤrlich vor, wie man einen ſolchen zur Hauptperſon eines Drama’s machen koͤnne. Dies Befremden theilte er ſeinem Arzte mit,5*68der ihm auf dem Wege nach dem Schauſpielhauſe begegnete und fragte dieſen um Rath, ob er nicht lieber einen andern Abend zu ſeinem erſten Theater - beſuche waͤhlen ſolle?

Der Arzt ſchlug ein helles Gelaͤchter auf, als er Antons Anſichten von der Stellung gegenwaͤrtiger Judenſchaft zu gegenwaͤrtiger Welt vernahm. Was denken Sie ſich denn uͤberhaupt unter einem Juden, Sie naͤrriſcher Menſch? Meinen Sie, daß er ſich von den Chriſten unterſcheiden ſoll, wie ihr in euren Stal - lungen Mauleſel von Pferden unterſcheidet? Ein Jude, wenn er erzogen, angezogen, oder ungezogen iſt, wie Euresgleichen, duͤrfte manchmal ſchwer fuͤr einen Juden zu erkennen ſein. Ja, ich wette, es giebt Juden hier in B., mit denen Sie lange umgehen koͤnnen, ohne zu ahnen, daß es welche ſind.

Wie waͤre denn das moͤglich, fragte Anton, ein wenig eingeſchuͤchtert. Muß ein Jude nicht ausſehen, wie die Kerls, die in P. auf den Plaͤtzen umherliefen, mit ſchwarzem Kittel und langem Bart?

Nein, zum Teufel, das muß er nicht. Da, ſeh’n Sie her: hab ich einen Judenbart? Jſt das hier ein Kittel, was ich auf meinem Leibe trage, oder ein Frack, ein hoͤchſt chriſtlicher Frack? Wie? Sag ich69 Schachermachai? Wie? Und ich bin ein Jude, ein Jude, von Kopf bis zum Fuß, und habe Sie wieder auf Jhre chriſtlichen Fuͤße gebracht, nachdem Sie auf Jhren chriſtlichen Kopf gefallen waren. Na, erſchrecken Sie nicht; wir bleiben gute Freunde. Und jetzt geh’n Sie in’s Parterre. Sie ſollen etwas ſehen, was in ſeiner Art einzig iſt; was ſo noch nie - mals da war; und ſo niemals wiederkommen wird; Jffland iſt vielleicht ein groͤßerer Kuͤnſtler geweſen, ich weiß nicht, doch fuͤr Rollen dieſer Art, wie der Jude Schewa, hat es noch niemals einen groͤßeren Schauſpieler gegeben, als Sie heute bewundern wer - den. Jch beneide Sie um das Gluͤck, einen ſolchen Kunſtgenuß zum Erſtenmale zu erleben.

Anton fuͤhlte ſich noch zu verlegen durch die Ent - deckung, daß ſein guͤtiger Arzt auch ein Jude ſei; des - halb ſchwieg er. Sonſt wuͤrd er wohl Zweifel kund gegeben haben, an der Moͤglichkeit des verheißenen Entzuͤckens. Er empfahl ſich erroͤthend, loͤſete ſein Billet und miſchte ſich unter die Menge.

Fuͤr diejenigen Leſer, die mit unbefangenem Sinne und empfaͤnglichem Gemuͤthe begabt, noch ſelbſt erlebt haben, was hier der Verfaſſer andeutet, bedarf es kei - ner auseinanderſetzenden Beſchreibung deſſen, was70 unſer Held ſah und hoͤrte. Denjenigen jedoch, welche ſolches Eindruckes nicht mehr theilhaftig geworden, muͤßte meine Schilderung nutzlos bleiben. Und nicht blos die meinige, weil ſie ſchwach, matt, armſelig ausfallen duͤrfte; nein, jede, auch die beredetſte. Denn was ein ſchoͤpferiſcher Genius auf der Buͤhne in’s Leben rief, ſtirbt mit ihm; ja leider gar oft noch vor ihm, wenn er ſeinen Glanzpunkt uͤberlebt. Das Beſte, was man davon ſagen und ſchreiben koͤnnte, verhaͤlt ſich zu dem, was beſchrieben werden ſoll, wie ein Buch uͤber die Gartenkunſt zum Fruͤh - ling. Doch gleich dem Fruͤhling, der mit all ſeiner Herrlichkeit den ſchlichten Landmann, als gewoͤhnliche alljaͤhrlich wiederkehrende Erſcheinung, eben nur in ruhiges Behagen verſetzt, waͤhrend er die Seele des wiſſenſchaftlich-ſtrebenden Naturfreundes mit himm - liſcher Wonne durchdringt, gewaͤhrt wohl auch dramatiſche Vollkommenheit, ſo lange dieſelbe in den Formen und Grenzen unſeres alltaͤglichen Daſeins nachahmend wirkt, nur dem Kunſtkenner hoͤchſte Be - friedigung, der in ihr den Triumph kuͤnſtleriſch-ver - edelter Wahrheit und Naturtreue ſieht, wo der Unein - geweihte, gerade weil er die reine Natur zu betrachten waͤhnt, gar keine Kunſt ahnet. Nicht anders erging71 es unſerem Anton mit dem Juden Schewa. Er war ergriffen, geruͤhrt, erſchuͤttert, entzuͤckt; er weinte ſee - lige Thraͤnen des Mitgefuͤhls; aber er dachte nicht daran, dieſes Opfer dem Kuͤnſtler zu ſpenden. Er bracht es dem Menſchen, an den er glaubte, der fuͤr ihn der wirkliche Jude Schewa wurde, den er aus Herzensgrunde flehentlich um Verzeihung bat, daß er mit kindiſch-feindlichem Vorurtheile in ſein Haus getreten ſei.

Und wie in Liebenau nach Darſtellung der Geno - veva, obgleich diesmal mit ganz anderen Empfindun - gen, blieb er unter dem Gewicht des Miterlebten und Durchlebten ſinnend, traͤumend ſtehn, wo ſeine Nach - barn laͤngſt, leere Worte wechſelnd, verſchiedenen Zer - ſtreuungen zueilten. Die Hand ſeines Arztes, die ſich ſanft ihm auf die Schulter legte, erweckte ihn. Jch brauche weiter nicht zu fragen, ſprach dieſer; die Thraͤnen auf ihren Wangen ſagen mir deutlich genug, daß meine Prophezeihung wahr geworden an Jhnen. Deſto beſſer: eine ſo wohlthuende Ruͤhrung kann nicht ſchaͤdlich ſein. Das Stuͤck war kurz, es iſt noch eine volle Stunde Zeit, bis die Buͤrgerglocke des Re - konvaleszenten ſchlaͤgt. Fuͤr dieſe Stunde moͤgen Sie mein Gaſt ſein. Jch lade Sie ein, mir in eine72 Weinſtube zu folgen. Jn Unkoſten will ich mich Jhrethalb nicht ſtecken, denn ich ſetze Jhnen nichts vor, als ein Glas Selterſer Waſſer mit Zucker; Wein erlaubt Jhnen Jhr Arzt zur Nacht noch nicht. Dafuͤr ſollen Sie eine Ueberraſchung genießen, die ich Jhnen vorbehalte. Nur Eines verſprechen Sie mir: daß Sie kein deutſches Wort vorbringen und ſich anſtellen wollen, als waͤren Sie ein Stockfranzoſe.

Sie fanden den Weinſchank in der Naͤhe des Schauſpielhauſes. Der Arzt begab ſich mit ſeinem Gaſt in eine Ecke des nicht allzugeraͤumigen Gemaches, wo ſie die Nachbartiſche am Beſten uͤberſehen konnten. Es waren um dieſe Stunde nur wenig Gaͤſte gegen - waͤrtig: einige ſtumme alte Herren; auch dieſe ver - loren ſich, bei der Kunde: das Theater ſei geſchloſſen; wie wenn ſie einer bald zu erwartenden Schaar von ſpaͤteren Stammgaͤſten Platz machen wollten, mit denen zuſammen zu treffen, ſie nicht viel Luſt bezeig - ten. Solche fanden ſich denn auch bald in lauten Geſpraͤchen ein, um ſich haͤuslich niederzulaſſen. Mehrere gruͤßten den Arzt, indem ſie ihn einluden, in ihre Naͤhe zu ruͤcken, wobei er entſchuldigend auf ſeinen jungen Gaſt wies, um welchen ſich zu bekuͤm - mern Keiner Zeit fand. Denn ſie waren alle heftig73 angeſtrengt, durch das Beduͤrfniß witzig zu ſein , dem ein jeder ſich fuͤgen mußte, wollte er bei ihnen gelten. Wem es damit nicht gelang, ſah ſich genoͤ - thiget zum Stichblatt fuͤr die Witze der Gluͤcklicheren zu dienen. Aber auch das ſtrengt an, weshalb denn jeder ſein Buͤndel zu tragen hatte.

Der Arzt ſagte leiſe zu Anton: ich habe mit Jhnen abgeſondert von jenem Konvivium bleiben wollen, um Jhnen mitunter einige Bemerkungen zufluͤſtern zu koͤnnen, uͤber die Originale, die ſich da gruppiren. Der Große, zum dick werden Hinneigende, mit dem urſpruͤnglich edlen, jetzt verſchwommenen, aſchgrauen Schlemmerangeſicht iſt ein ehemaliger Hauptmann, der eine ſchoͤne Schauſpielerin ehelichte, die er aber natuͤrlich ſehr ungluͤcklich macht. Er iſt ein unwiſſen - der, doch begabter Kopf; imponirt durch Ruchloſig - keit und behauptet ſich auch hier durch freche Spaͤße. Der neben ihm ſitzende, noch laͤnger als er, aber zaun - duͤrre, ſchwarz braune Mann, der immer das kleine Brillenglaͤschen vor’s Auge kneift, iſt eine der ſelt - ſamſten Perſoͤnlichkeiten auf Erden. Von ſehr guter Familie, mit welcher ihn ſein unordentlicher Lebens - wandel bald in Zwieſpalt bringt, ſeine Gutmuͤthigkeit bald wieder verſoͤhnt, zieht er gewoͤhnlich vor, den74 Salon ſeines Schwagers, des Herrn Miniſters Ex - cellenz gegen Kneipen und Spiel-Spelunken zu ver - tauſchen. Seine Eigenſchaft als Spieler von Pro - feſſion zieht ihn zum Hauptmann, der dies auch iſt, den er aber daneben vollſtaͤndig verachtet und fuͤr einen gemeinen Kerl erklaͤrt. Jener bleibt ihm nichts ſchuldig und nennt ihn einen Saͤufer, was ſich leider auch beſtaͤtiget. So leben dieſe Menſchen in ſtetem Kampfe, ohne ſich entbehren zu koͤnnen und beluſtigen ihre Gefaͤhrten, durch die witzigen Bitterkeiten, die ſie ſich in’s Geſicht werfen. Waͤhrend der Sommer - monate der Bade-Saiſon, vagabundiren ſie auf Raub am gruͤnen Tiſche im Lande umher. Der freundlich - ernſte Mann auf der anderen Seite der Tafel, dem Sie leicht abmerken werden, daß er zu Jhnen nicht paßt, und daß er halb und halb wider ſeinen Willen in ihrer Geſellſchaft weilt, iſt ein Re[ch]tsgelehrter, ein wuͤrdiger Beamter, bei dem ſogar fromme Richtungen vorherrſchen, der aber daneben eine ſo leidenſchaftliche Vorliebe fuͤr Poeſie und Literatur beſitzt, daß er Die - jenigen, die darin etwas leiſten, aufſuchen muͤßte, wenn ſie auch ſchon in der Hoͤlle ſchwitzten. Jn die - ſer ſch witzt nun gewiſſermaßen der neben ihm aus einem ſcharfen Vogelgeſicht herausglurende kleine75 Teufelskerl, dem zu Ehren er hier iſt; dem zu Ehren und zu Liebe er die Gemeinheiten, an denen es oft nicht fehlt, uͤberhoͤren will.

Warum ſchwitzt aber der Kleine gewiſſermaßen in der Hoͤlle? fragte Anton mitleidsvoll.

Der Arzt entgegnete: Erſtens und zunaͤchſt weil er, wie ich gruͤndlich weiß, an einer unheilbaren Krankheit leidet, vor der Gott Jeden bewahren wolle, indem ſie ein recht artiger Vorgeſchmack von Hoͤlle und Zubehoͤr ſein mag: die Ruͤckenmarkſchwindſucht! Zweitens weil er in lauter Hoͤllenſpuck, Zauberer - Wirthſchaft und Teufels-Phantaſieen lebt, webt und dichtet. Die modernen Leute und Weiſen unſerer Zeit finden das hochpoetiſch. Jch, der ich noch aus der aͤlteren Zeit und Schule herſtamme, verſtehe weder das Entzuͤcken der Leſer, noch die Abſichten des Ver - faſſers, der mich uͤbrigens nicht leiden kann, weil er mit Juden-Haß kokettirt. Aber das macht nichts. Von uns Alten iſt keine Rede und die Gegenwart hat Recht. Er, ſehen Sie Antoine, er iſt ſo eigentlich das Centrum dieſes excentriſchen Kreiſes, den man freilich nicht Kreis nennen ſollte, denn die Rundung fehlt ihm und man ſtoͤßt ſich an ſeine ſcharfen Ecken, ſobald man zu nahe kommt. Jch beſuche ihn dennoch bis -76 weilen, und hege, trotz meiner Abneigung gegen ihre Formen, Reſpekt vor der Maͤnner Geiſt und Humor, welcher letztere um ſo draſtiſcher auf mich wirkt, aus je zerriſſeneren Herzen er hervordringt.

Jch verſtehe Sie nicht recht, ſagte Anton aufrichtig.

Das ſchadet gar nichts, lachte der Arzt; an mei - nen Urtheilen verlieren Sie nichts. Die uͤbrigen Anweſenden, denn es findet heute, wie ich ſehe, keine brillante Sitzung ſtatt, ſind ziemlich unbe - deutende Geſellen. Junge Herren, die ſich der noblen Paſſion des Kartenſpieles widmen, ein angehen - der Poet, einige Theater-Mitglieder, das ſchießt ſo an, wie Schmarotzer-Pflanzen um Baumſtaͤmme.

Aber lieber Herr Doktor, Einen ſeh ich, den Sie mir nicht naͤher bezeichnen und der mir der Merk - wuͤrdigſte ſcheint. Dort, am Ende des Tiſches, der Schweigende, dem die langen ſchwarzen Haare in’s bleiche Antlitz haͤngen, mit der krummgebogenen Naſe, mit den Augen, wie ich im Leben noch keine ſah. Sagen Sie mir um Gottes willen, wer iſt der Menſch?

Das wiſſen Sie nicht? ſchrie der Arzt ſo laut, daß Alle ſich erſtaunt nach ihm hinwendeten; das wiſſen Sie nicht und kommen aus dem Theater? 77Theuerſter, ſind Sie denn noch einmal auf den Kopf gefallen und diesmal gar auf die Stirn? Das iſt ja Der, um deswillen ich Sie uͤberhaupt hierher fuͤhrte; um deswillen ich Sie in’s Theater ſchickte. Das iſt ja Er! Er ſelbſt!

Wer, er ſelbſt? Nun verſteh ich Sie noch weniger, als vorhin.

Menſch! Kunſtreiter! Violinſpieler! Pferd! Pferdekopf, der Sie ſind! Haben Sie einen Komoͤdien - Zettel? Kellner, den Komoͤdien-Zettel von heute! Hier, da legen Sie den Finger hin. Da leſen Sie, was ſteht hier?

Schewa, ein alter Jude!

Gut. Und in der gegenuͤberſtehenden Kolumne?

Herr Devrient!

Nun, alſo!

Wie denn, alſo? Was hat der alte Jude mit dem ſchoͤnen jungen ſchwarzhaarigen Manne zu thun?

Nichts weiter, als daß er es ſelbſt iſt.

Sie wollen uͤber mich ſpotten; uͤber meine Leicht - glaͤubigkeit. Das iſt ja rein unmoͤglich.

Der Arzt vergaß, daß er ſeinem Gaſte anempfoh - len, ſich zu ſtellen, als verſtaͤnde er nur Franzoͤſiſch (wahrſcheinlich damit ſeine Gegenwart die Unge -78 zwungenheit der Geſellſchaft nicht hindere). Er ſprang auf, naͤherte ſich dem anderen Tiſche und rief den Herren zu: Wie finden Sie das? Hier, mein jugendlicher Patient, der heute im Schauſpiel war, nennt mich einen Luͤgner, weil ich ihm die Verſicherung gebe, der Darſteller des Schewa ſitze unter uns.

Wer iſt der junge Menſch? fragten mehrere Stim - men. Antoine war wegen des noch nicht hergeſtellten Haarwuchſes, wie bereits erwaͤhnt, ſehr veraͤndert.

Der Kunſtreiter Antoine, antwortete der Arzt, mein Pflegling, mein lieber junger Freund, ein braver Burſch; aber daß er auch ſo albern ſein koͤnnte, haͤtt ich ihm nicht zugetraut.

Sie haben mir mitgetheilt, Herr Doktor, begann jetzt Anton, der ſich unterdeß geſammelt, daß in die - ſem Kreiſe, wo der Witz vorherrſcht, manchmal Dieſer und Jener als Stichblatt dafuͤr herhalten muͤſſe. Sie haben auch gewiß Recht, wenn Sie mich zu den Aermeren an Geiſt zaͤhlen, die in ſolchem ungleichen Kampfe der leidende Theil zu ſein pflegen. Jch unter - werfe mich gern. Nur bitte ich doch, daß Sie es fuͤr mich etwas feiner einrichten. Die Schlinge, die man mir jetzt legen will faͤllt gar zu ſehr in die Augen. Der alte Jude von heute Abend hat mich tief bewegt79 und zu inniger Theilnahme und Verehrung aufge - fordert. Aber gerade weil ſein Alter, ſeine Gebrech - lichkeit, ſein ſchwerer Streit zwiſchen erhabenen Ge - ſinnungen und niederen Gewohnheiten ganz natuͤrlich, einfach auf mein Gemuͤth wirkten, ſoll mich niemand uͤberreden wollen, der Menſch, den ich oben auf der Buͤhne vor mir leben ſah, koͤnne ein Anderer geweſen ſein, als ein gebeugter, unterdruͤckter, kleiner Greis. Seine Phyſiognomie ſteht noch ſo deutlich in meiner Erinnerung, daß ich ſie unter Tauſenden wieder erkennen wuͤrde. Wie moͤgen Sie nun verlangen, daß ich dieſen Kopf, uͤber deſſen wunderſame Schoͤn - heit ich Jhnen mein Entzuͤcken ſo eben in’s Ohr lis - pelte Verzeihen Sie, mein Herr! fuͤr den grauen, kahlen Schaͤdel des Juden halte? Jch bitte Sie Alle, ſtehen Sie mir bei und erſuchen Sie meinen lieben Arzt, mich auf eine ſchwierigere Probe zu ſtellen. Dieſe ſetzt ſeine Meinung von meinem Verſtande gar zu ſehr herab.

Aller Augen, die mit freundlicher Theilnahme am Sprechenden gehangen, wendeten ſich jetzt, fragend und erwartend dem beruͤhmten Schauſpieler zu. Nie - mand redete. Anton that wie Jene. Auch er betrachtete ſchweigend des Kuͤnſtlers Angeſicht.

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Jn dieſem ging eine unbeſchreibliche Veraͤnderung vor. Die großen Augen wurden enger, Kinn und Unterlippe ſchienen zuruͤckzutreten*)Es iſt bekannt, daß Jffland ſowohl, wie Ludwig Devrient, in ihren bedeutendſten Rollen ſich ſo viel wie gar nicht ſchminkten und den mimiſchen Ausdruck faſt immer von geiſtiger Einwirkung abhängig machten. Bei Devrient fand nur dann eine Ausnahme ſtatt, wenn er ſich für gewiſſe Schwänke eine förmliche Maske erfand, die dann freilich ſo außerordentlich gerieth, daß er mit Demjenigen, den er viel - leicht kopieren wollte, zu verwechſeln war. Als nach dem Ab - gange des beliebten, aber fratzenhaften Komikers Becker in Breslau z. E. die Pfarre von Jul. von Voß aufgeführt wurde, erſchien Devrient als Becker, der im gewöhnlichen Leben ſo viel Aehnlichkeit mit ihm hatte, wie ein Bulldogg mit einem Löwen; und brachte ſolch vollkommene Täuſchung hervor, daß im Parterre Wetten gewagt wurden: B. ſei wieder zurückgekehrt und wolle das Publikum überraſchen. Anm. des Verfaſſers. , der Ruͤcken beugte ſich krumm, die Bruſt fiel ein; mit beiden Haͤnden ſtrich der Mann ſein rabenſchwarzes Haar aus der Stirn und ſtreifte es, in gehorſam ſich ſchmie - genden Locken glatt zuruͤck. So, ein ganz anderer Menſch, bevor noch ein menſchliches Auge entdecken konnte, wann und wie er dies geworden, richtete er an Anton jene alle Nerven durchdringenden Worte, die kein Fuͤhlender vergeſſen kann, der ſie je aus D. ’s81 Munde vernahm: Das iſt der edler Mann, was mich hat gerettet aus die Haͤnde von die vergrimmten Maͤtroſen!

Dann ruͤckte er ſich wieder zurecht, ließ die Haare wieder in’s Geſicht fallen, ſchlug ſein Goͤtter-Auge zu Anton empor und fragte mit liſtig-laͤchelnden Lippen: Nun, Roſſebaͤndiger, ſaitenſtreichender Orpheus, bin ich’s?

Anton ſtand bleich und unbeweglich.

Nach einem Weilchen des Schweigens fuͤhlte er mit der Rechten nach ſeinem Kopfe und ſagte zum Arzte: ich denke, wir gehen?

Dann ſuchte er ſeinen Hut, trat vor Devrient hin, ergriff deſſen Hand, druͤckte ſie an ſein Herz und ſprach mit bebender Stimme: Jetzt weiß ich wohl, was ein Schauſpieler iſt! Der Arzt fuͤhrte ihn nach Hauſe.

Die Vagabunden. II. 682

Vierunddreißigſtes Kapitel.

Ueber den Umgang mit Schauſpielern. Adele reiſet ab.

Giebt es viele ſolche Schauſpieler? fragte am naͤchſten Tage Anton ſeinen Arzt.

Es kommt darauf an, wie die Frage geſtellt wird, erwiederte Dieſer. Der außerordentliche Menſch, den Sie geſtern kennen lernten, bleibt eben auch ein Menſch und als ſolcher findet er nicht nur Grenzen fuͤr ſein Genie, welche er meiner beſcheiden en Anſicht zu Folge, nicht ſo haͤufig uͤberſchreiten ſollte, als er thut; es geſchieht auch ſonſt von ſeiner Seite gar Vieles, dieſe Grenzen taͤglich beſchraͤnkender zu machen, weil er foͤrmlich darauf hinarbeitet, ſeinen Organis - mus zu zerſtoͤren; ſich koͤrperlich wie geiſtig aufzurei - ben. So jung er noch iſt, Sie wuͤrden ihn, wenn ſie ihn in mancherlei Darſtellungen ſehen ſollten, zu denen ſeine Kraͤfte nicht mehr ausreichen, fuͤr eine Ruine halten; und noch dazu fuͤr die Ruine eines ſehr inkorrekten Gebaͤudes. Deshalb will ich glauben und hoffen, daß es in Deutſchland an Schauſpielern nicht fehle, die ihn in ſolchen Rollen zu uͤberbieten vermoͤgen. Handelt ſich’s aber um Charaktere, die ihm zuſagen, die ihn ganz erfuͤllen und von ihm ganz ausgefuͤllt83 werden, ... nun, da hab ich Jhnen ja bereits meine Meinung eroͤffnet: Da, denk ich, hat es nichts Glei - ches gegeben, und wird es auch nicht ſo bald.

Jſt er wohl im Umgang eben ſo hinreißend, wie auf der Buͤhne?

Jm Ganzen neigt ſich ſeine Natur zur Schweig - ſamkeit. Wie wir ihn geſtern ſtumm ſitzen, ſeinen Wein ſchluͤrfen, die Nachbarn durch Blicke zu ihren Hahnenkaͤmpfen anſpornen ſahen, ſo kann er’s lange aushalten. Dann belebt er ſich wohl einmal, und dann redet er klug und gut, wie ein geiſtreicher, be - deutender Mann. So hab ich ihn oͤfters gehoͤrt. Auch darin macht er eine Ausnahme von den meiſten Schauſpielern.

Wie ſoll ich das verſtehen? Wollen Sie dadurch andeuten, die meiſten dieſer Herren waͤren nicht geiſt - reich? Nicht liebenswuͤrdig und belehrend im Um - gang? Nicht wiſſenſchaftlich gebildet? Jch denke doch, dies Alles muͤßten ſie nothwendig ſein, durch ihren Beruf, und fuͤr denſelben?

O Gott, Du hoͤrſt das Lallen des Unmuͤndigen! rief der Arzt mit aufgehobenen Armen. Antoine, Sie ſind ja eine voͤllige Unſchuld, was dieſen Punkt betrifft.

6*84

Warum, wenn es nicht ſo waͤre, wuͤrden ſo viele junge Leute die Geſellſchaft von Schauſpielern auf - ſuchen? Wie Sie ſelbſt mir neulich erzaͤhlten, als wir von meinem und Adelens Gegner, dem kleinen Grafen redeten?

Warum? Kind, das iſt ein kurzes Frage-Wort, brauchte aber eine lange Antwort, ſollte dieſelbe er - ſchoͤpfend ſein. Zu ſolcher hab ich heute nicht Muße, denn ich ſoll noch einigen meiner Kundſchaften auf dem Wege zum Friedhofe behuͤlflich werden; nehmen Sie alſo mit einer kurzen vorlieb: Die Sucht mit Schauſpielern zu verkehren, kann zweierlei Gruͤnde haben. Bei jungen Maͤnnern, die entweder Neigung und Beruf zur dramatiſchen Kunſt, zur theatraliſchen Poeſie in ſich ſelbſt ſpuͤren, oder doch von deren Wir - kungen entzuͤndet ſind, iſt es begreiflich, daß ſie mit Denen umzugehen trachten, welche Beides uͤben und darſtellen. Sie erblicken in ihnen nur die Prieſter vom Tempeldienſte des Schoͤnen; halten ſich an ihre beſſeren perſoͤnlichen Eigenſchaften; uͤberſehen, ent - ſchuldigen, verzeihen ihre Schwaͤchen und Fehler. Ja ſogar, wenn ſinnliche Verirrungen den Konflikt mit Schauſpielerinnen herbeifuͤhren, bleiben ſie doch auf der Hoͤhe reiner Begeiſterung fuͤr eine Sache, um85 deren Willen unliebenswuͤrdige Perſonen liebens - wuͤrdig erſcheinen koͤnnen. Dieſe Art von Verkehr kann ich weder ſchaͤdlich noch gefaͤhrlich finden. Eltern und Erzieher haben Unrecht, daruͤber zu klagen und die Schuld auf den Umgang mit Schauſpielern zu ſchieben, wenn ſolche Burſche, dem Verbot entgegen, auf die Bretter laufen. Denn das wuͤrden ſie, fruͤher oder ſpaͤter auch ohne ſolchen Umgang gethan haben, wofern ihr Trieb wirklich ein unbeſieglicher war. Jſt er dies aber nicht, dann dient gerade die naͤhere Bekanntſchaft mit Theaterleuten dazu, ſehr nuͤtzliche Enttaͤuſchungen hervorzubringen: Man lernt endlich Sache und Perſonen von einander ſondern und bleibt der Liebe zur Kunſt getreu, ohne auf die Kuͤnſtler zu ſchwoͤren. Das iſt, wie Sie mich alten Kerl hier vor ſich ſehen, mein eigener casus geweſen. Als ich vor beinahe vierzig Jahren, ein munterer Junge in Jhrem Alter, von der Univerſitaͤt zuruͤckkehrte, gefiel mir das Doͤbbeliniſche Theater ungleich beſſer, wie das ana - tomiſche. Wir beſaßen damals noch keine ſtehende Buͤhne; reiſende Schauſpielunternehmer wechſelten mit ihren Truppen. O mein lieber Antoine, Sie merken es dieſem grauen Kopfe nicht an, wie ſuͤß heute noch die Namen: Witthoͤft, Mekour, Bruͤck -86 ner, Schuͤler, Boͤheim, Tilly, Scholz und anderer theatraliſcher Vagabunden in meinem Herzen nach - klingen!? Waͤr ich nicht zu dem Volke gehoͤrig gewe - ſen, welches im Großen und Allgemeinen das Vaga - bundenthum fuͤr die ganze Erdkugel gepachtet zu haben ſcheint, (zum Volke der Juden, meine ich) ich wuͤrde vielleicht der Arzeneikunde entſprungen ſein, um auf der Buͤhne mein Unheil zu verſuchen. Das Vorurtheil ward mein Retter. Dennoch ging ich fleißig mit Schauſpielern um und habe dieſem Um - gange viel zu verdanken; ja, waͤre mir auch nichts davon verblieben, als die Erinnerung, die mich wun - derſam friſch erhalten fuͤr Alles, was groß und ſchoͤn bleibt im Gebiete jener phantaſtiſchen Kuliſſen-Welt. Dabei bin ich doch ein ſolider Arzt geworden, der ſeine Kranken ganz ertraͤglich behandelt, wie Figura zeigt. Meinem Jugend-Umgang zum Trotz! Solchen Umgang hat ja auch ſeine Philiſter-Mitwelt dem großen Gotthold Ephraim Leſſing vorgeworfen, waͤhrend die Nachwelt gerade demſelben Umgang Werke zuſchreiben muß, die derohne wahrſcheinlich nicht ent - ſtanden waͤren. Das iſt denn die Lichtſeite. Aber auf der Schattenſeite erblicken wir die Neigung junger Maͤnner, ſich mit Schauſpielern umherzutreiben, 87 und dieſe nimmt immer mehr uͤberhand, je mehr die Schranken fallen, welche ſonſt den Komoͤdianten vom Leben trennten, eine Neigung, die lediglich aus Langerweile, innerer Hohlheit, dummer Ober - flaͤchlichkeit, geiſtiger Armuth entſpringt. Jm Kaffee - hauſe, ihrer hohen Schule; bei’m Billard, oder Spiel - tiſch: ihren Kathedern, aufgewachſen, ſuchen jene Tagediebe unter den Schauſpielern nichts, als privi - legirten Muͤßiggang, gedankenloſe Luͤderlichkeit, fades Kuliſſengetraͤtſch und Kuppelei. Ohne Begeiſterung fuͤr die Kunſt, ja ohne Theilnahme dafuͤr, gehen ſie nur auf die handwerksmaͤßige Erbaͤrmlichkeit ein, die von jeder Kunſt unzertrennlich, bei Ausuͤbung der theatraliſchen gerade auf’s Widrigſte hervortritt. Die verbruͤdernden Zunftverhaͤltniſſe ehemaliger wandern - der Truppen haben aufgehoͤrt, ſo weit dieſelben noch fuͤr’s Enſemble, fuͤr’s gemeinſame Wirken nuͤtzlich werden konnten. Sie ſind leider in voller Geltung geblieben fuͤr Alles was Gemeinheit, rohe Geſinnung, Lumperei heißt. Und deshalb behaupte ich: wer viel mit Theaterperſonen umherzieht, ohne fuͤr Poeſie und Kunſt zu ſchwaͤrmen; wer eben nur mit ihnen kneipen, leben, lieben, haſſen, laͤſtern, verleumden,88 klatſchen will, der iſt entweder, oder wird ein verlorener Menſch!

Doch da kommt Jhre treue Pflegerin, und der alte Schwaͤtzer verſtummt. Denn jetzt heißt es: franzoͤſiſch reden und damit will’s mir nicht gelingen.

Wie ſieht’s aus, chèr docteur? fragte Adele im froͤhlichſten, freundlichſten Kontra-Alt ihrer ſonoren Stimme. Jſt ihm der Abend im Theater gut bekommen?

So gut, erwiederte der Arzt, daß ich nur wuͤnſchte, Jhnen den guͤnſtigen Effekt deſſelben in beſſerem Franzoͤſiſch zu beſchreiben, als mir vom Munde geht.

Folglich wird er, werden wir bald reiſen duͤrfen.

Antoine iſt gaͤnzlich hergeſtellt. Bis geſtern hab ich mit dieſer Erklaͤrung gezaudert, weil ich beſorgte, eine Nervenaufregung koͤnne vielleicht ſchaͤdlich ſein. ... Man tappt im Finſtern, weil keine Klappe im Hirn - ſchaͤdel angebracht werden darf. Doch nehm ich heute Alles zuruͤck. Er iſt geſund. Seine Jugend - kraft wird das Uebrige thun und auch den Haarwuchs treiben. Wollte Gott, es koͤnnte mir, da er ſo viel hat, ein Geringes davon abtreten. Aber ich muß89 fort, eh ich wieder in’s Plaudern gerathe, das iſt mein Erbfehler, bei Menſchen, die ich gern habe.

Faſt war er ſchon aus der Thuͤr, als Adele ſich noch einmal zu ihm wendete, um ihm mit einem Adieu! welches feierlich klang, die Hand zu reichen.

Jſt das ein Abſchied? fragte der Gehende.

Vielleicht, erwiederte ſie; jedenfalls ein armes Zeichen meiner Dankbarkeit.

Oh, wir ſehen uns noch, rief der Doktor von der Treppe hinauf; ich komme wieder, auch wenn er meiner nicht mehr bedarf. Jch komme wieder, Kin - der; ich hab euch lieb.

Braver Mann! ſagte Adele und ſchloß die Thuͤr. Nun Antoine, fuhr ſie fort, zu uns beiden. Guillaume wird ungeduldig; er braucht mich. Die Felix ſchlaͤgt nicht ein, wie er’s wuͤnſchte. Sie haben Gott ſei Dank keine Waͤrterin mehr noͤthig. Laſſen Sie mich voran reiſen. Es iſt beſſer. Nur um wenige Tage. Schonen Sie ſich noch. Unſer Freund, der Arzt, wuͤnſcht es ſelbſt. Er hat es mir heimlich geſagt. Das Gold, welches wir von Guillaume’s Vorſchuß eruͤbriget, behalten Sie zuruͤck. Sie muͤſſen auch noch den Arzt honoriren, und reichlich: das ſind Sie90 Jhrem guten Namen ſchuldig. Adieu, ohne Adieu! Wir ſehen uns bald wieder.

So raſch, Adele?

Jch liebe die raſchen Entſchluͤſſe.

Sie laſſen mir nicht Zeit, Jhnen zu danken

Sie, mir, Antoine? Wofuͤr? Jch bin es, die Jhnen zu danken hat. Aufgewachſen unter Pferden und Menſchen, oftmals ſchlimmer als Pferde; ohne Erziehung, ohne Erkenntniß meiner ſelbſt, hab ich ein elendes Daſein gefuͤhrt. Als Kind ſchon eingeweiht in Alles, was gute Eltern ihren Kindern ſo lange wie moͤglich fern halten, lebt ich ein leichtſinniges Leben, gleich den Andern. Nicht weil es mich reizte, nur weil ich es ſo ſah und hoͤrte. Jch fuͤhlte mich nie gluͤcklich. Man fand mich ertraͤglich, man lobte meine Bravour, ich hatte Liebhaber, ich liebte Keinen! Jch ſchwamm in Ueberfluß, mein Herz blieb leer .... bis ich Sie erblickte. Die Liebe fuͤr Sie, eine heilige, reine Liebe, fuͤllte jene Leere eines ganzen nichtigen Lebens aus. Jch bin noch zu jung, Jhre Mutter zu ſein; dennoch war etwas von der Liebe einer Mutter in die Empfindung gemiſcht, die Sie mir gaben. Sie liebten eine Andere. Jch hielt mich fern. Sie wurden betrogen, ich machte Sie frei! Vielleicht waͤr ich91 elend genug geweſen, den Preis ihrer Freiheit in Jhren Armen zu ſuchen, ... da trat ein Wunder zwiſchen uns. Der Tod beruͤhrte Sie mit eiſerner Fauſt, als wollt er mich warnen: ruͤhre Du nicht an, was Dir nicht beſchieden iſt, was Du nicht verdienſt. Jch begriff dieſen Wink. Jch gehorchte ihm. Jch entſagte willig, aus voller Seele; ich wurde Jhre Schweſter. Daß ich nichts weiter ſein und bleiben wollte, gelobt ich der Jungfrau Maria. Sie vernahm wohlgefaͤllig dies Geluͤbde, denn kaum war es ausgeſprochen, kehrte Jhr Bewußtſein zuruͤck und von dieſem Augenblick waren Sie außer Gefahr. So reich bin ich durch Sie geworden, und Sie wollen mir danken? Keine Silbe mehr davon! Nie mehr, mein Bruder! Lebewohl!

Jhre Lippen beruͤhrten die ſeinen und ſie flog mehr, als daß ſie ging, die Treppe hinab.

Auf Wiederſehn in Dr. rief er ihr nach! Auf baldiges Wiederſehn.

Und Auf Wiederſehn, gewiß! klang es zuruͤck.

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Fünfunddreißigſtes Kapitel.

Anton fühlt ſich vereinſamt. Er faßt den Entſchluß, Schauſpieler zu werden und wendet ſich an den größten, den er kennt. Was dieſer von der Bühne denkt und von ſich. Wie Anton ſeinen Entſchluß wieder fallen läßt.

Erſt nachdem Anton einige Stunden allein ge - blieben, wurd es ihm weh um’s Herz, daß die Jar - tour ihn verlaſſen. Er rief ſich das Benehmen dieſes eigenthuͤmlichen Maͤdchens vom erſten Tage ſeines Antrittes bei Guillaume bis heute in’s Gedaͤchtniß und fand durch aufmerkſames Vergleichen und Er - waͤgen aller einzelnen Umſtaͤnde die auffallendſte Be - ſtaͤtigung ihrer zuletzt an ihn gerichteten Bekenntniſſe. Nur zwiſchen dieſer unerwartet haſtigen Abreiſe und jener Bereitwilligkeit, womit ſie ſorglos und gleich - guͤltig gegen ihre Engagements-Verpflichtungen, als ſeine Pflegerin zuruͤckgeblieben war, ſchien ihm ein Widerſpruch zu liegen, deſſen Loͤſung er vergebens aufſuchte, und der ihn, je laͤnger er ſich abmuͤhete ihn aufzuklaͤren, deſto heftiger beunruhigte. Es miſchten ſich allerlei wechſelnde Gefuͤhle in dieſe Unruhe. Zaͤrtlichkeit war auch dabei. Zaͤrtliche, wehmuͤthige Sehnſucht nach einer ſo edelgeſinnten, uneigennuͤtzigen, ſeltenen Freundin. Einigemale ſchon ſtand er im Begriff, nach ihrer Wohnung zu eilen, ſie vor der93 Abreiſe noch zu ſehen, ihr die Zuſicherungen aufrich - tigſter Freundſchaft nachzurufen! Dann wieder hielt ihn die Ueberlegung zuruͤck, daß er ihr in wenigen Tagen folgen, mit ihr zuſammen ſein, ſtuͤndlich Ge - legenheit finden werde, ſie von ſeiner anhaͤnglichen, dankbaren Treue zu uͤberzeugen. Und wenn dieſer Gedanke ihn troͤſtend anlaͤchelte; wenn die Ausſicht, neben ihr wieder den erwaͤhlten Beruf anzutreten, ihn der Jartour zu Liebe beruhigte, konnte er ſich dabei doch nicht verhehlen, daß fuͤr ihn ſelbſt eine mehr als bange Vorahnung damit verbunden ſei! Um ſo laͤnger, je vaguer und unbeſtimmter dieſelbe in ſeinem Jnnern waltete.

Meinen Beruf wieder antreten? Und worin beſtand denn ſein Beruf? Darin, jeden Morgen zu uͤben, was er am Abend vor hundert, oder tauſend neugierigen gedankenloſen Gaffern gedankenlos wie - derholen ſollte. Einen Abend wie den andern; ohne Beſchaͤftigung des Verſtandes, ohne Theilnahme des Gemuͤthes. Ohne das Bewußtſein auch nur in irgend einer Seele, beſſere, edlere Regungen dadurch hervor - zubringen. Freilich, wendete er ſich ſelbſt wieder ein, werd ich nicht ſtehen bleiben, bei dem, was ich jetzt leiſte! Jch werde weiter ſtreben, groͤßere Fertigkeit94 erringen, vielleicht manche neue Sachen erfinden, die noch nicht geſehen wurden; die mich ſelbſt zufrieden ſtellen auf einige Zeit, weil ſie der Menge gefallen! Aber dann wiederum entſann er ſich, daß ihm die Jartour, als eine in ihrem Metier ſehr erfahrene und routinirte Kennerin, allerlei Bedenklichkeiten gegen ſeine Zukunft als Kunſtreiter nicht vorenthalten habe. Sie ſind zu ſpaͤt dazu gekommen, hatte ſie ihm bei ihren Abendgeſpraͤchen, als Krankenwaͤrterin, ge - ſagt, ſie werden immer ein Eleve bleiben, denn die eigentliche Sicherheit, die ruͤckſichtsloſe Zuverſicht mangelt. Daß Sie jetzt Beifall fanden, iſt ganz natuͤrlich. Jhre jugendlich-ſchoͤne Erſcheinung, Jhr angeborener Anſtand, Jhr muſikaliſches Talent, Jhr Muth, dies Alles im Vereine uͤberraſcht und ent - zuͤckt die Zuſchauer. Hat es doch auch uns, die wir vom Handwerk ſind, uͤberraſcht und entzuͤckt. Aber bei all dem haben Sie mir wenigſtens niemals den Eindruck eines wirklichen Artiſten gemacht. Sie ſind mir immer erſchienen, wie ein junger, vornehmer Herr, der aus Kaprize, und mehr zu ſeinem, als zu des Publikums Vergnuͤgen, dieſe Exercitien mitmachen will. Jeder von den Jungen, die wir als Lehrlinge bei der Truppe haben, wie er Jhnen an Eleganz und95 Tournuͤre jetzt noch nachſteht, iſt Jhnen an Feſtigkeit und Schule weit uͤberlegen. Jhm merkt man die Peitſche an, die er von Kindheit auf gefuͤhlt hat und ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben Sie mir, Antoine, ich ſpreche aus Erfahrung.

Die Aeußerungen ſeiner beſten Freundin, klangen ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedaͤchtniß nach. Sie trugen keinesweges bei, ſeine Einſamkeit zu erheitern.

Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es anwende, dies oder jenes Violinſolo zu kratzen, waͤh - rend ich auf maͤßig-galopirendem Pferde den Cirkus durchreite? Bin ich zu nichts Beſſerem geboren? Waͤr es nicht kluͤger, ich ſaͤße in Liebenau und machte Koͤrbe? Waͤr es nicht nützlicher? Waͤr es nicht begluͤckender? Oh! mein kleines ſtilles Haͤuschen! Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie! ... Hier verſtummte er. Sein Haͤuschen ſah er im Geiſte vor ſich; die Großmutter ſah er, wie ſie leibte und lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr feſtzuhalten; ihre Zuͤge ſtanden ſeiner Einbildungs - kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er ſie zu haben glaubte, war es ploͤtzlich die ſchelmiſch-laͤchelnde Laura, die er dachte; doch auch dieſe hielt nicht Stich96 und Laura wie Ottilie verſchwammen in leere Luft, bis endlich Adele ihn ernſt und traurig anſah.

Sie iſt dieſes Treibens auch uͤberdruͤßig, fuhr er in ſeinen Betrachtungen fort: ſie erkennt auch die Nichtigkeit ihrer Beſtrebungen. Und doch iſt ſie nur ein Frauenzimmer, bei der es ziemlich auf Eins her - auskommt, ob ſie Struͤmpfe ſtrickt und Kinder wiegt, oder ob ſie auf munterm Pferde ihr Amazonen - Daſein friſtet. Aber ich bin ein Mann; ich trage Faͤhigkeiten in mir; hege das Beduͤrfniß mich weiter fortzubilden, zu lernen. Und bei alle dem werd ich es in dieſer brodloſen Kunſt niemals ſo weit brin - gen, ihr nur die Schuhriemen aufzuloͤſen; ihr, die an ſich ſelbſt verachtet, was die Andern ihr ſchoͤnes Talent nennen! Ueberhaupt iſt es nicht unwuͤrdig, den muͤßigen Leuten, die uns wie ihre Narren betrach - ten, Kuͤnſte vorzumachen, um ihren Beifall zu buh - len, und ſeine Knochen fuͤr ſie zu Markte zu tragen? Sie nehmen nicht einmal Antheil an uns, wenn Einer von uns den Hals braͤche, vor ihren Augen wuͤrden ſie obenein noch ſagen: es geſchieht ihm Recht, wer heißt ihn ſolche unnuͤtze Thorheiten treiben? Ja, wenn man dagegen die Schauſpieler und ihre Kunſt betrachtet, das iſt ein ander Ding! Ein ſolches Thea -97 ter gegen unſeren Cirkus gehalten, macht mir den Eindruck eines Heiligthumes. Mit welcher Andacht lauſchen da gebildete Zuhoͤrer den ſchoͤnen Worten und Handlungen, die beſtimmt ſind, ſie zu erheben, zu belehren. Und wie erhaben iſt die Beſtimmung eines ſolchen Menſchen, der auf der Buͤhne ſteht, um der Welt darzuthun, daß jede Tugend ihren Lohn durch ſich ſelbſt empfaͤngt; daß kein Frevel ſeiner Strafe entgeht. Hat es nicht auf mich gewirkt, wie Gottes - dienſt, als der geringgeſchaͤtzte, mit Fuͤßen getretene kleine Jude zuletzt ſo groß und herrlich neben den ſtol - zen Chriſten ſtand, daß ſogar der aufgeblaſene Kom - merzienrath ſich vor ihm und ſeinem Edelmuth beu - gen mußte? Ach, wie mag einem Menſchen zu Muthe ſein, einem Kuͤnſtler, jenem liebenswuͤrdigen großen Meiſter gleich, deſſen Hand ich geſtern an mein Herz druͤckte, wenn er zu ſich ſelbſt ſagen darf: Du biſt es, durch den ſolch erhabene Beiſpiele gegeben, ſolche eindringliche Lehren verkuͤndiget werden? Ha, wie beneidenswerth iſt doch ein Schauſpieler gegen nutz - loſe Burſchen meiner Art ......

Nun entſtand eine lange Pauſe in Anton’s Mo - nologe.

Wenn Du auf einer Fußreiſe, niedergedruͤckt undDie Vagabunden. II. 798freudeleer, unter einem grauen Tage dahin wanderſt, ohne Hoffnung, daß der Himmel ſich heute noch auf - klaͤren koͤnne; wenn Du, ich weiß nicht was geben moͤchteſt, fuͤr ein Stuͤckchen reines Blau uͤber Dir; wenn Dein Herz mehr als je Waͤrme braucht und Licht, aber Du ſieh’ſt nur Nebel und empfindeſt nur, wie er Dir naßkalt entgegen weht, Du entrollſt Deinen Mantel, damit Du Dich ſtill ergeben, entſa - gend hinein huͤllen duͤrfeſt, und in demſelben Augen - blicke theilt ſich die dunkle ſchwere Decke, die Sonne gewinnt Kraft ſie dringt durch, der Morgen - wind macht ihr Bahn, friſche Hoffnung auf einen ſchoͤnen Tag durchſtroͤmt Deine Bruſt! Weißt Du mein Leſer wie das thut?

Nun denn, ſo und nicht anders geſchah unſerm hypochondriſchen jungen Freunde, da mitten in ſeine ſelbſtquaͤleriſchen Klagen hinein der Sonnenblick eines neuen Lebens glaͤnzte. Dieſer Sonnenblick leuchtete ihn an, aus den Augen des Schauſpielers, welcher ihn geſtern Abend in der Weinſtube freundlich-laͤchelnd betrachtet hatte; jenes Blickes nur gedachte Anton und ohne lange zu uͤberlegen, oder zu zoͤgern, raffte er ſich zuſammen, machte ſich auf den Weg zum Kaſtellan des Theaters, bei dem er ſich nach der99 Wohnung des Mannes erkundigte, welcher ihm und ſeiner Zukunft ein Orakel werden ſollte.

Er muß das wiſſen! rief er aus.

Binnen einer halben Stunde ſtand Anton der Korbmacher aus Liebenau vor Ludwig Devrient.

Dieſer war, ihn zu empfangen, aus der Nachmit - tagsruhe aufgeſchreckt worden, nahm ihn zwar freund - lich und guͤtig, aber doch mit jener nur erzwungenen Herzlichkeit auf, die man erheucheln muß, wenn man ſie momentan nicht empfindet.

Was wuͤnſchen Sie von mir? Eine ſehr einfache, nahe liegende Frage, die aber den Aspiran - ten entſetzte: ſie klang ihm lieblos, kalt, im Vergleich zu ſeines eigenen Herzens Waͤrme.

Vielleicht koͤnnen Sie mich nicht mehr? Jch war nur eine Viertelſtunde ſo gluͤcklich, ....

O gewiß, ich kenne Sie. Wir ſahen uns geſtern Abend in der Naͤhe. Fruͤher ſchon hab ich einigemale ihre Reitbahn beſucht. Jch liebe dieſe kuͤhnen Kuͤnſte. Noch einmal: was fuͤhrt Sie zu mir? Womit kann ich dienen?

Sie wuͤrden mir alſo nicht das Recht zugeſtehen, mich hier eingedraͤngt zu haben, nur um Sie zu ſehen, zu hoͤren, Jhnen wiederholt zu ſagen ...

7 *100

Sie ſind kein Franzoſe?

Jch bin ein geborener Deutſcher.

Und fuͤhren nur eine franzoͤſiſche Etikette, wie leider unſer Champagner bisweilen thut. Ja, ja, ich beſinne mich, davon gehoͤrt zu haben: romantiſche Geſchichte, mit Jntrigue, Entfuͤhrung und dergleichen. Sie ſind noch ſehr jung! Aber nehmen Sie Platz. Jch freue mich, Sie bei mir zu ſehen. Jhr Violinſpiel zu Pferde hat eigenthuͤmliche Empfindun - gen in mir hervorgebracht: es liegt Seele in ihrem Ton. Sind Sie nun wieder ganz hergeſtellt?

Koͤrperlich wohl. Aber ....

Aha, es ſteckt was im Herzen? Jhr Herren von der Kunſtreiterei ſollt ſehr empfaͤnglich ſein fuͤr Leiden und Freuden dieſer Gattung.

Mein Leid iſt anderer Art. Es erfuͤllt den ganzen Menſchen. Es iſt ein Herzeleid und ein Seelen - leiden, gegen welche ich Rath und Huͤlfe bei Jhnen holen will.

Bei mir?

Sie ſind der Einzige, der mir beides geben kann; der Einzige zu dem ich unbedingtes Vertrauen hege.

Rath und Huͤlfe gegen Seelenleiden bei mir? Bei mir, dem groͤßten Hypochonder im ganzen Koͤnig -101 reich? Bei mir, der ſich ſelbſt nicht zu rathen und zu helfen weiß? Ah, das iſt nicht uͤbel; das waͤre ein Stoff fuͤr die feingeſpitzte Feder unſeres Kammer - gerichtsrathes: ein junger Kunſtreiter, welcher ſich Heilmittel wider Hypochondrie, Melancholie und wie das Teufelszeug heißt, bei mir zu holen kommt! Wiſſen Sie, daß mich die Aerzte zu Jhnen ſchicken? Das heißt: mir anrathen, ein Pferd zu beſteigen und mir reitend Bewegung zu machen, indem ich mich tuͤchtig ruͤtteln und ſchuͤtteln ließe. Das ſoll ein trefflich Mittel ſein, und dieſes, daͤcht ich, haͤtten Sie aus erſter Hand? Wie koͤnnen Sie, bei Jhrer Lebensweiſe auf hypochondriſche Grillen gerathen?

Wenn Sie mir erlauben wollten ...

Sie haben Recht. Jch ließ Sie nicht zu Worte kommen. Jch bitte um Verzeihung und ich hoͤre.

Fuͤr’s Erſte erſuch ich Sie um Geduld, ſich meine Lebensgeſchichte mittheilen zu laſſen, die Sie romantiſch waͤhnen. Sie iſt ſehr einfach und zu Jhrem Troſte ſei ’s geſagt: ſehr kurz.

Anton draͤngte von dem was der Leſer bereits uͤber ihn weiß, das Wichtigſte, hierher Gehoͤrige in einen ſchlichten Bericht zuſammen. Ohne einen Namen zu nennen, ohne Orte zu bezeichnen, gab er102 ſeinem aufmerkſamen Zuhoͤrer im kuͤrzeſten Zeitraum das klarſte Bild von ſich ſelbſt; mit ſo feſten Zuͤgen entworfen und mit ſo pſychologiſcher Wahrheit aus - gemalt, daß der Schauſpieler vollkommen befriediget ſchien und ihm mehrfach beiſtimmend und lobend zu - nickte. Als der Erzaͤhler bis auf den gegenwaͤrtigen Zeitpunkt gediehen war, fuhr er fort: Geſtern ſah ich Sie auf der Buͤhne. Seit geſtern Abend fuͤhlt ich das Druͤckende meiner Lage mehr als ſonſt, ohne doch zu wiſſen, was mir eigentlich fehle, ohne mir uͤber meine wachſende Mißſtimmung deutliche Rechen - ſchaft ablegen zu koͤnnen. Die Abreiſe meiner Freun - din hat mein Unbehagen noch geſteigert. Und aus der troſtloſen Niedergeſchlagenheit in die ich mich ver - ſenkt ſah, iſt nun ploͤtzlich, wie ein Lichtſtrahl von Oben, die Hoffnung uͤber mich gekommen, ich koͤnnte Huͤlfe finden in Ausuͤbung der herrlichen Kunſt, deren Meiſter Sie ſind.

Alſo mit einem Wort: Schauſpieler wollen Sie werden? Ob ich mir’s nicht gedacht habe! Menſch, Sie ſind verruͤckt. Nach dem Sie es durch ungeheure Anſtrengung ſo weit brachten, ſich in Jhrem Gewerbe Bahn zu machen, wo Sie einer eintraͤglichen Stellung entgegengeh’n, wollen Sie umſatteln, ein anderes103 Ziel verfolgen, wollen recht eigentlich vom Pferd auf den Eſel ſteigen? Aber das iſt ja reiner Wahnſinn! Wer hat Jhnen geſagt, daß Sie zum Schauſpieler berufen ſind? Jhr Spiegel vielleicht? Sie wiſſen, Sie ſind ein ſchoͤner junger Mann, gut gebaut, die albernen Weiber moͤgen Jhnen das oft genug vorge - pinſelt haben. Doch machen ſchlanke Taille und glatte Wangen den Schauſpieler nicht. Mit ſolchen Requiſiten und mit dem beſten Willen obenein koͤn - nen und werden Sie ein hoͤchſt mittelmaͤßiger Darſteller bleiben. Wiſſen Sie, was das iſt, ein mittelmaͤßiger Akteur; um nicht zu ſagen ein ſchlechter? Unter gewiſſen Umſtaͤnden, ich meine bei geringen Anſpruͤchen, wie manche beſcheiden-eingerichtete Menſchen-Naturen ſie nicht anders mitbringen, kann ein ſolcher ſubordinir - ter Handlanger auch ein ertraͤgliches Daſein fortſchlep - pen; das geb ich zu. Doch fuͤr Sie gilt dies nicht. Sie ſuchen etwas Anderes; Sie werden es nicht fin - den und dann erſt werden Sie ganz elend ſein.

Das iſt moͤglich. Nach Jhrer Meinung ſogar hoͤchſt wahrſcheinlich. Gut! So iſt es doch keines - weges gewiß. Daß ich aber jetzt wirklich und wahr - haftig elend bin, daß ich mich ſo fuͤhle, daß ich die Ueberzeugung habe in der Kunſtreiterei niemals ein104 Hoͤchſtes zu erreichen, das iſt bereits ſehr gewiß. Und ein mittelmaͤßiger Kunſtreiter iſt doch wahrlich noch elender, als ein mittelmaͤßiger Schauſpieler?

Wer ſagt Jhnen das? Jch behaupte das Gegen - theil. Ein Menſch, der ſein Stuͤck Arbeit auf dem Pferde macht, ohne Jdeen, ohne Anſpruͤche auf Geiſt und Gemuͤth, jedem hoͤheren Streben entſagend, will eben nichts Anderes ſein, als was er iſt. Jn ſeiner Beſchaͤftigung liegt ſein Leben und wenn er nicht vermag, als Kunſtreiter zu glaͤnzen, ſo bleibt ihm geſtattet, ſich als tuͤchtiger Reiter und Pferdekenner auszubilden; er giebt Unterricht; er nimmt zuletzt den Rang eines Stallmeiſters ein, der mit Pferden, auf Pfer - den lebt und webt und wirkt, in ſeiner Art ein ganz tuͤch - tiger Kerl ſein kann. Jener Schauſpieler jedoch, deſ - ſen Mittel und Faͤhigkeiten hinter ſeinen Anſpruͤchen, deſſen Darſtellungsgaben hinter ſeinen Jntentionen zuruͤckbleiben, der fortdauernd, auch bei der geringſten Rolle die man ihm anvertraut, aufgefordert wird, zu denken, zu empfinden, in die Motive der bedeutende - ren Schauſpieler mit einzugehen, ihnen untergeordnet, doch aufmerkſam zur Seite ſtehen, .... duldet ein ſolcher, wenn Ehrgeiz ihn anſpornt, nicht fortwaͤhrende Folterqualen? Kann es fuͤr ihn auch nur eine ruhige105 Stunde geben? Muß nicht jeder Lobſpruch, der ihm fuͤr Aufmerkſamkeit und Fleiß zu Theil wird, einen Stich in ſein Herz thun, weil er ihm mit andern Worten andeutet: nur auf dieſer Stufe biſt Du brauchbar, auf dieſer harre aus? Wehe ihm nun gar wenn er, empfaͤnglich fuͤr Poeſie, um ſich geiſtig wei - ter zu foͤrdern mit Ernſt und Einſicht die Werke der Meiſter ſtudirt. Dann wird er ſich nicht verſchweigen koͤnnen, daß er wuͤrdiger ſei ihre Herrlichkeit von der Buͤhne zu verkuͤnden, als viele die neben ihm ſtehen; die er eben ſo weit uͤberſieht, wie ſie ihn als Schau - ſpieler uͤbertreffen. Denn, mein Lieber, nicht jeder der es verſteht, vermag es auszudruͤcken, nicht jeder der es fuͤhlt, kann es wiedergeben. Sonſt muͤſſen ja alle kluge, gefuͤhlvolle Menſchen, die eine gute Aus - ſprache, ein ausdrucksvolles Geſicht, eine ſtarke Bruſt und geſunde Gliedmaßen beſitzen, im Stande ſein vortreffliche Schauſpieler zu werden? Sie ſind es aber nicht im Stande! Nein, ſie ſind es nicht! Die Darſtellungsgabe iſt ein ſechſter Sinn, ein unerforſch - liches Etwas, deſſen Entſtehen und Walten noch kein Phyſiologe auseinandergeſetzt hat, und eben ſo wenig jemals Einer belauſchen wird, wie die Myſterien der Zeugung. Und woher muthmaßen Sie, daß dieſer106 ſechſte Sinn Jhnen mitgegeben ſei? Mitgegeben muß er ſein, verſtehen Sie mich, junger Menſch? Mitge - geben von Geburt aus: Gott, oder der Teufel, ich weiß nicht wer? muß ihn dem Kinde einge - haucht haben, als es dieſes Erdentages Licht erblickte. Empfanden Sie bisher davon eine Spur? Hat ein unbekannter, unbewußter, dennoch unbeſieglicher Trieb Sie angeregt, kund zu geben, was in Jhnen kocht und gaͤhrt und um jeden Preis zur Anſchauung gebracht ſein moͤchte? Keinesweges! Sonſt ja waͤren Sie, nachdem Sie jene Dorfkomoͤdie mit an - geſehen, ohne weiteres den Zigeunern nach und in alle Welt gelaufen; haͤtte Jhre Koͤrbe Koͤrbe ſein laſſen. Das Beduͤrfniß: darzuſtellen! haͤtte jeden anderen Gedanken bei Jhnen getoͤdtet. Davon aber war keine Rede. Sie liefen in die Welt, lediglich weil es Jhnen daheim nicht mehr gefiel, weil Jhre jugendliche Kraft und Lebensluſt zu leben ſich ſehn - ten. Die Buͤhne ſuchten Sie nicht. Liebe und Lie - bes-Gluͤck ſuchten Sie, Pferde, bunte Kleider, Ge - fahr! Was ich Jhnen ſage ſoll kein Vorwurf ſein, ich finde das Alles ganz natuͤrlich. Darum moͤgen Sie es auch natuͤrlich finden, wenn ich Sie nicht von Jnnen berufen halte, Schauſpieler zu werden. 107Weil Sie mich geſtern ſpielen ſahen; weil ich Sie ruͤhrte; weil wir uns im Weinhauſe fanden; weil ich Sie durch einen Spaß à la Garrik uͤber - raſchte; deshalb wollen Sie in aller Eil auch ein Schauſpieler ſein? Wie die Kinder, wenn ſie von der Parade kommen, General ſpielen; oder Prieſter, weil ſie in einer Kirche waren? Es ſchauſpielert ſich nicht ſo leicht! Gott, wie vielen hab ich das ſchon zurufen muͤſſen?! Jch bin muͤde davon!

Sie ſchweigen; haben Sie geendet? Unter - brechen wollt ich Sie nicht; darf ich jetzt noch ein Wort an Sie richten? Jhre ſcheinbare Haͤrte hat mich weder verletzt, noch gekraͤnkt; ich hoͤrte nur den Ehrenmann reden. Doch nun erlauben Sie mir, meine Einwendungen vorzubringen, die wenn auch nicht Alles doch Einiges widerlegen duͤrften, was Sie mir entgegengeſtellt. Jch begreife vollkommen, daß viele junge Maͤnner ſich an Sie draͤngen, um Jhnen, gleich mir, Wuͤnſche zu eroͤffnen, die den meinigen aͤhnlich ſind. Sie haben gewiß Recht, bei ſolchen Eroͤffnungen der Kinder zu gedenken, welche im Spiele nachaͤffen moͤchten, was ihnen eben in Wirk - lichkeit erſchien und ihre Einbildungskraft erregte. Auch will ich gern glauben, daß bei vielen Juͤnglin -108 gen der Drang nach ungebundenem Leben, die tadelnswerthe Sehnſucht ihren haͤuslichen Verhaͤlt - niſſen zu entfliehen, heftiger ſein mag, als der eigent - liche innere Beruf zur Kunſt, daß folglich auf dieſe Weiſe Viele die Bretter beſteigen, ohne edleren An - trieb, ja ohne wahre Neigung und Luſt zur Sache. Deſto ſchlimmer fuͤr Jene! Aber paßt denn das auf mich? Jch bin ja frei, ungebunden; treibe ja ſchon ein Handwerk, welches gleichſam außer allen Schran - ken des buͤrgerlichen Lebens liegt. Jch, wenn ich mich dem Theater widme, trete ſo zu ſagen in’s geregelte Daſein zuruͤck; ich beſchraͤnke mich ſelbſt, indem ich darauf hinarbeiten will, aus einem laͤnderdurchſtrei - fenden Vagabunden ein ſolider Kuͤnſtler zu werden. Was Jhren Beamten und ernſten Geſchaͤftsmaͤnnern ein Tummelplatz ungebundener Willkuͤhr erſcheint: die Buͤhne mir, dem Aufwaͤrter in einer Mena - gerie, dem Eleven einer Reiterbande, mir wird ſie zum Tempel, zum Heiligthume, wo ich die Gottheit und deren Naͤhe ahnen darf! Von dieſer Seite kann mich alſo der Vorwurf des Leichtſinns gewiß nicht treffen. Von der andern Seite aber, was Jhren Zweifel an meinem Talente gilt, reden Sie auf - richtig: iſt Jhre Berechtigung mir dieſes abzuſprechen,109 groͤßer, ſicherer begruͤndet, als meine Berechtigung daran zu glauben? Wiſſen Sie, was in mir vorgeht, ſeit ich Sie ſpielen ſah? Wollen Sie darauf ſchwoͤren, daß ich nicht jenen Hauch empfangen habe, den der Himmel, oder wie ſie ſcherzhaft aͤußerten: die Hoͤlle! dem Schauſpieler bei ſeiner Geburt ein - blaſen mußte? Wollen Sie’s verantworten vor mir und vor ſich ſelbſt, wenn Sie mir mit unumſtoͤßlicher Gewißheit auf den Kopf zuſagen, daß ich durchaus nicht befaͤhigt ſein koͤnne, dereinſt ein großer Schau - ſpieler zu werden? Ein Schauſpieler wie wie Ludwig Devrient?

Nein, das koͤnnte ich nicht verantworten; denn Sie ſprechen wahr: ich weiß es nicht, wie man weiß, daß zwei-mal Zwei Vier macht. Doch was ich weiß, was ich verantworten will vor mir, vor Jhnen und vor Gott, das iſt mein wiederholter Zuruf: Ver - ſuch es nicht! Ein großer Schauſpieler!? Ein Schauſpieler, wie ich!? Nun meint er Wunder welchen Trumpf er ausgeſpielt? Und was wuͤrdeſt Du denn ſein, Knaͤbchen, wenn Du’s erreicht haͤtteſt? Wenn Du ein großer Schauſpieler waͤreſt? Ein Schauſpieler wie ich!? Ein armer, erbarmungs - wuͤrdiger Menſch wirſt Du ſein: ein Menſch, den110 ſeine Kunſt aufgerieben; der in jungen Jahren ein Greis dahin welkt; ein Menſch, der ein Spielball ſeiner eigenen Nerven, keine Gewalt mehr hat uͤber ſich ſelbſt, keine moraliſche Kraft ſich zu beherrſchen; der ſich mit Beifall uͤberſchuͤttet hoͤrt, wenn er an ſich zweifelt; den ſie kalt voruͤbergehen laſſen, wenn er den Gott in ſich fuͤhlt; der um Beifall buhlen muß, welchen er verachtet, und ohne welchen er doch nicht leben koͤnnte, weil er nur aus ihm Lebensluft athmet! Der das Publikum geringſchaͤtzt, weil es kein Urtheil hat, weil es niemals weiß was es will, weil es dumm iſt, und der dieſem dummen Publikum dient, wie der Negerſklave ſeinem Pflanzer; der keuchend bis zur Zerſtoͤrung aller Organe, matt bis zum Tode ſich hinſchleppt vor die Lampen, die ihn abſcheiden von der bewegten, thoͤrichten, unbeſtaͤn - digen, undankbaren Maſſe. Undankbar, ja undank - bar ſind ſie. Oh Schande und Schmach! Wenn ich halb ſterbend in einem Winkel lag; wenn kein Fuͤnkchen mehr glimmen wollte aus dem zerruͤtteten Leibe; wenn ich unfaͤhig beinahe mich zu regen, fluͤſ - ſiges Feuer hinabſtuͤrzte, daß es mich brennend durch - dringe, daß ich auf eine Stunde nur emporleuchten koͤnne, ſie zu entflammen mit meiner Glut, fuͤr111 wen that ich es denn? Fuͤr wen goß ich Gift in dieſe kranke Bruſt? Fuͤr ſie! Fuͤr ihr Entzuͤcken! Und wie lohnen ſie mir’s? Saͤufer nennen ſie mich! Wohin Du kommſt wirſt Du vernehmen, daß ſie mich tadeln, daß ſie mich anklagen, daß ſie mich Trunkenbold ſchelten, Verſchwender, Wuͤſtling. Oh die Undank - baren! Die Dummen! Weil eine Stunde ſchlaͤgt, welche zum Beginn des Schauſpiels angeſagt iſt; weil ſie verſammelt ſind auf ihren Sitzen, die lang - weiligen, gelangweilten Geſichter; weil ſie ihr lum - piges Eintrittsgeld bezahlt haben; weil ich ihr Knecht bin, ſoll ich, ſobald der Soufleur das Zeichen giebt ihr Gott weiß was? werden; ihr Koͤnig Lear, ihr Schneider Fips, ihr Mephiſtopheles, ihr Gottlieb Koke, ihr armer Poet, je nachdem die Anſchlagzettel es kuͤnden und ſie ihre Karten geloͤſet. Und die Beſtien begreifen nicht, daß eine Seele die ſolchem gewaltſamen Rufe zu gehorchen faͤhig iſt; eine Seele, die ſich ſo tief in den Zuſtand fremder Seelen zu ver - ſetzen vermag; daß dieſe Seele eine kranke werden, oder ſchon ſein muß? Begreifen nicht, daß eine ſolche Seele den Koͤrper der ſie umgiebt, der fuͤr ſie und mit ihr leidet, aufreiben muß? Die Beſtien! Große Leidenſchaften ſoll ich ihnen vorfuͤhren; ungeheure112 Perſoͤnlichkeiten ſoll ich ihnen zeigen, ſoll dieſe vor ihnen ſchaffen, entfalten, zerſtoͤren! Soll vor ihnen grollen, raſen, ſterben! Soll Alles mitempfinden, mit durchleben, blos weil ſie ihr Legegeld an der Kaſſe entrichtet? und ich ſoll keiner großen Leidenſchaften in mir ſelbſt faͤhig, ſoll derſelben nicht beduͤrftig, ſoll ein Spießbuͤrger ſein, wie ſie? Soll fein-ſaͤuberlich heimgehen, unter meine Decke kriechen und Fliederthee ſaufen, wenn meine Pulſe noch gluͤhen, mein Herz noch tobt, meine Nerven zu zerreißen drohen? Die großen Leidenſchaften ſind es ja, ihr ewigen Phili - ſter, ſie allein, die den großen Schauſpieler geben! Ein großer Schauſpieler! Ha, ich muß lachen. Was iſt er ihnen? Der Affe, der fuͤr ſie ſpringt. Jhr Aplaus iſt die Peitſche, die ihn ſpringen macht. Und dieſer Aplaus nach dem ich trachte, deſſen ich bedarf, wenn ich gut ſpielen ſoll, wie des geiſtigen Getraͤnkes, wenn ich nicht zuſammen ſinken will! Wie ver - theilen ſie ihn? Wem ſpenden ſie ihn am lauteſten? am haͤufigſten? Laß mich’s nicht denken, Du gutes, unerfahrenes, leichtglaͤubiges Kind! Laß mich ſchweigen!

Bleich und ſtumm ſtand Anton vor dem zuͤrnen - den Kuͤnſtler, der nur nach und nach wieder einige113 Faſſung gewann und endlich, ſcheinbar beruhiget, mit ſeinem ſpoͤttiſchen Laͤcheln fragte: Nun, wie ſteht’s, wollen Sie noch ein großer Schauſpieler werden?

Anton erwiederte: Von mir iſt jetzt nicht mehr die Rede. Jch habe jetzt nur Gedanken fuͤr Sie, fuͤr Jhren Zuſtand. Das iſt die traurigſte Ent - taͤuſchung die mir zu Theil werden konnte. Jch kam, einen Herrſcher zu ſehen, der in ſeinem Reiche angebetet, begluͤckend und gluͤcklich waͤre. Sie zeigen mir einen Ungluͤcklichen, der an ſich und ſeinem Gluͤcke verzweifelt; der ſeine Kunſt geringſchaͤtzt, ....

Halt er an! Halt er an, junger Reiter, daß die Maͤhre nicht mit ihm durchgeht! So iſt es nicht gemeint. Wenn ich ungluͤcklich bin, will ich es nicht fuͤr den Poͤbel ſein. Jch bin es fuͤr mich, an truͤben, grauen Tagen, wie heute; bin es fuͤr die Vertrauteſten; bin es jetzt geweſen, fuͤr einen biederen Jungen, dem ich geſtern Abend in’s Herz geblickt und den ich lieb gewonnen. Alſo, mein Soͤhnchen, das bleibt unter uns. Aber die Kunſt, die Schauſpiel - kunſt, die wahren Kuͤnſtler ſchaͤtz ich nicht gering; das haben wir falſch verſtanden, junges Kameel mit geſchorenem Schaͤdel. Denn ich muͤßte dann auch mich und mein Genie geringſchaͤtzen; und das waͤreDie Vagabunden. II. 8114Gotteslaͤſterung. Weiß er das? Jch bin fromm, auch wenn ich nicht zur Kirche gehe. Jch bin tugend - haft, trotz meiner Laſter. Jch bin ein reines Kind, trotz all dem Schmutz der an mir klebt. Jch glaube an Gott. Jch bin dankbar gegen ihn; dankbarer, als unſer hochpreisliches, hoͤchſtverehrungswuͤrdiges Publikum. Und weil ich fromm bin, weil ich an Jhn glaube, glaub ich auch an mich und meine Kunſt, fuͤr die Er mich geſchaffen hat. Begreift man dieſe Konſequenz? Und wenn ich geklagt habe, daß die Seele des Schauſpielers ſich ſelbſt verleugnen, ſich untreu werden; daß ſie ſich in die Seele, in den Leib Anderer verſetzen; daß mit einem Worte der Darſteller ſeine Perſoͤnlichkeit aufgeben muͤſſe, ſo war das eine Klage aus dem beſchraͤnkten Geſichtspunkt beſchraͤnkter Kleinkraͤmer, in welche unſer Einer ein - ſtimmt, wenn er ſchwache Stunden hat. Hoͤheren Ortes erſcheint ſie albern. Soll etwa der Advokat, der eine ſchlechte Sache zu vertheidigen, der den Prozeß eines Schurken zu fuͤhren verpflichtet wird, deshalb ein Schurke heißen, weil er alle Segel auf - ſpannt, demjenigen zwiſchen Galgen und Rath vor - beizuhelfen, deſſen Unrecht er ſo klar durchſchaut, wie die Richter? Thut er nicht ſeine verdammte Schuldig -115 keit wenn er ſich mit allen Kraͤften des Geiſtes, mit allen Mitteln des Wiſſens, in die Lage des Schurken denkt und fuͤr ihn arbeitet, wie fuͤr ſich ſelbſt?? Und an mir, an meinem beſſeren Jch ſollten die Makel haͤngen bleiben, in die ich mich ſinnend vertiefe, um einen Shylok, einen Franz Moor in ihr hellſtes Licht zu ſetzen? Das traͤfe ja den Dichter nicht minder, als mich? Thorheiten das! Wir ſteh’n uͤber dieſen Dingen. Der ſchaffende Dichter, der wiederſchaf - fende, belebende Schauſpieler. Wir ſtehen uͤber der Maſſe, die uns nicht begreift; ſo wenig wie ſie begreift, wieviel dem produzirenden Poeten, wieviel dem reproduzirenden Darſteller gehoͤrt, von dem was ſie erſchuͤttert, entſetzt, ruͤhrt, oder wiehern macht.

’s iſt allerdings ein elend Leben,
Möcht’s doch nicht für ein anderes geben!

Nun, lebe wohl mein Sohn! Folge mir: gieb den fluͤchtigen, eitlen Gedanken auf. Dich rief Dein Spiegel zum Theater, nicht der Gott in Dir; obwohl der Teufel noch weniger: aus ſolchen Zuͤgen redet der nicht. Werd ein tuͤchtiger écuyer. Wir Franzoſen (denn ich bin auch ſo ein Stuͤck von Franzoſen, weil wir Devrient’s aus der franzoͤſiſchen Kolonie ſtammen; wenn ich ſchon ſonſt durch und8 *116durch ein ehrlicher Deutſcher und ein treuer Preuße bleibe!) wir Franzoſen ſagen: embrasser un métier. Das iſt ein ſchoͤner Ausdruck; man ſoll, was man einmal zum Beruf erwaͤhlt feſt umhalſen, an’s Herz druͤcken, wie eine Geliebte; nicht loslaſſen, nicht wechſeln, nicht von Einem auf’s Andere aͤugeln. Folglich bleib im Stalle, in Deiner Reitbahn. Dort bluͤhn auch Roͤschen, wenn keine Roſen und Dornen ſtechen uͤberall. Fuͤhlſt Du Dich aber manch - mal niedergedruͤckt von den Muͤhen Deines Hand - werks, oder nennen wir’s Kunſt meinetwegen, biſt Du recht verdroſſen und abgemattet vom Staube des Tages, vom Laͤrm eurer Abende, dann gedenke dieſer Stunde, gedenke meiner, Du ehrlicher Burſche, meiner, der Dich und Deine treuen Augen nie ver - geſſen wird; bedenke, daß der arme Ludwig auch ſein Buͤndel traͤgt, daß er keucht unter dieſer Laſt, daß er jede frohe oder wilde Stunde der Nacht mit bittern Qualen bezahlt; daß jeder Abend des ſogenannten Triumphes ein Jahr ſeines zerſtoͤrten Lebens koſtet; daß er nicht ſelten den ganzen Plunder von Beifall, Ehrenbezeugungen, Beruͤhmtheit zum Henker wuͤnſcht, weil er nichts davon hat, als die Schmerzen!

Bei dieſen Worten reichte er Anton die Hand117 und ging. Doch an der Thuͤre des anderen Zimmers wendete er ſich noch einmal um, erhob das herrliche Haupt; ließ ſein Auge von geiſtigem Glanze ſtrahlen; wuchs, moͤchte man ſagen, auf vor des Staunenden Blick, daß er groß, erhaben ausſah und wiederholte mit vollſter Kraft der Stimme:

nichts, als die Schmerzen,
Und wofür wir uns halten in unſerm Herzen!

Dies war das Letztemal, daß Anton Ludwig Devrient geſehen und gehoͤrt.

Sechsunddreißigſtes Kapitel.

Anton’s Zuſtand wird immer trauriger. Seine Bangigkeit nach Adelen nimmt zu. Er empfiehlt ſich dem Arzte und begiebt ſich auf die Reiſe nach Dr.

Nicht die Zweifel am eigenen Talent, die durch des Meiſters Aeußerungen in ihm erregt worden; noch minder jene abſchreckenden Warnungen gegen das Schauſpielerleben im Allgemeinen waren es, welche Anton ſeinen kaum gefaßten Plan, fuͤr einen ſchon wieder verworfenen, aufgegebenen betrachten ließen. Nein, des beruͤhmten Schauſpielers Perſoͤn - lichkeit that das Meiſte dazu. Dieſe hatte einen118 gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht; er kam ſich daneben klein, beſchraͤnkt, albern vor.

Man will behaupten, daß bevorzugte Naturen gerade beim Anblick des Groͤßten, die in ihnen liegen - den Keime ſelbſteigener Groͤße am Deutlichſten ahnen, und daß ſie, weit entfernt niedergeſchlagen zu ſein, dann erſt recht muthig und zuverſichtlich werden ſol - len? Des Correggio ſtolzes: anch io! gilt als Motto fuͤr dieſe Behauptung, die theilweiſe ihr Wahres haben mag; doch gewiß nur dann, wenn die beſtimmt ausgeſprochene Richtung fuͤr ein entſchie - denes Talent ſich ſchon ſo weit Bahn gemacht, daß dieſes mit einſeitiger, ich will ſagen den ganzen Menſchen in Anſpruch nehmender Gewalt ihn beherrſcht und ſeinem offenkundigen Ziele zufuͤhrt. Wo das aber nicht der Fall iſt; wo der Charakter uͤber den Talenten ſteht, da wird ſich gewiß das Gegentheil zeigen; da wird ein junger Mann, je tuͤchtiger ſein Naturell organiſirt iſt, deſto aufrichtiger an eigenen Faͤhigkeiten zweifelnd, das Außerordent - liche anſtaunen, ehrfurchtsvoll bewundern, ohne doch es zu beneiden. Jch gehe noch weiter. Jch ſpreche unumwunden den Glaubensſatz fuͤr den meinigen aus: Wer als junger Mann ſich nicht willig,119 demuͤthig, aus vollem Herzen vor Autoritaͤten zu beugen vermag; wer in Bewunderung derſelben kein Gluͤck empfindet; der *)Die hier weggelaſſene, durch leere Striche angedeutete Stelle ſchien mir für unſer aufgeklärtes Zeitalter gar nicht paſſend. Vielleicht fand ſie Geltung in jenem finſtern Jahr - zehend, wo dieſer Roman ſich bewegt! Jch habe ſie im Jn - tereſſe des Autors unterdrückt. A. des Setzers.

Noch niemals, ſeitdem er vom zugeworfenen Grabe der Großmutter nach dem ausgeſtorbenen Haͤuschen heimgekehrt, hatte ſich Anton ſo einſam und verlaſſen gefuͤhlt, wie jetzt. Und wo ſollte er Troſt ſuchen? An weſſen gutem Rath und geiſtigem Beiſtand ſich aufrichten? Ungeduldig zaͤhlt er die Stunden, ob nicht eine ihm ſeinen lieben Arzt brin - gen werde, damit er in deſſen Buſen ausſchuͤtten koͤnne, was den ſeinen erfuͤlle? Vergebens. Der Arzt hielt ihn fuͤr geſund er blieb aus.

Gleichſam aus Trotz gegen ſeine eigene Thorheit, die ihn durch eitle, nichtige Hoffnungen und Wuͤnſche fuͤr’s Schauſpielerwerden getaͤuſcht, begab er ſich Abends wiederum in’s Theater, feſt uͤberzeugt, der120 Mann der ihn ſo hart und ſo liebevoll, beides, behandelt, werde in einer neuen Glorie vor ihm erſcheinen. Es kann mir gar nicht ſchaden, meinte er, mir noch einmal zeigen zu laſſen, wie tief die Kluft iſt, die mich plumpen Handwerker vom großen Kuͤnſt - ler trennt! Nur in fluͤchtigſter Eil waren ſeine Augen uͤber die Anſchlagezettel geglitten, welche eine heroiſche Dichtung verkuͤndigten. Gewiß wird er, ſagte Anton zu ſich, den ich als kleinen armen Juden verkannte, ſich heut als koͤniglicher Herr, als Held hervorthun!

Das war ein Jrrthum. Man fuͤhrte eine große Oper auf; eine Oper mit Ballet: eines jener zuſam - men-gequaͤlten erhabenen Werke, welchem ſein Erzeu - ger, nachdem er in der Veſtalin und im Cortez ſich ausgegeben und erſchoͤpft, durch Glanz, aͤußer - liche Pracht, betaͤubenden Laͤrm und alle moͤglichen wie unmoͤglichen Huͤlfsmittel zu verleihen ſuchte, was ihm doch fehlte.

Anton blieb kalt. Er konnte nicht einſtimmen in die forcirte Bewunderung, die um ihn her laut wurde. Auch der Tanz langweilte ihn, weil die Taͤnzer und Taͤnzerinnen durch denſelben nichts auszudruͤcken wußten; weil ſie ſich ſtets nur auf einem Beine drehten. Er verließ das Haus vor Beendigung des121 Spektakels. Da verſteht es unſere Jartour beſſer, dachte er; ihre Pantomime iſt ausdrucksvoller. Wenn ſie auf ihrer winzig-kleinen Buͤhne, denn ein Pferdeſattel iſt doch nicht groß zu nennen, irgend einen Charakter darſtellt, wirkt ſie deutlicher, ſpricht mehr durch ihre Geberden aus, wie jene Damen alle miteinander. Ja, die gute Jartour ......

Mit ihrem Bilde in der Seele betrat er ſein Stuͤbchen. Hier auf dieſem Seſſel hat ſie Wache gehalten vor meinem Lager; hat fuͤr mich geſorgt, gedacht, gearbeitet, den Dienſt einer Magd verrichtet; die liebevolle, unverdroſſene Pflegerin. Oh wie freu ich mich, ſie wiederzuſehen!

Eine wohlthaͤtige Waͤrme durchdrang ſein Herz bei dem Gedanken an dieſes Wiederſehen. Das Be - wußtſein von einem guten menſchlichen Weſen geliebt zu werden, rein, uneigennuͤtzig, that ihm ſo wohl.

Mag aus mir werden, was immer will, ſagte er, Eines kann mir Niemand mehr nehmen: die Ueber - zeugung, daß ſie es redlich mit mir meint; daß ich alſo nicht ganz verlaſſen daſtehe auf dieſer Erde. Jch darf aber auch nicht unnuͤtz zoͤgern, mich wieder mit ihr zu vereinigen. Mein Herz braucht den Troſt122 ihrer beſaͤnftigenden Gegenwart. Morgen erklaͤr ich’s dem Arzte. Er muß mich ziehen laſſen.

Der Arzt hatte nicht das Geringſte dagegen ein - zuwenden. Sie haͤtten meinethalb ſchon mit ihr zugleich abreiſen koͤnnen; ſie ſind vollkommen friſch und geſund. Daß ich Sie mit halben Worten zuruͤck - hielt, geſchah, aufrichtig zu reden, nur um den Wuͤnſchen Jhrer Freundin zu begegnen, die mich bat, ſo zu reden, wie ich in den letzten Tagen geredet habe. Es war uͤberhaupt reiner Unſinn, was ich von moͤglichen Ruͤckfaͤllen geſchwatzt; wenn mich ein Kollega gehoͤrt, muͤßt er mich fuͤr verruͤckt gehalten haben. Wie geſagt, wir ſpielten falſches, wenn auch unſchaͤdliches Spiel gegen Sie. Und weil eine Frauensperſon dies angab, die es ſo treu mit ihnen meint, nahm ich keinen Anſtand, mitzuſpielen. Sie werden das begreiflich finden.

Sie wuͤnſchte, ſie erbat das von Jhnen? fragte Anton in bangem Erſtaunen; um Gottes Willen, warum denn?

Wahrſcheinlich zog ſie vor, allein zu reiſen. Warum? Ja liebes Kind, wenn Sie das nicht beſſer wiſſen, als ich .... Vielleicht fand ſie es unſchick -123 lich mit Jhnen allein .... ſie iſt ein feines Maͤdchen; macht ſittſamer Weiſe einen Unterſchied zwiſchen Kranken und Geſunden. Na, ihr werdet ſchon in’s Klare kommen. Das ſei Jhre Sorge.

Der Arzt nahm Abſchied und wollte gehen.

Anton entriß ſich dem duͤſtern Nachſinnen worein die eben vernommene Aeußerung ihn verſetzt und hielt ſeinen alten Goͤnner zuruͤck, indem er ihm, dankend mit herzlichen Ausdruͤcken, das bereits zurecht gelegte Honorar in die Hand ſchob.

Wie iſt das gemeint? fragte dieſer. Denken Sie, weil ich Jhnen entdeckt habe, daß ich zum Stamme Juda gehoͤre, Sie duͤrften mich wie einen Juden behandeln? Sie, der Sie nichts erwerben, der Sie noch Eleve heißen, denn Adele hat mir ver - traut, wie es um Sie ſteht, Sie wollen mir Gold zuſtecken? Herr, Jhnen ſoll ja das Donnerwetter .... Fort mit der Hand! Fort mit Jhren Fuͤchſen in die eigene Taſche hinein! Werden das Zeug beſſer gebrauchen koͤnnen! Jch bin ein alter Junggeſell, bin wohlhabend, praktizire mehr aus Luſt und weil ich den Muͤſſiggang haſſe. Nehme nichts von Armen; nichts von Kuͤnſtlern, die gewoͤhnlich arm ſind; nichts von Landſtreichern und ſolchem Vagabunden-Geſin -124 del. So, nun iſt die Hand leer; nun gefaͤllt ſie mir beſſer; nun her damit! Nun, gluͤckliche Reiſe! Gruͤßen Sie mir das franzoͤſiſche Maͤdel, die Adele! Halten Sie die treue Haut in Ehren: ſie verdient es. Und ſchonen Sie, wo moͤglich, Jhre Knochen, Antoine! Schonen Sie ſich und Jhre Kraͤfte! Die Jugend waͤhrt nicht ewig! Gott mit Jhnen!

Das iſt Dein Segen, Großmutter, ſagte Anton, als der Arzt ihn verlaſſen; er ruht noch auf mir!

Siebenunddreißigſtes Kapitel.

Eine langſame Reiſegelegenheit. Der Taſchenſpieler Charles und deſſen Meerſchweinchen. Weiterer Verfolg der Reiſe. Der Rieſe Schkramprl ſammt drei Zwergen. Allerlei wunderliche Geſchichten von Vagabunden. Ankunft in Dr.

Dir, mein theurer Leſer, der Du Dich Deiner Schnellpoſt-Fahrten von B. nach Dr. wie ſaum - ſeliger Schnecken-Reiſen erinnerſt, im Vergleiche mit der jetzt herrſchenden Dampf-Expedition, Dir werd ich Muͤhe haben klar zu machen, daß unſer Anton, als vierter Theilnehmer einer ſogenannten Reiſe - Gelegenheit, die Raͤder derſelben in tiefem Sande ſich langſam winden ſah und deshalb vorzog, manche Meile gehend zu beſiegen. Spaͤt Abends am vierten125 Tage, oder am Vormittage des fuͤnften, fruͤher gab es keine Ausſicht auf Erloͤſung.

Anton’s erſte Reiſegeſellſchaft beſtand aus ſtillen gleichguͤltigen Leuten, die ihn fuͤr einen Franzoſen hielten, mit welchem ſie nicht plaudern koͤnnten, wes - halb ſie ihn ſeinen Gedanken an Adele ungeſtoͤrt uͤber - ließen. Der Lohnkutſcher war ſehr aͤrgerlich: Die drei ſtummen Gefaͤhrten unſeres Helden hatten ſich dem Hauderer und deſſen Marteranſtalt nur bis W. verſchrieben; dort, wo ſie Handelsplaͤne in der Um - gegend verfolgen wollten, fielen ſie ihm ab und er ſah ſich gezwungen, mit einem miſerabeln, lauſigen Paſſagier (wie er ſich ausdruͤckte) weiter zu troͤdeln. Doch ein Kutſcher lenkt und das gute Gluͤck denkt fuͤr ihn.

Jm zweiten Nachtquartier, welches trotz der kuͤrzeſten Tageszeit noch bei hellem Sonnenſchein bezogen wurde, fand Anton das Staͤdtlein voll freudiger Aufregung. Der beruͤhmte Taſchenſpieler und Bauchredner Charles aus Paris wollte die Her - ablaſſung haben auf ſeiner großen Kunſtreiſe eine Darſtellung zu geben. Programme, die im Gaſt - zimmer des Wirthshauſes hingen, klebten, flatterten, auf Tiſchen und Stuͤhlen umherlagen, verhießen das126 Unglaubliche und zum totalen Beſchluſſe ſogar ein Feuerwerk ohne Pulver.

Wahrſcheinlich hatte der Kutſcher dem Gaſtwirth und dieſer dem bei ihm verkehrenden Tauſendkuͤnſtler angedeutet, daß Anton ein Antoine und laut Paß, gleichfals ein Franzoſe ſei; denn Herr Charles ſuchte den Landsmann gleich auf, offerirte ihm eine Einlaßkarte und mit derſelben das Geſuch, ihn als compère ein Weniges zu unterſtuͤtzen? Vergeblich ſtellte Anton ſeine Unerfahrenheit in derlei Dingen dagegen; berief ſich auf ein ihm eigenes Ungeſchick, Andere zu myſtificiren und verſicherte, daß er durch ſichtbare Verlegenheit ſein Einverſtaͤndniß zu ver - rathen fuͤrchte? Herr Charles ließ nicht mehr los. Er unterwies den Zoͤgernden auf’s Umſtaͤndlichſte, wie man ſich benehmen ſolle, jeden Argwohn zu entfernen und ſchaͤrfte ihm hauptſaͤchlich ein, ſo weit als moͤg - lich vom eigentlichen Schauplatz, in einer Ecke des Saales, mitten unter uneingeweihten Zuſchauern Platz zu nehmen. Nachdem Anton endlich zugeſagt und gelobt hatte, nach beſten Kraͤften die ihm zuge - theilte Rolle des Verwunderten zu ſpielen, brachte Herr Charles zwei lebensfriſche, gelb-ſchwarz-weiß - gefleckte Meerſchweinchen, von verhaͤltnißmaͤßig nicht127 unbetraͤchtlicher Groͤße aus ſeinem Buſen hervor, die er dem neuangeworbenen Helfershelfer als Theil - nehmer des bevorſtehenden unſchuldigen Betruges praͤſentirte. Die Sau ſchien duldſamen und ſanften Temperamentes. Jn den Augen des Ebers lag ein Ausdruck von Tuͤcke; auch verhehlte Charles nicht, daß ſelbiger vor wenigen Tagen ſeine eigenen (des Ebers) Kinder ihrer ſie traͤnkenden Mutter vom Her - zen geriſſen und die Kleinen, kannibalengleich, gefreſ - ſen habe. Solches Ehepaar ſchob er unſerem Freunde in die linke Rocktaſche, wobei er ihn bat, ſich ſeiner - ſeits ruhig zu verhalten, die Jnſaſſen weiter nicht zu beachten, fuͤr deren zweckmaͤßiges Verhalten gebuͤrgt werde, da dies ihr Beruf, ihre fixe Anſtellung und ihnen durchaus gelaͤufig ſei. Nur ſei zu vermeiden, daß man ſich aus Vergeßlichkeit und in Zerſtreuung nicht etwa auf die Thiere ſetze, weil ſie doch zarter Conſtruktion ſeien und das Wiedererſcheinen von Leich - namen nicht nur die Damen erſchrecken, ſondern auch dem Stuͤcke die lebendige Wirkung rauben duͤrfe. Uebrigens habe die Stunde geſchlagen und das Publikum ſolle nicht laͤnger ſchmachten.

Anton, wie langſam auch er die Beine ſetzte, wie vorſichtig er Schritt um Schritt abzirkelte, konnte doch128 nicht verhindern, daß Trepp ab, Trepp auf der be - ſchwerte Taſchenſack ihn, einem Glockenkloͤppel aͤhn - lich, mit ſanften Schwenkungen begruͤßte. Jeder Schlag entlockte den eingeſaͤckten Geſchoͤpfen ein dum - pfes Grunzen, wie es, in verkleinertem Maaßſtabe, ſchlichte gewoͤhnliche Ferkel etwa ausſtoßen wuͤrden. Dieſer hoͤchſt verdaͤchtigen Toͤne-Klang uͤberzog ſeine Wangen mit immer wiederkehrender Schamroͤthe und er pries ſich gluͤcklich, als er im ſchon gefuͤllten Saale einen Winkel eroberte, wo zwei Mauern ihm den Ruͤcken deckten und wo er bewegungslos wie ein La - ternenpfahl ſtehen blieb, um nur den abſcheulichen Ton aus dem Hintergrunde nicht hervorzurufen. Es war fuͤr ihn ein ſchlimmer Abend. Seine Gutmuͤthig - keit hielt ihn ab, des gewandten Franzoſen Zutrauen zu taͤuſchen und doch litt er unausſprechlich durch die Befuͤrchtung, der Verrath koͤnne von den Meerſchwein - chen ausgehen: denn im aͤußerſten Falle, wenn ſeine Nachbarn dem Geraͤuſch im Winkel ihr Ohr geliehen, die Spur deſſelben verfolgt haͤtten, .... was waͤre ihm uͤbrig geblieben, als die Schuldigen zu nennen? Waͤhrend die entzuͤckten Kleinſtaͤdter allen Schwaͤnken und Spielereien des Herrn Charles ein an Begeiſte - rung grenzendes Erſtaunen darbrachten, froh in die129 Haͤnde klatſchend, ſobald er ihnen wieder eine Naſe gedreht und ſie durch ſeinen Hokus-Pokus betrogen, vermochte Anton gar nichts zu denken, als nur: ihr habt gut lachen und aplaudiren, euch regen und be - wegen, ihr Menſchen! Jhr habt keine Meerſchweinchen im Sack.

Die erſte Abtheilung ging voruͤber mit verwechſel - ten Uhren, in die Luft geſchoſſ’nen Ringen, errathenen und tanzenden Karten, erbluͤhenden Blumen, gerupf - ten Sperlingen und ſaͤmmtlichem Zubehoͤr jener herz - lich langweiligen Unterhaltungen, durch welche man ehrliche Leute zu amuͤſiren pflegt.

Jn der zweiten entwickelte Herr Charles (Es - kamoteurs, Taſchenſpieler und dergl. wagten damals noch nicht, ſich Profeſſoren zu nennen!) ſeine un - ausſprechlichen inwendigen Faͤhigkeiten als Bauch - redner in allerlei geiſtvollen Dialogen, deren beſonders einer, zwiſchen ihm und einem aus dem Schornſtein antwortenden Kaminfeger, den hoͤchſten Grad der Taͤuſchung erreichte, ſo, daß Antons Nachbar, ein ſcharf-kritiſcher Kopf, darauf ſchwur, es ſtecke kein Phantaſiegebilde des Herrn Charles, ſondern ein wirk - licher, reeller Lehrling des Meiſter Schwarz im Ge - maͤuer; gegen welche laͤſternde Anklage ſich jedochDie Vagabunden. II. 9130der zufaͤllig anweſende Schornſteinfegermeiſter mit ſeinem Buͤrgerwort verbuͤrgte und dadurch den Bei - fall nur noch ſtuͤrmiſcher machte.

Die dritte Abtheilung brachte wieder einige un - endliche Kartenkuͤnſte und endlich das Stuͤck mit den Meerſchweinchen, deren Erſcheinen Anton mit Ge - fuͤhlen der Wonne begruͤßte, weil es ihm und den in ſeiner Taſche verborgenen Doppelgaͤngern Erloͤſung verkuͤndigte. Er erblickte in beiden nun den Schau - platz betretenden Quadrupeden die taͤuſchend-aͤhnlichen Abbilder ſeiner Hinterſaſſen, ſo daß er in der erſten Ueberraſchung unwillkuͤhrlich einen heimlichen Griff nach ſeiner Taſche wagte, um ſich erſt zu uͤberzeugen, ob etwas an Schweinen entkommen ſei. Doch nein, kein Unterſchied fuͤhlbar, weder in Volumen, noch in Gewicht.

Herr Charles bat ſich von einem der ihm zunaͤchſt ſtehenden Herren ein ſeidenes Taſchentuch aus, nur ein ſolches Exemplar befand ſich im Saale, worauf der gluͤckliche Jnhaber nicht wenig Stolz ver - rieth, wickelte beide Meerſchweinchen, die auf dem Zaubertiſche harrend ſich der Prozedur bereitwilligſt fuͤgten, in das Tuch, verflocht die Zipfel in kunſtvolle Knoten und ſteckte ſodann das Haͤufchen Ungluͤck in131 einen zierlichen Mahagonykaſten, den er feſt verſchloß und dann den Schluͤſſel einer jungen Dame uͤber - reichte, damit ſie ihn feſt halten moͤge. Die Schoͤne, die ſich in dieſem Augenblicke die wichtigſte Perſon der Stadt duͤnkte, gab dem Herrn Kommandanten durch geringſchaͤtzende Mienen zu verſtehen, die ſeiner Obhut anvertrauten Thor-Schluͤſſel waͤren gar Nichts im Vergleiche zu dieſem, welchen man ihr uͤbergeben und klemmte ſodann ihre Fingerchen zuſammen, daß ihr die Naͤgel in’s zarte Fleiſch drangen. Nun brachte Herr Charles einen großen Laib Brodt, den er auf einem anderen Tiſche der Verſammlung pruͤfenden Blicken zur Schau legte. Und als dies geſchehen, auch mit unerlaͤßlichen Phraſen einbegleitet war, ließ er den Zauberſtab walten. Die junge Dame mußte mit eigener blutruͤnſtiger Hand das Kaͤſtchen oͤffnen und fand es natuͤrlich leer. Der Tuchlieferant wurde gebeten das Brot zu zerſchneiden, was einige Muͤhe machte, dieſe jedoch durch ſich ſelbſt, das heißt durch den in einen Klumpen zuſammen gebackenen, im Centrum des Laibes verſteckten, jetzt wieder errungenen Foulard belohnte. Allgemeine Bewunderung. Aber wo ſind die Meerſchweinchen geblieben? So fragte Herr Charles in ſchwer-verſtaͤndlichem Deutſch. 9 *132Sie wuͤrden argwoͤhnen, ich praktizirte ſie Jhnen in die Taſchen, wenn ſie ſich bei einem der Umſtehenden vorfaͤnden? Deshalb ſoll ein Herr ſie haben, der ganz entfernt von mir dort in jenem Winkel ja, ja, Sie mein Herr oh leugnen Sie nicht!

Er zeigte mit dem Finger nach Anton, alle Koͤpfe folgten der Richtung des Fingers, ſaͤmmtliche Augen in ſaͤmmtlichen Koͤpfen ſaͤmmtlicher Damen blieben wohlgefaͤllig auf Anton haften, der verlegen dieſem Kreuzfeuer blos ſtand.

Kommen Sie, mein Herr, rief Charles, kommen Sie zu mir, wir wollen nachſuchen! Der ſcharfe Kri - tikus in Antons Naͤhe aͤußerte dagegen: durchaus nicht; wenn wir ihn zu ihm ſchicken, geſchieht dort oben in aller Eil, was wir nicht mehr uͤberwachen koͤnnen. Soll das Kunſtſtuͤck wirklich Werth haben, ſo muͤſſen die Thiere jetzt ſchon verzaubert ſein.

Charles benuͤtzte dieſe Jnterpellation, ſtellte ſich ſo aͤngſtlich wie moͤglich an, und ſchien verweigern zu wollen, daß man ohne ihn unterſuche.

Ein Gemurmel des Zweifels ſchlich durch die Geſellſchaft.

Darauf war ich nicht vorbereitet, ſprach nach kurzem Zoͤgern Herr Charles; jedoch wenn man es133 durchaus ſo verlangt meinem Zauberſtab iſt nichts unmoͤglich. changez vite! Nun unterſuchen Sie, mein Herr!

Anton machte eine Wendung halb links, wodurch er ſich der kritiſchen Forſchung darbot wie ein redlich - geſinnter Dieb, den die Haͤſcher eingefangen. Der ſcharfe Kritikus griff ihm in die Rocktaſche; man hoͤrte ein gellendes: Au weh!

Haben Sie den Schwein? fragte Charles.

Nein, er hat mich, erwiederte Jener, zog ſeine Rechte heraus und am zweiten Finger derſelben, in welchen er ſich verbiſſen, baumelte der Kindermoͤrder. Die Gattin folgte duldend, ohne Gegenwehr.

Jn den Ausbruch voͤlliger Zufriedenheit von Sei - ten eines kunſtſinnigen Publici miſchte ſich Schaden - freude uͤber die Verwundung des kritiſchen Kenners. Und als nun zum Schluſſe der Tauſendkuͤnſtler mit einigen Schlaͤuchen unter den Armen hervortrat, alle Lampen und Kerzen loͤſchen ließ, um dann urploͤtzlich die Finſterniß durch Sonnen, Sterne, Raͤder, die im bunteſten Feuer ihn verklaͤrend umſpielten, zu erhellen, da riefen viele Stimmen: er iſt wirklich ein Hexen - meiſter!

So aͤndert ſich die Welt. Heute bleibt kein Gaſ -134 ſenjunge mehr vor einer Gasflamme ſtehen, mag ſie noch ſo hoch emporflackern! und nichts Anderes war es, als brennende Gaſe, die Herr Charles aus jenen Schlaͤuchen in metallene Roͤhren ſtroͤmen und durch dieſe, zu mannigfachen Formen und Figuren ſich geſtaltend, verbrennen ließ. Wer den geblendeten Kleinſtaͤdtern damals geſagt haͤtte, daß in aͤhnlichem Zauberlichte gar bald ihre Nachkommen, vielleicht ſie ſelbſt, die Straßen durchwandern ſollten, wenn ſie die Reiſe nach irgend einer groͤßeren Stadt unternaͤhmen!? Ja, wer weiß, ob nicht, waͤhrend dieſe Zeilen auf’s Papier fließen, derſelbe Saal, deſſen Schilderung ſie beabſichtigten, auch ſchon mit Gas beleuchtet wird?

Armer Charles, Deine Zeit waͤre vorbei, ſogar dort, wo man Dich vergoͤtterte.

Anton wollte ſich gerade zur Ruhe begeben, als er die Einladung des Herrn Charles erhielt, bei ihm ein Glas Wein zu trinken. Um nicht unfreundlich zu erſcheinen nahm er es an, unter dem Vorbehalt, daß er ſich zeitig entfernen duͤrfe. Er fand noch drei andere Gaͤſte und erkannte zwei derſelben: den Herrn vom ſeidnen Taſchentuch, wie auch den ſcharfen Kri - tiker, deren Gegenwart ihn argwoͤhnen ließ, Herr Charles brauche mancherlei Gevattersleute. Der135 dritte Gaſt machte ihm den Eindruck eines Menſchen von ganz beſonderem Schlage; ein aͤhnliches Gewaͤchs irgendwo geſehen zu haben, konnte er ſich weder erinnern, noch wußte er im Geringſten, was er von dem baumlangen, engbruͤſtigen, ſchmalaufgeſchoſſenen Kerl mit grauen Locken und zitronengelbem Geſicht halten ſolle. Dieſer redete mit Charles ein leidliches Franzoͤſiſch, mit den andern Herren ein leidliches Deutſch, beſaß dabei aber eine duͤnne, ſchneidende Fiſtelſtimme, die zu der Kirchthurmfigur gar nicht paßte. Wie er ſich, gleich den Uebrigen, bei Antons Eintritt auf einen Augenblick von der Tafel erhob, ſtieß er beinah an die Decke des Gaſthauszimmers an. Charles verkuͤndete ſogleich, daß dieſer Artiſte morgen in derſelben Kutſche reiſen werde, die ſo gluͤck - lich ſei, ſeinen charmanten jungen Landsmann nach Dr. zu bringen und war auch bemuͤht, den Namen des Fremden zu verkuͤnden, der nicht anders lautete, als Herr Schkramprl. Es laͤßt ſich erklaͤren, wie und warum der Pariſer Eskamoteur dieſer uͤber fran - zoͤſiſche Sprechwerkzeuge weit hinausgehenden Be - muͤhung unterlag; der Beſitzer, wollte er richtig zur Welt gefoͤrdert werden, ſah ſich genoͤthiget, ſich ſelbſt136 buchſtabirend, nachzuhelfen. Charles ſagte nur: ein niedlicher Name, aber ein Bischen Deutſch.

Anton maß forſchenden Blickes den geringen Zwiſchenraum, der Schkramprl’s hochgethuͤrmten grauen Lockenbau von der Zimmerdecke abtrennte, eine Muͤcke wuͤrde Muͤhe gehabt haben, ſich nur eini - germaßen in demſelben umherzuſchwenken, und ſagte ſodann zu ſich ſelbſt: mein Kutſcher muß ein Loch in das Verdeck ſeines Wagens ſchneiden; unfehl - bar muß er das, wenn Schkramprl darin ſitzen ſoll, oder Schkramprl muß etwas von der Einſchlags - faͤhigkeit eines Taſchenmeſſers in ſeinen Huͤftgelenken haben. Sonſt ſeh ich nicht ab, wie die Dinge gehen werden.

Anfaͤnglich ſtockte die Unterhaltung: ſo lange man verſuchte, eine Sprache zu erfinden, die von allen fuͤnf Theilnehmern der Geſellſchaft zugleich verſtanden wuͤrde. Nachdem aber erſt Anton ſich als Kunſtreiter zu erkennen gegeben, und dadurch vor Charles ſowohl, als vor Schkramprl ſich jenem freimaurerartig-ver - bundenem Vagabundenthume angehoͤrig erklaͤrt hatte, wendeten ſich beide, nur noch franzoͤſiſch redend, zu ihm und ließen den ſcharfen Kritikus mit dem Manne137 vom ſeidenen Taſchentuche deutſch reden und deutſch trinken, ohne ſich weiter viel um ihre Geſpraͤche zu bekuͤmmern. Damit Herr Charles jedoch ſeinen Ver - pflichtungen als Gaſtgeber doch einigermaßen ent - ſpreche, munterte er genannte Herren, deren Namen wir nicht wiſſen, bisweilen durch ſcherzhafte Jnter - mezzo’s auf, indem er kleine Kunſtſtuͤcke zum Beſten gab, Gabeln verſchluckte, Thaler durch die Tiſchplatte zauberte und endlich dem Manne mit dem Foulard eine Unzahl rother und weißer Kugeln aus der Naſe ſtrich, woruͤber dieſer bis zur Ohnmacht erſchrack und ſich eine Stunde nachher noch immer aͤngſtlich an die Naſe griff, ob vielleicht, ihm unbewußt, noch Einiges an Kugeln in ſelber ſtecke. Die vier Meerſchweinchen ſchweiften re bene gesta im Hochgefuͤhl ihrer Frei - heit am Fußboden umher. Der Kindermoͤrder ging in ſeiner froͤhlichen Laune ſo weit, dem ſcharfen Kri - tikus ein Stuͤck aus den neuen ſilbergrauen Pantalons zu knabbern, woruͤber Charles außer ſich gerieth und dem Eber die Zaͤhne ſammt Kopf ausreißen wollte; der Beſchaͤdigte jedoch erklaͤrte ſich dagegen, gab viel - mehr den hochherzigen Entſchluß kund: die Luͤcke un - ausgebeſſert zu laſſen, als Angedenken fuͤr den Meiſter der natuͤrlichen Magie.

138

Anton vernahm im Laufe der Geſpraͤche verwun - derliche Sachen, wie er ſolche weder bei der Simonelli hoͤren konnte, noch bei Guillaume’s gehoͤrt, wo er ja auch faſt mit der Amelot allein in naͤherem Verkehr geſtanden. Er wurde wider ſeinen Willen eingeweiht in Privatverhaͤltniſſe unzaͤhliger Familien, Truppen, Geſellſchaften, Banden, Unternehmungen, die auf Neugier, Thorheit, Leichtglaͤubigkeit oder Vergnuͤ - gungsſucht der Menſchen ſpekulirend, ſeit Menſchen - gedenken von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter forterbend, die Welt durchſtreifen und all uͤberall wo ſie ſich begegnen, neben dem giftigſten Brodneid, doch ſtets einige gegenſeitige Ruͤckſichten, Gefaͤlligkei - ten, Aushuͤlfen und ſogar Freundſchaft fuͤr einander haben und uͤben. Charles kannte Viele, Schkramprl, der ſeiner eigenen Verſicherung zu Folge von Kindheit an reiſete und jetzt ſein ſechszigſtes zuruͤckgelegt hatte, ſo ziemlich Alle. Wenn Charles einen neuen Namen uͤber die Lippen brachte, nannte. Schkramprl deren zwanzig, die zu jenem in irgend einer Beziehung ſtanden, irgend etwas produzirten und gegenwaͤrtig in irgend einem Lande umherzogen. Ohne boͤsartig ſein zu wollen, verſtand er doch Jedem wie Jeder die erwaͤhnt wurden, etwas anzuhaͤngen; niemand ent -139 ſchluͤpfte ſeinem unerbittlichen Gedaͤchtniß ohne ſchwar - zen Strich. Anton wußte die Simonelli auf’s Tapet zu bringen. Schkramprl ſchenkte dieſer nichts und nahm, da er einmal die Mutter ſchonungslos richtete, auch deren Tochter in’s Gebet. Laura empfing ihr rechtſchaffen Theil, wobei Herr Schkramprl mit Ge - wißheit anzugeben wußte, daß ſie mit Herrn Amelot bereits wieder auf dem Pruͤgelfuß ſtehe, der vor der Trennung ſchon beliebt geweſen. Von Antoine ſchienen ſeine Nachrichten unklar. Er wußte von ſei - nem Attachement an Laura nichts und verwechſelte ihn uͤberhaupt mit einem andern Reiter der Truppe, den er noch immer an ſeinen Verwundungen darnieder liegen ließ, wogegen Anton nichts einwendete. Dabei zeigte ſich Schkramprl hoͤchſt unzufrieden, daß ſeine Notizen uͤber dieſen Punkt dunkel waͤren und ent - ſchuldigte ſich mit laͤngerem Aufenthalt in kleinen Staͤdten.

Nun lenkte Anton, der kurzweg fuͤr einen eben aus Paris verſchriebenen Reiter zu gelten ſuchte, das Ge - ſpraͤch auf Adele Jartour. Merkwuͤrdig genug: von dieſer wußte und hatte das lange Rieſen-Laͤſter - maul nichts zu ſagen, als: bonne camerade; écuyère excellente; coeur d’ange! Als er dies140 ausgeſprochen, leerte er ein Glas auf ihr Wohl. Anton ſtieß mit ihm an. Dann aber wollte er ſich den erfreulichen Eindruck durch fernere Klatſchereien nicht verderben laſſen. Er empfahl ſich Herrn Char - les und zog ſich auf ſein Zimmer zuruͤck, indem er dem unermuͤdlichen Schkramprl ein auf Wiederſehen fuͤr morgen! zuruͤckließ. Adelens Bild im dankbaren Herzen, ihren Namen auf den Lippen, ſchlief er zufrieden ein, traͤumte ſich durch allerlei ſittſame, ſen - timentale Stimmungen immer tiefer in eine neu ent - ſtehende Liebe fuͤr ſie und fand ſich gar haͤßlich ent - taͤuſcht, als ein derber Hausknecht, das triefende Talglicht in ſchmutziger Fauſt, ihm ſcheltend des Land - kutſchers Mandat in die Ohren ſchrie: daß es die hoͤchſte Zeit ſei!

Die Phyſiognomie der Stadt ſchien durch wenige Stunden voͤllig veraͤndert; ihr duͤſteres Grau war mit dem reinen Kleide der Unſchuld bedeckt. Der erſte Schnee ſaͤuſelte hernieder.

Wie Anton ſich ſeinem Wagen naͤherte, erkannt er ihn kaum wieder. Geſtern hatte ſich nichts darauf befunden, als ſein eigenes Gepaͤck, und deſſen war nicht gar viel, weil die meiſten Effekten bereits mit Guillaume’s Bagage-Train vorangegangen; heute141 waren Hintertheil, Verdeck, Kutſcherſitz ſo vollgeladen und die Beſitzthuͤmer des Herrn Schkramprl ſteigerten ſich ſo maͤchtig empor, daß man ein wandelndes Haus zu erblicken vermeinte.

Nun, murmelte Anton: dieſe Pferde, dieſe Laſt, friſcher Schnee und dazu der gute Wille unſeres Kutſchers, das wird eine flotte Fahrt! Aber wo bleibt mein Reiſegefaͤhrte?

Sie ſind vorangegangen, meinte der Kutſcher laͤchelnd, Sie wollten ſich nicht in den Wagen ſetzen, weil Sie ſagten, es waͤre zu ſchenirt fuͤr Sie, wegen der Laͤngde von die Perſchon. Die Kleinen ſind ſchon d’rein, alle drei. Steigen Sie nur auch ein, Herr Anthahn, den Langen kriegen wir bald, ſammt ſeinen hochen Spazierhoͤlzern.

Alſo es gab junge Schkramprl’s. Jhrer drei, ſagt der Kutſcher. Waͤre auch Schade, um Namen und Race, wenn beide ausſtuͤrben.

Der Hauptſitz des Wagens wurde durch die Kleinen eingenommen. Sie lagen in Pelze und Decken verhuͤllt, eine bei der Finſterniß des Winter - morgens unerkennbare Maſſe. Der Schnee warf nur ſo viel Schein auf ſie zuruͤck, daß Anton drei Koͤpfe aus den Umhuͤllungen herauszaͤhlen konnte.

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Jch moͤchte ſchlafen, wie die gluͤcklichen Kinder, dachte er und ruͤckte ſich in ſeine Ecke. Aber es gelang ihm nicht. Die Langſamkeit der dahin ſchleichenden Kutſche, ſtatt ihn in Schlaf zu wiegen, regte ihn ungeduldig auf.

Dort watet der große Herr im Schnee, rief der Kutſcher draußen.

Hol’s der Teufel, ich will mit ihm waten, ent - gegnete Anton. Beſſer das, als im Wagen hocken, wenn es nicht vom Flecke geht.

Er hatte den Fußgaͤnger augenblicklich erreicht, der ſich der Geſellſchaft ausnehmend freute.

Nun wie geht’s, wie ſteht’s? Wie ſieht’s in der Kutſche aus? Was treiben die Kleinen?

Oh, ſie ſchlafen, Herr Schkramprl.

Unglaublich, wie gut Sie meinen Namen arti - kuliren! Wie deutlich! Fuͤr einen Franzoſen unge - heuer viel!

Allerdings, Jhr Name iſt ſchwierig.

Furchtbar ſchwierig. Aber was wollen Sie? Jch haͤtt ihn gern umgeaͤndert, mindeſtens fuͤr die Affichen; doch als ich zum Bewußtſein ſeiner Schwie - rigkeit gelangte, war es zu ſpaͤt, ihn zu wechſeln; ein Wechſel haͤtte meine Renommée in ihrer Entfal -143 tung geſtoͤrt. Jch war beruͤhmt, als Schkramprl, ich mußte Schkramprl bleiben.

Geſtern vergaß ich Erkundigungen einzuziehen, darf ich es heute nachholen? Als was erwarben Sie Jhre Reputation.

Jch? Ganz einfach als Rieſe! Zunaͤchſt als Rieſe. Mit fuͤnfzehn Jahren war ich ſo groß, wie Sie mich hier neben ſich ſehen, nicht einen Strich kleiner. Mein Vater fuͤhrte mich umher. Mein Vater war der weltberuͤhmte Geſichterſchneider dieſes Namens, und hatte urſpruͤnglich gewuͤnſcht, mich fuͤr ſeine Kunſt zu erziehen. Auch machte ich ſchon bedeu - tende Progreſſen: mit zwoͤlf Jahren konnte ich meine Naſe in den Mund nehmen, ſo daß die Unterlippe deren Spitze bedeckte, was allerdings bedeu - tende Naturanlagen verrieth, weil meine Naſe ungleich kuͤrzer iſt, wie jene meines unvergeßlichen Vaters geweſen. Die Zunge brachte ich ſchon ſo weit hervor, als er in ſeinen beſten Stunden. Aber es ſollte nicht ſein. Bevor ich noch ſo weit ausgebildet, daß ich mich an des Lehrers Seite mit Ehren oͤffentlich pro - duziren konnte, kam ich in’s Wachſen. Es ging ſo ſchnell, daß ich aus einem unterſetzten, dicken, derben Kerl, binnen zweier Jahre zur Hopfenſtange empor -144 ſchoß. Die Eltern beſorgten zuerſt, ich koͤnnte dabei d’rauf gehen; doch zu ihrem Troſte beſann ſich meine gute Mutter, meine Mutter war auch Kuͤnſtlerin: ſie hob Muͤhlſteine mit den Haarzoͤpfen auf und ließ gluͤhendes Eiſen auf einem Ambos ſchmieden, waͤhrend ſie mit dem Kopfe auf einem, mit den Fuͤßen auf einem anderen Stuhle lag, der uͤbrige Koͤrper in freier Luft ſchwebte und ihr Unterleib den Ambos trug; dieſe meine Mutter alſo beſann ſich zu rech - ter Zeit, daß einer ihrer Vaters-Bruͤder ein Rieſe geweſen ſei. Dergleichen Gluͤcksfaͤlle wiederholen ſich bisweilen in der Verwandſchaft. Von dieſer Stunde wurde ich zum Rieſen erzogen. Man reichte mir kraͤftigere Koſt, die mimiſchen Studien wurden bei Seite geſetzt und dafuͤr der Koͤrper im Ganzen, Großen ausgearbeitet. Na, Sie ſehen, wohin es gefuͤhrt hat. Mit ſechszehn Jahren war ich der ich bin. Jch war huͤbſch von Geſicht; ich machte For - tuͤne. Jn London, in Paris, in Bruͤſſel, mein Himmel, wo denn nicht? Als meine Eltern todt waren ...

Beide?

Beide. Ja, beide in einem Jahre, in einem Monat. Die Mutter ſtarb in ihrem Beruf; der145 Stuhl, den ſie bei ihrer Arbeit unter dem Kopf gehabt, iſt zuſammengebrochen, der Ambos ihr auf die Bruſt geſtuͤrzt, ..

Arme Frau!

Es war ein leichter Tod; ſie litt nicht lange. Aber der Vater! dieſer konnte ſich uͤber den Verluſt nicht troͤſten. Er wurde ſchwaͤchlich. Sein Nerven - ſyſtem war voͤllig zerruͤttet. Und ſonderbar; er, die - ſer fameuſe Geſichterſchneider, blieb in den letzten Tagen ſeines Lebens und Wirkens, denn er ſtudirte und arbeitete bis zum letzten Hauche, nicht mehr Herr uͤber die Muskeln, die ihm ſtets ſo gehorſam geweſen. Sobald er ein bedeutendes Geſicht geſchnit - ten, das bracht er noch zu Stande, Gott ſei Dank; ſo weit konnte ſein Talent ihn nicht verlaſſen, dazu war ſeine Kuͤnſtlerſchaft zu vollendet; ſobald er, wollt ich ſagen, ein bedeutendes Geſicht fertig hatte, blieb es ſtehen. Denken Sie, Herr Antoine, es blieb ſtehen; welch ein eigenthuͤmliches Phaͤno - men! Manchmal um eine Minute laͤnger, als in ſei - ner Abſicht lag. Wie ſich dies einigemale wiederholt, wußt ich, daß ſein Stuͤndchen geſchlagen. Durch vieles Zureden gelang es mir, ihn in’s Bett zu brin - gen. Großer Geiſt: er konnte nicht unthaͤtig blei -Die Vagabunden. II. 10146ben, ihm war es unmoͤglich, die edle Zeit, die er ſtets wuͤrdig benuͤtzt, unausgefuͤllt zu laſſen. Fortwaͤhrend ſchnitt er Geſichter, ſtudirte auf neue Erfindungen, uͤbte ſich, bei Tag und Nacht, wie wenn er ein Anfaͤn - ger waͤre. Endlich, in der letzten Nacht, leiſtete er etwas Grandioſes: beide Augen preßte er weit aus dem Kopfe, den Mund riß er mit ſeinen ſchwachen Haͤnden auseinander bis an die Ohren, die lange ſchoͤn gebaute Zunge ſtreckte er heraus und legte ſie an die Naſe, wie ein Menſch, der uͤber etwas Wichti - ges nachzuſinnen hat, den Zeigefinger nur immer an die Naſe legen mag, ſo lang, ſo rund, ſo duͤnn ... Vater, rief ich, Sie uͤbertreffen ſich ſelbſt, aber ſcho - nen Sie ſich. Jch nahm ihm die Haͤnde vom Munde der Mund blieb wie er war, die Winkel bei den Ohren, die Augen blieben haͤngen, die Zunge blieb liegen. Bravo, rief ich, braviſſimo! Er hoͤrte mein Lob nicht mehr. Er war todt. Wir haben ihn beerdiget, ſammt ſeiner letzten Kunſtleiſtung und bleibt nur zu bedauern, daß dieſe von Wuͤrmern zer - ſtoͤrt werden ſoll. So war ich denn, obgleich ein Rieſe, dennoch eine elternloſe Waiſe und zog allein weiter. Aber es haftete kein rechter Se[e]gen mehr am Rieſe-ſein. Weiß der Henker, woher ſie kamen? 147Ueberall ſtanden Rieſen auf. Einmal trafen wir in einem kleinen, erbaͤrmlichen Neſte von engliſcher Stadt, unſerer Drei zuſammen. Die Konkurrenz wurde zu ſtark, die Einnahmen immer ſchwaͤcher; ich mußte mich nach etwas Anderem umthun. Ein Mann ward ich auch, des Schwaͤrmens und Liebelns laͤngſt uͤberdruͤſſig, mein Herz ſehnte ſich nach haͤus - lichem Gluͤck, ich beſchloß zu heirathen. Und ich fand bald eine brave ſolide Frau, mit mir in gleichem Alter, auch Kuͤnſtlerin ..

Die Jhnen ihre Hand reichte?

Nein; den Fuß.

Verſteh ich recht? Sie gab Jhnen einen Fußtritt?

Gewiſſermaßen. Doch nur aus Liebe. Sie war ohne Arme geboren, folglich fehlten ihr die Haͤnde, folg - lich vermochte ſie nicht, mir ihre Hand zu reichen, auch bei’m beſten Willen nicht. Es folgt Eines aus dem Anderen.

Und ſie war Kuͤnſtlerin? Ohne Arme?

Daß ſie keine Arme beſaß, darin eben beſtand ihre Kunſt: denn ſie ſchrieb mit den Fuͤßen. Mit beiden Fuͤßen, mein Herr. Die Feder hielt ſie zwiſchen den Zehen und ſchrieb eine Hand, einen Fuß viel - mehr, zum kuͤſſen. Aechte Kalligraphie! Und10 *148in drei Sprachen: Engliſch, Franzoͤſiſch, Deutſch. Sie machte großes Gluͤck. Jch ſah mich durch ſie verdunkelt. Jch, als Rieſe, war nur eine kleine Bei - gabe zu Dem was man an ihr bewunderte.

Lebten Sie gluͤcklich mit ihr?

Wie die Engel. Jeden Abend nahm ich die Kaſſe in Empfang. Wir lebten ſehr gluͤcklich. Doch auch dieſes Gluͤck ſollte nicht dauernd ſein. Sie fuͤhlte ſich Mutter. Oh Freund, niemals werd ich die ſuͤßen Stunden vergeſſen, wo wir die Feier-Abende plaudernd mit kuͤhnen Hoffnungen ſchmuͤckten. Dieſe galten unſerm jungen ſehnlich-erwarteten Weltbuͤrger. Unſere Einbildungskraft erging ſich in weiten Raͤumen: wird es ein Knabe ſein oder ein Maͤdchen? Oder keins von Beiden? Wird es nach dem Vater, wird es nach der Mutter ſchlagen? Wird es vielleicht eine Rieſin? doch von unbeſchreiblicher Groͤße, wie noch nie ein maͤnnlicher Rieſe gezeigt wurde; wo man ohne Bedenken zwiefache Eintrittspreiſe ſtellen duͤrfte? Wird es, oh Du liebes Kind! vielleicht nur einen Arm haben, aber an dieſem zwei Haͤnde? Oder auch gar keinen, wie ſeine gute Mutter, um deren Geſchaͤft fortzuſetzen? Oder werden ihm vielleicht beide Beine fehlen? Das waͤre minder vortheilhaft? 149Ach, riefen wir dann beide zugleich, waͤhrend Pamela mich umarmte, ...

Sie umarmte?

Daß heißt, waͤhrend ich ſie umarmte, erſcheine bald, wachſe bald an, holde, gluͤckverheißende Mißge - burt; laͤchle bald Deinen Eltern entgegen. Sei end - lich wie Du willſt, wenn Du nur etwas mitbringſt, was noch niemals fuͤr Geld zu ſehen war! Eines Morgens uͤberraſchte mich Pamela mit der Erzaͤhlung eines Traumes: ſie hatte ſich Mutter geſehen; ſie hatte im Traume nein, nein, es iſt zu viel! Wenn ich daran denke, moͤcht ich vergehen! Sie hatte ein Kind mit zwei Koͤpfen geboren!

Jm Traume!?

Das waͤre nichts, junger Menſch. Jm Traume bleibt das bedeutungslos und ſtreng genommen kann jeder traͤumen, was ihm gut duͤnkt. Jm Traume mach ich mich anheiſchig Drillinge zu gebaͤren, die aneinander gewachſen ſind, wie Doppelkirſchen, oder Mandeln in einer Schaale. Das will nicht viel ſagen! Aber wenn ich erwaͤge, daß dieſem Traume eine Wahr - heit folgte; daß ſie an dem naͤmlichen Tage Mutter wurde; daß ſie wirklich und wahrhaftig von einem Kinde Mutter wurde, welches wirklich und wahrhaf -150 tig zwei Koͤpfe hatte, aus zwei Kehlen ſchrie! ... Herr, begreifen Sie, was das heißt? Oh, im Schnee moͤcht ich mich waͤlzen, wie ein nackender Ruſſe, einen ſolchen Schatz laͤßt mich das Schickſal ſehen! Haͤlt ihn mir neckend vor! Jch greife ihn mit dieſen meinen Haͤnden! und eine Viertelſtunde ſpaͤter, ſagen Sie, wer haͤtte ſolch kleinem, unerfahrenen Weſen derlei Bosheit zugetraut? iſt es todt; mauſetodt! Wie nur jemals ein veraͤchtliches gewoͤhn - liches Kind mit einem einzigen Kopfe todt geweſen iſt! Unkindliches Kind! Deinen Vater ſo zu taͤuſchen!

Die Mutter ſtarb auch. Sie konnte den Jammer nicht uͤberleben. Der dumme Accoucheur behauptete, an den Folgen einer zu ſchweren Entbindung. Keine Spur! An den Folgen des Grames ſtarb ſie; deſſel - ben Grames der an mirnagte, ohne mich zu toͤdten. Oh, daß ich keine Rieſennatur geweſen waͤre! daß ich mei - nem Grame unterliegen muͤſſen, wie Pamela dem ihri - gen! Vielleicht waͤre mir beſſer. Jch ſage: vielleicht!

Es ging Jhnen nicht gut, ſeit dem Sie Wittwer ſind?

Abwechſelnd, junger Mann! Es koͤnnte mir glaͤnzend gehen, haͤtt ich nicht leichtſinnig gehandelt; leichtſinnig, wie ein Kadett in Ferien! Das anato - miſche Muſeum, es war in den Niederlanden, wo151 ich Weib und Kind verlor, ſendete mir einen Unterhaͤndler, den Ankauf der Leichen zu betreiben. Jch ſchlug meine Seelige zu billig los; keine Frage, um hundert Prozent zu wohlfeil: eine ſo tugendhafte Gattin, keinen Arm am Leibe und tauſend Gulden! Verſchleudert, offenbar verſchleudert! Doch daruͤ - ber darf ich nachtraͤglich nicht jammern, denn, frei zu reden, unter uns: was haͤtte ſie mir genuͤtzt? Als Leiche? Jch haͤtte ſie begraben muͤſſen; darin lag kein Reiz, weder fuͤr ſie, noch fuͤr mich. Alſo, das waͤre zu verſchmerzen. Aber unſern Sohn! Unſern lieben, kleinen, hoffnungsvollen, eigenſinnigen Sohn; ein Kind von ſolch enormen Anlagen! Jch bitte Sie, ſagen nicht eitle Vaͤter, die ihre alle-Tags-Baͤlge von Kindern preiſen wollen: mein Kind hat Kopf!? Nun frag ich. Wie viel Kopf hat denn euer Wurm, wenn es hoch kommt? Einen! Einen einzigen! Mein Kind hatte deren zwei! Und ich gab es Raͤuber an mir ſelbſt, der ich war! gab es fuͤr fuͤnfhundert Dukaten fort. War ich ein Raͤuber an mir ſelbſt? Sagen Sie!

Anton hatte die groͤßte Muͤhe ernſthaft zu bleiben; wuͤrde auch, trotz aller Muͤhe ein lautes Lachen aus - gebrochen ſein, haͤtte nicht ein gewiſſer Widerwille, den die Brutalitaͤt ſeines neuen Freundes in ihm152 erzeugte, ihm Kraft zum Ernſte verliehen. Er ent - gegnete, ohne nur mit den Lippen zu zucken: ich daͤchte doch fuͤnfhundert Dukaten waͤren ein ſchoͤnes Stuͤck Geld? Noch dazu hollaͤndiſche! Was haͤtten Sie denn uͤberhaupt mit der todten Mißgeburt begin - nen wollen?

Was ich damit .... oh junger Mann, Sie ſchmecken noch gar ſehr nach Jhrer Jugend. Was ich haͤtte mit meinem Sohne beginnen ſollen? Ja, was begann denn das Muſeum mit ihm? Hm? Es verwahrte ihn in einer großen Flaſche voll Spiritus. Da ſchwebt der junge Schkramprl und zeigt, zum Erſtaunen bewundernder Gaffer auch denen ein freund - liches Geſicht, die hinter ihm ſtehen. Konnt ich nicht, ich frage Sie, konnt ich nicht mein eigenes Muſeum werden? Konnt ich nicht meinen Sohn in Spiritus bei mir behalten und durch ihn, den geiſt - reichen, einen Grundſtein legen, zu einem kuͤnftigen Kabinet von anderweitigen Mißgeburten, unterſchied - lichen Raritaͤten, Menſchenhaͤuten, Vogelneſtern, kleinen Schlangen, Negerſchaͤdeln, Mammuthskno - chen, Baſchkiren-Pfeilen, Wallfiſchrippen, Ammons - hoͤrnern, verſteinerten Hoͤlzern, Seemuſcheln und unanſtaͤndigen Bildern? Solche Sammlung waͤlzt153 ſich auf Reiſen umher wie ein Schneeball, indem ſie durch die Bewegung groͤßer wird. Eine ſolche beſaͤß ich jetzt, durch meinen Sohn. Und das hab ich ver - ſaͤumt, ich leichtſinniger, gefuͤhlloſer Vater. Schkramprl Vater und Schkramprl Sohn ſind fuͤr immer getrennt. So oft ich daran denke, lebhaft daran denke, moͤcht ich mir den Kopf abreißen; was auch in Stunden der Wuth unfehlbar ſchon geſchehen waͤre, wenn ...

Wenn Sie deren zwei beſaͤßen, wie der Ver - blichene?

Vollkommen richtig; Sie errathen meine Gedan - ken. Die Strafe meiner Dummheit ließ nicht auf ſich warten. Mit den fuͤnfhundert Dukaten kauft ich mir drei Stuͤck Kaffern, braune Kerls, die unbe - kleidete Natur-Ballette ausfuͤhrten, kriegeriſch heul - ten, lebendige Huͤhner zerriſſen, dieſe roh verſchlan - gen und allerlei huͤbſche Saͤchelchen machten. Der Amerikaner von dem ich ſie kaufte, bewies mir ſchwarz auf weiß, daß ſie ſeine Sklaven waren, die er faſt eben ſo theuer gekauft und wenig abgenuͤtzt hatte. Er ſtellte mir eine Quittung aus, ſtrich die Dukaten ein und ich war im Beſitz. Anfaͤnglich ging die Ge - ſchichte ganz gut, außer, daß ſie mich wenig verſtan - den und ich ſie gar nicht. Die Haͤlfte der Einnahme154 verfraßen ſie mir freilich in Huͤhnern, doch als ich auf den Anzeigen bemerkte: diejenigen Zuſchauer, welche das intereſſante Naturſpiel des blutig-rohen Verſchlingens zu beobachten wuͤnſchen, werden erſucht, das dazu nothwendige Gefluͤgel ſelbſt mitzu - bringen, da fanden bedeutende Lieferungen ſtatt, von denen manches auch fuͤr mich abfiel. Das Gleichgewicht ſtellte ſich wieder her und ich war zufrieden mit meiner Entrepriſe. Nach und nach aber ſchnappten meine Sklaven deutſche Woͤrter und Begriffe auf, ſuchten Umgang mit Kellnern und Dienſtmaͤdchen in den Gaſthaͤuſern wo wir einkehr - ten, und gelangten ſo, nach Verlauf eines Jahres zur Kenntniß, daß es bei uns zu Lande keine Sklaverei gebe; daß jeder Menſch frei ſei. Unſinn! Erſtens ſind wir alle Sklaven, wenn auch ein jeder in anderer Art; zweitens waren ſie Wilde und keine Menſchen. Das erſte beſte Pavian iſt mehr Menſch, als ſie es waren. Aber was half’s? Die Rebellion brach aus. Eines ſchoͤnen Morgens umringten ſie mein Bett, tanzten den Kriegstanz, ſchwangen die Keulen, ſetz - ten mir die Fuͤße auf die Bruſt und proklamirten ihre Unabhaͤngigkeit. Jch ergab mich nicht ſo leicht, ſuchte meinen Rieſen hervor, es entſtand ein furchtbarer155 Laͤrm, das ganze Haus lief zuſammen, die halbe Stadt, man holte Gerichtsdiener und das Ende vom Liede war eine Vorladung der Behoͤrde, die mir eroͤffnete, daß die Herren ſo und ſo die Kanaillen fuͤhrten gar keine Namen, ihre eigenen Herren ſeien und das Recht beſaͤßen, ſich fuͤr eigene Rech - nung zur Schau zu ſtellen. Nach meinen fuͤnfhun - dert Dukaten fragte Niemand. Die drei Schurken trennten ſich von mir und nahmen obenein eine dicke Kuͤchenmagd aus dem Gaſthauſe mit, die ſie ſpaͤter - hin ſchwarz anſtrichen und als aͤthiopiſche Negerin figuriren ließen. Jch war ſehr herunter. Jn der Noth wurde ich wiederum Rieſe, ſtreckte mich ſoviel mein Gram geſtatten wollte und verband mich mit einem Kakerlaken, einem faden Patron, der ſich Albinos Dundos nannte, mir zuerſt imponirte, auf die Laͤnge jedoch unter andern ehrlichen Menſchen nichts weiter war, als was eine rothaͤugige, weiſſe, matte Maus unter den grauen Maͤuſen iſt. Unſer Kompagnie-Geſchaͤft ging ſchlecht. Nachdem ich mir wieder ein paar Goldſtuͤcke auf die Seite gelegt, macht ich mich los von ihm und fuͤhrte ein Quartett ſteiriſcher Alpenſaͤnger nach London. Die guten Leute bei Lichte beſehen, Choriſten von einem Wiener156 Vorſtadttheater, hatten nicht einmal ordentliche Kroͤpfe und verſtanden keine Silbe Engliſch. Des - halb brauchten ſie einen Begleiter, der fuͤr ſie ſprach, waͤhrend ſie ſangen. Das waͤhrte denn doch einige Jahre und half mir etwas auf. Kaum aber wußten ſie ſich verſtaͤndlich zu machen, als ſie nach Amerika zogen und mich zuruͤckließen. Dumme Cretin’s! Sie ſagten mir in’s Geſicht, ich haͤtte ſie uͤbervor - theilt. Was waͤre denn aus mir geworden, wenn ich’s nicht gethan?

Sie haben viel durchgemacht, Herr Schkramprl!

Das will ich glauben. Jn einem halben Jahr - hundert braucht man viel wenn man durſtig iſt beſonders. Wir befanden uns in einer Seeſtadt. Jch ſah mich nach einer andern Stellung um und brauchte nicht lange zu warten. Es hatte daſelbſt ein Schiff gelandet, welches nebſt vielen Faͤſſern Thran, die furchtbar ſtanken, einen Esquimaur nebſt Gemahlin mitbrachte, die auch nicht nach Roſenoͤl dufteten. Dieſes zarte Paͤrchen war von einem Spe - kulanten nach der kultivirten Welt gelockt worden, um ſich zeigen zu laſſen. Kaum angelangt ſtarb dieſer unternehmende Menſch. Jch bemaͤchtigte mich ſeiner lebendigen Hinterlaſſenſchaft, ſchloß eine Art von157 Vertrag mit den Leuten, die ſich eben ſo wenig Rath wußten, wie ein Fiſch auf trockenem Boden und zog mit ihnen in die Welt. Das waͤre ein Goldzug geworden, wenn dieſe Weſen fuͤr ihre Produktionen nicht immer große Gewaͤſſer gebraucht haͤtten, und die finden ſich weder uͤberall vor, noch kann man ſie mit ſich fuͤhren. Zwar zeigt ich meine Puͤppchen auch in Saͤlen, gegen maͤßiges Legegeld; aber das lohnte nicht, warf keine Reſultate ab; ſie leiſteten zwiſchen vier Waͤnden nichts Beſonderes, außer daß ſie lebhaft nach Thran ſtanken, was nicht jedes Publikums Leidenſchaft iſt. Jhr Element war das Waſſer. Wo ſich ein Teich, ein kleiner See in der Naͤhe befand, veranſtalteten wir große Vorſtellungen, ſie ſaßen in ihren kleinen Kaͤhnen aus Seehundsfell, die ſie ſich wie einen Fußſack uͤber die Huͤften zogen und darin umherſchwammen, als ob ſie ſelbſt See - hunde waͤren; eine Anſicht, zu der ich mich biswei - len geneigt fuͤhlte. Mit ihren Pfeilen ſchoſſen ſie nach Gaͤnſen, wovon ſie oftmals mehrere verwunde - ten, die ich ſodann verzehren mußte, wollt ich die Auslagen dafuͤr nicht verlieren. Jch habe einmal vier Wochen lang buchſtaͤblich von Gaͤnſefleiſch gelebt, wobei ich voͤllig verdummte. Staͤdte mit Waſſer158 uͤbertrugen Staͤdte ohne Waſſer; im Ganzen machte ſich’s, haͤtte noch ein Weilchen vorgehalten, da ſetzt ſich das abgeſchmackte Weibsbild in den Kopf, Todes zu ſterben. Sie unterlag dem Heimweh; das heißt in unſerer Sprache: der Sehnſucht nach fri - ſchem Thran! Was ich ihr von dieſer Gattung kre - denzte, ſchien ihr nicht mollig, nicht glatt genug. Einen Tag vor ihrem Tode ſoff ſie mir meine Nacht - lampe aus, ſchuͤttelte ſich und ſtoͤhnte: Aih, wahi, puhi, hui, pui, waih! was in ihrer Zunge etwa ſagen wollte: viel zu matt, kein Aroma! Der Wittwer hielt’s nicht aus, ohne ſie allein. Er kuͤndigte mir den Kontrakt und begab ſich nach Hauſe. Wahr - ſcheinlich hat er eine Seekuh geheirathet.

Herrn Schkramprl’s lebhafter Vortrag, den ich hier nur hoͤchſt unvollkommen nachzubilden vermochte, weil ich nicht im Stande bin, ſein gelaͤufiges, doch ſeltſam komponirtes Franzoͤſiſch wiederzugeben, hatte wenigſtens dazu gedient, unſerem Anton uͤber ſeine truͤbe Stimmung und die Beſchwerlichkeiten des Schneemarſches fortzuhelfen.

Der Kutſcher hielt an, die Pferde zu traͤnken, und der Rieſe warf einen Blick in die Kutſche, nach ſeinen Kleinen.

159

Sie waren alſo nach Pamela’s Tode noch einmal verheirathet? fragte Anton.

Wie ſo, noch einmal? fragte Schkramprl erſtaunt zuruͤck.

Das muͤſſen Sie beſſer wiſſen, als ich. Jch meinte nur, da Sie doch drei Kinder beſitzen ...

Kinder? Jch? Koͤnnte mir nicht einfallen.

So ſind das Jhre Pflegekinder, die hier im Wa - gen ſchlummern?

Schoͤne Kinder! Der Huſar hat ſeine achtund - zwanzig; die beiden Dirnen zuſammen wenigſtens fuͤnfzig Jahre.

Zwerge, alſo?

Natuͤrlich; was denn ſonſt? Die beiden Schwe - ſtern hab ich in der Schweiz von ihren Eltern gekauft; mit denen reiſ ich jetzt ſchon ſeit laͤnger als zehn Jahren. Den Kerl hab ich erſt vor drei Jahren in Turin gefunden und hab ihn mitgenommen. Der inſolente Schlingel bezieht foͤrmlich Gage, hat ſein eigenes Zimmer in meinem Hauſe, ...

Jn Jhrem Hauſe?

Welches oben auf den Wagen gepackt iſt. Jch fuͤttere ihn mit den beſten Biſſen, mache ihm alle Avancen, hoffte, das kleine Geſindel ſollte hecken? 160Kinder von Zwergen? Von ſo kleinen, gutgewachſenen Zwergen? Wie? Muͤßte das nicht eine Liliputaniſche Race geben? Wie geſagt, hab ihnen jeden Vorſchub geleiſtet: keine Spur. Die Natur zeigt ſich auch hier grauſam gegen mich. Jetzt hab ich den dickkoͤpfigen Huſaren auf dem Halſe, der nichts weiß und nichts kann, als ſein: Jch bin der Doktor Eiſenbart groͤ - len, und mir obenein durch ſeine Eiferſucht alle Na - turforſcher und Amateur’s verſchuͤchtert, die ſonſt nicht abgeneigt ſein wuͤrden, mit Ninon oder mit Na - nette naͤhere Bekanntſchaft zu machen und die Natur - geſchichte der Zwerge im Stillen zu kultiviren! Heda, Pygmaͤen, auf, ermuntert euch! Koͤnnt ihr nichts, wie ſchlafen? Herr Antoine will euch ſehen; ein liebenswuͤrdiger Kollege will euch guten Morgen ſagen.

Anton war durchaus nicht luͤſtern nach dieſer Ehre; doch ehe er ſie noch ablehnen konnte, hatte Schkramprl ſchon die Huͤllen von ſeinem dreiblaͤtteri - gen Klee geriſſen und der kleine Menſchenknaͤuel ent - wirrte ſich gaͤhnend. Es gab einen widrigen Anblick; um ſo widriger, weil Ninon und Nanette nicht erman - gelten, mit der, jenen unterdruͤckten Geſchoͤpfen eige - nen Zudringlichkeit allerlei Koketterien gegen den161 Fremden zu richten, wozu der Huſar mit neidiſchem Grinſen die Zaͤhne fletſchte. Anton zog ſich zuruͤck. Ein Geſpraͤch mit den kleinen, dickkoͤpfigen Perſonen waͤr ihm unmoͤglich geweſen. Schkramprl verließ im naͤchſten Staͤdtchen die Kutſche, um ſeine Huͤtte aufzuſchlagen. Sie trennten ſich ſchon gegen Mittag, ohne daß Anton in Augenſchein nahm, welch erha - bene Wirkung es mache, wenn der Rieſe ellenhoch uͤber ein vollſtaͤndiges Schweizerhaus voll Zwerge zum Himmel rage! Schkramprl entließ ſeinen jun - gen Freund Antoine mit dem Verſprechen baldigen Wiederſehens; und Anton, wieder alleiniger Jnhaber und Einwohner des Lohnwagens, ließ ſich Schritt fuͤr Schritt weiter ziehen, um endlich doch einmal, ſeine Seele voll Sehnſucht nach Adelen, die ſchoͤne Stadt Dr. zu erreichen.

Achtunddreißigſtes Kapitel.

Adele iſt verſchwunden. Erfolgloſe Bemühungen, ihren Aufenthalt zu erfor - ſchen. Troſt der Einſamkeit.

Seine Seele voll Sehnſucht nach Adelen, und voll Dankbarkeit fuͤr den Herrn Prinzipal, haͤtt ich hinzufuͤgen muͤſſen; fuͤr Herrn Guillaume, der durchDie Vagabunden. II. 11162den Urlaub, welchen er der Jartour bewilliget, ſo viel fuͤr ihn gethan, der ihn ſo großmuͤthig unterſtuͤtzt, ihn ſo reichlich mit Geld verſehen hatte!

Nichts Niederſchlagenderes giebt es im Leben, als wenn beim Wiederſehen alle lebhaften, gefuͤhlvollen Begruͤßungen des Eintreffenden kalt und zuruͤckſtoßend aufgenommen werden. Der Eine von Reiſe-Ungeduld, von freudiger Erwartung aufgeregt, ſtuͤrmt mit inni - gen Empfindungen herein, und der andere giebt ihm nichts zuruͤck, als verlegenes Schweigen. Dies wiederfuhr Anton, wie er bei Herrn Guillaume ein - trat. Der Dicke wußte auf die feurigen Ergießungen aus ſeines Eleven Munde nichts zu entgegnen, huſtete in unterſchiedlichen An - und Abſaͤtzen, brachte dazwi - ſchen ein kaum verſtaͤndliches: nicht die geringſte Urſach heraus, worauf er ſich mit einer fuͤr ſeine Korpulenz bewundernswuͤrdigen Volubilitaͤt davon zu ſtehlen wußte. Madame ging auf gar nichts ein, lachte dem Dankenden hoͤhniſch in’s Geſicht und kehrte ihm den Ruͤcken.

Wie vertraͤgt ſich dieſer Empfang mit dem Edel - muth, den ſie an mir geuͤbt? fragte der Bangerſtaunte den Kaſſirer, den er aufzuſuchen eilte.

Der Kaſſirer, aus mehreren Gruͤnden kein163 ſchwaͤrmeriſcher Verehrer ſeiner Frau Direktrice, erwiederte offen, daß ihm durchaus nichts von Edel - muth aufgefallen und daß er erkenntlich ſein wolle, wenn Anton Spuren deſſelben nachweiſen koͤnne.

Ja mein Himmel, Alles was ſie fuͤr mich gethan. Sie haben mir Gold geſchickt, zehnmal mehr, als ich bedurfte, und ich bringe den reichen Ueberſchuß ehrlich wieder; ſie haben meinen Urlaub ausgedehnt, damit ich mich gruͤndlich erholen moͤge; und was noch mehr iſt: ſie haben der Jartour die Bewilligung ertheilt, bei mir zu weilen, mich zu verpflegen; haben die Mitwirkung dieſes wichtigen Mitgliedes hier bei Eroͤffnung des Cirkus entbehren wollen, was ich als das groͤßte Opfer anerkennen muß.

Der Kaſſirer ſchlug die Haͤnde uͤber dem Kopfe zuſammen: Dieſe Maͤhrchen hat Jhnen die Jartour erzaͤhlt? Nun begreif ich Alles! Liebſter Freund, Sie ſind in vollkommenſter Taͤuſchung. Erſtlich hat die Jartour keinen Urlaub erbeten und wußte ſehr wohl, daß man ihr keinen ertheilt haben wuͤrde. Jhr Kon - trakt war in B. abgelaufen, und haͤtte muͤſſen am Tage, nachdem Sie geſtuͤrzt waren, erneuert werden. Anſtatt ihn zu erneuern, erklaͤrte Adele, ſie ſei ent - ſchloſſen, abzugehen. Madame Adelaide triumphirte11 *164uͤber dieſen Entſchluß ihrer Feindin, und Herr Direk - tor, welcher ſoeben den Antrag von Madame und Herrn Felix in Haͤnden hielt, ließ ſich leicht beſchwa - tzen, mit dieſen beiden abzuſchließen; wobei er ſein Bedauern uͤber den Verluſt der beſten Reiterin mit der traurigen Erfahrung beſchwichtigte, daß ein jun - ges friſches Stuͤck Fleiſch, gleich der Felix, gar leicht eine nicht mehr bluͤhende Kuͤnſtlerin, gleich der Jar - tour, bei der Maſſe des Publikums erſetzt. So hatte folglich Jhre Adele voͤllige Freiheit, bei Jhnen zu bleiben. Die Berichte, die ſie uͤber Jhr Befinden einſendete, lauteten ſo larmoyant, daß wir ſchon das Kreuz uͤber Sie gemacht haben; daß auf Sie gar nicht mehr gerechnet wurde. Geld hat man Jhnen nicht geſendet, Herr Antoine; nicht zuruͤckgelaſſen, noch zugeſchickt; nicht Gold, nicht Silber, nicht einen Pfennig. Das muͤßte ich wiſſen. Was Jhnen zuge - kommen, kann nur die Jartour aus ihren Erſparniſſen Jhnen gereicht haben. Die Direktion war ſo weit entfernt, ſich weiter um Sie zu bekuͤmmern, daß Ma - dame mir heute ſchon befohlen, Jhnen Futtergeld fuͤr Jhren Fuchs abzufordern, obgleich derſelbe unterdeſſen taͤglich im Cirkus gebraucht und von Herrn Felix, der ein plumper Geſell ſcheint, faſt zu Schanden geritten165 worden iſt. Man iſt hier daran gewoͤhnt, Sie fuͤr einen Eleven von Vermoͤgen anzuſehen, noch aus den Tagen der Amelot her.

Aber das iſt ja ſchrecklich, was Sie mir da erzaͤh - len, Herr Amand, nahm der aus all ſeinen Himmeln vertriebene Anton das Wort. Wie hab ich mich doch in dieſen Leuten geirrt! Und die arme Jartour, ihr ſauer erworbenes Vermoͤgen! Oh, ſagen Sie mir, wo wohnt ſie? Jſt es weit vom Cirkus?

Jch ſoll Jhnen ſagen ...? Herr Antoine, ſind Sie bei Verſtande, oder iſt Jhr Kopf noch nicht heil? Jch ſoll Jhnen ſagen, wo die Jartour wohnt? Wenn Sie das nicht beſſer wiſſen wie ich, dann werden wir’s beide ſchwerlich erfahren. Seit B. hab ich nichts von ihr gehoͤrt, noch geſehen.

Adele iſt nicht in Dr.?

Wofern Sie nicht mit Jhnen zugleich anlangte, ſicher nicht. Was ſollte ſie auch hier, wenn ſie nicht hier waͤre, um bei Jhnen zu ſein? Sagt ich Jhnen nicht ſchon, daß der Vertrag mit Herrn Guillaume abgelaufen iſt, daß ſie ihn nicht erneuert, daß ſie dies Engagement verlaſſen hat? Wer weiß, was ihr durch den Sinn gefahren? Sie war ein braves Frauenzim - mer, aber voll von Launen und Grillen; wollte166 immer ’was Beſonderes vorſtellen! Schlagen Sie ſich das aus den Gedanken. Hier fehlt’s nicht an huͤbſchen Maͤdchen und Sie werden bald nicht wiſſen, wohin zuerſt ſchauen? Vor allen Dingen aber ſehen Sie nach Jhrem Fuchs, daß Sie den wieder in die Reihe bringen. Felix muß ein anderes Pferd bekom - men. Sie treten morgen auf; der Zettel iſt ſchon in der Druckerei. Jhre Koffers ſtehen bei mir.

Anton hatte doch bereits ſo viel Herrſchaft uͤber ſich und ſeine Gefuͤhle gewonnen, daß er den Aus - bruch heftigen Schmerzes zuruͤckhielt, bis er ſich allein befand. Allein zu ſein; mit anderen Menſchen ſo we - nig als denkbar in Beruͤhrung zu gerathen, erſchien ihm jetzt das einzig Wuͤnſchenswerthe. Deshalb auch uͤberwand er den Widerwillen, der ſich in ihm regte, von dem Golde, welches die grauſame Freundin ihm zuruͤckgelaſſen, ſeine Beduͤrfniſſe zu befriedigen. Der Widerwille gegen ein Zuſammen-leben, wohnen, verkehren mit anderen Eleven und Hausgenoſſen der Direktion war doch noch groͤßer, ſteigerte ſich jetzt bis zum Abſcheu; und in dieſer Noth ergriff er von zwei Uebeln das geringere. Er miethete ein beſcheide - nes, vier Treppen hoch gelegenes, deshalb ſtilles Dachſtuͤbchen, aus deſſen kleinen Fenſtern ſein truͤbes167 Auge auf ſchneebedeckte Mauern, auf andere. Daͤcher, auf Giebel und Schornſteine ſtarrte, ſo lange, bis es ſchmerzhaft geblendet von Thraͤnen uͤberfloß. Was er nun fuͤr Adelen fuͤhle, wurde ihm ſelbſt kaum deut - lich: war es beleidigter Stolz, der ihn zuͤrnen ließ? War es ſchwermuͤthige Sehnſucht, dankbare Anhaͤng - lichkeit, die den Groll in Liebe umwandelte? Gleichviel! Was es ſei, rief er aus, Eines iſt doch gewiß: daß ich nur ſie in meinem Herzen hege! Daß ich nur ihrer gedenke; daß mir ſonſt Alles auf Erden gleichguͤltig iſt!

Um nur etwas zu thun; um nur in die unmaͤnn - liche Abſpannung, die ſich ſeiner bemaͤchtigen wollte, einige Thatkraft zu bringen, ſchrieb er an ſeinen Arzt in B. und beſchwur dieſen, durch Vermittelung der geeigneten Behoͤrden auskundſchaften zu laſſen, wo - hin Adele Jartour ſich gewendet haben koͤnne? Nach - dem er durch dieſen gefaͤlligen Goͤnner die Antwort empfing, ihr Reiſepaß ſei bei der franzoͤſiſchen Geſand - ſchaft nach Paris viſirt worden, wendete er ſich geradezu an ſie ſelbſt, ergoß in einem langen, ſehr ausfuͤhrlichen Briefe ſein ganzes volles Herz, richtete auf gutes Gluͤck dieſe Epiſtel an Adele Jartour, erſte Reiterin beim olympiſchen Cirkus der Gebruͤder Fran -168 coni und athmete leichter auf, als er einen Theil der Laſt, die ihn ſchwer druͤckte, mit dieſen duͤnnen Blaͤttern nach der Poſt getragen hatte. Die zuver - ſichtliche Hoffnung einer baldigen, erklaͤrenden, erſchoͤpfenden Antwort hielt ihn aufrecht, bei der qualvollen Ausuͤbung ſeiner Berufspflichten. Denn nicht anders als qualvoll konnte es fuͤr ihn ſein, Abend fuͤr Abend die alte Tour zu reiten, das alte Violinſolo abzuleiern, ſein Quantum Beifall zu empfangen, ſeine drei Buͤcklinge zu machen und dann durch Sand und Saͤgeſpaͤhne watend, in die Garde - robe zu huͤpfen, wo er ſich ſeine bunten Fetzen nicht raſch genug von den Gliedern ſtreifen zu koͤnnen meinte, um nur den Umgebungen wieder zu entwei - chen, die ihm ſchauderhaft erſchienen, ſeitdem kein Weſen mehr in ihrer Naͤhe athmete, deſſen Hauch ſie veredelt haͤtte.

Sich fuͤrder zu uͤben, empfand er gar keine Luft; fehlte ihm doch der Drang, Fortſchritte zu machen, der ihn fruͤher belebt! Guillaume ließ ihn gehen, ohne ſich weiter um ihn zu bekuͤmmern; er fand, was Anton maſchinenmaͤßig leiſtete, immer noch gut genug fuͤr ein Mitglied, welches keine Gage fordern durfte,169 und ſogar jene Anſpruͤche, die es auf freie Koſt und Wohnung beſaß, nicht geltend machte.

So verging der Winter. Eine ſeltſame Exiſtenz, wie unſer Freund ſie fuͤhrte: den ganzen Tag uͤber im kleinen Gemach, leſend, lernend, ſchreibend, Vio - line ſpielend, niemals ohne Beſchaͤftigung, ſtets ohne menſchlichen Umgang und Verkehr; nur ſeine Wirthin ſah er, wenn ſie ihm das ſpaͤrlich bereitete Mahl brachte. Des Abends, wie durch einen Zauber - ſtab, in bunte Flitter gehuͤllt, zu Roſſe, vor einer großen, laͤrmenden Menge, deren Anblick ihn immer wieder auf’s Neue betaͤubte; umrauſcht von ſchallen - der Muſik, deren Geſchmetter ihm Kopfſchmerz ver - urſachte; und eine Viertelſtunde darauf wieder im ſtillen Gemach, wieder ein Buch zur Hand, wie wenn ihm nur getraͤumt haͤtte, vom Reiter Antoine. Und dann, zu Nacht, das einſame Lager, um welches wechſelnde Geſtalten der immer regen Einbildungs - kraft ſchwebten; Geſtalten wie Ottilie die Groß - mutter Laura, bis auch dieſe verflogen, der Einen Raum zu geben, die ſeiner Seele jetzt die Naͤchſte blieb und ihm ach ſo fern!

Adele hatte ſeinen Brief nicht beantwortet. Des langen, peinvollen Harrens endlich muͤde, wendete er170 ſich an Franconi’s, mit der bittenden Frage, ihm Nachricht zu geben, ob Adele Jartour bei ihnen enga - girt, oder ob ſie wuͤßten, wo dieſelbe ſonſt ſei?

Umgehend lief die Erwiederung des Sekretairs ein: ſeine Direktion kenne und achte das allgemein anerkannte Talent der Demoiſelle Jartour noch von ihrem fruͤheren Engagement in Paris und muͤſſe ſehr bedauern, uͤber ihren gegenwaͤrtigen Aufenthalt nichts zu wiſſen, weil man bereit ſei, ihr die vortheilhafte - ſten Antraͤge zu ſtellen.

Nun war die letzte Hoffnung dahin. Adele war ihm verloren; ſie wollte es ihm ſein. Das begriff er endlich. Sie war geflohen, vor ihrer eigenen Liebe zu ihm, ehe noch ſeine dankbare Freundſchaft fuͤr ſie, ſich in Liebe verwandeln koͤnnen! Je tiefer uͤber dieſes Weib er nachſann, deſto hoͤher wuchs ſeine Achtung, deſto waͤrmer aber auch wurde ſeine Sehnſucht. Wie wir uns denn leider nach dem Unerreichbaren am Meiſten ſehnen, wir armen Menſchen. Wie wir auch im Gluͤck, im Genuſſe der Gegenwart immer noch etwas vermiſſen, was uns eben auch nicht befrie - digen wuͤrde, wenn es da waͤre! Viele Dichter haben dieſe Sehnſucht, die auf Erden kein Ziel findet, beſun - gen; am einfachſten aber und darum nach unſerer171 Meinung am herrlichſten der deutſche Dichter Ema - nuel Geibel, wenn er in zwei Worten es ſagt:

Dir ſelbſt bewuſt kaum, iſt Dein Leid
Ein Heimweh nach der Ewigkeit
*)Siehe: Junius-Lieder von E. Geibel. Das Geheimniß der Sehnſucht.
*).

Dieſes Heimweh nach einer Heimath, die hienie - den nicht bluͤht, fuͤhlte unſer Anton, ſeiner ſelbſt unbe - wuſt, waͤhrend er um den Verluſt ſeiner Freundin trauerte. Adele war ihm eben nur der Name fuͤr etwas Namenloſes! Und haben wir nicht alle einmal ſo geliebt, und ſo geſehnt?? Und ſo gegraͤmt? Wohl jedem, der es nicht gethan, wuͤrde ich ſagen, muͤßte ich nicht zugleich ſagen: Weh jedem, der es nicht gethan!

Jch kann nicht Kunſtreiter bleiben, ſagte Anton vom Schmerze darnieder gebeugt. Lieber betteln! Jch kann nicht; ich will nicht.

Er ging zu Guillaume, von dieſem Entlaſſung zu erflehen. Guillaume erwiederte, zwar ſei es nicht Gebrauch, daß ein Eleve vor Ablauf der bedungenen172 Lehrzeit davon gehe, aber, ſagte er, da bei Jhnen abweichende Umſtaͤnde vom Anfang unſerer Bekannt - ſchaft an zu erwaͤgen ſind, ſo will ich Sie nicht hal - ten. Wir gehen von hier nach L. Dort werden Sie die Oſtermeſſe noch mit durchmachen und dann ziehen Sie in Gottesnamen. Doch das muß ich Jhnen offen und ehrlich mit auf den Weg geben, An - toine: fahren Sie fort, ſich zu vernachlaͤſſigen, wie Sie waͤhrend unſeres hieſigen Aufenthaltes gethan, ſo wird nichts aus Jhnen, gar nichts.

Nun, wenn auch nichts, wie Sie es meinen, Herr Guillaume, entgegnete Anton ſich verbeugend, doch vielleicht und mit Gottes Huͤlfe etwas Anderes, was nach meiner Meinung gerade ſo viel ſein kann, als ein Reiter nach der Jhrigen.

Er ſprach ſo ſtolz, weil er Madame Adelaide im naͤchſten Zimmer hoͤrte; wuͤrde jedoch in peinliche Verlegenheit gerathen ſein, haͤtte er verkuͤndigen ſollen, welch ein Etwas er im Geiſte vor ſich ſah.

Nun er den Zeitpunkt der Befreiung vom Joche nach Tagen zaͤhlen und berechnen durfte, trug er leichter an dieſem Joche. Sein Herz ſchlug lebendi - ger ..... und dennoch war Alles, was vor ihm lag: Ungewißheit! Er wußte durchaus nicht, was dann173 beginnen? Aber, wußte er doch, daß er nicht mehr gezwungen ſein werde, den Fuchs zu beſteigen und den Leuten ſeine Kuͤnſte vorzureiten! Dieſe Ge - wißheit troͤſtete ihn wegen jener Ungewißheit uͤber ſein Schickſal.

O gluͤckſelige Jugendzeit! Auch im Ungluͤck noch gluͤckſelig!!

Neununddreißigſtes Kapitel.

Meſſe in L. Schkramprl erſcheint wieder. Eine ſeltne Gauklerfamilie. Anton’s Erwartung wird getäuſcht.

Seit vielen Jahren hatte der große Welt-Markt in L. nicht ſo viele Meßbuden gezaͤhlt, als in jenem Fruͤhling, wo Antoine mit der Guillaume’ſchen Reitertruppe daſelbſt erſchien. Es konnte nicht fehlen, ſie mußten ſich Einer dem Anderen das Brot vom Munde nehmen. Waͤhrend Kauf - und Handelsleute ſich im Ganzen fuͤr zufrieden erklaͤrten, klagte das Gauklervoͤlkchen allgemein uͤber ſpottſchlechte Meſſe.

Anton befand ſich in ſeltſamer Verwirrung ſeiner eigenen Wuͤnſche und Abſichten. Mit dem friedlichen Aſyl welches er in Dr. bewohnt und in welchem er ſtille ungeſtoͤrte Stunden zugebracht, hatte er zugleich174 die entſagende Geduld verloren, die ihn dort im Gleichgewicht hielt; die ihn ſogar bisweilen ohne Klage waͤhnen ließ, er ſei mit dem Leben fertig.

Mit dem erwachenden Fruͤhling erwachte in ihm auch wieder das Gefuͤhl ſeiner Jugend; winterlich - begrabene Empfindungen entkeimten dieſem Gefuͤhle. Die ſchwermuͤthige Erinnerung an Adele verwan - delte ſich in aufregende Sehnſucht nach ihr. Er wurde den Gedanken nicht los, daß die Jartour ihren Paß nach Paris ausſtellen laſſen, wie ſein Arzt beim Geſandten erfahren. Es war ihm zu Sinne, als muͤſſe er die Entflohene dort wiederſehen; als wuͤrden, wenn es ihm gelaͤnge dieſes Ziel unklarer Traͤume zu erreichen, viele Geheimniſſe ſich enthuͤllen; viele Raͤthſel ſeines Lebens ſich loͤſen. Doch wie waͤre dies auszufuͤhren? Sein Goldvorrath ging auf die Neige. Er mochte ſich’s noch ſo ſparſam einrichten; wenn man immer nur ausgiebt, ohne einzunehmen, hilft zuletzt kein Sparen. Wie, fragte er ſich, ſoll es mit mir enden? Wenn ich nun auch wirklich dieſe faſt unbezwingbare Begierde, ihr nach Frankreich zu folgen, bezwinge, wenn ich mich und meine feurigſten Wuͤnſche niederdruͤcken will; ... was ſoll, auch in Deutſchland, aus mir werden? Jch weiß es nicht. 175Denn ſogar fuͤr den traurigen Fall, daß ich mich uͤberwinde, meine Arbeit als Korbflechter wieder ergreife und mich beim naͤchſten Meiſter fuͤr Geſellen verdinge, wie komm ich mit dem ungluͤcklichen Blatt Papier in’s Reine, welches die Simonelli mir angeheftet, unter deſſen Schutz ich noch immer reiſe, und zwar als ein Betruͤger reiſe, zu dem ich wurde, ohne es zu wollen und zu wiſſen? Ueberdies auch iſt jener Reiſepaß abgelaufen, ſo gut wie unguͤltig: Der Furioſo, der ſich auf ſolche Dinge verſteht, hat mir neulich zu hoͤren gegeben, ich wuͤrde genoͤthiget ſein, Paris wieder zu beſuchen, um meine Reiſe - Erlaubniß verlaͤngern zu laſſen? Und wenn ſie dort die Wahrheit entdecken ....? Das kann mich in Schande und Kerker bringen! Gar vielleicht, wenn der wirkliche Antoine mir begegnet? Wenn er ſchlechte Streiche gemacht, die auf mich zuruͤckfallen? Wenn er ſchon eingeſperrt iſt? Oder wenn er ... Gott weiß was? da giebt es ſo viele Oder, daß mir ganz ſchwindelig wird! Nach Liebenau zuruͤck geſchleppt werden? ... Auf dem Schube, wie ſie’s nennen? Zum Spott der Landleute, geſcholten vom Kurator, verhoͤhnt von Ottilie, vielleicht gebunden, mit wirk - lichen Stricken gebunden, als Vagabund? Das ehren -176 volle Andenken ſeiner Großmutter geſchaͤndet? Nichts Beſſeres, als der ſchwarze Wolfgang? O ich wollte ich laͤge zwiſchen beiden begraben im gruͤnen Kirchhof!

Es war ein ſonnig-blauer Vormittag, deſſen Klarheit wenig paſſen wollte zu den Wolken in die Anton’s Haupt ſich huͤllte. Dem draͤngenden Markt - gewuͤhl der Gaſſen entwichen, hatte er ſich nach dem Platze begeben, auf welchen alle oͤffentlichen Schau - ſtellungen verwieſen, eine zweite kleine Stadt von hoͤlzernen Haͤuſern bilden, in denen die modernen Nomaden verkehren; und wo des Morgens verhaͤlt - nißmaͤßig Ruhe herrſcht, im Vergleich zum Laͤrmen ernſteren Verkehrs im Jnnern der eigentlichen Stadt. Anton hatte bisher noch vermieden, das Handwerk zu begruͤßen. Nur ſeiner Lage Hoffnungsloſigkeit trieb ihn heute, von Bude zu Bude ſchlendernd, mit pruͤfender Forſchung umher zu ſuchen, wo ſich fuͤr ihn vielleicht eine, wenn auch nur voruͤbergehende Zuflucht finden ließe. Denn von Guillaume ſich zu trennen, wußt er ſich eben ſo feſt entſchloſſen, wie er feſt durchdrungen war, von der traurigen Ueber -177 zeugung, es bliebe ihm nichts Anderes mehr uͤbrig; als ein Dienſt niedrigſter Gattung, im Lande der Zigeuner.

Da prangte zuvoͤrderſt der Feuerkoͤnig, glim - mende Kohlen verſchluckend, fluͤſſiges Siegellack naſchend, ſiedendes Oel wider brennenden Durſt ſchluͤrfend; ſeine Fußſohlen mit gluͤhend-rothen Eiſen kitzelnd; und dieſem verbunden eine Minerva, den zarten Leib mit gewichtigem Ambos belaſtet, auf welchem vier Cyklopen furchtbare Waffen ſchmiedeten. War das Portrait, welches, die Goͤttin darſtellend, in Lebensgroͤße neben jenem des feuer-beherrſchenden Gatten hing, einigermaßen getroffen, ſo konnte das lebende Urbild ſehr wohl die vom Gewicht des Ambos zwar zerſchmetterte, aber dennoch wieder zuſammen - geſchmiedete Mutter des Rieſen Schkramprl ſein. Zum Erſtenmale, ſeitdem er in L. weilte, glitt ein Laͤcheln uͤber Anton’s verkuͤmmerte Zuͤge, wie er Schkramprl’s gedachte und ihrer gemeinſchaftlichen Schnee-Wanderung. Wo mag der lange Schlagetodt jetzt ſeine Luͤgen debuͤtiren, murmelte er, bedaͤchtig weiter ſchreitend, vor ſich hin und eh er noch ausgemurmelt ſtieß er faſt mit der Naſe an eine kleine Bude, vonDie Vagabunden. II. 12178deren Eingang ihm das alte, grauumlockte Rieſen - Antlitz freudeſtrahlend entgegen leuchtete.

Endlich, Herr Antoine! Sie haben lange Zeit gebraucht, bis Sie ſich des kleinen Freundchens erinnerten. Jch wollte und konnte Sie nicht auf - ſuchen, indem ich mit Jhrem Direkteur nicht gut ſtehe ...

Keine Ahnung, Herr Schkramprl, daß Sie ſich ſchon in L. befinden! Angenehm uͤberraſcht ...

Treten Sie ein. Keine Publikuͤmmer vorhan - den. Leider gar keine. Wir ſind unter uns! Sagen Sie, Freund, iſt es wahr He, ihr da drinnen im Haͤuschen, erhebt euch, Langſchlaͤfer! Macht Toilette! Der Huſar erſcheint heute im Schweizer - koſtuͤm, weil er darin nicht ſo eiferſuͤchtig ausſieht, wie in ſeinem blutfarbigen Doliman. Und daß Ninon ſich mehr dekolletirt als geſtern: wir haben gegen Ein Uhr Mittags Privatvorſtellung fuͤr einige alte Herren! Alſo, theuerſter Antoine, iſt es wahr, was der Bajazzo mir ſagt, daß ſie Papa Bonhomme verlaſſen?

Es iſt wahr, Schkramprl.

Haben Recht: Er iſt ein ausgeſtopfter Stroh -179 mann und ſie iſt ein weiblicher Satan in fleiſch - farbenen Tricots, unter denen ſich paſſabel huͤbſches Menſchenfleiſch befindet, das geb ich zu; doch darum nicht weniger Satan. Eingefleiſchter Satan. Haben Recht. Jch erfuhr erſt hier, daß Sie derſelbe ſind, der in B. den ſchoͤnen Sturz machte. Bravo! Jetzt weiß ich Alles: Laura Amelot, die Katze, Adelaide, Adele Jartour, Alles! Sie muͤſſen mich, als wir uns kennen lernten fuͤr ein dummes Nilroß gehalten haben. Und wohin ſind wir verſchrieben mit unſerer Violine?

Nirgend. Jch bin ohne Ausſichten.

Sie? Ohne Ausſicht? Sie, Antoine?

Hier pruͤfte Schkramprl Anton’s Geſtalt mit Kennermiene, brach dann in ein wildes, hoͤhniſches Gelaͤchter aus und ſchrie, daß ſein kleines Schweizer - haͤuschen in den Fugen bebte und ſeine drei Zwerge aͤngſtlich die dicken Koͤpfe durch die Fenſterchen ſteckten: Ein ſolcher Juͤngling ohne Ausſichten? Es iſt nichts mehr zu machen, durchaus nichts; ich ſag es ja. Was kann Schkramprl fuͤr Sie thun? Wuͤnſchen Sie, daß ich an verſchiedene Bekannte ſchreibe, die bei guten Truppen reiten?

Sie ſind ſehr gefaͤllig, lieber Schkramprl, doch12*180will ich Jhnen eingeſtehen, daß ich feſt entſchloſſen bin, die Reiterei gaͤnzlich aufzugeben. Meine Gruͤnde fuͤr dieſen Entſchluß erlaſſen Sie mir; die Ausein - anderſetzung wuͤrde zu weit fuͤhren. Vielleicht, daß mein Sturz mich eingeſchuͤchtert, mir die rechte Luſt geraubt hat. Genug, ich gebe das Metier auf. Dank - bar wuͤrde ich Jhnen ſein, wenn Sie mir Gelegen - heit verſchafften, irgend ein Unterkommen zu finden, welches mich vor augenblicklichem Mangel ſchuͤtzt und mich der traurigen Nothwendigkeit uͤberhebt, mehr von meinen Sachen zu veraͤußern, als mir eben ent - behrlich iſt. Vorzuͤglich lieb waͤr es mir, wenn die Unternehmung bei der ich, ſei es auch nur als Diener, attachirt wuͤrde, ſich den franzoͤſiſchen Grenzen recht bald naͤherte, oder gar vielleicht ſelbſt nach Frankreich reiſete. Denn (im Vertrauen geſprochen), mein Paß laͤuft ab, und ich bin nicht ohne Beſorgniß ....

Verſtehe! Verſtehe alle Worte ohne Brille. Keine Silbe weiter. Sie ſollen erfahren, daß Schkramprl eine boͤſe Zunge beſitzt und einen guten Willen. Wir haben zwei Stunden Zeit bis zu meiner Privatvorſtellung. Jch laſſe den Rieſen bei den Zwergen; lege den weiten Rock an, der mich ver -181 kleinert; ſchließe die Huͤtte und wir treten unſere Entdeckungsreiſe an. Geſindel da drinn, haltet euch ruhig! Huſar, pruͤgle Deine Weiber nicht; macht euch ſchoͤn und exerziert, das pas de trois! Kommen Sie, Antoine! Hier zur Linken treibt der Feuer - koͤnig ſein Unweſen mit einer ſogenannten Minerva ....

Jch ſah das Aushaͤngeſchild und gedachte dabei Jhrer Mutter, Schkramprl.

Fi donc! Keine Parellele zu ziehen; kein Ver - gleich. Miſère das, pure Miſère das! Aber da druͤben, die große, ſolide Bude, die Chiarini’s! Guillaume’s Nebenbuhler auf diesjaͤhriger Meſſe! Das iſt’s! Je tiens vôtre affaire! Das waͤre etwas fuͤr einen jungen Mann von Jhrer Bildung. Hier iſt die Thuͤre geſchloſſen, niemand anweſend. Wir werden ſie in ihrer Behauſung finden. Eine achtungs - werthe Familie.

Die Wohnung war bald erreicht, ſie traten ein; der Rieſe, ſich tief buͤckend, zuerſt. Hier herrſchten Ordnung und Reinlichkeit. Die kleinen Zimmerchen verriethen durch nichts, daß hier eine Schaar durch - ziehender Taͤnzer eingemiethet ſei. Auf zwei Stuͤhlen am Fenſter ſaß ein eisgraues Ehepaar; die Urgroͤß -182 eltern jener kuͤhnen, doch beſcheiden-erzogenen Kinder - chens, die mit Buͤchern oder Schreibfedern in Haͤnden um einen großen Tiſch geſchaart, ihre Lektionen von einem Hauslehrer empfingen. Schkramprl ſtellte Antoine den uralten Leuten vor. Die Urgroßmutter neigte verbindlich ihr zitterndes Haupt; der Elter - Elter-Vater erhob ſich vom Seſſel und gab den Gruß der Eintretenden durch eine feierliche Verbeu - gung zuruͤck, wie man dieſelbe nur am Hofe Ludwig des Vierzehnten verlangt haben koͤnnte. Mein Sohn! rief er in’s Nebenzimmer hinein, tritt heraus, mein Kind; es wird Dir die Ehre eines Beſuches zu Theil. Die Violine unterm Arme erſchien ein Mann von wenigſtens ſechszig Jahren, ſeine langen ſilber - grauen Haare in einen dicken Cignon gebunden, durch einen goldenen Kamm auf dem Wirbel feſtgehalten. Er verneigte ſich grazioͤs, als Schkramprl Herrn Antoine nannte, lud beide ein, Stuͤhle zu nehmen und verwies, da ſaͤmmtliche Sitzgelegenheit durch die fliegende kleine Schule occupirt war, letztere ſammt ihrem Profeſſor in ein anderes Gemach. Unſere Enkelkinder, ſagte er, empfangen ihren Unterricht ſonſt gewoͤhnlich in meiner Stube; heute nur fand183 eine Ausnahme ſtatt, weil ich mit meiner juͤngſten Tochter die Alemande einuͤbte; Herr Antoine wird guͤtig entſchuldigen?

Nach einigen hin und her gewechſelten allgemeinen Fragen und Antworten, ruͤckte Schkramprl mit dem eigentlichen Zwecke ihres Beſuches vor.

Chiarine der Großvater blickte Chiarini den Ur - großvater fragend an. Der fuͤnfundachtzigjaͤhrige Greis erwiederte dieſen Blick durch ein intelligentes Zeichen des Einverſtaͤndniſſes und fuͤgte hinzu: Du wuͤrdeſt Deinen Sohn Joſeph mit zu Rathe ziehen muͤſſen, mein lieber Paul?

Herr Joſeph Chiarini wurde herbeigerufen, ein huͤbſcher, kraͤftiger, zierlich gebauter Mann von etlichen und dreißig Jahren. Gleich hinter demſelben trat ſein aͤlteſter Sohn Victor ein, der hoͤchſtens zehn Jahre haben mochte, aber ſchon ſo tuͤchtig ausgear - beitet und maͤnnlich ernſt erſchien, daß Anton keine Muͤhe hatte, die Wunderdinge zu glauben, die Schkramprl in aller Eil von dem kleinen Burſchen und deſſen Bravour auf dem geſpannten Seile berichtete. So waren vier Generationen vertreten.

Wir hegen lange ſchon den Wunſch, und ich ſprach mich neulich daruͤber gegen dieſen Herren 184 (auf Schkramprl deutend) aus, einen zuverlaͤſſigen Geſchaͤftsfuͤhrer zu gewinnen, der uns voranreiſend, alle aͤußeren Angelegenheiten ordnen moͤge, ehe wir an den neuen Orten unſerer Beſtimmung eintreffen. Bisher hat mein wuͤrdiger Vater, der ſeit mehreren Jahren nicht mehr tanzen will, obſchon er noch in voller Kraft und Geſundheit ſteht (hier ſah der ſechszigjaͤhrige Sohn den Greis mit dem Ausdruck ſchonungsvoller Liebe an!) dieſe Geſchaͤfte beſorgt. Aber meine gute Mutter wuͤnſcht, daß er die anſtren - genden raſchen Fahrten unterlaſſe; nur aus Ruͤckſicht fuͤr ſie, keinesweges weil es ihn zu ſehr ermuͤdet, (der Alte nickte bejahend und reichte ſeiner Frau die Hand) williget er ein in das Engagement eines Secretairs. Ein ſolcher aber muͤßte, damit ich offen rede, ein Mann von Redlichkeit, Bildung und Um - ſicht ſein. Was dies anlangt, mein Herr, ſo genuͤgt ein Augenblick des Zuſammenſeins mit Jhnen ....

Die vier Zeitalter verneigten ſich gegen Anton. Der kleine Victor naͤherte ſich ſeinem Stuhle und ſchlang in kindlicher Vertraulichkeit einen Arm um ſeinen Hals.

Sie werden billigen, Herr Antoine, daß wir in der Wahl eines Reiſe - und theilweiſe Lebens-Gefaͤhr -185 ten vorſichtig zu Werke gehen. Unſere Truppe beſteht, meine theuerſten Eltern mit eingerechnet, aus ſiebenundzwanzig Koͤpfen, alle Artiſten; alle ver - bunden durch die heiligſten Rechte und Pflichten des Blutes, der Liebe, der Dankbarkeit. Mein unver - gleichlicher Vater hat mich unterrichtet in meinem Metier; von mir lernte mein, Sohn Joſeph; Victor iſt wieder ſeines Vaters Schuͤler. Es mag anmaßend klingen, doch wirklich muß ich glauben, daß wir in unſern Leiſtungen von aͤhnlichen Kuͤnſtlern nicht uͤber - troffen werden: weder als Seiltaͤnzer, noch als Equilibriſten, noch in dem Enſemble unſerer kleinen luſtigen Pantomimen. Was wir machen, machen wie ſicher, vollendet, raſch hintereinander, effektvoll. Unſere Repraͤſentationen geben ein Ganzes aus einem Guſſe. Woher kommt das? Weil wir ſaͤmmtlich aus einer Schule ſind; weil uns alle der Geiſt und das Talent unſeres wuͤrdigen Meiſters durchdringt; weil wir uns durch ſein Lob ſtolzer fuͤhlen, wie durch den Beifall des Publikums; weil wir uns gegenſeitig lieb haben; weil wir eine Familie von redlichen, frommen Leuten und Chriſten bilden. Denn wir ſind ſehr fromm, Herr Antoine; wie ſchaͤmen uns nicht vor der Welt unſerer Anhaͤnglichkeit an die186 heilige alleinſeligmachende Kirche; wir ſpotten jedes Spoͤtters. Deshalb auch herrſcht in unſerem Kreiſe nur die Milde; nicht die Grauſamkeit, nicht die Haͤrte, wie bei vielen unſeres Gleichen. Niemals hab ich von meinem guten Vater einen Schlag erhalten; niemals mein Sohn Joſeph, oder meine Toͤchter ein hartes Wort von mir; und Joſeph’s Kinder von ihm, ſo viel ich weiß, auch nicht.

Oh niemals, niemals, parole d’honneur, ſagte Victor in Anton’s Ohr, wobei er ihm einen Kuß auf die Wange gab, den dieſer herzlich erwiederte.

Jch ſehe ſchon, daß wir fuͤr einander paſſen werden, Herr Antoine. Wen die Kinder lieb gewin - nen auf den erſten Blick und wer die Kinder lieb hat, der iſt wie wir ihn brauchen. Was nun ihre Erfah - rungen in dieſer Art von Geſchaͤft anlangt ...

Damit ſieht es ſchwach aus, Herr Paul. Jch darf ihr Zutrauen nicht taͤuſchen. Vernehmen Sie in wenigen Worten, wie es mit mir ſteht.

Und Anton theilte ihnen mit, was hierher zu gehoͤren ſchien.

Ein neuer Beweis, daß dies ein braver junger Mann iſt; nicht wahr mein Vater? fragte Herr Paul.

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Und was die Erfahrung betrifft, die erwirbt man, wenn man ſie nicht hat; nicht wahr mein Großvater? fuͤgte Herr Joſeph hinzu.

Beſſer ein kleiner Verluſt im Anfange durch Unkunde, als uͤbler Wille und Mißtrauen fuͤr immer, ſchloß der Urgroßvater.

Und Victor ergriff Anton’s Kopf mit beiden Haͤnden und bat flehentlich: bleiben Sie bei uns, mein ſchoͤner Freund; wir wollen Sie lieb haben, wir alle, jung und alt, ich und meine kleinen Schwe - ſtern.

Anton vergaß in dieſem Augenblicke Paris, ſeinen Reiſepaß, die Jartour, ſich ſelbſt. Ueberwaͤltigt von dem, was er noch niemals geſehen: von dem Zauber einer Familie, floß des Armen empfaͤngliches Gemuͤth in Wonne uͤber; mit Freudethraͤnen, deren er kaum Herr zu werden vermochte, ſtammelte er: Ach, ich wuͤrde zu gluͤcklich ſein!

Ueber die pekuniairen Bedingungen, meinte das Haupt der Familie, ſoll kein Zwieſpalt entſtehen. Jch denke, wir vereinigen uns, meine Kinder. Warum darf ich’s nicht ſagen, der junge Menſch gefaͤllt mir ſehr; ſein Anblick thut meinen alten Augen wohl. Jch ſeh ihm in’s Geſicht, wie wenn er mein188 Sohn waͤre, vielmehr mein Enkel. Nur daß er ſchoͤn iſt, und ihr ſeid nicht ſchoͤn, meine armen Jungen; ſeid’s niemals geweſen. Was hilft’s? Jhr ſchlagt nach dem Alten.

Paul und Joſeph erklaͤrten ſich einverſtanden. Die Urgroßmutter, welche Anton aufmerkſam beob - achtete, ſeit der Anſpielung, die ihr Sohn Joſeph auf ihre Froͤmmigkeit einfließen laſſen, winkte jetzt das Ohr des Gatten an ihren Mund und fluͤſterte ihm etwas zu.

Du haſt Recht, ſprach der Alte, es iſt unerlaͤßlich und nothwendig. Dann erhob er ſich, ging langſam auf Anton zu, legte ihm die noch immer nervige Hand auf die Stirn und ſprach mit ruhiger Wuͤrde: ich hoffe, unſer junger Freund iſt ein roͤmiſch-katholiſcher Chriſt!

Anton ſpuͤrte, wie Schkramprl ihn unmerklich auf den Fuß trat. Er begriff auch ſogleich, dies heimliche Zeichen ſolle ihm als Warnung gelten, die Wahrheit zu verheimlichen, Falls dieſelbe unguͤnſtig lautete. Doch ein ſolcher Betrug waͤre ihm, ſolchen Menſchen gegenuͤber, unmoͤglich geworden.

Er ſtand von ſeinem Sitze auf und ſagte ſanft, aber in entſchiedenem Tone: ich bin evangeliſch -189 lutheriſch geboren, getauft, erzogen, unterrichtet und konfirmirt.

Die drei Maͤnner ſchwiegen; wie wir ſchweigen, wenn wir vernehmen, was unabaͤnderlich bleibt und uns tief betruͤbt.

Die Urgroßmutter ſchlug ein Kreuz.

Der kleine Victor bedeckte ſein Geſicht mit beiden Haͤnden und lief davon, indem er ſchluchzend rief: ach wie traurig; nun verlier ich wieder meinen lieben neuen Freund!

Vierzigſtes Kapitel.

Schlangen und Krokodile. Löwenfabrik.

Dummes, italieniſches, bigottes Volk, das! brach Schkramprl unwillig aus, wie ſie wieder in der hoͤlzernen Stadt der Gaukler ſtanden. Warum auch konnten Sie ihnen nicht ein wenig um den Bart gehen, mit einer unſchuldigen Luͤge? Jn Jhrem Reiſepaſſe gelten Sie doch gewiß fuͤr katholiſch?

Weil ſie mir Achtung einfloͤßen, erwiederte Anton; Achtung, ja Ehrfurcht. Mit einer Luͤge fuͤr heute, wenn ich dieſe wirklich uͤber meine190 Lippen bringen koͤnnen und wollen, waͤr es nicht abgethan; ich haͤtte ſie fortſpinnen muͤſſen auf die Dauer meines Zuſammenlebens mit ihnen. Dafuͤr bewahre mich Gott! Nun weiter, Schkramprl! Es ſollte nicht ſein. Dennoch thut es mir weh, daß es dieſe Wendung nahm. Jch waͤre gern bei den Leuten geblieben. Aber was giebt es hier zu ſehen?

Schlangen, mein Beſter: eine Boa Konſtriktor und eine lebensmuͤde Klapperſchlange, die das Klap - pern laͤngſt aufgab. Jch habe ihren Beſitzer, Herrn Advinent, im Verdacht, daß er unter jenem Tiſche, worauf ſich der Kaͤfig des unbegluͤckten Reptiles befindet, einen Jungen verborgen haͤlt, welcher mit einer einheimiſchen Kinderklapper wirken muß, ſobald das Stichwort faͤllt. Man kann hier mit Recht ſagen: klappern gehoͤrt zum Handwerk. Uebrigens duͤrfen Sie nicht fuͤrchten, daß die Naſe, die meinem Freunde fehlt, ſehen Sie ihn dort an der Thuͤr? Ja? ſehen Sie ihn? Nun, ſeine Naſe werden Sie nicht ſehen, die iſt dahin! Jch verſichere, Sie duͤrfen nicht glauben, daß dieſe Naſe durch den Rachen eines jener Krokodile abhanden kam, deren Abbildungen furcht - barlich anzuſchauen im Winde flattern. Nein, ſeine Naſe iſt anderweitig verloren gegangen und ſeine191 drei Krokodile bleiben in Natura eben ſo weit hinter den ſie anpreiſenden Gemaͤlden zuruͤck, als jemals eine Eidechſe hinter Krokodilen zuruͤckblieb. Und doch, man ſollt es kaum denken, doch verdankt er dieſen armlangen, welken Kreaturen ſeinen Wohlſtand. Es ſind die erſten die uͤberhaupt lebend gezeigt wurden, wenn man das leben nennen darf! Binnen vier Jahren haben ſie ihm ſein ausgelegtes Kapital, eine ganz betraͤchtliche Summe nebenbei und außer - dem die Sammlung anderer Thiere, die er zuſammen gekauft, eingetragen. Die Boa allein gilt ein kleines Kapital und da ſie ſeit einigen Monaten mehrmals Freßluſt gezeigt, wird er ſie wahrſcheinlich konſerviren. Jch wollte ſie waͤre mein; ich wollte gern meine Zwerge an ihr verfuͤttern, um ſie deſto beſſer aufzu - paͤppeln. Ehe wir weiter gehen, erweiſen Sie mir die Gefaͤlligkeit, Advinents Anſchlagezettel einiger Beachtung zu wuͤrdigen. Sie finden desgleichen nie und nirgend. Bitte, gleich den erſten Artikel zu leſen: Krokodil!

Anton las: Dieſes Amphium zu Waſſer und Lande, Thiere ſo wie Menſchen, deren ſchauerlichen Rachen der Nil und ganz Aegypten in dieſem Klima, der große Buͤffon hungrig oder grauſam im heißen192 Sande, ausgebruͤtet von der Sonne, die das Jchneu - mon als Wohlthaͤter frißt und noch niemals in Europa keine Koſten geſcheut um guͤtigen Zuſpruch.

Bin ich verruͤckt, oder ſteht das wirklich hier, ſchwarz auf weiß? fragte Anton, nachdem er den Un - ſinn mehrmals durchleſen, in der unerreichbaren Abſicht, Sinn hinein zu bringen.

Es iſt wirklich gedruckt und ich will Jhnen auch erklaͤren, wie es entſtand. Urſpruͤnglich beſaß Herr Advinent nichts als ſeine drei Krokodilchen. Um die Neubegier des franzoͤſiſchen Publikums zu erregen, ließ er ſich von einem Gelehrten einen langen aus - fuͤhrlichen Aufſatz ſchreiben, der den großen Anſchlage - zettel ausfuͤllte. Dieſer Aufſatz wurde ſodann in’s Deutſche uͤberſetzt und anfaͤnglich in ſeiner ganzen Ausdehnung abgedruckt. Als nun ſpaͤterhin des Mannes Finanzen ſich beſſerten und er verſchiedene andere Thiere, Schlangen, feine Affen und Voͤgel ankaufte, auch jedes der neu hinzu kommenden Ge - ſchoͤpfe einen Platz auf der Affiche brauchte, wurde der Raum fuͤr den Krokodil-Artikel immer enger; ein Setzer nach dem andern in dieſer oder jener Stadt nahm nach Beduͤrfniß einige Zeilen davon, bis er endlich in dieſe wenigen, doch inhaltſchweren Worte193 zuſammengeſchmolzen iſt. Advinent verſteht nicht deutſch; bei jedem neuen Ankauf wiederholt ſich die Operation in den Druckereien zur Beluſtigung der Lehrlinge.

Hier dieſer Wagen iſt ein wanderndes Wohn - haus; gar nicht uͤbel; beſſer und bequemer eingerich - tet, wie mein Schweizerhaͤuschen, welches den Nach - theil hat, immer auseinander gelegt und wieder auf - gebaut werden zu muͤſſen. Sollt ich auf dieſer Meſſe noch reuſſiren, laſſ ich mir einen aͤhnlichen Wagen bauen. Vorn, wie Sie ſehen, iſt eine hollaͤndiſche Waffelbaͤckerei eingerichtet. Das pfiffige Maͤdchen mit der beblechten Haube baͤckt Waffeln und verkauft ſelbige, warm wie ſie vom Feuer kommen. Ein guter Handel! um ſo eintraͤglicher, weil ſie nicht mit Waf - feln allein handelt. Die hintere Haͤlfte wird von einer Camera obſkura eingenommen; ich meine die hintere Haͤlfte des Wagens. Die Schweſter der Waffelbaͤckerei treibt ihr Weſen daſelbſt im Dunkeln und nur dann laͤßt ſie unerwartet und fuͤr den Be - ſchauer zu zeitig das Tageslicht wieder zuſtroͤmen, wenn die anweſenden Herren nicht begreifen wollen, daß ihre Eintrittspreiſe ſehr niedrig ſind und daß laͤngerer Aufenthalt in einer obſkuren Kammer durchDie Vagabunden. II. 13194Extra-Geſchenke erkauft werden muͤſſe. Bei Kunſt - verwandten wird es nicht ſo genau genommen. Wollen wir eintreten? hier die kleine Treppe ....

Nein, Schkramprl! Jch glaube nicht, daß die Waffelbaͤckerin mich zum Gehuͤlfen gebrauchen kann. Und jene Schweſter im Dunkel .... was ſollen mir die Kinder der Finſterniß? Jch ſuche Licht, welches meine Zukunft erhelle.

Bei Madame Mollia wird es nicht zu finden ſein. Gleichwohl muͤſſen Sie mit mir eingehen durch dieſe Pforten. Sie werden etwas ſehen, was man nicht alle Tage ..

Eine Menagerie? Loͤwen? Ob ich eintrete? cela va sans dire! Waͤr es auch nur, um ....

Reißen Sie Jhrer Phraſe nicht die Bluͤthe ab. Waͤr es auch nur der Erinnerung wegen an Simo - nelli und Kompagnie, wollten Sie ſagen? Nun, eine Laura finden wir nicht, aber dennoch ein Weib, dem kein anderes auf Erden zu vergleichen iſt.

Reden Sie ernſthaft?

Sie ſollen ſich uͤberzeugen. Nur voran! Da ſitzt ſie in eigener Perſon!

Anton gehorchte ſeinem Fuͤhrer, prallte jedoch, wie er vorgedrungen war, augenblicklich und ſo ſchnell195 zuruͤck, daß Schkramprl, der als Nachhut hinter ihm ſtand, ihn gewaltſam feſt halten mußte.

Was iſt Jhnen denn? Was erſchreckt Sie? Haben Sie einen Drachen geſehen?

Schlimmer als das, Schkramprl! Vor einem Drachen, wuͤrd ich, wie mir ſcheint, beſſere Kontenanze halten. Sagen Sie mir um Alles in der Welt, was iſt das? Das da das feuerrothe Kleid

Das? das da? das iſt Madame Mollia.

Ein menſchliches Weſen?

Ein zum ſchoͤnen Geſchlechte gehoͤriges, obenein.

Dieſer Fleiſchklumpen, mit dem alten, verbiſſenen, baͤrtigen Maͤnnergeſicht? Mit den Wuͤlſten von Haa - ren und Shawl’s um den Kopf? Mit dem ſafran - gelben Buſen, der keine Grenzen kennt? Mit den Brillantringen auf zehn kleinen, fetten Knackwuͤrſten, die ihr als Finger dienen? Denn ſie haͤlt Eintritts - karten mit dieſen Wuͤrſten feſt; ich ſeh es ....

Nur vorwaͤrts, Antoine! Es beißt nicht. Es iſt die Beſitzerin dieſer Menagerie.

Madame Mollia, Jhr Serviteur! Jch ſtelle Jhnen Herrn Antoine vor, erſtes Sujet von Guillaume, beruͤhmt durch ſeine unbaͤndige Wildheit. Er hat ſich vor Kurzem in B. bei einem bewundernswuͤrdigen13*196Sturze den Hirnſchaͤdel morſch entzwei geſchlagen; hat aber nicht nachgegeben und ehe er ſich ſterbend hinaustragen ließ, ſein Solo ausgegeigt. Denn er iſt ein vortrefflicher Geiger.

Die Erwiederung auf dieſe an ſie gerichtete Rede, beſtand, ihren rhetoriſchen Theil anlangend, in einem unverſtaͤndlichen Grunzen, welches nur Schmeichler fuͤr Sprache halten konnten; es ſtand ihnen frei. Der mimiſche Theil war deutlicher, denn der Fleiſchklum - pen regte ſich; die Fettmaſſen des Geſichtes ſchoben ſich auseinander, um ein faunenhaftes Laͤcheln zur Anſchauung zu bringen und zwei kleine ſtechende Augen ſpruͤhten in unheimlichen Glanze daraus her - vor, als ob ſie, wie zwei Feuerfunken auf Anton fliegen wollten.

Schkramprl, dem dies nicht entging, war unfaͤhig ſeinen rieſenhaften Hang fuͤr Schelmerei zu unter - druͤcken. Er gab zu verſtehen, ſein Freund Antoine wolle ſich veraͤndern, ſuche eine minder gefahrvolle Laufbahn, die ihm uͤberall offen ſtehe, weil er durch - weg gebildet ſei und ſich fuͤr die Stelle eines Geſchaͤfts - fuͤhrers, Reiſenden, Sekretairs vorzuͤglich eigne. Die Wirkung dieſer ſchlauberechneten Andeutung zeigte ſich ſogleich. Die Fleiſchmaſſe wurde unruhig; ihre197 Bemuͤhung, ſich anderen Menſchen aͤhnlich, durch Gebrauch der Zunge mitzutheilen nahm ſichtbar alle zu dieſem Experiment gehoͤrige, in Fett vergrabenen Muskeln in Anſpruch. Schon wurden einzelne Sil - ben, wie das Echo eines Taubſtummen-Jnſtitutes hoͤrbar .... da erſchien, aus dem Boden gewachſen, ein mit buntgetiegertem Seehund-Fell bekleideter, wildbaͤrtiger, weindunſtender Menſch; ein Menſch, der offenbar eben ſo berechtiget war, den Rieſen zu ſpielen, als Schkramprl es je geweſen; letzterem außerdem noch an kraͤftiger Fuͤlle weit uͤberlegen. Bei ſeinem Anblick verſtummte jeder fernere Sprachverſuch im Munde der Dame. Die Fett-Wogen floſſen in ihr Bett zuruͤck; das Geſicht ſtellte ſein Laͤcheln ein; die Feuerfunken darin erloſchen wieder.

Beide Rieſen ſtanden einander gegenuͤber und maßen ſich wie zwei alte, erprobte Feinde.

Jch dachte nicht, daß der ſo nahe ſei? fluͤſterte Schkramprl Anton auf Deutſch zu.

Will der Herr unſere Thiere ſehen? fragte der getiegerte Seehund mit einer Baßſtimme, deren Tiefe einen furchtbaren Gegenſatz zu Schkramprl’s gebro - chenem Falſett bildete.

Jch danke, nein! erwiederte Anton; und nicht198 ohne Beziehung auf Herrin und Diener ſetzte er hinzu: ich habe genug geſeh’n.

Aber zum Teufel, was faͤllt Jhnen ein, Schkramprl? rief er faſt aͤrgerlich, wie ſie nur erſt wieder im Freien ſich befanden; wie koͤnnen Sie mich in ſolcher Art blos ſtellen? Der verdammte Schuft muß ja wirklich glauben, ich wollte mich zwiſchen ihn und ſeine Gebieterin draͤngen?

Dacht ich denn an ihn? Jch ſah ihn nicht, und meinte, er laͤge im Wirthshauſe, wo er den groͤßten Theil ſeines Lebens verſaͤuft. O ich haſſe ihn, souverainement! Er war auch Rieſe.

Man merkt es ihm an, und, es muß Sie nicht beleidigen, aber ich denke, wenn er ſich zuſammen nehmen will, er kann einen gefaͤhrlichen Nebenbuhler fuͤr Sie abgeben!

Ah, bah! hab ich doch den Rieſen laͤngſt bei Seite gelegt! Furchtbar iſt er mir nicht mehr. Jch haſſe ihn aus allgemein-menſchlichen, moraliſchen Prinzipien. Er iſt ein Unthier. Dieſes arme, alte, tolle Weib

Toll?

Mannstoll, ja! Wird von ihm gemißhandelt und beraubt. Ohne ihn muͤßte ſie reich ſein, denn ſie199 hat enormes Gluͤck. Einigemale ſchon gaͤnzlich auf dem Hunde (jedesmal durch ſklaviſche Abhaͤngigkeit von ihren Knechten, aus denen ſie Guͤnſtlinge, folg - lich Herren macht) hat ſie ſich eben ſo oft wieder herausgeriſſen. Jetzt noch, auf ihre alten Tage, ... ſtellen Sie ſich vor, was ihr vor mehreren Jahren wiederfaͤhrt: Sie war, Dank ſei es dem unerſchoͤpf - lichen Durſte ihres jetzigen Gebieters! herunter gekommen bis auf einen raͤudigen Wolf, eine blinde Hyaͤne, einen Aasgeyer, drei Stachelſchweine und eine Meerkatze, geſtehen Sie, man kann nicht tiefer ſinken. Nur noch zwei Loͤwen beſaß ſie, eigentlich einen Loͤwen und eine Loͤwin; ſchoͤne Exemplare. Philipp braucht Geld; das dumme Weib hat nichts mehr und willigt ein, die Loͤwen zu verkaufen. Philipp will das Paar dem ſeither verſtorbenen Koͤnig von *** zufuͤhren, dem wilde Thiere die theuerſten Unterthanen waren. Zu dieſem Endzweck laͤßt der Ochſe einen Kaſten bauen, einen fuͤr beide; dieſe Dummheit! um ſie leichter zu transportiren. Die verliebte alte Naͤrrin haͤtte ihn nie wieder geſehen, ſo wenig wie ihre Loͤwen, wenn er einmal mit ihnen fort war; ihn ſo wenig, wie das Geld fuͤr die Loͤwen! Nun alſo, der Kaſten iſt fertig, man laͤßt die Loͤwen200 zuſammen, und jetzt geben Sie Achtung auf dieſes Gluͤck: Wenn ein anderer ehrlicher Menſch ſo etwas gewagt haͤtte, wuͤrden ſich die Katzen zerriſſen haben? Nein, dieſe beiden werden zaͤrtlich, Philipp, trotz ſeiner Dummheit, wird ſtutzig, man giebt die Reiſe auf, man trennt das Paar wieder, damit kein Unheil geſchehe, ... was ſoll ich lange zoͤgern: nach vier Monaten wirft die Loͤwin drei geſunde Junge und Madame Mollia iſt die erſte Selbſt-Erzeugerin lebendiger Loͤwen auf dem Kontinent.

Das haͤtt ich der Frau nicht zugetraut; auf Affen wuͤrd ich eher gerathen haben.

Sie koͤnnen denken, welche Einnahmen ihr das brachte! Jeder Menſch wollte die ſaͤugende Loͤwin mit ihren ſaugenden Kleinen geſehen haben! Seitdem hat ſich das Ding wiederholt; ſie haben ſchon wieder Junge von Jungen; ſie verſorgt alle Reiſenden mit Loͤwen; ſie ſetzt das Land unter Loͤwen; und all das verſauft Philipp. Jhre Brillanten abgerechnet, die ſie ihm noch ſo lange als moͤglich aus den Klauen zu halten ſucht, iſt ſie arm; iſt ſtets in Geldverlegen - heiten; lebt vom Tage zum Tage. Aber mir iſt gar nicht bange um ſie. Sobald die Brillanten auch fort ſind, wird die Natur irgend etwas Unerhoͤrtes fuͤr ſie201 thun: Der Geyer wird ſich mit der Hyaͤne paaren und Madame Mollia wird den Vogel Greif beſitzen; wird einen Dukaten Legegeld fordern; wird dieſen Preis erhalten; wird Millionen einnehmen und Phi - lipp wird das Gold verſaufen, wie er das Silber verſoff; der Greif wird ihm durch den Schlund paſ - ſiren, wie die Loͤwen durchgingen. Jch ſage, es giebt Menſchen, die ihr Gluͤck mit Fuͤßen treten und es doch nicht vernichten koͤnnen. Jch bin feſt uͤberzeugt, beſaͤße die Mollia meine Zwerge, ſo wimmelte ihr Haͤuschen ſchon laͤngſt von Nachkommenſchaft und der kleine Daͤumling waͤre kein Kindermaͤhrchen mehr

Sehen Sie doch, Schkramprl, hier ſtehn wir an der Huͤtte des Elephanten! Jſt es nicht eine Schande fuͤr ein ehemaliges Menagerie-Mitglied, wie ich war, noch keinen Elephanten geſehen zu haben? Außer im orbis pictus, den unſer Paſtor beſaß, der meine Kind - heit mit froͤhlichen Bildern ſchmuͤckte, der auch einen Elephanten enthielt, welchen ich damals, obwohl ich fuͤnf Jahre zaͤhlte, nicht anders zu nennen ver - mochte als: der Elegant. Wie herzlich lachte dann meine gute Großmutter? Jch ſehe das noch ....

Nicht ſentimental, beſter Antoine! Jn unſerer202 Sphaͤre iſt’s nichts mit der Sentimentalitaͤt. Wenn Sie das Ruͤſſelthier bewundern moͤgen, werd ich Sie an der Kaſſe praͤſentiren, damit Sie kein Geld aus - zugeben brauchen. Jch muß zu meiner Privat-Vor - ſtellung: zwei Stunden ſind herum. Les affaires avant tout!

Einundvierzigſtes Kapitel.

Ein Elephant und ein Profeſſor. Herr Terzy und ſeine Schüler. Ein Wachsfigurenkabinet. Wie Anton ein Unterkommen findet.

Was man von fruͤh’ſter Kindheit auf als groß, als ungeheuer zu denken gewoͤhnt iſt; woran die Phantaſie, wie an einem Wundermaͤchtigen ihre Bil - dungskraft geuͤbt; das, wenn es dann im reiferen Leben uns wirklich vor Augen tritt, erſcheint uns gering, befriediget unſere Erwartungen nicht, weil es hinter den ſchwaͤrmeriſchen Traͤumen weit zuruͤckbleibt. So ergeht es uns leider mit den wichtigſten Dingen, die des Menſchen ganzes Geſchick aufwiegen; warum ſollte es Anton mit dem Elephanten anders ergehen?

Das iſt ein Elephant? ſprach er, faſt gering - ſchaͤtzend, wie er vor ihm ſtand; ich haͤtte mir ihn viel groͤßer gedacht!

203

Na, wie groß ſoll er denn ſein? fragte, nicht wenig beleidiget, der erſte Waͤrter. Haben Sie viel - leicht ſchon groͤßere Elephanten geritten?

Jch ſah noch gar keinen!

Dann duͤrfen Sie auch den unſerigen nicht her - abſetzen. He, Jacques, gieb mir die gute Jacke heraus, da kommen Frauenzimmer; der Herr Pro - feſſor iſt mit ihnen, weißt Du, der immer erklaͤrt, warum die Thiere gerade ſo ſein muͤſſen, wie ſie ſind!

Das Erſcheinen der kleinen Geſellſchaft erloͤſete Anton von den ferneren Vorwuͤrfen des an der Elephanten-Ehre gekraͤnkten Kornak, der ſich nun mit aller Aufmerkſamkeit ſeiner Pflicht widmete, den gehorſamen, gutmuͤthigen Gefangenen zur Erfuͤllung der ſeinigen anzutreiben. Ein Pferd, des Elephanten Schuͤtzling und Begleiter hob ſich von der Streu; erſt da dieſes neben ihm ſtand, erſchien er in ſeiner Groͤße. Anton mußte unwillkuͤhrlich an Schkramprl denken, der umgekehrt ſein in Ruheſtand verſetztes Rieſenthum noch als Folie benuͤtzte, um durch Ver - gleichung mit ſich die Kleinheit ſeiner Zwerge hervor - zuheben.

Der Herr Profeſſor dozirte drei aufmerkſamen Hoͤrerinnen, was man von den Eigenſchaften wilder,204 wie gezaͤhmter Elephanten weiß, oder nicht weiß, und ließ ſich beſonders zart uͤber ihre maͤhrchenhafte Schamhaftigkeit aus, wobei der Kornak ſeinem Ge - huͤlfen Jacques unglaͤubig zulaͤchelte. Auch verſicherte der Dozent, daß er durch haͤufige Beſuche dem Koloß eben ſo befreundet ſei, wie der Waͤrter; daß er ſich durchaus nicht vor ſeinen etwaigen Launen fuͤrchte. Jch mache mich anheiſchig, ſagte er, wobei er eine reichliche Priſe Spaniol ſchluͤrfte, jede ſeiner Uebungen mit ihm vorzunehmen.

Um Gotteswillen! baten die Damen, welche aͤngſtlich flehend ihre Haͤnde erhoben: Herr Profeſſor, ſein Sie nicht allzukuͤhn!

Doch der Profeſſor wollte darthun, daß er Muth beſitze. Er ſchob die goldene Tabatière, das Geſchenk eines juͤngſten Sohnes, von dem juͤngſten Sohne eines apanagirten Prinzen, dem er ein Privatiſſimum uͤber Naturkunde geleſen, in die Taſche; naͤherte ſich luſtig dem Elephanten und klopfte dieſen ſchaͤkernd auf den Ruͤſſel.

Wagehals! fuͤr die Wiſſenſchaft ſetzt er ſein Leben ein! rief die aͤlteſte der Damen.

Der Elephant, angelockt vom Dufte des ſpaniſchen Schnupftabaks, den er als Kitzel fuͤr die Zungenner -205 ven liebt, ſchlang zierlich ſeinen Ruͤſſel um den Ge - lehrten, bevor dieſer zuruͤckweichen koͤnnen; hob ihn ſodann, daß er wie der Tauf-Engel in einer Dorf - kirche ſchwebend hing, zu ſich empor; griff mit dem agilen Finger des Ruͤſſels in die Rocktaſche; holte ſehr geſchickt die Tabatière vom juͤngſten Sohne des juͤngſten Sohnes des apanagirten Prinzen heraus; ſetzte den vor Todesangſt aſchgrau-verblichenen Pro - feſſor wieder auf die zitternden Fuͤße; ſchuͤttete den Jnhalt bis zum letzten Kruͤmchen auf die dicke fleiſchige Zunge und gab die leere Doſe verbindlich ihrem Eigenthuͤmer zuruͤck.

Die Damen lagen in verſchiedenartiger Stellung in unterſchiedlichen Ohnmachten. Anton hatte zwei Sinkende in ſeinen zwei Armen aufgefangen. Der Kornak und Bruder Jacques begnuͤgten ſich, dem Profeſſor, ſo lang er in der Schwebe hing, warnend zuzurufen: er moͤge keine widerſtrebende Bewegung wagen, weil ein leiſer Druck des Ruͤſſels hinreiche, ihm die gelehrten Rippen zu zerknacken. Um die ohnmaͤchtigen Damen hatten ſich beide, die mit ſcha - denfroher Theilnahme des Naturforſchers Luftfahrt verfolgten, nicht weiter bekuͤmmert. Die dritte Dame wuͤrde folglich genoͤthiget geweſen ſein, auf eigene206 Hand in Ohnmacht zu ſinken, waͤre nicht gerade im rechten Augenblicke ein Helfer eingetreten: Herr Terzy, naͤchſter Wand-Nachbar des Elephanten; viel - gereiſeter Lehrer, Fuͤhrer, Unternehmer einer ſich in allen Luͤften aller Laͤnder und Zonen uͤberſchlagen - habenden Springer-Truppe, vom Genre des, ſeine Laura zaͤrtlichſt-pruͤgelnden, Herrn Amelot.

Terzy, bekannt als Weiberhaſſer und erklaͤrter Gegner des ſchoͤnen Geſchlechtes, machte zwar gute Miene zu ſeiner bitter-ſuͤßen Laſt, ſchien aber doch ſeelenvergnuͤgt, wie er ſie los wurde. Die Damen erholten ſich nach und nach; ſie verließen mit nieder - geſchlagenen Augen den Schauplatz ihrer Schwaͤche. Der Profeſſor, nachdem er vergebens in ſeiner Taba - tière ein Staͤubchen geſucht, um Faſſung zu gewin - nen, folgte ihnen faſſungslos und beſchaͤmt.

Terzy wendete ſich alsbald zu Antoine, den er im Cirkus geſehen, richtete einige oberflaͤchliche Lobes - erhebungen an ſein Talent, erklaͤrte ſich aber voͤllig einverſtanden, mit ſeinem Vorſatz, eine Laufbahn zu verlaſſen, die er, was jeder Kenner beſtaͤtigen muͤſſe, zu ſpaͤt angetreten, um einen hohen Grad von Aus - bildung zu erreichen. Sie ſollten, rieth er ihm, Jhr Violinſpiel benuͤtzen, zu anderen Zwecken. Sie haben207 einen ſchoͤnen, zum Gefuͤhl dringenden Ton und Feſtigkeit bei Fuͤhrung des Bogens fehlt gewiß nicht, da Sie im Stande ſind, auf galopirendem Pferde die Melodie zu halten. Jch will Jhnen nicht zure - den, ſich zum eigentlichen Virtuoſen zu machen; dafuͤr duͤrft es auch ſchon zu ſpaͤt ſein; nicht allein bei ihren Jahren, ſondern hauptſaͤchlich bei den Anſpruͤchen der Welt, und bei der Ueberfuͤlle von Nebenbuhlern. Wenn es fortgeht, wie es ſich anlaͤßt, werden wir binnen Kurzem ungleich mehr reiſende Virtuoſen zaͤhlen, als bezahlende Zuhoͤrer. Bei mei - nem letzten Aufenthalte in W. trafen zuſammen: eine Klarinette, fuͤnf Floͤten, ein Kontrabaß, drei Cello’s, eine Baß-Poſaune, eine Klappentrompete, zwei Wald - hoͤrner, ein Fagott, eine Maultrommel, eine Guitarre, ſieben Geigen und einundzwanzig Klaviere. Alle wollten Konzert geben; gaben es auch, jeder War - nung zum Trotz! Wo ſoll das hinaus? Aber wenn Sie ſich der Muſik widmen, um Platz in einem Orcheſter zu nehmen, ſo koͤnnen Sie wenigſtens exi - ſtiren. Wie waͤr es, wenn Sie’s bei mir verſuchten? Schkramprl hat mir im Voruͤbergehen von Jhnen geſprochen. Jch kann eine erſte Violine gebrauchen, die mir das uͤbrige Muſikvoͤlkchen, wie ich’s zuſam -208 menraffen muß, wo ich anlange, im Zaume hielte. Die Stuͤcke die zu unſerer Arbeit aufgeſpielt werden, ſind nicht ſchwierig; doch hoͤr ich ſie gern im Takt und rein. Große Trommel ſammt Blechinſtrumen - ten bleiben bei mir ſtumm. Wiſſen Sie was: kom - men Sie mit mir zum Mittagstiſch. Meine Jungen warten laͤngſt auf mich mit dem Eſſen; ich war nur hierher gegangen, Sie zu finden. Reichen Sie mir den Arm; zu Hauſe koͤnnen wir das Naͤhere verab - reden.

Anton willigte ein und ſie gingen miteinander.

Der Weg nach Terzy’s Wohnung fuͤhrte ſie bei ver - ſchiedenen Buden voruͤber, die Anton an Schkramprl’s Seite noch nicht beſucht. Nordiſche Herkuleſſe, Stein - freſſer, Jongleur’s. Beim Anblick eines ſolchen, der vor dem Eingange ſeiner geringen Huͤtte vor etlichen Bauern der Umgegend Uebungen in der Ueberredungs - kunſt anſtellte, um ihr Geld aus der Taſche und ſie in die Huͤtte zu locken, brach Terzy in fanatiſche Lob - preiſungen aus fuͤr den Jndianer Moto Sami, der dieſe Spielereien zuerſt nach Deutſchland gebracht und dann ein unuͤberſehbares Heer plumper Nach - ahmer hervorgerufen habe. Was bei dieſen lang - weilig und ermuͤdend wird, ſobald man es einmal209 mit angeſehen, war bei Jenem hinreißend ſchoͤn. Der ſtrenge Geſchaͤftsmann, der unerbittliche Richter, der tapf’re Feldherr, die Betſchweſter, der ſtrenge Ge - lehrte, wie die Kinder der Erde und des Leichtſinns, ... jeder ohne Ausnahme, jeder war gleich entzuͤckt von ihm. Kraft und Grazie vereinten ſich bei dieſem jun - gen Menſchen mit einer Fertigkeit, von der unſere Jongleurs keine Ahnung haben. Was bei ihnen ein einzelnes Kunſtſtuͤck bildet, war bei Moto Sami nur das Fuͤnftheil einer Produktion: mit den großen Fuß - zehen ſchwang er goldene Ringe in Kreiſen nach Jnnen; mit den Daumen der Haͤnde andere Ringe in entgegengeſetzten Kreiſen nach Außen; auf der Stirn balanzirte er einen Sonnenſchirm, den ein chineſiſches Dach, von kleinen Voͤgeln beſetzt, ſchmuͤckte; mit den Lippen hielt er ein Blaſerohr, durch welches er Erbſen nach jenen Voͤgeln ſchoß und deren nicht einen verfehlte; und waͤhrend dies Alles geſchah, reihete er eine Handvoll Korallen, die er vorher in den Mund genommen, mit der Zunge an einen Faden, der ſodann als perlender Faden herauskam. Der arme Teufel, der ſo viel erlernet, konnte unſer geſeg - netes Klima nicht ertragen lernen: er ſtarb aus Sehnſucht nach den Ufern des Ganges und nebenbeiDie Vagabunden. II. 14210ein klein wenig an den Beweiſen indiſcher Erkennt - lichkeit, die er verſchiedenen Damen aus der vorneh - men Welt gegeben haben ſoll, fuͤr ihre Herablaſſung zu einem Paria; wie die ſkandaloͤſe Chronik der Va - gabunden behauptet. Ja, laſſe ſich nur Einer mit Weibern ein! Aber hier iſt meine Wohnung.

Terzy’s kleine Bande, aus allerliebſten Burſchen von zwoͤlf bis ſiebzehn Jahren beſtehend, war ſchon um den Eßtiſch verſammelt. Der Herr gab einen Wink und augenblicklich wurde noch ein Gedeck fuͤr den Fremden aufgeſtellt. Die Kuͤche ſchien von den jungen Leuten ſelbſt, und zwar nicht ſchlecht, beſorgt zu werden; einige gingen ab und zu, volle Schuͤſſeln herbeiholend, wobei ſie ſich wie kokette Maͤdchen gebe[h]rdeten, denen ſie auch durch Haarſchmuck und andere Toilettenkuͤnſte aͤhnlich waren. Alle betrach - teten den Gaſt mit unverhohlener Neugier, belauſchten jedes Wort, welches Terzy mit ihm wechſelte, und gaben ſich verſteckte Winke und Zeichen, die immer bedeutſamer, fuͤr den aber, dem ſie galten, immer unheimlicher wurden, nachdem zur Sprache gekom - men, daß ihm die Stelle eines Muſikdirigenten zuge - dacht ſei. Terzy, der ſeinen Gaſt zu trinken auffor - derte und ſelbſt den Wein nicht ſchonte, zeigte ſich mit211 jedem Glaſe zaͤrtlicher, wobei er nur bedauerte, daß er, weil er taͤglich zwei aufeinanderfolgende Vorſtel - lungen gaͤbe, gezwungen ſei, fruͤher aufzubrechen wie Anton, der noch einige Stunden Zeit habe!

Anton benuͤtzte dieſe Andeutung, ſich eiligſt zu entfernen; ſchied, dringend aufgefordert, er moͤge des Abends wiederkehren; ſetzte ſich aber vor, weg zu bleiben, weil ihm die ganze Wirthſchaft wunderlich vorkam. Er beurlaubte ſich ſchriftlich und dankte fuͤr die ihm angebotene Verſorgung.

Und daß dieſer Entſchluß durch ſteigende Ver - legenheit wegen ſeiner naͤchſten Zukunft nicht wankend werden moͤge, vermittelte das Geſchick, welches ihn, den planlos weiter Suchenden, an eine große, mit beſonderer Sorgfalt konſtruirte Bude geleitete, deren Anſchlagezettel das große Wachsfiguren-Kabinet des Herrn Vlaͤmert verkuͤndeten. An der geoͤffneten, reich verzierten Kaſſe, vor welcher ein waͤchſerner Gardiſt ſchulterte, ſaß eine junge Dame, die er beim erſten Anblick fuͤr ſeine aus dem Bruͤnetten in’s Blonde transponirte Laura Amelot halten wollte. Auch ſie hatte das an ſolchen Kaſſen unvermeidliche Buch vor ſich auf dem Tiſche liegen und las emſig; auch ſie verwendete, wie damals Laura, kein Auge von der14 *212Lektuͤre. Anton naͤherte ſich dem Gardiſten, als mit welchem er o biederer Liebenauer! eine Kon - verſation anzuſpinnen beabſichtigte, indem er ihn beſcheiden fragte, ob er vielleicht ein Orientale ſei, da er in’s Oliven-Farbige ſpiele? Das war Madame Vlaͤmert zu ſtark. Sie erhob das Geſicht vom Leſe - buche und erkannte Antoine, den violinſpielenden Reiter. Wahrſcheinlich hielt ſie ſeine an den Wachs - klumpen gerichtete Frage fuͤr verfaͤngliche Liſt, vermei - nend, der mit allen Hunden gehetzte Franzoſe habe dadurch nur ihre Aufmerkſamkeit vom Buche weg auf ſich lenken wollen! Denn ſie wurde, was ſie nicht uͤbel kleidete, uͤber und uͤber roth. Daß er den Wachsſoldaten fuͤr ein lebendiges Menſchenkind gehal - ten, konnte ihr nicht einfallen. Sie lud ihn durch eine grazioͤſe Bewegung des Kopfes ein, den Schau - platz zu beſuchen und deutete, ohne zu ſprechen, mit der Hand auf den Vorhang, durch den er ſich zu ſchieben habe. Antoine gehorchte; mehr aus Hoch - achtung fuͤr die ſchoͤne Dame, als auf eigenen Wunſch. Er war eben ſo roth wie Madame Vlaͤmert. Dieſe wußte nicht, was davon zu denken ſei, und las weiter in Shakeſpeare’s Cymbeline.

Jch will mich gar nicht hinter meine Kinder -213 Dummheit und deren thoͤrichte Furchtſamkeit ver - ſtecken; ich will vielmehr treuherzig eingeſtehen, daß ich mich auch noch als uͤberreifer, vielerfahrener Mann fuͤrchterlich gefuͤrchtet habe, wenn ich mich zufaͤllig, weil die Aufſeher gerade abweſend und andere Zu - ſchauer nicht zugegen waren, allein vor einer ſolchen Parade von Wachsfiguren befand. Faſt kenne ich nichts Schauerlicheres. Wie eine Geſellſchaft aus - geputzter Kadaver; ich behaupte auch, daß es, ich weiß nicht warum? wie in einer Todtenkammer riecht! Deshalb bin ich nicht berechtiget, meinem Helden ſein Entſetzen uͤbel zu nehmen. Es findet ſich eine Zeile in ſeinem Tagebuche, auf welches zuruͤckzukommen wir im naͤchſten Kapitel ohnedies genoͤthiget ſein wer - den, worin er ausſpricht, daß er ſich unbedenklich durch die Flucht gerettet haben wuͤrde, haͤtte er nicht die ſchoͤne ſtumme Blondine an der Kaſſe gewußt und ihren Hohn gefuͤrchtet. Er ſtaͤhlte ſich folglich mit dem Muthe der Furcht, welcher, obgleich nichts An - deres als Furcht vor der Furcht, am gehoͤrigen Orte Wunder zu wirken vermag. Er blieb. Ruͤckte den hohen und hoͤchſten Herrſchaften, die mit beruͤchtigten Raͤubern, Dichtern, Delinquenten, Gelehrten, Kar - tenſpielern, Trinkern, Giftmiſchern abwechſelnd, hier214 zu Gruppen vereiniget, dort in ungeſelliger Abge - ſchloſſenheit zu ſehen waren, zuverſichtlich auf den Leib; warf ihnen drohende Blicke zu; forderte ſie auf, ihn zu beleidigen! kurz, er verfuhr nach jener Theorie, deren Anwendung ihm ihrer Zeit behuͤlflich geweſen, das naͤchtliche Geſpenſt im Fuchswinkel zu verſcheuchen. Nichts deſto weniger geſtand er ſich’s aber: ich will lieber mit Tigern und Leoparden zu ſchaffen haben, die doch mindeſtens durch ihr Gebruͤll aufrichtig bezeugen, weß Geiſtes ſie ſind! lieber mit jenen Vierfuͤßlern, als mit dieſen zweibeinigen, ſprach - loſen, glasaͤugigen, hochzuverehrenden Herrſchaften.

Eine Seitenthuͤr oͤffnete ſich. Zwei Herren traten heraus, zum Haupt-Ausgange geleitet von einem Dritten, dem Schoͤpfer dieſer kalten Welt, welcher im Voruͤbergehen Anton artig begruͤßte, ſogleich zuruͤckkehrend ſich noch artiger entſchuldigte, daß er, ein Kurzſichtiger, von ſeiner Frau erſt erfahren muͤſſen, wer es ſei, den er hier zu finden ſich freue.

Der Hollaͤnder, fertig franzoͤſiſch redend, und lebendiger als die meiſten ſeiner Landsleute, begann ein recht intereſſantes Geſpraͤch, welches freilich zunaͤchſt den von ihm ausgearbeiteten Koͤpfen und Figuren galt, ihn dabei aber doch, durch unvermeid -215 lichen Bezug auf dieſelben, wie einen kuͤnſtleriſch und nicht unwiſſenſchaftlich ausgebildeten Mann erſcheinen ließ. Was Sie hier ſehen, ſagte er, iſt nur fuͤr die Menge berechnet, denn ich muß mich ernaͤhren. An - dere, bedeutendere Arbeiten verwahr ich in jenem Seitenkabinet, aus welchem ich ſoeben mit den beiden Herren trat. Darin verberg ich, denn verborgen muͤſſen ſie bleiben, des lieben ſittlichen Anſtandes hal - ber, die Erzeugniſſe meiner Mußeſtunden: Nach - bildungen theils merkwuͤrdiger anatomiſcher Praͤpa - rate, theils verſchiedener Natur-Myſterien, wie dieſelben vor Damen, Kindern uͤberhaupt oͤffentlich nicht ausgeſtellt werden duͤrfen. Den Ausdruck des Menſchlichen zu treffen, in ſofern er dem Antlitz gei - ſtige Weihe giebt, gelingt Kuͤnſtlern meiner Gattung nur unvollkommen. Wir ſollen plaſtiſche Bildner ſein und Maler, beides zugleich; deshalb ſind wir ſtreng genommen keines von beiden. Jch ſehe das deutlich ein, bin darum auch unzufrieden mit dem was hier prunkt und prangt. Aber meine kleinen Arbeiten da drinn, in der heimlichen Kammer, darf ich vollkommen nennen auf ihre Weiſe. Sie maßen ſich nicht an, Leidenſchaften, Gefuͤhle, Charaktere auszudruͤcken; ſie beduͤrfen keiner Augen, die Feuer216 keiner Mienen die inneres Leben verlangen. Was durch Fleiß und Geſchicklichkeit erreichbar iſt, genuͤgt fuͤr dieſe Arbeiten. Fuͤr den Augenblick befind ich mich mit Vorzeigung derſelben in peinlicher Verlegen - heit. Jch kann dafuͤr, als fuͤr eine nur im Stillen gegebene und geduldete Verguͤnſtigung, natuͤrlich auch nur einen zuverſichtlichen, anſtaͤndigen Diener gebrau - chen, und einen ſolchen gelang mir nicht aufzufinden, ſeitdem der vorige, den ich noch aus Holland mitnahm, nach unſerer Heimath zuruͤckgekehrt iſt. Nun bin ich genoͤthiget, ſelbſt zum Rechten zu ſehen, was mich hoͤchſt unangenehm in Anſpruch nimmt und mich am Arbeiten hindert. Und dies gerade jetzt, wo ich geſon - nen bin, nach Frankreich zu gehen, das einzige Land, welches ich noch nie bereiſete; und fuͤr welches ich gern noch einige laͤngſtgehegte Jdeen, halbbegonnene Arbeiten zur Ausfuͤhrung gebracht ſaͤhe!

Sie denken nach Frankreich zu reiſen? Vielleicht nach Paris?

Wo moͤglich auch nach Paris.

Wollen Sie mich zum Diener haben?

Herr Antoine, Sie ſcherzen.

Antworten Sie kurz und aufrichtig: wuͤrden217 Sie mich nehmen, glauben Sie mich brauchen zu koͤnnen, wenn ich mich anbiete?

Auf Ehre, ich verlang es nicht beſſer; doch ſcheint mir unbegreiflich ...

Alles wird Jhnen ſehr begreiflich ſein, ſobald Sie mich gehoͤrt. Jetzt ruft mich meine leider noch nicht beendete Leibeigenſchaft in den Cirkus. Darf ich nach Erfuͤllung der heutigen Pflicht bei Jhnen ein - ſprechen?

Sie machen mir die groͤßte Freude; hier unſere Adreſſe. Wenn ich aber nur klug werden koͤnnte, aus dieſem uͤberraſchenden Anerbieten ....

Anton war ſchon entſchwunden und ſo leicht und froͤhlich bei der an der Kaſſe leſenden Dame voruͤber - geflogen, daß er gaͤnzlich vergeſſen, ihr ſeine Empfeh - lung zu machen. Eben ſo eilig entfloh er nach voll - brachter Arbeit aus der Manège, trieb ſich in den Spaziergaͤngen umher, bis er endlich die Lampen vor Vlaͤmerts Kaſſe erloſchen, die Thuͤren der Bude geſchloſſen ſah, und begab ſich ſodann mit klopfendem Herzen dahin, wo uͤber ſeine naͤchſte Beſtimmung ent - ſchieden werden ſollte. Die Eindringlichkeit ſeiner Gruͤnde, die innerſte Selbſtuͤberzeugung mit der er die - ſelben vortrug, die Offenheit ſeiner Bekenntniſſe (ſo218 weit er noͤthig fand, dergleichen in das was er ſagte, zu verweben), gewannen des aufmerkſamen Hoͤrers volles Vertrauen, ſo wie Antons ganze Perſoͤnlichkeit Vlaͤmerts Neigung. Ohne Bedenken ging der Letz - tere auf das Anerbieten ein, zeigte uͤber ſolch gluͤck - liches Zuſammentreffen unverſtellte Freude; deren Urſach er denn auch ſeiner Gattin, einer ſtummen, theilnahmloſen Zeugin der Unterhaltung, von der ſie noch keine Silbe verſtanden, in ihrer Sprache mit - theilte. Denn ſie war eine Englaͤnderin und erſt ſeit elf Monaten mit ihm auf Reiſen.

Kaͤthchen hatte bis dahin, mild wie ein Sommer - abend, obgleich ſie noch immer im wilden Cym - beline ſtudirte, ſittſam, freundlich-ernſt da geſeſſen, Anton nur oberflaͤchlich betrachtet, gleich wieder in ihr Buch geblickt und ſich kaum geregt. Nachdem Vlaͤmert ſich ihr mitgetheilt, glaubte Anton zu bemer - ken, daß ihre Zuͤge ein Augenblick toͤdtlicher Angſt uͤberflog, daß ihre Haͤnde zitterten; er hoͤrte, wie ſie ihrem Gemal einige Worte erwiederte. Schon waͤhnte er jede Hoffnung abermals aufgeben zu muͤſſen.

Doch der Gatte ſchien Kaͤthchens Einwuͤrfe ſieg -219 reich zu beſchwichtigen; ſie verſtummte wieder, holte tief Athem und las weiter.

Blaͤmert reichte Anton die Rechte: Schlagen Sie ein. Wir ſind in Ordnung. Die Geldbedingungen halt ich annehmbar fuͤr beide Theile. Sie empfan - gen Koſt und Wohnung bei uns; Sie gehoͤren zu meiner Familie. Jhre Gage betraͤgt monatlich zwei Louisd’ors; ſie wird aus der Kaſſe bezahlt, in welche die Extraſpenden fließen fuͤr Anſchauung des Jhrer Obhut anvertrauten verſchloſſenen Kaͤmmerleins. Den Ueberſchuß theilen Sie mit mir. Sind Sie’s zufrieden? Anton ſchlug ein. Vlaͤmert ſchuͤttelte ihm tuͤchtig die Hand und ſagte: ſie fuͤrchtet ſich noch vor Jhnen. Das giebt ſich bald. Sie iſt ſchuͤch - tern, wie ein Kind; buͤrgerliche Erziehung; kleine Haͤuslichkeit; fremd in der Welt, obgleich aus einer Weltſtadt gebuͤrtig. Aber gerade weil ſie ſo iſt, hab ich ſie in London zur Frau genommen.

Anton empfahl ſich Kaͤthchen mit einer artigen Verbeugung, die mehr verlegen, wie freundlich erwie - dert wurde. Vlaͤmert leuchtete ſeinem neuen Gehuͤl - fen uͤber die Stiege.

Als die blonde Katharina, von ihrem Gatten Kaͤthe genannt, allein war, faltete ſie die weißen220 Haͤnde uͤber ihrem Schakeſpear, ſchlug die blauen Augen empor und betete:

To your protection J commend me; gods! From fairies, and the tempters of the night. Guard me, beseech ye!
*)
Jn euren Schutz befehl ich mich, ihr Götter! Vor Elfen, vor Verſuchern bei der Nacht Bewahrt mich, fleh ich euch!
(Cymbeline A. II. Sc. 2. )
*)

Zweiundvierzigſtes Kapitel.

Herr Vlämert nebſt Gattin. Wie Anton die engliſche Sprache ſtudirt. Neue Städte. Affen - und Hunde-Komödie. Käthchen giebt Räthſel auf. Gelehrte Kanarienvögel. Käthchens Räthſel ſind faſt zu errathen.

Blaͤtter und Blaͤttchen aus Anton’s Tagebuche.

Meinen Fuchs hat Felix richtig gekauft und noch gut genug bezahlt. Den Betrag dafuͤr ſollt ich von Rechtswegen an Madame Amelot ſchicken, wenn ich ſonſt wuͤßte, wo ſie zu finden iſt!

Der Abſchied bei Guillaume’s war kurz und kalt. Der Furioſo und die Stalljungen zeigten ein wenig Bedauern uͤber meinen Abgang. Sonſt niemand von221 Allen, mit denen ich laͤnger als ein Jahr zuſammen geweſen. Geſtern ſind ſie fort.

Wir packen bereits. Das iſt eine ſchwierige Arbeit, zu der ich mich wohl recht ungeſchickt anſtellen mag! Doch Herr Vlaͤmert hat Geduld mit mir und unter - weiſet mich auf das Liebreichſte. Jch habe bald nicht einen ſo ſanften, gefaͤlligen Mann geſehen. Er legt ſeine edlen Menſchen und niedertraͤchtigen Schurken gleich ſubtil auseinander, daß man denkt, er habe mit lebendigen, empfindenden Perſonen zu thun, die er ſchonen moͤchte.

Schkramprl ſuchte mich geſtern auf, mir Gluͤck zu wuͤnſchen, daß ich’s ſo gut getroffen. Er iſt ganz erſtaunt geweſen uͤber die Nachricht; denn bis geſtern haben wir, Vlaͤmert und ich, das Geheimniß bewahrt. Auch dank ich meinem Schoͤpfer fuͤr dieſes gluͤckliche Ereigniß. Es wird zwar lange genug dauern, bis der waͤchſerne Kongreß und wir mit ihm Frankreich und gar Paris, die Stadt meiner Sehnſucht erreicht. Aber das hilft nun einmal nichts. Allein koͤnnte ich ja doch aus vielfachen Gruͤnden die Reiſe nicht unter - nehmen, ſogar nicht wenn ich mich durchfechten wollte, wie die Handwerksburſchen; einen Anhalt, einen Schutz, eine Buͤrgſchaft muß ich haben, bei der222 Unſicherheit meines Paſſes und da giebt es ſchon kei - nen beſſeren Platz, als den mir Herr Vlaͤmert ver - trauensvoll gegoͤnnt.

Wenn ich nur aus mir ſelbſt in ſo weit klug wer - den koͤnnte, daß ich wuͤßte, was mich eigentlich nach Paris zieht? Jch mag ſinnen, forſchen, mich auf’s Gewiſſen fragen, wie ich will, endlich bleib ich doch immer wieder bei Adelen ſtehen. Die innere Stimme ſagt mir, daß ich ſie, trotz des Franconi’ſchen Berichtes, dennoch nirgend anderswo antreffen werde.

Und ſehen, ſprechen muß ich ſie!

Jch faſſe nicht, wie ich weiter leben ſollte, ohne mindeſtens mit ihr mich ausgeredet zu haben, uͤber Alles was ſie und mich betrifft. Jch weiß nicht ob ich ſie liebe? Aber ich weiß doch, daß ich in’s Reine kommen will uͤber mich, uͤber ſie, uͤber unſere Gefuͤhle fuͤr einander.

Es wird doch raſcher gehen mit unſerer Reiſe, wie ich erſt gefuͤrchtet. Herr Vlaͤmert findet es gar nicht der Muͤhe werth, in kleinen Staͤdten, deren wir manche beruͤhren, anzuhalten und ſeine Sammlung auszupacken. Er hat auch Recht. Die Koſten der Anordnung ſtehen in keinem Verhaͤltniſſe zu der groͤß -223 ten Einnahme, die moͤglicherweiſe in derlei Neſtern erzielt werden koͤnnte.

Jn der jetzigen Jahreszeit zu reiſen iſt ſehr ange - nehm. Herr und Frau fahren in ihrer kleinen Chaiſe. Jch ſitze ganz allein, ungeſtoͤrt im bequemen Kabrio - let eines Pack-Wagens, wo ich mich haͤuslich einge - richtet habe. Eine engliſche Sprachlehre und ein franzoͤſiſch-engliſches Taſchenwoͤrterbuch hab ich von L. mitgenommen. Herr Vlaͤmert, der die engliſche Sprache kennt und taͤglich uͤbt, weil Miß Katharina nichts Anderes ſpricht, giebt mir manchen Wink uͤber die Ausſprache. Aber da wird er, fuͤrcht ich, lange winken koͤnnen, bis ich dahin gelange, mich nur vor - nehmlich auszudruͤcken. Eine Menge von Buchſta - ben klingen ganz anders, wie ſie geſchrieben werden; derer nicht zu gedenken, die man im Munde behalten, mit der Zuuge zerdruͤcken und halb hinunter wuͤrgen ſoll, wie reife Erdbeeren; halb wieder herausgeben, wie Kirſchkerne. Jch ſagte neulich zu Herrn Vlaͤmert, es waͤre fuͤr den Lernenden ſchlimm: wenn er zwei Tage daran gewendet, zu begreifen, wie man Ochſe ſchreibe, erfahre er am dritten, daß es Eſel ausge - ſprochen werde. Er lachte und uͤberſetzte dieſe meine dumme Aeußerung ſeiner Gemahlin in’s Engliſche. 224Da ſah ich ſie zum Erſtenmale laͤcheln; doch ſtellte ſie’s augenblicklich wieder ein. Die gute Frau hat etwas gegen mich, ſie kann’s nicht verbergen, ich bin ihr zuwider. Zwar nehm ich ihr’s nicht uͤbel, denn ſo was iſt unwillkuͤhrlich, doch druͤckt es mich und ver - leidet mir meine Anſtellung, mit der ich uͤbrigens alle Urſach haͤtte, ſehr zufrieden zu ſein. Es iſt halt nichts auf Erden vollkommen und kein Gluͤck bleibt unge - truͤbt.

Heute iſt es ein Jahr, daß ich zum Erſtenmale im Cirkus oͤffentlich erſchien. Mit welchen Hoffnun - gen! Mit welch eitlen Vorausſetzungen! Und was hat ſich davon erfuͤllt?

Da waͤren wir ja in dem altberuͤhmten F. Hier wird geblieben.

Das iſt wahr, einzurichten verſteht mein Herr ſeine Sachen. Unſere Bude ſieht aus wie ein Schmuckkaͤſtchen von Jnnen und Außen. Mein heimliches Kabinet iſt ſo niedlich, daß ich es faſt zu ſchoͤn finde, fuͤr die unſchoͤnen Gegenſtaͤnde, die es zum Theil einſchließt. Herr Vlaͤmert iſt zwar ſehr ſtolz auf dieſelben, und gewiſſermaßen kann er es225 wohl ſein; alle Kenner loben die vollendete Ausfuͤh - rung. Aber bei all dem kann ich die Scham noch nicht uͤberwinden, daß ich ſo viele Sachen enthuͤllen muß, die beſſer verſchleiert blieben!

Was es doch fuͤr Weiber giebt! Geſtern beſtan - den ihrer zwei darauf, mit einer Herren-Geſellſchaft zugleich die verbotenen Waaren anzuſehen. Na, mir konnt es Recht ſein; aber wenn meine Geliebte, oder meine Frau, ſolches Aepfel-Geluͤſten zeigte, ich gaͤb ihr, glaub ich, den Laufpaß!

Da lob ich mir Madame Vlaͤmert. Die macht ſchon linksum, wenn ſie nur in die Naͤhe der Thuͤre geraͤth. Faſt komm ich auf die Vermuthung, ſie wolle mir blos deshalb uͤbel, weil ſie in mir den Huͤter jener ihr anſtoͤßigen Kleinodien erblickt.

Die Trinkgelder fließen uͤbrigens reichlich ein.

Mit der engliſchen Sprache geht es mir gut. Das heißt: ſprechen, wie ich das Franzoͤſiſche ſpreche, werd ich ſie niemals; das hab ich bereits aufgege - ben. Aber verſtehen werd ich ſie ſehr bald, eben ſo gut wie die deutſche, der ſie nahe verwandt ſcheint. Jch leſe ſchon ziemlich fertig. Der Herr hat mir einige Baͤnde aus ſeiner Gattin ReiſebibliothekDie Bagabunden. II. 15226geliehen; wo ich auf Schwierigkeiten ſtoße, erklaͤrt er mir den Sinn. Er boſſirt jetzt gerade eine Gruppe aus einem engliſchen Trauerſpiele, fuͤr welche er ſich die Portraits der Akteurs, die er zu London darin auftreten ſah, mitgebracht. Das Stuͤck iſt von Herrn Shakeſpear geſchrieben und heißt Othello. Dieſer letztere iſt ein eiferſuͤchtiger Maure, oder Mohr, der ſeine unſchuldige Frau umbringt. Dieſen Auftritt hat Herr Vlaͤmert gewaͤhlt fuͤr die neue Gruppe; wahrſcheinlich, weil er meint, daß es fuͤr die Franzo - ſen nicht blutig genug zugehen kann. Die Tragoͤdie iſt auch wirklich hoͤchſt fuͤrchterlich. Das Ehepaar that mir erbaͤrmlich leid, wie ich ſein trauriges Schick - ſal las; es iſt Alles ſo natuͤrlich geſchildert, daß man die handelnden Perſonen vor ſich ſieht, wie Menſchen die man kennt. Nur damit bin ich nicht einverſtan - den, daß der Boͤſewicht, der das ganze Ungluͤck braut, ein gewiſſer Jago mit Namen, ſo haͤufig ſelbſt ſagt: er wolle ſchlecht handeln; es ſei ſein Wille ein Boͤſe - wicht zu ſein! Wahrſcheinlich hab ich Unrecht und der Dichter muß das beſſer verſtehen; doch bisher hab ich immer geglaubt, wer Boͤſes thun will, ſuche ſich’s als gut vorzumalen und bemuͤhe ſich um Ent - ſchuldigungs-Gruͤnde gegen ſein eigenes Gewiſſen.

227

Waͤr ich uͤbrigens Herr Vlaͤmert, ich ließe die Londoner Schauſpielerin gaͤnzlich aus dem Spiele und gaͤbe der armen Desdemona das Geſicht meiner eigenen Gattin. Einen beſſeren Eindruck fuͤr unſchul - dige Reinheit kann er nirgend finden, wie in Kaͤth - chens Zuͤgen; das iſt einmal wahr und das muß ich ſagen, wenn ſie mich ſchon nicht leiden mag.

Auf was doch die Menſchen gerathen, um Geld zu erwerben! Und was ich ſchon fuͤr ſeltſame, naͤr - riſche Dinge gehoͤrt und geſehen, ja ſelbſt mitgemacht habe, die in derſelben Abſicht unternommen waren. Jetzt iſt nun gar eine Affen - und Hunde-Komoͤdie hier. Ein Jtaliener, Namens Baldavi, dirigirt das Ganze. Er ſoll fruͤher auch Kunſtreiter geweſen ſein. Weil er aber bei einem gefaͤhrlichen Sturz mit dem Pferde das Bein gebrochen hat und ſchlecht geheilt worden iſt, ſah er ſich genoͤthiget, die Reitkunſt mit der Dramaturgie zu vertauſchen. Das krumme Bein bei Seite war ich ja in einem aͤhnlichen Falle, nur daß bei mir nicht zur Ausfuͤhrung kam, was ich vor - hatte.

Jch denke oft daruͤber nach, ob ich gut oder uͤbel15*228daran gethan, mich von dem großen Schauſpieler ſo bald zuruͤck ſchrecken zu laſſen!

Das hieſige Theater, ich meine jenes mit zwei - beinigen Schauſpielern, hat einige recht gute Mit - glieder. Aber ein D. iſt nicht dabei.

Hab ich gelacht! Die Hunde erbarmten mich wohl, mit ihren dummen Geſichtern, denen man gleich anſieht, daß ſie immer aͤngſtlich nach der Peitſche ſchielen. Aber verwuͤnſchte Figuren ſind es. Die gewiſſe Madame Pompadour, welche Madame Ba - tavia beſuchte; die langen, blaſſen Schnauzen, die da unter den Federhuͤten hervorſchmachten; und die Schwaͤnze, die aus den ſeidenen Roͤcken herauszuͤn - geln. Einige Affen ſahen frappant aus, wie Schkramprl’s Zwerge. Der ganz kleine Roſſignol, der ſich auf dem Schlappſeile ſchwenkte, erinnerte mich an Madame Simonelli’s Lieblingsaͤffchen, und bei’m Seile mußte ich wieder an Michaletto Sanchez juͤngſte Tochter denken. Was fuͤr verſchiedene Erinnerungen zogen doch in wenig Minuten an mir voruͤber.

Zuletzt fuͤhrte die ganze Geſellſchaft eine Bataille auf: die Erſtuͤrmung und Einnahme der Feſtung229 Kakomirum. Der Mordlaͤrm, den Affen und Hunde bei dieſem Sturme erhoben, riß mich gluͤcklicherweiſe wieder aus meinen ſentimentalen Mucken heraus, daß ich froͤhlich-lachend heimkehrte und meinem Her - ren ſammt Gattin tapfer zuredete, ſie moͤchten ſich den Unſinn doch auch einmal mit anſchauen. Aber da prediget man tauben Ohren. Er ſitzt ſo tief in ſeinen Buͤchern und denkt nur an Desdemona, daß Kakomirum und Madame Batavia keine Anziehungs - kraft fuͤr ihn haben. Sie ſagte: wie koͤnnen Sie Gefallen finden an den Qualen der Thiere? Das ſagte ſie auf Engliſch.

’S iſt doch naͤrriſch: Wenn Herr Vlaͤmert dieſe Sprache redet, find ich ſie mißlautend. Wenn Miß Katharine Sie ſpricht, find ich ſie lieblich klingend! C’est le son qui fait la musique, pflegte Laura zu behaupten.

Arme Laura! Ob er ſie wirklich pruͤgeln mag der verdammte kleine Amelot?

Muß mich mein Unſtern mit dem Affen-Manne, dem Baldavi zuſammen fuͤhren! Muß meine Eitel - keit mich plagen, ihm zu erzaͤhlen, daß ich bei Guil - laume war! Muß er mir von ſeinen Kuͤnſten bei230 Franconi vorſchwatzen! Muß er den Namen Adele Jartour ausſprechen! Und kaum hat er ihn ausge - ſprochen, daß ich auch ſchon mit Fragen in ihn ſtuͤrme! Jch Thor! Was hab ich nun davon? Nichts, als neue Unruhe und Ungeduld. Er hat ſie im vori - gen Jahre begegnet: ſie befand ſich auf der Reiſe nach Paris! Sie hat es ihm mit klaren franzoͤſiſchen Worten geſagt, daß ſie nach Paris gehe, um dort zu bleiben!

Und was weiß ich nun, da ich dies weiß? So viel wie vorher; nichts. Nur daß es mich wieder aufregt und mich mit, ja du lieber Himmel, mit was denn? erfuͤllt!

Jch vermag einmal nicht, mir Rechenſchaft zu geben uͤber meine Empfindungen fuͤr dieſes Maͤdchen. Und deshalb iſt und bleibt es nothwendig, daß wir uns wiederſehen. Jch will mich nicht durch die Welt ſtehlen, wie mein eigenes Geheimniß.

Aus all meinem Sehnen und Trachten nach unbeſtimmter Ferne, aus dieſem Leben und Weben in der Jdee koͤnnte mich nichts retten, als eine gegen - waͤrtige, heitere, lebensfriſche Neigung fuͤr eine junge Schoͤne! Doch das iſt leicht ausgeſprochen. Aber wo her nehmen und nicht ſtehlen? wie der Liebe -231 nauer Gemeindehirt ſich oftmalen zu aͤußern beliebte. Dabei ſtahl er wie ein Rabe.

M. iſt kleiner wie F. aber eine freundliche Stadt. Jch moͤchte wiſſen, woran es liegt, daß finſtere Vor - ahnungen mich bedraͤngten, gleich bei meinem Ein - tritt? Hier ſind ſie wahrlich unpaſſend, denn Alles was mich umgiebt, athmet Heiterkeit und Frohſinn. Jch trage etwas duͤſteres in mir; eine Bangigkeit, die mir fuͤr gewoͤhnlich auch fremd iſt. Ernſt koͤnnt ich wohl geſtimmt ſein, doch warum aͤngſtlich?

Vielleicht ſind es die Gewitter, die ſeit acht Tagen ſo ſchwer in der Luft haͤngen, welche mich bedruͤcken!

Das war eine Nacht! Wie wenn die Welt unter - ginge! Solch ein Donnerwetter hab ich noch nicht erlebt. Das Rollen und Krachen ſetzte nicht aus und ein Blitz ging ſo zu ſagen im andern auf, daß man ſie gar nicht mehr auseinander zu ſondern vermochte. Es war ein fuͤnfſtuͤndiger Blitz. Jch lag in meinem Kaͤmmerlein ohne zu ſchlafen, doch auch ohne mich zu aͤngſtigen. Blitze haben nur dann etwas Pein - liches fuͤr mich, wenn ſie in großen Zwiſchenraͤumen232 aus ſchwuͤlen ſchweren Wolken zucken, daß man lange darauf warten muß, bis wieder einer leuchtet. Wenn es aber am lieben Himmel ſo zu ſagen d’ruͤber und d’run - ter geht, wie in vergangener Nacht, da verliert ſich der Druck von meinen Nerven und es wird mir voͤllig leicht und frei. So lag ich nun und war mit meinen Gedanken weit weg von M., war in Liebenau bei meiner unvergeßlichen Großmutter, die mir von fruͤh’ſter Kind - heit an einſchaͤrfte, es ſei erbaͤrmlich, bei Gefahr-drohen - den Naturerſcheinungen ſich abzuaͤngſtigen; als ob, ſagte ſie, der liebe Gott wenn Er uns ſuchen wolle, uns bei heiterem Himmel nicht eben ſo ſicher finden wuͤrde!

Jch dachte mich waͤhrend des furchtbaren Tumul - tes in der Natur, gleichſam wie zum Gegenſatze, ſo recht heimlich und kindlich in den ſtillen Frie - den unſeres Haͤuschens; uͤberlegte, wie es wohl dort ausſehen, wer darin wohnen moͤchte! Ob vielleicht gar mein verehrungswuͤrdiger Herr Kura - tor? Da pochte es an meine Thuͤr und engliſche Worte aus Engels-Munde, es giebt keinen ſchoͤ - neren! baten flehentlich, mich anzukleiden und hin - uͤber zu kommen. Jch gehorchte. Jch fand Madame Vlaͤmert im ſauberſten Nachtkleide, vor Schreck und Furcht weinend; ſie war nicht im Stande geweſen,233 ihren Gemal zu erwecken, der ſich eines Todtenſchla - fes erfreut, und ſie bekannte mir, daß ſie in Bangig - keit vergehen muͤſſe, wenn ſie nicht mit einem leben - digen Weſen reden koͤnne, waͤhrend Gott mit der Erde zuͤrne. Die ſchoͤne Frau ſtammt, wie mir ſcheint, aus einer Familie von ſogenannten Pietiſten oder Puritanern! Deſto ſeltſamer, daß ihre Eltern ihr doch geſtattet haben, einen umherziehenden Kuͤnſtler zu heirathen! Die Verzweiflung die ſie in ihrer Furcht zeigte, und die ich durch Gruͤnde zu widerlegen ſuchte, ſo weit mein ſchwacher Geiſt ausreichen wollte, fuͤhrte uns auf religioͤſe Geſpraͤche. Leider konnte ich doch nicht Alles von mir geben, was ich etwa auf dem Herzen gehabt, weil ich mich in ihrer Sprache noch nicht fertig genug ausdruͤcke; denn es iſt ein Ande - res, bei Tiſche zu ſagen: ich bitte noch um ein Stuͤck Fleiſch! und wieder ein Anderes, Meinungen und Anſichten zu entwickeln. Dazu gebraucht man ſeine eigene Sprache, in der man verſucht hat, uͤber das - jenige zu denken, was man mittheilen moͤchte. Wie ich mit Laura lebte war ich wohl ſchon ſo weit, bis - weilen franzoͤſiſch zu denken. Wie lange wuͤrd ich wohl mit Kaͤthchen leben muͤſſen, um engliſch denken zu lernen?

234

Doch das iſt eine dumme Frage und was noch ſchlimmer: eine ſtrafbare. Sie iſt die Gattin meines Brodherren, meines Goͤnners, iſt ein unbeſcholtenes, rechtſchaffenes Weib. Folglich iſt das eine unſchick - liche Aeußerung, von der ich nicht begreife, wie ſie mir in den Sinn, und gar erſt in die Feder gerieth!

Obenein dieſe Frau, die mich nicht ausſtehen mag! ..... Aber das iſt kurios: da faͤllt mir eben ein, wie ſie vergangene Nacht mich ganz anders behandelte, als bisher! Sonderbar! Wenn ich mir zuruͤckrufe, wie ſie mich anſah, ... ſich bei hef - tigen Donnerſchlaͤgen an mich draͤngte, ..... ſie befand ſich in unnatuͤrlicher Aufregung.

Es giebt Menſchen, auf die das Gewitter gewalt - ſamen Einfluß uͤbt, ſo daß ſie gar nicht mehr wiſſen was ſie beginnen!

Die Geſchaͤfte gehen im Ganzen ſchwach. Herr Vlaͤmert klagt und ich ſpuͤr es auch an meinen Sei - ten-Einnahmen. Die Stadt zaͤhlt nicht gar viele Einwohner. Das Meiſte muͤſſen die Fremden thun, die Reiſenden. An denen fehlt es nicht und dieſe bringen uns auch noch am Meiſten ein. Doch iſt Einer gekommen, der uns kein Geld einbringt, weil235 er freien Eintritt hat, wenn er ihn benuͤtzen will und der uns zur Erwiederung auch den freien Eintritt bei ſich angeboten, wovon ich naͤchſtens Gebrauch machen werde. Das iſt ein Schweizer Namens Jeantet, der mit abgerichteten Kanarienvoͤgeln reiſet.

Es giebt nichts Huͤbſcheres zu ſehen, als Herrn Jeantet’s kleine Voͤgel, wenn ſie buchſta - biren und rechnen. Er beſitzt deren nur drei, die in einem zu drei Kaͤfigen abgetheilten Kaſten ihren Wohn - ſitz haben. Den erſten nennt er den Profeſſor, den zweiten den Studenten, den dritten den Schuljungen. Auf einem mit gruͤnem Teppich bedeckten Tiſche lie - gen ſchmale duͤnne Kartenblaͤttchen, auf jedes derſel - ben ein Buchſtabe des Alphabets gedruckt, der Reihe nach, von A. bis Z., wie man dergleichen fuͤr Kinder anfertiget, die ſpielend ſollen leſen lernen. Sodann werden die Anweſenden aufgefordert, Namen, Woͤr - ter, was ſie wollen, auszuſprechen und dieſe traͤgt ein Vogel auf den Zuruf ſeines Herren, aus einzelnen Zeichen, wie er dieſelben mit dem Schnabel ergreift, richtig zuſammen; daſſelbe geſchieht mit Ziffern, wodurch er die ihm geſtellten Rechnungs-Aufgaben loͤſet. Jch kann mir ſchon denken, daß der Vogel236 ſelbſt weder buchſtabirt noch zuſammenrechnet, ſon - dern, daß er nur auf einen Wink ſeines Lehrers die - jenigen Blaͤtter mit dem Schnabel faßt, die gerade noͤthig ſind. Aber ſchon das iſt bewundernswuͤrdig und ſetzt eben ſo viel Geſchick, als uͤbermenſchliche Geduld und Ausdauer von Seiten des Herrn Jean - tet voraus. Einen Hund kann man leicht zum apor - tiren abrichten; ebenſo Herr Guillaume ſeine dreſſir - ten Pferde; dafuͤr giebt es die liebe und beliebte Peitſche. Aber ein kleines, gelbes Voͤgelchen, zart wie Spinnenwebe, womit ſtraft man dieſes, ohne es zu zermalmen? Das verſteh ich nicht. Dabei ſehen die Thierchen ſo friſch und glatt und munter aus, wie nur jemals ein Rothſchwaͤnzlein auf unſerm Lie - benauer Gartenzaun. Vorzuͤglich der Herr Profeſſor und der Student. Weniger komfortabel, um mit Miß Katharine zu reden, ſcheint ſich der Schuljunge zu fuͤhlen; doch das machen die Studien der Anfangs - gruͤnde; aller Anfang iſt ſchwer.

Madame Vlaͤmert muß das ſehen; ja, das muß ſie ſehen. Die Hunde-Komoͤdie fand ſie ſchon in der Beſchreibung ekelhaft, weshalb ich ihr nicht weiter zuredete. Dieſes unſchuldige Schauſpielchen aber wird ihrem zarten Sinne und ihrer Großbritanniſchen237 Exkluſivitaͤt gewiß behagen. Jch will’s ihr ſo beſchrei - ben, daß ſie einwilliget, ſich von mir hinfuͤhren zu laſſen.

Weh mir, was hab ich gethan. Und wer konnte das ahnen?

Warum auch ſitzt Herr Vlaͤmert ſo feſt uͤber ſei - nem Othello, daß er ſelbſt .... dieſen Satz darf ich nicht ausſchreiben; ſchon indem ich ihn weiter denke, erregt er mir Entſetzen.

Dieſer geduldige, immer laͤchelnde Jeantet mit ſeinem dicken Haarzopf! Wenn er wuͤßte, was er angerichtet hat!

Madame begab ſich geſtern in meiner Begleitung allein dahin, um die Kanarienvoͤgel zu ſehen. Unſer Herr hatte ſich nicht bewegen laſſen mitzugehen, weil er erklaͤrte: das waͤren Narrheiten. Es war in aller Fruͤhe, ehe noch bei uns die Kaſſe geoͤffnet wird. Herr Jeantet wollte ſo gefaͤllig ſein fuͤr Madame eine Extra-Vorſtellung zu geben und deshalb befanden ſich ungluͤcklicher Weiſe keine Zuſchauer dort, außer uns.

Anfaͤnglich ging Alles gut. Frau Kaͤthchen freute ſich wie ein Kind an den allerliebſten Thieren. Sie redete nicht; wie es uͤberhaupt in ihrem Weſen liegt,238 wenig Worte zu machen; ſie ließ auch mich die Auf - gaben ſtellen. Herr Jeantet, nicht wiſſend, daß ſie eine Britin iſt und nur ſpaͤrlich Deutſch redet, oder Franzoͤſiſch, wendete ſich auch an ſie und ſchlug ihr vor, ſeinen Profeſſor auf eine noch ſchwierigere Probe zu ſtellen, indem ſie ihm anbefehle, er ſolle den Namen Desjenigen zuſammentragen, welcher ihr der Liebſte ſei. Er ſagte ihr das in ſeinem Schweizer-Franzoͤ - ſiſch und ich vermuthete, ſie verſtaͤnde den Sinn ſei - ner Anrede nicht. Um ſo mehr mußte ich erſtaunen, als ſie dem Vogel mit engliſchen Ausdruͤcken zurief, was Herr Jeantet ihr vorgeſchlagen. Sie hatte ihn alſo doch verſtanden! Jetzt war ich nur voll Erwartung, ob nun der Zunamen meines Herrn erſcheinen, oder ob Herr Jeantet deſſen Taufnamen (Hyacinthe) wiſſen werde? Doch ſchon der erſte Sprung den der kleine Profeſſor der an ihn ergangenen Aufforderung zu Folge nach der Buchſtaben-Reihe that, uͤberzeugte mich, daß weder von einem V. noch von einem H. die Rede ſei, daß vielmehr der harmlos ausſehende Schweizer eine Schelmerei im Sinne habe, die er wahrſcheinlich fuͤr ganz unſchuldig und unverfaͤnglich hielt! Der Vogel holte ein großes A. herbei. Es dauerte nicht zwei Minuten, ſo ſtand ich groß und239 breit auf den gruͤnen Teppich geſchrieben, oder gedruckt. Jn meiner toͤdtlichen Verlegenheit ſtammelte ich eine Art von Auseinanderſetzung, durch welche ich andeuten wollte, das Thier habe meinen Namen ſchon verſchiedene Male zuſammengeſtellt und werde ſich deſſen jetzt bei meinem Anblicke wieder erinnert haben. dieſe freilich abgeſchmackte Entſchuldigung fuͤr den noch abgeſchmackteren Spaß des Schweizers gab ich in meinem kuͤhnſten Engliſch zum Beſten, ohne doch dabei die Augen aufzuſchlagen. Kaͤthchen jedoch erwiederte darauf: dieſer Vogel trifft die Wahrheit beſſer, als mancher Menſch.

Jn ſolch verhaͤngnißvollem Augenblicke bat ich Gott nur im Stillen, er moͤge Sorge dafuͤr getragen haben, daß der Schweizer auch ſicher und gewiß nicht eine Silbe verſtehe, von der Mutterſprache dieſer mir unbegreiflichen Frau.

Wir gingen bald. Jch ſchuͤtzte vor, es ſei die hoͤchſte Zeit, unſere Bude zu oͤffnen. Beinah mußt ich unhoͤflich werden, um Madame zum Aufbruch zu bewegen. Sie wollte durchaus noch laͤnger verwei - len und neue Buchſtaben-Raͤthſel ſchmieden.

Auf dem Heimwege bemerkt ich, daß ſie Thraͤnen auf den Wangen hatte. Jch wuͤnſchte, ich hoffte,240 eine Erklaͤrung herbeizufuͤhren, worauf ich beabſich - tigte, die Jnſolenz des Zopfmannes auf’s Schaͤrffte zu tadeln; ich zwang mich, vorauszuſetzen, Kaͤthchen ſei beleidiget durch ſeine Keckheit und weine aus Zorn. Deshalb fragt ich: Wherefore weep you? *) Weßwegen weint ihr? Der Sturm. A. III. Sc. I.

Doch ach, mein Hoffen und Wuͤnſchen ward zu nichte, da ſie erwiederte:

At mine unworthiness, that dare not offer What J desire to give; and much less take, What shall die to want.
*) Um meinen Unwerth, daß ich nicht darf bieten Was ich zu geben wünſche; noch viel minder Wonach ich todt mich ſehnen werde, nehmen. (Der Sturm. A. III. Sc. I. )
*)

Jch verwuͤnſchte in dieſem Augenblicke Herrn Jeantet, ſeine Voͤgel, das Alphabet, meinen Eifer, den ich an den Tag gelegt, Madame zur Betrachtung der kleinen gelben Wunder zu geleiten; vor allen Dingen aber den Fleiß, der mich ſo raſche Fortſchritte in der engliſchen Sprache machen ließ, die Verſe verſtehen zu lernen, welche ſie zitirte.

Alſo das war der Groll, den ſie gegen mich zu hegen ſchien! Deshalb konnte ſie mir niemals241 gerade in’s Geſicht ſehen; deshalb vermied ſie wo ſie wußte und konnte meine Naͤhe? Weil ſie ſich ſelbſt nicht Kraft genug zutraute und zutrauen durfte, vor mir verborgen zu halten, was ich nicht wiſſen ſollte? So lange hat ſie ihr Geheimniß bewahrt und ich Ungluͤcklicher muß es an’s Licht bringen helfen!

Sie liebt mit vollſter Gluth. Jhre aͤußere Ruhe iſt ſcheinbar, erkuͤnſtelt. Jn ihr wogt und wuͤthet eine Welt von widerſprechenden Gefuͤhlen.

Wenn man ſich’s beſonnen uͤberlegt, iſt’s gar nicht ſo unnatuͤrlich. Herr Vlaͤmert, der beſte, bravſte Mann den ich kenne, und welcher ſeine Frau gewiß auf’s Herzlichſte verehrt und achtet, weiß ſogar nicht angenehm vor ihr zu erſcheinen, oder ihr das Leben angenehm zu machen. Er lebt nur ſeiner Kunſt und hat ſich gerade jetzt dermaßen in die Arbeit vertieft, daß er vor lauter Arbeit ſchon ausſieht wie wenn er eine Wachsfigur waͤre und ſich ſelbſt gemacht haͤtte! Die junge Frau an ihrer Kaſſe, zu wohlerzogen, zu ſittſam, zu ſchuͤchtern um Gefallen zu finden am Geſchwaͤtz junger Herrn, die ſie gar nicht einmal ver - ſteht, laͤßt ſich darauf nicht ein; ſcheucht im Gegen - theil jeden, der ſich etwa naͤhern moͤchte, durch ihre Strenge, mehr noch dadurch zuruͤck, daß ſie affektirtDie Bagabunden. II. 16242gar kein deutſches Wort zu kennen. Nun hat ſie auch keinen weiblichen Umgang; ſtirbt, ſammt ihrer Lektuͤre faſt vor Ueberdruß und langer Weile. Jung iſt ſie. Die kalten puritaniſchen Formen in denen ſie aufgewachſen, paſſen nicht zu ihrer geſunden, kraͤftigen, lebensluſtigen Natur. Da hat ſich eine Widerſetzlich - keit des Fleiſches eingeſtellt. Und ich Sohn des Verderbens bin eben à propos gekommen, die Rebel - lion zu naͤhren, ihr zum Vorwand zu dienen. Jch bin der einzige junge Mann mit dem ſie in Verkehr ſteht; mit dem ſie reden kann. Nun iſt das Elend fertig! Jhr, wie geſagt, kann man’s nicht gar ſo uͤbel nehmen. Der Gatte traͤgt einen großen Theil der Schuld ohne ſeine Schuld.

Jch aber, fuͤr meine Perſon, waͤre ein nieder - traͤchtiger Schurke, wenn ich auch nur das Geringſte unternaͤhme, um des rechtſchaffenen Mannes Ver - trauen, ſo er in mich ſetzt, zu taͤuſchen; ja, es waͤre deſto ſchaͤndlicher von mir, weil ich fuͤr Kaͤthchen nichts empfinde; weil ſie mir gleichguͤltig iſt. Das heißt, luͤgen will ich nicht, und am Wenigſten vor mir ſelbſt, ſie gefaͤllt mir ſehr gut; ich muͤßte blind ſein, wenn mir ein junges, bluͤhendes, ſchoͤnes Weib nicht gefiele?! Jn gewiſſer Beziehung iſt ſie mir alſo243 keinesweges gleichguͤltig. Und hegte ich nicht Achtung und Dankbarkeit fuͤr ihren Gemal; und waͤr ich ſonſt berechtiget, ſie fuͤr eine leichtſinnige ſchon verdorbene Kreatur zu nehmen, ſo muͤßt ich ein Thor ſein, wollt ich die Gelegenheit unbenuͤtzt laſſen. Aber wie die Sachen ſtehen und wie ich ſie anſehe, bin ich Willens, lieber meinen Platz aufzugeben, als durch unwuͤrdige Falſchheit ihn zu behaupten. Herr Vlaͤ - mert benimmt ſich gegen mich gleich einem vaͤterlichen Freunde. Wer unter der Larve der Freundſchaft einen vertrauensvollen Ehemann zu betruͤgen ſucht, iſt in meinen Augen ſchlimmer wie Raͤuber und Moͤrder.

Sobald Madame mir noch einmal zu verſtehen giebt, daß ſie geliebt ſein moͤchte, und daß ſie mich liebt, werd ich Deutſch mit ihr reden; das heißt auf Engliſch.

16*244

Dreiundvierzigſtes Kapitel.

Frankreich. Othello und Desdemona. Othello’s Arm und Dolch retten Käthchen.

Gute Vorſaͤtze, wie ein edles Herz ſie faßt, mit klaren Vernunftgruͤnden unterſtuͤtzt, mit Feſtigkeit bewahrt, ſind nicht ſo leicht umzuſtuͤrzen. Sogar dem Sturm der Leidenſchaften vermoͤgen ſie Stand zu halten, wenn er heftig tobt und wenn er, eben durch ſeine Heftigkeit den redlich Geſinnten ermahnt, alle Kraft ſeines Willens dagegen aufzubieten.

Gefaͤhrlicher erſcheint mir die Lage Desjenigen, der einerſeits an keine Gefahr glaubt, weil er neben der Abſicht einer jeden zu trotzen, auch die Faͤhig - keit dazu in ſich vorausſetzt; der aber andrerſeits durch Jugend, heißes Blut, lebhafte Phantaſie beunruhiget, taͤglich und ſtuͤndlich verlockt wird, mit der Gefahr zu ſpielen. Er lernt ſie endlich gering ſchaͤtzen. Wer ſeinen Gegner geringſchaͤtzt, kann ſchon fuͤr halb beſiegt gelten, wenn nur der Feind irgend danach iſt.

Die Aufgabe, welche dieſes Buch ſich geſtellt hat, iſt noch ausgedehnt; wir haben noch vielerlei zu erzaͤhlen, wollen wir gluͤcklich an’s Ende gelangen; muͤſſen folglich mit dem Raume ſparſam umgehen. Deshalb haben wir die umſtaͤndlichen Auszuͤge aus245 Anton’s Tagebuche hier abgebrochen und ergreifen wieder die Faͤden der Erzaͤhlung, die naͤchſten Ergeb - niſſe in berichtender Kuͤrze zuſammen zu faſſen.

Wir begnügen uns die Reiſenden uͤber Frank - reich’s Grenzen in’s Jnnere jenes Landes eiligſt zu geleiten und ſetzen uns mit ihnen fuͤr einige Wochen zur Ruhe, in einer Stadt auf der großen Straße nach Paris, deren Namen Anton’s Journal nicht angiebt. Dort erſt ſcheint der Bildner ſeine nun voll - endete, ſehr gelungene Gruppe aus Othello den uͤbrigen Bildwerken angereiht und dieſelbe dem oͤffentlichen Urtheile uͤberantwortet zu haben. Er vernimmt Lobeserhebungen, die ihn fuͤr Paris das Beſte hoffen laſſen und befindet ſich in jener gluͤck - ſeligen Kuͤnſtlerſtimmung, welche nach vollbrachter Ausfuͤhrung, nach gluͤcklich vollendeter Arbeit und vor Beginn eines neu-auszufuͤhrenden Planes, heitere Zuverſicht uͤber die Tage der Erholung verbreitet. Dieſe Stimmung trug ſich auch uͤber auf ſein Beneh - men gegen Kaͤthchen, fuͤr welche er nun auf einmal die zaͤrtlichſte Aufmerkſamkeit an den Tag legte. Auf Kaͤthchen jedoch uͤbte ſolch ploͤtzlicher Wechſel keinen guͤnſtigen Einfluß. Haͤtte der gute Mann unausgeſetzt uͤber ſeinen Wachsbildern boſſirt, wie246 ſeither, ſo wuͤrde wahrſcheinlich wie ſeither Anton’s gemeſſene, beſonnene Zuruͤckhaltung bewirkt haben, daß auch Kaͤthchen jenem unuͤberlegten Ausbruche ihres Gefuͤhles, der ihr beim Anblick der buchſtabiren - den Voͤgel entſchluͤpfte, keine weitere Folge gegeben haͤtte. Dagegen wurde die ihrer Anmuth neu zu - gewendete, gleichſam erſt aus einem Zwiſchenraume kuͤnſtleriſcher Verhimmelung wiederum auflebende, irdiſch-liebende Zuneigung ihres Gatten ihr geradezu unertraͤglich, nachdem ſie Monate lang den verbotenen Goͤtzendienſt heimlicher Anbetung fuͤr Anton, ſonder Stoͤrung im Stillen ausuͤben duͤrfen. Die entſagende Geduld, womit ſie ihr Eheband, als eine vom Him - mel auferlegte und abgeſchloſſene Verpflichtung getragen, verwandelte ſich jetzt, da ihre Traͤume durch Wirklichkeiten bedroht ſchienen, in Ueberdruß, Ungeduld, Widerſetzlichkeit. Und was ihr Pflicht - gefuͤhl, Gewiſſen, Froͤmmigkeit in ernſten Mahnun - gen dagegen ſagten, ſuchte ſie in den Wind zu ſchlagen mit dem ſich ſelbſt ertheilten Zeugniß ihren Gemal gleich bei Anton’s Aufnahme gewarnt, ihre Bedenklichkeiten wider einen Reiſe - und Lebens - genoſſen von dieſem Schlage ausgeſprochen zu haben. Sagt ich ihm nicht, daß dieſer junge Mann meinem247 guten Rufe und folglich ſeiner Ruhe gefaͤhrlich werden koͤnne? Gab ich ihm nicht deutlich genug zu verſtehen, daß mir ſelbſt nichts Gutes ahne? Wider - ſetzt ich mich nicht, ſo weit meine Kraft reichte, ſeinen Entſchließungen? Und er hoͤrte nicht darauf; er lachte mich und meine kindiſche Schuͤchternheit aus. Auf ihn faͤllt die Schuld zuruͤck; auf ihn allein!

Wenn Anton nicht geweſen waͤre, wofuͤr wir ihn kennen: ein edles Herz, ein dankbar-treues Gemuͤth; und wenn das jugendliche Feuer in ihm nicht durch Adelens unerklaͤrliches Verſchwinden und durch ſeine Sehnſucht ſie wieder zu finden, ſich nach Jener gerichtet, mithin allem Sinnen und Trachten ein ideales Ziel angewieſen haͤtte, welches ſeine Phantaſie in Anſpruch nahm, ... dann war das blonde Kaͤthchen ein verlorenes Weib; dann wurde ein guter, talent - voller, redlicher Menſch zum ſchmaͤhlich betrogenen und verrathenen Ehemann.

Der arme Vlaͤmert! Bei allen ſeinen anatomiſchen Studien, die mit der von ihm zur Vollendung geſteigerten Kunſtfertigkeit Hand in Hand gingen, verſtand er doch ſo wenig vom innern Organismus des menſchlichen Herzens, wie treffend ſein Griffel es ſonſt immer nachzubilden wußte! Er fuͤhlte ſich ſo248 ſicher, in ſeinem Gott zufrieden und vergnuͤgt; blieb ſo blind fuͤr die Qualen die in Kaͤthchens Buſen wuͤhlten, als ob ſie .... je nun, warum ſollt ich dies Gleichniß ungebraucht laſſen? trifft es doch die Wahr - heit: als ob ſie jene ſinnreich konſtruirte Wachsfigur aus Anton’s heimlicher Kammer ſei, die er, der Meiſter angefertiget und deren Blutumlauf ſeine Hand nach Belieben beſchleunigen oder hemmen mochte.

Jn jener Kammer ſollte Kaͤthchen’s Geſchick ſich entſcheiden!

Der ſpaͤte Herbſt huͤllte auch Frankreichs geſeg - neten und ſegnenden Himmel in duͤſtere graue Wolken. Es war im Anfang des November. Anton weilte in ſeinem Verſteck, woſelbſt er heute wenig Beſuch empfangen, wenig Einnahme gezaͤhlt, ſich aber an dieſer ſeltenen Stille gefreut, weil er den Jahrestag der Trennung von Liebenau feierte. Heute vor drei Jahren iſt es geweſen, wo ich den armen Koko aus den Schnaͤbeln der Eichberger Nebelkraͤhen rettete; wo ich Laura zum Erſtenmale ſah!

Und was bedurft es noch weiter, außer dieſer kurzen Erinnerung, um ſeine Gedanken hinreichend lange zu beſchaͤftigen, fuͤr mehr wie einen Tag. Von249 Zeit zu Zeit ergriff er ſeine Geige. Mit ihrer Hilfe rief er viele wechſelnde Bilder wach. Die Wilde - weinlaube ſammt Carino und Ottilie, ſeine Groß - mutter, Laura, Adele, welcher letzteren zu Ehren er die Muſikſtuͤcke ſpielte, die ihre Darſtellungen gewoͤhnlich begleitet hatten. Und wenn er nun von wehmuͤthig-frommen zu verfuͤhreriſch-irdiſchen Erſchei - nungen, und wieder umgekehrt, uͤberging, draͤngte ſich dazwiſchen, wie beiden Richtungen angehoͤrig, die liebliche Geſtalt der milden, ſchweigſamen, jungen Frau in deren naͤchſter Naͤhe zu athmen, ihr ſtilles Leiden taͤglich zu beobachten, jetzt ſeine bedenkliche Aufgabe geworden war.

Der Tag ging zu Ende. Die Kaſſe ſollte geſchloſſen werden.

Anton griff, ohne zu wiſſen, daß er es that, nach den großen Vorlegeſchloͤſſern, mit denen man zur Nacht die Eingaͤnge verwahrte und ſtand eben im Begriff zu thun, was ſeines Amtes, da raſchelte es vor der Thuͤr des Kaͤmmerleins. Fuͤhrt mir der boͤſe Geiſt noch ſo ſpaͤt einen luͤſternen Neugierigen zu? Jch meinte, die Gnadenpforte am Eingange ſei ſchon geſperrt?

250

Er ging zu oͤffnen, .... und Kaͤthchen drang herein.

Jhr Abſcheu vor Allem was dort zu ſehen, war ſo groß, daß ſie gezwungen wurde, jenen Anblick zu erwaͤhlen, der ihr der gefaͤhrlichſte blieb. Sie hob ihr feuchtes blaues Auge zu ihm auf. Schweigend ſtanden ſie ſich gegenuͤber; Anton in verlegenem, bangem Erſtaunen.

Der Abend daͤmmerte ſchon.

Einzelne Regentropfen ſchlugen gegen das kleine Fenſter.

Sonſt vernahm man kein Geraͤuſch.

Anton hoͤrte ſein eigenes Herz pochen.

Er fuͤrchtete einen heftigen Auftritt; jenem aͤhnlich, der ihn in Laura’s Arme gefuͤhrt.

Allerdings bot die Situation einige Aehnlichkeiten. Doch war die blonde Britin kein Kind des Suͤdens und ihr ganzes Thun und Laſſen mag ſich zu jenem der feurig-entſchloſſenen Madame Amelot verhalten haben, wie es den naͤchſten Umgebungen anzupaſſen ſchien: hier unbewegliche, ſtumme Menſchenbilder, dort wilde, bruͤllende Thiere. Womit aber nicht geſagt ſein will, daß Laura’s Empfindungen etwa251 inniger geweſen, als Kaͤthchen’s kindlich-reine Liebe. Jm Gegentheil!

Nur daß die arme, zarte Katharina nicht wußte, was ſie wollte fuͤr ſich, und von ihm? Waͤhrend die lebhafte Laura zwiefachen Willen gehabt fuͤr ſich wie fuͤr ihn!

Wo iſt der Herr?

Mit dieſer Frage bot Anton, nach langem Zoͤgern der Gefahr die Stirn; und[wo]hl gewappnet, wie er waͤhnte.

Kaͤthchen, wie wenn ſie nur auf einen Wink gewartet haͤtte, um aus ſprachloſer Hingebung in beredete Vertheidigung ihres kuͤhnen Schrittes uͤber - zugehen, gab ſogleich eine Antwort, woran ſie, ohne ſich unterbrechen zu laſſen, den weiteren Verfolg ihrer Rede knuͤpfte:

Herr Vlaͤmert hat ſich nach unſerer Wohnung begeben und erwartet mich dort. Jch bin Willens ihm nicht zu folgen. Stoͤren Sie mich nicht. Laſſen Sie mich ſprechen! Laſſen Sie mich ſagen, was ich zu ſagen habe; was Sie vernehmen muͤſſen.

Jch war ein Kind, wenn nicht an Jahren, doch ſonſt, als Herr Vlaͤmert mich von meinen verarmten Eltern zur Frau begehrte und empfing. 252Ohne uͤber mein Geſchick nachzuſinnen folgte ich ihm und ergab mich willig, weil mein Herz frei war und weil ich dieſen Mann achten konnte. Wir reiſeten. Der lange leere Tag mit ſeiner Einfoͤrmigkeit am Kaſſentiſche zwang mich Buͤcher zu leſen, die im elterlichen Hauſe verbotene Waare hießen. An engliſchen Werken, den mir einzig zugaͤnglichen, iſt in Deutſchland der Vorrath nicht groß, die Auswahl beſchraͤnkt.

Jch fragte nach dem Beſten und erhielt jene zahlreichen Baͤnde die Englands groͤßter Dichter geſchrieben. Wer Schakeſpear immer wieder und wieder (und nur ihn) lieſet, ſchlaͤgt die Blaͤtter der Welt auf, ſchoͤpfet aus dem Borne des Lebens. Jch lernte Welt, Leben, Menſchen kennen, in ihren Hoͤhen und in ihren Tiefen. Jch erfuhr, was ich bis dahin nicht wiſſen konnte, wie Laſter und Tugend, kaum durch einen Flor geſchieden, neben einander her wandeln und oftmals verwechſelt werden. Ein junges Weib, gleich mir, muß der Gewalt ſolcher Eindruͤcke unterliegen, oder gegen ſie kaͤmpfen. Jch begann den Kampf. Da brachte mein Gemal Sie in unſer Haus. Jch unterlag.

Mein gutes Gluͤck wollte, daß Herr Vlaͤmert253 durch eine bedeutende Arbeit in Anſpruch genommen auf laͤngere Zeit von mir entfernt gehalten wurde. Dieſe Vernachlaͤſſigung von ſeiner Seite machte mir’s moͤglich, mit meinen Gefuͤhlen, mit meiner Liebe mich in mich ſelbſt zuruͤckzuziehen, und ein inneres Daſein zu fuͤhren, waͤhrend ich, in ſittſamer Selbſt - beherrſchung, jeden Anſpruch auf aͤußerliches Gluͤck unterdruͤckte.

Jetzt iſt er frei. Er benuͤtzt dieſe Freiheit, ſich mir wiederum zuzuwenden; er verlangt ſeine Gattin, der Ungluͤckliche, die nicht mehr ihm gehoͤrt, die ſich ihm nicht mehr geben kann, weil ſie eines Anderen iſt. Die Frage entſteht nur, ob der Andere ſie will? Ob er ſie werth haͤlt, ſein Eigenthum zu beſitzen? Daruͤber haben Sie zu entſcheiden. Jſt Jhre Zuruͤck - haltung Gleichguͤltigkeit geweſen, ſo laſſen Sie mich ruhig ziehen. Weit, weit weg aus Jhrer Naͤhe. Neben Jhnen, ohne mit Jhnen zu ſein, vermag ich nicht laͤnger auszudauern. Weiter hab ich Jhnen[nichts]zu ſagen.

Jch will meinen Helden keinesweges in das Gewand der Engel kleiden. Jch will ihn menſchlich ſchildern, wie ich bisher gethan. Deshalb auch darf ich hier die Wahrheit nicht verhehlen. Er war ſeiner254 Entſchluͤſſe, deren er ſich Herr gewaͤhnt, als er vor einigen Minuten dies Geſpraͤch eroͤffnet, ſchon nicht mehr ſicher. Nein, er wankte. Die zunehmende Dunkelheit des truͤben Abend’s; die Abgeſchiedenheit des Ortes; Kaͤthchen’s Schoͤnheit; und mehr noch, als Alles dies zuſammen genommen, eine Regung des Mitleidens fuͤr das reizende Weib, vermiſcht mit einiger Befuͤrchtung: in ihren Augen wie ein dummer verzagter Junge zu erſcheinen! Eitelkeit, Sinnen - glut, Theilnahme .... braucht es mehr? Er ſchloß die Zitternde in ſeine Arme .... Da vernahmen ſie draußen im Saal, den ſie zugeſperrt meinten, etwas wie einen Fall zu Boden, das Geklirr einer Waffe!

Mein Gemal, rief Kaͤthchen.

Der Herr! ſprach Anton und zog ſich von ihr zuruͤck.

Sie jedoch umſchlang ihn wieder, riß ihn gewalt - ſam an ſich, zwang ihn mit unabweislicher Gewalt, ihr zu folgen aus dem Neben-Gemach in den großen Saal der Wachs-Figuren.

Daß mein Schickſal ſich jetzt entſcheide, in dieſem Augenblicke! ſprach ſie mit einer Feſtigkeit und Ruhe, vor der Anton verſtummte. Doch was in ſeiner Seele vorging laͤßt ſich nicht genugſam aus -255 malen; wie in dieſe unbeſchreiblich kurze Friſt, in die wenigen Schritte uͤber die Schwelle des Gemaches, ein ganzes Leben voll Reue und Beſchaͤmung zuſam - mengedraͤngt ſchien! Wie der kleine, kurze Raum, dem Manne entgegen an dem er freveln wollen, ihm ein langer ſchwerer Weg zum Strafgericht duͤnkte! Ja wohl, freveln wollen. Denn nicht die Gewalt einer heißen Leidenſchaft, die auch wenn ſie in’s Elend fuͤhrt, noch immer veredelnd erhebt, hielt ihn aufrecht. Nur eitler, uͤbermuͤthiger Leichtſinn hatte ihn erregt und dieſer brach zuſammen, vor einer ſo ernſten Begegnung.

Doch wo weilte der Gefuͤrchtete, Verrathene?

Vergebens ließ das ſchuldbewußte Paar ſeine Blicke durch alle Raͤume und Winkel ſtreifen? Ver - gebens rief ſie des Mannes Namen? Alles blieb unbeweglich und ſtill. Die todten Geſichter ſtarrten mit entſetzlichem Schweigen in’s Halbdunkel; kein lebendiges menſchliches Weſen war unter ihnen zu entdecken.

Er iſt nicht hier! Gelobt ſei Gott, er iſt nicht hier! erklang Antons lauter, faſt freudiger Ausruf. Aber welch ein Geraͤuſch? Was kann das geweſen ſein?

256

Sie gingen von einer Gruppe zur andern; hier ſtanden ſie vor Desdemona .... die Frage war beantwortet: Von der Figur des Othello, wie er in hoch erhobener Hand den Dolch ſchwingt, der ſchuld - loſen Gattin Bruſt zu durchbohren, mit der Linken ſie an ihren Haaren zum Lager niederreißend, hatte ſich der rechte halbentbloͤßte Arm abgeloͤſet und war zur Erde gefallen; die waͤchſernen Finger durch die Erſchuͤtterung zerbrochen; der Dolch am Schwerte hingleitend hatte den klirrenden Ton hervorgebracht.

Katharina ſtand verwirrt, erſchreckt bei dieſem Anblick. Anton’s Armen hatte ſie ſich entwunden; ihr Haupt geſenkt, beide Haͤnde gegen ihr Herz gepreßt, mit ſich und ihren Empfindungen im Wider - ſtreit, ſchien ſie zu harren, was er nun beginnen, was er ihr ſagen werde? Er, dem ſie ihr Herz, ihr blutend - zuckendes Herz entgegen getragen! Der Geliebte!?

Und dieſer, im ſanfteſten Ton der Stimme, wie innerlichſte Ruͤhrung ihn nur hervorbringen mag, redete ſie herzlich an:

Katharina, was wollten Sie thun? Einen Mann verlaſſen, der Sie liebt, achtet, auf Haͤnden traͤgt, Jhnen vertraut, Jhre Eltern unterſtuͤtzt, ... ihn ungluͤcklich machen, den Mann von Kenntniſſen,257 Talent, Charakter; um ſich einem unbedeutenden Burſchen hinzuwerfen, welcher nichts zu geben, nichts darzubieten hat, nicht einmal ſein Herz: denn es gehoͤrt einer Andern, die er ſucht, nach der er ſich ſehnt! Ja, liebes Kaͤthchen, haͤtte ihr Schutzgeiſt nicht gleichſam durch ein Wunder Sie gerettet, wie bedauernswerth wuͤrden wir beide, wie verworfen wuͤrde ich ſein! Sie von mir betrogen, vernachlaͤſſiget, aufgegeben, gemieden nach kurzem Rauſch, in ver - zweifeltem Erwachen; ... ich, mit dem Jammer zwiefachen Verrathes in der Seele!

Benuͤtzen wir dieſe Gunſt des Aufſchubes, die hoͤhere Maͤchte uns gegoͤnnt; gehorchen wir dem Wink eines Zufalles, der kein Zufall iſt; den wir zu Gottes Warnungsſtimme erheben ſollen. Sie wollen nicht ferner neben mir durch die Welt ziehen? Sie haben Recht. Jch kann und darf nicht mit Jhnen gehen. Deshalb will ich ſcheiden. An mir iſt es, durch meine Entfernung Alles auszugleichen. Ein paar Zeilen, die ich Jhrem Gatten zuruͤcklaſſe, moͤgen meine raſche Abreiſe vor ihm entſchuldigen und ihn bitten, mir ein nachſichtsvolles Andenken zu goͤnnen, wie ich ihm ewig dankbar bleiben will. Auch bedarf es keiner Luͤgen. Jch bin wirklich voll Ungeduld,Die Vagabunden. II. 17258Paris endlich zu erreichen. Heute Nacht brech ich auf.

Sie zuͤrnen mir; ich ſeh es; aber ich ſeh es mit Freuden, obgleich es mir Schmerz macht. Jch ſeh es mit Freuden, weil ich weiß, daß ſie mich ſegnen werden, wenn ich fern bin. Ja, Sie werden mich ſegnen und Gott ſegne Sie!

Er bot ihr ſeinen Arm, um ſie heim zu fuͤhren.

Als ſie ſchon einige Schritte gethan, zog ſie ihren Arm zuruͤck, wendete ſich noch einmal nach Des - demona’s Lager und als ob die bleiche Wachsfigur ein Heiligenbild, ſie ſelbſt aber eine fromm-katholiſche Jrelaͤnderin ſei, warf ſie ſich vor Othello’s reiner Gattin nieder auf die Kniee und mit heftigem Schluchzen brach ſie in deren himmliſch-ſuͤße Worte aus:

Beshrew me, if I would do such a wrong the whole world*)
Jch will des Todes ſein, thät ich ſolch Unrecht. Auch um die ganze Welt.
Othello, A. IV. Sc. 3.
.

Dann ließ ſie ſich von ihm geleiten.

Sie ſprachen nicht mehr miteinander.

Jn ihrer Wohnung angelangt, entließ ſie ihn vor Vlaͤmert’s Zimmer, reichte ihm die Hand, die er kuͤßte und lispelte ihm zu: Gottes Lohn uͤber Sie!

259

Anton ſchlich nach ſeinem Stuͤbchen, ſchrieb einen Brief voll Luͤge und Wahrheit an ſeinen bisherigen Herren; packte ſeine Habſeligkeiten zuſammen und befand ſich vor Tages Anbruch ſchon auf der Straße nach Paris.

Vierundvierzigſtes Kapitel.

Paris und keine Adele! Franzöſiſches Theater, eine bekannte Unbekannte. Wie Anton ein Müſſiggänger wird. Carino. Madame Barbe.

Unſer Wanderer beſaß, Dank ſei dem geheim - nißvollen Kabinet, dem er vorgeſtanden und der Nei - gung der Menſchen fuͤr’s Verbotene, Verhuͤllte, eine recht huͤbſche kleine Reiſekaſſe. Sein abgelaufener Paß, von Paris ausgeſtellt, zwang ihn ohnedies dahin zuruͤck; folglich fand er keine Schwierigkeiten, ſich einer Diligence zu bedienen und hielt in der laͤrmenden, ſchmutzigen Hauptſtadt einen anſtaͤndigen Einzug. Was er zuletzt erlebt, was ihn veranlaßt, die Flucht zu ergreifen, wogte zwar unterweges noch auf und ab durch ſeine Sinne und bisweilen rief er ſich die Umarmungen des ſchoͤnen Kaͤthchens allzu - lebhaft ins Gedaͤchtniß. Doch je naͤher das vier -17 *260raͤderige Ungethuͤm, in deſſen Bauch er ſich ein - geſchachtet befand, dem Ziele der Fahrt kam; je hef - tiger das unerbittliche, mit jeder Poſt ſchlechter werdende Straßenpflaſter ihn emporruͤttelte aus weichen, weichlichen Phantaſieen, deſto klarer ſtieg wieder Adelens Bild in ihm auf; deſto lebhafter wuchs ſeine Hoffnung, die treue theure Freundin doch wohl aufzufinden! Vielleicht als Belohnung, vom Geſchick ihm zugedacht! Denn im Ganzen meinte er, mit ſich zufrieden ſein zu duͤrfen. Einen Moment abgerechnet, wo er in leichtverzeihlicher Verblendung ſchwach genug geweſen, den Gatten neben der Gattin zu vergeſſen, hatte er doch die Stimme der Pflicht gehoͤrt und ihr nachgegeben, da es noch nicht zu ſpaͤt war, ſich zu ermannen. Er durfte ohne Reue und Scham an den biedern Mann zuruͤckdenken, der ihm vertrauend wohlgewollt. Dies Bewußtſein verlieh ihm freudige Zuverſicht. Daß er Adelen wiederſehe, erbat er ſich vom Geſchick zum Lohne ſeiner Ent - ſagung bei Kaͤthchen.

Der Kondukteur der Diligence, womit er die Fahrt zuruͤckgelegt, empfahl ihm eine Wohnung bei ſtillen, alten Leuten, welche fuͤr einzelne Herren, wenn dieſe geringe Anſpruͤche machen wollten, gern die Haͤlfte261 ihrer aus zwei Kaͤmmerchen beſtehenden Wohnung einraͤumten. Anton’s Anſpruͤche ſtimmten mit ſolchem Anerbieten uͤberein; er ergriff dieſen Zufluchtsort um ſo eifriger, weil ſeine kuͤnftigen Hausleute in ihrer Abgeſchiedenheit vom aͤußeren Leben ihn hoffen ließen, er werde ihnen gegenuͤber nicht noͤthig haben, durch Geſpraͤche zu erweiſen, wie der in Liebenau erwachſene Anton ein in Paris geborener Antoine ſei. Des letzteren Paß wußte er freilich nicht ohne Beſorgniß in den Haͤnden der Behoͤrde und entſendete manchen tiefgeathmeten Stoßſeufzer zum Himmel: beſagter Antoine moͤge in Dienſten Seiner Kaiſerlichen Majeſtaͤt des Selbſtherrſchers aller Ruſſen und Reuſſen bereits herrliche Progreſſen gemacht, jeden Gedanken an Heimkehr aufgegeben haben, vorzuͤglich aber in Paris keine Verwandte beſitzen, die da etwa kaͤmen, ſich nach dem verlorenen Sohne zu erkundigen!

Was unſer Freund Anton ſeine Nachforſchungen zu nennen beliebte, begann am erſten Tage, wie er ſich nur kaum haͤuslich eingerichtet, das heißt ſeine Buͤcher und Papiere ausgelegt und einen Schreibtiſch aufgeſchlagen. Er begab ſich nach Franconi’s Theater, wo er ſaͤmmtliche Mitglieder, von den erſten262 (die Unternehmer eingerechnet) bis zum letzten Statiſten des eben in Gunſt ſtehenden Schlachten - Melodrama’s herab mit Fragen uͤber Adele Jartour beſtuͤrmte. Als er, nach unzaͤhligen Verſicherungen, daß man nichts von ihr vernommen, immer wieder auf’s Neue zu fragen anfing, hielten ſie ihn fuͤr ver - ruͤckt und ließen ihn ſtehen.

Weiteren Rath wußte der Gute nicht.

Einige der Wohlmeinenderen hatten ihm zwar vorgeſchlagen, ſich bei der Polizei nach ihr zu erkun - digen. Doch dieſen Rath ließ er unbenuͤtzt. Eines Theils weil ihm vor Entdeckungen, ſeine eigene Per - ſon betreffend, bangte; dann aber und hauptſaͤchlich, weil er ſich ſagte: wenn ſie nicht bei Franconi’s war, wenn dieſe nichts von ihr wiſſen, befindet ſie ſich auch nicht hier. Denn was ſollte ſie aufgeſucht haben in Paris, wo nicht ihr Metier? Es wird ſchon ſein, wie Herr Aubri meinte: ſie iſt nach England hinuͤber! Sie iſt mir wirklich verloren! Ach, und ich fuͤrchte, nun bin ich es mir auch.

Eine Muthloſigkeit kam uͤber ihn, wie ſie nur in einer ſolchen Weltſtadt uͤber den einſamen, voͤllig verlaſſenen Juͤngling kommen kann, der gleich bei263 ſeinem Eintritt erfuhr, was ihn mit zauberiſchem Hoffnungsſchimmer dahergelockt, ſei ein Jrrlicht geweſen; ſei als ſolches verloſchen .... verſchwunden.

Hatte er nicht kindiſch gewaͤhnt, Adele muͤſſe ihm begegnen, ſobald er nur einmal durch die Haupt - ſtraßen der Stadt gehe, und muͤſſe ihm entgegenrufen: Sieh da, mein Freund, Gott gruͤße Dich; nun iſt Alles gut, weil Du nur hier biſt!

Ach, es rief ihn niemand freudig an; er begegnete nur fremden Geſichtern; er verzehrte ſich in deutſchem Heimweh!

Doch je tiefer Heimweh, Sehnſucht, Wehmuth ihm die Bruſt durchdrangen, deſto trotziger ſuchte er ſich anzuſtellen. Mit verbiſſener Wuth ging er ſpott - laͤchelnd einher, als woll er es dieſer ſuͤndhaften Stadt entgelten laſſen, daß ſie einen Engel wie Adele nicht in ihren Mauren einſchließe. Nur leider war er es allein, der dabei zu kurz kam; denn die Stadt machte ſich nicht viel aus ſeinem Groll; ſie bemerkte ihn gar nicht. Sie fuhr fort, Paris zu ſein.

Das von ihm gefuͤhrte Tagebuch aus jener Zeit iſt reich an Ergießungen ſeines Unwillens, die durch ihre Naivetaͤt komiſch werden. Er meinte die Stadt zu ſtrafen, daß er von ihren Merkwuͤrdigkeiten keine264 Notiz nahm und ſich einſiedleriſch in ſeine Zelle ver - barg. Einmal doch fiel ihm bei, das Schauſpiel zu beſuchen. Jhr großes beruͤhmtes National-Theater will ich ſehen; will doch ſehen, ob ſie einen Ludwig Devrient beſitzen!

Einige demſelben mindeſtens nicht unaͤhnliche, oder doch der Vergleichung mit ihm wuͤrdige Darſteller haͤtte Anton vielleicht auf kleineren Buͤhnen gefunden. Er aber, ohne Kenntniß der Sache, allen Verhaͤlt - niſſen fremd, dachte gleich vom reinſten, beſten Weine koſten zu muͤſſen, der ſeiner Anſicht nach einzig und allein in der Straße Richelieu geſchenkt werden konnte, wo ein théatre français, die erſte Buͤhne des Landes und daneben die erſte aller Laͤnder floriren ſollte. Er traf es ungluͤcklich. Talma ſpielte nicht. Die uͤbrigen in ihrem tragiſchen Pathos, wie er es nie vernommen, ſchienen ihm unnatuͤrlich, unwahr, laͤcherlich, fratzenhaft. Dieſer uͤble Eindruck that ihm gut. Es lag fuͤr ihn ein neuer Grund darin Paris geringzuſchaͤtzen. Vielleicht, wenn er das heitre Nachſpiel abgewartet und in dieſem die Mars geſehen und gehoͤrt!! haͤtte, wuͤrd ihm anders zu Muthe geworden ſein. Dieſe Wonne war ihm nicht beſchieden; wodurch ſie ihm geraubt wurde,265 eignet ſich zum Gegenſtand einer ausfuͤhrlichen Schilderung.

Die ganze Tragoͤdie hindurch hatte Anton, mochte er nun wollen oder nicht, an Liebenau und deſſen Bewohner, Umgebungen, an Alles denken muͤſſen, was er dort erlebt und empfunden; ſo lebhaft, daß er kaum Aufmerkſamkeit genug ſammeln konnte, dem Laufe des dramatiſchen Gedichtes zu folgen. Dies erſchien ihm ſelbſt auffallend. Er forſchte nach aͤußerlichen Urſachen, weil er eine innere nicht zu entdecken vermochte. Zuerſt meinte er, vor - nehm laͤchelnd, es ſeien die tragiſchen Schauſpieler mit ihrem Gekraͤchz, die ihn, um ſo mehr, weil ſie ein Drama von Corneille darſtellten, an die Kraͤhen des Eichberges mahnten, von deſſen Gipfel er zuletzt die Kirchthurmſpitze des heimath - lichen Dorfes geſehen. Er wendete ſich alſo zeitweiſe von der Buͤhne ab und ſuchte ſich in Betrachtung des verſammelten aufmerkſamen Publikums eigene Aufmerkſamkeit und Sammlung zu verſchaffen. Doch das half ihm nichts; verſchlimmerte im Gegentheil die Sache. Je oͤfter ſeine Augen uͤber die mit ſchoͤn - geputzten Damen angefuͤllten Balkon’s glitten, deſto deutlicher ſtieg das Liebenauer Herrenhaus ſammt266 Wilderweinlaube vor ihm auf. Durch angeſtrengte Pruͤfung deſſen was bei dieſer Viſion in ihm vorging, gerieth er endlich auf die wunderliche Muthmaßung, ſie ſei entſchieden an einen beſtimmten Platz des großen Schauſpielſaales geknuͤpft. Gerade wenn ſein Blick an dieſem hing, regten die heimathlichen Erinnerungen ſich am unverkennbarſten. Es dauerte lange, bis ihm der Einfall kam, die Perſonen zu muſtern, welche ſich an jenem Platze befanden. Er ſah einen Herren mit Brillenglaͤſern, der ihm voͤllig fremd ſchien; an deſſen Seite ein Frauenzimmer, von dem, wie man ſich bisweilen ausdruͤckt, er durchaus nicht wußte, wohin er es bringen ſolle! Daß ihm dieſe Dame bekannt vorkomme, war keine Frage. Doch wo konnte er ſie kennen gelernt haben? Hier in Paris gewiß nicht. Und ſonſt? Die Zahl ſeiner weiblichen Bekanntſchaften war unendlich gering, Name fuͤr Name im Augenblick genannt.

Nein, es iſt ein Jrrthum. Jch kenne ſie nicht! Und dennoch iſt ſie es, ſie ganz allein, deren Anblick, noch ehe und bevor ich mir ſeiner klar bewußt wurde, dieſen ahnungsſchweren Eindruck auf mich hervor - gebracht! Und jetzt fixirt ſie mich! Sie richtet ihren Operngucker, ſie reibt die Glaͤſer mit dem267 Tuche, mich deutlicher zu erkennen, ſie verſucht mir anzudeuten, daß ſie mich begruͤßen moͤchte, wenn die Naͤhe ihres Begleiters ſie nicht verhindere? ... Bin ich denn ein Narr? Traͤum ich das? Jſt es Ottilie? Jſt es Laura? Jſt es Adele? Jſt es Kaͤthchen? Nein, keine von allen! Ja, mein Gott, wer iſt das Weib?

Das raͤthſelhafte Paar erhob ſich nach Beendigung der Tragoͤdie. Anton konnte den Wink der ihn eben - falls gehen hieß, wie vorſichtig man ihn auch zu geben genoͤthiget war, doch nicht verkennen. Auch befolgte er ihn gehorſam, in neugieriger Ungeduld brennend. Unbekannt aber mit den verſchiedenen Ausgaͤngen und Thuͤren des Hauſes, zoͤgerte er hin und her laufend ſo lange, daß die beabſichtigte naͤhere Begegnung verſaͤumt wurde. Er mußte, ohne eine Entdeckung gemacht zu haben, das Lager ſuchen, auf welchem der Schlaf ihn nicht ſuchte. Dennoch ſtand er mit dem naͤchſten Morgen ruͤſtiger, lebensluſtiger auf, als ſeither. Der Wunſch, zu erfahren, wer und was die bekannte Unbekannte ſei, welchen Theil ſie an ihm nehme, woher ſie von ihm wiſſe, und die moͤgliche Wahrſcheinlichkeit dieſes Wunſches Erfuͤl - lung zu erreichen, zeigten ihm Paris, weil er nur268 irgend einen Endzweck ſeines Aufenthaltes gefunden zu haben dachte, auf einmal in guͤnſtigerem Lichte; machten ihm ſeine Exiſtenz ertraͤglicher. Jede Stunde guͤnſtigen Wetters benuͤtzend, trieb er ſich auf Pro - menaden, in Gaſſen und Theatern umher; wurde zum Flaneur im weiteſten Sinne des Wortes, ohne des Wortes Bedeutung und Anwendung zu kennen. Die Boulevards von einem Ende ihrer Ausdehnung bis zum anderen ſchienen ihm beſonders geeignet, fuͤr die Erreichung ſeiner Abſicht. Der ſtaͤte Wechſel den ihr bewegtes Treiben, ihr unermuͤdlicher Verkehr darbietet unterhielt ihn zugleich und half ihm viele Stunden langweilig-vergebenen Trachtens und Harrens abkuͤrzen. Deshalb verging ein Tag um den andern, ohne daß ihm die Hoffnung ausging. Was neben ihm her laͤrmte, tobte, ſcherzte, fluchte, gaukelte, zog ihn, ohne daß er es ſelbſt bemerkte, von der eigentlichen Urſach ſeines Umhertreibens ab. Waͤhrend er einem Ziele zuzueilen waͤhnte, ruͤckte dieſes ihm taͤglich ferner; im Verlaufe einiger Wochen war es faſt vergeſſen; Anton jedoch ſchon ſo ſehr daran gewoͤhnt, Straßenpflaſter zu treten, daß ſein kleines Stuͤbchen ihn nur bei Nacht empfing, und daß von Beſchaͤftigung bei Buͤchern, mit der Feder,269 oder auf der Violine gar nicht mehr die Rede war. Die natuͤrliche, unausbleibliche Folge des Muͤſſig - ganges ſtellte ſich auch bei ihm ein, der bisher ein mehr innerliches Daſein gefuͤhrt und in ſeinem Beſtreben nach geiſtiger Entwickelung Schutz gefun - den vor unzaͤhligen Verirrungen, denen ein junger Mann ſonſt nirgend entgeht. Die Neigung dafuͤr fand ſich bereits. Noch fehlte nur ſchlechte Geſell - ſchaft, verfuͤhreriſcher Umgang und Anton ſtand am Rande des Sumpfes, worin gar manche edle Natur untergegangen. Fuͤr’s Erſte hielt ihn noch die Duͤrftigkeit ſeiner Lage zuruͤck; die Sparſamkeit, wozu der kleine Geldvorrath, den er uͤberraſchend ſchnell ſich erſchoͤpfen ſah, ihn verpflichtete; der gaͤnz - liche Mangel an Ausſichten fuͤr irgend einen kuͤnftigen Erwerb. Jeden Abend ſagte er ſich’s, mit eindring - licher Mahnung, daß nothwendig etwas verſucht, ergriffen werden muͤſſe. Jeden Vormittag ſcheuchte ihn die Befuͤrchtung zuruͤck, daß an den erſten Schritt, welchen er fuͤr den Zweck der Selbſterhal - tung wagen wolle, gar zu leicht Nachfragen ſich draͤngen koͤnnten, die zur Enthuͤllung ſeiner bedenk - lichen Paß-Geſchichte fuͤhrten. Dann troͤſtete er ſich mit dem leidigen: Mor en, morgen, nur nicht heute! 270Das war denn immer die Loſung zu abermaligem Nichtsthun und Verſchleudern eines koſtbaren Tages.

Bei ſeinen Spaziergaͤngen war ihm unter Anderen ein alter Geiger aufgefallen, der taͤglich an der naͤm - lichen Stelle ſitzend, auf einer beſſeren Geige als derlei Bettelmuſikanten zu beſitzen pflegen, von Fruͤh bis in die Nacht ununterbrochen ein und daſſelbe Stuͤckchen aufſpielte. Neben ihm ſtand ein Hut, fuͤr milde Gaben bereit, doch ſelten lagen mehrere kleine Muͤnzen darin. Und doch war der Greis ehrwuͤrdig anzuſchauen. Anton verfehlte niemals ihn zu beſchenken, wenn er an ihm voruͤberging; ſah aber jedesmal mit Bedauern, daß es faſt der Einzige ſei, der ſich um den weißlockigen Ungluͤcklichen bekuͤm - merte. Deſto mehr erſtaunte er, als er eines ſchoͤnen Tages, bei hellem Wetter, einen großen dicht gedraͤngten Kreis von Menſchen aller Staͤnde um ſeinen Schuͤtzling verſammelt fand und ſchon von Weitem laute Zeichen beifaͤlligen Antheils vernahm, die doch unmoͤglich dem unreinen Spiele des Bettlers gelten konnten. Er draͤngte ſich auch hinzu und ver - nahm von dem Umſtehenden, vor einigen Minuten ſei ein eleganter Herr mit einer ſchoͤngekleideten Dame des Weges gekommen, habe erſt mit dem Greiſe271 geredet, ſodann deſſen Violine ergriffen und ſpiele nun auf dieſer wunderſchoͤne Sachen; ſo, daß ſich bald ein zahlreiches Publikum geſammelt. Die ſchoͤne Dame gehe mit dem Hute des Alten herum und erbitte Gaben fuͤr ihn.

Voll Theilnahme fuͤr dieſe geniale Jdee eines Kuͤnſtlers ſuchte Anton, ſich Letzterem zu naͤhern, machte ſich muͤhſam Raum, und als er den Spielen - den ins Auge faſſen konnte ſchrie er laut auf, denn Carino ſtand vor ihm. Dieſer, den Ausruf und ſeinen Namen hoͤrend, blickte, ohne das Spiel zu unterbrechen, den jungen Fremden ſtaunend an, in welchem er augenblicklich den Liebenauer Korbmacher - Jungen unmoͤglich errathen konnte! Vielmehr ver - rieth ſein Geſicht deutlich, daß er nachſinne, und er ſchuͤttelte ſodann den Kopf, um anzu - zeigen, er wiſſe wirklich nicht, wer ihn angerufen! Anton wollte nur den Schluß des Muſikſtuͤckes abwarten, um dann weiter vorzudringen und ſich zu erkennen geben. Doch ehe dies noch erfolgte, war die einſammelnde Dame mit dem Hute des Bettlers in ſeine Naͤhe getreten. Sie vermochte kaum den von Kupfer und Silbermuͤnzen beſchwerten Hut zu halten. Anton ließ auch ſeine beſcheidene Gabe hinein -272 fallen, wobei er die Dame anblickte, und bemerkte, daß ſie ihn ſchon vorher auf eine faſt zudringliche Weiſe anſtarre, als ob ſie ihn mit ihren Augen ver - ſchlingen wolle. So, daß er beſchaͤmt die ſeinigen ſenkte und ſich einen Schritt von ihr zuruͤckzog. Wes - halb er die wenigen leiſe-fragenden Worte, die ſie an ihn zu richten ſuchte, nicht deutlich vernahm. Schon ſtand ſie im Begriffe das eben Geſagte noch einmal zu wiederholen, als uͤber Anton’s Schulter hinweg eine Hand nach dem Hute langte und einige Gold - ſtuͤcke hineinfallen ließ. Zugleich fuͤhlte er ſich von einer anderen Hand am Rockſchoß gezupft; wendete ſich, einen ungeſchickten Taſchendieb argwoͤhnend, raſch um, und erkannte .... die Dame die er im Theater geſehen und ſeitdem vergeblich aufgeſucht! Jhr Begleiter, der die Goldſtuͤcke geſpendet, fuͤhrte ſie jetzt, zog ſie vielmehr an ſeinem Arme aus dem Gedraͤnge fort!

Keine Frage, daß ſie es geweſen!

Und ſie hatte ihm ihre Naͤhe heimlich kund geben wollen!?

Er gedachte nicht mehr der Frau, die ſo gern ſich ihm verſtaͤndlich gemacht haͤtte; er vergaß den faſt bittenden Blick, womit ſie ihn betrachtet hatte; er273 vergaß Carino und daß er dieſen hatte anſprechen, ſich ihm entdecken, ſeinen Rath und Beiſtand erbitten wollen! Er vergaß Alles und folgte der Fremden, die ſich, an ihres Begleiters Seite unaufhoͤrlich nach ihm umdrehte, um ſich zu uͤberzeugen, ob er auch ihre Faͤhrte nicht verliere.

Jn das Thor eines großen Hôtels bogen die beiden ein.

Er blieb an der andern Seite der Gaſſe ſtehen, wie wenn er nach einer Hausnummer ſuchte, ver - ſaͤumte dabei nicht, nach ihr zu ſchielen; und empfing ein mimiſches Zeichen, welches er ſich ſo auslegte, daß er an Ort und Stelle harren moͤge.

So war es denn auch gemeint, denn nach Ver - lauf weniger Minuten flog ein Fuͤnffrankenſtuͤck in Papier gewickelt, zu ſeinen Fuͤßen.

Ein Savoyard, der ſein Murmelthier (welches wohl auch lieber den tanzloſen Winterſchlaf abgehal - ten haͤtte) dicht nebenbei tanzen ließ, waͤhnte die reiche Gabe gelte ihm und ſtuͤrzte ſo raſch darauf hin, daß ſein Kopf mit Anton’s Kopf heftig gegen einander ſchlug und beider Haͤnde ſich beruͤhrten.

Wir theilen, rief Anton: der Jnhalt fuͤr Dich und der Umſchlag fuͤr mich!

Die Vagabunden. II. 18274

Das will ich gern, ſagte der Knabe, und ſteckte den blanken Thaler ein.

Der Umſchlag enthielt nichts als die Bezeichnung einer Haus - und einer Thuͤren-Nummer in der Straße d’Enfer, mit der Angabe: Heute Abend, zwiſchen elf und zwoͤlf Uhr. Parole fuͤr die Portiere: le vannier. Vorausgeſetzt, daß A. ſich nicht mehr vor Geſpenſtern fuͤrchtet!

Vor Geſpenſtern fuͤrchtet? wiederholte Anton, nachdem er die kleinen, mit Bleiſtift ſchnell geſchrie - benen Zeilen, mehr errathen, als geleſen. Vor Geſpenſtern? Hab ich mich denn je? ... Freilich, einmal! Nur einmal! Aber wer kann darum wiſſen? Wer kann im Fuchswinkel meine Thorheit belauſcht und das Gedaͤchtniß daran laͤnger als drei Jahre hindurch bewahrt haben? Das iſt ja mehr wie wun - derbar! Jch waͤhnte damals den ſchwarzen Wolf - gang zu erblicken, jagte aber mein Phantom in die Flucht .... Herr des Himmels, der ſchwarze Wolf!? Da iſt die braune Baͤrbel nicht weit. Ja, wahrhaftig, wo waren meine fuͤnf Sinne! Sie iſt es! So gewiß ich lebe, ſie iſt es! Blind muß ich geweſen ſein, ſie nicht zu erkennen. Weiße Schminke mag ſie aufgelegt haben, ihre Haut zu bleichen; ſonſt275 trifft Alles zu! Alles! Sagte ſie mir nicht, vor mei - nem Kammerfenſterlein haͤngend wie eine Nachteule, daß ſie eine vornehme Dame werden wolle? Sie iſt es geworden. Sie iſt nicht mehr die braune Baͤrbel, welche zu meiden ich dem ſchwarzen Wolfgang ver - ſprechen mußte. Sie iſt jetzt eine andere; ſie iſt eine Dame; mein Verſprechen bindet nicht mehr.

Oh, ich komme! Zwiſchen elf und zwoͤlf Uhr! Jch komme auf jeden Fall!

Fünfundvierzigſtes Kapitel.

Die braune Bärbel. Nachrichten aus Liebenau. Der ſchwarze Wolfgang wird vergeſſen, ſammt allen Verſprechungen.

Jn einen koſtbaren Pelzmantel gehuͤllt, einen Sammethut mit Reiherfedern auf dem dunklen Haar, empfing Madame Barbe eine halbe Stunde vor Mitternacht ihren Liebenauer Freund, vollkommen wie eine Dame von Welt einen Bekannten aus der Heimath empfaͤngt.

Sie haben mich nicht erkannt, ſo begann ſie in nicht korrektem doch leicht fließenden Franzoͤſiſch, und das iſt mir begreiflich; denn erſtens hab ich mich veraͤndert, und wie ich fuͤrchte nicht zu meinem Vor -18*276theil, weil die Bildung viel Muͤhe macht und mir die Nerven angreift; zweitens kennt man nur wieder, was man einmal erkannt hat, und ich bin Jhnen von jeher ziemlich gleichguͤltig geweſen!

Dagegen erkannte ich Sie augenblicklich. Und das iſt auch leicht zu begreifen. Sie haben ſich wenig veraͤndert, oder gar nicht, außer daß Sie ein Mann geworden ſind. Und, was man liebt, vergißt man nicht.

Jch verzehre mich in Neugier, zu erfahren, was ſich mit Jhnen begab, ſeitdem wir uns trennten; nicht minder, was Sie hier treiben. Damit ich Jhnen nun eine Verbindlichkeit auferlege, mir Jhre Geſchichte zu erzaͤhlen, hoͤren Sie zuerſt die meinige. Ein Ver - trauen iſt dann des anderen werth. Jch will aufrich - tig ſein und erwarte von Jhnen daſſelbe.

Gleich nachdem ich Theodors Maitreſſe geworden, in meinen vier Pfaͤhlen ſaß, begriff ich, daß mir Noth thue zu gewinnen, was man aͤußeren Anſtrich nennt. Fuͤr die Haut war bald geſorgt; dieſe ſtreicht man wirklich an, wie Sie heute Vormittag an der meini - gen bemerkt haben werden! doch auch den ſogenann - ten Anſtrich von Erziehung mußte ich erringen, wollt ich mich auf meinem Platze behaupten. Eure deutſche277 Sprache iſt mir zu ſchwierig, noch aus meiner Geno - veva-Zeit hatte ich davon genug. Theodor mußte mir einen franzoͤſiſchen Lehrer halten. Dieſer unterrichtete mich fleißig und ich lernte noch fleißiger. Aber war das ein Jahr! Eingeſchloſſen in einer halbverſteckten Wohnung vor dem Thore, ohne froͤhlichen Umgang, ohne Freiheit, den ganzen langweiligen Tag wie ein Kind in der Schule! Es war fuͤrchterlich. Aber ich wollte und der Wille vermag Alles. Haͤtt ich fuͤr jene todten Tage lebendige Naͤchte gehabt, dann waͤre mir’s leichter geweſen. Doch die Nacht fuͤhrte mir ihn zu, den ich nicht liebe, wie Sie wiſſen; den ich zu lieben vorgab weil weil er reich iſt. Noch heute bin ich nicht im Stande zu beſtimmen, was mir unertraͤglicher ſchien: ob die Verſtellung gegen Theodor? Ob die Pein des Lernens und der Zwang, den Euer Anſtand mir auferlegte?

Unſer Verhaͤltniß wurde ſo geheim gehalten; Theodor fuͤhrte Alles mit der ihm angeborenen Heu - chelei ſo ſchlau und pfiffig durch, daß der Alte keine Ahnung davon bekam. Mit zwanzig Jahren wurde mein junger Herr, wegen ſeines muſterhaften Wohl - verhaltens fuͤr großjaͤhrig erklaͤrt und Liebenau ihm foͤrmlich uͤbergeben.

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Weil ich jetzt einmal Liebenau erwaͤhnt, will ich meinen Bericht uͤber mich unterbrechen und Jhnen geſchwind ſagen, wie es jetzt dort ſteht. Jch empfinde in meiner Bruſt, wie heftig Jhre Sehnſucht ſein muß, zu erfahren, was aus den Genoſſen Jhrer Kindheit wurde. Alſo in zwei Worten: des Paſtors aͤlteſter Sohn, Julius, der ſeit kurzer Zeit von der Univerſi - taͤt heimgekehrt iſt, wird ſeinem alten, ganz hinfaͤlli - gen Vater zur Seite geſetzt, und auf Wunſch der Gemeinde, welche mit ſeiner Probepredigt zufrieden war, dereinſt Paſtor werden. Er ſteht im Begriff, die aͤlteſte Tochter des vormaligen Beſitzers, Karo - line, zu heirathen. Der zweite Sohn, Robert, iſt im Examen durchgefallen. Theodor hat ihm verſprochen, ihm die Stelle eines zweiten Verwalters zu geben, weil der alte Vater ſich dafuͤr verbuͤrgt, daß der dumme Junge immer mehr Neigung zu Pferden und Ochſen, als zu den Buͤchern gezeigt habe. Er iſt verlobt mit Emilie. Jch habe meinen ganzen Ein - fluß aufgeboten, dieſe hoͤchſt beſcheidenen Wuͤnſche zur Erfuͤllung zu bringen. Warum? Ja nun, weil ich meinte, es wuͤrde einem gewiſſen bei Nacht und Nebel davon gelaufenen Korbmacher-Jungen vielleicht Freude machen, in weiter Ferne von der279 Heimath, Gott weiß wo! davon zu vernehmen. Fuͤr meine Nebenbuhlerin, fuͤr Ottilie, oder wie ihr ſie immer nanntet Tieletunke blieb nichts zu thun, denn ſie begehrte nichts. Das einzige Ziel ihres Lebens, wie es ſcheint, hat ſie erreicht; ſie bewohnt das kleine Haͤuschen in welchem Toni Koͤrbe flocht; verkehrt mit niemand; auch nicht mit ihren Schweſtern, die ſich bald nach des Baron’s Tode bei’m Schul - meiſter eingemiethet haben; beſucht allwoͤchentlich den Kirchhof, wo ſie das Grabkreuz der alten Großmut - ter Hahn mit Kraͤnzen ſchmuͤckt; geht nur ſchwarz gekleidet; lebt ſo zu ſagen von nichts; und trocknet geduldig zur alten Jungfer zuſammen.

Nun wieder zu mir. Kurze Zeit nachdem Herr Theodor van der Helfft ſelbſtſtaͤndig gemacht war, ſtarb ſein Vater. Wir zogen nach Liebenau. Der edle Juͤngling zeigte anfaͤnglich nicht uͤbel Luſt, ohne mich den Gutsherrn zu ſpielen und verſuchte in ohn - maͤchtigem Hochmuth, mir deutlich zu machen, daß unſer Zuſammenwohnen ſeinem Rufe als Tugend - muſter ſchaden muͤſſe. Doch blieb es bei’m Verſuche. Jch bin nicht darauf eingerichtet, zu gehorchen, mich zu fuͤgen, ich ſetzte natuͤrlich meinen Willen durch und bald war er voͤllig unterjocht. Was ihn wuͤn -280 ſchen ließ, unſere Verbindung moͤge wenigſtens den Anſchein des Geheimniſſes erhalten, ließ mich eben verlangen, ſie ſollte oͤffentlich werden. Mein Sieg wurde ſo vollſtaͤndig, daß er mir in ſeiner Angſt den Antrag machte, mich zu heirathen. Doch dieſen Vor - ſchlag wies ich auch entſchieden zuruͤck. Was waͤre mir das? Geſetzlich an ihn gebunden? Er, nach Recht und Herkommen mein Gatte, das heißt: mein Herr? Nein! Jch will frei bleiben und er muß gebunden ſein. Gebunden, durch ſeine unbeſiegbare Leiden - ſchaft! Jch, frei, weil ich nichts fuͤr ihn empfinde; weil ſeine Gluth ihn zum Spielball meiner kalten Beſon - nenheit macht. So ſteh’n die Sachen.

Weiblichen Beſuch haben wir natuͤrlich auf unſerm Schloſſe in Liebenau nicht empfangen. Junge Herren in Maſſe. Dieſe brauchte ich, um meinen Anbeter fortdauernd in Athem zu erhalten. Eigentlich eiferſuͤchtig zu werden erlaubt ihm ſeine ſeligmachende Eitelkeit nicht; doch giebt er ſich Muͤhe, ſtets zu gefallen, damit kein Anderer auch nur einen freundlichen Blick von mir gewinne. Und ſo will ich’s haben!

Außerdem hab ich ihn laſſen zum Spieler wer - den. Etwas muß er doch ſein. Die Leerheit ſeiner281 Geſellſchaft fand kein anderes Mittel, ihre Zeit zu toͤdten. Da ſind nun einige dieſer Kumpane nach Paris gereiſet. Jch, vom erſten Augenblicke meines oͤffentlichen Auftretens als maitresse en tître fuͤr eine Franzoͤſin aus den Kolonieen geltend, gab den Anlaß dazu. Jch wuͤnſchte mir eine große Stadt; in Deutſchland giebt es ſtreng genommen keine ſolche. Er eilte hierher um zu ſpielen, en gros! Jch, um ich wußte ſelbſt nicht recht warum? Wußte es noch nicht, als ich hier meinen Einzug hielt!

Jetzt weiß ich’s! Und nun iſt mein Bericht zu Ende.

Anton hatte ſchon bei Erwaͤhnung deſſen, was ſie fuͤr ſeine Geſpielen in Liebenau Guͤnſtiges erwirkt, dankbar ihre Hand ergreifen wollen, die ſie aber raſch zuruͤckzog. Jetzt ſprach er ſeine Erkenntlichkeit in Worten aus und fuͤgte hinzu: wenn ich nur wuͤßte, wie ich Jhnen genugſam danken koͤnnte, fuͤr dieſen Beweis von Herzensguͤte und von freundlicher Erin - nerung an mich.

Das iſt ſehr leicht, erwiederte Madame Barbe; Sie duͤrfen mir nur, ohne Ruͤckhalt, ohne Verſchwei - gung irgend eines Detail’s, in nackter, unverhuͤllter282 Aufrichtigkeit erzaͤhlen, was Sie erlebt haben, ſeit - dem Sie mich von Jhrem keuſchen Nachtlager auf ſo unliebenswuͤrdige Art verſcheuchten. Es muß viel mit Jhnen vorgegangen ſein. Das ſpricht aus Jhren Augen, aus Jhrer Haltung, Jhrem ganzen Benehmen.

Wir haben uns binnen drei Jahren Beide ein wenig formirt, bei Jhnen wird das wahrſchein - lich tiefer gedrungen ſein als bei mir, wo nur die Huͤlle veraͤndert ward. Jnwendig bin ich noch ... davon nachher. Jetzt will ich hoͤren.

Anton ließ ſich nicht bitten. Er erzaͤhlte mit leb - hafter Beredſamkeit. Unter den verſchiedenartigen Anregungen, die ihn feurig durchſtroͤmten und in denen Gefuͤhle zarteſter, reinſter Gattung mit ſehr irdiſchen Bildern ſich vermiſchten, war der Wunſch, ſeiner Zuhoͤrerin beifaͤllige Theilnahme abzugewinnen, wahrlich die geringſte nicht. Er begann vom Auf - bruch aus Liebenau, fuͤhrte die wichtigſten Ereig - niſſe ſeiner drei Wanderjahre an ihr voruͤber, glitt nun uͤber ſeine ſentimale Sehnſucht nach Adelen ſchamhaft und verſchaͤmt hinweg, verweilte dagegen deſto kecker bei Kaͤthchen, und malte das283 Leben mit Laura ſo bunt und hervortretend wie moͤglich aus.

Die Hoͤrerin folgte ihm mit fieberhafter Leben - digkeit; ſie hing an ſeinen Lippen, lauſchte auf jedes Wort und wie ſie vernahm, daß er jetzt verlaſſen, huͤlflos, einſam in der großen Stadt ſtehe, ſprang ſie jauchzend von ihrem Seſſel empor und rief aus vol - ler Bruſt: welch ein Gluͤck!

Wie meinen Sie das? wollte Anton, welcher ganz entgegengeſetzter Anſicht ſein zu duͤrfen ver - meinte, ſie mit Staunen fragen .... Doch ſchon hatte ſie den prachtvollen Sammthut vom Haupte geſchleudert; der weite Pelzmantel glitt von ihren Schultern; und vor ihm ſtand, im weißen, kurzen Kleidchen die braune Baͤrbel!

Sieh’ſt Du, Toni, ſprach ſie, ich bin die ich war. Dieſen Abend liegt keine Schminke auf meinen Wan - gen, auf meiner Stirn; es iſt die wilde Zigeunerin, der Du zitternd in die Arme liefeſt, da ſie Dich zuruͤck - ſtoßen mußte, weil ſie vom ſterbenden Wolfgang kam, als Todesbotin. Er iſt vermodert. Wir leben noch. Eines Andern Buhlerin ward ich, nachdem Du mich von Dir gewieſen. Aber Dein bin ich dennoch geblie - ben, mit Seel und Leib. Und haͤßlich wurd ich284 auch nicht, ſollt ich meinen! Fuͤrchteſt Du Dich noch vor dem ſchwarzen Wolfgang?

Jn dieſem Augenblicke nicht vor der ganzen Hoͤlle! ſagte Anton.

Sechsundvierzigſtes Kapitel.

Monsieur le Baron de la Vannière und Herr Theodor van der Helfft. Anton geräth in ſchlechte Geſellſchaft und iſt nicht weit davon ſelbſt ſchlecht zu werden.

Der alte vergeſſene Schulkollege hatte mit ſeinem oft verlachten Wunſche: Theodor van der Helfft moͤge einige dumme Streiche als Schuͤler begehen, doch nicht gar ſo Unrecht gehabt. Aus dem fleißigſten, preiswuͤrdigſten Primaner war ein fauler Tagedieb, ein wuͤſter Schlemmer, ein Spieler geworden. Was ihm bisher noch gefehlt, voͤllig in den Schmutz dieſes bodenloſen Abgrundes ſich einzuwuͤhlen, das jetzt zu lernen, befand er ſich auf der hohen Schule, wohin er dringende Empfehlungsbriefe an den Haupt-Paͤch - ter der Pariſer Spielbanken, den Grafen B. mitge - nommen. So war er denn gleich vor die rechte Schmiede gerathen, und obſchon er ſelbſt noch nicht uͤberſah, wie raſch auf dem von ihm eingeſchlagenen Lebenswege das vom Vater ererbte große Vermoͤgen285 durchgebracht ſein werde; obſchon er ſich in ſeinem plan - und geiſtloſen Dahintaumeln noch immer fuͤr uͤberreich hielt; verſchmaͤhte er doch nicht, vertrauten Umgang, ja Kameradſchaft mit Maͤnnern von Welt zu pflegen, die hinter dem Aushaͤngeſchild adeliger Namen, vornehmer Manieren, chevaleresker Phraſen, ganz einfach das falſche Spiel als ihr Gewerbe treiben.

Baͤrbel wußte und kannte das.

Anton aber, den ſie ſich endlich nach dreijaͤhrigem Schmachten, Sehnen und Harren gewonnen; den ihr ein tuͤckiſcher Daͤmon in die Krallen geworfen; den ſie nun beſaß und in deſſen Beſitz ihre unerſaͤtt - liche Leidenſchaft ſchwelgte; Anton durfte das Untere der Karten nicht ſehen!

Jhr blieb folglich die zwiefach-ſchwierige Auf - gabe: zuerſt, ihn auf paſſende Weiſe in die Geſell - ſchaft Theodors einzuſchwaͤrzen, ſo zwar, daß man ihn dort mit gebuͤhrender Achtung empfange! ſodann, was noch gefaͤhrlicher war, die Sorgfalt, ihn nicht durchſchauen zu laſſen, daß er ſich in einer Klicke von ehr - und gewiſſenloſen Gluͤcksrittern befinde. Denn im letzteren Falle mußte ſie befuͤrchten, ſein ehrliches Herz koͤnne ihm auf die Zunge kommen, und dann war er fuͤr ſie verloren! Jhre erſte Zuſam -286 menkunft, die ſie nur durch unſaͤglichen Aufwand von frecher Liſt zu Stande gebracht, konnte fuͤr etwas Außerordentliches gelten, da Theodor nicht gewoͤhnt war, die Gefaͤhrtin lange zu entbehren. Wiederholen ließ dieſes Wageſtuͤck ſich nicht mehr. Deshalb hatte ſie den wie in einem Rauſche taumeln - den Anton mit dem Bedeuten aus der Straße d’Enfer entlaſſen, er moͤge ihr den naͤchſten Tag Ruhe und Raum goͤnnen, anzuordnen, was fuͤr ihr beiderſeitiges Gluͤck vorbereitet werden muͤſſe und erſt am dritten Tage ſich mit Sack und Pack daſelbſt ein - finden, um die kleine, doch gut eingerichtete Wohnung ganz und gar zu beziehen. Weitere Verhaltungs - befehle ſollten ihm durch die vertraute Wirthin zu - gehen.

Dieſer Anweiſung war er woͤrtlich nachgekommen, ohne zu ſeiner Ueberſiedelung große Anſtalten noͤthig zu haben. Buͤcher, Muſikalien, andere Papiere bil - deten ſchier den groͤßten Theil ſeiner Habſeligkeiten; den ſchwereren ganz gewiß.

Die Frau, welche das Apartement vermiethete, zeigte ſich wirklich als Vertraute; ſie verſchwieg dem neuen Einwohner nicht, daß Madame Barbe die bedeutende Summe dafuͤr zahle, ſeit jenem Abend,287 wo er ſie und ſie ihn zum Erſtenmale im Theater geſehen; nur, um fuͤr den Fall eines erwuͤnſchten Zuſammentreffens gleich verſorgt zu ſein. Waͤhrend ſie ihm dieſen und noch hundert kleine Umſtaͤnde mit - theilte, die ſaͤmmtlich darauf berechnet waren, ihn immer mehr zu entflammen, redete ſie ihn nicht anders an, als mit Herr Baron! Als dieſe Anrede ihm zum Erſtenmale entgegengeſchleudert wurde, ſtand er ſchon im Begriff, ſie zuruͤck zu werfen, wie eine ihm nicht gebuͤhrende; beſann ſich aber noch bei rechter Zeit; dachte, das mag Baͤrbel verantworten, die am Beſten wiſſen muß, wie und warum es in ihren Kram taugt, ließ ſich ſodann in einen Seſſel ſinken und ſprach zur Wirthin: meine gute Dame, ſollt ich etwas beduͤrfen, ſo werd ich laͤuten.

Und wie er allein war fuͤgte er hinzu: Warum ſollt ich nicht auf Baron ſpielen koͤnnen? Trau ich mir doch zu, einen Grafen herauszubringen, wie ſie jetzt mitunter laufen! Was die Baͤrbel ſo eigentlich mit mir will! Wo es hinaus ſoll! Das weiß ich frei - lich noch nicht. Aber nun iſt ſchon Alles Eins. Ob ſie mich packen und feſtnehmen, weil ich mit eines Anderen Reiſe-Paß nach Paris kam? ( und etwas dergleichen bluͤht mir, ſobald ich mich zur Ruͤckreiſe288 nach Deutſchland bei der Behoͤrde melde) oder ob ſie mich einſchachteln, weil meine Wirthsfrau mich baroniſirt? Es iſt zuletzt gleichviel. Feſt gefahren hab ich mich nun einmal im tiefſten Sumpfe. Was ich beginnen ſollte, wußte ich ohnehin nicht; mein Latein war am Ende. Adele bleibt unauffindbar. Gold wird in meiner Boͤrſe auch bald nicht mehr zu finden ſein. Mit Stubenſitzen, Studiren, Fleiß, Entſagung, Schwermuth und frommen Wuͤnſchen ging es nicht vom Flecke. Mag denn der Leichtſinn einmal regieren und hol’s der Henker!!

Dieſe wenigen Worte aus dem Munde und aus der Seele eines jungen Menſchen, wie wir Anton bisher gekannt, ſind von ſchwerer Bedeutung und zeigen, welche Veraͤnderung ſeit der einen Nacht, die er mit Baͤrbel zubrachte, in ihm hervorgegangen iſt! Und wenn die Sage vom Liebeszauber, wie ſie im Volke lebte und noch waltet, als duͤſtere, ſuͤndliche und zugleich luͤgenhafte Mythe betrachtet werden ſoll, ſo ſind doch einzelne Faͤlle, dem hier vorliegen - den aͤhnlich, nicht weg zu leugnen. Gerade aus dem Vagabunden-Voͤlkchen der Zigeuner, durch alle Abſtufungen hindurch, wie Vermiſchung mit anderen Raçen unter ihnen erzeugt, wachſen noch immer289 Geſchoͤpfe, die ſich darin von gewoͤhnlichen Buhlerin - nen und Verfuͤhrerinnen wunderſam unterſcheiden, daß ihre rechte, gewaltſame Macht uͤber den Verfuͤhr - ten erſt da beginnt, wo ſonſt, mit Erreichung eines erſehnten Beſitzes, der Zauber zu ſchwinden, zu erloͤſchen anfaͤngt. Aus ſolchen Banden erloͤſet oft - mals nur der Tod. Wer je in Rußland lebte und dort Gelegenheit fand, vertrauliche Mittheilungen uͤber aͤhnliche Verhaͤltniſſe zu hoͤren, wird ſich mehr - facher Faͤlle erinnern, wo Maͤnner ſogar in ſchon reiferen Jahren als Anton, durch Zigeunerinnen auf jede Weiſe zu Grunde gerichtet worden ſind. Maͤnner obenein, die bis dahin das andere Geſchlecht ſchonungslos fuͤr ein Spielwerk eigener Selbſtſucht gehalten und als ſolches behandelt hatten.

Auf wie fabelhafte Art Baͤrbels Herrſchaft die - jenigen umſtrickte, die ihr einmal verfallen waren, mag der Fortgang dieſer Geſchichte dar thun.

Als Anton ſich in den zierlichen, nun von ihm bewohnten Raͤumen genuͤgend umgethan, ſeine Schriften geordnet, dem Tagebuche die neuen Erfah -Die Vagabunden. II. 19290rungen, Gefuͤhle, Wuͤnſche, die ihn durchſtuͤrmten des Breiteren anvertraut, uͤberkam ihn nachgerade mit Ablauf des Tages eine heftige Begierde nach ihr, die er nun ſeit zweimal vierundzwanzig Stunden entbehren muͤſſen, die er an der Seite des erklaͤrten und berechtigten Verehrers wußte; und die immer noch nichts von ſich vernehmen ließ. Eiferſucht gegen Theodor miſchte ſich in dieſe verzehrende Ungeduld. Schon war er Willens dem heute erſt zu ſeinem Fuͤh - rer erwaͤhlten und beſtaͤtigten Leichtſinn das gefaͤhr - lichſte Opfer zu bringen und ſich ruͤckſichtslos, ohne Vorbereitung, gerade zu in das Hôtel zu ſtuͤrzen, aus deſſen Fenſter dem Savoyarden ein Thaler, ihm jedoch eine mit vielen tauſend Thalern noch zu wohlfeil bezahlte Anweiſung entgegen geworfen worden, da trat zum Gluͤck Madame Féwal ein und legte ein kleines moſchus duftiges Paketchen auf die Marmor - platte des Tiſchchens vor ſeinem Sopha.

Von wem? fragte er bebend.

Von ihr! antwortete die Bringerin und ver - ſchwand.

Das Erſte was ihm in die Haͤnde fiel, war ein Hundert fein geſtochener, mit ſeiner jetzigen Adreſſe291 bezeichneter Viſitenkarten, auf denen zu leſen ſtand: Le Baron Antoine de la Vannière*)Le vannier, der Korbflechter..

Er mußte hellen Halſes auflachen uͤber den Ver - ein von Schlauheit und Frechheit, der dieſen Namen fuͤr ihn erfunden.

Sodann enthuͤllte er den beigelegten Briefbogen, der eine bedeutende Summe in Bankbillets enthielt. Dieſe ſchob er, wie etwas Veraͤchtliches, bei Seite. Der Jnhalt des Schreibens ſchien ihm ungleich wichtiger.

Nun, murmelte er, wenn ſie auch ganz ertraͤglich plaudern gelernt, mit dem Schreiben ſieht es uͤbel aus; ich werde mich auf’s Dechiffriren legen muͤſſen.

Er ſchloß die Thuͤr, um vor jeder Stoͤrung ſicher zu ſein, und vertiefte ſich in’s Leſen.

Der lange Brief, in welchem weder eine zaͤrtliche Anrede, noch eine Erinnerung an das Vorgefallene, noch eine Andeutung fuͤr kuͤnftig, kurz nicht eine Silbe auf Liebe hinzeigend, zu entdecken war, gab ſo gedraͤngt und buͤndig zuſammengefaßt, wie Frauen ſelten ſchrei - ben, nur die Anweiſung, was der neugeadelte Baron19 *292zu thun habe, um ſich paſſend bei Theodor einzufuͤh - ren, und wie ſein Benehmen ferner geregelt wer - den ſolle.

Anton ſtudirte voll eiſerner Aufmerkſamkeit dieſe Verhaltungsbefehle, praͤgte ſich Punkt fuͤr Punkt auf das Gewiſſenhafteſte ein; ſagte dann, wie wenn er ſich durch ſolche Aeußerung gegen die Vorwuͤrfe eines Dritten zu vertheidigen haͤtte: Dazu brauch ich frei - lich Geld! raffte die umhergeſtreuten Banknoten fein ſaͤuberlich zuſammen, ſchob ſie in ſein Portefeuille und rief, ſich ſelbſt betaͤubend aus: en avant, mon chèr Baron, et vogue la galeere!

Zwei Tage ſpaͤter ſehen wir ein elegantes Cabrio - let (de remise) vor Theodor’s Hôtel halten. Ein aͤchter Stutzer ſpringt heraus und fragt den zuvor - kommenden Portier, im pariſeriſcheſten Franzoͤſiſch, ob Monsieur d’Elfft viſibel ſei? Dann fliegt er die breiten Treppen hinauf, bittet, oben angelangt, Herrn Baron de la Vannière zu melden und ſteht ſehr bald vor demſelben jungen Herren, der ihm dereinſt einige Goldſtuͤcke fuͤr’s Begraͤbniß des ſchwarzen Wolfgangs anbieten wollte, welche aber bekanntlich ſchnoͤde zuruͤck - gewieſen wurden. Anton denkt wohl in dieſem kriti -293 ſchen Augenblicke daran und er muß den Mund zum Laͤcheln verziehn, weil er ſich’s nicht ableugnen kann, daß es dieſes naͤmlichen jungen Herren Gelder ſind, womit der neue Herr Baron ſich ausſtaffirte. So aͤndern ſich die Zeiten, und wir in ihnen, ſeufzt er er leiſe.

Herr Baron, empfaͤngt ihn Theodor, Sie haͤufen Großmuth auf Guͤte: geſtern retten Sie meine meine Frau aus der ſchmachvollſten Verlegenheit und heute kommen Sie mir zuvor, der ich mich vergebens bemuͤhete, Jhre Wohnung auszukundſchaften, was um ſo ſchwerer ward, da ich Jhren Namen nur ober - flaͤchlich kannte. Das iſt der Herr, mit dieſen Worten wendete ſich der Sprechende zu einem dritten Anweſenden und ſchien froh, dieſen ſeinen deutſchen Landsmann deutſch anreden zu koͤnnen, das iſt der Herr, der meinem Baͤrbchen geſtern einen koloſſalen Dienſt erwieſen hat. Stellen Sie ſich vor, liebſter Schmutzel, Baͤrbchen laͤßt vor einer großen Putz - handlung halten; ſchickt, weil das Wetter gut iſt, Kutſche und Diener fort, in der thoͤrichten Abſicht, die wenigen Schritte, die ſie nach unſerem Hôtel noch zu machen habe, allein zu wagen. Sie wirthſchaftet und befiehlt im Magazin herum, jagt Frauen und294 Maͤdchen durch alle Zimmer, laͤßt ſich tauſenderlei vorlegen, pruͤft, tadelt, waͤhlt aus, macht die Leute verdruͤßlich, fuͤllt endlich zwei rieſenhafte Karton’s mit theuren Empletten, fordert veraͤchtlich ihre Rech - nung, will bezahlen und hat kein Geld bei ſich. Die Dame vom Komptoir macht ein langes Geſicht, doch Baͤrbchens Zuverſicht beruhigt ſie halb und halb. Man giebt ihr auf die Verſicherung, daß ſie dicht bei wohne, einen handfeſten Markthelfer mit, dem, wie ſie wohl hoͤrt, heimlich eingeſchaͤrft wird, Schachteln ſammt Jnhalt nicht eher zu verabfolgen, als bis er das Geld dafuͤr ſehe. Sie gehen, treten in ein nahe - gelegenes Haus und beim erſten Schritte, den ſie hin - ein thut, entdeckt ſie, daß ſie ſich in der Straße geirrt, daß ſie ſich in einer ihr voͤllig fremden Gegend befin - det; daß dies Haus, welches ſie im Vorbeifahren fuͤr unſer Hôtel gehalten, nur zufaͤllig einige Aehnlichkeit mit demſelben habe. Der Burſche wird unartig, der Portier mengt ſich hinein und ſchuͤttelt den Kopf; Baͤrbchen beſteht darauf, man ſolle die Sachen in ihre Wohnung tragen: die Maͤnner erwiedern, das gehe nicht ſo, dergleichen Schwindeleien kenne man ſchon, und was aͤhnlicher Artigkeiten mehr ſind. 295 Erſt kein Geld bei ſich haben? Dann ſeine eigene Wohnung nicht wiſſen? Fort zum Kommiſſair!

Jn dieſem ſchrecklichen Moment erſcheint der Herr Baron, ein Wort, im Voruͤbergehen vernommen, genuͤgt, ihn zuruͤckzukehren, er bietet ſeine Dienſte an, er bezahlt die Note, ſchenkt dem Traͤger einen Napo - leon, nennt ihn einen impertinenten Schurken, reicht Baͤrbchen den Arm, bringt ſie bis hierher, nennt drin - gend befragt fluͤchtig ſeinen Namen und entzieht ſich unſerm Danke. Heute aber bemuͤht er ſich, uns die erſte Viſite zu ſchenken! Das heiß ich einen wah - ren Gentleman!

Waͤhrend dieſer Rede, die Anton nicht mit anzu - hoͤren brauchte, weil der Jnhalt derſelben ſchon auf ſeinem Regiſter ſtand, wiederholte er ſich die ganze Aufgabe im Gedaͤchtniß; und da er auf den fuͤnften Paragraphen der Jnſtruktion ſtieß, welcher ausdruͤck - lich lautet: bisweilen deutſch reden, doch nur gebro - chen, nahm er alſogleich im ſchoͤnſten gebrochenſten Franzoͤſiſch-Deutſch das Wort, Herrn van der Helfft zu verſichern, er ſei gekommen, nicht um ſich danken zu laſſen fuͤr eine Kleinigkeit, die ſich ja von ſelbſt verſtehe, ſondern lediglich, um nicht den Anſchein zu geben, als wolle er zoͤgern, ſeine Auslage wieder zu296 empfangen; was Perſonen dieſer Art gegenuͤber auf - dringliche und unverzeihliche Frechheit ſein wuͤrde.

Jch ſag es ja, ein aͤchter Kavalier! rief Theodor und bat dringend um gefaͤllige Ruͤcknahme des kleinen Vorſchuſſes von fuͤnfhundert und fuͤnfzig Francs, die Anton in ſein Geldtaͤſchchen ſteckte, gleichguͤltig ſchei - nend, waͤhrend es ihn kalt uͤberlief. (Freilich ſtand in Baͤrbels Unterweiſung zu leſen: Alles, was Geld heißt in dieſer Komoͤdie, fließt aus meiner Kaſſe! Sehr ſchoͤn; aber wer fuͤllte denn dieſe??)

Sie waren in Deutſchland, Baron? fragte Herr von Schmutzel.

Verſchiedene male, immer nur wenige Monate, erwiederte Anton, abermals einen Paragraphen aus der Jnſtruktion zitirend; in Aachen und in Baden - Baden. Dabei ſuchte er dieſen Worten den vor - geſchriebenen Anhauch von Verſchmitztheit zu geben, der ihm ſo trefflich gelang, daß Schmutzel, mit Theo - dor einen Blick des Einverſtaͤndniſſes wechſelnd, zutraulich fragte: vielleicht ſind Sie gar von den Unſern?

Ja und nein, antwortete Anton, wie Sie es nehmen wollen. Jch bin zu ungeduldig, zu jugend - lich-leichtſinnig, zu vergnuͤgungſuͤchtig, mit einem297 Worte: noch zu kindiſch, um perſoͤnlich angeſtrengt und ausdauernd am gruͤnen Tiſche zu arbeiten. Aber wo ich noch am Geſchaͤfte Theil nahm, ſah man mich gern: denn ich bin nicht ungluͤcklich in Bekanntſchaf - ten mit reichen Mutterſoͤhnen, die leicht Behagen an mir finden und dann wie Fliegen an mir haͤngen. Laͤmmer zu entdecken und zuzufuͤhren, darin ſuch ich meines Gleichen.

Koͤnig aller Barone! rief Schmutzel wahrhaft begeiſtert aus.

Anton verneigte ſich dankend, wußte jedoch keines - weges, wofuͤr er die Huldigung empfangen. Dieſe Stelle aus ſeiner Rolle hatte er woͤrtlich memoriret, ohne ihre Bedeutung recht zu verſtehen; wie dies ja auch manchen Schauſpielern widerfahren ſoll!

Er war alſo doppelt froh, daß die Konverſation durch Baͤrbels Eintritt unterbrochen wurde. Dieſe trat voͤllig unbefangen auf, erleichterte durch ihr Da - zwiſchenkommen ſeine verfaͤngliche und druͤckende Stel - lung und ging, nachdem ſie die herkoͤmmlichen Dank - ſagungsformeln fuͤr geſtern noch einmal abgethan, in ihrer Dreiſtigkeit, um nicht Unverſchaͤmtheit zu ſagen, ſo weit, Theodor aufmerkſam zu machen auf die merkwuͤrdige Aehnlichkeit des Herrn Baron298 mit jenem Korbmacherjungen aus Liebenau, der an dem bewußten erſten Abend beim Erndtekranzfeſte zugegen geweſen!

Richtig, ſagte Theodor, das iſt’s! Wußt ich doch gar nicht, wo ich die Aehnlichkeit ſuchen ſollte, die mir gleich beim erſten Anblick des Barons auf - fiel!? Richtig, der Liebenauer Korbmacher! Entſchul - digen Sie, theurer Baron, daß Sie einem ſolchen gemeinen Bengel aͤhnlich ſehen. Was war doch aus ihm geworden, meine Gute? Wie? Jſt er nicht davon gelaufen? Jch daͤchte meine Beamten haͤtten mir davon geſprochen?

Freilich, entgegnete Baͤrbel, davon gelaufen bei Nacht und Nebel. Und laͤngſt geſtorben und ver - dorben; man hat nichts mehr von ihm vernommen. Gott hab ihn ſelig.

Durch dieſe kuͤhne Wendung hatte das ſchlaue Weib auch die letzte Bedenklichkeit beſeitiget, welche Theodors Argwohn gegen einen Baron von ihrer Fabrik vielleicht haͤtte erregen koͤnnen!

Von jetzt an gehoͤrte Anton unter die ſchlechte Geſellſchaft, welche ſich bisweilen die gute nennt.

299

Siebenundvierzigſtes Kapitel.

Anton’s Schutzgeiſt regt die Fittige, vermag aber noch nicht, ſie zu entfalten, weil Bärbels Bande zu feſt ſind.

Die meiſten Spieler von Profeſſion, moͤgen ſie noch ſo erpicht ſein auf baaren Gewinn; moͤgen ſie ſchaͤbigen Wucherern gleich, oder hungernden Geiz haͤlſen, ſich am Glanze des Goldes letzen, ſind mehr oder weniger doch Verſchwender, Schwelger, Schlem - mer, jeder frivolen Laune des Augenbiicks froͤhnend. Selten findet ſich einer, der ſchlau genug berechnete, ſeiner Zukunft zu gedenken und wenigſtens etwas von dem mit Todesſchweißen und Angſtblut befleckten Raube in Sicherheit zu bringen. Ein ſolcher gehoͤrte zu Theodors Umgebung. Der groͤßte Theil der Summen, die letzterer verlor, denn durch große Verluſte erkaufte ſeine Thorheit das beklagenswerthe Gluͤck, mit Rittern vom Stegereife durch Dick und Duͤnn reiten zu duͤrfen, wanderte in die tiefen Taſchen des Herrn von Zwack; unter ſeines Gleichen nur der Wohlthaͤter geheißen. Dieſen tugendhaf - ten Beinamen verdankte er ſeiner Herzloſigkeit; der eiſigen Kaͤlte und Grauſamkeit, womit er die Ver - zweiflung ungluͤcklicher Schlachtopfer zu belaͤcheln300 pflegte, denen, wenn ſie aus ſeinen kunſtfertigen Haͤn - den kamen, gewoͤhnlich nur die Wahl blieb zwiſchen Arbeitshaus und Selbſtmord. Dieſer Wohlthaͤter der Menſchheit konnte wie Roſenkranz nicht ohne Guͤl - denſtern und Guͤldenſtern nicht ohne Roſenkranz, ſo nicht ohne Herrn von Schmutzel gedacht werden; ſie ergaͤnzten ſich gegenſeitig auf ihren Kunſtreiſen. Und wie zwei Perſonen jenes Kalibers in Shakeſpear’s Augen dazu erforderlich ſchienen, einen faden Hof - kavalier abzugeben, ſo gehoͤrten zwei ganze Schurken zuſammen, um nach Wohlthaͤters Meinung einen vollſtaͤndigen Chevalier der Jnduſtrie zu bilden: er lieferte das vollwangige, rothe, mild-laͤchelnde, Ver - trauen-einfloͤßende Biedermannsgeſicht; Schmutzel ſeinerſeits gab den derben, kraͤftigen, ſoldatiſchen Ver - treter bei allen Ehren-Sachen und Schande-Haͤndeln. Der Wohlthaͤter handhabte die Karten, Herr von Schmutzel fuͤhrte die Piſtolen, wenn vielleicht ein Voreiliger naſeweis genug geweſen ſein ſollte, ſich zu verwundern, daß die Karten immer fielen, wie ſie fallen ſollten!

Den groͤßten Beweis, wie ſehr Wohlthaͤter ſeinen erhabenen Ruf und Beinamen verdiente, gab wohl die innige Verbindung mit Theodor, dem ſie eingere -301 det, er ſei ihr Kompagnon; den ſie auch wirklich, wenn es die Boͤrſen Anderer, ſogenannter Laͤmmer galt, bedeutende Summen mitgewinnen ließen, wo - durch ſie ſeiner albernen Eitelkeit ſchmeichelten. Doch dieſes nur, um ihm ſpaͤter noch bedeutendere wieder abzunehmen, ſobald ſie unter ſich waren und ein kleines freundſchaftliches Spiel zur Erholung vom ernſten Geſchaͤft ſpielten.

Wie weit Baͤrbel die Wahrheit durchſchaute, wiſſen wir nicht. Jhr genuͤgte daran, mit beiden Haͤnden im Golde zu wuͤhlen, jede ihrer koſtbaren Launen befriedigen zu koͤnnen.

Seitdem nun endlich Anton der Jhrige war, bekuͤmmerte ſie ſich um gar nichts mehr, als nur um fein-erſonnene Gelegenheiten, ſo oft wie moͤglich mit ihm allein zu ſein, waͤr es auch nur auf Viertelſtun - den, und verſaͤumte von nun an nichts bei Theodor, was weibliche Liſt erfinden mag, einen betrogenen Mann in dauernder Blindheit zu erhalten.

Anton, durch neue Genuͤſſe, durch ungewoͤhnten Luxus, durch Ueberfluß und Ueppigkeit eingewiegt, ließ auch ſein Selbſtbewußtſein ſchlummern. Manch - mal wohl uͤberkam ihn eine Ahnung von der Schmach ſolches Daſeins, doch es blieb bei der Ahnung;302 denn bevor noch klare Einſicht daraus werden konnte, hatten Baͤrbels Liebkoſungen Ahnung und Mahnung ſchon wieder verſcheucht.

Monate vergingen.

Monate, auf die unſer Freund gar bald mit Schauder zuruͤckſehen wird, wenn die ſchwellenden Bluͤthenkraͤnze, in deren betaͤubendem Dufte ſein Ge - wiſſen, ſeine Ehre, ſein Rechtlichkeitsgefuͤhl verſtumm - ten, verbluͤhend abgeblaͤttert ſind und er entdeckt, daß es Giftblumen waren, welche ſich zum Kranz um Schlangen gewunden.

Jetzt noch taͤuſcht, beluͤgt er ſich ſelbſt. Er ſpot - tet ſeiner ſentimentalen Sehnſucht nach Adelen; er nennt ſich einen Thoren, weil er Kaͤthchens Frieden geſchont; er macht ſich Vorwuͤrfe, daß er ſich jemals von dankbarer Treue fuͤr Laura zuruͤckhalten ließ, daneben andere Bekanntſchaften zu benuͤtzen, die man ihm darbot; ... und ſeiner Großmutter gedenkt er gar nicht mehr; wenigſtens bemuͤht er ſich, ihrer nicht zu gedenken; daͤmmert jedoch ihr Bild unwillkuͤhrlich in ſeiner Seele auf, dann ſcheucht er es aͤngſtlich, haſtig zuruͤck, indem er voll Zorn uͤber ſich ſelbſt ausruft: was ſoll mir das? Sie war alt und alte Leute muͤſſen ſterben!

303

Der Wohlthaͤter, Schmutzel, deren Geſellen, auch Theodor wiſſen ihn ſehr zu ſchaͤtzen. Er iſt fuͤr ihre Zwecke von hohem Werth. Denn wie tief er auch ſchon verſunken, wie groß der Abſtand ſein mag zwi - ſchen dem ſogenannten Baron de la Vannière und jenem Antoine, der in Vlaͤmerts Wachsfigurenkabinet das blonde Kaͤthchen dem biedern Gatten wieder zufuͤhrte, ... immer noch iſt genug uͤbrig geblieben und vorhanden von unſerm ehrlichen, naturfrommen Anton aus Liebenau, um daß er zwiſchen jenen Men - ſchen ſich ausnehme, wie zwiſchen Dohlen und Raben die weiße Taube. Die Jugendfriſche kindlicher Un - ſchuld ſpricht freilich aus ſeinen Zuͤgen nicht mehr; aber noch kuͤnden ſie ein reines, nur verirrtes Herz; noch wecken ſie Vertrauen, fordern zu glaͤubiger Freundſchaft auf. Und deshalb, es iſt fuͤrchterlich zu denken, deshalb hielten die Spieler ihn werth. Nicht etwa, um Geld von ihm zu gewinnen; darum war es ihnen nicht. Wenn ſie ſchon nicht argwoͤhnen konnten, Theodor am Wenigſten, es ſei des Letzteren Kaſſe, aus welcher der Baron den Baron beziehe, hatten ſie doch bald eingeſehen, bei ihm ſei nicht viel zu holen. Folglich ſpielten ſie mit ihm gar nicht; forderten ihn gar nicht dazu auf. Sie wollten nur304 ſeine Perſon um ſich haben; ſein Aeußeres, ſeine beſcheidene Anmuth, waren fuͤr ſie das Aushaͤngeſchild, womit ſie junge Fremdlinge, denen das Pariſer Stein - pflaſter unter den Fuͤßen und ihre Mutterpfennige in den Taſchen brannten, und die ihnen der Muͤhe werth ſchienen, anzulocken ſuchten. Der Baron machte leicht Bekanntſchaften, fuͤhrte dieſe ihnen zu, ohne zu uͤberlegen, was er that? Und wenn die Aermſten, dem liebenswuͤrdigen, treuherzigen Juͤng - linge vertrauend, in die Raubhoͤhle abgeliefert waren, bemaͤchtigte ſich ſeiner jene Zaub’rerin, welche dort waltend, im Stillen ihr Weſen trieb. Einmal beim Kartenſpiele, vergaß Theodor Alles, ſogar Baͤrbels Reize, und Baͤrbel benuͤtzte jede Stunde fuͤr ſich und ihre Zwecke.

Nur ausnahmsweiſe geſchah es, daß bei Theodor auch Damen geſehen wurden. Baͤrbel liebte das nicht. Denn, aͤußerte ſie ganz richtig gegen Anton. auf wen koͤnnen wir rechnen? Nur auf meines Glei - chen! Und meines Gleichen macht ſich nicht beſonders gut in großer Geſellſchaft. Wir ſind beſſer unter uns? Nicht wahr, Anton?

Deſto haͤufiger wurden kleine Souper’s gegeben, bei denen ſie als Frau vom Hauſe unter lauͤter Maͤn -305 nern praͤſidirte. Sie verſtand, was bei ihrem Her - kommen uͤberraſcht und fuͤr ihren Verſtand Zeugniß giebt, mit ſicherem Takte zu verhindern, daß die Tiſch - geſpraͤche der Herren aus dem Zweideutigen in’s Un - zweideutige uͤbergingen. Was ihr aber den meiſten Spaß machte und woran ſie ein, ich moͤchte ſagen teufliſches Vergnuͤgen fand, waren Bekenntniſſe der Spieler; ſchaamloſe Enthuͤllungen ihrer Finten, Raͤnke und Verbrechen. Anton glaubte zu bemerken, daß ſie dieſe frechen Anpreiſungen ſchnoͤder Liſt und Betruͤgerei deshalb ſo gern vernahm, weil ſie dadurch in ihrem verachtenden Haſſe gegen Theodor und deſſen Umgebungen beſtaͤrkt, weil ſie gewiſſermaßen dazu berechtiget wurde. Bisweilen entſetzte er ſich bis zum Abſcheu vor einem Weſen, welches, alle Weib - lichkeit verhoͤhnend, denjenigen haßt, betruͤgt, zu Grunde zu richten ſtrebt, dem es fortdauernd treue Liebe und Anhaͤnglichkeit heucheln muß und kann; dann wieder regte die Naturwidrigkeit dieſes Ver - haͤltniſſes und ſeine eigene Stellung in demſelben einen zwar krankhaften, doch eben darum deſto unwi - derſtehlicheren Sinnen - und Seelenreiz in ihm auf, der ihn mit immer neu erwachender unerſaͤttlicher Leidenſchaft der Frevlerin verfallen ließ.

Die Vagabunden. II. 20306

Wir wollen den verworfenſten aller Vagabunden, dieſen umherziehenden Spielern von Handwerk, moͤ - gen ſie nun in Europa’s Hauptſtaͤdten und Bade - oͤrtern mit Golde prunken; moͤgen ſie in ſchmutziger Kneipe betrunkenen Bauern ihr Kupfergeld abgewin - nen, wir wollen ihnen in dieſem Buͤchlein den Raum nicht goͤnnen, den harmloſere, wenn auch geringgeſchaͤtzte Umhertreiber anderer Gattung beſſer und unterhaltender ausfuͤllen wuͤrden.

Wir wollen uns nur an ein kleines Proͤbchen ihrer, durch Baͤrbels Champagner aufgeſtoͤrter und zur Sprache gebrachter Prahlereien im Gebiete ihrer Heldenthaten halten und ſelbiges in gedraͤngter Kuͤrze mittheilen.

Herr von Schmutzel erzaͤhlte:

Vor zehn Jahren etwa, im Beginn meiner Lehr - lingszeit, befand ich mich gaͤnzlich auf dem Trocknen. Kein coup wollte gelingen; nirgend eine Ausſicht; die verfluchte Polizei hinter uns her; wenig Geld im Staͤdtel: hochbeinige Zeiten; keine Kurage mochte kein Hund ſo laͤnger leben! *)Spieler von Metier lieben es, mit einigen aufge - ſchnappten Phraſen aus Dichtern, die ſie ſelbſt niemals laſen, um ſich zu werfen, damit man ſie für Leute von äſthetiſcher Bildung halte.Wer kommt eines Mor -307 gens zu mir? Jod, der Jude, der Lump, der Schuft, der uns in W. verrathen und die Gensd’armen uͤber den Hals geſchickt, daß ſie das ganze Neſt ausnah - men; weil wir ihn aus der Kompagnie geſtoßen. Jch ſpringe zum Bett heraus und will ihn uͤber die Treppe werfen. Er ſchreit mir entgegen: gnaͤdiger Herr, eh Sie mich ſchlagen, hoͤren Sie, was ich hab Jhnen vorzuſchlagen; nachſchlagen koͤnnen Sie immer noch!

Bon! Jch denke: Du haſt Recht; erſt will ich hoͤren; uͤber die Stufen fliegſt Du zeitig genug. Aber er flog nicht. Denn er kam als Bote des Obriſten U. (ein aͤchter, konſumirter Grec dieſer Obriſt, auf Seele!) und brachte mir von dieſem und in deſſen Namen den ſuperbſten Vorſchlag, deſſen Ausfuͤhrung mir anvertraut wurde, den ich annahm, vorbereitete, ſiegreich in’s Leben ſetzte, und deſſen Reſultat ich euch folgendermaßen, wie eine zarte Novelle, kunſt - voll und draſtiſch vortragen werde; mit dazu gehoͤri - gen Chikanen und Effekten, wie ein Romanen - ſchmierer.

Jn dem Gebirgsoͤrtchen K., unweit der †††ſchen Grenze, langt im Januar, durch tiefen Schnee, ein einzelner Reiſender mit gebrechlichem Wagen an, haͤlt20 *308vor dem einzigen dort befindlichen anſtaͤndigen Gaſt - hauſe, ſtellt ſich leidend, miethet ein Zimmer und bringt auf dieſem, wie der ſchoͤnſte Einſiedler, etliche ſehr langweilige Tage zu, die er lediglich durch Sekt , vulgo: Champagner, arroſirt. Nach und nach ſucht er die Bekanntſchaft des Wirthes, laͤßt ſich mit ſelbigem Schafskopf auf Plaudereien und vertrauliche Entdeckungen ein; zieht ihn, trotz aller Schafskoͤpfigkeit, in ſeine Geheimniſſe; fluͤſtert ihm zu, daß er eigentlich in der Abſicht reiſe, den ganzen großen Koffer voll Spielkarten, den er da hinten auf ſeine Kutſche geſchraubt habe, in’s †††ſche einzu - ſchwaͤrzen; daß er aber jetzt kaum im Stande ſei, dieſen lukrativen Plan auszufuͤhren, weil er ſich krank und matt fuͤhle; hauptſaͤchlich auch, weil er mit ſeinem alten Fuhrwerk unmoͤglich uͤber die Berge voll Schnee auf Seitenwegen gelangen koͤnne und außerdem befuͤrchten muͤſſe, viel ſtrenger viſitirt zu werden, wenn er den ungeheuren Koffer vereinzelt auf einem Schlitten bei ſich fuͤhren wolle.

Unterdeſſen verſchleicht ein Tag nach dem andern; der Reiſende verſaͤumt nicht, ſich moͤglichſt feſt zu freſſen, vielmehr zu ſaufen. Wie ſeine Rechnung waͤchst, faͤngt der Wirth an, Beſorgniß zu zeigen,309 weil von bezahlen noch nicht die Rede war. Da ruͤckt der Reiſende mit dem Bekenntniß hervor, daß er ſchlecht bei Kaſſe ſei. Der Wirth zeigt ſich unan - genehm, der Reiſende ſtellt ſich verlegen. Der Wirth droht, der Schuldner, ohne deswegen dem Cham - pagner zu entſagen, bietet ſeinem Glaͤubiger den alten Reiſewagen an, welcher natuͤrlich mit gebuͤhrender Geringſchaͤtzung als werthlos zuruͤckgewieſen wird. Da offerirt er ſeinen Kartenvorrath und zwar zu einem Spottpreiſe, fuͤr den moͤglichen Fall, daß Herr Schafskopf die noͤthigen Einkaͤufe zur bevorſtehenden Saiſon noch nicht gemacht habe. Denn K. gehoͤrt zu einer beſuchten Bade-Anſtalt, wo es von Ruſſen und Polen wimmelt, weshalb ſehr ſtark daſelbſt geſpielt wird; und dieſes in dem naͤmlichen Gaſthaus, wo meine Komoͤdie vor ſich geht. Der Wirth, der Stem - pelpapier und Spielkarten debitirt, beißt an. Er kauft fuͤr’s halbe Geld, gleicht die mit doppelter Kreide geſchriebene Rechnung aus, freut ſich, den dummen Reiſenden tuͤchtig geprellt und ſich auf unzaͤh - lige Sommer im Voraus verſorgt zu haben. Der arme Wanderer zieht wie ein Bettler von dannen und der erſte Akt iſt aus.

Zweiter Akt. Schoͤner Sommer, brillante Saiſon,310 Ueberfluß an Gaͤſten und Dukaten. Grand jeu! Alle Karten, wie ſie friſch und glatt aus dem Vorrath des unverdaͤchtigen Schafskopfs entnommen werden, ſind beſchnitten, bezeichnet, anderweitig praͤparirt. Die Unternehmer der Bank und der uͤbrigen Spiel - gelegenheiten haben ſie fuͤr dieſen Zweck bearbeitet. Natuͤrlich gewinnt die Bank, oder vielmehr diejenigen ihrer Aſſocié’s, die als Pointeur’s auftreten, uner - meßlich; Rußland, Polen und Deutſchland werden ausgebeutelt bis auf den Grund. Allgemeines Er - ſtaunen.

Was den armen Reiſenden vom vorigen Winter betrifft, iſt dies niemand anders, als Dero hier anwe - ſender unterthaͤniger Diener, der durch dieſen Kom - merce vom Trocknen in’s Fahrwaſſer gerieth und ſeit - dem ganz leidlich ſchwimmt.

Die Zuhoͤrer uͤberſchuͤtteten Herrn von Schmutzel mit lebhaften Zeichen ihrer innigen Bewunderung, die der beſcheidene und ehrenhafte Mann verſchaͤmt ablehnte, indem er dem Erfinder ſeine Ehre gebuͤhrend reſervirt wiſſen wollte.

Anton ruͤckte mit ſeinem Stuhle und war ſichtlich im Begriff, aufzuſpringen, um ſeinem Herzen Luft311 zu machen, ... aber Baͤrbel ſtellte ihren Fuß auf den ſeinigen und er ... ſchwieg und blieb.

Noch war der Zauber nicht verflogen, der ihn umnebelte.

Achtundvierzigſtes Kapitel.

Anton ſinkt immer tiefer. Signora Carina. Pfiff und Schlag. Theodor und Anton zeigen ihre wahren Geſinnungen gegen einander. Trennung.

Es iſt dem Verfaſſer, der Anton liebt, ſchmerzlich und peinvoll, dieſe finſterſte Periode im Leben des Wanderers umſtaͤndlich zu behandeln.

Jch wuͤnſche, bald davon los zu kommen und hoffe dabei auf Zuſtimmung meines guͤtigen Leſers, inſofern dieſer bereits auch ſchon einige Neigung fuͤr unſern Liebenauer gewonnen haͤtte! Der ſchoͤnen Leſerin glaub ich ohnedies ſicher zu ſein; ſie wird ſich jedenfalls danach ſehnen, Anton gerettet zu wiſſen; wenn auch dieſe Rettung nur durch ſchwere, faſt toͤdt - liche Kaͤmpfe erreicht werden ſoll.

Deßhalb nehm ich nicht den geringſten Anſtand, uͤber jene Monate, die Anton mit Theodor und deſſen unwuͤrdiger Geſellſchaft verſchwelgt, einen Sprung zu machen, damit wir nur uͤber den kothigen Winter312 und uͤber den unſeligen Fruͤhling hinaus gelangen, deſſen lauer Bluͤthenduft Baͤrbels wildeſte Lockungen und Leidenſchaften hervorrief. So feſſellos tobte die Gluth dieſes verfuͤhreriſchen Weibes, daß ſogar die ihr faſt zur zweiten Natur gewordene ſchlaue Beſon - nenheit unterlag; daß ſie es nicht mehr der Muͤhe werth hielt, liſtige Raͤnke zu erſinnen, wie dieſelben Theodor bisher in ſeinem Koͤhlerglauben beſtaͤrkt hatten. Mag er es endlich begreifen, der hochweiſe Schwachkopf, hoͤhnte ſie; was will er einwenden? Was will er unternehmen? Er muß ja doch ducken; er kann ja doch nicht von mir los! Er bleibt ja doch mein Sklave!

Anton, dem Theodors eiferſuͤchtige Unruhe und Bangigkeit nicht entging, vermied den Betrogenen, wo dies nur irgend thunlich war. Dagegen nahm jetzt Baͤrbel keine Ruͤckſicht mehr, die Wohnung in der Straße d’Enfer zu beſuchen; und zwar als Mann gekleidet, wie wir ſie ſchon fruͤher in Onkel Naſus Schloß geſehen.

Aus der Spiel-Hoͤlle in die Liebes-Hoͤlle! pflegte ſie jedesmal bei ihrem Eintritt auszurufen.

Begreiflicher Weiſe nahm ſie mit ihren unerſaͤtt - lichen Forderungen jeder Art Anton’s ganzes Daſein313 voͤllig in Anſpruch, wodurch dieſer ſogar dem ober - flaͤchlichen Troſte anderweitiger Zerſtreuungen entzo - gen wurde; ſich auch verhindert ſah, die Theater zu beſuchen, was er ſonſt recht gern und oft gethan haͤtte. Wochenlang mußt er ſich zufrieden ſtellen mit Durch - leſung der Programme. Jn dieſen fand er denn eines Tages angezeigt, daß eine Signora Carina in Roſſi - ni’s Othello als Desdemona auftreten ſolle. Signora Carina konnte keine andere ſein, als jene Frau, die mit dem Hute einſammeln ging, waͤhrend Herr Ca - rino auf des armen Geigers Violine ſpielte; keine andere; dieſelbe Frau, die ihn ſo durchdringend betrachtet, mit ihm zu reden begonnen hatte, wie ſie ſeine Gabe empfing und von welcher Baͤrbels Da - zwiſchenkunft ihn abgelenkt. War ihm doch ſeitdem auch Carino ſammt allen Liebenauer Erinnerungen gaͤnzlich aus dem Gedaͤchtniß gerathen! Wie waͤr’s, meinte er, wenn ich es darauf anlegte, Theodor und Baͤrbel heute in die Oper zu uͤberreden? Es waͤre mir intereſſant, dieſe Frau wieder zu ſehen, ſie als Saͤngerin kennen zu lernen, und daraus ergiebt ſich vielleicht eine Moͤglichkeit, meinen alten Goͤnner und Freund, den Muſikdirektor aufzufinden, der nicht weit ſein duͤrfte, wo ſeine Gattin erſcheint!

314

Sogleich ſicherte er ſich eine kleine Loge, zog Baͤr - bel in’s Jntereſſe; verſchwieg ihr nicht, welche jugend - lich-beſeligenden Traͤume von Onkel Naſus und deſſen Weinlaube ſich fuͤr ihn mit Carino verknuͤpften und beſchwur ſie, dieſe unſchuldige Freude ihm nicht zu mißgoͤnnen.

Bei Onkel Naſus brach die Unbaͤndige in fre - ches Jubelgeſchrei aus, da ſie des ſchwarzen Pflaſters auf deſſen rothe Naſe geklebt, dachte; doch mitten im gellendſten Hohngelaͤchter hielt ſie inne und ſchwieg nachdenklich; wahrſcheinlich weil ihr damali - ger Gefaͤhrte, der ſchwarze Wolfgang, ihr in den Sinn kam. Von dieſem reden, nur ſein Angedenken bei Baͤrbel rege machen, hieß ſo viel, als ſie fuͤr einige Minuten ſanft und nachgiebig ſtimmen. Sie willigte ein. Theodor, der Muſikhaſſer, ward zur Oper gezwungen.

Othello’s Auftreten erſchuͤtterte Anton. Der An - blick des Afrikaners verſetzte ihn neben Vlaͤmert, Kaͤthchen, fuͤhrte ihn im Geiſte unter jene Schaar lebloſer Menſchengeſichter, die er ſo lange gehegt, gepflegt, abgeſtaͤubt, ein - und ausgepackt, vor denen er ſich bis zum letzten Tage gefuͤrchtet hatte. Er konnte nicht umhin, die Veraͤnderung zu beſeufzen,315 die mit ihm vorgegangen ſeit der Trennung von Kaͤthchen. Jch bin viel ſchlechter geworden, wie ich im vergangenen Jahre geweſen! murmelte er vor ſich hin, waͤhrend Baͤrbel hinter Theodors Ruͤcken ihm die unverſchaͤmteſten Vertraulichkeiten zumuthete.

Signora Carina war allerdings die Begleiterin Carino’s; war dieſelbe, die fuͤr den armen Geiger geſammelt und dabei mit Anton beredete Blicke gewechſelt hatte. Er erkannte ſie augenblicklich.

Die Arme mußte ſich recht abquaͤlen. Man hoͤrte ihr an, daß ſie einſt vortrefflich geſungen; Einiges gelang ihr noch heute. Aber Kraft wie Schmelz der Stimme ſchienen verloren; ſie entwickelte kein Selbſt - vertrauen mehr; einige hohe Toͤne verſagten; einige kunſtreiche Figuren mißriethen; jung war ſie auch nicht mehr; die Spuren einſtmaliger Schoͤnheit ver - mochten nicht, ſie vor Ungluͤck zu ſchuͤtzen; ihr Urtheil war gefaͤllt.

Schon im zweiten Akte ließen ſich gellende Toͤne des Tadels vernehmen, deren feindſelig-ſchauderhafte Schaͤrfe das Herz der Ungluͤcklichen zu durchſchneiden ſchien. Sie zuckte zuſammen, wie wenn Meſſer ihre Bruſt verwundeten. Anton empfand mehr als gewoͤhn - liches Mitleid, er fuͤhlte innige Theilnahme fuͤr ſie,316 fuͤhlte ſich zu ihr hingezogen in jener Sympathie, die oftmals eben nur vorhanden iſt, ohne daß man Gruͤnde fuͤr ihr Vorhandenſein anzugeben vermoͤchte. Er applaudirte aus Leibeskraͤften, obgleich Theodor ſeinen ſchlechten Geſchmack beſpoͤttelte. Endlich ſchlug dieſer ſich gar auf die Seite der lauteſten Gegner, ſtimmte faſt wuͤthend in die rohen Aeußerungen des Mißfallens ein und gebehrdete ſich dabei ſo ruͤckſichts - los und doch abſichtsvoll, daß es wirklich den Anſchein gewann, ſein Ziſchen und Hoͤhnen gelte minder einer ihm hoͤchſt gleichguͤltigen Saͤngerin, als vielmehr dem ſie protegirenden Hausfreunde , dem er durch dieſe Oppoſition das erwuͤnſchte Zeugniß lange verhaltenen und ausbrechenden Grolles ablegen wolle.

Bei der Romanze von der Weide, dieſer einfachen, himmliſchen Melodie, durch welche der Schwan von Peſaro, wenn er ſonſt nichts geſungen, unſterblich ſein wuͤrde, bildeten ſich im Saale zwei entgegengeſetzte Parteien. Die Carina trug dies Sterbelied eines ſcheidenden Engels mit ſo vollendeter Meiſterſchaft vor, der Schmerz ihrer Seele uͤber ſchon erlittene Schmach redete ſo tief und ergreifend aus dieſen Klaͤngen, daß boͤſer Wille und unerbittliche Kritik verſtummten. Fuͤr einen Augenblick beruhigten ſich317 die Gegner, vielleicht haͤtte dieſesmal der Beifall unbefangener Hoͤrer geſiegt! Da rief Theodor das Geſindel auf’s Neue wach; er gab das Signal zum Wiederausbruch des Pfeifens. Aber kaum hatte er, durch Baͤrbel ermuntert, dieſe Heldenthat vollbracht, durch Baͤrbel, welche der beklagenswerthen Saͤn - gerin Anton’s Theilnahme und Mitgefuͤhl nicht zu goͤnnen ſchien, als dieſer auch ſchon dem ſehr edlen Herrn Theodor van der Helfft einen uͤberſchwaͤng - lichen Backenſtreich in’s haͤmiſch-laͤchelnde Antlitz geſchlagen und dabei in lautem, allgemein-verſtaͤnd - lichem Franzoͤſiſch ausgerufen: Sie ſind ein feiger, infamer Schurke!

Das koſtet Blut, Baron, ſchrie Theodor, der ihn an der Bruſt packte.

Jch verlang es nicht beſſer, antwortete Anton; aber erſt noch eine Brandmarke auf die andere Backe!

Der Tumult wurde allgemein. à la porte! erſcholl es von Oben bis Unten.

Baͤrbel riß die Schaͤumenden auseinander, ergriff Antons Arm, weil es ihr um den Geliebten am Mei - ſten zu thun war, und ſie verhindern wollte, daß er ſich heute Abend aus ihren Augen entferne. Er ſelbſt,318 dem Zorn und Rache den Kopf durchwirbelten, ließ ſich fortziehen, ohne zu wiſſen, wohin?

Theodor folgte, vom ſpoͤttiſchen Geziſch der Um - ſtehenden begleitet, die ſich in den Korridor’s zuſam - mengedraͤngt. Nur Baͤrbels ſchier unweiblicher Koͤr - perkraft war es moͤglich, die Raſenden im engen Wagen auseinander zu halten. Theodors Naͤgel ſuch - ten fortwaͤhrend Antons Geſicht und Kehle. Dieſer wies ihn zuruͤck mit den ſtets wiederholten Worten: Geduld, mein Herr, ſcharfe Klingen kratzen tiefer!

Jm Hôtel angelangt, bei verſchloſſenen Thuͤren, begannen dieſe drei Menſchen einen jener Auftritte, wie nur da moͤglich ſind, wo ungezuͤgelte Leidenſchaf - ten, zu beſtialiſcher Wildheit ausbrechend, den letzten Zaum zerreißen, den herkoͤmmliche Sitte ihnen bisher noch auferlegte.

Jetzt galt auch fuͤr Baͤrbel kein Bedenken, kein Zuruͤckhalten mehr. Die Luͤge, welche ſie ſeit laͤnger als drei Jahren durchgefuͤhrt, konnte nicht weiter dauern. Einer von beiden, die ſie ſich gehoͤrig waͤhnte, mußte verbluten; nach ihrer Meinung, nach ihrem Willen war Theodor ſchon zum Opfer auserſehen; ſie ſagte ſich jetzt offen von ihm los.

Jch habe Dich nie geliebt, ſchrie ſie ihm entgegen319 wie er mit Anton wieder anbinden wollte. Du Schwaͤchling biſt nicht der Mann, die unergruͤndlichen Tiefen meiner Begierde auszufuͤllen. Dir hab ich mich ergeben, um Dich zu beherrſchen und durch Dich Dein Geld. Dieſen lieb ich; dieſen hab ich geliebt, waͤhrend ich an Deiner Seite lebte. Und weißt Du, wer es iſt, den ich Dir vorziehe? Kennſt Du Deinen begluͤckten Nebenbuhler? Eitler Thor! Dieſer Baron aus meiner Fabrik, aus der Mache einer Zigeunerin, iſt kein Anderer, als der ſchoͤne Korbmacherjunge aus Liebenau; den ich liebte, deſſen ich begehrte, wo ich noch nackend und blos umherſchweifte; der mich damals verſchmaͤhte, den ich mir jetzt gewonnen, den ich nicht mehr aufgebe. O ſchlage Dich nur mit ihm! Wie er Dir uͤberlegen iſt im Kampfe der Liebe, wird er es auch im Kampfe der Waffen ſein. Zwie - facher Sieger wird er aus dieſem laͤcherlichen Streite hervorgehen. Denn Du haſt keinen Muth, keine Kraft, keine Tapferkeit. Gluͤhte nur ein Funke Mann - heit in Dir, floͤße nur ein Tropfen kuͤhnen Blutes in Deinen Adern, ſo laͤge Anton entſeelt auf dem Fuß - boden unſerer Loge im Theater. Wie er Dich in’s Geſicht ſchlug, war es noch in Deiner Hand: den kecken Beleidiger erwuͤrgen mußteſt Du und uͤber320 ſeiner Leiche mich zwingen, die Deinige zu bleiben. Dann haͤtt ich wenigſtens Furcht vor Dir gehabt, wie vor dem ſchwarzen Wolfgang, vor dem ich heute noch bebe, obſchon er todt iſt. Aber Du geh, ich verachte Dich. Und nun holt Degen herbei, laßt euch zur Ader. Doch aus Deinen Wunden wird nur Waſſer fließen.

Nicht blaß, nicht bleich, gruͤn im Geſicht ſtand Theodor vor ihnen.

Alſo nicht der Baron de la Vannière? Ein Jmpoſteur! Ein gemeiner Dorfjunge, der von meiner Herrſchaft entwich? Ein Betruͤger? Deſto beſſer, ſo brauch ich ihn nicht zu zuͤchtigen mit eigener Hand. So darf ich, ohne meiner Ehre nahe zu treten, ihn den Behoͤrden zur Beſtrafung uͤbergeben. Und das wird geſchehen. Morgen fruͤh ſetz ich unſere Geſandt - ſchaft in Kenntniß, dieſe mag das Uebrige machen. Jetzt, Schlingel, hinaus, oder meine Leute ſollen Dich mit Peitſchen hinaus treiben!

Wirf ihn nieder! Durchbohre ihn! keuchte Baͤr - bel, ein ſpitzes Vorſchneidemeſſer vom Buͤffet neh - mend. Und ſie erhob es drohend.

Theodor wankte. Zu ihr gewendet fluͤſterte er, daß es der Gegner nicht hoͤren ſolle: Treuloſe,321 Verraͤtherin! Undankbare! Er ſank ſchluchzend in einen Seſſel.

Anton entbloͤßte ſeine Bruſt. Hier hinein ſenke dieſen Stahl, ſprach er zu Baͤrbel gewendet; vollende Dein Werk an mir. Zaud’re nicht. Wenn Du’s nicht thuſt, thu ich’s.

Baͤrbel ſchleuderte die blitzende Klinge weit weg, daß die Spitze des Meſſers im Rahmen eines Wand - ſpiegels ſtecken blieb. Dann flog ſie in Antons Um - armung.

Dieſer wies ſie kalt und duͤſter zuruͤck.

Herr van der Helfft hat wahr geredet, fuhr er fort. Jch bin ein Betruͤger, ein Faͤlſcher, ich bin reif fuͤr’s Zuchthaus, Dank ſei Dir und dem ſuͤndlichen Zauber Deiner Schoͤnheit. Jch ſchaud’re vor mir ſelbſt. Noch iſt der Bann nicht aufgehoben, den Deine Liebestraͤnke uͤber mich verhaͤngt, doch die Binde iſt von meinen Augen gefallen. Geſchehe mir, was da wolle, ich fuͤge mich. Was Du beginnen wirſt, gilt mir gleich. Bleibe bei ihm, mache Dich los von ihm, gleichviel! Wir beide ſehen uns nie mehr wieder.

Es lag ſo viel Aufrichtigkeit der Zerknirſchung, eine ſolch innerſte Vernichtung in Antons Ausſpruch,Die Vagabunden. II. 21322daß Baͤrbel, davon betroffen, aus ihrem Toben in eine Art von Stumpfſinn uͤberging.

Wir? nie mehr? Weiter brachte ſie nichts hervor.

Niemals! Bei dem Andenken meiner Großmut - ter! ſagte Anton.

Es kann Dein Ernſt nicht ſein!

So wahr ich’s dem ſchwarzen Wolfgang gelobet, da er, Dein Opfer, in dieſem meinem Arme ſtarb.

Du haſt dies Verſprechen unzaͤhlige male ver - geſſen.

Dafuͤr hat mich dieſe Stunde um ſo fuͤrchterlicher daran gemahnt. Laß mich ziehen, Weib! Jch beruͤhre Dich nicht mehr. Jch ſchwoͤre es, bei Gott!! Zwinge meine Lippen nicht, einen fuͤrchterlichen Fluch uͤber Dich auszuſprechen; im Kuſſe werden ſie die Deinen nicht mehr beruͤhren. Laß mich ziehen und bringe den da zu ſich. Er liegt im Starrkrampfe! Nimm Dich ſeiner an.

Mag er verfaulen, ich haſſe ihn! Toni, bleib! Sag mir, daß wir uns wiederfinden, daß Du mein ſein wirſt, wie bisher. Wenn Du mich meideſt, es iſt Dein Tod, oder der meine!

323

Dein Tod iſt mein Leben; mein Tod iſt mir lieber, als ein Leben mit Dir!

Er ging.

Baͤrbel ließ ihn gehen ohne ſich zu regen. Einem Leichnam aͤhnlich ſtand ſie vor dem Seſſel auf welchem Theodor bewußtlos lag.

Anton ſchwankte, wie ein Schlafender durch die Diener im Vorzimmer.

Auf der Straße that er einen Athemzug, ſog die Nachtluft gierig ein und betete zu den Sternen hin - auf: lieber Himmel, laß mich morgen von dieſem furchtbaren Traume erwachen.

Dann eilte er ſeines Weges.

An der Ecke der Straße hoͤrte er Anton! Anton! hinter ſich her rufen, wie wenn der Klang der Stimme aus der Hoͤhe uͤber ihm kaͤme.

Er verdoppelte die Haſt ſeiner Schritte. Nach Mitternacht erreichte er ſeine Wohnung in der Straße d’Enfer.

21*324

Neunundvierzigſtes Kapitel.

Wie der Tod den Liebeszauber löſet. Anton verläßt die Straße d’Enfer und bezieht wiederum ſeine frühere Wohnung. Erinnerung an Signora Carina; dieſe iſt verſchwunden. Mangel, Hunger, Noth, Krankheit Laura.

Anton verfiel in einen tiefen, feſten Schlaf, wie er desgleichen nicht genoſſen ſeit Baͤrbels Umgang und ſeit der dadurch herbeigefuͤhrten Verbindung mit Theodor und deſſen Genoſſenſchaft. Denn ſo lange dies Verhaͤltniß beſtanden, war unſer Freund zwiſchen Luſt und Gram, zwiſchen Trotz und Reue, zwiſchen Begier und Abſcheu hin und her geworfen zu keiner eigentlichen Ruhe gelangt. Aus dem Tage Nacht machend und umgekehrt, je nachdem ſein diſſoluter Verkehr, oder die vorſichtig gefuͤhrte Jntrigue mit Baͤrbel dies verlangten; dabei in ſtets wacher Beſorg - niß, daß die Luͤgen und Schwindeleien zu denen er ſich hergeben mußte, verrathen werden koͤnnten? blieb er fortdauernd in naturwidriger Aufregung, die ihm jenen ſonſt beſeſſenen Frieden ſtaͤrkenden Schlafes raubte. Jetzt ſchien mit der Gewißheit aller uͤber ihn hereingebrochenen Schmach und Schande die aͤngſtlich-harrende Befuͤrchtung gewichen, und ſeine qualvolle, zerſtoͤrende Leidenſchaft fuͤr Baͤrbel, die an325 ihm genagt wie wenn ſie ſein Lebensmark aufzehren wolle, ſchien, auf eine ihm ſelbſt unerklaͤrliche Weiſe, erloſchen. Erloſchen und ausgebrannt, abgeſtorben von dem Augenblicke an, wo er aus Theodor’s Hôtel fliehend, ſeinen deutſchen Namen, wie von den Daͤchern herab hinter ſich her toͤnend, vernommen. Er vermochte nun ſchon an die braune Baͤrbel zu denken, ohne jene nagende, luͤſterne Mar - ter zu empfinden, die ihn ſeither ſchmerzvoll und dennoch unwiderſtehlich angetrieben, zu ihr zu eilen, um in ihren Armen Linderung zu ſuchen, oder doch Betaͤu - bung. Mit ſolchem Troſte ſchlief er wirklich ein und betrachtete denn auch, da der ſchoͤnſte Sommermorgen aus blauem Himmel ſtrahlte ſein geſtriges Flehen zu Gott ſchon halb erfuͤllt.

Aus dem finſtern Traume den er ſo lange getraͤumt, der wie der Alp auf ihm gelegen, fuͤhlt er ſich wahrlich erweckt. Nur matt, ſchwach, trotz ſeines feſten Schlafes, abgelebt bis zum Tode. Die Nach - wehen verſchwelgter Monate machten ſich ſchon gel - tend, da kaum der wilde Rauſch verrauchte, der ſie bis jetzt uͤberboten. Was ſonſt noch kommen ſollte, als wohlverdiente Strafe und Buße fuͤr den Verrath, den ein irregeleiteter Juͤngling an ſich ſelbſt, an ſeiner326 eigenen Ehre, an der Achtung fuͤr ſein beſſeres Jch frevelnd veruͤbt, das in Demuth uͤber ſich ergehen zu laſſen, war Anton ſtill bereit und fuͤgte ſich im Voraus. Theodor’s niederſchmetternde Worte droͤhn - ten noch in ſeinem Gedaͤchtniß nach; ſie trieben ihn an, wenigſtens gut zu machen was etwa gut zu machen blieb, fuͤr Einen der vom Pfade des Betruges auszubiegen den feſten Willen hegte. Er ſonderte demnach gewiſſenhaft Kleidungsſtuͤcke und Waͤſche. Die aͤlteren, abgetragenen Beſtandtheile ſeiner Gar - derobe, wie er ſie aus der erſten beſcheidenen Woh - nung in Paris bei Ueberſiedelung hierher mitgebracht, ſammelte er in eine duͤrftige Kiſte, fuͤgte ſeine Buͤcher, hauptſaͤchlich ſeine Papiere, unter denen das Tage - buch den groͤßten Raum einnahm dazu und ſeufzte: das iſt mein!

Alles Uebrige, womit Baͤrbel’s Verſchwendung ihn uͤberſchuͤttet, womit ſie ihn gezwungen ſich aus - zuputzen, legte er: Schmuck, Uhren, Ketten, Juwelen, unzaͤhliger unnuͤtzer Kram mit eingeſchloſſen, in einen großen, prachtvollen Koffer. Ebenſo raffte er zuſam - men was er an baarem Golde, oder Bankſcheinen zur Verfuͤgung beſaß, ſchlug die Summe in ein Paket, welches er mit den Worten uͤberſchrieb: beſſer327 ſpaͤt als gar nicht, und ſchob dies auch in den Koffer. Und dieſen feſt verſchloſſen, die Schluͤſſel verſiegelt, ließ er ohne Aufſchub an den Kammer - diener des Herrn van der Helfft befoͤrdern, durch welchen er ſich eine ſchriftliche Beſcheinigung uͤber richtigen Empfang erbat.

Eine ſolche wurde denn auch vom Kommiſſionair zuruͤckgebracht, doch erſt nach langem vergeblichem Harren, welches Anton um ſo ungeduldiger machte, je heißer ſeine Sehnſucht entbrannte, die Raͤume, die er jetzt noch inne hatte, meiden zu duͤrfen und der Straße d’Enfer fuͤr ewig den Ruͤcken zu wenden. Jedes Geraͤuſch machte ihn zittern, weil er die Gefuͤrchtete erwartete.

Als nun endlich der Menſch wiederkam und von Anton angerufen wurde: Um Gottes Willen, wie lange zaudert ihr? Da entgegnete er:

Jch habe die groͤßte Muͤhe gehabt den Kammer - diener uͤberhaupt nur zu ſprechen und ihn zur Abfaſ - ſung dieſer Schrift zu bewegen. Das ganze Hôtel befindet ſich in einer Art von Aufruhr, Alles laͤuft durcheinander, kein Menſch hat den Kopf auf der rechten Stelle. Die junge ſchoͤne Kreolin, die Begleiterin des reichen Herrn aus Deutſchland, hat328 ſich in juͤngſtvergangener Nacht vom oberſten Dach - boden in die Gaſſe geſtuͤrzt; man hat bei Tages - Anbruch den zerſchmetterten, faſt unkenntlichen Leich - nam auf dem Straßenpflaſter gefunden.

Dieſe Nachricht gab der vielbeſchaͤftigte Mann wie eine gewoͤhnliche Neuigkeit, erkundigte ſich, ob der Herr Baron ſonſt noch etwas zu befehlen habe? Und ging, durch ein merci, non! verabſchiedet, froͤhlich und guter Dinge davon.

Alſo deshalb konnt ich ſchlafen? murmelte Anton duͤſteren Blickes vor ſich hin. Die Zaubrerin iſt todt! Der Zauber iſt gebrochen.

Meine ſchoͤne Feindin iſt todt.

Todt! Baͤrbel todt! Die anmuthvolle, uͤppige Geſtalt; die glatten Schlangenglieder, die mich tauſendmal umwanden; der ſchlanke Hals; die zarte Bruſt ... zerbrochen, entſtellt, blutig, mit Straßen - ſchmutz befleckt ... das wilde, feurige Antlitz unkennt - lich .... ihr Auge ſtarr .... und meinetwillen! Ja meinetwillen!!

Aber dennoch kommt ihr Blut nicht uͤber mich!

Unſchuldig bin ich dennoch an ihrem Tode. Sie hat groͤßere Schuld gegen mich; ſie hat mich mir ſelbſt geraubt; ich war ihre Beute. Nur ihr Tod329 konnte mich erloͤſen, von der ewigen Angſt, ſie wieder zu ſeh’n, wieder zu unterliegen. Sie iſt todt .... ich bin frei!! Frei! bis ſie kommen, mich in’s Gefaͤngniß abzuholen!

Dann wieder uͤberließ er ſich traurigen Ausſichten fuͤr ſein Geſchick im Allgemeinen, verſank in troſtloſe Traͤume, fand keinen Muth mehr ſich zu ermannen bis der Abend einbrach.

Er hatte den ganzen Tag uͤber keine Nahrung zu ſich genommen; er fuͤhlte das Beduͤrfniß dazu nicht.

Jn der Daͤmmerung ſah er bleiche blutige Schat - ten. Aus jener Ecke erhob ſich Baͤrbel’s ſchlotternder Leib auf zerbrochenen Gebeinen; das Jammerbild winkte ihm zu und gluͤhende Augen, gluͤhend wie in Stunden ihrer feurigſten Vereinigung erſchreckten ihn.

Jm anderen Winkel lag ſterbend der ſchwarze Wolfgang, der ihm drohte; ihn ſchnoͤden Wortbruchs zieh.

Nur fort aus dieſer Hoͤllenſtraße ſchrie er angſtvoll.

Seine ſchwere Kiſte lud er muͤhſam auf die Schulter und von ihrer Laſt niedergebeugt verließ er die Behauſung, welche Madame Barbe gemiethet hatte fuͤr den Baron de la Vannière.

330

Keuchend, zum Tode matt, traf er nach einer martervollen Stunde bei den ehrlichen armen Leuten ein, die ihn fruͤher ſchon beherbergt. Sein Kaͤm - merchen ſtand leer, wie er es damals verlaſſen.

Sie empfingen ihn ſehr freundlich.

Er ſagte, daß er von einer weiten Reiſe zuruͤck - kehre.

Und wie er krank ausſieht! meinte die alte Frau; Gott, was muß er unterweges gelitten haben!

Ja, erwiederte Anton, es war ein weiter Weg und ich habe viel gelitten. Goͤnnt mir ein wenig Ruhe.

Er legte ſich nieder, nicht ohne ſchuͤchterne Hoff - nung, daß dieſe Nacht vielleicht ſeine letzte werden ſolle! Doch abermals ſenkte ſich der Schlaf uͤber den entmuthigten Juͤngling, ihn ſtaͤrkend und neubelebend, daß er zu ſtaͤrkeren neuen Pruͤfungen erwache.

Die ehrliche Hausfrau fragte ihn, ob er unter - deſſen vielleicht gaͤnzlich verarmt ſei, wenn gleich ſein Zuſtand darauf hinwies. Sie brachte ihm Nahrung, ſo kraͤftig, wie ihre eigene Armuth ihnen geſtattete. Das gab ihm einige Lebensfaͤhigkeit; er vermochte wieder zu denken.

331

Auch war es heute nicht mehr jenes raſende Wirbeldrehen der ſich jagenden Gedanken, wie es ihn geſtern dem Wahnſinn nahe gebracht.

Er wurde faͤhig, in richtiger Schluß - und Folge - Reihe der letztvergangenen Tage Ereigniſſe zu uͤber - ſchauen und bis auf die Begebenheit zuruͤckzuſchließen die ſeinen entſchiedenen Bruch mit Theodor und mit .... ihr, deren Namen er nicht mehr ausſprach, herbeigefuͤhrt. Dadurch kam er natuͤrlich auch auf die italieniſche Saͤngerin, deren trauriges Schickſal er ſich ſo ſehr zu Herzen genommen und in deren Vertheidigung gegen ungerechte Feindſeligkeit er Theodor’n ge[ſ]chlagen hatte.

Was war es denn zunaͤchſt, dieſe Frage legte er ſich ſelbſt vor, das mich ſo ruͤckſichtslos verfah - ren ließ?

Gewiß nicht allein mein lang zuruͤckgehaltener Groll gegen ihn!

Gewiß nicht allein der Ueberdruß an meiner Abhaͤngigkeit von ihr!

Gewiß eben ſo wenig der Antheil fuͤr eine gemiß - handelte Kuͤnſtlerin im Allgemeinen!

Nein, es geſellte ſich etwas rein Perſoͤnliches332 dazu, nur von jener Frau und ihrer Erſcheinung aus - gehend. Und was konnte das ſein?

Jhre Beziehung zu Carino? Unmoͤglich.

Jhre Kunſtfertigkeit? Alle Achtung dafuͤr, doch das iſt es auch nicht.

Jhre Schoͤnheit? Mein Gott, die gehoͤrt vergan - genen Zeiten an.

Was, um Alles in der Welt zieht mich denn zu ihr hin? Was empfand ich, da ſie mit dem Hute des Bettlers in Haͤnden, mir geg[en]uͤber ſtand? Eine unerklaͤrliche Wehmuth. Einen innigen Drang, ſie zu fragen wer ſie ſei. Weshalb ſie mich ſo forſchend betrachtete? Nur der Verſtorbenen Z[ut]ritt; nur das Zeichen, welches dieſe mir gab ihr zu folgen, lenkte meine Aufmerkſamkeit von der Jtalienerin ab.

Doch genau die naͤmlichen Empfindungen wal - teten wieder in mir vor, da ich die Frau auf der Scene ſah und erkannte. Dieſe Empfindungen auch waren es, die mich Theodor’s uͤbermuͤthige Rohheit, welche ich bei jeder andern Gelegenheit vielleicht mit einem harten Worte geruͤgt haben wuͤrde, hier ſo wuͤthend raͤchen hieß. Jn dieſen Dingen liegt mehr als Zufall. Es knuͤpft ſich ja in unerforſchlicher Ver -333 kettung und Loͤſung mein Geſchick daran: Anfang und Ende des Verhaͤltniſſes zu zu der Verſtor - benen!

Jch muß jene Frau aufſuchen; ich muß Carino’s Wohnung erforſchen; das kann nicht ſchwierig ſein.

Der erſte Ausgang zu welchem Anton ſich ermannte galt dieſen Nachfragen. Auch wurde es ihm leicht Carino’s Spur zu entdecken. Aber leider kam er zu ſpaͤt.

Wo der Muſiker und deſſen Gefaͤhrtin gewohnt hatten, fand er beide nicht mehr. Man erzaͤhlte ihm, wie etwas Alltaͤgliches, w[or]an man bei ſolchen fremden Kuͤnſtlern ſchon gewoͤhnt ſei, es waͤren nach dem furchtbaren Fiasko den die Signora in der Oper machte, zwiſchen ihr und Herrn Carino große Streitigkeiten entſtanden; der Muſikdirektor habe Madame mit Vorwuͤrfen uͤberhaͤuft, daß ſie ſeinem in der Kunſtwelt geachteten Namen, den ſie obenein nur durch Verguͤnſtigung trage, Schande bringe. Ein voͤlliges Zerwuͤrfniß ſei die Folge dieſer Streitig - keiten geweſen; Signora mit Sack und Pack auf - brechend hatte geſtern Abend bereits Paris verlaſſen. Herr Carino, dem fuͤr ſeine Perſon allein dieſe Woh - nung zu theuer duͤnkte (der beſte Bezahler war er334 ohnedies nicht, fuͤgte man hinzu) habe ſich zur Zufriedenheit des Wirthes nach einer anderen umgethan; und in dieſer ihn ausfindig zu machen, duͤrfte Bedenklichkeiten haben, da der windige Muſikant ſolche unfehlbar ſo ausgeſucht haͤtte, wie ſie ſeinen Glaͤubigern auf das Laͤngſte unzugaͤnglich bleiben koͤnne.

Nun wohlan, ſprach Anton, ich treibe mich ſo lange in den Straßen umher, bis ich ihn doch einmal begegne!

Das oͤfters erwaͤhnte Tagebuch enthaͤlt aus dieſer Periode ſehr ausfuͤhrliche Schilderungen. Eben weil dieſelben des Schreibers innerliche Zuſtaͤnde auf’s Genaueſte darſtellen und von aͤußern Begebenheiten wenig oder nichts zu melden haben, bieten ſie dem Gange der Handlung keinen Stoff, dringen nur in’s Seelenleben. Jhren ganzen Verfolg mitzutheilen ſpinnen ſie ſich zu ſehr in die Breite; einzelne Saͤtze aus dem Zuſammenhange geriſſen wuͤrden unklar bleiben. Bewundernswuͤrdig aber erſcheint die geiſtige Kraft, mit feſter Hand und ſicherer Feder auf’s Papier zu ſtellen, wie nach und nach jede Freude am Daſein, jede Hoffnung auf wiederkehrendes Gluͤck im Herzen eines jungen Menſchen erſtirbt; wie Man -335 gel, Entbehrung, ja Hunger an einem ſchwergebeugten, wenn auch noch nicht zerſtoͤrten Koͤrper nagen; wie von Tage zu Tage die Flamme duͤrftiger flackert, die vielleicht bald erloͤſchen wird.

Jch betrachte mich ſelbſt und meinen Zuſtand, ſchreibt er u. A. wie der Arzt einen Kranken betrachten mag, den zu beobachten ſeine Pflicht erheiſcht. Jch frage mich ſtuͤndlich: wie lange wirſt Du noch im Stande ſein, die Feder zu halten? Und was wirſt Du empfinden, wenn Du Dich erſt zu ſchwach fuͤhlſt, ſie zu fuͤhren? Mit ihr zu beſchreiben, daß ſie Deinen Fingern entſank?

Das irgend Entbehrliche war verkauft, durch Vermittelung der alten Wirthin, die ſich und ihre baaren Auslagen dadurch bezahlt machen ſollte. Dazu reichte der Ertrag nicht hin. Sie war ſo gut - herzig, ihren eigenen Wandſpiegel, das einzige unnuͤtze Stuͤck im ganzen Haushalt, zu veraͤußern, damit noch einige Tage der Galgenfriſt errungen werden moͤchten. Dann ſah ſie ſich genoͤthiget, ihrem Miethsmanne zu eroͤffnen: Heute werden Sie nichts zu eſſen haben, Herr Antoine; doch wenn es ſie troͤſten kann: mein Mann und ich wollen auch faſten, und aus guten Gruͤnden.

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Anton druͤckte ihr die Hand und begann wieder ſeinen Jrrlauf. Das iſt das ſicherſte Mittel, ſprach er, den Hunger zu betruͤgen; der macht ſich nur mauſig, ſo lange man ſtill ſitzt.

So lief er nach dem botaniſchen und zoologiſchen Garten, wo er die wilden Thiere fuͤttern ſah. Der Anblick des rohen Fleiſches erregte ihm Uebelkeiten, doch wußte er nicht, ob aus Ekel? Oder aus Heiß - hunger?

Gern haͤtte er ſich dem Waͤrter der Baͤren als ehemaligen Standesgenoſſen vorgeſtellt und ihn um ein Stuͤckchen von dem fuͤr jene beſtimmte Brote gebeten; doch er ſchaͤmte ſich vor den Gaffern.

Nach der Stadt zuruͤckkehrend, ſah er weder Menſchen, noch Baͤume, noch Haͤuſer; nur Baͤren ſah er vor ſich, die Brot verſchlangen. Sein ganzes Dichten und Trachten richtete ſich darauf in der Baͤrenhoͤhle zu ſitzen und auch Brot zu verſchlingen.

Er hatte ſeit geſtern nichts genoſſen.

Nun iſt’s geſcheh’n, ſagte er mit heiterem Laͤcheln vor ſich hin, jetzt werd ich wahnſinnig!

Es wird ein komiſcher Wahnſinn ſein; ich werde mich fuͤr einen Baͤren halten. Ursus! Ursus, der Baͤr!

337

Dennoch ging er immer weiter.

Es kam ihm der Einfall, bei dieſem oder jenem Laden ein Brot zu ſtehlen! Es liegt ſo vielerlei Gebaͤck aus! Vielleicht auch ſchenken ſie mir’s!

Doch wagte er weder zu nehmen, noch zu betteln.

Er ging weiter.

Er durchwuͤhlte die Taſchen, ob er nicht noch irgendwo ein Geldſtuͤck faͤnde!

Nein! Das letzte war vorgeſtern ausgegeben worden.

Nun fiel ihm ein, daß er ein ſchwarzſeidenes Tuch um den Hals geſchlungen trage; daß es ein heißer Tag ſei, daß er kein Tuche brauche!

Er loͤſete es ab und trat vor einen Troͤdel-Laden mit der Frage, was er dafuͤr empfange? Die Troͤdle - rin warf einen Seitenblick nach einem in der Naͤhe lauernden Aufſeher; dann ſagte ſie ſehr laut: Wir kaufen nichts von Unbekannten; es iſt gefaͤhrlich.

Sie haͤlt mich fuͤr einen Dieb, ſagte Anton; ich verdien’s nicht beſſer. Theodor haͤlt mich auch dafuͤr.

Er ging weiter.

Er glaubte zu bemerken, daß jener Aufſeher ihm folge!

Die Vagabunden. II. 22338

Nun beſchleunigte er ſeinen Schritt, ſoviel die abnehmenden Kraͤfte ihm geſtatten wollten. Das ſeidene Tuch hielt er in Haͤnden und taumelte hin und her.

Voruͤbergehende hoͤrte er ausrufen: Pfui, ein Betrunkener!

Wollte Gott, ich waͤr’s! dachte Anton.

Er gelangte ohne Zweck und Ziel nach den eliſeeiſchen Feldern. Da gab es Heiterkeit und Freude die Menge: oͤffentliche Spiele, Muſik, Tanz, Jubel aller Art rauſchte ihm entgegen. Ob ich bei Fran - coni’s eintrete? Vielleicht ſchenken ſie mir das uͤbliche Almoſen fuͤr einen in’s Elend gerathenen Kollegen! Wohlan, ſo ſei’s. Jch habe nichts zu verlieren; die Ehre iſt ohnedies verſpielt!

Als er eintreten wollte, entdeckte ſein truͤbes um - flortes Auge, daß es nicht Franconi’s Sommercirkus ſei, vor welchem er ſtehe, woraus die Muſik ertoͤnte. Die große Affiche mit ellenlangen Buchſtaben ver - kuͤndete einen anderen Namen. Dieſen bemuͤhte er ſich herabzuleſen: Amelot ſtand darauf gedruckt.

Den Namen ſollt ich kennen? Vor vielen vielen Jahren gab es eine Laura dieſes Namens, und dieſe liebte einen muntern Jungen, einen ſichern Antoine?339 ... ich beſinne mich ſehr gut. Was mag aus ihnen geworden ſein?

Fuͤr welchen Platz? fragte eine weibliche Stimme an der Kaſſe, als Anton ſtier und ſinnlos die rechte Hand mit dem ſchwarzſeidenen Tuche umwunden auf das Brett legte.

Fuͤr den Platz in Jhrem Herzen, ſchoͤne Laura, erwiederte er; aber Sie muͤſſen mein Halstuch ſtatt Zahlung annehmen, denn ich beſitze kein Silber und das Gold habe ich nicht bei mir. Es iſt ein ſchoͤnes, ſchwerſeidenes Tuch, das; ſie hat es mir geſchenkt, damals, eh Er eintraf. Gilt es noch im Preiſe? Zerriſſen mag es ſein, doch iſt’s lang genug, mich daran aufzuknuͤpfen; an die Pappel vor ihrem Hauſe, wenn’s beliebt!

Er hat den Verſtand verloren, doch iſt er’s! Ja, er iſt es! rief die ſchoͤne Frau an der Kaſſe. Jeſus mein Heiland, was beginn ich mit ihm? Wenn Herr Amelot ihn entdeckt iſt er verloren und ich bin es auch. Er leidet Mangel, der arme Junge. Er ſieht herunter gekommen aus! Vielleicht hungert er!

Die Baͤren haben Brot zur Genuͤge , murmelte der Ungluͤckliche; zu denen will ich gehen; ich liebe22*340die Baͤren und die Baͤren lieben mich. Nur mit den Tigern leb ich nicht in Freundſchaft.

Laura uͤberzeugte ſich erſt durch einen Blick in’s Jnnere des Amphitheaters, ob ſie ſicher ſei! Da ſie Herrn Amelot in voller Arbeit und die Augen der Thuͤrſteher jenem zugewendet ſah, raffte ſie eiligſt einen Haufen großer Silberſtuͤcke zuſammen, huͤllte dieſe Summe in das ſchwarzſeidene Tuch, reichte es Anton dar und beſchwur ihn, es zu nehmen, ſich augenblicklich zu entfernen.

Da war es, wie wenn er ploͤtzlich wieder klar ſaͤhe: Jch danke, ich darf nicht; nein ich darf nicht. Kein Suͤndengeld mehr; keine neue Schande mehr! Die alte druͤckt ſchwer genug. Jch danke, Laura!

Er ſchob das Geld wieder zuruͤck und war ent - flohen.

Druck von Robert Niſchkowsky in Breslau.

About this transcription

TextDie Vagabunden
Author Karl von Holtei
Extent342 images; 58610 tokens; 11995 types; 414705 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Vagabunden Roman in vier Bänden Zweiter Band Karl von Holtei. . 340 S. Trewendt & GranierBreslau1852.

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Staatsbibliothek München BSB München, P.o.germ. 644 hd-1/2

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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